C.H.Guenter
Das Auge
des Bären
VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR
MOEWIG KG, 7550RASTATT
DAS AUGE DES BÄREN… wir...
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C.H.Guenter
Das Auge
des Bären
VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR
MOEWIG KG, 7550RASTATT
DAS AUGE DES BÄREN… wird der sowjetische Geheimdienst KGB genannt. Der Moskauer Zentrale steht ein weltweites Agentennetz für die Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung. Unterstützt wird der KGB von Radar- und Funk lauschstationen. Sie reichen über alle Kontinente hin weg. Mitunter sogar bis in die Großstädte weit jenseits der Grenzen in deren Wohnviertel, Straßen und Häuser. Spionageschiffe beobachten ferne Küsten, Horchbo jen die Dampferwege, Atom-U-Boote die entlegensten Gebiete der Weltmeere. Pausenlos kreuzen Düsenaufklärer im Luftraum. Mili tärische Überwachungssatelliten, fähig die Nummern schilder geparkter Autos zu lesen, kreisen im Orbit. Dennoch stand der KGB (Komitet gossudarst-wennoi besopasnosti) in diesem Jahr vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Tausende von Spionen, Wissenschaftlern und Ingeni euren mit einem Milliarden-Rubel-Etat versuchten eine einzige Frage zu beantworten: Was verbirgt sich unter dem Codebegriff: DAS IGEL-SYSTEM
1. An einem Herbstmorgen des Jahres 1959, der so klar war, als hätte man ganz Kanada durch eine Autowasch anlage gefahren, landete in Mo ntreal ein sowjetisches Flugzeug. Es kam direkt aus Moskau und bewältigte die Strecke ohne Zwischenlandung. Die Kabine der Tupolew, derzeit das größte Verkehrs flugzeug der Welt, hatte zweihundertzwanzig Sitzplätze. Aber nur ein Drittel davon war besetzt. Hauptsächlich von kanadischen und amerikanischen Kaufleuten und Diplomaten. Sie nutzten gerne die schnelle Nachtve r bindung. Auch eine Handvoll Russen verließen die viermotori ge Propellermaschine. Darunter eine Frau von etwa dreißig Jahren. Sie war eher unscheinbar. Mit dem straff zurückgekämmten Haar, der Brille, einem Gesichtsaus druck, der jedes Lächeln ve rmied, mußte man in ihr eine Funktionärin vermuten. Hätte sie ein graues Kostüm getragen, hätte man sie als graue Maus bezeichnet. Der altmodisch geschnittene Reisedreß war aber lehmbraun, nicht aus Gabardine oder Tuch, sondern aus einem filzartigen Uniformmate rial, Dazu trug sie Schnürschuhe, Kunstseidenstrümpfe, dicker als zehn Nylons, und ein Unding von Schlapphut. Trotzdem drängelten sich Fotographen, Zeitungs- und Rundfunkreporter um die Gangway, als käme Marilyn Monroe zu einem Besuch nach Kanada. Als die Russin unsicher durchs Kabinenschott auf die Gangway hinaustrat, rief einer der Reporter: „Das ist sie!“ „Diese Tante Schneckenschiß?“
„Das muß sie sein.“ „Unmöglich.“ „Diesen Hut hat Napoleons Mutter schon der Mos kauer Müllabfuhr übergeben.“ Die etwa dreißigjährige sowjetische Staatsbürgerin wurde von den Journalisten hart angegangen. „Sind Sie Orena Jekkow?“ Sie nickte verlegen. Daraufhin brach ein Blitzlichtfeuerwerk los. Die Ke gel von Filmlampen erfaßten sie, Kameras klickten und surrten. „Stehenbleiben!…. ja, so bitte!… kommen Sie nä her!… jetzt lachen! . . . Und winken! Winken!“ Jemand überreichte ihr Blumen. „Zeig deine Beine Orena!“ rief einer. „Hoch den Rock!“ Als die Russin das Rollfeld erreicht hatte, drängte sich alles um sie. Man hielt ihr Mikrofone hin. Schreiend stellten sie ih re Fragen, und alle durcheinander. Sie antwortete in recht gutem Englisch. Und immer freundlich, wie man sie e rmahnt hatte. „Stimmt es, Professor Jekkow, daß Sie mit dreizehn das Abitur machten?“ „Mit Sechzehn.“ „Und mit zweiundzwanzig Ihren Doktor der Medi zin?“ „Mit einundzwanzig.“ „Summa cum laude?“ Sie nickte. Endlich zuckte ein Lächeln um ihren Mund. Er war groß und sinnlich, mit ein paar feinen Falten in den Winkeln. „Wann wurden Sie Professor, Lady?“ „Letztes Jahr.“ „Wo lehren Sie?“ „In Moskau.“
„Sie gelten als die hervorragendste Spezialistin des Ostens für die Erforschung von Krebs. Man sagt, Sie hätten eine neue Heilmethode entwi ckelt.“ „Ich habe nur bekannte Methoden kombiniert“, ant wortete sie bescheiden. „Stärkung der körpereigenen Abwehr und Abtötung der Krebszellen durch partielle Überhitzung. Richtig?“ Sie wollte etwas sagen, kam aber nicht dazu. „Werden Sie auf dem Kongreß darüber sprechen, Pro fessor?“ „Das ist meine Absicht.“ „Sie sind zum ersten Mal in Kanada?“ „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben die UdSSR verlassen.“ „Muß man dazu ein Anwärter auf den Nobelpreis sein, um das zu dürfen?“ fragte von hinten ein langer Bursche mit Trompetenstimme. Die Antwort wäre Professor Orena Jekkow schwerge fallen. Sie brauchte sie nicht zu formulieren. Ein Riese von einem Mann, der hautnah hinter ihr stand, so als müßte er ihr Körpe rschutz geben, arbeitete sich vor. Er hob die Hand und rief etwas, was keiner verstand. „Was meint er?“ fragte ein TV-Kameramann. „Keine Fragen mehr. Schluß des Interviews.“ „Wer ist der Affe?“ „Ihr Gorilla. Leibwächter, Aufpasser.“ „Wozu braucht sie den?“ „Noch nie von der leidenschaftlichen Glut der Tscherkessinnen gehört?“ scherzte einer. „So sieht sie nicht gerade ans.“ „Faß sie mal hintenrum an.“ „Idiot!“ „Hart wie Stahl. Alle russischen Damen, die in den Westen reisen, kriegen in Moskau Blechhöschen ve r paßt.“ „Damit sie nicht verführt und zu Spioninnen gemacht
werden“, fügte der mit der Trompeten-Stimme hinzu. Ein anderer sagte: „So ein Höschen hat zwei Schlosser. Und der Gorilla hat die Schlüssel.“ Eine Limousine kam quer über das Rollfeld. Der Leibwächter bahnte Prof. Jekkow eine Gasse. Sie stie gen ein. Dann fuhr der schwarze Lincoln davon.
Am dritten Tag der Welt-Krebs-Konferenz in Mont real hielt Prof. Dr. Orena Jekkow von der medizinischen Universität ihren lange erwarteten Vortrag. Sie sprach englisch, das sie einigermaßen akzentfrei beherrschte. Was sie zu sagen hatte, stand auf sechsund zwanzig Manuskriptseiten. Sie konnte den Text aus wendig. Normalerweise war sie bei ihren Vorträgen durch nichts abzulenken. Hier passierte es allerdings einige Male. Doch es fiel nicht auf, und niemand hätte den Grund dafür geahnt. Ursache war der Mann in der zweiten Reihe links vom Mittelgang. Ein Amerikaner, grauhaarig, mit dem Profil eines Indianers und schwarzen Brauen über hel len, wachen Augen. Leider galt seine Aufmerksamkeit, wie die Russin be fürchtete, nicht ihrem Vortrag. Das irritierte sie ein wenig. Denn dieser Mann, Professor Alec Farmer, war ihr absolutes Idol. Sie war geradezu vernarrt in ihn. Vor Jahren hatte sie sein Bild aus einer Fachzeitschrift herausgeschnitten. Seitdem trug sie es immer bei sich. Sie bewunderte ihn nicht nur als Kapazität. Er entsprach dem absoluten Traumbild, das sie sich von einem Mann machte. Als ihm der Nobelpreis verliehen worden war, hatte sie ihm mit einem langen Brief gratuliert, aber nie eine Antwort erhalten.
Und jetzt sprach dieser Mann ungeniert mit einem Kollegen. Es sah aus, als sei er nur aus Höflichkeit anwesend. Mit zunehmend trockener werdendem Hals brachte Orena Jekkow ihr Referat zu Ende. Der Applaus war ungewöhnlich anhaltend. Stärker als gestern bei Prof. Farmers Vo rtrag. Sie blickte zu ihm hin. Farmer klatschte nur zweimal, stand auf und verließ als erster die Halle im Kongreß zentrum. Sein Verhalten schmerzte die Russin. Es tat ihr kör perlich tief innen weh. Er ist ein Idiot, dachte sie, und du bist eine dumme Kuh. Was hast du erwartet? – daß er dich umarmt und dich abküßt. Dabei hatte er ihr nicht einmal die Hand gereicht, als man sie einander vorstellte. Hallo, hatte er gesagt, und sich um seinen Drink gekümmert. Wenn sie ehrlich war, dann mußte Orena Jekkow zugeben, daß sie diese Reise nach Kanada nur ange strebt hatte, um diesem Mann zu begegnen, ihn zu tref fen und ihm eine Frage zu stellen. Der Plan, der dahinterstand, den konnte sie wohl ve r gessen. Orena Jekkow begann alles, was mit Prof. Farmer zu sammenhing abzuschreiben. Bei der nächsten Abendge sellschaft hielt sie sich vorwiegend an der Bar auf und an Wodka-Martini-Gläsern fest. Auch wenn ihr Leib wächter es nicht gerne sah. Plötzlich stand Farmer vor ihr. Sie errötete wie ein Schulmädchen, verschü ttete den Drink, verhaspelte sich bei dem Wort danke, mit dem sie seine Frage, wie es ihr dann ginge, beantwortete. „Gute Arbeit“, wurde Farmer sofort sachlich. „Ist auch alles statistisch untermauert?“ „Ich bin Wissenschaftlerin, Herr Kollege “, entgegnete
sie ungewollt scharf. „Ob Sie mir Ihre Statistiken wohl überlassen wü r den?“ „Sie kriegen eine Kopie.“ Er dankte, wollte gehen, zögerte dann. „Sie sind eine merkwürdige Frau“, sagte Farmer. „Die Bedeutung Ihres Vertrages geht einem erst auf, wenn er beendet ist. Auch als Frau wirken Sie mit Verzögerung. Sie sind eine Schönheit auf den zweiten Blick, meine Teuerste. Hat man Ihnen das schon einmal gesagt?“ „Schönheit auf den zweiten Blick“, wiederholte sie. „Noch nie gehört. Wußte gar nicht, daß es das gibt.“ Überheblich wie immer hob er die Hand. „Bis später“, sagte er, „vielleicht“, und verschwand in der Menge. Sie begegneten sich wieder. Zum vorletzten Mal. Die Band spielte einen Slowfox. Farmer sagte, das sei das einzige, das er etwas besser könne als gar nicht tanzen und forderte sie auf. Die langsame Swingmusik war bald zu Ende. Sie tranken an der Bar noch Champagner. Die Russin faßte sich ein Herz. Jetzt oder nie. „Ich habe eine Bitte an Sie, Doktor Farmer“, setzte sie an. „Nur raus damit!“ „Kann ich Sie mal sprechen? Unter vier Augen?“ „Tun Sie es doch gleich jetzt.“ Sie schaute sich um. „Hier kann ich nicht.“ „Was nicht?“ fragte er mit seiner arroganten Stimme. „Es aussprechen.“ Er holte sein Notizbuch und den Kugelschreiber her aus, riß ein Blatt ab und legte es vor sie auf die Mar morplatte der Bar. „Dann schreiben Sie es nieder.“ Sie blickte ihm in die Augen und gab sich den ent
scheidenden Ruck. „Schön. Aber anschließend sofort vernichten.“ Er signalisierte Verständnis. „Bloß keine Dokumente über private Dinge. Es ist doch privat, oder?“ „Fast intim“, gestand sie, nachdem sie das englische Wort dafür gefunden hatte. Hastig schrieb sie – ihre Schrift war groß und so gut leserlich wie gedruckte – zwei Zeilen. Sie faltete das Blatt zusammen und gab ihm beides. Papier und Kugel schreiber. „Wann darf ich es lesen?“ „Wann sie wollen.“ Prof. Farmer setzte seine Brille auf und las. Seine Au gen bewegten sich über die Zeilen hin und her und nach unten. Kopfschüttelnd las er noch einmal. Ungläubiges Staunen unter einer ironischen Deckschicht trat in seine Züge. „Das ist nicht Ihr Ernst, verehrte Kollegin.“ „Mein vollster.“ „Sie müssen zugeben… daß…“ „Natürlich vollste Diskretion, Professor Farmer.“ Plötzlich musterte er sie auf eine andere Weise. So, wie ein Mann eine Frau anblickt, um festzustellen, ob sie erotisch auf ihn wirkte. Dann wieder das Kopfschütteln. Farmer zerknüllte das Stück Papier und warf es in den silbernen Ascher auf der Bartheke. „Aber verehrte Kollegin…“ „Also nein?“ fragte sie präzise. „Ich bitte Sie.“ Sie gab sich alle Mühe. Den Ausschnitt des schwar zen Cocktailkleides hatte sie vertieft und sogar den Rock über die Knie hochgestreift. – Zugegeben, es gab schönere Beine. Die ihren waren ein wenig knochig. Aber gerade und schlank.
„Und warum nein?“ „Verzeihung“ setzte Dr. Farmer an. „Gestatten Sie, daß ich diesen Vorschlag ignoriere. Guten Abend, Ore na.“ Nun saß sie allein an der Bar. Sie trank unmäßig an diesem Abend. Warum, zum Teufel, hat er Orena zu mir gesagt, frag te sie sich immer wieder. Bin ich ein Kind, das man trösten muß, weil man ihm einen Wunsch abschlägt. Oder ist es Mitleid mit der allmählich verdorrenden russischen Ziege. Sie drückte die Zigarette aus und floh auf ihr Zimmer. Wie immer folgte ihr der Leibwächter unauffällig. Be vor er seine diskrete Position in der Hotelbar ve rließ, untersuchte er noch den Ascher. Unter Kippen und Streichhölzern fand er das angekohlte Stück Papier. Nur um Gedanken auszutauschen, waren Mediziner nicht auf Konferenzen zu bringen. Die Festivitäten muß ten stimmen und der Luxus. Außerdem mußte ein be sonderer Hit geboten werden. Den Höhepunkt beim Weltkongreß der Krebsfor scher 1959 bildete eine Flußfahrt auf dem SanktLorenz-Strom von Montreal nach Quebec. Garniert war es mit Fischen, Jagen und einem Nachtcamp in der Wildnis bei Lagerfeuer und Jungschwein am Spieß. Die Freiluftfete war professionell organisiert. Als die Sonne rot über dem Westufer stand, machte der klimati sierte Dampfer an einer Flußinsel fest. Die bunten Zelte standen schon. Eine Indianergruppe tanzte, eine Band spielte Hillbilly-Weisen. Das Schlitz-Bier kam aus eis gekühlten Fässern. Es gab Whisky in jeder Menge. Für Leute, die kein Bier mochten, gab es Wein, und für solche, die keinen Wein mochten, gab es Champagner. Dr. Jekkow hielt sich an letzteren, weil sie fand, daß
sich damit im Vergleich zu süßem Krimsekt eine neue Welt auftat. Sie war rasch beschwipst. Gegen Mitternacht lag sie bei einem Tanz plötzlich in Alec Farmers Armen. „Sie haben ja Grübchen“, stellte er fest. „Und was für eine hübsche aufwärtsgebogene Lippe.“ „Eigentlich schon immer“, bemerkte sie ironisch. Sie liebte die klargeschnittenen Züge dieses Mannes, das Geistige und das Animalische an ihm. Sie hatte ihn begehrt, ohne ihn zu kennen. Jetzt tat sie es noch mehr. Trotzdem löste sie sich aus seinen Armen. „Verzeihung, das sollte kein billiges Kompliment sein, verehrte Kollegin.“ Sie reagierte heftig und gekünstelt. „Sie glaubten wohl, ich sei nur unter Narkose genieß bar, Professor Farmer“, rief sie. „Vergessen Sie es. Sie sind nicht der Wurm für diesen Haken.“ Er war Menschenkenner und glaubte, daß sie etwas anderes sagte, als sie fühlte. Er hatte sie beleidigt, sie zutiefst gekränkt, weil er ihr Angebot ausgeschlagen hatte. Er holte Champagner. Sie tranken. „Bin müde. Ich gehe zu Bett“, entschied die Russia „Wo schlafen Sie, Orena?“ „Dort.“ Sie deutete zum Fluß. „In welchem Zelt?“ „Nicht im Zelt. Als einzige Frau in dieser Männerge sellschaft ziehe ich es vor, in me iner Kabine auf dem Schiff zu schlafen.“ „Ich bringe Sie an Bord.“ „Danke, ich finde den Weg alleine “, entgegnete sie. Doch ihr Mund sagte etwas anderes als ihre Augen. Sie war erhitzt, trug das schwarze Haar offen, hatte nackte braune Beine und sah aus wie eine Zigeuerin. „Was starren Sie mich so an, Alec?“
„Ich entdecke Sie soeben.“ „Ich wiege ungefähr neun Pfund zuviel“, antwor tete sie. „Gute Nacht, Alec.“ Am Kabinendeck des Flußdampfers war nur ein Fen ster beleuchtet. Prof. Farmer saß an der Uferböschung und beobachte te den Schatten hinter dem Vorhang. Er glaubte die Bewegungen einer Frau zu erkennen. Sie nahm die Arme hoch, um die Bluse auszuziehen, führte die Hand nach hinten zum Reißverschluß zog ihn auf und streifte den Rock ab. Dann winkelte sie ein Bein an, um den Strumpf auszuziehen. – Aber Orena hatte keine Strümp fe getragen. Was tut sie jetzt, überlegte Farmer. Er eilte über die federnde Gangway, flankte über die Reling, tastete sich durch den dunklen Gang bis zu der Kabinentür, aus deren Luftgitter Licht fiel. Er klopfte an. Sie öffnete und war nicht erstaunt, ihn zu sehen. Er hatte eine Flasche Champagner, aber nur ein Glas dabei. „In der Eile“, entschuldigte er sich. „Trinken wir eben aus einem.“ Sie trug ein kurzes, zartgrünes Nachthemd mit Spit zen, offenbar in Melbourne gekauft. Vorne wurde es von einer Schleife zusammengehalten. Dar unter war sie nackt. Beinah sachlich stellte sie etwas klar. „Ich bin und war nie scharf darauf, so nebenher ve r nascht zu werden. Ich dachte mir nur…“ „Du willst ein Kind von mir, Orena“, sprach er es aus. „Warum nicht.“ „Würde es denn auch klappen?“ „Ich habe lange gerechnet. Ich glaube schon. Ich
hoffe. Aber du, warum hast du darüber gelacht?“ „Erst war ich von deinem Angebot geschockt“, ge stand Farmer. „Aber dann dachte ich, warum nicht. – Zwei so prächtige Leute wie wir… Männer brauchen immer etwas länger…“ ,,Du bist verheiratet, Alec?“ „Meine Frau bekommt keine Kinder.“ „Sie wird nie etwas erfahren, auch du nicht… ob die se Nacht Folgen haben wird.“ Mit einemmal hatte sie feuchte Augen. Eine Träne kullerte über ihre Wange. Aber sie weinte nicht. Sie wischte die Träne weg. „Verdammte Rührung“, fluchte sie leise. „Ich bin ziemlich schüchtern“, gestand er. „Ich auch. Aber was ich will, das will ich. Und die Nacht hat nur noch wenige Stunden.“ Ihre Finger zogen an der Schleife. Sie riß das Nacht hemd auf, ließ es fallen und stand da mit strotzenden Brüsten, die Beine breit. „Sind andere besser?“ fragte sie. „Keine“, antwortete er und nahm sie in die Arme. Sie liebten sich bis zum Morgen erst heftig, dann zärt lich. Als die Sonne über dem Lorenz-Strom aufging, schickte die Russin den Amerikaner weg. „Laß uns schon hier Abschied nehmen“, flüsterte sie. „Adieu“, tat er forsch, „War reizend, dich gekannt zu haben, Orena.“ „Ich werde dich nie vergessen“ sagte sie und blickte ihm noch lange nach. Daß eine unverheiratete Frau in der Sowjetunion schwanger wurde, stellte schon seit der Revolution kein gesellschaftliches Problem mehr dar. Das galt auch für prominente Genossinnen. Deshalb verstand Prof. Jekkow nicht, daß sie vor den
Ehrenausschuß der Universität zitiert wurde. Man nannte ihr keinen Grund für das Verhör. Sie glaubte aber zu wissen, um was es ging. Zur Gewißheit wurde es, als Zivilbeamte der Geheimpolizei sie nach der Vorlesung in Empfang nahmen und zum Ministeri um begleiteten. Dort empfingen drei Funktionäre des Gesund heitswesens die bekannte Medizinerin. Sie gaben sich höchst reserviert. Nach kurzer Einleitung stellte einer der drei fest: „Sie sind schwanger, Genossin Professor.“ „Im fünften Monat. Ich denke das sieht man. Es ist kein Geheimnis.“ Der Frager lehnte sich zurück. „Würden Sie uns gegenüber auch das Geheimnis der Vaterschaft lüften?“ Sie war irritiert. „Gibt es dazu Veranlassung?“ Die drei blickten sich wortlos an. „Durchaus.“ „Es ist nicht notwendig“, reagierte sie heftig, „Es gibt kein Gesetz, und es ist auch nicht üblich, wenn man es zu verschweigen wünscht.“ Der Älteste der Funktionäre beugte sich vor und starr te auf den Bleistift zwischen seinen Fingern. „Aber wir wünschen es, Genossin.“ Orena Jekkow war sich ihrer Bedeutung für For schung und Lehre in dieser Union durchaus bewußt und reagierte hochfahrend. „Aber ich nicht, meine Herren. Ich weigere mich.“ Nun versuchten sie es anders. „Können Sie uns garantieren, Genossin Professor“, fragte der Mann, der ihr als ZK-Mitglied bekannt war, „daß es sich bei dem Vater Ihres erwarteten Kindes um einen Bürger der Sowjetunion und einen linientreuen Kommunisten handelt?“
Daraufhin verweigerte sie jede weitere Aussage. Man übergab ihr einen Schnellhefter. Er trug den Ge heimstempel. Innen befand sich nur ein Blatt und auf ihm, in die Mitte geklebt, der Zettel aus dem Notizbuch von Prof. Alec Farmer, mit ihrer Handschrift und den Worten: Ich möchte ein Kind von Ihnen mit nach Hause nehmen. Absolute Diskretion ist garantiert. Die Jekkowa las und erschrak, aber auch eine Welle tiefer Freude stieg in ihr auf. Sie bekam ein Kind von Alec. Alles andere war ihr egal. „Was sagen Sie jetzt?“ drang die Stimme des Vorsit zenden wie aus dichtem Nebel an ihr Ohr. Sie lächelte. „Nichts.“ „Bestätigen Sie die Echtheit dieses Dokuments?“ Sie nickte nur. „Ihr Glück, daß Sie uns nicht belegen haben“, äußer ten sie und zogen sich zur Beratung zurück. Wenig später erfuhr die Angeklagte das Ergebnis. Die Sache sollte unterdrückt werden. Zur Strafe kam sie als Lagerärztin in ein Gulag nach Sibirien. Sie verlor ihre Professur, ihre Stellung als Chef der Inneren Abtei lung der Universitätsklinik sowie alle Vorteile, die da mit verbunden waren: Wohnung, Dienstwagen, Staats datscha. In Sibirien würde sie keinen Namen fuhren, sondern nur noch eine Nummer. Und als unbekannte Nummer wurde sie ihr Kind zur Welt bringen. Der Beschluß, der soviel galt wie ein Gerichtsurteil, sah vor, daß ihre Leibesfrucht nicht ihr, sondern dem Staat gehören sollte, egal ob Mädchen oder Knabe. Der Staat würde sich des Kindes vo m Tag der Geburt an annehmen, es in ein Heim bringen, wo elternlose Kinder aufgezogen wurden, es erziehen, ausbilden und später gemäß seinen Fähigkeiten zum Wohl des Sozialismus einsetzen.
„Wann?“ fragte die Jekkowa erschüttert. Den aufkei menden Haß konnte sie nur mühsam unterdrücken. „Sofort.“ „Kann ich nach Hause… meinen Koffer… das Allernötigste?“ „Nein“, lautete die Antwort. „Das Flugzeug, das Sie nach Kjusjur bringt, steht startbereit.“
Vom Fenster der Krankenbaracke aus sah Orena Jek kow die bereiften Bäume. Der Fluß, die Lena, wälzte sich glatt und schwarz durch das Tal. Vor einer Woche hatte sie noch Eis geführt. Der Winter dauerte hier oben am siebzigsten Breitengrad endlos lange. Es war schon Juni, und noch blühte keine einzige Blume in diesem fürchterlichen Land. Nach allem was man ihr angetan hatte, dachte Dr. Jekkow nur noch an ihr Kind. Das machte sie froh. Daß man es ihr wegnehmen würde, versuchte sie zu ve r drängen. Sie trat vom Fenster ins Zimmer zurück und legte sich hin. Seit gestern war sie dienstfrei. Noch ein paar Tage, schätzte sie, vielleicht eine Woche. Sie blätterte in uralten Zeitungen. Ins Lager kam nur, was mindestens drei Monate alt und zensiert war. Gegen Mittag erschien der Erste Lagerarzt. Ein Glück, daß sie Rottanski hier getroffen hatte. Sie kann ten sich von der Universität in Kiew. Schon damals hatten sie Dr. Rottanski gebeten, nicht soviel zu trinken. Wenn er betrunken war, konnte er den Mund nicht hal ten. Dann führte er sich auf, als wollte er die Revolution neu erfinden, die Regierung stürzen, den Kommunismus abschaffen und dafür den Rottanskismus einführen. Er verstand nichts von Politik, aber wenn er trank, wurde er zum Aufrührer, zum Ankläger, zum Weltve r änderer. Das hatte ihn nach Kjusjur gebracht.
Sie hatten sich immer gemocht. Sie schätzten einan der sehr. Das half ihnen, durchzuhalten. „Wie geht es dir, Orena?“ fragte der Arzt. „Vorwehen“, vermutete sie. Er horchte ihren kugelrunden Bauch ab und tätschelte ihn zufrieden. „Prächtig.“ „Vielleicht morgen schon“, sagte sie. Dr. Rottanski steckte sein Stethoskop ein. „Drüben in Baracke sechzehn liegt eine Arbeiterin aus Workuta, Nummer 7422/9. Sie gehörte einer Antistali nistischen Gruppe an. Sie ist auch schwan ger. Aber ihr Kind ist tot. Man hat sie bei den Verhören geprügelt. Wir werden die Geburt einleiten müssen.“ „Wann?“ „Bald“ entschied der Arzt. „Ich werde ihr eine Narko se geben.“ „Dann liege ich mit ihr im Kreißsaal.“ „Ich sorge dafür.“ „Und die Kommissarin?“ „Wird als Zeugin dabeisein und bekommen, was sie fordert. Verlaß dich auf mich, Orena. Hab Vertrauen.“ Sechsunddreißig Stunden später war es soweit. In der Nacht – es war bitterkalt, und es fiel noch einmal Schnee – gebar Dr. Orena Jekkow ihren Sohn. Kaum war er abgenabelt und tat den ersten Schrei, übernahm ihn die Kommissarin im Auftrag des Staates. Bevor sie ihn in Tücher hüllte, prüfte sie ihn sorgfäl tig. „Ist er gesund, Doktor?“ „Was soll ihm fehlen?“ „Der Zeigefinger links sieht komisch aus.“ „Der ist nur ein wenig kurz geraten.“ Papiere wurden ausgefertigt, unterschrieben und ge stempelt. „Darf ich ihn ein einziges Mal sehen?“ bat die Mutter.
„Nein“, erklärte die Kommissarin.“ „Wozu?“ „Welchen Namen bekommt er?“ „Das entscheidet das Gremium.“ Die Kommissarin trug das Bündel hinaus. Wenig spä ter kam die Arbeiterin aus Workuta nieder. -Dr. Rot tanski verheimlichte ihr, daß sie ein totes Kind zur Welt gebracht hatte.
Im Jahre 1966, nach nur fünfjährigem Aufenthalt im Straflager Kjusjur, wurde Dr. Orena Jekkow von Sibiri en zurück nach Moskau gebracht. Eines Tages landete ein Hubschrauber und holte sie ab. So, wie man sie damals von der Universität abgeholt hatte. Ohne schriftlichen Befehl, ohne Erklärung. Wie sich herausstellte, war der Staatschef an Krebs erkrankt. Es handelte sich um abgekapselte Karzinome im Genitalbereich. Über Hodenkrebs wußte man aller dings noch sehr wenig. An eine Operation war wegen des Herzleidens des Pa tienten nicht zu denken. Bevor man mit Bestrah lung und Chemotherapie einsetzte, die unter Umständen noch größere Schäden im Organismus anrichteten, woll te man Dr. Jekkow befragen. Sie studierte die Krankenblätter, die Röntgenfotos, die Analysen der Gewebsentnahmen. „Was halten Sie davon, Genossin Professor?“ fragte man sie. Daß man sie wieder Professor nannte, fand sie er staunlich. „Ja, es ist mein Spezialgebiet“, antwortete sie. „Ich werde mich zurückziehen und eine Therapie ausarbei ten.“ „Wie lange wird das dauern?“ „Bis morgen früh“, sagte sie. „Sorgen Sie bitte für Kaffee und Zigaretten.“
„Wenn Sie es schaffen“, deutete einer der Medi zinfunktionäre an, „dann…“ „Dann darf ich wieder nach Kjusjur zurück“, höhnte sie. „Dann müssen wir ihn nicht aufschneiden, was ihn umbringen könnte, denn er überlebt keine Vollnarkose. Und wir brauchen ihn auch nicht zu bestrahlen, was ihn ebenso wie Punkt eins beeinträchtigen würde. Und Chemotherapie ist auch nicht das Gesündeste.“ „Es gibt andere Methoden“, erwähnte Dr. Jekkow. Obwohl sie keine Motivation besaß, einen Mann am Leben zu erhalten, der der Repräsentant eines Staates und einer Politik war, die sie nach Kjusjur geführt und ihr den Sohn genommen hatte, setzte sie all ihr Wissen und ihre Erfahrung ein, um diesen Mann zu retten. – Was ihr im Verlauf des Jahres auch gelang. Daraufhin wurde Orena Jekkow voll rehabilitiert und in ihre Ämter wieder eingesetzt. Im Oktober flog sie noch einmal nach Sibirien. Sie hatte dort einige private Dinge zu erledigen. Unter anderem sorgte sie dafür, daß der Arbeiterin Nr. 7422/9 aus Workuta, die mit ihr im Kreißsaal gelegen hatte, die nötigen Mittel zur Verfügung standen, um ihrer Tochter eine angemessene Ausbildung zu bieten. Das inzwischen sechs Jahre alte, engelblonde Mäd chen kam in ein Erziehungsheim für ProminentenKinder an der Küste des schwarzen Meeres, auch Russi sche Riviera genannt. Dort wuchs Alexandra zu einer erstaunlichen Persön lichkeit heran. Sie war nicht sonderlich hübsch, aber bald die beste Schachspielerin der Krim-Halbinsel. In Mathematik übertraf sie sogar ihren Professor, der immerhin ein Standardwerk über Primzahlen verfaßt hatte.
2.
Sie waren, von München kommend, in Brüssel gelandet. Die Dämmerung ging in die Nacht über. Für Oktober wehte ein lauer Wind. Aber dieses Jahr hatte sich wettermäßig sehr ungewöhnlich verhalten. Sie stellten die zweimotorige Cessna ab. Ein Wagen des Nato-Hauptquartiers stand bereit, um Agent Nr. 18, Robert Urban, abzuholen. Aus Trainingsgründen hatte er die Cessna geflogen, rechts neben Stabsoberfeldwebel a.D. Bubi Spiegel. Als Chefpilot der Flugbereitschaft bewegte Spiegel alles, was der Bundesnachrichtendienst an Hubschraubern und Flugzeugen besaß. Die gespreizten Finger als Kamm verwendend, fuhr er sich durch die Locken. „Nimmst du mich mit ins Städtchen, Oberst?“ fragte er. „Wir fahren nicht hinein. Das Hauptquartier liegt süd lich. Der Weg außen herum ist kürzer.“ „Macht nichts. Ich rufe ein Taxi.“ „Was willst du in der City?“ erkundigte Urban sich. „Um Mitternacht geht es nach Hause.“ „Sorry, ich habe eine Verabredung“, erklärte Spiegel. „Muß ‘ne Dame aufs Kreuz legen.“ „Hier holst du dir zu neunzig Prozent den Tripper.“ „Neunzig ist nicht hundert“, bemerkte Spiegel. „Und es wäre auch nicht zum ersten Mal.“ „Hüte dich vor Blondinen mit schwarzer Unter wäsche – sagte meine Großmutter.“ „Das war im vorigen Jahrhundert.“ „Gilt aber heute noch.“ „Bloß kein Neid.“ Urban hätte mit Spiegel gerne die Rollen getauscht. Was er vorhatte, war gefährlich und ein wenig illegal, wenn auch von oben abgesegnet. Falls es schiefging,
war er allerdings geliefert und niemand würde ihn dek ken. – Dafür hatte er aber den Dienstwagen mit Chauf feur, und einen Tripper holte er sich mit Sicherheit auch nicht. Vielleicht verbrannte Finger, aber keinen Tripper. Urban warf sich in den Fond des Mercedes. Gekleidet war er wie ein Nachtbummler. Dunkle Hose, Glen checksakko, zartblaues Hemd, dunkler Strickbinder. Keinen Hut, keinen Mantel, nicht einmal einen Koffer hatte er dabei. Alles was er brauchte, steckte in den Taschen. Es trug weniger auf als eine Brieftasche mit hundert Mark in Zehnern. Alte Agentenregel: Je schwerer der Tag, desto leichter muß das Gepäck sein. „Kann ich fahren?“ fragte der Chauffeur. „Worauf warten Sie noch?“ Urban machte es sich bequem und steckte sich eine MC an. In zwei Stunden würde er die Rück fahrt antreten. – Wenn alles gut ging.
Erst schloß Urban die roten Samtvo rhänge, dann machte er Licht. Der Raum hatte dunkelgetäfelte Wände, einen Mar morkamin und viel poliertes Messing. Und so was nann te sich Büro. Immerhin war es das Büro des zweiten Mannes der Nato. Auf der Visitenkarte im Rahmen vor der lederge polsterten Tür stand schlicht: Nat P. Potter. Jeder im Umkreis von einer Meile – soweit reichte ungefähr der Hochsicherheitsbereich – wußte, daß es sich um den stellvertretenden Nato-Generalsekretär handelte. Der Brite war um diese späte Stunde meist abwesend. Über dem Kamin hing ein Ölgemälde. Die Königin im Goldrahmen. Zu hoch, um dahinter den Safe zu verbergen, und zu unbequem, da man eine Leiter ge
braucht hätte, um ihn zu öffnen. Auf der anderen Wandseite hing Lord Nelson, eben falls in Öl und Goldrahmen, allerdings gut einen Meter tiefer, in Augenhöhe also. Urban klappte das 100x130 cm messende Gemälde gegen den Druck eines Schnappschlosses auf, und da war er, der Mark-XLL. Die Tür aus Panzerstahl, 200 Millimeter dick, schweißbrennerfeste Sandwichbauwe i se. Der Rest des Tresors befand sich eingemauert in Bunkerbeton. Urban richtete die Schreibtischlampe so auf die grün lackierte Tür, daß der Kegel ihr Zentrum traf. Es gab drei Buchstabenschlösser. Urban zog den Zettel aus seiner Reverstasche. Der Si cherheitsoffizier der Nato-Zentrale hatte ihm zwei Zif fernfolgen und ein Codewort notiert. Zweimal sieben Zahlen und noch einmal sieben Buchstaben. Viel mehr hatte er für Urban nicht tun können. Vor allem konnte er ihm nicht helfen, den Innensafe zu öff nen. Diesen Schlüssel hatte der General persönlich. Urban streifte weiße Baumwollhandschuhe über, beugte und streckte die Finger und machte sich an die Rändelschrauben wie ein Pianist an die Tasten des Steinway-Flügels. Binnen zwei Minuten hatten die Raster eingeklickt, die Tür ließ sich am Griff aufziehen. Im Innern Fächer mit Akten, Generalstabskarten, Plä ne, Berichte, Statistiken, Bücher. Alles entweder ge heim, streng geheim, top-secret oder royal-secret. – Darauf kam es Urban nicht an. Hierzu hatte jeder über prüfte Assistent Zugang. Eines der Fächer war verschließbar. Es sah aus wie eine Blechbüchse mit einem simplen Sternschloß. Aber das Blech war hochwertiges zähes Titanmaterial, und vor dem Schloß hatte man Urban gewarnt. Ein britisches Modell, Handarbeit einer kleinen Spe zialfirma. Jedes Stück in Sonderanfertigung hergestellt.
Hier bewahrte der General seine höchst privaten Sachen auf. Und genau da mußte Urban hinein. Dazu verwendete er eine Art Nagelfeile, nur schma ler, aus dünnem hochelastischen Federstahl. Ebenfalls ein handgefertigtes Einzelstück. Nicht von einer kleinen Tresorbaufirma, sondern von einem großen Safeknak ker. – Die guten Leute mußte man eben kennen. – Das Ding, einer Fühllehre ähnlich, hatte flexible Flanken aus Memory-Material. Es paßte sich der Innenverzahnung des Schlosses an. Vor dem Einführen mußte man es allerdings erhitzen. Dafür genügte eine Feuerzeugflam me. Es eignete sich auch ein Streichholz. Urban erwärmte den Thermodietrich von der Spitze her. Dann schob er ihn hinein. Ein wenig widerstrebend paßte er sich an. Urban wartete wenige Minuten. Als das Material er kaltet war, bewegte er das löffelartige Ende. Nichts rührte sich. Verdammt, vielleicht kannte er doch nicht die richti gen Leute. Er gab noch ein paar Minuten zu. Eine Zigarette wäre nicht schlecht gewesen. Ein Blick auf die Uhr. In zwölf Minuten kam der Rundengänger. Die Wachmänner waren in diese Operation nicht eingeweiht. Wieder versuchte Urban es. – Eine Vierteldrehung und aus. Er sondierte in Millimeterbewegungen, rüttelte, noch ein Stück. Und dann, knackknack. Der Safebereich im Tresor war offen. Ein Behältnis, so groß wie zwei Schuhkartons, Inhalt: Cosmic-Akten, eine Saffianledermappe mit der Berufung des Generals, Urkunden, Fotos. – Unwichtig. Urban räumte sie beiseite und blätterte Akten durch. Das meiste steckte in Klarsichthüllen. War das schon alles? Unmöglich, es mußte etwas geben. Den Beweis. Ganz in der Ecke lag eine längliche Schachtel. Tabletten gegen Kopfschmerzen. Thomapyrin. – Der Safe eine
Hausapotheke. Nicht zu glauben. Thomapyrin in einem Safe, in einem Tresor. Dann mußte es sich um eine besondere Mischung handeln. Urban öffnete die Pappzunge der Schachtel. Nur eine Tablette war aus der Folie gedrückt. Alle anderen saßen noch fest unter dem Staniol. In acht Minuten kam der Rundengänger. Ratlos stand Urban vor dem offenen Safe. Eben noch überzeugt, nein, mehr als das, ganz sicher sogar, daß dieser Safe das große Leck darstellte, aus dem geheim ste Nato-Beschlüsse in den Osten gelangten, sah er plötzlich seine Theorie platzen. Leise fluchend, wollte er die Tabletten an ihren Platz zurücklegen, dann zögerte er. Verdammt, kein Mensch bewahrte im Safe auf, was man in jeder Apotheke an jeder Ecke Europas kaufen konnte. Er hielt die Packung unter die Lampe. Die Alufolie schien von der zweiten Tablette ab fest auf dem Plastik zu haften. Er zupfte daran. Sie ließ sich abziehen. Dabei bildeten sich Kleberfäden. Also war daran manipuliert worden. Er schüttelte alle Tabletten aus den Mulden. Eine da von fühlte sich glatter an und hatte am Rand eine kaum sichtbare Mittelnaht. Uhrmacherarbeit. Er zog die Handschuhe aus, nahm die Fingernägel. Die Tablette ging nicht auf. Also zerschlug er sie mit dem Brieföff ner des Generals. Im weißen Pulverstaub lag ein schwarzes Geschlinge, haarfein, wie aufgerollter dünner Draht. – Urban wisch te alles von der Schreibtischplatte in ein Papiertaschen tuch. Irgendwie mußte er die Tablette ersetzen. – Noch vier Minuten. Er stippte eine MC aus der Packung, kniff das golde ne Mundstück ab, riß die Zigarette der Länge nach auf, zerknüllte das Papier zu einer weißen Kugel, flachte sie ab und drückte sie an Stelle der zerdrückten Tablette in
die Folie. Beim Nachzählen würde alles stimmen – oberflächlich betrachtet. Er drückte die Folie auf das Plastik. Hinein in die Schachtel, in den Safe damit und in den Tresor. Innentür zu, Außentür zu. Nelson vorgeklappt. Wohin mit dem Tabak? – Er sah die Tür in den Edel holzpaneelen. Der Waschraum. Er spülte den Tabak in den Abfluß. Licht aus, Vorhänge auf. Noch eine Minute. Zu spät. Er hörte den Rundengänger kommen. Die unversperrte Tür mußte ihm auffallen. Ganz leise schliff die Tür. Die Lampe des Runden gängers blitzte. Rechts hatte er seinen Dienstrevolver. „Hände hoch! Keine Bewegung!“ Urban schlug ihm erst auf die Handkante, dann ins Genick. Er dosierte den Treffer so gut er konnte. Unge fähr für eine Dreiminutennarkose. Verdammt, alles war so fein ausgeklügelt. Aber irgendwas ging ja immer schief. Damit die Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Aber es hatte sein müssen. Nicht, daß er in allem recht behalten wollte, aber all mählich war es ihm über die Leber gekrochen, daß die Russen schon zogen, noch ehe gewü rfelt war. Urban kannte den Weg. Erst in den Keller, durch das weiträumige Basement zum Luftschutzbunker, von dort durch die Luftschleusen zur Tiefgarage und die hintere Rampe hinauf. Dann kamen zweihundert Meter Straße. Eine Sprintstrecke bis zu dem Loch im Zaun, das bis l.00 Uhr geöffnet war. Er sah den Zaun schon, als die Alarmsirenen losheul ten. Sie heulten aber nur kurz auf, wie ein Hund, dem man auf die Pfote trat. Eine wissende Hand hatte wohl den Alarm des wiedererwachten Rundengängers ge stoppt. Aber Licht ging an. Ganze Lampen- und Schein werferketten, Halogenstrahler, hoch an den Masten
befestigt. Urban lief um sein Leben. Mit Tempo vierzig warf er sich flach auf den Beton, rutschte durch die Öffnung im Zaun, strampelte, arbeitete sich hinaus. Die Schießerei fing an. Aber sie schossen wohl mehr, um sich Mut zu machen. Noch drei Sprünge. Ein Acker. Er rollte in den Gra ben, robbte zu den Büschen, zum Wald. In sicherer Deckung lief er zur Böschung, sprang hinab zur Unter führung. Dort stand die schwarze Mercedeslimousine. „Kann ich fahren?“ fragte der Fahrer. „Worauf warten Sie noch?“ keuchte Urban.
Sie ließen sich jetzt Zeit. Es genügte, wenn sie um sechs Uhr über München hingen. Vor sechs ließ man sie nicht herunter. „Drei Stunden“, rechnete Spiegel. „Oder hast du Lust, über Riem Warteschleifen zu drehen, bis die für uns aufsperren.“ „Die Bundeswehr in Brück läßt uns immer rein.“ „Okay.“ Sie machten den Startcheck. Spiegel wickelte den Funk mit dem Tower ab. Sie mußten warten. Die Luft postmaschinen nach London und Madrid waren vor ihnen. „Alles klar?“ fragte Spiegel. „Wie nur etwas.“ „Bei dir geht nie was schief, he?“ „Bisher immer nur fast.“ „Mister Dynamit“, spottete Spiegel, „weiß alles über alles.“ „Nicht mal die Hälfte.“ „Dann von manchem manches.“ „Das trifft es schon eher.“ „Um was ging’ s diesmal?“
„Um eine undichte Stelle im obersten NatoKommandobereich. „ „Ein Maulwurf?“ „Ich befürchtete es, hatte aber keine Beweise.“ „Hast du sie jetzt?“ „Ich hoffe.“ „In welcher Form?“ „Eine Kopfschmerztablette, weiß, Durchmesser fünf bis sechs Millimeter etwa. Nun ist sie allerdings zerbrö selt.“ „Könnte ich jetzt gebrauchen“, gestand Spiegel. Urban ahnte den Grund. „Lief wohl nicht so recht mit der Dame.“ „Man wird älter, taugt nicht mehr für die ganz schnel len Sachen.“ Ihre zwei Motoren waren längst warmgelaufen. Sie erhielten Rollerlaubnis und hängten sich hinter eine BAC-Postmaschine. „Und wer ist der Böse“, fragte Spiegel, „der Ober mops?“ ,,Das wird sich herausstellen.“ Er merkte, daß Urban nicht gern darüber sprach. Also hatte er seinen Denkprozeß noch nicht abgeschlossen. „Du tust so feierlich“, stellte Spiegel fest. „Als ob…“ „Als ob was?“ „Es dein Lebenswerk wäre.“ „So kann man es nennen“, räumte Urban ein und stellte eine Frage, mit der Spiegel nicht gerechnet hatte. „Was weißt du von Igeln?“ „Moment bitte. Wie war das? I-g-e-1?“ Urban nickte nur. Spiegel nahm etwas Gas zurück, damit er gegen den Postflieger nicht zu dicht aufschloß, und hielt die Cess na mit dem an das Seitenruder gekoppelten Bugrad auf der Leitlinie. „Igel“, versuchte er sich zu verinnern. „Also der Igel
ist ein nützliches Tier. Er vertilgt behufs seiner Rüssel schnauze Insekten, Schnecken, Würmer und sogar Mäu se, wenn er sie erwischt. Und immer vorwiegend meist nachts.“ „Weiter!“ „Der Igel“, Spiegel hatte jetzt schon Mühe, „ist ein plumpes Tier mit kurzen Beinen und kurzem Schwanz. Oder hat er etwa gar keinen? – Ende.“ „Ist das alles?“ staunte Urban. Im Funk kam Towergequäke, betraf sie aber nicht. „Der Igel“, setzte Spiegel noch einmal an, „hat ein stacheliges Fell. Wenn er angegriffen wird, rollt er sich zusammen.“ Als wolle er sich nicht in seine Gedanken blicken las sen, bemerkte Urban; „Der Igel gilt als Wetterkünder. Seine Einge weide wurden früher als Volksheilmittel verwendet.“ Spiegel schielte nach rechts. „Du hältst mich für bescheuert, he?“ „Inwiefern?“ „Als ich das mit den Stacheln erwähnte, hast du gezö gert, gezuckt, es mit der Bemerkung, der Igel sei ein Wetterkünder, überspielt, vielmehr zu überspielen ve r sucht.“ „Jeder weiß, daß Igel Stacheln haben.“ „Aber der Herr, der alles über alles weiß, weiß mehr“, höhnte Spiegel. Nur er konnte sich diesen To n bei Urban erlauben. Und nur, wenn sie unter sich waren. Urban nickte mit halboffenem Mund. „Stimmt.“ „Und was hat es mit den Stacheln auf sich?“ „Sind sind seine Abwehrwaffe.“ „Klar. Aber was soll das? Es steht in jedem Märchen buch und in jedem Biologiebuch. Es gibt sogar Igel zum essen aus Schokolade und Biskuit und Creme und mit
Mandelsplittern als Stacheln.“ „Der Igel kugelt sich, wenn er angegriffen wird, mit Hilfe eines schildkrötenähnlichen Hautmuskels zusam men und spreizt so seine Stacheln ab. Sogar den gefrä ßigsten Wieseln vergeht die Lust zum Angriff.“ „Das ist sein System“, sagte Spiegel. „Das Igel-System“, nannte Urban es. „Wer angreift, bringt sich um. Igel-System, Ganz einfach.“ „Wieder dieses feierliche Getue“, stellte Spiegel fest. „Du meinst doch etwas ganz anderes mit dieser Igelei.“ „Stimmt“, sagte Urban noch mal. In diesem Moment kam die Startfreigabe. Spiegel richtete die Cessna aus, hübsch auf Pistenmitte, und schob beide Gashebel vor. Die zwei ContinentalTriebwerke entfesselten ihre 800 PS. Sie rollten. Schon nach wenigen hundert Metern zog Spiegel und hob ab. Fahrwerk ein, Klappen ein. Steig flug, Kurs Südost, 145 Grad. Die Sterne kamen durch den Dunst. Mondaufgang. „Und das“, sagte Spiegel, „ist im Vergleich zum IgelSystem das sogenannte Vögelsystem.“ „Wer hoch aufsteigt, fällt tief runter“, alberte Urban. „Das sagte meine Großmutter, nicht deine“, bat Spie gel sich aus. Würden Herrn Oberst bitte das Lenkrad dieses Luftfahrzeuges übernehmen. Der liebe Junge muß mal einen Happen Kaffee trinken.« „Nimm für mich einen mit“, rief Urban. „ ‘nen großen oder ‘nen lütten?“ Spiegel verließ seinen Sitz, schraubte hinten die Thermos auf, goß Kaffee ein und kam nach einer Weile wieder. „Immer diese blöden Scherze“, sagte er. „Du wolltest ja gar nicht trinken.“ „War ja auch kein Cognac drin.“ Urban griff in die Ablage, wo die silberne Reisefla sche lag, öffnete sie einhändig und nahm einen tüchti
gen Schluck Bourbon. „Trunkenheit am Knüppel. Cheers!“ „Ist verboten, Chef.“ „Mag sein, aber wer will es überprüfen. Halten Sie mal an, Sie Pilot, Sie, und blasen Sie ins Röhrchen.“ „Irgendwann“, befürchtete Spiegel, „führen sie auch in der Luft Verkehrsampeln ein. Dann gnade uns Gott. Gib mir auch einen Schluck, Kumpel.“
Professor Orena Jekkow hatte in ihrem Dienstwa gen noch kein Autotelefon. Das war hohen Politi kern und Managern großer Industriekombinate vorbe halten. Im übrigen genoß sie als Direktor der Universi tätsklinik für Innere Medizin und Dekan der ParacelsusHochschule alle Vorrechte der Nomenklatura. Nachdem sie im Kaufhaus für Funktionäre den Wo chenendbedarf einer Junggesellin befriedigt und der Fahrer die zwei Tüten im Kofferraum des SIL verstaut hatte, fragte er: „Nach Hause, Genossin Professor?“ Nach Hause bedeutete entweder zu ihrer Stadt wohnung am Gorki-Prospekt oder zu ihrer Datscha in den Leninbergen. Zur Überraschung des Fahrers, der mit einem freien Wochenende gerechnet hatte, sagte sie: „Zum Institut für Kommunikation.“ Das bedeutete, daß es noch dauerte. Vor dem späten Abend würde er nicht frei sein. Der Freitag war also schon mal kaputt. Der Fahrer haute den Kofferdeckel der tonnen schweren Limousine ins Schloß. Er schnappte wie eine Tresortür. Ohne den für Funktionäre reservierten Mittel streifen der Straßen zu benutzen – die Genossin hatte geäußert, sie habe genug Zeit –, brachte der Fahrer sie
an der Moskwa entlang zum Turgenjew-Kreisel, wo er in Richtung Polytechnikum abbog. Im neuen Flügel des technischen Museums war, vier Stockwerke über und ebenso viele unter der Erde, das neue Computerzentrum eingerichtet worden. Erst in den achtziger Jahren, als im Westen ohne Computer kaum noch etwas lief, hatte man sich übe rzeugen lassen, daß auch die UdSSR nicht mehr ohne elektronische Daten verarbeitung auskam. Man beging aber nicht die Fehler des Westens. Man zentralisierte total. Alles war in ei nem gut abschirmbaren und kontrollierbaren Haus un tergebracht. Hier wurden sämtliche Daten der Ministerien, der Po litik, der Wirtschaft, der Forschung und der Verteidi gung gespeichert. Nur der Geheimdienst KGB verfügte über ein eigenes Terminal. Allerdings bildete es mit dem großen Bruder Zentralcomputer praktisch einen zusammenhängenden Kreislauf. Wer sich darauf verstand, wer das System durch schaute, der konnte jede nur gewünschte Datenein heit abrufen. Wirklich Bescheid wußten aber nur ein paar Experten. Zu einer dieser Personen war Prof. Orena Jekkow an diesem Nachmittag unterwegs. Hatte man die scharfe Eingangskontrolle über wunden, konnte man sich dann im Inneren des ZCT frei bewegen wie ein Vogel in den Flußauen. Die Sekretärin am Empfang kannte die Besucherin, tat aber so, als wäre sie eine Fremde, Sie ließ sich das Permit zeigen, schob es in das Prüfgerät, wartete, bis die Lampe grün aufleuchtete, und fragte: „Wohin, Genossin Professor?“ „Zu Alexandra Garsoffska.“ „Die Genossin Direktor ist in einer Sitzung.“ „Ich bin angemeldet.“ Gnädig, als hinge von ihr das Wohlergehen Rußlands
ab, blickte die Sekretärin in einer Kladde nach. „Um was geht es?“ „Um die letzte Gesundheitsstatistik des Uraldistrikts.“ Statistiken waren immer wichtig. In diesem Staat wurden mehr Statistiken produziert als Patenthosen knöpfe. „Sechzehn Uhr?“ Prof. Jekkow wurde ein wenig ungeduldig. „Ja, sechzehn Uhr.“ „Es ist aber erst Viertel vor.“ „Dann werde ich eben warten.“ Die Sekretärin telefonierte. Es ging hin und her. Dann legte sie auf und lächelte gnädig. „Sie können hochfahren. Lift zwei.“ Idiotin, dachte die Jekkowa. Je weniger sie bedeuten, desto stärker üben sie das Recht von Macht aus, das sie haben. Ohne die arrogante Person noch eines Blickes zu würdigen, ging die Jekkowa zum Lift und ließ ihn kommen. Als die Kabine sich öffnete, trat sie ein, und mit ihr ein Mann. Schon am Geruch war er als Sicher heitsbeamter zu erkennen. Es konnte Zufall sein, aber auch nicht. Er tat so, als würde er sie nicht kennen, und steckte sich eine Zigarette an. Stumm deutete Prof. Jekkow auf ein Schild. Es zeigte eine mit roten Strichen durchkreuzte Zigarette. „Das gilt nicht für uns“, schnarrte der Geheimpolizist. „Für wen dann?“ gab sie es ihm auf die feine Art Der Lift hielt. Sie ging hinaus. Der Polizist folgte ihr. Erst vor der Tür mit dem Schild Direktor blieb er ste hen. „Nach Ihnen, Professor“, sagte er. „Nein, ohne Sie“, entgegnete Prof. Jekkow. Der Sicherheitsbeamte ließ sich aber nicht abhalten, hinter ihr einzutreten und ebenfalls zu warten. Mit dem
Unterschied, daß er stehen blieb, während Orena Jek kow sich setzte. Was sind das für neue Maßnahmen, überlegte sie und beschloß, doppelt vorsichtig zu sein. Noch vorsichtiger als gewöhnlich. Es dauerte nur wenige Minuten, dann betrat Alexan dra Garsoffska ihr Büro. Sie mochte Ende Zwanzig sein, sehr jung also für die sen Posten. Aber sie war hochqualifiziert. Sie galt als die beste Managerin auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung und der Organisation. Ein weiterer Vorteil bestand darin, daß sie nicht son derlich attraktiv war. Hausbacken gekleidet, stämmige Figur, die Nase ein wenig indianerhaft, das Kinn breit und kräftig, das Haar hinten geknotet, glich sie dem Idealbild einer strammen Funktionärin. Noch ehe sie ihren Schreibtisch erreichte, hatte sie die Situation voll erfaßt. Sie waren nicht allein. Ohne den Polizisten zu beachten, sagte sie: „Was können wir für Sie tun, Pro fessor Jekkow?“
Der Sicherheitsbeamte wußte, daß er hier störte, und hielt sich im Hintergrund. Zwar machte er lange Ohren, verstand aber von dem Universitätsjargon, in dem sich die Wissenschaftlerinnen unterhielten so wenig, als benutzten sie einen kirgisischen Bauerndialekt. Außerdem sprachen die Damen leise. „Wir müssen vorsichtig sein.“ „Sehr.“ Sie hüteten sich jedoch zu flüstern. Das wäre aufge fallen. Ziemlich laut sagte die Medizinerin jetzt: „Im übrigen, meine Gratulation zur Beförderung, Alexandra Garsoffska“ Die Direktorin des Zentrums für Datenverarbeitung lehnte sich zurück und zog ihren weißen Labormantel
aus steifem Leinen über die Knie nach unten. „Nun, als Tochter einer Arbeiterin, die im Straflager Kjusjur als Dissidentin starb, kann ich zufrieden sein.“ „In diesem Staat“, bemerkte die Jekkow, „macht jeder seinen Weg, der tüchtig ist, fleißig und loyal,“ Die Damen nahmen Zigaretten und reichten sich ge genseitig Feuer. Merkwürdigerweise benutzten sie die gleichen Feuerzeuge. Dunhills, schwere Dinger mit einer Hülle aus gehämmertem Goldblech. Der etwa doppelt so alten Professorin entglitt das Feuerzeug, als sie mehrmals versuchte, mit dem Reibrad die Flamme zu entzünden. „Der Feuerstein“, sie fluchte, „taugt nichts.“ „Oder der Docht.“ „Oder unser schlechtes Benzin.“ „Im Westen gibt es jetzt Feuerzeuge mit Gasfüllung. Man bekommt vier Stück für einen Rubel, man wirft sie einfach weg, wenn sie leer sind. Und sie funktionieren immer.“ Das Feuerzeug war auf den Schreibtisch der Direkto rin gefallen. Sie hatte es genommen und der Jekkowa zurückgegeben. Mit einemmal funktionierte es. „Man muß es nur streicheln.“ Die Medizinerin rauch te ein und aus. „Übrigens, muß ich annehmen, daß sich durch Ihre Beförderung auch Ihre Tätigkeit ändert?« Die junge aschblonde Direktorin winkte ab. „Natürlich verbringe ich nicht mehr so viel Zeit vor den Computern. Zu meinen bisherigen vier Abteilungen kamen noch die übrigen zwölf hinzu. Aber selbstve r ständlich betreibe ich nach wie vor Forschung in der EDV-Organisation. Oft genug kommen Kollegen nicht weiter. Dann setze ich mich vor das Terminal, wie ein Klavierlehrer, der seinem Schüler eine KorsakowSonate vorspielt, damit er weiß, wie sie zu klingen hat. Ich werde, wie bisher, Ihre Statistiken selbst program mieren und hochrechnen. Es ist mir eine Ehre, Genossin
Professor, das für Sie zu erledigen. Ich bin Ihnen dank bar und werde nicht vergessen, was Sie für meine Mut ter und für mich getan haben.“ „Nein, ich danke Ihnen“, erwiderte die Medizinerin, öffnete ihren Aktenkoffer und nahm einen Stapel Tabel len und Listen heraus. Plötzlich fiel der Schatten des Sicherheitsbeamten auf sie. „Wurde Ihre Tasche durchsucht, Professor?“ fragte er. „Sie wurde noch nie durchsucht“, antwortete die Jek kow kalt. „Dann erlauben Sie.“ „Nein, ich erlaube es nicht. Was fällt Ihnen ein.“ „Neue Vorschrift“, erklärte er. Verwundert blickte sie die Direktorin an. „Verfügt von wem?“ „Sie wurde von mir erlassen“, antwortete Alexandra Garsoffska. „Dieses Institut ist einer der hochsens iblen Bereiche unseres Systems. Wir speichern Alltägliches und streng Geheimes. Die Vermehrung von Ratten in der Altstadt von Tiflis ebenso wie die Produktionszah len unserer Rüstungsindustrie, die Position unserer Schiffe, Flugzeuge und Satelliten. Sie verstehen also.“ Die Frauen blickten sich an. Für weniger als eine Se kunde trafen sich ihre Augen. Aber das genügte. „Nur Papier.“ Der Sicherheitsbeamte war zufrieden. „Papier“, höhnte die Jekkowa. „Auf Papier fängt alles an, junger Mann, und endet alles. Auf Papier wurde die erste Idee zur Entwicklung des Penicillin niederge schrieben, eines der größten Retter der Menschheit. Allerdings wurde auch die Formel zur Auslösung der Kettenreaktionen bei Atomen auf Papier niedergelegt, ebenso der Plan zum Bau der Atombombe, einem der schrecklichsten Mordwerkzeuge der Menschheit.“ Sie übergab ihr Material und verabschiedete sich. „Ich rufe Sie an, Genossin Professor“, sagte Alexan dra Garsoffska.
Wenige Tage später suchte die Direktion des zentra len sowjetischen Datenverarbeitungszentrums die Uni versitätsklinik auf. Als sie Orena Jekkow gegenübersaß, war ein Assi stent des Instituts dabei. Die Damen trafen sich vo r sichtshalber in Anwesenheit von Zeugen. Die Datenexpertin nahm einen Packen Compu terausdrucke aus ihrem Aktenkoffer. „Wir haben Ihre Aufstellung der Knochenmark erkrankungen den Daten für multiple Sklerose im Tran sural gegenübergestellt“, sagte sie. „Hier ist das Ergeb nis.“ „Fanden Sie Hinweise auf karzinome Gemein samkeiten?“ „Die Auswertung muß ich Ihnen überlassen, Profes sor.“ Die Medizinerin reichte das Computermaterial an ih ren Assistenten weiter und nahm die Hand der Gar soffska. Vorsichtig streifte sie ihren Blusenärmel bis zum Ellbogen. „Der Leberfleck“, sagte sie. „Ist er größer ge worden?“ „Ich fürchte.“ Die Medizinerin betrachtete den kopekenförmigen dunkelbraunen Punkt mit der Lupe und maß dann seinen Durchmesser mit einer Art Schublehre. Daraufhin ve r glich sie das Ergebnis mit den Notizen im Krankenblatt. „Ich kann nichts feststellen“, entschied sie. „Keine Sorge vorerst Aber kommen Sie im Abstand von zwei Monaten in meine Ordination.“ „Die Färbung ist dunkler geworden.“ „Nun, wir haben immerhin Sommer. Gehen Sie gerne schwimmen, Alexandra?“ „Sooft ich kann. Und segeln.“ „Das ist es wohl. Pigmentstörungen werden unter Sonneneinfluß dunkler. Im Winter verblassen sie meist
wieder.“ „Dann bin ich beruhigt.“ Die Ärztin ließ erst den Unterarm von Dr. Garsoffska durch ihre Hand gleiten, dann das Gelenk. Nachdenk lich betrachtete sie die Form ihrer Finger. „Macht Ihnen der Zeigefinger Schwierigkeiten?“ „Sie meinen wegen des fehlenden Gliedes.“ „Es fällt kaum auf, könnte aber unter Umständen zu Behinderungen führen.“ „Damit komme ich zurecht. Man gewöhnt sich dar an.“ „Wie an alles“, sagte die Ärztin. „Einen Tee?“ „Eine Zigarette vielleicht.“ Die Damen bedienten sich aus dem Vorrat von Pro fessor Jekkow. Zum Anzünden benutzten sie ihre Feu erzeuge. Sie waren vom gleichen Typ. Schwer, eckig, außen mit einer Hülle aus gehäm mertem Goldblech. Diesmal lieferte der Feuerstein von Alexandra Gar soffska keinen Funken. 4. Wie an jedem Morgen in seinen sechsunddreißig Jahren als Offizier im Dienste Ihrer britischen Majestät er wachte General Nataniel P. Potter ohne Wecker. Und dies ziemlich pünktlich, mit einer Differenz von plus minus drei Minuten. Egal wie spät oder früh er zu Bett ging, ob fröhlichen Mutes oder mit Sorgen. Seine Sorgen hatten in den letzten Monaten allerdings zugenommen. Doch der hagere alte Soldat sprach nicht darüber. Er hatte gelernt, zu schweigen. Wenn je einer durch beharrliches Schweigen, selbst unter Alkoholein fluß, seine Karriere gemacht hatte, dann General Potter. Etwas anderes, kolossale Sturheit nämlich, hatte seine Laufbahn geknickt.
Sobald er auf den Füßen stand, begann sein streng geregelter Tagesablauf mit Ablegen des Nachthemdes und kalter Dusche. Zwei Minuten. Dann Rasur, naß. Anschließend waren frische Unterwäsche, das frische Uniformhemd, die gebü gelte Hose und die auf Hochglanz gewienerten Schnürschuhe an die Reihe. Der Kaffee in der Thermos war noch heiß. Für all das sorgte sein Offiziersbursche. Aber der kam erst bei Dienstbeginn. Der General schlüpfte in den Mantel. Ein Blick auf die Uhr, ein Armeemodell, rund, schwarzes Zif ferblatt, grüne Leuchtzeiger, Aufziehwerk, Lederband. Kaum war der Zeiger über 8.30 Uhr, klingelte es. Der General trat in den Flur. Dort hing ein großes Foto des vorletzten Verteidigungsministers. Der General baute sich vor dem Foto auf, salutierte und sagte: „Sie sind ein Arschloch, Sir.“ Dann entriegelte er die Haustür, schloß sie hinter sich ab und nahm die Steinstufen, die von dem schmalen, aber feinen Reihenhaus zu dem ovalen, von Ulmen umsäumten Platz führten. Am Gehsteig parkte der Dienstwagen. Der Fahrer stand neben dem offenen Schlag und salu tierte! „Guten Morgen, General.“ „Guten Morgen, Corporal. Wie geht es?“ „Schöner Tag, Sir.“ „Wird regnen.“ „Hauptquartier, Sir?“ „Wie immer, Corporal.“ Das bedeutete, daß der Corporal den gleichen Weg nehmen sollte wie an dreihundertzwanzig Tagen im Jahr. Die restlichen fünfundvierzig Tage verbrachte der General zu Hause in Wales in seinem efeuumrankten Cottage in dem grünen Flußtal. Und dies, obwohl er Brüssel recht angenehm fand und England seit genau
sieben Jahren haßte. Damals hatte er im Sicherheitsrat gesessen und lei denschaftlich gegen den Falkland-Krieg gesprochen. Nicht ein einziges Menschenleben dürfe wegen dieser verkackten Inseln, wo noch nicht einmal die Schafwolle etwas taugte, weil es immer nur regnete, geopfert we r den. – Es war dennoch zum Krieg gekommen. In den ersten Wochen war sein einziger Sohn gefal len, und Potter wollte seinen Abschied nehmen. Aber es hatte Kriegsrecht geherrscht, und man hätte es als De sertion ausgelegt. Fortan hatte man ihn bei allen Beför derungen übergangen. Andererseits war er ein verdien ter Offizier. Wo, zum Teufel, hatte er nicht überall ge kämpft. In der Normandie, in Indien, in Ägypten, in Nahost. So einfach konnte man ihn nicht abschieben. Deshalb hatte er diesen wunderschönen Posten beko m men. Stellvertreter des stellve rtretenden NatoGeneralsekretärs. Es gab kaum einen Job, wo man weniger zu tun hatte. Er fühlte sich wie der Mann an der Pauke des Sinfonie orchesters, der einmal pro Abend zuschlug. Seitdem war er noch schweigsamer geworden. Und weil ihn keiner mehr schätzte, die Königin nicht, der Minister nicht, vom Premier ganz zu schweigen, auch seine alten Kameraden schnitten ihn, hatte er sie alle zu hassen begonnen. „Durch die Rue Lombarad, Sir?“ fragte der Fahrer. Mit dem schweren Wagen vermied er gerne die enge Altstadt. „Zum Zeitungsstand am Hotel de Ville.“ Befehlsge mäß lenkte der Corporal den Daimler in die dicht be parkten Gassen, durch die Einbahnstraße, die den Grand-Place umging, und hielt vor dem Zeitungsstand in der zweiten Reihe. ,,Die Times, Sir?“ Hinter ihnen wurde gehupt. „Ich hole sie mir selbst“, sagte der General. „Machen
Sie diesem Drängler Platz, Corporal.“ Potter stieg aus und schritt in angemessner Eile zu dem Zeitungsstand. Der Verkäufer saß tief in sei nem Kiosk, erkannte den General aber und hielt die Times schon zusammengefaltet bereit. Der General warf die Münze in den Teller. „Heute mit Beilage, Monsieur“, sagte der Verkäufer. Der General schien gar nicht hinzuhören. Zwanzig Sekunden später saß er wieder im Fond seines Dienst wagens, streckte die Beine lang und faltete die Times auf. Ein Zettel fiel zu Boden. Er bückte sich und las ihn. Mit ungelenker Tintenbleischrift zwei Worte: Enttarnung – Lebensgefahr Der General fühlte es wie den Stich mit einer langen, dünnen Nadel, die oben durch die Schädeldecke ein drang, durch den Körper fuhr und unten durch die Ferse heraustrat. Also doch. Dann war das heute der Tag X. Der Tag, der kommen konnte, aber nicht zwangsläufig kommen mußte. Er hatte damit gerechnet, es aber nicht erwartet. Nicht heute schon, nicht so früh. Die Alarmleitung funktionierte offenbar noch. – Le bensgefahr, Enttarnung. Diese Hundesöhne, diese verfluchten Kanaillen, sie waren ihm auf die Schliche gekommen. – Potter beugte sich vor zu dem Fahrer. „Beeilen Sie sich, Mann!“ „So gut ich kann, Sir“, antwortete der grauköpfige Corporal.
Im Hauptquartier herrschte Routinebetrieb. Der Gene ral sah es mit Kennerblick. Zu seinem Fahrer sagte er: „Warten Sie, Corporal. Ich muß gleich wieder weg,
hole mir nur ein paar Akten.“ „Längere Strecke, Sir?“ „Möglich.“ „Soll ich auftanken?“ „Wie lange dauert das?“ „Paar Minuten, Sir.“ „Okay. Aber ich möchte nicht warten müssen.“ Der General betrat das moderne fünfstöckige Gebäude aus Beton und Glas, nahm den Lift, eilte oben durch sein Vorzimmer. „Besprechung um elf beim Verteidigungsausschuß, Sir“, erinnerte sein Adjutant. „Sagen Sie ab, Major.“ „Begründung, Sir?“ „Meinetwegen fiebrige Erkältung. Fühle mich nicht besonders wohl heute. Oberst Fuller soll das für mich übernehmen.“ Er betrat sein Büro, schloß die Tür und schaute sich um. Nichts war anders als sonst. Er klappte das Nelsongemälde zur Seite, öffnete den Tresor und sein privates Schließfach darin. Der Schlüs sel hakte ein wenig, aber das tat er immer. Ein Blick hinein. Alles schien unberührt. Der General schob die Akten nach links und griff nach der Tablet tenschachtel. Er öffnete sie, prüfte die Folie, zählte die Kapseln durch. Nur eine fehlte. Erleichtert atmete er auf, steckte die Thomapyrin ein und schloß den Tresor zu. Dann rief er im Büro des ersten Generalsekretärs an. Er weilte in Washington. „Wenn er mich sprechen will“, hinterließ Potter, „ich bin unpäßlich. Kann eine gepflegte Grippe werden. War lange nicht krank. Es steht mir also zu, oder?“ „Wird übermittelt, Brigadier, Sir“, bestätigte die Se kretärin. Der General schaute auf die Uhr. Er hatte Luft. Zeit
gewinn war jetzt alles. Draußen winkte er seinem Adjutanten. „Halten Sie mich auf dem laufenden. Ich bin zu Hau se. Am liebsten ist mir, ich höre nichts von dem Laden. Ich schlucke ein Dutzend Grippetabletten, kann sein, daß ich bis morgen früh durchschnarche.“ „Ich sorge dafür, Sir, daß man Sie nicht stört.“ „Danke, Major.“ Wenig später saß der General im Daimler und ließ sich zuerst nach Hause fahren. Dort stand ein gepackter Koffer bereit. Nicht erst seit Beginn seines Doppellebens, sondern schon immer. Als General von Ihrer Majestät Armee hatte man bereit zu sein, sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden an jeden Punkt des Empires zu begeben. Auch jetzt hatte der General die Absicht, sich an einen entfernten Ort zu begeben. Allerdings nicht auf dem Territorium der Nato. Es war gut, wenn er vorher seine Spur löschte. Und zwar total. Am besten durch seinen Tod. Einen Tod, bei dem es keine Leiche gab. Im Haus raffte er noch ein paar wichtige Dinge zu sammen und kleidete sich in Zivil. Kurz nach halb zehn Uhr stieg er wieder in seinen Dienstwagen. „Wohin jetzt, Sir?“ „Nach Zeebrügge, Corporal.“ „Zur Autofähre nach England, Sir?“ „Ja. Mit Fliegen ist heute nichts. London ist zu wegen Nebels. Kann ein oder zwei Tage dauern.“ „Dann kann ich in Maidstone meine Familie besu chen, Sir.“ „Nichts dagegen“, erklärte der General. „Aber Sie er wähnen mit keinem Wort, wen Sie nach London brach ten. Alles streng geheim“ „Selbstverständlich, Sir.“ Sie rollten zum äußeren Ring und auf die Autobahn
nach Westen. In Zeebrügge erreichten sie noch die Nachmit tagsfähre. Für sich hatte der General telefonisch eine Kabine gebucht Als der Fahrer den Daimler an Bord fuhr, nannte der General ihm die Kabinennummer. „Wir sehen uns dann am Abend in Harwich.“ „Ich warte am Wagen“, sagte der Corporal. Die Townsend-Fähre lief durch Nebel und ziemlich bewegte See auf die britische Küste zu. Normalerweise benötigte sie dazu vier Stunden. Bei schlechtem Wetter etwas länger. Es dämmerte, als sie anlegte. Der Fahrer des Generals wartete vergebens auf seinen Chef. Er stand noch immer neben seinem Daimler, als das Autodeck längst leer und geräumt war. Besorgt wandte er sich an den Decksoffizier. Der ließ den General über Kabinenlautsprecher ausrufen. Da er nicht kam, brachen sie die versperrte Kabine auf. Sie war leer. Offenbar hatte General Potter aber das Bett benutzt. Sie suchten den hohen Nato-Offizier überall auf dem Schiff, vom Bootsdeck bis hinunter zu den Maschinen. „War der General krank?“ fragten sie den Fahrer. „Vertrug er Seegang nicht?“ „Er ist einer der gesündesten und pünktlichsten Offi ziere, mit denen ich je zu tun hatte“, erklärte der Corpo ral. „Dann“ befürchtete einer der Schiffsoffiziere, „muß er über Bord gefallen sein.“ „General Potter? Unmöglich.“ „Haben Sie eine Ahnung“, meinte der I. Offizier. „Wir haben hier schon Ölsardinen kotzen gesehen.“
Das Verschwinden von General Nat P. Potter löste in Nato-Kreisen, wozu auch die Geheimdienste zählten, unterschiedliche Reaktionen aus.
Während man allgemein an einen tragischen Unfall glaubte, hörte sich der Kommentar des BND-Agenten Nr. 18, Robert Urban, in München-Pullach anders an. „Das war die präzise Absetzbewegung eines fähigen Generalstabsoffiziers. Lange im voraus geplant für den Fall einer Enttarnung. Und diese stand wohl kurz be vor.“ „Er verschwand spurlos.“ „Es gibt kein spurloses Verschwinden“, erklärte Ur ban. „Zum Teufel, das war doch vorherzusehen“, fluchte der hagere elegante BND-Chef. „Warum wurde nichts unternommen? Was enthält die Drahtspule in der Ta blettenkapsel?“ „Sie wird noch ausgewertet.“ „Warum dauert das so lange?“ „Ich kann mir vorstellen, was sie enthält“, sagte Ur ban. „Nato-Secrets, die am Schreibtisch von Potter vorbeiliefen. Bestimmt waren die Aufzeich nungen für jene Macht bestimmt, für die er tätig war. Aber ich habe immer gewarnt.“ „Was heißt immer?“ „Nun, ich warne immerhin schon seit Monaten.“ Der Präsident winkte ab. „Sie hatten Vermutungen, aber keine Beweise.“ „Jetzt haben wir die Beweise“, äußerte Urban. „Die Laserschrift auf dem Draht und Potters Adieu, Servus, auf Wiedersehen.“ „Was wußte er?“ „Was immer er sich beschaffen konnte. Sehr viel, fürchte ich.“ „Ist es eine Katastrophe?“ Urban steckte sich eine MC an, was der Präsident, als Nichtraucher, ungern sah. Doch heute schien er es gar nicht zu bemerken. „Maulwürfe zieren gepflegte Gärten nun einmal
nicht.“ „Ob man ihn noch kriegt?“ Urban schaute nur pro forma auf die Uhr, , Jetzt, nach einem Tag? Und wo, bitte?“ „Angeblich gibt es immer Spuren.“ Der Präsident sah wohl ein, daß ironische Bemer kungen zu nichts führten. „Man wird alles herunterspielen“, sagte er. „Man wird seiner ehrend gedenken und ihm einen feinen Nachruf liefern. Zum Glück haben wir das Spiona gematerial, und nicht er.“ „Er hat noch seinen Kopf“, gab Urban zu bedenken. „Da steckt auch einiges drin.“ Der Präsident hob eine seiner Brauen. Er konnte das wie kein anderer. Nicht einmal bei Schauspielern hatte Urban es je in dieser perfekten Form gesehen. „Was“, setzte der BND-Chef an, „wußte General Pot ter von Code Igel?“ „Weniger als die anderen. Und die wissen schon we nig genug“, hoffte Urban. „Das Ergebnis Ihrer gottverdammten Geheimnis tuerei, Nummer achtzehn.“ „Sie zahlt sich diesmal aus“, entgegnete Urban. „Oder nicht?“ „Schön, Potter weiß wenig bis nichts. Aber er kann von Igel gehört haben.“ „Anzunehmen.“ „Dann bringt er es drüben, wo immer drüben ist, auch ein.“ „Stimmt“, sagte Urban. „Damit macht er sie erst rich tig scharf.“ „Gefährdet es Igel?“ „Alles was existiert, ist vom Anbeginn seiner Exi stenz gefährdet, Herr Präsident“, erklärte Urban. „Aber ich werde darum kämpfen, daß die Gefahr so gering wie möglich sein wird.“
Erst lachte der Präsident, dann mit einemmal nicht mehr. „Sie betrachten Igel als Ihr Lebenswerk, wie?“ Urban zuckte mit den Schultern. „Nur die Grundidee geht auf mich zurück. Wenn das Igel-System weiter so funktioniert wie bisher, dann spart es uns Milliardensummen, die man anderweitig besser verwenden kann. Niemals, seitdem es Geheim dienste gibt, niemals seit Mata Hari, Oberst Redl und Spion Sorge waren wir so gut drauf.“ Der Präsident mußte dies einräumen. „Tun Sie, was Sie können“, wünschte er. „Es könnte schlimmer kommen.“ Urban verließ das Büro des Präsidenten. Daß es schlimmer kam, viel schlimmer, als man es sich vorstellen konnte, das wußte er in dieser Stunde noch nicht. 5. In der KGB-Zentrale in Moskau, die General Nat P. Potter sechsunddreißig Stunden nach seinem Ver schwinden von der Townsend-Fähre erreichte, legte er als erstes sein Material vor. „In einer der Tablettenkapseln“, sagte er zu dem La borchef. Die Männer in den schwarzen Ledermänteln, die ihn am Flugplatz in Empfang genommen hatten und seit dem nicht mehr aus den Augen ließen, brachten ihn zum Sektionschef für Mitteleuropa. Dort ließ man Potter eine Stunde warten. Endlich durfte er zu Oberst Kirginew. Der borstenhaarige Russe verhielt sich zunächst zu rückhaltend. Dies verstärkte sich durch die Anwesen heit der Dolmetscherin. Doch unvermittelt, ohne ersicht lichen Grund, schickte der Russe das Mädchen hinaus
und sprach englisch. Er konnte es recht gut. Vielleicht gefiel ihm der alte Brigadegeneral. „Sie hatten einen guten Flug?“ „Sagen wir, einen glücklichen. Ich kam wohlbe halten an“, antwortete Potter. „Ja, es mußte Hals über Kopf gehen.“ „Zu früh“, bedauerte der Engländer. „Es laufen einige große Dinge bei der Nato.“ „Sollten wir Sie deshalb opfern?“ fragte der Russe. „Einen Mann, der sich freiwillig und aus Überzeugung auf unsere Seite stellte?“ Der Brite redete nicht gern über seine Motive. Als Soldat kam er sich wie ein Deserteur vor. „Nun gibt es kein Zurück mehr“, sagte er. „Wir werden Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen, General“, versicherte der Russe. „Wir halten uns an Abmachungen. Sie stehen uns zur Verfü gung, beziehen das Gehalt eines Generals, beziehen eine hübsche Datscha im Moskwatal, und nun lassen Sie uns an die Arbeit gehen.“ Der Russe stand auf, machte ein paar Schritte und setzte sich auf die Schreibtischkante. Sein Anzug war von gutem Schnitt, der Stoff feines glänzendes Tuch in Graublau. „Was haben Sie uns mitgebracht, General Potter?“ Das Wenige, das er hatte, wollte Potter so bedeu tungsvoll wie möglich darstellen. „Bandaufzeichnungen von Gesprächen zwischen lau ter Eins -a-Leuten.“ „Die Gespräche fanden ohne Sie statt?“ Der Brite hob die Schultern ein wenig eckig. „In letzter Zeit bedauerlicherweise ja. Ich wurde von den Spitzengesprächen nicht direkt ausgeschlossen, aber man legte sie stets so, daß ich nicht in Brüssel war, wenn die Gentlemen tagten.“
„Wer?“ „Die Geheimdienstchefs, der Generalsekretär, ein oder zwei Verteidigungsminister.“ Der Russe ließ sich wieder in seinen schweren Leder sessel fallen. „Man hatte Sie in Verdacht?“ „Vielleicht ja, aber wie konnte er entstehen?“ Oberst Kirginew glaubte es zu wissen. „Nun, aus gewissen Reaktionen unserer Unter händler in Genf und aus dem Verlauf der Gipfelge spräche mußte man drüben schließen, daß es eine un dichte Stelle gibt. Und zwar ganz oben. Hat man einmal den Verdacht, dann wird jeder, egal wie prominent er ist, immer und immer wieder durchgecheckt und über wacht. Jeder Schritt von ihm wird analysiert. Irgendwie, irgendwann kam irgendeiner auf die Idee, Sie könnten der gesuchte Maulwurf sein. Will sagen, dieser Irgend einer ist nicht gerade ein Nobody, sondern ein gerisse ner, cleverer Bursche.“ „Kennen Sie ihn?“ wollte der Brite wissen. „Nicht genau. Wir haben aber bestimmte Vorstel lungen. Und weil wir eine dramatische Zuspitzung der Lage befürchteten, beriefen wir Sie ab, General Potter. – Nun zu dem Band.“ Potter berichtete: „Ich benutzte ein japanisches Feindraht-Aufnah megerät mit digitaler Speicherung. Es ist auf die Größe eines Zuckerwürfels miniaturisiert. Hoffentlich verfü gen Sie über den nötigen Laserabtaster.“ „Keine Sorge“, erklärte der Russe. „Wir sind – zu mindest die KGB-Zentrale ist es – technisch auf dem neuesten Stand. Was waren die Themen dieser Geheim gespräche?« „Ich konnte das Band nicht abhören“, bedauerte der Brite. „Was spricht man, was hört man, was wird gerüchte
weise kolportiert?“ Der Engländer – er war jahrelang Lehrer an der briti schen Kriegsakademie gewesen und hatte fähige Haupt leute zu Generalstabsmajoren ausgebildet – antwortete so nüchtern, wie man es von ihm erwarten durfte.“ „Zweifellos sind einige grundsätzliche Neuerun gen zu erwarten.“ „Taktischer oder rüstungstechnischer Art?“ Der Engländer hielt sich mit Kommentaren zurück. Erst wollte er die Auswertung des Bandes abwarten. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er offen und ehrlich. Wenig später summte das Telefon. Der Sektions chef nahm den Anruf entgegen. Dabei fluchte er leise und rügte den Mann am anderen Ende der Leitung. „Das ist unmöglich“, sagte er. „Ich bitte um sorgfälti ge Überprüfung, ehe hier Horrormeldungen losgelassen werden.“ Hart legte er den Hörer auf die Gabel zurück, „Unsinn“, kommentierte er. „Gibt es Ärger? erkundigte sich der Brite. „Hof fentlich nicht meinetwegen.“ „Ach was“, tat der Russe es ab. „Das Labor behaup tet, keine der Tabletten, die Sie mitbrachten, sei hohl und enthalte etwas.“ „Die vierte in der Reihe.“ Der Russe massierte erst seine Brauen, dann seine Schläfe, zum Schluß das Kinn. „Sie fanden nur zusammengeknülltes weißes Papier. – Angeblich. Der Engländer wurde aschfahl. „Sind Ihre Leute auch zuverlässig, Oberst Kir ginew?“ „Unbedingt“, betonte der Russe. „Doch wenn Sie glauben, General, wir würden versuchen, Sie aufs Kreuz zu legen, dann vergessen Sie das ganz schnell, denn wir glauben auch nicht, daß Sie das mit uns versuchen.“
Das Verhalten des Russen dem prominenten Spion gegenüber hatte sich unmerklich geändert. Seine Stim me klang weniger freundlich, seine Fragen waren härter formuliert. Es war, als betrachte er den Anruf aus dem Labor als Vorboten einer nachteiligen Entwicklung. „General, selbst auf höchster Ebene bleiben Geheim nisse nie ganz geheim. Was drang durch die Wände?“ „Ich sagte doch schon“ Der Russe sah wohl den Moment gekommen, um ei nen Sprengsatz zu zünden, und zwar durch ein bestimm tes Stichwort. „Ging es bei diesen Geheimgesprächen auch um das …“ Er machte eine Pause. „… um das Igel-System?“ Der Brite zuckte nicht zusammen, nur seine Lider bewegten sich mehrmals. „Vermutlich ja.“ „Das Igel-System, was versteht man darunter?“ „Zunächst einmal ein Codewort.“ „Eine Deckbezeichnung. Aber wofür?“ „Es gibt zu viele Möglichkeiten, Oberst Kirginew.“ „Etwa eine neue Waffe?“ Der Brite reagierte so, wie er es immer getan hatte und womit er auch General geworden war. Er gab Ge meinplätze von sich. „Ein Igel spreizt bei Gefahr die Stacheln ab. Wird er trotzdem angegriffen, holt sich der Angreifer zumindest eine blutige Nase, wenn nicht Schlimme res.“ „Falls er nicht in hundert offene Messer rennt“, er gänzte der Russe, „sich damit selbst aufspießt und un schädlich macht. – Soweit schön und gut. Das ist aus der Biologie bekannt. Aber was bedeutet es in unserem Fall? Ein automatisches Abwehrsystem, die totale Ge fechtsfeldautomatisierung oder irgendeine neue Welt raumsache?“ „Warten wir auf das Band“, schlug der Brite vor. Es dauerte reichlich lange, dann kam der Leiter des
Labors hereingestürmt. „Es ist zu unglaublich“, rief er. „Eine äußerst dumme Geschichte. Ich wollte es nicht am Telefon sagen.“ Er trug einen braunen Labormantel, hatte links einen Schnellhefter und rechts eine Pinzette. „Unangenehme Meldungen überbringt man am besten selbst. Die Zei ten, wo der Kurier von Hiobsbotschaften mit dem Kopf bezahlen mußte, sind ja wohl vorbei.“ Der Laborchef blickte den Engländer an, als sei des sen Hals gemeint und fuhr fort: „Kein Container, nicht eine einzige hohle Tablette, also auch kein Draht. Nur Papier. Das hier.“ Er hatte den Hefter geöffnet, faßte das Stück Papier mit der Pinzette und hielt es den beiden Offizieren hin. Der Oberst warf einen kurzen Blick darauf. „Zigarettenpapier.“ „In der Tat.“ „Etwas fransig oben. Man hat vorher den Filter abge rissen.“ „Es ist nicht das Papier einer normalen Filterzigaret te“, erklärte der technische Experte. „Wir fanden winzi ge Spuren von Blattgold. Es handelt sich um eine Ziga rette mit Goldmundstück.“ „Tabak?“ „Eine ägyptische Mischung, aber american blend.“ Der Sektionschef begann wieder mit seiner Gesichts massage. Diesmal heftiger, als keime in ihm ein böser Verdacht. „Sonst noch Hinweise?“ „Ja, ein dünner Aufdruck auf dem Papier. Zwei Buch staben, blau. Ein M und ein C.“ „Etwa wie Monte Christo?“ „Das könnte durchaus sein, Genosse Oberst.“ Der Russe wirkte plötzlich niedergeschlagen. „Lassen Sie überprüfen“, befahl er, „ob es zutrifft, was wir beide befürchten. Eine Zigarette mit Gold
mundstück, MC, ägyptischer Tabak. Das darf nicht wahr sein. Das heißt, eigentlich kann es auch gar nichts anders als wahr sein.“ Der Laborchef ging. Wenig später hatten sie ihren Computer gefüttert, und der Computer hatte die Bestätigung ausgeworfen. Der Sektionschef bekam es und gab es an General Potter weiter. „Ausgerechnet den schlimmsten Bluthund der NatoDienste hatte man auf Sie angesetzt, General. Es gibt nur einen Westagenten, der diese Zigarette raucht. Diese Sorte gibt es nur einmal, weil er davon jährlich etwa zehntausend Stück privat herstellen läßt. Der Brite schluckte, er schien Bescheid zu wissen. „Bundesnachrichtendienst.“ „Agent Nummer achtzehn. Kampfname Mister Dy namit.“ „Dann“, äußerte der General mit belegter Stimme, „wundert mich nichts mehr.“ „Sie mußten über den Jordan gehen, damit sie IgelSystem schützen. Der Russe sprang auf. „Aber ver dammt, nun erfahren wir nicht, oder zu spät, was es damit auf sich hat.“ Der Engländer hatte sich ebenfalls erhoben. „Ich stehe mit allem, was ich weiß, zur Verfügung.“ „Das wird auch dringend nötig sein, General“, erwi derte der Russe. „Aber zum Glück sind Sie nicht der einzige Maulwurf in einer Schlüsselposition. Wir haben noch ein paar Bälle. Es. gibt da noch einen ganz wichti gen Mann.“ Er hob den Telefonhörer ab und fragte: „Wann haben wir den nächsten Funkkontakt mit Bela Farmer in Connecticut?“ „Um zehn Uhr morgen früh“, erfuhr er. „Wenn an der amerikanischen Ostküste Mitternacht ist.“
Wie alle Wunderkinder war Dr. Bela Farmer beim Management seiner Firma beliebt, bei den Kollegen hingegen verhaßt. Der Präsident der ICC, einer Firma, die sich im Auf trag des Pentagon damit befaßte, Computer zu eigen ständigem Denken zu bringen, erwartete von seinem jungen Genie noch große Dinge. Die Kollegen sahen, wie er sie alle überflügelte, und neideten ihm die Karrie re. Gegen 17.00 Uhr, als sie die klimatisierten Räume der ICC verließen und zum Parkplatz schlenderten, sagte Dr. Green zu seinem Kollegen Dr. Costales: „Schauen Sie bloß unseren Russen an. Er fährt die äl teste Karre im ganzen Staat.“ „Nichts gegen den Käfer“, meinte der andere. „Aber er soll dreißig Jahre alt sein.“ „Er pflegt ihn mit Liebe und Hingabe.“ „Wie sein privates Labor.“ „Irgendwie suspekt, dieser Bursche. Geil auf Arbeit, statt auf Weiber. Säuft nicht, raucht nicht und ist aller Leute Darling. Was macht er mit seinem Geld, seiner Freizeit? Er spielt weder Tennis noch Golf, surft nicht, mag keinen Jazz. Wirklich äußerst suspekt, der Knabe.“ „Und schreibt nicht mal mit links, wie jeder anständi ge amerikanische Intellektuelle.“ „Kann er nicht. Zu kurzer Zeigefinger.“ „Das stört doch nur beim Nasebohren.“ „Er arbeitet sogar noch im Schlaf, wie man hört.“ „Woran nur bloß? Aus dem Gehirntrust dürfen jähr lich nur begrenzte Ergebnisse heraus. Nicht zu viele, nicht zu wenige. Das Programm soll mindestens zehn Jahre laufen. Kein Wunder bei den hohen Zuschüssen.« „Dieser Russe bringt es fertig und zieht das Pro gramm schneller durch und bringt uns um Arbeit und Brot.“ „Er glaubt fest daran, daß es gelingt, dumme Compu
ter intelligent zu machen.“ „Solange Computer Mähmaschine nicht von Näh maschine unterscheiden können“, meinte Green, „habe ich keine Angst um meine Zukunft.“ „Aber ausgerechnet dieser Russki“, sagte Costa les. „Jetzt verdient er schon hundertzwanzigtausend.“ „Sie auch.“ „Ich bin schon sechs Jahre hier. Er erst zwei.“ „Sie sind nur ein eingewanderter Spanier, Costales.“ „Und er ist Russe“, betonte Costales. „Aber wessen Vater war Nobelpreisträger? Seiner oder Ihrer?“ „Meiner war Hosenschneider und hat sich, wenn auch mühsam, so doch ehrlich durchgeschlagen.“ „Ist ein Nobelpreisträger etwa kein rechtschaffener Vater?“ gab Green zu denken. „Abgesehen von der mysteriösen Affäre mit dieser Russin.“ „Das liegt dreißig Jahre zurück.“ „Plötzlich erinnert er sich an seinen Balg und holt ihn herüber.“ „Er wollte eben wissen, was aus ihm geworden war und hörte Wunderdinge von ihm. Bester Schachspieler, bester Mathematiker seines Jahrgangs, bester UniAbsolvent, ein mit dem Lenin-Preis für Forschung aus gezeichneter Wissenschaftler. Farmers Vaterstolz war angestachelt. Er setzte alle Verbindungen ein, um den Sohnemann in die Arme zu schließen.“ „Einem Hosenschneider wäre das nie gelungen.“ „Einem Nobelpreisträger“ bemerkte Green, „norma lerweise auch nicht. Deshalb, und ich weiß nicht war um, werde ich das Gefühl nicht los, daß man uns mit diesem Burschen eine Laus in den Pelz setzte.“ „Laus, wie meinen Sie das?“ Green blieb stehen. „Wir bilden hier ungefähr die Speerspitze der Compu
terforschung. Weiter als wir sind nicht einmal die Japa ner. Und einer der Speerträger ist Bela Farmer. Würde mich nicht wundern, wenn die Russen plötzlich auf unerklärliche Weise aufholen würden.“ „Sie glauben doch nicht etwa?“ „Im Krieg, in der Liebe und in der Forschung ist alles erlaubt, mein Freund.“ „Er wurde hundertmal und wird immer wieder Über prüft.“ „Nachlässig, äußerst nachlässig.“ „Schon nach vier Jahren erhielt er die Staatsbürger schaft und durfte seinen Namen ändern.“ „Hier trägt man eben den Namen des Vaters.“ „Wie hieß er denn drüben?“ „Jekkow oder so ähnlich.“ „Er hätte auch in Rußland eine Spitzenkarriere ma chen können.“ Green war nicht ganz sicher. „Man hört, er hätte eine harte Jugend gehabt. Geboren in einem Straflager in Sibirien, nahm man ihn gleich von der Mutterbrust weg. Als er zum ersten Mal die Augen aufschlug, begann der Staatsdrill, ein unerbittli ches Erziehungs- und Ausbildungsprogramm.“ „Und so einen Burschen lassen die Russen ohne wei teres raus?“ „Er spricht unsere Sprache so perfekt, als hätte man sie ihm von klein auf eingebleut.“ „Ich wette, er wurde von Anfang an…“ „Was…?“ „Nichts“, sagte Costales. „Wir müssen uns hüten, in Neid und Mißgunst zu verfallen. Er ist ein tüchtiger Kollege.“ „Er ist ein Einzelgänger“, sagte Dr. Green. „Außer dem ist er ein Kotzbrocken. Aber was geht es mich an.“ Sie trennten sich. Jeder ging zu seinem Auto. Costales zu seinem fünf Meter langen Luxusstation, Dr. Green zu seinem Porsche.
Einem gewieften Computer-Hacker fiel es nicht schwer, bis in die EDV-Stationen der Großbanken, der Industrie, ja sogar des Pentagons vorzudringen. Für einen Experten von Bela Farmers Format war es reine Routine. Er schlich sich auf den Datenfernleitungen hinein, knackte oder umging die Sperrcodes und holte Informationen aus den Top-secret-Netzen wie eine un ermüdlich saugende Elektropumpe. Es gab kaum Ge heimnisse in Forschung, Rüstung, Politik und militäri scher Strategie, die er nicht durch Computerklau an sich zu bringen verstand. Und dies, was die Hauptsache war, ohne Spuren zu hinterlassen. Im Gegenteil. In neue Programme, die ihm gefährlich erschienen, hatte er Viren gesetzt, winzige, kaum aufspürbare Codes, durch die sich die Datenbestände auflösten und zerstörten, als hätte man sie mit Salpetersäure überschüttet. Nur eine brennende Frage hatte Farmer bisher nicht zu beantworten vermocht. Die Frage stand noch offen. Auch in der Nacht zum Mittwoch. – Sie lautete schlicht und einfach: Igel-System. Seine Bedeutung und Anwendung. Immer massiver wurde er bedrängt, dieses Pro blem zu lösen. Er versuchte wirklich alles. Er drang sogar in Netzbereiche ein, wo die Gefahr bestand, daß er sich identifizierte und seine Tarnung durchlöcherte. – Ohne Ergebnis. Er versuchte es sogar auf der transkontinentalen Schiene. Sie führte ihn in den Nato-Computerbe reich. Sogar einen Schleichpfad, der ihm Zugang zum BND-Computer ermöglichte, hatte er entdeckt. Aber sooft er auch das Igel-System ansprach, kam Rotlicht, das eiserne Schott, die Mauer – das große Schweigen. Dann unterbrach er die Leitungen sofort und schaltete sein Modem ab. Offenbar hatte er doch zuviel riskiert. Von einer Stel le, die so fern war wie der Weltraum, traf die Warnung
ein. Sie lautete wie der Befehl eines Pfadfinderführers: Baut die Zelte ab, Kameraden, und sucht euch eine Höhle. Das Unwetter ist im Anzug. Am nächsten Morgen beantragte Bela Farmer seinen Jahresurlaub. Der Vizepräsident der ICC rief ihn im Labor an. „Ist das Ihr Ernst, Doktor Farmer?“ „Mein bitterster, Sir.“ „Sind Sie krank, müde, gestreßt?“ „Der Urlaub steht mir zu, Sir.“ „Sie wissen doch, wie sehr wir unter Druck stehen. Gerade dieses neue Chip-Design stößt auf besonderes Interesse des Verteidigungsministeriums.“ „Ich muß die Batterie wieder auftanken, Sir.“ „Genügt dazu nicht ein Weekend? Wir schaffen Sie auf Firmenkosten nach Hawaii. Ist das nichts?“ „Nicht der Ort macht es“, entgegnete Farmer, „son dern die Ruhe. Hawaii ist mir zu hektisch.“ Der Manager überlegte nur kurz. „Die Firma besitzt ein Jagdrevier in Kanada. Wälder, Seen, eine luxuriöse Hütte mit Jeep, Boot und Wasser flugzeug. Wäre das nach Ihrem Geschmack?“ Erst lehnte Farmer auch dieses Angebot ab, dann ließ er sich überzeugen und breitschlagen. „Im Haus ist nur ein chinesischer Koch. Der Pilot, der auch Jäger ist, kommt auf Funkspruch.“ „Na fabelhaft“, sagte Farmer, Begeisterung heu chelnd. „Sie fliegen nach Ottawa. Dort holt man Sie ab. Ich lasse alles vorbereiten.“ Einverstanden, Sir.“ „Vier Tage. Donnerstag bis Montag. Okay? „Das sind ja nur drei Tage. Ankunft Freitag, Abreise Sonntag.“
„Okay, legen wir einen Tag zu. Recht so?“ „Fünf Tage“, forderte Farmer. „Von mir aus“, ließ der Präsident mit sich handeln. „Wenn Sie wieder aufgemöbelt zurückkommen, soll mir alles recht sein.“ Fünf Tage, rechnete Farmer, das konnte ausreichen. Vorausgesetzt, es wurde alles auf die Minute genau vororganisiert. An diesem Tag fuhr er früher nach Hause, setzte einen Funkspruch ab, packte seine Reisetasche und rief ein Taxi, das ihn zum Flughafen brachte. Daß er die USA nie mehr wiedersehen würde, wußte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 7. Die Zeitungen waren noch immer voll von Kom mentaren über das rätselhafte Verschwinden von Gene ral Nat. P. Potter. Man verglich den Vorfall mit der Affäre Rudolf Die sel. Der Erfinder des ölverbrennenden Selbstzündermo tors war auf dem Weg nach England auch spurlos von einer Kanalfähre verschwunden. Robert Urban, der nie an einen mysteriösen Un glücksfall geglaubt hatte, bemühte sich, in Paris eine Spur aufzunehmen. Sie war fast schon vertrocknet wie der Rest eines Par füms in einem leeren Flacon. „Sie sind der Spiritus rector“, hatte sein Oberboß er klärt. „Sie haben als erster den Finger auf die Wunde gelegt, haben behauptet, General Potter sei unkeusch. Sie haben seinen Safe geplündert, und ihretwegen muß te er die Kurve kratzen. Nun sehen Sie zu, daß Sie ihn wiederkriegen. Und wenn das schon nicht, dann wenig stens Klarheit über seinen Fluchtweg.“ Der Haardraht aus der Kopfschmerztablette war ana
lysiert worden. Das Ergebnis hatte sie alle vom Stuhl gerissen. Es betraf das Geheimste vom Geheimen, näm lich Einzelheiten über das Igel-System. Potter konnte es nur mit einem hochminiaturisierten Agenten-Recorder aufgenommen haben. Abzuhören war es allerdings nur mit kompliziertester Technik, über die Potter wohl nicht verfügte. So hoffte Urban zumindest. Und jetzt war er in Paris. Bis an die Seine war Potters Fluchtweg zu rekonstru ieren gewesen. Um ganz genau zu sein, nur bis St. De nis, einem Vorort am nördlichen Stadtrand. Vom Hotel George V, wo Urban sich stets einmietete, wenn im Commodore kein Platz war, rief er alle guten Adressen in Paris an. Gil Quatembre vom SDECE und Boulanger von der Mordkommission der Súrete“. Beide waren erreichbar und hörten sich Urbans Story an, aber helfen konnten sie wenig. Im Gegensatz zu dem Geheimdienstmann stellte der Kommissar wenigstens einige Fragen. „Der Taxifahrer in Brügge hat das also bestätigt?“ „Anhand von Fotos des Generals. Das Taxi wurde te lefonisch zu einer Kneipe am Fährhafen von Zeebrügge gerufen. Dort übernahm er einen langen, britisch wi r kenden Zivilisten und setze ihn am Bahnhof in Brügge ab. Die Kollegen vom Deuxieme Büro in Brüssel ermit telten, daß das etwa eine Stunde nach Abgang der Fähre war.“ „Und der Taxifahrer erkannte den Generalse kretär?“ „Ebenso wie der Schaltbeamte. Er erinnerte sich, daß Potter eine Fahrkarte zweiter Klasse nach Brüssel löste und sich über die Anschlüsse nach Paris erkundigte.“ „Unvorsichtig von Potter.“ „Das unterscheidet einen präzise planenden General stäbler von einem Verbrecher, einem Kriminalbeamten oder Agenten.“
„Welch beachtliche Reihenfolge “, spottete Boulanger, „Potter fuhr also nach Paris“. „Nein, Potter fuhr nicht nach Paris“, erklärte Urban. „Zwar erkundigte er sich nach der Abfahrt von Zügen nach Paris, ihn interessierten aber nur solche, die unter wegs anhielten, also keine Expreßzüge. Der Beamte in Brügge suchte ihm eine solche Verbindung heraus. Und nun kommt der Knackpunkt: Der General wollte genau wissen, ob dieser Zug auch in St. Denis halten würde. Der Beamte mußte noch einmal nachblättern und bestä tigte es ihm dann.“ Boulanger machte hm und tsst und kommentierte dann: „Kein Profi, dieser Potter, oder ein ganz beson ders Ausgebuffter. Vielleicht dachte er gar nicht daran, in St. Denis auszusteigen, und das Ganze ist nur Irrefüh rung. In Paris, Gare du Nord, konnte er doch mühelos untertauchen. Oder…“ „Oder“ nahm Urban den Faden auf, „er hatte in St. Denis zutun, traf dort mit Leuten zusammen, die ihm weiterhalfen.“ „Einen sogenannten Schleuser“, nannte Boulan ger es beim Fachausdruck. „Habt ihr da etwas in den Akten?“ „Vielleicht die politische Abteilung.“ „Ich fahre nach St, Denis“, entschied Urban, „Wenn ich nicht weiterkomme, rufe ich dich an.“ „Wenn ja, dann nein“, bestätigte Boulanger. „Wann gehen wir mal wieder einen gepflegten Happen essen?“ „Sobald ich aus St. Denis zurück bin.“ „Dann komm bitte heil wieder“, wünschte der Kommissar. „Zu den Dingen“, antwortete Urban, „die man nicht tun darf, gehört, sich umbringen zu lassen.“
Es grenzte nicht an ein Wunder. Es war das Ergebnis von stundenlangem Warten und sturer Fragerei. Urban fand in dem kleinen St. Denis jenen Mann, der General Potter gefahren hatte. Aber der Mann im Taxi war mißtrauisch. „Erst wollte ein Verrückter da hinaus in den Matsch, und jetzt kommt schon wieder einer. Entweder sind Sie aus der Klapsmühle oder ein Bulle.“ „Schlimmer“, sagte Urban in seinem akzentfreien Französisch. „Kriminalbulle.“ „Was Schlimmeres als ein Bulle ist nur noch die Pest.“ Urban stieg ein. „Die schwarze Pest. Rauschen Sie endlich ab, Mann!“ Der Fahrer brachte ihn auf Nebenstraßen weit hinaus bis ins Oisetal. Von dort durch Wälder, auf nicht emp fehlenswerten Wegen, zu einem Dorf und dann zu dem Gehöft am Rande des Dorfes. Etwa hundert Meter vor dem heruntergekomme nen Bauernhof hielt der Fahrer an. „Keinen Meter weiter, Monsieur.“ „Aber Sie warten.“ „Wenden darf ich doch, oder!? Hier muß man zuse hen, daß man rasch wegkommt.“ Urban gab ihm einen Hunderter extra. Dann sprang er über knietiefen Mud auf das festere Gras zwischen den Pappeln. Als er das schiefe Gehöft erreicht hatte, bellte ein Hund, und ein Mann rief: „Halt!“ – Er hatte eine Schrot flinte über dem rechten Unterarm. Seine Stiefel waren voller Dreck, als käme er aus den Pripjet-Sümpfen. Er mochte sechzig Jahre alt sein, hatte graue Haut und Augen wie ein Esel, ganz ohne Wim pern. „Halt!“ rief der Mann nochmals. „Wer sind Sie, was wollen Sie?“
„Finstere Gegend hier“, stellte Urban fest, „die wohl nicht mal ihren eigenen Namen kennt. Und unhöfliche Leute, wie mir scheint.“ Der Hund knurrte nur noch, und der Alte schien sein Mißtrauen auch etwas zu verlieren. „Was wollen Sie, Monsieur?“ Potter schaute sich um. „Gemütlich haben Sie es hier“, sagte er, „Schätze, das mochten Sie sich erhalten, oder?“ „Wollen Sie mir drohen? Kommen Sie mir nicht mit so was.“ Er nahm den Lauf der Waffe etwas höher. Urban ging sofort aufs Ganze. Er faßte in die Tasche und holte zwei Fotos heraus. Beide zeigten den General. Eines in Galauniform, das andere in Zivil. „Es geht nur um diesen Mann da.“ Der Alte kniff die Augen schmal. „Kenn ich nicht.“ „Nato-General Nat P. Potter.“ „Mag ja sein, aber ich kenne ihn nicht.“ Urban deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Dort wartet der Taxifahrer, der ihn hierher brachte. Vor ein paar Tagen. Sie dürfen nicht glauben, Monsieur, daß man für den Job, den ich mache, die Hilfschulen für Idioten abgekämmt hat. Entweder Sie kooperieren oder Sie löffeln heute abend Ihre Suppe aus einem Blechnapf hinter Gittern.“ Der Alte schien irgendwie vom Donner gerührt zu sein. Eben noch hatte er ahnungslos sein Nachmit tagsschläfchen gehalten und jetzt plötzlich das. Er zögerte. Offensichtlich rechnete er sich aus, von welcher Seite es stärker donnerte, wenn er redete oder nicht redete. Urban half ihm bei der Entscheidung. „Ich war natürlich niemals hier.“ „Eh bien“, sagte der Alte. „Geben Sie dem Scheißkerl was auf den Arsch, diesem arroganten Pinsel. Ja, er war
hier. Ich hatte ‘nen Paß für ihn, einen Reiseplan, Fahr karten und Geld.“ „Wie kamen Sie dazu?“ „Das kriege ich immer mit der Post.“ „Von wem?“ „Über alte Freunde von der Kommunistischen Partei. Mehr gebe ich nicht zu, und wenn Sie mich auf die Guillotine bringen.“ „Wie sah der Reiseplan aus?“ „Erst mit dem Bus, dann mit dem Flieger.“ „Moskau?“ „Eben dorthin, wo sie immer alle hinwollen.“ Hier hakte Urban ein. „Alle? Wer noch?“ „Na, der andere.“ „Welcher andere?“ „Mann. Sie können einen aber nerven“, schimpfte der Bauer. Urban zog fünf Hunderter aus einem Geldbündel und hielt sie dem Alten hin. „Zur Beruhigung. Und noch mal, ich war nie hier. D’accord?“ Der Alte nahm die Scheine, steckte sie ein und sagte: „Der Blonde mit den Stoppelhaaren und der Nickel brille. Der Amerikaner.“ „Ach der“, bemerkte Urban, obwohl er keine Ahnung hatte. „Meinen Sie Dorman?“ Ein anderer Name fiel ihm nicht ein. Der Alte kratzte sich hinten im Genick „Non. Dorman hieß er nicht. Verdammt, wie hieß er doch? Glaube, er nannte seinen Namen gar nicht Aber einmal sagte er – verflucht, wie war das noch gewesen – ja, er sagte: Ich heiße wie der, der du bist.“ Urban kombinierte. Ein Amerikaner, und der Alte war Bauer. „Farmer?“
„Oui, Farmer.“ „Wann kam Farmer durch?“ Der Alte druckste herum. Offenbar war Farmer erst vor kurzem bei ihm gewesen, „Gestern“, antwortete er schließlich. „Und sein Ziel?“ „Nicht Moskau. Das wunderte mich. Sewastopol, glaube ich, Flug über Warschau.“ „Sewastopol liegt auf der Krim“, äußerte Urban. Der Alte schmatzte mit den Lippen. „Nehmen wir einen zur Brust? Einen Selbstge brannten.“ „Ein andermal“, sagte Urban. „Na schön, dann ziehen Sie ab, und lassen Sie sich nicht wieder blicken. Ich habe Ihr Wort.“ Urban hob drei Finger zum Schwur, drehte sich um und ging. „Wenn Sie mich verpfeifen, sollen Sie krepieren, und die Würmer sollen Sie fressen“, schrie der Alte hinter ihm her. „Unter einem Meter Dreck“, sagte Urban, „sind wir alle gleich.“ Vom Hotel aus rief Urban in München an. „Zu spät“, meldete er der Operationsabteilung. „Potter sitzt wohl längst in Moskau. Aber nun wissen wir, we s sen Maulwurf er ist.“ „Dachten Sie etwa an die Chinesen?“ raunzte sein Chef, Oberst a. D. Sebastian. „Gibt genug andere Möglichkeiten. Bleiben ja noch ein paar Araber übrig, die Israelis, die Libyer et cetera. Also, General Potter kriegen wir nicht mehr. Aber viel leicht einen anderen.“ Urban beschrieb den jungen, blonden Ameri kaner.
„Einer seiner Namen ist möglicherweise Farmer.“ Sebastian wollte es sofort an CIA-Washington und FBI durchfaxen. „Rufen Sie lieber an“, riet Urban, Zusammen hänge witternd. „Potter war kein kleiner Fisch. Farmer ist gewiß auch keiner.“ Der Alte versprach, es zu erledigen, fragte aber: „Warum tun Sie es nicht, Nummer achtzehn?“ „Erstens“, begann Urban. „Kennen Sie die Telefonge bühren in Luxushotels?“ „Außerdem sind Sie zu faul.“ „Nein, zu hübsch zum Arbeiten.“ Später ging er mit Kommissar Boulanger zum Essen. „Du hast Tränensäcke unter den Augen“, stellte Urban fest. „Und du wirst grau an den Schläfen.“ „Nur zwei Haare.“ „Warum tun wir das alles noch? Den Wahnsinnsjob, meine ich.“ „Damit wir ab und zu so speisen können wie heute abend, mon ami“, sagte Urban. „Wenn das alles ist.“ „Ich höre erst auf, wenn mir der Hintern abfällt.“ „Du hast doch längst eine Tonne Geld auf der Bank.“ „Für meinen Geschmack wird zuviel Mist gebaut auf dieser Welt.“ „Aber die Flußkrebse sind wirklich vorzüglich.“ „Warte erst mal die gelierte Gänsebrust ab.“ „Schau dir das Weib dort an“, Boulanger verdrehte seinen Kopf bis zum Anschlag. ,,Das wäre was zum Dessert. Hast du dir mal überlegt, Bob, was dir entgeht, wenn du abgenippelt bist? Ich meine, wenn mal eine Kugel geflogen kommt, genau ins schwarze.“ „Ja, der Tod ist schlecht“, gestand Urban. „Soll mäch tig leer und dunkel sein da draußen.“ Sie ließen es sich trotzdem bis zum Mocca
schmecken. Als Urban ins Hotel zurückkam, lag eine Nach richt für ihn vor, daß er noch angerufen würde. Das Telefon läutete nach Mitternacht. Washington war am Apparat, das CIA-Hauptquartier in Langley. Urban war froh, daß er schon zu Abend gegessen hat te, denn was er hörte, hätte ein leerer Magen nicht gut verkraftet. „Das mit Farmer war ein Supertip“, berichtete sein Kollege. „Wir hatten ihn schon länger in Verdacht, konnten dem Burschen aber nichts nach weisen.“ Urban erfuhr alles, was die CIA über den ComputerExperten zusammengetragen hatte. Wie es aussah, bestand große Gefahr, daß Farmer die wichtigsten Datennetze angezapft und die Details nach Moskau weitergegeben hatte. Jedenfalls ist er abgezittert. Angeblich flog er für ein paar Tage zum Jagdhaus seiner Firma nach Kanada. Aber dort ist er nicht.“ „Kann er gar nicht“, bedauerte Urban. „Gestern war er hier und holte sich seine Durchschleusepa piere für die Schwarzmeerküste ab.“ „Dann werden wir ihn niemals wiedersehen.“ „Seid froh darüber.“ „Er war ein Teil vom Auge des Bären“, sagte der Amerikaner, „und wird drüben auspacken. Farmer und Potter, alle in einer Woche. Bißchen viel, findest du nicht, Dynamit? Verdammt clever, dieser KGB.“ „Mehr als überclever.“ Urban wählte damit die Be zeichnung für Leute, die einem unheimlich wurden. „Es ist dein Fall“, erklärte der Amerikaner. „Jetzt ist dein Typ gefordert, Dynamit.“ Urban empfand diese Mahnung so, wie ein Zucker kranker, dem man Sachertorte anbot.
8.
Die Konferenz fand in Jalta an der Schwarzmeer küste statt. Wegen ihrer Schönheit nannte man sie die Russische Riviera. Drei Männer trafen sich in einer weißen Marmor villa. Sie war als Datscha für Breschnew gebaut worden. Bis zu seinem Tod hatte er sie aber nur einmal benutzt. Nun diente sie der Unterbringung besonders wichtiger Staatsgäste. Dr. Farmer und General Potter trugen Freizeitklei dung, Oberst Kirginew, ihr Führungsoffizier, die leichte Sommeruniform der Armee. Auch jetzt, beim dritten Gespräch, ging es um die gleichen Themen. „Man kennt unser Netz“, begann der Oberst. „Woraus schließen Sie das?“ fragte der Engländer. „Man entdeckte ihre Abreise viel zu früh. „Kennt man nicht die Netze anderer Dienste mehr oder weniger?“ „Meist eher weniger. Aber allmählich häufen sich Zwischenfälle, die darauf schließen lassen, daß die Nato über ein beängstigendes Maß an Informationen ve r fügt.“ General Potter sah dies weniger tragisch. „Sie kamen in jedem Fall zu spät. Bei mir ebenso wie bei Dr. Farmer. Daß man uns jetzt verdächtigt, ist nur Rekonstruktion und Analyse.“ Der Oberst ließ sich nicht davon abbringen, daß sich der KGB einem Existenzproblem näherte. Dementspre chend lautete seine Haupt- und Kernfrage. „Was bedeutet Igel-System?“ Dr. Farmer – oder Jekkow, wie er in Rußland hieß – fühlte sich angesprochen. „Möglicherweise neue und schärfere Sicherheits maßnahmen.“
„Die Nato brütet also etwas aus.“ „Möglich“, räumte Farmer ein. „Das Wort Igel tauch te aber in keiner der elektronischen Dateien, die ich abhörte, jemals auf.“ Der Oberst schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Igel-System, meine Herren, was bedeutet es im all gemeinen und im besondren?“ Potter äußerte, daß es sich seiner Meinung nach um eine Abwehrmaßnahme handeln müsse. „Alle Abwehrmaßnahmen sind, militärisch gesehen, passiv. Und die Stacheln des Igels sind eine reine Ve r teidigungswaffe.“ „Wir fürchten eher besondere Aktivitäten“, gestand der Oberst. „Von seiten der Nato?“ zweifelte Potter, „Es herrscht Ruhe an allen Fronten. Überall wird abgerüstet, die Truppen werden verringert, Forschungen auf dem Waf fensektor reduziert. Was wollen Sie noch?“ Der Oberst gab preis, was man in der KGBZentrale in der Moskauer Dzerzhinskystraße befürchte te. Und es klang logisch. „Dieser Mister Dynamit ist ein äußerst gefährlicher Agent. Er steckt als treibende Kraft dahinter.“ „Es gibt“, erinnerte Dr. Farmer, „eine Reihe deutscher Märchen, die mit Igeln zu tun haben. Hoffentlich sitzen wir damit nicht einer märchenhaften Sache auf.“ Der Oberst faßte zusammen, was sie hatten. „Sie, General Potter, wurden schon lange ver dächtigt. Wie war das möglich? Fand man etwa bei uns Informationen, die nur von Ihnen stammen können? Man knackte sogar Ihren Safe, wenige Stunden vor Ihrer Flucht, und holte heißes Material heraus. Und wie war es bei Ihnen, Farmer? Man fand Spuren von Ein dringungen im streng geheimen Datennetz des Penta gon. Offenbar gelang es, eine Spur zu Ihnen zu verfol
gen. Man überwachte Sie fortan. Nur durch einen Tip aus FBI-Kreisen konnten wir Sie rechtzeitig zurückru fen. Auf irgendeine Weise ist der Westen präpotent geworden. Aber wodurch und wie, zum Teufel? Unser Verdacht richtet sich gegen das Igel-System.“ „Falls es wirklich so ist“, fragte General Potter, „was können Sie tun?“
Der Oberst nahm das Telefon ab und sprach ein Wort hinein. Nachdem er aufgelegt hatte, faltete er die Hände erklärte: „Wenn man ein System nicht knacken kann, muß man bei den Leuten ansetzen, die es erdachten.“ Der Name des Mannes, den der KGB für den Urheber hielt, sprach er nicht mehr aus. „Sie nennen unseren KGB das Auge des Bären“, fuhr Oberst Kirginew fort, „und sie hatten nie ein höheres Ziel, als dieses Auge zu blenden. Darauf läuft es hinaus, fürchten wir.“ „Schön, aber dieser Bursche, ob nun der Erfinder oder nicht, ist verdammt gut.“ „Um die Hälfte zu gut, sagte man bei uns, aber nicht kugelfest. Wir haben hier ein Trainingsprogramm, das Killer produziert, menschliche Maschinenpistolen.“ Wie auf ein Stichwort öffnete sich die weißlak kierte Tür. Daß eine Frau hereinkam, hatten Farmer und Potter nicht erwartet. Sie trug ein leichtes Sommerkleid in zartem Pastellrot. „Darf ich Ihnen Major Lussow vorstellen. Natalie Lussow.“ Sie nickte leicht mit dem Kopf. Sie hatte Smaragdau gen, sonnenblondes Haar, gebräunte Gliedmaßen und ein hübsches, etwas flächiges Gesicht Sie machte ein paar Schritte, so daß man ihre Figur beurteilten konnte. Die Brüste waren abstehend und
fest. Ihr Gesäß sprang beim Gehen auf und ab, ohne zu hüpfen. Zwar bewegte sie sich ein wenig zu abgezirkelt, als daß man es graziös hatte nennen können, aber sie war absolut attraktiv. – Eine Männerfängerin. Kirginew reichte ihr eine Akte. „Studieren Sie das, Genossin Major.“ „Ich weiß Bescheid, Genosse Oberst“, sagte sie mit angenehmer Stimme, die nur am Satzende etwas metal lisch wirkte. „Es geht um Oberst Urban, BND, Code Nummer achtzehn, genannt Mister Dynamit. Selbst in schlechter Verfassung ist er noch weit besser als alle anderen. Was er sich nicht leihen kann, das stiehlt er. Was er nicht überspringen kann, das umgeht er. Was er nicht durch streicheln kriegt, das boxt er nieder. Und notfalls macht er auch einer Urgroßmutter den Hof.“ „Wir wurden auf der Akademie mit solchen Typen vertraut gemacht“, erwiderte Natalie Lussow. „Sie wissen, was Sie zu tun haben, Major?“ „Ich bin in meine Aufgabe eingeweiht, Genosse Oberst, und besonders dafür qualifiziert.“ „Bringen Sie ihn nicht tot oder lebend“, ermächtigte sie der KGB-Funktionär, „sondern nur tot. Am besten nach einer Antwort in bezug auf das Igel-System.“ „Ich werde ihn im nächsten Mülleimer versenken.“ Das Mädchen wirkte ungeduldig wie eine Stute, die zu lange im Stall stand. „Sonst noch etwas?“ fragte sie mit einem abfälligen Blick auf die zwei Zivilisten. „Nein. Sie können gehen“, entschied der Oberst. „Spielen Sie Cowboy in diesen Cowboyländern. Fangen Sie den Stier und geben Sie ihm den Todesschuß.“ „Mitten in die Stirn“, versprach sie. „Oder durch beide Ohren“, bemerkte der Oberst. Plötzlich meldete Farmer sich zu Wort. „Es gibt eine bessere Art, Stiere zu töten“, sagte er.
„Stecken Sie ihm den Lauf Ihrer Waffe hinten hinein und drücken Sie ab. So spritzt weder Blut noch sonst etwas herum. Die Kugel hinterläßt nur zerfetzte Einge weide.“ Major Natalie Lussow hatte gelächelt. Jetzt wurde ihr Gesichtsausdruck starr. „Das ist mir neu, Genosse“, sagte sie. „Ein wirklich glänzender Tip.“ 9. „Du hast mir einmal das Leben gerettet“, sagte Prof. Orena Jekkow. „Weißt du, was das bedeutet?“ „Ich kenne das chinesische Sprichwort“, antwortete Robert Urban. „Wenn du einem das Leben rettest, kriegst du ihn ein Leben lang nie wieder los. Wer sagt denn, daß ich dich loswerden will, Orena?“ Sie umarmte und küßte ihn. Dann hakte sie sich bei ihm unter. Sie streiften durch das nächtliche Dubrovnik. Beide hatten sie sich ein wenig getarnt. Die Russin trug Perücke und eine mit Straß besetzte Sonnenbrille. Urban hielt es für ausreichend, daß er Jeans, Polohemd und ein Armani-Sakko anhatte. Es war nicht Zufall, daß sie sich an der Küste von Montenegro trafen. Es war lange geplant. Aber diesmal war es höchste Zeit. Es gab viel zu bereden. Sie schlenderten durch die Gassen, geschützt von den Massen der Touristen. Bald tauchten sie in ein Kellerlo kal mit gedämpftem Licht und Balkanmusik Im Kamin aus groben Steinen glühte ein Feuer. Auf einem Rost grillten sie Cevapcici, Schinkenscheiben und Fladen aus Hefeteig, die sie vorher mit Öl bespritzt und mit Gewürzen bestreut hatten. „Mich friert“, sagte Orena. Urban fand zwei Plätze nahe am Feuer. Schon die ganze Zeit hatte die Russin sich deutlich
auf ihn gestützt. „Geht es dir nicht gut?“ fragte er besorgt. „Man wird älter.“ Orenas Aussehen täuschte. Ihr Haar hatte keine einzi ge graue Strähne, ihre Haut war noch glatt. Zumindest schien es so bei dem milden Kerzenschein. Vielleicht hatte sie ein wenig Übergewicht. Aber an den richtigen Stellen, am Busen und in den Hüften. Hübsch war sie nicht, aber wer sie ansah, wurde von diesem Gesicht fasziniert. „Du und älter“, sagte er und bestellte Wein. „Im Ge genteil, du bist ein Wunder der Natur.“ „Nächstes Jahr werde ich sechzig“, gestand sie. „Die Nobelpreis-Verleihung wirst du noch über stehen“, scherzte er. „Es war ein hartes Leben“, fuhr sie unbeirrt fort. „Du weißt es. Ich war knapp dreißig, als mich das Glück verließ. Die Schwangerschaft, der Abschub ins Lager, die schwere Geburt, die langen Jahre in Sibirien, endlich die Rehabilitierung.“ „Ohne den Krebs des Generalsekretärs säßest du heu te noch in Kjusjur. – Wie lange hat er noch gelebt?“ „Zwölf Jahre“, sagte sie. „Er starb an einer Grippe, die er sich bei der Jagd im Kaukasus holte.“ Urban stippte zwei Zigaretten aus dem Päckchen. Sie nahm eine davon. „Ich rauche schon lange nicht mehr.“ Sie deutete auf die Stelle, wo das Herz saß. „Nur wenn es sein muß. So wie jetzt.“ Der Kellner kam und brachte den Wein in einer rubin rot funkelnden Karaffe, zwei Gläser und einen Teller mit Cevapcici und gegrillten Zwiebeln. Urban reichte Orena Feuer. Gewöhnlich benutzte er Streichhölzer, heute hatte er ein schweres Dun hill, halb so groß wie eine Zigarettenschachtel, eckig, aus gehämmertem Goldblech.
„Zur Feier des Tages.“ Sie nahm es ihm ab und schien damit zu spielen. Un auffällig ließ sie es in ihre Handtasche verschwinden und zauberte ein anderes, das genauso wie das von Ur ban aussah, auf den Tisch. „Umgebaut auf Benzin“, sagte Urban. Sie schob ihm das andere Feuerzeug hin. „Ist es auch das richtige, Genossin Professor?“ „Probier es aus. Es zündet nicht.“ Um sicher zu gehen, öffnete er die Klappe und rieb an der Rolle. Kein Funken. Orena blickte zu den Musikern hin. Urban bemerkte, wie sie ihre Augen anstrengte, um etwas zu erkennen. „Ist da was?“ „Bin nicht sicher“, antwortete sie. „Ich habe das Ge fühl, als würde ich seit einiger Zeit mit besonderer Gunst beglückt. Man beobachtet mich.“ „Man sorgt sich um dich“, sagte Urban. „Der Nobel preis für Krebsforschung würde dem Ansehen der Me dizin der Sowjetunion weltweit zustatten kommen.“ „Noch hat Stockholm ihn nicht ausgesprochen.“ „Aber es steht fest“, versicherte Urban. „Ich verfüge über gewisse Informationen.“ „Ich hatte Schwierigkeiten, aus dem Hotel wegzu kommen“, erzählte sie. „Die Konferenzteilnehmer sind zwar alle Kollegen aus dem Ostblock, aber sie machen sich sorgen um mich. Ist doch lieb von ihnen, oder?“ „Hast du Angst? fragte Urban unvermittelt. Sie nickte. „Angst hatte ich immer“, gestand Orena. „Manchmal wundere ich mich, wie ich es überlebte. Angst, als Sta lin meinen Vater umbrachte, Angst vor dem Abitur, vor dem Staatsexamen. Später Angst vor Repressalien, die auch prompt eintrafen. Angst im Lager, Angst vor der Geburt, Angst um mein Leben und das meiner…“ Sie sprach nicht weiter.
Urban tat es für sie. „Wie geht es deinem Sohn? Weiß er eigentlich, daß du seine Mutter bist?“ „Ich glaube, man sagte es ihm. Aber wir haben keinen Kontakt. Wie ich hörte, kümmert sein Vater sich um ihn.“ „Und Alexandra?“ Ihre Augen gingen nervös hin und her, als gebe es je manden, der sie beobachtete und belauschte. „Alexandra macht Karriere. Sie wird noch Ministerin für Wirtschaft und Forschung.“ „Das wäre fantastisch für uns.“ „Wenn nichts dazwischenkommt“, schränkte die Jek kowa ein. „Eine Frau kann die beste Schauspielerin sein, aber Haß kann sie auf die Dauer nicht verbergen. Du weißt, wie wir das Regime verachten, meine Tochter und ich.“ „Ihr konntet es drei Jahrzehnte lang geheimhalten“, bemerkte Urban. „Offiziell ist sie die Tochter einer Fabrikarbeiterin namens Garsoffska. Da die Garsoffska eine Totgeburt hatte, schoben wir ihr mein zweites Kind, meine Toch ter, die eine halbe Stunde nach Bela geboren wurde, unter.“ Er kannte diese abenteuerliche Geschichte, und er bewunderte beide Frauen. – Wie es vor zehn Jahren zu dem Kontakt zwischen ihm und Orena gekommen war, das war eine andere, ebenfalls unglaubliche Geschichte. Urban steckte das Feuerzeug weg. „Geh vorsichtig damit um“, bat die Russin. „Ich passe schon auf.“ „Alles läuft weiter nach Plan“, sagte Orena Jekkow, „auch wenn sie wie die Wahnsinnigen hinter dem IgelSystem her sind.“ Urban nahm einen Schluck von dem würzigen Rot wein.
„Was gut eingefädelt ist, das näht auch gut.“ Sie legte ihre Hand auf die seine. „Trotzdem“, warnte sie. „Seid vorsichtig bei der Auswertung. Kompromittiert Alexandra nicht durch allzu gezielte Gegenmaßnahmen. Sie sind nicht dumm in der Dzerzhinskystraße. Sie werden jeden nur mögli chen Pfad zurückverfolgen.“ „Auch wir sind Profis“, erklärte Urban. „Und noch etwas.“ Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Sollten irgendwelche Anzeichen einer Ge fährdung sichtbar werden, opfere mein Baby nicht.“ „Das wäre äußerst undankbar. Und das ist nicht unser Stil“, äußerte er. „Für den Notfall… Rettet sie – bitte!“ Er nickte. „Wir würden sie irgendwie herausholen. Aber dieser Fall tritt nicht ein. Ich denke, daß es noch nie ein Gewe be gab, das so fein gestrickt war.“ Sie öffnete ihre Handtasche und nahm ein Foto her aus. „So sieht sie aus.“ Urban warf einen kurzen, aber intensiven Blick auf das Mädchen. Es war, als präge er das Foto unauslösch lich in sein Gehirn. – Alexandra saß an einem mächti gen Schreibtisch, eine Hand auf Akten, in der anderen hielt sie einen Bleistift. Sie blickte ernst und hatte viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. „Ganz wie du“, stellte Urban fest. Und dann: ,,Der Zeigefinger, was ist damit?“ Ein Geburtsfehler. Ein Glied zu wenig.“ „Bei Bela auch?“ „Sie sind Zwillinge.“ Urban reichte ihr das Foto zurück, Die Kapelle spielte etwas zum Tanzen. Im Nu war der freie Raum zwischen den Tischen voller Paare. Orena wiegte den Oberkörper im Rhythmus mit.
„Hast du Lust?“ fragte Urban. „Lust schon“, antwortete sie. „Aber das wäre der Zak ken zuviel, wie man heute sagt. Rauchen, trinken, tan zen, dann die sauerstoffarme Luft, die Angst, der Druck, morgen das große Referat. Laß uns gehen, Bob.“ Er bezahlte und legte ihr die Stola um die Schulter. Auf dem Weg durch die Gassen schaute er immer wieder zurück. Er konnte nicht erkennen, daß man ihnen folgte. Aber jetzt, um 23.00 Uhr, in einer lauen Nacht, wo alles unterwegs war, blieb ein Beobachter, der ge schickt arbeitete, so gut wie unsichtbar. Urban brachte Orena zum nördlichen Tor und dort zu einem Taxi. „War schön, dich getroffen zu haben.“ Sie umarmte und küßte ihn mütterlich. „Du hörst von mir, Babutsch ka.“ „Paß auf dich auf“, sagte Urban und winkte dem Taxi nach.
Urban hörte von Professor Orena Jekkow früher als erwartet. Es war auf der Rückfahrt von Dubrovnik nach Mün chen. Obwohl es regnete und die Magistrale sich mit ihrem berüchtigten Schmierfilm überzogen hatte, be wegte er seinen BMW ziemlich flott Er war in Eile. Er wollte den Inhalt des Feuerzeugs, die Computerdaten, zur Auswertung ins Hauptquartier bringen. Auf der Höhe von Zadar bekam er schon italieni sche Sender herein. Sie brachten Nachrichten. Das übli che halbinteressante Zeug. Konferenzen, Staatsbesuche, Anschläge, Kriegsereignisse. Meist ohne Ergebnisse. Drohungen standen gegen Drohungen. Immer dasselbe, austauschbar von A bis Z, vorwärts und rückwärts. Längst hatte er sich vorgenommen, im Fernsehen nur noch zwei Sendungen anzusehen. Nachrichten und
Westernfilme. Am Ende blieben nur noch die Western. Und mit einemmal eine elektrisierende Durch sage: „Wie die sowjetische Nachrichtenagentur Tass me l det, ist die bekannte Krebsforscherin und Anwärterin auf den diesjährigen Nobelpreis für Medizin, Professor Orena Jekkow, heute in den Morgenstunden einem Herzinfarkt erlegen. Man fand die Wissenschaftlerin tot in ihrem Hotelzimmer. Ihr mit Spannung erwarteter Vortrag wird nun von ihrem Assistenten…“ Urban schaltete ab. Orena tot. Nicht zu fassen. Es war einfach zu viel gewesen für ihr Herz. – Oder hatte der KGB nachgeholfen? – Urban glaubte es nicht. Orena tot. Welch eine wunderbare Frau. Schade, daß er ihr so spät begegnet war. Damals, auf dem Kreuz fahrtschiff im Ägäischen Meer. Der BND hatte Hinweise erhalten, daß Terroristen bei Nacht den Zehntausendtonner entern wollten. Türken würden versuchen, das griechische Schiff an sich zu bringen, um die Regierung in Athen in der Grenzfrage, wobei es um Ölvorkommen in der Nähe der Inseln ging, zu erpressen. – Da die Gefahr eines Krieges zwischen Nato-Mitgliedern bestand, hatten die Geheimdienste eingegriffen. Die Terroristen schlugen tatsächlich zu und brachten unter anderen auch eine Russin, Orena Jekkow, als Geisel an sich. Nach vierundzwanzig hei ßen Stunden, in denen das Schiff unter der glühenden Ägäissonne dahintrieb und die Terroristen jede Stunde drohten, es in die Luft zu sprengen, hatte Urban sie überlistet. Als sie einsahen, daß sie keine Chance mehr hatten, kam es zu einer Schießerei. Urban hatte die besseren Karten gehabt. Er verhinderte die Sprengung des Schiffes und befreite die Geiseln. Orena Jekkow hatte ihm das nie vergessen. Und jetzt sollte sie tot sein. Er konnte es nicht fassen.
Immerzu dachte er an sie und daran, auf welche We i se sie sich für die Rettung erkenntlich gezeigt hatte. Der ständige Datenfluß, der von Moskau in den Westen lief, war ihr Verdient. Er dachte an sie und dann erst an sein Igel-System. – Orena und ihre Tochter waren die Igel gewesen, die ihre Stacheln gegen die Feinde einsetzten. – Nun war Orena tot. Urban war zutiefst erschüttert. 10. Die Operation war supergeheim. – Geplant hatte sie der kommandierende Admiral der Roten U-BootFlotte in Zusammenarbeit mit dem KGB. Vorgesehen war, eines der modernen, weder ortbaren noch hörbaren Atom-U-Boote aus Spezialstahl und mit internem Antrieb zu erproben. Als Testgebiet wählte man die amerikanische Ostküste und dort den Flotten stützpunkt Norfolk. Das U-Boot lief Anfang Oktober in Murmansk aus, tauchte bei der Ansteuerungstonne und ließ sich fortan an der Meeresoberfläche nicht mehr sehen. Nur ab und zu streckte es die Antenne heraus, um seine Position zu funken und etwa neue Befehle zu empfangen. Die Befehle änderten sich jedoch nicht. Also operierte das Atom-U-Boot quer durch den Nordatlantik und erreichte die amerikanische Küste auf etwa 37 Grad, kurz nach Beginn der schweren Herbststürme. Unbeeinflußt davon drang es in amerikanisches Ho heitsgebiet und tastete sich in der Chesapeake Bay hin ein. An dessen Südflanke, vor der Einfahrt zum Flotten stützpunkt Norfolk, legte sich das russische U-Boot auf Grund. Drei Tage lang registrierte es alle ein- und auslaufen den Einheiten wie Versorger, Zerstörer, Korvetten, Kreuzer, Flugzeugträger und U-Boote. Man nahm Mes
sungen der Schrauben- und Maschinengeräusche, des Magnetfeldes und der Absorptionsfähigkeit neuer Mate rialien im Kriegsschiffbau vor. Ferner horchte man den Funkverkehr ab, den Sprechfunk, und entschlüsselte den aktuellen Navy-Code. Mit einem stattlichen Datenmaterial machte sich der sowjetische Unterwasserspion auf den Rückweg. Vorsichtig löste der Kommandant das U-Boot aus seinem Bett im Schlamm der Bay. Als es den Bug schon nach Osten gerichtet hatte und Kurs 65 Grad steuerte, erfolgte eine ungeheure Detonation und zerfetzte das Boot. Niemand von der Besatzung konnte je sagen, ob es sich um ein inneres oder um ein äußeres Ereignis handelte. Denn keiner überlebte. Die US-Navy hatte ihre größte Wasserbombe gewo r fen. Sie war dem Russen praktisch an Deck gelegt wo r den und dort explodiert. Die Amerikaner hatten das Russenboot schon lange im Visier. Noch ehe es sich der Küste genähert hatte, wußten sie, daß es kommen würde. Sie hatten die Russen gewähren lassen und dann rigoros zugeschlagen. Man würde das Wrack liegenlassen und erst dann heben und untersuchen, wenn die Admiralität in Moskau den Verlust bekanntgegeben hatte. Die Information, die schließlich zur Vernichtung des Eindringlings führte, stammte vom Bundesnachrichten dienst Deutschland. Dem BND war es gelungen, in nie gekanntem Ausmaß in das weltweite KGB-Netz einzu dringen und den sowjetischen Geheimdienst transparent zu machen wie Kristallglas. – Die Deutschen nannten das Verfahren Igel-System.
Ende des Sommers schloß die sowjetische Luft waffe die Testflüge ihres neuesten Fernaufklärers und Atombombenträgers Backfire-E ab.
Die letzte Version dieser Tupolew glich stark dem amerikanischen Stalth-Bomber. Er konnte bis auf 60000 Fuß steigen, hatte sehr leise Triebwerke, war aufgrund seiner Form und Beschichtung kaum mit Ra dar zu erfassen und kam mit seinem Treibstoffvorrat halb um die Erde. In einem Routineflug startete ein Backfire-E in Kuba, um nonstop eine sibirische Basis anzusteuern. Der Kurs sollte über Honduras führen. Die Erlaubnis dazu wurde nicht eingeholt. In Maximalhöhe und doppelter Schall geschwindigkeit würde der Backfire Honduras über quert haben, ehe man seiner gewahr wurde. Aber schon im Anflug auf die Küste hatte eines der Kusnjetsow-Treibwerke Übertemperatur. Als die Besat zung den Rückflug nach Havanna einleitete, fiel auch das zweite Triebwerk aus. Die Piloten setzten noch einen Funkspruch ab und schleuderten sich aus dem brennenden Bomber, bevor dieser in den Regenwald krachte. Die Besatzung kam ums Leben, und im Dschungel lagen hundert Tonnen Edelschrott. – Allerdings war das Gebiet so menschenleer und unzugänglich, daß man darauf verzichtete, der honduranischen Regierung den Absturz eines Atombombers bekanntzugeben. Mit Hilfe von Satelliten gelang es den Russen, die ge naue Absturzstelle zu bestimmen. Man beschloß, das Wrack zu bergen, um es nicht in fremde Hände fallen zu lassen. Eine Untersuchung hätte genaue Aufschlüsse über den stand der sowjetischen Luftfahrtechnik gelie fert. Der Geheimdienst KGB und ein Spezialkommando der Streitkräfte planten die Bergung der Trümmer. Die wichtigsten Einzelteile sollten von Transporthubschrau bern, die von einem Frachter aus operierten, aus dem Urwald an die Küste geholt und der Rest gesprengt werden.
Ein rasch ausgerüstetes Marine-Versorgungs schiff lief von Havanna aus und näherte sich der Küste von Honduras. Bei Nacht starteten Hubschrauber zur Ab sturzstelle, neunzig Meilen tief im Regenwald. Die Hubschrauber fanden das Wrack jedoch nicht. – Nach mehreren Versuchen, die alle ergebnislos verliefen, kam man zu der Erkenntnis, daß die Tupolew-Trümmer wohl schon abgeholt worden seien. Dafür kam nur eine Macht in Frage, nämlich die USA. Nur sie verfügten über die technischen Möglich keiten, so schnell und perfekt zu handeln. Die Frage, wie die USA von dem Backfire-Absturz erfahren hatten, konnte nicht beantwortet we rden. Man vermutete, daß die CIA über Informationen aus unbe kannten Moskauer Quellen verfügte. Die Besorgnis der Russen wuchs in beängstigendem Maße. Es gab Stimmen, welche die unerklärlichen Pan nen auf eines der bekannten, aber bisher ungelösten Probleme zurückführten. Unter vorgehaltener Hand wurde davon geflüstert. Es war irgend etwas mit Igel und System. Doch kaum einer konnte sich darunter etwas vorstellen. Auch bei unfreundlichem Wetter hielt Bela FarmerJekkow sich durch weite Strandspaziergänge in Form. Heute begleitete ihn Oberst Kirginew, was höchst un gewöhnlich war, denn der KGB-Führungsoffizier galt eher als Schreibtischmensch. Offenbar hatte er etwas auf dem Herzen. „Was halten Sie von diesen unerklärlichen Nie derlagen?“ fragte er den Computerexperten. „Sie meinen Honduras?“ „Eines der neuesten U-Boote soll auch zu Verlust ge gangen sein.“ „Ja, oben in der Barentssee,“
Der Oberst zog ein Lid abwärts.
„Die Barentssee war leider die Chesapeake Bay.“
Bela Farmer blieb ruckartig stehen.
„Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“
„Wem sagen Sie das. Moskau gerät allmählich in Ro
tation. Die Amerikaner wissen, was wir planen, kennen jeden Schritt im voraus, ob zu Wasser, zu Lande, oder in der Luft. – Und das weltweit.“ Der junge Elektroniker ging langsam weiter. „Wir hatten General Potter in ihrer obersten Führung. Aber wen hat die Nato bei uns?“ „Es muß ein Mann sein, der wirklich am Knotenpunkt sitzt“, vermutete der Oberst. „Also irgendwo in der zentralen Datenverarbeitung.“ „Die Nato-Geheimdienste erfahren Sachen, die nicht einmal sämtliche Politbüro-Mitglieder kennen. Ich wage gar nicht alles aufzuzählen. Es ist, als seien wir durch sichtig geworden. „Eine sprudelnde Quelle.“
„Genannt Igel-System. Darüber besteht kaum noch
Zweifel.“ „Man muß alle Datenwege überprüfen“, riet Farmer. „Darum sollten Sie sich ab sofort kümmern“, schlug der Oberst vor. „Und dann war da noch etwas,“ Der Wissenschaftler zuckte zusammen. Er ahnte, was kam. „Geht es um meine Mutter?“ „Ihr Leichnam wurde nach Moskau überführt. Sie er hält ein angemessenes Begräbnis.“ „Soll ich daran teilnehmen? Ich kannte sie ja kaum.“ „Das ist Ihre Sache“, stellte Kirginew ihm frei und zeigte Bela Farmer-Jekkow ein Foto. Es war eine unscharfe Nachtaufnahme, vermutlich an einem südlichen Ort geknipst. Bela erkannte seine Mutter. „Wann war das?“
„Am Abend bevor sie starb. Achten Sie auf den Mann an ihrer Seite.“ Der Wissenschaftler hielt das Foto ins bessere Licht. „Mitte Dreißig, würde ich sagen. Teure Klamotten, athletischer Typ.“ „Kennen Sie ihn, Doktor?“ „Nein. Nie gesehen.“ Kirginew steckte das Foto wieder ein. „Aber wir kennen ihn. Jetzt wissen wir auch, warum unser Killing-Girl ihn bis heute nicht fand. Natalie Lus sow suchte ihn überall, aber nicht an der dalmatinischen Küste, unten bei Montenegro.“ Bela Farmer war sprachlos. „Sie glauben, das sei dieser… Mister Dynamit?“ „Wir sind sicher.“ „Er und meine Mutter. Wie erklären Sie sich das? Was hat er mit meiner Mutter zu tun?“ „Er rettete ihr einmal das Leben. Seitdem sind sie be freundet.“ „Trafen sie sich zufällig in Dubrovnik?“ „Wohl kaum. Bei diesem Mann gibt es keine Zufäl ligkeiten.“ „Was soll das Ganze bedeuten?“ schrie Farmer ratlos gegen den Wind. Der Oberst zuckte mit der Schulter. „Helfen Sie uns. Finden Sie es heraus.“ „Aber wie denn, zum Teufel?“ „Alles, was Ihre Mutter bei sich hatte, kam mit der Leiche noch Moskau. Fliegen Sie hin, durchsuchen Sie das Haus, die Datscha, alles was ihr gehörte.“ „Das ist…“ Farmer rang nach Worten, „unglaublich und nicht zu fassen. Welch eine Infamie…“ „Von wem?“ „O mein Gott!“ „Infamie bedeutet Niedertracht, Unverschämtheit, Ehrlosigkeit. Eine Infamie also, aber von wem? Von uns
oder von Ihrer Mutter?“ Farmer begann zu schluchzen und verbarg sein Ge sicht in den Händen. Oberst Kirginew klopfte ihm auf die Schulter und sagte in väterlichem Ton: „Es trifft Sie ja nicht, mein Junge.“ „Doch, es trifft mich sehr.“ „Na schön. Dann versuchen Sie, die Scharte auszu wetzen.“ „Ich fliege noch heute.“ „Die Maschine steht bereit“, erklärte der Oberst. „Wir haben jetzt nur noch zwei Pferde im Rennen. Sie und Major Lussow in London. Eines davon wird hoffentlich als Gewinner durchs Ziel laufen.“ Sie machten kehrt und eilten gegen den Wind zur weißen Marmorvilla zurück. 11. Die Informationen über das sowjetische U-Boot, den abgestürzten Atombomber und vieles andere hatte Ur ban codierten Nachrichten in den goldenen Feuerzeugen entnommen. Auch der letzte Container aus Dubrovnik enthielt brisantes Material. Diesmal für London. Dar aufhin bereitete sich der britische Geheimdienst auf einen Konterschlag gegen sowjetische Sabotageeinhei ten in Neuseeland vor. Urban, der sein Igel-System gefährdet sah, wenn der KGB schon wieder eine Niederlage erlitt, flog nach London, um die Engländer zu bremsen. In der alten Villa am St. James’s Park kam es zu einer Auseinandersetzung. „Gentlemen!“ beschwor die Männer um Lord Babing ton. „Gentlemen, ermorden Sie mir nicht meine Köni gin.“ „Dachte“ scherzte der MI-6-Chef, „es handelt sich um ein Schachspiel mit Tierfiguren, und Ihre Königin sei
ein Igel.“ Ganz gegen seine Natur blieb Urban heute bitterernst. „Gentlemen, sehen Sie von den Präventivmaß nahmen in Neuseeland ab. Zu viele Tore machen den Gegner mißtrauisch.“ „Es geht um den Anschlag auf den Regierungschef in Wellington. Er ist unser Freund. Seine Politik ist probri tisch. Er fühlt sich dem Empire zugehörig, so als gäbe es das noch. Sein Nachfolger wird die Trennung vom Commonwealth vollziehen.“ „Gerade deshalb wollen Terroristen ihn im Auf trag des KGB umlegen“, fügte ein Mitarbeiter des Lords hinzu. „Sie müssen den Premier ja nicht ins Messer laufen lassen“, antwortete Urban. „Nur diese Veranstaltung, bei der es passiert, soll er nicht besuchen. Sonst riecht man in Moskau Lunte.“ „Dann legt man ihn eine Woche später um“, lautete die Antwort. „Treffen Sie andere Maßnahmen, Gentlemen“, flehte Urban sie an, „aber gefährden Sie Igel nicht. Sie wissen, was er uns bringt und daß er unersetz lich ist.“ Es ging lange hin und her. In den Abendstunden löste der Zirkel sich auf. Die Gentlemen wollten nachdenken, bessere Lösungen erarbeiten, darüber schlafen. Urban fürchtete, daß sie ihre Pläne nicht ändern wür den. In diesem Punkt waren Briten sturer als Elefanten. Und jetzt, wo die Affäre Potter ihren Stolz so nachhaltig gekränkt hatte, ganz besonders. Was fing also ein Mann an einem terminfreien Abend in London an. Für seine Restaurants war die Stadt nicht gerade berühmt, für die Schönheit seiner Frauen auch nicht. Um sich Hamlet in einem Westend-Theater anzu sehen, war er nicht der Stimmung, und zu einem Pop konzert hatte er auch keine Meinung. – Blieb immer
noch sein Hotelzimmer im Claridge und eine Flasche Whiskey, obwohl sie einen schief ansahen, wenn man in England statt Scotch Bourbon bestellte. Er faßte in die Tasche nach der Zigarettenpak kung und spürte den Fetzen Papier. Darüber stand eine Telefonnummer. Hallo, da war noch etwas. Diese niedliche Ste wardeß. Sie flog bei British Airways und hatte in der Lufthansamaschine von München nach London neben ihm gesessen. Die Luftfahrtgesellschaften nahmen, wenn sie nicht ausgebucht waren, oft Angestellte ande rer Linien unentgeltlich mit. Wie hieß sie doch? – Natalie. So was von sonnen blondem Haar und Rosenmund in einem herzförmigen Gesicht. Wenn sie ging, hüpfte ihr Hinterteil stramm auf und ab. Und diese smaragd-grünen Augen. Wenn sie einen anblickte, lief es einem kalt den Rücken runter. – Smaragde waren Edelsteine. Sehr hart, fast so hart wie Diamanten. Hart und kalt schimmerte es auch in ihren Augen. – Sie hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben. Ruf an, wenn du Zeit hast, hatte sie gesagt, ich habe ein freies Weekend. Zwei Tage allein ist auch nicht der wahre Blütenhonig. Ein wenig hatte sie ihn an die Killer-Zikaden erinnert, die nach Gebrauch ihre Männchen auffraßen. Dann doch lieber eine Flasche Bourbon im Claridge. Vielleicht lief im Fernsehen ein guter Western mit den feinen alten Burschen, wie Gary Cooper, Glenn Ford oder John Wayne. Auch wenn sie in ihren letzten Fil men nur noch mühsam aufs Pferd gekommen waren.
Als Urban im Claridge mit dem Lift hinauffuhr und den Korridor entlang zu seinem Zimmer ging, stand die Tür spaltbreit offen. Im Zimmer brannte Licht. Er sah den Rücken des Etagenkellners, wie er sich am Tisch zu
schaffen machte. „Guten Abend!“ rief Urban. ,,’n Abend, Sir. Der Champagner und der Kaviar, wie bestellt“ Die Magnumflasche Pommery stand im Kühler, der Kaviar in der offenen Dose im Eisbett. Unter Servietten lag Toast, in zwei Silberschüsseln mit Glaseinsatz ge vierteilte Zitronen und kleingeschnittene Zwiebeln. Alles Zutaten, die der Kenner beim Verzehr von Belu ga-Kaviar nicht missen wollte. „Wer hat das bestellt?“ fragte Urban. „Telefonisch, Sir.“ Der Kellner polierte die Gläser nach. „Soll ich die Flasche Öffnen, Sir?“ „Das kann ich selbst.“ „Kerzenlicht, Sir?“ „Ich habe Streichhölzer. Danke.“ „Wünschen Sie Feuer im Kamin?“ Urban reichte ihm eine Banknote als Zeichen, daß er gehen sollte. Völlig zufrieden schien der Gast nicht zu sein, wie es den Kellner dünkte. Lautlos verließ er das Zimmer und schloß die Tür. Urban hob das Telefon ab und verlangte den Zimmer service. „Wer hat…“, setzte er an. Da sah er, wie die Tür zum Badezimmer aufging und jemand hereinkam. „Ich“, sagte Natalie, „habe das organisiert.“ „Und wie kamst du herein?“ „Bestechung.“ Alles an ihr war blanke Bestechung. Das Nichts von einem hauchdünnen lachsfarbenen Neglige, die Brüste die sich mit erhobenen Spitzen unter dem spinnennetz feinen Gewebe abzeichneten. Sie trug schwere Nylons ohne Strapse und hochhacki
ge Schuhe. Das streckte sie. Während Natalie auf ihn zukam, schoben sich Knie und Schenkel aus dem langen Neglige“, das vorn nur von einem schmalen Gürtel gehalten wurde. Sie war naturblond, hatte dunkle Brauen, aber feuer rotes Schamhaar. Eine Seltenheit daß die Natur drei verschiedene Farbtöne an ein einziges Lebewesen ve r schwendete. Sie spürte seine Überraschung, aber auch sein kühles Verhalten. „dachte mir…“ „Nur zu, was dachtest du dir?“ Sie lächelte ein wenig verlegen – oder war es verlo gen? „Ist das Ergebnis denn so übel?“ „Keineswegs“, gestand er. „Schließlich waren wir zu sammen bei den Pfadfinderinnen, oder?“ „Was ich an dir mag, sind deine komischen Scherze“, sagte sie und fügte hinzu: „Und das da sind meine ko mischen Scherze.“ Er zog das Sakko aus, lockerte die Krawatte und ging ins Bad. „Auch bei mir kommt Sauberkeit vor Ehrlichkeit“, rief er. „Wer ist unehrlich?“ wollte sie wissen und folgte ihm bis zur Tür, Er wusch sich die Hände, das Gesicht und spülte den Mund. „Du hast nicht alle Tassen im Schrank, Natalie. Stimmt’s?“ Sie versuchte zu lachen. „Das ist normal heutzutage, daß eine Frau, wenn ihr einer gefällt, es ihn auch wissen läßt – Hallo, du gefällst mir, Bob.“ Sie umarmte und küßte ihn so rasch und ungestüm, wie er es nicht erwartet hatte. In voller Länge preßte sie
ihren Körper an den seinen. „Kannst du das nicht brauchen?“ flüsterte sie. Er schob sie weg. „Whiskey, Zigaretten und einen Büchsenöffner ist al les, was ein Mann nötig hat, Baby.“ Er wußte selbst nicht, warum er sie so kalt abfahren ließ. Sie merkte es, lehnte sich gegen die weiße Marmor wand und schien sich eine neue Taktik zu überlegen. „In was für einem komischen Land sind wir hier ei gentlich?“ „Keine Ahnung, Lady.“ „Mit was für komischen Männern.“ Sie war verdammt kein dummes Stück, aber das be griff sie nicht. Kopfschüttelnd ging sie ins Schlafzim mer, öffnete mit einer Übung, die Erfahrung im Um gang mit Champagner verriet, die Flasche, goß ein und richtete zwei Kaviartoasts. „Mit Zwiebeln oder mit Zitrone?“ „Beides.“ „Heißt das nicht: mit beidem?“ Sie reichte ihm das Glas. Sie tranken. Hungrig biß er in das geröstete Weißbrot mit den schwarzgrauen, glän zenden Fischeiern. Sie schmeckten ihm nicht und Natalie noch weniger, auch wenn sie jetzt nicht mehr auf die Sextour machte. Sie war klug und fühlte wohl, daß man bei ihm anders leichter ans Ziel kam. Und zweifellos war ihr Ziel das Bett. „Man verlangt ja nicht“ bemerkte sie, „daß die Kerle Rosen über einen schütten. Aber grob über den Daumen gepeilt könntest du schon ein bißchen wissen, was eine Frau begehrt. „Über den großen oder den kleinen Daumen, Gnädig ste?“ „Ich meine nur, ehe ich dich mit vorgehaltener Pistole
vergewaltige. Wie heißt du übrigens? Robert und wie noch?“ „Urbansky“, sagte er. Es war sehr warm. Sie leerten rasch die Flasche. Ur ban steckte sich eine MC an, und Natalie musterte ihn aus tiefhängenden Lidern. „Merkwürdig“, gestand sie. „Du kannst mich behan deln wie den letzten Dreck, wie eine Nutte, ich bin ein fach scharf auf dich.“ „Und du langweilst mich fast zu Tode, Natalie“, ent gegnete er grob. Sie nahm ihm die Zigarette weg, machte einen tiefen Zug, musterte das Goldmundstück und stand auf. Dabei nestelte sie an dem Gürtel, die das Neglige zusammen hielt. Es öffnete sich, und sie schüttelte die Seide von den Schultern. „Nackt paßt besser zu meiner Figur, findest du nicht?“ „Unbedingt“, sagte er. „Leg dich schon mal hin und breit aus die Flügel beide.“ Er verschwand und kam ebenfalls nackt aus dem Ba dezimmer. Im Vorbeigehen schaltete er das Radio an. Irgendeiner spielte Jazz auf dem Klavier. Aber er spielte zu viele Läufe, zuviel auf und ab statt harter Rhythmen. Als er sich auf sie legte, tastete sie zum Licht schalter und löschte die Lampe. Jetzt brannte nur noch eine elektrische Wandkerze. Alles stimmte, bis auf eines. Er merkte, daß sie die Erregung nur spielte. Aber zu spät. Ihre Hand war nicht zärtlich, sondern brutal. Das kam von der schweren Pistole, die darin lag. Und diese unförmige Kanone steckte sie ihm mitten ins Hinterteil. Im Bruchteil einer Sekunde erkannte Urban die tödli che Gefahr. Was sie hier anzubringen versuchte, war der kolumbianische Eselschuß. Wenn man die Tiere des Feindes ohne Spuren, aber auf grausame Weise töten
wollte, dann schoß man sie von hinten der Länge nach durch. Der Lauf der Waffe bohrte sich zu der richtigen Stel le. Da befreite er sich mit äußerstem Krafteinsatz aus der Umschlingung ihrer Anne und warf sich in einer blitzschnellen Drehung nach rechts neben sie. Der Schuß ging gedämpft in die Daunendecke. Er riß die Rechte hoch, machte ihre Kante stahlhart und schlug zu. Ohne Erbarmen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß sie eine Frau war. Denn sie war ein Killer, und bei Killern kannte er keine Gnade. Natalie lag in Narkose. Urban fesselte sie und rief München an. Für das elektronische Archiv gab er Nata lies Daten durch. Größe, Aussehen, die Augen farbe, die Haarkombination: schwarz, rot, gold. „Sie benutzt einen Revolver mit integriertem Schall dämpfer, ohne Herstellerzeichen und Seriennummer. Zweifellos eine Agentenwaffe. Spezialausführung, Ka liber sieben Komma fünfundsechzig.“ „Russischen Ursprungs?“ fragte München zurück. „Dem Ton der Bräunierung nach zu schließen, ja.“ „Schon eingetippt“, bestätigte der Kollege in Pullach. „Wollen Sie warten?“ „Wenn es nicht zu lange dauert.“ Urban steckte sich eine MC an. Dabei beobach tete er Natalie, – Sie bildeten ihre Flintenweiber immer besser aus. Sie sprach ein absolut akzentfreies Englisch. Kein Hauch von Ostblockkosmetik haftete an ihrem Körper. Sie war bis ins Feingewebe westlich durchge stylt Und alles menschliche Fü hlen hatte man ihr abtrai niert. Gehirnwäsche total. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hörte er das Hauptquartier. „Positiv“, meldete der Computer. „Sie benutzt so gut
wie alle nur denkbaren Decknamen. Vielleicht hieß sie diesmal Jovanka Lasski oder Natalie Lussow. KGFBLiquidier-Agentin im Majorsrang. Die werden dort gezüchtet wie Klapperschlangen. Sie ist offenbar auf Sie angesetzt, Oberst.“ „Zufall war das keiner.“ „Was werden Sie tun? Brauchen Sie Hilfe?“ „Mal sehen, ob ich sie einschüchtern kann.“ „Eher beeindrucken Sie eine Strohpuppe mit der Dro hung, sie als Zielscheibe zu benutzen.“ „Schon möglich.“ Urban legte auf. Eines hätte ihn brennend interessiert: Warum sie es ausgerechnet hier in London versucht hatte. – Daß man hinter ihm her war, daran hatte er sich gewöhnt. Manchmal ließen sie die Jagd schleifen, dann gaben sie wieder Druck. Aber meistens suchten sie sich bessere Gelegenheiten aus. Er holte den Champagnerkübel und schüttete das kalte Wasser mit den restlichen Eisstücken über sie. Davon wurde sie vollends wach. „Du Bastard!“ zischte sie. „Du Aas! Wenn ich dich nicht schaffe, dann tut es eine andere.“ Sie verfluchte sich und ihn und tat es teilweise auf russisch. „Sprich dich ruhig aus“, tröstete er sie. „Das erleich tert.“ „Eines Tages werden sie dir das Hirn wegblasen.“ „Erleichtere dein Gewissen, Genossin Lussow.“ Sie lachte aber nur höhnisch. „Ich weiß doch, was du hören willst, aber du erfährst kein Wort. Gib es besser gleich auf.“ „Es ist nur in deinem Interesse, Major“, erwiderte er ruhig – wie ein Nervenarzt. „Du meinst, ich hätte gar keine Alternative.“ Er nickte, als sei es so und nicht anders. „Die Wahl zwischen fünf und fünfundzwanzig Jahren
Knast, Darling.“ „Zugegeben, wenn ich dich erwischt hätte, wäre ich glücklicher krepiert. Aber es macht mir auch so nichts aus.“ „Warum ich?“ fragte er. „Wegen Potter, dem Meister spion?“ „Er ist auch nur ein Verräterschwein, das uns weniger nützt, als es uns kostet.“ Urban warf eine neue Angel aus. „Wegen des Igel-Systems“, sagte er. „Das ist es, was euch keine Ruhe läßt. Ich hinderte Potter daran, Details über Igel mit nach drüben zu nehmen. Das muß einer der Gründe sein, warum ich auf der Abschußliste stehe. Was gibt es noch für Gründe?“ „Eine Million mal darfst du raten und errätst es doch nicht“, stieß sie heraus. Er wechselte das Thema. Auch wenn mit ihren Ant worten nichts anzufangen war, vielleicht verrieten ihre Reaktionen etwas. „Warum habt ihr Professor Orena Jekkow liqui diert?“ „Sie starb von ganz allein, diese verräterische Ameri kaner-Hure.“ „Ist sie einer der Gründe, warum ich sterben sollte?“ „Du hast mit ihr konspiriert“, fuhr ihn Natalie an. „Es gibt Fotos von euch aus Dubrovnik. Ich lasse mich fressen, wenn sie nicht ein Teil des Igel-Systems ist.“ Urban erschrak darüber, wie viel diese Agentin wuß te. Dann wußte man in der KGB-Zentrale noch bedeu tend mehr. Wenn er hochrechnete, die Schlußfolgerungen bis ans Ende weiterführte, dann war nicht nur seine Arbeit, sondern ganz besonders Alexandra gefährdet. „Habe ich recht?“ fragte die Russin. Sie versuchte, sich aufzurichten, vielleicht um ihr mißglücktes Werk doch noch zu Ende zu bringen. Sie
hatte wunderschöne weiße Zähne. Die würde sie ohne zögern in seinen Hals bohren, um ihm die Schlagader herauszureißen. Urban wich zurück, und Natalie warf sich wütend ins Kissen. „In einem Punkt hast du recht“, sagte Urban. „Du sollst gefressen werden. Aber von Ratten und Ungezie fer, wie ich hoffe.“ Dann verständigte er die Leute von der britischen Spionageabwehr. Am nächsten Morgen, als Urban sich zum ersten Mal in seinem Leben nicht nur Sorgen um etwas machte, sondern sogar ängstigte – ein ihm nahezu fremdes Ge fühl – rief das Sekretariat des MI-6-Chefs an. „Lord Babington würde Sie gerne sprechen, Colonel Urban“, wurde ihm ausgerichtet. „Wann und wo?“ „Ob es Ihnen gegen Mittag hier in der Queen Anne’s Gate 21 wohl recht wäre, Sir?“ Ihre britische Höflichkeit erwischte ihn im falschen Moment. „Nein, paßt mir nicht“, erklärte Urban. „Da befinde ich mich schon in der Luft in Richtung Munich. Sagen Sie dem Lord, seine Hiobsbotschaften kann er auch telefonisch übermitteln. Ich bin noch eine Stunde im Claridge.“ Er hämmerte den Hörer in die Gabel und wußte, daß er sich benommen hatte wie der letzte Hunne. Ein sol ches Verhalten, eine solche Tonart schätzte man hierzu lande gar nicht. Aber ihr verkorkstes Getue, diese Ve r logenheit, diese Sätze, die mit Ob Sie wohl, Sir began nen und im Grunde doch nur verschleierte Befehle wa ren, erzeugten in ihm heute Brechreiz. Nach angemessenen fünfzehn Minuten ging wieder
das Telefon. Nicht zu fassen, Babington, der Obermops, war selbst am Apparat. Es war nur damit zu erklären, daß er Bob Urban schätzte. Und Urban mochte ihn ei gentlich auch, diesen überfeinerten, parfümierten Fett wanst. „Ob Sie es glauben oder nicht, Bob“, begann der MI 6-Chef, „ich würde Sie gern noch einmal sehen.“ „Klingt ja wie ein Abschied für immer, Sir.“ „Nun, es könnte einer daraus werden. Ich weiß ja, mit welcher Verachtung Sie Leute strafen, die sich Ihre Einsichten nicht zu den eigenen machen.“ Urban hörte die Nachtigall mit genagelten Stiefeln trapsen. „Wie lautet Ihr Beschluß bezüglich Neuseeland, Sir?“ Babington schnaufte asthmatisch. „Natürlich lassen wir dieses vom KGB gesteuerte At tentäternest auffliegen.“ „Geht es nicht mit stärkerem Personenschutz oder mit Terminänderungen?“ „Das wäre ein Zeichen von Schwäche, wozu wir dem Verbündeten nicht raten dürfen.“ „Sir“, setzte Urban an. „Mein Igel-System, das uns tiefere Einblicke in Taktik und Strategie des Östlichen Geheimdienstes erlaubt als tausend zusätzliche Agenten, ist in Gefahr. Noch ein gezielter Konterschlag verrät unsere Position und liefert den Russen vielleicht jenen Hinweis, den sie brauchen, um Igel zu paralysieren. Wir alle profitieren davon. Ist es denn wirklich nötig, daß Sie in Neuseeland Ihre militärische und politische Kon zeption durchsetzen?“ ,,Die Premierministerin ist für Härte.“ „Das schätze ich an ihr “, gestand Urban. Aber wie wäre es ab und zu mit ein wenig Diplomatie, wenn man Rücksichtnahme schon nicht erwarten darf.“ „Ich fürchte“, antwortete Babington, „es ist beschlos sene Sache.“
Nun setzte auch Urban zu seiner großen Entscheidung an. „Euer Lordschaft“, erklärte er. „Bei aller Vereh rung und Bewunderung, aber wenn Sie gegen bessere Erkenntnisse das Neuseeland-Problem nicht anders lösen, dann…“ Urban machte eine Pause, doch vom anderen Ende des Drahtes kam nichts als Stille. – Also sprach er es aus: „Dann, Sir, schalte ich den Geheim dienst Ihrer britischen Majestät vom Igel-System ab. Goodbye, Sir!“ Er legte auf. Babington rief auch nicht noch einmal an. Urban kannte die Regeln. Jeder kochte jetzt den ande ren ab. – Aber seine Töpfe waren aus Krupp stahl und feuerfest. 12. Mit dem gleichen Widerwillen, mit dem Bela FarmerJekkow hinter Büschen versteckt der Bestattung seiner Mutter beigewohnt hatte, betrat er deren Haus. Es lag im Prominentenviertel in der Nähe des Gorki Prospekts an der Ratsina Straße. Ein solides Gebäude aus Stein im Romanoffstil. Um die Jahrhundertwende hatte es der Oberstallmeister des Zaren bewohnt. Als Bela Farmer Jekkow seine Wolga-Limousine zwischen den Bäumen parkte, trat ein Zivilist auf ihn zu. „Hier können Sie nicht stehenbleiben“ schnauzte er mit Feldwebelstimme. „Was haben Sie im Haus meiner Mutter zu suchen?“ gab der Wissenschaftler es ihm im gleichen Ton zurück. „Ach, der Genosse Doktor Jekkow.“ Dr. Jekkow zeigte der Ordnung halber das Permit, das ihm zur Sichtung des Nachlasses berechtigte. „Und was tun Sie hier?“ herrschte er den Beamten an.
„Geheimpolizei“, sagte der Zivilist mit dem kantigen Gesicht. „Wir haben das Haus durchsucht. Reine Routi ne, Genosse Jekkow.“ Damit war zu rechnen gewesen. Ob es wirklich nur Routine war oder ob sie einem Verdacht nachgingen, spielte keine Rolle. Auch er folgte einem Verdacht. Drinnen im Haus war nicht die Spur einer Durchsu chung erkennbar. Auf dem Kaminsims standen Fotos und Fayencen. Die Sesselbeine nahmen genau die Druckstellen ein, die sie immer auf den Teppichen hin terlassen hatten. Schübe, Schränke, der Schreibtisch, alles zeugte noch von der Ordnungsliebe, ja, der Pedan terie jener Frau, die angeblich seine Mutter war. Wenn es hier etwas zu finden gab, hatten sie es längst entdeckt und mitgenommen. Der KGB-Beamte beo bachtete den Genossen Jekkow einige Zeit. Er saß stumm dabei, als er einen Packen Briefe in die Hand nahm, ihn aufschnürte und stichprobenweise durchlas. Absender war ein gewisser Doktor Rottanski aus Kras noturinsk. Seinem Gummistempel nach, den er als Ab senderangabe benutzte, war er praktischer Arzt und Geburtshelfer. Jekkow wandte sich an den stummen Geheimpolizi sten. „Krasnoturinsk, wo liegt das?“ „Das habe ich mich auch gefragt, als wir die Briefe fanden“, bekam er als Antwort. „Eine kleine Stadt am Ostrand des mittleren Urals am sibirischen Tiefland.“ „Und wer ist Doktor Rottanski?“ „Die Briefe haben mehr privaten als wissenschaftli chen Charakter“, meinte der KGB-Mann. „Wir glauben, daß es sich um einen alten Bekannten der Genossin Professor aus früheren Zeiten handelt.“ „Als sie studierte?“ „Oder als sie in Kjusjur war.“ Erstaunt hob der amerikanisierte Bürger der UdSSR
den Blick. „Sie scheinen die Vergangenheit meiner Mutter stu diert zu haben.“ „Ich mußte mich damit befassen“, lautete die Ant wort. „Liegt etwas gegen sie vor?“ „Nicht direkt, Genosse Doktor.“ „Und gegen diesen Rottanski?“ „Das ist alles gesühnt und verjährt. Als Student gehör te er zu den Maulaufreißern, zu denen, die den Staat schlecht machen, wo immer es geht. Heute treffen Sie diese Typen an jeder Straßenecke und in jedem Zirkel. Heute würde man solche Leute nicht einmal mehr nach dem Ausweis fragen.“ „Nun, unser Staat ist jetzt gefestigt. Anders als damals vor dem Krieg.“ „So ist es, Genosse“, bestätigte der KGB-Mann. Er steckte sich eine Papirossy an, stand auf und nahm seinen Hut. „Eigentlich bin ich hier fertig. Habe nur noch auf Sie gewartet. Demnächst wird noch eine Kiste mit all den Dingen, die der verstorbenen Genossin Professor gehör ten, angeliefert. Das Haus ist ja im Besitz der Universi tät. Sie haben einen Monat Zeit, es zu räumen. Wollen Sie die Liste bitte gegenzeichnen.“ Das tat Bela Jekkow. Dann ging der Beamte. Jekkow hörte ihn wegfahren. Er blieb im Arbeits zimmer seiner Mutter sitzen und dachte lange nach. Es wurde früh dunkel. Er war eingeschlafen und er wachte davon, daß die Glocke ging. Draußen stand ein Wagen mit laufendem Motor und brennenden Scheinwerfern. Die Glocke schlug heftiger an. Er öffnete. Vor der Tür stapelten sich Gepäckstücke. Zwei Kof fer, eine Umhängetasche und eine Mappe, wie man sie zur Aufbewahrung von schriftlichen Unterlagen benutz
te. Alles war aus bordeauxrotem Rindsleder. „Das sollen wir hier abliefern“, sagten sie. „Wo kommt es her?“ „Wurde aus Jugoslawien überstellt. Mit der Leiche.“ Wieder mußte Dr. Jekkow Unterschriften leisten. Er schaffte die Koffer ins Haus. Die zwei Männer fuh ren weiter.
In den Koffern war nur Garderobe, Wäsche, Schuhe Sachen für die Nacht, zwei Badeanzüge und ein Frot teemantel. Wahrscheinlich hatte der KGB das Gepäck noch nicht in der Hand gehabt. Die Devisen, Dollar und Dinare wären beschlagnahmt worden oder anderweitig ve r schwunden. Ein Parfümflacon lag neben einem Feuer zeug. Das Parfüm führte den Namen eines berühmten spanischen Malers, duftete aber reichlich pervers. Das Feuerzeug, ein goldenes Dunhill, funktionierte nicht. Das Reibrad entfachte keinen Funken. Dr. Jekkow fiel auf, daß es keine Gasdüse, sondern einen Docht hatte. Daß dieses kostbare Stück noch mit Benzin betrieben werden sollte, wunderte ihn. Hinzu kam, daß der Docht weiß war, also kehl einziges Mal gebrannt hatte. Außerdem stank er nicht nach Benzin. Andererseits zeigte das Goldblech aber winzige Kratz spuren so, als sei das Feuerzeug häufig benutzt worden. Um an den Tank und die Feuersteindruckfeder zu ge langen, mußte man den unteren Teil der Hülse abziehen. Der Boden hatte innen zwei Öffnungen. Beide waren verschraubt. Die große Schraube öffnete den Tank, die kleine das Führungsrohr des Feuersteins. Mit Hilfe des Brieföffners drehte Dr. Jekkow die Tankschraube auf. Gewöhnlich wurde das Benzin in Watte gespeichert. Es gab keine Watte, nur einen Hohl raum. Auch hier keine Spur von Benzingeruch.
Mit einemmal wußte Jekkow, was es mit diesem nicht funktionierenden Feuerzeug auf sich hatte. Es diente als Versteck, als Container, zum Transport irgendwelcher Dinge. Tabletten, Drogen, vielleicht Kokain, womit sich ein Arzt jederzeit mühelos versorgen konnte. – War seine Mutter süchtig gewesen? Oder hatte sie in diesem Hohlraum, etwas anderes be fördert, geschmuggelt, heimlich über die Grenze ins Ausland verbracht. Unterlagen, Dokumente auf Dünn papier, auf Filmen, auf Mikrofilmen. – Aber was für Dokumente? Die Krebsforschung war nicht geheim. Wozu hatte seine Mutter sonst noch Zugang gehabt. – Immerhin lag ein Grundverdacht gegen sie vor. War sie nicht mit diesem Westagenten gesehen worden, jenem Mann, der unmittelbar mit Igel zu tun hatte? Sorgsam setzte er das Feuerzeug wieder zusammen und suchte weiter. Zwischen dem Paß seiner Mutter und der Hülle fand er hinten ein Foto eingeklemmt. Es zeig te ein Mädchen. Nichts Aufregendes. Auf der Straße würde man sich nach ihr gewiß nicht den Kopf verren ken. Schon im Begriff, das Foto zurückzustecken, drehte er es noch einmal um. Die Rückseite war weiß und leer. – Warum hatte seine Mutter das Foto mitgenommen? Diese junge Frau mußte von einiger Bedeutung für sie gewesen sein. Vielleicht eine Mitarbeiterin, eine Assistentin, eine Studentin. Schon morgen wollte er in der Universität und im Institut nachfragen. Um es später einzustecken, schob er das Foto auf den Schreibtisch. Dort lag es im Schein der Lampe. Und jetzt fiel es ihm auf. – Zwar handelte es sich nur um eine Unregelmäßigkeit von wenigen Millimetern, aber für solche Dinge besaß er ein geübtes Auge. In den USA hatte er unter anderem auch als Chip-Designer gearbeitet, als einer jener Spezialingenieure, die die
mikrofeinen Schaltstrukturen auf Computerbausteinen entwarfen. Dabei kam es auf die Verfolgung dünnster Leiterlinien an. Er nahm die messinggefaßte Lupe seiner Mutter und vergrößerte unter ihr das Foto bis zur Körnung. Auf die Hand der Frau kam es ihm an. Auf den linken Zeigefinger dieses Mädchens. Es war zu kurz, weil ein Glied fehlte. Er preßte die eigene Hand flach auf die Schreib tischplatte. Auch sein Zeigefinger war zu kurz. Ein Geburtsfehler. Das Zeichen der Auserwählten, wie man ihm versichert hatte. Es kam unter zehn Millionen Ge burten höchstens einmal vor. Was die Natur einem Menschen auf der einen Seite im Übermaß mitgab, nahm sie ihm auf der anderen Seite weg. – Er hatte es akzeptiert, als man ihm erklärt hatte, daß er ein Genie sei. Sollte dieses Mädchen ebenso begabt sein wie er? – Hatte seine Mutter Interesse an ihr gehabt, weil sie an derselben Stelle gezeichnet war wie ihr Sohn Bela? Bela Jekkow zweifelte nicht nur nicht daran, sondern wußte in diesem Augenblick die Wahrheit. Dieses un bekannte Mädchen mußte eine enge Verwandte von ihm sein, gezeugt vom selben Vater, geboren von derselben Mutter – seine Schwester also. Er würde das alles für sich behalten, würde mit nie mandem darüber sprechen. Aber er zählte zusammen, was er hatte. Jetzt ging es darum, den Umständen von Schwangerschaft und Niederkunft seiner Mutter nach zugehen. Er war im Jahre 1960 im Straflager Kjusjur geboren worden. In Kjusjur war seine Mutter mit diesem Dr. Rottanski zusammengewesen. Der Exhäftling Dr. Rot tanski mußte ungefähr fünfund-sechzig Jahre alt sein. Sein letzter Brief stammte vom Frühjahr. Hoffentlich lebte er noch.
Bis Swerdlowsk flog die Aeroflot mit Düsenmaschi nen. Die restlichen vierhundert Kilometer – hinaus zu den Dörfern, wie die Leute von der Inlandsfluglinie es nannten – mußte Jekkow sich in eine uralte Propeller maschine quetschen. Sie war vollgestopft mit Bauern, die ihre privaten Erzeugnisse auf den Großstadtmarkt gebracht hatten. Ein paar Techniker flogen mit und vorn auf den reservierten Plätzen die Provinzfunktionäre. Vom letzten Ladeplatz aus ging ein Bus bis zu dem Nest, wo Bela Jekkow den Arzt ausfindig gemacht hat te. Als er dort ankam, standen die Patienten vor dem alten Holzhaus Schlange. Dr. Rottanski war offensichtlich ein beliebter Wald- und Wiesendoktor, spezialisiert auf allgemeine Krankheiten und kleine Verletzungen. Bela Jekkow hatte sich bei ihm angemeldet. Er drang bis ins Sprechzimmer vor. Der alte Doktor säuberte gerade einer Bäuerin die eiternde Armwunde und blick te kaum auf. „Kommen Sie später wieder“, schnarrte er. „Wann?“ „Sie sehen doch“, bemerkte Hottanski unfreundlich. „Ich muß das letzte Flugzeug erreichen.“ „Was interessiert mich Ihr Flugzeug. Um Mitternacht bin ich hier vielleicht fertig. Also bis dann oder gar nicht.“ Dem Landarzt wäre am liebsten gewesen, der Bursche aus Moskau wäre wieder abgefahren. Aber diese Jek kowa-Kinder waren hartnäckig, und keiner reiste in die hinterste sibirische Provinz, um unverrichteter Dinge nach Hause zu kehren. „Na schön, Doktor“, sagte der Besucher ein wenig drohend. „Aber es bleibt Ihnen nichts erspart.“ Das schien der alte Landarzt längst zu befürchten. Er verband die Bäuerin. „Warten Sie, Jekkow.“
Dann rief er in sein Nebenzimmer, wo ebenfalls be handelt wurde. Eine junge Frau im Arztkittel und asiati schem Gesicht schaute kurz herein. Offenbar die Assi stentin. „Was machen Sie gerade, Doktor?“ „Rotlichtbestrahlung.“ „Übernehmen Sie hier. Ich brauche eine Teepause.“ Rottanski zog den Besucher mit. Der Raum hinter der Ordination hatte Holz an Boden, Decke und Wänden, und es duftete angenehm nach Bienenwachs. Ein bunter Hirtenteppich, aus Wollresten geknüpft, Schrank, Tisch, Stuhl und ein Samowar waren die ganze Einrichtung. Dr. Rottanski schien den Besucher nicht zu mögen, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte. Er reichte ihm trotzdem eine Tasse heißen Tee. „Sie lehnen mich ab“, stellte Bela Jekkow fest. „Richtig. Aber Sie können nichts dafür.“ „Sie identifizieren mich mit der Kommissarin im Straflager, die mich unmittelbar nach der Geburt meiner Mutter wegnahm.“ Der Arzt blickte überrascht. Seine Stirn bekam Quer falten. „Sie wissen schon einiges.“ „Vieles.“ „Warum sind Sie dann hier?“ „Um alles zu erfahren.“ „Darüber hinaus gibt es nichts. Ihre Mutter hatte eine komplikationslose Schwangerschaft und eine leichte Geburt.“ „Welche Geburt meinen Sie, Doktor?“ „Nun, die Ihre, Bela. Ich darf Sie doch so nennen?“ Jekkow gab sich nicht damit zufrieden. „Und die andere Geburt, ich meine die zweite“, bohrte er. Der alte Arzt verbarg sein Gesicht hinter der Tasse. „Wovon sprechen Sie?“
Bela Jekkow legte ihm das Foto vor. „Sie hat ungefähr mein Alter. Die Ähnlichkeit, der verkürzte Zeigefinger. Sie ist meine Schwester. Warum wurde sie unterschlagen?“ Der alte Doktor, der die Begabung gehabt hätte, ein hervorragender Gynäkologe zu werden, der aber nach seinen politischen Verfehlungen im sibirischen Tiefland die Tätigkeit eines besseren Sanitäters ausübte, schwieg. Tränen traten in seine Augen. Jekkow drängte: „Ich habe Sie etwas gefragt, Doktor.“ „Sie kennen doch die Gründe, mein Junge.“ „Nein, ich kenne sie nicht.“ Der Doktor begann zu schwitzen. „Man hätte Orena Ihre Schwester ebenfalls weg genommen.“ „Mutterliebe“, höhnte Bela Jekkow. „Das darf doch nicht wahr sein.“ „Spotten Sie nur. Ihre Mutter kam ins Lager, weil Ihr Vater ein amerikanischer Nobelpreisträger war. Damals ein sträfliches Verbrechen. Nun wollte Orena wenig stens einen ihrer Zwillinge behalten.“ Bela Jekkow ging es nicht darum, was vor achtund zwanzig Jahren gewesen war. „Wie heißt sie?“ „Alexandra – nach Ihrem Vater, der, glaube ich, Alec gerufen wurde.“ „Wie haben Sie das damals geregelt?“ Der Landarzt erinnerte sich nur mühsam. „Ich glaube, eine Gefangene, eine Arbeiterin aus Workuta, kam gleichzeitig mit Ihrer Mutter nieder. Es war eine Totgeburt. Man hatte sie gefoltert. Sie, nahm die Mutterstelle für Alexandra ein. Aber Orena hat sich um sie gekümmert und ließ sie nie aus den Augen.“ „Mich leider schon.“ „Sie waren ein Kind des Staates, Bela. Aber später,
als man Ihre Mutter rehabilitierte, machte sie Sie aus findig.“ Dem Besucher war, bis auf eine Frage, alles beant wortet worden. „Wie lautet Alexandras Nachname?“ „Das – das weiß ich nicht“, stotterte Rottanski. „Wie hieß ihre vorgebliche Mutter, die Arbeiterin aus Workuta?“ Der Doktor schüttelte den Kopf. „Das ist mir entfallen. Da müßte ich nachsehen in meinen Aufzeichnungen von damals.“ „Dann tun Sie das. Schauen Sie nach. Doktor.“ Als er nach Moskau zurückflog, hatte Bela Jekkow alles, was er brauchte, um der Spur seiner Zwillings schwester zu folgen. Sie nannte sich Alexandra Garsoffska und arbeitete im Zentralen Institut für Datenerfassung und Kommuni kation.
Absolut klar war für Dr. Farmer-Jekkow, daß nur ein tragisches Schicksal seine Mutter zum Staats feind gemacht haben konnte. Nun ging es darum, wie weit auch seine Schwe ster darin verwickelt war. Einen Tag später rief Oberst Kirginew aus Jalta an. „Ich höre nichts von Ihnen, Bela“, sagte er besorgt „Die Spur wird heiß“, deutete der Wissenschaftler an. „Wo waren Sie die ganze Zeit? Ich habe es mehrmals im Hotel versucht.“ „Ich habe noch sibirischen Dreck an den Füßen. Sooft ich auch bade, die Wanne hat immer einen Schmutz rand.“ Er meinte es anders. Er wollte damit andeuten, daß er sich durch die Machenschaften seiner Mutter und seiner Schwester beschmutzt fühlte. Noch wußte er keine Ein
zelheiten, aber er befürchtete das Schlimmste. „Was für eine Spur?“ fragte sein KGB-Führungs offizier. „Erlauben Sie, daß ich erst darüber spreche, wenn ich das Mosaik zusammengesetzt habe.“ habe.“ „Aber natürlich, Doktor. Wann kann es soweit sein?“ „Morgen, übermorgen vielleicht. Gewiß bis zum Wo chenende.“ „Dann können wir also nächste Woche mit Ihnen rechnen.“ „Ich hoffe sehr, Oberst.“ „Sie wissen, wie es uns auf den Nägeln brennt. Diese verdammte Igel-Sache setzt uns immer heftiger zu. Soll ich vielleicht nach Moskau kommen? Ich kann Ihnen nützlich sein, Wege ebnen, Hemmnisse aus dem Weg räumen.“ „Danke, das schaffe ich allein“, erklärte Jekkow. Oberst Kirginew war Realist, hatte sich aber einen Rest von menschlichem Gefühl bewahrt. Es ging gewiß um Bela Jekkows Mutter. Erst hatte er sie verloren, jetzt mußte er entdecken, daß sich möglicherweise ein roter Faden von ihr zum Igel-System zog. – Aber der Bursche war loyal bis in die Knochen. Er würde der Sache auf den Grund gehen und dann alle Erkenntnisse auf den Tisch legen. Er gehörte zur neuen Generation, die sich cool nannte und immer mehr zu Robotern wurde. Mani pulierbar, programmierbar, steuerbar. „Ich verlasse mich auf Sie, Dr. Jekkow.“ „Bis bald am Schwarzen Meer“, sagte der Elek troniker. Es war schon spät. Aber egal, ob Tag oder Nacht, Morgen oder Abend, er fand keine Ruhe mehr. Er konn te nur mit Tabletten schlafen. Vorsichtig hatte er sich bei Stellen, die über jede Per son von einiger Bedeutung Bescheid wußten, nach Alexandra Garsoffska erkundigt. Nun gab es keinen
Zweifel mehr. Ihr beruflicher Werdegang ähnelte stark dem seinen. Als Kind schon war sie ein biestiges Denkgenie ge wesen, mit Vierzehn Großmeisterin im Schach. Später hatte sie in Mathematik und Physik nur Bestnoten. Ne ben einer außergewöhnlichen musikalischen Begabung sagte man ihr ein fotografisches Gedächtnis nach. Ihre Karriere war unaufhaltsam. Noch keine Dreißig und schon Direktorin im Computerzentrum der UdSSR. Wo alles durchlief, was offiziell, inoffiziell, geheim und streng geheim war. Jekkow steckte zwei Dinge ein. Das Feuerzeug und das Foto. Dann fuhr er mit dem Dienstwagen zum Technischen Institut am Turgenew Kreisel. Im Sekretariat zückte er seinen Ausweis. „Dr. Jekkow, technische Abteilung KGB. Ich muß die Genossin Direktor sprechen… „Wir geben Ihnen einen Termin“, hieß es. „Nein, jetzt sofort“, forderte er. „Das wird nicht möglich sein. – Wie wäre es nächste Woche Dienstag?“ Er schlug mit der Faust auf die Tischplatte. „Jetzt. Auf der Stelle. Oder ich verschaffe mir polize i lich Zutritt.“ Wie es aussah, war er nur durch einen Büroraum und zwei Türen von der Garsoffska getrennt. „Sparen Sie sich die Mühe, Doktor Jekkow“, sagte die Sekretärin. „Die Genossin Direktor ist unterwegs. Eine dringende Dienstreise.“ „Wohin?“ „Darüber darf ich keine Auskunft geben.“ „Wann kommt sie zurück?“ „Sonntag, voraussichtlich.“ Brüsk wandte Jekkow sich ab. Beim Hinausgehen schlug er die Tür zu. „Dann eben anders“, fluchte er. „Was bilden die sich
ein, wer sie sind.“ Er fuhr direkt zur alten KGB-Zentrale in die Dzerz hinsky Straße. Unterwegs kühlte seine Wut ab, und er entschloß sich zu einem anderen Schritt. – Es gab ele gantere Wege. 13. Zurück in München hatte der BND-Agent Robert Urban eine kurze Nachricht auf seinem Anrufbeantworter vorgefunden: Bin in zunehmenden Schwierigkeiten – Alexandra. Da sich die Tochter von Orena Jekkow wie kaum ein anderer im sowjetischen Kommunikationssystem aus kannte, wußte sie, daß es auf allen Fernleitungen Ab hörmöglichkeiten gab. Deshalb hatte sie sich entspre chend kurz gefaßt. Aber ihr Anruf bestätigte Urban, daß es eng wurde. Wenn er sein Igel-System erhalten wollte, mußte er Maßnahmen ergreifen. Denn daß der KGB, wenn er den Feind erst ausgemacht hatte, alles tun würde, um ihn zu enttarnen und zu vernichten, war ein notwe ndiger Zug in dem jahrhundertealten Spiel zwischen den Geheim diensten. In dieser zunehmend haariger werdenden Situation verzichtete Urban auf Bourbon und stimmte sich auf Wodka ein. Die Frage war jetzt: Mußte man Alexandra herausho len, oder war sie noch, ohne Gefahr für Leib, Leben und Igel, auf ihrer Position zu belassen? Der vorsichtige Mann zog dann alle Möglichkeiten in Betracht, und als Franke nahm es Urban mit der berüch tigten altväterlichen Fürsorglichkeit. Er stellte Pläne auf, Sofortpläne, Alternativpläne, Per spektivlösungen, mittelfristige und langfristige. Doch allein fühlte er sich nicht ausreichend kompe
tent dazu. Obwohl er in seinem Penthouse ungern Fremde emp fing – mit Ausnahme von hübschen, willigen Mädchen – rief er einige Leute an, deren Qualitäten er kannte, und bat sie zu sich. Sie kamen binnen einer Stunde, fläzten sich in die Sessel vor dem Kamin und sprachen jenen Getränken zu, die sie bevorzugten. Drei Männer, drei verschiedene Sorten: Wodka, Scotch und Cognac. Dem Äußeren nach hielt man sie eher für Künstler, die keinen Wert auf Eleganz legten. Die Jeans von Otto waren unten ausgefranst, der Sweater von Georg hatte Löcher, und die Lederjacke von Fritz wurde zur Reini gung in den Regen gehängt. Doch jeder, der mit ihnen umging, kannte ihre Meriten. Otto rauchte selbstgedrehte Zigaretten. Urban schätz te, daß er im letzten Jahr mit seiner Fluchthelferfirma Millionen verdient hatte. Trotzdem drehte er die Stäb chen mit der Hand. Sie schmeckten ihm einfach besser so. „Das Hauptquartier der Urban-Ein-Mann-Armee“, sagte Georg und wischte Wodka aus seinem Bart, „ist versammelt.“ „Stabskonferenz binnen sechzig Minuten“, bemerkte Fritz und strich das blonde Haar nach vorn. „Weißt du, wie ich durch die Dörfer gebrettert bin, Mann? Ich wäre glatt den Führerschein los für die nächsten hundert Jahre – wenn ich nicht zufällig selbst Polizist wäre.“ Urban warf ein Buchenscheit ins Feuer und nahm sei ne Bourbon-Flasche mit an den Tisch. „Wen interessiert die Vorgeschichte?“ fragte er. Keiner meldete sich. Er hätte sie auch nur ungern, und dann äußerst knapp, erzählt. „Um was geht es, was springt dabei raus?“ fragte der professionelle Fluchthelfer.
„Eine wichtige Persönlichkeit ist aus dem Ostblock in den Westen zu bringen.“ „Mann oder Frau?“ „Dame.“ „Wie prominent?“ „Ihr Gesicht erscheint relativ oft in den Zeitungen von Moskau, Prag und Warschau.“ „Also mindestens hohe Funktionärin.“ „Dem Fluchthelfer kam es jedoch auf etwas anderes an. „Wie groß ist sie?“ „Einsfünfundsiebzig“, schätzte Urban. „Schon schlecht. Ihr Gewicht?“ „Normal.“ „Was ist normal. Sechzig Kilo oder mehr?“ „Gertenschlank sind Russinnen nicht gerade.“ Der Fluchthelfer schüttelte den Kopf. „Sowjetische Prominenz. Sie lebt also in Moskau. Aus Moskau kriegst du heutzutage keinen toten Hund unbemerkt in den Westen.“ Urban entfaltete eine Karte des Grenzgebietes der Warschauer-Pakt-Staaten. Es begann oben an der Ostsee und zog sich hinunter bis zum Balkan. „Am besten, der Ausgangspunkt der Operation liegt grenznah“, sagte der Mann mit der schäbigen Lederjak ke. „Hundert Kilometer maximal.“ Urban blieb gleich im Gespräch mit ihm. „Was für neue Techniken gibt es?“ „Auf dem Luftweg, meinst du.“ Fritz nahm einen großen Schluck aus dem Cognacglas und strich die blonde Strähne nach vorn. „Also, den Hubschrauber kannst du vergessen. Ein Hubschrauber kommt rein oder raus, aber nicht hinein und wieder heraus. Einmal davon ist zuviel. Schon haben sie ihn – und päng!“ „Und bei Nebel?“ Der Experte winkte ab.
„Ist der Nebel so dicht, daß sie den Heli wie durch Watte hören, kann er nicht präzise navigieren. Du bist selbst Helikopterpilot, Urban, du mußt wissen, wie sehr es in solchen Fällen auf Genauigkeit ankommt. Außer dem haben sie jetzt an der Grenze ganz schweinische Bewaffnung. Radargesteuerte Flugabwehrkanonen und Boden-Luftraketen, nicht größer als früher eine Panzer faust. Also mit Hubschrauber geht es nur im äußerten Notfall auf Schneisen, die weit auseinanderliegen. Die Quote ist zwei zu zehn, daß es hinhaut.“ „Mit einem Ultraleicht-Flugzeug?“ lautete Urbans Vorschlag. „Für diese motorisierten Flugdrachen gilt in etwa das gleiche. Sie sind als Fluchtfahrzeug nur auf der Ein bahnstraße verwendbar. Wie willst du das Ding rüber kriegen? Die kleinsten haben zusammengelegt noch die Abmessungen von zwei Überseekoffern.“ „Versteckt in einem Campingtrailer?“ „Die werden an der Grenze besonders genau gefilzt. Sie röntgen sogar schon Schlauchboote und Surfbretter. – Vergiß es.“ Urban steckte sich eine Goldmundstück MC an. Die anderen bedienten sich aus seiner Schachtel, ohne zu fragen. „Du bist nicht hierhergekommen“, fuhr Urban fort, „nur um zu erzählen, was alles nicht geht. Was geht auf dem Luftweg?“ Fritz, der Experte des Landeskriminalamtes, dachte kurz nach. „Chancen hat nur der Ballon.“ „Heißluft dürfte zu laut ein. Die Brenner knattern wie Fastnachtsratschen.“ „Es gibt da ein System. Vier Heliumballone können an einer gekoppelten Strippe zwei Personen hoch schleppen.“ „Und wie bringt man das Gerät hinüber?“
„Ganz einfach“ erklärte Fritz. „Ballonhüllen und Ny lonseile zusammengefaltet im Inneren der vier Reifen eines Pkw.“ „Und das Helium?“ „Das Ersatzrad deines Autos enthält eine runde Stahl flasche, gefüllt mit flüssigem Helium. Drüben erfordert das natürliche eine Menge Bastelei.“ „Und den richtigen Wind“, schränkte Urban weiter ein. „Ja, ohne stetigen Ost oder zumindest Nordost geht es nicht.“ Fritz lieferte noch einige Spezialitäten. Damit waren die Möglichkeiten des Lufttransports schon erschöpft. Urban richtete in der Küche etwas zum Futtern. Er schnitt Brot auf, Salami und Käse. – Solange ließ er ihnen Zeit zum Nachdenken. Otto, der Wodkatrinker, Inhaber einer von Trave münde bis Passau tätigen und erfolgreichen Flucht helferfirma, machte seine Vorschläge. „Wo die Grenze am Wasser verläuft“, begann er, „al so Ostsee oder Elbe, kann man etwas mit Spezialbooten versuchen. Sie müssen wendiger sein als alles, worüber die DDR-Marine verfügt. So was haben wir. Das Pro blem ist nur, wie kommt das Objekt drüben an die Küste oder ans Ufer? – Aber auch dafür gibt es Leute. Wir nennen sie Indianer.“ „Dauer der Vorbereitung?“ fragte Urban. „Mindestens eine Woche.“ „Was Schnelleres bitte.“ „Die Totenkiste. Transport im Sarg.“ „Dazu muß vorher einer sterben.“ „Drüben sterben sie so wie hier. Aber man muß den Antrag auf Überführung stellen. Das dauert auch mehre re Tage.“
„Wie ist die Erfolgsquote?“ „Bisher ist uns nur einer unterwegs verdorrt. Sie schickten den Sarg versehentlich nach Bulgarien. Die neuen Särge sind klimatisiert, mit Dusche und WC versehen.“ Urban lag die Sache so sehr im Magen, daß er zu Scherzen nicht aufgelegt war. „Ihr habt Tunnels gegraben, Otto.“ „Wir graben ständig neue, weil sie die alten irgendwann mal finden und sprengen oder zuschütten.“ „Wohin müßte das Objekt kommen, um durch einen deiner Tunnels zu kriechen?“ „Nach Berlin. Mit Tunnel haut das nur hin, wo die Grenze durch eine Stadt läuft. Aber warum benutzt ihr nicht eure eigenen Tunnels? Wie man hört, lassen die Nato-Dienste sogar komfortable Tunnels minieren. Im Böhmerwald, in Oberfranken, im Harz.“ Urban ging nicht darauf ein. „Alles nur Gerüchte“, tat Otto es ab. Er drehte sich keine neue Zigaretten mehr, sondern bediente sich aus Urbans blaugoldener Schachtel. „Dann hätten wir noch die Autocontainer. Neuester Schrei sind maßgeschnei derte Benzintanks. In den Mercedes S zum Beispiel baut man einen zweiteiligen Kunststofftank ein, in den – bei einiger Gelenkigkeit – ein Mensch paßt. Der Tank hat sogar ein getrenntes Abteil für Bleifrei Super, weil sie an der Grenze immer den Peilstab in die Einfüllöffnung stecken.“ „Und der Haken dabei?“ wollte Urban wissen. „Den hab’ ich schon erwähnt. Für Objekte über eins fünfundsechzig Zentimeter Körpergröße und sechzig Kilo Gewicht fehlt es an Platz.“ Otto hatte noch Spezialangebote, aber sie klangen zu fantastisch, als daß Urban an eine Realisierung glaubte. Eines dieser Angebote sah vor, das Objekt im Innern eines frischgeschlachteten Rindes zu befördern. Die
DDR lieferte Fleisch an die Bundesrepublik. Die Trans porte in Kühlwagen wurden selten überprüft. Wie sich herausstellte, war Otto durch einige spekulative Erfolge sehr teuer geworden. Kosten spielten in diesem Fall zwar keine entscheidende Rolle, aber wenn man nach Garantien fragte, reagierte er mit einem Schulterzucken. Die harten Getränke hatten sie durstig gemacht. Aber sie hatten anderen Durst. „Wie war’s mit einem Longdrink?“ fragte Fritz vom Landeskriminalamt. „Am besten was aus Hopfen, Was ser und Gerste.“ Urban holte Bier. Georg, mit dem Loch im Pullover, war der Bedäch tigste. Er arbeitete wie Urban für den BND. Er sei sich der Ehre wohl bewußt, äußerte er, nicht in Urbans Büro antreten zu müssen, sondern in der Privatloge empfan gen zu werden. Er betrachte es als Beförderung und habe sich inzwischen seine Gedanken gemacht. – Als erfolgreicher Fälscher von Fünfmarkscheinen sehe er den einfachsten Weg über erstklassige Papiere. „Macht eine Bundesbürgerin aus ihr. Mit echtem Paß, Führerschein, Steuerkarte und Visum im Paß.“ Nach meiner Erfahrung“, entgegnete Urban, „spre chen sie an allen in Frage kommenden Grenzen deutsch. In der DDR sowieso, in Böhmen einigermaßen.“ „Sie spricht also nicht Deutsch, die Dame.“ „Russisch und Englisch.“ „Und wenn du ihr ein paar Brocken beibringst?“ „Ich bin klein, mein Herz ist rein“, schlug Fritz vor. „Das kann man versuchen. Aber das Problem ist der Akzent. Und wenn es der Teufel will…“ Bleibt noch die Grenze nach Ungarn.“ „Und wie kriegt man sie aus Ungarn heraus, bitte?“ Der Experte für Dokumente sprach ein anderes Pro blem an. „Wie sieht sie aus?“
„Auf hundert Meter wie eine Slawin.“ „Perücke, Brille, anderes Make-up wären also das mindeste.“ „Fesche Klamotten“, ergänzte der professionelleFluchthelfer. „Glitzerschmuck, extralange Fingernägel, am besten schwarz lackiert. Soviel modische Extrava ganzen wie nur möglich.“ ,,Das fällt auch schon wieder auf. Sie sind ja keine Dorfdeppen an der Grenze.“ „Am sichersten kommen immer siebzigjährige Rent nerinnen durch“, meinte Georg. „Aber so lange können wir nicht warten.“ Sie legten zusammen, was sie hatten, immer unter dem Aspekt, einer möglichst schnell realisierbaren Lö sung mit maximaler Erfolgsaussicht. „Garantien gibt es keine “, erinnerte Georg, der Fä l scher. „Sie haben schon echte Russengeneräle an der Grenze zurückgeschickt, weil an einer Unterschrift der Querstrich im T fehlte.“ Noch eine Vielzahl weiterer Vorschläge wurde ge macht „Wie wäre ein Krankentransport?“ „Oder im Gefolge eines Staatsgastes. Der Außenmini ster fliegt demnächst nach Warschau.“ „Als Journalistin.“ „Als Lufthansastewardeß.“ „Danke, von Stewardessen habe ich genug“, äußerte Urban. „Dann gäbe es noch eine Möglichkeit“, bemerkte Ge org schließlich. „Als Frau Doktor Urban in einem Sarg, der, an drei Heliumballonen hängend, von einem Hub schrauber gezogen, über den Böhmerwald schwimmt.“ Urban pendelte zwischen Enttäuschung und Ve r zweiflung. Aber mehr war nicht zu erwarten gewesen. „War das alles?“ fragte er. Sie bedauerten.
„Dann geht nach Hause.“ „Ich schicke meine Rechnung für Beratung und Kon sultation“, sagte Otto der Fluchthelfer. Urban hatte sich Notizen gemacht und warf die Zettel alle ins Kaminfeuer. Was im Lauf des Abends verzapft worden war, das hatte er schon vorher gewußt. Er hatte gehofft, es käme irgendein neuer, sensationeller Vo r schlag. Aber ideenmäßig waren sie auch schon ausge trocknet wie ein spanischer Fluß im August. Irgendwie mußte Alexandra gerettet werden. Er hatte es ihrer Mutter versprochen. Und wenn dabei sein IgelSystem in die Binsen ging, – Daß Alexandra ungefähr det auf ihrer Position blieb und Igel weiter funktionierte, dafür sah er keine Lösung. Urban stellte sich vor, wie sich der Ring um sie zu sammenzog. Er gab sich eine Frist von sechs Stunden. Am Morgen mußte die Entscheidung fallen, wie, wo und wann es gemacht wurde. Er ließ alles unaufgeräumt. Seine Putzfrau wurde das Chaos in Ordnung bringen. In der Küche braute er sich einen steifen Mokka, mehr eine Mokka-Creme. Eine hundert zu hundert. Hundert Bohnen, hundert Tropfen Wasser. Es war nach Mitternacht und schon still in Schwa bings Straßen, als Urban die Spätnachrichten hörte. Erst die aus München, dann aus Wien. Er glaubte, nicht richtig zu hören und suchte BBC London. Die Engländer brachten es ausführlich und aus erster Hand. Er konnte es einfach nicht glauben. Es rief in ihm eine Mischung aus Wut und Empörung hervor. Also doch. Diese Blödmänner. Sie hatten seinen Rat, seine dringende Bitte in den Wind geschlagen. Typisch britisch. Zuerst kam immer England, dann lange, lange nichts.
Urban versuchte, in seinem Weltempfänger noch ei nen Amerikaner zu bekommen, doch auf Kurz welle lag starkes Rauschen. Er schaltete ab und war versucht, von Mokka wieder auf Bourbon umzuschal ten, um seine maßlose Enttäuschung besser zu überwi n den, als das Telefon summte. Er spürte keine Lust, mit irge nd jemandem zu spre chen. Aber das Telefon hörte nicht auf. Also hob er ab. Sein oberster Chef, der BND-Vizepräsident, war dran. „Haben Sie gehört?“ „Ich dachte, mich tritt ein Torpedo.“ „Was für egoistische Halunken. Babington, dieses ro sa Schwein, wenn ich den jetzt vor mir hätte.“ „Das ist hohe Politik“, höhnte Urban. „In Neuseeland sitzt der ihnen genehmste Mann im Sessel des Premier. Sein Nachfolger könnte nach der anderen Seite driften. Neuseeland macht schon genug Probleme als letzte Basis für Royal Navy Air Force, bevor das ewige Eis der Arktis beginnt. Sie brauchen einen Kontrapunkt auf der Südhalbkugel. Der Premier soll nicht einen Deut von seinem Image des starken tapferen Mannes einbü ßen. Er darf bei seinem öffentlichen Auftritt nicht knei fen. Also läßt man die Terroristen hochgehen.“ „Ja, sie zogen heute nacht eine totale Säuberungsakti on durch.“ „Logischerweise konnten sie bei den Terrorkomman dos der Maori nicht haltmachen. Sie wollten sie alle kriegen.“ „Und sie haben sie, wie man hört.“ „Auch das ganze KGB-Netz in Neuseeland.“ ,Anders war es wohl nicht zu machen.“ „Aber die Russen sind ja nicht dumm“, erklärte Urban. „Eine Totalrodung ihres Netzes aus heiterem Himmel kann nur durch Verrat möglich geworden sein.“ „Durch eine Horde von Verrätern.“ Urban unterdrück te einen saftigen Fluch. „Wenn Moskau sich bis vor
wenigen Stunden noch im unklaren war, was IgelSystem bedeutet, jetzt wissen sie es. Ich habe gewarnt. Aber nein, die Chance, den KGB langfristig zu durch dringen, wurde einem kurzfristigen polizeilichen Erfolg geopfert. Es hätte andere Lösungen gegeben. „Wir kennen doch die Engländer“ sagte der Vize. „Wir gewährten ihnen vollen Einblick in die neuesten Igel-Informationen. Sie haben mich schwer enttäuscht. Ich drehe diesen Schwachköpfen die Leitung ab.“ „Sie sind Verbündete“, erinnerte der Vize. „Aber bei Igel stehe ich im Wort. Sollen wir wegen einer Krise auf der anderen Seite der Erde Igel abschreiben?“ Urban lachte bitter. „Wegen eines zweitrangigen Politikers auf der Südhalbkugel wird Igel geopfert. – Das ist die Ko n sequenz.“ „Ich weiß, was Ihnen diese großartige IgelInszenierung bedeutet“, sagte der Vizepräsident. „Mehr als dem Arzt ein Blick in den Leib des Patienten.“ „Es war ein Beitrag zum Frieden.“ „Darauf wäre es hinausgelaufen. Denn Messer, die schon stumpf aus der Scheide kommen, hinter lassen meist keine tiefen Wunden.“ Urban schwieg, und der Vize fragte: „Wie werden wir reagieren?“ „Wie wir reagieren müssen. Es gibt nur einen Weg, nämlich Igel herauszuholen, ehe die Schlinge sich zu zieht. Jetzt schlagen sie in Moskau rundum, wo immer sie einen Verdacht haben.“ „Schade“ bedauerte der Vizepräsident. „Echt schade.“ „Jammerschade“ stimmte Urban ihm zu. Er legte auf und schaute auf die Uhr. „In Moskau war es jetzt vier Uhr. Die Stunde der ge ringsten Aktivitäten, weil der menschliche Organismus zu dieser Stunde sein Leistungstief und sein Schlafhoch hatte. Selbst Einbrecher und Diebe achteten darauf, daß sie ihre Arbeit bis vier Uhr morgens erledigt hatten.
Die Entwicklung zwang Urban, jetzt, in dieser Minu te, die Entscheidung zu fällen. Er tastete die vierzehnstellige Nummer in den Appa rat. Er hörte es rattern und schalten, vom Unteramt zum Zentralamt, zum Fernamt, in die Leitung nach Osten, Knotenpunkt Berlin oder Warschau. Dann kam Moskau. Das Ortsnetz. Der Strom raste weiter, zu den Knotenäm tern, den Unterämtern, durch Straßen, über Plätze, in Gebäude, in eine Wohnung. Freizeichen schon nach dem ersten Versuch. Beim vierten Tüten wurde abgehoben. Langsam. Ein Rascheln, eine schläfrige Stimme. Er nannte keinen Namen. „Igel dort?“ „Ich bin bereit.“ „Pilsen.“ Sie bestätigte den Namen der Stadt. Urban hatte den Ort in der westlichen CSSR nicht gewählt, weil dort Bier gebraut wurde, sondern weil sich in Pilsen die östliche Computerindustrie zu grup pieren begann. Alexandra brauchte einen Grund, um die Reise anzutreten. Ein Besuch bei den Chipfabriken in Pilsen war unauffällig und lag, wie Urban hoffte, im Rahmen ihrer Befugnisse. Nun fehlte noch der Platz. Er dachte an ein Hotel, aber das war nicht ratsam. „St. Wenzel.“ „Kirche?“ „Ja. – Ab heute abend. Nach der Messe.“ „Verstanden.“ Er hängte auf. Das Gespräch hatte zwölf Sekunden den gedauert. Mindestens zehn Sekunden brauchten in Moskau die GRU-Telefonrelais, um sich auf Westge spräche aufzuschalten. Wenn überhaupt, dann hatten sie vom letzten Wort nur die letzte Silbe aufgezeichnet. Urban ging zu Bett. Aber alles andere als beruhigt.
Er hatte getan, was er konnte, weiß Gott. – Noch vier Stunden Schlaf, dann die Vorbereitungen. Am Nachmit tag die Fahrt nach Pilsen in die CSSR. Selbst mit Papie ren, die besser waren als Originale, bedeutete das für einen Mann wie ihn immer einen Besuch im Hause des Henkers. 14. Es regnete. Kalter Wind fuhr in mächtigen Stößen durch die engen Gassen der Pilsener Altstadt. Das nasse Kopf steinpflaster glänzte im Schein der Gaslaternen. Bela Jekkow schlug den Kragen seines Mantels hoch. Gestern war er noch in Moskau gewesen. Heute zwe i tausend Kilometer westlich davon. Angst trieb ihn vorwärts. Angst, der Wahrheit ins Au ge zu sehen. Eine Qual diese letzten Tage. Männer wie er, die zum inneren Zirkel gehörten, konnten sich alle wichtigen Informationen beschaffen. Doch ohne präzise Angaben war es selbst für prominente Genossen schwierig, ans Ziel zu gelangen. Und zu einem war Bela Jekkow nicht bereit gewesen, ihnen zu sagen, warum er die Genossin Direktor der elektronischen Kommunikationszentrale, Dr. Alexandra Garsoffska, unbedingt sprechen mußte. Wenn er alles vor ihnen ausbreitete, daß sie seine Schwester war und daß sie möglicherweise gemeinsam mit ihrer Mutter Spionage und Hochverrat getrieben hatte, hätte es ihn, nach den Regeln des Systems, ebenso belastet wie sie. – Dieser Gefahr entging er nur, wenn er ihnen drei Dinge lieferte: die Beweise, die Person und seine Unschuld. Gestern war er noch einmal zur staatlichen Datenzen trale gefahren. Jetzt mit den nötigen Papieren, Stempeln und Unterschriften ausgestattet Im Sekretariat der Direktorin legte er die Dokumente vor. Da sie immer noch zögerten, ihm Auskunft zu
geben, sagte er ruhig: „Das Telefon, bitte. Sie können schon mal die Num mer des KGB vorwählen, General Tischjenkow. Sie kennen doch diesen Kanthaken. Er wird euch alle in Handschellen einkassieren. Wenn er etwas nicht vertra gen kann, ist es die Mißachtung seiner Befehle. Ist das seine Unterschrift hier, da und dort, oder nicht?“ Endlich bekam er die gewünschte Auskunft. „Die Genossin Direktor ist auf Dienstreise.“ „Wo?“ „Zu Computerherstellern im Comecon-Bereich.“ Ungeduldig stieß er die nächste Frage heraus. „Wo zum Teufel?“ „Tsche-es-es-er“, wurde ihm geantwortet. „Prag?“ „Nein, Pilsen.“ „Wann ist sie dort?“ „Heute.“ „Adresse?“ Er bekam den Namen eines Prominentenhotels und die der Hersteller von Mikroelektronik. Die nächsten Stunden waren reiner Wahnsinn. Er schaffte es, einen Flug in der Maschine nach Prag zu ergattern, und in Prag ein Taxi. Aber nur, weil er noch US-Dollar hatte und damit die sen und jenen bestechen konnte. Jetzt marschierte er im Regen durch Pilsen. Er suchte seinen schlimmsten Feind, seine Zwil lingsschwester. In dem Hotel, das man ihm genannt hatte, war sie nicht. Er rief bei dem volkseigenen Betrieb PCC an, einem Hersteller für Matrix-Drucker. Die Genossin Direktor sei vor einer Stunde weggefah ren, hieß es.
„Direktor Alexandra Garsoffska?“ vergewisserte er sich. „Ja, die Funktionärin aus Moskau.“ „Wissen Sie, wo ich sie finde?“ „Drüben bei CC.“ „Wer ist CC?“ „Ceskoslovenska Chip.“ Er hielt ein Taxi an und ließ sich zum Stadtrand brin gen. Als er bei CC angekommen war und halb englisch, halb russisch sein Anliegen vorgebracht hatte, bedauerte man. Die Genossin Direktor aus Moskau sei in ihr Hotel gefahren. Sie habe mit den Genossen von der Geschäfts leitung bis vor kurzem verhandelt. Inzwischen ging es ja schon auf zwanzig Uhr. Dr. Bela Jekkow eilte zum Hotel zurück, aber nur, um dort zu erfahren, daß die Gesuchte vor wenigen Minuten weggegangen sei. Er war schon nicht mehr wütend, er war fertig. Offen bar gelang es ihr immer wieder, ihn abzuhängen. An Zufall konnte er schon nicht mehr glauben. „Wohin ist sie jetzt schon wieder?“ „Bis zum Abendessen wollte sie zurück sein.“ Jekkow hielt es allmählich für eine Verschwörung ge gen sich. „Wohin sie gegangen ist“, schrie er außer sich, „will ich wissen.“ „Sie fragte nach einer Kirche.“ Er glaubte, falsch gehört zu haben. „Wonach, bitte?“ „Sankt Wenzel. Wann dort Abendandacht ist.“ „Und wann ist Andacht in Sankt Wenzel?“ Der Portier schaute auf die Uhr. „Schon vorbei.“ In diesem Moment hörte man die Glocken läuten. Sie hallten dunkel über die Dächer. Die Kirche konnte nicht weit entfernt sein.
„Wie kommt man hin?“ „Vom Hotel über den Platz, links die Straße und über die Brücke. Dann sehen Sie die Türme.“ Bela Jekkow stürmte hinaus. Der Regen hatte zuge nommen. Er ging sehr schnell, dann begann er zu lau fen. Seine Lungen keuchten. Diesmal würde er sie krie gen. Jetzt entkam sie ihm nicht mehr. Da es möglich war, ihr unterwegs zu begegnen, mu sterte er alle Passanten daraufhin, ob sie Alexandra sein konnten. Nur ältere Leute unter Regenschirmen kamen ihm entgegen. Er hetzte durch die Gasse über die Brücke und überquerte den weiten Platz vor der Kirche. Er hastete die Treppe hinauf. Die Tür war offen. Dun kelheit und Weihrauchkälte empfingen ihn. Ganz hinten brannte das Ewige Licht und ein paar Kerzen. In Deckung der Säulen schlich er gegen den Uhrzei gersinn um das Querschiff. In den Bankreihen war nie mand zu sehen. Als sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, machte er beiderseits des Altars je eine Reihe von Chorstühlen mit kunstvoll geschnitzten Leh nen aus. Vermutlich Plätze, die einst von den Honora tioren eingenommen worden waren. Und dort schimmerte etwas Helles. Eine Frau im Trenchcoat, zusammengekauert, betend oder wartend. Er trat aus den Säulen frei. Jetzt brauchte er sich nicht mehr zu verstecken, sein Schritt hallte, als er durch den Mittelgang auf den Altar zuging. Er sah, wie sich ihr Kopf bewegte. Etwa zwei Meter vor ihr blieb er stehen. „Alexandra Garsoffska?“ Sie nickte. Er setzte sich neben sie. Wie er vorgehen würde, hatte er hundertmal geplant. „Wir kennen uns“, sagte er. Sie zuckte zusammen.
Er glaubte, sie erschrak, weil sie ahnte, daß es zu En de ging. Der Grund war aber ein anderer. Es lag an dem perfekten Russisch, mit dem er sie ansprach. „Woher sollen wir uns kennen?“ „Vom Grab der Orena Jekkow. Waren Sie nicht da?“ Ihr Kehlkopf bewegte sich. Sie schluckte mehrmals. „Eine gute Freundin von mir“, erklärte sie. „Oder etwas mehr als das?“ Sie ging nicht darauf ein. „Ich bin auch etwas mehr als ein guter Freund von ihr“, fuhr er fort. „Was, zum Teufel, wollen Sie?“ sträubte sie sich ge gen seine gefährliche Vertraulichkeit. „Interessiert Sie gar nicht, wer ich bin, Alexandra?“ „Nicht im mindesten.“ „Auch nicht, warum ich Ihnen aus Moskau bis Pilsen nachreiste?“ Er schwieg unvermittelt. Es war ihm, als schleiche ei ne dunkle Gestalt am Altar vorbei hinüber zur Sakristei. Aber es blieb still. Seine Stimme hallte, als er fortfuhr. „Ich bin Bela.“ Sie schien sich tiefer in die Ecke des Sitzes zu drük ken. „Bela, das sagt mir nichts. Welcher Bela?“ „Bela und Alexandra, geboren in einer Nacht im Sommer vor achtundzwanzig Jahren im Straflager Kjus jur in Sibirien von derselben Mutter, von Orena Jek kow.“ Sie atmete tiefer und reagierte heftig, „Wovon sprechen Sie? Ich schlage vor, Sie behalten Ihre wirren Fantastereien für sich, ehe man Sie für unzu rechnungsfähig erklärt.“ Sie wollte aufstehen und weggehen. Er hielt sie am Handgelenk fest. Sie versuchte sich loszureißen. Da zwang er sie mit überlegener Kraft wieder neben sich.
„Ich bin Bela, dein Bruder. Ich weiß alles.“ „Meine Mutter war Fabrikarbeiterin in Workuta, und mein Name ist wie der ihre, Garsoffska.“ „Garsoffska“, bemerkte er höhnisch. „Alles nur Tar nung. Ich war bei Doktor Rottanski im Ural. Er half uns beiden zur Welt zu kommen. Erst mich und eine halbe Stunde später dich. Er gestand mir alles. Ich verfüge über seine eidesstattliche Erklärung.“ Trotz der Dunkelheit sah man, daß sie die Augen schloß. „Mein Gott!“ keuchte sie. „O mein Gott!“ Bela Jekkow griff in die Tasche und zog die Briefe ihrer Mutter an Dr. Rottanski heraus, dann ein schim merndes Stück Metall, halb so groß wie eine Zigaret tenpackung. „Das Feuerzeug“, sagte er. „Dunhill, gehämmertes Goldblech, funktions unfähig. Es diente als Container zum Transport von Geheimmaterial. Vermutlich Mikro filme et cetera.“ „Davon weiß ich nichts“, behauptete Alexandra. Bela lachte nur. „Du sitzt doch wie die Spinne an einem Knoten punkt und hast alle Fäden in der Hand. Aus der ganzen Union laufen die Drähte im neuen ZCT-Zentrum zu sammen. Aus allen Republiken, von den Universitäten, den Forschungszentren, der Rüstungsindustrie, der Raumfahrt, der Landesverteidigung, der Geheimdienste. Alles Wissenswerte hast du in solchen Containern mit Hilfe unserer Mutter zu ihren Freunden in den Westen gebracht. Und wohl auch auf Datenleitungen. Das hat unsere Mutter umgebracht und das Auge des Bären ge blendet.“ Sie versuchte, kühl zu bleiben, aber ihre Antwort klang gequält. „Was erst zu beweisen wäre.“ Er faßte nach ihrer Handtasche, entriß sie ihr, öffnete
sie, durchsuchte sie und hatte, was er suchte. Trium phierend hielt er es hoch. Das Feuerzeug, ein goldenes Dunhill, paßte zu dem seinen wie ein Duplikat. Als Zeichen seiner Überlegenheit und daß sie so gut wie überführt war, warf er es wieder in die Tasche zu rück. Als weiteren Beweis wollte er ihr noch das Foto zeigen. Da fiel ihm etwas Besseres ein. Er nahm ihre Hand und legte sie neben die seine. „Der Zeigefinger. Ein Glied fehlt. Hast du jetzt noch Zweifel?“ Sie schwieg. „Ob du noch Zweifel hast.“ „Was jetzt?“ fragte sie tonlos. „Ich bin ein loyales Mitglied unserer Gesellschaft, Alexandra.“ „Soll das heißen, daß du mich dem Henker überant wortest?“ „Genau das.“ „Selbst deine Schwester?“ „Du bist Spionin, eine Verräterin, wie deine Mutter. Ob das gleiche Blut in unseren Adern fließt oder nicht. Ich muß es tun.“ „Nur um dich selbst sauber zu halten?“ „Nenne es, wie du willst. Du unterzeichnest jetzt das Geständnis.“ „Was“, fragte sie, „hat dieser Staat je für uns getan? Seine Kommissarin kam ins Straflager, nahm dich dei ner Mutter weg und zwang sie, mich an die Brust einer anderen Frau zu legen. Ich frage dich weiter, was…“ „Schweig!“ rief er. „Orena Jekkow war rehabilitiert, du hast Karriere gemacht, und ich werde mir mein Le ben nicht kaputtmachen lassen. Die Schande des Verrats muß gesühnt werden.“ „Wer begann mit der Schande?“ fragte sie. „Wer ver riet die primitivsten Rechte der Menschen dieses Lan des?“
„Ich habe Freunde in Moskau“, sagte er. „Sie werden dafür sorgen, daß unser Name sauber bleibt. Aber du wirst die Schande hundertmal büßen.“ „Bela“, beschwor sie ihn. „Denk an unsere Mutter.“ „Ich hatte nie eine Mutter“, blieb er unerbittlich. „Un terschreib das Geständnis, ich habe es aufgesetzt.“ Sie gab nicht auf. „Niemand außer uns weiß davon, Bela.“ „Ich bin hier, um das Rätsel des Igel-Systems zu lö sen. Ich glaube es zu kennen, und du wirst uns helfen, all die Fragen, die wir dazu haben, zu beantworten.“ Sie weigerte sich, zu tun, was er forderte. Unbeweg lich und steif saß sie neben ihm. Da packte er sie. Sie klammerte sich im Kirchenstuhl fest. Mit einemmal hatte er eine Waffe in der Hand und bohrte ihr den Lauf zwischen die Brüste. ,,Du würdest schießen?“ fragte sie ungläubig. „Notfalls ja.“ „Dann schieß doch!“ schrie sie. Offenbar war es ihr lieber, er würde sie töten. „Komm jetzt!“ befahl er. „Draußen wartet ein Wagen der tschechischen Staatspolizei.“ Unmittelbar neben ihnen, aber als Quelle nicht zu er kennen, erklang ein Räuspern, dann auf englisch ein dringender Rat: „Bleib sitzen, Alexa. Niemand wartet draußen.“ Ur ban trat näher, blieb aber in Deckung, denn er hatte das typische Knacken vernommen, wie es der Sicherungs hebel einer Makarow von sich gab. Urban hielt die Taschenlampe am gestreckten Arm von seinem Körper weg, schaltete sie ein und ließ den Kegel in Bela Jekkows Gesicht wandern. Der fühlte sich geblendet und schoß. Das Echo des Knalls raste im Kirchenschiff hin und her.
„Licht aus!“ „Bela Farmer“, sagte Urban. „Sie sind der von FBI und CIA gesuchte Maulwurf bei ICC in Connecticut. Was würden Sie dazu sagen, Bela, wenn ich Sie in die USA zurückbringe. Draußen steht mein Wagen. Er hat einen großen Kofferraum.“ „Vorher bringe ich Sie um. Sie sind Urban, genannt Dynamit. Der Mann hinter Igel.“ Urban knipste die Lampe aus. „Sie wollen wirklich Ihre Schwester ans Messer lie fern, Jekkow?“ „Sie und meine Mutter machten der Familie nur Schande. Sie trieben Spionage und Landesverrat. Ich muß das bereinigen. Stehen Sie uns nicht im Wege. Das ist eine Privatangelegenheit. Und Ihr Igel-System ist ohnehin geliefert. Das Auge des Bären wird wieder sehen.“ Etwas schimmerte matt. Das schwache Licht einer Al tarkerze reflektierte kaum merklich auf dem Metall der Waffe. Der Russe hob sie. Urban war sich im klaren, auf welch gefährlichem Territorium er sich hier befand. Hundert Kilometer östlich der Grenze auf CSSR-Gebiet, und das als BNDAgent. Schon der erste Schuß konnte Alarm ausgelöst haben. Er mußte jeden weiteren verhindern. Ansatzlos machte er einen Sprung nach vorn und hämmerte die Handkante auf Jekkows Arm, ehe der Russe durchzog. Die Waffe fiel auf den Steinboden. Jekkow fluchte, aber er gab nicht auf. Er griff an. Wie eine entspannte Spiralfeder schleuderte er sich aus dem Kirchengestühl. Er war leichtgewichtig, aber muskulös und drahtig. Mit der Wucht einer PunchingBalls gegen die Boxerfaust prallte er auf Urban. Der taumelte. Diese Sekunde genügte Jekkow, um hinten etwas aus dem Hosenbund zu ziehen. – Ein Mes ser, die lange Klinge zweischneidig und leicht gebogen.
Damit stach er zu. Rasend vor Zorn – oben, unten, links, rechts – wie ein Messerwerfer unter Starkstrom. Urban spürte mehrmals, wie die Spitze der Klinge in seine Haut schnitt. Aber sie ging nicht in die Tiefe. Er überlegte. Die Füße waren im Kampf Mann gegen Mann das tragende Fundament. Hier sah Urban Jekkows Schwäche. Er sprang hoch und schleuderte beide Beine gegen Jekkows Unterleib. Er traf ihn mit den Absätzen, ehe er wieder am Boden aufkam. Der Russe bäumte sich auf und klappte zusammen. Langsam, als hätte er in Beckenhöhe ein Scharnier. Das Messer entglitt seiner Hand. Er stöhnte. Urban fürchtete eine Finte. Er hatte nicht den Eindruck, daß er den Russen hart getroffen hatte. Der aber drehte sich halb herum und kam auf die Knie. Er fing sich an einem der Chorstühle, versuchte sich aufzurichten, schaffte es aber nicht. „Vorsicht!“ warnte Alexandra entsetzt. „Paß auf!“ Jekkow lag am Boden und versuchte, kriechend aus Urbans Wirkungsbereich zu entkommen. „Ihr kriegt mich nicht“, keuchte er. „Wir haben dich schon“, sagte Urban. „Ich nehme euch alle mit zur Hölle.“ „Gib auf, Farmer“, riet Urban. „Du bist ein Nato-Agent, und wir sind hier im Osten. Du wirst nicht weit kommen.“ Sein Atem pfiff wie ein löchriger Blasebalg. „Du hast keine Chance“, machte Urban ihm klar. „Auch euch steht das Wasser bis zum Hals.“ Mit einemmal schrie Alexandra: „Vorsicht! Er hat den Revolver.“ Urban sprang hinter eine der Sandsteinsäulen in Dek kung. Wo war die Lampe? Die Lampe lag irgendwo am Boden. – Verdammt, was jetzt? – Der Russe hatte seine Waffe wieder. Im selben Moment flammte Licht auf. Offenbar hatte
Alexandra die Lampe ertastet. Der Kegel wanderte herum und traf die Stelle, wo Jekkow lag. Er hatte wirklich die Waffe, zielte auf die Quelle des Lichts, wurde aber geblendet. Und mit einemmal schien er seine aussichtslose Lage zu begreifen. Er schloß die Augen, schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen, und ließ die Makarow sinken. So saß er da, völlig bewe gungslos. Seine Züge ve r steinerten sich zu einem ratlosen Grinsen. – Gib es ih nen, drückte es aus, zeig ihnen wer du bist. – Und plötz lich, es war eher eine Kurzschlußhandlung, richtete er die Waffe gegen sich. „Lebend kriegt ihr mich nicht“, entschied er. Es klang wie ein endgültiger Entschluß. „Nein!“ schrie Alexandra. Doch da hatte Bela Farmer-Jekkow den Revolverlauf schon im Mund und schob ihn tief in den Rachen. Er stieß ihn geradezu hinein und gleichzeitig riß er durch. Mit gedämpftem Knall, als hämmerte man mit dem stumpfen Ende eines Beils auf Rindfleisch, riß ihm die Kugel den Kopf auseinander. Urban spürte nichts. Kein Mitgefühl, keine Trauer. Der Schock war zu groß und die Gefahr, in der er und Alexandra geschwebt hatten, ebenso. „Mein Gott!“ jammerte Alexandra immer wieder. Er streichelte sie und nahm sie in den Arm wie eine Tochter. „Nur ruhig“, tröstete er sie. „ Nur ruhig, Kleines.“ „Was jetzt?“ „Nun gibt es keinen mehr“, sagte er nach einer Weile, „keinen Mitwisser. Niemand, der die Wahrheit nach Moskau meldet.“ „Die Lage ist paletti, wie man bei euch so sagt“, be merkte sie bitter.
„Ganz optimal ist sie auch nicht.“ Er spürte, wie neue Schockwellen sie schüttelten. Tränen sickerten über seinen Handrücken. Doch allmählich schien sie sich zu fassen. „Ich bin hier, und er ist hier. Man wird Schlüsse dar aus ziehen.“ „Nur wenn er gefunden wird“, schränkte Urban ein. „Aber das wird er nicht.“ Er machte sich so professionell wie möglich ans Werk. Im Schein der Taschenlampe beseitigten sie alle Spu ren. Urban verschwand und kam bald mit einer Decke wieder. Sie rollten den Toten hinein und schleiften ihn hinaus. Während Alexandra Ausschau hielt, ob niemand kam, trug Urban den Toten zu dem unauffälligen grauen Mercedes, den er auf dieser Reise benutzte, und verstau te ihn im Kofferraum. Die Leiche war noch warm, die Starre noch nicht ein getreten. Bela Jekkows Körper ließ sich dem Koffer raum einigermaßen anpassen. Dann saßen sie im Wagen und rauchten von Urbans MC-Zigaretten. „Einen Schluck Bourbon?“ „Ja bitte.“ Sie redeten lange. Alles sollte so bleiben, wie bisher. Selbstverständlich würde Alexandra weiter ihre Aufga be als Direktorin des Datenzentrums erfüllen. „Du hast nichts zu befürchten“, versicherte Urban. „Natürlich wird man irgendwann die undichte Stelle aufspüren, aber dann ist bei uns immer ein warmes Nest für dich bereit.“ „Und was wird mit ihm, mit Bela?“ Urban hatte schon einen Plan entwickelt. Von dem Augenblick an, als Bela Farmer Jekkow durch Selbstmord die Lage völlig verändert hatte, war
der Denkprozeß in ihm angelaufen. Jetzt hatte er ihn beendet. „Er ist amerikanischer Staatsbürger“, erwähnte Urban. „Aber auch sowjetischer.“ „Da uns wenig daran liegt, daß Moskau sich um ihn kümmert, muß das Washington besorgen. Ich rufe bei der Botschaft in Prag an und alarmiere deren CIAAbteilung. Noch heute nacht werde ich die Leiche ir gendwo verstecken. Aber so, daß man sie findet. Von der Botschaft aus können sie ihn dann per Luftfracht in die USA befördern.“ „In einem Sarg?“ „Als verstorbenen Botschaftsangehörigen. Oder in ei nem Überseekoffer als Diplomatengepäck. Das ist ihre Sache.“ „Er war mein Bruder.“ „Aber du warst nicht seine Schwester. Er hätte dich seinen Interessen brutal geopfert.“ „Tot ist tot“, sagte Alexandra Garsoffska. „Und wie kommst du nach München?“ „Mach dir meinetwegen keine Sorgen“, bat Bob Ur ban. 15. Während Alexandra Garsoffska in Pilsen ihre Geschäfte abschloß und dann nach Moskau zurückkehrte, barg ein Wagen der amerikanischen Botschaft mit CC-Schild die Leiche des Bela Farmer. Sie fanden sie an einer präzise bezeichneten Stelle in einem Unterholz seitlich der Straße nach Cernice bei Kilometer 16 in Richtung auf den Muß Uhlava zu. Der Tote wurde nach Prag gebracht, dort konser viert und mit dem Totenschein eines bestochenen Arztes in seine Heimat, die USA, zurückgeflogen. In einem der New-England-Staaten arrangierte die
CIA einen Autounfall. Die Leiche des Fahrers, die man aus dem verbrannten Wrack holte, war die eines gewi s sen Bela Farmer. Computerexperte bei einer Firma, die sich mit Waffenelektronik befaßte. Die CIA lancierte Gerüchte in die Medien, wonach es sich bei dem Toten, Dr. Bela Farmer, wahrscheinlich um einen Spion der UdSSR oder sogar einen KGBAgenten handelte. Er sei vor Wochen spurlos ver schwunden, dann aber aus unbekannten Gründen wieder in den USA aufgetaucht. Aus dieser Meldung sollte sich der KGB seinen eige nen Reim machen. Welchen Reim, das war den Ameri kanern egal. Am liebsten wäre ihnen gewesen, die Russen würden annehmen, daß Bela Farmer-Jekkow das flotte Leben in den USA dem in Rußland vorgezogen hätte. Als einer der CIA-Bosse mit Bob Urban sprach, fragte er beiläufig: „Bist du zufrieden, Dynamit?“ „Vollständig.“ „Und was macht dein System Igel?“ „Läuft weiter“, sagte Urban, mit der Einschrän kung: „… noch.“ Oberst i. G. a. D. Sebastian blickte schief über die Brille. Muffig wie immer sortierte er erst seine Dackel falten, dann legte er los, halb gebrummt, halb gebellt. „Wissen Sie, wie lange Sie fort waren, Nummer acht zehn?“ „Elf Tage, vierzehn Stunden und neun Minuten.“ Schon fühlte sich der Alte wieder auf den Arm ge nommen. „Wo waren Sie?“ „Überall ein bißchen.“ „Ergebnis?“
„Im Osten nichts Neues.“ Urban blieb einsilbig und der Alte gereizt. „Wann kriege ich Ihren Bericht?“ „Bedaure, das ist Chefsache. Er liegt vor, sobald ihn der Präsident gelesen hat. Vorausgesetzt, er sperrt ihn nicht in seinen Safe.“ Der Alte lehnte sich zurück und preßte die Hand auf die Stelle, wo einst seine Galle gewesen war. Wenn es ganz schlimm kam, hatte er dort Phantomschmerzen. „Sie sind noch mein Sargnagel“, stöhnte er. „Ein durchschnittlicher Sarg“, erwiderte Urban, „hat mindestens acht Nägel. Die besseren, und so einer steht Ihnen ja wohl zu, werden verschraubt. Der Alte blätterte in Papieren. Dann hob er noch ein mal das Kinn. „Was, zum Teufel, Nummer achtzehn, haben Sie bloß die ganze Zeit über getrieben?“ Urban, schon im Begriffe die Operationsabteilung zu verlassen, drehte sich noch einmal um. „Nicht viel“, sagte er, „nicht allzuviel.“ ENDE