Nadia Zaboura Das empathische Gehirn
VS RESEARCH
Nadia Zaboura
Das empathische Gehirn Spiegelneurone als Grundlage...
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Nadia Zaboura Das empathische Gehirn
VS RESEARCH
Nadia Zaboura
Das empathische Gehirn Spiegelneurone als Grundlage menschlicher Kommunikation
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Jo Reichertz
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Christina M. Brian VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16390-1
It follows that when the two men alight in each other´s territory (...), whatever vibrations are passed back by one to his native habitat will be felt by the other, and vice versa, and thus return to the transmitter subtly modified by the response of the other party – may, indeed, return to him along the other party´s cord of communication, which is, after all, anchored in the place where he has just arrived (...). It would not be surprising, in other words, if two men (...) should exert a reciprocal influence on each other´s destinies, and actually mirror each other´s experience in certain respects (...).” David Lodge: Changing Places
Widmung Für angeregte fachliche Diskussionen und die konstante Herausforderung meiner Hirnwindungen geht mein Dank an Professor Dr. Jo Reichertz und Professor Dr. Andrew N. Meltzoff. Dieses Buch widme ich drei Menschen, die intersubjektiver Nähe, Tiefe und Verbundenheit eine neue Dimension geschenkt haben.
Geleitwort Geleitwort
„Niemand versteht mich!“ Diese Klage, meist vorgetragen, um die Abgeschlossenheit des eigenen Bewusstseins gegenüber anderen zu beanstanden, konnte lange Zeit darauf vertrauen, von der Philosophie, der Sprachwissenschaft, den Sozialwissenschaften und sogar von der Kommunikationswissenschaft gestützt zu werden. Auf Descartes’ Trennung zwischen res extensa und res cogitans zurückgehend, von Leibniz massiv verschärft, in der Romantik und im Existenzialismus ehrfürchtig bewundert, hat sich die These von den menschlichen Monaden, die füreinander fremd sind und es bleiben müssen, lange Zeit vor allem in den Richtungen der Sozialwissenschaften behaupten können, die das Bewusstsein und seine Leistungen zum Ausgangspunkt ihrer Sozialtheorie machen. Bekannt ist die These, dass wir den anderen nie „wirklich“ verstehen können, unter dem Namen „Intersubjektivitätsproblem“. Es galt lange als unlösbar. So ist z.B. für manche Kommunikationstheorie Verstehen grundsätzlich fehlerhaft. Ähnliches vertritt auch die Systemtheorie: Für sie ist Kommunikation prinzipiell unwahrscheinlich. Die These von der grundsätzlich nicht herstellbaren Intersubjektivität wird durch eine aktuelle „Entdeckung“ in ein neues Licht getaucht. Gemeint ist die Entdeckung der Spiegelneurone durch Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese von der Universität Parma im Jahre 1996, die nicht nur von den Neurowissenschaftlern als neurobiologische Sensation gefeiert wurde. Mit den Spiegelneuronen, so die Hoffnung der Entdecker und vor allem die der zahlreichen Propagandisten, habe man nun die biologische Grundlage für die (nicht nur menschliche) Fähigkeit, Absichten anderer intuitiv zu erkennen, also auch einander zu verstehen. Endlich, so glaubt man, (a) dass es möglich ist, das zu fühlen, was der andere fühlt und (b) zu verstehen, weshalb man fühlt, was der andere fühlt. Wä-
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Geleitwort
re dem in der Tat so, dann wäre das leidige Intersubjektivitätsproblem endlich gelöst. Bislang sind die Konsequenzen aus der Entdeckung der Spiegelneurone weder systematisch noch kritisch aus sozialwissenschaftlicher Sicht diskutiert worden. Diese Lücke schließt sich jetzt mit dem Buch der Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura: Ausgehend von der Entdeckung der Spiegelneurone diskutiert sie deren Konsequenzen für die Geistes- und Sozialwissenschaft. Getrieben wird ihre Erörterung (auch die der philosophischen Ursprünge der Diskussion) von der Frage, ob und inwiefern Spiegelneurone im menschlichen Gehirn eine physiologische Grundlage einer vorsprachlichen und für sprachliche Verständigung grundlegenden Intersubjektivität darstellen: Also verstehen Menschen einander unbewusst und nicht-intentional auf der Basis einer vorgedanklichen, vorbewusst und körperintern ablaufenden Simulation, die durch Neurone produziert werden? Um dieser Frage gerecht zu werden, erörtert Nadia Zaboura anfangs das grundlegende Problem der Intersubjektivität. Hier diskutiert sie Descartes’ Zweiteilung der Welt ebenso wie deren Weiterführung durch Leibniz. Weitere wichtige Stationen auf ihrem Weg durch die Geschichte des Intersubjektivitätsproblems sind die Bewusstseinsphilosophie von Husserl und deren Modifikation durch Merleau-Ponty. Letztere ist für die Arbeit von Nadia Zaboura von theoriestrategischer Bedeutung. Dann beschreibt die Verfasserin die Entdeckung der Spiegelneurone und deren Funktionsweise – soweit man diese im Moment überhaupt einschätzen kann. Demnach wird die Bewertung der Spiegelneurone dadurch erschwert, dass die Texte der Entdecker selbst und die der manchmal übereilten Aneigner so weit auseinanderdriften, dass eine einheitliche Aussage über die Bedeutung der Spiegelneurone nur schwer zu formulieren ist. Dennoch darf die Leistung der Spiegelneurone nicht unter- bzw. überschätzt werden. Diese stellen zwar eine somatische Grundlage für die Simulation einfacher zielgerichteter Handlungen dar, schließen jedoch komplexe Handlungen und übergeordnete, kognitive Prozesse keineswegs aus.
Geleitwort
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Nadia Zaboura begeht an dieser Stelle jedoch nicht den Fehler, die Verstehenslücke schnell zu schließen, sondern sie erarbeitet in ihrem Buch gute Gründe dafür, dass das Verstehensproblem mit Spiegelneuronen allein nicht zu lösen ist. Sie zeigt plausibel – und das ist ein großer Verdienst der Arbeit –, dass zumindest in späteren Phasen der menschlichen Entwicklung auch eine rationale Rekonstruktion des vom anderen Intendierten Basis und Erweiterung einer Theorie des Verstehens ist. Eine umfassende Sicherung der Intersubjektivität durch Spiegelneurone – und damit das Abtreten der Geisteswissenschaften innerhalb der Bedeutungsund Handlungstheorien – ist also zu vermelden. Das vorgelegte Buch sticht ohne jeden Zweifel aus der aktuellen Literatur zu Spiegelneuronen deutlich hervor. Sowohl der Abstraktionsgrad als auch die theoretische Durchdringung des Themas sind außergewöhnlich und innerhalb der Sozialwissenschaften selten anzutreffen. Insbesondere die Weitsicht der Verfasserin, nämlich angesichts neuerer Entdeckungen nicht dieser Entdeckung die Last aller alten Probleme aufzubürden (und deren Lösung), sondern genau zu prüfen, was mit diesem Phänomen erklärt werden kann und was nicht, zeigt, wie differenziert und mit wie viel Augenmaß Nadia Zaboura argumentiert. Prof. Dr. Jo Reichertz Essen im November 2008
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort 1
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Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen? 1.1 Die Rückkehr des Körpers in die Wissenschaften 1.2 Die Relevanz und Brisanz einer Entdeckung
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Zwischen Subjekten
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Eine kleine Geschichte der Intersubjektivität 3.1 Descartes und der verhängnisvolle Leib-SeeleDualismus 3.2 Leibniz und die göttliche Monadologie
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Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus 4.1 Phänomenologie als Mittler zwischen den Welten 4.1.1 Husserl und das Primat des Geistes 4.1.2 Merleau-Ponty: Annäherungen an den Körper 4.2 Wider die Metaphysik: Die Naturalisierung des Geistes
37 38 40 43
Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone 5.1 Die spiegelnden Zellen: Funktionsweisen 5.2 Die befreiende Instanz: Der Sperrmechanismus 5.3 Exakt und logisch: Zwei Feuermodi 5.4 Der Sinn in der Zelle: Zielgerichtetheit 5.5 Holistische Einbettung: Neuronale Kreisläufe
57 60 66 70 71 73
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28 32
47
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Inhaltsverzeichnis
Evolutionäre Bedeutsamkeit und Konsequenzen der Spiegelneurone 6.1 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Phylogenese 6.2 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Ontogenese 6.2.1 Joint attention und (Aktions-)Verstehen 6.2.2 Imitation und soziales Lernen Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren? 7.1 Theory-Theory: Von der verallgemeinernden Regel 7.2 Simulation Theory: Analogieschluss dank eigener Erfahrung 7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie
77 78 84 86 90
97 100 103 106
Bedeutung/Sinn: Ein Auslaufmodell in Zeiten des Naturalismus?
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Das somatisch-geistige Subjekt: Neuausrichtung und Ausblick
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Literaturverzeichnis
143
Abbildungsverzeichnis
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1 Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen? Doch alles, was uns anrührt, dich und mich nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Rainer Maria Rilke
Im angelsächsischen Wortgebrauch besteht eine besondere Redeweise: Monkey See – Monkey Do. Sie bezeichnet das direkte und unbedachte Nachahmen, das bei Affen als niedlich, beim Menschen jedoch als unüberlegt gedeutet wird. Bereits bei Charles Darwin findet sich dieser Sachverhalt in der Aussage wieder, dass „kein Tier freiwillig eine Handlung des Menschen nachahmt, bis wir zu den Affen emporsteigen, die als lächerliche ‘Nachäffer’ bekannt sind“ (Darwin 2005: 89). So besteht ein Großteil der Menschheit darauf, sich vom nichtmenschlichen Primaten abzuheben. Dies belegt er mit seiner Intelligenz, seiner Kreativität und nicht zuletzt seiner Freiheit, zu tun und zu lassen, was ihm gerade beliebt. Diese angenommene Überlegenheit des Menschen fußt auf dem bewussten Übersteigen der reinen Nachahmung hin zu einem wechselseitigen Verstehen und dem Verständnis des anderen als ein Subjekt, das mir ähnlich ist. Dieser bewusste, intentionale, also: geistige Akt wird wie selbstverständlich als Grundlage der Menschheit und ihrer phylo- und ontogenetischen Entwicklung betrachtet. Doch diese sichere Vorstellung gerät ins Wanken. Das Konzept der Verstehensleistung und der Willensfreiheit – von denen jeder sicher ist, sie ohne bewusste Anstrengung zu besitzen – steht auf dem Spiel.
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Abbildung 1:
1 Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen?
Der mirror self-recognition test (MSR) wird angewandt, um festzustellen, ob Lebewesen ihr Spiegelbild lediglich imitieren oder die Möglichkeit besitzen, sich selbst zu erkennen. (Quelle: Cognitive Evolution Group, University of Louisiana at Lafayette)
Denn erst jüngst, Mitte der 90er Jahre, wurde eine Entdeckung gemacht, die die Kraft hat, das bestehende Bild vom vernunftbegabten und sich selbst erkennenden Menschen aus den Angeln zu heben: Die so genannten Spiegelneurone stellen die physiologische Essenz der Empathie und Mitmenschlichkeit dar. Im Gehirn eines jeden Menschen angelegt, feuern sie nicht nur bei der Ausführung eigener Aktionen, sondern auch bei der reinen Beobachtung zielgerichteter Handlungen. Der Effekt: Spiegelneurone lassen uns nachspüren und empfinden, was andere fühlen und denken. Dank dieses Mechanismus können wir uns in den Kopf, in das Gedankengut des Gegenübers hineinversetzen. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind weit reichend und berühren Grundsatzfragen und -annahmen der Wissenschaften, so auch die nach der Intersubjektivität:
1 Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen?
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Weshalb kann ich mein Gegenüber verstehen oder: kann ich ihn überhaupt verstehen? Warum bleibt der Mensch nicht in seinem Körper und seiner Erfahrung gefangen, sondern trennt zwischen einem Du und einem Ich? Wie lassen sich die Handlungen anderer antizipieren? Und schließlich: Aus welchem Grund ist der Mensch ein soziales Wesen? Hinter diesen Fragen steht eine bedeutendere: Es ist die Frage nach den Grundlagen jeglicher Kommunikation und Kollaboration – und damit eine disziplinenübergreifende Angelegenheit. Doch bilden diese neu entdeckten, revolutionären „sozialen“ Spiegelzellen im Gehirn des Menschen wirklich die Brücke vom Ich zum anderen? Grundieren sie den Mechanismus, der uns Empathie empfinden lässt und uns die Gewissheit gibt, dass der andere ein mir ähnliches Wesen ist? Überzeugt davon ist der indische Biologe Vilayanur S. Ramachandran, der den neuronalen Fund als „the single most important ‘unreported’ (…) story of the decade“ (2000 online) herausgehoben hat, ja sogar mit der Entdeckung der DNA gleichgesetzte. Und es eilen ihm weitere, hauptsächlich Naturwissenschaftler zur Seite. Spiegelneurone rücken in einer Zeit in das Zentrum des Forschungs- und Erkenntnisinteresses, in der global die „Decade of the Brain“1 ausgerufen wird. Dieses Buch geht dem Ruf nach, der den Spiegelneuronen vorauseilt. Es werden verschiedene Wege beschritten, um das neuronale Phänomen mit bestehenden philosophischen, sozial- und kommunikationswissenschaftlichen Theorien zu kontrastieren und neu einzuordnen. Ziel ist, das Konstrukt des abendländischen Subjekts kritisch zu hinterfragen und den Zusammenhang zwischen Geist, Körper und Intersubjektivität neu zu verorten. Dies geschieht unter kommunikationswissenschaftlicher Relevanz und endet mit dem bereichernden Blick auf das gänzlich andere Subjekt- und Körperverständnis der asiatischen Wissenschaftslehre.
1 Vgl. hierzu die Proklamation von George Bush im Jahr 1990 sowie von Wolfgang Clement im Jahr 2000.
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1 Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen?
1.1 Die Rückkehr des Körpers in die Wissenschaften 1.1 Die Rückkehr des Körpers in die Wissenschaften Speziell in der westlichen Wissenschaftstradition ist das Primat des Geistes und der damit verbundene Fokus auf das geistige Subjekt tief verwurzelt. Dieses verfolgt willentlich und intentional Wünsche, Absichten und Ziele, so erleben wir uns Tag für Tag. Das Abendland lebt und entwickelt sich aufgrund dieser Schwerpunktsetzung auf den Geist. Inwieweit jedoch auch der Homo sociologicus nicht nur auf einer rein geistigen Ebene seine Welt erschließen, sein Gegenüber verstehen und dessen Intentionen und Beweggründe antizipieren kann, sondern ebenso somatischen Mechanismen unterworfen ist, ist aufgrund der bahnbrechenden neurophysiologischen Entdeckung der so genannten Spiegelneurone eine der drängendsten Fragestellungen unserer Zeit. Umreißen wir das Problem genauer: Kommunikation, die sich als interindividuelle, wechselseitige Verständigungs- und Verstehensleistung definiert, wurde bis dato als vornehmlich geistige Aktivität interpretiert. Das Körperverständnis und seine Rolle innerhalb sozialer Interaktion erfuhr hingegen in der abendländischen Tradition nur wenig Beachtung. Statt diese beiden Pole menschlichen Daseins, die faktisch als geschlossene Ganzheit erlebt werden, miteinander zu einen und so einen holistischen, also: ganzheitlichen Blick auf den Menschen und seine Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit zu werfen, kam es in den Wissenschaften zu einer folgenschweren Aufspaltung zwischen der individuell erlebten Physis-Psyche-Einheit. Das fatale Ergebnis nennt sich InnenAußen-Dichotomie, also die Frage nach der (Un-)Möglichkeit, „in den Kopf des anderen hineinzuschauen“, dessen innerpsychische Zustände unvermittelt zu erkennen oder zu erleben. Proklamierte René Descartes seinerzeit noch diesen dichotomischen Leib-Seele-Dualismus und damit eine strikte substantielle Trennung von Physis und Psyche, wendeten sich im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte mehrere Strömungen gegen diese künstliche Aufspaltung. Von besonderem Interesse für das Verständnis dieses Buches und der Rezeption der Entdeckung der Spiegelneurone sind hierbei die konträr argumentierenden Disziplinen in Form des frühen Rationalismus, der Phänomenologie
1.2 Die Relevanz und Brisanz einer Entdeckung
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sowie des wiedererstarkten Naturalismus, die ihrerseits jeweils ein Primat des Geistes bzw. des Körpers postulieren. Dass der Körper nun aus der aktuellen Diskussion nicht mehr fortzudenken ist, beweisen die zwei prominentesten Ansätze, die diese Jahrhunderte anwährende Debatte zu lösen versuchen. Von Seiten der Naturwissenschaft wird bevorzugt eine monistische Lösung angestrebt bzw. versprochen. So verheißen neue Ergebnisse aus der biologischen Forschung nicht gerade eine Vereinbarkeit beider Entitäten: Eine sich geschickt in Szene setzende Gruppierung von Neurowissenschaftlern propagiert einen physikalischen Reduktionismus und versucht sich damit gleichzeitig an einem erneuten Angriff auf das eigenständig sinnhaft und intentional handelnde Subjekt und das Primat der Ratio. Auf der anderen Seite offenbart sich in der gegenwärtigen Wissenschaftsgemeinde ein neuer Trend, der nicht nur die von vielen als gewaltsame und artifiziell verurteilte Dichotomie somatisch aufzuheben, sondern auch den angestrebten reduktionistischen Atomismus auszuhebeln sucht: Der somatic turn – in dessen Tradition sich diese Arbeit verstanden wissen will – bringt die Soziologie des Körpers zurück in den Diskurs und liefert hiermit eine Hin- bzw. Rückwendung zu einer Theorie des Körpers (siehe u.a. Schroer 2005; Shilling 2003). Der Ansatz: Die Physis lässt sich nicht auf reine Körperprozesse dezimieren, sondern wird gleichzeitig im Spannungsfeld der Gesellschaft verortet und interpretiert. Die Vereinbarkeit und Synthese, also die notwendige assoziierte Betrachtung von Nature- sowie Nurture-Ansätzen, steht im Fokus. So wird die proklamierte Trennung in Innen- und Außenwelt aufgegeben zugunsten eines holistischen, interaktionistischen Modells. In diesem wird Identitätsbildung als kommunikativer Akt verstanden.
1.2 Die Relevanz und Brisanz einer Entdeckung 1.2 Die Relevanz und Brisanz einer Entdeckung In genau diese Diskussion um die Notwendigkeit eines somatischen Blickwinkels auf das Leib-Seele-Problem fällt nun die Entdeckung der
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1 Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen?
Spiegelneurone. Sie ermöglichen ein Resonanzphänomen, das beim Beobachtenden einer Aktion dieselben neuronalen Entladungen auslöst wie beim Handelnden. Allerdings wird die dergestalt innerlich vollzogene Handlung beim Beobachtenden nicht ausgeführt. Die Spiegelneurone spiegeln Gesehenes, überführen es aber nicht in Handlung. Wir stehen vor einem sozialen Phänomen, das subbewussten Körperprozessen unterliegt und sich so der kognitiven Kontrolle entzieht. Der Angriff auf den bewussten und freiheitlich agierenden Geist liegt nun in der instantanen, unmediierten Reaktion, die direkt durch die Spiegelneurone gewährleistet wird. Ohne Umweg durch den Verstand wird ein somatischer Perspektivenwechsel zwischen Alter und Ego vorgenommen2: Der Beobachtende durchlebt selbst die getätigte motorische Handlung als auch die damit verbundenen emotionalen Vorgänge im anderen, so postulieren die Entdecker Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese. Wir hätten es demnach also mit einem interindividuellen ReziprozitätsPhänomen zu tun, in dem sich eine vernachlässigte Art des Wissens, das Körperwissen manifestiert. Auf Grund dessen soll man das Gegenüber in seiner Handlung in einer besonderen Form der Simultaneität verstehen können. Demnach wäre die Grenze zwischen Du und Ich interaktionistisch, jedoch subbewusst durchbrochen, das Zugangsproblem zur Innenwelt des anderen somatisch gelöst. Dieses Buch beschäftigt sich im neu erstarkten Diskurs der Körperlichkeit mit der Relevanz dieser Spiegelneurone für die Vorstellung von bzw. als Grundlage für kommunikative Intersubjektivität – der Prämisse, dass Menschen sich aufgrund gleicher Bedeutungen verstehen und verständigen können. Nach der Klärung des vielseitigen und -schichtigen Begriffs der Intersubjektivität im folgenden Kapitel schließt sich eine
2 Reziprozität ist eine Prämisse für Sozialität. Sie ergibt sich nicht nur aus der Abhängigkeit von anderen, also der biologischen Notwendigkeit nach Artgenossen, sondern auch aus der übergeordneten Zusammenarbeit, die den Menschen erst zum Menschen macht: vgl. Beckers „Man in Reciprocity“ (1956). Reziprozität ist also als Grundlage und gleichzeitig Bedingung gegenseitigen Verstehens zu begreifen.
1.2 Die Relevanz und Brisanz einer Entdeckung
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historische Darstellung des Intersubjektivitätsproblems der Philosophie der Neuzeit an. Beginnend mit dem idealistischen Rationalismus fällt das Augenmerk anschließend auf die für eine Kommunikationswissenschaft bedeutende Phänomenologie, innerhalb derer eine Verschiebung vom Primat des Geistes hin zu einer Miteinbeziehung des Körpers verfolgt werden kann. Darauf aufbauend werden neuzeitliche postmoderne Strömungen des Naturalismus und ihre Lösungsvorschläge in Bezug auf das Leib-Seele-Problem beleuchtet. Die Darstellung dieser historischen Entwicklungen der Intersubjektivität und der Körperlichkeit innerhalb der Wissenschaftsgeschichte bildet das Grundlagenverständnis für die Einordnung und Bedeutsamkeit der im fünften Kapitel dargestellten Spiegelneurone. Sie werden eingehend und in allen Facetten biologisch ausgeleuchtet. Der sich anschließende Abschnitt nimmt dieses Wissen und diese Erkenntnisse zur Grundlage für die Untersuchung der Auswirkungen der Spiegelneurone auf den Menschen. Dies geschieht sowohl unter phylo- als auch ontogenetischen Gesichtspunkten, wobei letztere bedeutend sind für die Entwicklung von genuin menschlichen Eigenschaften wie joint attention, (soziale) Imitation und soziales Lernen. Der Blick fällt dabei auf die Mikro-Ebene sozialer Prozesse – der dyadischen Vis-à-visInteraktion3 – in Bezugnahme auf die durch Spiegelneurone gewährleistete neue Art impliziten, automatischen „Wissens“. Das siebte Kapitel widmet sich der Relevanz dieser Nervenzellen für eine grundlegende Soziabilität4 in Form der Theorie des Geistes. In diesem Zusammenhang und im darauf folgenden Kapitel, welches die Konsequenzen der Diskussion um die Spiegelneurone für die Kommunikationswissenschaft aufzeigt, sollen gleichfalls ihre Auswirkungen auf höhere kognitive Funktionen und soziale Intelligenz untersucht und kritisch betrachtet werden. Gestellt wird ebenfalls die Frage, ob der Mensch ein 3„Die Vis-à-vis-Situation ist der Prototyp aller gesellschaftlichen Interaktionen.“ (Berger und Luckmann 2003: 31) 4 Der Terminus Soziabilität bezeichnet die menschliche Fähigkeit zur Aufnahme sozialer Kontakte sowie der Erhaltung und komplexen Weiterentwicklung dieser.
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1 Menschlichkeit: Ein geistiges oder biologisches Phänomen?
geborener Simulant ist und unter dieser Prämisse überhaupt noch von einem sinnhaft handelnden und kommunizierenden Subjekt ausgegangen werden kann. Denn ist der Homo sapiens sapiens nicht mehr der Akteur – und so der rational, mit Bewusstsein Ausführende, der Autor seiner Handlungen –, stellt sich die Frage, inwieweit sein subjektives Handeln noch mit Sinn und (Willens-)Intention verbunden, sein Verhalten anderen gegenüber – wie es der Urvater der Soziologie Max Weber in seiner Theorie des sozialen Handelns ausdrückte – sinnhaft und wechselseitig am „gemeinten Sinn“ (Weber 1920: 653) orientiert sein kann oder vielmehr ein rein reaktives Verhalten, eine direkte „echte“ Reziprozität nach dem Schema Übertragung – Gegenübertragung, darstellt.5 So wird schließlich zu sehen sein, ob die Vorstellung einer in den sinnverstehenden Geisteswissenschaften hoch gehaltenen kommunikativ erzeugten Intersubjektivität tatsächlich angegriffen sowie die Theorie eines sinnhaft handelnden Subjekts durch das Spiegelneuron-Phänomen und die Naturalisierung von „Bedeutung“ und Intersubjektivität nachhaltig erschüttert oder sogar komplett zerstört werden kann. Im neunten Kapitel folgen das Fazit sowie ein Ausblick auf die potenzielle Bedeutung der Spiegelneurone bezüglich zukünftiger Forschungsfragen einer interdisziplinär arbeitenden Wissenschaft. Dieses Buch behandelt unter einem anthropologischen Fokus eine erkenntnis- und kommunikationstheoretische Fragestellung nach der Alter-Ego-Beziehung auf geistiger und physiologischer Ebene. Weiterhin ergründet sie die Möglichkeiten der Entstehung von kommunikativer Intersubjektivität sowie das Erkennen des Fremdpsychischen im Lichte der Spiegelneurone und spürt damit dem Leib als Ort der Erkenntnis nach.
5 Da diese Untersuchung ihren Schwerpunkt aus der Körperlichkeit heraus entwickelt, wird die Sprache, verstanden als Verwendung signifikanter Symbole, zum Aufbau von Intersubjektivität weitestgehend ausgeklammert, da es sich hier bereits um einen bewussten, intendierten Kooperationsvorgang handelt. Nichtsdestotrotz sind die Erkenntnisse dieser Arbeit von grundlegender Bedeutung für das Verständnis und die Grundlagen sprachlicher Kommunikation.
1.2 Die Relevanz und Brisanz einer Entdeckung
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Die Dringlichkeit einer neuen Untersuchung und Abgrenzung ergibt sich daraus, dass es sich hierbei um eine der Grundbedingungen jeglicher Kommunikation handelt. Damit ist sie eine Kardinalfrage für eine (interaktionistisch verankerte und sinnverstehende) Kommunikationswissenschaft. So kommt es zu einer Verbindung einer soziologischen sowie kommunikationswissenschaftlichen Fragestellung nach den Grundbedingungen und dem Zusammenhang zwischen Verstehen und körperlicher Kommunikation sowie einer Neubetrachtung des Zoon politikon6 auf somatischer Ebene.
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Dieser Begriff steht bei Aristoteles für das soziale Wesen.
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Zwischen Subjekten
Als oft genutztes Wort bietet „Intersubjektivität“ verschiedene Bedeutungsdimensionen. Was genau kann man also unter diesem Begriff verstehen? Geht man von der direkten, etymologischen Wortbedeutung aus, haben wir es mit einem zwischenmenschlichen Phänomen zu tun: Das lateinische Wort „inter“, das für ein zwischen, während oder unter steht, verbindet sich mit dem „Subjekt“, dem etwas Unterworfenen.7 Worauf bezieht sich nun diese Mittlerinstanz? Sie lässt sich als zwischen drei Polen stehend interpretieren. Zuerst ist da die Beziehung zwischen Subjekt und Subjekt. Beide sind wiederum in einer spatial-temporalen Welt situiert und beziehen sich auf diese. Deutlich wird hier die direkte Konnotation des Begriffs „Subjekt“ mit der menschlichen Ausrichtung auf seine Umwelt; die unbelebte sowie belebte, und damit auch soziale Rahmung. Man mag sich fragen, wie Intersubjektivität mit einer kommunikationswissenschaftlichen Fragestellung zusammenhängt. Sehr schnell deutlich wird dies, wenn wir uns einer Definition der Kommunikation zuwenden:8 „Kommunikatives Handeln wird also hier verstanden als der sozial verankerte Prozess, in dem entscheidungsoffene, personale oder institutionelle Akteure versuchen, mittels habitualisiertem oder reflexivem Symbolgebrauch und habitualisierter oder reflexiver Symboldeutung in direktem oder
7 Diese Unterwerfung kann man – im Vorgriff auf die somatische Ausrichtung der Arbeit – auch als unter den Körper stattfindend begreifen. Nur in Anbindung an den Körper lässt sich das Subjekt vollständig umfassen. 8 Als eine von zahlreichen Definitionen von Kommunikation erscheint die vorliegende als die treffendste, um das komplexe Gebilde einer kommunikativen Handlung darzustellen.
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2 Zwischen Subjekten (medial) vermitteltem Kontakt eingebettet in konkrete Situationen ihr Handeln zu koordinieren.“ (Reichertz 2008 online)
Paraphrasierend ausgedrückt bedeutet dies, dass kommunikatives Handeln zwischen Akteuren unter den genannten Parametern erst in einem sozial basierten Verlauf möglich ist. Diesbezüglich und für unseren Kontext herausragend ist der „direkte (…) Kontakt“, der erst den Rahmen für gemeinsame Koordinierung und Kooperation stellt. Intersubjektivität wäre demnach die Grundbedingung jeglicher symbolisch vermittelter Kommunikation. Eine klare Einordnung des Kommunikationsbegriffs bringt jedoch einige Schwierigkeiten mit sich. Ist die Definition erst einmal abgesteckt, verbleiben nochmals zwei Sichtweisen auf diesen intersubjektiven – da zwischen Individuen verlaufenden – Prozess. Es kann unterschieden werden zwischen einer philosophischen als auch einer kommunikationstheoretischen Definition. Die erstere verfolgt die epistemologische Fragestellung, ob bzw. wie Menschen das Gleiche erkennen, also ihre Umwelt gleichartig erfassen. Statt allerdings ausschließlich dieses Erkenntnisinteresse nach objektiver Wirklichkeit und ontologischer Wahrheit zu verfolgen, wenden wir uns der für diese Arbeit bedeutenden zweiten Auslegung von Intersubjektivität zu: der kommunikativ erzeugten. Diese geht davon aus, dass Menschen gleiche Bedeutungen haben, also einen gemeinsamen, sozial konstruierten und tradierten Erfahrungsschatz miteinander teilen, der zwischenmenschliche Verständigung ermöglicht. Miteinander Kommunizierende verbinden also in und mit ihren Handlungen den gleichen Inhalt und Sinn. Diese Interpretation von Intersubjektivität soll in dieser Arbeit zur Anwendung kommen, allerdings unter der noch darzulegenden Einschränkung, dass dies auch unbewussten Prozessen zu Grunde gelegt werden könnte. Inhalt und semantischer Sinn könnten also subbewusst zur Geltung kommen.
3
Eine kleine Geschichte der Intersubjektivität Den anderen verstehen, das heißt, sein Gefühl in uns zu erzeugen. Friedrich Wilhelm Nietzsche
Eine bestimmte Fragestellung zieht sich seit Jahrhunderten durch die Wissenschaften, durch Lehrbücher, durch Disziplinen übergreifende Diskussionen. Gerade im Alterswerk versuchen sich viele Wissenschaftler am Spagat des folgenden Rätsels: Wie ist das Verhältnis zwischen Körper und Geist?9 Dieses als Leib-Seele-Problem bezeichnete, bildet den Nexus der Intersubjektivitätsdebatte. In unzähligen Büchern besprochen, lassen sich die jeweiligen Theorien zwischen die Extreme materialistisch und mentalistisch einordnen.10 Ein Buch, die sich nun dem proklamierten Angriff auf das soziale, geistige Individuum widmet, muss sich deshalb zuerst mit der Verortung des Subjekts und seiner psycho-physischen Konstitution in der Wissenschaftsgeschichte beschäftigen: Wie stellte man sich die Beschaffenheit des Individuums, wie interindividuelle Kommunikation vor? Was hat es mit der Intersubjektivität auf sich? Und welche Rolle spielen die alltäglich als Einheit erlebten Ganzheiten Physis und Psyche dabei? Wie steht
9 Diese Fragestellung ist gleichzeitig die Ausgangsbasis, auf der die reduktionistische Attacke des aktuellen streng ausgelegten Naturalismus gegen Bewusstsein und Intentionalität erfolgt. 10 Erstere erfahren seit kurzer Zeit einen neuen Aufschwung, da das Thema nicht mehr gesondert den Geisteswissenschaften überlassen wird – wie klassisch in Form der Philosophie des Geistes, Psychologie oder Phänomenologie übernommen – sondern sich ein hochpräsenter Neuroreduktionismus in die wissenschaftliche Arena des Leib-Seele-Problems drängt.
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3 Eine kleine Geschichte der Intersubjektivität
es mit der Möglich- und gleichzeitig Schwierigkeit einer Überwindung der Innen-Außen-Dichotomie? Die Historie und Bedeutung der Physis-Psyche-Debatte und deren Herkunftsgeschichte zu kennen, ist überdies deshalb von großer Notwendigkeit. Nur so kann die Relevanz der Spiegelneurone für Intersubjektivität und die daraus entstehende Kommunikation richtig gefasst werden. Ferner lassen sich daraus die aktuellen Entwicklungen einer zunehmend von außen zwanghaft somatisierten Geisteswissenschaft ableiten und auch vor diesem Hintergrund die Entdeckung der Spiegelneurone und deren Auswirkungen auf das sinnhaft handelnde Subjekt einordnen. Fassen wir nun unter einem kommunikationswissenschaftlichem Blickwinkel etwas präziser: Die Leib-Seele-Dichotomie wirft die Fragestellung auf, ob oder wie zwei Subjekte – jeweils in Physis und Psyche unterteilt – wenn schon nicht ineinander eine Synthese beider erreichend, miteinander kommunizieren können. Wie kann die propagierte Innenwelt überwunden und ein rekursiver Kontakt zur Außenwelt hergestellt werden? Wie entsteht die gemeinsame Erfahrung, die verschiedene Individuen miteinander teilen? Diese Fragen, die allesamt auf das Phänomen Intersubjektivität rekurrieren, berühren die fundamentalen Voraussetzungen für Sozialität und damit für Kommunikation. Denn genau darauf zielt die Entdeckung der Spiegelneurone, diesem Phänomen, das zuerst augenscheinlich den althergebrachten Begriff der Intersubjektivität zu erschüttern vermag. Werfen wir zur Klärung dieser Fragen einen Blick auf existierende Erkenntnisse, auf die Wissenschaftsgeschichte des Okzident. Der Start fällt mitunter religiös aus: Lange galt der Geist in der Auffassung der Menschheit als ein Geschenk Gottes. Eine Konzentration auf eine gottgegebene Seele war die Folge. Der von höherer Macht ausgestattete Mensch besaß durch die einzigartig eingehauchte anima ein gegebenes ontologisches und epistemisches Bewusstsein von Recht und Moral sowie letztlich von Wahrheit. Bereits bei Platon und in Homers „Odyssee“ findet
3 Eine kleine Geschichte der Intersubjektivität
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sich solch eine Substanztrennung zwischen göttlichem Geist und Physis: Während des Sterbens verlässt die Seele den Körper als Atemhauch.11 Auch der lang anhaltende Einfluss des Christentums auf die exakte Trennung von Fleisch und Geist sollte sich als folgenschwer herausstellen. Die Anschauung beeinflusste über Jahrhunderte die Theorien der Epistemologie und ist noch bis heute sichtbar in einem verlagerten Schwerpunkt der westlichen Wissenschaftsgeschichte auf den Geist und einer einhergehenden Vernachlässigung des Körpers, letzterer oftmals zur reinen Trägerinstanz der Seele degradiert:12 „From this arise the traditional views of humanity and value in Western intellectual history“ (Yasuo 1987: 43). Diese Ansichten sind aufgrund ihrer Verlagerung auf das Psychische mit hohem Abstraktionsgrad versehen, weisen aber vor allem eine Entkörperlichung – und damit möglicherweise auch Entpersonalisierung? – auf. Eben diese Trennung und die damit eingeschlossene Vorherrschaft des Geistes innerhalb der Subjektphilosophie wird durch eine allseits bekannte Formulierung auf den Punkt gebracht: Cogito – Ich denke. Das Primat wird hier deutlich auf den Geist bzw. geistige Vorgänge gelegt. Die Herkunft dieses Wortes und der prominente Schöpfer Descartes sowie seine folgenreiche Theorie der Substanzentrennung werden im Folgenden eingehend beleuchtet. Gleichfalls im 17. Jahrhundert lebte Leibniz, der Descartes einen monistisch mentalistischen und deshalb: traditionell-konservativen Ansatz entgegenstellte. Als prominenter Vertreter einer deistischen Theorie darf er im historischen Rückblick nicht fehlen. Beiden ist gemein, dass sie das Subjekt als ein grundsätzlich und von Beginn an mit Bewusstsein ausgestattetes Wesen denken und metaphysisch argumentieren.13 Die etymologische Herkunft des Wortes Psyche lässt sich auf das griechische psychein zurückführen, das für hauchen steht. 12 Diese Schieflage der Foki lässt sich bereits bis Augustinus zurückverfolgen. 13 Die Beschränkung auf ausgewählte Vertreter in diesem sowie nächsten Kapitel ist notwendig, um die grundsätzliche Fragestellung und deren Implikationen für die Fragestellung zu umreißen. Eine tiefer gehende Betrachtung der Theoretiker würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 11
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3 Eine kleine Geschichte der Intersubjektivität
3.1 Descartes und der verhängnisvolle Leib-Seele-Dualismus 3.1 Descartes und der verhängnisvolle Leib-Seele-Dualismus There's a gap in between There's a gap where we meet Where I end and you begin Radiohead
Ein Meilenstein in der Diskussion um Verbindungen zwischen Körper und Seele wurde in der Philosophie der Neuzeit durch den Rationalismus gesetzt, genauer: durch die „Meditationes de Prima Philosophia“ (1641) von René Descartes14. Er brachte eine mechanistische Erklärung der Natur in den Diskurs, erklärte den methodischen Zweifel durch seine Kritik an objektiver Erkenntnis und stellte sein Weltbild auf ein zweibeiniges Fundament: die Opposition von Subjekt und Objekt, die Aufspaltung und Gegenüberstellung der Innen- und Außenwelt. Von dieser Basis aus postulierte er drei Instanzen: Gott und der von ihm ausgehenden res cogitans und res extensa. Hier liegt die Vereinigung einer theologischen Vorstellung mit einem naturalistischen Konzept vor, die jedoch vorerst die Trennung von Geist und Körper fordert und die Frage aufwirft, wie eine psychophysische Wechselwirkung zwischen beiden vorstellbar sei.15 Wissenschaftsgeneration nach Wissenschaftsgeneration sollte sich hiernach am cartesianischen Dualismus abarbeiten. Damit wird die von Descartes vorgenommene Trennung zwischen einerseits dem Leib des Natürlich folgt Descartes einer langen Tradition in dieser Fragestellung, die beispielsweise bereits bei Aristoteles aufgeworfen wird: „Der so genannte Geist der Seele – ich nenne Geist das, womit die Seele nachdenkt und vermutet – ist der Wirklichkeit nach, bevor er denkt, nichts von den Dingen. Deshalb nimmt man mit Grund auch nicht an, dass er mit dem Körper vermischt sei. Denn er bekäme dann eine bestimmte Beschaffenheit, würde kalt oder warm oder hätte ein Werkzeug wie das Wahrnehmungsvermögen. Nun hat er aber keines.“ (Aristoteles 1986: 35 ff.) 15 Obwohl Descartes große Anteile seiner Forschung der Anatomie und Neurophysiologie widmete und konstatierte, „dass die menschliche Seele, obwohl sie formal mit dem ganzen Körper verbunden ist (…), ihren vornehmsten Sitz doch im Gehirn hat (…)“ (Descartes, zit. nach Lauth 2006: 14), wird er oft zu sehr als Philosoph verstanden, beispielsweise in dem Buch „Descartes’ Irrtum“ von Antonio R. Damasio. 14
3.1 Descartes und der verhängnisvolle Leib-Seele-Dualismus
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Menschen und andererseits seinen Ideen (ideae), Wünschen, Gedanken, kurzum: seines Geistes bezeichnet. Der materiellen, dinglichen res extensa steht die geistige res cogitans gegenüber. Beide sind völlig eigenständig, nicht voneinander abhängig und gehorchen jeweils eigenen Gesetzen, interagieren jedoch miteinander.16
Abbildung 2:
Die im Gehirn befindliche Zirbeldrüse betrachtet Descartes als Substanz, die zwischen Körper und Geist vermittelt. (Quelle: Wikipedia 2006a online)
16 Aus diesem Grund wird oft auch vom interaktionistischen Dualismus gesprochen, der sich vom psycho-physischen Parallelismus durch das Vorhandensein eben jener Interaktion zwischen Physis und Psyche unterscheidet. Trotzdem ist Descartes’ Dichotomie auf die Beziehung Subjekt – Welt bezogen und somit nicht sozial motiviert.
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3 Eine kleine Geschichte der Intersubjektivität
Der Schwerpunkt der cartesianischen Dichotomie liegt auf der stets bewussten res cogitans. Sie zeichnet als feste innere Substanz die subjektive Realität innerhalb des Menschen auf. Das Innere wiederum besteht aus cogitationes, den Ideen, Gedanken und auch Gefühlen, allerdings nur solange sie bewusst sind. Der cogitatio werden sowohl aktive (Willensakte) als auch passive Funktionen (Wahrnehmungen) zugesprochen (vgl. Lauth 2006: 79). Des Weiteren ist von besonderer Bedeutung, dass die res cogitans durch eine Außenwelt beeinflusst werden kann. Man unterliegt also externen Einflüssen, die zu Veränderungen der Seele und damit auch des Körpers führen können, und auch internen Einflüssen, die auf einer Selbstwahrnehmung oder besser: auf der mentalen Metarepräsentation innerer Zustände gründen. Die Selbstreferentialität der res cogitans schafft also erst eine Dichotomie zwischen Körper und Geist, indem sie das cogito, also das denkende, transzendentale Ich vom Körper separiert und so eine Trennung zum empirischen Ich konstruiert.17 Die res extensa hingegen gleicht einer objektiven Realität, ist lediglich die räumliche Ausdehnung in einer dreidimensionalen Außenwelt. Auch hier fällt der Vergleich mit einer Maschine (vgl. Descartes 1969: 91 ff.) die psychischen Vorgänge werden den physiologischen gegenüber bevorzugt behandelt, diese schauen quasi objektivierend auf jene herab, sind sogar ohne sie denkbar: „(…) soviel gewiß, daß ich von meinem Körper wahrhaft verschieden bin und ohne ihn existieren kann“ (Descartes 1994: 67). Die sich aus diesem Substanzdualismus ergebende Problemstellung ist die commercium mentis et corporis der Entitäten und zieht bis heute als Geist durch die westliche Wissenschaftsgeschichte. Descartes löste diese Aufgabe wie folgt: Der vollständige Mensch, „in quo extensionem et cogitationem simul consideramus“ (Descartes 1996a: AT VIII B: 351), besteht aus beidem, dem denkenden Subjekt in der Bezeichnung der res cogitans sowie dem Leib in Form der res extensa. Keines der beiden ist verzichtbar: 17 Obwohl ich mich als denkendes Subjekt erkennen kann, ist mitunter jedoch noch nicht der Schluss auf die „Existenz von physikalischen Objekten und Prozessen“ (Lauth 2006: 171) erlaubt.
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„Ferner lehrt mich die Natur (…), dass ich (…) ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so dass ich mit ihm eine Einheit bilde.“ (Descartes 1996b: AT VII: 81)
Die Beziehung beider ist jedoch die einer „(kontigente[n]) Verknüpfung“ und nicht „von Natur aus vereinigt“ (Descartes 1996b: AT VII: 425). Stattdessen beruft sich Descartes auf die Überbrückung von Körper und Seele durch verschiedene Vorstellungen. Einerseits lokalisiert er die Seele des Menschen bzw. den Ort der Interaktion18 zwischen Materiellem und Immateriellem in der Epiphyse, dem einzigen nicht lateral angelegten „Organ“ des Gehirns. Dort sollen Lebensgeister (esprits animaux) den Übergang vom physischen Reiz zum psychischen Phänomen bewerkstelligen. Durch diese Situierung eines überbrückenden influxus physicus in der Zirbeldrüse hat er seine reine Geistigkeit letzten Endes jedoch wieder materialisiert. Die Natur geistiger Zustände bleibt weiterhin somatisch definiert. Weiterhin setzt er jedoch gleichzeitig eine divine Instanz voraus, die dem Menschen vorgegebene Ideen und vorgegebenes Wissen anhand gibt, durch die er die Außenwelt erst erkennen und bewältigen kann. Aufgrund der propagierten Wahrheit einer Gottesexistenz ist schließlich auch das von ihm den Menschen eingepflanzte Wissen, mit denen sie nicht nur ihre Welt strukturieren können, sondern aufgrund der gleichen Erkenntnisquelle gleiche Ideen und Bedeutungen in sich tragen, wahr.
18 An anderer Stelle findet sich bei Descartes ein interaktionistischer Ansatz, in dem er schildert, dass der Mensch erst durch die Vereinigung von Geist und Körper „handeln und leiden“ kann (Descartes 1996: AT III: 664).
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3.2 Leibniz und die göttliche Monadologie 3.2 Leibniz und die göttliche Monadologie Et cette dernière raison des choses est appellée D i e u. Gottfried Wilhelm Leibniz
Leibniz, der wie Descartes dem Rationalismus zuzuordnen ist, äußerte sich in seinem Schaffen zu einer Vielzahl von Themen. Für unseren Kontext von Interesse ist seine Antwort auf den cartesianischen Dualismus und dessen Unklarheiten. Untersucht wird deshalb seine Sicht auf die Strukturierung des Menschen sowie das damit allgemein verknüpfte Weltbild, welches das damalige Zeitkolorit in Form von Theorien göttlicher Gnade widerspiegelt. Dabei war Leibniz um eine Auslösung der Leib-Seele-Dichotomie, um „Harmonie als Einheit in der Vielfalt“ (Poser 2005: 43) bemüht. Das Hauptinteresse liegt deshalb auf seinem metaphysischen Werk, der 90 Thesen umfassenden „Monadologie“, in dem er darstellt, dass Menschen den „images de la Divinité même“ (Leibniz 1969: 64) gleichen, also Abbilder Gottes sind. Diese Auffassung ist damit dem Denken klerikaler Anschauung verpflichtet.19 Die Beschaffenheit des Seins erklärte Leibniz so, dass eine von Gott erschaffene Welt per se mit einer Universalharmonie ausgestattet sein müsse, da dieser alle Strukturen harmonisch plane und anlege. Im Menschen finde sich diese als prästabilierte – da durch Gott bereits universell entworfene und durch Monaden automatisch internalisierte sowie individuell perspektivisierte – Harmonie wieder.20 Diese betrifft den Geist des Menschen, der auf einer Monade bzw. einfachen Substanz basiert, die in
Auch in Leibniz’ Terminologie stößt man auf den „Spiegel“, wobei sich dieser auf eine grundlegend andere Form der Resonanz bezieht, als wir im Verlauf der Arbeit weitergehend kennenlernen werden. 20 Die prästabilierte Harmonie zeichnet sich demnach dadurch aus, dass alle Monaden perfekt aufeinander abgestimmt sind, sowohl untereinander als auch in sich selbst. Damit sollte der Leib-Seele-Dualismus Descartes’ überwunden werden. 19
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Unzähligkeit in jeglicher Materie vorhanden sind und eine Allbeseeltheit jeglicher lebendiger Organismen impliziert.21 Hierbei handelt es sich um die kleinsten unteilbaren Einheiten in Form einzelner kleiner Mikrokosmen, die die göttlich gegebene Welt, die harmonische Architektur des Makrokosmos, aus jeweils verschiedenen Perspektiven spiegeln. Aus ihnen kann menschlicher Geist erwachsen, der aufgrund der Vorgeplantheit, der das ganze Universum unterworfen ist, in dieses vorherbestimmt eingefügt ist. Sie sind jedoch – und hier findet sich der Affront zu Descartes – nicht nur ohne körperliche Ausdeh- Abbildung 3: nung, da unteilbar, sondern auch Die mechanische Ente von Jacques de vollkommen solipsistisch in sich ge- Vaucanson zeugt von der oft genutzschlossen und registrieren oder ten Metapher der Lebewesen als Manehmen keinerlei Einwirkung der schine. (Quelle: Wikipedia 2006b onAußenwelt auf22: „Les monades line) n´ont point de fenêtres, par lesquelles quelque chose y puisse entrer ou sortir“ (Leibniz 1969: 28), „excepté Dieu seul“ (Leibniz 1958: 68). Aus der stetigen Verbindung mit Gott als Ur-Kraft und -Bewegung sind Monaden aber keine passiv vor sich hintreibenden Dinge, sondern aktive Substanzen, die ein inneres Prinzip der Veränderung verfolgen.23 Umgeben ist diese Monade von einer Masse, dem Körper, der ohne diese Entelechie – der grundlegenden aktiven, primitiven, von Gott verliehenen Kraft24 – Im Gegensatz zu Tieren besitzen Menschen Geist; erstere sind nur im Besitz einer Seele. Konträr dazu steht allerdings Leibniz Perzeptionsgedanke, nach dem die Monaden der abgestuften Perzeption fähig sind. 23 Hiermit erklärt sich Leibniz Veränderung und Entwicklung, da diese nicht körperlich bedingt sein können, also einer innerlichen Bewegung/Aktion folgen müssen. 24 Der Begriff der dem Körper innewohnenden und ihn steuernden Entelechie findet sich bereits bei Aristoteles. 21 22
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jedoch nicht zum Leben befähigt wäre, da ihm jede Antriebskraft fehle. Daher versteht sich der Körper eher als eine „Machine de la Nature“ (Leibniz 1958: 4) (vgl. Abbildung 3). Zwar trifft man hier auf einen klaren Substanzdualismus, der das Geistige fortwährend zum absoluten Primat erhebt, indem er es vor das Materielle in der Natur setzt, sowie als Spiegel einer allumfassenden Göttlichkeit darstellt, doch benötigen die Monaden einen Körper zwecks materieller Verdinglichung in der Welt; nur so kann ein lebendiger Organismus entstehen.25 Leibniz ging davon aus, dass nur durch die Kombination des materiellen Körpers und einer strebenden Seele – eben der Entelechie – eine vollständige Substanz konstituierbar sei. Die Beziehung zwischen Monade und Körper wird von Leibniz nun als psycho-physischer Parallelismus gedacht: „L´ame suit ses propres loix et le corps aussi les siennes et ils se rencontrent en vertu de l´harmonie pré-établie entre toutes les substances, puisqu´elles sont toutes des representations d´un même univers,” (Leibniz 1969: 63)
so dass der berühmten Uhrwerk-Metapher gleich “weder die Seele die Gesetze des Körpers, noch der Körper die der Seele” (Leibniz 1966: 201) stört. Letzten Endes steht deshalb einer interaktionistischen Kombination von aktivem Geist und passiver Soma die Theorie entgegen, dass der aus stofflichen Atomen zusammengesetzte Körper ohne die vorprogrammierte treibende Kraft der Entelechien vollkommen antriebs- und damit nutzlos wäre. Trotz des solipsistischen Ansatzes und dem vollkommenen Fehlen einer sozialen Einbettung des isolierten Individuums in der Welt finden sich im Universalgedanken auch fruchtbare Gedanken über die materielle Hülle der Monaden. Da jegliche Materie miteinander verknüpft ist und sich alles mosaikhaft spiegelnd auf einen Gottgedanken zentriert, ist je25 Interessant ist, dass der Körper hierbei ein Hindernis bzw. eine Hürde zur Göttlichkeit darstellt, da einzig Gott als körperlose Substanz – in Anlehnung an eine Urform – gedacht wird. Vgl. hierzu den 72. Abschnitt der Monadologie (Leibniz 1969: 60 f.).
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der Körper von der Bewegung anderer Körper betroffen, verspürt und erlebt diese gleichsam mit, da „chaque corps est affecté (…) par ceux qui le touchent, et se ressent en quelque façon de tout ce qui leur arrive“ (Leibniz 1969: 54). Diese frühe Beschreibung eines Resonanzphänomens erstreckt sich jedoch folgerichtig auch universell und bedarf demnach nicht zwingend eines direkten Kontaktes mit anderen Körpern. Die Metaphysik Descartes’ und Leibniz’ stimmt bei allen Differenzen innerhalb der Theorien durchaus in ihren dem Menschen zugedachten Gott gegebenen Fähigkeiten und eingeborenen Ideen (idea innata) überein. Der Mensch besitzt ein zugewiesenes Bewusstsein (beim einen selbst, beim anderen fremd verwaltet), dass rein geistig ist und anhand dessen er eine Außenwelt erkennen kann, da dies von einer Gottgestalt so vorgesehen und vorgeplant worden ist. Nur so konnte man sich damals die Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens vorstellen und sie vermitteln. Die Metaphysik und der damit verbundene angeborene, da göttlich gestellte Geist sollte jedoch durch die Ablösung des geo- durch das heliozentrische Weltbild erschüttert, durch den Ruf nach dem Tod Gottes – öffentlich vollführt durch Nietzsches verbale Todesanzeige26 – und der Abkehr mit zeitgenössischen divinen Vorstellungen bald abgeschafft, der Geist in Form von Körperprozessen oder Nervenzellen naturalisiert und der Körper entgeistigt sowie in Form des Leibapriori mehr in den Vordergrund gerückt werden. Dies zog große Umwälzungen bezüglich der Erkenntnisfähigkeit des Menschen nach sich. Ab diesem Zeitpunkt kann keine äußere Instanz allen Menschen eine gleiche Bedeutung einpflanzen. Unter kommunikationswissenschaftlichen Aspekten ist diese Krise und die damit verbundene epistemologische Skepsis bedeutend für die Frage nach gemeinsam geteilter Erkenntnis. Das Augenmerk des folgenden Kapitels liegt deshalb auf zwei Lösungsansätzen, die jeweils auf ihre Art und Weise versuchen, die von Descartes gerissene und weit aufklaffende Lücke zwischen Körper und Seele zu überwinden und deren Position innerhalb zwischenmenschli-
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Vgl. Nietzsches „Fröhliche Wissenschaft“ (1999: 481)
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cher Verständigung neu zu bestimmen. Der erste Pfad wird bestritten von der Phänomenologie, der zweite von naturalistischen Theorien.
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Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus
Der historische Exkurs zeigt klar, dass die dichotomische Sicht auf das Subjekt die Möglichkeit des Erkennens des Fremdpsychischen nicht sinnvoll erklären kann. Der von vielen als gewaltsam angesehenen Trennung in zwei Bereiche innerhalb eines Subjekts bei faktisch erlebter Einheit wurden deshalb immer wieder monistische Theorien entgegengesetzt, sowohl durch den idealistischen Monismus, der vom Bewusstsein ausgehend argumentiert (in besonders ausgeprägter Form des Solipsismus, wie bei Leibniz zu sehen), als auch durch den empirischen, materialistischen Monismus, der den Körper zur Basis bzw. alleiniges anthropologisches Kriterium nimmt. Die metaphysische Erklärung der Welt sollte demgemäß nicht nur durch neue aufklärerische und philosophische Strömungen kritisiert werden, sondern auch durch fachfremde Disziplinen und Methodologien wie der Psychologie, dem Behaviorismus sowie Positivismus und Naturalismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ablehnung erfahren. Die letztgenannte Entwicklung nahm Edmund Husserl bereits 1930 antizipierend zum Anlass, aufzuzeigen, wie sich durch eben jene Strömungen wie die des Positivismus und Existentialismus und deren Übergriff auf philosophische Diskurse eine „Krisis der Wissenschaft“ entwickelt hat, deren naturalistischer Trend sich bis in die heutige Zeit entfaltet. In seinem gleichlautenden Werk erläutert Husserl als Phänomenologe – und damit Vertreter der „unexakten“ Wissenschaften – die Fragestellung, wie eine rein objektivistisch verfahrende Ausrichtung der Naturwissenschaft die sinnverstehenden Disziplinen sowie das gesamte Denken der Moderne durch die Abwendung vom Lebendigen in eine Sinnkrise stürzen und somit eine allgemeine Kulturkrise auslösen konnte. Der Rückzug auf rein empirisch beobachtbare Fakten geht einher mit einer
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4 Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus
Lebensfeindlichkeit und der damit verbundenen Eliminierung des Subjekts.27 Es folgt ein „gleichgültiges Sichabkehren von den Fragen, die für ein echtes Menschentum die entscheidenden sind“ (Husserl 1976: 3 f.). Der sozial-historische Kontext einer Sinn suchenden Nachkriegsgeneration werde vollkommen ausgeblendet zugunsten einer Wissenschaft, die sich vom Menschen, seiner Situierung in der Umwelt, schlichtweg: seiner Menschlichkeit abgewandt hat. Gemeint ist der positivistische, empiristische Trend auf der Suche nach reiner Objektivität, die jegliche metaphysische – und damit nach dem Sinn, der Freiheit, der Existenz des Menschen suchende – Fragestellung untergräbt. In seiner Radikalität formuliert Husserl: „Der Positivismus enthauptet sozusagen die Philosophie“ (ebd.: 7). Diese Strömung lokalisiert er in den Grundzügen bereits bei Euklid und Galilei. Durch die Jahrhunderte erfuhren deren mathematische Theorien eine Sinnentleerung durch Umformung und Ersetzung des symbolischen durch einen arithmetisch-mathematischen exakten und damit mechanistischen Sinn. Die Abwendung von der philosophischanthropologischen Lehre zieht die „Lebenswelt als vergessenes Sinnesfundament der Naturwissenschaft“ nach sich (ebd.: 48). Inwieweit die Phänomenologie diesen Entwicklungen entgegen trat und auch innerhalb ihrer Disziplin eine Verschiebung hin zum Körperlichen durchschritt wird in diesem Kapitel genauso erläutert werden wie der Anschluss an das cartesianische Modell bzw. die Auseinandersetzung mit einer neuen Vorstellung von und Perspektive auf Intersubjektivität.
4.1 Phänomenologie als Mittler zwischen den Welten 4.1 Phänomenologie als Mittler zwischen den Welten Die cartesianische Trennung fand ihre Entgegnung u.a. in der Phänomenologie, einem Zweig der Philosophie, der bereits auf Platons Höhlen27 Genau diesem Problem stehen die sinnverstehenden Geisteswissenschaften aktuell gegenüber. Der Gegenpart heißt nun jedoch Neuroreduktionismus und wird im Verlauf dieses Buchs kritisch berücksichtigt werden.
4.1 Phänomenologie als Mittler zwischen den Welten
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gleichnis zurückgeht und seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts v.a. mit Edmund Husserl, Martin Heidegger und in seiner französisch-existentialistischen Ausprägung mit Jean-Paul Sartre verbunden wird. Sie kann helfen, die Innen-Außen-Dichotomie von Seiten des Bewusstseins besser zu verstehen und die inner-disziplinäre Annäherung und Miteinbeziehung des Körpers nach zu verfolgen.28 Sie beschäftigt sich – wie der Name bereits suggeriert – mit dem Sichtbaren29, nimmt sich die Erscheinungen des Gegebenen in der 1. Person-Perspektive zum Forschungsobjekt. Das erfahrende Bewusstsein zeichnet sich dabei durch eine unmittelbare Zugänglichkeit der Wahrnehmung aus. Hier eröffnen sich erste Parallelen zur unmediierten Spiegelungsresonanz, von der im fünften Kapitel die Rede sein wird. Dabei wird ein Fokus auf Intentionalität gelegt, die sich jedoch in einem voll-bewussten Status bis hin zu gänzlich unbewusster Aktivität befinden kann. Die grundsätzliche Fragestellung ist also die des: Wie erfahren wir?30 Damit ist die Phänomenologie die Grundlage für und Konzeption jeder verstehenden Sozialwissenschaft. Es herrscht das Primat des Bewusstseins. Die Beantwortung dieser Frage erfordert jedoch bestimmte Maßnahmen, um die vorherrschenden Meinungen und Vorurteile auszublenden, die jeder – auch der Forscher – in sich trägt. Es soll eine Art Voraussetzungslosigkeit (vgl. Prechtl 1998: 23) die Prämisse sein, unter der Wahrnehmungen ohne subjektives Urteil oder Färbung direkt in die Sinne übergehen. Dadurch wird eine objektive epistemologische Herangehensweise an die Außenwelt ermöglicht: „Zu den Sachen selbst“ (HeiDabei liefert sie Möglichkeiten, das Leib-Seele-Problem in der aktuellen Fragestellung zwischen Gehirn, Bewusstsein und Quantenphysik aus einer anderen, einer phänomenalen Perspektive zu betrachten. 29 Das Wort „phänomenal“ leitet sich vom griechischen Verb phaineisthai ab, was für „zu sein scheinen“ oder „erscheinen“ steht. Das griechische Substantiv phainomenon wird mit dem „unmittelbar Gegebenem“ oder „dem Erscheinenden“ übersetzt. 30 Alfred Schütz, der in Husserl’scher Tradition steht, weitet diese Fragestellung durch ein „Wie erfahren wir innerhalb eines sozialen Kontextes?“ zu einer Phänomenologie der sozialen Welt aus. 28
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degger 1993: 27). Dabei erfolgt die Implikation, dass Bewusstsein immer bereits ein Bewusstsein von etwas, also ein intentional ausgerichtetes ist. Die Aufhebung der Leib-Seele-Dichotomie liegt in genau dieser Ausrichtung, die verbunden ist mit dem Einströmen phänomenaler Werte auf und in den Menschen. Im Folgenden wird diese Theorie aufgenommen und erläutert werden. Daran schließt sich der Standpunkt von Maurice Merleau-Ponty an, der gleichsam phänomenologisch argumentiert, jedoch die Wichtigkeit des Körpers innerhalb der Theorie und seine Rolle für Intersubjektivität betont.
4.1.1 Husserl und das Primat des Geistes Das ihm [dem Ego] spezifisch Eigene, sein konkretes Sein als Monade rein in sich selbst und für sich selbst in abgeschlossener Eigenheit, befasst wie jede so auch die auf Fremdes gerichtete Intentionalität (…). Edmund Husserl
Edmund Husserl, in der Tradition Franz Brentanos, gilt als Begründer der Phänomenologie31, auf die im weiteren Verlauf tiefer gehend Bezug genommen wird als einer von zwei Ansätzen zur (Auf-)Lösung des Intersubjektivitätsproblems. Dem cartesianischen Substanzdualismus stellt Husserl die transzendentale Subjektivität entgegen, die sich von Leibniz Monadologie beeinflusst zeigt. Der bereits aufgegriffenen Krise der Wissenschaft setzt Husserl die Phänomenologie entgegen. Demnach begreift man sich in alltagsweltlicher Einstellung als Subjekt, das opponiert ist durch die Objekte der Außenwelt. Diese Spaltung kann durch die Methodik der Epoché – der Aufhebung vorgeschalteter Kategorisierungen sowie Urteile durch Ein-
31 Husserl nennt seine Ausrichtung auch „Theorie der Theorien“ (vgl. Egger 2005: 20). Diese Bezeichnung hat nichtsdestotrotz keine inhaltliche Korrelation zur Theorie-Theorie des siebten Kapitels.
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klammerung bereits bestehender Wissensgehalte und Ansichten – wieder aufgehoben werden32. Die vorprädikative, unvermittelte Aufnahme der Außenwelt (hier weisen wir vorgreifend auf die immediativen, instantan agierenden Spiegelneurone hin) bezeichnet Husserl als kategoriale Anschauung, die als nicht propositional verstanden werden soll; dadurch wird die phänomenale, unveränderte Qualität der Wahrnehmung gesichert. Das Ergebnis ist eine apodiktische Anschauung, die wert- und vorurteilsfrei in einem stream of consciousness mündet und so auch ohne eine metaphysische Erkenntnis der Dinge operieren kann. Gleichzeitig nimmt Husserl an, dass es keine klar definierte SubjektObjekt (Noema)-Trennung gibt, da beide fortwährend durch den Akt des Bewusstwerdens (Noesis) verknüpft sind. Bewusstsein ist so immer auf einen Gegenstand gerichtet, also Bewusstsein von etwas und „insofern immer schon bei den Sachen“ (Prechtl 1998: 26). Durch diesen intentionalen konstruktivistischen Akt ist das Bewusstsein prädisponiert und konstituiert die Außenwelt.33 Die Frage nach der Trennung bzw. Verbindung zwischen Innen- und Außenwelt kann bei Husserl folglich nicht dichotomisch zur Anwendung kommen, da das Innere nie als eigene Substanz gedacht wird, sondern immer schon durch seine Gerichtetheit einen Konnex zur Außenwelt hält. Der konstitutive Akt des Subjekts, das in dieser Welt ist, erschafft erst die Beziehungen zu dieser34: „Die Welt ist für mich überhaupt gar nichts anderes als die in solchen cogitationes bewusst seiende und mir Die Parallele zu Descartes´ methodischem Zweifel kommt deutlich zum Vorschein. Zwar haben wir es hier wieder mit Dualismen zu tun: Es wird zuerst eine theoretische Trennung angenommen, die aufgehoben werden muss. Allerdings dient diese nur der Veranschaulichung einer eigentlich gegebenen, in der menschlichen Interaktion vorkonstituierten Einheit. Damit bewegt sich Husserl durchaus auf den Spuren östlicher Philosophien, die von einer angeborenen Prädisposition zur Vereinigung beider Aspekte in der Praxis ausgehen – mehr dazu findet sich im letzten Kapitel. 34 Dies hat Husserl, der sich selbst auf Leibniz bezog, oft den Vorwurf des Solipsismus eingebracht. Diese Annahme widerlegen jedoch Textstellen wie: „Ich trage alle Anderen in mir.“ (Kern 1973: XLIX (Einleitung des Herausgebers)). Etwaige Parallelen zwischen beiden Theoretiker beziehen sich eher auf die Monadologie, nicht auf den Gottesbegriff oder die Substanzmetaphysik. 32 33
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geltende.“ (Husserl 1963: 8) und weiter: „Ich, das reduzierte Menschen-Ich (psycho-physisches Ich), bin also konstituiert als Glied der Welt, mit dem mannigfaltigen Außer-mir, aber ich selbst in meiner Seele konstituiere das alles und trage es intentional in mir.“ (ebd.: 129) Allerdings stößt man hier auf Widersprüche bezüglich der Definition des Inneren als in sich selbst abgeschlossener Monade, die gleichzeitig auf die Außenwelt gerichtet ist (vgl. das Eingangszitat dieses Kapitels sowie Husserl 1973: 12). Auch ist Husserls Ansatz aufgrund des egologischen Unterbaus und dem damit verbundenen Mangel an sozialer Theorie kritisiert worden. Denn wenn man von einem Primat der Wahrnehmung ausgeht und sich erst auf diese eine praktische, auch intersubjektive Lebenswelt aufbaut, ist das Subjekt seine Sozialität allein konstituierend gedacht.35 Der Körper findet bei Husserl vor allem Erwähnung in der dreibändigen „Phänomenologie der Intersubjektivität“. Besprochen wird er dort als willentlich steuerbares Leibbewusstsein, das durch Perspektivität der Vervollständigung der Wahrnehmung sowie als spatial-temporales Zentrum des Subjekts dient. Von der Primordialsphäre als Ausgangspunkt findet eine Übertragung auf den anderen36 statt: Man nimmt einen anderen Körper wahr und appräsentiert ihn als dem eigenen gleichend, „(…) wie wenn ich dort anstelle des fremden Leibkörpers stünde“ (Husserl 1950: 152; Hervorh. im Original). Diese „Paarungsassoziation“ sorgt für eine einfühlende, empathische Übertragung „mein[es] kinästhetischen Bewusstseins auf einen anderen Körper. Damit unterschiebe ich diesem ein eigenständiges transzendentales Ego“ (Prechtl 1998: 101),
aufgrund dessen der andere ebenso als intentionaler Agent aufgefasst wird bzw. man sich selbst im anderen mit erfährt und sich diese Erfah-
35 Bestärkt wird diese Ansicht durch das intendierte Ausklammern des anderen bei Descartes und Husserl mit dem Ziel, das ureigene Selbst ohne das Alter darzustellen. 36 Der andere wird hier im weltlichen Sinne verstanden. Dagegen steht die Übertragung aus der Primordialsphäre, die ein transzendentales Ego mit einschließt.
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rung „mit meiner Selbsterfahrung deckt.“ (Husserl 1959: 137). Hier findet sich eine Form der Simulation mit Inbezugnahme des eigenen Erfahrungsrepertoires, die jedoch bewusst verfolgt wird und durch die Annahme der absichtsvollen Ausrichtung auf andere Individuen sowie einer Als-obErfahrung in Form der „analogisierende[n] Auffassung des ersteren [des fremden Körpers, Anm. N.Z.] als anderer Leib“ abgeschwächt und in Richtung Theory-Theory37 geschoben wird (Husserl 1950: 140; Hervorh. im Original).
4.1.2 Merleau-Ponty: Annäherungen an den Körper Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und nichts außerdem; und Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe. (…) Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du „Geist“ nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner großen Vernunft. Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die bei Husserl angedeutete Simulation wurde aufgenommen durch eine besondere Ausprägung der Phänomenologie. Diese wurde definiert durch Maurice Merleau-Ponty, der das Phänomen der Resonanz, das sonst vornehmlich innerhalb der Musikwissenschaften von Bedeutung ist, auf soziale Interaktion zwischen Individuen bezieht und somit für eine erweiterte Sichtweise auf sowie eine Erklärung der interpersonellen Kommunikation fruchtbar machte. Besonders und neu ist, dass er die Resonanz somatisiert und damit in der Leiblichkeit des Menschen verankert, anstatt sie rein geistig zu betrachten. In seiner philosophischen Herangehensweise an das Leib-SeeleProblem finden demgemäß auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse ihre Bedeutung, insbesondere solche der Neurophysiologie sowie pathologische Bilder wie z.B. Aphasien. Die Stellung des Körpers in der Leib37
Vgl. hierzu das siebte Kapitel.
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Seele-Problematik erfährt eine Neudefinition, in dem er die Anwesenheit eines Alters „über sein Für-mich-sein hinaus, wahrhaft [als] ein Sein-für sich“ (Merleau-Ponty 1966: 9) begreift und damit einen metaphysischen Ansatz als Quelle des fremdpsychischen Kontaktes zu Gunsten eines physischen kippt. Es beginnt die Somatisierung des Bewusstseins. Das Problem und synchron die Lösung der Intersubjektivität wird von Merleau-Ponty in der Körperlichkeit lokalisiert: Der Körper ist demzufolge sowohl subjektiv als auch objektiv gelebt, er ist gleichzeitig le visible und le voyant, das Sichtbare als auch das Sehende, das Medium zwischen Innen- und Außenwelt als auch selbst Erfahrendes. Durch das être au monde ist das Individuum immer schon in seiner Körperlichkeit betrachtet. So ist „the human subject (…) in the network of interconnections of the in-itself (…)“ verkörpert (Yasuo 1987: 174).38 Dies unterscheidet Merleau-Ponty von vielen Forschungsansätzen, die den Körper rein äußerlich zu betrachten suchen. Stattdessen wird der Körper als Drehund Angelpunkt des Seins betrachtet, der die Welt perspektivisch konstruiert (perspectisme): „[my body] holds things in a circle around itself. Things are an annex or prolongation of the body (…)“ (ind. Zitat aus Yasuo 1987: 171)39. Aus diesem Grund findet sich der Mensch in seinem Leib-Sein immer schon in einem vorstrukturierten Geflecht und in anhaltender Beziehung mit anderen Körpern. Im Gegensatz zum transzendentalen Subjekt Husserls ist der Körper analog als primordial (uranfänglich) zu begreifen (vgl. Petzold und Hilarion 1988: 192). So widmete sich Merleau-Ponty also nicht primär der geistigen Perzeption von Sinneseindrücken, sondern betonte in seiner „Phénoménologie de la perception“ (1945) die Bedeutsamkeit des menschlichen Körpers innerhalb der Erfahrung. So ist der Zusammenhang zwischen Sein und Welt nicht in der Husserl’schen fungierenden Intentionalität (Gerichtet-
38 Vergleiche parallel das Heidegger’sche Geworfensein (thrownness) in einen spatial-temporalen Raum. 39 Dem entgegen setzt er die interne Perzeption, die immer an einen realen Körper gebunden ist (le troisième terme, eine eigene Instanz zwischen Psyche und Physis).
4.1 Phänomenologie als Mittler zwischen den Welten
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sein)40 zu erklären, die sich hinter der bewussten Ausrichtung auf Gegenstände vollzieht. Stattdessen wandelt Merleau-Ponty den Begriff in eine ursprünglichere Form der Intentionalität um, die Körper basiert, vorreflexiv und vorprädikativ ist. Auf die Welt gerichtet ist nicht der Geist, sondern zuvorderst der Leib. So bezeichnete er den Leib als sujet de la perception, sogar als sujet de la connaissance41 und situierte ihn als gelebte Leiblichkeit zwischen Geist und Körper und damit als eine Mittlerinstanz der Leib-Seele-Dichotomie: „(…) die Leiblichkeit als verbindende Stelle zwischen mir und dem anderen“ (Prechtl 1998: 153) oder auch „Die Leiblichkeit [als] verbindende[ ] Stelle zwischen Ich und Du.“ (ebd.) Fassen wir zusammen: Diese praktische Form der Phänomenologie basiert folglich auf der Körperlichkeit bzw. der Bewegung, die den Kontakt zur Außenwelt darstellt und einen Zugang zu ihr vermittelt, und der damit verbundenen Perspektivität. Jegliches Denken oder gar Wissen ist als ein Erzeugnis zwischen der aktiven Beziehung zwischen dem Körper und der Außenwelt zu verstehen: der „(…) Begriff des Leibes (…) als Mittel unserer Kommunikation mit der Welt (…).“ (Merleau-Ponty 1966: 117; Hervorh. N.Z.) Der Leib in der umgebenden Welt zeichnet sich aus durch die intercorporéité, also einen gedachten Zwischen-Raum, der den Körpern die Möglichkeit des Zugegen-Seins sowie des Füreinander-Seins bietet. Dies steht konträr zu Descartes´ rein geistigem, völlig unphysiologischen Wissen, denn hier besteht eine Form der direkten, unvermittelten, vortheoretisierten Wahrnehmung, die nicht gestaltend konstruiert.42 Statt 40 Intentionalität im Husserl’schen Sinne lässt sich als ein Gerichtetsein der Erfahrungen gegenüber der Welt begreifen. Man besitzt das Wissen um das Bewusstsein von oder über etwas. 41 Man möchte hier im Vorausgriff den Begriff als sujet de la connaissance collective verstanden wissen. 42 Vgl. hierzu als Gegenpol Berger und Luckmann, welche den dialektischen Aufbau gesellschaftlicher Strukturen und Wirklichkeit wissenssoziologisch betrachten. Zwar gehen auch diese von einer grundlegenden Einstimmung aufeinander aus: „Mein Ausdruck orientiert sich an ihm und umgekehrt und diese ständige Reziprozität öffnet uns beiden gleichermaßen Zugang zueinander“ (2003: 31), doch handelt es sich bereits um mediierte, bewusste und typisierende Prozesse: „Meine Einstellung auf mich selbst ist ein typischer ‘Spiegelreflex’ auf Einstellungen des Anderen zu mir.“ (ebd.: 32)
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4 Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus
des Geistes fungiert der Leib sowohl als grundlegende Eigenschaft des Bewusstseins, als auch als Erkenntniswerkzeug (vgl. ebd.: 403). Das Leibbewusstsein stellt so die Basis der Wahrnehmung und daran anschließend der Selbstwahrnehmung und Erkenntnis durch Abgrenzung von bzw. Spiegelung in einem Alter: Der erlebende Körper wird subjektiv selbst erfahren. Der erlebte Körper hingegen tritt erst zu Tage durch die Existenz eines Alter, der mit seinem Leib spiegelbildlich dem eigenen gegenüber steht. Körperliche Selbstreflexion ist immer gesellschaftlich: „Meine Geste (…) kann ich selbst nicht voll in den Blick bekommen. Ihre Bedeutung wird für mich erst über die Antworten und Reaktionen der anderen wirklich erfassbar“ (Schöpf 1990: 201)43 und damit intersubjektiv. Merleau-Ponty ist also Wegbereiter für eine neue Somatisierung und Hinwendung zur Leiblichkeit, beispielsweise in der Form neuer Simulationstheorien oder der Neustrukturierung der Wissenstheorien (embodied knowledge) unter der Prämisse, dass keine strikte Subjekt-Objekt-Separation des Körperlichen sowie Körper-Geist-Trennung stattfindet. Deshalb benötigt Merleau-Ponty in seiner Theorie kein strukturierendes Bewusstsein von Welt, da „eine sinnhaft strukturierte Welt […] immer schon vorgegeben [ist], weil und insofern ich und die anderen sich und einander vorgegeben sind, und zwar im Sinne einer leiblichen Existenz, die einen präpersonalen, präreflexiven Charakter einnimmt.“ (Waldenfels 1985: 63).
Die Nähe zur instanten, intersubjektiven, vorbewussten Resonanz der Spiegelneurone, die uns im fünften Kapitel begegnen wird, tritt bereits deutlich zu Tage. Das Interesse und die Einbindung des Körpers in eine anthropologische Sichtweise lassen sich jedoch nicht nur innerhalb der Phänomenologie zurückverfolgen. Aktueller denn je sehen sich speziell geisteswissenschaftliche Disziplinen einem neu erstarkten Monismus in Form des materialistisch argumentierenden Neuroreduktionismus gegenüber, der 43
Klare Parallelen finden sich hier zu Meads Geste, vgl. das nächste Kapitel.
4.2 Wider die Metaphysik: Die Naturalisierung des Geistes
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mentale Zustände durch komplexe, neuronale Aktivität ersetzt. Dieser Gegenpol wurde durch die schrittweise Naturalisierung des Geistes u.a. durch Bateson (biologisch-evolutionäre Epistemologie), Darwin (Evolutionstheorie), Gehlen (philosophische Anthropologie) und Mead (symbolischer Interaktionismus) vorbereitet. Die letzten drei Vertreter und ihre Theorien werden zur Verdeutlichung der naturalistischen Strömung und ihrer Bedeutung für den Fund der Spiegelneurone im folgenden Unterkapitel dargelegt.
4.2 Wider die Metaphysik: Die Naturalisierung des Geistes 4.2 Wider die Metaphysik: Die Naturalisierung des Geistes Mind is a process, not a thing. William James
Wenden wir uns nun wieder der Krise der Wissenschaften zu: Auf Basis der verhängnisvollen cartesianischen Trennung zwischen Körper und Geist entfachte sich ein Disziplinenstreit, der sich durch bis in die heutige Zeit reichende Kontroversen und Dispute äußert. Sowohl Theorien zur Einigung, aber auch zur Exklusion einer dieser beiden „Substanzen“ werden dabei innerhalb der Debatte vorgetragen. So zeigen sich gegenwärtige „weiche“ Wissenschaften, die ihr Fundament auf Fragen der Philosophie und Sozialität gründen, mit der von Husserl beschriebenen Entwicklung der „Naturalisierung des Psychischen“ (1976: 64) konfrontiert. Entgegen dem phänomenalen Ansatz werden wir in diesem Kapitel sehen, dass naturalistisch ausgerichtete Theorien mit anderen Prämissen an die Leib-Seele-Dichotomie herangehen. Die Hinwendung zu einer positivistischen, exakt empirisch arbeitenden Wissenschaftsströmung verfolgt – nach dem Fall der Intersubjektivität durch den Ausschluss Gottes – in unterschiedlichsten Ausprägungen oft die monistische Ausrichtung auf die Natur bzw. natürlich gegebener Vorgänge, die innerhalb der naturalistischen Theorien einen epistemologischen und/oder ontologischen Wahrheitsanspruch haben sollen. Die im dritten Kapitel aufgezeigte Metaphysik – und hierin eingeschlossene religiöse Begrifflichkeiten – hat bei
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4 Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus
der strengen Auslegung dieser Herangehensweise keinerlei Relevanz, der Gottesbegriff wird geopfert. Der Mensch und seine Stellung in der Welt als geistiges Subjekt gesteuert durch eine geistige Substanz wird vom strengen Naturalismus ausgeschlossen, da „sie [ja] abstrahiert […] von allem Subjektiven“ (Husserl 1976: 4). Diese strikte Auslegung, die sich aktuell bei einigen Neurowissenschaftlern findet, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Stattdessen ist der Ansatz des Somatic Turn von Interesse, der sich auf ein Verständnis des Geistigen sowie menschlicher Kultur als Produkte evolutionärer Entwicklungen bezieht, die sich aus der Interaktion mit der Umwelt, spezieller: einer gesellschaftlichen Umwelt ergeben, während gleichzeitig das Primat des Körpers vorherrscht. Dies zielt genau gegen die Vorstellung einer angeborenen Ich-Instanz.44 Stattdessen wird der Mensch als Tabula rasa begriffen, der sich in seiner Ontogenese erst innerhalb einer Sozialität zu einem Individuum entwickelt. Einzig der gesellschaftliche interaktive Prozess, in dem man den anderen und sich davon abgrenzend auch sich selbst erfährt, schafft die Grundlage für geistige Individuen und miteinander geteilter Erkenntnis und Bedeutung, also Intersubjektivität. In diesem Abschnitt werden mit Darwin, Gehlen und Mead drei prominente Vertreter und Vordenker und deren Auslegungen des Naturalismus kurz beleuchtet werden, um den Übergang zu dieser Wissenschaftstradition und deren Auswirkungen auf eine „natürlich“-biologische Herangehensweise an das Phänomen Mensch zu verstehen, die jedoch immer auch gesellschaftlich argumentiert.45 Dabei fällt der Blick bevorzugt auf die Rolle des Körpers in einer solchen, um im anschlie-
44 Aus diesem Grund wird das Ich in den zuvor beschriebenen Theorien als gegeben angenommen und dessen Entstehung oder Herkunft nicht näher hinterfragt. 45 Schließlich bereiteten sie den Weg nicht nur für eine naturalistische, sondern auch reduktionistisch-mechanistische Sichtweise auf den Menschen, welche eine spezifische Hochkonjunktur innerhalb der westlichen Welt feiert. Erst in diesem Kontext – der Konzentration auf Gehirnvorgänge und deren Ableitung zu originär philosophischen und soziologischen Fragestellungen – wurde die Entdeckung des Spiegelneuronphänomens als Diskussionsthema innerhalb der Geisteswissenschaften salonfähig.
4.2 Wider die Metaphysik: Die Naturalisierung des Geistes
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ßenden Kapitel auf dieser Basis auf die aktuellste Forschung zur naturalisierten Intersubjektivität in Form der Spiegelneurone einzugehen. Mit Charles Darwin kam in wuchtvoller Form eine biologische Fundierung wider einer schaffenden und lenkenden Gottgestalt in die Wissenschaft. Er wandte sich in seiner Evolutionstheorie als überzeugter Atheist gegen eine göttliche Untermauerung des Menschlichen.46 Sein Interesse galt ausschließlich den biologischen Objekten, der Natur. Sein Postulat, dass ein so komplexes Wesen wie der Mensch neben allem anderen Belebten aus einfachsten Formen hervorgeht, dass er mit Primaten die gleiche Abstammungslinie teilt, wird nach der Kopernikanischen Wende als die zweite große Kränkung der Menschheit beschrieben. Der besonders weise Mensch ist nun kein göttliches Schöpfungsprodukt mehr, sondern ein durch natürliche Selektionsprozesse entstandenes Wesen, reduziert und degradiert zum sozialen Tier (vgl. Darwin 2005: 136). Darwin selbst postulierte die Verankerung „alle[r] geistigen Leistungen in einer nicht-reduktionistischen Weise in die Funktionen des Organismus“ (Joas 1980: 39) und versuchte durch diese Dependenzkorrelation, die Lücke zwischen Geist und Körper zu überwinden, da das eine aus dem anderen hervorgehe. Der naturalistische Trend zeigt sich bei Darwin außerdem in einer Manifestierung der Sinnesempfindungen, in einer Verankerung der Emotionen im Körperlichen: Die Gefühlswelt erfährt erstmals eine Abhängigkeitskorrelation mit der Physis. In motorischen Programmen lokalisiert, zeigt sie deshalb eine Art umfassende, globale Ausdrucksuniversalität der Mimik. Hier lässt sich der früh beschriebene Ansatzpunkt eines global funktionierenden Resonanzsystems erkennen: Erst durch die biologische Ausstattung, die alle Individuen der Spezies Mensch umfasst, lässt Zur Kumulation des Aufpralls metaphysischer und naturalistischer Theorie findet sich bei Darwin auch der Bezug zum Gehirn: „Wir wissen nicht, wie so viele abgeschmackte Verhaltungsmaßregelungen und religiöse Glaubensformen entstanden sind, noch wie sie sich in allen Teile der Welt so tief in die Seele der Menschen einprägen konnten. Es ist aber der Bemerkung wert dass ein dem Gehirn in seiner aufnahmefähigsten Zeit beharrlich eingeschärfter Glaube schließlich fast die Natur eines Instinktes anzunehmen scheint (…).“ (Darwin 2005: 154) 46
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4 Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus
sich der andere als mir ähnliches Wesen erkennen. Es entsteht ein korrelatives Verständnis vom anderen. Auch ist kommunikativ von Bedeutung, dass der Organismus bei Darwin nicht als passiver Spielball der biologischen Umwelt auftritt, sondern sich vielmehr als aktiv gestaltende Instanz versteht, welche die äußeren Umstände bewegend verändert und zu seinem Vorteil formt und modifiziert. Dieser Ansatz lässt sich als früher interaktionistischer verstehen und ist deshalb sehr fruchtbar für die Frage nach kommunikativer Intersubjektivität, baut sie sich doch erst durch und innerhalb der Interaktion mit einer Umwelt auf.47 Eine weitere Station der Naturalisierung wurde gezeichnet durch Arnold Gehlen. Er war ein Vertreter der philosophischen Anthropologie des frühen 20. Jahrhunderts. Sein Hauptwerk „Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt“ zeigt programmatisch auf, dass sein Interesse sowohl den biologischen Voraussetzungen des Menschen, aber auch seiner Stellung innerhalb einer vorgeformten, sozial strukturierten Gesellschaft galt. Gehlen umging das Leib-Seele-Problem, in dem er statt des Geistes die Handlung setzte. Dazu nahm er in Herders Tradition als Ausgangspunkt ein in seiner Struktur determiniertes „Mängelwesen“ an, welchem die Instinktgeleitetheit und damit die Festgestelltheit in der Welt abhanden gekommen seien.48 Für diese negativisierende Haltung der anthropologischen Konstitution – verbunden mit einer bedenklichen politischen Haltung – oft berechtigterweise kritisiert, bleibt trotzdem der fruchtbare Handlungsbegriff, denn diese defizitäre Disposition verlangt nach Ausgleich. Dies geschieht bei Gehlen, in dem er den Menschen als handelndes Wesen definiert (vgl. 1976: 23, 32). Durch seine organisch mangelhafte Ausstattung und damit einhergehende Weltoffenheit sowie seine
Aus diesem Grund findet dieser Punkt nähere Betrachtung im achten Kapitel. Damit befindet er sich klar in Darwins Tradition, der beschrieb: „Doch hat vielleicht der Mensch etwas weniger Instinkte als die ihm zunächst stehenden Tiere“ (Darwin 2005: 80). Doch gereicht dies dem Menschen bei Darwin im Gegensatz zu Gehlen nicht zu einem zwingenden Nachteil, da Instinkt und Intelligenz nicht zwei sich ausschließende Faktoren darstellen (vgl. ebd.: 81).
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mangelnde Einpassung in eine spezifische biologische Nische ist der Mensch prinzipiell lebensunfähig. Daraus erwächst die Verdammnis, seine Umwelt produktiv und gestaltend zu bewältigen, sich eine „zweite Natur“, eine Kulturwelt zu erschaffen (vgl. ebd.: 38). Ermöglicht wird dies einerseits durch die nicht restringierte, offene Ausrichtung der Sinne auf Erfahrung und Kommunikation (vgl. ebd.: 71) sowie durch den Hiatus, jener Pause, die sich zwischen Reiz und Reaktion schaltet und die Möglichkeit zu überlegtem, variablen, flexiblen Verhalten und Denken gibt. Zur Überwindung der Innen-Außen-Dichotomie findet sich bei Gehlen also gleichfalls ein interaktionistischer Ansatz, da er versucht, sein Menschenbild sowohl biologisch und auch geistig aus der Handlung heraus zu verstehen, eine solche Trennung also von vornherein vermeidet: „(…) es kommt uns darauf an, unbeschadet der von vornherein zugestandenen Unmöglichkeit, den „Geist“ auf das „Leben“ zurückzuführen, diejenigen Kategorien zu finden, die „durchlaufen“, die also das Zusammenbestehen dieser Schichten möglich machen.“ (ebd.: 12).
Auch finden sich reflexive Somatisierungsprozesse bei Gehlen, wenn er die Stellung des Körpers innerhalb kommunikativer Erfahrungsprozesse sowie die Möglichkeit, dass diese selbst sinnlich rückempfunden werden können. Allerdings besteht keine ausformulierte Ausführung, wie aus dem defizitär bestimmten Körper innerhalb eines kompensatorischen Aktes ein problematisierter, weil überflüssiger Geist heranwächst. Wenig hilfreich ist der daraus entstehende „ungenügende[n] Begriff von Intersubjektivität“ (Joas 1980: 48). Anders stellt sich die Theorie von George Herbert Mead dar, der den Menschen gleichfalls nicht ausschließlich biologisch, sondern gleichzeitig gesellschaftlich-sozial betrachtete. Durch sein breit gefächertes Interessen- und Forschungsfeld kam Mead nicht nur mit Philosophie und Psychologie der Jahrhundertwende, sondern eben auch mit evolutionstheoretischen Ansätzen in Kontakt, worauf hin er sich fachübergreifend mit der Beziehung zwischen Geist und Organismus bzw. die Verankerung des ersten im letzteren auseinandersetzte sowie eine spezifische Gewich-
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4 Neue Antworten: Phänomenologie und Naturalismus
tung auf die Beziehung zwischen Subjekt und seiner Umwelt legte.49 Dadurch kam es zu einer Fundierung seiner Subjekt- und Bedeutungstheorie auf einer anthropologischen Basis. Die geistigen Leistungen galten dabei als phylo- aber auch ontogenetisch funktional für das soziale Wesen Mensch, der sich in seiner Umwelt orientieren und zurechtfinden muss. Sie bedingen auf diesem Weg seine Disposition zur Handlung bzw. seine Handlungsfähigkeit. Die Leib-Seele-Kombination ist auch bei Mead im praktischen Sinne auf die Welt ausgerichtet und verfolgt im sozialen Gefüge sinnhafte Handlungen: „Die Theorie der Intersubjektivität bei Mead ist nun […] an praktischer Intersubjektivität [ausgerichtet]: das heißt, an einer sich im gemeinsamen Handeln zu Lebenszwecken ausformenden Struktur, in die die Leiblichkeit und die äußere Natur zwanglos eingehen.“ (Joas 1980: 19)
Wir sehen hier einen weiteren naturalistischen, jedoch nicht reduktionistischen Ansatz durch die Ausrichtung auf den Körper, auch – und damit den aktuellen Trend vorwegnehmend – auf die Nervenzellen50, die besonders in Meads Werk „Geist, Identität und Gesellschaft“ eben in Bezug auf den Geist, die Subjekthaftigkeit sowie Intersubjektivität thematisiert werden. Gleichzeitig ist dieser, wie wir im Folgenden sehen werden, verknüpft mit einer umfassenden Handlungstheorie: In Darwin’scher Tradition werden „alle menschlichen Erkenntnisprozesse auf Lebensprozesse“ (Joas 1980: 40) bezogen. Die naturalistische
49 Das Verhältnis zum Körper ist also wie folgt gedacht: Er kann vom Subjekt nicht als einheitliches Objekt wahrgenommen werden, da es selbst schon Teil des Objektes ist. Erst in Abgrenzung zur Umwelt wird eine äußere soziale Sicht auf den Körper möglich, die ihn erst als einer Person zugehörig konstituiert. 50 Bereits Mead warnt vor einem neurophysikalischen Reduktionismus: „Die Handlung nicht der Nervenstrang ist also das grundlegende Datum sowohl der Sozial- wie der Individualpsychologie (…)“ (1973: 46) sowie „Geistiges Verhalten kann nicht auf nicht-geistiges Verhalten reduziert werden, doch können geistiges Verhalten und geistige Phänomene durch nichtgeistiges Verhalten oder nicht-geistige Phänomene erklärt werden (…).“ (ebd.: 49)
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Ausrichtung erscheint hier sehr deutlich, wird aber für alle Sozialwissenschaften fruchtbar ergänzt durch das auf diese Ebene aufgesattelte nichtindividualistische Ich (vgl. Joas 1980: 90), das als sozial konstruiert definiert wird. Dabei ist die immer schon vorhandene somatische Intersubjektivität in Form der biologischen Verankerung in der Lebenswelt die Voraussetzung zum Vorgang der Individuierung. Identität ist also ein gesellschaftlich gewachsenes Phänomen, kein angeborenes, sondern ein Produkt sozialer Handlungen und Interaktion. In der Leib-Seele-Debatte lässt sich Mead also nicht auf Seiten der Vertreter eines apriorischen Geistes finden. Stattdessen kann eine doppelte Herangehensweise an das Thema festgestellt werden: Auf der diachronen Ebene ergibt sich ein Dualismus erst zu dem Zeitpunkt, an dem eine Desozialisierung dinglicher Objekte stattgefunden hat. Daraus folgt die Dichotomisierung von aktiv handelndem, sozialem und rein physischem Wesen (vgl. Joas 1980: 158). Auf dem synchronen Level betrachtet ist der Geist ein augenblicklicher, in Handlung entstehender. Der Dualismus wird aufgelöst durch und zugunsten der Situativität von Handlung, so dass weder eine rein biologistische, noch transzendentalphilosophische Ausrichtung vorliegt. Geist, Individualität sowie Bedeutung werden nun als intersubjektiv konstituiert betrachtet, was eine klare Parallele zu den im Folgenden zu besprechenden Spiegelneuronen bietet: All dies „entsteht aus der Kommunikation durch Übermittlung von Gesten innerhalb eines gesellschaftlichen Prozesses oder Erfahrungszusammenhangs“ (Mead 1973: 89; Hervorh. N.Z.).51 So sehr sich Mead in seinem sozialkonstruktivistischen Ansatz von den hier vorgestellten naturalistischen Theorien am weitesten einer sinnkonstituierenden und -verstehenden Kommunikationswissenschaft annähert und diese gleichzeitig mit einer naturalistischen Ebene unterfüttert, verbleibt er in der Definition der Intersubjektivität bei einem vornehmlich bewussten sozialen Umgang, der an das Vorhandensein von 51 Das fruchtbare Konzept dieser Gesten bzw. des vorweggenommenen Handlungsendes wird im sechsten und siebten Kapitel dieser Arbeit erneut aufgenommen.
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signifikanten Symbolen gekoppelt ist; dies, um gleiche Erfahrungen wie das Gegenüber haben zu können und mit diesem in einen kooperativen Prozess einzutreten. Durch die innere Repräsentation, die zuerst über unbewusste Gesten verläuft und schließlich mit dem Sinn der Gestengesamthandlung zu intersubjektiver Bedeutung verknüpft wird, wird „sowohl Verstehen wie bewusste Imitation“ möglich (Joas 1980: 99). Deshalb ist bei Mead immer das Vorhandensein von Symbolen notwendig (vgl. ebd.: 113), um sinnhaft kommunizieren zu können. Trotzdem hat er auf die Möglichkeiten „unmittelbar reflexhafter Anpassung“ hingewiesen (ebd. 154) – und hat damit seinerzeit bereits ohne Wissen eine entscheidende Differenzierung getroffen: Dem Menschen steht beides zu, sowohl die unmediierte, unbewusste, als auch die reflektiert bewusste Anpassung. Dabei geht die somatische Resonanz der geistigen voraus; die erstere bildet die Grundlage für letztere.52 Anstatt von einer Dichotomie von Geist und Körper auszugehen, hat sich innerhalb des Naturalismus also ein Zweig entwickelt, der beide Instanzen korrelativ und handlungstheoretisch, also pragmatisch53 verknüpft. Durch diese Vorbereitung einer Kombination von Naturalismus und Psychologie wurde der Weg weiter für die Fragestellung geebnet, wie Intersubjektivität und darauf aufsattelnde Nachahmung entstehen kann. An dieser Stelle fügen sich die Spiegelneurone als Mittlerinstanz zwischen Physis und Psyche wieder nahtlos in den Kontext. Wie dies geschehen kann, wird im folgenden Kapitel anhand der bereits erwähnten neurophysiologischen Entdeckung dieser Neurone erläutert werden, die eben nicht symbolischer Leistungen bedarf, sondern durch unbewusstes Nachvollziehen einen intersubjektiven Rahmen der Interaktion und Bedeutung erschaffen kann. Denn zuspitzend wird in materialistischer Tradition seit neuestem ein isoliertes – wenngleich höchst außergewöhnliches – Organ verwendet, um den cartesianischen Substanzdualismus, der bei Husserl im ZusammenDieses Prinzip wird aufgrund seiner Wichtigkeit im Kontext der Fragestellung dieser Arbeit im achten Kapitel besprochen. 53 Vom Griechischen pragmein für „handeln“. 52
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hang mit der Aufspaltung der Natur in geschlossene Welten (insbesondere die des Körpers) genannt wird – positivistisch aufzuheben. Die neu fokussierte Frage des: „Wer entscheidet?“ wird in der Dekade des Gehirns genau mit diesem als alleiniger Instanz beantwortet.54 Wir möchten uns jedoch klar und ausdrücklich von der neuro-atomistischen Bewegung distanzieren, die das Intersubjektivitätsproblem durch gänzliche Negierung eines bewussten, intendiert handelnden Subjekts und zugunsten gewisser neuronaler Abläufe in bestimmten Cortexarealen lösen möchte. Auch wenn dieser Ansatz hohe Popularität genießt und inzwischen im öffentlichen Diskurs verankert ist, stimmen wir nicht mit der Meinung überein, dass der Mensch und seine Willens- und Handlungsfreiheit eine vom Gehirn geschaffene Illusion sei, dass also die Leib-Seele-Dichotomie nicht nur physisch aufgelöst, sondern auch evoziert wird. Unter dieser Prämisse wenden wir uns nun den Spiegelneuronen zu.
54 Hier geht es jedoch nicht die Fragestellung der alleinigen Herrschaft der Materie und der damit einhergehenden Verneinung des Geistigen, das lediglich eine Illusion durch Neuronentätigkeit sei. Zu diesem ontologischen Reduktionismus bzw. eliminativen Materialismus vgl. Churchland (1986) oder Crick (1994). Diese Diskussion soll an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden, da sie hoch komplex ist und das Thema dieser Arbeit nur tangiert. Von Belang ist der Eindruck, dass der Körper den Geist in den Wissenschaften immer weiter zurückdrängt und eine 1:1-Übertragung von neuro- auf geisteswissenschaftliche Daten bzw. die Gleichsetzung geistiger mit neuronalen Zuständen der Identitätstheorie (vgl. hierzu Place 1956) sowie weitere reduktionistische Ansätze des materialistischen Mainstreams mit größter Vorsicht zu genießen und kritisch zu hinterfragen sind. Jeglicher eliminativ-reduktionistische Ansatz muss sich jedoch fragen, wie der Geist trotz seiner materiellen Basis nicht-materielle Eigenschaften wie Qualia oder Intentionalität besitzen kann. (Qualia, auch „phänomenales Bewusstsein“, sind die subjektiven Empfindungen mentaler Zustände, die ein jeder spürt und überzeugt ist, zu besitzen. Beispielhaft seien Schmerz oder Farbempfinden genannt.)
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Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone55
5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone (Das) Erleben eines eigenen Zustandes und eines fremden Zustandes oder einer fremden Individualität sind nun im Kern des Vorgangs einander gleich. Wilhelm Dilthey
Die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts ist ein hartes Pflaster. Sie ist mehr denn je geprägt von Kämpfen um Zuständigkeiten, thematischen Raum und Kompetenzen. Zwar steigt das Interesse an interdisziplinärer Forschung, doch die Attacken der Fachbereiche gegeneinander fallen immer härter aus. Im Ziel der Kritik stehen dabei besonders Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich durch den Einstieg der Naturwissenschaften auf das Feld anthropologisch-philosophischer Grundfragen von diesem abgedrängt fühlen und verunsichert nach einem neuen Selbstverständnis ringen. In diesen Trend der Ausweitung des Inhaltsspektrums und die sich anschließende Diskussion und den Streit sich anfeindender, konkurrierender Disziplinen hinein fällt eine Entdeckung der 90er Jahre, die als die einzige, wichtigste Begebenheit dieses Jahrzehnts gilt, über die jedoch nicht berichtet wird (vgl. Ramachandran 2000 online). Bei dieser verheißungsvollen Botschaft geht es um ein somatisches Resonanzsystem, das im Gehirn lokalisiert ist. Solche Resonanzphänomene sind den Wissenschaftsdisziplinen dabei keineswegs fremd. Bereits in Luhmanns Systemtheorie fällt der Begriff Resonanz, wird dort allerdings als mechanisch verlaufender Übertragungsprozess zwischen Sys55 Dieses Kapitel erschien in Abwandlung als Aufsatz in dem Buch „Akteur Gehirn“ (Reichertz und Zaboura 2006).
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
temeinheiten definiert, der von Energie und Entropie bestimmt wird. Und auch bei Merleau-Ponty findet sich bereits ausführlich beschrieben, wie externe Vorgänge in der Umwelt eines Individuums in interner Simultaneität nachvollzogen werden: Das Verstehen des anderen besteht darin, den Sinn seines Tuns nachzuempfinden. Doch die neuartige Entdeckung vermochte die Wissenschaftswelt in helle Aufregung zu versetzen, da sie in anthropologische Strukturen herein reicht, die üblicherweise mit dem Etikett „geistig“ versehen werden, besonders in Bezug zur Frage nach Intersubjektivität. Werfen wir zuerst einen genaueren Blick auf die Findung der Spiegelneurone. Abbildung 3:
Abbildung 4:
Lateraler Blick auf die linke Hemisphäre eines Makaken-Hirns. Der erste Fundort der Spiegelneurone liegt im Areal F5 (Quelle: Fogassi und Gallese 2002: 15)
Im nord-westlichen Italien nahmen im Jahr 1996 Giacomo Rizzolatti und Vittorio Gallese, beide dem humanphysiologischen Institut der Forschungsabteilung für Neurowissenschaften an der Universität in Parma
5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
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angehörig, empirische Untersuchungen an Schweinsaffen (Macaca nemestrina) vor.56 Dabei wurden einzelne Elektroden in das Gehirn, spezieller: in Nervenzellen des linkshemisphärischen Areals F557 eingesetzt (s. Abbildung 4). Diese Elektroden können jegliche Aktivität der Neurone registrieren und aufzeichnen. Ursprünglich sollten die Experimente dazu verhelfen, spezifische Zellen in der Großhirnrinde (Cortex cerebri)58, die sich im rostralen Bereich des ventralen prämotorischen Cortex befinden und bei der Planung und Durchführung eigener zielorientierter Handlungsabläufe feuern, eingehender auf ihre Eigenschaften zu untersuchen sowie einer möglichen Spezialisierung dieser auf Objekte bzw. Objekteigenschaften nachzugehen. Im Forschungsinteresse standen also Nervenzellen, die bei der Ausführung eigener Aktionen biochemisch entluden. Anstatt allerdings Antworten auf diese Fragestellungen zu erhalten, kam es durch einen Zufall zu einer besonderen Entdeckung, welche die Wissenschaftsdisziplinen in helle Aufregung versetzte: In einer Versuchspause griff ein Wissenschaftler, unter den Augen des Affen, zu einem Gegenstand. Darauf hin zeichnete das – weiterhin an die im Affenhirn befindlichen Elektroden angeschlossene – Oszilloskop eine starke Aktivität auf; und dies, obwohl der Affe in keiner Art und Weise in die Aktion involviert war, sondern diese lediglich beobachtete. Die dabei beteiligten motorischen Neurone feuerten also wider Erwarten nicht nur bei der eigenen Handlungsausführung, sondern auch, wenn der nicht-menschliche Primat andere handeln sah. Dabei konnte jeder
56 Spiegelneurone sind bereits 1992 durch di Pellegrino et al. nachgewiesen worden, wurden jedoch erst einige Jahre später durch die Forscher der Universität Parma im umfangreichen Stil untersucht. 57 Dieses Areal ist Teil des ventralen prämotorischen Areals nicht-menschlicher Primaten, das die Bewegung der vorderen Extremitäten, des Gesichts und des Mundes kontrolliert. 58 Die Großhirnrinde gilt als Sitz höherer kognitiver Funktionen und erreicht nur beim Menschen eine derart große Ausdehnung (85% der Gesamtmasse) und Furchung. Ein Bewusst-Sein ohne funktionierende Großhirnrinde ist nicht möglich, wie man am Beispiel von Wachkomapatienten sehen kann. Darüber hinaus stellt es u.a. das sensorische als auch motorische Zentrum dar. An genau diesem Punkt – nämlich einer möglichen Vereinigung beider Zentren – setzen die Spiegelneurone an.
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
einzelnen Zelle eine definite, ganz bestimmte Kodierung zugewiesen werden. Beispielsweise feuern die für einen Präzisionsgriff zuständigen Neurone nur bei Beobachtung sowie bei eigener Ausführung eben eines Präzisionsgriffes, nicht jedoch bei einer Bewegung, die die gesamte Hand involviert.
5.1 Die spiegelnden Zellen: Funktionsweisen 5.1 Die spiegelnden Zellen: Funktionsweisen Aus welchem Grund nun sollten bestimmte Nervenzellen in einem prämotorischen Areal des Primatengehirns entladen, wenn nicht selbst eine motorische Aktion vollzogen wurde? Die Antwort fanden die Forscher in der Hypothese, dass die Handlung des anderen durch den Beobachtenden nach innen genommen und dort instantan simuliert wird: So wird die Bewegung des Gegenübers auf körperliche Art und Weise empathisch nachvollzogen und gleichsam – ohne Zwischenschaltung und Vermittlung des Bewusstseins, ohne Reflexion und Attribution – somatisch „verstanden“59. Aufgrund dieser Fähigkeit, eine innere Imitation des Beobachteten zu produzieren, benannte man diese Nervenzellen als mirror neurons bzw. Spiegelneurone.60 Wie genau lassen sich diese Ergebnisse nun weiter deuten? Gehen wir zuerst von einer Deutung auf Mikroebene aus, muss zuerst die streng modulare Annahme61, dass kortikale Areale für visuelle Wahrnehmung sowie für motorische Ausführung strikt voneinander getrennt sind, zugunsten einer holistischen Sichtweise korrigiert werden. In diesem Zusammenhang bedeutet das Entladen exakt derselben Neurone 59 Auf die Schwierigkeit der Verwendung geisteswissenschaftlicher Termini in neurophysiologischen Kontexten wird eingehender im achten Kapitel hingewiesen. 60 Die (Bedeutungs-)Problematik dieses Kompositums wird im letzten Kapitel besprochen. Trotzdem wird das Wort „Spiegelneurone“ aufgrund der breiten Verwendung und Rezeption beibehalten, um Unklarheiten auszuschließen. 61 Als Beispiel für eine rein modulare Interpretation geistiger Fähigkeiten sei Chomskys nativistische Sichtweise und sein language acquisition device genannt, ein im Gehirn angesiedeltes, angeborenes „Sprachorgan“.
5.1 Die spiegelnden Zellen: Funktionsweisen
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sowohl bei der Beobachtung als auch bei der eigentlichen, eigenen Ausführung ein präzises Anpassen bzw. Abgleichen visueller Stimuli mit dem motorischen Repertoire auf der Ebene singulärer Zellen62. Dies bewirkt einen so genannten direct matching mechanism, welcher das fremde Handlungsgeschehen mit dem eigenen Handlungsrepertoire abgleicht; direkt deshalb, weil es unvermittelt passiert. Dadurch wird dem Beobachtenden ein symmetrisches Miterleben dessen möglich, was im anderen vor sich geht, was diesen – im wahrsten Sinne des Wortes auf neurophysiologischer Ebene – bewegt. Es findet aufgrund der annähernd gleichen biologischen Ausstattung der Interaktionspartner demgemäß eine intersubjektive Verschiebung der Perspektiven, namentlich der ersten und dritten, statt, die im Anschluss als Simulation bezeichnet wird. Die Bedeutsamkeit dieses Resonanzphänomens als Intersubjektivität erschaffendes wird deutlich: „A crucial element of social cognition is the brain’s capacity to directly link the first- and third-person experiences of these phenomena (i.e. link ‘I do and I feel’ with ‘he does and he feels’).“ (Gallese et al. 2004: 397)63
Es scheint also mehr denn je offensichtlich, dass Gehirnareale nicht alleine und für sich arbeiten, sondern miteinander in multipler Vernetzung stehen.64 Neu ist hier darüber hinaus, dass Nervenzellen für mehrere Funktionen gleichzeitig zuständig sein können, die nicht zwangsläufig miteinander in Verbindung stehen, wie die hier vorhandene visuomotorische Passung deutlich macht. Von einer Makroebene betrachtet ergeben sich interessante Ansätze, aber auch Fragestellungen für kommunikationswissenschaftliche Belange. Wendet man sich der Verstehensebene zu, die auf intersubjektiver,
Aus dem Grund dieser kombinierten Ansprechbarkeit nennt man die Spiegelneurone auch visuo-motorische Nervenzellen. 63 Kritisiert wird hier die sehr eng gefasste Definition von „Simulation“. Hier soll Simulation nicht als gleichwertig zu Spiegelung gefasst werden, sondern letztere als eine Form von mehreren Möglichkeiten zur Simulation (vgl. Goldman 2005 online). 64 Vgl. hierzu in Kapitel 5.5 die Sichtweise von mirror matching systems als komplexe Kreisläufe, die sich über mehrere Areale erstrecken. 62
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
also gemeinsam geteilter Bedeutung basiert, kommt es zu einer ersten Irritation. Spiegelneurone spielen bezüglich des Aspektes der Zielgerichtetheit eine entscheidende Rolle für die subbewusste Erfassung der Motivation des Gegenübers: „(…) the goal of an action made by another individual is recognized by the observer by means of the activation of his/her motor representation of the goal.“ (Fogassi und Gallese 2002: 21)
Erst ihre Aktivierung ermöglicht das Erkennen fremder Intentionen durch die eigene Aktivierung der motorischen Repräsentation des Ziels und dem damit verbundenen Nacherleben. Das hat nichts mehr mit gemeinsam ausgehandelter Bedeutung innerhalb eines sozialen Symbolisierungsprozesses sowie geteiltem Wissen zu tun, sondern mit willenlos ablaufenden biochemischen Abläufen. Um die Funktionsweise der Spiegelneurone genauer zu verstehen und mögliche Konsequenzen weiter abschätzen zu können, spezifizierten die Forscher ihre Versuchsanordnung. So stellte sich in weiteren Experimenten heraus, dass diese speziellen Nervenzellen bei Beobachtung anderer sogar dann feuerten, wenn das Ziel im Folgenden verdeckt wurde, die Affen also nur ahnen konnten, dass sich der Grund der Bewegung hinter einer opaken Trennwand befand. Bei Handlungen ohne ersichtliche Intention des Ausführenden und ohne jegliches Zielobjekt konnte hingegen keine erhöhte Aktivität festgestellt werden. Hier liegt ein klarer Hinweis auf das Aktions-Verstehen vor, das die Spiegelneurone zu leisten in der Lage sind: Da der entscheidende Part der Aktion, nämlich die Erfassung des Ziels, im Verborgenen bleibt, kann hier von einer Art neuronaler apperzeptiver Ergänzung (vgl. im übertragenen Sinne zur sprachlich-semiotischen Ergänzung Bühler 1965: 28) der Sinnesdaten gesprochen werden, die das Nachvollziehen einer Handlung unter Rückgriff auf das eigens angeeignete motorische Repertoire ermöglicht, auch bei bruchstückhafter Information.65 65
Eine Parallele zu der nicht-signifikanten Geste bei George Herbert Mead wird ersichtlich.
5.1 Die spiegelnden Zellen: Funktionsweisen
Abbildung 5:
63
Die Spiegelneuron-Aktivität ist nur bei zielgerichteten Bewegungen zu messen. Solange kein Zielobjekt in der sichtbaren Kondition zu sehen war oder dem Affen durch vorherige Versuchsanordnungen etwaige Zielobjekte, die hinter einem undurchschaubaren visuellen Feld lagen, präsentiert wurden, entluden die Neurone nicht (c und d). (Quelle: Fogassi und Gallese 2002: 20).
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
Darüber hinaus wurde bei der Ausführung der Aktionen vermittels Werkzeuge (beispielsweise bei Gebrauch einer Pinzette, vgl. Rizzolatti et al. 1996a; Umiltà et al. 2001) lediglich eine marginale Entladung der Neurone beobachtet. Diese Fixierung der Aufmerksamkeit auf Aktionen lebender Organismen, speziell phänotypisch ähnlicher Artgenossen, sowie das somatische „Verstehen“ Handlungen anderer trotz lückenhafter visueller Informationen, wie es das Sichtschutz-Experiment von Umiltà aufzeigt, zeugt von einem ausgeklügelten Abstraktionssystem, das perfekt an eine in ständig wechselnder Perspektive wahrgenommene sowie durch sich permanent ändernde Bedingungen bestimmte Umwelt angepasst ist66 : „This degree of specifity would be required for a visuomotor encoding system that provided not only an interpretation of the meaning of observed actions, but also their meaningful replication i.e. a communication capability.” (McGlone, Howard und Roberts 2002: 126)
Abbildung 6:
66
In Versuchsanordnung a erkennt man deutliche SpiegelneuronEntladungen, in Versuchsanordnung b fehlen diese gänzlich. Die unterschiedliche Ansprechbarkeit lebendiger und mechanischer Verursacher tritt klar zu Tage. (Quelle: Rizzolatti, Fogassi und Gallese 2001: 662)
Vgl. hierzu Kapitel 6.1.
5.1 Die spiegelnden Zellen: Funktionsweisen
65
Diese Erkenntnisse lassen sich – wenn auch nur bedingt – vom Affen auf den „besonders weisen Menschen“, dem Homo sapiens sapiens, übertragen. Bedingt, da im Gegensatz zu direkt am Gehirn angelegten Primatenexperimenten beim Menschen aus moralischen Beweggründen keine Möglichkeit zu invasiven Methoden besteht. Aus diesem Grund sind die Forscher hier v.a. auf bildgebende Verfahren67, 68 und elektrophysiologische sowie verhaltenspsychologische Daten angewiesen, die jedoch das Vorhandensein der Spiegelneurone beim Menschen durch Schlüsse auf Cortexhomologien69 zwischen Mensch und nicht-menschlichem Primat (und dadurch indirekt) belegen können und mit vielfältigen Daten untermauern. Denn auch der Mensch ist mit einem speziellen Resonanzsystem ausgestattet, das noch komplexer und weitläufiger ist als das der Primaten. Greifen wir zwecks Illustration zu einem Beispiel aus dem alltäglichen Leben, das durchwirkt ist mit bedeutungsvollen sozialen Kontakten und das anhand der oben dargestellten Methoden neuronal als spiegelnd identifiziert werden kann: Wenn in der sozialen Rahmenhandlung eines gemeinsamen Essens Person A eine Person B dabei beobachtet, wie sie nach einer Tasse greift, wird in ihrem Gehirn dasselbe neuronale Aktivitätsmuster erzeugt, als wenn sie selbst nach der Tasse gegriffen hätte. Das exogen verfolgte Muster wird endogen reproduziert, das außen beobachtete führt zu einem inneren Parallelismus, der sich aus eigenen motorischen Versatzstücken
67 Es werden zumeist Kombinationen folgender Methoden angewandt, um zu aussagekräftigeren Ergebnissen zu gelangen: funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), transkranielle Magnetstimulation (TMS), Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Magnetenzephalographie (MEG). 68 Die Autorin ist sich der Debatte um die Bedeutsamkeit und Interpretation moderner bildgebender Verfahren bewusst. Diese Debatte wird an dieser Stelle jedoch nicht aufgegriffen, da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde bzw. einer eigenen wissenschaftlichen Arbeit bedarf. Die Ergebnisse dieser neurophysiologischen Methoden werden hier als Korrelationen, nicht als Dependenzen zwischen Geist und Körper verstanden. 69 Vgl. hierzu ausführlich Rizzolatti, Craighero und Fadiga (2002: 45-50) sowie Preuss (2000: 1219-1234).
66
5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
speist. Person A kann also unbewusst antizipieren, was Person B mit der Arm- bzw. Handbewegung erreichen wollte. Durch die Wahrnehmung eines Alter gerät also unser motorisches Handlungssystem in Resonanz.
5.2 Die befreiende Instanz: Der Sperrmechanismus 5.2 Die befreiende Instanz: Der Sperrmechanismus Wenn nun exakt dieselben Neurone sowohl bei eigener Aktion als auch bei der Beobachtung dieser entladen, käme man in die missliche Lage, alle Handlungen eines potentiellen Gegenübers nachahmen zu müssen – einer fremd gesteuerten Marionette gleich. Dieser müsste dann wiederum die Bewegung des anderen durchführen etc. Man hätte durch eine einfache Handlung eine Art Domino-Effekt ausgelöst, der nicht mehr zu stoppen wäre. Um dies zu verhindern, greift ein spezifischer neuronaler Sperrmechanismus, so dass die beim Alter gesehene Handlung beim Ego nicht sofort und unabwendbar zu einem Vollzug führt. Dieser Mechanismus lässt die Feuerungsenergie nicht über einen kritischen Schwellenwert steigen, so dass keine motorische, sondern lediglich eine neuronale Simulation des Gesehenen stattfindet. Da dieser Punkt essentiell für das Verständnis der Spiegelneuronenfunktion ist, wird er im folgenden an empirischen Daten und Experimenten mit bildgebenden Verfahren am lebenden Menschen dargestellt und belegt: Die nicht unumstrittene transkranielle Magnetstimulation (TMS)70, eine nicht-invasive Methode, die mit Hilfe starker Magnetfelder eine Stimulation der Neurone und einhergehend eine Veränderung in Form einer Reizschwellenherabsetzung bewirkt, zeigte bei der Beobachtung kommunikativer Mundbewegungen sowie beim Hören aktionsbeschrei70 Die nicht-invasive TMS, die Gehirnareale mit Hilfe starker Magnetfelder stimulieren kann, gilt unter Neurowissenschaftlern als ethisch bedenklich, da nicht nur weiterhin unklar ist, wie genau diese wirkt, sondern gleichfalls ein abgeschwächter Grad an Präzision und Kontrolle durch das angewendete Magnetfeld erreicht wird.
5.2 Die befreiende Instanz: Der Sperrmechanismus
67
bender Sätze bezüglich der Extremitäten eine erhöhte Aktivität der Lippenmuskulatur sowie im zweiten Fall der Arm- und Beinmuskeln (vgl. Buccino et al. 2005; Fadiga et al. 2002). Dies spricht für die Lockerung der beschriebenen Hemmschwelle, die im natürlichen Fall dafür sorgt, dass man in sozialer Interaktion nicht fremd gesteuert agiert, sondern selbstbestimmt handelt. Ein anderes Experiment Fadigas untermauert dieses Ergebnis durch eine weitere TMS-Studie: Während der Stimulation des linken Cortex wurden einhergehend Greifbewegungen der Hand gezeigt. Dies vergrößerte die Anzahl der MEPs (motor evoked potentials)71 in den Muskeln, die für die Ausführung der Aktion verantwortlich sind. Das bloße Ansehen einer zielgerichteten Aktion während der Magnetfeldstimulation bewirkte also eine Begünstigung der MEPs und dementsprechend eine Erhöhung der Ansprechbarkeit. Eine weitere Bestätigung des Sperrmechanismus findet sich im pathologischen Bild der Echopraxie, bei dem die Erkrankten unwillentlich und anhaltend die Bewegungen ihrer Mitmenschen simulieren müssen, auf ihren Leib also keinerlei Einfluss mehr nehmen können. Das Aufschlussreiche an dieser Erkrankung ist die Lokalisierung der Krankheit innerhalb des menschlichen Gehirns im präfrontalen Cortex, die sich als Störung des besagten Sperrmechanismus manifestiert. Aber auch im Alltagsgeschehen kommt es gelegentlich zur Durchbrechung dieser Schranke. Dies lässt sich beispielsweise auf eine große emotionale Erregung zurückführen, die so manchmal zum Ausfall des Hemmmechanismus bzw. zum Durchbruch des Handlungspotentials führt.72 Weiterhin ist herauszustreichen, dass die Spiegelneurone nur dann in starke Aktion treten, wenn die beim Gegenüber gesehene Aktion bereits im eigenen Handlungsrepertoire vorhanden ist. Die Voraussetzung
71 Motor evoked potentials (MEP) sind Aktionspotentiale, die durch motorische Aktionen ausgelöst werden. 72 Man denke hierbei an Zuschauer eines Fußballspiels, die im Moment des Torschusses selbst mit ihrem Fuß nachtreten. Den Emotionen zugeordnete Cortexareale scheinen demnach auch in einer Verbindung zu motorischen Bereichen zu stehen.
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
eines bereits vorhandenen Bewegungsablaufes findet sich bereits wie folgt bei Merleau-Ponty: „Erlernt ist eine Bewegung, wenn der Leib sie verstanden hat, d.h. wenn er sie seiner ‘Welt’ einverleibt hat, und seinen Leib bewegen heißt immer, durch ihn hindurch auf die Dinge abzielen, ihn einer Aufforderung [in Form von die Spiegelneurone erregenden Stimuli, Anm. N.Z.] entsprechen lassen, die an ihn ohne den Umweg über irgendeine Vorstellung ergeht.“ (1966: 168).
Ist dem nicht so, kann keine somatische Entsprechung, kein Abgleich entstehen, und so können die Absichten des Gegenübers auch nicht somatisch antizipiert werden. Die Entdecker betonen demnach, diese besonderen Nervenzellen verschaffen keine neue Welt, sondern greifen vielmehr auf den Erfahrungshorizont – genauer: das motorische Repertoire – des Einzelnen zurück, den dieser im Laufe seines Lebens erworben hat. Die individuelle Erfahrungswelt ist also für die mentale Einordnung von beobachteten zielgerichteten Handlungen von grundsätzlicher Bedeutung. So sammeln Menschen innerhalb der Ontogenese eine motorische Intelligenz73 an, an die Sozialität anknüpfen kann. An diesem Punkt lassen sich erstaunliche Parallelen zu Ansätzen der interaktionistischen Theorie von Georg Herbert Mead erkennen. Denn eine somatische, präreflexive Entsprechung des mirror matching systems der Spiegelneurone findet sich in Meads Postulat, dass interaktionsbegründetes Erfahrungswissen unabdingbar für jegliche Verstehensprozesse ist: Eine „Nachahmung [wird] möglich, wenn in einem Individuum bereits eine Handlung angelegt ist, die der eines anderen Individuums gleicht“ (Mead 1973: 197)74 und „Es [das Körperschema, Anm. N.Z.] enthält die Summe der Rückmeldungen aus der Kommunikation mit den anderen. Sie sind dem Leib gewissermaßen eingeschrieben“ (Schöpf 1990: 202), womit sich vgl. Remus 2004 online Weitergedacht wird bei Mead, indem die eigens vollzogene Geste nicht nur im Gegenüber, sondern auch im eigenen Subjekt eine Reaktion auslöst – und damit die grundlegende Voraussetzung für Imitation ist. 73 74
5.2 Die befreiende Instanz: Der Sperrmechanismus
69
der Kreis zum somatic turn und auch zu Merleau-Pontys körperbasierter Theorie75 schließt. Konfrontieren wir diese Erkenntnisse nun mit der Frage der Bedeutung der Spiegelneurone für kommunikative Intersubjektivität, lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass der intersubjektive, interpersonelle Charakter des Spiegelneuronen-Resonanzsystems sich in einer internen, offline verlaufenden Simulation einer beobachteten Handlung zeigt: „When used off-line, mirroring simulates in the observer the causes of the observed action.“ (Hurley 2005). Dabei ist es von größter Wichtigkeit, dass dadurch eine Art unbewusster Hiatus bereitgestellt wird, da nicht lediglich eine Reflektion, sondern eine eigene innere Simulation vonstatten geht.76 Durch körperliche Gesten werden „bedeutungsvolle“ Inhalte ohne ein anteiliges, aktives Bewusstsein übermittelt: Ein interpersoneller Raum ist eröffnet, der sich aus der internen Repräsentation und dem Abgleich zwischen dieser und dem Repertoire eigener Aktionen speist: „We submit that this internal representation is crucial for the representation and the knowledge of the external world. According to this view actioncontrol and action-representation become two sides of the same coin.” (Fogassi und Gallese 2002: 30)
Diese Form der Intersubjektivität ist fortan dienlich für Aktionen höheren sozialen Anspruchs, beispielsweise symbolvermittelter Interaktion.
Vgl. beschriebene Spiegelprozesse beim Kleinkind: „Es nimmt in seinem Körper seine Intentionen wahr, meinen Leib mit dem seinen, und so meine Intentionen in seinem Körper.“ (Merleau-Ponty 1966: 403) 76 Dieser unbewusste Hiatus, der lediglich durch die Simulation eines Handlungsprogramms entsteht, könnte eine Art Vorstufe oder Vorform des durch Symbolgebrauch erzeugten Hiatus und deshalb wichtig für die Entstehung von Sprachformen sein (vgl. Kapitel 9). 75
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
5.3 Exakt und logisch: Zwei Feuermodi 5.3 Exakt und logisch: Zwei Feuermodi Als von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Wirkungsweise wird die Unterscheidung zweier verschiedener Entladungsmodalitäten der Spiegelneurone gehandelt: Die so genannten strict congruent mirror neurons, die einen Anteil von 30% der bis dato entdeckten Spiegelneurone ausmachen, feuern genau dann, wenn die beim Alter beobachtete – bereits bekannte – Tätigkeit deckungsgleich ist mit der vom Ego innerlich simulierten Tätigkeit, also eine exakte („strikte“) Übereinstimmung zwischen den motorischen Abläufen beider vorliegt. Von spezifischem Interesse für die aus den Spiegelneuronen erwachsenden Möglichkeiten für den Homo sociologicus sind jedoch die broad congruent mirror neurons, die mit 60% den größten Anteil repräsentieren. Sie feuern, wenn die beobachteten Tätigkeiten des Gegenübers ähnlich, aber nicht identisch mit dem eigenen motorischen Repertoire77 bzw. Handlungsinventar sind – so sind sie bei allgemeinen Übereinstimmungen von fremdem und eigenem Repertoire aktiv. Lediglich ein logischer oder kausaler Zusammenhang der Handlung in Bezug auf die Zielgerichtetheit ist vonnöten. Das hieße, dass für die kategorisierende Zuordnung visueller Wahrnehmungen lediglich ein grobes Handlungsmuster ausschlaggebend wäre. Das Besondere ist folglich, dass die broad congruent mirror neurons zu einer Generalisierung verschiedener motorischer Möglichkeiten verhelfen, um ein und dasselbe Ziel zu erreichen, da nicht nur eine strikte, sondern eine breiter gefasste Kongruenz die Spiegelneurone aktiviert. Diese Generalisierung, die bisher als über einen sinnbehafteten Auswahlprozess laufend gedeutet wurde, erfährt somit eine somatische Verstehensbasis78, von der aus das Subjekt die Handlungen des Alter körperlich nachvollziehen und auf höheren kognitiven Ebenen bearbeiten kann. 77 Als „motorisches Repertoire“ werden hier die motorischen Erfahrungen in Form von abstrakten Handlungsmustern gefasst, die ein Mensch im Verlauf der Ontogenese erwirbt. 78 Vgl. Merleau-Ponty: „Durch meinen Leib verstehe ich den Anderen, so wie ich auch durch meinen Leib die ‘Dinge’ wahrnehme.“ (1966: 220)
5.4 Der Sinn in der Zelle: Zielgerichtetheit
71
5.4 Der Sinn in der Zelle: Zielgerichtetheit 5.4 Der Sinn in der Zelle: Zielgerichtetheit Von herausragender Bedeutung ist weiterhin, dass sich eine Aktivierung der Spiegelneurone ausschließlich bei zielgerichteten Handlungen feststellen lässt. Ein neurologisches Feuern findet also nur dann statt, wenn die gesehenen Handlungssequenzen einen sinnvollen Zweck darstellen, präziser: wenn die Neurone vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen bestimmte Handlungsweisen beim anderen antizipieren: „Goal-mediated simulative mirroring would provide information about goals of others’ observed movements, enabling an early stage in understanding others as intentional agents (hence in mindreading).“ (Hurley 2005 online)
Abbildung 7:
Die laterale Ansicht eines menschlichen Gehirns während der Beobachtung von Bewegungen mit dem Mund (Quadrat), der Hand (Kreis), und dem Fuß (Stern). In A sieht man die Aktivierung bei intransitiven, in B die Aktivierung transitiver, also objektgerichteter Aktionen. (Quelle: Rizzolatti, Craighero und Fadiga 2002: 44)
72
5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
So führen Experimente mit Primaten, die nicht auf ein Zielobjekt ausgerichtet sind, nicht zu einer Resonanzreaktion (vgl. Abbildungen 5 und 7). Der Griff ins Leere wird im Gehirn also keine motorische Entsprechung aktivieren, wie es beispielsweise ein Griff zu einer Erdnuss täte. Fraglich ist, wie genau die Unterscheidung einer sinnhaften Handlung auf zellulärer Mikroebene vonstatten geht. Schließlich kann nicht von „intelligenten Neuronen“ gesprochen werden, die im Einzelfall „entscheiden“, ob die Handlung des Gegenübers einen Sinn ergibt oder eben nicht. Fest steht jedoch, dass eine solche Differenzierung vonnöten ist, um Fälle von rein zufälligen Kausalzusammenhängen zu vermeiden bzw. ganz auszuschließen (vgl. Goldman 2005 online). Die Auswirkungen dieser „Ziele nachvollziehenden“ Neurone auf die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen enorm ausfallen: Die bis dato verfolgte enge Verbindung zwischen Intentionalität und Bewusstsein (speziell bezüglich der eigenen Handlungen) erfährt an dieser Stelle scheinbar einen Riss, scheint erstere nun doch auch durch somatische – und damit unbewusste – Prinzipien gestützt. So werden die Handlungen des anderen eben nicht „im Geiste nachvollzogen“, sondern vorerst im Gehirn. Jedoch schließt ein vorweg laufendes somatisches „Erkennungsprinzip“ der Handlung anderer (in enger Verbindung mit derer Intention) ein bewusstes Erkennen und Reagieren eines „geistreichen“ Subjekts nicht aus. Vergleichbar ist diese körperliche zielgerichtete Kenntnis mit der nicht-signifikanten Geste79 bei Mead – die gleichfalls einem Bewusstsein vorgelagert ist – welche die Funktion innehat, „die Anpassung zwischen den in die jeweilige gesellschaftliche Handlung eingeschalteten Individuen im Hinblick auf das Objekt oder die Objekte zu ermöglichen, auf die diese Handlung gerichtet ist.“ (Mead 1973: 85)
79 Näheres zur Mead’schen Unterscheidung in nicht-signifikante und signifikante Gesten findet sich in Mead 1973: 121.
5.5 Holistische Einbettung: Neuronale Kreisläufe
73
Die durch die Geste als Anfang einer gesellschaftlichen Handlung (vgl. ebd.: 82) geleistete Vorwegnahme des Handlungsendes steht in klarer Parallelität zur Funktion der Spiegelneurone. In beiden Fällen findet ein unbewusster Akt der letztlich sozialen Anpassung statt,80 indem durch eine Bewegung im Beobachtenden eine Anschlusshandlung (bzw. -geste) ausgelöst wird, die sowohl auf ihn als auch den Interaktionspartner weiteren Einfluss hat.81 Ist dieser grundlegende Handlungsrahmen – und damit die Basis der Sozialität – gesichert, steht einer höheren kognitiven Leistung in Form von signifikanten, bewussten Geste nichts mehr im Wege. Beschränkt ist diese jedoch ausschließlich auf den Menschen: Bereits durch Mead wird dargelegt, dass ein Identitätsbewusstsein unabdingbar ist für ein bewusst und sinnhaft handelndes Subjekt.
5.5 Holistische Einbettung: Neuronale Kreisläufe 5.5 Holistische Einbettung: Neuronale Kreisläufe Die weitere Erforschung der Spiegelneurone geht einher mit der Suche nach weiteren Resonanzsystemen. Wissenschaftler möchten verstehen, in welchem physiologischen Rahmen sie eingebettet sind, welchen Effekt sie auf das Gehirn haben und mit welchen weiteren Arealen sie in engerer Verbindung stehen. Von besonderem Interesse sind hierbei die erzielten Synergie-Effekte der Verquickung verschiedener Cortexareale. Aufschluss darüber findet sich in Primaten-Experimenten, die eine globalere Ausgangsposition zum Spiegelphänomen des Areals F5 einnahmen und sich eingehend mit anderen Cortexarealen und deren Funktionen auseinandersetzten – jedoch immer im Hinblick und auf der Suche nach weiteren Resonanzphänomenen. So wurde im inferioren parietalen Lappen im Areal PF (7b) ein weiterer Bereich innerhalb der Großhirnrinde lokalisiert, in dem Neurone 80 Aufgrund der Unbewusstheit dieser Abläufe dehnt Mead den Gestenbegriff, der nichtsignifikante Symbole umfasst, auch auf die Tierwelt aus. 81 Dieser Gedanke wird im achten Kapitel nochmals aufgenommen.
74
5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
mit Spiegelfähigkeiten ausgemacht wurden. Auch diese entluden sowohl während Aktionsbeobachtung als auch eigener Mund- und/oder Handbewegungen (vgl. Fogassi et al. 1998; Gallese et al. 2001)82. Augenscheinlich spielt die Einbindung dieses Areals eine bedeutende Rolle beim Nachvollziehen von Handlungen und den damit einhergehenden Gefühlen des Gegenübers. Denn sobald die eigene Handlungsbedeutung mit der fremden Handlung verknüpft ist, kann gleichzeitig das Handlungsziel aber auch das währenddessen Gefühlte somatisch nachvollzogen und somit antizipiert werden. Einen Hinweis auf die Entstehung der Spiegelneurone bieten nun die neben den strict congruent auch im Areal PF vorhandenen broad congruent mirror neurons, die sich jedoch von denen des prämotorischen Areals wie folgt unterscheiden: Die Funktionsweise lässt sich in zwei Klassen unterteilen. Die erste reagiert auf die Beobachtung als auch auf die Ausführung von Handbewegungen. Die zweite jedoch zeigt einen Unterschied bezüglich des Effektors der beobachteten und ausgeführten Aktion auf. Die Neurone dieser Gruppe entluden während eigener Mundbewegungen als auch während beobachteter Handbewegungen. So entsteht eine „‘logical’ relation between observed hand actions and executed mouth actions“ (Fogassi und Gallese 2002: 25 f.). Da die PF-Neurone sowohl bei Handund/oder Mundbewegungen aktiviert werden, lässt sich annehmen, dass zweierlei Verbindungen zu kortikalen Kreisläufen bestehen, eben jenen, die sowohl Hand- als auch Mundbewegungen kontrollieren. Es handelt sich also um eine multimodale Überlappung zweier vollkommen unterschiedlicher Sinnessysteme, die eine taktil-auditive Kombination möglich gemacht haben könnte – möglicherweise eine präadaptative Entwicklung zur menschlichen Sprache. Das Areal PF wiederum ist mit dem superior temporal sulcus (STS), dem Cortexareal verbunden, das Belebtes von Unbelebtem unterscheidet. Interessant ist die Feststellung, dass Läsionen in diesem Areal, welches das animale Homolog zum menschlichen Areal 40 nach Brodmann bildet, Defizite in der Aktionserkennung verursachen (vgl. Bell 1994).
82
5.5 Holistische Einbettung: Neuronale Kreisläufe
75
Dessen Neurone entladen bei einer großen Spannbreite biologischer – darunter auch zielgerichteter – Aktionen (vgl. Carey et al. 1997), sind jedoch rein dem visuellen System angehörig – aus diesem Grund wird es auch als optisches Interpretationssystem bezeichnet. Dies unterscheidet sie von den Spiegelneuronen im motorischen System, welche die Möglichkeit zur aktiven Steuerung und Bewegung innehaben und damit nicht nur mit der Umwelt interagieren, sondern auch die neuronale Aktivität in Bewegung sowie somatische Antizipation umwandeln können. Fogassi und Gallese mutmaßen, dass mitsamt den im ventralen prämotorischen Cortex vorhandenen Spiegelneuronen ein parieto-prämotorischer Kreislauf (mirror neuron system) für Aktionsverstehen existiert, der einen hohen Grad an Abstraktion der Bewegungskodierung ermöglicht. Spielt das ausführende Bewegungsorgan keine Rolle, kann so ein höherer Grad an Verallgemeinerung und Generalisierung erreicht werden, welcher eine größere Flexibilität in der Deutung Aktionen anderer mit sich bringt: „(…) what is recognized is a particular action goal, regardless of the effector enabling its achievement.” (Fogassi und Gallese 2002: 27) Aufgrund der neuen Funde postulieren die Forscher schließlich einen größer angelegten neuronalen Kreislauf, der Aktionsverstehen ermöglicht und von insgesamt drei kortikalen Bereichen Besitz nimmt: F5 im frontalen Cortex, PF im parietalen Cortex sowie STSa im superioren temporalen Cortex, wobei alle Areale Spiegelneurone beherbergen und reziprok miteinander verknüpft sind: „(…) it is clear that STS, PF and F5 form a system where the biological actions are described in visual terms and then matched on motor neurons coding the same action.“ (Rizzolatti, Craighero und Fadiga 2002: 39)
Trotz dieser Erkenntnisfortschritte steht die Erforschung des Gehirns und das mühsame Durchkämmen des Cortex cerebri nach spiegelnden Neuronen weiterhin am Anfang. Bei einer Gesamtneuronenzahl von 100 Milliarden wird es einen sehr großen Zeitraum in Anspruch nehmen, einzelne Zellen der Spiegelung zu überführen. Trotz dieser Suche der Nadeln im Heuhaufen sind inzwischen – neben den visuo-motorischen Fähigkei-
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5 Der Aufruhr: Die Entdeckung der Spiegelneurone
ten der F5- sowie PF-Neurone – Zellen gefunden worden, die auf akustische Reize ansprechen: audiovisuelle Spiegelneurone, die nicht nur bei der Ausführung und Beobachtung einer Aktion entladen, sondern auch beim Hören dieser, beispielsweise beim Zerreißen eines Stückes Papier. Inwieweit diese den Gedanken eines globalen Resonanzsystems im Gehirn weiter vervollständigen, muss weiter beobachtet und mit neuen Erkenntnissen vervollständigt werden. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist nun wichtig, warum sich dieses System der Observations-Exekutions-Passung entwickeln konnte, das eine angeborene, innere, jedoch subbewusste Semantik bereitstellt. Wie genau hat sich das Resonanzphänomen etablieren können, wozu befähigte es den Menschen bzw. wobei verhalf es ihm während seiner Phylosowie Ontogenese und inwieweit sind die Ergebnisse auf diese Fragen relevant für eine kommunikativ erlangte Intersubjektivität?
6 Evolutionäre Bedeutsamkeit und Konsequenzen der Spiegelneurone Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. Ludwig Wittgenstein
Dieses Kapitel beschäftigt sich im Anschluss an die mediierenden Spiegelneurone mit deren Einbindung in eine biologisch fundierte und dennoch sinnverstehende Forschung. Das Augenmerk liegt daher einleitend auf der biologischen Notwendigkeit und der möglichen Entstehung des unbewusst agierenden Resonanzsystems in der Phylogenese des Menschen. Wie kann man sich die Herkunft der Spiegelneurone erklären? Wie kam es zu der multimodalen Funktionsweise, die visuelle und motorische Eigenschaften miteinander zu vereinen mag? Anschließend wollen wir uns der Beantwortung folgender Frage widmen, die auf die Ontogenese des Menschen zielt: „Die Frage, wie der Mensch sich zum kommunizierenden Individuum konstituiert, erscheint rätselhaft, wenn man sich klar macht, dass er zu Anfang der genetischen Bewusstseinsentwicklung weder die Wechselverständigung begreift noch selbst irgendeine kommunikative Handlung vollziehen kann.“ (Kozlowski 1991: 283)
Die im phylogenetischen Teil des Kapitels gewonnenen Erkenntnisse werden mit dieser Fragestellung als Fokus und in Bezugnahme auf den Primatenforscher und Anthropologen Michael Tomasello mit der Bedeutsamkeit der leiblichen Resonanz als früheste Interaktion in der Ontogenese des Menschen korreliert. Die Verbindung zwischen Resonanz und Tomasellos Sozialkonstruktivismus besteht in dem ermöglichten Einan-
78
6 Evolutionäre Bedeutsamkeit und Konsequenzen der Spiegelneurone
der-zugewandt-Sein; dies ist die Voraussetzung für die gemeinsam inhärente und kreierte joint attention, die den Menschen vom nicht-menschlichen Primaten unterscheidet und kommunikative Intersubjektivität aufrecht erhält.
6.1 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Phylogenese 6.1 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Phylogenese Der Mensch ist unfraglich das Produkt einer langen Evolutionsgeschichte, innerhalb derer zuerst Weichen für die physiologischen Grundlagen für Geist und (Selbst-)Bewusstsein gelegt wurden. Auf diesen konnten schließlich höhere – innerhalb der Ontogenese verfeinerte – kognitive Funktionen aufsatteln. So dürfen geistige Prozesse nicht einzig auf biochemische Prozesse, insbesondere ausschließlich des Gehirns, zurückgeführt werden, da somit die zur Entwicklung des Homo sociologicus unabdingbare gesellschaftliche Rahmung schlichtweg untergraben wird. Die Frage, die sich nun herauskristallisiert, ist folgende: Welche Funktion und Bedeutung hatte die Durchsetzung eines solchen abstrakten Spiegel- und Resonanzsystems83 im Laufe der Evolution und was impliziert dies für die menschliche Kommunikation? Und noch vor diese Aspekte gestellt: Wie konnte sich ein solches System in der Phylo- und Ontogenese des Menschen entwickeln? Große Flexibilität ist ein Hauptkriterium beim survival of the fittest84, ebenso wie Planungsfähigkeit und das Erreichen gemeinsamer – und damit: größerer – Ziele durch Koordination und Kooperation. Erklärt wurde dies bis dato durch den, den Menschen vom Affen absetzenden, Gebrauch von (signifikanten) Symbolen. Es lässt sich allerdings vermuten, dass die basale Koordination, die diese Freiheit im Handeln mit be-
Rizzolatti et al verwenden den Terminus resonate, um die Aktivierung des Spiegelsystems zu beschreiben. Vgl. Rizzolatti, Fogassi und Gallese et al.. (2001): 661. 84 Dieser Ausspruch bezeichnet das Überleben und Fortbestehen des bestangepassten und nicht des – wie oft fälschlich übersetzt – stärksten Organismus. 83
6.1 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Phylogenese
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dingt, vielmehr durch mirror mechanisms kreiert wird, die der Symbolverwendung vorgeschaltet sind. Die Entstehung des Spiegelneuronensystems soll deshalb innerhalb dieses Kontextes nicht nur auf der zellulären Ebene als reines Substratphänomen betrachten werden, was zu einer Missachtung der Situativität und der Rahmenbedingungen führen würde, die unabdingbar waren für die Entwicklung zum heutigen Menschen, diesem „complex adaptive system (…) on a scale unprecendented in the biological kingdom“ (Staminov und Gallese 2002: 2). Stattdessen soll der Blick auch auf das soziale Rahmengefüge einer frühen Form von Sozialität gelenkt werden und welche Vorteile durch eine Resonanz geschaffen werden konnten, die empathisch-vorsprachlich wirkt. Zwei Fragen eröffnen sich bei der Betrachtung des Spiegelneuronensystems unter solchen anthropologischen Gesichtspunkten: Wozu genau dient der Abgleich von visuellen und motorischen Handlungen? Inwieweit wurde dadurch ein evolutionärer Vorteil bewirkt? Eine potentielle Lösung dieser Fragen erhält man durch die Kombination neurophysiologischer Forschung und paläoanthropologischer Daten. Ergebnisse der ersteren zielen auf die Re-Organisation korrespondierender neuronaler Kreisläufe und deren Entwicklung neuer Funktionen ab (vgl. Stamenov und Gallese 2002: 1). Demnach wäre nicht nur eine allgemeine progressive Enzephalisation85 verantwortlich für neue kognitive Funktionen, die bereits vorhandene in Effizienz und Qualität überträfen, sondern ebenso ein re-wiring, also die Neu- bzw. Umverknüpfung bereits bestehender Neurone zu komplexeren Zellkreisläufen (vgl. Kapitel 5.5). Die senso-motorische Kopplung der Spiegelneurone zeigt genau dies auf: Aufgrund zerebraler Reorganisation erfolgt ein Abgleich eigener und fremder Handlungen, um die Aktionen anderer intern – jedoch ohne symbolischen Wert – zu repräsentieren (vgl. Fogassi und Gallese 2002: 30). Dafür erfuhren grundsätzlich für die motorische Kontrolle ei-
85 Enzephalisation bezeichnet die Zunahme an Gehirnmasse, spezieller: des Cortex cerebri, der für eine Kognition zwingend notwendig ist.
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6 Evolutionäre Bedeutsamkeit und Konsequenzen der Spiegelneurone
gener Handlungen zuständige Gehirnareale86 eine Erweiterung ihrer Ansprechbarkeit durch Entladen bei der Beobachtung fremder Aktionen, „(…) to achieve a better control of the dynamic relation between an open system – the living organism – and the environment.“ (ebd.: 30)
Dabei unterscheiden sich die Resonanzsysteme der nicht-menschlichen Primaten und Menschen laut aktuellster Studien dadurch, dass beim Menschen nicht nur eine Aktivierung des motorischen Cortex bei der Beobachtung transitiver Handlungen erfolgt, sondern gleichfalls beim Verfolgen intransitiver, also nicht direkt auf ein Zielobjekt ausgerichteter Aktionen. Bei diesen nicht objektbezogenen Bewegungen findet keine Aktivierung des Broca-Areals statt (vgl. Rizzolatti, Craighero und Fadiga 2002: 42).87 Als Folge wird eine erweiterte Flexibilität bezüglich der Ausrichtung auf das Fremdpsychische angenommen. Zusammenfassend und mit Blick auf das Gehirn lässt sich sagen, dass die Möglichkeit zur unmittelbaren, unvermittelten Resonanz also von einem sehr viel basaleren, einfacheren Level, wenngleich in komplexen neuronalen circuits verlaufend, als das phänomenale Bewusstsein rührt (vgl. Staminov und Gallese 2002: 2), welches in höheren kognitiven Bereichen des Cortex erzeugt und verarbeitet wird. Soviel in Kürze zur Komplexitätsschaffung durch neuronale Synergieeffekte. Kommen wir jedoch zu unserem Schwerpunkt, dem Menschen im sozialen Handlungsgefüge, zurück. Die Entstehung der Spiegelneurone wird auf ein phylogenetisches Prinzip zurückgeführt, nach welchem der Körper eine Kopie seiner Impulse ohne Ausführung produziert. Die Phylogenese hat in der Evolution der Spezies Mensch somit ein Verfahren zum unterschwelligen Ablauf von Handlungen entwickelt: Dies ermöglicht eine unbewusste Verinnerlichung und Einordnung, darüber
86 Zu nennen sind hier v.a. die kanonischen Neurone des Gehirns, die bei selbst durchgeführten zielorientierten Handlungen als auch bei der Betrachtung von Objekten, mit denen man Handlungen verbindet, feuern. 87 Dies belegt die vorsprachlich-abstrahierende Relevanz der Spiegelneurone.
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hinaus aber auch eine Antizipation der Ziele durch Vorwegnahme des Handlungsendes des anderen. Diese As-if-, oder auch Als-ob-Aktion88 verläuft in einem Forward-frame-Modus89: Der Körper erkennt die Handlungsbedeutung des anderen bereits im Voraus durch eigene innere Simulation; Antezendenz-Konsequenz-Folgen können also bereits auf somatischer Ebene vorausgesagt werden, was den in einem sozialen Kontext lebenden Menschen essentielle Vorteile im Überleben verschafft haben könnte. Die Unmittelbarkeit der inneren Repräsentation verfolgt nämlich ein höchst ökonomisches Prinzip des sozialen Abgleichs. Übertragen auf Alltagssituationen gewährleistet diese in die Zukunft reichende Simulation eine Ko-Orientierung der Interaktionsteilnehmer, welche die Konsequenzen bloß angedeuteter Handlungen wechselseitig auf unbewusster Ebene ableiten. Die Parallele zur bereits erwähnten Theorie der Geste bei Mead verdichtet sich: Gesten stellen hier die Anfänge von Handlungen dar, ja – noch schärfer formuliert – sie bedeuten bereits in verkürzter Form die vollständige Handlung90 und sind somit für menschliche Verständigung und gesellschaftliche Verhaltensprozesse unabdingbar: „Die primitive Situation ist die einer gesellschaftlichen Handlung, die das Zusammenspiel verschiedener Mitglieder einer Gattung und damit die gegenseitige Anpassung des Verhaltens dieser verschiedenen Wesen beim Ablauf des gesellschaftlichen Prozesses voraussetzt.“ (Mead 1973: 84)
Der Ursprung des Spiegelphänomens könnte nun darin gelegen haben, erst die Koordination eigener Bewegungen (Hand und Mund) innerhalb
88 Auch Damasio nutzt in seiner Beschreibung über das Erleben von Emotionen die simulierende As-if-Aktion in Form ebenfalls unbewusst agierender somatischer Marker, ergänzt diese „Playbackversion“ allerdings um eine Art Live-Verfahren, welches den Körper ständig aktualisiert und so Wahrnehmungen, Empfindungen und Affekte in Echtzeit ermöglicht (vgl. 2004: 216 ff.). Dabei sind somatische Marker – korrelierend zur Theorie der Spiegelneurone – das Ergebnis einer Entwicklung (vgl. ebd.: 252). 89 Diese Zukunftsgerichtetheit wird uns im siebten Kapitel in Form der Debatte um die Alltagspsychologie wieder begegnen. 90 Vgl. Mead (1973: 84)
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eines sozialen Rahmengefüges besser abstimmen zu können, wie die italienischen Forscher vermuten: „(...) this system may have originally developed to achieve a better control of action performance.“ (Fogassi und Gallese 2002: 29). Dies stimmt mit der Annahme überein, das Resonanzsystem der Spiegelneurone war ursprünglich rein egozentrisch auf die eigenen Handlungen gerichtet (vgl. Knoblich und Jordan 2002: 116). Innerhalb gesellschaftlicher Prozesse könnte durch das oben beschriebene re-wiring topologisch unterschiedlicher Hirnareale schließlich eine Verknüpfung des eigenen mit einem fremden motorischen Repertoire auf der Basis visuellen Inputs ermöglicht werden. Allerdings verbleibt es bei der rein senso-motorischen Antizipation, da die Resonanz zwar erkennen lässt, dass und wie Objekte manipuliert werden. Es wäre denkbar, „that priming the use of tools and enhancing the ability for joint attention in monkeys might promote the rise of natural motor imitation (i.e., reproducing some observed motor sequence).“ (Jacob 2004 online)
Jedoch ist damit keineswegs gleichsam ermöglicht, den anderen bewusst als mir gleichartigen Effektor zu begreifen91 bzw. sogar dessen Intentionen gedanklich vorauszusehen und geistig seine inneren Zustände und so auch seine Perspektive an- und einzunehmen.92 Wäre dem so, könnten die Teilnehmer der Primatenexperimente die Intentionen und Wünsche der Forscher direkt somatisch erkennen und – statt eine erfasste Banane selbst zu essen – diese den Experimentatoren schenken. Primaten verbleiben aber trotz vorhandener Spiegelneurone immer in der egozentrischen 1. Person-Perspektive, wohingegen Menschen weitere Perspektiven einnehmen können. Die Besonderheit ist, dass dies sowohl bewusst
Vergleiche hierzu die nicht gewährleistete Unterscheidung in Eigen- und Fremdhandlung in Kapitel 7.3. 92 Vergleiche hierzu das siebte Kapitel, das sich mit eben dieser Fähigkeit in Form der Theory-Theory auseinandersetzt. 91
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durch symbolvermittelte Sprache als auch durch zuvor verlaufende unbewusste Resonanzphänomene geschieht.93 Wichtig ist es, beide Aspekte im Blick zu halten, denn entgegen vieler Meinungen, die Spiegelneurone allein würden die letzten metaphysischen Fragen lösen können, bedeuten sie bei genauerem Hinsehen zuvorderst Präzision in symmetrischen Miterleben. So kann in Verbindung mit diesen Nervenzellen keineswegs von einem hoch flexiblen System gesprochen werden, da es zumeist somatische 1-zu-1-Korrelationen oder höchstens -Ähnlichkeiten kodiert. Die dem Menschen inhärente Flexibilität aber erwächst erst aus der eigentlichen sozialen Handlung, die (nach dem Ablauf somatischer Grundeinstimmung) zu bewussten Entscheidungen führen. Was dem Individuum nicht allein gelingen mag, kann erst durch eine gemeinsame Herangehensweise und aufgeteilte Arbeit innerhalb einer Gruppe erreicht werden. Der Effekt: Die Summe der Aktionen ist mehr als die einzelnen Bestandteile der sozialen Gemeinschaft.94 Dass Lebewesen in einer sozial vorgeformten, historischen Gesellschaft erst zu sozialen Subjekten werden, spiegelt sich in der verbreiteten Annahme wider, die den menschlichen Säugling in eine Welt geboren begreift, die immer schon „(…) eine geschichtliche, eine kulturgeprägte, eine produktiv-sachbezogene Welt (…)“ ist (Marquardt 1984: 176). Der Mensch wird so als ein gesellschaftliches Produkt verstanden, welches der Vermittlung bedarf: „Das Kind übernimmt die Rollen und Einstellungen der signifikanten anderen, das heißt: es internalisiert sie und macht sie sich zu eigen. Durch seine Identifikation mit signifikanten anderen wird es fähig, sich als sich selbst und mit sich selbst zu identifizieren“ (ebd.: 142).
Vgl. dazu ausführlicher den Begriff der joint attention von Tomasello in Kapitel 6.2.1. Knoblich und Jordan postulieren hierzu eine Kombination von individuell greifenden Spiegelneuronen mit einem System, das gemeinsame Aktionen kodiert. Die daraus entstehenden Synergieeffekte könnten demnach eine basale Voraussetzung von Sprachfähigkeit darstellen (vgl. Knoblich und Jordan 2002: 123). 93 94
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Inwieweit Spiegelneurone auch hierbei die basalen Voraussetzungen schaffen, ist das Thema des nächsten Abschnittes.
6.2 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Ontogenese 6.2 Resonanzphänomene innerhalb der menschlichen Ontogenese Mirroring (...) can enable varieties of social learning, empathy, and automatic copying. Susan Hurley
Eine vielfach zitierte und durchgeführte Untersuchungsmethode zur Intersubjektivität sind Experimente mit (Klein-)Kindern und Babys, bei denen nicht nur die soziale, sondern auch die neuronale Syntax und Semantik als postnatal nicht bzw. nicht vollständig entwickelt angenommen werden können. Stattdessen konzentrieren sich die Untersuchungen primär auf den Körper in seiner Mittlerfunktion zur Außenwelt. Wie sollte auch anders eine Interaktion zwischen Lebewesen entstehen, von denen ein Part über kein konventionelles kommunikatives Mittel, geschweige denn ein hoch abstraktes symbolisches Zeichensystem verfügt? Auf dem Weg der Fokussierung auf die gelebte Leiblichkeit erhofft man sich deshalb Einblicke in die Ursprünge interindividueller Zwischenmenschlichkeit und der Entstehung von Kommunikation. Wendet man sich der Ontogenese des Menschen zu, fällt auf, dass nicht nur Babys und Kleinkinder einen angeborenen Drang zur Imitation besitzen, sondern dass auch die Eltern bestimmte basale Handlungsabläufe des Nachwuchses – beispielsweise das Öffnen des Mundes beim Füttern – mitmachen bzw. nachahmen. Dem Menschen scheint also von Anfang an eine Grundstimmung auf andere Personen mitgegeben zu sein, die sich gleichfalls auf das Erwachsenenalter erstreckt. Der Hang zur anhaltenden Nachahmung, der bei Babys beobachtbar ist, könnte nun – im Hinblick auf die genau diese Grundstimmung erzeugenden Spiegelneurone – eine nicht vollständige Ausbildung jener Sperre (vgl. Kapitel 5.2) bedeuten, welche die aktive motorische Nachahmung in ihre passiv nachvollziehenden Grenzen weist. Dafür spricht, dass aus diesem Grund ge-
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rade innerhalb der frühen Entwicklung des Menschen eine Vielzahl von durch Bezugspersonen ausgelöste Mimikry oder in Bezugnahme auf den Resonanzbegriff auch: Echomatismen beobachtet werden können. Die Wichtigkeit dieser Mechanismen und ihres neuronal vorerst unblockierten Verlaufs, stellt sich in allen Bereichen dar, über die sich die Nachahmungen erstrecken: von der Echokinese über die Echomimie bis hin zur – für eine pragmatisch ausgerichtete, sinnverstehende und symbolgebrauchende Kommunikationswissenschaft herausragend – Echolalie, die das Nachahmen im Laut-/Sprachbereich bezeichnet (vgl. Roche 1999 online).95 Da man nun aber keine exakten Aussagen zur Hirnstruktur dieser sozialen Prozesse bei Kindern machen kann, lässt sich vorerst nur annehmen, dass „[p]erhaps some supramodal correspondences are innate (...). Perhaps some are acquired through experience with mirrors, or with being imitated (...).“ (Hurley 2005 online)
Diese Form der bereits im Kleinstkindalter durch Spiegelneurone ermöglichten unmittelbaren und handelnden Imitation, die sich auf mehrere Sinnesbereiche erstrecken kann, und der daraus erwachsenden wechselseitigen Aufmerksamkeit erschafft einen gemeinsamen spatial-temporalen, intersubjektiven Wirklichkeitsraum, der die Voraussetzung für joint attention ist. Dieser wichtige Begriff wird im Folgenden in engem Zusammenhang mit Resonanz definiert und die Auswirkungen für (Aktions-)Verstehen, Imitation und soziales Lernen – allesamt von großer Bedeutung für eine handlungstheoretische Interpretation von Intersubjektivität – unter Rückgriff auf Tomasello erläutert, der die aktuelle Form eines modernen sozialkonstruktivistischen Naturalismus vertritt.
95 Diese Echoerscheinungen werden allerdings auch bei pathologischen Bildern beschrieben.
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6.2.1 Joint attention und (Aktions-)Verstehen Erinnern wir uns an den Titel dieses Buches, so gelangen wir zurück zu der Fragestellung, ob der Mensch ein geborener Simulant ist und dabei gänzlich seinen Körperprozessen unterworfen ist, ob er also lediglich willenlos nachahmt und imitiert, was zuvor gesehen worden ist. Nicht nur Neurophysiologen wie Rizzolatti und Gallese suchen nach einer Antwort auf diese Frage, indem sie die grundlegenden Unterschiede zwischen Menschen und nicht-menschlichen Primaten aufdecken. Von einer ganz anderen Perspektive ausgehend widmet sich Michael Tomasello in seinen aktuellen Studien als Anthropologe und Primatenforscher dieser Fragestellung. Er verbindet dabei verhaltenstheoretische Experimente mit einem sozialkonstruktivistischen Ansatz. So steht er in der Tradition naturalistischer Theorien, die mit physiologischen Fakten und empirischen Datenmaterial arbeiten, verknüpft diese Methoden jedoch mit einem Makro-Blick auf gesellschaftliche Funktionen und definiert so (durchaus in Meads Tradition) eine neue Form der Naturalisierung des Geistes. Was ihn dabei mit den italienischen Forschern eint, ist das Prinzip der körpergebundenen Perspektivität, die Menschen einzunehmen in der Lage sind. Wo dieses bei den Entdeckern der Spiegelneurone noch durch reine Eigensimulation erklärt wird, spielt es sich bei Tomasello bereits im größeren sozialen Rahmen ab: Die komplexe Gesamtsituation, in die Individuen per se durch und in ihrer räumlichsomatischen Ausdehnung eingebettet sind, wird immer mitgedacht. Genau an dieser Stelle muss die Wichtigkeit einer solchen Parallele betont und zu einer Verbindung ausgebaut werden, die bereits mehrfach erwähnt wurde: das Verständnis der Spiegelneurone als grundlegende Substanz der Resonanz, die höhere geistige, von Individuen geteilte und so: gesellschaftliche Prozesse ermöglicht. Denn der Mensch ist nicht ausschließlich rein körper- und damit egozentrisch, sondern zugleich geleb-
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ter und erlebender Leib, worin sich bereits eine grundlegende Perspektivenverschränkung innerhalb des Individuums manifestiert.96 Greifen wir uns diesen Resonanzbegriff erneut heraus: Auf neuronaler Ebene haben wir diesen als von Spiegelneuronen verursachte Grundstimmung des aufeinander Einschwingens dargestellt. Dieses gegenseitige „Mitklingen“ ist die Grundvoraussetzung für die so genannte joint attention, der ersten sozio-kognitiven Grundlage, welche nach Tomasello wiederum als eines der Kriterien für die reine Möglichkeit zur Entstehung eines menschlichen Geistes und daraus entstehender Gesellschaft und deren Kultur gehandelt wird. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Blick, der wie bereits gesehen bei der Aktivierung der Spiegelneurone eine grundlegende Rolle spielt. So wird die Perzeption des Blickes eines Alter als entscheidender Schritt für die Entwicklung eines Systems des Gedankenlesens anderer und das Erkennen ihrer Intentionen angesehen (vgl. hierzu Kapitel 6): Auch das Gegenüber wird als intentionaler Akteur begriffen.97 Dies geschieht bei Tomasello jedoch nicht einzig auf subbewussten Ebenen! Detailliert beschrieben und ausgearbeitet findet sich das Phänomen der joint attention innerhalb der menschlichen Ontogenese sowie seine Bedeutsamkeit für die menschliche Kognitions- und Kulturfähigkeit in Tomasellos Werk der „kulturelle[n] Entwicklung des menschlichen Denkens“: Hier unterscheidet sich der Menschen vom Tier durch die Möglichkeit zu eben dieser gemeinsamen triadischen Aufmerksamkeit, die Menschen miteinander teilen und zwischen der Dreistrahligkeit sozialer Wirklichkeit in Form der drei Pole Ego, Alter Ego und Umwelt (Subjekt –
96 Man kann hier sehr vorsichtig und abstrahierend von einem „sozialen Gehirn“ sprechen, solange man sich bewusst macht, dass die Ausrichtung des Gehirns und seiner Prozesse auf die Außenwelt noch lange nicht mit einer gelebten kooperierenden und koordinierenden Sozialität gleichgesetzt werden kann. 97 Die Eigenschaft, dem Fremdpsychischen Intentionen zuzusprechen, die soziale Umwelt also in intentionalen Begrifflichkeiten zu erfassen, wird in ihrer Komplexität und ihrem frühen Einsetzen während der menschlichen Entwicklung einzig dem Menschen zugesprochen.
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Subjekt – Objekt) aufgebaut ist.98 Demnach lernen Säuglinge ab der „sozio-kognitiven Neunmonatsrevolution“ (2002: 88) ihre Aufmerksamkeit auf ein Objekt zu lenken, das das Gegenüber im visuellen Fokus hat; darunter werden Gegenstände und Sachverhalte gefasst, von denen das Kind weiß, dass sie Teil des eigenen und des anderen Aufmerksamkeitsfokus sind und beide wissen, dass dies ihr beider Fokus ist. Der von beiden verstandene Fokus stellt so den intersubjektiven – weil sich bewusst zwischen beiden abspielenden – Kontext bereit, innerhalb dessen der eigentliche Symbolisierungsprozess erst stattfinden kann.
Abbildung 8:
Der andere hat nicht nur eigene An-Sichten, sondern agiert intentional mit der Absicht, die Aufmerksamkeit des Kommunikationspartners zu steuern. Beide an der Szene gemeinsamer Aufmerksamkeit Beteiligten sind sich der Aufmerksamkeit des anderen sowohl gegenüber ihm als auch gegenüber dem beobachteten Gegenstand bewusst. (Quelle: Tomasello 2002: 126)
Wo Tomasello noch postuliert, dass Kleinstkinder zu diesem Zeitpunkt die Intentionalität eigenen und fremden Handelns erkennen und davon ausgeht, dass 98 Auch sprachtheoretisch zeigt sich diese Trichotomie: ich rede mit jemanden über etwas. Kommunikationswissenschaftlich gesehen sind diese drei Pole die Grundlage jeder Interaktion.
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„ich (…) mehr oder weniger die psychische Tätigkeit der anderen durch eine Analogie zu meiner eigenen [simuliere], mit der ich am unmittelbarsten und am innigsten vertraut bin“, (2002: 89)
könnte das Prinzip des somatischen Spiegelns die Basis für diese geistige Fähigkeit bilden und prinzipiell für Lernprozesse eine bedeutsame Rolle innehaben, ermöglichen sie vielleicht die somatische Kontaktaufnahme mit noch nicht zur Symbolisierung – und damit zur bewusst gesteuerten und eingesetzten Kommunikation – fähigen Säuglingen, welche bereits bei der Geburt über einen Satz an Spiegelneuronen verfügen, die sich in Quantität und Qualität, je nach gemachten Erfahrungen, weiter entwickeln oder nicht.99 Die Grundanlangen zur Überwindung der propagierten Körper-Seele-Dichotomie durch kommunikativ erzeugte Intersubjektivität wären dem Menschen demzufolge bereits in die Wiege gelegt. Interessant für den Gedanken der kommunikativ erzeugten interindividuellen Verständigung ist die der joint attention nachgelagerte joint action, also das gemeinsame Handeln. Wie bereits anhand der Auswirkungen eines mirror matching systems auf die menschliche Onto- und Phylogenese besprochen, bedarf es neben eines Resonanzsystems, das vorerst egozentrisch angelegt ist, der bewussten Wahrnehmung anderer als intentionaler Akteure. Die singuläre 1. Person-Perspektive muss durch eine plurale Wir-Perspektive ergänzt werden: „Hence, joint action requires group-centered action understanding in addition to egocentric action understanding“ (Knoblich und Jordan 2002: 117). Erst in diesem (Bewusstseins-)Status kann die joint action erfolgen, also eine als gemeinsam verstandene Handlung, die so ein Aktionsverstehen der Handlung des anderen voraussetzt und hohe Effizienz bei kooperativer Zusammenarbeit bei der Bewältigung von Problemen und Aufgaben in der (gemeinsamen) Umwelt bereitstellt. Eine offensichtliche Parallele zwischen Spiegelneuronen und der Fähigkeit zur joint attention und action lässt sich also im Aufbau einer Ver99 Die Spiegelneurone unterliegen, wie alle anderen Nervenzellen auch, dem Prinzip des fire and wire.
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bindung der eigenen Wahrnehmung bezüglich eines Objekts (1. PersonPerspektive) sowie der eigenen Wahrnehmung eines anderen, der sich diesem Objekt zuwendet (3. Person-Perspektive) definieren. Auf diesem Weg kann eine – auf dem präzisen Mitschwingen des Spiegelsystems basierende – hohe Flexibilität im Handeln und Denken emergieren, dessen Perspektivitätserzeugung sich darüber hinaus auch unerlässlich für eine grundlegende soziale Kognition darstellt. So kommt es zu einer „shared information space for own and others’ actions“ (Hurley 2005 online), also einer interaktionistisch verankerten Intersubjektivität.
6.2.2 Imitation und soziales Lernen Von der gemeinsam geteilten Aufmerksamkeit zur Imitation ist es kein weiter, aber ein sehr bedeutender Schritt. Wissenschaftshistorisch findet sich die Nachahmung bereits bei Aristoteles, der den Menschen das zôon mimêtikôtaton, das am stärksten imitierende Wesen nennt. Dabei stellt die so genannte mimesis eine wichtige Grundbedingung für die Aneignung komplexer Abläufe und Verhaltensmuster sowie sozialen Lernens dar, spielt also eine entscheidende Rolle in der ontogenetischen Entwicklung des Menschen. Imitation als für die Sozialität unabdingbarer Mechanismus verfolgt ein effizientes Prinzip, da auf diesem Weg nicht nur eine bessere Kontrolle eigener Bewegungen und Handlungen herausgebildet wird, sondern auch weil sie zu einer verkürzten Lernspanne führt. Dies bedingt wiederum ein besser angepasstes Verhalten. Erfahrungen müssen nicht jedes Mal neu (und möglicherweise schmerzhaft und unter Verlusten) gemacht werden, sondern können anhand der Imitation alternativer Formen und Handlungsprogramme ersetzt und durch den so angeeigneten Erfahrungsschatz wiederum (somatisch) antizipiert werden. Die Suche nach einer festen, gültigen Definition des Begriffs „Imitation“ stellt sich jedoch als sehr schwierig dar. Ist Imitation das Vermögen, eine unbekannte Bewegungsabfolge nachzuahmen oder reicht bereits eine bekannte Aktion aus? Geschieht dies mit Hilfe eines berechnenden, abschätzenden Bewusstseins oder passiert es automatisch und präkogni-
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tiv? Unsere Auffassung von Imitation setzt an einer sehr breiten Definition an: Sie soll das bewusste und unbewusste sowie absichtliche als auch unabsichtliche Nachahmen einer bekannten als auch unbekannten Handlung durch ein „möglichst ähnliches Eigen-Produkt“ (Eisler 2006 online) einschließen, das sowohl sofort als auch aufgeschoben erfolgen kann. Im Kontext der Spiegelneurone bedarf es jedoch parallel der Einführung eines Begriffs, der einzig eine instantane Reproduktion einer Aktion bezeichnet. Wir folgen hier Byrne und Russon (1998), die den Begriff der response facilitation prägten. Darunter versteht man die automatische Neigung, eine beobachtete Bewegung zu reproduzieren, die bereits bekannt ist. Dies kann sowohl unbewusst als auch bewusst erfolgen. Diese Differenzierung des Bewusstheitsgrades lässt sich verknüpfen mit und bringt Licht in die Funktionsweise der Spiegelneurone und deren Auswirkungen auf Imitation, die durch zwei verschiedene Aktivierungen evoziert werden: Im Fall der unbewusst erfolgenden „mentalen Mimikry“ (vgl. Lenzen 2005: 155) in Form einer endogenen, symmetrischen, motorischen Stimulation mutmaßen Rizzolatti et al., dass bestimmte Teile des motorischen Systems angesprochen werden, die die reine Bewegung (movement) kodieren. Im Gegensatz dazu tritt die Nachahmung in das Bewusstsein, wenn Neurone im motorischen Areal in Resonanz gebracht werden, die motorische Aktionen (act) kodieren (Rizzolatti et al. 1999). Bei der bewussten Imitation findet also eine Erkennung der Aktion als sinnhaft und zielgerichtet statt.100 Betrachten wir die response facilitation als die durch Spiegelphänomene ermöglichte postnatal durchweg präsente Imitationstendenz, stellt Vgl. zu dieser Passerkennung Kapitel 5.4. Dieser Begriff, genauso wie der der Spiegelneurone, scheint uns etwas unglücklich gewählt, da hier nicht lediglich die Handlung des Gegenübers nachgeahmt bzw. gespiegelt wird (im imitatorischen Sinne), stattdessen aber in Verbindung gebracht wird mit dem eigenen individuellen motorischen Erfahrungsschatz bzw. an die String-Theorie Byrnes anschließend mit dessen Versatzstücken. Auch, wenn sich die symmetrische Aktivierung der Neurone intern abspielt, handelt es sich doch um eine selbst generierte Aktion und nicht um ein reines motorisches Echo des Gesehenen. Es geht also nicht um eine reine Duplikation oder Reproduktion, sondern um Repräsentation.
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sich die Frage, wie der Mensch innerhalb seiner Ontogenese von einem so grundlegendem Level abstrahieren lernt, um zur „echten“ Imitation komplexerer Bewegungsabläufe zu gelangen. Schließlich gibt es unzählige Kombinationsmöglichkeiten von Bewegungsabläufen, die sich der Mensch nicht durch schieres Nachahmen unter Berücksichtigung des eigenen (anfangs sehr beschränkten) motorischen Repertoires aneignen kann. Dies würde ihn nicht nur sehr unflexibel gegenüber neuen Situationen machen, sondern auch selbst gestaltete vielschichtige und komplizierte Aktionen in Frage stellen. Die Lösung der komplexen Imitation findet sich laut Neurowissenschaftlern erneut im Resonanzsystem der Spiegelneurone. So gelten diese – über ihre grundlegende Einstimmung und Empathie für das Gegenüber und ihre Fähigkeit zur Spiegelung und Nachahmung basaler Abläufe hinaus – als Grundlage für jene komplizierten, aus verschiedenen Teilaktionen zusammengesetzten Bewegungen. Möglich ist das, da sie die einzelnen Bestandteile und damit kleinere Bewegungseinheiten „erkennen“ können. Dies passiert durch den Abgleich mit dem eigenen motorischen Repertoire, welches gleichermaßen in Abschnitte zerteilt wird, um eine Observations-Exekutions-Passung vorzunehmen.101 Fassen wir zusammen: Die beobachtete Gesamtaktion wird also in kleine strings zerlegt, die wiederum Ähnlichkeiten zu bereits bekannten Bewegungen aufweisen können; in diesem Fall kommt es zur internen action recognition durch die Spiegelneurone und somit zum Nacherleben zumindest von Teilen der fremden Handlung. Aus diesem Vorgang vorhergehend erwächst dann schließlich die Möglichkeit, neue Bewegungsabläufe zu erlernen, also auch unbekannte Bewegungsabfolgen nachzuahmen, die nicht im eigenen Repertoire ihre exakte Passung finden, sondern mit potentiell bruchstückhafter Information angereichert bzw. komplettiert werden. Dies geschieht dann allerdings unter Zuhilfenahme weiterer, meist rechtshemisphärischer Cortexareale, speziell des rechten „Although we tend to forget that which is cerebrally understood, we do not forget what we learned through our body“ (Yasuo 1987: 105). Es handelt sich so um die Sedimentierung getätigter Körpererfahrungen.
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parietalen Lappens (vgl. Rizzolatti, Craighero und Fadiga 2002: 42, 54) und kann das Bewusstsein bezüglich der Handlung bzw. des Lernens mit einschließen. Allerdings muss eine spezifisch menschliche Eigenschaft bei der Betrachtung des Phänomens Imitation berücksichtigt werden: Menschen sind in der Lage, alternative Lösungswege zu beschreiten, um zu ein und demselben Ziel zu gelangen: „[I]mitation (…) is primarily the goal of an act that is imitated; how that goal is achieved is of only secondary interest“ (Wohlschläger und Bekkering 2002a: 102; Hervorh. N.Z.).102 Dies wird mitunter durch den Begriff Kreativität (laut Duden „die schöpferische Kraft“) bezeichnet. Aus diesem Grund wird das automatische Aktionsverstehen mit Hilfe eines direct matching mechanisms an dieser Stelle als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Beschreiten neuer Lösungswege bei abweichender Imitation mit selbem Zielfokus beschrieben. Vielmehr betrachten wir die bereits beschriebene somatische Entkopplung des Handlungszieles und der Mittel, wie dieses erreicht wird, als notwendige, jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für unbeschränkte Kreativität. Unabdingbar für diese sind darüber hinaus flexible entscheidungsoffene Prozesse zwischen einem Handlungsziel und den Mittel bzw. Vorgehensweisen, mit denen dies erreicht werden soll, die keinen körperlichen Limitationen in Form rein somatischer Resonanz unterliegen. Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass die durch Spiegelneurone geleistete Observations-Exekutions-Passung und das darauf entstehende Aktionsverständnis anderer Handlungen durch somatische Imitation der kreativen Imitation zeitlich vorhergeht, die wiederum eine besonders bedeutsame Rolle in der Evolution von Kommunikation und Kultur spielt (vgl. ebd.: 111). In Anlehnung an Hurleys Interpretation der Spiegelneurone, die sich auch auf deren Auswirkungen auf Imita-
Die Studien von Wohlschäger und Bekkering kommen zu der Schlussfolgerung, dass das Imitationsverhalten stark differiert bzw. davon abhängt, ob ein Zielobjekt vorhanden ist oder nicht. Bei Absenz des Ziels ist die Imitationsbewegung präziser, bei Vorhandensein spielt sie keine zentrale Rolle, soweit nur das Ziel erreicht worden ist (vgl. Wohlschläger und Bekkering 2002b).
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tion bezieht, schließen wir, dass verschiedenste Formen des sozialen Lernens durch die Resonanz-Nervenzellen hervorgehen. Das Aktionsverstehen sowie das daran gekoppelte -antizipieren bildet hierbei die Wurzel für weiter greifende Funktionen in der Entwicklung eines facettenreichen, komplexen Sozial- und Kultursystems: „Capacities for various forms of copying of others’ acts interleave with capacities for various levels understanding of others, in a bootstrapping process leading to full imitation and mindreading.“ (Hurley 2005 online)
Dieses Prinzip des bootstrappings schließt den Kreis zu Tomasellos körperbasierter Kulturtheorie, bei dem selbiger Terminus im übergelagerten Zusammenhang der Symbolentstehung Verwendung findet. Je mehr Handlungsprogramme durch imitatives Verhalten neuronal gespeichert werden, desto mehr Handlungsstrings befinden sich im eigenen motorischen Repertoire desto mehr Antizipation fremder Handlungen ist möglich etc. Dadurch kann der Mensch sich während der frühen Ontogenese an die Außenwelt und schließlich an die Welt der Bedeutungen herantasten: Das in den Handlungsmöglichkeiten gespeicherte Wissen der Gesellschaft wird neuronal internalisiert und bricht so die Grenze zwischen Alter und Ego auf. Betrachten wir erneut die Ausgangsfragestellung nach dem Unterschied zwischen Mensch und Affe unter der Prämisse einer möglichen intersubjektiven Wirkungsweise der Spiegelneurone – und hier in Bezug zur Ontogenese und sozialen Phänomen gesetzt –, lässt sich zusammengefasst die somatisch bereitgestellte einzigartige Imitationsfähigkeit des Menschen, erlernt innerhalb der körpernahen Interaktion, als fundamental für den „sich ständig steigernde[n] Prozess der Anhäufung von Wissen begreifen, bei dem Menschen die Perspektive und Intentionen anderer übernehmen – und zwar systematisch. In dieser Systematik, die selbst wieder gelernt und in Lern- und Wissensorganisationen institutionalisiert wurde, besteht das spezifisch Menschliche.“ (Hubert 2004 online)
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Dies bewerkstelligt die kumulative kulturelle Evolution, welche sich auf die Dialektik von Imitation und Innovation stützt (vgl. Tomasello 2004: S. 597).103 Inwieweit die Möglichkeit zur selbst geformten Spiegelung des Fremdpsychischen mit der Kapazität dessen Verstehens verzahnt ist und zu voller sozialer Kognition und Absichtsverstehen führt, wird im folgenden Kapitel erarbeitet. Hierbei handelt es sich um die Auswirkungen der Spiegelneurone auf die aktuelle Debatte der Alltagspsychologie bzw. der Theory of Mind, der Fähigkeit, ein Verständnis von einem Alter als individuellem Akteur zu entwickeln, der mir gleichend über einen Geist verfügt. Diese Fragestellung reicht über die bis hierhin geschilderten fundamentalen Auswirkungen auf die Phylo- sowie Ontogenese hinweg und bezieht sich direkt auf die kommunikative Einstellung und Herangehensweise auf bzw. an einen Alter. Denn je nachdem, wie man diese kommunikative Einstellung begreift, lassen sich jeweils unterschiedliche Implikationen für die generelle Kommunikationsfähigkeit des Menschen beobachten.
Diese kumulative Kraft des Tomasello´schen ratchet effect ließe sich auch auf das Prinzip des durch Spiegelneurone ermöglichten sozialen Grundverhaltens anwenden, allerdings unter der Miteinbeziehung und Berücksichtigung auch körperlicher Informationsweitergabe.
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren? [T]he passions which are in the mind of another are of themselves to me invisible. John Locke
Die Reziprozität der Perspektive, die wir bis zu diesem Punkt betrachtet haben, zählt zu den unverwechselbaren, artkonstituierenden Faktoren, die den Menschen ausmachen. Sie umfasst als grundlegende soziale Tatsache nicht nur die Möglichkeit, das Gegenüber in seinen Aktionen nachzuvollziehen und schließlich zu verstehen, sondern im Rückkehrschluss auch, sich selbst in Abgrenzung zum Fremdpsychischen als Individuum zu konstituieren. Die Tauschbarkeit der Perspektive als Möglichkeit, den Standpunkt eines anderen einzunehmen, kann wissenssoziologisch als eine notwendige Bedingung des gegenseitigen und eigenen Verstehens betrachtet werden. Zwar erfährt die Intersubjektivitätsforschung in diesem Bereich stetig neue Aufschlüsse und Ansätze, und klar scheint, dass es „(…) eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Menschen [ist], sich in die Wahrnehmungs-, Denk- und Gefühlswelt seiner Mitmenschen hineinversetzen zu können.“ (Roth 2003b: 393)
Doch ist fraglich, wie der damit verbundene „dramatische[] Perspektivwechsel“ (ebd.) verbunden ist. Was erfolgt zuerst? Das unvermittelte Sich-in-den-anderen-Versetzen oder die bewusste Hypothetisierung über das (vermeintliche) Innenleben des anderen und dessen Wünsche, Ziele und Absichten? Diese epistemologische sowie kommunikationswissenschaftliche Grundfragestellung setzt erneut an der Frage nach der Möglichkeit von Intersubjektivität an: Wie bzw. auf welchem Weg können wir das Fremd-
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psychische verstehen? Überwinden wir unsere körperlichen Grenzen und stehen wirklich sprichwörtlich „in den Schuhen des anderen?“ Oder verbleiben wir innerhalb unserer somatischen Grenzen und simulieren uns nicht nur die Außenwelt, sondern auch die Menschen in dieser und kreieren – aufgrund von Analogieschlüssen – das Alter als eine uns gleichende physische Gestalt? Diese beiden Herangehensweisen fußen auf zwei Ansätzen, die zusammengefasst werden unter der Alltagspsychologie und die erklären sollen, wie die tägliche Verstehensleistung anderer Wünsche, Ziele und Intentionen und die gegenseitige Zuschreibung mentaler Zustände vonstatten geht. Im Forschungsfeld dieser auch als folk oder commonsense psychology genannten Theorie werden beide Ansätze aktuell und kontrovers diskutiert: Es handelt sich um die Debatte Simulation Theory vs. Theory-Theory, die in den nächsten Unterkapiteln besprochen und mit dem Resonanzphänomen der Spiegelneurone in Verbindung gebracht bzw. kontrastiert werden. Ziel ist es dabei festzustellen, wo sich diese beiden innerhalb des Schnittfeldes der alltagspsychologischen Theorien einordnen lassen. Kommen wir jedoch zuvor zwecks Erläuterung der Alltagspsychologie zurück zu einer Feststellung, die ein jeder anhand persönlicher Erlebnisse belegen kann: Menschen verstehen einander (mehr oder weniger).104 In der täglichen Lebenspraxis hat jeder das subjektiv sichere Gefühl, die Beweggründe, Wünsche und Ziele anderer Menschen nachvollziehen zu können und in verschieden gearteten Weisen darauf reagieren zu können. Die (als bewusst erlebte) Zuschreibung dieser sowohl mir als auch dem anderen inhärenten mentalen und intentionalen (s. Husserl) Zustände ist jene Theory of Mind105, auch mentalistische Alltagstheorie Unter Verstehen ist hier das Erfassen von Handlungsprozessen innerhalb einer sozialen Interaktion vermittels nicht-signifikanter Gesten und signifikanter Symbole gemeint. Dies hat also nichts gemein mit der Ungeheuer´schen Unterteilung in Verständigung und Verstehen, nach dem letzteres niemals final zu beweisen ist. 105 Dabei handelt es nicht um eine Theorie über die Existenz eines allgemeinen Geistes, sondern darum, dass Menschen in sich eine Theorie entwickeln, dass andere ihnen gleichend begeistigte Wesen sind. 104
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genannt und ist Gegenstand erhitzter Debatten zwischen Kognitions-, Neuro- und Geisteswissenschaftlern.106 Jeder Mensch besitzt die Kompetenz, von sich auf das Vorhandensein und die Funktionsweise des Geistes anderer zu schließen (vgl. Premack und Woodruff 1978), so dass ein kohärentes Weltbild und eine sinnvoll zusammenhängende soziale Umwelt gesichert werden können. Phänomene der anthropologischen Außenwelt können erklärt und vorausgesagt werden. Dies ist jedoch keineswegs ein ausschließlich konstant bewusster, metakognitiver und durchweg Selbstreflexion mit einschließender Prozess. Die aufgezeigte Fähigkeit ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich erst im sozialen Miteinander. Dabei ist das zweite bis dritte Lebensjahr entscheidend für die Entstehung einer Theory of Mind. Dies belegen speziell die so genannten False-belief-Experimente, die aufzeigen, dass erst Kleinkinder ab diesem Alter – nachdem sich die Prinzipien gemeinsam geteilter Aufmerksamkeit und das Verständnis des Alters als intentionalem Akteur verfestigt haben – verstehen können, was im anderen vorgeht und so auch geistige Zustände dessen als nicht aufrichtig identifizieren können (vgl. Wimmer und Perner 1983).107 Wozu dient aber die Annahme einer Alltagspsychologie, der Unterstellung geistiger Zustände, die den Aktionen anderer kausal vorhergehend gedacht werden? Eine Antwort liegt darin, dass aufgrund eigener Erfahrungen Schlussfolgerungen über das Verhalten eines Alter gezogen werden können. Dessen Handeln wird so kategorisierbar, vorhersehEs herrscht eine disziplinenübergreifende Konfusion bezüglich des Begriffes der Theory of Mind sowie der im selben Sinnfeld angelagerten Theory-Theory und Simulation Theory. Mal werden letztgenannte als Unterkategorie einer Theory of Mind begriffen, mal die TheoryTheory auf eine Stufe mit ihr gestellt. Hier wird die Simulation Theory von der Theory-Theory unterschieden, wobei letztere die Theory of Mind kognitiv, erstere diese somatisch konstituiert. Dies erfolgt allerdings ontogenetisch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Implikationen der Simulation Theory auf eine Alltagspsychologie werden daher gleichwertig angenommen, gelangen diese wahrscheinlich auf einem anderen, unbewussten Wege zum Tragen. 107 Neben der Ontogenese lässt sich auch eine Entwicklung innerhalb der Phylogenese festhalten, nach der eine Reduktion der Alltagspsychologie auf belebte Gegenstände stattgefunden haben muss (vgl. hierzu die kultische Personifizierung von Naturphänomenen bei Naturvölkern, bei denen bspw. dem Himmel menschliche Eigenschaften attribuiert wurden). 106
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren?
und damit einschätzbar. Man fühlt sich also nicht hilflos einer uneinschätzbaren Welt gegenüber gestellt, sondern kann durch mindreading (vgl. Baron-Cohen 1995) mit einer Theorie von Regelmäßigkeiten im Verhalten anderer arbeiten oder durch Simulation direkt empathisch „miterleben“, was in ihnen vorgeht. Der Effekt ist bei beiden Herangehensweisen ähnlich gelagert: Sie lassen eine erhöhte Anpassung an und Effektivität in Interaktion und Kommunikation zu und ermöglichen flexibles, kooperatives Handeln, eine Grundvoraussetzung für die Komplexitätszunahme in der Phylogenese des Menschen sowie für eine facettenreiche Soziabilität (vgl. Baron-Cohen et al. 1995: 39). Kehren wir zurück zur Bedeutung dieser Vorgänge im Licht der Spiegelneurone, muss ein besonderes Augenmerk auf den Schluss von eigenen Erfahrungen auf das Verhalten des Gegenübers fallen. Wir stellten bereits die Frage nach dem Zustand des intersubjektiven Verstehens. Handelt es sich um einen bewussten oder unbewussten Analogieschluss oder doch um Simulation? Hierzu lassen sich zwei Ansätze innerhalb der Alltagspsychologie verfolgen, die von unterschiedlichen Prämissen ausgehen und im Folgenden im Kontext der körperlichen Resonanz diskutiert werden.
7.1 Theory-Theory: Von der verallgemeinernden Regel 7.1 Theory-Theory: Von der verallgemeinernden Regel [W]e do use commonsense psychological generalizations to predict one another's behavior; and the predictions do – very often – come out true. Jerry Fodor
Vergegenwärtigen wir uns ein Beispiel aus dem Alltag, um uns die verschiedenen Ansätze genauer zu verdeutlichen: Person A grüßt die ihr bekannte Person B, die jedoch entgegen sonstiger Erfahrungen mürrisch und einsilbig antwortet. Die Vertreter der Theory-Theory deuten diese Szene wie folgt: Eben aufgrund der bereits getätigten Erfahrungen sowie – aufgrund der lebenswirklich angenommenen artspezifischen Ähnlichkeit – unter Zuhil-
7.1 Theory-Theory: Von der verallgemeinernden Regel
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fenahme des Prinzips der Verallgemeinerung hat Person A eine allgemeine, empirisch verankerte Generalisierung über Person B angefertigt. Diese verhilft ihr dazu, das Verhalten von Person B einzuschätzen bzw. antizipieren und ex-post erklären zu können. Aktionen des Gegenübers fallen also unter eine Regel, die man sich innerhalb des alltäglichen Umgangs mit der entsprechenden Person erstellt hat und die zu einer Theorie geronnen sind. In diesem speziellen Fall ist die erfahrungsbedingte Regel jedoch nicht anwendbar, da sich das Gegenüber anders verhält. Die intersubjektive Lösung lautet demzufolge: Man versteht die inneren Zustände des anderen durch Theoretisieren. Dabei findet keinerlei Rückgriff auf die eigenen inneren Prozesse statt. Die Anwendung dieser Theorie ermöglicht eine Theory of Mind (vgl. Vogeley und Newen 2002: 136), welche wiederum zum Zuschreiben intentionaler Zustände in Form der bereits erwähnten Wünschen, Zielen und Absichten in Form von Konzeptualisierungen befähigt. Dabei gilt: The attributor in the TT scenario does not utilize any pretend states that mimic those of the target; nor does he utilize his own decision-making system to arrive to a prediction.” (Gallese und Goldman 1998: 497)
Bei diesem Ansatz geht man davon aus, dass diese Glaubenssätze nicht reflektierend konstruiert sind, sondern im impliziten Erfahrungsschatz vorhergehender Situationen fußen, so dass die inneren Zuständen anderer Personen regelhaft kategorisiert werden: Im anderen verlaufende Interna werden subbewusst dessen offenkundigem Verhalten kausal attribuiert; und dies funktioniert nicht nur situationsgebunden, sondern verallgemeinernd auch in anderen Interaktionen. Es handelt sich hierbei um eine größtenteils unbewusst greifende Theorie, die man sich vom Innenleben des anderen macht, da aufgrund der Unbeobachtbarkeit innerer Entitäten kein direkter Schluss vollzogen werden kann. Die gesetzmäßige Generalisierung verläuft über die so genannte tacit knowledge, dem impliziten Wissen, dem ein subjektives Verständnis bezüglich des Vorgehens einer anderen Person und seinem mentalen Status zugrunde liegt. Dieses „stillschweigende“ Prinzip funktioniert in vielen
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren?
Bereichen menschlicher Kognition, bleibt für diesen allerdings so lange verborgen, bis man ihn danach befragt: Kaum eine Person kann so spontan die Frage beantworten, warum sie das gleiche Verhalten zweier unterschiedlicher bekannter Personen jeweils anders deutet, da sie den Bekannten jeweils andere Beweggründe und andere mentale Zustände attestiert. Deshalb ist die Theory-Theory nicht mit einer wissenschaftlichen Theorie zu vergleichen, die den ausgearbeiteten, viel bedachten Prinzipien von Konsistenz und Kohärenz genügen muss. Für ein grundlegendes Verständnis muss explizit herausgestrichen werden, dass diese Theoretisierung nur unter der Prämisse funktionieren kann, dass man das Fremdpsychische als einem ähnlich begreift und unter diesem Blickwinkel dessen Verhalten interpretiert. Die Fragestellung nach intersubjektiver Kommunikation setzt demnach an der Stelle an, an der zwecks Analogieschluss ein vorhersagbares Verhalten des anderen erzeugt wird. Dabei verbleibt der Mensch in seiner Annahme kausaler Kräfte weiterhin bei sich, es findet kein direktes empathisches Miterleben der Absichten, Vorstellungen und Emotionen des Fremdpsychischen statt. So schafft er sich einen „Korpus von theorieförmigem Wissen“ (Lenzen 2005: 21), das jegliche Erfahrung unter diesen Wissensbestand subsumiert. Allerdings treten Unklarheiten innerhalb der Theory-Theory auf. Mit welcher Berechtigung kann man sich selbst als Modell für den anderen setzen? Widerspricht die Bedeutung des Terminus „Theorie“ nicht einer impliziten Herangehensweise an Interpretation? Inwieweit greift solch ein – wenn auch größtenteils unbewusst verlaufender – deduktivnomologischer Ansatz bei der Einschätzung eines Alter, dem man noch nie begegnet ist, der also in keine Regelhaftigkeit eines bereits bekannten bzw. konstruierten Schemas tritt? All diese Fragen vermögen das alltägliche Verständnis eines jeden Subjekts bezüglich der eigenen Verstehens- und Übertragungsprozesse ins Wanken zu bringen: „if commonsense psychology were to collapse, that would be, beyond comparison, the greatest intellectual catastrophe in the history of our species
7.2 Simulation Theory: Analogieschluss dank eigener Erfahrung
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[...]“, zu deutsch: „Wenn die Alltagspsychologie zusammenbrechen würde, so wäre dies bei Weitem die größte intellektuelle Katastrophe, die unsere Art erlebt hat.“ (Fodor 1987: XII)
Den Unstimmigkeiten innerhalb der Theory-Theory wird nun ein Ansatz entgegengesetzt, der nicht nur versucht, diese auszuräumen, sondern die Idee der impliziten Theoretisierung zu kippen. Die Simulation Theory widmet sich ausschließlich körperlichen Prozessen der sozialen Interaktion, welche in der Theory-Theory keinerlei Erwähnung fanden. Damit reiht sie sich ein in das bereits gezeichnete Bild des somatic turn, der Rückbesinnung auf körperliche Prozesse als Grundlage für menschliche Interaktion und Kommunikation. Im folgenden Kapitel wollen wir diesen Ansatz in Bezug auf die Möglichkeit kommunikativer Intersubjektivität unter dem Fokus der Spiegelneurone betrachten.
7.2 Simulation Theory: Analogieschluss dank eigener Erfahrung 7.2 Simulation Theory: Analogieschluss dank eigener Erfahrung What I do conjecture is that simulation (...) is the fundamental method used for arriving at mental ascriptions to others. Alvin Goldman
Von gänzlich anderen Prämissen als die theoretisierende Generalisierung geht die Simulation Theory aus,108 die auf einer materialistischen Deutung der Voraussetzungen für Intersubjektivität fußt und der deshalb neurowissenschaftliche Konzeptionen über gegenseitiges Verstehen – in diesem Kontext eher: Koordinieren – näher liegen. Wir beziehen uns hier auf die Interpretation von Goldman (1989), der eine breitere Definition der Simulation Theory postuliert als beispielsweise Harris oder Gordon, der mit seinem Prinzip des egocentric shift eine tatsächliche Überwindung der Innen-Außen-Dichotomie durch eine reale Perspektivenverschränkung durch Übernahme der Perspektive des Gegenübers annimmt, die hier nicht zur Anwendung kommen soll.
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Als Gegenpol zur Theory-Theory beruht dieser Ansatz auf den Annahmen, dass man 1. eigene Zustände der Erfahrung durchlaufen hat, man sich 2. vorstellt, man wäre in der Situation des anderen und würde wie dieser empfinden, man 3. „offline“ erlebt, was der andere in eben dieser Situation fühlen würde und man ihm 4. das mentale Ergebnis per subbewusstem Analogieschluss zuschreibt. Intentionen, Ziele, Annahmen würden einem Alter also durch einen gänzlich anderen, körperbasierten Prozess inferentiell aber unbewusst zugeschrieben: Man stellt sich auf somatischem Wege direkt vor, man sei der andere (vgl. Lenzen 2001: 29). Auch bei Mead findet sich eine derartige aktive Versetzung in das Alter: „Wir versetzen uns unbewusst in die Rolle anderer und handeln so wie sie“ (1973: 108). Prägend für diesen Sachverhalt wurde in seiner Tradition der Begriff des taking the role of the other (ebd.: 300). Im aktuellen Kontext ist der Terminus mentale Simulation gebräuchlich, womit mitnichten eine komplette Gleichschaltung zwischen Alter und Ego und damit die gänzliche Aufhebung der Innen-Außen-Dichotomie gemeint ist, sondern die ureigene innere Antizipation der fremden Handlung und das Auslösen dieser im eigenen Körper.109 Nehmen wir das Beispiel der mürrischen Person B auf, ist ein Nachvollziehen bzw. Verständnis ihres Zustandes – im Gegensatz zur Theory-Theory – durchaus möglich, da man nicht auf eine allgemeine Regel über die inneren Zustände des Alter angewiesen ist, sondern seine Annahmen somatisch aus dem eigenen Erfahrungsschatz speisen kann. So geht man also von der eigenen Position aus und überträgt schließlich die eigenen Erfahrungswerte, die man in der Situation des anderen erleben würde, auf diesen, schreibt sie diesem zu. Der eigene Geist fungiert so als Modell für den anderen, um anhand der eigenen die Wünsche und Absichten des anderen zu erkennen bzw. vielmehr zu erfühlen. Kurzum: Eigene Emotionen oder Intentionen werden auf den anderen projiziert, nachdem man selbst die Bewegungen des Gegenübers in sich ausgelöst hat: „Simulation is usually equated with role-taking, or imagiJoas nennt dies antizipatorische Rollenübernahme, die sich sowohl auf belebte als auch unbelebte Objekte erstreckt (vgl. Joas 1980: 154).
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7.2 Simulation Theory: Analogieschluss dank eigener Erfahrung
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natively ‘putting oneself in the other’s place.’“ (Gordon 2004 online). Diese Zuschreibungen laufen auf einem automatischen, subpersonalen Level ab, sind also als unbewusst zu klassifizieren. Die intersubjektive Lösung lautet demzufolge: Das Nachempfinden, die Empathie garantiert das Verstehen. Dabei findet keine Ansammlung von implizit werdenden Wissen über jede einzelne Person statt, sondern jedes Mal eine Aktivierung einer eigenen Simulation, aufgrund derer man schließlich per subbewusstem ratiocinatio per analogiam das Verhalten des Alter verstehen, antizipieren und damit planen kann. Die Simulation Theory hat aus diesem Grund den klaren Vorteil der ökonomischen Prozesshaftigkeit, wo die Theory-Theory in ihrer unbewussten Theorie-basierten Argumentation und Notwendigkeit zur Ausbildung von Regelhaftigkeiten starrer ist. Wo die Theory-Theory noch absolutistisch eine Kapazität einer psychologischen Theorie oder detaillierten Wissensbasis über das Verhalten anderer postuliert und jegliche körperliche Resonanz ausschließt, findet sich in der Simulation Theory folgendes: Statt dieses geistigen Aktes der Inferenz kommt es zu einer somatischen Offline-Simulation, die keine kausalen Gründe zur Erklärung benötigt. Das Verhalten eines Individuums wird also nicht erklärt, sondern schlicht prozesshaft nachempfunden; es besteht also vielmehr eine Kapazität zur Simulation der mentalen Prozesse anderer. „Simulation uses certain processes to generate related information, rather than theorizing about them in separate meta-processes.“ (Hurley 2005 online)
Allerdings erscheinen auch hier Fragestellungen, die eine Exklusivität dieser Theorie fragwürdig erscheinen lassen: Wie kann man ein Verhalten simulieren, wenn man selbst noch kein motorisches Repertoire in der betreffenden Situation zur Verfügung hat, also kein Erfahrungsschatz vorhanden ist? Und: Wie lassen sich hochkomplexe kognitive Operationen einzig durch Simulation erfassen? Die alltagspsychologische Debatte lässt sich also zusammenfassen mit Simulation vs. Theoretisierung, was in diesem Kontext bereits einen
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren?
entscheidenden Hinweis auf eine mögliche Positionierung der Spiegelneurone gibt.
7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie 7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie Mirroring provides intersubjective information about instrumental action that does not distinguish self and other (...). Susan Hurley
Was haben Spiegelneurone nun mit der Alltagspychologie zu tun, die wiederum direkt auf die Entstehung der Intersubjektivität rekurriert? Und warum gibt es Stimmen, die sich für eine Gefährdung bzw. Erhärtung der Theory of Mind aussprechen, je nachdem, ob man sich der simulierenden oder theoretisierenden Seite zuschlägt? Es ist offensichtlich, dass die körperbasierte Simulation Theory, die ein direktes Mitempfinden postuliert – im Gegensatz zur Theory-Theory – dem Resonanzphänomen der Spiegelneurone sehr nahe steht. Beide vereint das instantane, unvermittelte Nacherleben. In beiden Fällen wird eine Form subbewusstes Faksimile erstellt und durchlaufen zwecks Positionierung in sowie Strukturierung der Lebenswelt: Human beings are able to predict and explain each others actions by using the resource of their own mind to simulate the psychological etiology of the actions of the others. (Davies 1992: 2)
Für die Simulationsvariante spricht weiterhin die in Kapitel 5.2 angesprochene Aktivierungshemmung. Denn wenn Handlungen ausschließlich auf theoretischem Wege repräsentiert würden, wie lässt sich dann die durch TMS-Studien festgestellte Aktivierung der eigenen motorisches Ressourcen erklären, die bei der Bewegungsbeobachtung zum Vorschein kommt?
7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie
Abbildung 9:
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Andrew N. Meltzoff während eines Kleinkind-Experimentes. Man erkennt klar das Imitationsverhalten des Babys, das durch die isomorphe, spiegelnde Körperbewegung ein unbewusstes WirGefühl aufbauen kann. Meltzoff nennt Neugeborene aufgrund dieses Automatismus „biologische Spiegel“. (Quelle: Andrew N. Meltzoff und E. Ferorelli)
Trotzdem kann hier lediglich erklärt werden, wie Intersubjektivität in ihren Grundformen aufrecht erhalten wird, nicht jedoch, wie sie ursprünglich innerhalb der Ontogenese hergestellt wird. Beiden Theorien mangelt es an der Auflösung dieses Problems: Wo fängt die eigentliche Fähigkeit zur Theoriebildung an bzw. an welcher Stelle lässt sich die erste Eigensimulation fremder Überzeugungen und Emotionen festmachen, ohne diese identifizieren zu können? Wo ist der Ursprung der kommunikativen Intersubjektivität zu suchen? Genau an dieser Stelle setzen die Spiegelneurone an. In der postnatalen Entwicklung stellen sie ein somatisches Set bereit110, das zur unvermittelten Aufnahme und Nachahmung gesehener Aktionen führt. Meltzoff und Moore (vgl. 1977) stellten so fest, dass bereits wenige Minuten
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Bauer spricht von einem „Startset von Spiegelneuronen“ (2005: 57).
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren?
nach der Geburt das Prinzip der unmittelbaren Wahrnehmung und Nachahmung fremder Bewegungen beobachtbar ist: Da ein Neugeborenes kognitiv kaum zu jeglicher Art der inferentiellen Theoriebildung befähigt sein dürfte, noch ein psychologisches Vorwissen über mögliche Zustände im anderen hat – was zu diesem Zeitpunkt auch keinen ökonomischen Mechanismus darstellen dürfte –, bleibt uns der Bezug bzw. die Verbindung der Spiegelneurone zur körperlichen Resonanz der Simulation Theory, die gleichfalls eine motorische Imitation annimmt. Die Bedeutung der Spiegelneurone als Grundlage für Intersubjektivität findet sich dabei in eben der Simulation, durch die die gesehene Aktion erst eine Form körperlich-antizipierter „Bedeutung“ erlangt (vgl. Lenzen 2001: 30). Diese Bedeutung basiert auf der somatischen Erkennung von „intrinsically meaningful behavioral signals“ (Fogassi und Gallese 2002: 20).111 Ferner erfährt die Bewegung des Gegenübers einen Konnex mit dem eigenen Gefühl, das sich während der selbst ausgeführten Bewegung manifestiert, und dies, gerade weil das Gesehene sofort und online nachgeahmt wird. So entsteht nicht nur eine somatisch fundierte Form der Intersubjektivität durch das „empathische Gehirn“, sondern auch das bereits angesprochene Gefühl des Gegenübers als einem mir ähnlichen Wesen: „Newborn imitations is nature’s way of solving both the problem of other minds and the mind body problem at one fell swoop.“ (Meltzoff und Moore 1994: 131)
Gleichzeitig werden die Reaktionen der Bezugsperson gegenüber dritten Entitäten wahrgenommen und schließlich übernommen.112 Das Kind übernimmt also den emotionalen Blickwinkel auf andere Objekte oder
Man beachte die aus einem geisteswissenschaftlichen Blickwinkel konträr zueinander stehenden Termini intrinsisch und bedeutungsvoll. Zur Bedeutungsproblematik siehe Kapitel 8. 112 Wie bereits bei der joint attention besprochen ist diese Fähigkeit entscheidend für die Ausbildung der dreistrahligen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Welt. 111
7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie
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Personen.113 Hier schließt sich der Kreis zu Tomasellos joint attention, welche unabdingbar für ein Aktions- und Intentionsverständnis des Fremdpsychischen und damit kommunikationswissenschaftlich von hoher Relevanz ist. Von diesen drei Prämissen ausgehend ist eine primitive Form der Wir-Sphäre, also ein Raum gemeinsam geteilter Bedeutungen und Repräsentation, eröffnet. Außerdem können Bewegungen des Gegenübers fortan, nachdem sie mit eigenen motorischen Aktionen und den dadurch ausgelösten Emotionen in direkte Verbindung gebracht wurden sowie durch Entkopplung von der direkten körperlichen Reaktion auch offline ablaufen, als Gesten verstanden werden, die wiederum in reiner Andeutung ausreichend für vorausschauende soziale Antizipationen durch Vorwegnahme des Handlungsendes sind (vgl. Meads Gestenbegriff). Dies ist möglich, da der Mensch seinen eigenen Bewegungen auch subbewusst und aufgrund des eigenen Körperwissens Konsequenzen beimisst, die im Folgenden wiederum als Bewegungsbedeutung gespeichert werden. Beim Anblick dieser Bewegung – durch einen anderen ausgeführt – wird diese Bewegungsbedeutung diesem zugesprochen: „Mirror neurons show that this movement knowledge can be attributed to actions made by others. When an external stimulus evokes a neural activity similar to which, when internally generated, represents a certain action, the meaning of the observed action is recognized because of the similarity between the two representations, the one internally generated during action and that evoked by the stimulus.“ (Rizzolatti et al. 1996b: 137; Hervorh. N.Z.)
Inwieweit sich die so durch Spiegelneurone bereitgestellte alltagspsychologische Deutung bzw. präziser: Nachempfindung des Fremdpsychischen absolut unabdingbar für die Ontogenese des Menschen zeigen, Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Arachnophobie, bei der Menschen bereits im Kindesalter aufgrund des oft zu beobachteten ausgeprägten Angstverhaltens Erwachsener gegenüber Spinnen durch Simulation deren Verhaltens und damit derer Angst selbst eine negative emotionale Verbindung zu diesen aufnehmen. Diese Angst dürfte allerdings parallel über eine Theoretisierung erworben werden.
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren?
wird deutlich bei der Betrachtung pathologischer Bilder, in denen diese Funktion gestört ist. Das prominenteste Beispiel, das in diesem Kontext bekannt ist, ist der autistische Mensch. Dieser verfügt nur über eine sehr begrenzte Anzahl an Spiegelneuronen, so dass die soziale Wahrnehmung, die diese üblicherweise bereitstellen, in ihren Grundfesten erschüttert ist. Die Fähigkeit, die Handlung des Gegenübers innerlich zu simulieren bzw. zu reproduzieren fehlt fast gänzlich, so dass die soziale Welt einem Autisten je nach Grad der Krankheit zu einem großen Teil verschlossen bleibt. Die physiologische Barriere der Körper von Alter und Ego kann so nicht durch Resonanz überwunden werden. Eine komplexe kommunikative Ausbildung einer somatisch und psychisch kombinierten Alltagspsychologie ist nicht gegeben. Stattdessen verbleiben autistische Menschen je nach Grad und Schwere der Krankheit in ihrer eigenen Welt und bedürfen streng geordneter, regelhafter Abläufe, da das Verhalten anderer nicht antizipiert werden kann und sich so eine grundlegende Unsicherheit gegenüber der gesamten Außenwelt manifestiert.114 Zwar hilft die an die Theory-Theory erinnernde Regelhaftigkeit in manchen Fällen, die mindblindness gegenüber dem Fremdpsychischen in Ansätzen zu überwinden, doch wird an diesem Punkt deutlich, dass eine rein theoretisierende Funktion keine vollkommene soziale Kognition oder gar Interaktion ermöglichen kann. Hier zeigt sich klar die Bedeutung und Wichtigkeit der von den Spiegelneuronen somatisch „erkannten“ Intentionalität und Zielgerichtetheit beobachteter fremder Handlungen (wir erinnern uns an Kapitel 5.2). Sobald die Zuschreibung relevanter Aktionen und zeitgleich die Abgrenzung nicht-relevanter Bewegungen nicht mehr erfolgen kann, Zur Autismus-Forschung unter dem Blickwinkel der Spiegelneurone finden sich aufschlussreiche Studien bei Baron-Cohen et al. Sehr interessant für die weitere Resonanzforschung ist die so genannte -Welle, ein bei der Elektroenzephalographie gewonnener Datenbestandteil. Bei gesunden Menschen wird diese Welle sowohl bei der Ausführung eigener als auch der Beobachtung fremder Handlungen unterdrückt. Bei Autisten hingegen findet sich die Unterdrückung nur bei eigenen Aktionen. Dies lässt darauf schließen, dass Spiegelneurone in weitläufige neuronale Prozesse eingebettet sind, da diese für die Unterdrückung der -Welle verantwortlich gemacht werden (vgl. Ramachandran 2006: 141).
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7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie
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fällt die Bedeutungszuweisung und damit Interpretation der Außenwelt komplett in sich zusammen.115 Die eigentliche Gefährdung der Theory of Mind als geistige Zuschreibung geistiger Zustände liegt nun auf der Hand: Wenn allein der Körper, oder – um es enger zu fassen – eine besondere Form von Nervenzellen innerhalb des menschlichen Gehirns die intersubjektive Basis der Zwischenmenschlichkeit schafft, wozu genau benötigt der Mensch überhaupt noch geistige Prozesse, um kommunikative Interindividualität und schließlich Verständigung herzustellen? Sind diese nach den vorliegenden biologischen Erkenntnissen noch als notwendig zu deklarieren oder noch schärfer: Suggerieren neuronale Prozesse möglicherweise nur, dass der Mensch selbständig mit dem Fremdpsychischen in Verbindung tritt, über dieses denkt und zusammen mit ihm kooperiert? Nach der Zuordnung der Spiegelneurone zur somatischen Resonanz der Simulation Theory stellt sich deshalb die Frage, ob beide Ansätze miteinander vereinbar sind. Es muss geklärt werden, wie höhere kognitive Funktionen am somatischen Reproduktionsprinzip ansetzen können, da die Simulation auf der einen Seite zwar Intersubjektivität erschafft, auf der anderen Seite jedoch einen gewichtigen Nachteil aufweist: An welchem Punkt – lokal sowie temporal – findet bei der Entladung der Spiegelneurone nun die Unterscheidung statt, ob eine innere Simulation gesehener Aktionen stattfand oder eine eigene Bewegung erfolgt ist? Wenn man davon ausgeht, dass die Wahrnehmung einer Aktion isomorph zu der intern verlaufenden Simulation ist, wo ist also genau der Unterschied zwischen dem anderen und der eigenen Person situiert, findet doch bei der simultanen Empfindungskopie keine Unterscheidung zwischen der eigenen und fremden Person-Perspektive – wie sie phänomenal erlebt werden – statt, da die Übertragung der Ergebnisse der eigenen Aktivierung auf das Gegenüber nicht bewusst stattfindet:
Die Aufforderung „Versetze Dich mal in meine Lage.“ oder – in Anlehnung an den Titel von Lenzens Buch – „Try walking in my shoes.“ trifft bei Autisten daher ins Leere.
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7 Nachempfindung des anderen oder Rekonstruktion im Inneren? „The specific class of motor representations generated by MNs [mirror neurons, Anm. N.Z.] (...) do not allow the involved agent to distinguish, whether these motor act representations are generated by someone else or by him/herself.“ (Vogeley und Newen 2002: 138)
mit der Folge, dass „(...) this does not yet provide a distinction between own acts and others’ acts. In this sense, intersubjective information is subpersonally prior to the self/other distinction (as Gallese holds).“ (Hurley 2005 online)
An dieser Stelle wird deutlich, dass die Vertreter und Befürworter einer exklusiven Funktionsweise der Spiegelneurone eine für den Aufbau von Kommunikation ausschlaggebende Komponente außer Acht lassen: die Wahrnehmung der eigenen und fremden Perspektivität. Spiegelneurone alleine sind nicht ausreichend, um eine Unterscheidung hinsichtlich der Auslösung der Entladung zu treffen. Falls dem so wäre, würde die Idee eines sinnhaft kommunizierenden Subjekts hinfällig werden, da keine Differenzierung zwischen dem Selbst und dem Fremdpsychischen stattfinden würde. Folglich gelangt man zu einer „mixture of both concepts“ (Vogeley und Newen 2002: 147), so dass die Herkunft des Reizes (externe oder interne Stimulation) bzw. die Quelle dessen (Beobachteter oder Beobachtender) nur durch ein weiteres System erkannt werden kann, welches auf einem höheren kognitiven Level arbeitet als die unbewussten Spiegelneurone. So ist die Annahme sowie Vorhersage, Antizipation und Nachsage (predict and retrodict) der inneren Zustände anderer immer ein zumindest teilbewusster Akt, der nicht ausschließlich einem Automatismus zugrunde liegt, sondern vielmehr gleichfalls als kreativer Prozess zu deuten ist: „Two other differences are, first, that these simulation mechanisms are partly voluntary rather than automatic, and they work partly at the conscious level rather than exclusively at the nonconscious level (as is true of mirroring systems).” (Goldman 2005 online; Hervorh. im Original)
7.3 Spiegelneurone im Kontext der Alltagspsychologie
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Ferner macht Goldman weitergehende Eingeständnisse an die Vertreter der Theory-Theory, in dem er die somatische Simulation zwar als eine basale Form der Interpretation ansieht, die komplexen Vorgänge dieser allerdings durchaus dem Theorie-Ansatz unterstellt (vgl. 1989: 176).116 Die Überwindung der Egozentrik und der Beginn der Kommunikation finden also auf beiden Wegen statt. Sowohl Simulation als auch Theoretisierung sind unabdingbar für die Bereitstellung einer intersubjektiven Sphäre sowie der Entwicklung zum Homo sociologicus. Anzunehmen ist aufgrund von Daten aus der Kleinkindforschung hierbei, dass innerhalb der Ontogenese die Simulation der Theoretisierung zeitlich vorhergeht, bevor beide Prinzipien innerhalb der Form eines Kontinuums greifen (vgl. Lenzen 2005: 194).
Hier bietet sich beispielhaft das Geschehen um Zinedine Zidane, einem französischen Fußballspieler, an, der während des Finales der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 mit einer unerwarteten Kopfstoßaktion gegen einen Spieler der Gegner-Mannschaft allgemeines Unverständnis und erhitzte Diskussionen auslöste. Woran das liegen könnte? Aufgrund mangelnder eigener Erfahrungen kann keine Verbindung zwischen motorischem Ablauf und der parallel laufenden Emotion von Zidane hergestellt werden. Da keine Simulation des Gesehenen stattfinden kann, versuchen die Irritierten stattdessen, das Gesehene kognitiv zu bearbeiten und zu erklären. Dieses Bild verdeutlicht schlussendlich nochmals, dass Spiegelneurone zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind für eine kommunikativ verstandene Intersubjektivität, in der geistige Funktionen mit somatischer Resonanz Hand in Hand geht.
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8 Bedeutung/Sinn: Ein Auslaufmodell in Zeiten des Naturalismus? Das Nacherleben ist die höchste Form des Verstehens. Wilhelm Dilthey
Inwieweit diese Implikationen und die Naturalisierung von „Bedeutung“ und Intersubjektivität das Bild eines sinnhaft handelnden und kommunizierenden Subjekts nachhaltig beeinträchtigen oder sogar komplett zerstören können und welche weiteren Auswirkungen dies auf eine intentionalistisch verankerte Kommunikationswissenschaft nehmen kann, wird an dieser Stelle diskutiert. Denn die Auswirkungen der Spiegelneurone für geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen, insbesondere der sinnverstehenden Kommunikationswissenschaft schienen bereits zu Beginn dieser Arbeit immens zu sein. Nach den Folgen der Systemtheorie und des Poststrukturalismus, die jeweils auf ihre Weise das sinnhaft handelnde und kommunizierende Subjekt auflösen wollten,117 machte man sich durch den rasanten Fortschritt auf neurophysiologischem Gebiet bereits Gedanken über eine Neudefinition des eigenen Wirkungskreises. Bezieht man sich allerdings auf die grundlegende Definition von Kommunikation, wie wir sie im zweiten Kapitel in der Begriffsbestimmung der Intersubjektivität vorfinden, sind die starken Bedenken gegenüber dem Resonanzphänomen der Spiegelneurone und ihren als fatal angenommenen Auswirkungen abzuschwächen oder ganz auszuräumen.
Dabei versuchte die Systemtheorie Niklas Luhmanns das Subjekt im System aufzulösen, der Poststrukturalismus Michel Foucaults das Subjekt zum Spielball geschichtlicher Entwicklungen zu degradieren.
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8 Bedeutung/Sinn: Ein Auslaufmodell in Zeiten des Naturalismus?
Wir wollen verschiedene Punkte anführen, die dies verdeutlichen.
Bedeutung und Verstehen
Beginnend mit der Belegung der Termini lässt sich feststellen, dass Geistes- und Neurowissenschaftler diese anders vornehmen. Wie bei vielen interdisziplinären Debatten verfolgbar unterliegt die Bedeutung von Begrifflichkeiten – in diesem Kontext beispielsweise „Bewusstsein“118, „Bedeutung“ oder gar „Verstehen“ – gänzlich anderen Konnotationen und ist damit nicht übersetzbar und gleichwertig anwendbar. Beispielhaft wird das Wort „understand“ regelmäßig in präkognitive Kontexte gesetzt (vgl. bspw. Gallese, Keysers und Rizzolatti 2004: 396), in denen Bewusstsein, Reflexivität und Konzeptualität jedoch ausgeschlossen werden können. Von einem wechselseitigen Verstehen kann hier also keinesfalls ausgegangen werden, da der einzige Bezug der zur molekularen, neuronalen Ebene ist. Und ob zwischen einzelnen Nervenzellen tatsächlich Verständigungs- oder gar Verstehensprozesse verlaufen, darf und muss nach kommunikationswissenschaftlichem Sprachinventar bestritten werden. Ein weiteres Beispiel, bei dem Termini semantischen Differenzen unterliegen, ist das folgende: „This automatically induced motor representation of the observed action corresponds to what is spontaneously generated during active action and whose outcome is known to the acting individual.“ (Rizzolatti und Craighero 2004: 172)
Was soll in diesem Kontext als known verstanden werden? Als gewusst/bewusst übersetzt drängt sich die Frage auf, ob Wissen unter geisteswissenschaftlicher Perspektive nicht bereits mediiert und mit Reflexion verbunden ist und dieses Wort deshalb dem immer wieder betonten
Nicht umsonst wird der Terminus „Bewusstsein“ in der Scientific Community abfällig als c-word tituliert, womit die Undefinierbarkeit und daraus resultierende Streitigkeiten zwischen den Disziplinen herausgestellt werden.
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8 Bedeutung/Sinn: Ein Auslaufmodell in Zeiten des Naturalismus?
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direct matching mechanism widerspräche. Um ein contra principia negantem disputari non potest zu vermeiden ist es deshalb notwendig, eine gemeinsame Terminologie und Kommunikation über die Herangehensweisen und Argumentationen zu entwickeln und diese innerhalb der Diskussion stringent zu verfolgen. Es offenbaren sich also Probleme bei den Termini Bedeutung und Verstehen, bei denen im geisteswissenschaftlichen Jargon fast ausschließlich bewusste, geistige Prozesse zum Tragen kommen. Deswegen betrachten wir diese Worte mit dem unmediierten mirroring process als nicht kompatibel. Während der automatischen Spiegelung findet keine direkte Bedeutungs- bzw. Inhaltsübertragung statt, sondern schlicht ein offline verlaufendes Miterleben. Gerade unter der Prämisse der Nähe der Spiegelneurone zur Simulation Theory tritt der Abstand zu einer theoretisierenden, kognitiven Funktion deutlich hervor. Wir wollen deshalb die Spiegelung als taint, als verborgene, rein intern verlaufende „Ansteckung“ verstehen, so dass ein wirkliches Verstehen der inneren Zustände anderer nicht impliziert werden kann! Zwar findet sich schon in der Phänomenologie, dass das Verstehen anderer im Nachvollzug ihrer Handlungen besteht; dies bezieht sich jedoch nicht exklusiv auf reine Körperprozesse. Deshalb stimmen wir nicht mit Bauer überein, der vom Beobachtenden behauptet, „[I]ndem er das, was er beobachtet, unbewusst als inneres Simulationsprogramm erlebt, versteht er, und zwar spontan und ohne nachzudenken, was der andere tut“ (2005: 27; Hervorh. im Original). Stattdessen soll festgehalten werden, dass Verstehen kein somatisches Nachvollziehen ist, dass der Miteinbezug des Körpers aber entscheidend für die Fähigkeit ist, geistreich zu agieren. Auch hier gilt: Der Ausschluss der Körperlichkeit verhindert eine holistische anthropologische Sichtweise. Dass unter dem alleinigen Hintergrund somatischer Resonanz nicht mit einem Verstehensbegriff operiert werden kann, sieht man beispielhaft auch an Kleinkindern im Sandkasten: Sobald eines anfängt zu weinen, fangen die anderen innerhalb kürzester Zeit – also instantan und unmediiert – auch an zu weinen (vgl. Goldman 2005 online). Hier findet sicherlich keine Art der Theoretisierung oder gar Reflexion auf Meta-
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Ebenen statt; eine Alltagspsychologie über den inneren Zustand des Gegenübers lässt sich ausschließen. Die Kinder vollziehen keine Abduktionsleistung, da sie nicht hypothetisch denken, ergo: Es wird nicht verstanden. Sobald jedoch eine Reflexions- und Theoretisierungsfähigkeit im Verlauf der Ontogenese ausgebildet wurde ist es wichtig, neben der somatischen Basis höhere kognitive Funktionen zu berücksichtigen, wenn es um die Erklärung geistiger Prozesse geht. Ein Resonanzsystem kann zwar Grundlegendes ermöglichen, nämlich ein Sich-aufeinander-Einschwingen, aber die Erfahrung von ownership der eigenen Gedanken und Emotionen sowie agency der selbst getätigten Bewegungen und Aktionen (vgl. Vogeley und Newen 2002: 138) lassen sich nur durch bewusste Abläufe im Rahmen eines Selbst- und Fremdbewusstseins betrachten.
Inhalt und Sinn
Im Anschluss an Meads Gestenkommunikation ergibt sich die Frage nach den Auswirkungen der Spiegelneuronenresonanz auf Konzepte wie Inhalt oder Sinn. Würde nämlich solcherlei ausschließlich durch reine Körperresonanz transportiert werden, wäre eine bewusste, kommunikativ hergestellte Intersubjektivität überflüssig. Mit der Verabschiedung von der Bedeutungsfunktion zwischenmenschlicher Interaktion würde tatsächlich das sinnhaft handelnde Subjekt fragwürdig werden, da das Bewusstsein gänzlich durch die Neurophysiologie determiniert wäre. Man würde sich also ausschließlich auf der Ebene unbewusster Anschlusshandlungen bewegen. Jedoch: Diese Auslegung scheint sehr unwahrscheinlich im Anbetracht der Tatsache, dass Menschen sich eben nicht marionettenhaft ihrer Umwelt gegenüber zeigen, sondern freiheitliche, selbst gewählte und induzierte Aktionen durchführen können und diese Freiheit auch phänomenal erleben. Es finden zwar subbewusste Koordinationsprozesse statt, doch dienen diese lediglich der grundlegenden Einstimmung auf das Alter, sind also als eine Vorform der – noch durch bewusst ausgeführte, symbolische Interaktion ausgeweitete – Intersubjektivität zu verstehen. Sie erstrecken sich nämlich nicht vollkommen und ausschließlich auf eine
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kommunikative Intersubjektivität oder darüber hinaus sogar auf Kommunikationsprozesse, in denen „entscheidungsoffene, personale oder institutionelle Akteure“ (Reichertz 2006 online) miteinander ihre Lebenswelt bewältigen, wobei sie mit Sinn und Inhalt behaftete Symbole verwenden. Die grundlegende Bedeutung des durch Spiegelneurone bereitgestellten Aktionserkennens und -abgleichens bleibt und bildet so aber trotzdem und gleichwohl eine somatische Grundlage für den im zweiten Kapitel definierten Intersubjektivitätsbegriff, der von einem gemeinsamen, sozial konstruierten und tradierten Erfahrungsschatz ausgeht. Damit erhebt er sich über rein physiologische Vorgänge.119 Demnach müsste man an dieser Stelle eine gewichtige Unterscheidung vornehmen zwischen der Spiegelneuronen-„Semantik“, die eine teils angeborene, teils durch Interaktion angeeignete, jedoch stets unbewusste Form einer Prä-Bedeutung darstellt sowie andererseits der Semantik signifikanter Gesten, die durch ihre Symbolbeschaffenheit zu einer bewussten Rollenübernahme befähigen.120 Die Barriere zwischen Alter und Ego wäre so im doppelten Sinne aufgelöst. Im Hinblick auf Intersubjektivität bzw. interpersonell geteilte Bedeutung und im Gleichklang mit Mead kann man Sinn als ein komplett durch den sozialen Interaktionsprozess bereitgestelltes Phänomen betrachten. Sinn liegt dabei weder in den Gegenständen und Subjekten der Außenwelt noch im Inneren eines Jeden, sondern konstituiert sich erst Erstaunliche Parallelen in der Beschreibung zwischen den basalen Prinzipien der Wahrnehmung und den Spiegelneuronen bezüglich der Intersubjektivität findet sich bei Roth, bei dem die Konstrukte der Wahrnehmung „teils genetisch bedingt sind, teils frühkindlich erworben wurden und sich dann verfestigen oder im engeren Sinne erfahrungsbedingt sind. Sie laufen überwiegend unbewusst ab. Hierdurch ergibt sich die große Verlässlichkeit und die weitgehende intersubjektive Einheitlichkeit vieler Wahrnehmungsprozesse.“ (2003a: 208) 120 Vgl. eine Kopplung der unbewusst und bewusst angewandten Semantik in Form von Gebärden- und Intentionen-Übernahme: „Die Kommunikation, das Verstehen von Gesten, gründet sich auf die wechselseitige Entsprechung meiner Intentionen und der Gebärden des Anderen, meiner Gebärden und der im Verhalten des Anderen sich bekundenden Intentionen. Dann ist es, als wohnten seine Intentionen meinem Leibe inne und die meinigem (sic!) seinem Leibe.“ (Merleau-Ponty 1966: 219) 119
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innerhalb gestischer Kommunikation, was einem klassisch pragmatischen Ansatz gleich kommt. Seine Sichtweise bewegt sich jedoch gleichfalls in Richtung Resonanz, da ihm ein Bewusstsein hierfür nicht zwangsläufig vonnöten scheint, da der Prozess der Sinnkonstituierung mehrstufig verläuft (Mead 1973: 115 ff.). Die Interpretation von Gesten und die Verquickung mit Sinn sind so bei Mead nicht zwangsläufig an Bewusstsein und Geist gebunden, sondern gehören zu einem faktisch gegebenen biologischen Ablauf (ebd.: 118).121 Wir wollen jedoch berücksichtigen, dass zu einer Sinnkonstitution mehr gehört: Zwar sind die Gesten und das innere Nachvollziehen dieser in den involvierten Subjekten notwendige Bedingung, jedoch fehlt das Agieren mit signifikanten Symbolen, das Geist, Denken und Identität122 evolvieren lässt, sowie die Einbettung in eine komplexe gesellschaftliche Handlung, aus der heraus die Sinnentwicklung stattfinden und sich in größeren sozialen Gebilden als der Face-to-face-Kommunikation, beispielsweise in institutionalisierter Kommunikation, manifestieren kann.
Intentionalität
Der nächste Punkt geht weiter auf die (zumindest) dialogische Natur von Kommunikationsprozessen ein und beschäftigt sich mit der Zuschreibung von Intentionalität sowie allen weiteren bereits genannten inneren Zuständen wie Wünschen, Absichten und Emotionen. Diese Attribution kann trotz der so oft beschworenen Naturalisierung sozialer Kognition und Intentionalität nicht exklusiv durch Spiegelneurone geleistet wer-
Auf einer sprachlich symbolisierenden Metaebene kann jedoch über die Sinnentstehung gesprochen werden. 122 Betont werden muss die Wichtigkeit der gesellschaftlichen Selbstbewusstseins- und Identitätsschaffung in Zusammenhang mit dem Prinzip des generalisierten Anderen. Die Verinnerlichung dessen innerhalb sozialer symbolgebrauchender Interaktion „bildet zusammen mit der Rollenübernahme die anthropologische Prämisse der Identität“ (Abels 2004: 363), wobei sich der Kreis zur somatischen Rollenübernahme wieder schließen lässt. 121
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den.123 Es lässt sich zwar aufgrund der neurophysiologischen, psychologischen sowie pathologischen Experimente und Daten annehmen, dass Spiegelneurone diese kognitiven Funktionen durch das gemeinsame somatische „Schwingen“ erst ermöglichen, also eine Vorform von intentional attunement (vgl. Gallese 2006) bereitstellen. Da hier unter mindreading jedoch die Theory of Mind-Fähigkeit zur Zuschreibung intentionaler Zustände im Fremdpsychischen gemeint ist, die komplexe, kommunikativ gestützte Interaktionen ermöglicht, kann die Observations-Exekutions-Passung höchstens die physiologische Grundlage der Grundeinstimmung auf den anderen darstellen. Dass Spiegelneurone eben nicht bewusste Zustände aktivieren, zeigt auch ein Experiment von Wickert et al., die sich im Zusammenhang mit Resonanzphänomenen mit sehr ursprünglichen Sinneseindrücken beschäftigen. So stellten die Forscher fest, dass bei Menschen, die einen unangenehmen Geruch inhalierten, sich die selben Hirnareale in Aktivität zeigten, als wenn die Probanden andere beim Riechen dieser Gerüche beobachteten, ohne selbst involviert zu sein (vgl. Wickert et al. 2003). Zum Nachvollzug des Ekels – und vieler weiterer basaler Verhaltensdispositionen – ist aufgrund des präkognitiven Verlaufs also gleichfalls keine Theoretisierung über die inneren Zustände des Gegenübers notwendig. Es wird in dieser Versuchsanordnung deutlich, dass an keiner Stelle eine bewusste Zuschreibung intentionaler Zustände an die andere Person herangetragen wird.
Handlung
Kommunikatives Handeln ist in „direktem oder (medial) vermitteltem Kontakt“ (Reichertz 2006 online) eingebettet. Kommunikativ erzeugte Intersubjektivität, die auf diesem mit Sozialcharakter versehenen Raum als Basis beruht, bedient sich der zweifachen handelnden RollenübernahAus diesem Grund erscheint Ramachandrans Bezeichnung der Spiegelneurone – aufgrund ihrer Sozialität schaffenden Funktion – als „Dalai-Lama-Neurone“ (2006: 139) etwas überzogen.
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me: einerseits auf neuronalem, andererseits auf geistigem Wege. In Anlehnung an das fünfte Kapitel lässt sich festhalten, dass Handlungsprogramme nur dann simuliert werden können, wenn bereits eine eigene motorische Erfahrung mit dem Objekt/Subjekt der Außenwelt erfolgt ist. Bei jeder verfolgten Handlungsbeobachtung, findet eine interne Aktivierung dieses neuronal gespeicherten Programms statt, so dass eine handlungstheoretische Verknüpfung mit dem Gegenstand der Außenwelt erfolgt. Es entsteht also eine somatische Bedeutungszuweisung, die erst im Verlauf der ontogenetischen Erfahrung ausgebildet wird und Aufschluss über pragmatischen Sinn und Zweckhaftigkeit der Objekte gibt. Der geistige Weg folgt dem somatischen, ohne determiniert aus ihm zu erfolgen: So setzt zwar „Geist (…) Rollenübernahme voraus“ (Abels 2004: 360), kann aber nicht einzig und durch diesen bestimmt betrachtet werden, da sich die phänomenal verspürte Freiheit des Handelns und die dem menschlichen abstrakten Handeln zugrunde liegende Kreativität konzeptuell nicht mit einem neuroreduktionistischen Ansatz vereinbaren lassen. Die epistemische Qualität, die diesem komplexen, ineinander greifenden Verlauf innewohnt, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend und interdisziplinär erforscht ist, ist deutlich herauszustreichen. Wir wollen jedoch – bezüglich der Ausrichtung auf körpereigene Prozesse – die Erkennung der Außenwelt bzw. des Fremdpsychischen als unmittelbar an das Körperwissen gekoppelt betrachten, das eigenen Simulationen unterliegt: Die gemeinsam geteilten neuronalen Repräsentationen erschaffen eine intersubjektive Wir-Sphäre, in der handelnd gleiche Repräsentationen angeeignet werden. Dies spricht gänzlich gegen den cartesianischen Dualismus, den Leibniz’schen Monismus oder gegen streng naturalistische Ansätze, bei denen Bedeutung noch als dem Menschen inhärent seiend gedacht wurden. Die gesellschaftliche Außenwelt gelangt einzig durch Interaktion in das Innere des Menschen, von einem apriorischen Subjekt-Begriff muss daher abgesehen werden. Intersubjektivität und Erkenntnis sind keine metaphysischen oder biologischen Konzepte, die dem Menschen pränatal zugewiesen sind, sondern sind in sozialer Interaktion im und durch direkten Kontakt handelnd bereitgestellte Phänomene.
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Körper
Kommen wir zurück zur neu fokussierten Körperlichkeit, stellt sich die Frage, was die Fokussierung auf somatische Prozesse sowie den Leib für die Kommunikationswissenschaft gebracht hat. Wir können festhalten, dass es notwendig ist, der Körperlichkeit der Kommunikation größere Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. Wenn es keine leibliche Resonanz gäbe, bliebe man immer in der eigenen Körpererfahrung haften, der andere wäre, wenn überhaupt, nur durch eine wie auch immer geartete Projektion der eigenen Physis auf ihn erfahrbar. So wäre gleichzeitig die somatische soziale Erkennung durch Vorwegnahme des Handlungsendes durch die fehlende Einstimmung und Verknüpfung mit dem Körper des Gegenübers hinfällig. Der menschliche Sprung vom empirischen zum transzendentalen Ego hat aber seine Grundlage klar in der Funktion der Spiegelneurone. Die dabei erfolgende Körperlichkeit des Ich sowie die sich daran anschließende Verkörperung des anderen durch somatische Resonanz beweist ihre Wichtigkeit innerhalb grundlegender Intersubjektivitäts- und Kommunikationsprozesse: Der Leib wird nicht nur zum „grundlegenden Thema einer Phänomenologie der Wahrnehmung“ (Merleau-Ponty 1965: V), sondern auch der somatisch-sozialen Einstimmung auf und Empathie für das Fremdpsychische und der so handelnd geschaffenen reziproken Aufhebung der Leib-Seele-Dichotomie. Es findet so eine direkte Verschränkung der Perspektiven durch eine Simulation ohne Introspektion in den anderen statt. Man kann also nicht zu einem holistischen anthropologischen Modell über den Menschen gelangen, wenn man sein ureigenstes Sein, nämlich die körperliche Situierung in einer räumlich-zeitlichen Dimension, nicht miteinbezieht und gleichfalls zum Forschungsgegenstand macht.124
Vgl. ebenfalls Merleau-Ponty: „Die Wissenschaft hat uns daran gewöhnt, den Leib als eine Ansammlung von Teilen anzusehen (…). Aber der zersetzte Leib ist eben gerade kein Leib mehr.“ (1966: 490)
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Wir schließen uns in dieser Aussage klar Prechtl an: „Denn in der Konsequenz der Ausklammerung des Leibaspekts liegt der Ausschluß des anderen. Kommunikation zeigt sich aber gerade darin, dass durch Zeichen und Symbole eine Mitteilung an den anderen gerichtet wird, und zur Kommunikation gehört die Verweisung auf Andersheiten.“ (1998: 145)
Diese Andersheiten werden ab der Geburt in einem ontogenetischen Prozess zuerst durch somatische, schließlich auch durch geistige Resonanz erkannt. Damit kommen wir zu einer wichtigen Differenzierung der Spiegelneuronentheorie: Dem Menschen steht beides zu, sowohl die unmediierte, unbewusste, als auch die reflektiert bewusste Anpassung. Statt der alleinigen Setzung einer somatischen Spiegelung wird eine Kombination dieser mit sozialer Spiegelung angestrebt, in der die Übernahme reflektierter, prädikativer Sichtweisen möglich ist und den Menschen mit der größtmöglichen Anpassung an seine Umwelt ausstattet.
Alltagspsychologie
Die Folgen der Unterscheidung der Theory-Theory und Simulation Theory, also den Konzepten, die über eine Leibgerichtetheit bei der Entstehung einer Alltagspsychologie entscheiden oder nicht, führt uns zu einem weiteren Punkt, der aufschlussreich ist für vermeintliche Auswirkungen der Spiegelneurone auf kommunikative Intersubjektivität. Zuerst sagt uns die phänomenale Wahrnehmung unserer selbst sowie des Fremdpsychischen, dass wie die beiden Sphären des Geistes und des Körpers gleichwertig ineinander vereinen. Zwar finden präkognitive Übertragungen bzw. isomorphe Simulationen zwischen Alter und Ego statt; doch kann allein die Simulation Theory mitsamt ihrer physiologischen Komponente der Spiegelneurone nicht die gesamte overtness menschlicher Kommunikation erklären, da keinerlei Selbstreflexivität und damit Bewusstsein gewährleistet wird: „It is not necessary that the simulation agent have (sic!) a theory of what the routine is, or how it works“ (Goldman 1995: 85). Dabei versteht der eine innerhalb eines symbolischen Prozesses be-
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wusst, was der andere mit seiner Aussage intendiert, der andere wiederum weiß, dass sein Gegenüber dies weiß, und so weiter ad infinitum. Es finden also komplexe Verstehensprozesse statt, in der auf kognitiven Metaebenen das interaktive, kommunikative Geschehen reflektiert und dadurch verändert oder gesteuert wird. Die kommunikative overtness erstreckt sich außerdem auf die menschliche Möglichkeit zum kreativen Symbolgebrauch, in der so gänzlich uninstantane, schöpferische Komponenten wie Rhetorik oder Ironie eine bedeutende Rolle spielen. Statt eines sich ewig wiederholenden subbewussten Anstoßens von und durch nicht-signifikante Gesten ist der Gebrauch signifikanter Symbole eine, wenn nicht die herausragende Eigenschaft, die den Menschen menschlich macht und ihn von einem bloßen Simulantentum abhebt, indem er nicht nur einen handlungs- sondern auch symbolbedingten Hiatus ermöglicht. Statt der reinen Exklusivität einer der beiden Ansätze, die v.a. von den Vertretern der Theory-Theory vertreten wird, vertreten wir ein Kontinuum, in dem sich komplexe kognitive Prozesse auf der Grundlage der gegenseitigen somatischen Einstimmung und des damit verbundenen sozialen Gerichtetseins entwickeln und diese in ihrer Komplexität der kommunikativen Funktion überschreiten, in dem sie overtness und damit eine bedeutsame, folgenreiche Form der Unabhängigkeit von Instinkten und reinen Körperprozessen bereitstellt.
Sprache
Im Ausblick auf weitere Konsequenzen der Spiegelneurone für geisteswissenschaftliche Belange muss das Feld der symbolvermittelten Kommunikation – im spezifischen Fall die Nutzung signifikanter Symbole durch Sprache – angeführt werden. Wie verhält es sich mit den Auswirkungen der Spiegelneurone auf ein so hochkomplexes Verständigungsphänomen? Bedingen diese auch in einer Form die Einmaligkeit des symbolischen Zeichensystems, das im Tierreich einzigartig ist und dem Menschen zu einem hochflexiblen, handelnden Wesen verhilft? Ist der zur offenen Handlung notwendige Hiatus auch ein Resultat von Spiegelprozessen?
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Abbildung 10:
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Das Broca-Areal zeigt neben seiner Sprachproduktionsfunktion auch Resonanzfähigkeiten auf. (Quelle: Rizzolatti, Craighero und Fadiga 2002: 47)
Wirft man erneut einen tieferen Blick in das Gehirn, fällt auf, dass ein Teil des mirror matching systems des Menschen linkshemisphärisch125 im Areal 44 und 45 liegt und damit das animale Homolog zu F5 im Gehirn der Makaken darstellt. Dieser Bereich des Gehirns wird Broca-Areal genannt und ist ein Teil der Sprachzentren im Gehirn. Es wird mit der Sprachproduktion sowie der Sprachmotorik assoziiert und dient der grammatikalisch-syntaktischen Sprachfunktion.126 Könnte Ramachandran mit seiner Aussage (vgl. 2006: 139 f.) Recht behalten, die Spiegelneurone hätten
Die Situierung in der rechten oder linken Hemisphäre ist abhängig von der Chiralität (Händigkeit). 126 Das rechtshemisphärische Wernicke-Zentrum hingegen zeigt sich v.a. für die Sprachrezeption verantwortlich. 125
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massive Auswirkungen auf die Sprachentwicklung des Menschen gehabt, ja gar eine grundlegende Rolle für diese gespielt? Diese Annahme kann unterstützt werden durch eine Korrektur der landläufigen Meinung, das Broca-Areal sei einzig für die Sprachproduktion zuständig. Beachtenswerterweise befindet es sich nämlich gleichfalls im prämotorischen Cortex. Weiterhin sind in der linken Großhirnhemisphäre assoziationsgebundene neuronale Verknüpfungen vorhanden, die eine komplexere Verknüpfung und damit Arbeitsweise vermuten lassen, als bisher angenommen. Dies wird gestützt durch Forschungen von Binkofski et al., die feststellten, dass innerhalb dieses speziellen Cortexbereichs nicht nur Sprache, sondern auch Handbewegungen repräsentiert werden (vgl. 1999). Es bestehen also Verbindungen zwischen Sinnes- und motorischen Daten, die im Gehirn verarbeitet werden. An dieser Stelle – die auf eine mögliche Korrelation zu den multimodal agierenden Spiegelneuronen hinweist – ist es aufschlussreich, sich Situationen zuzuwenden, in denen diese Verbindungen gekappt sind. Dies ist der Fall bei Aphasien, also Läsionen, die im Broca-Areal nicht nur Sprach- sondern auch Bewegungsstörungen verursachen. Es handelt sich hierbei um motorische Störungen der Artikulation, bei denen die Artikulation und die Bildung abstrakter Wörter, also die „expressiven sprachlichen Leistungen“ (Poeck 1978: 107), massiv beeinträchtig sind. Dies ist allerdings nicht muskulär, sondern neuronal bedingt. Auch ist das Sprachverständnis nicht oder kaum eingeschränkt (vgl. ebd.). Schließt man hier nun an das Prinzip der gemeinsam geteilten Bedeutung an, wobei Bedeutung im Fall der somatischen Resonanz als nicht-symbolische, unbewusste Entität zu verstehen ist, könnte man annehmen, dass die somatische Bedeutung – im Gegensatz zur weiterhin vorhandenen symbolischen Bedeutung des Sprachverständnisses – durch die Vernichtung des eigenen motorischen Repertoires und der gespeicherten Handlungsprogramme ausgelöscht wird. Es findet folglich kein Abgleich mit der fremden und eigenen Motorik statt. Diese Passung
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muss erst in mühsamer Therapie von Grund auf neu gelernt werden.127 Durch das Abhandensein der internen Offline-Simulation kann darüber hinaus kein handlungsverzögernder Hiatus einsetzen, welcher die Freiheit zur Freiheit, also die nicht-reflexhafte overtness bereitstellt. An dieser Stelle tritt klar zu Tage, wie wichtig das Gedächtnis bzw. ein Erinnerungsvermögen an bereits Getätigtes und Gelerntes in Form von neuronal gespeicherten Handlungsprogrammen für soziales Handeln innerhalb eines interpersonellen Kontextes sowie für die zukunftsgerichtete Planung eigener Handlungen ist. Neben der Sprache werden so weitere höhere kognitive Funktionen den im sehr differenziert arbeitenden Broca-Areal situierten Spiegelneuronen zugesprochen: „(…) the evolution of premotor cortices during human phylogeny not only formed the neuronal basis for language functions, but also strongly affected working memory capacity and, presumably, other higher cognitive functions.“ (Gruber 2002: 77)
Es ist also von großer Wahrscheinlichkeit, dass Spiegelneurone tatsächlich eine entscheidende Grundvoraussetzung für Sprachfähigkeit bilden. Man nimmt aufgrund dieser pathologischen Bilder und der Beobachtung der Sprachentwicklung bei Kindern an, dass die Sprache ihren Ursprung in der Motorik genommen hat (vgl. Kohler et al. 2002; Rizzolatti et al. 2002: 43). Diese könnte im Anschluss an die andeutende Gestenkommunikation evolviert sein: Der durch den Hemmmechanismus der Spiegelneurone bereitgestellte Hiatus, der eine reflexhafte Anschlussreaktion auf Reize unterbindet, ermöglicht mittels der Hereinnahme von Bewegungen der Außenwelt eine verkürzte Anwendung von Gesten, bei der lediglich Andeutungsmomente ausreichen, um im Ego sowie im Alter wiederum die Erkenntnis auszulösen, dass die eigene bzw. fremde Bewegung einen bestimmten Effekt und eine darauf folgende Verhaltensänderung auf das Gegenüber nimmt. Hier findet sich der Ursprung dialogischer Kommu127
Dabei erinnert der Therapieverlauf oft an frühkindliche Sprachaneignung.
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nikation und damit eine Vorform zur Sprachverwendung. Wahrscheinlich ist die motorische Geste von der Lautgeste teilweise abgelöst worden – ohne sie jedoch gänzlich zu ersetzen – da sie eine ökonomischere Verwendung innerhalb größerer Sozialitäten ermöglicht (Rizzolatti und Arbib 1998: 193). Von einer möglichen Bedeutung für die Entwicklung einer Sprache könnten hierbei die bereits erwähnten audiovisuellen Spiegelneurone sein, die nicht nur beim Anblick einer zielgerichteten Aktion eines Gegenübers feuern, sondern auch, wenn ausschließlich das zugehörige Geräusch vernommen wird. In Form einer verkürzten akustischen Geste kann von den Interaktionspartnern auf diesem Weg ein intersubjektiver, epistemischer Bedeutungsraum erschlossen werden. Um hierzu gesicherte Aussagen treffen zu können, bedarf es jedoch weiterer Forschung. Es spricht in Anlehnung an Darwin also vieles dafür, dass die Sprache nicht konzeptuell und von einem auf den anderen Moment emergiert ist, sondern „(…) sich langsam und unbewußt durch viele Stufen hindurch entwickelt [hat]“ (2005: 108). Fraglich ist, ob dann allen anderen Wesen im Tierreich, die nicht über eine derart spezifische Resonanz der multimodalen Kopplung von Observation und Exekution verfügen, eine basale Symbolisierungsfähigkeit abgesprochen werden muss.
Kultur
Weiterhin ist zu beachten, dass Spiegelneurone die immer gleichen inneren Abläufe hervorrufen, da es sich um einen Automatismus handelt, der sich auf das eigene motorische Repertoire beruft. Dies erstreckt sich global und ist in jedem Menschen je nach Anlage und Erfahrungssozialisation mehr oder weniger stark ausgeprägt. Allerdings kann ein wichtiges Kriterium kommunikativer Intersubjektivität, Sozialität und Kommunikation nicht mit diesem in jedem Menschen gleich angelegten Mechanismus erklärt werden, da der Mensch über Verhaltensweisen verfügt, die gesellschaftlich geprägt und so auch als kulturabhängig zu begreifen und voneinander zu unterscheiden sind. Um erneut eine klassisch kommunikationswissenschaftliche Sicht auf dieses Phänomen zu erlangen, lässt sich an Meads Geste anschließen;
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diese wird im sozialen Prozess interaktionistisch tradiert. Da nun jede Gesellschaft, jede Sozialität ihre eigenen Bedeutungen und Symbolbelegungen in Form von Gesten generiert und diese von den Mitgliedern dieser Gruppe im Prozess der Ontogenese internalisiert werden, kommt es zu differierenden An-Sichten auf und Interpretation der Außenwelt, da der Gebrauch signifikanter Symbole – der unvermittelte Resonanz übersteigt – bei den einzelnen Mitgliedern die gleichen Haltungen auslöst, zu kommunikativer Verständigung befähigt und so im weiteren Verlauf Geist (mind) ermöglicht. Das alles sind Grundbedingungen dafür, die Welt durch Handlung zu bewältigen und umzugestalten. Genau dies vermögen Spiegelneurone alleine genommen nicht zu leisten. Egal wo Meltzoff seine Kleinstkind-Studien durchgeführt hätte: Immer hätten die Babys die gleichen automatisiert verlaufenden Imitationen gezeigt. Durch den ratchet effect128 kulturell überlieferte Wissensbestände sind auf diesem Wege also nicht ableitbar, denn sie können nicht über einen Mechanismus übertragen werden, der zwar interindividuell aber unbewusst und in sehr determinierten Formen verläuft. Deshalb lassen sich Spiegelneurone nicht als Konzeptneurone (vgl. Sperber 2004 online) verstehen, da sie keine kognitiven Skizzen hervorbringen, mit denen die Welt bewusst verstanden, interpretiert und planvoll bearbeitet werden kann. Dies vermag nur der Gebrauch von Symbolen zu ermöglichen. Aus diesem Grund ist auch die Entwicklung eines Ich-Gefühls, v.a. aber die Entwicklung einer Identität nicht im Rahmen einer reinen Reproduktion von zielgerichteten Bewegungen erklärt, obwohl das Prinzip des gnôthi seautón129 seine Wurzeln darin haben könnte, dass der Mensch – bevor er sich selbst erkennt – zuerst den anderen erkennt, mit ihm mitDer ratchet effect, auch Wagenhebereffekt genannt, bezeichnet in Tomasellos Anthropologie die kulturelle Weitergabe bereits bestehender symbolischer Artefakte als Basis einer Kulturfähigkeit, die ihrerseits wieder eine systematische und sich selbst potenzierende Kumulation derselben ermöglicht. Erst dadurch kann es zur Entwicklung einer Kognitionsfähigkeit und Intelligenz kommen, welche ihrerseits die Freiheit bereitstellt, die Außenwelt aktiv zu gestalten. 129 Einstige griechische Inschrift im Tempel des Orakels von Delphi, übersetzt: Erkenne dich selbst. 128
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schwingt, Empathie entwickelt. Doch erst die Hereinnahme der Gesellschaft durch signifikante, sprachliche Symbole lässt eine bewusste Perspektivität auf den anderen, und dadurch und durch dessen Position auch auf sich zu: „Der Mensch denkt zunächst einmal ausschließlich in gesellschaftlichen Begriffen“ (Joas 1980: 155). Diese speziell menschliche Form sozialen Verhaltens ist der Ursprung für das Erkennen der eigenen Subjekthaftigkeit und Selbstreflexion, also der Genese des Selbst. Kommen wir nun zurück zur Ausgangsfragestellung und einem ersten Ergebnis. Wir halten fest, dass Spiegelneurone neben anderen mirror matching mechanisms und komplexeren neuronalen Kreisläufen eine unabdingbare, grundlegende Funktion erfüllen: Obwohl sie aufgrund ihrer instantanen, unmediierten Aktivierung und Aktivität kommunikative Intersubjektivität ermöglichen bzw. die Basis dafür bereit stellen und diese aufrecht erhalten, verbleiben sie doch auf dem subbewussten basalen Level somatischer Antizipation und Übertragung. Es finden trotz der körperlichen Perspektivenverschränkung keinerlei kognitive Prozesse statt, die ihrerseits aber das typisch Menschliche am Menschen – nämlich den Gebrauch signifikanter Symbole und der damit einhergehenden bewussten Rollen- und damit Perspektivenübernahme – ausmachen bzw. durch diese definiert werden. Neben der Simulation der Spiegelneurone, die wir in unmittelbarer Nähe der Simulation Theory verorten haben, braucht es zum freiheitlich agierenden Menschen – der „immer (…) auch Homo socius“ (Berger und Luckmann 2003: 54) ist – mindestens einer weiteren Funktion, die mit der Simulation Theory Hand in Hand geht. Wir fanden sie in Form der Theory-Theory, die auf der Grundlage der präkognitiven Nachahmung und im Verlauf der sozialen Ontogenese höhere und vor allem: geistige Funktionen hervorbringen kann. Von der Onto- zur Phylogenese schreitend, lässt sich mutmaßen, dass die Spiegelneurone nur bei denjenigen Vertretern der Familie Hominidae zur vollständigen Ausprägung kommen konnten, die die (physiologische und psychologische) Möglichkeit zur Entwicklung einer Theory of Mind hatten, um zu sowohl
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einer gekoppelten, nämlich unbewussten sowie bewussten Einschätzung der sozialen und kommunikativen Intentionen des anderen zu gelangen und so zwei verschiedene Arten der Perspektivitätsübernahme nutzen zu können. Auf diesem kombinierten Weg gelangt der Mensch zu sinnvollem sozialen Handeln und sinnbehafteter symbolischer Interaktion.
9 Das somatisch-geistige Subjekt: Neuausrichtung und Ausblick [R]ather, right from the start, the individual and the social are intermeshed, just as are the mind and body. Yuasa Yasuo
Was ist also das Ergebnis der Ausgangsfragestellung und der Diskussion im Verlauf der Arbeit? Was genau lässt sich – nach dieser Neupositionierung und -einschätzung dieses somatischen Resonanzphänomens – über die Relevanz der Spiegelneurone für die Vorstellung kommunikativer Intersubjektivität sagen? Die Leib-Seele-Dichotomie ist aufgrund einer inneren offline verlaufenden Simulation, also einer spezifischen Form von Repräsentation, handelnd überwunden. Man kann eine grundlegende Wichtigkeit der Spiegelneurone für die Vorstellung von Empathie kommunikativer Intersubjektivität annehmen, wenn man sie als Voraussetzung und Basis tatsächlicher kommunikativer Prozesse begreift, die sich nicht nur auf reine Körperprozesse, sondern auch auf die globale Verwendung von Symbolen stützen. Dabei erhält man keinen wirklichen Einblick in das Gedankengut und die Emotionen des Fremdpsychischen. Aber aufgrund der Verknüpfung der eigenen Handlungsbedeutung mit den sichtbaren äußeren Verhaltensweisen und Aktionen anderer lässt sich von einer somatischen Ableitung sowie Übertragung zwischen Interaktionspartnern sprechen, die einen inneren unbewussten Nachvollzug der Intentionalität, der Ziele und Absichten, der Emotionen und für unseren Kontext von besonderer Bedeutung: des Körpergefühls ermöglichen. An diesen Handlungsbegriff schließen wir uns im epistemologischen, intersubjektivitätsversprechenden Sinn Maturana und Varela an: „Jedes Tun ist Erkennen, und jedes Erkennen ist Tun“ (1987: 31). So ist die Wahrnehmung der
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Außenwelt – wie bereits von Merleau-Ponty betont – ein handlungsgebundener Prozess. Die shared manifold of intersubjectivity (vgl. Gallese 2001), also das Teilen der Resonanz, die „irgendeine Form von Korrespondenz130 zwischen der mentalen Aktivität des Simulierenden und der des Simulierten annimmt“ (Lenzen 2005: 155), ist als Grundlage jeglicher kommunikativer Aktivitäten anzusehen. Aufgrund der körperlichen Orientierung innerhalb einer komplexen Umwelt umfasst dies sowohl phylogenetische, als auch – durch den sozialen Aufbau von Intersubjektivität als auch geteilter Bedeutung und Emotionen sowie gemeinsamer Handlungen – ontogenetische Kontexte. Spiegelneurone bieten die Grundlage für eine innerartliche, instante, unmediierte, non-verbale (non-symbolische) Koordination zwischen conspecifics. Auf diesem Weg werden sozial bedeutsame Informationen interpersonell weiter getragen bzw. ausgetauscht. Die Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit, nämlich ob Spiegelneurone relevant für kommunikative Intersubjektivität sind, wird also mit einem „ja“ beantwortet, solange man sich der Differenzierung zwischen automatisierten Abläufen und geistreichen Prozessen, die beide in die Intersubjektivitätsherstellung einfließen, bewusst ist. Wir haben es mit einem interindividuellen Reziprozitäts-Phänomen zu tun, aus und in dem sich eine vernachlässigte Art des Wissens, das Körperwissen manifestiert. Auf Grund dessen lässt sich das Gegenüber in seiner Handlung in einer besonderen Form der Simultaneität nachvollziehen. Demnach ist die Grenze zwischen einem Alter und einem Ego interaktionistisch, jedoch subbewusst durchbrochen, das Zugangsproblem zum Inneren des anderen durch Annahme gleicher neuronal manifestierter Handlungsprogramme somatisch gelöst. In Bezugnahme auf den aktuellen somatic turn und die Diskussion um Körper- und Leiblichkeit in den Wissenschaften und den aufgezeigten Parallelen zu klassischen Kommunikationstheorien (speziell Mead) ist die Somatisierung von Bedeutung nun kein so schockierend neuer Der Terminus Korrespondenz scheint in diesem Kontext etwas missverständlich, suggeriert er doch einen realen Übertragungsweg oder -kanal.
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Ansatz, sondern ist bereits vor Jahrzehnten in den eigenen Reihen gedacht worden. Womit sich alle Geistes- und Sozialwissenschaften im neu erstarkten interdisziplinären Diskurs nun auseinander setzen müssen, ist die Kompatibilität verschiedener physiologischer und geistiger Prozesse, der Vereinbarung von nature und nurture. So lässt sich festhalten, dass Spiegelneurone keine Bedrohung darstellen, sondern vielmehr als somatogen, also vom Körper herleitend zu interpretieren sind und demgemäß als physiologische Basis bzw. als kein Bewusstsein voraussetzender somatischer Sozialitätsrahmen für höhere geistige Funktionen begriffen werden sollten; letztere bauen auf das Vorhandensein ersterer auf, und beide werden innerhalb sozialer Interaktion weiter ausgebildet. Darüber hinaus findet sich bei bewussten kognitiven Prozesse eine durch signifikante, bewusste und im Fall der Sprache: symbolische Vermittlung bzw. Intersubjektivität zwischen Individuen. Unser Fazit lautet demzufolge: Die Spiegelneurone ermöglichen interne Simulation durch interne Simulation (Lenzen 2005: 155) den unbewussten Zugang zu und das Erfassen der Konsequenzen und die damit verbundenen basalen intentionalen sowie emotionalen Zustände der beobachteten Handlung eines anwesenden Gegenübers auf der Basis des eigenen motorischen Repertoires durch somatische Antizipation und bilden somit die Basis für eine unbewusste, empathische Stufe der körperlichen Verständigung. Epistemische Intersubjektivität wird physiologisch sowie interaktionistisch durch die gleiche Bedeutung der Handlungsprogramme gesichert – und ist damit die Grundlage jeder kommunikativen Intersubjektivität, die sich des symbolischen Rollentauschs bedient. In Abänderung zu Dilthey wäre somit das Nacherleben, das diese besonderen Nervenzellen ermöglichen, nicht die höchste Form, sondern die basalste Form des Verstehens. Kommen wir zu einem Ausblick, in dem sich die Spiegelneurone für offene Fragestellungen fruchtbar zeigen können und halten dafür einige zu erfüllende Bedingungen fest.
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Eine neue Rahmung
Es muss eine geänderte Grundvoraussetzung, eine conditio sine qua non in Form einer neuen Interdisziplinarität mit neuen Herangehensweisen angestrebt werden. Eine holistische Sichtweise auf den Menschen erreicht man nicht durch eine substanzielle131, sondern erst durch eine funktionale Interpretation, die den Menschen im Spannungsfeld der Sozialität, Interaktion und schließlich Kommunikation betrachtet.132 Fundamental für ein Feuern der Spiegelneurone ist immer noch die soziale Situation, in der sich zwei Menschen zueinander und miteinander befinden. Erst innerhalb der Aktion bzw. der aufmerksamen Verfolgung dieser durch den anderen können die verschiedenen ubiquitären Resonanzphänomene neuronaler Kreisläufe ihre volle Wirkung entfalten. „The mirror system (…) most likely constitutes the neural basis for this fundamental social cognitive function required by the complex social environment typical of primates.“ (Fogassi und Gallese 2002: 31)
Dies ist natürlich in einem umfassenderen, komplexeren Sinne auf die Umwelt des Menschen anzuwenden. Die gesamte Thematik ließe sich sinniger von einer Metaebene betrachten, die den sozialen Kern der anthropologischen Welt integriert und so ein dynamischeres, holistisches Modell der Intersubjektivität und Verständigung ermöglicht. Die Miteinbeziehung der Spiegelneurone in solch eine intentionalistisch verankerte Theorie würde letztlich nicht die Willens- und Entscheidungsfreiheit des Subjekts antasten.
Auch innerhalb der substanziellen Interpretation ist man gut beraten, das Gehirn nicht isoliert als einzelnes Organ zu betrachten, sondern es innerhalb der vollständigen bio-chemischen Prozesse des gesamten Organismus zu betrachten. Vgl. hierzu Damasio (2004: 299, 331 f.) 132 Vgl. hierzu Mead, der sich für eine gesellschaftliche Theorie des Geistes ausspricht, für ein Eingebettet-Sein in eine „Matrix der gesellschaftlichen Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den Individuen.“ (1973: 268) 131
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Um an ein weiteres angelsächsisches Sprichwort anzuschließen: Die oft verwendete Redensart read my mind kann – wenn man vom exakten Wortsinn absieht – sowohl neuronal als auch geistig verlaufen. Die Kombination beider jedenfalls ermöglicht eine breite Form der eigenen Handlungskontrolle, Handlungserkennung und Soziabilität, so dass der Mensch zu „higher, social (‘Machiavellian’) forms of control“ (Hurley 2005 online) kommen kann. Im wissenschaftlichen Diskurs geht es dabei auch um Betrachtungsweisen und wissenschaftliche Sprachspiele: Die physiologisch argumentierenden Vertreter der Spiegelneuronendebatte verfolgen dabei einen Bottom-up-Mechanismus, wohingegen Vertreter primär geistiger Theorien top-down arbeiten. Es bleibt zu hoffen, dass beide sich in der Mitte treffen, so dass es zu einem für alle Seiten bereichernden und für die weitere Diskussion ergiebigen Hybrid aus der Simulation Theory und Theory-Theory kommt. In diesem würde unbewusste Kategorisierung auf kognitive Konzeptualität treffen und einen fruchtbaren Synergieeffekt bereitstellen.133
Sozio-kulturelle Bedingungen und Vernetzungen
Eine solche funktionale Interpretation menschlicher Intersubjektivität kommt im hoch vernetzten 21. Jahrhundert nicht mehr am Phänomen World Wide Web vorbei. In jeglichen Lebensbereichen hat man sich das virtuell-kollaborative Element auf die Fahnen geschrieben, fördert die Zusammenarbeit der Einzelnen für die große Sache und das bessere Er-
Einen Ansatz zu dieser Kombination scheint durch das Layer-Modell Hurleys bereits im Grundansatz vorhanden, indem die Sprache neben der Aktionserkennung als wichtig für das Verstehen des Fremdpsychischen angenommen wird: „Mature mindreading may require simulation-based information about the instrumental structure of observed action to be supplemented with language-dependent theorizing, so that strategic and epistemic mindreading capacities develop with language, though understanding the goals of observed action might be present prior to language.“ (Hurley 2005 online)
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gebnis, sucht pragmatische Wege zur gemeinsamen Problemlösung und Weltbewältigung.134 Fragwürdig inmitten dieser rasanten Ausbreitung und Aneignung neuer Technologien, die sämtliche Lebensbereiche durchdringt, ist, inwieweit Spiegelneurone auch medial vermittelt feuern. Was passiert, wenn der grundlegende Effekt der Spiegelneurone für Sozialität in der VerDigitalisierung menschlicher Beziehungen verloren geht? Telearbeit, Bildungstelematik oder auch Telemedizin ersetzen zunehmend den realen intersubjektiven Kontakt, in dem Zwischenmenschlichkeit biologisch und soziologisch gelernt, untersucht und behandelt wird. Auf die Gefahr dieser neuen digitalen Abläufe für Zwischenmenschlichkeit weist auch einer der „Väter der Spiegelneurone“, Vittorio Gallese hin: Können Bewegungsabläufe nicht mehr in realer, sondern nur noch in abgeschwächter, virtueller Version gesehen, nachvollzogen und gelernt werden, hat dies anzunehmenderweise massive Auswirkungen auf intersubjektive Prozesse: „Wir wissen nur noch nicht, welche. Auf jeden Fall hat sich der soziale Verstand während der Evolution für direkte, nicht für virtuelle Begegnungen ausgeprägt. [...] Wenn sich also die elektronische Kommunikation immer weiter verbreitet, werden wir vermutlich auch ganz neue Formen des Umgangs miteinander finden müssen.“ (Klein 2008: 32)
Welche Auswirkungen beispielsweise die virtuelle Diagnostik und Therapie im hochspezifischen Feld der Telepsychiatrie haben wird, wird zu beobachten sein. Speziell bei pathologischen Störungen der Psyche galt der unvermittelte, direkte Kontakt zwischen Arzt und Patient bis dato als unabdingbar für den Behandlungserfolg. Hier stehen Studien über die Erfolgsquoten und die Nachhaltigkeit virtueller Behandlungen weiterhin aus.
Mehr über das Internet als neue Metapher und Sichtweise zur Weltaneignung erläutert der US-amerikanische Philosoph David Weinberger im Interview mit der Autorin (s. Weblinks).
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Relevanz in der Pathologie
Die Relevanz der weiteren Forschung auf dem Gebiet der Resonanzphänomene, speziell der Spiegelneurone, ist indiziert durch einerseits psychologische Erkenntnisse, die auf große Konsequenzen für die Debatte der Kindererziehung hinzielen, aber eben auch auf medizinische Daten, die auf Krankheiten mit cerebralen Schädigungen oder Aphasien rekurrieren. Hier könnten neue Behandlungskonzepte bestimmter Krankheitsbilder wie beispielsweise des Schlaganfalls oder des bereits genannten Autismus hervorgehen. Dementsprechend werden derzeit neue Therapie-Ansätze entwickelt, die auf neuen Erkenntnissen der Stimulation des körpereigenen Resonanzsystems in Kombination mit dem Neuerlangen eines motorischen Erfahrungsschatzes fußen135, wie bereits das Prinzip des Lernens am Modell in Form der so genannten Videotherapie bei Schlaganfallpatienten gezeigt hat.136
Ein neues Konzept
Ein Ansatz, der für die Fragestellung der Innen-Außen-Dichotomie und kommunikativ erzeugten Intersubjektivität von sehr großem Interesse und Inspiration sein könnte, jedoch leider nur in marginaler Ausprägung verfolgt wird, ist der Versuch einer Rekombination westlichen und östlichen Intersubjektivitätsdenkens. Wir beziehen uns hier auf Yasuo, der feststellte:
Vgl. hierzu Teghians Ansatz in „Therapeutic programs for autistic children - the theory of mind as a new framework“ (2006), der sich vor allem auf die Entwicklung falscher Annahmen, Emotionserkennung und Imitation stützt. 136 In diesem Kontext wurden einer Gruppe von Schlaganfallpatienten in regelmäßigen Sitzungen Videoaufzeichnungen vorgespielt, die verschiedene Bewegungsabläufe zeigten; ferner wurden diese zielgerichteten Aktionen mit den Patienten aktiv geübt. Die Patienten machten innerhalb kürzester Zeit signifikante Fortschritte in der Wiedererlangung von Bewegung und Bewegungskontrolle sowie in der Aktivität der betroffenen motorischen Cortexareale. Vgl. hierzu Binkofski et al. 2004. 135
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9 Das somatisch-geistige Subjekt: Neuausrichtung und Ausblick „(...) it is fascinating that both idealism and materalism as well as Western and Eastern thought seem about to converge in the arena of mind-body theory“ (1987: 191).
Schließen wir daran an, wo im dualistischen Sinne meist eine vermittelnde Einheit, entweder in Form der Zirbeldrüse (s. Abb. 2), der Seele oder aktuell definierter Gehirnaktivitäten angenommen wurde, ließe sich an dieser Stelle vielmehr eine neue Einheit von Körper und Geist konstruieren, die mittels der (Ko-)Evolution des Physis-Psyche-Systems erschaffen wird und funktioniert. Die bis dato oft verfolgte Suggestion von Konstanz in der Interaktion Ego – Alter Ego – Umwelt würde so zugunsten einer Entwicklung aufgegeben. Wo ist nun das zu erwartende Neue dieses Ansatzes? Theorien aus dem asiatischen Raum, in denen das Körperbewusstsein auch innerhalb der ontogenetischen Entwicklung sowie der Kultur eine viel präsentere Rolle einnimmt, weisen eine große Kohärenz bezüglich des Leib-SeeleZusammenhangs auf. Anstatt den Körper als eine gegebene Größe zu deklarieren und sich so in statische Theorien zu flüchten, begreifen sich asiatische Ansätze als prozesshaft137 und multilateral, pluralistisch ansetzend. Körper und Geist interagieren nicht nur miteinander, sondern werden als komplexes, sich veränderndes Phänomen betrachtet, dass individuell unterschiedlich ist und folglich innerhalb eines Gesamtkontextes betrachtet wird (vgl. Yasuo 1987).138 Dieses dynamische Modell schließt also eine Entwicklung nach dem Prinzip tempora mutantur et nos mutamur in iis mit ein; bei den Positionen der Theory of Mind-Debatte wird eine solche Entfaltung der aus physiologischer Disposition entsteDiese Ausrichtung auf Prozesse schlägt sich in einer anderen Weise auf einem anderen Kontinent nieder: Die US-amerikanische Proklamierung des letzten Jahrzehnts als „Decade of Behaviour” widmet sich der verhaltensfokussierten Forschung. Auch hier bleibt zu hoffen, dass ertragreiche innovative Ansätze ein anderes Licht auf die Debatte und neue Impulse innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen bringen können. 138 Dies steht – ebenso wie Meads pragmatisch-symbolischer Interaktionismus – konträr gegen Theorien, in denen epistemologische Erkenntnis und Bedeutungszuweisung jedem Menschen bereits vor Geburt inhärent sind. 137
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henden kognitiven Funktionen noch komplett vernachlässigt. Die bedeutenden chilenischen Wissenschaftler Maturana und Varela, die trotz ihrer Position als Mitbegründer des radikalen Konstruktivismus solchen neuen Ansätzen sehr offen gegenüber standen und sich explizit auf den Buddhismus139 beriefen, fassten diese Position in Bezugnahme auf die soziale Umwelt und unter Kritik des neuroreduktionistischen Postulats der Herrschaft des Gehirns wie folgt auf: „Gleichzeitig ist Geist als Phänomen des In-der-Sprache-Seins im Netz sozialer und sprachlicher Koppelung nichts, das sich in meinem Gehirn befindet. Bewusstsein und Geist gehören dem Bereich sozialer Koppelung an, und dort kommt ihre Dynamik zum Tragen.“ (1987: 252).
Auch hier wird also deutlich, dass den Menschen mehr zum Menschen macht als eine reine Simulationsfähigkeit.140 Ein möglicher Lösungsansatz des Intersubjektivitätsproblems, welches neue Wege beschreitet, verspräche also die Kombination westlicher und östlich-asiatischer wissenschaftlicher Ansätze, um das wieder zusammenzuführen, was einzeln nur gedacht werden, nicht aber den anthropologischen Voraussetzungen des Menschen als ein sensorium commune (Merleau-Ponty 1966: 277) genügen kann. Weder der Körper noch ein Bewusstsein oder Geist können autonom angenommen werden. Der buddhistische Holismus ist deswegen so ertragreich für Fragestellungen der westlichen Wissenschaftstradition, da alles als co-relational miteinander verknüpft gilt: „Alles in Einem – Eines in Allem.“ (Wikipedia 2006 online). Die cartesianische Spaltung sollte so innerhalb der und durch die
Franciso Varela einte eine Freundschaft mit dem buddhistischen Oberhaupt Dalai Lama. Zeigten sein und Maturanas Werk anfangs noch sehr stark in eine biologistisch-konstruktivistische Richtung, ließen sich im Verlauf der Zeit immer mehr buddhistisch geprägte Denkstrukturen darin auffinden, die in eine Theorie über den prozesshaft in Sozialität und Sprache entstehenden Geist flossen. 140 Vgl. auch „(…) was für die Kommunikation essentiell ist: die Einbettung der Kommunikation in konkrete Situationen und die praktische Konkretion kommunikativen Handelns.“ (Soeffner und Luckmann 1999: 176) 139
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Handlung wieder vereint und der Mensch in seiner Beschaffenheit als psycho-physisches Wesen verstanden werden, das ein Produkt bzw. sich durch Kultur Produzierender innerhalb einer phylo- und ontogenetischen Evolution ist. Der Weg führt also weg von der Transzendenz sowie vom Reduktionismus und hin zur handelnd angeeigneten Erfahrung. Es ist deutlich geworden, dass der Rekurs auf Körperlichkeit und physiologische Abläufe ein bedeutsamer Baustein für eine holistische Sichtweise auf das Phänomen Homo sociologicus und die Konstituierung seiner Welt ist. Dies erkennen wir anhand der basalen Wichtigkeit der Spiegelneurone für eine grundlegende Form von Empathie und Sozialität, die noch vorbewusst erzeugt wird. Deutlich wurde auch, dass sich die geisteswissenschaftlichen Disziplinen der interdisziplinären Herangehensweise öffnen müssen, ohne jedoch – wie von Husserl angemahnt – ihren Zugang zu den ureigensten menschlichen Problemen aus ihrer Forschung auszuschließen. Zum Schluss sei deshalb auf Fichte verwiesen, bei dem sich folgender Ausspruch findet: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt (…) davon ab, was man für ein Mensch ist (…)“ (1971: 434). Es liegt daher in der Hand der jetzigen und der kommenden Wissenschaftsgenerationen, wer die aktuelle Wissenschaft bestimmt und in welche Zukunft sie mitsamt ihrer gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen gelenkt wird.
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4:
Abb. 5: Abb. 6:
Abb. 7:
Abb. 8:
Abb. 9: Abb. 10:
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