Klaus-Peter Timm-Arnold Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
Stadtforschung aktuell Band 116...
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Klaus-Peter Timm-Arnold Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
Stadtforschung aktuell Band 116 Herausgegeben von Hellmut Wollmann
Klaus-Peter Timm-Arnold
Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik Endogene Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite Mit einem Vorwort von Prof. Gerhard Banner
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation im Promotionsfach Politikwissenschaft an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen, 2010 (Betreuer: Prof. Dr. Lars Holtkamp)
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17614-7
Vorwort
Zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und seinen Kommunen findet traditionell ein Gehörlosendialog statt. Die Kommunen machen dem Land zu Recht den Vorwurf der Unterfinanzierung. Das Land kontert, die Finanzausstattung der Kommunen sei insgesamt ausreichend. Lokale Haushaltsprobleme seien wesentlich auf örtliche Fehlentscheidungen zurückzuführen und somit hausgemacht. Erkennen könne man das daran, dass die Haushaltsergebnisse wirtschaftsund sozialstrukturell absolut vergleichbarer Kommunen sich zuweilen drastisch unterscheiden. Auf diese Weise redet man unverdrossen aneinander vorbei. Öffentlich wahrgenommen wird freilich nur die kommunale Version, die „Opferthese“, denn über sie berichten die Medien fast täglich. Die Länderversion, die „Verschwendungsthese“, ist kein öffentliches Thema, denn die Landesregierung und ihre Aufsichtsbehörden hüten sich, sie nach außen mit örtlichen Beispielen zu untermauern. Das wiederum macht es den Kommunen und ihren Verbänden leicht, die Verschwendungsthese pauschal zurückzuweisen. Auf diese „verdeckte“ Seite der kommunalen Haushaltsprobleme richtet Klaus-Peter Timm-Arnold den Scheinwerfer. In mehreren Ruhrgebietsstädten – diese Region ist besonders von Haushaltsschieflagen geplagt - untersucht er, welche endogenen Faktoren in Form lokaler Entscheidungsprozesse und Akteurkonstellationen hier zu einer erfolgreichen Konsolidierungspolitik und dort zu deren Scheitern geführt haben. Zugute kommen dem Autor seine kommunale Berufserfahrung und die interkommunal vergleichenden Einblicke, die er als Abteilungsleiter im Bereich der überörtlichen Prüfung bei der Gemeindeprüfungsanstalt NRW laufend gewinnt. Kurz gefasst kommt Timm-Arnolds Untersuchung zu folgenden Ergebnissen: Die besten Erfolgschancen hat die Konsolidierungspolitik, wenn ein in der Terminologie des Autors „verwaltungszentrierter“ Bürgermeister über Führungswillen und Führungskönnen verfügt (für Timm-Arnold eine Frage der Vorposition, des Fachwissens, der Primärorientierung am Gebot des Haushaltsausgleichs und der politischen Überzeugungskraft), sich außerdem auf eine zur eigenen Parteizugehörigkeit passende Ratsmehrheit oder freundliche Koalition stützen kann und diese schließlich auf eine Politik des soliden Wirtschaftens zu verpflichten vermag.
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Vorwort
Dagegen haben sich die beiden „politikzentrierten“ (aus der ehrenamtlichen Kommunalpolitik kommenden) parteiangehörigen Bürgermeister trotz farblich passender Ratsmehrheit nicht als erfolgreiche Konsolidierer erwiesen. Sie zeigten deutlich weniger normorientiertes Interesse am Haushaltsausgleich als ihre verwaltungszentrierten Kollegen mit juristischer oder Verwaltungsausbildung. Da ihnen in diesem Punkt der Führungswille fehlte, fand eine Verpflichtung der Fachbürokratie und der Fachpolitiker auf eine Konsolidierungspolitik von vornherein nicht statt und die Frage, ob ihr Führungskönnen für eine solche Verpflichtung ausgereicht hätte, konnte offen bleiben. Ein letztes Ergebnis betrifft parteilose verwaltungszentrierte Bürgermeister. Ein Bürgermeister, der politisch nicht zur Ratsmehrheit passt („Kohabitations-Bürgermeister“) hat es in NRW meist schwer, seine Konsolidierungsziele zu erreichen. Er riskiert, von der Ratsmehrheit in seinen Kompetenzen massiv beschnitten zu werden. Die zentrale Erkenntnis der Arbeit von Timm-Arnold lautet also: Verantwortliche Haushaltspolitik geht vom Bürgermeister aus – oder sie findet nicht statt. Inzwischen können 90 Prozent der NRW-Kommunen ihren Haushalt strukturell nicht mehr ausgleichen. 139 Kommunen – jede dritte – befindet sich im Nothaushalt und neun Kommunen sind überschuldet, ihr Eigenkapital ist negativ. Bis 2013 rechnet der Innenminister mit 27 überschuldeten Kommunen „wenn niemand gegensteuert“. Spiegelt man diese Entwicklung an den Ergebnissen von Timm-Arnold und an den grundlegenden Arbeiten von Lars Holtkamp zur kommunalen Haushaltspolitik in NRW, dann stellen sich kritische Fragen zum langjährigen Umgang dieses Bundeslandes mit seinen Kommunen und deren Finanzen. Begonnen sei mit einer normativen Feststellung: Dass manche Bürgermeister sich nur begrenzt oder gar nicht für eine solide Haushaltspolitik ihrer Kommune engagieren, ist für die Allgemeinheit und für die Institution der kommunalen Selbstverwaltung, die ja zugleich kommunale Selbstverantwortung bedeutet, inakzeptabel. Wie konnte es zu dieser Fehlentwicklung kommen? Eine erste Erklärung liefert der Rückblick: Vor der ersten Direktwahl der Bürgermeister im Jahr 1999 wurden die Wähler nicht darüber aufgeklärt, dass der „neue“ Bürgermeister neben dem Ratsvorsitz auch die Verwaltung leiten und daher Führungsqualitäten haben muss. An einer öffentlichen Diskussion dieser Frage waren und sind bis heute weder die kommunalen Verbände noch die örtlichen Parteien noch die jeweilige Landesregierung interessiert. Im Landtag gibt es immer noch eine verbreitete Abneigung gegen den Wechsel zum präsidentiellen System. Folglich lässt man die Wählerschaft in dem Glauben, im Prinzip könne, wie zuvor unter der „Doppelspitze“, jedermann Bürgermeister sein. Diese „Wählertäuschung durch Unterlassen“ hat das mentale Nachwirken des alten Regimes befördert und so zu einem besonders hohen Anteil führungsschwacher, meist politikzentrierter Bürgermeister geführt. Erschwerend kommt hinzu, dass
Vorwort
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es angesichts der parteipolitischen Akzentuierung der Kommunalpolitik in NRW und der einmalig steuerungsschwachen Kommunalverfassung (dazu später mehr) selbst für führungsstarke Bürgermeister nicht immer leicht ist, erfolgreich zu sein. Das gilt vor allem in Kohabitationssituationen. Diese personalen und institutionellen Besonderheiten dürften maßgeblich dazu beigetragen haben, dass vom Gesamtbetrag der kommunalen Kassenkreditschulden in Höhe von derzeit 40 Milliarden Euro die Hälfte allein auf NRW, das heißt auf ein Fünftel der Einwohner der Bundesrepublik, entfällt. Trotz dieser schwerwiegenden Folgen weist nichts darauf hin, dass die Landesregierung die neue Gemeinde- und Kreisordnung demnächst ordnungsgemäß kommunizieren wird. Ist sonst noch Rettung für die entgleisten Kommunalhaushalte in Sicht und aus welcher Richtung könnte sie kommen? Hätte etwa die Kommunalaufsicht früher und energischer gegen die Defizitkommunen vorgehen müssen? Die besondere Defizitanfälligkeit der NRW-Kommunalhaushalte im Ländervergleich war bereits in den 1980er Jahren aufgefallen und schon damals mit Besonderheiten der Kommunalverfassung – von denen die meisten bis heute fortbestehen erklärt worden. Die Kommunalaufsicht ist Teil der Landesverwaltung und daher politikabhängig. Will man es als Aufsichtsversagen werten, dass die Kommunalaufsicht ihre gesetzlichen Befugnisse gegenüber kleinen und mittleren Gemeinden im Großen und Ganzen ausschöpft, während sie bei den selbstbewussten und politisch gut verdrahteten Großstädten manches Auge zudrückt, dann ist dieses Versagen in vollem Umfang der Landesregierung zuzuordnen. Auch bietet das Haushaltsrecht in der jetzigen Fassung keine Möglichkeit, in die Art und Weise der Pflichtaufgabenerfüllung zu intervenieren. Diese machen aber rund 90 Prozent der kommunalen Aufgaben aus. Die Beurteilungsspielräume, die unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Sparsamkeit“ und „Wirtschaftlichkeit“ innewohnen, eröffnet die Rechtsprechung ausschließlich der Kommune und nicht der Aufsicht. Mit welchem Personalaufwand, mag er im interkommunalen Vergleich noch so überhöht aussehen, eine Kommune ihre Pflichtaufgaben erledigt, fällt allein unter deren Selbstverwaltungsrecht und verbietet der Aufsicht jede Intervention. Kurz, die bisherige Stoßrichtung, das Kürzungspotential nur bei freiwilligen Aufgaben zu sehen, vermag die Haushalte nicht entfernt auszugleichen. Ob der Landesgesetzgeber die Kommunalaufsicht in Zukunft politikunabhängiger macht, sie beispielsweise ermächtigt und verpflichtet, bei starker Haushaltsschieflage Steuererhöhungen anzuordnen, ist eher unwahrscheinlich. Der einzige Lichtblick sind die beispielhaften flächendeckenden Kennzahlenvergleiche und daraus entwickelten Benchmarks der Gemeindeprüfungsanstalt NRW, für deren Akzeptanz und Umsetzung diese allerdings auch nur werben kann. Wir haben noch nicht gelernt, Leistungsunterschiede für selbstverständlich zu halten, entspannt darüber zu sprechen und sie sogar zu begrüßen, weil man sie zur Verbes-
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Vorwort
serung der eigenen Leistung nutzen kann. Nachdem es inzwischen im Bildungswesen, in den Krankenhäusern, Altenheimen und anderswo öffentlich zugängliche Leistungsvergleiche und Benchmarks gibt, sollten sie auch zwischen Kommunen möglich sein. Sind Finanzhilfen ein Lösungsbeitrag? Derzeit bereitet die Landesregierung für die besonders finanzschwachen Kommunen Hilfen zur Erleichterung ihrer Altschuldenlast vor. Denn, so der Innenminister: „Alle Kommunen, auch die überschuldeten, müssen wieder in der Lage sein, ihren Haushalt ordnungsgemäß zu führen“. Die dafür jährlich vorgesehenen Mittel liegen deutlich unter einer halben Milliarde Euro. Angesichts von derzeit 20 Milliarden Euro Kassenkreditschulden, die explosiv weiter ansteigen, ist dieser Betrag „weiße Salbe“. Andererseits kann das unter dem Damoklesschwert der Schuldenbremse stehende Land auch nicht mehr leisten. Möglicherweise sind die geplanten Hilfen sogar kontraproduktiv. Ein von der Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten soll unter anderem klären, wie „die bereits in der Vergangenheit gezeigten sehr unterschiedlichen Konsolidierungsanstrengungen der einzelnen Kommunen (Schließung von Einrichtungen, Entgeltniveau, interkommunale Zusammenarbeit, Hebesatzniveau) adäquat berücksichtigt werden (können)“. Kommunen, die ihre finanzielle Schieflage selbst verursacht oder mitverursacht haben, sollen also dafür nicht noch nachträglich belohnt werden. Das Land will damit auch die Kommunen treffen, die mit dem Argument der „Vergeblichkeitsfalle“ inzwischen inoffiziell jegliche Konsolidierungsanstrengung eingestellt haben. Das Ziel ist ehrenwert, aber illusionär, denn um bei den Banken kein Grübeln auszulösen (Stichwort negatives Eigenkapital) und den öffentlichen Sektor weiterhin günstig kreditfinanzieren zu können, muss das Land die Zahlungsfähigkeit aller Kommunen in jeder Minute sicherstellen. In diesem Sinn sind die Kommunen systemrelevant und gerade diejenigen unter ihnen, die ihre Misere durch Führungsversagen (mit)verschuldet haben, werden aus langer Erfahrung die Landeshilfe und die mit ihr verbundenen Ermahnungen eher als Einladung zum „Weiter so“ denn als unentrinnbaren Zwang zum Umsteuern deuten. Der Umgang des Landes NRW mit seinen Kommunalhaushalten lässt sich am besten mit der Formel „Problemverdrängung aus politischer Kurzfristopportunität“ beschreiben. Beispiele für diese Taktik sind die „Erfindung“ des Haushaltssicherungskonzepts, mit der das Problem ausufernder Haushalte kurzerhand auf eine nochmals verlängerte Bank geschoben wurde und später die völlige Freigabe der Finanzierung laufender Ausgaben mit Kassenkrediten. Das Land hat in den letzten Jahrzehnten keine einzige Maßnahme zur Stärkung der Eigenverantwortung der Kommunen für eine nachhaltige Haushaltspolitik getroffen. Gibt es einen Benchmark, der den von Timm-Arnold, Holtkamp und anderen als zentralen Akteur der Haushaltspolitik ausgemachten Bürgermeister in die Lage
Vorwort
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in die Lage versetzt, die Rolle des Gewährleisters finanzieller Nachhaltigkeit zuverlässig auszufüllen? Es gibt ihn, und zwar ist es die baden-württembergische Kommunalverfassung. Sie macht den Bürgermeister weitgehend unabhängig von der politischen Zusammensetzung des Rats, begünstigt einen konkordanten, die Zusammenarbeit von Rat und Bürgermeister fördernden Politikstil und macht das Bürgermeisteramt für führungsstarke verwaltungszentrierte Personen attraktiv. Dies sind ihre wichtigsten haushaltsrelevanten Regelungen: Der Bürgermeister ist stimmberechtigter Vorsitzender des Rats und aller Ausschüsse. Den Ausschussvorsitz kann er an Beigeordnete delegieren, die uneingeschränkt weisungsgebunden sind (kein Recht zum Vortrag abweichender Meinungen im Hauptausschuss) und im Ausschuss kein Stimmrecht haben. Der Bürgermeister wird im Zweifel nichts Unfinanzierbares auf eine Tagesordnung setzen. Es gibt kein Rückholrecht des Rats. Das konsequent personenorientierte Wahlrecht mit Kumulieren und Panaschieren bringt stadtbekannte, allgemein geschätzte Personen in den Rat, von denen viele über die Stadtfinanzen ähnlich denken wie über ihr eigenes Geld. Diese Normen geben dem jährlichen Haushalt eine Führungsschiene – Timm-Arnold spricht von Zentralisierung-, die in aller Regel gewährleistet, dass sich sein Werdegang in jeder Station am Ausgleichsgebot orientiert. In NRW gibt es diese Führungsschiene nicht. Daher kann der Haushalt sich im Extremfall (der in NRW nicht selten ist) als ungehemmte Addition fachpolitischer Wunschvorstellungen von unten nach oben bewegen, wo eine rechtlich schwach ausgestattete Verwaltungsspitze ihn dann nicht mehr in den Griff bekommt mit der Folge, dass der Schuldenberg von Jahr zu Jahr höher wird. Es war Leichtsinn, eine Gemeindeordnung zu konstruieren, in der eine geordnete Haushaltswirtschaft nahezu ausschließlich von der Präsenz eines besonders führungsstarken, mit Expertise und einer verlässlichen Ratsmehrheit ausgestatteten Bürgermeisters abhängt. Wird sich NRW als lernfähig erweisen, bereit zum „Lernen vom Besten“? Leider gibt es eher Anzeichen für das Gegenteil. Die neue Landesregierung will den Bürgermeister wieder zusammen mit dem Rat wählen lassen, das heißt sie will ihn schwächen. Und von dem auch in NRW immer wieder diskutierten und dann schnell in der Versenkung verschwundenen Wahlrecht mit Kumulieren und Panaschieren ist im Koalitionsvertrag erst gar nicht die Rede. Ohne den Import zentraler Elemente der baden-württembergischen Kommunalverfassung (der das politische Verhalten in den Kommunen auch erst nach und nach verändern würde) gibt es keine Hoffnung, den Marsch von immer mehr NRW-Kommunen in die Überschuldung aufzuhalten. Ist man pessimistisch, kann man das Problem auch jetzt schon für unlösbar halten – jedenfalls mit normalen Mitteln. Gerhard Banner
Danksagung
An dem Gelingen der Dissertation, die im Wintersemester 2009/2010 von der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen im Fach Politikwissenschaft angenommen wurde, sind einige Menschen beteiligt. Mein Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Lars Holtkamp für die sehr angenehme und engagierte Begleitung des Promotionsprojektes und die stets hilfreichen Hinweise, ebenso dem Zweitgutachter Prof. Dr. Jörg Bogumil, RuhrUniversität Bochum. Ich danke Prof. Gerhard Banner, ehemaliger langjähriger KGSt-Vorstand, für das Interesse an dieser Dissertation, wohlwollende Kritik und die Verfertigung des Vorwortes sowie Jörg Sennewald, Vizepräsident der Gemeindeprüfungsanstalt NRW a.D., für viele anregende Gespräche, nicht nur in Zusammenhang mit dieser Arbeit. Dem Team der Stadtbibliothek Leverkusen sei gedankt für die stets freundliche und kompetente Unterstützung bei der umfangreichen Literaturbeschaffung. Ein ganz besonderer und persönlicher Dank gilt meiner Frau, Roswitha Arnold, für die Einbringung ihres Erfahrungsschatzes als langjährige Vorsitzende einer NRW-Großstadtfraktion, kritische Manuskriptdurchsicht und jegliche Unterstützung, ohne die eine wissenschaftliche Arbeit nicht auskommt. Gewidmet ist das Buch aber meinen Kindern Geraldine und Philipp. Ihnen und allen anderen Kulturschaffenden ist von Herzen zu wünschen, dass die Kommunen trotz Finanzkrise weiterhin in der Lage sein werden, hinreichende Mittel für die – vermeintlich so freiwillige – Kulturarbeit bereitzustellen, auf dass es auch in Zukunft immer wieder aufs Neue heißt: Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Wichtige Voraussetzung hierfür ist aber auch eine „nachhaltige“, professionelle Haushaltswirtschaft in den Kommunen. Einen Beitrag hierfür zu leisten, ist die vorliegende Arbeit angetreten. Leverkusen, im September 2010
K.-P. Timm-Arnold
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ________________________________________________________ 5 Danksagung ____________________________________________________ 11 Abbildungsverzeichnis ___________________________________________ 15 1
Einleitung__________________________________________________ 19 1.1
2
Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen _______________ 21
Theoretische Ansätze_________________________________________ 31 2.1
Vergleichende Staatstätigkeitsforschung ____________________ 31
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen) _________________________ 32 2.2.1 Parteiendifferenzlehre ________________________________ 33 2.2.2 Parteiendifferenz auf kommunaler Ebene _________________ 38 2.3 Institutionelle Ansätze (Können) __________________________ 45 2.3.1 Der Einfluss der Kommunalverfassung ___________________ 47 2.3.2 Der Antagonismus von Spezialisten und Generalisten in der Haushaltspolitik _____________________________________ 52 2.3.3 Zentralisierung der Haushaltspolitik _____________________ 55 2.3.4 Der Bürgermeister als zentraler haushaltspolitischer Akteur___ 66 2.4
Sozioökonomische Rahmenbedingungen (Müssen) ____________ 74
3
Untersuchungshypothesen _____________________________________ 77
4
Auswahl der Untersuchungsfälle, Methodik und Untersuchungsaufbau __ 79 4.1
Fälle ________________________________________________ 79
14
Inhaltsverzeichnis
4.2 5
Ruhrgebiet vor dem Finanzkollaps? _____________________________ 87 5.1
6
Vergleichsmethodik ____________________________________ 82
Haushaltsbelastung und Haushaltsentwicklung der Ruhrgebietskommunen __________________________________ 87
Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen ___________ 91 6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister__ 91 6.1.1 Haushaltspolitik in der Stadt A _________________________ 91 6.1.2 Haushaltspolitik in der Stadt B ________________________ 126 6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister _____ 156 6.2.1 Haushaltspolitik in der Stadt C ________________________ 156 6.2.2 Haushaltspolitik in der Stadt D ________________________ 197 6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister __________ 230 6.3.1 Haushaltspolitik in der Stadt E_________________________ 230
7
Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik______ 271 7.1
Theoretischer Rahmen _________________________________ 271
7.2
Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen _________ 274
7.3
Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick________ 288
Anhang_______________________________________________________ 297 Literaturverzeichnis _____________________________________________ 309
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zentralisierung der Haushaltspolitik _____________________ 65 Abbildung 2: SPD-Anteil (Prozent) in den Gemeinderäten der kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebietes __________________ 81 Abbildung 3: Entwicklung der kommunalen Haushalte im Ruhrgebiet _____ 88 Abbildung 4: Durchschnittliches strukturelles Defizit 2003 der kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebiets ________________ 90 Abbildung 5: Strukturelles Defizit 2003 der Stadt A im interkommunalen Vergleich __________________________________________ 95 Abbildung 6: Entwicklung der strukturellen Haushaltsergebnisse in den Untersuchungskommunen (A bis E) 2000 bis 2006 _________ 96 Abbildung 7: Gesamtschulden Stadt A 2005 im interkommunalen Vergleich 98 Abbildung 8: Fundierte Schulden der Kernverwaltung Stadt A 2005 im interkommunalen Vergleich____________________________ 98 Abbildung 9: Gesamtschulden der Vergleichskommunen (A bis E) 2005____ 99 Abbildung 10: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen und Mehrheitsbeteiligungen) Stadt A 2003 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 102 Abbildung 11: Bereinigte Personalausgaben der Stadt A 2003 im interkommunalen Vergleich___________________________ 103 Abbildung 12: Entwicklung der bereinigten Personalausgaben der Untersuchungskommunen (A bis E) 2000 bis 2005 ________ 103 Abbildung 13: Strukturelles Defizit Stadt B 2003 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 129 Abbildung 14: Gesamtschulden Stadt B 2005 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 132
16
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 15: Fundierte Schulden der Kernverwaltung Stadt B 2005 im interkommunalen Vergleich___________________________ 132 Abbildung 16: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen) Stadt B 2003 im interkommunalen Vergleich___________________________ 135 Abbildung 17: Bereinigte Personalausgaben Stadt B 2003 im interkommunalen Vergleich ____________________________________ 136 Abbildung 18: Strukturelles Defizit Stadt C 2003 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 159 Abbildung 19: Gesamtschulden Stadt C 2005 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 160 Abbildung 20: Fundierte Schulden der Kernverwaltung Stadt C 2005 im interkommunalen Vergleich___________________________ 160 Abbildung 21: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen und Mehrheitsbeteiligungen) Stadt C im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 163 Abbildung 22: Bereinigte Personalausgaben Stadt C 2003 im interkommunalen Vergleich ____________________________________ 163 Abbildung 23: Strukturelles Defizit der Stadt D 2003 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 200 Abbildung 24: Gesamtschulden Stadt D 2005 im interkommunalen Vergleich___________________________ 203 Abbildung 25: Fundierte Schulden Kernverwaltung Stadt D 2005 im interkommunalen Vergleich___________________________ 203 Abbildung 26: Personalquoten einiger Untersuchungskommunen 2003 im interkommunalen Vergleich _______________________ 206 Abbildung 27: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen und Mehrheitsbeteiligungen) Stadt D 2003 im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 207 Abbildung 28: Bereinigte Personalausgaben Stadt D 2003 im interkommunalen Vergleich ____________________________________ 208 Abbildung 29: Defizitentwicklung der Stadt E 1991 – 2008 _____________ 233
Abbildungsverzeichnis
17
Abbildung 30: Strukturelles Defizit Stadt E 2003 und 2005 im interkommunalen Vergleich ____________________________________ 234 Abbildung 31: Strukturelles Defizit Stadt E 2005 im Vergleich zu den Untersuchungskommunen ____________________________ 234 Abbildung 32: Bereinigte Personalausgaben Stadt E 2003 im interkommunalen Vergleich ____________________________________ 235 Abbildung 33: Vergleich der bereinigten Personalausgaben unter den Untersuchungskommunen ____________________________ 235 Abbildung 34: Zuschussbedarf Kultur Stadt E im interkommunalen Vergleich _________________________________________ 236
1 Einleitung
In seinem Roman Der Stechlin lässt Theodor Fontane seinen Protagonisten fragen: „Sie sprachen von ‚Regime’. Wer ist dies Regime? Mensch oder Ding? Ist es die von alter Zeit her übernommene Maschine, deren Räderwerk tot weiterklappert, oder ist es der, der an der Maschine steht?“
Hier wird sehr prägnant die Frage aufgeworfen, die im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht. In dieser geht es nämlich um die Determinanten staatlichen oder kommunalen, mithin öffentlichen Handelns in Bezug auf Haushaltskonsolidierung1. Sind es die Verfassungen, Institutionen und formalen Rechte, die das Handeln der Akteure determinieren, die, wenn nur „richtig“ ausgeprägt, „automatisch“ dafür sorgen, dass Bürgermeister2 eine sparsame Haushaltspolitik betreiben, wie es Gerhard Banner in seinen grundlegenden Arbeiten über die Haushaltssteuerung in der Kommune3 (Banner 1984 ff.) postulierte, oder sind es eher die Persönlichkeit des Bürgermeisters, seine Handlungsorientierung und Fähigkeiten, die für eine Konsolidierungspolitik und einen ausgeglichenen Haushalt verantwortlich sind. Dies setzt allerdings voraus, dass führende Politiker einen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklung ausüben können (Niclauß 2004: 9). 1 Gemessen an den gesetzlichen Vorgaben bedeutet „Haushaltskonsolidierung“: Haushaltsausgleich einschließlich der Abdeckung der Altfehlbeträge aus den Vorjahren (vgl. Handlungsrahmen zur Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten - Innenministerium NRW – 33 – 46.09.01 – 9530/05 und weitere Erlasse), das heißt anzustreben ist ein strukturell ausgeglichener Haushalt. Unter Konsolidierungspolitik (synonym: Sparpolitik, Austeritätspolitik) werden im Rahmen der vorliegenden Analyse die mikropolitischen Prozesse der Akteure zur Effizienzsteigerung verstanden, also das Bemühen, Werte für die Zukunft zu schaffen. 2 In dieser Dissertation wird bei Funktionsbezeichnungen einheitlich die männliche Form verwendet und nicht nach Geschlecht differenziert. Dies geschieht aus Gründen der Lesbarkeit und ohne Diskriminierungsabsicht. Auch folgt dieses Vorgehen dem Umstand, dass die Untersuchungskommunen anonymisiert wurden. Die Begründung hierfür wird in Kapitel 4 dieser Untersuchung gegeben. 3 „Kommune“ bedeutet wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt „Gemeinde“, allerdings werden mit dem Terminus sowohl die Gemeinden, die kreisangehörigen Städte, die kreisfreien Städte und die Kreise bezeichnet. Juristisch sind Kommunen Körperschaften des öffentlichen Rechts (Bogumil 2005: 515). Zur Binnendifferenzierung vgl. Fußnote 87.
K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
20
1 Einleitung
Die empirische Varianz der kommunalen Haushaltsergebnisse bei gleichen verfassungsrechtlichen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen – nimmt man beispielsweise das Ruhrgebiet4 als „sozialen Raum“ und Vergleichseinheit heraus – legt zumindest die Vermutung nahe, dass auch die Führungsleistung5 des zentralen Steuerungspolitikers im Sinne G. Banners, und das ist der Bürgermeister in seiner Rolle als Verwaltungschef, einen messbaren Einfluss auf eine der Haushaltskonsolidierung verpflichtete Politik haben könnte. Wenn man weiter annimmt, dass der Haushaltsausgleich die wichtigste Voraussetzung für die Erhaltung bzw. Wiedererlangung der kommunalen Handlungsfähigkeit ist, so wird deutlich, dass es entscheidend auf den politischen Willen ankommen sollte, dieses Ziel zu erreichen (Winkel 2007a: 34). Der politische Wille wiederum wird geprägt durch die Präferenz der Akteure, insbesondere der kommunalen Parteien6 und des Bürgermeisters. Bei letzterem kommt es möglicherweise ferner darauf an, ob er seine Präferenz zur Haushaltskonsolidierung in der Mehrheitsfraktion durchsetzen kann (Überzeugung). Problematisch könnte es nämlich im Hinblick auf sparpolitische Ziele werden, wenn der Bürgermeister z.B. als parteiloser Amtsinhaber nicht über eine Machtbasis im Rat verfügt. Dann ist zu befürchten, dass selbst ein konsolidierungsorientierter Bürgermeister bei vorherrschend ausgeprägter Parteipolitisierung7 in NRW-Räten scheitert. 4 Ruhrgebiet in den Grenzen des Regionalverbandes Ruhr (RVR; § 1 Abs. 1 des Gesetzes über den Regionalverband Ruhr – RVRG). Das Ruhrgebiet repräsentiert eine Region, in der ca. 5,3 Mio. Menschen leben (Junkernheinrich/Micosatt 2006). 5 Führung ist als sozialer Einflussprozess zur Aufrechterhaltung oder Verbesserung von Systemleistungen aufzufassen. Dazu kann sich der Führende auf Machtpotenziale stützen, die von der Organisation bereitgestellt werden (Belohnungs- und Bestrafungsmöglichkeiten, Amtsautorität) oder selbst erworben sind wie Wissen, Informationen, Persönlichkeitswirkungen (Ridder/Schirmer 1998: 200). Die vorliegende Analyse rekurriert vornehmlich auf den zuletzt genannten Aspekt. 6 Politische Parteien sind nach Max Weber „freiwillig geschaffene und auf freie, notwendig stets erneute, Werbung ausgehende Organisationen“, die interessengeleitet handeln (Schmidt 2007: 85). Einer modernen Definition Ulrich von Alemanns (2000: 11) zufolge sind Parteien auf Dauer angelegte, freiwillige Organisationen, die politische Partizipation für Wähler und Mitglieder anbieten, diese in politischen Einfluss transformieren, indem sie politisches Personal selektieren, was wiederum zur politischen Integration und zur Sozialisation beiträgt und zur Selbstregulation führen kann, um damit die gesamte Legitimation des politischen Systems zu befördern. Auf lokaler Ebene haben Parteien folgende Funktionen: Rekrutierung von Gemeinderatskandidaten, Durchführung des Kommunalwahlkampfs, Feststellung und Sammlung der kommunalpolitischen Anliegen der Bevölkerung und Propagierung und Erläuterung der von der Partei getroffenen oder favorisierten kommunalpolitischen Entscheidungen (Suckow 1989: 33). Für diese Dissertation wird differenziert zwischen der Partei im engeren Sinne (d.h. ihre Organisationsgliederungen wie Vorstände, Ortsvereine, Vereinigungen etc.) und der Partei im Stadtrat (Fraktion). 7 Hans-Georg Wehling (1991: 150) versteht unter Parteipolitisierung das Ausmaß, in welchem es den lokalen Parteien gelingt, die Kommunalpolitik personell, inhaltlich und prozedural zu monopolisieren, d.h. im Hinblick auf den policy-output zu beeinflussen. Zu unterscheiden sind also personelle Parteipolitisierung: darunter versteht er die Parteizugehörigkeit und –bindung der Verwaltungsspitze
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
21
Die angerissene Problematik verweist auf in der Kommune ablaufende Entscheidungsprozesse im engeren Sinne, auf das Zusammenspiel der kommunalen Entscheidungsträger im lokalen politisch-administrativen System: Rat, Verwaltung und Bürgermeister (Bogumil 2002: 7), also auf die Verhaltensweisen von Politikern.
1.1
Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
Die folgende Analyse befasst sich mit der kommunalen Haushaltspolitik in Nordrhein-Westfalen. Auf staatlicher Ebene wird unter Haushaltspolitik die Gesamtheit der Ausgaben- und Steuerpolitik verstanden (Sturm 1991: 222). Dies bedeutet nach Schmidt (2007: 340) zunächst die Realisierung des „Steuerstaates“, der gerade im Kapitalismus darauf angewiesen ist, die Quellen seiner Steuerkraft zu pflegen und der so in Abhängigkeit zur privaten Wirtschaft gerät, d.h. ihrer Konjunkturen und Krisen.8 Haushaltspolitik als Ausgabenpolitik beschreibt demgegenüber die Handlungsform des „Wohlfahrtsstaates“ mit der Realisierung des Sozialstaatsziels und einer Daseinsvorsorge für die Bürger.9 Da für die Kommunen die Entscheidungen über Steuerfragen nur einen Teil der Einnahmenseite des Haushalts ausmachen, ist für die kommunale Haushaltspolitik der Begriff „Steuerpolitik“ durch „Einnahmenpolitik“ zu ersetzen. Kommunale Haushaltspolitik lässt sich somit definieren als die Gesamtheit der Einnahmenund Ausgabenpolitik der Kommune (Holtkamp 2000: 13; Bogumil/Holtkamp 2006: 131) im Rahmen vorgegebener gesetzlicher und untergesetzlicher Normen.10 bzw. -angehörigen und der Ratsmitglieder. Ferner die inhaltliche Parteipolitisierung: sie bezeichnet den Grad der Ausrichtung von Argumentation und Abstimmungsverhalten an übergeordneten ideologischen Gesichtspunkten und an Programmen, die über den Kontext der Gemeinde hinausgehen. Schließlich die prozedurale Parteipolitisierung: sie lässt sich als Grad konkurrenzdemokratischer Verhaltensmuster verstehen, wozu das geschlossene Abstimmungsverhalten von Fraktionen, eine abnehmende Einstimmigkeit von Ratsbeschlüssen und eine klare Trennung des Rates in Oppositionsund Mehrheitsfraktionen (funktionale Gewaltenteilung) zählen. 8 Diese Krisen- und Konjunkturabhängigkeit bekommen auch die Kommunen bei ihrer zentralen Einnahmequelle, der Gewerbesteuer, besonders zu spüren. 9 Auch hier stehen die Städte, Kreise und Landschaftsverbände mit ihren Sozialleistungen an vorderster Front. 10 Maßgeblich für die Haushaltswirtschaft der Kommunen ist der 8. Teil der Gemeindeordnung NRW. Die hierin getroffenen Regelungen (z.B. Grundsätze der Einnahmebeschaffung) sind für die Kommunen verbindlich. Die Bewirtschaftung der kommunalen Einnahmen und Ausgaben erfolgt über einen Verwaltungs- und einen Vermögenshaushalt (§ 78 Abs. 2 GO). Der Vermögenshaushalt weist alle Finanzpositionen aus, die das Vermögen oder die Schulden einer Gemeinde verändern. Demgegenüber bildet der Verwaltungshaushalt den laufenden Aufwand der Kommune für die Erfüllung ihrer Aufgaben und seine Deckung, also alle vermögensunwirksamen Ausgaben und Einnah-
22
1 Einleitung
Die kommunale Haushaltspolitik unterscheidet sich von anderen Politikfeldern wesentlich durch ihre Querschnittsfunktion und die starke Dominanz bzw. einen Informationsvorsprung der Verwaltung bzw. des Kämmerers gegenüber dem Rat.11 12 Sie spielt in alle kommunalen Politikfelder (policies13) hinein, erfolgt hierüber doch die Allokation der Finanzressourcen für die Wahrnehmung der Fachaufgaben (Mäding 1994: 107). Ihre politikwissenschaftliche Relevanz ergibt sich daraus, dass „mit Hilfe der (Staats-) Finanzen, sei es über Ausgaben, sei es men, ab. Einnahmen und Ausgaben werden in der Kameralistik durch die Verwaltungsvorschriften über die Gliederung und Gruppierung der Haushaltspläne der Gemeinden und Gemeindeverbände (VV Gliederung und Gruppierung) strukturiert. Hierbei handelt es sich um eine Art einheitlichen „Kontenrahmen“, der eine Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben des kommunalen Haushaltsplanes nach fachlichen und aufgabenbezogenen Kriterien vornimmt. Das Rechnungswesen der Kommunen wurde in NRW ab 2009 vom „Neuen Kommunalen Finanzmanagement“ (NKF), einer kaufmännischen Buchführung, die auf kommunale Belange angepasst ist, landeseinheitlich abgelöst. Die in dieser Dissertation verwendeten Kennzahlenergebnisse basieren auf kameralen Haushaltsdaten. Die Untersuchungskommunen A und B haben ihr Rechnungswesen 2007 auf das NKF umgestellt, die Untersuchungskommunen C, D und E 2008. 11 Grundlegend für die Analyse des Politikfeldes Kommunale Haushaltspolitik sind die Arbeiten von Hiltrud und Karl-Heinz Naßmacher seit den 1970-er Jahren (Naßmacher/Naßmacher 1979 und 1999). Sie beschrieben die Verwaltungsdominanz (insbesondere des Kämmerers) in haushaltspolitischen Entscheidungsprozessen und einen vorherrschend inkrementalistischen Politikstil. Als entscheidende Phase lässt sich die Haushaltsaufstellung identifizieren. Sie ist die Domäne des Kämmerers und (im Idealfall) auch des Bürgermeisters. Hier erfolgen in Verhandlungsprozessen mit den Fachämtern oder auch durch zentrale Vorgaben die Festlegungen des Haushaltsplanentwurfs, hier werden die „Weichenstellungen für alle anderen politischen Entscheidungen vorbereitet“ (Naßmacher/Naßmacher 1999: 338). Hier werden unter Umständen auch die in bipolaren und für Öffentlichkeit und Rat intransparenten bargaining-Prozessen mit der Kommunalaufsicht ausgehandelten Bedingungen der Haushaltssicherung umgesetzt. Erfahrungsgemäß erfolgen in den eigentlichen Haushaltsberatungen in den Fachausschüssen und auch im Haushaltsbeschluss durch den Rat, das haben auch die im Rahmen dieser Dissertation geführten Interviews wieder gezeigt, keine gravierenden Änderungen mehr am aufgestellten Haushaltsplanentwurf. „Eckpunkte“, häufig mit so genannten „Sachzwängen“ von der Verwaltung begründet, werden sowieso nicht mehr verändert. 12 Die Auswirkungen des Informations- und Wissensvorsprungs der Verwaltung gegenüber dem „einfachen“ Ratsmitglied beschreibt Frank Überall eindruckvoll in seiner Dissertation (2008: 215) am Beispiel des skandalumwitterten Neubaus der Messehallen in Köln. Die finanziellen Risiken dieses Geschäftes wurden „schön gerechnet“, versteckt in knapp gehaltenen Ratsvorlagen. Alternativen wurden nicht genannt, die Entscheidungsgrundlagen nicht ausführlich dargestellt. 13 Die Dimensionen des Politikbegriffes werden in der Politikwissenschaft ausdifferenziert in normative und strukturelle Aspekte, d.h. in eine Form, innerhalb derer Politik abläuft (polity), in eine prozessuale Komponente (politics) sowie in eine inhaltliche, materielle Dimension (policy). Während polity die Erscheinungsformen Verfassung, Normen und Institutionen mit den Merkmalen „Organisation, Verfahrensregelungen und Ordnung“ umfasst, verweist policy auf Aufgaben, Ziele und politische Programme mit den Merkmalen „Problemlösung, Aufgabenerfüllung, Wert- und Zielorientierung, Gestaltung“. Politics handelt hingegen von „Interessen, Konflikt, Kampf“ und lässt sich mit den Merkmalen „Macht, Konsens und Durchsetzung“ versehen (Böhret u.a. 1988: 7). Insofern bildet die politische Ordnung den Rahmen, innerhalb dessen über politische Konflikt- und Konsensstrategien materielle Politik gestaltet wird.
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
23
über Steuern, (…) Politik gemacht und damit gleichzeitig auch über die Lebensbedingungen von Bürgern entschieden [wird]“ (Wagschal 2006b: 57). Dabei ist die kommunale Haushaltswirtschaft in doppelter Weise verflochten (Mäding 1994: 129): mit der lokalen Wirtschaft (private Haushalte und Unternehmen als Zahler von Grund- und Gewerbesteuer) und dem überlokalen föderativen Finanzsystem (Steuergesetzgebung, Finanzausgleich). Die beschränkte Finanzautonomie und eine schwache Stellung im gesamtstaatlichen Entscheidungsprozess14 (Mäding 1991: 92, 103, 105; 1998: 100; Voigt 1998: 14; Holtkamp 2006a: 86) bedeuten für die Kommunen eine hohe Abhängigkeit von staatlichen Gesetzen, Programmen und Standards, oft mit direkter Finanzwirkung und ohne Kostenerstattung (vgl. z.B. den Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz in der Kommune, Vetter/Holtkamp 2008: 30)15. Damit ergibt sich bei den Einnahmen eine starke Abhängigkeit von höheren staatlichen Ebenen, der wirtschaftlichen Entwicklung und von Genehmigungsvorbehalten der Aufsichten16 (z.B. bei 14
Die im internationalen Vergleich ursprünglich relativ starke Autonomiestellung und die Handlungsspielräume bundesdeutscher Kommunen gingen innerhalb der letzten 20 Jahre erheblich zurück, wie neuere Untersuchungen belegen (Vetter/Holtkamp 2008: 27). 15 So betrug z. B. 2006 der Stellenmehrbedarf einer mittleren kreisangehörigen Stadt in NRW allein aufgrund von Standarderhöhungen im Bereich des Brandschutzes und Rettungsdienstes 6,5 Stellen, im Rahmen der Kindertagesbetreuung 1,5 Stellen. Eine Stelle verursacht Ausgaben von durchschnittlich 46.000 € /Jahr (GPA NRW). 16 Aufsichtsbehörden sind in NRW die Landräte für die kreisangehörigen Kommunen und die Bezirksregierungen für die kreisfreien Städte. Oberste Kommunalaufsichtsbehörde ist das Innenministerium (§ 120 GO n.F.). Den Kommunalaufsichten kommt insbesondere in Fällen der Haushaltsschieflage eine besondere Akteursrolle und Bedeutung zu. Dabei hat sich die Rolle der Kommunalaufsichtsbehörden in NRW mit der Zeit drastisch verändert: Ging der damalige Leiter der Kommunalabteilung des Innenministeriums NRW 1995 noch von einer „Moderatorenrolle“ aus, von einem Beratungsprozess, innerhalb dessen „die Kommunen in einem gelenkten Selbststeuerungsprozess über den Konsolidierungsweg selbst bestimmen können“ (Held 1995), so sind heute massive Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung an der Tagesordnung (Bogumil/Holtkamp 2006: 140). Bei den Eingriffsfeldern ist zu unterscheiden zwischen pflichtigen und freiwilligen Aufgaben der Kommune (zur Unterscheidung siehe Höher-Pfeifer 2000: 10). Insbesondere letztere sind von kommunalaufsichtlichen Maßnahmen betroffen, seien es Ausgaben für Kultur oder freiwillige Zuschüsse im sozialen Bereich, was wiederum die Organisation von Widerstandsressourcen bei HSK-Kommunen provoziert (z.B. Abschluss langfristiger Vereinbarungen mit freien Trägern; zum Arsenal passiver Widerstandsmaßnahmen und „subversiver“ kommunaler Strategien vgl. ausführlich Holtkamp 2004a und Bogumil/Holtkamp 2006). Ansonsten fokussieren sich die Eingriffe der Kommunalaufsicht auf den Abbau von Personalausgaben, die Steuerhebesätze, den Kreditrahmen und damit das Investitionsvolumen (Holtkamp 2003: 1) sowie die Vermögensveräußerungen („Tafelsilber“). In der Wirkung führen Haushaltssicherungskonzepte zu einer jahrelangen Entkopplung von Steuerbelastung und Ausgabenentwicklung sowie Einschränkungen von lokaler Demokratie und kommunaler Selbstverwaltung aufgrund intransparenter Strukturen [Verhandlungen „im Schatten der Hierarchie“ (Mayntz 2004: 72) unter Ausschluss des Rates und der Öffentlichkeit (Holtkamp 2002a: 71)]. Folgen der HSK-Politik in NRW sind aber auch ein Ökonomisierungsschub (Bogumil/Holtkamp/Wollmann 2003: 46): verschärfter Wettbewerb mit privaten Anbietern, vermehrte formelle Privatisierung (zum Begriff: Bogumil/Holtkamp 2006: 150), um Personal- und Betriebskosten zu senken bzw. zu verla-
24
1 Einleitung
Krediten). Auf die Ausgabenseite drücken sozioökonomische Entwicklungen in Form von Langzeitarbeitslosigkeit seit den 1980-er Jahren (Arbeitslosen- und SGB-II-Quote), die Kosten der Deutschen Einheit (Schwarting 2003: 47) und in zunehmendem Maße die demografische Entwicklung (Seniorenquote; vgl. auch von Hauff/Tarkan 2006). Der Konfliktgehalt kommunaler Haushaltspolitik lässt sich zusammenfassend wie folgt umschreiben: es geht in Verteilungskämpfen zwischen den staatlichen Ebenen um Geld und Autonomie, zwischen den Kommunen um Unternehmen und Arbeitsplätze, um Steuerkraft und Zuweisungsanteile und zwischen gesellschaftlichen Gruppen um knappe Ressourcen. Wendet man sich dem zeitlichen Ablauf der Krisenentwicklung der Kommunalhaushalte in NRW zu, so ist zunächst eine tiefgreifende Finanzkrise zu Beginn der 1980-er Jahre festzustellen. Ursache war eine ökonomische Rezession im Gefolge der zweiten „Ölkrise“, die die finanzwirtschaftliche Situation auf der Einnahmenseite direkt verschlechterte (Mäding 1994: 112). In diese Zeit fielen auch die ersten Konsolidierungszwänge durch die Androhung der Kommunalaufsichtsbehörden, die Haushalte nicht zu genehmigen und Zweckzuweisungen zu streichen (Häußermann 1991a: 59). Mitte der 1980-er Jahre setzte aber wieder eine positivere Haushaltsentwicklung ein; die Konsolidierung ging einher mit dem Zurückfahren von Ausgaben, insbesondere für Investitionen, Einnahmeerhöhungen, besonders bei den Gebühren, und einer einsetzenden gesamtwirtschaftlichen Verbesserung (Mäding 1994: 113; Mäding 1998). Anfang der 1990-er Jahre wiesen die Kommunen jedoch wieder einen negativen Finanzierungssaldo17 auf (Holtkamp 2006a: 84 ff.). Zwar wurden die Strukturprobleme der Kommunalhaushalte zum Teil durch positive Entwicklungen bei den Steuereinnahmen infolge des einigungsbedingten Booms zunächst überdeckt, mittelfristig wurden die Haushaltsprobleme in den westdeutschen Kommunen durch
gern und nicht mehr so starken personal- und haushaltsrechtlichen Zwängen zu unterliegen, materielle Privatisierung in Form des Verkaufs von städtischer Infrastruktur, um Defizite im Verwaltungshaushalt auszugleichen, und die Ausdehnung wirtschaftlicher Betätigung, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Unter Effizienzgesichtspunkten muss man den Haushaltsnotlagenregimen daher Erfolg zumessen (Holtkamp 2002a: 59; Bogumil/Holtkamp 2006). Insgesamt ist aber auch festzustellen, dass die Kommunalaufsichten die Kommunen in NRW durch massive Maßnahmen trotz der stark exogen bedingten Haushaltskrise in den 1990-er Jahren an den Rand der kommunalen Handlungsfähigkeit gebracht haben (Holtkamp 2000), und auch die Drohung mit dem „Sparkommissar“ verfehlt seine Wirkung in den Kommunen nicht. Im Zuge der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) in NRW wurde auch das Prüfungs- und Handlungssystem der Aufsicht angepasst und differenziert (Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung, Erlass des Innenministeriums NRW 33 – 46.09.01 vom 06.04.2009). 17 Verhältnis der Ausgaben des Verwaltungs- und Vermögenshaushalts zu den Einnahmen insgesamt.
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
25
die Einigungslasten aber maßgeblich verschärft (Finanzierungsbeteiligung der Kommunen am Fonds Deutsche Einheit18). Die zweite Hälfte der 1990-er Jahre war geprägt durch ein drastisches Einbrechen der Steuereinnahmen auf allen staatlichen Ebenen. In Bund und Ländern blieben die Steuereinnahmen in einer Weise zurück, die bislang unbekannt war. Gleichzeitig stiegen die Kosten für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, abgesehen von der drückenden Kostenbelastung durch die Wiedervereinigung (Voigt 1998: 13). Die Kommunen reagierten auf diese exogene Einnahmen- und Ausgabenkrise mit einer deutlichen Ausgabenreduzierung, dem Abbau freiwilliger Leistungen und mit einem „Einfrieren“ der Personalkosten (Bogumil/Holtkamp 2006: 132), was bei jährlichen Tariferhöhungen nur durch moderaten Stellenabbau erreichbar ist, deutlichen Erhöhungen bei Gewerbesteuer und Grundsteuer B (Holtkamp 2000) und einem geringeren Investitionsvolumen bei Baumaßnahmen („vorbildliches Verhalten aus Sicht der Haushaltskonsolidierung“, Bogumil/Holtkamp/Wollmann 2003: 44). Ende der 1990-er Jahre trat wiederum eine leichte Erholung der Kommunalfinanzen durch konjunkturell bedingte steuerliche Mehreinnahmen ein, was sich u.a. am positiven Finanzierungssaldo der Jahre 1998 bis 2000 ablesen lässt: Tabelle 1: Eckdaten zur Entwicklung der Haushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände der alten Bundesländer in Mrd. Euro (Quelle: BMF, Statistisches Bundesamt) Finanzierung ssaldo Steuereinnahmen Zuweisungen der Länder insgesamt Personalausgaben
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
-3,1
-6,3
-2,7
-2,0
2,6
2,3
1,8
-3,9
-4,4
-7,7
41,5
40,2
40,8
41,3
44,7
46,8
47,8
45,1
43,4
42,7
27,0
26,9
27,4
26,8
27,3
27,9
29,2
28,9
29,3
27,8
30,7
31,3
31,1
30,9
30,9
31,4
32,0
32,0
32,7
33,1
18 Die Kommunen des Landes NRW tragen erheblich zur Finanzierung der Einheitslasten bei: jährlich ca. 3,5 Mrd. € (Bogumil/Holtkamp 2006).
26 Laufender Sachaufwand Soziale Leistungen Sachinvestitionen Kassenkredite Schulden
1 Einleitung
20,9
21,2
21,3
21,3
21,6
22,5
23,4
24,0
24,5
24,4
24,7
26,0
25,1
23,1
22,9
22,7
22,9
23,3
24,3
26,2
21,4
20,6
19,2
18,3
18,0
18,4
19,1
19,1
18,7
16,6
2,2
3,3
3,7
4,9
5,5
5,6
6,4
8,3
10,1
15,1
71,3
70,7
69,4
68,3
67,3
67,0
67,1
68,2
Die leichte Erholung der Kommunalfinanzen wurde 2001 aber wieder jäh gestoppt durch einen massiven Einbruch bei den Gewerbesteuern durch Konzentrationsprozesse in einzelnen Wirtschaftsbranchen und die Steuergesetzgebung des Bundes. Vor allem größere Unternehmen brauchten kaum noch Steuern zahlen (Bogumil/Holtkamp 2006: 132; Karrenberg/Münstermann 2002: 4).19 Den exogen bedingten Steuerausfällen standen steigende Kosten für soziale Leistungen gegenüber. Die Kommunen reagierten wiederum mit einer Reduzierung ihres Ausgabenwachstums, nun insbesondere bei den Investitionen (Karrenberg/Münstermann 2002: 5). Obwohl die Kommunen die laufenden Ausgaben in ihren Verwaltungshaushalten meist auf striktem Sparkurs hielten, haben die massiven Steuerausfälle zu einem sprunghaften Anstieg der Defizite in den Verwaltungshaushalten geführt (vgl. auch Tabelle 1). Seit 2004 nehmen die Einnahmen insbesondere aus unternehmensbezogenen Steuern und damit auch aus der Gewerbesteuer in Deutschland wieder zu (Karrenberg/Münstermann 2006). Erstmals seit 2000 wies auch der Finanzierungssaldo der Kommunen der alten Länder wieder eine positive Entwicklung auf (+ 1,6). Dies ist zum einen auf das starke Wachstum der Steuereinnahmen zurückzuführen20, wird aber auch durch die Entlastung der Kommunen aufgrund 19 Das merkten vor allem Städte mit Gewerbesteuermonostruktur, die von einem großen Steuerzahler abhängen. So gingen beispielsweise in der Stadt Leverkusen, der Heimatstadt des Verfassers, die Gewerbesteuereinnahmen, bedingt durch konjunkturelle Effekte, Änderungen der Steuergesetzgebung und unternehmensinterne Entscheidungen der BAYER AG, von 1990 = 126,9 Mio. € auf 2004 = 37,9 Mio. €, d.h. um rund 70 Prozent, zurück (Timm-Arnold 2005: 44). 20 Die konjunkturelle Situation bescherte 2007 und 2008 teilweise außerordentliche Überschüsse in den Kommunalhaushalten. Einer großen Gruppe von Kommunen gelang es aber auch in diesen sehr guten Jahren nicht, ihre Haushalte auszugleichen (Städte- und Gemeindebund NRW 2009).
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen
27
der 2005 erfolgten Einführung der Grundsicherung für Arbeitslose gestützt (BMF 2007: Finanzsituation der Kommunen 2006). Auch stiegen die kommunalen Ausgaben für Investitionen zum ersten Mal seit 1992 wieder an. Andererseits explodieren die Kassenkredite21; sie wuchsen von 2000 = 6 Mrd. € auf 25,2 Mrd. € bis Ende 2006 (alte Länder) und entwickeln sich teilweise zum Schwarzen Loch für die Kommunalhaushalte22. Die aktuellen Aussichten sind denn auch mehr als düster: Zwar konnten 2008 und 2009 viele nordrhein-westfälische Kommunen ihre Haushalte aufgrund der Umstellung des Rechnungswesens auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF) durch Inanspruchnahme der Ausgleichsrücklage (fiktiv) ausgleichen, sie rutschen jedoch spätestens 2010 in die Haushaltssicherung (Pressemitteilung 14/2009 des Städte- und Gemeindebundes NRW vom 19.05.2009); einigen Kommunen droht gar die Überschuldung durch Aufzehrung des Eigenkapitals. Vor diesem Hintergrund einer sich zunehmend verschlechternden Haushaltssituation der Kommunen in NRW setzen die Fragestellungen dieser Dissertation auf. Es ist nämlich folgendes empirisch zu konstatieren: Bei ähnlicher sozioökonomischer Ausgangslage variieren die Haushaltsergebnisse der Kommunen beträchtlich. Nach vergleichenden Untersuchungen der Gemeindeprüfungsanstalt NRW variierte beispielsweise die Kennzahl „strukturelles Defizit/freie Spitze“ der kreisangehörigen Städte des Ruhrgebietes mit mehr als 20.000 Einwohnern im Vergleichsjahr 2003 von –16 €/Einwohner bis –430 €/Einwohner, die Personalausgaben von 226 €/Einwohner bis 583 €/Einwohner. Dies verweist auf die Relevanz von kommunalen Entscheidungsprozessen (Junkernheinrich 1991: 77; Vetter/Holtkamp 2008: 32). Diese hängen einerseits von Variablen wie der Kommunalverfassung und Haushaltsnotlagenregimen ab, andererseits sind sie aber auch durch die kommunalen Akteure23 - so die hier 21 Die Kassenkredite, vergleichbar mit Kontokorrentkrediten, erweisen sich zunehmend als „Klotz am Bein“ der Kommunen, zumal bei steigenden Zinssätzen. Die Stadt Oberhausen, um einmal das Extrembeispiel in NRW zu nennen, hat aktuell (im Frühjahr 2008) ca. 1,3 Mrd. € Kassenkredite aufgenommen; Tendenz steigend. Dafür muss sie jährlich ca. 40 Mio. € Zinsen bezahlen, das entspricht in etwa der Hälfte des Personalausgabenetats. 22 Diese Diskrepanz (einerseits zunehmende Investitionen, andererseits explodierende Kassenkredite) zeigt die Scherensituation, in der sich die „kommunale Familie“ befindet. Die einen Kommunen können die Steuermehreinnahmen nutzen, um den Investitionsstau vorsichtig aufzulösen, die anderen kumulieren Kassenkredite, weil sie ihre Ausgaben nicht durch laufende Einnahmen decken können, was sich bei verschlechternder Zinsentwicklung fatal auswirken kann. Die Entwicklung deutet darauf hin, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit vieler Kommunen zunehmend gefährdet ist und verweist auf die Unzulänglichkeiten des kommunalen Finanzsystems bzw. die unterschiedliche Belastung durch exogene Einflussfaktoren, denen einzelne Kommunen ausgesetzt sind (Gewerbesteuereinnahmen, Gemeindegröße, Arbeitslosen- und SGB-II-Quote). 23 Akteure in der kommunalen Haushaltspolitik sind: Der Rat bzw. die Parteien, der Bürgermeister, der Kämmerer, die Fachverwaltung und die Kommunalaufsicht. Das Budgetrecht ist das „Königsrecht des Stadtparlaments“ (Holtkamp 2001; Bogumil/Holtkamp 2006: 157). Für den Rat ist aller-
28
1 Einleitung
vertretene These – in Grenzen gestaltbar. Hier setzt also die vorliegende Untersuchung an, indem sie „hausgemachte“ Ansätze für den variierenden policyoutput einerseits im Effekt der Parteiendifferenz sucht, andererseits Ursachen für erfolgreiche Sparpolitik beim Führungswollen und Führungskönnen (Verwaltungsführungserfahrung) des zentralen kommunalpolitischen Akteurs, des seit 1999 volksgewählten Bürgermeisters, verortet. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich somit auf die Akteure Rat/Parteien und Bürgermeister (unabhängige Variablen) in der kommunalen Haushaltspolitik und führt zu folgenden Fragestellungen: 1.
2.
Lassen sich Einflüsse inhaltlicher Parteipolitisierung (insbesondere die Parteiendifferenz beim policy-output) in den untersuchten Ruhrgebietskommunen nachweisen? Sind hierin Ursachen für Haushaltsdefizite zu suchen (z.B. erhöhte Personalausgaben)? Auf welchen kommunalpolitischen Aufgabenfeldern sind Parteiendifferenzen wirksam für den policy-output? Welche mikropolitischen Strategien wenden die Akteure an?
dings in der Regel der Vermögenshaushalt das interessierende „Regierungsprogramm in Zahlen“ (Kunz 2000), weil sich hier Einzelmaßnahmen (z.B. kommunale Investitionen) konkretisieren und in Wahlkämpfen stimmenmaximierend „verkaufen“ lassen können. Demgegenüber gestalten sich die Inhalte des Verwaltungshaushalts wenig wählerwirksam, was die zum Teil schwerwiegenden Eingriffe der Aufsichten in den Vermögenshaushalt doppelt schmerzhaft macht. Die Komplexität des Haushaltsplanes und die schwer durchdringbare Struktur föderaler Finanzbeziehungen führen allerdings zu Informationsasymmetrien zwischen einigen wenigen herausgehobenen Entscheidungsträgern und dem Rest des Stadtrates, der lokalen Öffentlichkeit und den Bürgern (Bogumil/Holtkamp 2006). Bürger spielen als Akteure keine große Rolle. Dies liegt zuvorderst an der komplexen bzw. abstrakten Rechtsmaterie. Einzelne Projekte (z.B. der Bau oder die Verhinderung von Straßen, eine Ausstellung im Museum oder die Aufstellung einer Parkbank) bzw. konkrete „Betroffenheit“ des Bürgers als Steuer- oder Beitragszahler stehen dafür aber eher im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung und Auseinandersetzung. Wähler honorieren daher auch die Detailintervention von Kommunalpolitikern (“klappernder Kanaldeckel“), weshalb die Grundannahmen des Neuen Steuerungsmodells (Steuerung über strategische Ziele; zur Unmöglichkeit strategischer Konsolidierung vgl. jedoch Holtkamp 2006d) von vornherein einiger Skepsis begegnen (zu den ernüchternden Erfahrungen nach zehn Jahren NSM siehe Bogumil/Kuhlmann 2004; optimistischer Banner 2008: 448). Auch in der Presse haben abstrakte Diskussionen keine Resonanz, sondern eher die Auseinandersetzung über konkret fassbare Projekte. Hinzu kommt die fehlende Bindekraft eines nicht genehmigten Haushalts in Fällen von Haushaltsnotlagenregimen und die Verlagerung des Haushalts in bipolare Aushandlungsprozesse mit der Aufsicht. Hieraus kann sich ein Frustrationspotenzial nicht nur im Zusammenhang mit Bürgerhaushalten ergeben (zum Bürgerhaushalt vgl. auch Holtkamp 2004b). Festzuhalten ist ferner, dass in NRW ein Bürgerbegehren gegen die Haushaltssatzung unzulässig ist (§ 26 Abs. 5 Nr. 3 GO). Die öffentliche Wahrnehmung von Haushaltspolitik variiert aber mit der Ortsgröße (Holtkamp/Gehne 2002).
1.1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen 3.
4.
5.
29
Welche Bedeutung hat die Haushaltspolitik für die lokalen Akteure (Bürgermeister, Fraktionen, Parteien, Bürger)? Was folgt daraus für eine kommunale Sparpolitik? Wer sind die bestimmenden Akteure in der Haushaltspolitik der untersuchten Kommunen? Welchen Anteil hat die Führungsleistung des Bürgermeisters für Haushaltskonsolidierungsprozesse? Was sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sparpolitik des Bürgermeisters? Welche mikropolitischen Strategien führen zum Ziel?
Anders als in der international vergleichenden Staatstätigkeitsforschung (vgl. im Folgenden Ziffer 2.1) fehlt eine differenzierte (qualitative) Analyse der kommunalen Haushaltsdefizite in Deutschland (Holtkamp 2007a: 3). Darin sollte es vorrangig darum gehen, die endogenen kommunalen Entscheidungsprozesse in Bezug auf Haushaltskonsolidierung, die von der Forschung bisher kaum in den Blick genommen wurden (Vetter/Holtkamp 2008), zu untersuchen.
2
Theoretische Ansätze
2.1
Vergleichende Staatstätigkeitsforschung
Im Folgenden soll, ausgehend von der „Heidelberger Schule der Staatstätigkeitsforschung“ (Zohlnhöfer 2006: 1), der Frage nachgegangen werden, welche Determinanten das Niveau, die Struktur und die Veränderung in der Haushaltspolitik prägen. Zur Beantwortung dieser Frage hat die Politikwissenschaft ein ausdifferenziertes Theorieangebot entwickelt (vgl. dazu ausführlich zuletzt Schmidt et al. 2007), welches die Haupterklärungsfaktoren einerseits in den sozioökonomischen Rahmenbedingungen staatlichen Handelns sieht, aber auch in weiteren Faktoren wie z.B. Institutionen und Parteipolitik, die die „Erklärungsgüte von Politikergebnissen deutlich verbessern“ (Wagschal 2006b: 57). Aus international vergleichenden Studien zu Sozialausgaben, Steuereinnahmen und Staatsverschuldung lassen sich demzufolge vor allem sechs Variablenbündel zur Erklärung von Haushaltsdefiziten heranziehen (Holtkamp 2007a): sozioökonomische Faktoren, institutionelle Ursachen24, die Verwaltungs- und Regierungsorganisation, die Parteiendifferenz (vgl. hierzu ausführlich Ziffer 2.2.1), der Einfluss von Interessengruppen25 und die Lehre von der Politik-Erblast26. 24
Insbesondere Vetospieler (Tsebelis 1995, 1999), also z.B. Aufsichtsbehörden und Föderalismus Die Lehre von den Machtressourcen organisierter gesellschaftlicher Gruppen erklärt die Staatstätigkeit vorrangig aus der Machtverteilung zwischen gesellschaftlichen Klassen und Interessenverbänden und aus den Strukturen der Interessenvermittlung. Zentral für diesen theoretischen Ansatz sind die Beiträge von Korpi und Esping-Andersen (Korpi 1983; Esping-Andersen/Korpi 1984; EspingAndersen 1990). Sie betonen im Besonderen die Auswirkungen der Klassenstruktur und der Machtressourcen von gesellschaftlichen Gruppen mit entgegengesetzten wirtschaftlichen und sozialen Interessen auf die Staatstätigkeit. 26 Die Politik-Erblast-These deutet Staatstätigkeit vor allem als einen historisch eingeschlagenen Pfad der Problemlösung und als Folgewirkungen von früheren, von Vorgänger-Regierungen getroffenen Entscheidungen (Obinger/Wagschal 2000: 382). Übertragen auf die kommunale Ebene bedeutet dies beispielsweise, dass Haushaltsentscheidungen und -defizite vergangener Jahre ganz erheblichen Einfluss auf aktuelle Handlungsspielräume haben. Auch haben z.B. – aufgrund der Handlungslogik im öffentlichen Dienst, wonach betriebsbedingte Kündigungen sakrosankt sind - Personaleinstellungen in Vorjahren, aber auch Pensionslasten von Beamten erhebliche Folgewirkungen in zukünftigen Haushaltsjahren (Holtkamp 2007a: 10). Die Politikerblast spielt in kommunalen Haushalten und mithin in der folgenden policy-Analyse der Haushalte der Untersuchungskommunen implizit immer eine Rolle. Soweit ihre Effekte erkennbar sind, werden sie in der Analyse dargestellt. 25
K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
32
2 Theoretische Ansätze
Die jeweiligen „Schulen“ der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung haben je eigene Stärken und Schwächen. Deshalb führen nicht single-item-Ansätze, sondern nur eine Kombination, d.h. eine additive Verknüpfung der verschiedenen Erklärungsansätze, weiter (Schmidt 1997a, 2000: 23). In der vorliegenden Dissertation werden Inhalte und Methoden der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung auf die Analyse der kommunalen Ebene übertragen: Warum sind die Haushaltsergebnisse (strukturelles Defizit/freie Spitze, Personalausgaben etc.) in den nordrhein-westfälischen Kommunen so unterschiedlich ausgeprägt, obwohl die kommunale Finanzkrise seit den 1990-er Jahren praktisch vor keiner Rathaustür Halt gemacht hat? Neben Umweltfaktoren wie den sozioökonomischen Rahmenbedingungen (Sozialhilfe- und Arbeitslosenquote, Kosten der Deutschen Einheit, Einbrüche bei den Steuereinnahmen etc.) werden die haushaltspolitischen Ergebnisse von dem abhängen, was die Akteure wollen und was sie durchsetzen können (Seils 2004: 37; Schneider/Tenbücken 2004). Das Wollen der Akteure ist abhängig von ihren Handlungsorientierungen (ihren Interessen und ihren Ideen über das Allgemeinwohl) und ihren parteipolitischen Vorstellungen. Damit sind auch die zentralen Untersuchungsvariablen dieser Dissertation identifiziert: die Handlungsorientierung der Bürgermeister und die Parteiendifferenz im policy-output. Ob die Akteure das Gewollte (im Folgenden 2.2) auch durchsetzen können (2.3), hängt von der vorherrschenden Akteurskonstellation und dem institutionellen Rahmen ab, innerhalb dessen sie ihre Entscheidungen treffen. Unter Umständen müssen die Akteure aber auch handeln, weil strukturelle und wirtschaftliche Entwicklungen sie dazu zwingen (2.4).
2.2
Akteurzentrierter Ansatz (Wollen)
Die einfachsten Akteurzentrierten Ansätze27 erklären Politik aus den Präferenzen von Akteuren, welche politische Entscheidungen fällen und umsetzen wollen. Für die Bildung dieser Präferenzen können Ideologien, Werte und Einstellungen eine wesentliche Rolle spielen (Schneider/Tenbücken 2004: 89).
27 Ein analytischer Ansatz ist ein der Erfassung und Ordnung empirischer Tatsachen dienendes Gerüst relativ allgemeiner Kategorien, die in der Regel auf einen bestimmten Typ von Erklärungsansätzen zugeschnitten sind. Ansätze schaffen zwar Orientierung und enthalten theoretische Prämissen, stellen aber selbst keine gegenstandsbezogene inhaltliche Theorie dar (Mayntz/Scharpf 1995: 39).
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen) 2.2.1
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Parteiendifferenzlehre
„Do parties matter?“ - hat die Parteiprogrammatik einen Einfluss auf das Regierungshandeln und dessen Ergebnisse? - dies ist die Leitfrage eines akademischen Streits, in dem sich zwei Positionen antagonistisch gegenüber stehen. Zum einen ist hier die Parteienkonvergenzthese zu nennen. Die großen Parteien in Deutschland verstehen sich als Volksparteien. Otto Kirchheimer hatte diesen neuen Parteientyp („Catch-all-Parties“) nach dem Zweiten Weltkrieg von den demokratischen Massenintegrationsparteien der Weimarer Republik abgegrenzt: Im Unterschied zu jenen versuchen diese nicht mehr, „sich die Massen geistig und moralisch einzugliedern“, vielmehr opferten sie eine „tiefere ideologische Durchdringung für die weitere Ausstrahlung und einen rascheren Wahlerfolg“ (Kirchheimer 1965: 27). Kirchheimer konstatierte aufgrund wachsenden Wohlstands für breite Bevölkerungsschichten eine Lockerung traditioneller, sozialstrukturell verankerter Parteibindungen zusammen mit einer Entideologisierung und Entpolitisierung der Wählerschaft (v. Alemann 2000: 108). Auch die Ökonomische Theorie der Demokratie (Downs 1968) propagiert im Ergebnis eine Parteienkonvergenz: Parteien verhalten sich stimmenmaximierend und nehmen daher eine Position ein, welche ihnen den größtmöglichen Nutzen bringt. Unter der Voraussetzung, dass in einer entideologisierten und nivellierten Mittelstandsgesellschaft die politischen Meinungen etwa normal verteilt sind, werden sich zwei große Parteien bilden, die im Wesentlichen um die Wähler in der Mitte konkurrieren (v. Alemann 2000: 108). Die sozioökonomische Schule der Staatstätigkeit (vgl. Ziffer 2.1.3) und die politisch-ökonomische Theorie der Staatstätigkeit (Ronge/Schmieg 1973) postulieren schließlich, dass Parteien durch rechtliche und wirtschaftliche Restriktionen keine unterschiedliche Regierungspolitik betreiben können. Es wird daher ebenfalls eine Parteienkonvergenz erzeugt, weil die äußeren Rahmenbedingungen dazu zwingen. Im Gegensatz zur Parteienkonvergenz eint die Anhänger der Parteiendifferenzlehre die Überzeugung, dass Parteien es vermögen, die Präferenzen ihrer Wählermilieus und ihre parteipolitische Couleur in der Regierungspraxis zu reproduzieren (Schmidt 2000: 27). Dabei stehen zwei veränderliche Größen im Mittelpunkt des Interesses: die in Wahlplattformen postulierten Vorhaben der Politik und die Umsetzung der jeweiligen Parteiprogrammatik (Schmidt 1997a: 577). Die parteipolitische Färbung der Legislative und Exekutive macht dabei sowohl einen Unterschied in der Politikproduktion (policy-output) als auch letztendlich in den Resultaten der Staatstätigkeit (policy-outcome) aus. Die Parteiendifferenzlehre existiert in zwei Hauptvarianten (Schmidt/Siegel/Ostheim 2003: 37), die am angloamerikanischen Zweiparteien-
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2 Theoretische Ansätze
system entwickelt wurden. Der ersten, von Douglas Hibbs geprägten These zufolge begünstigen Regierungen ihre Wählerklientel, woraus sich eine unterschiedliche Präferenzordnung der bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierungen ergibt, da die Wählerbasis der Parteifamilien unterschiedlich ist (partisan theory der Staatstätigkeit; Hibbs 1977). Er kommt zu folgendem Ergebnis: „The general conclusion of the study is that the macroeconomic policies pursued by left- and right-wing governments are broadly in accordance with the objective economic interests and subjective preferences of their class-defined core political constituencies “ (Hibbs 1977: 1468).
Für Wagschal (1996b: 306) ist die Parteienherrschaftstheorie von Hibbs „innerhalb der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung eine der wichtigsten Theorien zur Erklärung makroökonomischer Outcomes“. Edward Tufte hingegen sieht, in Anleihe an den „politischen Konjunkturzyklus“, die Determinanten von Staatstätigkeit einerseits in der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung, andererseits im Wahlkalender begründet, insbesondere in der Nähe oder Ferne des nächsten Termins einer wichtigen staatsweiten Wahl. Die Regierung, so die Kernaussage Tuftes (1978), passe ihre Politik dem Wahltermin an, um ihre Wiederwahl zu sichern. Er ergänzt seine These aber noch um den Bestimmungsfaktor des vorherrschenden wirtschaftspolitischen Problems: „Although the synchronization of economic fluctuations with the electoral cycle often preoccupies political leaders, the real force of political influence on macroeconomic performance comes in the determination of economic priorities. Here the ideology and platform of the political party in power dominate. Just as the electoral calendar helps set the timing of policy, so the ideology of political leaders shapes the substance of economic policy.” (Tufte 1978: 71)
Die Ansätze von Hibbs und Tufte berücksichtigen zwar die Parteiendifferenz in der Frage, welche Politik die Regierungen aufgrund der Interessen ihrer Wähler zu welchem Zeitpunkt betreiben wollen, sie sehen aber davon ab, zu hinterfragen, ob und inwieweit die Regierungen diese Politik auch tatsächlich verwirklichen können (Schmidt/Siegel/Ostheim 2003: 37). Die zweite Hauptvariante der Parteiendifferenzthese rückt daher die Performanz von Regierungshandeln in den Mittelpunkt und erörtert den Zusammenhang von Regierungspolitik, Wählerpräferenzen sowie parlamentarischen und außerparlamentarischen Machtressourcen und Rahmenbedingungen genauer (Hicks/Swank 1992). Folgt man dieser Lesart, so ist ein Parteieneffekt nur unter bestimmten Bedingungen zu erwarten. Dazu gehört vor allem ein ideologisch und organisatorisch geeintes Lager der Regierungspar-
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen)
35
teien, ein Kräfteverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Lagern der Regierungs- und Oppositionsparteien, das zugunsten der Amtsinhaber geneigt ist, und ein substanzieller Vorsprung der Regierungsparteien im Parlament gegenüber der Opposition – mithin Gestaltungsfreiheit – sowie Schwäche von Mitregenten oder Gegenspielern zur Regierung (Schmidt 2000: 27, 2001: 7). Die Befunde der Forschung zur Parteiendifferenz auf staatlicher Ebene können im internationalen Vergleich wie folgt zusammengefasst werden: In der Sozialpolitik favorisieren alleinregierende Linksregierungen einen egalitären Wohlfahrtsstaat mit weitreichender Staatsbürgerversorgung („Wohlfahrtskapitalismus“; Schmidt 2001). Linksparteien bewerten in diesem Zusammenhang Verteilungsgerechtigkeit und soziale Gleichheit erheblich höher als säkular-konservative Parteien (Schmidt 2001: 11). In der Haushaltspolitik tendiert die SPD zu höheren Personalausgaben: „Pauschal gesprochen sind Umfang und Wachstum des Staatsdiener-Heeres unter sozialdemokratischen Regierungen etwas größer als unter christdemokratischer Regie“ (Schmidt 1990: 64).
Ihr Staatshandeln führt so zu einer Expansion der Beschäftigung im öffentlichen Sektor, wohingegen wirtschaftsliberale und konservative Parteien die Staatsausgaben, die Sozialpolitik und die Beschäftigung im Staatssektor am kurzen Zügel führen und den „schlanken Staat“ bevorzugen („marktgesteuerter Kapitalismus“; Schmidt 1990: 45; Obinger/Wagschal 2000: 370). Mitteparteien, z.B. die CDU in der Bundesrepublik im Wettstreit mit der SPD, stehen für einen zentristischen Sozialstaat mit weit ausgeprägter Sozialversicherung28, hoher integrativer Redistribution und geringerer vertikaler Umverteilung. Auch die CDU definiert sich als Sozialstaatspartei (Obinger/Wagschal 2000: 383), vor allem in den 1960-er Jahren und im Zeichen der deutschen Einheit, und strebt über eine großzügige Sozialpolitik nach Linderung sozialer und wirtschaftlicher Risiken und politischer Vorteilsgewinnung (Schmidt 2007: 357). Hier findet sich ein „mittlerer Weg“ zwischen dem wohlfahrtsstaatlich und dem marktwirtschaftlich gesteuerten Kapitalismus (Schmidt 2001). Auch in der Steuerpolitik kommt es zu deutlichen Parteidifferenzen; insbesondere sozialdemokratische Regierungen produzieren eine erhebliche Steuerbelastung („Steuerpolitik als Klassenpolitik“; Wagschal 2005: 416; 2006b: 82). Interessant sind die empirischen Befunde bei der Verschuldung im internationalen Industrieländervergleich: linke Regierungen verschulden sich in geringerem Maße
28 Wagschal spricht in diesem Zusammenhang vom „hervorstechenden Merkmal der christdemokratischen ‚Besteuerungswelt’“ (2006b: 62).
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2 Theoretische Ansätze
als bürgerliche Regierungen. Wagschal (1996a: 254, 257; 2006b: 77) erklärt dies so: „Die Erklärung für dieses überraschende Ergebnis liegt in den unterschiedlichen ‚Ideologiezielen’ der bürgerlichen Parteien, die einerseits die Steuern senken wollen und andererseits den Haushalt ausgleichen wollen. In diesem Zielkonflikt entscheiden sich bürgerlich-konservative Regierungen eher für einen Abbau der Steuerlasten als für die Reduktion des Haushaltsdefizits. Linksregierungen geben demgegenüber zwar mehr Geld aus, sorgen aber gleichzeitig für höhere Einnahmen, so dass die Verschuldung tendenziell geringer ausfällt. Die Erklärung für dieses Verhalten liefert die ‚parteipolitische Steueranpassungshypothese’, bei der die Interessenlagen der jeweiligen Kernwählerschaft als treibende Kraft wirken.“
Auf der Bundesländerebene hat Wagschal hingegen festgestellt, dass sich sozialdemokratische Regierungen stärker verschulden als bürgerliche. Als Ursache wird die mangelnde Steuerautonomie der Länder angesehen, welche es unmöglich mache, die Steuern für ein gewünschtes höheres Ausgabenniveau zu erhöhen (1996b: 324; 2006b: 77). In seiner grundlegenden Studie schrieb Hibbs (1977) Linksparteien ein Streben nach Vollbeschäftigung zu – unter Inkaufnahme von Inflation. Rechtsparteien hingegen zögen Inflationsbekämpfung vor und nähmen dafür höhere Arbeitslosigkeit in Kauf. Hibbs’ Ergebnisse hielten zwar weiteren empirischen Überprüfungen nicht stand, jedoch ist nach Schmidt (1982: 106 ff.) ein „lockerer Zusammenhang“ zwischen Linksregierungen und Vollbeschäftigung gegeben. Für das Streben nach Preisstabilität sei weniger das politische Wollen von Parteien als z.B. die Zentralbankautonomie in Deutschland, die sozialpartnerschaftlichen Arbeitsbeziehungen sowie institutionelle Sperren gegen eine inflationsfördernde Finanzpolitik von Bedeutung (Schmidt 2001). Linksparteien betreiben allerdings eine aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik (Maßnahmen zur Umschulung, Weiterbildung, Arbeitsbeschaffung, Lohnsubventionen; Schmidt 2001). Die Privatisierung von Wirtschaftssektoren oder einzelner Wirtschaftsunternehmen ist im Wesentlichen eine Domäne von Mitte-Rechts- oder konservativen Regierungen. In der Privatisierungspolitik tendieren Länder mit linken Regierungen weniger dazu, öffentliche Infrastrukturen zu privatisieren und belassen die Bereitstellung dieser Leistungen eher in staatlicher Hand (Schneider/Tenbücken 2004: 90 mit Bezug auf Schmidt). Zur Erklärung führen Schneider/Tenbücken an (2004: 90): Linke Parteien präferieren einerseits demokratische staatliche Kontrolle wichtiger Bereiche der Gesellschaft; hinzu kommen wahlstrategische Überlegungen: gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte gehören zur Stammwählerschaft linker Parteien. Da Gewerkschaften grundsätzlich privatisierungsavers eingestellt sind, können es sich linke Parteien nicht leisten, sich weit von den
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen)
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Politikpositionen der Gewerkschaften zu entfernen. Aber auch in diesem Bereich gleichen sich die Parteiunterschiede aufgrund des Drucks der Maastricht-Kriterien an (Zohlnhöfer/Obinger 2005: 624), wie überhaupt die Obergrenzen für die Nettoneuverschuldung (3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) und die Staatsschuldenquote (60 Prozent des BIP), wie im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt, die Staatsausgaben zwar nicht durchgängig, aber mit spürbarer Wirkung bremsen (Schmidt 2007: 358). In der Genderpolitik verläuft die Konfliktlinie (cleavage) zwischen christdemokratischen Parteien einerseits und säkular-konservativen, liberalen, grünen und sozialdemokratischen Parteien andererseits (Schmidt 2001). Spürbare Parteieneffekte hat die Forschung bei den staatlichen Bildungsausgaben festgestellt: „Die Regierungsbeteiligung von Linksparteien geht in der Regel mit höheren Bildungsausgaben einher, während die Regierungsbeteiligung säkular-konservativer Parteien auch bei den Bildungsfinanzen als Bremse wirkt“ (Schmidt u.a. 2006: 325).29 Parteieneffekte variieren ferner mit dem Demokratietypus (reine Mehrheitsdemokratien schaffen grundsätzlich bessere Voraussetzungen als Verhandlungsdemokratien30), der Zahl und dem Gewicht von institutionellen Begrenzungen und der Vetospielerdichte (Schmidt 2001), dem Vorsprung der Regierungspartei vor der Opposition im Parlament und aufgrund zeitlicher Faktoren: Unter Ausnutzung des „Honeymoon-Effekts“ (Schmidt 2001: 29; Wagschal 2006a: 194) sollten Veränderungen im Staatshandeln zu Beginn einer Legislaturperiode möglichst früh implementiert werden, damit sich ihre Wirkungen bereits während der Legislatur entfalten.31 Ferner können lange Regierungszeiten „unauslöschliche Spuren“ der Staatstätigkeit in der Sach- und Personalpolitik hinterlassen (Schmidt 2001).
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So auch jüngst Busemeyer (2008: 302), der aus quantitativen Analysen weiter ableitete, dass es erhebliche periodenspezifische Unterschiede im Hinblick auf sozialdemokratische Ausgabeprioritäten (Sozialtransferausgaben, Bildungsausgaben) gibt. 30 In der Mehrheitsdemokratie dominiert das Mehrheitsprinzip. Dort hat eine legitimierte zentralstaatliche Regierung wie in Schweden oder Großbritannien erheblich größere Gestaltungschancen als die Regierung in einer Verhandlungsdemokratie. Denn in einer Verhandlungsdemokratie koexistieren verschiedene, sich teilweise wechselseitig lähmende Konfliktregelungsmuster. Politische Entscheidungen werden hier nicht mit Stimmenmehrheit, sondern durch möglichst einstimmige Entscheidungen in Aushandlungsprozessen getroffen. Czada (2003: 173) unterscheidet zwischen drei Formen der Verhandlungsdemokratie: parteipolitische Konkordanz, neokorporatistische Verbändeeinbindung und institutionelle Vetopositionen, die zu Verhandlungszwängen führen. Zu verhandlungsdemokratischen Ansätzen in der vergleichenden lokalen Politikforschung vgl. zuletzt Holtkamp 2008a. 31 Dies gilt natürlich auch für die Implementierung von (kommunalen) Sparstrategien. Sparvorschläge sollten bei einer zentralisierten Haushaltspolitik von der Verwaltungsspitze und der Kämmerei am besten am Anfang der Legislaturperiode initiiert werden (Vetter/Holtkamp 2008). Zur Zentralisierung der Haushaltspolitik vgl. auch Ziffer 2.3.3.
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2 Theoretische Ansätze
Für Schmidt entwickelt die Parteiendifferenzthese keine „eherne Gesetzmäßigkeit“, obwohl nach seiner Einschätzung für sie erheblich mehr spricht als für die Gegenthese der Parteienkonvergenz (2001: 29). Unter sonst gleichen Bedingungen wird (im Zusammenspiel der verschiedenen Erklärungsansätze der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung) dem Parteieneffekt auf die Staatstätigkeit umso weniger entgegenwirken
je umfangreicher die sozioökonomischen Ressourcen sind, auf die die Regierung zurückgreifen kann, je stärker die Machtverteilung im Parlament, in der Öffentlichkeit und unter den Interessenverbänden zugunsten der regierenden Kräfte geneigt ist, je mehr die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen die hierarchische Steuerung oder die Politikkoordination zwischen staatlichen und privaten Akteuren erleichtern, je geringer die außenpolitische und außenwirtschaftliche Abhängigkeit ist und je weniger Rückwirkung von der Politikgestaltung inter- und supranationaler Organisationen auf den Nationalstaat ausgeht.
Auch für Wagschal (2006b: 70) kann „die Parteiendifferenzlehre [auf staatlicher Ebene und im internationalen Vergleich; d. Verf.] (…) als gesättigter Erfahrungsschatz der Politikwissenschaft gelten.“ Die Wirksamkeit der Parteiendifferenzlehre und die Forschungsergebnisse auf lokaler Ebene stehen im Fokus der Betrachtung des folgenden Unterkapitels.
2.2.2
Parteiendifferenz auf kommunaler Ebene
Während in international vergleichenden Studien also bereits nachgewiesen wurde, dass es Zusammenhänge zwischen Parteiprogrammen und dem policy-output in einzelnen Politikfeldern gibt, beschreiben Gabriel/Kunz/Zapf-Schramm (1994: 141) die Relevanz einer Parteiendifferenz auf kommunaler Ebene wie folgt: „Wenn sich nämlich nachweisen lässt, dass die Kontrolle der politischen Führung durch eine bestimmte Partei, die Intensität des politischen Wettbewerbs in einer Gemeinde, die politische Aktivität der Bevölkerung oder andere Merkmale des politischen Systems den Inhalt kommunalpolitischer Entscheidungen nicht beeinflussen, dann wird das Selbstverständnis einer Wettbewerbsdemokratie in Frage gestellt. Auf der anderen Seite relativiert der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen politischen Struktur- und Prozessmerkmalen und den Inhalten staatlicher/kommunaler Politik die in der Bundesrepublik auch heute noch weit verbreitete Interpretation der
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen)
39
Kommunalpolitik als einer ‚unpolitischen’, rein sachbezogenen Regelung von Verwaltungsabläufen.“
Logische Voraussetzung für derartige Überlegungen ist aber, dass es einen Handlungsspielraum auf lokaler Ebene tatsächlich gibt, der von der einen oder anderen politischen Mehrheit mit jeweils unterschiedlichen Präferenzen ausgefüllt werden kann. Studien zur deutschen Kommunalpolitik, die überwiegend quantitativ angelegt waren, konnten Effekte inhaltlicher Parteipolitisierung32 bisher weitgehend nicht belegen (Bogumil/Holtkamp 2006: 137). Lediglich Volker Kunz kommt aufgrund einer neueren quantitativen Untersuchung auf der Grundlage einer multivariaten Regressionsanalyse der Haushaltsergebnisse aller kreisfreien Städte in der alten Bundesrepublik zu folgendem Ergebnis: „Das Muster der Effekte ist eindeutig: CDU/CSU-dominierte Städte sind mit verstärkten Investitionsausgaben in Verbindung zu bringen, während SPD-Städte deutliche Schwerpunkte im Bereich der Personalausgaben und in der kommunalen Beschäftigung setzen. Daraus erklärt sich die erhöhte Nettokreditaufnahme in CDU/CSU-dominierten Städten, während für SPD-dominierte Kommunen tendenziell höhere [Gewerbesteuer-; d. Verf.] Hebesätze nachzuweisen sind“ (Kunz 2000: 337).
In ihrer Kritik an diesem Ergebnis führen Bogumuil/Holtkamp (2006: 138) im Einzelnen an, dass Kunz lediglich die Haushaltspolitik der kreisfreien Städte untersucht hat und die Ergebnisse insofern nicht zu verallgemeinern sind, weil in diesen Gebietskörperschaften per se von einer stärkeren Parteipolitisierung auszugehen ist als in kreisangehörigen Kommunen. In einer Untersuchung von drei baden-württembergischen Städten unterschiedlicher Größe hat nämlich Michl festgestellt, dass inhaltliche Parteipolitisierung ausschließlich in der untersuchten Großstadt in einem gewissen Maße zu konstatieren war, während in den Kleinstädten keine parteibezogenen Unterschiede bei den Ausgabepräferenzen festzustellen waren (Michl 2003: 95, 113). Ferner habe Kunz, so die Kritik von Bogumil/Holtkamp, die Haushaltsentwicklung in den 1980-er Jahren untersucht, die noch nicht von der tief greifenden Haushaltskrise der folgenden Jahrzehnte mit entsprechend eingeschränkten parteipolitischen Gestaltungsspielräumen betroffen waren. Auch habe er den Einfluss von Vetospielern, insbesondere der Kommunalaufsicht in NRW, nicht ausreichend berücksichtigt, so dass man einen Teil der Befunde z.B. auf die Genehmigungspolitik des Landes NRW zurückführen müsse (z.B. Steuerhebesätze). Schließlich müsse man in qualitativen Studien die mikro32
Inhaltliche Parteipolitisierung bedeutet die Ausrichtung der Argumentation und des Entscheidungsverhaltens an übergeordneten Gesichtspunkten und den Kontext der konkreten Gemeinde übersteigenden politischen Programmen (Wehling 1991: 150; vgl. auch Fußnote 7).
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2 Theoretische Ansätze
politischen Strategien untersuchen, die es Parteien ggfs. ermöglichen, kurz-, mittel- oder eher langfristige Einflussnahme auf kommunale Haushaltsergebnisse zu üben.33 Der Frage nach dem Einfluss von Mehrheitsverhältnissen auf das Ausgabeverhalten ging erstmals Fried (1976) in einer Studie über 53 bundesdeutsche Großstädte nach. Er ging von der Hypothese aus, dass die SPD u. a. stärker zu einem expansiven Ausgabeverhalten und zu Verwaltungswachstum neigt als die CDU. Er fand allerdings nur eine schwache und keine gleichförmige Korrelation zwischen SPD-Mehrheit und policy-output. Wichtiger waren Effekte wie die finanzielle Situation der Stadt und inkrementalistische Vorgehensweisen in der Haushaltspolitik (Fried 1976: 24). Studien zur Wohnungs- und Sozialpolitik entstanden unter der Leitung von Hellmut Wollmann, der in der ersten Hälfte der 1980-er Jahre starke Hoffnungen auf eine „Gegenpolitik von unten“ hegte (Häußermann 1991b: 43). In diesem Zusammenhang haben Grüner u.a. 1988 in allen deutschen Großstädten den Zusammenhang zwischen wohnungspolitischen Ausgaben und parteipolitischen Mehrheiten in den Räten untersucht. In ihrer Ausgangshypothese gingen sie noch davon aus, dass die Wohnungsbaupolitik eine Domäne der SPD sei und sich dies am höheren policy-output zeigen müsse. Es erwies sich jedoch, dass gerade die CDU-regierten Städte mehr Mittel für Wohnungsbau zur Verfügung gestellt haben als die SPD-Städte (Grüner u.a. 1988: 50)34. Die Studie bestätigte vielmehr den engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Finanzkraft der Kommune (sowie der Ausgabentradition) und den kommunalen Ausgaben und damit die abnehmende Prägekraft parteipolitischer Unterschiede bei wachsendem Problemdruck. Einen noch härteren Test unternahm dieselbe Forschergruppe, indem sie das sozialpolitische Profil von zwei Städten mit vergleichbarer Problemlage („most similar cases“) und unterschiedlichen politischen Leitungen im Detail untersuchte. Die Befunde waren „widersprüchlich“ (Jaedicke u.a. 1991: 206), jedenfalls ließ sich die Vermutung, dass eine SPD-regierte Stadtverwaltung auf eine vergleichbare Problemlage mit stärkerem sozialpolitischem Engagement reagiere, nicht bestätigen. Die Beschäftigungskrise habe in beiden Städten eher die klassischen Handlungsfelder der Wirtschaftsförderung gestärkt, sozialpolitisch zu bear-
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Die vorliegende Dissertation hat sich zum Ziel gesetzt, diese Forschungslücke zumindest teilweise zu schließen. 34 In einer qualitativ vergleichenden Studie in vier Mittel- und Großstädten in Baden-Württemberg konnte aber gezeigt werden, dass in den Anfangsjahren der Bundesrepublik SPD-regierte Städte durchaus andere Prioritäten in der Wohnungsbaupolitik gesetzt haben als CDU-regierte Städte (Reschl 1987).
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen)
41
beitende Problemfelder galten hingegen eher als „Störfaktor für die angestrebte Imageverbesserung“ (1991: 207). Gabriel/Kunz/Zapf-Schramm untersuchten Anfang der 1990-er Jahre in einer vergleichenden quantitativen Studie die Investitionsausgaben rheinlandpfälzischer Kommunen auf den Gebieten Kultur, Sport/Erholung und Verkehr, da in diesen Aufgabenbereichen noch am stärksten mit kommunalen Handlungsspielräumen zu rechnen ist (freiwillige Aufgaben). Sie kamen aber zu dem Ergebnis, dass lokale Parteipolitik das Ausgabeverhalten „allenfalls graduell“ (Gabriel/Kunz/Zapf-Schramm 1990: 158) beeinflusst und die Lenkungswirkung staatlicher Zuweisungsprogramme wichtiger für das Investitionsverhalten der Kommune ist. Aber auch das „unpolitische Selbstverständnis“ der Kommunalpolitiker und die generelle Konvergenz in der Programmatik der großen Parteien ziehen sie zur Erklärung heran (Gabriel/Kunz/Zapf-Schramm 1990: 160). Aus der Analyse relativer Budgetverschiebungen über die Zeit in Kommunalverwaltungen in Deutschland, Südkorea und Japan schließt Rickards auf Prioritätenverschiebungen (z.T. entgegen der Inkrementalismus-These) und führt sie u.a. auf politische Variablen (Parteiendifferenz) zurück. Die Haushaltskrise der 1990-er Jahre dürfte aber zu einer Erstarrung flexibler Haushaltsprioritäten geführt haben, so dass eine Parteiendifferenz nur noch eingeschränkt zum Tragen kommt (Rickards 1998: 157). In seiner Magisterarbeit aus dem Jahre 2005 geht Martin Steiner der Frage nach, ob die parteipolitischen Ideologien linksorientierter Parteien (SPD und Grüne) im Sinne eines Links-Rechts-Schemas einen Einfluss auf die Ausgaben-, Steuer- und Schuldenpolitik der kreisfreien Städte der alten Bundesrepublik im Haushaltsjahr 2001 haben. Er findet bei seinen Regressionsanalysen allerdings weder bei den Personalausgaben, noch bei den Sachausgaben oder Investitionsausgaben einen signifikanten Zusammenhang zur Politik linksgerichteter Parteien und führt als Erklärung den erheblichen Konsolidierungsdruck an, der auf den Kommunen lastet (Steiner 2005: 112). Die lokale Politikforschung ging in den 1990-er Jahren daher von der plausiblen Annahme aus, dass Parteien in der Kommunalpolitik nur einen sehr begrenzten Einfluss auf den policy-output haben (Bogumil/Holtkamp 2006: 138). Als Erklärungsfaktoren kann man die sozioökonomischen Umweltbedingungen und auch die kommunale Selbstverwaltungstradition ansehen, die als „Fessel[n] für Parteienpolitik“ (Schmidt 2001: 25) wirken. In den Traditionslinien kommunaler Selbstverwaltung ist diese als „unpolitisch“ anzusehen. Kommunen werden als Teil des Staates und weniger als dritte Ebene definiert (vgl. Tabelle 1 in Bovermann 1999: 15). Die Räte sind keine Legislativorgane, sondern Teil der Exekutive, mithin Verwaltungsorgane. Vom Politikverständnis her dominieren in
42
2 Theoretische Ansätze
dieser Tradition sachorientierte Einzelfallentscheidungen.35 Das Aufsetzen einer „Parteibrille“ verzerre da nur den unverstellt lokalen Blick. Allgemein gesprochen sollte in dieser traditionellen deutschen Sichtweise der politischen staatlichen Sphäre die durch überparteiliches Bemühen um die sachgerechte Lösung örtlicher Probleme charakterisierte kommunale Selbstverwaltung gegenüber gestellt werden (Lehmbruch 1975). Dieser, bis in die 1970-er Jahre vorherrschenden juristischen Diktion stellte die lokale Politikforschung den normativen Anspruch gegenüber, dass die Kommunalpolitik sich an der parteienstaatlichen Demokratie zu orientieren habe, um Transparenz in Entscheidungsprozessen und Partizipation über lokale Parteien zu gewährleisten (Bogumil/Holtkamp 2006: 48). Zwar wird auch im juristischen Diskurs der politische Charakter kommunaler Selbstverwaltung inzwischen anerkannt (Bogumil/Holtkamp 2006: 48), jedoch werden Partizipationsmöglichkeiten eher über direktdemokratische Verfahren präferiert und eine starke Parteipolitisierung entschieden abgelehnt. In einer Befragung kommunaler Mandatsträger in Österreich kommt Hämmerle so auch zu dem Ergebnis, dass (auch nach Einschätzung der Befragten) politische Parteien auf lokaler Ebene keine Programme repräsentieren, sondern „Pragmatismus in Reinkultur“ (Hämmerle 2000: 139). Demgegenüber kommen Gabriel et al. (1992) und Ahlstich/Kunz (1994) bei der quantitativen Analyse von Ausgaben- und Aufgabenpräferenzen von Ratsmitgliedern in mehreren kreisfreien Städten zu dem Ergebnis, dass „das Modell der traditionellen Selbstverwaltung, nach der es in der Kommunalpolitik vorrangig um eine unpolitische und sachbezogene Diskussion des Machbaren geht, offensichtlich ausgedient hat“ (Ahlstich/Kunz 1994: 200). Die Autoren räumen allerdings ein (201), dass mit diesen Ergebnissen noch nicht die Frage beantwortet ist, ob mit veränderten Präferenzen auch eine entsprechende materielle Politik in den Kommunen erfolgt bzw. durchsetzbar ist. Fragen der Einstellungsforschung kommunaler Parteimitglieder in einer baden-württembergischen Großstadt (Stuttgart) untersuchte auch Walter-Rogg (2004). Im Ergebnis zeigen die Parteien und ihre Mitglieder bei einigen Themen klare Profile und die beiden Parteilager CDU/FDP und SPD/Grüne deutlich einen Rechts-/Links-Gegensatz und etwas schwächer die Konfliktlinie Postmaterialismus/Materialismus. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis: „Die Analysen zu den Ausgabenpräferenzen der Stuttgarter Parteimitglieder haben somit eindrucksvoll gezeigt, dass die lokalen Parteien in Zeiten knapper Kassen in den Städte und Gemeinden fähig sind, Prioritäten zu setzen und diese geschlossen zu präsentieren“ (Walter-Rogg 2004: 289). 35 Zum „zählebigen Vorurteil“, Parteipolitik sei ein „kommunaler Fremdkörper“ und zur Kritik an dieser „vordemokratischen“ Sichtweise siehe Holtmann 2004.
2.2 Akteurzentrierter Ansatz (Wollen)
43
Auch wenn sicher zu konstatieren ist, dass Parteipolitisierung und konkurrenzdemokratische Strukturen mit der Gemeindegröße zunehmen (Kleinfeld 1996, Kunz 2000, Holtkamp 2008), wäre auch hier zu prüfen, ob die festgestellten Präferenzen von Parteimitgliedern auch tatsächlich in den kommunalen Entscheidungsprozess einfließen (Performanzlücke) und zu einer Parteiendifferenz beim policyoutput führen.36 Neben der Tradition sachbezogener Kommunalpolitik stehen einem Parteieneffekt weitere mächtige Barrieren bzw. „institutionelle Fesseln“ (Obinger/Wagschal 2000: 371) „von vorne herein entgegen“ (Wagschal 1996b: 308, 324): Kreditregeln, Stellenobergrenzenverordnungen, Rechnungskontrolle durch örtliche Rechnungsprüfungsämter und überörtliche Prüfung, Kommunalaufsicht sowie insbesondere die zunehmende Politikverflechtung (Kleinfeld 1996: 59). So ist den Kommunen eine eigenständige Steuerpolitik weitgehend nicht möglich und die Haushaltspolitik der Kommunen ist über das Steuersystem und die Finanzierung ihrer Ausgaben eng mit der übergeordneten Ebene verflochten, so dass eine autonome Politik nach herrschender Meinung nur sehr eingeschränkt möglich ist (Häußermann 1991a: 63, 81). Hinzu kommen die Genehmigungspraxis von Haushaltssicherungskonzepten sowie die Haushaltsnotlagenregime (Vetter/Holtkamp 2008) durch die Kommunalaufsichten in NRW aufgrund der massiven Haushaltskrise der Kommunen im Allgemeinen. Diese strukturieren nicht nur die Akteurskonstellationen, sondern schränken die Handlungsspielräume defizitärer Kommunen ein (Holtkamp 2008a: 15). Dies gilt für die Steuerhebesatzpolitik der Kommune, in die die Aufsicht unter den Bedingungen des Nothaushaltsregimes in der Regel tief eingreift. Viele Kommunen haben seit Anfang der 1990-er Jahre – auf Druck der Kommunalaufsichten - zum Teil massiven Personalabbau betrieben.37 Überhaupt ist der Einfluss der Kommunalaufsichten über Nothaushaltsregime und die Genehmigungspraxis bei Haushaltssicherungskonzepten dominierend und entscheidend für Konsolidierungserfolge in den Kommunen. Die parteipolitische Zusammensetzung des Stadtrates hat hingegen keine Auswirkungen auf
36 Wie auch die Ergebnisse der Interviews mit Partei- und Fraktionsvorsitzenden in den Untersuchungskommunen zeigen, sind die Einstellungen von Parteivorsitzenden häufig deutlich „ideologischer“ als die Fraktionslinie. Selbst wenn Parteithemen in der Fraktion „landen“, ist ihre praktische Umsetzung damit noch nicht selbstverständlich. Eine Ausnahme unter den Vergleichskommunen bildete die Stadt C. Hier wurde die SPD-Fraktion in der Frage der Privatisierung der Stadtwerke von der Partei „an die Kandare genommen“ (vgl. Kapitel 6.2.1). 37 Die Personalausgaben (alte Bundesländer) gingen von 1991 = 1.017.000 auf 2001 = 793.000 Vollzeitstellen zurück (Bogumil/Holtkamp 2006: 147), wobei allerdings auch der Effekt des „Verschiebens“ von Personalausgaben in kommunale Ausgliederungen beachtet werden muss.
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2 Theoretische Ansätze
Konsolidierungsstrategien, wie Holtkamp in seiner Analyse kommunaler Haushaltspolitik in den 1990-er Jahren festgestellt hat (Holtkamp 2000). In seiner systematischen Bestandsaufnahme der Rolle der Parteien, Wählergemeinschaften und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg hat Holtkamp (2008a) folgendes festgestellt: „Für eine Verknüpfung konkurrenzdemokratischer Muster [wie in NRW; d. Verf.] mit starker inhaltlicher Parteipolitisierung gab es hingegen (…), zumindest bezogen auf die Parteiendifferenz beim Policy-Output, kaum Hinweise, was im Kern auf die seit Jahren geringen kommunalen Handlungsspielräume (und die weitere Beschränkung durch Vetopositionen) zurückzuführen ist. Darüber hinaus dominieren in der Kommunalpolitik traditionell Einzelfallentscheidungen und die Detailintervention, die häufig kaum parteiprogrammatischen Kriterien zugeordnet werden können. Die Ehrenamtlichkeit vieler Kommunalpolitiker führt zudem dazu, dass weder die zeitlichen noch die kognitiven Ressourcen vorhanden sind, um sich verstärkt mit Grundsatzfragen auseinanderzusetzen“ (Holtkamp 2008a: 269).
Interkommunale Vergleiche zeigen allerdings trotz gleicher Rahmenbedingungen nach wie vor Varianzen beim strukturellen Defizit und bei den Personalausgaben.38 Wie es den Akteuren gelingt, in mikropolitischen Entscheidungsprozessen trotz des „Diktats der Kommunalaufsicht“ vielleicht doch politische Präferenzen zu verfolgen und durchzusetzen, soll im Folgenden untersucht werden. Dabei sollen die Vorteile qualitativer Analysen gegenüber quantitativer Regressionsrechnungen ausgenutzt werden: eine dichte Beschreibung des Gegenstandsbereiches und die Beachtung des Umstandes, dass es sich beim Forschungsgegenstand der Erfahrungswissenschaften um Menschen handelt, „deren soziales Handeln von subjektivem Sinn geprägt ist, den es zu rekonstruieren bzw. zu interpretieren gilt“ (Behrens 2003: 221). Statistische Verfahren (Regressionsanalysen), wie sie quantitativen Analysen (Kunz 2000, Steiner 2005) zugrunde lagen, sind, so ist zu vermuten, weniger geeignet, mikropolitisches Akteurshandeln zu rekonstruieren. Eine messbare Parteiendifferenz ist unter Umständen in wenigen „ideologisch aufgeladenen“ Politikbereichen noch zu erwarten: Personalausgaben, Privatisierung, Gesamtschule oder Parkraumbewirtschaftung (Holtkamp 2008a: 262, 263). So wurde z.B. in der Analyse der Haushaltsergebnisse einzelner Kommunen im Kreis Recklinghausen deutlich, dass ein Teil der Fehlbeträge auch durch kommunales Missmanagement im Bereich der Personalausgaben zustande kommt (Holtkamp 2000: 364).
38
So zum Beispiel zuletzt Winkel 2007b.
2.3 Institutionelle Ansätze (Können) 2.3
45
Institutionelle Ansätze (Können)
Eine Grundidee institutionalistischer Theorie ist, dass sozial konstruierte Regelsysteme soziales Handeln erst möglich und wirksam machen, indem sie es beschränken (Schneider/Tenbücken 2004: 94). Seit den ausgehenden 1970-er und den beginnenden 1980-er Jahren werden Institutionen39 wieder verstärkt als Einflussgrößen für politische Entscheidungen angesehen. Dabei entwickelte sich der Neo-Institutionalismus als bewusste Abgrenzung zum Behaviorismus, indem er beobachtetes Verhalten nicht als alleinigen Dreh- und Angelpunkt der Politik annahm, sondern es immer im Kontext von Institutionen verortete: „The new institutionalists vehemently rejected observed behaviour as the basic datum of political analysis; they do not believe that behaviour is a sufficient basis for explaining ‘all the phenomena of government’. For behaviour occurs in the context of institutions and can only be so understood.” (Immergut 1998: 6)
Der Neo-Institutionalismus repräsentiert dabei jedoch keine konsistente, in sich geschlossene Theorie, sondern muss als Oberbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen Strömungen verstanden werden. Die neo-institutionalistische Theoriediskussion ließ sich von der grundsätzlichen Annahme leiten, dass von Institutionen eine bedeutsame - ermöglichende und restringierende – Wirkung auf das Handeln von Akteuren ausgeht, ohne dass dieses vollständig determiniert wird. Die Extrempunkte der Theoriediskussion bilden dabei die eher ökonomisch orientierte Variante des Rational Choise Institutionalism auf der einen Seite. Hier werden Institutionen als zentrale Parameter für Wahlhandlungen politischer Akteure begriffen; sie stellen Regelungskomplexe dar, die eine dauerhafte Anreizstruktur für die strategische Verfolgung von Akteurspräferenzen bilden (Haus 2004: 6). Nach Schulze (1997: 11 ff.) können folgende Formen des Rational ChoiseInsitutionalismus unterschieden werden: die Theorie der Verfügungsrechte (Property Rights)40, die Agenturtheorie (Prinzipal-Agent-Theorie)41 und die Transaktionskostentheorie42. 39 Hier verstanden als Regelsysteme, die einer Gruppe von Akteuren offen stehende Handlungsverläufe strukturieren (Scharpf 2000: 77). 40 Property Rights-Theorien gehen davon aus, dass im Eigentumsrecht ein immanenter Ansatz zu effizientem Handeln liegt nach dem Grundsatz: je vollständiger die Rechte an einem Gut einem Handelnden zugeordnet werden, desto effizienter ist dessen Umgang damit. Der Ansatz der dezentralen Ressourcenverantwortung im Neuen Steuerungsmodell der KGSt folgt beispielsweise diesem Grundgedanken (Naschold/Bogumil 2000: 291). 41 Im Mittelpunkt der Agenturtheorie steht die Institution des Vertrages sowie der Charakter der durch diesen dargestellten Beziehungen zwischen dem Auftraggeber (Prinzipal) und dem Auftragnehmer (Agent). Bei der Gestaltung von Organisationen muss es dem Prinzipal um die Beseitigung von Informationsasymmetrien und um die Entwicklung von Anreiz- und Kontrollmechanismen gehen, die
46
2 Theoretische Ansätze
Auf der anderen Seite des Spektrums rangiert die eher strukturtheoretischkulturalistisch ausgerichtete Variante des Soziologischen Institutionalismus, nach der Institutionen als Kulturphänomene Handlungsmuster bereitstellen. Institutionen verhelfen hier den Akteuren zur Ausbildung von Handlungsorientierungen, „indem sie die Unbestimmtheit der möglichen Ausrichtung individuellen Handelns in einen Sinnzusammenhang stellen und Akteure insofern von der untragbaren Bürde ‚entlasten’, Handlungsziele aus sich selbst heraus generieren zu müssen“ (Haus 2004: 6). Der Soziologische Institutionalismus erklärt Entstehung und Veränderung von Institutionen nicht wie der Rational Choise-Institutionalismus rein effizienzorientiert. Vielmehr können beispielsweise neu eingeführte Regeln die soziale Legitimität einer Organisation und ihrer Mitglieder stärken. „Während der Rational-Choise-Ansatz die Struktur als Produkt individuellen Verhaltens betrachtet, resultiert das individuelle Verhalten aus Sicht des Soziologischen Institutionalismus aus der schon existierenden institutionellen Struktur.“ (Schulze 1997: 16)
Eine Gemeinsamkeit des Soziologischen Institutionalismus mit dem Rational Choise-Ansatz liegt in der Vernachlässigung von Entwicklungsprozessen über die Zeit. Nach langfristig prägenden institutionellen Weichenstellungen für politische Entwicklungen fragt aber das Programm des Historischen Institutionalismus, das zwischen den beiden beschriebenen Polen einzuordnen wäre (vgl. als Überblicksdarstellung z.B. Göhler / Kühn 1999). In neueren Ansätzen der Institutionentheorie in Form des Akteurzentrierten Institutionalismus geht es darum, das Ergebnis politischer Entscheidungsprozesse so weit wie möglich durch institutionelle Gegebenheiten zu erklären, d.h. mit Hilfe der durch den institutionellen Kontext beschränkten Wahrnehmungen, Präferenzen und Fähigkeiten von Akteuren, den möglichen Akteurskonstellationen
bewirken sollen, dass der Agent in seinem eigenen Interesse die Ziele seines Auftraggebers erfüllt (Schulze 1997: 13). Die Verträge mit dem Auftragnehmer sollten also so definiert werden, dass der Auftragnehmer durch Verfolgung seines Eigeninteresses gleichzeitig den Gesamtnutzen des Unternehmens maximiert – und damit zugleich das Interesse bzw. den Nutzen des Auftraggebers (Scharpf 2000: 294). 42 Zentrale Analyseeinheit dieses Ansatzes ist die Transaktion, d.h. der Tausch zwischen zwei Wirtschaftssubjekten. Ziel des Transaktionskostenansatzes ist es, anzugeben, welche Organisationsform (Markt, Hierarchie oder Mischformen) für welche Art der Leistungserstellung aus Effizienzgründen zu wählen ist. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass es effizienter ist, Transaktionen in Organisationen zu verlagern und nicht über den Markt zu koordinieren, wenn diese mit Unsicherheit verbunden sind, sehr häufig vorgenommen werden und wenn Investitionen getätigt werden müssen, um diese überhaupt vornehmen zu können (Naschold/Bogumil 2000: 293; vgl. auch Fußnote 57 dieser Dissertation).
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
47
und Interaktionsformen (grundlegend hierzu: Scharpf 2000). Hierauf wird im Folgenden noch näher eingegangen. Für die Erklärung der Ursachen lokaler Haushaltsdefizite kommen als unabhängige Variablen die Wirkung der Kommunalverfassung (vgl. Ziffer 2.3.1) sowie (aus der Perspektive des Rational Choise Institutionalism) das Allmendeproblem43 in Betracht, für das als klassische institutionelle Lösung die Hierarchie (Zentralisierung der Haushaltspolitik; vgl. Ziffer 2.3.3) empfohlen wird (Vetter/Holtkamp 2008).
2.3.1
Der Einfluss der Kommunalverfassung
In den 1980-er Jahren rückten, ausgehend vom Effizienzargument bei zunehmenden Haushaltsproblemen, Fragen nach dem Zusammenhang von norddeutscher Ratsverfassung (polity) und policy-output in den Vordergrund. Die sparpolitischen Veröffentlichungen dieser Periode können nach Mäding (1998) drei großen Kategorien zugeordnet werden: 1.
43
Eine erste Gruppe von Analysen befasste sich mit den rechtlich-politischen Ursachen der Konsolidierungsprobleme (polity-Ebene). Hier ist zunächst die Studie von Derlien u.a. aus dem Jahre 1976 zu nennen. Die Autoren haben den vier in der (alten) Bundesrepublik existierenden Grundtypen der Kommunalverfassungen entsprechend in vier Mittelstädten in Bayern, NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz den Verlauf des kommunalen Entscheidungsprozesses untersucht (Derlien u.a. 1976). Sie gelangten dabei zu der Erkenntnis, dass dem Verlauf von Entscheidungsprozessen in allen vier Untersuchungskommunen ein einheitliches Grundmuster zugrunde lag und der Einfluss der verfassungsstrukturellen Unterschiede lediglich in der Betonung/Abschwächung dieser Muster bestand, ohne dass die Machtverteilung zwischen Verwaltung und Stadtvertretung durch diese Unterschiede wesentlich bestimmt würde (Derlien u.a. 1976: 116 ff.). Die Ergebnisse, die also unabhängig von der Kommunalverfassung gelten, lassen sich wie folgt zusammenfassen: o deutliche Überlegenheit der Verwaltung gegenüber dem Rat aufgrund ihres Informationsvorsprungs bei der Initiierung und Vorbereitung von Beschlüssen
Der Begriff „Tragik der Allmende“ (tragedy of the commons) wurde zuerst für die Umweltverschlechterung gebraucht, die stets zu erwarten ist, wenn viele Individuen eine knappe Ressource gemeinsam nutzen (Ostrom 1999: 2).
48
2 Theoretische Ansätze o o
2.
3.
44
Alternativauswahl in erster Linie innerhalb der Verwaltung Funktionsverlust der Ratsberatungen durch Verlagerung der parlamentarischen Arbeit in die Ausschüsse, in denen Vorlagen der Verwaltung trotz ihrer Dominanz auch verändert werden (Bogumil/Holtkamp 2006: 38). Insbesondere die Veröffentlichungsserie von Gerhard Banner, bis 1995 Vorstand der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), zum Einfluss der Kommunalverfassung auf das Ausgabengebaren von Kommunen zählt zu den kontrovers diskutierten Themen dieser Jahre. Hiernach bringen kommunale Akteurskonstellationen (politics) unterschiedliche Haushaltsergebnisse (policy) hervor, wobei die Entscheidungsmuster im Wesentlichen durch verschiedene Arrangements der Kommunalverfassungen (Baden-Württemberg und NRW) präjudiziert werden. Auf die Banner-Thesen soll sogleich ausführlich eingegangen werden. Die zweite Gruppe von Veröffentlichungen untersuchte alternative Möglichkeiten und Restriktionen des Sparens. Unter Zugrundelegung USamerikanischer und britischer Erfahrungen wurden alternative Konsolidierungsstrategien bewertet (Mäding 1983a, 1983b). Die Basisinstitutionen des politisch-administrativen Systems (Föderalismus, Parlamentarismus, Bürokratie) wurden als zentrale Hemmfaktoren für zielgerechte Konsolidierungsbemühungen identifiziert (Mäding 1983a). Fürst (1987) beschrieb die institutionellen Veränderungen, die eine Sparpolitik für Budgetierungsprozesse in bundesdeutschen Kommunen hat: zentralisierende Wirkungen, insbesondere die Stärkung des Kämmerers, der Dezernentenrunde und des Finanzausschusses gegenüber den Fachpolitikern, eine Entwicklung, die auch heute unter den Nothaushaltsregimen der Kommunalaufsicht wieder zu beobachten ist. Konkrete prozedurale Veränderungsvorschläge bezogen sich auf die Einführung neuer Planungsinstrumente. Hierzu zählt die insbesondere von der KGSt propagierte „klassische“ Aufgabenkritik. Daneben wurden – „ohne Wirkung“ (Mäding 1998: 101) – das amerikanische Zero-Base-Budgeting (ZBB) empfohlen oder die Programmbudgetierung (PPBS) als angemessene Antwort auf die Haushaltskrise der Kommunen neu belebt.44 Diese Planungsinstrumente richteten sich auf eine stärkere Zielorientierung in der Haushaltsplanung. Sie sollten den Problemen dezentraler und inkrementaler Haushaltspolitik entgegen wirken. Sie stießen aber „vor allem wegen ihrer unrealistischen Informationsanforderungen auf keine Gegenliebe in der kommunalpolitischen Praxis“ (Mäding 1998: 101).
Zu diesen Instrumenten vgl. Holtkamp 2000: 76, 81 und Naschold/Bogumil 2000: 50.
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
49
Anders als Derlien u.a. maß Gerhard Banner den institutionellen Rahmenbedingungen eine sehr viel stärkere Lenkungswirkung zu. Mitte der 1980-er Jahre veröffentlichte er in mehreren Aufsätzen seine viel beachteten Thesen zum Spannungsverhältnis zwischen repräsentativer kommunaler Demokratie und Effizienz der Kommunalverwaltung. Im Mittelpunkt seines Interesses stand die Frage, ob die unterschiedlichen führungsorganisatorischen Regelungen der Gemeindeordnungen in NRW und Baden-Württemberg (polity) die Steuerbarkeit45 örtlicher Haushalte positiv oder negativ beeinflussen können (Banner 1984: 364). Hiervon hänge die „kommunale Überlebensfähigkeit auf Dauer“ ab. Auslöser seiner Untersuchung war das von ihm rezipierte „frappierende Nord-Süd-Gefälle auf dem Gebiet der Kommunalfinanzen“ (Banner 1984: 364), insbesondere zwischen Baden-Württemberg und NRW, und die Tatsache, dass dieses allein mit exogenen wirtschaftsstrukturellen Einflussfaktoren erklärt wurde. Der Haushaltsplan bzw. die Haushaltspolitik sind das „Herzstück der Kommunalpolitik“ (Banner 1989). Die hier auftretenden Konflikte finden im Spannungsfeld von Fachpolitik (Ressortpolitik) und Steuerungspolitik (im Wesentlichen: Finanzpolitik) statt. Für Banner ist dies der „Bezugsrahmen“ (1984: 366) für seine weitergehenden Überlegungen. Nach Ansicht der Literatur (Holtkamp 2000: 107 f.) ist diese Differenzierung sinnvoll, weil damit Budgetprozesse besser als mit den Standardmodellen der NPÖ46 erfasst werden können. Banner unterscheidet folglich zwei Arten von Kommunalpolitiker/innen: die Fachpolitiker/innen und die Steuerungspolitiker/innen (vgl. hierzu auch Ziffer 2.3.2). Er unterstellt ihnen unterschiedliche Interessen. Fachpolitiker wollen das Budget aus nutzenmaximierenden Gründen ausdehnen, Steuerungspolitiker wollen es aus übergeordneten Gründen (Gemeinwohl, Haushaltsbalance oder intergenerative Gerechtigkeit) begrenzen. Damit der Haushalt nicht überbeansprucht wird, ist es nach Banner notwendig, Steuerungs- und Fachpolitik im Gleichgewicht zu halten. In seiner weiteren Analyse identifiziert Banner drei Faktoren, die das örtliche haushaltspolitische Geschehen beeinflussen:
45 Banner definiert in seinem zentralen Artikel (Banner 1984) den Begriff „Steuerung“ nicht. Steuerung bedeutet die bewusste Intervention in Handlungsfelder bzw. die Lenkung des Verhaltens von Akteuren, um Änderungen in Richtung auf festgelegte Ziele zu erreichen (Benz 2004: 20 Fußnote 4). Steuerungskapazität umfasst somit „jene Fähigkeiten, die es erlauben, politische Zielbestimmungen informiert vornehmen zu können sowie entsprechende Entscheidungen zu implementieren und zu kontrollieren“ (Sack/Gissendanner 2007: 34 Anmerkung 1). 46 Die Neue Politische Ökonomie (NPÖ) beschäftigt sich als ökonomische Theorie der Politik mit einem breiten Spektrum politischer Strukturen und Prozesse, das von Wahlen und Parteienkonkurrenz über Prozesse der Mehrheitsbildung und Koalitionsformierung bis hin zu Organisationen und Bürokratien reicht. Zentral ist, dass alle Ansätze auf einer allgemeinen Theorie beruhen: der ökonomischen Theorie des rationalen Handelns (Lehner 1981: 9).
50
2 Theoretische Ansätze die Durchschlagskraft der Fachpolitik die parteipolitischen Aufladungen der Entscheidungen das Eigengewicht des zentralen Politikers47.
Seine zentrale These lautet hier: „Sehr klar hat sich folgender Grundzusammenhang zwischen den drei Dimensionen gezeigt: je geringer die Durchschlagskraft der Fachpolitik und die parteipolitische Aufladung der Entscheidungen und je größer das Eigengewicht des zentralen Politikers, desto größer die Chancen, den Haushalt auf Gleichgewichtskurs zu halten – und umgekehrt.“ (Banner 1984: 366)
Dabei kommt den führungsorganisatorischen Regelungen der Gemeindeordnung erhebliche Bedeutung zu, und es wird die Vermutung eines inneren Zusammenhangs zwischen der Ausgestaltung der Kommunalverfassung und der Durchsetzungsfähigkeit des zentralen Steuerungspolitikers auf den Punkt gebracht. Wenn Banner im „Eigengewicht des zentralen Politikers“ ein stabilisierendes Gegengewicht zu ausufernder Fachpolitik sieht, ist in Erinnerung zu rufen, dass er seine Thesen zu Zeiten und unter dem Eindruck der „alten“ Gemeindeordnung NRW formuliert hat, die, z.B. im Gegensatz zu Baden-Württemberg, durch die „Doppelspitze“ von Verwaltungschef (Stadtdirektor bzw. Gemeindedirektor) und Bürgermeister geprägt war (Höher-Pfeifer 2000: 16). Im Gegensatz zur Figur des volksgewählten Bürgermeisters in Baden-Württemberg war die Stellung der Verwaltungsspitze gegenüber dem Rat in NRW durch Schwäche geprägt: dem ehrenamtlichen Bürgermeister mangelte es durch die fehlende Volkswahl an direkter Legitimation, der hauptamtliche Stadtdirektor war als „Politiker nicht anerkannt“ (Banner 1984: 371). Banner zieht daraus folgendes Fazit: „Der natürliche zentrale Politiker, wie er in Baden-Württemberg und Bayern anzutreffen ist [das ist der volksgewählte hauptamtliche Bürgermeister; d. Verf.] , wird nicht nur mit dem Expansionsdrang der Fachpolitiker am besten fertig; er ist wegen seines legitimatorischen Gewichts auch am ehesten in der Lage, einer steuerungsungünstigen parteipolitischen Kombination entgegenzuwirken“ (Banner 1984: 372).48 47 Banner nimmt folgende Typologie des zentralen Politikers vor: 1) „Vorentscheider“: Verwaltungschef/Bürgermeister in Baden-Württemberg, Vorsitzende der einflussreichen Fraktionen, weitere einflussreiche Politiker/Beamte. In NRW (alte GO) gehörte der Verwaltungschef selten zu den zentralen Vorentscheidern. 2) „Grenzgänger“: sie kontrollieren die Schnittstelle zwischen Rat und Verwaltung (z.B. Ausschussvorsitzende, wichtige Fachpolitiker und Beamte). Zum Vorentscheiderkonzept vgl. auch Banner 1972: 166 f. sowie Bogumil 2002: 14. 48 Zwischenzeitlich (1999) wurde die Gemeindeordnung NRW näher an die baden-württembergische Gemeindeordnung angepasst (z.B. volksgewählter hauptamtlicher Bürgermeister). Gleichwohl gibt es in der Kompetenzverteilung zwischen den Gemeindeorganen immer noch erhebliche Unterschiede
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
51
In Bezug auf die konstitutive Rolle unterschiedlicher Kommunalverfassungen auf den policy-output konnten die Banner-Thesen durch empirische Forschungsergebnisse indes überwiegend nicht bestätigt werden. Zu nennen ist zunächst die Arbeit von Winkler-Haupt (1989), der zwei baden-württembergische und zwei nordrhein-westfälische Mittelstädte untersuchte und zu dem Ergebnis kam, dass sich die These „im Kern bewährt“ habe, indem er der kommunalen Haushaltspolitik quasi eine Sonderrolle zumisst und beiden Positionen, der von Derlien u.a. und der von Banner, eine Berechtigung zuspricht: „Der anfangs ausgesprochenen Vermutung entsprechend, hat die Studie (…) gezeigt, dass die Unterschiedlichkeit verfassungsstruktureller Faktoren im ‚Teilbereich’ Sparpolitik stärker zum Tragen kommt als im gesamten kommunalen Entscheidungs- bzw. Willensbildungsprozess.“ (Winkler-Haupt 1988: 158) 49
Dagegen konnten Kunz und Zapf-Schramm (1989) bei ihrer Untersuchung der policy-Effekte von Kommunalverfassungen in 87 kreisfreien Städten der Flächenländer keine Bestätigung für die These finden. Sie fanden vielmehr eine Scheinkorrelation vor: Nicht die Steuerungswirkung der unterschiedlichen Gemeindeordnungen (NRW und Baden-Württemberg) sei entscheidend, sondern sozioökonomische Variablen (Arbeitslosenquote, Sozialhilfequote) variieren die Haushaltsergebnisse. Die Autoren schließen mit der Feststellung: „Wir betrachten daher Gerhard Banner bis zu einem schlüssigen Nachweis des Gegenteils vorläufig als widerlegt: Die Gemeindeverfassung hat keinen messbaren Einfluss auf die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Gemeinde.“ (Kunz/Zapf-Schramm 1989: 183)50
Für Holtkamp kommt ein Aspekt hinzu: Aus Gründen des Wiederwahlinteresses des Bürgermeisters und der Tatsache, dass eine sparsame Haushaltspolitik nicht (Holtkamp 2000: 116), so dass nordrhein-westfälische Kommunen nach wie vor deutlich eher zu konkurrenzdemokratischen Mustern neigen (Holtkamp 2008: 270). Ein von den Befürwortern der Kommunalverfassungsrevision erhoffter deutlicher Zuwachs an Verwaltungseffizienz und eine „Zähmung parteipolitischer Sonderinteressen“ (Holtmann 1998: 211) haben sich nicht ergeben. 49 Hier stellt allerdings die Auswahl der Städte ein entscheidendes Problem dar. Kleinfeld (1996: 148) spricht von erheblicher „Design-Schwäche“. Alle vier ausgesuchten Städte wurden als „typische Vertreter ihres Bundeslandes bzw. der sie prägenden Region“ (Winkler-Haupt 1988: 148 Fußn. 11) ausgewählt. So wurden baden-württembergische Vertreter mit fragmentierten Räten, die einen hohen Anteil freier Wählerinitiativen ausweisen, nordrhein-westfälischen Städten mit absoluter SPDMehrheit gegenüber gestellt, so dass die Erklärungsvariablen letztlich nicht konstant gehalten wurden. 50 Holtkamp weist allerdings darauf hin (2000: 113), dass sich die Studie von Kunz/Zapf-Schramm vor allem auf sehr große Städte bezieht und anzunehmen ist, dass die Auswirkungen von Kommunalverfassungen in verschiedenen Gemeindegrößenklassen variieren können.
52
2 Theoretische Ansätze
von allen Wählern honoriert wird und von der Gemeindegröße sowie der politischen Kultur des Bundeslandes abhängt, könne das „Modell des direkt gewählten Bürgermeisters nicht über eine ‚eingebaute Spargarantie’ [verfügen]“ (Holtkamp 2000: 265, Bogumil/Holtkamp 2006: 143). Er stellt resümierend fest: „Die Untersuchung von Kunz/Zapf-Schramm (…) hat mit dazu beigetragen, dass Banners Thesen von der direkten Steuerungswirkung der Polity-Ebene (der Gemeindeordnungen) auf die Politics- und Policyebene nur noch in relativierender Form rezipiert werden, ohne die Wirkung der Polity-Ebene gänzlich zu leugnen“ (2000: 113).
Ferner kann angenommen werden, dass auch die kommunalen policies nicht als monolithischer Block zu bewerten sind, sondern dass es „mächtige“ und „weniger mächtige“ policies gibt. Die „Durchschlagskraft“ einzelner policies sollte sich vorrangig in Verteilungskämpfen um knappe Ressourcen zeigen (Timm-Arnold 2005: 96). Auch reflektiert die Banner-These nicht den Umstand, dass die generelle Steuerungspolitik der sektorspezifischen Fachpolitik, wie unter Ziffer 2.3.2 dargelegt wird, systematisch unterlegen ist. Gerhard Banners Postulat eines Zusammenhangs von Kommunalverfassungen und Haushaltsergebnissen, das die Diskussion in der lokalen Politikforschung lange Zeit geprägt hat, konnte empirischer Überprüfung also nicht Stand halten. Aus neo-institutionalistischer Sicht liegt es angesichts der Varianz der Haushaltsergebnisse in NRW aber nahe, die akteursbezogene Führungsleistung des zentralen Steuerungspolitikers, des Bürgermeisters, innerhalb des politischen Systems Kommunalverwaltung in den Blick zu nehmen und damit die Bannerschen Thesen kritisch zu reflektieren und aus veränderter Perspektive weiterzuentwickeln, zumal er selber bei Entwicklung seines Ansatzes bereits konstatiert hatte, dass innerhalb des konstitutiven Rahmens die Akteure über Spielraum bei der Auswahl und Gestaltung ihrer Strategien verfügen (Banner 1984: 366).
2.3.2 Der Antagonismus von Spezialisten und Generalisten in der Haushaltspolitik Aus der Bürokratieforschung (Jann/Wegrich 2008) ist ein Mechanismus bekannt, der auch auf die Haushaltspolitik einwirkt, nämlich die Konkurrenz zwischen sektorspezifischen Interessen bzw. den Befürwortern bestimmter policies (Spezialisten) und den eher allgemeinen, generellen Interessen bzw. Befürwortern von weniger Staat, weniger Regulierung oder Konsolidierung defizitärer Haushalte (Generalisten), eine Unterscheidung, die auch der Gegenüberstellung von Fachund Steuerungspolitik bei Gerhard Banner (siehe oben Ziffer 2.3.1) inhärent ist.
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
53
Warum ist Haushaltskonsolidierung auf einer allgemeinen Ebene so populär, im Detail aber so unpopulär? Die zentrale Variable sind Akteure mit spezifischen und substanziellen Interessen in jeweiligen Politikfeldern. Diese finden sich – auch in der Kommune - auf gesellschaftlicher, administrativer und politischer Ebene. Expertise und Einflusspotenzial von Fachkoalitionen und policy-Netzwerken richten sich dabei tendenziell auf die Realisierung spezifischer Sektorinteressen aus. Demgegenüber ist die Unterstützung für generelle Anliegen wie Haushaltskonsolidierung diffus, kaum organisiert und schwer zu mobilisieren. Generalisten sind, wie zu zeigen sein wird, den sektorspezifischen Spezialisten daher systematisch unterlegen. Die Spezialisten-Generalisten-These schließt an folgende theoretische Ansätze an (Jann/Wegrich 2008): Pluralismusforschung, Politikökonomische Regulierungsforschung, Policy-Netzwerk-Perspektive und core-executiveForschung.51 Nach der Pluralismustheorie (vgl. Übersicht bei Böhret/Jann/Kronenwett 1988: 169 ff.), die von der Vorstellung ausgeht, dass sich der einheitliche Wille des Staates und das Gemeinwohl aus der Konkurrenz der gesellschaftlichen Gruppen bildet, sind Interessen besser zu organisieren und konfliktfähiger, je spezialisierter sie sind. Wie Mancur Olson (1965) zeigte, lassen sich kollektive Interessen sehr ungleich, d.h. in Abhängigkeit ihres Spezialisierungs- und Allgemeinheitsgrades organisieren. Ohne spezifische selektive Anreize wird es keine kollektiven Aktionen geben, obwohl große Gruppen von Akteuren gleichartige Interessen haben. Allgemeine, übergreifende Interessen, die „eigentlich“ jeder hat, lassen sich gegenüber spezielleren Interessen nur sehr schwer durchsetzen. In pluralistisch strukturierten Gesellschaften werden längst nicht alle Interessen vertreten, weil nicht alle organisierbar sind, die organisierten Interessen nicht alle konfliktfähig sind und schließlich die konfliktfähigen nicht alle chancengleich und gleich mächtig sind (Böhret/Jann/Kronenwett 1988: 176). Daher haben eher hoch spezialisierte Interessen gute Chancen, sich im politischen Prozess Gehör zu verschaffen und sich auf Dauer zu verteidigen, da sie besser zu organisieren, mobilisierungs- und konfliktfähiger sind. Gut organisierte Spezialisten haben ein hohes Maß an fachspezifischer Expertise. Allgemeine Konsolidierungsinteressen begegnen hingegen erheblichen Kollektivgutproblemen und haben wenige „natürliche“ Koalitionspartner. Generalisten sind fachpolitischen Koalitionen in Detailinformationen und –argumenten daher regelmäßig unterlegen und bedürfen der nachhaltigen Unterstützung durch die zentrale Leitung (Hierarchie). 51 „The term ‚core executive’ refers to all those organisations and procedures which coordinate central government policies, and act as final arbiters of conflict between different parts of governmental machine” (Rhodes 1995: 12). Ursprünglich geht es um die Frage der internen Dominanz des britischen Regierungschefs. Auf die Hierarchisierung von Entscheidungsprozessen wird unter Ziffer 2.3.3 dieser Untersuchung ausführlich eingegangen.
54
2 Theoretische Ansätze
Anhand von Regulierungspolitik zeigte auch James Q. Wilson (1980: 367 ff.), wie spezifische Interessen als Zurechnungseinheit von Kosten und Nutzen mehr oder weniger wahrscheinlich ihre Präferenzen und handlungsleitenden Interessen durchsetzen können (vgl. im Einzelnen Jann/Wegrich 2008): Entscheidend ist, dass aus Rational-Choise-Perspektive (Verteilung von Kosten und Nutzen) in allen Konstellationen, in denen Spezialisten stark sind und einschneidende Maßnahmen (Regulierungen oder Sparmaßnahmen) zu befürchten sind, Generalisten Schwierigkeiten haben, externe Unterstützung und Koalitionspartner zu finden. Während generelle Unterstützung für Haushaltskonsolidierung ständig vorhanden ist, besteht die Schwierigkeit für Generalisten darin, Koalitionspartner mit ähnlicher Expertise und Macht zu finden, wie sie den Spezialisten zur Verfügung stehen (Jann/Wegrich 2008). Aus der Policy-Netzwerk-Perspektive ergibt sich ebenfalls eine Überlegenheit von Spezialisten gegenüber Generalisten. Policy-Netzwerke sind geprägt durch gemeinsame oder komplementäre Wertvorstellungen zentraler Akteure; in ihnen stehen dauerhafte Beziehungen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren im Vordergrund (Mayntz 1993: 40).52 Zentral ist hier der analytische Ansatz der Advocacy Coalitions von A. Sabatier (1993). Sabatier zufolge besteht jedes Politikfeld aus einer Anzahl von „Befürworter-Koalitionen“, die nach ihren Grundüberzeugungen und Handlungsressourcen zu unterscheiden sind. Advocacy-Koalitionen „setzen sich aus Personen aus verschiedenen Organisationen zusammen, die gemeinsame normative und kausale Vorstellungen haben und ihre Handlungen oft abstimmen“ (Sabatier 1993: 121). Die Politikentwicklung wird von den meinungsbildenden Eliten jeder Koalition bestimmt. Das Kräfteverhältnis zwischen Advocacy-Koalitionen wird ganz entscheidend dadurch geprägt, welcher Koalition es besser gelingt, neue Informationen konsistent innerhalb des bestehenden Belief-Systems53 zu verarbeiten und nach außen zu vertreten. Generalisten fehlt es in der Regel an einem mobilisierungsfähigen Netzwerk und der entsprechenden Expertise (Jann/Wegrich 2008). Stattdessen sind sektorale Netzwerke in der Akkumulation von Spezialwissen und deren Mobilisierung in politischen Entscheidungsprozessen geübt. Zwar existieren auch in der Sparpolitik grundsätzliche Konsolidierungsbefürworter mit Helferinteressen (z.B. Rechnungshöfe, Kommunalaufsicht, Berater), in Einzelauseinandersetzungen bleiben sie aber den Spezialisten häufig unterlegen. So zeigen z.B. policy-Studien, dass 52 Heclo (1978) zeigte das effektive Zusammenspiel von US-Behörden, Kongressausschüssen und Interessengruppen in Form der berühmten „Eisernen Dreiecke“. 53 Sabatier unterscheidet bei den Eliten Kernüberzeugungen (core beliefs) und Policy-Überzeugungen (Handlungsorientierungen und Strategien; Czada 1997: 59). Erstere gibt ein Individuum schwerlich auf, während Policy-Überzeugungen leichter veränderbar sind. Ideen, Expertise, gemeinsame Ziele und Weltsichten sind entscheidend für den Zugang zu Entscheidungsarenen auf Subsystem-Ebene, d.h. einzelnen Politikfeldern.
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
55
Etatkürzungsabsichten im Bereich der Kultur das kulturpolitische Netzwerk über Fraktions- und Ratsgrenzen hinaus erfolgreich aktivieren. Genauso können in der Haushaltskrise der Bürgermeister, der Kämmerer und häufig auch die Vorsitzenden der Mehrheitsfraktionen als Advocacy-Koalition gedeutet werden, die sich in ihren Organisationen (Verwaltung bzw. Fraktionen) gegen die Fachpolitiker durchsetzen muss (Timm-Arnold 2005). Auch in Fällen formeller Privatisierung ist davon auszugehen, dass die Informationen eher bei den ausgegliederten Organisationseinheiten als beim Bürgermeister, beim Beteiligungsmanagement oder beim Rat liegen, was mit erheblichen Steuerungsverlusten und Intransparenz für den „Konzern Stadt“54 verbunden ist. Während also Spezialisten danach trachten, Budgets auszuweiten oder zumindest zu konservieren, da sie ein materielles Interesse an einem Politikbereich haben, werden Konsolidierungsinteressen vor allem von Generalisten vertreten, beispielsweise durch Querschnittspolitiker oder Kämmereien. Unterstützung für generelle Anliegen ist aber diffus, kaum organisiert und daher schwer zu mobilisieren. In der Auseinandersetzung mit den Spezialisten der fachpolitischen Koalitionen sind die Generalisten zudem in Detailinformationen und – auseinandersetzungen unterlegen. Ihr Erfolg hängt neben der nachhaltigen Unterstützung durch die zentrale Leitung (Bürgermeister) von der Akkumulation politikfeldübergreifenden Wissens über Haushaltskonsolidierung und darauf basierender Unterstützung ab.
2.3.3
Zentralisierung der Haushaltspolitik
Dieser Forschungsstrang befasst sich mit den institutionellen Arrangements, die mit defizitären öffentlichen Haushalten einhergehen und diese tendenziell begünstigen oder verhindern (Wagschal 2006b: 76). Er spürt der Frage nach, welche institutionellen Rahmenbedingungen und Steuerungsinstrumente die Handlungsfähigkeit einer Regierung prägen (vgl. z.B. Mayntz 1993, Mayntz/Scharpf 1995 und Scharpf 2000). Folgt man den Prämissen des Akteurzentrierten Institutionalismus als Zugang zur Frage politischer Führung (so auch Helms 2000 und 2005)55, so lässt sich das politische Handeln eines Individuums nicht vollkommen auf institutionelle Regeln und strukturelle Umweltzwänge zurückführen, sondern im Zusammenwirken von Handlungsorientierungen (Wahrnehmungen und Präferenzen, z.B. rationale Eigennutzmaximierung), institutionellen Rahmenbedingungen und Ak54
Konzern im Sinne der Gesamterfassung des Vermögens und der Konzernbilanz. Zu normativen, personenzentrierten und strukturzentrierten Ansätzen in der Leadership-Forschung vgl. Helms 2000.
55
56
2 Theoretische Ansätze
teurskonstellationen erklären (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000). Strategische Handlungsfähigkeit wird dabei verstanden als Fähigkeit, (unterschiedliche) Präferenzen zu integrieren und eine Kohärenz der kognitiven Orientierungen (Problemsichten, Weltbilder) herzustellen (Scharpf 2000: 108). Für den Ansatz ist kennzeichnend, „dass er den strategischen Handlungen und Interaktionen zweckgerichteter Akteure dieselbe Bedeutung zumisst wie den ermöglichenden, beschränkenden und prägenden Effekten gegebener (aber veränderbarer) institutioneller Strukturen und institutionalisierter Normen“ (Scharpf 2000: 72; Hervorhebung durch Verfasser). Danach operieren exekutive „Führer“ innerhalb eines bestimmten Umfeldes, welches deren Handlungsspielraum begrenzt (gleichsam einem „Schachbrett“, auf dem ein Akteur spielt; Blondel 1987: 27) und zugleich deren Ambitionen und Verhalten nachhaltig prägt. Aber handelnde Personen sind in diesem Konzept nicht vollständig von ihrer Außenwelt determiniert (Helms 2000: 420). Persönliche Führungsstile werden so innerhalb eines politischinstitutionellen „Handlungskorridors“ (Schmidt 1997b: 214) wirksam. Auch dieser ist nicht hermetisch geschlossen, sondern er verfügt – je nach Lage der Umstände – über unterschiedlich beschaffene und oft nicht vorhersehbare windows of opportunity (Helms 2000: 421), die verschieden genutzt werden können. Dies wirft die Frage nach regierungs- bzw. verwaltungsinternen Koordinationsprozessen bzw. den Interaktionsformen der Akteure auf. Nach Scharpf (2000: 91) können folgende Interaktionsformen innerhalb eines institutionellen Kontextes unterschieden werden: Einseitiges Handeln, Verhandlung, Mehrheitsentscheidung und hierarchische Steuerung. Der letztgenannten Interaktionsform folgt der Ansatz der Zentralisierung von Haushaltspolitik. Sein Grundgedanke geht vom Allmendeproblem (Ostrom 1999) aus. Danach setzt sich der Haushalt bald aus der Summe der einzelnen Forderungen unterschiedlicher Interessen56 zusammen, wenn keine Institutionen bestehen, die den Zugriff auf das Budget beschränken (Seils 2005). Kerngedanke der Zentralisierung von Haushaltspolitik ist also, dass eine ausgeprägte Hierarchie im Budgetprozess (von Hagen/Harden 1996) sowie starke Finanzminister bzw. Regierungschefs (von Hagen 1992) dämpfend auf Haushaltsdefizite wirken, da diese Konfigurationen bzw. Institutionen geringe Verschuldensanreize bieten bzw. dem Einfluss von Sonderinteressen weniger stark ausgesetzt sind. Konsolidierungsimpulse können in der repräsentativen Demokratie danach nur von den Finanzministern bzw. Kämmerern und den Verwaltungs- bzw. Regierungschefs ausgehen, von denen aufgrund ihrer institutionell zugewiesenen Positionen und Kompetenzen eine Eindämmung der Übernutzung des Budgets erwartet werden kann (Vetter/Holtkamp 2008). 56
Gesellschaftliche Interessengruppen, Parteien im Parlament (insbesondere bei stark ausgeprägtem Parteienwettbewerb) und einzelne Ressortminister
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
57
Aaron Wildavsky beschrieb 1984 den extrem dezentralen, pluralistischen und eigentlich anarchischen Budgetierungsprozess im US-Kongress. Spezialisierung ist dabei die Grundlage von Macht (Wildavsky 1984: 225): „Without specialization there is no knowledge, and without knowledge there is no power.” Ausgabenkontrolle, und damit die Brechung von Spezialistenmacht, kann danach nur durch generelle Deckelung, durch positive Koordinierung erfolgen: „To increase spending, no coordination is nessecary, to decrease it, an amount“ (Wildavsky 1984: 249). Jürgen von Hagen kommt in seiner Studie „Budgeting Procedures and Fiscal Performances in the European Communities“ (1992) ebenfalls zu dem Ergebnis, dass neben der Bedeutung des Parlaments ein starker Premierminister bzw. ein mächtiger Finanzminister eine wichtige Rolle bei der Budgetkonsolidierung spielen. Sie können Themen auf die Tagesordnung setzen, Ansprüche abwehren und die Verhandlungen zwischen Ministern moderieren bzw. entscheiden. Von Hagen fasst das Ergebnis so zusammen: „Specifically, our results suggest that a budgeting process lending the prime or finance (or treasury) minister a position of strategic dominance over the spending ministers, limiting the amendment power of parliament, and limiting changes in the budget during the execution process is strongly conducive to fiscal discipline” (von Hagen 1992: 2).
Bezogen auf den konkreten Budgetierungsprozess kommen von Hagen/Harden (1996) gleichfalls zu dem Schluss, dass die Ausstattung des Finanzministers mit besonderen Befugnissen gegenüber den Fachministern einer Überdehnung des Budgets entgegenwirken kann: „One way to introduce centralization is to create a dominant player in the budget process, usually the finance minister, who is vested with strategic prerogatives over the spending ministers“ (von Hagen/Harden 1996: iii).
Auf die Bedeutung stringenter Finanzregeln zur Beförderung von Haushaltsdisziplin weist auch die Untersuchung von Hallerberg/Strauch/von Hagen (2004) hin, die sich mit der Finanzpolitik der EU-Staaten beschäftigt. Seils (2005: 790) zieht daher folgendes Fazit: „Als institutionelle Vorkehrungen zur Vermeidung des Allmendeproblems können ein überdurchschnittlich starker Premierminister und ein eher überdurchschnittlich starker Finanzminister gelten, die die Begehrlichkeiten der Fachminister unter Kontrolle halten.“
58
2 Theoretische Ansätze
Aus materieller Perspektive erscheint der hierarchische Interaktionsmodus also „implizit oder explizit als höchst erstrebenswert, da er die Transaktionskosten57 abgestimmten Handelns verringert und daher die Möglichkeit eröffnet, politische Entscheidungen aus einer inklusiven, wohlfahrtsmaximierenden Perspektive zu koordinieren“ (Scharpf 2000: 283). Gleichwohl stößt auch die hierarchische Steuerung an ihre Grenzen, begegnet sie doch einem Motivationsproblem (Scharpf 2000: 293 ff.) und einem Informationsproblem (Scharpf 2000: 286 ff.): „Aber selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die hierarchische Koordination die ihr zugeschriebenen positiven Wohlfahrtseffekte nur erzielen, wenn davon ausgegangen wird, dass die Inhaber hierarchischer Autoritätspositionen dem Ideal des wohlwollenden und allwissenden Diktators entsprechen: Sie dürfen ihre Macht nur zur Wohlfahrtsmaximierung und zur Sicherung der Verteilungsgerechtigkeit einsetzen, und nicht zur Maximierung ihres eigenen Vorteils; und sie müssen alle dafür notwendigen Informationen gewinnen und richtig verarbeiten können.“ (Scharpf 2000: 286)
Aus den Arbeiten von Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf ist bekannt, dass positive Koordination, das heißt die gemeinsame Entwicklung von Politikentwürfen (problemsolving) bzw. die Maximierung aggregierter Wohlfahrtseffekte durch hierarchische Koordination (Scharpf 1993b: 69) schnell an die Grenzen der Informationsverarbeitung und Konfliktlösungsfähigkeit von Organisationen stößt (Mayntz 1993: 48). Vorherrschender Modus ist stattdessen die negative Koordination, d.h. das effiziente Abarbeiten von Einwänden gegen Politikentwürfe (bargaining, Interessenausgleich) bzw. die Vermeidung von Störungen (Scharpf 1993b: 69). Hierarchisierung von haushaltspolitischen Entscheidungen wird aber nur durch positive Koordination wirksam unterstützt. Haushaltskonsolidierung muss demzufolge zur „Chefsache“ gemacht werden. Im 1982 von der KGSt entwickelten Reformleitbild zur Haushaltskonsolidierung58 wurde denn auch zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise eine hierarchisch gesteuerte, intransparente „Leistungsausdünnung“ vorgeschlagen. Sparvorschläge sollten von der Verwaltungsführung und den Querschnittsämtern, weniger von den Fachverwaltungen und dem Stadtrat, erarbeitet werden. Kürzungspakete sollten unter Zeitdruck und strenger Kontrolle durch die Fachämter umgesetzt werden, um den Einfluss der „Basis-Fachkoalitionen“ (Banner 1984) zurückzudrängen. Klar wurde herausgestellt, dass Haushaltskonsolidierung vor allem vom energischen Eingreifen des Verwaltungschefs abhängt (Holtkamp 2008b: 266; Bogumil/Ebinger 57
Transaktionskosten sind alle bei einer Koordination anfallenden Informations-, Anbahnungs-, Anpassungs- und Kontrollkosten (Naschold/Bogumil 2000: 292); vgl. auch Fußnote 42. 58 KGSt, Haushaltskonsolidierung durch Aufgabenkritik, KGSt-Bericht Nr. 14/1982
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
59
2008: 286). Um begrenzte Informations- und Konfliktregelungskapazitäten hierarchischer Steuerung auszugleichen, bieten sich insbesondere inkrementalistische Sparansätze an, die sich an der Rasenmähermethode orientieren (Holtkamp 2008b: 275)59: „Insgesamt ist also zu erwarten, dass effizienzorientierte Verwaltungsreformen dann erfolgreich sind, wenn sie auf hierarchische und auf inkrementalistische, intransparente Sparansätze abzielen, wobei die hierarchische Steuerung weiterhin durch Verhandlungen mit den Fachverwaltungen ergänzt wird.“ (Holtkamp 2008b: 263)
In Anbetracht der sozialen Vorteile hierarchischer Koordination dürfen jedoch auch die Voraussetzungen für eine effektive Ausübung hierarchischer Autorität nicht vernachlässigt werden (Scharpf 2000: 285). Das variierende Amtsverständnis und das politische Bekenntnis (commitment) zur Konsolidierung sind hier von entscheidender Bedeutung (Wagschal 2006a: 126, 189). In seiner international vergleichenden Analyse erfolgreicher Budgetkonsolidierungen in der OECDStaatengruppe hat Uwe Wagschal die Persönlichkeit von Regierungschefs bzw. Finanzministern als einen Erklärungsansatz ausgemacht. Er identifizierte in seiner Studie insbesondere sozialdemokratisch ausgerichtete OECD-Staaten (Schweden, Dänemark), die mithilfe starker Politikerpersönlichkeiten ihre Staatsfinanzen in Ordnung gebracht und die öffentlichen Haushalte konsolidiert haben. Wenn sich Politiker dem Konsolidierungsziel verschreiben, öffentlich dazu Stellung beziehen und die Reformen konsequent durchsetzen, werde dies auch von den Wählern honoriert (Wagschal 2006a). Die formale Stellung in der Hierarchie darf also nicht mit realer Macht verwechselt werden. Handlungsressourcen60 bilden nur einen Teil der Voraussetzungen für politische Macht61, welche auch von den persönlichen Führungs- bzw. Handlungsfähigkeiten eines Amtsinhabers sowie der Konfiguration der im konkreten Fall wirksamen Kontextbedingungen62 abhängen. Die Präferenzen des Bürgermeisters, d.h. seine Eigeninteressen und die normativen Rollenerwartungen an seine Position, ergeben sich nicht allein aus der kommunalverfassungsmäßigen Zuweisung von Kompetenzen und Entscheidungsrechten - wie es Gerhard Banner angenommen hatte -, sondern sie können beträchtlich 59 Kurzfristige Hierarchisierung kann zu „handstreichartigen“ Reformerfolgen führen; zur nachhaltigen Veränderung von Prozessen und Handlungsmustern stößt eine kurzfristige Hierarchisierung allerdings schnell an ihre Grenzen (Bogumil/Ebinger 2008). 60 Wichtigste Handlungsressourcen im Kontext der policy-Forschung sind institutionelle Regeln, durch die Kompetenzen zugewiesen und Partizipationsrechte, Vetorechte und das Recht zur autonomen Entscheidung für bestimmte Fragen verliehen oder beschränkt werden (Scharpf 2000: 86). 61 „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1992: 38). 62 Im Falle von Bürgermeistern z.B. Vetospieler (Kommunalaufsicht) oder Kohabitationen.
60
2 Theoretische Ansätze
variieren. Für Arzberger (1980: 23) basiert die Durchsetzung von Macht auf verschiedenen Ressourcen:
physische und psychische, individuelle Persönlichkeitsmerkmale,63 bestimmtes Fachwissen (Expertise), bestimmte Fertigkeiten und Fähigkeiten, Verfügungsgewalt über finanzielle Mittel und andere Güter, Inhaberschaft bestimmter Ämter.
Hinweise auf die Bedeutung individueller Führungsleistung finden sich sporadisch in der kommunalwissenschaftlichen Literatur. So weist z.B. Häußermann darauf hin, dass sich die individuelle Qualifikation der kommunalen Manager auswirkt, wenn es darum geht, die vielfältigen Fördermöglichkeiten überörtlicher Ebenen für Investitionen auszunutzen (Häußermann 1991a: 82). Rickards konstatiert den Faktor „Persönlichkeit“ als ursächlich für Haushaltsverschiebungen (neben Parteienpolitik, Regierungswechsel, Wahlzyklen der Legislative und strategischem Verhandeln zwischen den am Haushaltsprozess beteiligten Personen), weil sich sonst, unter Annahme eines inkrementalen Haushaltsverhaltens, „die proportionale Zusammensetzung der Einnahmen und Ausgaben über Zeit kaum verändern würde“ (Rickards 1998: 138). Reschl weist bei seiner Analyse der Wohnungsbaupolitik in baden-württembergischen Großstädten auf die zentrale Bedeutung der Initiativfunktion des Oberbürgermeisters in diesem Politikfeld hin (Reschl 1987: 17), und Banner betont das persönliche Engagement und das aktive Eintreten der Verwaltungsführung – und besonders des Bürgermeisters oder Landrates - für die Verwaltungsmodernisierung (Banner 2005: 4, 2006b: 254; mit Bezug auf Reformen auch Wagschal 2006b: 64).64 In Bezug auf Stadtentwicklungspolitik weisen Sack/Gissendanner darauf hin, dass „lokales Regieren“ zunehmend von den jeweiligen Führungsqualitäten der Bürgermeister bestimmt wird und begründen dies mit unsicher werdender politischer Legitimation aufgrund sinkender Wahlbeteiligung in den Kommunen, zunehmender Ausdifferen63
Der CDU-Parteivorsitzende der Stadt A rekurrierte auf diesen Gedanken und führte im Interview in Bezug auf die Führungspersönlichkeit des SPD-Bürgermeisters folgendes aus (Interview 5): „Er ist groß! Ein stattlicher, großer Kerl. Das sind die Führungspersönlichkeiten, die eigentlichen. (…) Unter dem Gesichtspunkt sieht man das vielleicht gar nicht, aber es ist doch das Herausragende.“ 64 Dass das Eintreten für Verwaltungsmodernisierung auch eine Frage der Alterskohorte ist, der ein Bürgermeister angehört, darauf weisen Bogumil/Heinelt (2005: 10) hin: Bürgermeister mit einem SPD-Parteibuch, die der 68-er Generation angehören, haben ein anderes Demokratieverständnis und eine andere Haltung zur Verwaltungsmodernisierung. Darin unterscheiden sie sich sowohl gegenüber jüngeren SPD-Bürgermeistern als auch gegenüber ihren CDU-Amtskollegen oder Bürgermeistern, die keiner Partei angehören. „Generationslagen“ strukturieren sowohl das Denken als auch das Handeln der Akteure (Egner/Heinelt 2005: 148).
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
61
zierung (Kommunalisierung) des lokalen Parteiensystems sowie mit organisatorischer Dezentralisierung, Privatisierung und polyzentraler aufgabenspezifischer Netzwerkbildung (Sack/Gissendanner 2007). Betrachtet man die lokale Haushaltspolitik, so erwartet Holtkamp (2007a: 3, 20), „dass sich Konsolidierungseffekte ergeben, wenn sich der Verwaltungschef selbst stark in die Haushaltspolitik einbringt. Insbesondere wirkt dies disziplinierend auf die Autonomiebestrebungen und Ausgabenwünsche der Fachbereiche.“ Insbesondere Gerhard Banner sprach sich aus institutionalistischer Perspektive für den direkt gewählten Bürgermeister als „Garant[en] für eine sparsame Haushaltspolitik“ aus. Die Durchsetzungsfähigkeit des Bürgermeisters in Haushaltskonsolidierungsprozessen ist denn auch ein zentrales Thema der vorliegenden Studie. Für einen nordrhein-westfälischen Bürgermeister, so die These von Lars Holtkamp (2000), ist die Haushaltskonsolidierung allerdings keine sinnvolle Stimmenmaximierungsstrategie und kein Profilierungsfeld, so dass die Monospitze (Direktwahl des Bürgermeisters) in NRW zu weniger Konsolidierungserfolgen führt als die frühere Doppelspitze (hauptamtlicher Stadtdirektor, ehrenamtlicher ratsgewählter Bürgermeister). Möglicherweise laufen Konsolidierungsprozesse aber doch auf den Bürgermeister zu, weil nur er aufgrund seiner institutionellen Position Effizienzsteigerungen erreichen kann. Dies ist eine der in dieser Dissertation zu beantwortenden Fragen. Im Gegensatz zu den pessimistischen Annahmen von Holtkamp steht der idealtypische verwaltungsprofessionelle baden-württembergische Bürgermeister: hier wird Sparsamkeit vom Wähler honoriert, wie Wehling nicht müde wird zu betonen (1985, 1989, 2003a, 2003b, 2008; Wehling/Siewert 1984). In seinen neueren Publikationen thematisiert Gerhard Banner die Fragen von Führungswollen und Führungskönnen in Bezug auf die Vermeidung von Haushaltsdefiziten (Banner 2005, 2006a, 2006b, 2007). Defizitäre Haushaltssituationen in NRW führt er einerseits auf das nach wie vor nicht optimale und insofern pfadabhängige Institutionenarrangement der Kommunalverfassung („Reförmchen“), andererseits auf eine „Professionalisierungslücke an der Spitze“ 65 (Banner 2006a: 65) zurück. Die alte Gemeindeordnung wirke nach wie vor in den Köpfen nach, so dass sich die Aufstellung von Bürgermeisterkandidaten durch die Parteien an politischen Kriterien und weniger daran orientiere, dass der Bürgermeister als Manager eine Verwaltung leiten muss. Hier werde häufig das Argument vorgebracht, der Bürgermeister finde im Rathaus den nötigen Sachverstand schon vor66 65 Die GO NRW knüpft keine formale Qualifikation an das Bürgermeisteramt. Nach Absicht des Gesetzgebers soll es „Jedermann“ offen stehen. Die Befürworter der Reform ließen sich von der Vorstellung leiten, der Bürger wähle schon einen geeigneten Kandidaten oder eine geeignete Kandidatin in das Amt (Nienaber 2004). 66 Dieses Argument wurde auch in den kommunalen Interviews, die der Verfasser gemacht hat, immer wieder vorgebracht, insbesondere in Bezug auf politikzentrierte Bürgermeister. Nach dem Grundverständnis, das dieser Dissertation zugrunde liegt, kann aber Sachverstand innerhalb der Verwaltung die
62
2 Theoretische Ansätze
bzw. die Wähler hätten das notwendige Gespür dafür, ob jemand die hinreichende Qualifikation für die Ausfüllung des Amtes (Nienaber 2004: 198) hat. Ferner bewertet Banner die Kopplung der Amtszeit des Bürgermeisters an die Ratsperiode als starke politische Abhängigkeit.67 Für ihn führt die Nachwirkung der alten zweigleisigen Kommunalverfassung in NRW sogar zu mehr Unprofessionalität und hinter die Positionen des ehemaligen Stadtdirektors, dem „natürlichen Steuerungspolitiker“ nach der alten GO, zurück (Banner 2006b: 60). Idealbild ist für Banner nach wie vor die baden-württembergische Gemeindeordnung, in der der Bürgermeister aufgrund seiner starken Position („Spinne im Netz“; Wehling 1985: 185)68 verhindern kann, dass der Haushalt entgleist, und dies auch aus eigenem Interesse tut, da die Bürgerinnen und Bürger dies von ihm erwarten und bei Wahlen honorieren (Wehling 2003a: 26).69 Dass sich die Qualität der personalen Führung durch den Bürgermeister auf die Leistung der Kommune auswirke, „leuchtet intuitiv ein, lässt sich oft genug an konkreten lokalen Ereignissen und Entscheidungen festmachen und ist daher, anders als im Fall der führungsorganisatorischen Rahmenbedingungen, kaum umstritten“ (Banner 2006a: 65). Seiner Ansicht nach sind in NRW nach der GOReform vielfach Politiker/innen mit unterschiedlicher Verwaltungsführungserfahrung in einer Organisation auf die Bürgermeistersessel gelangt.70 Einige dieser Bürgermeister und Bürgermeisterinnen erwiesen sich „als Glücksfall für ihre Expertise des Bürgermeisters in Fragen der Haushaltskonsolidierung nur unzureichend ersetzen, zumal immer mit Vetopositionen zu rechnen ist. 67 Mit der GO-Reform 2007 hat eine Entkopplung stattgefunden. Der Bürgermeister wird erstmals 2009 auf 6 Jahre (statt 5 wie der Rat) gewählt. Vgl. zur Entkopplung von Rats- und Bürgermeisterlegitimation und ihre mögliche Auswirkung auf Konsolidierungsprozesse auch Ziffer 7.3. 68 Das Bild des Bürgermeisters in Baden-Württemberg wird geprägt durch Rechtsstellung, Rolle, Sozialprofil, fachliche Leistung, Unabhängigkeit und Bürgernähe (Wehling 1985: 175 f.; 1989: 227). Jedoch gibt es innerhalb des Bundeslandes (Württemberg und Baden) Wahrnehmungsunterschiede, was auf die Varianz regionaler politischer Kultur verweist (Holtkamp 2008a: 113). 69 Für NRW gilt dies – wie schon erwähnt - nur mit Einschränkungen. Direkt gewählte Bürgermeister, die einen scharfen Sparkurs fahren, machen sich Feinde bei Vereinen, freien Trägern und einzelnen Bevölkerungsgruppen (z.B. Hausbesitzern oder beitragspflichtigen Eltern von Kindergartenkindern), so dass aus Sicht der NPÖ dieses Verhalten nicht sinnvoll ist, zumal die Positionen der Bürger zu Sparmaßnahmen durchaus ambivalent bis ablehnend sind (Holtkamp 2002b). Sinnvoll aus Sicht des Bürgermeisters ist aber die Verhinderung eines Haushaltssicherungskonzeptes, wie sich in den Interviews im Rahmen dieser Dissertation deutlich (z.B. in der Stadt B) gezeigt hat. 70 Bei der Kommunalwahl 1999 kamen in den NRW-Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern 48,6 Prozent der Bürgermeister aus der Verwaltung und 41,7 Prozent aus der Kommunalpolitik. Die entsprechenden Zahlen für Baden-Württemberg lauten 61,5 Prozent und 13,8 Prozent (Gehne/Holtkamp 2005: 118). Gissendanner ordnet in einer Studie über Rekrutierung, Wahl und Wirkung direkt gewählter Bürgermeister in Niedersachsen folgende bundesländerspezifischen „Bürgermeister-Typen“ zu: in Baden-Württemberg dominiert der unabhängige Verwaltungsfachmann, in NRW der parteiorientierte Bürgermeister, in Niedersachsen als Zwischenposition der „Verwaltungsfachmann mit parteipolitischem Profil“ (Gissendanner 2005: 101).
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
63
Kommune“, andere jedoch als „krasse Fehlbesetzung“ (Banner 2006b: 269). Die Letztgenannten fühlten sich zwar in ihrer Repräsentantenrolle wohl (so auch Bovermann 1999: 298), empfänden ihr Hauptgeschäft, die Verwaltungsleitung, hingegen oft als Last (Banner 2006a). Bürgermeister aus der Kommunalpolitik (im Folgenden: politikzentrierte Bürgermeister) seien weniger an Haushaltskonsolidierung und Personaleinsparung interessiert, weil für sie im Gegensatz zu den gelernten Kommunalverwaltungsbeamten bzw. Juristen (verwaltungszentrierte Bürgermeister71) rechtliche Normen wie der Haushaltsausgleich keine stark bindende Bedeutung haben. Sie stehen eher für demokratisierende Effekte aus ihrer Amtstätigkeit und weniger für Effizienz (Nienaber 2004: 237; im Ergebnis auch Bovermann 1999: 285). Im Umkehrfalle wird davon ausgegangen, dass Bürgermeister mit juristischer Ausbildung den Haushaltsausgleich eher als bindende Norm ansehen und ihre Fachkenntnisse/Expertise stärker im Rat und in der Verwaltung durchsetzen können. Verwaltungszentrierte Bürgermeister haben überwiegend bürokratisches Problemlösungsverhalten und daher eine stärkere Verwaltungsorientierung und bringen dies auch in ihre Tätigkeit mit ein (Gabriel 1984: 20 f., 125). Und Nienaber (2004: 200) stellt fest: „Es deutet sich hier (…) an, dass Nicht-Fachleute in der Vergangenheit verhältnismäßig viel häufiger ein Problem nicht erkannt haben als Experten in den Bürgermeistersesseln und sich so stärker der Gefahr rechtswidriger Ratsentscheidungen aussetzen.“
Neben den institutionellen Rahmenbedingungen und dem hierdurch ausgehenden Zentralisierungsimpuls wird es folglich auf die wichtige Rolle des Bürgermeisters im Haushaltskonsolidierungsprozess ankommen. Fehlt es am motivationalen Aspekt, dem Führungswollen (Präferenz zur Haushaltskonsolidierung), „ist die Haushaltskrise programmiert“ (Banner 2007). Die Effizienzorientierung kann auch nur eingeschränkt durch die Kommunalaufsicht ersetzt werden, da diese nur über begrenzte Zeit- und Informationsverarbeitungskapazitäten verfügt (Bogumil/Holtkamp 2006: 141).72 Dagegen lasse sich, so Gerhard Banner (2007), fehlendes Führungskönnen („Wissen“) im Bereich der Haushaltswirtschaft „teilweise entschuldigen“: Der eigene Haushalt ist nicht immer transparent und das kamerale 71
Gerhard Banner schlug in der Korrespondenz mit dem Verfasser das Gegensatzpaar: „exekutivzentriert – vertretungszentriert“ vor, da auch ein „verwaltungszentrierter“ Bürgermeister „Politiker“ sein müsse, um seine Ziele durchzusetzen, dem „politikzentrierten“ Bürgermeister aber etwas fehlt: nämlich die Nähe zur Verwaltung. Obwohl diese Argumentationsfigur einiges abzugewinnen ist, hat sich der Verfasser dazu entschlossen, bei der „hergebrachten“ Terminologie zu bleiben, um die begriffliche Kontinuität in der Forschung (z.B. Bovermann 1999, Holtkamp/Gehne 2002) zu wahren. 72 Aber auch der „beratende Sparkommissar“ (zum Begriff vgl. Fußnote 206), der im Auftrag der Aufsicht vor Ort sehr viel „näher dran“ ist, ist keineswegs a priori erfolgreich, wie das Fallbeispiel E (Kapitel 6.3.1) eindrucksvoll belegt.
64
2 Theoretische Ansätze
Haushaltssystem für „Laien“ nicht gut durchschaubar; er kann nicht immer erkennen, an welchen Stellen (Einnahmen/Ausgaben) die Kommune unwirtschaftlich arbeitet. „Wissen“ variiert aber mit der Vorposition des Bürgermeisters. Als „passive“ Voraussetzung für eine erfolgreiche Haushaltskonsolidierung ist eine verwaltungsspezifische Ausbildung der Amtsinhaber von Vorteil. Hinzu kommt die Durchsetzungsfähigkeit des Bürgermeisters in mikropolitischen Prozessen vor Ort („aktive“ Voraussetzung), insbesondere gegenüber der Mehrheitsfraktion und in der Verwaltung.73 Unter mikropolitischen Gesichtspunkten kommt dem Bürgermeister als handelnder Person deshalb eine besondere Bedeutung zu, als Führer im Rat, als Chef der Verwaltung und als Machtzentrum in der Mehrheitsfraktion. Nur wer es schafft, seine Interessen durchzusetzen und theoretische Macht in praktisches Handeln zu übertragen, wird letztlich Erfolg haben. Der Bürgermeister muss sich, so ist anzunehmen und im Fortgang der Analyse zu belegen, als „Anführer“ einer Koalition von Generalisten (Bürgermeister, Kämmerer, Vorsitzender der Mehrheitsfraktion) verstehen, der die Haushaltskonsolidierung zur Chefsache erklärt, über Fachwissen und Durchsetzungsfähigkeit verfügt und Entscheidungsprozesse hierarchisiert und positiv koordiniert.74 Hierarchische Durchsetzung von Haushaltskonsolidierung erfordert jedoch erhebliche Anforderungen an die Intervention und Kontrolle. Nur so lässt sich der systematischen Überlegenheit von Spezialisten wirkungsvoll begegnen (vgl. hierzu ausführlich Ziffer 2.3.2). Die folgende Abbildung soll die Zusammenhänge noch einmal verdeutlichen:
73
Überall (2008: 45) nennt dieses Führungskönnen in Form von Überzeugung „KommunikationsKönnen“. 74 Bogumil/Ebinger (2008: 284) schildern den Fall einer erfolgreichen Reformkoalition zur „Großen Verwaltungsreform“ in Baden-Württemberg. Dort verband sich der seinerzeitige Ministerpräsident Teufel, ein ehemaliger Bürgermeister, mit den Landräten und den Regierungspräsidenten gegen die Ministerialbürokratie und deren nachgeordnete Geschäftsbereiche.
2.3 Institutionelle Ansätze (Können) Abbildung 1:
65
Zentralisierung der Haushaltspolitik (eigene Darstellung) Verwaltungsführungserfahrung
Führungswollen
Führungskönnen
Vorposition: Vorposition:
• Präferenz
• Fachwissen/Expertise • Normorientierung
• Konsolidierungswille Überzeugungsfähigkeit
Kohabitationen, das sind die Konstellationen, in denen das Parteibuch des Bürgermeisters von der Couleur der Ratsmehrheit abweicht oder in denen ein parteiloser Bürgermeister einer politischen Ratsmehrheit gegenübersteht, können tendenziell zu erheblichen Reibungsverlusten zwischen Rat und Bürgermeister führen (Holtkamp 2005: 31). In Kohabitationskonstellationen können sich Bürgermeister nur schwer behaupten und gerade die Drohung mit dem Rückholrecht macht den Bürgermeister abhängiger vom Rat (Nienaber 2004: 157). Aufgrund der in der NRW-Kommunalverfassung angelegten Blockadesituationen und konkurrenzdemokratischen Muster kann – so ist zu vermuten - der Bürgermeister in diesen Fällen keine so dominante Rolle spielen (Bogumil/Heinelt 2005: 8). Die vorliegende Dissertation wurde daher um den Fall eines verwaltungszentrierten, parteilosen Bürgermeisters erweitert (siehe Fallkommune E). Zusammenfassend lässt sich der hier gewählte Untersuchungsansatz als Weiterentwicklung der Banner-These aus neo-institutionalistischer Perspektive begreifen, wonach nicht die Kommunalverfassung unmittelbar Einfluss auf Haushaltsergebnisse hat, sondern vermittelt durch das Handeln des Bürgermeisters im konstitutionellen und sozioökonomischen Kontext. Trotz gleicher institutioneller Gegebenheiten (Gemeindeordnung) und ähnlicher sozioökonomischer Strukturen können sich so in Städten verschiedene Problemsichten, Handlungsorientierungen und politische Strategien herausbilden. Zu untersuchen wird sein, ob sich daraus unterschiedliche policy-outputs erklären lassen.
66 2.3.4
2 Theoretische Ansätze Der Bürgermeister als zentraler haushaltspolitischer Akteur
Die folgenden Forschungsergebnisse betreffen die Vorposition, die Nominierungsphase und die Machtposition des Bürgermeisters (Regierungsphase).75 Grauhan untersuchte 1970 die Auswahl und Stellung von Oberbürgermeistern in einzelnen Ländern der alten Bundesrepublik, die in ihrer Kommunalverfassung direkt oder indirekt gewählte hauptamtliche Bürgermeister hatten; vom Rat gewählte Hauptverwaltungsbeamte wie damals in NRW wurden nicht einbezogen. Der Wahlmodus galt als das zentrale Unterscheidungsmerkmal. Ziel der qualitativen Studie war es, aus der demokratietheoretischen Debatte der 1970-er Jahre heraus ein Modell der politischen Verwaltungsführung zu entwickeln (Grauhan 1970).76 Hinsichtlich der Frage, ob die Verwaltungsleitung segmentiert oder zentralisiert ist, ließ sich kein eindeutiger Zusammenhang zum Verfassungstyp herstellen. Entscheidender waren das Ausmaß des Parteieneinflusses, die Mehrheitsverhältnisse im Rat, die Parteizugehörigkeit des Oberbürgermeisters sowie sein Rollenbild entweder als zentraler Politiker oder als „Mann des Ausgleichs“ und „Zeremonienmeisters im Rat“ (Grauhan 1970: 325 ff.). In den so genannten Wertheimstudien (Ellwein/Zimpel 1969; Ellwein/Zoll 1982) haben Thomas Ellwein und Mitarbeiter die Stellung des direkt gewählten Bürgermeisters in der baden-württembergischen Kleinstadt zu zwei Zeitpunkten untersucht. Während 1969 die überlegene Position des SPD-Bürgermeisters bei geringer prozeduraler Parteipolitisierung herausgearbeitet werden konnte, hatten sich die Verhältnisse zum zweiten Untersuchungszeitpunkt aufgrund der durch Gebietsreform deutlich gestiegenen Gemeindegröße gravierend verändert. Es wurde ein zunehmendes Maß an prozeduraler Parteipolitisierung und weniger
75
Zur Differenzierung von Nominierungs-, Wahlkampf-, Wahl- und Regierungsphase vgl. ausführlich Holtkamp 2008a. 76 Grauhan (1969) unterschied zunächst das Modell legislatorischer Programmsteuerung, das der Vertretungskörperschaft (Rat) alle Entscheidungsbefugnisse zuweist und die Verwaltung auf eine ausführende Rolle festlegt. Trotz einiger Abweichungen spiegelte die dualistische NRWGemeindeordnung diesen Kerngedanken wider (Schulenburg 1999: 3). Anders verhält es sich beim Modell der exekutiven Führerschaft: Hier dient der Rat eher als Beratungs- oder sogar lediglich als Akklamationsgremium. Die Gemeindeführung ist auf den Bürgermeister (Monospitze) konzentriert, der Verwaltungsleitung und Ratsvorsitz in sich vereinigt. Dieser Gedanke findet seinen Niederschlag in der süddeutschen Ratsverfassung und wird als Trend auch für die neue nordrhein-westfälische Gemeindeordnung erkannt (Schulenburg 1999: 318, Nienaber 2004). Drittens unterscheidet Grauhan das korrelative Führungsmodell. Dieses Modell legt das Schwergewicht auf die Reorganisation der Verwaltung im Interesse der Revitalisierung des politischen Prozesses. Dabei unterscheidet es drei Führungsfunktionen: Konzeption und Initiierung von Programmalternativen, Auswahl unter vorauskalkulierten Programmalternativen und Kontrolle der Ausführung beschlossener Programme (zur Kritik vgl. Bogumil 2002: 10 ff.).
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
67
Dominanz des SPD-Bürgermeisters gegenüber der Verwaltung und der CDUMehrheit im Stadtrat konstatiert. Die Vorteile der Süddeutschen Ratsverfassung mit dem volksgewählten Bürgermeister, die Wehling in zahlreichen Veröffentlichungen herausgestellt hat (z.B. Wehling 1985, 1989, 2003a, 2003b, 2008, Wehling/Siewert 1984) und die auch Gerhard Banner zu seinen grundlegenden Thesen zum Zusammenhang von Kommunalverfassung und Effizienz in der Haushaltspolitik veranlasst haben, führen nach Wehlings Auffassung aufgrund der starken Kompetenzausstattung und der direkten demokratischen Legitimation dazu, dass der Bürgermeister zum zentralen Akteur in der Kommunalpolitik wird: „Der Bürgermeister in Baden-Württemberg ist die dominierende Figur im kommunalpolitischen Willensbildungsprozess. Dort, wo alle Fäden zusammenlaufen, sitzt er wie die Spinne im Netz [Hervorhebung im Original; d. Verf.]. Das gilt nicht nur für alle kommunalpolitischen Aktivitäten in der Gemeinde, es betrifft vielmehr alles, was auf seine Gemeinde bezogen ist und hier auf seinem Territorium sich ereignet.“ (Wehling 1985: 185)
Wehling beschreibt aber auch die immer noch von NRW abweichenden Rahmenbedingungen, unter denen die Bürgermeister in Baden-Württemberg agieren: eine ausgeprägte parteipolitische Konkordanz bei häufig parteilosen Bürgermeistern77: „Ihr Verhältnis zu den Parteien bleibt (…) vielfach instrumentell, das heißt ihr parteipolitisches Engagement hält sich in Grenzen“ (Wehling 2008: 10). Bei der Auswahl der Bürgermeister dominieren zu 90 Prozent gelernte Verwaltungsfachleute. „Der Herkunft nach handelt es sich um eine einheimische Elite, aber nicht im Sinne der Ortsbürtigkeit, sondern der regionalen Herkunft nach“ (Wehling 1985: 175).78 Anders als Banner betont Wehling aber auch die Bedeutung des Wahlsystems zum Gemeinderat als wichtigen Erklärungsfaktor für das kommunalpolitische Arrangement in Baden-Württemberg. Das Wahlsystem (Kumulieren und Panaschieren) erleichtere es, die unpolitischen Selektionskriterien der Wähler zum Zuge kommen zu lassen. Mit einem „Rat von Honoratioren“ aber könne der Bürgermeister besser regieren (Wehling 1985: 174). „So ergänzen sich Volkswahl des Bürgermeisters und Wahlsystem zum Gemeinderat in einzigartiger Weise [Hervorhebung im Original; d. Verf.] vor dem Hintergrund der Bürgervorstellung einer unpolitischen Kommunalpolitik, die sich ausschließlich an Sachfragen zu orientieren habe.“ (Wehling 1985: 174)
77
Wobei die Parteimitgliedschaft mit der Ortsgröße ansteigt (Wehling 1985: 178). Zum Sozialprofil von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern vgl. auch die aktuelle Studie der Bertelsmannstiftung (2008). 78
68
2 Theoretische Ansätze
Nach Wehlings Einschätzung sind die Ergebnisse seiner empirischen Studien „nach wie vor gültig“ (Wehling 2007: 8), und nach der Reformwelle der bundesdeutschen Gemeindeordnungen in den 1990-er Jahren postulierte er eine „’EntParteipolitisierung’ von Kommunalpolitik (…) entsprechend dem Vorbild und den Erfahrungen der Länder, die bisher die Süddeutsche Ratsverfassung praktizieren“ (Wehling 2003b: 311). Diese These greift David H. Gehne in seiner Dissertation auf und untersucht ihre Relevanz in Bezug auf NRW (siehe unten). In NRW orientiert sich das Sozialprofil von Bürgermeistern auch nach der GO-Reform noch stark am traditionellen Modell der Doppelspitze: Sie liegen mit ihrem beruflichen Hintergrund eher zwischen ehrenamtlichem Bürgermeister und hauptamtlichem Stadtdirektor. Knapp die Hälfte kommt aus der Politik, die andere aber aus der Verwaltung, mit zunehmender Tendenz. Wehling (2008: 17): „Die mit der Reform angestrebte Professionalisierung setzt sich erst allmählich durch, ebenso wie die gewollte Zurückdrängung von Parteipolitik bei der Besetzung von Bürgermeisterpositionen“. Die Situation in der größten Stadt des Landes, Köln, deren „Verhältnisse“ mit ursächlich waren für die Diskussion um eine reformierte Gemeindeordnung in den 1990-er Jahren, beschreibt Frank Überall in seiner Dissertation (2008: 227) so: „Die mit der Änderung der Gemeindeordnung in NRW beabsichtigte Stärkung des direkt gewählten Oberbürgermeisters als oberster Repräsentant und Verwaltungschef hat dagegen in Köln keine durchgreifenden Änderungen gebracht. An Amtsinhaber Fritz Schramma (CDU) [einem Lehrer; d. Verf.] ist deutlich zu sehen, dass die Struktur alleine nicht ohne die beteiligten Person(en) aussagekräftig ist.“
Die starke Stellung des baden-württembergischen Bürgermeisters kommt auch aus der Studie von Köser/Caspers-Merk (zitiert bei Holtkamp 2008a: 244) zum Ausdruck. Ursächlich hierfür sind nach Aussage der Autoren die starken Kompetenzen, die sich aus der Gemeindeordnung ergeben, der Informationsvorsprung des Bürgermeisters und die begrenzte Rationalität der Ratsmitglieder sowie seine Kontakte zu übergeordneten Behörden. Aber auch ein „Persönlichkeitsmoment“ kommt in der Studie zu Ausdruck: In einigen wenigen der befragten Fälle wurde die Position der Bürgermeister aufgrund persönlicher Führungsschwäche der Amtsinhaber als schwach eingestuft. In seiner Analyse zur Kommunalpolitik in NRW zeigt Voigt (1992), dass sich unter derselben Kommunalverfassung durchaus unterschiedliche Macht- und Entscheidungsstrukturen entwickeln können. Er kommt zu dem Fazit, dass hinsichtlich des Machtpotenzials der Vorentscheidergruppe, d.h. der zentralen Politiker einer Kommune, ein Trend zum Führungspluralismus zu beobachten ist, dass also die Kommunalverfassung die kommunale Entscheidungsstruktur nicht schon determiniert. Die Führungsrolle kommt nicht automatisch dem Verwaltungschef
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
69
zu, häufig muss er sich diese mit anderen Akteuren teilen (Voigt 1992: 9). Er hat drei Varianten des Entscheidungssystems herausgearbeitet:
Exekutive Führerschaft79 (kleine Gemeinden mit einem schwachen Rat, starke Stellung des Gemeindedirektors). Voigt schreibt dieser Variante eine hohe Effizienz der Verwaltung zu (1992:10). Gemäßigter Populismus (eher Großstädte mit SPD-Mehrheit im Rat; der Bürgermeister, der zugleich ein Landtags- oder Bundestagsmandat hat, ist zentraler Steuerungspolitiker) Partei- und Fraktionsherrschaft (Großstadt mit eindeutiger Mehrheit einer Partei, Fraktionsvorsitzender der Mehrheitsfraktion ist zentraler Steuerungspolitiker, wenn er ein Landtags- oder Bundestagsmandat hat). Diese Variante entspricht der Situation, die von Kritikern der norddeutschen Ratsverfassung immer wieder als typisch beschrieben wurde (Kleinfeld 1996: 151). Bei dieser Form der Parteienherrschaft stellt der mächtige Fraktionsvorsitzende sicher, dass dem Oberstadtdirektor Beigeordnete an die Seite gestellt werden, deren Loyalität in kritischen Entscheidungssituationen eher der Fraktions- als der Verwaltungslinie folgt (Voigt 1992: 11).
Die wichtigsten Einflussgrößen sind für Voigt daher die Gemeindegröße und der Einfluss der Parteien: „Ist ihre Bedeutung gering, dann sind die Chancen für den Verwaltungschef besonders hoch, sich zum zentralen Steuerungspolitiker aufzuschwingen. Das wird zusätzlich erleichtert, wenn die Konsensbereitschaft im Rat groß ist. (…) Sobald jedoch der Bürgermeister oder der Chef der Mehrheitsfraktion Unterstützung von anderen politischen Ebenen mobilisieren kann bzw. die Parteien eine ausschlaggebende Rolle in der Stadt spielen, verändert sich dieses Bild z. T. nachhaltig“ (Voigt 1992: 11).
Für ihn war folglich eine Reform in Richtung der Süddeutschen Ratsverfassung, wie sie Gerhard Banner so vehement vertreten hat, nicht zwingend: „Der undifferenzierte Vorwurf, die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung verhindere eine sinnvolle Politiksteuerung auf lokaler Ebene, ist weitgehend überzogen und stellenweise sogar ganz unberechtigt.“ (Voigt 1992: 11)
Und 1994 ergänzt er: „Der Nutzen einer solchen Umgestaltung [der Gemeindeordnung in NRW; d. Verf.] muss vor allem daran gemessen werden, ob und inwieweit es dem lokalen politisch79
Hier verstanden als Vorherrschaft der Verwaltungsspitze (Wehling 2008: 7).
70
2 Theoretische Ansätze administrativen System gelingt, die in der Gemeinde vorhandenen unterschiedlichen (und gleichermaßen legitimen) Interessen zu integrieren und zu koordinieren. Dabei spielt neben einer funktionstauglichen Kommunalverfassung vor allem ein Gesichtspunkt eine Rolle: der ‚Faktor Mensch’!“ (Voigt 1994: 19)
In seiner Habilitationsschrift von 1999 untersucht Rainer Bovermann die Wirkung der Vorposition des Bürgermeisters (verwaltungszentriert/politikzentriert) auf kommunalpolitische Strukturen, Prozesse und Muster. Den Zusammenhang von Mehrheitsverhältnissen im Rat, der Vorposition des Bürgermeisters und dem vorherrschenden Politikmuster (Partei- und Fraktionsherrschaft bzw. exekutive Führerschaft) beschreibt Bovermann folgendermaßen, wobei er Kohabitationsfälle ausdrücklich ausnimmt:
Absolute Ratsmehrheit und kommunalpolitische Vorposition des Bürgermeisters führen zum Teil zu Partei- und Fraktionsherrschaft Relative Ratsmehrheit und Vorposition des Bürgermeisters aus der Verwaltung führen nur zeitlich befristet zu einer exekutiven Führerschaft Unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen nimmt mit einem Bürgermeister aus der Verwaltung die Wahrscheinlichkeit einer exekutiven Führerschaft zu, während bei einem Bürgermeister aus der Politik die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die exekutive Führerschaft je nach Mehrheitsverhältnissen durch Elemente einer Partei- und Fraktionsherrschaft eingeschränkt wird (Bovermann 1999: 306).
Weiterhin trägt der unabhängig von der Veränderung der GO NRW vorhandene Informationsvorsprung des Verwaltungsleiters zur Stärkung des Bürgermeisters bei. Da die Studie von Bovermann noch zu Zeiten ratsgewählter hauptamtlicher Bürgermeister durchgeführt wurde, ist infolge der Direktwahl theoretisch von einer weiteren Stärkung des Bürgermeisters auszugehen (Gehne 2007: 28). Nach der Analyse von Schulenburg (1999) findet man exekutive Führerschaft vor allem in Gemeinden unter 25.000 Einwohnern, während mit zunehmender Gemeindegröße die Fraktions- und Parteiherrschaft an Bedeutung gewinnt. Gemäßigter Populismus, also die Vorherrschaft des ehrenamtlichen Bürgermeisters unter den Bedingungen der „alten Gemeindeordnung“, verteilt sich relativ gleichmäßig über die Gemeindegrößenklassen. Somit dominierte in NRWKommunen mit Monospitze schon vor Durchführung der ersten Direktwahlen „nun eindeutig das Modell der exekutiven Führerschaft“ (Schulenburg 1999: 318). Der Trend zur exekutiven Führerschaft scheint, legt man die Untersuchungen von Bovermann und Schulenburg zugrunde, weitgehend durch die Abschaffung der Doppelspitze ausgelöst worden zu sein und weniger mit der Direktwahl der Bürgermeister zusammenzuhängen.
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
71
Holtkamp analysiert in seiner Dissertation (2000, 2002a) die Auswirkungen von verschiedenen Reformkonzepten (Haushaltssicherungskonzepte, Neues Steuerungsmodell, direkt gewählter Bürgermeister) auf die Haushaltspolitik der NRWKommunen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Ursachen für Haushaltsfehlbeträge zu einem großen Teil auf kommunal kaum gestaltbare Faktoren (z.B. Gemeindegröße80 und Arbeitslosenquote) zurückzuführen sind. Ferner hat er festgestellt, dass die Einführung der Monospitze in NRW – entgegen der Banner-These – nicht zu einer verstärkten Haushaltskonsolidierung auf kommunaler Ebene geführt hat. Ursache hierfür sind zum einen nach wie vor vorhandene Unterschiede in der Kompetenzverteilung in unterschiedlichen Gemeindeordnungen (insbesondere Baden-Württemberg und NRW), zum anderen aus der Neuen Politischen Ökonomie ableitbare mangelnde Spar-Interessen des hauptamtlichen Bürgermeisters (Holtkamp 2000: 265). Auch das von der KGSt postulierte Neue Steuerungsmodell (NSM) und hier insbesondere das Verhältnis von Politik (Konzentration auf die strategische Ebene) und Verwaltung (operative Umsetzung) wird in der Praxis nicht umgesetzt, weil die bipolaren Vorverhandlungen zum HSK zwischen Kämmerer und Aufsicht, die relative Unabhängigkeit des Bürgermeisters gegenüber der Mehrheitsfraktion und die neuen Freiheiten der Fachverwaltungen im Rahmen von Budgetierung ohne adäquate Kontrollstrukturen die Position des Rates in vielen Kommunen schwächen (Holtkamp 2000: 272). Lediglich die HSK-Eingriffe der Kommunalaufsicht haben Effizienzwirkung für den Kommunalhaushalt. In Bezug auf die Position des Bürgermeisters stellt Holtkamp fest, dass insbesondere bei unklaren Mehrheitsverhältnissen aufgrund der größeren Kompetenzen des Rates in NRW im Vergleich zu Baden-Württemberg (Rückholrecht, Personalkompetenzen etc.) und der stärker ausgebildeten Fraktionsdisziplin auch über die Kommunalwahl 1999 hinaus eher nicht mit einer stark dominierenden Stellung des Bürgermeisters zu rechnen ist. Ratsmehrheiten haben unter den Bedingungen der Kohabitation keine großen Anreize, mit dem Bürgermeister zu kooperieren und ihn in die Lage zu versetzen, seine Ziele durchzusetzen (Holtkamp 2002a: 67). Der Bürgermeister hat dann die größten Chancen, zum zentralen Steuerungspolitiker zu werden, wenn er eine „eigene“ Ratsmehrheit hinter sich weiß. Mit der Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW 1999 befasst sich ein Sammelband von Andersen/Bovermann (2002). Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Ruhr-Universität Bochum wurde die erste Bürgermeisterdirektwahl landesweit und in vier Fallstudienkommunen nach vier Aspekten untersucht: 1. Kenntnisnahme, Bewertungen und Einstellungen von Bürgern und 80
Auf den Einfluss der Gemeindegröße auf die Strukturierung von Akteurskonstellationen weist bereits Naßmacher (1989a: 68) hin.
72
2 Theoretische Ansätze
kommunalpolitischen Akteuren zur Kommunalverfassungsreform, insbesondere zur Direktwahl der Bürgermeister; 2. Nominierungsphase der Bürgermeisterkandidaten; 3. Beobachtung und Auswertung des Wahlkampfs; 4. Analyse des Wahlverhaltens. Aus der Analyse der Bürgermeisterkandidaturen (Holtkamp/Gehne 2002) ergab sich, dass der größte Teil der Kandidaten nicht parteiunabhängig war.81 Die meisten Bürgermeisterkandidaten wurden von ihren Parteien nominiert oder zumindest unterstützt und waren auch Mitglied in dieser Partei. Die starke Parteibindung ist Ergebnis parteiinterner Nominierungsprozesse (Holtkamp/Gehne 2002: 87). Hinsichtlich der Frage der Vorposition der Bürgermeisterkandidaten ergibt sich aus der Studie, dass die Anzahl der Kandidaten mit Erfahrung und Vorposition in der Kommunalverwaltung mit der Gemeindegröße sinkt, während der Anteil der Kandidaten mit Erfahrung und Vorposition in der Kommunalpolitik mit steigender Gemeindegröße wächst (Holtkamp/Gehne 2002: 74). Die Autoren kommen zu folgendem Resümee: „Abschließend könnte man also etwas pointierter formulieren, dass die an die Gemeindeordnungsreform geknüpften Hoffnungen und Befürchtungen (unabhängig vom Wählerwillen) nicht eintreffen konnten, weil weder parteiunabhängige Fachleute noch sonderlich populäre [Hervorhebungen im Original; d. Verf.] Kandidaten ohne Verwaltungserfahrung im größeren Ausmaß zur Wahl standen.“ (Holtkamp/Gehne 2002: 88)
Die Beobachtung und Auswertung der Bürgermeister-Wahlkampfphase landesweit und in den Fallstudienstädten hatte zum Ergebnis, dass sich die meisten Parteikandidaten im Wahlkampf nicht deutlich von ihrer Partei abgrenzten (Gehne/Holtkamp 2002: 112), für die Autoren ein Beleg für die (inzwischen aufgegebene) in der Gemeindeordnung verankerte Verbindung zwischen Rats- und Bürgermeisterwahl. Kommunale Haushaltspolitik war in allen untersuchten Städten ein wichtiges Wahlkampfthema, wobei die Vertreter der kreisfreien Städte Vermittlungsprobleme gegenüber den Bürgern sahen (Gehne/Holtkamp 2002:94).82 Bei den Wahlsiegern 1999 hatte knapp ein Viertel Erfahrungen bzw. Vorpositionen im Bereich Kommunalpolitik (ehrenamtliche Bürgermeister eingeschlossen), beinahe dreimal so viele hatten Erfahrungen bzw. Vorpositionen im Bereich 81 So auch schon Schulenburg (1999). Dieser hat in der Übergangsphase von der alten zur neuen Gemeindeordnung (1994 bis 1999) die parteipolitischen Orientierungen der Verwaltungsspitzen (ehrenamtliche Bürgermeister und Stadtdirektoren) in NRW untersucht mit dem Ergebnis, dass fast alle ehrenamtlichen Bürgermeister Mitglied einer Partei waren, die Stadtdirektoren immerhin zu 89,6 %. Insgesamt ist also die Parteimitgliedschaft der Verwaltungsspitze und nicht nur der ehrenamtlichen Bürgermeister bereits vor Einführung der Direktwahl der Bürgermeister weitgehend Realität gewesen in NRW. 82 Mit zunehmender Gemeindegröße nimmt die Identifikation der Bürger zu „ihrer“ Stadt und deren (Haushalts-) Problemen ab (Holtkamp 2002a: 69).
2.3 Institutionelle Ansätze (Können)
73
Kommunalverwaltung (unter Einbeziehung der ehemaligen Stadtdirektoren). Vor allem bei den beiden großen Parteien ergab ein Vergleich der Kandidatenprofile eine deutliche Verschiebung zugunsten der Bewerber, die Erfahrungen/Vorpositionen in der Kommunalverwaltung hatten (Gehne 2002: 228). Das Sozialprofil der Wahlsieger 1999 fasst die Studie wie folgt zusammen: „Die Wahlsieger waren wie die Kandidaten in ihrer Mehrzahl männlich, in den mittleren Jahren, alteingesessen, in ihrer Amtsgemeinde beruflich sowie sozial integriert und lebten in einer ehelichen Gemeinschaft. Sie wiesen ein hohes Bildungsniveau auf und waren weitgehend im öffentlichen Sektor sowie im geringeren Ausmaß im Handels- und Dienstleistungssektor beruflich tätig. Es gab so gut wie keine Wahlsieger, die über keine Erfahrung in der Kommunalpolitik oder –verwaltung verfügten. Knapp 60 % waren bereits vor ihrer Wahl Inhaber einer kommunalen Spitzenposition.“ (Gehne 2002: 232)
Im Rahmen eines Länder vergleichenden Forschungsprojektes zur Bürgerkommune der FernUniversität Hagen (Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003; Bogumil/Holtkamp 2005; Gehne/Holtkamp 2005) wurden im Jahre 2002 alle Bürgermeister und Fraktionsvorsitzenden in Gemeinden über 20.000 Einwohner in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hinsichtlich ihrer Machtposition im kommunalpolitischen Prozess in Fremd- und Selbsteinschätzung befragt. Dabei zeigte sich, dass die Machtposition der Bürgermeister in NRW deutlich geringer ausgeprägt ist als bei ihren Kollegen in Baden-Württemberg. Ursächlich hierfür sind nach wie vor unterschiedliche Kompetenzausstattungen der Gemeindeordnungen. Hinzu kommt, dass in NRW aufgrund der stärker konkurrenzdemokratischen Einstellungen mit einem sehr dominanten Bürgermeister zu rechnen ist, wenn dieser dasselbe Parteibuch hat wie die Ratsmehrheit (Homogenitätskonstellation). Seine Dominanz übersteigt in diesem Fall sogar die des Bürgermeisters in Baden-Württemberg, da es zu einer engen Kooperation mit der Mehrheitsfraktion kommt. In Kohabitationsfällen hingegen ist davon auszugehen, dass der Bürgermeister institutionell blockiert wird und aufgrund konkurrenzdemokratischer Muster keine dominante Rolle spielt. Insgesamt, so das Ergebnis der Studie, gibt es in NRW trotz der „angeglichenen“ Kommunalverfassung eine größere Varianz in der Machtposition des Bürgermeisters als in Baden-Württemberg (Bogumil/Heinelt 2005: 8). In seiner Dissertation: „Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen“ hat David H. Gehne (2007) im Rahmen einer Analyse von Bürgermeister- und Ratswahlen in NRW untersucht, ob es in diesem Bundesland aufgrund des institutionellen Wandels (z.B. Einführung der Direktwahl der Bürgermeister) tatsächlich zu einer Ent-Parteipolitisierung, d.h. zu einer Verringerung des Einflusses der Partei-
74
2 Theoretische Ansätze
en in Bezug auf Kommunalwahlen, wie von Wehling prognostiziert (2003b: 311), kommt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass
bei der Kandidatenauswahl die Parteien in den meisten Städten weiterhin die wichtigsten Akteure waren die Parteibindung der Kandidaten weiterhin wichtig ist; lokale Bekanntheit und Verwaltungskompetenz jedoch an Bedeutung gewinnen die Nominierungsstrategie eigener Kandidaten durch die Parteien von der Gemeindegröße abhängig ist der Anteil parteiunabhängiger Bewerber langsam steigt, jedoch noch deutlich unter dem Anteil parteigebundener Bürgermeister liegt (Gehne 2007: 315 ff.).
Insgesamt gesehen, so Gehne (2007: 321), „bleibt Nordrhein-Westfalen auch nach zwei Runden der Direktwahl der Bürgermeister das ‚Mutterland der Parteipolitisierung’“. Die in diesem Kapitel referierten Forschungsergebnisse bestätigen für NRW einen Fortbestand hoher Parteipolitisierung bei gleichzeitiger Hervorbringung teils prekärer Führungsstrukturen aufgrund der Kommunalverfassungsreform. Unter diesen Bedingungen sollte der Verwaltungsführungserfahrung des Bürgermeisters im Einzelfall eine große Bedeutung (z.B. in Haushaltskonsolidierungsprozessen) zukommen.
2.4
Sozioökonomische Rahmenbedingungen (Müssen)
Es wurde bereits deutlich gemacht, dass sozioökonomische Variablen eine große Erklärungskraft haben, insbesondere auch im Hinblick auf öffentliche Finanzen (Wagschal 2006b: 82). Die Theorie der sozioökonomischen Determination begreift die Staatstätigkeit denn auch vor allem als Reaktion auf strukturelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen. So rücken Anpassungszwänge, die aus der Systemumwelt an die relevanten politischen Entscheidungsträger gerichtet sind und die Reaktionen darauf (das „Müssen“; Schneider/Tenbücken 2004: 103), ins Zentrum der Erklärung von Staatstätigkeit. In der Literatur werden in diesem Zusammenhang folgende Faktoren genannt: Sozialleistungsquote83, Seniorenquote84 (Zöllner 1963: 115; Wilensky 1975) und Arbeitslosenquote (Wagschal 2003: 83
Öffentliche Sozialausgaben in Prozent des BIP (Schmidt/Siegel/Ostheim 2003: 17) Prozentualer Anteil der mindestens 65-jährigen an der Gesamtbevölkerung (Schmidt/Siegel/Ostheim 2003: 17). Die Seniorenquote ist in der Sozialpolitik der „erklärungsmächtigste“ sozioökonomische Faktor (Obinger/Wagschal 2000: 381). 84
2.4 Sozioökonomische Rahmenbedingungen (Müssen)
75
314). Die Sozialleistungsquote nimmt um so eher zu, je schwächer die Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr wächst, je stärker die Arbeitslosenquote in diesem Zeitraum steigt und je höher die Seniorenquote liegt (Obinger/Wagschal 2000: 381). Als besonders belastender exogener Faktor haben sich für die Kommunen in den alten Bundesländern die Kosten der Deutschen Einheit herausgestellt (Schwarting 2003: 47, Holtkamp 2007a: 3). Hinzu kommt als kaum gestaltbarer Faktor die Gemeindegröße (Holtkamp 2000). Der starke Anstieg der Gemeindegröße in NRW in den 1970-er Jahren (Gemeindegebietsreform) wird häufig als entscheidende Ursache für die festzustellende zunehmende Parteipolitisierung angesehen, weshalb in Baden-Württemberg und in den neuen Bundesländern eher konkordanzdemokratische und in NRW, dem Saarland und in Hessen eher konkurrenzdemokratische Muster beobachtet werden (Holtkamp 2008a: 110). Weitere exogene Einflüsse auf die kommunalen Einnahmen und Ausgaben sind die Steuergesetzgebung des Bundes, die Überwälzung von Aufgaben im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und die Standardsetzung der Länder sowie die eingeschränkte finanzielle Handlungsautonomie der Kommunen (Mäding 1991: 103). Exogen wirken neben der Kommunalverfassung auch die Handlungen der Kommunalaufsicht (Vetter/Holtkamp 2008). Obwohl das Grundgesetz den deutschen Kommunen im europäischen Vergleich eine relativ starke Stellung einräumt, bleibt festzuhalten, dass die immer wieder betonte kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) mit der Realität kontrastiert (Mäding 1994: 108; Holtkamp 2007a: 12). Die Möglichkeiten, über Steuererhöhungen die lokale Einnahmeseite zu verbessern, sind sehr begrenzt, da die quantitativ wichtigsten Steuern durch die Länder und den Bund festgelegt und von diesen verteilt werden (Häußermann 1991a: 76). Der deutsche Föderalismus ist geprägt vom Leitbild der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ (Art. 72 Abs. 2 GG). Als nachgeordnete Gebietskörperschaften, die nicht am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind, haben die Kommunen in der Regel hier das Nachsehen (Mäding 1991: 105, 107). Die wissenschaftliche Literatur fordert denn auch die kommunale Mitwirkung an Entscheidungen des Landes- oder Bundesgesetzgebers (vgl. z.B. das Modell einer Kommunalkammer nach dem Vorbild des Kommunalen Rates in Rheinland-Pfalz bei Holtkamp 2000: 348).85 Diese Analyse ist fokussiert auf das Ruhrgebiet86. Dadurch soll erreicht werden, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für die Bewertung des policy-outputs konstant gehalten werden („sozialer Raum“). Gleichzeitig be-
85
Zur Bewältigung der „föderalen Asymmetrie“ am Beispiel des österreichischen Konsultationsmechanismus (Stabilitätspakt) vgl. Pleschberger 2008. 86 Vgl. Definition in Fußnote 4
76
2 Theoretische Ansätze
schränkt sie sich auf den kreisangehörigen Raum87 und auf Kommunen größer als 20.000 Einwohner, weil erst in Städten ab dieser Schwelle eine parteienstaatliche Strukturierung der Kommunalpolitik festzustellen ist, wie Bogumil, Heinelt u.a. in ihren grundlegenden Studien zu direkt gewählten Bürgermeistern festgestellt haben (Bogumil/Heinelt 2005: 8).88
87 Nach der Gemeindeordnung (GO) NRW ist zunächst zu differenzieren zwischen kreisfreien und kreisangehörigen Gemeinden. Je nach Einwohnerzahl werden letztere nochmals unterteilt in Große und Mittlere kreisangehörige Gemeinden, die jeweils unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen (§ 4 GO NRW). Ab der Größenordnung 25.000 Einwohner (Mittlere kreisangehörige Gemeinde) führen die Gemeinden in NRW die Bezeichnung „Stadt“. Unabhängig davon führen die Gemeinden, denen diese Bezeichnung nach dem bisherigen Recht zusteht oder auf Antrag von der Landesregierung verliehen wurde, ebenfalls die Bezeichnung „Stadt“ (§ 13 Abs. 2 GO NRW). Dies sind 66 von insgesamt 373 kreisangehörigen Gemeinden im Lande Nordrhein-Westfalen (Holtkamp 2000: 14 Fußnote 2). 88 Im Prinzip ist auch das gestufte Aufgabenmodell für kreisangehörige Kommunen nach § 4 GO NRW zu berücksichtigen. Die Vorschrift sieht Zuständigkeitsregelungen (Übertragung qualifizierter Kreisaufgaben) für Mittlere (25.000 – 60.000 Einwohner) und Große (mehr als 60.000 Einwohner) kreisangehörige Kommunen vor. Zusätzliche Aufgabenübertragungen wirken sich insbesondere auf die Personalausgaben aus. Dies wird bei der Analyse der Fallstudienkommunen entsprechend berücksichtigt (Bereinigungen). Die Reform der Gemeindeordnung 2007 erweitert allerdings den Handlungsspielraum der Kommunen im traditionellen Gesetzesvollzug. So wird einer Kommune mit mehr als 20.000 Einwohnern (bisher 25.000 Einwohnern) oder mit mehr als 50.000 Einwohnern (bisher 60.000 Einwohnern) die Möglichkeit eröffnet, auf Antrag in größerem Rahmen verwaltend tätig zu sein (§ 4 GO NRW n.F.).
3
Untersuchungshypothesen
Trotz tendenziell vergleichbarer exogener Rahmenbedingungen in den Kommunen des Ruhrgebietes kommt es zu signifikanten Unterschieden in den policyoutputs (Haushaltsergebnisse ausgedrückt in Kennzahlen: z.B. strukturelles Defizit, Personalausgaben). Es soll empirisch untersucht werden, ob diese Varianzen mit der Ausgabenmentalität in der Kommune erklärt werden können, welche von der Verwaltungsführungserfahrung89 des Bürgermeisters bzw. den Präferenzen der Akteure (Parteiendifferenz) abhängen könnte. Vieles deutet darauf hin, dass Sparen umso leichter fällt, je stärker die Positionen des Bürgermeisters bzw. je schwächer die der Parteien sind. Der Bürgermeister kann dann auch unpopuläre Sparentscheidungen im Rat durchsetzen. Diese Situation (Konkordanzdemokratie) mit einem meist verwaltungserfahrenen Bürgermeister mit geringer Parteibindung findet man oft in Baden-Württemberg. Typisch für NRW-Kommunen ist hingegen eine klare Trennung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition (Konkurrenzdemokratie) mit eher schwachen Bürgermeisterpositionen, die auch nicht selten mit Verwaltungslaien besetzt sind, die sich kaum gegen die eigene Bürokratie durchsetzen können. Am schwierigsten ist die Situation in NRW, wenn Bürgermeister nicht der Mehrheitsfraktion angehören (Kohabitation) oder parteilos sind. Diese Überlegungen führen zu den folgenden Untersuchungshypothesen: 1.
Konsolidierungsprozesse gehen von den Bürgermeistern aus, von denen aufgrund der ihnen institutionell zugewiesenen Rechte und Aufgaben eine Eindämmung der Übernutzung des Budgets erwartet werden kann (Zentralisierung der Haushaltspolitik). Dabei variieren allerdings das Amtsverständnis und das persönliche Bekenntnis zur Konsolidierung (Präferenz). Bürgermeister, die aus der ehrenamtlichen Kommunalpolitik kommen (politikzentrierte Bürgermeister), zeigen weniger Interesse am Haushaltsausgleich als Bürgermeister mit juristischer bzw. Verwaltungsausbildung (verwal-
89
Führungswollen und Führungskönnen (Banner 2007), d.h. die Überzeugung zur Notwendigkeit formaler Rechtsanwendung und die Durchsetzung der Rechtsförmigkeit der Verwaltung, z.B. im Haushaltsrecht (Haushaltsausgleich). Vgl. hierzu auch Abb. 1.
K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
78
2.
3.
3 Untersuchungshypothesen tungszentrierte Bürgermeister), für die der Haushaltsausgleich als rechtlich bindende Norm eine wesentliche Rolle spielt (Banner 2006a, 2006b, 2007). Aufgrund vorherrschender konkurrenzdemokratischer Strukturen und der trotz institutioneller Änderungen (GO) nach wie vor hohen Parteipolitisierung in NRW (Gehne 2007) sind der Einfluss des Bürgermeisters auf den Rat (Überzeugung) und Konsolidierungserfolge dann erschwert, wenn er als parteiloser Amtsinhaber keine Machtbasis im Rat hat. Dann ist damit zu rechnen, dass die Ratsmehrheit den „feindlichen“ Bürgermeister in seinen Kompetenzen massiv beschneidet. Auch wenn zu erwarten ist, dass die Parteiendifferenz auf kommunaler Ebene aufgrund der besonderen Rahmenbedingungen lokaler Politik seit den 1990-er Jahren (insbesondere aufgrund der Haushaltskrise) insgesamt nicht (mehr) stark ausgeprägt ist, lassen sich in einzelnen policy-outputErgebnissen SPD-bezogene Effekte nachweisen (Personalausgaben, Privatisierungsentscheidungen), und das umso stärker, je länger die Hegemonie einer Partei andauerte (Kunz 2000)90 bzw. je geringer der Einfluss des politikzentrierten Bürgermeisters auf seine Mehrheitsfraktion (Überzeugung) ist.
90 Die zeitliche Länge einer SPD-Mehrheit hat schon Fried in seiner Analyse (1976: 15) als Indikator für Parteieneinfluss verwendet.
4 Auswahl der Untersuchungsfälle, Methodik und Untersuchungsaufbau
4.1 Fälle Die in Kapitel 3 formulierten Hypothesen sollen in qualitativen Analysen zur Haushaltspolitik ausgewählter Kommunen des Ruhrgebietes getestet werden. Aufgrund der eingeschränkten Forschungskapazitäten konnte dabei nur eine begrenzte Anzahl von Kommunen untersucht werden. Es gilt die Regel, dass mit der Anzahl der untersuchten Fälle das Abstraktionsniveau und damit die Generalisierbarkeit der Aussagen steigen. Durch fehlende Kontrollmöglichkeiten von Variablen wird die Aufdeckung von Zusammenhängen, Wirkungen und Einflüssen allerdings erheblich erschwert; abgesehen vom nicht zu leistenden Aufwand. Eine Lösung bietet die von A. Lijphart vorgeschlagene „Strategie vergleichbarer Fälle“ (comparable-cases-strategy), bei der die zu untersuchenden Kommunen so ausgewählt werden, dass sie hinsichtlich der Ausprägung möglichst vieler Variablen ähnlich sind (minimale Varianz), während sie sich bei wenigen unabhängigen Variablen deutlich unterscheiden (maximale Varianz). Auf diese Weise wird ein großer Teil der Variablen kontrollierbar und die Auswirkungen der Untersuchungsvariablen treten zu Tage: „The comparative method can now be defined as the method of testing hypothesized empirical relationships among variables on the basis of the same logic that guides the statistical method, but in which the cases are selected in such a way to maximize the variance of the independent variables and to minimize the variance of the control variables” (Lijphart 1975: 164).
In Anwendung dieser Forschungsstrategie wurde die Kontextvariable Kommunalverfassung konstant gehalten, indem sich die Analyse auf NordrheinWestfalen beschränkt. Ferner galt es, problemadäquate Gemeindetypen und Vergleichsräume abzugrenzen. Die regionale Begrenzung auf das Ruhrgebiet bewirkt, dass wesentliche sozioökonomische Rahmenbedingungen konstant gehalten werden (z.B. die Sozialstruktur). Eine Trennung zwischen kreisfreien und kreisangehörigen Städten erlaubt eine Unterscheidung der Gemeinden nach Ortsgröße, Bevölkerungsdichte, Wirtschaftskraft, Versorgungsfunktion und Aufgabenkatalog. K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
80
4 Auswahl der Untersuchungsfälle, Methodik und Untersuchungsaufbau
Die vorliegende Analyse bezieht sich auf kreisangehörige Kommunen ab 20.000 Einwohner, weil erst in Städten ab dieser Größenordnung eine parteienstaatliche Strukturierung der Kommunalpolitik festzustellen ist (Bogumil/Heinelt 2005: 8). Auch der parteipolitische Kontext wurde soweit wie möglich konstant gehalten (Bogumil/Holtkamp 2005: 46). Es wurden nämlich Städte ausgewählt, in denen eine (möglichst lange Zeit bestehende) parteipolitischeMehrheit im Rat (absolute Mehrheit oder relative Mehrheit) bestand und der Bürgermeister derselben parteipolitischen Mehrheit angehört. Dagegen sollten sich die Untersuchungsfälle hinsichtlich der Vorposition des Bürgermeisters (verwaltungszentriert/politikzentriert) und der parteipolitischen Zusammensetzung des Rates (SPD-Mehrheit/CDU-Mehrheit) unterscheiden. Aufgrund der Dichotomie dieser beiden Merkmale ergeben sich vier Kombinationsmöglichkeiten, die durch die Auswahl von vier Untersuchungsgemeinden abgedeckt werden sollen. Hinzu kommt die Analyse der Haushaltspolitik eines Falles mit parteilosem, verwaltungszentriertem Bürgermeister. Wie in Kohabitationsfällen91 ist bei dieser Bürgermeister-Rat-Konstellation zunächst davon auszugehen, dass der Bürgermeister aufgrund der institutionell in der Gemeindeordnung NRW angelegten Blockadesituationen und der konkurrenzdemokratischen Muster keine so dominante Rolle spielt (Bogumil/Heinelt 2005: 8). Ob es im Untersuchungsfall E gelingt, mittels mikropolitischer Strategien u. U. doch einen Konsolidierungskurs zu steuern oder ob das Vetopotenzial der Ratsmehrheit dies verhindert und wie sich diese mögliche Verhinderung auf die Haushaltseffizienz auswirkt, war ebenfalls Gegenstand der Analyse. Die Auswahl geeigneter Untersuchungskandidaten gestaltete sich nicht ganz leicht. Schuld daran war die ausgeprägte Schwächephase der SPD anlässlich der Kommunalwahl 1999, in der erstmals die neuen hauptamtlichen Bürgermeister direkt gewählt wurden. Mitbedingt durch einen Übersprungeffekt bundespolitischer Großwetterlagen bzw. das in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler negative Bild der rot-grünen Politik im Bund gelang der NRW-CDU 1999 ein beeindruckender kommunalpolitischer Wahlsieg. Selbst in ehemals roten Hochburgen im Ruhrgebiet eroberten CDU-(Ober-)Bürgermeister eine Reihe von Rathäusern (z.B. Gelsenkirchen), und die SPD verlor in einer Vielzahl von Räten dieser bisher tiefroten Region ihre zur Tradition gewordenen Mehrheiten (Andersen/Bovermann 2002: 7). Gehne (2007: 321) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Annus horribilis für die kommunale SPD in NRW“. Bei der Kommunalwahl 2004 konnte dieser Trend zwar abgeschwächt, nicht aber „korrigiert“ werden. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen Mandatsanteile der SPD in den kreisangehörigen Kommunen 91
Fälle parteiloser Bürgermeister lassen sich auch als Sonderfall der Kohabitation bezeichnen.
4.1 Fälle
81
des Ruhrgebietes > 20.000 Einwohner in den Kommunalwahlen 1989, 1994, 1999 und 2004:92 Abbildung 2:
SPD-Anteil (Prozent) in den Gemeinderäten der kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebietes (Kommunen > 20.000 Einwohner). Quelle: Deutscher Städtetag; eigene Berechnung
60
----- Prozent -----
50 40 30 20 10 0 1989
1994
1999
2004
Für die Analyse wurden letztlich vier Kommunen ausgewählt:
SPD-Mehrheit CDU-Mehrheit
92
BM verwaltungszentriert A B
BM politikzentriert C D
Neben einer tendenziellen Schwäche der SPD in den kommunalen Räten muss natürlich auch beachtet werden, dass 1999, kurz vor der Kommunalwahl im selben Jahr, die Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen in NRW aufgegeben wurde. Erzwungen wurde die Anpassung durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen (VerfGH 14 und 15/98) vom 06.07.1999, in welchem die Fünf-Prozent-Klausel für unwirksam erklärt und damit den Klagen der PDS und der Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) stattgegeben wurde. Hinzu kommt, dass das Stimmenverrechnungsverfahren geändert wurde (Umstellung vom d’Hondt- auf das Hare-NiemeyerVerfahren). Beide Änderungen begünstigen seit der Kommunalwahl 1999 Zahl und Stärke der in den Räten vertretenen kleinen Parteien und Gruppen und erschweren tendenziell eine Mehrheitsbildung in den Räten (Andersen/Bovermann 2002: 15). Zur Bewertung der Auswirkungen dieser Zersplitterung der Kommunalvertretungen auf die Machtposition des Bürgermeisters vgl. auch Ziffer 7.3.
82
4 Auswahl der Untersuchungsfälle, Methodik und Untersuchungsaufbau
Ergänzt wird die Analyse – wie erwähnt - durch den Fall eines parteilosen, verwaltungszentrierten Bürgermeisters (Stadt E). In den ehemaligen SPD-Städten A und C ging der SPD-Mandatsanteil von 1989 = 56 Prozent in A (C: 62 Prozent) auf 1999 = 44 Prozent (41 Prozent) zurück, so dass die SPD-Bürgermeister jeweils mit einem rot-grünen Rat zusammen arbeiten mussten. In B als strukturell CDU-dominierter Stadt (Gehne 2002: 226) kann der CDU-Bürgermeister seit 1999 mit einer absoluten CDU-Mehrheit im Rat regieren. Etwas komplizierter sind die Verhältnisse in D. Dem CDUBürgermeister, der 1999 direkt gewählt wurde, steht im Rat eine nominell bürgerliche Mehrheit zur Seite (Mandatsanteil 1999: 67,5 Prozent, 2004: 62,5 Prozent), wobei dieses Lager relativ zersplittert ist (neben CDU und FDP zwei Wählergemeinschaften). In E hatte die SPD bis zur Ratsperiode 1989 - 1994 die absolute Mehrheit der Mandate inne. Diese ging aber bereits 1994 verloren, 1999 sogar die relative Mehrheit an die CDU. 2004 konnte die SPD zwar die relative Mehrheit der Ratsmandate wieder zurückerobern, die besonderen Umstände in der Auseinandersetzung mit dem parteilosen Bürgermeister führen aber im E-Stadtrat zu „außergewöhnlichen“ Konstellationen (vgl. ausführlich unter Ziffer 6.3.1). Die Bürgermeister sollten in den Untersuchungskommunen möglichst schon seit 1999 im Amt sein, um auch hier Kontinuitätslinien erkennen zu können. In vier der untersuchten Kommunen war das der Fall; lediglich in einer Kommune (C) wechselte 2004 der Amtsinhaber aus Altersgründen. Daher wurden die Interviews auch mit dem Amtsvorgänger des jetzigen Bürgermeisters geführt; beide Bürgermeister gehören der SPD an. Der „Alt-Bürgermeister“ ist genau so wie der jetzige Bürgermeister dem Merkmal „politikzentriert“ zuzuordnen und erwies sich sogar in dieser Beziehung als „Musterbeispiel“ (vgl. die Analyse C unter Ziffer 6.2.1).
4.2 Vergleichsmethodik Die Besonderheiten des kommunalen Haushaltsrechts bringen es mit sich, dass sich die Analyse – auch in dieser Dissertation - auf den Verwaltungshaushalt konzentrieren muss (so auch Holtkamp 2006a: 87): Im Normalfall soll aus den laufenden Einnahmen nach Abzug der regelmäßig anfallenden Ausgaben ein Überschuss im Verwaltungshaushalt („Freie Spitze“)93 erwirtschaftet werden, der in den Vermögenshaushalt transferiert wird, um dort wichtige Investitionen vornehmen zu können. Dabei gilt der Grundsatz des Haushaltsausgleichs. Während 93
Vgl. Fußnote 96
4.2 Vergleichsmethodik
83
der Vermögenshaushaushalt relativ leicht durch die Aufnahme langfristiger Kredite oder Investitionsverzicht ausgeglichen werden kann, ist dies im Verwaltungshaushalt in Krisenzeiten sehr viel schwieriger, weil für den Haushaltsausgleich keine langfristigen, sondern nur kurzfristige Kredite („Kassenkredite“) für die laufenden gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen (z.B. Sozialleistungen und Personalausgaben) aufgenommen werden dürfen, und diese Fehlbeträge müssen als Altfehlbeträge vorgetragen und nach zwei Jahren abgedeckt werden. Kann der Verwaltungshaushalt nicht ausgeglichen werden, müssen „Fehlbetragskommunen“ ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) erstellen, das der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf (§ 75 Abs. 4 GO NRW). Die Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn aus dem HSK hervorgeht, dass spätestens nach 5 Jahren die Einnahmen die Ausgaben decken werden (ohne Abdeckung der Fehlbeträge aus Vorjahren). Das Sanktionspotenzial des Nothaushaltsregimes durch die Kommunalaufsicht konzentriert sich stark auf den Vermögenshaushalt (Bogumil/Holtkamp 2006: 140), so dass dieser in Fällen von Haushaltssicherung oder sogar des Nothaushalts (in vier der fünf Städte war dies zumindest zeitweise der Fall, lediglich der Fall B war hiervon nicht betroffen) von Maßnahmen der Aufsicht bzw. gesetzlichen Restriktionen „überlagert“ ist. Kommunal in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussbare Einnahme- und Ausgabepositionen sind
im Verwaltungshaushalt: die Grund- und Gewerbesteuereinnahmen94 sowie die Ausgaben für Personal und die laufenden Sachausgaben (sächlicher Verwaltungs- und Betriebsaufwand) im Vermögenshaushalt: die Einnahmen aus Vermögensveräußerung und die Investitionsausgaben.
Die größten Konsolidierungspotenziale für den kommunalen Haushalt ergeben sich auf der Ausgabenseite bei den Personalausgaben (Bogumil/Holtkamp 2006: 133), ferner durch Kürzungen von Unterhaltungs- und Bewirtschaftungsausgaben bei Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen sowie durch Leistungskürzungen. Bei den Personalausgaben sollten sich noch Reste von SPDParteiendifferenz, insbesondere in Ruhrgebietsstädten, zeigen, weil die Wirkungen von Personalabbau aufgrund rechtlicher/politischer Restriktionen eher lang-
94 Wegen der Eingriffe der Aufsicht sind die Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer in Fällen von Haushaltssicherungskonzepten aus Sicht der Kommunen aber zum Teil als exogene Größe aufzufassen (Bogumil/Holtkamp 2006). Gewerbesteuerzahlern steht (stärker noch als Grundsteuerzahlern) im Prinzip auch eine Exitoption offen, wobei die Standortattraktivität nach empirischen Befunden nicht sehr stark vom Hebesatz abhängt (Holtkamp 2000).
84
4 Auswahl der Untersuchungsfälle, Methodik und Untersuchungsaufbau
fristiger, inkrementaler Natur sind (Jann/Wegrich/Tiessen 2007: 32) und sich den Kommunen hier Möglichkeiten subversiver Gegenstrategien eröffnen. 95 Zentral sind auch Strategien zur Privatisierung öffentlicher Aufgaben (Gebäudereinigung, Müllabfuhr, Verkehrsbetriebe etc.; Häußermann 1991a: 74 ff.). Auf der Einnahmenseite kann erhebliches Konsolidierungspotenzial über die Veräußerung von kommunalem Vermögen („Tafelsilber“) erzielt werden. Ansonsten sind die Möglichkeiten zur Einnahmeerhöhung für die Kommunen begrenzt, da wesentliche Steuerarten durch Bund und Länder festgelegt und verteilt werden und Erhöhungen hier starke negative symbolische Effekte haben, die Erhöhung originär kommunaler Steuern (z.B. Hundesteuer) die Bürger mehr verärgern, als dass sie die Haushaltssituation verbessern und bei Gebühren- und entgelterhöhungen schnell ein Niveau erreicht ist, bei dem es zu Nachfragerückgängen kommt. Bei der Veräußerung von Tafelsilber ist zu bedenken, dass neben dem Einmaleffekt Gestaltungsoptionen aufgegeben werden. Der dieser vergleichenden Untersuchung zugrunde liegende policy-output wird somit an Kennzahlen des Verwaltungshaushalts festgemacht:
Strukturelles Defizit/freie Spitze96 (€/Einwohner) Verschuldung (€/Einwohner); differenziert nach Gesamtschulden und Schulden der Kernverwaltung Steuerhebesätze (v.H.-Satz) (bereinigte) Personalausgaben (€/Einwohner)97
95 Es ist unter diesen Bedingungen sogar der kuriose Effekt zu beachten, dass die Schließung von „personallastigen“ kommunalen Einrichtungen häufig uneffizienter als ihre Weiterbetreibung ist, weil Personal nicht entlassen wird und die Aufrechterhaltung zumindest einen Kostendeckungsbeitrag über Benutzungsentgelte garantiert. 96 Aus den laufenden Einnahmen der Kommune soll nach Abzug aller laufenden Ausgaben ein Überschuss („freie Spitze“) erwirtschaftet werden, der vom Verwaltungshaushalt in den Vermögenshaushalt transferiert wird, damit dort entsprechend Investitionen vorgenommen werden können. Im Gegenzug dürfen Einnahmen des Vermögenshaushalts (z.B. Einnahmen aus Krediten) nicht zur Deckung von Ausgaben des Verwaltungshaushaltes zugeführt werden. Eine Ausnahme bilden Erlöse aus der Veräußerung von Anlagevermögen, um Fehlbeträge im Verwaltungshaushalt (strukturelles Defizit) zu decken. Die GPA NRW bereinigt sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben des Verwaltungshaushalts um gewisse Positionen (z.B. innere Verrechnungen, kalkulatorische Ansätze, Abdeckung von Altfehlbeträgen), um die interkommunale Vergleichbarkeit herzustellen. Formel zur Berechnung Strukturelles Defizit/Freie Spitze: Einnahmen ./. Ausgaben = Originärer Überschuss/Fehlbetrag ./. Rückzuführung + Pflichtzuführung übersteigender Betrag = Strukturelles Defizit/Freie Spitze : Einwohnerzahl der Kommune = Strukturelles Defizit/Freie Spitze je EW. Soweit auf die Daten der GPA NRW zurückgegriffen wird, sind die Einnahmen um Innere Verrechnungen und Kalkulatorische Kosten, die Ausgaben zusätzlich um abgedeckte Altfehlbeträge bereinigt. Das strukturelle Defizit bzw. die Freie Spitze beschreiben also die Differenz zwischen den regelmäßigen Einnahmen und Ausgaben unter der Voraussetzung des dauerhaften Substanzerhalts. 97 Personalausgaben gemäß Gruppierung 4 einschließlich Sondervermögen, bereinigt um einzelne Unterabschnitte (UA 160 – Rettungsdienst, UA 675 – Straßenreinigung, UA 700 – Abwasserbeseiti-
4.2 Vergleichsmethodik
85
Insbesondere die „freie Spitze“, d.h. der Finanzierungsbeitrag des Verwaltungsfür den Vermögenshaushalt, kann als Indikator für die kommunale Finanzkraft wie für die lokale Autonomie gelten (Karrenberg/Münstermann 1998: 438). Die Kennzahlenergebnisse werden im intrakommunalen, d.h. intertemporalen Zeitreihenvergleich und im interkommunalen Vergleich (einerseits bezogen auf die Untersuchungsstädte, andererseits bezogen auf die Grundgesamtheit der kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebietes mit mehr als 20.000 Einwohnern) dargestellt. Vergleichsjahr ist das Jahr 2003, bei einigen Kennzahlen das Jahr 2005. Die hier verwendete Vergleichsmethodik folgt dem „Kommunalindex für Wirtschaftlichkeit - KIWI“ der Gemeindeprüfungsanstalt NRW (GPA). Diese analysiert die Haushalte der Kommunen in NRW auf der Basis einer begrenzten Anzahl von durch die Kommune beeinflussbarer und daher steuerungsgeeigneter Kennzahlen, die die GPA NRW in Zusammenarbeit mit kommunalen Praktikern entwickelt hat. Im Prüfbericht erfährt die Kommune neben ihren eigenen Kennzahlenwerten den Minimum-, Maximum- und Mittelwert, den die GPA zur jeweiligen Kennzahl in vergleichbaren Kommunen ermittelt hat. So identifiziert die überörtliche Prüfung Verbesserungspotenziale und kann der kommunalen Führung praxisorientierte Handlungsempfehlungen an die Hand geben (Banner 2007: 66). An die kennzahlengestützte Haushaltsanalyse schließt sich eine qualitative Analyse der mikropolitischen Entscheidungsprozesse in den Untersuchungskommunen an. Zunächst wurden halbstandardisierte, Leitfadengestützte Interviews (vgl. Interviewleitfaden in Anlage 1) mit den Bürgermeistern, den Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU, den Parteivorsitzenden von SPD und CDU und zwei Lokalredakteuren (in den Fällen C und D) geführt. Die Interviewtenliste ist als Anlage 2 beigefügt. Die Bürgermeister, Fraktions- und Parteivorsitzenden wurden in ihrer Expertenrolle als kommunale Entscheidungsträger angesprochen. Die Gespräche mit den Lokalredakteuren sollten das Bild aus der Öffentlichkeitsperspektive abrunden. Die Interviews konzentrierten sich auf die Untersuchungsvariablen, berührten jedoch in einem ersten Teil aber auch einen allgemeinen Fragenkomplex zur individuellen Einschätzung der Entwicklung der Haushaltssituation in der jeweiligen Stadt. Alle Interviews wurden vom Verfasser von Frühjahr 2007 bis Herbst 2008 durchgeführt, mit Einverständnis der Befragten auf Tonband aufgezeichnet und anschließend nach den „Regeln der Technik“ ausgewertet (vgl. dazu ausführlich Meuser/Nagel 1991). gung, UA 721 – Müllbeseitigung, UA 730 – Märkte, UA 750 – Bestattung, UA 790 – Fremdenverkehr, UA 791 – Wirtschaftsförderung und sonstige kommunale Besonderheiten, z.B. Aufgabenwahrnehmung für Dritte), weil diese Aufgaben prinzipiell in unterschiedlicher Organisationsform wahrgenommen werden können oder nicht repräsentativ sind.
86
4 Auswahl der Untersuchungsfälle, Methodik und Untersuchungsaufbau
Ergänzend zu den Interviews und zur Überprüfung einzelner Sachverhalte sind weitere schriftliche Materialien (z.B. Organisationspläne, Hauptsatzungen, Haushaltspläne, Verwaltungsvorlagen, Wahlprogramme, Haushaltsreden von Bürgermeistern, Kämmerern und Fraktionsvorsitzenden) ausgewertet worden, die von den Stadtverwaltungen und den Fraktionen/Parteien zur Verfügung gestellt wurden. Schließlich wurde auf die aktuellen Berichte der Gemeindeprüfungsanstalt NRW zur überörtlichen Prüfung der jeweiligen Kommune zurückgegriffen. Diese sind von den örtlichen Rechnungsprüfungsausschüssen zu beraten (in der Regel in öffentlichen Sitzungen). Das Ergebnis der Beratung hat der Bürgermeister dem Rat zur (ebenfalls öffentlichen) Beschlussfassung vorzulegen (§ 105 GO NRW). Auch wurde die örtliche Presse (insbesondere in D und E) ausgewertet und zur Klärung von Einzelfragen herangezogen. Wegen der besonderen Sensibilität einzelner Interviewfragen und personenbezogener Ergebnisse hat sich der Verfasser entschlossen, nicht nur die persönlichen Akteursaussagen, sondern auch die Fallkommunen zu anonymisieren; dasselbe gilt für die Tageszeitungen, die einen direkten Bezug zum Städtenamen haben. In diesen Fällen wird allgemein von „Lokalzeitung“ gesprochen. Der Aussagewert der Ergebnisse wird dadurch nicht beeinträchtigt. Nachdem in Kapitel 1 das Politikfeld „Haushaltspolitik“ definiert und charakterisiert, in Kapitel 2 die theoretischen Ansätze zu den Untersuchungsvariablen herausgearbeitet und in Kapitel 3 die Untersuchungshypothesen formuliert und in Kapitel 4 die Untersuchungsfälle und –methodik begründet wurden, werden in Kapitel 6 die Ergebnisse der qualitativen Analysen in den Untersuchungskommunen dargestellt und diskutiert. Ausgehend von Positionsbestimmungen aus Kennzahlenergebnissen wird den mikropolitischen Prozessen nachgespürt, die zu den festgestellten Haushaltsergebnissen geführt haben. Dabei wird zwischen der Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter und politikzentrierter sowie parteiloser Bürgermeister unterschieden. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse, einer Bewertung der Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt von input- und output-Legitimation staatlichen Handelns und einem Ausblick auf zukünftigen Forschungsbedarf (Kapitel 7). Zuvor sollen im folgenden Kapitel 5 die haushaltspolitischen Handlungsbedingungen im Ruhrgebiet kurz überblicksartig referiert werden.
5 Ruhrgebiet vor dem Finanzkollaps?
5.1 Haushaltsbelastung und Haushaltsentwicklung der Ruhrgebietskommunen Mit dieser zugespitzten Fragestellung überschrieb die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine Große Anfrage an die Landesregierung NordrheinWestfalen (Innenministerium NRW 2007b). Nach Auffassung der anfragenden Fraktion befinden sich die Kommunen im Ruhrgebiet, insbesondere aber die im Kreis Recklinghausen, in einer finanzpolitischen „Vergeblichkeitsfalle“: die Fehlbeträge türmen sich immer höher, Konsolidierungsbemühungen führen zu keinen erkennbaren Entlastungen des Haushalts bzw. werden durch immer neue Steuerausfälle und unabweisbare Mehrbedarfe aufgrund von Gesetzesänderungen und Standarderhöhungen – insbesondere im Sozial- und Jugendbereich überkompensiert. In ihrer Antwort erkennt die Landesregierung die angespannte Finanzlage der Kommunen in NRW zwar an, führt diese aber nicht nur auf die Folgen der Änderung von Steuergesetzen, steigende Ausgaben für soziale Leistungen und Folgen des Strukturwandels, sondern auch auf unangepasstes Ausgabenverhalten zurück, das mit den örtlichen Konsolidierungserfordernissen nicht vereinbar sei (IM NRW 2007b: 3). Eine „Sonderrolle“ der Kommunen im Ruhrgebiet erkennt das Innenministerium ebenfalls nicht an: „Die Aussichten für die Haushaltskonsolidierung sind für die Städte im Kreis Recklinghausen, die sich alle in der dauerhaften vorläufigen Haushaltswirtschaft befinden, aber grundsätzlich keine anderen, als für andere kreisangehörige Gemeinden oder kreisfreie Städte im Land Nordrhein-Westfalen“ (IM NRW 2007b: 4). Im Vergleich zu anderen Siedlungsräumen des Landes NRW zeichnet sich das Ruhrgebiet durch eine überdurchschnittliche Ortsgröße und Bevölkerungsdichte aus. So befinden sich z.B. im Kreis Recklinghausen ausschließlich mittlere und große kreisangehörige Kommunen (IM NRW 2007b). Die Erwerbstätigendichte und das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner sind deutlich geringer als im übrigen NRW bzw. den westdeutschen Flächenländern. Damit einhergehen geringere Steuereinnahmen für die Kommunen. Im Jahre 2006 betrugen die Steuereinnahmen in NRW (Grundsteuer A und B, Gewerbesteuer, Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und Umsatzsteuer sowie andere kommunale Steuern) im Durchschnitt 1.050 €/Einwohner, im Ruhrgebiet aber nur K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
88
5.1 Haushaltsbelastung und Haushaltsentwicklung der Ruhrgebietskommunen
901 €/Einwohner (in den kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebietes sogar nur 779 €/Einwohner; IM NRW 2007b: Anlage 1-17). Gleichzeitig – und dies zeigt die Scherensituation der kommunalen Haushalte im Ruhrgebiet – ist die sozioökonomische Situation durch einen hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern, hohe Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsrückgang und Überalterung gekennzeichnet. Alle diese Faktoren wirken sich über Ausgaben für Transferzahlungen und Anpassungen der kommunalen Infrastruktur als Belastungen für den kommunalen Haushalt aus. Betrug die durchschnittliche Arbeitslosenquote am 30.09.2005 in NRW 11,8 Prozent, lag sie im Ruhrgebiet bei 14,6 Prozent (Junkernheinrich/Micosatt 2006: 93). Vergleichbar der Anteil der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen: in NRW entfielen 2003 auf 1.000 Einwohner 37,8 Hilfeempfänger, im Ruhrgebiet 47,5 (Junkernheinrich/Micosatt 2006: 93). Ähnlich sieht es bei der Bevölkerungsvorausschätzung aus (Junkernheinrich/Micosatt 2006: 92): der Bevölkerungsverlust des Ruhrgebietes wird prognostisch bis zum Jahr 2020 durchschnittlich – 4,8 Prozent betragen (bei den Großstädten sogar noch deutlich darüber). Lediglich für den Kreis Unna sind Bevölkerungszuwächse zu erwarten (+ 12,4 Prozent). Das Ruhrgebiet ist als debzw. altindustriell geprägter Raum zu charakterisieren; im nördlichen Ruhrgebiet unterscheidet sich das Produktionsniveau nur noch wenig von dem in Ostdeutschland (Junkernheinrich/Micosatt 2006: 19). Die Haushaltsentwicklung der Ruhrgebietskommunen der Jahre 1997 bis 2007 ist aus der folgenden Grafik ablesbar. Dabei ist die Korrelation zwischen kommunaler Handlungsfähigkeit und Nothaushaltsregime in Erinnerung zu rufen. Abbildung 3:
Entwicklung der kommunalen Haushalte im Ruhrgebiet (IM NRW 2007b: 21; Stand = 30.06.2007): Anzahl der Nothaushaltskommunen
30 ----- A nzahl -----
25 20 15 10 5 0 2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
5 Ruhrgebiet vor dem Finanzkollaps?
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Im Eckjahresvergleich 2000 bis 2007 stieg die Zahl der Nothaushaltskommunen von 2 auf 25 (kreisangehörige Kommunen von 0 auf 18). Die in dieser Dissertation analysierten Vergleichskommunen liegen im Ennepe-Ruhr-Kreis bzw. im Kreis Wesel und damit am Rande des Ruhrgebietes. Sie weisen tendenziell etwas günstigere sozioökonomische Rahmenbedingungen (Arbeitslosenquote, SGB II-Quote98) als das Kernruhrgebiet auf (Junkernheinrich/Micosatt 2006, Bertelsmannstiftung 2005), was auch durch die Armutsrisikoquote99 belegt wird. Lediglich die Stadt E liegt im Kreis Recklinghausen. Legt man das strukturelle Defizit der kreisangehörigen Kommunen im Ruhrgebiet > 20.000 Einwohner zugrunde, ergibt sich folgende Verteilung über die Ruhrgebietskreise:
98
Hinsichtlich des SGB II ist folgendes zu beachten: Nach dem SGB II sind einerseits die Bundesagentur für Arbeit bzw. die örtlichen Agenturen für Arbeit und andererseits die kreisfreien Städte und die Kreise Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Sie teilen sich die Aufgaben: Die kreisfreien Städte und Kreise sind Träger der flankierenden Eingliederungsleistungen, wie Schuldner- und Suchtberatung oder Kinderbetreuung, Leistungen für Unterkunft und Heizung und bestimmte einmaliger Leistungen wie z.B. Erstausstattung für eine Wohnung. Träger der übrigen Leistungen, u.a. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld sowie Leistungen zur Heranführung an und Eingliederung in den Arbeitsmarkt, ist die Bundesagentur für Arbeit. In der Regel errichten Kreise und kreisfreie Städte mit den örtlichen Arbeitsagenturen so genannte Arbeitsgemeinschaften (ARGE), um eine zentrale Anlaufstelle für die „Kunden“ zu schaffen und ihre Aufgaben einheitlich wahrzunehmen (so im Kreis Wesel). Im Rahmen einer Experimentierklausel können bundesweit 69 „zugelassene kommunale Träger“ (u.a. der Ennepe-Ruhr-Kreis) die Umsetzung der Grundsicherung in Eigenregie durchführen (so genannte „Optionskommunen“). Die Kreise beteiligen ihre kreisangehörigen Kommunen über Satzungsrecht. Erste Evaluierungen der finanziellen Auswirkungen der Hartz-IV-Reform auf die kommunalen Haushalte kommen zu dem Ergebnis, dass eindeutig diejenigen Kommunen begünstigt sind, die bisher hohe Sozialaufwendungen hatten (Henneke 2004: 153).
99
Anteil von Personen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 50 % des bundesdeutschen Nettoeinkommens (IM NRW 2007b: Anlage 11).
90
5.1 Haushaltsbelastung und Haushaltsentwicklung der Ruhrgebietskommunen
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 4:
Durchschnittliches strukturelles Defizit 2003 der kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebiets (GPA NRW)
250 200 150 100 50 0 Kreis Wesel
Kreis Recklinghausen
Ennepe-Ruhr-Kreis
Kreis Unna
Die Haushaltsdefizite sind danach in den Kommunen des Kreises Recklinghausen deutlich erhöht. Gleichwohl gibt das Innenministerium in seiner Antwort zur Grünen-Anfrage folgende, in dieser Deutlichkeit etwas überraschende Einschätzung ab: „Im Übrigen geht das Innenministerium davon aus, dass sich die Ausgangssituation für die Haushaltskonsolidierung der Städte im Kreis Recklinghausen - auch unter Berücksichtigung der Probleme des Strukturwandels und der hohen Belastung durch Ausgaben im sozialen Bereich – nicht grundlegend von der Lage anderer Kommunen in anderen Regionen des Landes unterscheidet“ (IM NRW 2007b: 26).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
6.1.1 Haushaltspolitik in der Stadt A
6.1.1.1
Politisches Kurzprofil
Der Rat der Stadt A (26.000 Einwohner) setzte sich in den vergangenen Legislaturperioden wie folgt zusammen: Tabelle 2: Zusammensetzung des Rates der Stadt A 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 1994 1994 1999 1999 2004 2004 2009
SPD
CDU
B’90/ Grüne
FDP
22
10
4
22
12
5
17
13
5
3
18
13
6
3
Politische Struktur BM
Rat
ratsgewählt: SPD ratsgewählt: SPD volksgewählt: SPD volksgewählt: SPD
Absolute SPDMehrheit Absolute SPDMehrheit Rot-grüne Koalition Rot-grüne Koalition bis April 2006; danach wechselnde Mehrheiten
Die Fallkommune A ist eine traditionell „rote“ Stadt. Noch bei den Kommunalwahlen 1989 und 1994 erzielte die SPD – wie in den Jahrzehnten davor - absolute Mehrheiten im Rat. Der Bürgermeister stellte hierzu fest, dass dieses Faktum
K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
92
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
aus seiner Sicht eigentlich erstaunlich sei angesichts der Sozialstruktur der Bevölkerung, die hohe Kaufkraft, viel Wohnungseigentum und Merkmale von „Besitzbürgertum“ aufweise (Interview 1). Bei der Kommunalwahl im Herbst 1999 reichte es für die SPD aber nicht mehr zur „Alleinherrschaft“. Sie bildete mit Bündnis 90/Die Grünen eine rot-grüne Koalition.Diese wurde in der folgenden Ratsperiode im April 2006 aufgekündigt (vgl. hierzu im Folgenden Ziffer 6.1.1.3). Der SPD-Bürgermeister wurde 1999 zum ersten direkt gewählten Bürgermeister der Stadt A gewählt. 2004 erfolgte die Wiederwahl (51 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang). Er ist ausgebildeter Diplomverwaltungswirt und durchlief mehrere Stationen auf Amtsleitungs- und Beigeordnetenebene bei der Stadtverwaltung, bevor er zum Verwaltungschef gewählt wurde. Die Stadtverwaltung weist in ihrer Aufbauorganisation (Stand: Juni 2007) 4 Dezernate auf, die vom Bürgermeister (Dezernat 1: Hauptverwaltung einschl. Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Kultur und Sport), dem Beigeordneten und Finanzdezernenten (Dezernat 2: Finanzen), dem städtischen Rechtsdirektor (Dezernat 2: Recht und Ordnung) und einem weiteren Beigeordneten (Dezernat 4: Familie) geleitet werden. Der Beigeordnete Dezernat 2 ist in Personalunion auch Betriebsleiter der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung (§ 107 Abs. 2 GO) Technische Betriebe, die sich folgenden Geschäftsfeldern widmet: Abwasserund Abfallentsorgung, Straßenreinigung, Bestattungswesen, Straßenunterhaltung, Straßenbeleuchtung, Grünflächen- und Gewässerpflege. Eine Besonderheit ist, dass der Finanzdezernent nicht zum Kämmerer bestellt ist; diese Aufgabe wird vom Leiter der Kämmerei innerhalb des Dezernates 2 wahrgenommen. Auf diesen Umstand (Abbau von Vetospielerpositionen) wird in der folgenden Analyse noch einzugehen sein. Zum Konzern Stadt A gehört als einzige Mehrheitsbeteiligung die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH (Beteiligung der Stadt A am Stammkapital: 75,81 Prozent)100.
100
Beteiligungsbericht der Stadt A 2004
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen 6.1.1.2
93
Haushaltsergebnisse 2000 – 2007
Dokumentenanalysen
Strukturelles Defizit/Freie Spitze Ein erstes Haushaltssicherungskonzept der Stadt A 1997 – 2001 lief mit Ablösung eines Altfehlbetrages aus 1999 Ende 2001 aus. Die Verwaltung stellt hierzu fest: „Die von der Stadt getroffenen Konsolidierungsmaßnahmen waren letztlich erfolgreich“ (vgl. Allgemeine Erläuterungen zum Haushaltssicherungskonzept der Stadt A 2002 – 2011, S. 1). Schon im Jahre 2002 rutschte sie aber erneut in einen unausgeglichenen Haushalt101. Sie folgte damit dem Trend der westdeutschen Kommunen, wonach die kommunalen Haushalte insbesondere in den Jahren 1998 – 2000 Überschüsse auswiesen, die Handlungsspielräume danach aber wieder deutlich schlechter wurden (Vetter/Holtkamp 2008: 27). Die Stadt A macht folgende Faktoren für die Verschlechterung der Haushaltslage verantwortlich (Haushaltssicherungskonzept 2002 – 2011, S. 2): die allgemeine konjunkturelle Entwicklung (begleitet von zusätzlichen Soziallasten und Steuerausfällen), die staatlichen Eingriffe in die Gemeindefinanzen durch Übertragung neuer und Ausweitung bestehender Aufgaben ohne besonderen finanziellen Ausgleich (Kindergartenbetreuung, Asylbewerberleistungsgesetzgebung), die Standarderhöhungen z.B. im Entsorgungsbereich, bei den Kindergärten, in Schulen etc., die Finanzierung der Deutschen Einheit sowie das „veränderte Anspruchsdenken der Bürger (Vorhalten von kommunalen Einrichtungen des Sports, der Freizeit, der Jugendpflege, in der Kultur etc.)“. Auch die interviewten Fraktions- und Parteivorsitzenden machten überwiegend exogene Einflussfaktoren für die „Schieflage“ des städtischen Haushalts verantwortlich (Interviews 2 bis 5). Unter diesen Umständen konnte der Haushalt 2002 nicht mehr ausgeglichen abgeschlossen werden. Durch sinkende Steuereinnahmen von insgesamt 1,95 Mio. € bei der Gewerbesteuer und 0,54 Mio. € beim Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuer entstand ein Fehlbetrag von 1,0 Mio. €. Mit dem Einsatz von Rücklagemitteln wurde das Defizit in 2002 auf 0,217 Mio. € reduziert. Die finanzielle Situation der Stadt verschlechterte sich 2003 weiter. Der prognostizierte originäre Fehlbedarf betrug 3,4 Mio. €. Einen derartigen Ausga101
Der Haushalt 2001 schloss mit einem Überschuss in Höhe von 212.000 € ab; aufgrund von Rückzuführungen nach § 22 Abs. 3 GemHVO ergab sich jedoch ein strukturelles Defizit in Höhe von 533.000 €.
94
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
beüberhang hatte es im Haushalt der Stadt A noch nicht gegeben (Haushaltssicherungskonzept 2002 – 2011, S. 3). Der Haushalt war so nicht genehmigungsfähig; die Stadt musste ein HSK aufstellen. Um die Ausgabeseite den Einnahmen anzupassen, wurden Maßnahmenlisten mit der Politik diskutiert. Die zwischen Politik und Verwaltung vereinbarten 24 Maßnahmen umfassten die Anhebung des Grundsteuerhebesatzes B von 355 auf 406 Prozentpunkte (und in 2006 auf 424 Prozentpunkte), die Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes von 445 auf 468 Prozentpunkte, die Erhöhung der Teilnehmergebühren Musikschule und der Parkgebühren, Grundstücksveräußerungen zur Abdeckung von Altfehlbeträgen, den Verzicht auf Stellenwiederbesetzungen, Standardreduzierung bei der Unterhaltung unbebauter Grundstücke (Technische Betriebe), eine 10-%-ige Kürzung im Kulturetat und (eher symbolisch) bei den Verfügungsmitteln des Bürgermeisters. Am Jahresende betrug der auf das laufende Haushaltsjahr bezogene Fehlbedarf rd. 1,9 Mio. €. Das Haushaltsjahr 2004 startete zunächst mit der düsteren Prognose eines originären Fehlbetrages im Verwaltungshaushalt von 3,5 Mio. €. Im Laufe des Jahres kam es allerdings durch die steuerliche Nachveranlagung eines Gewerbebetriebes zu Mehreinnahmen von 2,8 Mio. €, die eine Nachtragshaushaltssatzung erforderlich machten. Durch weitere Verbesserungen konnte der Haushalt 2004 zwar nicht originär ausgeglichen werden, wie zunächst prognostiziert, der Fehlbetrag konnte jedoch am Jahresende originär auf 466.000 € begrenzt werden. Die Systematik des Finanzausgleichs bewirkte dann allerdings für 2005, dass aufgrund der hohen Steuereinnahmen im Vorjahr Schlüsselzuweisungen entfielen. Hinzu kamen zurückgehende Gewerbesteuereinnahmen, eine erhöhte Kreisumlage aufgrund veränderter Umlagegrundlagen und negative Auswirkungen aufgrund der Hartz-IV-Reform; hier gehört die Stadt A zu den „Verlierern“ im Kreisgebiet (Haushaltssicherungskonzept der Stadt A 2002 – 2011, S. 5; vgl. auch Fußnote 98 dieser Dissertation). Der Haushalt 2005 wies inklusive des Altfehlbetrages aus Vorjahren in Höhe von rd. 466.000 € noch ein Minus von rd. 4,4 Mio. aus. In der Prognose waren es noch 6,6 Mio. € gewesen. Der Haushaltsfehlbetrag aus 2005 konnte 2006 nicht finanziert werden und wurde in die NKF-Eröffnungsbilanz zum 01.01.2007 übernommen. Die Stadt befindet sich nach wie vor in einem genehmigten Haushaltssicherungskonzept. Die Haushaltsentwicklung der Stadt A ab 2002 wurde denn auch von dem Fraktionsvorsitzenden der SPD in seiner Haushaltsrede 2003 als „Achterbahnfahrt in den letzten Jahren“ bezeichnet. Im intrakommunalen Zeitverlauf entwickelte sich das Kennzahlenergebnis strukturelles Defizit/freie Spitze wie folgt (GPA NRW 2004a; €/EW): 2000 = +53, 2001 = -21, 2002 = -8, 2003 = -72, 2004 = -18.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
95
Im interkommunalen Vergleich 2003 kreisangehöriger Ruhrgebietsstädte > 20.000 Einwohner (N = 28) positioniert sich der Fall A damit folgendermaßen:
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 5:
Strukturelles Defizit 2003 der Stadt A im interkommunalen Vergleich (GPA NRW)
450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt A
Die Verteilung des strukturellen Defizits stellt sich im interkommunalen Vergleich wie folgt dar (Klassierung): Tabelle 3: Verteilung strukturelles Defizit im interkommunalen Vergleich
Strukturelles Defizit Anzahl Städte
0 bis -100 €/EW 6
-101 bis -150 €/EW
- 151 bis -200 €/EW
- 201 bis -250 €/EW
> -250 €/EW
4
9
6
3
Nahezu 65 Prozent der kreisangehörigen Kommunen > 20.000 Einwohner, aus denen 2003 Ergebnisse vorlagen, hatten strukturelle Defizite von 151 bis 250 €/EW. Drei Städte (Lünen, Waltrop und Dorsten) wiesen Defizite > 250 €/EW auf. Sechs Kommunen (Rheinberg, Wesel, Xanten, Neukirchen-Vluyn, Herdecke und Fröndenberg) hatten die vergleichsweise niedrigsten strukturellen Defizite. Am strukturell stärksten belastet waren die Haushalte der Kommunen im Kreis Recklinghausen (vgl. hierzu auch Anfrage der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 11.05.2007, IM NRW 2007b). Bezogen auf die Untersuchungskommunen A bis E ergibt sich folgendes Bild:
96
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
-----StrukturellesD efizit/freieSpitze€/EW -----
Abbildung 6:
Entwicklung der strukturellen Haushaltsergebnisse in den Untersuchungskommunen (A bis E) 2000 bis 2006 (GPA NRW)
100 50 0 -50 -100 -150 -200 -250 -300 2000 A
2001
2002 B
2003 C
2004
2005 D
2006 E
Sowohl der interkommunale Vergleich der kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebietes > 20.000 EW als auch der direkte Vergleich der Untersuchungskommunen zeigen eine vergleichsweise positive Haushaltsentwicklung bei der Stadt A. Die Stadt konnte ihre finanzpolitische Handlungsfähigkeit, wenn auch seit 2001 im HSK, grundsätzlich erhalten. Ein Nothaushalt blieb ihr bisher erspart.
Verschuldung Die Kommunen und kommunalen Zweckverbände waren in Deutschland am 31.12.2004 mit zusammen durchschnittlich 3.351 € je Einwohner verschuldet bzw. sind im Sinne von Bürgschaften entsprechende Verpflichtungen eingegangen. Davon entfallen 43 % (1.441 €/EW) auf die Schulden der öffentlichen Betriebe und Unternehmen, 57 % (1.910 €/EW) auf die Kernverwaltung (Junkernheinrich/Micosatt 2007: 16). Lediglich drei Gemeinden waren Ende 2005 schuldenfrei: Issum (Kreis Kleve) sowie Reken und Raesfeld (beide Kreis Borken; Junkernheinrich/Micosatt 2007: 31). Zu unterscheiden ist zwischen fundierten Schulden und Kassenkrediten. Aus haushaltsrechtlicher Perspektive ist eine kommunale Kreditaufnahme nur zulässig (fundierte Schulden), wenn
eine andere Finanzierung (z.B. über Steuern oder Rücklagen) nicht möglich ist (§ 76 Abs. 3 GO), sie im Vermögenshaushalt vorgenommen wird und der Finanzierung von Investitionen, Investitionsförderungsmaßnahmen oder der Umschuldung dient (§ 85 Abs. 1 GO) und
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
97
mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Kommune im Einklang steht.
Aufgabe der Kassenkredite ist hingegen die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) der Kasse. Nach § 87 GO kann die Gemeinde einen Kassenkredit zur rechtzeitigen Leistung ihrer Ausgaben bis zu dem in der Haushaltssatzung festgesetzten Höchstbetrag aufnehmen. Diese Aufnahme ist jedoch nur möglich, wenn keine anderen Mittel zur Verfügung stehen. Neben den Schulden der Kernverwaltung sind die Schulden der kommunalen Eigenbetriebe und eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen (rechtlich unselbständig) sowie der (rechtlich selbständigen) kommunalen Unternehmen von erheblichem Belang (Gesamtschulden). Diesen Schulden steht allerdings in der Regel Vermögen gegenüber. Die Stadt A weist – bezogen auf die Haushaltsjahre 2000 bis 2005 – folgende Schuldenentwicklung auf (in €/EW):102 Tabelle 4: Schuldenentwicklung Stadt A 2000 bis 2005 2000
2001
Haushaltsjahr 2002 2003
2004
2005
Fundierte Schulden des Kernhaushaltes (€/EW)
173
161
174
231
214
291
Gesamtschulden103 (€/EW)
1.703
1.715
1.660
1.795
1.738
2.067
Im Verlauf des untersuchten Zeitraumes ist vor allen Dingen der Anstieg der Verschuldung des Kernhaushaltes ab 2003 auffällig. Diesem Anstieg ging eine konsequente Entschuldung im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes 1997 bis 2001 voraus. Der zwischenzeitlich entstandene Investitionsstau führte aber in den folgenden Jahren zu einer Nettoneuverschuldung (GPA NRW 2004a). Die Positionen der Stadt A – bezogen auf fundierte Schulden der Kernverwaltung und Gesamtverschuldung – stellen sich im interkommunalen Vergleich 2005 aller kreisangehörigen Städte des Ruhrgebietes > 20.000 Einwohner (N = 35) wie folgt dar (Junkernheinrich/Micosatt 2007):
102
GPA NRW 2004a, Junkernheinrich/Micosatt 2007 und eigene Berechnungen Unter Einbeziehung der Technischen Betriebe als Sondervermögen und der Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft mbH als Mehrheitsbeteiligung.
103
98
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 7:
Gesamtschulden Stadt A 2005 im interkommunalen Vergleich
4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 8:
Maximum
Mittelwert
Stadt A
Fundierte Schulden der Kernverwaltung Stadt A 2005 im interkommunalen Vergleich
2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt A
Während die Stadt A bei der Gesamtverschuldung im Durchschnitt der kommunalen Verschuldung der kreisangehörigen Ruhrgebietsstädte > 20.000 Einwohner liegt, markiert sie bei der Betrachtung der Schulden des Kernhaushaltes nahezu das Minimum. Lediglich die Stadt Lünen (Kreis Unna) hatte mit 252 €/EW im Kernhaushalt weniger Schulden (Junkernheinrich/Micosatt 2007). Bezogen auf die Untersuchungskommunen ergibt sich folgender Vergleich:
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
----- Euro je EW -----
Abbildung 9:
99
Gesamtschulden der Vergleichskommunen (A bis E) 2005
4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt A
Stadt B
Stadt C
Stadt D
Stadt E
Die Wahrnehmung der Verschuldung der Stadt A ist in der lokalen Politik sehr unterschiedlich. Während der SPD-Fraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2004 eher beschwichtigend feststellt, dass sich A „im guten oberen Mittelfeld“ befindet und damit die Situation durchaus richtig beschreibt, waren für die CDU Verschuldung und mangelnde Sparsamkeit die zentralen Themen der politischen Auseinandersetzung in den letzten Jahren (Haushaltsreden des CDUFraktionsvorsitzenden 2006 und 2007; siehe auch die weitere Analyse unten).
Steuerhebesätze Die Stadt A hat sowohl für die Grundsteuern A104 und B als auch für die Gewerbesteuer105 Hebesatzanpassungen in den Jahren 2000 und 2003 vorgenommen. Damit bewegte sich die Stadt erheblich über den fiktiven Hebesätzen nach dem Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG)106 und auch oberhalb der durchschnittlichen Hebesätze von Kommunen gleicher Größenordnung (GPA NRW 2004a): 104
Die Grundsteuer ist eine auf das Grundstück bezogene Steuer, die von jedem Grundstückseigentümer zu zahlen ist; unterschieden wird zwischen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben (Grundsteuer A), die im Allgemeinen einem niedrigeren Hebesatz unterliegen, und sonstigen Grundstücken (Grundsteuer B). Die Grundsteuer A spielt in der Stadt A nur eine untergeordnete Rolle und wird daher im Folgenden nicht weiter betrachtet. 105 Die Gewerbesteuer ist eine auf den Ertrag eines Gewerbebetriebes bezogene Steuer, die den Gemeinden zusteht, allerdings führen diese aufgrund des Gewerbesteuergesetzes über die Gewerbesteuerumlage einen Teil davon an Bund und Land ab. 106 Im Rahmen der Ermittlung der normierten Steuerkraft der Kommune wird bei den Realsteuern (Grundsteuer und Gewerbesteuer) an den Grundbetrag/Steuermessbetrag ein einheitlicher fiktiver Hebesatz angelegt. Die Festlegung der fiktiven Hebesätze erfolgt anhand des tatsächlichen gewogenen Durchschnitts der Realsteuerhebesätze eines Haushaltsjahres. Bleibt eine Kommune unterhalb der im GFG festgesetzten fiktiven Steuerhebesätze, werden ihr im Rahmen des Finanzausgleichs
100
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Tabelle 5: Übersicht Steuerhebesätze Stadt A Steuerart
Grundsteuer B Gewerbesteuer
Hebesatz (HS) Stadt A 2003 406 v.H. 468 v.H.
HS gleicher Gemeindegröße107 378 v.H. 411 v.H.
Fiktiver HS GFG 2004
Hebesatz Stadt A 2006
381 v.H. 403 v.H.
424 v.H. 468 v.H.
Zur Begründung der Grundsteuererhöhung in 2003 führt die Stadt A im Vorbericht zur Haushaltssatzung 2005 folgendes an: „Die Steuersätze für die Grundsteuer B mussten im Haushalt um 51 %-Punkte (…) erhöht werden. Diese Anpassung war notwendig, um den Haushalt für 2003 in etwa auf dem Steuerniveau des Jahres 2002 zu halten, da das Land im Finanzausgleich 2003 die fiktiven Steuerhebesätze stark erhöhte. (…) Aus der Erhöhung wurden Mehreinnahmen in Höhe von 407.370 EUR erwartet.“ Die SPD-Mehrheitsfraktion trug die Erhöhung der Grundsteuer B um 51 Prozentpunkte mit, um damit die „gute Infrastruktur in unserer Stadt zu erhalten“ (Haushaltsrede des SPDFraktionsvorsitzenden 2003). Einer weiteren Erhöhung um 40 Prozentpunkte wurde aber eine Absage erteilt, da für viele Bürgerinnen und Bürger die Belastungen dann zu groß würden. In den Folgejahren erfolgte keine Anpassung mehr nach oben, obwohl dies im HSK für 2005 ursprünglich vorgesehen war: „Weitere Anpassungen in kurzer Folge waren für die Abgabepflichtigen nicht zumutbar“ (Vorbericht zur Haushaltssatzung 2006). So wurde auf rund 650.000 € Mehreinnahmen verzichtet (Haushaltsrede des Ersten Beigeordneten zur Einbringung des Haushaltes 2005 am 16.12.2004). Auch für den SPD-Fraktionsvorsitzenden ergab sich die Schlussfolgerung: „Nichts geht mehr!“ (Haushaltsrede 2004). Erst 2006 erfolgte eine weitere Erhöhung des Hebesatzes der Grundsteuer auf 424 v.H. Die SPD stimmte („Nicht leichten Herzens“; Haushaltsrede SPD-Fraktionsvorsitzender 2006) zu, da die Grundsteuer über die Erhöhung der Mietkosten auch „den kleinen Mann“ treffe. Sie sei jedoch als „verlässliche Einnahmequelle für den Haushalt“ unverzichtbar. Die Gewerbesteuereinnahmen entwickelten sich wie folgt (GPA NRW 2004a und eigene Berechnung): 2000: 7.224.752 € (Hebesatz: 445 v.H.), 2001: 5.876.527 € (445 v.H.), 2002: 6.056.342 € (445 v.H.), 2003: 6.230.931 (468 mehr Steuereinnahmen angerechnet, als sie tatsächlich eingenommen hat (Steuerkraft). Liegt sie oberhalb dieser Grenze, kann sie Mehreinnahmen für den Haushalt generieren. 107 LDS NRW, 3. Quartal 2003. Bislang bestand die Forderung, dass Kommunen mit Haushaltssicherung die Hebesätze für die Realsteuern deutlich über den Landesdurchschnitt legen sollten. Nunmehr wird es als ausreichend angesehen, wenn die Steuerhebesätze mindestens in Höhe der Durchschnittshebesätze der jeweiligen Größenklasse festgesetzt sind.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
101
v.H.), 2004: 9.072.507 € (468 v.H.), 2005: 6.818.817 € (468 v.H.), 2006: 7.458.348 € (468 v.H.). Es wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass das positive Ergebnis 2004 auf die steuerliche Nachveranlagung eines Gewerbebetriebes zurückzuführen ist und insofern für die Stadt A ein singuläres Ereignis darstellt. Die SPD stimmte der Erhöhung der Gewerbesteuer 2003 auf 468 Punkte mit der Begründung zu, dass der Abstand zum fiktiven Steuerhebesatz erhalten bleiben müsse, damit sich Einnahmeeffekte für den Haushalt ergäben (vgl. auch Fußnote 106). Im Übrigen habe die Maßnahme für die Betriebe am Ort „keinen Erdrosselungscharakter“ (Haushaltsrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden 2003). Mit 468 Prozentpunkten liegt der Hebesatz der Gewerbesteuer der Stadt A unter den 373 kreisangehörigen Gemeinden in NRW 2006 an fünfter Stelle (IM NRW 2007b, Anlage 17-1)108. Es ist herauszustellen, dass der hohe Gewerbesteuerhebesatz der Stadt A nicht von der Kommunalaufsicht „in die Feder diktiert“ (Bogumil/Holtkamp 2006: 142) wurde, sondern seitens der SPD-Fraktion dem erklärten Ziel diente, politische Handlungsfähigkeit zu erhalten.
Personalausgaben Die Personalausgaben sind der größte Ausgabenposten im kommunalen Verwaltungshaushalt. Sie machten für westdeutsche Kommunen in 2004 26,8 Prozent der Gesamtausgaben aus, gefolgt von den Ausgaben für soziale Leistungen mit 22,0 Prozent (Vetter/Holtkamp 2008: 24). Während aber die Sozialausgaben gegenüber 1985 um 13,5 Prozent stiegen, sanken die Personalausgaben im gleichen Zeitraum um 1,1 Prozent, was angesichts jährlicher Tariferhöhungen nur durch einen moderaten Personalabbau zu erreichen war (Bogumil/Holtkamp 2006: 132). Die Stellenentwicklung im Untersuchungsfall A verläuft ebenfalls degressiv. In einem Eckjahresvergleich 1996 und 2004 verringerte sich die Stellenzahl (Kernverwaltung und Technische Betriebe) von 260,75 um 30,5 auf 230,25 Stellen (vollzeitäquivalent109). Die Bemühungen der Stadt, Konsolidierungen im Bereich des Personals über Stellenabbau bzw. Ausgabenverlagerungen zu erzielen, ziehen sich denn auch wie ein roter Faden durch die Haushaltsreden der 108
Spitzenreiterin ist die Stadt Marl mit 480 Prozentpunkten, gefolgt von Castrop-Rauxel, Lünen und Oer-Erkenschwick mit jeweils 470 Prozentpunkten. 109 Hiernach ist nicht die Anzahl der MitarbeiterInnen maßgeblich, sondern die tatsächlich zu leistende Arbeitszeit bezogen auf eine Stelle. MitarbeiterInnen mit der Hälfte der regulären Arbeitszeit zählen somit z.B. als 0,5 Stellen. Nur auf der Basis vollzeitäquivalenter Stellen ist ein interkommunaler Vergleich sinnvoll.
102
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Verwaltung (Erster Beigeordneter zum Haushalt 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007). Nach Einschätzung der Verwaltung fährt die Stadt eine „stringente“ bzw. „konsequent restriktive Personalpolitik“. Zur Einordnung der Kennzahl „Personalausgaben je EW“ ist festzustellen, dass die Stadt A neben dem beschriebenen Stellenabbau weitere Maßnahmen getroffen hat, um die Ausgaben positiv zu beeinflussen. So existiert eine interkommunale Zusammenarbeit mit einer Nachbarkommune in den Aufgabenfeldern Feuerwehr/Rettungsdienst und Rechnungsprüfungsamt (GPA NRW 2004a). Ferner haben Untersuchungen der Verwaltung ergeben, dass die Gebäudereinigung durch Fremdvergabe kostengünstiger zu realisieren ist, so dass die Arbeiten sukzessive und „sozialverträglich“, d.h. unter Beachtung des Ausscheidens von MitarbeiterInnen, an Privatfirmen vergeben werden. Allein durch diese materielle Privatisierung hat sich die Stellenzahl in diesem Segment in den letzten Jahren fast halbiert (GPA NRW 2004a; vgl. zur Reinigungsprivatisierung auch die Haushaltsrede 2006 des Ersten Beigeordneten). Für den interkommunalen Vergleich 2003 (kreisangehörige Städte des Ruhrgebietes > 20.000 EW) ist von folgenden Werten für die Personalausgaben (€/EW) auszugehen (Junkernheinrich/Micosatt 2007):
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 10: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen und Mehrheitsbeteiligungen) Stadt A 2003 im interkommunalen Vergleich
1200 1000 800 600 400 200 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt A
Bezieht man sich nur auf die Personalausgaben der Kernverwaltung ohne Auslagerungen und bereinigt diese zur besseren Vergleichbarkeit um einzelne Aufgaben (GPA-bereinigte Personalausgaben entsprechend Fußnote 97), so ergibt sich folgendes Bild:
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
103
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 11: Bereinigte Personalausgaben der Stadt A 2003 im interkommunalen Vergleich
600
400
200
0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt A
Aus beiden Darstellungen ist die Position der Stadt A bei den Personalausgaben (569 €/EW inklusive Auslagerungen bzw. 379 €/EW bereinigte Personalausgaben Kernverwaltung) als leicht unterdurchschnittlich auszumachen. Bezieht man diese Zahlen auf die Untersuchungskommunen, so ergibt sich Folgendes (GPA NRW 2004): Abbildung 12: Entwicklung der bereinigten Personalausgaben der Untersuchungskommunen (A bis E) 2000 bis 2005 (GPA NRW) -----P erso n alau sg ab en€ /E W -----
650 600 550 500 450 400 350 300 250 2000 A
2001
2002 B
2003 C
2004 D
2005 E
Im Betrachtungszeitraum 2000 bis 2003 stiegen die Personalausgaben im Durchschnitt um 2,9 Prozent an. Hier wirken sich die Einkommenssteigerungen im öffentlichen Dienst ohne Kompensation aus. In der Folge wurden dann 8 Stellen abgebaut, so dass die Personalausgaben trotz tariflicher Steigerungseffekte auf Vorjahresniveau gehalten werden konnten (Haushaltsrede 2004 des Ersten Beigeordneten). Die Reinigungsprivatisierung sollte sich in 2006 mit rd. 252.000 €
104
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positiv auf die Personalausgaben auswirken (Haushaltsrede 2006 des Ersten Beigeordneten). Im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes 2003 bis 2011 hat sich die Stadt auf folgendes Vorgehen festgelegt (vgl. so auch Haushaltsrede 2003 des Ersten Beigeordneten): „Vor der Wiederbesetzung von Stellen wird geprüft, ob die Stelle zur Erfüllung städtischer Aufgaben noch zwingend erforderlich ist oder ob sie entfallen kann. Gleichzeitig wird untersucht, ob sie in eine Stelle mit niedrigerer Besoldungs-, Vergütungs- oder Lohngruppe umgewandelt werden kann.“
Dem CDU-Vorschlag, jährlich pauschal 4 Prozent Personalkosten einzusparen, erteilte die Ratsmehrheit eine Absage (Haushaltsrede des SPDFraktionsvorsitzenden 2003, S. 5). Stattdessen wurde der Stellenabbau immer auf das Leistungsniveau der Verwaltung bezogen und deutlich gemacht, dass trotz der Reduzierung des Personals die Serviceleistung für die Bürgerinnen und Bürgerinnen der Stadt nicht zurückgefahren wurde. Im Jahre 2006 entzündete sich aber ein Streit mit dem Koalitionspartner (Bündnis 90/Die Grünen) anhand der von den Grünen geforderten Stelle eines „Nachhaltigkeitsmanagers“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede: „Allerdings bietet dieser Spitz auf Knopf stehende Haushalt keinen Spielraum für die Einrichtung hoch dotierter Stellen wie z.B. eine Stelle für Nachhaltigkeitsmanagement und Demografie“. Die Koalition platzte dann auch im April 2006 (vgl. zum Koalitionsbruch auch Ziffer 6.1.1.3).
Interviewergebnisse zur Haushaltspolitik allgemein Die Interviewten wurden im Einzelnen gefragt, welche Gründe sie für die Haushaltssituation ihrer Stadt sehen (vgl. auch Interviewleitfaden in Anlage 1). Die SPD-Vertreter (Bürgermeister, Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender; Interviews 1, 2 und 4) machten allein die Rahmenbedingungen durch Bund und Land (insbesondere Steuergesetzgebung bei der Gewerbesteuer) sowie die allgemeine wirtschaftliche Lage für die aktuelle Haushaltssituation verantwortlich. Sie betonten uni sono, dass Beschlüsse der rot-grünen Ratsmehrheit den Haushalt nicht in „Schieflage“ gebracht hätten. Hierin sahen aber die CDU-Vertreter (Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender; Interviews 3 und 5) einen Teil der Haushaltsprobleme der Stadt: durch den Ausbau einer im Privateigentum stehenden Versammlungsstätte (Hotel: 400.000 € sowie Fahrradkeller: 100.000 €), Ausbau/Vorfinanzierung eines Radweges (640.000 €), die Anlage eines Kunstrasenplatzes auf einer Sportanlage (Mehrkosten gegenüber konventioneller Sanie-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
105
rung: 900.000 €) und „unsinnige“ Gutachten (Umweltgutachten, interkommunale Zusammenarbeit bei Gewerbegebieten). Der CDU-Fraktionsvorsitzende warf der rot-grünen Ratskoalition vor, für „Prestigeobjekte“ Geld auszugeben, wo gleichzeitig ein Sanierungsstau an öffentlichen Gebäuden (Schulen, Turnhallen) gegeben sei (Interview 3). Demgegenüber betonten der Bürgermeister und der SPDFraktionsvorsitzende, dass die Stadt in der Vergangenheit eine „solide Haushaltspolitik“ betrieben und nicht „über ihre Verhältnisse gelebt“ habe (Interviews 1 und 2). Deshalb sei man stolz darauf, dass die Stadt Infrastruktur wie Bäder, Sportplatzanlagen usw. noch vorhalten könne und „um Schließungen herumgekommen“ sei. Der Bürgermeister wies weiter darauf hin, dass die Stadt sparsam mit Ressourcen umgehe und trotzdem „eine Qualität als Dienstleisterin“ anbiete (Interview 1). Auch er unterstrich, dass die Stadt A noch viele kommunale Einrichtungen aufweise („Wir haben noch alles und wir haben noch ausgebaut“). In den Schulen seien mit hohem Aufwand PCB-Sanierungen betrieben worden. Da sei kein Investitionsstau mehr zu verzeichnen. Außerdem sei die aktuelle Haushaltslage der Stadt Gegenstand in jeder Dienstbesprechung mit den Fachbereichen (Ämtern). Die Initiative für wichtige Ratsbeschlüsse ging nach Auskunft des Bürgermeisters in den letzten 10 Jahren eindeutig von der Verwaltung aus (der Bürgermeister im Interview 1: „Beschlüsse, die gegen die Interessen der Verwaltung gefasst würden, sehe ich eigentlich überhaupt nicht“). In Einzelprojekten, der Bürgermeister nannte die Projekte „Bahnhof“ und „Neues Stadtquartier an der Ruhr“, sei die Initiative auch schon einmal von den Fraktionen bzw. von den Fraktionsvorsitzenden ausgegangen. Die bestimmenden Akteure in der Haushaltspolitik der Stadt A sah auch der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bürgermeister und im Finanzdezernenten (Interview 2). Der Bürgermeister sitze auch häufig mit den Fraktionsvorsitzenden zusammen, wobei er als Vorsitzender der Mehrheitsfraktion „weitere Vorteile“ habe, nicht zuletzt deshalb, weil der Bürgermeister „aus der SPD“ komme. Auch für die anderen Interviewten ist der Bürgermeister „und seine Verwaltung“ der bestimmende Akteur in der Haushaltspolitik. Der Bürgermeister betonte, dass die Verwaltung versuche, bereits im Vorfeld in den Fraktionssitzungen der SPD Einfluss zu nehmen (Interview 1). Die Frage, ob die Parteien in der Haushaltspolitik der Stadt A als Akteure in Erscheinung träten, wurde von den SPD-Vertretern so beantwortet, dass sich Ortsparteien mit Einzelprojekten, nicht hingegen „global“ mit dem Haushalt beschäftigten. Die Ortsvereine kümmerten sich um die Projekte in ihrem Bezirk; eine „Gesamtsicht“ auf den Haushalt hätten sie nicht. Sowohl der SPDFraktionsvorsitzende als auch der Bürgermeister seien von den Ortsvereinen
106
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
eingeladen worden, zur Haushaltssituation der Stadt Stellung zu nehmen. Dem kämen sie auch regelmäßig nach. Ähnlich ist die Situation in der CDU. Hier wurde aber auch betont, dass die Mitglieder des Kreisvorstands gleichzeitig Fraktionsmitglieder sind, so dass sich hieraus schon eine Akteursidentität ergebe. Der Fraktionsvorsitzende (Interview 3) konnte sich an keine Entscheidung der Partei erinnern, die unmittelbare Bedeutung für die Fraktionsarbeit gehabt hätte. Dies sah der CDUParteivorsitzende (Interview 5) nicht so ausschließlich. Aus den Arbeitskreisen der Partei seien durchaus schon einmal Anträge an die Fraktion gestellt worden. Die Ausschussvorsitzenden, „Grenzgänger“ in der Typologie G. Banners (vgl. Fußnote 47), spielen nach Auskunft der Interviewten keine Rolle als Akteure in der kommunalen Haushaltspolitik. Die Kommunalaufsicht sei in der gegenwärtigen Haushaltssituation der Stadt A (genehmigtes HSK) ebenfalls kein zentraler Akteur. Man habe sich dem „Verdikt gebeugt“ (SPD-Fraktionsvorsitzender; Interview 2). Der CDUFraktionsvorsitzende (Interview 3) nahm das Agieren der Stadt aber so wahr, dass man versuche, gerade so innerhalb der Vorgaben der Aufsicht zu bleiben, damit man „mit einem blauen Auge“ davonkomme. Für den Bürger sei der kommunale Haushalt nur einmal in Jahr wichtig, wenn es um die Steuerhebesätze gehe, die unmittelbare Auswirkungen auf ihn hätten; wie sich überhaupt nur ein kleiner Prozentsatz der BürgerInnen für Kommunalpolitik interessierten (CDU-Vertreter). Den Ablauf der Haushaltsplanberatungen schilderten die Befragten übereinstimmend wie folgt: Die Verwaltung bereitet den Haushalt vor und zieht dabei zum Teil auch einzelne Experten (z.B. Schulleiter) mit hinzu, wie der Bürgermeister betonte (Interview 1). Über den Jahreswechsel finden in der Regel die Haushaltsberatungen in den Fraktionen unter Beteiligung der Verwaltungsspitze (in der SPD-Fraktion auch mit dem Bürgermeister) und der Finanzabteilung der Verwaltung statt (Haushaltsklausuren). In den anschließenden Sitzungen des Haupt- und Finanzausschusses wird den Fraktionen noch einmal Gelegenheit gegeben, Anfragen und Anträge zu stellen. In der dann folgenden Ratssitzung erfolgt der Haushaltsbeschluss auf der Grundlage der von der Verwaltung zusammengetragenen Liste und unter chronologischer Abarbeitung von Anträgen der Fraktionen. Diese Verfahrensweisen können als „klassisch“ bezeichnet werden; sie finden sich so oder ähnlich in allen Kommunen in NRW. Auch hier zeigt sich deutlich die Verwaltungsdominanz im kommunalpolitischen Entscheidungssystem (Naßmacher/Naßmacher 1999), die sich in Zeiten der Haushaltskrise und der NKF-Haushalte (wegen der neuen, komplexen Rechtsmaterie) noch verstärkt haben dürfte.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen 6.1.1.3
107
Bruch der rot-grünen Koalition im Frühjahr 2006
Im April 2006 kündigten die Grünen die rot-grüne Koalition nach 7 Jahren der Zusammenarbeit. Zur Begründung führte der grüne Fraktionsvorsitzende an: „Wir sehen die nachhaltige Stadtentwicklung in [A] gefährdet. Irgendwann muss man dann mal sagen: Bis hierhin und nicht weiter“ (Stadt-Anzeiger 26.04.2006). Starke Spannungen gab es bereits im Vorfeld der Haushaltsplanberatungen 2006. Die Grünen forderten Mehrausgaben im Verwaltungshaushalt von 92.000 €, davon 70.000 € für die Stelle eines „Managers für Nachhaltigkeit und Demografie“, der die gemeinsam mit der SPD beschlossenen Projekte: stadtökologische Stadtplanung, Verkehrsentwicklungsplan, Gewässerqualitätsuntersuchungen etc. vorantreiben sollte (Interview 1 mit dem Bürgermeister). Als teilweise „Kompensation“ sollten die Einnahmen aus Parkgebühren erhöht werden (vgl. Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Haushalt 2006). Die Anträge wurden aber mehrheitlich abgelehnt. Ferner leiteten die Grünen aus dem Koalitionsvertrag mit der SPD den Anspruch auf die Besetzung einer Beigeordnetenstelle in der Verwaltung ab. Dieses Versprechen sei, „ebenso wie andere“, nicht eingelöst worden (GrünenFraktionsvorsitzender in der Westfalenpost am 27.04.2006). 110 Im Zeitungsinterview mit der Westfalenpost vom 27.04.2006 deutete der Fraktionsvorsitzende der SPD an, „dass ein Grünen-Mitglied persönlich wohl Ansprüche auf die zu schaffende Stelle [eines ‚Nachhaltigkeitsmanagers’, d. Verf.] erhoben“ hatte. Angesichts der Personalausgabensituation der Stadt verweigerten sich der Bürgermeister und der SPD-Fraktionsvorsitzende dieser Stellenausweitung. Der Bürgermeister im Zeitungsinterview: „Die von den Grünen geforderte Stelle ist in unserer jetzigen Lage, wo wir gerade einen originär ausgeglichenen Haushalt vorlegen können, einfach nicht zu realisieren“ (Stadt-Anzeiger 26.04.2006). Er stellte sich dieser Forderung „vehement entgegen“ (Westfälische Rundschau 26.04.2006). Eine Stelle für Nachhaltigkeit und Demografie, deren Kosten auf 70.000 € im Jahr beziffert wurden, sei mit der SPD nicht zu machen, so der Bürgermeister, der sich persönlich „als Klammer zwischen den Koalitionsfraktionen“ (Westfalenpost 26.04.2006) verstand. Im Interview führte der Bürgermeister zusammenfassend wie folgt aus: 110
Diese Forderung lässt sich aus dem Koalitionsvertrag SPD/Grüne für die Wahlperiode 2004 – 2009 nicht ohne weiteres herleiten. Danach hatten die Grünen zwar das Vorschlagsrecht für die nächste frei werdende Beigeordnetenstelle, die Wiederwahl des Stelleninhabers sollte aber Vorrang haben. Zum Thema „nachhaltige Stadtentwicklung und Lokale Agenda 21“ vereinbarten die Koalitionäre lediglich die aufbauorganisatorische Zusammenfassung einzelner Stabsstellen zu einem Referat „Nachhaltige Stadtentwicklung“ unter Koordinierung und Leitung der Lokalen Agenda 21; eine Stellenmehrung war damit – zumindest expressis verbis - nicht verbunden.
108
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister „Gescheitert ist die Koalition eigentlich nicht. Wir haben 7 Jahre gute gemeinsame Politik gemacht, das stelle ich immer gerne voran. Ja, der eigentliche Grund zur Aufkündigung dieser Ehe war – ich sag das mal so offen – eine Personalie. Man wollte zur Absicherung der vielen Dinge, die wir vorher auf den Weg gebracht hatten, stadtökologische Fachplanung, nachhaltiger Verkehrsentwicklungsplan, Gewässerqualitätsuntersuchungen und andere Dinge, nun einen Nachhaltigkeitsmanager ins Rathaus bringen; man hatte möglicherweise dafür auch schon einen Personalvorschlag. Da habe ich sowohl meinen politischen Freunden als auch den Grünen gesagt: das ist mit mir nicht zu machen angesichts unserer personellen Situation. Wir versuchen, die Ressourcen wirklich zu bündeln; haben sicherlich ein Defizit im personellen Bereich und dann leiste ich mir so eine Ausstattung. (…) Und als das klar war, kam die größere Fraktion, also die SPD, und sagte auch: das ist mit uns nicht zu machen. Und das war der Bruch.“ (Interview 1).
Der herbeigeführte Koalitionsbruch im April 2006 zeigt das Durchsetzungsvermögen und den Konsolidierungswillen des Bürgermeisters. Die Forderungen der Grünen nach Stellenausweitung zur Verfolgung „grüner Projekte“, was in unserem Kontext als „grüne Parteiendifferenz“ gedeutet werden kann, gefährdeten den Konsolidierungskurs des Bürgermeisters und seiner SPD-Fraktion. Also opferte er „7 Jahre gute gemeinsame Politik“; er stellte aber genau so pragmatisch fest: „Damit stellen sich die politischen Verhältnisse in [A] so dar wie in vielen Nachbarstädten schon seit längerer Zeit“ (Westfalenpost 27.04.2006). Seitdem arbeitet die SPD mit der CDU in einzelnen Projekten zusammen („Enthaltungen und Stimmentausch“, so der Bürgermeister im Interview) und beschloss mit ihr auch den Haushalt 2007 gegen die Stimmen der Grünen und der FDP. Für den CDU-Parteivorsitzenden habe sich die SPD im Koalitionsvertrag stark an die Grünen gebunden. Sie gehe jetzt, nach dem Bruch der Koalition, mehr zur Sachpolitik über (Interview 5).
6.1.1.4
Parteiendifferenz
Parteipolitisierung lässt sich – wie oben bereits dargestellt - als das Ausmaß bestimmen, in dem es den politischen Parteien gelingt, die Kommunalpolitik personell, inhaltlich und prozedural zu monopolisieren. „Inhaltliche Parteipolitisierung“ steht damit für die Beeinflussung der Kommunalpolitik durch eine klare Parteiprogrammatik (Wehling 1991). Folgende policies wurden hinsichtlich möglicher inhaltlicher Parteipolitisierung untersucht: Sparpolitik/Schuldenpolitik, Personalpolitik, Steuerhebesätze, Erhaltung kommunaler Einrichtungen, Kommunale Investitionen, Gewerbeansiedlungspolitik, Freiwillige Ausgaben und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
109
Dokumentenanalysen Für die Analyse einer inhaltlichen Parteipolitisierung in der Stadt A wurden folgende Dokumente ausgewertet:
Wahlprogramm der SPD zur Kommunalwahl 2004 („Damit [A] in guten Händen bleibt! - Bilanz und Wahlprogramm“) Koalitionsvereinbarung zwischen den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt A für die Wahlperiode 2004 - 2009 SPD-Broschüren zu den Kommunalwahlen 1994, 1999 und 2004 („Lieben Sie [A]?“) CDU-Wahlprogramm zur Kommunalwahl 1999 „Durchblick“ September 2004 (CDU) „Leitsätze der CDU-[A] ab 2004“ „Durchblick“ Mai 2005 (CDU)
In ihrem Wahlprogramm 2004 gibt die SPD die Parole aus: „Finanzpolitik mit Augenmaß, ohne dass die Infrastruktur darunter leidet“. Dies deckt sich mit den Zielen des Bürgermeisters, der sie im Interview 1 so beschreibt: „Wichtig ist mir eine hohe Aufenthaltsqualität in der Stadt“. Für den Fall, dass sich die Hauhaltslage verschlechtere, so der Bürgermeister, müsse man „den Spagat jeweils neu definieren“. Aufgrund der „außerplanmäßigen“ Gewerbesteuernachzahlung 2004 konnte das Ziel ausgegeben werden, im Wahljahr 2004 einen originär ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Im Vertrag mit den Grünen schrieben die Koalitionäre fest: „Oberstes Ziel der städtischen Finanzpolitik ist weiterhin der Haushaltsausgleich und Abbau der Altfehlbeträge“. Nicht ganz widerspruchsfrei ist allerdings die Platzierung dieses Zieles im Koalitionsvertrag: es rangiert an vorletzter Stelle nach der Beschreibung fachpolitischer Ziele wie Planen, Bauen und Verkehr, Nachhaltige Stadtentwicklung und Lokale Agenda 21, Kinder, Jugend und Schule, Kunst und Kultur sowie Soziales und Frauen. Dem gegenüber fordert die CDU in ihren Programmen, neue Schulden streng zu begrenzen, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen sowie eine „tief greifende Sanierung sämtlicher Finanzen (Kernverwaltung und Technische Betriebe)“. Sie prangert ferner die „Luxusausstattung für den BM“ an.111 In der Personalausgabenpolitik stellt die SPD in ihrer Wählerbilanz heraus, dass der Personalkostenanteil am Verwaltungshaushalt niedrig ist; und dies trotz Einstellung eines Wirtschaftsförderers, eines Agenda-Beauftragten und eines Streetworkers im Bereich der Jugendarbeit. Forderungen des grünen Koalitions111
Hintergrund ist ein politischer Streit um den Dienstwagen des Bürgermeisters, der Teilen des Rates zu großzügig ausgefallen ist.
110
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
partners auf Installierung eines Nachhaltigkeitsmanagements wurden – wie unter Ziffer 6.1.1.3 dargestellt – abgelehnt mit der Folge des Koalitionsbruchs. In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grünen war die Schaffung neuer Ausbildungsplätze im „Konzern“ Stadt A vereinbart. Dies betraf die Stadtverwaltung, die Technischen Betriebe, die Wohnungsgesellschaft und die Sparkasse. Den Grünen wurde im Koalitionsvertrag der Zugriff auf eine Beigeordnetenstelle zugesagt. Dieses Versprechen wurde aber im Laufe der Legislaturperiode aus Sicht der Grünen nicht eingelöst (vgl. aber Fußnote 110). Der Bürgermeister wertete dies als „Beitrag zur Haushaltskonsolidierung“ (Interview 1). Die CDU kritisiert in ihren Programmpapieren die „Installierung eines Bürgermeistermarketings im Rathaus“. Sie fordert ein unabhängiges Stadtmarketing bzw. eine unabhängige Wirtschaftsförderung über eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Dies muss als Gegenposition zur SPD verstanden werden, die sich in ihrem Wahlprogramm die Schaffung einer hauptamtlichen und im Dezernat des Bürgermeisters angesiedelten Stelle eines Wirtschaftsförderers als besonderes politisches Ziel auf die Fahnen geschrieben hat. Die CDU fordert weiterhin eine „sozial gerechte Beförderungspolitik für Verwaltungsmitarbeiter“ sowie eine „Verbesserung des Weiterbildungsangebots für Verwaltungsmitarbeiter“. Insgesamt ist festzustellen, dass die beiden großen Parteien die Personalausgaben der Stadt A nicht grundsätzlich parteipolitisch divergent thematisieren, sieht man von der Aussage der SPD in ihrem Programm ab, die darauf hinweist, dass der Personalkostenanteil am Verwaltungshaushalt bei 24 Prozent liegt und damit im Vergleich zu anderen Gemeinden eine „äußerst solide Größe“ darstellt. Während die SPD in ihren Programmen die Höhe der Realsteuerhebesätze mit keinem Wort thematisiert, fordert die CDU, Steuer- und Gebührenerhöhungen zu verhindern. Gewerbe- und Grundsteuern dürften nicht weiter erhöht werden. Tatsächlich erfolgten die Steueranhebungen 2003 und 2006, die mit rotgrüner Ratsmehrheit beschlossen wurden, aus Gründen der Einnahmeverbesserung. Sie gingen hier nicht, wie bei HSK-Kommunen allgemein üblich (Bogumil/Holtkamp 2006: 141), auf Genehmigungsvorbehalte der Kommunalaufsicht zurück. Mit den Technischen Betrieben ist man innerhalb der SPD sehr zufrieden, wie es sich auch aus den Interviews mit den SPD-Vertretern vermittelte. Ursächlich hierfür ist offensichtlich auch die „gute Zusammenarbeit“ zwischen dem Betriebsleiter (Erster Beigeordneter), dem Bürgermeister und dem SPDFraktionsvorsitzenden. Die CDU hingegen fordert in ihrem Wahlprogramm 1999 neben einem Kostenvergleich der Leistungen der Technischen Betriebe mit an-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
111
deren kommunalen Eigenbetrieben, dass sich die Technischen Betriebe nicht in „Konkurrenz zu Privatunternehmen“ stellen dürften.112 Bei den freiwilligen Ausgaben unterscheiden sich SPD und CDU nicht wesentlich. Beide unterstützten beispielsweise die Einrichtung der Musikschule, beide wollten den Zuschussbedarf für diese Institution im Auge behalten. Ebenso stehen sie zur Sportförderung. Während die CDU beabsichtigt, den „Sport nach Kräften zu fördern“ und die „örtliche[n] Vereine [zu] unterstützen“, wird die SPD konkreter: Verzicht auf Hallennutzungsgebühren für Vereine, keine Erhebung von Energiekosten für Sportstätten von den Vereinen, Verzicht auf die Erhebung von Erbpachtzinsen von Sportvereinen. Dasselbe Bild bei der übrigen örtlichen Kultur: Die CDU möchte die „kulturelle Vielfalt stärken“, die SPD möchte Bücherei, Kinosaal im Kulturhaus, Ruhrgalerie, Theater und die Heimatstube weiter erhalten und unterstützen. In A ist man stolz auf das Kinder- und Jugendparlament und sieht es auch als Ergänzung offener Kinder- und Jugendarbeit in der Stadt. Die SPD stellt heraus, dass der Jugendhilfeetat trotz Einsparungen in allen Bereichen der Stadtverwaltung finanziell und personell erhalten geblieben ist. Kürzungen der Landeszuschüsse wurden kommunal kompensiert (z.B. freiwillige Zuschüsse zu den Betriebskosten der Kindergärten). Aus der Koalitionsvereinbarung mit den Grünen stammt die Forderung nach Stärkung der Schulsozialarbeit (Abwehr rechtsextremistischer Umtriebe). Die CDU setzt dagegen auf das „publikumswirksame“ Thema „Ordnungspartnerschaft zwischen Stadt und Polizei“ und fordert eine Verkleinerung des Rates sowie eine Verminderung der Aufwandsentschädigungen für die Fraktionen, was von der SPD vehement abgelehnt wird. Beim Erhalt kommunaler Einrichtungen sind sich die großen Parteien im Rat hingegen wieder recht nahe: Beide fordern die Verbesserung der schulischen Ausstattung und der Betreuung in den Kindergärten. Die CDU hat zusätzlich die „Stärkung der Feuerwehr“ im Blick. Bei den kommunalen Investitionen gerieten – wie oben bereits dargestellt - einzelne Projekte in die Kritik der CDU (Radund Fußweg entlang einer Landstraße, Erweiterung und Modernisierung des Festsaales und teilweise auch die Umgestaltung/Überplanung des Bahnhofsgeländes), jedoch lassen sich signifikant unterschiedliche Positionen hier nicht ausmachen. Ähnlich liegt der Fall bei der kommunalen Infrastruktur (Parkhaus, Ausbau eines Ortskernes) und der Gewerbeansiedlungspolitik. Dem grünen Koalitionspartner ist es geschuldet, wenn im Koalitionsvertrag vereinbart wird, zukünftige Gewerbepolitik anhand von Indikatoren (Arbeitsplätze/ha, Geerbesteu112
Diese Passage des Wahlprogramms 1999 dürfte aber auch der FDP geschuldet sein, die zusammen mit der CDU den damaligen Bürgermeisterkandidaten getragen hatte (siehe unten zu den Interviewergebnissen).
112
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
ereinnahmen/ha) abhängig zu machen, und bei der Überplanung eines ehemaligen Industriegeländes fordert die CDU den Vorrang von Gewerbe vor (sozialem) Wohnungsbau, den die SPD hier favorisiert.
Interviewergebnisse Fragt man die Kommunalpolitiker nach der Wichtigkeit kommunaler Themen aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger (Responsivität113) und aus der eigenen Sicht (vgl. Interviewleitfaden in der Anlage 1, Fragen I.3 und I.4), so zeigt sich, dass in der Wahrnehmung der Politik die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen vor Ort sowie Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung höchste Priorität in A haben (vgl. Auswertung in Anlage 3)114. Mit einigem Abstand folgen die Themen „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ sowie „Schaffung und Erhaltung sozialer und kultureller Einrichtungen“. Am differenziertesten stellen sich die Antworten auf die Frage: „Für wie wichtig halten die Bürgerinnen und Bürger Ihrer Stadt und Sie selbst eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung?“ dar. In der Wahrnehmung der Politiker halten die Bürger dieses Thema für „nicht wichtig“. In den Antworten wurde immer wieder deutlich, dass „der Bürger“ nach Einschätzung der Politiker das Thema „Kommunale Haushaltspolitik“ überhaupt nicht registriert. Dem gegenüber ist das Themenfeld für die Politik „sehr wichtig“ (Bürgermeister und CDU-Vertreter) bzw. „wichtig“ (SPD-Vertreter). Insgesamt waren die Einschätzungen der Wichtigkeit kommunaler Themenfelder (inhaltliche Parteipolitisierung) bei den befragten Parteienvertretern ohne große inhaltliche Differenz. Die folgende Tabelle fasst das Ergebnis noch einmal zusammen: Tabelle 6: Bedeutung kommunalpolitischer Themen (Stadt A) Rang 1 113
Bürgersicht Kommunalpolitisches Thema Wirtschaftsförderung, Städte-
Rang 1
Politikersicht Kommunalpolitisches Thema Wirtschaftsförderung, Städte-
Unter dem Konzept der responsiveness ist das den Wünschen und Forderungen der Bevölkerung entsprechende Handeln der Abgeordneten und der Regierung zu verstehen (Gabriel/Brettschneider/Kunz 1993: 29). Das Handeln der politischen Führung darf dabei nicht dauerhaft in Konflikt stehen zu den Wertvorstellungen und der Interessenlage der Bevölkerung (Gabriel 2006: 78). 114 Dass in A, im Gegensatz zu den anderen Untersuchungskommunen, das komplexe und wenig „publikumswirksame“ Thema Stadtplanung auch bei den Bürgern einen so hohen Stellenwert hat, erklärten die befragten Politiker damit, dass die aktuellen Planungen zum Neuen Stadtquartier an der Ruhr ein breites Interesse in der Öffentlichkeit gefunden haben.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
1 3 4 5 k.A.
bau und Stadtplanung Arbeitsplätze vor Ort Öffentliche Sicherheit und Ordnung Soziale und kulturelle Einrichtungen Haushaltspolitik Straßen und Parkplätze
2 3 4 5 k.A.
113
bau und Stadtplanung Arbeitsplätze vor Ort Haushaltspolitik Soziale und kulturelle Einrichtungen Öffentliche Sicherheit und Ordnung Straßen und Parkplätze
Im Weiteren wurde untersucht, welche Verbindlichkeit das Parteiprogramm für die Fraktionsarbeit hat. Der Bürgermeister bezweifelte, dass die Fraktion das Parteiprogramm „immer vor Augen“ habe (Interview 1). Wichtiger sei in rotgrünen Zeiten der Koalitionsvertrag als Leitlinie gewesen. Während der SPDParteivorsitzende betonte (Interview 4), dass das Kommunalwahlprogramm 2004 vor dem Hintergrund leerer Kassen geschrieben worden sei, ihm aber durchaus eine gewisse Bindungswirkung nicht abzusprechen sei, sah es der SPDFraktionsvorsitzende (Interview 2) sehr viel pragmatischer: „Das Parteiprogramm ist so viel wert, wie es der Gegenwart standhält.“ Im Interview mit dem Bürgermeister (Interview 1) betonte dieser, dass „vieles auf dem Mist der Verwaltung gewachsen“ sei, dass er auf Programmbeschlüsse und auf das Kommunalwahlprogramm seiner Partei Einfluss genommen habe. Er unterstrich jedoch auch, dass er kein Parteiamt habe und im Zweifelsfall auch gegen seine Partei stimmen würde („da bewege ich mich ganz frei“). Er fühle sich in erster Linie der Stadt verantwortlich. Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden ist das Parteiprogramm nicht unmittelbar handlungsleitend für die Entscheidungen der Fraktion (Interview 3). Gleichwohl zeige sich, dass die Leitlinien, die dort aufgestellt seien, vernünftig seien. Dies betonte auch der CDU-Parteivorsitzende (Interview 5), der das kommunalpolitische Programm allerdings durchaus als Richtschnur für die Arbeit der Fraktion versteht. Im Folgenden sollen wiederum einige kommunalpolitische Schwerpunktthemen aus den Interviews analysiert werden. Der Bürgermeister (Interview 1) betonte, dass es ihm in der Haushaltspolitik darum gehe, Infrastruktur in der Stadt zu erhalten und in die Zukunft zu investieren (z.B. Energie-Contracting für öffentliche Gebäude oder Schulneubau). Dabei sei die Stadt A vergleichsweise gering verschuldet, was von der CDU als Opposition völlig anders gesehen wird, wobei sie, so der Bürgermeister, einzelne Projekte zwar mit beschlossen, dann aber die Konsequenzen für den Haushalt anschließend kritisiert habe. Die CDU habe sich als „Sparkommissar aufgeführt“, habe von „exorbitanten Schulden“
114
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
gesprochen, die unbedingt abgebaut werden müssten, man habe „Szenarien an die Wand gemalt: ‚Was hinterlassen wir nachfolgenden Generationen?’“ (Interview 2 mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden). Dies habe sich graduell etwas geändert, nachdem die Koalition mit den Grünen zerbrochen sei. Jetzt versuche man, mit der CDU in einzelnen Projekten zusammenzuarbeiten (z.B. Haushaltsbeschluss zusammen mit der CDU 2007 gegen die Stimmen der Grünen und der FDP). Auch der SPD-Parteivorsitzende stellte heraus (Interview 4), dass das Thema „Schulden“ von der CDU stark besetzt worden sei; im Interview betonte der CDU-Parteivorsitzende (Interview 5) denn auch, dass die CDU den Schuldenabbau fordere. Bei der Personalpolitik/Personalausgabenpolitik hat nach Auffassung des SPD-Fraktionsvorsitzenden bereits vor 1986 ein Umdenkungsprozess stattgefunden (Interview 2). Vorher gab es sicherlich die Meinung, man müsse dafür sorgen, dass die Verwaltung Arbeitsplätze schafft. Es gab hin und wieder auch mal „Unterbringungsfälle“. Von dieser Philosophie habe man sich aber strikt gelöst und eingesehen, dass eine schlanke Verwaltung Einsparungseffekte zeitigen könnte. Im Politikfeld der Personalpolitik habe es mit dem seinerzeitigen Koalitionspartner, den Grünen, erhebliche Kontroversen gegeben [Anspruch der Grünen auf einen Beigeordneten-Posten, später auf eine Stabsstellenleitung (Demografie und Stadtentwicklung)], an denen die Koalition im Frühjahr 2006 zerbrach. Die CDU bewertete die Personalausgaben der Stadt als „hoch“. Aus ihrer Sicht hat es mit der SPD eine Kontroverse um eine Stelle im Stadtmarketing, das aufbauorganisatorisch beim Bürgermeister angesiedelt worden sei, gegeben. Dort hätte die SPD auf eine Stelleneinrichtung bestanden; die CDU hätte eine verwaltungsferne Lösung bevorzugt. Im Bereich der Ausgaben für freiwillige Leistungen (z.B. Kultur) übe die SPD eine „Schutzfunktion über Mitarbeiter“ aus. So sei die SPD aus diesem Motiv heraus gegen eine Kooperation der Bücherei mit der Kirche gewesen (Interview 5). Aus den Interviews wurde wiederum deutlich, dass es zwischen dem „linken“ und dem „bürgerlichen Lager“ im Rat der Stadt einen Dissens in Fragen der Grund- und Gewerbesteuer-Hebesätze gegeben hat. SPD und Grüne haben die Steuererhöhungen durchgesetzt, um die Einnahmesituation zu stärken. CDU und FDP waren dagegen. Bei der kommunalen Infrastruktur ist es der SPD in der Vergangenheit immer darum gegangen, diese für die Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Der SPD-Fraktionsvorsitzende nannte in diesem Zusammenhang die beiden Hallenbäder, die mit enormem Aufwand renoviert worden seien (Interview 2). Auf die Frage, ob das die CDU auch so sehe, sagte er, dass jene in dieser Frage in den letzten Jahren gespalten gewesen sei. Sie hätte den „Sparkommissar gespielt“,
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
115
gleichzeitig aber nicht den Mut gehabt, Schließungen zu beantragen oder Erbpachtzinsen von Sportvereinen zu fordern. Bei anderen kommunalen Einrichtungen habe es keinen Dissens im Rat gegeben. Keine im Rat vertretene Fraktion habe ein Schwimmbad oder ein Jugendzentrum in Frage gestellt. Bei der Musikschule habe man übereinstimmend eine Deckelung des Zuschusses auf 300.000 € pro Jahr beschlossen. Die Institution selber sei aber von keiner Seite in Frage gestellt worden. Lediglich die SPD habe sich in Teilen mit der Musikschule schwer getan („Das ist eine Jugendmusikschule, Erwachsene gehören da nicht hin“). Sowohl die SPD- als auch die CDU-Vertreter betonten, dass es in Fragen von Gewerbeansiedlung, Straßenbau, Parkplätze etc. in der Vergangenheit eher Kontroversen mit dem SPD-Koalitionspartner, den Grünen, gegeben habe („Hürden aufgestellt“, „Ärger mit den Grünen“, „Gefangenschaft mit den Grünen“). Große Projekte (Westfalia-Gelände, Altstadtsanierung) seien aber immer von einer breiten Mehrheit getragen worden. Die Privatisierung kommunaler Aufgaben gehört für den Bürgermeister zu den wenigen Aufgaben auf kommunaler Ebene, die man ideologisch diskutieren könne (Interview 1). Wegen der positiven finanziellen Auswirkungen sei der Reinigungsbereich zunehmend ausgeschrieben worden, wobei als Strategie gelte: gebäudeweise und sozialverträgliche Umsetzung. Ansonsten mache die Stadt mit den Technischen Betrieben alles noch selber. Da habe man „Bemühungen“ in der Vergangenheit abwehren können. Auch CDU und FDP hätten erkannt, dass die Technischen Betriebe erfolgreich arbeiteten mit Gebührenstabilität seit mehr als 10 Jahren. Dies wurde vom CDU-Parteivorsitzenden bestätigt (Interview 5): die Technischen Betriebe würden akzeptiert. Der SPD-Fraktionsvorsitzende räumte allerdings ein, dass sich seine Fraktion sehr schwer getan habe, den Reinigungsservice aus Kostengründen zu privatisieren (Interview 2). Dies sei nur mehrheitsfähig gewesen, weil die Arbeitsplätze „sozialverträglich abgebaut“ würden. Dies wurde auch vom SPD-Parteivorsitzenden betont (Interview 4): Die Privatisierung der Eigenreinigung habe die SPD mitgetragen, da hier sozialverträgliche Lösungen für die Beschäftigten gefunden wurden. Man beklage sich zwar jetzt über die Reinigungsstandards; aber zurzeit denke niemand ernsthaft daran, wieder eigenes Personal einzustellen.
116
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
6.1.1.5
Zentralisierung der Haushaltspolitik
Interviewergebnisse In diesem Kapitel geht es um die Position des Bürgermeisters in seiner Funktion als Ratsvorsitzender und Verwaltungschef. Zunächst war die Frage zu klären, ob nach Einschätzung der Interviewten die Bürger und Bürgerinnen bei der letzten Kommunalwahl (2004) eindeutig zwischen der Person des Bürgermeisters und der Partei, der er angehört, unterschieden hätten. Für den Amtsinhaber selber haben die Bürger seiner Stadt klar zwischen der Wahl des Bürgermeisters und der SPD unterschieden (Interview 1). Er machte das zum einen am Wahlergebnis fest (Bürgermeister: 51,0 %; SPD: 45,1 %) und des Weiteren an der „Tatsache“, dass er auch im konservativen Lager „durchaus eine Reputation habe“. Für ihn war es die zweite direkte Wiederwahl, nachdem er 1997 zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister (vom Rat) gewählt und bei der ersten Direktwahl 1999 im Amt bestätigt wurde. Ferner führte er im Interview für sich ins Feld, dass die SPD (insbesondere 1999) durch Einflüsse von der Bundes- und Landesparteiebene „sehr gelitten“ hätte, ohne dass ihn dies Stimmen gekostet hätte. Er deutete an, dass er im Wahlkampf nicht von der SPD in Gänze getragen worden sei („Feind, Todfeind, Parteifreund“), so dass der deutliche Abstand zum Parteiwahlergebnis als sein persönlicher Erfolg zu werten sei. Diese Sicht wurde auch vom SPD-Fraktionsvorsitzenden und ebenso von den CDU-Vertretern geteilt (Interviews 2, 3 und 5). Für letztere habe der Bürgermeister seinen Amtsbonus ausspielen können, zumal der Gegenkandidat weitgehend unbekannt und relativ jung gewesen sei. Der SPD-Parteivorsitzende hingegen sah das etwas differenzierter, indem er den Wählern eher strategische Absichten bei ihrer Wahlentscheidung zugesteht (Interview 4): „Die paar Prozent, die sehe ich eher darin, dass viele gesagt haben: was soll ich jetzt einen Bürgermeister wählen von der FDP oder den Grünen, der kommt eh nicht durch. Dann muss ich noch mal wählen gehen, also wähle ich gleich den von der SPD. Ich denke mal, daran haben die Prozente gelegen. Er ist auch relativ beliebt hier in der Stadt. Das muss man auch sehen; von daher passte das.“
Die Kriterien, nach denen die Parteien ihre Kandidaten für die Kommunalwahl 2004 ausgewählt hatten, können wie folgt zusammengefasst werden: für die SPD war der Amtsinhaber der „natürliche“ Kandidat, weil er eine einschlägige Verwaltungsausbildung hat und die Verwaltung „von der Pike auf“ kennen gelernt habe (er ist Diplomverwaltungswirt FH). So heißt es in der Wahlbroschüre „Lieben Sie [A]?“ zur Kommunalwahl 1999:
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
117
„Wir Sozialdemokraten in [A] wollen nicht irgendeinen Bürgermeister. Wir wollen [den jetzigen Amtsinhaber]. Der ist für dieses Amt am besten geeignet. Er hat die notwendige Erfahrung. Er kennt sich als Verwaltungschef aus, weil er sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat. Seit 33 Jahren arbeitet er vor Ort im Dienste der Bürger.“
Und auch 2004 warb die SPD mit der „Sachkompetenz des Bürgermeisters“ und betonte seine „ausgeprägten Führungsqualitäten“. Bei der CDU spielten bei der Kandidatenauslese 1999 und 2004 verwaltungsfachliche Qualifikationen dagegen keine Rolle (Interview 5). So war denn auch der Kandidat 1999 Hütteningenieur von Beruf, der Kandidat 2004 Diplom-Kaufmann. Das Erfordernis fachlicher Qualifikation für das Amt des Bürgermeisters wurde von den Politikern unterschiedlich eingeschätzt115: Während der SPDParteivorsitzende in einer verwaltungsfachlichen Qualifikation keine Grundvoraussetzung für das Bürgermeisteramt sah (Interview 4) und auch der CDUFraktionsvorsitzende sie für „nützlich“, aber nicht für zwingend hielt („auch M. Thatcher und A. Merkel sind Naturwissenschaftlerinnen und sind bzw. waren trotzdem erfolgreiche Regierungschefinnen“; Interview 3) sahen die anderen Interviewten mangelnde Qualifikationsvoraussetzungen als kritisch an. Nach Auffassung des SPD-Parteivorsitzenden gebe es aber in jeder Verwaltung ausreichenden fachlichen Sachverstand, auf den sich ein Bürgermeister stützen könne (Interview 4). So einfach mochte es der amtierende Bürgermeister nicht sehen (Interview 1): Für ihn sei jemand, der ohne Verwaltungsausbildung in dieses Amt komme, auf einen „absolut loyalen Verein“ angewiesen. Deshalb sei es besser, selber über das nötige know how zu verfügen. Dies verweist auf die generellen Eigenschaften und Fähigkeiten, die ein Bürgermeister nach Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger (Responsivität) bzw. eigener Einschätzung der Befragten haben sollte (vgl. Frage II.21 des Interview-Leitfadens und Anlage 4 dieser Dissertation). Signifikant sind die Abwei115
Die Gemeindeordnung stellt an das Amt des Bürgermeisters keine fachlichen Qualifikationsanforderungen (§ 65 GO NRW). Obwohl in der Diskussion um die Reform der Gemeindeordnung NRW Ende der 1980-er und Anfang der 1990-er Jahre (vgl. zum Reformprozess ausführlich Bovermann 1999) von kommunalen Spitzenverbänden Forderungen hinsichtlich der formalen Qualifikation des Hauptverwaltungsbeamten erhoben wurden und als Machterhaltungsstrategie des Verbandes der Hauptgemeindebeamten und Beigeordneten gedeutet wurde (Bovermann 1999: 97), muss der direkt gewählte Bürgermeister – im Gegensatz zum früheren Gemeindedirektor – tatsächlich keinerlei Qualifikationsnachweise vorweisen. Zu den Positionen der Parteien und Verbände in der Diskussionsphase zur Gemeindeverfassungsreform Ende der 1980-er Jahre siehe auch Holtkamp/Gehne 2002: 77, Bovermann 1999: 97 f., Kleinfeld 1996: 103. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Tatsache, an das Amt des Bürgermeisters keine formale Qualifikation zu knüpfen, die Absicht, dieses für „Jedermann“ zu öffnen (Nienaber 2004: 58, 198, 204f.). Für die Befürworter der Reform war klar: Der Bürger wird schon geeignete Persönlichkeiten wählen (zu Ergebnissen der ersten Direktwahl 1999 siehe ausführlich Holtkamp/Gehne 2002).
118
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
chungen bei den Merkmalen „Führungsqualitäten“116 und „Verwaltungsführungserfahrung“117. Während der Bürgermeister das Merkmal „Führungsqualität“ sowohl aus der Bürgersicht als auch persönlich für „sehr wichtig“ hielt (Interview 1), schätzten das die Parteienvertreter tendenziell schwächer ein. Einig war man sich hingegen darin, dass der Bürger in der Verwaltungsführungserfahrung des Bürgermeisters kein wichtiges Merkmal sieht und die Politikvertreter diese Position weitgehend teilen. Der Bürgermeister hielt diesen Punkt allerdings wiederum für „sehr wichtig“. Dies korrespondiert mit dem Amtsverständnis des Bürgermeisters. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt für ihn am Verwaltungsschreibtisch (Interview 1). Zwar gehöre das Repräsentationsgeschäft ebenfalls zum „Job“. In vielen Fällen müsse man die Dinge in Kombination sehen, weil Verwaltungshandeln „draußen“ auch auf Akzeptanz angewiesen sei. Als Beispiel führte er das „Top-Projekt“ der Stadt A, das Neue Stadtquartier an der Ruhr, an. Dass ihm die Vermittlung seiner Verwaltungsarbeit nach draußen gelinge, führte er auf die Tatsache zurück, dass es „keine oder kaum kritische Leserbriefe zur Arbeit der Stadtverwaltung“ gebe. Die Vermittlung seiner Arbeit gelinge ihm „relativ geräuschlos“. Dies schließe auch die Notwendigkeit ein, Haushaltskürzungen vorzunehmen. Er schiele da nicht auf seine Wiederwahlchancen.118 Schon 1999 habe er klar formuliert, dass die Zeiten schlechter würden und „wir uns den Gürtel enger schnallen müssen“. Dies habe ihm beim Wahlergebnis nicht geschadet. Die Bedeutung einzelner Merkmale eines Bürgermeisters – jeweils als perzipierte Bürgermeinung und als Akteursmeinung - fasst die folgende Tabelle noch einmal zusammen (vgl. auch Anlage 4) 119:
116
Darunter ist die Eigenschaft eines Bürgermeisters zu verstehen, sich in Rat und Verwaltung mit eigenen Ideen durchsetzen zu können (Bogumil/Holtkamp/Gehne 2003: 337) 117 Hier bilden sich die Vorpositionen des Bürgermeisters ab: politikzentriert versus verwaltungszentriert (siehe auch Abb. 1). 118 Der Bürgermeister in A stellt sich 2009 nicht zur Wiederwahl. Er scheidet aus Altersgründen aus. 119 Vgl. auch die Ergebnisse der Bertelsmann-Studie zum „Beruf Bürgermeister/in“. Hier liegt in der Relevanz der persönlichen Eigenschaften das Merkmal „Fachwissen in Verwaltungsfragen“ deutlich hinter Merkmalen wie Glaubwürdigkeit, Bürgernähe und Sympathie (Bertelsmannstiftung 2008: 43). Im Ergebnis auch Andersen 2002: 46, 52. In den Erwartungsprofilen der BürgerInnen an die neuen Bürgermeister rangiert „Verwaltungsführungserfahrung“ auf Position 8 deutlich hinter anderen Merkmalen wie „Glaubwürdigkeit“, „Führungsqualitäten“ und „Bürgernähe“.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
119
Tabelle 7: Eigenschaften und Fähigkeiten Bürgermeister (Stadt A)
Merkmal Bürgernähe Einsatz für Minderheiten Führungsqualitäten Gemeindeverbundenheit Glaubwürdigkeit Eigenes politisches Profil Neutralität gegenüber allen Parteien120 Sympathieträger Verwaltungsführungserfahrung
Perzipierte Bürgermeinung Rangplatz 1 *
Akteursmeinung
Rangplatz 1 *
Rangdifferenz 0
6 4 2 7
3 7 1 8
3 -3 1 -1
4
4
0
3 8
5 6
-2 2
* keine Wertung, da nach Angabe der Mehrzahl der Interviewten in der Stadt A „kein Thema“
Die drei wichtigsten Eigenschaften eines Bürgermeisters sind danach für die befragten Politiker in der Stadt A (sowohl aus eigener als auch aus perzipierter Sicht): Bürgernähe, Glaubwürdigkeit und Sympathieträger. Das Merkmal „Führungsqualitäten“ wird von den Politikern deutlich wichtiger eingeschätzt als in der perzipierten Bürgermeinung. Das Merkmal „Verwaltungsführungserfahrung“ rangiert hingegen im hinteren Feld. Dieses Ergebnis deckt sich, insbesondere was die Nennung der Spitzeneigenschaften eines Bürgermeisters und die Positionierung der Verwaltungsführungserfahrung angeht, mit den Untersuchungen von Holtkamp/Gehne zum Leistungsvergleich von Bürgermeistern in NRW und Baden-Württemberg (Holtkamp 2002b, Bogumil/Holtkamp/Gehne 2003). Untersucht man im Zusammenhang mit den kommunalen Macht- und Entscheidungsprozessen in A die Machtposition des Bürgermeisters (Bogumil/Holtkamp 2005) gegenüber der Verwaltung und gegenüber der MehrheitsFraktion, so stellten sowohl der SPD- als auch der CDU-Fraktionsvorsitzende heraus (Interviews 2 und 3), dass der Bürgermeister seine Vorstellungen in der 120
Dies schließt die Bereitschaft ein, in wichtigen Fragen auch Konflikte mit der eigenen Partei auszutragen (Bogumil/Holtkamp/Gehne 2003: 337).
120
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Verwaltungsleitung dezidiert durchsetze, er nehme seine „Richtlinienkompetenz aktiv wahr“. Für den CDU-Parteivorsitzenden ist der Bürgermeister sehr dominant (Interview 5). Er führte das darauf zurück, dass nur noch 2 Beigeordnete mit ihm zusammen den Verwaltungsvorstand bilden und der Kämmerer von ihm abhängig sei.121 Der SPD-Fraktionsvorsitzende betonte, dass der Bürgermeister die „Rückendeckung seiner Fraktion“ habe, auch wenn es um Personalkosteneinsparung geht: „Da würde ich schon sagen, dass er dort sehr dezidiert seine Vorstellungen durchsetzt. Zum einen innerhalb des Hauses, aber auch mit Zustimmung der einzelnen Fraktionen, vor allen Dingen aber seiner Mehrheitsfraktion. (…) Also hier ist in den letzten Jahren der Personalkostenanteil am alten kameralistischen Haushalt enorm zurechtgestutzt worden. Wir näherten uns mal der 30 %-Grenze, sind mittlerweile weit unter 30 %. Was natürlich auch bedeutet, dass denjenigen, die in der Verwaltung arbeiten, einiges abverlangt wird. Das muss man deutlich sehen. Aber die Personalkosten sind in den letzten Jahren, und das war eine Forderung, die wir auch immer gestellt haben, heruntergesetzt worden.“ (Interview 2)
In der eigenen Einschätzung übt der Bürgermeister seine Verwaltungsleitung „kollegial“ aus (Interview 1). Insbesondere die Zusammenarbeit in der Verwaltung wurde von ihm als „Mannschaftsleistung“ beschrieben.122 Er betonte den informellen Umgang im Verwaltungsvorstand. Bei den Verwaltungsvorstandssitzungen seien immer die wichtigsten Amts- und Fachbereichsleiter dabei. Ihm ginge es bei diesen Sitzungen einerseits um Information, aber auch um „Identifikation mit dem Laden“ und um ein „Miteinander“. Auch Fragen der Haushaltskonsolidierung oder Personalkosteneinsparungen seien immer von allen mitgetragen worden. Er könne sich nicht an „große Kämpfe“ erinnern. Er kümmere sich nicht originär um den Haushalt; das machten der Erste Beigeordnete und der Leiter der Kämmerei. Wenn es aber um einzelne Projekte geht, da bringe er sich sehr stark ein. Aufgrund seiner Ausbildung und langen Verwaltungserfahrung sei er „thematisch drin“, da wisse er, worüber man spreche. In Haushaltsdingen gebe es eine „enge Verzahnung“ mit seinen unmittelbaren Mitarbeitern. Beleuchtet man die Machtposition des Bürgermeisters gegenüber seiner SPD-Fraktion, so betonten alle Interviewten den starken Einfluss des Bürger121
Die Position des Baudezernenten wurde in A nicht wieder besetzt; die Aufgabe nimmt nun der Bürgermeister wahr. Wie oben bereits erwähnt, ist der Erste Beigeordnete nicht formal Kämmerer; diese Aufgabe wird vom Leiter der Kämmerei wahrgenommen, der „in der Linie“ weisungsabhängig ist. 122 Die Benutzung dieser prägnanten Formel kommt sicherlich nicht von ungefähr: In den Wahlkampfbroschüren der SPD wird der Bürgermeister als ehemaliger Rudersportler vorgestellt, „… der schon seit frühester Jugend weiß, dass man hart in die Riemen muss, wenn man gemeinsam Ziele erreichen will“ (SPD-Broschüre „Lieben Sie [A]?“ zur Kommunalwahl 1999).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
121
meisters auf seine Fraktion. Der CDU-Parteivorsitzende brachte es so auf den Punkt: „Der Bürgermeister bzw. die Verwaltung dominieren die SPD-Fraktion schon sehr stark nach dem Motto: ‚Der Bürgermeister schickt uns was und die Fraktion muss machen’. (…) Vieles kommt daher gar nicht von der SPD, sondern von der Verwaltung, sprich: vom Bürgermeister. (…) Die SPD-Fraktion verteidigt auch immer die Verwaltungsvorlagen, zähneknirschend zwar manchmal, aber doch immer mit allen Waffen.“ (Interview 5)
So sah es auch der Bürgermeister: An Beschlüsse, die gegen die Interessen der Verwaltung gefasst wurden, erinnere er sich nicht (Interview 1). Dem SPDFraktionsvorsitzenden komme dabei die Rolle zu, den „Laden zusammenzuhalten“. Die SPD mache einen „äußerst geschlossenen Eindruck“ (CDUFraktionsvorsitzender; Interview 3). Vieles sei im Vorfeld mit dem Bürgermeister abgesprochen (SPD-Parteivorsitzender; Interview 4). Speziell bezogen auf seine Rolle bei den Haushaltsplanberatungen betonte der Bürgermeister, dass er zunächst versuche, eine moderierende Rolle einzunehmen, müsse aber angesichts der faktischen großen Koalition seit 2006 verstärkt „Mehrheiten zusammenknüpfen“ (Interview 1). Der SPDFraktionsvorsitzende stellte heraus, dass der Bürgermeister, wenn es um Fragen der Haushaltskonsolidierung gehe, dezidiert seine Haltung nach außen bringe (Interview 2). Seine moderierende Rolle werde also unterstützt durch eine klare und deutliche Stellungnahme, wie er sich die nächsten Entscheidungen oder die nächsten Jahre politisch vorstelle, „ohne dass er jetzt die Fraktion oder die Partei in einen Maulkorb reinzuzwingen versucht“. Deutlicher wurde der SPDParteivorsitzende (Interview 4): Der Bürgermeister habe die finanziellen Rahmenbedingungen aufgezeigt und die Fraktionen hätten die Rahmen „füllen“ können. Beim ersten NKF-Haushalt 2007 seien die Vorgaben noch stärker durch den Bürgermeister gekommen. Dies verweist auf die Frage, wie die Interviewten die Bedeutung individuellen Handelns durch den Bürgermeister einschätzen, losgelöst von den formalen Kompetenzen der Gemeindeordnung. Dem Bürgermeister kommt nach eigener Einschätzung eine „Richtlinienfunktion“ zu (Interview 1). Bezogen auf sich selber stellte er heraus, dass er sehr schnell eine Unabhängigkeit gegenüber der Partei erzielen konnte. Er begründete dies damit, dass die SPD zwei Jahre nach seiner Bürgermeisterwahl durch den Rat 1999 die absolute Mehrheit verloren habe. Absolute Mehrheiten erzeugten aber „einen anderen Erwartungsdruck“, dem er so nicht mehr ausgesetzt war. Hinzu komme seine über 40-jährige Erfahrung in der Stadtverwaltung A.
122
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Auch die anderen Interviewten schätzten das individuelle Handeln des Bürgermeisters als sehr entscheidend ein. Die Ratsmitglieder seien doch nur „Amateure“, der Bürgermeister habe einen enormen Informationsvorsprung. Dass ein „schwacher“ Bürgermeister aber trotz seiner formalen Machtbefugnis scheitern könne, beweise das Beispiel aus einer Nachbarstadt.
6.1.1.6
Zusammenfassung der Analyse Stadt A
Fasst man die Haushaltsergebnisse der Stadt A im Betrachtungszeitraum zusammen, so ist festzustellen, dass mit dem Haushaltssicherungskonzept 1997 bis 2001 eine erhebliche Konsolidierung verbunden war, weil ein Abbau von Fehlbeträgen und eine Entschuldung im Kernhaushalt erfolgten. Aufgelaufene Fehlbeträge im Verwaltungshaushalt machten ab 2002 jedoch wieder ein HSK erforderlich. Unvorhergesehene Gewerbesteuermehreinnahmen in 2002 konnten allenfalls das originäre Defizit in diesem Haushaltsjahr begrenzen. Trotz dieser insgesamt negativen Haushaltsentwicklung war das strukturelle Defizit im interkommunalen Vergleich 2003 immer noch stark unterdurchschnittlich ausgeprägt. Ein „Abgleiten“ ins Nothaushaltsrecht konnte immer vermieden werden. Lediglich 6 von 28 kreisangehörigen Ruhrgebietsstädten > 20.000 Einwohner befanden sich in dieser vergleichsweise guten Position. Auch im Vergleich mit den Untersuchungskommunen kann die Stadt A die zweitbeste Position aufweisen. Ab 2003 steigen allerdings die fundierten Schulden im Kernhaushalt. Die Stadt befindet sich mit ihrer Gesamtverschuldung 2005 aber immer noch im Mittelfeld des interkommunalen Vergleichs; bei den Schulden im Kernhaushalt im Minimum. Die Hauhaltseinnahmeseite wurde geprägt durch ein „Anziehen“ der „Realsteuerhebesatzschraube“. Die Steuersätze lagen damit über dem Niveau des GFG bzw. von Kommunen gleicher Größenordnung. Beim Hebesatz Grundsteuer B lag die Stadt A mit 406 Punkten leicht über dem Durchschnitt der KreisKommunen (384 Punkte).123 In A ergab sich 2003 die Situation, dass die rotgrüne Ratsmehrheit eine Erhöhung der Gewerbesteuer auf 468 Prozentpunkte beschloss. Damit lag die Stadt unter den Top 10 aller 373 kreisangehörigen Kommunen in NRW. Erklärtes Ziel der SPD war es dabei, die kommunalpoliti123
Die Bedeutung der Gewerbesteuerhebesätze für die örtliche Gewerbeansiedlungspolitik wird gemeinhin überschätzt (Holtkamp 2000: 131). Gleichwohl dürften zu große Differenzen zwischen den Kommunen langfristig doch Einfluss auf die Attraktivität des Standortes haben. Die Erhöhung der Gewerbesteuerhebesätze ist im Allgemeinen, trotz der grundgesetzlich garantierten Hebesatzautonomie der Kommunen, dem Druck der Aufsichten auf die Kommunen geschuldet (Bogumil/Holtkamp/Wollmann 2003: 43).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
123
sche Handlungsfähigkeit zu erhalten. Obwohl nahezu landesweite Spitzenreiterin beim Gewerbesteuerhebesatz, sah der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Anhebung keinen „Erdrosselungscharakter für die Betriebe in der Stadt“ (Interview 2). Ein Vetopunkt durch die SPD-Mehrheit ergab sich allenfalls bei der von der Verwaltung vorgeschlagenen Grundsteuer B-Erhöhung. Hier sah die SPD insbesondere die Wohnungsmieter, ihr potenzielles Wählerklientel, über Gebühr belastet. Die Verwaltung der Stadt A „rühmt“ sich einer auf Konsolidierung ausgerichteten Personalausgabenpolitik. Dies spiegelt sich in der Position der Stadt im interkommunalen Vergleich prinzipiell auch wider. Die Stellen- und Personalausgabenentwicklung weist in A einen leichten Rückgang der Stellenanteile sowie einen tariflich bedingten leichten Anstieg der Personalausgaben auf. Im interkommunalen Vergleich positioniert sich die Stadt damit aber immer noch unterdurchschnittlich; im Vergleich der Untersuchungskommunen liegen die Personalausgaben für die Kernverwaltung deutlich unter denen aus den Untersuchungskommunen C und D. Das Niveau der Stadt B (CDU-regiert) kann allerdings nicht erreicht werden. Die Stadt hat in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, die Personalausgaben durch Stellenreduzierungen positiv zu beeinflussen. Nach eigenem Bekunden ist allerdings eine „Grenze erreicht, die einen [weiteren] intensiven Personalabbau nicht mehr zulasse“ (Erster Beigeordneter in seiner Haushaltsrede 2003). Dafür verantwortlich gemacht werden auch extern vorgegebene Standards in den Bereichen Soziales (kommunal finanzierte Sozialhilfe, Grundsicherung), Jugend (Unterhaltsvorschussgesetz) und Schule (Einsatz neuer Medien, Betreuungsangebote). Erkennbar ist das Bemühen, die Brutto-Personalausgaben über die Zeit mindestens konstant zu halten und über einzelne Maßnahmen (z.B. Reinigungsprivatisierung) Einsparungen zu erzielen. Durch formale Privatisierung (Technische Betriebe), materielle Privatisierung (Übertragung der Reinigung auf den „Markt“)124 und Ausweitung des bürgerschaftlichen Engagements gelingt es der Stadt A, Konsolidierungseffekte im Personalausgabenbereich zu erzielen. Auch besteht die Bereitschaft, einzelne Stellen aus dem Tarifvertrag herauszulösen und durch Honorarkräfte zu ersetzen (z.B. Musikschullehrer), wenngleich sich die haushaltsmäßigen Auswirkungen zum Zeitpunkt dieser Analyse noch nicht gezeigt haben. Es ist ein inkrementales Anpassen der Personalausgaben an veränderte Rahmenbedingungen zu beobachten, orientiert an einem definierten Servicestandard, kein radikales Kürzungskonzept wie in der Stadt B (vgl. die dortige Analyse). Dem Konsolidierungskurs im Bereich der Personalausgaben wurde sogar eine in den Augen des Bürgermeisters „erfolgreiche“ Koalition mit den Grünen 124
Bogumil/Holtkamp 2002 und 2006: 150
124
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
„geopfert“. Das grüne Projekt eines „Nachhaltigkeitsmanagers“125, dessen Stelle Mehrkosten in Höhe von 70.000 € pro Jahr für den städtischen Haushalt bedeutete, hätte das Ziel eines originär ausgeglichenen Haushalt 2006 gefährdet. Der Bruch der Koalition dokumentiert das Durchsetzungsvermögen und den Konsolidierungswillen des Bürgermeisters, wie überhaupt in der Haushaltspolitik vor Ort der Bürgermeister im Zusammenspiel mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden eindeutig dominiert. Dabei kann er sich auf eine loyale Verwaltung und einen Ersten Beigeordneten und Finanzdezernenten, der nicht Kämmerer im Sinne der Gemeindeordnung ist, stützen. So stellte es auch der CDU-Fraktionsvorsitzende auf die Frage, welche Akteure die Haushaltspolitik in A bestimmen, im Interview 3 dar: „Ich würde mal sagen: der Bürgermeister und der [Erste Beigeordnete], die geben die Richtung vor. Das wird dann mit der SPD, also mit der in [A] führenden Partei, schon ausklamüsert: ‚Das wollen wir unbedingt’ und, ja, dann bleiben ein paar Pünktchen übrig, wo die SPD sagt: ‚Wir als Partei wollen aber auch hier Akzente setzen, nicht nur die Stadt’. Obwohl das im Grunde sehr verwoben ist. Zum Teil ist es auch Show. (…) Der Fraktionsvorsitzende hat schon eine Menge Einfluss darauf, wie die Partei sich in Abstimmungen verhält. (…) Derjenige, der dafür sorgt, dass der Laden [in der Fraktion; d. Verf.] läuft, ist der [SPD-Fraktions-] Vorsitzende.“
Soweit eine programmbezogene Parteiendifferenz feststellbar war, ist diese eher auf Rücksichtnahme auf tatsächliche oder potenzielle Koalitionspartner zurückzuführen (z.B. ökologische Stadtplanung: SPD/Grüne; Kritik an den Technischen Betrieben: CDU/FDP) denn auf inhaltliche Monopolisierung. Im Übrigen sind Programmbeschlüsse und Koalitionsvereinbarungen noch keine konkrete Politikumsetzung (Performanz), wie man am Bruch der rot-grünen Koalition im Frühjahr 2006 sehen kann. Keine grundlegenden ideologischen Unterschiede waren zwischen SPD und CDU bei der Frage der Personalpolitik/Personalausgabenpolitik festzustellen, was man im Falle der SPD durchaus als Abkehr vom wohlfahrtsstaatlichen Muster interpretieren kann. Zwar wird (ebenso wie bei der CDU) die gesellschaftliche Komponente einer kommunalen Personalpolitik gesehen, man hat aber, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, „in den sauren Apfel gebissen“ und städtisches Reinigungspersonal und Stellen bei den Technischen Betrieben aus Kostengründen sozialverträglich abgebaut. Allerdings dürfe man sich hier „nicht zu Tode sparen“ (Interview 2). Die Steuererhöhungen 2003 (Grundsteuer und Gewerbesteuer) und 2006 (Gewerbesteuer) gegen den Widerstand von CDU und FDP können hingegen als 125
Hier zu interpretieren als „grüne Parteiendifferenz“.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
125
Ausdruck des Parteieneinflusses gedeutet werden (Wagschal 1996b), zumal die Erhöhungen nicht von der Kommunalaufsicht gefordert wurden, weil die fiktiven Steuerhebesätze bereits überschritten waren. Linksorientierte Mehrheiten im Gemeinderat neigen zu höheren Steuerhebesätzen (Kunz 2000, Steiner 2005, Wagschal 2005: 416). Die Forderungen der CDU nach verstärkter Ordnungspartnerschaft zwischen Stadtverwaltung und Polizei kann als Ausbau staatlicher Ordnungs- und Sicherheitsleistungen angesehen werden, eine Position, die konservativen Parteien zugeordnet werden kann (Gabriel et al. 1992). Haushaltswirksam sind diese Forderungen allerdings nicht geworden. Den Umgang der Stadt A mit ihrer Haushaltspolitik kann man als Ausdruck exekutiver Führerschaft in der politischen Willensbildung durch den Verwaltungschef interpretieren. Der Bürgermeister ist (zusammen mit dem Ersten Beigeordneten, mit dem er sich auch persönlich gut versteht) der bestimmende Akteur in der Haushaltspolitik. Der Fraktionsvorsitzende der SPDMehrheitsfraktion wird einbezogen im Sinne eines „Vorentscheider“-Konzeptes (Banner 1984). Dieser hält dem Bürgermeister in der Fraktion den „Rücken frei“. Ansonsten ist von einer weitgehenden Verwaltungsdominanz im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess (Naßmacher/Naßmacher 1999; Junkernheinrich 1991: 82) auszugehen. Der Bürgermeister sichert das Thema „Haushaltskonsolidierung“ bereits auf Parteiebene ab, indem er auf Programmbeschlüsse schon im Vorfeld Einfluss nimmt und „Vieles auf dem Mist der Verwaltung [wachsen]“ lässt. Innerhalb der Verwaltung setzt der Bürgermeister auf „Teamplay“ und bindet die nachgeordneten Ebenen in die Entscheidungen mit ein. Die Haushaltslage der Stadt ist Gegenstand in jeder Dienstbesprechung mit den Führungskräften der Verwaltung. Handlungsleitend ist für den Bürgermeister, die Handlungsfähigkeit der Verwaltung zu erhalten bzw. ein reibungsloser Verwaltungsablauf. Dabei setzt er auch auf Identifikation mit Konsolidierungszielen. Dadurch, dass in A die Position des Kämmerers auf Wahlbeamtenebene nicht besetzt ist und die Aufgabe vom Ersten Beigeordneten und vom Kämmereiamtsleiter wahrgenommen wird, entfällt eine erhebliche Vetoposition für den Bürgermeister.126 Insgesamt kann man von einer engen Verzahnung zwischen Parteiprogramm, Fraktionsprogramm und Verwaltungsprogramm sprechen, die es in der Vergangenheit ermöglicht hat, dass primäre Ziele – dazu gehören auch der Haushaltsausgleich bzw. die residuale Handlungsfähigkeit innerhalb eines genehmigten Haushaltssicherungskonzeptes – erreichbar bleiben. 126
Dadurch, dass es im Verwaltungsvorstand der Stadt A keinen Bau- und Planungsdezernenten (Beigeordneten) gibt und der Bürgermeister diese Aufgabe selbst wahrnimmt, hat er einen weiteren Vetospieler auf diesem politisch hoch effektiven Politikfeld ausgeschaltet. Den Grünen hatte er die Position des dritten Beigeordneten – obwohl im Koalitionsvertrag dieser Partei vermeintlich „versprochen“ – im Zusammenspiel mit der Kommunalaufsicht verwehrt.
126
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Die Kommunalaufsicht musste bisher in A nicht „tief“ eingreifen, da sich die Stadt immer in einem genehmigten Haushaltssicherungskonzept halten konnte. Somit kommt dem Handeln des Bürgermeisters – über seine formalen Zuständigkeiten nach der Gemeindeordnung hinaus - die zentrale Funktion im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess zu. Dieser kann sie auch deshalb ausfüllen, weil er als Diplomverwaltungswirt „vom Fach“ ist. Als verwaltungszentrierter Bürgermeister prägt er die Verwaltungsressourcen und die Arbeitsweise des Verwaltungsvorstands und der nachgeordneten Verwaltung (Bovermann 1999: 293). Er hat damit auch eine größere Unabhängigkeit gegenüber der Fraktion (Bovermann 1999: 295). Ein Kämmerer als potenzieller Gegenspieler und „natürlicher Steuerungspolitiker“ (Banner 1994) ist in A – wie erwähnt - nicht vorhanden, so dass der Bürgermeister Konsolidierungsziele, aber auch fachpolitische Ziele (insbesondere Stadtentwicklung) durchsetzen kann. Seine Ausbildung bringt es mit sich, dass er einerseits mit der materiellen Rechtsanwendung vertraut ist, aber auch die „Sprache“ der Kommunalaufsicht spricht. In Verhandlungen im Schatten der Hierarchie kann dies nur von Vorteil sein. Sowohl unter dem Aspekt des Führungswollens (Präferenz) als auch unter der Prämisse des Führungskönnens ist der in der Stadtverwaltung A sozialisierte Bürgermeister in der Lage, die aufgezeigte Konsolidierungspolitik zu betreiben und im interkommunalen Vergleich gute Haushaltsergebnisse zu erzielen. Seine hohe Durchsetzungsfähigkeit (Überzeugung) in der SPD-Fraktion und in der Verwaltung halten den Grad der Parteipolitisierung (Holtkamp 2008: 237, 259) gering, was sich insbesondere bei den Personalausgaben zeigt.
6.1.2
Haushaltspolitik in der Stadt B
6.1.2.1
Politisches Kurzprofil
Der Rat der Stadt B (23.000 Einwohner) setzte sich in den vergangenen Legislaturperioden wie folgt zusammen: Tabelle 8: Zusammensetzung des Rates der Stadt B 1989 bis 2009 Ratsperiode
CDU
SPD
B’90/ Grüne
1989 1994
20
10
3
FDP
WGr
Politische Struktur
6
BM ratsgewählt:
Rat Absolute CDU-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
1994 1999
17
11
3
8
1999 2004
21
10
2
1
4
2004 2009
19
9
3
2
5
CDU ratsgewählt: SPD volksgewählt: CDU volksgewählt: CDU
127 Mehrheit Relative CDUMehrheit Absolute CDUMehrheit De-facto absolute CDUMehrheit
Die Stadtrats- und Bürgermeisterwahlen in der Stadt B sind gut dokumentiert. Die Stadt gehörte zu den Fallstudienstädten im Bochumer Projekt zur Uraufführung der Bürgermeisterwahl 1999 (Andersen/Bovermann 2002). Ferner hat David Gehne die lokale politische Wettbewerbssituation in seiner Dissertation untersucht (Gehne 2007). Insgesamt ist festzustellen, dass die CDU in der Stadt B die dominierende politische Kraft ist. Besonders auffallend am Parteiensystem ist eine für nordrhein-westfälische Verhältnisse starke Wählergruppe, die seit 1989 die drittstärkste Kraft im Rat ist. Die CDU hatte 1989 – 1994 und 1999 – 2004 eine absolute Mehrheit im Rat. 1994 – 1999 hatte sie zwar eine relative Mehrheit an Ratsmandaten, jedoch verbündeten sich alle anderen Gruppierungen und wählten einen SPD-Kandidaten zum ehrenamtlichen Bürgermeister. Dieser verlor in der ersten Direktwahl 1999 gegen den damals 32-jährigen CDUKandidaten und heutigen Bürgermeister, der sich im ersten Wahlgang mit knapp 9 Prozentpunkten Vorsprung durchsetzen konnte. Der CDU-Bürgermeister wurde 2004 ebenfalls im ersten Wahlgang wieder gewählt (Gehne 2007: 276). Nach der Ratswahl 2004 fehlte der CDU ein Mandat zur absoluten Mehrheit, da aber der Bürgermeister CDU-Mitglied ist, hat die CDU de facto eine knappe absolute Mehrheit auch in dieser Ratsperiode. Der seit 1999 amtierende Bürgermeister hat Rechtswissenschaften studiert und war Leiter der Rechts- und Sanierungsabteilung einer Kreissparkasse in Sachsen (Holtkamp/Gehne 2002: 57). Er hatte vorher keine kommunalpolitischen Erfahrungen in B gesammelt (Gehne 2007: 274), stammt aber aus der Stadt, ist dort aufgewachsen und verwurzelt; sein Vater war mit dem heutigen CDU-Fraktionsvorsitzenden gemeinsam in die Schule gegangen (Interview 7). Im Nominierungsprozess 1999 setzte er sich gegen etablierte interne Kandidaten durch. Dies wurde von Beobachtern als „ein Husarenstreich der Jungen Union“ bzw. als „Palastrevolution“ (Holtkamp/Gehne 2002: 62) bezeichnet. Dabei spiel-
128
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
te für die Unterstützer des jungen Kandidaten dessen beruflicher Hintergrund im Kontrast zu dem SPD-Konkurrenten (Lehrer) durchaus eine Rolle. Die Stadtverwaltung weist in ihrer Aufbauorganisation zwei Dezernate auf127: das Dezernat I (Fachbereiche: IT und Personal, Sicherheit und Ordnung, Planen und Bauen, Wirtschaftsförderung) wird vom Bürgermeister geleitet, das Dezernat II (Finanzen und Liegenschaften, Soziales und Bildung) vom Beigeordneten und Kämmerer. Diese Organisationsstruktur ist stark auf den Bürgermeister ausgerichtet. Der Kämmerer, SPD-Mitglied, bleibt auf das Finanzressort beschränkt, während die übrigen Gestaltungsfaktoren einschließlich des unmittelbaren Zugriffs auf die Personalressource dem Bürgermeister offen stehen. Nach dem Selbstverständnis des Bürgermeisters schließt das direkte sachbearbeitende Tätigkeit mit ein. Insbesondere die Verantwortlichkeit für Personal und Organisation ist ihm wichtig (Interview 6). Der „Konzern Stadt B“ umfasst ferner einen Dienstleistungsbetrieb, der sich mit den Sparten Tiefbau/ Beleuchtung/ Abwasser/ Versorgung, Grünflächen/ Spielplatzneubau/ Sportanlagen/ Friedhöfe, Stadtbetriebshof und Gebäudemanagement befasst und seit dem 01.01.2006 als Anstalt des Öffentlichen Rechts (AöR) geführt wird, sowie den Eigenbetrieb „Grundstückssondervermögen“ (Entwicklung und Vermarktung Wohnbau, Entwicklung und Vermarktung Gewerbe) und eine Freizeitzentrum GmbH (Minderheitsbeteiligung: 25 Prozent). Der Kämmerer ist Betriebsleiter des Grundstückssondervermögens. Entsprechend den Hypothesen dieser Dissertation ist auch im Fall der Stadt B damit zu rechnen, dass es dem verwaltungszentrierten Bürgermeister gelingt, für einen Haushaltsausgleich zu sorgen und im interkommunalen Vergleich positive Kennzahlenergebnisse zu erreichen. Mit welchen mikropolitischen Strategien dies erfolgt, soll Gegenstand der folgenden Analyse sein. Eine Parteiendifferenz beim policy-output könnte sich bei der Verschuldung, bei den Personalausgaben sowie beim Thema Privatisierung zeigen.
6.1.2.2
Haushaltsergebnisse 2002 – 2007
Dokumentenanalysen Die Ergebnisse der Verwaltungshaushalte 2002 – 2007 der Stadt B werden wiederum nach folgenden Kriterien (Kennzahlen) untersucht: 127
Strukturelles Defizit/Freie Spitze Stand: 01.03.2007
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
129
Verschuldung Personalausgaben
Strukturelles Defizit/Freie Spitze Im Betrachtungszeitraum war es der Stadt B jeweils möglich, mit Hilfe von Rückzuführungen einen originär ausgeglichenen Haushalt aufzustellen; im Haushaltsjahr 2004 war der Haushalt auch strukturell ausgeglichen. Vor dem Hintergrund des zunehmend enger werdenden haushaltswirtschaftlichen Spielraumes wurde die allgemeine Rücklage im Jahr 2005 bis auf einen Restbestand von 40.000 € aufgelöst und dem Verwaltungshaushalt zugeführt. Der gesetzliche Mindestbestand wurde dadurch unterschritten (GPA NRW 2004b)128. Zum 01.01.2007 hat die Stadt B ihre Haushaltswirtschaft auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF) umgestellt. Im intrakommunalen Zeitverlauf entwickelte sich das strukturelle Defizit 2002 – 2005 wie folgt (€/EW; GPA NRW): 2002 = -73, 2003 = -42, 2004 = 0, 2005 = -67). Dies bedeutet für die Position der Stadt B im interkommunalen Vergleich 2003 der kreisangehörigen Ruhrgebietskommunen > 20.000 Einwohner folgendes:
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 13: Strukturelles Defizit Stadt B 2003 im interkommunalen Vergleich (GPA NRW)
450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Minimum
128
Maximum
Mittelwert
Stadt B
Nach § 88 GO NRW a.F. hat die Gemeinde zur Sicherung der Haushaltswirtschaft und für Zwecke des Vermögenshaushalts eine Rücklage in angemessener Höhe zu bilden. Zu diesem Zweck muss in der Allgemeinen Rücklage ein Betrag vorhanden sein, der sich in der Regel auf mindestens 2 v.H. der Ausgaben des Verwaltungshaushalts nach dem Durchschnitt der letzten 3 Haushaltsjahre beläuft (§ 20 GemHVO a.F.).
130
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Zur zeitlichen Entwicklung der Kennzahl und Einordnung des Ergebnisses in Bezug auf die Fallkommunen vgl. Abb. 6. Hier zeigt sich die vergleichsweise noch positive Haushaltslage der Stadt B im Untersuchungszeitraum, die ein Haushaltssicherungskonzept nicht erforderlich machte und die lokalpolitische Handlungsfähigkeit für die Akteure vor Ort erhalten hat, ein Umstand, der, wie noch zu zeigen sein wird, im Zentrum der Haushaltspolitik des Bürgermeisters und der CDU-Mehrheit steht. Nach einer Verschlechterung im steuerbaren Bereich, d.h. unter Ausblendung nicht oder eingeschränkt steuerbarer Finanzströme wie Kreisumlage, Finanzierungsbeteiligung Fonds Deutsche Einheit, Sozialhilfeleistungen des Kreises, in den Jahren 2002 und 2003 konnte die Stadt B 2004 und 2005 jeweils positive Konsolidierungseffekte erzielen. Von 2002 bis 2005 wurde insgesamt eine Verbesserung von mehr als 220.000 € als Saldo erhöhter Einnahmen bzw. verminderter Ausgaben erreicht (GPA NRW 2004b). In den letzten Jahren hat die Stadt B erhebliche Anstrengungen unternommen, ein Haushaltssicherungskonzept zu vermeiden (Interview 6). Dies bezieht sich auf die Sachausgaben, insbesondere aber auf den Personalausgabenbereich (siehe auch Darstellung dort). Unter erheblicher Kritik der Oppositionsfraktionen SPD und Wählergemeinschaft (weniger der Grünen, die eher die Gestaltungsvorteile bei Abwesenheit eines Haushaltssicherungskonzepts gesehen haben) wurde der Haushaltsausgleich jedes Jahr nur mit folgenden Maßnahmen erreicht: Verkauf von „Tafelsilber“ in Form von zentralen Grundstücken in „A-Lage“ und Rückzuführung der Vermögenserlöse in den Verwaltungshaushalt, Zurückfahren der Allgemeinen Rücklage auf nahezu „Null“, Verwendung der investiven Schulpauschale im Verwaltungshaushalt, Entnahme von Gewinnen des Grundstückssondermögens und Zuführung an den Verwaltungshaushalt. Die Kritik an dieser Art der Herbeiführung des Haushaltsausgleichs (Fraktionsvorsitzender der Wählergemeinschaft in seiner Haushaltsrede 2006: „Haushaltsausgleich mit unseriösen Finanztricks“; SPD-Fraktionsvorsitzender 2006: „Nur mit diesen Haushaltssünden konnten Sie das strukturelle Defizit ausgleichen“) zieht sich durch die Haushaltsreden der Oppositionsfraktionen 2003- 2006. Demgegenüber betonen Bürgermeister und CDU-Mehrheitsfraktion folgenden Standpunkt: „Haushaltssicherungskonzepte bringen keine Lösung der Probleme, sind das Ende der kommunalen Selbstverwaltung. (…) Jede Mehrheitsfraktion möchte möglichst lange ein HSK vermeiden, weil dann der Einfluss des Rates auf alle Entscheidungen eingegrenzt wird.“ (Haushaltsrede des CDU-Fraktionsvorsitzenden 2003). „Wir werden immer einen weiten Bogen um ein Haushaltssicherungskonzept machen, weil es unsere Handlungsfreiheit eingrenzt und weil wir auch ohne äußeren
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
131
Zwang alles auf den Prüfstand gestellt haben. Wir leben mit der Unsicherheit der Steuereinnahmen und sich ändernder Prognosen. Wir werden Ruhe bewahren und nicht bei jeder Änderung in Panik verfallen.“ (Haushaltsrede des CDUFraktionsvorsitzenden 2007).
Zeitweilig war in der Stadt B die Aufstellung eines „freiwilligen“ Haushaltssicherungskonzepts im Gespräch. Zum Haushalt 2003 forderte nämlich der Kämmerer in einer abweichenden Stellungnahme gemäß § 79 Abs. 4 GO NRW, die Beschlussfassung über den Haushalt zu verschieben und die Verwaltung zu beauftragen, ein Haushaltssicherungskonzept vorzulegen. Dieser Ansatz wurde jedoch vom Bürgermeister mit seiner CDU-Mehrheitsfraktion abgelehnt. Ziel sollte es vielmehr sein, ein Haushaltssicherungskonzept und damit Eingriffsmöglichkeiten von außen „um jeden Preis“ zu vermeiden (vgl. auch Ziffer 6.1.2.5).
Verschuldung Die Stadt B weist – bezogen auf die Haushaltsjahre 2002 bis 2005 - folgende Schuldenentwicklung auf (GPA NRW 2004b, Junkernheinrich/Micosatt 2007): Tabelle 9: Schuldenentwicklung Stadt B 2002 bis 2005 2002
Haushaltsjahr 2003 2004
2005
406
450
486
564
931
987
1.059
1.132
Fundierte Schulden des Kernhaushaltes (€/EW) Gesamtschulden129 (€/EW)
Damit positioniert sich die Stadt – bezogen auf fundierte Schulden des Kernhaushalts und als Gesamtverschuldung – im interkommunalen Vergleich der kreisangehörigen Ruhrgebietsstädte > 20.000 Einwohner wie folgt:
129
Unter Einbeziehung Sondervermögen)
der
Sondervermögen
(Dienstleistungsbetrieb
und
Grundstücks-
132
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 14: Gesamtschulden Stadt B 2005 im interkommunalen Vergleich
4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt B
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 15: Fundierte Schulden der Kernverwaltung Stadt B 2005 im interkommunalen Vergleich
2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt B
Auch bezogen auf die Fallstudienstädte ist die Gesamtverschuldung vergleichsweise gering (vgl. hierzu auch Abb. 9). Im Interview stellte der Bürgermeister heraus, dass mit der kommunalen Verschuldung nicht nur Finanzrisiken für die Zukunft verbunden sind, sondern im Gegenzug im Rahmen des Vermögensaufbaus erhebliche Werte geschaffen worden seien (Interview 6). Die Stadt wachse in der Bevölkerung, so dass in verschiedenen Bereichen Investitionen in Infrastruktur erforderlich seien. Diese Argumentation zieht sich wie ein roter Faden auch durch die Haushaltsreden des CDU-Fraktionsvorsitzenden. So sagte er z.B. in seiner Haushaltsrede 2005: „Auf der einen Seite beklagen SPD, [Wählergemeinschaft] und Grüne die Schulden, auf der anderen Seite fordern sie Investitionen, die neue Schulden erfordern. Der Schlachtruf „Schulden, Schulden“ soll den Eindruck einer totalen Misere erwecken,
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wie es in Bund und Land durch die Politik von Rot-Grün der Fall ist. In [B] wird bewusst verschwiegen, dass wir das Geld nicht verschwenden, sondern Vermögenswerte schaffen und in die Zukunft investieren. Die Aufwendungen für die Gewerbegebiete sind eine Investition in neue Arbeitsplätze und werden bald durch Verkauf der Flächen kompensiert.“
Gerne verwendet er in diesem Kontext die Metapher des „Häuslebauers“, dessen Schulden Zukunftswerte schaffen und deshalb nicht „anrüchig“ seien (vgl. z.B. Haushaltsrede 2006).
Steuerhebesätze Die Stadt B hat den Hebesatz der Grundsteuer B im Jahr 2003 von 330 auf 380 v.H. angehoben. Damit konnte das Aufkommen bei dieser Kommunalsteuer von rund 1,9 Mio. € im Jahr 2002 auf mehr als 2,32 Mio. € im Haushaltsjahr 2005 gesteigert werden (Ergebnis Jahresrechnung 2005). Die Gewerbesteuer wurde 2003 auf 400 v.H. angepasst. Damit positioniert sich die Stadt B im interkommunalen Vergleich wie folgt: Tabelle 10: Übersicht Steuerhebesätze Stadt B Steuerart
Grundsteuer B Gewerbesteuer
Hebesatz (HS) 2003 380 v.H. 400 v.H.
HS gleicher Gemeindegröße130 378 v.H. 399 v.H.
Fiktiver HS GFG 2003
Hebesatz 2007
381 v.H. 403 v.H.
380 v.H. 400 v.H.
Mit ihren Steuerhebesätzen bewegt sich die Stadt B voll im Durchschnitt vergleichbarer Gemeinden bzw. weicht nur wenig von den fiktiven Hebesätzen des GFG ab.131 Im Kreis Wesel allerdings unterschreitet sie den durchschnittlichen Hebesatz bei der Grundsteuer B um 7 Prozentpunkte (Durchschnitt im Kreis
130
LDS NRW, 3. Quartal 2003 Nach den Bedingungen des Prüfrasters, das das Innenministerium NRW bei der Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten anlegt (Handlungsrahmen zur Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten, Ziff. I.10; Innenministerium NRW – 33 – 46.09.01 – 9530/05) müssen die Hebesätze bei den Realsteuern (Grundsteuern und Gewerbesteuern), bezogen auf die Gemeindegrößenklasse, mindestens in Höhe des jeweiligen Durchschnitts festgesetzt sein. Mit den Steuererhöhungsbeschlüssen 2003 erreichte die Stadt B die Durchschnittswerte. Ein weiteres Einschreiten der Kommunalaufsicht im Falle eines Haushaltssicherungskonzeptes wäre daher von vornherein nicht ausgeschlossen. Die Stadt setzte daher alles daran, ein HSK zu vermeiden.
131
134
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Wesel: 387 v.H.; Stadt B: 380 v.H.), bei der Gewerbesteuer sogar um 32 v.H. (Kreis Wesel: 432 v.H.; Stadt B: 400 v.H.; GPA NRW 2004b). Der Bürgermeister stellte im Interview heraus, dass die Steuerhebesätze für Grund- und Gewerbesteuer als politisches Instrument zur Standort- und Gewerbeansiedlungspolitik in B eingesetzt werden (Interview 6). Die Erhöhung der Grundsteuer habe nach den Grundsätzen der Verwaltungsleitung nur absolut subsidiär zu erfolgen, das heißt nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten. Das gleiche gelte für die Festlegung des Hebesatzes für die Gewerbesteuer. Die CDU-Mehrheitsfraktion sah in den Steueranpassungen 2003 (nahezu) auf die fiktiven Hebesätze des GFG einen Weg, eine Kürzung bei den Schlüsselzuweisungen zu vermeiden (Haushaltsrede CDU-Fraktionsvorsitzender 2003). Die SPD trug die „dramatische Steigerung der Grundsteuer B“ (SPDFraktionsvorsitzender) nicht mit; die Wählergemeinschaft sah in den Anhebungen von Grund- und Gewerbesteuer eine „Lähmung der Wirtschaft und einen Rückgang des Verbraucherkonsums“. In den folgenden Jahren wurde von Seiten der CDU-Mehrheit von weiteren Steuererhöhungen Abstand genommen. Ziel sollte es vielmehr sein, die Nutzer von kommunalen Einrichtungen verstärkt heranzuziehen, bevor auf „den Steuerzahler“ zurückgegriffen wird (CDUFraktionsvorsitzender 2007: „Nutzer vor Steuerzahler“).
Personalausgaben Die Stellenentwicklung in der Stadt B verläuft – wie in A – degressiv (GPA NRW 2004b): 2002 = 130,90 vollzeitverrechnete Soll-Stellen/128,23 vollzeitverrechnete Ist-Stellen132; 2003 = 127,33/121,17; 2004 = 125,17/117,46; 2005 = 121,48/116,29. Im Betrachtungszeitraum wurden somit 12 Ist-Stellen abgebaut; dies entspricht einem Rückgang um 9,31 %. Zieht man die Entwicklung im Zeitraum 1992 – 2005 nach, wurde die Zahl der Ist-Stellen sogar um 36 reduziert, was einem Rückgang von 24 % entspricht (GPA NRW 2004b). Diese Entwicklung dokumentiert die erfolgreichen Anstrengungen zur Erzielung von Einsparungen im Personalhaushalt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Konsolidierungskonzeptes ist die fast vollständige Fremdvergabe der Gebäudereinigung, aber zum Beispiel auch das Konzept „Grünpflegepartnerschaften mit Bürgern“, worüber es gelang, den Personaleinsatz im Bereich Grünpflege zu reduzieren. Ferner wurde die Bearbeitung der Beihilfefälle auf die Rheinische Versorgungskasse übertragen, und im Bereich Hausmeister wurden personalsparende „Pools“ eingerichtet. 132
Unter Soll-Stellen sind die Stellen laut Stellenplan, unter Ist-Stellen die tatsächlich besetzten Stellen zu verstehen.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
135
So gelang es der Stadt B, durch materielle Privatisierung, Organisationsoptimierung und Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements spürbare Stellenreduzierungen herbeizuführen. Im Folgenden wird der interkommunale Vergleich der Kennzahl „Personalausgaben inkl. Auslagerungen 2003“ dargestellt (Junkernheinrich/Micosatt 2007):
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 16: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen) Stadt B 2003 im interkommunalen Vergleich
1200 1000 800 600 400 200 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt B
In diesem Vergleichsring markiert die Stadt B mit 309 €/EW das interkommunale Minimum. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Stadt keine Kindergärten in eigener Regie betreibt, was im Segment der kreisangehörigen Kommunen > 20.000 Einwohner eher ungewöhnlich ist. Aber auch wenn man diesen Faktor berücksichtigt, ist der Abstand zum interkommunalen Mittelwert (600 €/EW) beträchtlich, so dass nach wie vor von einer günstigen Personalausgabensituation auszugehen ist. Bezieht man sich nur auf die bereinigten Personalausgaben der Kernverwaltung, so ergibt sich kein abweichendes Ergebnis (GPA NRW):
136
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 17: Bereinigte Personalausgaben Stadt B 2003 im interkommunalen Vergleich
600
400
200
0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt B
Der Personalhaushalt der Stadt B ist also „schlank“ aufgestellt und kann als Ergebnis zielgerichteter Konsolidierung bezeichnet werden, wobei der direkte Zugriff des Bürgermeisters auf diese Handlungsressource dem Ergebnis förderlich ist. Die Stadt B hat auch die geringsten Personalausgaben unter den Fallstudienstädten (vgl. Abb. 12). Die Opposition im Rat sieht dies nicht so. Die SPD sprach von einer „Kostenexplosion bei dem Personaletat im Rathaus“ (Fraktionsvorsitzender der SPD in seiner Haushaltsrede 2003). Der Personaletat sei unter dem amtierenden Bürgermeister auf „nahe 6,4 Mio. €“133 angewachsen. Auch die anderen Oppositionsparteien kritisierten die Entwicklung des Personaletats, wohingegen die CDU-Mehrheitsfraktion herausstellte, dass der Personalkostenanteil am Verwaltungshaushalt in B mit 14,3 % (Haushaltsrede des CDU-Fraktionsvorsitzenden 2004) bzw. 15 % (Haushaltsrede 2005) „absolut Spitze in NRW“ sei.134 Für den Bürgermeister und die CDU-Mehrheitsfraktion ist der Personaletat ein finanzwirksames Instrument, um das strukturelle Defizit zu mindern, da hier erzielte Einsparungen im Verwaltungshaushalt dauerhaft wirken (so der CDUFraktionsvorsitzende in seinen Haushaltsreden 2005 und 2006).
133
Der Haushaltsansatz betrug 2003 6.412.147 €, das Ergebnis der Jahresrechnung 6.141.115 €. Der durchschnittliche Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben lokaler Haushalte betrug in Westdeutschland im Jahre 2004 26,8 Prozent (Vetter/Holtkamp 2008).
134
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
137
Interviewergebnisse zur Haushaltspolitik allgemein Für die Repräsentanten der CDU-Mehrheit in B wird die kommunale Gestaltungsfreiheit im Wesentlichen durch exogene Rahmenbedingungen geprägt. Der Bürgermeister führte im Interview die Haushaltssituation der (kreisangehörigen) Kommunen in NRW, und also auch die der Stadt B, auf folgende Ursachenbündel zurück: Gesetzgebung von Bund und Land, speziell im Zusammenhang mit der Versorgung mit Kindergartenplätzen, Krankenhausfinanzierung (Veränderung der Bemessungsgrundlage im GFG), gescheiterter Bürokratieabbau beim Land, Wegfall der Einnahmen aus der Grunderwerbssteuer und die allgemeine Wirtschaftslage (Interview 6). Der CDU-Fraktionsvorsitzende ergänzte diese Aufzählung noch um die Neukonzeption im Bereich der Sozialhilfe: Die Stadt B habe im Kreisvergleich eine geringere Arbeitslosenquote, so dass sich für die Stadt eine Haushaltsverschlechterung von 350.000 bis 400.000 € ergebe (Interview 7). Auf diesen Punkt ging auch der Bürgermeister im Interview ein. Mit Umsetzung des SGB II und der Übertragung der Aufgaben auf den Kreis Wesel (Arbeitsgemeinschaft) sei eine „Verschlechterung“ für die Stadt eingetreten. Früher habe die Stadt „stringent mit den Hilfeempfängern gearbeitet“. Mit der kreiseinheitlichen Lösung lohne sich ein Engagement der Stadt nicht mehr, da man „in den großen Topf geworfen“ worden sei. Früher sei die KostenAufteilung 50:50 zwischen Stadt und Kreis gewesen; da habe sich ein Engagement der Stadt noch gelohnt (Interview 6; vgl. zu diesem Komplex auch Fußnote 98). Auch für den SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden sind exogene Rahmenbedingungen eine „Hypothek“ für den städtischen Haushalt (Interview 8). Im Gegensatz zu den CDU-Vertretern nannte er aber auch „Wahlversprechen des Bürgermeisters“, die haushaltsbelastend wirken, und führte explizit eine Turnhalle im Stadtteil B. an. Dieses „Prestigeobjekt des Bürgermeisters“ (SPDFraktionsvorsitzender) zieht sich auch durch die Haushaltsreden der Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU 2003 bis 2006. Die SPD wirft der CDU und ihrem Bürgermeister hier vor, trotz zurückgehender Schülerzahlen an diesem Projekt festzuhalten („wirtschaftlich unsinnige Lösung“) und auch mit Haushaltstricks zu arbeiten: Die Mittel für die Schulhofsanierung (160.000 €) seien als „Reservemittel“ für die Turnhalle anzusehen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende sprach in seiner Haushaltsrede 2004 offen von „Rechtsverletzung“. Demgegenüber verteidigte der CDU-Fraktionsvorsitzende das Projekt in seiner Haushaltsrede 2004 und sprach von „unverständlichem Widerstand“. Es wurde bereits die Strategie beschrieben, die der Bürgermeister mit seiner Mehrheitsfraktion anwendet, um unter allen Umständen ein Haushaltssicherungskonzept zu vermeiden. Auch die Gründung der Anstalt des öffentlichen
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6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Rechts Dienstleistungsbetrieb steht für die Bestrebungen der Stadt, ein HSK und seine negativen Auswirkungen (z.B. Druck der Kommunalaufsicht auf die Steuerhebesatzpolitik) zu vermeiden. Der Bürgermeister betonte jedoch auch eine zurückhaltende Ausgabenpolitik. Dabei sei es aber Maxime, freiwillige Ausgaben, die man für wichtig halte, weiterhin zu leisten (Interview 6). Den eingeschlagenen Sparkurs im Bereich der Personalausgaben (vgl. Abb. 17) und die Auslagerung des Dienstleistungsbetriebes nannte der CDUFraktionsvorsitzende als Hauptgründe dafür, dass ein HSK für die Stadt B vermieden werden konnte, weil sich diese Maßnahmen positiv auf den Haushalt ausgewirkt hätten (Interview 7). Die Initiative für den Sparkurs sei dabei zu gleichen Teilen vom Bürgermeister und von der Fraktion ausgegangen. Die Erhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommune habe im Vordergrund gestanden. Insbesondere Personalkosteneinsparungen seien das vorrangige Ziel des Bürgermeisters gewesen. Da habe ihn die Fraktion manchmal sogar „etwas bremsen“ müssen. Im Kulturbereich habe man über Zuschüsse an den Verein Stadtkultur Personalausgaben substituieren können. Ein herausragendes Ziel des Bürgermeisters sei auch die Verschlankung der Aufbauorganisation der Verwaltung gewesen. Aus ehemals 12 Ämtern seien 6 geworden135, und auch jetzt (2007) würden wieder 3 Ämter zusammengelegt. Die HSK-Vermeidungsstrategie des Bürgermeisters und seiner Mehrheitsfraktion schätzte auch der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende, „bei allen parteipolitischen Divergenzen“, als „clever“ ein (Interview 8). Bei der Auslagerung von Aufgaben in die AöR habe die SPD jedoch wegen der weggefallenen Tarifbindung der Mitarbeiter nicht mitgemacht. Die Bedeutung der Haushaltspolitik für die Bürger/Wähler wurde von den Interviewten durchaus unterschiedlich eingeschätzt. Während für den Bürgermeister die Haushaltspolitik für die Bürger „völlig unwichtig“ ist (Interview 6), wandte der CDU-Fraktionsvorsitzende ein, dass die Bürger auf einzelne sachbezogene Themen „durchaus empfindlich reagieren“ (Interview 7). Dabei ginge es aber nicht um das Sparen, sondern beim Thema Schule wolle der Bürger z.B. gut ausgestattete und sanierte Schulen haben und auch die Straßen sollten in einem guten Zustand sein, ohne dass der Bürger „in die eigene Tasche“ greifen müsse. Auch der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende betonte, dass aus seiner Sicht die Haushaltspolitik von den Bürgern nicht wahrgenommen werde (Interview 8). Die SPD habe im Wahlkampf 2004 eine Kampagne zur Schuldensituation der Stadt gemacht. Diese sei in der Öffentlichkeit überhaupt nicht registriert worden. Im Gegenteil: Man habe sogar das Gefühl gehabt, dass sich die Bürger „davon abgemeldet“ hätten. Der kommunale Haushalt spiele in der Öffentlich135
Vgl. Verwaltungsgliederungsplan der Stadt B, Stand 01.03.2007
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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keit keine Rolle. In der SPD-Fraktion sei es deshalb zu einer „Kehrtwende“ gekommen, weil das Thema „Schuldenmachen“ beim Bürger nicht als „Katastrophe“ ankomme, wenn man dafür einen Wert schaffe. Er verglich das mit der Situation, in der ein Privatmann für sein Haus eine Hypothek aufnehme. Man müsse sparsam haushalten, aber auch erkennen, welche Projekte für die Entwicklung einer Stadt wichtig seien. Damit näherte er sich – bis zur Diktion und dem Bild des „Häuslebauers“ – der vom Bürgermeister und seiner Mehrheitsfraktion verfolgten Linie an. Gefragt nach den Akteuren in der Haushaltspolitik in der Stadt B, antwortete der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende, dass nach seiner Wahrnehmung die CDU-Fraktion in weiten Teilen ihre Verantwortung nicht wahrnehme (Interview 8). Sie lasse sich vom Bürgermeister „in bestimmte Richtungen und Projekte treiben“. Dabei sei allerdings ein Konsens – z.B. zur Kreditfinanzierung von Projekten - zwischen CDU-Mehrheitsfraktion und Bürgermeister festzustellen. Man sei nicht bereit, Projekte, die man für politisch wichtig halte, aus Sparsamkeitsgründen zurückzustellen. Das Heft des Handelns hat nach Auffassung des SPD-Fraktions- und Parteivorsitzenden eindeutig der Bürgermeister in der Hand. Dem Kämmerer käme allenfalls eine „zuarbeitende Rolle“ zu. Diese Einschätzung deckt sich mit der Aussage des Bürgermeisters: „Also ich sehe mich hier als bestimmende Kraft in der Verwaltung. Ganz eindeutig. Ich nehme maßgeblichen Einfluss bis ganz nach unten, wenn es sein muss. Um Dinge unmittelbar und direkt zu beeinflussen. Über die rechtlichen Grenzen und die Kompetenzen des Verwaltungsvorstands hinweg. Ich sage das ganz deutlich: Ich habe die politische Verantwortung zu tragen und ich bestimme dann auch.“ (Interview 6)
Und an anderer Stelle führte er aus: „Ich bestimme ganz maßgeblich den Haushalt. (…) Die Kämmerei macht Vorschläge, die wiederum aus den Fachbereichen kommen, aber – ich behaupte mal – wenn ich da was nicht drin haben will oder etwas drin haben will, dann entscheide ich das ganz maßgeblich. Womit ich zum Ausdruck bringen will, wer das Sagen hat. D.h. der Kämmerer hat hier nicht so großen Einfluss wie vielleicht in anderen Städten.“ (Interview 6)
Die Haushaltsplanberatungen in B würden – so der Bürgermeister – von der Verwaltung „stringent geplant und von der Politik so umgesetzt“. In die Sitzungen der CDU-Mehrheitsfraktion gehe er immer persönlich, um Hintergründe zu erläutern und Probleme darzustellen, „ohne dass man das in der Öffentlichkeit austragen muss“. Seitens der Mehrheitsfraktion seien die Haushaltsplanberatungen „von Kontinuität geprägt“. Er habe auch den anderen Fraktionen angeboten,
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6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Haushaltsentwürfe dort vorzustellen. Davon habe man aber keinen Gebrauch gemacht; die Fraktionen „hassten“ ihn, dort sei er „der Feind“ (Interview 6).
6.1.2.3 Parteiendifferenz
Dokumentenanalysen In B konnte lediglich das CDU-Wahlprogramm zur Kommunalwahl 2004 ausgewertet werden („CDU [B] – Bilanzen und Perspektiven“). Auf ein schriftliches Wahlprogramm der SPD konnte nicht zurückgegriffen werden. Das CDU-Papier gliedert sich in einen Rechenschaftsbericht über die abgelaufene Ratsperiode 1999 – 2004 („Viel getan“) und in Wahlaussagen zur Ratsperiode 2004 – 2009 („Viel zu tun“). Nimmt man die Reihenfolge der politischen Themen, wie sie in diesem Wahlprogramm aufgeführt sind, als Maß für die politische Bedeutung, die ihr seitens der CDU zugemessen wird, rangiert an erster Stelle das Thema „Stadt- und Dorfentwicklung“ (u.a. Weiterführung der Nord-West-Umgehung, Bau zusätzlicher Parkplätze in Stadtnähe), gefolgt von „Wirtschaftsförderung und Arbeitsplätze“ (u.a. Erweiterung des Gewerbegebietes). Dies entspricht auch der politischen Agenda des Bürgermeisters, so dass das CDU-Wahlprogramm deutlich seine Handschrift zeigt; im Interview betonte er denn auch, dass er bei seiner Erstellung maßgeblich beteiligt war. Es folgen im CDU-Wahlprogramm die Themen: Bürgerservice durch die Verwaltung, Familie und Senioren, Schulen, Jugend, Kultur und Sport sowie Leben in den Ortsteilen und bürgerschaftliches Engagement. Die Finanzierung der politischen Ziele wird nicht angesprochen, wie überhaupt Aussagen zum Kommunalhaushalt, zur Schulden- und Steuerpolitik, zu Konsolidierungsstrategien etc. gänzlich fehlen.136 Als ergiebiger für die Analyse einer Parteiendifferenz zwischen CDU und SPD erwiesen sich die Interviews mit dem Bürgermeister, dem CDU-Fraktionsvorsitzenden sowie dem SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden, über die im Folgenden referiert werden soll.
136
Auch für die SPD in B ist sparsame Haushaltspolitik kein herausragendes Thema. Die Schwerpunkte sind stattdessen, wie der SPD-Parteivorsitzende im Interview hervorhob: Schule, Bildung/Ausbildung, soziale Sicherheit. So habe die SPD die Initiative zur Errichtung einer Ganztagsgrundschule gehabt, die nach anfänglichem Zögern der Ratsmehrheit umgesetzt wurde. Ansonsten ist festzustellen, dass die SPD aus der Opposition heraus zurzeit keine Perspektive sieht, eigenen politischen Konzepten zum Durchbruch zu verhelfen (Interview 8).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
141
Interviewergebnisse Fragt man die Kommunalpolitiker in der Stadt B nach der Wichtigkeit kommunaler Themen aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger (Responsivität) und aus der eigenen Sicht, so zeigt sich folgendes Antwortbild (siehe auch Tabelle in Anlage 3): Tabelle 11: Bedeutung kommunalpolitischer Themen (Stadt B) Bürgersicht Rang Kommunalpolitisches Thema 1 Öffentliche Sicherheit und Ordnung 1 Straßen und Parkplätze 3 Arbeitsplätze vor Ort 3 5 6
Soziale und kulturelle Einrichtungen Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung Haushaltspolitik
Politikersicht Rang Kommunalpolitisches Thema 1 Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung 1 Arbeitsplätze vor Ort 3 Soziale und kulturelle Einrichtungen 4 Öffentliche Sicherheit und Ordnung 5 Straßen und Parkplätze 5
Haushaltspolitik
Die wichtigsten Themen aus der Sicht der Politik sind zweifelsohne die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort sowie (insbesondere aus CDU-Sicht) Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung. Dass der Bürgermeister das Arbeitsplatzthema nicht ganz so hoch einschätzt wie die Partei/Fraktionsvorsitzenden (siehe Auswertung Anlage 3), erklärte er damit, dass die Kommune unmittelbar keine Arbeitsplätze in großem Umfang bereitstellen könne, sondern nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen könnte durch die Ausweisung von Gewerbegebieten etc. (Interview 6). In B ist das Thema „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ in der perzipierten Bürgersicht vergleichsweise hoch angesiedelt (siehe im Vergleich z.B. das Ergebnis Stadt A), desgleichen das Thema „Soziale und kulturelle Einrichtungen“. Für den SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden ist allerdings die „gefühlte, subjektive Unsicherheit der Bevölkerung“ höher einzuschätzen als eine „tatsächliche, objektive Unsicherheitslage in der Stadt“ (Interview 8). Die kommunale Haushaltspolitik rangiert auch in B am Ende der Wichtigkeitsskala, sowohl im Spiegel der Bevölkerung wie für die Kommunalpolitiker. Diese begründeten das Ergebnis damit, dass der Bürger bzw. die Bürgerin kommunale Haushaltspolitik zunächst einmal gar nicht wahrnehmen. Erst im Falle
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6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
der Betroffenheit (z.B. bei der Heranziehung zu Straßenerschließungsbeiträgen) „wachen sie auf“. Wie auch die bisherige Auswertung in der Stadt A zeigt, ist die inhaltliche Parteipolitisierung in den angesprochenen Themenbereichen auch in B nicht signifikant unterschiedlich. Fragt man nach der Rolle bzw. Bedeutung von lokalen Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, so zeigt sich, dass diese gegenüber den Fraktionen eine untergeordnete Rolle spielen (Interview 6 mit dem Bürgermeister). Auch für den SPD-Vertreter ist Haushaltspolitik eindeutig ein Fraktionsthema (Interview 8). Die Parteien tauchten auf dieser Ebene auch gar nicht auf – eher durch Aktionen, die im „Allgemeinpolitischen“ liegen. Der CDUFraktionsvorsitzende brachte es auf den Punkt: „Haushaltspolitik ist für die Parteien genau so weit weg wie für den Bürger“ (Interview 7). Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen der Forschung, nach denen die Funktion der lokalen Parteien umschrieben werden kann mit der Rekrutierung von Gemeinderatskandidaten, der Durchführung des Kommunalwahlkampfes und der Feststellung und Sammlung der kommunalpolitischen Anliegen der Bevölkerung (Suckow 1989: 33). Die konkrete Umsetzung politischer Vorhaben und die Zurverfügungstellung von Ressourcen ist, abhängig von Mehrheitsverhältnissen und Gestaltungsmöglichkeiten, Sache der Fraktionen. Der Parteivorstand der CDU kümmere sich daher nicht, so der Bürgermeister, um Haushaltspolitik, sondern um „organisatorische Dinge“ (Interview 6). Bei der Verkleinerung des Stadtrates in B, der ab 2009 von 38 Ratsmitgliedern auf 32 Mitglieder verkleinert werden soll und was auf Initiative der CDU zurückzuführen ist, habe man aber die Partei eingeschaltet (Parteitagsbeschluss), „um Druck auf die Fraktion auszuüben“. Vordergründig gelingt es damit, ca. 25.000 € pro Jahr einzusparen; gleichzeitig schrumpft aber auch die Vetoposition des Rates gegenüber Bürgermeister und Mehrheitsfraktion. In der CDU kämen Initiativen zum Kommunalhaushalt „schon mal“ aus der Mittelstandsvereinigung oder aus der Jungen Union (Interview 6 mit dem Bürgermeister). Ansonsten herrsche die Haltung in der Partei gegenüber der Fraktion vor: „Ihr macht das schon!“ (Interview 7 CDU-Fraktionsvorsitzender). So habe die CDU-Fraktion den aufgestellten Haushalt schon mal in der Mitgliederversammlung vorgestellt. Die Resonanz sei aber sehr gering gewesen. Hinzu kommt eine weitgehende Personenidentität zwischen Fraktionsmitgliedern und dem Führungspersonal in den Ortsverbänden der CDU. Der CDUFraktionsvorsitzende stellte dar, dass ursprünglich der Fraktionsvorstand identisch gewesen sei mit dem Parteivorstand (Interview 7). Man habe in Folge dessen das Profil der Partei stärken wollen, indem beschlossen worden sei, dass
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Ortsvorstände keine Ratsmitglieder sein sollen. Aber auch dies sei keine gute Lösung gewesen, so dass sich das Personal jetzt wieder mische. Das Thema Personalpolitik/Personalausgabenpolitik hat nach Wahrnehmung des Bürgermeisters in den letzten Jahren keine Debatten im Rat ausgelöst, sieht man von der AöR-Gründung ab (Interview 6). Allen sei klar gewesen, dass Personal abgebaut werden müsse.137 1999/2000 sei noch von einem „Personalkontrakt“ über die Bedingungen des Personalabbaus gesprochen worden; den hätte es aber nicht gebraucht. In den letzten 10 Jahren sei 25 Prozent des Personals abgebaut worden. Erhebliche Kontroversen hat es in B im Zusammenhang mit der Gründung der Anstalt öffentlichen Rechts gegeben. Der Bürgermeister sprach von einer „großen Debatte mit den Gewerkschaften und den Mitarbeitern“ (Interview 6). Er stellte aber gleichzeitig die Haushaltsentlastungswirkungen dieser Gründung heraus, da die Mitarbeiter eine um 7 Prozent verlängerte Arbeitszeit ohne Lohnausgleich haben. Die Preisgabe der Tarifbindung hatte den Widerstand der SPD hervorgerufen. Ansonsten fügt sich die SPD in ihre Oppositionsrolle. Für den Partei- und Fraktionsvorsitzenden liege die Personalhoheit beim Bürgermeister und sei so „nicht Gegenstand der Beratung“ (Interview 8). Gefragt, ob die Stadt mit ihrer Personalpolitik auch eine gesellschaftliche Verantwortung habe, stimmt er zu, wobei auch das Gebot der sparsamen Haushaltsführung Geltung habe; die Stadt könne nicht „mit Stellen aasen“. Die Grund- und Gewerbesteuerpolitik ist in B eindeutig geprägt durch die CDU-Position: Konstanthalten der Steuerhebesätze als Signal für eine bürgerund unternehmensfreundliche Politik. Das HSK sei, so der Bürgermeister, unter allen Umständen (siehe oben) vermieden worden, um Eingriffen der Kommunalaufsicht zuvorzukommen. Positionsunterschiede zwischen CDU und SPD hat es bei der Frage einer Verkehrsabgabe für Tourismusbetriebe gegeben. Eine von der SPD auf den Weg gebrachte Satzung habe aber vor Gericht nicht standgehalten (Interview 8). Für die Schuldenpolitik werde er von der Opposition immer stark kritisiert, so der Bürgermeister (Interview 6). Die Diskussion wird aus seiner Sicht aber „verkürzt“ geführt, da die rentierliche Seite („Aktivtausch“) kreditfinanzierter Investitionen nicht gesehen werde. Er werde auch schon mal als „größter Schuldenmacher der Nation“ bezeichnet. Für ihn sei aber klar, dass für sinnvolle Investitionen Schulden in Kauf zu nehmen seien. Der CDU-Fraktionsvorsitzende berichtete, dass die SPD, insbesondere aber die Wählergemeinschaft der Rats137
Dies gilt jedoch nur mit Einschränkung für die Aufgabenfelder, die die politischen Interessen des Bürgermeisters berühren. So wurde im Rathaus die Stelle eines Wirtschaftsförderers geschaffen, zusätzlich wurde eine Planerin eingestellt, die die Projekte des Bürgermeisters weiter nach vorne bringen soll (Protokoll der Ratssitzung vom 18.12.2002, Beschlussfassung über den Haushaltsplan 2003, Drucksachen-Nrn. 99/1025, 99/1025a, 99/1025b, 99/1025c).
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mehrheit vorwürfen, eine zunehmende Verschuldung zu betreiben (Interview 7). Die CDU nehme Schulden für Investitionen aber in Kauf. Als Beispiele nannte er den Erwerb von Grundstücken für Wohnbauzwecke, die Erschließung eines Gewerbegebietes oder die Ortsumgehung (Nord-West-Umgehung), wo die Stadt in Vorfinanzierung für den Bund eingetreten sei. Alle befragten Kommunalpolitiker in der Stadt B betonten, dass freiwillige kommunale Einrichtungen (z.B. Schwimmbäder, Stadtbücherei) erhalten bleiben sollten. Hier gebe es keine grundsätzlichen Positionsdifferenzen. Den Kulturbereich habe die Stadt, so der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende, „enorm zurückgefahren“ (Interview 8). Einzelne Angebote (z.B. die Musikschule) seien im Detail umstritten und die Diskussion gehe „quer durch die Fraktionen“138, insgesamt bestehe aber ein Konsens zum Erhalt freiwilliger Angebote. Dem Bürgermeister geht es in der Praxis darum, das ehrenamtliche Potenzial zu heben: „Wir haben einen Stadtkulturverein, wo eine Menge läuft und wo wir dankbar sind für Sparkassenunterstützung. Aber wir sagen auch: Wenn Ihr was wollt, dann müsst Ihr selbst was tun. Es gibt fast keinen Hauptamtlichen in der Kultur, obwohl wir eine Kulturstadt sind. Da ist mein Bestreben – nicht nur in diesem Bereich - Anderen die Arbeit, nicht das Geld in die Schuhe zu schieben.“ (Interview 6)
Die Privatisierung kommunaler Aufgaben, insbesondere in Form der Gründung der AöR Dienstleistungsbetrieb hat den Rat sehr stark beschäftigt. Wie bereits kurz dargestellt, verlief die Trennlinie zwischen CDU und SPD entlang der Konditionen, zu denen die Arbeitnehmer beschäftigt sind (Arbeitszeit und Lohnausgleich). Für den Bürgermeister und die CDU stand hier der Effizienzgewinn im Vordergrund. Private sind nach Auffassung des Bürgermeisters bei der Leistungserbringung „nur auf dem Papier besser“ (Interview 6). Die Kommunen hätten in der Vergangenheit Effizienz und Effektivität ihrer Leistungserbringung deutlich verbessert und könnten durchaus mit dem Markt konkurrieren. Die besonderen Anforderungen einer Dienstleistungskommune139 erforderten dabei eine Kompetenz an der Verwaltungsspitze, die er für sich in Anspruch nehme. Der Bürgermeister betonte, dass Initiativen zu wichtigen Ratsbeschlüssen in den letzten 10 Jahren überwiegend von der Verwaltung ausgingen (Interview 6). Er möchte, so drückte er es im Interview aus, in der Stadtentwicklung „Spuren hinterlassen“. Untersucht man generell die prozedurale Parteipolitisierung in B, so ist folgendes festzustellen: der Haushaltsplan ist „noch niemals“ (Bürgermeis138
Kommunale Kulturpolitik ist „Fachpolitik“ im Sinne Gerhard Banners (1984); sie zeichnet sich durch starke Lobbyarbeit aus, die über Fraktionsgrenzen hinaus geht und bis in den gesellschaftlichen Bereich hineinreicht (Timm-Arnold 2005). 139 Zum Leitbild der Dienstleistungskommune und seiner Schwierigkeit der Umsetzung in die Praxis siehe auch Banner 2005.
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ter) einstimmig verabschiedet worden.140 Im Übrigen sei der Anteil einstimmiger Ratsbeschlüsse sehr hoch; es handelt sich nach Ansicht des SPD-Fraktions- und Parteivorsitzenden häufig um „Verwaltungsroutinevorgänge“ (Interview 8). Der CDU-Fraktionsvorsitzende schätzte den Anteil einstimmiger Ratsbeschlüsse auf 90 Prozent. Lediglich die Wählergemeinschaft habe in der Vergangenheit oft „aus Prinzip“ dagegen gestimmt. Diese Haltung habe sie aber mittlerweile aufgegeben (Interview 7).
6.1.2.4 Zentralisierung der Haushaltspolitik
Interviewergebnisse Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Person des Bürgermeisters und seiner Position als Ratsvorsitzender und Verwaltungschef mit Bezug auf die Haushaltsergebnisse der Stadt B. Es war zunächst zu klären, nach welchen Kriterien die Wähler und Wählerinnen 1999 und 2004 für ihn gestimmt haben und ob sie einen Unterschied zwischen Person und Partei gemacht haben. Nach Auffassung des Bürgermeisters haben die Wähler und Wählerinnen zumindest 2004 zwischen seiner Person und der CDU deutlich unterschieden (Interview 6). Dies machte er daran fest, dass er fast 5 Prozent mehr als seine Partei bekommen hat. Bei seiner ersten Wahl 1999 sei es noch „ein wenig enger“ gewesen, weil er als „junger Nobody“ gegen den SPD-Amtsinhaber141 antreten musste. Da hatte die Partei mehr Stimmanteile bekommen als er. Er war der Meinung, dass er mittlerweile als Person wahrgenommen werde, obwohl die Opposition ihn immer als „CDU-Bürgermeister“ hinstelle. Nach Auffassung des SPD-Fraktions- und Parteivorsitzenden habe der deutliche Wahlsieg des Bürgermeisters 2004 auch an der Schwäche der Gegenkandidatin von der SPD gelegen (Interview 8). Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden sei es bei den Wahlerfolgen des Bürgermeisters 140
Die Haushaltsplanberatungen im Gemeinderat sind häufig in weit stärkerem Maße von Parteienwettbewerb und konkurrenzdemokratischen Mustern geprägt als andere Beratungsgegenstände (Bogumil/Holtkamp 2006: 137), weil der Opposition hier ein medienwirksames Feld zur „Generalabrechnung“ mit dem Bürgermeister und der Mehrheitsfraktion eröffnet wird, wobei die Haushaltsreden der Fraktionsspitzen häufig in einem routinisierten „Schwarzer-Peter-Spiel“ erstarrt sind. So auch im Falle der hier im Rahmen dieser Dissertation ausgewerteten Haushaltsreden. Der Duktus und die Argumentationsstruktur der Reden wiederholten sich von Jahr zu Jahr; häufig wurden ganze Textpassagen in die Rede des Folgejahres kopiert und nur mit neuen Zahlen versehen (so auch Bogumil/Holtkamp 2006: 137). 141 Vgl. auch Tabelle 8. 1994 – 1999 hatte die CDU, die an sich prägende politische Kraft in der Stadt B, lediglich eine relative Mehrheit im Rat, so dass sich die übrigen Fraktionen und Gruppen im Rat zusammenschließen und einen SPD-Bürgermeister ins Amt bringen konnten.
146
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
auch darauf angekommen, dass dessen Familie in der Stadt fest verankert sei (Interview 7). Dass die Haushaltspolitik und damit auch das Haushaltsrecht für den Bürgermeister eher eine „instrumentelle Funktion“ hat, um seine politischen Ziele zu erreichen, machen die Aussagen aller Interviewpartner deutlich. Für den Bürgermeister ist die Haushaltspolitik die „Beschaffungsstätte für meine Projekte“ (Interview 6). Er nutze die Gestaltungsmöglichkeiten, die das kommunale Haushaltsrecht eröffne, um seine Projekte „durchzubringen“. Den Haushaltsausgleich habe er dabei erstmal nicht unmittelbar im Blick. Er habe natürlich bisher ein Haushaltssicherungskonzept – zusammen mit der Mehrheitsfraktion – vermeiden können. Dabei sei es ihm wichtig, dass ihm nicht von der Aufsicht hineinregiert werde und auch der Kämmerer „nicht zuviel Macht bekommt“. Er räumte ein, dass ein nicht ausgeglichener Haushalt seine Wiederwahlchancen verschlechtern würde. Ferner sei es ihm wichtig, die Abgaben und Steuern für die Bürger im Griff zu behalten. Für ihn sollten keine „überflüssigen Ausgaben“ geleistet werden; er „hasse Verschwendung“. Diese Sicht auf die Dinge wurde vom SPDFraktions- und Parteivorsitzenden bestätigt. Die Haushaltspolitik interessiere den Bürgermeister gar nicht so sehr; was ihn interessiere, seien seine Projekte, die er „durchziehen“ wolle: „Wenn er [der Bürgermeister] Geld braucht, dann sorgt er dafür, dass er welches bekommt“ (Interview 8). Das Amtsverständnis des Bürgermeisters liegt nach seiner eigenen Einschätzung schwerpunktmäßig in der Verwaltungsleitung (Interview 6). Hier sah auch der CDU-Fraktionsvorsitzende die Stärke des Bürgermeisters. Er, der Bürgermeister, sei aber auch ein guter Politiker. Er nannte als negatives Beispiel den ehemaligen Bürgermeister einer Nachbargemeinde, der mit seinen Rollen als Verwaltungsleiter und Ratsrepräsentant nicht zurecht gekommen und daran letztlich auch gescheitert sei (Interview 7). Untersucht man die Machtposition des Bürgermeisters gegenüber „seiner“ Fraktion, so ist augenfällig, dass es ihm ohne weiteres gelingt, seine politischen Ziele durchzusetzen. Der Schlüssel dazu liegt im fachlichen Informationsvorsprung des Bürgermeisters. Dazu ist es ihm wichtig, Fachwissen – in Haushaltsund anderen fachlichen Angelegenheiten – selbst aufzubauen, weil er sonst Gefahr laufe, „von den Verwaltungsmitarbeitern beeinflusst und gesteuert zu werden“ (Interview 6). Aufgrund seiner Position als Bürgermeister und seiner Ausbildung als Jurist sieht er die Chance, einerseits Einfluss auf die Politik auszuüben (die Fraktion sieht in ihm eher den Politiker), andererseits Dinge in die Verwaltung hineinzutragen, die für die Politik wichtig sind. Er sieht sich folglich als „Scharnier zwischen Politik und Verwaltung“. Der Bürgermeister betonte im Interview, dass er auch in der CDU-Mehrheitsfraktion die Zügel fest in der Hand habe:
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
147
„Das, was ich möchte, das, was ich umsetzen möchte, das, was ich will: Da ist schwer gegen mich anzukommen.“ (Interview 6)
Den starken Einfluss des Bürgermeisters auf seine Fraktion bestätigte auch der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende (Interview 8). Teil des Erfolges sei aber auch das gute Verhältnis, das er mit dem Fraktionsvorsitzenden habe.142 Dieser übernehme die Rolle, die Fraktion „einzuschwören“. Das gute Einvernehmen zwischen Bürgermeister und CDU-Fraktionsvorsitzendem wurde durch letzteren im Interview mehrfach deutlich unterstrichen, was nicht zuletzt darin begründet liege, dass er die Familie des Bürgermeisters gut kenne. Deshalb stütze die Fraktion die Vorlagen des Bürgermeisters „zu 95 Prozent“. Das liege aber auch daran, dass die Dinge vorher grundsätzlich besprochen seien. Der Bürgermeister sei ein „Fanatiker der guten Vorbereitung“ (Interview 7). Insgesamt sah sich der Bürgermeister seiner Fraktion gegenüber deutlich überlegen. Diese sei „bei weitem nicht so schnell und so gut wie die Verwaltung und wie der Bürgermeister“ (Interview 6). Da komme wenig Eigeninitiatives aus der Fraktion; er sehe sich hier als „Vorangeher“. Die faktische absolute CDUMehrheit im Rat erleichtere seine Gestaltungspolitik aber erheblich, dies müsse er einräumen. Er spricht vor allen Dingen den Investitionsbereich an. Aber auch der Sparkurs im Bereich der Verwaltungsausgaben werde durch eine klare Mehrheit sehr erleichtert. Die Machtposition des Bürgermeisters gegenüber der Verwaltung wurde von diesem so beschrieben, dass er sehr stark in die Verwaltung hineinwirke (Interview 6). Er bestimme ganz maßgeblich den Haushalt, insbesondere auch was Investitionen, aber auch Sparkonzepte angehe. Dabei neige er aber zu „Parforce-Ritten“ (SPD-Fraktions- und Parteivorsitzender; Interview 8), was weniger eine Frage der Jugendlichkeit des Bürgermeisters, sondern eine Charaktereigenschaft sei. Wenn es nicht nach seiner Meinung gehe, „schwingt er auch schnell die Keule“. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende betonte, dass der Bürgermeister „das Sagen“ in der Verwaltung habe (Interview 7). So habe er entschieden, in die vom Rat eingerichtete Lenkungsgruppe zur Haushaltskonsolidierung143 nicht
142
In jüngster Zeit hat es – so der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende im Interview – aber auch Spannungen zwischen der Fraktion und dem Bürgermeister im Zusammenhang mit einem Grundstückgeschäft gegeben. Der Bürgermeister habe versucht, das 1996/97 eingerichtete Grundstückssondervermögen (kommunaler Eigenbetrieb) aufzulösen, um seinen Kämmerer (SPD), der Betriebsleiter des Sondervermögens ist und ihm „zu scharf auf die Finger geschaut hat“, „abzuschießen“. 143 In B wurde ein Lenkungsausschuss zur Haushaltskonsolidierung gebildet, in dem alle Fraktionen vertreten sind. In diesem Gremium können seitens der Politik Wünsche für den Haushalt vorgetragen und abgestimmt werden. Danach wird der Haushalt von der Verwaltung/vom Kämmerer aufgestellt.
148
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
etwa den Kämmerer zu entsenden, sondern diese Funktion selber wahrzunehmen.144 Der CDU-Fraktionsvorsitzende: „Und da hat er [der Bürgermeister] gesagt: ‚Nein, ihr könnt über [meinen Kämmerer] nicht bestimmen. Wen ich da reinschicke, das bestimme ich’. Also dass er für die Verwaltung zuständig ist, das betont er schon sehr, sehr stark.“ (Interview 7)
Der Bürgermeister gestaltet, so der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende, die jährlichen Haushaltsplanberatungen so, dass er primär die eigenen Ziele durchzusetzen versucht – ggfs. auch gegen Widerstand (Interview 8). Er mache das mit „Umschmeicheln und kleineren Zugeständnissen“, könne aber andernfalls auch mit öffentlichem Druck arbeiten und greife einzelne Ratsmitglieder in Sitzungen dann zum Teil massiv an. Dies verweist auf die Frage der Bedeutung individuellen Handelns. Für sich selbst beantwortete der Bürgermeister diese Frage so: Dem individuellen Handeln des Bürgermeisters kommt nach seiner „festen Überzeugung“ eine ganz maßgebliche Bedeutung zu („und zwar mit aller Entschlossenheit“; Interview 6). Er sieht sich als die bestimmende Kraft der Verwaltung. Er nehme maßgeblichen Einfluss „bis nach ganz unten, wenn es sein muss, um Dinge unmittelbar und direkt zu beeinflussen“. Er habe die politische Verantwortung zu tragen und er bestimme dann auch. Dabei könne man auch „schon mal Mist machen oder den Sachverstand der Verwaltung kippen“. Wichtig sei es für ihn als Leiter der Verwaltung, die Details der Sachverhalte zu kennen. Diese Sichtweise wurde auch von den anderen Interviewpartnern geteilt, wobei der CDU-Fraktionsvorsitzende darauf hinwies, dass nach seiner Überzeugung die Bürgerinnen und Bürger von „ihrem Bürgermeister“ diese Führungsfähigkeiten auch erwarteten (Interview 7). Fragt man nach dem Erfordernis fachlicher Qualifikation für das Amt des Bürgermeisters, so stellte der Bürgermeister in B seine eigene Ausbildung heraus: Eine juristische Ausbildung könne nicht falsch sein, da gebe es große Vorteile; aber auch eine betriebswirtschaftliche sei häufig vorteilhaft (Interview 6). Er habe „das Glück“, sowohl eine juristische wie eine kaufmännische Ausbildung zu haben. Das erleichtere ihm sehr, die Zusammenhänge zu erkennen. Ferner sei es für ihn ein Vorteil gewesen, nicht aus der eigenen Verwaltung gekommen zu sein145. Da habe man „keine Scheuklappen“ und könne „quer den-
144
Vergleiche dazu als Gegenbeispiel das Verhalten des politikzentrierten Bürgermeisters in der Stadt C in vergleichbarer Situation. In einer entsprechenden Arbeitsgruppe, der die Fraktionsvorsitzenden, aber auch die Kommunalaufsicht angehörten, war er nicht vertreten, sondern der Kämmerer. 145 Diese Sichtweise entspricht eher der baden-württembergischen „Tradition“, nach der der Bürgermeister als Verwaltungsfachmann häufig „von außen“ kommt. Im Falle des Bürgermeisters in der Untersuchungskommune A (siehe oben) ist allerdings festzustellen, dass ihm seine intimen Detail-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
149
ken“ bzw. bewege sich nicht „auf eingefahrenen Gleisen“. Der Bürgermeister betonte aber auch, dass neben der Ausbildung Arbeitswille, Intelligenz und soziale Kompetenz für das Amt wichtige Voraussetzungen seien. Er habe beobachtet, dass bei Kollegen mit „schwächerer Ausbildung“ die Repräsentation im Vordergrund stand und die Verwaltung „zu kurz kam“. Diese seien dann auch „gescheitert“.146 Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende betonte, dass es dem Bürgermeister „sehr zugute“ käme, dass er Jurist und ausgebildeter Bankkaufmann sei (Interview 7). Er sei in seiner „Grundtendenz sehr, sehr sparsam“. Für den SPDFraktions- und Parteivorsitzenden ist ein bestimmtes Fachstudium allerdings keine zwingende Voraussetzung für ein Bürgermeisteramt (Interview 8). Nach der Gemeindeordnung könne man den juristischen Fachverstand im Verwaltungsvorstand auch auf andere Weise sicherstellen. Es reiche, wenn ein Bürgermeister sehr gut strukturiert arbeiten und denken könne und die Fähigkeit habe, andere Menschen von seinen Zielen zu überzeugen. Die Erfahrung zeige, dass diese Persönlichkeiten auch überdurchschnittliche Wahlergebnisse haben können und er verwies in diesem Zusammenhang auf zwei Beispiele aus dem Kreis. Bei der Auswertung der generellen Eigenschaften und Fähigkeiten, die ein Bürgermeister nach Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger (Responsivität) bzw. nach eigenem Urteil der Interviewten haben sollte (vgl. im Einzelnen Anlage 4), steht das Merkmal „Bürgernähe“ bei allen Befragten an erster Stelle, gefolgt von „Glaubwürdigkeit“ und „Sympathieträger“. Wie bereits in der Stadt A wird die Eigenschaft „Verwaltungsführungserfahrung“ in der Akteursmeinung als wenig wichtig eingestuft; lediglich der CDU-Fraktionsvorsitzende bezeichnete dieses Merkmal als „wichtig“ bzw. „sehr wichtig“. Aus der folgenden Tabelle können die Wertungen – jeweils bezogen auf Bürgersicht und Politiksicht – abgelesen werden: Tabelle 12: Eigenschaften und Fähigkeiten Bürgermeister (Stadt B)
Merkmal Bürgernähe Einsatz für Minderheiten
Perzipierte Bürgermeinung Rangplatz 1 5
Akteursmeinung Rangplatz 1 6
Rangdifferenz 0 -1
kenntnisse aus seiner langjährigen Sozialisation in der Verwaltung der Stadt A für die Durchsetzung seiner Verwaltungsführung sehr zum Vorteil gereichen. 146 Er bestätigt mit dieser Einschätzung die Hypothese von Banner (2006a).
150
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Führungsqualitäten Gemeindeverbundenheit Glaubwürdigkeit Eigenes politisches Profil Neutralität gegenüber allen Parteien Sympathieträger Verwaltungsführungserfahrung
4 5 2 5
3 8 1 5
1 -3 1 0
9
6
3
3 5
3 9
0 -4
Hinsichtlich der Bedeutung des Kommunalwahlprogramms für die Inhalte seiner Arbeit betonte der Bürgermeister, dass er sich an das Kommunalwahlprogramm seiner Partei gebunden fühle, da er es schließlich mit entwickelt habe (Interview 6). Es „schwingt bei meiner täglichen Arbeit mit“, ohne dass er sich dessen immer bewusst sei. Für den SPD-Fraktions- und Parteivorsitzenden werde „umgekehrt ein Schuh daraus“: Er habe eher den Eindruck, dass sich die CDU-Fraktion an den Entscheidungen des Bürgermeisters orientiere (Interview 8). Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden hat das Kommunalwahlprogramm eine hohe Verbindlichkeit für die Fraktionsarbeit (Interview 7). Allerdings müsse man auch zugestehen, dass sich Ziele schon mal ändern könnten. Als Beispiel nannte er Fehlentwicklungen bei der Flächennutzungsplanung.147
6.1.2.5
Kontroverse um ein Haushaltssicherungskonzept 2003
Es wurde schon deutlich, dass sich die Ratsmehrheit in der Stadt B in den vergangenen Jahren gegen die „Fesseln“ eines Haushaltssicherungskonzeptes stemmte, weil man damit das Ende der lokalen politischen Handlungsfähigkeit verband. Der originäre Haushaltsausgleich 2003 war nur gesichert, indem die Allgemeine Rücklage in Höhe von 1,6 Mio. € in Anspruch genommen und Erlöse aus der Veräußerung von Grundstücken in Höhe von 0,5 Mio. € dem Verwaltungshaushalt zugeführt wurden. In dieser Situation schlug der Kämmerer vor, die Beschlussfassung über den Haushalt zu verschieben und die Verwaltung zu beauftragen, den Entwurf eines (freiwilligen) Haushaltssicherungskonzeptes 147
Auf Vorschlag eines Gutachters wurde in B ein Flächennutzungsplan aufgestellt, der zu einer Aufwertung von einzelnen Grundstücken und damit zu wirtschaftlichen Vorteilen für die Eigentümer geführt hat. Dem will man in Zukunft entgehen, indem Planungen erst aufgelegt werden, wenn sich die Grundstücke im Eigentum der Stadt befinden (Interview 7).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
151
vorzulegen (Drucksache 99/1025b). Dass dies den Absichten des Bürgermeisters und der CDU-Mehrheit im Rat zuwiderlaufen würde, macht die Protokollierung der Ausführungen des Bürgermeisters in der Beratung der Vorlage im Rat am 18.12.2002 deutlich (indirekte Rede im Original): „Wer nun der Ansicht sei, man benötige ein Haushaltssicherungskonzept und gleichzeitig behaupte, Steuererhöhungen würde es nicht geben, sage von vornherein die Unwahrheit, da man aufgrund der Richtlinien zum Haushaltssicherungskonzept die Steuern über den Durchschnitt des Landes erhöhen müsse. Dies könne nicht das Ziel sein. Entscheidend sei, dass alle den Ernst der Lage erkannt hätten und man darüber nachdenke, was man weiterhin zur Haushaltskonsolidierung beitragen könne.“
Die Auseinandersetzung um ein HSK geriet so in B zur „Machtfrage“ innerhalb der Verwaltung. Der Kämmerer führte in der Ratssitzung laut Protokoll folgendes aus (indirekte Rede im Original): „Das Haushaltssicherungskonzept werde immer als Damoklesschwert bezeichnet, das dem Rat sämtliche Macht entziehe. Ein Haushaltssicherungskonzept müsse vom Rat getragen sein, von allen verabschiedet und konzeptionell erarbeitet werden. Es sei insoweit das mindere Übel gegenüber einer Haushaltssperre und einer Alleinregentschaft eines Haushälters. Es sei lächerlich zu behaupten, dass [der Kämmerer mit seinem] Vorschlag zum Haushaltssicherungskonzept vorgehabt habe, Machtstrukturen im Hause zu verändern.“
Letztlich konnte sich der Kämmerer nicht durchsetzen. Im Doppelpassspiel zwischen Bürgermeister und CDU-Mehrheit wurde ein HSK nicht aufgestellt, der Haushalt 2003 mit 22 Stimmen gegen 15 Stimmen beschlossen. Wie kurzatmig der Haushaltsausgleich 2003 hergestellt wurde, zeigt eine Information der Verwaltung an den Rat der Stadt B im Zusammenhang mit der Beschlussfassung über den Etat (Drucksache 99/1025b): Weil ein Einnahmeausfall beim Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer von 325.000 € vorauszusehen war, wurde der Unterhaltungsansatz des Rathauses um 20.000 € zurückgenommen, eine Hausmeisterwohnung für 150.000 € verkauft, die Rücklagenentnahme um 90.000 € erhöht und ein weiterer Betrag von 100.000 € aus der Bildungspauschale vom Vermögens- an den Verwaltungshaushalt abgeführt, was allerdings zur Folge hatte, dass dadurch der Kreditbedarf im Vermögenshaushalt entsprechend anstieg.
152 6.1.2.6
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
Zusammenfassung der Analyse Stadt B
Im interkommunalen Vergleich, sowohl unter den Fallstudienstädten als auch im Vergleich zu den kreisangehörigen Ruhrgebietsstädten > 20.000 Einwohner, schneidet die Stadt B beim policy-output, festgemacht an den Kennzahlen: strukturelles Defizit/freie Spitze, Personalausgaben und Verschuldung weit überdurchschnittlich positiv ab; zum Teil erreicht sie die besten Kennzahlenergebnisse. Der positive Kennzahlenwert bei den Personalausgaben ist das Ergebnis einer bewussten Steuerung und Haushaltskonsolidierungsstrategie des verwaltungszentrierten Bürgermeisters. Er kann sich dabei auf einen Konsens mit „seiner“ CDU-Mehrheitsfraktion stützen, für die das Sparen bei der Verwaltung beginnt, bevor man „dem Bürger über Steuern, Gebühren und Entgelte in die Tasche greift“ (Interview 7). Für den Bürgermeister ist dabei der Personaletat eine „Stellschraube“, mit der es gelingt, den Verwaltungshaushalt „im Lot zu halten“, damit er seine politischen Maßnahmen, die sich insbesondere im Bereich der Infrastruktur bewegen, durchsetzen kann. Bürgermeister und CDU-Fraktion haben in B in der Haushaltspolitik das primäre Ziel, ein Haushaltssicherungskonzept und damit eine Positionsstärkung von Vetospielern (Kommunalaufsicht, Kämmerer) unter allen Umständen zu vermeiden. Dazu ist es erforderlich, jährlich originär ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Die Haushaltspolitik bzw. das dahinter liegende Haushaltsrecht haben daher für die Akteure, allen voran den Bürgermeister, eine stark „instrumentelle“ Funktion. Der Haushaltsausgleich wird nicht sui generis angestrebt, sondern ein ausgeglichener Haushalt schafft die Voraussetzung für die Durchsetzung politischer Ziele, in die die Kommunalaufsicht nicht von außen störend eingreifen kann. Ausdruck dessen ist das Bestreben der CDU-Mehrheit, eine selbstbestimmte Steuerhebesatzpolitik zu betreiben. Dazu nutzen Bürgermeister und CDU-Mehrheitsfraktion alle Möglichkeiten der Gemeindeordnung und der kameralen Haushaltssystematik (Haushaltstricks): Die Auslagerung von kommunalen Aufgaben in den Dienstleistungsbetrieb schafft „Spielräume“ bei der Verschuldung und senkt Personalkosten148; durch Vermögensveräußerung und anschließende Rückzuführung der Erlöse in den Verwaltungshaushalt wird dieser massiv entlastet und letztlich ausgeglichen; dasselbe gilt für die vollständige Inanspruchnahme der Allgemeinen Rücklage im Vorfeld der Umstellung auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (ein Veto der Kommunalaufsicht war in 148
Mit Privatisierungen wird in den Kommunen sogar eine Selbstentmachtung der Räte in Kauf genommen, so lange es nur gelingt, ungestört von Eingriffen der Kommunalaufsicht Investitionsvorhaben durchzusetzen, weil Maßnahmen des Vermögenshaushalts „wählerwirksamer“ sind. Darüber hinaus können sich Kommunalpolitiker weit über ihre Amtszeit hinaus durch Baumaßnahmen „Denkmäler“ setzen (Bogumil/Holtkamp 2002: 81).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
153
dieser Phase nicht mehr zu erwarten). Hinzu kommt ein strikter Sparkurs bei den Personalausgaben und in (zumindest in den Augen des Bürgermeisters) weniger „populären“ Politikbereichen (z.B. Kulturpolitik). Ein Merkmal für die Sichtweise des Bürgermeisters ist die Tatsache, dass er Verwaltungshandeln nicht allein unter den Aspekten der Gesetzmäßigkeit und Effizienz, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Zielerreichung (Effektivität) sieht. Dass er „seine“ Mehrheitsfraktion davon überzeugen konnte, zeigen Äußerungen des CDUFraktionsvorsitzenden im Interview und in einer Charakterisierung, die dieser anlässlich der erneuten Kandidatur des Bürgermeisters 2004 in der Lokalpresse wie folgt vornimmt (dokumentiert bei Gehne 2007: 373): „Er [der Bürgermeister; d. Verf.] bringt sich ein für die Stadt, hat Ideen und Visionen, dazu die Fähigkeit, für diese einzustehen. Manchmal über Umwege, aber ein Bergsteiger kommt auch nicht immer auf direktem Weg zum Ziel.“
Der „argumentative Schulterschluss“ zwischen Bürgermeister und CDUMehrheit in den Themen HSK-Vermeidung, Steuern, Schuldensituation, Personalausgaben, Bürgermeister-Projekte ist so stark und die Durchsetzung eigener inhaltlicher Disposition der SPD-Opposition so chancenlos, dass die SPD teilweise (Schuldenentwicklung, Personalabbau) auf die Argumentation der Mehrheit eingeschwenkt ist und eigene Positionen aufgegeben hat. Dass Haushaltspolitik „auf der Straße“ kein populäres Thema ist, musste die SPD in B erfahren, als sie die Schulden der Stadt im Wahlkampf 2004 zu thematisieren versuchte. Dabei zeigt sich die Verschuldung der Stadt im interkommunalen Vergleich erhöht, ohne den Mittelwert zu erreichen, aber auch deutlich vom interkommunalen Minimum entfernt und im Zeitverlauf steigend. Die CDU-Mehrheitsfraktion und der Bürgermeister befinden sich hier in einem ideologischen Zielkonflikt (Wagschal 1996a: 254; 1996b: 314): einerseits befürworten bürgerliche Regierungen einen ausgeglichenen Haushalt. Andererseits treten sie für niedrigere Steuersätze ein, die ihrer Wählerbasis primär zugute kommt. Bei einem gegebenen Ausgabenniveau lassen sich beide Ziele nicht simultan verwirklichen. Bürgerliche Regierungen haben somit die Wahl zwischen niedrigeren Steuern und einem relativ hohen Defizit auf der einen Seite und relativ höheren Steuern und einem niedrigeren Defizit auf der anderen Seite. Im Hinblick auf ihr Wiederwahlziel werden sie die Option wählen, die ihnen bessere Wiederwahlchancen eröffnet. Niedrigere Steuern erhöhen das verfügbare Einkommen der Wähler und sind daher erheblich populärer für die bürgerliche Ratsmehrheit und bringen ihr Stimmenvorteile. Da aber wegen niedrigerer Steuereinnahmen Überschüsse des Verwaltungshaushaltes fehlen, um Maßnahmen des Vermögenshaushaltes zu finanzieren, und die Kommunalaufsicht bei defizitären Haushalten mit einem Haushaltssicherungskonzept reagieren würde, bleibt
154
6.1 Haushaltspolitik in Fällen verwaltungszentrierter Bürgermeister
nur der Weg in die Kreditfinanzierung investiver Maßnahmen (§ 76 GO NRW) und damit in die höhere Verschuldung. Bürgerliche Regierungen verschulden sich daher in stärkerem Maße als linke Regierungen (Wagschal 1996a: 257). Mit diesem Muster lässt sich auch die Schuldenpolitik in B erklären. Die CDUMehrheit vermeidet Steuererhöhungen, um ihre Klientel durch die Steuerpolitik wirksam entlasten zu können und ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen. „Gebetsmühlenartig“ wird von der CDU daher auch das eingängige Bild des „Häuslebauers“ bemüht, dessen Schulden ja auch geschaffene Werte gegenüber stehen, die auch zukünftigen Generationen zugute kommen.149 Eine weitere residuale Parteiendifferenz zwischen CDU und SPD ist in B in der Frage der Gründung der AöR Dienstleistungsbetrieb zu erkennen. Während die CDU das mit der Ausgründung verbundene Sparkonzept in den Vordergrund stellt, was u.a. darin besteht, dass die Mitarbeiter eine längere Arbeitszeit ohne Lohnausgleich hinnehmen müssen, waren die verschlechterten Arbeitsbedingungen der Grund für die SPD, die Anstalt abzulehnen. Diese Einstellung blieb jedoch mangels durchsetzungsfähiger Mehrheit wirkungslos. Ansonsten sieht die SPD keine Chance, in der Personalpolitik eigene politische Konzeptionen durchzusetzen, so dass sie sich in den Sparkurs des Bürgermeisters einfügt und dieses Politikfeld der „Personalhoheit des Bürgermeisters“ (Interview 8) zurechnet und nicht zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung macht. Dem Bürgermeister gelingt es durch Überzeugung, aber auch aufgrund seiner erheblichen Definitionsmacht durch Verfahrens- und Informationsvorsprung die CDU-Mehrheit „vor sich herzutreiben“ (Interview 6) und seine politischen Projekte zu verwirklichen, die insbesondere in der Verbesserung der Infrastruktur und damit im Vermögenshaushalt liegen. Dabei kommt ihm seine persönliche Nähe zum deutlich lebensälteren Fraktionsvorsitzenden zu Gute, der die Mehrheiten für die Bürgermeisterprojekte organisiert. Aber auch in der Verwaltung ist der Bürgermeister die bestimmende Kraft. Dabei marginalisiert er die Vetoposition des Kämmerers, was ihm umso leichter fällt, als er als Jurist in der Lage ist, das stark formalisierte und wegen unbestimmter Rechtsbegriffe „auslegbare“ kommunale Haushaltsrecht zu durchschauen und für seine politischen Ziele einzusetzen. Das Herausdrängen des Kämmerers aus der Haushaltsstrukturkommission mit den Fraktionen ist Beleg für diese Strategie150, ebenso die Tatsache, dass er (im Zusammenspiel mit der CDU-Fraktionsspitze) den Vorschlag des 149
Da meist auch zukünftige Generationen von Investitionen profitieren, ist es gemäß der These der intertemporalen Lastenverteilung (Zimmermann 2006: 392) durchaus angemessen, durch langfristige Kredite statt durch Steuerfinanzierung einen Teil der Investitionskosten mit entsprechender Zins- und Tilgungsverpflichtung auf nachfolgende Generationen zu übertragen. 150 Dieser Vorgang lässt sich auch so deuten: Der Rat möchte den starken Bürgermeister über die Lenkungsgruppe „an die Leine“ nehmen; da möchte dieser nicht noch eine weitere Vetoposition in Person des Kämmerers gegen sich haben.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
155
SPD-Kämmerers, 2003 ein freiwilliges HSK „zu fahren“, vom Tisch wischte. Der Abbau von Vetopositionen erscheint zentral im Handeln des Bürgermeisters: Nicht nur das Heraushalten der Kommunalaufsicht durch die Vermeidung eines Haushaltssicherungskonzeptes und das „Abblocken“ des Kämmerers sind Beleg für diese Strategie, auch die Verschlankung der Aufbauorganisation und der damit verbundene Ämterabbau haben nicht nur haushaltsentlastende Wirkung, sondern deuten in diese Richtung; letztlich sogar die von der CDU-Mehrheit durchgesetzte Ratsverkleinerung. Seine juristische wie betriebswirtschaftliche Ausbildung macht es dem Bürgermeister leicht, den Fachverstand aufzubauen, um von der Verwaltung „nicht über den Tisch gezogen zu werden“. Um dies sicherzustellen, greift er nach eigenem Bekunden gelegentlich „tief in die Verwaltung hinein“. Aufgrund seiner formalen Position nach der Gemeindeordnung, aber auch wegen seiner Fachkenntnisse nutzt er extensiv seine Chancen, einerseits Einfluss auf die Mehrheitsfraktion auszuüben, andererseits Vorstellungen in die Verwaltung hineinzutragen, die ihm wichtig sind und dessen Realisierungschancen er abschätzen kann. Der Schlüssel, um seine „Scharnierfunktion zwischen Rat und Verwaltung“ (Interview 6) optimal in seinem Sinne auszunutzen, liegt in seiner juristischen Expertise und in seiner Durchsetzungsfähigkeit. Das gute Einvernehmen mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden erleichtert allerdings sicherlich sein mikropolitisches Agieren. Die Grundlegung der kommunalpolitischen Arbeit des Bürgermeisters liefert bereits das CDU-Wahlprogramm, das seine Handschrift trägt. Wie im Falle der Untersuchungskommune A kommt dem Handeln des verwaltungszentrierten Bürgermeisters in B die zentrale Funktion im haushaltspolitischen Entscheidungsprozess zu (Führungswollen, Führungskönnen). Dabei ist festzustellen, dass in A wie in B bei den maßgeblichen Kennzahlen effiziente Haushaltsergebnisse erzielt werden. Im Gegensatz zu seinem Amtskollegen in A sind die Konsolidierungsziele des Bürgermeisters in B aber sehr viel stärker darauf ausgerichtet, über einen ausgeglichenen Haushalt potenzielle Vetospieler (Kommunalaufsicht, Kämmerer, Amtsleiter) fernzuhalten, die die Durchsetzung seiner lokalpolitischen Ziele erschweren könnten. Dabei kann er sich auf eine stabile CDU-Ratsmehrheit stützen, die einerseits seine Projekte, andererseits aber auch seinen Sparkurs z.B. bei den Personalausgaben mitträgt. Sein Umgang mit dem kommunalen Haushaltsrecht ist dabei „instrumentell“; als Jurist ist er in der Lage, die rechtlichen Möglichkeiten zu erkennen und auszunutzen. Die im interkommunalen Vergleich guten Haushaltsergebnisse der Stadt B können somit ebenfalls als Ergebnis erfolgreicher Hierarchisierung durch den verwaltungszentrierten Bürgermeister bei gleichzeitig geringer Parteipolitisierung gedeutet werden.
156
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
6.2.1 Haushaltspolitik in der Stadt C
6.2.1.1 Politisches Kurzprofil Der Rat der Stadt C (99.000 Einwohner) setzte sich in den vergangenen Legislaturperioden wie folgt zusammen: Tabelle 13: Tabelle Zusammensetzung des Rates der Stadt C 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 1994 1994 1999 1999 2004 2004 – 2009*
SPD
CDU
B’90/ Grüne 6
37
16
33
18
8
24
21
4
24
18
7
FDP
Freie Wähler
Sonstige
3
4
2
4
8
3
* Gegenüber dem Wahlergebnis 2004 verlor die SPD im Laufe der Legislaturperiode ein Mandat durch Fraktionswechsel zu den Freien Wählern, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Sitz durch Fraktionsaustritt zu fraktionslosem Status. Damit umfasst das rot-grüne Bündnis 2008 nur noch 29 statt 31 Mandate.
Im Rat ergaben sich daraus die folgenden politischen Strukturen: Tabelle 14: Politische Strukturen Rat der Stadt C 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 - 1994 1994 - 1999 1999 - 2004
BM ratsgewählt: SPD ratsgewählt: SPD volksgewählt: SPD
2004 - 2009
volksgewählt: SPD
Rat Absolute SPD-Mehrheit Absolute SPD-Mehrheit Rot-Grünes Kernbündnis ohne eigene Mehrheit (keine Koalition) Rot-Grüne Koalition ohne eigene Mehrheit
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
157
Bis 1999 herrschte die SPD in C mit absoluten Mehrheiten und stellte jeweils auch den Bürgermeister. Bei der Kommunalwahl 1999 verlor die Partei 11 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit; und dann 2004 nochmals 2,9 Prozent. In der Legislaturperiode 1999 – 2004 hat es keine formale Koalition mit den Grünen gegeben. Es habe sich um ein „rot-grünes Kernbündnis ohne eigene Mehrheit“ gehandelt, so der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11). Seit 2004 gibt es eine Koalition mit den Grünen, wenngleich diese ebenfalls über keine originäre Mehrheit im Rat verfügt. Der letzte ratsgewählte Bürgermeister (1994 – 1999) wurde bei der ersten Direktwahl 1999 als volksgewählter Bürgermeister bestätigt. Ihm folgte 2004 der jetzige Amtsinhaber nach. Der Alt-Bürgermeister (bis 2004) hat folgenden beruflichen und politischen Lebenslauf: Bergmann, Bergingenieur, 1970 Ratsmitglied, 1975 SPD-Fraktionsvorsitzender, 1983 bis 1999 Bundestagsabgeordneter, davon sechs Jahre sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Der jetzige Amtsinhaber hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert und leitete vor seiner Wahl eine Volkshochschule. Beide Bürgermeister sind so als politikzentriert einzuordnen. Die Verwaltung der Stadt C besteht aus 4 Dezernaten: das Dezernat 1 (Öffentlichkeitsarbeit, Organisations- und Personalamt, Amt für Wirtschaftsförderung und Liegenschaften sowie Querschnittsämter) wird vom Bürgermeister geleitet, das Dezernat 2 (Finanzdezernat) vom Stadtkämmerer, der Erste Beigeordnete führt das Rechts-, Sozial- und Jugenddezernat, der Stadtbaurat das Baudezernat. Zum Konzern Stadt C gehören 16 Unternehmen, an denen die Stadt unmittelbar beteiligt ist (Beteiligungsbericht 2003). Davon sind die Gesellschaft für Arbeit und Beschäftigungsförderung (städtischer Anteil 54,7 %), die Siedlungsgesellschaft mbH (51 %) und die Förder- und Entwicklungsgesellschaft mbH (51 %) Mehrheitsbeteiligungen. Einer Mehrheitsbeteiligung gleichzusetzen sind auch die Stadtwerke GmbH. Mit einem Anteil von 1 Prozent besteht zwar rechnerisch nur eine Splitterbeteiligung, aufgrund der im Gesellschafts- und Konsortialvertrag getroffenen Regelungen hat die Stadt C hier aber die Rechte einer Alleingesellschafterin. Zum Konzern gehören ferner das Sondervermögen (Eigenbetrieb) Stadtentwässerung sowie die Anstalt des Öffentlichen Rechts (vormals eigenbetriebsähnliche Einrichtung) Kulturforum. Letztere besteht aus den Teilbetrieben Kulturverwaltung (u.a. Kulturbüro, Saalbau), Bücherei, Museen und Musikschule.
158 6.2.1.2
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Haushaltsergebnisse 2000 – 2007
Dokumentenanalysen Die Ergebnisse der Verwaltungshaushalte 2000 – 2007 der Stadt C werden anhand der auch bei den anderen Untersuchungskommunen eingesetzten Kennzahlen: Strukturelles Defizit, Verschuldung, Steuerhebesätze und Personalausgaben in den interkommunalen Vergleich gestellt und analysiert.
Strukturelles Defizit/Freie Spitze Die Stadt C konnte zuletzt für das Haushaltsjahr 1991 einen ausgeglichenen Haushalt verabschieden. Früher als andere Kommunen, auch des Ruhrgebietes, bekam die Stadt Haushaltsprobleme. Seit 1992 bis heute unterliegt die Stadt mit wechselnder Intensität dem Nothaushaltsregime der Kommunalaufsicht; die Zielerreichung eines originären Haushaltsausgleichs ist „offen“ [vgl. IM: Liste „NRW-Kommunen in der Haushaltssicherung (kameral)“, Stand: 20.05.2008]. Das HSK 2007 ff. wurde nicht genehmigt.151 Ursachen für die schwierige Haushaltslage der Stadt finden sich einerseits in exogenen Faktorenbündeln, andererseits in endogenen, wie Höhe der Personalausgaben und Leistungsstandards im freiwilligen Bereich, auf die weiter unten im Detail eingegangen wird. Das Gewerbesteueraufkommen war im Zeitraum 1994 bis 2004 starken Schwankungen unterworfen, während sich die Schlüsselzuweisungen und die Einkommensteueranteile seit 1999 jährlich verringerten. Im gleichen Zeitraum waren die Personalausgaben und der Zuschussbedarf für den Einzelplan 4 (Soziale Leistungen) jährlich gestiegen, während sich die Kreisumlage reduzierte. Ferner ist festzustellen, dass die Stadt C „langjährig im Konsumbereich deutlich über ihre finanziellen Verhältnisse gelebt hat“ (GPA 2005a). Dies führte dazu, dass die Haushalte jeweils mit einem Fehlbetrag abschlossen. Die aufgelaufenen Fehlbeträge beliefen sich Ende 2004 auf fast 129 151
Nach dem modifizierten Handlungsrahmen zur Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten ist Genehmigungsfähigkeit dann gegeben, wenn – zumindest – der jahresbezogene (originäre) Haushaltsausgleich (ohne Abdeckung von Altfehlbeträgen aus Vorjahren) spätestens im vierten auf das Haushaltsjahr folgenden Jahr erreicht wird. Der Entwurf des HSK 2007 ff. der Stadt C verfehlt das Ziel um rd. 842.000 €, die in 2011 noch „offen stehen“. Ferner gelingt es der Stadt C nicht, bis 2016 den geforderten Abbau der Alt-Fehlbeträge in Höhe von 156 Mio. € zu erreichen. Der Kämmerer war bereits mit einer „freundlichen Nicht-Genehmigung“ zufrieden. Dann bliebe C zumindest ein Sparkommissar von außen erspart (WAZ/WR 09.06.2007). Zum HSK 2007 ff. vgl. auch ausführlich die folgenden Ausführungen.
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Mio. € (GPA 2005a), in 2006 auf 149,2 Mio. €, womit C den zweithöchsten Fehlbetrag unter den kreisangehörigen Kommunen landesweit einnimmt (IM NRW 2007b: Anlage 8-1). Die Konsolidierungsabsichten wurden im Haushaltssicherungskonzept 2005 ff. von der Stadt C wie folgt beschrieben: Aktives Zinsund Schuldenmanagement, weitere Reduzierung der Personalausgaben, Optimierung der Gebäudereinigung, Gewinnabschöpfung bei den städtischen Beteiligungen, Veräußerung städtischen Vermögens. Im interkommunalen Vergleich entwickelte sich die allgemeine Haushaltslage der Stadt C trotz aller Sparabsichten wie folgt (strukturelles Defizit für die Haushaltsjahre 2000 bis 2003 in €/EW; GPA NRW): 2000 = -96, 2001 = -123, 2002 = -130, 2003 = -226. Im interkommunalen Vergleich bedeutet dies für die Stadt C folgende Position:
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 18: Strukturelles Defizit Stadt C 2003 im interkommunalen Vergleich (GPA NRW)
450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt C
Unter den Untersuchungskommunen nimmt die Stadt C beim strukturellen Defizit 2003 den schlechtesten Platz ein (vgl. Abb. 6).
Verschuldung Die Stadt C weist, bezogen auf die Haushaltsjahre 2000 bis 2003 und 2005, folgende Schuldenentwicklung auf (GPA NRW 2005a, Junkernheinrich/Micosatt 2007):
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Tabelle 15: Schuldenentwicklung Stadt C 2000 bis 2005
Fundierte Schulden Kernhaushalt (€/EW) Gesamtschulden152 (€/EW)
Haushaltsjahr 2002 2003
2000
2001
2005
720
778
787
765
802
1.676
1.731
1.710
1.714
3.279
Der interkommunale Vergleich zeigt folgende Positionen der Stadt C (Gesamtschulden Abb. 19 und fundierte Schulden des Kernhaushalts Abb. 20):
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 19: Gesamtschulden Stadt C 2005 im interkommunalen Vergleich
4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt C
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 20: Fundierte Schulden der Kernverwaltung Stadt C 2005 im interkommunalen Vergleich
2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
152
Maximum
Mittelwert
Stadt C
Unter Einbeziehung des Sondervermögens Entwässerung der Stadt C, der Anstalt Öffentlichen Rechts Kulturforum sowie der Mehrheitsbeteiligungen.
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Im interkommunalen Vergleich schneidet die Stadt C mit ihren Schulden im Kernhaushalt nicht schlecht ab. Die Gesamtverschuldung des Konzerns jedoch ist vergleichsweise hoch; unter den Untersuchungskommunen ist der Kennzahlenwert 3.279 €/EW das Maximum (vgl. auch Abb. 9). Besorgniserregend ist auch die Entwicklung der Kassenkredite in C. Mit rd. 1.570 €/EW belegt C in 2006 den vierthöchsten Rang aller kreisangehörigen Kommunen in NRW (IM NRW 2007b: Anlage 8-1). Das Volumen für Kassenkredite ist sprunghaft von 78.543.000 € in 2000 auf 155.679.000 € in 2005 gestiegen. Bei den Kassenkrediten handelt es sich fast ausschließlich um die aufgelaufenen Defizite seit 1992. Jede negative Zinsentwicklung wird die Stadt C daher besonders hart treffen.
Steuerhebesätze Als eine Maßnahme des Haushaltssicherungskonzeptes wurde die Grundsteuer B im Jahre 2003 um 40 Hebesatzpunkte auf 470 v.H. erhöht. Dies führte zu Mehreinnahmen von ca. 900.000 €. Insgesamt entwickelten sich die Grundsteuerhebesätze und die Einnahmen in C wie folgt (GPA NRW 2005a): Tabelle 16: Übersicht Steuerhebesätze Stadt C Jahr
2000 2001 2002 2003 2004
Hebesatz Grundsteuer B Stadt C (v.H.) 430 430 430 470 470
Fiktiver Hebesatz Grundsteuer B 330 330 330 381 381
Einnahmen in Tausend € 12.798 13.862 13.351 14.747 14.758
Der Hebesatz der Grundsteuer B von 470 v.H. liegt in C damit deutlich über dem Landesdurchschnitt. Mit diesem Hebesatz befindet sich die Stadt C an fünfter Stelle aller kreisangehörigen Kommunen in NRW (IM NRW 2007b: Anlage 171). Eine weitere Erhöhung der Grundsteuer B war, obwohl von der Verwaltung im Zusammenhang mit dem HSK 2007 ff. vorgeschlagen (s.u.), gegen den Rat nicht durchsetzbar. Für die SPD hätte sie eine zusätzliche Belastung der Mieter bedeutet (die Grundsteuer kann als Nebenkostenfaktor auf die Wohnungsmiete umgelegt werden), für die CDU gilt die „ultima ratio“ (CDUFraktionsvorsitzender; Interview 12): „Erst bei sich selber sparen, bevor man dem Bürger in die Tasche greift“.
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Das Gewerbesteueraufkommen stellte sich in den zurückliegenden Jahren wie folgt dar (Stadt C: HSK 2007 ff.): Tabelle 17: Entwicklung Gewerbesteuereinnahmen Stadt C 2000 bis 2008 Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Hebesatz Gewerbesteuer Stadt C (v.H.) 430 430 430 430 430 430 430 430 440
Fiktiver Hebesatz Gewerbesteuer 380 380 380 403 403
Einnahmen in Mill. € 30 30,1 34,8 25,1 31,6 36,6 42,7 42,9 43,5
Auch bei der Gewerbesteuer lag der Hebesatz im Betrachtungszeitraum deutlich über dem Landesdurchschnitt und erfüllte so die Vorgaben des Handlungsrahmens zur Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten. 2008 erfolgte eine Hebesatzanhebung um 10 Prozentpunkte im Zuge des HSK 2007 ff. (siehe unten).
Personalausgaben Die Stellenwicklung in C verlief im Betrachtungszeitraum 2000 bis 2004 leicht degressiv (GPA NRW 2005a). Die Ist-Stellen sanken von 1.494 auf 1.437 (Kernverwaltung: 1.361 auf 1.318). Der Abbau von 57 Stellen entspricht einem Rückgang von 3,8 Prozent. Die Stellenstreichungen sind allerdings schwerpunktmäßig im Bereich des Kulturforums vorgenommen worden (minus 15 Stellen). Bei der Personalquote (Ist-Stellen je 1.000 Einwohner) markiert C das Maximum des interkommunalen Vergleichs, das heißt die Stadt stellt für die Erbringung ihrer Dienstleistung das meiste Personal zur Verfügung. Insbesondere für die Gebäudereinigung mit eigenen Kräften werden 116 Stellen (vollzeitverrechnet; dies entspricht 186 Mitarbeiterinnen) bezahlt. Aber auch wenn man die personalintensiven Bereiche Reinigung, Feuerwehr, Rettungsdienst und Kindertageseinrichtungen (die Stadt C unterhält 8 Kindertageseinrichtungen in städtischer Regie) abzieht, verbleibt die Personalquote im Maximumsbereich.
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Die hohen Personalausgaben sind der belastende Faktor für den Haushalt der Stadt C.153 Dies spiegelt sich auch in den Personalausgabenvergleichen wider:
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 21: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen und Mehrheitsbeteiligungen) Stadt C im interkommunalen Vergleich
1200 1000 800 600 400 200 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt C
Die „Dramatik“ der Situation wird allerdings erst deutlich, wenn man sich die Personalausgaben der Kernverwaltung anschaut:
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 22: Bereinigte Personalausgaben Stadt C 2003 im interkommunalen Vergleich
600
400
200
0 Minimum
153
Maximum
Mittelwert
Stadt C
Hierauf weist auch der Landrat des Ennepe-Ruhr-Kreises in der Genehmigungsverfügung des HSK 2000 bis 2004 vom 26.07.2001 hin und fordert grundsätzliche Entscheidungen zur Senkung der Personalausgaben und einen Beschluss über Leistungseinschränkungen.
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Die hier dargestellten weit überhöhten Stellen bzw. Ausgaben finden ihre Ursachen, soweit für diese Untersuchung interessant, in Folgendem (GPA NRW 2005a):
für die SPD-Fraktionsgeschäftsführung wird aus dem Stellenplan eine hauptamtliche Vollzeitstelle zur Verfügung gestellt die Informationstechnik wird durch eigenes Personal wahrgenommen (andere Kommunen bedienen sich Rechenzentren oder sourcen die Leistung zu unterschiedlichen Anteilen aus); die Betreuungsquote Bildschirmarbeitsplätze pro IT-Mitarbeiter ist dabei minimal die Stadtbücherei verfügt über fünf Zweigstellen, hierfür ist neben Gebäudekosten Personal bereit zu halten; mit 19,55 Stellen liegt C weit über dem interkommunalen Mittelwert in der Musikschule werden fast nur BAT-Kräfte eingesetzt; der Anteil der Honorarkräfte liegt mit 10 Prozent sehr niedrig das Stadtarchiv ist im interkommunalen Vergleich überproportional stark besetzt (5 volle Stellen; andere Vergleichsstädte kommen mit 2 Stellen aus) Gebäudereinigung zu 100 Prozent in Eigenregie; auch in den Kultureinrichtungen ist der Anteil an Reinigungskräften auffallend hoch hoher Personalstand im Bereich Straßenunterhaltung und Grünflächenpflege für die Aufgabe „Straßenreinigung“ wird überproportional viel Personal bereitgestellt.
Auch eine aktuelle Analyse des Innenministeriums zum Ausgabeverhalten einiger Kommunen in NRW (Winkel 2007b) kommt zu dem Ergebnis, dass die Personalausgaben in C (2006: 633 €/EW) im Vergleich zu den ebenfalls großen kreisangehörigen Städten Paderborn (144.258 EW: 442 €/EW) und Recklinghausen (121.521 EW: 595 €/EW) deutlich erhöht sind. Die Ursache hierfür wird in der Ausgabenmentalität, d.h. am Festhalten an kostenintensiven Standards und Strukturen gesehen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Stadt C überproportional viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Niedriglohnbereich (ArbeiterInnen) und im Kulturbereich beschäftigt. Mit dem Personalrat besteht bzw. bestand eine 1999 geschlossene und bis 2008 geltende Vereinbarung, dass die Reinigung der Verwaltungsgebäude vollständig in Eigenregie mit städtischem Personal durchgeführt wird.154 Ein „sozialverträglicher“, sukzessiver Ausstieg aus der Eigenreini154
Die 10 Jahre laufende Vereinbarung mit dem Personalrat kann auch als Strategie „passiven Widerstands“ (Holtkamp 2004a) gewertet werden, die zum Ziel hat, einen Aufgabenbereich vor Eingriffen vor Kämmerei oder der Kommunalaufsicht zu immunisieren, vergleichbar mit langfristigen Verträgen mit freien Trägern der Jugendhilfe etc. In der Nachfolgeregelung ab 2008 wurde „einver-
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gung und damit verbundene Standardanpassungen und Organisationsoptimierungen würden ein jährliches Einsparpotenzial von 1,34 Mio. € generieren (GPA NRW 2005a).
Haushaltssicherungskonzept 2007 bis 2011 Auf Druck der oberen Kommunalaufsicht (Regierungspräsident Arnsberg) und unter Androhung „härterer Maßnahmen“ („Sparkommissar“) beschlossen SPD, CDU, Wählergemeinschaft und Grüne am 11.06.2007 das Haushaltssicherungskonzept 2007 ff. Das Sparpaket sieht Einsparungen von 2,4 Mill. € in 2007 bis 10,6 Mio. € in 2012 vor. Die Vorgeschichte des HSK-Kompromisses 2007 soll im Folgenden dokumentiert werden, weil sie ein Licht auf die handelnden Akteure und insbesondere die Rolle des Bürgermeisters im Haushaltspolitikprozess der Stadt C wirft. Es war die Bezirksregierung Arnsberg, namentlich der Regierungspräsident persönlich, der der Stadt ein Ultimatum für einen finanziellen Korrekturkurs stellte. Die WAZ/WR berichtete am 09.06.2007: „Über dem Etat [2007] mit einem durchschnittlichen Jahresdefizit von 20 Mio. Euro schwebt bekanntlich das Damoklesschwert Sparkommissar. Bei seinem letzten Besuch vor einigen Monaten hatte [der Regierungspräsident] der Verwaltung ins Stammbuch geschrieben, endlich ihren Haushalt in Ordnung zu bringen – und den Sparkurs deutlich zu verschärfen. Das zeigte Wirkung. Zwar gelang es nicht, ein 20Mio.-Paket zu schnüren. ‚Aber zwölf Millionen sind ja auch keine Peanuts’, sagte [der Regierungspräsident] am Freitag und lobte ausdrücklich die jüngsten Bemühungen, den Haushaltsausgleich bis Ende 2011 zu schaffen.“
Die Fraktionsspitzen des Rates tagten daraufhin unter Moderation des Kämmerers, bevor sie sich auf einen Sparkompromiss verständigten. Der Kämmerer ist ausgewählt worden, weil er als „neutrale Person“ gilt und die „notwendige Fachlichkeit“ hat. In den Gesprächen sind auch die Fraktionsvorsitzenden und ihre jeweiligen Vertreter anwesend gewesen – auch von den kleinen Fraktionen. In Fachfragen seien, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, darüber hinaus Fachleute aus den Fraktionen hinzugezogen worden – nicht nur Finanzpolitiker (Interview 11). Auch in der Ratsperiode 1999 – 2004 hatte es, so der SPDFraktionsvorsitzende, eine HSK-Kommission gegeben, „aber die war längst nicht so professionell“. Für ihn habe in der aktuellen Konsolidierungsrunde, die nehmlich mit dem Personalrat und dem Gebäudemanagement“ eine Senkung des eingesetzten Personals um ein Drittel bis spätestens 2011 vereinbart (Stadt C: Personalwirtschaftskonzept – Januar 2007).
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den Fraktionen „von außen [RP] aufgedrückt wurde“, die SPD-Fraktion „am meisten nachgegeben“.155 Es war unter allen Beteiligten abgesprochen worden, dass ausgerechnet der Bürgermeister „außen vor“ bleibt und an den Gesprächen nicht beteiligt wird. Der Bürgermeister (Interview 9) schätzt diese Situation wie folgt ein: „Wir haben einen guten Draht zur Bezirksregierung, (…). Und [die] hat eigentlich insbesondere das Sparbemühen der Verwaltung anerkannt und hat intensiv mit allen Fraktionen geredet, insbesondere natürlich auch mit der CDU und den Abspaltungen, dass die sich auf den Weg machen und das, was die Verwaltung vorgelegt hat, unterstützen. Ich glaube, wenn wir nicht eine entsprechend positive Unterstützung durch die Bezirksregierung gehabt hätten, die gesagt hat: es gibt nicht was Halbes, also so einen Berater wie in Oberhausen oder in Waltrop, sondern einen Kommissar, und damit sind eure Handlungsmöglichkeiten komplett weg, das wäre so gewesen, dann hätten die sich nicht bewegt.“
Der CDU-Fraktionsvorsitzende bewertete die Vorgänge, insbesondere die Nichtbeteiligung des Bürgermeisters an der Konsolidierungsrunde, so (Interview 12): „Das aktuelle Sparpaket geht auf die Initiative der Kommunalaufsicht zurück. Auf Veranlassung des Regierungspräsidenten hat es ein Gespräch mit den Vorsitzenden der beiden großen Fraktionen gegeben ohne Beteiligung [des Bürgermeisters]. Man wollte ausloten, ob eine breite Mehrheit im Rat bereit ist, einem Sparpaket zuzustimmen. Dies ist aber kein bewusster Affront gegen [den Bürgermeister] gewesen.“
Der Alt-Bürgermeister (Interview 10) verglich die Situation mit seiner aktiven Amtszeit, da hätten „einige aus der SPD-Fraktion“ gesagt: „Lass’ Dir doch die Drohgebärden der Kommunalaufsicht nicht gefallen. Nimm’ das doch nicht so ernst, dass die einen Kommissar schicken wollen“. Diese „Laissez-faireHaltung“ könne man sich heute aber nicht mehr leisten. Die SPD-Fraktion sicherte in der Folge das Sparpaket gegenüber der Parteibasis ab („Die Fraktion braucht Eure Unterstützung und Euren Rückhalt“), indem der Fraktionsvorsitzende (nota bene: nicht der Bürgermeister!) vor den SPD-Ortsvereinen einen Vortrag hielt (Titel: „Sparmaßnahmen in [C]“. Die Haushaltskonsolidierung in der Stadt [C] - Ratspolitik im Sparzwang). Nachdem er zunächst exogene, von der Stadt nicht beeinflussbare sozioökonomische Fak155
Bei dieser Einschätzung liegt er wohl nicht falsch. Der CDU-Fraktionsvorsitzende betonte, dass man im Jugendbereich den „Etat zwar gemeinsam gedeckelt“ habe, aber in Bereichen, „wo die typische SPD-Klientel sitzt“, musste man „unter dem Aspekt der gemeinsamen Einigung ran“ (Interview 12). In der Vergangenheit sei das unterblieben, „weil man dem eigenen Wähler nicht weh tun wollte“. Aber durch den Druck der Aufsichtsbehörden sei da „Bewegung rein gekommen“.
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toren für die Haushaltsschieflage verantwortlich machte156, „malte“ er die Drohung des Regierungspräsidenten in seinem powerpoint-Vortrag buchstäblich „an die Wand“: „Regierungspräsident (…) hat im Juni und August gegenüber den Fraktionen unmissverständlich [Hervorhebung im Original] klargemacht: ‚Für den Fall[,] das[s] die Stadt [C] und die im Rat vertretenen Fraktionen keine ernsthaften Sparbemühungen zeigen, wird ein Sparkommissar nach [C] geschickt.“
Und er machte es der Parteibasis gleich deutlich: „Was bedeutet ein Sparkommissar? [Er] hätte keine beratende Funktion; [er] hätte die Stellung eines ‚Bürgermeisters’ inne: [Er] formuliert Beschlussvorschläge für den Rat, sagt, was die Politik beschließen muss, stützt sich auf die Verwaltungsmitarbeiter, [hat] kein Interesse an langfristigen sozialpolitischen Erwägungen. Entscheidungen werden in kleinen Runden ohne Bürgerbeteiligung getroffen. [Er] übernimmt z.T. die Außenvertretung der Stadt. Rat und Bürgermeister würden ‚ausgeschaltet’“.
Sodann beschreibt er die Essentials für die SPD („Das wollen wir verhindern“): Keine „radikale[n] Kürzungen bei den freiwilligen Aufgaben. Schaffung und Erhaltung von Sportanlagen und von kulturellen und sozialen Einrichtungen, Schaffung/Erhalt von Verkehrseinrichtungen, Förderung der Vereine“. Einzelne Kürzungsvorschläge der Verwaltung (u.a. Privatisierung der Reinigung kommunaler Gebäude, Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer, Abschaltung von Straßenbeleuchtung) gingen der SPD zu weit. Im Kompromiss mit den anderen Fraktionen ergaben sich danach folgende Eckpunkte: 156
Keine Erhöhung von Grundsteuer, Hundesteuer und Parkgebühren, Erhöhung der Gewerbesteuer um 10 v.H., HSK-Programm für den Sportbereich; Verbesserung der Qualität der Sportanlagen (eingespartes Geld z.T. in Kunstrasenflächen investieren)
Auch der Bürgermeister argumentierte so: Die Stadt hänge nicht deshalb „am finanziellen Tröpfler, weil hier über Jahre sorglos mit den städtischen Finanzen umgegangen worden sei“. Stattdessen verwies auch er auf exogene Rand- und Rahmenbedingungen. Ferner werden die mangelnden Steuerungsmöglichkeiten der Kommune im kostenintensiven Sozial- und Jugendbereich angeführt. Aktuelle Untersuchungen der GPA NRW belegen indes, dass es in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und (mit Einschränkungen) Hilfe zur Pflege primär nicht nur auf die strukturellen Rahmenbedingungen (z.B. SGB II-Quote) ankommt, sondern die interne Aufgabensteuerung für ein wirtschaftliches Handeln maßgeblich ist. Eine signifikante Korrelation zwischen sozioökonomischen Rahmenbedingungen und policy-output (Zuschussbedarfe) konnte nicht nachgewiesen werden (GPA NRW: Entwurf des Evaluationsberichtes über die überörtliche Prüfung der kreisfreien Städte in NRW, 2008).
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Budgetkonstanz im Kinder- und Jugendbereich Zukunftsfähiges Kulturangebot (Wissenszentrum) Kein Verkauf der Stadtwerke und des Wohnungsbestandes der Siedlungsgesellschaft; lediglich „Prüfaufträge“ Verkauf nicht mehr benötigter Liegenschaften.
Um die parteipolitischen Positionen im Sinne inhaltlicher Parteipolitisierung (Personalausgaben, Steuerhebesätze, Privatisierung) noch einmal festzuhalten, folgen hier Zitate aus den Haushaltsreden der Fraktionsvorsitzenden: CDU: „Für die CDU war es wichtig, dass es sich bei dem Sparpaket nicht in erster Linie um ein Gebühren- und Steuererhöhungspaket, sondern um ein echtes Sparpaket handelt, bei dem insbesondere die Verwaltungs- und Personalausgaben reduziert werden.“ Grüne: „Seit 1988 ist die Gewerbesteuer nicht mehr erhöht worden, das sind fast 20 Jahre. Nun beteiligen sich nicht nur die Bürger, sondern auch die Wirtschaft mit etwa 700.000 Euro an der Haushaltskonsolidierung. Unserer Ansicht nach hätten das auch ein paar Euro mehr sein können.“ Freie Wähler: „Mit diesem Sparpaket haben wir an der Struktur der öffentlichen Verwaltung nichts geändert. Jährlich steigen die Personalausgaben. Die ‚big points’ wie Sparkasse, Siedlungsgesellschaft und Stadtwerke wurden nur angekratzt. Die Verwaltung gehört deutlich reduziert und zwar um rund 300 Stellen in den nächsten 5 bis 10 Jahren. Alle anderen Maßnahmen sind sonst nur Makulatur.“
Herauszustellen ist nochmals, dass der Sparkompromiss ohne aktive Beteiligung des Bürgermeisters (wie auch in den Interviews mit den Politikern betont wurde) zustande kam. Die Prozessmoderation lag beim Kämmerer, die Initiative ging vom Regierungspräsidenten aus.157 Das HSK 2007 ff. sieht im Einzelnen folgende wesentlichen Maßnahmen vor:
157
Der Bürgermeister (Interview 9) nimmt für sich allerdings in Anspruch „den direkten Draht zur Kommunalaufsicht, Regierungspräsident gesucht“ zu haben. Seine Rolle beim Sparkompromiss beschrieb er so: Der Kämmerer sei der Moderator gewesen, weil er parteipolitisch neutral sei. Er, der Bürgermeister, habe die „Rückendeckung gegeben und die Mehrheiten organisiert.“ Es ist natürlich ebenfalls bemerkenswert, dass die unmittelbar zuständige untere Kommunalaufsicht in diesem Verfahren außen vor blieb. Der Bürgermeister betonte (Interview 9), dass es für C „viel besser“ wäre, wenn die Stadt „direkt der Bezirksregierung unterstellt“ wäre. Viele Dinge würden, trotz eines SPDLandrates, nicht vom Kreis entschieden. Die Aufsicht sei „zu schwach“. Er, der Bürgermeister, binde den Kreis formal zwar mit ein, gleichwohl hätte er „Vieles nicht geregelt bekommen“, wenn er nicht den direkten Draht nach Arnsberg gesucht hätte. Der Alt-Bürgermeister (Interview 10) betonte das Engagement des Bürgermeisters in der Zusammenarbeit mit der Kommunalaufsicht. Er habe es nicht leicht, mache seinen „Job aber gut“.
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Wie erwähnt: Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes in 2008 auf 440 Prozentpunkte; jährliche Mehreinnahme: 700.000 €, Personalabbau in der Verwaltung, „Neuausrichtung“ freiwilliger Leistungen (Sport, Kultur), Überprüfung der Wirtschaftlichkeit städtischer Hilfsbetriebe (Werkstätten, Gärtnerei), Überprüfung des Zuschussbedarfs kostenrechnender Einrichtungen (z.B. Herabsetzung des Anteils an öffentlichem Grün bei den Friedhöfen), Abschöpfung „angemessener Gewinne“ aus den städtischen Beteiligungen, Prüfaufträge zu Stadtwerken und Siedlungsgesellschaft Erhöhung der Einnahmen aus der Verkehrsüberwachung, Vermögensverwertung (Grundstücksveräußerungen etc.; erstrebter Erlös im Konsolidierungszeitraum: 2 Mio. €), Schließung von zwei Schulen.
Zu einzelnen Konsolidierungsstrategien der Stadt C im Rahmen des HSK 2007 ff. sollen noch die folgenden Ergänzungen gemacht werden: Das Einsparkonzept sieht Personalkostenreduzierungen in Höhe von 5,6 Mio. € bis 2012 vor. Darin enthalten ist die Optimierung der Reinigung durch Abbau von 22 Stellen durch „natürliche Fluktuation, Abgänge und Umsetzungen“ und die „Erprobung von Fremdvergaben für einzelne Objekte“ (probeweise Privatisierung). Bis 2012 hofft man so, rd. 640.000 € einzusparen. Die Verwaltung denkt aber nicht zwangsläufig an das Freisetzen von Personal, sondern „… die Verwaltung [strebt] eine Weiterqualifizierung und interne Umsetzung von Reinigungskräften innerhalb der Stadt an“. Ausdruck von SPD-Politik in C ist dabei auch folgendes Konzept: 5 ehemalige Reinigungskräfte sollen zusätzlich zur Verstärkung der innerstädtischen Straßenreinigung eingesetzt werden, wodurch eine Gebührenerhöhung von 0,25 € pro Reinigungsmeter/Jahr und eine Entlastung des allgemeinen Haushalts eintreten sollen. So gelingen gleichzeitig die Weiterbeschäftigung von Personal, die Entlastung des Haushaltes und die Verschiebung der Kostenlast auf den Gebührenzahler. Ein „Spielen auf Zeit“ und eine Externalisierung des Entscheidungsprozesses sowie Rücksicht auf SPD-Beschäftigungspolitik bedeutet es, dass der Einstieg in die Fremdreinigung, d.h. die materielle Privatisierung der Aufgabe, von einer „testweisen Fremdreinigung in einem geeigneten Referenzgebäude“ abhängig gemacht werden soll: „Die probeweise Durchführung einer Fremdreinigung soll einerseits Aufschluss über Reinigungsstandards, Kosten und Qualität geben, soll jedoch andererseits auch den unmittelbaren Vergleich zur Eigenrei-
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nigung ermöglichen und hier konkrete Hinweise auf die Optimierung der Eigenreinigung geben“.158 Der Hausmeistereinsatz soll optimiert werden. Auch dieses Sparkonzept wird dilatorisch behandelt, indem festgestellt wird: „Die Reorganisation des Hausmeisterwesens wird im laufenden Jahr 2007 aus Kapazitätsgründen keine hohe Priorität genießen können.“ So sind auch erst für 2012 erste Einsparsummen vorgesehen. Unter dem Stichwort „Verwaltung 2020“ sieht das HSK 2007 ff. die „Realisierung flacherer Hierarchien und größerer Führungsdichte [vor] mit dem Ziel, bis 2012 mindestens ein Viertel der Stellen ausscheidender Führungskräfte abzubauen (Finanzvolumen 800.000 €)“. Im Zeitraum von 2007 bis 2012 (zum Teil auch erst in den Jahren 2013 und 2014) scheiden 24 Führungskräfte aus. Vor diesem Hintergrund möchte der Bürgermeister die Anzahl der Führungsebenen und die Führungsstruktur der Verwaltung „insgesamt einer kritischen Betrachtung (…) unterziehen sowie ein Konzept einer veränderten Gesamtorganisation unter Einbeziehung der Führungsnachwuchskräfteentwicklung (…) entwickeln.“ Es ist an dieser Stelle allerdings festzuhalten, dass die Stadt C trotz des aufgezeigten Konsolidierungskurses und einer Personalkostendeckelung von 54,6 Mio. € in 2005 immer noch Personalausgaben/Einwohner von 546 €/EW hat und interkommunal weiter an der Spitze liegt. Als „Projekt der Politik“ enthält das aktuelle Sparkonzept der Stadt C die Neuordnung des städtischen Vereinssports durch Aufgabe von Sportplätzen, Konzentration und Qualitätsverbesserung verbleibender Anlagen sowie die Stärkung der Eigenaktivitäten von Vereinen einschließlich Senkung der Energiekosten (Nr. 33 der HSK-Liste). Hier steht die Rettung kommunaler freiwilliger Einrichtungen (Sportbereich) im Vordergrund. Die SPD ist in den Wahlkämpfen 1999 und 2004 bei diesem Thema erheblich unter Druck geraten (Interview 11); sie wurde von den Vereinen wegen der Einschnitte „zur Rede gestellt“. In früheren Jahren, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, sei das noch kein Thema gewesen; da habe man versucht, die „Vereine möglichst nicht zu schädigen“. Im Einzelnen sind im Sportbereich folgende Maßnahmen geplant:
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Errichtung neuer Sportstätten in Vereinsregie Übernahme der Schlüsselverantwortung durch Sportvereine Selbsthilfemaßnahmen (im Bereich Bauunterhaltung) an Sportstätten durch Vereinsmitglieder
Dieser „Aufschluss“ ist allerdings in der kommunalen Praxis allenthalben gegeben (KGStGutachten, Gutachten der GPA NRW u.a.), so dass hier das Verschieben der Entscheidung als Versuch gewertet werden kann, Zeit zu gewinnen.
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Stärkere Beteiligung der Vereine an den Betriebskosten der Sportanlagen und Beteiligung der Vereinsmitglieder am Energiesparen Kooperation und Konzentration: die Verwaltung führt in ihrer Vorlage Nr. 0642/V 14 vom 14.05.2007 dazu folgendes aus: „Mit Beschluss vom 14.11.2005 hat der Rat als weiteren Baustein im Programm „Sparen mit Sport“ [!!; der Verfasser] der Verwaltung den Auftrag gegeben, mit der Kommunalaufsicht abzustimmen, dass unter der Maßgabe, einen nennenswerten Anteil des Veräußerungserlöses zur Sicherung und Attraktivierung der verbleibenden Sportstätten einsetzen zu dürfen, Sportstätten nach einer qualifizierten Entbehrlichkeitsprüfung aufgegeben, planerisch überarbeitet und veräußert werden sollen. (…) Die Kommunalaufsicht hat schlussendlich zugestimmt, dass ein Betrag von bis zu 44,9 % des Erlöses zur Bestandserhaltung eingesetzt werden darf, der restliche Betrag zur Schuldentilgung einzusetzen ist.“
Aus dieser Überlegung heraus sollen dem Wunsch der Sportvereine nachgegeben und sieben neue Kunstrasenplätze (einer pro Stadtteil) gebaut werden. Zwei Kunstrasenplätze soll dabei die örtliche Sparkasse in 2007 und 2008 unter Verzicht auf die Ausschüttung von Gewinnanteilen finanzieren. Insgesamt ist mit dem Konzept eine Einsparerwartung von „jährlich mindestens 600.000 €“ durch verringerten Unterhaltungsaufwand verbunden.159 Das dargestellte Muster, vermittels des HSK den freiwilligen Bereich in der Substanz zu „retten“, findet seine Fortsetzung im Kulturbereich. Durch die Ausgründung der Aufgabe zunächst in eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung und später in die AöR Kulturforum wurde der Bereich dem unmittelbaren Konsolidierungszugriff durch die Kommunalaufsicht entzogen. Die Stadt C wird in ihrem Personalwirtschaftskonzept von 01/2007 (S. 5) deutlich: „Mit der Ausgliederung des Kulturforums in eine Anstalt des öffentlichen Rechts unter Einschluss des Stadtarchivs hat dieser Bereich ein hohes Maß an Flexibilität generieren können, um auch zukünftig ein gesamtgesellschaftlich wünschenswertes Kulturangebot in der Stadt sichern zu können.“
Es ist nunmehr beabsichtigt, die Musikschule effizienter zu machen (Schwerpunkt des Unterrichts bei Kindern und Jugendlichen, Anpassung der Musikschulentgelte, „nach Möglichkeit“ Verzicht auf Wiederbesetzung freiwerdender Stellen und Einsatz von Honorarkräften); Archiv, Bücherei und Museum sollen in einem „Wissenszentrum“ zusammengefasst werden, die Nebenstellen des 159
Die Linie der Stadt C, Maßnahmen im Konsens mit den Sportvereinen und dem Stadtsportverband abzustimmen, hat ihre Ursache sicherlich auch darin, dass der Alt-Bürgermeister ein passionierter Sportpolitiker ist und in seiner Zeit als MdB sportpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion war (Interview 10).
172
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Büchereisystems in den Ortsteilen sollen sukzessive aufgegeben oder in ehrenamtliche Betreuung gegeben werden. Die Finanzierung eines Gebäudes für das „Wissenszentrum“ als Erweiterungsbau am Museum soll aus dem Verkauf der Büchereihauptstelle erfolgen. Eine Machbarkeitsstudie für dieses Konzept wurde in Auftrag gegeben (Verwaltungsvorlage 0660/V 14 vom 04.06.2007). Die Strategie, den freiwilligen Bereich (Sport und Kultur) zu „retten“, besteht in einer Flucht nach vorne: „Qualität statt Quantität durch Konzentration und Kooperation“ (Bürgermeister in der Rede zur Einbringung des HSK am 11.06.2007). Dies geht so weit, dass, wie dargestellt, als Konsolidierungsstrategie einer Nothaushaltskommune der Neubau von sieben Kunstrasenplätzen (für sieben Stadtteile) im HSK „abgebildet“ wird. Dasselbe gilt für den Bereich Kultur. Ein Prüfauftrag an die Verwaltung und die Erstellung ein externes Gutachten sollen die Machbarkeit eines „modernen Wissenszentrums“ untersuchen, damit es nicht „zu einem kulturellen Kahlschlag in C kommt“ (Bürgermeister; Interview 9).
Interviewergebnisse zur Haushaltspolitik allgemein Nach Ansicht des Bürgermeisters (Interview 9) habe die Stadt C seit 1993 („eigentlich schon immer“) mehr ausgegeben, als sie eingenommen habe. Dramatisch sei die Situation aber nach 1993 geworden, weil die Deckungslücken durch den Einbruch bei der Gewerbesteuer immer größer wurden. Dies sei seiner Ansicht nach auch keine „hausgemachte“ Situation der SPD-Mehrheit gewesen, sondern die Kommunen brauchten für einen strukturellen Wandel einfach eine ganze Zeit, um sich auf veränderte Rahmenbedingungen einzustellen. Bestimmte Ausgaben – z.B. Personalausgaben – könne man ohnehin nur langfristig verändern. Weitere Unwägbarkeiten für den Kommunalhaushalt ergäben sich aus Belastungen, die die Bundes- und Landesgesetzgebung verursachten (z.B. Anspruch auf einen Kindergartenplatz). Die „These“ des Bürgermeisters lautete (Interview 9): „Also meine These ist, dass es im Grunde genommen egal ist, wie die politische Couleur einer Stadt ist, das Handeln von Kommunen ist bis weit in die 90-er Jahre geprägt worden durch sozialen Welfare. Und dass diese Erkenntnis, dass Kommunen das Rad deutlich zurückdrehen müssen, bei den einen früher, bei den anderen später gekommen ist; in [C] vielleicht ein bisschen später als in anderen Kommunen.“
Der Alt-Bürgermeister (Interview 10) datierte den „Niedergang der Finanzen“ in C ebenfalls auf den Anfang der 1990-er Jahre, machte aber insbesondere die
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Zahlungen zum Fonds Deutsche Einheit verantwortlich. Damit hätten die Schwierigkeiten begonnen („70 Millionen Euro Transferzahlungen Aufbau Ost: das ist die Hälfte des städtischen Defizits“). Wie der Bürgermeister machte auch er die Folgen der wirtschaftlichen Rezession in den vergangenen 10 Jahren für die Haushaltsschwierigkeiten in C verantwortlich. Prägend für die Wirtschaft in C sei das produzierende Gewerbe. Durch den Abbau von Arbeitsplätzen in Großbetrieben (Abbau der Arbeitsplätze von 7.000 auf 1.500 Mitarbeiter) seien auch Einkommensteuerrückgänge und „Rieseneinbrüche bei der Gewerbesteuer“ zu verkraften gewesen. Langzeitarbeitslose belasteten den Sozial- und Jugendhilfeetat.160 Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11) führte primär exogene Gründe für die Haushaltssituation an: Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen, Zahlungen Deutsche Einheit, Einbruch bei Schlüsselzuweisungen, Landes- und Bundeszuschüssen, Strukturwandel im Ruhrgebiet mit Verlust von Arbeitsplätzen, steigende Sozialausgaben und fehlende Konnexität bei Aufgabenübertragungen. Endogene Gründe sahen sowohl der SPD- als auch der CDUFraktionsvorsitzende (Interview 12) in der „massive[n] Ausdehnung des Personalbestands“ bis 1992. Unter SPD-Regie seien aber auch „spektakuläre Entscheidungen“ (Alt-Bürgermeister) bzw. „schwierige Investitionen“ (SPDFraktionsvorsitzender) getroffen worden. Beide Interviewpartner nannten in diesem Zusammenhang die Renovierung der städtischen Versammlungsstätte für 18 Millionen € in den 1990-er Jahren gegen den Widerstand der CDU. Auch die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten (Interview 13) unterstrich die bedenkliche Ausgabenmentalität der vergangenen Jahrzehnte in C. Die finanzielle Misere sei so über lange Jahre aufgebaut worden. Die Amtsperioden von Alt-Bürgermeister und Bürgermeister seien da „gar nicht ursächlich“. Unbestritten sei, dass in der älteren Vergangenheit „der Geldbeutel in C locker gesessen“ habe. Man habe sich über die langfristige Wirkung von Entscheidungen keine Gedanken gemacht. Der drohende „Sparkommissar“ sei allerdings ein „Schreckensbild für [C]“, weil er bedeuten würde, dass die Handlungsfähigkeit, die ohnehin schon stark eingeschränkt sei, der Stadt in Gänze genommen würde. Es gebe aber auch kleinere Fraktionen im Rat, die sagen: „Ist doch gar nicht so schlimm, es gibt Beispiele aus anderen Städten, wo das zu vernünftigen Ergebnissen geführt hat“. Es werde aber einiges dafür getan, den Sparkommissar zu vermeiden. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf das „Machtwort“ des Regierungspräsidenten, der die Fraktionen „zur Ordnung gerufen“ habe. Das
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Vgl. aber Fußnote 156 zum Zusammenhang von sozioökonomischen Faktoren und Zuschussbedarf Jugendhilfe.
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6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Sparkonzept, auf das man sich verständigt habe, sei aber nicht so üppig ausgefallen, wie man sich das erwartet hatte. Sie nannte es einen „Minimalkonsens“. Fragt man nach den Akteuren und Strategien in der Haushaltspolitik in C, so betonte der Bürgermeister (Interview 9) zunächst, dass die Bürger in zunehmendem Maße die finanziellen Einschränkungen in der Stadt erlebten. Für ihn als Bürgermeister bedeute dies, „Einsparungen mit positiven Impulsen zu verbinden“ (vgl. oben das Sparkonzept in Sachen Sport und Kultur; Qualitätsverbesserungen durch Konzentration). Für die Politik sei dies aber eine schwierige Situation, weil sie nicht mehr mit „sozialen give-aways“ arbeiten könne, sondern Einschnitte machen müsse. Die Politiker sparten nur ungern. In der Haushaltspolitik in C seien neben dem Kämmerer und dem Bürgermeister der „ganze Verwaltungsvorstand“ als Akteur zu nennen. Da ziehe man „an einem Strick“. Dies gehe einher mit der Unterstützung durch die Kommunalaufsicht; erst dann würden die „Fraktionen ins Boot geholt“. Der Alt-Bürgermeister (Interview 10) verteilte die Akteurs-Anteile in der lokalen Haushaltspolitik wie folgt: 50 % Kommunalaufsicht, 20 % Kämmerer („Er bereitet den Haushalt vor“), 20 % Bürgermeister, 10 % Fraktionsvorsitzende. Zum heutigen Einfluss der Kommunalaufsicht verglich er die Situation in seiner Amtszeit: Früher sei es an der Tagesordnung gewesen sei, dass Bürgermeister, Stadtdirektor und Kämmerer „in die Kreisstadt zitiert wurden“. Das ging dann in der Fraktion „hin und her“. Der Regierungspräsident musste sich einschalten, als die Haushaltsdaten immer schlechter wurden. Auch das Innenministerium habe sich „ein paar mal gemeldet“. C sei schon 1992/93 ein Beispiel für eine Stadt mit angespannter Haushaltslage gewesen, d.h. zu einem Zeitpunkt, als es anderen noch vergleichsweise gut ging. „[C] war ein schlimmer Fall“ (Interview 10). Den größten Einfluss auf die Hauhaltspolitik in C rechnete auch der CDUFraktionsvorsitzende der Kommunalaufsicht zu (Interview 12). Das sei dem Nothaushaltsrecht geschuldet. Er bezeichnete es als „schizophren“, dass der vom Kämmerer und vom Bürgermeister aufgestellte Haushalt „so gut wie keine Wirkung“ entfalte, weil „jede Maßnahme von der Kommunalaufsicht genehmigt“ werden müsse. „Das, was die nicht genehmigen, passiert hier nicht“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11) stellte heraus, dass für den Bürgermeister das Thema Haushaltskonsolidierung „ein ständiger Punkt“ sei. „In jeder Runde“ sei dieser „bestrebt, irgendwelche Ausgaben zu vermeiden“, versuche er, die „Fraktionen auf den Weg [zu] bringen, zukünftige Ausgaben zu vermeiden“. Dabei sei das Thema Haushalts- und Sparpolitik für die SPD-Fraktion nur von „mittlerer Bedeutung“. Das „politische Geschäft“ müsse ja noch weiterlaufen. Das „tägliche Spiel ums Geld“ sei zwar da, in der Fraktionspriorität aber nicht so hoch angesiedelt wie beim Bürgermeister. Der Alt-Bürgermeister fasst dies so zusammen (Interview 10): „[Der Bürgermeister] hat es nicht immer leicht
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in der eigenen Fraktion“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende hat deshalb beim Bürgermeister folgende Strategie wahrgenommen (Interview 12): „Überall dort, z.B. im Personalbereich, wo es schwierig wird, geht er nicht heran, da, wo etwas einfacher ist, geht er durchaus weiter nach vorne.“
Im Übrigen müsse sich der Bürgermeister mangels eigener Expertise voll auf seinen Kämmerer in Haushaltsangelegenheiten verlassen, vor allem am Anfang der Amtszeit sei dies so gewesen. Nur wer den Haushalt aufstelle, könne ihn auch im Detail lesen. Das falle jemandem, der mit diesem Bereich bisher nichts zu tun hatte, sehr schwer.161 Auch in der Außenwahrnehmung (Interview 13 mit der Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten) hält sich der Bürgermeister in der Haushaltspolitik zurück. Hinter den Kulissen würden aber „viele Fäden gezogen“, auch in Zusammenarbeit mit der SPD-Fraktion. Ferner sei das Handeln des Bürgermeisters durch die finanzielle Situation der Stadt C begrenzt. Die verbliebenen Handlungsspielräume versuche er aber durchaus zu nutzen, „durch Weichenstellungen in die eine oder andere Richtung, durch Prioritätensetzung, zum Beispiel im Kulturbereich“. Zur Abgrenzung von SPD-Fraktion und Partei machte der SPDFraktionsvorsitzende (Interview 11) deutlich, dass „der Haushaltsplan Sache der Fraktion“ sei. Wichtige haushaltspolitische Diskussionen würden aber auch in der Partei geführt.162 So seien wichtige Themen durch Parteibeschluss „geregelt“ worden, wie die Umwandlung der Stadtwerke in eine GmbH. Hier müsse per Grundsatzbeschluss bei jeder zukünftigen Änderung des status quo die Partei befragt werden: „Da kann sich weder die Fraktion noch ihr Vorsitzender einfach drüber hinwegsetzen, ohne Gefahr zu laufen, bei der nächsten Kandidatenaufstellung abgestraft zu werden.“
Fragt man die Amtsträger und Akteure in C nach ihrem Verständnis von Kommunalverwaltung, so ergeben sich signifikante Auffassungsunterschiede. Der Alt-Bürgermeister betonte, dass er in seiner aktiven Zeit („Ich bin jemand, der von unten hoch gekommen ist“) immer versucht habe, „die politischen Ziele mit 161
Der Alt-Bürgermeister gab folgende Hintergrundinformationen zum Verwaltungsvorstand in C (Interview 10): Stadtbaurat und Kämmerer seien parteilos; der Erste Beigeordnete SPD-Mitglied. Der Kämmerer komme ursprünglich aus dem Sauerland und sei dort einmal Mitglied der Jungen Union gewesen. Er sei aber „100 %-ig loyal und sehr anerkannt bei der Aufsicht. Auf den kann sich der Bürgermeister verlassen.“ 162 Vgl. zum Beispiel die Absicherung des Sparkonzeptes 2007 ff. in der SPD
176
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
dem Sachverstand der Verwaltung zu verknüpfen“. Das sei auch eine Zeit gewesen, „in der man miteinander konnte“. Es habe immer ein „gutes Doppelpassspiel mit seinem Fraktionsvorsitzenden [der nach wie vor amtiert und als der fraktionsinterne Gegenspieler des Bürgermeisters gelten kann; d. Verf.]“ gehabt. Da habe es „keinen Riesenkrach“ gegeben (Interview 10). Auf die Frage, ob der Sachverstand der Verwaltung oder die politischen Ziele der Mehrheitsfraktionen entscheidend seien, antwortete der Bürgermeister (Interview 9), dass es einen „Sachverstand in Verwaltung und Politik“ geben müsse. Die politischen Ziele der einzelnen Fraktionen unterschieden sich nur graduell. Eine sachorientierte Politik sei Gegenstand dessen, was die Fraktionen in C machten. Dies gelte aber erst ab 1999; bis dahin habe es eine „… Dominanz und klare, enge Begrenztheit der Wahrnehmung anderer politischer Angänge“ gegeben. Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden (Interview 11) sei es hingegen nur „manchmal“ richtig, dem Sachverstand der Verwaltung zu folgen. Jedoch mangele es der Verwaltung gelegentlich am politischen Fingerspitzengefühl, so dass es Sache der Politik sei zu sagen: „Jetzt ist es mal gut“. Dies gelte auch beim Sparen nach dem Motto: „Wir haben eine gewisse Summe gespart, jetzt wollen wir mal daraus schöpfen und nicht dem Bürger immer mehr aufdrücken.“ Ferner habe die Verwaltung gelegentlich „Pech“, dass Sachverstand auch in der Fraktion vorhanden sei. Und dann sei es schon mal so, dass die Verwaltung nicht das Vertrauen bekommt, dass man ihr an sich entgegen bringen sollte. Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden (Interview 12) decken sich die politischen Ziele der SPD mit denen der Verwaltung: „Die Verwaltung ist seit 40 Jahren durchsetzt mit SPD-Leuten, so dass man Partei und Verwaltung nicht immer auseinander halten kann. So sind Parteiinteressen häufig auch Verwaltungsinteressen.“
6.2.1.3
Parteiendifferenz
Dokumentenanalysen In der Stadt C konnte das Kommunalwahlprogramm der SPD 2004 ausgewertet werden. Darin zeichnen der (seinerzeitige) Bürgermeisterkandidat, der Parteivorsitzende und der Fraktionsvorsitzende163 die „Konturen unserer bisherigen Poli-
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Dies unterstreicht den hohen Integrationsgrad von Verwaltungs-, Partei- und Fraktionsarbeit in C. Weitere Hinweise hierauf sind die Personalgestellung eines SPD-Fraktionsmitarbeiters aus der Ver-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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tik nach“ und wollen „die Bürger bei den notwendigen Veränderungen in der Gestaltung unserer Stadt einbinden“. Und weiter: „Diese Stadt auch unter kritischen finanziellen Rahmenbedingungen zu verändern und zukunftsfähig zu entwickeln, daran arbeiten wir Sozialdemokraten.“ Nimmt man auch hier wiederum die Reihenfolge der Programmpunkte als Maß für die inhaltliche parteipolitische Schwerpunktsetzung, so enthält das Parteiprogramm der SPD folgende Aussagen: Wie auch in den anderen Untersuchungsstädten liegen die Themen Wirtschaftliche Entwicklung/Arbeitsplätze und Wohnen/Freizeit/Umwelt vorne. Dazu gehören die Aufstellung eines neuen Flächennutzungsplanes und die Ausweisung von Bebauungsgebieten, die Ansiedlung neuer Betriebe und bedarfsorientierte Entwicklung von Flächen für Wohnbebauung und Gewerbe bzw. Industrie. Dazu gehört ferner die Verbesserung des Stadtmarketing. An nächster Stelle folgt das Politikfeld Bildung/Schule (Kindergartenversorgung, breit gefächertes Schulangebot mit Offenen Ganztagsschulen, Verstärkung der Schulsozialarbeit und einer Offensive zur Verbesserung der Ausbildungssituation). Die Angebote in der Kinder- und Jugendpolitik aufrechterhalten zu haben, dies stellte die SPD bereits im Rahmen des HSK 2007 ff. heraus (siehe oben). Dementsprechend enthält auch das Kommunalwahlprogramm 2004 Forderungen nach einem funktionierenden Netz von Jugendeinrichtungen in kommunaler und freier Trägerschaft, einem Kinder- und Jugendbüro etc. Sodann folgt das Politikfeld Seniorenpolitik, in dessen Rahmen der städtischen Siedlungsgesellschaft die Aufgabe zukommen soll „als Motor für die Schaffung neuer Wohnformen für das Alter zu fungieren“. Unter dem Thema „Ehrenamtliches Engagement“ subsumiert die SPD in C den Bürgerhaushalt: „Die produktive Auseinandersetzung über die Finanzen der Stadt werden zu einem neuen Gemeinschaftsverständnis von Bürgern, Rat und Verwaltung führen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass auch in C der kommunale Bürgerhaushalt eingeführt wird.“164 Es folgen die Themen: „Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger“ sowie „Kultur“. Zu dem zuletzt genannten Themenfeld wird herausgestellt, dass „auch in Zeiten enger werdender finanzieller Spielräume … unsere Stadt lebenswert bleiben [muss]“. Das „Ziel der SPD in C ist es, diese Lebensqualität gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern zu erhalten und auszubauen.“ Beim Thema waltung oder die Auskünfte des SPD-Fraktionsvorsitzenden zur Zusammenarbeit von Bürgermeister und Fraktion, auf die weiter unten noch einzugehen ist. 164 Dieses politische Programm ist eher ungewöhnlich. Die Räte in NRW haben durch die Reformen der Gemeindeordnung (Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, hauptamtliche Bürgermeister) erhebliche Kompetenzeinbußen hinnehmen müssen. Viele Kommunalpolitiker sehen das Budgetrecht als die Kernkompetenz der kommunalen Vertretungskörperschaft an. Die von vielen Bürgermeistern erhoffte Disziplinierung des Rates bei der Haushaltswirtschaft durch Beteiligung der Bürger (Bürgerhaushalt) kann von den Ratsmitgliedern daher als weitere Aushöhlung ihrer Kompetenz gedeutet werden (Bogumil/Holtkamp 2006: 157).
178
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
„Sport in [C]“ wird die Zusammenarbeit mit dem Stadt-Sport-Verband (SSV) herausgestellt, dem in C eine besondere Funktion zukommt. Durch den Abschluss eines Kooperationsvertrages sei es gelungen, „Kostensenkungen im Personalbereich und einen effektiven Mitteleinsatz im Sachkostenbereich zu erzielen. Der Ausbau der Übertragung von Schlüsselverantwortung auf die Sportvereine seit Anfang der 90er Jahre hat ebenfalls zu einem sparsameren Umgang mit städtischen Ressourcen geführt.“ Dem Verfasser wurde anlässlich des Interviews mit dem SPDFraktionsvorsitzenden noch das Papier „[C] – eine Stadt mit Zukunft. Zwölf Ziele für diese Ratsperiode [2004 – 2009]“ zugänglich. Über die bereits genannten Programmziele hinaus enthält diese Aufstellung noch folgende Ziele: „Keine betriebsbedingten Kündigungen in der Verwaltung - keine Privatisierung der Stadtwerke/Sparkasse.“ Diese Programmpunkte kann man unschwer auf die in C laufende HSK-Debatte beziehen, in der auch die Themen „Privatisierung der Gebäudereinigung“ und Verkauf von „städtischen Töchtern“ eine Rolle spielen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass das SPD-Wahlprogramm an keiner Stelle das Thema „Haushaltskonsolidierung“ als anzustrebendes Ziel sui generis aufgreift. Der Alt-Bürgermeister (Interview 10) hat dafür folgende Erklärung: „Der Kampf um bestimmte Dinge spielt natürlich eine Rolle: ‚Was kann ich in meinem Wahlbezirk durchsetzen?’ In den Parteien wird im verstärkten Maße gesagt: ‚Hier, wir schärfen unser Profil. Wir sagen nicht, was gespart werden soll, sondern wir sagen: das und das muss gemacht werden.“
Auf die Gründe der Haushaltsschieflage in der Stadt C geht der SPDFraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2005 – ebenso wie 2006/2007 - ein und nennt die Einnahmen, die „zu fast zwei Drittel nicht lokal steuerbar“ sind und „somit von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung abhängen“ und auf der Ausgabenseite die „70 Milliarden Euro, die gen Osten fließen müssen“. Für ihn können somit „unsere Bemühungen, im Sach- und Personalkostenbereich die Notbremse zu ziehen, … allein nicht aus dieser schwierigen Lage herausführen.“ Und weiter: „Zwar ist es uns gemeinsam gelungen, zukünftig den Personalkostenanstieg durch den Beschluss zur Personalkostenbudgetierung auf ‚Null’ zu setzen. Doch müssen wir auch weiterhin alle derzeit wahrgenommenen Aufgaben kritisch durchleuchten, damit wir über eine Aufgabenreduzierung mittelfristig zu einer Personalkostenreduzierung und der damit verbundenen Kostensenkung kommen.“
Auch an dieser Aussage wird deutlich, dass die SPD nicht die Strategie verfolgt, den objektiv übersetzten Personalkörper bei bestehenden Aufgaben abzubauen,
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was zwangsläufig zu einer Arbeitsverdichtung beim verbleibenden Personal führen würde, sondern sie verfolgt den „bequemeren“ Weg, den Personalabbau dem Aufgabenabbau folgend zu lassen.165 Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden habe die Stadt in den letzten Jahren ihre „Hausaufgaben gemacht, genutzt hat es nichts!“ Einem Verkauf von Stadtwerke-Anteilen erteilte der SPDFraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2006/2007 eine „klare Absage“, da mit diesem „Einmaleffekt“ nur eine „vorübergehende Linderung der Notlage“ eintreten würde: „Der Verkauf von 20 % unserer Anteile an den Stadtwerken beziehungsweise der ewmr166 soll angeblich mindestens 50 Millionen Euro einbringen. 50 Millionen, die zunächst das Altdefizit von 180 Millionen auf 130 Millionen senken würden, für weitere Überlegungen oder Planspiele bleibt allein rechtlich kein Raum. Weitere Planspiele sind in diesem Zusammenhang, dass man 30 Millionen dieser einmaligen Einnahme aufwenden könnte, um eine deutliche Anzahl von Mitarbeitern mit Abfindungen nach Hause zu schicken. Die anderen 20 Millionen könnten in die Unterhaltung unserer Straßen und Gebäude gesteckt werden. Dann, so die Planspiele in Teilen dieses Rates, sparen wir in den Folgejahren jeweils zwei Millionen an Unterhaltungsaufwand wieder ein. Wer, so frage ich, kommt auf solche Rechnungen? (…) Aus diesem Grund und aus den oben dargestellten negativen strukturellen Auswirkungen einer solchen Veräußerung für den städtischen Haushalt heraus lehnt die SPD-Fraktion einen Teilverkauf der Stadtwerke zum jetzigen Zeitpunkt und in Zukunft ab.“
Zum Thema „Personalausgaben“ vertritt der SPD-Fraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2006/2007 folgende Position: „Auch auf der anderen Seite greifen wir mit der Zustimmung zu der verwaltungsseitig angekündigten Abänderung der Dienstvereinbarung zur Unterhaltsreinigung167 165
Dieser Weg ist unrealistisch angesichts der Bestrebungen der SPD-Mehrheitsfraktion, das Leistungsangebot im Prinzip aufrechtzuerhalten (vgl. HSK-Beschlüsse 2007). Hinzu kommt, dass eher mit einem Aufgabenzuwachs in von Bund und Land übertragenen Bereichen zu rechnen ist. Der SPD-Fraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2005: „Nein, allein durch die von mir schon häufig zitierte Kindergartenplatzgarantie oder die Auswirkungen des Unterhaltsvorschussgesetzes und anderer von Bund und Land auf die Kommunen übertragenen Aufgaben konnten wir den Aufgabenbestand nicht in der wünschenswerten Weise abbauen. (…) Somit sind alle Bemühungen, das Personal in der immer geforderten Größenordnung abzubauen, von vornherein unrealistisch, solange damit kein Aufgabenverzicht verbunden ist.“ So hat man die „Schuldigen“ in Form der höheren Staatsebenen gefunden, auf die man zeigen kann, ohne in konfliktträchtige Auseinandersetzungen z.B. mit dem Personalrat hinsichtlich eines Stellenabbaus eintreten zu müssen. 166 Energie- und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet GmbH, an denen die Stadtwerke GmbH zu 99 Prozent beteiligt ist. 167 Vgl. oben Fußnote 154
180
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister auch direkt in die Struktur des städtischen Haushalts ein. Wir erwarten, und dies werden wir mit unserer Zustimmung zum Antrag der FDP zu diesem Thema unterstreichen, dass die Verwaltung gemeinsam mit dem Personalrat die städtische Reinigung dauerhaft umstrukturiert und vor allem im Bereich Personalkosten deutliche Entlastungen aushandelt. Dies darf jedoch auf keinen Fall dazu führen, dass die in diesem Bereich beschäftigten Dienstkräfte durch die Veränderungen über Gebühr belastet werden. Mit der geänderten Dienstvereinbarung wird zudem sichergestellt, dass in diesem Bereich niemand von Kündigung bedroht ist. Zu dieser Aussage stehen wir auch weiterhin.“
Interviewergebnisse Auch im Untersuchungsfall C wurden die Kommunalpolitiker nach der Wichtigkeit kommunaler Themen aus der Sicht des Bürgers/der Bürgerin (Responsivität) und aus der Politikersicht befragt (vgl. auch Tabelle in der Anlage 3): Tabelle 18: Bedeutung kommunalpolitischer Themen (Stadt C) Bürgersicht Rang Kommunalpolitisches Thema 1 Arbeitsplätze vor Ort 2 Straßen und Parkplätze 3 4
5 6
Öffentliche Sicherheit und Ordnung Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung Soziale und kulturelle Einrichtungen Haushaltspolitik
Politikersicht Rang Kommunalpolitisches Thema 1 2 3
Arbeitsplätze vor Ort Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung Straßen und Parkplätze
4
Öffentliche Ordnung
Sicherheit
und
4
Haushaltspolitik
6
Soziale und kulturelle Einrichtungen
Auch diese Auswertung belegt, dass es andere Themen als die Haushaltspolitik sind, die Bürger und Kommunalpolitiker vorrangig beschäftigen. Nach Meinung der Politiker interessieren sich Bürger eher für die „nahe liegenden Themen“ Arbeitsplätze und Straßen; Haushaltspolitik liegt als abstraktes Thema an letzter Stelle. Auch für die Politik sind die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort, Wirt-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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schaftsförderung, Stadtplanung, Schaffung und Erhaltung der Verkehrsstruktur wichtigere policies. Das Ergebnis spiegelt im Wesentlichen die Resultate aus den anderen Untersuchungskommunen wider. Von Interesse für die Thesen dieser Dissertation ist das Ergebnis, dass – ähnlich wie in den anderen Untersuchungskommunen – keine gravierenden Abweichungen in der Themenschwerpunktsetzung im Sinne einer Parteiendifferenz gibt. Lediglich das Thema „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ wurde vom Bürgermeister deutlich niedriger in der Wichtigkeit eingestuft als von den anderen Parteienvertretern und der Lokalredakteurin (vgl. Anlage 3). Auch in C wurde die Rolle bzw. Bedeutung der Parteien in der Haushaltspolitik untersucht. Der Bürgermeister (Interview 9) wies darauf hin, dass Parteien politisch-inhaltlich „mehr fordern können als Fraktionen“. Jene seien stärkeren Zwängen und Restriktionen, z.B. durch die Haushaltslage, unterworfen. Auch die Parteien befassen sich nach seiner Kenntnis in C mit haushaltspolitischen Themen (beispielsweise im Zusammenhang mit der Finanzierung von Sport, Jugend und Kultur). Der Alt-Bürgermeister (Interview 10) betonte, dass die führenden Mitglieder im SPD-Stadtverband und in der SPD-Fraktion in der Regel identisch seien. Die CDU-Ortsverbände (Interview 12) nehmen stadtteilbezogene Themen auf; übergreifende der Parteivorstand. Dies gelte auch für Fragen des Haushalts, Finanzierung von Projekten etc. Eine Verzahnung zwischen den Ortsverbänden und der Ratsfraktion finde statt: „Nach Möglichkeit sitzen die Vorsitzenden der Ortsverbände auch in der Ratsfraktion“. Ferner spezialisierten sich einzelne Fraktionsmitglieder für Fachthemen; Haushalts- und Personalpolitik habe er sich persönlich vorbehalten, so der CDUFraktionsvorsitzende. In C, so der Alt-Bürgermeister (Interview 10), befasse sich die SPD regelmäßig mit kommunal- und haushaltspolitischen Themen. In Zeiten der Haushaltssicherung seien die Bereiche, „über die man reden kann, natürlich sehr stark eingegrenzt“. Früher sei „viel mehr aus der Partei gekommen“. In der SPD sei aber „immer schon eine starke Verzahnung zwischen Partei und Fraktion gegeben“. Er selber „übe sich“ als Ortsvereinsvorsitzender „etwas in Zurückhaltung“, aber seine „Stellvertreter in Rat und Ortsverein sind immer präsent“. Auch der persönliche Referent des Bürgermeisters komme aus seinem Ortsverein. Die Verbindlichkeit der Wahlprogramme für die Ratsfraktionen wurde sowohl von den SPD-Vertretern als auch vom CDU-Vertreter als „hoch“ eingestuft. In beiden Fällen hätten führende Repräsentanten der Partei (in der SPD: der Bürgermeister und der Fraktionsvorsitzende; in der CDU: Ratsmitglieder) an der Erstellung mitgewirkt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11) räumte allerdings ein, dass „manche Sachen der Fraktion von der Kommunalaufsicht aus der Hand genommen werden; zum Beispiel im freiwilligen Bereich“. Dann müs-
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se man andere Lösungen suchen (z.B. Sponsoring). Innerhalb der Fraktionen stellt sich der SPD-Fraktionsvorsitzende zur Mitte der Legislaturperiode zur Wiederwahl, der CDU-Fraktionsvorsitzende gibt nach eigenem Bekunden regelmäßig „Rechenschaftsberichte“ ab. Das Thema Personalpolitik/Personalausgabenpolitik wird in C hoch kontrovers diskutiert. In der politischen Diskussion werde, so der SPDFraktionsvorsitzende (Interview 11), der SPD vorgeworfen, dass die Stadt C im „gewerblich-technischen Bereich“ zuviel Personal („10 bis 20 Prozent“) habe; z.B. beim Grünflächenamt oder beim Betriebsamt Reinigung und Entsorgung. „[C] macht alles noch selbst; und ich sage dazu: ‚Gott sei Dank!’“ Auch innerhalb der SPD „und mit dem Bürgermeister“ sei das nicht umstritten. Auf den Sachverhalt angesprochen, dass C in der Vergangenheit gewerbliche Arbeitnehmer aufgrund der Schließung eines Werkes in der Stadt in die Technischen Betriebe der Stadtverwaltung übernommen habe168, antwortete der AltBürgermeister (Interview 10): „Wenn man bei uns in der Bauverwaltung mal durchschaut, wie viele Leute da beschäftigt sind, die früher im Bergbau waren, die dann im Straßenbau tätig geworden sind, das ist eigentlich was Normales gewesen. Wir waren ja mal in [C] ein Standort mit 10.000 Bergleuten. 660 Kleinstzechen bis hin zu den Großzechen. (…) Und dies mit dem Bergbau hat teilweise auch eine Rolle gespielt. Ich will jetzt aber nicht sagen, dass wir über Gebühr Leute übernommen haben, sondern die Leute, die im Baudezernat eingestellt worden sind, die sind auch gebraucht worden. Früher sagte man: Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, dann sollen die Kommunen die eine oder andere Arbeitsstelle auch mit Leuten aus dem Bereich besetzen und hinterher dann auch wieder umgekehrt. Das war natürlich da. Das gibt es ja immer, dass mal der eine oder andere Fall auch positiv beschieden wird, dass man sagt: gut, nehmen wir dann noch den und den nehmen wir mit rein.“
Der SPD-Fraktionsvorsitzende sprach von einer „massiven Ausdehnung des Personalbestandes bis 1992“, während der CDU-Fraktionsvorsitzende die SPDPersonalpolitik in C so beschrieb (Interview 12): „Sehr deutlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier viele untergebracht worden sind, die nicht an jeder Stelle so nötig waren. Auch bei der Einstu-
168
Dies ist allerdings kein Spezifikum der Stadt C allein. Auch andere sozialdemokratisch regierte Städte des Ruhrgebietes haben diese Praktiken der Personalpolitik angewandt, um Arbeitslosigkeit aufgrund des Strukturwandels in der Region abzufedern.
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fung des Personals im Vergleich zu anderen Städten oder zum Ennepe-Ruhr-Kreis liegt [C] an der Obergrenze169.“
Auch die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten betonte (Interview 13), dass sie „das ab und höre“, Patronagepolitik aus eigener Anschauung aber nicht „mitbekommen“ habe. Die SPD versuche in C den Prozess der Freisetzung von Personal zu bremsen unter dem Stichwort: „soziale Politik“. Die SPD-Personalpolitik werde, so der CDU-Fraktionsvorsitzende, nach seiner Wahrnehmung auch unter den schwierigen Haushaltsbedingungen in C fortgesetzt. Er nannte als Beispiele Personalbesetzungen bei städtischen Töchtern. Man arbeite stark daran, „das Netzwerk aufrecht zu erhalten“ (Interview 12). Seit zwei Jahren werden Beförderungen erst ab Besoldungsgruppe A 15/A 16 im Rat behandelt. Früher, so der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11), sei das „ab A 11 in der Politik losgegangen“. Beförderungen seien jetzt in die Kompetenz des Bürgermeisters „rückdelegiert“ worden, und zwar auf Betreiben der SPD-Fraktion.170 Beim Thema „Hebesätze zur Grund- und Gewerbesteuer“ habe man sich in C, so der Alt-Bürgermeister (Interview 10), „zurückgehalten, auch aus dem Grund, weil die Sätze verhältnismäßig hoch waren und die Ansiedlung von Betrieben noch schwieriger geworden wäre“. Die Diskussionen um Steuerhebesätze seien, so der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11), „zum Teil kontrovers zum Kämmerer gelaufen“. Die SPD wolle den Bürger nicht noch weiter belasten, da die Grundsteuer B auf die Miete umlagefähig sei. „Das hat keiner verstanden. Die CDU hat das anders gesehen.“ Über die Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes um 10 v.H. im Rahmen des Sparpaketes habe es, so der Bürgermeister, im Vorfeld Absprachen gegeben. „Auch die CDU machte da mit“. Für die Schulden werde in der Stadt C die SPD verantwortlich gemacht; zumindest von CDU und den Freien Wählern, betonte der Bürgermeister (Interview 9). In jedem Wahlkampf hatte es vom politischen Gegner geheißen: „Ihr Schuldenmacher“, so der Alt-Bürgermeister. Pragmatisch kommentierte er aber auch: „Der, der dran ist, hat sie [die Schulden; d. Verf.]“. Kontrovers sei das Thema „Altschulden“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende. Für die aktuellen Schulden habe man sich fraktionsübergreifend für die Installierung eines Schul169
Diese Einschätzung wird durch die GPA-Untersuchung (GPA NRW 2005a) allerdings nicht bestätigt. Bei den Personalausgaben je Ist-Stelle im interkommunalen Vergleich rangiert C mit 48.600 €/Ist-Stelle sogar etwas unterhalb des Mittelwertes von 49.065 €. 170 Dies kann jedoch nicht als Beleg für eine zurückgehende Patronagepolitik gedeutet werden. Im Gegenteil: Die SPD hat die absolute Mehrheit im Rat verloren. Sie läuft jetzt Gefahr, dass ihre Personalpolitik durch Ratsentscheidungen unterlaufen wird. Da ist die informelle Zusammenarbeit mit dem eigenen Bürgermeister offensichtlich aussichtsreicher.
184
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
denmanagements entschieden. Die „verschuldete Stadt“ ist für den Bürger „ein Thema“, so die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten (Interview 13). „Da wird immer mit dem Finger auf die SPD gedeutet“. Der jetzige Bürgermeister könne aber für die Haushaltssituation nicht verantwortlich gemacht werden, da er erst seit 2004 im Amt sei. Die Schließung kommunaler Einrichtungen (z.B. Schließung des Stadtbades in der Innenstadt mit „Angängen eines Bürgerbegehrens“171 oder Organisation der Jugendzentren) ist in C immer hoch kontrovers diskutiert worden. Dies seien, so der Bürgermeister (Interview 9), aber keine „parteipolitisch motivierten Diskussionen“ gewesen, sondern man reagiere seitens der Politik dort, „wo der Bürger aufsteht“. Im Jugendbereich lautete der Kompromiss: keine Kürzung, aber „Deckelung“ (vgl. auch Sparkompromiss 2007 ff.). Ebenso sei im Sportbereich „die Luft rausgenommen worden“, indem mit der Kommunalaufsicht Sonderkonditionen ausgehandelt wurden: 55 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf von Sportanlagen für die Schuldentilgung, 45 Prozent für den Erhalt der verbliebenen Anlagen (vgl. auch die Darstellung oben im Zusammenhang mit dem Sparpaket 2007 ff.). Schwimmbäder habe man so sehr früh (1988) an die Stadtwerke gegeben und sie so erhalten können, betonten die SPD-Vertreter in den Interviews. Nach Aussage des Altbürgermeisters (Interview 10) seien in C noch Jugendzentren gebaut worden, wo sie „andernorts bereits wieder geschlossen wurden“. C sei eine Stadt mit 8 Stadtteilen und habe in jedem Stadtteil Jugendzentren vorgehalten. Das habe mit dem Kampf der Ratsmitglieder für ihren Stadtteil zu tun. Das sei eher ein „Kampf der Ortsteile“, denn ein „parteipolitischer Kampf“ gewesen. Die Schließung einer Büchereinebenstelle habe zu einem „Riesentheater“ geführt. Die Stadt C hatte ursprünglich eine Hauptstelle der Bücherei und 6 Nebenstellen. Die CDU habe alle aufgewiegelt: „Schaut Euch die Analphabeten von der SPD an.“ Freiwillige Ausgaben (Kultur, Zuschüsse im Sozialbereich) werden nach einhelliger Auffassung der Interviewten vom Grundsatz her nicht parteipolitisch kontrovers diskutiert. Vielmehr gebe es in den Fraktionen „querbeet unterschiedliche Meinungen zu den Kulturausgaben“. Man könne nicht sagen: „Die CDU ist für den Erhalt der Kultur, sondern in Teilen sogar dagegen: verkehrte Welt“ (Bürgermeister-Interview 9). Die „Ausgliederung“ in das Kulturforum (Eigenbetrieb) habe sich bewährt. Als Sportpolitiker habe er, sagte der Alt-Bürgermeister (Interview 10) „immer auf den Sport geschaut“. Man habe bei der Kultur und im Sport immer darauf geachtet, „die Eigenständigkeit der Stadt zu retten.“ Auch weitere Ausgaben im freiwilligen Bereich seien von einem breiten Konsens ge171
Bei der Schließung des Stadtbades vor einigen Jahren hatten sich die großen Fraktionen von den Wirtschaftlichkeitsargumenten überzeugen lassen (Interview 13 mit der Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
185
tragen worden. Der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11) nannte eine Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Kinder („Horizonte“). Die Stadt unterstütze diese mit jährlich 90.000 €: „Da traut sich selbst die Kommunalaufsicht nicht dran“. Der Bürgermeister unterstrich (Interview 9), dass er „Tafelsilber der Stadt nicht verscherbeln“ werde. Er spielte damit auf den Verkauf der Stadtwerke und die Infragestellung der Siedlungsgesellschaft an. „Teile der CDU und die Freien Wähler“ seien dafür. SPD und Grüne hätten „die deutliche Position“, dies nicht zu tun.172 Die Siedlungsgesellschaft wird von SPD und Grünen als „soziales Steuerungsinstrument“ angesehen. Für die CDU sei sie „in Frage zu stellen“ (CDU-Fraktionsvorsitzender). Die Siedlungsgesellschaft sei „nicht mehr zeitgemäß“. Der Wohnungsmarkt biete genügend günstigen Wohnraum an. Die CDU sei für einen „Verkauf unter Gewährleistung des Mieterschutzes“. Der Verkaufserlös müsse aber in die Schuldentilgung gehen. Das gelte auch für den Antrag von CDU und WBG, 49 Prozent der Stadtwerkeanteile zu verkaufen. Im Kontext der Privatisierung öffentlicher Aufgaben wurde auch der städtische Reinigungsdienst angesprochen. Hier legte der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11) Wert auf die Feststellung, dass der Reinigungsdienst „im Einvernehmen mit dem Personalrat erhalten bleiben konnte durch Standardveränderungen“. Der Bürgermeister betonte ebenfalls den Konsens: Teilprivatisierung (Reinigungsvergaben an den Markt) und „wettbewerbsmäßige Aufstellung“ der Eigenreinigung (Standards, Reinigungsflächen etc.)173. „Die SPD macht das mit, solange sozialverträgliche Lösungen gefunden werden. Auch die Grünen“. Die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten zur SPD-Position (Interview 13): „Das letzte, was man akzeptieren kann, ist die Freisetzung von Personal“. Einen Reflex auf die hohe prozedurale Parteipolitisierung in C vermittelt die Einstimmigkeitsquote bei Ratsbeschlüssen; diese schätzten die Interviewpartner auf 40 bis 60 Prozent, wobei der Haushalt „nie einstimmig“ zustande komme.
172
Entscheidend ist nach Auffassung der Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten die Frage „Fusion oder Kooperation?“ Zurzeit würden Kooperationsverhandlungen mit Dortmund, Bochum, AVU im ewmr-Verbund geführt. Zu einer Kooperation könne die SPD „vielleicht auch nicken“. 173 Wie das ohne Einschnitte gehen soll ist fraglich vor dem Hintergrund, dass der SPDFraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2006/2007 fordert: „Dies darf jedoch auf keinen Fall dazu führen, dass die in diesem Bereich beschäftigten Dienstkräfte durch die Veränderungen über Gebühr belastet werden“.
186
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
6.2.1.4
Zentralisierung der Haushaltspolitik
Interviewergebnisse Auch in C wurden die Politiker und die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten nach den wichtigsten Eigenschaften und Fähigkeiten eines Bürgermeisters gefragt. Das Ergebnis wird im Folgenden dargestellt (vgl. auch Anlage 4): Tabelle 19: Eigenschaften und Fähigkeiten Bürgermeister (Stadt C)
Merkmal Bürgernähe Einsatz für Minderheiten Führungsqualitäten Gemeindeverbundenheit Glaubwürdigkeit Eigenes politisches Profil Neutralität gegenüber allen Parteien Sympathieträger Verwaltungsführungserfahrung
Perzipierte Bürgermeinung Rangplatz 1 8
Akteursmeinung
Rangplatz 3 6
Rangdifferenz -2 2
4 * 2 6
1 * 1 6
3 1 0
5
8
-3
3 7
3 5
0 2
* Keine Wertung des Merkmals „Gemeindeverbundenheit“, da zum Teil keine Angaben.
„Glaubwürdigkeit“ und „Bürgernähe“ rangieren mit weitem Abstand vor „Verwaltungsführungserfahrung“. Dieses Ergebnis deckt sich prinzipiell mit den Resultaten aus den anderen Untersuchungskommunen dieser Dissertation. Interessant für das Verständnis der mikropolitischen Prozesse in C ist die Wertung des Merkmals „Neutralität des Bürgermeisters gegenüber allen Parteien“ durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden. Er hält parteipolitische Neutralität für „überhaupt nicht wichtig“ (vgl. Anlage 4). Dies deckt sich mit den Interviewergebnissen mit ihm (Interview 11). In der Stadt C versteht sich der SPDFraktionsvorsitzende als „politische Ergänzung“ des Bürgermeisters. Hieraus
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
187
lässt sich die Erwartung ableiten, dass der Bürgermeister nach Auffassung der SPD einen „parteipolitischen Auftrag“ zu erfüllen hat. Speziell in C wurde der Frage nachgegangen, welche Kriterien bei der SPD für die Kandidatenaufstellung 2004 für das Amt des Bürgermeisters eine Rolle gespielt haben, nachdem der langjährige Bürgermeister aus Altersgründen nicht mehr antrat. Der SPD-Fraktionsvorsitzende schilderte das im Interview so: „[Der jetzige Bürgermeister ist] ja eine Person, die parteiintern und politisch nie aufgetreten ist. Das war ja ein wesentlicher Faktor. Wir haben gesagt: … weil uns ja immer vorgeworfen worden ist aus der Vergangenheit heraus … deshalb passt das ganz gut zur Haushaltskonsolidierung … wir hätten den Haushalt ja auch mit zu verantworten in den letzten Jahren und Jahrzehnten … und deshalb war es wichtig, dass wir auch da dem Bürger sagen konnten: Hier ist jemand, der an sich politisch nie etwas zu vertreten hat. Das war an sich sehr gut, dass es so gekommen ist. Er hat gegenüber seinem Vorgänger nicht so den Zugang zu den Bürgern. [Der AltBürgermeister] ist ein Mann gewesen, den kannte Gott und die Welt.“ (Interview 11)
Letztlich habe sich die SPD, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, für einen Bürgermeisterkandidaten entschieden, der „aus der Verwaltung“ komme (vgl. zu diesem Argument aber Fußnote 179), aber politisch nicht hervorgetreten sei. Diesen „symbolischen Neuanfang“ hatte auch die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten wahrgenommen. Sie hatte den Eindruck, „als ob sich alle [anderen] weggeduckt hätten“ (Interview 13). Der Bürgermeister war der Ansicht, dass die BürgerInnen bei der Kommunalwahl deutlich zwischen seiner Person und der SPD unterschieden hätten. Er habe schließlich in der Stichwahl „10 Prozent mehr gehabt als die SPD“. Dies sah auch sein Amtsvorgänger so. Er habe einen „tollen und engagierten Wahlkampf gemacht“ (Interview 10). Er betonte ebenfalls, dass der Kandidat 2004 „Seiteneinsteiger“ gewesen sei. Damit hätte er die Haushaltsprobleme der vergangenen Jahre nicht zu verantworten gehabt, sondern diese seien „zum Teil auf der SPD abgeladen“ worden, was letztlich der Strategie der SPD entsprach. Der SPD-Fraktionsvorsitzende teilte die Sichtweise des Bürgermeisters und des AltBürgermeisters nicht. Zwar habe die SPD erheblich verloren; er führte das darauf zurück, dass die Partei es nicht vermocht habe, „ihr Wählerpotenzial zu motivieren“. Die Stimmenzahlen waren für ihn aber nicht soweit auseinander, als dass man hätte sagen können: „Hier ist die Person des Bürgermeisters gewählt worden“. In der Stichwahl mit dem CDU-Konkurrenten sei das etwas anderes gewesen. Im Folgenden soll die Frage des Bürgermeister-Amtsverständnisses untersucht werden. Dabei wird unterschieden zwischen dem Alt-Bürgermeister und seinem Amtsnachfolger. In seiner Amtszeit als hauptamtlicher Bürgermeister
188
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
(1999 bis 2004) habe der Alt-Bürgermeister bewusst die Themen Wirtschaftsförderung und Arbeitsmarktpolitik zur „Chefsache“ gemacht und in seinem Dezernat verankert (Interview 10). Das sei bei seinem Nachfolger nicht anders. Die Personalpolitik habe er dem Ersten Beigeordneten überlassen. Da sei er hinterher von Leuten angesprochen worden: „Das hättest Du nicht tun sollen“. Aber der „interne Verwaltungsablauf“ sei nicht seine „Herzensangelegenheit“ gewesen. Ihm kam es stattdessen darauf an, dass auf den Feldern Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik etwas geschafft wurde. Dabei habe er „die schönste Nebensache der Welt: den Sport“ nicht vergessen. In seiner Zeit als Bürgermeister habe er seine Arbeit im Sinne folgender Aussage gesehen: „Aufgabe der Kommunalpolitik ist es, die Bedingungen zu schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger in einer lebenswerten Stadt leben, die sich durch Fairness, Offenheit, Toleranz und demokratische Teilhabe auszeichnet und in der auch Minderheiten eine Chance haben.“ Und das sei heute auch noch so („ganz klar“). Er verwies auf seine vielen Vereinsmitgliedschaften (er ist nach eigenem Bekunden Mitglied in 67 Vereinen); insbesondere auch im Sportbereich. Das andere Ziel: Effizienz des Verwaltungshandelns dürfe man aber auch nicht außen vor lassen. Eigentlich sehe das der jetzige Amtsinhaber nicht anders. Auch er nutze seine Kontakte auf überregionaler Ebene im Sinne der Stadt. Auch er sei in den Vereinen zunehmend verankert. Der SPD-Fraktionsvorsitzende wusste zu berichten, dass der AltBürgermeister noch heute „sehr aktiv in der Stadt, vor allem im Sportbereich“ sei (Interview 11). Es werde dem jetzigen Bürgermeister „angekreidet, dass er immer mit ihm [seinem Vorgänger; d. Verf.] auf den Zeitungsbildern zu sehen ist.“ Er bezeichnete dies als „Manko, dass das so ist.“ Für den CDUFraktionsvorsitzenden (Interview 12) habe sich der Alt-Bürgermeister im Rahmen seiner Repräsentationsaufgaben „überall, bei allen Vereinen sehen lassen, weil da seine Wähler sitzen“ („den kannte Gott und die Welt“) und habe „seine Verwaltungsgeschäfte eher anderen überlassen“. Nach seinem Eindruck „steuert der alte Bürgermeister den jetzigen, hat er noch alle Fäden in der Hand.“ Diesem Eindruck widersprach allerdings die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten. Der aktuelle Bürgermeister gehe „seinen eigenen Weg“, er werde zwar die Erfahrung des Vorgängers nicht ablehnen, aber sie konnte die Beobachtung nicht machen, dass die Einflussnahme sehr groß ist. Sie bestätigte hingegen die Aussage, dass der Alt-Bürgermeister „mehr als Repräsentant denn als Verwaltungschef“ aufgetreten und dass dies der Schwerpunkt seiner Amtsführung gewesen sei. Beim jetzigen Bürgermeister sei „dies schon anders“. Er lasse sich zwar „auch gerne sehen“ und er repräsentiere viel („Gehört ja auch zu den Aufgaben“), er habe sich aber auch mehr der inhaltlichen Arbeit verschrieben („zum Beispiel als Wirtschaftsförderungsdezernent“).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
189
Nach seinem primären Amtsverständnis bzw. dem Schwerpunkt seiner Arbeit befragt, antwortete der aktuelle Bürgermeister, dass er diesen „zu 80 % in der Verwaltung“ sehe. Der Altbürgermeister verwies im Interview auf die Absicht des Gesetzgebers, mit der Einführung der Monospitze das Politische und das Verwaltungsfachliche zu verbinden. Da komme es „auf das Geschick des Einzelnen an“. Nach seinem Eindruck „macht der [jetzige] Bürgermeister das gut“. Bei ihm sei die gewerkschaftliche Prägung sehr stark gewesen. Sein Nachfolger sei Vollakademiker, der habe andere Wurzeln. Bei diesem gehe es stärker „in den Verwaltungssachverstand“. Bei ihm, dem Alt-Bürgermeister, sei es hingegen mehr eine politische Sache gewesen. Dabei komme es „auch auf das Abwägen und Austarieren an und auf die politische Klugheit“ (Interview 10). Zur Frage, wie die Interviewten das Fehlen einer fachlichen Qualifikationsvoraussetzung für das Amt des Bürgermeisters nach der GO einschätzen, antwortete der jetzige Bürgermeister (Interview 9), dass man „Ahnung von Verwaltung“ brauche. Eine juristische Ausbildung ist aus seiner Sicht aber nicht erforderlich. Seine eigene fachliche Qualifikation führte er auf eine 20-jährige Tätigkeit in einer VHS – zuletzt als Leiter – zurück.174 Dort habe er „viel über Verwaltungshandeln gelernt“. Er sei kein „Parteisoldat“, zwar 20 Jahre in der SPD, aber seine „gute Arbeit als VHS-Leiter“ habe dazu beigetragen, dass man ihn von der SPD nominiert habe. Am Anfang sei er „als Marionette des Vorgängers eingeschätzt worden, aber dieses Bild hat sich ziemlich schnell erledigt“. Er betonte den „Spagat zwischen dem politischen Mandat und den fachlichen Voraussetzungen für die Verwaltungsleitung“. Er hätte in der Verwaltung „nicht so viel bewegen können“, wenn er „nicht vorher Ahnung von der Verwaltung“ gehabt hätte. Auf der anderen Seite sei er aber auch „als Politiker gefordert bei 6 Fraktionen und 4 Gruppierungen im Rat“. Die anderen Interviewten betonten die Vorteile eines fehlenden förmlichen Qualifikationsmerkmals (Alt-Bürgermeister: „Man möchte an der Spitze jemanden haben, der als Persönlichkeit das Amt ausfüllen kann, und der im Unterbau die Fachleute hat. Das ist so gewollt und ich halte das für eine vernünftige Sache“), wiesen aber auch auf die Schwierigkeiten hin: „Für jeden anderen Beruf braucht man eine fachliche Qualifikation, eine Ausbildung, nicht aber für die Leitung einer 100.000-Einwohner-Kommune. Hier braucht man nicht den geringsten Qualifikationsnachweis“ (CDU-Fraktionsvorsitzender; Interview 12). Schließlich der SPD-Fraktionsvorsitzende (Interview 11):
174
Die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten stellt hierzu fest: „Als VHS-Leiter hatte [er] nur einen kleineren Apparat unter sich, aber so ganz unbeleckt war [er] nicht.“
190
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister „Man muss schon aus der Verwaltung kommen, um zu wissen, wie diese funktioniert. Man muss wissen, wie Verwaltung ‚gelebt’ wird. Und deshalb ist es für mich ganz wichtig, dass zumindest der Mann, die Frau, die oder der sich als KandidatIn aufstellen lässt, Verwaltung schon mal von innen gelebt hat. Nicht nur erlebt, sondern ‚gelebt’ hat“.175
Nunmehr soll der Frage nachgegangen werden, wie die Politiker in der Stadt C die Bedeutung individuellen Handelns, losgelöst von den formalen Regeln des Kommunalverfassungsrechts, einschätzen. Der Alt-Bürgermeister schätzte diese als „sehr hoch“ ein: „Der Bürgermeister findet täglich statt“. Er sei in den Medien immer präsent. Zu einer ähnlichen Einschätzung kamen auch die Fraktionsvorsitzenden. Die „Rollenfindung“ des jetzigen Bürgermeisters gegenüber Rat und SPD-Fraktion sei aber ein zeitlicher Prozess gewesen: Er habe sich anfangs versucht, die Rolle eines „Moderators“ zuzuschreiben, dies sei aber erst nach einem halben Jahr erkennbar gewesen. In den ersten zwei Jahren sei es vor allem um „Machtfragen“ gegangen, so der CDU-Fraktionsvorsitzende (Interview 12). Dies verweist auf die Machtposition des Bürgermeisters in C gegenüber der SPD-Fraktion. Die Fraktion sei mit dem Bürgermeister nicht immer einer Meinung, führte die Lokalredakteurin der Ruhrnachrichten im Interview aus: „Das wird hier und da schon mal deutlich, dann verschwinden Themen schon mal von der Tagesordnung. ‚Die Fraktionen haben Beratungsbedarf’, heißt es dann. Das macht die SPD oft. Dann kommt das Thema wieder auf die Tagesordnung und dann hat man sich auf einen Kurs verständigt. Da laufen sicherlich solche Prozesse im Hintergrund. (… ) Der Herr [R.] ist ein starker Fraktionsvorsitzender.“ (Interview 13)
Die Fraktion stütze, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, nicht immer die Bestrebungen des Bürgermeisters. In den Bereichen Offene Ganztagsschule und Jugendarbeit (Wahlkampfthemen) „hat die Fraktion den Sparbemühungen des Bürgermeisters nicht nachgeben“ (Interview 11). Auf die Frage, ob er Einfluss auf die Position seiner Fraktion nehme, antwortete der amtierende Bürgermeister vielsagend: „Ich versuche es“. Er nehme regelmäßig an Fraktionssitzungen teil, so wie auch große Teile des Verwaltungsvorstands. Einerseits sehe er sich als „Informationsgeber“, andererseits versuche er, „Mehrheiten zu organisieren“, insbesondere auch mit den Grünen. Dass der Bürgermeister „versuche“, Einfluss zu nehmen, bestätigte der Fraktionsvorsitzende: 175
Dies ist eher Beschreibung von „Verwaltungskultur“. Verwaltungsführungserfahrung im hier verstandenen Sinne meint jedoch die formale Rechtsanwendung und Rechtsförmigkeit der Verwaltung, z.B. im Haushaltsrecht.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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„Aber es gelingt ihm nicht. Dazu bin ich zu stark. Das ist ja das Entscheidende, glaube ich: Was das eine Mal gut ist, ist das andere Mal schlecht. Und zwar will ich das erklären. Ich habe ja gerade gesagt, dass ein Bürgermeister aus der Verwaltung kommen sollte. Verwaltung gelebt haben muss. Wir haben uns für einen Bürgermeister entschieden, der Verwaltung ‚gelebt’ hat, aber politisch noch nicht hervorgetreten ist. Man muss auch ein gewisses politisches Feeling haben. Man muss wissen, wo man die Eckpunkte setzen kann. Wo kann man anecken, wo sind mit der Verwaltung evtl. Probleme. Und da sage ich: Da fühle ich mich eher in der Position, dass ich das eher besser abschätzen kann als der Bürgermeister. Der versucht zwar immer wieder Absprachen hinzukriegen. Wenn sie gut sind, folgen wir ihm. Aber dass wir sagen als Fraktion oder als Fraktionsvorsitzender: ‚Wir machen da mit … nein, das wird schon ausdiskutiert.’“ (Interview 11)
Der Bürgermeister und der SPD-Fraktionsvorsitzende treffen sich regelmäßig, um sich abzustimmen. Letzterer bestätigte die regelmäßige Teilnahme des Bürgermeisters an den Fraktionssitzungen, er betonte aber gleichzeitig, dass dieser nicht als Fraktionsmitglied teilnehme und kein Stimmrecht habe. Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden (Interview 12) achte der jetzige Bürgermeister sehr stark darauf, „was die SPD-Fraktion und die Grünen in einzelnen Vorgängen politisch wollen“ und orientiere sich daran. In einem Fall (Offene Ganztagsgrundschule) habe er sich allerdings gegen die Fraktion gestellt und dies mit haushaltsrechtlichen Bedenken begründet. Da sei er „einmal gegen die Fraktion aufgetreten.“ Auf die Frage, ob der Bürgermeister starken Einfluss auf seine Fraktion nehme, antwortete er: „Ich habe eher den Eindruck, es ist umgekehrt“. Bei seinem Amtsvorgänger sei das anders gewesen. Der habe aber auch mit eigenen Mehrheiten regiert und die anderen Fraktionen außer der SPD „gedeckelt“. In der Verwaltung sieht sich der amtierende Bürgermeister „als Motor in vielen Dingen, der sowohl die Verwaltung wie die Politik antreibt“ (Interview 9). Bei der Arbeit im Verwaltungsvorstand setze er auf Teamarbeit („Notfalls setze ich mich aber durch“), ein Eindruck, den der SPD-Fraktionsvorsitzende bestätigte. Dies habe sicherlich auch damit zu tun, dass die Mitglieder des Verwaltungsvorstands „einer Altersgeneration angehören“. In der Haushaltspolitik müsse sich der Bürgermeister auf die Fachkompetenz des Kämmerers verlassen (Interview 9). Er habe zwar die „Richtlinienkompetenz“, müsse sich aber den Sachverstand der Dezernenten einholen. Der Alt-Bürgermeister habe in seiner aktiven Zeit „nie in Frage gestellt, was vom Kämmerer und vom Personaldezernenten vorgeschlagen wurde. Da habe ich immer hinter gestanden“ (Interview 10). Auf die Frage, inwieweit sich der Alt-Bürgermeister bzw. der jetzige Bürgermeister an Programme der SPD gebunden fühlen (Parteidistanz) antwortete der Alt-Bürgermeister:
192
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister „Bei mir ist das eine starke Bindung gewesen. (…) Nach meiner Bergbauzeit bin ich, bevor ich in den Bundestag gegangen bin, Parteisekretär gewesen. Von 1966 bis 1983 war ich Geschäftsführer der SPD in C gewesen.“ (Interview 10)
Differenzierter antwortete sein Amtsnachfolger: „Das ist schwierig zu beantworten. Ich würde sagen: in Teilen ja. Ich habe an dem Programm selbst mitgeschrieben, das ist klar. Das Problem ist, dass die Situation 2004 eine andere war, als sie heute ist. Das heißt Teile dessen, was im Parteiprogramm steht, können so gar nicht umgesetzt werden, weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Siehe Stadtwerke. Siehe Kinder- und Jugendbereich. Da sind die Anforderungen heute anders, als vor 3 oder 4 Jahren überhaupt zu erkennen war.“ (Interview 9)
Schließlich wurden der Alt-Bürgermeister und der amtierende Bürgermeister mit der Frage konfrontiert, wie sie die Notwendigkeit sehen, für einen vorbehaltlosen Haushaltsausgleich zu sorgen, oder ob das eher ihre Wiederwahl behindert, weil ggfs. Leistungskürzungen o.ä. durchgesetzt werden müssen. Die Notwendigkeit, für den Haushaltsausgleich zu sorgen, hielt der jetzige Bürgermeister für „wichtig“. Er mache keine „Politik der Zugeständnisse“. Glaubwürdigkeit sei hier das höchste Ziel. Das mache nicht beliebt, sei ein Spagat und ein „ziemlich hartes Brot“. Er bemühe sich, die Themen, so hart sie auch sind, mit positiven Aspekten, z.B. Qualitätsverbesserungen, zu verknüpfen. Der Alt-Bürgermeister antwortete auf dieselbe Frage eher taktisch: „Es ist vorgegeben, dass man den Haushaltsausgleich anstrebt. Da muss man auch schon mal eine Grundschule schließen. Da wird man dann mit Aussagen konfrontiert: ‚Wir wählen Sie nicht wieder’. Da muss man aber die Linie beibehalten, sonst wird man erpressbar. Trotzdem ist es sinnvoll, dass man schwierige Entscheidungen am Anfang der Legislaturperiode trifft. In der Kommune ist allerdings immer was, da kann man nicht sagen: ‚In den letzten 2 Jahren vor der Wahl machen wir keine schwierigen Sachen mehr’“. (Interview 10)
6.2.1.5
Zusammenfassung der Analyse Stadt C
Die strukturelle Haushaltssituation der Stadt C wurde einerseits – wie in vielen anderen Kommunen in NRW - durch exogene Faktorenbündel (gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den 1990-er Jahren, Kosten der Deutschen Einheit, Aufgabenübertragung durch höhere staatliche Ebenen etc.) bestimmt, andererseits ist festzustellen, dass die Stadt früher als andere Ruhrgebietsstädte in die Haushaltssicherung „rutschte“. Hierfür sind die „Ausgabenmentalität“ (Winkel
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1997b), insbesondere extrem hohe Personalausgaben176 und das Festhalten an kostenintensiven Standards und Strukturen (z.B. bei Kultur und Sport, d.h. im freiwilligen Bereich) verantwortlich. Die Stadt hat „jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt“ (GPA NRW: 2005a). Das strukturelle Defizit 2003 in Höhe von 226 €/Einwohner ist im Vergleich mit den analysierten Kommunen sehr hoch. Für die Erbringung ihrer internen und externen Dienstleistungen stellt die Stadt C im interkommunalen Vergleich das meiste Personal zur Verfügung (Personalquote). Gerade im Niedriglohnbereich (Gebäudereinigung, Straßenunterhaltung, Straßenreinigung) wird in C überproportional viel Personal vorgehalten. Dies ist Ausdruck der im Ruhrgebiet anzutreffenden Patronagepolitik177 in SPDregierten Städten: In Zeiten des industriellen Strukturwandels sahen sich die Städte mit ihrer Personalpolitik in der Pflicht, „die Familien über Wasser zu halten“ (so ein Kämmerer und Personaldezernent einer anderen Ruhrgebietsgroßstadt gegenüber dem Verfasser), d.h. ehemals industrielle Arbeitnehmer wurden nach Möglichkeit als gewerblich-technische Mitarbeiter übernommen oder den Frauen wurden Stellen als Reinigungskräfte angeboten, um „Arbeitslosigkeit im Einzelfall abzufedern“. Personalpolitik findet so ihren Ausdruck in wohlfahrtsmaximierender Politik und orientiert sich nicht an Effizienzzielen. Ein (verhaltener) Einstieg in eine „make-or-buy-Diskussion“ bzw. in einen geplanten Personalabbau ist in C erst auf Druck der oberen Kommunalaufsicht mit dem HSK 2007 ff. erfolgt, aber auch dann noch verwies die SPD auf die Unmöglichkeit, Personalabbau nachhaltig zu betreiben, weil föderal höhere staatliche Ebenen zusätzliche Aufgaben auf die Kommunen übertragen: Eine bequeme Argumentationsfigur, um von eigenem Missmanagement abzulenken. Deutlich erhöhte Standards in den Bereichen Sport, Stadtbibliothek, Schwimmbäder und Jugendzentren belasten den Verwaltungshaushalt über die Personalausgaben hinaus mit Sachausgaben. Durch „Vertragsbindung“ an den Stadtsportverband, die Stadtwerke (Bäder) und den Personalrat (Reinigungspersonal) gelingt es der SPD-Mehrheit, „lieb gewonnene“ Standards aufrecht zu 176
Das Ergebnis der Analyse der Stadt C widerspricht dem von Wehling (1991: 155) vermuteten Zusammenhang zwischen Parteipolitisierung (Personalpolitik) und kommunaler Finanzlage. Wehling ging davon aus, dass eine schlechte Finanzlage die Personalpolitik beschränkt, da eine Ämterpatronage aufgrund des finanziellen Drucks nur noch beschränkt möglich ist und der Sachzwang knapper finanzieller Kassen zur Mäßigung im Entscheidungsprozess bezüglich des kommunalen Personalwesens führt. 177 Die Mitgestaltung der Personalpolitik durch die Parteien ist nicht in jedem Falle negativ zu sehen. Schließlich, so Bogumil (2003: 137), könne die Besetzung von Schlüsselpositionen in der Verwaltung durch „eigene Leute“ den Informationsvorsprung der Bürokratie gegenüber dem Rat reduzieren helfen. Deshalb hält Banner die Ämterpatronage auf Wahlbeamtenebene für „legal und legitim“ (1995: 237). Erst der Beweggrund der „Versorgung“ macht die Vergabe von Stellen an Parteimitglieder problematisch (Überall 2008: 205).
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6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
erhalten und diese vor Zugriffen im Rahmen von Haushaltskonsolidierung zu schützen. Die Realsteuerhebesätze liegen in C deutlich über dem Landesdurchschnitt. 2008 verweigerte jedoch die SPD einer weiteren Anhebung der Grundsteuer B ihre Zustimmung, obwohl dies vom SPD-Bürgermeister im Entwurf des HSK 2007 ff. vorgesehen war, mit der Begründung, dass weitere Belastungen der Wohnungsmieter in der Stadt nicht hinnehmbar seien. Die SPD-Fraktion ist in C stark mit der Partei verbunden oder verhält sich, um eine Phrase eines interviewten SPD-Fraktionsvorsitzenden in einer der Untersuchungskommunen aufzugreifen, nach der Devise: „Die Partei führt, die Fraktion führt aus“ bzw. als „verlängerter Arm der Partei“ (Zender 1984: 84).178 In essentiellen Fragen wie Privatisierung der Stadtwerke und Wohnungsgesellschaft hat sich die Fraktion in ihrer ablehnenden Haltung an die Partei rückgebunden. Diese Achse kann der Bürgermeister nicht zerbrechen. Er wurde 2004 von der SPD als „Person mit Verwaltungserfahrung“ 179 aufgestellt und ausdrücklich nicht als „politischer Bürgermeister“; dieses Geschäft reklamiert der SPD-Fraktionsvorsitzende expressis verbis für sich. Dabei sollte die Kandidatur des Bürgermeisterkandidaten eingestandenermaßen vom Haushaltsgebaren der SPD in der Vergangenheit ablenken (blame avoidance). Der Kandidat war parteipolitisch bisher nicht in Erscheinung getreten und galt insofern als politisch „unbelastet“ (vgl. hierzu auch die Analyse des Untersuchungsfalles E, wo von der CDU eine ähnliche Taktik angewandt wurde, die aber gründlich missriet). Wie stark in C der Einfluss der SPD auf die Fraktions- und Verwaltungsarbeit ist und die Situation damit vom Idealbild unpolitischer Verwaltungstradition abweicht, zeigt die Tatsache, dass der SPD-Fraktionsgeschäftsführung eine Stelle aus dem Verwaltungsstellenplan zur Verfügung gestellt wird, sich die Fraktion in entscheidenden kommunalpolitischen Fragen (Sparkurs, Privatisierungsentscheidungen) bei der Partei absichert und das Parteiprogramm handlungsleitenden Charakter für die Fraktionsarbeit hat. Für den politikzentrierten Alt178
SPD-Politiker sehen allerdings im Allgemeinen eine stärkere Bedeutung der Partei für das Gesamtkonzept von Kommunalpolitik (Gehne/Holtkamp 2005: 113). Ferner ist anzunehmen, dass diese Orientierung mit der Stadtgröße ansteigt. 179 Die „Verwaltungführungserfahrung“ des Bürgermeisters ist allerdings so zu qualifizieren: Er hat keine verwaltungsspezifische oder juristische Ausbildung. Als ehemaliger Leiter einer VHS repräsentiert er die Rolle des Fachpolitikers im Sinne Banners. Dies impliziert das Streben, Ressourcen und Personal an sich zu ziehen, um damit die Fachaufgabe auszuweiten und zu perfektionieren. Der Gesamtetat und dessen nachhaltiger Ausgleich kümmert wenig. Dem Steuerungspolitiker, idealer Weise dem Bürgermeister, kommt hingegen die „politisch riskante Rolle des Bremers“ zu; seine Aufgabe ist es, „die systemimmanente Neigung der Fachpolitik zu unkontrolliertem Wuchern einzudämmen“ (Banner 1984: 365). Dies gelingt umso leichter, je größer das durch Ausbildung vermittelte Verständnis für gesetzesgebundenes Handeln (hier: Haushaltsausgleich) ist.
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195
Bürgermeister, der von 1999 bis 2004 hauptamtlich im Amt war, waren die politischen Ziele der Mehrheitsfraktionen immer auch Programm für die Verwaltung. Der CDU-Fraktionsvorsitzende umschrieb dies wie folgt: „Die Verwaltung ist seit 40 Jahren durchsetzt mit SPD-Leuten, so dass man Partei und Verwaltung nicht immer auseinander halten kann. So sind Parteiinteressen häufig auch Verwaltungsinteressen“. (Interview 12)
Begrenzte kommunale Handlungsspielräume lassen auch in C wenig Platz für eine ausgeprägte Parteiendifferenz im policy-output. Jedoch bilden sich die jahrzehntelangen sozialkdemokratischen Mehrheitsverhältnisse (Kunz 2000) deutlich in den Personalausgaben ab. Auch die bisher erfolgreiche Abwehrhaltung der SPD bei Privatisierungsentscheidungen kann als inhaltliche Parteipolitisierung mit Auswirkungen auf den städtischen Haushalt gedeutet werden (Veräußerungserlöse könnten zur Verringerung von Altdefiziten bzw. zum Abbau von Kassenkrediten eingesetzt werden). Dem Bürgermeister war es 2007 nicht gelungen, die Fraktionen auf Sparkurs zu zwingen. Dies wurde vom Regierungspräsidenten übernommen unter der Drohung, einen „Sparkommissar“ einzusetzen. Aber auch in dieser Situation gelang es dem starken SPD-Fraktionsvorsitzenden, zum Teil gegen die Vorschläge der Verwaltung, sozialdemokratische essentials zu retten: keine radikale Kürzung bei den freiwilligen Aufgaben Kultur und Sport, keine Erhöhung der Grundsteuer B, Budgetkonstanz im Kinder- und Jugendbereich, kein Verkauf von Stadtwerken und Siedlungsgesellschaft, kein konsequenter Abbau von Personalausgaben bei der Gebäudereinigung. Durch Kooperation mit den Sportvereinen respektive dem Stadtsportverband gelang es im Haushaltssicherungskonzept 2007 ff., die bestehenden Sportanlagen zu sichern und sogar zu attraktiveren, indem mit Zustimmung der Aufsicht ein Teil der Einnahmen aus dem Verkauf von Sportgrundstücken im Sportbereich verbleibt, was die Fachpolitiker und Vereine „versöhnt“ und den Konsens sichert.180 Dieselben Ziele werden in der Kulturpolitik verfolgt (Sicherung der Kulturinstitute durch Konzentration in einem „Wissenszentrum“). Diese Konsolidierungsstrategie (Rationalisierung in bestehenden Strukturen anstelle von Aufgabenabbau) kann als „intelligentes Durchwursteln“ (Holtkamp 2008b) bezeichnet werden und weist alle Merkmale dieser „subversiven Strategie“ auf: zurückhaltende Informationspolitik gegenüber der Aufsicht, Budgetierung der Personalausgaben und begrenzte Anwen180
Die Konstellation aus Fachverwaltung, Alt-Bürgermeister, Stadtsportverband und Vereinen kann hier ebenfalls als Advocacy-Koalition gedeutet werden (Sabatier 1993), die ihr instrumentelles Handeln anpasst und sich damit gegen die Steuerungsinteressen des Bürgermeisters und der Kommunalaufsicht durchsetzt.
196
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
dung der Rasenmähermethode. Auf Druck der Kommunalaufsicht wurde allerdings der Gewerbesteuerhebesatz 2008 angehoben. Beim HSK 2007 bis 2011 setzte die Kommunalaufsicht auf „Verhandlungen im Schatten der Hierarchie“ und prägte damit die Akteurskonstellation (Vetter/Holtkamp 2008: 14). Tiefgreifende Impulse bzw. Direkteingriffe blieben allerdings aus.181 In der Haushaltspolitik kann die SPD-Fraktion, namentlich ihr Vorsitzender, als der Gegenspieler des SPD-Bürgermeisters bezeichnet werden. In den Verhandlungen zwischen den Fraktionen zum „Minimalkonsens“ HSK 2007 ff. saß der Bürgermeister nicht mit am Tisch182. Die Gespräche wurden vom Kämmerer moderiert. Insbesondere dem SPD-Fraktionsvorsitzenden geht es um die Durchsetzung seiner Politik; Sparbemühungen stehen dabei nicht im Mittelpunkt. Er verkörpert damit quasi die „Klammer“ zwischen der Ära des jetzigen Bürgermeisters und des Amtsvorgängers. Der Alt-Bürgermeister kann als prototypisch für die These Gerhard Banners gelten: im Vordergrund stand in seiner Amtszeit als hauptamtlicher Bürgermeister 1999 – 2004 die Repräsentation, die Verwaltungsleitung wurde als „lästige Pflicht“ angesehen oder, wie es Banner ausdrückte (2006a: 65): „Haushaltskonsolidierung und Personaleinsparung [waren seine] Sache nicht.“ Die entscheidenden Ressourcen zur Haushaltskonsolidierung, Finanzen und Personal, delegierte er auf den Kämmerer bzw. den Ersten Beigeordneten. Auch der jetzige Bürgermeister verlässt sich in Haushaltsfragen mangels eigener Expertise auf den Kämmerer. Über den Vorsitz im Stadtsportverband (diesem kommt in C eine besondere kommunalpolitische Bedeutung zu) und als Ortsvereinsvorsitzender ist der Alt-Bürgermeister im kommunalpolitischen Prozess nach wie vor präsent („Der persönliche Referent des Bürgermeisters kommt aus meinem Ortsverein“). Im Falle der Stadt C gingen Konsolidierungsprozesse nicht vom politikzentrierten Bürgermeister bzw. (bis 2004) von seinem politikzentrierten Amtsvorgänger aus. Aufgrund fehlender Verwaltungsführungserfahrung (Führungswollen und –können) des Bürgermeisters bzw. (bis 2004) des VorgängerBürgermeisters und insbesondere aufgrund eines starken Gegenspielers in Ges181
Holtkamp hat herausgestellt, dass die Kommunalaufsicht am tiefsten und wirkungsvollsten in Fällen von genehmigungsfähigen HSK eingreift und sich in den anderen Fällen zurückhält bzw. wenig erfolgreich ist. Bei ausgeglichenen Haushalten versteht sich das von selbst. In Fällen des § 81 GO a.F. (Nothaushalt) konnten die Kommunen in Verhandlungen und durch weitere Sanktionsdrohungen bisher kaum unter Druck gesetzt werden, weil der Beauftragte nach § 124 GO für die kommunalen Akteure keine realistische Option zu sein schien (Holtkamp 2007a: 15). Die Drohung mit dem „beratenden Sparkommissar“ (Modell Waltrop) wird allerdings zunehmend – so auch in C – als realistische Bedrohung empfunden. 182 Nach den Analyseergebnissen dieser Dissertation wäre es kaum denkbar, dass sich die Bürgermeister in A oder B hier das „Heft des Handelns“ so aus der Hand hätten nehmen lassen.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
197
talt des SPD-Mehrheitsfraktionsvorsitzenden (hoher Grad von Parteipolitisierung) kommt es bei fehlender Zentralisierung der Haushaltspolitik zu erheblichen Schwierigkeiten in der Haushaltskonsolidierung.
6.2.2 Haushaltspolitik in der Stadt D
6.2.2.1
Politisches Kurzprofil
Der Rat der Stadt D (30.000 Einwohner) setzte sich in den vergangenen Legislaturperioden wie folgt zusammen: Tabelle 20: Zusammensetzung des Rates der Stadt D 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 1994 1994 1999 1999 2004 2004 2009
CDU
SPD
B’90/ Grüne 4
FDP
Freie Wähler 3
3
Sonstige
13
22
15
21
4
17
10
3
1
7
2
18
13
5
3
8
1
5
Im Rat ergab sich daraus folgende politische Struktur: Tabelle 21: Politische Struktur des Rates der Stadt D 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 - 1994 1994 - 1999 1999 - 2004 2004 - 2009
BM ratsgewählt: SPD ratsgewählt: SPD volksgewählt: CDU volksgewählt: CDU
Rat Rot-grüne Koalition Rot-grüne Koalition Relative CDU-Mehrheit Relative CDU-Mehrheit
1989 bis 1999 herrschte im Rat der Stadt D eine relative SPD-Mehrheit in einer Koalition mit den Grünen, davor bestand fast 10 Jahre lang eine Zusammenarbeit von SPD und FDP. Nur einmal hatte die SPD in der Vergangenheit eine absolute Mehrheit (Interview 15 mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden). Wie in vielen
198
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Städten Nordrhein-Westfalens kippte 1999 die SPD-Mehrheit zugunsten der CDU. Seit 1999 gibt es nominell eine „bürgerliche Mehrheit“ im Rat der Stadt D, bestehend aus CDU, Wählergemeinschaft I, Wählergemeinschaft II und FDP (zuletzt 29 Sitze) gegenüber 18 Mandaten, die SPD/Grüne innehaben. Dass daraus keine bürgerliche Gestaltungsmehrheit zusammen mit dem CDUBürgermeister geworden ist, erläuterte der CDU-Fraktionsvorsitzende wie folgt: Die beiden Wählergemeinschaften seien einmal „zusammen gewesen“ und hätten sich dann gespalten. Daraufhin sei es die Wählergemeinschaft II gewesen, die eine Zeit lang mit der CDU gestimmt hätte; die andere stimme nicht gegen die CDU, „aber gegen den Bürgermeister“. Hintergrund seien also nicht große politische Auseinandersetzungen, sondern persönliche Animositäten (Interview 15). Der Bürgermeister hob allerdings hervor, dass es bis 2004 immer eine „Haushaltsmehrheit“ aus CDU, FDP und Wählergemeinschaft I und („manchmal“) auch mit der Wählergemeinschaft II gegeben habe (Interview 14). In den letzten 3 Jahren sei dies aber nicht mehr der Fall. Er verwies im Interview auf die Erkenntnis, dass es in vielen Fragen des „kommunalpolitischen Alltags“ einstimmige Ratsbeschlüsse gebe. Als er 1999 Bürgermeister geworden sei, sei der Haushalt 2000 noch einstimmig beschlossen worden. Danach sei dieser immer von SPD und Grünen abgelehnt worden, während CDU, SWG, FDP und manchmal Wählergemeinschaft II dafür gewesen seien. In den letzter Zeit 3 Jahren habe sich dieses Muster aber geändert. Der Lokalredakteur der Westfalenpost fasste die aktuelle politische Struktur wie folgt zusammen: „Also hier in [D] lässt sich das eigentlich ziemlich gut immer wieder darstellen, da es eigentlich bestimmte Fraktionen gibt, die als klassische Oppositionspartei auftreten, und sich das an der Person des Bürgermeisters häufig festmachen lässt. Das ist zuvorderst die [Wählergemeinschaft I], die eigentlich immer als erste gegen politische Beschlüsse, die insbesondere vom Bürgermeister angeleiert werden, schießt. Seitens der FDP ist auch durchaus wahrnehmbar Kritik zu hören. Die SPD hat es im letzten Jahr stark versucht, den Bürgermeister zu schwächen, ist in diesem Jahr [2007; d. Verf.] aber eigentlich recht zurückhaltend in dieser Disziplin. Die [Wählergemeinschaft II] zeigt eigentlich ein differenziertes Bild, die lassen sich nicht so leicht in eine Ecke stellen. Die gehen mal konform, mal stimmen sie gegen den Bürgermeister bzw. gegen die Ratsmehrheit. Und wie gesagt: die CDU tut sich jetzt nicht als Königsmörderin hervor und stützt ihren Bürgermeister eigentlich da, wo sie kann und alles andere läuft hier wirklich hinter verschlossenen Türen, wo man zu Entscheidungsfindungen kommt.“ (Interview 18)
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
199
Da sich der CDU-Bürgermeister und seine Mehrheitsfraktion also weitere Partner für die Durchsetzung ihrer Politik suchen müssen, kommt es entscheidend auf die Steuerungsleistung des Bürgermeisters an. Seit der ersten Direktwahl 1999 hat die Stadt D einen politikzentrierten Bürgermeister. Er hat ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert und war 1997 bis 1999 als wissenschaftlicher Referent für Verkehr und Städtebau/Wohnungswesen und für die EnqueteKommission „Zukunft der Mobilität“ bei der CDU-Landtagsfraktion in Düsseldorf tätig. Seine politischen Erfahrungen resultieren aus der Mitgliedschaft in einer Bezirksvertretung einer Ruhrgebietsgroßstadt (Lebenslauf auf der Homepage des Bürgermeisters der Stadt D). Die Aufbauorganisation der Stadtverwaltung wurde wie folgt geregelt: Der Bürgermeister ist für die Fachbereiche 1 (Ratsmanagement, Zentrale Dienste), 5 (Planung, Bauordnung), 6 (Bürgerservice, Ordnung, Recht) und das Gebäudemanagement zuständig; der Kämmerer für die Fachbereiche 2 (Bildung, Kultur, Sport), 3 (Finanzen) und 4 (Jugend, Soziales).
6.2.2.2
Haushaltsergebnisse 2000 – 2007
Dokumentenanalysen
Strukturelles Defizit/Freie Spitze Die Stadt D konnte bereits 1994 ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen. Bis heute (2008) besteht ein Haushaltssicherungskonzept bzw. befindet sich die Stadt im Nothaushaltsrecht (seit 2006). Im interkommunalen Vergleich entwickelte sich die allgemeine Haushaltssituation wie folgt (strukturelles Defizit für die Haushaltsjahre 2000 bis 2005 in €/EW; GPA NRW 2004c und eigene Berechnung): 2000 = -80, 2001 = -151, 2002 = -98, 2003 = -161, 2004 = -133, 2005 = -270. Im interkommunalen Vergleich 2003 markiert die Stadt D mit einem strukturellen Defizit von rd. 160 € ziemlich exakt den Mittelwert, allerdings mit deutlich steigender Tendenz in 2005:
200
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 23: Strukturelles Defizit der Stadt D 2003 im interkommunalen Vergleich (GPA NRW)
450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt D
Bezogen auf die Untersuchungskommunen ist festzustellen, dass die strukturelle Haushaltssituation der Stadt D deutlich schlechter ist als diejenige der Städte A und B (vgl. Abb. 6) – sowohl hinsichtlich der Höhe des Defizits als auch seiner Entwicklung bis 2005. Der Verwaltungshaushalt konnte auch ohne Berücksichtigung der Altfehlbeträge in keinem Jahr des Betrachtungszeitraums ausgeglichen werden, so dass jeweils ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen war; 2006 rutschte die Stadt ins Nothaushaltsrecht. Für den Kämmerer (Haushaltsreden 2003 bis 2007) sind die Hauptursachen der Haushaltssituation in den Mehrbelastungen zu suchen, die höhere staatliche Ebenen den Kommunen aufbürden. Diese „konterkarieren die Bemühungen der Kommunen“. Er stellt einen zunehmend geringeren Einfluss der Kommunen auf ihren eigenen Haushalt fest. Die Haushaltsreden des Kämmerers sind von regelmäßigen Appellen an den Rat durchzogen:
nur eine „große Koalition, eine Allparteienkoalition aller Demokraten“ könne die Haushaltsprobleme lösen ein strikter Sparkurs sei zu fahren bei Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten (auf der Einnahmeseite sieht er das Hauptproblem) Organisationsuntersuchungen in der Verwaltung seien erforderlich; die Untersuchungsergebnisse zur Musikschule und zu den Bädern seien umzusetzen Definition von Mindeststandards auch bei gesetzlichen Aufgaben; Beratungen hierüber in den Fachausschüssen genereller Einstellungs- und Stellenwiederbesetzungsstopp Mehrbedarfe müssen gegenfinanziert sein
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
201
Aufgabenkritik Überarbeitung des Reinigungskonzeptes mit dem Schwerpunkt „Eigenoder Fremdreinigung“ (siehe auch hierzu Ausführungen unten) Kooperation mit Nachbarkommunen
Insbesondere die Umstellung auf das NKF im Haushaltsjahr 2008 sollte nach Auffassung des Kämmerers zum Anlass genommen werden, auf der Ebene des Produktplanes eine „umfassende, gemeinsame und in die Einzelheiten gehende Aufgabenkritik“ durchzuführen und den Systemwechsel für intensive Konsolidierungsbemühungen zu nutzen. Dabei sieht er nichts Negatives an Gesprächen „in kleinerer Runde“, keine „Einführung einer Zweiklassen- oder Mehrklassendemokratie“. Um den Rat aber nicht zu sehr zu erschrecken, relativierte er in seiner Haushaltsrede 2003: „Neben der Haushaltskonsolidierung hat die Erhaltung des Angebotes an Infrastruktureinrichtungen oberste Priorität, was nicht als Bestandsgarantie für einzelne Einrichtungen verstanden werden darf.“ Damit bestätigt er die Haltung der Politik in D, insbesondere der SPD, die in ihrer Präambel zum Kommunalwahlprogramm allerdings noch konkreter wird: „Die Erhaltung der bestehenden Einrichtungen und Angebote für die Bürger, wie z.B. Bäder, Musikschule, Bücherei liegt der SPD [in D] am Herzen“ (SPD D: Perspektiven für [D] 2004/2014). Die sich hierin ausdrückende Haltung kommentiert die Westfalenpost (WP) am 10.03.2008: „Doch in den letzten 30 Jahren wurde lieber geredet als gehandelt. Das rächt sich nun. Und sparen kann die Stadt nur bei den freiwilligen Leistungen: Musikschule, Bücherei, Frei- und Hallenbad. Es scheint, dass nur die Wahl zwischen Pest und Cholera bleibt. Bei diesen Aussichten möchte ich nicht Kommunalpolitiker sein.“
Eine Maßnahme zur Haushaltskonsolidierung sieht die Stadt D in der Veräußerung von „Tafelsilber“, welches nicht unabweisbar für die Aufgabenerledigung notwendig ist (Stellungnahme der Stadt D im Rahmen der Fortschreibung des HSK 2005 bis 2009, S. 1-007). Im gesamten Zeitraum der geplanten Konsolidierung sind nach Angaben des Haushaltssicherungskonzeptes Einnahmen von 17,6 Mio. € geplant. Im Wesentlichen besteht das zu veräußernde Vermögen aus Aktien des regionalen Versorgungsunternehmens. Mit ursächlich für die Haushaltssituation der Stadt D ist als endogener Faktor – neben den hohen Personalausgaben und dem überproportional hohen Sachaufwand - der stark defizitäre Betrieb der kommunalen Bäder (Freibad und Hallenbad) anzusehen. Die Stadtverwaltung hat den Betrieb der Bäder untersuchen lassen und sieht eine Möglichkeit darin, den Zuschussbedarf (1,16 Mio. €/Jahr) dauerhaft zu senken, indem das Hallenbad ganzjährig betrieben, das Freibad
202
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
indes geschlossen wird. Weitere Maßnahmen, z.B. Kooperationen mit den örtlichen Schwimm- und Sportvereinen oder Zusammenarbeit mit Nachbarkommunen, waren ohne Erfolg (GPA NRW 2004c). Die Diskussion um die Bäder konnte seitdem nicht abgeschlossen werden. 183
Verschuldung Die Stadt D weist – bezogen auf die Haushaltsjahre 2000 bis 2005 – folgende Schuldenentwicklung auf (GPA NRW 2004c, Junkernheinrich/Micosatt 2007 und eigene Berechnungen): Tabelle 22: Schuldenentwicklung Stadt D 2000 bis 2005 Haushaltsjahr 2000 2001 Fundierte Schulden des Kernhaushaltes (€/EW) Gesamtschulden184 (€/EW)
2002
2003
2004
2005
573
568
621
689
707
737
1.552
1.756
1.818
1.671
1.782
1.540
Bei der Verschuldensentwicklung ist insbesondere der Anstieg 2003 bis 2005 um 28 Prozent bei den Verbindlichkeiten im Kernhaushalt auffällig. Dies ist auf Investitionen zurückzuführen: Einrichtung der offenen Ganztagsschulen, Hochbaumaßnahmen einschließlich Brandschutz, Erneuerung der Heizungsanlagen in städtischen Gebäuden und Beschaffung von Hard- und Software im Zusammenhang mit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (vgl. Vorbericht zum Haushalt 2005, S. 33). Die Schulden der Technischen Betriebe sind überwiegend dem „rentierlichen Bereich“ zuzurechnen. Damit stehen diesen Schulden entsprechende Einnahmen aus Gebühren und Entgelten gegenüber. Die Position der Stadt D – bezogen auf fundierte Schulden und Gesamtverschuldung – stellt sich im interkommunalen Vergleich 2005 aller kreisangehörigen
183
Die Schließung eines Freibades Anfang 2008 erregt die öffentliche Debatte in D. Zuletzt konstituierte sich ein Trägerverein zur langfristigen Erhaltung des Bades „in Bürgerhand“. Gegen Pläne der Ratsmehrheit, das Bad endgültig zu schließen, wurde ein Bürgerbegehren in Stellung gebracht. 184 Unter Einbeziehung der Technischen Betriebe als Sondervermögen, ab 01.01.2005 Anstalt des Öffentlichen Rechts.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
203
Kommunen des Ruhrgebietes mit mehr als 20.0000 Einwohnern wie folgt dar (Junkernheinrich/Micosatt 2007):
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 24: Gesamtschulden Stadt D 2005 im interkommunalen Vergleich
4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt D
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 25: Fundierte Schulden Kernverwaltung Stadt D 2005 im interkommunalen Vergleich
2500 2000 1500 1000 500 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt D
Sowohl die Gesamtschulden als auch die fundierten Schulden des Kernhaushaltes der Stadt D sind im interkommunalen Vergleich unterdurchschnittlich, jedoch deutlich vom Minimumwert entfernt. Hinsichtlich der Einordnung unter den Untersuchungskommunen ist auf Abb. 9 zu verweisen.
Steuerhebesätze In der folgenden Tabelle sind die tatsächlich in D erhobenen Steuersätze für Grundsteuer B und Gewerbesteuer, die fiktiven Hebesätze des GFG sowie die Durchschnittswerte des LDS für Gemeinden gleicher Größenordnung dargestellt (GPA NRW 2004c):
204
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Tabelle 23: Übersicht Steuerhebesätze Stadt D
395 v.H.
HS gleicher Gemeindegröße 2003 378 v.H.
381 v.H.
450 v.H.
413 v.H.
403 v.H.
Steuerart
Hebesatz (HS) Stadt D 2003
Hebesatz Stadt D 2005
Hebesatz Stadt D 2008185
Grundsteuer B Gewerbesteuer
350 v.H.
385 v.H.
420 v.H.
435 v.H.
Fiktiver HS GFG 2004
Mit ihren Hebesätzen für Grundsteuer B und Gewerbesteuer lag die Stadt D im Jahr 2003 deutlich unterhalb der Durchschnittswerte im Kreis (384 v.H. bzw. 432 v.H.). Der Durchschnitt der Steuerhebesätze aller kreisangehörigen Kommunen des Ruhrgebietes > 20.000 Einwohner belief sich 2003 auf 384 v.H. bzw. 404 v.H. Es ist erklärtes politisches Ziel der CDU-Mehrheit und ihres Bürgermeisters, die Belastung für die örtliche Wirtschaft moderat zu halten. Im Jahre 2006 „rutschte“ die Stadt D in den Nothaushalt. Der Kämmerer machte in seiner Haushaltsrede auf die Konsequenzen in Bezug auf die Steuerhebesätze und die Genehmigungspraxis der Kommunalaufsicht aufmerksam. Zwar sahen das HSK und die Finanzplanung für 2006 eine Hebesatzerhöhung auf 450 Punkte vor (erwartete Mehreinnahmen: 12,46 Mio. €), die günstige Entwicklung der Gewerbesteuer in 2005 machte es aber für die Stadtspitze vertretbar, beim unveränderten Hebesatz von 435 v.H. zu bleiben (Einnahmen: 13,05 Mio. €). Der Kämmerer: „Unter Würdigung der Gesamtfinanzsituation sollten wir das Thema einer Hebesatzveränderung auf das Haushaltsjahr 2007 vertagen.“ Diese Verschiebung der Erhöhung des Grundsteuerhebesatzes in 2006 auf 2007 führte zur Kritik durch die Kommunalaufsicht (Haushaltsrede des Kämmerers vom 02.11.2006). Der Bürgermeister konterte öffentlich in der WP (21.01.2008): „[Der Bürgermeister] kritisierte [den Landrat] angesichts dessen ‚beliebiger’ Bewertung der Gewerbesteuer: ‚2006 kam der Vorschlag, diese zu erhöhen. Als wir dies dann taten, kam Kritik’“.
Auch bei der Grundsteuer B wurde der ursprünglich im HSK vorgesehene Steigerungssatz für 2008 von der Politik „korrigiert“. Die Verwaltungsvorlage im November 2007 sah noch eine Erhöhung des Hebesatzes auf 420 v.H. vor. Be185
Im HSK 2005 bis 2009 waren noch folgende Hebesätze vorgesehen: Grundsteuer B: 395 v.H., Gewerbesteuer: 480 v.H.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
205
gründet wurde dies mit der „schlechten Finanzsituation der Stadt“ (WP 9.11.2007). Der Kämmerer versprach sich dadurch Mehreinnahmen von 308.000 € jährlich. Tatsächlich beschlossen wurde eine Anhebung auf 395 v.H. Der CDU-Fraktionsvorsitzende, der für seine Partei diese moderate Anpassung auf den Weg brachte, sprach von einer „sehr maßvollen Erhöhung“, die der Stadt Mehreinnahmen von 90.000 € beschere (WP 30.11.2007).
Personalausgaben Die Stadt D befindet sich – wie erwähnt – seit 1994 in der Haushaltssicherung. Vor dem Hintergrund der im Handlungsrahmen für die Genehmigung von Haushaltssicherungskonzepten enthaltenen Vorgaben ist die Stadt D im Jahr 2003 durch den Landrat ausdrücklich dazu aufgefordert worden, „… die Bemühungen zur Personalkostenreduzierung durch die Entwicklung eines überarbeiteten, ausführlichen Personalwirtschaftskonzepts transparenter darzustellen“ (Haushaltssicherungs- und Personalwirtschaftskonzepts – HSK – der Stadt D 2005 – 2009 – Fortschreibung). Konkrete Maßnahmen wurden von der Kommunalaufsicht aber nicht gefordert. Die Stellenentwicklung in D verläuft leicht degressiv: von 1999 = 347,88 Ist-Stellen (vollzeitverrechnet) auf 2003 = 335,28. Darin sind auch die Stellen der Technischen Betriebe enthalten (GPA NRW 2004c). Setzt man die Ist-Stellen ins Verhältnis zu 1.000 Einwohnern (Personalquote186), erhält man eine Aussage darüber, in welchem Umfang die Kommune Personal für ihre Einwohner bereithält (Dienstleistungsangebot). Für die Stadt D ergibt sich folgende Darstellung der Personalquote, bezogen auf einige der in dieser Dissertation untersuchten Kommunen und auf die kreisangehörigen Ruhrgebietsstädte mit mehr als 20.000 Einwohnern im interkommunalen Vergleich:
186
Die hier abgebildete Personalquote wird von der GPA NRW ermittelt und stellt die Personalstellen je 1.000 Einwohner dar, bereinigt um Stellen in einzelnen UA des Haushalts (z.B. Krankenhäuser, Abwasser- und Abfallbeseitigung, Fremdenverkehr und Wirtschaftsförderung), weil diese Aufgaben prinzipiell in unterschiedlichen Organisationsformen wahrgenommen oder von außen „eingekauft“ werden können. Diese Effekte würden die Vergleichbarkeit der Stellendaten stören.
206
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Abbildung 26: Personalquoten einiger Untersuchungskommunen 2003 im interkommunalen Vergleich (GPA NRW)
----- Stellen je 1.000 EW ----
12 10 8 6 4 2 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt B
Stadt A
Stadt D
Stadt C
Es ist leicht erkennbar, dass die Personalquote der Stadtverwaltung D deutlich erhöht ist. Ursächlich hierfür sind u.a.
der Betrieb einer hauptamtlichen Feuer- und Rettungswache der Betrieb einer städtischen Musikschule mit hauptamtlichem Personal drei städtische Kindertageseinrichtungen sowie ein Reinigungsdienst mit eigenem Personal.
Die GPA NRW (2004c) kommt in ihrer Analyse zu dem Ergebnis, dass die ab 1995 eingeführte Fachbereichsstruktur keine nachhaltigen Synergieeffekte (Stellenreduzierungen) erzielen konnte. Zwar ist die Senkung von Personalausgaben „als Thema zahlreicher Verwaltungskonferenzen und als Gegenstand der laufenden Organisationsuntersuchung von hoher Priorität“ (so die Verwaltung in ihren Ausführungen zur Fortschreibung des Haushaltssicherungskonzeptes 2005 – 2009, S. 1-006), jedoch scheint der Konsolidierungserfolg aus folgenden Gründen fraglich:
Die Kürzungsvorschläge erfolgen nach der „Rasenmähermethode“, d.h. jeder Fachbereich muss einen rechnerisch gleichen Konsolidierungsbeitrag leisten, ausgehend von seiner momentanen Personalausstattung. Im Ergebnis bedeutet dies, dass zunächst die Bereiche, die bisher schon über viel Personal verfügten, entsprechend viele Stellen abbauen müssen. War die ursprüngliche Personalausstattung aber schon zu großzügig, ist auch nach Kürzung immer noch relativ viel Personal vorhanden. Umgekehrt stehen die Bereiche, die schon personell knapp bemessen waren, anschließend noch schlechter da. Eine aktuelle und auf analytischer Grundlage beruhende Per-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
207
sonalbemessung (orientiert an Fallschlüsseln, Technikeinsatz etc.) findet nicht statt. Ferner sind outcome-Effekte bei dieser Vorgehensweise nachrangig. Die Kürzungsvorschläge beinhalten nicht die generell notwendige Ausrichtung eines Veränderungsprozesses an Zielen von Politik und Verwaltungsführung. Die Aufbauorganisation zeigt Brüche: Trotz eines zentralen Gebäudemanagements werden in diesem Aufgabensegment Museum, Badbetrieb und Musikschule weiterhin dezentral vom Fachbereich 2 (Bildung, Kultur, Sport) bewirtschaftet, die Kindertagesstätten vom Fachbereich 4 (Jugend, Soziales), und unbebaute Grundstücke liegen im Verantwortungsbereich des Fachbereiches 6 (Bürgerservice, Ordnung, Recht).
Die GPA NRW (2004c) kommt daher zu folgender Einschätzung: „Die vorliegenden Untersuchungen der Stadt [D] sowie weitere Erhebungen im Rahmen unserer Prüfung haben aus unserer Sicht gezeigt, dass die Organisationsund Prozessentwicklung der Stadt [D] nicht in der notwendigen Konsequenz einbzw. fortgeführt wird, wie dies für einen erfolgreichen Restrukturierungsprozess [und Haushaltskonsolidierungsprozess, d. Verf.] notwendig ist.“
Legt man die Personalausgaben (€/EW) zugrunde, zeigt sich im interkommunalen Vergleich, dass die Stadt D mit 634 €/EW deutlich über dem Mittelwert (600 €/EW) liegt (Junkernheinrich/Micosatt 2007):
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 27: Personalausgaben (inkl. Sondervermögen und Mehrheitsbeteiligungen) Stadt D 2003 im interkommunalen Vergleich
1200 1000 800 600 400 200 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt D
Auch der Vergleich der Personalausgaben Kernverwaltung bestätigt die übersetzte Position der Stadt D.
208
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 28: Bereinigte Personalausgaben Stadt D 2003 im interkommunalen Vergleich
600
400
200
0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt D
Die Analyse zeigt, dass die erhöhten Personalausgaben eindeutig in den Bereichen Reinigungsdienst, Musikschule (Beschäftigung von BAT-Personal statt Honorarkräften), städtische Bücherei und Bäderbetrieb zu suchen sind. Hier wirken sich noch die Personalkonzepte aus der Zeit der SPD-Herrschaft vor 1999 aus. Dies gilt insbesondere für die Reinigung der städtischen Gebäude. Diese werden seit 1986 allein durch städtisches Personal gereinigt. Dem Bürgermeister ist es offensichtlich nicht gelungen, hier eine Umsteuerung herbeizuführen. Erst 2006, im Nothaushaltsregime, kündigt der Kämmerer eine „Überarbeitung des Reinigungskonzeptes mit dem Schwerpunkt ‚Eigen- oder Fremdreinigung’“ (Haushaltsrede 2006) an. Ansonsten stellt er aber auch fest: „Man kann lange darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, Personalkostenreduzierungen anzustreben, möglichst gleichzeitig mehr Leistungen zu fordern und gleichzeitig dem Personal mit ‚verdichtetem Aufgabenspektrum’ die dazu passende Bezahlung – zumindest auf Zeit – vorzuenthalten. Diese Diskussion wäre müßig, gelten auch hier Beschränkungen, die beachtet werden müssen. So sind beispielsweise Beförderungen bei Beamten nur innerhalb einer genau definierten Bandbreite möglich“ (Haushaltshaltsrede des Kämmerers 2006).
Nach außen hin scheinbar offensiver geht die CDU mit dem Thema Personalabbau in der Stadtverwaltung um. Bereits in ihrem Kommunalwahlprogramm 2004 – 2009 heißt es unter der Überschrift „Der Modernisierungsprozess in der Verwaltung muss fortgeführt werden“: „Obwohl es in den vergangenen Jahren bereits zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung durch einen deutlichen Stellenabbau einerseits sowie Aufgabenvermehrungen durch Bund und Land andererseits [gekommen ist], wird ein weiterer sozialverträglicher Personalabbau unumgänglich sein.“
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
209
Wo sie ihre kommunalpolitischen Schwerpunkte sieht, macht die CDU-Fraktion in einem Antrag zum Haushaltssicherungskonzept für die Jahre 2008 bis 2013 deutlich. Unter der Überschrift „Die CDU will durch Stellenabbau sparen“ zitiert die Westfalenpost (04.06.2008) aus der Antragsbegründung: „Angesichts der bereits im Jahr 2008 vorgenommenen Anhebung des Hebesatzes [der Gewerbesteuer; d. Verf.] auf 450 v.H. hält die CDU-Fraktion eine weitere Steigerung für nicht geboten, begründet der CDU-Fraktionsvorsitzende (…) den Änderungsantrag. Der strukturelle Ausgleich sollte nicht durch eine weitere Belastung der Wirtschaft, sondern vielmehr durch verwaltungsinterne Organisationsmaßnahmen einhergehend mit einem zusätzlichen Personalabbau (jährlich eine Stelle) … erreicht werden.“
Hier ist jedoch anzumerken, dass der „Abbau einer Stelle“ – bezogen auf die durchschnittlichen Personalausgaben in der Stadt D – eine Ersparnis von ca. 49.000 €/a bedeutet, während eine Anhebung des Gewerbesteuersatzes nur um 10 v.H. eine jährliche Mehreinnahme von rund 230.000 € nach sich ziehen würde.
Zustandekommen des Haushalts 2007 Der Haushalt 2007 war im Rat der Stadt D am 22.03.2007 mit 23 gegen 23 Stimmen abgelehnt worden (CDU-Fraktionsvorsitzender: „Denkzettel an den Bürgermeister“; Interview 15). SPD, Grüne, Wählergemeinschaft I und FDP stimmten gegen den Verwaltungsentwurf. Das Abstimmungspatt rührte daher, dass nicht alle Ratsmitglieder anwesend waren. Der SPD-Fraktionsvorsitzende über den weiteren Fortgang in seiner Haushaltsrede 2008: 187 „Danach war die Verwaltung gefordert, sich um Mehrheiten zu bemühen. Dieses Bemühen gestaltete sich desaströs und brachte konsequenterweise kein positives Ergebnis.“
Auch die Kommunalaufsicht schaltete sich ein und forderte vom Rat der Stadt D eindringlich, einen genehmigungsfähigen Haushalt vorzulegen (WP 22.05.2007). Der Bürgermeister lud in der Folge zu einer Sitzung des Ältestenrates ein, bei der Vertreter aller Fraktionen anwesend waren. Die Vorsitzenden von FDP-
187
Die seinerzeitigen Abläufe sind in der Haushaltsrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden zum Haushalt 2008 ausführlich dokumentiert. Auf diese Quelle stützt sich im Wesentlichen die vorliegende Analyse; ergänzt um Artikel aus der Lokalpresse.
210
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Fraktion und Wählergemeinschaft I schildern in einem Leserbrief (!) in der Lokalpresse vom 25.04.2007 das Ergebnis des Gespräches wie folgt: „[Der Bürgermeister] machte keine Verhandlungsangebote, sondern wies nur darauf hin, dass die Haushaltsberatungen beendet seien. Wenn der Haushalt nicht so, wie von ihm gewünscht, beschlossen werde, werde er die Bürger informieren, wer die Schuld an diesem Stillstand trage.“
Gleichzeitig bat der Vorsitzende der CDU-Mehrheitsfraktion die anderen Fraktionen zu Sondierungsgesprächen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende schildert den Ablauf der Ereignisse so: „Nachdem deutlich wurde, dass der Bürgermeister mit seinem Verfahren keine Mehrheit für den Etat schaffen würde, musste der Rat aktiv werden. Wir loteten mit den Grünen einen Kompromiss aus. Gemeinsam boten wir dann dem CDUFraktionsvorsitzenden das Gespräch an. Parallel dazu lud [dieser] alle Fraktionen zu Gesprächen ein. Es gab danach Besprechungen von CDU und [Wählergemeinschaft II], mit FDP und [Wählergemeinschaft I] sowie mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen.“
Ergebnis war das Zustandekommen einer Abstimmungskoalition von CDU, SPD, Grünen und Wählergemeinschaft II. Kernpunkt des gefundenen Kompromisses war die Zustimmung zur Gewerbesteuererhöhung zum 01.01.2008 um 15 auf 450 Punkte. Dabei hatte die CDU eine Gewerbesteuererhöhung ursprünglich vehement abgelehnt: „Die CDU möchte, dass die Gewerbesteuer auf Dauer in [D] sprudelt, daher lehnen wir die Erhöhung der Gewerbesteuer – wie von den Grünen vorgeschlagen188 – ab! Wir sind nicht bereit, eine Forderung von Willy Brandt aus 1972 umzusetzen, die da lautet: ‚Wir wollen die Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen’“ (CDUFraktionsvorsitzender in seiner Haushaltsrede am 22.03.2007).
Auch der Bürgermeister trat strikt gegen eine Gewerbesteuererhöhung ein. In einer Stellungnahme an die Kommunalaufsicht sprach er sich „ausführlich in einer dreiseitigen Begründung gegen eine Erhöhung der Gewerbesteuer aus“ (WP 22.05.2007). Der Bürgermeister habe die Kommunalaufsicht darauf hingewiesen, dass D auch ohne eine erneute Gewerbesteuererhöhung in der Spitzengruppe der Kommunen mit hohen Steuersätzen liege. Im Interview schilderte der CDU-Fraktionsvorsitzende die damalige Situation so: 188
Die Grünen hatten sich für eine Anhebung der Gewerbesteuer um 10 Punkte bereits für 2007 ausgesprochen.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
211
„Dieses Jahr [2007] war es beim Haushalt in [D] so, dass da einfach Denkzettel an den Bürgermeister verteilt worden sind. Deswegen haben wir beim ersten Versuch ja nun eine Pattsituation gehabt. Da ist der Haushalt mit 23 zu 23 abgelehnt worden. Mittlerweile haben wir ihn über die Bühne gebracht. Für mich hat das die absolute Priorität. Die Verabschiedung eines Haushaltes gehört zu den Hausaufgaben der Politik. Wer seine Hausaufgaben nicht macht, der verdient auch nicht wieder gewählt zu werden. Das muss man einfach so sagen. Das ist ein Indiz für Fehler.“ (Interview 15)
Für die SPD-Fraktion war der Haushaltskompromiss der Einstieg in eine dauerhaftere Gestaltungsmehrheit mit CDU, Grünen und Wählergemeinschaft II: „Für uns öffnete sich damit das Fenster für eine andere Art der politischen Arbeit“ (Haushaltsrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden vom 12.03.2008). Kompromiss statt Konfrontation stand auch für den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Vordergrund: „In den Etatberatungen der Haushalte 2008 und 2009 wird bei gegebenenfalls vorhandenen unterschiedlichen Auffassungen zu Einzelpositionen versucht, in interfraktionellen Gesprächen (Fraktionsvorstände) nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen. Die Fraktionen sind gewillt, dem Haushalt zuzustimmen und streben auch für 2009 ein Übereinkommen an“ (zitiert in der Haushaltsrede des SPDFraktionsvorsitzenden 2008).
Das Bündnis zerbrach an der Bäderfrage (siehe Fußnote 183). Für den inzwischen verstorbenen CDU-Fraktionsvorsitzenden agiert in der neuen Konfliktsituation dessen junger Nachfolger.
Interviewergebnisse zur Haushaltspolitik allgemein Von allen Interviewpartnern in D wurden vorrangig die bekannten exogenen Gründe für die gegenwärtige Haushaltssituation der Stadt angeführt: Rückgang der Schlüsselzuweisungen des Landes, deutlich steigende Belastungen im Bereich der sozialen Sicherung, auch aufgrund des demografischen Wandels, Kosten der deutschen Einheit. Ferner wurde die Tatsache ins Feld geführt, dass D einerseits als flächenkleine Kommune, andererseits als traditionelle „Verwaltungsstadt“ vergleichsweise wenig Gewerbeflächen und damit Steuereinnahmen auf niedrigerem Niveau habe (als direkter Vergleich wurde eine Nachbarkommune angeführt). Schließlich habe D viele private Altenheime. Dies habe überproportional hohe Aufwendungen bei der Hilfe zur Pflege zur Folge. Der Bürgermeister stellte im Interview heraus, dass die Stadt seit 1994 im HSK und deshalb der Spielraum für kostenträchtige Entscheidungen oder Prestigepro-
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6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
jekte gering sei (Interview 14). Der Einflussbereich für die Politik liege „vielfach nur im fünfstelligen Bereich“. Investitions- oder Personalentscheidungen wären vor 20 oder 25 Jahren getroffen worden. Die Nachfolgekosten spüre er noch heute. Als Beispiel führte er die beiden Bäder der Stadt an. Auch sei er durch den Gesetzgeber gezwungen worden, Personalaufstockungen im Feuerwehr- und Sozialbereich vorzunehmen; unaufschiebbare Asbest-Sanierungen an Schulgebäuden seien hinzugekommen. Nach endogenen Gründen für die gegenwärtige Haushaltssituation befragt, nannte der CDU-Fraktionsvorsitzende die „verhältnismäßig teure Verwaltung“; die Personalkosten lägen über denen vergleichbarer Städte (Interview 15). Höhere Personalkosten ergäben sich auch aufgrund des relativ hohen Durchschnittsalters der Verwaltung. In den 1990-er Jahren habe die Politik „nicht Nein sagen können zu populären Forderungen“; daran habe man „noch heute zu knabbern“. Als Beispiel nannte er die Unterhaltung eines Museums und eines Archivs. Hier widersprach der SPD-Fraktionsvorsitzende: Die Personalausgaben seien in den letzten Jahren reduziert worden, wobei man jetzt an die Grenze gekommen sei, wo weitere Reduzierungen des Personals unweigerlich zu Leistungseinschränkungen führten müssten (Interview 16; siehe aber die Position der Stadt D im interkommunalen Vergleich in Abb. 27). Der SPD-Fraktionsvorsitzende nannte, befragt nach weiteren endogenen Erklärungsfaktoren für die momentane Haushaltssituation der Stadt D, die SPDEntscheidung („das ist aber schon 40 Jahre her“), das Freibad und das Hallenbad an unterschiedlichen Standorten zu errichten (Interview 16). Diese Entscheidung belaste heute noch die aktuelle Bäderdebatte. Ferner habe man Schulbauten mit „exklusiven Architekten“ realisiert, an denen die Stadt noch heute trage. Den Sanierungsstau an öffentlichen Gebäuden führte auch der Lokalredakteur ins Feld, ebenso wie die Unterhaltung zweier Bäder (Interview 18). Für ihn ist aber auch das Entscheidungsverhalten der Verantwortlichen – unabhängig von den Mehrheiten im Rat – mit ursächlich: Entscheidungen oder gar Einschnitte würden – wie in vielen NRW-Kommunen – „erstmal auf den nächsten Tag gelegt“. Eine langfristige und solide Planung hätte stattdessen mit Einnahmeverlusten gerechnet und nicht alles auf die Zukunft verschoben. Viele Bürger störten sich auch an den Ausgaben für externe Gutachten (in der Bäderfrage u.a.). Vor allen Dingen an der Bäderdiskussion könne man aber ablesen: Da drückt man sich und schiebt die Entscheidung auf die lange Bank. Da müsse man den Bürgermeister auch mit einordnen. In der Bevölkerung sei eine deutliche Befürwortung zur Aufrechterhaltung der beiden Bäder vorhanden. Auf der anderen Seite habe die Stadt aber noch kein Konzept entwickelt, wie man das kostenverträglich machen kann.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
213
Wendet man sich dem Haushaltsgebaren der Stadt D in der Vergangenheit zu, so konnte der CDU-Fraktionsvorsitzende berichten, dass unter seiner Koordination, wie er betonte, 1994 ein erstes Sparkonzept entwickelt worden sei (Interview 15). Ein Ziel sei es gewesen, die Personalausgaben um 10 Prozent zu senken. Dieses Ziel sei zunächst auch erreicht worden, jedoch seien die Ausgaben dann wieder angestiegen. Ferner seien bereits damals die freiwilligen Einrichtungen Musikschule und Museum in die Überlegungen einbezogen worden mit dem Ziel, die Zuschussbedarfe einzufrieren. Dieses Ziel sei freilich nicht nachhaltig erreicht worden; so sei eine geplante Zusammenarbeit zwischen Museum und Landschaftsverband Westfalen-Lippe nicht zustande gekommen. Der Bürgermeister zweifelte am Sparwillen des Rates (Interview 14): Die Fraktionen und Parteien möchten zwar alles tun, um die Haushaltssituation zu verbessern, weniger auf der Einnahmenseite, da wolle man niemanden belasten und auf der Ausgabenseite am liebsten dort, wo es keiner merke. Die Möglichkeiten seien aber weitgehend „abgegrast“. Demgegenüber hatte der Lokalredakteur den Eindruck, dass unter dem aktuellen Nothaushaltsregime ein strikter Sparkurs schon erkennbar werde. Die CDU als stärkste Ratsfraktion „marschiert da vorneweg“ (Interview 18). Fragt man nach den Akteuren in der Haushaltspolitik in D und ihre Bedeutung für eine Haushaltskonsolidierung, so verwies der Bürgermeister auf die Kommunalaufsicht (Interview 14). Sie bestimme im stärksten Maße die Situation; insbesondere was den Vermögenshaushalt angehe. Die Kreditmöglichkeiten seien erheblich eingeschränkt worden. Im Verwaltungshaushalt seien 80 Prozent durch „gesetzliche Notwendigkeiten“ festgelegt. „Von den übrigen 20 Prozent bestimmt der Kämmerer 18 und der Bürgermeister 2“. Die Bedeutung des Kämmerers für die Haushaltspolitik in D wurde auch vom SPD-Parteivorsitzenden als hoch eingeschätzt (Interview 17): „Er ist der eigentliche Verwaltungsleiter im Bereich Haushaltspolitik. Der Bürgermeister bestimmt sehr wenig. Der CDUFraktionsvorsitzende ist da sehr viel bestimmender.“ Dies zeige sich z.B. an der Kompromissfindung zum Haushalt 2007 (siehe oben separate Darstellung). Auch der Lokalredakteur (Interview 18) und der CDU-Fraktionsvorsitzende (Interview 15) bestätigten, dass die Haushaltsplanberatungen in erster Linie vom Kämmerer bestimmt würden („er spielt die erste Geige“; „der kommt aus der Verwaltung und macht das Geschäft seit 40 Jahren“). Aus den Fachberatungen in den Ausschüssen halte sich der Bürgermeister heraus. Der Kämmerer achte aber auch nur darauf, dass sein „Zahlengerüst nicht verschoben werde“. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens nehme er wenig Einfluss und überlasse das den Fraktionen. In Haushaltsdingen, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, folge der Bürgermeister weitestgehend seinem Kämmerer (der Lokalredakteur im Interview: „Der Kämmerer ist der Fachmann, auf den der Bürgermeister immer verweist“). Eine mo-
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6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
derierende Rolle nehme der Bürgermeister aber auch nicht ein. Im Gegenteil: er kommentiere „sämtliche Wortmeldungen von Ratsmitgliedern“. Der SPDFraktionsvorsitzende im Interview: „Das geht nicht. Da soll er Fragen bündeln und solche Sachen. Also er ist nicht derjenige, der moderiert und er ist auch nicht derjenige, der sagt: ‚So und da geht es hin’. Beides nicht“. (Interview 16)
Seine eigene Rolle im Haushaltsprozess der Stadt D beschrieb der CDUFraktionsvorsitzende wie folgt: „Wenn ich die Mehrheit nicht hinbekommen hätte [gemeint ist die Haushaltsmehrheit 2007, d. Verf.], der Bürgermeister, der Kämmerer und die anderen Fraktionsvorsitzenden hätten die nicht hinbekommen.“ (Interview 15)
Nach Auffassung des SPD-Fraktionsvorsitzenden wirke der Bürgermeister „in der Haushaltspolitik überfordert“. Er machte das einerseits an den Persönlichkeitsmerkmalen des Bürgermeisters fest, ferner aber auch an der Komplexität der Materie. Es sei „ganz schwierig“, in einer Kommune wie D als Nichtjurist oder ohne wirtschaftliche Ausbildung Bürgermeister zu sein. „Der bauernschlaue Bürgermeister stirbt aus“ (Interview 16). Der Lokalredakteur wies auf einen „Vorgang im Rathaus“ hin, bei dem der Bürgermeister in den Augen der Bürger „an Reputation in der Haushaltspolitik verloren“ habe (Interview 18).189 Auch die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD schätzten den Einfluss der Kommunalaufsicht, ähnlich wie der Bürgermeister, hoch ein (Interviews 15 und 16). Die „starken Hebel“ in der Hand der Aufsicht seien einerseits die Begrenzung der Kreditaufnahme, ferner der Einfluss auf die Steuersatzpolitik. Der CDU-Fraktionsvorsitzende: „Sie haben hier in [D] ja noch nicht alle Drangsalierungen, die die Gemeindeordnung bereithält, ausgeschöpft, wenn ich an den Sparkommissar in Waltrop denke.“ (Interview 15)
189
Im Falle einer Verpachtung wurde jahrelang keine Pacht an die Stadt gezahlt. Der Lokalredakteur im Interview: „Da hat man schon ein sehr starkes Unwohlsein der Bevölkerung gespürt, die Bürger, die da irgendwo sehen, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Es ist allgemein bekannt, dass hier in [D] kein Geld in den Kassen ist, und sobald dann da eine gewisse Ungleichmäßigkeit auftaucht, gehen die Bürger hier mehr oder weniger auf die Barrikaden und sind da schon verstimmt darüber und dementsprechend leidet darunter natürlich auch der Bürgermeister. Seine Reputation, was die Finanzen betrifft.“
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
215
Damit „geistert“ der Begriff „Sparkommissar“ bereits durch die Diskussion in D. Die Kommunalaufsicht hatte in einem Schreiben an den Bürgermeister und die Fraktionen angesichts der Haushaltslage deutlich gemacht, dass die Stadt die Einnahmenseite (Gewerbesteuer) stärken müsse und auf der Ausgabenseite alle Möglichkeiten zur Reduzierung nutzen müsse. Dadurch, so der Bürgermeister im Interview 14, sei das „Schreckgespenst Sparkommissar“ aufgetreten. Er verwies ebenfalls auf den Fall Waltrop; dort handele es sich vordergründig aber nur um einen Berater, dessen Vorschlägen „man sich aber möglichst anschließen sollte.“
6.2.2.3
Parteiendifferenz
Dokumentenanalysen In der Untersuchungsstadt D standen folgende Dokumente zur Analyse zur Verfügung:
Kommunalwahlprogramm 2004 – 2009 des CDU-Stadtverbandes „Perspektiven für [D] 2004/2014. Ausgangslage – Ziele – Maßnahmen“ der SPD [D]
Das CDU-Papier ist eine Mischung aus Rechenschaftsbericht und Zukunftsprogramm. Es beginnt mit einer Beschreibung der Haushaltssituation, in der sich die Stadt D, wie viele andere NRW-Kommunen auch, befindet (HSK). Dabei wird zunächst auf exogene Einflussfaktoren abgestellt (rückläufige Steuereinnahmen aufgrund der Reformen von Rot-Grün im Bund, Sozialhilfelasten, Zuweisung personal- und kostenintensiver Aufgaben durch übergeordnete staatliche Ebenen). Ferner wird auf die Erblast einer „verfehlte[n] Planungs- und Gestaltungspolitik sozialdemokratischer Ratsmehrheiten der Vergangenheit“ verwiesen. Nimmt man die Reihenfolge der behandelten politischen Themen („Kernthemen für die Zukunft“) als Maß für ihre kommunalpolitische Bedeutung für die CDU, so rangiert an erster Stelle der Komplex „Wirtschaft, Gewerbe, Einzelhandel, Arbeit“. Darunter werden subsumiert: Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung, Stadtplanung mit der Ausweisung von Gewerbeflächen190. Es folgen die Punkte Wohnen und Leben in der Stadt (demografische Entwicklung, Seniorenpolitik), Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt, Verkehr, Umwelt, Schule, Kultur, Jugend und Sport sowie Integration. Ungewöhnlich in einem Kommunalwahlprogramm 190
Dass fehlende Gewerbeflächen als großes Entwicklungshemmnis für die Wirtschaft in D und im Kreis angesehen werden, klang auch in den Interviews mit den Fraktionsvertretern immer wieder an.
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6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
ist der darauf folgende Punkt: „Der Modernisierungsprozess in der Verwaltung muss fortgeführt werden.“ Hierunter werden drei Themen verstanden:
Sozialverträglicher Personalabbau Interkommunale Zusammenarbeit Aufbauorganisation der Verwaltung („Verwaltung muss neu gedacht werden!“)
Für die CDU in D stehen die Personalausgaben „im Fokus der kritischen Betrachtung“: „Obwohl es in den vergangenen Jahren bereits eine erhebliche Arbeitsverdichtung durch einen deutlichen Stellenabbau einerseits sowie Aufgabenvermehrungen durch Bund und Land andererseits gegeben hat, wird ein weiterer sozialverträglicher Personalabbau unumgänglich sein.“
Ferner tritt die CDU für eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit ein und erhofft sich dadurch „Synergieeffekte“. Zu denken sei an eine Zusammenarbeit in den Bereichen Feuerwehr, Vergabewesen (Einkaufsgemeinschaften), Rechenzentren, Bauhof oder Bibliotheken sowie an „Kompetenzzentren z.B. für Baufragen oder Rechnungsprüfung“. Das CDU-Programm greift aber auch tief in die Leitungs- und Geschäftsverteilungsbefugnis des Bürgermeisters (§ 62 Abs. 1 GO NRW) ein: „Kernpunkt unserer Überlegungen muss der Bürger als Kunde sein, der nur eine Anlaufstelle (‚one face to the customer’ = Bürgerbüro) für alle behördlichen Angelegenheiten wünscht, unabhängig davon, ob es sich um eine städtische, eine kreisbezogene oder gar eine staatliche Aufgabe handelt. Die Geschäftsprozesse sind zu optimieren und auf die verstärkte Nutzung der elektronischen Medien (… ) auszurichten. Durch diese Bündelung der Kräfte können auch die beteiligten Städte und der Kreis Ressourcen sparen („win-win-Situation“).“
Haushaltskonsolidierung ist expressis verbis kein separates Thema im Wahlprogramm der CDU. Es „schwingt“ aber mit, wenn man die Kontextbeschreibung z.B. zum Thema Senkung der Personalausgaben oder Sätze wie: „Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen können und wollen wir keine Wohltaten versprechen, die später nicht eingehalten werden können“ liest. Auch für die SPD in D hat das Thema Stadtentwicklung oberste Priorität. Es folgen die Bereiche „Arbeiten und Wohnen“, „[D] als Einkaufsstadt“, „Bündnis für Familien“ (Kinderbetreuung, Kinder- und Jugendarbeit, Schule), Seniorenpolitik, „Sport und Freizeit, Erholung, Kultur und Tradition“, Natur und Um-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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welt sowie Sicherheit. Haushaltspolitik/Haushaltskonsolidierung sind keine Themen im SPD-Wahlprogramm (allenfalls wird an einer Stelle auf die „dramatische Haushaltslage“ hingewiesen). Vielmehr werden Forderungen nach Erhaltung beider Bäder (Freibad und Hallenbad), Sicherung der Musikschule bei reduziertem Zuschussbedarf sowie Existenzgarantie für die Stadtbücherei erhoben. Die beiden zuletzt genannten Kulturinstitute werden – im Gegensatz zum Museum – im Wahlprogramm der CDU expressis verbis nicht aufgeführt. Ferner fordert die SPD, den Vereinen die städtischen Sportstätten „gebührenfrei“ zur Verfügung zu stellen.
Interviewergebnisse Fragt man auch in D die Kommunalpolitiker nach der Wichtigkeit kommunaler Themen aus Sicht des Bürgers/der Bürgerin und hinsichtlich der eigenen Bewertung, so ergibt sich folgende Reihenfolge (vgl. auch Tabelle in Anlage 3): Tabelle 24: Bedeutung kommunalpolitischer Themen (Stadt D) Bürgersicht Rang Kommunalpolitisches Thema 1 Arbeitsplätze vor Ort 2 Straßen und Parkplätze 3 4 5 6
Politikersicht Rang Kommunalpolitisches Thema 1 2
Öffentliche Sicherheit und Ordnung Soziale und kulturelle Einrichtungen Haushaltspolitik
3
Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung
5
3 5
Arbeitsplätze vor Ort Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung Soziale und kulturelle Einrichtungen Haushaltspolitik Öffentliche Sicherheit Ordnung Straßen und Parkplätze
und
Auch aus dieser Auswertung zeigt sich, dass nach Einschätzung der Politiker die Bürger den Themen Haushaltspolitik und Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung die geringste Priorität beimessen. Dies wird letztlich auf die Abstraktheit dieser Politikfelder zurückgeführt. Der Bürgermeister im Interview: „Das ist für den Bürger unwichtig, es sei denn, er ist betroffen“ (Interview 14).
218
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Aber auch unter den Politikern rangiert die Haushaltspolitik eher nachrangig als eigenständiges Politikfeld. Der CDU-Fraktionsvorsitzende brachte es im Interview auf den Punkt: „Von unseren 48 Ratsmitgliedern gibt es keine zwei Handvoll von Leuten, die das Haushaltstechnische richtig begreifen. Dasselbe gilt auch für den Bürger.“191 (Interview 15)
Demgegenüber rangieren für die Politiker die Themen „Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung“ und insbesondere „Arbeitsplätze“ an erster Stelle. Dies ergab sich schon aus den Parteiprogrammen, wie oben dargestellt. Dass die Bürger nach Wahrnehmung der Politik das Themen „Straßen“ hoch einschätzen, macht das besondere Dilemma der Kommunalpolitik deutlich: Gerade dieser Bereich kommt unter den Bedingungen der Haushaltssicherung bzw. des Nothaushalts in besonderem Maße und buchstäblich „unter die Räder“. In der Einschätzung des CDU-Fraktionsvorsitzenden werde dieser Punkt in der Politik zu häufig vernachlässigt. Wenn ein Haushalt erarbeitet werde und an einer Stelle das Geld fehle, dann gehe das meist zu Lasten von Straßen und öffentlichen Gebäuden (Interview 15). In D habe das Thema „Parkplätze“, so der SPDFraktionsvorsitzende, auch deshalb „eine gewisse Brisanz“, weil durch eine Baumaßnahme in der Innenstadt Parkplätze weggefallen wären, was zu einer öffentlichen Debatte geführt habe (Interview 16). Eine starke inhaltliche Parteipolitisierung konnte aus der Auswertung der Parteiprogramme in D allerdings nicht abgeleitet werden. Signifikant ist wieder191
Hierauf gründete der CDU-Fraktionsvorsitzende in seiner 37-jährigen Amtszeit einen erheblichen Teil seiner Machtstellung gegenüber Bürgermeister und Fraktion. Dies wurde im Interview mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden so dargestellt: „Wenn Sie sich ein bisschen beschäftigt haben mit [D], dann wissen Sie, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU in [D] eine starke Stellung hat. Der Bürgermeister war nicht der Wunschkandidat des Fraktionsvorsitzenden. Der wurde vom damaligen Landtagsabgeordneten hier reingebracht. So dass der ihn von Anfang an abgelehnt hat. Und die ersten Hauptausschusssitzungen, die waren ja nichtöffentlich, da wurde der Bürgermeister vorgeführt. Der wurde so was von verprügelt von dem [CDU-Fraktionsvorsitzenden], weil da immer so Lücken kamen. Ich meine, der [CDU-Fraktionsvorsitzende] ist immer so … der macht ja nur diese Jobs. Der sitzt überall … der steckt völlig in der Sache. Und er und der damalige Bürgermeister [Amtsvorgänger bis 1999] waren gegen Reformen. Ratsmenschen sind immer dagegen, weil sie Herrschaftswissen behalten wollen und alle anderen nicht. Und ich hatte die Hoffnung, wenn ein neuer Bürgermeister kommt, der macht das anders. Je informierter ein Rat ist, desto vernünftiger kann er Entscheidungen treffen. Es ist aber nicht dazu gekommen. Und der [CDUFraktionsvorsitzende] hat ihm natürlich Sachen um die Ohren gehauen ohne Ende. Und bei der jetzigen Diskussion, als es jetzt um den Haushalt ging, da war es wohl so, dass die CDU-Fraktion, bezogen auf den Bürgermeister, nicht sehr begeistert war. Weil die Art und Weise, wie jetzt versucht wurde, eine Mehrheit für den Haushalt zu kriegen, war von ihm nicht produktiv, sondern eher das Gegenteil.“ (Interview 16)
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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um die geringe Bedeutung kommunaler Haushaltspolitik in der Responsivität und der Bedeutungszumessung durch die Politik unmittelbar. Fragt man nach der Rolle bzw. Bedeutung von lokalen Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, so haben sowohl der Bürgermeister als auch der CDU-Fraktionsvorsitzende zunächst darauf hingewiesen, dass es in der CDU eine weitgehende Personenidentität zwischen Parteifunktionären und Fraktionsmitgliedern gebe. Die führenden Kräfte im Rat seien auch die führenden Köpfe in den Parteien. Dies gilt allerdings nicht für die SPD: Der SPD-Vorsitzende in D ist kein Ratsmitglied. In der CDU befassen sich Parteivorstand und Fraktion sowie vor den Kommunalwahlen ein Ad-hoc-Arbeitskreis mit kommunalpolitischen Vorgängen. Dort würden dann auch die programmatischen Dinge erarbeitet. Der Parteivorstand der SPD in D kümmert sich hingegen regelmäßig um kommunalpolitische Vorgänge. Der Fraktionsvorsitzende der SPD vertritt dabei die Parole: „Die Partei muss führen, die Fraktion muss ausführen“ (Interview 16). Die Partei sei allerdings nach der verlorenen Bürgermeisterwahl 1999 ein „Trümmerhaufen“ gewesen, so dass die Fraktion „Vieles auffangen“ musste. Allmählich gewinne die Partei aber wieder an Bedeutung. „Haushaltstechnische Dinge“ seien dabei nach wie vor Angelegenheit der Fraktion. Dies bestätigte der Parteivorsitzende der SPD (Interview 17). Haushaltspolitik sei doch „für Viele“ eine komplizierte Materie. Zu den wöchentlichen Fraktionssitzungen wird auch der Parteivorsitzende eingeladen. Wichtige Dinge würden zwischen Partei und Fraktion abgestimmt. Das Verhältnis und die Zusammenarbeit bezeichneten sowohl der Fraktions- als auch der Parteivorsitzende der SPD als „gut“. Darüber hinaus träfen sich der Parteivorstand, der Fraktionsvorstand und die zuständigen Mandatsträger regelmäßig zu so genannten Ortsgesprächen – z.B. zum Thema Kultur. Die Verbindlichkeit eines Kommunalwahlprogramms für die Fraktionsarbeit wird von den befragten Politikern unterschiedlich eingeschätzt: Während für den CDU-Fraktionsvorsitzenden 10 Prozent dessen, was im Wahlprogramm stehe, auch umgesetzt werde (Interview 15), was für ihn primär mit der Finanzsituation der Stadt D zu tun habe („Das Programm hat Verbindlichkeit im Rahmen des Möglichen“), hat das Parteiprogramm für die SPD-Vertreter einen hohen Verbindlichkeitsgrad für die Fraktionsarbeit (Interview 16 und 17). Der Bürgermeister wies darauf hin, dass die CDU aus seiner Sicht ohnehin keine Programmpartei sei, sondern eher pragmatisch agiere (Interview 14). Das Thema Personalpolitik/Personalausgabenpolitik sei, so der SPDFraktionsvorsitzende, im Bereich der Reinigungskräfte stark thematisiert worden (Interview 16). Während die FDP die Position vertrete: „Alles raus aus dem öffentlichen Dienst“, habe die SPD die „eindeutige Position“ vertreten, das Personal zu halten. Die SPD in D vertritt die Position, Personalausgaben nicht mit
220
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
der „Heckenschere“ zu kürzen. Es habe wenig Sinn, sich „zu Tode zu sparen“. Die SPD habe einen Prozess angeregt („Positivliste“), in dem Prioritäten gesetzt werden sollen und auch der Bürger beteiligt werden solle. Der „Ausgabenblock Personal“ (CDU-Fraktionsvorsitzender) sei zwar eine „Hinterlassenschaft der SPD“, die CDU habe aber die Stellenpläne immer mitgetragen, weil sie ihre Interessen „meist gut durchsetzen konnte“ (Interview 15). In 37 Jahren hätte die CDU viermal den Haushalt abgelehnt. Diese Ablehnungen hätten aber etwas mit Steuererhöhungen zu tun gehabt. Deshalb könne man, so der CDUFraktionsvorsitzende, durchaus sagen, dass auch die CDU an der Haushaltsmisere eine Mitschuld trage. Auch der Lokalredakteur sieht das Thema Personalausgaben eher konsensual im Rat behandelt. Jedoch musste D unter dem Diktat der Haushaltssicherung auch in diesem Bereich Einsparungen vornehmen (Interview 18). Die CDU versucht in D, Steuererhöhungen soweit es geht zu vermeiden. 2007 wollte man an der Steuerschraube nicht mehr drehen, nachdem die Hebesätze schon 2005 erhöht wurden. Wegbereiter für den Kompromiss unter den Fraktionen war die Linie: 2007 bleibt der Hebesatz für die Gewerbesteuer bei 435 Punkten, ab 2008 erfolgt die Erhöhung auf 450 Punkte (Lokalredakteur: „Ein schönes politisches Ränkespiel“; Interview 18). Zum Thema Schuldenpolitik wandte der CDU-Fraktionsvorsitzende ein, dass die CDU die Schulden „von der SPD geerbt“ habe. Sie sei aber „an der Entwicklung auch nicht ganz unbeteiligt gewesen“ (Interview 15). Bei den freiwilligen Aufgaben im Bereich Musikschule und Bibliothek werden die Zuschussbedarfe politisch stark diskutiert; die Weiterführung der Einrichtungen ist aber, von Schließungsanträgen von FDP und Wählergemeinschaft I abgesehen, zwischen CDU und SPD nicht strittig. Es sei aber darauf angekommen, so der SPD-Fraktionsvorsitzende, die Aufsicht „mit Maßnahmen zu überzeugen“ (z.B. Umstrukturierung der Musikschule: verstärkter Gruppenunterricht, Beschäftigung der Lehrkräfte auf Honorarbasis). Der SPDFraktionsvorsitzende betonte allerdings auch, dass die SPD nicht bereit sei, im freiwilligen Bereich „alles zu streichen“. Als Beispiel nannte er Ferienfreizeiten für Kinder aus Problemfamilien (Interview 16). Sowohl die CDU- wie die SPD-Vertreter unterstrichen, dass im Investitionsbereich (z.B. Straßenbau) „nichts mehr drin sei“. Darüber würde nicht mehr diskutiert; es mache schon Schwierigkeiten, konkrete Bedarfssituationen (z.B. Asbestsanierung bei der Realschule) adäquat abzuarbeiten. Auch im Themenfeld Gewerbeansiedlungspolitik gibt es keine grundsätzliche Kontroverse zwischen SPD und CDU. Sie ist auch in den Augen des Lokalredakteurs „kein Zankapfel“. Ein objektives Problem für die Stadt D seien die im
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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Vergleich zu anderen Kommunen unzureichenden Flächen aufgrund der Stadtfläche bzw. Siedlungsstruktur (Interview 18). Im Bereich „Privatisierung kommunaler Aufgaben“ wurde die Diskussion um die Gebäudereinigung der Stadt geführt. Die Stadt D beschäftigte 2003 im Bereich Gebäudemanagement 63 Reinigungskräfte (vollzeitverrechnete Stellen gemäß Stellenplan 2003). Wie oben bereits dargestellt, wird der Reinigungsdienst in D ausschließlich mit eigenem Personal wahrgenommen. Nunmehr, so der Bürgermeister (Interview 14), habe man in der Verwaltung in Absprache mit dem Personalrat und den Beschäftigten ein neues Konzept aufgesetzt: Die Reinigungsleistung sei um 10 Prozent erhöht worden, es sei in Geräte investiert worden und die Arbeitsverträge seien angepasst worden, um eine Wettbewerbsgleichheit mit privaten Anbietern zu erzielen. Nach Auskunft des CDUFraktionsvorsitzenden sollen so 100.000 bis 150.000 € jährlich zu ersparen sein. In einem Ratsbeschluss, der mit breiter Mehrheit beschlossen wurde, wurde entschieden, die Aufgabe bei der Stadt zu belassen (Interview 15). Der SPD-Fraktionsvorsitzende wies noch auf folgenden Vorgang hin (Interview 16): Gegen den Willen der SPD-Fraktion sollen Anteile an der Wohnungsbaugesellschaft abgegeben werden. Diese Gesellschaft ist für die SPD allerdings ein „Instrument zur sozialen Korrektur“ im Wohnungsbereich (z.B. Einspringen in Problemfällen). Deshalb könne die SPD solche Beschlüsse niemals mittragen. Ausdruck prozeduraler Parteiendifferenz ist die Häufigkeit einstimmiger Ratsbeschlüsse. Diese schätzt der Bürgermeister auf 80 Prozent in D, der SPDFraktionsvorsitzende taxiert sie sogar auf 90 Prozent. Davon ausgenommen sind – wie auch oben in anderem Zusammenhang schon deutlich wurde – die Haushaltsplanbeschlüsse.
6.2.2.4
Zentralisierung der Haushaltspolitik
In der folgenden Analyse geht es um die Person des Bürgermeisters im kommunalpolitischen Prozess. In dieser Dissertation wird unterschieden zwischen verwaltungszentrierten und politikzentrierten Bürgermeistern. Der Bürgermeister der Stadt D ist der Kategorie des politikzentrierten Bürgermeisters zuzurechnen.
Interviewergebnisse Zunächst wurden die interviewten Politiker sowie der Lokalredakteur der Westfalenpost nach der Wichtigkeit von „Eigenschaften und Fähigkeiten eines Bürgermeisters“ gefragt. Sie wurden gebeten, jeweils aus der Sicht des Bürgers im
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6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
Sinne von Responsivität als auch aus der eigenen Perspektive als Kommunalpolitiker zu antworten (der Lokalredakteur sollte eine Einschätzung aus seiner Wahrnehmung der Bürgersicht abgeben). Das Ergebnis wird im Folgenden dargestellt (vgl. auch Anlage 4): Tabelle 25: Eigenschaften und Fähigkeiten Bürgermeister (Stadt D)
Merkmal Bürgernähe Einsatz für Minderheiten Führungsqualitäten Gemeindeverbundenheit Glaubwürdigkeit Eigenes politisches Profil Neutralität gegenüber allen Parteien Sympathieträger Verwaltungsführungserfahrung
Perzipierte Bürgermeinung Rangplatz 1 8
Akteursmeinung
Rangplatz 2 4
4 3 2 5
5 7 1 7
*
*
6 6
6 2
Rangdifferenz 1 4 -1 -4 1 -2
0 4
* = keine Wertung, da keine Angaben von Bürgermeister und CDU. Der CDUFraktionsvorsitzende im Interview: „Der Bürgermeister [, der neutral ist gegenüber allen Parteien, d. Verf.] muss noch geboren werden; zumindest in NRW“.
Wie aus der Tabelle zu entnehmen ist, stuften alle Befragten sowohl aus Bürgersicht als auch aus Politikersicht die Merkmale Bürgernähe und Glaubwürdigkeit deutlich prioritär ein. Die Verwaltungsführungserfahrung eines Bürgermeisters beurteilten die Politiker aus ihrer Sicht hingegen als „wichtiges Merkmal“. Sowohl die Fraktionsvertreter wie auch der Bürgermeister (obwohl er persönlich dieses Merkmal bei Amtsantritt gar nicht erfüllte) bewerteten die Verwaltungsführungserfahrung als „sehr wichtig“ bzw. „wichtig“. Die Fraktionsvertreter verbanden an dieser Stelle ihre Erwartungshaltung mit der Kritik an der Verwaltungsführungsleistung des Bürgermeisters. Aus Bürgersicht wurde das Merkmal insgesamt nicht so hoch einschätzt [der Lokalredakteur: „Den Bürger interessiert nicht großartig, was der vorher gemacht hat“ (Interview 18)]. Wenn man der Frage nachgeht, ob die Wähler bei der letzten Kommunalwahl deutlich zwischen dem Bürgermeister und seiner Partei, in diesem Falle die
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
223
CDU, unterschieden haben, so glaubte der Bürgermeister, dass dies tatsächlich der Fall gewesen sei. Er machte diese Aussage am Abstand der Wahlergebnisse fest (54,3 zu 38,0 Prozent) und dass er ohne Stichwahl bei 6 Kandidaten gewählt wurde. Diese Einschätzung teilte auch der CDU-Fraktionsvorsitzende, wobei nach seiner Meinung im Regelfall eine Affinität für eine Partei auch auf den Bürgermeisterkandidaten ausstrahle (Interview 15). Was erobert werden müsste, seien die Anteile von den Parteien, die keinen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufstellen. Für die SPD-Vertreter sei der Bürgermeister eindeutig als „CDUMann“ gewählt worden. Dass er mehr Prozentpunkte bekommen habe, habe schlicht mit der Tatsache zu tun, dass mehr Parteien als Bürgermeisterkandidaten angetreten seien. Dies habe nichts mit seiner Popularität zu tun. Für den Lokalredakteur sei die Wahl 2004 in erster Linie eine Persönlichkeitswahl gewesen, allerdings seien die SPD-Kandidaten schlicht zu unattraktiv gewesen, deshalb habe man den Amtsinhaber gewählt (Interview 18).192 Nunmehr soll die Frage beantwortet werden, wie die Gesprächspartner die Bedeutung individuellen Handelns, losgelöst von formalen Zuständigkeiten der Gemeindeordnung, beurteilen. Für den Amtsinhaber kommt dem individuellen Handeln eines Bürgermeisters eine hohe Bedeutung zu, wenngleich er die Handlungsspielräume aufgrund der Finanzsituation der Stadt für „sehr, sehr begrenzt“ hielt (Interview 14). Da sei er viel auf „good will“ angewiesen, da müsse er „Leute überzeugen und um Geld betteln“, um bestimmte Projekte umsetzen zu können. Gegebenenfalls müsse er sich „Mehrheiten außerhalb der Politik, das heißt bei der Bevölkerung“ suchen. Dass diese Strategie nicht zwangsläufig zum Ziele führt, wurde im Zusammenhang mit dem Haushaltskompromiss 2007 oben geschildert. In diesem Falle wurde dem Bürgermeister das „Heft des Handelns“ vom CDU-Fraktionsvorsitzenden aus der Hand genommen. Das „Drohen mit der Öffentlichkeit“ wurde von einigen Gesprächspartnern, die der Verfasser interviewt hatte, als „irritierend“ oder gar als „Erpressung“ empfunden.193 Die Bedeutung individuellen Handelns schätzte auch der CDU-Fraktionsvorsitzende als hoch ein. Das Problem in D sei allerdings, dass der Bürgermeister bei „bestimmten Fraktionen immer auf Ablehnung stößt, egal was er macht“ (Interview 15). Dabei sehe sich der Bürgermeister als Verwaltungsfachmann, der er nicht sei und der sehr stark in die Verwaltung hineinwirke, was auch damit zu tun habe, dass der Verwaltungsvorstand nur aus ihm und dem Kämmerer bestehe. Er leite auch 192
Die SPD in D hatte zunächst einen Kandidaten (Beigeordneter einer Nachbarstadt) ins Rennen geschickt. Vier Wochen vor der Wahl zog er seine Kandidatur zurück. Daraufhin trat für die SPD eine „Notkandidatin“ an. Diese war chancenlos. 193 Fehlendes politisch-taktisches Gespür attestierte auch der CDU-Fraktionsvorsitzende dem Bürgermeister in diesem Zusammenhang (Interview 15). Im Ältestenrat sei es – wie erwähnt - zu erheblichen Konfrontationen gekommen, weil er einzelnen Politikern gedroht habe, eine Verweigerung zum Haushalt öffentlich zu machen.
224
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister
das Baudezernat, und hier lauerten „die meisten Fallstricke und der größte Bürgerärger“.194 Für den Redakteur der Lokalzeitung ist individuelles Handeln in der Kommunalpolitik entscheidend; so sahen es auch die SPD-Vertreter. Jedoch sei das Handeln personenabhängig. Der Bürgermeister in D sei jemand, der „viel an sich reißt“, sich für Vieles zuständig fühle und dementsprechend für Vieles zur Verantwortung gezogen werde (Interview 18). Dabei wurde dem Bürgermeister von den SPD-Vertretern die Fachkompetenz abgesprochen.195 Hinzu komme „taktisch unkluges Agieren“, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende erläutert: „Die Verwaltung hatte vor dem Hintergrund der Vorgabe des Kreises eine Erhöhungsvorlage zur Gewerbesteuer vorbereitet. Der Bürgermeister hat dann nicht dafür gestimmt, gegen seine eigene Verwaltung. Das ist nie glücklich. Das Ding wurde mehrheitlich abgelehnt. Wir hatten uns damals enthalten, weil wir gesagt haben: Wir machen nicht die Arbeit des Bürgermeisters, der hat sich ja auch enthalten. Sein Verwaltungsmann, der Kämmerer, stand praktisch alleine im kurzen Hemd da. Die Grünen haben dafür gestimmt, alle anderen, CDU und so, dagegen. Ist nicht glücklich. So, und jetzt haben wir in unserer Vereinbarung eine Erhöhung der Gewerbesteuer auf 2008 vorgesehen, die auch die CDU zähneknirschend mit trägt. Und der Bürgermeister fühlte sich bemüßigt, vorher noch mal an den Kreis zu schreiben, warum er dagegen ist und jetzt hat er mitgestimmt. Also das sind so Sachen, die bauen nicht die Autorität eines Mannes auf.“ (Interview 16)
Zur Bedeutung fachlicher Qualifikation bei der Aufgabenwahrnehmung in der Kommunalverwaltung räumte der Bürgermeister ein (Interview 14), dass es jemand mit verwaltungswissenschaftlicher oder verwaltungsjuristischer Ausbildung „in manchen Bereichen einfacher“ habe. Da komme man dann „schneller zurande“. Es sei aber vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt, dass man auch als „Generalist mit gesundem Menschenverstand“ das Amt des Bürgermeisters versehen kann. Dabei sei es manchmal sogar hinderlich, sich in den „Zwängen von Verwaltungsmechanismen und Verwaltungsrecht zu bewegen“. Wenn man sich nur darin bewege, wäre die Entwicklung einer Stadt kaum vernünftig voranzubringen. Er stellte heraus, dass er Erfahrungen in der Kommunalpolitik seit 1990 habe und als Politikberater im Landtag an Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt 194
Das Baudezernat hatte ursprünglich die SPD inne. Nach der Abwahl der Baudezernentin hatte der Bürgermeister das Dezernat selbst übernommen. Dies gipfelt in Pressemeldungen wie: „SPD-Parteichef […] attackierte den Bürgermeister offen: ‚Eine völlige Fehlbesetzung’“ (WP 15.01.2008) oder „Es wäre wichtig, an dieser Stelle jemanden zu haben, der dieses Amt auch ausfüllen kann, erklärte Parteichef […] (wap 15.01.2008). Und auch die anderen Oppositionsparteien (hier: FDP und Wählergemeinschaft I) sparen nicht mit öffentlicher Kritik: „Den Bürgermeister mit seinem fehlenden Controlling und miserabler Verwaltungsarbeit will die CDU schonen (…)“ (wap 23.05.2007).
195
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
225
habe. Er glaubt, dass er „genügend Background“ habe. In dieselbe Richtung argumentierte der CDU-Fraktionsvorsitzende (Interview 15). Auch ein Minister oder Bundeskanzler brauche keine formale fachliche Qualifikation. „Warum dann ein Bürgermeister?“ Aber er erwarte schon jemanden, der seine Funktion professionell ausfüllt. Gerade 1999 seien „viele Bürgermeister nach oben gespült worden, die nicht damit gerechnet haben.“ Was in NRW fehle, sei eine „Bürgermeisterkultur“ wie in Baden-Württemberg. Nach seinem Eindruck nutzten viele Bürgermeister jede Gelegenheit, „aus dem Rathaus zu flüchten“196 und sich in Gremien des Städtetages etc. „zu tummeln“: „Also da gibt es (…) ich bezeichne das immer so ein bisschen als Flucht aus der konkreten Verantwortung (…) aber ich muss sagen: Da tut sich der [Bürgermeister in D] weder nach unten noch nach oben hervor.“
Eine fehlende Formalqualifikation für das Bürgermeisteramt hielten auch die übrigen Interviewpartner in D für richtig und nachvollziehbar. Sie räumten allerdings ein, dass ein verwaltungszentrierter Bürgermeister gerade im Finanzbereich von Vorteil wäre. Der Lokalredakteur: „Wenn man einen Finanzexperten als Bürgermeister hat, ist das Amt quasi doppelt besetzt“ (Interview 18). In D funktioniere die Verwaltung nicht auf allen Gebieten gut. Das gelte auch für den Finanzbereich; auch da sei es zu Fehlleistungen gekommen. Es soll nunmehr die Verwaltungsführungserfahrung des Bürgermeisters anhand der Kriterien „Gestaltung der Haushaltsplanberatungen“, „Machtposition gegenüber der CDU-Fraktion“ und „Machtposition gegenüber der Verwaltung“ abschließend beleuchtet werden. Die Rolle des Bürgermeisters in den Haushaltsplanberatungen nahmen die SPD-Vertreter als „sehr schwach“ wahr. Er werde nicht einmal moderierend wahrgenommen, „eher im Hintergrund“ und bisweilen habe man den Eindruck, dass er „große Schwierigkeiten mit der CDU und ihrem Vorsitzenden“ habe (Interviews 16 und 17). Der Bürgermeister selbst verwies darauf, dass die Haushaltsplanberatungen „zunehmend rudimentärer“ würden. In einer Nothaushaltskommune „weiß man doch gar nicht mehr, worüber man noch beraten soll“ (Interview 14). Hinsichtlich seines Einflusses auf die CDU-Fraktion machte der Bürgermeister im Interview keine Aussagen; er verweigerte (viel sagend) die Auskunft. Dafür beschrieb der CDU-Fraktionsvorsitzende die Rolle des Bürgermeisters innerhalb der Fraktion umso deutlicher:
196
Auch hierin findet sich ein weiterer empirischer Hinweis für die These Gerhard Banners.
226
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister „Er nimmt regelmäßig an unseren Sitzungen teil und hat jederzeitiges Rederecht, er ist auch Gast im Fraktionsvorstand, aber in erster, zweiter und dritter Linie ist er Informant zu Sachverhalten. Also das politische Geschäft überlassen wir der Fraktion schon. Aber da gibt es auch keinen Dissens.“ (Interview 15)
Nach Wahrnehmung des SPD-Fraktionsvorsitzenden habe der Bürgermeister keinen Einfluss auf die CDU-Fraktion (Interview 16). Der Fraktionsvorsitzende der CDU habe in D eine starke Stellung.197 Dabei versuche die Fraktion, den Bürgermeister soweit es geht zu stützen, so der Lokalredakteur (Interview 18). Da sei schon eine geschlossene Haltung zu erkennen. Der Fraktionsvorsitzende sei nach außen sehr loyal. Dieser habe auch die Fraktion „gut im Griff“. Dissonanzen würden nicht öffentlich ausgetragen. Hinter „vorgehaltener Hand“ erfahre man aber doch, dass viele Entscheidungen des Bürgermeisters kritisch gesehen würden. Auf die Frage, ob die Fraktion immer seine Vorlagen stütze, antwortete der Bürgermeister: „Zu 99 Prozent“ (Interview 14). Dies bestätigte der CDUFraktionsvorsitzende, allerdings mit der Ergänzung: „Ja, aber das fällt schon schwer“ (Interview 15). Bis 1999 habe die CDU als Oppositionspartei eine völlig andere Rolle gehabt. Jetzt müsse sie nach außen loyal zur Verwaltung stehen und müsse auch „Schwachpunkte verteidigen“. Es dürfe nicht heißen: „Die CDU stützt nicht ihren Bürgermeister“. Der Lokalredakteur der Westfalenpost im Interview: „Da arbeitet die CDU-Fraktion schon professionell“. Hinsichtlich eines Konfliktes zwischen seinem Wiederwahlinteresse und der Forderung nach Haushaltsausgleich räumte der Bürgermeister ein, dass er „keine andere Wahl als die Haushaltskonsolidierung“ habe. Da könne es keine „Geschenke“ geben (Interview 14).198
6.2.2.5
Zusammenfassung der Analyse Stadt D
Im interkommunalen Vergleich, sowohl unter den Fallstudienstädten als auch im Vergleich zu den kreisangehörigen Ruhrgebietsstädten mit mehr als 20.000 Einwohnern, schneidet die Stadt D beim policy-output, festgemacht an den Kennzahlen: strukturelles Defizit/freie Spitze, Personalausgaben, Verschuldung und Sachausgaben durchschnittlich bis schlecht ab. Das strukturelle Defizit als Maß für die haushaltsmäßige Handlungsfreiheit einer Stadt liegt in D 2003 im Durchschnitt, ist aber deutlich schlechter als in den Vergleichstädten A und B und verschlechtert sich in den Folgejahren dramatisch. Die Stadt konnte ihren Haus197 198
Er ist bzw. war gleichzeitig Fraktionsvorsitzender der Kreistags-CDU. Dieser Aussage steht seine Haltung zur Steuerpolitik in der Stadt D allerdings objektiv entgegen.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
227
halt bereits 1994 nicht mehr ausgleichen; seit 2006 befindet sie sich im Nothaushaltsrecht (§ 81 GO NRW a.F.). Die Verschuldung lag 2003 nicht über dem interkommunalen Mittelwert. Allerdings sind die Personalausgaben deutlich erhöht, dasselbe gilt für die Sachausgaben; bei dieser Haushaltsposition markiert die Stadt D das Maximum im interkommunalen Vergleich. Die wichtigste kommunale Einnahmegröße, die Steuereinnahmen, ist in D im Vergleich zu den anderen Untersuchungskommunen und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Stadt aufgrund ihrer Flächengröße in der Ausweisung zusätzlicher Gewerbegebiete eingeschränkt ist, stark ausgeprägt. Die Steuereinnahmen (netto)199 betrugen in D 2004 = 751 €/EW, davon aus Gewerbesteuer = 306 €/EW. Zum Vergleich nahmen die Stadt C 713 €/EW (Gewerbesteuer = 237 €/EW), die Stadt A 787 €/EW (276 €/EW) und die Stadt B 472 €/EW (88 €/EW) ein (Deutscher Städtetag 2005). Dies bedeutet für die Stadt D, dass sich die exogene Belastung durch nur begrenzt beeinflussbare Einnahmen prinzipiell nicht von den Vergleichskommunen A und C unterscheidet und legt den Schluss nahe, dass die Stadt D weniger ein Einnahme-, denn ein Ausgabeproblem hat. Die erhöhten Personalausgaben verweisen auf eine Erblast der SPD, welche die die Stadt bis 1999 regierte. Der politikzentrierte CDU-Bürgermeister, obwohl seit 1999 im Amt und als Dezernent für den Personalbereich unmittelbar zuständig, konnte diese Position aber auch nach fast 10 Amtsjahren nicht korrigieren. Die Haushaltskonsolidierung im Personalausgabenbereich zeigt sich halbherzig und ohne zielführendes Konzept, wie die Bemühungen um die Musikschule und die Reinigung der Verwaltungsgebäude mit eigenen Kräften zeigen. Insbesondere die hier gewählte „Rasenmähermethode“ ist zwar politisch rational, weil sie im Kampf um Etatpositionen oft der einzige anerkannte Legitimationsgrundsatz ist, sie ist aber häufig das Gegenteil von „intelligentem Sparen“ (Holtkamp 2004a: 10). Auch die CDU hat allerdings den überdimensionierten Personalkörper immer mitgetragen, was auch daran liegen mag, dass der mächtige CDUFraktionsvorsitzende Personalratsvorsitzender der Beschäftigten in den CDUGeschäftsstellen in NRW war. In neuerer Zeit (2008) wird allerdings mit einem neuen Fraktionsvorsitzenden von der CDU Personalabbau zugunsten niedrigerer Steuersätze zumindest thematisiert. Bei Personalausgaben und freiwilligen Leistungen war kein ernsthaftes Sparbemühen zu erkennen; weder beim Rat noch in der Verwaltung. Der Lokalredakteur der Westfalenpost stellte im Interview hierzu fest:
199
Steueraufkommen insgesamt, einschließlich des Gemeindeanteils an der Lohn- und veranlagten Einkommensteuer und der Umsatzsteuer und der Kompensationszahlung Familienleistungsausgleich abzüglich der Gewerbesteuerumlage und der Finanzierungsbeteiligung am Fonds Deutsche Einheit.
228
6.2 Haushaltspolitik in Fällen politikzentrierter Bürgermeister „Erhaltung von kommunalen Einrichtungen: Schwimmbäder usw., das sind spannende Themen, bei denen man sich in [der Stadt D] vor Entscheidungen drückt. Man hat speziell was die Bäder angeht wieder ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, das will man abwarten, wobei da mit Sicherheit rauskommen wird, dass es schwierig ist, zwei Bäder in der Struktur zu erhalten. Und dann muss man quasi wieder neu überlegen. Kurzum: vor diesen Entscheidungen – speziell am Beispiel der Bäder lässt sich das gut festmachen – da drückt man sich und schiebt sie auf die lange Bank.“ (Interview 18)
Dabei macht es die Verwaltung den Ratsmitgliedern mitunter leicht, ihr wählerstimmenmaximierendes, budgetausweitendes Verhalten zu konservieren: Auf Anraten des Kämmerers wurde über eine Schließung von Musikschule und Stadtbibliothek nicht debattiert, weil der Zuschussbedarf dieser Einrichtungen durch die hohen Personalkostenanteile bestimmt ist, die durch die Schließung nicht einfach wegfallen, weil betriebsbedingte Kündigungen aufgrund massiver Akzeptanzprobleme und kündigungsschutzrechtlicher Vorgaben bisher nicht zur gängigen Verwaltungspraxis gehören und die Mitarbeiter in einem anderen Aufgabenbereich untergebracht werden müssten (Hamer 1997: 355). Ein Indiz zur Frage der Parteiendifferenz in D ergab sich aus der Haltung der CDU zu Steuererhöhungen (insbesondere Gewerbesteuer). Die ideologische Disposition der CDU in dieser Frage stellte der Bürgermeister im Interview deutlich heraus, indem er feststellte, dass die vorrangige Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten (Steuern, Gebühren, Beiträge; § 76 GO NRW) auch bei Haushaltsdefiziten, insbesondere das „Drehen an der Steuerschraube“, kontraproduktiv seien, da dies eher abschreckend auf Unternehmer und Grundstückseigentümer wirke. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende stellte fest, dass man „die Belastbarkeit des Bürgers nicht überstrapazieren“ dürfe. Diese Haltung findet sich deutlich in der „gebremsten Steuererhöhungspolitik“ der CDU in D. Wie die Haushaltsanalyse zeigt, trachten der CDU-Akteure danach, die weitere Steuerbelastung, insbesondere durch die Gewerbesteuer, „moderat“ zu halten. Mit ihren Hebesätzen für Grundsteuer B und Gewerbesteuer lag die Stadt 2003 deutlich unterhalb von Referenzgrößen (Gemeinden gleicher Größe, fiktiver Hebesatz nach dem GFG, Vergleich der Städte im Kreis). Mit dem HSK 2008 erfolgte jedoch – auf Druck der Kommunalaufsicht – eine Hebesatzerhöhung, wenn auch nicht im ursprünglich vorgesehenen Umfang. Mit seinen Erhöhungsbeschlüssen blieb der Rat immer hinter den Ansätzen der Haushaltssicherungskonzepte zurück, was zur Verärgerung bei der Kommunalaufsicht führte. Diese beließ es aber bisher bei öffentlichen Ermahnungen. Eine weitere residuale Parteiendifferenz zwischen CDU und SPD ist im Verkauf von Anteilen der Wohnungsbaugesellschaft (Privatisierung) zu erkennen (Ablehnung durch SPD).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
229
Die gescheiterte Haushaltsmehrheit 2007 ist ein Beispiel dafür, dass es dem politikzentrierten Bürgermeister nicht gelingt, exekutive Führerschaft auszuüben. Im Rat besteht nominell eine bürgerliche Mehrheit. Diese konnte durch den Bürgermeister nicht aktiviert werden; eine Gestaltungsmehrheit unter Führung der CDU fand sich erst 2007/2008 kurzzeitig zusammen. Der Haushalt 2007 wurde auf Initiative des CDU-Fraktionsvorsitzenden nach zunächst gescheiterter Beschlussfassung mit breiter Mehrheit unter Einschluss von SPD und Grünen doch noch verabschiedet; freilich musste die CDU die „Kröte“ einer Gewerbesteuererhöhung 2008 „schlucken“. Die schwache Position des Bürgermeisters ist nicht nur auf fehlende Verwaltungsführungserfahrung und mangelndes politisches Geschick, sondern auch auf fehlende Akzeptanz nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch in den eigenen Reihen zurückzuführen. Ihm stand bis 2008 ein starker CDUFraktionsvorsitzender als Gegenspieler gegenüber, der dem Bürgermeister in entscheidenden Situationen (Haushalt 2007 und Steuerhebesatzbeschlüsse) das „Heft des politischen Handelns“ aus der Hand nahm. „Die CDU hat eigentlich den Job ihres Bürgermeisters gemacht“, stellt der SPD-Fraktionsvorsitzende hierzu fest (Interview 16). Das Beispiel Freibad zeigt zudem, dass Entscheidungen nicht konsequent herbeigeführt, sondern externalisiert (Gutachten)200 und auf die lange Bank geschoben werden. Dabei hätte die konsequente Umsetzung eines Schließungsbeschlusses unmittelbare Haushaltsentlastungen zur Folge. Der Bürgermeister bezog in dieser zentralen haushaltspolitischen Angelegenheit öffentlich nicht eindeutig Stellung, sondern überließ das „Geschäft“ der CDU-Mehrheitsfraktion. Dabei erfordert die strukturelle Haushaltssituation der Stadt D dringend Korrekturen bei den Ausgaben. Die Kommunalaufsicht betonte anlässlich der Haushaltsplanberatungen 2008: „Die Anstrengungen der Verwaltung reichen bei weitem nicht zur Kompensation aus, hier ist in besonderem Maße auch der Rat gefordert, gegebenenfalls auch Entscheidungen mit weitreichenden Folgen zu treffen“ (WP 12.01.2008).
In der Haushaltspolitik nimmt der Bürgermeister – beispielsweise im Vergleich zu seinem CDU-Kollegen in B – keine bestimmende Rolle ein. Er überlässt das Feld dem (parteipolitisch neutralen) Kämmerer, dessen Durchsetzungsfähigkeit im Rat naturgemäß begrenzt ist und der loyal zum Bürgermeister (CDU200
Eine Strategie zur Positionsstärkung des Bürgermeisters in Konsolidierungsprozessen kann darin bestehen, externe renommierte Berater einzuschalten, an deren Ergebnis seitens des Rates nicht gezweifelt wird (Holtkamp 2007a). Im Falle der Stadt D ist es aber eher so, dass die vielen Gutachten, die der Bürgermeister in Auftrag gibt, als Entscheidungsschwäche ausgelegt werden (Interview 18 mit dem Lokalredakteur).
230
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
Fraktionsvorsitzender im Interview 15) steht. Es bleibt dem Kämmerer häufig nichts anderes übrig, als gut gemeinte, aber wirkungslose Appelle in Richtung Rat auszusprechen. Das Vakuum, das der Bürgermeister hier hinterlässt, wurde in der Vergangenheit teilweise durch den mächtigen CDU-Fraktionsvorsitzenden ausgefüllt. Haushaltskonsolidierung geht aber von der Verwaltungsspitze (am besten am Anfang der Legislaturperiode) im Sinne einer Zentralisierung der Haushaltspolitik aus; dies ist in D nicht gegeben. Es gelang dem Bürgermeister nicht, eine Sparkoalition zu bilden. Er verließ sich auf die Kommunalaufsicht und den Kämmerer; diese Akteure können aber die Durchsetzungskraft eines konsolidierungswilligen Bürgermeisters nicht ersetzen. Der Versuch des Bürgermeisters, stattdessen öffentlichen Druck gegen Konsolidierungsverweigerer aus dem Rat zu mobilisieren, scheiterte.201 Auch Modernisierungsimpulse gehen in D nicht von der Verwaltungsspitze aus, sondern von der CDU-Mehrheit (!). Ein Vergleich mit den verwaltungszentrierten Bürgermeistern in A und B zeigt die Effizienz von Verwaltungsführungserfahrung auf: Dort gelingt es den Bürgermeistern durch starken Einfluss in der Verwaltung und in der Mehrheitsfraktion im Sinne exekutiver Führerschaft, Verringerung des Grades prozeduraler Parteipolitisierung und Zentralisierung der Haushaltspolitik für einen ausgeglichenen Haushalt (Stadt B) oder zumindest ein genehmigungsfähiges, zeitlich befristetes Haushaltssicherungskonzept (Stadt A) zu sorgen. Dies gelingt dem politikzentrierten CDU-Bürgermeister in D nicht. Hier führen mangelnde Verwaltungsführungserfahrung (Führungswollen und Führungskönnen) und insbesondere ein starker Gegenspieler in Gestalt des CDU-Fraktionsvorsitzenden bei fehlender Zentralisierung der Haushaltspolitik zu wenig Effektivität in der Sparpolitik der Stadt.
6.3
Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
6.3.1
Haushaltspolitik in der Stadt E
6.3.1.1
Politisches Kurzprofil
Der Rat der Stadt E (91.000 Einwohner) setzte sich in den vergangenen Legislaturperioden wie folgt zusammen: 201
Aus der local governance-Perspektive (Heinelt 2004, Holtkamp 2007c) könnte der Bürgermeister seine Machtposition zur Durchsetzung von Sparpolitik tatsächlich stärken, wenn es ihm gelingt, in Politiknetzwerken gesellschaftliche Ressourcen und Akzeptanz zu mobilisieren.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
231
Tabelle 26: Zusammensetzung des Rates der Stadt E 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 1994 1994 1999 1999 2004 2004 2009
SPD
CDU
Grüne
FDP
26
15
6
24
20
4
19
21
3
1
19
16
3
3
PDS
Freie Wähler
Sonstige
3
1
5
1
5
3
Im Rat ergab sich daraus folgende politische Struktur: Tabelle 27: Politische Struktur des Rates der Stadt E 1989 bis 2009 Ratsperiode 1989 - 1994 1994 - 1999 1999 - 2004 2004 - 2009
BM ratsgewählt: SPD ratsgewählt: SPD volksgewählt: CDU; später parteilos volksgewählt: parteilos
Rat Absolute SPD-Mehrheit Relative SPD-Mehrheit Relative CDU-Mehrheit Relative SPD-Mehrheit
Die SPD verfügte 1989 noch über die absolute Mehrheit der Mandate, die sie über Jahrzehnte in der Stadt E innehatte (sie stellte auch nach dem 2. Weltkrieg alle Bürgermeister), die aber bereits 1994 verloren ging. Sie behielt 1994 die relative Mehrheit der Mandate, die sie auch 2004 wieder erringen konnte, nachdem die CDU, die 1999, dem Landestrend folgend, eine relative Ratsmehrheit errang, 2004 Mandate verlor. Die Stadt E gehörte 1989 und 1994 zu den SPDdominierten Parteiensystemtypen. Wachsende Kommunalisierung und abnehmende Dominanz der SPD mündeten 2004 in die Zuordnung des Falls zum Parteiensystemtyp des kommunalisierten Mehrparteiensystems mit Konzentration auf zwei große Parteien (Gehne 2007: 287). 202 Nach der Kommunalwahl 2004 bildete sich zunächst eine Koalition aus SPD, FDP und einer Wählergemeinschaft, die sich gegründet hatte, um den am202
Der CDU-Fraktionsvorsitzende sagte im Interview: „Die Bundestags- und Landtagswahlen werden immer noch von der SPD gewonnen, aber die CDU ist eine starke kommunale Kraft hier“ (Interview 20).
232
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
tierenden Bürgermeister zu unterstützen. Zusammen mit dem Bürgermeister hatte diese Konstellation eine Einstimmenmehrheit, die nach Einschätzung des Bürgermeisters (Interview 19) genutzt wurde, um „wichtige Projekte zu beschließen“. Die SPD kündigte in der Folge das Bündnis auf (über die Gründe siehe unten) und wandte sich der CDU zu. „Es gibt jetzt eine große Koalition, die teilweise gegen mich arbeitet, auch im Hinblick auf den Wahlkampf“, beschrieb der Bürgermeister die aktuelle Situation (Interview 19). Der verwaltungszentrierte Bürgermeister (Jurist) setzte sich 1999 als externer Kandidat ohne Politikerfahrung gegen den Amtsinhaber von der SPD durch; damals noch als CDU-Kandidat. Er wurde vom mächtigen lokalen CDUVorsitzenden in dieses Amt geholt. Im Laufe der Legislaturperiode kam es aber sehr schnell zum Bruch mit der Partei. 2004 trat er als Einzelbewerber aus dem Amt an und schlug in der Stichwahl einen SPD-Herausforderer mit deutlichem Vorsprung. Hinsichtlich der Bürgermeisterwahlen 1999 und 2004, den Interessen der Akteure und schlussendlich zum „Kollateralschaden einer [gescheiterten] Kandidaten-Importstrategie“ vgl. ausführlich Gehne 2007.203
6.3.1.2
Ausgewählte Haushaltsergebnisse
Im Folgenden werden zunächst, bezogen auf das Basisjahr 2003, ausgewählte Kennzahlenergebnisse im interkommunalen Vergleich (Ruhrgebiet) sowie im Vergleich der Untersuchungskommunen dargestellt. Die zuständige Bezirksregierung hat anlässlich der Einsetzung eines Sparberaters in E im Jahre 2007 (vgl. unter 6.3.1.4 ausführlich) folgendes festgestellt: „Die Stadt [E] hat bereits seit 15 Jahren mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Seit 1992 gibt es ein Haushaltssicherungskonzept (HSK) und seit 2002 ist [E] eine Nothaushaltskommune. Die Haushaltslage ist problematisch. Der Beschluss des Rates vom 27. März sieht für 2007 Ausgaben in Höhe von 260,661 Millionen Euro vor, denen Einnahmen in Höhe von nur 192,977 Millionen Euro gegenüber stehen. Die Kassenkredite betrugen Ende 2006 rund 143,5 Millionen Euro; die Kassenkreditquote lag bei 66,5 Prozent. Wie sehr die Vorstellungen von Verwaltung und Rat auseinander gehen, ist schon an einer Differenz von 28 Millionen Euro zwischen dem ursprünglichen Haushaltsentwurf der Verwaltung und dem Haushaltsbeschluss des Rates abzulesen.“204
203
Die CDU wiederholt allerdings die Importstrategie mit einem politisch unerfahrenen Bürgermeisterkandidaten trotz des gescheiterten Modells erneut in der Kommunalwahl 2009. 204 Presseerklärung der Bezirksregierung Münster vom 12.06.2007
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
233
Um die Situation noch deutlicher zu machen, wird zunächst die Defizitentwicklung 1991 bis 2008 dargestellt:
----- Mill. Euro -----
Abbildung 29: Defizitentwicklung der Stadt E 1991 – 2008 (Haushaltsplan der Stadt E 2008, Teil B: Anlagenband, S. 1.0220); 2007 und 2008 Planzahlen; sonst Rechnungsergebnisse
150 135 120 105 90 75 60 45 30 15 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Die allgemein leichte Erholung der Kommunalfinanzen Ende der 1990-er Jahre aufgrund konjunkturell bedingter Steuermehreinnahmen spiegelt sich auch im Verlauf der Defizitentwicklung bei der Stadt E wider. Wie auch in der übrigen kommunalen Welt wird diese positive Entwicklung allerdings 2001 jäh gestoppt mit der Folge stark steigender Defizite und sich auftürmender Kassenkredite. 2005 betrug das strukturelle Haushaltsdefizit der Stadt schon 253 €/EW (eigene Berechung). Damit ergibt sich folgende Position der Stadt im interkommunalen Vergleich:
234
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 30: Strukturelles Defizit Stadt E 2003 und 2005 im interkommunalen Vergleich
450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt E 2003
Stadt E 2005
Das gute Ergebnis 2003 (- 7 €/EW) resultiert aus Gewerbesteuernachzahlungen aus den Vorjahren und ist nicht repräsentativ; in den Folgejahren (2005: - 253 €/EW; 2006: - 190 €/EW) schnellt das strukturelle Defizit der Stadt E wieder hoch. Stellt man das Ergebnis 2005 wiederum in Relation zu den anderen Untersuchungskommunen dieser Dissertation, so ergibt sich folgendes Bild: Abbildung 31: Strukturelles Defizit Stadt E 2005 im Vergleich zu den Untersuchungskommunen (GPA NRW und eigene Berechnung)
----- Euro je EW -----
300 250 200 150 100 50 0 Stadt B
Stadt A
Stadt D
Stadt C
Stadt E
Wie leicht erkennbar, bildet die Stadt E den Maximumwert im Vergleich zu den übrigen Untersuchungskommunen ab. Ursächlich hierfür sind u.a. hohe Personalausgaben sowie hohe Standards im Bereich freiwilliger Aufgaben (insbesondere Kulturausgaben). Dies soll mit den folgenden Grafiken verdeutlicht werden:
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
235
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 32: Bereinigte Personalausgaben Stadt E 2003 im interkommunalen Vergleich
600
400
200
0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt E
Legt man nur die Vergleichskommunen zugrunde, ergibt sich die folgende Positionierung bei den Personalausgaben: Abbildung 33: Vergleich der bereinigten Personalausgaben unter den Untersuchungskommunen (GPA NRW und eigene Berechnung)
----- Euro je EW -----
600 500 400 300 200 100 0 Stadt B
Stadt A
Stadt D
Stadt C
Stadt E
Es wird deutlich, dass die Stadt E zur „Spitzengruppe“ der Ruhrgebietskommunen mit hohen Personalausgaben gehört. Die Ursachen für diese Positionierung sollen in der Analyse mikropolitischer Prozesse, die sich anschließt, herausgearbeitet werden. Analysiert man die Ausgaben für Kultur, das heißt die Zuschussbedarfe der Unterabschnitte im Einzelplan 3 (ohne innere Verrechnungen und UA 350 – VHS), die insgesamt dem freiwilligen Aufgabenspektrum der Kommune zuzuordnen und damit prinzipiell in Konsolidierungsprozessen disponibel sind, so ergibt sich für E folgendes Bild:
236
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
----- Euro/Einwohner -----
Abbildung 34: Zuschussbedarf Kultur Stadt E im interkommunalen Vergleich (eigene Berechnung)
50 40 30 20 10 0 Minimum
Maximum
Mittelwert
Stadt E
Auch im interkommunalen Vergleich der Zuschussbedarfe Kultur erreicht die Stadt E die Maximalposition. Dies deutet, bei der gegebenen Haushaltslage, auf mangelnden Konsolidierungswillen des Bürgermeisters bzw. des Rates hin. Dieser Aspekt steht insofern ebenfalls im Mittelpunkt der folgenden Analyse. Für Holtkamp, der die Stadt in seiner Dissertation als Vergleichskommune untersucht hat, lässt der Schuldenstand in E erahnen, dass man in der Vergangenheit relativ viel in die Infrastruktur investiert hat, mit all den damit verbundenen Kosten für den Verwaltungshaushalt (2000: 160). Im interkommunalen Vergleich der Untersuchungsgemeinden positioniert sich E bei der Verschuldung denn auch deutlich erhöht, wie die obige Abbildung 9 gezeigt hat.205 Holtkamp sieht die Finanzprobleme der Stadt somit weniger auf der Einnahmen-, sondern auf der Ausgabenseite angesiedelt (2000: 158; 2009), nämlich in den besonders hohen Personalkosten, der überdimensionierten Infrastruktur und zunehmend in einem „Führungsvakuum an der Verwaltungsspitze“. Untersucht man nur die Ruhrgebietskommunen, wie dies in dieser Analyse geschieht, und setzt damit eine relativ konstante Struktur (SGB II-Quote, Arbeitslosenquote) im „sozialen Raum“ voraus, deuten Differenzen in einzelnen Kennzahlenergebnissen auf kommunal gestaltbare Konsolidierungspotenziale hin. Nach übereinstimmender Einschätzung aller Interviewpartner war die Stadt E einst eine der reichsten Städte in der „alten“ Bundesrepublik. Die Wirtschaftsstruktur vor Ort ließ die Gewerbesteuereinnahmen sprudeln. Aus dieser Zeit stamme eine „aufwändige Infrastruktur“. Als Beispiele wurden genannt: das 205
Bei den Kassenkrediten lag die Stadt landesweit bei den kreisangehörigen Kommunen an dritter Stelle mit 1.587 €/EW (Innenministerium NRW 2007b: Anlage 8-1)
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
237
architektonisch außergewöhnliche Rathaus (das heute als 1970-er-Jahre-Bau große Probleme bei der Gebäudeunterhaltung aufwirft), „phantastische Schulgebäude ohne Fördermittel des Landes“, zwei Hallenbäder, fünf Freibäder, ein kommunales Theater, ein Skulpturenmuseum, eine „herausragende“ Volkshochschule, eine „übertrieben große Bücherei, die leer ist“. „Man hat sich einen Mantel zugelegt, der etwas zu großzügig war“, wie es ein Interviewpartner ausdrückte. In den 1960-er Jahren, mithin in den prosperierenden Jahren, habe man sogar davon „geträumt“, dass E auf 140.000 Einwohner anwachsen werde. Daraus hätten sich „Standards“ abgeleitet „in den Köpfen der Ratsmitglieder und der Bevölkerung“, die mit einsetzendem Strukturwandel erst einmal nicht in Frage gestellt wurden. Auch der „Verwaltungsapparat verharrte“. Der beratende Sparkommissar (siehe hierzu Kapitel 6.3.1.4) drückte es so aus: „Also man hat hier immer aus dem Vollen geschöpft und konnte sich gar nicht vorstellen, dass das mal anders werden könnte. (…) In [E] war man immer viel zu reich.“ (Interview 21)
Im Jahre 2007 und nach mehreren vergeblichen Versuchen, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzulegen, zog die Kommunalaufsicht die „Notbremse“, nachdem sich Bürgermeister und Rat in Haushaltsfragen vollkommen blockiert hatten. Es wurde ein „beratender Sparkommissar“ 206 installiert, der die festgefahrenen Haushaltsplanberatungen 2007 auflöste und 2007 und 2008 genehmigungsfähige Haushaltssicherungskonzepte vorlegen konnte. Im Folgenden werden zunächst die Haushaltssicherungskonzepte 2007 und 2008 analysiert, danach 206
Der „beratende Sparkommissar“ (Holtkamp 2006c, 2007b) ist in der Gemeindeordnung NRW nicht vorgesehen. Nach § 124 GO kann, „wenn und solange die Befugnisse der Aufsichtsbehörde nicht ausreichen“, das Innenministerium einen „Beauftragten“ bestellen, der alle oder einzelne Aufgaben der Gemeinde auf ihre Kosten wahrnimmt. Der Beauftragte hat die Stellung eines Organs in der Gemeinde, kann also Rat oder Bürgermeister ersetzen. So weit wollte man in E nicht gehen. Die Verfügung der Bezirksregierung Münster vom 12.06.2007 spricht daher auch von einem „externen Berater“. Für das Innenministerium ist die genaue rechtliche Einordnung des externen Beraters allerdings zweitrangig, solange das Aufsichtsinstrument in einem freiwilligen „Konsens zwischen der Stadt und der Aufsichtsbehörde“ umgesetzt werde, seine Bestellung sei in jedem Falle das „mildere Mittel“ (Holtkamp 2007b: 134; inhaltsgleich auch die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen vom 20.12.2006: Ist die Bestellung des beratenden Sparkommissars für Waltrop rechtmäßig?, Innenministerium 2007a). Möglicherweise schält sich in der Stadt Hagen ein neues „Modell“ in Form einer „Zukunftskommission“ hervor, nachdem das Sparberater-Modell von dem eingesetzten „Mentor“ rasch beendet worden ist (Holtkamp 2009). In der „Zukunftskommission“ haben Vertreter der Stadt und der zuständigen Bezirksregierung ein Konsolidierungspotenzial von 90 bis 96 Mio. € in gemeinsamer Arbeit ermittelt (Stadt Hagen/Bezirksregierung Arnsberg: Bericht der Zukunftskommission 2009, April 2009). Kontrovers blieb der Umgang mit dem Einsparpotenzial im Kulturbereich (Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen der Mitarbeiter).
238
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
wird der Einsatz des Sparkommissars untersucht, schließlich wird die Frage nach seiner Effektivität aufgeworfen und beantwortet, bevor auf die Fragestellungen dieser Dissertation zurückgekommen wird.
6.3.1.3
Haushaltssicherungskonzepte 2007 und 2008
Wie oben bereits erwähnt, befindet sich die Stadt E seit 1992 in der Haushaltssicherung, deutlich früher als andere Städte in NRW. Die letzte Genehmigung eines Haushaltssicherungskonzeptes datiert von 2001; seit 2002 unterliegt die Stadt dem Nothaushaltsrecht. 2003 wurde das HSK von der Aufsicht abgelehnt, weil es weder formal (zeitlich) noch materiell (Tauglichkeit und Wirksamkeit der Konsolidierungsansätze) die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllte. Auch 2004 wurde das HSK nicht genehmigt. Die Konsolidierung konnte nämlich nur durch vom Rat beschlossene pauschale Einsparvorgaben (fiktive Ansätze; Bogumil/Holtkamp 2006: 149) dargestellt werden. Das Haushaltsjahr 2005 „muss als haushaltslos angesehen werden“ (Stadt E, Haushalt 2008, Teil C: Hauhaltssicherungskonzept, S. 5.5017). Insofern galten während des gesamten Haushaltsjahres die einschränkenden Vorschriften über die vorläufige Haushaltsführung (§ 81 GO NRW a. F.). Am 11.05.2006 beschloss der Rat die Haushaltssatzung und das HSK 2006. Eine Genehmigungsfähigkeit war gemäß der Verfügung der Kommunalaufsicht aber bereits deshalb nicht gegeben, weil der originäre Ausgleich erst im Jahre 2016 und der rechnerische Abbau der Altfehlbeträge erst im Jahre 2027 dargestellt werden konnten, die Konsolidierungszeitziele also weit verfehlt wurden. Ende 2006 betrugen die Kassenkredite 143,5 Millionen € (Kassenkreditquote: 66,5 %). Der Haushaltsplanentwurf der Verwaltung 2007 sah Einnahmen in Höhe von 193 Millionen € und Ausgaben von 261 Millionen € vor. Ein Einvernehmen mit dem Rat war nicht herstellbar; der „Gegenentwurf“ aus der Politik differierte um 28 Millionen € vom Verwaltungsentwurf. Wie kam es zu dieser Situation? Die SPD als Mehrheitsfraktion im Rat, der parteilose Bürgermeister, die FDP und eine Wählergruppe hatten sich im Jahr 2005 „auf den Weg gemacht, um die Stadt wieder handlungsfähig zu machen“ (so der SPDFraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2007). Das Bündnis zerbrach aber schnell; über die Umstände des Bruches wird in dieser Analyse weiter unten berichtet. Im Jahr 2007, nach gescheiterten Bemühungen in 2005/2006, einen genehmigungsfähigen Haushalt vorzulegen, eskalierte die Situation. Dem Bürgermeister wurde „Obstruktionspolitik“ vorgeworfen; der CDUFraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede am 27.03.2007:
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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„Es ist und bleibt mir unerklärlich, wie man Steuerschätzungen, Steuerbewertungen, Schlüsselzuweisungen usw. so beurteilt, dass die Sanierung des Haushalts 2006 im übrigen noch auf 2031 geschätzt und 2007 auf 2025 geschätzt [wird und man dies] dem Rat vorlegen kann. Wir werden nie verstehen, wie eine Verwaltung aus sich heraus überhaupt den Mut finden kann, so teilnahmslos ein solches HSK-Konzept vorzulegen. Das HSK 2007 sah einen Anstieg der Kassenkredite auf 196 Millionen vor. Nur durch unsere Korrekturen und Richtigstellungen (insbesondere auf der Einnahmeseite) konnten wir die Haushaltsgenehmigung erreichen.“
Aus der Sicht der SPD hörte sich das so an (Haushaltsrede des SPDFraktionsvorsitzenden vom 27.03.2007): „[Der Bürgermeister] versuchte mit Einsparungen in Höhe von 100 €-Beträgen den Haushalt zu sanieren und gefährdete damit das bürgerschaftliche Engagement, die Selbsthilfegruppen und die Vereine in [E] in ihrer Arbeit. Auch kulturelle und jugendkulturelle Angebote wären in [E] nicht mehr möglich gewesen: z.B. das Kinderfilmfestival, Aktionen und Maßnahmen gegen Gewalt an Schulen, der Antirassismustag, sozialraumorientierte Sozialarbeit und die Arbeit der Bunkerinitiative. Die SPD lehnte die Vorschläge der Verwaltung ab, weil diese minimalsten Einsparungen maximalste Negativauswirkungen für unsere Stadt und unsere Bürger zur Folge gehabt hätten. (…) Wir mussten uns also auf den Weg machen, um den Haushaltsplan (…) zu verbessern.“
Nach Einschätzung des Fraktionsvorsitzenden führte „… das fast störrische Beharren des Bürgermeisters auf seinem eigenen Entwurf und die von SPD und CDU gebildete politische Front zur Paralysierung.“ Weiter stellt er fest: „Das Ergebnis dieser wechselseitigen Resistenz ist die Lähmung unserer politischen Handlungsfähigkeit“ (Haushaltsrede am 27.03.2007). Dabei wollten die beiden großen Fraktionen, SPD und CDU, „Handlungsfähigkeit“ doch wieder erreichen: „Es war also unsere Aufgabe, einen prüffähigen Haushalt aufzustellen, wobei wir nie das ehrgeizige Ziel hatten, einen kurzfristig genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen. Das war auch nie in erster Linie die Anforderung des Landrates. Prüffähigkeit war unser Ziel. Das heißt, dass die Aufsichtsbehörden in die Lage versetzt werden sollten, sowohl das Haushaltssicherungskonzept zu prüfen wie auch die Investitionslisten.“ (Haushaltsrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden vom 27.03.2007)
Inhaltlich betrachtet enthielt der Verwaltungsentwurf zwei Positionen, von denen der Bürgermeister wusste, dass sie politisch nicht durchsetzbar sein würden: den Verzicht auf die Wiederbesetzung von zwei Beigeordnetenstellen (darunter die Kämmererstelle) und die Privatisierung der städtischen Klinik:
240
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister „Voraussetzung für ein positives Jahresergebnis ab dem Jahr 2011 ist aus Sicht der Verwaltung allerdings, dass auf die Einstellung von zwei Beigeordneten verzichtet wird und aufgrund einer Änderung in der Trägerstruktur der [Klinik] zukünftig Defizite der Klinik nicht mehr vom Kernhaushalt abgedeckt werden.“ (Haushaltsrede des Bürgermeisters vom 27.03.2007)
Beide Themen spielen eine wesentliche Rolle in der Bewertung der Effektivität des Sparkommissars, der ab Mitte 2007 auf den Plan trat. Dazu unter Ziffer 6.3.1.4 dieser Dissertation mehr. Nach Loslösung der SPD vom parteilosen Bürgermeister kam es 2007 zu einer „Haushaltskoalition“ (so der CDU-Fraktionsvorsitzende im Interview 20) mit der CDU. Zentraler Punkt der gemeinsamen Beschlüsse war ein so genannter „Zielkatalog“, der pauschale Einsparquoten, zum Beispiel im Kulturbereich, vorsah und die Umsetzung der Verwaltung überließ. Der CDUFraktionsvorsitzende beschrieb dies so: „Wir haben da einen Zielkatalog reingebracht und Ziele definiert. Die haben wir dann auch mit Zahlen hinterlegt, die erreicht werden sollen. Kultur, das haben wir jetzt nicht im originären Haushalt, sondern in der Zielplanung. Wenn wir da 40.000 Euro im Jahre X reinschreiben, dann müssen die auch belegt sein. Das kann nicht Aufgabe der Politik sein, haushaltsstellenscharfe Vorschläge zu machen, das muss von der Verwaltung kommen. Dann muss irgendwann von der Verwaltung eine Vorlage kommen für den Kulturausschuss und den Rat: ‚Die 40.000 sind einzusparen über die und die Maßnahme’. (…) Wir haben jedenfalls durch unsere Zahlen den Konsolidierungszeitraum wesentlich verkürzt.“ (Interview 20)
Dieses Vorgehen, das mit dem Sparkommissar abgesprochen war („Wir haben das in Abstimmung mit ihm gemacht; (…) also was dann von den Fraktionen beschlossen wurde, war mit dem Sparberater so abgesprochen; (…) also wir waren mit dem wirklich ein Herz und eine Seele“; Interview 20) stieß auf den erbitterten Widerstand des Bürgermeisters („Verstoß gegen den Grundsatz von Haushaltswahrheit und –klarheit“). Dabei nutzte er das Informationsdefizit auf Seiten des Rates aus und wendete dies gegen die Politik. Der Sparkommissar bewertete diese Haltung des Bürgermeisters im Nachhinein so: „Dass eine Fraktion, insbesondere wenn sie aus der Verwaltung keine konkrete Beratung erfährt, keine haushaltsstellenscharfen Vorschläge machen kann, das ist das Normalste von der Welt. Das muss ein Ratsmitglied und eine Fraktion auch nicht können. (…) Die nachhaltige konstruktive Zusammenarbeit, die war einfach nicht da aufgrund von persönlichen Aversionen.“ (Interview 21)
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
241
Folgende wesentliche Positionen wies das von CDU und SPD aufgestellte HSK (Fraktionsentwurf), das später im Jahr 2007 unter Mitwirkung des Sparkommissars modifiziert wurde, ursprünglich auf:
Einnahmesteigerungen o Gewerbesteuer(mehr)einnahmen o Vermögensveräußerungen (Verkauf von Erbpachtgrundstücken und Immobilienverkäufe) zur Reduzierung der Kassenkredite o Vorziehen (Forfaitierung) von Konzessionsabgaben Ausgabenreduzierungen o Personalausgaben: „Reduzierung über das Maß der natürlichen Fluktuation hinaus“ o Verringerung der Zuschussbedarfe bei den kulturellen Einrichtungen (VHS, Bibliothek, Theater, Musikschule, Skulpturenmuseum) in Form von pauschalen Einsparzielen o Kooperationen, Sponsoring, Kulturstiftung, Aufgabenübertragung auf Vereine o Reduzierung der Heimunterbringungskosten (Hilfen zur Erziehung) o Aufgabe von Asylbewerberunterkünften o Optimierungen bei den städtischen Eigenbetrieben (Betriebshof und Immobilienmanagement) o Reduzierung der Kreisumlage; Wegfall des Solidaritätsbeitrages
Das Spartableau kann somit als Mischung aus fiktiven Ansätzen, unrealistischen Annahmen (Reduzierung der Kreisumlage, Wegfall des Solidaritätsbeitrages für den Aufbau Ost), Veräußerung von Tafelsilber und Zielprojektionen (Zeitgewinn!) beschrieben werden und ist insofern in das Arsenal passiven Widerstands einzuordnen (Bogumil/Holtkamp 2006). Es stieß auf erhebliche Gegenwehr des Bürgermeisters (Haushaltsrede vom 27.03.2007): „Diese exorbitanten Jahresergebnisse kommen dadurch zustande, dass SPD und CDU bei der Gewerbesteuer, den offenen Forderungen, der Grundsteuer sowie im Bereich der Vermögensveräußerungserlöse von völlig unangemessenen Einnahmeerwartungen ausgehen, die reine Schätzwerte ohne jegliche Begründung darstellen. (…) Im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes, bei den Sachkostenerstattungen an den Immobilienbetrieb und den Zentralen Betriebshof werden Kostensenkungen veranschlagt, die weder begründet noch nachvollziehbar sind.“
242
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
Auch die Kommunalaufsicht akzeptierte jährliche Gewerbesteuereinnahmen von 50 Mio. € nicht, da sie durch keinen Erfahrungswert gedeckt waren; der Ansatz wurde auf 46 Mio. € korrigiert, was immer noch „großzügig prognostiziert“ (Sparkommissar) war. Der Bürgermeister setzte stattdessen auf das Rasenmäher-Prinzip, insbesondere im Kulturbereich: Sparmaßnahmen seien „so breit an[zu]legen und [zu] dosieren, dass die wichtigen Einrichtungen der Stadt keinen Schaden nehmen“ (Haushaltsrede am 27.03.2007). Die Personalkostenreduzierungen „über das Maß der natürlichen Fluktuation hinaus“ wurden von ihm als Einstieg in betriebsbedingte Kündigungen interpretiert (der CDU-Fraktionsvorsitzende bezeichnete dieses Konzept im Interview aber nur als „ultima ratio“), und er wehrte sich mit einer Betriebsvereinbarung mit dem Personalrat, die betriebsbedingte Kündigungen ausschließt.207 Nach dem Scheitern aller Versuche, einen Haushaltsentwurf 2007 zustande zu bringen, und nachdem die Auseinandersetzungen zwischen dem Bürgermeister und der „Haushaltskoalition“ von SPD und CDU eskalierten und zu einer definitiven Handlungsunfähigkeit der Stadt führten, wurde der Sparkommissar eingesetzt. Eines der ihm dabei übertragenen Ziele war die Erstellung eines genehmigungsfähigen Haushaltssicherungskonzeptes. Dieses kann im Jahre 2007 im Ergebnis als ein Kompromiss aus dem Verwaltungsentwurf208 und den Vorschlägen der Koalition aus SPD und CDU gedeutet werden. Von beiden Entwürfen wurden die Spitzen abgeschliffen mit dem Ergebnis, dass eine Genehmigung möglich war, weil eine der Genehmigungsbedingungen, nämlich der Ausgleich des Jahresdefizits innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren, nunmehr erfüllt wurde. Im Folgenden werden Einzelmaßnahmen der Haushaltssicherungskonzepte 2007 und 2008 dargestellt und bewertet:
207
Auch die Tatsache, dass die SPD diesen Vorschlag eines Personalabbaus „über das Maß der Fluktuation hinaus“ scheinbar mittrug, zeigt die Irrationalität des Ansatzes, denn nach allen gemachten Erfahrungen in der kommunalen Praxis ist keineswegs davon auszugehen, dass ausgerechnet die SPD betriebsbedingte Kündigungen unterstützt. 208 „Lediglich Lippenbekenntnisse zum Sparen. Der Verwaltung war in gewissen Bereichen ein Sparwillen abzusprechen. [Der Bürgermeister] wollte 17 Mio. € in die Kultur stecken. Also das habe ich alles gestrichen“ (Interview 21 mit dem Sparkommissar).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
243
Tabelle 28: HSK Stadt E 2007 und 2008 – Darstellung und Bewertung von Einzelmaßnahmen Nr. HSK 1
Bezeichnung
Maßnahme
Bewertung
Verringerung der Personalausgaben
Einstellungsstopp; keine betriebsbedingten Kündigungen
Die Personalausgaben sind im interkommunalen Vergleich immer noch hoch (vgl. Abb. 32), obwohl die Stadt E allein zwischen 1991 und 1996 gut 300 Stellen in der Stadtverwaltung abgebaut hat (Holtkamp 2000: 170)
5
Anhebung Gewerbesteuer
Anhebung des Hebesatzes von 440 v.H. auf 460 v.H. (01.01.2002); Anhebung von 460 v.H. auf 480 v.H. ab 01.01.2006209
Die völlig unrealistische Einnahmeerwartung von jährlich 50 Mill. € wurde von der Kommunalaufsicht auf 46 Mio. € korrigiert. Zu diesem Komplex führte der Sparkommissar aus: „Wir kriegten im Jahr 2006 knappe 40 Mio. € und hatten 46 prognostiziert. In dem Vorschlag der beiden Fraktionen waren 50 Mio. drin. Auch deshalb war das nicht genehmigungsfähig. Aber die 46 wurden von der Kommunalaufsicht mitgetragen.“ (Interview 21)
6
Veräußerung von Grundvermögen
Insbesondere Erbpachtgrundstücke
Im HSK 2008 erfolgte eine Rückstufung der Veräußerung von Erbpachtgrundstücken in die Kategorie „Zielprojektion weiterer Konsolidierungsmaßnahmen“. Darin finden sich die weitergehenden Einsparvorschläge der Fraktionen von SPD und CDU wieder, die nach Erstellung entsprechender Einsparkonzepte seitens der Verwaltung210 Auf-
209
Damit hat E die höchsten Gewerbesteuerhebesätze aller kreisangehörigen Kommunen in Nordrhein-Westfalen (Innenministerium NRW 2007b: Anlage 17-1). 210 Die Effektivität dieser Vorgehensweise muss angesichts der extrem belasteten Kooperation zwischen Bürgermeister und Rat in Zweifel gezogen werden.
244
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister nahme in das HSK finden sollen. Veräußerung von Vermögen ist das „Einfallstor für fiktive Konsolidierungsansätze“ (Holtkamp 2004a: 8). Häufig fehlt es an seriösen Konsolidierungsstrategien und es werden „Nebelkerzen“ gezündet. Zum Zeitpunkt der HSK-Erstellung 2008 schwankte der geschätzte Verkaufswert zwischen 17,7 und 5,5 Mio. € (HSK 2008, S. 5.5121).
8
Steigerung der Einwohnerzahl
9
Pauschale Einsparvorgaben des Rates
Ziel dieses HSK-Ansatzes ist die Gegensteuerung bei Bevölkerungsverlusten mittels eines „Einwohnermanagements“; angesichts stetig sinkender Bevölkerungszahlen in der Stadt E wie im Kreis ein ziemlich unrealistischer Ansatz. Gleichwohl wird als Einsparvolumen eine Haushaltsentlastung in Höhe von 250 T€ ab 2010 angestrebt. Strategische Haushaltskonsolidierungsansätze begegnen allerdings erheblichen Problemen bei der Zieldefinition und bei der Indikatorenbildung (Holtkamp 2004a: 6). Intensiveres Forderungsmanagement; Arbeitsplatzbezogene Sachkosteneinsparungen; Reduzierung des Zuschussbedarfs aller Ämter; Reduzierung des Zuschussbedarfs Skulpturenmuseum
Die pauschalen Einsparvorschläge von SPD und CDU bildeten den Kern des Konflikts zwischen Rat und Bürgermeister in 2007. Inkrementalistische Strategien („Rasenmäher“ und Budgets) haben den Vorteil der relativ leichten Umsetzbarkeit: „Nur dann, wenn überall in gleicher Weise gespart wird, wenn überall die Hecke kurz gehalten wird, kann auf Verständnis gehofft werden, dass auch die eigene Hecke gekappt werden muss. Der
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
245
Gleichheitssatz, d.h. der Rasenmäher, der alles in gleicher Weise auf einen niedrigen Stand herabschert, ist im Kampf um Etatpositionen oft der einzige anerkannte Legitimationsgrundsatz“ (Thieme 1985: 619). Somit werden nicht nur die Informationskosten, sondern auch der Widerstand gegen Konsolidierungsmaßnahmen reduziert. Gleichzeitig soll mit inkrementalistischen Sparansätzen Sparwillen gegenüber der Aufsicht signalisiert werden (Holtkamp 2006a). Mit der Verschiebung der Maßnahmen auf die Verwaltung ist bei dem gezeigten Widerstand z.B. gegen radikale Einschnitte in den Kulturetat ein Umsetzungserfolg mehr als fraglich. Ein erstes Indiz dafür, dass die Entscheidungen ggfs. auf die lange Bank geschoben werden, ist die Tatsache, dass die Konsolidierungsmaßnahmen im HSK 2008 in die Kategorie „Zielprojektion“ eingereiht wurden (insbesondere „Kürzung Zuschussbedarf aller Ämter“ und „Zuschussbedarf Skulpturenmuseum“). 10
Reduzierung städtischer Regiedienste
Werkstätten, Handwerkergruppen, Druckerei, Telefonzentrale usw., Prüfauftrag an die Verwaltung
Materielle Privatisierung ist nicht nur mit erheblichen Macht- und Steuerungsverlusten für die Kommunalvertretung verbunden (Bogumil/Holtkamp 2006: 98), es ist im Falle der Realisierung auch mit Widerständen der Beschäftigten und Gewerkschaften zu rechnen. Ferner ist die Effizienz einer materiellen Privatisierung a priori nicht gegeben. Ein „Prüfauftrag an die Verwaltung“ bedeutet auch in diesem Falle „Spielen auf
246
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister Zeit“.
12
Aufstellung und Umsetzung des Bäderkonzeptes
13
Konsolidierungsbeitrag der Wohnungsgesellschaft
16
Gebäudereinigung
Anhebung von Leistungsstandards; Reduzierung der Reinigungsfrequenz
Die Fremdreinigung öffentlicher Gebäude mit Vertragsfirmen ist wesentlich kostengünstiger als die Gebäudereinigung mit eigenem Personal. Die Differenz kann auch über Standardabsenkungen etc. in der Regel nicht aufgefangen werden (GPA NRW). Insofern ist das Festhalten an der Eigenreinigung als „klassischer Fall“ von SPD-Personalpolitik anzusehen.
17
Schulen
Schulschließungen wegen rückläufiger Schülerzahlen bei den Grundschulen
Schulschließungen begegnen einem hohen Vetopotenzial der Öffentlichkeit und verschlechtern Wiederwahlchancen bei einer Umsetzung. Die Maßnahme lässt sich so mit einiger Berechtigung der symbolischen Politik (gegenüber der Kommunalaufsicht) zuordnen.211
19
Theater
Erhöhung der Ein-
siehe zunächst Anmerkung zu
211
Übernahme eines privaten Bades; Schließung des städt. Hallenbades, des Freibades und eines Lehrschwimmbeckens; Entscheidung der Kommunalaufsicht über das Bäderkonzept steht noch aus Gewinnausschüttung; Forderung der Kommunalaufsicht
Kommentar des Sparkommissars (Interview 21): „Die [Wohnungsbaugesellschaft] ist pleite“, so dass mit einem Konsolidierungsbeitrag wohl nicht zu rechnen ist.
Symbolische Politik inszeniert den Schein von entschlossenem Handeln, wo dieses gerade nicht beabsichtigt oder nicht möglich ist (Meyer 1993).
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen trittsentgelte; Einsparungen bei den Honoraren; Reduzierung Zuschussbedarf
22
Jugendamt
25
Musikschule
Budgetsteuerung über Kontrakt BM/Jugendamt; jährliche Einsparquote 3 % Erhöhung Musikschulbeiträge; Reduzierung Zuschussbedarf; Verwaltung soll Konzept vorlegen
247
Maßnahme Nr. 9. Bescheidene Einsparbeiträge sollen den „guten Willen“ demonstrieren; insgesamt sollen die Einrichtungen aber nicht gefährdet werden. Dies entspricht der erklärten Intention des Bürgermeisters. Die Verschiebung der „Zuschussreduzierung“ in die Kategorie Zielprojektion lässt nur einen Schluss zu: An das Theater „will man nicht ran“.
Auch hier ist ein ernsthafter Sparwille nicht zu erkennen. Die Musikschule wird überwiegend mit eigenem Personal „gefahren“; dabei sind Honorarkräfte effizienter und effektiver einzusetzen.
26
Bibliothek
Verwaltung soll Konzept vorlegen; Standortkonzentration; Stärkung der kirchlichen und schulischen Büchereiangebote; Kooperation mit anderen Städten (einschl. Personalabbau)
Um die Bibliothek entspann sich in E eine heftige öffentliche Debatte. Der Sparberater und die „Haushaltskoalitionäre“ von SPD und CDU wollten an dieser Stelle „kräftig den Rotstift ansetzen“, der Bürgermeister betonte, er wolle die Bücherei nicht aufgeben. Auch hier ist nunmehr 2008 festzustellen, dass die Entscheidung „vertagt“ wurde.
27
Senkung der Heimunterbringungskosten
Annahme: demografische Entwicklung bei gleich bleibenden Rahmenbedingungen
Die Senkung der Haushaltsposition „Kosten der Heimunterbringung“ ist ebenfalls als fiktiver Konsolidierungsansatz anzusehen und dem Arsenal passiver Widerstandsmaßnahmen zuzurechnen
248
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister (Holtkamp 2004: 8). Für den Sparkommissar steht fest: „Da hat [der Beigeordnete für Soziales und Jugend] gewisse Dinge, ob bewusst oder einfach weggeguckt oder wegen mangelnder Qualität (…) ich bin mir noch nicht so richtig klar, wie das passieren konnte (…) da wurden etwa 2 oder 3 Mio. nicht richtig auf der Ausgabenseite taxiert.“ (Interview 21)
31
Wegfall Solidarbeitrag
32
Intensivierung der interkommunalen Zusammenarbeit Forfaitierung der Konzessionsabgabe Privatisierung der Klinik
34
36
Rat hatte mit dem HH 2007 beschlossen, in der mittelfristigen Finanzplanung ab 2014 jährlich 5,0 Mio. € für den „Solidarbeitrag Ost“ abzusetzen. Verwaltung soll Konzepte erarbeiten
Korrektur mit HSK 2008: Mögliche Realisierung in 2010 Der Einsatz von Tafelsilber gehört zu den „klassischen“ Gegenmaßnahmen bei Laufzeitproblemen des Haushaltssicherungskonzepts (Holtkamp 2004: 8). Hier kann sich die Aufsichtsbehörde nicht – wie sonst üblich – auf Orientierungsdaten stützen, so dass die Kommune alles vorgeblich „versilbern“ kann, ohne dass die ernsthafte Absicht besteht, dies auch tatsächlich zu tun.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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Nach der Darstellung und Bewertung der Haushaltssicherungskonzepte der Stadt E 2007 und 2008 soll im Folgenden untersucht werden, mit welchen Strategien es dem Sparkommissar gelang, Akzeptanz im Rat und bei der Kommunalaufsicht dafür zu gewinnen. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: Marginalisierung des Bürgermeisters sowie Ausnutzen eines personellen Neuanfangs und des Erfolgsdrucks für die Kommunalaufsicht. Die Gespräche mit den beiden großen Fraktionen wurden vom Sparkommissar zusammen mit den beiden neu eingestellten Beigeordneten (vgl. Einzelheiten unten unter Ziffer 6.3.1.4) sowie dem ihm gegenüber loyal agierenden Leiter der Organisation in der Stadtverwaltung geführt. Der Bürgermeister wurde nicht beteiligt. Dies symbolisierte quasi einen Neuanfang, der durch einen genehmigten Haushaltsplan gestützt werden sollte (nach eigener Aussage des Sparkommissars gewann er die Zustimmung der Fraktionen mit der Forderung nach politischem Gestaltungsspielraum: „Wir müssen erst mal einen Haushaltsplan haben“; Interview 21).212 „Unschärfen“ im HSK 2007 konnte er überbrücken, indem er seinerseits die Aufsicht unter Erfolgsdruck setzte: „Wir konnten auch nicht von der Verwaltung her minutiös sauber an die Adresse der Kommunalaufsicht das, was hier politisch gewollt war, in trockene Tücher bringen. Aber wir haben gesagt: ‚Wir werden 18 Ziele formulieren’. Und an diesen 18 Zielen … das ging vom Kindergarten bis in die Bücherei … diese 18 Ziele, die werden wir alle im Laufe des Haushaltsjahres 2008 angehen und je nach dem Stand unserer Aufgabenerfüllung werden wir sagen: ‚Soweit sind wir’. Wir haben ja auch gesagt: Ihr Politiker werdet möglicherweise Euer blaues Wunder erleben, weil wir Euch unter Umständen sagen müssen: ‚Das geht gar nicht’. Aber wir wollen jedenfalls diese Ziele mal angehen und auf der Grundlage unseres Verwaltungssachverstandes Euch sagen, ob es geht, ob es nicht geht oder ob es teilweise geht. (…) Also als wir den ersten Haushaltsplan genehmigt bekommen hatten [2007; d. Verf.], durften wir auch die freiwilligen Aufgaben, die in ihm festgelegt worden waren, wieder erfüllen. Wir konnten die Aufgaben erfüllen, wenn ich mit der Kommunalaufsicht gesprochen hatte, wo die Kommunalaufsicht keine Bedenken hatte … das war ja meine ehemalige Mitarbeiterin … Der Zugang zur Kommunalaufsicht war für mich relativ leicht, und zum Innenminister und zum RP konnte ich immer sagen: ‚Passt mal auf, lasst mich mal nicht im Regen stehen, ich mach die Drecksarbeit für Euch vor Ort und nun müsst ihr mir auch gewisse Erfolgserlebnisse gönnen’. Das war schwierig genug, mit den Oberinspektoren umzugehen. Aber da habe ich auch ein bisschen Druck ausgeübt und deswegen lief das auch so schnell.“ (Interview 21)
212
Hinzu kommt, dass er als ehemaliger SPD-Oberkreisdirektor das Vertrauen „seiner“ Fraktion hatte und mit der Auswahl des neuen CDU-Kämmerers, das headhunting besorgte er innerhalb seines politischen Netzwerkes persönlich, auch das der CDU.
250
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
Bei der Privatisierung der Klinik verhandelte der Sparkommissar ohne Stadtrat und Bürgermeister und unter Ausnutzung seines „Netzwerkes“: „Das erste, was ich gemacht habe war: das Krankenhaus muss weg. [Der Bürgermeister] sagt heute, das sei meine große Tat gewesen. Ich bin nach Düsseldorf gefahren und habe gesagt: ‚Hier, schreib mir mal einen Brief, Innenminister, dass die kein Krankenhaus haben dürfen.213 Und dann waren wir das Krankenhaus ganz schnell los.“ (Interview 21)
Das Privatisierungsergebnis kommunizierte er über die Presse. Damit schaltete er Vetospieler im Verhandlungsprozess aus und setzte sie vor vollendete Tatsachen. War die SPD anfangs gegen einen Verkauf, weil sie den Verlust von Arbeitsplätzen bzw. Verschlechterungen für die Angestellten befürchtete, wurde sie mit dem neuen Betreiber (Knappschaft) rasch versöhnt. Schließlich genehmigte die Kommunalaufsicht den Haushalt 2007 samt Haushaltssicherungskonzept, „etwas voreilig verkündet durch Sparberater [P.]“ (waz am 21.11.2007). Der Landrat führte vor allem die verbesserte Einnahmesituation, und damit exogene Effekte (Gewerbesteuer), für sein positives Votum an. Die Einnahmen wurden auf 170 Mio. € festgesetzt, die Ausgaben auf 174 Mio. €. Die Altschulden betrugen 86 Mio. €, die Höhe der Kassenkredite lag bei 130 Mio. €. Die Genehmigung wurde unter folgenden Auflagen ausgesprochen:
Schrittweise Reduzierung freiwilliger Leistungen Kompensation von Mehrausgaben Einbeziehung ausgegliederter Bereiche (explizit: Klinik) in die Konsolidierung Null-Nettoneuverschuldung Ab 2008 werden intensive Ausgabenbeschränkungen erwartet.
Der Haushalt 2008 nebst Haushaltssicherungskonzept wurde ebenfalls genehmigt. Dabei profitierte die Stadt auch von Einmaleffekten: Einnahmesteigerungen bei Schlüsselzuweisungen und beim Anteil an der Einkommensteuer, Erstattung des Solidaritätsbeitrages, Auflösung eines Derivatgeschäftes (!), Senkung der Sach- und Personalausgaben (Haushaltsrede Bürgermeister 2008). Der (neue) Kämmerer, seit Herbst 2007 im Amt, bewertete die Situation wie folgt: „Ich will jetzt nicht sagen, [dass wir gespart hätten], weil vieles auf Einnahmeerhöhungen zurückzuführen ist, aber auch Einnahmeerhöhungen können management213
Nach den einschlägigen Rechtsvorschriften dürfen kreisangehörige Kommunen nur ein Krankenhaus betreiben, wenn sie es sich auch „leisten“ können.
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
251
bedingt sein. (…) 3 Millionen sind aber durchaus managementbedingt und dieses ist im Grunde ein sehr schönes Gemeinschaftsprojekt. Denn verantwortlich für diese 3 Millionen ist [die] Verwaltung in enger Zusammenarbeit auch mit dem Sparberater, aber eben auch politische Vorschläge sind hier in diesen 3 Millionen drin.“
Dabei wurde wie 2007 auf die Karte „Zielprojekte“ gesetzt: „Das, was Sie [Kämmerer, d. Verf.] hier (…) vorgetragen haben, haben wir hier jahrelang diskutiert: wie das Verhältnis zwischen Verwaltung und Politik sein muss; nämlich dass die Politik Rahmenbedingungen formuliert und die Verwaltung überlegt, wie man diese Rahmenbedingungen erfüllen kann. Leider war es nicht immer so, deswegen haben wir ja auch 2 Sparberater in dieser Stadt gehabt.214 [Der Kämmerer] nannte es eine Zielprojektion, in der Aufträge formuliert sind, um die finanzielle Situation weiter zu verbessern. Grundsätzlich teilen der Sparberater und die Beigeordneten unsere Auffassung, dass wir als Politiker Rahmendaten und Budgets zu verabschieden haben, zu deren Erfüllung und Umsetzung die Verwaltung konkrete Vorschläge zu erarbeiten hat. Diese Arbeitsteilung wurde bisher abgelehnt.“ (Haushaltsrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden 2008)
Diese Vorgehensweise wird vom Kämmerer ausdrücklich bekräftigt, und er nahm damit eine deutlich vom Bürgermeister verschiedene Position ein: „Wenn heute der Haushalt verabschiedet wird, wünschen wir, dass die Zielprojektion mit verabschiedet wird. Die Zielprojektion bedeutet, dass die Verwaltung verpflichtet wird Konzepte zu erstellen, wie die Einsparvorschläge von CDU und SPD, darum handelt es sich bei dieser Zielprojektion, umgesetzt werden können. Sie sind deswegen nicht im Haushalt, weil wir den Auflagen des Haushaltssicherungskonzeptes Rechnung tragen müssen, gegenüber der Aufsichtsbehörde, dass man haushaltsstellenscharf sparen muss und das mit Maßnahmen unterfüttern muss. Vorschläge der CDU und SPD sind nach dieser Definition pauschal, ich sage aber ausdrücklich dazu, dass ist auch richtig so. Es ist nicht Aufgabe von Politik, im Detail nachzuschauen, wie man sparen kann, das ist Aufgabe der Verwaltung, um nichts anderes geht es bei der Zielprojektion. D. h. nicht heute soll beschlossen werden, dass in der Bibliothek Geld gespart wird, in der Volkshochschule, in der Musikschule, sondern heute soll beschlossen werden, dass die Verwaltung Konzepte dazu entwickelt.“
Es wurde aber schon deutlich gemacht, dass bei der gegebenen Akteurskonstellation Zweifel an der Effektivität dieser „Zielprojekte“ bestehen.
214
Neben dem Sparkommissar 2007/2008 ließ sich die Verwaltung bei der Aufstellung ihres Haushaltsentwurfs 2007 von einem ehemaligen Kämmereimitarbeiter des Kreises Recklinghausen beraten.
252
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
6.3.1.4
Der beratende Sparkommissar 2007 und 2008
Auslöser für den Einsatz des beratenden Sparkommissars waren, wie bereits erwähnt, massive Konflikte zwischen Bürgermeister und Rat. „Machtkämpfe, persönliche Eitelkeiten und Animositäten beherrsch[t]en den politischen Alltag im Rathaus“ (Lokalzeitung vom 14.06.2007). Der ehemalige CDUBürgermeister trat nach internen Konflikten mit der CDU zum einen aus der Partei aus und zum anderen als erfolgreicher Einzelbewerber aus dem Amt 2004 gegen einen CDU-Kandiaten an. Seitdem hatte er aber keine Mehrheit mehr im Rat und es kam zu ständigen Konflikten und Blockadesituationen. Die Bestellung des beratenden Sparkommissars geschah auf ausdrücklichen Wunsch des Bürgermeisters und des Rates hin. Die Bezirksregierung Münster stellte die Situation in einer Presseerklärung vom 12.06.2007 ziemlich unverblümt dar: „Allein schafft [der Bürgermeister] es nicht. Zu groß ist die Kluft zwischen Politik und Verwaltung. Deshalb bekommt E als zweite Stadt im Ruhrgebiet215 jetzt einen externen Berater.“ Der Auftrag des Sparkommissars (öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen der Stadt, dem Landrat und der Bezirksregierung, der durch einen entsprechenden Ratsbeschluss getragen war) beinhaltete folgende Ziele:
Wiederherstellung einer nachhaltigen, konstruktiven Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung (BM) und dem Rat der Stadt zum Wohle der Stadt [E]. Wiederherstellung von funktionstüchtigen personellen und organisatorischen Strukturen.
Der Vertrag, ursprünglich bis zur Kommunalwahl 2009 geschlossen, wurde jedoch vorher seitens des Sparberaters gekündigt (zu den Gründen siehe die folgende Analyse). Mit dem Auftrag wurde der ehemalige Oberkreisdirektor des Kreises Recklinghausen (1980 – 1991) betraut; ein „konservativer SPD-Mann“ (Lokalzeitung 14.06.2007). Die Bezirksregierung knüpfte folgende Aufgaben und Befugnisse an den Einsatz des Sparkommissars (Presseerklärung Bezirksregierung Münster vom 12.06.2007): 215
Moderation zwischen Stadtverwaltung und Rat und Verbesserung der Zusammenarbeit Herstellung einer funktionstüchtigen Verwaltung Vorlage eines genehmigungsfähigen HSK
Zuvor war in Waltrop, ebenfalls im Kreis Recklinghausen gelegen, ein beratender Sparkommissar installiert worden (vgl. zu diesem Fall im Einzelnen die Dokumentation www.sparkommissarwaltrop.de und Holtkamp 2006b).
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Ausstattung mit „Entscheidungsbefugnissen“ Teilnahme- und Rederecht im Verwaltungsvorstand und im Rat „Interventionsrecht“ Einsatzbegleitung durch einen Lenkungsausschuss unter Vorsitz der Bezirksregierung.
Der Sparkommissar bewertete die Zieldefinitionen des Auftrages wie folgt: „Man muss das so interpretieren: die Wiederherstellung einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Rat und Verwaltung (Ziel 1) und die Wiederherstellung personeller und organisatorischer Strukturen (Ziel 2) sind die Grundvoraussetzung, um die Finanzen wieder in Ordnung zu bringen.“ (Interview 21)
Die Fraktionen kommentierten den Einsatz des Sparkommissars so: „Das ist eine großartige Entscheidung für die Stadt. (…) Ich freue mich, dass jemand ins Rathaus einzieht, mit dem die Fraktionen und der Rat vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Dies ist die Keimzelle für eine positive Entwicklung [der Stadt E]“ (so der CDU-Chef in der WAZ vom 04.06.2007).
Für die SPD (in der taz NRW am 08.06.2007) war der Sparkommissar „der einzige Ausweg“, wobei sie allerdings auch befürchtete, dass „vor allem auf Kosten der Bedürftigen gespart wird“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende: „Es gab bei uns immer schon politische Raufhändel, aber im vergangenen Jahr sind sie eskaliert.“
Insgesamt habe die Kritik der Kommunalaufsicht am Haushalt 2006 die SPD veranlasst, „den Landrat zu bitten, uns jemanden zur Seite zu stellen, einen Moderator, der uns in die Lage versetzt, den Haushalt zukunftsfähig und genehmigungsfähig zu machen“ (so der SPD-Fraktionsvorsitzende in seiner Haushaltsrede 2007). Es war also an einen „Moderator“ gedacht; sehr schnell zeigte sich aber, dass man sich einen „Entscheider“ eingehandelt hatte, der eigene Vorstellungen, z.B. in Personalfragen, durchsetzte. Sehr viel zurückhaltender fiel die Einschätzung des Hauptgeschäftsführers des Städte- und Gemeindebundes NRW aus, der auf exogene Einflussfaktoren als Hauptursache für die maroden Gemeindefinanzen verwies: „Ein Sparberater kann die strukturellen Probleme der Städte nicht lösen“. Die vom Bund und vom Land verordneten Pflichtaufgaben wie zum Beispiel die Kinderbetreuung seien „für viele Kommunen ohne zusätzliche finanzielle Mittel nicht zu schultern“ (WDR-Fernsehen vom 19.06.2007).
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6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
Der Bürgermeister hatte nach eigenem Bekunden (Interview 19) ebenfalls die Initiative zur Beauftragung des Sparkommissars ergriffen, legte aber Wert auf die Feststellung, dass es sich nicht um einen „richtigen“ Sparkommissar gehandelt habe, die Organstellung von Bürgermeister und Rat mithin nicht angetastet würden. Für ihn war die Mission mit Vorlage eines genehmigungsfähigen Haushaltssicherungskonzeptes als erfüllt anzusehen. Diese Einschätzung mochte der Sparkommissar nicht teilen. Er sah die Ziele des Beratungsauftrages nur unzureichend erfüllt: „Das wichtigste Ziel, die Wiederherstellung einer nachhaltigen und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen der Bürgermeister und dem Rat, ist nicht erreicht worden. Das liegt in der Person [des Verwaltungschefs]“. (Interview 21)
Ausdruck dessen war nach Auskunft des Sparkommissars unter anderem die Weigerung des Bürgermeisters, sich an Haushaltsgesprächen mit den Fraktionen zu beteiligen („Nein, ich werde ja nicht eingeladen“). Alle Vermittlungsbemühungen des Sparkommissars zwischen dem Bürgermeister und den Faktionen, auch auf persönlicher Ebene, hätten „nichts genutzt“: „Da war eine Entgleisung passiert (…). Und dann habe ich die Fraktionschefs alle an einen Tisch geholt. Ich hatte ja auch Entscheidungsbefugnis, ich war ja nicht nur Berater. Und habe gesagt: ‚So, Freunde, jetzt ist aber Schluss. Das lasse ich mit mir hier nicht machen. Man schmeißt kein Haushaltsplanpaket einfach auf den Boden, weil man sich nicht im Griff hat.’ Und da war [der Bürgermeister] dabei. Und dann haben wir eine Sprachregelung gefunden. Dass so was nie wieder passiert. Und dass wir uns gegenseitig, auch wenn wir uns nicht lieben, unterstützen. Und zusammenarbeiten. Und wir gehen friedlich auseinander und weil ich einen Weinbaubetrieb habe und manchmal ganz gerne einen Schluck Wein trinke, hatte ich ein paar Flaschen Wein mitgebracht und dann haben wir ein paar Schluck Wein getrunken. Das war am 17. Dezember 2007. Und wir hatten allerbeste Voraussetzungen, dass es jetzt klappen würde. (…) Hat aber nichts genutzt.“ (Interview 21)
Die Erreichung des zweiten Zieles (Wiederherstellung von funktionstüchtigen personellen und organisatorischen Strukturen) war indes aus Sicht des beratenden Sparkommissars von Erfolg gekrönt: „Ich habe einen Kämmerer besorgt (…). Die Ausschreibung brachte gar nichts. 26 Bewerbungen waren da; nicht eine einzige war brauchbar. Nicht nur nach meiner Meinung, sondern auch nach allgemeiner Meinung der Aufsichtsbehörden. Und dann bin ich einfach losgelaufen auf der Grundlage meiner vielen Beziehungen. Zwei Minister habe ich angesprochen (…), das sind gute Bekannte von mir. Ich habe den kommunalen Arbeitsgeberverband in Wuppertal angesprochen. Ich habe die Bertelsmannstiftung angesprochen (…). Ich habe die kommunalen Spitzenverbände
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alle angesprochen. Ich kenne die alle noch aus meiner Zeit als OKD und wurde [beim neuen Kämmerer] fündig und musste ihn geradezu überreden, dieses Amt nun auch anzutreten.“ (Interview 21)
Hinsichtlich der Personalauswahl durch den Sparkommissar gab es allerdings sofort Konflikte mit der SPD-Fraktion, die eine „Demontage“ der bisherigen Ersten Beigeordneten, die der SPD angehört, befürchtete. Ferner stieß die Zusage einer Besoldung nach Besoldungsgruppe B 4, die der Sparkommissar abgab, auf Kritik in der Politik. Die SPD wollte sich vom Sparkommissar „Personalfragen nicht vorschreiben lassen“, die Grünen sprachen von „Amtsanmaßung“, „Eingriffe[n] in die Rechte des Stadtrates“ und gar „Untreue“ (hinsichtlich der höheren Besoldungszusage; Lokalzeitung vom 26.10.2007: „Die Grünen rufen nach dem Staatsanwalt“). Aber auch die Kommunalaufsicht hatte Zweifel an der Qualifikation des ausgewählten Kandidaten hinsichtlich des § 71 Abs. 3 Satz 2 GO (Befähigung zum Richteramt oder zum Höheren Verwaltungsdienst in Großen kreisangehörigen Kommunen). Die Zweifel wurden jedoch „zurückgestellt“; die Lokalzeitung am 21.10.2007: „[Der Sparkommissar] kehrte von einem Termin im NRW-Innenministerium zurück mit der Zusage, die Wahl [des Kämmerers; d. Verf.] könne dennoch stattfinden, wenn ein anderer, später zu wählender Beigeordneter die nötige Befähigung aufweisen könne“. Seine „Überzeugungsarbeit in der SPD-Fraktion“ schilderte der Sparkommissar im Interview so: „Ich habe ihn [den Kämmerer] in der SPD-Fraktion vorgestellt und habe gesagt: ‚Ihr findet keinen besseren, nehmt den.’ Er ist auch überhaupt nicht der geborene CDUMann. Er ist ein wirklicher Verwaltungsmann, der rechnen kann, der sein Kämmereigeschäft gut macht. Und ich habe ihn deswegen in der SPD-Fraktion durchgeboxt. Die SPD-Fraktion hat ihn einstimmig mitgewählt. Einstimmig. Ich habe das Argument gebracht: ‚Wenn ihr das nicht tut, dann habt ihr möglicherweise Schwierigkeiten mit dem Technischen Beigeordneten.’ Der lief auf deren Ticket. Das haben sie sicherlich im Hintergrund auch begriffen. Das heißt, beide Beigeordneten sind von den großen Fraktionen und von der FDP voll mitgetragen worden.“ (Interview 21)
Der Kämmerer wurde allerdings gegen den Widerstand des Bürgermeisters bestellt. Der Sparkommissar führte hierzu wie folgt aus: „Er wurde (…) nicht akzeptiert. Als dann die Aufsichtsbehörde mit dürren Worten sagte: ‚Eine der wichtigsten Aufgaben zuerst ist die Einstellung eines Kämmerers.’ (…) Das war [dem Bürgermeister] ins Buch geschrieben. (…) Dem konnte [er] auch nicht mehr widersprechen. Obwohl [er] ihn nicht wollte.“ (Interview 21)
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6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
Die Vorstellungen des Bürgermeisters zielten stattdessen darauf ab, keine weitere Vetoposition gegen sich aufkommen zu lassen: „Da hatte [er] sich einen jungen Oberinspektor besorgt aus der Verwaltung und in der Gemeindeordnung steht, dass ein Bürgermeister das darf. Aber das bringt gar nichts. Denn der kann ja nicht seine Funktion als Kämmerer, die ja auch eine herausgehobene Funktion gegenüber dem Bürgermeister ist, die kann er nicht erfüllen. Denn der will ja noch Karriere machen. Der muss also mehr oder weniger das tun, was von ihm verlangt wird. Und das schlimme bei dem Herrn (…) … tüchtiger Mann … aber weil er immer die Meinung des Chefs vertreten muss, kriegte er, obwohl der CDU angehörig, Ärger mit der CDU. So ein Mann kann einem eigentlich nur Leid tun. Auch ein Vorgang, den ich natürlich sehr schnell abgebaut habe.“ (Interview 21)
Der Bürgermeister führte auch das Kostenargument (Wegfall einer Beigeordnetenstelle) an, das „bei Einigen natürlich gut ankam, vor allem bei den kleineren Gruppierungen im Rat“ (Interview 20 mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden). Den Technischen Beigeordneten „wollte er auch nicht“ (Sparkommissar im Interview 21). „Da hat er ein Gutachten anfertigen lassen.“ Der CDUFraktionsvorsitzende fasste die Situation wie folgt zusammen: „Aber Fakt war: Der Baudezernent war weg, der Beigeordnete für Ordnung, Kämmerei war weg; Feuerwehr, Klinik, die ganzen Gebiete, die vorher bei zwei Beigeordneten waren, alles zum Bürgermeister. Und ganz wenig bei der Ersten Beigeordneten; das waren dann nur zwei. Die eine macht Soziales, Schule, Sport und [der Bürgermeister] den Rest. Welcher Mensch besitzt die Fähigkeit, von Kultur angefangen über das ganze Bauamt, über Ordnungsbereich, Kämmerei … wer kann das alles? (…) Wir sagen heute: ‚Es ist chaotisch gelaufen in der Verwaltung.’ Also wir haben immer gesagt: ‚Wir brauchen die Beigeordneten.’ Wir haben das auch beschlossen, das wurde aber nicht umgesetzt. Und als der [Sparkommissar] dann kam, wurde das mit Druck der Aufsichten in Recklinghausen und Münster … wurde [der Bürgermeister] angewiesen, den Ersten Beigeordneten auszuschreiben. Das war dann der Kämmerer. Der hatte allerdings nicht die Befähigung zum Richteramt. So was kommt dann einen Tag vor der Wahl alles raus. Also bis zum Schluss hat er boykottiert. Der Kämmerer kam dann. Dann wurde gesagt: ‚Das Bauwesen liegt auch brach, da brauchen wir auch einen.’ Also diese beiden Dinge hat der [Sparkommissar] mit der Aufsicht und den Fraktionen gegen den Willen des Bürgermeisters durchgesetzt. (…) Auch unsere Strategie war: ‚Wir brauchen einen ordentlichen Verwaltungsvorstand, die Dezernate müssen ordentlich verteilt sein. Auch zur Entlastung des Bürgermeisters. (…) Unsere Meinung ist: Sowenig wie möglich beim Bürgermeister, ein paar Kernaufgaben, ausgerichtet an der KGSt. Und seine Meinung ist: Bei mir läuft alles optimal; bei Kultur bin ich der einzige, der das richtig macht und in den anderen Dingen sowieso. Darum geht der Streit. Seit einem Jahr
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sind wir am Dezernatsverteilungsplan dran. [Der Bürgermeister] hat ein etwas anderes Verständnis von der neuen GO wie wir“.216 (Interview 20)
Im Juni 2008, mithin ein Jahr vor dem geplanten Ablauf, kam es zur vorzeitigen Auflösung des Beratervertrages durch den Sparberater. Ursächlich hierfür war die „Beratungsresistenz des [Bürgermeisters]“ (Lokalzeitung vom 28.05.2008), seine „Unfähigkeit zu politischer Kompromiss- und Konsensfähigkeit“ (Lokalzeitung vom 28.05.2008) und die mangelnde Bereitschaft, dem Vorschlag zur Neuordnung der Verwaltungsspitze zu folgen. Im Zeitungsinterview äußerte der Sparkommissar: „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, doch Menschen erziehen kann ich nicht“ (Lokalzeitung vom 28.05.2008). Die Bezirksregierung Münster (Presseerklärung zur vorzeitigen Vertragsauflösung vom 11.08.2008) stellt in ihrer Bewertung des Sparberatereinsatzes die Genehmigung des HSK 2007, die Genehmigungsfähigkeit des HSK 2008 und die Bestellung von zwei Beigeordneten heraus. Damit sei „die Arbeitsfähigkeit des Vorstands verbessert“ und der „Abstimmungsprozess mit der Politik erleichtert“ worden. Der Sparkommissar versucht hierauf auch nach seinem Ausscheiden noch Einfluss auszuüben: „Ich berate die beiden [von ihm geholten Beigeordneten; d. Verf.] weiterhin. Ich habe sie beide geholt, aber auch Herrn (…), den Chef für Organisation und Personal. Mit diesen dreien arbeite ich weiterhin sehr eng zusammen. Die kommen zu mir und fragen mich: ‚Wie sollen wir das und das machen?’“ (Interview 21)
6.3.1.5 Effektivität des beratenden Sparkommissars Die Effektivität des beratenden Sparkommissars217 Fraktionsvorsitzenden wie folgt eingeschätzt: 216
wird
vom
CDU-
Dieser „Organkonflikt“, bei dem es um die Auslegung des § 73 GO (Festlegung des Geschäftskreises der Beigeordneten) in Abgrenzung zu § 62 GO (Vorbehalt bestimmter Aufgaben zugunsten des Bürgermeisters) geht, schwelt schon seit einiger Zeit zwischen dem Bürgermeister und der CDUSpitze. Mit der Ausdehnung der Legitimationsbasis des direkt vom Volk gewählten Bürgermeisters und seiner dadurch gestärkten kommunalpolitischen Stellung sind Rat und Bürgermeister zur verstärkten Zusammenarbeit gezwungen. Nach alter Fassung der Gemeindeordnung konnte der Rat den Geschäftskreis der Beigeordneten festlegen (§ 73 GO a.F.). Nach § 73 Abs. 1 GO n.F. kann der Rat die Geschäftskreise der Beigeordneten im Benehmen mit dem Bürgermeister festlegen. Scheitert das Einvernehmen, so trifft der Rat die Entscheidung mit absoluter Mehrheit. Verfehlt der Rat die absolute Mehrheit, so fällt das Entscheidungsrecht an den Bürgermeister zurück. 217 Zur (mangelnden) Effektivität des beratenden Sparkommissars u.a. in der Stadt E aus der Governance-Perspektive siehe jüngst Holtkamp 2009.
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6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister „Er [der beratende Sparkommissar; d. Verf.] hat, wenn ich zurückschaue, eine ganze Menge bewirkt. Ich kann das sagen, weil wir mit ihm eine ganze Reihe von Gesprächen geführt haben, eine ganze Reihe von Themen mit ihm eingebracht haben, aber immer als SPD und CDU. Im ersten Haushalt hat es nicht geklappt, da gab es praktisch den reinen Verwaltungsvorschlag. Aber im zweiten Haushalt 2008 sind da ganz viele Aspekte drin, die wir als SPD und CDU eingebracht haben und die dann auch mit hereingenommen wurden in den Haushalt. Also wir waren da auf einer guten Schiene und er war ein guter Kontaktmann zur Aufsicht (…). Man muss sagen: dieses Verhältnis hat [der Bürgermeister] auch absolut kaputt gekriegt. Die haben ja mit Argusaugen auf alles geguckt, was von uns kam.“ (Interview 20)
Und in seiner Haushaltsrede 2008 zeichnete er die folgende Perspektive: „Seit einigen Wochen ist der Verwaltungsvorstand komplett, wir haben einen kompetenten Kämmerer, beides ist durch den Einsatz des Beraters (…) erst möglich gewesen. Durch die Wahl [der Beigeordneten] ist die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsvorstandes wieder herbeigeführt worden und als Folge liegen uns jetzt endlich diese Haushaltsergebnisse vor.“
Ist die Stadt damit also „aus dem Schneider“? Erhebliche Zweifel sind angebracht. Es ist richtig, dass durch aktives Agieren des Sparkommissars die HSKKompromisse 2007 und 2008 zustande gekommen waren. Den „Kraftakt“ zur Privatisierung der Klinik vollführte er nahezu im Alleingang. Jedoch waren alle Seiten, insbesondere die Aufsichten und der Sparberater, auch zum Erfolg verpflichtet. Ein Scheitern hätte ein verheerendes Signal in die kommunale Welt ausgesandt. Deshalb stellte die Aufsicht Bedenken hinsichtlich des Realitätsbezuges einzelner HSK-Ansätze 2007 zurück (nur die völlig überzogenen Einnahmeerwartungen bei der Gewerbesteuer ließ man nicht durchgehen), deshalb akzeptierte man einen Kämmererkandidaten, dem die persönlichen Voraussetzungen für diesen Posten fehlten. Damit waren die Ziele: Genehmigungsfähigkeit eines Haushaltssicherungskonzeptes (zumindest für 2007 und 2008) und Neuorganisation der Verwaltungsspitze zunächst einmal erreicht, auch wenn dies teilweise als Ergebnis symbolischer Politik zu deuten ist, indem Kontrollierbarkeit der Haushaltsentwicklung suggerieren soll. Allen Beteiligten – zuvörderst dem Sparkommissar selber – ist jedoch bewusst, dass eine nachhaltige Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Rat und Bürgermeister, und damit die Erreichung des Primärzieles zur dauerhaften Haushaltskonsolidierung nicht erreicht wurde. Es ist anzunehmen, dass bei Fortbestand der Akteurskonstellation, z.B.
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über den Wahltag 2009 hinaus218, die Erfolge, die mit den Haushaltssicherungskonzepten 2007 und insbesondere 2008 erzielt wurden, bei gegebener Akteursstruktur nicht von Dauer sein werden. Trotz des „Lippenbekenntnisses“ zum Sparberater seitens der Fraktionen, zeigte der Konflikt um die Stellenbesetzung des Kämmerers, dass man sich das „so“ sicherlich nicht vorgestellt hatte. Die Autorität, die der Sparkommissar in der kurzen Zeit seines Wirkens in E kraft „Amtes“, kraft seiner durchsetzungsfähigen Person und kraft der Rückendeckung der Kommunalaufsicht („Rute im Fenster“) ausüben konnte, hat mit der Aufkündigung des Beratervertrages wieder Auszug aus dem Rathaus gehalten. Es ist weiter von gegenseitigen Blockadesituationen und Machtkämpfen auszugehen, die den Haushaltskonsolidierungsprozess beeinträchtigen, wie es auch die folgenden Statements aus den Interviews nahe legen: Gefragt, wie er die Bedeutung der Akteure Bürgermeister und Fraktionen in der Haushaltspolitik einschätze, antwortete der Bürgermeister mit Bezug auf die Mehrheitsfraktionen SPD und CDU: „Als ich in die Politik eingestiegen bin, ging es darum, trotz der Haushaltskrise Wohltaten zu verkünden. Damals hatte man die Haushalte noch genehmigt bekommen. Jetzt versucht man, die Genehmigung der Haushalte 2007 und 2008 für sich zu reklamieren. Ernsthaft beschäftigen die sich damit nicht, sondern versuchen nur, aus der einen oder anderen Richtung Kapital zu schlagen.“ (Interview 19)
Und der CDU-Fraktionsvorsitzende stellte zur selben Frage mit Blick auf den Bürgermeister fest: „[Der Bürgermeister] wird sagen, dass die Haushaltspolitik eine hohe Bedeutung für ihn hat. Aber wenn sie eine hohe Bedeutung hat, dann muss man das umsetzen, a) was man selber sagt und b) muss man auch einmal sagen: ‚Es gibt auch gute Ideen aus der Politik’ und die muss man auch umsetzen. Und wenn man das alles nicht macht, hat das zwar verbal einen hohen Stellenwert, aber nicht in Wirklichkeit. (…) Also die letzten zwei Haushaltsberatungen sind von den Fraktionen getragen worden. (…) Da kam keine Verwaltungsidee. Wir können jetzt die letzten zwei Haushalte nehmen und fragen: ‚Wo ist da die bahnbrechende Verwaltungsidee?’ Da ist nichts.“ (Interview 20)
Der Einsatz des beratenden Sparkommissars kann damit als gescheitert angesehen werden. Im Gegensatz zu Erfolgsmeldungen in der verwaltungswissenschaftlichen Literatur in Bezug auf die Effektivität von kommunalen Sparkom218
Der Bürgermeister kandidiert 2009 erneut als parteiloser Bewerber aus dem Amt. Ihm werden von den kommunalen Experten in E auch gute Chancen für eine Wiederwahl eingeräumt, weil er in der Bevölkerung „gut ankommt“.
260
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
missaren (Duve 2008) ist es immer angezeigt, die tatsächlichen mikropolitischen Prozesse einer genauen Untersuchung zu unterziehen.
6.3.1.6 Parteiendifferenz Oben wurde bereits festgestellt, dass bei den Personalausgaben und bei Privatisierungsentscheidungen von SPD-bezogenen Effekten ausgegangen werden kann. Bezogen auf die Haushaltspolitik in E ist zunächst festzustellen, dass die CDU einen radikalen Personalabbau fordert. Betriebsbedingte Kündigungen wurden dabei nach Lesart des Bürgermeisters nicht ausgeschlossen, jedoch vom CDU-Fraktionsvorsitzenden dementiert: „Quatsch, das haben wir nie gefordert. An der Stelle ist unsere Aussage gewesen: Betriebsbedingte Kündigungen müssen am Ende einer Kette stehen. Also es muss erst mal ein ganzer Maßnahmenkatalog beschlossen werden. Und wenn das alles nicht geht, dann beschließen wir Betriebsbedingte Kündigungen oder wir schließen alles, um die zu vermeiden. [Der Bürgermeister] hat am Anfang dieser Kette, bevor überhaupt die Strukturen verändert wurden oder drüber geredet wurde … da war ja damals das Kienbaumgutachteten und so … bevor was verändert wurde, wurde unterschrieben: Keine Betriebsbedingten Kündigungen. Da war alles so starr. Und wir haben immer gesagt: Wir wollen keine Betriebsbedingten Kündigungen. Aber das ist diese Verdreherei. Man sagt: Die wollen Betriebsbedingte Kündigungen; dann reden wir uns Fransen an den Mund, dass wir das nicht wollen; aber dann ist das ja in der Welt.“ (Interview 20)
Zur Unterlaufung dieser Position hatte der Bürgermeister mit dem Personalrat eine Vereinbarung geschlossen, die Betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Der Personalrat stimmte im Gegenzug zu, dass perspektivisch über Fluktuation Stellenabbau betrieben wird (Zusammenlegung von Ämtern, Wiederbesetzung einzelner Stellen nur in Ausnahmefällen etc.). Nach Auskunft des Bürgermeisters im Interview bekam er im Rat eine Mehrheit für dieses Konzept gegen die Stimmen der CDU. Eine weitere Vereinbarung mit dem Personalrat bezieht sich auf die Gebäudereinigung. Danach soll maximal 50 Prozent der Reinigungsfläche fremdvergeben werden, 50 Prozent aber mit eigenem Personal gereinigt werden. Der Bürgermeister nimmt in diesem Zusammenhang auch auf die erweiterten Entscheidungsrechte über das Verwaltungspersonal (§ 73 GO n.F.) Bezug und „schirmt“ diese ausdrücklich gegen die Politik ab. Der beratende Sparkommissar führte die Höhe der Personalausgaben, die im interkommunalen Vergleich deutlich übersetzt sind, auf „SPD-Politik in den vergangenen Jahrzehnten“ zurück. Neben dem Fehlen eines Personalentwick-
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lungskonzeptes („Das will die Verwaltungsspitze überhaupt nicht“) führte er folgenden Aspekt personeller Parteipolitisierung an: „Die [Politiker] wollen alle fünf Jahre wieder gewählt werde und da spielt auch eine diesbezügliche Personalpolitik eine große Rolle.“ (Interview 21)
Auch an dieser Stelle blockieren sich Bürgermeister und Politik: Während die SPD-Mehrheitsfraktion die Einspardiskussion von der Vorlage eines Personalentwicklungskonzepts abhängig macht (so der beratende Sparkommissar im Interview 21), verweigert sich der Bürgermeister, wie schon erwähnt, ein solches vorzulegen, weil er sich in seinem Organisations- und Entscheidungsrecht ausgehöhlt sieht219. Wie in anderen SPD-regierten Ruhrgebietsstädten220 wurde auch in E der Strukturwandel, der durch das Zechensterben verursacht wurde, durch eine progressive Einstellungspolitik bei der Stadtverwaltung „abgefedert“: „Die Übernahme von gewerblich-technischen Mitarbeitern, die auf der Straße standen, das ist auch in [E] gemacht worden. Heute sind es Berufsfeuerwehrmänner. (…) Die Leute, die vom Bergbau kamen, die brachten ja auch Mittel für die Ausbildung mit; das ist nicht unbedingt das Schlechteste für die Stadt. (…) Es gibt bei der Stadtverwaltung eine Menge Mitarbeiter mit Bergbauhintergrund.“ (Interview 20 CDU-Fraktionsvorsitzender)
Hinsichtlich der Frage der Privatisierung kommunaler Aufgaben wurde bereits der Verkauf der städtischen Klinik im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes 2007/2008 angesprochen. Der Politik - insbesondere der SPD – blieb angesichts des Drucks durch die Kommunalaufsicht und den Sparberater keine andere Wahl, als dem Konzept zuzustimmen (Gründung einer GmbH mit der Knappschaft, 20-Prozent-Anteil bei der Stadt). Aus Sicht der SPD konnte die Hereinnahme eines privaten Dritten vermieden werden (dies wurde vom Bürgermeister ursprünglich favorisiert); es bestand die Sorge, dass „Filetstücke herausgeschnit219
Aus Bürgermeisterperspektive verständlich, wäre doch ein vom Rat beschlossenes Personalentwicklungskonzept eine der letzten, der Politik verbliebenen Möglichkeiten, bei Personalentscheidungen „den Fuß in die Tür zu kriegen“. 220 Der Sparkommissar schilderte aus seiner Erfahrung die Praxis in einer weiteren Ruhrgebietsstadt: „Also als das Zechensterben begann … ich bin ja 7 Jahre lang Hertener Beigeordneter gewesen und Herten war bekanntlich die größte Zechenstadt Europas mit drei großen fördernden Zechen … da haben wir das auch in der Stadt gemacht. Der Rat der Stadt Herten bestand zu 70 Prozent aus Leuten, die irgendwie mit dem Bergbau zusammenhingen. (…) Die haben mir immer sofort grünes Licht gaben, wenn ich solche Leute, die Sie gerade angesprochen haben [gewerblich-technische Arbeitnehmer, Reinigungspersonal; d.V.], eingestellt habe.“
262
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
ten“ würden und die Klinik ihren Status als Allgemeines Krankenhaus verlieren würde. Aus Sicht der SPD wurden so 600 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert.
6.3.1.7
Zentralisierung der Haushaltspolitik
Unter dem Aspekt der Zentralisierung der Haushaltspolitik kommt es sowohl auf Führungswollen (Präferenz, Konsolidierungswille) als auch auf das Führungskönnen (Fachwissen, Normorientierung) des Bürgermeisters an. In Kapitel 2.3.3 wurde dargelegt, dass Führungswollen und Führungskönnen positionsabhängig sind. Hinzu kommen die persönlichen Fähigkeiten des Bürgermeisters zur Durchsetzung politischer Ziele (hier: Haushaltskonsolidierung). Dies wurde unter dem Begriff „Überzeugung“ subsumiert. Aus den vorausgegangenen Ausführungen ist schon erkennbar geworden, dass es dem Bürgermeister offensichtlich nicht gelingt, Impulse für nachhaltige Konsolidierungserfolge zu geben. Als Ursachen hierfür kommen in Betracht: mangelnde Verwaltungsführungserfahrung auf der einen Seite und „fehlende Hausmacht“ bei gegebener Parteipolitisierung auf der anderen Seite. Nachdem der Bürgermeister die „Krönungsmentalität“ der CDU (Gehne 2007: 312) bzw. die in ihn gesetzten Erwartungen (Kooperation) nicht honorierte, kam es bereits nach 3 Jahren zum Bruch (detailliert hierzu auch Gehne 2007: 290). Der im Rahmen dieser Dissertation interviewte Sparkommissar zeigte im Interview Verständnis für die „Verletztheit“ der CDU: „Das hat die CDU sehr gewurmt. Ich glaube auch sagen zu können: Mit Recht. (…) Ich habe ja noch die Spielregel gelernt: Wenn ich mit Hilfe einer Partei in meine Spitzenposition komme, dann muss ich natürlich ein bisschen das tun, was die von mir erwarten. Das ist so. Ob das korrekt ist, ist die andere Frage. Aber das ist etwas, was [der Bürgermeister] nie begriffen hat.“ (Interview 21)
Nach der Wiederwahl 2004, diesmal als parteiunabhängiger Bewerber aus dem Amt, versuchte es der Bürgermeister zunächst mit der SPD. Aber auch dieses Bündnis zerbrach; nach übereinstimmender Ansicht sowohl des CDUFraktionsvorsitzenden wie des Sparberaters war auch hier die mangelnde Kompromissfähigkeit des Bürgermeisters als Ursache auszumachen. Die Umstände einer mehrfach gescheiterten politischen Zusammenarbeit mit der jeweiligen Mehrheitsfraktion werfen Fragen nach der Führungskompetenz des Bürgermeisters auf. Die Interviewpartner attestierten ihm hier mangelhaftes Informationsverhalten, fehlende Kompromissfähigkeit und mangelndes strategisches Geschick. Der Sparkommissar wurde deutlich:
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„Er verhält sich wie ein Jurist: besserwisserisch. Hier liegt vermutlich auch der Hauptmangel in der Person. [Er] meint, als Jurist könnte er sich so verhalten. Gerade nicht! Beim Umgang mit Politikern und mit Politikern im Ruhrgebiet im besonderen Maße und mit Politikern, die noch so gestrickt sind wie [der CDU-Vorsitzende] und andere, da muss er sich ganz anders verhalten.“ (Interview 21)
Den Konflikt um die Festlegung der Geschäftskreise der Beigeordneten führt er als weiteres Beispiel an: „Ich sagte: Jetzt gehen Sie auf den Rat zu und sagen Sie: ‚Wie hättet ihr es denn gerne? Und dann mache ich das. Und da wird mir der [Sparkommissar] auch bei helfen.’ Und ich habe schriftlich Ratschläge aufgeschrieben, wie man es machen sollte. Und dabei muss ich leider befürchten: [Er] wird weiterhin den dicken Kopf durchsetzen wollen.“ (Interview 21)
Fragt man nach dem Amtsverständnis des Bürgermeisters, so stehen für die Beobachter der Situation die Repräsentationsaufgaben deutlich im Vordergrund, auch wenn er in der Selbsteinschätzung hier eine Zweiteilung sieht: „In der Woche Verwaltungsleitung – am Wochenende Repräsentation“ (Interview 19). Der Sparkommissar im Interview: „[Der Bürgermeister] ist ständig unterwegs mit großem Erfolg. Das kann er auch. Er hat eine Art, auf die Leute zuzugehen, die den Bürgern in der Tat das Gefühl vermittelt: Jetzt haben wir endlich mal einen guten Bürgermeister.“ (Interview 21)
Eine Machtposition in der CDU-Fraktion hat der Bürgermeister von Anfang an nicht gehabt. Es kam sehr schnell zu erheblichen Auseinandersetzungen in einzelnen Politikfeldern. Der Bürgermeister fasste die Situation selbst so zusammen: „Die CDU hat meine Vorlagen nicht so unterstützt, wie ich mir das vorgestellt habe, Absprachen wurden nicht gehalten; die Zusammenarbeit hat überhaupt nicht funktioniert, was daran liegt, dass die CDU einen sehr starken Parteivorsitzenden hat, der immer meint, dass alle das tun müssen, was er für richtig hält. Aber in dem Augenblick, in dem man in der Verwaltung ist, dann hat man einen anderen Blick auf die Dinge.“ (Interview 19)
Untersucht man die Machtposition des Bürgermeisters gegenüber der Verwaltung, so ist zunächst festzustellen, dass er für sich in Anspruch nimmt, über „klare Ziele, Projektpläne und Zeitvorgaben“ zu steuern. Für den CDUFraktionsvorsitzenden regiert er damit aber „nicht nur den Beigeordneten rein, sondern zieht auch Dinge an sich“. Haushaltskonsolidierung stehe dabei aller-
264
6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
dings nicht unbedingt im Vordergrund. Diese Aussage wird durch die Selbsteinschätzung der Position des Bürgermeisters im Haushaltsaufstellungsprozess gestützt: Während in den Untersuchungskommunen A und B (ebenfalls verwaltungszentrierte Bürgermeister) schon die Haushaltsaufstellung zur Chefsache gemacht wird, trägt in E der Kämmerer die „Hauptverantwortung“; er lege „das Wesentliche, die Grundstruktur in eigener Verantwortung“ fest. „Der Kämmerer ist der Hauptakteur“. Der Sparkommissar empfindet das Handeln des Bürgermeisters in der Verwaltung als nicht kooperativ. Er sprach von „eigenwilliger Durchsetzung von Zielen“ (Interview 21). Das größte Manko in der Verwaltungsleitung sah er darin, dass nicht nach dem Grundsatz der „Einheit der Verwaltung“, dem „wichtigsten Grundsatz im kommunalen Geschehen“, verfahren werde. Verwaltungsvorstandstermine fielen regelmäßig aus. Auch er sei davon berührt worden. Mal seien Verwaltungsvorstandstermine mit ihm, mal ohne ihn durchgeführt worden (er bezeichnete das als „Spielchen“), obwohl er ein Präsenzrecht eingeräumt bekommen hatte. Regelmäßige Verwaltungsvorstandstermine hätte es insgesamt nicht gegeben, dafür Einzeltermine (Jour fixe) mit den Beigeordneten nach dem Prinzip: Teile und herrsche. Personalziele seien „par ordre du Mufti“ durchgesetzt worden. Er zog folgendes Resümee: „Die Verwaltung steht überhaupt nicht hinter [dem Bürgermeister]. Die Verwaltung steht nur insofern dahinter, als es viele Schleimscheißer gibt, die sagen: Ich tue das, was der Chef will, ich denke an meine Karriere.“ (Interview 21)
Gefragt nach den Strategien, die man als parteiloser Bürgermeister gegenüber einem Rat anwenden müsse, um eine erfolgreiche Haushaltskonsolidierung betreiben zu können, führt der Sparkommissar, der auch über profunde kommunalpolitische Erfahrung verfügt, folgendes aus: „Da muss ich zunächst einmal in die Gremien gehen und hören, hören, hören. Und dann denken und dann reden. Wie sagte mir der stellvertretende Landrat (…) aus Castrop-Rauxel immer: man höre, man höre, man höre. Und dann verarbeitet man das. Und dann wird es politisch. Denn was bedeutet Politik: Politik bedeutet nichts anderes als Kompromissfähigkeit. Und dann sagt man: so und so, ja, sehe ich ein, kann ich nachvollziehen. Wenn ich dann Jurist bin oder ein gutes Rechtsamt habe, dann kann ich sagen: ‚Das wird juristisch nicht gehen.' Wir Juristen sind ja nicht dazu da, nur zu sagen: ‚So geht es nicht.’ Sondern wir sind dann dazu da, zu sagen: ‚Ich will mal sehen, ob wir das nicht juristisch in trockene Tücher kriegen.’ Kompromissfähigkeit – das ist Politik. Und dann fahre ich hin zur Kommunalaufsicht und berede das mit denen noch mal. Und wenn die dann auch nicht spuren, dann fahre ich vielleicht noch eine Etage höher und dann rede ich mit denen und dann setze ich all meinen Charme und all meine Beredsamkeit ein und komme dann zurück
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
265
und sage dem Rat: ‚Ich habe es geschafft, dass euer Wille durchgesetzt werden kann.’“ (Interview 21)
Es ist ihm nach eigenem Bekunden nicht gelungen, den Bürgermeister für diese Strategie zu gewinnen.
6.3.1.8
Zusammenfassung der Analyse Stadt E
In der Stadt E sitzt, quasi als Sonderfall der Kohabitation, ein parteiloser Bürgermeister einem Rat vor oder besser: gegenüber, in dem er keine „Hausmacht“ hat. Langjährige Querelen des Bürgermeisters mit den beiden großen Fraktionen CDU und SPD führten 2007 zur Situation völliger Entscheidungsblockade und das in einer Haushaltssituation, die von der zuständigen Bezirksregierung viel sagend als „problematisch“ eingeschätzt wurde. In ihrer „Not“, gedrängt aber auch durch die Kommunalaufsicht, riefen Bürgermeister und Fraktionen nach dem „beratenden Sparkommissar“. Als Auslöser der „Politikkrise“ in E kann die Person des Bürgermeisters identifiziert werden, der 1999 vom mächtigen CDUChef als politikunerfahrener Kandidat ohne Parteibiografie und -sozialisation geholt wurde, der aber sehr schnell einen „eigenen Kopf“ bewies und Spielregeln verletzte, die in der Konkurrenzdemokratie in NRW und hier herrschender Parteipolitisierung Geltung beanspruchen. Dies führte zu „Enttäuschungen“ in der CDU mit der Folge, dass sich Bürgermeister und Rat im Machtkampf um den Haushalt gegenseitig blockierten. Zitat des Bürgermeisters aus dem Interview (19): „Da, wo es ‚politisch’ wird, da gibt es in unserem Rat schlimme Auseinandersetzungen, zum Beispiel über den Haushalt.“
Als Externalisierung von Führungsproblemen, sowohl auf Seiten der Politik wie auf Seiten des Bürgermeisters, ist also der Ruf nach dem Sparkommissar anzusehen. Dessen Mission kann freilich als gescheitert angesehen werden. Zwar gelang es ihm, für 2007 und insbesondere für 2008 einen genehmigungsfähigen Haushalt samt Haushaltssicherungskonzept vorzulegen und auch eine Neuordnung der Verwaltungsspitze gegen den Widerstand des Bürgermeisters zu organisieren, am Grundkonflikt, der Zusammenarbeit zwischen Rat und Bürgermeister, ist er aber eingestandenermaßen gescheitert221; er warf vorzeitig das Hand221
Und die Konflikte gehen weiter: So verweigerte beispielsweise der Rat dem Bürgermeister die Entlastung für die Haushaltsführung 2006 (§ 94 GO) wegen Derivat- und gescheiterter Grundstückgeschäfte (Lokalzeitung 10.05.2008). Seit Neuestem tobt eine erbitterte öffentliche Auseinandersetzung zwischen Bürgermeister und Technischem Beigeordneten (WAZ 06.02.2009).
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6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister
tuch und nannte als einzigen Grund für die vorzeitige Auflösung des Vertrages die „Beratungsresistenz“ des Bürgermeisters. Dabei waren alle Akteure (Bezirksregierung, Landrat und Sparkommissar) von Anfang an zum Erfolg verpflichtet. Dies zeigte sich darin, dass das HSK 2007 als „holpriger Einstieg“ in den Konsolidierungsprozess von der Aufsicht mitgetragen wurde (lediglich die utopischen Gewerbesteuereinnahmen wurden etwas nach unten korrigiert). Um die Akzeptanz zu steigern und Blockaden bei der Politik zu überwinden, wurden ferner die „Zielprojektionen“, die von CDU und SPD ins Spiel gebracht wurden und die das Ziel hatten, Sparwillen zu symbolisieren, ohne dass es schon „weh“ tut, vom Sparkommissar und von der Aufsicht mitgetragen. Der Bürgermeister, der diesen Zielkatalog mit Hinweis auf die Veranschlagungsgrundsätze des kommunalen Haushaltsrechts immer vehement kritisiert hatte, wurde marginalisiert, um die Außenwirkung des Sparprogramms nicht zu gefährden. SPD und CDU sahen sich dabei als Retter politischer Handlungsfähigkeit; ihr Ziel war es insbesondere, die Investitionslisten von der Aufsicht freigegeben zu bekommen. Aus NPÖ-Perspektive stellt sich nämlich der Eingriff der Kommunalaufsicht in die wählerwirksame Investitionstätigkeit für Kommunalpolitiker als der schmerzhafteste dar. Hinzu kommt, dass Taktiken des passiven Widerstands besser funktionieren, wenn die Mehrheitsparteien nicht in Opposition gegeneinander, sondern gemeinsam operieren (Holtkamp 2004a: 11). Schließlich wurde von der Aufsicht sogar ein Kämmererkandidat, den der Sparkommissar „besorgt“ hatte, akzeptiert, obwohl der die formalen fachlichen Voraussetzungen nach § 71 Abs. 3 GO NRW nicht erfüllte. Es ging den Verantwortlichen darum, einen personellen und inhaltlichen „Neuanfang“ zu signalisieren. Der Sparkommissar fasste diesen Akt symbolischer Politik so zusammen: „Aber wir wollen jedenfalls diese Ziele mal angehen und auf der Grundlage unseres Verwaltungssachverstandes Euch sagen, ob es geht, ob es nicht geht oder ob es teilweise geht.“ (Interview 21)
Der Bürgermeister wehrte sich vehement gegen die Neuordnung der Verwaltungsspitze von außen, was ihm den Vorwurf der Obstruktion einbrachte. Sein Ziel war es statt dessen, Vetospieler, zum Beispiel in Gestalt des Kämmerers, auszuschalten. Er begründete das vordergründig mit Personalkosten, die gespart werden könnten, verfing mit dieser Argumentation aber nur bei einigen kleinen Fraktionen. Die CDU, deren Ziel es ursprünglich sogar war, den Bürgermeister zum „Frühstücksdirektor“ zu degradieren, stimmte dem Vorschlag letztlich zu, weil der vom Sparkommissar installierte neue Kämmerer CDU-Mitglied ist. In der SPD, die sich anfangs ebenfalls gegen den Personalvorschlag stemmte, weil er aus ihrer Sicht die Position der bisherigen Ersten Beigeordneten (SPD) be-
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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schädigte, konnte der „Genosse“ Sparkommissar letztlich allerdings Zweifel ausräumen. Die Führungsprobleme des Bürgermeisters wurden von allen Interviewpartnern deutlich herausgestellt und lassen sich auch in der örtlichen Presse lesen. In Bezug auf Haushaltskonsolidierung wurde ihm ein Führungswollen zum Sparkurs abgesprochen, festgemacht beispielsweise an den Kulturausgaben („Lieblingskind in E“; Sparkommissar-Interview 21).222 Ferner wurde von allen Interviewpartnern die mangelnde Kompromissfähigkeit des Bürgermeisters (Brüche nacheinander mit der CDU und SPD), die fehlende Konsensbereitschaft sowie die „eigenwillige Durchsetzung von Zielen“ (Interview Sparkommissar 21) angeführt. Kohabitationsbedingungen bzw. fehlende „Hausmacht“ im Rat stellen aber besondere Anforderungen an das Führungskönnen (Überzeugung) des Bürgermeisters. Als Ergebnis dieser Akteurskonstellation sind in E Blockaden auf allen Ebenen entstanden, die auch vom Sparkommissar nicht nachhaltig aufgebrochen werden konnten. Unter den Bedingungen der Parteipolitisierung in NRW ist das Baden-Württemberg-Modell mit einem neutralen Bürgermeister, der keine Hausmacht in der Mehrheitsfraktion hat, keine Erfolg versprechende Alternative. Kommen persönliche Defizite wie im Falle der Stadt E hinzu, gerät die Situation schnell in die Aussichtslosigkeit. Die Kontroversen in der Stadt E können auch auf einen Legitimationskonflikt zwischen Bürgermeister und Rat zurückgeführt werden, der sich insbesondere in den reklamierten Kompetenzen in der Verwaltungsorganisation zeigte.223 Der Sparberater führte im Interview mit Bezug auf den Bürgermeister folgendes aus: „Das [d.h. die falsche Vorstellung von der Organstellung des Bürgermeisters; d. Verf.] ist der erste große Nachteil. Der Rat ist das oberste Organ der Gemeinde und der Rat ist deswegen befugt, von der Verwaltung entsprechend dem formulierten politischen Willen entsprechende Vorschläge zu bekommen. Das muss der Bürgermeister mit seiner Verwaltung gefälligst tun.“ (Interview 21)
Und der CDU-Fraktionsvorsitzende führte folgendes ins Feld:
222
Dieser Eindruck wird z.B. durch die Tatsache gestützt, dass das Theater an die städtische Wohnungsgesellschaft verpachtet wurde, um den Konsolidierungszugriff zu erschweren (ein weiteres Beispiel passiven Widerstands bei Haushaltskonsolidierung). 223 Bogumil/Holtkamp/Gehne/ 2003 und Holtkamp 2004c: 55 weisen darauf hin, dass in Kohabitationsfällen der direkt gewählte Bürgermeister in NRW in der Regel noch weniger Kompetenzen vom Rat durch die Hauptsatzung übertragen bekommt als der frühere Stadtdirektor und werten auch dies als Ausdruck starker Parteipolitisierung.
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6.3 Haushaltspolitik in Fällen parteiloser Bürgermeister „[Der Bürgermeister in E] hat ein etwas anderes Verständnis von der neuen GO wie wir. [Er] sagt: man kann mir die Bereiche nicht nehmen. Wir sagen: [Er] kann sich jederzeit Aufgaben an sich ziehen, z.B. aus der Wirtschaftsförderung welche, aber nicht die komplette Wirtschaftsförderung, wenn wir das politisch festlegen (...) [Er] kann am Ende der Kette nicht sagen: meine Meinung gilt.“ (Interview 20)
Hier spiegelt sich auch ein Konflikt um Wiederwahlchancen. Die mühsam errungenen Erfolge eines Bürgermeisters, aber auch eines Fraktionsvorsitzenden auf dem Gebiet der Haushaltskonsolidierung fallen für seine Wiederwahlchancen kaum ins Gewicht. Sichtbarkeit und öffentliche Anerkennung findet aber der, der beispielsweise mit der Ansiedlung eines potenten Unternehmens einen spektakulären Erfolg erzielt. Die Probleme werden mit der reformierten Gemeindeordnung 2007, die dem Bürgermeister stärkere Entscheidungskompetenzen auf den Gebieten Personal und Organisation (§§ 62, 73 GO) einräumen, bei gegebener Parteipolitisierung in NRW (Gehne 2007) eher noch verschärft. Die Gemeindeordnung setzt bis zu einem gewissen Grad auf Konsens; fehlt er, wie in der Stadt E, ist die Effektivität in Frage gestellt. Auch in E sind Residuen einer SPD-Ausgabenpolitik, vorrangig bei den Personalausgaben, erkennbar. Diese konnten bisher auch von der Kommunalaufsicht nicht aufgebrochen werden. Trotzdem die Stadt seit 1992 in der Haushaltssicherung bzw. im Nothaushaltsrecht steht, weist die aktuelle Genehmigungsverfügung zum Haushalt 2008 nur „gebetsmühlenartig“ auf, dass die erhöhten Personalausgaben deutlich unter die Linie der Orientierungsdaten des Landes zu bringen sind. In ideologisch aufgeheizten Themenfeldern (Krankenhausprivatisierung und Personalauswahl) ließ der Sparkommissar die politischen Protagonisten (Fraktionen und Bürgermeister) „auflaufen“ und hatte Erfolg; er aktivierte in beiden Fällen sein persönliches Netzwerk und konnte sich auf der Rückendeckung durch die Aufsicht abstützen. Dies bekräftigt die Zentralisierungsthese insofern, als dass hierarchisch-autoritative Entscheidungen, die dem „Parteiengezänk“ entzogen sind und schnell durchgesetzt werden, durchaus effektiv sein können. Im Ergebnis ist festzuhalten: Der Einsatz des Sparkommissars in E, der sich nicht nur auf eine formale Genehmigungsfähigkeit des Haushalts bzw. Haushaltssicherungskonzeptes 2007 und 2008 bezog, sondern sich (in richtiger Situationsbewertung durch die Kommunalaufsicht) primär auf die Verbesserung der
6 Ergebnisse der Analysen in den Untersuchungskommunen
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Zusammenarbeit von Verwaltungsspitze und Rat einschließlich ihrer organisatorischen Grundvoraussetzungen bezog, muss als gescheitert angesehen werden. Ursächlich hierfür sind im Sinne der Thesen dieser Dissertation die fehlende Führungsfähigkeit des Bürgermeisters zur Haushaltskonsolidierung (Führungswollen und Führungskönnen) unter den besonderen erschwerenden Bedingungen der Kohabitation, hier: der Position eines parteilosen Bürgermeisters ohne politische Hausmacht.
7 Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
7.1 Theoretischer Rahmen Zur Beantwortung der Fragestellungen dieser Arbeit nach der Relevanz von Parteieneinfluss auf kommunale Haushaltsergebnisse und nach den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sparpolitik des Bürgermeisters wurde auf Theorien der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung zurückgegriffen (Schmidt u.a. 2003). Die vergleichende Staatstätigkeitsforschung erhebt den Anspruch, Regierungshandeln messbar zu machen. Sie ist eine anerkannte Teildisziplin der Politikwissenschaft, die trotz vorhandener Schwächen in methodischen und theoretischen Ansätzen (hierzu ausführlich: Schmidt 1997a, Schmidt u.a. 2003) wertvolle Beiträge zur Erklärung unterschiedlicher Erfolge verschiedener Handlungsstrategien politischer Akteure innerhalb eines institutionellen Bezugsrahmens liefert. Im Kern geht es darum, in Kombination unterschiedlicher Ansätze herauszuarbeiten, welche Faktoren die Unterschiede im jeweils betrachteten Politikfeld ausmachen. Für die kommunale Haushaltspolitik wurde ein Bündel von exogenen und endogenen Ursachen für lokale Haushaltsdefizite identifiziert: sozioökonomische Faktoren, institutionelle Ursachen (insbesondere Vetospieler), die Verwaltungs- und Regierungsorganisation, die Parteiendifferenz, der Einfluss von Interessengruppen und die Politikerblast (Holtkamp 2007a). Im Rahmen dieser Analyse interessierten die endogenen Faktoren (Parteiendifferenz, Verwaltungsführungsleistung des Bürgermeisters, Erblast). Um die Kontextfaktoren kontrolliert zu halten, wurden nur Städte aus dem Ruhrgebiet (vgl. Definition in Fußnote 4) untersucht. Ausgehend vom Akteurshandeln wurde gefragt, was die kommunalen Akteure wollen, abhängig von ihren Handlungsorientierungen und Parteiideologien, und was sie angesichts vorherrschender Akteurskonstellationen und dem institutionellen Rahmen, innerhalb dessen sie Entscheidungen treffen, durchsetzen können. Zunächst hat sich die Parteiendifferenzlehre in internationalen vergleichenden Studien als erklärungsmächtig erwiesen. Daher wurden die parteipolitischen Vorstellungen der Mehrheitsfraktion in dieser Analyse ebenfalls als endogener Faktor zur Erklärung von kommunalen Haushaltsergebnissen aufgefasst.
K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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7.1 Theoretischer Rahmen
Die empirische Forschung der letzten 20 Jahre hat im Ergebnis zwar gezeigt, dass aufgrund der trotz grundgesetzlich gesicherter Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 GG) eingeschränkten Handlungsautonomie der Kommunen im bundesrepublikanischen Mehrebenensystem (Vetter/Holtkamp 2008), der zum Teil massiven Eingriffe der Kommunalaufsichten in NRW und der im Prinzip „unpolitischen“ Selbstverwaltungstradition in Deutschland (Lehmbruch 1975, Häußermann 1991a, Gabriel et al. 1992), zunehmend schwindende Parteiendifferenzen zu registrieren sind (eine Ausnahme stellen hier die Ergebnisse von Kunz 2000 dar)224. Gerade in Ruhrgebietsstädten mit ihren ausgeprägten SPDHegemonien (zumindest bis 1999) sollten aber in Teilbereichen (insbesondere bei Personalausgaben und Privatisierungspolitik) noch Parteieneffekte nachweisbar sein. Zu vermuten war, dass die Varianz in den gemessenen Personalausgaben pro Einwohner ihre Ursache in der langfristigen Wirkung (Erblast) wohlfahrtsmaximierender SPD-Politik und besonderer mikropolitischer Strategien in den Kommunen hat. Die Parteien wenden dabei das Arsenal subversiver Strategien an, das Bogumil/Holtkamp ausführlich beschrieben haben (2006). Mit erhöhten Personalausgaben ist dann besonders zu rechnen, wenn sich der politikzentrierte Bürgermeister nicht gegen eine SPD-Mehrheitsfraktion durchsetzen kann oder will. Im Gegenzug kann angenommen werden, dass ein durchsetzungsstarker verwaltungszentrierter Bürgermeister ausufernde Personalausgaben einhegen kann. In Ziffer 7.2 wird zusammenfassend gezeigt, dass in den untersuchten Ruhrgebietskommunen in wenigen ideologisch aufgeladenen Politikbereichen: Personalausgaben, Steuererhöhungen und Privatisierungsentscheidungen Parteiendifferenzen erkennbar sind. Diese wirken sich unterschiedlich auf den Haushalt aus. Insbesondere die hohen Personalausgaben wirken in Kommunen mit ausgeprägter SPD-Erblast belastend für den Haushaltsausgleich. In Anlehnung an politisch-institutionelle Ansätze der vergleichenden Politikforschung hat sich die Arbeit sodann der Zentralisierung der Haushaltspolitik zugewandt. Der Kommunalverfassung hat Gerhard Banner in seinen einflussreichen Artikeln in den 1980-er und 1990-er Jahren einen starken Einfluss auf den Kommunalhaushalt zugemessen. Zwar konnte eine direkte Steuerungswirkung empirisch nicht bestätigt werden, jedoch liegt es angesichts der starken Varianz von policy-output-Ergebnissen nahe, die akteursbezogene Führungsleistung des zentralen Steuerungspolitkern, des Bürgermeisters, innerhalb des konstitutionellen Rahmens in den Blick zu nehmen, wie es auch Banner in seinen neuesten Schriften tut (Banner 2005, 2006a). Die Varianz von Haushaltsergebnissen bei gleichen belastenden Ausgangsbedingungen verweist mithin auf die Relevanz endogener Einflussgrößen in Form kommunaler Entscheidungsprozesse und 224
Eine Schwäche der Parteiendifferenzlehre besteht denn auch in der Ausblendung anderer Faktoren.
7 Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
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ihnen zugrunde liegender lokaler Akteurskonstellationen (Junkernheinrich 1991: 77). Ausgehend vom Allmendeproblem öffentlicher Haushalte ist damit zu rechnen, dass stabile Institutionen, starke Regierungen bzw. Verwaltungen, glaubwürdige Akteure, eine ausgeprägte Hierarchie im Budgetprozess sowie starke Steuerungspolitiker dämpfend auf eine Budgetmaximierung wirken, da diese Institutionen und Konfigurationen geringe Verschuldensanreize bieten und dem Einfluss von Sonderinteressengruppen weniger stark ausgesetzt sind (Wagschal 2006b: 76).225 Die Zentralisierung der Haushaltspolitik ist in vielen Untersuchungen auf staatlicher Ebene als effektives Instrument zur Reduktion bzw. Vermeidung von Haushaltsdefiziten bestätigt worden (vgl. Überblick bei Strauch 1998). Die Zentralisierung der Haushaltspolitik wird auch in der vorliegenden Arbeit als notwendige Bedingung gesehen, um einen Kommunalhaushalt auf Gleichgewichtskurs zu halten. Nach Scharpf (2000) und dem von ihm und R. Mayntz begründeten Ansatz des Akteurzentrierten Institutionalismus werden politische Interaktionen von den Strategien zweckgerichteter individueller, kollektiver oder korporativer Akteure (Bürgermeister, Fach- und Steuerungspolitiker, Oppositions- und Regierungsfraktionen, Lokalparteien) bestimmt, welche in institutionellen Kontexten handeln, die diese Strategien zugleich ermöglichen und beschränken. Institutionen erleichtern dabei aber nicht nur politische Entscheidungen, sondern sie strukturieren letztlich die Fähigkeiten, Wahrnehmungen und Präferenzen der Akteure, die Akteurskonstellationen sowie die Interaktionsformen im Hinblick auf mögliche Handlungsoptionen. Kommunale Entscheidungsprozesse werden strukturiert durch Regelungen der GO NRW und durch Haushaltsnotlagenlagenregime der Kommunalaufsicht (beide Faktoren wirken insofern exogen auf die Kommune; vgl. Vetter/Holtkamp 2008). Jedoch ist nach den Prämissen des Akteurzentrierten Institutionalismus davon auszugehen, dass das Handeln der Akteure in den gezogenen institutionellen Grenzen und in Abhängigkeit von ihren Präferenzen in mikropolitischen Prozessen gestaltbar ist. Ausgehend vom Gedanken der Zentralisierung von Haushaltspolitik wurde der Verwaltungsführungserfahrung des Bürgermeisters, das ist das Führungswollen und das Führungskönnen, ein besonderer Einfluss zugedacht. Zwar ergeben sich durch Regelungen in der GO NRW institutionelle Rechte für den Bürgermeister und den Kämmerer226. Die institutionelle Zuweisung von Aufgaben und Rechten sagt aber noch nichts über die Präferenzen aus, mit denen die Bürger225
Steuerungspolitiker sind Fachpolitikern aus den in Ziffer 2.3.2 dargelegten Gründen jedoch systematisch unterlegen. Im Gegensatz zum Bürgermeister verfügt der Kämmerer allerdings über zu wenige institutionelle Rechte (Aufstellung der Haushaltssatzung und ggfs. Vertretung seiner abweichenden Auffassung im Rat; § 80 GO NRW n.F.), um sich gegenüber der Mehrheitsfraktion durchzusetzen.
226
274
7.2 Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen
meister ihre Aufgabe wahrnehmen. Führungswollen und Führungskönnen, so die These dieser Arbeit in Anlehnung an die jüngsten Publikationen von Gerhard Banner, sind vielmehr stark von der Vorposition des Bürgermeisters abhängig. Verwaltungszentriertes Amtsverständnis und der Wille zur Konsolidierung, gepaart mit Durchsetzungsvermögen gegenüber der Mehrheitsfraktion und innerhalb der Fachverwaltung (Überzeugung), sollten, so die Grundannahme, zu tendenziell besseren Haushaltsergebnissen führen, ausgedrückt in den Ergebnissen ausgewählter Haushaltskennzahlen. Gelingt es dem Bürgermeister, Konsolidierungsansätze gegen die Spezialinteressen der Fachpolitik und die parteipolitische Ideologie durchzusetzen, so bestehen Chancen, dass das städtische Budget nicht übernutzt, sondern in der Balance gehalten wird. Dies verweist auf die Machtposition des Bürgermeisters im kommunalen Entscheidungsprozess, die im Falle von parteilosen Bürgermeistern ohne eigene „Hausmacht“ tendenziell schwächer sein sollte. Die Ergebnisse der Untersuchungsfälle werden sogleich unter Ziffer 7.2 zusammenfassend referiert.
7.2 Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen Haushaltsdefizite sollten also ceteris paribus auch abhängig sein von der Parteiendifferenz und der Verwaltungsführungserfahrung des Bürgermeisters. In vergleichenden qualitativen Fallstudien hat diese Dissertation die Machtpositionen politik- und verwaltungszentrierter Bürgermeister, die je SPD- bzw. CDUmajorisierten Räten vorsitzen und dasselbe Parteibuch wie die Ratsmehrheit haben (Homogenitätsfälle), untersucht. Hinzu kam die Analyse des Falles eines parteilosen, verwaltungszentrierten Bürgermeisters. Die Städte A (verwaltungszentrierter SPD-Bürgermeister und SPD-Ratsmehrheit) und B (verwaltungszentrierter CDU-Bürgermeister mit CDU-Ratsmehrheit) haben bei den verwendeten Haushaltsstrukturkennzahlen die besten Ergebnisse im Vergleich der Untersuchungskommunen, aber auch im interkommunalen Vergleich aller kreisangehörigen Ruhrgebietsstädte mit mehr als 20.000 Einwohnern, erzielt. Die Konsolidierungsprozesse gingen dabei von den Bürgermeistern aus. Deren Präferenzen sind auf den Haushaltsausgleich gerichtet, wenn auch mit unterschiedlichen Zielen verknüpft: Für den Bürgermeister in A ist der Haushaltsausgleich ein anzustrebendes Normziel. Er kommt („von der Pike auf“) aus der Stadtverwaltung A, wurde dort als Diplomverwaltungswirt sozialisiert. Er kooperiert konstruktiv mit der Kommunalaufsicht und „opferte“ 2006 die in seinen Augen politisch erfolgreiche Koalition mit den Grünen zugunsten eines strikten Sparkurses bei den Personalausgaben. Der Bürgermeister in B, der als Jurist „von
7 Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
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außen“ in die Verwaltung kam, hat demgegenüber ein deutlich stärkeres „instrumentelles“ Verhältnis zum kommunalen Haushaltsrecht. Er legt, zusammen mit der CDU-Mehrheitsfraktion, alles darauf an, den Haushalt auszugleichen, um ihn damit gegen Eingriffe der Kommunalaufsicht zu immunisieren. Nur so glaubt er seine politischen Ziele durchsetzen zu können, insbesondere im Investitionsbereich (Vermögenshaushalt). Als gelerntem Juristen macht es ihm keine Schwierigkeiten, die Gestaltungsmöglichkeiten des (kameralen) Haushaltsrechts auszuloten und auszunutzen. Betrachtet man die Akteurskonstellationen, so zeichnet sich die Stadt A durch einen internen Zusammenhalt des Verwaltungsvorstands und der übrigen Steuerungspolitiker (insbesondere des SPD-Fraktionsvorsitzenden) aus. Im Verwaltungsvorstand, aber auch innerhalb der nachgeordneten Verwaltungsstellen, setzt der Bürgermeister auf „Mannschaftsleistung“ bzw. auf „corporate identity“.227 Insbesondere die enge Kooperation zwischen Bürgermeister, Erstem Beigeordneten (Finanzdezernenten) und SPD-Fraktionsvorsitzendem kann als Generalisten-Koalition gedeutet werden, die Konsolidierungsziele innerhalb der Verwaltung bzw. der Mehrheitsfraktion durchzusetzen in der Lage ist. Dadurch können Spezialisteninteressen aus Fachverwaltung und Fachpolitik abgewehrt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Bürgermeister das kommunale Haushaltsrecht aus eigener Fachkenntnis anwenden und einsetzen kann und sich insoweit für ihn keine Abhängigkeiten von der Verwaltung (Kämmerei) ergeben, ein Umstand, der sich auch in bargaining-Prozessen mit der Kommunalaufsicht als vorteilhaft erweisen kann, da man „dieselbe Sprache spricht“. Auch wird der Informationsvorsprung gegenüber der Kommunalpolitik weiter erheblich ausgebaut. In B besteht ein starker interner Zusammenhalt zwischen dem Bürgermeister und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden, der ihm in der Mehrheitsfraktion den Rücken frei hält. Im Gegensatz zum Fall A steht in B allerdings weniger die Haushaltskonsolidierung sui generis im Vordergrund, sondern die Vermeidung eines Haushaltssicherungskonzeptes, um, losgelöst von Eingriffen der Kommunalaufsicht, eigene politische Ziele durchzusetzen. Beide Bürgermeister, in A wie in B, vermeiden im Verwaltungsaufbau „Sperren durch Beigeordnete“ (Bogumil/Holtkamp 2005: 55) bzw. marginalisieren die Position des Kämmerers. In A verweigerte die SPD-Mehrheit dem ehemaligen grünen Koalitionspartner einen Beigeordnetenposten; ferner wurde keine formelle Kämmererposition im Verwaltungsvorstand geschaffen. Die Aufgabe des Finanzdezernenten nimmt der Erste Beigeordnete wahr, mit dem sich der Bürgermeister persönlich gut versteht, das operative Geschäft obliegt dem Kämmereiamtsleiter „in der Linie“. In B wird der Kämmerer, der als SPD-Mitglied auch ein anderes Parteibuch als der 227
Für einzelne CDU-Interviewpartner übt er hingegen nur „Druck“ auf die Verwaltung aus.
276
7.2 Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen
Bürgermeister hat, von diesem aus Verhandlungsrunden mit der Politik ferngehalten; seine Gegenvorstellungen hinsichtlich eines freiwilligen HSK 2007 wurden vom Bürgermeister im Zusammenspiel mit dem CDUFraktionsvorsitzenden „vom Tisch gefegt“. Der Bürgermeister greift nach eigenem Bekunden „in Haushaltsdingen tief in die Verwaltung ein“, wie er überhaupt „alles“ daransetzt, Vetopositionen aus seiner Mehrheitsfraktion, von Seiten der Kommunalaufsicht und der Verwaltung zu vermeiden. Es ist festzuhalten: In A ist der Bürgermeister (zusammen mit dem Ersten Beigeordneten) der bestimmende Akteur in der Haushaltspolitik unter Einbezug des SPD-Fraktionsvorsitzenden. In B ist es der Bürgermeister, unterstützt durch den CDU-Fraktionsvorsitzenden und seine Mehrheitsfraktion. Hier wie dort besteht eine enge Verzahnung zwischen Partei-, Fraktions- und Verwaltungsprogramm mit einem sehr durchsetzungsstarken Bürgermeister, was man in A – wie erwähnt - am herbeigeführten Bruch der rot-grünen Koalition im Frühjahr 2006 abzulesen ist und sich in der Stadt B in Verwaltungsstrategien zeigt, die die Möglichkeiten des kommunalen Haushaltsrechts bis an die Grenzen dehnen. Der Präferenz zur Haushaltskonsolidierung durch den verwaltungszentrierten Bürgermeister kommt auch deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil diese Eigenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung im Grunde genommen gar nicht honoriert wird. Haushaltsausgleich und Haushaltspolitik allgemein sind nach Einschätzung der interviewten Experten in den Untersuchungskommunen keineswegs populär. Bei der „Wichtigkeit kommunalpolitischer Themen“ (vgl. Anlage 3) lag in allen Untersuchungskommunen sowohl in der perzipierten Bürgermeinung als auch in der eigenen politischen Einschätzung der befragten Politiker das Thema „sparsame Haushaltspolitik“ auf hinteren Rängen. Als Grund hierfür ist die Abstraktheit des Themas anzusehen, mit dem die Bürger im Allgemeinen überfordert sind.228 An der Spitze der Bewertungsskala lagen in der perzipierten Bürgersicht durch die Politik in allen Untersuchungskommunen die Themen: Straßen- und Parkplätze, Öffentliche Sicherheit, Schaffung von Arbeitsplätzen. Tendenziell bedeutsamer – aber nur unwesentlich verschieden von der Perzeption der Bürgermeinung – wurde das Thema „sparsame und wirtschaftliche Haushaltspolitik“ aus der eigenen Sicht der Politik eingestuft. Aber 228
Die Forschung hat ein geringes Interesse der Bürger an der Haushaltspolitik im Allgemeinen konstatiert (Holtkamp 2004b), was in den Interviews mit den kommunalen Experten in den Untersuchungskommunen bestätigt werden konnte. Das Interesse wächst, wenn Bürger an konkreten Projekten beteiligt werden oder – beispielsweise als beitragspflichtiger Anwohner einer Straße oder als Grundsteuerzahler – konkret tangiert werden. Das Interesse an kommunaler Haushaltspolitik nimmt mit der Gemeindegröße ab. Ursachen hierfür sind: abnehmende Identifikation mit der Kommune, je größer diese ist, geringer Kenntnisstand bei kommunalpolitischen Fragestellungen und niedrigerer Prozentsatz von Hauseigentümern, die unmittelbare Adressaten von Beitrags- und Steuerfestsetzungen sind (Holtkamp 2004b).
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auch hier lagen „Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung“ sowie „Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort“ eindeutig vorn. Aus Sicht der NPÖ (Wählerstimmenmaximierung) kann man sich offensichtlich keine Freunde machen mit einer konsequenten Konsolidierungspolitik einschließlich Leistungseinschränkungen, Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Auch die befragten Bürgermeister wichen bei der Frage, ob ein konsequenter Sparkurs nicht ihre Wiederwahlchancen beeinträchtigen wird, eher aus (z.B. wollen sie Leistungskürzungen mit „Qualitätsverbesserungen“ begründen) oder reagierten resignativ und wenig überzeugt („Habe keine andere Wahl“). Im Gegensatz zur politischen Kultur in Baden-Württemberg haben Bürgermeister in NRW weniger oder keinen Anreiz, auf einen Haushaltsausgleich zu achten, da die Wähler den Abbau von öffentlichen Leistungen bei der nächsten Kommunalwahl negativ sanktionieren können (Holtkamp 2000: 275). Bürgerziele treffen sich so weitgehend mit NPÖ-motivierten Parteiprogrammen. Allerdings deutet die Taktik der SPD in C, bei der Kandidatenaufstellung 2004 einen politisch unbelasteten Kandidaten zu präsentieren, auf die Sorge hin, eines Tages doch „die Quittung für derartige Misswirtschaft“ (Gerhard Banner) vom Wähler zu bekommen [ähnlich bei der Kandidatenaufstellung in E 1999 (vgl. ausführlich dazu Gehne 2007)]. In der Zuschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen des Bürgermeisters spielt die „Verwaltungsführungserfahrung“ keine allzu große Rolle (vgl. Anlage 4). In allen Untersuchungskommunen werden Merkmale wie „Bürgernähe“ und „Glaubwürdigkeit“ weitaus bedeutsamer eingeschätzt – sowohl aus responsiver Bürgersicht als auch aus der eigenen Sicht der Experten.229 Auch Hämmerle (2000: 120) kommt bei seiner Untersuchung zum Anforderungsprofil an Spitzenkommunalpolitiker zu dem Ergebnis: „Die dominierenden Eigenschaften eines erfolgreichen (Spitzen-) Kommunalpolitikers sind vorrangig eine Frage des persönlichen Naturells, weniger der objektiven fachlichen Kenntnisse: Kommunikationsfreudigkeit, Bürgernähe und Konsensfähigkeit.“
229
Dieses (sicherlich nicht repräsentative) Ergebnis deckt sich mit der jüngsten repräsentativen Studie der Bertelsmannstiftung „Beruf Bürgermeister/in“ (Bertelsmannstiftung 2008), wonach die persönlichen Merkmale „Glaubwürdigkeit“ und „Bürgernähe“ deutlich vor „Fachwissen in Verwaltungsfragen“ liegen. Auch in der Studie der Ruhruniversität Bochum zur Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW 1999 (Andersen/Bovermann 1999) rangierten Glaubwürdigkeit und Bürgernähe deutlich vor Verwaltungserfahrung (Andersen 2002: 47, Tabelle 9). Interessant ist indes folgendes Ergebnis der Bertelsmannstudie: Was die Fachkompetenz in Verwaltungsfragen betrifft, haben die Bürger an ihre Bürgermeister deutlich höhere Anforderungen als diese selber an ihr Amt. Während 21 Prozent der amtierenden Stadt- und Gemeindeoberhäupter entsprechendes Fachwissen für „sehr wichtig“ erachten, waren dies unter den befragten Bürgern mit fast 40 Prozent doppelt so viele (Bertelsmannstiftung 2008: 61).
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7.2 Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen
Zu zeigen, dass diese Eigenschaften nicht ausreichen, um als Bürgermeister einen energischen Austeritätskurs zu steuern, ist diese Dissertation angetreten. Wenden wir uns nun den Untersuchungskommunen C (zwei politikzentrierte SPD-Bürgermeister und jahrzehntelange SPD-Mehrheit im Rat) und D (politikzentrierter CDU-Bürgermeister mit CDU-Mehrheit im Rat seit 1999) zu, so fallen diese zunächst durch das hohe strukturelle Haushaltsdefizit im Untersuchungszeitraum auf. Auch andere Kennzahlenausprägungen (insbesondere Personalausgaben, aber auch Sachausgaben) sind überproportional hoch. In C und D gehen die Konsolidierungsimpulse nicht von den Bürgermeistern aus, sondern vom Kämmerer (Fall D), der aber lediglich wirkungslose Sparappelle an den Rat richtet, bzw. vom Regierungspräsidenten (Fall C). Erfolgreiche Konsolidierung kann jedoch nicht vom Kämmerer allein erreicht werden, da er nicht über die institutionellen Rechte des Bürgermeisters verfügt und häufig „parteipolitisch neutral“ ist, so dass ihm die Durchsetzungsfähigkeit in der Mehrheitsfraktion fehlt. Verwaltungsführungserfahrung kann auch nur im begrenzten Unfange durch die Kommunalaufsicht substituiert werden, da diese nur über eine begrenzte Zeit- und Informationsverarbeitungskapazität verfügt (Bogumil/Holtkamp 2006) und in der Regel zu weit entfernt ist von den Sachverhaltsdetails.230 Das Haushaltssicherungskonzept 2007 ff. der Stadt C muss insofern als einmaliger Kraftakt der Bezirksregierung gewertet werden, bei der die „Rute im Fenster“ (Mayntz 2004: 72) in Gestalt des angedrohten Sparkommissars für jedermann sichtbar ausgelegt war. Ein nachhaltig effektives Ergebnis ist damit absehbar aber nicht zu erzielen. Zu den Akteurskonstellationen und Entscheidungsprozessen in den Städten C und D ist folgendes festzuhalten: An den Haushaltsverhandlungen mit der Kommunalaufsicht 2007 war der Bürgermeister der Stadt C nicht beteiligt. Diese wurden vielmehr vom Kämmerer und den Fraktionsspitzen geführt. In den bargaining-Prozessen gelang es der SPD dann, eigene, einem strikten Sparkurs zuwiderlaufende sozialdemokratische essentials durchzusetzen: z.B. sehr verhaltener Personalabbau oder Erhaltung von Standards im Sportbereich. Unter dem prinzipiell konsolidierungswilligen Bürgermeister kann seit 2004 zwar ein größeres Sparbekenntnis als bei seinem Vorgänger konstatiert werden, dessen Performanz wird aber durch die SPD-Politik in C nach wie vor konterkariert. Die SPD-Mehrheitspolitik hält den Bürgermeister in Fragen des Sparkurses und der 230
Diese Erfahrung machte der Verfasser als Mitarbeiter der Gemeindeprüfungsanstalt NRW in vielen Gesprächen mit Kommunalaufsichten auf Bezirksregierungs- und Kreisebene. Den Aufsichtsbehörden fehlen insbesondere Detailinformationen und notwendige Zeitkapazitäten. Hinzu kommt in vielen Fällen die Vorgabe eines „gemeindefreundlichen“ Verhaltens durch den volksgewählten Landrat. Dies können sich die Kommunen im Rahmen des Arsenals subversiver Widerstandsstrategien gegen Maßnahmen der Kommunalaufsicht leicht zunutze machen (vgl. auch Holtkamp 2006a).
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Privatisierung (Stadtwerke) an der kurzen Leine. Im Gegensatz zum Fall A konnte der Bürgermeister in C keine Generalisten-Koalition mit Konsolidierungsbefürwortern bilden, die sich gegenüber einer vorhandenen BefürworterKoalition von Spezialinteressen (Alt-Bürgermeister, Stadtsportbund, Vereine) hätte durchsetzen können. Insbesondere der SPD-Fraktionsvorsitzende kann als der Gegenspieler des amtierenden SPD-Bürgermeisters identifiziert werden. Der Fraktionsvorsitzende bildet die Klammer zur Ära des Alt-Bürgermeisters und der Zeit der unumschränkten SPD-Herrschaft in C, die mit den Idealen einer wohlfahrtsstaatlichen Ausgabenmaximierung verknüpft war. In der Stadt D steht (bzw. stand bis zu seinem Tode im Dezember 2007) dem politikzentrierten CDU-Bürgermeister ein starker Gegenspieler in Person des CDU-Fraktionsvorsitzenden gegenüber. Der Haushalt 2007 kam als Kompromisspaket (einschließlich Steuererhöhungen) nur auf dessen Initiative zustande, weil es dem Bürgermeister nicht gelang, die bürgerliche Mehrheit in D oder auch eine davon abweichende Gestaltungsmehrheit (der Haushalt 2007 wurde letztlich mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen und einer Wählergemeinschaft verabschiedet) für den Beschluss zu gewinnen. Bei den Personalausgaben geht von der Verwaltungsspitze kein strikter Sparkurs aus; im Übrigen sorgt ein starker Personalrat für entsprechende Gegenwehr. Auch in anderen entscheidenden Situationen formuliert und vertritt der Bürgermeister keine entschiedenen Sparziele. Er verlässt sich in der Konsolidierungspolitik auf den Kämmerer. Dieser kann aber – wie bereits erörtert - aufgrund seiner parteipolitisch neutralen Position und seiner begrenzten institutionellen Handlungsmöglichkeiten nicht die Durchsetzungskraft des Bürgermeisters ersetzen. Das Vakuum wurde in der Vergangenheit daher durch den CDU-Fraktionsvorsitzenden aufgefüllt. Dieser kann jedoch insbesondere seinem Gegenspieler aus der SPD institutionell nur auf „Augenhöhe“ gegenübertreten und insofern den Bürgermeister als Anführer einer Sparkoalition auf Dauer nicht ersetzen. Für den mächtigen CDUFraktionsvorsitzenden gehört die Verabschiedung des (ausgeglichenen) Haushalts zwar zu den „Hausaufgaben der Politik“; dies bedeutet jedoch nicht „automatisch“ die Durchsetzung einer Sparpolitik, was sich in D auch daran zeigt, dass die CDU die hohen Personalausgaben aus der Zeit der SPD-Mehrheit vor 1999 bis heute mitgetragen hat. Ein Teil der Erklärung hierfür dürfte darin zu suchen sein, dass der (inzwischen verstorbene) CDU-Fraktionsvorsitzende als Personalratsvorsitzender der NRW-CDU einen „spezifischen“ Blick auf das Thema hatte. Die jetzige CDU-Fraktionsführung fordert hingegen eine kostenmäßige Verschlankung der Verwaltung zugunsten geringer Steuerhebesätze, eine Argumentationsfigur, die auch in der CDU-Stadt B vertreten wird. Die Präferenzen der politikzentrierten Bürgermeister in C und D sind, so lässt sich zusammenfassend feststellen, nur bedingt auf den Haushaltsausgleich
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7.2 Ergebnisse in Bezug auf die unabhängigen Variablen
gerichtet. Insbesondere der Bürgermeister in der Stadt C präferierte in der Wahlperiode 1999 – 2004 eindeutig die Repräsentation und eine in Teilen wählerstimmenmaximierende Ausgabenpolitik, vor allem im Bereich der kommunalen Sportpolitik. Im Gegensatz zu den Städten A und B finden wir hier keine zentralen Steuerungspolitiker vor, die von ihrem Amtsverständnis her Konsolidierungsprozesse erfolgreich durchführen wollen und können und damit die Handlungsfähigkeit ihrer Stadt erhalten. Im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess sind die Bürgermeister in C und D in haushaltsrechtlichen Fachfragen von ihren Kämmerern abhängig, ihre Überzeugungsmöglichkeiten sind begrenzt durch mächtige Vorsitzende der jeweiligen Mehrheitsfraktion. In den Fällen C und D treffen wir auf die Konstellation starker Parteipolitisierung, gepaart mit einem weniger starken Verwaltungschef aus der Kommunalpolitik, dem es nicht gelingt, sich zum „Anführer“ einer Sparkoalition aufzuschwingen, während in den Fällen A und B von exekutiver Führerschaft des Verwaltungschefs bei begrenzter Parteipolitisierung auszugehen ist. Im Untersuchungsfall E wurde die Machtposition eines parteilosen, verwaltungszentrierten Bürgermeisters untersucht. In der Stadt E kommt es aufgrund erheblicher Führungsprobleme des Bürgermeisters, enttäuschter „Krönungsmentalität“ der CDU-Fraktion und starker Vetospieler im Rat zu Entscheidungsblockaden, die vom beratenden Sparkommissar 2007/2008 nur in einem Kraftakt zusammen mit der Kommunalaufsicht temporär durchbrochen werden konnten. Dabei waren alle Akteure (Kommunalaufsicht, Sparkommissar) zum Erfolg verpflichtet. In einem Akt symbolischer Politik ging es den Akteuren darum, einen personellen und inhaltlichen „Neuanfang“ zu signalisieren. Im Ergebnis muss der Einsatz des Sparkommissars aber, auch nach eigenem Bekenntnis, als gescheitert angesehen werden, weil er den Grundkonflikt – und das sind die „zerrütteten“ Verhältnisse in der Zusammenarbeit zwischen Bürgermeister und Rat – nicht lösen konnte, so dass die Effektivität der gefundenen Kompromisse in Form von Haushaltssicherungskonzepten in Zweifel zu ziehen ist.231 Kohabitationsbedingungen bzw. fehlende Hausmacht im Rat stellen aber besondere Anforderungen an das Führungskönnen (Überzeugung) des Bürgermeisters, auch und insbesondere in Fragen der Haushaltskonsolidierung, die in der Stadt E aber nicht gegeben sind. Die Politik versuchte die Kompetenzen des Bürgermeisters einzuschränken. Hier ging es um Fragen der Verwaltungsorganisation, mithin um einen Legitimationskonflikt. 231
Die Vorgehensweisen des Sparkommissars im Fall der Krankenhausprivatisierung und der Durchsetzung der Kämmererwahl lassen sich wiederum als gelungene Beispiele von Entscheidungszentralisierung ansehen. Diese wurden in einer „vertrauten“ Runde von loyalen Personen vorbereitet. Der Rat, Fachämter und die Öffentlichkeit sowie der Personalrat wurden nur begrenzt beteiligt (Holtkamp 2007a: 24).
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Die Parteien im engeren Sinne (vgl. Fußnote 6) spielen keine bedeutende eigenständige Akteursrolle in der Haushaltspolitik der Untersuchungskommunen, da sie einzelfall- und ortsteilbezogene Politikansätze haben und Haushaltsfragen insofern Umsetzungs- und Machbarkeitsfragen sind, aber nicht Gegenstand grundsätzlicher Erörterung.232 Ihre Programme haben im Bewusstsein der lokalen Mandatsträger keinen großen Stellenwert (so auch Klein 1981), wobei die SPD-Ratsmitglieder tendenziell ein stärkeres Programmverständnis haben (Programmpartei; Steiner 2005: 12). In der Stadt C als der größten der Untersuchungskommunen hat die SPD-Partei allerdings eine relativ starke Wirkung auf die Fraktionsarbeit, was sich an der „Rückkopplung“ zwischen Fraktion und Partei in Fragen der Haushaltssicherungsbeschlüsse 2007 und insbesondere der Privatisierung von Stadtwerken und Wohnungsgesellschaft zeigt. Geht man der Frage hinsichtlich einer inhaltlichen Parteipolitisierung (Parteiendifferenz) in den Untersuchungskommunen nach, so wurden die kommunalen Experten zunächst mit Aussagen zum Verhältnis von sachorientierter Verwaltung und politischen Zielen der Mehrheitsparteien konfrontiert (vgl. auch Anlage 5). Auf die Aussage, dass in der Kommunalpolitik der Sachverstand der Verwaltung stärker berücksichtigt werden müsse als die politischen Ziele der Mehrheitsparteien, antworteten die Experten differenziert. 10 von 16 Interviewten stimmten dieser Aussage nicht zu oder waren unentschieden. Nur 5 Befragte stimmten der Aussage voll zu. Die überwiegende Anzahl der Experten sahen in der Leitung einer Kommune eine politische Aufgabe und keine rein fachliche Angelegenheit, wobei die befragten Bürgermeister auf diese Frage allesamt nicht antworteten. Alle antwortenden Stadtpolitiker stimmten dagegen der Aussage zu, dass im Stadtrat Sacharbeit233 Vorrang vor Parteipolitik haben müsse und verwiesen dabei teilweise auf ihre Pflichten als Ratsmitglieder nach der Gemeindeordnung (§ 43 GO NRW). Aussagen zu einzelnen kommunalen Politikfeldern (vgl. Anlage 6) ergaben in drei Bereichen ein variantes Antwortmuster: Personalpolitik, Privatisierungspolitik und Haushaltseinnahmepolitik. Alle SPD-Politiker stimmten der folgenden Aussage zu:
232
Wobei auch konstatiert werden muss, dass Partei und Fraktion in mittleren kreisangehörigen Kommunen häufig mehr oder weniger in eins zu setzen sind. So besteht zum Beispiel die CDUFraktion in der Stadt A zu 2/3 aus Mitgliedern des Stadtverbandsvorstands (Interview 5). 233 Hier als Synonym verstanden zu „Sachpolitik“, d.h. einer „sachgerechten“ Politik, in der die Suche nach der objektiv besten Problemlösung zum Wohle der Allgemeinheit im Vordergrund steht. Parteipolitik steht demgegenüber für parteipolitischen Opportunismus und Klientelismus auf Kosten der Allgemeinheit (Hämmerle 2000: 116). Das Befragungsergebnis deckt sich mit der ablehnenden Haltung der Bevölkerung zur parteipolitischen Steuerung kommunaler Angelegenheiten (Holtmann 1998: 213, Hämmerle 2000: 117).
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Die Personalpolitik der Stadt hat auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Daher ist es richtig, dass z.B. Beschäftigungsverhältnisse im Lohnbereich (z.B. eigene Reinigungskräfte, Bauhof) oder eine angemessene Zahl von Ausbildungsplätzen vorgehalten werden, während einige CDU-Politiker, darunter die CDU-Bürgermeister, dieser Aussage nicht zustimmen mochten. SPD-Politiker hingegen stimmten folgender Aussage weit überwiegend nicht zu: Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben ist in den Fällen gut, in denen die Privatwirtschaft effizientere oder effektivere Leistungen bereithält (z.B. Bauhof, Eigenreinigung, Müllabfuhr, andere Dienstleistungen). Schließlich verneinten alle CDU-Politiker folgende Aussage: Die Stadt sollte im Falle von Haushaltsdefiziten ihre Einnahmemöglichkeiten (Steuern, Gebühren, Entgelte) voll ausschöpfen. Sie begründeten dies damit, dass in Fällen von Haushaltsdefiziten erst der Rat „seine Hausaufgaben“ machen müsse, bevor er den Bürgern „in die Tasche greift“, z.B. in Form von Steuererhöhungen. Alle übrigen Aussagen (vgl. Anlage 6) waren zwischen den befragten Parteienvertretern überwiegend nicht strittig. Nun ist die Frage zu beantworten, ob und wie eine hieraus hervor scheinende Parteiendifferenz in der Personal-, Privatisierungs- und Steuerhebesatzpolitik in den Untersuchungskommunen in die politische Praxis umgesetzt wurde (Performanz). In der Stadt C (SPD-Mehrheit, SPD-Bürgermeister politikzentriert) wird die Aufgabenerledigung weit überwiegend mit eigenem Personal vorgenommen (der SPD-Faktionsvorsitzende zu diesem Umstand: „Gott sei Dank tun wir das“). Die Stadt hat so den höchsten Wert bei den Personalausgaben/EW im interkommunalen Vergleich. In der Vergangenheit wurden Personalentscheidungen im Rahmen des Stellenplanes ab der Besoldungsgruppe A 11, also schon bei Sachbearbeiterstellen, im Rat thematisiert; Personalpolitik ist hier als ausgesprochene SPD-Patronagepolitik anzusprechen. In Zeiten des Strukturwandels im Ruhrgebiet (Zechensterben) wurden freigesetzte Arbeitnehmer in den kommunalen Stellenplan übernommen. Diese Aspekte „sozialer Personalpolitik“ wirken bis heute fort und sind Bestandteil sozialdemokratischen Denkens (ebenso im Fall der Stadt E, wie der Sparkommissar im Interview mit Bezug zu vergleichbarer Praxis in anderen SPD-regierten Ruhrgebietsstädten bestätigte). Die extrem hohen Personalausgaben in der Stadt C (ebenso in E) können so mit der jahrzehntelangen SPD-Hegemonie und dem damit verbundenen ideologischen Ziel von Verteilungs- und sozialer Gerechtigkeit und im Zuge des Strukturwandels im Ruhrgebiet mit Ämterpatronage erklärt werden. In der Stadt D, die heute von einer CDU-Mehrheit und einem politikzentrierten CDU-Bürgermeister regiert wird, sind die hohen Personalausgaben als
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Erblast der vor 1999 regierenden SPD anzusehen. Die CDU hatte diesen Trend unter dem langjährigen ehemaligen Fraktionsvorsitzenden unterstützt; erst mit dem Wechsel in der Fraktionsspitze der CDU ist ein Kurswechsel erkennbar. Die Kommunalaufsicht beließ es in ihren Haushaltsverfügungen (Stadt C und D) bei Appellen zur Absenkung des Personaletats, die aber nicht nachhaltig fruchteten. Anders sieht es bei den Untersuchungsstädten mit verwaltungszentriertem Bürgermeister aus. Im Fall der Stadt A hat die SPD schon frühzeitig, befördert durch eine Befürworter-Koalition zwischen Fraktionsvorsitzendem und SPDBürgermeister, zu einem Umdenkungsprozess gefunden. War vorher die Devise: „Verwaltung soll Arbeitsplätze schaffen“, so lautet sie heute: „Kommunale Arbeitsplätze müssen auch bezahlbar sein“. Programmatische Parteiendifferenzen galten eher der Rücksichtnahme auf den grünen Koalitionspartner (bis zum Bruch 2006), als dass sie auf inhaltliche Monopolisierung abzielten. In B überlässt die CDU-Mehrheit die Personalausgabenpolitik ihrem verwaltungszentrierten Bürgermeister, dessen politisches Programm darin besteht, Personalausgaben weitgehend einzusparen zugunsten bürgerorientierter Angebotspolitik. Einen Sonderfall stellt die Stadt E dar. Hier hat sich der parteilose Bürgermeister mit dem Personalrat gegen die CDU-Mehrheit, die radikalen Personalabbau fordert, verbündet. Damit werden sich die aus SPD-Zeiten aufgebauten hohen Personalausgabenniveaus konservieren. Hohe Personalausgaben zeigten sich somit in SPD-regierten Städten oder Städten mit SPD-Erblast, in denen sich der politikzentrierte oder parteilose Bürgermeister nicht gegen die Ratsmehrheit durchsetzen will oder kann. In den Untersuchungsfällen konnte auch die Kommunalaufsicht trotz jahrelangem Nothaushaltsregime keine Umkehr erzwingen, weil Detaileingriffe wegen der Besonderheit des öffentlichen Arbeits- und Dienstrechtes ausscheiden, Orientierungsdaten fehlen234 und im Falle angemahnter Personalwirtschaftskonzepte die Darstellung derselben in Haushaltssicherungskonzepten „dehnbar“ ist. In Fällen materieller Privatisierung (zum Beispiel des Reinigungsbereiches, Verkauf der Stadtwerke oder der Wohnungsgesellschaft) und formeller Privatisierung (GmbH- oder AöR-Gründungen) tut sich die SPD in der Regel „schwer“, die CDU unterstützt diese Maßnahmen. Dort, wo sie es mit Mehrheit kann (Fall C), blockiert die SPD entsprechende Entscheidungen, es sei denn (Fall E), sie wird durch die Aufsicht zum Einlenken gezwungen. In C konnte die SPD ihre 234
Transparenz kann hier der „Kommunalindex für Wirtschaftlichkeit – KIWI“ erzeugen, den die GPA NRW ihren Prüfungen zugrunde legt und dessen Ergebnisse nicht nur den Verwaltungsführungen, sondern auch den Kommunalaufsichten Orientierung geben könnte (Banner 2007). Banner (2007) denkt auch an eine positive Sanktionierung wirtschaftlichen Verhaltens z.B. im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs in Form einer Konsolidierungspauschale. Kritisch hierzu jedoch ifo Institut für Wirtschaftsforschung 2008: 194.
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Konzepte, genau wie die Ablehnung einer Privatisierung der Gebäudereinigung teilweise gegen den Bürgermeister, auch unter Nothaushaltsbedingungen durchsetzen. Für SPD/Grüne sind städtische Wohnungsbaugesellschaften ein Steuerungsinstrument zur „sozialen Korrektur“. Dort allerdings, wo die CDU die Ratsmehrheit hat (Fall B), werden Privatisierungsentscheidungen gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt. Steuerhebesatzpolitik kann man ebenfalls auf einem Rechts-Links-Schema einordnen, jedoch ist hier vorrangig nach den Performanzmöglichkeiten politischer Einstellungsmuster (Eingriffe der Kommunalaufsicht) zu fragen. In der Stadt A setzte die SPD/Grüne-Mehrheit Steuererhöhungen gegen die CDU durch, in B vermeidet die CDU-Mehrheit Steuererhöhungen als ein Signal für eine ihre Klientel entlastende Politik und nimmt dafür lieber eine stärkere Verschuldung in Kauf (Wagschal 1996a: 257). Aber auch in Eingriffsfällen der Kommunalaufsicht (Stadt D) gelang es der CDU, durch Widerstand massive Steuererhöhungen zu vermeiden bzw. zu verzögern. Diese Befunde können die These unterstützen (Wagschal 2006b), dass SPD-Mehrheiten eher als CDUMehrheiten dazu neigen, Steuererhöhungen (insbesondere Gewerbesteuer) zum Haushaltsausgleich heranziehen. Hat sich die Hypothese einer unterschiedlich stark ausgeprägten Parteiendifferenz in einigen Bereichen der Kommunalpolitik in den Untersuchungskommunen bestätigt, so sind doch immer die besonderen Umstände, insbesondere das Vorhandensein von Haushaltsnotlagenregimen, zu berücksichtigen. Die hier ermittelte residuale Parteiendifferenz bezieht sich als Erklärungsfaktor für Haushaltsdefizite nur auf die analysierten Kommunen und ist sicherlich nicht ohne weiteres verallgemeinerbar. Gleichwohl ist anzunehmen, dass eine messbare Parteipolitisierung in einigen wenigen ideologisch umstrittenen Fragen (Privatisierung, Personalausgaben, Gesamtschule, Parkraumbewirtschaftung) nach wie vor eine haushaltsstrukturierende Wirkung entfalten kann. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse dieser Studie noch einmal zusammen, bezogen auf die Untersuchungskommunen und die Determinanten erfolgreicher Konsolidierungspolitik:
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Tabelle 29: Zusammenfassung der Ergebnisse „Verwaltungsführungserfahrung des Bürgermeisters“ in den Fallkommunen [X = Merkmal erfüllt; (X) = Merkmal teilweise oder mit Einschränkung erfüllt; 0 = Merkmal nicht erfüllt];* = BM-Wechsel 2004
Fall
Führungswollen Vorposition
Präferenz Konsolidierungswille
Führungskönnen Vorposition
Überzeugung
Tendenz Haushaltslage
Fachwissen/Expertise Normorientierung
Verwaltungszentrierte Bürgermeister A X X B (X) (X) Parteiloser (verwaltungszentrierter) Bürgermeister E 0 (X) Politikzentrierte Bürgermeister C 0 / (X)* 0 D 0 0
X X
positiv positiv
0
negativ
0 0
negativ negativ
Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen nunmehr an den Untersuchungshypothesen gespiegelt werden (vgl. Kapitel 3):
Konsolidierungsprozesse gehen von den Bürgermeistern aus, von denen aufgrund der ihnen institutionell zugewiesenen Rechte und Aufgaben eine Eindämmung der Übernutzung des Budgets erwartet werden kann (Zentralisierung der Haushaltspolitik). Dabei variiert allerdings das Amtsverständnis und das persönliche Bekenntnis zur Konsolidierung, mithin die Präferenz der Akteure. Bürgermeister, die aus der ehrenamtlichen Kommunalpolitik kommen (politikzentrierte Bürgermeister), zeigen weniger Interesse am Haushaltsausgleich als Bürgermeister mit juristischer bzw. Verwaltungsausbildung (verwaltungszentrierte Bürgermeister), für die der Haushaltsausgleich als rechtlich bindende Norm eine wesentliche Rolle spielt. Es zeigte sich, dass in den Untersuchungskommunen, die von verwaltungszentrierten Bürgermeistern geleitet werden, die Haushaltsergebnisse tendenziell besser sind. Dazu trugen das Amtsverständnis und die Expertise der Bürgermeister bei. Neben der Präferenz des Bürgermeisters zur Haushaltskonsolidierung und seiner Expertise kommt es in den Akteurskonstellationen aber in entscheidendem Maße auf die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber
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dem Rat an. Dort, wo es dem Bürgermeister gelingt, mit einer BefürworterKoalition von Steuerungspolitikern Spezialinteressen der Fachpolitik – auch in seiner Mehrheitsfraktion - abzuwehren (idealtypisch: Fall A), lässt sich der Haushalt auf Gleichgewichtskurs halten. Gleiches gilt, wenn auch mit anderer Zielrichtung, für den Fall B: Hier ist es dem durchsetzungsstarken, mit Expertise ausgestatteten Bürgermeister gelungen, ein HSK und damit Gestaltungseingriffe der Kommunalaufsicht zu vermeiden. Dabei stützte er sich auf „seinem“ Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion ab. Umgekehrt verhält es sich in den untersuchten Fällen politikzentrierter Bürgermeister. Aufgrund mangelnder Expertise und Überzeugungsfähigkeit konnten die Bürgermeister in den Städten C und D keine erfolgreiche Konsolidierungspolitik betreiben. Aufgrund vorherrschender konkurrenzdemokratischer Strukturen und der trotz institutioneller Änderungen in der GO nach wie vor hohen Parteipolitisierung in NRW ist der Einfluss des Bürgermeisters auf den Rat (Überzeugung) dann erschwert, wenn er als parteiloser Amtsinhaber keine Machtbasis hat. Dann ist damit zu rechnen, dass die Ratsmehrheit den „feindlichen“ Bürgermeister in seinen Kompetenzen massiv beschneidet. Ein Bürgermeister ohne „Hausmacht“, und sei er auch „vom Fach“ und konsolidierungsorientiert, wird es schwer haben, sparpolitische Ziele auf Dauer durchzusetzen, weil er von der Kooperationswilligkeit des Rates abhängig ist, auf die er wenig Einfluss hat. Ändern sich die Akteurskonstellationen, kann eine nachhaltige Sparpolitik in Gefahr geraten. Dies gilt umso mehr, wenn es, wie im Untersuchungsfall E, schon am Konsolidierungswillen des Bürgermeisters fehlt. Selbst der „harte“ Eingriff des Sparkommissars, der letztlich an den Akteurskonstellationen gescheitert ist, konnte hier keine Grundlage für eine dauerhafte Haushaltskonsolidierung legen. In beiden Untersuchungsfällen parteiloser Bürgermeister kam es zu Blockadesituationen im Rat und Kompetenzstreitigkeiten, die im Falle E auch der beratende Sparkommissar nicht effektiv auflösen konnte. Haushaltskonsolidierung war unter diesen Bedingungen in den Fallkommunen erfolglos bzw. deutlich erschwert. Auch wenn zu erwarten ist, dass die Parteiendifferenz auf kommunaler Ebene aufgrund der besonderen Rahmenbedingungen lokaler Politik seit den 1990-er Jahren (insbesondere aufgrund der Haushaltskrise) insgesamt nicht mehr stark ausgeprägt ist, lassen sich in einzelnen policy-outputErgebnissen SPD-bezogene Effekte nachweisen (Personalausgaben, Privatisierungsentscheidungen), und das umso stärker, je länger die Hegemonie einer Partei andauerte bzw. je geringer der Einfluss des politikzentrierten Bürgermeisters auf seine Mehrheitsfraktion (Überzeugung) ist. Fehlt es am
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Führungswollen (Präferenz, Konsolidierungswille) und Führungskönnen (Expertise, Überzeugung) des Bürgermeisters wie in den Fallkonstellationen C und D, gerät der Haushalt schnell in die Schieflage, brechen sich Spezialinteressen und ideologische Dispositionen, insbesondere in der Personalpolitik (Personalüberausstattung in SPD-Kommunen), der Privatisierungspolitik (Privatisierungsaversion in SPD-Städten) und (mit Einschränkungen) in der Steuerhebesatzpolitik (zurückhaltende Steuerhebesatzpolitik in CDUStädten ohne Haushaltssicherungskonzept) Bahn. Dabei gelingt es den Parteien in den untersuchten Fallkommunen C und D sogar in Nothaushaltsregimen, parteipolitische Positionen (hohe SPD-Personalausgaben bzw. Vermeidung von Steuererhöhungen) durch subversive Strategien zu verteidigen. Erfolgreiche Sparpolitik hängt mithin von folgenden Faktoren ab bzw. muss folgende Strategien verfolgen:
Zentralisierung: Haushaltskonsolidierung geht von der Verwaltungsspitze und der Kämmerei aus (am besten unter Ausnutzung des honeymoonEffekts, d.h. am Anfang der Legislaturperiode). Sparvorschläge werden von einer Koalition von Generalisten (Bürgermeister, Vorsitzender der Mehrheitsfraktion, Kämmerer, loyale Verwaltungsmitarbeiter) vorbereitet und möglichst unter Zeitdruck (Holtkamp 2007a: 24, Vetter/Holtkamp 2008: 39) umgesetzt. Ziel ist es, „Spezialistenmacht“, Parteiideologien, Vetopositionen und Informationsdefizite zu brechen bzw. zu überwinden. In den Städten A und B führte das zum Erfolg. In C scheiterten die Bemühungen einer solchen Befürworter-Koalition, weil sich der Bürgermeister aus den entscheidenden Verhandlungsprozessen mit den Ratsfraktionen und der Aufsicht herausdrängen ließ und das Feld dem schwächer positionierten Kämmerer überließ. Auch in D konnte der Bürgermeister 2007 keine Sparkoalition bilden. Der Bürgermeister muss über eine „Hausmacht“ im Rat verfügen (Homogenität). Aufgrund der in NRW zu beobachtenden stärker konkurrenzdemokratischen Einstellungen ist mit einem dominanten Bürgermeister dann zu rechnen, wenn er dasselbe Parteibuch hat wie die Ratsmehrheiten. Fehlt es daran wie im Fall von Kohabitation oder in Fällen parteiloser Bürgermeister (Untersuchungsfall E) oder kann sich der Bürgermeister aufgrund starker Vetospieler in seiner Fraktion nicht durchsetzen (Fälle C und D), geraten
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7.3 Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick
Haushaltskonsolidierungsprozesse in Gefahr, weil seine Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist.235 Der Bürgermeister muss durch positive Koordination in Prozesse eingreifen (Fälle A und B). Diese Steuerungsleistung erfordert eine beträchtliche Autonomie gegenüber Spezialinteressen. Dazu müssen Kapazitäten zur Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung gestärkt werden. Dies setzt Expertise voraus, die durch den Kämmerer und auch die Kommunalaufsicht in der Regel nicht ersetzt werden kann. Zur Komplexitätsreduktion bieten sich inkrementale Vorgehensweisen an.
7.3 Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick Bewertungsmaßstab für kommunalpolitische Entscheidungsprozesse und deren Ergebnisse kann die Antwort auf die Fragen nach der Input- und OutputLegitimation politischer Entscheidungen sein, wie sie Fritz W. Scharpf in seiner „Komplexen Demokratietheorie“ aufgeworfen hat (Scharpf 1970, 1993a, 2004; Schmidt 2003). Die komplexe Demokratietheorie will die politische Beteiligung und Fragen des Regierens berücksichtigen. Das Gemeinwesen muss fähig sein, das Kollektivinteresse wirksam zu fördern, es muss gewährleisten, dass die dafür notwendige Herrschaftsgewalt im Sinne der Mitglieder und nicht im Sinne der separaten Interessen der jeweils Herrschenden ausgeübt wird (Scharpf 1993a: 27). Die Input-Perspektive betont daher die Partizipation der Bürger und die Verantwortlichkeit der Regierenden gegenüber den Regierten (im Sinne von: government by the people). Dazu gehören mithin klare Verantwortlichkeiten, demokratische Kontrolle der Verwaltung und ein differenzierter Input der Bürgermitwirkung. Die Output-Perspektive unterstreicht hingegen die sachliche Qualität der Politik, die Fähigkeit zur Problemlösung (im Sinne von: government for the people) und die „Effektivität der Orientierung auf das Gemeinwohl, die erst die Opfer rechtfertigen kann, die kollektives Handeln von den Einzelnen
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Dieses Ergebnis zeigt sich auch im Falle einer weiteren untersuchten kreisangehörigen Ruhrgebietskommune. Der parteilose Bürgermeister, der bereits Stadtdirektor in der Kommune war, wurde zunächst von einer schwarz-grünen Ratsmehrheit getragen. Jedoch kam es zu personellen Veränderungen an der CDU-Fraktionsspitze. Der Grad der Parteipolitisierung stieg an bis hin zu Personalentscheidungen gegen den Bürgermeister. Der Fall zeigt, dass ein konsolidierungswilliger Bürgermeister ohne politische Machtbasis zwischen den Blöcken lavieren muss und sich schnell den Vorwurf einhandelt, den Pfad der politischen Neutralität zu verlassen. Folgt er auch den Erwartungen der ihn tragenden politischen Mehrheit nicht mehr, fällt er schnell in Ungnade und muss mit Vetopositionen rechnen.
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fordert“ (Scharpf 1993a: 27). Output-Legitimation ist also verknüpft mit Innovationsfähigkeit der Verwaltung, mit Effektivität und Effizienz ihres Handelns. Aus den Ergebnissen der vorgelegten Studie wird deutlich, dass eine Zentralisierung der Haushaltspolitik in der Kommune die Entscheidungsfähigkeit erhöht und damit prinzipiell geeignet ist, die Output-Legitimation zu steigern. Im Verständnis des Akteurszentrierten Institutionalismus ist hierarchische Steuerung eine der vier grundlegenden Interaktionsformen (neben einseitigem Handeln, Verhandeln und Mehrheitsentscheidung; Scharpf 2000: 282). Im Gegensatz zu den anderen Interaktionsmodi werden im Falle der Hierarchisierung die Transaktionskosten abgestimmten Handelns verringert und daher die Möglichkeit eröffnet, „positive Entscheidungen aus einer inklusiven, wohlfahrtsstaatlichen Perspektive zu koordinieren“ (Schapf 2000: 283). Voraussetzung für effektive Hierarchisierung ist allerdings, dass ein „wohlwollender“ und vor allen Dingen „allwissender Diktator“ (Scharpf 2000: 286) vorhanden ist. Dem hierin angesprochenen Informationsproblem (Informationsbeschaffung und –verarbeitung), dem hierarchische Steuerung prinzipiell begegnet, kann entgegengewirkt werden, wenn Sparvorschläge in interner Runde unter Beteiligung loyaler Mitarbeiter („Sherpas“) erarbeitet oder durch Unternehmensberatungen entwickelt werden (Vetter/Holtkamp 2008: 39). Insbesondere bei der Formulierung politischer Programme ist die Verwaltungsspitze auf Spezialisteninformationen untergeordneter Ebenen angewiesen (Scharpf 2000: 292). Unter dem Kriterium der Input-Legitimation müssen das hier herausgearbeitete Modell einer hierarchischen Steuerung der Haushaltspolitik und die Marginalisierung inhaltlicher Parteipolitisierung und Vetospieler durch den Bürgermeister als problematisch bewertet werden. Entscheidungsfindung soll hiernach in internen Zirkeln stattfinden ohne Partizipation und Mehrheitsprinzip. Auch ist eine Entscheidungstransparenz für den überwiegenden Teil des Rates und die Öffentlichkeit so nicht gegeben. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit stärker partizipative Haushaltsprozesse tatsächlich von den Bürgern und den Fraktionen „nachgefragt“ werden und ob sich hieraus stärkere Konsolidierungseffekte (Effizienz) ergeben würden. Dem Kaldor-Kriterium zufolge sind nämlich alle Vorhaben nur dann nicht akzeptabel, wenn durch sie der aggregierte Netto-Nutzen aller Beteiligten gegenüber dem Status quo nicht vermehrt wird. Dem KaldorKriterium ist Genüge getan, wenn der Vorteil, der einer Partei aus einem Vorhaben erwächst, den Nachteil überwiegt, der hierdurch der anderen Partei entsteht (Schmidt 2003: 159). Es wurde an anderer Stelle (vgl. oben Kapitel 1.1) schon deutlich gemacht, dass Haushaltspolitik in der Kommune ein Feld für „Experten“ ist. Wesentliche Impulse gehen immer von der Verwaltung und nicht von der „Feierabendpolitik“ aus (Naßmacher/Naßmacher 1999: 338). Haushaltspläne erfahren selten gravierende Änderungen/Ergänzungen in den Beratungsgremien.
290
7.3 Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick
Ursächlich hierfür ist die begrenzte Rationalität der Akteure (Bogumil 2001: 29). Das Steuerungswissen der Politik reicht in den seltensten Fällen aus, Problemursachen zweifelsfrei festzustellen und auf der Grundlage vollständiger Informationen einen gewünschten Zustand herbeizuführen. Innerhalb der Fraktionen erfordern wachsende Informationsflut, steigende Kompliziertheit und Konfliktintensität kommunalpolitischer Entscheidungsprozesse zunehmend fraktionsinterne Arbeitsteilung (Naßmacher 1989b: 186). Auch dem Rat als Ganzem kommt in der Haushaltspolitik eher eine Nebenrolle zu. Die Aktivitäten des Rates spiegeln häufig die Perzeption seiner Führungskräfte wider (Naßmacher 1989b: 193). Haushaltspolitik ist mithin Sache der Fraktionsspitzen: „Die Haushaltspolitik wird in der Regel v. a. von den Spitzenpolitikern in den Fraktionen – also häufig von den Fraktionsvorsitzenden – dominiert, während ‚einfache’ Ratsmitglieder den Haushaltsplan zum Teil nicht einmal richtig lesen können. Das liegt einerseits an der sehr komplizierten kameralistischen Haushaltsführung und andererseits an den knappen Zeitressourcen der Ratsmitglieder sowie ihrem Wunsch, sich eher in einzelnen Fachpolitiken zu profilieren.“ (Bogumil/Holtkamp 2006: 137)
Mit anderen Worten: Eine de-hierarchisierte Haushaltspolitik würde die InputLegitimation für das „einfache“ Ratsmitglied nicht erhöhen. Sie wäre nur das erweiterte Einfallstor für Fachressortinteressen. Auch die Hoffnung, dass stärker partizipativ anstelle hierarchisch angelegter Haushaltsprozesse (Bürgerhaushalt) nennenswerte Konsolidierungseffekte zeitigen könnten, konnte bisher empirisch nicht bestätigt werden (Herzberg/Röcke/Sintomer 2006). Bürger interessieren sich in der Regel nicht für den ganzen Haushaltsplan, sondern eher für Projekte, bei denen eine Prioritätensetzung möglich erscheint, d.h. für Maßnahmen des Vermögenshaushalts (Bogumil/Holtkamp 2006: 155), der auch im Zentrum der Haushaltsplanberatungen im Rat steht. Zusätzlich kommen das Allmendeproblem der Haushaltspolitik und die Status-Quo-Orientierung der direkten Demokratie zum Tragen (Holtkamp 2009). Bei der gegebenen mangelhaften Finanzausstattung der Kommunen kann die Nichtumsetzung von Bürgerwünschen somit input-seitig eher zu weiterer Politik(er)verdrossenheit führen. Im Ergebnis ist festzuhalten: Die Vorteile der Zentralisierung der Haushaltspolitik wurde in vielen vergleichenden Studien auf internationaler Ebene bestätigt. Nur mit einem konsolidierungswilligen und durchsetzungsstarken Regierungs- oder Verwaltungsleiter können fachpolitische Interessen, die prinzipiell budgetmaximierende Effekte haben, wirksam eingehegt werden. Nachteilen für das politische System (Input-Legitimation) – intransparent, wenig partizipatorisch, Gefahr des Machtmissbrauchs – stehen aber deutliche Effektivitäts- und
7 Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
291
Effizienzvorteile gegenüber: unter den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen und einer nicht, wie von Befürwortern der Kommunalverfassungsreform erwarteten, eingetretenen Ent-Parteipolisierung in NRW bei gleichzeitig ausufernden Haushalten kommt es in entscheidendem Maße auf die Führungsleistung des Bürgermeisters an. Der Output-Legitimation des Handelns muss daher eine deutlich höhere Bedeutung zugemessen werden, sollen die im Einzelfall verbliebenen letzten Reste kommunaler Handlungsspielräume erhalten bleiben. Wurden mit der Kommunalverfassungsreform und der Einführung der Direktwahl der Bürgermeister in NRW bereits teilweise problematische Führungsstrukturen geschaffen, sorgt die GO-Änderung 2007 für eine Entkoppelung der Bürgermeisterlegitimation von der Ratslegitimation, indem die Amtszeit des Bürgermeisters auf 6 Jahre verlängert wurde (§ 65 GO NRW n.F.). Bürgermeister und Rat werden letztmalig 2009 in parallelen Wahlen gewählt. Zur Begründung dieser Gesetzesänderung führt das Innenministerium an, dass damit die „Stellung des Hauptverwaltungsbeamten (…) gestärkt werden“ solle (Broschüre Innenministerium NRW: Kommunalrecht in Nordrhein-Westfalen. Gemeindeordnung, Kreisordnung und Auszüge aus weiteren Gesetzen, Düsseldorf o.J.). Und weiter: „Ein wesentliches Reformziel war die Stärkung der kommunalpolitischen Stellung des Bürgermeisters bzw. der Bürgermeisterin. Mit der Reform der Kommunalverfassung wird die Amtszeit [Hervorhebungen im Original, d. Verf.] der zu wählenden Bürgermeisterin bzw. des zu wählenden Bürgermeisters von fünf auf sechs Jahre verlängert (§ 65 GO NRW). Dies dient der Kontinuität und Effizienz der Verwaltungsführung. Der Bürgermeister kann Gestaltungsprozesse nachhaltiger steuern als bisher.“
In der Gesetzesbegründung (Landtagsdrucksache 14/3979, S. 142) wird das Idealbild baden-württembergischer Verhältnisse nachmodelliert, indem dem Bürgermeister eine persönlich und fachlich unabhängigere Position prognostiziert und von parteipolitisch distanzierten Ratsmitgliedern ausgegangen wird, die einen eigenständigen Wahlkampf führen: „Der durch eine eigenständige Wahl legitimierte Bürgermeister wird in seiner persönlichen und fachlichen Unabhängigkeit gestärkt. Die parteipolitische Zugehörigkeit des Bürgermeisters tritt in den Hintergrund. Zugleich wird die Bedeutung der Ratswahl hervorgehoben, da die bisherige Fokussierung auf die Personenwahl des Bürgermeisters entfällt. Die Ratsmitglieder können in einem eigenen Wahlkampf stärker in Erscheinung treten.“
Wie passt dieses „Gemälde“ (mehr Effizienz, stärkere Unabhängigkeit des Bürgermeisters, „mündige“ Ratsmitglieder) zur bisherigen Verfassungswirklichkeit in NRW? Die Entkopplung von Rats- und Bürgermeisterwahl wird zu einer hö-
292
7.3 Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick
heren Zahl von Kohabitationsfällen führen (so auch Holtkamp 2005: 32; Vetter/Holtkamp 2008: 45). Die Ursachen hierfür liegen im Kommunalwahlverhalten der Wählerinnen und Wähler in NRW begründet. Eine Analyse der Einflussfaktoren des kommunalen Wahlverhaltens (Bovermann 1998: 182) hat gezeigt, dass einiges für die These spricht, dass in NRW die Unterschiede im Wahlverhalten zwischen den Wahlebenen nicht prinzipieller, sondern gradueller Natur sind. Anders als in Baden-Württemberg gibt es in NRW kein spezifisches Kommunalwahlverhalten (Löffler/Rogg 1991: 116). In Nordrhein-Westfalen sind die Parteien - vor allem im Ruhrgebiet – stärker in der Gesellschaft verankert, ist der Anteil kleiner Gemeinden gering und unterscheiden sich die Rahmenbedingungen bei Kommunalwahlen nicht wesentlich von denen anderer Wahlebenen (Bovermann 1998: 182). Die Analyse der Rats-/Bürgermeisterwahl 1999 (Bovermann 2002: 158) zeigte, dass die Ratswahl eine Parteienwahl ist (hoher Stammwähleranteil, Reflexe auf die bundespolitische Situation236, Parteiorientierung als gesamtsystematischer Faktor), die Bürgermeisterwahl hingegen eine Personenwahl, mit einer Kandidatenorientierung als stärkstem Einflussfaktor. Es ist somit damit zu rechnen, dass sich die Zusammensetzung der Räte in Zukunft von einer prinzipiellen Parteiorientierung der Bürgermeister weiter entkoppelt. Aus der vorliegenden Analyse wird aber deutlich, dass Kohabitationen die Effizienz und Effektivität der Verwaltungssteuerung, auch und gerade im Hinblick auf haushaltspolitische Sparziele, für den Bürgermeister erheblich erschweren, weil bei starker Parteipolitisierung häufig mit destruktiven Vetospielerstrategien zu rechnen ist (Vetter/Holtkamp 2008: 45).237 Die Machtposition und Dominanz des Bürgermeisters könnte ferner geschwächt werden durch eine zunehmende Fragmentierung der Räte in NRW. Im Jahr 1999 hatte der Verfassungsgerichtshof NRW die 5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen gekippt (VerfGH NRW OVGE 47, 304), weil er eine drohende Funktionsunfähigkeit der Kommunalvertretungen bei Wegfall der Sperrklausel nicht erkennen mochte. Mit der Reform der Gemeindeordnung 2007 hatte die schwarz-gelbe Koalition im Landtag NRW daraufhin beschlossen, dass Parteien oder Wählergruppen, die bei der Berechnung der Sitzverteilung nicht mindestens eine Zahl von genau 1,0 für einen einzigen Sitz erreichen, bei der Sitzverteilung unberücksichtigt bleiben. Bei einem rechnerischen Anspruch auf 1,5 Sitze sollte dagegen auf zwei Sitze aufgerundet werden (indirekte Sperrklausel, § 33 Abs. KWahlG). Auch diese Sperrklausel kassierte der VGH im Dezember 2008. Die Richter hatten eine „Ungleichgewichtigkeit der Wählerstimmen“ bemängelt. Die 236
Siehe auch Kevenhörster (1976: 280), der im kommunalen Wahlverhalten nur einen „Reflex gesamtsystemaren Wahlverhaltens“ sieht. 237 Input-seitig ist darüber hinaus zu befürchten, dass die Splittung der Kommunalwahl in zwei zeitlich versetzte Wahlgänge zu noch geringeren Wahlbeteiligungen führt als bisher.
7 Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
293
Regelung hätte nämlich dazu geführt, dass in kleinen Kommunen eine sehr hohe Sperre von 5 Prozent gewirkt hätte, während in den großen Räten der Großstädte weiterhin die Möglichkeit bestanden hätte, mit wenigen Stimmen einen ersten und einzigen Sitz zu erringen. Nach der nunmehr geltenden Regelung ohne Sperrklausel ist, je nach Größe der Räte, ein Stimmenanteil von 0,56 Prozent in großen bis 2,5 Prozent in kleinen Kommunen erforderlich, damit eine Partei ein Ratsmandat erlangt238. Aus Sicht der in dieser Dissertation geführten Argumentation führt die Fragmentierung der Räte zu Entscheidungsblockaden und damit zu einer Schwächung der Output-Legitimation. Es spricht einiges dafür, dass durch die Entkopplung von Rats- und Bürgermeister-Legitimation, aber auch durch den Wegfall von Sperrklauseln vor allem die Kosten der Herstellung politischer Mehrheiten gestiegen sind (vgl. Sack/Gissendanner 2007) und sich insgesamt Kommunalpolitik als unübersichtlicheres und damit auch risikoträchtiges Geschehen erweist (Haus 2008: 306). Bogumil/Grohs/Holtkamp stellen denn auch in ihrem Gutachten zu den Auswirkungen der Abschaffung der kommunalen 5%-Sperrklausel auf das kommunalpolitische Entscheidungssystem in NRW folgendes fest (Bogumil/Grohs/Holtkamp 2009: 36): „Verfügt der Oberbürgermeister im Kommunalparlament nicht über eine eigene, zuverlässige Mehrheit, muss er bei unklaren Mehrheitsverhältnissen immer damit rechnen, dass sich fallweise eine ‚Mobbingkoalition’ gegen ihn bildet. (…) Kann er sich nicht auf eine Koalition seiner Partei im Kommunalparlament stützen, was durch den Fall der 5%-Hürde deutlich erschwert worden ist und mit der Entkopplung von Rats- und Bürgermeisterwahl zukünftig noch unwahrscheinlicher werden dürfte, dann ist er den Angriffen der anderen Parteien in der konkurrenzdemokratischen Ratsarena relativ hilflos ausgeliefert.“
Vor dem Hintergrund der desolaten Finanzlage in zahlreichen NRW-Kommunen ist das keine gute Perspektive. Es wäre aus Sicht des Verfassers ein lohnendes Forschungsfeld, die Auswirkungen fragmentierter Räte und der Entkopplung von Rats- und Bürgermeisterlegitimation auf die Machtposition (exekutive Führerschaft) des Bürgermeisters und die Haushaltseffizienz empirisch genauer zu untersuchen. Wirken sich die Gesetzesänderungen der GO bzw. die Korrekturen aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen mit einiger Wahrscheinlichkeit negativ auf die Machtposition des Bürgermeisters in Haushaltskonsolidierungsprozessen 238
Überlegungen der Landtagsfraktionen gehen aktuell dahin, wieder eine echte, aber abgesenkte Sperrklausel (2 oder 3 Prozent) zu installieren. In ihrem Gutachten für die SPD-Landtagsfraktion schlagen Bogumil/Grohs/Holtkamp (2009) eine einheitliche gesetzliche Sperrklausel von 2,5 % vor. Der NRW-Innenminister hingegen hält an der Abschaffung der Sperrklausel fest („Keine Sperrklausel bei Kommunalwahlen“, Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 140, 20./21.06.2009).
294
7.3 Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Ausblick
aus, so könnte diese gestärkt werden, wenn das Wahlrecht in NRW personalisiert würde. Kumulieren und Panaschieren nach baden-württembergischem Vorbild kann die kommunalpolitische Dominanz der Parteien destabilisieren (Überall 2008: 239). Losgelöst von Fraktionszwängen und parteipolitischen Rücksichtnahmen könnten Ratsmitglieder von einem überzeugenden, d.h. fachkundigen und durchsetzungsstarken Bürgermeister im Sinne konkordanzdemokratischer Regelungsmuster eher in eine „Koalition der Konsolidierungswilligen“ gezogen werden, als dies heute möglich ist. Die neue Rolle des Bürgermeisters als Verwaltungschef und oberster Repräsentant der Stadt ist in vielen Städten von NRW hinsichtlich der Nutzung von Macht und Einfluss noch nicht abschließend justiert, einschließlich der Rekrutierung von Führungspersonal durch die Parteien. Dies ist offenbar eine Folge der noch immer andauernden Transformation des kommunalpolitischen Systems in NRW. Dabei könnte insbesondere die Aufstellung von Bürgermeisterkandidaten bzw. -kandidatinnen mit Verwaltungsführungserfahrung durch die Partien bei erfolgreicher Kandidatur exekutive Führerschaft, Durchsetzungsfähigkeit in der Verwaltung und die Haushaltsdisziplin des Verwaltungschefs fördern (Vetter/Holtkamp 2008: 39). Kontrastierten 1999 noch die faktischen Anforderungen des Bürgermeisters (juristische Verwaltungsleitung) an das Amt mit der Wirklichkeit, weil weniger Juristen und Verwaltungsexperten als vor der Gemeindeordnungsreform die NRW-Kommunalverwaltungen leiteten (Nienaber 2004: 2000), so sieht Wehling für die Gegenwart in NRW schon eine Trendwende in Richtung Professionalisierung und Zurückdrängung parteipolitischer Auswahlkriterien (2008: 18). Auch hier ist weiterer Forschungsbedarf erkennbar: Verändert sich bei zukünftigen Kommunalwahlen die Nominierungspraxis der Bürgermeisterkandidaten durch die Parteien und das Sozialprofil der Bürgermeister, wie es von Wehling vorausgesagt wird, und schließt sich damit langsam die „Professionalisierungslücke“ (Gerhard Banner) an der kommunalen Verwaltungsspitze? Zu fragen ist schließlich nach den Insitutionenarrangements, die wirksame persönliche Führung des Bürgermeisters unterstützen können und geeignet sind, das Informationsproblem hierarchischer Steuerung zu relativieren. Mit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) verbinden die Protagonisten folgende Ziele: „[Die] Überzeugung von der nachhaltigen Rentabilität der Reform des kommunalen Haushalts- und Rechungswesens rührt aus der Auffassung, dass die Grundaussagen des Neuen Steuerungsmodells (NSM)239, das seit den 90er Jahren in den Kommu239
Das Neue Kommunale Finanzmanagement wird hier als spin-off des Neuen Steuerungsmodells gesehen. Diese Einschätzung kann man teilen, wenngleich im NSM eher Effektivitäts- denn Effi-
7 Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik
295
nalverwaltungen weite Verbreitung gefunden hat, Gültigkeit haben und notwendige Voraussetzungen zur Verbesserung von Transparenz, Effektivität und Effizienz in der kommunalen Aufgabenerledigung sind [Hervorhebung durch Verf.].“ (Innenministerium NRW 2003: 9)
Mit einer Orientierung an Produkten, Kennzahlen, Zieldefinitionen, Kosten- und Leistungsrechnung, konsolidiertem Konzernabschluss etc. soll es möglich sein, zielgenauer als unter den Bedingungen der Kameralistik zu steuern. Zu fragen wäre also wiederum aus neo-institutionalistischer Perspektive, ob es mit Hilfe des NKF gelingen kann, den systematischen Informationsvorsprung der Fachpolitik vor den auf Haushaltsbalance ausgerichteten Interessen einer Konsolidierungskoalition (Bürgermeister, Kämmerer, Fraktionsvorsitzender der Mehrheitsfraktion) zu beseitigen. Hier würden sich ebenfalls geeignete Fallstudien in den Kommunen nach flächendeckender Einführung des NKF ab 2009 anbieten.
zienzziele im Vordergrund stehen: Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur, Output-Steuerung, Wettbewerb und Kundenorientierung.
Anhang Anlage 1: Interview-Leitfaden I. Allgemeine Fragen 1. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Nennen Sie kurz die Hauptgründe, die zur gegenwärtigen Haushaltssituation in Ihrer Stadt geführt haben. 2. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Welche der folgenden Faktoren machen Sie für die Haushaltslage Ihrer Stadt verantwortlich: o Einflüsse von Bund und Land o Allgemeine Wirtschaftslage o Sozialstruktur (Sozialhilfequote/Arbeitslosenquote) o Beschlüsse der Ratsmehrheit o Sonstige Einflüsse (wenn ja: welche) 3. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Bewerten Sie auf einer Skala von 1 bis 5, für wie wichtig die Bürger/innen folgende Themen halten (1 = sehr wichtig bis 5 = überhaupt nicht wichtig) o Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort o Schaffung und Erhaltung sozialer und kultureller Einrichtungen o Öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt o Wirtschaftsförderung, Städtebau und Stadtplanung o Sparsame und wirtschaftliche Haushaltspolitik der Kommune o Straßen und Parkplätze 4. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende] Wie bewerten Sie diese Themen selbst? 5. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Welche Bedeutung hat nach Ihrer Einschätzung die Haushaltspolitik Ihrer Stadt in den Augen o der Bürgerinnen und Bürger o des Bürgermeisters o der Fraktionen o der Lokalparteien 6. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Welche Akteure bestimmen (mit welchen Anteilen) die Haushaltspolitik Ihrer Stadt o Bürgermeister
K. Peter, T. Arnold, Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik, DOI 10.1007/978-3-531-92675-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
298
7.
8. 9.
Anhang o Kämmerer/Verwaltung o Fraktionsvorsitzende o Ausschussvorsitzende o Kommunalaufsicht o Woran machen Sie Ihre Aussage fest? [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende] Eine Frage speziell zur Kommunalaufsicht: Welchen Einfluss hat sie beispielsweise auf die letzten Haushaltsplanberatungen/-beschlüsse genommen? Wie geht die Stadt mit Entscheidungen der Aufsicht um? [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende] Bitte skizzieren Sie kurz den Ablauf der Haushaltsplanberatungen in Ihrer Stadt. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Wie stehen Sie zu folgenden Aussagen: o In der Kommunalpolitik muss man den Sachverstand der Verwaltung stärker berücksichtigen als die politischen Ziele der Mehrheitspartei(en) o Die Leitung einer Kommune ist eine politische Aufgabe und keine rein fachliche Angelegenheit o Im Stadtrat muss Sacharbeit Vorrang vor der Parteipolitik haben.
II. Fragen zur Vorposition des Bürgermeisters bzw. Zentralisierung der Haushaltspolitik 10. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Haben nach Ihrer Einschätzung die Bürgerinnen und Bürger in Ihrer Stadt bei der letzten Kommunalwahl deutlich zwischen der Wahl des hauptamtlichen Bürgermeisters und der Wahl der jeweiligen Partei unterschieden? 11. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Wie schätzen Sie – losgelöst von den Regelungen und Zuständigkeiten der Gemeindeordnung – die Bedeutung individuellen Handelns für politische Entscheidungsstrukturen ein? Konkret: Welche Bedeutung kommt dem Handeln des Bürgermeisters im kommunalpolitischen Prozess Ihrer Stadt zu? 12. [Bürgermeister] Welche Zielvorstellungen verbinden Sie mit Ihrer Arbeit? Wie bewerten Sie folgende (zugespitzten) Aussagen: o Aufgabe der Kommunalpolitik ist es, die Bedingungen zu schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger in einer lebenswerten Stadt leben, die sich durch Fairness, Offenheit, Toleranz und demokratische Teilhabe auszeichnet und in der auch Minderheiten eine Chance haben.
Anhang
299 o
Die Effizienz des Verwaltungshandelns und der Haushaltsausgleich haben für mich oberste Priorität. 13. [Bürgermeister] Als Bürgermeister sind Sie Verwaltungschef und Repräsentant in einer Person. Wo liegen für Sie die Schwerpunkte in Ihrer Arbeit? 14. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Die Gemeindeordnung NRW stellt an das Amt des Bürgermeisters keine fachlichen Qualifikationsvoraussetzungen. Wie bewerten Sie dieses Faktum? [nur Bürgermeister] Wie wirkt sich dieses Faktum vor dem Hintergrund ihrer eigenen beruflichen Ausbildung in der praktischen Arbeit vor Ort aus?
15. [nur Parteivorsitzende] Wie erfolgte anlässlich der beiden letzten Kommunalwahlen 1999 und 2004 die Auswahl der BM-Kandidaten? Inwieweit spielten dabei die Kriterien „Verwaltungs- oder juristische Ausbildung“ auf der einen, „Popularität“ auf der anderen Seite eine Rolle? 16. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Wie werden durch den Bürgermeister die jährlichen Haushaltsplanberatungen gestaltet? Nimmt er eher eine moderierende Rolle ein oder werden eigene Ziele (speziell: Haushaltskonsolidierung/Personalkosteneinsparung) ggfs. gegen Widerstand durchgesetzt (programmatische Führerschaft)? Mit welchen Strategien erfolgt dies? 17. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende] Wie übt der Bürgermeister die Verwaltungsleitung aus? Setzt er eigene Ziele (speziell: Haushaltskonsolidierung/Personalkosteneinsparung) ggfs. gegen Widerstände im Verwaltungsvorstand oder in der übrigen Verwaltung durch? 18. [Bürgermeister/in, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Nimmt der Bürgermeister starken Einfluss auf die Position „seiner“ Partei/Fraktion? 19. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Stützt seine Fraktion immer seine Verwaltungsvorlagen? 20. [Bürgermeister] Wie stark fühlen Sie sich als Bürgermeister an Programmbeschlüsse Ihrer Partei gebunden? 21. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Welche der folgenden Eigenschaften und Fähigkeiten halten die Bürger/Bürgerinnen bei einem Bürgermeister/einem Bürgermeisterin für wichtig. Bitte bewerten Sie auf einer Skala von 1 bis 5 (1 = sehr wichtig, 5 = überhaupt nicht wichtig): o Bürgernähe o Einsatz für Minderheiten o Führungsqualitäten o Gemeindeverbundenheit o Glaubwürdigkeit
300
Anhang o o
(eigenes) politisches Profil Neutralität gegenüber allen Parteien und ggfs. Bereitschaft, Konflikte mit der eigenen Partei auszutragen o Sympathieträger/in o Verwaltungsführungserfahrung 22. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende] Würden Sie persönlich die Eigenschaften und Fähigkeiten, die man für eine erfolgreiche Amtsperiode als Bürgermeister benötigt (vgl. Frage 9), in einigen Fällen anders beurteilen als die Bürgerinnen und Bürger? Wenn ja, welche? 23. [Bürgermeister] Wie bewerten Sie die Notwendigkeit, für einen Haushaltsausgleich zu sorgen oder behindert das eher Ihre Wiederwahl (weil ggfs. Leistungskürzungen gegenüber den Bürgern erfolgen müssen)? III. Fragen zur Parteiendifferenz 24. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende] Welche der nachfolgend genannten Parteigremien befassen sich in Ihrer Kommune regelmäßig oder vor Kommunalwahlen mit kommunalpolitischen Vorgängen: o Parteivorstand o Parteitag o Ortsgliederungen der Partei o spezielle Arbeitskreise oder Arbeitsgemeinschaften o Wie und bei welcher Gelegenheit (z.B. Haushaltsplanberatungen) werden etwaige Gremienbeschlüsse umgesetzt? Welche Akteure (z.B. Bürgermeister, Kämmerer, Fraktionsvorsitzende/r) sind daran beteiligt? 25. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende] Hat Ihre Partei zur letzten Kommunalwahl ein kommunalpolitisches Programm vorgelegt? Welche Schwerpunkte sind darin formuliert? Welche Verbindlichkeit hat dieses Programm für die Fraktionsarbeit? 26. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende, Lokalpresse] Auf welchen kommunalpolitischen Feldern hat es in den letzten 10 Jahren im Rat Kontroversen und anschließende Mehrheitsentscheidungen gegeben (z.B.): o Personalpolitik o Hebesätze zur Grund- und Gewerbesteuer o Schuldenpolitik o Erhaltung von kommunalen Einrichtungen (z.B. Schwimmbäder, Jugendzentren etc.) o Kommunale Investitionsausgaben (z.B. Straßenbau) o Gewerbeansiedlungspolitik
Anhang
301
o Ausgaben für den freiwilligen Bereich (z.B. Kultur) o Privatisierung kommunaler Aufgaben o Sonstige o Welche Haushaltsauswirkungen ergaben sich daraus? 27. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende] Welche wichtigen Ratsbeschlüsse der letzen 10 Jahre gehen auf Initiative Ihrer Partei/Fraktion zurück und wie wirkten sie sich haushaltsmäßig aus? 28. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende] Wie hoch schätzen Sie den Anteil einstimmiger Beschlüsse im Rat Ihrer Stadt? Wird der Haushaltsplan einstimmig verabschiedet? 29. [Bürgermeister, Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende] Welchen der nachfolgenden Aussagen können Sie zustimmen/nicht zustimmen (stimme ich zu – stimme ich eher zu – stimme ich eher nicht zu – stimme ich gar nicht zu)? Soweit Sie als Mitglied der Mehrheitsfraktion zustimmen: konnten Sie diese in praktische Politik umsetzen? o Die Personalpolitik der Stadt hat auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Daher ist es richtig, dass z.B. Beschäftigungsverhältnisse im Lohnbereich (z.B. eigene Reinigungskräfte, Bauhof) oder eine angemessene Zahl von Ausbildungsplätzen vorgehalten werden. o Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben ist in den Fällen gut, in denen die Privatwirtschaft effizientere oder effektivere Leistungen bereithält (z.B. Bauhof, Eigenreinigung, Müllabfuhr, andere Dienstleistungen). o Kunst und Kultur sind wichtige Voraussetzungen für eine lebendige Stadt. Sie müssen auch in Zeiten finanzieller Knappheit aufrechterhalten bleiben. o Soziale Gerechtigkeit ist ein hohes Gut. Die Stadt muss daher mit einer aktiven Sozial-, Jugend-, Gesundheits- und Wohnungsbaupolitik mit eigenen Einrichtungen und Programmen tätig sein. o Aufgabe der Stadt ist es, die Selbstverantwortung der Menschen zu stärken. o Erstes Ziel ist es, den Haushalt auf Dauer ausgeglichen zu gestalten. Die intergenerative Gerechtigkeit schließt Haushaltsdefizite und eine übergebührliche Verschuldung auf Dauer aus. o Die Stadt sollte im Falle von Haushaltsdefiziten ihre Einnahmemöglichkeiten (Steuern, Gebühren, Entgelte) voll ausschöpfen.
302
Anhang
Anlage 2: Verzeichnis der geführten Interviews 1 2 3 4
Stadt A Stadt A Stadt A Stadt A
5
Stadt A
6 7 8
Stadt B Stadt B Stadt B
9 10 11 12 13
Stadt C Stadt C Stadt C Stadt C Stadt C
14 15
Stadt D Stadt D
16 17 18 19 20 21
Stadt D Stadt D Stadt D Stadt E Stadt E Stadt E
Bürgermeister SPD-Fraktionsvorsitzender CDU-Fraktionsvorsitzender SPD-Parteivorsitzender, Ratsmitglied CDU-Parteivorsitzender, Ratsmitglied Bürgermeister CDU-Fraktionsvorsitzender SPD-Fraktionsvorsitzender, SPD-Parteivorsitzender (bis September 2007) Bürgermeister Alt-Bürgermeister SPD-Fraktionsvorsitzender CDU-Fraktionsvorsitzender Lokalredakteurin Ruhrnachrichten Bürgermeister CDU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat , CDUFraktionsvorsitzender im Kreistag, CDU-Kreisgeschäftsführer SPD-Fraktionsvorsitzender SPD-Parteivorsitzender Lokalredakteur Westfalenpost Bürgermeister CDU-Fraktionsvorsitzender Sparkommissar
22.05.2007 18.07.2007 08.06.2007 08.06.2007 21.06.2007 15.06.2007 17.07.2007 24.08.2007
13.07.2007 19.10.2007 17.08.2007 10.08.2007 12.11.2007 30.05.2007 26.06.2007
29.06.2007 17.08.2007 04.10.2007 21.08.2008 03.09.2008 09.09.2008
Anhang
303
Anlage 3: Wichtigkeit kommunaler Themen (Ergebnisse InterviewLeitfaden Fragen I.3 und I.4)240 Stadt
Thema
Bürgersicht BM
A
B
SPD FV
PV
FV
PV
1
SPD FV
Summe
CDU PV
FV
Rang
PV
1
1
3
1
7
1
1
1
1
1
2
6
2
1
2
3
1
10
4
3
1
3
2
2
11
4
1,5
1
2
2
2
8,5
3
3
1
4
2
2
12
5
Wirtschaftsförderung Städtebau, Stadtplanung
1
1
1
2
2
7
1
1
1
1
1
1
5
1
Haushaltspolitik Straßen und Parkplätze
4
4
4
4
3
19
5
7,5
3
k.A.
1
2
k.A.
1
3
1
2
6
1
2
3
6
2
1
2
Wirtschaftsförderung Städtebau, Stadtplanung
3
3
Haushaltspolitik Straßen und Parkplätze
4 2
4 2
Arbeitsplätze vor Ort Soziale und kulturelle Einrichtungen Öffentliche Sicherheit und Ordnung
Arbeitsplätze vor Ort Soziale und kulturelle Einrichtungen Öffentliche Sicherheit und Ordnung
Haushaltspolitik Straßen und Parkplätze
Arbeitsplätze vor Ort Soziale und kulturelle Einrichtungen Öffentliche Sicherheit und Ordnung Wirtschaftsförderung Städtebau, Stadtplanung Haushaltspolitik Straßen und Parkplätze
FV SPD
1
2
2
1,5
1
k.A.
1
2
k.A.
1
3
2
1
1
4
1
3
2
2
1,5
5,5
3
5
1
2
2,5
2
6,5
4
3
9
5
1
2
1
4
1
4 1
12 5
6 1
3 2
2 3
2 2
7 7
5 5
Summe
Rang
BM
Alt-BM
FV SPD
FV CDU
Summe
Rang
FV CDU Red.
Red.
1
1
2
1
1
6
1
1
1
1
1
4
1
2
2
2
4
2
12
5
2
2
2
3
9
6
4
1
2
1
1
9
3
4
1
2
1
8
4
2
2
2
1
3
10
4
1
2
2
1
6
2 4
2,5
3
3
3
1
12,5
6
1
2
3
2
8
1
2
2
1
2
8
2
2
2
2
1
7
3
Summe
Rang
BM
Summe
Rang
SPD
BM
240
BM
3
Wirtschaftsförderung Städtebau, Stadtplanung
D
Rang
Arbeitsplätze vor Ort Soziale und kulturelle Einrichtungen Öffentliche Sicherheit und Ordnung
BM Alt-BM C
Politikersicht Summe
CDU
CDU PV
SPD
CDU
FV
PV
FV
FV
PV
FV
1
1
1
1,5
4,5
1
1
1
1
1,5
PV 4,5
1
2
2
3
3
10
4
2
1
2
3
8
3
1
2
2
2
7
3
3
2
3,5
2
10,5
5
4
3,5
4
3
14,5
6
2
1
2
2
7
2
4
2
2
3
11
5
1
2
3
2
8
3
1
2
2,5
1
6,5
2
2
2
3,5
3
10,5
5
1 = sehr wichtig; 5 = überhaupt nicht wichtig; BM = Bürgermeister; FV = Fraktionsvorsitzender; PV = Parteivorsitzender; Red. = Lokalredakteur; k.A. = keine Angaben
304
Anhang
Anlage 4: Eigenschaften und Fähigkeiten des Bürgermeisters (Ergebnisse Interview-Leitfaden Frage II.21) Stadt
Merkmal
Bürgersicht BM
SPD FV
A
B
C
FV
Rang
BM
PV
Bürgernähe
1
1
1
2
1
Einsatz für Minderheiten
k.A.
k.A.
3
k.A.
3
SPD FV
6
1
CDU PV
FV
Summe
Rang
7
1
3
PV
1
1
1
2
2
k.A.
k.A.
2,5
k.A.
2
Führungsqualitäten
1
1
2
4
3
11
6
1
1
2
2
2
8
Gemeindeverbundheit
2
2
2
2
2
10
4
2,5
2,5
3
2
2
12
7
Glaubwürdigkeit
1
1
1
2
2
7
2
1
1
1
2
2
7
1
Eigenes politisches Profil
3
1
2,5
3
3
12,5
7
3
1
2,5
3
3
12,5
8
Neutralität gegenüber Parteien
1
1
2
3
3
10
4
1
1
2
2,5
2
8,5
4
Sympathieträger
2
1
2,5
2
1
8,5
3
2
1
2,5
2
3
10,5
5
Verwaltungsführungs-erfahrung
3,5
3,5
3
4
3
3
4
2
11
6
Bürgernähe
1
1,5
5
1
1
17
8
1
1
3,5
1
2
2
1
Einsatz für Minderheiten
3
2
3,5
8,5
5
4
2
2
8
6
Führungsqualitäten
3
2
1,5
6,5
4
3
2
1
6
3
Gemeindeverbundheit
2
4
2,5
8,5
5
3
4
1,5
8,5
8
Glaubwürdigkeit
2
2
1
5
2
2
2
1
5
1
Eigenes politisches Profil
4
2
2,5
8,5
5
3
2
2
7
5
Neutralität gegenüber Parteien
3
4
2
9
9
2
4
2
8
6
Sympathieträger
2
2
1,5
5,5
3
2
2
2
6
3
Verwaltungsführungs-erfahrung
4
2
2,5
8,5
5
4
4
1,5
9,5
9
Summe
Rang
BM
Alt-BM
FV SPD
Red.
Summe
Rang
BM
Alt-BM
FV SPD
Bürgernähe
1
1
1
1
1
5
1
1
1
1
3
6
3
Einsatz für Minderheiten
3
4
4
3
3
17
8
3
2
2
2
9
6
FV CDU
10
4
1
2
1
1
5
1
1
k.A.
4
1,5
Führungsqualitäten
1
2
4
2
1
Gemeindeverbundheit
1
k.A.
k.A.
1,5
2
FV CDU
Red.
Glaubwürdigkeit
1
2
1
1
1
6
2
1
2
1
1
5
1
Eigenes politisches Profil
2
3
3
3
3
14
6
2
2
2
3
9
6
Neutralität gegenüber Parteien
1
2
5
2
2
12
5
1
2
5
2
10
8
Sympathieträger
1
1
2
2
1
7
3
1
1
2
2
6
3
1
3
3
Verwaltungsführungs-erfahrung
BM
D
PV
Politikersicht Summe
CDU
4 SPD
4
4
16
7
1
CDU
Red.
Summe
Rang
BM
2 SPD
2
8
5
CDU
Summe
Rang
FV
PV
FV
FV
PV
Bürgernähe
1
1
2,5
1
1
6,5
1
1
2
2
FV 1
6
2
Einsatz für Minderheiten
4
5
4
3
3
19
8
2
1
2
2
7
4
Führungsqualitäten
1
4
1,5
2
2
10,5
4
1
4
1,5
1
7,5
5
Gemeindeverbundheit
1
4
2
1
2
10
3
1
4
3
1
9
7
Glaubwürdigkeit
1
1
2
1
3
8
2
1
1
2
1
5
1
Eigenes politisches Profil
4
3
3
1
2
13
5
2
3
2
2
9
7
Neutralität gegenüber Parteien
k.A.
5
4
k.A.
4
k.A.
5
3
k.A.
Sympathieträger
2
4
2
1
5
14
6
2
4
2
1
9
6
Verwaltungsführungs-erfahrung
1
5
2
2
4
14
6
1
1
2
2
6
2
Anhang
305
Anlage 5: Kommunalverfassungstradition (Ergebnisse Interview-Leitfaden Frage I.9) Aussage In der Kommunalpolitik muss der Sachverstand der Verwaltung stärker berücksichtigt werden als die Ziele der Mehrheitspartei(en)
Die Leitung einer Kommune ist eine politische Aufgabe und keine rein fachliche Angelegenheit.
Im Stadtrat muss Sacharbeit Vorrang vor Parteipolitik haben.
Stadt A BM: keine Zustimmung FV SPD: keine Zustimmung PV SPD: teils/teils FV CDU: Zustimmung PV CDU: Zustimmung BM: k.A. FV SPD: Zustimmung PV SPD: Zustimmung FV CDU: keine Zustimmung BM: Zustimmung FV SPD: Zustimmung PV SPD: Zustimmung FV CDU: Zust.
Stadt B BM: Zustimmung FV/PV SPD: teils/teils FV CDU: teils/teils
Stadt C BM 1999: keine Zustimmung BM 2004: teils/teils FV SPD: keine Zustimmung FV CDU: Zustimmung
Stadt D BM: k.A. FV SPD: teils/teils PV SPD: keine Zustimmung FV CDU: Zustimmung
BM: k.A. FV/PV SPD: Zustimmung FV CDU: k.A.
BM 1999: K.A. BM 2004: k.A. FV SPD: k.A. FV CDU: Zustimmung
BM: k.A. FV SPD: Zustimmung PV SPD: Zustimmung FV CDU: Zustimmung
BM: Zustimmung FV/PV SPD: Zustimmung FV CDU: Zustimmung
BM 1999: k.A. BM 2004: Zustimmung FV SPD: Zustimmung FV CDU: Zust.
BM: Zustimmung FV SPD: Zustimmung PV SPD: Zustimmung FV CDU: Zustimmung
306
Anhang
Anlage 6: Bedeutung ideologischer Dispositionen für Politikergebnisse (Ergebnisse Interview-Leitfaden Frage III.29) Aussage Die Personalpolitik der Stadt hat auch eine gesellschaftliche Verantwortung.
Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben ist gut in Fällen von Effektivitäts- und Effizienzgewinnen.
Kulturangebote müssen auch in Fällen von Finanzknappheit aufrecht bleiben.
A BM (SPD): stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu PV CDU: stimme eher zu
B BM (CDU): stimme gar nicht zu FV/PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu
BM (SPD): stimme eher zu FV SPD: stimme gar nicht zu PV SPD: stimme eher nicht zu FV CDU: stimme eher nicht zu PV CDU: stimme zu BM (SPD): Stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu
BM (CDU): stimme eher nicht zu FV/PV SPD: stimme eher nicht zu FV CDU: stimme zu
BM (CDU): Stimme zu FV/PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu
C BM 1999 (SPD): stimme zu BM 2004 (SPD): stimme eher zu FV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher nicht zu BM 1999 (SPD): stimme nicht zu BM 2004 (SPD): stimme eher zu FV SPD: stimme nicht zu FV CDU: stimme eher zu
BM 1999 (SPD): stimme zu BM 2004 (SPD): stimme zu FV SPD: stimme zu
D BM (CDU): stimme eher nicht zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher zu
BM (CDU): stimme zu FV SPD: stimme gar nicht zu PV SPD: stimme eher nicht zu FV CDU: stimme eher zu
BM (CDU): Stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu
Anhang
307 PV CDU: stimme zu
Aktive Jugendund Sozialpolitik auch in Zeiten finanzieller Knappheit.
BM (SPD): stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher zu PV CDU: stimme zu BM (SPD): stimme zu FV SPD: k.A. PV SPD: stimme gar nicht zu FV CDU: stimme eher zu PV CDU: stimme zu
BM (CDU): stimme gar nicht zu FV/PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu
Erstes Ziel ist es, den Haushalt auf Dauer auszugleichen (intergenerative Gerechtigkeit).
BM (SPD): stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme eher zu FV CDU: stimme zu PV CDU: stimme zu
Im Falle von
BM (SPD):
BM (CDU): stimme eher nicht zu FV/PV SPD: stimme eher nicht zu FV CDU: stimme zu BM
Aufgabe der Stadt ist es, die Selbstverantwortung der Menschen zu stärken.
BM (CDU): stimme zu FV/PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme zu
FV CDU: stimme eher zu BM 1999 (SPD): stimme zu BM 2004 (SPD): stimme zu FV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher nicht zu BM 1999 (SPD): stimme eher zu BM 2004 (SPD): stimme zu FV SPD: stimme eher zu FV CDU: stimme eher nicht zu BM 1999 (SPD): stimme eher nicht zu BM 2004 (SPD): stimme zu FV SPD: stimme eher zu FV CDU: stimme zu BM 1999
BM (CDU): stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher zu
BM (CDU): stimme zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher zu
BM (CDU): stimme zu FV SPD: stimme eher nicht zu PV SPD: stimme eher nicht zu FV CDU: stimme eher zu BM (CDU):
308 Haushaltsdefiziten sollen alle Einnahmemöglichkeiten voll ausgeschöpft werden.
Anhang stimme eher zu FV SPD: stimme zu PV SPD: stimme zu FV CDU: stimme eher nicht zu PV CDU: stimme eher nicht zu
(CDU): stimme eher nicht zu FV/PV SPD: stimme eher nicht zu FV CDU: stimme gar nicht zu
(SPD): stimme eher nicht zu BM 2004 (SPD): stimme eher zu FV SPD: stimme gar nicht zu FV CDU: stimme gar nicht zu
stimme eher nicht zu FV SPD: stimme eher zu PV SPD: stimme eher zu
Literaturverzeichnis Ahlstich, Katja/Kunz, Volker 1994: Die Entwicklung kommunaler Aufgaben in Zeiten des Wertewandels: Eine empirische Analyse der Aufgabenpräferenzen kommunaler Mandatsträger, in: Gabriel, Oscar W./Voigt, Rüdiger (Hrsg.): Kommunalwissenschaftliche Analysen, Bochum, S. 167 – 201 Alemann, Ulrich von 2000: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen Andersen, Uwe 2002: Kenntnisnahme, Bewertungen, Erwartungen, in: Andersen, Uwe/Bovermann, Rainer (Hrsg.): Im Westen was Neues. Kommunalwahl 1999 in NRW, Opladen, S. 37 – 54 Andersen, Uwe/Bovermann, Rainer 2002: Einführung: Die Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW, in: dies. (Hrsg.): Im Westen was Neues. Kommunalwahl 1999 in NRW, S. 7 - 35 Arzberger, Klaus 1980: Bürger und Eliten in der Kommunalpolitik, Stuttgart Bandemer, Stephan von/Blanke, Bernhard/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hrsg.) 1998: Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen Banner, Gerhard 1972: Politische Willensbildung und Führung in Großstädten mit Oberstadtdirektorverfassung, in: Grauhan, Rolf-Richard (Hrsg.): Großstadt-Politik, Gütersloh, S. 162 - 180 Banner, Gerhard 1982: Zur politisch-administrativen Steuerung in der Kommune, in: Archiv für Kommunalwissenschaften 1/82, S. 26 - 46 Banner, Gerhard 1984: Kommunale Steuerung zwischen Gemeindeordnung und Parteipolitik, in: Die Öffentliche Verwaltung 9/84, S. 364 – 372 Banner, Gerhard 1989: Modernisierung und Rationalisierung der Kommunalverwaltung aus politischer Sicht, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen 6/89, S. 122 – 127 Banner, Gerhard 1995: Parteibuchkarriere in der Kommunalverwaltung, in: Kreyher, V./Böhret, C. (Hrsg.): Gesellschaft im Übergang, Baden-Baden, S. 235 - 240 Banner, Gerhard 2005: Führung und Reform. Überarbeitete Fassung des Vortrags im Mastertag des MPA-Studiengangs Öffentliches Management der Universität Kassel am 22.11.2005 (www.mpa.uni-kassel, download 15.03.2007) Banner, Gerhard 2006a: Führung und Leistung der Kommune, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften 2/2006, S. 57 – 69 Banner, Gerhard 2006b: Strategische Führung und Modernisierung des Unternehmens Kommune, in: Jann, Werner/Röber, Manfred/Wollmann, Hellmut (Hrsg.): Public Management – Grundlagen, Wirkungen, Kritik. Festschrift für Christoph Reichard zum 65. Geburtstag, Berlin, S. 253 - 270 Banner, Gerhard 2007: Leistungstransparenz durch interkommunalen Haushaltsvergleich: Der Kommunalindex für Wirtschaftlichkeit (KIWI) der Gemeindeprüfungsanstalt NRW, in: Brüggemeier, Martin/Schauer, Reinbert/Schedler, Kuno (Hrsg.): Controlling und Performance Management im öffentlichen Sektor, Festschrift für Dietrich Budäus, Bern/Stuttgart/Wien, S. 101 – 109
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