MedR
Schriftenreihe Medizinrecht
Herausgegeben von Professor Dr. Andreas Spickhoff, Regensburg
Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e.V. Herausgeber
Cross Border Treatment– Die Arzthaftung wird europäisch Mit Beiträgen von K. Fischer, R. Giesen, I. Morrison, H. Prütting, T. Ratajczak, P. Weidinger, M. Wiegner
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Herausgeber Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e.V. Posener Straße 1 71065 Sindelfingen Deutschland
[email protected] Schriftleitung Dr. Ilse Dautert Kastanienallee 20 26121 Oldenburg Deutschland Dr. Alexandra Jorzig Westenhellweg 40-46 44137 Dortmund Deutschland
ISSN 1431-1151 ISBN 978-3-642-04404-5 e-ISBN 978-3-642-04405-2 DOI 10.1007/978-3-642-04405-2 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Auch in der Arzthaftung hält die zunehmende Europäisierung Einzug. Somit widmete sich das XX. Kölner Symposium der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e.V. dem Thema „Cross Border Treatment – Die Arzthaftung wird europäisch“. Im Rahmen dieses Symposiums wurde die europäische Arzthaftung unter dem Gesichtspunkt der EuGH-Rechtsprechung, der Gerichtsstands- und Rechtswahl, dem so genannten Forum Shopping, aber auch unter dem Gesichtspunkt des Versicherungsschutzes und des Umganges deutscher Sozialversicherungsträger näher untersucht. Nicht zuletzt wurden die materiellen und prozessualen Voraussetzungen der Arzthaftung anhand verschiedener europäischer Staaten wie Spanien, Großbritannien, Dänemark und Österreich dargestellt. Anhand der dargestellten Rechtsprechung des EuGH lässt sich das Fazit ziehen, dass sich der EuGH in seiner Rechtsprechung vor allem auf die europäischen Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit stützt und dabei von den Nationalstaaten eine gemeinschaftsrechtsfreundliche Ausübung ihrer nationalen Gesetzgebungskompetenz im Gesundheitswesen verlangt. Unterstützt wird diese Rechtsprechung durch die EU-Kommission, die daraus praktische Konsequenzen in der Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ziehen will. Da der EuGH mit seinen Entscheidungen für eine Europäisierung der medizinischen Dienstleistungen gesorgt hat, führt dies zu einer Zunahme an grenzüberschreitenden Behandlungen und zwangsläufig auch zu neuen rechtlichen Fragestellungen bei Honorar- und Haftungsprozessen. Aufgrund dessen spielt auch die Gerichtsstands- und Rechtswahl in der europäischen Arzthaftung, dem so genannten Forum Shopping, eine besondere Bedeutung. Die Möglichkeiten eines Forum Shopping sind im Rahmen des Arzthaftungsprozesses nach geltendem Recht praktisch nur in engen Grenzen möglich, was im Einzelnen dargelegt wird. Auch der Versicherungsschutz bei länderübergreifender ärztlicher Behandlung ist nicht unproblematisch. Falls im Versicherungsschein oder nachträglich nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, besteht kein Versicherungsschutz für Haftpflichtansprüche in im Ausland vorkommenden Schadenereignissen. Und schließlich hat die europäische Arzthaftung Bedeutung für den Sozialversicherungsträger. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: zum einen geht es um den internationalen Regress und
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Vorwort
zum anderen geht es um die Hilfeleistung des Sozialversicherungsträgers bei der Geltendmachung nicht übergegangener eigener Ansprüche der Versicherten. Aufgrund der weiterhin länderübergreifenden ärztlichen Tätigkeit wird die europäische Arzthaftung auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen und das Thema wird aktuell bleiben. Der vorgelegte Band enthält die vollständigen Referate und Diskussionsbeiträge des Symposiums. Ein Dank gilt der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH, die das Zustandekommen des Symposiums mit ermöglicht hat. Ein besonderer Dank gilt der Leiterin der Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft, Frau Martina Pietsch, die mit großem Engagement bei der Erstellung dieses Tagungsbandes mitgewirkt hat. Schließlich danken wir auch dem juristischen Lektorat des Springer Verlages unter der Leitung von Frau Brigitte Reschke sowie Frau Ulla Scholl-Kimling. Oldenburg/Dortmund, im Juli 2009
Ilse Dautert Alexandra Jorzig
Inhaltsverzeichnis
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Gesundheitsrecht .................................................................................. 1 Thomas Ratajczak Gerichtsstands- und Rechtswahl in der Europäischen Arzthaftung – Forum Shopping ........................................................................................ 37 Hanns Prütting 1. Diskussion.............................................................................................. 53 Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Spanien .................................................................................................. 61 Matthias Wiegner Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in England & Wales ................................................................................... 87 Iain Morrison Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Dänemark: Patientforsikring – verschuldensunabhängige Haftung im dänischen Gesundheitswesen ............................................... 101 Klaus Fischer 2. Diskussion............................................................................................ 131 Versicherungsschutz bei länderübergreifender ärztlicher Behandlung ... 137 Patrick Weidinger Regress und Unterstützungsleistung der deutschen Sozialversicherung nach Behandlungsfehlern im EU-Ausland ............... 147 Richard Giesen 3. Diskussion............................................................................................ 171 Teilnehmer ............................................................................................... 175
Autorenverzeichnis
Fischer, Klaus Rechtsanwalt Speicherlinie 40, 24937 Flensburg Giesen, Prof. Dr. Richard Universität Gießen Ludwigstr. 23, 35390 Gießen Morrison, Iain Partner Kennedys 10 Lloyds Avenue London EC3N 3AX Prütting, Prof. Dr. Hanns Institut für Verfahrensrecht Universität zu Köln Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln Ratajczak, Dr. Thomas Rechtsanwalt Posener Str. 1, 71065Sindelfingen Weidinger, Patrick DBV-Winterthur und Deutsche Ärzteversicherung Colonia-Allee 10 - 20 51067 Köln Wiegner, Matthias Rechtsanwalt Wiegner & Andreu Fernández de la Hoz 27 4° centro izquierda E-28010 Madrid
Moderation
Jungbecker, Dr. Rolf Rechtsanwalt Schreiberstr. 20, 79098 Freiburg
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Gesundheitsrecht
Thomas Ratajczak
A. Der Europäische Gerichtshof Der Europäische Gerichtshof besteht aus drei Gerichten, dem (eigentlichen) Gerichtshof (EuGH) mit 27 Richtern und 8 Generalanwälten, dem Gericht 1. Instanz (EuG) mit 27 Richtern und der Vorgabe, dass jeder Mitgliedsstaat mit mindestens einem Richter vertreten sein muss, sowie dem Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union mit sieben Richtern. Mit dem europäischen Gesundheitswesen befassen sich bisher nur Entscheidungen des EuGH.
B. Das europäische Vertragsrecht zum Gesundheitsrecht Die aktuell noch gültige Fassung des EG-Vertrages enthält in Art. 152 (früher: Art. 129 EGV) Regelungen zum Gesundheitswesen. Die allgemeinen Ziele, denen sich die EU in Art. 152 Abs. 1 Sätze 1 – 3 EG verpflichtet, klingen hehr: „Bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und – maßnahmen wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt. Die Tätigkeit der Gemeinschaft ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet. Sie umfasst die Bekämpfung der weitverbreiteten schweren Krankheiten; dabei werden die Erforschung der Ursachen, der Übertragung und der Verhütung dieser Krankheiten sowie die Gesundheitsinformation und -erziehung gefördert.“
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Der Rat ist nach Art. 152 Abs. 4 EG verpflichtet, diese Ziele zu verwirklichen. Allerdings gilt bei Fördermaßnahmen, die „den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben“ nach § 152 Abs. 4 Satz 1 lit. c EG das Gebot, jegliche „Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ zu unterlassen. Das ist eine sehr eigenwillige Vorgabe. Eine unmittelbare Kompetenz i.S. der Gesundheitsschutzziele des Art. 152 Abs. 1 EG hat der Rat nur für Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate (Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. a EG), ansonsten noch für den Bereich des Veterinärwesens und des Pflanzenschutzes, soweit die Maßnahmen unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben (Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. b EG). Unmittelbar dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dienende Maßnahmen, die am ehesten in der Lage wären, „ein hohes Gesundheitsniveau“ sicherzustellen, darf der Rat in den Kernbereichen des Gesundheitswesens dagegen nicht ergreifen. Dieses Dilemma aus allgemeinem Zielauftrag und fehlender Kompetenz hat der Rat – mit Hilfe des EuGH – weitgehend behoben, nachdem bislang alle Versuche, die Restriktionen des Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. c EG zu streichen, erfolglos geblieben sind. Im noch nicht ratifizierten EG-Vertrag in der Fassung von Lissabon, dem sog. Lissabon-Vertrag, wird im neu eingefügten Abs. 5 der „Ausschluss jeglicher Harmonisierung“ ganz in den Vordergrund der Norm gestellt, die Gesundheit nach hinten. Der Kompetenzrahmen des Rates soll etwas erweitert werden, deckt aber bei weitem nicht ab, was der EuGH mittlerweile an Grundsätzen eines europäischen Gesundheitsschutzes herausgearbeitet hat. Art. 152 Abs. 5 EG soll in der Fassung des Lissabon-Vertrages folgenden Wortlaut erhalten: „Das Europäische Parlament und der Rat können unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen auch Fördermaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit sowie insbesondere zur Bekämpfung der weit verbreiteten schweren grenzüberschreitenden Krankheiten, Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren sowie Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben, erlassen.“
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Die danach zugelassenen „Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren sowie Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben“ betreffen Randbereiche des Gesundheitswesens. Die zentralen Bereiche, mit denen sich bereits seit 1998 der EuGH intensiv befasst, sollen ausgespart werden. Angesichts der Änderung der Wortstellung von „Gesundheit“ zu „Ausschluss jeglicher Harmonisierung“ fragt man sich, ob damit der Rechtsprechung des EuGH ein Riegel vorgeschoben werden soll, damit dieser nicht weiterhin die eigentlich nur minimale gesundheitspolitische europäische Agenda „übersieht“, so wie der Gesetzgeber des MoMiG explizit die Rechtsprechung des BGH zum Eigenkapitalersatzrecht bei der GmbH korrigiert hat, nachdem der BGH frühere gesetzgeberischen Korrekturen seiner Rechtsprechung ignoriert hatte.
C. Europarechtlicher Anknüpfungspunkt Der wesentlichste Anknüpfungspunkt der europarechtlichen Rechtsprechung ist die Verordnung (EG) Nr. 1408/71 vom 14.04.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, besser bekannt unter der Bezeichnung Wanderarbeitnehmerverordnung. Art. 22 der Verordnung (EG) 1408/71 bestimmt (auszugsweise): „(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18 erfüllt, und … c) der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, hat Anspruch auf: i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates; ii) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.“
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Grundvoraussetzung für die Ableitung von Rechten auf die Übernahme einer Gesundheitsbehandlung im Ausland ist die Vorabgenehmigung, „sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten“. Der Unionsbürger soll sich nicht einfach als Patient in ein anderes Land begeben können, um dort zu Lasten seines Heimatsozialsystems Kosten zu verursachen. Konsequenz einer Behandlung im EU-Ausland unter dieser Verordnung ist nicht die Kostenerstattung, sondern die Erbringung der Behandlung als Sachleistung. Unionsbürger bekommen dafür die sog. Formulare E111 (jetzt abgelöst durch die Europäische Krankenversicherungskarte) und E112.
D. Die Rechtsprechung des EuGH zum Gesundheitsrecht1 In Anbetracht der sehr umfangreichen Rechtsprechungstätigkeit des EuGH befasst sich dieser nur sporadisch mit allgemein gesundheitspolitisch bedeutsamen Entscheidungen, sieht man von den Spezialfragen des Arzneimittelrechts ab. An bedeutsamen Entscheidungen seien erwähnt: 07.02.1984 – C-238/82 – Duphar 28.04.1998 – C-120/95 – Decker 28.04.1998 – C-158/96 – Kohl 12.07.2001 – C-368/98 – Vanbraekel 12.07.2001 – C-157/99 – Smits und Peerbooms 25.02.2003 – C-326/00 – IKA 13.05.2003 – C-385/99 – Müller-Fauré und van Riet 23.10.2003 – C-56/01 – Inizan 03.07.2003 – C-156/01 – van der Duin und van Wegberg-van Brederode 18.04.2004 – C-8/02 – Leichtle 12.04.2005 – C-145/03 – Keller 16.05.2006 – C-372/04 – Watts 15.06.2006 – C-466/04 – Herrera 19.04.2007 – C-444/05 – Stamatelaki
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S. zu diesem Thema auch ausführlich Alber, Dienstleistungen im Gesundheitsbereich unter besonderer Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, in Müller/Osterloh/Stein (Hrsg.), Festschrift für Günter Hirsch, 2008, S. 3 ff.; Eichenhofer, Tragweite des europäischen Sozialrechts für das deutsche Sozialrecht, in v. Wulffen/Krasney (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S. 835 ff.
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13.03.2008 – C-446/05 – Doulamis 17.07.2008 – C-500/06 – Dermoesthética 11.09.2008 – C-141/07 – Krankenhausapotheke I. Duphar In der Duphar-Entscheidung vom 07.02.1984 – C-238/82 –2 ging es um die Klage von 23 Pharmafirmen gegen die Niederlande. Gegenstand waren in den Niederlanden gesetzlich eingeführte Negativlisten für Arzneimittel. Zweck des Gesetzes war es, „die Qualität der Leistungen der Arzneimittelhilfe zu verbessern und die beträchtlichen Defizite der niederländischen Krankenversicherung zu vermindern“. Nach Ansicht des EuGH berührt das Gemeinschaftsrecht nicht die Befugnis der Mitgliedsstaaten, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten und insbesondere zur Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Krankenversicherungssysteme Maßnahmen zur Regulierung des Arzneimittelverbrauchs zu treffen. Im Rahmen eines nationalen Systems der Pflichtversicherung gegen Krankheit erlassene Maßnahmen, durch die den Versicherten der Anspruch versagt wird, sich auf Kosten der Krankenversicherung mit namentlich genannten Arzneimitteln versorgen zu lassen, sind mit Art. 30 EWGV vereinbar, wenn bei der Auswahl der auszuschließenden Arzneimittel eine Diskriminierung aufgrund des Ursprungs der Erzeugnisse unterbleibt und diese Auswahl auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruht, wie z.B. darauf, dass auf dem Markt andere, billigere Erzeugnisse mit gleicher therapeutischer Wirkung erhältlich sind, dass die Maßnahme Erzeugnisse betrifft, die ohne ärztliche Verordnung frei gehandelt werden, oder dass auf diese Weise Erzeugnisse aus Gründen Arzneimittel therapeutischer Art von der Erstattung ausgeschlossen werden , die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sind . Es muss jedoch möglich sein, die Listen Jederzeit zu ändern, wenn die Einhaltung der betreffenden Kriterien dies verlangt. Art. 36 EWGV betreffe Maßnahmen nicht wirtschaftlicher Art. Er vermag daher Maßnahmen nicht zu rechtfertigen, durch die mittels einer Verringerung der laufenden Kosten eines Kankenversicherungssystems in erster Linie ein haushaltspolitisches Ziel verfolgt wird. Art. 5 EWGV und die Arzneimittelspezialitäten betreffenden Richtlinien 65/65 und 75/319 stünden im Rahmen eines nationalen Systems der Pflichtversicherung gegen Krankheit erlassenen Maßnahmen nicht entgegen, durch die den Versicherten der Anspruch versagt wird, sich auf Kos2
Slg. 1984, 523.
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ten der Krankenversicherung mit namentlich genannten Arzneimitteln versorgen zu lassen. Eine solche Regelung betreffe nämlich nicht den Zugang zum Markt im Sinne der beiden genannten Richtlinien, da die Gültigkeit der nach diesen Richtlinien erteilten Genehmigungen unberührt bleibt. Die Entscheidung Duphar hat wohl viele Regierungen in der Überzeugung bestärkt, dass sich der EuGH in die nationalen Gesundheitssysteme nicht einmischen werde. Nur so ist zu erklären, dass man die beiden nachfolgend zu besprechenden, die neue Sichtweise des EuGH einleitenden Verfahren nicht sonderlich ernst genommen zu haben scheint, soweit sich dies aus den Urteilen und den wesentlich ausführlicher den Sachstand wiedergebenden Anträgen des Generalanwalts beurteilen lässt. II. Decker Im der Entscheidung vom 28.04.1998 – C-120/95 – Decker3 zugrunde liegenden Fall ließ der luxemburgische Staatsangehöriger Nicolas Decker ohne vorherige Genehmigung seiner luxemburgischen Krankenkasse (Union des caisses de maladie) eine Brille mit Korrekturgläsern in Arlon, Belgien fertigen. Sein Kostenerstattungsantrag wurde unter Hinweis auf die fehlende vorherige Genehmigung abgelehnt. Zur fraglichen Zeit war die Übernahme von Brillengestellen und Korrekturgläsern in Art. 78 der Satzung der Union des caisses de maladie und in der Kollektivvereinbarung vom 30.06.1975 geregelt, die gemäß Art. 308 bis des Code des assurances sociales zwischen der Union des caisses de maladie und dem Berufsverband der Optiker geschlossen worden war. Es handelte sich dabei um eine Vereinbarung vergleichbar den Verträgen nach § 127 SGB V. Art. 78 der Satzung der Union des caisses de maladie bestimmte: „Die Kosten für Brillen und andere Sehhilfen übernimmt die Krankenkasse nach Maßgabe der Vereinbarungen nach Art. 308 bis des Code des assurances sociales oder entsprechender Regelungen.“
Nach Art. 2 der Kollektivvereinbarung vom 30.06.1975 erfolgt die Abgabe von Brillen an die Versicherten, soweit diese in Luxemburg ihren Wohnoder Aufenthaltsort haben, durch Optiker, die in die luxemburgische Handwerksrolle eingetragen und im Großherzogtum niedergelassen sind, soweit nicht gemeinschafts- und völkerrechtliche Vorschriften über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und ihnen gleichgestellter Personen etwas anderes vorsehen. 3
Slg 1998, I-1831 = NJW 1998, 1769 = MedR 1998, 317.
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Nach diesen Bestimmungen wurden Kosten für Brillengestelle pauschal mit einem Satz von 1.600 LFR (~39,66 €) erstattet. Der EuGH betont in seiner Entscheidung einerseits die fehlende Harmonisierung, allerdings nicht unter dem nach der europäischen Vertragslage naheliegenden Gesichtspunkt des Harmonisierungsverbots, sondern unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung: „Nach ständiger Rechtsprechung lässt das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt (Urteile vom 07.02.1984 in der Rechtssache 238/82, Duphar u. a., Slg. 1984, 523, Rdnr. 16, und vom 17.06.1997 in der Rechtssache C-70/95, Sodemare u. a., Slg. 1997, I-3395, Rdnr. 27). In Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene bestimmt somit das Recht eines jeden Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen zum einen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung hierzu (Urteile vom 24.04.1980 in der Rechtssache 110/79, Coonan, Slg. 1980, 1445, Rdnr. 12, und vom 04.10.1991 in der Rechtssache C349/87, Paraschi, Slg. 1991, I-4501, Rdnr. 15) und zum anderen ein Anspruch auf Leistung (Urteil vom 30.01.1997 in den Rechtssachen C-4/95 und C-5/95, Stöber und Piosa Pereira, Slg. 1997, I-511, Rdnr. 36) besteht.“ Gleichwohl müssten die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten. Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, die sich auf den Abs. medizinischer Erzeugnisse und mittelbar auf deren Einfuhrmöglichkeiten auswirken können, unterliegen den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr. Die Zugehörigkeit der streitigen Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit schließe die Anwendung des Art. 30 EGV daher nicht aus. Der EuGH hebelt mit dieser und der nachfolgend darzustellenden Entscheidung Kohll über den von ihm postulierten Vorrang der europäischen Grundfreiheiten, hier der Warenverkehrsfreiheit, und den von ihm ebenfalls postulierten Grundsatz europarechtsfreundlichen Verhaltens der Mitgliedsstaaten, das Harmonisierungsverbot des Art. 152 Abs. 4 lit. c EG faktisch aus und begann mit dieser und seinen späteren einschlägigen Entscheidungen einen sehr effektiven Druck auf die nationalen Regierungen auszuüben, ihre Gesundheitssysteme europafreundlicher zu gestalten. In Deutschland kann man diese Entwicklung an den Änderungen nachvollziehen, die § 18 SGB V seit den Entscheidungen des EuGH erfahren hat. Im Ergebnis entschied sich der EuGH im Verfahren Decker für die Warenverkehrsfreiheit und urteilte, dass eine nationale Regelung, nach der ein Träger der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaates einem Versicherten die pauschale Kostenerstattung für eine Brille mit Korrekturgläsern, die dieser bei einem Optiker in einem anderen Mitgliedstaat ge-
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kauft hat, mit der Begründung versagt, dass der Erwerb medizinischer Erzeugnisse im Ausland der vorherigen Genehmigung bedarf, gegen die Art. 30 und 36 EGV verstößt. In der Begründung führt der EuGH aus, dass rein wirtschaftliche Gründe eine Beschränkung des „elementaren Grundsatzes des freien Warenverkehrs nicht fertigen“ könnten, wohl aber eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit. Diese Gefährdung muss dem Gericht aber gegenüber nicht nur behauptet, sondern nachgewiesen werden. Eine „Einschätzungsprärogative“, welche das BVerfG in ständiger Rechtsprechung dem deutschen Gesetzgeber zugesteht4, lässt der EuGH zugunsten der nationalen Gesetzgeber nicht gelten. Die luxemburgische Regierung hatte in Beantwortung einer entsprechenden Frage des Gerichtshofes konzediert, dass die Pauschalerstattung für in anderen Mitgliedstaaten gekaufte Brillen und Korrekturgläser keine Auswirkungen auf die Finanzierung oder das Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit in Luxemburg hat. Die belgische, die deutsche und die niederländische Regierung machten geltend, das Recht der Versicherten auf Zugang zu ordnungsgemäßer Behandlung rechtfertige die fragliche Regelung aus Gründen des Gesundheitsschutzes nach Art. 36 EGV. Die belgische Regierung fügte hinzu, die Abgabe von Brillen sei Personen vorbehalten, die dazu rechtlich befugt seien. Würden die Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbracht, würde die Kontrolle ihrer ordnungsgemäßen Ausführung erheblich beeinträchtigt, wenn nicht gar unmöglich. Der EuGH führte dazu lapidar aus, dass die Bedingungen des Zugangs zu geregelten Berufen und ihrer Ausübung Gegenstand der Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18.06.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG5 und der Richtlinie 95/43/EG der Kommission vom 20.07.1995 zur Änderung der Anhänge C und D der Richtlinie 92/516 seien. Daher biete der Kauf einer Brille bei einem Optiker in einem anderen Mitgliedstaat Garantien, die denen gleichwertig sind, die beim Kauf einer Brille bei einem Optiker im Inland gegeben sind.7 Zudem sei der Kauf der Brille im Ausgangsverfahren aufgrund augenärztlicher Ver4
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Grundlegend insbesondere BVerfG, 01.03.1979 – 1 BvR 532/77 u.a. –, BVerfGE 50, 290 – Mitbestimmungsurteil. ABl. L 209, S. 25. ABl. L 184, S. 21. Vgl. zum Kauf von Arzneimitteln in einem anderen Mitgliedstaat die Urteile vom 07.03.1989 in der Rechtssache C-215/87, Schumacher, Slg. 1989, 617, Rdnr. 20, und vom 08.04.1992 in der Rechtssache C-62/90, Kommission/ Deutschland, Slg. 1992, I-2575, Rdnr. 18 = NJW 1992, 1553.
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schreibung erfolgt, was die Sicherung des Gesundheitsschutzes gewährleiste. Eine Regelung der streitigen Art könne daher nicht unter Berufung auf Gründe des Gesundheitsschutzes damit gerechtfertigt werden, dass die Qualität in anderen Mitgliedstaaten gelieferter medizinischer Erzeugnisse gewährleistet werden müsse. III. Kohll Während die Rechtssache Nicolas Decker aus deutscher Sicht nur den eher vernachlässigbaren Bereich der Hilfsmittel betraf, ging es in der Rechtssache Kohll um eine Fragestellung von auch finanziell großer Bedeutung, nämlich ob Unionsbürger sich – ohne Rücksprache mit ihrer Krankenkasse – jedenfalls ambulant in anderen Mitgliedsstaaten behandeln lassen können, ohne ihren nationalen Krankenversicherungsschutz zu verlieren. Die Tochter des in Luxemburg gesetzlich krankenversicherten Raymond Kohll sollte bei einem Zahnarzt in Trier kieferorthopädisch behandelt werden. Die luxemburgische Krankenkasse Union des caisses de maladie (UCM) verweigerte die Genehmigung zur Auslandsbehandlung mit der Begründung, die Behandlung sei zum einen nicht dringend und könne zum anderen in Luxemburg erbracht werden. Der EuGH entschied in dem Urteil vom 28.04.1998 – C-158/96 –8 unter dem Aspekt des freien Dienstleistungsverkehrs, dass eine nationale Regelung, die die Erstattung der Kosten für Zahnbehandlung durch einen Zahnarzt in einem anderen Mitgliedstaat nach den Tarifen des Versicherungsstaats von der Genehmigung des Trägers der sozialen Sicherheit des Versicherten abhängig macht, gegen die Art. 59 und 60 EG verstößt. Mit dieser Entscheidung wurde das Harmonisierungsverbot des Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. c EG in einem für das Gesundheitswesen und damit für die sozialen Sicherungssysteme zentralen Bereich über die europäischen Grundfreiheiten ausgehebelt. Die UCM sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Erklärungen zum Verfahren abgegeben hatten, darunter Deutschland, trugen vor, der freie Dienstleistungsverkehr sei nicht absolut zu setzen; Gründe der Kontrolle der Gesundheitskosten müssten berücksichtigt werden. Eine vorherige Genehmigung stelle das einzig wirksame und das am wenigsten beschränkende Mittel dar, um die Gesundheitskosten zu kontrollieren und das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit aufrechtzuerhalten. Nach Auffassung der UCM, der luxemburgischen Regierung und der Kommission stelle die Gefahr einer Störung des finanziellen 8
Slg 1998, I-1931 = NJW 1998, 1771 = MedR 1998, 317.
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Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, das der Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen Versicherten offenstehenden ärztlichen und klinischen Versorgung dienen solle, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen könne. Die Kommission fügte hinzu, die Versagung der vorherigen Genehmigung durch die nationalen Stellen müsse durch eine wirkliche Gefahr der Störung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit gerechtfertigt sein. Hierzu brachte der Kläger vor, die finanziellen Folgen für das Budget des luxemburgischen Trägers der sozialen Sicherheit hingen nicht davon ab, ob er sich an einen luxemburgischen oder an einen Zahnarzt in einem anderen Mitgliedstaat wende, da er die Übernahme der Krankheitskosten zu dem in Luxemburg geltenden Tarif beantragt habe. Die streitige Regelung könne daher nicht damit begründet werden, die Gesundheitskosten müssten kontrolliert werden. Der EuGH betont, dass rein wirtschaftliche Gründe eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen können.9 Jedoch könne eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine solche Beschränkung rechtfertigen kann. Entgegen dem Vorbringen der UCM und der luxemburgischen Regierung habe die Erstattung von Kosten einer Zahnbehandlung, die in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wurde, nach den Tarifen des Versicherungsstaats keine wesentlichen Auswirkungen auf die Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit. Die luxemburgische Regierung machte zur Rechtfertigung weiter den Schutz der öffentlichen Gesundheit geltend; die streitige Regelung sei zum einen erforderlich, um die Qualität der (zahn)ärztlichen Leistungen zu gewährleisten, die bei denjenigen, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begäben, nur im Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung überprüft werden könne; zum anderen solle das luxemburgische Krankenversicherungssystem eine ausgewogene, allen Versicherten offenstehende ärztliche und klinische Versorgung sicherstellen. Der Kläger hielt dem entgegen, es gebe keinen wissenschaftlichen Grund für die Annahme, dass in Luxemburg vorgenommene Behandlungen wirksamer seien, seitdem die Ausübung der ärztlichen Berufe von den Mitgliedstaaten gegenseitig anerkannt werde. Die Bezugnahme auf eine ausgewogene, allen offenstehende ärztliche und klinische Versorgung müsse als wirtschaftlicher Grund angesehen werden, der die Finanzen der UCM schützen solle.
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In diesem Sinne schon EuGH, 05.06.1997 – C-398/95 – SETTG, Slg. 1997, I-3091, Rdnr. 23 = EAS Teil C EG-Vertrag Art. 59 Nr. 28.
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Der EuGH bestätigt im Ansatz die Verteidigungslinie der luxemburgischen Regierung. Die Mitgliedstaaten können den freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 56 und 66 EGV aus Gründen der öffentlichen Gesundheit beschränken. Das erlaube ihnen jedoch nicht, den Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs vom elementaren Grundsatz des freien Verkehrs auszunehmen.10 Die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung der Tätigkeiten des Arztes und des Zahnarztes sind Gegenstand mehrerer Koordinierungs- oder Harmonisierungsrichtlinien.11 Dann folgt das zentrale Argument des EuGH gegen die Einwendungen der insgesamt sechs sich am Verfahren beteiligenden Regierungen, der Kommission und der UCM aus der Beschränkungsmöglichkeit, die Art. 56 EGV [jetzt Art. 46 EG] darstellt. Art. 56 EGV erlaube den Mitgliedstaaten, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder selbst das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist.12 Art. 46 EG [früher Art. 56 EGV] bestimmt: (1) Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen beeinträchtigen nicht die Anwendbarkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. (2) Der Rat erlässt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 Richtlinien für die Koordinierung der genannten Vorschriften.
Weder die UCM noch die Regierungen der Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, hätten nachgewiesen, dass die streitige Regelung 10 11
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Hinweis auf EuGH, 07.05.1986 – C-131/85 – Gül, Slg. 1986, 1573, Rdnr. 17. Hinweis auf die Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25.07.1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr, ABl. L 233, S. 1; die Richtlinie 78/687/EWG des Rates vom 25.07.1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes, ABl. L 233, S. 10, und die Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 05.04.1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, ABl. L 165, S. 1. Zum Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 36 EGV EuGH, 10.07.1984 – C-72/83 – Campus Oil u. a., Slg. 1984, 2727, Rdnr. 33 – 36.
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erforderlich sei, um eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung sicherzustellen. Keiner der Beteiligten habe vorgetragen, dass sie zur Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines unabdingbaren Niveaus der Heilkunde im Inland erforderlich sei. Daher könne die streitige Regelung nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt werden. Das Urteil wurde in Deutschland teilweise mit ungläubigem Erstaunen aufgenommen und von der Rechtsprechung zunächst praktisch ignoriert. Das BSG entschied am 16.06.1999 – B 1 KR 4/98 R –13: „Die Krankenkasse darf Kosten einer Auslandsbehandlung nicht übernehmen, wenn eine andere, gleich oder ähnlich erfolgversprechende Behandlung der Krankheit im Inland möglich ist.“ Die Entscheidung Kohll wird nicht einmal erwähnt. In einer Entscheidung des BSG vom 19.10.2000 – B 1 KR 13/00 B –14 wird eine europarechtliche Auslegung des Urteils durch die Vorinstanz hingenommen, obwohl man nach dem Grundsatz des acte claire i.S. des Art. 234 EG15 nicht davon ausgehen konnte, dass die Frage schon eindeutig entschieden war. An der Nichtbeachtung der Kohll- und Decker-Entscheidungen in Deutschland änderte sich in den Folgejahren zunächst wenig.16 Soweit in den Anfangsjahren sich deutsche Gerichte überhaupt die Mühe machten, sich mit den Entscheidungen Kohll und Decker zu befassen, begnügten sie sich meist mit dem lapidaren Hinweis, der EuGH habe in seinen Urteilen Kohll und Decker wiederholt darauf hingewiesen, dass die Gestaltung der Sozialpolitik grundsätzlich in der Kompetenz der EG-Mitgliedsstaaten verblieben ist, nach denen eine Einschränkung europäischer Grundfreiheiten gerechtfertigt sein kann, wenn durch sie eine erhebliche Gefährdung der Stabilität der Systeme der nationalen sozialen Sicherung abgewendet werden soll. Gerade die Beitragssatzstabilität diene aber der Sicherstellung der Finanzierbarkeit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Zur Begründung dieses Sicherstellungsbedarfs wurde auf die Gesetzesmaterialien zum SGB V verwiesen.17 Im Gegensatz zum EuGH wird die bloße und noch nie überprüfte geschweige denn bewiesene gesetzgeberische Behauptung durch deutsche Gerichte einfach hingenommen, während der EuGH sie in den Kohll- und Decker-Entscheidungen nachgewiesen haben will. Hier gab und gibt es 13 14 15 16 17
BSGE 84, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr. 4. JURIS. S. dazu EuGH, 04.06.2002 – C-99/00 –, Slg 2002, I-4839 = LRE 43, 337. S. z.B. LSG Baden-Württemberg, 18.05.2004 – L 11 KR 3300/03 –, JURIS. S. z.B. SG Hannover, 27.01.1999 – S 21 KA 666/97 –, JURIS unter Hinweis auf BT-Drs. 13/3608.
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große Differenzen im rechtlichen Ansatz zwischen der Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Rechtsprechung. Die Rechtsprechung des EuGH ist hier sehr viel freiheitsbetonter als die deutsche. IV. Smits und Peerbooms Die deutsche Hoffnung, durch die allenthalben geäußerte Kritik an den Urteilen in Sachen Kohll und Decker den EuGH zu einer regierungsfreundlicheren Linie zu veranlassen, wurde durch die Entscheidung des EuGH vom 12.07.2001 – C 157/99 – Smits und Peerbooms18 zunichte gemacht. Das Urteil betrifft zwei Fälle. Im Fall Smits begehrte eine an Morbus Parkinson leidende Patientin aus Holland (und dort gesetzlich krankenversichert) Kostenerstattung für eine Behandlung in der (privaten) Elena-Klinik in Kassel, Deutschland. Dies wurde von der holländischen Krankenkasse (Stichting Ziekenfonds VGZ) mit der Begründung abgelehnt, dass eine ausreichende und angemessene Behandlung der parkinsonschen Krankheit in den Niederlanden verfügbar sei, die in der Elena-Klinik durchgeführte kategoriale klinische Behandlung keinen zusätzlichen Vorteil mit sich bringe und daher keine medizinische Notwendigkeit für eine Behandlung in dieser Klinik bestehe. Im Fall Peerboms wurde für einen 1961 geborenen holländischen Patienten Kostenerstattung für eine Neurostimulationsbehandlung am Universitätsklinikum in Innsbruck, Österreich begehrt. Herr Peerbooms war infolge eines Verkehrsunfalls am 10.12.1996 ins Koma gefallen. Nachdem er in den Niederlanden in ein Krankenhaus eingeliefert worden war, wurde er am 22.02.1997 in vegetativem Zustand in die Universitätsklinik Innsbruck (Österreich) eingeliefert. Die Neurostimulationsbehandlung wurde damals in den Niederlanden nur auf Versuchsbasis an zwei Zentren und nur für Patienten angeboten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Die holländische Krankenkasse (Stichting CZ Groep Zorgverzekeringen) lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, eine angemessene Behandlung hätte in den Niederlanden bei einem Erbringer von Pflegeleistungen und/oder einer Einrichtung vorgenommen werden können, mit der die Stichting CZ eine vertragliche Vereinbarung geschlossen habe. Der Unterschied zwischen diesem Urteil und den Urteilen Decker und Kohll besteht schon im Engagement der beteiligten Regierungen. Kann man sich nach der Lektüre der Entscheidungen Decker und Kohll nicht des
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Slg 2001, I-5473 = NJW 2001, 3391.
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Eindrucks erwehren, diese hätten die Bedeutung der zu entscheidenden Fälle wohl unterschätzt, wird nunmehr dezidiert vorgetragen. Der EuGH referiert die Einlassungen zwar knapp. Aus dem Votum des Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer vom 18.05.2000 ergibt sich jedoch, dass 10 der (damals) 15 Regierungen schriftliche Erklärungen eingereicht haben, dazu mit Island und Norwegen zwei Staaten aus dem Europäischen Wirtschaftsraum. Dazu führt der Generalanwalt aus: „Dies beweist eindeutig, welch starke Erwartungen die aufgeworfenen Fragen geweckt haben und mit welchem Interesse man der Entscheidung des Gerichtshofs entgegensieht.“ Der EuGH referiert die Einwände wie folgt: „Verschiedene Regierungen, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, haben die Ansicht vertreten, dass die Krankenhausdienstleistungen insbesondere dann keine wirtschaftliche Betätigung im Sinne des Art. 60 des Vertrages darstellen könnten, wenn sie aufgrund des anwendbaren Krankenversicherungssystems kostenlos erbracht würden. Im Einzelnen vertreten sie unter Berufung insbesondere auf die Urteile vom 27.09.1988 in der Rechtssache 263/86 (Humbel, Slg. 1988, 5365, Rdnrn. 17 bis 19) und vom 04.10.1991 in der Rechtssache C-159/90 (Society for the Protection of Unborn Children Ireland, Slg. 1991, I-4685, Rdnr. 18) die Ansicht, es liege kein Entgelt im Sinne von Art. 60 des Vertrages vor, wenn dem Patienten in einer Krankenanstalt Versorgung gewährt werde, ohne dass er dafür bezahlen müsse, oder wenn die ihm entstandenen Kosten ganz oder zum Teil erstattet würden. Einige dieser Regierungen vertreten daneben die Ansicht, aus den Urteilen vom 13.02.1985 in der Rechtssache 293/83 (Gravier, Slg. 1985, 593) und vom 07.12.1993 in der Rechtssache C109/92 (Wirth, Slg. 1993, I-6447, Rdnr. 17) gehe hervor, dass das Streben des Erbringers einer Dienstleistung nach Gewinn eine zusätzliche Voraussetzung dafür darstelle, dass eine Leistung eine wirtschaftliche Betätigung im Sinne von Art. 60 des Vertrages sein könne. Die deutsche Regierung vertritt ferner die Ansicht, dass die wesentlichen Strukturprinzipien, die die Erbringung von Leistungen der medizinischen Versorgung regelten, zur Ausgestaltung der Systeme der sozialen Sicherheit gehörten und nicht unter die vom EG-Vertrag gewährleisteten wirtschaftlichen Grundfreiheiten fielen, da die Beteiligten nicht selbst über Inhalt, Art und Ausmaß einer Leistung und deren Vergütung entscheiden könnten. Keinem dieser Argumente kann gefolgt werden.“ Seine zentrale Argumentation gewinnt der EuGH wiederum aus der Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV – jetzt Art. 49 EG). Nach ständiger Rechtsprechung verstoße jede nationale Regelung gegen Art. 59 EGV, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert.
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Der EuGH leitet seine Ausführungen mit folgenden Gedankengängen ein: „Es ist zu bestimmen, ob es eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 59 des Vertrages darstellt, wenn die Übernahme der Kosten für in einer Krankenanstalt in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Leistungen durch die Krankenkasse von der Einholung einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht wird, die nur dann erteilt wird, wenn die betreffenden Behandlungen vom Krankenversicherungssystem des Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit gedeckt sind, was es erfordert, dass sie demjenigen entsprechen, „was in ärztlichen Kreisen üblich ist“, und wenn die Krankenkasse des Versicherten festgestellt hat, dass dessen medizinische Behandlung es verlangt, dass er in die betreffende Krankenanstalt aufgenommen wird, was voraussetzt, dass nicht rechtzeitig im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit eine angemessene Versorgung durch einen Dienstleistungserbringer erfolgen kann, mit dem eine vertragliche Vereinbarung besteht.“ Entscheide sich ein Mitgliedstaat für die hinreichende Erprobtheit und Anerkanntheit der ärztlichen oder klinischen Behandlung als Kriterium für die Kostenübernahme durch sein System der sozialen Sicherheit, so müssen die nationalen Behörden, die für Genehmigungszwecke darüber zu entscheiden haben, ob eine in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommene Krankenhausbehandlung dieses Kriterium erfüllt, alle verfügbaren einschlägigen Gesichtspunkte berücksichtigen, darunter insbesondere die vorhandenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Untersuchungen, maßgebende Auffassungen von Sachverständigen und die Frage, ob die betreffende Behandlung vom Krankenversicherungssystem des Mitgliedstaats, in dem sie erfolgt, gedeckt wird. Im vorliegenden Fall nehme die ZFW (Ziekenfondswet – Gesetz zur Regelung der Krankenversicherung) zwar den Versicherten nicht die Möglichkeit, sich eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers zu bedienen, doch mache dieses Gesetz die Erstattung der dadurch verursachten Kosten davon abhängig, dass eine vorherige Genehmigung eingeholt wird, und sehe ferner vor, dass eine derartige Genehmigung zu versagen ist, wenn diese beiden Erfordernisse nicht erfüllt sind. Zum ersten dieser Erfordernisse, dass die beabsichtigte Behandlung eine durch die ZFW gedeckte Leistung darstellen muss, d. h., dass sie „in den betreffenden ärztlichen Kreisen üblich“ sein muss, genüge die Feststellung, dass eine derartige Voraussetzung ihrem Wesen nach zur Versagung von Genehmigungen führen kann. Allein wie häufig derartige Versagungen von Genehmigungen stattfinden, nicht aber dass sie überhaupt erfolgen, hänge davon ab, welche Auslegung den Begriffen „üblich“ und „ärztliche Kreise“ beigemessen wird.
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Das zweite Erfordernis, dass die Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat einer medizinischen Notwendigkeit entspreche, was nur dann der Fall sei, wenn im Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit nicht rechtzeitig eine angemessene Behandlung in Krankenanstalten, mit denen eine vertragliche Vereinbarung besteht, erfolgen könne, sei seiner Art nach geeignet, die Anzahl der Fälle stark zu begrenzen, in denen eine Genehmigung erlangt werden könne. Die niederländische Regierung und die Kommission hätten zwar hervorgehoben, dass die Krankenkassen vertragliche Vereinbarungen mit Krankenanstalten außerhalb der Niederlande schließen könnten und dass dann für die Übernahme der Kosten für die Versorgung in derartigen Anstalten nach der ZFW keine vorherige Genehmigung erforderlich wäre. Abgesehen davon, dass diese Möglichkeit nicht klar aus den beim Gerichtshof angeführten nationalen Regelungen hervorgehe, heiße es im Vorlagebeschluss, dass in der Praxis insbesondere wegen der Voraussetzungen, von denen der Abschluss vertraglicher Vereinbarungen abhängt, solche Vereinbarungen im Wesentlichen mit Krankenanstalten in den Niederlanden geschlossen werden. Ferner sei festzustellen, dass – von Krankenanstalten, die sich in den Grenzgebieten zu den Niederlanden befinden, einmal abgesehen – die Vorstellung illusorisch sein dürfte, dass viele Krankenanstalten in den anderen Mitgliedstaaten einen Anlass dazu sehen, vertragliche Vereinbarungen mit den niederländischen Krankenkassen zu schließen, zumal ihre Aussichten, diesen Kassen angeschlossene Patienten aufzunehmen, vom Zufall abhängig und beschränkt blieben. Damit stehe fest, dass in den meisten Fällen die Übernahme der Kosten für Krankenhausversorgung durch in anderen Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit befindliche Krankenhäuser nach der ZFW von einer vorherigen Genehmigung abhängig bleibe und diese Genehmigung versagt werde, wenn die beiden Anforderungen nicht erfüllt seien. Im Vergleich dazu werde die Versorgung in Krankenanstalten in den Niederlanden, mit denen vertragliche Vereinbarungen bestehen, also der größte Teil der Krankenhausversorgung, die in diesem Mitgliedstaat den unter die ZFW fallenden Versicherten gewährt wird, von den Krankenkassen übernommen, ohne dass sie einer Regelung der vorherigen Genehmigung unterliege. Daher schrecke eine Regelung von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art die Sozialversicherten davon ab oder hindert sie sogar daran, sich an medizinische Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Versicherungszugehörigkeit zu wenden, und stelle sowohl für die Versicherten als auch für die Leistungserbringer eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Der EuGH entschied deshalb:
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„Die Art. 59 EG [jetzt Art. 49 EG] und 60 EG [Art. 50 EG] stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die die Übernahme der Kosten für die Versorgung in einer Krankenanstalt in einem anderen Mitgliedstaat davon abhängig macht, dass die Krankenkasse eine vorherige Genehmigung erteilt, und nach der dies der doppelten Voraussetzung unterliegt, dass zum einen die Behandlung als „in ärztlichen Kreisen üblich“ betrachtet werden kann, wobei dieses Kriterium auch dann angewandt wird, wenn es um die Frage geht, ob die im Inland gewährte Krankenhauspflege gedeckt ist, und dass zum anderen die medizinische Behandlung des Versicherten es erfordert.“
Dies gelte jedoch nur, soweit
die Voraussetzung der „Üblichkeit“ der Behandlung so ausgelegt werde, dass die Genehmigung ihretwegen nicht versagt werden kann, wenn es sich erweist, dass die betreffende Behandlung in der internationalen Medizin hinreichend erprobt und anerkannt ist, und die Genehmigung nur dann wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit versagt werden könne, wenn die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, die eine vertragliche Vereinbarung mit der Krankenkasse geschlossen hat, der der Versicherte angehört.
Mit dieser Entscheidung machte der EuGH den Versuch, die nationalen Gesundheitssysteme vor einer Europäisierung unter Berufung auf eine nationale Medizin zu retten, zunichte. Er verschaffte stattdessen den Patienten grundsätzlich Zugang zu einer globalisierten (internationalen) Medizin und legte damit zugleich den Grundstein für die noch darzustellende Entscheidung i.S. Watts und bereitete endgültig den Weg zu einer Europäisierung des Gesundheitswesens. V. Müller-Fauré und van Riet Die Entscheidung des EuGH vom 13.05.2003 – C-385/99 – Müller-Fauré und van Riet19 betrifft ebenfalls ein Doppelverfahren. Die holländische Patientin Müller-Fauré ließ bei sich während ihres Urlaubs in Deutschland über mehrere Wochen eine Zahnbehandlung durchführen und sechs Kronen und eine festsitzende Prothese im Oberkiefer einsetzen, weil sie mit den holländischen Zahnärzten unzufrieden war. Sie begehrt Kostenerstattung von ihrer holländischen Krankenkasse Onderlinge Waarborgmaatschappij OZ Zorgverzekeringen UA (Krankenversiche19
Slg 2003, I-4509 = NJW 2003, 2298.
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rungsverein auf Gegenseitigkeit). Diese lehnte die Erstattung ab, da kein Ausnahmefall i.S. des holländischen Rechts vorliege, der eine Behandlungskostenübernahme im Ausland rechtfertige. Die ebenfalls holländische Patientin van Riet litt seit 1985 an Schmerzen im rechten Handgelenk. Am 05.04.1993 beantragte ihr Hausarzt beim Vertrauensarzt der Krankenkasse, seiner Patientin eine Arthroskopie im Krankenhaus Deurne (Belgien) zu genehmigen, wo eine derartige Untersuchung zu einem viel früheren Termin erfolgen könne als in den Niederlanden, was von ihrer Krankenkasse Onderlinge Waarborgmaatschappij ZAO Zorgverzekeringen mit Schreiben vom 24.06. und 05.07.1993 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass der Eingriff auch in den Niederlanden vorgenommen werden könne. Die Arthroskopie wurde. In der Zwischenzeit hatte Frau van Riet die Arthroskopie bereits im Mai 1993 im Krankenhaus Deurne durchführen lassen. Die Vorbereitung, Ausführung und Nachbehandlung erfolgten in Belgien, zum Teil stationär, zum Teil ambulant. Das vorlegende Gericht (Centrale Raad van Beroep) wies u.a. auf die Besonderheiten des niederländischen Krankenversicherungssystems hin. Dieses System garantiere im Gegensatz zum so genannten „Erstattungssystem“ im Wesentlichen Sachleistungen. Nach den Angaben der Beklagten der Ausgangsverfahren könnte das finanzielle Gleichgewicht des Systems gefährdet sein, wenn die Versicherten ohne vorherige Genehmigung die Erstattung der Kosten der Versorgung in einem anderen Mitgliedstaat beanspruchen könnten. Das Gericht verweist insoweit auf nationale Maßnahmen zur Beherrschung der Kosten für Krankenhausversorgung, insbesondere auf die Vorschriften der Wet Ziekenhuisvoorzieningen über die Planung und Verteilung der Versorgung und die Vorschriften der ZFW zur Begrenzung der Erstattung auf die Versorgung durch zugelassene Klinikeinrichtungen. Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass ein vorheriges Genehmigungserfordernis für ambulante Behandlungen nicht zulässig ist, und zwar auch dann nicht, wenn im Herkunftsland des Patienten insoweit das Sachleistungssystem gilt. Dagegen hält er ein vorheriges Genehmigungserfordernis für stationäre Behandlungen für zulässig. Er befasst sich auch mit der Frage der Genehmigungsfähigkeit vorheriger Behandlungen und entscheidet, dass die Genehmigung versagt werden darf, wenn national rechtzeitig eine Behandlung erfolgen kann. In seiner Begründung geht der EuGH erneut ausführlich auf das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit ein und stellt seine Rechtsprechung in den Anforderungen durch „zwei Vorbemerkungen“ klar:
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„Zum einen verpflichtet die Verwirklichung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten die Mitgliedstaaten unvermeidlich, einige Anpassungen in ihren nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorzunehmen, ohne dass dies als Eingriff in ihre souveräne Zuständigkeit in dem betreffenden Bereich angesehen werden könnte. Insoweit genügt ein Hinweis auf die Anpassungen, die sie in ihren Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit vornehmen mussten, um der Verordnung Nr. 1408/71 nachzukommen, insbesondere auch den in Art. 69 der Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen für die Zahlung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit an Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Gebiet anderer Mitgliedstaaten, da die nationalen Systeme keine derartige Unterstützung für die bei einem Arbeitsamt eines anderen Mitgliedstaats gemeldeten Arbeitslosen gewährleisteten. Zum anderen verliert eine medizinische Leistung nicht deshalb ihren Charakter als Dienstleistung, weil ihre Kosten von einem nationalen Gesundheitsdienst oder einem Sachleistungssystem übernommen werden. Der Gerichtshof hat hierzu insbesondere festgestellt, dass eine in einem Mitgliedstaat erbrachte medizinische Leistung, die vom Patienten bezahlt wird, nicht schon allein deshalb nicht mehr in den Geltungsbereich des vom Vertrag gewährleisteten freien Dienstleistungsverkehrs fällt, weil die Erstattung der Kosten für die fragliche Versorgung nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats über die Krankenversicherung beantragt wird, die im Wesentlichen Sachleistungen vorsehen. Es ist gerade das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung als Voraussetzung für die spätere Übernahme der Krankheitskosten, das, wie bereits in Rdnr. 44 des vorliegenden Urteils bemerkt, den freien Dienstleistungsverkehr behindert, d. h. die Möglichkeit für den Patienten, sich an einen medizinischen Dienstleistungserbringer seiner Wahl in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Versicherungszugehörigkeit zu wenden. Unter dem Gesichtspunkt des freien Dienstleistungsverkehrs ist daher nicht danach zu unterscheiden, ob der Patient die angefallenen Kosten zahlt und später ihre Erstattung beantragt oder ob der Leistungserbringer die Zahlung direkt von der Krankenkasse oder aus dem Staatshaushalt erhält. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Aufhebung des Erfordernisses einer von den Krankenkassen erteilten vorherigen Genehmigung als Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Gesundheitsversorgung außerhalb eines Krankenhauses in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Versicherungszugehörigkeit geeignet ist, die wesentlichen Merkmale des Systems des Zugangs zur Gesundheitsversorgung in den Niederlanden in Frage zu stellen. Erstens müssen bereits im Rahmen der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 diejenigen Mitgliedstaaten, die ein Sachleistungssystem oder sogar einen nationalen Gesundheitsdienst errichtet haben, Mechanismen der nachträglichen Erstattung der Kosten für eine in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen durchgeführte Behandlung vorsehen. Das gilt z. B. für den Fall, dass die Formvorschriften nicht während des Aufenthalts des Betroffenen im letztgenannten Mitgliedstaat eingehalten werden konnten (vgl. Art. 34 der Verordnung [EWG] Nr. 574/72 des Rates vom 21.03.1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71) oder dass der zuständige Staat gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 die Behandlung im Ausland genehmigt hat.
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Zweitens können, wie bereits in Rdnr. 98 des vorliegenden Urteils festgestellt, Versicherte, die sich ohne vorherige Genehmigung zur Versorgung in einen anderen Mitgliedstaat als den der Niederlassung ihrer Krankenkasse begeben, die Übernahme der Krankheitskosten nur insoweit verlangen, als das Krankenversicherungssystem des Staates der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung garantiert. So ergibt sich im vorliegenden Fall aus den Akten, dass die Krankenkasse Zwijndrecht in Anbetracht des Umfangs der von ihr garantierten Deckung von den 3.806,35 €, die Frau Müller-Fauré einem in Deutschland niedergelassenen Leistungserbringer gezahlt hat, auf jeden Fall nur 221,03 € übernehmen würde. Ebenso können dem Versicherten bei einer Versorgung in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Versicherungszugehörigkeit auch die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung entgegengehalten werden, soweit sie weder diskriminierend sind noch die Freizügigkeit behindern. Das gilt insbesondere für das Erfordernis, vor einem Facharzt zunächst einen Allgemeinarzt zu konsultieren. Drittens ist der zuständige Mitgliedstaat, der über ein Sachleistungssystem verfügt, durch nichts daran gehindert, die Erstattungsbeträge festzusetzen, auf die die Patienten, die in einem anderen Mitgliedstaat versorgt wurden, Anspruch haben, soweit diese Beträge auf objektiven, nichtdiskriminierenden und transparenten Kriterien beruhen. Folglich ist im Licht der dem Gerichtshof vorgetragenen Umstände und Argumente nicht ersichtlich, dass die Aufhebung des Erfordernisses einer vorherigen Genehmigung, die die Krankenkassen ihren Versicherten für die Inanspruchnahme einer Gesundheitsversorgung – insbesondere wenn sie außerhalb eines Krankenhauses erfolgt – in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Versicherungszugehörigkeit erteilen, geeignet wäre, die wesentlichen Merkmale des niederländischen Krankenversicherungssystems zu beeinträchtigen.“
Die auf den ersten Blick wegen ihrer Unterscheidung zwischen ambulant und stationär zunächst überraschende Entscheidung berücksichtigt die Realität der stationären Versorgung in den Mitgliedsstaaten. Kein Mitgliedsstaat leistet sich insoweit eine planlose Entwicklung. Die Frage der Zugangs und der Verfügbarkeit der stationären Krankenversorgung betrifft in den bestehenden Systemen unmittelbar zentrale Elemente der Daseinsvorsorge. Es wäre angesichts der europäischen Vertragslage vermessen gewesen, wenn der EuGH sich durch die Gleichstellung des stationären mit dem ambulanten Bereich unmittelbar in die Planungshoheit der Mitgliedsstaaten eingemischt hätte. Man merkt dem Urteil die politische Rücksichtnahme an, da der EuGH sich zur Klarstellung seiner Rechtsprechung durch Vorbemerkungen veranlasst sah.
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VI. Keller Die Entscheidung des EuGH vom 12.04.2005 – C-145/03 – Keller20 erweiterte die Palette der Entscheidungen um einen Fall mit – aus der Sicht der EU – Auslandsberührung. Es war der erste vom EuGH zu entscheidende Fall mit sog. Drittstaatenberührung. Frau Keller war eine deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Spanien und dort krankenversichert. Sie beantragt und erhielt das Formblatt E111 für eine Besuchsreise nach Deutschland. Während des Deutschlandaufenthalts wurde bei ihr ein bösartiger Tumor im Nasenbereich entdeckt und die Behandlung in Deutschland durch ihre spanische Krankenkasse mit Formblatt E112 genehmigt. Die Ärzte der von ihr aufgesuchten Universitätsklinik Köln vertraten nach eingehenden Untersuchungen und einer gründlichen Analyse der verschiedenen zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten die Auffassung, der chirurgische Eingriff, dessen sofortige Vornahme für Frau Keller lebensnotwendig sei, könne in Anbetracht seiner außergewöhnlichen Schwierigkeit und der besonderen Fähigkeiten, die er erfordere, nur im Universitätsspital Zürich (Schweiz) durchgeführt werden. Nach dem Bericht eines HNO-Arztes war diese Privatklinik die einzige in Europa, die die Krankheit von Frau Keller mit wissenschaftlich anerkannter Wirksamkeit behandeln könne. Die Behandlung wurde in der Schweiz aufgrund einer Überweisung der deutschen Ärzte durchgeführt. Die Erben der im Laufe des Verfahrens verstorbenen Frau Keller forderten von den zuständigen spanischen Sozialversicherungsträgern Instituto Nacional de la Seguridad Social und Instituto Nacional de Gestión Sanitaria die Erstattung der bezahlten Behandlungskosten in Höhe von 87.030 SFr. Die Kostenübernahme wurde abgelehnt, da die Übernahme der Kosten einer medizinischen Behandlung in einem Drittstaat seine ausdrückliche vorherige Genehmigung erfordere. Im Verfahren vor dem EuGH hat Spanien die Auffassung vertreten, die vom vorliegenden spanischen Gericht (Juzgado de lo Social n° 20 Madrid) festgestellten Tatsachen träfen nicht zu, vielmehr habe Frau Keller die Kölner Universitätsklinik gegen den Rat der deutschen Ärzte verlassen habe und sich auf ihre persönliche Initiative hin in die Behandlung in der Schweiz begeben. Das nahm der EuGH zum Anlass, „daran zu erinnern, dass in einem Verfahren nach Art. 234 EG, der auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt“, die Tatsachenrüge deshalb unzulässig sei.
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Slg 2005, I-2529 = SozR 4-6050 Art. 22 Nr. 4.
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Der EuGH gibt den Erben der Klägerin recht und befasst sich mit den Konsequenzen, welche das Formblatt E112 für den ausstellenden Krankenversicherungsträger mit sich bringt. Er folgt der Tatsachenfeststellung des spanischen Gerichts und betont, dass die Formblätter E111 und E112 dem Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats und den von diesem autorisierten Ärzten gewährleisten sollen, dass der Inhaber dieser Formblätter berechtigt ist, in diesem Mitgliedstaat während des im Formblatt angegebenen Zeitraums eine Behandlung zu erhalten, deren Kosten vom zuständigen Träger getragen werden. Aus dieser Vorschrift über die Aufgabenverteilung in Verbindung mit den Gemeinschaftsmaßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der in der Heilkunde Tätigen ergebe sich, dass der zuständige Träger, wenn er mit der Ausstellung eines Formblatts E111 oder E112 darin eingewilligt hat, dass einer seiner Sozialversicherten, auf den einer der in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Fälle zutrifft, eine medizinische Behandlung außerhalb des zuständigen Mitgliedstaats erhält, diese Behandlung den vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierten Ärzten überlässt, die im Rahmen ihres Auftrags handeln und die sich des Betreffenden in diesem Staat anzunehmen haben, und dass der Träger die von den genannten Ärzten getroffenen Feststellungen und therapeutischen Entscheidungen zu akzeptieren und anzuerkennen hat, als ob sie von autorisierten Ärzten stammten, die den Versicherten im zuständigen Mitgliedstaat hätten behandeln müssen, es sei denn, es läge ein missbräuchliches Verhalten vor. Schließlich sei davon auszugehen, dass die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Ärzte gleichwertige berufliche Garantien bieten wie die im Inland niedergelassenen. Hätten sich vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats autorisierte Ärzte aus Gründen einer lebensbedrohlichen Notsituation und in Anbetracht der augenblicklichen medizinischen Erkenntnisse für eine Verlegung des Versicherten in ein Krankenhaus eines Drittstaats entschieden, so sei Art. 22 Abs. 1 lit. a Ziffer i und lit. c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass, soweit der Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats keinen Grund hat, ernsthaft an der Begründetheit dieser ärztlichen Entscheidung zu zweifeln, die Kosten der in diesem letztgenannten Staat vorgenommenen Behandlung vom Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften unter gleichen Bedingungen, wie sie für die Sozialversicherten bestehen, die unter diese Rechtsvorschriften fallen, zu übernehmen sind. Hinsichtlich des Arguments des Ausgangsverfahrens, das auf die Notwendigkeit einer Beherrschbarkeit der Sozialversicherungskosten abstellt, weist der EuGH darauf hin, dass der Umstand, dass die medizinische Behandlung außerhalb des Aufenthaltsmitgliedstaats vorgenommen wird, den
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zuständigen Träger nicht in eine andere Situation versetze als die, in der diese Behandlung in diesem Mitgliedstaat durchgeführt worden wäre, da die anwendbaren Rechtsvorschriften und die sich daraus ergebenden eventuellen Grenzen der Erstattung in beiden Fällen die des Aufenthaltsmitgliedstaats seien. Der EuGH fügt ergänzend hinzu, dass die praktische Wirksamkeit und der Geist der fraglichen Gemeinschaftsvorschriften es gebieten, davon auszugehen, dass, sobald erwiesen sei, dass die betreffende Person Anspruch auf Übernahme der Kosten einer medizinischen Behandlung in einem Drittstaat durch den Träger des Aufenthaltsmitgliedstaats gehabt hätte und dass diese Behandlung zu den in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats vorgesehenen Leistungen gehöre, der zuständige Träger die Kosten dieser Behandlung unmittelbar dieser Person oder ihren Rechtsnachfolgern zu erstatten habe, um so ein Kostenübernahmeniveau zu garantieren, das dem gleichwertig sei, das für diese Person gegolten hätte, wenn Art. 22 Abs. 1 lit. a Ziffer i und Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 angewandt worden wäre. Damit schließt der EuGH eine bedeutsame Lücke und erweitert die möglichen der behandelnden Ärzte beträchtlich. Solange es nicht missbräuchlich ist, den Patienten an ein Krankenhaus zur Behandlung (weiter) zu überweisen, muss der Krankenversicherungsträger, welcher das Formblatt E112 ausgestellt hat, die Kosten in den Grenzen der Kosten des Aufenthaltsmitgliedstaats übernehmen. VII. Watts Von besonderer Brisanz ist die Entscheidung des EuGH vom 16.05.2006 in der Rechtssache C-372/04 – Watts.21 Der Fall Watts ist der erste Fall, in dem sich der EuGH mit dem englischen Krankenversicherungssystem, wie es im NHS (National Health Service) verkörpert ist, befasst hat. Es ging im Ausgangsverfahren um die Weigerung des Bedford Primary Care Trust (im Folgenden: Bedford PCT), die Kosten einer Krankenhausbehandlung zu erstatten, der sich die in Großbritannien wohnende Frau Yvonne Watts in Frankreich unterzogen hat. Sie litt an einer Hüftarthritis und wollte sich mit Formular E112 in Frankreich operieren lassen, da sie nicht warten wollte, bis sie auf der Warteliste so weit vorgerückt wäre, dass sie an der Reihe ist. Für die Interpretation der Entscheidung sind die genauen Falldaten von Interesse:
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Slg 2006, I-4326 = EAS Teil C EG-Vertrag (1999) Art. 49 Nr. 16.
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Frau Watts wurde am 01.10.2002 sie von einem britischen Facharzt untersucht, der dem Bedford PCT mit Schreiben vom 28.10.2002 mitteilte, dass Frau Watts genauso behandlungsbedürftig sei wie seine übrigen Patienten mit schwerer Arthritis, dass ihre Bewegungsfähigkeit erheblich eingeschränkt sei und dass sie chronische Schmerzen habe. Er stufte sie als „Routinefall“ ein, was bedeutete, dass sie ca. 1 Jahr auf den chirurgischen Eingriff in einem örtlichen Krankenhaus würde warten müssen. Am 21.11.2002 teilte der Bedford PCT mit, dass er es ablehne, Frau Watts einen Vordruck E112 auszustellen, weil die zweite Voraussetzung des Art. 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht erfüllt sei. Eine Behandlung könne nämlich in einem Krankenhaus am Wohnort der Patientin innerhalb der Zielvorgaben der Regierung für den NHS und damit rechtzeitig erfolgen. Am 12.12.2002 leitete Frau Watts ein Verfahren ein, um die Zulassung für eine Anfechtungsklage gegen die ablehnende Entscheidung zu erhalten. Die Anhörung über die Zulassung der Klage fand am 22.01.2003 vor dem High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Administrative Court), statt. In der Anhörung wurde vorgetragen, dass Frau Watts Anfang Januar 2003 einen Facharzt in Frankreich aufgesucht habe, der die Ansicht vertrete, dass aufgrund einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands die Notwendigkeit einer Operation dringlicher werde. Der Secretary of State for Health (Gesundheitsminister) und der Bedford PCT schlugen daher vor, dass Frau Watts im Hinblick auf eine Überprüfung der Entscheidung vom 21.11.2002 erneut untersucht werden solle. Am 31.01.2003 wurde Frau Watts erneut von dem britischen Facharzt untersucht, der sie bereits im Oktober 2002 untersucht hatte. Mit Schreiben vom selben Tag teilte er dem Bedford PCT mit, dass Frau Watts nun als Patientin einzustufen sei, die „bald“ eine Operation benötige, und damit als Patientin einer mittleren Kategorie zwischen der Kategorie der dringlichsten Fälle und der Kategorie der Routinefälle. Sie konnte nun damit rechnen, dass sie in 3 bis 4 Monaten, d. h. im April oder Mai 2003, in England operiert werden würde. Am 04.02.2003 wiederholte der Bedford PCT seine Weigerung, einen Vordruck E112 auszustellen, weil die Wartezeit für eine Operation in einem örtlichen Krankenhaus auf drei bis vier Monate verkürzt worden sei. Er berief sich auf die Planungsziele des NHS, um festzustellen, dass im Fall von Frau Watts Rechtzeitigkeit gegeben sei. Am 07.03.2003, also ca. 1 – 2 Monate früher, als ihr dies in England in Aussicht gestellt war, ließ sich Frau Watts in Abbeville (Frankreich) ein künstliches Hüftgelenk einsetzen. Sie beglich die Kosten dieses medizinischen Eingriffs (rund 3.900 £) und verlangt nun Kostenerstattung vom Bedford PCT.
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Der EuGH referiert in dieser Entscheidung die Grundsätze des britischen Gesundheitswesens, wie sie dem National Health Service zugrunde liegen. Die NHS-Einrichtungen stellen allen Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich Krankenhausbehandlung kostenfrei ohne Gewinnerzielungsabsicht zur Verfügung. Die Behandlung wird unmittelbar durch den Staat im Wesentlichen über Steuereinnahmen finanziert, die von der Regierung auf die Primary Care Trusts (PCTs) entsprechend dem jeweiligen Bedarf der Bevölkerung im örtlichen Zuständigkeitsbereich der PCTs aufgeteilt werden. Es gibt weder Arbeitnehmernoch Arbeitgeberbeiträge zur Finanzierung des NHS. Auch eine Patientenzuzahlung ist nicht vorgesehen. Es gibt keine landesweiten Listen der zu erbringenden medizinischen Leistungen. Die Aufnahme in einem Krankenhaus hängt im Allgemeinen von einer Überweisung durch einen Arzt für Allgemeinmedizin ab. Da das dem NHS von der Regierung zugeteilte Budget nicht groß genug ist, um allen Patienten unabhängig vom Maß der Dringlichkeit eine rasche Behandlung zu ermöglichen, setzt der NHS die verfügbaren Mittel so ein, dass er Prioritäten festlegt, was zu relativ langen Wartelisten für weniger dringliche Behandlungen führt. Die NHSEinrichtungen entscheiden im Rahmen des ihnen zugeteilten Gesamtbudgets über die Gewichtung der klinischen Prioritäten unter Beachtung nationaler Richtlinien. Durch die Wartelisten soll sichergestellt werden, dass eine Krankenhausversorgung gemäß den Prioritäten und Entscheidungen der NHS-Einrichtungen bezüglich der Verwendung der verfügbaren Mittel geleistet wird und dass Fairness zwischen den Patienten, die wegen unterschiedlicher Erkrankungen und mit unterschiedlicher Dringlichkeit einer Krankenhausbehandlung bedürfen, gewahrt bleibt. NHS-Patienten haben keinen Anspruch auf eine spezifische Behandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Art, der Ort, der Zeitpunkt und die Dauer der Krankenhausbehandlung werden auf der Basis der klinischen Prioritäten und der Mittel der zuständigen NHS-Einrichtung und nicht nach dem Wunsch des Patienten bestimmt. Die Entscheidungen der NHS-Einrichtungen können zwar im Wege der Klage angefochten werden, solche Klagen haben jedoch in der Regel keinen Erfolg. Da die im Rahmen des NHS erbrachten Behandlungen kostenfrei sind, stellt sich die Frage einer Kostenerstattung an den Patienten nicht und ist nicht folglich auch nicht geregelt. Es gibt im britischen Recht keinen Erstattungstarif. NHS-Patienten haben keinen Anspruch darauf, auf Kosten des NHS eine Behandlung in einem privaten Krankenhaus in England oder Wales zu erhalten. Die PCTs sind öffentliche Einrichtungen, die gemäß Section 16A des NHS Act errichtet wurden. Section 16A wurde durch Section 2 des Health
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Act 1999 in den NHS Act eingefügt und durch den National Health Service Reform and Health Care Professions Act 2002 geändert. Die personelle Zusammensetzung der PCTs bestimmt sich nach Maßgabe von Verordnungen. Die Aufgabe der PCTs besteht darin, die örtliche Gesundheitsversorgung einschließlich der allgemeinen medizinischen Dienstleistungen zu planen und sicherzustellen. Für jede Region ist ein PCT zuständig. In jedem Haushaltsjahr erhalten die einzelnen PCTs vom Gesundheitsminister einen nach oben begrenzten Betrag, der dazu bestimmt ist, die Ausgaben für die Krankenhausversorgung und die Verwaltungskosten zu decken. Die „NHS trusts“ sind eigenständige juristische Personen, die gemäß dem National Health Service and Community Care Act 1990 errichtet wurden. Section 5(1) dieses Gesetzes in der durch Section 13 des Health Act 1999 geänderten Fassung sieht vor, dass die NHS-Trusts dazu dienen, Güter und Dienstleistungen im Rahmen des NHS bereitzustellen. Die Aufgaben dieser Trusts werden durch ministerielle Verfügung festgelegt. Fast alle britischen Krankenhäuser werden durch NHS-Trusts betrieben. Die NHS-Trusts werden durch Zahlungen der PCTs für die Behandlungen und medizinischen Dienstleistungen finanziert, die die PCTs bei den NHSTrusts in Auftrag geben. Die Zusammenarbeit zwischen den PCTs und den NHS-Trusts fußt nach Section 4 des National Health Service and Community Care Act 1990 auf einem System von „NHS-Verträgen“, die rechtlich nicht durchsetzbar sind, sondern einer besonderen Art interner Schlichtung durch den zuständigen Minister unterliegen. Die NHS-Verträge werden in der Regel auf der Grundlage einer Vereinbarung geschlossen, die die Menge der Dienstleistungen und die entsprechende Finanzierung festlegt. Die PCTs und die NHS-Trusts sind Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht. Die zugeteilten Mittel, die nicht verbraucht werden, können unter bestimmten Voraussetzungen vorgetragen werden; andernfalls sind sie an die Regierung zurückzuzahlen. Patienten, die nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben, können sich – grundsätzlich gegen Entgelt – im Rahmen des NHS ärztlich behandeln lassen. Die NHS (Charges to Overseas Visitors) Regulations 1989 (Verordnung von 1989 über die Gebühren für Besucher aus dem Ausland) regeln die Modalitäten der Erhebung und Beitreibung der Gebühren für die Behandlung dieser Patienten durch den NHS. Die PCTs sind zur Erhebung und Beitreibung verpflichtet, sofern nicht der Patient einen in den Regulations festgelegten Befreiungstatbestand erfüllt. Die Regulations sehen Befreiungen u. a. für die Behandlung in Unfall- oder Notfallabteilungen von Krankenhäusern und in Bezug auf die Ansprüche von Personen vor, die dem Sozialversicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats angehören.
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Im konkreten Fall ging es also um die Frage, ob europäische Grundfreiheiten Eingriffe in ein derart geschlossenes System der Gesundheitsversorgung erlauben. Der EuGH bejahte diese Frage im Grundsatz, obwohl der Ausgangsfall mit einem Zeitgewinn von 1 – 2 Monaten angesichts der Grunderkrankung kaum als so dramatisch erscheint, dass er eine so grundsätzliche Beurteilung erforderte. Man kann sich deshalb des Eindrucks nicht erwehren, als dass der Fall dem EuGH geeignet erschien, seine Rechtsauffassung zum Verhältnis der europäischen Grundfreiheiten im Besonderen und des europäischem Rechts im Allgemeinen zum NHS darzulegen. Der EuGH entschied im Fall Watts im Einzelnen: „1. Art. 22 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 02.12.1996 geänderten und aktualisierten Fassung ist dahin auszulegen, dass der zuständige Träger die in Abs. 1 Buchstabe c Ziffer i dieses Artikels genannte Genehmigung nur dann unter Berufung auf das Bestehen einer Wartezeit für eine Krankenhausbehandlung versagen darf, wenn er nachweist, dass dieser Zeitraum nicht den vertretbaren zeitlichen Rahmen überschreitet, der sich aus einer objektiven medizinischen Beurteilung des klinischen Bedarfs des Betroffenen unter Berücksichtigung sämtlicher Parameter ergibt, die seinen Gesundheitszustand zu dem Zeitpunkt kennzeichnen, zu dem der Antrag auf Genehmigung gestellt oder gegebenenfalls erneuert wird. 2. Art. 49 EG ist auf einen Fall anwendbar, in dem sich eine Person, deren Gesundheitszustand eine Krankenhausbehandlung erforderlich macht, in einen anderen Mitgliedstaat begibt und dort gegen Entgelt eine derartige Behandlung erhält, ohne dass zu prüfen wäre, ob die Leistungen der Krankenhausversorgung, die im Rahmen des nationalen Systems erbracht werden, auf dessen Leistungen diese Person Anspruch hat, selbst Dienstleistungen im Sinne der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr darstellen. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Übernahme der Kosten einer beabsichtigten Krankenhausbehandlung in einer Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat von der Erlangung einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Träger abhängig gemacht wird. Die Versagung einer vorherigen Genehmigung darf nicht auf die bloße Existenz von Wartelisten gestützt werden, die dazu dienen, das Krankenhausangebot nach Maßgabe von vorab allgemein festgelegten klinischen Prioritäten zu planen und zu verwalten, ohne dass eine objektive medizinische Beurteilung des Gesundheitszustands des Patienten, seiner Vorgeschichte, der voraussichtlichen Entwicklung seiner Krankheit, des Ausmaßes seiner Schmerzen und/oder der Art seiner Behinderung zum Zeitpunkt der erstmaligen oder erneuten Beantragung der Genehmigung erfolgt ist.
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Wenn sich herausstellt, dass der Zeitraum, der sich aus derartigen Wartelisten ergibt, den zeitlichen Rahmen überschreitet, der unter Berücksichtigung einer objektiven medizinischen Beurteilung der vorstehend genannten Umstände vertretbar ist, kann der zuständige Träger die beantragte Genehmigung nicht unter Berufung auf die Existenz dieser Wartelisten, auf eine angebliche Beeinträchtigung der üblichen Prioritätenfolge nach Maßgabe der jeweiligen Dringlichkeit der zu behandelnden Fälle, auf die Kostenfreiheit der im Rahmen des fraglichen nationalen Systems erbrachten Krankenhausbehandlungen, auf die Verpflichtung, für die Übernahme der Kosten einer in einem anderen Mitgliedstaat beabsichtigten Behandlung besondere finanzielle Mittel vorzusehen, und/oder auf einen Vergleich der Kosten dieser Behandlung und der Kosten einer gleichwertigen Behandlung im zuständigen Mitgliedstaat versagen. 3. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass, wenn die Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats die Kostenfreiheit der im Rahmen eines nationalen Gesundheitsdienstes erbrachten Krankenhausbehandlungen vorsehen und die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, für dessen Gebiet einem Patienten, der Anspruch auf Leistungen dieses Dienstes hat, eine Krankenhausbehandlung auf Kosten dieses Dienstes genehmigt wurde oder hätte genehmigt werden müssen, keine vollständige Übernahme der Kosten der Behandlung vorsehen, diesem Patienten vom zuständigen Träger eine Erstattung zu gewähren ist, die der etwaigen Differenz zwischen dem Betrag der objektiv bezifferten Kosten einer gleichwertigen Behandlung in einer Einrichtung des fraglichen Dienstes, gegebenenfalls nach oben begrenzt durch den für die Behandlung im Aufenthaltsmitgliedstaat in Rechnung gestellten Gesamtbetrag, und dem Betrag entspricht, mit dem sich gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung der Träger des letztgenannten Mitgliedstaats nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers beteiligen muss. Art. 22 Abs. 1 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich der Anspruch, den er dem betroffenen Patienten gewährt, ausschließlich auf die Kosten bezieht, die mit der Gesundheitsversorgung verbunden sind, die der Patient im Aufenthaltsmitgliedstaat erhalten hat, d. h., soweit es um eine Krankenhausbehandlung geht, auf die Kosten der eigentlichen medizinischen Leistungen und die damit untrennbar verbundenen Ausgaben für den Aufenthalt des Betroffenen im Krankenhaus. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass ein Patient, dem genehmigt wurde, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um sich dort in einem Krankenhaus behandeln zu lassen, oder dem die Genehmigung mit einem sich später als unbegründet erweisenden Bescheid versagt wurde, nur insoweit berechtigt ist, vom zuständigen Träger die Übernahme der Nebenkosten dieser zu medizinischen Zwecken erfolgten Auslandsreise zu verlangen, als die Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats dem nationalen System eine entsprechende Übernahmepflicht im Rahmen einer in einer örtlichen Einrichtung dieses Systems erbrachten Behandlung auferlegen.
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4. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers nach Art. 22 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung und Art. 49 EG, einem Patienten, der Anspruch auf Leistungen eines nationalen Gesundheitsdienstes hat, zu Lasten dieses Trägers eine Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat zu genehmigen, wenn die Wartezeit den zeitlichen Rahmen überschreitet, der unter Berücksichtigung einer objektiven medizinischen Beurteilung des Zustands und des klinischen Bedarfs des betroffenen Patienten vertretbar ist, verstößt nicht gegen Art. 152 Abs. 5 EG. Der EuGH hält das britische Wartelistensystem für zulässig. Tatsächlich gibt es Wartelisten für knappe Gesundheitsgüter auch in Deutschland (§ 10 Abs. 2 Nr. 1 TPG). Der EuGH mahnt aber ein effektives Kontrollsystem an einschließlich eines Rechtsschutzsystems für die britischen Wartelisten an und ist damit weniger großzügig als sich etwa Deutschland an rechtsstaatlich nachlässigem Umgang bei den Wartelisten für Transplantationen gestattet.22 Wartelisten sind nicht nur ein Allokationsaspekt, sondern Rechtsentscheidungen über den Rang auf der Warteliste zugunsten eines Patienten beeinflussen automatisch die Wartelistenposition anderer Patienten – denen kein Mitspracherecht bei der Entscheidung eingeräumt wird. Die damit zusammenhängenden Rechtsfragen sind auch nach der Entscheidung Watts nicht geklärt.“
Mit der Entscheidung Watts zwingt der EuGH Großbritannien zur Einführung eines Kostenerstattungsanspruchs in das NHS-System und damit eines für dieses System fremden Elements. Damit setzt der EuGH seine Rechtsprechung zur generellen Kostenerstattung als Grundlage des europäischen Gesundheitsrechts konsequent fort, obwohl die einschlägigen europäischen Rechtsnormen die Sachleistung als Regelfall ausweisen. Nur per Kostenerstattung lassen sich allerdings die europäischen Grundfreiheiten verwirklichen, die den grenzüberschreitenden Transfer und die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen ermöglichen sollen. Sachleistungssysteme sind dagegen nach der Natur der Sache auf Abschottung der eigenen Systeme / Märkte angelegt. VIII. Stamatelaki Mit der Entscheidung vom 19.04.2007 – C-444/05 –23 im Fall der griechischen Staatsangehörigen Aikaterini Stamatelaki, Ehefrau des verstorbenen Patienten D. Stamatelakis, gegen die NPDD Organismos Asfaliseos Eleftheron Epangelmation (OAEE), die Versicherungseinrichtung der freien Berufe, befasst sich der EuGH mit der Frage, unter welchen Umständen
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S. dazu Zuck/Quaas, Medizinrecht, 2.A., 2009, § 68 Rz. 148 mwN. Slg 2007, I-3185 = NJW 2007, 1663.
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ein griechischer Staatsangehöriger die Behandlung in einer ausländischen Privatklinik verlangen kann. Herr Stamatelakis wurde vom 18.05. – 12.06. und erneut vom 16. – 18.06.1998 im London Bridge Hospital, einer Privatklinik, behandelt. Für diese Krankenhausbehandlung zahlte er 13.600 £. Mit einer beim Polymeles Protodikeio Athinon (Gericht erster Instanz Athen) eingereichten Klage beantragte er die Erstattung dieses Betrags durch die OAEE. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit für den Rechtsstreit zuständig sei. Ein neuer Erstattungsantrag an die OAEE vom 08.09.2000 wurde mit der Begründung abgelehnt, dass zum einen die Ansprüche der einjährigen Verjährungsfrist des Art. 21 der Regelung für den Gesundheitszweig dieses Trägers unterlägen und dass zum anderen die Kosten für die stationäre Behandlung in Privatkliniken im Ausland nicht erstattungsfähig seien, es sei denn, sie beträfen Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren. Der EuGH hatte es mit dem Problem zu tun, dass eine Behandlung in griechischen Privatkliniken durchaus vom beklagten Sozialversicherungsträger zu bezahlen gewesen wäre, dagegen eine Behandlung in ausländischen Privatkliniken nur bei Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren. Er prüft diese nicht anhand der Verordnung 1408/71, sondern allein anhand von Art. 49 EG: „Wie der Gerichtshof schon mehrmals wiederholt entschieden hat, verstößt jede nationale Regelung gegen Art. 49 EG, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert (Urteile vom 05.10.1994, Kommission/Frankreich, C 381/93, Slg. 1994, I 5145, Rdnr. 17, sowie Smits und Peerbooms, Rdnr. 61). Im Ausgangsverfahren geht aus der griechischen Regelung hervor, dass ein Patient, der in Griechenland bei einem Träger der sozialen Sicherheit versichert ist, nichts zu bezahlen hat, wenn er in einem öffentlichen Krankenhaus oder einer Vertragsprivatklinik in diesem Mitgliedstaat behandelt wird. Anders verhält es sich, wenn dieser Patient in einer Privatklinik in einem anderen Mitgliedstaat behandelt wird; der Betroffene hat dann die Kosten für diese Behandlung zu entrichten, ohne in den Genuss einer Erstattungsmöglichkeit zu gelangen. Die einzige Ausnahme betrifft Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren. Außerdem gilt zwar für dringende Fälle im Rahmen einer Behandlung in Griechenland in einer Privatklinik, mit der kein Vertrag geschlossen wurde, eine Ausnahme von der fehlenden Erstattungsfähigkeit, doch gilt für sie in keinem Fall eine Ausnahme, wenn eine Behandlung in einer Privatklinik in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt. Somit schreckt eine solche Regelung die Sozialversicherten davon ab, sich an Erbringer von Krankenhausdienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten als dem Versicherungsstaat zu wenden, oder hindert sie sogar daran, und stellt daher sowohl für diese Versicherten als auch für die Dienstleistungserbringer eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
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Bevor der Gerichtshof jedoch über die Frage entscheidet, ob Art. 49 EG einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, ist zu prüfen, ob diese Regelung objektiv gerechtfertigt werden kann. Wie der Gerichtshof schon mehrmals entschieden hat, kann eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann (Urteile vom 28. April 1998, Kohll, C 158/96, Slg. 1998, I 1931, Rdnr. 41, Smits und Peerbooms, Rdnr. 72, sowie Müller Fauré und van Riet, Rdnr. 73). Ferner hat der Gerichtshof anerkannt, dass auch das Ziel, eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten, zu den Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nach Art. 46 EG zählen kann, soweit dieses Ziel zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beiträgt (Urteile Kohll, Rdnr. 50, Smits und Peerbooms, Rdnr. 73, sowie Müller-Fauré und van Riet, Rdnr. 67). Der Gerichtshof hat überdies festgestellt, dass die erwähnte Bestimmung des EG-Vertrags den Mitgliedstaaten erlaubt, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist (Urteile Kohll, Rdnr. 51, Smits und Peerbooms, Rdnr. 74, sowie Müller-Fauré und van Riet, Rdnr. 67). Hierzu vertritt die griechische Regierung die Ansicht, dass das Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit gestört werden könnte, wenn die Versicherten die Möglichkeit hätten, auf Privatkliniken in anderen Mitgliedstaaten zurückzugreifen, ohne dass mit diesen Kliniken Verträge geschlossen worden seien, und zwar in Anbetracht der hohen Kosten dieser Art von Krankenhausbehandlung, die in jedem Fall diejenigen einer Krankenhausbehandlung in einer öffentlichen Einrichtung in Griechenland weit überstiegen. Zwar lässt sich die in Rdnr. 28 dieses Urteils festgestellte Beschränkung mit den in den Rdnrn. 30 bis 32 dieses Urteils beschriebenen zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses rechtfertigen, doch darf sie nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist die Absolutheit – außer für Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren – des von der griechischen Regelung ausgesprochenen Verbots nicht mit dem verfolgten Ziel vereinbar, da weniger einschneidende und den freien Dienstleistungsverkehr besser wahrende Maßnahmen ergriffen werden könnten, wie etwa ein System der vorherigen Genehmigung, das den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts genügt (Urteil Müller Fauré und van Riet, Rdnrn. 81 und 85), und gegebenenfalls die Festlegung von Tabellen für die Erstattung von Behandlungskosten. Ferner ist das Vorbringen der griechischen Regierung zurückzuweisen, dass es an einer Überwachung der Qualität der Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat belegener Privatkliniken durch die griechischen Sozialversicherungsträger und an einer Überprüfung der Möglichkeit für die Vertragskrankenhäuser fehle, eine geeignete gleiche oder gleichwertige medizinische Behandlung zu gewähren. Denn die in anderen Mitgliedstaaten belegenen Privatkliniken unterliegen in diesen Mitgliedstaaten ebenfalls Qualitätskontrollen, und die in diesen Staaten
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niedergelassenen Ärzte, die in den genannten Krankenhäusern tätig sind, bieten gleiche berufliche Garantien wie die in Griechenland niedergelassenen Ärzte, insbesondere seit dem Erlass und der Umsetzung der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 05.04.1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1). Nach allem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art entgegensteht, die jede Erstattung der Kosten der Behandlung der bei einem nationalen Sozialversicherungsträger Versicherten in Privatkliniken in einem anderen Mitgliedstaat außer für die Behandlung von Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren ausschließt.“
E. Konsequenzen Der EuGH hat die Weichen im Sinne einer notwendigen Europäisierung der nationalen Gesundheitssysteme gelegt, ungeachtet der abweichenden vertragsrechtlichen Grundlagen. Er knüpft an die europäischen Grundfreiheiten an und verlangt die Beachtung der Grundfreiheiten. Das ist ein Ansatz, den das BVerfG bei der Durchsetzung der deutschen Grundrechte auch wählt (s. die sog. Beachtensrechtsprechung24). Der EuGH verlangt nichts Unmögliches. Der betroffene Mitgliedsstaat kann darlegen, dass die Durchsetzung der europäischen Grundfreiheiten zu einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit führen würde und damit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses vortragen, der eine Beschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann. Art. 46 EG erlaubt den Mitgliedstaaten, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist. Aber es darf nicht nur behauptet werden, dass eine Einschränkung erforderlich ist; der Gerichtshof muss von der Schutznotwendigkeit überzeugt werden. Damit hat es der EuGH selbst in der Hand, die Reichweite des europäischen Gesundheitsschutzes und dessen Strukturen zu bestimmen. Man mag das unter Demokratiegesichtspunkten kritisieren, für die europäische Entwicklung
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St. Rspr., vgl. z.B. BVerfG, 23.04.1974 – 1 BvR 6/74 u.a. –, BVerfGE 37, 132 = NJW 1974, 1499; BVerfG, 07.12.1977 – 1 BvR 734/77 –, BVerfGE 46, 325 = NJW 1978, 368; zuletzt BVerfG, 15.04.2009 – 1 BvR 3478/08 –, JURIS.
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ist es wichtig, dass die nationalen Gesundheitssysteme nach und nach europäisiert werden. Die Kommission hat die referierte Rechtsprechung aufgegriffen und am 02.07.2008 den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung – KOM(2008) 414 endgültig – vorgelegt. Art. 1 der Richtlinie definiert als Ziel die Schaffung eines allgemeinen Rahmens „für eine sichere, hochwertige und effiziente grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung.“ Art. 2 erklärt die Richtlinie auf „auf jegliche Gesundheitsversorgung“ für anwendbar, „unabhängig davon, wie sie organisiert, ausgeführt oder finanziert wird bzw. ob sie öffentlich oder privat erfolgt.“ Die Art. 6 – 8 kodifizieren die Rechtsprechung des EuGH in den genannten Verfahren (Art. 8 Abs. 1 lit. a enthält zudem eine auch dem deutschen Recht entsprechende Definition der stationären Behandlung): Art. 6 Gesundheitsdienstleistungen in einem anderen Mitgliedsstaat Vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Richtlinie, insbesondere der Art. 7, 8 und 9, trägt der Versicherungsmitgliedstaat dafür Sorge, dass Versicherte, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, oder die sich um Gesundheitsdienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat bemühen, nicht daran gehindert werden, eine Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat zu erhalten, sofern die betreffende Behandlung nach dem Recht des Versicherungsmitgliedstaats zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte Anspruch hat. Der Versicherungsmitgliedstaat erstattet die dem Versicherten entstandenen Kosten, die von seinem gesetzlichen Sozialversicherungssystem gezahlt worden wären, wäre die gleiche oder eine vergleichbare Gesundheitsdienstleistung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden. In jedem Fall ist es Sache des Versicherungsmitgliedstaats, festzulegen, für welche Gesundheitsdienstleistungen die Kosten erstattet werden, unabhängig davon, wo diese Dienstleistungen erbracht werden. 2. Die Kosten für eine solche Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat werden vom Versicherungsmitgliedstaat nach Maßgabe dieser Richtlinie bis zu der Höhe erstattet, die abgedeckt wäre, wenn die gleichen oder ähnliche Gesundheitsdienstleistungen im Versicherungsmitgliedstaat erbracht worden wären, wobei jedoch die tatsächlichen Kosten der erhaltenen Gesundheitsdienstleistungen nicht überschritten werden dürfen. 3. Der Versicherungsmitgliedstaat kann einem Patienten, der eine Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat anstrebt, dieselben Bedingungen, Anspruchskriterien und regulatorischen und administrativen Verfahren für die Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung und die Erstattung der Kosten für diese Behandlung vorschreiben, die er für die gleiche oder eine ähnliche Gesundheits-
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versorgung im eigenen Hoheitsgebiet vorschreiben würde, soweit diese weder diskriminierend sind noch ein Hemmnis für den freien Personenverkehr darstellen. 4. Die Mitgliedstaaten werden einen Mechanismus für die Berechnung der Kosten schaffen, die dem Versicherten von der gesetzlichen Sozialversicherung für die Gesundheitsversorgung in einem anderen Mitgliedstaat zu erstatten sind. Dieser Mechanismus stützt sich auf objektive, diskriminierungsfreie Kriterien, die vorab bekannt sind, und die gemäß diesem Mechanismus erstatteten Kosten sind nicht geringer als diejenigen, die übernommen würden, wenn die gleiche oder eine ähnliche Gesundheitsdienstleistung im Hoheitsgebiet des Versicherungsmitgliedstaates erbracht worden wäre. 5. Patienten, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen, oder die sich um Gesundheitsdienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat bemühen, erhalten Zugang zu Patientenakten in Übereinstimmung mit nationalen Maßnahmen zur Umsetzung der Gemeinschaftsvorschriften zum Schutz der personenbezogenen Daten, insbesondere der Richtlinien 95/46/EG und 2002/58/EG. Art. 7 Ambulante Behandlung Der Versicherungsmitgliedstaat macht die Erstattung der Kosten einer Behandlung außerhalb eines Krankenhauses in einem anderen Mitgliedstaat nicht abhängig von einer Vorabgenehmigung, wenn die Kosten dieser Behandlung, wäre sie im eigenen Hoheitsgebiet erbracht worden, von seinem Sozialversicherungssystem übernommen würden. Art. 8 Krankenhaus- und Spezialbehandlung 1. Für die Zwecke der Kostenerstattung für Gesundheitsdienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe dieser Richtlinie gilt als Krankenhausbehandlung: a) eine Behandlung, die eine Übernachtung des Patienten für mindestens eine Nacht erfordert; b) Behandlungen, die in einer Liste spezifischer Behandlungen enthalten sind, die keine Übernachtung des Patienten für mindestens eine Nacht erfordern. Diese Liste enthält ausschließlich: - Gesundheitsdienstleistungen, die den Einsatz einer hochspezialisierten und kostenintensiven medizinischen Infrastruktur oder medizinischen Ausrüstung erfordert; oder - Gesundheitsdienstleistungen, bei denen die Behandlung ein besonderes Risiko für den Patienten oder die Bevölkerung bedeutet. 2. Diese Liste wird von der Kommission erstellt und gegebenenfalls regelmäßig aktualisiert. Diese Maßnahmen zur Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen dieser Richtlinie durch Hinzufügung werden nach dem in Art. 19 Abs. 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.
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3. Der Versicherungsmitgliedstaat kann unter folgenden Bedingungen ein System der Vorabgenehmigung für die Kostenerstattung seitens ihres Sozialversicherungssystems für eine Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat vorsehen: a) wenn, sofern die Behandlung im eigenen Hoheitsgebiet erbracht worden wäre, die Kosten vom Sozialversicherungssystem des Mitgliedstaats übernommen worden wären, und b) wenn es Zweck dieses Systems ist, die Abwanderung von Patienten aufgrund der Anwendung des vorliegenden Artikels zu bewältigen und zu verhindern, dass dadurch i) das finanzielle Gleichgewicht des Sozialversicherungssystems des Mitgliedstaats und/oder ii) die Planung und Rationalisierung im Krankenhaussektor zwecks Vermeidung von Überkapazitäten, Ungleichgewicht bei der Bereitstellung von Krankenhausdienstleistungen und logistischer wie finanzieller Vergeudung sowie die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen ärztlichen und Krankenhausversorgung für alle bzw. die Bewahrung von Behandlungskapazitäten und ärztlicher Kompetenz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ernsthaft untergraben werden oder die Gefahr einer solchen Untergrabung besteht. 4. Das System der Vorabgenehmigung bleibt auf das notwendige und angemessene Maß zur Vermeidung solcher Auswirkungen begrenzt und darf kein Mittel willkürlicher Diskriminierung darstellen. 5. Der betreffende Mitgliedstaat stellt der Öffentlichkeit alle relevanten Informationen über das gemäß Abs. 3 eingeführte System der Vorabgenehmigung zur Verfügung.
Spätestens mit der Umsetzung dieser Richtlinie, über die noch intensiv politisch gerungen wird, und den nach Art. 10 der Richtlinie geforderten Patienteninformationen wird sich auch im Alltag spürbar die Notwendigkeit einer diese europäischen Gegebenheiten beachtenden Arzthaftung ergeben. Wird die Behandlung europäisch, wird es die Haftung auch. Dann kann und muss man sich ggf. überlegen, wo und nach welchem Recht man Ansprüche geltend macht bzw. welches Recht zur Abwehr von Ansprüchen geeigneter ist, wenn der Fall grenzüberschreitende Behandlungsbezüge aufweist.
Gerichtsstands- und Rechtswahl in der Europäischen Arzthaftung – Forum Shopping
Hanns Prütting
A. Einleitung Das 20. Kölner Symposium hat sich in seinem Generalthema der grenzüberschreitenden Arzthaftung (vor allem in Europa) zugewendet. Damit ist zweifellos eine hoch aktuelle und spannende Fragestellung aufgeworfen, wie dies die Beispiele unter II ein wenig verdeutlichen sollen. Im Kern geht es um zwei zentrale Fragen: Um die internationale Zuständigkeit (dazu s.u. III) und um das Kollisionsrecht (dazu s.u. IV). Mit beiden Fragen in einem engen (und sich überschneidenden) Zusammenhang steht die Zusatzfrage, ob und inwieweit bei Arzthaftungsklagen ein Forum shopping zu beobachten bzw. möglich ist (dazu s.u. VI). Diesen Aspekten soll im Folgenden näher nachgegangen werden.
B. Die Internationalisierung als Rechtsproblem Die Internationalisierung aller Lebensbereiche macht auch vor dem Arzthaftungsrecht nicht halt. Man denke insoweit nur an die Behandlung eines Urlaubers an seinem ausländischen Urlaubsort, an den Austauschstudenten, der in seinem Gastland erkrankt oder an die Reisegruppe, in der ein Arzt mitfährt. Rechtsfälle mit Auslandsbezug ergeben sich auch, wenn die Haftung des ausländischen Zahnarztes in Rede steht, zu dem sich der deutsche Kassenpatient begeben hatte, um Behandlungskosten zu sparen. Auch seien im Ausland durchgeführte Schönheitsoperationen genannt, ferner Ärzte, die zeitlich limitiert jenseits der Grenze ihres Heimatlandes praktizieren. Ganz neue Herausforderungen sind schließlich mit der so genannten Telemedizin verbunden. Hierunter versteht man die Erbringung medizinischer Dienstleistungen in Überwindung räumlicher Entfernungen
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durch Zuhilfenahme moderner Informations- und Kommunikationstechnologien. Alle skizzierten Situationen weisen Bezüge zu mehreren Rechtsordnungen auf, so dass sich die Frage stellt, welches materielle Recht auf den Fall anzuwenden ist und in welchem Staat der Kläger seine Ansprüche etwa wegen eines Behandlungsfehlers geltend machen kann. Diese Fragen sind mit Hilfe des internationalen Privatrechts und des internationalen Zivilverfahrensrechts zu beantworten. Der Rechtsanwalt, der mit einem grenzüberschreitenden Mandat betraut ist, wird sich zunächst um die Frage kümmern müssen, welche Gerichte international zuständig sind. Denn die internationale Zuständigkeit bestimmt das anwendbare Kollisionsrecht und besitzt insofern vorentscheidende Bedeutung für die Frage des anwendbaren Sachrechts. Vor einer materiellrechtlichen Prüfung muss also die prozessuale Frage der internationalen Zuständigkeit geklärt werden.
C. Die internationale Zuständigkeit im Arzthaftungsprozess nach der EuGVVO Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit ist zunächst ein Blick auf die in Frage kommenden Rechtsquellen zu werfen. Von besonderer Bedeutung ist insoweit die EuGVVO1, die außer im Rechtsverkehr mit Dänemark seit dem Jahre 2002 das EuGVÜ, also das Brüsseler Übereinkommen von 19682, ersetzt hat. Die EuGVVO regelt die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen bei Verfahren mit Bezug zu EU-Mitgliedstaaten. Im Rechtsverkehr mit Island, der Schweiz, Norwegen und Liechtenstein ist das Lugano-Übereinkommen zu berücksichtigen, das als Parallelabkommen zum alten EuGVÜ eine in weiten Teilen nahezu identische Regelung vorsieht.2a Am 30.10.2007 haben die EU und die Lugano-Vertragsstaaten
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Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl., EG Nr. L 12 vom 16.01.2001, S. 1; in Kraft seit 01.03.2002. Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, vom 27.09.1968, BGBl. II 1972, S. 774, in Kraft seit 01.02.1973. Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, vom 16.09.1988 (BGBl. II 1984, S. 2660). Dazu und zugleich zum revidierten Lu-
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ein revidiertes LugÜE geschlossen, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist. Erst wenn diese beiden Rechtsquellen nicht eingreifen, kommt das autonome deutsche Recht in Form der ZPO zur Anwendung. Die ZPO enthält dabei keine ausdrücklichen Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit. Vielmehr besitzen die Regelungen der örtlichen Zuständigkeit insoweit eine Doppelfunktionalität, so dass sie neben der örtlichen Zuständigkeit auch entsprechend auf die Frage der internationalen Zuständigkeit angewendet werden können. I. Anwendungsbereich der EuGVVO Die EuGVVO betrifft gemäß Art. 1 Abs. 1 nur zivil- und handelsrechtliche Streitigkeiten. Die Anwendbarkeit der EuGVVO auf den Arzthaftungsprozess4 ist insofern unproblematisch, da er eine zivilrechtliche Streitigkeit ist, die keinem der Ausschlusstatbestände aus Art. 1 Abs. 2 EuGVVO unterfällt. Weitere Anwendungsvoraussetzung ist, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat und dass der Fall einen grenzüberschreitenden Bezug besitzt. Für Arzthaftungssachen bedeutet dies, dass die EuGVVO immer dann anwendbar ist, wenn der beklagte Arzt oder der wegen des Honorars verklagte Privatpatient seinen Wohnsitz im Sinne von Art. 2 EuGVVO in einem Mitgliedsstaat haben. II. Die Gerichtsstände nach der EuGVVO Ähnlich wie die ZPO unterscheidet die EuGVVO zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand einer Partei und verschiedenen besonderen Gerichtsständen.
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gano Übereinkommen vom 30.10.2007 vgl. Dasser/Oberhammer, Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, 2008. Zum folgenden insbesondere MüKo-ZPO/Gottwald, Art. 5 EuGVVO, Rn. 13 ff., 24 ff., 30 ff., 62 ff. m.w.N., Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2005, S. 293 ff., 373 ff., 413 ff., 464 ff., 474 ff. Mansel0, Festschrift für Weitnauer, 1985, S. 33 ff.
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1. Der allgemeine Gerichtsstand des Art. 2 EuGVVO
Der allgemeine internationale Gerichtsstand wird durch Art. 2 EuGVVO ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit durch den Wohnsitz des Beklagten bestimmt. Juristische Personen haben gemäß Art. 60 EuGVVO ihren Wohnsitz im Sinne der EuGVVO am Ort des satzungsmäßigen Sitzes, am Ort der Hauptverwaltung oder am Ort ihrer Hauptniederlassung. Eine Krankenhausgesellschaft könnte also an allen drei genannten Orten gemäß Art. 2 EuGVVO verklagt werden. 2. Besondere Gerichtsstände a) Der Vertragsgerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVVO
Haftungsansprüche gegen den Arzt oder gegen den Träger des Krankenhauses können sich bekanntlich sowohl aus Vertrags- wie aus Deliktsrecht ergeben. Insofern kommen bei den besonderen Gerichtsständen sowohl der Vertragsgerichtsstand nach Art 5 Nr. 1 als auch der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in Frage. Bei einer Klage gegen den Patienten käme wohl nur der Vertragsgerichtsstand in Betracht. Der Vertragsgerichtsstand richtet sich mangels einer abweichenden Vereinbarung nach dem Ort, an dem die vertragscharakteristische Leistung zu erfüllen war. Bei einem Behandlungsvertrag, der für die Zwecke der EuGVVO als Dienstvertrag im Sinne von Art 5 Nr. 1 b) anzusehen ist, ist die vertragscharakteristische Leistung die Heilbehandlung, so dass der Ort, an dem diese durchgeführt wird, der Erfüllungsort und damit der Vertragsgerichtsstand ist. Für den Arzt, der Behandlungen in seiner Praxis oder in seinem Krankenhaus durchführt, ergibt sich hieraus ein sogenannter „Beklagtengerichtsstand“, da der Patient gezwungen ist, am Ort des Tätigwerdens durch den Arzt zu klagen. Das wird auch im autonomen Recht von der herrschenden Meinung so gesehen5. b) Die Gerichtsstände der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO
Für den Patienten kann es daher interessant sein, die Klage am besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu erheben. Hierdurch kommt auch im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung besondere Bedeutung zu. Art. 5 Nr. 3 schafft für 5
Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 29 Rn. 25 „Ärztlicher Behandlungsvertrag“.
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deliktische Ansprüche einen besonderen Gerichtsstand an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht (ebenso § 32 ZPO für das autonome Recht). Dieser besondere Gerichtsstand am Ort des Delikts soll dem Geschädigten die Rechtsverfolgung erleichtern. Insofern wird eine weite Auslegung der Norm dahingehend befürwortet, dass sowohl an dem Ort, an dem der Täter gehandelt hat (Tatort), als auch an dem Ort, an dem das schädigenden Ereignis eingetreten ist (Erfolgsort), die Zuständigkeit zu bejahen ist. Ein sehr anschauliches Beispiel für das Auseinanderfallen von Tat- und Erfolgsort und die Folgen im Hinblick auf die Zuständigkeit in Arzthaftungssachen liefert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Mai dieses Jahres6. Der in Deutschland wohnhafte Kläger hatte sich als Patient in ein Kantonsspital in der Schweiz in Behandlung begeben. Der beklagte Arzt empfahl eine Therapie mit zwei Medikamenten. Diese sollte sich der Kl. für sechs Monate bei wöchentlichen Kontrollen seines Hausarztes selbst verabreichen. Vier Monate später brach der Kl. die Therapie ab. Er behauptet, die Einnahme der Medikamente habe zu schweren Nebenwirkungen geführt, über die er vom schweizerischen Arzt, dem Beklagten, nicht aufgeklärt worden sei, und verlangt deshalb - gestützt auf § 823 BGB – an seinem Wohnort (also vor einem deutschen Landgericht) Schmerzensgeld und Schadensersatz. LG und Berufungsinstanz (OLG Karlsruhe) bejahten die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Dem schloss sich im Ergebnis auch der BGH an. Die maßgebliche Zuständigkeitsvorschrift ergab sich hier freilich nicht aus der EuGVVO, sondern wegen des Bezugs zur Schweiz aus dem Lugano-Übereinkommen (LugÜE). Dieses sieht allerdings eine in weiten Teilen der EuGVVO sehr ähnliche Regelung vor, insbesondere ist der hier einschlägige Art 5 Nr. 3 wortgleich mit der EuGVVO. Nach Art. 5 Nr. 3 LugÜE kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, den Gegenstand des Verfahrens bilden. Bei der Auslegung dieser Vorschrift unterstreicht der BGH, dass die Frage, ob es sich bei dem geltend gemachten Anspruch um einen deliktischen Anspruch im Sinne von Art. 5 Nr. 3 handelt, nicht nach deutschem Recht (also nach der lex fori) zu entscheiden ist. Die Qualifikation der 6
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Arzthaftung und entsprechend die Auslegung des Übereinkommens hätten wegen seiner völkerrechtlichen Natur autonom zu erfolgen, so dass ein Rückgriff auf das deutsche Recht ausgeschlossen sei. Der BGH grenzt dann die deliktische von der vertraglichen Haftung ab und stellt fest, dass die Klage schon deshalb nicht an einen Vertrag anknüpfe, weil der Kläger nicht vortrage, ob er einen Vertrag abgeschlossen habe und gegebenenfalls mit wem. Die Klage knüpfe vielmehr an eine unerlaubte Handlung an, weil er dem Beklagten eine Körperverletzung vorwerfe. Dabei moniere der Kläger eine unzureichende ärztliche Aufklärung, also den Verstoß gegen eine Pflicht, die eine ärztliche Berufspflicht darstellt und entgegen der Auffassung der Revision nicht „immer auf vertraglicher Grundlage“ bestehe. Selbst wenn im Übrigen mit der Klage zugleich ein vertraglicher Anspruch geltend gemacht würde, würde der deliktische Gerichtsstand jedenfalls nicht vom vertraglichen Gerichtsstand verdrängt. Der BGH ordnet die Klage somit als die Geltendmachung eines Anspruchs wegen unerlaubter Handlung ein und prüft daher, wo der Erfolgsort dieser Handlung liegt. Hierzu macht er folgende Ausführungen: „Bei einer Medikamententherapie, die in der Schweiz verordnet und über die dort angeblich fehlerhaft aufgeklärt wurde, liegt der Erfolgsort in Deutschland, wenn das Medikament - wie zwischen Arzt und Patient besprochen - dort eingenommen wurde und die Nebenwirkungen dort auftraten. Der Auffassung der Revision, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht sei Erfolgsort nicht der Ort, an dem die Gesundheitsschäden eingetreten sind, sondern der Ort, an dem der Patient sich befand, als die Aufklärungspflicht verletzt wurde, überzeugt nicht. Die Revision will sich darauf stützen, dass die „Primärverletzung“ in einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht bzw. die Entscheidungsfreiheit des Patienten zu sehen sei. Dabei verkennt sie jedoch, dass Art. 5 Nr. 3 LugÜ als Erfolgsort denjenigen Ort ansieht, an dem der Schaden (erstmals) eingetreten ist. Insoweit räumt auch die Revision ein, dass ein die Haftung auslösender Schaden bei einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht erst dann eintritt, wenn die Behandlung zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit führt. Diese Betrachtungsweise entspricht sowohl Wortlaut und Sinn des Art. 5 Nr. 3 LugÜ als auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats.“7 Die gelegentlich vertretenen Auffassung, wonach eine ärztliche Heilbehandlung ohne rechtfertigende Einwilligung in erster Linie eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt und deshalb zu einer Haftung führt, lehnt das Gericht ab, da sich aus der bloße Verletzung einer Aufklä-
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BGH, Urt. v. 27.05.2008, NJW 2008, 2344, 2345.
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rungspflicht mangels eines Gesundheitsschadens kein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch ergeben könne. Der BGH hält also den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für einschlägig und lokalisiert dabei den Erfolgsort am Wohnsitz des Patienten, wenn dort anweisungsgemäß die Therapie durchgeführt wird. Aus dieser Rechtsprechung kann sich ein Auseinanderfallen von vertraglichem und deliktischem Gerichtsstand ergeben. Der Arzt muss also möglicherweise mit einer doppelten Inanspruchnahme in verschiedenen Prozessen vor verschiedenen Gerichten rechnen. Sein Prozessrisiko kann sich so verdoppeln. III. Das Problem der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs Dieses Risiko bestünde nicht, wenn am deliktischen Gerichtsstand auch vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden könnten und würden. Ein solches Vorgehen wird unter dem Stichwort einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs auch für das nationale deutsche Recht hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit diskutiert. Der BGH hat eine solche Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs zuletzt anerkannt, so dass der Kläger am deliktischen Gerichtsstand nach § 32 ZPO auch nicht-deliktische Ansprüche geltend machen kann. Zur Begründung dieser Rechtsprechung wird auf § 17 Abs. 2 GVG verwiesen, nach dem ein Gericht befugt ist, auch über rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen zu entscheiden. Dann müsse ein zuständiges Gericht erst recht befugt sein, auch über rechtswegeigene Anspruchsgrundlagen entscheiden zu können. Der EuGH lehnt demgegenüber in den Fällen der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz eine internationale Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs ab. Am vertraglichen Gerichtsstand nach Art 5 Nr. 1 können daher nur vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden, am deliktischen nach Art. 5 Nr. 3 nur gesetzliche Ansprüche wegen unerlaubter Handlung. Eine einheitliche Zuständigkeit ergibt sich also nur bei einer Klage am allgemeinen Gerichtsstand oder bei einer rügelosen Einlassung des Beklagten nach Art. 24 EuGVVO. Es bleibt insofern dabei, dass dem Arzt eine doppelte Inanspruchnahme droht. Doch auch für den geschädigten Patienten kann diese Zuständigkeitsspaltung Nachteile haben, da er gegebenenfalls erneut Klage erheben muss, wenn das Gericht die von ihm angeführte Anspruchsgrundlage als nicht einschlägig erachtet.
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IV. Zuständigkeitsvereinbarungen Vor diesem Hintergrund einer drohenden Zuständigkeitsspaltung ist die Frage von besonderem Interesse, ob sich die internationale Zuständigkeit durch vorherige Vereinbarung eindeutig festlegen lässt. Eine solche Begründung einer einheitlichen Zuständigkeit durch entsprechende Vereinbarung kann auch für den Patienten interessant sein, da er hierdurch alle seine Ansprüche an einem Ort geltend machen kann. Vorteile hat er hiervon freilich nur, wenn die Vereinbarung die Zuständigkeit nicht am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten festlegt, denn an diesem kann er ohnehin über Art. 2 EuGVVO sämtliche Ansprüche in einer Klage geltend machen. 1. Dogmatische Einordnung von Zuständigkeitsvereinbarungen
Die Gerichtsstandsvereinbarung ist ein Vertrag, dessen Zustandekommen sich nach materiellem Recht richtet, während seine Wirkungen prozessualer Art sind. Für die materiellrechtliche Seite gilt die lex causae, also das auf den Vertrag anwendbare Recht, die prozessualen Rechtsfolgen bestimmen sich nach der lex fori. Bei den Wirksamkeitsvoraussetzungen ist insofern zu differenzieren, ob der Rechtsstreit der EuGVVO, dem LugÜ oder dem autonomen deutschen Recht unterliegt. Die EuGVVO geht dabei als höherrangiges Recht den ZPO-Vorschriften vor. Nach herrschender Meinung erfasst Art. 23 EuGVVO auch den Fall, dass nur eine der Parteien ihren allgemeinen Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat hat. Auch eine Zuständigkeitsvereinbarung zwischen einem Deutschen und einem U.S.Amerikaner ist daher nach Art. 23 EuGVVO zu beurteilen, da sich der erforderliche Gemeinschaftsbezug hier aus dem allgemeinen Gerichtsstand einer Partei in einem Mitgliedstaat ergibt. 2. Wirksamkeitsvoraussetzungen von Zuständigkeitsvereinbarungen nach Art. 23 EuGVVO
Die EuGVVO erkennt Vereinbarungen der internationalen Zuständigkeit in Art. 23 EuGVVO grundsätzlich an. Dabei ist prinzipiell auch NichtKaufleuten die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit möglich. Zwar ist bei Verbrauchern die Beschränkung aus Art. 23 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 17 zu beachten, die eine Abweichung von den Verbrauchergerichtsständen aus Art 15 ff. nur im Wege einer nachträglichen Vereinbarung zulässt. Der Behandlungsvertrag wird allerdings von den in Art. 15 Abs. 1 genannten Verträgen im Regelfall wohl noch erfasst, so dass insoweit keine Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Die Fälle a und b passen nicht, der Fall c wäre nur anwendbar, wenn der Arzt im Wohnsitzstaat
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des Patienten seine Tätigkeit ausübte, ohne selbst hier seinen Wohnsitz zu haben. Dann hätte ausnahmsweise der Patient als Kläger nach Art. 16 Abs. 1 EuGVVO die Wahl zwischen den beiden Wohnsitzstaaten. In formmäßiger Hinsicht ist nach der EuGVVO wie nach § 38 Abs. 2 ZPO eine schriftliche oder eine schriftlich bestätigte Vereinbarung erforderlich. Dieses Erfordernis kann auch eine Vereinbarung in AGB erfüllen, wenn eine tatsächliche Einigung über die Einbeziehung der AGB und insbesondere der Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt werden kann. 3. Wirkungen von Zuständigkeitsvereinbarungen: Prorogation und Derogation
Eine Zuständigkeitsvereinbarung enthält neben der Vereinbarung der Zuständigkeit der Gerichte des bezeichneten Staates (Prorogation) regelmäßig auch die Vereinbarung der Unzuständigkeit der Gerichte anderer Staaten. Andere Gerichtsstände sind durch eine solche Derogation abbedungen. Sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren sind die Gerichte des prorogierten Staates somit ausschließlich zuständig. Die objektive Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung können die Parteien frei bestimmen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte wird man allerdings davon ausgehen müssen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung sämtliche in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen erfasst. Sieht also der Behandlungsvertrag eine wirksame Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit vor, so gilt diese grundsätzlich sowohl für Ansprüche wegen Vertragsverletzung als auch wegen deliktischer Ansprüche im Zusammenhang mit der Behandlung. Nimmt der in Deutschland ansässige und hier tätige Arzt in seine Behandlungsverträge eine den Formerfordernissen des Art. 23 EuGVVO genügende Gerichtsstandsklausel auf, so kann er sich vor einer Inanspruchnahme im Ausland in vollem Umfang schützen. Mittels der Wahl eines inländischen Gerichtsstands kann sowohl hinsichtlich vertraglicher wie hinsichtlich deliktischer Ansprüche eine Inanspruchnahme im Ausland ausgeschlossen werden.
D. Das anwendbare Sachrecht Bei der Haftung des Arztes für Behandlungsfehler haben wir es materiellrechtlich mit einem zweispurigen Haftungssystem zu tun, in dem vertragliche Schadensersatzansprüche neben deliktische treten können. Diese Zweigleisigkeit ist auch bei der Frage zu berücksichtigen, nach welchem Recht sich eventuelle Haftungsansprüche richten. Denn die vertragliche
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und die deliktische Haftung werden grundsätzlich selbständig angeknüpft, so dass insoweit unterschiedliche Rechtsordnungen berufen sein können. Allerdings wird zu untersuchen sein, inwieweit über das Modell einer sogenannten akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Vertragsstatut diesbezüglich ein Gleichlauf erreicht werden kann. Die kollisionsrechtliche Beurteilung soll hier unter der Prämisse vorgenommen werden, dass ein deutsches Gericht mit dem Verfahren befasst ist.8 Hieraus folgt, dass das deutsche Kollisionsrecht als lex fori anzuwenden ist. Das deutsche Kollisionsrecht wird sich allerdings durch die beiden im Jahr 2009 in Kraft tretenden Rom Verordnungen künftig unmittelbar aus europäischem Einheitsrecht ergeben, so dass sämtliche EU Mitgliedstaaten einheitliche Kollisionsregeln anwenden werden, soweit es um vertragliche oder außervertragliche Schuldverhältnisse geht. I. Das Vertragsstatut Wendet man sich zunächst der Frage zu, welches Recht auf einen Behandlungsvertrag mit Auslandsberührung anzuwenden ist, so sind – jedenfalls nach noch geltendem Recht – die Art. 27 ff. EGBGB zu befragen. 1. Rechtswahl nach Art. 27 EGBGB
Grundsätzlich können die Parteien nach Art. 27 EGBGB das auf den Schuldvertrag anwendbare Recht im Wege der Rechtswahl bestimmen. Eine solche Rechtswahl kann auch in AGB vorgenommen werden. Ebenso kann sie sich konkludent aus den Umständen des Vertrages ergeben, wenn sich mit hinreichender Sicherheit den Umständen ein realer Wille der Parteien entnehmen lässt, dass ein bestimmtes Recht Anwendung finden soll. Indizien für eine konkludente Rechtswahl sind zum Beispiel der Vertragsabschluss zwischen im Inland ansässigen Parteien in deutscher Sprache oder die Verwendung von Formularen, die auf einer bestimmten Rechtsordnung aufbauen. Man muss insoweit allerdings zurückhaltend abwägen, dass man nicht den vom Gesetz verlangten realen Willen der Parteien durch einen hypothetischen Willen der Parteien ersetzt. Es geht nicht an, eine konkludente Rechtswahl anzunehmen, nur weil die Parteien möglicherweise gar nicht daran gedacht haben, dass auch eine andere Rechtsordnung anwendbar 8
Zum folgenden insbesondere Fischer, Festschrift für Laufs, 2006, S. 781 ff., Deutsch, VersR 2007, 1323 ff., Hoppe, MedR 1998, 462 ff., Stumpf, MedR 1998, 546 ff., Mansel, Festschrift für Weitnauer, 1985, S. 33 ff.; ferner MüKoBGB/Martiny, Art. 28 EGBGB Rn. 210 mit weiteren Nachweisen.
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sein könnte. In der Alltagssituation, in der ein in Deutschland wohnender Ausländer sich von seinem deutschen Arzt behandeln lässt, wird man also nicht ohne weiteres von der Wahl deutschen Rechts als Vertragsstatut ausgehen dürfen. 2. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht gemäß Art. 28 EGBGB
Soweit das auf den Vertrag anwendbare Recht nicht nach Art. 27 EGBGB vereinbart worden ist, unterliegt der Vertrag nach Art. 28 Abs. 1 EGBGB dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Bezüglich der engsten Verbindungen stellt Art. 28 Abs. 2 EGBGB eine widerlegliche Vermutung auf, nach der dies der Staat ist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder – bei juristischen Personen – ihre Hauptverwaltung hat. Der ärztliche Behandlungsvertrag unterliegt danach im Normalfall dem am Niederlassungsort des behandelnden Arztes geltenden Recht, da dieser die vertragscharakteristische Leistung erbringt. Für die Lokalisierung des Vertragsstatuts am Ort der Niederlassung spricht auch, dass so ein Gleichlauf von Niederlassungsstatut und Vertragsstatut erreicht werden kann, der zu einer Parallelisierung von Haftung und berufsrechtlichen Verhaltenspflichten führt. Die Anknüpfung an den Niederlassungsort ist daher für den Normalfall, in dem dort auch die Behandlung vorgenommen wird, sachgerecht. Zweifelhaft kann freilich sein, ob dann engere Verbindungen zu einem anderen Staat bestehen, wenn dort die Behandlung stattfindet. Art. 28 Abs. 5 EGBGB erlaubt in solchen Fällen eine abweichende Anknüpfung. Bei dieser Norm handelt es sich allerdings um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Dass (wie im erläuterten Fall des BGH vom 27.05.2008) die Therapie vom Patienten an seinem ausländischen Wohnort durchgeführt wurde, wird man insoweit nicht genügen lassen können. Nur wenn der Arzt selbst im Ausland handelt und dies auch nicht nur zufällig ist, wird man eine engere Verbindung mit dem Behandlungsort annehmen können, so dass dieser das Vertragsstatut bestimmt. Soweit die Parteien also keine Rechtswahl getroffen haben, wird man in der Mehrzahl der Fälle das Vertragsstatut an den Ort der Niederlassung des Arztes anknüpfen können.
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II. Das Deliktsstatut Bei der Bestimmung des Deliktsstatuts ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich das Kollisionsrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse nur noch bis zum 11. Januar nach dem EGBGB richtet. An diesem Tag wird die sogenannte Rom II Verordnung in Kraft treten und in allen Mitgliedsstaaten das Kollisionsrecht insoweit vereinheitlichen. 1. Art. 40 EGBGB
Einschlägig sind für deliktische Ansprüche die Art. 40-42 EGBGB. Eine Rechtswahl lässt Art. 42 EGBGB anders als Art. 27 nur nach dem schadensbegründenden Ereignis zu. Daher wird eine im Vertrag vorgenommene Rechtswahl bezüglich des Vertragsstatuts nicht auch das Deliktsstatut umfassen, da eine vorherige Rechtswahl nach Art. 42 EGBGB unzulässig ist. Grundsätzlich findet auf unerlaubte Handlungen nach Art. 40 EGBGB das am Tatort geltende Recht Anwendung. Auch insoweit kommt man also bei der deliktischen Haftung für Behandlungsfehler oder unterlassene Aufklärung zu einem Gleichlauf mit dem Niederlassungsstatut, wenn der Arzt die Behandlung am Ort seiner Niederlassung vornimmt. Das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts findet auch dann Anwendung, wenn ein deutscher Arzt etwa im Rahmen einer Urlaubsreise eine andere gleichfalls in Deutschland ansässige Person im Ausland behandelt. Hier bestimmt Art. 40 Abs. 2, dass das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich ist. Allerdings hat der Geschädigte nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 bis zum Ende des frühen ersten Termins oder dem Ende des schriftlichen Vorverfahrens die Möglichkeit, zu verlangen, dass das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Erfolg eingetreten ist. Der Verletzte kann also bei sogenannten Distanzdelikten, die sich dadurch auszeichnen, dass Handlungs- und Erfolgsort nicht zusammenfallen, das Recht des Erfolgsorts als anwendbares Recht wählen. Hierdurch kann es, wenn der Patient an einem anderen Ort als dem Behandlungsort wohnt, zu einem Auseinanderfallen von Deliktsund Vertragsstatut kommen. Eine solche Situation könnte sich etwa bei entsprechender Ausübung des Wahlrechts in der oben dargestellten BGHEntscheidung ergeben, da hier der Erfolg am Wohnort des Patienten eintrat.
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2. Akzessorische Anknüpfung
Zu überlegen ist in solchen Situationen, in denen Vertrags- und Deliktsstatut auseinanderfallen, ob sich nicht durch die sogenannte akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Vertragsstatut ein Gleichlauf herstellen lässt. Ansatzpunkt für eine derartige Korrektur des durch Art. 40 EGBGB gefundenen Ergebnisses ist Art. 41 EGBGB, nach dem bei einer wesentlich engeren Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates dessen Recht anzuwenden ist. Eine solch wesentlich engere Verbindung kann sich nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 insbesondere aus einer besonderen rechtlichen Beziehung zwischen den Beteiligten im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis ergeben. Insoweit ist zu beachten, dass sich die deliktische Verantwortlichkeit des Arztes nicht nur anlässlich des Behandlungsvertrages ergibt, sondern in untrennbarem kausalem und rechtlichem Zusammenhang mit diesem steht. In der Literatur wird die akzessorische Anknüpfung der deliktischen Arzthaftung an den Behandlungsvertrag mit dem weiteren Argument bejaht, dass so das kollisionsrechtliche Vertrauensprinzip geschützt würde: Wenn sich typischerweise die kollisionsrechtlichen Erwartungen der Parteien in legitimer Weise ganz auf ein zwischen ihnen bereits bestehendes Sonderverhältnis konzentrieren, das den Schutz der in concreto verletzten Interessen mit umfasst, so sei eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an dieses Sonderverhältnis geboten. Eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts hat auch den Vorteil, dass die sachrechtliche Einordnung der Haftungsansprüche als vertraglich oder deliktisch durch das materielle Recht keine Auswirkungen auf die kollisionsrechtliche Behandlung zeitigt. Somit ist festzuhalten, dass in den Fällen, in denen das nach Art. 40 EGBGB ermittelte Deliktsstatut nicht dem Niederlassungsstatut entspricht, das Ergebnis durch eine akzessorische Anknüpfung unter Anwendung von Art 41 EGBGB zu korrigieren ist, um einen Gleichlauf mit dem Vertragsstatut zu erreichen. III. Die Rom II-Verordnung Wie schon angedeutet, wird am 11. Januar des nächsten Jahres (2009) die Rom II-Verordnung in Kraft treten und damit das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse europaweit – mit Ausnahme Dänemarks – vereinheitlichen9. Diese neue Rechtsgrundlage wird die Rechtsla9
Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. Nr. L 177 vom 04.07.2008, S. 6.
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ge in grenzüberschreitenden Arzthaftungsfällen insofern beeinflussen, als gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II auf unerlaubte Handlungen stets das Recht des Erfolgsorts anzuwenden ist. Eine Anknüpfung an den Handlungsort findet danach nicht statt. Ein Auseinanderfallen von Vertrags- und Deliktsstatut wird allerdings dadurch verhindert, dass auch nach der Rom II VO eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts gemäß Art. 4 Abs. 3 möglich ist. Auch künftig wird man daher davon ausgehen können, dass sich das Deliktsrecht bei Arzthaftungssachen nach dem Vertragsstatut richtet.
E. Zwischenergebnis Die Ausführungen haben bisher ergeben, dass es aus Sicht des behandelnden Arztes in jedem Falle ratsam erscheint, in seinen AGB eine Gerichtsstandsvereinbarung vorzusehen und in dieser die Zuständigkeit der Gerichte am Ort der Niederlassung vorzusehen. Hierdurch kann in Fällen mit Auslandsberührung eine Zuständigkeitsspaltung in einen deliktischen Gerichtsstand und einen vertraglichen Gerichtsstand ausgeschlossen werden. Eine solche Spaltung droht demgegenüber nicht soweit es um die Frage des anwendbaren Rechts geht. Auch ohne Rechtswahlklausel kann hier durch eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts sichergestellt werden, dass sich sowohl die vertragliche als auch die deliktische Haftung des Arztes nach dem am Ort der Niederlassung des Arztes geltenden Recht richtet.
F. Forum shopping und Zuständigkeitserschleichung Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf das Phänomen des Forum shopping geworfen. Unter Forum shopping versteht man das systematische Ausnutzen in mehreren Staaten nebeneinander existierender internationaler Zuständigkeiten um bestimmter tatsächlicher oder rechtlicher Vorteile willen. Wie gesehen können sich bei Arzthaftungssachen Zuständigkeiten sowohl am allgemeinen Gerichtsstand wie am besonderen Gerichtsstand etwa der unerlaubten Handlung ergeben. Grundsätzlich ist der Kläger frei, zwischen diesen Gerichtsständen zu wählen. Beim Forum shopping steht aus materiellrechtlicher Sicht im Vordergrund, dass die Wahl eines bestimmten Gerichtsstands vorentscheidend für das anwendbare Sachrecht sein kann, da jedes Gericht das Sachrecht stets durch die Anwendung „seines“ Kollisionsrechts ermittelt. Diese Möglichkeit, durch die Klageerhebung in einem bestimmten Staat das anwendbare
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Recht zu beeinflussen, wird allerdings durch das Inkrafttreten der Rom Verordnungen stark an Bedeutung verlieren. Denn durch die damit erreichte kollisionsrechtliche Rechtsvereinheitlichung wird der Ort des Verfahrens irrelevant für das anwendbare Kollisionsrecht, da jedenfalls in allen EU-Mitgliedstaaten ein einheitliches Kollisionsrecht gilt, so dass – jedenfalls in der Theorie – alle Gerichte in allen Mitgliedstaaten zu Anwendung derselben Rechtsordnung kommen. Jedenfalls im Rechtsverkehr mit EU-Mitgliedstaaten ist das Forum shopping insofern wenig problematisch. Der Kläger kann und darf sich bei mehreren eröffneten Gerichtständen den ihm günstigsten aussuchen, wobei er sich in erster Linie davon leiten lassen wird, wo für ihn die Durchführung eines Verfahrens am einfachsten ist. Um auch im Rechtsverkehr mit Nicht-EU-Staaten oder LugÜE-Staaten Forum shopping und sonstige unangenehme Überraschungen zu vermeiden, empfiehlt sich in jedem Fall der Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung, in der zugleich auch das anwendbare Recht festgelegt werden sollte. Solche Vereinbarungen können wie dargestellt auch in AGB geschlossen werden. Soweit man mit Forum shopping das Erschleichen einer Zuständigkeit durch Beeinflussung der tatsächlichen Anknüpfungspunkte meint, kommt im Arzthaftungsrecht allenfalls die Verlegung des Wohnsitzes in Betracht, um so am neuen Wohnsitz eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO als dem Erfolgsort zu begründen. Dieser Weg ist freilich allenfalls dann erfolgversprechend, wenn auch nach der Verlegung des Wohnsitzes noch weitere, völlig neue Schäden eintreten. Das wird man wohl nur bejahen können, wenn ein neues Schmerzensgeld wegen desselben Delikts verlangt werden kann, das nicht durch die Rechtskraft eines Vorprozesses über denselben Haftungsfall bereits erfasst ist. Ist der Schaden dagegen bereits vollständig eingetreten, berührt die spätere Verlegung des Wohnsitzes die am Erfolgsort begründete Zuständigkeit nicht. Zuständigkeitserschleichungen werden daher im Arzthaftungsrecht die Ausnahme sein.
1. Diskussion
Jungbecker: Vielen Dank, Herr Prof. Prütting. Wir haben jetzt im Anschluss an dieses Referat eine Diskussion vorgesehen. Ich darf zunächst einmal eine Frage direkt an Sie stellen: Lohnt sich im Hinblick auf den Erfolgsort ein Wohnortwechsel oder kommt es auf die allererste Schadensentstehung an? Prütting: Ich bin kein absoluter Spezialist im materiellen Arzthaftungsrecht, aber ich würde trennen zwischen einem Anspruch auf klassischen Schadensersatz und auf Schmerzensgeld. Es gibt materiell-rechtlich diese berühmte Problematik, dass die Gerichte sagen, dass ein bereits erfolgreich eingeklagtes Schmerzensgeld nicht daran hindert, wegen neuer selbständiger weiterer Schäden weiteres Schmerzensgeld einzuklagen. Das ist eine ausgesprochen heikle Abgrenzung auch im Hinblick auf Rechtskraftfragen und ähnliches. In der Tat könnte die Wohnsitzverlegung bei dem weiteren eintretenden Schaden und dem daraufhin eingeklagten Schmerzensgeld eine Bedeutung haben. Jungbecker: Sie haben gerade auf die Rechtskraftproblematik abgestellt. Ist das so zu verstehen, dass sich das auch auf den Erfolgsort auswirkt? Ich habe bisher die entsprechenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung so verstanden, dass der erstmalige Eintritt des Erfolgs dauerhaft den Erfolgsort bestimmt. Wird das europarechtlich in der EuGVVO so verstanden wie im deutschen Recht? Prütting: Das, worauf Sie anspielen, der erstmalige Eintritt des Schadens legt den Erfolgsort fest, gilt für den materiellen Schaden, der wird in der Tat einheitlich qualifiziert. Mein Beispiel würde wohl nur beim Schmerzensgeld funktionieren, wenn ein weiteres Schmerzensgeld für neue Beeinträchtigungen verlangt wird. Unabhängig davon wird, wenn auch nicht mit den gleichen Worten, die Trennung von Tat- und Erfolgsort, wie wir sie in § 32 ZPO kennen, der Sache nach in Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVVO in gleicher Weise verstanden und ausgelegt. Ich sehe also inhaltlich keine wirklichen Divergenzen in der Rechtsprechung, mir scheint das ein generelles Problem zu sein.
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Jungbecker: Wenn ich jetzt also den Wohnsitz nach England verlege, um ein weiteres Schmerzensgeld zu bekommen, gelten dann auch noch die Kriterien für den Rechtskraftumfang, den wir nach deutschem Recht haben? Prütting: Das ist eine gute Frage, die natürlich die englischen Gerichte in diesem Fall entscheiden müssten. Aber aus der deutschen Doktrin heraus, würde ich die Frage absolut bejahen. Schabram, Rechtsanwalt, Freiburg: Wer gestern in Berlin war, der konnte erleben, wie das Bundesversicherungsamt im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds den neuen MorbiRSA, den Morbiditätsrisikostrukturausgleich, vorgestellt hat. Meine Frage an dieser Stelle ist: Ist in den Cross Border Treatment-Richtlinien denn daran gedacht worden, zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten einen derartigen Risiko-Strukturausgleich einzuführen? Ich kann die Belastungen des Gesundheitssystems nur dadurch vermeiden, dass, wenn die Engländer zuhauf nach Belgien kommen, um ihre Hüftgelenke einbauen zu lassen, weil es in ihrer Heimat nicht mehr gezahlt wird, dann muss das englische Gesundheitssystem irgendwann einen Risikostrukturausgleich nach Belgien abführen. Ratajczak, Rechtsanwalt, Sindelfingen: Also: Cross Border Richtlinien wird man nicht zum Risiko-Struktur-Ausgleich bringen. Es gibt starke Kräfte in Europa, die sagen, die Rechtsprechung des EuGH mit ihren Konsequenzen ist schlimm genug, durch eine Cross-Border-TreatmentRichtlinie könnte man es nur noch schlimmer machen, vor allen Dingen teurer machen. Man könnte sich einen riesigen Strukturausgleich vorstellen, wenn tatsächlich sämtliche Gesundheitssysteme vereinheitlicht werden. Bei uns kommt das aber erst nach dem Gesundheitsfond: Bezahlt wird aus einem Topf, die Morbiditätsrisikostruktur hätte nur die Konsequenz, dass morbiditätsbedingt ausgezahlt wird. „Morbiditätsbedingt“ hat dann nur zur Konsequenz, dass ich beim Auszahlen dann anfange zu gewichten, wer bekommt wie viel und das ist wirklich toll. Das Bundesversicherungsamt hat gerade festgelegt, dass das Endalter, bis zu dem man Patienten codiert, 124 Jahre ist. Die allermeisten medizinischen Großrisiken, die beim Risikostrukturausgleich im MorbiRSA eine Rolle spielen, rechnen von Anfangsalter 0 bis Endatum 124, weil das das neue Limit ist, das man hat.
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Prütting: Der BGH hat bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit mit keinem Wort die möglichen Konsequenzen für das spätere Fachrecht beleuchtet. Es ist schon erstaunlich, wenn vertragliche Ansprüche mit dem Hinweis verneint werden mit der Begründung, der Kläger habe sich nicht darauf berufen, obschon er vorträgt, er habe sich ordnungsgemäß in ein Spital begeben und dort einer Behandlung unterzogen. Wie der Fall ohne Vertragsabschluss geregelt werden kann, weiß ich nicht. Offensichtlich haben sich die Richter darum bemüht, mit dem denkbar geringen Aufwand, eine internationale Zuständigkeit des deutschen Rechts zu begründen. Gaidzik, Rechtsanwalt, Hamm: Zwei Fragen an Herrn Prof. Prütting: 1.) Mich würde interessieren, wie Sie Ihre Auffassung begründen, dass es sich beim Behandlungsvertrag nicht um einen Verbrauchervertrag im Sinne der EuGVVO handelt? 2.) Wenn ich Rom 1 und 2 auslegen muss, muss ich ja nach dem normalen IPR-Instrumentarium das autonom machen. Das besteht vor dem Problem, warum ich eigentlich bei der ärztlichen Dienstleistung zu einem Vertragsstatut gelange. Wir haben durchaus Rechtsordnungen, die keine vertragliche Beziehung zwischen Arzt und Patient sehen, sondern z.B. das als Teilhabe an einem Gesundheitssystem betrachten. Dafür bräuchte ich aber in irgendeiner Form der autonomen Auslegung, um dann z.B. Rom 1 anwenden zu können. Prütting: Also bei der ersten Frage nach dem Verbrauchercharakter bringen Sie mich auf Anhieb in Verlegenheit. Ich habe das einfach aus der Tatsache, dass ich mehrfach in der Rechtsprechung diese Formulierung gefunden habe, so gedacht. Ich müsste also jetzt noch mal die Art. 15 ff. EuGVVO darauf hin überprüfen. Gaidzik: Eigentlich liegen meiner Auffassung nach alle Kriterien für einen Verbrauchervertrag vor. Prütting: Ich muss Ihnen auf die erste Frage die Antwort darauf schuldig bleiben. Ihre zweite Frage ist natürlich völlig richtig. Rein theoretisch wirft die von dem EuGH verlangte autonome Auslegung neue, ganz andere Gesichtspunkte auf. Soweit ich das aus der Rechtsprechung beurteilen kann, hat dies in den Arzthaftungsfällen bisher keine Schwierigkeiten gemacht. Die Anknüpfungspunkte, in dem Fall jetzt zunächst der internationalen Zuständigkeit, sind praktisch total parallel. Der Art. 5 Nr. 1 und 3 und der 29 ZPO Erfüllungsort und der ZPO 32 Deliktsort werden nicht nur vom Wortlaut her der EuGVVO ist ja ausführlicher in seiner Anknüpfung aber auch von ihren Regelungen her doch weitgehend parallel verstanden.
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Es könnte sein, dass wir mit den von Ihnen angesprochenen Fragen so wenig Probleme haben, weil wir, ohne es zu merken, möglicherweise das deutsche nationale Recht schon vielfach im europäischen Sinn bereits anwenden und auslegen. Ich vermute also fast, dass wir manchmal, ohne es zu merken, die Parallelität herstellen bzw. bereits hergestellt haben. Ratajczak: Weil das Wartelistenthema der Watts-Entscheidung auch ein Rechtsschutz-Thema werden kann, ich also Rechtsschutz effektiv nicht bekomme und mich damit auch auf Wartelisten einlassen muss, muss der EuGH dann damit konfrontiert werden. Watts hatte es mit expliziten Wartelisten zu tun, weil dies bei Engländern üblich ist. In Deutschland gibt es derartige explizite Wartelisten nicht, aber praktisch gibt es sie. Das wäre also ein klarer Fall, in dem man die Frage der faktischen Rechtsschutzverwehrung diskutieren könnte. Das Sozialgericht Berlin, das weiß ich aus vielen Fällen, ist in manchen Bereichen sehr EV-freudig, andere Sozialgericht dagegen überhaupt nicht. Da scheint es anscheinend nur um Arzneimittel zu gehen, wir können uns wahrscheinlich nicht auf die NikolausEntscheidung des Bundesverfassungsgerichtes berufen. Die zweite Frage betraf das Thema Smit Perboms. Wann der EuGH sich der Sache annehmen wird, i. S. Watts mit der Begründung, die Wartelisten seien unzumutbar lang, weiß man nicht. Der EuGH hat in Sachen Watts entschieden, die Wartezeiten seien unzumutbar lang. Zum Zeitpunkt der Entscheidung stand schon fest, dass es sich noch um ein bis zwei Monate gebandelt werden. Zum Zeitpunkt, als die Patientin sich auf den Weg gemacht hat, sich zu wehren, hat man es nicht gewusst, es hätte auch noch ein Jahr sein können. Aber schlussendlich war es gar nicht so sonderlich lange mehr. Der EuGH gibt in diesem Fall den Sachverhalt wieder, sagt, die Wartezeit sei unzumutbar lang, begründet dies aber nicht. Und die spannende Frage, was ein Nationalstaat vortragen muss, um sagen, mein soziales Sicherungssystem bricht zusammen, ist auch noch nicht beantwortet. Alles, was wir bisher vorgetragen haben, haben sie nicht akzeptiert. In Sachen Krankenhausapotheke hat man das auch nicht mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, sondern mit der Effizienz einer Krankenhausapothekenversorgung begründet: Warum man hier den freien Warenverkehr und freien Dienstleistungsverkehr beeinträchtigen kann, ist nicht nachvollziehbar. Die Fragen sind alle noch unbeantwortet. Zum Beispiel hat der EuGH die Strukturprobleme der Krankenhäusern, die in praktisch allen Mitgliedsstaaten der staatlichen Planung unterliegen, gesagt, dass er wegen diesen staatlichen Planungsprobleme nicht so einfach entscheiden könne, wie im Bereich der ambulanten Versorgung. Das ist aber keine Entscheidung, die mit der Sicherheit der sozialen Systeme begründet wurde.
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Fischer, Rechtsanwalt, Flensburg: Eine kurze Anmerkung zu Art. 5 Abs. 3 EuGVVO: Ich bin mir sicher, dass die Anknüpfung „Erfolgsort“ den Primärschaden meint und, dass es nicht darauf ankommt, dass wir irgendwann einen Gerichtsort des Ortes haben, wo es immer noch wehtut oder wo es wieder wehtut. Ratajczak: Wir kennen alle diese „gestreckten Schadensfälle“. Patient A wird falsch behandelt (Nr. 1), wird wegen des Fehlers Nr. 1 behandelt und wieder passiert ein Fehler (Nr. 2). Rechtlich gibt es damit neue Schadensanknüpfungspunkte: Der Patient kann sich überlegen, ob er 1 verklagt und 2 verklagt oder ob er sagt, mir reicht Nr. 1 wegen der Haftung des Primärschädiger. Wir haben unter Umständen unterschiedliche Erfolgsorte. Da die Patienten mittlerweile sehr viel umziehen, kann es auch sein, dass sie nicht nur unabsichtlich, sondern geplant ihren Wohnsitz verlegen. Und dann tritt der Schadensfall auf Mallorca ein, der Schaden Nr. 3, er wird möglicherweise in England behandelt. Nr. 1 haftet nach deutschem Recht für diese ganze Kette. Da kann so gut wie nix passieren, um die Haftung zu unterbrechen. Reker-Barske, AOK-Bundesverband, Berlin: Ich bin zuständig für internationale Angelegenheiten und möchte gerne ein paar Anmerkungen und Ergänzungen machen zum Vortrag von Dr. Ratajczak Zunächst zu Ihrer Frage, Herr Schabram: Risikostrukturausgleich auf europäischer Ebene! Einen solchen halte ich nicht direkt für nötig: Es ist so, dass der EuGH gesagt hat, der Versicherte soll Anspruch auf Kostenerstattung haben. Also Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten, aber maximal die nationalen Vertragssätze. Wenn ich z.B. als Deutscher nach Frankreich zu einer ambulanten Behandlung gehe, bekomme ich eine Rechnung, komme damit zurück, diese wird geprüft, dann wäre das in Deutschland eine Leistung nach unserem Deutschen Recht. Wenn ja, in welcher Höhe? Nehmen wir mal an, die Behandlung hätte 200 € gekostet. Unsere Vertragssätze wären 250 € gewesen, o.k. kriege ich die 200 €. Aber es muss von Gesetzes wegen, von Kassenseite noch ein Abschlag abgezogen werden, wie auch bei der inländischen Kostenerstattung für Verwaltungskosten und fehlender Wirtschaftlichkeitsprüfung und vorgesehener Zuzahlung (z.B. Praxisgebühr). Wäre es so, dass Sie die 200 € Auslandsrechnung haben, bei uns würde nur 150 € erstattet, kriegen Sie nur die 150 € minus diese Abschläge, die vorgesehen sind. Das kommt durch die Budgetregelung, die wir in Deutschland haben. Die Kassen zahlen im ambulanten oder auch stationären Bereich, wir zahlen doppelt. Wir haben Vereinbarungen mit den Ärzten in Deutschland und mit den Krankenhäusern, dass wir befreiend eine bestimmte Summe zahlen und damit alle Behandlungen abgegolten sind.
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Alles, was im Ausland erbracht wird, kostet uns zusätzlich. Dann war die Frage noch wegen Genehmigungsvorbehalt im stationären Bereich. Wir haben im deutschen Recht die EuGH-Rechtsprechung genau so umgesetzt. § 3 13 Abs. 5 SGB V bestimmt, dass Versicherte nur Anspruch auf eine ausländische Krankenhausbehandlung haben, wenn sie nicht rechtzeitig im Inland erfolgen kann. „Rechtzeitig“ heißt, unter Berücksichtigung der Vorgeschichte des Patienten und des aktuellen Behandlungszustandes, und zwar auch nur dann, wenn diese Behandlung nicht rechtzeitig im Inland durch ein Vertragskrankenhaus erfolgen kann. Im Umgang mit Auslandsbehandlungen müssten z. B. die Engländer, die nicht wissen, wie teuer eine Behandlung ist, ein besonderes Preissystem für diese Behandlungen einführen. In der Grenzregion Bayern/Österreich z.B. ist es so, als die EuGHUrteile kamen, wurden auf österreichischer Seite viele Kliniken gebaut, Kliniken modernster Art - wollen die deutschen Patienten wollten sich natürlich auch lieber dort behandeln lassen. Auch bei uns sind die Krankenkassen im Wettbewerb. Wir stehen gleichwohl Auslandsbehandlungen positiv gegenüber. Aber wir weisen eben den Versicherten immer darauf hin, er hat jetzt zwei verschiedene Rechtsordnungen, die vollkommen andere Folgen für ihn haben, greifen. Mit Einführung der elektronischen Gesundheitskarte soll es generell so sein, dass die europäische Gesundheitskarte auf der Rückseite der deutschen elektronischen Gesundheitskarte steht. Und bei Notfallbehandlungen, bekommen Sie alle medizinisch notwendigen Leistungen, die nicht warten können, bis Sie nach Deutschland zurückkehren. Der Vorteil für die Versicherten im Rahmen der 1408 seit über 30 Jahren ist, dass sie keinerlei Vorleistungen machen müssen: Sie müssen die Behandlung nicht bezahlen. Diese Abrechnung der Kosten erfolgt zwischen der ausländischen und der deutschen Krankenkasse. Im Rahmen der Verordnung soll jeder Versicherte gleichgestellt werden, wie der gesetzlich Versicherte in dem anderen Staat. Nachteil kann sein, dass vielleicht die Zuzahlungen höher sind. Die dürfen wir als Krankenkasse dann nicht erstatten. Aber es kann auch sein, dass er möglicherweise mehr Leistungen bekommt. Und das müssen wir dann auch trotzdem bezahlen, auch wenn es z.B. keine Leistung im deutschen System ist. Diese Kostenerstattungsregelung, die jetzt über die EuGH-Urteile eingeführt worden ist, ist eine andere Sache. Da richtet sich alles nach deutschem Recht. Ist es nach deutschem Recht erstattungsfähig? Wenn ja, in welcher Höhe? Ratajczak: Sie haben recht, die EU wird die Leitlinien, wenn sie das politisch durchsetzen kann, Behandlungsleitlinien auf europäischer Ebene festlegen. Aber was passiert, wenn die Behandlungsleitlinien höher sind als die des Nationalstaates, wie werden sich die Gerichte damit auseinandersetzen? Pech gehabt? Wärst Du woanders hingegangen, wo die Leitlinien
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Standard sind! Oder werden die Patienten hingehen und diesen Standard einfordern. Die Arzthaftungsrechtsanwälte werden auf der Patientenseite natürlich sich auf die EU-Standards berufen und sagen, endlich haben wir mal verbindliche internationale Standards. Sie werden sich auch, natürlich auch, was die Behandlung betrifft, sich auf diese Standards berufen und zu der Erkenntnis gelangen, ich kann aber nur in diesem Krankenhaus in diesem Land diesen Standard erhalten. Und da die Engländer – deshalb sprach ich vorhin von dieser Cockran-Library – die weltweit umfassendste Zusammenstellung dessen haben, was man evidence based medicine nennt, fangen jetzt deutsche SA, dort hineinzuschauen, um Behandlungsstandards festzustellen. Das kann man alles machen, das ist überhaupt keine Frage. Aber die Frage ist für mich schon, wie bezahlen das eigentlich die Mitgliedsstaaten später? Jungbecker: Nehmen wir den Fall, ein deutscher Arzt geht übers Wochenende für zwei, drei Tage nach England, und operiert einen deutschen Patienten. Bei einem Behandlungsfehlerprozess müsste dann deutsches Haftungsrecht Anwendung finden, vergleichbar etwa mit Verkehrsunfällen Deutscher im Ausland? Prütting: Ganz genau. Die internationale Zuständigkeit wäre unproblematisch, weil der Deutsche den Arzt in Deutschland an seiner Niederlassung, an seinem Wohnsitz, verklagen würde. Diesen Fall bekommen wir in den Griff über eine konkludente Wahl nach Art. 27 EGBGB: Man sagt, beide Parteien wollen erkennbar, dass deutsches Recht Anwendung findet. Was ist aber, wenn ein Arzt über Monate, z. B. auf Mallorca, eine Zweitpraxis unterhält? Diesen Fall könnten wir mit konkludenter Rechtswahl auf diese Weise nicht lösen. Hier dürfte spanisches Recht gelten, das Recht des Ortes der Behandlung. Ratajczak: Das Problem der konkludenten Rechtswahl würde bedeuten, dass man auch die deutschen Behandlungsstandards mitwählen würde. Was ist, wenn der Gutachter sagt, in England ist das aber nicht Behandlungsstandard. Da werden die Geburten ambulant durchgeführt, es gibt keine Periduralanästhesie, sondern irgendwas anderes. Jedenfalls andere Standards, als in Deutschland gegeben sind. Deswegen ist die Anwendung z. B. englischen Rechtes auf einen „deutschen Arzthaftpflichtfall“ nicht möglich.
Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Spanien
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A. Einleitung Das Arzthaftungsrecht ist in Spanien nicht spezialgesetzlich kodifiziert1. Die Frage nach der Verantwortlichkeit des Arztes wird daher mit den allgemeinen Haftungsgrundsätzen in Zivil- und Strafrecht behandelt. Allerdings gibt es einige Gesetze in Spanien, die beispielsweise Patientenrechte und Anforderungen an Dokumentation und Aufklärung betreffen, und somit auch Einfluss auf die im Folgenden darzustellenden Haftungsvoraussetzungen nehmen. Demnach handelt es sich bei der These von der Einheit des Medizinrechts um mehr als eine dogmatischen Fiktion, die nur auf den Schnittpunkten des den Arzt betreffenden Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und Sozialrechts ruht. Insbesondere die Entwicklung der Rechtsprechung, die mittlerweile von zahlreichen Stellungnahmen in der Literatur flankiert wird, zeigt, dass sich die Rechtswissenschaft auf der iberischen Halbinsel dem deutschen Verständnis des Arzthaftungsrechts als einer eigenständigen Rechtsmaterie2 annähert. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, im Folgenden von „Arzthaftungsrecht“ zu sprechen. Auf die allgemeine Entwicklung des Arzthaftungsrechts wird innerhalb der Darstellung der vertraglichen und außervertraglichen Haftung des Arztes im spanischen Recht eingegangen. Des weiteren werden Haftungskonstellationen in medizinischen Einrichtungen und im Zusammenhang mit dem Träger des Gesundheitswesens thematisiert. 1
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Vgl. zu dieser Feststellung nur Corbella Duch, Manual de Derecho Sanitario, 2006, S. 153. Vgl. zu der Entwicklung des Medizin(straf)rechts in Deutschland nur Eser, in: Frisch [Hrsg.] Gegenwartsfragen des Medizinrechts, Ethik und Recht der Medizin Bd. 41, 2006, S. 9 ff.
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B. Rechtsquellen Die Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Unversehrtheit genießen in Spanien wie in Deutschland Verfassungsrang. In Art. 43.1 CE wird das Recht auf den Schutz der Gesundheit anerkannt. Darüber hinaus stellt Art. 43.2 und .3 CE fest, dass es Aufgabe aller öffentlichen Gewalt ist, die allgemeine Gesundheit durch organisatorische und präventive Maßnahmen im Rahmen einer Leistungsverwaltung und durch die gesetzgeberische Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes sicherzustellen. Eine umfassende Kodifikation des Medizinrechts oder Gesundheitsrechts gibt es nicht. Dennoch beeinflussen einige Vorschriften die Rechte und Pflichten der Parteien des Behandlungsverhältnisses. Um sowohl einer umfassenden Darstellung des spanischen Arzthaftungsrechts als auch der notwendigen Begrenzung des Vortragsstoffes gerecht zu werden, ist vorab grundlegend auf die Kompetenzabgrenzungen zwischen staatlicher Rechtsetzung und autonomer Gesetzgebung der comunidades hinzuweisen. Das Problem um die Gesetzgebungszuständigkeiten ist auch in Deutschland hinlänglich bekannt. In Spanien gibt es allerdings autonome Gemeinschaften, die auch über legislative Befugnisse auf dem Gebiet des Zivilrechts verfügen. Insbesondere bei der Frage des Einverständnisses von Minderjährigen gibt es einige Besonderheiten, auf die im Folgenden noch eingegangen wird.
C. Haftungsgrundlagen im spanischen Zivilrecht Die Voraussetzungen für eine Schadensersatzpflicht nach den Normen des Código Civil sind grundsätzlich die unrechtmäßige Verletzung einer Pflicht, ein Verschulden und die Zurechenbarkeit eines darauf beruhenden Schadens zu der Pflichtverletzung3. Dabei kann einerseits ein gesetzliches Gebot oder Verbot verletzt sein. Es handelt sich in dem hier interessierenden Bereich um das Gebot „pacta sunt servanda“, dass sich spiegelbildlich in einem Verbot des ‚Vertragbrechens‘ äußert. Auf der anderen Seite steht das Gebot „neminem laedere“, das im außervertraglichen Bereich die Verletzung der Rechtsgüter Anderer untersagt. Daher unterscheidet das spani-
3
García Hernández, Elementos de Derecho Sanitario en la responsabilidad civil y penal de los médicos por mala praxis, 2002, S. 96 ff., der sich auf Angel Yagüez, Tratado de Responsabilidad Civil, 1993, S. 258 ff. bezieht.
Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Spanien
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sche Haftungsrecht ebenso wie das deutsche zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung4. I. Der „große Fall“ Dass neben Arzt und Patient heutzutage weitaus mehr Personen und Einrichtungen an dem Behandlungsvorgang beteiligt sind, soll mittels eines aktuellen Beispiels aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung dargelegt werden. Aus diesem Umstand ergeben sich, wie im Folgenden aufgezeigt wird, zahlreiche Haftungskonstellationen. Um den Überblick nicht zu verlieren, soll ein Modell der wichtigsten Akteure zur Erläuterung dienen. Maßgeblich beteiligt sind danach der Patient, der Arzt, ein Krankenhaus oder eine Klinik etc. und ein Träger des Gesundheitswesens. Fall5: Im Oktober 1990 unterzog sich der Geschädigte einem chirurgischen Eingriff aufgrund eines wiederholten Leistenbruchs (rechtsseitig). Der Patient wies einen ausgedehnten „Bauchbruch“ (Eventration) im Oberschenkel- und Leistenbereich auf, der vor dem eigentlichen Eingriff eine aufwändige Abtrennung von verwachsenen Gewebeteilen erforderte. Der Eingriff wurde von dem beklagten Chirurgen durchgeführt und endete um 15:30 Uhr. Daraufhin wurde der 50 jährige Patient auf ein Zimmer des beklagten Zentrums für Rehabilitation gebracht. Dort verblieb er im Beisein seiner damals 21 jährigen Tochter ohne weitere Untersuchung oder Überwachung. Gegen 17 Uhr wurde der Blutdruck von einer Krankenschwester gemessen. Um 18:30 erlitt der Patient einen Blutdruckabfall und Schweißausbrüche. Er wies Anzeichen eines Schockzustandes auf. Der beklagte Chirurg, der bereits die Leistenoperation durchgeführt hatte, operierte den Patienten unverzüglich ein weiteres Mal. Dabei stellte er einen fast kompletten, unregelmäßigen Riss in der Oberschenkelvene fest. Später stellte sich heraus, dass diese Vene bei der vorbereitenden Dissektion verletzt worden war. Des weiteren wies der Patient Anzeichen einer zerebralen Ischämie auf, sodass man ihn in ein Krankenhaus verlegte. Dort wurde eine ischämische Enzephalopathie aufgrund hypovolämischen Schocks diag4
5
Vgl. auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl. 2006, Einl. Rn. 2 zu der Feststellung, dass es dennoch im deutschen Recht mit Ausnahme der Haftung für das Verschulden von Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen kaum Unterschiede zwischen beiden Haftungsformen gibt; zum spanischen Recht vgl. Domínguez Luelmo, Derecho sanitario…, 1. Aufl. 2003. Nach S.T.S. v. 27.03.2004 – 217/2004.
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nostiziert. Der Patient wurde wiederum in das Rehabilitationszentrum verlegt. Dort verblieb er ohne Bewusstsein bis zu seinem Tod im Oktober 1992. Die Klägerinnen verlangen Schadensersatz (1) von dem behandelnden Arzt, (2) von dem Zentrum für Rehabilitation und (3) von dem Träger des Gesundheitswesens. II. Haftungskonstellationen (1) Privatrechtlicher Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient Arzt
Krankenhaus, Klinik, etc.
Patient
Träger des Gesundheitswesens
Zunächst wird das einfache Arzt-Patient-Verhältnis betrachtet. Dabei schließen Arzt und Patient einen synallagmatischen Behandlungsvertrag, der beide Parteien sowohl berechtigt als auch verpflichtet. 1. Vertragliche Haftung des Arztes
Anspruchsgrundlage für die Haftung des Arztes aufgrund einer vertraglichen Pflichtverletzung ist Art. 1101 des Código Civil: „Zum Ersatz der verursachten Schäden und der Beeinträchtigungen sind diejenigen verpflichtet, die vorsätzlich oder fahrlässig ihre Pflichten verletzen…“. Im Folgenden sollen zunächst diese Pflichten, von denen Art. 1101 CC spricht, näher erläutert werden.
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a) Leistungspflicht des Arztes
Inhalt der Leistungspflicht des Arztes ist die sorgfältige Behandlung des Patienten. Grundsätzlich geht man in Spanien davon aus, dass der Arzt lediglich die umsichtige Anwendung seiner Fachkenntnisse und Fähigkeiten zur Heilung oder Gesundheitsverbesserung des Patienten schuldet6. Der Wirkungsbereich des Arztes, in dem diese Feststellung Geltung beanspruchen darf, nennt sich medicina curativa / necesaria. Es handelt sich bei der Leistungsverpflichtung folglich um eine obligación de medios, damit also um die Verpflichtung, eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen, nicht hingegen, einen tatsächlichen Heilerfolg herbeizuführen. „…el médico […] no se compromete a curar, sino a intentar curar…“7 Der Arzt verspricht nicht die Heilung, sondern den Heilungsversuch
Auch in Spanien ist der Arzt heutzutage nicht mehr allein ein die Gesundheit wiederherstellender, altruistisch tätig werdender Heilbehandler, sondern mit steigendem Ausmaß auch medizinischer Dienstleister. Dieser tatsächlichen Entwicklung wird auch bei der Feststellung der ärztlichen Vertragspflicht Rechnung getragen. Es handelt sich hierbei um den Bereich der sog. medicina voluntativa. Unter diesen Begriff fallen insbesondere die ästhetische Chirurgie sowie einige Bereiche der Zahnheilkunde (Stichwort: Prophylaxe und ästhetische Zahnbehandlung) und unter bestimmten Umständen auch die Radiologie8. Man nennt diesen Wirkungsbereich des Arztes auch die medicina satisfactoria – also die zufriedenstellende Medizin. Auf diesem Gebiet ist der Arzt zur Herbeiführung eines Erfolges verpflichtet; es handelt sich um obligaciones de resultado. Anhand dieser Kriterien ist die Leistungspflicht im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Neben der regelgerechten Vornahme aller gebotenen Heilmaßnahmen obliegt dem behandelnden Arzt die Aufklärung seines Patienten. Diese Pflicht, der ein Recht des Patienten korrespondiert, ist positiv-gesetzlich in Art. 4 Abs. 3 Ley 41/2002 festgeschrieben: „Der <médico responsable> steht dem Patienten gegenüber für die Wahrung seines Informationsrechts ein.“
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8
Domínguez Louelmo, S. 51. STS (Sala de lo Civil) v. 10.11.1999 (RJ 1999/8057) ponente: Excmo. Sr. D. Román García Varela. Domínguez Luelmo , S. 61.
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Diese Formulierung beinhaltet zwei wesentliche Aspekte der kodifizierten Aufklärungsdogmatik: Zum einen gibt es ein anerkanntes Recht auf Information. Dieses Patientenrecht findet sich in Art. 4 Abs. 1 Ley 41/2002: „Hinsichtlich einer ihre Gesundheit betreffenden Maßnahme haben die Patienten das Recht auf jegliche, diesbezüglich verfügbare Information…“
Zum anderen beschreibt der Begriff médico responsable eine genaue Verantwortlichkeitszuordnung innerhalb des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient. Der Ausdruck médico responsable ist legal definiert in Art. 3 Ley 41/2002: „Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet […] médico responsable: derjenige Fachmann, dem die Koordination der Information und ärztlichen Betreuung des Patienten obliegt, der als erster Ansprechpartner des Patienten in allen diesen Angelegenheiten während des Behandlungsprozesses fungiert.“ b) Lex artis ad hoc und Pflichtverletzung
Die alleinige Erfüllung der aus dem Behandlungsvertragsverhältnis erwachsenen Pflichten an sich reicht allerdings nicht aus. Des weiteren ist erforderlich, dass der Arzt die Behandlung nach der sog. lex artis ad hoc vornimmt. Mit diesen Bewertungskriterium9 wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patient nicht ein solches sein soll, bei dem der Arzt durch den Vorsprung an theoretischem und praktischem Wissen seinem Patienten weit überlegen ist. Aus der Perspektive des Juristen (und damit nach allgemeiner Ansicht) „treffen“ sich Leistungserbringer und Leistungsempfänger auf einer Ebene. Abgeleitet wird diese Feststellung aus zahlreichen Normenkatalogen, wie bspw. dem Vertrag von Oviedo aus dem Jahr 1997, in dem wichtige Patientenrechte festgeschrieben sind10. Aus dem Umstand, dass die normative Erfassung von Patientenrechten und Arztpflichten notwendig ist, lässt sich allerdings recht deutlich ablesen, dass das Behandlungsverhältnis eben doch seiner Natur nach ein Verhältnis ist, in dem der Patient aufgrund seiner Fachunkenntnis dem Arzt einen großen Vertrauensvorschuss entgegenbringt. Der Begriff lex artis umfasst die im jeweiligen Fall anwendbaren Regeln der ärztlichen Kunst. Dabei handelt es sich nicht um ein speziell arztrechtliches Konzept sondern um eine generelle Anpassung der Haftungs9
10
Zu dieser Einordnung vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Domínguez Luelmo, S. 53. Vgl. nur Villacampa Estiarte, „Responsabilidad Penal del Personal Sanitario…“, S. 17 mit Fn. 2, die auch auf die Ley General de Sanidad verweist.
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maßstäbe an den jeweiligen Verkehrskreis. In der Rechtsprechung des Tribunal Supremo wird die Heranziehung der lex artis ad hoc wie folgt begründet: „…das maßgebliche Kriterium zur Feststellung, ob das Handeln des Arztes sorgfaltsgemäß war oder nicht, ist nicht dasjenige, das sich an dem normal-aufmerksamen Durchschnittsbürger orientiert…“ „…sondern dasjenige, das sich an einem umsichtigen Fachkundigen des jeweiligen Fachgebiets orientiert…“11
Damit wird allerdings noch nichts über den Grund dieser Maßstabsverschärfung ausgesagt. Gemäß Art. 1104 CC gelten im vertraglichen Bereich nämlich grundsätzlich nur die Anforderungen, denen auch der normale Durchschnittsbürger – el buen padre de familia – unterliegt. Die genannten Ausführungen weichen allerdings von dem normalen Sorgfaltsstandard des Art. 1104 CC ab. In der literarischen Aufarbeitung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anwendung der lex artis ad hoc wird mit der Natur der ärztlichen Tätigkeit argumentiert. So handele es sich bei der Medizin um eine Wissenschaft, die weder als exakt noch als inexakt gilt, in der es weite Bereiche gibt, bei denen Einschätzungen und Nicht-Definiertes prägend sind12. Belege für diese Einschätzung finden sich auch in der Rechtsprechung: Die Medizin „…ist keine exakte oder mathematische Kunst, sondern basiert auf Aussichten und Einschätzungen, die wiederum auf sich stetig verfeinernden wissenschaftlichen Kriterien aufbauen.“13
Diese Auslegung kann sich zudem auf den letzten Satz des Art. 1104 CC stützen, der besagt: „…Soweit sich aus der Verpflichtung nichts über die Art der einzuhaltenden Sorgfaltspflicht ergibt, gelten die Sorgfaltsanforderungen an einen normalen Durchschnittsbürger…“.
Maßgeblich ist grundsätzlich also die Sorgfalt, „…die ein umsichtiger Spezialist walten lässt…“. Der Tribunal Supremo führt in diesem Zusammenhang einige Erkenntnisquellen an, die bei der Bestimmung der anzuwen11
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Weitere Nachweise hierzu und im Folgenden bei Domínguez Luelmo, S. 52 mit Fn. 32. Plaza Penadés, J., El nuevo marco…, Aranzadi 2002. STSJ Navarra (Sala de lo Civil y Penal) v. 14.04.2001 (RJ 2001/8968), ponente: Ilmo. Sr. D. Rafael Ruiz de la Cuesta Cascajares.
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denden Sorgfalt herangezogen werden können. Insbesondere die wissenschaftliche und praktische Ausbildung sowie der aktuelle Stand der Technik determinieren den Sorgfaltsmaßstab. Als Anwendungsregel formuliert der Supremo: „…sobald die Leistungserbringung technischen Charakter hat, kommt die lex artis ad hoc ins Spiel…“.
Die ärztliche Leistungserbringung hat ohne Zweifel technischen Charakter. Es geht um die Einhaltung der im jeweiligen Fall adäquaten Standards. Aus diesem Grund ist die Frage, ob eine Behandlung lege artis erfolgte, auch stets ad hoc – also im jeweiligen Fall – zu klären. Dieser Feststellung trägt auch der Tribunal Supremo Rechnung, indem er für die Ermittlung der jeweiligen Sorgfaltsanforderungen auch die Komplexität und das Risiko des Einzelfalles einbezieht14. Ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab gilt etwa im Bereich der Chirurgie. Hier wird die Einhaltung höchster Hygieneanforderungen bei ständiger Kontrolle der verabreichten Medikamente sowie der verwendeten Instrumente und lückenloser Überwachung des Patienten gefordert15. Begründet wird dieser Standard damit, dass bereits aus der kleinsten Nachlässigkeit eine erhebliche Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Patienten resultieren kann. In diesem Fall ist die Formulierung „ad hoc“ also gleichzeitig ein Platzhalter für das jeweilige Gefährdungspotential des chirurgischen Eingriffs, da hier die Einordnung des Einzelfalls nach dem Gefahrengrad für die Gesundheit des Patienten erfolgt. Zusammenfassend ist der Arzt demnach grundsätzlich „…nicht dazu verpflichtet, den Patienten unter allen Umständen zu heilen, sondern ihm alle Behandlungsmaßnahmen nach dem [jeweiligen] Stand der Technik…“ zukommen zulassen, die „…ihm am Behandlungsort zur Verfügung stehen“16. Erfüllt der Arzt seine vertraglichen Pflichten nicht in dem dargestellten Umfang, so begeht er eine Pflichtverletzung. Beweispflichtig im Arzthaftungsprozess für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung ist der Patient.
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S.T.S. (Sala de lo Civil) v. 29.06 1990 (RJ 1990/4945), ponente: Excmo. Sr. D. Alfonso Barcalá Trillo-Figueroa . Domínguez Luelmo (Fn. 3), S. 54 m.w.N. S.T.S. (Sala de lo Civil) v. 16.04.2007 – 415/2007, ponente: Excmo. Sr. D. Juan Antonio Xiol Rios.
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Beispiel, STS v. 05.02.200117, bei dem die Erfüllung eines Haftungstatbestandes mangels Verletzung der lex artis ad hoc verneint wird. Sachverhalt: Die Klägerin wurde mit ihrem Sohn, einem zweimonatigen Säugling, in einem ambulanten Behandlungszentrum wegen eines gewissen Unwohlseins, das der Junge aufwies, vorstellig. Die Behandlung führte nicht eine Fachärztin für Pädiatrie durch, sondern eine Kollegin, die jedoch keine Facharztqualifikation aufweisen konnte. Die behandelnde Ärztin stellte eine einfache Erkältung fest und verordnete daraufhin eine Dampfbadkur und ein Erkältungsserum. Der Säugling verstarb nach drei Tagen. Der Bericht des Gerichtsmediziners gibt an, dass die Todesursache eine akute respiratorische Insuffizienz war, die aus einer beidseitigen Lungenentzündung resultierte. Der Tribunal Supremo hat in diesem Fall die Verantwortlichkeit des Arztes verneint mit der Begründung, dass sowohl die diagnostischen Maßnahmen als auch die anschließende Behandlung den Symptomen des Säuglings angemessen waren und lege artis erfolgten. Ohne in eine nähere Wertung des Falles einzusteigen, kann festgehalten werden, dass der bloße Befund eines Schadens noch keine Aussage über die Haftung des behandelnden Arztes ermöglicht. Vielmehr kommt es maßgeblich auf die Verletzung der Sorgfaltspflichten an. c) Kausalität und Schuld
Zwischen dem aktiven Tun oder dem Unterlassen des Arztes und einem vorhandenen Schaden muss eine Kausalitätsbeziehung bestehen. Kann diese Kausalitätsbeziehung nicht nachgewiesen werden, so haftet der behandelnde Arzt nicht. In der Rechtsprechung des Tribunal Supremo werden Erwägungen hinsichtlich der Kausalität oftmals mit Ausführungen zur Frage der Schuld – also der Vorwerfbarkeit des ärztlichen Handelns – vermengt18. Eine gemeinsame Darstellung der Haftungsvoraussetzungen birgt allerdings einige Nachteile in sich. So wird im Folgenden von der überkommenen Vorgehensweise der Rechtsprechung abgewichen19. Der Vorteil einer getrennten Darstellung der Kausalitätsvoraussetzungen und Verschuldenskriterien liegt in einem besseren Verständnis aller Voraussetzungen für die Schadenshaftung. Die naturwissenschaftliche Ergebnisbe17 18 19
Nr. 2001/541, ponente: Excmo. Sr. D. Francisco Marín Castán. Domínguez Luelmo, S. 56. Vgl. aber auch die differenzierte Betrachtungsweise in der neueren Rechtsprechung des Tribunal Supremo: „…a la relación causal material o física ha de sumarse el reproche culpabilístico…“, S.T.S. v. 04.12.2007, Nr. 1242/2007, ponente: Excmo. Sr. D. Juan Antonio Xiol Rios.
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ziehung zwischen einer Handlung und einem Schaden sagt noch nichts darüber aus, ob diese Verursachung dem Schuldner auch vorgeworfen werden kann. 2. Verschulden
Während das deutsche Schadenshaftungsrecht gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB das Verschulden des Schuldners im vertraglichen Bereich vermutet, muss die Schuld desjenigen, der eine Vertragspflicht verletzt hat, im spanischen Recht nachgewiesen werden20. Mehr noch wird jegliche Art einer objektiven Haftung, bei der es eines Schuldnachweises nicht bedürfte, abgelehnt21. Es gilt damit der subjektive Verschuldensmaßstab, der auf die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt abstellt22. Begründet wird die ablehnende Haltung mit dem Wesen der vertraglichen Verpflichtung des Arztes. Der Arzt verpflichtet sich, wie bereits gezeigt, in der Regel zur Vornahme einer Behandlung; er schuldet hingegen nicht einen entsprechenden Heilungserfolg. Damit ergibt sich aus dem Ausbleiben des Behandlungserfolges nicht zugleich das Verschulden des Arztes23. Das spanische Zivilrecht unterscheidet bei der Frage des Verschuldens zwischen dolo und culpa. Liegen entweder dolo oder culpa vor, so kann die Verursachung des Schadens dem Arzt vorgeworfen werden. Die Feststellung dieses Merkmals ist also unablässige Voraussetzung für die Haftung des Arztes. Dolo bedeutet Willentlichkeit24. Diese Verschuldensform liegt immer dann vor, wenn der Arzt bewusst seine Leistungspflichten nicht erfüllt. Dabei kann es sich sowohl um die Nichterfüllung als auch um eine mangelhafte Behandlung handeln. Culpa hingegen bezeichnet ein nachlässiges Handeln, bei dem der zur Leistung Verpflichtete den anerkannten Standards seines Fachgebiets zuwiderhandelt25. Diese Sichtweise findet Unterstützung in Art. 1104 CC, der besagt: 20 21
22 23
24 25
Corbella Duch, S. 154. S.T.S. v. 13.07.1987 (Nr. 4958/1987), ponente: Excmo. Sr. Don Jaime Santos Briz; S.T.S. v. 10.12.1996 (Nr. 7092/1996); S.T.S. v. 16.12.1997 (Nr. 7694/ 1997), ponente: Excmo. Sr. D. Luis Martinez–Calcerrada Gomez; S.T.S. v. 23.09.2004 (Nr. 986/2004), ponente: Excmo. Sr. D. Pedro Gonzalez Poveda. Corbella Duch, S. 171. S.T.S. v. 16.12.1997 (Nr. 7694/1997), ponente: Excmo. Sr. D. Luis Martinez– Calcerrada Gomez; umfassende Rechtsprechung bei Domínguez Luelmo, S. 50 ff.; zu Ausnahmen vgl. García Hernández, S. 83 f. Corbella Duch, S. 154. Corbella Duch, S. 154.
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Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Schuldner diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach der Art der Verpflichtung, den persönlichen Umständen sowie nach Zeitpunkt und Ort erforderlich ist…
Teilweise wird aber davon ausgegangen, dass auch diese Definition nicht unbedingt weiterhelfe26. Begründet wird dieser Ansatz mit der Annahme, dass die Kriterien für die Entscheidung der Schuldfrage nicht auf einem geschlossenen dogmatischen System ruhen, sondern vielmehr anhand von Leitlinien im jeweiligen Einzelfall entwickelt werden müssten. Dass die Schuldfrage nicht von einem positiv-gesetzlichen Katalog abhängen kann, bedarf keiner näheren Erläuterung. Im Grundsatz stimmen die Positionen auch darin überein, dass culpa dann anzunehmen ist, wenn ein tatsächliches Verhalten des Leistungsverpflichteten nicht mit einem gewissen Referenzmaßstab übereinstimmt27. Bei den Abweichungen scheint es sich daher um eher terminologische Unterschiede zu handeln, die hier nicht näher untersucht werden sollen. Hier ist folglich zu beachten, dass der Arzt bereits seine Leistungspflicht verletzt, wenn er der lex artis ad hoc zuwiderhandelt. Diese Grundlinie wird auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verfolgt: „…el módulo para la valoración de la negligencia profesional es el de la "lex artis ad hoc…"28. („…der Maßstab für die Frage der Fahrlässigkeit des Angehörigen eines Fachkreises ist die ‚lex artis ad hoc‘…“)
Mithin bereitet die Feststellung der Culpa keine weiteren Schwierigkeiten, wenn bereits die Pflichtverletzung festgestellt worden ist29. 3. Kausalität „…no hay responsabilidad médica cuando no es posible establecer la relación de causalidad …“30 (…der Arzt haftet nicht, wenn keine Kausalitätsbeziehung hergestellt werden kann…)
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García Hernández, S. 100. García Hernández, S. 100. S.T.S. v. 16.04.2007 – 415/2007, ponente: Excmo. Sr. D. Juan Antonio Xiol Rios. Im Ergebnis dann auch García Hernández, S. 101. S.T.S. v. 16.04.2007 – 415/2007, ponente: Excmo. Sr. D. Juan Antonio Xiol Rios; Domínguez Luelmo, S. 57.
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Kausal ist die Pflichtverletzung des Arztes für den entstandenen Schaden immer dann, wenn der Schaden auf der schuldhaften Pflichtverletzung beruht. Die Kausalbeziehung ist grundsätzlich von dem Geschädigten nachzuweisen31. Teoría de la causalidad adecuada
In der spanischen Zivilrechtsdogmatik wird die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Schaden nach den Vorgaben der Adäquanztheorie festgestellt32. „Con arreglo a la teoría de la causalidad adecuada, para que un hecho merezca ser calificado como causa del daño es preciso que sea en sí mismo idóneo para producirlo según la experiencia común, es decir, que tenga una especial aptitud para producir el efecto lesivo.“33. (Nach der Adäquanztheorie ist ein Umstand nur dann als Ursache eines Schadens anzusehen, wenn er nach der allgemeinen Erfahrung geeignet ist, einen solchen Schaden hervorzurufen; genauer gesagt: wenn er eine besondere Eignung aufweist, die schädigende Wirkung hervorzurufen.)
Ein Kausalzusammenhang wird dagegen verneint, wenn eine zufällige Verbindung zwischen Pflichtverletzung und Schaden besteht, oder ein Fall höherer Gewalt eintritt. Beispiel: für einen Fall höherer Gewalt, in dem der Tribunal Supremo die Haftung des Arztes verneint hat34. Sachverhalt: Die Klägerin litt an grauem Star und unterzog sich daher einer operativen Behandlung. Nach der Operation stellte man eine ischämische Neuropathie bei der Patientin fest. Aufgrund dieses ischämischen Infarktes des Nervus Opticus verlor sie die Sehkraft auf dem linken Auge. Die Kausalität der operativen Behandlung für den späteren Verlust der Sehkraft wurde mit der Begründung verneint, dass ein derartiger Infarkt nicht vorhersehbar sei, sondern vielmehr eine natürliche Gegeben-
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García Hernández, S. 109. García Hernández, S. 109. S.T.S. v. 05.01.2007 – 1377/2007, ponente: Excmo. Sr. D. Juan Antonio Xiol Rios. S.T.S. v. 07.06.2008 – 576/2002, ponente: Excmo. Sr. D. Xavier O’Callaghan Muñoz.
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heit darstelle. Damit handele es sich um einen Fall der fuerza mayor – der höheren Gewalt –, die einen Kausalzusammenhang ausschließe. Insbesondere ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig die Erwägungen in der Rechtsmittelbegründung zur Frage der Kausalität nicht beachtet werden. Dies liegt in dem Umstand begründet, dass der Tribunal Supremo sowohl im Zivilverfahren als auch im Verwaltungsverfahren davon ausgeht, keine erneute Tatsacheninstanz zu sein. Daher werden Erwägungen der Kausalität, die tatsächliche Fragen betreffen, nicht beachtet. Ein plakatives Beispiel findet sich in einer jüngeren Entscheidung: „Die Befassung dieses Senats mit den in der Begründung des Rechtsmittels angeführten Umständen ist auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränkt. Dabei ist zu beachten, dass der Senat wiederholt und bis zum Überdruss darauf hingewiesen hat, dass der recurso de casación (die Revision) keine dritte Tatsacheninstanz eröffnet, in der wieder das gesamte Beweismaterial bewertet werden könnte.“35
D. Haftungsgrundlagen im außervertraglichen Bereich I. Unterschiede zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung Vertragliche und außervertragliche Haftung unterscheiden sich, wie bereits angedeutet, im Wesentlichen in materieller Hinsicht nur in einem Punkt. Während die Haftung nach Art. 1101 CC auf die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung abstellt, sanktioniert Art. 1902 CC die Verletzung des allgemeinen Verbots, neminem laedere. 1. Haftungsvoraussetzungen a) Handlung/Unterlassen – Verschulden – Kausalität – Schaden
Anspruchsgrundlage der Haftung des Arztes für die Verletzung des neminem laedere – Gebots ist Art. 1902 CC, der besagt: „Derjenige, der durch eine Handlung oder ein Unterlassen einem anderen einen Schaden zufügt, und dabei schuldhaft oder nachlässig handelt, ist verpflichtet, den dadurch verursachten Schaden zu beheben.“
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S.T.S. v. 18.01.2001 – 951/2001, ponente: Excmo. Sr. D. Antonio Gullón Ballesteros.
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Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich die weiteren Tatbestandsmerkmale vollständig erfassen. Sie stimmen im Übrigen mit den Anforderungen an die vertragliche Haftung überein. b) Kausalität in Mehrpersonenverhältnissen
Die Formulierung in Art. 1902 CC: „Derjenige…“ deutet darauf hin, dass die Erfüllung des Haftungstatbestands bei jedem Verantwortlichen einzeln festgestellt werden muss. Lässt sich die kausale Ursache für einen vorhandenen Schaden, der auf das Handeln oder Unterlassen einer Gruppe von Personen zurückzuführen ist, nicht individualisieren, so tendiert die Rechtsprechung in Verkehrssachen dazu, das Verhalten jedes der Gruppenmitglieder als ursächlich anzusehen36. Diese Rechtsprechung wird teilweise37 auf Fälle der zivilrechtlichen Arzthaftung übertragen. Andere38 leiten dieses Ergebnis mittels einer Analogie zu dem Anknüpfungstatbestand des Art. 116 CP her, der eine weitere zivilrechtliche Haftungsgrundlage für durch strafrechtlich relevantes Handeln verursachten Schaden darstellt. Festzuhalten bleibt, dass der Schaden und die Zuordnung zu einer Gruppe – bei Nichtfeststellbarkeit der individuellen Ursache – haftungsbegründend sein sollen. Gegen die gemeinschaftliche Feststellung der Kausalität könnte dennoch die aktuelle Rechtsprechung herangezogen werden. Hier zeigt sich, dass insbesondere in Arzthaftungsfällen eine differenzierte Betrachtung geboten ist: Urteil des Tribunal Supremo v. 12.02.200839: Sachverhalt: Der Sohn der Kläger unterzog sich einer plastischen Nasenoperation. Nachdem der chirurgische Eingriff beendet war, erbrach sich der noch narkotische Patient. Die Spontanatmung setzte nicht ein und der Patient aspirierte das Erbrochene. Daraufhin erlitt der Geschädigte einen Bronchospasmus, der zu einer Verengung der Atemwege führte und für mehr als vier Minuten eine akute Hypoxie (Sauerstoffarmut) bewirkte. Der Patient verfiel in ein irreversibles Wachkoma.
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39
S.T.S. v. 07.05.1993 – 443/1993, ponente: Excmo Sr. D. Jaime Santos Briz; S.T.S. v. 01.06.1997 Corbella Duch, S. 158. Hernández Gil, El principio de la no presunción de solidaridad…, 1947, S. 95 ff. Nr. 144/2008, ponente: Excmo. Sr. D. José Antonio Seijas Quintana.
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Der Tribunal Supremo stellt fest, dass Anknüpfungspunkt nicht der Schaden sei, sondern vielmehr die positiv zu ermittelnde Frage nach der Kausalität. Dazu zitiert er die Vorinstanz: "…la desproporción del resultado no es en si misma considerada sino en relación de causalidad…“ („…nicht die Unverhältnismäßigkeit des Ergebnisses an sich wird herangezogen, sondern stets in Verbindung mit der Frage nach der Kausalität…“).
Im Ergebnis lehnt der Tribunal Supremo es aus verfahrensrechtlichen Gründen ab, die Kausalitätsfrage zu behandeln (dazu später). Aus dieser Billigung der instanzgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich allerdings schließen, dass er die Haltung der Audiencia Provincial als Vorinstanz teilt. In der Betonung der Kausalitätsbeziehung liegt dann auch zugleich eine Absage an die Heranziehung des Erfolges für die Feststellung der Kausalität. Im Beispielsfall wird deutlich, dass die alleinige Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht ausschlaggebend sein kann. Zumindest im Bereich des Arzthaftungsrechts, in dem ganze Operationsteams von der Haftung betroffen sein können, ist die Kausalitätsfrage bei jedem Beteiligten einzeln zu beantworten. Ist die Ursache nicht feststellbar, die Ursächlichkeit des Verhaltens aller Mitglieder nach der Adäquanztheorie jedoch zu bejahen, so kommt es auf Kriterien der objektiven Zurechnung an. Diese findet auch im Zivilrecht Anwendung40. Zu bezweifeln ist jedoch, ob die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bereits einen Umstand darstellt, der nach der allgemeinen Erfahrung geeignet ist, den Schaden herbeizuführen. Vielmehr verringert die Anwesenheit mehrerer Fachleute das Risiko des Schadenseintritts für den Patienten. In einem weiteren Fall, der allerdings nicht dem Arzthaftungsrecht zuzurechnen ist, hat der Tribunal Supremo außerdem explizit ausgeführt, dass eine individuelle Zuordnung der ursächlichen Umstände bereits dann möglich ist, wenn der Beteiligungsanteil des einzelnen Gruppenmitglieds an dem ursächlichen Geschehen ermittelt werden kann41. Im Beispielsfall wäre zumindest anhand des Dienst- und Operationsplans eindeutig ablesbar gewesen, wer wann für welche Aufgaben zuständig war. Für die Annahme einer kollektiven Kausalität bleibt damit kein Raum.
40 41
sog. „imputación objetiva“; vgl. Domínguez Luelmo, S. 58 mit dortiger Fn. 46. S.T.S. v. 01.08.2008 – 865/2008 mit weiteren Nachweisen.
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II. Besonderheiten 1. Insbesondere: consentimiento informado a) Begriffserklärung
Der Begriff consentimiento beschreibt grundsätzlich einen Zustand, in dem der Wille von mind. zwei Personen hinsichtlich einer bestimmten Angelegenheit übereinstimmt, und leitet sich aus Art. 1262 CC ab42. Im Arzthaftungsrecht ist das Einverständnis des Patienten spezialgesetzlich geregelt. Gemäß Art. 8.1 Ley 41/2002: „…erfordert jedes Handeln auf dem Gebiet der Patientengesundheit das freiwillige Einverständnis des Betroffenen…“
Damit weicht der Anwendungsbereich des Einverständnisses im Bereich der Arzthaftung von der grundsätzlichen Konzeption des Art. 1262 CC ab: Das Einverständnis des Art. 1262 CC ist konstitutiv für den Abschluss des Behandlungsvertrages. Für das hier behandelte Thema hat der Begriff consentimiento allerdings eine andere Bedeutung. Eine Legaldefinition findet sich in der galizischen Ley 3/200143: „A los efectos de la presente Ley, se entiende por consentimiento informado la conformidad expresa del paciente, […], previa obtención de la información adecuada, para la realización de un procedimiento diagnóstico o terapéutico que afecte a su persona y que comporte riesgos importantes, notorios o considerables.“ („Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet consentimiento informado das ausdrückliche […] Einverständnis des Patienten mit der Durchführung diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen, die seine Person betreffen und wichtige, allgemein bekannte oder erhebliche Risiken mit sich bringen, nach Erhalt der angemessenen Information.“) b) Inhalt
Das Einverständnis setzt sich somit aus zwei elementaren Bestandteilen zusammen. Zum einen setzt es die angemessene Information des Patienten vor Erteilung des Einverständnisses voraus, zum anderen die Einverständniserklärung selbst. Art. 10 Ley 41/2002 zählt die inhaltlichen Mindestanforderungen an die vorbereitende Aufklärung des Patienten auf. Mitzuteilen sind demnach diejenigen Risiken, die einerseits von der Art des Ein42 43
Dazu und im Folgenden ausführlich Domínguez Luelmo, S. 241. v. 28.03.2001 (Galizien).
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griffs ausgehen und andererseits in der Person des Patienten begründet sind. Darüber hinaus sind Kontraindikationen dem Patienten anzuzeigen. c) Formanforderungen
Grundsätzlich ist das Einverständnis mündlich zu erteilen, vgl. Art. 8.2 Ley 41/2002. In einigen Ausnahmefällen ist das Einverständnis hingegen schriftlich abzugeben. Art. 8.2 der Ley 41/2002 zählt beispielhaft auf: chirurgische Eingriffe sowie invasive diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Grundsätzlich ist das Einverständnis damit an das Schrifterfordernis gebunden, wenn die Vornahme solcher Behandlungen im Raum steht, die „Risiken oder Nachteile von allgemein bekannter und vorhersehbarer negativer Auswirkung für die Gesundheit des Patienten mit sich bringen“, Art. 8.2 Ley 41/2002. Als Grundregel gilt: Je ungewisser der Ausgang einer Behandlungsmaßnahme ist, desto eher ist die schriftliche Erteilung des Einverständnisses geboten, Art. 10. 2 Ley 41/2002. Darüber hinaus ist das Einverständnis in die Patientendokumentation aufzunehmen, soweit es sich um einen Behandlungsfall mit Krankenhauseinweisung handelt, Art. 15.2.i Ley 41/2002. III. Die Haftung medizinischer Einrichtungen Der zuvor skizzierte Grundfall eines Behandlungsvertrages zwischen Arzt und Patient auf privatrechtlicher Selbstzahlerbasis stellt zwar den dogmatischen Normalfall dar44, er entspricht jedoch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten im modernen Gesundheitswesen, das mit einer Vielzahl von Akteuren aufwartet. Daher bedient sich das Gesetz 41/2002, das wichtige Bestimmungen über die Dokumentation, die Aufklärung und das Einverständnis enthält, des Begriffes „centro sanitario“. 1. Begriffsbestimmung – „centro sanitario“
Der Begriff centro sanitario ist in Art. 3 Ley 41/2002 legal definiert. Danach handelt es sich um „…die Gesamtheit an Fachleuten, Einrichtungen und technischen Hilfsmitteln, die an Maßnahmen und Leistungen zur Bewahrung der Gesundheit von Patienten und Nutzern beteiligt sind.“ 44
Dies zeigt sich bereits anhand der zahlreichen Stellungnahmen in der juristischen Literatur zu diesem Fall; vgl. Corbella i Duch, La responsabilidad civil de los centros sanitarios, 2008, S. 22.
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Diese Definition zeigt auf, dass es sich bei dem Konzept des centro sanitario um mehr handelt, als bspw. ein spezifisches Krankenhaus oder eine ambulante Einrichtung. Diese stellen lediglich Ausprägungen des generischen Konzepts dar. Dabei umfasst Art. 3 sowohl private als auch staatliche Einrichtungen. Der centro sanitario ist folglich eine hervorgehobene Organisation von personellen und materiellen Mitteln zur Verfolgung eines Zwecks, der im Bereich der medizinischen Heiltätigkeit angesiedelt ist45. Dass dem Begriff des centro sanitario nicht stets eine Person des Privatoder öffentlichen Rechts zugeordnet werden kann, äußert sich auch in der Frage der Haftung. Einer Schadensersatzforderung gegen ein baskisches centro sanitario in Form eines Krankenhauses konnte das Gericht mangels Rechtspersönlichkeit nicht weiter nachgehen46. Haften können mithin nur die jeweils beteiligten natürlichen und juristischen Personen. 2. Rechtsverhältnisse
a) Privatrechtliche Verhältnisse finden sich nicht nur zwischen Arzt und Patient, sondern auch zwischen Arzt und Krankenhaus bzw. Ambulanz.
Arzt
Krankenhaus, Klinik, etc.
Patient
Träger des Gesundheitswesens
In dieser Konstellation besteht keine vertragliche Verbindung zwischen Arzt und Krankenhaus. Der Patient schließt einen Behandlungsvertrag mit dem Arzt und einen sog. contrato de hospitalización mit dem Krankenhaus, der Klinik etc. Der Behandlungsvertrag wurde oben bereits erörtert.
45 46
Vgl. Corbella i Duch, S. 24. Sachverhalt referiert bei S.T.S. v. 21.12.2005 – 1002/2005, ponente: Excmo. Sr. D. José Antonio Seijas Quintana.
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Bei dem contrato de hospitalización handelt es sich um einen atypischen Vertrag, der zum einen die Unterbringung des Patienten regelt und zum anderen pflegerische Elemente der Stationsdienstleistungen enthält. Daher wird dieser Vertragstyp auch contrato desdoblado – gespaltener Vertrag – genannt47. Mangels Vertragsverhältnisses haftet das Krankenhaus in dieser Konstellation nicht für ein Verschulden des Arztes bei der Behandlung des Patienten. Im Gegenzug haftet auch der Arzt nicht für Schäden, die der Patient bei der rein stationären Versorgung erleidet. Beispiel48: Keine Haftung des Krankenhauses für ein mögliches Verschulden des Neurochirurgen Sachverhalt: Ein Neurochirurg nutzte die Einrichtungen einer Klinik und zahlte dafür ein Nutzungsentgelt. Der Kläger fordert Schadensersatz von der Klinik mit der Begründung, der Chirurg sei durch die Nutzungsvereinbarung derart mit dieser verbunden, dass für ein Verschulden des Arztes auch die Klinik einzustehen habe. Die Anforderungen des Art. 1903.4 CC seien erfüllt. Der Tribunal Supremo wies das Rechtsmittel gegen die bereits in den Vorinstanzen als unbegründet befundene Klage als unzulässig ab. Dennoch führte er weiter aus, dass das Rechtsmittel zudem unbegründet sei: die alleinige entgeltliche Nutzungsbeziehung zwischen Arzt und Krankenhaus begründe keine Geschäftsherrenhaftung nach Art. 1903.4 CC. aa) Fallgruppen für haftungsbegründende Umstände
In der Rechtsprechung hat sich für das Konzept des centro sanitario ein Pflichtenkatalog herausgebildet, dessen Verletzung haftungsbegründend wirken kann. 1. Pflicht, die Gebäude, Anlagen und technischen Instrumente instand zu halten 2. Pflicht zur Vermeidung nosokomialer Infektionen (Infektionen durch Mikroorganismen) der Patienten aufgrund von Infektionsherden in den Einrichtungen
47 48
Vgl. Corbella i Duch, S. 48. Nach S.T.S. v. 18.01.2001 – 951/2001, ponente: Excmo. Sr. D. Antonio Gullón Ballesteros.
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3. Pflicht zur angemessenen Überwachung und Behütung der Patienten – Kontrolle des allgemeinen und speziellen Gesundheitszustandes, Erkennung von Suizidgefahren 4. Pflicht zur Vermeidung von Verzögerungen bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen 5. Pflicht zur angemessenen Reaktion in Notfällen 6. Pflicht zur Wahrung der Privatsphäre und zum vertraulichen Umgang mit persönlichen Daten Die Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Privatsphäre kann empfindliche Bußgelder mit sich bringen. Diese Fallgruppe soll exemplarisch für die sog. responsabilidad administrativa referiert werden. Dabei handelt es sich um die Haftung nach verwaltungsrechtlichen Normen. Beispiel49: 60.101,21 € Bußgeld für die unbefugte Weitergabe von Patientendaten Sachverhalt: Ein medizinisches Dienstleistungsunternehmen, das medizinische Zusatzleistungen anbietet und für die Überwachung des Gesundheitszustandes der Mitarbeiter einer großen Sparkasse durch medizinisches Personal zuständig ist, gibt Daten über gesundheitsbedingtes Fehlen der Mitarbeiter an seinen Auftraggeber weiter. Dies erfolgte ohne Einverständnis der Betroffenen. Durch die Weitergabe der Patientendaten konnte der Arbeitgeber feststellen, aus welchem Grund die Arbeitnehmer krankheitsbedingt fehlten. Zuständig für die Verhängung von Geldbußen ist die Agencia de Protección de Datos, die eine Geldbuße von 61.101,21 € gegen den Dienstleister verhängte. Die Audiencia Nacional bestätigte den Verstoß gegen die Bestimmungen der LO 15/99, deren Art. 7 nur in Ausnahmefällen eine Weitergabe zulässt. Ein Verstoß u.a. gegen diese Pflichten begründet die Haftung der medizinischen Einrichtung. In dem referierten Ausgangsfall stellte das Instanzgericht eine Pflichtverletzung des Zentrums für Rehabilitation in Gestalt einer Verletzung der Aufsichts- und Überwachungspflichten fest. Zwar hätte selbst bei genauester und intensivster Überwachung des Patienten der Riss in der Vene nicht verhindert werden können. Bereits bei der Operation wurde die Ursache für diesen Riss gesetzt. Die Pflichtverletzung liegt dennoch in dem Um49
Nach SAN v. 31.05.2002 – N° de recurso: 0602/2001, ponente: Ilmo. Sr. D. Manuel Fernandez-Lomana Garcia.
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stand, dass bei einer angemessenen Betreuung des Geschädigten wertvolle Zeit gewonnen worden wäre, um den Blutkreislauf wieder zu stabilisieren und damit die Auswirkungen des Venenrisses wenn nicht zu verhindern, dann zumindest abzumildern. Des weiteren ist zu beachten, dass die Rechtsprechung für die Haftung des Arztes die Feststellung der Schuld fordert, in Fällen der Haftung eines centro sanitario jedoch einen objektiven Maßstab anlegt. Die Haftung nach objektiven Maßstäben knüpft an das schädigende Ereignis an. Dass ein objektiver Haftungsmaßstab angelegt wird, beruht zum einen auf dem Umstand, dass in der Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Sorgfalt und Struktur der organisierten gewerblichen Leistungserbringung gestellt werden. In diesen Fällen findet die Lehre vom unverhältnismäßigen Schaden Anwendung (daño desproporcionado). Danach erfordert die Haftung des centro lediglich eine mangelhafte Leistungserbringung, die sich in einem Abweichen von den geforderten Standards äußert, und einen unverhältnismäßigen Schaden ohne dass der Urheber dieses Schadens ermittelt werden muss50. Diese Lehre kann auch bei der Frage der Haftung öffentlicher Einrichtungen herangezogen werden51. Grundsätzlich findet diese faktische Beweiserleichterung für den Geschädigten dann Anwendung, wenn die beklagte Einrichtung den Schaden nicht überzeugend erklären kann – wenn sie also die Einhaltung der Standards nicht belegen kann52 Zum anderen ist diese Entwicklung dem Umstand geschuldet, dass neben den zivilrechtlichen Haftungsnormen die Art. 25, 28 der Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios (Verbraucherschutzgesetz) auf die Tätigkeit medizinischer Dienstleister Anwendung finden. Mittlerweile sind diese Normen in dem Dekret vom 16.11.200753 aufgegangen. Art. 148 RD 1/2007 regelt, dass „…in jedem Fall die medizinische Dienstleistung in den Anwendungsbereich dieser Haftungsnormen fällt…“
Haftungsgrundlage ist dabei Art. 147 RD 1/2007: „Dienstleister haften für Schäden, die ihren Verbrauchern und Nutzern entstehen, soweit sie nicht die jeweiligen gesetzlichen Vorgaben und die nach der Art der Leistung erforderliche Sorgfalt eingehalten haben.“
50 51 52 53
Dazu S.T.S. v. 30.01.2003. S.T.S.J. Madrid v. 28.09.2005. Corbella i Duch, S. 50 f. RD 1/2007 v. 16.11.2007 – BOE n. 287 v. 30.11.2007.
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Der Patient ist regelmäßig Nutzer dieser Einrichtungen und fällt damit in den Schutzbereich der Norm. bb) Häufiger als die soeben vorgestellte Konstellation wird der Arzt in einer vertraglichen Verbindung mit einer privatrechtlichen Krankenhausgesellschaft oder einer ähnlichen Einrichtung tätig. Arzt
Krankenhaus, Klinik, etc.
Patient
Träger des Gesundheitswesens
Zwischen dem Arzt und dem Krankenhaus, der Klinik etc. besteht regelmäßig ein arbeitsrechtliches Verhältnis. Das Verhältnis zwischen Krankenhaus etc. und Patient lässt sich durch die Figur des contrato de hospitalización beschreiben, der in dieser Variante auch die ärztlichen Leistungen umfasst. Dem Patienten gegenüber haftet die Klinik etc. sowohl aus Vertrag als auch außervertraglich. Der Arzt haftet nur nach den Regeln über die außervertragliche Haftung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, Art. 1903.4 CC zu beachten. Er wird regelmäßig erfüllt sein. Beispiel54: Auch wenn der Arzt nicht zivilrechtlich verantwortlich ist, kann die Klinik etc. dagegen aus Vertrag für den verursachten Schaden haften Sachverhalt: Die Klägerin wurde zur operativen Entfernung einer Ovarialzyste in die beklagte Klinik stationär aufgenommen. In der Einleitungsphase konnte die Patientin nicht intubiert werden. Sie wurde stattdessen zunächst weiter manuell beatmet. Kurz darauf folgte ein starker Bronchospasmus, der auch die manuelle Beatmung verhinderte. Die Patientin wurde zyanotisch und der Sauerstoffsättigung ihres Blutes sank 54
S.T.S. v. 14.11.2007 – 1217/2007, ponente: Excmo. Sr. D. José Antonio Seijas Quintana.
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zunehmend. Daraufhin wurde der ebenfalls operierende Chirurg des Nachbaroperationssaals, der beklagte Arzt, zur Durchführung einer NotTracheotomie herbeigeholt und die Patientin konnte nach erfolgreicher Vornahme des Luftröhrenschnitts weiter beatmet werden. Als Folge des Noteingriffs verblieb eine Lähmung der Stimmbänder, die aufgrund von Quetschungen während der Notmaßnahme postoperativ auftrat. Der Tribunal Supremo bestätigte die Abweisung (mangels Begründetheit) der Klage hinsichtlich des Chirurgen, da dieser mit der notwendigen Sorgfalt, die von einem Facharzt in einer Notlage zu erwarten sei, vorgegangen sei und folglich nicht nach außervertraglichen Regeln hafte. Die beklagte Klinik hafte dagegen zum einen aus Vertrag. Sie habe es unterlassen, die notwendigen infrastrukturellen Vorkehrungen für einen Notfall wie diesen zu treffen. Dass ein zeitgleich operierender Chirurg zur Vornahme einer Notfallbehandlung in einen angrenzenden Operationssaal gerufen werden musste, sei Anzeichen für gravierende Organisationsmängel. Die legitimen Erwartungen des Patienten bzgl. der Sicherheit seien eindeutig enttäuscht worden. Die Haftung der beklagten Klinik nach Art. 1903.4 CC wurde indessen mangels Verschulden des beklagten Arztes verneint. b) Das Rechtsverhältnis zwischen Erbringern und Empfängern medizinischer Leistungen entspricht jedoch zumeist nicht dem rein privatrechtlichen Modell. Vielmehr geht man in Spanien davon aus, dass das Verhältnis der Leistungserbringer und –empfänger ein regelmäßig öffentlichrechtlich geprägtes Beziehungsgefüge ist55. Abgeleitet wird diese Annahme zum einen aus Art. 43 CE und den Vorschriften der Ley General de Sanidad von 1986, die den Schutz des Rechtsgutes der Gesundheit im einzelnen ausgestaltet. Durch die Schaffung des nationalen Gesundheitssystems (Sistema Nacional de Salud) und die damit verbundene Verpflichtung der comunidades autónomas, eigene Gesundheitsdienste einzurichten, entstehe ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen dem Bürger und den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen56. Diese Annahme ist insbesondere wichtig für die Frage nach der Haftung des staatlichen Gesundheitsdienstes. Für die Frage des centro sanitario und des Arztes sind jedoch vornehmlich die Haftungsnormen des Privatrechts heranzuziehen. Die am häufigsten anzutreffende Konstellation sieht ein solches Versicherungsverhältnis zwischen dem Bürger und einem staatlichen Träger des Gesundheitswesens vor, der wiederum Leistungsverträge mit Krankenhäusern und Ärzten zur Sicherung seiner Pflichten gegenüber dem versicher55 56
So ausdrücklich Corbella i Duch, S. 30. Weiterführend Corbella i Duch, S. 30 f.
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ten Bürger schließt. Gegebenenfalls liegt ein arbeitsrechtliches Vertragsverhältnis zwischen Krankenhaus und Arzt vor. Krankenhaus, Klinik, etc.
Patient
Träger des Gesundheitswesens
Arzt
Diese Fallskizze gibt die Vertragsbeziehungen in dem zu Beginn des Vortrags vorgestellten Fall wieder. Der Patient Die Haftung des Arztes gegenüber dem Patienten wurde bereits referiert. Ebenso wurden Ausführungen zur Verantwortlichkeit des Krankenhauses, der Klinik etc. gemacht. Zu erörtern bleibt die Haftung des Trägers des Gesundheitswesens. 3. El Sistema Nacional de Salud
Zum besseren Verständnis der Anforderungen an die Haftung der öffentlichen Träger der Sozialversicherung sind zunächst einige Ausführungen über die Struktur des nationalen Gesundheitssystems in Spanien voranzustellen. Im Jahr 1977 – damit ein Jahr vor Inkrafttreten der spanischen Verfassung von 1978 – wurde erstmals das Ministerium für Gesundheit (Ministerio de Sanidad) geschaffen. Damit wurde der Aufbau eines nationalen Gesundheitssystems eingeleitet. Im November 1978 wurden die wichtigsten Bereiche des Gesundheitswesen auf vier staatliche Organisationen aufge-
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teilt. Seitdem oblag die Verwaltung und Bereitstellung medizinischer Leistungen dem Instituto Nacional de la Salud (INSALUD). 1986 wurde die Ley General de Sanidad verabschiedet. Dabei handelt es sich um eine in Gesetzesform gefasste Zusammenstellung der rechtlichen Grundlagen des spanischen Gesundheitssystems. Unter anderem enthält das Gesetz in Art. 1 Abs. 2 das Recht auf den Schutz der Gesundheit jedes spanischen Bürgers oder in Spanien dauerhaft wohnenden Ausländers. Ende 2001 wurden die Befugnisse des INSALUD auf die comunidades autónomas übertragen. Der INSALUD wurde 2002 in Instituto Nacional de Gestión Sanitaria (INGESA) umbenannt und zeichnet verantwortlich für die Bereitstellung medizinischer Leistungen in Ceuta und Melilla sowie der Aufsicht über die Nationale Organisation für Transplantation (ONT). 4. Haftung
Die Verantwortung für die Bereitstellung medizinischer Leistungen innerhalb des nationalen Gesundheitssystems obliegt mithin den Autonomen Gemeinschaften Spaniens. Grundlage der Einstandspflicht der öffentlichen Verwaltung ist folglich die alleinige Tatsache, dass es in ihrer Zuständigkeit liegt, die Erbringung von medizinischen Leistungen im weiteren Sinne sicherzustellen. Da diese generelle Betrachtungsweise jedoch dazu führen könnte, dass die öffentlichen Gesundheitsdienste einer umfassenden Einstandspflicht für jegliche Schäden unterlägen, die im Zusammenhang mit der staatlichen Erbringung medizinischer Leistungen stehen, richtet sich die Haftung der Träger des Gesundheitswesens nicht nach rein objektiven Maßstäben. Art. 139. 3 des Gesetzes über die öffentliche Verwaltung57 stellt fest: „Der Einzelne hat das Recht auf den Ersatz seines Schadens gegen über der öffentlichen Verwaltung für jegliche Verletzungen seiner Rechte und Rechtsgüter, den er durch die Aufgabenerfüllung der öffentlichen Leistungserbringer erleidet, außer in dem Fall höherer Gewalt.“
Es bestehen die folgenden Anforderungen58 an die Haftung der Träger des Gesundheitswesens: 1. Zum einen ist ein Schaden festzustellen. Dieser muss bezifferbar und einer Person oder Gruppe eindeutig zuzuordnen sein. 57
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Ley de Régimen Jurídico de las Administraciones Públicas y del Procedimiento Administrativo Común. Dazu und im Folgenden vgl. S.A.N. v. 10.07.2008 – 1326/2008, ponente: Ilmo. Sr. D. Juan Ignacio Gonzalez Escribano.
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2. Erforderlich ist weiterhin, dass der Schaden eine unmittelbare Folge der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Verwaltung ist. Der Schaden ist folglich nur dann relevant, wenn er kausal auf die Leistungserbringung im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsdienste zurückführbar ist. „Leistungserbringung im Rahmen der Gesundheitsdienste“ bezeichnet bspw. die Behandlung durch einen Arzt, der im Auftrag des jeweiligen Servicio de la Salud der einzelnen Autonomen Gemeinschaften tätig wird, oder die Tätigkeit des medizinischen Personals in einem staatlichen Krankenhaus. 3. Der Schaden muss rechtswidrig sein. Rechtswidrigkeit bedeutet jedoch nicht das Fehlen von Rechtfertigungsgründen. Es reicht aus, dass keine Rechtspflicht besteht, den Schaden zu dulden. 4. Zuletzt ist das Vorliegen von höherer Gewalt auszuschließen. 5. Lösung des Ausgangsfalls
Mit diesen Erwägungen lässt sich folglich auch der Ausgangsfall wie folgt lösen: (1) Der behandelnde Arzt haftete wegen Pflichtverletzung und Verschulden gegenüber dem Patienten außervertraglich nach Art. 1902 CC. (2) Das Zentrum für Rehabilitation haftet wegen mangelhafter Leistungserbringung ebenfalls gegenüber dem Patienten nach Art. 1902, 1903 CC nach außervertraglichen Maßstäben. Hinzu kommt die Haftung nach objektiven Maßstäben nach Art. 147, 148 RD 1/2007 wegen mangelhafter Leistungserbringung. (3) Der Servicio de Salud haftet nach Art. 139. 3 des Gesetzes über die öffentliche Verwaltung, da der Schaden innerhalb der Aufgabenerfüllung der Verwaltung gegenüber dem Patienten eintrat und weder eine Duldungspflicht des Geschädigten noch ein Fall von höherer Gewalt vorlag.
Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in England & Wales
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A. Einleitung Ansprüche aus Haftung von Ärzten sind in der Regel Ansprüche bezüglich Schadensersatz für Personenschäden, einschließlich von Todesfällen. Hierbei sind viele prozessuale Aspekte, insbesondere die Einschätzung eines Schadens der Höhe nach, generell wie andere Ansprüche wegen Personenschäden, zu behandeln.
B. Wichtige Teilnehmer I. Der National Health Service („NHS“) Am 5. Juli 1948 entstand der National Health Service (NHS); er folgte auf die Verstaatlichung der Bank of England, der Bergbauindustrie, der Straßengüterverkehrsindustrie, der Eisenbahnen, Kanäle, und Stromindustrien. Dieses Modell war außerhalb der früheren Ostblockstaaten kaum bekannt. Die grundsätzlichen Prinzipien sind, dass der NHS zu 100 % aus öffentlichen Steuereinnahmen finanziert werden sollte, mit höheren Zahlungen von Personen, die ein höheres Einkommen hatten. Alle, einschließlich zeitweiliger Besucher in Großbritannien, sollten von diesem Service Gebrauch machen können. Die gesundheitliche Pflege wurde umsonst angeboten. Innerhalb von drei Jahren nach Einführung wurden allerdings feste Gebühren für Medikamente und zahnärztliche Behandlungen eingeführt, (ungeachtet des Preises des Medikaments usw.). Diese historische Entstehung muss man aus praktischen Gesichtspunkten kennen, um einige Folgerungen über die juristische Entwicklung ziehen zu können.
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II. Der „General Practitioner“ („GP“) Der normale Patient, der erkennt, dass er ein gesundheitliches Problem hat, welches ärztliche Betreuung benötigt, sucht einen sogenannten „General Practitioner“ oder „GP“ auf. Diese sind Hausärzte, die in der Nähe des Patienten ihre Praxis haben und dort tätig sind. Vor der Verstaatlichung im Jahr 1948 arbeiteten diese Ärzte meist allein von zu Hause. Die Tendenz heutzutage ist, dass sie in größeren Arbeitsgemeinschaften tätig sind. Diese Arbeitsgemeinschaften beschäftigen auch Krankenpfleger, die für gewisse Behandlungsmethoden geeignet sind. Durch eine solche gemeinschaftliche Praxis ist eine 24-Stunden Deckung eher gewährleistet. Die zwei wichtigsten Rollen des General Practitioner sind: 1. Er fungiert sozusagen als Anmelder/Rezeption für den NHS. 2. In Fällen, wo zusätzlich ein oder mehrere medizinische Spezialisten benötigt werden, nimmt der G.P. eine Weiterverweisung an diese Spezialisten oder an ein Krankenhaus vor. Der General Practitioner behält die medizinischen Unterlagen über den Patienten, die im Prinzip das gesamte medizinische Leben des Patienten abdecken. 3. Die Entstehung des NHS und seine Entwicklung seit 1948 liefen parallel mit dem dramatischen Zuwachs von pharmazeutischen und medizinischen Produkten, sowie den riesigen Fortschritten in chirurgischen Prozeduren, wie z.b. bei künstlichen Hüften und Knien, als auch die Möglichkeiten, z.b. Herzoperationen vorzunehmen. Man sagt, dass anstatt der Patienten von damals, die jung und billig starben, die jetzigen Patienten viel später und teurer sterben. Es wird behauptet, dass etwa die Hälfte der lebenslänglichen Kosten eines Bürgers für den NHS in den letzten ein bis zwei Monaten des Lebens anfallen. Das Erfordernis, eine 24-Stunden Deckung durch Spezialisten zu haben, bedeutet heutzutage auch, dass man fünf Spezialisten haben muss, wo früher einer genügte. 4. Um die daraus resultierenden Kosten einigermaßen einigermaßen unter Kontrolle zu halten, entstanden gewisse Organisationen, z.b. NICE, das „National Institute for Clinical Excellence“. Diese entscheiden: a) was eine angemessene Behandlung für Patienten mit speziellen Erkrankungen ist; b) ob Prozeduren, die für Diagnose und Behandlung genutzt werden, adäquat funktionieren, und c) ob ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Behandlung für den NHS in England und Wales angemessen ist.
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Als Folge dessen kann es vorkommen, dass gewisse teurere Medikamente nicht im Rahmen des NHS für Patienten in England und Wales genutzt werden dürfen. In Schottland dagegen, welches dem NICE-System nicht unterliegt, bezahlt der NHS das gleiche Medikament. Der NHS ist Arbeitgeber von 1,3 Millionen Personen im Vereinigten Königreich, davon sind ca. 400.000 Krankenpfleger. Aus dem Vorgenannten ergibt sich, dass in den letzten 60 Jahren die meiste Erfahrung auf dem Gebiet der ärztlichen Haftung innerhalb dieses staatlichen Systems gesammelt wurde, und deshalb wird sich dieser Vortrag hauptsächlich auf das NHS-System konzentrieren.
C. Zwei Arten von Beklagten Es sind grundsätzlich zwei Arten von Beklagten in Arzthaftungsprozessen zu erwarten; der NHS und/oder die privaten medizinischen Dienstleister: I. Der NHS Seit Januar 1990 sind die verschiedenen NHS Trusts und Health Authorities haftbar für deliktische Pflichtverletzungen ihrer Arbeitnehmer (Ärzte, Krankenpfleger, und andere Beteiligte). Aus diesem Grunde ist es üblicherweise die NHS Trust oder Health Authority, welche als Beklagte benannt wird, und nicht der einzelne Mediziner. Seit 1995 ist die NHS Litigation Authority (NHSLA) verantwortlich für die Verteidigung von Ansprüchen aus Arzthaftung gegen Teile des NHS in England und Wales. Die NHSLA beschäftigt in England und Wales grundsätzlich 12 Kanzleien von Solicitors für die Verteidigung; meine Kanzlei gehört zu diesen zwölf. II. Die privaten medizinischen Dienstleister Private Krankenhäuser versichern sich durch private Haftpflichtversicherer der Versicherungswirtschaft. Diese Versicherungen decken aber nur die Arbeitnehmer des Krankenhauses. Spezialisten, die auf einer privaten Basis in einem privaten Krankenhaus arbeiten, müssen ihre eigene Haftung versicherungsmäßig abdecken. Für diese haftet das Krankenhaus nicht. Die meisten dieser Ärzte gehören einer der bekannten medizinischen Verteidigungsorganisationen, dem Medical Defence Union oder Medical Protection Society, an.
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D. Grundlage des Anspruchs des Anspruchsstellers; vertraglich oder deliktisch? Da wahrscheinlich kein vertragliches Verhältnis zwischen dem Patienten und den NHS Trust besteht (obwohl diese Frage nie gerichtlich entschieden worden ist), wird eine Forderung gegen den NHS grundsätzlich deliktisch, als „Negligence“, verfolgt. Sollte der Anspruchsteller den Anspruch auf mangelnde Zustimmung seitens des Patienten ausweiten, ist auch ein deliktischer Anspruch im Zusammenhang mit „Battery“ oder „Assualt“ vorstellbar. Ich werde mich in diesem Vortrag nicht mit möglichen strafrechtlichen Konsequenzen befassen. Anders verhält es sich im privaten Sektor, wo der Patient einen Vertrag mit dem privaten Krankenhaus abschließt. Hier wird der Anspruch nicht nur deliktisch, sondern auch, parallel, vertraglich verfolgt. I. Negligence Um „Negligence“ zu etablieren, muss der Patient dem Gericht gegenüber beweisen, dass: 1. dem Patienten eine Sorgfaltspflicht („duty of care“) duch den Beklagten (Krankenhaus oder Mediziner) geschuldet wurde, und 2. dass der Beklagte gegen diese Verpflichtung verstoßen hat, und 3. dass der Patient als Folge dieses Verstoßes gegen diese Pflicht einen Schaden erlitten hat. Wird eines dieser Kriterien nicht etabliert, scheitert in der Regel ein Anspruch auf der Basis von Negligence. II. Welchen „Standard“ muss der Mediziner erreichen? Ärzte unterliegen einer Pflicht, wo der Standard an medizinischen, nicht juristischen, Maßstäben eingeschätzt werden muss. Mediziner, nicht Juristen, setzen die Standards fest, die eine angemessene medizinische Praxis darstellen. Eine Pflichtverletzung wird nicht festgestellt im Falle eines Arztes, der gemäss angemessener medizinischer Praxis seinen Patienten behandelt. Dies gilt auch, wenn diese Praxis nur von einer Minorität von Medizinern verfolgt wird. Der zu erzielende Standard für „angemessene Sorgfalt“ hängt von der Art der unternommenen Aktivität ab, vom Ausmaß des entstehenden Risikos, und von der möglichen Ernsthaftigkeit der Kon-
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sequenzen wenn angemessene Sorgfalt nicht angewandt wird. Im Falle Balam v Friern Hospital Management Committee1 wurde die Basis für den Standard der Sorgfalt in Fällen von medizinischer „Negligence“ festgehalten. Im späteren fall Sidaway v Governors of Bethlehem Royal Hospital2 erklärte der Lord-Richter Scarman die Prinzipien von Bolam wie folgt: „Das Prinzip in Bolam kann man ausdrücken als Regel, dass ein Arzt keine „Negligence“ begeht, wenn er sich in einer Weise benimmt, die zum fraglichen Zeitpunkt mit einer Praxis übereinstimmt, welche durch eine verantwortliche Gruppe von medizinischer Meinung als angemessen akzeptiert wurde, auch wenn andere Ärzte eine andere Praxis adoptiert haben. Kurz gefasst wird das Gericht eine Pflicht der Sorgfalt feststellen; welchen Standard diese Sorgfalt erreichen muss, ist eine Frage der medizinischen Einschätzung.“ Entsprechend muss der Arzt sich in einer Weise benehmen, die übereinstimmt mit einem „verantwortlichen Ausmaß an Meinung“ („responsible body of opinion“). Ein Anästhesist, der angeblich einen Patienten pflichtverletzend behandelt hat, ist danach einzuschätzen, wie der Standard für eine verantwortliche Gruppe von Anästhesisten ist. Es kann also genügen, wenn ein Anästhesist nur einen einzigen Sachverständigen auf dem Gebiet findet, der sein Handeln als angemessen betrachtet. Allerdings ist es eine Ermessensfrage, ob unter Umständen, wo nur ein einziger anderer Anästhesist die gleiche Meinung vertritt wie der Beklagte, und alle anderen dies bestreiten, man den Vorgang tatsächlich zu einem Trial kommen lässt. Ein Arzt muss aber immer übliches Können ausüben und muss auch davon ausgehen, dass eine oft angewandte Praxis trotzdem, unter gewissen Umständen, die Voraussetzungen der sogenannten „Negligence“ erfüllen kann. III. Kausalität Ein Anspruchsteller kann zwar die Voraussetzungen von „Negligence“ bei einer Behandlung etablieren, aber er muss auch in den meisten Fällen eine Kausalität zwischen dieser und dem Schaden nachweisen. Es obliegt dem Patienten, nachzuweisen, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% die pflichtverletzende Tätigkeit den Schaden herbeigeführt hat. Eine Ausnahme besteht im Zusammenhang mit der Aufklärungspflichtverletzung. Ich mach vorsorglich darauf aufmerksam, 1 2
[1957] 2 All ER 118. [1985] 1 All ER 643.
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dass ich hier teilweise wortwörtlich aus einem hervorragenden Artikel von Professor Dr. Deutsch über die internationale Dimension des Medizinrechts3 zitiere. Professor Deutsch gibt an, dass in Deutschland „die Aufklärungspflichtverletzung vor das weitere Problem gestellt hat, ob der Patient bei erfolgter Belehrung den Eingriff auch wirklich abgelehnt hätte. Das führt zur Frage der psychischen Kausalität, nämlich, ob zu berücksichtigen sei, dass der Patient vielleicht die Operation doch hätte durchführen lassen.“ Das höchste englische Gericht hat in der Entscheidung Chester v Afshar4 zur Frage, ob die Patientin beim Hinweis auf die schwere Folge, den Eingriff nicht vorgenommen hätte, entschieden, (allerdings nur mit einer Mehrheit von 3:2, mit starken abweichenden Sprüchen von zwei der höchst angesehenen Lord-Richter), dass es nicht auf die Psyche des Aufzuklärenden ankomme, sondern auf die Verpflichtung des Arztes. IV. Loss of Chance Im Falle eines Anspruchstellers, der sich einer medizinischen Behandlung unterzogen hat, um eine Krankheit zu lindern, oder zu heilen, muss man den zugrunde liegenden Zustand berücksichtigen, und ob dies eine volle Genesung in jedem Falle gehindert hätte. „Loss of Chance“ kann zutreffen, wenn ein Anspruchsteller eine bessere oder volle Genesung hätte erreichen können (beispielsweise, weil die Behandlung von Krebs verzögert wurde)5. V. Aufklärungspflicht Für jegliche medizinische Behandlung, die eine Berührung des Patienten beinhaltet, ist auch dessen Zustimmung erforderlich. Die Zustimmung des Patienten am Anfang jeglicher Behandlung ist, außer in Notfällen, notwendig; ansonsten riskiert der Behandelnde zivile Ansprüche aus sogenanntem „Battery“, und sogar strafrechtliche Konsequenzen. 1. Form der Zustimmung
Schriftliche Zustimmung bietet zwar den klarsten Nachweis, dass der Patient den Schritten zugestimmt hat, und wird deshalb vom NHS vorgezogen. Notwendige Formulare sind zentral ausgearbeitet worden. Liegt die Unterschrift des Patienten auf diesem Formular vor, ist es in der Regel schwierig 3 4 5
Versicherungsrecht, 1. August 2008. [2004] 3 WLR 927 (HL). siehe zebu. Gregg v Scott [2005] 2 AC 176 (HL).
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für den Patienten, nachzuweisen, dass er keine Zustimmung erteilt hat. Aber, wenn ein Patient in der Tat seine Zustimmung nicht erteilt hat, wird die Behandlung widerrechtlich gewesen sein, auch wenn der Patient unterzeichnet hat. Denn die Realität siegt über das Geschriebene. Dafür ist es nicht immer notwendig, dass die Zustimmung schriftlich, oder gar ausdrücklich, vorliegt. Es ist möglich, eine Zustimmung zu implizieren, wenn aus Umständen klar hervorgeht, dass der Patient die Behandlung akzeptiert und der Behandlung zugestimmt hat. Wenn ein Patient gebeten worden ist, sich auszuziehen, um den Arzt eine Untersuchung zu ermöglichen, ist die Tatsache des Entkleidens ein Anzeichen der Zustimmung. 2. Gültigkeit der Zustimmung
Die Gültigkeit der Zustimmung ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Die Zustimmung muss „echt“ sein. Dazu müssen Patienten kompetent und in der Lage sein, diese Zustimmung zu erteilen. Sie müssen wenigstens auf einer breiten Basis wissen, wozu sie ihre Zustimmung erteilen, und müssen die Zustimmung frei, und ohne irregeführt worden zu sein, erteilen. Die Grundsatzregel ist, dass es einem Mediziner erlaubt ist, anzunehmen, dass der Patient in der Lage ist, eine Behandlung zu akzeptieren oder abzulehnen. Die Tatsache, dass ein Patient dem Mediziner gegenüber den Eindruck gibt, eine schlechte Entscheidung gewählt zu haben, ist nicht alleine ein Beweis der fehlenden Kapazität des Patienten, eine Entscheidung zu treffen. Das Gericht stellte in F v West Berkshire Health Authority6 fest, dass ein Patient in der Lage sein sollte, zu verstehen, was mit ihm geschehen wird, wenn dieser die Behandlung akzeptiert, ihm die wahrscheinlichen Konsequenzen, wenn der Zustand unbehandelt gelassen wird, dargelegt werden, und ihm die Risiken und Nebenwirkungen durch den Mediziner erklärt werden. 3. Einverständniserklärung („Informed Consent“)
Wie viel Information sollte dem Patienten gegeben werden? Nach englischem Recht ist es nicht notwendig, dass die Patienten vollständig informiert werden. Doch wenn Mediziner Patienten in einer Weise beraten, die von anderen Medizinern nicht als angemessen betrachtet wird, besteht das Risiko eine Pflichtverletzung. Im Falle Sidaway wurde argumentiert, dass Patienten das Recht haben, eine Entscheidung zu treffen, was mit ihnen geschieht, Das House of Lords war der Auffassung, dass dies allein nicht genügt, sondern ein weiteres Recht bestand, über diese „materiellen Risi6
[1989] 2 WLR 1025.
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ken“ informiert zu werden. Ob ein solches Risiko „materiell“ ist, wird nach dem Prinzip festgestellt, ob „eine angemessene Person in der Position des Patienten das Risiko als bedeutend eingeschätzt hätte“. 4. Unzurechnungsfähige Patienten
Wenn ein Patient geistig nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, dann muss der Mediziner im besten Interesse des Patienten agieren. Wiederum ist die Einschätzung die eines „responsible body of professional opinion“. 5. Minderjährige Patienten
Bis zum Alter von 18 Jahren dürfen Eltern die Zustimmung für ihre Kinder geben. Allerdings kann ein Kind unter 18 Jahren doch die Kompetenz haben, eine Zustimmung zu erteilen, wenn es genügendes Verständnis und Intelligenz hat, das Vorgeschlagene voll zu verstehen7. 6. Unangemessene Beeinflussung („Undue Influence“)
Eine Zustimmung, die aus einer unangemessenen Beeinflussung entstammt, wäre nicht freiwillig und wäre ungültig. Wo eine junge Frau dem Krankenhauspersonal mitteilte, als sie nach einem Verkehrsunfall keine Bluttransfusion haben wollte, nachdem sie mit ihrer Mutter, einer Zeugin Jehovas gesprochen hatte, wurde entschieden8, dass, obwohl man erwarten konnte, dass eine Patientin Ratschläge einholen würde, ehe sie ihre Entscheidung fasste, die Behandlung zu akzeptieren, es trotzdem möglich war, dass der Wille der Patientin durch Druck von anderen, in diesem Fall der Mutter der Patientin, überstimmt werden könnte. In jenem Fall entschied das Gericht, dass die Ablehnung der Behandlung ungültig war. 7. In Notfällen ist eine Behandlung ohne Zustimmung erlaubt, wenn es im besten Interessen des Patienten geschieht. VI. Vertraulichkeit/Schweigepflicht Eine generelle Vertraulichkeitspflicht besteht zwischen dem Patienten und denen, die ihn als Patienten behandeln, damit ein Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und behandelndem Arzt entstehen kann. 7 8
Gillick v West Norfolk & Wisbech Area Health Authority [1985] 3 All ER 402. Re T [1992] 4 All ER 649.
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In außergewöhnlichen Umständen ist dieser Pflicht aber nicht zu folgen:
In Zivilverfahren besteht in England eine Offenlegungspflicht. Ein Patient, der sich beschwert, oder eine Klage führt, gibt implizit die Zustimmung dazu, dass seine medizinischen Unterlagen usw. an die Anwälte, die die Beklagten vertreten, offenbart werden. Gewisse Krankheiten sind dem Public Health Authority gesetzlich zu melden. Innerhalb eines Teams von medizinischen Mitarbeitern innerhalb einer Praxis, Partnerschaft oder einem „Consultant Team“ dürfen Informationen verbreitet werden.
VII. Offenlegung der medizinischen Unterlagen Wenn eine Forderung wegen Haftung aus medizinischer Behandlung zuerst untersucht wird, wird der Kläger ein Formular unterzeichnen, welches seinem Interessenvertreter und den Interessenvertretern der Gegenseite Zugang zu allen relevanten Notizen und Unterlagen erlaubt. Die Offenlegung wird in der Regel beschränkt auf eine Anzahl von Einzelpersonen, z.b. auf die Anwälte der Parteien und auf die Sachverständigen. Im Laufe des Verfahrens kann es vorkommen, dass ein Arzt wünscht, gewisse medizinische Unterlagen zurückzuhalten. Eine Offenlegung kann beschränkt werden auf bestimmte Sachverständige. 1. Im Verfahren weiterlaufende Verpflichtung der Offenlegung
Auch Unterlagen, die während der Laufzeit des Prozesses entstehen oder in die Hände der Parteien gelangen, unterliegen der Offenlegungspflicht. Dies betrifft insbesondere Unterlagen über den Anspruchsteller und seine medizinische Situation bzw. sein Einkommen usw.
E. Verjährung I. Grundsatz Es bestehen für Arzthaftungsansprüche keine besonderen Verjährungsregeln; sie unterliegen den üblichen Regeln, die bei Personenschäden bzw. Todesfällen Anwendung finden. In den meisten Fällen hat der Patient 3 Jahre ab Datum des Entstehens seines Anspruchs (üblicherweise Datum
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des Vorfalls) oder 3 Jahre ab „Datum der Kenntnis“, innerhalb welcher Klage zu erheben ist. II. Ausnahmen
Der Patient stirbt vor Ablauf der Verjährungsperiode. Sein Nachlass kann innerhalb von 3 Jahren ab Sterbedatum bzw. „Kenntnis“ durch den Nachlassverwalter Klage erheben. Der Patient stirbt als Folge der angeblichen Pflichtverletzung. Die vom verstorbenen abhängigen Personen können innerhalb von 3 Jahren ab Datum von „Kenntnis“ oder von 3 Jahren ab Todesdatum oder von 3 Jahren von Kenntnis durch den Nachlassverwalter klagen. Wenn der Kläger nicht voll geschäftsfähig – z.b Minderjährige oder Geschäftsunfähige – ist, läuft die Verjährungsperiode nicht während des Zeitraums, bis die Geschäftsfähigkeit eintritt. Minderjährige werden mit 18 Jahren geschäftsfähig und ab dann läuft die Verjährungsperiode, vorausgesetzt, dass der Kläger die notwendige „Kenntnis“ hat. Sollte er diese nicht haben, läuft die Verjährungsperiode erst ab „Kenntnis“. Trotzdem können Eltern oder Vertreter einer nicht geschäftsfähigen Person eine Klage für diese Person einreichen. Wenn eine Person aus geistigen Gründen permanent nicht geschäftsfähig ist, fängt die Verjährungsperiode nur mit Ableben der Person an, zu laufen. Entsprechend können viele Jahre nach den tatsächlichen Behandlungen Klagen eingereicht werden. Auch wenn die Verjährungsperiode abgelaufen ist, steht dem Gericht ein Ermessensspielraum zu, den Eintritt der Verjährung bei Personenschäden und Todesfällen nicht anzuwenden. Entsprechend sollten Unterlagen über einen sehr langen Zeitraum aufbewahrt werden.
III. Was ist die notwendige „Kenntnis“? Section 14 des Limitation Act 1980 setzt fest, dass tatsächliche „Kenntnis“ (nicht alleine „angemessener Glaube“ oder „Verdacht“), von folgendem besteht:
dass die Verletzung bedeutend ist; dass die Verletzung teilweise oder gänzlich einer Tätigkeit oder einem Unterlassen, welche angeblich „Negligence“ oder Pflichtverletzung darstellen soll, zuzuordnen ist; und der Identität des Beklagten.
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F. Pre-action Protocol (Clinical Negligence) Die Zivilprozessordnung in England erwartet, dass die Parteien einem “pre-action Protocol” vor Einreichung der Klage sollen. www.justice.gov.uk/civil/procrules-fin/contents.protocols/prot.rtc.htm
Gemäss „Protocol“ sind die medizinischen Unterlagen innerhalb von 40 Tagen vorzulegen. Das Anspruchsschreiben muss in einem vorgeschriebenen Format erfolgen und so viele Einzelheiten wie möglich über die Vorwürfe, die gemacht werden, die erlittenen Verletzungen und den Anspruch auf Schadensersatz enthalten. Das Antwortschreiben, welches innerhalb von 3 Monaten ab Datum des Erhalts des Anspruchschreibens fällig ist, sollte auch detailliert sein. Es soll Informationen, die sich aus der Untersuchung durch den Beklagten bzw. durch unabhängige Sachverständigenbeweise ergeben, beinhalten. Das Antwortschreiben muss ausdrücklich sagen, ob die Gesamtforderung oder nur ein Teil akzeptiert oder bestritten wird.
G. Klage (das Gerichtsverfahren) Da das Beweismaterial in dieser Art vom Fall üblicherweise nicht einfach ist, und dass Gericht die Aussagen von unabhängigen Sachverständigen sowie Tatsachenzeugen hören wird, werden solche Ansprüche dem „multitrack“ zugeordnet. Im County Court wird der Fall von einem District Judge vor dem Trial behandelt: der Trial findet in einem Trial Centre statt. Im High Court sind dem Verfahren zwei spezifische Masters zugeordnet, um die Schritte vor dem Trial zu überwachen. Der Trial findet ohne Jury vor einem Einzelrichter statt. Der Einzelrichter muss keine Erfahrung in Arzthaftungsfällen – oder gar Personenschadenfällen – haben. Er ist deshalb manchmal auf Unterstützung durch die Anwälte angewiesen. I. Zeugen über Tatsachen Vom Gesichtspunkt des Beklagten ist es wichtig, zum Zeitpunkt der ersten Geltendmachung seines Anspruchs Untersuchungen zu veranlassen, die die betroffenen Mediziner identifizieren sollten, in dessen Obhut der Patient war. Eingehende Zeugenaussagen sollen von diesen alsbald wie möglich genommen werden. Manchmal ist es schwierig, alle relevanten Kollegen aus den medizinischen Unterlagen zu identifizieren. Es mag sein, dass
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sich diese nur identifizieren lassen, wenn ein Interview mit anderen Zeugen stattfindet. Es ist wichtig, alle Zeugen aufzuspüren, ungeachtet, wie unbedeutend deren Rolle ist. II. Sachverständige Unabhängige medizinische Sachverständige sind äußerst wichtig für Ansprüche aus medizinischer Haftung. Bei Zustellung einer Klage verlangt unsere Zivilprozessordnung, dass der Kläger dieser (unter anderen Unterlagen) ein medizinisches Sachverständigengutachten beilegt, welches den jetzigen gesundheitlichen Zustand und eine Prognose enthalten muss. Folglich wird der Sachverständige des Anspruchstellers zu einem frühen Zeitpunkt die medizinischen Unterlagen sehen wollen. Dies wird ihm erlauben, festzustellen, ob der Anspruchsteller tatsächlich einen Anspruch hat. Sein Bericht wird der Klageschrift beigelegt. Auch der Beklagte wird einen oder mehrere unabhängige medizinische Sachverständige zu einem frühen Zeitpunkt eingeschaltet haben, um die Antwort auf das Anspruchsschreiben in einer detaillierten Form zu verfassen. Dadurch weiß der Beklagte zu einem sehr frühen Zeitpunkt, ob er eine Pflichtverletzung begangen hat, und, ob die Verletzung kausal für den jetzigen Zustand des Anspruchstellers ist. Öfters müssen verschiedene Sachverständige eingeschaltet werden, um für Fragen der Pflichtverletzung und der Kausalität Antworten vorzubereiten. Sachverständige über Schaden der Höhe nach, z.b. Wirtschaftsprüfer, sind auch u.u. notwendig. Es mag sein, dass die Tatsachenzeugen des Beklagten gleichzeitig angesehene Experten in deren besonderen Gebieten sind, und deswegen deren Aussagen mehrdeutig sein können. Das Gericht kann zulassen, wenn ein Beklagter sich auf Tatsachenzeugen verlassen hatte, die auch als Sachverständige zu betrachten waren, dass dem Kläger erlaubt war, zwei Sachverständige für jeden einzelnen Sachverständigen des Beklagten zu hören9.
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Chesterfield v North Derbyshire Royal Hospital NHS Trust (2003) EWCA Civ 1284.
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H. Ausblick Alle Regierungen unseres Landes, ungeachtet der politischen Gesinnung, sind darüber besorgt, wie die Kosten von Ansprüchen aus medizinischer Haftung wachsen. Viele Schritte werden unternommen, um die Kosten, besonders die Rechtskosten, einzuschränken. Obwohl die Möglichkeit einer „verschuldenslosen“ Entschädigungssystematik öfters erwägt wurde – wo natürlich die Notwendigkeit von Rechtsbeiständen entfallen würde – ist diese bisher noch nicht zustande gekommen.
Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Dänemark: Patientforsikring – verschuldensunabhängige Haftung im dänischen Gesundheitswesen
Klaus Fischer Cross Border Treatment – der erste Teil unseres Themas – ist an der deutsch-dänischen Grenze schon seit Jahren Realität. So wird aufgrund einer Vereinbarung mit der Region Sydjylland1 das Malteser Krankenhaus in Flensburg in die Grundversorgung bei der Strahlenbehandlung von Patientinnen mit Brustkrebs einbezogen. Das Klinikum Nordfriesland führt in seinem Niebüller Krankenhaus aufgrund einer ähnlichen Vereinbarung geburtshilfliche Behandlungen für Schwangere aus dem Bereich Tondern durch. Die Ostseeklinik Damp sorgt für eine Verkürzung der Wartelisten bei orthopädischen Operationen, und die ihr übergeordnete Holding hat in Tondern, Dänemark, eine Privatklinik errichtet, die etwas mühsam aber inzwischen wohl in ausreichendem Maße Zuweisungen auf Kosten der dänischen Sygesikring, der steuerfinanzierten staatlichen Kranken(ver)sicherung, vertraglich absichern konnte. Die Flensburger Feuerwehr leistet in den grenznahen dänischen Gebieten Rettungseinsätze und liefert zumindest einen Teil der Notfallpatienten in die Flensburger Krankenhäuser ein.2 Umgekehrt nehmen bei akutem Behandlungsbedarf Grenzpendler und Touristen die Leistungen des dänischen Gesundheitswesens in Anspruch. Diejenigen Deutschen, die ihren Wohnsitz in Dänemark genommen haben 1
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„Region“ bzw. vor der Kommunalreform „Amt“ ist die regionale und Verwaltungsebene oberhalb der Kommunen, ähnlich Kreis oder Landkreis in unserer kommunalen Selbstverwaltung. Irene A. Glinos, Rita Baeten: A Literature Review of Cross.Border Patient Mobility in the European Union, September 2006, www.ose.be, S. 27 ff; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 15/2232, Bericht der Landesregierung vom 02.11.2005; Grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.
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– und auch das sind nicht wenige – sind auf die von der Sygesikring vorgegebenen Behandlungsangebote angewiesen. Viele deutsche Krankenschwestern und Ärzte pendeln oder wandern nach Dänemark wegen der dort deutlich besseren Bezahlung und sonstigen Arbeitsbedingungen wie z.B. geregelten Arbeitszeiten. Alles andere als europäisch stehen sich an dieser deutsch-dänischen Grenze jedoch Haftungssysteme gegenüber, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Das deutsche Haftungsrecht kennen Sie. In das dänische – welches einige Parallelen zu den Systemen in Norwegen und Schweden aufweist – werde ich hier einführen. Den südlich der Grenze arbeitenden Anwalt beschäftigt das dänische Haftungsrecht teils als Vertreter hier lebender in Dänemark geschädigter Patienten, teils in Fällen der möglichen Kumulation/Konkurrenz deutscher Schadensersatzansprüche mit dänischen Patientenversicherungsansprüchen, teils bei Fragen der Anrechenbarkeit dänischer Schadensersatzleistungen bei Sozialleistungen mit Bedürftigkeitsprüfung nach deutschem Recht und bei Fragen des Regresses von Sozialversicherungsträgern. Ich möchte Sie einstimmen mit einem hier selbstverständlich anonymisierten Fall, den ich seit Jahren interessiert begleitet habe, und an dem ich die Unterschiede im Ablauf der Bearbeitung erleben konnte. Ich werde, bevor ich die Anspruchsgrundlagen referiere, kurz die Hintergründe der heutigen Versicherungslösung darstellen. Die materiellen Grundlagen der Haftung bei Schäden aus Heilbehandlungen stellen eine Seite dieser Versicherungslösung dar, die ich im Einzelnen referieren werde. Die Kehrseite der Medaille ist die Bemessung der Schadensersatzansprüche, die allerdings im Zusammenspiel von dänischem Sozialrecht und Schadensersatzrecht bei Personenschäden doch nicht zu relativ günstigen Ergebnissen führen kann, bei in Deutschland lebenden Geschädigten jedoch erhebliche Lücken offen lässt. Untrennbar verbunden mit der Versicherungslösung ist ein besonderes formelles Recht, welches – schon angefangen bei der Sachbearbeitung in Schadensfällen – geradezu krasse Unterschiede zum hiesigen Recht aufweist, und welches Gedanken an ein „Forum-Shopping“ eher abkürzen wird. Ich werde nach einer vergleichenden Bewertung schließlich der Frage nachgehen, wie wir deutschen Mandanten, die in Dänemark einen unglücklichen Behandlungsausgang erlebt haben, oder dänischen Mandanten, denen derartiges in Deutschland passiert ist, weiterhelfen können.
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Fallbeispiel: Jens – heute 4 Jahre alt, schwere Cerebralparese nach perinataler Asphyxie Anja Müller und Peter Hansen (alle Namen und Orte abgewandelt), beide Pädagogen, sie aus Celle, er aus Flensburg, leben seit Studienzeiten zusammen, haben dann Arbeit in einer Einrichtung der deutschen Minderheit in Apenrade gefunden, erwerben günstig einen Resthof außerhalb Apenrades und sie wird schwanger. Der Schwangerschaftsverlauf ist zunächst unauffällig. Auch eine Hebamme hat sich schon um Anja gekümmert, mit ihr eine möglichst natürliche Geburt, gerne auch als Hausgeburt, abgesprochen, als es in der 36. SSW zu vorzeitiger Wehentätigkeit und Blasensprung kommt. Anja lässt sich ins nächstgelegene Kommunehospital fahren, dorthin kommt auch die Hebamme, die Wehen werden stärker, die Hebamme redet ihr gut zu, mag aber aufgrund des Vorgesprächs nicht so viel Technik einsetzen. Die Abstände der Wehen werden immer kürzer, kaum Wehenpausen, aber es geht nicht voran, und nach einiger Zeit ruft die Hebamme einen Arzt herbei, der ein CTG anschließt, schwere Dezellerationen sieht und dann vaginaloperativ nachhilft. Jens kommt blau und leblos zur Welt, wird reanimiert und auf der Kinderstation intensivmedizinisch versorgt, es treten aber die typischen Zeichen eines schweren hypoxischen Hirnschadens auf. Nach 8 Wochen ist sein Zustand so stabil, dass die inzwischen auch sorgfältig angeleiteten Eltern ihn nachhause nehmen können. Bei der Entlassung werden sie zu einem Gespräch ins Dienstzimmer gebeten, wo ihnen alle einschließlich Hebamme, die ihre Vorgehensweise in jeder Hinsicht für standardgerecht hält, ihr Bedauern über den unglücklichen Behandlungsausgang versichern und ihnen ein Formular aushändigen mit dem Hinweis: „Und damit könnt Ihr dann die Ersatzansprüche für Jens anmelden.“ Anja und Peter senden das ausgefüllte Formular zum Patientforsikringsforenin (Patientenversicherungsverein) nach Kopenhagen. Von dort erhalten sie diverse Zwischennachrichten und dann etwa 7 Monate später sinngemäß den Bescheid: Patientforsikringsforening sieht nach Einholung eines Gutachtens des Oberarztes Andersen aus Ålborg, dass ein erfahrener Spezialist in der geburtshilflichen Situation früher eine Überprüfung des fetalen Zustands vorgenommen hätte und dann durch intrauterine Reanimation und früheres aktives Vorgehen die Schädigung des Kindes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hätte verhindern können. Das Kind ist daher dem Grund nach schadensersatzberechtigt. Als ich auf den Fall angesprochen werde, schicke ich die Eltern zu einem auf Personenschäden spezialisierten Kollegen in Århus. Der versi-
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chert den Eltern, dass er den Fall interessant finde, und erklärt ihnen, dass sie ihn gerne wieder aufsuchen dürfen, wenn Patientforsikringsforeningen mal irgendwelche Schwierigkeiten mache. In den Folgejahren werden Teilansprüche festgesetzt. Inzwischen ist anerkannt, dass es sich um einen Schwerstschaden mit maximalen Leistungen handelt.
A. Hintergründe für die Einführung der Patientforsikring Das dänische außervertragliche Schadensersatzrecht – und allein diesem Bereich wird die Arzthaftung und Krankenhaushaftung nach dort herrschender Meinung zugerechnet – ist hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen nicht bzw. nur für die typischen Teilbereiche wie Eisenbahnhaftung, Kraftfahrzeughaftung oder später Produkthaftung kodifiziert. Eine allgemeine gesetzliche Haftungsgrundlage wie unsere §§ 823 ff BGB gibt es nicht. Dennoch sind natürlich durch Case-Law auf der Basis der im Dänischen so genannten Culpareglen (Verschuldensregel) ganz ähnliche Grundlagen herausgearbeitet worden, wie das auf der Basis der §§ 823 ff BGB ja auch nicht in allen Einzelheiten vorformulierte Recht der unerlaubten Handlungen.3 Im Arzthaftungsbereich stießen die nach der Culpareglen herausgearbeiteten Grundsätze in zweierlei Hinsicht auf Grenzen, die wir wieder erkennen müssten: Zum einen wurde die Grenzziehung zwischen schuldhaft verursachten Schäden und schicksalhaftem Verlauf als schwierig empfunden. Zum anderen wurden die schwer überwindbaren Kausalitätsprobleme gesehen. Auch in Dänemark hatten die Instanzgerichte und das Oberste Gericht (Højsteret) Beweiserleichterungen einzuführen versucht.4 Diese Ansätze wurden in der Öffentlichkeit und in der Politik jedoch nicht als ausreichend betrachtet. Und die Situation, dass Patienten, die meinten, während einer oder durch eine Behandlung geschädigt worden zu sein, sich mit jahrelangen Rechtsstreitigkeiten und oft unüberwindbaren Kausalitätsproblemen konfrontiert sahen, gab Anlass, auch mit Blick auf die be3
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Bo von Eyben, Helle Isager: Lærebog i erstatningsret 6. Auflage, Kopenhagen 2007, S. 23 ff. einen Hinweis auf diese Ansätze vor Einführung der Patientforsikring finden wir in der Entscheidung des Obersten Gerichts vom 02.05.2002, II 574/1999, Ugeskrift for Retsvæsen 2002, 1690, 1697 f; ich werde im folgenden die dänische Zitierweise übernehmen, die hier lautet: U2002.1690H – das U für Ugeskrift for Retsvæsen, das H für Højsteret, während die beiden Landgerichte Ø für Østre Landsret und V für Vestre Landsret bezeichnet werden.
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reits eingeführten Spezialgesetze anderer skandinavischer Staaten eine Versicherungslösung zu beraten.5 Ein Ziel war es dabei, den Patienten einen schnelleren und leichteren Zugang zu Ersatzansprüchen zu sichern. Außerdem versprach man sich von einer solchen Lösung, die das Verschulden des Arztes bei der Formulierung von Ersatzansprüchen in den Hintergrund treten lassen sollte, dass so das Arzt-Patienten-Verhältnis weniger belastet würde.6 Diese Ziele sollten zugleich durch eine außergerichtliche Sachbearbeitung gesichert werden, die den Sachverhalt zügig ermittelt und unabhängig vom jeweiligen Versicherer oder Selbstversicherer unter der Regie eines dazu gegründeten Vereins, des Patientforsikringsforening, entscheidet.7 Materielles Recht und das besondere Verfahrensrecht der Bearbeitung von Arzthaftungssachen haben in der Folgezeit gleichermaßen zum Erfolg und zur Akzeptanz der Patientforsikring beigetragen. Mit dem Gesetz über die Patientforsikring vom 06.06.1991 wurde diese Versicherungslösung zunächst ab 01.01.1992 für den stationären Sektor eingeführt, genauer gesagt: für die öffentlichen Krankenhäuser und solche Krankenhäuser, die mit der öffentlichen Hand Betriebsvereinbarungen abgeschlossen hatten. Da das steuerfinanzierte und im wesentlichen von den Regionen getragene öffentliche Gesundheitswesen Privatkliniken nur als Ausnahme und kommunale Krankenhäuser als die Regel kennt, und da die Behandlung in Privatkliniken auf Kosten der Sygesikring (Krankenversicherung) Vereinbarungen mit den Kommunen voraussetzt, war der stationäre Sektor mit Ausnahme von weniger Selbstzahler-Privatkliniken erfasst. Die Beschränkung auf den öffentlich bezahlten stationären Sektor war ein politischer Kompromiss, der nach fünf Jahren Erfahrung überprüft werden sollte. Daher wurde 1996 vom Folketing (dem dänischen Parlament) ein Ausschuss eingesetzt, der die bisherigen Erfahrungen auswerten und Vorschläge für die Weiterentwicklung unterbreiten sollte. Dessen Bericht aus dem Jahre 1997 zog eine überwiegend positive Bilanz und empfahl eine Ausweitung auf alle Krankenhäuser und auf den ambulanten Sektor.8 Diesen Schritt hat das Folketing dann aber erst durch Gesetzesänderung zum 01.01.2004 vollzogen und nun nicht nur alle Krankenhäuser sondern auch die ambulanten Leistungserbringer weitestgehend einbezogen, also niedergelassene Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Physiotherapeuten 5
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von Eyben, Isager, a.a.O. S. 350 ff; Betænkning om revision af lov om patientforsikring vom 05.11.1997, www.sum.dk/publikationer, Kapitel 2.1. von Eyben, Isager, a.a.O.. Betænkning, a.a.O., Kapitel 2.1. Betænkning vom 05.11.1997.
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usw., sofern sie von den Trägern der Sygesikring zugelassen sind. Auch bei der Behandlung im Ausland aufgrund von Verträgen zwischen den Regionen und Krankenhäusern z.B. in Schweden oder Deutschland wird der Versicherungsschutz seit der Auswirkung der Patientforsikring gewährt. Gleichzeitig wurde der Empfehlung des Ausschusses folgend eine frühere Einschränkung auf physische Schäden aufgegeben, so dass seit 2004 auch rein psychische Schäden umfasst sind. Das war wegen der Schwierigkeiten, die mit der Abgrenzung rein psychischer Schäden von seelischen Grunderkrankungen verbunden sind, sehr umstritten. Psychische Schäden als Folge eines Körperschadens waren dagegen schon nach altem Recht umfasst.9 Das Gesetz über die Patientforsikring ist 2005 unverändert als Kapitel 3 in das Gesetz über Klage- und Schadensersatzzugang innerhalb des Gesundheitswesens (abgekürzt in Dänemark: KEL10, so auch von mir im Folgenden zitiert) überführt worden. Geregelt sind dort im übrigen Arzneimittelschäden und Beschwerdemöglichkeiten über die Gesundheitsverwaltung z.B. bei verweigerten Leistungen. Bei Patientforsikringsforening sind im Jahr 2007 insgesamt 5.416 Anträge in Arzthaftungssachen eingegangen. 4.882 Fälle sind im Jahre 2007 entschieden worden, davon 30 % zugunsten der Patienten.11
B. Haftungsbestände der Patientforsikring Die Haftungstatbestände der Patientforsikring sind in § 20 KEL geregelt. Ich folge hier dem Aufbau des Gesetzes, das mit der Kausalität anfängt und sodann die einzelnen, insgesamt 4 haftungsauslösenden Tatbestände aufzählt:
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Betænkning vom 05.11.1007, Kapitel 2.2. Im Interesse der Mütter von perinatal schwer geschädigten oder verstorbenen Kindern hatte Patientforsikringsforeningen allerdings schon nach alter Gesetzeslage Mutter und Fetus als körperliche Einheit betrachtet und damit den psychischen Schaden der Mutter als Folge des am Fetus entstandenen Körperschadens subsumieren können. Lov om Klage – og Erstatningsadgang indenfor Sundhedsvæsenet – KEL. Patientforsikring: Årsberetning 2007, S. 25 ff; zur besseren Einordnung dieser Zahlen hier der Hinweis, dass die Einwohnerzahl in Dänemark bei knapp 5,5 Millionen liegt.
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I. (Fast) einheitlicher Kausalitätsmaßstab § 20 KEL wird wie folgt eingeleitet: „Schadensersatz wird geleistet, wenn der Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine der folgenden Weisen verursacht wurde.“
Überwiegende Wahrscheinlichkeit ist auch nach dänischer Rechtspraxis eine solche von mehr als 50 %. Schon dieses moderate Beweismaß wird als zentrales Element der beabsichtigten Verbesserung der Möglichkeiten von Patienten gesehen, Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Dieses Maß gilt grundsätzlich für alle Haftungstatbestände, es gibt also eigentlich keine zusätzlichen Beweiserleichterungen in Fällen, die wir als groben Behandlungsfehler ansehen würden. Ein Fall aus der Rechtsprechung12, bei welchem ich aus der Zusammenfassung des Tatbestands natürlich nicht erkennen kann, ob das Vorgehen nach unseren Maßstäben als fehlerhaft oder gar grob fehlerhaft gesehen werden könnte, mag die Grenzen dieser einheitlichen Beweiserleichterung verdeutlichen: Bei einer Schwangeren war bei Zustand nach Sectio die Geburt durch Prostaglandin eingeleitet worden. Es kam zur Uterusruptur und bei dem Kind zu einem schweren hypoxischen Hirnschaden. Patientforsikringsforening hat Ansprüche wegen fehlender Kausalität abgelehnt, der Beschwerdeausschuss hat sie dagegen zuerkannt - wohlgemerkt ohne dass irgendein Wort über Schuld verloren wurde – und das Østre Landsret hat die Entscheidung erneut abgeändert und die Ansprüche des Kindes abgewiesen. Das Landgericht hielt es nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass der Druck in der Gebärmutter durch die Prostaglandingabe höher war als bei einer Spontangeburt.13 Ich könnte mir vorstellen, dass diejenigen unter uns, die sich öfters mit Geburtschäden befassen, hier schon das Bedürfnis hätten, einen solchen Fall unter Verschuldensgesichtspunkten näher zu untersuchen und auch 12
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Eine allgemeine Bemerkung zur Rechtsprechung zur Patientforsikring: Wir müssen berücksichtigen, dass die Gerichte – d.h. bis Ende 2006 eines der beiden Landgerichte (Østre Landsret und Vestre Landsret) seit 2007 das Amtsgericht (Byret) als 1. Instanz und als weitere Instanz das Oberste Gericht (Højsteret) – immer erst angerufen werden, wenn schon eine von unterschiedlichen Interessengruppen besetzte außergerichtliche Beschwerdeinstanz (Patientskadeankenaevn = Patientenschadenbeschwerdeausschuss) die Entscheidung des Patientforsikringsforening überprüft hat. Urteil vom 11.11.2005, zitiert nach der Urteilszusammenstellung des Patientforsikringsforening, www.patientforsikringen.dk/loveogpraksis/domme, Stichwort PFL § 1 grundbetingelser.
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mit den Instrumenten der Beweislastumkehr bei grobem Behandlungsfehler und unter der Fragestellung evtl. Mitursächlichkeit oder mit der Differenzierung nach Kausalverlauf und hypothetischem Kausalverlauf durchzuprüfen. Derartige Überlegungen, wie sie im deutschen Recht entwickelt wurden, spielen in der dänischen Praxis jedoch eine untergeordnete Rolle. Dennoch wird im Zusammenhang mit Kausalitätsfragen gelegentlich doch Verschulden thematisiert. So hat das unstreitige Vorliegen eines Behandlungsfehlers das Oberste Gericht in einer Entscheidung vom 02.05.200214 dazu veranlasst, die Tatsachenfrage nach der überwiegenden Wahrscheinlichkeit mit Billigkeitserwägungen zu vermengen und hier entgegen dem Programm der Patientforsikring aber auf einer Linie mit der für den Patienten positiven Entscheidung des Patientforsikringsforening die Schuldfrage in die Kausalitätserwägungen mit einfließen lassen. Der klagende Patient war mit Symptomen einer cerebralen Durchblutungsstörung mit RTW in das Kommunehospital eingeliefert, nach unzureichender Diagnostik jedoch wieder nachhause entlassen worden. Zwei Tage später kam es zu einem manifesten Schlaganfall, eine Lysebehandlung war nicht mehr möglich. Es bestand Einigkeit, dass das Vorgehen in der Notfallambulanz fehlerhaft war. Die gerichtlich bestellten Gutachter konnten keine genauen Angaben zu den Chancen einer Vermeidung der schweren Folgen des Schlaganfalls machen, meinten aber, dass von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Vermeidung keine Rede sein könne. Das Oberste Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass „im Sinne des PatientforsikringsGesetz es überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Schaden, der dem Patienten widerfahren ist, in einem gewissen Umfang vermieden worden wäre, wenn er der optimalen Behandlung unterzogen worden wäre. Das Oberste Gericht legt Wert auf die Feststellung, dass das gegenteilige Resultat (…) gleichbedeutend damit wäre, dass ein Patient, der einer fehlerhaften Behandlung ausgesetzt ist, schlechter gestellt wäre als er es vor Einführung des Patientforsikrings-Gesetzes war (…). Eine solche Verschlechterung der Rechtsstellung des Patienten im Hinblick auf die Frage der Kausalität wäre nicht vereinbar mit dem, was in den Vorarbeiten zum Patientforsikring-Gesetz als wesentliches Ziel des Gesetzes angegeben wurde.“ Man muss daher schon die Fehlerqualität im Auge behalten, wenn es mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit knapp wird.15
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U2002.169H. Helle Bødker Madsen, Sundhedsret, Kopenhagen 2007, S. 292, drückt das so aus: „Die Vorschrift schließt nicht aus, dass in bestimmten Fällen andere Gesichtspunkte einbezogen werden können, die eine Beweiserleichterung bei der Kausalitätsfrage mit sich bringen können. Das gilt z.B. dort, wo ein klarer Feh-
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Und nun zu den vier Haftungstatbeständen, die ich der Reihenfolge nach abarbeiten werde, also zur Fortsetzung des oben zitierten Einleitungssatzes: II. Tatbestand 1: Der Maßstab des erfahrenen Spezialisten „1. Wenn angenommen werden muss, dass ein erfahrener Spezialist auf dem entsprechenden Gebiet unter der im übrigen gegebenen Umständen anders bei der Untersuchung, Behandlung o.ä. gehandelt hätte, wodurch der Schaden vermieden worden wäre.“
Vorab zur Klarstellung: Der letzte Halbsatz wird nicht als Aufhebung der Beweiserleichterung bei der Kausalität gelesen. Es geht also auch hier um die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schadensvermeidung. Dieser Tatbestand wirkt auf den ersten Blick wie unser Maßstab des Facharztstandards und wie ganz klassische Verschuldenshaftung bei Abweichen von diesem. Das hat auch der 1996 vom Folketing eingesetzte Ausschuss bemerkt und bedauert, dass Entscheidungen über Schadensersatz nach diesem Tatbestand von den Beteiligten und der Öffentlichkeit als Schuldfeststellung missverstanden würden. Das sei aber nicht der Fall. Während nach der Culpareglen des allgemeinen Schadensersatzrechts ein Verschulden dann angenommen wurde, wenn der betreffende Arzt den Standard eines durchschnittlichen Arztes nicht eingehalten habe, solle durch den Tatbestand der Nr. 1 kein Verschulden festgestellt werden, sondern Maßstab die optimale Behandlung in der konkreten Behandlungssituation sein.16 Das ist ein Maßstab, der über unseren „Facharztstandard“ hinausgeht. Wie viele Gutachten und darauf aufbauende Entscheidungen kennen wir, in denen dem beklagten Facharzt zugute gehalten wird, dass seine Vorgehensweise zwar nicht optimal aber noch „vertretbar“ oder „im Rahmen“ gewesen sei. Alle diese Fälle müssen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 KEL zu einem Schadensersatz führen, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schadensvermeidung dargestellt werden kann. Einfache Behandlungsfehler wären hier mit der Folge des erleichterten Kausalitätsbeweises ohne weiteres unterzubringen. Nur bei grobem Behandlungsfehler hätten wir – wie erwähnt – gegenüber dieser Vorschrift im deutschen Recht den Vorteil der Beweislastumkehr. Dass bei grob fehlerhaftem Vorgehen nach der oben zitierten Entscheidung des Obersten Gerichts vom 02.05.2002 und
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ler bei der Behandlung begangen wurde, der den Schaden verursacht haben kann.“ Betænkning vom 05.11.1997, Kap. 2.3.1..
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ach in der Sachbearbeitung des Patientforsikringsforening die Tendenz dahin geht, den Beurteilungsspielraum bei der Kausalität zu Gunsten des Patienten auszuschöpfen, hatte ich dargelegt. Wichtig ist bei dem Tatbestand Nr. 1, dass eine ex ante Betrachtung angestellt wird, und dass auch die in der konkreten Behandlungssituation verfügbaren diagnostischen und apparativen Voraussetzungen der Beurteilung zugrunde gelegt werden, also im kommunalen Krankenhaus in Frederikshavn nicht der optimale technische Standard des Rigshospital in Kopenhagen als Maßstab angelegt wird. Die Frage ist daher nicht, wie im Gesundheitswesen die optimale Behandlung aussehen könnte, sondern wie ein erfahrener Spezialist in der konkreten Situation mit den dort gegebenen Mitteln nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen gehandelt hätte.17 Als eine Option gehört hierzu gegebenenfalls auch, dass der erfahrene Spezialist den Patienten an ein anderes Krankenhaus überwiesen hätte.18 Für den ambulanten Bereich wird jedoch der Maßstab dahingehend relativiert, dass die Diagnostik und Behandlung durch einen Allgemeinmediziner nicht an den Möglichkeiten einer Spezialabteilung eines Krankenhauses gemessen wird sondern an „dem besten allgemein praktizierenden Arzt“.19 Etwas undeutlich bleiben die Kommentierungen jedoch bei der Frage, inwieweit kapazitätsbedingte Behandlungsdefizite als vorgegebene Umstände der Behandlungssituation hingenommen werden und somit Ersatzansprüche ausschließen. Helle Bødker Madsen nimmt an, Ressourcenbedingte Schäden wie z.B. solche, die aufgrund der Wartelisten (die dänische Variante der Priorisierung) eintreten, seien nicht von der Patientforsikring umfasst. Das gelte jedoch nicht, wenn die Möglichkeit bestünde, den Patienten an ein anderes Krankenhaus im In- oder Ausland zu verweisen.20 Als Beleg aus der Rechtssprechung verweist sie auf eine Entscheidung des Højsteret, nach welcher kein Anspruch gegen die Sygesikring auf in-vitro-Fertilisation bestehe21. Dabei handelt es sich m.E. jedoch um eine rein leistungsrechtliche Frage. Man wird aus meiner Sicht bei Schäden aufgrund zu langer Wartelisten dahingehend argumentieren können und müssen, dass ein erfahrener Spezialist bei dem betreffenden Krankheitsbild die Patientin/den Patienten gar nicht erst auf die Warteliste gesetzt, sondern vor-prioritiert hätte.
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Bødker Madsen, a.a.O., S. 293. a.a.O., S. 294. a.a.O. a.a.O., S. 291. U2000.1196H.
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Dort, wo die Regeln über maximale Wartezeiten für Krebspatienten überschritten wurden, hat Patientforsikring seit 2006 schon aus diesem Grunde Schadensersatzansprüche dann zuerkannt, wenn hierdurch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Schädigung ausgelöst wurde.22 Mein Einstimmungsfall des unter der Geburt geschädigten Jens wurde nach dem Tatbestand der Nr. 1 positiv entschieden. III. Tatbestand 2: Material- oder Geräteversagen Ich komme zum zweiten Tatbestand des § 20 Abs. 1 KEL: „2. wenn der Schaden verursacht wurde durch Fehler oder Versagen technischer Apparate, Gerätschaften oder sonstiger Ausrüstung, welche bei oder in Verbindung mit der Untersuchung, Behandlung o.ä. benutzt werden,“
Nach den Ausführungen des 1996 eingesetzten Ausschusses geht es hier um sämtliche Geräte von Narkoseapparat über Spritzen bis hin zu Gehstützen, Wärmematratzen u.ä.. Patientforsikring hat diese Vorschrift auch auf fehlerhaftes Hüft-TEP-Material angewandt (z.B. Bone-Ioc-Zement).23 Die Haftung geht über die Produkthaftung hinaus, es gibt keine Entlastungsmöglichkeiten und auf ein Verschulden des Behandlers kommt es nicht an. Die Patientin/der Patient soll nicht mit der Klärung belastet werden, wo der Fehler zu verantworten ist, ob wegen mangelhafter Wartung im Krankenhaus oder vom Produzenten oder unter Verschuldensgesichtspunkten von niemandem.24 Aus der ex ante-Sicht des erfahrenen Spezialisten nach Nr. 1 wechseln wir jetzt in Nr. 3 zu einer teilweisen ex post-Betrachtung bei – auch gänz22
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Patientforsikring: Årsberetning 2007, S. 14. Die garantierten maximalen Wartezeiten, für bestimmte Krebsbehandlungen 14 Tage, für diverse andere Erkrankungen 2 Monate, sind ein Instrument zum Abbau überlanger Wartezeiten. Wenn absehbar ist, dass diese Zeiten nicht eingehalten werden können, hat die/der Patient/in eine „erweiterte Krankenhauswahl“, d.h. sie/er kann sich in anderen Regionen Dänemarks oder in Krankenhäusern im Ausland behandeln lassen, die mit der Wohnsitzregion entsprechende Verträge haben. Betænkning vom 05.11.1997, Kap. 2.3.2. Das Thema Bone-Ioc-Zement hat nicht nur Patientforsikring über Jahre beschäftigt. Auch das Folketing hat dieses Thema aufgegriffen und für diese Schadensfälle eine eigene Gesetzliche Regelung geschaffen, die auch Ersatzansprüche für Behandlungen aus der Zeit vor der Einführung der Patientforsikring begründet, und die den Ablauf der Verjährungsfristen bis 31.12.2002 hinausgeschoben hat; s. www.patientforsikringen.dk/public/dokumenter/praksissamling, S. 10 ff. von Eyben, Isager, a.a.O. S. 357.
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lich schuldlos – verpassten Behandlungsalternativen. Hier sei aber gleich eine Einschränkung vorweggenommen. Nrn. 3 und 4 gelten gem. § 21 Abs. 1 KEL nicht für Schäden, die darauf zurückgehen, dass nicht die richtige Diagnose gestellt wurde. Wäre die richtige Diagnose durch einen erfahrenen Spezialisten gestellt worden oder beruht der Diagnoseirrtum auf einem technischen Versagen, dann bleibt es jedoch bei der Haftung nach Nrn. 1 und 2. IV. Tatbestand 3: Die im nachhinein betrachtet bessere Behandlungsalternative „3. wenn der Schaden aus einer nachfolgenden Betrachtung mit einer anderen zur Verfügung stehenden Behandlungstechnik oder Behandlungsmethode, die vom medizinischen Blickwinkel zur Behandlung der Krankheit des Patienten genauso effektiv gewesen wäre, vermieden würden können.“
Das erinnert etwas an die Haftung wegen unterlassener Aufklärung über Behandlungsalternativen im deutschen Recht, nur dass wir das Aufklärungsdefizit nicht brauchen. Die Behandlungsalternative muss aus der Sicht ex ante bestanden haben, die Wahl wird jedoch in einer ex postBetrachtung auf ihre Auswirkung auf das Behandlungsergebnis überprüft.25 Ein Beispiel aus der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichts: Der klagende Patient litt unter einer Missbildung der Gefäße im Gehirn, die mit der Gefahr von Hirnblutungen verbunden war. Wegen der Größe der Missbildung und wegen der Gefahren einer OP nahm man Abstand von einem chirurgischen Eingriff und behandelte medikamentös. Einige Zeit später kam es zur Hirnblutung und bei der Behandlung derselben zu weiteren schweren Komplikationen. Das Gericht sah den besten Facharztstandard eingehalten, hat daher keinen Anspruch aus Nr. 1 gesehen, und im übrigen auch eine zeitigere operative Korrektur der Missbildung als so riskant angesehen, dass diese sich aus der Sicht ex ante zur konservativen Behandlung nicht als echte Alternative i.S. der Nr. 3 dargestellt hat.26 Schadensersatz wurde daher abgelehnt. Demgegenüber wurde durch das Østre Landsret einem Patienten, der durch eine alternative Behandlung eines Krebsleidens die Sehkraft verloren hatte, Schadensersatz nach Nr. 3 zuerkannt, weil bei herkömmlicher Chemotherapie dieser Schaden nicht eingetreten wäre.27 25 26 27
Betænkning vom 05.11.1997, Kap. 2.3.3; von Eyben, Isager, a.a.O., S. 358. U2007.477H. Forsikrings- og Erstatningsretlig Domssamling, abgekürzt FED, 1999, S. 954, Zitierweise: FED1999,954Ø.
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V. Tatbestand 4: Die unverhältnismäßige Komplikation Nachdem wir bei Nr. 3 schon bei der ex post-Betrachtung waren, gehen wir nach Nr. 4 praktisch nur noch vom eingetretenen Schaden aus und finden hier einen Anspruch im Wesentlichen aus dem Gesichtspunkt unverhältnismäßiger Komplikationen: „oder 4. wenn als Folge einer Untersuchung, darunter auch diagnostischer Eingriffe, oder Behandlung ein Schaden in Form einer Infektion oder andere Komplikationen eintreten, die umfassender sind als das, was der Patient billigerweise erdulden muss. Dabei sollen sowohl die Schwere des Schadens als auch die Krankheit des Patienten und sein Gesundheitszustand im übrigen sowie die Seltenheit des Schadens und die Möglichkeiten berücksichtigt werden, das Risiko seines Eintretens in Betracht zu ziehen.“
Dieser Vorschrift wurde durch den 1996 eingesetzten Ausschuss große Bedeutung beigemessen.28 Fälle wie Krankenhausinfektionen oder intraoperative Nervenläsionen dürften keine größeren Probleme bereiten. Schwierigkeiten bereiten teilweise das Seltenheitskriterium und insbesondere die Abwägung zwischen der Schwere der zu behandelnden Krankheit und der Schwere des komplikationsbedingten Schadens. Das Seltenheitskriterium hat Patientforsikringsforening in der Anfangszeit z.B. bei Bandscheibenoperationen beschäftigt. Die Grenze, ab welcher ein Schaden als selten betrachtet wird, liegt nach dänischer Auffassung bei 1-2%. Häufiger eintretende Schäden fallen daher aus dem Anwendungsbereich der Nr. 4 heraus. Nun kam es bei bestimmten Bandscheibenoperationen in mehr als 2% der Fälle zu dem Infektionstyp der Discitis, aber nur in ½-1% zu infektionsbedingten ernsten und dauerhaften Schäden. Der primäre Schaden war mithin nach dänischer Auffassung nicht, die schweren Folgen waren dagegen schon selten. Man hat sich beim Patientforsikringsforening zugunsten der Patientenseite auf eine Betrachtung der schweren Folgen verlegt und so den betroffenen Patienten einen Anspruch zuerkannt.29 Die Abwägung Schwere der Krankheit und Schwere des Schadens geht von dem Grundsatz aus, dass je schwerer die zu behandelnde Krankheit ist, desto größere Risiken der Patient hinnehmen muss. Damit gilt für behandlungsinhärente Komplikationen, dass dann, wenn die faktischen Schäden durch die Behandlung größer sind als die Schäden, die zu erwarten wären, wenn die Grunderkrankung nicht behandelt worden wäre, ein Ersatzanspruch nach Nr. 4 zuerkannt wird. 28 29
Betænkning vom 05.11.1997, Kap. 2.3.4. ebenda.
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Diese Abwägung muss jedoch auf Schäden begrenzt sein, die einen spezifischen Zusammenhang mit der Behandlung der Grunderkrankung aufweisen.30 Schon nach Ansicht des 1996 eingesetzten Ausschusses kann bei z.B. lagerungsbedingten Schäden diese Abwägung nicht greifen. Nur weil eine Blinddarmentzündung unbehandelt lebensbedrohlich ist, muss der Patient nicht von vornherein derartige Komplikationen billigerweise erdulden.31 Entsprechend hat das Oberste Gericht bei einem bei einer Darmkrebsoperation eingetretenen Lagerungsschaden mit Lähmung eines Armes einschließlich der Hand Schadensersatz nach Nr. 4 zuerkannt, da diese Komplikation nicht in spezifischem Zusammenhang mit dem Ernst der Grunderkrankung stand.32 Das Oberste Gericht hat in Abweichung von allen Vorinstanzen einer Frau Ansprüche nach Nr. 4 zuerkannt, die nach einer Hysterektomie aufgrund von Hämatomen, Zystenbildung an einem Eileiter und schweren Verwachsungen mehrfach nachoperiert werden musste. Die Vorinstanzen hatten das Seltenheitskriterium als nicht erfüllt angesehen. Erst in der letzten Instanz wurde durch den Retslægeråd (Rechtsmedizinischer Rat – eine mit neun Ärzten verschiedener Fachrichtungen besetzte Beratungsinstanz der öffentlichen Verwaltung und der Gerichte, die auch externe Gutachter hinzuziehen kann) deutlich gemacht, dass der sehr schwere Verlauf als sehr selten angesehen werden müsse. Die Schwere der Komplikationen sei auch als übermäßig in Relation zu der Grunderkrankung zu sehen.33 Dagegen wurde vom Vestre Landsret mit Urteil vom 26.05.2005 die Amputation des linken Beines, die als Folge einer während einer Herztransplantation eingetretenen Minderdurchblutung erforderlich wurde, wegen der Notwendigkeit der Transplantation und der Schwere der Grunderkrankung nicht als Schaden gem. Nr. 4 anerkannt.34 Ich hatte einen „Cross-Border“-Fall zu bearbeiten, der in Dänemark bereits nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 KEL abgeschlossen war. Die damals 62jährige Patientin litt schon seit Jahren unter LWS-Beschwerden. Als Ausstrahlungen ins rechte Bein hinzukamen, meinten ihre dänischen Fachärzte, dass nur noch Bandscheibenprothesen helfen könnten. Da die Wartezeiten der dänischen Krankenhäuser jedoch mehr als 2 Monate betrugen, konnte sie die erweiterte Krankenhauswahl in Anspruch nehmen. Sie ließ 30 31 32 33 34
FED2003,465Ø. Betænkning vom 05.11.1997, Kap. 2.3.4. U2001.2319H. U2006.1519H. zitiert nach der Urteilszusammenstellung des Patientforsikringsforening, www.patientforsikringen.dk/loveogpraksis/dome. Stichwert PFL § 2, stk. 1. nr. 4 – rimelighedsreglen.
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sich durch Patientlink in ein Krankenhaus in Schleswig-Holstein vermitteln, wo ihr zwei Diskusprothesen implantiert wurden. Seither leidet sie unter Ausfallerscheinungen an den unteren Extremitäten, Kontinenzproblemen und noch stärkeren Schmerzen. Sie ist weitgehend auf einen Rollstuhl angewiesen. Korrelate zu diesen Beschwerden und Beeinträchtigungen sind in den bildgebenden Untersuchungen nicht aufzufinden gewesen. Patientforsikringsforening hat sachverständig beraten angenommen, dass die vermehrten Beschwerden und Behinderungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die OP zurückgehen, und dass die Patientin unbehandelt weniger schwer beeinträchtigt wäre und das Maß des billigerweise zu Erduldenden deutlich überschritten sei. Mein Auftrag, den Operateur und den Krankenhausträger auf Schadensersatz nach §§ 823 ff BGB in dem Umfang in Anspruch zu nehmen, in welchem der Schaden nicht durch Patientforsikring gedeckt ist, ist nach Beratung durch einen Privatgutachter nicht weiter verfolgt worden, da ein Behandlungsfehler oder ein Aufklärungsversäumnis nicht feststellbar waren.
C. Einschränkungen und Ausschlüsse Nach § 21 Abs. 3 KEL finden die dargestellten Grundlagen für Ersatzansprüche keine Anwendung auf Schäden, die auf Eigenschaften der Arzneimittel zurückgehen, die während der Untersuchung oder Behandlung angewandt wurden. Schäden bis 10.000,00 DKR (etwa 1.300,00 EUR) werden nicht ersetzt. Diese können jedoch außerhalb des Patientforsikringssystems nach allgemeinem Schadensersatzrecht, also nach der Culpareglen, gegen die Behandlungsträger geltend gemacht werden. Ansonsten verweist das KEL im übrigen auf die Ansprüche nach dem Gesetz über Schadensersatzersatzverantwortung, d.h. auf dieselben Ansprüche, wie sie auch in der allgemeinen Verschuldenshaftung bei Personenschäden gelten. Die Beschränkung auf Personenschäden führt in Dänemark allerdings zu weiteren Einschränkungen. So werden Schadensersatzansprüche wegen unzureichender Aufklärung und Unterhaltsschäden wegen nicht gewollter Schwangerschaft nicht als Personenschäden, sondern als Vermögensschäden gesehen und damit nicht vor der Patientforsikring erfasst. Hier können Schadensersatzansprüche lediglich nach allgemeinem Haftungsrecht nach der Culpareglen verfolgt werden.35 35
Bødker Madsen, a.a.O., S. 288 f.
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Dabei gilt auch in Dänemark eine in §§ 15 f Sundhedsloven gesetzlich verankerte Aufklärungspflicht, die die Behandlung vom informeret samtykke (informierten Einverständnis) abhängig macht. Die Anforderungen an die Aufklärung über Risiken im Großen und Ganzen und die besonderen Anforderungen an die Einwilligung in nicht dringende oder nur schönheitschirurgische Eingriffe werden ähnlich wie in Deutschland ausformuliert. Bei eindeutiger Verletzung der Aufklärungspflicht und bei einer objektiven Bewertung, dass eine solche Aufklärung den Patienten in seinen Überlegungen beeinflusst hätte, wird ein Zusammenhang zwischen der unzureichenden Aufklärung und dem Schaden vermutet.36 Dennoch dürfte die Aufklärungsrüge nicht den Stellenwert haben, den sie im deutschen Arzthaftungsrecht hat, da die Patientenseite über die verschuldensunabhängigen Haftungsgrundlagen der Patientforsikring in den meisten Fällen leichter ans Ziel kommen dürfte. Umfang und Höhe des Schadensersatzanspruchs: Traditionell wurde bei Personenschäden das Schadensersatzniveau durch die dänische Rechtsprechung eher niedrig gehalten. Man hatte in den 60er und 70er Jahren, als nach wohlfahrtsstaatlichen Vorstellungen noch alle Risiken vergesellschaftet werden sollten, sogar die Idee, man könne auf Schadensersatzregelungen im wesentlichen verzichten und alle Risiken durch Sozialleistungen oder Versicherungssysteme abdecken. Das hat sich so nicht durchgesetzt, zumal auch das Sozialleistungsniveau graduell gesenkt wurde. Dennoch war und ist der Abstand zwischen Sozialleistungsniveau und Schadensersatzniveau im Vergleich zu anderen Ländern äußerst gering, was aber zu einem erheblichen Teil dem niedrigen Schadensersatzniveau geschuldet ist.37 Tatsächlich hat das Ersatzrecht bei Personenschäden sehr stark den Charakter eines Zusatzausgleichs zu den durch die Schädigung ausgelösten Sozialleistungen. Die Unzufriedenheit mit den Unterschieden in der Gerichtspraxis bei der Bemessung des Schadensersatzes und mit dem als unzureichend empfundenen Ausgleich ökonomischer Einbußen bei Personenschäden hat dazu geführt, dass im Jahr 1984 die Regeln über die Bemessung von Schadensersatzleistungen bei Personenschäden im Gesetz über Schadensersatzverantwortung (Lov om erstatningsansvar, abgekürzt: EAL) kodifiziert wurden – ein missverständlicher Titel, da es dort eben nicht um die Fest-
36 37
a.a.O., S. 289. von Eyben, Isager, a.a.O., S. 36.
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stellung geht, wer auf welcher Grundlage zum Schadensersatz verantwortlich ist, sondern eine solche Verpflichtung vorausgesetzt wird.38 Das Gesetz sieht als immateriellen Schadensersatz eine Entschädigung für svie (Beißen/Brennen) und smerte (Schmerzen) vor, an deren Stelle bei dauernder Beeinträchtigung eine (grundsätzlich ebenfalls als immateriell gedachte) Entschädigung für varig mén (= Dauerschaden) tritt. Auf der Seite des materiellen Schadens sieht das Gesetz den Ersatz von Krankenbehandlungskosten (wörtlich übersetzt: Gesundheitsausgaben) und anderen Einbußen und den Ersatz von Einkommensverlusten vor. An die Stelle des Ersatzes von Einkommenseinbußen tritt ab dem Zeitpunkt, zu welchen eine dauernde Beeinträchtigung festgestellt wird, ein Ersatzanspruch für den vollen oder teilweisen Verlust der Erwerbsfähigkeit. Im Todesfall stehen Ehegatten oder Lebenspartnern und Kindern Ersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt des Unterhaltsschadens und darüber hinaus Ersatzansprüche für Bestattungskosten zu. Das Gesetz gibt klare Vorgaben für die Berechnung der Ansprüche. Beginnen wir mit der Entschädigung für svie og smerte, dem eigentlichen Schmerzensgeld: Pro Krankheitstag, der auf das Schadensereignis zurückgeführt wird, erhält der Geschädigte 160 DKR entsprechend gut 20,00 EUR (so der Satz für 2008, die Sätze werden jährlich angepasst). Damit der Anspruch nicht ausufert, ist eine Obergrenze von 61.000 DKR entsprechend etwa 8.000,00 EUR festgelegt. Krankheit wird angenommen, wenn die/der Geschädigte krankgemeldet ist oder in sonstiger Form ihre/seine Krankheit dokumentiert ist und eine Behandlung oder auch Reha-Behandlung stattfindet. Arbeiter die/der Geschädigte trotz Schmerzen, z.B. als Lehrer, der eine Abschlussklasse unbedingt begleiten will, vorzeitig wieder, kann ihm für diesen Zeitraum ebenfalls ein Schmerzensgeld zuerkannt werden.39 Lässt sich dagegen ein Dauerschaden (varig mén) feststellen, endet der Schmerzensgeldanspruch in der Regel. An seine Stelle tritt die Entschädigung für varig mén, also für den Dauerschaden. Diese Entschädigung richtet sich nach der medizinischen Art und dem Umfang des Schadens und den dadurch verursachten Nachteilen in der persönlichen Lebensführung. Der Grad der Beeinträchtigung wird hier wie auch bei der Entschädigung für den Verlust oder die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit – dort jedoch nach anderen Kriterien – als Prozentsatz einer vollständigen Beeinträchtigung festgelegt, wobei die Behörde für Arbeitsschäden von den Parteien um eine Schätzung gebeten werden kann. Bei vollständiger Beeinträchtigung werden 699.000 DKR (Festsetzung für 2008) entsprechend et38 39
ebenda S. 296 f. ebenda S. 307 f.
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wa 90.000,00 EUR angesetzt, bei Hilflosigkeit 20 % mehr. Wir kämen also bei den Schwerstschäden auf eine immaterielle Entschädigung für dauernde Beeinträchtigungen von etwa 110.000,00 EUR zuzüglich maximal 8.000,00 EUR Schmerzensgeld. Bei einem Dauerschaden von unter 5 % wird keine Entschädigung gewährt. Wer über 39 Jahre alt ist, muss sich einen Abzug von 1% pro Jahr gefallen lassen, und ab dem 61. Lebensjahr weitere 1% pro Jahr. Ein auf der Internetseite des Patientforsikringsforening gegebenes Beispiel: Bei einer 61-jährigen Patientin tritt anlässlich einer Hüft-TEP eine Lähmung des Fußes ein. Der Behinderungsgrad hierdurch wird auf 15% angesetzt. Sie erhält 699.000 DKR x 15 % x 76 % (100 ./. 24) = 79.686 DKR, entsprechend etwas über 10.000,00 EUR.40 Auch wenn es sich hier ausdrücklich um eine Entschädigung für immaterielle Beeinträchtigungen handeln soll, ist die Grenzziehung zu materiellen Schäden manchmal zweifelhaft: So wurde einer Geschädigten vorgehalten, laufende physiotherapeutische Behandlungen hätten bei ihr keine heilende Wirkung mehr, sondern nur noch einen lindernden Effekt, und das sei durch die Entschädigung für varig mén abgedeckt.41 Auch bei Hilfsmitteln und Behandlungskosten, die nicht vom staatlichen Gesundheitswesen gedeckt sind, wird gelegentlich auf die Entschädigung für varig mén verwiesen.42 Auf die Berechnung des eigentlichen Einkommensschadens will ich nicht näher eingehen. Hier wird ein voller Ausgleich angestrebt mit den üblichen Problemen bei Selbständigen. Dieser Schaden wird jedoch nur so lange ersetzt, bis – vorläufig oder endgültig – eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt werden kann. Ab diesem Zeitpunkt löst die Entschädigung für den Verlust oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit den Ersatzanspruch für Einkommenseinbußen ab. Diese Entschädigung wird grundsätzlich nach dem Einkommen des letzten Jahres vor dem Schadensereignis berechnet und sodann mit dem Erwerbsminderungsprozentsatz und einem Kapitalisierungsfaktor 10 multipliziert. Nach § 6 Abs. 2 EAL ist ein Höchstbetrag für die Entschädigung für Minderung der Erwerbsfähigkeit von 6.020.000,00 DKR entsprechend etwa 780.000,00 EUR festgelegt (2008). 40
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Spørgsmål og svar om Patientforsikringen, 24.04.2008, zitiert nach: www. patientforsikringen.dk/artikeler. zitiert nach der Urteilszusammenstellung des Patientforsikringsforening, www. patientforsikringen.dk/loveogpraksis/domme, Stichwort EAL § 1 - helbredsudgifter og andet tab. Østre Landsret Urteil vom 01.06.2004, zitiert nach Urteilszusammenstellung a.a.O.
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Verbleibt die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 15 %, wird hierfür keine Entschädigung geleistet. Der für unsere Verhältnisse höchst problematische Kapitalisierungsfaktor wird mit der Möglichkeit der Anlage des Kapitals in Obligationen zu 7,5 % Jahreszinsen begründet. Ist die/der Geschädigte bei Schadenseintritt älter als 29 Jahre, wird die Entschädigung für jedes Jahr um 1% gekürzt, und ist sie/er älter als 54 Jahre für jedes Jahr um weitere 2 %. Anstelle des Einkommen des vorangegangenen Jahres wird bei Kindern unter 15 Jahren der durchschnittliche Jahreslohn zugrunde gelegt, aktuell (2008) der aus 2007 mit 326.000 DKR. Ein schwerstgeschädigtes Kind, welches zu keiner Erwerbstätigkeit fähig sein wird, kann mithin mit 326.000 DKR x 10 = 3.260.000 DKR entsprechend etwa 410.000 EUR rechnen. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Ausbildung wird auf den Eingangslohn bei erfolgreichem Abschluss der Ausbildung abgestellt. Bei im Vorwege erwerbsgeminderten Personen wird, wenn sich ein z.B. im Zusammenhang mit der bis zum Schadensereignis geleisteten Kinderbetreuung und Erziehung oder mit der Pflege naher Angehöriger ein Restleistungsvermögen feststellen lässt, dieses geschützt und zur Grundlage des Ersatzanspruches gemacht, wenn das Leistungsvermögen durch das haftungsbegründende Ereignis weiter herabgesetzt wird.43 Der insbesondere durch den eher niedrigen Kapitalisierungsfaktor gering wirkende Ersatz für den Verlust der Erwerbsfähigkeit wird in Dänemark dadurch erträglicher, dass Kapital und Zinseinkünfte auf Rentenansprüche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur in sehr engen Grenzen angerechnet werden. Zwei Beispiele: Wird z.B. ein Lehrer, der über den Pensionsfond des öffentlichen Dienstes abgesichert wird, durch ein im Sinne des § 20 KEL ersatzpflichtiges Behandlungsergebnis erwerbsunfähig, erhält er seine qualifizierte Erwerbsunfähigkeitsrente vom Pensionsfond, ohne dass Leistungen der Patientforsikring darauf angerechnet werden. Ein Anspruchsübergang findet nicht statt. Ein geburtsgeschädigtes Kind erhält, wenn feststeht, dass es nie erwerbsfähig werden kann, schon lange vor dem Zeitpunkt, zu dem bei einem nicht geschädigten Kind eine Erwerbsfähigkeit erwartet werden könnte, seine Kapitalentschädigung. Diese wird ohne Zugriffsmöglichkeit der Eltern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres angelegt. Verstirbt das Kind vorher, fällt das Kapital den Erben zu. Mit dem 19. Lebensjahr beginnt für dieses Kind der Anspruch auf die staatliche Folkepension als vor-
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www.patientforsikringen.dk/public/dokumenter/praksissamling, S. 11 f.
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zeitige Pension (Førtidspension), wobei das Kapital nicht angerechnet44, aber eine Kürzung um 30 % der Zinseinkünfte vorgenommen wird.45 Krankenbehandlungskosten werden, soweit sie nicht von der Sygesikring gedeckt sind und soweit sie nicht der immateriellen Entschädigung für den Dauerschaden zugerechnet werden, ersetzt. Treten laufende Kosten auf, werden diese ebenfalls kapitalisiert mit dem Faktor 10. Die Unterhaltsschadensansprüche werden für den hinterbliebenen Partner mit 30 % des Betrages bemessen, der dem Verstorbenen bei voller Erwerbsminderung zustehen würde. Zugunsten von Kindern wird der Betrag festgesetzt, den der Verstorbene, wäre er unterhaltspflichtig, als Unterhalt zu zahlen hätte. Kongruente Leistungen Dritter sind auf die Schadensersatzansprüche anzurechnen, nicht jedoch auf die Entschädigung wegen Verlusts der Erwerbsfähigkeit.
D. Regressforderungen von Sozialleistungsträgern und sonstigen Dritten Nach § 24 Abs. 4 KEL wird Schadensersatz aus der Patientforsikring nicht zur Deckung von Regressforderungen Dritter geleistet. Diese können unter Verschuldensgesichtspunkten ihre Ansprüche nach den allgemeinen Schadensersatzregeln durchzusetzen versuchen. Aber auch diese im EAL geregelten Ansprüche bei Personenschäden schließen Sozialleistungsträger weitgehend von Regressen aus. Nach § 17 EAL geben Leistungen auf der Grundlage der Sozialgesetzgebung wie Krankenhilfe, Volkspension, aus der Arbeitsschadenversicherung und aus sonstigen Rentenversicherungen keine Grundlage für Regressforderungen gegen den Schadensersatzverpflichteten. Lediglich Entgeltfortzahlungsleistungen eines Arbeitgebers und unter bestimmten Voraussetzungen auch Krankengeldleistungen der Kommunen können regressiert werden. Das hat aber bei in Deutschland lebenden Geschädigten nur begrenzt Auswirkungen auf Rechtsübergänge nach § 116 SGB X oder § 87 a BBG. Nach Art. 93 der EWG-VO 1408/71 richten sich der Forderungsübergang und die Regressmöglichkeit des Sozialleistungsträgers dann, wenn der Schaden in einem anderen Mitgliedsstaat eingetreten ist, nach dem Recht des Mitgliedsstaats, dem der Sozialleistungsträger angehört. 44
45
Vejledning om førtidspension fra 01.01.2003, Socialministeriets vejledning nr. 55 vom 31.08.2007, www.socialjura.dk, S. 28. § 32 a lov om socialpension.
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Der Ausschluss des Regresses im KEL oder im EAL hat mithin keine Wirkung im Verhältnis z.B. der deutschen Krankenkasse zu ihrem geschädigten Mitglied und zu dem Schädiger oder dem sonstigen Ersatzverpflichteten. Die Frage ist lediglich, ob es sich um einen übergangsfähigen Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht handelt. Das ist beim Anspruch aus der Patientforsikring nicht ganz einfach zu beantworten. Handelt es sich um Ansprüche aus einer privaten Versicherung, die nicht übergangsfähig wären, oder um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, die wie jeder andere Schadensersatzanspruch übergangsfähig wäre? Der Begriff der Patientenversicherung könnte zu der ersten Annahme verführen und Assoziationen zur Probandenversicherung nach § 40 AMG wecken. Da es jedoch keine Direktansprüche gegen einen Versicherer gibt und da es nach dem KEL um den Zugang zum Schadensersatz geht und auf das entsprechende allgemeine Gesetz über Schadensersatz (EAL) verwiesen wird, spricht doch mehr für die Einordnung als Gefährdungshaftung. Das wird bestätigt auch dadurch, dass in demselben Gesetz (KEL) auch die Ersatzansprüche bei Arzneimittelschäden geregelt sind, also die Ansprüche, die bei uns auf § 84 AMG gestützt werden. Weitgehend geklärt ist der Regress bei Ansprüchen, die originär auf das EAL gestützt werden. Die DAK hat das in einer KFZ-Haftpflichtangelegenheit durchgestritten und nach einer Vorlageentscheidung des EuGH (Urteil vom 02.06.1994, C-428/92) vom Østre Landsret (U1995.341Ö) Ersatz der Behandlungskosten zugesprochen erhalten. Das Argument, dass die dänische Sygesikring nach §§ 17 Abs. 1, 22 Abs. 2 EAL bei gleichen Leistungen vom Regress ausgeschlossen wäre, ließen die Richter des EuGH und ihnen folgend das Østre Landsret nicht gelten. Es handele sich um Gesundheitsausgaben, die der Geschädigte ohne die Sozialversicherung selbst aufzubringen hätte, und wenn der Regress nach deutschem Recht vorgesehen sei, sei das maßgeblich. Das Oberste Gericht hat in einem anderen Fall, in dem das Bundeseisenbahnvermögen als Pensionsträger Regressansprüche durchsetzen wollte, mit Urteil vom 19.12.2001 bestätigt, dass sich der Ausschluss von Regressforderungen im EAL nach Art. 93 EWG-VO 1408/71 auf den deutschen Pensionsträger nicht auswirken kann. Es hat aber klargestellt, dass dies nicht zu einer Erweiterung der Haftung – hier der Entschädigung für Minderung der Erwerbsfähigkeit – führen könne, so dass der nach dänischem Recht geschuldete Kapitalbetrag bei höheren Leistungen des Pensionsträgers nicht überschritten werden dürfe. Dem Bundeseisenbahnvermö-
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gen wurden die bis dahin bezifferten Ansprüche zugesprochen, da sie die nach dem EAL geschuldete Kapitalabfindung nicht überstiegen.46 Dieses Ergebnis halte ich für fraglich, da dieser Anspruch ganz oder zum überwiegenden Teil dem Beamten K. zugestanden haben dürfte. K. musste mit der vorzeitigen Pensionierung wahrscheinlich eine deutliche Einkommensminderung hinnehmen. Die als Kapitalbetrag zu zahlende Entschädigung für Erwerbsminderung soll gerade diese Einbuße ausgleichen. Dem Übergang dürfte mithin § 87 a S. 2 BBG (entsprechend in Fällen der sozialen Rentenversicherung oder der gesetzlichen Unfallversicherung § 116 Abs. 2 SGB X) entgegen gestanden haben. Es wäre zunächst zu prüfen gewesen, ob die Entschädigung die Differenz zwischen Einkommensschaden und Pensionsleistungen übersteigt. Erst dann könnte ein Übergang nach deutschem Recht in Betracht kommen und in dieser Höhe der Regress in Dänemark durchgesetzt werden.
E. Verfahren der Patientforsikring Die Schadensersatzverpflichtung nach dem Kapitel Patientforsikring des KEL liegt nach § 29 ausschließlich bei der öffentlichen Hand, und zwar genauer bei den Regionen als den Trägern der öffentlichen Krankenhäuser und dort auch zugleich für ambulante Leistungserbringer und private Krankenhausbetreiber in ihrem jeweiligen Gebiet und für ausländische Krankenhäuser, in welchen Patienten auf Kosten der Region behandelt werden. Ungeachtet dessen sind die privaten Leistungserbringer jedoch verpflichtet, eine Versicherung für die durch ihre Tätigkeit entstandenen An-
46
U2002.574H – Zugrunde lag der Fall des Beamten K. der Deutschen Bahn. K. war auf dem deutschen Fährschiff mit dem Namen Deutschland auf der Strecke Puttgarden (Deutschland) – Rødby (Dänemark) als Bootsmann eingesetzt. Als die Deutschland in Rødby war, wurde er von einem dänischen PKW angefahren und so stark verletzt, dass er über Jahre dienstunfähig war, etliche Krankenhausaufenthalte über sich ergeben lassen und dann in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden musste. Zum Unfallzeitpunkt galt auf der Deutschland dänisches Recht. Das Bundeseisenbahnvermögen hatte, nachdem es zunächst vergeblich vor dem Landgericht Lübeck geklagt und dann bis zur Klageinreichung in Dänemark erhebliche Positionen hatte verjähren lassen, auch einen Teil der Pensionsaufwendungen vor dem Østre Landsret in unverjährter Zeit geltend gemacht. Dieser Teilanspruch wurde, weil er den Rahmen des Ersatzes bei dauernder Erwerbsminderung nicht überstieg, dem Bundeseisenbahnvermögen zugesprochen.
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sprüche abzuschließen. Die kommunalen Träger sind von dieser Pflicht befreit und treten in der Regel als Selbstversicherer auf. In dem Umfang, in welchem Schadensersatzleistungen nach dem KEL gewährt wurden oder beansprucht werden können, sind Ansprüche gegen die an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer ausgeschlossen (§ 26 KEL). Nach § 23 KEL sind die Leistungserbringer, wenn sie von einer Schädigung Kenntnis erhalten, die im Sinne des § 20 KEL einen Anspruch auslösen könnten, verpflichtet, die/den Patientin/en darüber zu informieren und ihr/ihm bei der Antragstellung behilflich zu sein. Die Schadensbearbeitung wird nicht durch den jeweiligen Versicherer oder die selbstversichernden Kommunen übernommen, sondern von Anfang an durch den bereits mehrfach erwähnten Verein Patientforsikringsforeningen. Dieser Verein wird von den beteiligten Versicherern und selbstversichernden Kommunen betrieben und diese wählen einen Vorstand. Der Innen- und Gesundheitsminister kann ein Mitglied des Vorstandes bestimmen. Das Sekretariat des Patientforsikringsforening hat den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, d.h. Behandlungsunterlagen anzufordern, Sachverständige einzuschalten und erforderlichenfalls auch Zeugen zu vernehmen. die MitarbeiterInnen des Sekretariats unterliegen der Neutralitätsverpflichtung nach dem Gesetz über die öffentliche Verwaltung. Die Mitglieder des Patientforsikringsforening sind keinen Weisungen der Haftpflichtversicherer oder Selbstversicherer unterworfen. In einem Rechtsstreit, in dem es um die Frage ging, ob Anwaltskosten wie im allgemeinen Schadensersatzrecht auch bei Ansprüchen aus der Patientforsikring zu erstatten sind, hat das Østre Landsret daher folgendes festgehalten: „Die Praxis, die sich hinsichtlich des Ersatzes der Kosten außergerichtlichen Anwaltsbeistands bei der Anmeldung bei Versicherungsgesellschaften entwickelt hat, kann nicht auf Anmeldungen bei dem Patientforsikringsforening übertragen werden. Das Landgericht legt hier das Gewicht darauf, dass Patientforsikringsforeningen, der Ersatz auf objektiver Grundlage leistet, durch das Patientenversicherungsgesetz die Verpflichtung auferlegt ist, aus eigenem Antrieb die Sachen aufzuklären, da vorausgesetzt wird (…) dass der Patient keinen Anwalt zu beauftragen braucht, um seine Interessen wahrzunehmen, und das er die Entscheidung des Vereins vor den staatlichen Patientenschadenbeschwerdeausschuss (Patientskadeankenaevn) bringen kann, dessen Entscheidung für den Verein bindend ist.“47
47
U1997.226Ø.
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Wir finden in der Praxis verschiedene Beispiele für positive Entscheidungen des Patientforsikringsforening, die in der nächsten oder der nachfolgenden gerichtlichen Instanz zu Lasten der Patienten abgeändert wurden. Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich das Sekretariat des Vereins nicht den Regionen als Krankenhausträgern oder den privaten Trägern bzw. ihren Haftpflichtversicherern verpflichtet fühlt, ist ein Verfahren, in welchem es um die Vererblichkeit von angemeldeten Ansprüchen ging. Als nach jahreslanger Praxis, die die Vererblichkeit unterstellte, das Østre Landsret zu einem gegenteiligen Ergebnis kam, wurden die Hinterbliebenen durch den Patientforsikringsforening mit ihrer Revision an das Oberste Gericht unterstützt, welches dann auch im Sinne der Hinterbliebenen entschied.48 Ich hatte mit dem Zitat aus der Entscheidung zu den Anwaltskosten schon die nächste Instanz angesprochen, den Patientskadeankenaevn. Dieser Beschwerdeausschuss wird vom Innen- und Gesundheitsminister bestellt, der auch gleich den Vorsitzenden und den stellvertretenden Vorsitzenden bestellt. Zwei Sachverständige des jeweiligen Fachgebiets werden von Sundhedsstyrelsen, der zentralen Aufsicht über das Gesundheitswesen, als Mitglieder bestellt, zwei Mitglieder von den Regionen, ein Mitglied von Advokatråd (Anwaltskammer), eines vom Verbraucherrat und eines von dem Verband der Behindertenorganisationen. Der Ausschuss kann sich durch externe Sachverständige beraten lassen. Der Ausschuss kann binnen drei Monaten nach der Entscheidung des Patientforsikringsforening angerufen werden, und zwar sowohl durch den Patienten als auch durch die beschwerte Kommune oder das Versicherungsunternehmen, nicht dagegen durch den Arzt, dessen Behandlung Gegenstand der Entscheidung ist. Erst nach der Entscheidung des Ausschusses steht der Weg zu den Amtsgerichten (byret) offen.49 Die Klagefrist beträgt 6 Monate.
F. Verjährung und Kosten Ansprüche nach Regeln über die Patientforsikring müssen innerhalb von 3 Jahren ab Kenntnis vom Schaden beim Patientforsikringsforening angemeldet werden. Sie verjähren ohne Kenntnis 10 Jahre nach dem schädigenden Ereignis. Die Bearbeitung durch Patientforsikringsforeningen und im Beschwerdeausschuss ist kostenfrei. Anwaltskosten werden wir erwähnt nicht erstattet, es sei denn, es liegen ganz besondere Ausnahmen vor. 48 49
www.patientforsikringen.dk/public/dokumenter/praksissamling, S. 18f. Bis Ende 2006 waren als erste Instanz die Landgericht zuständig.
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G. Vergleichende Bewertung Auch wenn es die eigene ökonomische Basis weitgehend in Frage stellt: Ein vom Willen zur Aufklärung und zeitnaher Entschädigung getragenes System, wie es in Dänemark mit dem Patientforsikringsforening und dem darüber stehenden Beschwerdeausschuss geschaffen wurde, wünsche ich einigen meiner Mandanten, die vielleicht sogar ein niedrigeres Entschädigungsniveau in Kauf nehmen würden, wenn dadurch die jahrelangen Prozesse vermieden werden könnten – nur eher nicht zu den Schmerzensgeldsätzen, die in Dänemark für immaterielle Schäden festgelegt sind. Ein System, welches jedenfalls vom Grundsatz her nicht nach Verschulden fragt, weist aber auch weitere Schwächen auf. Wenn bei allen Schadensursachen unabhängig vom Verschulden und vom Verschuldensgrad das um Ausgewogenheit bemühte Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Kausalität gilt, dann kommen Ärzte und Krankenhausträger, die durch grobe Fehler die unter 50-%-ige Chance vertan haben, dass die Behandlung doch zum Erfolg der Genesung oder der Schadensvermeidung hätte führen können, im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen zu gut davon. Dass die Kausalität jedoch nicht ganz unabhängig von der Fehlerfrage beurteilt wird, hatte ich angesprochen. Diskutiert wird in Dänemark und auch hierzulande, dass eine verschuldensunabhängige Versicherungslösung den qualitätssichernden Effekt des Haftungsrechts entfallen lässt.50 Wer hierzulande in Abständen von wenigen Jahren wiederholt gegen dasselbe Kreiskrankenhaus und denselben Chefarzt dieselben Fehler zum Klagegegenstand machen muss, neigt nicht zur Überbewertung dieses Effekts, auch wenn es ihn sicher gibt. Nach meinem Eindruck ist das Problem des dänischen Gesundheitssystems nach 16 Jahren Patientforsikring auch nicht eine Abnahme der Qualität in den Krankenhäusern. „Wenn Sie reinkommen, treffen Sie auf ausgeschlafene Ärzte, gut bezahltes und motiviertes Pflegepersonal und erhalten in der Regel auch den Facharztstandard. Aber kommen Sie erst einmal rein oder auch nur zur ambulanten Untersuchung.“ – so der Kommentar eines von mir auf cross-border-Aktivitäten angesprochener, auf unserer Seite der Grenze tätiger Krankenhausmanager. Die Kapazitätsengpässe, die durch Wartelisten und garantierte maximale Wartezeiten einigermaßen gesteuert werden, und die noch nicht die Formen der Priorisierung wie in Schweden
50
von Eyben, Isager, a.a.O., S. 31 f; Christian Katzenmeier: „Heilbehandlungsrisikoversicherung“ – Ersetzung der Arzthaftung durch Versicherungsschutz?, VersR 2007, 137, 140.
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angenommen haben51, sind das Problem in Dänemark. Und ich habe gerade bei § 20 Abs. 1 Nr. 1 KEL – der Anspruchsgrundlage für die Fälle, in denen ein erfahrener Spezialist anders gehandelt hätte – den Verdacht, dass hier auch ein Ausgleich dafür geschaffen werden sollte, dass der Facharztstandard nicht flächendeckend zeitgerecht vorgehalten wird. Die jüngeren Entscheidungen zu Schädigungen durch Überschreitungen der Wartezeiten deuten in diese Richtung. Das Schadensersatzniveau ist in Dänemark nicht nur im Bereich der Patientforsikring, sondern allgemein niedrig. In der Kombination mit den gesetzlichen Sozialleistungen und den Renten- und Pensionsordnungen sind die Kompensationen bei schweren Personenschäden jedoch – trotz des niedrigen Ausgleichs immaterieller Schäden – durchaus erträglich. Das Konzept der Patientforsikring mit dem Verweis auf die allgemeinen Regelungen über die Höhe des Schadensersatzes bei Personenschäden, der Charakter dieses Schadensersatzes als Zusatzleistung zu einem eher hohen Sozialleistungsniveau und die verschuldensunabhängige Haftung bei der Verwirklichung von Behandlungsrisiken – diese Elemente einer Vergesellschaftung von Behandlungsrisiken lassen sich mit einem weitestgehend staatlich getragenen Gesundheitswesen in Dänemark offenkundig für alle Beteiligten sinnvoll in Einklang bringen. Eine Übertragung der Patientenversicherungslösung auf das deutsche Gesundheitswesen oder eine Harmonisierung auf EU-Ebene nach dänischem Vorbild dürfte mit dem hiesigen, auf der Leistungserbringerseite weitgehend privatrechtlich getragenen bzw. privatisierten Gesundheitssektor und den beitragsfinanzierten Krankenkassen nicht möglich sein. Und auch der u.a. in §§ 116 SGB X und § 87 a BBG zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass der Schädiger den gesamten Schaden, auch soweit er durch Sozialleistungen abgedeckt ist, auszugleichen hat, ließe sich mit einer Haftung für Behandlungsrisiken, die die Frage des Verschuldens ausblendet, nur schwer vereinbaren.
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s. hierzu Uwe K. Preusker: Skandinavische Gesundheitssysteme: Priorisierung statt verdeckter Rationierung, Deutsches Ärzteblatt 2007; 104 (14): A-930/B830/C-791.
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H. Wie helfen wir deutschen Mandanten, die in Dänemark einen unglücklichen Behandlungsausgang erlebt haben? Einmal abgesehen von den seltenen Fällen, in denen der Primärschaden erst diesseits der Grenze eingetreten ist (Art. 5 Ziffer 3 EuGVÜ52, BGH NJW 2008, 2344), werden wir einen deutschen Gerichtsstand nicht konstruieren und auch nicht die Wahl deutschen Deliktsrechts gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB treffen können. Und ob diese Wahl im Einzelfall wirklich günstiger wäre, müsste anhand der dänischen Behandlungsunterlagen sehr genau geprüft werden. Man müsste den groben Behandlungsfehler oder den Vollbeweis der Kausalität praktisch in der Tasche haben, wenn man die Erleichterungen der Versicherungslösung in Dänemark ausschlagen wollte. Außerdem müsste der Kostenvorteil des dänischen Verfahrens in die Überlegungen einbezogen werden. Dazu gehört auch, dass dem deutschen Gericht die Behandlungsunterlagen übersetzt und der dänische Facharztstandard erklärt werden müssten. Geprüft werden muss in den Fällen des Schädigungserfolges (erst) in Deutschland diese Frage ganz sicher, da für die/den in Deutschland lebende/n Mandantin/en die Schadensersatzansprüche nach deutschem Recht in der Regel vorteilhafter sein dürften. Für eine Anwendung deutschen Rechts nach Art. 41 EGBGB dürften die Voraussetzungen in aller Regel auch dann nicht vorliegen, wenn die Behandlung in Dänemark durch einen aus Deutschland stammenden Arzt durchgeführt wurde. Denn diese Konstellation tritt praktisch nur auf, wenn dieser Arzt im dänischen Krankenhaus angestellt oder in Dänemark niedergelassen ist. Besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehungen wären daraus nicht abzuleiten. Eine Klage vor dem deutschen Wohnsitzgericht nach Art. 10 Abs. 2 EuGVÜ als Direktklage gegen Patientforsikring kommt nicht in Betracht, da ein Direktanspruch nach dänischem Recht nicht gegeben ist. Ich halte es in kleineren und mittleren Schadensfällen für vertretbar, es so wie der Kollege in Århus in meinem Ausgangsfall zu machen: Lassen Sie Ihre/n Mandantin/en das Formular ausfüllen und schicken Sie sie/ihn dann, wenn es Schwierigkeiten oder Unklarheiten in der Bearbeitung gibt oder spätestens wenn Patientforsikringsforeningen einen abschlägigen Bescheid schickt, zu einem dänischen Kollegen. In Fällen mit schweren Folgen sollte das ungeachtet der fehlenden Kostenerstattung jedoch von Anfang an erfolgen. 52
Dänemark ist der EuGVVO noch nicht beigetreten.
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Unsere Aufgabe beginnt in diesen Fällen, wenn die Schadensersatzleistungen bewilligt sind und es nun um die Abgrenzung zu deutschen Sozialleistungsträgern und eventuelle Regressforderungen geht. In meinem Ausgangsfall haben sich die Eltern getrennt, als Jens zwei Jahre alt war, und Anja Müller hat mit Jens Wohnung und Arbeit in ihrer alten Heimat Niedersachsen gefunden. Als der Sozialhilfeträger die Kosten des integrativen Kindergartens übernehmen sollte, gab es zunächst eine Bewilligung auf Darlehensbasis mit der Aufforderung, bei dem Schadensersatzverpflichteten die Kosten geltend zu machen. Erwartungsgemäß wurde der Ersatz dieser Kosten abgelehnt. Es handele sich nicht um „andet tab“, also andere Einbußen, im Sinne des § 1 EAL. Und wenn der dänische Sozialleistungsträger keinen Regressanspruch habe, warum sollte der deutsche Träger seinen Anspruch dann – mittelbar über den Geschädigten – durchsetzen können? Wir konnten die dänische Regelung dem Sozialhilfeträger erläutern, und da es sich um Eingliederungshilfe handelte, Einkommen und Vermögen mithin nicht anzurechnen waren, wurde die Bewilligung abgewandelt zur vollen Übernahme. Das Argument, dass die Kosten des integrativen Kindergartens keinen Schaden nach dänischem Recht darstellen, dürfte zutreffen, wenn diese Kosten grundsätzlich und ohne Rücksicht auf eventuelle Ersatzverpflichtungen in Dänemark von der Kommune übernommen werden. Dann wird man auch unterstellen können, dass im Schadensersatzrecht diese Position nicht als Schaden gesehen wurde und wird. Das Argument, der dänische Sozialleistungsträger sei vom Regress ausgeschlossen und deshalb könne auch der deutsche Träger keinen Regress geltend machen, trifft jedoch, wie ich bereits ausgeführt hatte, nicht zu. Grenzen sind hier nun gesetzt, soweit sich durch den Regress das Haftungsvolumen erweitern würde. Wenig bewirken können wir, wenn einkommensabhängige Sozialleistungen anfallen und die Bedürftigkeitsprüfung ergibt, dass auf Erwerbsschaden eine Kapitalabfindung gezahlt ist. Hier dürften die dänischen Leistungen zunächst zu verbrauchen sein. Unter diesen Umständen muss die für dänische Verhältnisse angemessene Entschädigung für einen in Deutschland lebenden Geschädigten als unzureichend angesehen werden. Wir werden auch darauf zu achten haben, dass dem regressierenden Sozialversicherungsträger nach § 116 Abs. 2 SGB X nur der Teil der Kapitalentschädigung zustehen kann, welcher bei Addition von Rentenanspruch und Entschädigung den Erwerbsschaden übersteigt. Ganz wichtig ist jedoch, dass unter Härtefallgesichtspunkten die geringe, nach dänischem Recht zugestandenen immaterielle Entschädigung, ob für Beißen, Brennen und Schmerzen oder für einen Dauerschaden, sozialhilferechtlich und auch nach dem SGB II nicht einzusetzen ist.
Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Dänemark
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Wenn Sie von dänischen Mandanten angesprochen werden, die auf Kosten der dänischen kommunalen Träger in Deutschland behandelt wurden, müssen Sie auf die Patientforsikring hinweisen. Die daraus folgenden Ansprüche sind leicht und kostengünstig durchsetzbar. Wenn sich Ansprüche gegen den deutschen Krankenhausträger ergeben, wären Ansprüche aus der Patientforsikring als Vorteil anzurechnen. Ausgeschlossen sind weitergehende Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht. Auch für Haftpflichtversicherer der grenznahen Krankenhäuser lohnt es sich, bei Schadensersatzforderungen von in Dänemark lebenden Patienten auf die dänische Patientforsikring zu verweisen oder zumindest darauf hinzuweisen. Möglicherweise begnügt sich der geschädigte Patient mit den dort erzielbaren Leistungen. Auf jeden Fall könnten diese auf Ansprüche aus Arzthaftung nach deutschem Recht angerechnet werden und das Haftungsvolumen damit deutlich mindern.
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Jungbecker: Vielen Dank Herr Fischer. Man ist ja doch erstaunt, wie unterschiedlich Rechtssysteme ausgestaltet sein können bei zwei benachbarten Staaten wie Deutschland und Dänemark. Wenn der EU-Gesetzgeber hier eine Harmonisierung herbeiführen will, hat er sehr viel zu tun, es sei denn, er negiert diese doch gravierenden Unterschiede. Wer ForumShopping betreiben will, muss sich überlegen, ob dänisches oder, deutsches Recht günstiger ist. Das haben wir in England so erlebt und vielleicht mit Abstrichen auch in Spanien. Schünemann, Rechtsanwalt, Celle: Eine Frage an beide Referenten. Im Anschluss an eine kurz erwähnte Entscheidung des dänischen Obersten Gerichtshofs: Wenn ich die Referate richtig verstanden habe, setzen beide Systeme, sowohl das Englische wie das Dänische eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ voraus für den Schaden. Wie gehen Sie in den Systemen mit unserem groben Behandlungsfehler bei nicht überwiegender Wahrscheinlichkeit um? Fischer: Ich habe diese eine Entscheidung des Obersten Gerichts zitiert, in der gesagt wird, wenn wir hier das an der Kausalität scheitern lassen würden, dann würden wir hinter den Zustand zurückfallen, den wir vorher hatten. Und daraus habe ich geschlossen, dass man bei eindeutigen Fehlern die Tendenz hat, den Ausschlag in die Richtung zu geben. Aber die meisten Entscheidungen, die sich mit Kausalität beschäftigen, die gehen auf Behandlungsfehler überhaupt nicht ein, diskutieren dies, im Rahmen der Kausalitätserwägung. Wenn man das Gesetz genau anguckt, ist auch wirklich nur die Rede von „überwiegende Wahrscheinlichkeit“. Ich habe mich schon gewundert, weil ich aus dem Gastspiel, was ich in Dänemark miterleben durfte, eigentlich den Eindruck hatte, eine Beweislastumkehr, wie beim groben Behandlungsfehler in Deutschland, gibt es da nicht.
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Petry, Ecclesia, Detmold: Ich habe an beide jeweils eine Frage: Bei Herrn Morrison würde mich interessieren, wie sieht das mit der Beweislast hinsichtlich der Aufklärung in Großbritannien aus? Und bei Herrn Fischer, bei Ihnen habe ich die Frage, ich bin ein bisschen erstaunt über die Zahl, weil wenn man sieht, dass letztendlich 30 % der Fälle zugunsten der Patienten ausgehen, dann frage ich mich, warum man nach Dänemark gehen soll. Das ist ziemlich genau die Quote, die wir in Deutschland auch haben und wie Sie zu Recht festgestellt haben, sind für die 30 % der Patienten, die hier eine Entschädigung bekommen, also im Verhältnis die Beträge deutlich höher. Insofern muss man ja vielleicht auch mal festhalten, dass das hochgelobte skandinavische Konzept so viel Vorteile gegenüber dem deutschen System offenbar gar nicht hat, nicht nur für Anwälte. Morrison: Ist hier die Frage, gab es eine Aufklärung oder ob sie genügend war? Die erste Frage ist, ob es eine überhaupt gab und dann die Zulänglichkeit dessen. In einem System, wo es eigentlich erwartet wird, dass es irgendwie schriftlich festgehalten wird, in den Notizen kommt man dann in eine Lage, wo es eigentlich nicht nur auf eine Aussage gegen AussageBasis … Kann ich etwas zum ganzen Konzept der Beweislast in England. Das ist hier nicht bei uns eine Frage der Überzeugung, die man des Gerichtes erreichen muss. Man muss in England als Beweis lediglich die höhere Wahrscheinlichkeit erreichen. Also es nicht eine so hohe Schwelle, glaube ich, wie es bei Ihnen üblich ist. Insofern ist die ganze Beweislastproblematik bei uns etwas weniger bedeutend. Wir müssen auch berücksichtigen, dass unser Verfahren ein vielmehr mögliches ist mit den Aussagen von Zeugen und es darum geht, wer eigentlich glaubwürdiger erscheint. Insofern absolute feste Regeln, wer die Beweislast hat, in dieser Hinsicht, hat in der Regel immer der Kläger. Aber die Schwelle als solche zu übertreffen, ist nicht schwierig. Fischer: Die Frage ist, wie kommt es zu den 30 % Prozentzahlen, kann ich natürlich nicht beantworten. Ich kann aber dazu vielleicht einen Hinweis geben: Die Schwelle überhaupt an Patientforsikring heranzugehen, ist sehr niedrig. Das ist ein neutrales Verfahren und Kosten sind nicht zu befürchten. Sie können das als Patient ohne anwaltliche Hilfe machen, die bereiten sogar die Formulare vor. Darüber hinaus ist es so, dass die Leistungserbringer, die Krankenhausärzte, die niedergelassenen Ärzte in ihrem Bereich, wo ein Schaden eingetreten sein könnte, der evtl. Ansprüche nach dem § 20 KEL auslöst, verpflichtet sind, darauf hinzuweisen. Es ist nicht so, dass sie gegenüber ihrem Haftpflichtversicherer verpflichtet sind, den Schaden möglichst abzuleugnen bzw. nicht anzusprechen und auf keinen Fall ein Anerkenntnis – nein, sie sind verpflichtet, darauf hinzuweisen,
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dass man an den Patientforsikring geben kann. Da wird natürlich auch viel leichter ein Antrag gestellt. Ein erheblicher Teil fällt heraus. Die Bagatellgrenze von 10.000 Dänenkronen. Was hatte ich gesagt über Schmerzensgeld? 12 Euro pro Tag. Nun haben Sie mal 60 Tage Behandlungsverlängerung durch eine schlechte Osteosynthese, ansonsten sind Sie Rentner und haben nichts anderes an Schaden. Wie hoch ist der Schadensersatzanspruch? Gegenüber Patientforsikring haben Sie keinen Anspruch, weil Sie mit 1.260,00 € unter der Bagatellgrenze liegen. Ratajczak: Mich würde interessieren, wie es mit diesen grenzüberschreitenden Fällen ist? Der dänische Patient, der in einem deutschen Vertragskrankenhaus behandelt wird. Der würde eigentlich bei den geringen Summen, die es hier gibt, gut daran tun, erst mal in Dänemark sein Glück zu versuchen, aber in Deutschland auch klagen. Umgekehrt, der deutsche Patient, der als Tourist in Dänemark sich ins Gesundheitswesen begibt, dessen Erfolgsort, wenn er es geschickt macht, „über die Grenze gerettet“ in Deutschland ist, der könnte doch nach dänischem Recht erst mal Grundschaden in Dänemark und den Rest in Deutschland einklagen. Gibt es eigentlich solche Fälle? Fischer: Wir hatten so einen Fall mit Bandscheibenprothesen, die in Schleswig-Holstein eingesetzt worden sind auf Kosten des Forsikring, Forsikring hat den Folgeschaden, die Rollstuhlpflichtigkeit und die enormen Schmerzbelastungen sind nicht hinnehmbar, das ist eine unverhältnismäßige Komplikation. Sie haben Schadensersatz nach dänischem Recht zuerkannt. Nach dem dänischen Gutachten lagen weder ein Behandlungs- noch Aufklärungsfehler vor, die Komplikation war zu gravierend. Dann haben wir in Deutschland ein Gutachten eingeholt, glücklicherweise zahlen die dänischen Rechtsschutzversicherer Gutachten, das heißt, wir konnten auf Kosten der dänischen Rechtsschutzversicherung noch mal einen deutschen Neurochirurgen dazu befragen, der offen und ehrlich gesagt hat, das ist nichts drin, das ist Schicksal. Jungbecker: Wenn man jetzt mal einen Fall nimmt, bei dem der Behandlungsfehler auf der Hand liegt, würde dies doppelten Schadenersatz ermöglichen? Fischer: Ja, genau in diesen Fällen. Das ist im Fall der unerlaubten Handlung nach deutschem Recht, da ist nichts ausgeschlossen und da kann auch nichts ausgeschlossen werden. Und die Tatsache, dass man Ansprüche aus der dänischen Patientenversicherung hat, die zwar vorrangig in Anspruch genommen werden müssen, nach den dänischen Regeln. Der deutsche
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Haftpflichtversicherer wird dann entlastet. Herr Bensalah, wenn Sie die Flensburger Krankenhäuser weiter beraten, es kommt ein Fall, mit einem dänischen Patienten, schicken Sie ihn erst mal zur Patientenversicherung, vielleicht ist er damit dann schon zufrieden. Sie senken Ihr Haftpflichtvolumen drastisch. Diese Möglichkeit besteht, ich mache es in eindeutigen Fällen nicht. Grambow, Rechtsanwalt, Hamburg: Herr Fischer, kann ein dänischer Patient nach deutschem Haftungsrecht in Flensburg den dänischen Gesundheitsdienst verklagen? . Fischer: Der dänische Gesundheitsdienst ist ein Verein mit Sitz in Flensburg, gehört zur dänischen Minderheit und ist dem deutschen Recht unterworfen. Grambow: Herr Morrison, Sie sprachen davon, dass die Gerichte in England in Ausnahmefällen eine Ermessensentscheidung dahingehend treffen können, die Verjährungsvorschriften doch nicht greifen zu lassen. Was sind da für Kriterien entscheidend? Morrison: Entscheidend ist, inwiefern der Beklagte einem Präjudiz ausgesetzt ist durch die verflossene Zeit, z. B., wenn Zeugen verschwunden sind, gestorben sind. Hüwe, Rechtsanwalt, Dortmund: Eine Frage an Herrn Morrison: Ich habe vorhin mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass man ja eigentlich außergerichtlich schon verpflichtet ist, sowohl als Klägervertreter als auch als Beklagtenvertreter relativ früh Sachverständige zu beauftragen. Das habe ich sehr gerne zur Kenntnis genommen, weil es meines Erachtens sehr früh zu einer Versachlichung der Angelegenheit führt. Jetzt habe ich aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das aber weiter so verstanden, dass genau diese Sachverständigen später im Rahmen des trials von dem Richter angehört werden. Gibt es im englischen Recht keinen Sachverständigen, der noch vom Gericht beauftragt wird? Sind das dann nur Parteigutachter, die auf der einen und der anderen Seite tätig werden? Morrison: Ausgezeichnete Frage! Es ist immer wieder versucht worden, durch Zivilprozessystemsänderungen einzuführen, dass das Gericht jetzt endlich einen entscheidenden Sachverständigen einschalten soll. Aber in der Praxis hat es sich immer herausgestellt, dass dieser Versuch gescheitert ist. Es gibt Ausnahmen in Seerechtssachen mit Seekapitänen und ähnliches, aber in den meisten Gebieten ist es sehr, sehr schwierig, es hat sich
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einfach nicht durchgesetzt, einen einzigen Sachverständigen einzuschalten, über den sich die Parteien einigen können, zumindest bei schwereren Fällen. Bei den ganz Kleinen, hat es sich ein bisschen durchgesetzt. Aber in der Praxis, wenn es um viel Geld geht, ist eher gewährleistet, dass man gute Sachverständige bekommt. Wenn diese vor Einleitung des Gerichtsverfahrens eingeschaltet werden, kann nützlich sein. Es kann dazu führen, dass man vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens zu einem Ergebnis, zu einer Lösung kommt. Sei es eine einvernehmliche Lösung oder die Einsicht, dass es sinnvoll ist. Stegers, Rechtsanwalt, Berlin: Ich möchte noch mal eine kleine Anmerkung machen zum Sachverständigenbeweis im angloamerikanischen Raum verglichen mit dem in Deutschland. Im angloamerikanischen Raum gibt es immer nur den Sachverständigen, der von der Partei bestellt ist, als Grundsatz. Es mag Ausnahmen geben, aber das ist der Grundsatz. Die Konsequenz in der Prozesspraxis - teilweise inzwischen auch codifiziert in einigen Bundesstaaten und in Australien ist - dass es eine Tendenz gibt, beide Sachverständige zu konfrontieren. Beide Sachverständigen in der gleichen Verhandlung, also nicht hintereinander, sondern zusammen anzuhören und zu befragen. Dies kann zu besserer Erkenntnis führen. Das vielleicht nur als kleiner Hinweis. Uphoff, Rechtsanwalt, Bonn: Zwei Fragen an Herrn Kollegen Morrison. Der Kollege Hüwe hat ja so kurz im Nebensatz erwähnt, dass das Veranlassen von Gutachten zu einer Versachlichung führt. Ist das so in England und Wales? Das war die erste Frage! Die zweite Frage: Wie geht denn der englische Richter mit der Situation um, wenn zwei sachliche Privatgutachter vortragen, aber divergierende Meinungen haben? Morrison: Ja, was macht der Richter, der ohne jegliche wissenschaftliche Kenntnisse zwischen zwei Wissenschaftlern zu entscheiden hat? Er muss durch seine üblichen forensischen Maßnahmen die Zusammenhänge prüfen: Zeugen, Sachverständige hören und sich ein eigenes Bild machen. anders geht es nicht. Steinmeister, Rechtsanwalt, Köln: Eine Frage, gibt es überhaupt keine Möglichkeit in Dänemark einen Arzt in Anspruch zu nehmen, auch wenn er noch so fehlerhaft handelt, vorsätzlich, grob fahrlässig?
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Fischer: In dem Umfang, in dem die Patientenversicherung gilt, gibt es diese Möglichkeit nicht. Das ist extra ausgeschlossen in diesem KEL, dem Gesetz, das der Arzt nicht direkt in Anspruch genommen werden kann, soweit die Ansprüche aus der Patientenforsikring reichen. Und da die Ansprüche aus der Patientenversicherung, die dem allgemeinen Haftungsrecht, mit Ausnahme der Bagatellfälle geltend gemacht werden, sind die Ärzte in Dänemark relativ gut geschützt vor direkter Inanspruchnahme, was nicht die strafrechtliche Schiene ausschließt. Strafrechtlich sind auch in Dänemark Ärzte verantwortlich.
Versicherungsschutz bei länderübergreifender ärztlicher Behandlung
Patrick Weidinger „Länderübergreifende“ Behandlungen gibt es unter vielen Aspekten: Ausländische Patienten lassen sich in Deutschland behandeln, ausländische Ärzte behandeln in Deutschland, und deutsche Ärzte arbeiten als Flugbegleiter, Schiffsärzte oder niedergelassen bzw. angestellt in einem anderen Land. Und schließlich wird länderübergreifend Telemedizin praktiziert. Für alle diese Tätigkeiten ist die Notwendigkeit einer Berufshaftpflichtversicherung zu prüfen und bei Bedarf eine solche vorzuhalten1. Die Behandlung ausländischer Patienten in Deutschland stellt besondere Anforderungen an die Kommunikation einschließlich der Patientenaufklärung2 und an die Beachtung spezieller sozialer Regeln. Es gilt deutsches Recht (Art. 28 Abs. 2, 3; 41 Abs. 2 r. 1 EGBGB) für Haftungsgrund und Haftungsumfang3. Wird ein in Deutschland versicherter Arzt im Ausland tätig, kann unter mehreren Aspekten Versicherungsschutz über seine deutsche Versicherungspolice bestehen4. Der Begriff des Auslandes ist dabei staatsrechtlich zu verstehen; Handelsschiffe auf hoher See werden als schwimmende Be-
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Hübner, ZVersWiss 1990, 55 f: Die Heilwesenhaftpflichtversicherung stellt ein für den berufstätigen Arzt unverzichtbares und auch für den geschädigten Patienten segensreiches Instrument der Haftungsvorsorge dar. Ohne sie könnten angesichts der hohen Risikoträchtigkeit die meisten ärztlichen Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden. Wenzel, Handbuch des Fachanwaltes Medizinrecht, 1. Auflage 2007, Kapitel 4, Rdnr. 156. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Auflage 2008, Rdnr 808 ff. Maßgeblich sind die für den konkreten Fall individuell zu Grunde liegenden Versicherungsbedingungen. Zudem können individuelle Regelungen vereinbart sein oder vereinbart werden.
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standteile des Heimatstaates gesehen, Schadenereignisse auf deutschen Schiffen werden als Inlandsereignisse gesehen5. Die normativen Grundlagen der Arzthaftpflichtversicherung finden sich in der Kaskade von Versicherungsvertragsgesetz (VVG), Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB), Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Heilwesen-Haftpflichtversicherung (BBR-Ärzte) bzw. „geschriebenen“ Krankenhausbedingungen sowie in individuellen Vereinbarungen. Die AHB sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Haftpflichtversicherung (kein Gesetzesrecht); die BBR passen die AHB den Bedürfnissen der einzelnen Haftpflichtbereiche an. Sie sind wie die AHB allgemeine Geschäftsbedingungen. Der Umfang des Versicherungsschutzes und insbesondere die Inhalte der BBG können von Versicherer zu Versicherer unterschiedlich sein6. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) können folgende Regelung für eine Auslandsdeckung treffen7: „7 Ausschlüsse Falls im Versicherungsschein oder seinen Nachträgen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, sind von der Versicherung ausgeschlossen: … 7.9 Haftpflichtansprüche aus im Ausland vorkommenden Schadensereignissen; Ansprüche aus § 110 Sozialgesetzbuch VII sind jedoch mitversichert.“
In diesem Ausschluss an 1.1. AHB8 auf die Schadenereignistheorie (im Gegensatz zu Verstoßtheorie, claims made u.a. Modellen für die zeitliche Zuordnung des Versicherungsschutzes) abgestellt9. 5
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Vgl. § 149 VVG Rdnr. 16); Pröls/Martin VVG 27. Auflage 2004 AHB § 4 Rdnr. 9. Deshalb Vorsicht vor allgemeinen Aussagen wie N.N. MWV-Skript „Arzthaftung und Arzthaftpflichtversicherung“ 10/2000 unter Ziff. 6.2.8 zur Angehörigenklausel! Hier: Orientierung an den unverbindlichen, fakultativen AHB Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), Stand: Januar 2008. 1.1 der Muster-AHB des GDV lautet: „Versicherungsschutz besteht im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadensereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Schadenereignis ist das Ereignis, als dessen Fol-
Versicherungsschutz bei länderübergreifender ärztlicher Behandlung
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Die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR) können einen Ausschluss dieses Ausschlusses formulieren. Dies gilt sowohl für können die BBR Ärzte als auch für die BBR Privathaftpflicht. Versicherungsschutz über die Privathaftpflichtversicherung kann in Betracht kommen, wenn es dort heißt: „Eingeschlossen ist bei vorüber gehendem Auslandsaufenthalt von (Angabe des Zeitraumes) die gesetzliche Haftpflicht aus im Ausland vorkommenden Schadenereignissen.“10 Zwar versichert nur die Berufshaftpflichtversicherung den Beruf des Arztes11, grundsätzlich sind aber gelegentliche, berufliche Kenntnisse voraussetzende Tätigkeiten im Rahmen der Privathaftpflichtversicherung gedeckt, sofern sie nicht auf Dauer angelegt sind12. Der Versicherer muss dann beweisen, dass der Schaden eine Folge beruflicher Tätigkeit ist13. Es ändert am beruflichen Charakter zwar nichts, dass die Ausübung unentgeltlich erfolgt, es kann aber entscheidend sein, dass es sich um einen spontanen, ungeplanten Einsatz beruflicher Kenntnisse aus akutem Anlass handelt. Einen entsprechenden Hinweis gibt eine Entscheidung des OLG München14 zur Haftung eines zufällig am Unfallort anwesenden Arztes für Hilfeleistung anlässlich eines Ertrinkungsfalles. Das Gericht stellt fest, dass der Beklagte nicht auf Grund eines Behandlungsvertrags (§ 611 BGB), sondern auf Grund eines Aufnahmeverhältnisses (§ 662 BGB) tätig geworden ist. Gegen den Abschluss eines Behandlungsvertrages spreche, dass der Beklagte nicht in seiner Eigenschaft als Arzt, sondern wie ein beliebiger Dritter zufällig und überraschend in seiner Freizeit mit einer Notsituation konfrontiert wurde. Rechtlich habe er keine Wahl gehabt, ob er der Kl. Hilfe leistet oder nicht. Er sei vielmehr wie jeder am Unfallort Anwesende verpflichtet gewesen, sich um die bewusstlose Klägerin zu küm-
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ge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung, die zum Schadenereignis geführt hat, kommt es nicht an.“ Konsequenz ist u.a. die Notwendigkeit einer Nachhaftungsversicherung im Anschluss an einen Risikowegfall, 17 Muster-AHB. Kuwert/Erdbrügger, Privathaftpflichtversicherung, 1984, Rdnr 5011: Diese Regelung wurde in die PHV Anfang der 60er aufgenommen wegen des sich etablierenden Massentourismus aufgenommen. Der Beruf dient nachhaltig dem Lebensunterhalt (so z.B. Schimikowski, FH Köln, FB Versicherungswesen, PHV-Seminar 2001, Anm. zu Arbeitsunterlagen Seite 2) und ist abzugrenzen von Freizeitgefahren, BGH VersR 1981, 271; vg. auch OLG Köln VersR 2000, 95. Hunger in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwaltes Versicherungsrecht, Kap. 24, Rdnr. 7. Pröls/Martin VVG 27. Auflage 2004 Privathaftpflicht Nr. 1 Rdnr. 6. OLG München, Urteil vom 6.4.2006 – 1 U 4142/05, NJW 2006 Heft 26, 1883.
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mern (§ 323c StGB). Jedem anderen (Nichtarzt) würde in einer solchen Situation das Haftungsprivileg des § 680 BGB zugute kommen, das nicht nur bei Geschäftsführung ohne Auftrag greift, sondern auch bei der Übernahme eines Auftrags zur Abwendung einer dringenden Gefahr regelmäßig stillschweigend vereinbart wird. Zum anderen müsste auch im Falle eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens des Helfers der Geschädigte die Beweislast für die Kausalität zwischen Fehler und eingetretenem Schaden tragen. Während die Privathaftpflichtversicherung für Sondersituationen wie ungeplante und notwendige Unfallhilfe im Ausland in Betracht kommt, ist die Berufshaftpflichtversicherung die originäre Versicherung für die Ausübung des ärztlichen Berufes. In solchen BBR Ärzte15 kann es heißen: „Eingeschlossen ist – abweichend von Ziff. 7.9 AHB – die gesetzliche Haftpflicht wegen im Ausland vorkommender V-Fälle aus der Ausübung der beruflichen Tätigkeit im Inland, soweit sich der Patient im Zeitpunkt der ärztlichen Konsultation im Inland aufgehalten hat; Erste-Hilfe-Leistungen bei Unglücksfällen im Ausland; Anlass von Geschäftsreisen oder aus der Teilnahme an Ausstellungen-, Kongressen, Symposien, Messen und Märkten. Ausgeschlossen sind Ansprüche auf Entschädigung mit Strafcharakter, insbesondere punitive oder exemplary damages. Aufwendungen des Versicherers für Kosten Leistungen auf die V-Summe angerechnet. Kosten sind: Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugen- und Gerichtskosten, Aufwendungen zur Abwendung oder Minderung des Schadens bei oder nach Eintritt des V-Falles sowie Schadenermittlungskosten auch Reisekosten, die dem Versicherer nicht selbst entstehen.“
Ähnliche Regelungen können sich auch in einer Police der Betriebshaftpflichtversicherung eines Krankenhauses16 finden: „Eingeschlossen ist die gesetzliche Haftpflicht wegen im Ausland vorkommender Versicherungsfälle aus der Ausübung der versicherten Tätigkeit im Inland, soweit sich der Patient im Zeitpunkt der ärztlichen Konsultation im Inland aufgehalten hat; Erste-Hilfe-Leistungen bei Unglücksfällen im Ausland; aus Anlass von Geschäftsreisen oder aus der Teilnahme an Ausstellungen, Kongressen, Symposien, Messen und Märkten; Ausgeschlossen sind Ansprüche auf Entschädigung mit Strafcharakter, insbesondere punitive oder exemplary damages…“
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Hier: Unverbindliches Beispiel. Hier: Unverbindliches Beispiel.
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Darüber hinaus kann es versichererspezifische Produkte, z.B. für das so genannte Segment der Jungärzte, geben, in welchen die Geltung der Haftpflichtversicherung für vorübergehenden Aufenthalt im Ausland, zum Beispiel weltweit für die Dauer bis zu einem Jahr, zugesagt wird. Für die Berechnung dieser Dauer gibt es verschiedene Modelle. Die Geltungsdauer wird sich wohl nicht additiv über die gesamte Versicherungszeit bemessen, sondern „am Stück“, so dass nach Unterbrechung des Auslandsaufenthaltes über Weihnachten die Zeitspanne von vorne beginnt und die Haftpflichtversicherung wieder für ein weiteres Jahr gilt. Allen Modellen des Deckungsschutzes für eine berufliche Tätigkeit im Ausland ist gemeinsam, dass sie einen Ausnahmetatbestand darstellen. Ein Versicherer, der Versicherungsschutz für Tätigkeiten im Ausland zur Verfügung stellt, kann seiner Kernaufgabe17 nur nachkommen, wenn er die Besonderheiten des Auslandes in außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren, in Schadensersatz-, Arbeits- und Berufsrecht kennt und über ein Netzwerk an kompetenten Rechtsanwälten im Ausland verfügt. Die Kenntnis des ausländischen Rechts ist gleichbedeutend mit der Kenntnis der jeweiligen landesspezifischen Besonderheiten. So ist das Arzthaftungsrecht in den Vereinigten Staaten18 mit seinen vertraglichen (contractual) und deliktischen (tort) Anspruchsgrundlagen und deren Substantiierung durch fahrlässige Behandlungsfehler (misfeasance), Fehler in der Patientenaufklärung (lack of informed consent) und Nichterreichen eines zugesicherten Erfolges (breach of express contract) mit bundesstaatlichen Besonderheiten richterlich geprägt19. Aber auch die Beurtei17
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Vgl. 5.1 der Muster-AHB aaO: „Der Versicherungsschutz umfasst die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche und die Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Schadensersatzverpflichtungen. … 5.2 Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadensersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers abzugeben. Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt. Er führt den Rechtsstreit im Namen des Versicherungsnehmers auf seine Kosten.“ Sehr instruktiv: Krahe, Die Haftungssystematik bei ärztlicher Arbeitsteilung und Zusammenarbeit in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Deutschland (Dissertation), Mensch & Buch Verlag 2004, ISBN 3-89820-756-0. Krahe, aaO; ostensible-agency-Doktrin des California Supreme Court von 1955 zur derivativen Haftung des Krankenhausträgers für den independent practitioner mit medical staff privilegs; verschiedene Systeme der „arbeitsrechtlichen“ Haftungsfreistellung sind in ständigem Fluss; Hirte/Willamowski, Die Entwicklung des Haftungsrechts in den Vereinigten Staaten von Amerika von 2001 bis
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lung der konkreten versicherungsvertraglich gedeckten Risiken bedarf spezieller Kenntnisse20. Richterlich geprägt ist auch das Arzthaftungsrecht in England21. So hatte nach Ansicht der Mehrheit der Richter des Court of Appeal ein Arzt nach der Geburt eines anlagebedingt schwerstkranken Kindes die Beweislast für die Plausibilisierung, dass sein Ultraschallecho tatsächlich nicht vorhandene Gehirnstrukturen darstellte22. Andere Länder haben weitere systemische Besonderheiten. So gibt es in Österreich eine durch Solidarabgabe/Selbstversicherung von Spitalpatienten finanzierte subsidiäre Entschädigung in Fällen „nicht eindeutiger“ Haftung, § 27a des österreichischen Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes KAKuG, in Neuseeland eine solidarfinanzierte Volksunfallversicherung für Fälle „fehlgeschlagener Heilbehandlung“ und in skandinavischen Ländern eine Patientenversicherung, in Dänemark23 z.B. als Bestandteil des staatlichen Fürsorgesystems, welches aber aus Kostengründen Private Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Zahnärzte nicht erfasst. Besonders anspruchsvoll wird die Situation für den Versicherer, wenn eine Abgrenzung Inlands- und Auslandstätigkeit nicht durch die Tätigkeit in einem konkreten Land bestimmt wird. Dies ist insbesondere bei länderübergreifender Telemedizin der Fall24:
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2005, VersR 2007, 143, 146 ff: Eine Ausdehnung des Anspruchs auf ärztliche Versorgung und die korrespondierenden unabhängigen Fürsorgepflichten eines Arztes nahm (auch) eine Entscheidung des obersten Gerichts im Bundesstaat Arizona vor. Der zukünftige Arbeitgeber einer Patientin übersandte einem Arzt ein Röntgenbild zur Begutachtung. Anhand des Röntgenbildes stellte dieser die Verdachtsdiagnose Tuberkulose und teilte diese dem Arbeitgeber mit. Bei der Patientin wurde später Lungenkrebs festgestellt. Sie verklagte den Arzt, der sie nie gesehen hatte, weil ein Hinweis zum Zeitpunkt der Diagnose Tuberkulose deutlich bessere Behandlungschancen gehabt hätte. Das Gericht stellte Verpflichtung fest, die Patientin auch außerhalb eines Behandlungs- und Vertrauensverhältnisses („doctor-patient-relationship“) zu informieren. Vgl. Flatten, Die Arzthaftpflichtversicherung in den Vereinigten Staaten von Amerika, Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften 1996, ISBN 3-631-30699-7, insbes. S 186 ff). Details siehe Morrison, Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Großbritannien, in diesem Band. Vorpeil, Haftung bei beruflichen Sorgfaltspflichtverletzungen in England, VersR 2006, 28 ff. Details siehe Fischer, Materielle und prozessuale Voraussetzungen der Arzthaftung in Dänemark in diesem Band. Sehr instruktiv: Pielach, Haftungsfragen in der Telemedizin, Verlag Dr. Kovac, 2004, ISBN 3-8300-1669-7, S. 197 ff.
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Wo ist der Arzthaftungsprozess zu führen, und nach welchem Recht ist die Haftung zu beurteilen? Die Regeln über die internationale Zuständigkeit bestimmen, ob im konkreten Fall ein deutsches Gericht zuständig ist. Grundsätzlich haben Staatsverträge Vorrang vor nationalen Vorschriften. Regelungen ergeben sich aus der EuGVVO, dem EuGVÜ, dem LugVO und dem deutschen IPR. Je nach Fall sind möglich
Der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes/Verwaltungs-sitzes des Arztes/der Klinik Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Ort, an dem die Leistung erbracht wurde) Die Klage am Wohnsitz des Verbrauchers Das Gerichtsstandswahlrecht bei deliktischen Distanzdelikt.
Für die Frage des anwendbaren Rechts ist maßgebend:
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Der medizinische Behandlungsvertrag unterliegt wie jeder Vertrag der Rechtswahl durch die Parteien, Art. 27 EGBGB. Ist nichts vereinbart, gilt das Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engste Bindung aufweist. Dabei wird vermutet, dass die engste Verbindung zu dem Staat besteht, in dem die Person, die die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, Art. 28 Abs. 2 und 3 EGBGB. Charakteristische Leistung ist die des Arztes, so dass das Recht des Ortes der Praxis oder des Krankenhauses vermutet wird25. es empfiehlt sich eine Rechtswahlvereinbarung. Die deliktische Komponente mit Tatort- (Handlungs- und Erfolgsort-) Prinzip, Art. 40 Abs. 1 EGBGB sieht für das Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort (Distanzdelikt) gem. Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das Recht des Handlungsortes vor, sofern nicht der Verletzte rechtzeitig die Anwendung des Rechtes des Erfolgsortes verlangt (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 und 3 EGBGB, Ubiquitätsprinzip). Ausnahmen können sein der gemeinsame gewöhnliche Aufenthaltsort, Art. 40 Abs. 2 EGBGB, die Ausweichklausel, Art. 41 EGBGB, die Rechtswahl, Art. 42 EGBGB oder besondere Rechtsgrundlagen wie das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Deutsch/Spickhoff, 6. Auflage 2008 Rdnr 808 ff: Wegen Art. 29 Abs. 4 S 1 Nr. 2 EGBGB gilt die besondere Anknüpfung an Verbraucherverträge nicht, Art. 29 EGBGB, es bleibt bei der genannten Zuordnung.
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Patrick Weidinger
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16.09. 1988 (BGBI 1994 II 2658 ff). Mit diesem Luganer Übereinkommen hat sich aktuell der Bundesgerichtshof befasst26. Die Parteien stritten über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Ein Arzt hatte in der Schweiz einem in Deutschland wohnhaften Patienten Medikamente verschrieben, die am Wohnort des Patienten zu schweren Nebenwirkungen führten, und über die der Arzt nicht aufgeklärt hatte. Der BGH stellt die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine auf deliktische Ansprüche gestützte Klage aus Art. 5 Nr. 3 LugÜ27, weil der Erfolgsort in Deutschland liegt. Denn eine ärztliche Heilbehandlung, die – mangels ausreichender Aufklärung – ohne wirksame Einwilligung des Patienten erfolge, führe nur dann zur Haftung des Arztes, wenn sie einen Gesundheitsschaden des Patienten zur Folge habe. Dies ergab sich aus der Ausnahmeregel des Art. 5 Nr. 3 LugÜ zu Art. 2 Abs. 1 LugÜ28. In dieser Entscheidung zeigt sich einmal mehr die Komplexität der so genannten Auslandsdeckung, auch wenn sich dieser Fall aus den dargelegten Versicherungsbedingungen lösen lässt29. Auf Grund der aufgezeigten Komplexität ist die Versicherung ärztlicher Tätigkeit im Ausland problematisch. Für bestimmte Konstellationen sind die dargestellten Deckungskonzepte denkbar, auch wenn diese für den inländischen Versicherer nur schwer einzuschätzende Risiken bergen30. Für 26 27
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BGH, Urt. v. 27.05.2008 – VI ZR 69/07 – NJW 2008, 2344. Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16.09. 1988 (BGBl 19994 II 2658 ff). Art. 2 Abs. 1 LugÜ: Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, können nur vor den Gerichten dieses Staates verklagt werden. Art. 5 Nr. 3 LugÜ: Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, kann in einem anderen Staat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, wenn eine (autonom auszulegende) unerlaubte Handlung oder Ansprüche aus einer solchen Handlung (jeweils als Schadenhaftung) den Gegenstand des Verfahrens bilden. Wenn Deckungsschutz für Handlungen im Inland und Schadenfolge im Ausland besteht. Deshalb ist eine pauschale Kritik an entsprechender Beitragskalkulation nicht gerechtfertigt. Wie zum Beispiel im Beitrag „Die Assekuranz is not amused!“ in ARZT & WIRTSCHAFT 3/2005, 41 f, wo es heißt: „Immer mehr deutsche Ärzte versuchen, sich neben ihrer Praxis durch Wochenendvertretungen in England etwas dazu zu verdienen. Das versuchen mit fadenscheinigen Argumenten auch die Berufshaftpflichtversicherer, die auf den Boom der Wochenendeinsätze in England arg unfair reagieren und Kasse machen“.
Versicherungsschutz bei länderübergreifender ärztlicher Behandlung
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eine dauernde Auslandstätigkeit ist der ausländische Versicherer die richtige Wahl. Wie findet man eine Berufs-/Betriebshaftpflichtversicherung im Ausland und wie ermittelt man den Versicherungsbedarf? Hilfe können bieten internationale oder ausländische Vermittler, internationale Versicherungskonzerne (soweit ihre ausländischen Tochtergesellschaften Arzthaftpflichtrisiken zeichnen), potentielle ausländische Arbeitgeber, Kollegen und eine Literaturrecherche. So wurden in L`ARGUS DE L’ASSURANCE N. 6925 vom 15.04.2005 unter dem Titel „ASSURANCES RC MÉDICALE: Un mal français?“ einige der zu diesem Zeitpunkt tätigen Berufs-/Betriebshaftpflichtversicherer gelistet: Belgien (AXA, Marsh), Deutschland (DBVWinterthur, Allianz, Victoria, Zürich, Versicherungskammer Bayern), England (Lloyds, Zürich, Converium), Frankreich (AXA, la Sham, MACSF-Le Sou médical, MIC), Italien (Assitalia/Generali, Fondiaria-SAI, RAS/Allianz, Unipol, Cattolica), Niederlande (VVAA, Centramed, Medirisk), Portugal (AXA Segouros) und Spanien (Ama mutuelle, Mapfre, Nacional des Reaseguros).
Regress und Unterstützungsleistung der deutschen Sozialversicherung nach Behandlungsfehlern im EU-Ausland
Richard Giesen
A. Einleitung Die Frage nach dem Umgang deutscher Sozialversicherungsträger mit Arzthaftungsfällen bei Auslandsbehandlung stellt sich in zweifacher Weise. In erster Linie geht es um den internationalen Regress. Die Möglichkeit des Regresses ergibt sich immer dann, wenn ein Versicherter aufgrund eines im Ausland erlittenen Behandlungsfehlers vom deutschen Sozialversicherungsträger Behandlungs- oder Geldleistungen erhält. Der deutsche Sozialversicherungsträger muss dann prüfen, ob er den Haftenden wegen der damit verbundenen Kosten in Anspruch nimmt. Der diesbezügliche Anspruchsübergang erfolgt nach deutschem Recht insbesondere gemäß § 116 SGB X. Zweitens existiert mit § 66 SGB V aber noch eine eigene Regelung, nach welcher die Krankenversicherungsträger bei der Geltendmachung nicht übergegangener eigener Ansprüche der Versicherten Hilfeleistung bieten können. Im Folgenden sollen beide Aspekte aus internationaler Sicht beleuchtet werden. Es geht also zum einen um den internationalen Regress (sogleich I-III) und zum anderen um die Unterstützung Versicherter bei Behandlungsfehlern (unten IV).
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B. Grundfragen der Arzthaftung und des Regresses durch den Sozialversicherungsträger Die Frage des Regresses stellt sich, wenn ein Versicherter – möglicherweise - Opfer eines ausländischen Behandlungsfehlers und deshalb auf Kosten seines hiesigen Krankenversicherungsträgers (hier oder im Ausland) Leistungen erhalten hat. I. Vertragsrechtliche und deliktsrechtliche Arzthaftung Der Regress beruht regelmäßig darauf, dass der ausländische Arzt seine Berufspflichten verletzt und somit einen Schaden des Versicherten verursacht hat, sei es die Verletzung des Lebens, der körperlichen oder der psychischen Gesundheit. Sowohl nach deutschem als auch nach ausländischem Recht kommen in dieser Situation vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche in Betracht. Entsprechende Haftungstatbestände sind bei uns derjenige aus dienstvertraglicher Schlechtleitung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie derjenige nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit sowie gegebenenfalls nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Körper- oder Lebensverletzungsstraftatbestand des Strafgesetzbuches (s. etwa §§ 222, 229 StGB). II. Anspruchsübergang nach § 116 SGB X Diese Ansprüche aus ärztlichen Behandlungsfehlern gehen nach deutschem Recht gemäß § 116 SGB X auf den Sozialversicherungsträger über. Der Forderungsübergang erfolgt bei Bestehen einer Leistungsverpflichtung des Trägers. Es kommt also nicht wie beispielsweise bei § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 86 VVG auf die Befriedigung des Gläubigers an (vgl. abweichend von § 116 SGB X auch etwa § 33 SGB II, § 94 SGB XII). Das hat erhebliche Vorteile für den Träger, da die Geltendmachung des Anspruchs nicht verzögert wird und andere Personen – insbesondere der Geschädigte oder seine Gläubiger – nicht mehr über die Ansprüche verfügen oder vollstreckungsrechtlich auf sie Zugriff nehmen können. Soweit der Schädiger irrtümlich an den Geschädigten statt an den Träger leistet, bleibt ihm nur der gegebenenfalls eingreifende Schutz des gutgläubigen Schuldners (s. §§ 412, 407 ff. BGB, § 116 Abs. 7 SGB X). § 116 SGB X ist bei alledem keine Anspruchsgrundlage, sondern regelt nur den Übergang der jeweiligen Schadensersatzforderung. Deren Rechtsnatur bleibt unverändert; sie kann nicht durch Leistungsbescheid geltend gemacht wer-
Regress und Unterstützungsleistungen der deutschen Sozialversicherung
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den, sondern ist bei den für den Schadensersatzanspruch zuständigen Gerichten einzuklagen. Bei uns ist das die ordentliche Gerichtsbarkeit in Zivilsachen.1 1. Grundfragen des internationalen Regresses
Wenn der Behandlungsfehler bei einer Behandlung im Ausland eintritt und ein inländischer Sozialversicherungszähler wegen dieses Fehlers leistet, stellt sich die Frage nach den internationalen Rahmenbedingungen. Prinzipiell ist diese mehrgliedrig.
Zum einen ist der Gerichtsstand zu ermitteln, also die Frage, die Gerichte welches Staates angerufen werden können. Wenn ein zuständiges Gericht gefunden ist, muss weiter geklärt werden, welches Recht dieses Gericht anzuwenden hat. Hier kann man wieder unterscheiden. Erstens geht es um die Anspruchsentstehung, also das zugrunde liegende vertragliche und deliktische Haftungsrecht. Und zweitens geht es um den Anspruchsübergang, also die Frage, ob § 116 SGB X oder eine entsprechende Regelung des Auslands anzuwenden ist. Mit anderen Worten: Es müssen das Haftungsstatut und das Zessionsstatut lokalisiert werden.
2. Internationale Zuständigkeit nach EuGVVO a) Anwendungsbereich der EuGVVO
In Fällen der Arzthaftung nach Auslandsbehandlung stellt sich somit zunächst die Zuständigkeitsfrage. Diese ist innerhalb der EU durch die Verordnung EG Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geregelt, kurz EuGVVO.2 aa) Regressstreitigkeiten als Zivilsachen i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO
Zunächst zum sachlichen Anwendungsbereich. Die Verordnung gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Satz 1 für „Zivil- und Handelssachen“. Die Inanspruchnahme des Arztes ist als Zivilsache einzuordnen, auch wenn sie 1
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S. im Einzelnen Giesen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 116 SGB X, Rz. 27 ff. Verordnung vom 22.12.2000, ABl. 2001 Nr. L 12, S. 1, ber. ABl. 2001 Nr. L 307, S. 28.
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nach Anspruchsübergang im Regresswege durch den Sozialversicherungsträger geltend gemacht wird. Der EuGH hat bezüglich der Vorgängerregelung zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO entschieden, dass ein zivilrechtlicher Anspruch, der aufgrund eines sozialrechtlich geregelten Anspruchsübergangs durch eine Behörde geltend gemacht wird, damit nicht seine Natur als zivilrechtlicher Anspruch verliert. Der Regress ändert also nicht die Einordnung als „Zivilsache“. Das erscheint nur folgerichtig, nachdem der Sozialleistungsträger kraft Regresses ja „nur“ die Rolle des bisherigen zivilrechtlichen Gläubigers annimmt und denjenigen Anspruch geltend macht, den dieser vorher innehatte.3 bb) Nichtgeltung der Ausnahmeregelung zugunsten der „sozialen Sicherheit“ i.S.d. Art. 1 Abs. 2 lit. c EuGVVO
Der vom EuGH entschiedene Fall betraf übrigens einen familienrechtlichen Unterhaltsanspruch, der von einem Sozialhilfeträger geltend gemacht wurde.4 Dementsprechend ergab sich für den Gerichtshof die Gelegenheit, über eine Ausnahmeregelung betreffend den sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO zu entscheiden, nämlich über deren Art. 1 Abs. 2 lit. c. Hiernach ist die Verordnung nicht anzuwenden auf „die soziale Sicherheit“. Der EuGH legt diese Vorschrift in systematischer Übereinstimmung mit der VO 1408/71 aus, in welcher ein umfassendes europäisches System zur Koordinierung und Abstimmung von Sozialversicherung enthalten ist.5 Der Begriff der „sozialen Sicherheit“ wird demnach dem Geltungsbereich der VO 1408/71 entnommen, wie er in Art. 4 VO 1408/71 geregelt ist. In Art. 4 Abs. 1 VO 1408/71 sind in einem nicht erweiterbaren numerus clausus6 die klassischen Felder der sozialen Sicherheit aufgezählt worden. Der Katalog ist in die – demnächst in Kraft tretende – Nachfolgeverordnung, die VO 883/2004 übernommen worden und erfasst unter ande3
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EuGH 14.11.2002, Rs. C-271/00 (Baten), Slg. 2002. I-10489 (Rz. 28 ff. = 10519 ff.); Geimer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh. I, EuGVVO, Art. 1, Rz. 42. Der EuGH machte a.a.O. Rz. 35-37 eine Einschränkung für den Fall, dass ein zivilrechtlicher Anspruchsverzicht für den behördlichen Regress unbeachtlich ist. In dieser Situation ist die Behörde nicht mehr mit dem zivilrechtlichen Anspruchsinhaber vergleichbar, so dass auch eine „Zivilsache“ nicht mehr gegeben ist. EuGH 14.11.2002, Rs. C-271/00 (Baten), Slg. 2002, I-10489 (Rz. 41 ff. = 10522 ff.); Geimer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh. I, EuGVVO, Art. 1, Rz. 42. EuGH 27.3.1985, Rs. 249/83 (Hoeckx), Slg. 1985, 973 (985 ff.); EuGH 27.3.1985, Rs. 122/84 (Scrivner), Slg. 1985, 1027 (1034 f.).
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rem Leistungen bei Krankheit, bei Mutterschaft, bei Invalidität, bei Arbeitsunfällen und bei Berufskrankheiten.7 Der Geltungsbereich des Art. 4 Abs. 1 VO 1408/71 bzw. Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 wird durch Art. 4 Abs. 4 VO 1408/71 bzw. Art. 3 Abs. 5 VO 883/2004 eingeschränkt, wonach Leistungen der Sozialhilfe und der Kriegsopferversorgung ausgeschlossen werden.8 Es ist klar, dass Leistungen, die ein Sozialversicherungsträger erbringt, um das Opfer eines ärztlichen Kunstfehlers zu behandeln oder durch Rente zu entschädigen, unter die VO 1408/71 bzw. die VO 883/2004 fallen. Dennoch bedeutet das nicht, dass deshalb die Ausnahmeregelung zugunsten der „sozialen Sicherheit“ i.S.d. Art. 1 Abs. 2 lit. c EuGVVO zur Anwendung käme. Das ist beim Regress etwa des Krankenversicherungsträgers gegen den Arzt gerade nicht der Fall. Denn hier gilt dasselbe wie soeben bereits zur „Zivilsache“ i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO gesagt: Dadurch, dass ein zivilrechtlicher Haftungsanspruch von einem Sozialleistungsträger geltend gemacht wird, ändert sich nichts an seiner Rechtsnatur. Er bleibt zivilrechtlicher Haftungsanspruch und wird nicht zum Sozialleistungsanspruch. Dementsprechend muss es auch für diese Ausnahme dabei bleiben, dass der sachliche Anwendungsbereich der EuGVVO eröffnet ist.
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Die entsprechenden Leistungssysteme werden nach Art. 4 Abs. 2 VO 1408/71 bzw. Art. 3 Abs. 2 VO 883/2004 unabhängig davon erfasst, ob sie beitragsoder steuerfinanziert sind. Nach Art. 4 Abs. 2 VO 1408/71 bzw. Art. 3 Abs. 2 VO 883/2004 greift die Verordnung auch dann, wenn kein Versicherungsträger, sondern der Arbeitgeber das entsprechende Risiko zu tragen hat, wie beispielsweise bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, EuGH 3.6.1992, Rs. C45/90 (Paletta I), Slg. 1992, I-3423 (3462 ff.) = BB 1992, 1721 ff.; EuGH 2.5.1996, Rs. C-206/94 (Paletta II), Slg. 1996, I-2357 (2389 ff.) = BB 1996, 1116 ff. = EuZW 1996, 375 ff. = EzA § 5 LohnFG, Nr. 1. Vgl. EuGH 21.2.1991, Rs. C-245/88 (Daalmeijer), Slg. 1991, I-555 (577); EuGH 16.12.1993, Rs. C-28/92 (Leguaye-Neelsen), Slg. 1993, I-6857 (6878); Fuchs in Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl. 2005, Art. 4 VO 1408/71, Rz. 33 ff.; Cornelissen in: Kommission/Swedish National Social Insurance Board, 25 Years of Regulation (EEC) No. 1408/71 on Social Security for Migrant Workers, 1996, S. 27 (50 f.); Schulte in: Eichenhofer (Hrsg.), Reform des Europäischen koordinierenden Sozialrechts, 1992, S. 19 (22 ff.). Nach Art. 4 Abs. 2b VO 1408/71 i.V.m. Anhang II, Teil III, sind auch die deutschen Leistungen der Bundesländer an Behinderte und insbesondere Blinde von der Geltung der Verordnung ausgeschlossen. Nicht erfasst sind Vorschriften, die nur mittelbar die soziale Sicherheit betreffen, z.B. Beispiel mitgliedstaatliche Regelungen, nach denen ein Unternehmen für die Beitragsschulden eines anderen, insolventen Subunternehmens haftet, EuGH 18.5.1995, Rs. C-327/92 (Rheinhold & Mahla), Slg. 1995, I-1223 (1243 ff.).
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Somit steht also fest, dass die hier zu diskutierenden Regressstreitigkeiten als Zivilsachen gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO unter den Geltungsbereich der Verordnung fallen. b) Gerichtliche Zuständigkeit nach EuGVVO
Welche gerichtliche Zuständigkeit damit im Einzelnen eröffnet wird, richtet sich nach den besonderen Vorschriften der EuGVVO. Diese legen folgende Gerichtsstände fest: aa) Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes
Zunächst greift der allgemeine Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes nach Art. 2 Abs. 1 EuGVVO. Soweit der (eventuell) haftende Arzt also im Ausland seinen Wohnsitz (s. dazu Art. 59 ff. EuGVVO) hat, ist er dort auch zu verklagen.9 Neben diesem allgemeinen Gerichtsstand kommen aber der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, derjenige des Begehungsorts und derjenige des Erfolgsorts nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sowie gegebenenfalls der Gerichtsstand des Verbraucherwohnsitzes nach Art. 15 Abs. 1 lit. c, Abs. 2, Art. 16 EuGVVO in Betracht. bb) Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO
Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO greift u.a. ein, wenn „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“. Das ist bei Arzthaftungsstreitigkeiten der Fall, wenn und soweit mit dem Arzt ein Vertrag geschlossen wurde. Hier ist das Gericht des Erfüllungsstaats zuständig, bei der Auslandsbehandlung also das Gericht am Ort dieser Behandlung.10 cc) Die Gerichtsstände des Begehungsorts und des Erfolgsorts nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO
Im Fall von Arzthaftungstatbeständen tritt stets die Inanspruchnahme aus Delikt hinzu, für welche wahlweise zusätzlich der Gerichtsstand des Begehungsorts nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO eingreift, also das forum delicti commissi. Dieser Gerichtsstand knüpft an denjenigen Ort an, in dem „das 9
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S. im Einzelnen Geimer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh. I, EuGVVO, Art. 2, Rz. 2a ff. S. im Einzelnen Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch Medizinrecht, 2009, § 12, Rz. 36.
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schädigende Ereignis eingetreten ist.“ Das ist stets der Ort der Behandlung, auch wenn sich der Patient nach einer unfachgemäßen Behandlung in die Heimat begeben hat und der Schaden erst hier eingetreten ist.11 Jedoch kann je nach Fallgestaltung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO im Arzthaftungsrecht zusätzlich das Gericht des Erfolgsorts zuständig sein. So hatte der BGH 2008 folgenden Fall zu entscheiden: Der in Deutschland wohnhafte Kläger hatte sich wegen einer chronischen Hepatitiserkrankung zur Behandlung in die Schweiz begeben. Der dortige Arzt hatte ihm eine Therapie mit zwei Medikamenten empfohlen, die der Kläger zunächst in der Schweiz, dann aber über die nächsten sechs Monate in Deutschland zu sich nehmen sollte. Nach einigen Monaten brach er die Therapie ab und behauptete, die Behandlung habe zu schweren Nebenwirkungen geführt. Für die in Deutschland erhobene Klage hat der BGH die deutsche Gerichtsbarkeit für zuständig erklärt. Nach seiner Meinung waren gemäß dem einschlägigen deutsch-schweizerischen Übereinkommen, dem Luganer Übereinkommen (LugÜ),12 der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gegeben. Der BGH hatte hier Art. 5 Nr. 3 LugÜ anzuwenden. Diese Regelung entspricht wörtlich dem Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Deshalb bezog sich der Gerichtshof in seinen Erwägungen ausdrücklich auf den Gleichklang der Auslegung des LugÜ mit demjenigen der EuGVVO nach der Rechtsprechung des EuGH. Nach Meinung des BGH war (auch) der deutsche Gerichtsstand als Deliktsgerichtsstand einschlägig, da der Erfolgsort des Delikts in Deutschland lag.13 Der Kläger kann wählen, ob er nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO den Gerichtsstand des Begehungs- oder des Erfolgsorts wahrnehmen möchte. In jedem Fall hat er aber zu beachten, dass er bei Wahrnehmung eines der Gerichtsstände nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gemäß der Rechtsprechung des EuGH nicht zusätzlich vertragliche Haftungsansprüche geltend machen kann.14
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S. im Einzelnen Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch Medizinrecht, 2009, § 12, Rz. 36. BGBl. 1994, II 2658, 3772. BGH 27.5.2008 – VI ZR 69/07, NJW 2008, 2344 f. EuGH 27.9.1988, Rs. 189/87, Slg. 1988, 5565 (5584) = NJW 1988, 3088 (3089) m. krit. Anm. Geimer NJW 1988, 3089 (3090); ebenfalls kritisch Gottwald IPRax 1989, 272 ff.; s. auch Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch Medizinrecht, 2009, § 12, Rz. 36.
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dd) Gerichtsstand des Verbraucherwohnsitzes nach Art. 15 Abs. 1 lit. c, Abs. 2, Art. 16 EuGVVO
Zusätzlich greift unter Umständen der Gerichtsstand des Verbraucherwohnsitzes nach Art. 15 Abs. 1 lit. c, Abs. 2, Art. 16 EuGVVO. Der Behandlungsvertrag, den ein Patient schließt, wird in aller Regel von ihm „zu einem Zweck geschlossen, der nicht seiner „beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“; somit wird der Patient als Verbraucher einzustufen sein. In Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO heißt es weiter, dass „der andere Vertragspartner“ – bei uns also der Arzt oder das Unternehmen, mit welchem der Behandlungsvertrag geschlossen wurde – im Wohnsitzstaat des Verbrauchers „eine berufliche oder eine gewerbliche Tätigkeit (ausübt) oder eine solche auf irgend einem Wege (auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers) ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt“. Der Vertragspartner des Verbrauchers muss demnach seine Tätigkeit auf dessen Wohnsitz ausgerichtet haben. Wer also gezielt Verbraucher in deren Wohnsitzstaat zwecks Vertragsschlusses anspricht, unterwirft sich damit automatisch der Möglichkeit, hier auch verklagt zu werden.15 Je nach Werbemethode ist damit auch für einen im Ausland behandelnden Arzt oder einen sonstigen medizinischen Dienstleister der hiesige Gerichtsstand eröffnet. Eine besondere Problematik ergibt sich bei alledem aber daraus, dass dies nach der Rechtsprechung des EuGH nicht für einen Zessionar gilt, der Ansprüche vom Verbraucher erworben hat und sie nunmehr im Rahmen seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit auf dem Klagewege verfolgt.16 Damit stellt sich die Frage, ob auch ein Sozialversicherungsträger solchermaßen an der Wahrnehmung des Gerichtsstands für Verbrauchersachen gehindert ist. Das ist aber eher zu verneinen. Erstens erwirbt der Sozialversicherungsträger den Anspruch per Gesetz und nicht aufgrund eines zusätzlichen, verbraucherfremden Geschäfts. Und zweitens handelt er hierbei in Konsequenz aus seiner Tätigkeit zugunsten des Versicherten. Somit kommt auch für seinen Regressprozess der Gerichtsstand des Verbraucherwohnsitzes in Betracht.17
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S. näher EuGH 11.7.2002, Rs. C-96/00 (Gabriel), Slg. 2002, I-6367 (Rz. 45 ff. = 6401 ff.). EuGH 19.1.1993, Rs. C-89/91 (Shearson); Slg. 1993, I-139 (Rz. 12 ff. = I-186 ff.), s. dazu die Folgeentscheidung des BGH NJW 1993, 2683 f.; teils a.A. Geimer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, Anh. I, EuGVVO, Art. 17, Rz. 15. Gleiches muss wohl auch für den Privatversicherer gelten, der etwa nach § 86 VVG aus übergegangenem Recht vorgeht.
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ee) Wahl der Gerichtsstände
Bei Auseinanderfallen der genannten Gerichtsstände kann der Kläger wählen. Die Wahl eines Deliktsgerichtsstandes hindert ihn aber nach der EuGH-Rechtsprechung daran, für die Begründetheit der Klage auch Vertragsregeln geltend zu machen.18 Zudem ist es den Parteien im Rahmen des Art. 23 EuGVVO möglich, Gerichtsstandsvereinbarungen zu treffen.19 3. Anwendbares Recht
Sobald das zuständige Gericht ermittelt ist, stellt sich weiter die Frage nach dem anwendbaren Recht. Hier ist, wie bereits gesagt, zwischen den Regeln der Anspruchsentstehung (Haftungsstatut, dazu sogleich 1.-3.) und den Regeln des Anspruchsübergangs (Zessionsstatut, dazu unten 4.) zu unterscheiden. a) Haftungsstatut nach EGBGB
Für die Ermittlung des Haftungsstatuts gelten derzeit noch die Art. 27 ff. EGBGB. Die betreffenden Vorschriften werden aber demnächst abgelöst. Für Verträge, die ab dem 18.12.2009 geschlossen werden, ist die bereits verabschiedete so genannte Rom I-Verordnung anzuwenden.20 Zusätzlich gilt für das Deliktsrecht seit dem 11.1.2009 die Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, die so genannte
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S. oben Fn. 14. S. dazu Prütting, in diesem Band, sowie Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch Medizinrecht, 2009, § 12, Rz. 37 ff.; Mankowski, IPRax 2009, 23 (24 ff.). Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. 2008 Nr. L 177, S. 6, vom 4.7.2008. Das Inkrafttreten der Verordnung ist nach Art. 29 der 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung; die zeitliche Anwendbarkeit ist in deren Art. 28 geregelt: „Diese Verordnung ist auf Verträge anzuwenden, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen werden.“ S. zu der Rom I-Verordnung R. Wagner, NJW 2008, 2225; Junker, RIW 2006, 401.
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Rom II-Verordnung.21 Letztere ist bei Arzthaftungsfällen allerdings meist nicht einschlägig, wie noch auszuführen sein wird.22 Aufgrund dieser laufenden Rechtsänderungen sollen hier beide Systeme dargestellt werden, also dasjenige des EGBGB und dasjenige der Rom IVerordnung und der Rom II-Verordnung. Dabei zeigt sich, dass das EGBGB und die Verordnungen teilweise gleiche Regelungen enthalten und zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Der Grund dafür liegt darin, dass die entsprechenden Vorschriften des EGBGB auf dem Europäischen Vertragsübereinkommen (EVÜ) beruhen, auch „Rom I-Übereinkommen“ genannt (vgl. zur diesbezüglichen Rechtseinheit durch Schaffung einer Zuständigkeit des EuGH Art. 36 EGBGB).23 Das EVÜ war wiederum Grundlage für die Rom I-Verordnung. Es ist durch die Verordnung der Sache nach weiterentwickelt und zu EU-Recht gemacht worden (s. Art. 61 lit. c, 65 lit. b, 67 Abs. 5, 249 Abs. 2 EG). aa) Grundregel: Geltung des Rechts des Praxis- bzw. des Behandlungsorts
Soweit die Vertragsparteien keine andere Rechtsordnung gewählt haben, gilt bezüglich des anwendbaren Rechts das Folgende. Für vertragliche Ansprüche greift nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das Recht des Staates der engsten Verbindung mit dem Vertragsgegenstand. Das ist in der Regel der Staat der Niederlassung des behandelnden Arztes bzw. der die Behandlungsleistung erbringenden Gesellschaft nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 EGBGB. Für den Arztvertrag gilt somit meist das Recht des Praxisorts.24 Soweit der Arzt seine Leistung allerdings in einem anderen Staat erbracht hat, kommt nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EGBGB das dort gültige Recht in Betracht, da der Arzt dort die vertragscharakteristische Leistung
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Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. 2007 Nr. L 199, S. 40. Das Inkrafttreten der Verordnung ist nach Art. 32 der 11.1.2009. S. näher unten III 2 d. Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980, BGBl. 1986 II, S. 809, ABl. 1980 Nr. L 226, S. 1, EUDok.-Nr. 4 1980, A 0934. MünchKomm-Martiny, 4. Aufl. 2006, Art. 28 EGBGB, Rz. 210; PalandtHeldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 28 EGBGB, Rz. 14; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 18 I 1 d, S. 661; Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl. 2004, Rz. 144; vgl. auch Stumpf, MedR 1998, 546 f.
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erbracht hat bzw. der Vertrag die engeren Verbindungen zu diesem Staat aufweist.25 Diese Anknüpfung wird nicht dadurch verändert, dass mit dem vertraglichen Haftungsanspruch des Verletzten gegebenenfalls noch ein deliktischer Anspruch konkurriert. Nach Art. 40 EGBGB gilt für deliktische Ansprüche zwar das Recht des Begehungsorts sowie das Recht des Orts des Erfolgseintritts.26 Jedoch gehen dieser Anknüpfung nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB die konkurrierenden Anknüpfungsregeln für Schuldverhältnisse vor. Das gilt nicht zuletzt auch für die Arzthaftung.27 bb) Ausnahme: Bei Verbraucherverträgen Geltung des Wohnortrechts des Verbrauchers
Soweit ein Verbrauchervertrag vorliegt, gilt nach Art. 29 Abs. 2 EGBGB das Wohnortrecht des Verbrauchers.28 Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Akquisitions- und/oder Vertragsschlusshandlungen in dessen Wohnstaat vorgenommen wurden, s. Art. 29 Abs. 1 Nrn. 2, 3 EGBGB. Jedoch greifen die genannten Regelungen gemäß Art. 29 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB nicht für „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Danach gilt im Fall des Behandlungsvertrages, dass dieser nicht dem Recht des Verbraucherwohnstaates unterliegt, wenn sämtliche ärztliche Leistungen außerhalb dieses Staates erbracht werden. Somit kann für die Behandlungsleistung speziell und gezielt im Verbraucherwohnstaat geworben werden, ohne dass dessen 25
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Hübner/Linden, VersR 1998, 793 (794), s. dort auch zur Anknüpfung für die GoA. Prinzipiell ist die Verortung der „vertragscharakteristischen Leistung“ nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB nachrangig gegenüber der Anknüpfung an den Niederlassungsort nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 EGBGB, wobei wiederum die Anknüpfung an den Staat mit den „engeren Verbindungen“ zum Vertrag nach Art. 28 Abs. 5 EGBGB den Regeln des Art. 28 Abs. 2 EGBGB insgesamt vorgeht, s. im Einzelnen Martiny in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl. 2004, Rz. 144; Palandt-Heldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 28 EGBGB, Rz. 14. Hübner/Linden, VersR 1998, 793 (794 f.); Palandt-Heldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 40 EGBGB, Rz. 2 f. MünchKomm-Junker, 4. Aufl. 2006, Art. 41 EGBGB, Rz. 16; PalandtHeldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 40 EGBGB, Rz. 6. Die näheren Anwendungsvoraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 EGBGB entsprechen denjenigen des neuen Art. 6 Rom I-Verordnung; s. dazu sogleich unter III 2 b.
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Recht zur Anwendung kommt. Dies ist erst dann der Fall, wenn dort vertragsgemäß ärztliche Leistungen erbracht werden, der Verbraucher also beispielsweise in seinem Wohnstaat entsprechend der vertragsgemäß geschuldeten Tätigkeit vor- oder nachuntersucht wird. Weil dies bei Auslandsbehandlung meist nicht der Fall sein wird, kommt somit auch das Recht des Verbraucherwohnsitzes in der Arzthaftung regelmäßig nicht zum Tragen. cc) Rechtswahlmöglichkeiten
Nach den bisherigen Ausführungen ist demnach festzuhalten, dass für die Arzthaftung in der Regel das Recht des Praxis- bzw. des Behandlungsorts anzuwenden ist. Dieses Recht kann nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB durch Wahl eines anderen Rechts abbedungen werden. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder den Umständen des Falles ergeben (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Allerdings ist die Rechtswahl einigen Grenzen unterworfen. Hier ist zunächst Art. 27 Abs. 3 EGBGB zu nennen. Die Vorschrift gilt dann, wenn neben der Rechtswahl durch die Parteien „der sonstige Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden ist“. Sobald dies der Fall ist, kann die Rechtswahl die Geltung von so genannten zwingenden Bestimmungen nicht verhindern29 (s. zur Sicherung europarechtlicher Verbraucherschutzstandards Art. 29a EGBGB30). Zusätzlich ist Art. 34 EGBGB zu beachten. Diese Vorschrift sichert die Geltung der deutschen „zwingenden Vorschriften“ – unabhängig von der international-privatrechtlichen Zuordnung nach den sonstigen Regelungen des EGBGB. Auf diese Weise sollen die angerufenen deutschen Gerichte im Fall ihrer Zuständigkeit zumindest ein Mindestmaß an rechtlichen Schutzstandards durchsetzen können.31
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S. dazu Prütting, in diesem Band, sowie Stumpf, MedR 1998, 546 (547 f.); Palandt-Heldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 27 EGBGB, Rz. 4. S. dazu Palandt-Heldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 29a EGBGB. S. dazu Prütting, in diesem Band, sowie Stumpf, MedR 1998, 546 (548); Palandt-Heldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 34 EGBGB, Rz. 4.
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b) Haftungsstatut nach der Rom I-Verordnung und nach der Rom II-Verordnung aa) Mangels Rechtswahl: Geltung des Rechts des Praxis- bzw. des Behandlungsorts
Für die Ermittlung des Haftungsstatuts nach der Rom I-Verordnung ist zunächst zu prüfen, welche Regeln bei Fehlen einer Rechtswahl greifen. Gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-Verordnung gilt für Dienstleistungsverträge das Recht desjenigen Staates, in welchem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das bedeutet, dass bei Behandlungsverträgen in der Regel das Recht des Praxisorts anzuwenden ist. Eine Ausnahme wird aber dann anzunehmen sein, wenn der Arzt die Behandlung in einem anderen Staat durchgeführt hat als in demjenigen seiner Praxis. In dieser Situation wird gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom I-Verordnung das Recht des Staates anzuwenden sein, in welchem die Behandlung erfolgt ist. Nach dieser Vorschrift ist nämlich das Recht des Orts der engsten Verbindung zum Vertragsgegenstand anzuwenden: „Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Absatz 1 oder 2 bestimmten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“ Bei Arztverträgen, die nicht nur Dienstleistungen zum Gegenstand haben, und die deshalb nach dem Katalog der Art. 4 Abs. 1 lit. a-h Rom IVerordnung dem Recht noch anderer Staaten unterliegen können, gilt die Konkurrenzvorschrift des Art. 4 Abs. 2 Rom I-Verordnung. Hiernach wird das Recht des Orts der vertragscharakteristischen Leistung für anwendbar erklärt. Soweit keine weiteren Faktoren andere Orientierungspunkte liefern, wird hiermit in der Regel ebenfalls wieder auf den Ort der Behandlung verwiesen. Somit ergibt sich für die Rom I-Verordnung, dass mangels Rechtswahl bei der Arzthaftung in der Regel das Recht des Behandlungsorts anzuwenden ist. Zwar verweist Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-Verordnung für Dienstleistungsverträge zunächst auf das Recht desjenigen Staates, in welchem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Jedoch ergibt sich in dem Fall, dass er die Behandlung in einem anderen Staat durchführt, aus Art. 4 Abs. 2, 3 Rom I-Verordnung, dass dann das Recht dieses Staates anzuwenden ist.
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bb) Ausnahme: Bei Verbraucherverträgen Geltung des Wohnortrechts des Verbrauchers
Eine Weiterung ergibt sich allerdings nach Art. 6 Rom I-Verordnung wiederum im Fall von Verbraucherverträgen. Diese Vorschrift kann auch im Fall des Behandlungsvertrages zur Anwendung kommen. Dies wird allerdings – ähnlich wie bereits nach Art. 29 Abs. 2 EGBGB - in aller Regel nicht der Fall sein. Das soll im Folgenden näher ausgeführt werden. Für die Geltung des Wohnortrechts des Verbrauchers müssen zunächst die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein. (1.) Der Patient muss als Verbraucher am Vertragsverhältnis beteiligt sein. Das ist nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-Verordnung in der Regel anzunehmen, weil er den Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht seiner „beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“. (2.) Die haftende Person muss als Vertragspartner des Patienten in ihrer Eigenschaft als Unternehmer gehandelt haben, also „in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit“. Das ist beim Arzt oder etwa beim Klinikbetreiber, mit denen Verträge geschlossen wurden, ebenfalls regelmäßig zu bejahen. (3.) Zusätzlich muss eine der beiden Alternativen des Art. 6 Abs. 1 lit. a und b Rom I-Verordnung erfüllt sein. Der im Ausland behandelnde Arzt bzw. Krankenhausbetreiber wird zwar in der Regel nicht denselben gewöhnlichen Aufenthaltsort haben wie der Patient (lit. a). Jedoch ist es möglich, dass er seine Tätigkeit „auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet“ (lit. b).32 Mithin gilt: Wer gezielt Verbraucher in ihrem Wohnsitzstaat zwecks Vertragsschlusses anspricht, unterwirft sich damit (auch) dem dortigen Recht. Je nach Werbemethode ist damit für einen im Ausland behandelnden Arzt oder einen sonstigen medizinischen Dienstleister das hiesige Recht anzuwenden.33
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Diese unscharfe Formulierung ist ähnlich – allerdings nicht gleich – formuliert wie die bereits zitierte Zuständigkeitsvorschrift des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO, s. oben II 2 d. An dieser Geltung materiellen Rechts ändert sich durch den späteren Forderungserwerb durch einen Dritten nichts. Die für die Ermittlung des internationalen Gerichtsstandes nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO gültige EuGHRechtsprechung ist hier also nicht einschlägig; vgl. dazu oben Fn. 16.
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Jedoch greifen die genannten Regelungen gemäß Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-Verordnung nicht für „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Diese Formulierung entspricht derjenigen des Art. 29 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB und des Art. 5 Abs. 4 lit. b EVÜ.34 Deshalb gilt auch hier, dass der Behandlungsvertrag nicht dem Recht des Verbraucherwohnstaates unterliegt, wenn sämtliche ärztliche Leistungen außerhalb dieses Staates erbracht werden. Für die Behandlungsleistung kann also speziell und gezielt im Verbraucherwohnstaat geworben werden, ohne dass dessen Recht zur Anwendung kommt. Das Recht des Verbraucherwohnstaates kommt erst dann zur Anwendung, wenn dort vertragsgemäß ärztliche Leistungen erbracht werden, beispielsweise Vor- oder Nachuntersuchungen. cc) Rechtswahlmöglichkeiten
Das nach den bisherigen Ausführungen geltende Recht kann gemäß Art. 3 Abs. 1, 2 Rom I-Verordnung durch Wahl eines anderen Rechts abbedungen werden. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder den Umständen des Falles ergeben (Art. 3 Abs. 1 Rom I-Verordnung, s. Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EVÜ). Die gegebenenfalls einzuhaltenden Formvorschriften des Art. 11 Rom I-Verordnung sind dabei zu beachten.35 Die Rechtswahl ist nach der Rom I-Verordnung aber auch der Sache nach Grenzen unterworfen. Gemäß Art. 3 Abs. 3 Rom I-Verordnung bleiben unabdingbare Bestimmungen anzuwenden, wenn „alle anderen Elemente des Sachverhalts im Zeitpunkt der Rechtswahl in einem anderen als demjenigen Staat belegen (sind), dessen Recht gewählt wurde“ (vgl. Art. 27 Abs. 3 EGBGB; s. zur Sicherung europarechtlicher Verbraucherschutzstandards Art. 3 Abs. 4, Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-Verordnung). Zudem bleiben gemäß Art. 9 Abs. 2 Rom I-Verordnung so genannte „Eingriffsnormen“ unberührt. Das bedeutet, dass das zuständigerweise angerufene Gericht unabhängig von der Frage der Rechtsanwendung gehalten bleibt, diejenigen nationalen Rechtsvorschriften anzuwenden, die „von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen und wirtschaftlichen Organisation“ angesehen werden, dass ihre Anwendung zwingend geboten 34 35
S. oben III 1 b. S. dazu R. Wagner, IPRax 2008, 386 ff.
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erscheint. Nach Maßgabe von Art. 9 Abs. 3 Rom I-Verordnung können außerdem Eingriffsnormen desjenigen Staates, in dem die Vertragserfüllung vorgenommen wird, zur Anwendung kommen. Hier ergeben sich demnach ähnliche Konsequenzen der Rechtsanwendung wie nach Art. 27 Abs. 3, Art. 34 EGBGB.36 dd) Deliktsanknüpfung nach der Rom II-Verordnung
Nach Art 4 Abs. 1 Rom II-Verordnung gilt für außervertragliche Ansprüche aus Delikt mangels Rechtswahl grundsätzlich das Recht des Erfolgsorts. Das bedeutet, dass es (anders als nach Art. 40 EGBGB) keine Konkurrenz von Begehungs- und Erfolgsort gibt.37 Haben jedoch die haftende und die geschädigte Person zur Zeit des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat, dann gilt gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom IIVerordnung das Recht dieses gewöhnlichen Aufenthaltsstaates (lex communis domicilii).38 Hierbei ist allerdings zu beachten, dass gegebenenfalls nach Art. 17 Rom I-Verordnung dennoch am Behandlungsort gültige Sicherheits- und Verhaltensregeln einzuhalten sind.39 Im Arzthaftungsrecht ist aber die Sonderregelung des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II-Verordnung zu beachten. Diese Vorschrift erklärt das Recht desjenigen Staates für vorrangig anwendbar, zu welchem die unerlaubte Handlung eine „offensichtlich engere Verbindung“ aufweist. Die Klausel erhält durch Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-Verordnung eine deutliche Konkretisierung, indem die engere Verbindung aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis, insbesondere aus einem Vertrag hergeleitet wird. Auf diese Weise wird dasjenige Recht für anwendbar erklärt, welches (nach EGBGB oder nach Rom I-Verordnung) für vertragliche Ansprüche gilt.40 Bei konkurrierenden vertraglichen Ansprüchen, die im Fall ärztlicher Behandlung regelmäßig ebenfalls einschlägig sind, folgt daraus dann die vorrangige Anwendung des danach einschlägigen Rechts.41
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S. dazu oben III 1 c sowie Prütting, in diesem Band. Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch 2009, § 12, Rz. 23; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (4 f.). Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch 2009, § 12, Rz. 24 f.; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (5). G. Wagner, IPRax 2008, 1 (6). Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch 2009, § 12, Rz. 23; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (5). Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch 2009, § 12, Rz. 24 f.
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Bei alledem ist auch hier zu beachten, dass nach Art. 14 Abs. 1 Rom IIVerordnung – beschränkte - Rechtswahlmöglichkeiten bestehen.42
C. Anspruchsübergang nach Sozialrechtsstatut Demnach ist weiter zu prüfen, welches Recht für den Anspruchsübergang gilt. Prinzipiell kann für den Anspruchsübergang das – soeben ermittelte Recht der Anspruchsentstehung oder das Recht des für die Behandlung zuständigen Sozialversicherungsträgers gelten. Geht man beispielsweise von einem Fall aus, bei dem sich ein in Deutschland sozialversicherter Patient im Ausland behandeln lässt, so richtet sich die Frage der Anspruchsentstehung in der Regel nach dem Recht des jeweiligen ausländischen Staats. Zuständiger Sozialversicherungsträger ist aber der deutsche Kranken-, Renten- oder auch Unfallversicherungsträger, und für die Beziehung zu ihm gilt deutsches Recht (s. zum hier zugrunde liegenden Beschäftigungsstaatsprinzip Art. 13 ff. VO 1408/71, Art. 11 ff. VO 883/2004). Somit stellt sich die Frage nach dem Zessionsstatut, also danach, welche Rechtsordnung bei einer Divergenz von Sozialrechts- und Haftungsstatut über das Ob und Wie des Anspruchsübergangs entscheidet. Diese Frage wird in den bisher dargestellten Regelungssystemen des EGBGB, der Rom I-Verordnung und der Rom II-Verordnung nicht beantwortet. Entgegen dem ersten Anschein kommen nämlich weder Art. 33 EGBGB noch Art. 15 Rom I-Verordnung oder Art. 19 Rom II-Verordnung zur Anwendung. Die Ermittlung des Zessionsstatuts richtet sich innerhalb der EU vielmehr nach sozialrechtlichen Spezialvorschriften, nämlich Art. 93 VO 1408/71 und Art. 85 VO 883/2004.43 Diese Regelungen entscheiden zugunsten des Sozialrechtsstatuts. Der Anspruchsübergang auf den Träger der sozialen Sicherheit richtet sich also nach dem für diesen Träger geltenden Recht, Art. 93 Abs. 1 lit. a VO 1408/71, Art. 85 Abs. 1 lit. a VO 883/2004.44
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Adolphsen in Terbille (Hrsg.), Münchener AnwaltsHandbuch Medizinrecht, 2009, § 12, Rz. 26 f.; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (13 f.). Der Vorrang dieser Vorschriften gegenüber der Rom I-Verordnung wird in deren Art. 23 und gegenüber der Rom II-Verordnung in deren Art. 27 ausdrücklich angeordnet. Für das EGBGB folgt er aus dem Anwendungsvorrang europäischen Rechts vor nationalem Recht. S. näher Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, Rz. 635 f.; ders., Internationales Sozialrecht und Internationales Privatrecht, 1987, S. 200 f.; Giesen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 116
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Das bedeutet, dass der deutsche Sozialversicherungsträger, der einem Versicherten aufgrund eines im Ausland begangenen Behandlungsfehlers Leistungen zu gewähren hat, einen Haftungsanspruch stets nach § 116 SGB X erwirbt.45
D. Unterstützung Versicherter bei der Geltendmachung ihrer nicht übergegangenen Ansprüche aus Behandlungsfehlern, § 66 SGB V I. Reichweite der Unterstützungsmöglichkeiten nach § 66 SGB V Nach § 66 SGB V besteht die Möglichkeit für Krankenkassen, Versicherte bei Behandlungsfehlern zu unterstützen. Die Vorschrift lautet: „Die Krankenkassen können die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind und nicht nach § 116 des Zehnten Buches auf die Krankenkassen übergehen, unterstützen.“
Nach den Gesetzesmaterialien bleibt es auch nach § 66 SGB V Sache der Versicherten, ihre eigenen, nicht übergegangenen Ansprüche zu verfolgen. Aus dem Begriff des „Unterstützens“ folgt, dass die Krankenkasse die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen nicht übernehmen darf. In Betracht kommen nur Beratungsleistungen, nicht aber die Rechtsvertretung
45
SGB X, Rz. 101 ff.; Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 470 ff., 649 ff. Allerdings ergeben sich aus der Geltung der genannten Spezialvorschriften in der Regel keine Besonderheiten. Art. 33 Abs. 3 Satz 1 EGBGB, Art. 15 Rom IVerordnung und Art. 19 Rom II-Verordnung ordnen ebenfalls an, dass bei Einstehen eines Dritten für eine Verbindlichkeit bezüglich des Anspruchsübergangs dasjenige Recht gilt, nach welchem der Dritte für die Verbindlichkeit einzustehen hat, s. Palandt-Heldrich, 68 Aufl. 2009, Art. 33 EGBGB, Rz. 3; Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, Rz. 635 f.; ders., Internationales Sozialrecht und Internationales Privatrecht, 1987, S. 200 f., Schuler, Das Internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 470 ff., 649 ff. S. dort auch zu der Frage, ob der Ausschluss der Abtretbarkeit nach dem Deliktstatut auch zum Scheitern des gesetzlichen Forderungsübergangs nach dem Sozialrechtsstatut führt. Diese Frage ist nach Art. 93 VO 1408/71, Art. 85 VO 883/2004 zu verneinen, da es den Verordnungen an einer dem Art. 33 Abs. 2 EGBGB, Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO entsprechenden Regelung mangelt.
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als solche.46 Die Hilfestellung durch die Kassen liegt etwa in der Bereitstellung von Informationen über Dinge wie Diagnose, Therapie und der Nennung des behandelnden Arztes. Laut Entwurfsbegründung wird den Kassen ebenfalls nicht erlaubt, die Rechtsberatung oder Rechtsvertretung für den Geschädigten zu finanzieren.47 Auch wenn sich letzteres nicht unbedingt aus dem Wortlaut ergibt, sind all diese Punkte in der Rechtsprechung und der Literatur übernommen worden.48 Man wird aber die nichtfinanziellen Leistungen wohl in dem Sinne auffassen können, dass hiermit auch etwa die medizinische Begutachtung des Sachverhalts mit umfasst sein kann. Die Tätigkeit der Kassen ist im Gesetz ermessensgebunden ausgestaltet worden („können“). Die Krankenkasse wird bei ihrer Entscheidung über das Ob und das Wie der Unterstützung Kostengesichtspunkte, eventuelle Interessenkollisionen sowie den Aufwand und Nutzen der Unterstützungsleistungen zu beachten haben. Demgemäß kann sich in einer entsprechenden Situation sogar ein Anspruch auf Unterstützungsleistungen ergeben.49 II. Anwendung von § 66 SGB V bei Behandlungsfehlern im Ausland Bei Arztfehlern, denen in Deutschland Krankenversicherte bei der Behandlung im Ausland zum Opfer fallen, wird die Vorschrift allerdings häufig nicht eingreifen. Sie hat nämlich zur Voraussetzung, dass die betreffenden Schadensersatzansprüche „bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen“ entstanden sein müssen. Das bedeutet, dass der im Ausland erlittene Behandlungsfehler nicht auf einer privat finanzierten Behandlung beruhen darf. Zusätzlich ist wohl zu ergänzen, dass die Versicherungsleistung eine solche sein muss, welche dem zuständigen deutschen Krankenversicherungsträger zuzuordnen ist. Denn der Vorschrift des § 66 SGB V geht es wohl weniger darum, eine universelle Rechtsverfolgungsunterstützung anzuordnen. Wäre das so, dann wäre die Vorschrift nicht auf „Versiche46
Das wäre nicht mehr nur „Unterstützen“ der Verfolgung, sondern eben die Verfolgung selbst.
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BT-Drucks. 11/2337, S. 189 (zu § 74 SGB V-Entwurf, nach heutiger Zählung § 66 SGB V).
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BayLSG 9.7.1998 – L 4 KR 4/98, zitiert nach juris; Kasseler KommentarHöfler, § 66 SGB V, Rz. 8; Peters, Krankenversicherungsrecht, § 66 SGB V, Rz. 14. S. dazu BayLSG a.a.O.; Kasseler Kommentar-Höfler, Stand 2008, § 66 SGB V, Rz. 7.
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rungsleistungen“ beschränkt. Entscheidend wird vielmehr der Gedanke der mittelbaren Verantwortung der Kasse für die von ihr zum Einsatz gebrachten Leistungserbringer sein. Damit ist die Frage nach der internationalen Reichweite von § 66 SGB V aber noch nicht beantwortet. Denn eine solche Verantwortungsbeziehung kann man auf zweierlei Weise konstruieren.
Entweder man geht von einer Art Gesamtverantwortung der Kassen für das von ihnen mitgetragene deutsche Leistungserbringungssystem aus. Dann greift die Vorschrift ein, wenn eine nach deutschem Leistungserbringungsrecht zugelassene Person den Behandlungsfehler begangen hat, also beispielsweise ein nach §§ 95 ff. SGB V zugelassener Vertragsarzt oder ein nach §108 SGB V zugelassenes Krankenhaus. Oder man sieht in § 66 SGB V eine Ergänzung zu all denjenigen Leistungen, welche die Kasse zu finanzieren hat. Dann greift die Vorschrift auch in Fällen ein, in denen ein in Deutschland Krankenversicherter im EU-Ausland auf Kosten einer deutschen Kasse behandelt worden ist. Umgekehrt greift sie dann nicht ein, wenn ein im EU-Ausland Versicherter hierzulande auf Kosten der ausländischen Kasse behandelt worden ist (s. im Einzelnen Art. 19 ff. VO 1408/71 sowie die Erstattungsregelung des Art. 36 VO 1408/71).
Richtigerweise wird man sich wohl für die erstere Variante entscheiden müssen. Denn die nach § 66 SGB V geschuldeten Leistungen sind in erster Linie Information und gegebenenfalls noch Begutachtung. Es sind sachliche Unterstützungsleistungen und keine Geldleistungen. Die betreffende Leistungserbringung ist daher eher den Sach- als den Geldleistungen zuzuweisen, womit sie im System des koordinierten EU-Sozialrechts unter das Prinzip der aushelfenden Sachleistungsgewährung insbesondere nach Art. 22 Abs. 1 lit. i, Abs. 3 lit. a, Art. 25 Abs. 1 lit. a, Art. 28 Abs. 1 lit. a VO 1408/71 fällt.50 Das ist auch konsequent, weil so sichergestellt ist, dass die Zuständigkeit des aushelfenden Sachleisters und diejenige des bei fehlerhaften Sachleistungen unterstützenden Helfers nach § 66 SGB V dieselbe ist.
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S. dazu Bieback in Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl. 2005, Vor Art. 19 VO 1408/71, Rz. 9, Art. 19 VO 1408/71, Rz. 4, Art. 22 VO 1408/71, Rz. 2 ff.
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III. Sonstige Unterstützung Versicherter bei Behandlungsfehlern im Ausland Bei alledem sollte man die genannten Voraussetzungen für die Anwendung von § 66 SGB V bei Behandlungsfehlern im Ausland nicht überschätzen. Entsprechende Ermessensregelungen über Beratung und Unterstützung gibt es auch außerhalb des § 66 SGB V. Beratungspflichten der Sozialversicherungsträger ergeben sich im Vorfeld der Behandlung und im Nachhinein aus § 14 SGB I. Hinzu kommt die Auskunftspflicht nach § 15 SGB I. Anlass der Beratungs- und Auskunftspflicht ist neben dem Leistungsanspruch des Versicherten das Verfahren der § 13 Abs. 4, Abs. 5 SGB V sowie das Verfahren nach dem Verordnungsrecht der VO 1408/71, der Durchführungsverordnung VO 574/72 und der VO 883/04. Das bedeutet, dass die Sozialversicherungsträger die Versicherten – auf Anfrage - darüber aufzuklären und zu informieren haben, dass und in welcher Weise sie ärztliche Behandlungsleistungen im Ausland in Anspruch nehmen können. In beschränktem Maß sind damit auch die Beratung und die Auskunft hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler erfasst.
E. Zusammenfassung I. Soweit ein Sozialversicherungsträger im Arzthaftungsfall Leistungen erbracht hat und hierfür beim Arzt Regress nimmt, macht er vertragsrechtliche und deliktsrechtliche – also zivilrechtliche – Ansprüche geltend. Der Anspruchsübergang ist mit § 116 SGB X dagegen sozialrechtlich geregelt. Trotz dieses sozialrechtlichen Berührungspunkts gilt für die Bestimmung des international zuständigen Gerichts die EuGVVO, da es sich um eine „Zivilsache“ i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO handelt. Die Ausnahme der „sozialen Sicherheit“ i.S.d. Art. 1 Abs. 2 lit. c EuGVVO greift nicht. Hiernach bestehen nebeneinander der Gerichtsstand des Beklagtenwohnsitzes nach Art. 2 Abs. 1 EuGVVO und derjenige des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO. Zusätzlich kommt der Gerichtsstand des Begehungs- oder des Erfolgsorts nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in Betracht. Der Kläger kann wählen. Allerdings hat er zu beachten, dass er bei Wahrnehmung des Begehungs- oder Erfolgsortsgerichtsstandes gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zusätzlich vertragliche Haftungsansprüche geltend machen kann. Bei Schadensfällen, für die ein (auch) im deutschen Inland vertretenes Unternehmen in Anspruch genommen wird, greift unter Umständen die Zuständigkeit (auch) der deut-
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schen Gerichte aufgrund des Gerichtsstandes für Verbrauchersachen nach Art. 15 Abs. 1 lit. c, Abs. 2, Art. 16 EuGVVO. II. Hinsichtlich der Frage nach dem anwendbaren Recht ist zwischen den Regeln der Anspruchsentstehung (Haftungsstatut) und den Regeln des Anspruchsübergangs (Zessionsstatut) zu unterscheiden. Für die Ermittlung des Haftungsstatuts gelten derzeit noch die Art. 27 ff. EGBGB. Die betreffenden Vorschriften werden aber demnächst abgelöst. Für Verträge, die ab dem 18.12.2009 geschlossen werden, ist die bereits verabschiedete so genannte Rom I-Verordnung anzuwenden. Für das Deliktsrecht gilt seit dem 11.1.2009 die so genannte Rom II-Verordnung; allerdings wird sie im Arzthaftungsrecht bei Konkurrenz zu vertraglichen Ansprüchen aufgrund ihres Art. 4 Abs. 3 Satz 1 regelmäßig nicht zur Anwendung kommen. III. Nach EGBGB gilt zum anwendbaren Recht das Folgende. Soweit die Vertragsparteien keine andere Rechtsordnung gewählt haben, greift nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB das Recht des Staates der engsten Verbindung mit dem Vertragsgegenstand. Das ist in der Regel der Staat der Niederlassung der die Behandlungsleistung erbringenden Person nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 EGBGB. Für den Arztvertrag gilt somit in der Regel das Recht am Praxisort. Soweit der Arzt seine Leistung allerdings in einem anderen Staat erbracht hat, kommt nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EGBGB das dort gültige Recht in Betracht. Die Ausnahme des Art. 29 Abs. 2 EGBGB für Verbraucherverträge wird jedenfalls solange nicht zur Anwendung kommen, wie nicht im Verbraucherstaat Behandlungsleistungen vorgenommen worden sind. Rechtswahlmöglichkeiten sind zwar nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB zugelassen. Allerdings ist die Rechtswahl Grenzen unterworfen, insbesondere nach Art. 27 Abs. 3, Art. 34 EGBGB (s. zur Sicherung europarechtlicher Verbraucherschutzstandards Art. 29a EGBGB). IV. Nach der Rom I-Verordnung gilt zum anwendbaren Recht das Folgende. Mangels Rechtswahl ist gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-Verordnung bei Dienstleistungsverträgen das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in welchem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das bedeutet, dass bei Behandlungsverträgen in der Regel das Recht des Praxisorts anzuwenden ist. Eine Ausnahme greift gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom IVerordnung, wenn sich nach der „Gesamtheit der Umstände“ eine „offensichtlich engere Verbindung“ des Vertrages zu einem anderen Staat zeigt. Diese engere Verbindung wird sich dann ergeben, wenn die gesamte Behandlung tatsächlich in einem anderen Staat durchgeführt wurde. Im Übrigen gilt für Behandlungsverträge, die nicht nur Dienstleistungen zum Gegenstand haben, der Verweis auf den Ort der vertragscharakteristischen
Regress und Unterstützungsleistungen der deutschen Sozialversicherung
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Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-Verordnung. Somit gilt für die Rom IVerordnung, dass mangels Rechtswahl bei der Arzthaftung in der Regel das Recht des Behandlungsorts anzuwenden ist. Eine Weiterung ergibt sich zwar nach Art. 6 Rom I-Verordnung im Fall von Verbraucherverträgen. Diese Vorschrift wird aber in aller Regel nicht anwendbar sein, jedenfalls solange, wie nicht im Verbraucherstaat Behandlungsleistungen vorgenommen worden sind. Das demnach anzuwendende Recht kann nach Art. 3 Abs. 1, 2 Rom I-Verordnung durch Wahl eines anderen Rechts abbedungen werden. Dabei sind aber die Beschränkungen zu beachten, die sich aus Art. 3 Abs. 3, Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 Rom I-Verordnung ergeben (s. zur Sicherung europarechtlicher Verbraucherschutzstandards Art. 3 Abs. 4, Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-Verordnung). V. Für den Anspruchsübergang verweisen Art. 93 VO 1408/71 bzw. Art. 85 VO 883/04 auf das Sozialrechtsstatut, also das Recht des Sozialversicherungsträgers. VI. Nach § 66 SGB V können die Krankenkassen Versicherte bei der Geltendmachung von Behandlungsfehlern unterstützen. Dies betrifft Ansprüche insbesondere auf Schmerzensgeld oder auch auf Rentenleistungen, die nicht von der Regressregelung des § 116 SGB X erfasst sind. Allerdings darf auf der Grundlage von § 66 SGB V keine finanzielle Unterstützung gewährt werden, so dass es in erster Linie um Auskunft, Information und – wohl auch – um medizinische Begutachtung geht. Die Krankenkasse wird bei ihrer Entscheidung über das Ob und das Wie der Unterstützung Kostengesichtspunkte, eventuelle Interessenkollisionen sowie den Aufwand und Nutzen der Unterstützungsleistungen zu beachten haben. Demgemäß kann sich in einer entsprechenden Situation sogar ein Anspruch auf Unterstützungsleistungen ergeben. Bei Arztfehlern, denen in Deutschland Krankenversicherte bei der Behandlung im Ausland zum Opfer fallen, wird die Vorschrift allerdings häufig nicht eingreifen. Sie hat nämlich zur Voraussetzung, dass die betreffenden Schadensersatzansprüche „bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen“ entstanden sein müssen. Das bedeutet, dass der im Ausland erlittene Behandlungsfehler nicht auf einer privat finanzierten Behandlung beruhen darf. Zusätzlich ist zu ergänzen, dass die Versicherungsleistung eine solche sein muss, welche dem zuständigen deutschen Krankenversicherungsträger zuzuordnen ist. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 66 SGB V ergeben sich Unterstützungsmöglichkeiten und Unterstützungspflichten nach anderen Vorschriften. Beratungspflichten der Sozialversicherungsträger folgen im Vorfeld der Behandlung und im Nachhinein aus § 14 SGB I. Hinzu kommt die Auskunftspflicht nach § 15 SGB I. Anlass der Beratungs- und Aus-
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Richard Giesen
kunftspflicht ist neben dem Leistungsanspruch des Versicherten das Verfahren der § 13 Abs. 4, Abs. 5 SGB V sowie das Verfahren nach dem Verordnungsrecht der VO 1408/71 und der VO 883/04.
3. Diskussion
Jungbecker: Vielen Dank Herr Prof. Giesen. Auch durch Ihr Referat sind wieder noch eine Großzahl weiterer Fragen aufgeworfen worden. Eine Frage an Herrn Weidinger zunächst: Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind inländisch entstandene Ansprüche, die im Ausland geltend gemacht werden. Habe ich das richtig verstanden? Weidinger: Das ist korrekt, das war ein Beispiel existierender Versicherungsbedingungen. Das heißt nicht, dass die Assekuranz in toto diese Formulierung wählt. Es ist durchaus denkbar, dass ohne Einschränkung eine Weltdeckung gewährt wird, aber das ist immer eine geschäftspolitische Entscheidung des Versicherers. Jungbecker: Wenn also ein deutscher Arzt einen ausländischen Patienten behandelt, wäre der Anspruch im Inland entstanden, der ausländische Patient könnte diesen Anspruch im Ausland geltend machen, und ggf. hätte der deutsche Arzt dafür keinen Deckungsschutz. Weidinger: Nach dieser Version ist das korrekt. Teipel: Herr Prof. Giesen, Sie haben ja schon diesen Protest gehört und ich mache mich jetzt hier nicht zum Wortführer derer, die seit Jahren Regressprozesse für Krankenkassen führen. Was ich nur so traurig finde in der Praxis, ist folgendes: Bis zur Einführung des § 66 SGB V haben sich die Krankenkassen nicht an den Rechtsverfolgungen von geschädigten Patienten beteiligt. Inzwischen wird in vielen Fällen erfolgreich nach § 116 SGB X regressiert. Aber es hat sich gleichwohl offensichtlich noch nicht hinreichend rumgesprochen, dass es den § 66 V gibt. Giesen: Das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich. Mich würde mal interessieren: Gibt es überhaupt Fälle, in denen die Kasse allein den Anspruch geltend macht, ohne Beteiligung des Geschädigten?
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Weidinger: Wir haben festgestellt, dass in fast allen iatrogenen Personenschäden auch die Krankenkassen Regress anmelden und sehr oft die Krankenkassen die ersten sind, die sich melden. Giesen: Ich lasse mich gerne belehren, ich bin offensichtlich noch auf altem Stand: Aus den Urteilsanalysen – 6. Senat des BGH – jedenfalls ergibt sich, dass hauptsächlich der Geschädigte klagt. Ich lerne gerne aus der Praxis dazu. Teichner, Rechtsanwalt, Hamburg: Als ich im Jahre 1985 anfing, war es in der Tat so, dass die gesetzlichen Krankenkassen den Bereich Regress im Arzthaftungsbereich nicht kannten. Die Sachbearbeiter kannten Verkehrsunfälle und mehr nicht. Das hat sich nun sehr geändert. Einerseits weil wir Anwälte, die wir Patienten vertreten, regelmäßig nach der Versicherung fragen und den Kontakt auch herstellen, was Arbeit macht und nicht bezahlt wird. Ich habe jetzt aber auch Kontakt zu einer Krankenkasse, die durchaus diverse Mandate erteilt, wo die Patienten natürlich beteiligt sind, informiert sind, aber eben selber keine Ansprüche geltend machen aus der Sicht eben, keine Erfolgschancen zu haben oder ähnliches und ich nehme an, wenn Sie den § 52 II jetzt bedenken, der ja noch gar nicht so die große Runde gemacht hat. Wenn die Behandlung Folge einer kosmetischen Operation ist, die medizinisch nicht notwendig war (Brustverkleinerung) oder Piercing, Tattoo, kann die Krankenkasse den Patienten beteiligen. Das kann dazu führen, dass evtl. kein Regress mehr durchgeführt wird gegenüber dem ausländischen Arzt. Ratajczak: Zwei Fragen an Herrn Weidinger: Wir haben seit dem 1. Januar 2008 auch die Unterstützungspflicht im Bereich der privaten Krankenversicherung. Analog zu der Unterstützungspflicht im Bereich des SGB V. Wie gehen eigentlich die Versicherungskonzerne, die Berufshaftpflichtversicherungen für Ärzte aber auch private Krankenversicherungen anbieten, mit dieser Unterstützungspflicht um? Schlussendlich geht es um die Frage, ob einfach nur umgeschichtet wird. Zweite Frage: Wir sind eine Kanzlei, die sehr viele Ärzte in der Klientel hat, seit einigen Jahren gibt es einen „Run“ auf Zusatzverdienste im Ausland, z. B. am Wochenende in Frankreich. Wenn man die Frage stellt, ob eine Haftpflichtversicherung für diese Tätigkeit besteht, kommt keine Antwort. Das ist Ärzten nicht bekannt. Und die Frage an Sie: Ist das nicht eine Herausforderung an Haftpflichtversicherer und Versicherungsmakler, über die Notwendigkeit einer Versicherung aufzuklären. Unsere Londoner Partnerkanzlei, hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass deutsche Ärzte alle unversichert in Eng-
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land behandeln und wenn dann etwas passiert…… Immense Kosten sind zu erwarten! Was ist geplant? Weidinger: Umschichtung findet zumindest in unserem Konzern nicht statt: Krankenversicherungen und Haftpflichtversicherung haben zwei verschiedene Rechtsträger und buchhalterisch laufen beide völlig unabhängig voneinander, auf der einen Seite die möglichen Regresse der Krankenversicherung auf der anderen Seite die Abwicklung der Schadenfälle. Es gibt Rechtsprechung, die den Versicherungsmakler in Schutz nimmt. Der Kunde ist mit verpflichtet, sich über die entsprechenden Risikopotentiale zu informieren. Gerade zu diesem Thema „Auslandsaufenthalte von Ärzten“, gibt es sehr viele Publikationen, gerade in der medizinischen Fachpresse. Ich meine, da könnte auch der betreffende Arzt auf seinen Makler oder den Ärztevertrieb zugehen, sich erkundigen. Auf der anderen Seite haben Sie völlig recht, wenn da Deckungslücken sind, ist es im Interesse aller Beteiligten, auch des Versicherers, des Maklers und eines Ausschließlichkeitsvertriebes, hier entsprechenden Versicherungsschutz anzubieten, zumal ja der Versicherungsvertrieb auch von diesen Aktivitäten lebt und profitiert. Die Beiträge sind natürlich von Versicherer zu Versicherer unterschiedlich: Es gibt keine Absprachen. Ratajczak: Die Ärzte, die wirklich jedes Wochenende nach England fliegen, die von viel Geld berichten (Verdienst an 3 Tagen wie in Deutschland nur in einem Monat): Müssten nicht für die Versicherbarkeit britische Konditionen angesetzt werden? Weidinger: Ja, es muss eine individuelle Kalkulation erfolgen. Bei uns wird das dortige Haftungssystem, insbesondere im Anstellungsverhältnis eruiert. Gibt es Freistellungen, lohnt es sich, eine Subsidiaritätsklausel zu formulieren, ggf. würde der Betrag individuell festgelegt. Jeder Versicherer hat zunächst einmal die Ambition, den Kunden zu halten und ein entsprechendes Versicherungsprodukt anbieten zu können. Jungbecker: Meine Damen und Herren, wenn ich in die Runde schaue, dann habe ich den Eindruck, wir sind fast so viele wie zu Beginn. Ich glaube, es ist uns allen klar geworden, dass wir ein Thema angesprochen und zum Gegenstand des Symposiums gemacht haben, das Zukunft hat. Ich würde mich freuen, wenn Ihnen die Arbeitsgemeinschaft mit diesem Symposium etwas mit auf den Weg geben konnte. Danke auch unseren Referenten, die sich dankenswerterweise zur Verfügung gestellt haben und zum Gelingen dieses heutigen Symposiums maßgeblich beigetragen haben.
Teilnehmerverzeichnis
Alberts, Dr. Martin Rechtsanwalt Schützenstr. 10, 59071 Hamm Anschlag, Marc Rechtsanwalt Brabanter Str. 2, 50674 Köln Baumhackel, Monika Rechtsanwältin Moltkestr. 54, 74076 Heilbronn Baxhenrich, Dr. Bernhard Rechtsanwalt Salztstr. 21a, 48143 Münster Belletti, Eva MDK Bayern Putzbrunner Str. 73, 81739 München Bensalah, Stephan Zürich Versicherung AG Riehler Str. 90, 50657 Köln Benson, Dirk Rechtsanwalt Westenhellweg 40 – 46, 44137 Dortmund Bücken, Michael Rechtsanwalt Brabanter Str. 2, 50674 Köln
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Cramer, Dr. Sebastian Rechtsanwalt Neuer Wall 18, 20354 Hamburg Dammann, Dr. Hendrik L. Rechtsanwalt Hornsche Str. 35 B, 32756 Detmold Dautert, Dr. Ilse Rechtsanwältin Kastanienalle 20, 26121 Oldenburg Ebeling, Holger Ecclesia Versicherungsdienst GmbH Klingenbergstr. 4, 32758 Detmold Eisenmenger, Prof. Dr. Institut für Rechtsmedizin d. Universität München Postfach 151023, 80046 München Euler, Joachim Rechtsanwalt Brauereistr. 2, 67549 Worms Fabian, Heinz-Peter Rechtsanwalt Seminarstr. 1 A, 49074 Osnabrück Feifel, Dr. Eckart Rechtsanwalt Posener Str. 1, 71065 Sindelfingen Fischer, Klaus Rechtsanwalt Speicherlinie 40, 24937 Flensburg Freese, Holger MDK Bayern Putzbrunner Str. 73, 81739 München
Teilnehmerverzeichnis
Gaidzik, Dr. med. Peter-W. Rechtsanwalt Münsterstr. 9, 59065 Hamm Galster, Elke Rechtsanwältin Rathenaustr. 2, 30159 Hannover Gdaniec, Thomas Rechtsanwalt Zweigertstr. 14, 45130 Essen Gerber, Tobias Ecclesia Versicherungsdienst GmbH Klingenbergstr. 4, 32758 Detmold Giesen, Prof. Dr. Richard Universität Gießen Ludwigstr. 23, 35390 Gießen Grambow, Dr. Hans-Jürgen Rechtsanwalt Poststr. 25, 20354 Hamburg Hassert, Dr. Esther Rechtsanwältin Rathausgasse 22 – 24, 53111 Bonn Henkel, Dr. Thomas Rechtsanwalt Heinrich-von-Kleist-Str. 4, 53113 Bonn Hertwig, Dr. Volker Rechtsanwalt Contrescarpe 10, 28203 Bremen Hoff, Alexandra Rechtsanwältin Königsallee 14, 40212 Düsseldorf
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Hünnekes, Annette Bundesarbeitsgemeinschaft Deutscher Kommunalversicherer Aachener Str. 952 – 958, 50933 Köln Hüwe, Dirk Rechtsanwalt Westenhellweg 40 – 46, 44137 Dortmund Jaklin, Johannes Ecclesia Versicherungsdienst GmbH Klingenbergstr. 4, 32758 Detmold Jansen, Benedikt Rechtsanwalt Poststr. 7 – 9, 87435 Kempten Jorzig, Dr. Alexandra Rechtsanwältin Westenhellweg 40 – 46, 44137 Dortmund Jungbecker, Dr. Rolf Rechtsanwalt Schreiberstr. 20, 79098 Freiburg Kaesbach, Elmar Zürich Versicherung AG Riehler Str. 90, 50657 Köln Keilbar, Dr. Fritz Rechtsanwalt Myliusstr. 15, 60323 Frankfurt/M. Krempel, Stephan G. Rechtsanwalt Futterstr. 3, 66111 Saarbrücken Kretschmann, Dr. Martin Rechtsanwalt Hagen 30, 45127 Essen
Teilnehmerverzeichnis
Lenzen, Dr. Rolf Rechtsanwalt Merlostr. 2, 50668 Köln Lersch, Elmar Rechtsanwalt Zehnerstr. 29, 53498 Bad Breisig Lodde, Dr. Paul Rechtsanwalt Westfalenstr. 173 a, 48165 Münster Maeder, Helmar Rechtsanwalt Hagedornstr. 22, 20149 Hamburg Martis, Rüdiger Rechtsanwalt Uferstr. 50, 73525 Schwäbisch Gmünd Mayer, Alexander Zürich Versicherung AG Riehler Str. 90, 50657 Köln Meißner, Daniela Bundesarbeitsgemeinschaft Deutscher Kommunalversicherer Aachener Str. 952 – 958, 50933 Köln Meyer, Anna ECCLESIA mildenberger HOSPITAL GmbH 32754 Detmold Meyer, Hartwig Rechtsanwalt Buschkrugallee 53, 12359 Berlin Meyle, Rüdiger Rechtsanwalt Moltkestr. 10, 74072 Heilbronn
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Mildenberger, Dieter ECCLESIA mildenberger HOSPITAL GmbH 32754 Detmold Morrison, Iain Partner Kennedys 10 Lloyds Avenue London, EC3N 3AX Müller, Prof. Dr. R.T. Fuggerstr. 20 A, 86911 Dießen Neu, Johann Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen Hans-Böckler-Allee 3, 30173 Hannover Otto, Reinhold Rechtsanwalt Bahnstr. 1, 34431 Marsberg Peltzer, Helmut Rechtsanwalt Rathenaustr. 2, 30159 Hannover Petry, Franz-Michael Ecclesia Versicherungsdienst GmbH Klingenbergstr. 4, 32758 Detmold Plotzitzka, Heinz KSA Hannover Marienstr. 11, 30171 Hannover Pörner, Marita Gothaer Allgemeine Versicherung AG Gothaer Allee 1, 50969 Köln Prütting, Prof. Dr. Hanns Institut für Verfahrensrecht Universität zu Köln Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln
Teilnehmerverzeichnis
Puff-Drobny, Hans-Peter Versicherungskammer Bayern Maximilianstr. 53, 80530 München Pünnel-Leonhard, Monika Rechtsanwältin Stengelstr. 1, 66117 Saarbrücken Ratajczak, Dr. Thomas Rechtsanwalt Posener Str. 1, 71065 Sindelfingen Reker-Barske, Elisabeth AOK Bundesverband Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin Rust, Helge Rechtsanwalt Wiener Platz 4, 51065 Köln Säcker, Anna-Vanessa R+V Allgemeine Versicherung AG John-F. Kennedy Str. 1, 65189 Wiesbaden Schabram, Peter Rechtsanwalt Zasiusstr. 42, 79102 Freiburg Schnoor, Torsten MDK Mecklenburg-Vorpommern Lessingstr. 31, 19059 Schwerin Schroeder, Michael Rechtsanwalt Aachener Str. 75, 50931 Köln Schünemann, Dr. Hermann Rechtsanwalt Hannoversche Str. 57, 29221 Celle
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Schütz, Petra Gothaer Allgemeine Versicherung AG Gothaer Allee 1, 50969 Köln Schwarz, Wolfgang K. Rechtsanwalt Colombistr. 17, 79098 Freiburg Schwarze, Bernd Rechtsanwalt Beethovenstr. 5 – 13, 50674 Köln Selbitz, Andreas Rechtsanwalt Rathausgasse 22 – 24, 53111 Bonn Sessel, Alexander Rechtsanwalt Quagliostr. 7, 81543 München Stauske, Dorothea AXA Service AG Colonia-Allee 10 – 20, 51067 Köln Stegers, Christoph-M. Rechtsanwalt Märkisches Ufer 28, 10179 Berlin Steinmeister, Martin Rechtsanwalt Am Hof 34 – 36, 50667 Köln Strauß, Anja Zürich Versicherung AG Riehler Str. 90, 50657 Köln Tadayon, Ajang Rechtsanwalt Kurfürstenstr. 31, 14467 Potsdam
Teilnehmerverzeichnis
Teichner, Matthias Rechtsanwalt Neuer Wall 18, 20354 Hamburg Teipel, Frank Rechtsanwalt und Notar Bundesplatz 8, 10715 Berlin Tholen, Heiner Rechtsanwalt Gaststr. 18, 26122 Oldenburg Tübben, Jan Rechtsanwalt Heinrich-von-Kleist-Str. 4, 53113 Bonn Uphoff, Dr. Roland Rechtsanwalt Heinrich-von-Kleist-Str. 4, 53113 Bonn Urschbach, Dr. Roland Rechtsanwalt Adam-Karrillon-Str. 23, 55118 Mainz Weidinger, Patrick DBV-Winterthur und Deutsche Ärzteversicherung Colonia-Allee 10 – 20, 51067 Köln Weltin, Mechthild Rechtsanwältin Königsallee 14, 40212 Düsseldorf Wendt, Martin Rechtsanwalt Kaiserstr. 25 A, 66111 Saarbrücken Wiegner, Matthias Rechtsanwalt Wiegner & Andreu Fernández de la Hoz 27 4° centro izquierda, E-28010 Madrid
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Wiesener, Dr. Jan Rechtsanwalt Ottostr. 1, 80333 München Winkhart-Martis, Martina Rechtsanwältin Posener Str. 1, 71065 Sindelfingen Wostry, Harald Rechtsanwalt Zweigertstr. 55, 45130 Essen Wostry, Thomas Wiegner & Andreu Fernández de la Hoz 27 4° centro izquierda, E-28010 Madrid
Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e. V. Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen Anspruch, Praxis, Perspektiven 1990. X, 174 S. ISBN 978-3-540-52774-9 Die ärztliche Behandlung im Spannungsfeld zwischen kassenärztlicher Verantwortung und zivilrechtlicher Haftung 1992. VIII, 144 S. ISBN 978-3-540-55438-7 Die Budgetierung des Gesundheitswesens Wo bleibt der medizinische Standard? 1997. X, 163 S. ISBN 978-3-540-63071-5 Zulassung und Praxisverkauf Ist das GSG partiell verfassungswidrig? 1997. VIII, 199 S. ISBN 978-3-540-63502-4 Arzneimittel und Medizinprodukte Neue Risiken für Arzt, Hersteller und Versicherer 1997. XII, 201 S. ISBN 978-3-540-63500-0 Krankenhaus im Brennpunkt Risiken – Haftung – Management 1997. VIII, 194 S. ISBN 978-3-540-63505-5 Medizinische Notwendigkeit und Ethik Gesundheitschancen in Zeiten der Ressourcenknappheit 1999. VIII, 187 S. ISBN 978-3-540-64855-0 Medizin und Strafrecht Strafrechtliche Verantwortung in Klinik und Praxis 2000. VIII, 189 S. ISBN 978-3-540-66631-8
Risiko Aufklärung Schmerzensgeld trotz Behandlungserfolg – Wohin führt die Rechtsprechung? 2001. XII, 180 S. ISBN 978-3-540-41765-1 Waffen-Gleichheit Das Recht in der Arzthaftung 2002. X, 177 S. ISBN 978-3-540-41800-9 Leitlinien, Richtlinien und Gesetz Wieviel Reglementierung verträgt das Arzt-Patienten-Verhältnis 2003. X, 157 S. ISBN 978-3-540-00039-6 Ärztliche Behandlung an der Grenze des Lebens Heilauftrag zwischen Patientenautonomie und Kostenverantwortung 2004. X, 199 S. ISBN 978-3-540-20570-8 Globalisierung in der Medizin Der Einbruch der Kulturen in das deutsche Gesundheitswesen 2005. X, 176 S. ISBN 978-3-540-23486-9 Arzthaftungsrecht – Rechtspraxis und Perspektiven 2006. IX, 193 S. ISBN 978-3-540-28418-5 Dokumentation und Leitlinienkonkurrenz – die Verschriftlichung der Medizin 2007. X, 143 S. ISBN 978-3-540-46565-2 Arzneimittelsicherheit – Wunsch und Wirklichkeit 2008. X, 138 S. ISBN 978-3-540-76293-5 Arzthaftung – Mängel im Schadensausgleich? 2009. X, 165 S. ISBN 978-3-540-87624-3