John W. Campbell Das Ding aus einer anderen Welt Originaltitel: WHO GOES THERE? Übertragung aus dem Amerikanischen: Mar...
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John W. Campbell Das Ding aus einer anderen Welt Originaltitel: WHO GOES THERE? Übertragung aus dem Amerikanischen: Margaret Auer
Scan & K-Lesen: WS64 2 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT 1 In der Unterkunft stank es abscheulich, wie es nur in einem Antarktislager stinken kann; es stank nach der beißenden Ausdünstung schwitzender Menschen und nachdem schweren Dampf von Fischöl. Es stank nach Salbe, mit der man sich einrieb, und nach Pelzwerk, das von Schweiß und Schnee durchnäßt war, und der scharfe Dunst verbrannten Kochfettes vermischte sich mit dem nicht unangenehmen schwachen Geruch von Hunden. Schwaden von Maschinenöl stachen grell von dem Gestank des Zaumzeugs und Leders ab, der die Luft verpestete. Doch über all diesen Düften und Dünsten, die den Menschen und ihren Helfern, den Hunden, Maschinen und Küchengeräten entströmten, lag noch ein anderer Geruch, so sonderbar, so penetrant, daß sich die Nackenhaare sträubten, obwohl man nur einen leichten Hauch davon spürte. Er schien von einem Lebewesen auszugehen, und doch stieg er von einer Masse auf, die in Zelttuch verschnürt, als längliches feuchtes Bündel unter dem blendenden Licht einer schirmlosen elektrischen Birne auf dem Tisch lag. Langsam und stetig tropfte von ihm Wasser auf die 3 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dicken Bohlen hinunter. Blair, der kleine kahlköpfige Biologe der Expedition, zerrte nervös an der Umhüllung, bis darunter durchsichtiges dunkles Eis zum Vorschein kam. Dann zog er, von Unrast geplagt, das Segeltuch wieder an den alten Platz zurück. Seine abgehackten, vogelähnlichen Bewegungen, die mühsam unterdrückten Eifer verrieten, ließen seinen Schatten auf der schmutziggrauen Unterwäsche, die wie ein Fransensaum von der niedrigen Decke herabhing, groteske Sprünge aufführen, während der Kranz von grauen, steifen Haarborsten rings um den kahlen Schädel einen drolligen Heiligenschein um den Kopf des Schattenrisses bildete. Kommandant Garry fegte ein Paar baumelnde Hosenbeine beiseite und trat an den Tisch heran. Langsam glitten seine Blicke über die Reihen der Männer, die sich hier im Verwaltungsgebäude wie in einem Pferch drängten. Schließlich straffte er seine große, etwas steife Gestalt und nickte. „Siebenunddreißig, es sind alle hier.“ Er sprach leise, doch mit der unbestrittenen Autorität eines Mannes, der nicht nur den Titel eines Kommandanten trägt, sondern der ein geborener Kommandant ist. „Ihr kennt in großen Zügen die Geschichte des Fundes unserer Polarexpedition. Ich habe bereits mit dem stellvertretenden Kommandanten McReady, mit Norris sowie mit Blair und Dr. Copper darüber bera4 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ten. Wir sind verschiedener Ansicht. Der Fall geht jedoch die ganze Gruppe an. Darum ist es nur recht und billig, die gesamten Expeditionsteilnehmer entscheiden zu lassen. Da jeder von euch mit seiner eigenen Arbeit zu sehr beschäftigt war, um sich über die Tätigkeit der übrigen auf dem laufenden zu halten, bitte ich McReady, euch die Einzelheiten zu berichten. McReady?“ Aus dem rauchigen Hintergrund trat ein Mann hervor, der einer alten Sagengestalt glich, einer hochragenden Bronzestatue, die lebendig geworden war und herumspazierte. Er war gut einsneunzig groß, und mit einem bezeichnenden Blick nach oben blieb er neben dem Tisch stehen, um sich zu vergewissern, daß unter den Balken der niedrigen Decke noch Raum für ihn war; erst dann richtete er sich gerade auf. Er trug noch seine derbe, leuchtend orangefarbene Windjakke, die jedoch an seinem riesigen Körper keineswegs fehl am Platz war. Selbst hier, wo eineinviertel Meter über der Decke der Sturmwind eintönig über die Eiswüste der Antarktis brauste, sickerte die Kälte des vereisten Kontinents herein und machte die rauhe Art des Mannes verständlich. Auch sein mächtiger Bart und das dichte Kopfhaar schimmerten rötlich wie Bronze und ähnelten im Farbton den knorrigen, sehnigen Händen, die er auf die Tischplanken legte und abwechselnd ballte und öffnete. Sogar die tiefliegen5 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den Augen unter den kräftigen Brauen leuchteten kupfern. Metallische Härte, der das Alter nichts anhaben konnte, sprach aus den kantigen, groben Gesichtszügen und der vollen, mächtigen Stimme. „Über eine Tatsache sind Norris und Blair sich einig: das Geschöpf, das wir gefunden haben, stammt nicht von dieser Erde. Norris fürchtet, daß es gefährlich werden könnte; Blair streitet diese Möglichkeit ab. Doch ich will der Reihe nach berichten und zunächst erzählen, wie und warum wir es entdeckt haben. Soweit vor unserer Ankunft hier bekannt, mußte dieser Punkt genau über dem magnetischen Südpol der Erde liegen. Wie ihr alle wißt, zeigt die Kompaßnadel geradewegs hierher. Die feineren Instrumente der Physiker, die eigens für die Aufgabe der Erforschung des Magnetpols angefertigt wurden, haben jedoch ein sekundäres Kraftfeld festgestellt, dessen geringere magnetische Wirkung von einer ungefähr hundertdreißig Kilometer entfernten Stelle ausging. Teilnehmer unserer Sonderexpedition zur Untersuchung des Magnetfeldes brachen auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Einzelheiten darüber erübrigen sich. Wir fanden die Stelle, aber es handelte sich nicht um den riesigen Meteorit oder magnetischen Bergrücken, den Norris erwartet hatte. Eisenerz ist selbstverständlich magnetisch, reines Eisen noch mehr und gewisse Stahlsorten in besonderem Maße. Nach ober6 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
flächlichen Messungen war der Nebenpol, den wir entdeckten, klein - so winzig, daß seine Magnetwirkung widernatürlich erschien. Unseres Wissens gab es keinen Stoff, der sie verursachen konnte. Weitere Messungen, die wir durch die Eisschicht ausführten, zeigten an, daß in einer Tiefe von dreißig Metern die Anziehungskraft erlosch. Das Gebiet ist euch vertraut. Van Wall sagt, daß sich vom Lager eine breite Niederung völlig eben mehr als zweihundert Kilometer nach Süden erstreckt. Er hatte weder Zeit noch Treibstoff, weiter zu fliegen, doch bis zu dieser Entfernung dehnte sich das Land ohne Erhebungen vor ihm aus. Genau dort, wo unser Fund vergraben war, befindet sich, ganz im Eis versunken, ein Höhenzug, ein Granitwall von unzerstörbarer Festigkeit, der einst den von Süden herankriechenden Gletscher zurückgedämmt hat. Und weitere sechshundert Kilometer südlich davon liegt das flache Hochland des Südpols. Ihr habt mich verschiedentlich gefragt, warum es hier wärmer wird, wenn der Wind aufkommt. Die meisten von euch kennen daher bereits die Erklärung. Als Meteorologe hätte ich mein Wort dafür verpfändet, daß bei minus 55 Grad Celsius jeder Wind und bei minus 45 Grad auch ein Wind, der mit acht Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit weht, sich infolge Reibung mit dem Boden, mit Schnee und Eis, selbst mit der Luft unbedingt erwärmen muß. 7 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Zwölf Tage lang kampierten wir am Rande jenes eisbedeckten Höhenzugs, in dessen Oberfläche wir unser Lager eingehauen hatten. So entgingen wir dem Sturm, der die ganze Zeit über mit zweiundsiebzig Stundenkilometern über uns hinwegfegte. Manchmal waren es sogar siebenundsiebzig, dann wieder nur Sechsundsechzig. Dabei herrschte eine Temperatur, die zwischen minus 55 und 51 Grad schwankte. Meteorologisch war das ein Unding, doch hielt dieser Zustand ununterbrochen zwölf Tage und Nächte an. Die eisige Luft des Südpolplateaus gleitet irgendwo im Süden aus diesem fünftausend Meter hoch gelegenen, flachen Becken über einen Gebirgspaß hinunter, dann über einen Gletscher nach Norden. Dort muß eine Bergkette liegen, die sie wie in einem Trichter auffängt und mit Schwung über die sechshundertvierzig Kilometer weiterleitet, bis sie auf die kahle Hochfläche kommt, auf der wir den zweiten Magnetpol fanden. Fünfhundertsechzig Kilometer nördlich davon erreicht der Luftstrom dann den Antarktischen Ozean. Seit zwanzig Millionen Jahren ist dort alles vereist. Vor so langer Zeit also brach die Kälte über die Antarktis herein. Natürlich haben wir trotz der widrigen Umstände die Gegend erforscht, durchsucht und durchgekämmt, und als Ergebnis all dessen kann ich euch folgendes mitteilen: 8 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Dort muß einmal ein Weltraumschiff gelandet sein. Wir sahen so etwas in dem blauen Eis stecken. Es ähnelte einem Unterseeboot ohne Turm oder Sehrohre, es war fünfundachtzig Meter lang, und an der dicksten Stelle hatte es einen Durchmesser von dreizehn Metern. Wie meinst du, Van Wall? Ein Raumschiff? Ja, aber darauf gehe ich später noch ein.“ Gelassen fuhr McReady fort: „Es muß aus dem Raum gekommen sein, von Kräften angetrieben und gehalten, die wir Menschen bis jetzt noch nicht entdeckt haben. Irgend etwas muß schiefgegangen sein, so daß es im erdmagnetischen Feld hängenblieb. Offensichtlich kam es von Süden angeflogen, dann versagte wahrscheinlich die Steuerung, und es fuhr dauernd im Kreis um den Magnetpol. Die Gegend dort ist heute noch eine wüste Einöde. Damals aber, als die Antarktis zu vereisen begann, muß sie noch tausendmal unwirtlicher gewesen sein. Während der Kontinent zufror, muß dort unter orkanartigen Stürmen dauernd Neuschnee gefallen sein, den der Wind wie eine dicke weiße Decke über den Berghang schleuderte, der jetzt unter dem Gletscher begraben liegt. Das Schiff schlug mit der Spitze voran auf harten Granit und zerschellte. Nicht alle Insassen kamen um. Doch das Fahrzeug wurde unbrauchbar, der Antriebsmechanismus zerstört. Norris meint, daß der 9 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Erdmagnetismus schuld daran gewesen sei. Es ist so, daß den Kampf mit den unvorstellbar gewaltigen, blinden Naturkräften eines Planeten kein Werk aufnehmen kann, das von der Hand denkender Wesen geschaffen worden ist. Dann muß einer der Mitfahrer ausgestiegen sein. Wir haben es erlebt, daß der Wind sich dort nie weniger schnell fortbewegt als mit zweiundsiebzig Kilometern in der Stunde, und daß die Temperatur nie über minus 51 Grad liegt. Damals muß der Sturm jedoch noch stärker getobt haben und der Schnee wie ein festes weißes Laken herabgefallen sein. Und so hatte sich unser Findling nach zehn Schritten völlig verirrt.“ McReady hielt einen Augenblick inne, und anstatt seiner tiefen ruhigen Stimme hörte man nur das eintönige Heulen des Windes, während es im Rohr des Kombüsenherds böse und unheimlich bullerte. Schneegestöber, vom Sturm gepeitscht, fegte über ihren Köpfen dahin. Gerade in diesem Augenblick jagte eine rasende Böe die Flocken auf, die in flachen, blendend weißen Fahnen über das Dach des vergrabenen Lagers hinwegflogen. Wenn jetzt ein Mensch aus den Tunnels, die unter der Oberfläche alle Räume miteinander verbanden, ins Freie hinausträte, so wäre auch er nach zehn Schritten verloren gewesen. Dort draußen stieg der schlanke Finger des Radiomastes neunzig Meter in die Luft empor, und seine Spitze lag unter einem klaren Nachthimmel. An 10 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ihm strich unter dem züngelnden wogenden Mantel des Südlichts wimmernd eine schwache Brise über die unendlichen Weiten. Und im Norden flammte der Horizont in den eigenartigen glühenden Farben der Mitternachtsdämmerung. So sah der Frühling neunzig Meter über der Antarktis aus. Auf der Erdoberfläche unten war er jedoch gleichbedeutend mit dem weißen Tod. Die Kälte, die der Wind vor sich hertrieb, stach wie mit spitzen Nadeln und saugte jedem heißblütigen Wesen die Wärme aus dem Körper. Dazu kam noch der milchige Nebel eines endlosen, stetigen Schneetreibens, dessen staubfeine prickelnde Kristalle alles einhüllten. Kinner, der schmächtige Koch mit dem narbigen Gesicht, zuckte zusammen. Vor fünf Tagen war er ins Freie gegangen, um eingefrorenes Ochsenfleisch zu holen, das er draußen gelagert hatte. Das Versteck hatte er erreicht und auch schon den Rückweg angetreten, als plötzlich vom Süden her der Schneesturm aufsprang. In zwanzig Sekunden hatte ihn der kalte, weiße Todeshauch, der über den Boden wehte, bereits geblendet. Er taumelte verzweifelt weiter, immer im Kreise herum. Erst nach einer halben Stunde fanden ihn in dem undurchdringlichen Dunkel Leute, die sich, von Seilen gesichert, aus dem unterirdischen Bau gewagt hatten. Wie leicht konnte ein Mensch - oder irgendein Wesen - schon nach zehn Schritten ausgelöscht werden. 11 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Und das Gestöber war damals wahrscheinlich noch undurchdringlicher als jetzt.“ McReadys Stimme rief Kinner wieder in die Gegenwart zurück, in die angenehme, feuchte Wärme des Verwaltungsbaus. „Der Fahrgast des Raumschiffes war offenbar darauf nicht vorbereitet, und so erfror er nahe dem Schiff. Wir gruben in die Tiefe, um das Fahrzeug zu finden, und dabei stießen wir mit unserem Tunnel zufällig auf das erfrorene Geschöpf. Barclay traf es mit einem Hieb der Eisaxt am Schädel. Als wir sahen, worum es sich handelte, ging Barclay zum Raupenschlepper zurück, heizte ihn tüchtig an, und als der Dampfdruck kräftig genug war, rief er mit Funkspruch Blair und Dr. Copper herbei. Barclay selbst fühlte sich krank und brauchte drei Tage, bis er sich erholt hatte. Als Blair und Copper eintrafen, schnitten wir das Geschöpf in einem Eisblock so heraus, wie ihr es hier seht, wickelten es ein und luden es auf den Schlepper, um es bei der Heimkehr mitzunehmen. Dann wollten wir noch das Innere des Raumschiffes erkunden. Wir erreichten die Seitenwand und entdeckten, daß sie aus einem Metall bestand, das wir nicht kannten. Unsere unmagnetischen Werkzeuge aus Beryllium-Bronze griffen nicht an. Barclay hatte auf dem Schlepper einige Stahlwerkzeuge, aber auch mit ihnen konnten wir die Hülle nicht einmal ritzen. Nun versuchten wir es mit allen anderen Mitteln, die noch 12 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
in Frage kamen, wir wendeten sogar Säure aus unseren Batterien an, doch ohne Erfolg. Diese Geschöpfe mußten irgendein Verfahren besessen haben, Magnesium säurefest zu machen; die Legierung dürfte mindestens fünfundneunzig Prozent dieses Metalls enthalten haben. Aber das konnten wir anfangs nicht ahnen, und als wir die nur leicht geöffnete Tür einer Luftschleuse entdeckten, legten wir sie frei. Im Innern, in das wir nicht eindringen konnten, befand sich klares, hartes Eis. Durch den kleinen Spalt vermochten wir hineinzuspähen und stellten fest, daß der Raum nur Metallwände und Geräte enthielt; so beschlossen wir, das Eis mit einer Bombe zu lockern. Wir besaßen zwei Arten davon. Decanit, das vielleicht wertvolle Gegenstände zerstört hätte, und Thermit, das zum Erweichen von Eis diente und mit seiner Hitze es nur lockern würde. Doktor Copper, Norris und ich brachten eine Thermitbombe von fünfundzwanzig Pfund an, versahen sie mit einer Zündschnur und zogen das Verbindungskabel durch den Tunnel an die Oberfläche hinauf, wo Blair bei dem Dampfschlepper wartete. Hundert Meter hinter dem schon erwähnten Granitwall drückten wir auf den Auslöser. Natürlich fing das Magnesium des Schiffes Feuer. Die glühende Thermitmasse loderte auf, erlosch und entzündete sich erneut. Wir rannten zum Schlepper zurück, und allmählich breitete sich ein greller Schein 13 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
aus. Von unserem Standpunkt konnten wir erkennen, daß ein unerträglich blendendes Licht das ganze Eisfeld von innen erhellte, der Schatten des Schiffes sah aus wie ein riesiger dunkler Tannenzapfen, der sich nach Norden erstreckte, wo das Dämmerlicht fast völlig verblaßt war. Das zauberhafte Bild hielt nur eine kurze Weile an. Wir konnten gerade noch drei weitere dunkle Gestalten zählen, die ebenfalls erfrorene Insassen gewesen sein mochten, dann brach das Eis ein und stürzte über dem Schiff zusammen. Der Wind, der vom Pol herabwehte, stand in unserem Rücken. Dampf und Wasserstofflammen wurden von dem weißen Eisnebel mitgerissen; ehe die glühende Hitze uns etwas anhaben konnte, wurde sie zum Antarktischen Ozean abgetrieben. Sonst wären wir trotz des Schutzwalls aus Granit, der die Glut abhielt, nicht mehr heimgekehrt. Deshalb habe ich auch vorhin von den Wetterverhältnissen in jener Gegend erzählt. Undeutlich erkannten wir in dem Inferno, das uns blendete, große höckerige Gegenstände, schwarze Blöcke. Eine Weile widerstanden sie sogar dem Wüten der weißsprühenden Magnesiumfackel. In lodernder Flammenpracht gingen dort Geheimnisse unter, mit denen der Mensch sich die Planeten hätte erobern können. Rätselhafte Maschinen wurden vernichtet, die in sich die Kräfte des erdmagnetischen Felds gespeichert, die dieses Schiff einst hochgeho14 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ben und in den Weltraum geschleudert hatten. Ich sah Norris den Mund bewegen und duckte mich. Hören konnte ich ihn nicht. Die Isolierung - oder was es sonst war - hielt nicht mehr stand. Die gesamten Energien des Erdfeldes, mit denen diese Maschinen sich vor zwanzig Millionen Jahren vollgesogen hatten, wurden entfesselt. Das Südlicht am Himmel oben züngelte herab, und das ganze Plateau war in ein kaltes Feuer getaucht, das uns die Sicht raubte. Die Hacke in meiner Hand wurde rotglühend, und als ich sie aufs Eis fallen ließ, zischte es. Metallknöpfe an meiner Kleidung bohrten sich mir sengend ins Fleisch. Und ein Blitzstrahl, blau wie ein elektrischer Flammenbogen, schoß von der Stelle jenseits der Granitmauer empor. Dann stürzten die Eiswälle krachend über dem Brandherd ein. Einen Augenblick lang vernahm man ein rasendes Knirschen, als werde trockenes Eis zwischen Metallplatten zerquetscht. Wir waren wie blind und mußten uns stundenlang im Finstern zurechttasten, bis unsere Augen sich erholt hatten. Im Umkreis von eineinhalb Kilometern waren alle Kabel, der Dynamo und sämtliche Funkgeräte sowie die Sprech- und Hörinstrumente unbrauchbar geworden. Hätten wir nicht den Dampfschlepper gehabt, wären wir nicht mehr bis zu unserem Lager herübergekommen.
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Wie ihr wißt, ist Van Wall von der Station ,Big Magnet’ bei Sonnenaufgang noch einmal hingeflogen, während wir uns so schnell wie möglich auf den Heimweg machten. Das also ist die Geschichte dieses Fundes.“ McReady wies mit seinem mächtigen Bronzebart auf das Wesen, das im Eis auf dem Tisch lag. 2 Blair wurde unruhig; seine kurzen knochigen Finger bewegten sich fahrig unter der grellen Lampe. Kleine Sommersprossen glitten an den Knöcheln auf und ab, weil die Sehnen unter der Haut zuckten. Er zog ein Stückchen der Zeltbahn beiseite und blickte ungeduldig auf das dunkle, im Eis eingeschlossene Geschöpf. McReady reckte seine mächtige Gestalt. An diesem Tage war er auf dem schaukelnden, ratternden Schlepper schon über sechzig Kilometer gefahren, um schnell hierher nach ‚Big Magnet‘ zu gelangen. Selbst dieser gelassene, willensstarke Mann war von dem Verlangen, wieder unter Menschen zu sein, zur Eile angetrieben worden. Dort draußen in Lager II war es einsam und still; dort heulte vom Südpol her ein wütender Sturm, der einem selbst im Schlaf keine Ruhe ließ. Ganz abgesehen davon, daß ihm ununterbrochen das unheimliche Gesicht jenes Ungeheuers 16 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
grinsend vor Augen stand, so wie er es durch das klare blaue Eis mit einer Bronzeaxt im Schädel gesehen hatte. Erneut sprach der hünenhafte Meteorologe: „Nun kommt der strittige Punkt. Blair möchte das Geschöpf untersuchen, es auftauen, von seinen Geweben mikroskopische Schnitte machen und dergleichen mehr. Im Gegensatz zu ihm erblickt Norris darin eine Gefahr. Doktor Copper ist so ziemlich der gleichen Ansicht wie Blair. Norris ist natürlich Physiker und kein Biologe. Aber er machte uns auf eine Tatsache aufmerksam, die wir bedenken sollten. Blair hat die mikroskopischen Organismen beschrieben, die es selbst in dieser kalten unwirtlichen Gegend gibt. Sie frieren jeden Winter ein, tauen im Sommer für drei Monate auf und erwachen zu neuem Leben. Norris versteift sich nun auf dieses ‚auftauen und leben’. Auch dieses Geschöpf hier muß mikroskopische Lebewesen an sich getragen haben wie alle uns bekannten Tiere und Pflanzen. Und Norris hat Angst, daß wir, wenn wir jene winzigen Organismen auftauen, die zwanzig Millionen Jahre lang eingefroren waren, vielleicht eine Seuche heraufbeschwören, etwa einen Bazillus aus der Kältestarre erwecken könnten. Blair gibt zu, daß derartige Keime ihre Lebensfähigkeit bewahrt haben könnten. So niedrig organisierte Wesen wie Einzeller vermögen, wenn sie tiefgekühlt sind, wer weiß wie lange durchzuhalten. Das 17 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Geschöpf selbst, falls wir es so nennen wollen, ist natürlich so mausetot wie die Mammuts, die man im sibirischen Eis findet. Norris meint, daß wir vielleicht eine Krankheit auf die Menschen loslassen, gegen die sie völlig wehrlos sind, weil sie nie zuvor damit zu tun gehabt haben. Blair hält dem entgegen, daß es zwar noch lebende Keime geben könne, er wirft aber Norris vor, er stelle die Tatsachen auf den Kopf. Denn solche Bazillen könnten dem Menschen nichts anhaben. Wahrscheinlich seien die chemischen Vorgänge in unserem Körper -“ „Wahrscheinlich!“ Die Bewegung, mit der Blair jäh den Kopf hob, erinnerte an einen Vogel. Wie zum Zeichen seines Ärgers sträubte sich das graue Haar, das den sonst kahlen Kopf wie ein Heiligenschein umgab. „He - ein Blick...“ „Ich weiß“, begütigte McReady. „Dieses Geschöpf stammt nicht von der Erde. Daher ist es uns sicher auch in seinem chemischen Aufbau so wenig ähnlich, daß nicht die entfernteste Ansteckungsmöglichkeit besteht. Ich persönlich glaube an keine Gefahr.“ McReady blickte auf Dr. Copper. Der Arzt schüttelte bedächtig den Kopf. „Ich auch nicht“, versicherte er überzeugt. „Auf den Menschen lassen sich selbst Bakterien, die in so verhältnismäßig nahen Verwandten wie den Schlangen leben, nicht übertragen. Und 18 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Reptilien stehen uns fürwahr bedeutend näher als dieses Ding...“ Sein glattrasiertes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Abscheus. Wütend trat Norris vor. In dieser Versammlung stattlicher Männer wirkte er ziemlich klein, obwohl er ein Meter zweiundsiebzig maß. Die schwarzen Haare waren kraus und hart wie kurze Drahtstifte und seine Augen grau wie matter Stahl. Glich McReady einem Mann aus Bronze, so erschien an Norris alles stählern. Die Bewegungen Gedanken und das ganze Gebaren erinnerten an eine Stahlfeder, die flink und kräftig hochschnellt. Er hatte eiserne Nerven, die ihn zu raschem Handeln befähigten, aber leicht „angekratzt“ waren. Seine Meinung stand fest, und er verfocht sie mit scharfer Zunge und einem Schwall abgehackter Sätze, die bezeichnend für ihn waren. „Der Teufel hole die unterschiedliche chemische Zusammensetzung! Dieser Wicht hier mag tot sein oder - bei Gott noch leben, aber ich kann ihn nicht ausstehen. Verdammt noch mal, Blair, laß die Leute doch das Scheusal anschauen, um das du dich so liebevoll bemühst. Sollen sie sich erst das widerliche Ungeheuer ansehen und dann selbst entscheiden, ob sie es hier im Lager aufgetaut haben wollen. Nebenbei bemerkt: sollte es aufgetaut werden, dann muß das heute nacht in einem Schuppen geschehen. Irgendeiner - wer hält denn heute Wache? Die magnetische Abteilung - oh - Connant. Heute 19 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
abend ist also die kosmische Strahlung an der Reihe. Nun, Connant, du mußt dann bei Blairs zwanzig Millionen Jahre alter Mumie wachen. Wickle sie aus, Blair. Wie sollen die Männer wissen, worum es geht, wenn sie sich’s nicht ansehen dürfen?!“ Blair streifte die Verschnürung ab. Mit einem einzigen Schwung schlug er die Zeltbahn zurück und legte den Fund frei. In der Wärme des Raums war das Eis etwas geschmolzen, es war klar und schimmerte blau wie dickes, gutes Glas. Unter dem grellen Schein der schirmlosen Birne flimmerte es feucht und glänzend. Die Menschen in der Unterkunft erstarrten. Mit dem Gesicht nach oben lag das Geschöpf auf den fettigen Brettern des einfachen Tisches. Der abgebrochene Griff der bronzenen Eishacke steckte noch immer tief in dem sonderbaren Schädel. Drei unheimliche, haßerfüllte Augen blitzten auf und funkelten, als lebten sie; rot wie frisches Blut leuchteten sie aus einem Gesicht, das von einem widerlichen Wurmnest umrahmt war, von bläulichen, behenden Würmern, die sich schlängelten und wanden, wo man Haare erwartete. Van Wall, ein Pilot mit eiskalten Nerven, einen Meter dreiundachtzig groß und zweihundert Pfund schwer, gab einen eigentümlich erstickten Laut von sich und rannte stolpernd auf den Gang hinaus. Die halbe Kompanie stürzte hinterher. Die anderen wichen mit unsicheren Schritten vom Tisch zurück. 20 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
McReady beobachtete sie. In seiner ganzen Größe stand er an einem Ende des Tisches fest und sicher auf kraftvollen Beinen. Ihm gegenüber blickte Norris finster und mit schwelendem Haß auf das Ungetüm hinunter. Garry sprach indessen vor der Türe draußen mit einem halben Dutzend Männer, die ihn mit Fragen bestürmten. Blair hielt einen Hammer in der Hand, wie man ihn zum Einschlagen von Nägeln verwendet. Unter dem Hieb der stählernen Klaue knirschte die Eishülle, als sie sich von dem Wesen schälte, das sie zwanzig Millionen Jahre lang umschlossen hatte. 3 „Connant, ich weiß, daß dir dieses Geschöpf zuwider ist, aber es muß richtig aufgetaut werden. Du meinst, wir sollten es lassen, wie es ist, bis wir in die Zivilisation zurückkehren. Nun gut, ich will zugeben, daß dein Vorschlag vernünftig ist. Wir könnten dort unsere Aufgabe besser und gründlicher erledigen. Aber wie sollten wir diese Fracht über den Äquator bringen? Wir müssen sie nacheinander durch die gemäßigte Zone, die Tropen und eine Hälfte der anderen gemäßigten Zone befördern, ehe wir sie in New York haben. Eine Nacht daneben sitzenzubleiben, weigerst du dich, aber schlägst du etwa vor, daß wir den Kadaver mit dem Ochsenfleisch in den Eis21 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schrank hängen?“ Blair, der noch immer behutsam die Eishülle wegstemmte, blickte auf und nickte triumphierend mit dem sommersprossigen Kahlkopf. Kinner, der untersetzte Koch mit dem narbigen Gesicht, enthob Connant der Mühe, ihm zu antworten. „Mister, hören Sie mal zu. Wenn Sie das Ding in die Kiste zum Fleisch legen, bei allen Göttern, die es jemals gab, dann sperre ich Sie dazu, damit Sie ihm Gesellschaft leisten. Ihr sonderbaren Käuze habt mir bereits alles, was sich in diesem Lager vom Fleck bewegen ließ, auf den Eßtisch hereingeschleppt, und ich mußte dafür geradestehen. Aber wenn ihr mir solche Sachen in meinen Fleischkasten steckt oder auch nur in meine Vorratsgrube draußen, dann könnt ihr euch euren verdammten Fraß selbst kochen.“ „Aber Kinner, dies ist der einzige Tisch im Lager ,Big Magnet’, auf dem man arbeiten kann“, warf Blair ein. „Das haben wir dir doch alle auseinandergesetzt.“ „Ja, ja, und alles schleppt ihr hier herein. Clark kommt jedesmal mit den Hunden, die gerauft haben, und flickt sie auf diesem Tisch zusammen. Ralsen erscheint mit seinen Schlitten. Teufel noch mal, das einzige, was ihr noch nicht hereingeschafft habt, ist unser Flugzeug, die Boeing. Und auch das hättet ihr schon angebracht, wenn ihr eine Möglichkeit gefunden hättet, es durch die schmalen Gänge zu schleusen.“
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Kommandant Garry lachte in sich hinein und sah dann grinsend Van Wall, den hünenhaften Chefpiloten, an. In dessen Bart zuckte es verdächtig, obwohl er dem Koch ernst zunickte. „Du hast recht. Kinner. Die Flugabteilung ist die einzige, die dir Gerechtigkeit widerfahren läßt.“ Sogar über Connants finsteres Gesicht glitt ein Lächeln, als Kinner wieder mit seinem gutmütigen Schelten, mit seiner ewigen Beschwerde anfing. Aber die gute Laune verflog schnell, als er die dunklen, tiefliegenden Augen wiederum dem rotäugigen Wesen zuwandte, das Blair aus seinem Eiskokon meißelte. Mit einer allen vertrauten Handbewegung raufte er sich die schulterlangen Haare und zupfte an einer Ringellocke hinter dem Ohr. „Ich bin überzeugt, daß mir der Schuppen, in dem ich an der Höhenstrahlung arbeite, zu eng wird, wenn ich mit diesem Scheusal beisammensitzen muß“, knurrte er. „Warum kannst du nicht das Eis noch mehr abhacken - ich versichere dir, daß dich keiner dabei stören wird - und dann den Wicht über dem Dampfkessel des Elektrizitätswerks aufhängen? Der ist warm genug. Dort würde ein Huhn, ja sogar ein halber Ochse in wenigen Stunden auftauen.“ „Das weiß ich“, wehrte Blair ab und legte den Hammer beiseite, um seinen Worten mit Gesten der knochigen, sommersprossigen Finger mehr Nachdruck zu verleihen. Der kleine Mann bebte vor Eifer. 23 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Aber dieses Musterstück ist so wertvoll, daß man es keiner Gefahr aussetzen darf. Ein solcher Fund ist noch nie gemacht worden und wird nie mehr glücken. Er bietet den Menschen eine einmalige Gelegenheit und muß richtig behandelt werden. Du weißt doch, daß die Fische, die wir in der Nähe des Roß-Meeres fingen, an Deck sogleich einfroren, und daß sie, sobald wir sie vorsichtig auftauten, wieder lebendig wurden. Niedere Formen werden durch schnelles Gefrieren und langsames Auftauen nicht getötet. Wir haben -“ „He, um Himmels willen, meinst du damit, daß dieses höllische Geschöpf lebendig wird?“ brüllte Connant. „Du sollst dein verdammtes Stück bekommen laß mich dran! Das wird in soviele Stücke gehauen, daß - „ „Nein, nein, du Narr - „ Mit einem Satz war Blair vor Connant gesprungen, um seinen kostbaren Findling zu schützen. „Nein, nur niedrige Formen. Du meine Güte, laß mich doch ausreden. Höherentwickelte Wesen kannst du nicht auftauen und zum Leben erwekken. Jetzt warte noch einen Augenblick und halte den Mund! Ein Fisch kann nach dem Einfrieren wieder munter werden, weil er auf einer so primitiven Stufe steht, daß die einzelnen Zellen zu arbeiten anfangen, und bei ihm genügt das, ihn wieder lebensfähig zu machen. Jedes höhere Geschöpf, das man so behandelt, bleibt tot. Seine Einzelzellen werden zwar 24 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wiederbelebt, aber es muß sterben, weil sie nicht imstande sind, organisiert zusammenzuwirken. In jedem unverletzten, schnell abgekühlten Tier bleibt eine Art potentielles Leben erhalten. Doch es kann niemals unter keinen Umständen - in höheren Tieren wieder aktiv werden. Denn sie sind zu verwickelt und fein gebaut. Sicher hat dieses Wesen hier einen Verstand besessen und war auf seinem Heimatplaneten so hochstehend wie wir auf unserer Erde, vielleicht noch höher entwickelt. Es ist so tot wie ein erfrorener Mensch.“ „Wieso weißt du das?“ fragte Connant barsch und hielt die Eisaxt, die er einen Augenblick zuvor ergriffen hatte, noch bereit. Beruhigend legte ihm Kommandant Garry die Hand auf die Schulter. „Warte eine Minute, Connant. Diesen Punkt möchte ich geklärt haben. Ich bin gleichfalls der Ansicht, daß wir diesen Burschen hier nicht auftauen dürfen, wenn auch nur im entferntesten die Möglichkeit besteht, daß er wieder lebendig wird. Und ich gehe mit dir völlig einig, daß er dazu viel zu widerlich ist. Aber ich hatte keine Ahnung, daß derlei überhaupt eintreten könnte.“ Der untersetzte, dunkelhaarige Dr. Copper zog die Pfeife heraus, die er zwischen den Zähnen hielt, und stemmte sich aus der Bettkoje hoch, in die er sich gesetzt hatte. „Blair fachsimpelt. Der Wicht im Eisblock ist tot. So mausetot wie die Mammuts, die man 25 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
im sibirischen Eis findet. Wir besitzen zahlreiche Beweise, daß Tiere nach dem Einfrieren nicht mehr weiterleben, auch Fische im allgemeinen nicht, und nichts läßt darauf schließen, daß höhere Organismen das jemals vermögen. Was soll das Gerede, Blair?“ Der kleine Biologe zappelte aufgeregt. Die spärliche Haarkrause, die seine Glatze umgab, bebte vor rechtschaffenem Ärger. „Es dreht sich darum, daß die richtig aufgetaute Einzelzelle noch alle Merkmale zeigt, die sie im Leben besessen hat. Die Muskelzellen eines Menschen leben nach seinem Tode noch viele Stunden weiter. Nur weil das so ist, und unter anderem die Zellen der Haare und Fingernägel noch arbeiten, würdest du einem Verstorbenen doch nicht etwa vorwerfen, er sei ein lebender Leichnam, der als Gespenst umgeht. Wenn ich nun dieses Wesen hier richtig auftaue, läßt sich vielleicht noch feststellen, von welchem Weltkörper es stammt Auf keine andere Weise werden wir ergründen, ob es von der Erde, dem Mars, der Venus oder einem Stern außerhalb unseres Sonnensystems gekommen ist. Und nur, weil es nicht menschenähnlich aussieht, braucht ihr es nicht zu beschuldigen, bösartig, schlecht oder dergleichen zu sein. Vielleicht bedeutet der Ausdruck auf seinem Gesicht friedvolle Ergebung in sein Schicksal. Bei den Chinesen ist Weiß die Farbe der Trauer. Wenn die Menschen verschiedene 26 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Bräuche haben, warum soll dann bei einem so andersartigen Geschöpf sein jetziges Mienenspiel nicht etwas anderes bedeuten.“ Connants Lachen klang nicht überzeugend. „Friedvolle Ergebung! Wenn der Unhold uns nicht auf bessere Weise zeigen kann, daß er sich mit seinem Geschick abgefunden hat, dann wäre es mir außerordentlich peinlich, ihn einmal wütend zu sehen. Dieses Gesicht ist niemals dafür geschaffen worden, freundlich dreinzuschauen. Begriffe wie Frieden sind ihm einfach wesensfremd. Ich weiß, daß er dein besonderer Liebling ist, aber verliere nicht den Verstand darüber. Dieses Geschöpf ist die Verkörperung des Bösen schlechthin.“ „Zu dieser Behauptung hast du nicht das geringste Recht“, fuhr Blair ihn an. „Zu allererst eine Frage: Woher weißt du, was die Züge eines Wesens verraten, das nicht menschlich ist? Es wäre gut denkbar, daß wir etwas Entsprechendes gar nicht besitzen. Vielleicht handelt es sich nur um eine sonderbare Laune der Schöpfung, um ein neues Beispiel für ihre wunderbare Anpassungsfähigkeit. Vielleicht ist das Kerlchen in einer anderen, rauheren Welt aufgewachsen und hat daher eine abweichende Gestalt. Aber es ist ebenso wie du ein rechtmäßiges Kind der Natur. Du zeigst die lächerliche menschliche Schwäche, zu hassen, was sich von dir unterscheidet. Das Geschöpf würde dich wahrscheinlich in seiner eigenen 27 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Welt als Fischwanst, als weißes Ungeheuer mit einer ungenügenden Anzahl Augen und einem schwammigen, blassen, von Gas aufgeblähten Körper bezeichnen. Es steht dir nicht an, ihm vorzuwerfen, daß es das Böse verkörpert, nur weil es anders erschaffen ist.“ Norris’ einzige Antwort war ein markerschütterndes „Ha!“. Er blickte auf den Findling hinunter. „Vielleicht müssen Bewohner anderer Welten nicht unbedingt bösartig sein, wenn sie anders aussehen. Aber dieser hier war bestimmt ein Teufel. Ein Kind der Natur? Nun, das muß eine wahre Höllennatur gewesen sein!“ „Wollt ihr beiden Tröpfe endlich aufhören, euch zu beschimpfen, und das verdammte Zeug von meinem Tisch herunternehmen?“ knurrte Kinner. „Und deckt es zu, es sieht eklig aus.“ „Kinner wird zimperlich“, höhnte dormant. Mit schrägem Blick sah Kinner zu dem großen Physiker auf, und als er die festgeschlossenen Lippen zu einem schiefen Grinsen verzog, zuckte die Narbe an der Wange mit. „Na schön, großer Bruder, und worüber hast du noch vor einer Minute gemurrt? Wenn du es wünschst, können wir den Wicht heute nacht neben dich setzen.“ „Ich fürchte mich nicht vor seiner Fratze“, brauste Connant auf. „Begeistert bin ich gerade nicht, ausgerechnet bei ihm Totenwache zu halten, aber ich wer28 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
de es tun.“ Kinners Grinsen wurde noch breiter. „Aha!“ Er ging zum Herd und rüttelte die Asche so heftig durch den Rost, daß in dem Lärm das leise Klirren der Eishacke unterging, mit der sich Blair wieder an die Arbeit machte. 4 „Klick“, meldete der Geigerzähler für die kosmischen Strahlen, „krr - klick.“ Connant fuhr hoch und ließ dabei den Bleistift fallen. „Verdammt!“ Der Physiker blickte rückwärts in die Ecke, wo der Geigerzähler stand, dann kroch er unter den Schreibtisch, an dem er gearbeitet hatte, um seinen Bleistift aufzuheben. Er machte sich erneut ans Werk und versuchte, gleichmäßiger zu schreiben, denn jedesmal wenn der Geigerzähler sich unvermutet meldete, wollten die Buchstaben dazu im Takt mitschwingen. Das gedämpfte Summen der Vergaserlampe, die er zur Beleuchtung benützte, das gurgelnde und trompetende Schnarchen von einem Dutzend Männer, die am anderen Ende des Ganges im sogenannten Paradieshaus schliefen, bildeten den Hintergrund zu dem sprunghaften Ticken des Zählers und dem gelegentlichen Geprassel, mit dem im Kupferbauch des Ofens Kohle herabfiel. Dazu kam das stetige Tropfen von dem Wesen in der Ecke. 29 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hastig zog Connant eine Packung Zigaretten aus der Tasche, schüttelte sie, bis eine vorguckte, und schob das Mundstück zwischen die Lippen. Das Feuerzeug ging nicht an, und er durchwühlte ärgerlich den Stoß Akten, um ein Zündholz zu suchen. Noch ein paar Male ließ er das Rädchen des Feuerzeugs schnurren, dann warf er es mit einem Fluch beiseite, um sich mit der Kohlenzange ein Brockchen Glut aus dem Ofen zu fischen. Nachdem er an seinen Schreibtisch zurückgekehrt war, nahm er das Feuerzeug nochmals zur Hand, und jetzt brannte es sofort. Plötzlich tickte der Geigerzähler, anscheinend von einem Ausbruch kosmischer Strahlen getroffen, und es klang, als breche er in wies herndes Gelächter aus. Connant drehte sich um und starrte ihn finster an; dann versuchte er sich in die Auswertung der Daten zu vertiefen, die sich in der verflossenen Woche angesammelt hatten und die er, wie üblich, zusammenfassen wollte. Doch er gab das Vorhaben bald auf, und seine Neugierde - vielleicht war es auch Nervosität - gewann die Oberhand. Er hob die Lampe vom Schreibtisch hoch und trug sie zu der Bank in die Ecke. Dann wanderte er zum Ofen zurück und ergriff die Kohlenzange. Das Untier taute nun schon fast 18 Stunden auf. Mit unbewußter Vorsicht stocherte er daran herum; das Körpergewebe war nicht mehr hart wie eine Panzerplatte, sondern weich und federnd. Es ähnelte 30 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
feuchtem blauem Gummi, der in dem grellen Schein der Lampe unter Wassertröpfchen glitzerte, die wie kleine runde Edelsteine aussahen. Connant verspürte ein sinnloses Verlangen, den Inhalt des Benzintanks seiner Lampe über das Wesen, das in einem Behälter lag, auszugießen und die Zigarette hineinzuwerfen. Die drei roten Augen glotzten ihn blicklos und böse an, die rubinfarbenen Augäpfel warfen die Lichtstrahlen trübe und gedämpft zurück. Undeutlich wurde ihm bewußt, daß er sie ausnehmend lange betrachtet hatte, und er erfaßte sogar, daß sie jetzt nicht mehr ausdruckslos waren. Doch erschien ihm das ohne Bedeutung und ebenso unwichtig wie die schwerfällige träge Bewegung der fühlerartigen Auswüchse, die von dem mageren, langsam pulsierenden Halsansatz hervorsprossen. Connant packte die Lampe und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Er setzte sich nieder und blickte unverwandt auf die vor ihm liegenden Seiten, die mit Zahlen bedeckt waren. Merkwürdigerweise störte ihn jetzt auch das Ticken des Geigerzählers weniger, auch das Geprassel der Kohlen im Ofen lenkte ihn nicht mehr ab. Als er sich anschickte, ganz mechanisch seinen Wochenbericht zu verfassen, indem er die Daten in die Spalten eintrug und kurze zusammenfassende Bemerkungen aufschrieb, knarrten die Bodenbretter hinter ihm; aber auch dieses Geräusch unterbrach seine Gedanken nicht, obwohl es immer 31 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
näher kam. 5 Jäh schreckte Blair aus seinem tiefen, von Alpträumen gepeinigten Schlaf. Undeutlich schwebte Connants Gesicht über ihm; einen Augenblick lang schien es ihm die Fortsetzung seines wüsten, grausigen Traums zu sein. Doch Connant machte nur ein zorniges, ein wenig ängstliches Gesicht. „Blair, Blair, du verdammter Holzklotz, wach auf.“ „Wie? Was?“ Der kleine Biologe rieb sich die Augen, indem er die knochigen, sommersprossigen Finger wie ein kleines Kind tolpatschig zur Faust ballte. Aus den umliegenden Schlafkojen tauchten andere Gesichter auf und spähten zu den beiden hinunter. Connant richtete sich auf. „Raus aus dem Bett, aber flink! Dein verflixtes Vieh ist ausgerückt.“ „Was - ausgerückt?“ brüllte Chefpilot Van Wall, daß von dem Stimmaufwand die Balken zitterten. Plötzlich gellten am entgegengesetzten Ende der Verbindungstunnel weitere Schreie. Die zwölf Bewohner des Paradieshaüses kamen im Nu hereingestürzt. Der gedrungene Barclay, der in seiner langen wollenen Unterhose kugelrund aussah, trug einen Feuerlöscher in der Hand. „Zum Teufel, was ist hier los?“ fragte Barclay 32 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
scharf. „Euer verdammtes Biest ist entwischt. Vor etwa zwanzig Minuten bin ich eingeschlafen, und als ich aufwachte, war es verschwunden. He, Doktor, hast du nicht behauptet, der Wicht könne nicht mehr lebendig werden? Statt dessen hat Blairs höllisches ‚potentielles’ Leben so viel ,Aktivität’ entwickelt, daß es uns einfach davonspaziert ist.“ Fassungslos blickte Copper ihn an. „Das Geschöpf stammte nicht von - der Erde“, seufzte er unvermittelt. „Ich - ich glaube - man kann irdische Gesetze nicht darauf anwenden.“ „Nun, seiner Meinung nach hatte es einen Rechtsanspruch auf Urlaub und nahm ihn sich. Wir müssen es suchen und irgendwie fangen.“ Dormant fluchte wütend. Seine tiefliegenden Augen hatten einen trotzigen und erbosten Ausdruck. „Es ist ein Wunder, daß mich das verhexte Vieh nicht aufgefressen hat, als ich schlief.“ Blair fuhr zurück, die hellen Augen waren plötzlich furchterfüllt. „Vielleicht hat es - hm - wir müssen es finden.“ „Das ist deine Sache! War ja dein Liebling. Was ich ausgestanden nabe, als ich dort saß und der Geigerzähler alle paar Sekunden tickte, während ihr Brüder eure Nachtmusik veranstaltetet, das reicht mir zur Genüge. Erstaunlich, daß ich überhaupt einge33 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schlummert bin. Ich gehe jetzt zum Verwaltungsgebäude hinüber.“ In diesem Augenblick trat Kommandant Garry zur Türe herein. „Nicht nötig“, sagte er. „Van Walls Gebrüll dröhnte wie die Boeing beim Start mit Rückenwind. Also der Wicht war keineswegs tot?’’ „In den Armen weggetragen habe ich ihn nicht, das kann ich dir versichern“, brauste Connant auf. „Als ich ihn zum letztenmal sah, quoll eine grüne Schlammasse aus dem gespaltenen Schädel wie bei einer zerquetschten Raupe. Der Doktor erklärte, daß unsere Gesetze nicht für ihn gültig seien, da er nicht von der Erde stamme. Nun, er ist wahrlich ein Ungeheuer von einer anderen Welt, und nach seinem Gesicht zu schließen mit durchaus unirdischen Anlagen, zumal er mit eingeschlagenem Kopf und langsam auslaufendem Gehirn noch umherwandert.“ Am Eingang drängten sich andere fröstelnde Männer, unter ihnen auch Norris und McReady. „Hat einer unseren lieben Gast hereinkommen sehen?“ fragte Norris unschuldsvoll. „Er ist etwa ein Meter zwanzig groß, hat drei rote Augen, und das Hirn rinnt ihm aus. He - hat sich schon jemand vergewissert, daß es sich nicht um einen faulen Witz handelt? Wenn das der Fall ist, dann helfe ich mit, Connant Blairs Schoßhündchen um den Hals zu binden wie weiland dem Matrosen einen Albatros.“ „Das ist kein Scherz.“ Connant schüttelte sich. „Bei 34 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Gott, ich wünschte, es wäre einer! Lieber würde ich -“ Er hielt inne. Ein wildes unheimliches Heulen geilte durch die Gänge. Die Männer erstarrten und wandten sich um. „Ich glaube, man hat den Burschen gefunden“, meinte Connant. Seine dunklen Augen schweiften merkwürdig unstet umher. Dann eilte er zu seiner Schlafkoje im Paradieshaus und kehrte im Nu mit einem schweren Revolver und einer Eishacke wieder. Während er auf den Tunnel zustrebte, der nach dem Hundezwinger führte, wog er beide Waffen abschätzend in den Händen. „Der Wicht ist den verkehrten Gang entlanggestolpert und inmitten der Eskimohunde gelandet. Horcht die Hunde haben ihre Ketten zerrissen -“ Das halb erschreckte Jaulen der Hunde hatte sich in ein wildes Jagdgebell verwandelt. Die Stimmen der Tiere hallten dröhnend in den engen Tunnels wider, und durch den Lärm drang ein leises rollendes Knurren, das unverhüllten Haß ausdrückte. Ein schriller Schmerzensschrei - dann grollende Kläfflaute aus einem Dutzend Kehlen. Connant stürzte zur Türe. Dicht hinter ihm McReady, Barclay und Kommandant Garry. Andere Männer rasten um Waffen ins Verwaltungsgebäude und ins Schlittenhaus. Pomroy, der die fünf Kühe vom Lager ‚Big Magnet‘ betreute, lief in die entgegengesetzte 35 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Richtung, denn er hatte es auf die langzinkige Mistgabel abgesehen, die einen zwei Meter langen Griff besaß. Als McReadys Riesengestalt plötzlich von dem Gang abbog, der in den Hundezwinger führte, und in einen Nebentunnel verschwand, bremste Barclay schlitternd und blieb stehen. Der Mechaniker zögerte einen Augenblick mit dem Feuerlöscher in der Hand, unschlüssig, nach welcher Seite er sich wenden sollte. Dann sauste er hinter Garrys breitem Rükken drein. Falls McReady irgend etwas Besonderes im Sinne hatte, konnte man sich bei ihm darauf verlassen, daß es klappte. An einer Biegung hielt Connant an. Sein Atem ging plötzlich pfeifend. „Großer Gott!“ Mit donnerndem Krach entlud sich der Revolver; drei ohrenbetäubende, spürbare Schallwellen rauschten polternd durch die engen Stollen. Zwei weitere folgten. Der Revolver fiel auf den hartgetretenen Schnee der Laufspur, und Barclay sah, daß die Eishacke zur Abwehr gezückt wurde. Connants mächtiger Körper versperrte ihm die Aussicht, aber dahinter hörte er es miauen und wie wahnsinnig glucken. Die Hunde hatten sich beruhigt; ihr leises Knurren verriet tödliche Entschlossenheit. Die krallenbewehrten Pfoten scharrten den festgestampften Schnee, losgerissene Ketten baumelten klirrend herab. Unvermittelt wich Connant beiseite, und Barclay konnte wahrnehmen, was sich vorne abspielte. Eine 36 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Sekunde blieb er wie festgefroren stehen und stieß schweratmend einen Fluch hervor. Das Untier hatte sich auf Connant geworfen, doch dieser schwang mit kräftigen Armen die Eisaxt mit der Flachseite hoch und ließ sie auf den Körperteil des Wesens herabsausen, den man als Kopf bezeichnen konnte. Man hörte ein grausiges Knirschen, doch der zerfleischte Klumpen, der von einem halben Dutzend wilder Eskimohunde schwer zugerichtet worden war, sprang erneut hoch. Aus den roten Augen leuchteten Haß und ein unzerstörbarer Lebenswille. Barclay richtete den Feuerlöscher auf das Scheusal. Der ätzende chemische Sprühregen blendete und verwirrte es ebenso wie der Überfall der Eskimohunde, die sich von niemand einschüchtern ließen und den Eindringling in Schach hielten. McReady drängte die Manner beiseite, die ihm im Wege standen, und strebte den engen Tunnel entlang, der mit Leuten vollgepfropft war; sie konnten den Schauplatz des Kampfes nicht erreichen. McReady griff nach einem wohlüberlegten Plan an. In seinen bronzefarbenen Hunden hielt er eine der riesigen Lötlampen, mit denen die Motore der Flugzeuge angewärmt wurden. Als er um die Ecke bog und das Luftventil öffnete, fuhr brausend und zischend der Strahl hinaus, dessen Geräusch jedoch von dem Miauen und Fauchen des Unholds übertönt wurde. In wirrem Knäuel wichen die Hunde vor der heißen, 37 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bläulichen Flamme zurück, die einer meterlangen Lanze glich. „Bar, hole ein elektrisches Kabel und leite damit irgendwie Strom hierher und - bringe eine Greifzange. Dieses... Ungeheuer wird jetzt elektrisch hingerichtet, falls wir es nicht zu Asche verbrennen können.“ McReady gab seine Befehle mit einer Sicherheit, die auf einen gutdurchdachten Plan schließen ließ. Barclay kehrte um und lief den langen Stollen zum Kraftwerk hinunter, wohin Norris und Van Wall schon vor ihm geeilt waren. Barclay fand das Kabel in einer versteckten Nische der Tunnelwand, in der derlei Geräte aufbewahrt wurden. Binnen einer halben Minute hatte er es zurechtgeschnitten und trat den Rückweg an. Van Walls Stimme ertönte. Warnend rief er: „Starkstrom eingeschaltet!“, während der mit Benzin betriebene Dynamo dumpf dröhnend zu arbeiten begann. Nun waren schon ein Dutzend anderer Männer zur Stelle; Kohlen wurden in die Feuerung der stromerzeugenden Dampfmaschine geschaufelt, man heizte sie tüchtig an. Morris, der leise und unheimlich eintönig vor sich runfluchte, arbeitete mit flinken, sicheren Fingern am anderen Ende von Barclays Kabel und setzte in einer der Leitungen einen Schalter ein, um den Stromkreis schließen zu können. Als Barclay an die Gangbiegung kam, hatten die Hunde das Feld geräumt, sie waren vor einem Unge38 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
heuer zurückgescheut, das sie aus roten Augen giftig anfunkelte und vor ohnmächtiger Wut miaute, weil es in die Enge getrieben war. Die Hunde bildeten einen Halbkreis aus rotgesprenkelten Schnauzen, sie bleckten die schimmernd weißen Zähne, und ihr blutgieriges Winseln stand an Wildheit den roten Augen kaum nach. McReady blieb sprungbereit und mit ruhiger Zuversicht an der Gangecke stehen, die stürmisch knatternde Lötlampe locker und einsatzbereit in den Händen, Als Barclay herankam, trat er beiseite, ohne das Untier aus den Augen zu lassen. Auf seinem schmalen Bronzegesicht lag ein leises, verbissenes Lächeln. Norris rief ihm etwas zu, und Barclay trat vor. Das Kabel war an den langen Stiel einer Schneeschaufel gebunden; die zwei Zuleitungen hatte man vorerst getrennt, sie wurden durch ein Stück Holz, das man rechtwinkelig am Ende der Stange angebracht hatte, fast einen halben Meter auseinandergehalten. Blanke Kupferdrähte, mit 220 Volt geladen, glitzerten im Licht der Vergaserlampen. Das Geschöpf miaute, grollte und wich aus, McReady trat neben Barclay vor. Die abgerichteten Hunde erfaßten mit ihrem beinahe hellseherischen Spürsinn, was man beabsichtigte. Ihr Jaulen wurde schriller, gleichzeitig sanfter, sie schlichen mit ruckartigen Schritten näher heran. Unvermittelt sprang ein riesiger nachtschwarzer Alaskahund das in die Enge getriebene Untier an. Aufkreischend 39 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wandte es sich um und hieb mit den säbelartigen Pfoten auf den Angreifer ein. Mit einem Satz war Barclay bei den Kämpfenden und stach zu. Ein unheimlicher gellender Schrei erscholl und erstarb röchelnd. Der Geruch von versengtem Fleisch wurde wahrnehmbar; fettiger Rauch stieg kräuselnd hoch. Das hallende Pochen des BenzinDynamos am Ende des Stollens wurde zu einem dumpf stampfenden Hämmern. Die roten Augen verschleierten sich und das zukkende Zerrbild eines Gesichts wurde starr. Die armund fußähnlichen Gliedmaßen bäumten sich zitternd auf. Nun stürzten die Hunde vor, und Barclay riß seine Waffe an dem Schaufelstiel zurück. Als glitzernde Zahne das Geschöpf auf dem Schneeboden zerfleischten, regte es sich nicht mehr. 6 Garry blickte in dem gedrängt vollen Raum um sich. Zweiunddreißig Männer waren hier versammelt. Einige lehnten an der Wand, weil sie zu nervös und abgespannt waren, um Ruhe zu finden; andere hatten es sich trotz sichtlichem Unbehagen bequem gemacht und saßen herum, während die meisten notgedrungen sich wie Heringe aneinander drängten. Zu den zweiunddreißig Leuten kamen noch die fünf, die damit beschäftigt waren, verwundete Hunde zusam40 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
menzuflicken, insgesamt siebenunddreißig Mann, die gesamte Belegschaft des Lagers. Garry begann zu sprechen: „Gut, wir sind alle hier, glaube ich. Ein paar von euch, höchstens drei oder vier, haben miterlebt, was vorgefallen ist. Doch ihr alle habt das Geschöpf auf dem Tisch dort gesehen und könnt euch denken, worum es ging. Falls einer den Findling noch nicht kennt, will ich -“ seine Hand glitt zu dem Zelttuch, das sich über dem Wesen auf dem Tisch bauschte. Ein stechender Geruch nach versengtem Fleisch quoll langsam darunter hervor. Die Männer wurden unruhig. Man hörte hastig ablehnende Stimmen. „Es sieht mir ganz danach aus, als sollte Charnauk keine Gespanne mehr leiten“, fuhr Garry fort. „Blair möchte sich das Geschöpf vornehmen und es noch genauer untersuchen. Wir wollen erfahren, was geschehen ist, und uns sofort vergewissern, daß es endgültig und unwiderruflich tot ist. Einverstanden?“ Connant grinste. „Das ist wohl jeder, der heute nacht nicht mehr daneben Wache zu halten braucht.“ „Also schön. Blair, was kannst du uns darüber sagen? Worum handelt es sich?“ Garry wandte sich an den schmächtigen Biologen. „Ich möchte gerne wissen, ob wir es je in seiner ursprünglichen Gestalt zu Gesicht bekamen.“ Blair blickte auf die zugedeckte Masse. „Es könnte auch 41 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
die Erbauer des Raumschiffes nachgeahmt haben, aber ich glaube es nicht. Meiner Ansicht nach erschien es uns in seiner wahren Gestalt. Wer von euch in der Nähe der Gangbiegung stand, hat beobachten können, wie es sich verhielt. Als Ergebnis entstand jenes Wesen dort auf dem Tisch. Nachdem es uns davongelaufen war, sah es sich offensichtlich zuerst hier um. Qie Antarktis war noch immer so vereist wie damals, als das Geschöpf sie zuerst erblickte und selbst von Eis umschlossen wurde. Nach den Beobachtungen, die ich während des Auftauens machte, und nach den Gewebéstückchen, die ich schnitt und härtete, muß es, glaube ich, auf einem wärmeren Planeten gehaust haben. In seiner ursprünglichen Gestalt konnte es daher die Temperatur hier nicht aushalten. Auch von den irdischen Lebewesen kann während des Winters in der Antarktis keines bestehen, am besten noch der Polarhund. Das Geschöpf entdeckte die Hunde, und irgendwie gelang es ihm, so nahe an Charnauk heranzukommen, daß es ihn fassen konnte. Die anderen witterten den Eindringling - oder hörten ihn - ich weiß es nicht - jedenfalls wurden sie wild, sprengten ihre Ketten und griffen ihn an, ehe er sein Werk vollbracht hatte. Wir fanden ein merkwürdiges Zwitterwesen vor; ein Stück davon war noch Charnauk, sonderbarerweise nicht ganz tot, einen weiteren Teil bildeten Charnauks Gewebe, die von dem gallertartigen Protoplasma des Untiers halb verdaut waren, und außerdem blieb noch ein Rest 42 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
von diesem selbst erhalten, wenn er auch gewissermaßen in die protoplasmatische Grundsubstanz umgeschmolzen war. Als die Hunde angriffen, verwandelte es sich in ein Geschöpf von ungeahnter Kampfgier, ja von einer so bestialischen Wildheit, wie man sie sich nur auf einer anderen Welt denken kann.“ „Es verwandelte sich? Wie denn?“ unterbrach ihn Garry. „Jede lebende Zelle besteht aus Protoplasma und winzigen, nur mikroskopisch wahrnehmbaren Teilchen, den Zellkernen, von denen die Hauptmasse, das Protoplasma, gesteuert wird. Dieses Lebewesen war nur eine abgewandelte Ausgabe des gleichen allumfassenden Bauplans, nach dem in der Natur Organismen gestaltet sind; es besaß Zellen aus Protoplasma, die von viel winzigeren Kernen beherrscht wurden. Ihr Physiker könntet die Zelle mit einem Atom vergleichen; die Hauptmasse des Atoms, der raumfüllende Teil, besteht aus Elektronenbahnen, aber die Grundeigenschaften werden vom Kern bestimmt. Bei unserem Findling nun vermögen die Zellkerne bewußt und nach Belieben die Zelltätigkeit zu beeinflussen. Das Untier verdaute Charnauk, und während es das tat, studierte es jede Zelle seiner Gewebe und formte seine eigenen Zellen zu einem genauen Abbild um. Stücke davon, die Zeit gehabt hatten, sich voll43 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kommen umzuwandeln, sind bereits Hundezellen. Doch sie besitzen fremde Zellkerne.“ Blair hob einen Zipfel des Zelttuchs hoch. Ein zerfleischtes Hundebein mit steifen grauen Haaren ragte heraus. „Dies hier ist zum Beispiel kein Hundebein, es ist eine Nachahmung. Bei manchen Abschnitten bin ich nicht ganz sicher; der echte Kern hat sich hinter einem nachgeahmten versteckt. Nach einer bestimmten Zeit hätte nicht einmal das Mikroskop mehr den Unterschied gezeigt.“ „Und wenn der Wicht nun Muße genug gehabt hätte?“ fragte Norris bitter. „Dann wäre er ganz zu einem Hund geworden. Die anderen vom Rudel hätten ihn als ihresgleichen hingenommen. Auch wir hätten uns täuschen lassen. Ich glaube nicht, daß man irgendwie eine Abweichung bemerkt hätte, weder mit einem Mikroskop, noch mit Röntgenstrahlen oder anderen Mitteln. Hier handelt es sich um den Angehörigen einer äußerst klugen Gruppe von Lebewesen, die in die tiefsten Geheimnisse der Biologie eingedrungen sind und sie sich zunutze gemacht haben.“ „Was hatte der Eindringling vor?“ Barclay blickte auf das Segeltuch, das sich hochwölbte. Blair grinste aufreizend. Der wehende Heiligenschein aus dünnem Haar, der die Glatze umgab, zitterte unter einem Luftzug. „Ich könnte mir vorstellen, 44 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
daß er sich die Herrschaft über die Welt aneignen wollte.“ „Ganz allein?“ keuchte Connant. „Wollte er etwa Diktator werden?“ „Nein.“ Blair schüttelte den Kopf. Das Skalpell, mit dem seine Finger gespielt hatten, fiel zu Boden; er beugte sich, um es aufzuheben, so daß sein Gesicht beim Sprechen nicht zu sehen war. „Um die Welt zu bevölkern.“ „Aber wie denn? Vermehrt er sich ungeschlechtlich?“ Blair schüttelte wieder den Kopf. „Das - das braucht er nicht. Er wiegt fünfundachtzig Pfund. Charnauk wog neunzig. Er hätte sich in Charnauk verwandelt und seine fünfundachtzig Pfund trotzdem noch übrig gehabt, um - sagen wir - zu Jack oder Chinook zu werden. Alles vermag er nachzuahmen das heißt, zu allem zu werden. Hätte er das antarktische Meer erreicht, wäre er zu einem, vielleicht zu zwei Seehunden geworden. Die hätten einen Schwertwal angegriffen und sich entweder in ihn oder in eine Seehundherde verwandelt. Ebenso gut wäre das Wesen imstande, ein Albatros oder eine Möwe zu werden und nach Südamerika zu fliegen.“ Norris fluchte leise. „Und jedesmal, wenn es etwas ‚verdaut’ und nachgeäfft hätte -“ „Wäre seine ursprüngliche Körpermasse nicht ver45 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ringert worden, und das Spiel könnte von neuem beginnen“, beendete Blair den Satz. „Nichts wäre fähig, es zu vernichten. Natürliche Feinde besitzt es nicht, weil es zu allem zu werden vermag, was es wünscht. Griffe ein Schwertwal es an, würde es sich in ihn verwandeln. Wäre es ein Albatros und ein Adler überfiele es, würde es zu einem Adler. Mein Gott, es könnte ein Adlerweibchen werden, heimfliegen, ein Nest bauen und Eier legen!“ „Bist du sicher, daß dieses Höllentier jetzt tot 1st?“ fragte Doktor Copper besorgt. „Ja, dem Himmel sei Dank!“ keuchte der kleine Biologe. „Nachdem die Hunde weggejagt waren, habe ich es mit Barclays elektrischem ‚Stuhl’ fünf Minuten lang bearbeitet. Es ist mausetot - gekocht.“ „Dann können wir nur dankbar sein, daß wir hier in der Antarktis sind, wo es welter keine lebenden Wesen mehr gibt, die es nachahmen könnte.“ „Außer uns selbst!“ kicherte Blair. „Uns kann es nachahmen. Hunde sind nicht fähig, sechshundertvierzig Kilometer bis zum Meer zurückzulegen; sie finden unterwegs keine Nahrung. In dieser Jahreszeit gibt es auch keine Möwen. Landeinwärts haben wir auch keine Pinguine. Niemand erreicht von hier aus das Meer - außer uns selbst. Wir besitzen Verstand, wir sind die Herren - also: muß es uns nachahmen es muß einer von uns werden - nur auf diese Weise 46 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kann es mit einem Flugzeug entkommen - zwei Stunden fliegen und alle Bewohner der Erde beherrschen - ihre Gestalt annehmen. Eine Welt ist zu gewinnen wenn es uns nachahmt! Noch hat es das nicht erfaßt. Es hatte keine Zeit dazu. Man jagte und hetzte es - so verfiel es auf das Wesen, das ihm an Größe am ehesten entsprach. Seht her - ich bin Pandora - ich habe die Büchse des Unheils geöffnet! Nur eine Hoffnung bleibt: von hier kann keiner mehr entrinnen. Ihr habt nicht bemerkt, wie ich das angestellt habe, doch ich habe es fertiggebracht. Jeden Magnetzünder habe ich zertrümmert. Nicht ein Flugzeug kann mehr aufsteigen. Keiner wird mehr fliegen.“ Blair kicherte und warf sich aufschreiend zu Boden. Chefpilot Van Wall stürzte zur Türe. Man hörte seine Schritte In den Gängen verhallen, während sich Dr. Copper über den kleinen Mann beugte. Aus seinem Arbeitszimmer am anderen Ende des Raums brachte er eine Spritze und injizierte Blair eine Lösung in den Arm. „Vielleicht kommt er darüber hinweg, sobald er aufwacht“, seufzte er und erhob sich. McReady half ihm, den Biologen in eine naheliegende Schlafkoje zu heben. „Es hängt alles davon ab, ob wir ihn überzeugen können, daß dieser Unhold tot ist.“ Als Van Wall wieder in die Unterkunft hereintrat, mußte er sich bücken. Geistesabwesend strich er sich über den dichten blonden Bart. „Ich hätte nicht ge47 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dacht, daß ein Biologe derlei so gründlich ausführt. Die Reservebestandteile im zweiten Lagerraum hat er allerdings übersehen. Doch nun ist es gut. Ich habe sie ebenfalls zerstört.“ Kommandant Garry nickte. „Ich überlegte eben, was mit dem Radio geschehen soll.“ Dr. Copper schnaubte: „Ihr glaubt doch nicht, daß dieses Wesen uns über die Radiowellen entwischen kann. Wenn ihr die Sendungen einstellt, treffen in den nächsten drei Wochen fünf Rettungsexpeditionen ein. Wir müssen weiterhin in voller Lautstärke senden und dabei keinen Ton von aliedem verraten. Nun möchte ich noch gerne wissen -“ McReady blickte den Arzt nachdenklich an. „Die Verwandlung könnte wie eine ansteckende Krankheit sein. Jedes Wesen, das auch nur einen Tropfen vom Blut des Unholds aufnahm -“ Copper schüttelte den Kopf. „Blair hat etwas übersehen. Der Wicht mag nachahmen, aber er behält bis zu einem gewissen Grade seinen eigenen chemischen Aufbau, seinen Stoffwechsel bei. Wäre das nicht der Fall, dann müßte er für immer ein Hund bleiben, sobald er sich einmal in einen verwandelt hat, und damit wäre die Frage gelöst. Er muß also ein unechter Hund werden. Das läßt sich mit einem Serumtest entdecken. Und weil er von einer anderen Welt stammt, muß seine Chemie so grundlegend an48 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ders sein, daß ein paar Zellen, wie man sie in Form von Blutstropfen entnehmen kann, von einem echten Hund oder einem menschlichen Körper wie Krankheitskeime behandelt würden „ „Du sprichst von Blut - würde denn eines dieser Trugbilder bluten?“ fragte Morris eindringlich. „Gewiß. Blut hat nichts Geheimnisvolles an sich. Auch Muskeln bestehen etwa zu neunzig Prozent aus Wasser; Blut unterscheidet sich von ihnen im wesentlichen nur, weil es ein paar Prozente mehr Wasser enthält und weniger Bindegewebe, Diese Wesen würden regelrecht bluten“, versicherte ihm Copper. Plötzlich setzte sich Blair in seiner Schlafkoje auf. „Connant - wo steckt Connant?“ Der Physiker trat zu dem kleinen Biologen. „Hier bin ich. Was willst du?“ „Bist du wirklich hier?“ kicherte Blair. Von lautlosem Lachen geschüttelt, sank er aufs Bett zurück. Verständnislos sah Connant ihn an. „Hm? Was soll ich?“ „Bist du es wirklich?“ Blair brach in stürmisches Gelächter aus. „Bist du... Connant? Das Untier wollte ein Mensch werden kein Hund...“
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7 Müde erhob sich Dr. Copper vom Bettrand und wusch sorgfältig die Injektionsnadel aus. Nun, da sich Blairs gurgelndes Gelächter beruhigt hatte, schien das leise Geräusch, das sein Tun begleitete, laut durch den überfüllten Raum zu tönen. Copper blickte Garry an und schüttelte langsam den Kopf. „Hoffnungslos, fürchte ich. Wir werden ihn meiner Ansicht nach nie mehr davon überzeugen können, daß dieses Geschöpf tot ist.“ Norris lachte unsicher. „Wer weiß, ob du mich davon überzeugen kannst. Ach McReady, dich soll der Teufel holen.“ „McReady?“ Kommandant Garry wandte sich um und blickte neugierig von Norris zu McReady. „Wegen der Alpträume“, erläuterte Norris. „Er entwickelte eine Theorie über die Träume, die uns im Lager II plagten, nachdem wir das Ding hier gefunden hatten.“ „Und die wäre?“ Garry blickte unverwandt McReady an, an dessen Stelle Norris die Antwort übernahm. Er sprach fahrig und abgehackt. „McReady meinte, das Geschöpf sei nicht tot, es habe nur eine Art ungeheuer verlangsamten Lebens, das ihm dennoch gestatte, den Gang der Zeit und nach endlosen Jahren selbst unser Kommen wahrzunehmen. Ich hatte geträumt, daß es Dinge nachahmen könnte.“ 50 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Nun, das kann es“, knurrte Copper. „Mach dich nicht lächerlich“, brauste Norris auf. „Deswegen ereifere ich mich nicht. Aber im Traum konnte es auch Gedanken lesen, und es erfaßte genau, was einer plante, sich vorstellte, kurz alle seine Eigenheiten.“ „Was ist daran so schlimm? Es scheint dich mehr zu beunruhigen als der Gedanke, welche Freude wir mit einem Wahnsinnigen in der Antarktis erleben werden.“ Copper wies mit einem Kopfnicken auf den schlafenden Blair. Bedächtig schüttelte McReady das mächtige Haupt. „Ihr wißt, daß Connant wirklich Connant ist, weil er nicht nur so aussieht - das brächte auch das Untier zuwege, wie uns scheint, - sondern weil er so denkt und sich genau so verhält. Dazu genügt nicht ein ähnlicher Körper, dazu sind Connants ureigenste Seele, seine Gedanken und Eigenheiten erforderlich. Die Vorstellung, daß dieses Geschöpf einen von uns verkörpert, ist bestechend, aber sie widerspricht den Tatsachen, weil ein so andersartiges Wesen uns nichts vormachen könnte. Es besitzt keinen menschlichen Verstand. „Wie ich schon einmal bemerkt habe, behauptest du stets zur ungeeignetsten Zeit die blödsinnigsten Dinge. Würdest du so freundlich sein und den Gedanken nach der einen oder anderen Richtung zu 51 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Ende führen?“ Kinner, der Koch mit dem Narbengesicht, hatte in Connants Nähe gestanden. Plötzlich lief er davon, und bald hörte man, wie er an seinem vertrauten Kombüsenherd geräuschvoll die Asche im Ofen durchrüttelte. „Es würde dem Eindringling nichts nützen, nur so auszusehen wie sein Opfer“, sagte Dr. Copper nachdenklich. „Er müßte dessen Gefühle und Verhalten verstehen. Er ist kein Mensch; doch er hat eine Fähigkeit, sich in andere zu versetzen, die alle unsere Begriffe übersteigt. Ein guter Schauspieler kann einen anderen Menschen darstellen, wenn er sich darin übt, und die Gewohnheiten eines Artgenossen so gut nachäffen, daß er die meisten Leute irreführt. Natürlich wäre kein Schauspieler imstande, jemanden so voIlkommen zu verkörpern, daß er Männer zu betrügen vermöchte, die mit dem Urbild in einem Antarktislager zusammenhausen, wo keiner ein zurückgezogenes Dasein führen kann. Dazu wäre eine übernatürliche Begabung nötig.“ „Ach, du bist also auch schon angesteckt?“ erwiderte Norris und fluchte leise. Connant stand mit weißem Gesicht allein an dem einen Ende des Raums und blickte wild um sich. Ganz sachte hatten sich die Männer in der entgegengesetzten Hälfte der Unterkunft zusammengerottet, 52 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
so daß Connant völlig abgesondert war. „Mein Gott, wollt ihr zwei Unheilspropheten den Mund halten?!“ Connants Stimme bebte. „Was bin ich denn? Irgendein mikroskopisches Präparat, das ihr zergliedert? Ein widerlicher Wurm, über den ihr euch in der dritten Person unterhaltet?“ McReady blickte zu ihm auf; er hatte krampfhaft die Hände gerungen und hielt sie nun einen Moment still. „Jetzt könnten wir alle heimschreiben: ‚Bei uns ist es wunderbar, ich wünschte, du wärest auch hier, Connant, wenn du glaubst, es gehe dir höllisch schlecht, dann versetze dich einmal in die Lage der anderen. Du hast uns etwas voraus: du weißt, wie es wirklich steht. Eines kann ich dir sagen: im Augenblick bist du der gefürchtetste und geachtetste Mann im Lager ,Big Magnet’.“ „Du lieber Himmel, ich wollte, ihr könntet eure Augen sehen“, keuchte Connant. „Hört auf, mich anzustarren, ja! Zum Teufel, was gedenkt ihr zu tun?“ „Copper, hast du uns irgendwelche Vorschläge zu machen?“ fragte Garry gelassen. „Der gegenwärtige Zustand ist unerträglich,“ „Ach, ist er das?“ fuhr Connant auf. „Komm hierher und schau dir diese Gesichter an. Wahrhaftig, sie sehen genauso drein wie die Meute Hunde am Gang vorhin. Benning, willst du es gefälligst bleiben lassen, mit der verdammten Eishacke zu spielen?“ 53 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Nervös ließ der Flugzeugmechaniker die kupferne Axt fallen, daß sie klirrend auf den Boden schlug. Der Mann bückte sich, hob sie sogleich wieder auf und behielt sie in der Hand, während seine Blicke unruhig durch den Raum schweiften. Copper setzte sich zu Blair aufs Bett. Geräuschvoll knarrte in der allgemeinen Stille das Holz. Weit unten am Gang heulte ein Hund vor Schmerzen auf, und man vernahm verhallend die besänftigenden Stimmen der Hundetreiber. „Wie Blair schon erwähnt hat, wäre eine mikroskopische Untersuchung nutzlos. Es ist beträchtliche Zeit verstrichen. Serumteste allerdings brächten uns endgültig Klarheit.“ „Was verstehst du darunter?“ fragte Kommandant Garry. „Spritzt man Kaninchen menschliches Blut ein, so ist das an sich für das Tier Gift, wie jedes fremde Blut außer dem eines anderen Kaninchens. Beginne ich aber mit kleinen Mengen, die ich eine Zeitlang stetig erhöhe, wird das Tier gegen Menschenblut immun. Zapft man ihm nun eine kleine Menge Blut ab, läßt es sich in einem Proberöhrchen absetzen und fügt sie dem klaren Serum ein wenig menschliches Blut hinzu, gibt es eine deutliche Reaktion, die beweist, daß das Blut wirklich von einem Menschen stammt. Fügt man Blut einer Kuh oder eines Hundes hinzu - oder einen beliebigen anderen Eiweißstoff, findet diese Reaktion nicht statt. Das wäre ein einwandfreier Beweis.“ 54 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Kannst du mir vielleicht verraten, wo ich hier ein Kaninchen für dich fangen soll?“ fragte Norris. „Natürlich gibt es hier keine Kaninchen“, erwiderte Doktor Copper, „dann müssen wir eben einen Hund dazu nehmen. Natürlich dauert das einige Tage und erfordert in Anbetracht der Größe des Tieres auch beträchtliche Mengen Blut. Zwei von uns müßten daher schon bereit sein mitzumachen.“ „Ich stehe zur Verfügung“, sagte Garry. „Na, dann haben wir ja schon zwei“, meinte Copper. „Ich mache mich gleich an die Arbeit.“ „Was soll indessen mit Connant geschehen?“ fragte Kinner scharf, „Ehe ich für ihn koche, gehe ich durch diese Türe und laufe schnurstracks zum Ross Meer.“ „Vielleicht ist er ein Mensch -“ begann Copper. Connant brach in eine Flut von Verwünschungen aus. „Ein Mensch! ‚Vielleicht’ ein Mensch, ihr verdammten Quacksalber! Zum Teufel, wofür haltet ihr mich eigentlich?“ „Für ein Ungeheuer“, brüllte Copper ihn an. „Jetzt halte den Mund und hör’ zu.“ Diese brutale Sprache trieb aus Connants Gesieht alle Farbe und schwerfällig setzte er sich hin. „Du weißt so gut wie wir“, fuhr Copper fort, „daß wir Grund zum Zweifel haben, und nur du selbst kennst die Antwort auf die Frage. Daher 55 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
müssen wir dich, bis wir die Wahrheit festgestellt haben, vernünftigerweise hinter Schloß und Riegel setzen. Bist du - kein Mensch mehr, bedeutest du eine weit größere Gefahr als der arme Blair dort, aber ich werde dafür sorgen, daß auch er eingesperrt wird. Bei ihm erwarte ich, daß er zunächst das heftige Verlangen verspürt, dich, die Hunde und uns alle umzubringen. Sobald er erwacht, wird er überzeugt sein, daß wir alle keine menschlichen Wesen mehr sind, und nichts wird ihn von dieser Meinung mehr abbringen. Es wäre für ihn eine Gnade, wenn er sterben dürfte, aber das können wir natürlich nicht zulassen. Er kommt in einen Schuppen, und du kannst bei deinen Apparaten im Kosmoshaus bleiben. Das ist ungefähr die gleiche Beschäftigung für dich wie sonst. Und nun muß ich ein paar Hunde vorbereiten.“ Connant nickte traurig. „Ich bin ein Mensch. Eil dich mit deinem Test. Deine Augen - oh Gott, ich wollte, du könntest sie sehen, wenn du mich so anstarrst.“ Kornmandant Garry gab neugierig acht, als Clark, der die Hunde betreute, den großen braunen Eskimorüden aus Alaska festhielt, wahrend Copper mit den Injektionen begann. Das Tier war keineswegs begeistert; der Nadelstich schmerzte, um so mehr als er am Morgen beim Zusammenflicken bereits allerhand über sich hatte ergehen lassen müssen. Fünf Nähte hielten eine Wunde geschlossen, die ihm von der Schulter über die Rippen den halben Körper hinun56 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
terlief. Ein langer Eckzahn war bis auf einen Stummel abgebrochen, und das fehlende Stück steckte zur Hälfte im Schulterbein des Ungeheuers, das auf dem Tisch des Verwaltungsgebäudes lag. „Wie lange wird das dauern?“ fragte Garry, sich den Arm reibend, der noch von dem Stich, mit dem Dr. Copper ihm Blut abgezapft hatte, weh tat. Copper zuckte die Achseln. „Ehrlich gesagt: ich weiß es nicht. Die allgemeine Methode kenne ich und habe sie oft genug bei Kaninchen angewendet. Doch mit Hunden besitze ich noch keine Erfahrung. Sie sind zu groß und plump für Versuche.“ „Und was werden wir inzwischen mit Blair machen?“ fragte Garry müde. „Eine Weile kann mai ihn gut schlafen lassen, wo er jetzt liegt, doch sobald er aufwacht -“ „Barclay und Benning befestigen eben einige Riegel am Kosmoshaus“, erwiderte Copper finster, „Connant benimmt sich tadellos. Ich glaube, die Art und Weise, wie die anderen ihn ansehen, läßt ihn die Einsamkeit recht gerne aufsuchen. Weiß Gott, ehedem hat jeder einzelne von uns darum gebetet, einmal für sich sein zu dürfen.“ Clark lachte trocken. „Jetzt nicht mehr, danke. Je mehr Menschen, desto kurzweiliger.“ „Blair wird ebenfalls Ruhe und - ein festes Schloß vor der Türe erhalten“, fuhr Copper fort. „Wenn er 57 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
erwacht, dürfte ihm ein ganz bestimmter Plan vorschweben. Habt ihr jemals die alte Regel gehört, nach der man beim Vieh die Maul- und Klauenseuche ausrottet?“ Clark und Garry schüttelten den Kopf. „Wenn es keine gibt, kann es keine mehr geben“, erklärte Copper, „das heißt, man tötet jedes befallene Tier, und ebenso jedes andere, das sich in der Nahe des erkrankten aufgehalten hat. Blair ist Biologe und kennt diesen Grundsatz. Er fürchtet sich vor dem Geschöpf, das wir in Freiheit gesetzt haben. Die Lösung der Frage hat er wahrscheinlich jetzt schon klar durchdacht: man töte jeden Menschen und jedes Tier, ehe eine Möwe oder ein wandernder Albatros mit dem Frühling eintrifft, zufällig des Weges kommt und von der ‚Krankheit’ angesteckt wird.“ Clark kräuselte die Lippen zu einem verzerrten Lächeln. „Das klingt vernünftig. Wenn die Lage zu trostlos wird, wäre es vielleicht besser, Blair freizulassen. Das würde uns ersparen, Selbstmord zu begehen. Wir könnten auch eine Art Gelübde ablegen, daß wir für eine derartige Maßnahme sorgen, wenn alles schiefgeht.“ Copper lachte leise. „Der letzte Überlebende im Lager ,Big Magnet’ wäre bestimmt kein Mensch“, führte er aus. „Irgendjemand muß jene - Kreaturen töten, die keine Sehnsucht hegen, sich selbst um58 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
zubringen. Wir besitzen nicht genug Thermit, um alles auf einmal in die Luft zu jagen, und der Decanitsprengstoff würde nicht viel helfen. Ich habe so eine Ahnung, als ob selbst kleine Stückchen eines dieser Wesen weiterbestehen könnten.“ „Wenn sie ihr Protoplasma nach Belieben umformen können, werden sie sich dann nicht einfach in Vögel verwandeln und davonfliegen? Sie könnten alles Wichtige über Vögel nachlesen und deren Körperbau nachahmen, ohne sie je gesehen zu haben. Oder vielleicht könnten sie Vögel ihres Heimatplaneten verkörpern.“ Copper schüttelte den Kopf und half Clark, den Hund loszubinden. „Jahrhundertelang studierte der Mensch die Vögel und versuchte eine Maschine anzufertigen, um fliegen zu können wie sie. Er brachte es nicht fertig; Erfolg hatte er am Ende nur, als er sich von seinem Vorbild freimachte und neue Wege einschlug. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man nur eine allgemeine Ahnung von derlei hat oder den Bau von Flügeln, Knochen und Nerven bis in alle Einzelheiten kennt. Und was die Vögel einer anderen Welt angeht, so herrschen vielleicht, ja höchstwahrscheinlich dort so abweichende atmosphärische Bedingungen, daß sie bei uns nicht fliegen könnten. Möglicherweise ist das Wesen sogar von einem Planeten wie dem Mars gekommen, der eine so dünne Luft besitzt, daß sie Flugtiere nicht trägt.“ 59 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Barclay kam herein, er schleppte ein Stück Haltetau vom Flugzeug hinter sich her. „Fertig, Doktor. Von innen kann das Kosmoshaus nicht mehr geöffnet werden. Wohin stecken wir nun Blair?“ Copper blickte Garry an. „Eine biologische Station haben wir nie gehabt, ich weiß nicht, wo wir ihn absondern könnten.“ „Wie wäre es mit dem Lagerschuppen im Osten?“ fragte Garry nach kurzem Nachdenken. „Wird Blair imstande sein, für sich selbst zu sorgen oder braucht er Pflege?“ „Er wird nur allzu unternehmungslustig sein; wir werden uns vorsehen müssen“, versicherte Copper grimmig. „Nehmt einen Ofen, einige Säcke Kohlen, die nötige Verpflegung und ein paar Werkzeuge mit, um die Unterkunft herzurichten. Seit letztem Frühling ist niemand mehr draußen gewesen, nicht wahr?“ Garry schüttelte den Kopf. „Falls er Lärm macht, wäre er dort gut aufgehoben, denke ich.“ Barclay hob die Werkzeuge hoch, die er trug, und blickte zu Garry auf. „Nach seinem jetzigen Gemurmel zu schließen, dürfte er uns nachts ganz schön was vorsingen. Und Freude hätten wir keine daran.“ „Was sagt er denn?“ fragte Copper. Barclay zuckte die Achseln. „Ich hatte keine Lust, genau hinzuhören. Das kannst du selbst besorgen. 60 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Aber soviel habe ich daraus entnommen, daß der verdammte Dummkopf die gleichen Träume wie McReady und noch ein paar mehr hat. Ihr dürft nicht vergessen, daß er neben dem Untier geschlafen hat, als wir auf der Heimfahrt von Lager II unterwegs Rast machten. Er träumte, daß dieses Wesen lebe, und zwar in allen Einzelheiten. Hol ihn der Teufel - er wußte, daß alles nicht nur ein Hirngespinst war, oder er hätte es merken müssen. Es dürfte ihm klar geworden sein, daß dieses Ungeheuer telepathische Kräfte besaß, die sich undeutlich regten, und daß es nicht nur Gedanken zu lesen, sondern auch zu übertragen vermochte. Es handelte sich gar nicht um Träume, sondern um Vorstellungen, die von dem Geschöpf ausgestrahlt wurden und umherschweiften. Ähnliches erleben wir jetzt bei Blair: er murmelt im Schlaf und sendet dabei seine Eindrücke aus. Deshalb wußte er auch so gut über die Kräfte Bescheid, über die der Unhold verfügte. Vermutlich waren wir beide nicht so empfänglich - sofern du geneigt bist, an Telepathie zu glauben.“ „Das muß ich wohl“, erwiderte Copper seufzend. „Doktor Rhine von der Duke Universität hat bewiesen, daß es sie gibt, daß aber nicht alle Menschen gleich empfänglich dafür sind.“ „Nun, wenn du weitere Einzelheiten willst, geh’ hin und höre dir Blairs ‚Sendung’ an. Die Mehrzahl unserer Leute hat er schon aus dem Verwaltungsgebäude 61 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
vertrieben. Kinner rattert mit seinen Pfannen, als poltere Kohle eine Schüttrinne hinunter. Wenn er das nicht kann, rüttelt er die Asche durch den Rost. Nebenbei bemerkt, Kommandeur, was werden wir im Frühling anfangen? Unsere Flugzeuge sind unbrauchbar.“ Garry seufzte. „Ich fürchte, daß unsere Expedition ein Fehlschlag wird. Wir können unsere Leute nicht mehr teilen.“ „Wenn wir am Leben bleiben und einen Ausweg aus dieser üblen Lage finden, ist die Arbeit nicht verloren“, tröstete Copper ihn. „Allein der Fund, den wir gemacht haben, ist bedeutend genug - wenn wir ihn nur richtig in unsere Gewalt bekommen. Die Aufzeichnungen über die kosmischen Strahlen, sowie die Losung magnetischer und atmosphärischer Fragen dürften durch das Vorkommnis nicht arg behindert sein.“ Garry lachte, aber es klang nicht fröhlich. „Ich dachte eben an die Radiosendungen. Wir sollen der halben Welt von den wundervollen Ergebnissen unserer Erkundungsflüge erzählen und Männern wie Byrd und Ellsworth, die daheimsitzen, Leistungen vorspiegeln.“ Copper nickte ernst. „Sie werden merken, daß etwas nicht stimmt. Aber solche Menschen haben so viel Urteilsfähigkeit, daß sie wissen, wir würden derlei 62 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
‚Unfug’ nicht ohne triftigen Grund anstellen; sie werden mit ihrer Meinung warten, bis wir zurückgekehrt sind. Ich glaube folgendes: Männer, die genügend Einblick besitzen und unser Täuschungsmanöver durchschauen, werden unsere Rückkehr abwarten. Die anderen, die weder besonnen noch vertrauensvoll genug sind, sich zu gedulden, verfügen gottlob nicht über die nötigen Kenntnisse, den Schwindel aufzudecken. Wir sind mit den Bedingungen hier so vertraut, daß wir sie leicht irreführen können.“ „Wenigstens so weit, daß sie uns keine ‚Rettungsexpedition’ schicken“, sagte Garry flehentlich. „Sobald wir bereit sind, das Lager hier zu verlassen falls wir das jemals schaffen -, dann müssen wir Hauptmann Forsythe benachrichtigen, damit er kommt und einen Vorrat an Magnetzündungen mitbringt. Doch das soll deine geringste Sorge sein!“ „Und wenn wir von hier nicht mehr fortkommen?“ fragte Barclay. „Ich überlegte eben, ob ein hübscher Rundfunkbericht von einem Vulkanausbruch oder einem Erdbeben - mit einem eindrucksvollen Schluß, - bei dem wir einen Decanitstab unter das Mikrophon legen - nicht zweckmäßig wäre. Natürlich lassen sich die Leute auf die Dauer nicht ganz fernhalten. Doch eines jener herrlichen, melodramatischen Hörbilder vom ‚letzten Überlebenden’ könnte ihren Eifer etwas dämpfen.“ Garry lächelte ehrlich vergnügt. „Versuchen alle 63 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ändern im Lager sich das auch so lebhaft auszumalen?“ „Wo denkst du hin, Garry?“ Copper lachte. „Wir sind überzeugt, daß wir den Kampf gewinnen. Aber man sollte ihn nicht zu leicht nehmen, meine ich.“ Clark hob den Kopf und blickte grinsend von dem Hund auf, den er liebevoll beruhigte. „Überzeugt? Hast du das wirklich gesagt, Doktor?“ 8 Rastlos wanderte Blair in dem kleinen Schuppen herum. Seine Augen huschten unstet und zitternd über die vier Männer, die bei ihm waren, und er streifte sie immer wieder mit verschwommenen, flüchtigen Blicken. Barclay, ein Meter dreiundachtzig groß und hundertneunzig Pfund schwer; McReady, ein Riese von einem Kerl; Dr. Copper, eine kleine, aber vierschrötige Gestalt, und schließlich Benning, ein drahtiger, athletischer Sportler. Blair hatte sich an der einen Wand der östlich gelegenen Vorratshütte zusammengekauert, während in der Mitte neben dem Heizofen sein Hab und Gut aufgestapelt war, so daß die Sachen zwischen ihm und den vier Männern eine Insel bildeten. Er ballte die knochigen, vor Angst zitternden Hände, Seine hellen Augen flackerten unruhig, während er den kahlen, sommersprossigen Kopf wie ein Vogel pfeilschnell hin 64 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und her bewegte. „Ich wünsche nicht, daß irgendwer hierherkommt. Mein Essen koche ich mir selbst“, fuhr er sie nervös an. „Kinner könnte vielleicht noch ein richtiger Mensch sein, aber ich glaube es nicht. Mein Ziel ist, von hier zu entfliehen. Was das Essen angeht, so will ich von euch nur Dosen, zugelötete Konserven.“ „Schon gut, Blair, wir werden sie dir heute abend bringen“, versprach Barclay. „Kohlen hast du hier, das Feuer brennt, so brauche ich nur noch -“ Barclay trat einen Schritt vor. „Hinaus mit dir! Bleibe mir vom Leib, du Ungeheuer!“ kreischte der kleine Biologe sofort wie wild und krallte sich an der Wand der Hütte ein, als wolle er sich mit den Fingernägeln hindurcharbeiten. „Weg von mir! - bleibt mir vom Hals - raus mit euch, raus, raus, raus!“ Barclay tat ihm den Gefallen und zog sich zurück. Dr. Copper schüttelte den Kopf. „Lasse ihn in Ruhe, Bar. Er kann sich leicht selbst nachheizen. Die Tür aber werden wir gut versperren müssen, glaube ich.“ Die vier Männer gingen hinaus. Gewandt machten sich Benning und Barclay an die Arbeit. In der Antarktis gab es keine Schlösser, ebensowenig wie ein Alleinsein. Daher trieben die Männer beiderseits des Türrahmens kräftige Schrauben ein und spannten zwischen ihnen das Haltetau, das man für die Flugzeuge auf Lager hatte, und zogen es fest an; es be65 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
stand aus besonders starkem, geflochtenem Stahldraht. Barclay machte sich mit einem Drillbohrer und einer Stichsäge ans Werk. Bald hatte er in der Eingangstüre eine Klappe ausgeschnitten, durch die man Nachschub hineinreichen konnte, ohne das Kabel herunternehmen zu müssen. Drei mächtige Angeln von einer Vorratskiste, zwei Haspen und ein Paar dreizöllige Bolzen verhinderten, daß die Falltüre von der anderen Seite geöffnet werden konnte. Drinnen lief Blair ruhelos umher. Schwer keuchend und Flüche murmelnd schleppte er irgend etwas heran. Barclay öffnete die Luke und spähte hinein. Dr. Copper guckte ihm über die Schulter. Blair hatte die schwere Schlafstelle vor den Eingang gerückt, der nun ohne sein Dazutun nicht mehr aufgemacht werden konnte. „Ich weiß nicht, ob der arme Teufel nicht recht hat mit seinem Verhalten“, seufzte McReady. „Wenn er je wieder freikommt, beabsichtigt er - wie er offen zugegeben hat - uns alle umzubringen, womit wir natürlich keineswegs einverstanden sind. Andererseits haben wir es drüben bei uns noch mit einem anderen Gegner zu tun, der weit schlimmer ist als ein mordgieriger Wahnsinniger. Wenn wir vor die Wahl gestellt werden, einen von den beiden sich ungehindert austoben zu lassen, werde ich vermutlich hierherkommen und die Sperrseile abnehmen.“ Barclay grinste. „Du brauchst es mir nur zu sagen, 66 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dann zeige ich dir, wie man sie schnell entfernt. Komm, gehen wir.“ Obwohl die Sonne schon seit zwei Stunden untergegangen war, malte sie im Norden noch leuchtende Regenbogen an den Horizont. In ihren flammenden Farben glitzerte das nordwärts ziehende Schneegestöber in funkelnder Pracht. Rund und weiß begrenzten niedrige Hügel das Gesichtsfeld im Norden, es war das Magnetgebirge, das kaum über das stürmische Schneemeer emporragte. Als die drei Männer nach dem Hauptlager aufbrachen, das über drei Kilometer entfernt lag, stoben vor ihren Skiern kleine Flockenwirbel davon, die der Wind vor sich hertrieb. Der Spinnenfinger des Radiosenders hob sich wie eine schlanke, schwarze Nadel von dem Weiß der Antarktis ab. Der Schnee unter ihren Füßen knirschte wie feiner harter Sand. „Es wird Frühling“, bemerkte Benning bitter. „Und ich habe mich so gesehnt, diesem verdammten Eisbunker zu entrinnen.“ „Wenn ich du wäre, würde ich das jetzt nicht versuchen“, knurrte Barclay. „Leute, die in den nächsten Tagen türmen, werden sich unglaublich unbeliebt machen.“ „Wie geht es deinem Hund, Dr. Copper?“ fragte McReady. „Hast du schon irgendwelche Ergebnisse zu verzeichnen?“ 67 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„In dreißig Stunden? Ich wünschte, es wäre so. Heute habe ich ihm mein Blut injiziert. Aber meiner Ansicht nach müssen wir noch fünf Tage zugeben. Ich bin nicht so genau im Bilde, daß ich mich getrauen würde, den Versuch früher abzuschließen.“ „Eines habe ich mich schon gefragt: Wäre Connant verwandelt worden, hätte er uns dann, nachdem das Untier entkommen war, so früh gewarnt? Hätte er dann nicht solange gewartet, bis es eine günstige Gelegenheit fand, sich in Sicherheit zu bringen, und wir von selbst aufwachten?“ sagte McReady langsam. „Das Geschöpf ist selbstsüchtig. Deiner Meinung nach hat es nicht ausgesehen, als sei es von höherem Rechtsempfinden durchdrungen, oder?“ erklärte Dr. Copper. „Jedes Teilstück des Wesens ist meiner Ansicht nach ein abgeschlossenes Ganzes und kann für sich selbst bestehen. Selbst wenn Connant sich verändert hätte, müßte er sich so verhalten, um seine Haut zu retten, und - seine Gefühle haben sich nicht gewandelt; sie sind entweder vollendet nachgeahmt oder tatsächlich seine eigenen. Der falsche Connant müßte sich natürlich die Empfindungen des echten Vorbilds zu eigen machen und sich genauso benehmen.“ „Sag mal, könnten Norris und Vane nicht Connant irgendwie auf die Probe stellen? Wenn das Wesen klüger ist als wir, versteht es vielleicht auch mehr von Physik als Connant und ließe sich auf diese Weise 68 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ertappen“, meinte Barclay. Müde schüttelte Copper den Kopf. „Wenn es Gedanken lesen kann, nicht. Dann läßt es sich nicht in eine Falle locken. Das gleiche hat Vane schon gestern abend vorgeschlagen. Er hoffte, es werde ihm einige physikalische Fragen beantworten, die er gerne geklärt hätte.“ „Dieser Einfall, alles zu viert zu unternehmen, wird uns das Dasein ausgesprochen verschönern.“ Benning sah seine Gefährten an. „Keiner von uns läßt den anderen aus den Augen, um sich zu vergewissern, daß der nicht etwas Ungewöhnliches tut. Menschenskinder, sind wir eine vertrauensvolle Gemeinschaft! Jeder bekundet seinem Nachbarn mit den Blicken aufs großzügigste Treue und Glauben. Langsam begreife ich, was Connant meinte, als er rief: Ich wünschte, ihr könntet eure Augen sehen, Dann und wann geht es uns allen vermutlich so. Einer von euch späht um sich, als wolle er sagen: ,Neugierig bin ich, ob die anderen drei -’ Nebenbei bemerkt nehme ich mich selbst nicht aus.“ „Soweit wir wissen, ist das Untier tot, und abgesehen von Connant wird niemand verdächtigt“, stellte McReady gelassen fest. „Wenn wir immer zu viert ausziehen, so ist das lediglich eine Vorsichtsmaßnahme.“ „Ich warte nur darauf, daß Garry uns auch noch zu 69 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
viert in eine Schlafkoje steckt. Schon vorher hatte ich geglaubt, man könne hier nie für sich sein, aber jetzt...“ 9 Keiner beobachtete gespannter als Connant das kleine sterile Proberöhrchen aus Glas, das zur Hälfte mit einer strohfarbene Flüssigkeit gefüllt war. Einszwei-drei-vier-fünf Tropfen der klaren Lösung, die Dr. Copper von dem Blut aus Connants Arm bereitet hatte, fielen hinein. Behutsam wurde das Röhrchen geschüttelt und dann in ein Becherglas mit reinem warmem Wasser gestellt. Das Thermometer zeigte Körpertemperatur an, ein kleine Thermostat tickte geräuschvoll, und während die Lampen leicht flackerten, fing die elektrische Heizplatte an zu glühen. Dann bildeten sich kleine weiße Flöckchen eines Niederschlags und schwebten wie Schnee in der klaren gelblichen Flüssigkeit zu Boden. „Oh Gott“, flüsterte Connant. Er ließ sich schwer auf das Bett fallen und weinte wie ein kleines Kind. „Sechs Tage -“ stieß er schluchzend hervor, „sechs Tage habe ich mich dort drinnen geängstigt ob der Test lügen werde...“ Stumm trat Garry zu dem Physiker und legte ihm den Arm um die Schulter. „Er konnte nicht lügen“, sagte Dr. Copper. „Der Hund war immun gegen Menschenblut und - das Se70 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
rum hat reagiert.“ „Ist Connant - in Ordnung?“ fragte Norris aufatmend. „Dann - ist das Untier tot - für immer und ewig tot?“ „Connant ist ein Mensch“, erklärte Copper nachdrücklich, „und das Untier ist tot.“ Kinner brach in ein hysterisches Gelächter aus und konnte nicht mehr aufhören. McReady wandte sich zu ihm und schlug ihm mit zielbewußter Gleichmäßigkeit links und rechts ins Gesicht. Der Koch lachte, schluckte und weinte noch einen Augenblick, dann setzte er sich auf, rieb sich die Wange und murmelte undeutlich einen Dank. „Ich war so verängstigt, mein Gott, habe ich mich gefürchtet!“ Norris lachte trocken. „Meinst du, ich nicht, du Affe? Glaubst du, daß Connant keine Angst hatte?“ Im Verwaltungsgebäude wurde es lebendig, als wären alle plötzlich verjüngt. Man hörte Lachen, und die Männer, die sich um Connant drängten, sprachen unnötig laut. Die Stimmen klangen noch zittrig und nervös, aber frei und herzlich. Einer machte einen Vorschlag, und ein Dutzend Leute lief die Skier holen. Blair, Blair würde wieder gesund werden Aufgeregt und zappelig hantierte Dr. Copper mit seinen Proberöhrchen herum und machte Versuche mit anderen Lösungen. Die Gruppe, die Blair befreien wollte, eilte zur Türe, und die Skier klapperten lär71 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
mend. Am anderen Ende des Gangs ließen die Hunde ein munter kläffendes Bellen hören, weil die erlöste, fröhlich erregte Stimmung auch bis zu ihnen gedrungen war. Dr. Copper fuhr indessen weiter in seinen Versuchen fort. McReady bemerkte ihn erst, als er sich auf die Bettkante setzte und zwei Gläschen mit strohfarbener Flüssigkeit hochhielt, in denen weißer Niederschlag ausflockte. Coppers Gesicht war weißer als die Substanz in den Röhrchen. Lautlos rannen Tränen aus seinen vor Grauen weit aufgerissenen Augen. McReady hatte das Gefühl, als bohre sich ihm die Furcht wie ein kaltes Messer in die Brust und lasse ihm das Herz gefrieren. Dr. Copper blickte auf. „Garry“, rief er heiser, „Garry, um Gottes willen komm her.“ Rasch eilte Kommandant Garry zu ihm. Schweigen senkte sich über den Verwaltungsbau herab. Connant sah auf und erhob sich steif von seinem Sitz. „Garry - das Gewebe von dem Ungeheuer gibt ebenfalls einen Niederschlag. Der Versuch beweist nichts. Nichts - außer, daß der Hund ebenfalls immun gegen das Scheusal war. Und - daß einer von den zweien, die ihr Blut beigesteuert haben, einer von uns beiden, du oder ich, Garry, auch ein Ungeheuer ist“
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10 „Bar, rufe die Leute zurück, ehe sie Blair benachrichtigen“, befahl McReady ruhig. Barclay ging zur Tür; gedämpft drang sein Ruf zu den Männern herein, die gespannt und schweigend im Raum verharrten. Dann kehrte er zurück. „Sie kommen“, sagte er. „Ich teilte ihnen nur mit, daß Dr. Copper sie auffordern lasse, nicht wegzufahren; den Grund dafür gab ich nicht an.“ „McReady, du übernimmst nun den Oberbefehl. Gott möge dir dabei helfen. Ich kann es nicht.“ Der Bronzeriese nickte bedächtig und sah Garry aus tiefliegenden Augen fest an. „Vielleicht bin ich der Betroffene“, erwiderte Garry. „Ich weiß, daß ich es nicht bin, aber ich kann euch durch nichts überzeugen. Der Test ist hinfällig. Doktor Copper hat gezeigt, wie nutzlos unser Beginnen war, obwohl es für das Ungeheuer vorteilhaft gewesen wäre, wenn er geschwiegen hätte. Dieses Verhalten scheint zu erhärten, daß er tatsächlich ein Mensch ist.“ Langsam schaukelte Copper auf dem Bett hin und her. „Ich weiß, daß ich ein Mensch bin, aber ich kann es ebensowenig beweisen. Einer von uns zweien ist ein Lügner, denn dieser Test ist untrüglich, und er sagt aus, daß einer von uns beiden nur eine Atrappe ist. Ich habe offen zugegeben, daß der Versuch fehl73 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
geschlagen ist, was zu bekräftigen scheint, daß ich ein menschliches Wesen bin; und nun führt ausgerechnet Garry diesen Grund zu meinen Gunsten an, und - das dürfte wieder ein Ungeheuer nicht tun. Immer im Kreise herum - Kreise herum - Kreise herum -“ Zuerst begann Dr. Copper den Kopf, dann den Hals und die Schultern langsam im Takt mit den Worten zu drehen. Plötzlich ließ er sich auf die Schlafstelle zurückfallen und brüllte vor Lachen. „Der Versuch braucht nicht zu beweisen, daß nur einer von uns ein solches Wesen ist. Keineswegs! Hahaha! Wenn wir alle Scheusale wären, bekämen wir das gleiche Ergebnis. Wir sind insgesamt Ungeheuer - wir alle Connant, Garry, ich selbst und ihr dort.“ „McReady, du wolltest doch Arzt werden und hast dann auf Meteorologie umgesattelt, nicht wahr?“ rief Van Wall, der blondbärtige Chefpilot leise. „Könntest du nicht irgendeinen Test ausarbeiten?“ Langsam trat McReady zu Copper, nahm ihm behutsam die Injektionsnädel aus der Hand und wusch sie sorgfältig in 95-prozentigern Alkohol aus. Garry saß mit ausdruckslosem Gesicht auf der Bettkante, er beobachtete Copper und McReady. „Was Copper behauptet, könnte stimmen.“ McReady seufzte. „Van, willst du mir hier helfen? Danke.“ Er stach Copper mit der Nadel der gefüllten Spritze in den Oberschenkel. Das Lachen des Mannes verstummte nicht sofort, sondern ging langsam in leises Schluchzen und - als 74 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
das Morphium zu wirken begann - in tiefen Schlaf über. Wiederum wandte McReady sich um. Die Männer, die zu Blair hatten fahren wollen, standen am anderen Ende des Raums, von den Skiern tropfte der Schnee, und ihre Gesichter waren kalkweiß. Connant hielt in jeder Hand eine brennende Zigarette; geistesabwesend rauchte er an der einen und starrte zu Boden. Plötzlich fühlte er das Feuer der zweiten, er sah sie einen Augenblick einfältig an, dann schleuderte er sie weg und zertrat sie bedächtig mit dem Absatz. „Doktor Copper könnte recht haben“, wiederholte McReady. „Ich weiß, daß ich ein Mensch bin, aber natürlich könnt ihr es ebensowenig nachprüfen. Ich werde den Test bei mir selbst anwenden. Ist noch Jemand unter euch, der es mir nachzumachen wünscht?“ Zwei Minuten später hielt McReady ein Proberöhrchen mit weißem Niederschlag hoch, der sich langsam in der gelblichen Flüssigkeit absetzte. „Auf menschliches Blut reagiert das Serum ebenfalls, also sind nicht beide Ungeheuer.“ „Ich habe sie nicht dafür gehalten“, erklärte Van Wall seufzend. „Das würde auch unserem unheimlichen Gast wenig behagen. Hätten wir die Verwandelten eindeutig erkannt, wäre es uns leicht gefallen, sie zu vernichten. Warum, glaubst du, hat dieses Ge75 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schöpf uns nicht den Garaus gemacht. Es scheint doch noch unter uns zu weilen.“ McReady schnaubte. Dann lachte er leise. „Höchst einfach, mein lieber ‚Watson’. Das Ungeheuer möchte Lebewesen zur Verfügung haben. Einen toten Körper kann es offensichtlich nicht neu beleben. So wartet es zu und liegt auf der Lauer, bis sich ihm die günstigsten Gelegenheiten bieten. Uns, die wir Menschen geblieben sind, hält es sich als Vorrat bereit.“ Kinner schlotterte am ganzen Leib. „He Mac, würde ich es merken, wenn ich verwandelt bin? Könnte ich es erkennen, wenn mich der Teufel bereits geholt hat? O mein Gott, vielleicht bin ich schon ein Ungeheuer!“ „Dir selbst bliebe es nicht verborgen“, erwiderte McReady. „Aber uns.“ Norris lachte kurz, fast hysterisch auf. McReady blickte auf das Gläschen mit dem Serum, das noch verblieben war. „Einen Nutzen hat dieses verdammte Zeug doch“, meinte er nachdenklich. „Clark und Van, wollt ihr mir helfen? Die restliche Bande bleibt lieber hier beisammen. Behaltet euch gegenseitig im Auge“, mahnte er bitter. „Besser gesagt, seht zu, daß keiner etwas anstellt.“ McReady eilte den Tunnel zum Hundezwinger hinunter, Clark und Van Wall folgten ihm. „Brauchst du noch mehr Serum?“ fragte Clark. 76 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
McReady schüttelte den Kopf. „Tests benötige ich. Dort unten sind noch vier Kühe und ein Stier sowie siebzig Hunde. Diese Flüssigkeit reagiert nur auf menschliches Blut und - auf Ungeheuer.“ 11 McReady kehrte ins Verwaltungsgebäude zurück und ging wortlos zum Waschbecken. Einen Augenblick später gesellten sich Clark und Van Wall zu ihm. Clarks Lippen zeigten plötzlich ein nervöses Zucken, sie verzerrten sich andauernd zu einem jähen, höhnischen Grinsen. „Was habt ihr unternommen?“ platzte Connant unvermittelt heraus. „Weitere Tiere immun gemacht?“ Clark kicherte und verstummte mit einem heftigen Schlucken. „Immun! Ha! Kann man wohl sagen.“ „Das Ungeheuer handelte ganz logisch“, erklärte Van Wall gelassen. „Unser immuner Hund war in Ordnung, und wir haben ihm noch ein wenig Blut für die Versuche abgezapft. Doch ausführen werden wir keine mehr.“ „Kannst du - kannst du nicht das Blut eines Menschen bei einem anderen Hund anwenden...?“ begann Norris. „Es gibt keine mehr“, entgegnete McReady still. „Weder Hunde noch Vieh.“ 77 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Wir haben keine Hunde mehr?“ Benning setzte sich langsam. „Wenn sie anfangen, sich zu verwandeln, sind sie äußerst bösartig“, erklärte Van Wall scharf, „aber nicht flink genug. Der elektrisch geladene Draht, den du, Barclay, zur Hinrichtung angefertigt hast, wirkt blitzartig. Nur ein einziger Hund ist noch übrig - unser immuner. Der Unhold hatte ihn für uns aufgespart, damit wir mit dem kleinen Test ein wenig spielen konnten. Die restlichen -“ Er zuckte die Achseln und trocknete sich die Hände. „Und die Kühe...“ würgte Kinner hervor. „Die haben auch ganz hübsch reagiert. Sie sehen verdammt spaßig aus, wenn sie zerschmelzen. Ein Untier, das als Hund an einer Kette liegt oder als Stier in einem Halfter steckt, kann nicht schnell entfliehen. Und es mußte angehängt bleiben, damit die Nachahmung täuschend gelang.“ Kinner erhob sich zögernd. Seine Augen schweiften wie gehetzt durch den Raum und blieben vor Grauen flackernd auf einem Zinneimer ruhen, der im Ofenloch stand. Schritt für Schritt wich er zur Türe zurück, sein Mund schnappte auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. „Die Milch“, keuchte er. „Ich habe sie vor einer Stunde gemolken...“ Er stieß einen gellenden Schrei aus, duckte sich und war mit einem Satz durch die Türe entwischt. Ohne Windjacke und warme Kleidung eilte er auf das Eisfeld hinaus. 78 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Einen Augenblick sah Van Wall ihm gedankenvoll nach. „Wahrscheinlich ist er hoffnungslos verrückt“, meinte er schließlich, „aber er könnte auch ein Ungeheuer sein, das entfliehen will. Skier besitzt er keine. Nehmt auf alle Fälle eine Lötlampe mit!“ Die körperliche Bewegung bei der Jagd auf Kinner tat ihnen wohl, weil es endlich etwas zu tun gab. Drei anderen Männern wurde übel. Norris lag flach auf dem Rücken, er hatte ein grünes Gesicht und sah unverwandt auf die Unterseite der Schlafstelle, die über ihm war. „Mac, wie lange waren die - Kühe nicht mehr Kühe...?“ McReady zuckte ratlos die Achseln. Er ging zum Milcheimer hinüber und machte sich mit einem kleinen Glasröhrchen voll Serum an die Arbeit. Die Milch trübte die Lösung und erschwerte eine zuverlässige Entscheidung. Nach einer Weile steckte er das Proberöhrchen in den Ständer und schüttelte den Kopf. „Der Test verläuft negativ. Das heißt entweder, daß sie beim Melken noch Kühe waren oder als vollendete Ebenbilder noch einwandfreie Milch lieferten.“ Ruhelos wälzte Copper sich im Schlaf herum und gab einen gurgelnden Laut von sich, ein Mittelding zwischen Lachen und Schnarchen. „Würde Morphium einen Unhold...?“ fragte einer. „Gott allein weiß das.“ McReady zuckte die Achseln. „Es wirkt bei jedem irdischen Wesen, soviel ich weiß.“ Connant hob plötzlich den Kopf. „Mac! Die Hunde 79 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
mußten Stücke des Untiers verschlungen haben, und diese Zellen besiegelten ihren Untergang. Dabei sind die Hunde an dem gleichen Ort gewesen, wo das Wesen hauste. Ich war eingesperrt. Beweist das nicht -“ Van Wall schüttelte den Kopf. „Bedaure. Das beweist nicht, wer du bist, sondern nur, was du nicht getan hast.“ „Leider!“ seufzte McReady. „Wir sind hilflos, weil wir nicht genügend wissen und vor Angst zittern, daß wir nicht mehr klar denken können. Eingesperrt! Hast du je ein weißes Blutkörperchen beobachtet? Nein? Es dringt durch die Wand eines Blutgefäßes, indem es ein Scheinfüßchen hinausstreckt. Und schon ist es auf der anderen Seite (der Wand).“ „Oh“, meinte Van Wall betrübt. „Das Vieh im Stall versuchte zu zerschmelzen, nicht wahr? Die Kühe hätten sich also ohne weiteres in einen Faden verwandeln und sich unter der Türe durchschlängeln können, um auf der anderen Seite wieder neu zu erstehen. Nein, nein, Stricke würden sie nicht halten können. Höchstens, in einem verlöteten Behälter wären sie unschädlich oder - „ „Wenn man also ein solches Wesen durchs Herz schießt und es stirbt nicht, dann ist es ein Ungeheuer. Das ist der beste Test, der mir aus dem Stegreif einfällt“, bemerkte McReady. 80 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Wir besitzen keine Hunde und kein Vieh mehr“, erklärte Garry ruhig. „Jetzt muß es Menschen nachahmen. Und einsperren nützt gar nichts. Dein Test wäre wirksam, Mac, aber ich fürchte, daß er Menschen nicht bekäme.“ 12 Als Van Wall, Barclay, McReady und Benning eintraten und sich den Schneestaub von den Kleidern bürsteten, blickte Clark vom Herd auf. Die anderen Männer, die alle im Verwaltungsgebäude zusammengepfercht waren, setzten ihre augenblickliche Beschäfftgung emsig fort; sie spielten Schach und Poker oder lasen, Ralsen besserte auf dem Tisch einen Schlitten aus; Vane und Norris steckten die Köpfe über magnetischen Daten zusammen, während Harvey halblaut Tabellen überprüfte. Dr. Copper schnarchte sanft in der Schlafkoje. Garry saß mit Dutton auf der Ecke von dessen Bettstelle, und sie bearbeiteten auf einem kleinen Endchen des Radiotisches ein Aktenbündel Funkmeldungen. Den Großteil des Tisches hatte Connant mit seinen Blattern belegt, die Angaben über kosmische Strahlen enthielten. Trotz zweier verschlossener Türen konnte man über den Gang ganz deutlich Kinners Stimme vernehmen. Clark knallte einen Kessel auf den Kombü81 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
senherd und winkte wortlos McReady zu sich, heran. Der Meteorologe trat zu ihm. „Das Kochen stört mich nicht so sehr“, meinte Clark nervös, „aber gibt es denn kein Mittel, diesen sonderbaren Vogel zum Schweigen zu bringen? Wir waren uns alle einig, daß man ihn ohne Gefahr ins Kosmoshaus sperren könnte.“ „Kinner?“ McReady deutete mit einem Kopfnicken zur Türe. „Das geht nicht, fürchte ich. Ich könnte ihn zwar betäuben, aber wir besitzen keinen unbegrenzten Vorrat an Morphium, und bei ihm besteht keine Gefahr, daß er den Verstand verliert. Er ist nur hysterisch.“ „Aber wir werden dabei verrückt. Du bist eineinhalb Stunden draußen gewesen. Währenddessen leierte er unentwegt das gleiche herunter, mit dem er uns schon vor zwei Stunden in den Ohren gelegen hatte. Alles hat seine Grenzen, weißt du.“ Garry kam herübergeschlendert und sah drein, als wolle er sich deshalb entschuldigen. Einen Augenblick lang erhaschte McReady den Funken tierischer Angst und wilden Grauens, der in Clarks Blicken aufglomm, und wurde sich in der gleichen Sekunde bewußt, daß es ihm selbst nicht anders ging. Garry Garry oder Copper - einer war bestimmt ein Ungeheuer. „Meiner Meinung nach wäre es vernünftig, Mac, 82 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wenn du Kinner zum Schweigen brächtest.“ Garry sprach ruhig. „Es gibt Spannungen genug in diesem Raum. Wir haben uns darüber geeinigt, daß Kinner dort drinnen sicher verwahrt ist, weil alle anderen im Lager sich ständig gegenseitig beaufsichtigen können.“ Garry erschauerte leicht. „Und in Gottes Namen, lasse nichts unversucht und bemühe dich, irgendeine zuverlässige Prüfmethode zu finden.“ McReady seufzte. „Ob die Leute beobachtet werden oder nicht, ihre Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Blair hat die Falltüre so verklemmt, daß sie nicht mehr aufgeht. Er behauptet, er habe genügend zu essen, und schreit unentwegt: ,Geht fort, geht fort, ihr seid Ungeheuer. Ich möchte nicht aufgefressen werden. Auf keinen Fall! Wenn richtige Menschen kommen, werde ich ihnen alles erklären. Ihr aber verschwindet.’ So verließen wir ihn wieder.“ „Gibt es denn keinen anderen Test mehr?“ beschwor Garry ihn. McReady zuckte die Achseln. „Copper hatte vollkommen recht. Der Serumtest wäre unbedingt einwandfrei gewesen, wenn er nicht vergiftet worden wäre. Doch wir haben nur mehr einen Hund übrig, und der ist auf eine bestimmte Reaktion festgelegt.“ „Wie wäre es mit Chemikalien, mit irgendeiner chemischen Probe?“ „Auf diesem Gebiet ist keiner von uns bewandert“, 83 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
entgegnete McReady kopfschüttelnd. „Mit dem Mikroskop habe ich es versucht, wie du weißt.“ Garry nickte. „Hunde, in denen das Untier sich verkörpert hatte, und echte waren einander völlig gleich. Aber du mußt weiter suchen. Was wollen wir nach dem Essen unternehmen?“ Van Wall hatte sich still zu ihnen gesellt. „Reihum schlafen. Die Hälfte der Leute ruht, die anderen bleiben wach. Ich wäre nur neugierig, wie viele von uns Unholde sind? Bei den Hunden waren es alle. Wir glaubten uns in Sicherheit, aber irgendwie hat es Copper - oder dich - erwischt.“ Van Walls Augen blitzten unruhig auf. „Vielleicht seid ihr alle befallen, und nur ich stehe hier und zerbreche mir den Kopf. Nein, das ist nicht möglich. Du würdest dann einfach über mich herfallen, und ich wäre machtlos dagegen. Noch müssen wir Menschen in der Überzahl sein. Aber...“ McReady lachte kurz auf. „Jetzt begehst du den gleichen Fehler, den Norris mir vorwarf. Du läßt den Satz unvollendet in der Luft hängen. Du wolltest doch sagen: ‚Aber wenn noch einer umgewandelt wird, dann könnte sich das Kräfteverhältnis verschieben.’ Dieses Geschöpf kämpft nicht. Ich glaube nicht, daß es sich jemals auf derlei einläßt. Auf seine unnachahmliche Weise muß es ein friedliches Wesen sein. Es hatte das auch nie nötig, weil es stets anderweitig zum Ziele gelangte.“
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Van Wall verzog den Mund zu einem jämmerlichen Grinsen. „Du deutest damit an, daß es sich vielleicht tatsächlich schon in der Übermacht befindet und nur lauert - lauert. Ihr alle - ja, ihr lauert nur darauf, bis ich, der letzte Mensch, vor Müdigkeit eingeschlafen bin. Mac, hast du ihre Augen bemerkt? Jeder sieht uns an.“ Garry seufzte. „Du hast nicht volle vier Stunden hier gesessen, während alle durch ihre Blicke verrieten, daß sie über das Ergebnis des Testes nachdachten. Sie erwogen, daß einer von uns zweien, Copper oder ich, bestimmt ein Ungeheuer sein müsse - oder beide.“ Clark wiederholte seine dringende Bitte: „Wollt ihr den Lärm abstellen, den dieser Bursche vollführt? Er macht mich wahnsinnig. Seht wenigstens zu, daß er nicht so laut ist.“ „Betet er noch immer?“ fragte McReady. „Ja“, stöhnte Clark. „Nicht eine Sekunde hat er aufgehört. Wenn es ihn erleichtert, nehme ich es ihm nicht übel, aber er brüllt, singt Psalmen und Hymnen und schreit Gebete. Er glaubt wohl, daß ihn Gott sonst so tief unten hier nicht hören kann.“ „Damit mag er recht haben“, brummte Barclay. „Sonst hätte er sich um dieses Scheusal gekümmert, das aus der Hölle entsprungen ist.“ „Wenn du Kinner nicht zum Schweigen bringst, 85 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wird einer an ihm den Test, den du vorhin erwähnt hast, ausprobieren“, erklärte Clark grimmig. „Ich glaube, daß ein Hackmesser im Schädel die Wahrheit ebenso an den Tag brächte wie eine Kugel im Herz.“ „Koche das Essen fertig. Ich werde sehen, was sich machen läßt. In den Schränken dürfte sich noch etwas finden.“ Müde ging McReady in die Ecke, in der Copper seine Apotheke untergebracht hatte. Drei große Kästen aus rohen Brettern, von denen zwei versperrt waren, bildeten die Vorratskammer für die Medikamente des Lagers. Vor zwölf Jahren hatte McReady seine Prüfung als Arzt abgelegt und war zunächst entschlossen, als Internist in ein Krankenhaus zu gehen; aber dann hatte er auf Meteorologie umgesattelt. Copper war ein ausgezeichneter Mediziner, der seinen Beruf gründlich erlernt hatte und über die neuesten Forschungsergebnisse im Bilde war. Mehr als die Hälfte der vorhandenen Arzneien waren McReady völlig unbekannt. Bei vielen anderen hatte er vergessen, wozu sie taugten. Hier gab es auch keine große medizinische Bibliothek, keine der vielen Fachzeitschriften, um nachzuschlagen, was ihm entfallen war. Für Copper waren es einfache, selbstverständliche Dinge gewesen, und es war ihm überflüssig erschienen, Bücher darüber mitzuschleppen, weil er sich mit wenigen begnügen mußte. Bücher wiegen schwer, und jedes Gramm Nachschub war auf dem Luftwege hierher verfrachtet worden. 86 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hoffnungsvoll wählte McReady ein Schlafmittel aus. Barclay und Van Wall begleiteten ihn. Im Lager ‚Big Magnet’ ging kein Mann mehr allein irgendwohin. Als sie zurückkehrten, hatte Ralsen seinen Schlitten weggeräumt, der Physiker den Tisch freigemacht, und das Pokerspiel war abgebrochen worden. Clark gab Essen aus. Das Klirren der Löffel und das gedämpfte Geräusch beim Verzehren der Speisen waren das einzige Zeichen von Leben im Raum. Als die drei wiederkamen, wurde kein Wort gesprochen. Aller Augen richteten sich fragend auf sie, während die Kinnladen gleichmäßig weitermahlten. Plötzlich erstarrte McReady. Kinner krächzte mit heiserer, gebrochener Stimme eine Hymne. Müde blickte McReady Van Wall an, grinste verzerrt und schüttelte den Kopf. „Oh weh!“ Van Wall fluchte ärgerlich und setzte sich an den Tisch. „Wir müssen es hinnehmen, bis ihm die Stimme versagt. Ewig kann er nicht so weiterbrüllen.“ „Er hat eine Luftröhre aus Blech und einen gußeisernen Kehlkopf“, schnaubte Norris wütend. „Wir haben also berechtigte Hoffnung, daß er sich bis zum Jüngsten Tage die Kehle ausschreit.“ Beklemmendes Schweigen senkte sich herab. Zwanzig Minuten aßen sie, ohne ein Wort zu reden. Dann sprang Connant zornig auf und rief heftig: „Ihr sitzt da wie Götzenbilder. Keinen Ton habt ihr ge87 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sprochen, aber - oh Gott, wie ausdrucksvoll sind eure Augen. Ihr rollt sie, als hätte man einen Haufen Glasmurmeln auf einen Tisch geschüttet. Sie zwinkern, sie blinken, sie starren und - sie flüstern Anklagen. Bitte, könnt ihr Kerle nicht zur Abwechslung einmal anderswohin schauen? Höre Mac, du hast hier zu befehlen. Laß für den Rest der Nacht Filme laufen. Wir haben die Rollen geschont, damit sie länger vorhalten. Wozu das? Wer soll die letzten noch ansehen, wie? Genießen wir sie, solange wir dazu noch fähig sind, und betrachten wir einmal etwas anderes als uns gegenseitig.“ „Ein vernünftiger Gedanke, Connant. Ich für meine Person bin durchaus bereit, diesem unleidlichen Zustand auf jede nur mögliche Weise abzuhelfen.“ „Und dreh’ ordentlich laut auf, Dutton, Vielleicht kannst du die Hymnen übertönen“, schlug Clark vor. Dutton, Barclay und Henning, die den Vorführapparat und die Geräte für die Tonwiedergabe zu bedienen hatten, machten sich schweigend ans Werk, während das Verwaltungsgebäude gesäubert wurde und man Teller und Pfannen wegräumte. McReady schlenderte zu Van Wall hinüber und lehnte sich neben ihm auf der Schlafstelle zurück. „Van, ich habe mir eben überlegt, ob ich schon jetzt über meine Vermutungen und Pläne reden soll“, sagte er mit verzerrtem Lächeln. „Dabei habe ich vergessen, daß 88 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dieses mit ,U’ beginnende Tier Gedanken zu lesen vermag. Mir schwebt undeutlich eine Maßnahme vor, die Erfolg haben könnte. Doch ist alles noch so unausgegoren, daß man besser nicht zuviel Aufhebens davon macht. Kümmere du dich um den Film, während ich versuchen will, mein Vorhaben folgerichtig zu durchdenken. Ich werde mich in diese Schlafkoje hier zurückziehen.“ Van Wall blickte auf und nickte. Leinwand und Bett lagen ungefähr in einer Geraden, die Bilder waren daher weniger scharf zu erkennen, und man wurde nicht so abgelenkt. „Willst du mir nicht lieber verraten, was du beabsichtigst? Vorerst wissen nur die unbekannten Wesen, was du planst. Du selbst könntest zu ihnen gehören, ehe du dazukommst, deine Gedanken in die Tat umzusetzen.“ „Wenn meine Rechnung aufgeht, dauert es nicht mehr lange. Aber ich möchte keinesfalls wieder so ein Ergebnis wie vorhin, als außer dem Versuchshund alle verdächtig blieben. Es ist vielleicht günstiger, wenn wir Copper in das Bett über mir legen. Er wird sich den Film ebensowenig ansehen wie ich.“ McReady wies mit einem Kopfnicken auf die massige Gestalt Coppers, der sanft schnarchte. Garry half ihnen, den Arzt hochzuheben und umzulagern. McReady lehnte sich zurück und dachte so scharf nach, daß er der Gegenwart entrückt war; er versuchte, Aussichten, Mittel und Wirksamkeit seines Unter89 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nehmens genau abzuschätzen. So nahm er es kaum wahr, als die übrigen sich stumm im Raum verteilten, und das Bild aufleuchtete. Bis der Ton zum Film einsetzte, empfand er es unklar als störend, daß Kinner wie toll Gebete schrie und krächzend Hymnen sang. Die Lampen wurden ausgeschaltet, aber die großen weißen Stellen der Leinwand warfen einen so hellen Schein, daß man recht gut sehen konnte, wie die Augen der Männer in ihm auffunkelten und ruhelos umherschweiften. Kinner betete immer noch, und sein Geheul bildete eine heisere Begleitmusik zu den Tönen des Filmapparates. Dutton erhöhte die Lautstärke. Die Stimme war so lange zu vernehmen gewesen, daß McReady zuerst nur unbewußt merkte, daß ihm irgend etwas abging. Er lag gerade so, daß ihn nur ein schmaler Abstand von dem Gang trennte, der zum Kosmoshaus führte, und Kinners Geschrei war trotz der Geräusche, die zum Tonfilm gehörten, deutlich zu ihm gedrungen. Plötzlich fiel ihm auf, daß es ausgesetzt hatte. „Dutton, schalte den Ton ab“, rief McReady und setzte sich jäh auf. In der tiefen Stille, die unvermittelt herrschte, flimmerten die Bilder einen Augenblick lang stumm und merkwürdig sinnlos weiter. Auf den Schneefeldern über ihnen war der Wind aufgekommen, er heulte gurgelnd im Ofenrohr, und es klang, als weine jemand trübselig vor sich hin. 90 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Kinner schweigt“, sagte McReady leise. „Dann laßt um Gottes willen den Ton wieder laufen; vielleicht hält er nur den Mund, um zuzuhören“, fuhr Norris auf. McReady erhob sich und schritt den Gang hinunter. Barclay und Van Wall verließen ihre Plätze am anderen Ende des Raums und folgten ihm. Als Barclay durch den Lichtkegel des Projektors schritt, der immer noch weitersurrte, erschienen auf seiner grauen Unterwäsche bauchig verzerrte Bildstreifen. Dutton knipste die Lampen an, und der Spuk verschwand. Wie McReady verlangt hatte, blieb Norris an der Tür stehen. Garry setzte sich ruhig auf das Bett, das der Türe zunächst stand, und zwang dabei Clark, ihm Platz zu machen. Die meisten anderen blieben, wo sie waren. Nur Connant wanderte noch mit dem Gleichmaß eines Uhrwerks auf und ab. „Connant, wenn du so weitermachst, können wir leicht ohne dich auskommen, ob du nun ein Mensch bist oder nicht“, sprudelte Clark wütend hervor. „Willst du nicht endlich diesen verdammten Stechschritt sein lassen?“ „Entschuldige.“ Der Physiker setzte sich in eine Schlafkoje und betrachtete nachdenklich seine Zehen. Es dauerte fast fünf Minuten... eine Ewigkeit... in denen man nur den Wind vernahm, bis McReady in der Türe erschien. 91 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Wir haben anscheinend noch nicht genug Kummer hier. Irgendwer hat sich bemüht, diesem Mangel abzuhelfen. Kinner hat ein Messer in der Kehle stekken; wahrscheinlich war das der Grund, warum er nicht weitersang. Wir haben also Ungeheuer, Wahnsinnige und Mörder unter uns.“ 13 „Ist Blair weg?“ fragte jemand. „Nein. Sonst müßte er hereingeflogen sein. Falls noch ein Zweifel besteht, wer uns so friedlich unterstützt hat, kann dieser Gegenstand hier uns vielleicht aufklären.“ Mit einem Tuch hielt Van Wall ein dreißig Zentimeter langes Messer mit schmaler Klinge in die Höhe. Der Holzgriff war halbverbrannt, und das verkohlte Stück zeigte das gleiche Muster wie die Platte des Kochherdes. Clark starrte es an. „Das habe ich heute nachmittag angesengt. Ich vergaß das verdammte Ding und ließ es auf dem Herd liegen.“ „Wie du dich erinnern wirst, habe ich das vorhin gerochen. Daher wußte ich, daß dieses Messer aus der Küche stammte.“ Benning blickte sich mißtrauisch unter den Kameraden um. “Ich möchte nur wissen, wie viele Ungeheuer wir in unserer Mitte haben“, meinte er. „Wenn 92 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
es einer zuwegegebracht hat, hier hinauszuschlüpfen, hinter der Kinoleinwand zum Herd zu gehen, dann hinaus und wieder zurück - und er ist doch wieder hier, ja, es sind alle anwesend - nun, wenn einer von der Bande dazu fähig war - „ „Vielleicht war es ein Unhold“, bemerkte Garry ruhig. „Das ist durchaus möglich.“ „Wie du heute festgestellt hast, bleiben dem Untier nur noch Menschen zum Nachahmen. Würde es ihre Zahl vermindern, wenn sie ihm sozusagen als Vorrat dienen, auf den es zurückgreifen kann?“ gab Van Wall zu bedenken. „Nein, wir haben es einfach mit einem gewöhnlichen Lumpen, mit einem Mörder zu tun. Unter anderen Umständen würden wir ihn als einen unmenschlichen Mörder bezeichnen, aber wir müssen jetzt genau unterscheiden. Wir haben unmenschliche Mörder unter uns und nun auch noch menschliche Mörder. Oder zumindest einen.“ „Nun gibt es einen Menschen weniger“, flüsterte Norris. „Vielleicht herrscht jetzt zwischen uns und den Ungeheuern Gleichgewicht.“ „Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.“ McReady seufzte und wandte sich an Barclay. „Bar, willst du dein elektrisches Gerät bringen? Ich möchte mich vergewissern...“ Barclay eilte den Gang hinunter seinen zweizinkigen Hinrichtungsapparat zu holen, durch den der töd93 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
liche Strom geleitet wurde, während McReady und Van Wall sich wieder auf den Weg zum Kosmoshaus machten. Etwa dreißig Sekunden später folgte Barclay ihnen. Norris stand wieder an der Türe zum Gang, der ins Kosmoshaus führte, und wie alle im Lager ‚Big Magnet‘ eine Biegung machte. Trotzdem hörten sie - wenn auch ziemlich gedämpft - McReady einen Schrei ausstoßen. Ein Hagel wütender Schläge prasselte, dumpf scharrende, polternde Geräusche drangen herein, „Bar - Bar...“ dann ein merkwürdig wildes, gellendes Miauen, das erstickt wurde, ehe noch der herbeistürzende Norris die Biegung erreicht hatte. Kinner - oder das Geschöpf, das einmal Kinner gewesen war -. lag auf dem Boden, von dem großen Messer, das McReady mitgenommen hatte, fast in zwei Teile gespalten. Der Meteorologe stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt und hielt das rote, bluttriefende Messer in der Hand. Van Wall lag stöhnend auf dem Boden, er regte sich nur schwach und rieb sich halbbetäubt mit der Hand das Kinn. Barclays Augen funkelten vor Zorn; zielbewußt und kraftvoll führte er die zweizinkige Waffe und stach unablässig mit ihr zu. Kinners Arm war von einer sonderbaren schuppigen Pelzhülle bedeckt, und einzelne Körperteile hatten ihre Form verändert. Die Finger waren verkürzt, die Hand rundlicher, und die Nägel hatten sich in acht 94 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Zentimeter lange Hornplatten verwandelt, die zu stahl-, harten, rasiermesserscharfen Klauen zugeschliffen waren. McReady hob den Kopf, blickte das Messer an, das er in der Hand hielt, und ließ es fallen. „Nun, wer der Täter auch gewesen ist, jetzt kann er es zugeben. Er war nur insofern ein unmenschlicher Mörder, als er ein unmenschliches Wesen umgebracht hat. Ich schwöre bei allem, was heilig ist: als wir hereinkamen, lag Kinners entseelter Körper hier auf dem Boden. Aber sobald der Unhold merkte, daß wir ihn mit den stromführenden Zinken bearbeiten wollten, nahm er diese Gestalt hier an.“ Mit unsicherem Blick starrte Norris auf das Schauspiel. „O Gott, diese Wesen können sich verstellen. Da saß der Wicht stundenlang hier drinnen, sprach Gebete zu einem Gott, den er haßte! Schrie mit gebrochener Stimme Hymnen einer Kirche, die er niemals kennengelernt hatte. Uns machte er schier verrückt mit seinem unablässigen Geheul!“ „Laß gut sein. Der Täter möge sich melden. Er hat es nicht geahnt, aber er hat dem Lager einen Dienst erwiesen. Und ich möchte in drei Teufels Namen wissen, wie er aus dem Raum drüben geschlüpft ist, ohne von jemandem gesehen zu werden. Dann könnten wir uns besser schützen.“ „Selbst das Tongerät vermochte sein Schreien und 95 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Singen nicht zu übertönen.“ Clark erschauerte. „Er war ein Ungeheuer.“ „Oh!“ rief Van Wall aus, der plötzlich begriff. „In der Tat - du hast dicht an der Türe gesessen, nicht wahr? Und schon fast hinter der Leinwand.“ Clark nickte wortlos. „Jetzt ist er - nein, es - still und tot. Mac, dein Test taugt nichts. Ob Mensch oder Ungeheuer - es war nur mehr eine Leiche.“ McReady lachte leise. „Leute, seht euch Clark an, den einzigen, von dem wir wissen, daß er ein Mensch ist! Hier stelle ich euch den Mann vor, der beweist, daß er ein Mensch ist, indem er einen Mord verüben will, aber nicht kann! Wollt ihr bitte übrigens eine Weile derlei Versuche unterlassen? Ich glaube, daß uns noch eine andere Möglichkeit offensteht - „ „Ein Test?“ stieß Connant freudig hervor, dann wurde sein Gesicht lang vor Enttäuschung. „Ich fürchte, daß es sich wieder um einen handelt, den man auslegen kann, wie man will.“ „Nein“, erklärte McReady gelassen. „Gebt genau acht und seid vorsichtig. Kommt ins Verwaltungsgebäude. Barclay, nimm dein elektrisches Hinrichtungsgerät mit. Und einer - Dutton - bleibt bei Barclay, um zu gewährleisten, daß der Befehl ausgeführt wird. Jeder behalte seinen Nachbarn im Auge, denn - bei der Hölle, aus der diese Ungeheuer stammen - ich habe eine Waffe gegen sie in der Hand, und sie wis96 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sen es; deshalb dürften sie gefährlich werden!“ Jäh entstand in der Gruppe eine gespannte Atmosphäre. Jeder der Männer nahm eine drohende, kampfbereite Haltung an, und sie musterten sich gegenseitig scharf. Ihre Blicke wurden durchdringender, als wollten sie sagen: Ist mein Nachbar vielleicht ein Ungeheuer? „Worum handelt es sich?“ fragte Garry, als sie wieder im Hauptraum standen. „Wie lange wird es dauern?“ „Das läßt sich nicht genau sagen“, entgegnete McReady, und seine Stimme klang rauh vor grimmiger Entschlossenheit. „Aber eines weiß ich: dieser Test wird uns eindeutige Klarheit verschaffen. Er hängt von einer Grundeigenschaft der unheimlichen Geschöpfe und nicht von uns ab. Kinner hat mich davon überzeugt.“ Wuchtig und unerschütterlich stand er wie eine unbewegliche Bronzestatue vor ihnen; endlich war er seiner selbst wieder völlig sicher. „Diese Waffe wird uns meiner Meinung nach dabei recht gut zustatten kommen“, bemerkte Barclay und hielt sie abwägend in der Hand. Das Gerät besaß einen Holzgriff, und die zwei scharf zugespitzten Zakken bestanden aus stromführenden Leitern. „Läuft das Kraftwerk einwandfrei?“ Dutton nickte heftig. „Die automatische Feuerung ist mit Heizmaterial gefüllt. Das Gas-Kraftwerk steht 97 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
zur Unterstützung bereit. Van Wall und ich haben es für die Filmvorführung eingesetzt und es einige Male mit größter Sorgfalt überprüft. Wer von diesen Drähten berührt wird, stirbt“, versicherte er ihnen nachdrücklich, „darauf könnt ihr euch verlassen.“ Dr. Copper warf sich in seiner Schlafköje unruhig herum und rieb sich mit ungeschickt tastenden Händen die Lider. Langsam setzte er sich auf, zwinkerte mit Augen, die von Schlaf und Drogen trübe blickten und von unsäglichem Grauen der Rauschgift-Träume geweitet waren. „Garry“, murmelte er. „Hör zu, Garry. Eigensüchtig kamen sie aus der Hölle, und teuflische Eigenwesen - ich meine Eigenleben - ja, was wollte ich sagen?“ Er sank wieder auf sein Lager zurück und schnarchte leise. Nachdenklich blickte McReady ihn an. „Bald werden wir Bescheid wissen.“ Er nickte bedächtig. „Aber du meinst schon das Richtige. Eigenleben! Daran magst du gedacht haben, als du dort halb schliefst, halb wachtest. Ich habe mir nicht die Zeit genommen, darauf zu achten. Doch es stimmt schon. Selbstsüchtiges Eigenleben sollte es heißen“, wandte er sich an die Leute in dem engen Raum, an schweigende Männer, die mit wölfischen Augen den Nachbarn betrachteten. „Eigensüchtig - und wie Dr. Copper meinte, führt jeder Teil als Ganzes ein Eigenleben. Jedes Stückchen ist ein Organismus für sich, ist ein selbständiges Geschöpf. Diese Erkenntnisse und noch 98 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
eine weitere Tatsache zeigen uns, was wir zu tun haben. Blut hat nichts Geheimnisvolles an sich; es ist ein normaler Bestandteil des Körpers wie etwa die Muskeln. Aber es besitzt nicht soviel Bindegewebe, obwohl es Millionen, ja Milliarden lebender Zellen enthält.“ McReadys mächtiger Bronzebart sträubte sich unter einem ingrimmigen Lächeln. „Das hat seine Vorteile. Ich bin ziemlich sicher, daß wir Menschen euch anderen gegenüber, die sich mitten unter uns befinden, in der Überzahl sind. Und wir sind von einer Leidenschaft beseelt, die euch und euresgleichen nicht eigen ist; kein nachgeäffter, sondern ein ureigener, angeborener Instinkt, ein unauslöschliches echtes Feuer treibt uns zum Handeln. Wir werden kämpfen, mit einer Wildheit, die ihr nachzuahmen sucht, aber nie erreicht! Wir sind wirklich und wahrhaftig menschlich, ihr seid Attrappen und falsch bis in den Kern jeder Zelle. Also gut. Jetzt kommt es zur Feuerprobe. Ihr wißt es - ihr mit eurem Gedankenlesen. Den Plan habt ihr meinem Gehirn entnommen, aber machen könnt ihr nichts dagegen. Hier stehen sie Ach, lassen wir das. Blut ist Gewebe. Auch die Verwandelten müssen bluten; tun sie es nicht, wenn sie geschnitten werden, beim Himmel, dann ist es 99 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bereits erwiesen, daß sie höllische Trugbilder sind! Tun sie es aber, dann bildet das Blut, das sich von ihnen getrennt hat, ein Einzelwesen - ein neues Geschöpf mit Eigenleben, geradeso wie alle jene, die sich von dem ursprünglichen Eindringling abgespalten haben, selbständig geworden sind! Van, hast du erfaßt, worum es geht? Bar, kennst du nun die Lösung?“ Van Wall lachte leise. „Das Blut wird nicht mehr gehorchen. Es ist ein neues Individuum, und sein Selbsterhaltungstrieb wird sich ebenso stark äußern wie bei dem Organismus, von dem es sich abgesondert hat. Das Blut wird leben wollen, und - um eine Möglichkeit zu nennen - es wird von einer heißen Nadel wegzukriechen suchen!“ McReady nahm das Skalpell vom Tisch. Aus dem Schrank holte er ein Gestell mit Proberöhrchen, eine winzige Spirituslampe und ein Stück Platindraht, das in einen kleinen Glasstab eingesetzt war. Ein finsteres Lächeln, das seine Genugtuung verriet, spielte um seine Lippen. Einen Augenblick lang sah er zu den Männern auf, die um ihn waren. Barclay und Dutton schritten langsam auf ihn zu, das elektrische Gerät mit dem Holzgriff einsatzbereit. „Dutton, möchtest du bitte zu der Anschlußstelle hinübergehen, wo du den Strom hereingeleitet hast? Nur, damit bestimmt kein Unbefugter das Kabel he100 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
rauszieht.“ Dutton gehorchte. „Nun, Van, du sollst der erste sein, willst du?“ Mit weißem Gesicht trat Van Wall vor. Behutsam und umständlich schnitt McReady ihm an der Daumenwurzel eine Ader an. Van Wall zuckte leicht zusammen, dann hielt er sich still, während sich helles Blut in dem Gläschen sammelte und zehn Zentimeter hochstieg.. McReady stellte das Röhrchen in den Halter, reichte Van Wall ein Stückchen Alaun und wies auf die Jodflasche. Regungslos blieb Van Wall stehen und sah zu, als McReady den Platindraht in der Flamme der Spirituslampe erhitzte und ihn dann in das Röhrchen tauchte. Er zischte leise. Fünfmal wiederholte er die Probe. „Du bist ein Mensch“, erklärte McReady; er seufzte und richtete sich gerade auf. „Bis jetzt ist meine Theorie noch nicht eindeutig bewiesen, aber ich hoffe stark... Nebenbei bemerkt - laßt euch von dem Anblick nicht zu sehr fesseln. Wir haben zweifellos unter uns einige unwillkommene Gäste. Van, willst du Barclay am Schalter ablösen? Danke. Gut, Barclay, und darf ich die Hoffnung aussprechen, daß du zu uns gehören mögest? Du bist ein verdammt guter Kerl.“ Barclay lächelte unsicher und fuhr unter der scharfen Schneide des Skalpells zusammen. Bald darauf 101 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
grinste er breit und nahm seine langstielige Waffe wieder zur Hand. „Samuel Dutt - Bar!“ In dieser Sekunde entlud sich die Spannung. Mochten die Ungeheuer Höllenkräfte in sich haben, in diesem Augenblick nahmen es die Menschen mit ihnen auf. Barclay hatte keine Gelegenheit, seine Waffe anzubringen, weil eine Schar Männer über das Geschöpf herfiel, das dem Aussehen nach Dutton gewesen war. Es miaute, spuckte und versuchte Hauer zu entwickeln, doch es wurde im Nu in hundert formlose Stücke gehauen, von einer Gruppe ausgesuchter Leute mit roher Gewalt niedergeschlagen und zerrissen. Allmählich faßten sich die Männer wieder, verhaltene Wut schwelte in ihren Augen, aber sie bewegten sich auffallend ruhig. Nur ein leichtes Kräuseln der Lippen verriet eine gewisse Nervosität. Barclay nahte mit der elektrischen Waffe. Die Überreste schmorten und stanken. Von der ätzenden Säure, die Van Wall auf jeden verspritzten Blutstropfen goß, stiegen stechende Dämpfe auf, die zum Husten reizten. McReady grinste, seine tiefliegenden Augen leuchteten vergnügt. „Vielleicht habe ich die Fähigkeiten der Menschen unterschätzt, als ich erklärte, kein 102 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
menschliches Wesen könnte so haßerfüllt und grausam blicken wie unser Findling. Ich wünschte, wir hätten die Möglichkeit, diese Unholde so zu behandeln, wie sie es verdienten. Man sollte sie in siedendes öl oder geschmolzenes Blei werfen oder sie im Dampfkessel des Elektrizitätswerkes kochen. Wenn ich denke, was für ein Prachtstück Dutton war Doch lassen wir das. Meine Annahme hat sich an einem Opfer bestätigt. Ob es wohl selbst Bescheid wußte? Van Wall und Barclay haben die Feuerprobe bestanden. Nun will ich euch zu beweisen versuchen, was ich selbst schon erkannt habe - daß ich ein Mensch bin.“ McReady reinigte das Skalpell in reinem Alkohol, glühte die Metallklinge aus und schnitt sich gewandt in die Daumenwurzel. Zwanzig Sekunden später blickte er vom Tisch auf und sah die wartenden Männer an. Ihre Gesichter waren jetzt schon wesentlich freundlicher, aber aus ihren Augen sprachen noch andere Gefühle. „Connant hatte recht“, meinte McReady mit leisem Lachen. „Die Eskimohunde, die den Wicht an der Gangbiegung belauerten, waren nichts gegen euch. Warum sollte man auch annehmen, nur Wolfsblut habe ein Vorrecht, wild zu sein. Ich kenne nichts Bösartigeres als einen angegriffenen Wolf. Doch nach diesen sieben Tagen kann ich nur sagen: ihr Wölfe, die ihr hier eintretet, laßt alle Hoffnung fahren! Wir wollen keine Zeit versäumen! Connant, würdest du 103 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
vortreten...“ Wiederum war Barclay zu langsam. Als er und Van Wall ihr Werk vollendet hatten, sah man immer mehr Leute erleichtert grinsen, und die gespannte Stimmung ließ sichtlich nach. Garry sprach gedämpft und grollend: „Connant war einer unserer besten Leute, und vor fünf Minuten hätte ich geschworen, daß er ein Mensch sei. Diese verdammten Geschöpfe sind mehr als nur eine Nachahmung.“ Garry schauderte und setzte sich wieder in seine Schlafkoje. Dreißig Sekunden später wich Garrys Blut vor dem heißen Platindraht zurück und bemühte sich verzweifelt, dem Glasröhrchen zu entfliehen. Gleichzeitig löste sich Garrys trügerisches Abbild auf und wurde plötzlich zu einem rotäugigen Raubtier, das sich wie rasend gebärdete, um der schlangenzüngigen Waffe zu entgehen, doch Barclay, der kreideweiß im Gesicht geworden war und vor Aufregung schwitzte, griff es rücksichtslos an. Als McReady den Inhalt des Proberöhrchens in die glühenden Kohlen des Herdes goß, hörte man ein piepsendes blechernes Stimmchen aufschreien. 14 „War das nun das letzte Opfer?“ Dr. Copper blickte mit blutunterlaufenen, traurigen Augen von seinem 104 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Lager herab. „Vierzehn Mann...“ McReady nickte kurz. „Hätten wir nur auf die Dauer verhindern können, daß sie sich ausbreiten, wäre ich sogar froh, wenn wir noch die Trugbilder von Leuten wie Kommandant Garry, Connant, Dutton und Clark unter uns hätten. „Wohin bringt man die Überreste dort?“ Copper wies mit einem Kopfnicken auf die Bahre, die Barclay und Norris eben hinaustrugen. „Ins Freie, auf das Eis, wo man fünfzehn zerhackte Kisten sowie eine halbe Tonne Kohlen hingeschleppt hat und bald noch fünfzig Liter Petroleum darüberschütten wird. Auf jeden verspritzten Blutstropfen, jedes losgerissene Stückchen haben wir Säure gegossen. Wir wollen auch die Rückstände noch restlos verbrennen.“ „Das klingt vernünftig.“ Copper nickte müde. „Ich möchte nur wissen, warum du nicht verlangt hast, daß Blair...“ McReady fuhr auf. „Den haben wir vergessen. Es gab soviel anderes zu tun! Ich bin gespannt, ob wir ihn jetzt heilen können. Meinst du nicht auch?“ „Wenn...“ begann Dr. Copper und hielt bedeutungsvoll inne. Erneut sprang McReady auf. „Auch ein Wahnsinniger könnte - der Unhold äffte Kinner und seine hy105 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sterischen Gebete nach -“ McReady wandte sich an Van Wall, der an dem langen Tisch saß. „Van, wir müssen eine Expedition zu Blairs Schuppen zusammenstellen. „ Van hatte bekümmert die Stirne gerunzelt, aber nun blickte er jäh hoch und die Sorgenfalten verschwanden, weil ihm eine neue Aufgabe gestellt wurde. Er erhob sich und nickte. „Barclay soll lieber auch mitkommen. Er hat die Sperrseile angebracht und weiß vielleicht, wie wir hineingelangen, ohne Blair zu sehr zu erschrecken.“ Drei Viertelstunden waren sie bei 38 Grad Kälte unterwegs, während sich das Südlicht wie ein Vorhang über ihren Köpfen bauschte. Nahezu zwölf Stunden lang herrschte jetzt ein Dämmerschem, der im Norden flammendrot auf einen Schnee fiel, der unter ihren Skiern wie weißer, kristallener Sand knirschte. Ein Wind von acht Kilometern Stundengeschwindigkeit häufte ihn zu langgestreckten Wächten auf, die nach Nordwesten wiesen. Drei Viertelstunden brauchten sie, bis sie den Schuppen erreichten, der im Schnee vergraben war. Kein Rauch stieg von der Hütte auf, und die Männer liefen hastig darauf zu. „Blair!“ brüllte Barclay in den Wind, obwohl er noch etwa hundert Meter von der Unterkunft entfernt war. „Blair!“ „Halte den Mund und beeile dich“, mahnte McRea106 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dy ihn leise. „Vielleicht hat er eine einsame Wanderung unternommen. Wenn wir ihn verfolgen müßten ohne Flugzeuge mit Schleppern, die nicht betriebsfähig sind...“ „Würde ein Ungeheuer die gleiche Widerstandsfähigkeit wie ein Mensch zeigen?“ „Ein gebrochenes Bein hielte es nicht länger als eine Minute auf“, bemerkte McReady trocken. Barclay atmete plötzlich tief ein und wies in die Luft. Am matt erleuchteten Himmel zog, nur verschwommen sichtbar, ein geflügeltes Wesen mit unbeschreiblicher Anmut und Leichtigkeit seine Kreise. Große weiße Schwingen schlugen sachte, und der Vogel glitt lautlos über sie hinweg. „Ein Albatros!“ rief Barclay leise. „Der erste Frühlingsbote und aus irgendeinem Grund hält er sich landeinwärts. Wenn ein Ungeheuer frei umherschweift...“ Norris beugte sich hinunter und zerrte hastig an dem Verschluß seiner winddichten Kleidung. Wshend öffnete sich der Mantel, während Norris sich aufrichtete und mit der todbringenden Waffe aus bläulich schimmerndem Metall zielte. Herausfordernd dröhnte der Schuß im weißen Schweigen der Antarktis. Das Tier in der Luft kreischte heiser. Seine mächtigen Flügel arbeiteten wild, während vom Schwanz ein Dutzend Federn herabschwebten. Erneut feuerte Nor107 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ris. In schnellem Flug, nun fast in einer Geraden, trat der Vogel den Rückzug an. Wiederum krächzte er und verlor noch einige Federn. Heftig flatternd stieg er empor und verschwand hinter einem Wall aus Preßeis. Norris rannte den anderen nach. „Der kommt nicht wieder“, sagte er schweratmend. Barclay mahnte ihn, leise zu sein, und wies auf ein strahlend blaues Licht, das durch die Ritzen der Schuppentüre drang. Ein ganz schwaches, dumpfes Summen ertönte im Innern, Werkzeuge klirrten und hämmerten, und irgendwie verrieten allein schon diese Geräusche rasende Eile. McReady wurde bleich. „Gott helfe uns, wenn das Untier...“ Er packte Barclay bei der Schulter und deutete mit den Fingern die Bewegung des Abschneidens an, während er zugleich auf die verschlungenen Sperrseile zeigte, die den Eingang verschlossen hielten. Barclay zog die Drahtschere aus der Tasche und kniete sich lautlos vor der Türe nieder. Das Knacken und Schwirren der abgeschnittenen Drähte verursachte in der Grabesstille der Antarktis einen unerträglichen Lärm. Ihn konnte nur das eigentümlich leise und wohlklingende Summen übertönen, das aus der Hütte drang, sowie das unheimliche, nervös abgehackte Klappern von Geräten. 108 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
McReady spähte durch einen Spalt in der Türe hinein. Er keuchte heiser und umklammerte mit seinen großen Fingern Barclays Arm. Qer Meteorologe wich zurück. „Das ist nicht Blair“, flüsterte er kaum hörbar. „Das Wesen kniet auf irgendeinem Gegenstand, der auf dem Bett liegt, und bearbeitet ihn; er sieht aus wie ein Rucksack und steigt dauernd hoch.“ „Wir stürmen alle zugleich hinein“, erklärte Barclay grimmig. „Nein - Norris, du bleibst etwas zurück und holst dein Schießeisen heraus. Das Geschöpf besitzt vielleicht Waffen.“ Gemeinsam rannten Barclay mit seinem mächtigen Körper und McReady mit seinen Riesenkräften gegen die Türe an. Die Schlafstelle, die im Innern dagegen gestemmt war, krachte in allen Fugen und zerbrach zu Kleinholz. Die Türe flog aus den gesprengten Angeln zu Boden, das geflickte Balkenwerk des Pfostens stürzte nach innen. Ein Geschöpf, das an einen blauen Gummiball erinnerte, sprang auf. Einer seiner vier tentakelartigen Arme wand sich und holte wie eine Schlange zum Angriff aus. In einer Hand, die sieben Greiffinger besaß, glitzerte eine Art Bleistift von fünfzehn Zentimetern Länge, der aus hell blinkendem Metall bestand und den Eindringlingen von unten her ins Gesicht geschwungen wurde. Die strichdünnen Lippen zuckten und entblößten in einem haßerfüllten Grinsen lange gekrümmte Fänge, während die roten Augen wild 109 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
aufleuchteten. Donnernd entlud sich Morris’ Revolver in dem engen Raum. Das zornentbrannte Gesicht verzerrte sich vor Pein, und die schlangelnden Tentakel wurden eingezogen. Der silbern schimmernde Gegenstand war nur mehr ein zertrümmertes Stück Metall, und die siebenfingrige Hand verwandelte sich in eine formlose Fleischmasse, aus der grünlich-gelbes Wundwasser sickerte. Noch dreimal krachte der Revolver und bohrte dunkle Löcher in die drei Augen; dann schleuderte Norris dem Unhold die lesre Waffe ins Gesicht. Das Geschöpf kreischte in bestialischem Haß auf und wischte mit den peitschenförmigen Greifarmen über die geblendeten Augen. Einen Moment lang kroch es auf dem Boden weiter, mit wild schlagenden Tentakeln und zuckendem Körper. Dann erhob es sich schwankend von neuem, in den durchschossenen Augen arbeitete und brodelte es gräßlich, und das zerquetschte Fleisch hing in triefenden Lappen vom Körper. Barclay taumelte auf die Beine und setzte mit einer Eisaxt in der Hand zum Sprung an. Die Flachkante des schweren Beils traf den Kopf des Scheusals von der Seite und zermalmte ihn. Wieder ging der Unhold zu Boden, aber anscheinend konnte er nicht sterben. Die Tentakel pfiffen durch die Luft, und plötzlich fühlte Barclay, daß seine Füße von einem lebendigen fahlen Tau umklammert wurden. Als er die Fessel packte, 110 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
löste sie sich auf und wurde zu einem weißglühenden Band, das sich wie gieriges Feuer durch seine Handschuhe zu fressen schien. Wie ein Wahnsinniger zerrte er die Masse herunter und hielt die Hände außer Reichweite. Das blinde Geschöpf tastete und riß an dem zähen, festen Tuch der winddichten Kleidungsstücke, es suchte Fleisch - Fleisch, das es umwandeln konnte... Die riesige Lötlampe, die McReady mitgenommen hatte, fauchte drohend und feierlich. Unmittelbar darauf grollte sie heiser ihren Unwillen. Dann klang es, als lache sie gurgelnd, und sie stieß eine blauweiße, fast einen Meter lange Flammenzunge aus. Das Wesen auf dem Boden schrie gellend, schlug blindlings mit den Greifarmen um sich, die sich ringelten und unter dem Zischen der Lötlampe eintrockneten. Der Unhold wälzte sich auf der Erde. McReady richtete den sengenden Flammenstrahl unverwandt auf das Gesicht, in dem die erloschenen Augen aufschäumten und verbrannten. Verzweifelt brüllend suchte das Untier zu entrinnen. Aus einem Tentakel schoß eine gefährliche Klaue hervor und - wurde geröstet. Unerschütterlich ging McReady nach einem wohldurchdachten, erbarmungslosen Vernichtungsplan vor. Hilflos, bis zum Irrsinn, gereizt, wich das Geschöpf vor der brennenden Fackel, vor den streichelnden, leckenden Feuerzungen zurück. Als es den eisigen Schnee berührte, 111 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wollte es sich noch einmal zur Wehr setzen. Doch dann trat es vor dem sengenden Hauch der Lötlampe den Rückzug an, und das angekohlte Fleisch verbreitete eine Gestankwolke. Immer weiter führte es die aussichtslose Flucht über den Schnee der Antarktis. Der eiskalte Wind, der die züngelnde Lötlampe ablenkte, fegte auch über das Ungeheuer hinweg; vergeblich warf es sich nieder, während es eine wallende, ölig stinkende Rauchfahne hinter sich herzog. Schweigend schritt McReady zum Schuppen zurück. Barclay kam ihm schon an der Türe entgegen. „Hast du noch etwas gefunden?“ fragte der riesenhafte Meteorologe grimmig. Barclay schüttelte den Kopf. „Nichts. Hat es sich nicht geteilt?“ „Es hatte andere Sorgen“, versicherte McReady ihm. „Als ich es verließ, war es nur mehr eine glühende Kohle. Woran hatte es gearbeitet?“ Norris lachte kurz auf. „Was sind wir doch für kluge Burschen! Wir zerschlagen die Magnetzündungen, damit die Flugzeuge nicht starten können und reißen die Heizröhren aus den Schleppern, aber dieses Wesen lassen wir eine Woche allein und ungestört in dieser Hütte ohne Aufsicht.“ McReady blickte sich sorgfältiger in dem Schuppen um. Trotz der eingedrückten Türe war die Luft heiß und feucht. Am anderen Ende des Raums lag ein 112 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Gerät aus gewundenen Drähten und Glasröhrchen, aus kleinen Magneten und Radiobestandteilen. In der Mitte der Behausung lag ein Block aus rohem Stein. Von ihm ging das grelle Licht aus, das die Kammer durchflutete und noch kräftiger blau leuchtete als eine elektrische Bogenlampe; aus der gleichen Quelle stammte auch das leise wohlklingende Summen. Seitlich davon stand ein anderer Apparat. Er setzte sich zusammen aus Kristallglas, das unglaublich zart und kunstvoll geblasen war, sowie aus Metallplatten und einer merkwürdig schimmernden Kugel, die nicht aus irgendeinem Stoff zu bestehen schien. „Was ist das?“ McReady trat näher. Norris brummte: „Das muß noch genauer untersucht werden. Doch vermutlich handelt es sich um Atomkraft. Das Gerät dort links ist eine hübsche kleine Vorrichtung, um das auszuführen, wozu die Menschen Cyclotrons von einhundert Tonnen Gewicht benötigen. Man holt damit Neutronen aus dem Schweren Wasser, das unser Gast aus dem umgebenden Eis gewonnen hat.“ „Woher hat er all das...? Ach so! Natürlich konnte ein solches Wesen nicht ein- oder ausgesperrt werden. Er ist in die Gerätelager geschlüpft.“ McReady starrte das Wunderwerk an. „Mein Gott, was für einen Verstand müssen diese Geschöpfe besitzen...“ „Die schimmernde Kugel halte ich für ein reines 113 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Kraftfeld. Neutronen können jeden Stoff durchdringen, und er wollte einen Vorrat davon bereithalten. Man schieße Neutronen auf Silizium, Beryllium oder Kalzium - man kann fast jedes Element dazu nehmen und - die Atomenergie wird in Freiheit gesetzt. Diese Vorrichtung hier ist ein Atomgenerator.“ McReady zog ein Thermometer aus dem Mantel. „Hier drinnen sind trotz der offenen Türe 40 Grad Wärme. Unsere Kleidung hat die Hitze bis zu einem gewissen Maß abgehalten, aber ich schwitze jetzt.“ Norris nickte. „Das Licht selbst ist kalt, soviel habe ich festgestellt; doch über jene Spule dort gibt es Wärme ab, die den Raum heizt. Dem Unhold stand alle Energie der Erde zu Gebote. Er konnte es sich so warm und gemütlich machen, wie Wesen seiner Art es sich ersehnen. Hast du die Farbe des Lichtes beachtet?“ McReady nickte. „Jenseits der Sterne’ lautet die Erklärung. Diese Geschöpfe kamen aus dem Weltall außerhalb unseres Sonnensystems, von einem heißeren Planeten, der ein blauleuchtendes Gestirn umkreiste.“ McReady warf einen Blick zur Türe hinaus, auf die räudigeschwärzte Brandspur, die quer über die Schneewehen lief und zeigte, wo das Wesen ziellos gewandert und gestrauchelt war. „Vermutlich haben wir keinen solchen Besuch mehr zu erwarten. Sicher 114 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
war es reiner Zufall, daß dieser Wicht vor zwanzig Millionen Jahren hier gelandet ist. Wozu hat er all das zurechtgebastelt?“ McReady wies mit dem Kopf auf einen Apparat. Barclay lachte leise. „Hast du bemerkt, woran er gearbeitet hat, als wir kamen? Sie mal.“ Er zeigte zur Decke der Unterkunft. Dort hing wie ein Rucksack aus flachgeklopften Kaffeedosen, von denen Stoffbändel und Ledergürtel herabbaumelten, ein merkwürdiges Gebilde. Im Innern brannte ein winziges funkelndes Flammenherz, doch das Unheimliche daran war, daß sein Glühen das Holz der Decke durchdrang, ohne sie zu versengen. Barclay ging hin, packte mit den Händen zwei der daranhängenden Bänder und zog das Ganze mit einiger Mühe zu sich herunter. Dann schnallte er es um. Ein leichter Sprung trug ihn in einem gespenstisch langsamen Bogen quer durch den Raum. „Antischwerkraft“, flüsterte McReady. Norris nickte. „Ja, wir hatten dafür gesorgt, daß keiner entwischen konnte, weil es weder Flugzeuge noch Vögel gab. Doch der Wicht hier besaß Kaffeebüchsen, Radiobestandteile und Glas; des nachts hatte er noch die Werkstatt mit den Maschinen zur Verfügung. Und er war eine Woche, eine volle Woche ungestört. Mit Antischwerkraft wäre es für ihn mit Atomenergie als Kraftquelle ein Katzensprung nach 115 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Amerika gewesen. Im Lager drüben hatten wir mit den Unholden abgerechnet. Aber hier war dieses Geschöpf gerade dabei, die Riemen an dem Apparat festzuziehen, damit sie es tragen konnten. Noch eine halbe Stunde, und wir wären für immer in der Antarktis geblieben und hätten alles heruntergeschossen, was aus der übrigen Welt kam und sich uns nähern wollte.“ „Meinst du, daß der Albatros...?“ fragte McReady leise: „Angesichts dieses fast fertigen Apparates? Angesichts dieser tödlichen Waffe? Nein, durch Gottes Gnade, der offensichtlich sogar hier unten ausgezeichnet hört, und dank dem knappen Vorsprung von einer halben Stunde, dürfen wir unsere Welt behalten und die Planeten dazu. Wir verfügen nun über Antischwerkraft und auch über Atomenergie. Und das, weil einst diese Fremdlinge von einem anderen Sonnensystem kamen - von einem Stern, der nicht an unserem Himmel steht, von einer Welt, auf der die Sonne blau leuchtet.“
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DÄMMERUNG „Weil du gerade von Leuten sprichst, die per Anhalter reisen - da fällt mir ein Mann ein, den ich gestern mitgenommen habe. So ein sonderbarer Kauz!“ sagte Jim Bendell in einem Ton, als verwundere er sich immer noch. „Der Mann tischte mir die seltsamsten Räubergeschichten auf, die ich je gehört habe. Die meisten Leute erzählen einem, daß sie eine gute Stellung verloren haben und hier in den weiten Gebieten des Westens Arbeit suchen. Anscheinend wissen sie nicht, wieviel Menschen wir hier haben, und halten das ganze große schöne Land für unbewohnt.“ Jim Bendell handelte mit Grundstücken, und ich wußte, wie endlos er reden konnte, wenn er, wie eben, auf sein Lieblingsthema kam. Er ist ehrlich besorgt darum, daß es bei uns auf dem Lande draußen tatsächlich noch viele unbebaute Plätze gibt, auf denen man Wohnungen errichten könnte, und er spricht unentwegt von der herrlichen Gegend, aber er selbst hat sich „in die Einöde“ nicht weiter als bis zum Stadtrand hinausgewagt. In Wirklichkeit hatte er Angst davor. So lenkte ich das Gespräch lieber ins ursprüngliche Fahrwasser zurück. „Was hat er denn behauptet, Jim? Gab er sich als Goldgräber aus, der keinen ergiebigen Boden zum 117 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Schürfen entdecken konnte?“ „Sehr witzig bist du nicht, Bart. Nein, er behauptete nichts, gar nichts, er erzählte bloß. Er beteuerte auch nicht, daß seine Erzählung wahr sei - nun ja, er erzählte einfach. Und gerade das hat mich gepackt. Ich bin überzeugt, daß seine Geschichte nicht stimmt, aber die Art und Weise, wie er davon sprach - ich weiß nicht recht...“ Ich merkte, daß er unsicher war. Jim Bendell ist für gewöhnlich sehr bedacht auf eine klare Ausdrucksweise, er ist richtig stolz auf seine gepflegte Sprache. Wenn er halbe Sätze in der Luft hängen läßt, ist das ein Zeichen, daß er sein inneres Gleichgewicht verloren hat. Wie damals, als er die Klapperschlange für ein Stück Holz hielt und sie ins Feuer werfen wollte. Jim fuhr fort: „Der Mann trug auch eine merkwürdige Kleidung. Sie sah aus wie Silber, fühlte sich aber weich an wie Seide. Und des Nachts leuchtete sie ein wenig. Ich las ihn auf, als es gerade zu dunkeln begann. Ja, ich las ihn buchstäblich auf, denn er lag drei Meter vom Straßenrand entfernt am Boden. Ich dachte zuerst, jemand habe ihn angefahren und sich dann aus dem Staube gemacht. Ich hob ihn auf, setzte ihn in den Wagen und fuhr los. Ich hatte noch etwa vierhundertachtzig Kilometer vor mir, aber ich dachte, ich könnte ihn in Warren Spring bei Dr. Vane lassen. 118 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Doch nach fünf Minuten kam er zu sich und öffnete die Augen. Sein Blick war klar. Erst beguckte er sich den Wagen, dann betrachtete er den Mond. ,Gott sei Dank!’ murmelte er, mich ansehend. Ich erschrak. Er war schön, nein - hübsch, das heißt, weder das eine noch das andere. Er war eine prächtige Erscheinung. Meiner Schätzung nach war er 1,85m groß. Er hatte lockiges, braunes Haar, auf dem ein rotgoldener Schimmer, mattem Kupfer gleich, lag. Die Stirne war hoch, doppelt so hoch wie meine, und das Gesicht zeigte weiche, aber ungewöhnlich ausdrucksvolle Züge. Auch seine eisengrauen Augen waren von auffälliger Größe. Das Gewand, das er trug, glich einem Strandanzug. Die Arme waren lang, mit weichen Muskeln wie bei einem Indianer; doch war er ein Weißer, nur leicht, in einem zarten Goldton, von der Sonne gebräunt. Er sah einfach großartig aus, er war der wundervollste Mensch, den ich je erblickt habe. Verdammt noch mal, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. ‚Hallo’, sagte ich, ‚haben Sie einer Unfall erlitten?’ ,Nein, diesmal nicht.’ Auch seine Stimme war herrlich, von ungewöhnlichem Wohlklang nicht wie von einem Menschen, sondern eher wie von einer Orgel. ,Ich glaube aber, daß ich noch ein wenig durchein119 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ander bin’, fuhr er fort. ,Ich habe nämlich einen Versuch gemacht. Sagen Sie mir das vollständige Datum mit der Jahreszahl und lassen Sie mich einmal nachdenken.’ ‚Warum - wir haben den 9. Dezember 19..’, entgegnete ich. Diese Antwort schien ihm gar nicht zu behagen, doch das verzerrte Lächeln, das über sein Gesicht huschte, wich schnell einem vergnügten Schmunzeln. ,Mehr als eintausend’, bemerkte er sinnend. ,Nicht so schlimm wie sieben Millionen. Ich kann mich nicht beklagen.’ ,Was für sieben Millionen?’ ‚Jahre’, ergänzte er gelassen, als meine er es völlig ernst. ‚Ich habe nämlich schon einmal ein Experiment unternommen, oder besser gesagt: ich wollte es unternehmen. Nun muß ich es eben wiederholen. Das war im Jahre 3059; ich hatte gerade eine Reihe von Versuchen über Antigravitation abgeschlossen und erforschte den Raum. Ja, den Raum, denn ich glaube immer noch, daß es sich nicht um die Zeit gehandelt haben kann. Es war schon der Raum. Ich fühlte mich in dem Kraftfeld festgehalten, konnte mich aber nicht losreißen. Feld Gamma-H 481, Intensität 935 im Pellman-Bereich. Es fing mich ein, und ich raste hinaus. Ich glaube, daß das Feld einen abgekürzten Weg 120 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
durch den Raum zurücklegte, bis zu jener Stellung, die das Sonnensystem einmal innehaben wird. Durch eine höhere Dimension, die eine größere Geschwindigkeit bewirkte als die des Lichts und die mich in die Zukunft hinausschleuderte.“ Jim Bendell machte eine kurze Pause und warf ein: „Das Merkwürdige ist, daß er mir das nicht eigentlich erzählt hat, er hat nur laut gedacht. Dann erst kam ihm zum Bewußtsein, daß ich anwesend war. ,Ihre Instrumente konnte ich nicht ablesen, sieben Millionen Jahre der Entwicklung hatten alles geändert. So schoß ich bei der Rückkehr ein wenig über das gesteckte Ziel hinaus. Ich gehöre in das Jahr 3059. Nennen Sie mir doch bitte die neueste Erfindung, die in letzter Zeit gemacht worden ist.’ Der Mann verblüffte mich so, daß ich antwortete, ehe ich noch recht überlegt hatte: ,Ach, ich glaube, das Fernsehen. Und Radio und Flugzeuge.’ ,Radio - gut. So wird es geeignete Instrumente geben.’ ,Doch sagen Sie, wer sind Sie eigentlich?’ fragte ich nun. ‚Oh entschuldigen Sie, daß ich das vergessen habe’, erwiderte er mit seiner Orgelstimme. ,Ich bin Ares Sen Kenlin. Und Sie?’ ‚James Waters Bendell.’ 121 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
‚Waters? Darf ich wissen, was das bedeutet?’ ,Ach, das ist nur ein Name. Darum kennen Sie wohl das Wort nicht.’ ,Ich verstehe - Sie haben keine genauen Bezeichnungen. ‚Sen‘ heißt soviel wie Naturwissenschaft.’ ,Woher kommen Sie, Mr. Kenlin?’ ,Woher?’ Er lächelte. Nach einem kurzen Zögern antwortete er leise: ,Ich komme aus dem Raum - über sieben Millionen Jahre hinweg. Dort gab es keine Zeitrechnung mehr - die Menschen zählten nicht mehr. Die Maschinen machten es überflüssig. Man wußte nicht, welches Jahr man schrieb. Aber vorher lebte ich im Jahre 3059 in der Stadt Neva.’ Von diesem Augenblick an begann ich an seinem Verstand zu zweifeln. ,Ich machte Versuche’, fuhr er fort, ‚auf naturwissenschaftlichem Gebiet. Auch mein Vater war Naturwissenschaftler, aber er beschäftigte sich mit Genetik. Ich selbst bin sozusagen das Ergebnis eines Versuches. Er bewies damit seine Ansichten, und auf der ganzen Welt folgte man seinem Beispiel. Ich war der erste Vertreter einer neuen Rasse. Die neue Rasse oh heilige Vorsehung - welches wird ihr Ende sein? Ich habe es fast schon erlebt! Die kleinen Menschen ich habe sie in ihrer Hilflosigkeit und Verlorenheit gesehen. Und die Maschinen. Muß es dahin kommen? Kann nichts diese Entwicklung aufhalten? Hören Sie 122 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
das war ihr Lied.“ Jim erzählte weiter: „Er begann zu singen, und ich lauschte. Nun brauchte er mir nichts mehr zu erklären. Ich wußte alles. Das sonderbare Schnarren ihrer Worte ließ mich ihre Stimmen vernehmen, ich spürte ihre verworrenen Sehnsüchte, die sich mir in dem schwermütigen Moll ihres Gesanges offenbarten. Es war ein banger Ruf, ein einziges Flehen, das hoffnungslos dem Unerreichbaren nachjagte. Und über all dem schien das stetige Stampfen und Stöhnen unbekannter Maschinen zu schweben, um die sich keiner mehr kümmerte. Es waren Maschinen, die, einmal in Gang gesetzt, nicht stehen bleiben konnten, weil die kleinen Menschen nicht mehr wußten, wie sie abzustellen waren, ja, wozu sie überhaupt dienten. Sie beguckten sie nur und - wunderten sich. Des Schreibens und Lesens waren sie nicht mehr mächtig, und die Sprache hatte sich so sehr geändert, daß die Tonbänder ihrer Ahnen für sie unverständlich waren. Doch das Lied kündete auch von ihren bangen Gedanken. Sie blickten ins Weltall hinaus und sahen die warmen, freundlichen Sterne, aber sie waren so weit von ihnen. Die neun Planeten ihres Sonnensystems kannten und bewohnten sie, aber sie blieben auf ihnen gefangen. Die Entfernungen waren so un123 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ermeßlich, daß sie im Weltraum keine anderen Geschöpfe, kein neues Leben zu entdecken vermochten. Zweierlei schwang immer in den seltsamen Lauten mit: das Hämmern der Maschinen und der Kummer über verlorenes Wissen. Vielleicht klang noch etwas anderes daraus: die Frage nach der Ursache ihrer Not. Dies alles entnahm ich dem Gesang, und mich überlief es kalt dabei. Menschen unserer Zeit sollte man ihn nicht vortragen. Es war, als töte er jede Hoffnung. Nach diesem Lied aber - da glaubte ich dem Fremden. - Nachdem er zu Ende gesungen hatte, sprach er eine Weile nichts, dann machte er eine Bewegung, als wolle er etwas abschütteln, und fuhr fort: ‚Sie werden das nicht begreifen. Noch nicht! Aber ich habe diese armen Wesen gesehen - mißgestaltet, mit riesigen Köpfen, die nur Gehirnmasse enthielten, liefen sie umher. Einst hatten sie Maschinen besessen, die denken konnten, aber irgend jemand hatte sie irgendwann ausgeschaltet, und keiner wußte mehr, wie man sie wieder in Betrieb setzen könne. Das war ihr Unglück. Sie besaßen ein wundervolles Gehirn, ein weit besseres als Ihres oder meines; aber auch das mußte vor Millionen Jahren schon in der gleichen Weise abgestelltworden sein, denn seitdem hatten diese Geschöpfe das Denken verlernt. Sie waren freundliche kleine Wesen, aber das war auch alles. 124 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Als ich damals in das Kraftfeld geriet, riß es mich an sich wie ein Planet ein Raumschiff, ich wurde gleichsam von Fangarmen festgehalten und eingeholt. Offenbar jedoch mit solcher Gewalt, daß ich über das Ziel hinausschoß und auf der anderen Seite in eine Sphäre gelangte, die mich sieben Millionen Jahre voraus in die Zukunft versetzte. Und zwar muß ich genau an der gleichen Stelle der Erdoberfläche gelandet sein, ohne daß ich sagen könnte, warum. Zu dem Zeitpunkt war Nacht, ich sah die Stadt im Licht des Mondes ein wenig abseits liegen. Irgend etwas an dem Bild kam mir aber falsch vor. Offenbar hatten die Menschen in den sieben Millionen Jahren die Stellung der Planeten durcheinandergebracht, da Raumschiffe hin und herflogen und Fahrtrinnen durch die Asteroiden liefen. Sieben Millionen Jahre sind eine so lange Zeit, daß sich auch von Natur aus die Bahnen ändern. Der Mond mußte etwa achtzigtausend Kilometer weiter in den Raum gerückt sein. Eine Weile blieb ich liegen und beobachtete ihn. Sogar die Sterne hatten sich gewandelt. Raumschiffe verließen die Stadt, sie kamen und gingen, als glitten sie an einem Draht entlang, doch handelte es sich nur um Kraftlinien. Ein Teil der Stadt der tiefer lag, war strahlend hell erleuchtet, meiner Ansicht nach mit Lampen, die glühenden Quecksilberdampf enthielten. Sie schimmerten bläulich-grün. Ich hatte das sichere Empfinden, daß dort keine Men125 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schen hausten, da das Licht den Augen schaden mußte, doch es erhellte auch die höher gelegenen Bezirke. Dann sah ich vom Himmel irgend etwas herunterkommen. Es schimmerte in grellem Schein und bestand aus einer riesigen Kugel, die senkrecht auf das schwarzsilberne Zentrum der Stadt herabstieß. Was dahintersteckte, wußte ich nicht, dennoch hatte ich das untrügliche Empfinden, daß der Ort verlassen sei. Merkwürdig, daß mein Vorstellungsvermögen dazu ausreichte, obwohl ich noch nie eine ausgestorbene Stadt gesehen hatte. Ich mußte etwa zwanzig Kilometer laufen, bis ich an ihren Landeplatz gelangte. Maschinen fuhren über die Straßen, besserten die Wege aus und waren unfähig einzusehen, daß sie nicht mehr weiterzuarbeiten brauchten; so waren sie immer noch tätig. Ich fand ein automatisches Taxi, das mir ganz vertraut vorkam und das ich lenken konnte. Wie lange diese Stadt schon menschenleer war, weiß ich nicht. Einige Bewohner aus anderen Städten behaupteten, es wären hundertfünfzigtausend Jahre. Andere verstiegen sich sogar bis zu dreihunderttausend Jahren. Seither hatte keines Menschen Fuß mehr die Stadt betreten. Das Taxi war in tadellosem Zustand und sprang sofort an. Wie das Fahrzeug, war auch die ganze Stadt sauber und ordentlich. Ich entdeckte eine Gaststätte und bekam Hunger, doch noch mehr hungerte mich nach Menschen, mit denen ich 126 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sprechen konnte. Natürlich gab es hier keine, aber ganz sicher wußte ich das in diesem Augenblick noch nicht. Das Lokal bot mir allerlei Speisen zur Auswahl an und ich suchte mir etwas aus. Vermutlich waren die Nahrungsmittel dreihunderttausend Jahre alt. Doch ich hatte keine Ahnung davon, und die Maschinen, die sie mir vorsetzten, kümmerten sich nicht darum; denn sie stellten sie synthetisch und in aller Vollkommenheit her. Als die Baumeister diese Städte errichteten, vergaßen sie eines: sie dachten nicht daran, daß ihre Werke nicht ewig währen dürften. Für den Bau meines Apparates hatte ich sechs Monate gebraucht. Sie waren noch nicht ganz um, da war ich endlich fertig. Und hier sah ich diese Maschinen blindlings und unermüdlich laufen, ohne je stillzustehen, und so vollkommen, wie ihre Erfinder sie gebaut hatten, erfüllten sie unaufhörlich ihre vorgeschriebene Pflicht, obwohl sie seit Generationen niemand mehr benötigte. Und wenn die Erde erkaltet und die Sonne erloschen ist, werden jene Maschinen immer noch ihren Dienst tun, ja selbst wenn unser Heimatplanet in Trümmer fällt, werden sie, unübertroffen und nieversagend sich bemühen, ihn wieder zusammenzuflickeil. Ich verließ die Gaststätte und fuhr mit dem Taxi kreuz und quer durch die Stadt. Das Gefährt besaß wohl einen kleinen Elektromotor, doch es holte sich 127 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den Strom von einem großen, zentralen EnergieRadiator. Bald merkte ich, daß ich wirklich weit in die Zukunft geraten war. Die Stadt gliederte sich in zwei Bezirke, in deren unterem es mehrere Schichten gab, wo gleichmäßig und ruhig arbeitende Maschinen standen. Hier war nichts weiter als ein tiefes Summen zu hören, das von gewaltiger, nie endender Kraft zeugte, ein leises, geruhsames Pochen, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Dreißig Stockwerke über der Erde, zwanzig darunter, ein fester Block, mit Wänden und Böden aus Metall, aus Glas und Kunststoff. Die einzige Beleuchtung stammte von den blaugrünen Bogen des glühenden Quccksilberdampfes, dessen Licht reich an hohen Energiequanten war, von denen die Atome der Alkalimetalle photoelektrisch aktiviert wurden. Aber greife ich vielleicht mit diesen Bemerkungen den Kenntnissen eurer Zeit vor?’ Die Frage war indessen nur rhetorisch gemeint. Ohne Unterbrechung fuhr er fort: Jene Menschen hatten das Licht verwendet, weil viele ihrer Maschinen für ihre Tätigkeit etwas sehen mußten. Die Maschinen waren einfach wunderbar. Fünf Stunden lang wanderte ich durch das ungeheure Kraftwerk, das sich ganz im untersten Stockwerk befand, und sah mir alles an. Da Bewegung herrschte und die mechanischen Geschöpfe Leben vortäuschten, fühlte ich mich weniger einsam. Bei den Generatoren fand ich eine Form weiterentwickelt, die ich 128 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
einst entdeckt hatte. Wie lange war das her? Es handelte sich um Energiegewinn aus der Materie, und bei dem Anblick der Apparate erkannte ich, wieviele ungezählte Menschenalter lang sie imstande wären, ihren Dienst zu tun. Dieser ganze Bezirk der Stadt gehörte den Maschinen. Es waren Tausende. Aber die meisten schienen ohne Arbeit zu sein oder liefen nur mit geringer Leistung. Ich entdeckte eine Telefonanlage, aber nicht ein einziges Signal kam durch. Es gab kein Leben in der Stadt. Als ich jedoch in irgendeinem Raum an einem Bildschirm auf einen kleinen Knopf drückte, sprang das Gerät sogleich an. Es war zum Gebrauch bereit. Nur benötigte es keiner mehr. Den Menschen war es vergönnt zu sterben, den Maschinen nicht. Schließlich stieg ich im zweiten Bezirk bis zur höchsten Stelle der Stadt hinauf. Hier kam ich mir wie im Paradies vor. Ich fand Buschwerk, Bäume und Parks, die in dem Licht, das die Menschen zu erzeugen gelernt hatten, milde glänzten. Vor fünf Millionen Jahren hatten sie die Kenntnisse erworben. Vor zwei Millionen Jahren waren sie wieder in Vergessenheit geraten, aber die Maschinen sorgten noch immer für die Beleuchtung. In der Luft schwebte ein weiches, silbernes, rosa übertöntes Licht, das die Gärten dämmrig erhellte. Zur Zeit ließen sich keine Maschinen blicken, aber sicher kamen sie bei Tage aus ihren Hallen, versorg129 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ten die Anlagen und bewahrten sie als Paradies für Herren, denen ein Tod und eine Ruhe beschieden war, die ihnen versagt blieb. Während es in der Wüste außerhalb der Stadt kühl und staubtrocken war, war hier die Luft lind, warm und vom süßen Duft der Blumen durchweht, die der Mensch in Hunderttausenden von Jahren bis zur Vollendung hochgezüchtet hatte. Dann setzte irgendwo Musik ein. Sie begann in der Luft zu klingen und ließ sich sanft von ihren Wellen weitertragen. Der Mond ging eben unter, und während er hinter dem Horizont versank und zugleich auch das rosig silberne Glühen erlosch, wurde die Musik lauter. Sie erscholl von überall und nirgends, es war, als ob ich sie in mir hörte. Wie das geschah, wußte ich nicht. Ebenso rätselhaft war mir, wie man solche Töne in Noten niederschreiben sollte. Ich hatte unsere Musik immer für gut gehalten. Doch diese Weisen, die hier an mein Ohr drangen, waren der Triumphgesang eines Menschengeschlechts, das auf der Höhe seiner Entwicklung stand und seine Überlegenheit voll auskostete. In majestätischen, erhebenden Harmonien verkündete die Menschheit ihren Sieg; die Klänge ließen mich meine eigene große Zukunft ahnen und rissen mich mit. Doch während ich noch auf die verlassene Stadt blickte, erstarb plötzlich der Gesang in den Lüften. 130 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hätten ihn die Maschinen doch vergessen! Ihren Herren und Meistern war er schon längst aus dem Gedächtnis entschwunden. Ich kam zu einem Gebäude, das ein Wohnhaus gewesen sein mußte; in dem dämmrigen Licht konnte man den Eingang nur undeutlich erkennen, doch als ich die Stufen zu ihm hinaufstieg, flammten die Lampen auf, die seit dreihunderttausend Jahren nicht mehr gebrannt hatten, und erleuchteten ihn mit einem grün weißen Schein, wie ihn Glühwürmchen verbreiten. Ich trat ein. Sogleich ging mit der Luft, die nach mir in den Eingang flutete, eine Verwandlung vor sich; sie wurde undurchsichtig wie Milch. Das Zimmer, in dem ich stand, war aus pechschwarzem Stein erbaut, der eine samtartig schimmernde Oberfläche aufwies und mit Silber und Gold geziert war. Auf dem Boden lag ein Teppich aus dem gleichen Stoff, den ich jetzt trage, nur dicker und weicher. Im Zimmer verteilt standen niedere Divans, die ebenfalls mit diesen schmiegsamen metallischen Geweben bedeckt waren. Auch sie waren in Schwarz, Gold und Silber gehalten. Dergleichen hatte ich noch nie erblickt. Ich glaube auch, daß ich nie mehr Gelegenheit dazu erhalten werde. Meine wie Ihre Sprache sind nicht fähig, diese Pracht zu beschreiben. Die Erbauer jener Stadt hatten berechtigten Grund, den hinreißenden Triumphgesang über einen Aufstieg anzustimmen, der sie bis 131 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
zu den neun Planeten und fünfzehn bewohnbaren Monden brachte. Doch diese Menschen lebten nicht mehr, und ich wollte fort. So legte ich mir einen Plan zurecht und trat in eine Telefonzentrale ein, in der ich zufällig eine Landkarte entdeckt hatte. Ich studierte sie gründlich. Die gute alte Welt sah noch fast so wie früher aus. Sieben, ja selbst siebzig Millionen Jahre bedeuten für Mutter Erde nicht viel. Ihr könnte es sogar gelingen, diese herrlichen Maschinen Städte zu überleben. Sie vermag hundert oder tausend Millionen Jahre abzuwarten, ehe sie sich geschlagen gibt. Nachdem ich die Schaltzentrale untersucht hatte und mich in der Bedienung der Apparate zurechtgefunden hatte, versuchte ich verschiedene Stadtviertel anzurufen. Ein-, zwei-, dreimal, ja ein dutzendmal versuchte ich Yawk City, Lunnan City, Paree, Shkago, Singpor und andere Orte zu erreichen. Langsam überkam mich jedoch das Empfinden, daß auf der gesamten Erde keine Menschen mehr lebten. Je mehr Maschinen in den Städten auf meinen Ruf antworteten und meinem Befehl gehorchten, um so niedergeschlagener wurde ich. Schon wollte ich mein Bemühen aufgeben, da versuchte ich es noch einmal mit San Frisco. Ich schaltete die Knöpfe - und plötzlich meldete sich eine Stimme. Auf dem kleinen Schirm erschien das Bild eines Menschen. Ebenso überrascht wie ich, prallte er zurück und starrte mich 132 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
erstaunt an. Dann begann er zu mir zu sprechen. Aber was half es, ich verstand ihn nicht. Wir beide, mein Freund, können uns verständigen, weil Ihre Sprache den Menschen meines Zeitalters auf verschiedene Art überliefert worden ist und unsere Redeweise beeinflußt hat. Hier aber lagen sieben Millionen Jahre zwischen uns, und die Menschen hatten die alten Quellen vergessen und im Laufe der Zeit immer weniger benutzt; ihre Sprache wandelte sich, bis man die alten Tonbänder, gar nicht zu reden von den schriftlichen Aufzeichnungen, nicht mehr verstand. Gelegentlich mußten sich unter diesen letzten Vertretern ihrer Rasse noch einige Menschen aufgerafft und nach verschollenem Wissen geforscht haben, doch blieb der Erfolg ihnen versagt. Eine alte Schrift kann man übersetzen, wenn man irgendeine Grundregel für die Entzifferung gefunden hat. Bei einer Stimme der Vergangenheit jedoch ist das nicht möglich, zumal wenn ein Geschlecht nichts mehr von Naturgesetzen versteht und geistiges Ringen nicht mehr kennt. Als mir der Mann daher über die Leitung antwortete, war mir seine Sprache fremd. Er hatte eine hohe Stimme, redete fließend und in freundlichem Ton. Es kam mir fast vor, als singe er. Aufgeregt rief er andere herbei. Aber auch aus ihren Worten wurde ich nicht klug. Eines hatte ich jedoch erfahren: es gab noch Menschen, ich kannte ihren Aufenthaltsort und 133 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ich konnte sicher irgendwie zu ihnen gelangen. So verließ ich das Paradies der Gärten, während ich am Himmel den Morgen dämmern und die merkwürdig funkelnden Sterne verbleichen sah. Nur einer unter ihnen, ein hell aufgehender war mir vertraut die Venus. Sie schimmerte golden. Während ich stehenblieb und zum erstenmal dieses eigenartige Firmament genauer betrachtete, begriff ich endlich, warum mir von Anfang an der Anblick nicht zu stimmen schien. Es waren nicht mehr die gleichen Sterne. Zu meiner wie zu Ihrer Zeit läßt sich das Sonnensystem mit einem einsamen Wanderer vergleichen, der zufällig einen Knotenpunkt des Milchstraßenverkehrs überquert. Die Gestirne, die wir nachts erblikken, gehören Sternhaufen an, die sich bewegen. Tatsächlich zieht unser System durch das Herz des Großen Bären. Ein halbes Dutzend anderer Ansammlungen liegt im Umkreis von fünfhundert Lichtjahren. Doch während der sieben Millionen Jahre hatte die Sonne sich aus dem Bereich dieses Sternzeichens entfernt. Für das Auge schien der Himmel verödet. Nur hier und da flimmerte ein einsamer Stern. Und über die ungeheure Weite eines schwarzen Gewölbes schwang sich das Band der Milchstraße. Sonst war das Firmament leer geworden. Sicher hatten die Menschen dieser Zeit in ihren Liedern noch etwas anderes ausdrücken wollen; das 134 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Gefühl der Einsamkeit. Denn keine freundlichen Sterne leuchteten mehr in der Nähe. Wir sehen einige, die im Abstand von einem Dutzend Lichtjahren funkeln. Doch jene Menschen erzählten mir, daß die Instrumente, mit denen sie die Entfernung zu irgendeinem Gestirn unmittelbar ablasen, ihnen einhundertfünfzig Lichtjahre bis zum nächsten Stern anzeigten. Er war auffallend hell, strahlender als der Sirius unserer Nächte. Aber, das machte ihn nicht anheimelnder, denn er war ein blauweißer Riese. Unsere Sonne hätte sein Satellit sein können. Gebannt blieb ich stehen und sah zu, wie das rosig-silberne Glühen allmählich verblaßte, während das mächtige, blutrote Licht der Sonne den Horizont überflutete. An den Sternen hatte ich inzwischen gemerkt, daß seit meiner Zeit - seit ich zum letzten Male die Sonne aufgehen sah - etliche Millionen Jahre verflossen sein mußten. Und nun fragte ich mich verwundert, ob die Sonne selbst etwa schon in den letzten Zügen liege. Der Rand ihrer roten ungeheuren Scheibe erschien. Sie schwang sich hinauf und die Farbe verblich, bis sie in einer halben Stunde zu dem vertrauten gelblichen Gold geworden war. Die Sonne hatte sich in all dieser Zeit nicht verändert. Wie hatte ich das nur annehmen können. Wenn schon sieben Millionen Jahre für die Erde nichts bedeuteten, wieviel weniger erst für die Sonne! Aber 135 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
tausend Male war sie aufgegangen, seit ich sie zuletzt hatte emporsteigen sehen. Wären es ebenso viele Jahre gewesen, so hätte ich vielleicht einen Wandel feststellen können. Das Weltall bewegt sich langsam. Nur das Leben hat keine Dauer und wechselt schnell seine Form. Acht kurze Jahrmillionen - acht Tage im Leben der Erde und - ihre Bewohner waren im Aussterben. Etwas allerdings hatten sie zurückgelassen: Maschinen. Aber auch die würden zugrundegehen, obwohl sie es nicht begriffen. Solcher Art waren meine Gefühle. Und nichtsdestoweniger, ich - ich hätte es in der Hand gehabt, dieser Entwicklung zu steuern. Doch davon später! Als die Sonne aufgegangen war, blickte ich wieder zum Himmel und dann hinunter auf die Stadt, die etwa fünfzig Stockwerke unter mir lag. Ich war an den Saum ihres Bereiches gelangt. Maschinen rollten dort über den Boden, vielleicht ebneten sie ihn ein. Geradewegs nach Osten verlief über die flache Wüste ein großes, breites Band in Grau. Schon ehe die Sonne hochstieg, hatte ich es schwach schimmern sehen; es war eine Art Autobahn, doch irgendwelchen Verkehr bemerkte ich nicht. Vom Osten sah ich ein Luftschiff herangleiten. Es nahte leise, wimmernd, als jammere ein Kind im 136 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Schlaf; wie ein Ballon, der sich aufbläht, wuchs das Fahrzeug vor meinen Augen. Als es auf einer großen Gleitbahn des Lufthafens in der Stadt unten niederging konnte ich das Klirren und Dröhnen von Maschinen wahrnehmen von denen zweifellos die Materialien verarbeitet wurden, die er herangeschafft hatte. Die Maschinen brauchten Rohstoffe. Maschinen in anderen Städten hatten sie geliefert und Frachtschiffe herangeschleppt. San Frisco und Jacksville waren die einzigen beiden Städte Nordamerikas, die noch bewohnt wurden. Doch an allen anderen Orten liefen die Maschinen weiter, unfähig, stehenzubleiben. Das hatte man ihnen nicht befohlen. Dann erschien hoch über mir wieder etwas, und aus einem mittleren Abschnitt der Stadt zu meinen Füßen stiegen drei kleine Kugeln empor. Wie das Frachtschiff besaßen sie keine sichtbare Antriebsvorrichtung. Der Punkt am Firmament oben, der wie ein schwarzer Stern im blauen Raum gestanden hatte, war zu einem Mond angewachsen. Hoch über mir traf er mit den drei Kugeln zusammen. Gemeinsam landeten sie und setzten im Mittelpunkt der Stadt auf, wo sie meinen Blicken entschwanden. Wie ich später erfuhr, handelte es sich um einen Transport von der Venus. Das andere Raumschiff, das ich in der Nacht zuvor hatte landen sehen, war vom Mars gekommen. Nun brach ich auf und sah mich nach einer Art Ta137 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
xiflugzeug um. Bei einem Rundgang durch die Stadt konnte ich keines entdecken. Ich durchsuchte die höhergelegenen Bezirke und stöberte hier und dort verlassene Luftfahrzeuge auf, aber sie waren viel zu groß für mich und hatten kein Steuer. Inzwischen war es fast Mittag geworden, so aß ich wiederum. Die Speisen schmeckten gut. Ich hatte nun eingesehen, daß hier in dieser Stadt menschliches Sehnen längst zu Staub und Asche geworden war, und nicht nur die Hoffnungen einer einzelnen Rasse, der weißen, der gelben oder der schwarzen - sondern der ganzen Menschheit. Irrsinniges Verlangen packte mich, diesen Ort zu verlassen, doch fürchtete ich, die Straße nach Westen einzuschlagen, denn das Taxi, das ich fuhr, bezog seine Antriebskraft aus irgendeiner Energiequelle in der Stadt, und ich war mir klar, daß es nach wenigen Kilometern versagen würde. Erst am Nachmittag fand ich in der Nähe der Außenmauer der riesigen Siedlung einen kleinen Hangar. Er enthielt drei Luftschiffe. Vorher hatte ich die unteren Schichten der menschlichen Behausungen durchsucht, die das Obergeschoß bildeten. Dort gab es Gaststätten, Läden und Theater. Als ich ein Lokal betrat, erklang leise Musik, und auf einer Leinwand leuchteten Farben und Formen auf. Ton und Bilder verkündeten triumphierend den Sieg eines hochentwickelten Volkes, das fünf Millionen Jahre lang einen 138 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gewaltigen Aufstieg erlebt, aber nicht bemerkt hatte, daß der Weg vor ihm sich ins Totenreich verlor, und daß es mit seiner Herrlichkeit zu Ende ging. Doch die Stadt bestand weiter, auch ohne Bewohner. Hastig verließ ich den Raum, und hinter mir verstummte der Gesang, der seit dreihunderttausend Jahren nicht mehr zu hören gewesen war. Dann fand ich den Hangar. Wahrscheinlich war er Privatbesitz gewesen. Er enthielt drei Luftfahrzeuge. Eines davon war etwa fünfzehn Meter lang und hatte einen Durchmesser von viereinhalb Metern. Wahrscheinlich war es eine Raum-Yacht gewesen. Das zweite Fahrzeug war viereinhalb Meter lang und eineinhalb Meter breit, es mußte sich um eine Familienmaschine gehandelt haben. Übrig blieb als drittes noch ein kleines Flugzeug, das etwas über drei Meter lang war und eine Breite von nur sechzig Zentimetern besaß. Offenkundig mußte man sich flach hineinlegen, und das tat ich auch. Eine Art Sehrohr erlaubte mir, geradeaus und fast senkrecht nach oben zu blicken. Durch ein Fenster hatte ich Aussicht nach unten; eine besondere Vorrichtung bewegte hinter einem Milchglasschirm eine Landkarte und projizierte sie so darauf, daß auf dem haarfeinen Fadenkreuznetz der Glasscheibe meine Position abzulesen war. Ich opferte eine halbe Stunde, um herauszubekommen, mit welchen Geräten dieses Schiff von sei139 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nen Erbauern ausgestattet worden war. Doch die Menschen, die es einst herstellten, hatten sich auf die naturwissenschaftlichen Kenntnisse von fünf Millionen Jahren gestützt und waren im Besitz vollkommener Maschinen. Ich sah den Mechanismus, der Atomkraft für den Antrieb lieferte. Die Gesetze, nach denen er arbeitete, begriff ich und einigermaßen auch die technische Anwendung; doch es gab keine Leitungen, nur bleiche Strahlenbündel, die so schnell pulsierten, daß man ihr Aufblinken nur bei genauem Hinschauen erfassen konnte. Etwa ein halbes Dutzend davon hatte mindestens dreihunderttausend Jahre lang rhythmisch aufgeglüht. Ich stieg ein, und im Nu leuchteten sechs weitere Strahlen; flüchtig spürte ich ein leichtes Beben, und ein merkwürdiges Druckgefühl lief durch meinen Körper. Sogleich fand ich die Erklärung dafür: das Flugzeug ruhte auf einer Vorrichtung, die alle Schwerkraft aufhob. Bei meiner Beschäftigung mit den Raumfeldern, die ich mit Hilfe von Atomkräften entdeckte, hatte ich bereits gehofft, daß die Überwindung der Schwerkraft gelingen werde. Doch diese Menschen hatten schon Millionen Jahre darüber Bescheid gewußt, ehe sie dieses wunderbare, nie versagende Flugzeug erbauten. Als ich mich hineinschob, hatte die Last meines Körpers es gezwungen, das Gleichgewicht wiederherzustellen und sich auf den Einsatz vorzubereiten. Im Innern wirkte 140 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
eine künstlich erzeugte Schwerkraft auf mich ein, die der Anziehung auf der Erde entsprach, während mir vorher die neutrale Zone zwissnen der Außenseite und der Kanzel Beschwerden verursacht hatte. Die Maschine war startbereit und mit Treibstoff versehen. Diese Flugzeuge waren so gebaut, daß sie ihre Wünsche und Bedürfnisse automatisch anmeldeten. Jedes von ihnen war beinahe wie ein Lebewesen. Eine Wärtermaschine sorgte für entsprechenden Nachschub, und wenn es nötig und möglich war, besserte sie auch Schäden aus. Ging das nicht, wurden die Flugzeuge in einem Lastwagen abgeschleppt, der ganz von selbst anrollte; ein genau gleiches Luftschiff wurde geliefert und das beschädigte an den Herstellungsort gebracht, wo es von selbsttätigen Apparaten überholt wurde. Geduldig wartete mein Gefährt, bis ich abfuhr. Die Steuerung war einfach. Links befand sich ein Hebel; drückte man ihn nach vorn, bewegte sich auch das Schiff voran, zog man ihn zurück, flog es rückwärts. Rechts entdeckte ich einen waagrechten, drehbaren Stab; schwang man ihn nach links oder rechts, wirbelte auch das Flugzeug nach der entsprechenden Richtung herum. Kippte man ihn hoch, folgte das Schiff nach oben und - abgesehen von den Bewegungen, die der Hebel lenkte - führte es alle Manöver aus. Hob man den Stab insgesamt hoch, stieg meine Maschine empor, und drückte man ihn hinunter, sank sie ab. 141 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Ich steuerte ein wenig aufwärts; auf einem Meßgerät, das ich im Liegen bequem vor Augen hatte, bewegte sich eine Nadel ein Stückchen weiter, und unter mir glitt der Boden weg. Dann warf ich den Hebel herum, und mit zunehmender Geschwindigkeit glitt das Flugzeug ins Freie hinaus. Als ich beide Steuer wieder in die Ausgangsstellung brachte, flog die Maschine solange weiter, bis sie durch den Luftwiderstand abgebremst wurde und stillhielt, ohne an Höhe zu verlieren. Ich wendete, und auf einem anderen Zifferblatt schwankte ein Zeiger und gab mir an, wo ich mich befand. Ablesen konnte ich die Angaben allerdings nicht. Auch die Karte rückte nicht weiter, wie ich gehofft hatte. So schlug ich eine Richtung ein, in der nach meinem Gefühl Westen liegen mußte. In dem herrlichen Flugzeug spürte ich keine Beschleunigung. Sprunghaft glitt die Erde einfach unter mir weg, und im Nu war die Stadt verschwunden. Nun entfaltete sich mit rasender Schnelligkeit die Landkarte unter mir, und ich stellte fest, daß ich nach Südwesten flog. So drehte ich ein wenig nach Norden bei und beobachtete den Kompaß. Offenbar war ich zu sehr in den Anblick der Karte und des Kompasses vertieft gewesen, denn plötzlich ertönte ein scharfer Summton, und ohne mein Zutun kletterte die Maschine und drehte auf Nordkurs. Vor mir lag ein Berg; ich hatte ihn übersehen, das Flugzeug aber nicht. 142 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Nun bemerkte ich zwei kleine Knöpfe, mit denen sich die Karte verschieben ließ; sie hätten mir schon früher auffallen müssen. Ich drehte an ihnen, hörte ein scharfes Einschnappen, und die Fahrt verlangsamte sich; es dauerte eine Weile, bis eine beträchtlich niedrigere Geschwindigkeit erreicht war und das Schiff einen neuen Kurs einschlug. Ich versuchte ihn wieder richtigzustellen, aber zu meinem Erstaunen hatten die Steuerhebel keinen Einfluß mehr auf ihn. Daran war die Karte schuld. Entweder folgte sie dem Kurs, oder er richtete sich nach ihr. Ich hatte sie verschoben, und die Maschine hatte selbsttätig das Lenken übernommen. Es war noch ein kleiner Knopf vorhanden, den ich hätte drücken können, aber das wußte ich nicht. Ich konnte das Fahrzeug nicht mehr in meine Gewalt bekommen, bis es schließlich hielt und fünfzehn Zentimeter über dem Boden stehenblieb. Wir befanden uns inmitten von Ruinen, die einmal eine große Stadt gewesen sein mußten, wahrscheinlich Sacramento. Jetzt wurde mir klar, worauf es ankam, und ich stellte die Karte auf San Frisco ein. Sofort flog das Schiff weiter. Es umfuhr von sich aus eine Masse zerfallener Steine, drehte auf den alten Kurs zurück und raste dann wie ein dicker Pfeil selbstgesteuert weiter. Als es San Frisco erreichte, landete es vorerst nicht. Es verharrte schwebend in der Luft und gab 143 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
zweimal einen leisen, melodischen Summton von sich. Dann wartete es, und auch ich faßte mich in Geduld und blickte hinunter. Die Stadt war bewohnt. Zum erstenmal sah ich die Menschen jener Zeit. Es waren kleine Geschöpfe, die erstaunte Gesichter zeigten, Zwerge mit unverhältnismäßig großen Köpfen, die aber nicht unförmig wirkten. Den tiefsten Eindruck machten ihre Augen auf mich. Sie waren riesig und in ihnen schien eine verborgene Kraft zu schlummern, doch so tief und fest, daß nichts sie wecken konnte. Ich packte das Handsteuer und landete. Kaum war ich hinausgeklettert, stieg das Flugzeug wieder auf und machte sich selbsttätig daran, zu parken. Mein Gefährt flog einfach zum nächstliegenden öffentlichen Hangar, wo es automatisch versorgt und betreut wurde. Im Innern befand sich eine kleine Funkanlage, von der ich einen Teil mit mir hätte nehmen sollen. Ein Druck auf einen Schalter, und das Flugzeug wäre zu mir gekommen, gleichgültig, wo ich mich in dieser Stadt aufhielt. Die Menschen umringten mich und fingen miteinander zu reden an. Man hätte es fast als singen bezeichnen können. Andere schlenderten gemächlich herbei. Es waren Männer und Frauen, aber anscheinend gab es keine Greise und nur wenig junge Leute. Die spärlich vorhandene Jugend wurde beinahe mit Hochachtung behandelt, und man ging mit den Klei144 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nen äußerst behutsam um, damit ihnen keiner mit einem unvorsichtigen Schritt auf die Zehen trat oder sie im Gedränge umstieß. Wissen Sie, das hatte seinen Grund. Diese Menschen lebten ungeheuer lang. Einige wurden dreitausend Jahre alt. Dann starben sie einfach. Sie altern nicht, und man hat nie erfahren, warum ihr Leben überhaupt endete. Das Herz blieb stehen, das Gehirn hört zu denken auf, dann waren sie tot. Die heranwachsenden Kind behütete und pflegte man aufs sorgfältigste. Im Laufe eines Monats wurde in dieser Stadt mit hunderttausend Einwohnern nur ein einziger Säugling geboren. Das Menschengeschlecht war unfruchtbar geworden. Und wie ich schon einmal erwähnt habe, litt dieses Volk unter der Einsamkeit. Seine Verlassenheit war hoffnungslos. Denn als der Mensch sich dem Höhepunkt seiner Entwicklung näherte, vernichtete er alle Lebensformen, die ihn bedrohten, wie Krankheitserreger und Insekten, bis das letzte davon und schließlich das letzte menschenfressende Tier ausstarb. Dadurch wurde das Gleichgewicht in der Natur gestört, und man war gezwungen, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Es kam wie mit den Maschinen. Die hatten die Menschen in Betrieb gesetzt und konnten sie nicht mehr abstellen. Und als man begann, Leben zu zerstören, konnte man nicht mehr aufhören. Erst rottete man allerlei Unkraut aus, 145 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dann kamen viele, früher unschädliche Pflanzen an die Reihe; ihnen folgten die Pflanzenfresser, die Antilopen, das Hochwild, die Kaninchen und die Pferde. Diese Tiere waren eine Gefahr, weil sie über die Feldfrüchte herfielen, die von Maschinen betreut wurden; denn noch aß der Mensch natürliche Nahrung. Begreiflicherweise ließ sich diese Entwicklung nicht mehr eindämmen. Am Ende tötete man aus Notwehr auch die Bewohner des Meeres. Als es die vielen Geschöpfe nicht mehr gab, von denen sie in Schranken gehalten worden waren, traten sie in unermeßlichen Horden auf. Und inzwischen hatte man die natürliche Nahrung durch synthetische ersetzt. Etwa zweieinhalb Millionen Jahre nach unserer Zeit wurde die Luft von allen Lebewesen, auch von mikroskopischen Organismen gereinigt. Das bedeutete, daß auch das Wasser gesäubert werden mußte. Dies geschah, und so kam auch für den Ozean das Ende allen Lebens. Dort wurden die Bakterienformen von winzigen Geschöpfen gefressen, die wiederum kleine Fischchen ernährten. Diese wurden von den großer Fischen verschlungen. Aber nun war das Anfangsglied der Futterkette ausgefallen. Im Laufe einer Generation - das heißt in einem Zeitraum von fünfzehnhundert Jahren - erlosch in der See alles Leben. Sogar die Meerespflanzen gingen zugrunde.
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So war die Erde nur noch vom Menschen bevölkert und von den Pflanzen, die er geschützt hatte, weil er sie zum Schmuck wünschte. Dazu kamen noch einige besonders beliebte Haustiere, die so alt wurden wie ihre Herren. Man hielt noch Hunde, die damals bemerkenswerte Tiere gewesen sein müssen. Diese getreuen Freunde aus dem Tierreich hatten den Menschen bis zu meiner und Ihrer Zeit schon eine Million Jahre begleitet und waren ihm weitere vier Millionen bis zur Schwelle seiner höchsten Entfaltung gefolgt; dabei war er selbst noch gelehriger geworden. Ich entdeckte einmal auf meinen Streifzügen ein verlassenes uraltes Museum, eine wundervolle Stätte der Erinnerung; dort hatte man die vollendet erhaltene Leiche eines großen Führers der Menschheit zur Schau gestellt, der fünf Millionen Jahre, ehe ich ihn erblickte, verstorben war. In diesen Räumen fand ich auch einen der damaligen Hunde. Sein Gehirn war fast so gut ausgebildet wie meines. Man hatte einfache Bodenfahrzeuge konstruiert, die von abgerichteten Hunden gesteuert werden konnten, und man hielt Rassen, die dazu geeignet waren. Dann erlangte der Mensch seine volle Reife. Sie währte eine ganze Million Jahre. Er machte so ungeheure Fortschritte, daß ihm Hunde nicht mehr als entsprechende Gefährten erschienen, sie wurden immer unbeliebter. Als die Million Jahre verstrichen war und es mit den Menschen abwärts ging, sah man keine 147 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hunde mehr. Sie waren ausgestorben. Und nun verfügte die verbliebene, dahinschwindende Menschenschar, die noch auf dem Planeten hauste, über kein Geschöpf mehr, das sie zum Nachfolger des Hundes machen konnte. Wenn früher einmal eine Zivilisation vom Untergang bedroht war, erhob sich aus deren Asche stets eine neue. Doch nun war nur mehr eine einzige vorhanden, und alle anderen Rassen, ja alle Lebewesen, außer bestimmten Pflanzen, waren ausgestorben. Und der Mensch war viel zu vergreist, um den Pflanzen noch irgendeine Beweglichkeit abzugewinnen. Früher einmal wäre es ihm vielleicht gelungen, eine neue Form zu züchten. Während der Blütezeit des Menschengeschlechts wurden auch andere Welten bevölkert. Jeder Planet und jeder Mond des Systems nahm seinen bestimmten Anteil Menschen auf. Als ich kam, waren die Planeten nur mehr schwach besiedelt, die Monde ganz verlassen. Kurz vor meiner Ankunft hatte man auch Pluto geräumt, und während ich mich dort aufhielt, trafen dauernd Rückwanderer vom Neptun ein, die näher zur Sonne strebten und wieder in die alte Heimat zogen. Es waren sonderbar stille Leute, von denen die meisten zum erstenmal den Himmelskörper kennenlernten, auf dem ihre Vorfahren geboren worden waren. Schon als ich aus dem Flugzeug stieg und ihm nachsah, während es davonflog, wurde mir klar, war148 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
um die Menschheit zum Aussterben verurteilt war. Ich blickte in die Gesichter der Umstehenden und las in ihnen die Antwort. Eine besondere Eigenschaft war diesen Wesen verlorengegangen, obwohl sie immer noch großer Gedanken fähig waren und mehr Verstand besaßen als Sie und ich. Bei einem von ihnen mußte ich mir später Hilfe holen, um einige Schwierigkeiten bei meiner Heimkehr zu überwinden. Wie Sie wissen, gibt es im Raum zwanzig Koordinaten, von denen zehn Null sind, sechs feststehende Werte haben und die restlichen vier unsere wechselnden, vertrauten Dimensionen von Zeit und Raum darstellen. Dies bedeutet, daß die Integration nicht in doppeltem, drei- oder vierfachem Integral fortschreitet, sondern im zehnfachen Allein hätte ich zu lange dazu gebraucht und niemals alle Aufgaben gelöst, die ich auszuarbeiten hatte. Die mathematischen Maschinen meiner Gastgeber konnte ich nicht verwenden, und meine waren natürlich in einer Vergangenheit, die sieben Millionen Jahre zurücklag. Doch einer jener Männer interessierte sich für meine Probleme und half mir. Er rechnete alles im Kopf - vier- und fünffache Integrale, ja sogar vierfache innerhalb wechselnder Exponentialgrenzen. Doch er tat es erst, als ich ihn darum bat. Denn eine Eigenschaft die den Menschen groß gemacht hatte, war ihm abhanden gekommen. Dies war mir, wie erwähnt, schon aufgegangen, als ich die Gesichter 149 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und Augen der Umstehenden bei meiner Landung sah. Sie hatten mich mit einer gewissen Anteilnahme betrachtet, die einem ungewöhnlichen Fremden galt, und - waren weitergegangen. Die Ankunft eines Schiffes hatte sie angelockt. Das war ein seltenes Ereignis für sie. Aber sie hießen mich lediglich auf eine freundschaftliche Art willkommen. Neugierig waren sie keineswegs! Ihnen fehlte der frühere instinktive Forschungsdrang. Oh, nicht völlig! Sie hätten gerne Genaueres über die Maschinen oder die Sterne erfahren. Aber von sich aus taten sie nichts dazu. Ein wenig Wissensdurst beseelte sie noch, aber er war verschwindend gering. In den sechs kurzen Monaten, die ich bei ihnen verbrachte, lernte ich mehr als sie in den zweioder gar dreitausend Jahren, die sie inmitten der Maschinen verlebt hatten. Können Sie die niederschmetternde Hoffnungslosigkeit richtig werten, in die mich diese Erkenntnis versetzte? Ich, der ich die Naturwissenschaften liebe und in ihnen das Heil, den Aufstieg der Menschen erblicke - oder erblickt habe - mußte einsehen, daß jene wunderbaren Maschinen aus der Zeit ruhmreicher Vollendung mißachtet und nicht mehr verstanden wurden. Jene prächtigen, fehlerlosen Maschinen, die für diese sanften, freundlichen Wesen sorgten, sie schützten und betreuten! Doch wer wußte noch über sie Bescheid? Man 150 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kam sich in ihrer Mitte hilflos und verlassen vor. Für jene Leute war die Stadt eine großartige Ruine, ein erstaunliches Gebilde, das ihre Umgebung darstellte. Es war etwas, das sich mit dem Verstand nicht erfassen ließ, sondern zu den Naturerscheinungen dieser Welt gehörte, einfach da war; kein Werk von Menschenhand, sondern eine gegebene Umwelt wie die Berge, die Wüsten und die Gewässer der Meere. Begreifen Sie das, können Sie sich vorstellen, daß die Zeit, in der die Maschinen neu gewesen waren, weiter zurücklag als für uns die Entstehung des Menschengeschlechts? Kennen wir die Legenden unserer Urahnen? Erinnern wir uns an ihr Wissen von Wald und Höhle? An das Geheimnis, wie man einen Feuerstein behaut, bis er eine scharf schneidende Kante erhält? An die sorglich gehütete Kunst, einen Tiger zu erlegen, ohne selbst getötet zu werden? Nicht besser erging es diesen späten Nachkommen, obwohl eine längere Zeitspanne vergangen war. Denn ihre Sprache hatte sich gewandelt und war der Vollendung einen großen Schritt nähergerückt; zudem hatten seit Generationen die Maschinen ihnen alle Arbeit abgenommen. So war es auch auf dem Planeten Pluto; obwohl er die größten Minen eines ihrer Gebrauchsmetalle beherbergte, hauste kein Mensch mehr dort. Nur die Maschinen taten weiter ihre Pflicht, sie waren eingeordnet in ein genau aufeinander abgestimmtes Zu151 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sarnmenspiel und erledigten alles aufs beste. Ihre Herren und Meister aber wußten nur, daß ein bestimmter Druck auf einen bestimmten Hebel ein bestimmtes Ergebnis zeitigte. Es ging ihnen wie den Menschen im Mittelalter, die zwar erkannt hatten, daß Holz verschwand und sich in Hitze verwandelte, wenn man es nahm und zu anderen rotglühenden Klötzen legte. Daß das Holz jedoch oxydierte und dabei Wärme frei wurde, daß sich Kohlendioxyd und Wasser bildeten, das ahnten sie nicht. Genauso wenig begriffen ihre späten Nachfahren die Maschinen, die sie speisten, kleideten und beförderten. Drei Tage blieb ich in San Frisco, dann fuhr ich nach Jacksonville und auch nach der Stadt Yawk, die ungeheuer groß war. Sie erstreckte sich über ein Gebiet, das im Norden bis zum heutiger Boston und im Süden über Washington hinausreichte.“ Jim unterbrach seinen Bericht und meinte: „Übrigens habe ich dem Mann seine Märchen keineswegs geglaubt.“ Das war zweifellos der Fall. Denn sonst hätte er sicher irgendwo in jener Gegend Land angekauft, weil es im Wert steigen würde Ich kenne Jim. Ihm wären sieben Millionen Jahre wie siebenhundert vorgekommen, und er hätte überlegt, daß seine Urenkel den Grüne wieder verkaufen könnten. Jim fuhr fort: 152 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Jedenfalls behauptete er, diese Riesenstadt sei entstanden, weil sich Boston und Washington so ausgebreitet hätten und Yawk die Orte, die dazwischen lagen, einfach aufschluckte. Dann erzählte der Fremdling weiter: ,Das Ganze war eine ungeheure Maschine. Sie war tadellos in ihren Leistungen und lief wie am Schnürchen. Es gab auch eine Art Bahn, die planmäßig verkehrte und mich in drei Minuten von Süd- zum Nordende der Stadt brachte. Ich habe die Zeit nachgeprüft. Man hatte gelernt, die unangenehme Wirkung starker Beschleunigung aufzuheben. Dann stieg ich in eines der großen Raumschiffe, von denen noch ein paar verwendet wurden, und fuhr zum Neptun. Das Schiff war riesengroß. Es diente hauptsächlich der Beförderung von Frachten. Sein mächtiger Metallzylinder war zwölfhundert Meter lang, er hatte einen Durchmesser von vierhundert Metern und schwebte leicht von der Erde empor. Außerhalb der Atmosphäre erhöhte das Schiff die Schnelligkeit. Ich konnte die Erde entschwinden sehen. Im Jahre 3048 bin ich in einem unserer eigenen Raumkreuzer zum Mars geflogen und brauchte dazu fünf Tage. Als ich nun unterwegs war, glich unser Pleimatplanet nach einer halben Stunde nur mehr einem Stern mit einem kleineren Trabanten. Nach einer Stunde fuhren wir am Mars vorbei. Acht Stunden später landeten wir 153 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bereits auf dem Neptun. M’reen hieß die Stadt. Sie war so groß wie die Stadt Yawk zu meiner Zeit, aber es wohnte niemand mehr dort. Der Planet war entsetzlich kalt und dunkel. Die Sonne erschien als winzige bleiche Scheibe, die keine Wärme und fast kein Licht spendete. Aber in der Siedlung war es richtig gemütlich. Es wehte ein frisches kühles Lüftchen und roch feucht und angenehm nach den duftenden Bäumen, die dort wuchsen. Und das ganze gewaltige Rahmenwerk aus Metall bebte nur leicht von dem summenden kraftvollen Pulsschlag der Maschinen, die sie erbaut hatten und die sie nun versorgten. Da ich die uralte Sprache beherrschte, aus der sich die meiner Gastgeber entwickelt hatte, verstand ich die Tonbänder; aus ihnen und aus den überlieferten Schriften jener Zeit, in der die Menschheit im Sterben lag, erfuhr ich, daß die Stadt drei Millionen siebenhundertdreißigtausend und einhundertfünfzig Jahre nach meiner Geburt errichtet worden war. Seit jenen Tagen war keine Maschine mehr von Menschenhand berührt worden. Trotzdem war die Luft bestens für Menschen zum Atmen geeignet, und auch hier schwebte über allem der warme, rosig silberne Schimmer und bildete die einzige Beleuchtung. Ich besuchte noch einige andere Städte, in denen 154 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Menschen wohnten. Und dort, in den fernen Randgebieten des menschlichen Herrschaftsbereichs hörte ich zuerst das »Lied der Sehnsucht«, wie ich es nannte, und noch ein anderes: das »Lied der vergessenen Erinnerungen«. Hören Sie zu... Wiederum sang er mir vor“, sagte Jim. Der Klang von Jims Stimme verriet mir nur allzu deutlich, wie verwirrt mein Freund war, und ich konnte ihm nachfühlen, wie ihm zumute war. Ich glaube es wenigstens; denn man darf nicht vergessen, daß ich die Melodie sozusagen aus zweiter Hand, von einem alltäglichen Menschen übermittelt bekam, während Jim sie von einem Augen- und Ohrenzeugen und einem außerordentlichen Manne hörte, der noch dazu mit einer „Orgelstimme“ begabt war. Jim behauptete daher sicher mit Recht: „Er war kein gewöhnlicher Sterblicher. Kein Mensch wie du und ich könnte solche Lieder ersinnen. Sie waren unheimlich. Als der Fremde sang, bestand die Melodie wiederum aus einer Folge klagender Molltöne. Ich vermeinte zu spüren, wie er sich den Kopf zermarterte, um sich einer Sache zu entsinnen, die ihm entfallen war und an die er sich verzweifelt zu erinnern wünschte; er mußte sie unbedingt wissen, doch er fühlte, wie sie ihm ständig entglitt. Der Einsame durchforschte sein Gedächtnis, er suchte mühselig und wie gehetzt nach dem Schlüssel zu einem Geheimnis, das für ihn die Rettung bedeutete. - Und ich hörte aus dem Lied heraus, 155 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wie er leise aufschluchzend eingestand, daß sein Streben vergeblich war; dann endete der Gesang.“ Jim versuchte ein paar Töne wiederzugeben. Er hatte kein gutes Gehör für Musik, aber diese Weise hatte so gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht, daß sie ihm nicht entfallen war. Nur ein paar Noten summte er. Jim besaß offenbar nicht viel Phantasie, sonst wäre er, glaube ich, wahnsinnig geworden, als jener Mann einer künftigen Zeit ihm vorsang. „Menschen unserer Tage sollte man das nicht zumuten“, meinte er. „Es ist nicht für sie bestimmt. Du hast sicher schon die herzzerreißenden Schreie gehört, die manche Tiere ausstoßen und die fast menschlich klingen. So gibt z. B. der große Eistaucher Laute von sich, die anmuten, als werde ein Irrsinniger auf grauenhafte Weise ermordet. Es ist geradezu gespenstisch. Bei diesem Lied konnte man genau nachempfinden, was der Sänger ausdrücken wollte. Denn diese Weise wurde nicht einfach von einem Menschen vorgetragen, sie verkörperte sein ureigenstes Wesen, aus ihr sprach nach meinem Gefühl der tiefe Schmerz über den endgültigen Untergang der Menschheit. Einer, der verliert, obwohl er sich redlich plagt, kann immer mit unserem Mitleid rechnen. So war es hier. Denn in diesem Falle erlebte man mit, daß die Menschheit sich verzweifelt bemüht und - den Kampf verloren hatte. Man wußte: sie konnte sich ein Mißlingen nicht leisten, weil es ihr 156 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nicht mehr vergönnt war, nochmals einen Versuch zu wagen. Jch hatte erkannt’, fuhr der Mann fort, ‚daß ich unter diesen Menschen nicht leben konnte. Mit ihnen ging es zu Ende, und ich stammte aus einer Zeit, in der die Menschheit noch jung war. Mich blickten diese Wesen mit dem gleichen ratlosen Staunen an, mit dem sie die Sterne und die Maschinen betrachteten. Wer ich war, wußten sie, aber wirklich verstehen konnten sie es nicht. Ich begann, mich zur Abreise zu rüsten. Sechs Monate brauchte ich dazu, und es war schwierig, weil meine Instrumente verlorengegangen waren und die meiner Gastgeber nicht die gleichen Maßeinheiten aufwiesen, ganz abgesehen davon, daß es überhaupt nur wenig Meßgeräte gab. Die Maschinen selbst lasen natürlich die Instrumente nicht ab, sie reagierten nur auf sie; für sie bildeten sie gleichsam die Sinnesorgane. Doch Reo Lantal half mir, wo er konnte, und ich kehrte zurück. Ehe ich jedoch jene merkwürdige Welt verließ, versuchte ich noch, ihr zu helfen. Irgendwann einmal werde ich vielleicht wieder dorthin gehen und nachsehen, ob meine Hilfe Erfolg hatte. Erwähnte ich schon, daß es dort auch Maschinen gab, die wirklich fähig waren zu denken? Man hatte sie allerdings schon vor langer Zeit abgestellt, und keiner hatte 157 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
mehr eine Ahnung, wie man sie wieder in Gang bringen könnte. Ich fand einige Gebrauchsanweisungen und entzifferte sie. Eine der letzten und besten Denkmaschinen setzte ich in Betrieb und stellte ihr eine große Aufgabe. Dazu fühlte ich mich verpflichtet, und wenn nötig, kann sie nunmehr tausend oder auch eine Million Jahre an der Lösung arbeiten. Fünf solche Geräte schaltete ich laut Anweisung zusammen. Dieser Riesenapparat versucht nun, eine weitere Maschine herzustellen, die das besitzt, was dem Menschen fehlt. Das klingt beinahe wie ein Witz. Aber ehe Sie darüber lachen, denken Sie einmal in Ruhe nach, und stellen Sie sich die Erde so vor, wie ich sie vom Boden der Stadt Neva aus sah, ehe Reo Lantal den Schalthebel für meine Rückkehr umlegte. Es dämmerte - die Sonne war untergegangen. Vor den Toren lag die Wüste in ihren geheimnisvollen wechselnden Farben. Der große Metallunterbau der Stadt ging mit senkrechten Mauern in die von Menschen bewohnten höhergelegenen Viertel über; in ihnen sah man spitze Türmchen und Kastelle verstreut zwischen großen Bäumen mit duftenden Blüten. Und ein rosig silberner Schimmer erhellte die paradiesischen Gärten, die darüber lagen. Der ganze mächtige Bau erbebte leise summend unter dem gleichmäßigen sanften Pulsschlag vollen158 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
deter Maschinen, für die es keinen Tod gab, obwohl sie vor mehr als drei Millionen Jahren errichtet und seither niemals mehr von Menschenhand berührt worden waren. Selbst in einer ausgestorbenen Stadt liefen sie noch weiter. Die Menschen, die in ihr gelebt, gehofft und gebaut hatten, waren gestorben und hatten jene kleinen Nachkommen hinterlassen, die nur mehr imstande waren, staunend um sich zu blicken, und die sich nach längst verschollenen Gefährten sehnten. Sie wanderten durch die riesigen Siedlungen, die ihre Ahnen gegründet hatten, und kannten sich in ihnen weniger aus als die Maschinen. Und vergessen Sie nicht die Lieder! Die erzählten die Geschichte am besten, glaube ich. Sie kündeten von hoffnungslosen Geschöpfen, die inmitten mächtiger, unwissender und blinder Mechanismen fragend umherirrten. Deshalb setzte ich noch eine Maschine für eine Aufgabe ein, die sie später einmal lösen wird, ich befahl ihr, einen besonderen Apparat zu berechnen und herzustellen, der jene Eigenschaft besitzen sollte, die den Menschen abging: die Wißbegierde. Und dann beseelte mich nur ein Wunsch: schleunigst von dort fortzukommen und heimzukehren. Ich war in einer Zeit geboren, in der die Menschen das erste strahlende Licht ihres Erdentages erlebten, und ich gehörte nicht in den allmählich verlöschenden Schein seiner Abenddämmerung. 159 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
So kam ich zurück. Ein wenig zu weit in die Vergangenheit, aber lange wird es nicht dauern, dann bin ich wirklich daheim. So, das war die Geschichte des Mannes, den ich mitgenommen hatte“, sagte Jim. „Er schwor nicht, daß sie wahr sei, kein Wort davon. Aber er gab mir soviel Stoff zum Nachdenken, daß ich ihn in Reno nicht einmal aussteigeri sah, während ich anhielt, um zu tanken. Ein gewöhnlicher Sterblicher war er jedenfalls nicht!“ wiederholte Jim in geradezu streitbarem Ton. Angeblich glaubt Jim die Geschichte nicht. Aber mir kann er das nicht weismachen. Warum sollte er sonst immer wieder so besonders betonen, daß der Fremde kein alltäglicher Mensch war. Vermutlich war er das auch nicht, denn auch mir will es scheinen, daß er tatsächlich irgendwann im einunddreißigsten Jahrhundert lebte und starb. Und wenn mich nicht alles täuscht, hat er wirklich einen Blick in jene Zeit getan, in der die Dämmerung über das Menschengeschlecht hereinbrach.
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ÄSIR 1 Die Mutter der Sarn sah mit starren goldenen Augen auf Grayth hinab. „Du bist der Hüter der Gesetze unter der Herrschaft der Sarn’’, fuhr sie ihn scharf an. „Die Sarn geben die Gesetze, und die Menschen haben ihnen zu gehorchen. Das ist vor viertausend Jahren ein für allemal so entschieden worden und das verbürgt einzig und allein den wahren Fortschritt. Ist das klar?“ Grayth ließ seine Blicke langsam von den Fußballen über die merkwürdigen, tauartigen Beine und den gerundeten goldenen Körper bis zu den vier verschlungenen Armen gleiten. Er schwieg. Nur die stahlgrauer Augen verrieten, was er dachte. Die Mutter der Sarn auf ihrem kostbaren Staatsthron gab indessen ihren Unwillen durch leise Schnalzlaute kund. „Gewiß, wir gehören verschiedenen Rassen an, aber die Sarn sind die Herrenrasse. Der Mutter der Sarn darf von den Sklaven ihres Volkes nicht weniger Gehorsam entgegengebracht werden als von ihren eigenen Untertanen. Viele Jahrhunderte lang hat sich der unsinnige Zustand erhalten, daß die Menschen Freiheiten besitzen, die sich die Herren selbst versagten. Von nun an sollen die Menschen so wie die Sarn regiert werden. Wir sind immer gerecht gegen euch 161 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gewesen, wie es sich gebührt. Doch sei gewarnt: entweder sorgst du dafür, daß mein Gebot durchgeführt wird, oder die Sarn werden selbst dafür sorgen.“ Zum ersten Male sprach Grayth mit tiefer, mächtiger Stimme: „Vor viertausend Jahren kam dein Volk auf die Erde, besiegte uns Menschen, machte uns zu Sklaven, tötete alle unsere Anführer und schuf einen Pöbelhaufen dienender Wesen ohne Verstand. Ihr brachtet uns Atomenergie, synthetische Nahrung und eine automatische Erzeugung aller Güter; außerdem verringerte sich durch den Krieg mit euch die menschliche Bevölkerung so ungeheuer, daß auf den einzelnen mehr Waren entfielen. Daher litten wir keine Not. Schon ehe die Sarn auf unserer Welt landeten, wurden sie, wie heute noch, nach dem Mutterrecht regiert, und so muß es immer bleiben. Für dein Volk ist das natürlich, denn bei euch sind die weiblichen Wesen über zwei Meter groß, während der Vater der Sarn wie alle anderen Männer eurer Rasse etwa ein Meter zwanzig mißt und nur über ein Viertel der Körperkraft eurer Frauen verfügt. Matriarchat gehört daher uneingeschränkt zu eurem Stammeserbe. Ihr unterscheidet euch von uns grundlegend in dem Verhältnis der Geschlechter zueinander. Rein zufällig ähneln sich die Angehörigen unserer Völker ein wenig - sie besitzen zwei Augen, zwei Ohren und rundliche Köpfe. Doch sind Geschöpfe deiner Art mit vier statt zwei Armen ausgestattet und mit zwei weit 162 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
auseinanderliegenden Nasenlöchern. Noch weniger gleicht sich der innere Bau. Kein Knochen eures Körpers erreicht eine Länge von mehr als sieben Zentimetern und eure Arme und Beine bestehen wie das menschliche Rückgrat aus vielen kleinen Wirbeln. Eure kupferhaltigen Nahrungsmittel sind für uns tödliches Gift, und euer ‚Strath’ sieht zwar wie menschliches Haar aus, ist aber ein hochempfindliches Sinnesorgan, das Radiowellen aufnimmt und ausstrahlt. Wir gehören getrennten Welten an, die sich von Grund auf unterscheiden. Nun wünschst du eine Mutterherrschaft bei uns einzuführen, wie ihr sie habt; nur deshalb ordnest du an, daß die Anzahl der männlichen Wesen in den nächsten Generationen herabgesetzt werden soll. Was für deinesgleichen naturgegeben ist, wäre für uns Menschen ein widernatürliches Verbrechen. Würdest du auch darauf bestehen, daß wir keine andere Nahrung genießen dürfen als ihr, weil für uns keine anderen Gesetze gelten sollen? Willst du uns etwa durch Erlasse zwingen, daß wir eure Speisen essen, nur um euren Gesetzen zu gehorchen? In beiden Fällen wäre es unser Tod; Vorteil brächte es weder euch noch uns.“ „Grayth“, unterbrach ihn die Mutter der Sarn, „versuchst du mir vorzuschreiben, was ich beschließen darf? Möchtest du mir weismachen, was für mein Wohl am besten ist? Vielleicht war ich eine Närrin, dir 163 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und deinesgleichen soviel Freiheit zu gewähren und euch eure Verwaltungsbeamten selbst wählen zu lassen. Noch innerhalb dieser Woche wirst du abgelöst, Grayth, aber nicht durch einen Mann eurer Wahl. Die Gesetze der Sarn müssen unverzüglich angewandt werden!“ Grayth blickte sie unerschütterlich an, die tiefliegenden, eisengrauen Augen standhaft auf ihre goldenen gerichtet, in denen Edelsteinfünkchen glitzerten. Er seufzte leise. „Ihr ahnt nichts von den uralten Kräften des Menschen. Ihr gehört einer Rasse an, die nur die Macht des Atomgenerators und den Flammenstrahl der Atomwaffen anerkennt und schätzt. Aber auch die Kraft des Geistes ist groß. Zehntausend Jahre vor eurer Ankunft haben auch die Menschen schon gedacht und waren sich einig in ihren Gedanken von den unsichtbaren Gewalten. In den Kriegswirren einer einzigen Woche jedoch haben deine Ahnen eine ungeheure Vielfalt menschlicher Kulturformen vernichtet und uns plötzlich einen neuen Weltstaat aufgezwungen. Ehe noch eine Einigkeit erzielt werden konnte, war das Unheil geschehen; als die armen Überlebenden allmählich wieder zu sich kamen, entdeckten sie, daß die Lebensbedingungen nicht unerträglich waren. Gerade ihre Wesensverschiedenheit schützte sie bis zu einem gewissen Grade vor schlechter Behandlung. Doch in den letzten vierzig Jahrhunderten vollzog 164 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sich ein Wandel. Langsam kristallisierte sich eine einheitliche Haltung heraus; die mächtigen, verworrenen Wunschgedanken von fünfhundert Millionen Menschen trachteten danach, einen gewaltigen Vorrat an seelischer Kraft zu schaffen, doch weil ihr Ringen sich untergeordnet vollzog, konnte es keine feste Gestalt annehmen. Im Laufe von zehntausend Jahren voll unklarer Vorstellungen und stürmischer Sehnsucht haben diese riesigen Ansammlungen unzerstörbarer geistiger Energien im Raum gekreist, unfähig, sich zu vereinen. Während der letzten vier Jahrtausende haben sich jene uralten Kräfte aber allmählich zu einem gemeinsamen einzigen Gedanken zusammengeballt, der von den Männern ausging, die von deinen Vorfahren vernichtet wurden. Wir Menschen haben sie in den letzten Jahren gefühlt, diese langsam zunehmende Einheit überkommenen Wollens und Denkens, die Wirklichkeit wurde und Macht entfaltete. Denn es fanden sich jene seelischen Kräfte zusammen, die von den Verstorbenen der verflossenen Jahrtausende stammten und durch deren Tod frei geworden waren. Aus den vielen entsteht jetzt ein einziger Geist, er wächst ständig durch den Zustrom an Gedanken, Weisheit und Stärke der fünfzehnhundert Milliarden Menschen, die auf Erden gelebt haben. Wir nennen ihn Äsir, und er ist schwarz wie das All, in dem er entstand. 165 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Wir sind anders geartet als ihr. So wie ihr euer ‚Strath’ besitzt, das Radiowellen sendet und empfängt, ist uns ein noch feinerer Sinn eigen, ein Organ, das die kleinsten Regungen der Seele und deren Gedanken erfaßt. Dort drüben bei der Wand tastet ein Elektrotechniker Leitungen ab, und seine Gedanken sind für mich so gut verständlich wie die Mitteilungen der Sarn untereinander.“ Die Lippen der Mutter der Sarn zuckten. „Er beachtet uns nicht“, sagte sie so leise, daß in dem riesigen Raum nur die Allernächsten sie hören konnten. „Ich zweifle an der Fähigkeit, die du angeblich besitzt. Veranlasse den Mann,“ daß er hierherkommt und sich vor mir verbeugt, aber sprich kein Wort zu ihm.“ Am anderen Ende blickte der Elektrotechniker, ein Mensch, mit einem Ruck hoch. Er trug die grobe Kleidung seines Handwerks, auf dem Rücken zeigte sich das Zeichen des Blitzes, Symbol seines Berufes. „Vor die Mutter der Sarn?“ rief er, und aus seiner Stimme klang die Überraschung darüber, daß er, ein einfacher Arbeiter, vor die Beherrscherin der Erde Berufen wurde. „Gewiß, ich -“ Er blickte plötzlich verständnislos und erstaunt um sich, als er niemanden in seiner Nähe bemerkte, sondern nur sechzig Meter von sich entfernt die versammelten Leute sah. Vor Verwirrung errötete er über das ganze Gesicht und wandte sich nervös und linkisch erneut seiner Tätigkeit zu; er schien überzeugt, daß die Stimme, die ihm aus der 166 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Luft einen unmöglichen Befehl zugerufen hatte, nur ein Erzeugnis seiner eigenen Phantasie gewesen war. Aufmerksam blickte die Mutter der Sarn Grayth mit ihren goldenen Augen an. „Du bist entlassen“, sagte sie schließlich. „Das Gesetz der Sarn aber, daß fünf Frauen auf einen Mann kommen, gilt für den ganzen Planeten.“ Gelassen wandte Grayth sich um und beugte den Kopf zum Abschiedsgruß. Aufrecht und mit festem Schritt ging er durch das Spalier der anwesenden Sarn. Ihm folgten im gleichen Tritt die sechs menschlichen Wesen, die ihn begleitet hatten. Stumm wanderte die kleine Prozession zwischen den schimmernden Bronzetüren der großen Eingangspforte hinaus und stieg die breiten Stufen zu den eingefriedeten Rasenflächen hinunter. Bartel machte ein paar schnelle Schritte, bis er an Grayth heran war. „Meinst du, daß sie dieses Gesetz mit Gewalt durchdrücken wird? Was können wir unternehmen? Wird sie an diese Geisteskraft glauben, an diese kindliche Mythe aus der Vergangenheit eines Volkes?“ Grayths Augen verdunkelten sich. Er nickte langsam. „Wir gehen jetzt in mein Haus. Die Mutter der Sarn neigt nicht zu müßigen Gesten, sie kann nicht Gesetze erlassen und sie grundlos widerrufen. Doch 167 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
reden wir weiter, wenn wir im Haus sind.“ Nachdenklich setzte Grayth seinen Weg fort. Über den Raser flächen lag Sonnenlicht, unter den Bäumen tief grünes Dunkel. Hin und wieder sahen sie undeutlich riesige Schatten vorüberhuschen, flügellose Fahrzeuge mit glatten Umrissen, die lautlos hoch über ihnen in der Luft flogen. Die kleine Schar wanderte eine laubgraue Betonstraße hinunter, die nachts milde glühte. Die weite Parks mit den Palästen der Sarn, die Kleinodien glichen, bliebe hinter ihnen zurück, dann gelangten sie zu der niederen Mauer, von der die Städte der Menschen und der Sarn voneinander geschieden wurden. Unvermittelt wurde die breite Prachtstraße schmaler, und statt mit grauem Beton, der nachts leuchtete, war der Weg mit Kopfsteinen gepflastert. Die prächtigen Paläste der Sarn und die großen Gärten wurden von sauberen kleinen Häuschen aus hellem Mauerwerk abgelöst, das von einer Kruste bedeckt war, die aus vielen uralten Schichten zartfarbener Tünche bestand. Denn diese Wohnhäuser, die der Stadt der Sarn zunächst lagen, waren bald nach der Landung erbaut worden, als noch die schwelenden Ruinen der Menschenstädte von der Zerstörung kündeten. Die Atombomben, die alle menschlichen Siedlungen vernichtet hatten, waren längst unschädlich, und die letzten Spuren davon, daß hier einmal eine Stadt gestanden hatte, waren von Unkraut ausgetilgt. Die 168 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Sarn lebten schon lange auf der Erde, und dieser Ort, den sie rings um sich hatten erstehen lassen, war alt; die harten Grarfitwürfel des Pflasters waren von dem leisen Gang der Jahrhunderte abgeschliffen und glänzend. Die Mutter der Sarn hatte, auf ihrem goldenen Thron sitzend, mit angesehen, wie Sommerregen die Steine glätteten und der Tritt vieler Menschéngenerationen sie blank putzte. Schon als die Sarn seinerzeit landeten, war die Mutter der Sarn alt gewesen; aber auch jetzt noch, nachdem mehr als hundert Generationen der Menschen und zehn ihres eigenen Volkes an ihr vorübergezogen waren, schien sie unverändert. Sie war ewig. Die sauberen, von Wein umrankten Häuser traten zurück, und vor Grayth lag das ungezwungene geschäftige Treiben des Hauptplatzes mit den Läden, in denen hundertzwanzig Generationen eingekauft, feilgeboten und ihr Dasein gefristet hatten. Geistesabwesend nickte Grayth, lächelte Bekannten und Wohlgesinnten zu und bemerkte ebenso die finsteren Blikke jener, die einen kleinen grünen Schild als Abzeichen trugen und Drunnels Partei angehörten. Wieder sprach neben ihm Bartel: „Drunnels Freund Varthil scheint heute weniger griesgrämig zu sein. Hast du es bemerkt?“ Bartel wies mit leichtem Kopfnicken auf die mächtige Gestalt, die mit einem losen Mantel bekleidet war; eine eingewirkte Waage verriet den Hüter des Gesetzes. „Er ging sogar soweit, zu 169 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schmunzeln. Ich schwanke noch zwischen zwei Möglichkeiten, seine Freundlichkeit zu deuten.“ „Es gibt nur eine.“ Grayth seufzte. „Er ist nicht so unvernünftig, mir weismachen zu wollen, daß er mich als Freund zu betrachten gedenkt. Sein Lächeln gilt nicht mir, sondern ihm selbst. Hast du übrigens Thera geschickt, wie ich dir vorgeschlagen habe?“ Bartel nickte verwirrt. „Ja, Grayth, aber - ich vermag nicht einzusehen, warum es nötig ist. Die Sarn werden -“ „Nichts wird die Mutter der Sarn unternehmen. Warte, bis wir das Haus erreicht haben.“ Der Stadtplatz lag nun hinter ihnen; die Häuser waren aus neuerer Zeit, aber das fiel kaum auf, denn man hatte im gleichen Stil und ebenso dauerhaft weitergebaut. Selbst an den ältesten Gebäuden merkte man keine Spur von Verfall. Jetzt wurde auch das Freiland um jedes Haus größer, und auf den mit Kopfsteinen gepflasterten Gassen bemerkte man mehr und mehr Kinder. Grayth bog von der Hauptstraße ab, ebenso Bartel und drei andere; zwei gingen nach ein paar kurzen Abschiedsworten geradeaus weiter. Die übrigen setzten den Weg zu einem niedrigen Haus fort; es war unregelmäßig angelegt und aus leicht getöntem Mauerwerk erbaut, es enthielt Grayths Wohnung und Amtsräume. 170 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hier, in diesem jahrtausendealten Gebäude befand sich die lose gefügte pyramidenartige Regierung aller Menschen der Erde. Das Fundament bildeten die Abgeordneten der Städte, die in jeder menschlichen Siedlung gewählt wurden; diese Männer besprachen sich mit Bezirksverordneten, die ihre Berichte an Vertreter der Kontinente weitergaben und schließlich an den Wortführer der gesamten Menschheit, der hier seinen Amtssitz hatte. Vor sechs Monaten war der alte Tranmath, der diese Stellung zweiundzwanzig Jahre bekleidet hatte, in dem alten Gebäude gestorben, und Grayth war zu seinem Nachfolger gewählt worden; er hatte gelobt, gerecht und ehrenhaft und unter dem äußersten Einsatz seiner Fähigkeiten seines Amtes zu walten, solange seine Kräfte reichen würden. Nur der Tod oder Unredlichkeit konnten ihn seines Postens entheben oder - auch Drunnel, der im Augenblick beides verkörperte. Grayth war den Sarn wie den Menschen gegenüber gleichermaßen verantwortlich, doch seine tatsächliche Macht beschränkte sich auf die Rolle eines Ratgebers; er beriet zwar die Sarn, aber sie konnten seine Vorschläge nach Belieben mißachten. Dem Kommandeur der Legion durfte er Vorschriften machen, ebenso der Polizei der Menschenstädte, aber ihnen stand es gleichfalls frei, sich um seine Wünsche nicht zu kümmern. Die Mutter der Sarn wußte so gut wie er, daß er das Gesetz über das Matriarchat nicht 171 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
einfach mit Gewalt durchdrücken konnte, selbst wenn er es gewollt hätte; kein Wunder, daß die Mutter der Sarn Grayth nicht leiden konnte. Als die kleine Schar eintrat, blickten ein Dutzend Sekretäre und Schreiber auf und vertieften sich sofort wieder in ihre Arbeit. Silberscheiben mit Emailmalerei an den Kopf binden, und ein Muster, das in die Ärmel eingewebt war, nämlich Buch und Lampe der Verwaltungsbeamten, bildeten das Merkmal ihres gesellschaftlichen Ranges. Grayth nickte kurz und ging über den gummierten Boden zu der niedrigen Türe des inneren Konferenzraums. Die Füße von dreißig Generationen von Wortführern der Menschheit hatten in den zähen Belag eine Rinne getreten, die bald einen Kreis um eine Säule beschrieb, bald einem Schreibtisch auswich, der seit tausend Jahren genau am gleichen Fleck stand. Schließlich vertiefte sich die Spin und lief in das Beratungszimmer mit der tiefhängenden Decke. Dann teilte sie sich - wie die eintretenden Versammlungsteilnehmer es ebenfalls seit tausend Jahren taten - und führte zu den neun Sitzen um den großen Tisch, der eine fünfzehn Zentimeter dicke, vom Alter gezeichnete Mahagoniplatte besaß. Grayth setzte sich an das obere Ende, Bartel, der Sprecher für Amerika, zu seiner Rechten, neben ihm nahmen Carron, Kommandeur der Friedenslegion, Platz, sowie Darak und Holmun, die Grayth als Helfer 172 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
zugeteilt waren. Und ihnen auf den Fersen folgte still der graugekleidete Elektrotechniker. Stumm begrüßten ihn die fünf Männer mit einem Kopfnicken, während der Techniker seinen Kasten mit dem Handwerkszeug auf den abgenutzten Tisch stellte. Er hob ein unterteiltes Fach heraus, das alle möglichen Werkzeuge und kleinste, schräg aneinandergereihte Instrumente zum Vorschein brachte, u. a. auch einen dünnen, isolierten Metallstab, der durch den Druck einer Feder hochschnellte. Mit geschickten Fingern stellte der Mann das Gerät ein. Die anfänglich schwankenden, winzigen Zeiger kamen zur Ruhe. Dann berührte er kleine Schalter, und die biegsame Metallantenne nickte, beugte sich und tanzte und hielt dann plötzlich inne, indes Nadeln hoch schnellten und erzitterten. Der Techniker richtete die Antenne sorgfältig aus, dann blickte er zu ihrer Spitze hoch, die auf den Atom-Flammenstrahler wies. Dieser warf Lichtsterne in die Luft, die herabsanken und das Zimmer mit ihrem Funkeln erleuchteten. Als der Mann auf der Schalttafel einen winzigen Knopf niederdrückte, glühte der feine Stab bläulich auf. „Das ergibt zwölf Lauscher“, brummte er. „Ich habe euch ja gesagt daß die Sarn Zeit genug hatten, mehr als einen Apparat aufzustellen.“ „Und unsere Wortführer wunderten sich in den verflossenen Jahren, daß die Sarn sogar ihre geheimsten Gedanken zu erraten schienen.“ Grayth lächelte 173 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bitter. „Immerhin! Wir können es vielleicht noch weit bringen. Ich bin jedenfalls seit zehn Jahrhunderten der erste Wortführer der Menschheit, dem es vergönnt ist, eine Besprechung ohne die unsichtbare Anwesenheit der Mutter der Sarn abzuhalten.“ Carron blickte erbost auf den AtomFlammenstrahler. „Steckt der Sender dort drinnen? Warum reißt du ihn nicht heraus?“ Der Techniker grinste. „Die Sarn sind imstande, Radiowellen aufzunehmen wie wir den Schall. Dieses Abhörgerät, ein winziger Radiosender, wahrscheinlich von der Atomkraft des Leuchters betrieben, überträgt für unsere Herren einen klaren, leisen Summton. Sobald wir sprechen, moduliert der Kristall diesen Ton auf die Frequenzzahl unserer Stimmen. Meine kleine Antenne dort sendet einfach eine Welle aus, die diese Modulation aufhebt, ohne die Trägerfrequenz des Senders zu stören. Wenn ich ihn entfernte, würde der Summton ausbleiben, und die Sarn würden, gelinde gesagt, neugierig werden.“ „Rasend würden sie werden“, grunzte Bartel. „Warum stellen sie nicht ein anderes Horchgerät ein, während wir hier im Zimmer sind? Sie schalten doch sonst wie irr herum!“ „Was sie auch einschalten, Wares Instrument macht jedes Gerät unwirksam“, erläuterte Grayth. „Er war nur gespannt zu erfahren, welches und wie viele 174 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sie anwenden. Es ist überflüssig, festzustellen, wo gerade gelauscht wird.“ Der Techniker nickte bestätigend. Darak wandte sich mit einem Seufzer an Grayth. „Das wäre also erledigt. Nun sage mir aber, Grayth, warum bittet dich die Mutter der Sarn um etwas, oder besser, befiehlt dir etwas, wovon sie genau weiß, daß du nicht die Macht hast, es auszuführen?“ „Weil die Mutter der Sarn davon überzeugt ist, daß ich mich dazu niemals hergebe, Drunnel dagegen schon“, entgegnete der Wortführer mürrisch. „Kann Drunnel denn die Mutter der Sarn beeinflussen? Ich hätte nie geglaubt daß sie sich bei einem Streit der Menschen untereinander auf irgendeine Seite stellen würde, wenn sie nicht unmittelbar betroffen wäre. Ich hatte immer das Gefühl, daß wir nicht ihrer Beachtung wert erschienen.“ Carron blickte Grayth erstaunt an. Der setzte sich bedächtig in seinem großen, abgenutzten Stuhl zurecht, zündete sich seine Pfeife an und begann zu paffen; dabei bückte er geruhsam auf die lautlos hervorströmenden Sterne der Atomflamme. „Vor viertausend Jahren ist die Mutter der Sarn gelandet, und nur sie selbst könnte uns angeben, wie viele Jahrhunderte sie schon vorher gelebt hat. Die Sarn werden alt, manche tausend Jahre. Aber die Mutter der Sarn ist die Matriarchin unsterblich. Selbst 175 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ihr eigenes Volk kann sich ihres Alters nicht entsinnen. Die Sarn überfielen die Erde und vernichteten neuntmdneunzig Prozent der Menschheit. Die Überlebenden wurden zu Sklaven, und sie, unsere Vorfahren, waren der minderwertigste, feigste Abschaum...“ Carron rückte unruhig hin und her. Sein Gesicht rötete sich, manch bitteres Wort lag ihm auf der Zunge. Grayths zerfurchtes Gesicht zeigte indessen nichts als ein spottisches Lächeln. „Es ist nur zu wahr, Carron. Unsere Ahnherren, denen wir das Leben verdanken, waren keine großen Männer; die wahrhaft großen fielen alle im Kampf gegen die Sarn. Ihr Geist mußte sterben, weil er nicht niedergezwungen werden konnte - er konnte nur gewaltsam ausgelöscht werden. Viertausend Jahre hat die Mutter der Sarn auf ihrem Thron gesessen und die Menschheit beobachtet...“ Grayth wies mit einem Kopfnicken auf die glühende Antenne des Demodulators. „Wie es scheint, hat sie die geheimsten Beratungen belauscht. Sie kennt den Menschen aus einer Erfahrung, die sie in einhundertzwanzig Generationen erworben hat. Unglücklicherweise entwickelt sich der Mensch weiter, und weil er ein kurzlebiges Wesen ist, geht die Entwicklung bei ihm weitaus schneller als bei den Sarn. In viertausend Jahren ist die Schwäche, die ihn zum gefügigen Sklave machte, ausgemerzt worden. Seit einem Jahrtausend hat die Mutter mit ansehen müs176 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sen, wie der Mensch wieder vollwertig wurde. Bartel - Carron, was bedeutet das Medaillon aus emailliertem Silber, das ihr an der Stirn tragt? Als man euch den Kopfschmuck verlieh, erklärte man, ihr wäret berufen, Männer zu sein. Die Mutter jedoch hält es insgeheim für das Zeichen eurer Unterwerfung und eurer Stellung innerhalb der Rangordnung ihres Sklaven-Staates. Doch Ware hat das feste Silber dieses Schandmals ausgehöhlt, damit er das telepathische Gerät darin verbergen kann. Davon hat die Mutter keine Ahnung. Aber sie spürt, daß die Knechtschaft der Menschen ebenfalls zu einer leeren Schale geworden ist, die vielleicht bald in Trümmer fällt. Als ich ihr von unserer Fähigkeit, Gedanken zu erraten, sprach, war sie stark beunruhigt. Ihr fiel etwas ein, das uns selbst nicht mehr bekannt war: schon die Menschen, die zur Zeit der Unterjochung lebten, hatten sich mit Telepathie beschäftigt. Während wir hofften, eine Mythe könnte auf sie Eindruck machen, wußte sie bereits, daß es sich um eine Tatsache handelte! Ich folgte mit meinem Telepathen ihren Erwägungen, als sie mir zuhörte. Ihr Wissen stammt aus erhaltengebliebenen Aufzeichnungen, und eines hat sie aus der Beobachtung von hundertzwanzig Generationen unseres Volkes gelernt: ein Mann kämpft und stirbt für das, was er nicht besitzt; eine Frau für das, was sie besitzt. Ein 177 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Mann opfert sein ganzes Hab und Gut für ein Ziel, das er erstrebt, für ein Ideal; eine Frau hingegen kämpft zwar für ein Ideal, aber sie gibt um seinetwillen nicht bereits Errungenes auf. Die Mutter der Sarn hat erkannt, daß der Mann nach viertausend Jahren sich wieder nach der Freiheit sehnt, die ihm versagt ist.“ „Daher beabsichtigt die Mutter, der Menschheit die mutterrechtlichen Gesetze aufzuzwingen’’, rief Bartel aus. „Aber das wird die Flamme der Revolution nicht austilgen, sondern erst richtig entfachen.“ Grayth schüttelte den Kopf. „So offen geht die Mutter nicht vor. Für sie ist ein Jahrhundert wie ein Jahr, das schnell verstreicht; drei Generationen lang Elend für die Menschheit bedeuten für sie nur eine vorübergehende Unannehmlichkeit. Sie weiß, daß Aufruhr losbrechen könnte, doch sie plant nicht für ein Jahrhundert, sondern für ein Jahrtausend. Ihr Wille wird geschehen, und die Überlebenden werden obendrein die ‚gütige Mutter’ und ihre Gerechtigkeit preisen. Wie aber muß sie vorgehen, um die Gesetze des Matriarchats auf die Menschheit zu übertragen?“ „Von fünf Männern vier töten“, schnaubte Carron. „Das darf sie nicht! Wenn sie das versucht, soll sie die Menschheit lieber gleich ganz ausrotten, denn jede Frau wird für ihren Mann kämpfen und mit ihm fallen! Ehe noch das Gemetzel zu Ende wäre, hätte sie die 178 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hälfte ihrer Sarn eingebüßt, und alle Menschen, Männer wie Frauen, wären tot. Wollte man dem Zahlenverhältnis eins zu fünf auf diese Weise Geltung verschaffen, würden so viele Frauen bei der Verteidigung ihrer Männer zugrunde gehen, daß keine mehr am Leben bliebe. Und zu Handlangerinnen der Mörder gäben sie sich nie und nimmer her.“ „Bleibt noch Drunnel“, sagte Grayth bitter. „Der muß ihr die Kastanien aus dem Feuer holen. Den Schlächter ihrer Männer werden die Frauen hassen, daher hat sie diese Rolle Drunnel zugedacht. Nur kein Haß gegen die Sarn, keine Gefahr für sie selbst, aber Bürgerkrieg! Und der ist Sache Drunnels. Er muß die aufrührerischen Kräfte so lenken, daß sie sich gegen das eigene Volk richten, daß Männer gegen Männer kämpfen und sich gegenseitig umbringen, damit die Frauen leben. Und das Blutbad wird solange währen, bis die gnädige Mutter mit ihrer heiligen Legion dazwischentritt und dem Morden Einhalt gebietet - nämlich dann, wenn das Zahlenverhältnis eins zu fünf erreicht ist. Von denen, die davongekommen sind, wird ein Teil Drunnel hassen, weil er Unheil über sie gebracht hat, die anderen werden den Anführer ihrer gefallenen Männer lieben. Doch alle werden sie die Mutter loben, die den blutigen Krieg beendete. Die Herrscherin der Sarn plant mit der Weisheit von viertausend Jahren und nicht mit jugendlicher Heißblütigkeit.“ 179 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Carron öffnete den Mund, setzte knurrend zum Sprechen an dann besann er sich und schloß hörbar die Lippen. „Heute nachmittag werde ich Drunnel erdrosseln“, gelobte er schließlich feier lieh. „Rendan ist sein Stellvertreter, dann wird er das Werk übernehmen. Nach Rendan aber kommt Grasun, und so geht es endlos weiter.“ Bartel seufzte. „Außerdem glaube ich nicht, daß du Drunnel heute nachmittag umbringen wirst“, meinte Ware sanft. „Wenn er zu seiner Audien bei der Mutter nicht zu spät gekommen ist, steht er jetzt vor ihr und schachert mit ihr um Waffen.“ „Und wir besitzen nichts als die Luftgewehre, die Ware mit seinen Helfern zurechtgebastelt hat, und Knüppel“, stöhnte Carroi „Die Mutter wird ihm vermutlich einige der Vernichtungswaffe geben, mit denen die Sarn unsere Vorfahren geschlagen haben.“ Ware schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall! Ihr vergeßt, was sie bezweckt. Sie wünscht nicht, daß Drunnel gewinnt. Er soll den Streit vom Zaun brechen, durch den die Zahl der Männer vermindert wird. Gibt sie ihm mächtige Waffen, so daß er einen leichten Sieg erringt, ist der Krieg vorbei, ehe er angefangen hat. Nein, sie wird ihm wenige schwache Waffen aushändigen, damit er uns nur in einem langen tödlichen Ringen besiegt. Sollte Drunnel leicht mit uns fertig werden, würde sie vermutlich auch uns ausrüsten.“ 180 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Der große Carron ließ sich so wütend in seinen Stuhl zurückfallen, daß das alte Holz unwillig knarrte. Der Raum hallte von seinen Flüchen wider. „Bei Äsir! Noch in dieser Stunde soll meine Friedenslegion wie der sengende Blitz unter sie fahren! Ich werde Drunnel mit eigenen Händen erwürgen und dafür sorgen, daß all die Schleicher und Leisetreter, die von den Sarn hochgepäppelten Schmarotzer, die zu seinen Gefolgsleuten zählen, sich wie Würmer neben ihm krümmen!“ „Unmöglich!“ unterbrach ihn Grayth. „Drunnel verfügt über ebenso viele Anhänger wie wir. Wie sollte sich da in einer Stunde die Entscheidung erzwingen lassen! Wir müssen warten, bis Ware sein Werk vollendet hat und Äsir bereit ist, uns zu unterstützen. Wenn wir diese Auseinandersetzung hinausschieben können, bis wir fähig sind, uns selbst zu helfen, wird Äsir stark genug sein, uns beizustehen.“ „Was erhofft sich Drunnel von diesem Unternehmen?“ fragte Holmun. „Soviel ich weiß, breitet er jetzt seine Partei über Europa und Asien aus. Überall, wohin du mich gesandt hast, habe ich seine Wühlarbeit bemerkt. Er hat eine festere Haltung den Sarn gegenüber versprochen sowie mehr Freiheit für alle Menschen. Dieses Geschwätz mag man als billige Stimmungsmache abtun. Doch welchen Vorteil verspricht er sich davon, wenn er weiß, was bevorsteht? Es muß ihm bekannt sein, daß die Mutter der Sarn ihn 181 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nur in diesen Kampf hetzt, damit es ein Blutbad unter uns gibt, und nicht, um ihn an die Macht zu bringen.“ Grayths hageres, sonnengebräuntes Gesicht bekam einen harten Ausdruck, die eisengrauen Augen blitzten. „Er strebt nach Macht, ja, aber es steckt noch mehr dahinter. Bei all seinen Vorhaben stand ich Drunnel im Wege. Er bewarb sich um den Posten eines Bezirksvertreters. Ich erhielt ihn. Er mußte sich damit zufriedengeben, Abgeordneter einer Stadt zu werden. Dann wollte er sich zum Sprecher für Amerika wählen lassen; aber ich erhielt das Amt. Deshalb haßt er mich. Vor sechs Monaten strebten wir beide danach, zum Wortführer der Menschheit ernannt zu werden; wiederum siegte ich, während Bartel Sprecher für Amerika wurde und nicht Drunnels Freund Rendan. Das allein hätte schon genügt. Aber es stand noch Deya zwischen uns, die er begehrte. Sie indessen entschied sich für mich. Das gab ihm den Rest. Seitdem rast er vor Wut. Ob es um politischen Einfluß oder um das Mädchen ging, das er begehrte, immer stieß er auf unüberwindliche Hindernisse. Wenn es sein muß, wird er nicht davor zurückschrecken, die gesamte Menschheit zugrunde zu richten, nur um mich und Bartel auszulöschen und dann Deya und Thera zu gewinnen. Siegt er, so vernichtet er Bartel und mich, die Männer, die er haßt. Eine Weile zumindest werden ihm dann die Macht gehören, nach der ihn verlangt, 182 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und die Frauen, nach denen ihn gelüstet, aber nicht etwa um ihrer selbst willen, sondern weil sie ihn verschmäht haben. Solche Gründe sind es, die ihn zum Kampf treiben. Seine Anhänger -“ Grayth blickte keinen von ihnen an, er war ausschließlich damit beschäftigt, sich selbst Klarheit zu verschaffen. Er sprach fast eintönig wie jemand, der laut denkt. „Es wird zum Bürgerkrieg kommen“, sagte er leise. „Denn die Menschheit wird sich langsam bewußt, daß sie versklavt und in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt ist. Es gärt überall, weil die Leute allmählich merken, daß sie wie in einem Gefängnis leben. Aber noch weiß die Mehrzahl von ihnen nicht, was sie will. Die Herrschaft der Sarn ist so tief in ihren Vorstellungen verankert, daß der Gedanke, sich gegen die Mutter der Sarn zu empören, nicht bis an die Schwelle des Bewußtseins dringt. Darum schreit die Menschheit förmlich in ihrem rastlosen Suchen nach einem Manne, der sie lenkt und führt, um den sie sich scharen kann, damit dieser dumpfe Drang zur sinnvolle Tat wird. Drunnels Parteigänger, die sich gegen uns erheben, rebellieren, symbolisch gesprochen, gegen die Sarn, weil wir die Regierung darstellen, die von den Unterdrückern im Amt bestätigt worden ist. Drunnel, hat die willige Masse in der Hand, er braucht sich ihr nur zu bedienen; sie wird handeln, wie er es wünscht, und ihn an den Platz jener Männer stellen, die ihm ein Dorn im Auge sind. Dieser Kampf 183 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wird einzig und allein zwischen den Anführern ausgetragen. Nur sie haben erkannt, worum es geht. Diejenigen, die Drunnel nachlaufen, werden mittun, weil eine gewisse Unzufriedenheit sie dazu treibt, über die sie sich nicht klar sind und die Drunnel ausnützt. Nur er selbst weiß genau, was er will - die Macht auf Deya. Er hofft, die Mutter später für einen neuen Plan zu begeistei nicht für das Matriarchat, sondern für eine Herrschaft der Männer über eine Welt voll Frauen. Er kennt meiner Ansicht nach die Gefühle der Mutter und hat gemerkt, daß ihr die Unzufriedenheit der Menschen nicht verborgen geblieben ist. Doch rechnet er mit eine gütlichen Vergleich zwischen ihm und ihr.“ „Den wird er nie erreichen“, entgegnete Ware. „Als Elektrotechniker bin ich stundenlang in der Sarnstadt und in der Nähe der Mutter. Sie hat ihre eigenen Pläne, und Grayth hat sie richtig geschildert. Doch das ist noch nicht alles. Ein oder zwei Jahre lang wird Drunnel, vom Volke gehaßt, regieren. Aber die Mutter wird ihn schützen. Er wird seine Frauen um sich haben, die klügsten und edelsten, und sie weiß so gut wie ihr alle, daß es Deya, Thera und Coson sein werden. Dann wird die Mutter ihre helfende Hand zurückziehen, und der Haß, den Drunnel gesät hat, wird seinen Tod herbeiführen. Irgendeine Frau wird ihren Mann rächen. Dann soll Deya Wortführerin der Menschheit werden. Für eine Weile, die für die Mutter nur einen 184 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Tag ihres Lebens bedeutet, wird sie Drunnel und den Ärger, den er ihr verursacht, geduldig ertragen, damit sich erfüllt, was sie auf weite Sicht geplant hat.“ Unvermittelt sprang Carron auf, der schwere alte Stuhl fiel polternd um. Mit großen Schritten ging er im Zimmer auf und ab. Er bebte vor Wut. Nachdem die anderen sich von Grayth verabschiedet hatten, verweilte Ware noch einen Augenblick. Gemächlich packte er seine kleine Werkzeugkiste und den Apparat ein. „Äsir, unser finsterer Herr, scheint uns noch nicht nähergerückt zu sein“, meinte er seufzend. Grayth nickte wortlos. Dann sagte er: „Ware, kannst du mir einen von diesen Demodulatoren überlassen? Du bist die einzige Hoffnung der Menschheit, du und deine Erfindung. Man darf dich nicht zu häufig bei mir sehen oder gar merken, daß du an den Besprechungen der Regierung teilnimmst. Als Elektrotechniker bist du ein Stück des grauen Hintergrundes der Sarnstadt; wir wollen nicht, daß man Scheinwerfer auf dich richtet. Mit dem Telepathen kannst du jeder Unterredung folgen, und wenn du mich lehren könntest, wie man den Demodulator anwendet...“ Wares leicht gebückte Haltung, die für ihn typisch war, und das unauffällige Grau seines Arbeitskleides schienen eine Sekunde lang von ihm abzugleiten. Plötzlich stand er aufrecht vor Grayth, als eine stattli185 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
che Erscheinung, aus deren dunklen Augen, die tief unter starken Brauen lagen, ein forschender, durchdringender Verstand leuchtete. Sein sonst so harmlos freundliches Gesicht zeigte harte und ausdrucksvolle Züge, als er Grayth eine Zeitlang unbewegt und stumm anblickte. Bedächtig strich er sich mit den schlanken Fingern über den Kopf und nahm die Binde mit dem Telepathen von der Stirn. „Grayth, wir beide werden heute nacht viel zu tun bekommen, glaube ich. Du mit den Menschen, mit denen du so gut umzugehen verstehst, und ich - ich mit Äsir, mit dem ich noch nicht umgehen kann.“ Langsam breitete sich auf seinen mageren, gebräunten Wangen ein Lächeln aus. „Sollte dir auch morgen noch deine Bitte dringlich sein, komm in mein Haus. Ich werde wahrscheinlich hinter dem Stein sein.“ „Lassen wir erst diese Nacht vorübergehen“, pflichtete Grayth ihm bei. „Beten wir, daß uns meine Sorge morgen noch bewegt. Dank sei - hm - Äsir, daß du nie aufgefallen bist, daß selbst Drunnel dich übersieht, wenn du mit deinem Werkzeugkasten vorbeigehst. Sollte es soweit kommen, daß wir - Bartel, Carron und ich - morgen nicht hier sind, so habe ich wenigstens die Hoffnung, daß weder die Sarn noch Drunnel die wahre Quelle der Gefahr kennen. Aber ich bitte dich, Ware, komme nicht mehr hierher.“ „Vielleicht wäre es am besten“, stimmte der Elektrotechniker ihm bei. Er beugte sich wieder über sein 186 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Instrument und die Werkzeuge, um sie fertig einzupacken. Drunnel blickte zu den Schlitzaugen der Mutter mit ihren senkrechten Pupillen empor. Hinter seinen eigenen scharfen dunklen Augen arbeitete ein schnellbewegliches Gehirn und erwog, mutmaßte, plante. „Aber sie sind nicht hilflos; sie besitzen eine Waffe, die von ihren Leuten entworfen worden ist, ein Luftgewehr, das mit kleinen Metallkugeln schießt.“ Die Mutter starrte ihn mit ausdruckslosem Blick unentwegt an, die glatte, kupfrige Haut ihres Gesichts blieb faltenlos, und die zarten Züge, die fast menschlich anmuteten, verbargen die Gedanken von über viertausend Jahren. „Solange meine Sarn nicht davon betroffen werden, mische ich mich nicht in die Streitigkeiten der Menschen“, sagte sie sanft. „Wenn eure Auseinandersetzung zu ungezügelte Formen annimmt, werde ich meine Legion entsenden und ihr ein Ende bereiten. Doch bin ich unzufrieden mit Grayth, denn er zeigt kein Verlangen, meinen Gesetzen, wenn nötig, mit Gewalt Geltung zu verschaffen. Daher werde ich dir die Dinge geben, die ich erwähnt habe die Krone und den Glühstrahl, aber sonst nichts. Von jedem erhältst du tausend Stück. Der Rest deiner Truppe wird unter den gleichen Bedingungen wie der Gegner kämpfen. Sthek Tharg, führe sie in die Waffenhalle und händige ihnen diese Geräte aus.“ Die Mutter der Sarn 187 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
senkte irisierende kupferfarbene Lider über die Augen. Als der Sarn, den sie gerufen hatte, seine Arme abrollte und sich langsam von seinem gepolsterten Stuhl erhob, blieb sie reglos sitzen. Unhörbar stelzte er auf weichen Sohlen quer durch den großen Saal davon. Hinter ihm folgten Drunnel und seine sechs Begleiter. „Rufe noch andere herbei“, fuhr Sthek Tharg ihn an. „Rendan, sage Sarsun, daß wir fünfundsiebzig Männer, verschwiegene Leute, brauchen; sie sollen knapp nach Einbruch der Dämmerung an der Pforte warten“, sagte Drunnel leise. „Das ist in zwei Stunden. Ich sende ihnen jemand entgegen, der sie führen wird, sobald wir soweit sind.“ Rendan trennte sich von der Gruppe und eilte durch das Labyrinth der Gänge in den Park und in die Menschenstadt hinunter, Drunnel ging hinter seinem schweigenden Führer durch unbekannte Teile des Palasts zu einem Aufzug, mit dem sie dreihundert Meter abwärts fuhren; sie gelangten in einen feuchten kalten Gang, der sich unermeßlich weit ins Dunkel erstreckte und nur spärlich von weit auseinanderliegenden, schwach leuchtenden Atom- und Flammenstrahlern erhellt war. Mit sicherem Schritt bog der Sarn nach links ein. In großen Abständen kamen sie an offenen Torbögen 188 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
vorbei, durch die man in matt erleuchtete Hallen sah. Man hatte sie mit Atomkraft in den Naturfels aus glitzerndem Granit gesprengt, und von der sprühenden Kraft der Explosionen schien noch etwas in den glänzenden, funkelnden Wänden zu verharren. Unter trüben Lampen ragten im unbestimmten Dämmerschein verschwommene Gebilde aus Kristall, Kunststoff und Metall auf. Die schwachen, schnell erlöschenden Funken der Atomsternchen dienten nur dazu, graueneinflößende Umrisse gerade noch erkennen zu lassen; von riesigen vielfüßigen Metallrümpfen hingen seilartige Fortsätze aus schimmerndem Metall schlaft herab; sie endeten in Vorrichtungen, die in ihrer Biegsamkeit merkwürdig an die vielknochigen Sarnhände erinnerten. Andere Räume, die in übereinanderliegende Kammern unterteilt waren, enthielten, in Kisten verpackt, Geräte aller Art. Das Zeughaus der Sarn! Seit viertausend Jahren nicht mehr benützt. Drunnels dunkle Augen versuchten die Geheimnisse zu ergründen, ohne daß er langsamer ging oder auch nur ein einziges Mal das schmale, fast asketische Gesicht zurückwandte. Nur seine Blicke flogen pfeilschnell von den düsteren Torbögen, die keine Türen, keine Riegel und keine Lichtstrahlsperren aufwiesen, zu den unordentlich gestapelten, nur teilweise erkennbaren Geräten. Auch der Aufzug konnte von jedem bedient werden. 189 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Der Sarn drehte den Kopf, indem er ihn im Kreise herumschwang, bis seine Schlitzaugen geradewegs Drunnels Blick begegneten; dabei schritt er stetig voran. Der Mundspalt, der dünn wie ein Strich war, öffnete sich anscheinend zu einem Lächeln. „Ich werde die Krone und die Waffe holen. Es ist für Menschen nicht - ratsam, die Schwelle dieser Türen zu überschreiten.“ Er blieb kurz stehen, Kopf und Körper kreisten in entgegengesetzter Richtung, bis beide einem finsteren Torbogen zugekehrt waren. Der Sarn schritt darauf zu. Als er eintrat, schwebte ein Funken der Atomflamme von der matt erleuchteten Decke des Räume herab, brannte sonderbar lange und zerbarst unvermittelt vor Sthek Tharg. Noch zehn Sekunden glitzerte das Sternchen weiter, während ein schriller, hellklingender Ton zu vernehmen war, dann verblaßte es, bis es ganz erlosch, und zugleich verhallte der dünne, durchdringende Laut. Drunnel, der sechs Meter entfernt stand, bekam plötzlich schlaffe Glieder, die Knie gaben nach, bis er zu Boden sank; seine mächtige Gestalt sackte unter ihrem eigenen Gewicht zusammen, bis er nur noch auf Händen und Füßen zu rutschen vermochte. Haltlos und von Schmerzen gepeinigt baumelte der Kopf hin und her, während unter der Haut alle Muskeln zitterten und einen besessenen Teufelstanz aufzuführen schienen. 190 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Langsam hob Drunnel den Kopf, er sah in der Beleuchtung auf dem Gang kalkweiß aus und war plötzlich von Angstschweiß überströmt. Die dunklen Augen, die blutunterlaufen und weitaufgerissen waren, starrten in die rubinfarbenen Schlitzpupülen Sthek Thargs, der in der Türöffnung stand. Um den schmalen Mund des Sarn zuckte es leicht, während er den Raum betrat. Die Atomfiamme an der Decke hüpfte im Gleichmaß mit seinen Bewegungen auf und nieder, und die Kammern hoben sich klar und deutlich ab. Allmählich raffte Drunnel sich auf und erhob sich. Unaussprechlicher Haß überkam ihn und brach aus seinen dunklen, roten Augen. Einen taumelnden Schritt näherte er sich dem Eingang, während sinnlose Wut in ihm hochstieg. Dann bekam der Verstand wieder die Oberhand, die rasenden Schmerzen verebbten, er blieb stehen und bebte, teils vor Schwäche, teils vor wahnsinnigem Verlangen, Sthek Tharg den dünnlippigen Mund einzuschlagen. „Drunnel!“ Er wandte sich um und sah Grasun unsicher die Hand ausstrecken und mit gequältem, angstvollem Bück das Gesicht seines Führers suchen. „Weg von hier!“ Drunnel schüttelte die Hand vom Ärmel ab. „Ich gehe nicht weiter“, erwiderte er leise. Er hielt Ausschau nach den anderen; Farnos lehnte betäubt an der Wand, Blut tropfte ihm aus der Nase. Tomus ar191 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
beitete sich hoch, indem er sich an der rauhen Mauer emporzog. Blysun schwankte unsicher. Die übrigen lagen noch hilflos am Boden. „Er hätte uns sagen können, was uns bevorstand.“ „Er hat uns ja gewarnt, die Räume zu betreten, vielleicht wußte er nur selber nicht, wie stark die Abwehr auf uns wirken würde“, meinte Farnos. Drunnel musterte ihn schweigend. Farnos senkte befangen den Blick und richtete sich mühsam auf, während er sich mit einer Hand stützte. Die Nachwirkungen verflogen schnell. Innerhalb des Raumes hörte man polternde Räder leise widerhallen. Der Sarn zog an einem kleinen Wagen, der mit über hundert kleineren und größeren Schachteln beladen war. Sthek Tharg blieb in der Türe stehen und betrachtete sie prüfend. „Vielleicht fühlt ihr euch wohler, wenn ihr etwas weiter zurücktretet“, bemerkte er spöttisch. Er setzte sich in Bewegung. Die Menschen wichen vor ihm zurück. Sie waren kaum fünfzehn Meter von ihm entfernt, da erklang wieder jener dünne Ton des erlöschenden Lichtsterns. Zitternd hielt Drunnel stand, indem er sich gegen die Mauer lehnte. Der Sarn kam auf sie zu, und das leise Ratter der gummibereiften Räder nahm einen anderen Klang an, als der Karren in den Gang rollte. „Komm her und nimm die Kronen. Sie werden dich 192 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gegen die Kristalle schützen, wenn du ihnen nicht zu nahe kommst.“ Drunnel ging auf ihn zu, nahm eine der runden Schachteln und holte die merkwürdige Krone heraus. Sie bestand aus einem Metallband, das den Kopf umschloß; an der Innenseite war es mit Gummi gepolstert und besaß acht gerade, leicht nach außen geneigte Metallstäbe, die in mattgoldenen Perlen von etwa sechs Millimeter Durchmesser endigten. In der Mitte ruhte über der Schädelwölbung ein winziges Gerät, das in einer goldenen Kapsel eingeschlossen war. „Die Krone umgibt dich mit einer Energiehülle, die für alles Stoffliche undurchdringlich ist, und tödlich auf jedes Wesen wirkt, das mit einem Metallgegenstand auf dich losgeht. Dieser Energieschild läßt die Moleküle der Luft fast stillstehen, so daß der Ton des Kristalls dich nicht erreicht, wenn du ein wenig Abstand hältst. Und er wehrt den Glühstrahl ab.“ Drunnel befestigte den Reif auf seinem Kopf und ließ die Stirnbinde mit der emaillierten Silberscheibe in die Manteltasche gleiten. Dann berührte er einen winzigen Stift über der Stirn und verspürte einen leichten Energieschock. Da die Stimme des Sarn gedämpft erschien, schaltete Drunnel die Krone wieder aus. „Der Glühstrahl...“ Sthek Tharg öffnete eines der flachen Kästchen, und man sah einen Stab aus schwarzem Kunststoff und mattglänzendem Metall mit 193 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
einem einzigen Kristall. „Er enthält eine Ladung, die genügt, um fünfhundert Menschen für einen Tag, nahezu tausend für einen Augenblick und zweihundert für immer zu lahmen. Dieser Hebel macht ihn einsatzbereit, dieser Hahn gibt den Strahl frei.“ Er hob die Waffe mit den biegsamen vielgliedrigen Fingern hoch, und der beinahe tentakelähnliche Arm wand sich mit ihr empor. Sthek Tharg zielte den Flur hinunter, und als er den Hahn kurz berührte, schoß ein schwach leuchtender Strahl hervor; er verschwand in den unergründlichen Tiefen des Ganges, und ein klarer, dünner Ton schien mit ihm zu fliegen. „Die Reichweite beträgt etwa fünfhundert Meter.“ Drunnel nahm ein zweites Gerät aus dem flachen Behälter, musterte es prüfend und steckt es gelassen in seinen Mantel. Die anderen setzten sich die merkwürdigen Kronen auf und entluden einen Augenblick später den kleinen Wagen. Sthek Tharg kehrte in den matt erleuchteten Raum zurück. Wiederum schoß der erlöschende Stern auf ihn zu, und die Atomflamme hüpfte hoch. Drunnel berührte den Knopf an seiner Stirne und hörte den quälenden Laut des Kristalls nur mehr dumpf wie aus weiter Ferne. Er fühlte einen Schmerz in den Zähnen, als arbeite in ihrer Tiefe ein unsichtbarer Bohrer. Vorsichtig ging er fünf Schritte auf den Eingang zu, bis ihm der Schweiß vom Gesicht rann und die Glieder zu zittern begannen. Er drehte den Stift und schritt auf 194 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
seine Leute zu. Auch sie schalteten das Energiefeld aus. „Grasun, setz dein Gerät in Betrieb.“ Drunnel beobachtete ihn; eine Sekunde später spürte er eine wogende Kraft, als hätte der Mann eine Ladung von Hitzewellen ausgestrahlt, dann merkte er nichts mehr, außer einer geringen Verzerrung, die nur er entdeckte, weil er sie erwartete. Auch schienen die acht Metallkugeln auf den Zacken der Krone ein wenig matter zu glänzen. „Kannst du mich ohne weiteres verstehen?“ Drunnel sprach mit gewohnter Lautstärke. „Vollkommen“, entgegnete Grasun und nickte zur Bekräftigung. „Gut. Schalte aus. Wir werden diese Sachen zum Aufzug schaffen und dann zum Tor der Sarnstadt. Und etwas möchte ich noch ergründen...“ Der Sarn kehrte mit dem Wägelchen zurück. Drunnel stand abseits und sah zu, wie seine Leute die letzte der verpackten Waffen zum Aufzug trugen. Beim ersten Laut des erlöschenden Kristalls fuhr er gleichsam erstaunt hoch und drückte auf den kleinen Knopf. Dabei wandte er sich um und beobachtete Sthek Tharg. Mit ausdruckslosém Gesicht überschritt der Sarn die Schwelle und zog den Karren hinter sich her. Als die Töne in der Luft verklangen, trat Drunnel auf ihn zu und griff nach den aufgestapelten Kisten. „Halt!“ zischte ihn der Sarn an. Dabei wich er ha195 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
stig einen Schritt zurück, und die rubinroten Schlitzaugen blitzten ärgerlich. „Du hast eine Energiehülle um dich, du Narr. Drehe die Krone ab.“ Drunnel blickte ihn an, murmelte undeutlich eine Entschuldigung und berührte den Stift. Dann hob er eiligst die Behälter vom Wagen; er hatte erfahren, was er wissen wollte. Die Sarn waren nicht gefeit gegen die Krone. Als Grayth klopfte, öffnete Deya ihm die Türe, und er trat ein; zuvor warf er jedoch noch einen Blick auf die Männer zurück, dir undeutlich erkennbar auf der von Bäumen beschatteten Straße in Gruppen herumstanden. Die letzten Farben des Sonnenuntergangs verblaßten am Himmel, die Dunkelheit breitete sich allmählich in der klaren, frischen Luft aus. In zwei Wochen würden die Frühlingsnächte schon wärmer sein, jetzt fror man noch. Der Mond war schon fast voll, er hing auf halber Höhe am östlichen Himmel, und sein Licht vermochte das düstere Bild kaum zu erhellen. Deya sah Grayth über die Schulter und forderte ihn auf, hereinzukommen. „Grayth, die Leute machen einen ruheloseren Eindruck als sonst. Thera kam heute nachmittag und erzählte mir, daß Bartel an einen baldigen Ausbruch der Feindseligkeiten glaubt.“ Grayth nickte zögernd und schloß hinter sich die 196 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Tür. Betrübt sah er in ihre klaren blauen Augen, die still zu ihm aufblickten. Sie standen wie schimmerndes Kobaltglas in einem feingeschnittenen, entschlossenen Gesicht. In Deya schien das Blut wieder lebendig geworden zu sein, das viertausend Jahre versiegt gewesen war. Ihre hohe Gestalt, das rotgoldene Haar und der ebenmäßige Körper erinnerten an eine Rasse, die den Menschen seit ewig aus dem Gedächtnis geschwunden war. Grayth seufzte und nahm sie in die Arme. „Heute nacht wird der erste Schlag kommen, Liebste. Frühestens in drei Wochen - oder nie - werden wir diesem unhaltbaren Zustand ein Ende machen.“ Deyas Hände ruhten leicht auf seinen Schultern, während sie sich ein wenig zurückbeugte, um ihn besser zu sehen. Sein hageres, kraftvolles Gesicht war ernst und gefaßt, die eisengrauen Augen hatten einen besorgten Ausdruck. „Hat die Mutter Drunnel geholfen, wie du befürchtet hast?“ Grayth nickte. Er berührte mit den Fingern die Scheibe des Telepathen an seiner Stirne. „Hast du heute versucht, den Gedanken eines seiner Anhänger zu folgen?“ Deya lächelte. „Nein, ich habe mich bemüht, dich zu begleiten. Aus irgendeinem Grund gelang es mir nicht, nur ab und zu schnappte ich ein paar Brocken auf. Etwa um vier Uhr heute nachmittag warst du sehr 197 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wütend.“ „Ja, wir hatten eine Besprechung. Drunnel hat Waffen erhalten, und weil ich, wie du weißt, seine Überlegungen nicht zu durchschauen vermag, hielt ich mich an Rendan. Doch der wurde fortgeschickt, um Leute zusammenzuholen; sie sollten die Waffen wegbefördern, die ihnen die Mutter gegeben hatte, und so war Rendan nicht in alle Vorgänge eingeweiht. Bei Äsir, ich wünschte, ich könnte erfahren, was Drunnel beabsichtigt. Ausgerechnet er muß einer jener seltenen, vollkommen untelepathischen Menschen sein!“ „Was für Waffen hat er bekommen?“ fragte Deya. Grayth zuckte die Achseln. „Rendan hatte keine Ahnung - Drunnel wahrscheinlich auch nicht. Doch du weißt, was ich gesagt habe: die Mutter wird ihn weder mit einer Waffe versehen, die uns keine Hoffnung mehr auf Gegenwehr läßt, noch mit einer so großen Zahl, daß ihm der Sieg sicher ist. Ich rechne mit einer schwachen Angriffs- und einer machtvollen Verteidigungswaffe für wenige Leute.“ „Komm in die Küche.“ Deya wand sich aus seinen Armen und ging voran. „Thera hofft, daß Bartel uns Gesellschaft leisten kann.“ Eine Sekunde legte sich über ihre wie auch Grayths Augen ein leichter Schleier. Dann nickten sie beide gleichzeitig: Bartels Gedanken hatten sie, wenn auch schwach und undeut198 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
lich, erreicht. Er war auf dem Wege hierher. Noch einmal umfing Grayth ihre volle geschmeidige Gestalt, dann traten sie in die Küche ein. Thera hatte den Tisch unter das Rankenwerk dunkelblättriger Kletterrosen auf die Terrasse gestellt, die hinter der Küche lag und mit Fliesen belegt war. In der kühlen Nachtluft öffneten sich die ersten spärlichen Knospen. Am Himmel waren die wogenden Farben des Sonnenuntergangs ganz verschwunden, nur der Mond und die lautlos flackernden Atomflammenstrahler warfen noch Schatten. Als Bartel anklopfte, war der Tisch schon gedeckt. Thera ging hinaus, um ihn einzulassen. Als sie an Grayth vorbeieilte, riet er ihr leise, die Türe zu verriegeln, sobald Bartel im Hause war. Kurz darauf kamen sie zu zweit wieder. „Die Männer stehen in Gruppen herum“, berichtete Bartel, während er sich müde niedersetzte. „Als ich vorbeiging, fing ich ebenso haßerfüllte wie freundliche Gedanken auf. Die Stimmung scheint halb für, halb gegen uns zu sein. Offensichtlich bin ich auch deshalb nicht auf meinem ganzen Weg hierher belästigt worden. Vielleicht wäre es aber ratsam, jetzt schnell zu essen. Wir könnten später - hinausgerufen werden.“ Drei Viertelstunden später saßen Grayth und Barthel im dämmrigen Mondlicht und pafften bedächtig ihre Pfeifen, während Deya und Thera ohne jede Un199 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ruhe das Geschirr spülten und wegräumten. Plötzlich zog Grayth ein kleines flaches Döschen aus seinem Mantel, stellte es auf den Tisch und blickte Bartel fragend an. „Wollen wir ein wenig davon auf legen?“ Bartel brummte: „Mondsalbe. Wirkt sie so gut, wie Ware meinte?“ Grayth lächelte. „Besser! Ich sehe übrigens, daß du auch deine karmesinrote Amtstracht trägst. Hiermit werde ich nun - „ Grayth strich die Paste über Hände und Arme bis zum Ellbogen, dann über Gesicht und Hals. Sie zog unter dem Licht der Atomflamme farblos und unsichtbar ein. Grayth erhob sich, schritt die Terrasse entlang und dann in den Garten hinunter, wo nur noch das bleiche Mondlicht auf ihn fiel. Als er in den Schatten eines knorrigen breitwipfeligen Apfelbaumes trat, verschwand er, man entdeckte in der Finsternis nur einen schwarzen Fleck. Als er in das Mondlicht herauskam, in karmesinrotem Mantel und dunkelblauer Jacke un‹? Hose, waren Gesicht und Hände pechschwarz. Er gesellte sich wiede zu Bartel. „Es hilft“, meinte der beifällig und trug die farblose Masse ebenfalls auf. „Ich hoffe, daß es unschädlich ist.“ „Freilich. Ein harmloser Stoff, der polarisiertes Licht nicht zurück wirft. Wie du weißt, erkennt man im Mondschein keine Farben obwohl unser Gesichtssinn sie uns vorgaukelt. Heute Nacht wird dieses Mittel 200 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
uns einen zweifachen Dienst leisten: es wird uns im Schatten unsichtbar machen und uns kennzeichnen, weil alle unser Leute es besitzen, Drunnel jedoch nicht.“ „Als ich Carron verließ, versammelte er die Männer um sich und verteilte die Salbe.“ Bartel betrachtete die mondhelle Stadt, die vor ihnen lag. „Er war noch sehr beschäftigt. Da - hört mal!“ Irgendwo in der Richtung des Hauptplatzes, im Zentrum der Siedlung, hörte man eine unbekannte Stimme schwach und undeutlich immer wieder ein Wort hinausschreien. Andere Stimmen fielen ein, das Gewirr wogte durch die Straßen, schwoll an und wurde im Näherkommen lauter. Es drang als unkenntlicher Lärm an ihr Ohr, bis sich plötzlich ein einziges Wort deutlich abhob: „Drunnel - Drunnel!“ Man hörte gedämpfte Schritte über Rasenflächen huschen oder schwer das Pflaster treten. Bald war der Spuk vorüber, und es herrschte wieder völlige Stille. „Drunnel war nicht untätig, wie man sieht“, sagte Bartel, „aber die Menschenstadt bildet einen Ring um das riesige Gebiet der Sarn, Aus den abgelegeneren Bezirken haben sich gewiß noch nicht viele Männer Drunnel anschließen können. Uns hat man nicht erlaubt, die Fernsehsender zu benutzen, um unsere Botschaft zu verbreiten. Drunnel aber hat die Unterstützung der Mutter.“
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„Eilnachrichten kann er noch auf andere Weise weitergeben.“, bemerkte Grayth. „Wie wir gerade erleben, laufen sie in nicht ganz eineinhalb Minuten um die Stadt. Die Männer werden in Scharen zum Marktplatz eilen.“ Irgendwo rief gellend ein Mann, stöhnte laut auf, dann brachte ihn ein dumpfer Schlag jäh zum Schweigen. Jetzt brach der Lärm wie in einem Tollhaus los. Flüche wurden ausgestoßen, ein Mann, der wie ein Stier brüllte, gab Befehle, Füße schlurften, Metall traf klirrend auf Metall - und auf Fleisch. Mit einem langgezogenen Heulen, das gurgelnd erstarb, endete der Krach. Die Tür des Landhauses erdröhnte unter wuchtigen Schlägen. Grayth war schon auf halbem Wege durch das Haus, ehe der zweite Schlag erfolgte. Er raste mit Riesenschritten voran, die ihm jedoch zu langsam dünkten, ihn aber wie im Fluge durch die Küche und den Hausflur trugen. In seiner Hand blitzte bläulich schimmerndes Metall. „Wer ist da?“ fragte er barsch. „Carron, du Narr. Laß mich herein. Es kommen noch mehr Leute die Straße herunter. Auch bei ihnen erübrigt sich jedes Wort.“ Carron stürzte herein, die hünenhafte Gestalt in einen zerrissenen grünlichen Mantel der Friedenslegion gehüllt; ihm auf den Fersen folgten noch an die zwölf Männer. Ein dickes Tischbein, das an drei Stellen 202 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
tiefe, mit Blut verschmierte Kerben aufwies, wirkte in Carrons Hand wie eine, dünne Rute. Die Türe knatterte wie ein Segel im Wind, als er sie mit einem Faustschlag seiner Pranke zustieß. „Riegel vor!“ knurrte er. Zwei seiner Leute knallten die schweren eisernen Sperrbalken zu. „Grayth, der Gegner hat losgeschlagen, und meine Truppe sammelt sich. Drunnel verständigte seine Anhänger flinker, weil er den Fernsehsender zur Verfügung hatte. Wir durften ihn nicht verwenden. Der Teufel hole die Sarn! Auf dem Stadtplatz aber werden wir uns ebenbürtig gegenüberstehen, sofern die Mutter Drunnel nicht ihr halbes Arsenal geliehen hat.“ „Das tat sie nicht“, antwortete Grayth bestimmt. „lch sagte dir doch, daß sie uns gleiche Aussichten geben will, allerdings mit kleinem Vorsprung für Drunnel.“ „Warum konnten wir das Fernsehen nicht einsetzen?“ fragte Thera, in den überfüllten Raum blickend. „Vielleicht wäre es angezeigt, die Läden zu schließen“, sagte Deya leise, „oder das Licht auszuschalten. Du stehst weithin sichtbar in voller Größe am Fenster.“ Carron lächelte ihr herzlich zu, und als er unter dem Türbalken durchschlüpfte, der fast zwei Meter hoch lag, zog er den Kopf ein. „Ich hätte daran denken sollen.“ Er griff nach dem Zugseil, und die dünnen 203 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Metallflügel der Fensterläden glitten lautlos über die Scheiben. „Die Zentrale für das Fernsehen befindet sich in der Sarnstadt“, erläuterte Deya ihrer Freundin Thera. „Die Sarn wachen darüber. Es ist aussichtslos, ohne ihr Einverständnis Nachrichten durchgeben zu wollen. Verschlüsselte Botschaften vielleicht schon, aber sie heifen nur, wenn jeder von uns das Kennwort weiß, und das hätten die Sarn bald herausgebracht.“ „Die übrigen Sprecher treffen später hier ein“, sagte Grayth zu Carron. „Wir müssen für sicheres Geleit sorgen.“ „Ich habe drei starke Abteilungen ausgeschickt, um sie herzubringen“, brummte Carron. „Ich selbst bin ebenfalls hierhergeeilt Nun werde ich euch alle in dieses Haus schaffen und ringsum eine Postenkette aufstellen. Dadurch sparen wir Leute und können uns besser schützen. Ich habe in jedem Gebäude im Umkreis meine Getreuen; keiner von Drunnel‘s Gefolge könnte sich durchschlängeln, ohne daß wir gewarnt werden. Das Mondlicht ist heimtückisch. Ein kriechender Mensch sieht wie ein Stück Buschwerk aus, aber unsere Anhänger befinden sich auf eigenem Grund und Boden. Bei Äsir, sie wissen, wo ihre Sträucher stehen, und Drunnels Truppe besitzt keine Mondsalbe, die das Gesicht schwärzt.“ „Sie haben aber Lampenruß“, meinte Deya. 204 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Falls ihnen dieses Mittel einfällt. Und der macht sie auch verdächtig, wenn sie im Licht stehen.“ Carron nickte. „Grayth, welche Pläne hast du?“ „Noch keine genauen, weil wir mit unseren Vorbereitungen noch nicht fertig sind. Hätten wir noch ein wenig Zeit gehabt, einen Monat, vielleicht sogar nur eine Woche, dann hätten wir inzwischen gelernt, wie man Äsir zu Hilfe ruft, und uns darauf eingerichtet. Nun müssen wir uns wehren, so gut wir können. Zuerst wollen wir die Anführer, die Sprecher zusammenholen und unter Bedeckung hierherbefördern. Wenn wir dieser Kampf beenden wollen, müssen wir drei Männer vernichten: Drunnel, Rendan und Grasun. Abgesehen von ihnen ist keiner mehr bestimmt, im Notfall die oberste Führung zu übernehmen, die anderen würden um den Posten nur in Streit geraten. Ließe sich das heute nacht ausführen, wäre der Monat, den wir benötigen, gewonnen. Die Mutter würde zwar dafür sorgen, daß einer von Drunnels Partei den Kampf erneut aufnimmt, aber das geschähe nicht ohne Zeitverlust. Also: Drunnel, Rendan und Grasun!“ „In Ordnung.“ Carron nickte. „Aber sie werden auf dem Stadtplatz inmitten ihrer Gefolgschaft stehen. Diese drei Männer werden schwer zu fangen sein und flinke Beine machen!“ Grayth berührte flüchtig sein Stirnband und sah Carron bedeutungsvoll an. „Wir könnten ihre Absichten erraten.“ Carrons Augen leuchteten verständnisvoll auf. 205 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Ja, das wäre möglich. Versuchen wir es.“ „Die Sprecher mit ihren Begleitmannschaften sind bald hier“, sagte Deya, aus deren Augen der Ausdruck konzentrierten Nachdenkens wieder wich. „Vielleicht geht einer an die Türe -“ Einer der Männer sprang zum Eingang und zog die Sperrbalken weg, während draußen schon ein Klopfen ertönte. Kurz darauf traten zehn Männer in den karmesinroten Mänteln der Sprecher ein und drängten sich in den winzigen Raum. Fünfzig Mann in dem dunklen Grün der Friedenslegion und eine Schar in buntem Zivil warteten außerhalb. Carron trat zur Türe. „Bildet eine Postenkette um das Haus und zieht sie dann auseinander, bis ihr den ganzen Block eingekreist habt. Vergewissert euch, daß sich innerhalb eurer Sperrlinie kein Anhänger Drunnels aufhält.“ Die Männer waren bald im Schatten der Bäume untergetaucht und lautlos im Dunkel verschwunden. Der Mond warf sein trügerisches, Licht, das so strahlend erschien, doch in Wirklichkeit farblos und matt war. Carron schloß die Türe und verriegelte sie wieder. „Wir werden ein paar Leute mitnehmen und uns unter die Menge auf dem Hauptplatz mischen. Seit der Ruf vorhin von Drunnels Parteigängern erschallte, habe ich keinen Laut mehr vernommen“, sagte Grayth. „Du gehst mit mir, Carron, und wir brechen 206 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sofort auf. Wir müssen die drei Rädelsführer unschädlich machen.“ „Damit werden sie kaum einverstanden sein“, meinte Bartel griesgrämig. „Zweifellos haben sie mit uns Ähnliches vor. Mir dünkt es weit besser, wenn du dich heraushältst, hierbleibst und uns das überläßt. Denn so gewiß wie Drunnels Truppe sich auflöst, wenn er fällt, bricht unser Widerstand zusammen, wenn du gefangen wirst. Nur zu bald wäre die Schlacht geschlagen, und Drunnel hätte die Macht in der Hand.“ Grayth schüttelte den Kopf. „Die Sprecher sind hier. Auf sie werden es viele von Drunnel? Anhängern abgesehen haben, er selbst aber nicht“, erklärte er leise. „Drunnel will mich fangen. Daher gehen wir irgendwohin, wo er uns nicht finden kann. Bleiben wir, überfällt er uns hier ganz gewiß. Befinden wir uns irgendwo in der Stadt, kann unsere Partei Pläne zu unserer Verteidigung schmieden, weil sie weiß, wo wir uns aufhalten, während Drunne keine Ahnung hat und daher nicht angreifen kann. Abgesehen davon haben wir auch noch anderweitig zu tun.“ Bartel schloß sich den beiden an, als sie hinausgingen. Während die drei Männer in der Finsternis verschwanden, fiel polternd die Türe hinter ihnen zu und wurde von knarrenden Riegeln verschlössen. Nach einer Sekunde hatten sich die Augen der drei an den Mondschein gewöhnt, die Dämmerung schien 207 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
vor ihnen zu weichen und das silberne Licht strahlte heller. Bald darauf kam ihnen die Beleuchtung so wirksam und stark wie am Tage vor. Unvermittelt tauchte aus dem Schatten unter einem Baum eine schemenhafte Gestalt auf. Sie flüsterte: „Zwischen dem Haus und dem Ring der Wachen befindet sich kein Feind mehr.“ Carron nickte. „Sammle die Männer in der Nähe von Phalun Haus. Wir marschieren zum Hauptplatz.“ Carron schwang das Tischbein in der Hand und schlich mit den Andern in das Dünkel. Grayth hielt ihn zurück und ließ sich die schwere Waffe geben. „Höchstwahrscheinlich werden die Geräte, mit denen die Mutter sie ausgerüstet hat, elektrischer Art sein, wenn wir auch nicht wissen, wie sie aussehen. Warne deine Leute vor Metallgegenständen.“ An der Ecke eines Landhauses stießen sie auf den Trupp, und Carron gab die Warnung weiter. Zögernd wurde der Befehl ausgeführt, man hörte leises Metall klirren und dumpf zu Boden fallen. Die Abteilung zerstreute sich schweigend, zu zweit und dritt machten sie sich auf den Weg und kehrten einige Minuten später zurück. Sie glichen Gespenstern, die stumm im Mondlicht wandelten, und schwenkten mattleuchtende Tisch- und Stuhlbeine aus nichtleitendem Material; einer zückte sogar einen spitzen Kunststoff-Stab von eineinhalb Meter Länge, den er aus einem AtomFlammenstrahl gerissen hatte. Alle trugen Luftdruck208 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gewehre. Unhörbar wie Spukgestalten huschten sie einzeln die Straße herunter, immer an den Stellen, wo die Schatten am tiefsten waren und hielten sich auf Rasen oder auf staubigen Wegen, die ihre Schritte dämpften. Allmählich erhielten sie Zuwachs, weil Nachzügler aus den Randbezirken erschienen und sich ihnen anschlossen. Dreimal kam es zu kurzem Handgemenge, und man hörte Schreie, die unter dumpfen Schlägen erstickten. Wenn die Schar weiterzog blickten weiße Gesichter, an denen man Drunnels Anhänger erkannte, mit erloschenen Augen zum Mond auf. In geraumer Entfernung mündete die Straße auf den Marktplatz, auf dem Lichter blinkten. Männer, die schon früher eingetroffen waren, standen müßig, aber sprungbereit herum und warteten beiderseits auf Verstärkung. Grayth bog im rechten Winkel in einen Seitenweg ein, einem Trupp entgegen, den er in einer Parallelstraße heranrücken hörte. Kurz darauf erblickten sie dunkle Gestalten mit weißen Gesichtern, die auf den Marktplatz zumarschierten. Sechs von ihnen, die an der Spitze des Zuges gingen, trugen merkwürdige, mit Edelsteinen gezierte Kronen und hielten lange Stäbe in der Hand. Die im Schutz der Bäume Heranschleichenden stoben auseinander, unheilverkündende schwarze Geister, die lautlos hinter den Häusern verschwan209 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den. Drunnels Anhänger schritten kräftig aus, spähten um sich und hielten Prügel und Messer bereit. Obwohl der Weg vor ihnen im Finstern lag, da drei mächtige Bäume mit dichten Kronen ihre Schatten über ihn warfen, trabten sie emsig weiter. Ehe ihnen noch recht zum Bewußtsein kam, daß sie angegriffen worden waren, lag ein Dutzend von ihnen am Boden. Wie ein Donner grollte Carrons gewaltige Stimme, als er den Anführer erkannte. „Grasun, bei Äsir, Grasun!“ Ein Gebrüll aus der geschlossenen Gruppe von Grasuns Begleitern antwortete ihm. Es wurde sogleich übertönt von dem markerschütternden, mörderischen Klang des Glühstrahls, den Grasun in Händen hielt. Sein schwacher Schein schoß geradeswegs auf den schwarzen Schatten eines Angreifers zu, der ein dikkes Tischbein wie ein Kriegsbeil in den hocherhobenen Fäusten schwang. Der Strahl berührte den Mann, pfiff durch ihn hindurch und, als wäre der Körper, der sich unter Qualen wand, ein Resonanzboden, wurden die Schwingungen zu einem Heulen, unter dem das Blut erstarrte. Zuckend fielen die Männer, die in der Nähe standen, nieder, krümmten sich hilflos, und die Waffen sanken ihnen aus den tauben, gelähmten Händen. Drunnels Leute stürmten mit Triurnphgeheul vor, während der schimmernde Strahl aus dem Rohr weiterglitt. Als er sich in eine dunkle Gestalt bohrte, erklang wiederum der schrille Laut. Eine Sekunde leuchtete der Getroffene auf, stürzte, und plötzlich zerbrachen seine Gelenke unter Verrenkungen, die 210 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
die außer Rand und Band geratenen Muskeln auslösten. Der Körper des Sterbenden verstärkte den Schall, so daß alle Nahestehenden gelähmt wurden. Als der hünenhafte Carron ungestüm vordrang und seinen Knüppel mit den riesigen Armen hochriß, trat ein anderer Glühstrahl in Tätigkeit. Vor der mächtigen Erscheinung des Mannes, der über sie herfiel, nahmen Drunnels Gefolgsleute mit einem Satz Reißaus, und für den Bruchteil einer Sekunde tauchte er drohend dicht vor Grasun auf. Der starrte zu Carron empor, das weiße Gesicht, auf dem ein Lächeln reinster Schadenfreude lag, dem Mond zugewandt, während er langsam die Waffe dem Koloß zudrehte, der ihn um fünfzehn Zentimeter überragte. In dem Augenblick, als das Tischbein auf die unsichtbare Hülle niederkrachte, von der Grasun wußte, daß sie ein undurchdringliches Kraftfeld bildete, drückte Grasun auf den Auslöser seiner Waffe. Zu spät! Grasun sank zu Boden, und der bleiche Pfeil des Strahls bahnte sich kreischend den Weg durch die Baumwipfel. Carron ließ den zersplitterten Prügel aus den gefühllosen Fingern fallen. Die Wucht des Hiebes hatte zwar nicht den schützenden Mantel zu durchstoßen vermocht sie genügte jedoch, den Mann, der sich dahinter verschanzte, zu betäuben. Carron sah erneut einen der sonderbaren glühenden Stäbe auf sich zuschwenken, er fühlte zudem einen unerwarteten Stoß von dem Knüttel eines anderen Gegners an der Schulter und 211 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wirbelte unter Wutgeheul herum. Mit den Bärentatzen umfaßte Carron den Mann, die Riesenarme hoben ihn wie ein quäkendes Kind über die Achsel und schmetterten ihn auf das schirmende Energiefeld des gestürzten Grasun. Ein hohes, dünnes Klagegeheul, das die Todesangst verriet, entrang sich dem Opfer, sobald die Ladung des bogenförmigen Feldes seinen Körper durchschlug. Als schwelendes, bebendes Häufchen rollte der Mann Grasun vor die Füße. „Große Steine!“ donnerte Carron und verließ mit einem Sprung den Schauplatz des Kampfes. „Schleppt Felsbrocken herbei für die Kronen träger! Bombardiert sie damit.“ Andere von Grayths Leuten hatten sich nicht so hastig auf einen Nahkampf eingelassen. Die leise zischenden Luftgewehre brachten viele Drunnelier zur Strecke; sie stöhnten, wenn ihnen die schweren Kugeln die Knochen brachen, und verstummten für immer, wenn sofort ein lebenswichtiges Organ getroffen worden war. Von denen, die Kronen besaßen, prallten die Kugeln ab; die Leute blieben unversehrt und stachen mit ihren klingenden Strahlendolchen (die ihnen die Mutter der Sarn gegeben hatte) auf die undeutlich wahrnehmbaren Feinde ein, die sich in den tieferen Schatten der Bäume zurückgezogen hatten. Ein granitener Pflasterstein, so groß wie ein Menschenschädel, sauste aus der Finsternis auf Grasun zu, der sich unsicher und taumelnd aufrichtete. Das 212 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Wurfgeschoß wurde von einem unsichtbaren Riesen abgefeuert. Der Energieschild lenkte es ab, hielt es auf, doch das Kraftnetz des Feldes übertrug die vernichtende Wucht auf den Kronenträger. Grasun ging in die Knie, die Waffe war ihm entfallen, und sein Kopf zitterte. „Felsbrocken!’’ brüllte Carron. „Große Trümmer, ihr verdammten schwächlichen Dummköpfe! Keine Kiesel, ihr plärrenden Narren, sondern Brocken! Die Gegner besitzen einen Schild, ein Kraftfeld, das sie schützt. Doch sobald richtige Steine auftreffen, werfen sie die Burschen um.“ „Zielt auf Grasun!“ Grayths Stimme klang scharf durch die Nacht, er sprach leise, aber klar und bestimmt. „Mehrere zugleich - nehmt schwere Stücke!“ Ein Schauer granitener Kopfsteine, die man aus einem vergessenen Haufen herausgeholt hatte, kam prasselnd aus dem Dunkel geflogen. Sechs davon sausten mit niederschmetternder Gewalt auf den Liegenden. Carron hatte den bergenden Schatten des Baumes fast verlassen, er stemmte mit den muskelstrotzenden Armen noch einen Block von achtzig Pfund hoch und schleuderte ihn ab. Das tödliche Geschoß polterte auf den überlasteten Abwehrschirm und löste eine Energiewelle aus. Als pralle es auf einen unsichtbaren Gummipolster, verharrte es einen Augenblick, dann rollte es seitlich hinunter. Grasun wälzte sich unter dem Stoß herum und bemühte sich, 213 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
halb bewußtlos, aufzustehen. In erstickten Silben rief er den Männern, die um ihn wimmelten, etwas zu, aber sie wagten nicht, ihm zu helfen. Wer den Schild berührte, mußte sterben. „Carron... Carron... denke?“ Deutlich und durchdringend waren die Worte trotz des Johlens der ringenden Männer zu vernehmen. Verdutzt hielt Carron einen Moment inne, dann hörte er laut über den Telepathen die weiteren Befehle. Sogleich vereinte er mit einem Wink seiner großen Hände eine Schar Männer in einer geschlossenen Gruppe um sich und nahm einen Felsblock zur Hand; dann brach er mit seinen Leuten hervor, und die schweren Brocken sausten durch die Luft. Die Kronenträger fielen nieder oder wichen unter dem Hagel von Steinen stolpernd beiseite. An der Spitze seiner Abteilung griff der Hüne an und schwang in den Fäusten zwei Tischfüße wie Dreschflegel. Der wirre Haufen von Drunnels Bande wich auseinander, als er auf den schwankenden Grasun losstürmte. Doch ehe er dem unsichtbaren, aber todbringenden Energieschild zu nahe kam, bückte er sich und hob das Glühstrahlgerät auf, das Grasun verloren hatte. Erneut floh Carron wieder unter den Schutz der Bäume. Ob die Männer Kronen trugen oder nicht, die Steinbrocken setzten ihnen gleichermaßen zu. Der ständige Hagel dieser vernichtenden Munition hinderte sie, mit den Glühstrahlen richtig zu zielen. Die 214 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
selbstgebastelten Luftgewehre zischten leise und mähten in den Händen geübter Schützen die Drunnelier wie reifes Korn. Die letzten von Drunnels Leuten, die keine Abwehrhülle besaßen, waren gefallen oder geflohen. Ein halbes Dutzend Kronenträger stand in einem engen Kreis beisammen und sandte Todesstrahlen in die Nacht. Grayth gesellte sich unter einem großen Baum zu Carron und nahm ihm das schlanke, noch warme Rohr aus der Hand, das sein Freund dem gefallenen Grasun abgenommen hatte. „Schicke die Waffe mit einem Mann, dem du trauen kannst, zu Ware“, stieß er hervor. „Wir wollen sehen, daß wir noch weitere in die Hand bekommen. Laß’ den Feind nicht entwischen; wir müssen Grasun fangen.“ „Tärnor, nimm das Gerät. Du kennst das Haus Wares. Bringe ihm diesen Stab. Eile dich!“ Der Mann kroch davon, lief in großen Sprüngen über den Rasen und war entschwunden. Carron wandte sich an Grayth. „Solange die Steine vorhalten, können wir die Feuer unschädlich machen, doch wie sollen wir die Schilde bekämpfen? Anscheinend bringt jede Berührung den Tod. Ich sah acht ihrer eigenen Leute sterben, die zufällig in den Bereich diese Feldes stolperten.“ Aus dem Schatten tauchte unvermutet die Gestalt eines Manne neben Carron auf, mit einem großen Holzeimer in der Hand. Da Gesicht blieb unsichtbar, 215 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nur die Zähne blitzten weiß in einem breiten Grinsen. Carron ergriff das Gefäß und trat vor. Seine Riesenarme knackten in den Gelenken vor Anstrengung, als der Eimer hoch in die Luft flog und beim Herabgleiten einen silbernen Regen über die Männer mit den Schilden ergoß. Das Wasser rieselte an ihnen herunter und feuchtete den Grund zu ihren Füßen an. Von einer anderen Seite wurde noch ein Eimer geschleudert und entleerte sich über ihnen, wobei ein paar Tropfen kurz auf dem Energiemantel verweilten und unter dem Einfluß des Kraftfeldes im Bogen wieder hochspritzten. Noch ein Wurf - und noch einer - Grasun stieß vor Angst und Todespein einen schrillen Schrei aus. Wasser hatte den Reif um seine Stirne kurzgeschlossen. Rauch qualmte, und als er die Krone herunterriß, glühte sie erst rot, dann weiß auf. Mit donnerndem Knall explodierte sie, und von diesem grell flammende Ausbruch waren Angreifer wie Verteidiger in unerträglich helle Licht getaucht. Grasun wälzte sich unter krampfhaften Zuckungen auf der Erde, doch als er den Saum eines anderen Schildes berührt wurde er plötzlich reglos und still. Von jedem Baum, jeder Haus ecke stieg ein Triumphgeheul empor. Die mit Pistolen bewaffnete Friedenslegion hatte sich indessen in den Gebäuden eingenistet, die den Hauptplatz umgaben. In der Mitte des Geviertes standen Drunnel und Rendan, von etwa vierzig Getreuen 216 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
umgeben und lenkten die Schlacht. Unweit davon lauerte Grayth im Dunkeln, während Carron eine lückenlose Postenkette seiner Leute aufstellte, um die Verbindung nach allen Seiten aufrechtzuerhalten. Laufende Boten brachten blitzschnell ihre Meldungen zu ihm. Bewegungslos saß Grayth an seinem Platz, seine Augen waren verschleiert vor innerer Anspannung aller Gedankenkräfte, mit der er über den Telepathen von hundert versteckten Stützpunkten Nachrichten einholte - von den Männern im Landhaus, das sie verlassen hatten, von Deya und von Ware in seiner unterirdischen Werkstatt, den er über das Geheimnis des Glühstrahls befragte. „Der Schild dämpfte die Stimmen“, sagte Grayth zu Carron. „Ebenso wehrte er den Glühstrahl ab. Ware behauptet, der Stab sende eine gerichtete Ladung aus; diese erregt eine Ultraschall-Schwingung, die für einen Menschen tödlich, für einen Sarn wahrscheinlich ungefährlich ist.“ Carron brummte: „Die Männer in den Häusern hatten bereits erkannt, daß man Metall meiden muß, aber der Trick mit den Steinen war ihnen neu. Ich -“ Irgendwo in einem Gebäude, das unbeleuchtet und finster gewesen war, flammte jäh ein unheimlich blendendes Licht auf. Die Fenstervierecke verwandelten sich in strahlende Flächen, von denen eine durchdringende Helligkeit ausging; die Scheinwerfer217 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kegel durchschnitten das schwache Mondlicht wie mit funkelnden Messern und umrissen einen Augenblick lang klar die kauernden Gestalten in der Mitte des Hauptplatzes. Drunnel hob sich scharf im Feuerschein ab, und man erkannte sein erstauntes, bestürztes Gesicht. „Wasser!“ Grayth lächelte. „Ich habe die Botschaft an Paultur weitergegeben. Einer von DrunneJs Kronenträgern versuchte unsere Leute aus dem Gebäude zu vertreiben. Ich bin nur gespannt - „ Er schloß eine Sekunde die Augen. „Nein, der Glühstrahl wurde auch vernichtet.“ Ein zweiter heftiger Blitz schoß leuchtend aus den Fenstern eines nahen Hauses; in dem anderen breitete sich eine mattere rote Glut aus. Männer stürzten heraus und eine Rauchfahne wehte hinter ihnen nach. Die explodierende Krone hatte das in Jahrhunderten ausgetrocknete Holz in Brand gesteckt. Gestalten huschten aus dem Dunkel, undeutliche schwarze Kleckse im dichten Schatten der Bäume. Ein flackernder roter Schein breitete sich immer stärker auf dem von Mondlicht überfluteten Platz aus, denn das uralte Holzwerk, das Feuer gefangen hatte, wurde eine Beute der stetig wachsenden Flammen. Undeutlich sah man Boten dicht an Carron herantreten; sie sprachen mit leiser Stimme, und Carrons tiefer Baß antwortete ihnen knurrend, dann verschwanden sie erneut mit irgendeinem Meldeauftrag. 218 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Grayth“, polterte die Stimme des Hünen, so sanft sie konnte. „Die Männer in den Gebäuden können nicht nahe genug an Drunnels Gruppe herankommen, um die schweren Felsbrocken zu werfen. Die Glühstrahler machen das unmöglich. Gibt es nicht irgendein Mittel, sich gegen die Strahlen zu schützen?“ Grayth schwieg, aber Carron konnte in seinem Telepathen die geistigen Kräfte spüren, die sich wie zarte Fühler zu Ware und zu anderen Kameraden hintasteten. Unklar vermochte er Wares Antwort aufzufangen: Abschirmen nur möglich, wenn jeder Mann in Wellblech gehüllt ist, das man sorgfältig erdet und über einem dicken Kissen aus Baumwolle oder wattierten Bettdecken trägt. Carron murrte enttäuscht. Grayth sah zu ihm auf und nickte. „Das ist undurchführbar, ich weiß.“ Männer mit Kronen sonderten sich nach und nach von der Schar in der Mitte des Platzes ab und jagten so schnell die schmalen Seitengassen entlang, daß die Steintrümmer, die ihnen aus den Gebäuden nachflogen, sie nicht zur Strecke brachten. Aus allen Richtungen strömten andere Schildträger auf den Platz zu, sie rückten von den weiter entfernten Bezirken der ringförmig angelegten Stadt heran. Nun lauerten sie in den Nebenstraßen außerhalb des Hauptplatzes und kreisten ihn ständig weiter ein. Carron zupfte Grayth am Ärmel. „Diesen Kampf werden wir nicht gewinnen“, brummte er. „Die Leute 219 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
mit den Energieschilden umringen den Platz. Wenn wir nicht den Rückzug antreten, müssen wir uns ohne Gegenwehr gefangen geben. Ich habe den anderen Nachricht gesandt, daß -“ „Wenn Drunnel uns nicht heute nacht in die Hände fallt, werden wir ihn nie mehr erwischen“, stöhnte Grayth. „Die Mutter der Sarn wird ihm noch bessere Waffen geben, und die schwankenden Gemüter, die sich uns angeschlossen haben, werden zu ihm übergehen, sobald sie merken, daß wir vor ihm weichen.“ „Wir müssen uns umgehend aus dem Staub machen“, erklärte Carron betrübt, aber hartnäckig. „Wenn wir uns nur untereinander schneller verständigen könnten, oder wenn wir wenigstens fähig gewesen wären, einen Schlachtplan zu entwerfen und ihn allen unseren verstreuten Anhängern mitzuteilen. Aber dazu hatten wir erstens keine Zeit, und zweitens kannten wir Drunnels Waffen nicht. Jetzt ist es zu spät, wenn ich jetzt auch weiß, was wir unternehmen hätten sollen. Aber nein! Es ist noch nicht zu spät, wenn es uns gelingt, unsere Kräfte zu vereinen. Versammlungen werden stets auf dem Hauptplatz abgehalten, also eilen sicher alle unsere Leute hierher. Ich werde die Legionäre aus den Häusern holen und „ Ein wildes Getrappel von Füßen erscholl von der großen ZufahrtsStraße her. Hundert Mann mit den geschwärzten Gesichtern von Grayths Anhängern 220 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kamen herbeigelaufen sie hielten etwa sechs Glühstrahler und viele leere Wassereimer in den Händen. Die Gruppen, die sich in den Häusern versteckt hatten, trieben sie mit aufmunternden Zurufen an, und ein Kugelregen prasselte aus den Luftgewehren auf die Steinfließen. Ehe der marschierende Trupp in den Bereich der bleichen Todesstrahlen kam, zerstreute er sich. Lange bevor Carrons Bote zu ihm gelangte, löste sich der geschlossene Verband auf und drang über Seitenwege in kleinen Abteihingen in alle Gebäude ein. Doch Carrons Meldeläufer klärten schnell auf, was die Verstärkung in Wahrheit zu bedeuten hatte. Die Leute waren nicht Sturm gelaufen, sondern vor über fünfzig bewaffneten, mit Energieschilden versehenen Drunneliern geflohen. Eine weitere Gruppe von Grayths Männern trabte auf einem anderen Wege heran und verschwand wie Nebel in der Dunkelheit und den unbeleuchteten Häusern. Die Fackel, die von einer explodierenden Krone entzündet worden war, loderte immer kräftiger. Die rotflackernden Flammen eines Gebäudes überstrahlten das Mondlicht, die schwärzende Salbe wirkte nicht mehr. Das Feuer breitete sich aus. Etwa vierzig Mann von Drunnels Kämpfern erschienen auf der Straße, über die erst kurz zuvor Carrons Legionäre mit ihren grünen Mänteln gezogen waren. In ohnmächtiger Wut setzte sich Carron wie221 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
der unter den Baum. „Grayth, wir werden uns nicht zurückziehen, damit ist es jetzt vorbei; denn Drunnel hat die Hälfte unserer Streitmacht in diesen Platz hereingejagt, zwischen die unangreifbare Abteilung in der Mitte, die er selbst befehligt, und den Ring, den seine übrigen Anhänger bilden. Die Gebäude, die uns Zuflucht gewährten, brennen. Von ungeschützten Leuten Drunnels habe ich keine zwanzig entdeckt; die halten sich wahrscheinlich in den Außenbezirken auf und hindern den Rest unserer Hilfstruppen daran, die Kämpfenden zu entlasten, die umzingelt sind. Grayth blickte in die Flammen, die immer weiter um sich griffen und die Häuser zerstörten. Vor seinen Augen stürzte ein Haus zusammen und unter der verzehrenden Hitze, die im Innern wie in einem Hochofen glühte, bröckelte der harte Mörtel und lokkerten sich die verwitterten Steine. Drunnel stand im Feuerschein und hielt die Verbindung mit seinen Gefolgsleuten aufrecht, die den äußeren Ring schlössen. Er fuchtelte mit den Armen, gab Befehle und wies ihnen die Richtung, in der sie vorgehen sollten. Einer seiner Melder lief auf eine breite Straße zu, auf der etwa zwanzig Bewaffnete anmarschierten. Ein Schauer von einem halben Hundert Steinen schmetterte den Boten nieder, und unter einem Sturzbach von Wasser zerknallte funkelnd sein Abwehrschirm, als er den Mauern zu nahe kam. Ein zweiter Kurier rannte hinter ihm her, er schlug Haken 222 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und lief im Zickzack. Ein gutgezielter Felsbrocken warf ihn um, und ein Hagel von Steinen hielt ihn solange hilflos fest, bis auch sein Schild durchnäßt war. Ein wildes Triumphgeheul stieg empor. Einen weiteren Mann, der auf eine breitere Straße zusteuerte, ergriff Drunnel am Arm. Er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln, während der Mann ihm heftig mit der Hand Zeichen gab und sich loszureißen suchte. „In die Gebäude können sie nicht eindringen“, knurrte Carron. „Wasser und Steine verhindern das. Aber Drunnel hat das gar nicht nötig. Das Feuer ist ihm zuvorgekommen.“ Er wies mit einem Kopfnicken auf einige Gestalten, die mit einem Gartenschlauch ein Dach löschen wollten. Ihre grünen Mäntel flatterten im Wind. Von einer Stelle außerhalb des Platzes richtete sich ein Glühstrahl gegen sie, einer der Männer sackte zusammen und war sogleich tot. Drei, die in seiner Nähe standen, wurden starr, dann fingen sie zu zucken an, und einer glitt in die Höllenglut, die sich unaufhaltsam weiter fraß. Keuchend tauchte aus der Finsternis ein Bote auf, die züngelnden Flammen ließen mit ihrem Schein seinen Mantel rot aufleuchten und tilgten die Schwärze, die im Mondlicht sein Gesicht bedeckt hatte. In der Hand hielt er drei Kronen. Er lächelte breit. „Die ganze Zeit haben sie die Dinger nicht eingeschaltet.“
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Neugierig trat Grayth vor. „Drei Stück sogar. Wie konntet ihr die unversehrt erobern?“ „Wir waren zu zwölft, sahen die Drunnelier die Straße entlangkommen und verbargen uns im Schatten. Sie hatten die Energieschilde nicht in Betrieb, und drei von ihnen fielen unter der ersten Salve unserer Luftgewehre. Die anderen Waffen würden vom Wasser vernichtet; aber diese hier haben wir gerettet.“ „Nun, das bessert unsere Aussichten erheblich“, bemerkte Carron bitter. „Jetzt haben wir immerhin schon drei einsatzfähige Männer - gegenüber tausend - wenn’s reicht! Euer Freund, der Techniker, könnte die Glühstrahler allerdings nacharbeiten - in einem Monat.“ „Tarsun“, rief Grayth der Gestalt zu, die im Licht der Flammen undeutlich zu erkennen war. „Bringe dieses Muster zu Ware. Wenn du die Krone aufsetzt und voll einschaltest, kannst du die Sperren durchbrechen, die Drunnel um uns gezogen hat. Falls Ach, lassen wir das, geh einfach zu ihm und warte dort.“ Grayth hatte die müde Absage aufgefangen, mit der Ware antwortete. Mit seinen Gedanken hatte Grayth ihn sofort erreicht. Der rastlos arbeitende Techniker plagte sich mit Aufgaben, die im Augenblick wichtiger waren, und schien erschöpft. Grayth nahm die Geräte in die Hand und reichte 224 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
eines davon Carron. Plötzlich stieß der Hüne ein paar Worte hervor und wies auf den Hauptplatz. Einer der Kronenträger war aus der Gruppe herausgetreten. Er trug an einem Drahtstück einen brennenden Baumwollbausch; der segelte in hohem Bogen aus seiner Hand und landete auf einem Hausdach an der Straße, die ihr Bote zu gehen versucht hatte. Der Bausch flackerte kurz und schwach auf, dann erlosch er. Doch eine Anzahl weiterer folgten; sie waren aus ölgetränkter Baumwolle angefertigt, die man um einen Stein gewickelt und angezündet hatte. Es waren leichte Geschosse, die aus einer größeren Entfernung geschleudert werden konnten als Carron‘s schwere Brocken. Drei sausten krachend durch Fensterscheiben. Die schwachen Flämmchen erhielten Nahrung. Wasser zischte heftig einen Augenblick schwankte die Lohe, dann wurde sie schnell kräftig und strahlend. Dunkle Gestalten ließen sich aus den Fenstern fallen und rasten auf die nächstliegenden Gebäude zu. Vier blieben auf halbem Wege, sie erreichten niemals ihr Ziel, weil Glühstrahlen sie trafen. Wie eine rote Blume entfaltete sich das Feuer. Zuerst langsam, dann wuchs es in Windeseile, denn die Fenster barsten infolge der Hitze. Nun brannte bereits das Haus an der gegenüberliegenden Ecke. Ein Melder schritt die Gasse zwischen den Flammen entlang zu einer Gruppe Kronenträger am ande225 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ren Ende. Als er bei ihnen angelangt war, wichen sie einmütig vor ihm auseinander, der Verband teilte sich in zwei Hälften, die in entgegengesetzten Richtungen um den Platz marschierten. Plötzlich erstarrte Carron. Seine Blicke flogen zu Grayth, der sich abseits im Dunkeln hielt; auch er stand wie gebannt still. Eine weiche, unwirkliche Stimme flüsterte in ihrem Sinn, aber nicht nur Worte drangen zu ihnen, auch die Bilder, Laute und Gerüche, die milden Düfte eines Gartens im Mondlicht, man hörte Männer durch zerstörte Blumenbeete trampeln und den markerschütternden durchdringenden Klagelaut der Glühstrahlen. Ein Garten in Schwarz und Weiß tauchte vor ihnen auf, in dem einzelne Gestalten hin und herhuschten; sie warfen Wassereimer und Steinblöcke auf einen vorrückenden Trupp schildbewehrter Männer. Deya sah dem Kampf vom Fenster aus zu, umgeben von zwanzig Sprechern verschiedener Bezirke. Die Abteilung von Carrons Legionären wich vor dem geschlossenen Angriff einer Übermacht bewaffneter Drunnelier zurück. „Sie können den Feind nicht aufhalten“, murmelte Grayth. Carron war kaum zu verstehen, als er brummte: „Wir auch nicht.“ „Noch einen Monat - vielleicht nur eine Woche 226 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und wir hätten es wahrscheinlich gelernt, Äsir zu Hilfe zu rufen. Glaubst diu, daß der Mutter das bekannt war und sie diesen Schlag so früh führte, um uns daran zu hindern?“ „Was sollen wir jetzt tun?“ fragte Carron außer sich. „Was hältst du von einem massierten Angriff, bei dem alle Männer auf einmal über Drunnel und Rendan herfallen?“ „Rendan ist nicht dabei“, seufzte Grayth. „Er hat sich in die äußeren Linien begeben, um für einen geordneten Aufmarsch zu sorgen. Ein geschlossenes Vorgehen von unserer Seite würde nur dazu führen, daß für jeden, der heute nacht von unserer Hand fällt, tausend den Tod finden. Fast fünftausend unserer Freunde stecken in den Häusern dort. Irgendwie müssen wir sie befreien.“ Zögernd erhob sich Grayth. Deyas Gedankenbilder standen ihm so klar vor Augen, daß er beinahe das Gefühl hatte, er müsse jetzt der alten Eiche ausweichen; sie stand neben der fliesenbelegten Terrasse, auf der er zu Abend gegessen hatte, und hinter ihr brachen Drunnelier hervor, die Abwehrschilder besaßen. Der letzte von Carrons Legionären war überwältigt. Gegen die Sprecher würden die Feinde ihre Glühstrahlen nicht einsetzen, ebensowenig gegen Deya und Thera, das kam Grayth erschreckend klar zum Bewußtsein.
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Er griff an die Stirn und berührte den kleinen Knopf der Krone, die er aufgesetzt hatte. Verwundert sah Carron ihm zu und wollte ihm nachgehen, als er aus dem Schatten des Baumes in das volle Licht der Flammen trat. „Bleib, Carron“, rief Grayth ihm zu. Dann eilte er mit großen Schritten über das letzte Stück des Rasens auf das Fliesenpflaster des Stadtplatzes hinaus. Einen Augenblick stand er still, weil eine Reihe glühender Strahlen sich wie Lanzen auf ihn richteten; doch als sie gegen den unsichtbaren Schild der Krone stießen, erloschen sie lautlos. Die Geräte wurden abgeschaltet. Drunnel kam Grayth ein paar Schritte entgegen und stellte sich vor seine kleine Truppe. „Welche Bedingungen, Drunnel?“ rief Grayth ihm zu. Die Hülle schien seine Stimme zu verschlucken, aber irgendwie hatte Drunnel ihn verstanden. Er lachte leise. „Darf ich fragen, weshalb Bedingungen? Warum sollte ich mit euch noch unterhandeln?“ „Weil du die Männer in den Gebäuden ja nicht vernichten willst,“ Grayth nickte den stummen Beobachtern an den Fenstern zu, die auf das Geviert herunterblickten. „Und weil du die Gewißheit haben willst, daß ich dir nicht entkomme, und - weil du mich nicht festhalten kannst. Wir haben über zwanzig Kronen erbeutet, mit denen ihr von der Mutter ausgerüstet worden seid. Mit ihnen können einige meiner Anhänger sowie Deya und Thera dir entfliehen. Wir werden 228 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dann Zeit und Gelegenheit finden, weitere Schritte zu planen. Doch bestimmt vermag ich mich irgendwo auf dieser Erde in Sicherheit zu bringen, denn überall kannst du mir nicht nachspüren, selbst wenn die Mutter der Sarn dir dabei behilflich sein sollte.“ Grayth blickte Drunnel fest an. Zu gerne hätte er gewußt, ob dieser schon erfahren hatte, wieviel Kronen unversehrt erbeutet worden waren. Gottlob konnte er nicht ahnen, daß Deya und Thera gerade jetzt mit einer Gruppe Schildträger sprachen, die von Barthun angeführt wurde. Drunnel schwieg eine Weile. In der Stille vernahm man nur das Knistern der züngelnden Flammen und das unstete Knarren der Balken in den alten Häusern, in denen sich die Männer zusammendrängten. Dann begann er zu sprechen: „Was willst du?“ „Die Leute, die für mich gekämpft haben, sollen ungehindert abziehen - alle Männer, Frauen und Kinder, die du umzingelt, gefangen oder belagert hast. Ich werde mich dir stellen.“ „Deine Bedingungen sind unannehmbar“, sagte Drunnel lachend. „Hier kannst du mir nicht entwischen, der Ring meiner Männer ist nicht zu durchbrechen.“ Grayth schüttelte den Kopf. „Du weißt nur zu gut, daß dies nicht stimmt. Welches Angebot machst du mir?“ 229 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Die Männer und Frauen, die für mich ohne Bedeutung sind, gebe ich frei. Doch ich fordere, daß du, Bartel, Carron und die Vertreter der Bezirke sich mir unterwerfen.“ Drunnels Augen blitzten und ein triumphierendes, tief befriedigtes Lächeln lag auf seinem Gesicht. „Und das ist reichlich entgegenkommend, wenn man bedenkt, welche Trümpfe ich heute nacht in der Hand halte. Wie wolltest du den Kampf weiterführen, Grayth? Deine Leute sind zwischen meinen Kerntruppen hier und den äußeren Linien eingekesselt. Und in der Mitte breitet sich das Feuer aus. Wasser anzuwenden war ein schlauer Kunstgriff von dir, und es war recht geschickt, Steinbrocken zu schleudern, aber gewonnen hast du dadurch nichts. Ich habe mehr Wirklichkeitssinn als du, Grayth, und liefere die Menschheit nicht dem Zorn der Mutter der Sarn aus, die gerecht ist. Sie weiß Leute zu schätzen, die ihr helfen, und steht ihnen bei. Die unnützen Luftgewehre haben deine Männer nur in eine Falle gelockt die sich hinter ihnen schloß. Du hast niemals ein Buch über Strategie gelesen, dich niemals im Waffenhandwerk geübt und hoffst einen Mann zu besiegen, der bei den Generälen der Sarn in die Schule gegangen ist! Deine Weisheit mag ausreichen, um auf Seelen von Herdenvieh einzuwirken, wie es dort in meinen brennenden Hürden eingepfercht ist, aber wenn es um tatkräftiges Handeln geht, sind deine Fähigkeiten gleich Null. 230 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Nun, was sagst du, Grayth? Ich werde den dummen Mitläufern eines ebenso dummen Anführers die Freiheit schenken, aber die leitenden Männer müssen sich vor der Mutter rechtfertigen.“ Grayth schüttelte den Kopf. „Noch sind wir nicht gefangen. Wie Quecksilber schlüpfen wir dir zwischen den Fingern davon, sobald du uns zu packen suchst. Bartel möchtest du aus persönlichen Gründen, weil du ihn haßt - wie mich. Ich werde mich dir ergeben, wenn du beim Namen der Mutter, bei Kathai Sargthan selbst schwörst, daß alle meine Gefolgsleute außer Bartel und mir frei und ungehindert ziehen dürfen. Bartel nehme ich aus, falls er einverstanden ist, und du sieh zu, wie du ihn dir fängst! Du behauptest, daß dein Ring dicht ist...“ Drunnel starrte die große Gestalt seines Feindes an. Quecksilber, das ihm durch die Reusen seines zuschnappenden Netzes zu schlüpfen drohte! Bartel... „So soll Bartel sich zu dir gesellen“, rief er. „Wenn die Böcke weg sind, zanken sich die Schafe und laufen auseinander.“ „Du schwörst also beim Namen der Mutter, bei Kathai Sargthan, daß alle, die für mich gestritten haben, frei ausgehen, ihnen nichts zuleide geschieht und sie auf die gleiche Stufe mit jenen gestellt werden, die auf deiner Seite gestanden oder sich überhaupt nicht an 231 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
der Auseinandersetzung beteiligt haben.“ „Bei Kathai Sargthan, das schwöre ich.“ Drunnel nickte. „Willst du ebenso bei Kathai Sargthan beeiden, daß der Fall in einem Gerichtsverfahren vor der Mutter untersucht wird, wie es das Gesetz verlangt?“ Drunnel lachte, seine Augen funkelten im Feuerschein. „Meinethalben, wenn du es dir so sehnlich wünschst. Du, Grayth, und dein Freund Bartel, ihr sollt euch mir ergeben und gemeinsam vor der Mutter erscheinen. Und beim Namen der Mutter, ich werde euch schon zur Morgenaudienz mitnehmen!“ Aus dem dunklen Hausflur eines Gebäudes tauchte Bartel auf, eilte mit großen Schritten herbei und stellte sich neben Grayth. Der drückte auf den winzigen Knopf der Krone und schaltete sie aus. Als Drunnel vortrat, nahm er sie vom Kopf und legte wieder die silberne, mit Emaille eingelegte Scheibe an, das Kennzeichen der Sklaven der Mutter. Mit strahlendem Blick nahm Drunnel die Krone entgegen, und die weißen Zähne blitzten in einem siegesfrohen Lächeln auf, das beinahe freundlich wirkte. Das Spiel war aus. Grayth und Bartel waren auf dem Wege zur Macht für ihn kein Hindernis mehr. Grayth und Bartel standen Seite an Seite vor der Mutter, ihre Amtstracht, die karmesinroten Mäntel, 232 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
waren ihnen abgenommen, man hatte sie in malerischen Falten Drunnel und Rendan um die breiten Schultern gelegt. Für Minuten, die sich lange dehnten, blickten die reglosen Schlitzaugen der Mutter in Grayths ruhiges Gesicht. Als sie sprach, schien sie den Mund, der schmal wie ein Strich war, kaum zu bewegen: „Du hast uns erzählt, daß man das Gesetz der Sarn nicht mit Gewalt anwenden könne und du nicht imstande seist, ihm Geltung zu verschaffen. Es war daher mein dringender Wunsch, dich, Grayth, deines Amtes zu entheben. Nach dem Gesetz der Sarn verdient ein unfähiger Verwaltungsbeamter, daß man ihn absetzt, ein aufständischer, daß man ihn tötet. Nach dem Gesetz der Sarn und der Menschen hast du die Gunst verwirkt, dich an mich zu wenden. Warum bestehst du also auf dem uralten Vorrecht, an die Mutter des Gesetzes und der Gerechtigkeit zu appellieren?“ „Nach dem Gesetz der Sarn und der Menschen sollen die Unfähigen abgelöst und Aufrührerische oder Verräter getötet werden“, bestätigte Grayth. Seine Stimme war leise und klar, ihre Laute verhallten in den riesigen Gewölben. „Wenn mir diese Vergehen nachgewiesen werden, bin ich schuldig. Aber kein Mensch hat mich der Unfähigkeit angeklagt, denn ich 233 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bin nicht unfähig, wenn ich einen Auftrag nicht ausführe, der mir vom Gesetz verboten ist. Das Gesetz der Sarn gestattet nämlich nicht, daß der Wortführer der Mensehen auch Kommandant der Legion werde oder daß er eine Polizeitruppe für sein Amt aufstelle. Das Gesetz der Menschen untersagt es dem Wortführer, etwas anderes als Ratgeber zu sein. Ich habe der Mutter geraten, wie es das Gesetz fordert; die Gesetze der Sarn können den Menschen nicht aufgezwungen werden, ohne sie zu vernichten. Du hast befohlen, daß ich sie mit Gewalt durchsetze, doch das Gesetz der Sarn und der Menschen verbietet, daß ich mir ein Machtinstrument schaffe, um den Befehl auszuführen. Hätte ich so gehandelt, hätte ich mich gegen das Gesetz der Sarn aufgelehnt und wäre menschlichen Gesetzen gegenüber ein Verräter gewesen. Ich habe es nicht getan. Daher habe ich weder Verrat geübt, noch bin ich unfähig.“ „Das Wort der Mutter ist das Gesetz der Sarn.“ Die durchscheinenden Lider glitten eine Sekunde lang über die Augen der Mutter und verbargen sie. „Es gibt kein höheres Gesetz. Die Entscheidungen der Mutter sind das Gesetz der Erde; kein anderes steht über ihnen. Du hast dich als unfähig erwiesen oder als Rebell gehandelt. Ja, in meinen Augen bist du ein Rebell. Und darauf steht nach dem Gesetz die Todesstrafe. Ebenso ist auch Bartel ein Rebell. Er verdient da234 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
her die gleiche Strafe.“ Die wachsamen Augen schweiften langsam zu Bartel und verharrten kurz auf ihm. Dann huschten sie plötzlich von ihm weg und blickten durch die lange Audienzhalle zum Eingang. Das ausdruckslose Gesicht blieb unverändert, der strichförmige Spalt der Lippen bewegte sich nicht. Doch in der Stille hörte man ihren Atem leise durch die Nüstern pfeifen. Grayth wandte sich langsam um und folgte dem starren Blick der Mutter der Sarn. In dem schimmernden Glanz der Atomflammen bewegte sich undeutlich eine formlose, schwarze Masse, die die grellen Strahlen der Morgensonne durchquerte. Im Schein der Sonne und im Funkeln der Flammenstrahler nahm sie allmählich feste Gestalt an und verdichtete sich aus eigener Kraft. Es war eine gigantische menschenähnliche Erscheinung, die dreieinhalb Meter hoch drohend aufragte, nicht in Schwarz gehüllt, sondern aus Schwarz bestehend, bar jeden Lichts, ein undurchdringlicher Schatten tiefster Nacht. Als die Erscheinung mit schwerfälligen, geräuschlosen Schritten näherkam, nahm sie immer klarere Form an: Arme und Beine prägten sich aus, ein mächtiger Kopf wie aus Pechkohle, ohne erkennbare Züge, erhob sich über dem gewaltigen Rumpf, und das Gesicht war eine wirbelnde finstere Wolke ohne Augen, Mund und Nase. Wo die ungestalten Füße den Boden berührten, glänzte es weiß auf, bildeten 235 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sich Eisblumen. Langsam schritt der gespenstische Riese nach vorn, und ein Hauch von Kälte, ein sachter, raunender Wind aus ungeahnten eisigen Räumen des Weltalls strich um ihn und wehte hinter ihm her. Wie eine große Lanze fiel von einem hohen Fenster ein Sonnenstrahl herein, bohrte sich in ihn und - wurde aufgesogen. Er hellte das Schwarz nicht auf und wurde auch nicht zurückgeworfen. „Äsir!“ Schweratmend stieß Grayth den Namen hervor und wich einen Schritt zurück. In gebührendem Abstand blieb die Gestalt vor der Mutter stehen. Die gelähmten Sarn wurden unruhig, eine Stimme zischte auf und verstummte wieder. Die schwarze Masse sprach - nicht in Worten, sondern in Gedanken, die allen, den Sarn wie den Menschen wie tanzende, zuckende Irrlichter durch den Sinn huschten. „Deine Art zu herrschen ist weder gerecht noch weise, Tochter der Sarn. Dein Volk und mein Volk sind verschieden geartet. Im Namen der Gerechtigkeit, die du anrufst, mußt du deine Entscheidüng ändern.“ Blitzschnell wie eine Schlangenzunge fuhr die Hand der Mutter zu einem winzigen Knopf, der an ihrem Thron angebracht war. Ein gebündelter Strahl von rasender Wildheit brach aus dem geschnitzten Maul des kauernden Metalltieres an ihrer Seite, eine 236 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
geballte Ladung unvorstellbarer Energien, die auf ihrem Wege die Luft kreischend in zerschmetterte Atome zerriß und - ohne Laut, ohne Lichtwirkung an der Brust des Herrn der Finsternis erlosch. Von den in der Menge verteilten Wachen züngelte der Tod heulend aus tausend Stabwaffen, schleuderte wütende Dolche der Vernichtung und - auch sie gingen unwirksam in der wogenden Schwärze unter. Von der Schmuckplatte über dem Thron der Mutter der Sarn stieg ein Atompilz auf, Sinnbild einer Kraft, die fähig war, Berge abzutragen und in deren überwältigendem Donnern sich die Geräusche der schwächeren Waffen wie platzende Seifenblasen anhörten. Doch kein Funken Helligkeit, nicht der leiseste Schein zeigte sich an dem reglosen Riesen. Das Zischen der Strahlen erstarb. Nur ihr Echo schwebte einsam durch die tiefe Stille der Halle. Erneut sprach die gespenstische Finsternis mit unhörbarer Stimme, die wie der Klang einer gewaltigen Orgel widerzuhallen schien. „Ich bin keine Materie, noch irgendeine Kraft, die deine Strahlenwaffen treffen können, Tochter der Sarn. Deine Klugheit und die uralten Machtmittel deines Volkes nützen dir nichts. Du bist nur ein Einzelwesen, ich aber vereine in mir die Gesamtheit der Menschen, die jemals gelebt haben, die fünfzehnhundert Milliarden, die gestorben sind, seit der erste Mensch auf Erden weilte. Ich verkörpere die Milliar237 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den, die du bei der Eroberung hingeschlachtet hast. Zehntausend Generationen der Menschheit haben sich Erfolg und Freiheit gewünscht, haben davon geträumt und dafür gekämpft. Ich bin die Kristallisation dieses Sehnens. Ich selbst bin die Menschheit, ein Ideal, das erst halb Gestalt angenommen hat. Keine Gewalt, kein Strahl, keine Materie kann mein Wesen beeinflussen. Der ganze Weltraum ist von den unsterblichen Energien verschollener ringender Menschen erfüllt, von dem ewigen Streben ihrer Myriaden Seelen. In Eiszeiten starb ich unter den Klauen wilder Bestien, die mich zerrissen, doch ich lebte in dem Kind weiter, das durch dieses Opfer gerettet wurde. Ich starb, solange die Welt noch jung war, und ich starb gestern noch unter den Glühstrahlern, die du jenen Männern dort gabst, und an den Bleikugeln der Luftgewehre. Ich bin das heiße Begehren der Menschheit, das durch deine Taten erst, Tochter der Sarn, Gestalt gewonnen hat. Drei Milliarden fielen bei der Unterwerfung der Erde, und ihr geballtes Wollen, das in den ewigen Raum entschwebte, kannte nur ein einziges Ziel: die Erde aus deiner Sklaverei zu erretten. Die Willenskräfte all dieser ungezählten Menschenalter aber haben sich in mir vereint. Viertausend Jahre sind seitdem verflossen, und ich bin langsam gewachsen, bis meine Energien gestern nacht Zeit und Raum der Erde berührten, als wieder einmal der Menschen 238 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Geist sehnsüchtig nach Freiheit verlangte. Ich bin Äsir, der göttliche Urgrund der Menschheit und die Menschheit selbst. Alle umfasse ich, die jemals ihre Augen für immer schlössen, unter der leuchtenden Sonne der Wüste oder in der eisigen Weite der Arktis, alle, die zugrunde gingen, seit sich die ersten dunklen Regungen des Verstandes kundtaten und die ersten Werkzeuge geschaffen wurden, bis zu jener Seele, die ein Teil von mir wurde, während ich hier sprach; sie gehörte einem Manne, der gestern nacht verwundet wurde und heute morgen starb. Um welcher Sache willen sie auch stritten und fielen, sie sind ein Teil von mir, Tochter der Sarn. Der Menschheit muß Gerechtigkeit widerfahren, denn jeder einzelne, der umkam, trachtete auf seine eigene Weise nach dem, was er für Wahrheit hielt. Grayth und Bartel haben sich dafür eingesetzt, daß du das Recht nicht beugst, sie sollen in ihren Bemühungen fortfahren. Drunnel und Rendan aber haben versucht, die Menschheit um ihres eigenen Vorteils willen zu verraten. Auch ihnen soll Gerechtigkeit zuteil werden.“ Ein riesiger finsterer Arm streckte sich aus, und ein formloser pechschwarzer Finger berührte für den Bruchteil einer Sekunde Drunnels Stirn, ehe er zu Rendans schreckerstarrtem Gesicht hinüberhuschte. Langsam schwankte Drunnel seine Beine verloren 239 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den Halt, und er sank nieder, während sich eine weiße Decke über sein Gesicht breitete. Wie sprödes Metall schlug sein Kopf klirrend auf den dunklen Basalt des Bodens und zersplitterte in Stücke wie ein Eisblock, den man fallen läßt. Weiße Rauhreifkristalle, die sich schnell vermehrten, umhüllten gnädig Drunnels und Rendans zerborsten Schädel. Äsir wandte sich um. Hastig ergriffen die Sarn vor ihm die Fluch und gaben ihm den Weg frei, der ihn geradewegs zu der hohen, goldgezierten Wand der Audienzhalle führte, die aus blankgeschliffenen Platten jadegrünen Steins bestand. Lautlos trat Äsir auf sie zu; die feste Materie verwandelte sich unter seiner Berührung in Nebel, der sich schnell hob und den Blick auf einen leeren langen Gang freigab. Kaum war jedoch die düstere Gestalt geräuschlos hindurchgeschritten, als sich die Kluft sofort hinter ihr schloß. Die Wand indessen blieb dunkel, so schwarz wie Äsir selbst. Mit leeren Augen starrte die Mutter Grayth an. Je länger sie schwieg, um so unruhiger wurden die Sarn. „Grayth und Bartel, ihr beide könnt gehen. Sorgt dafür, daß die Ordnung in der Menschenstadt wiederhergestellt wird.“ Die Mutter der Sarn hielt einen Augenblick inne, dann fuhr sie fort: „Zur Stunde des Sonnenuntergangs werden heute alle Waffen und Kronen, die ich von meiner Rüstkammer ausgeliehen habe, wieder zurückgegeben. 240 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Das Gesetz über das Zahlenverhältnis von eins zu fünf entfällt für die Menschen.“ Die Mutter schloß die Augen. Grayth und Bartel wandten sich um und schritten wortlos durch die Reihen der schweigenden Sarn hinaus. Hinter ihnen folgten still die sechs Männer, die am Morgen mit Drunnel und Rendan gekommen waren. Außerhalb des großen Tores eilten die sechs hastig über den grünen Rasen davon. Grayth und Bartel standen einen Augenblick allein. Dann gesellte sich ein Elektrotechniker zu ihnen, ein Mann, der mit seiner Arbeit eine so alltägliche Erscheinung in der Sarnstadt war, daß ihn die meisten gar nicht bemerkten. In der einen Hand trug er eine große, mit einem Schnappschloß versehene Tasche; zweifellos enthielt sie Geräte und wertvolle Einzelteile von Apparaten, die er in seinem Beruf brauchte. Mit der anderen Hand umfaßte er ein Paar stelzenartige Stangen aus leichtem Metall. Sie endeten in einem merkwürdigen Netzwerk, das breiten, schräg gestellten Füßen ähnelte. „Die Götter waren mir gnädig“, sagte Ware leise. „Aber es war mir einfach unmöglich, in der Zeit fertig zu werden, die -“ „Ja“, meinte Grayth halb lachend, halb seufzend. „Auch uns haben die Götter beigestanden!“
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2 Das winzige, fast menschliche Gesicht der Mutter der Sarn zeigte die Spuren von vierzig Stunden unablässiger Anstrengung. Jetzt stand ihr, wie sie befürchtete, eine neue und noch größere Belastung bevor. Denn die acht Stadtmütter, die im Rundbau der Beratungshalle ihre Plätze eingenommen hatten, brachten bestimmt der Geschichte, die ihnen die Mutter erzählen wollte, wenig Verständnis entgegen. Wie die uralte Mutter der Sarn wußte, waren die Menschen der Erde für die Stadtmütter Sklaven, Wesen, die zur Arbeit geboren waren, die geringe geistige Fähigkeiten und keinerlei Bedeutung besaßen. Die Erde war der Planet der Sarn, die ihn vor viertausend Jahren von einer Rasse von Schwächlingen mit kleinem Körper und geringem Verstand, Menschen genannt, erobert hatten. Es würde schwer fallen, ihnen dieses Vorurteil auszureden, um so schwerer, als die Mutter der Sarn gewissermaßen nicht zu ihnen gehörte. Sie war die Unsterbliche und daher liebte man sie nicht. Diese acht weiblichen Wesen waren die matriarchalischen Statthalterinnen der Erde unter der Oberhoheit der Sarn. Unter allen Angehörigen ihres Volkes hatte jede sich im Wettkampf durch Scharfsinn so hervorgetan, daß sie zur obersten Lehnsherrin eines Kontinents 242 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
oder eines fast ebensogroßen Gebiets emporgestiegen war. Sie hatten sich ihre Stellung erstritten und sie ihrem Gefühl nach ehrlich verdient. Aber die Mutter der Sarn? Die höchste Herrscherin der ganzen Erde, aller Sarn und Menschen? Ererbt hatte sie ihre Würde nicht, sie hatte sie einfach seit je gehabt. Wie sie zur Oberherrscherin geworden war, wußte niemand, denn sie hatte noch die mythischen Zeiten des „vergessenen Planeten“ erlebt, ehe die heimatliche Welt der Sarn in einer kosmischen Katastrophe untergegangen war und sie sich einen neuen Wohnsitz hatten suchen müssen. Ihre Unsterblichkeit war es, die den Neid, ja den Haß der Stadtmütter weckte. Und die Mutter der Sarn wußte das. Es war ihr auch klar, daß sie ihre Stellung nur dem geheimen Wissen verdankte, das sie sich in den Jahrtausenden ihres Daseins erworben hatte. Die Stadtmütter hingegen fürchteten zwei Dinge: diese wohlgehüteten naturwissenschaftlichen und technischen Kenntnisse und die Eifersucht der Schwestern. Die alte Sarn war erschöpft vom geistigen Ringen. Sie kannte den Haß der Stadtmütter zur Genüge und verhehlte sich ebensowenig, daß sie noch eine schwere Belastungsprobe zu bestehen hatte. Die Menschen der Erde erhoben sich zögernd in einem Aufstand, den sie selbst nur halb begriffen. Mit dieser neuen Lage hatten sie sich zu befassen.
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Doch die Stadtmütter wollten durchaus nicht zugeben, daß die Menschen überhaupt fähig seien, sich zu empören. Denn ihr ganzes Leben lang waren die Menschen für sie nur Knechte gewesen, während die uralte Mutter der Sarn sich noch deutlich erinnerte, wie tapfer die Menschen die Erde verteidigt hatten. Die Stadtmütter aber konnten und wollten das nicht begreifen. Das spitze elfenhafte Gesicht der Mutter der Sarn lächelte müde zur Begrüßung. Selbst ihre wohllautende Stimme ließ erkennen, wie erschöpft sie war. „Ich rufe euch zusammen, Töchter, weil ein Ereignis von schwerwiegender Bedeutung vorgefallen ist. Ihr habt sicher schon von der Verurteilung von Grayth und Bartel erfahren?“ „Nur Gerüchte“, sagte die Mutter von Targlan, der Stadt, die hoch oben in der kristallnen Klarheit des mächtigen Himalajagebirges lag. „Wie ich hörte, sollst du dein Urteil widerrufen haben.“ Ihre Stimme war glatt wie Seide, aber schneidend. Das kleine spitze Gesicht der Mutter blieb gelassen. Die Unannehmlichkeiten fingen offensichtlich schon an. „Wie ich euch in der letzten Versammlung bereits berichtet habe, erholt sich das Menschengeschlecht wieder; die verlorengegangenen geistigen Fähigkeiten und die Willenskraft, mit denen vor unserem Überfall auf diesem Planeten eine hochstehende Kultur geschaffen wurde, nehmen in stei244 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gendem Maße zu. Sie sind, wie ich glaube, jetzt so stark wie vor der Unterwerfung, nur daß sie sich unter unserer Herrschaft in mancher Hinsicht geläutert haben. Der Hang zur Gewalttätigkeit hat sich gelegt, das zielbewußte, entschlossene Handeln überwiegt. Diese Tatsachen richtig zu würdigen, muß euch schwerfallen, denn ihr kennt die Menschen lediglich als Sklaven. Wenn ich sie jetzt genau betrachte, so fällt mir an ihnen eine gewisse Ruhelosigkeit auf. Doch handelt es sich bei der Mehrzahl im Augenblick noch um ein verschwommenes Gefühl, dessen Ursache ihnen nicht bewußt ist. Ihren Anführern allerdings schon. Die Leute sind unruhig, weil sie unsere Herrschaft und den Zwang satt haben; ich hatte gehofft, gerade die mangelnde Klarheit ihrer Empfindungen ausnützen zu können, um ihnen die Lust zu einem Aufstand gegen uns zu nehmen. Ich hatte geglaubt, sie würden sich verleiten lassen, sich gegen ihre eigene Regierung zu empören. So zettelte ich eine Revolte an, die sich gegen ihre eigenen Leute und nicht gegen die Sarn richtete. Aber selbst ich habe sie unterschätzt. Grayth und Bartel, die leitenden Köpfe, erschienen vor mir, begleitet von Drunnel, der ihr Nebenbuhler und mein Werkzeug war. Ich verurteilte Grayth und Bartel. Dann aber erschien Äsir, wie er sich nannte, ein dreidimensionaler schwarzer Schatten, dessen Gestalt einem Menschen ähnelte, obwohl sich in dem 245 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wogenden Schwarz keinerlei Gesichtszüge bilden konnten. Er behauptete, er bestehe nicht aus Materie, sondern sei die Kristallisation des Sehnens aller menschlichen Wesen, die jemals im Ringen um Freiheit gestorben seien. Äsir sprach auf telepathischem Wege, von Geist zu Geist, und erklärte uns, wer er sei; allen Menschen und Sarn in der Halle des Gerichts war seine Aussage klar vernehmbar. Er streckte die schwarze Hand aus und berührte Drunnel. Der Mann stürzte sofort zu Boden und zerfiel in Stücke wie ein brüchiges Gefäß. Die Leiche war im Nu glashart gefroren. Ich ließ daher Grayth und Bartel frei. In der Halle ist eine Atomsprungdüse eingebaut; bei Einsatz der Höchststärke ist sie imstande, in der Minute zweitausend Millionen Kubikmeter Materie zu vernichten. Ferner besitze ich dort einen AtomFlammenwerfer, mit dem ich auch aufs genaueste zielen kann und der ausreicht, 20 Tonnen Stahl in der Sekunde zu schmelzen. Diese Waffen setzte ich auf Äsir an. Was aber geschah? Die finstere Erscheinung absorbierte alles - ohne einen Laut oder elektrostatische Entladung und ohne daß dieser dreidimensionale Schatten sich aufhellte.“ Die Mutter der Sarn verzog den Mund zu einem schwachen, spottischen Lächeln. „Ich verfüge auch noch über andere Waffen“, fuhr sie fort, „wie den ‚Tod der Mutter’, den ich einmal vor dreizehnhundert Jah246 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ren gegen eine aufrührerische Stadtmutter gebrauchte. Sie hieß Tathan Shoal und war von Bish-Waln.“ Die geschlitzten Augen der Mutter funkelten vergnügt, während sie die gegenwärtige Mutter dieser Hauptstadt Afrikas musterte. „Tathan Shoal hatte die irrige Vorstellung, daß es ihr Vorteil bringen werde, wenn sie mich angriffe. Sie kam mit vielen Waffen angerückt, einschließlich eines Abwehrschirms, der jeden Angriff unschädlich machen sollte. Der Versuch, sie zu überzeugen, kostete mich die Südwand der Halle des Gerichts und eine tatkräftige und tüchtige Verwaltungsbeamtin. Denn das war sie gewesen. Tochter von Targlan, es ist für unser Volk am besten, wenn wir Wissen miteinander teilen. Erzähle deiner Schwester von Bish-Waln von den bemerkenswerten Fortschritten, die deine Physikerin mit dem Feld gemacht hat, das sie R-439-K nennt.“ Die Mutter von Targlan verzog keine Miene, nur eine leichte Röte huschte über ihr Gesicht und ihre Augen funkelten böse. „Es handelt sich um ein Kraftfeld“, sagte sie in heiterem, liebenswürdigem Ton. „In seinem Bereich verursacht es den Zerfall der Atome und führt eine Spaltung herbei, die sich ständig ausbreitet, solange der Generator betrieben wird. Notgedrungen ist das Feld kugelförmig, es zerstört jedoch den Generator zu 247 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schnell. Als eine Art Bombe ließe es sich ausgezeichnet verwenden.“ Diesen letzten Satz fügte sie hinzu, als ob sie einem bitterbösen Wunschtraum nachhinge. Die Mutter der Sarn schmunzelte und nickte der Mutter von Bish-Waln zu. Die Augen dieser Statthalterin blickten so zornig wie die ihrer Vorgängerin, als sie dem unausgesprochenen Befehl gehorchte. Doch ihre Stimme verriet keinerlei Gefühlsregung. „Meine Schwester, das Feld kann über eine gewisse Entfernung übertragen werden. Wenn es ellipsoide Form hat, geht der Generator nicht zugrunde, sondern nur der Projektor.“ Die Mutter von Uhrnol lächelte leicht. „Auch der Projektor muß nicht verlorengehen. Es ist zu betrüblich, daß ich von euren Bemühungen nichts erfahren habe. Ich hätte euch erhebliche Arbeit erspart.“ Jede von den dreien fühlte sich irgendwie erleichtert, denn keine von ihnen war allein zurechtgewiesen worden, keine hatte ihr Geheimnis von selbst preisgegeben. „Der entscheidende Punkt ist nun, daß niemand von euch dieses Feld unschädlich machen kann“, erklärte die Mutter der Sarn. „Ihr besitzt keinen Schutz dagegen. Vor etwa zweiundzwanzig Jahrhunderten entdeckte ich jene interessante Abwandlung des Feldes der Atomsprengdüse, und im Laufe der Jahrhun248 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
derte gelang mir die Projektion. Vor zehn Jahrhunderten hatte ich das Feld soweit gezähmt, daß es seine Energien in Form einer zylindrischen Röhrausstrahlte. Hätte Tathan Shoal noch fünf Jahrhunderte gewartet ehe sie mich angriff, hätte ihr Tod mich nicht die Südwand gekostet. Abzuschirmen vermag ich diese Kräfte allerdings nicht.“ „Ich auch nicht“, gestand jede der drei Stadtmütter. Ihr Ton verriet, wie schmerzlich sie die Niederlage empfanden. Denn jede hatte gehofft, das Feld, das nicht abgeschirmt werden konnte, würde sie selbst schützen, wenn sie sich der alten Hexe entledigten der „unsterblichen Mutter der Sarn“, die nun über sie herrschte, obwohl sie einer längst entschwundenen Generation angehörte. „Äsir nahm den ‚Tod der Mutter’ mit seinem schwarzen Leib auf und gewann daraus anscheinend noch Kraft“, fuhr die Mutter leise fort, „Jedenfalls versagten der Apparat und der Atomgenerator der ihn speiste infolge Überlastung. Es wäre vielleicht weise, enger zusammenzuarbeiten als bisher. Erinnert euch daran, daß unser Volk schon einmal einen höchst erbitterten Kampf mit diesen Menschen auszufechten hatte. Wofür haltet ihr Mütter der Städte diesen Äsir?“ Die Mutter von Targlan machte eine ärgerliche Bewegung. „Unter den Menschen meines Bezirks gibt 249 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
es Hanswurste, die ihre Artgenossen mit Gaunerkunststückchen belustigen. Die Menschen besitzen steife Beine, die sich nur in bestimmten, wenigen Gelenken betätigen lassen. Dieser Mangel an Biegsamkeit dient ihnen manchmal zur Unterhaltung. Sie können zum Beispiel die Steifheit noch erhöhen, indem sie Stangen aus Leichtmetall nehmen, als wären es verlängerte künstliche Knochen. Ich habe solche Narren auf Stelzbeinen herumspazieren gesehen, die sich nicht dreieinhalb, sondern fünf Meter groß erscheinen lassen.“ „Die Hanswurste meines nordamerikanischen Kontinents gehören einer minderwertigen Sorte an“, meinte die Mutter der Sarn honigsüß. „Sie sind nur dreieinhalb Meter groß. Aber -“ „Viele meiner menschlichen Untertanen haben bewiesen, daß sie sich untereinander mit Gedanken zu verständigen vermögen“, bemerkte die Mutter von Bish-Waln. „Wenn diese Eigenheit dir bei deinem Volk neu ist, wird es -“ „Ach, die Menschen Nordamerikas sind offensichtlich weniger begabt“, unterbrach die Mutter sie. „Aber ich möchte gerne Näheres über diese Hanswurste und Gedankenleser wissen. Absorbieren sie vielleicht auch Strahlen von Atomsprengdüsen zur Stärkung oder wärmen sich an einer gezielten Flamme? Belasten sie auch eure Generatoren für Atomzertrümmerung so sehr, daß sie diese in geschmolzenen Plun250 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
der verwandeln? Oder erinnern sie sich vielleicht besser als ihr selbst daran, daß die Mutter der Sarn die Menschen sowie ihre Seelen und ihre Kunststückchen während eines Zeitraums beobachtet hat, der das Achtfache eurer keineswegs unbedeutenden fünfhundert Jahre beträgt? In der Halle befanden sich Menschen, Sarn und ich. Auf telepathischem Wege sprach Äsir zu uns allen, er erzählte uns eine Mythe von seiner Entstehung aus stofflosen Willenskräften. Auf seine Weise benahm er sich recht lärmend und auffallend. Er war auch ein hervorragender Psychologe. Wäre ich gewarnt gewesen, hätte ich zuvor von seinem Erscheinen gewußt und genügend Zeit zum Überlegen gehabt, dann hätte ich weder die Sprengdüse, noch die gezielte Flamme oder den ‚Tod der Mutter’ gegen ihn gerichtet. Nun habe ich eine Frage an euch. Ihr durchschaut das betrügerische Kunststück meines dreieinhalb Meter großen Hanswursts und die Finten meines Telepathen, der euch ein wenig zurückgeblieben vorkommt. Erkennt ihr auch die Botschaft, die Äsir meinem Verstand, nicht meinen Sinnen übermittelt hat? Er sprach sie nicht aus, sondern ich mußte sie aus seiner Handlungsweise entnehmen.“ Die Mutter der Sarn blickte von einer zur anderen in der Runde des Konferenztisches, und aus ihrem Elfengesicht war 251 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
alle Freundlichkeit gewichen. Peinlich berührt duckten die Stadtmütter sich unter dem Peitschenhieb beißenden Hohns. Die Mutter der Sarn senkte die Stimme und sprach noch leiser. „Mummenschanz für Narren, meine Töchter! Eines bewegt mich sehr: ihr habt euch von dieser Mankerade so ablenken lassen, daß ihr deren Zweck nicht erfaßt, und ihr seid noch stolz auf eure Klugheit, nur weil ihr erraten habt, daß ein Mensch dahintersteckt. Doch ich bin erzürnt, daß ihr nicht nur den Geist eines Menschen von außerordentlich scharfem, genialem Verstand unterschätzt, sondern auch meine geistigen Fähigkeiten. Menschen sind kleiner, besser diesem Planeten angepaßt als wir. Die Menschen haben es inzwischen gelernt, Größe zu achten, denn die Herrscherrasse ist groß. Ist Äsir also ein Narr, wenn er sich selbst noch größer macht und seine schwächliche Gestalt mit einer schwarzen Masse eindrucksvoll umhüllt? Uns wachsen keine Haare auf dem Kopf wie den Menschen, sondem die nützlicheren ‚Strath’, die für den Menschen eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer eigenen telepathischen Fähigkeit haben; denn wir sind imstande, uns über Dinge zu unterhalten, die sie nur durch Kurzwellengeräte senden und empfangen können. Ist Äsir also ein Tor, wenn er selbst Telepathie an252 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wendet unc tatsächlich von Geist zu Geist spricht? Die Grenzen für Ultrakurzwellen kennen die Menschen, und sie wissen, daß ihr Wirkungsbereich am Horizont endet. Aber es ist ihnen nicht bekannt, ob der Telepathie irgendwelche Schranken gesetzt sind, und sie finden diese Kunst daher wundervoll. Jene Maske, meine Töchter, war nur für die Menschen bestimmt für die unruhige Masse, die noch nicht weiß, was sie will. Für mich war diese gespenstische Verkleidung nicht gedacht, wenn mir Äsir auch zu verstehen geben wollte, was die übrigen sahen und hörten. Ich bin stolz auf meine Menschen, Töchter. Aber um euch bangt ich. Ihr habt nicht die Einsicht gezeigt, die jener Mensch von euch erwartete. Die Gedankenübertragung war nicht die eigentliche Botschaft, die er mir übermitteln wollte. Durch sein Verhalten erklärt er mir: ,Mutter, ein neues Gleichgewicht muß erreicht werden. Du bist die Beherrscherin der Erde - mich ausgenommen. Ich forder dich heraus, deine Waffen zu erproben; du hast sie in deinem Thron eingebaut, wie ich und jeder Bewohner der Welt wissen. Sieh zu ob du mich vernichten kannst. Und als ich, ohne zu überlegen, mich von der sichtlichen Bedrohung durch seine schwarze Riesengestalt hinreißen ließ, ihm den Willen zu tun, sprach er weiter. Er berührte Drunnel, und der Mann fiel tot nieder. ,Ich besitze einen unbezwinglichen Schild’, verkündete er mir durch diese 253 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Tat, ‚und er ist mehr als das: eine Waffe. Mich kannst du nicht austilgen, Mutter der Sarn, aber ich habe die Macht, dich zu töten. Daher laß uns nach einem neuen Verhältnis der Kräfte trachten. Du bist imstande, mein ganzes Volk zugrunde zu richten - abgesehen von mir. Und ich vermag dich oder jeden beliebigen Sarn zu vernichten. Lasse diese zwei, Grayth und Bartel frei, und dann wollen wir weiter unterhandeln, Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt für übereilte Entscheidungen!‘ Äsir, meine Töchter, ist wahrlich kein Dummkopf. Er ist auch kein Gaukler - höchstens wenn es seinen eigenen wohlüberlegten Absichten dient - sondern ein Geist von erstaunlicher Kühnheit des Denkens. Er hat etwas grundsätzlich Neues entdeckt, eine Waffe, die uns unbekannt ist und eine ungeheure Energie besitzt. Meine Töchter, ich habe Achtung vor ihm. Grayth und Bartel habe ich freigelassen, weil sie offenkundig bei diesem Spiel nur Figuren sind, die als Pfand dienen. Zumindest sind sie zwei der wenigen Menschen auf Erden, von denen ich zuverlässig sagen kann, daß sie nicht Äsir sind. Und mir ist einer lieber - die Stimme der Mutter klang spöttisch und bitter - ,der von mir so viel Vernunft erwartet, daß ich die Maskerade durchschaue und die Lauterkeit der Gesinnung dahinter erkenne, als jene, die mich über Taschenspielertricks aufklären und mich auf die Minderwertig254 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
keit meiner Menschen aufmerksam machen wollen.“ „Du liest Worte, die nirgends geschrieben stehen“, bemerkte die Mutter von Targlan gleichmütig. Für eine Sekunde loderte in den Augen der Mutter eine weißglühende Wut auf, ein flammender, unnachsichtiger Zorn über soviel unverhohlene Dummheit. Dann wich der Gefühlsausbruch einer tiefen Besorgnis. Die Mutter der Sarn war nicht menschlich, genausowenig wie die Züge ihres Elfengesichts. Als Menschenantlitz wäre es mißgestaltet gewesen, denn es hatte ein spitzes Kinn, einen winzigen Mund, goldene Augen mit senkrechten Schlitzpupillen und giebelförmig aufstrebendes Haar, das gar keines war. Dennoch bestand eine grundlegende Ähnlichkeit, weil sie zwei Augen, einen Mund und eine hohe, runde Stirn besaß. Ihr Körper war für menschliche Begriffe wunderlich geformt, aber auch hier entdeckte man eine gewisse Übereinstimmung, weil die gegliederten schlangenförmigen Arme hoch am Rumpf saßen und zwei Beine vorhanden waren. Dennoch war sie keine echte Sarn. Denn sie war unsterblich und in ihrem Denken keinem Wandel unterworfen inmitten einer veränderlichen Umgebung mit ihrem Werden und Vergehen. Die Mutter konnte sich noch lebhaft an ihren Heimatplaneten erinnern, der in kosmischen Staub zerfallen war. Und sie hatte 255 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
noch jene großen Sarn im Gedächtnis, die wagemutig eine neue Welt erobert hatten, und sie war einer menschlichen Kultur eingedenk von einer Großartigkeit, die den Errungenschaften des heutigen Sarnstaates nahezu entsprochen hatte. Der gleiche Vorgang, dem sie ihre Unsterblichkeit verdankte, hatte sie unfähig gemacht, Nachkommen zu haben. Es gab kein unmittelbares Bindeglied von ihr zu dieser neuen Generation. Sie war mit ihr nur durch einen Himmelskörper verbunden, den die Zeit ausgetilgt hatte. Viertausend Jahre hatte sie über die Erde geherrscht. Weitere zweitausend Jahre hatte sie vorher auf der ‚vergessenen Welt’ verbracht, ehe der verzweifelte Versuch unternommen worden war, umzusiedeln. Diese Geschöpfe, diese Sarn, die sie umgaben, waren wie Eintagsfliegen, mochten sie auch fünfhundert Jahre zählen. Sechzig Jahrhunderte bedeuten für jeden Verstand eine gute Weile. In dieser langen Zeit erschöpfen sich alle Regungen außer einer: der Wißbegierde, dem Frage- und Antwortspiel des Geistes. Das Streben nach Wissen bildete den ausschließlichen Lebensinhalt der Mutter, denn keine anderen Gedanken nahmen mehr einen nennenswerten Raum ein. Die hatte sie schon längst abgetan. Wegen ihrer Unsterblichkeit gehörte sie nicht zu 256 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den Sarn, denn sie hatte es seit sechstausend Jahren nicht mehr mit Ebenbürtigen zu tun. Der Verstand, der sich hinter Äsirs schwarzem Mantel verbarg, war der scharfsinnigste und edelste, den dieser Planet je gesehen hatte. Und dieser Mensch wußte es zu würdigen, daß auch sie, die Mutter der Sarn, weise und kühn dachte. Die Stadtmütter jedoch nicht. Langsam wandte die Mutter der Sarn die Augen von der Mutter von Targlan ab. „Die Worte, die das Geheimnis dieser schwarzen Erscheinung lüften, findest du nirgends aufgezeichnet“, sagte sie milde. Diese Wesen hier waren die Töchter ihres Volkes. Sie waren Äbkömmlinge jener Sarn, die sie gekannt und geliebt und mit denen sie im Laufe von sechstausend Jahren zusammengearbeitet hatte Diese „Ich muß unbedingt mehr über Äsirs Mantel erfahren und ihr genauer untersuchen.“ Sie seufzte. „Und ihr, meine Töchter, dürft einen Feind nicht unterschätzen. Denn die Menschen sind unsere Gegner, fürchte ich, oder werden es bald sein. Lange Zeit sind sie Sklaven gewesen, aber sie haben sich weiterentwickelt. Das geschieht bei ihnen schneller wegen der kurzen Lebensdauer. Und vergeßt mir eines nicht: mindestens einer von ihnen ist ein Genie, und sein geistiges Vermögen reicht aus, eine Abwehrwaffe zu entwickeln, die allen uns be257 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kannten überlegen ist. Das allein bedeutet eine ständig drohende, außerordentliche Gefahr.“ Für Sekunden, die sich endlos dehnten, blieben die Stadtmütter stumm sitzen. Wie die Mutter vorausgesehen hatte, waren diese Gedankengänge höchst beunruhigend für sie. Ihre matriarchalischen Seelen empörten sich bei der Vorstellung, daß es einen Menschen gab und noch dazu einen Mann, der fähig war, wissenschaftlich etwas zu entwickeln, das allem, was sie selbst besaßen, überlegen war. „Wenn er diese bemerkenswerte Waffe hat, gegen die wir uns nicht wehren können und die für uns tödlich ist, dann bin ich ihm äußerst dankbar, daß er unserem Volk gegenüber soviel Güte gezeigt hat“, erklärte die Mutter von Targlan. Ihre wohlklingende Stimme war zuckersüß. „Er hat weder einen seiner Landsleute mit ihr ausgerüstet, noch uns in irgendeiner Weise angegriffen.“ Die sieben anderen Stadtmütter rückten sich zurecht und setzten sich steifer in ihre Stühle, sie blickten mit erfreutem Schmunzeln auf das zarte kleine Gesicht der Mutter der Sarn. Die lächelte säuerlich. „Ohne Zweifel würdest du selbst es tun, wenn du eine derartige Waffe besäßest“, räumte sie ein. Stumpf und gleichgültig sah ihr die Mutter von Targlan unverwandt in die wütenden und zugleich bekümmerten Augen. 258 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Du aber hast nichts anderes getan, als tausend Pfund Wolfram zu verlangen, wenn du sie benötigtest“, fuhr die Mutter sie an. „Oder du bestelltest fünfzig Oszillatorröhren Nummer 27-R-29, wenn du hofftest, einen wirksamen Lügendetektor herzustellen. Nebenbei bemerkt besitze ich einen wirksamen Apparat, um etwas unsichtbar zu machen, während dein Lügendetektor versagt hat. Du tätest weit besser daran, deinen gesunden Sarnverstand zu gebrauchen und mit einfachen Mitteln zu arbeiten, statt mit teurem Firlefanz, der nichts taugt. Letzte Woche hast du eine Spionin nach einer der anderen Städte entsandt, die eine recht mangelhafte Tarnkappe aufhatte. Ich beobachtete sie von hier aus. Sie löste sieben verschiedene Alarme aus und fing sich schließlich in einer ergötzlich schlauen Falle. Deine Schwester hält mehr von Einfachheit als von umständlichem Krimskrams.“ Stumm und steinern saß die Mutter von Targlan vor ihr. Die Schlitze ihrer Augen zogen sich langsam zusammen vor brennendem Haß. Die alte Hexe wurde heimtückisch. Doch die „alte Hexe“ war nur müde. Diese Zänkereien und Verdrießlichkeiten mit den Stadtmüttern, die zu wenig zu tun hatten, um ihre Zeit auszufüllen, hatte sie bis zum Überdruß satt. Außerdem hatte sie vierzig Stunden nicht geschlafen, und das machte sich bemerkbar. Zudem war die Mutter von Targlan in einem unerträglichen Maße dumm. 259 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Gespannt hatte die Mutter von Bish-Waln zugehört. Aus TargJan also war die Spionin gekommen. Und die alte Mutter war trotz ihrer albernen Schwäche für die Menschen recht vernünftig. Das Geheimnis des Erfolges ist Einfachheit! Zwar hatte diese Spionin tatsächlich eine beängstigend umfangreiche und ausgeklügelte Apparatur getragen, aber sie war selbst im Tode erstaunlich schwer zu sehen gewesen. Immerhin - als sie niederfiel, hatte es geklirrt, als sei eine Glasfabrik zusammengestürzt. „Um auf meine Bemerkungen zurückzukommen“, sagte die Mutter der Sarn unvermittelt. „Ihr habt immer alles erhalten, was ihr wolltet - außer Anweisungen für eure Arbeit“, fügte sie mit einen Aufblitzen ihrer winzigen spitzen Zähne von grünlichem Weiß hinzu. „Wenn ihr Material anfordert, wird es euch geliefert. Doch wenn ein Mensch Material benötigt, stiehlt er es. Und eines will ich euch zugute halten: ihr seid beachtlich tüchtige Verwaltungsbeamtinnen gewesen. Die Maßnahmen gegen Diebstahl, die ihr ausgeheckt habt, sind hervorragend. Aber ich hoffe, daß euch gerade die trotzdem noch vorkommenden Diebstähle der Menschen überzeugen, wie schlau sie sind.“ „Das sind Ratten auch“, warf die Mutter von Targlan bissig ein. „Aber sie sind nicht klug.“ „Sehr richtig“, gab die Mutter zu. Die Statthalterin von Targlan wurde allmählich leicht ärgerlich und das 260 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
freute die alte Mutter der Sarn insgeheim, die schon selber sehr ärgerlich war. „Doch die Menschen sind beides: schlau und klug! Ich brauchte zwölf Jahre, ehe ich darauf kam, wieso jeden Monat annähernd dreißig Unzen Platin trotz meiner elektrostatischen Gleichgewichtsdetektoren spurlos verschwanden. Jetzt müssen sich alle Arbeiter Fingernägel und Haare kurz schneiden. Es war wirklich verblüffend, wieviel Staub sie auf diese Weise wegtragen konnten. Um Material zu erhalten, müssen die Menschen stehlen. Und es dürfte ihnen ziemlich schwerfallen, Stoffe wie metallisches Caesium, Fluorgas und seltene Gase wie Helium und Neon zu hamstern. Unglücklicherweise wird meiner Erfahrung nach auch eine beträchtliche Menge wichtiger Energie aus Atomlampen gewonnen, die sich die Menschen auf ausgesprochen geschickte Art aneignen.“ Die Mutter wies mit einer Kopfbewegung auf die leise rauschenden Lampen über ihren Köpfen. „Deine Arbeiter verstecken also vollständige Atomlampen unter ihren Nägeln?“ fragte die Mütter von Targlan anzüglich. „Dann sind deine Vorkehrungen gegen Unehrlichkeit in der Tat bemerkenswert. Der Atomzertrümmerer einer einzigen Lampe würde Energie für eine gefährliche Waffe liefern. Sie haben eine Ladestärke von fast zehntausend Pferdekräften.“ Die Mutter der Sarn lächelte. „Wieviel Atomlampen hast du eingebüßt, weil sie dir entwendet wurden, 261 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
meine Tochter?“ „Keine! Nicht eine einzige!“ brauste die Mutter von Targlan auf. „Und wie steht es mit Lampen, die beim Brand menschlicher Behausungen verschwanden?“ „Das waren vielleicht zehn im Jahr.“ „Dann würde ich sagen, daß sich die Menschen fünf im Jahr heimlich angeeignet haben. Ich habe nachgewiesen, daß zwei Häuser bis auf den Grund niederbrannten, damit sich die Bewohner die ersehnten Atomlampen beschaffen konnten.“ „Wir verlangen, daß uns das zerstörte Gerät vorgelegt wird“, erklärte die Stadtmutter hochmütig. „Ausgezeichnet“, seufzte die Mutter. „Eine weise Verordnung. Läßt du die geschmolzenen Überreste von einem Chemiker untersuchen? Das Scandium zu beschaffen, fällt den Menschen im allgemeinen schwer, und bei den Analysen sind nur kärgliche Spuren zu entdecken, doch die anderen Elemente findest du gewöhnlich alle. Die Menschen schmelzen eine sorgfaltig zusammengestellte Mischung aller erforderlichen Stoffe zusammen, mit Ausnahme des Galliums. Doch bei dem können sie immer behaupten, es sei verdampft.“ Bestürzt blickte die Mutter von Targlan sie an. Die Mutter der Sarn zwinkerte vor Genugtuung leicht mit 262 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den Augen. Diesen Trick hatte sie selbst erst vor vier Tagen erfahren. „Wie ich schon erklärt habe, fällt es den Menschen nicht leicht, Material und Apparaturen zu bekommen. Aber sie sind wirklich erfinderisch, und ich achte sie deshalb. Wenn ihr für die Sicherheit eurer Städte sorgen wollt“, ergänzte sie und blickte sich in der Tischrunde um, „würde ich euch raten, die Fähigkeiten eurer Gegner anzuerkennen. Nun wißt ihr auch, warum dieser Mensch, dieser Äsir, keinen größeren Schaden angerichtet hat. Er besitzt eine Waffe und einen schützenden Mantel, aber nur für seine Person. Solange er kein Material auftreibt, kann er nichts weiter unternehmen. Doch er wird sich die notwendigen Mittel besorgen.“ Der Ärger der Mutter war verflogen. Jetzt ging es um den Bestand der Sarn, dessen war sie sich bewußt. „Wenn er genügend gerüstet ist, ehe wir das Geheimnis seines Mantels ergründen, ist es mit der Herrschaft der Sarn auf diesem Planeten vorbei!“ Die Mutter von Bish-Waln sah die Unsterbliche fest an. Plötzlich sprach sie: „Ich habe die Menschen immer für dumm gehalten. Ich war der Meinung, daß sie wie die anderen Tiere eine gewisse Schlauheit zeigten, nur in verstärktem Maße. Doch wir, Mutter, erinnern uns nicht mehr an ihre Kultur, die sie besaßen, ehe wir kamen. Wie weit war sie tatsächlich entwik263 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
kelt?“ Durchdringend blickte die Mutter der Sarn die Stadtmutter einen Moment lang an. Wie ungewöhnlich: diese Statthalterin, die weniger als ein Zwanzigstel des Alters der Unsterblichen erreicht hatte, sah wesentlich älter aus. Ihr Gesicht, das nach Art ihres Volkes spitz zulief, war mit feinen Linien gezeichnet. Die dunkel gebräunten, wie in Leder geschnittenen Züge verrieten Kraft und zielbewußte Willensstärke. Sie herrschte über einen tropischen Kontinent, ihre Stadt lag mitten in der heißen, wolkenlosen Luft der Sahara, und sie war eine der tüchtigsten Stadtmülter. Die alte Mutter der Sarn lächelte flüchtig und nickte. „Im Augenblick kann ich dir sehr wenig darüber erzählen, aber ziehe deine Archäologin zu Rate. Sie ist eine hochbegabte und gelehrte Sarn. Ich kann nur kurz das Wesentliche andeuten. Als wir landeten, hatten die Menschen schon eine fünfzehntausend Jahre alte Kultur. (Nach ihrem Kalender schrieb man das Jahr 1977.) Sie hatten gerade zuvor Atomkraft ersten Grades entwickelt, einschließlich Dampfturbinen, die durch atomare Verbrennung geheizt wurden und elektromagnetische Generatoren betrieben. Sie beuteten die Mineralschätze der Welt aus, ihre Beförderungseinrichtungen waren zu einem geschlossenen Verkehrsnetz ausgebaut und arbeiteten vorzüglich. Und - von unseren zweiundfünfzig Raumschiffen verloren wir während der Eroberung neununddreißig. 264 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Sie kämpften klug, geschickt und mit tödlicher Entschlossenheit. Nur den Abschaum der Menschheit nahmen wir gefangen und unterwarfen ihn; die besten fielen, weil sie mit einer grimmigen Hartnäckigkeit fochten, die uns entsetzte. Sie waren Kämpfernaturen, allerdings nur wenig geneigt, anzugreifen, aber bis zum Äußersten und zur Unvernunft gewillt, sich zu verteidigen. Dies verdient besonders erwähnt zu werden. Wenn sie gegen uns losschlagen, werden wir natürlich mit einem Gegenschlag antworten. Und darauf wird sich ihre ererbte Fähigkeit zur Abwehr voll entfalten. Kommt es dazu, kann ich euch allen Ernstes versichern: ob sie nun Waffen besitzen oder nicht, selbst wenn sie mit ihren bloßen Händen in die Schlacht ziehen, wird es lebensgefährlich sein, sich mit ihnen einzulassen. Sie merken nicht, wann es Zeit ist, Schluß zu machen. Es gehört zu einer guten Kriegskunst, aufzuhören, sobald man zehn Prozent seiner Streitkräfte eingebüßt hat und ein einigermaßen gerechter Frieden erzielt werden kann. Das sehen aber die Menschen nicht ein und werden es nie begreifen. Sie machen erst dann - und nur dann - ein Ende, wenn sie überzeugt sind, ihr Ziel erreicht zu haben. In dieser Hinsicht nehmen sie einfach keine Vernunft an. Jetzt aber besitzen sie Anführer, und ihr Oberhaupt ist Äsir. Durch ihn allein können und müssen wir sie im Zaum halten. Er kennt gefühlsmäßig ihre Einstel265 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
lung und wird daher versuchen, einen selbstmörderischen Krieg zu verhindern. Wenn wir unterdessen hinter das Geheimnis seines schwarzen Mantels kommen, werden wir imstande sein, weitere Schritte zu unternehmen.“ „Ich werde meine Archäologin fragen“, sagte die Mutter von Bish-Waln. „Du kannst über das furchtbare tödliche Menschengeschlecht erzählen, was du willst“, meinte die Mutter von Targlan ironisch, „doch es wäre tatsächlich wissenswert, den Mechanismus jenes Energieschildes kennenzulernen. Aber vielleicht ist Äsir nicht bereit, ihn uns zu erläutern. Und wenn du vorhin die Wahrheit gesprochen hast, wäre es doch höchst schwierig, ihn dazu zu zwingen.“ „Selbstverständlich würden wir den Mantel analysieren“, erwiderte die Mutter ungeduldig. Viele schlaflose, arbeitsreiche Stunden lagen noch vor ihr. „Vorhin habe ich meine Physikerinnen beauftragt, alle Instrumente, die sie für zweckmäßig hielten, im ‚Haus der Felsen’ aufzustellen.“ Verständnislos starrte die Mutter von Targlan sie an. Dann bemerkte sie spitz: „Es ist völlig unwahrscheinlich, daß Äsir sich von allen Gebäuden der Sarnstadt ausgerechnet diese Zwingburg für sein Erscheinen wählt.“ „Und sie werden in etwa eineinhalb Stunden gerü266 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
stet sein, ihn zu empfangen“, fuhr die Mutter fort, die es satt hatte, ständig unterbrochen zu werden. „Voraussichtlich wird Äsir Grayth zu Hilfe kommen, wenn wir ihn gefangensetzen. Um doppelt gesichert zu sein, werden wir auch Deya, die Sprecherin für die Frauen, mitnehmen. Grayth beabsichtigt sie zu heiraten, und ich bin überzeugt, daß Äsir helfen wird, sie zu befreien.“ Die Mutter von Bish-Waln runzelte leicht die Stirne. „Ist es nicht undiplomatisch, Mutter, diesen Mann festzunehmen und erneut freizulassen? Und wiederum nur, weil Äsir darauf besteht?“ „Daher wählte ich das ‚Haus der Felsen’. Kein menschliches Wesen kann sich ihm nähern, und wenn die beiden wirklich entkommen, weiß keiner davon außer jenen Leuten, die bereits Grayth und damit Äsir nahestehen. Diese Menschen wissen vielleicht schon besser als wir, über welche Kräfte Äsir verfügt, und sie werden dieses Vorgehen nicht als eine Verhaftung ansehen, die mißglückte, sondern als einen Test, der gelang. Den Eingeweihten wird unser Beginnen gut und nicht schlecht dünken. Die Mehrzahl der Mensehen wird gar nichts erfahren.“ „Wird es ihnen denn nicht auffallen, daß Grayth, ihr Wortführer, von den Sarn in Gewahrsam genommen worden und zurückgekehrt ist?“ fragte die Mutter von Drulon, das an der weit entfernten, sturmumbrausten Spitze Südamerikas lag. 267 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Nein“, entgegnete die Mutter. Sie streckte einen geringelten Finger gerade und drückte auf einen winzigen Knopf. In der pechschwarzen Wand am anderen Ende des großen Beratungsraums sprang ein silbernes Tor auf. Die schweren Metallflügel schwangen auseinander, eine Wächterin erschien im Türrahmen und nahm eine stramme Haltung an; es war eine stattliche Sarn, über zweieinhalb Meter groß. Ihre kräftigen, geschmeidigen Arrne durchzogen Muskelstränge, die einer Riesenschlange Ehre gemacht hätten. Die Aufmachung deutete auf den Rang einer Decalon hin, die jeweils eine Einheit von zehn Sarn befehligte. Ihr Mantel jedoch war von satt-dunklem Kastanienbraun, und in der Mitte hatte er mit goldenen, silbernen und purpurnen Metallfäden das persönliche Wappen der Mutter eingewebt. Und für jemanden, der mit der Gesichtsbildung der Sarn vertraut war, verrieten ihre Züge, daß sie keine gewöhnliche Decalon war. Die schlitzförmigen Augen lagen tief und standen weit auseinander. Der Mund zeigte Entschlossenheit, und das Gesicht, das bei einem Menschen spitz und klein gewirkt hätte, war für eine Sarn vierkantig und wuchtig. Die goldene Haut schimmerte bräunlich und war vom Wetter lederartig gegerbt; unzählige feine Linien durchzogen sie und deuteten auf eine ausgeprägte Persönlichkeit. Diese Sarn war nicht nur Anführerin von zehn Wachen. 268 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Decalon, bringe die Mäntel der Mutter und deine Leute“, sagtr die Mutter gütig. „Wir haben etwas zu erledigen.“ Die Decalon machte eine geräuschlose, scharfe Kehrtwendung und schloß die Metalltüre hinter sich. „Einst war Darath Toplar Befehlshaber der Wachtruppen der Sarnstadt. Jetzt ist sie Decalon. Das kommt daher, weil ich als Leib wache nur zehn Leute habe. - Wir befinden uns derzeit in einer sehr heiklen Lage. Ich habe jeder von euch etwas von den Dingen enthüllt, die sie als ihr ureigenstes Geheimnis betrachtete und manches von dem, das ich selbst bisher für mich behalten hatte. Jetzt werde ich euch die Mäntel der Mutter zeigen. Gerüchte darüber habt ihr sicher vernommen. Nun, sie stimmten. Die Mäntel besitzen die Eigenschaften, die man ihnen nachsagt. Sie sollen benützt werden, weil es notwendig ist.“ Die Decalon war wieder eingetreten, hinter ihr zehn mächtige, große Sarnkriegerinnen in der gleichen kastanienbraunen Uniform. Das Gesicht einer jeden zeugte von scharfem Verstand und treuer Ergebenheit. In den Armen der Decalon ruhte ein Holzkasten, der mit schweren silbernen Metallbändern eingelegt war. Sie stellte ihn am Ende des großen Beratungstisches nieder. Die Mutter entrollte ihre geschmeidigen Arme und holte mit der Hand aus, um einen genau zurechtgefeilten Metallstreifen über die ganze Länge des Tisches zu werfen. Mit einer Ge269 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
schicklichkeit, die ihre Vertrautheit mit dem Vorgang zeigte, steckte die Decalon es in ein verborgenes Schloß. Der Kasten sprang auf, und man sah einen Hohlraum, an dessen Seiten in einem Gestell zwanzig kleine Batteriebehalter angebracht waren, an denen eingerollte, biegsame Kabel hingen, sowie Stirnbänder mit merkwürdig gewölbten Schutzbrillen. Sonst war nichts darin enthalten. Die Decalon griff hinein und nahm mit geübten Bewegungen die Brillen und Batterien an sich. Dann machte sie sich in dem Hauptfach des Kastens zu schaffen. Die Hand, die sie hineingestreckt hatte, verschwand. Bald darauf wurde die Decalon auf sonderbare Weise, Stück für Stück ausgelöscht, bis nur mehr ein Paar Füße übrigblieben, die sich allmählich ebenfalls verflüchtigten. Dann lösten sie sich in nichts auf, als hätte man Tarnstiefel darübergezogen. Kurz darauf schienen nur noch die Stadtmütter und die Mutter der Sarn im Raum zu weilen. Das Unbehagen der Stadtmütter sprach aus den fahrigen Bewegungen. Die Augen der Mutter von Targlan leuchteten wie goldene Feuer vor Wut und Verdruß. Diese - diese ausgewählten elf Sarn der Leibwache, die Spioninnen der Mutter, kannten jedes Geheimnis der Laboratorien in Targlan! Und die alte Hexe natürlich auch. Tausendmal mußte sie schallend gelacht haben, angestachelt von den vergeblichen Bemühungen 270 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und von den vereitelten Plänen, die von der Matter von Targlan ausgeheckt worden waren. Immer heftiger fühlte die Stadtmutter ohnmächtige Wut in sich auf steigen, die sie aber unterdrückte, weil sie ihre eigene Hilflosigkeit einsah. Selbst die Genugtuung, daß die Mutter eine alte schwatzhafte Vettel sei, blieb ihr versagt. Denn es wirkte wie Salz auf die Wunde, daß die Mutte- der Sarn anscheinend schon vor Jahrhunderten etwas zustande gebracht hatte, um das sie sich selbst verzweifelt, aber umsonst bemühte. Die Mutter verfügte über ein weit besseres Wissen als sie selbst. Wie ganz anders sah der Beratungsraum aus, in dem sich die Sprecher der Menschen getroffen hatten! Es war ein besonderes Amtszimmer der erwählten Vertreter und Wortführer der Menschheit. Eine tausendjährige Vergangenheit verlieh allem einen abgeklärten, warmen Ton; uralte Hölzer, über zehn Jahrhunderte lang blankgerieben und gepflegt, hatten eine schöne, weiche Patina angenommen. Hier leuchteten die langen Strahlenfinger der Nachmittagssonne nicht grell auf kalten schwarzen Stein; sie wurden milde von den prächtigen getäfelten Wänden zurückgeworfen, von denen jede Füllung aus einem anderen Holz war, das von den verschiedenen Kontinenten stammte. Der große Tisch in der Mitte war abgenützt und wo 271 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
die Arme von vierzig Generationen Sprechern geruht hatten, sah man sanfte Hügel und Täler; auch der dicke und gummiartige Boden war von deren Füßen ausgetreten. Doch wie in dem großen Ratssaal der Residenz der Sarn in der nahen Stadt, raschelten auch hier die Atom-Flammenlampen leise von zerfallenden Atomen und verliehen dem Licht der untergehenden Sonne einen weißen Schein. Nur vier Männer saßen an diesem Konferenztisch. Sie machten sich merkwürdige flinke Zeichen mit den Händen, und ihre Mienen waren gespannt. Doch blieben sie völlig stumm. Versammelt waren: Grayth, groß und schlank; Bartel, kleiner und derber gebaut, und der riesenhafte Carron. Dazu kam noch ein Mann: Darak, Grayths unmittelbarer Untergebener. Im Augenblick saß er schweigend unter ihnen, malte hin und wieder ein paar Schnörkel, die wie Topfhenkel aussahen, während sein rundes, unscheinbares Gesicht den Eindruck machte, als langweile er sich und andere. „Hier sind vier Männer im Raum, die mit Papier rascheln“, telepathierte Grayth seinen Gefährten. „Sicher wüßten die Sarn gerne, was es mit dem Schweigen auf sich hat.“ Carron verzog das breite Gesicht zu einem schadenfrohen Grinsen. „Nach einem Jahrtausend wird es Zeit, daß in diesem Zimmer ein wenig 272 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Stille herrscht. Die Mutter ist sich klar, daß wir uns jetzt nicht um ihre Angelegenheiten bekümmern. Aber ich glaube nicht, daß sie sehr erpicht darauf ist, Äsir nachzuforschen.“ Von einem entfernten Telepathen drang flüsternd eine Botschaft in ihren Sinn. „Die Mutter der Sarn hält selbst eine Beratung ab. Seit Wochen habe ich versucht herauszubekommen, wie der Denkvorgang bei den Sarn abläuft, ich erhalte aber nur Zusammenhangs lose Bruchstücke. Soviel ich erfasse, ist die Mutter müde, und die Stadtmütter sind störrisch. Doch ihre Überlegungen gehen in Bahnen vor sich, die sich gerade so weit von menschlichen unterscheiden, daß die Telepathen in einem Abstand von mehr als dreißig Metern unwirksam werden. Und auch der fleißigste Elektrotechniker kann nicht seine ganze Zeit darauf verwenden, im Sarnpalast Leitungen nachzuspüren.“ „Ware, ich würde dir raten, nichts zu unternehmen, was die Befugnisse eines gewöhnlichen Handwerkers überschreitet“, bat Grayth ihn hastig. „Und um Äsirs willen, bleibe daheim, wenn man weiß, daß du dienstfrei hast!“ „Habt ihr irgendwelche Entschlüsse gefaßt? Ich habe geschlafen und bin erst vor ein paar Minuten aufgewacht.“ Ware gähnte anscheinend. Jedenfalls klang es so. „Ich habe mich bemüht, irgendeinen Weg zu finden, um mehr Metall zu erhalten. Oh ihr Götter, wenn ich nur einen Tag lang in eines der Kraftwerke 273 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
der Sarn gelangen könnte, ich hätte eine Menge Dinge, die ich dringend fertigbauen möchte, aber ich verrate euch nicht, was ich brauche“, fuhr Ware fort. „Jeder Techniker, den man beim Stehlen von Metall erwischt, wird von den Sarn sofort getötet. Kein Mensch darf sein Leben für etwas aufs Spiel setzen, das ich mich selbst nicht getrauen würde. Außerdem sind für uns zwei Berufe lebensnotwendiger den je: Techniker und Soldaten. Die Menschen haben keine Kriege geführt und sind ungeübt in dieser Kunst. Carrons Legionäre sind unsere einzige ausgebildete, erfahrene Truppe, die willens und gefühlsmäßig zum Kämpfen geeignet ist. Und wenn sie außerdem noch Techniker sind, können wir sie nicht entbehren. Hast du Darak gesagt, was zu tun ist, und ihm die Scheiben gegeben?“ Ware sprang unvermittelt auf etwas anderes über, als wolle er ihnen bedeuten, der Fall sei für ihn erledigt. Carron sollte nicht erfahren, welche Metalle Ware benötigte, sonst hätte er sie doch irgendwie beschafft. Leise erwiderte Darak: „Ich bin im Bilde und habe die Scheiben bei mir - fünfundzwanzig Telepathen, jeder mit einer Einrichtung versehen, die ihn zerstören kann und die auf einen Schlüsselgedanken anspricht. Wie man dieses Vernichtungsinstrument ausschaltet, wenn ich ordnungsgemäß geliefert habe, weiß ich auch. Grayth hat sich ausreichend mit amtlichen Eilschreiben für die Städte Durban und Targlan versorgt. 274 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
In zweiundzwanzig Minuten starte ich.“ „Dann wünsche ich dir viel Glück, Darak.“ „Ich danke dir. Sollte es vielleicht heißen: Das Glück der Götter begleite dich?“ „Ja, das Glück Äsirs, um ganz genau zu sein.“ Ware lachte. „Du wirst die Verbindung mit mir nur aufnehmen können, wenn ich den großen Telepathen hier im Laboratorium verwende. Kennst du die Sendezeiten?“ „Ja, danke.“ „Auch wir werden uns auf die Beine machen.“ Carron erhob sich schwerfällig. Seine riesige Gestalt ließ selbst den großen Beratungstisch klein erscheinen. Und da er zum ersten Mal laut sprach, schien seine polternde Stimme den Raum förmlich zu sprengen. „Ich bringe dich zum Tor der Sarnstadt, Darak.“ Er blickte auf die geschäftigen Finger des stellvertretenden Wortführers hinunter. Sie waren rundlich, ziemlich dick und plump, dabei wirkten sie weichlich. Doch unter diesen unglaublich geschickten Fingern verschwand ein Tintenfaß und kam wieder zum Vorschein. Dann verwandelte es sich unter der streichelnden Berührung seiner molligen Patschhand aus einem runden, roten Flaschchen in ein viereckiges schwarzes. „Danke, Carron. Grayth, hast du die Depeschen vorbereitet?“ Daraks Stimme klang für einen Mann ziemlich hell und farblos. Doch Darak war 275 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nach Ware - der klügste Mensch seiner Zeit. Freilich besaß er eine völlig andere Wesensart als Grayth. Dieser war ein Mann der Tat, er verstand es als einziger, mit dem richtigen Einfühlungsvermögen die Massen zu einigen und mitzureißen. Ware war Wissenschaftler. Die jahrhundertelangen Bemühungen der Sarn, fähige menschliche Techniker auszubilden, waren ihm zugute gekommen. Und Darak? Er vereinte in seiner Person den Wissensdurst Wares, das psychologische Feingefühl Grayths und die Begeisterung für entschlossenes Handeln, die Carron zu dem gemacht hatte, was er war. Grayth schob Darak einen Stoß Papiere zu, ein dickes Bündel, das bauchig und gewellt war. Darak steckte die Blätter flink in eine Aktenmappe, die er bei sich trug. „Einem Übel muß ich abhelfen - das Metall schimmert hervor“, teilte er über den Telepathen mit. Fünfundzwanzig silberne Scheiben blitzten kurz zwischen den Dokumenten auf, die er rasch durchblätterte. Nachdem er sie mit seinen dicken Fingern berührt hatte, waren sie nicht mehr zu sehen. „Es ist alles hier“, sagte er laut. „Lebt wohl. In etwa vier Tagen dürfte ich zurück sein.“ Das Geräusch, das er mit seinen Füßen auf dem Boden machte, war unerheblich; dies war schwieriger als ein lautloser Gang. Ein unauffälliger Schritt muß 276 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gerade so viel Lärm machen, daß man ihn hört, ohne besonders darauf zu achten. Ein völlig geräuschloses Auftreten wäre bei einem ziemlich kräftig und schwer gebauten Mann nicht unbemerkt geblieben. Darak spazierte durch die äußeren Amtsräume, an Reihen von Sekretären und Schreibern vorbei; sie arbeiteten an statistischen Zahlen, die sie aus der ganzen Welt erhielten und die sie für Grayth und die Regierung sammelten und auswerteten. Als Darak vorüberging, blickten zwei von ihnen auf, aber keiner nahm ihn wahr. Sie übersahen ihn gänzlich; aber auch die elf Sarn entgingen ihnen, die in entgegengesetzter Richtung auf weichen Zehenpolstern, die ihnen die Natur verliehen hatte, unhörbar hereinschlichen. Weder Darak noch die stillen Gäste wünschten gesehen zu werden, als sie, jeder in ihrer eigenen Tarnkappe, unterwegs waren. Der hünenhafte Carron und Grayth wechselten noch ein paar Abschiedsworte in der offenen Türe. Bartel empfahl sich, Carron aber, der die Tür für sich selbst weit aufgerissen hatte, verweilte noch ein wenig auf der Schwelle. Drei Sarn, die Carron mit seinen fast zwei Metern noch überragten, glitten auf leisen Sohlen in den Beratungsraum. Der Kommandant der Friedenslegion schloß hinter sich zu, und Grayth blieb allein und schweigend zurück. „Äsir - Äsir - Äsir“ rief er über den Telepathen flehend aus. 277 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Ja?“ fragte Ware bündig zurück. „Drei Sarn halten sich bei mir im Zimmer auf, sie sind unsichtbar. Acht weitere warten in den äußeren Amtsräumen. Carron und Bartel versuchen beide, dich zu erreichen. Sie standen neben mir und haben das Eindringen der drei Getarnten verzögert. Auch die übrigen Sarn sind nicht zu sehen. Ihre Gedanken kann ich auffangen, aber nicht enträtseln.“ „Das weiß ich, aber ich habe gelernt, sie zu ‚hören’. Wegen der verschiedenen Denkweise erfordert das eine geringe Anpassung. Ich versuche nun, sie zu verstehen. Sie sind zu weit entfernt. Das gefällt mir nicht.“ „Grayth, Wortführer der Menschheit!“ ertönte die Stimme der Decalon aus der Luft; sie redete mit der merkwürdigen Betonung der Sarn und bediente sich der Sprache, die Menschen und Sarn gemeinsam benützten. Grayth zuckte zusammen, blickte um sich, schüttelte heftig den Kopf und streckte die Hand nach dem Klingelknopf aus, um jemanden herbeizuholen, während er zweifelnd und unglücklich dreinsah. „Halt!“ fuhr die Sarn ihn an. Grayths Hand verharrte in der Schwebe. „Die Mutter schickt uns. Steh auf und komme mit.“ „W-wo bist du? Bist du -“
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Unvermittelt verstummte Grayth. Die mächtige, von Muskelsträngen durchzogene Pranke einer Sarn hatte ihn plötzlich gepackt, und gleichzeitig senkte sich tiefe Finsternis über ihn herab. Es wurde so undurchdringlich schwarz um ihn, daß die Dunkelheit ihn wie ein festes Tuch umhüllte; aber welches Material wäre dünn und geschmeidig genug dazu gewesen? Ein ganz weiches, schwaches Rascheln drang an sein Ohr, und es war ihm, als ziehe und rücke die Sarn an dem Überwurf, um ihn in die richtige Lage zu bringen. „Wir tragen den Mantel der Mutter“, sagte die Wache scharf, und es klang wie der Ton einer Flöte. „Du verhältst dich ruhig. Kein Wort, keinen Laut! Verstanden?“ „Ja“, seufzte Grayth. Dann setzte er in Gedanken fort: „Du hast meine Eindrücke aufgefangen, Ware?“ „Ja“, flüsterte es und gab ihm die beruhigende Gewähr, mit einem anderen Menschen fest verbunden zu sein. Doch die Schwärze, die völlige Düsternis verwirrte ihn und ließ eine panische Angst in ihm aufsteigen. Die riesigen, athletischen Arme der Sarn, das Unheimliche, von unsichtbaren Wesen verhaftet zu werden, jagten ihm einen unüberwindlichen Schrekken ein. Dann drangen Wares kraftspendende Gedanken zu ihm: „Dieser schwarze Mantel hat mit meinem nichts zu tun. Ich vermute, daß er durch die vollkom279 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
mene Brechung des Lichts um deinen Körper verursacht wird. In diesem Fall müßtest du selbst blind sein für Licht, da dein Sehorgan seiner Natur nach gegen Helligkeit empfindlich ist. Wehre dich leicht. Streife über das Gesicht einer der Wachen.“ Grayth erschauerte. Eine Sarn machte sich flink an seinen Füßen zu schaffen. Ein Zittern überlief ihn, und einen Augenblick lang erwehrte er sich der machtvollen Arme und entwand sich durch einen plötzlichen Ruck überraschend ihrem Zugriff; dabei holte er, keuchend Atem, als sei er kopflos vor Furcht. Tastend schlug er heftig um sich. Bei dem leisen, aber scharf hervorgestoßenen Befehl der Decalon beruhigte er sich zum Schein wieder mit einem Aufseufzen, das fast wie ein Schluchzen klang. „Schutzbrillen“, bemerkte Ware gelassen. „Wahrscheinlich wandeln sie das einfallende Licht in Ultraschwingungen um und ermöglichen so die Sicht, während die Sarn selbst verborgen bleiben.“ Ganz stark hatte Grayth jetzt den Eindruck, daß etwa fünfzig andere Menschen an diesem Gedankenaustausch teilnahmen; sie befanden sich irgendwo in dieser Gegend und in der Sarnstadt, in der die Sache der Menschen wie der Sarn entschieden wurden. „Du mußt sie aufhalten“, fühlte Grayth jemanden Ware zuraunen. „Befreie ihn. Man setzt ihn heimlich gefangen und hofft ihr dorthin zu schaffen, wo Äsir ihn 280 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
nicht finden und retten kann.“ Das war jetzt Deya, die aufgeregt und ängstlich rief. Dieser jähe an Hexerei grenzende Überfall der unsichtbaren Wachen ließ sie um den Mann bangen, den sie liebte. „Bleibe, wo du bist, Ware!“ herrschte Grayth ihn an. „Sie treibei - führen - nein, tragen mich durch meine Amtsräume hinaus. In dreißig Sekunden werde ich keine Ahnung mehr haben, wo ich mich befinde; die Dunkelheit blendet mich und führt mich völlig irre.“ Unvermittelt spürte Grayth festen Boden unter den Füßen, dann stand er aufrecht und wurde von den vier Seilarmen der Sarnriesin herumgewirbelt. Einen Moment schien die Finsternis sich wie rasend um ihn zu drehen, dann wankte er auf seinen Beinen, ohne die leiseste Ahnung von seiner Lage zu haben, während man ihn gewaltsam weiterschob. „Bleibe, wo du bist! Ich weiß ohnehin nicht, wo man mich hingebracht hat, und ich bin überzeugt, daß man damit dir eine Falle zu stellen beabsichtigt; man will dich irgendwohin locken, wo die bereitgestellten Waffen der Mutter dich und damit alle Hoffnung der Revolution vernichten könnten. Sie will mich nur als Köder für dich. Also rühre dich nicht von der Stelle?“ Leise schallte Wares Lachen ihm durch den Sinn. „Wenn ich wüßte, wo du steckst, mein Freund, würde ich hineilen. Ich werde es bald genug erfahren. Zur rechten Zeit wird die Mutter dafür sorgen, daß du, und daher auch ich, es wissen. Es ist ihr bekannt, daß du 281 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
mit mir telepathisch in Verbindung stehst. Soviel ich mich erinnere, hat sie diese Tarnmäntel noch nie gezeigt...“ „Auch andere Leute sind verschwunden, ohne daß man es sich erklären konnte; jetzt aber verfügen wir zum erstenmal über ein Verständigungsmittel“, brauste Deya auf. „Einerlei. Ich komme rechtzeitig, denn keine Waffe, Bombe, Strahl oder sonstiges Abwehrmittel ist fähig, Äsirs Mantel zu zerreißen. Keine Energie, und wäre sie noch so gewaltig, kann diesen Schild durchstoßen. Das erwartet die Mutter auch nicht, denn heute morgen hat sie in der Halle des Gerichts alle ihre Machtmittel gegen diese Schutzhülle eingesetzt - und ein oder zwei Apparate sind dabei gewesen, Grayth, die außer der Mutter kein anderer Sarn kennt. Der Mantel hat also nicht versagt. Die Mutter hat damit keine weiteren Kraftproben vor, sondern sie wünscht ihn zu analysieren.“ Ware sprach so siegessicher und unbekümmert, daß er Grayth ansteckte und die Spannung etwas nachließ. „Nicht ein Jota wird sie darüber erfahren, Grayth. Nein, sie wünscht eine Vorführung unter Bedingungen, die sie stellt, zu der, von ihr gewählten Zeit und an dem Ort, den sie bestimmt. Bei Äsir und allen Göttern der Erde, Grayth, wir werden ihr das Schauspiel bieten, nach dem es sie gelüstet. Bei allen Göttern von Mithras bis Thor - das werden wir nicht versäu282 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
men! Ich will es in ihrem heißgeliebten Palast auf dem Sarnhügel so kalt werden lassen, daß sie die alten Knochen schmerzen. Kein Sarn hat je an Rheumatismus gelitten, aber bei der Erde und den Menschen, heute nacht werden wir ergründen, ob die tausenderlei Gebeine eines Sarn diese Krankheit nicht in ihrer prächtigsten Form auszubrüten vermögen.“ „Du bleibst, wo du bist, du Narr!“ brüllte Grayth über den Telepathen. „Du bist die Seele der Erhebung, nicht ich. Bartel ist ein fähigerer Mann als ich, wenn ihm auch ein wenig die schönen Worte und die schlichte Sprache abgehen. Die Mutter der Sarn hat für jedes deiner Lebensjahre fünfhundert aufzuweisen; sie hat Raum und Zeit sowie jede nur mögliche Energieart mit Werkzeugen und Instrumenten erforscht, von denen du keine Ahnung hast und nie eine bekommen wirst. Ihr gegenüber bist du ein Kind, ein alberner Tor. Ware, bleibe, wo du bist! Du kennst vielleicht jetzt noch kein Mittel, mit dem sie deinen Mantel analysieren oder vernichten könnte; aber was verstehst du schon von der zehntausend Jahre alten Wissenschaft der Sarn!“ Grayth stöhnte. Er hatte plötzlich das Gefühl, als werde auf seine Rückenhaut ein starker Druck ausgeübt, wie es eigenartigerweise stets geschah, wenn zwischen zwei stark ausgeprägten Persönlichkeiten das Denken völlig gleichgeschaltet ablief. Auf Wares Rücken war ein schweres Bündel fest283 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
geschnallt. Eine Atom-Flammenlampe fauchte kreischend; sie war neu zusammengebaut, so daß sie nun die millionenfache Ladung tragen konnte, für die sie ursprünglich entworfen worden war; ihr Geheul steigerte sich zu einem schrillen Ton, der in unhörbare Schwingungen überging. In schwankenden Umrissen tauchte vor Grayths innerem Auge das versteckte Laboratorium mit den Felswänden auf, das Ware sich eingerichtet hatte; der Raum war hell erleuchtet und stach gegen die umgebende Dunkelheit ab. Als Ware an seinem Gürtel einen Schalterknopf niederdrückte, senkte sich auch über den Raum völlige Finsternis, die unangenehm pechschwarz war und eine eisige Kälte ausstrahlte. „Ware, ich weiß nicht, wo ich bin“, beschwor Grayth ihn. „Wenn du mir jetzt nicht versprichst, mit deinem Vorhaben zumindest abzuwarten, bis ich dir weitere vernünftige Angaben machen kann, werde ich das Medaillon der Mutter unter meinem Absatz zertreten, und - bei den Göttern, du wirst nie mehr etwas von mir erfahren.“ „Ich warte“, seufzte Ware. „Aber du wirst später helfen, Ware, nicht wahr“, bat Deya. „Auch das will ich tun, Deya.“ Ware lächelte ihr im Geiste zu. „Grayth, ich werde weiterarbeiten“. Daraks Gedan284 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ken strömten herein, sie waren wegen der großen Entfernung nur schwach wahrnehmbar. „Einverstanden“, erwiderte Grayth. „Bartel!“ „Ja.“ „Und ihr alle, Carron, Oburn, Tharnot, Barlmew, Todd, tut weiterhin eure Pflicht wie bisher. Laßt euch nichts anmerken, daß ihr von meinem Verschwinden wißt, ehe der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Todd, du übernimmst die Aufsicht in den äußeren Amtsräumen; als du merktest, daß ich drei Meter neben dir unsichtbar vorbeigeschleppt wurde, hast du dich nach außen hin sehr geschickt beherrscht. Du leitest jetzt die Geschäfte. Halte die Mädchen von meinem Zimmer unter irgendeinem Vorwand fern, bis ich dir wenigstens andeutungsweise berichten kann, was hier vorgeht. Verstanden?“ „Jawohl.“ „Deya hat aufgehört zu senden“, sagte Ware. „Sie antwortet auch nicht und hat ihre Übertragung ganz abgeschaltet.“ „Wir sind bis jetzt marschiert, nun bleiben wir stehen!“ Grayths Gedanken jagten einander. „Deya Deya, melde dich!“ Gespanntes Schweigen herrschte im Telepathen; nur das leise verworrene Gemurmel unzähliger Menschen, die ahnungslos ihren Alltagsgedanken über 285 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ihn nachhingen, war zu vernehmen. „Oburn, wo steckst du?“ bellte Ware. „Daheim.“ „Schlendere vor deinen Eingang hinaus, du wohnst drei Häuser von Deya entfernt. Grayth, stolpere, du fühlst doch Staub unter deinen Füßen?“ „Ja.“ Grayth stolperte tolpatschig und stieß gegen eine Sarnwache, dabei zog er den Fuß nachdrücklich und schleppend über einen staubigen Gehsteig, den er nur tasten konnte. „Ich sehe Staub hochfliegen“, erwiderte Oburn leise. „Deya, kannst du antworten?“ „Ja.“ Über ihren Telepathen kamen halb wütende, halb jammervolle Gefühle. „Wir sind wieder unterwegs, aber man hat mich herumgewirbelt. Ich habe keine Ahnung, nach welcher Richtung ich gehe.“ „Höre auf, den Fuß nachzuziehen.“ Die Stimme einer Sarn tönte Grayth leise, aber streng mahnend ins Ohr. „Ware, die Sache gefällt mir nicht.“ Grayth war nervös und tief besorgt. Deya telepathierte ein wenig vorwurfsvoll: „Als es nur um dich ging, war dir nicht bange; nun wünschst du nicht mehr so dringend, daß Ware sich fernhält, wenn ich recht verstanden habe. Ware, du darfst nicht kommen, denn wenn diese Zurückhaltung bei Grayth 286 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
klug und weise gewesen ist, bei dem einzigen von uns, der wirklich seine Anhänger begeistern kann, dann gilt das hundertmal mehr bei mir.“ „Ich glaube, es wäre angebracht, bald ein Gerät zu erfinden, mit dem ich feststellen kann, wo sich ein bestimmter Telepath befindet. Ein solcher Apparat dürfte verhältnismäßig einfach zu bauen sein, und wenn es so weitergeht werden wir einen brauchen. Sobald ich weiß, wo ihr seid, besuche ich euch. Bis dahin beschäftige ich mich ein wenig mit den notwendigen Vorbereitungen. Bitte, laßt eure Befehle und Gegenbefehle bleiben. Ihr seid beide unentbehrlich für uns. Die Mutter wünscht meinen Mantel und seine Besonderheiten zu studieren, und sie wird nicht eher ablassen, unsere Leute zu fangen, bis sie die Möglichkeit dazu erhält. Nützen wird ihr das überhaupt nichts, also geben wir ihr die ersehnte Gelegenheit.“ „Du hast recht, fürchte ich“, pflichtete Grayth ihm bei. „Wird es draußen schon dunkel?“ „Ja. Der Mond geht um ein Uhr fünfundvierzig auf, wir haben also reichlich Zeit. Ich glaube... ja, es dürfte stark bewölkt werden“, prophezeite Ware plötzlich. Ein Wirrwarr von Eindrücken stürmte jäh auf ihn ein, einzelne Dinge, die ihn nur flüchtig berührten, daß andere ihnen nicht folgen konnten: Völlige Finsternis und das Geräusch von Menschen, die sich bewegten. Stimmen und Gelächter. 287 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Hastiges Beiseitespringen, um Spaziergängern, die man nicht sah, sondern nur streifte, auszuweichen. Füße, die leise auf staubigen oder grasigen Wegen klangen. Dann unter ihren Sohlen rauhe Pflastersteine, rundgeschliffen von den Tritten von über hundert Generationen der Menschheit, und im Hintergrund das leise Geplauder auf dem Hauptplatz, das allmählich verstummte. Plötzlich wurden die rauhen Kopfsteine von den glasglatten Straßen der Sarnstadt abgelöst. Die Gefangenen hatten die niedrige Mauer hinter sich gelassen, bis zu deren Grenze Menschen gehen durften, ohne angehalten zu werden. Dann nur mehr das leise schläfrige Zirpen von Vögeln in den parkähnlichen Gärten ganz in der Nähe, und die schrillen Laute von Grillen und anderen Nachtinsekten, die ihre Weisen anstimmten. Die Sarnwachen beschleunigten ihre Schritte. Grayth hörte Deyas leise Atemzüge schneller werden, während sie beinahe im Trab die leichte Anhöhe hinaufeilten, die zum Sarnpalast führte. Dann spürte er Stufen unter seinen Füßen, starke Sarnarme geleiteten ihn hinauf und boten den strauchelnden Beinen eine sichere Stütze. Seine Tritte hallten in den Gängen wider, und einen Augenblick wußte er, wo er war; dieser Weg war ihm nicht mehr fremd, und er fand sich im Geiste zu288 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
recht. Dann bogen sie nach rechts ab, immer wieder, bis er in einem Bezirk des weit ausgebreiteten riesigen Sarnpalastes gelangte, den er noch nie kennengelernt hatte. Ein Arm hielt ihn an; regungslos blieb er in völligem Dunkel stehen, während außerhalb einen Moment lang ein Summen ertönte, dann das gedämpfte Scharren einer Schiebetür; zwei Schritte ging es vorwärts, und die Türe fiel leise klirrend zu. Das Gefühl, jäh in einem Aufzug in dieser Finsternis abwärts zu sausen, zerrte an den Nerven. Mehr als eineinhalb Kilometer! Kein Mensch hätte vermutet, daß der Sarnpalast so weit hinabreichte. „Wir sinken langsamer, Ware. Wir müssen fast drei Kilometer unter der Erde sein. Die Luft ist dick. Sie strömt mir kräftiger und dichter in die Lunge. Wenn wir nicht wieder hinaufbefördert werden...“ „Ich werde zu dir hinunterkommen“, entgegnete Ware gelassen. „Kannst du dort meine Gedanken klar empfangen?“ „Vollkommen“, bestätigte Grayth. „Nun habe ich zwei Tatsachen, die ich erfahren wollte: die Anti-Schwerkrafteinheiten der Fahrstühle stören den Empfang ebensowenig wie drei Kilometer fester Fels. Gedankenwellen liegen auf einer noch tieferen Ebene als alle bekannten Schwingungen; sie bilden eine Kraft für sich. Alle anderen Energien hält 289 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Äsirs Mantel ab.“ „Wir wandern einen Gang entlang, er ist breit, hat steinerne Wände und Boden sowie eine niedere Dekke, Säulen scheinen auch vorhanden“, sagte Deya, „vor mir höre ich Sarn.“ Sie blieben stehen, und der Widerhall ihrer Füße verklang langsam, das merkwürdig singende Geräusch, das von Säulenreihen zurückgeworfen wurde, erstarb in unsichtbarer Ferne. „Mutter der Sarn! Decalon Toplar meldet sich zurück mit ihren zehn Wachen und den zwei Menschen, die sie holen sollte“, rief die Decalon mit wohllautender Stimme. „Entferne den Mantel der Mutter, Decalon. Lege alle Mäntel in diesen Kasten und die Visiere dazu.“ Eine riesige Sarn zupfte an Grayth, das sonderbare Rascheln des Mantels ertönte um ihn, dann wurde er unvermittelt von einer Flut unerträglich strahlenden Lichts geblendet. Allmählich paßten sich seine Augen an. Die Helligkeit war nicht stärker als sonst, sie rührte von einer Reihe mächtiger Atom-Flammenlampen her, die hoch oben in dem steinernen Kreuzgewölbe angebracht waren. Die Mutter saß auf einem Staatsthron, um sie die acht Mütter der Städte und etwa zwanzig hünenhafte Sarnwachen. Elf weitere tauchten aus der Luft, ebenso wie Deya, stückweise auf, während Sarn, die 290 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Schutzbrillen trugen, etwas, das man nicht sehen konnte, das sie aber sorgsam behandelten, in einen Holzkasten packten. Die Decalon stand daneben, verstaute unsichtbare Falten behutsam in den Ecken, dann nahm sie den Wachen die Brillen und die Batterien ab, um sie auf winzige Nadeln zu stecken. „Das Gesetz befiehlt, daß keiner, sei es Mensch oder Sarn, zweimal eines Verbrechens angeklagt werden darf“, sagte Grayth. „Gestern wurde ich in der Halle des Gerichts verhört und freigesprochen. Weiter bestimmt das Gesetz, daß keiner, sei er Mensch oder Sarn, verurteilt werden darf, ohne Gelegenheit zu erhalten, sich zu verteidigen, außer er verzichtet auf dieses Recht. Weder ich noch diese Frau Deya, haben irgendein Unrecht gegen irgendein Wesen begangen, sei es Mensch oder Sarn. Wir verlangen, daß unser Ankläger erscheint und vor uns und vor der Mutter den Grund für diese Verhaftung angibt.“ Die Mutter öffnete langsam die geschlitzten Augen. Ihr mächtiger Körper blieb so regungslos wie der Stein, aus dem die Halle erbaut war. Dann begann die Mutter in der wohlklingenden Sprache der Sarn zu reden: „Das entscheidende Gesetz ist das Gesetz der Mutter; ihm habe ich gelobt treu zu bleiben, außer in Notzeiten, Und jetzt, Grayth, ist eine solche Zeit gekommen. Du, diese Frau und 291 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
noch gewisse andere Leute haben versucht, gegen die Sarn und die Mutter der Sarn eine Verschwörung anzuzetteln. So lautet die Anklage; Kläger bin ich selbst, Was hast du darauf zu erwidern?“ „Wenn einer vor die Mutter gebracht und seinem Ankläger gegenübergestellt wird, hat er vierundzwanzig Stunden Zeit, sich die Antwort zu überlegen. Die Anklage muß auf so ausreichende Beweise gestützt sein, daß sie es in den Augen der Mutter verdient, widerlegt zu werden; sie muß ferner so umfassend und vollständig sein, daß der Angeklagte weiß, warum man ihn eines Verbrechens zeiht. Die Mutter ist der Ankläger, doch darf ich dem Gesetz gemäß fragen, auf welchen wohlbegründeten Tatsachen ihre Anschuldigungen beruhn?“ Die Augen der Mutter funkelten. Um ihre winzigen Lippen huschte beinahe ein Lächeln, als sie Grayth in die klugen grauen Augen blickte. Die Sarn waren stolz, daß sie in den Jahrtausenden, in denen die Menschen ihre Sklaven waren, niemals Grausamkeit geübt hatten oder mit Absicht ungerecht gewesen waren. Wo das Gesetz der Sarn vernünftigerweise auch für Menschen galt, arbeiteten beide Völker unter den gleichen Bedingungen; wo die gleichen Gesetze nicht angewandt werden konnten, wie es sich bei zweierlei Geschöpfen naturgemäß ergab, hatte ein Gericht entschieden. Die Sarn waren gerecht; kein Mensch hätte das abstreiten können. 292 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Das Alter der Mutter der Sarn umfaßte zwanzig Generationen der Menschheit, und bis zu einem gewissen Grade verschaffte ihr ihre Unsterblichkeit von Menschen wie von Sarn einen Abstand. Ihr, die einst die Größe der Menschen kennengelernt hatte, fiel es daher leichter, den Scharfsinn und die unbeugsame Kraft zu würdigen, die aus Grayths trotzigem Gesicht sprachen. Und weil sie die Menschen kannte, nötigte ihr die Standhaftigkeit Achtung ab, mit der er jedes Gesetz, jede Finte beim Kampf zu nützen gedachte, um für Deya die Freiheit zu gewinnen. Und ihr gefiel die Schlagfertigkeit, mit der Grayth sie wiederum in die Verteidigung gedrängt hatte. Ihre Anklage war gut untermauert und wahr, aber die Beweise setzten sich aus zehntausend Kleinigkeiten zusammen, aus unbedeutenden Vorfällen und geringfügigen Indizien, sowie aus spitzfindigen psychologischen Schlüssen, aber - aus keinem halben Dutzend handfester Tatsachen. Von diesen wenigen kamen drei hier nicht in Betracht, weil sie in dem früheren Verfahren, in dem sie Grayth freigelassen hatte, bereits behandelt worden waren. Jetzt hatte sie keine Zeit, sich mit einem Verstand auseinanderzusetzen, von dem sie wußte, daß er so klar und kühn dachte wie ihre Stadtmütter. Andere, wichtigere Dinge waren im Gange, wie dieser grauäugige Mann wohl wußte; und er wie sie selbst sahen ein, daß sich der Fall nicht in ein paar Sätzen abtun 293 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ließ, und die Anklage zwar berechtigt, aber kaum zu beweisen war. „Im Augenblick herrscht ein gefährlicher Ausnahmezustand, Grayth“, sagte die Mutter sanft. „Trotzdem will ich dir die vierundzwanzig Stunden, die du forderst, gewähren. Und deiner Gefährtin Deya ebenfalls. - Decalon, lasse die beiden in die fünfzehnte Zelle des ‚Hauses der Felsen’ bringen.“ Mit ihrer Abteilung von zehn Wachen trat die Decalon vor. Als die Sarn sie umringten, wandte sich Grayth mit einem flüchtigen Lächeln an Deya. Die Wachen brachten sie in den großen Flur mit den Pfeilern zurück, dessen Ende von flackernden Atomflammen erleuchtet wurde. „,Das Haus der Felsen’. Dies ist also das Gefängnis der Sarn, von dem das Gerücht erzählt. Ware, Ware...“ rief Grayth im Geist. „Ich komme, Grayth. In einer Stunde bin ich bei euch. Ihr braucht euch nicht dauernd zu melden, da ich Verbindung mit euch aufgenommen habe und euren Gedanken folgen kann. Der Himmel bewölkt sich, wie ich schon angedeutet habe. Es wird eine stockfinstere Nacht geben.“ „Ohne Hilfe könnten wir hier nicht entrinnen“, meinte Deya seufzend. „Wahrscheinlich nicht.“ Grayth lachte gequält.
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Rastlos wanderte Grayth in der Zelle umher. Die Decalon und ihr Trupp waren verschwunden, mit dem Aufzug davongefahren, der sie hierhergebracht hatte. Ein alter Sarnriese, der als Wärter, Türschließer und Wache diente, hatte die Sperrvorrichtung an der Stahlpforte zugemacht und war leise weggegangen. Grayth blieb in der Mitte des Raumes stehen, er hielt den Kopf hoch, und man merkte an den Stirnftirchen, wie gespannt und aufmerksam er lauschte. Deya saß unbeweglich in ihrem Stuhl, die tiefblauen Augen waren von jäh auftauchenden Gedanken verschleiert. Bald wurde ihr Blick jedoch wieder klar, und mit einem Stirnrunzeln sah sie Grayth an. „Ganz in der Nähe halten sich Sarn auf. Mindestens zwölf. Und wenn sie hier als Gefangene hausen, müßte man die begabten Männer aus allen Laboratorien der Mutter eingekerkert haben“, bemerkte sie leise. „Der Schall wird weitergeleitet“, Grayth scharf. „Sprich nicht laut.“
telepathierte
Deya lächelte. „Das stimmt, aber man versteht keine Worte, nur Geräusche, verwirrende, ineinanderfließende und vermischte Laute. Und wenn man sich zu sehr mit dem Telepathen beschäftigt, könnte das auf Instrumente einwirken, während es bei gewöhnlichem Denken nicht der Fall ist. Vielleicht ist es günstiger, wenn wir offen reden.“ 295 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Grayth nickte. „Ein Dutzend Sarn sind mindestens hier, lauter Naturwissenschaftler. Sie sitzen in allen Zellen rings um uns - oben, unten und an den Seiten. Die einzigen Begriffe, die ich ihren Überlegungen entnehmen kann, sind: Äsir und Instrumente.“ „Ich habe den Schacht gefunden“, meldete sich Ware. „Nicht umsonst habe ich jede Leitung des Palastes erkundet, die nicht in meinen Plänen eingezeichnet war. Der Himmel umzieht sich mit schweren Wolken. Es wird tatsächlich ganz dunkel werden. Bald bin ich bei euch.“ Die Mutter deutete schweigend mit dem Finger. An der gegenüberliegenden Seite der Halle war ein Stück Gestein beiseite geglitten und hatte eine breite Signaltafel enthüllt. Ein blaues Lämpchen zuckte eine Sekunde hell auf, dann erlosch es, während ein gelbes stetig weiterglühte. „Also über den Schacht. Der Weg durch die Luft steht ihm nicht offen.“ Unruhig rückten die Mütter der Städte hin und her. Ein zweites gelbes Signal flammte auf. „Wenn er unterhalb des sechsten Abschnittes geht...“ meinte die Mutter von Durban. „Der Aufzug wird dort stehenbleiben, Äsir aber wahrscheinlich nicht. Er hat schon einmal eine feste Mauer durchschritten; vielleicht gelingt ihm das auch bei hartem Fels.“ 296 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Weitere Lampen leuchteten auf. Die Mutter beobachtete gelassen. Die Stadtmütter nahmen eine gespannte Haltung an, als die fünfte Lampe brannte. Unvermittelt wurde sie dunkel, und in rascher Folge wechselten die blauen und grünen Signale mit ihrem Schein ab. „Er hat es gemerkt“, sagte die Mutter beinahe lobend. „Der Aufzug ist nicht weiter abwärts gefahren. Geht jetzt.“ Ein Abschnitt in der Felswand flog auf. Schweigend zogen sich die Stadtmütter zurück, von den hohen Gestalten der Wachen begleitet. Dann schloß sich die Steinmauer wieder. Die Mutter, nun allein auf ihrem großen Thron, sah am weit entfernten Ende des langen Ganges die Lichter matter schimmern. Wiederum stand Äsir vor der Mutter. Sie lächelte mit dünnen Lippen. „Äsir, du bist zusammengeschrumpft. Haben einige der Milliarden Willenskräfte, die du erwähntest, dich heute im Stich gelassen?“ „Schon möglich“, gab Äsir zurück, „aber es dürfte sich eher um kühles Metall als um heiße Sehnsüchte handeln. Doch um meines Volkes willen mußt du zwei Seelen, die du gefangenhältst, freigeben. Deshalb bin ich wiedergekommen. Ich schlage vor, wir machen ein Tauschgeschäft. Du wolltest Beobachtungen an dem Stoff meines ‚Körpers’ anstellen. Die werde ich 297 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
dir gestatten, und als Gegengabe dafür...“ Äsir trat einen Schritt vor und fegte den silberbeschlagenen Kasten, der die Mäntel der Mutter und die Schutzbrillen enthielt, von dem langen Tisch. Gleichzeitig bewegte die Mutter ihren Finger und eine geschnitzte Verzierung ihres Throns gab unter seinem Druck nach. Aus unsichtbaren Projektoren pfiff eine heulende Flammenhölle, unerträglich, todbringend. Der Felsboden des hohen Gemachs spie unter gellendem Getöse weißglühende Massen aus. Jäh wurde der mächtige Tisch zu einer Blase aus fahlem Gas. Das irrsinnige Kreischen pflanzte sich donnernd durch die Gänge fort, der Boden der riesigen unterirdischen Gewölbe krachte unter dem vernichtenden Ansturm zusammen, der in einer einzigen Sekunde gewaltigen Rasens dreißig Meter festen Stein durchstieß. Dann erstarb er in Schweigen. Die Mutter schlug drei gewundene Arme vors Gesicht, um die von Tränen verdunkelten Augen zu verbergen. Äsir schwebte als schwarze Wolke, die sich von der feurigen Weißglut der auskühlenden Felsen abhob, frei in der Luft. „Das wußte ich noch nicht, aber jetzt bin ich dessen sicher: die Welt der Sarn war nicht so schwer wie die Erde“, stellte Äsir sachlich fest. „Mutter, du bist zu langsam gewesen.“ Lautlos. glitt die geballte Finsternis den Flur hinun298 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ter, wurde immer kleiner und entschwand den Blicken der Mutter. Wütend glitzerten die goldenen Augen, als sie der Erscheinung nachsahen. Allmählich wich der funkelnde Zorn aus ihren Augen und machte einem Ausdruck gesammelten Nachdenkens Platz. Die Mutter berührte mit dem Finger einen anderen Knopf, und im Nu sprang mit gespannten Gesichtern eine Schar Wachen zur Türe herein; sie hielten Waffen bereit, die eine trichterförmige Mündung besaßen. Die Sarn blieben an der Schwelle stehen und starrten auf die weißglühende Stelle auf dem Boden. Die Stadtmütter drängten sich durch die Reihen der Wache, und als sie die Glut erblickten, verzogen sich ihre schmalen Lippen zu einem befriedigten Lächeln. Bedächtig nahm die Mutter von Targlan ihren Sitz wieder ein. „Die Revolution ist also niedergeschlagen“, erklärte sie gelassen und voll Genugtuung. Die Mutter hatte wütende Augen, als sie sich an sie wandte. „Meine Tochter, glaubst du, daß ich hier Waffen von der gleichen Durchschlagskraft angebracht habe wie in der Halle des Gerichts?“ fragte sie erbost. „Nicht gegen ihn richtete ich den Strahl, sondern gegen die - Mäntel. Nicht mehr als ein Eckchen des Kastens traf ich. Äsir war zu flink. Die Gefahr hat mich verwirrt, ich habe seit fünfzig Stunden nicht mehr geruht, sonst hätte ich meinen kostbaren Schatz 299 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
niemals an einem Platz stehen lassen, der für Äsir erreichbar war. Er muß bei diesem Tausch gewinnen, denn er wird bestimmt erfahren, wie die Mäntel der Mutter Zustandekommen, während ich vielleicht herausbringe, woraus Äsirs Mantel besteht.“ Gelassen blickte die Mutter den langen Gang hinunter, wo eine rundliche schwarze Masse in einen Spalt der mächtigen Mauer des Felsentunnels einbog. Der alte Sarn, der Gefängniswärter des „Hauses der Felsen“, hatte seine Befehle erhalten. Die Mutter hegte kein Verlangen, das Leben ihrer Gefolgsleute aufs Spiel zu setzen, und sie wollte Äsir in ihre finstere Zwingburg locken. Als er daher dort erschien, wandte sich der Aufseher ab und gab ihm den Weg frei. Die unsichtbaren Wachen an der schmalen Kluft, die in die uneinnehmbare Zitadelle führte, verharrten untätig und blieben den Blicken verborgen. Mit großen Schritten eilte die schwarze Gestalt die Treppe hinauf, die in den glitzernden Stein gehauen war. Dann folgte sie dem Flur bis zu der grauen Stahlpforte, hinter der Grayth und Deya unhörbar riefen und die Richtung wiesen. Äsir schritt zwischen den in Reih und Glied aufgestellten Untersuchungsgeräten hindurch, die in jeder Mauer und jeder Türschwelle angebracht waren. Winzige Atomflammen, die feiner als der dünnste Draht waren, züngelten nach ihm, um das schwarze Gebilde seines Mantels zu betasten und zu erkunden. Un300 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sichtbare Kraftfelder umspielten zart den Saum der Finsternis. Bolometer und Thermometer maßen die Kälte, die von der Schwärze ausströmte, und entnahmen ihre Proben. In eiskalten Pfützen floß die abgekühlte Luft unter der dunklen Masse ab und rieselte hinter ihr über den Steinboden. Wo Äsir mit seiner Todesschwärze vorübergegangen war, überzog weißer Reif die Fliesen. „Grayth - Deya, tretet von der Tür zurück. Sie wird sich auflösen und verschwommen durchsichtig werden.“ Aus der undurchdringlichen Finsternis strömten leise und geheimnisvoll die Gedanken zu den gefangenen Menschen, um ihnen zu erklären, was sie zu tun hatten. Die gestaltlose Düsternis von Äsirs Hand strich mit klobigen Fingern über das graue Metall der Tür. Wo sie in flinken Kreisen darüberhinglitten, trübte sich das harte Metall, verzerrte und verflüchtigte sich schließlich. Deya streckte unsicher die Hand aus und berührte den Raum, wo früher die Türe gewesen war; sie fühlte einen undeutlichen Widerstand, als wäre ein dichter, gasförmiger Stoff zurückgeblieben, der weder warm, noch kalt war. Mit einem kühnen Satz durchquerte Deya ihn, wurde einen Augenblick von einem Erstickungsgefühl gewürgt, dann stand sie neben Äsir auf dem Flur. Stumm gesellte sich Grayth zu ihnen. „Hast du die Mäntel?“ fragte er.
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„Sie nützen uns nichts, man kann sie höchstens noch untersuchen. Die Strahlen der Mutter durchschnitten die Ecke des Kastens und haben zweifellos in die Mäntel merkwürdige Muster gelocht. Ihr könnt sie nicht verwenden. Wir müssen hinausgehen, wie wir sind. Kommt und bleibt dicht hinter mir. Wir müssen die Mauern überwinden, und das wird nicht so einfach sein.“ „Können wir in den Felsen eindringen, oder ist das unmöglich?“ fragte Deya. Äsir deutete mit der unförmigen Hand. Hinter ihnen breitete sich anstatt der Pforte eine schwarze Masse aus, die der Äsirs glich und die sich rasend schnell über zwei gebeugten Schatten an der Oberfläche schloß und erstarrte. Es waren die zwei Stellen, an denen Deya und Grayth durchgeschlüpft waren. Von der Tür strahlte tödliche Kälte aus, die ständig zunahm; sie verschluckte das Licht der AtomFlammenlampen an der Decke und zauberte Eiskristalle aus der Luft. „Ihr habt vorübergehend das Gefühl gehabt, zu ersticken. Innerhalb dieses umgewandelten Stahls oder Gesteins kann man nicht atmen. Doch wir müssen uns auf den Weg machen.“ Ware ging voran. Als er diesmal an den haarfeinen Atomflammen vorüberkam, die vorher prüfend seinen Mantel befühlt hatten, genügte ein Wink mit dem Fin302 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ger und unter scharfem Prasseln zuckten Blitze auf, wo der pechschwarze Kraftstrom die suchenden Strahlen traf. Äsirs Schwärze konnten sie nichts anhaben, doch für ungeschützte Menschenkinder hätten sie den Tod bedeutet. Die Lampen über ihnen fingen längs ihres Weges plötzlich zu sprühen an und gingen aus. Die Sarn sahen nicht ein, warum sie gute Instrumente einbüßen sollten. Nun wanderten sie die Stufen hinunter und in den grellen Schein der großen Atomflammen hinaus, die das „Haus der Felsen“ erleuchteten. „Hier stehen unsichtbare Wachen“, sagte Äsir. „Soviel ich weiß, hat die Mutter sie ermahnt, mich ungehindert aus- und eingehen zu lassen, aber vielleicht versuchen sie, euch anzuhalten.“ Es geschah gegen den Befehl der Mutter. Den Sarnwächtern verliehen ihre zweieinhalb Meter Größe das Gefühl der Macht, zudem verachteten sie die Menschen und waren stolz darauf, daß noch nie ein lebendes Wesen dem „Haus der Felsen“ entronnen war. So erhoben sie ihre unsichtbaren Waffen gegen Deya und Grayth. Ein Finger streckte sich an Äsirs plumper Hand aus, prasselnde Blitze schossen durch die Luft und ein vielstimmiger Schrei der Todesangst wurde jäh abgeschnitten. Die Gestalt eines Sarn, pechschwarz 303 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wie Äsir, tauchte taumelnd aus dem Nichts auf und versank hinter einem Schleier aus Eiskristallen, der sich im Nu gebildet hatte. Die dunklen Finger glitten in die Runde und die Sarnwachen starben. „Lauft!“ befahl Ware. Die drei rannten die gerade, enge Kluft entlang, die auf den äußeren Gang führte. Äsir wandte sich nach rechts, dann noch einmal und bog in einen Tunnel mit niedriger Decke ein. Hier stießen sie erneut auf einen Aufzug mit anscheinend unbeschädigten Fahrstühlen. Das schwere versperrte Metalltor zerfloß unter Äsirs Zugriff, und man sah einen dunklen Schacht, der sich nach oben und unten in Höhen und Tiefen erstreckte, die man nicht überschauen konnte. Noch eine Tür... und noch eine... Endlich fand sich ein Fahrstuhl, und die drei hasteten hinein. Hinter ihnen im Hauptgang erschallte der wuchtig stampfende Tritt eiliger Füße und Geklirr von metallischem Kriegsgerät. Die stumpfe, mattglänzende Mündung eines regelrechten Atomgeschützes schwenkte schwerfällig im Gang herum, von sechs Sarn gezogen. Es schwebte zwar frei, ohne Schwerkraft, aber seine Tonnenmassen waren schlecht beweglich und in den schmalen Felsstollen schwer zu lenken. Unter lauten singenden Kommandos wurde die Atom-Kanone in Stellung gebracht. Als man das Gerät zur Aufhebung der Schwerkraft abschaltete, fiel sie mit dumpfem Poltern zu Boden. Zwei Sarn stellten die Flugbahn ein und ein Dritter hielt den Flaschenzug 304 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bereit. Eben als der Sprengstrahl heiser brüllend gegen flammende Wände raste, die sich auflösten, griff Äsir nach den Schaltern des Aufzugs. Links und rechts loderten die Felswände in der vernichtenden Flamme zerfallender Atome auf. „Grayth, drücke auf diesen Knopf! Ich kann ihn durch den Mantel nicht anfassen“, befahl Ware barsch. Grayth gehorchte. Vorübergehend spürten sie einen Ruck. Dann hatten sie das Empfinden, schwerelos zu fallen, weil Ware mit seinem schwarzen Finger auf einen Teil des Aufzugsmechamsmus wies. Finsternis wogte auf, und furchtbarer Eishauch kühlte einen Widerstand in der Leitung so tief ab, daß durch den Anti-Schwerkraftregler der volle Strom lief. In rasender Fahrt schoß der Fahrstuhl aufwärts. „Die Mutter hat viele dieser Aufzüge mit Stromunterbrechern versehen. Wenn unserer dazugehört und sie rechtzeitig erfährt, welchen wir benützen - was wahrscheinlich der Fall ist - könnte sie uns aufhalten. Aber ein Ausweg bleibt immer noch offen, obwohl ich es noch nie gewagt habe, ihn zu versuchen.“ „Schalte lieber den Widerstand ein“, meinte Grayth ruhig. „Höre, wie die Luft über uns heult.“ Das Kreischen wurde stärker. Weit über ihnen in dem geschlossenen Stollen wurde die Atmosphäre 305 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
durch die schnelle Aufwärtsbewegung des genau eingefügten Fahrstuhls zusammengepreßt und pfiff grell durch ein Ventil. Der Schacht wurde zu einer riesigen Orgelpfeife, die bei zunehmender Geschwindigkeit immer höhere Töne ausstieß, denn die Rohrlänge verkürzte sich und der Druck stieg an. „Das ist unmöglich.“ Ware schien den verhüllten Kopf zu schütteln. „Der Luftdruck muß uns zum Stehen bringen. Aber erst, wenn wir das Dach des Gebäudes erreicht haben und die automatischen Sicherungen wirken. Während wir das oberste Stockwerk durchfahren, werden sie den Strom wegnehmen und bremsen. Falls die Mutter nicht bereits - „ Der gellende Ton wurde höher. Plötzlich ließ der Schwung nach. Grayth, der sich schon fest an die gerippten Wände ihres Käfigs geklammert hatte, warf schützend einen Arm um Deya. Äsir taumelte aufwärts zum Dach, drehte sich irgendwie mitten im Fluge und verharrte in der Schwebe. „Rührt mich nicht an“, mahnte Ware. „Es wäre euer Tod.“ Ein neuer, zischender und fauchender Laut durchschnitt das Tosen der Luft im Rohr über ihnen, und Ware seufzte erleichtert auf. „Die Mutter kam zu spät. Sie hat den Strom unterbrochen, doch erst, als wir so hoch oben waren, daß die Notbremsen einsetzten.“ Nun wurde die Fahrt nicht mehr wesentlich lang306 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
samer, und Ware fiel wieder zu Boden. Der Aufzug wurde angehalten und sank sogar ein wenig abwärts. Wiederum knackte es, und eine Sperrvorrichtung schnappte irgendwo unter ihren Füßen ein. Mit einerpolternden Geräusch öffnete sich die Fahrstuhltür, und dahinter glitt eine zweite auf. Die drei traten in den Gang hinaus. Er war von den AtomFlammenlampen der Sarn beleuchtet. Die Fliehenden befanden sich im Dachgeschoß des Sarnpalastes. Weit unten betrachtete die Mutter der Sarn nachdenklich die kleine blinkende Reihe der Signallampen. Die Stadtmütter folgten ihrem Blick und wurden wütend, als sie die zwei roten Birnen, das Zeichen für die Notbremse, aufblitzen sahen. „Nun bin ich gespannt“, sagte die Mutter der Sarn leise. „Mit seiner schwarzen Hand fror er bestimmt den Widerstand im Antischwerkraft-Stromkreis ein, um eine so irrsinnige Steiggeschwindigkeit zu erzielen. Aber mir kommt es vor, als unternehme Äsir nichts, für das er nicht irgendwie Abhilfe weiß, und anscheinend hält er sich immer einen zweiten rettenden Fluchtweg offen. Was hätte er getan, wenn ich imstande gewesen wäre, ihm den Strom abzuschneiden, ehe er die Sicherungen erreichte?“ Die Stadtmütter waren keineswegs neugierig. Ungeduldig warteten sie und konnten nicht begreifen, daß die Mutter Sekunden verstreichen ließ, ohne eine Reihe Wachen in das obere Stockwerk zu werfen und 307 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Äsir umzingeln zu lassen. Die Mutter regte sich nicht. Sie sah nicht ein, was sie gewinnen würde, wenn sie ihre Wachen gegen die schwarze Erscheinung anrennen ließ, die, soweit sie erkennen konnte, keinerlei schwache Angriffspunkte hatte. Die Mutter hielt es vielmehr für das Klügste, den Bericht ihrer Physiker abzuwarten. Wissen war die Macht, die sie am dringendsten brauchte, und ihr stand noch ein weiteres Mittel zur Verfügung: sie hielt alle Rohstoffquellen in der Hand, ohne die Äsir zumindest keine Revolution durchzuführen vermochte, so gefährlich er sonst war. Äsir stand am Eingang zur Halle des Gerichts. Draußen sah man durch die ständig geöffneten Tore die Gärten der Sarn. Äsir-Ware lächelte. „Ich hatte ja vorausgesagt, daß wir eine bewölkte Nacht bekommen würden“, flüsterte er ihnen im Geiste zu. Grayth und Deya fröstelten. Sie duckten sich unter einem Wind, der heulte und tobte. In dem Widerschein, der auf die tiefhängenden Wolken fiel, sahen sie ein unheilvolles Gewitter sich zusammenbrauen. Und es war kalt. Der Sturm, der über die Parks der Sarn fegte, war wie der schneidende Hauch eines grimmigen Winters, der in diese Sommernacht hereingebrochen war. „Ich glaube, es wird regnen“, sagte Ware. Noch während er sprach, loderte der Himmel auf. 308 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Riesige Blitze züngelten, spalteten das Firmament und fuhren in einem gewaltigen Netz elektrischen Feuers zur Erde nieder. Das Krachen des Donners war wie eine Explosion, von der die mächtigen Bauten des Sarnpalastes bis in die Grundfesten erschüttert wurden. Im Nu öffnete der Himmel seine Schleusen. Die Wolken barsten und stürzten als Platzregen herab. Ein Orkan pfiff gellend und peitschte die Tropfen in waagrechten Schauern vor sich her; teils stammten sie aus den herunterfallenden Wassermassea, teils wurden sie vom Grund hochgewirbelt, der sich jäh in einen See verwandelt hatte. Die aufblinkenden Lichter der Menschenstadt jenseits der Mauer waren plötzlich verschwunden. „Vielleicht habe ich des Guten zuviel getan“, bemerkte Ware vergnügt. „Du?“ stieß Grayth hervor. „Du hast das bewirkt?“ „Die Sarn hassen die Kälte und Nässe mehr als jede Katze. Heute nacht werdet ihr keinen Sarn in den Gärten Spazierengehen sehen. Wir dürften bis zu den Einlaßpforten freie Bahn haben.“ Deya erschauerte und blickte auf Äsirs schwarze Gestalt. „Dieser Wind ist eisig, und der Regen schon beinahe Hagel. Und ich bin für eine Juni-, nicht für eine Februarnacht gekleidet.“ „Ich habe zuviel Energie angewendet.“ Ware zuckte die Achseln. „So etwas habe ich noch nie durchge309 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
führt. Haltet es meiner Unerfahrenheit zugute.“ „Ein kleiner Irrtum beim Versuch.“ Grayth seufzte. „Oh ihr Götter! Mensch, du hast die Stadt weggespült. Kommt, brechen wir auf, ehe wir schwimmen müssen.“ „Noch nicht“, erklärte Ware. „Ich habe hier noch zu tun. Die Mutter wünscht meinen Mantel zu studieren. Nun, bei allen Göttern, die es gibt, ihr Wunsch soll in Erfüllung gehen. Ich werde dafür sorgen, daß sie sich’s überlegt, ehe sie Äsir zu ihrem Vergnügen herbeiruft.“ Er wandte sich um und stand mit dem Gesicht zur großen Halle des Gerichts. Im matten Licht weniger Lampen sah sie prächtig aus. Sie war aus sogenanntem schwarzem Bernstein erbaut und mit Gold und funkelnden Kristallen verziert. Äsirs Arm wurde zu einem dunklen Trichter, der langsam Kreise um den Raum beschrieb. Wo er vorbeiglitt, verschwanden das Glitzern des blanken Steins und die schimmernden Metalle und Juwelen. Sie nahmen die Schwärze des Todes an. Die Mauern verloren ihr gewohntes Aussehen, sie wurden zu einer finsteren Leere, die sich in ewige Nacht erstreckte. Der Lichtstrahl und das Raunen der Atomflammen erstarben; ihr kräftiger Schein wurde trübe, er wirkte niederdrückend und düster. Eisige Kälte quoll aus dem Palast und überflutete 310 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
den Eingang zur Halle. Die Menschen erschauerten bis ins Mark und flohen von der Türschwelle, die plötzlich von kaltem Nebel triefte. Luft floß milchig und - wie es schien - bis zum Gefrierpunkt abgekühlt, die Wände herab und zum Tor hinaus. Eine Brise kam unvermittelt auf, heiser wehte sie im oberen Abschnitt der Pforte in das Innere hinein, um es am Grunde in einem eisigen unsichtbaren Gießbach wieder zu verlassen. Grayth und Deya flüchteten, sie schüttelten sich vor unerträglicher Kälte, zumal sich der reißende Luftstrom durch die Vorhalle bis zum Haupteingang des Palastes ergoß. Er rann die Stufen hinunter, und während die drei zusahen, verwandelte sich der prasselnde Regen in Schnee und fror auf dem Stein zu Schloßen. „Ja, die Sarn verabscheuen die Kälte“, meinte Ware befriedigt. „Es wird einen Monat dauern, ehe dieser Raum wieder bewohnbar ist. Nun kommt.“ Er schritt durch die eisige Flut die Treppe hinunter, in die vom Sturm gepeitschten Gärten. Böen heulten um ihn, wirbelten um seinen schwarzen Mantel, und die Gestalt zeichnete sich in weißen Umrissen ab, die in dem schwachen Licht, das aus dem Gebäude strahlte, tanzten und glitzerten. Hinter ihm machten sich Grayth und Deya auf den Weg, helle Schemen, die von der Schwärze abstachen. Im Nu waren sie hinter wehenden schimmernden Regenvorhängen 311 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
untergetaucht. In Kürze waren sie durchnäßt, und Grayth fühlte, daß Deya in seinen Armen heftig zitterte. „Ware“, rief er unvermittelt. „Geh weiter, Ware; wir werden dich später aufsuchen. Zwar können wir deiner düsteren Erscheinung folgen, weil sich Reif um dich bildet, aber hol’ mich der Teufel, wenn ich einem wandelnden Schneesturm nachlaufe. Ich friere jämmerlich und Deya nicht minder.“ „Ich bin schon ein Eiszapfen“, sagte das Mädchen zähneklappernd. „Ich kann den Schild nicht abschalten“, entgegnete Ware. „Die Instrumente sind nicht genügend isoliert. Wenn Wasser sie berührt, dann - gibt es weder eine Sarn noch eine Menschenstadt mehr, um die man sich zanken könnte. Wir treffen uns in meinem Haus. Könnt ihr den Weg finden?“ „Ich denke schon“, erwiderte Grayth. „Haltet auf die Straße zu. Sie wird heute nacht wie üblich beleuchtet sein. Und Sarn werden sich bei diesem Wetter nicht hinauswagen.“ „Gut.“ Grayth und Deya zogen fast im Laufschritt los. Wind und Wasser fegten donnernd durch die Anlagen. Noch einmal flammte der Himmel in grellem Schein auf, die Schallwellen rüttelten den Boden zu ihren Füßen, daß sie ihn trotz der steifen Glieder beben spürten. 312 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Bei diesem Gewaltmarsch durch die tosende Nacht bemerkte kein Auge Grayth und Deya, als sie ans Ziel gelangten. Regen fiel in undurchdringlichen Schleiern, nahm jede Sicht und verbarg sie, als sie zwischen sturmgebeugten Bäumen zu Wares kleinem Steinhaus huschten und sich an die unbeleuchtete Türe stellten. Ware packte Grayth bei der Hand und führte das frierende, triefende, nasse Paar durch den winzigen Vorraum, der jäh von einem neuen Blitzstrahl erhellt wurde. An der gegenüberliegenden Wand machte Ware sich an einem Stein zu schaffen, der sich knirschend drehte. Stumm führte er sie in ein noch kleineres Zimmer hinunter, das mit unbehauenem Granit ummauert war. Der Stein schwang über ihnen wieder zu, und ein Licht flammte auf. Noch einmal wiederholte Ware das Spiel und geleitete sie weiter abwärts in ein muffiges, höhlenartiges Gelaß mit Stahlwänden, die rostig vor Alter waren. Sie wurden von ebenfalls angefressenen Stahlträgern gestützt, die zur Vorsorge von Säulen umkleidet waren; sie stiegen teils vom Boden auf, teils waren sie von der Decke nach unten gezogen und gaben dem verwitterten Metall festen Halt. „Die alte Untergrundbahn“, erläuterte Ware. „Sie verläuft in der einen Richtung fast vierhundert Meter weiter, in der entgegengesetzten eineinhalb Kilometer, ehe die eingestürzten Erdmassen sie versperren. Wie ihr seht, liegt sie unterhalb der Menschenstadt, in 313 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
einer Tiefe von über sechzig Metern. Mein Laboratorium ist dort drüben.“ Es war auf der Betonplattform einer ehemaligen Sarnstadt eingerichtet. „Doch nun stellt euch vor diese Heizkörper hier und zieht die nassen Sachen aus.“ Ware wandte sich zu einer einfachen Schalttafel; ein Netzwerk aus Eisenstangen wurde warm, heiß und dann schwach rotglühend, während eine höchst willkommene Hitze davon ausstrahlte. „Verbergen wir uns oder kehren wir heim?“ fragte Deya leise. „Wenn ich nur wüßte, wie lange dieser verrückte Zustand einer halb offenen, halb versteckten Empörung gegen die Machthaber noch anhält, ehe ich etwas erreicht habe“, sagte Ware traurig. „Dann wären wir in der in der Lage zu entscheiden, was wir tun sollen.“ „Da kann ich mich nur wundern, Ware. Ich meine, weil du von halb offen und halb versteckt redest. Übrigens verrate mir eines: Die Mäntel der Mutter besitzen Schutzbrillen, damit man in ihnen sehen kann. Woraus deine schwarze Hülle besteht, ist mir ein Rätsel, ich weiß nur, daß sie höllisch kalt ist; ich bin immer noch zu Eis erstarrt. Aber wenn sie kein Strahl durchdringen kann, wie merkst du dann, wohin du gehst?“ Lachend blickte Ware auf. „Gar nicht! Doch habe ich heute nacht den Weg durch das Sumpfgelände 314 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sonst Garten der Sarn genannt - leicht gefunden. Der Telepath löst diese Frage, ich schaue mit den Augen anderer. Die Mutter machte mich selbst auf ihre Mäntel aufmerksam.“ Er wies mit einer Kopfbewegung auf den verstümmelten Kasten. „Ohne ihre Unterstützung hätte ich ihn nie entdeckt oder erreicht.“ „Vielleicht könnten wir dir besser helfen, wenn wir genauer wüßten, was du besitzt und was dir noch fehlt“, meinte Deya. „Könntest du die verdammten Sarn nicht aus ihrer Stadt hinausschwemmen?“ schlug Grayth grimmig vor. „Noch so eine ‚bewölkte Nacht’ und du hast es vielleicht geschafft.“ „Die Sarnstadt hegt höher als wir.“ Ware schmunzelte. „Doch unsere Leute halten Kälte und Nässe besser aus als die Sarn.“ „Dieses Mittel ist also nicht geeignet und würde auch nicht schnell genug wirken“, erwiderte Deya. „Was hast du dort? Meine langsam auftauenden Knochen machen mich ganz besonders neugierig, zu erfahren, woraus dein Mantel besteht.“ „Das läßt sich schwer erklären“, antwortete Ware. „Neunzig Prozent davon sind mit Worten nicht zu erfassen und zu erläutern. Es handelt sich um angewandte höhere Mathematik. Daher werde ich euch die Sache mit Analogieschlüsseln erklären, wie sie bezeichnend für die Zeit vor den Sarn sind; denn ihr könnt euch nach mathematischen Formeln kein Bild 315 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
machen. Das ist eine Sprache für sich, genau wie die, mit der wir oder die Sarn uns verständigen. Manche Ausdrücke kann man übersetzen. Zum Beispiel bedeutet in der mathematischen Redeweise x² + y² = c² ‚Kreis’. Ich werde euch also mit Vergleichen solcher Art abspeisen müssen, aber eine bessere Erklärungsweise kenne ich nicht. Dirac, ein Physiker aus der Zeit vor den Sarn, behauptete, das Positron sei eine Lücke in einer fortlaufenden Reihe von Elektronen, die sich im negativen Energiezustand befinden. Er war der Ansicht, der Weltraum sei völlig mit Elektronen ausgefüllt, die negative Energieladungen tragen; er sei sozusagen voll bis zum Rand, und was überfließe, seien die Elektronen, die wir entdecken können, von denen die Materie aufgebaut wird. Kurz ehe die Sarn kamen, hatten die Menschen gerade andeutungsweise begriffen, daß mehr hinter dieser Annahme stecke. Das stimmte. Elektronen in positiven Energiezuständen geben Strahlung ab, wenn sie in Schwingungen geraten - Licht, Hitze und so weiter. Wenn man genügend Energie anwendet, kann man die Elektronen in Schwingungen versetzen, so daß sie in einen negativen Energiezustand übergehen. Man könnte sagen: sie geben negative Energie-Strahlung ab. Sie erzeugen ‚Energie-Photonen’ in negativem Energiezustand. Wie erwähnt handelt es sich um eine Analogie, die 316 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
sich nicht einwandfrei beschreiben läßt, aber das Ergebnis ist ausgestrahlte negative Energie: Kälte, Dunkelheit, Fehlen von Röntgenstrahlen oder was man sonst wünscht. Weil Energie nicht verlorengeht, ergibt sich daraus, daß die Quelle dieser Strahlung statt Energie zu verbrauchen sie abgibt. Mein Apparat strahlt nicht selbst negative Energie aus, er erzeugt nur einen Zustand in der Luft um sich, der deren Atome veranlaßt, negative Energie auszusenden. Die atomare Flamme, die unsere Mutter gegen mich richtete, befriedigte bis zu einem gewissen Grade das gierige Verlangen nach positiver Energie, das die gespeicherte negative Energie besaß. Die Kraft, die Luftatome dazu bringt, auf diese Weise zu strahlen, macht sie unbeständig - sie spaltet sie sozusagen in zwei Teile, zwei halbgeformte Atome eines Stoffes. In diesem Zustand ist keine der beiden Hälften real, aber jede hat das ungeheure Bedürfnis, sich ausreichende Masse - in Form von Energie - zu verschaffen und sich gewissermaßen zu ‚verwirklichen’. In diesem Zwischenstadium ist Materie zu durchdringen. Wir gehen zum Beispiel durch Stahltüren und Steinböden. Vorübergehend bleibt dieser ungesättigte ‚Halbierungspunkt’ bestehen, ehe sich die Hälften neu zu Materie ergänzen. Sobald Sarnwachen uns Atomflammen nachjagen, absorbiert die ungeformte Materie begierig Energie und schickt sich mit ihrer Hilfe an, 317 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Gestalt zu gewinnen. Bleiben die Atomhälften sich selbst überlassen, dann vereint sich die eine Hälfte der unvollständigen Atome erneut mit der anderen, und alles wird wieder normal. In der Zwischenzeit herrschen Finsternis und Kälte - wie eben jetzt in der Halle der Gerechtigkeit. Als die Strahlenbündel der Mutter auf mich einstürmten, erzeugte die Energie von sich aus zusätzliche Atome der Luftbestandteile. Es war gleichgültig, welche Art positiver Strahlen dabei angewendet wurde, die Energie wurde verbraucht. Der merkwürdige Atomzertrümmerungsstrahl der Mutter enthielt nicht viel Energie, aber seine besondere Form war höchst gefährlich. Er drang theoretisch völlig unverändert durch meinen Abwehrschild. Aber die Energie war ihm entzogen. Natürlich stehen die Physiker der Mutter vor einem schlimmen Rätsel, weil ihre Instrumente einheitlich ‚nichts’ melden. Keines von ihnen reicht unterhalb des absoluten Nullpunkts. Mein Abwehrschild aber erzeugt eine Temperatur von minus 30000 Grad Celsius. Ich könnte die Sarn ohne weiteres austilgen. Doch während ich damit beschäftigt bin, würden sie alle Menschen vernichten.“ Ware zuckte die Achseln. „Was würdest du also brauchen?“ „Eine Stunde Zeit in den Sarn-Werkstätten“, ent318 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
gegnete Ware seufzend. „Ein paar Pfund Molybdän, einen Apparat, um Drähte auszuziehen, ein paar Gramm Scandium und besondere Maschinen zum Glasblasen. Dann hätte ich ein Gegenstück zu meinem Spielzeug, das unsere ganze Stadt in einem Umkreis von acht Kilometern schützen würde.“ „Mit anderen Worten: du wärest imstande, die Sarn zu verjagen“, sagte Grayth mit leisem Lächeln. „Stimmt aufs Haar“, bestätigte Ware. Deya rieb sich nachdenklich den linken Arm und drehte sich seitlich zum Heizkörper. “Wie weit reicht dein Apparat gegenwärtig?“ fragte sie sinnend. „Er genügt ungefähr, um die Sarnstadt völlig zu decken“, erwiderte Ware. „Die könnte ich gegen jeden Angriff abschirmen, aber die Menschenstadt nicht.“ „Ob das nicht eventuell doch schon ausreich?“ meinte Deya und nickte. „Mir fällt nämlich etwas ein. Mein Kleid ist trocken, wenn auch leicht verknittert. Könntest du uns etwas zum Essen holen, Ware? Die Abkühlung hat mich hungrig gemacht.“ „Woran denkst du?“ fragte Ware neugierig und zugleich ein wenig verärgert. Die Telepathen übertrugen keine Gedanken, die der Träger zu verbergen wünschte. „Ich - ich möchte lieber zuerst mit Grayth darüber sprechen.“ Deya schüttelte sinnend den Kopf. „Viel319 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
leicht irre ich mich.“ Ohne Widerrede stieg Ware die einfache Treppe hinauf, zur Küche des Hauses, die sechzig Meter über ihnen lag. Deya blickte Grayth an und glättete die feuchten Falten. „Wie geht es Simons, Grayth?“ Leicht verdutzt sah Grayth sie an, der sein Hemd gerade halb übergestreift hatte. „Hoffnungsloser Fall, wie du weißt. Doch warum fragst du gerade jetzt nach ihm. Er könnte uns keinesfalls helfen.“ Deya verzog die Lippen zu einem flüchtigen, etwas gequälten Lächeln, aber ihre Augen leuchteten hell, während sie überlegte. „Ich bin nicht so sicher, Grayth. Ware hat behauptet, daß alles Denken, das er über einen Verstärker aufnimmt, festgehalten werden kann, nicht wahr? Und wenn das möglich ist, könnte man vielleicht wieder auf einer anderen Wellenlänge senden - „ Grayth fuhr auf und starrte sian. „Bei Äsir und allen Göttern der Erde. Deya! Was für eine phantastische Idee! Dieser Mann ist grauenhaft, ja irrsinnig - “ „Negative Energie!“ erklärte Deya kurz, während sie mit geschickten Fingern ihr Haar ordnete. „Wenn wir die Sarn veranlassen könnten, kampflos nachzugeben - aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit denn es gibt tatsächlich noch andere Energien als die rein physikalischen, die leicht von den Sarn abge320 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
wehrt werden können.“ Einen Augenblick blieb Grayth stumm stehen, sein schnell arbeitender Verstand vergaß, daß er auch noch die Aufgabe hatte, die erschöpften Glieder zu bewegen. „Hast du mit Dr. Wesson gesprochen?“ fragte er eindringlich. Deya nickte zögernd. „Ja, heute morgen.“ Sie überlegte ein Weilchen, ehe sie fortfuhr: „Eigentlich gestern. In zwei Stunden dämmert der Morgen falls das Gewitter schon abgezogen ist. Wir sollten Simons vorher noch hierherschaffen. Verstehst du, was ich im Sinn habe?“ „Ja, ich werde Carron...“ Ware kam behutsam die Treppe herunter, er trug zwei Tabletts mit Brot, Käse, kaltem Fleisch, dazu einige Tassen, sowie Kaffee und Milch. „Wenn du für das Wasser jene Hähne dort aufdrehen wolltest und die Heizplatten des Laboratoriums als Herd benützt, Deya, dann würde ich lieber einen Kaffee trinken, den du zubereitet hast, als mein eigenes Gebräu.“ „Ware, kannst du einen Gedanken festhalten - einen telepathischen Gedanken?" Ware blieb stehen und runzelte plötzlich die Stirn. „Auf Band aufnehmen? Warum? Es ist leichter, ihn nochmals durchzudenken." „Aber es ist durchführbar?" 321 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
„Hm-mm, ja, ich glaube schon." „Wie lange dauert es, bis so ein Apparat hergestellt ist?" fragte Grayth gespannt. Ware zögerte und zuckte die Achseln. „Ein paar Stunden. Ich kann ihn bauen. Ein Telepathgerät muß seiner Natur nach winzig klein sein. Ein paar Gramm der schwer zu erlangenden Elemente reichen weit, wenn das ganze Gerät weniger als einen Kubikmillimeter Rauminhalt besitzt. Aber das erfordert Zeit. Ein Aufnahme- und ein Übertragungsgerät - sagen wir zwei Tage, wenn ich einmal den Grundplan entworfen habe. Ich glaube - ja, das kann ich bestimmt anfertigen." Grayth setzte seinen Telepathen schwungvoll auf. Eilig sandte er den Ruf hinaus: „Carron - Carron!" „Ja?" schläfrig antwortete Carron. „In zwei Stunden dämmert der Morgen. Carron, du mußt meinen Auftrag erledigen, ehe die ersten Leute aufstehen. Bringe Ohrmann, den Instrumentenmacher, gleich zu Ware. Telepathen müssen hergestellt werden. Hole auch Dr. Wesson und sage ihm, er solle bei Ware vorsprechen. Dann wecke einen der anderen Leute auf, damit er meine etwaigen Befehle entgegennehmen und weitergeben kann, und du lege dich wieder schlafen. Du, Ware, bereite bitte die Pläne vor für die Teile, 322 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
die du zu diesem Gerät benötigst, damit Ohrmann beginnen kann, während du ein wenig schlummerst. Oh, du kannst - wie ich annehme, eine Art Übersetzung einbauen und menschliche Gedanken auf die Denkweise der Sarn-Telepathie übertragen?" „Wie bitte? Menschen auf Sarnebene umschalten darüber weiß ich nicht Bescheid. An dieser Frage habe ich seit Wochen immer wieder gearbeitet.“ „Gut, nun beschäftige dich ausschließlich mit ihr. Wenn du sie löst, werden wir die Erde wiedergewinnen!“ Das Gerät war unglaublich winzig. Es lag in Wares Handfläche und bestand aus zwei kleinen eingekapselten Spulen, die durch eine Brücke aus gewölbtem Metall miteinander verbunden waren. Die Vorrichtung hatte etwa die Größe einer halben Erdnuß undruhte zwischen zwei Platten, die aus Stahl geschnitten waren. Trotzdem war es wunderbar fein und kunstvoll gefertigt. „Dies ist nur der Sender.“ Ware seufzte. Er hatte vor Müdigkeit gerötete Augen. „Das Aufnahmegerät liegt dort. Du sagst, es brauche nicht beweglich zu sein. Und es überträgt, wie du gewünscht hast, menschliche Gedanken in die Denkweise der Sarn und hält sie auf einem Silberband fest, das in sich zurückläuft und den Inhalt so lange wiederholt, wie 323 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
die kleine Feder aufgezogen ist.“ „Darf ich nun erfahren, wozu du dies alles benötigst? Ich habe mich so eingehend dieser Aufgabe gewidmet, daß es mir nicht in den Sinn kam, zu fragen. Wie soll ein aufgenommener Gedanke die Sarn aus dem Gleichgewicht bringen? Indem man vielleicht endlos wiederholt: geht fort - geht fort?! Telepathische Befehle haben keine stärkere Macht als Worte, wie du weißt." „Wenn man sich gegen sie sträubt, nicht", gab Deya zu. „Doch sie können unterhalb der bewußten Schicht eindringen. Möchtest du erfahren wer... warum...?“ Der Stein über ihnen bewegte sich. Grayth, Deya und Ware blickten hinauf. Nur der tief schlafende, erschöpfte Ohrmann merkte nichts von dem Eindringling. „Steige hinunter, Simons -", hörte man Doktor Wessons Stimme. Ein sanftes Drängen sprach aus ihr, ein mitleidvolles, aber unnachgiebiges Lenken und Führen. Langfam und schleppend erschienen ein Paar Füße, als wären sie unendlich erschöpft, ermattet und unfähig, Ruhe zu finden; Jammer und Hoffnungslosigkeit drückten sich auf eigentümliche Weise in dem dumpfen, schlurfenden Tritt dieser schweren Füße aus. Unsicher und traurig kamen sie die lange Flucht 324 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
von Stufen herab. Ihr mechanisches, rhythmisches Poltern hörte sich an wie der gedämpfte Marschtritt nach einer Niederlage. Der Mann selbst kam in Sicht. Seine Gestalt war schlaff, Arme und Schultern hatten mächtige Muskeln, aber sie beugten sich unter dem seelenmordenden Gewicht einer überwältigenden Verzweiflung. Hinunter - hinunter „Nur zu, Simons." Die Stimme des Arztes klang müde und merkwürdig verzagt, als wäre er irgendwie angesteckt von diesem Mann, der von der Last eines unentrinnbaren Schicksals niedergedrückt wurde. Langsam wandte sich Ware zu Deya und Grayth blickte sie an. „Wer ist das? Simons?“ Sie antworteten nicht, und er drehte sich wieder um, so daß er die Gestalt sehen konnte, die nun unter den hellen Lampen seines unterirdischen Laboratoriums stand, ohne sich zu regen. Das Gesicht war bleich und zerfurcht, mit eindrucksvollen, aber kraftlosen Zügen wie die Totenmaske eines Menschen, dem in seinem Kummer alles gleichgültig geworden war. Seine Augen waren schwarz, dunkle Höhlen, in denen kein Funken Hoffnung mehr glomm. Unter ihrem Blick, dem an nichts mehr gelegen war, der nichts mehr erwartete, fühlte Ware, wie ihm eisig ums Herz wurde. Die Seele, die sich dahinter verbarg, war nicht tot, aber sie sehnte sich danach, zu sterben. Die Lichter des hellen Raums schienen kalt 325 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
und trübselig. Die Mühsal und Aussichtslosigkeit des endlosen Streitens gegen die übermächtigen Sarn bedrückten Ware so stark, daß er alles verloren gab, ehe... Er riß sich von der Betrachtung des Besuchers los. „Deya, im Namen der Götter, wer... was soll das?“ stieß er schweratmend hervor. „Das ist negative Energie, Ware - die negative Energie des Geistes, Äsirs schwarzer Mantel, angewandt auf alle Hoffnung, allen Ehrgeiz. Simons ist manisch depressiv. Er hat keine Hoffnung mehr, er denkt nicht daran, dieser schrecklichen negativen Hölle der Verzweiflung zu entfliehen. Er ist irrsinnig, denn keine gesunde Seele könnte diese furchtbare Finsternis, diese Ausweglosigkeit ersinnen, die eine alles verzehrende Kraft darstellt, von der sein ganzes Wesen heimgesucht wird. Wenn sein Geist anfangen sollte zu genesen, wird er von Selbstmordgedanken besessen sein, von der Wahnvorstellung getrieben, sich auf irgendeine Weise und um jeden noch so grausigen Preis umzubringen. Jetzt ist er sogar unfähig, an diese Flucht zu denken. Sie wäre ein Kampf, der an sich schon so etwas wie eine leise Hoffnung bedeutet; doch er hat keine mehr. An den Tod als einen Ausweg denken, heißt hoffen und glauben, daß es noch etwas Besseres gibt. Dies liegt außer seiner Macht, denn ein Ringen, eine Mühe, um zu entfliehen, das setzt einen Willen voraus, der diesem Menschen abhanden gekommen 326 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
ist. Er ist wahnsinnig, Ware, weil keine Seele die entsetzliche Verzagtheit, in der sich sein Denken jetzt bewegt, fassen und dabei den Verstand bewahren kann. Nimm seine Gedanken auf diesem Silberband auf. Halte diese Hoffnungslosigkeit fest, die keinen Widerstand, keinen Kampfeswillen kennt. Und dann strahle sie aus über die Sarnstadt!“ Reglos saß die Mutter der Sarn an dem hohen Fenster ihres Turms und blickte mit trüben Augen über die Gärten hinaus. Prächtige Mäntel und schwere Decken hüllten sie ein, doch sie waren nutzlos. Die Kälte durchzog ihr Gebein und saugte ihm alle Wärme aus. In dem großen Gemach, das an allen Seiten Fenster besaß, war es dunkel, weil der Himmel sich umwölkt hatte. Kälte kroch herein. Die hatte im Laufe der Stunden und Tage, die sie hier sitzend und beinahe ohne sich zu bewegen, verbracht hatte, ständig zugenommen. Die rauhen kühlen Steinmauern waren feucht von dem kalten Naß, das sie ausschwitzten. Große Heizkörper in den Wänden waren auf Rotglut geschaltet aber die finstere Luft zehrte ihre Wärme auf. Prächtige Atom-Flammenlampen knisterten leise an der hohen Decke; ihr schwaches seidiges Rascheln wurde in den Ohren der Mutter zu einem sinnlosen Gemurmel, und das ehemals helle Licht hatte seinen funkelnden Glanz verloren. Irgendeine unfaß327 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
bare Veränderung in der Atmosphäre machte es grau und unfreundlich. Hier schien keine Sonne herein. Ein kühler Schauer trommelte immer wieder auf die Parkanlagen, lief unaufhörlich über die klaren Fensterscheiben, die unter den Stößen eines eigentümlich trägen Windes klapperten. Aber durch die Nebelschleier sachte plätschernden Regens sah sie jenseits der Grenzen ihres Parks die Sonne leuchten. Dort strahlte sie - eine klare, heiße Sonne, die in der reinen Luft schien. Das wußte sie. Dort draußen war Juni. Hier herrschte winterlicher Tod, der wie ein Alpdruck über dem Land lag, die schleichende, wachsende Kälte von Ach, von jenem schwarzen Höllenscheusal. Beinahe bekam sie einen Wutanfall, weil es sich dort niedergelassen hatte, trübselig, schwarz und unaussprechlich trostlos inmitten ihrer Gärten, die einst diesen Namen verdient hatten. Jetzt waren sie eine Wüste, durchpflügt und aufgewühlt von den heulenden Strahlen todbringender Atomwaffen, die sich weißglühend bemüht hatten, das zusammengekauerte, schwarze Unding zu verjagen. Sie hatten nur eines erreicht: sie hatten ein winziges Fleckchen Schönheit in einer jammervollen kalten Welt zerstört. Doch das hatte wenig zu bedeuten, denn Schönheit gab es keine mehr und würde es nie wieder geben. Nur der Eishauch wehte, der aus der Luft, aus den Wänden, aus ihrem alten müden Körper die 328 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Wärme stahl, und über allem lag die Finsternis, die nicht zu fassen war, die den hellen Schein der Atomlampen dämpfte, ein Licht ohne Glanz zurückließ und alle Farben in Grau verwandelte. Mechanisch bewegte die Mutter einen Finger und drückte auf einen Schalter. Nein, das war vorbei. Die Öfen waren auf volle Heizkraft geschaltet. Was hatte es also für einen Sinn, erneut etwas zu versuchen, das sie schon tausendmal getan während schlafloser Tage und Nächte, die sich endlos dehnten und die nur die eine Abwechslung brachten, daß dunkle Schatten noch dunkler wurden. Teilnahmslos blickte sie auf die triefenden Mauern. Kalter Stein! Wann war das gewesen, als sie die Platten ausgewählt hatte? Marmor in warmem Rosa und Grün. Warm? Es war das Rosa des erlöschenden Tages, ehe die kühle Nacht hereinbrach, und das Grün endlosen arktischen Eises. Wie zum Hohn peinigten diese Wände ihren alten Körper mit Kälte. Ja, sie war uralt. Die Jahre waren vorübergezogen - dahingerollt, während sie vergeblich gewartet hatte auf den Aufstieg ihres Volkes oder auf den Augenblick, an dem sie erneut im Weltraum auf die Suche gehen würde. Nutzlose Jahre voll fruchtloser Bernühungen, jenes einzigartige verlorengegangene Geheimnis zu erfahren, wie man die Geschwindigkeit des Lichts übertreffen konnte. Verloren - zugrundegegangen mit den zehn geschulten Sarn, die vor vier329 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
tausend Jahren fielen, als die Stadt in die Luft flog, die man New York genannt hatte. Zuviel anderes hatte sie zu tun gehabt, als daß sie das Geheimnis hätte ergründen können. Jetzt hätte sie Zeit, nach viertausend Jahren. Doch nun war sie unfähig dazu; die Lösung entzog sich ihrem stumpf gewordenen Verstand und dem schwächlichen Sinn ihres entarteten Volkes. So wie Äsir sich nicht von ihr fassen ließ und unverschämt inmitten des Elends hockte, das sein Werk war. Sie bewegte sich unruhig. Die Kälte drang durch alles. Heißes Essen, heiße Getränke - einen Augenblick wärmten sie, dann wurden sie in ihr zu einem kalten toten Klumpen, der sie frösteln machte. Diese Mattigkeit, das wußte sie nun, war schon in ihr gewesen, ehe dieser düstere Eishauch sie ihr zum Bewußtsein gebracht hatte! Ihre Sarn waren unfähig, verweichlicht durch ein bequemes Dasein, das allzu geregelt ablief und das von ihnen keinen scharfen, stählenden Wettbewerb mehr erforderte. Und sie selbst war eine Greisin. Sie besaß Unsterblichkeit, und ihre Gewebe blieben ewig jung. Doch ihr Geist welkte dahin und wurde schwerfällig, immer mehr kreisten die Gedanken in engen und starren Bahnen. An ihr Alter konnte sie sich nie erinnern, doch was machte das aus? Was sollte das dumme 330 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Zeug! Ob sie sich entsann oder nicht, war gleichgültig. Die Jahre waren entschwunden, sie hatten ihre Spuren an ihr hinterlassen und ihre und ihres Volkes Kräfte gemindert. Die Sarn waren schwach geworden. Die Menschheit hatte an Kraft gewonnen, war in den gleichen Jahren gewachsen, die an den Sarn gezehrt hatten. Nun hockte in ihren Gärten zusammengekauert jene trübselige schwarze Gestalt, ließ ihre Stadt zu Eis werden und trotzte den Geistesgaben der gesamten Sarn. Es war seit langem schon nur noch eine Frage der Zeit gewesen, wann dieses Unheil hereinbrechen würde, unentrinnbar wie die schicksalsbedingte Bahn der Planeten. Nun war es soweit. Die Menschen waren die Stärkeren. Behutsam öffnete sich hinter ihr die Tür, doch ihr dumpfbrütender Blick blieb an die Wand geheftet, bis der Eindringling in ihr Gesichtsfeld trat. Barken Thil. Einst hatte die Mutter sie für ein Genie gehalten und hatte gehofft, diese Physikerin werde das versunkene Geheimnis der hohen Geschwindigkeit wiederentdekken. Jetzt war ihre zweieinhalb Meter große Gestalt in sich zusammengesunken und wirkte durch den Nebel und die Finsternis, die in der Luft um sie zu gerinnen schienen, noch farbloser. „Ja?“ fragte die Mutter verdrossen. „Nichts.“ Die Physikerin schüttelte den Kopf. „Es ist zwecklos. Die schwarze Masse weicht nicht von der 331 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
Stelle. Keine Energie, kein Stoff kann ihr den Garaus machen. Unsere Instrumente verzeichnen nichts als die tiefen Temperaturen, die wir auch so fühlen. Sie verraten nur, was wir bereits wissen, daß die Luft weniger durchlässig für Licht und Hitze ist, die irgendwie absorbiert werden, ohne daß dabei Wärme entsteht. Nur ein luftleerer Raum überträgt die Energie unverändert, aber wie sollen wir in einem Vakuum leben? Thard Nilo ist wahnsinnig geworden. Sie sitzt auf ihrem Stuhl, starrt die Wand an und flüstert vor sich hin: ,Die Sonne ist warm, die Sonne scheint hell... die Sonne ist warm, die Sonne scheint hell.‘ Dies wiederholt sie unentwegt. Sie rührt sich nur von der Stelle, wenn wir sie führen. Widerstand leistet sie keinen, aber sie handelt auch nicht aus eigenem Antrieb.“ „Die Sonne ist warm“, sagt die Mutter leise. „Die Sonne scheint hell. Hier scheint sie jetzt nie. Aber in Bish-Waln ist die Sonne hell und heiß, die Luft rein und trocken.“ Die müden Augen hoben sich langsam zur schlaffen Gestalt der Physikerin auf. „Ich... ich glaube, ich werde Bish-Waln einen Besuch abstatten, wo die Sonne warm und strahlend und die Luft... Ich bin noch nie dort gewesen; niemals in der ganzen Zeit, seit die Erde vor viertausend Jahren unsere Heimat geworden ist, habe ich die Sarnstadt verlassen. Nicht ein einziges Mal habe ich Targlan, seinen immer blauen Himmel und die ewig weißen Berge gesehen; und ich 332 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
habe noch nie Bish-Waln im goldenen Sand, im heißen Sand erblickt. Jetzt, ehe die Menschheit sich endgültig erhebt, sollte ich sie mir anschauen. Ja, vielleicht werde ich verreisen.“ Zwei Stunden später raffte sie sich auf, erteilte ein paar unklare Befehle und wieder einige Stunden später stieg sie in ihr Flugzeug. Wie aus den grünen Steinwänden ihres Gemachs strömte auch aus dem Metall und dem kristallenen Glas Eiseskälte. Geistesabwesend starrte die Mutter durch die regennassen Scheiben, während die Gärten und die Sarnstadt, auf denen Finsternis lastete, hinter ihr versanken. Noch ein anderes Flugzeug startete langsam und träge. Flüchtig wunderte sie sich, weil nur noch so wenige Sarn dageblieben waren, daß diese zwei Fahrzeuge alle befördern konnten. Zum erstenmal nach viertausend Jahren verließ sie ihre Residenz. Zum erstenmal seit viertausend Jahren weilte kein Sarn mehr in ihren Mauern. Plötzlich lagen Wolken und Düsternis tief unter ihr, sie bildeten eine mattgraue Masse, die wie eine lebende Kuppel über der Sarn-Stadt wogte und wirbelte. Rot ging die Junisonne unter, und ihre Strahlen fielen schräg über die Menschenstadt, in der eine leichte Unruhe herrschte. Durch den uralten Körper der Mutter der Sarn 333 John W. Campbell – Das Ding aus einer anderen Welt
strömte eine wohlige Wärme, die sie seit sechs endlosen Tagen nicht mehr empfunden hatte, und seliger Schlummer umfing sie, während das Flugzeug die Geschwindigkeit stark erhöhte und sicher den glitzernden Gewässern zusteuerte, an deren jenseitigen Ufern Bish-Waln strahlend und heiß im goldenen Sand der Sahara lag. Die Mutter der Sarn schloß die Augen. Sie sah nicht mehr, daß sich die Wolken unten auflösten und die Aussicht freigaben auf die schwarze Gestalt, die sich langsam aufrichtete. Ihren Blicken blieb auch die Division der Friedenslegion verborgen, die in geschlossenem Zuge auf den Sarnpalast zumarschierte, der mit leeren stillen Fenstern aufragte. Dahinter kam eine Schar Männer in Arbeitsanzügen; sie verteilten sich in den verlassenen unbeleuchteten Werkstätten dieser Stadt, die einst als Wahrzeichen für die Landung der Sarn erstanden war. Ende
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