Atlan - Der Held von Arkon Nr. 238
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 238
Das Erbe der Akonen Der Magnortöter greift ein - er bringt Atlan zur Transmitterwelt von Harvey Patton
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Vaters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raumschiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen Besatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden. Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommen wurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimlichen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR und dirigiert sie nach seinem Willen. Nachdem er Atlan und Fartuloon auf Ketokh zurückgelassen hat, zwingt er die Besatzung der ISCHTAR, Kledzak-Mikhon anzusteuern, den Planeten der Loghanen. Aber auch Atlan und Fartuloon gelangten durch das Eingreifen des Magnortöters dorthin – und sie entdecken DAS ERBE DER AKONEN …
Das Erbe der Akonen
3
Die Hautpersonen des Romans: Klinsanthor - Der Magnortöter greift ein. Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und sein Lehrmeister gelangen zur Transmitterwelt. Akon-Akon - Herr der ISCHTAR. Ra - Der Barbar fungiert erneut als Retter. Rassafuyl, Tamoyl und Kenyol - Die Herrscher von Kledzak-Mikhon fürchten die Ahnen.
1. »Ich könnte in die Luft gehen«, murrte Fartuloon und kraulte mißmutig seinen Bart. Damit gab er ziemlich genau die Gefühle wieder, die auch mich beherrschten. Das Warten, die zwangsweise Untätigkeit, zerrte an unseren Nerven. Scolaimon Nove war nicht mehr. Das Skarg des Bauchaufschneiders hatte den Gestaltwandler, der uns viele Schwierigkeiten bereitet hatte, erledigt. Der Magnortöter Klinsanthor hatte Lautsprecherkontakt zu uns aufgenommen. Ihm gehörte die riesige Raumstation, in der wir beide uns jetzt befanden. Unsere Überraschung war nicht gering gewesen, als wir plötzlich in einem Raum auf Bildschirme gestoßen waren, die uns die ISCHTAR zeigten, die gerade einen fremden Planeten anflog. Das war aber auch alles gewesen. Die Schirme waren wieder erloschen, wir waren so klug wie zuvor. Klinsanthor hatte Hoffnung in uns aufkommen lassen, daß wir wieder zu unseren Gefährten gelangen würden. Doch nun ließ er uns schon eine ganze Weile warten. »Wer weiß, was dieser Knabe inzwischen wieder aushecken mag!« fuhr Fartuloon grimmig fort. »Wenn wir an Bord wären, könnten wir vielleicht manches verhindern. Die anderen können es ja nicht, sie müssen nach seiner Pfeife tanzen.« Mit dem »Knaben« meinte er den jungen Akon-Akon, dessen Gabe der suggestiven Beeinflussung keine Gegenwehr zuließ. Nur wir beide konnten ihr bis zu einem gewissen Grade widerstehen, alle anderen waren ihm hilflos ausgeliefert. Kein Wunder, daß wir darauf brannten, wieder in die ISCHTAR zu
gelangen. Ich wollte etwas entgegnen, aber in diesem Moment geschah endlich etwas. Ein Türsegment glitt auf, und in der Öffnung erschien ein seltsames Gebilde. Es war ein Würfel aus Metall mit einer Kantenlänge von etwa einem Meter. Er schwebte frei einen halben Meter über dem Boden, eine Spitze zeigte nach unten. Aus den anderen Ecken des Würfels ragten tentakelartige Fühler hervor, die offenbar nach Bedarf ausgefahren und eingezogen werden konnten. Wir sprangen auf, und der Bauchaufschneider griff instinktiv nach seinem Schwert. Doch der Robot machte keine Anstalten, uns etwa anzugreifen. Mit leisem Summen glitt er auf seinem tragenden Prallfeld auf uns zu. Einige Schritte vor uns hielt er an, und aus der linksseitigen Spitze fuhr elastisch der Tentakelarm aus. Damit machte er winkende Bewegungen zur Tür hin, und ich atmete auf. Die Einladung war eindeutig. »Es ist soweit, Fartuloon. Klinsanthor hat uns also doch nicht vergessen. Beeilen wir uns, vielleicht hat er etwas Entscheidendes vor.« »Er hätte uns vorher wenigstens noch einmal unser Schiff zeigen können«, meinte der Bauchaufschneider zögernd. »Wer weiß, was dort in den vergangenen Stunden geschehen sein mag.« Ich zuckte mit den Schultern. »Das können wir vermutlich immer noch haben. Der Magnortöter hält die ISCHTAR und unsere Leute gewiß ständig unter Beobachtung. Vielleicht hat er dadurch etwas erfahren, das unser Eingreifen erfordert.« »Das wäre möglich«, räumte der Bauchaufschneider ein. Wir setzten uns in Bewegung, und der Würfelroboter schwebte uns voran. Wir legten so mindestens dreihundert Meter zurück. Dann war der Korridor zu En-
4 de, und eine große Tür glitt vor uns auf. Unser metallener Begleiter schwebte zur Seite und ließ uns beide passieren. Wir kamen in einen großen Raum voller fremdartiger technischer Gebilde. Manche wirkten zierlich und zerbrechlich, andere wieder waren kompakt und riesig. Der größte Teil war in Betrieb, das bewiesen leise Arbeitsgeräusche und das Zucken bunter Kontrollichter auf den dazugehörigen Armaturen. Wir sahen uns aufmerksam um, denn wir hatten damit gerechnet, hier auf Klinsanthor zu treffen. Diese Annahme erwies sich als falsch, denn in diesem Raum befand sich kein lebendes Wesen. Nur einige passivierte Arbeitsroboter standen herum, und ihre blinden Sehorgane schienen uns anzustarren. Mich befiel ein Frösteln, ein unbestimmbares Unbehagen. Ein Seitenblick zeigte mir, daß es Fartuloon nicht anders erging. Er hielt die Rechte dicht am Skarg, und seine Augen schweiften wachsam und mißtrauisch umher. »Fühlst du es auch?« fragte er leise. »Irgendwie herrscht hier eine unheimliche Atmosphäre, als würde etwas oder jemand uns belauern. Verdammt, wo steckt denn Klinsanthor?« Genau das fragte ich mich auch. Wir hatten ihn bisher noch nicht zu Gesicht bekommen, nur seine eigentümliche knarrende Stimme aus Lautsprechern gehört. Ob er es wohl überhaupt ehrlich mit uns meinte? Wir wußten nichts von ihm, wir hatten keinen Grund, ihm zu vertrauen. Das vage Versprechen, das er uns gegeben hatte, konnte alles und nichts besagen. Trotzdem solltest du ihm glauben, meldete sich mein Extrahirn. Er hat schließlich auch zum Ausdruck gebracht, daß es so etwas wie eine Hilfeleistung auf Gegenseitigkeit sein soll. Es wäre folglich auch zu seinem Nachteil, wenn euch hier etwas zustieße. Diese Schlußfolgerung war einleuchtend. Sie änderte allerdings nichts daran, daß mein Unbehagen weiter wuchs. Das leise Surren der vielen Aggregate klang in meinen Ohren
Harvey Patton plötzlich schrill und feindselig. Eine vollkommen unmotivierte Angst ergriff mich, und ich sah mich gehetzt nach allen Seiten um. Ich hatte das Gefühl, daß sich außer uns noch jemand in dem Raum befinden mußte. Unwillkürlich griff ich nach meinem Impulsstrahler, der früher zu Malthors Ausrüstung gehört hatte. »Laß das«, wehrte Fartuloon ab. »Vermutlich fühlen wir beide dasselbe, aber wir sollten uns trotzdem beherrschen.« »Du redest wie mein Extrahirn«, gab ich zurück. »Dabei spüre ich fast körperlich, daß wir belauert werden, wenn nicht gar bedroht. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn sich ein Unsichtbarer in diesem Raum aufhielte.« »Du spinnst ja«, behauptete der Bauchaufschneider, aber im nächsten Moment verzerrten sich seine Züge. Gleichzeitig steigerte sich mein Angstgefühl zu einer regelrechten Panik. Schweißtropfen rannen über meine Stirn, jede klare Überlegung war mir unmöglich. Ich wollte davonlaufen, mich in Sicherheit bringen und irgendwo verstecken, wo ich diesem würgenden Zugriff entzogen war. Mein Gehirn gab den Befehl dazu, aber meine Glieder wollten mir nicht gehorchen. Wie gelähmt stand ich da und wartete auf etwas Schreckliches, das sich jeden Moment ereignen mußte. Der Tod wäre mir in diesem Moment förmlich als Erlösung erschienen. Unartikulierte Laute drangen aus meiner Kehle, und undeutlich hörte ich, wie auch Fartuloon aufstöhnte. Und dann klang unvermittelt Klinsanthors knarrende Stimme auf.
* »Ich weiß, wie euch jetzt zumute sein muß«, sagte der Magnortöter. »Ich konnte es euch aber nicht ersparen, in diesen Raum zu kommen, der ganz in meiner Nähe liegt. Versucht, euch zu beruhigen, es droht euch keine Gefahr. Ich bedaure es, mich euch nicht zeigen zu können, aber das wäre zuviel für euch. Meine geistige Ausstrahlung ist
Das Erbe der Akonen einfach zu stark.« Ich vernahm diese Worte wie aus weiter Ferne, aber langsam klärte sich nun mein Geist. Mein Extrahirn unterstützte mich durch beruhigende Impulse, die Panik begann von mir zu weichen. Auch Fartuloon beruhigte sich zusehends, und nun sprach Klinsanthor weiter. »Leider verfüge ich hier über keinen Vermittler, in dessen Gehirn ich einen Teil meines Bewußtseins transponieren kann. Das hätte meine Aufgabe um vieles erleichtert. Sie erinnern sich gewiß, daß es in Ihrer Gegenwart schon einmal geschehen ist. Das war nach dem Start von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler. Damals übernahm ich den Körper von Gonozal VII. um die ISCHTAR nach meinen Wünschen dirigieren zu können.« »Sie waren das also!« murmelte ich schwach. Bisher hatte ich darüber nur Vermutungen anstellen können, jetzt erst wurde mir alles restlos klar. Das Überlegen fiel mir noch immer schwer, aber mein Extrahirn unterstützte mich dabei. »Wenn es sein muß, stelle ich mich dafür zur Verfügung«, erklärte ich. »Sicher wird Fartuloon ebenfalls dazu bereit sein.« »Natürlich«, meinte der Bauchaufschneider, aber Klinsanthor wehrte ab. »Ich erkenne Ihre gute Absicht an, aber leider kann ich mich Ihrer Person nicht bedienen. Sie beide besitzen gewisse Eigenschaften, die Sie für diese Aufgabe ungeeignet machen. Doch ich glaube, daß ich Ihnen vertrauen kann, Atlan. Ihr ganzes Verhalten hat gezeigt, daß Sie ein ehrenhafter Mann sind, eine heute nicht mehr alltägliche Eigenschaft.« Er machte wieder eine Pause, und ich spürte, wie sich sein psionischer Einfluß weiter verringerte. Ich hatte den Eindruck, daß es ihm um ein bestimmtes Anliegen ging, deshalb fragte ich: »Was können wir für Sie tun, Klinsanthor?« »Ich werde Sie unterstützen«, sagte die Stimme des Magnortöters. »Dafür fordere
5 ich allerdings das Versprechen, daß Sie gleichfalls zur aktiven Hilfeleistung für mich bereit sind, wenn ich Sie darum angehe. Wollen Sie es geben?« Ich überlegte kurz, aber eigentlich gab es nicht viel zu überlegen. Wenn ich diese Form der Zusammenarbeit ablehnte, konnte das zur Folge haben, daß wir für den Rest unseres Lebens in dieser Raumstation festsaßen. Gegen Klinsanthors Willen konnten wir sie nicht wieder verlassen, das stand fest. Auch der Bauchaufschneider mußte zur gleichen Schlußfolgerung gekommen sein, denn er nickte mir zu. »Ich gebe das Versprechen«, erklärte ich. »Allerdings hoffe ich, daß Ihre Intervention nicht wieder zu einem ausgesprochen ungünstigen Zeitpunkt erfolgt. Sie wissen vermutlich, in welche Schwierigkeiten wir als indirekte Folge Ihrer ersten Handlung gekommen sind.« »Ich bedaure das«, sagte Klinsanthors knarrende Stimme, und es klang aufrichtig. »Dafür hoffe ich, daß ich nun im Zuge unserer Zusammenarbeit einiges wieder gutmachen kann, Atlan. Ich bin bereit, Sie und Fartuloon zu jener Welt zu bringen, zu der das Schiff mit Ihrem Gefolge geflogen ist. Was Sie dort in der ersten Zeit tun, bleibt Ihnen und Ihren Fähigkeiten überlassen. Ich selbst habe noch gewisse Vorkehrungen zu treffen, die einige Zeit erfordern werden. Dann werde ich mich wieder bei Ihnen melden.« »Auf welche Weise?« fragte der Bauchaufschneider, der kein Freund von Unklarheiten war. Er hatte sich ebenfalls wieder gefangen, das bewies mir sein wacher Blick. »Das hängt von den jeweiligen Umständen ab«, gab der Magnortöter wenig aufschlußreich zurück. »Mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Warten Sie jetzt, bis mein Roboter Sie holen kommt. Er wird Sie an den Ort bringen, wo sich das Transportmittel befindet.« Seine Stimme verstummte, und auch der letzte Rest seines geistigen Einflusses verschwand. Offenbar hatte er sich jetzt abge-
6 kapselt, in sich selbst zurückgezogen. In sich selbst? Ich begann zu überlegen, in welcher Daseinsform er sich wohl in dieser Station aufhalten mochte. Er war eine uralte, sagenumwobene Gestalt. Ob er überhaupt noch einen Körper besaß? Oder war er vielleicht nur eine rein geistige Entität, die irgendwie an diesen Ort gebunden war? Es sprach einiges dafür. Er lebte, aber es war keinesfalls ein normales Dasein mit seinen Freuden und Leiden. Das machte ihn in meinen Augen zu einer tragischen, bedauernswerten Figur. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl, daß wir ihm vertrauen konnten, eben weil er nicht mit normalen Maßstäben zu messen war. Vertrauen ist gut und schön, meldete sich die skeptische Stimme meines Extrahirns. Ob du aber damit weit kommen wirst, Kristallprinz? Vergiß nicht, wie oft du dabei schon hereingefallen bist! Ich ignorierte diesen Einwurf, obwohl ihm eine leider nur zu unangenehme Wahrheit zugrunde lag. Falls sich auch Klinsanthor als unehrlicher Partner erweisen sollte, war das mein Pech. Immerhin wollte er uns irgendwie zur ISCHTAR zurückbringen, und das war für den Anfang schon eine Menge wert. Diesmal brauchten wir nicht lange zu warten. Der Würfelrobot erschien und schwebte uns voran zu einer Tür am anderen Ende des Raumes. Sie glitt vor uns auf, und wir sahen in eine kleine Kabine, die bis auf die Beleuchtungskörper an der Decke völlig leer war. Die Tür schloß sich hinter uns, wir blieben allein, und sofort wirbelte Fartuloon herum. »Hier stimmt etwas nicht!« behauptete er und griff nach dem Skarg. »Bei allen Göttern, ich spüre es ganz deutlich: Eben geschieht etwas mit uns.« Ich sah mich aufmerksam um, aber im ersten Moment konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken. Erst nach schärferem Hinsehen bemerkte ich, daß in diesem kleinen Raum nicht alles stimmte. Irgendwie schie-
Harvey Patton nen seine Proportionen nicht zu passen, die Wände und die Decke wirkten auf unbestimmbare Weise verzerrt und verschoben. Oder sollte das nur eine optische Täuschung sein, eine Rückwirkung von Klinsanthors geistigem Einfluß? Dann sah ich wieder den Bauchaufschneider an, und nun wurde mein Eindruck bestätigt. Auch Fartuloons massige Gestalt bot einen sonderbaren, in alle Richtungen hin verzerrten Anblick. Er schien mich auf gleiche Weise zu sehen, das bewies mir sein erschreckter Ausruf. Ehe wir jedoch irgendwie darauf reagieren konnten, ertönte aus unsichtbarer Quelle wieder die knarrende Stimme. »Es besteht kein Grund zur Beunruhigung«, sagte der Magnortöter. »Die seltsamen Erscheinungen hängen mit der Art des Transports zusammen, dem Sie unterzogen werden. Dieser Raum ist der Kontaktpunkt zu einer Falte in den Dimensionen des Universums. Von hier aus kann ich Sie durch die Hilfe technischer Effekte nach KledzakMikhon senden, auf jene Welt, bei der sich Ihr Schiff befindet. Der Transportvorgang ist bereits eingeleitet.« Seine Stimme wurde immer leiser und undeutlicher, zuletzt erklang sie wie aus weiter Ferne. Auch meine Umgebung begann nun weiter zu verschwimmen, nahm völlig unmögliche Formen an und löste sich allmählich auf. Schließlich verschwand sie ganz und Fartuloon mit ihr. Ein rasender Wirbel schien mich zu umgeben, ich fühlte, wie mein Körper entstofflicht wurde und in diesem Wirbel durch Raum und Zeit fiel.
2. Snayssol zitterte an allen Gliedern. Das, was in den letzten Stunden auf den Loghanen eingestürmt war, war einfach zuviel für ihn gewesen. Er war einer der »Erben« des loghanischen Volkes auf dem Planeten KledzakMikhon, mithin also eine wichtige Person. Das hatte ihn jedoch nicht davor bewahrt,
Das Erbe der Akonen als Teilnehmer beim »Spiel der Schwarzen Tore«, bestimmt zu werden. Dabei handelte es sich um eine abenteuerliche Reise durch ein planetenweites Transmittersystem. Sie war mit so zahlreichen Gefahren und Fallen aller Art verbunden, daß von den jeweils 3000 Teilnehmern an diesem »Spiel« immer nur dreißig überlebten! Um sein Leben zu retten, hatte er gegen die Regeln verstoßen und war zur Strafe nochmals auf die lange Reise durch die Tore geschickt worden. Das kam einem Todesurteil gleich, denn er war bereits zu Tode erschöpft gewesen. Seine Chancen, diese Tortur und die Kämpfe gegen die anderen Spieler zu überstehen, war gleich Null gewesen. Doch dann war ein Wunder geschehen! Fremde Wesen waren ganz plötzlich auf dem Kampfplatz erschienen und hatten ihn aus höchster Bedrängnis gerettet. Sie hatten ihn in einem seltsamen Fahrzeug an einen anderen unbekannten Ort gebracht, wo es noch viele von ihnen gab. Sie hatten ihn vor dem sicheren Untergang bewahrt, und dafür mußte er ihnen dankbar sein. Doch im Moment war er nichts weiter als ein verängstigtes, vor Furcht schlotterndes Geschöpf. Er hatte auch allen Grund dazu. Nach seinem Verstoß gegen die Regeln der Spiele hatte man ihn vor das regierende Triumvirat der Loghanen gebracht. Tamoyl, Kenyol und Rassafuyl hatten ihn nicht sehr zartfühlend behandelt, aber das war zu erwarten gewesen. In ihren Augen war er ein Rebell gegen die herrschende Ordnung, und für solche Männer hatte keine Regierung des Universums Verständnis. Der eigentliche Schock war jedoch erst über ihn gekommen, als man ihm das Bild eines Vorfahren gezeigt hatte, von dessen Rasse die Loghanen angeblich abstammen sollten. Dieses Wesen hatte gänzlich anders ausgesehen als er selbst und seine Rassegefährten. Snayssol hatte schon immer gewisse Zweifel in bezug auf das offizielle Geschichtsbild der Loghanen gehabt. Daß sie jedoch von diesen Fremdlingen abstammen sollten, hatte er nicht wahrhaben wollen. Er
7 war eher bereit gewesen, zu glauben, daß ihn das Triumvirat nur in die Irre führen wollte. Dieses eine Bild konnte nicht als Beweis dafür gelten, daß es derartige Wesen wirklich einmal gegeben hatte. Jetzt hatte er den Beweis: Es hatte sie nicht nur gegeben – es gab sie noch! Drei von ihnen hatten ihn gerettet, und nun stand er einer ganzen Schar dieser Fremden gegenüber. Es war kein Zweifel möglich, sie ähnelten dem Bild in geradezu beängstigender Weise. Kein Wunder also, daß Snayssols Geist von heilloser Verwirrung und Angst beherrscht wurde … Die Männer und Frauen in der Zentrale der ISCHTAR betrachteten ihn mit unverhüllter Neugier. Sie sahen ein aufrechtgehendes Wesen mit je zwei Armen und Beinen, aber damit endete auch die Ähnlichkeit mit den Arkoniden schon. Wie alle Loghanen war auch Snayssol nicht größer als 1,60 Meter und von oben bis unten mit einem dunkelgrünen Pelz bedeckt. Sein Gesicht wies eine breite stumpfe Schnauzform auf, die Ohren waren spitz, die Augen nach Katzenart geschlitzt. Der Barbar Ra hatte den Anstoß zu seiner Rettung gegeben. Nun stand er vor dem Loghanen, grinste ihn freundlich an und versuchte, durch gutes Zureden zu einer Verständigung mit ihm zu gelangen. »Nur keine Angst, Grünpelz. Wir haben dich nicht gerettet, um dich anschließend umzubringen. Wir wollen lediglich einige Auskünfte, weiter nichts.« Snayssol erschrak noch mehr. Ra hatte ihm offen die Zähne gezeigt, und das galt bei seinem Volk als äußerst unfreundliche Geste. Er gab einige Laute in seiner Sprache von sich, die in den Ohren der Umstehenden bellend und unartikuliert klangen. Karmina Arthamin schüttelte den Kopf. »Er versteht kein Arkonidisch, das ist offenkundig. Wenn wir zu einer Verständigung mit ihm kommen wollen, werden wir einen Translator brauchen.« Sie gab einem der Männer die Anwei-
8 sung, ein solches Gerät zu holen. AkonAkon stand im Hintergrund und verfolgte wachsam das Geschehen, brachte aber keinen Einwand dagegen vor. Die Arkonidin redete Snayssol inzwischen in beruhigendem Tonfall zu. Damit erreichte sie wenigstens, daß der Loghane ihre gute Absicht begriff. Sein angstvolles Zittern klang ab, seine vierfingrigen Hände kamen zur Ruhe. Sie nestelten nur noch zuweilen an dem bunten Kreuzgurt über seiner Brust, den er als einzige Bekleidung trug. Der Translator wurde gebracht und eingeschaltet. Karmina redete weiter und machte dazu auffordernde Gesten, und bald hatte der Loghane begriffen. Erstmals brachte er mehrere zusammenhängende Sätze hervor, die von dem Semantiksektor des Übersetzungsgeräts aufgenommen und analysiert werden konnten. So kam es schließlich nach einigen weiteren Minuten endlich zu einer brauchbaren Verständigung. Snayssol verlor allmählich seine Scheu vor den Fremden. Er berichtete von den tödlichen Spielen und dankte Ra und seinen Helfern für seine Errettung. Als er jedoch aussagte, daß die Loghanen die einzige intelligente Rasse von Kledzak-Mikhon waren und über ihre Zivilisation sprach, kam es zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall. Akon-Akons Gesicht war schon zuvor nicht gerade freundlich gewesen. Nun aber nahm es den Ausdruck offenen Ekels an. Er stieß einen zornigen Ausruf aus. »Was erdreistet sich dieses tierhafte Wesen?« schrie er unbeherrscht auf. »Die Zivilisation auf dieser Welt ist nicht von seiner Rasse geschaffen worden! Sie hat mit ihr nicht mehr gemeinsam als eine Amöbe mit mir!« Snayssol verstand alles und duckte sich zitternd zusammen, doch das beeindruckte den Herrscher über die ISCHTAR in keiner Weise. Er kam mit großen Schritten nach vorn und schaltete mit einer brüsken Bewegung den Translator aus. Karmina Arthamin sah ihn befremdet an, doch er beachtete sie nicht, sondern wandte sich an Ra.
Harvey Patton »Töte ihn auf der Stelle!« befahl er mit schriller Stimme. Sein Verhalten war auch dem dunkelhäutigen Barbaren unverständlich. Akon-Akon hatte sich schon oft genug ausgesprochen exzentrisch verhalten, aber so zornig hatte er ihn noch nie erlebt. Alles in ihm sträubte sich dagegen, diesen unsinnigen Befehl zu befolgen, denn in seinen Augen war der Loghane ein wirklich bedauernswertes Wesen. Er sträubte sich vergeblich. Seit der Landung auf Kledzak-Mikhon war der junge Suggestor relativ umgänglich gewesen. Das war soweit gegangen, daß er seinen geistigen Druck auf die Schiffsbesatzung ganz erheblich vermindert hatte. Doch diese Phase schien nun vorbei zu sein. Akon-Akon setzte seine Fähigkeiten wieder in vollem Ausmaß ein, und dagegen hatte Ra keine Chance. Sein Aufbegehren erstickte schon im Keim, es war wieder so, wie fast immer in letzter Zeit. Sein ganzes Inneres bäumte sich dagegen auf, Snayssol einfach ohne jede logische Begründung zu töten. Und doch mußte er mit ohnmächtigem Grimm erleben, wie seine Hand gegen seinen Willen zur Hüfte fuhr. Sie zog den Impulsstrahler, der Daumen drückte auf den Entsicherungsknopf, und vor dem Abstrahlpol entstand flimmernd das energetische Leitfeld. Snayssol schloß angstschlotternd die Augen und bereitete sich auf sein Ende vor.
* In der Stadt Sevvo-Bonth auf dem Nordkontinent Parl-Jasgor wurde die Feier zum Ende des »Spieles der Schwarzen Tore« eingeleitet. Wieder waren fast dreitausend junge Loghanen ihm zum Opfer gefallen, aber das berührte die Außenstehenden nur wenig. Nur die Angehörigen und Freunde trauerten um sie. Die meisten anderen hatten den Nervenkitzel genossen; zum Teil als direkte Zuschauer, zum Teil an den überall aufgestellten Bildschirmen.
Das Erbe der Akonen In Sevvo-Bonth gab es eines jener großen »Tore«, deren Beherrschung den Loghanen nach wie vor unmöglich war. Trotzdem hielten sich in der Transmitterhalle immer einige der »Erben« auf. Die Regierenden von Kledzak-Mikhon hofften noch immer, auch diese Anlagen einmal unter ihre Kontrolle bringen zu können. Aus diesem Grunde mußten die jungen Männer täglich neue Schaltversuche vornehmen, die in ihren Augen fast den Charakter von rituellen Handlungen angenommen hatten. An diesem Tage waren sie jedoch davon befreit. Die Spiele waren beendet, und das war ein Grund zum Feiern. Dammyol, der die Aufsicht über seine fünf Gefährten hatte, war fest entschlossen, die Feier diesmal besonders eindrucksvoll zu gestalten. Er hatte zwei Konkurrenten an den beiden anderen Transmitteranlagen. Sie alle versuchten sich gegenseitig zu überbieten, die Zeremonien wurden aufgezeichnet und von Sachverständigen des planetaren Fernsehnetzes begutachtet. Diese entschieden dann, welche Feier eindrucksvoll genug war, um den Loghanen auf ganz Kledzak-Mikhon gezeigt zu werden. Kein Wunder also, daß sich Dammyol besonders ins Zeug legte. Das Aufnahmeteam war bereits eingetroffen, hatte die nötigen Beleuchtungskörper installiert und die Kameras einjustiert. Nun gab der Anführer der fünf »Erben« seinen Gefährten die letzten Anweisungen. Er konnte offen reden, denn inzwischen hatten sich die Fernsehtechniker wieder entfernt, um noch eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. »Heute müssen wir alle anderen weit übertreffen!« bellte seine Stimme fordernd auf. »Sie beschränken sich meist nur darauf, die üblichen Handgriffe in irgendwelchen Abwandlungen zu vollführen, aber das ist nicht genug. Ich habe vor, einen besonders spektakulären Ablauf vorzunehmen, von dem man noch in Jahren sprechen soll. Dafür habe ich bereits meine eigenen Ideen, die den zuständigen Leuten zeigen sollen, wie gut ich wirklich bin.«
9 »Dürfen wir Näheres darüber erfahren?« fragte einer seiner Gefährten fast ehrfurchtsvoll. Das war Wasser auf Dammyols Mühlen, und er plusterte sich entsprechend auf. »Ich werde euch genauestens instruieren«, versprach er fast hoheitsvoll. »Schon vor Beginn des Spieles habe ich für uns alle besonders prächtige Kreuzgurte anfertigen lassen. Darin werden wir Gegenstände unterbringen, wie sie noch niemand auf KledzakMikhon gesehen hat. Natürlich sind sie nichts weiter als Dekorationsstücke, aber sie werden ihren Eindruck auf die Masse der Unwissenden nicht verfehlen. Auch nicht auf die Leute beim Fernsehen, denn sie sind längst nicht so sachverständig, wie sie immer tun.« Erneut weidete er sich an der Bewunderung durch die anderen, dann fuhr er fort: »Außerdem habe ich durch einen meiner zahlreichen Freunde unter den Künstlern von Sevvo-Bonth eine Art Hymne auf die ›Tore‹ komponieren lassen, die wir bei dieser Gelegenheit absingen werden. Es ist lediglich eine Abwandlung alter Gesänge, die heute kaum noch jemand kennt. Ihr werdet sie innerhalb weniger Minuten auswendig können, denn sie sind kurz und bestehen im wesentlichen aus ständigen Wiederholungen. Dabei werde ich ein besonderes Ritual an den Anlagen des Tores vollführen, das den Gesamteindruck vervollständigen wird. Wenn es mir dabei noch gelingen sollte, das Tor zufällig in Betrieb zu versetzen …« Er verstummte, von der Größe dieses Gedankens förmlich überwältigt. Zu seinem Leidwesen konnte er ihn und seine Wirkung auf die anderen jedoch nicht voll auskosten. Die ersten Fernsehtechniker kehrten zurück und betraten geräuschvoll die Transmitterhalle. Dammyol schnaufte ärgerlich auf. »Folgt mir in den Nebenraum«, befahl er leise. »Dort liegen unsere Ausrüstungen, und dort können wir auch ungestört den feierlichen Gesang üben. Und wenn es dann soweit ist …« Er unterbrach sich erschrocken, denn urplötzlich tönte in der großen Halle ein ur-
10 weltlich anmutendes Donnern und Grollen auf. Alle fünf Erben fuhren wie vom Blitz getroffen zusammen, die Bildtechniker suchten schleunigst Deckung hinter ihren Geräten. Was sich da in diesem Augenblick anbahnte, überstieg ihr Begriffsvermögen bei weitem. Es blieb nicht allein bei den schrecklichen Geräuschen, die ihre Ohren marterten und ihre Trommelfelle zu sprengen drohten. Es geschah fast gleichzeitig noch einiges mehr. Im Hintergrund der Halle, wo sich die beiden gigantischen Transmittersäulen befanden, zuckte heller Feuerschein auf. Die Erben warfen sich rasch zu Boden, weil sie eine Explosion befürchteten. Doch nach und nach ließ das Donnergrollen nach und sank zu einem erträglichen, konstant bleibenden Brummton ab. Dammyols Gehirn stellte eine Gedankenverbindung her, und er hob vorsichtig den Kopf. Gleich darauf schrie er begeistert auf. »Das Große Tor – es hat zu arbeiten begonnen!« Ungläubig sahen auch die anderen auf, und ihre Augen wurden groß. Tatsächlich, Dammyol hatte recht. Aus den beiden Säulen der Transmitteranlage loderten gleißende Energiebahnen auf. Sie vereinigten sich unterhalb der Hallendecke zu einem großen, wabernd lodernden Torbogen. Er umspannte ein schwarzes Feld, so dunkel wie das Weltall, das alles Licht zu absorbieren schien. Dammyol sprang erregt auf. »Das muß ein Zeichen sein«, behauptete er im Brustton der Überzeugung. »Noch nie hat eines der drei großen Tore gearbeitet. Daß das ausgerechnet heute geschieht, wo das Spiel der Schwarzen Tore beendet wurde, muß eine besondere Bewandtnis haben. Wißt ihr auch, was das für uns bedeutet?« Die anderen erhoben sich zögernd und sahen ihn verständnislos an. Ihr Anführer schüttelte verzweifelt den Kopf. Er begriff nicht, daß es soviel Begriffsstutzigkeit geben konnte. »Muß ich euch das wirklich erst erklä-
Harvey Patton ren?« bellte sein Organ auf. »Dabei ist es doch ganz sonnenklar: Wir werden es sein, die ganz Kledzak-Mikhon die Sensation aller Zeiten liefern, deren Bedeutung die des Spieles noch weit übertrifft! Unsere Anlage hat etwas zu bieten, mit dem keine der beiden anderen aufwarten kann. Die Hüter der anderen Tore haben jetzt keine Chance mehr, uns zu überbieten – versteht ihr endlich?« Nun hatten sie es begriffen. Aber gleich darauf meldete einer von ihnen auch schon Bedenken an. »Vielleicht ist das nicht nur hier bei uns geschehen? Könnte es nicht sein, daß gleichzeitig auch die anderen Tore zu arbeiten begonnen haben?« meinte er, immer noch von Furcht erfüllt. Dammyols Gestalt erstarrte, sein Pelz sträubte sich bei diesem Gedanken. Doch er war nicht von der Hand zu weisen, das erkannte er sofort. Das Netz der einfachen Tore stand untereinander in ständiger Verbindung, und das gleiche konnte auch bei den Großen Toren der Fall sein. Wenn es aber wirklich so war, dann war es nichts mit der Einmaligkeit der Fernsehübertragung und dem großen Ruhm. Es sei denn … Der Loghane fuhr herum, seine Hand wies wie anklagend auf die Männer des Übertragungsteams. »Steht nicht herum und starrt Löcher in die Luft!« brüllte er sie an. »Wollt ihr wirklich zulassen, daß uns die anderen vielleicht zuvorkommen? Stellt augenblicklich eine Verbindung zum Regierenden Triumvirat in Poal-To her. Wenn wir die ersten sind, die das Bild eines arbeitenden Großen Tores dorthin übermitteln, wird uns allein der Ruhm zufallen!« Das ließ sich der Teamleiter kein zweites Mal sagen. Auch er hatte inzwischen seine Furcht überwunden und begriffen, daß sich hier etwas Großes, Einmaliges tat. Dammyol hatte ihn bei seinem Ehrgeiz gepackt, und er handelte sofort. Er verfügte über eine Nachrichtenverbindung nach Poal-To, die auch zur Bildüber-
Das Erbe der Akonen mittlung geeignet war. Rasch gab er seine Anordnungen, und nun kam Leben in seine Männer. Schon nach wenigen Sekunden meldete sich die Sendezentrale, bekam einige Stichworte und schaltete daraufhin sofort zum Regierungsgebäude weiter. Dort saßen Tamoyl, Kenyol und Rassafuyl, die Mitglieder des Triumvirats, zu einer eilig anberaumten Beratung zusammen. Kurz zuvor war ihnen ein ausführlicher Bericht über die Ereignisse im Zusammenhang mit Snayssol zugegangen. Es hatte eine ganze Reihe von Zeugen seiner Entführung oder Befreiung gegeben, aber alle standen mehr oder weniger unter Schockeinwirkung. Ihre Berichte widersprachen sich in vielen Punkten, fast jeder wollte etwas anderes gesehen haben. »Was sollen wir daraus machen?« fragte Kenyol resigniert und schlug auf die Folien mit den Aussageprotokollen. »Diese Berichte sind meiner Ansicht nach praktisch gar nichts wert. Sie stimmen lediglich in einem Punkt überein, und das …« Er unterbrach sich, denn vor ihm auf dem Tisch hatte die Lampe des Nachrichtengeräts zu blinken begonnen. Es mußte sich um eine Meldung von großer Wichtigkeit handeln, sonst hätte man die Beratung nicht gestört. Kenyol tastete das Gerät ein, und auf der Bildfläche erschien der oberste Techniker der Nachrichtenzentrale des Regierungspalasts. »Ein dringender Anruf vom Großen Tor in Sevvo-Bonth, Hoher Rat!« meldete er erregt. »Dort ist etwas äußerst Ungewöhnliches geschehen – das Tor hat zu arbeiten begonnen. Darf ich Ihnen das Bild überspielen?« Alle drei Räte fuhren zusammen wie elektrisiert. Das war eine wirkliche Sensation, vor der die Begebenheiten um Snayssol fast zur Bedeutungslosigkeit verblaßten. Darauf hatten sie schon so lange gewartet, daß keiner von ihnen mehr daran geglaubt hatte, daß dieses Ereignis wirklich einmal eintreten könnte. »Natürlich, worauf warten Sie noch?«
11 herrschte Kenyol den Techniker an. »Machen Sie schnell, ehe es vielleicht wieder vorbei ist!« Der Mann nickte wortlos, sein Abbild verblaßte. Dafür entstand Sekunden später auf dem Schirm das Bild der Transmitterhalle in Sevvo-Bonth, und die Mitglieder des Triumvirats beugten sich erwartungsvoll vor.
3. Es war wie ein Erwachen aus einem langen und schweren Traum. Ich kam wieder zu mir, aber ich bemerkte augenblicklich, daß irgend etwas schiefgegangen war. Ich stand auf den Stufen eines riesigen Tempels, das Licht einer großen roten Sonne stach mir in die Augen. Auf dem Platz vor der Tempelanlage wogte eine unübersehbare Menge, und laute Gesänge schallten zu mir empor. Sie steigerten sich bis zur Ekstase, ich hob langsam meine vier Arme und breitete sie zu einer segnenden Gebärde aus. Im gleichen Moment durchfuhr mich ein heißer Schreck. Ich wußte, daß ich Atlan war, und daß der Magnortöter Klinsanthor Fartuloon und mich durch eine Art von Dimensionstransmitter auf die Reise zum Planeten Kledzak-Mikhon geschickt hatte. Doch nun stand ich hier auf den Tempelstufen als der Oberste Priester der Gottheit Ramanak des Furchtbaren, der soeben das Volk zum Heiligen Krieg gegen die Bewohner des Dunklen Landes aufgerufen hatte … Panik wallte in mir auf. Ich konnte klar denken und meine Umgebung voll erfassen, aber das war auch alles. Mein Körper gehorchte mir nicht – es war gar nicht mein Körper! Es war der ungefüge Körper eines Sauriers, der aufrecht auf zwei plumpen Säulenbeinen stand, hinten auf den langen hornigen Schwanz gestützt. An den breiten Schultern saßen vier kurze krallenbewehrte Arme, und zwischen ihnen ragte der lange und schlanke Hals hervor. Der Kopf war eckig, das Maul riesig und mit langen messerscharfen Zäh-
12 nen bestückt. Nun öffnete es sich und antwortete dem Gesang der Menge. »Ich sehe, ihr habt den Willen des Gottes begriffen und wollt seinem Gebot folgen. Die Anhänger der falschen Götter unten im Dunklen Land sollen seiner nicht länger spotten. Wir werden wie ein brausender Sturmwind über sie herfallen, und unsere Rache an ihnen wird furchtbar sein. Das sage ich euch, der Oberste Priester Ramanaks des Furchtbaren! Geht nun und bereitet alles für den Kriegszug vor. In einer Stunde brechen wir auf.« Ein heiseres Geschrei der Ekstase scholl mir aus Tausenden von Kehlen entgegen, und erneut hob ich segnend meine Arme. In Wirklichkeit war ich es natürlich nicht, der das tat. Mein Geist war zu Gast in einem fremden Körper, der selbständig handelte, auf den ich keinerlei Einfluß besaß. Mein Wirt war sich meiner Anwesenheit in keiner Weise bewußt. Das ist doch Wahnsinn! dachte ich bestürzt. Ich konnte noch denken, obwohl ich meinen eigenen Körper nicht mehr besaß. Mein Geist mußte sich irgendwie von ihm gelöst haben. Nun befand er sich als wesen- und willenlose Entität in der monströsen Gestalt des Saurierpriesters … Die Situation schien völlig auswegslos für mich zu sein. Wie es soweit gekommen war, konnte ich mir ungefähr denken. Klinsanthor hatte mich entstofflicht auf den Weg durch eine Dimensionsfalte geschickt, und dabei mußte es zu einer Panne gekommen sein. Vielleicht hatte er sein Instrumentarium nicht bis zur letzten Dezimalstelle einwandfrei justiert. Vielleicht hatte es auch störende Einflüsse von außerhalb gegeben. Schon die Transition eines Raumschiffs irgendwo in der Nähe, die zum gleichen Zeitpunkt erfolgt war, konnte das bewirkt haben. Dabei wurde stets eine Schockwelle ausgelöst, die auch das Gefüge übergeordneter Dimensionen erschütterte. Eine Falte darin mußte ohnehin ein recht instabiles Gebilde sein, das auf solche Einflüs-
Harvey Patton se sehr stark reagierte. Während ich diese Überlegungen anstellte, wandte sich der Körper meines Wirts langsam um. Die plumpen Beine trugen ihn die Treppe empor und zwischen den massigen Säulen hindurch, die das Vordach des Tempels stützten. Wo mochte mein alter Lehrer Fartuloon jetzt sein? Ob es ihm ähnlich wie mir ergangen war? Vielleicht war er auch gut auf dem Zielplaneten angekommen. Vielleicht beugte er sich jetzt dort erschüttert über meinen leblosen Körper, in den mein Geist nie mehr zurückfinden würde …? Rasch verbannte ich diese Gedanken wieder. Es war gefährlich, sie konsequent zu verfolgen, denn dabei konnte ich irrsinnig werden. Statt dessen konzentrierte ich mich auf das, was nun weiter um mich und den Priester des Furchtbaren Gottes geschah. Eine große Halle tat sich auf, und in ihrer Mitte ragte das gewaltige Standbild Ramanaks auf. Es war aus schwarzem Stein gefertigt und wirkte selbst auf mich beeindruckend, fast überwältigend. Doch diese Wirkung verging rasch, als ich aus einem Seitengang einen weiteren Priester treten sah, der auf meinen Wirt zukam. »Du hast äußerst überzeugend gesprochen, Garrak«, meinte er unverkennbar spöttisch. »Diese Tölpel waren so begeistert, daß sie einem fast Leid tun konnten. Heiliger Krieg – wenn ich das schon höre … Es ist wirklich zum Lachen, Oberpriester! Warong braucht neue Sklaven und die fetten Weiden und Jagdgründe des Dunklen Landes. Er allein hätte das Volk nie soweit gebracht, deswegen in den Krieg zu ziehen. Also mußten wir einspringen, und der Stimme des Furchtbaren Gottes wagt niemand zu widerstehen.« Garrak stieß ein wieherndes Lachen aus. »Warong wird bekommen, was er will – aber wir werden den meisten Nutzen davon haben! Die Opfer und Spenden werden reichlich fließen. Außerdem wird man im Dunklen Land neue Tempel für uns errichten, und so wird unser Reichtum noch weiter vermehrt. Unser schwarzer Gott da ist doch
Das Erbe der Akonen eine recht nützliche Figur, nicht wahr?« Er schlug gegen die Beine des Götterstandbilds, und dann lachten beide laut. Widerwille stieg in mir auf, als ich die zynischen Worte hörte. Doch so ähnlich ging es ja bei vielen Rassen zu; nicht allein bei den Primitiven, sondern zuweilen auch noch auf Welten des arkonidischen Imperiums. Wo mochte jenes Dunkle Land liegen, dem der Raubzug dieser Saurierwesen gelten sollte? Vermutlich waren seine Bewohner friedlich und würden nicht mit einem plötzlichen Überfall rechnen. Ich wünschte mir brennend, sie irgendwie warnen zu können, ehe er noch begann. Doch was konnte ich schon tun – ein körperloses Etwas in einem fremden Gehirn? Ich war nicht wenig verblüfft, als plötzlich das Bild der Umgebung, das ich durch Garraks Augen wahrnahm, zu verblassen begann. Im nächsten Moment aber durchfuhr mich ein freudiger Schreck. Ich fühlte, wie sich mein Ich von dem Körper des Oberpriesters löste und frei in die Höhe zu schweben begann! Wie war das nur möglich? Ich kam zu dem Schluß, daß ich anscheinend doch nicht ganz so hilflos war, wie ich bis jetzt geglaubt hatte. Mein intensives Verlangen hatte schon ausgereicht, die Gefangenschaft in Garraks Hirn zu beenden. Wenn ich aber das konnte, dann vermochte ich vielleicht auch noch mehr! Ich besaß weder Augen noch sonstige Sinnesorgane. Trotzdem konnte ich meine Umgebung deutlich wahrnehmen. Langsam schwebte ich zur Decke der Tempelhalle empor, und unter mir sah sich der Oberpriester argwöhnisch nach allen Seiten hin um. »Was mag das nur gewesen sein?« meinte er verblüfft. »Mir war gerade so, als hätte mich jemand berührt, als hielte sich ein Unsichtbarer hier im Tempel auf. Hast du es auch gespürt?« Der andere Saurier schüttelte den Kopf. »Unsinn, Garrak, außer uns traut sich hier doch niemand herein. Wahrscheinlich war es nur ein Luftzug, der dich genarrt hat. Komm
13 jetzt, wir müssen uns vorbereiten, um zu Warong zu gehen.« Sie verschwanden in einem angrenzenden Raum, während sich mein Ich weiter nach oben entfernte. Mühelos durchdrang es die Decke des Tempels, und plötzlich befand ich mich im Freien. Jetzt mußte sich erweisen, ob ich noch zu weiteren sinnvollen Bewegungen fähig war. Tatsächlich, es ging! Ich brauchte mir nur eine beliebige Richtung zu wünschen, in die ich mich bewegen wollte, und schon schwebte ich dorthin. Auch die Geschwindigkeit wurde durch meinen Willen bestimmt, ich konnte nicht nur alles um mich herum erkennen, sondern vernahm auch jedes Geräusch. Ich »flog« über eine ausgedehnte Ansammlung von Häusern dahin. Es waren große, schmucklose Klötze aus grob bearbeitetem Stein, ihre Proportionen entsprachen den riesigen Körpern der Saurier. In einiger Entfernung entdeckte ich einen besonders großen Bau, der mein Interesse erregte, weil er als einziger eine prächtige Bemalung besaß. Es war stark anzunehmen, daß dies der Palast jenes Warong war, der hier der Herrscher zu sein schien. Ich wünschte mich dorthin, und im nächsten Augenblick war ich dort. Meine Vermutung wurde bestätigt, als ich die große Schar von Saurierwesen sah, die sich dort versammelt hatten. Man war dabei, Waffen zu verteilen, die aus einem Anbau des Gebäudes herausgeschleppt wurden. Es handelte sich um riesige Schwerter und Lanzen mit messerscharfen Schneiden und Spitzen. Nur solche Mordwerkzeuge waren geeignet, die zähe Lederhaut der Saurierkörper zu durchdringen. Auf den Stufen vor dem Portal des Palasts stand eine selbst für hiesige Begriffe gigantische Gestalt, die einen weiten, in schreiend bunten Farben gehaltenen Umhang trug. Unterführer in weit weniger auffälliger Kleidung traten zuweilen darauf zu, verneigten sich unterwürfig und empfingen Anweisungen. Es war tatsächlich Warong, der mit ih-
14 nen sprach und sie zu größerer Eile antrieb. Ich entnahm den Reden, daß die Invasionsarmee einen relativ weiten Anmarschweg bis zum Operationsgebiet haben mußte. Trotz der langen Beine der Saurierwesen würde es Mittag sein, ehe das Dunkle Land erreicht war. Das waren noch etwa vier Stunden, und die gedachte ich zu nutzen. Ich orientierte mich nach den ersten Vorausabteilungen, die sich bereits in Marsch setzten, und schlug dieselbe Richtung ein. Hinter den Häusern kam bebautes Land mit eingestreuten Farnwäldern und Buschgruppen, und der Boden senkte sich allmählich. Das Dunkle Land schien also ein ausgesprochenes Tiefland zu sein. Diese Annahme erwies sich als richtig. Ich bewegte mich nun schneller voran, und bald hatte ich das Siedlungsgebiet der Stadt hinter mir gelassen. Ein weites, unkultiviertes Gebiet tat sich vor mir auf, durch das nur wenige Trampelwege führten. Hier nahm der Boden eine satte schwarze Färbung an, worauf wohl auch der Name des Landes zurückzuführen war. Ich beschleunigte meinen Flug noch weiter und raste bald schneller wie ein Hochleistungsgleiter dahin. Es war ein eigentümliches, im Grunde gar nicht unangenehmes Gefühl, sich so frei und ungebunden bewegen zu können. Nur die Sorge um mein weiteres Schicksal verhinderte nachhaltig, daß ich mich dieser Euphorie hingab. Ich lebte, aber ich war ein Geist, ein substanzloses Etwas! Was mochte aus meinem Körper geworden sein? Wo mochte sich Fartuloon jetzt befinden, und wie mochte es der Besatzung meines Schiffes ergangen sein? Erneut erreichte ich bebautes Land. Ich erkannte einzelne Saurierwesen, die mit der Feldbestellung beschäftigt waren oder große mastodonähnliche Tiere hüteten. Hier war alles noch friedlich, niemand schien etwas von dem Unheil zu ahnen, das sich in Warongs Stadt zusammenbraute. Ob ich trotz meiner Körperlosigkeit etwas
Harvey Patton an diesem Schicksal ändern konnte? Ich wußte es nicht, aber versuchen wollte ich es auf jeden Fall. Eine kleine Stadt kam in Sicht, deren Äußeres sich wohltuend von dem der ersten unterschied. Der Baustil war der gleiche, doch hier schien man auch Wert auf Schönheit zu legen. Bunte Fassaden rahmten die grob gepflasterten Straßen ein, kleine Plätze mit Bäumen und Büschen lockerten das Bild weiter auf. Es waren jedoch nur wenige Saurier zu sehen, die meisten hielten sich wahrscheinlich auf den Feldern und Weiden auf. Im Mittelpunkt des Ortes sah ich ein größeres Gebäude und hielt darauf zu. Über seinem Eingang gab es ein großes buntes Wappen. Das stützte meine Annahme, daß dies so etwas wie ein Verwaltungsgebäude war. Zusammen mit einer kleinen Gruppe von Stadtbewohnern schwebte ich durch die Tür und hoffte, aus ihrer Unterhaltung etwas entnehmen zu können, das mir weiterhalf. Hier erlebte ich aber eine Enttäuschung, denn ich konnte die gutturalen Laute nicht verstehen. Das gelang mir offenbar nur, solange ich mich im Körper eines Saurierwesens befand. Obwohl mir der Gedanke Unbehagen bereitete, beschloß ich, mich wieder in den Geist eines dieser Wesen zu versetzen. Natürlich genügte es nicht, das bei einem unbedeutenden Bewohner des Dunklen Landes zu tun. Ich mußte jemand finden, der hier Macht oder wenigstens Einfluß besaß, und so begab ich mich auf die Suche. Ich schwebte durch die Wände in verschiedene Räume und sah mich um, bis ich den Richtigen gefunden zu haben glaubte. Es war ein Mann – gewisse Anzeichen wiesen darauf hin, daß es einer war –, der sich in einem zentral gelegenen Zimmer befand. Er trug einen bunten Umhang mit schwarzen Insignien, und die Umgebung ließ darauf schließen, daß er so etwas wie das Stadtoberhaupt war. Behutsam steuerte ich auf ihn zu und drang vorsichtig bis zu seinem Gehirn vor. Ich war in keiner Weise auf das vorbereitet,
Das Erbe der Akonen was nun kam. Kaum hatte ich mein Ziel erreicht und sah den ersten Lichtschimmer durch die fremden Augen, als mich etwas brutal und rücksichtslos zurückstieß! Für einen Moment war mein Ich wie paralysiert, ich war zu Tode erschrocken. Sollte dieser Saurier so etwas wie eine parapsychische Sperre besitzen, die sein Hirn gegen mich abzuschirmen imstande war? Das wollte ich herausfinden. Ich gönnte mir einen Augenblick der Erholung, dann stieß ich nochmals zu seinem Geist vor. Erneut spürte ich Widerstand, der diesmal jedoch überraschend schnell nachließ. Ich drang in das fremde Gehirn ein, und plötzlich empfing ich einen halb verblüfften, halb freudigen Impuls. »Du, Atlan …?« »Du, Fartuloon!« gab ich mit einem grenzenlosen Gefühl der Erleichterung zurück.
4. Schweigend hatte die Mannschaft in der Zentrale der ISCHTAR das Geschehen verfolgt. Alle mißbilligten den Befehl, den verängstigten und hilflosen Loghanen zu töten. Er war mehr als harmlos, und doch sollte er sterben, weil es dem selbstherrlichen Jungen so gefiel. Sie verdammten seine Grausamkeit, aber sie waren nicht imstande, etwas dagegen zu tun. Sie konnten kein Glied rühren, um Snayssol zu helfen, nur ihre Fäuste ballten sich in ohnmächtigem Zorn. Auf Ras Stirn standen dicke Schweißtropfen, aber sein Widerstand war gebrochen. Sein Finger berührte bereits den Feuerknopf der Waffe, als plötzlich etwas vollkommen Unerwartetes geschah. Sämtliche Strukturtaster des Schiffes sprachen mit zuvor nie erlebter Stärke an! Innerhalb von Mikrosekunden schnellten ihre Anzeigen bis weit in den Rotbereich hinauf – dann schlugen sie durch. Im Innern der Geräte wurden titanische Energien frei und suchten einen Ausweg. Sie fanden ihn und
15 zuckten als meterlange Blitze durch die Schiffszentrale. Schreie gellten auf, und auch der Barbar zuckte zusammen. Die Mündung seines Strahlers änderte ihre Richtung, und der Snayssol zugedachte Schuß entlud sich fauchend in eine Rohröffnung der Belüftungsanlage. Augenblicklich schrillten auch die Alarmpfeifen auf, das Chaos war vollkommen. Zwei Männer waren von den Überschlagblitzen getroffen worden und gingen von Krämpfen geschüttelt zu Boden. Doch nicht nur sie hatte es erwischt – auch Akon-Akon war getroffen worden! Sein überstarker Geist schaffte es, den Körper noch einige Sekunden auf den Beinen zu halten. Fast schien es, als sollte er relativ gut davonkommen. Dann aber knickten auch seine Knie ein, und er fiel haltlos in sich zusammen. Er wurde bewußtlos, und Ra spürte es als erster. Von einem Augenblick zum anderen wich der übermächtige Druck der Suggestivimpulse von seinem Hirn. Er brauchte Sekunden, um sich davon zu erholen, aber dann brach sich seine Wut freie Bahn. Er sah Akon-Akon bewußtlos auf dem Boden liegen, und mit einem rauhen Aufschrei richtete er den Impulsstrahler auf den gnadenlosen Unterdrücker. »Stirb, du Ungeheuer!« brüllte er. Karmina Arthamin reagierte mit der Schnelligkeit, die ihre Ausbildung zur arkonidischen Befehlshaberin hervorgebracht hatte. Während alle anderen noch wie erstarrt dastanden – die meisten hatten ohnehin nichts gegen den Tod des unerbittlichen Suggestors einzuwenden –, handelte sie bereits. Ein rascher Schritt, ein stahlharter Griff, dem ein Schmerzenslaut des Barbaren folgte. Dann polterte die Waffe zu Boden, und Ra sah die Arkonidin zornbebend an. »Sie halten zu ihm?« stieß er angewidert hervor. Karmina schüttelte den Kopf. »Nein, ich halte nicht zu ihm. Ich hasse ihn nicht weniger als Sie, aber in meiner Gegenwart soll
16 kein Mord geschehen, den ich verhindern kann. Und es ist doch zweifellos Mord, wenn man jemand tötet, der sich nicht wehren kann, nicht wahr?« In der Zentrale der ISCHTAR war es totenstill geworden. Die Strukturtaster hatten ihren Geist aufgegeben, die Blitze waren verpufft, die Alarmpfeifen wieder verstummt. Die Umstehenden konzentrierten sich nun auf das stumme Duell, das nach diesen Worten zwischen Ra und der arkonidischen Sonnenträgerin stattfand. Der Barbar senkte als erster den Blick. »Natürlich haben Sie in Ihrer Weise recht«, gab er grollend zu. »Mit Ihrem Dazwischentreten haben Sie uns aber die Chance genommen, uns von der Unterdrückung durch diesen Unmenschen zu befreien! Das müssen Sie doch wohl zugeben?« Ein leichtes Lächeln flog über Karmina Arthamins Gesicht. »Sie irren sich, Ra – es geht auch anders! Akon-Akon ist ohne Bewußtsein, seine Macht ist von uns genommen. Er kann uns nicht mehr schaden, wenn wir jetzt dafür sorgen, daß es auch so bleibt.« Für einen Moment sah Ra ausgesprochen verblüfft aus, aber dann zog ein breites Grinsen über sein dunkles Gesicht. »Ausgezeichnet, dieser Gedanke könnte von Atlan persönlich sein. Ich nehme alles zurück, Karmina, so weit hatte ich eben noch nicht gedacht. Das Erbe meiner barbarischen Vergangenheit schlägt eben immer noch durch …« Die Arkonidin winkte ab. »Das hat auch seine Vorteile, wenn es hart auf hart geht. Doch jetzt müssen wir uns beeilen, ehe der junge Mann wieder zu sich kommt. Eine Verbindung zur Medostation, aber schnell!« Sie selbst wachte mit schußbereitem Paralysator, bis wenige Minuten später die Ärzte der ISCHTAR in der Zentrale ankamen. Eine Hochdruckspritze mit einem Betäubungsmittel entleerte ihren Inhalt in Akon-Akons Blutbahn, und der Bauchaufschneider Albragin nickte Karmina befriedigt zu. »Das dürfte für mindestens einen Tag rei-
Harvey Patton chen, denke ich. Allen Göttern Arkons sei Dank, daß wir es endlich einmal soweit gebracht haben! Sie können sich darauf verlassen, daß wir alles tun werden, um diesen Zustand so lange wie möglich anhalten zu lassen.« Der unschädlich gemachte Suggestor wurde auf einer Antigravtrage zur Medostation gebracht, und unter der Besatzung des Schiffes machte sich eine fast ausgelassene Stimmung breit. Für alle war es eine Erlösung, endlich wieder tun und lassen zu können, was sie aus freien Stücken wollten. Nur Karmina Arthamin vergaß den unfreiwilligen Gast von Kledzak-Mikhon nicht. Snayssol stand noch immer regungslos da und hatte das Geschehen zwar erleichtert, aber verständnislos verfolgt. Er hatte kaum die Hälfte davon begriffen, weil ihm das Wissen um die Zusammenhänge abging. Die Arkonidin wandte sich an Ra. »Wir werden aller Voraussicht nach doch nicht auf dem Planeten landen, und es wäre sinnlos, ihn woandershin mitnehmen zu wollen. Nehmen Sie ein Beiboot und bringen Sie ihn wieder nach Kledzak-Mikhon zurück. Wenn Sie ihn weit genug von dem Kampfplatz absetzen, dürfte für ihn keine Gefahr mehr bestehen.« Der Barbar nickte. »In Ordnung, Karmina. Was soll aber anschließend geschehen?« Karmina Arthamin lächelte. »Sobald Sie zurück sind, werden wir starten. Wir fliegen zurück nach Ketokh, um Atlan und Fartuloon abzuholen – hatten Sie etwas anderes gedacht?«
* Die Sensation war perfekt. Das Große Tor von Sewo-Bonth hatte sich aufgetan, zum ersten Male in der Geschichte der Loghanen. Noch wußte niemand, wohin es führen mochte, doch das würde sich herausfinden lassen, sofern es lange genug in Betrieb blieb. »Phantastisch!« flüsterte Rassafuyl über-
Das Erbe der Akonen wältigt. »Das ist genau der passende Rahmen für die Feiern zum Abschluß des Spieles. Arbeiten die beiden anderen Großtore auch?« Die Frage galt Tamoyl, der inzwischen eine Blitzverbindung zu deren Standorten hatte herstellen lassen. Er drehte sich nun um und schüttelte den Kopf. »Nein, dort hat sich bisher nichts Derartiges ereignet. Die Erben waren sehr verwundert über meine Anfrage. Sie wissen noch nicht, was in Sewo-Bonth geschehen ist.« »Ich verstehe das nicht ganz«, warf Kenyol nachdenklich ein. »Ich hatte stark angenommen, daß die anderen Tore auch in Betrieb wären, denn ein Tor ohne Gegenstation kann doch keinen Zweck erfüllen. Vielleicht müssen sie aber auch erst aktiviert werden. Wir sollten uns bei Dammyol erkundigen, auf welche Weise ihm die Inbetriebnahme gelungen ist.« Die Sprechverbindung nach Sevvo-Bonth stand, und Rassafuyl gab dem Leiter des Aufnahmeteams die Anweisung, den Anführer der Erben ans Mikrophon zu holen. Dammyol kam, verneigte sich und sah die Mitglieder des Triumvirats mit deutlichem Stolz an. Sein Bild wurde in die untere Hälfte des Panoramas der Transmitterhalle eingeblendet. »Es ist ein großer Tag für Kledzak-Mikhon«, meinte Rassafuyl wohlwollend und anerkennend. »Wie haben Sie es geschafft, das Tor zu aktivieren, Dammyol?« Der junge Erbe sah ihn verwundert an. »Geschafft …?« wiederholte er verständnislos. »Wir haben gar nichts unternommen, Hoher Rat. Ich war gerade dabei, den anderen Anweisungen für die Abschlußfeier zu geben, und da geschah es ganz plötzlich. Wir waren zu Tode erschrocken, als es auf einmal laut krachte und grelle Blitze aufzuckten. Im nächsten Moment stand der Torbogen, und daraufhin habe ich Sie sofort verständigen lassen. Seitdem hat sich hier nichts verändert.« »Es ist gut, Dammyol«, sagte der Rat. »Passen Sie weiterhin gut auf, versuchen Sie
17 vorsichtig, anhand der Kontrollinstrumente herauszufinden, worauf das Ereignis zurückzuführen ist. Die Bildverbindung bleibt bis auf weiteres bestehen.« Er schaltete den Sprechkanal ab und wandte sich langsam um. Der angegraute Pelz auf seiner Stirn kräuselte sich, die spitzen Ohren vibrierten nervös. »Ich habe den Eindruck, daß Dammyol dieser Situation nicht gewachsen ist«, meinte er. »Vielleicht wäre es ratsam, daß wir uns selbst nach Sevvo-Bonth begeben? Wir verfügen über eine weit größere Erfahrung als die Jungen dort.« Tamoyl nickte. »Daran habe ich auch schon gedacht, Rassafuyl. Dann sollten wir uns aber beeilen, denn es ist durchaus möglich, daß sich das Tor ebenso plötzlich wieder abschaltet, wie es aktiviert worden ist. Der Bogen steht jetzt zwar schon etwa sechs Minuten, aber niemand kann wissen …« Er unterbrach sich erschrocken, denn Kenyol hatte einen gurgelnden Laut ausgestoßen. Er war im Moment der einzige, der auf den Bildschirm geachtet hatte, und nun wies er mit zitternden Fingern auf die Mattscheibe. »Da – sehen Sie doch! Zwei Gestalten sind aus dem Tor gekommen … Ihr Götter, das darf doch nicht wahr sein!« ächzte er panikerfüllt. Die beiden anderen Räte fuhren herum, und augenblicklich sträubte sich ihnen der Pelz. Die Schwärze inmitten des Torbogens hatte zwei Männer ausgespien, die nun in verkrümmter Haltung dicht vor der Transmitteranlage lagen. Doch es waren keine Loghanen, es waren … »Die Ahnen …!« keuchte Rassafuyl fassungslos. »Kein Zweifel, sie müssen es sein, ihre Erscheinung stimmt genau mit den alten Bildern überein.« »Sie kommen zurück!« sagte Tamoyl mit tonloser Stimme. »Bis jetzt sind es nur zwei, aber bestimmt werden die anderen bald folgen. Wir müssen …« Er verstummte mitten im Satz, denn im gleichen Moment brach Kenyol zusammen.
18 Seine Gestalt verkrampfte sich, neigte sich dann langsam zur Seite und fiel schwer zu Boden. Dort streckte er sich mit einem röchelnden Laut und lag dann ganz still da. Rassafuyl sprang auf und beugte sich über ihn. »Er ist tot!« stellte er nach einem Blick in die gebrochenen Augen fest. »Er hatte ohnehin ein schwaches Herz, das dieser Aufregung nicht gewachsen war. Das hat uns gerade noch gefehlt.« Er wandte sich um und bemerkte, daß Tamoyl überhaupt nicht mehr ansprechbar war. Er zitterte am ganzen Körper, hielt sich krampfhaft an seinem Sessel fest und starrte aus blicklosen Augen auf den Bildschirm. Der doppelte Schock war auch für ihn zuviel gewesen, mit ihm war vorerst nicht zu rechnen. Nun lag die ganze Verantwortung auf Rassafuyls Schultern, und der Rat handelte sofort. »Wir müssen sie töten, sonst kann es zu einer Katastrophe kommen!« murmelte er entschlossen vor sich hin. Nur wenige Erben, meist Mitglieder der Regierung, waren in das Geheimnis der Abstammung der Loghanen eingeweiht. Nur sie wußten, daß ihre Vorväter künstlich gezüchtete Geschöpfe gewesen waren, die erst die Herrschaft über den Planeten übernommen hatten, als ihre Schöpfer spurlos verschwanden. Niemand wußte mehr, wie lange das schon zurücklag. Trotzdem hatten die wenigen Eingeweihten immer befürchtet, daß die Ahnen eines Tages zurückkehren könnten. Das hätte das Ende des eigenständigen Daseins der Loghanen bedeutet, es hätte für das ahnungslose Volk ein grausames Erwachen gegeben. Rassafuyl war entschlossen, es nicht soweit kommen zu lassen. Er sah wieder auf den Bildschirm und überzeugte sich davon, daß die beiden Gestalten immer noch regungslos vor dem Großen Tor lagen. Offenbar waren sie von weither gekommen und hatten dabei einen Schock erlitten, der sie vorerst handlungsunfähig machte. »Das ist gut!« knurrte der Rat und schal-
Harvey Patton tete die Sprechverbindung nach SevvoBonth wieder ein. Auch dort herrschte Aufregung, aber nicht jene Bestürzung, die Rassafuyl erfüllte. Weder die Erben noch die Techniker ahnten auch nur entfernt, welch ungebetene Gäste bei ihnen erschienen waren. Dammyol kam zum Mikrophon und wollte berichten, aber der Hohe Rat unterbrach ihn sofort. »Machen Sie schnell, Dammyol«, sagte er und gab sich keine Mühe, seine Erregung zu unterdrücken. »Holen Sie sofort Waffen – die beiden Körper, die aus dem Tor gekommen sind, sind ohne jede Rücksicht zu vernichten!« Der junge Erbe war bestürzt und wollte etwas einwenden. Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er den gnadenlosen Ausdruck in Rassafuyls Augen bemerkte. »Sofort, Hoher Rat«, gab er zurück und eilte davon.
* Der Eingeborene saß am Tisch und studierte einige Bogen aus einem papierähnlichen Material. Ich sah durch seine Augen, aber ich interessierte mich nicht im geringsten dafür. Ganz unvermutet war ich auf Fartuloon – oder vielmehr auf seinen Geist – gestoßen, und nun beherrschte uns beide die Freude über dieses Zusammentreffen. Schließlich schaltete ich meinen Gesichtssinn ganz ab, um nicht abgelenkt zu werden. »So also trifft man sich wieder«, stellte der Bauchaufschneider fest. »Kannst du dir erklären, wie es dazu gekommen ist?« Ich wollte mit den Schultern zucken, doch mangels Masse war dieser Versuch zum Scheitern verurteilt. »Ich weiß auch nicht mehr als du«, gab ich zurück. »Als Klinsanthor uns auf die Reise schickte, verlor ich das Bewußtsein, und als ich wieder zu mir kam, steckte mein Ich im Körper eines Sauriers. Es war ein übler Schock, aber inzwischen habe ich doch schon einiges gelernt, und deshalb bin ich jetzt hier.« »Verdammt, wo mögen nur unsere Körper
Das Erbe der Akonen geblieben sein?« murrte Fartuloon. Ich konnte jeden seiner Gedanken deutlich empfinden, es war wie bei den sonst üblichen Unterhaltungen mit meinem Extrahirn. »Irgendwie sind sie uns abhanden gekommen, und das ist ein eklig ungemütlicher Zustand. Statt auf Kledzak-Mikhon anzukommen, sitzen wir jetzt auf einer barbarischen Welt fest. Es ist zum Haareausraufen!« Unwillkürlich produzierte ich ein spöttisches Kichern. »Das würde dir schon im Normalzustand schwerfallen, Dicker! Deine Glatze war schon immer ein wahres Prachtexemplar. Jetzt aber Scherz beiseite: Wir müssen gemeinsam versuchen, einen Ausweg aus dieser prekären Lage zu finden. Oder hast du Lust, für ewig in einem Saurier zu hausen?« »Dumme Frage!« erwiderte der Bauchaufschneider. »Gut, fangen wir an, zu überlegen. Da ist einmal die Frage, ob sich diese Welt überhaupt in unserer Galaxis befinden mag. Anomalien im Grenzbereich zwischen dem Hyperraum und dem Normaluniversum, wie sie Klinsanthors Dimensionsfalte darstellt, können die seltsamsten Effekte hervorbringen.« Damit hatte er recht. Aus der Vergangenheit waren uns Fälle bekannt, bei denen Schiffe anläßlich von Transitionen in derartige Gebilde geraten waren. Manche waren in die Vergangenheit oder in die Zukunft geschleudert worden, andere wieder hatten ein Vielfaches der programmierten Entfernung zurückgelegt. Der Verbleib vieler anderer war ungeklärt geblieben, denn sie kamen nie mehr zum Vorschein. Es war gut möglich, daß sie in entfernte Galaxien geschleudert worden waren. »Eine berechtigte Frage«, räumte ich nachdenklich ein. »Doch wir sollten nicht gleich das Schlimmste annehmen, in diesem Fall könnten wir gleich aufgeben. Gehen wir einmal von der Voraussetzung aus, daß sich die Panne in gewissen Grenzen gehalten hat. Der Vorgang wurde schließlich durch Klinsanthors Instrumentarium gesteuert, der in dieser Hinsicht über beträchtliche Erfah-
19 rungen zu verfügen scheint.« »Hmmm …«, machte Fartuloon. »Das könnte bedeuten, daß wir uns in der Nähe des Zielplaneten befinden, den unsere Körper vielleicht erreicht haben, während unsere Egos durch hyperdimensionale Einflüsse von ihnen getrennt wurden. Unter diesen Umständen könnte es uns gelingen, sie innerhalb einer annehmbaren Zeitspanne wieder zu erreichen. Schließlich können wir uns aus eigener Kraft fortbewegen, und sogar mit beträchtlicher Geschwindigkeit. Theoretisch könnte uns also nichts daran hindern, den Planeten zu verlassen.« »Theoretisch könnten wir uns sogar mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit fortbewegen«, spann ich den Faden weiter aus. »Große Philosophen haben schon immer behauptet, daß der Geist eine übergeordnete Einheit wäre, dem nur durch das Gebundensein an den Körper Hindernisse auferlegt wären. Gut, nehmen wir das einmal als gegeben an. Dann brauchten wir also nur …« Meine Überlegungen wurden abrupt unterbrochen, denn plötzlich mischte sich eine fremde »Stimme« in unsere Unterhaltung ein. Es war Klinsanthor! »Ich habe festgestellt, daß Ihr Transport durch hyperdimensionale Einflüsse irregulär verlaufen ist«, teilte er uns gedanklich mit. »Ihre Körper sind wohlbehalten auf Kledzak-Mikhon angekommen, Ihre Bewußtsein dagegen nicht. Machen Sie sich aber deshalb keine Sorgen, ich werde das wieder in Ordnung bringen. Es dürfte allerdings einige Zeit dauern, bis die Anomalien in der Dimensionsfalte behoben sind und ich damit beginnen kann. Diese Zeit spielt aber für Sie keine Rolle, meine Anlagen werden eine entsprechende Kompensation bewirken. Wenn Ihre Bewußtseine wieder in Ihre Körper gelangen, wird keine nennenswerte Zeitspanne vergangen sein.« Der Ruf des Magnortöters verstummte und ließ uns in einem Zustand freudiger Erregung zurück. »Damit sind unsere Befürchtungen also gegenstandslos geworden«, meinte der
20 Bauchaufschneider, als wir wieder ruhiger geworden waren. »Klinsanthor hält sein Wort, er tut sogar noch mehr, als er versprochen hat. Somit brauchen wir uns also die nicht vorhandenen Köpfe nicht weiter zu zerbrechen, sondern können beruhigt abwarten, was weiter geschieht.« »Eigentlich ist es doch seltsam, daß wir beide automatisch zwei bedeutende Persönlichkeiten als Wirte gefunden haben«, überlegte ich. »Dein Ich ist in das Gehirn des hiesigen Stadtoberhaupts gelangt, während ich in dem eines Obersten Priesters des sogenannten ›Furchtbaren Gottes‹ herausgekommen bin.« »Ich finde das gar nicht so seltsam, Atlan. Vermutlich besitzen beide einen adäquaten Intelligenzquotienten, auf den wir angesprochen haben. Viel merkwürdiger erscheint mir, daß es überhaupt Saurierwesen mit Intelligenz gibt. Bisher war mir noch kein derartiger Fall bekannt. Normalerweise besitzen Echsen ja überhaupt kein Gehirn, sondern nur sogenannte Nervenknoten, durch die die Körperfunktionen gesteuert werden. Wir lernen eben nie aus, wie man sieht.« »Mein Wirt ist nicht nur intelligent, sondern ein ausgesprochen verschlagener Typ«, erinnerte ich mich. »Als ich in ihn ›fuhr‹, war er gerade dabei, das Volk seiner Stadt im Namen des Gottes zu einem Kriegszug gegen die Bewohner des Dunklen Landes aufzurufen. Das war natürlich reiner Betrug, denn in Wirklichkeit ging das Ganze von einem gewissen Warong aus, der so etwas wie der Stammesfürst zu sein scheint.« »Priester!« bemerkte Fartuloon abfällig. »Ich habe schon viele kennengelernt, aber kaum einer glaubte wirklich an das, was er seinen Gläubigen verkündete.« Er schwieg einen Moment und fragte dann konsterniert: »Diese Burschen planen also einen Krieg gegen das Dunkle Land? Das ist doch hier bei uns, Mann!« »Allerdings«, gab ich zurück. »Als ich die Stadt verließ, waren die Vorbereitungen bereits in vollem Gange. Es kann nur noch wenige Stunden dauern, bis Warongs Horden
Harvey Patton hier einfallen. Die ersten Voraustrupps waren schon auf dem Marsch.« »Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen!« ereiferte sich mein alter Lehrer. »Die Echsen hier entsprechen zwar nicht eben meinem Schönheitsideal, aber sie sind strebsame und friedliche Wesen. Wir müssen unbedingt etwas tun, um ihnen zu helfen oder sie wenigstens warnen, ehe es zu spät ist.« »Eben deshalb bin ich hierher gekommen, Bauchaufschneider. Die große Frage ist nur, wie wir das anstellen sollen! Vergiß nicht, daß wir körperlose Wesen sind, die keine Möglichkeit besitzen, sich irgendwie bemerkbar zu machen.« Konnten wir das wirklich nicht? Fast augenblicklich fiel mir ein, daß der Oberpriester meine Anwesenheit gespürt hatte, nachdem ich aus seinem Hirn geschlüpft war. Einen gewissen Einfluß schienen wir also doch bewirken zu können – vielleicht reichte er sogar aus, um die Saurierwesen gedanklich ansprechen zu können! Wir waren jetzt immerhin zu zweit und konnten unsere Geisteskräfte potenzieren. Ich teilte diese Überlegungen umgehend Fartuloon mit, und der Bauchaufschneider war wie elektrisiert. »Eine ausgezeichnete Idee, Kristallprinz. Meine Schulung war also doch nicht ganz umsonst, wie man sieht. Dieser Mornak, in dessen Gehirn wir uns befinden, dürfte für unser Anliegen genau der richtige Mann sein. Die Frage ist nur, wie wir es ihm beibringen sollen, ohne daß er zu Tode erschrickt.« Gemeinsam überlegten wir eine Weile und glaubten dann, eine brauchbare Methode gefunden zu haben. Wir konzentrierten uns voll auf Mornaks Gehirn und nahmen unser Vorhaben in Angriff.
5. Snayssol hatte sich wieder halbwegs beruhigt. Seine Scheu gegenüber den Arkoniden hatte sich jedoch noch immer nicht gelegt.
Das Erbe der Akonen Zu deutlich stand ihm immer noch jene Szene vor Augen, als er mit den Mitgliedern des regierenden Triumvirats zusammengetroffen war. Er war schon immer ein Sucher nach jener Wahrheit gewesen, die seiner Meinung nach tief irgendwo in der Geschichte der Loghanen verborgen lag. Er hatte darüber keine feste Meinung gehabt, weil ihm die richtigen Anhaltspunkte fehlten, sondern mehr instinktiv gespürt, daß es ein großes Geheimnis gab. Dann hatte man ihn mit der Wahrheit konfrontiert und ihm das Bild eines »Ahnen« gezeigt. Es war eine schreckliche Wahrheit gewesen, doch sie hatte ihm immer noch keine völlige Klarheit gebracht. Die letzte Antwort hatte ihm das Triumvirat verweigert und ihn statt dessen durch das Beginntor des großen Spiels geschickt. Angeblich, um ihm eine neue Chance zu geben – in Wahrheit war es ein verkapptes Todesurteil gewesen. Doch er war gerettet worden – ausgerechnet von Wesen, die dem Ahnen auf dem Bild so verzweifelt ähnlich sahen! Dieser Umstand hatte ihn in neue Gewissenskonflikte gestürzt, seine Scheu war also durchaus verständlich. Er fürchtete sich auch jetzt noch immer, obwohl die Bedrohung seines Daseins durch Akon-Akon vorüber war. Lediglich der Magnetier Vorry, der sich deutlich von den Wesen im Schiff unterschied, und der dunkelhäutige Barbar, der bei seinen Rettern gewesen war, schienen ihm weniger furchterregend. Ra hatte das instinktiv gespürt und sich seiner besonders angenommen. Es kam ihm deshalb gelegen, daß ihn Karmina Arthamin dazu bestimmt hatte, Snayssol nach Kledzak-Mikhon zurückzubringen. Er hatte zwei dienstfreie Männer der Schiffsbesatzung als Begleiter ausgewählt und befand sich nun mit ihnen und dem Loghanen auf dem Weg zum Beiboothangar. Ein transportabler Translator ermöglichte ihm die Verständigung mit dem Grünpelz, der ihn entfernt an einen Bären erinnerte.
21 »Wir werden dich jetzt auf deine Heimatwelt zurückbringen«, erklärte er Snayssol freundlich. »Euer sogenanntes großes Spiel ist jetzt vorüber, die Gefahr für dich dürfte also ausgestanden sein. Hast du einen besonderen Wunsch, wo du abgesetzt werden möchtest? Du hast doch sicher Familie oder Verwandte, die dich gern aufnehmen werden.« Der loghanische Erbe blieb stehen. Seine Augen mit den Schlitzpupillen waren überlegend zusammengekniffen, die vierfingrigen Hände nestelten am Kreuzgurt über seiner Brust. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf. »Ich kann mich jetzt auf keinen Fall dort sehen lassen, wo man mich kennt. Wahrscheinlich hat das Triumvirat längst den Befehl herausgegeben, mich bei meinem Auftauchen sofort festzunehmen. Sie haben schon einmal versucht, mich zu beseitigen, und sie werden es wieder tun. Ich kann mich nirgends auf Kledzak-Mikhon mehr sicher fühlen.« Ra hatte gleichfalls angehalten. »Ganz so schlimm kann es auch wieder nicht sein«, meinte er zuversichtlich. »Wenn wir dich in einer abgelegenen Gegend absetzen, wo dich niemand kennt, kannst du bestimmt unter einem falschen Namen einen Unterschlupf finden. Dort kannst du dann so lange abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist.« »Gras gewachsen?« fragte Snayssol verständnislos, dem diese Redewendung unbekannt war. Ra erklärte ihm, was er gemeint hatte, und sie gingen weiter. Kurz vor Erreichen des Beiboothangars machte sich der Loghane wieder bemerkbar. »Ich glaube einen solchen Ort zu kennen, Ra. In einer kleinen Stadt an der Nordspitze des Kontinents Parl-Jasgor lebt ein alter Verwandter von mir, bei dem ich mich in meiner Jugend oft aufgehalten habe. Ich habe ihn zwar lange nicht mehr gesehen, aber ich glaube nicht, daß er mich verraten würde. Er ist ein sehr gutmütiger Mann, früher war er ein bekannter Architekt.«
22 »Ausgezeichnet«, sagte der Barbar und führte ihn in die Zentrale des kleinen Bootes, während die beiden anderen Männer sich zu den Maschinenanlagen begaben. »Leider ist es in dieser Gegend jetzt erst Vormittag, wir können also nicht in der Nähe der Stadt landen. Ich werde dich in einer möglichst unbelebten Gegend irgendwo in der Umgebung absetzen. Von dort aus mußt du dich dann zu Fuß auf den Weg machen.« Snayssol schüttelte den Kopf. »Ich weiß etwas Besseres, Ra. Am Fuß der Berge unweit dieser Stadt befindet sich ein Ort, der seit Jahren verlassen ist. Die meisten Häuser wurden durch einen Steinschlag zerstört, aber das dortige Tor ist immer noch funktionsfähig und steht mit dem allgemeinen Netz in Verbindung. Von dort aus kann ich mich direkt in die Stadt begeben, es gibt einen Anschluß ganz in der Nähe von Garfulys Wohnung.« Ra nickte und leitete den Start ein. Ein kurzer Funkimpuls, dann glitt das Schott des bereits luftleeren Hangars auf, und das Boot schwebte ins Freie. Der Barbar zog die Karten zu Rate, die von Kledzak-Mikhon angefertigt worden waren und schlug dann den entsprechenden Kurs ein. Zwanzig Minuten später glitt das Beiboot mit geringer Geschwindigkeit dicht über der Oberfläche des Nordmeers auf den Kontinent Parl-Jasgor zu. An dieser Stelle fiel das Randgebirge steil direkt in den Ozean ab, in dieser unwegsamen Gegend gab es keine loghanischen Ansiedlungen. Ra manövrierte das Boot geschickt zwischen den Bergen hindurch, bis die landeinwärts gelegene Ebene in Sicht kam. Dann landete er nach Snayssols Anweisung in einem schmalen Canyon, von dem aus bereits der zerstörte Ort zu sehen war. Er begleitete den Loghanen zur Schleuse, aber dort zögerte Snayssol. »Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du hier noch eine Weile warten würdest, Ra. Vielleicht geht doch etwas schief, so daß ich wieder fliehen muß. Dann wüßte ich nicht mehr, wohin ich mich wenden sollte, wenn
Harvey Patton ihr nicht mehr da seid.« Ra runzelte die Stirn und wollte bereits absagen. Doch dann gewann das Mitleid mit dem schwer geprüften Grünpelz die Oberhand und er stimmte zu. »In Ordnung, ich gebe dir zwanzig Minuten. Wenn du bis dahin nicht zurückgekommen bist, starte ich auf jeden Fäll. Wir dürfen keine Zeit verlieren, der Abflug des Schiffes nach Ketokh steht unmittelbar bevor.« Snayssol bellte einen Dank und entfernte sich dann in langen Sprüngen. Der Barbar begab sich in die Zentrale des Bootes zurück und verständigte die ISCHTAR über Funk. Karmina Arthamin zeigte sich sehr ungehalten, sah dann aber doch ein, daß der Loghane nicht einfach einem ungewissen Schicksal ausgeliefert werden konnte. Sie wies Ra an, sich so sehr als möglich zu beeilen und hatte das Gespräch gerade beendet, als ein Alarmruf aus der Medostation kam. Der Arzt Albragin meldete sich, und sein Gesicht drückte höchste Bestürzung aus. »Kommen Sie schnellstens zu uns herunter, Karmina – mit Akon-Akon stimmt etwas nicht!«
* »Besteht Lebensgefahr für ihn?« fragte die arkonidische Sonnenträgerin knapp, als sie in der Medostation angelangt war. Albragin zuckte mit den Schultern. »Wir haben noch keine definitiven Feststellungen treffen können, Kommandantin. Durch den Überschlagblitz hatte er leichte Verbrennungen erlitten, aber sie konnten uns nicht vor ernsthafte Probleme stellen. Wir haben sie entsprechend behandelt, die Heilung ist in vollem Gang. Die jetzt aufgetretenen Komplikationen sind vollkommen anderer Natur.« Karmina Arthamin sah ihn verweisend an. »Sie machen viele Worte, ohne aber damit etwas zur eigentlichen Sache zu sagen, Bauchaufschneider! Wenn Mediziner sich derart umständlich ausdrücken, sind sie
Das Erbe der Akonen meist ratlos, das weiß ich aus meinen Erfahrungen bei der Imperiumsflotte. Sie werden mir doch wenigstens die aufgetretenen Symptome nennen können, hoffe ich?« Albragin zuckte unwillkürlich zusammen, als sie diesen strengen Ton anschlug. Er strich sich fahrig durch das bereits gelichtete helle Haar, die rötlichen Augen wirkten verkniffen. »Natürlich kann ich das, Sonnenträgerin«, gab er unmutig zurück. »Rein äußerlich ist dem Patienten nichts anzumerken, aber die an seinen Körper angelegten Kontrollinstrumente spielen seit einigen Minuten verrückt. Sie zeigen plötzlich derart unsinnige Werte an, daß er eigentlich gar nicht mehr am Leben sein dürfte, wenn diese Angaben stimmen.« Sie hatten inzwischen die Krankenkabine erreicht, in der Akon-Akons Körper reglos auf einem Schwebebett ruhte. Man hatte ihn festgeschnallt, aber Karmina war klar, daß diese Vorsichtsmaßnahme eigentlich völlig überflüssig war. Wenn von diesem jungen Mann wirklich eine Gefahr drohen sollte, – dann spielte sein Körper nur eine sehr untergeordnete Rolle. Seine Kräfte lagen auf einem gänzlich anderen, rein psychischen Gebiet. Sie starrte in das wachsbleiche Gesicht und sah, wie sich seine Brust in langsamen Atemzügen hob. Akon-Akon stand nach wie vor unter der Wirkung des betäubenden Mittels. Seine Augen waren geschlossen, von seinem suggestiv begabten Gehirn gingen keinerlei beeinflussende Emissionen aus. Die Arkonidin schüttelte langsam den Kopf und sah wieder den Arzt an. »Was sagen Ihre Instrumente nun wirklich, Albragin?« fragte sie erneut. »Ich bitte um präzise Angaben, drücken Sie sich aber bitte allgemeinverständlich aus. Meine Stärke liegt auf anderen Gebieten, von der medizinischen Terminologie verstehe ich nicht allzuviel.« Albragin winkte seine beiden Gehilfen beiseite, die mit schußbereiten Paralysatoren bei dem Krankenbett Wache hielten. Sie ga-
23 ben den Blick auf den kleinen Medocomputer frei, von dem aus zahlreiche Kabel zu Akon-Akon führten. An ihnen saßen die Sensoren, die man an seinem Körper befestigt hatte. »Bitte sehen Sie selbst«, meinte er und wies auf die Anzeigen des Computers. »Das hier ist beispielsweise die Angabe seiner Körpertemperatur. Vor zehn Minuten lag sie noch um drei Grad zu hoch – jetzt ist sie um zwei Grad zu niedrig! Hier sehen Sie den Blutdruckmesser, der jetzt Werte anzeigt, die doppelt über normal sind, während es vor zehn Minuten vierzig Prozent zu wenig waren. Ähnlich ist es auch mit allen anderen Angaben, die Werte schwanken ständig. Das ist es, was ich nicht verstehe, Kommandantin.« »Haben Sie den Computer überprüft?« erkundigte sich Karmina mit gerunzelter Stirn. Der Arzt nickte. »Natürlich, denn zuerst dachte ich auch, daß die Fehlerquelle bei ihm zu suchen wäre. Er ist jedoch vollkommen in Ordnung, ich habe Kontrollmessungen an mir selbst durchgeführt. Als ich die Sensoren wieder an Akon-Akons Körper anlegte, begannen die Schwankungen aber von neuem. Ein ständiges Auf und Ab, das kein normaler Mensch aushalten kann.« »Dieser junge Mann ist kein normaler Mensch«, belehrte ihn die Sonnenträgerin lakonisch. Sie überlegte einen Moment und fragte dann: »Halten Sie es für möglich, daß die Anzeigen des Computers irgendwie durch ihn beeinflußt werden?« Albragin sah sie verwundert an. »Ein Medocomputer ist ebenso unbestechlich wie alle Positroniken, Kommandantin. Ich wüßte nicht, wie jemand seine Sensoren irgendwie beeinflussen könnte. Ein Mann unter dem Einfluß eines starken Betäubungsmittels ist dazu erst recht nicht in der Lage.« Karmina Arthamin lächelte leicht. »Das dürfte sich leicht feststellen lassen, Bauchaufschneider. Entfernen Sie jetzt sämtliche Sensoren und führen Sie dann mit einfachen mechanischen Geräten verglei-
24 chende Messungen durch. Sie verfügen doch sicher über die entsprechenden Instrumente?« Der Arzt nickte mit skeptischem Blick und befolgte ihre Anordnung. Schon nach der Temperaturmessung schüttelte er verwundert den Kopf, und seine Verwirrung stieg in den nächsten Minuten weiter. Schließlich legte er seine Instrumente beiseite und sah die Arkonidin mit dem Blick eines Mannes an, der die Welt nicht mehr verstand. »Sämtliche manuell erzielten Werte sind vollkommen normal!« meinte er mit schwankender Stimme. »Das ist mir erst recht unbegreiflich, Kommandantin, aber Sie haben augenscheinlich recht. Wie ist das nur zu erklären?« Karmina lächelte wieder. »Ganz einfach, wenn man erst einmal auf den richtigen Gedanken gekommen ist. Akon-Akons Bewußtsein ist zwar ausgeschaltet, aber sein Unterbewußtsein arbeitet trotz der Betäubung weiter! Von ihm müssen irgendwelche Störimpulse ausgehen, die geeignet sind, den Medocomputer zu beeinflussen. Wie das geschieht, werden wir wohl kaum feststellen können, da es für parapsychische Aktivitäten bisher noch keine Kontrollmöglichkeit gibt. Ihre Sorgen waren auf jeden Fall unberechtigt. Trotzdem ist es gut, daß Sie mich verständigt haben, denn nun wissen wir wenigstens, woran wir sind.« Albragin nickte langsam. »Ihre Erklärung leuchtet mir voll ein, Kommandantin. Schlagen Sie irgendwelche besonderen Maßnahmen in bezug auf den Patienten vor?« Karmina Arthamin lachte humorlos auf. »Nach wie vor ist natürlich erhöhte Vorsicht geboten, denn dieser ›Patient‹ darf keine neue Chance bekommen, uns unter sein geistiges Joch zu zwingen. Ihn daran zu hindern, ist bis auf weiteres Ihre vordringliche Aufgabe, Albragin! Später wird Atlan selbst entscheiden, was weiter mit ihm geschehen soll.« Sie verließ die Medostation, und der Arzt sah ihr kopfschüttelnd nach. Er hatte die
Harvey Patton Sonnenträgerin schon immer heimlich verehrt, aber nun war seine Hochachtung vor ihr noch um einige Grade gestiegen.
6. Karwonz zuckte leicht zusammen und strich sich mit der linken oberen Hand über die Augen, die unter dicken hornigen Wülsten lagen. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam ihn, sekundenlang verschwamm das Bild der Schriftzeichen auf den Notizblättern vor ihm. Sollten das bereits erste Anzeichen von Überarbeitung sein? Er war erst seit einigen Dekaden das Oberhaupt der kleinen Stadt, aber er hatte große Pläne. Das Dunkle Land war eine ausgesprochen fruchtbare Gegend, doch die landwirtschaftlichen Erträge ließen trotzdem zu wünschen übrig. Karwonz führte das darauf zurück, daß immer dieselben Pflanzen am gleichen Ort angebaut wurden. Vielleicht begann der Boden gewisse Ermüdungserscheinungen zu zeigen, und dem wollte er abhelfen. Er hatte in tagelanger Arbeit neue Bebauungspläne ausgearbeitet und war dabei, sie noch einmal zu überprüfen. Seine erste größere Amtshandlung sollte es sein, diese Pläne den Pflanzern vorzulegen. Sie würden nicht sehr erfreut sein, doch er hoffte, sie schnell von der Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme überzeugen zu können. Wenn er ihnen ausmalte, wie sich ihr Verdienst ohne große Mühe erhöhen würde, würden sie ihm bestimmt zustimmen. Daß die Stadt ebenfalls davon profitierte, weil sich die Abgaben entsprechend erhöhten, konnte sein Ansehen nur steigern. Er hatte sich voll auf seine Pläne konzentriert. Wie kamen nun plötzlich so seltsame Gedanken in seinen Kopf, die damit überhaupt nichts zu tun hatten? War die Idee, daß Warong einen Kriegszug gegen das Dunkle Land planen könnte, nicht einfach lächerlich? Was sollten diese unbegründeten Gedanken? Doch sie waren nun einmal da und lenk-
Das Erbe der Akonen ten ihn ab; und je länger er sich ihnen hingab, um so plausibler erschienen sie ihm! Warong war ein Tyrann, das wußte Karwonz seit langem. Seine Herrschaft basierte hauptsächlich auf Unterdrückung, und die Priester des Furchtbaren Gottes Ramanak unterstüzten ihn dabei. Ihr Einfluß auf ihn war groß – sollten sie ihn jetzt wirklich soweit gebracht haben, einen Überfall auf das reiche Dunkle Land zu planen …? Karwonz schüttelte unwillig den mächtigen Kopf, doch diese unerfreulichen Gedanken ließen sich einfach nicht verdrängen. Sie gewannen schließlich soviel Macht über ihn, daß er den hornigen Schwanz gegen den Boden stemmte und sich aus seinem Sitz erhob. Vielleicht waren seine plötzlichen Befürchtungen unbegründet, vielleicht aber auch nicht. Es konnte jedenfalls nicht schaden, wenn er einige schnelle Späher ausschickte, um die Wege zu Warongs Stadt zu kontrollieren. Seine Ordnungshüter waren sehr verwundert, als er unvermutet bei ihnen auftauchte und ihnen entsprechende Befehle gab. Sie kannten ihn als einen eifrigen und ehrgeizigen jungen Mann, der aber seine Fähigkeiten erst noch unter Beweis zu stellen hatte. Doch er war ihr Vorgesetzter, und so führten sie seine Anordnung aus, obwohl sie ihnen sinnlos erschien. Noch nie hatte Warong es gewagt, etwas gegen das Dunkle Land zu unternehmen. Warum wollte er es jetzt auf einmal versuchen wollen? Sie wurden eines Besseren belehrt. Eine Stunde später raste ihr Anführer durch die schmalen Straßen der Stadt, als würde er von Dämonen verfolgt. »Krieg!« schrie er mit trompetender Stimme. »Eine gewaltige Streitmacht aus dem Oberen Land ist im Anmarsch – Warongs Horden greifen uns an!« Minuten später befand sich die kleine Stadt der Saurierwesen in hellem Aufruhr. Von allen Seiten strömten die wehrfähigen Männer zusammen, um die Anordnungen des Stadtoberhaupts zu vernehmen. Karwonz wußte nun, daß seine völlig unmoti-
25 vierten Gedanken genau zur rechten Zeit gekommen waren. Die Ordnungshüter hatten von dem einzigen großen Hügel der Umgebung aus, der einen weiten Blick ins Obere Land erlaubte, die Annäherung von Warongs Streitmächt beobachten können! In spätestens zwei Stunden mußten sie kommen, und das war sehr wenig Zeit. Karwonz überlegte nicht lange, sondern schickte umgehend Boten in die gesamte Umgebung aus. Vielleicht würde es nicht mehr gelingen, den Feind am Einmarsch in seine Stadt zu hindern, und das war bitter. Sobald sich jedoch alle wehrhaften Männer der Umgebung vereinten, mußte Warong eine vernichtende Schlappe erleiden, das stand für ihn fest. Fartuloon und ich beobachteten die Vorbereitungen der Saurier mit gespannter Aufmerksamkeit. »Dieser Karwonz verfügt über ein bemerkenswertes taktisches und organisatorisches Geschick«, bemerkte ich schließlich. »Er verzettelt seine geringen Streitkräfte nicht, sondern setzt sie genau dort an, wo er Warongs Horden am wirkungsvollsten entgegentreten kann. Dadurch kann er sie zumindest für eine Weile aufhalten, und inzwischen werden laufend Verstärkungen eintreffen. Ich glaube, daß wir uns um das weitere Geschick des Dunklen Landes nicht mehr viel Sorgen zu machen brauchen.« Fartuloon stimmte mir zu. »Wir könnten aber noch einiges tun, um ihnen zu helfen«, meinte er dann. »Wenn wir jetzt Karwonz verlassen und in Warongs Gehirn schlüpfen, können wir zusätzlich Verwirrung unter den Angreifern stiften. Wir beeinflussen ihn unmerklich soweit, daß er vollkommen unsinnige Anordnungen gibt, und dann …« Seine Überlegungen wurden im nächsten Moment gegenstandslos. Abrupt verschwand die Landschaft des Saurierplaneten, als uns ein gewaltiger Sog erfaßte und aus Karwonz' Hirn riß. Klinsanthor hatte eingegriffen – die Reise nach Kledzak-Mikhon ging weiter. Hoffentlich schaffen sie es! dachte ich
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Harvey Patton
noch, ehe mein Ich in einer alles umfassenden wesenlosen Schwärze versank.
* Snayssol lief, so schnell er konnte. Trotz seiner Eile sah er sich immer wieder verängstigt um. Der kleine Ort war zwar zerstört und verlassen, aber zuweilen fanden sich doch einzelne Loghanen dort ein. In der Bergwildnis gab es jagdbare Tiere, und ein Teil der Bewohner von Kledzak-Mikhon ging gern auf die Jagd. Ein solcher Ausflug war für sie kein Problem. Sie gingen in ihrem Heimatort in einen Transmitter und kamen gleich darauf irgendwo heraus, wo das Revier direkt vor ihrer Nase lag. Das war einer der Gründe dafür, daß auch dieses Tor hier noch immer betriebsbereit gehalten wurde. Doch der Erbe hatte Glück. An diesem Vormittag war weit und breit niemand zu sehen. Das Spiel der Schwarzen Tore hatte für Ablenkung gesorgt, niemand wollte die Übertragung der Endfeiern versäumen. Snayssol wand sich zwischen den Steinen und Trümmern hindurch. Außer Atem kam er bei dem betreffenden Gebäude an. Es war ebenfalls schwer mitgenommen, aber sein Eingang war freigemacht worden. Noch ein rascher Blick in die Umgebung, dann schlüpfte der junge Loghane in die Station. Er hatte es vorerst geschafft. Obwohl er es eilig hatte, ließ er nun doch noch einige Minuten verstreichen. Er mußte sich erst erholen und seinen Pelz glattstreichen, ehe er sich auf den Weg machte. In der kleinen Stadt, die sein Ziel war, würde ihn vermutlich kaum noch jemand erkennen. Wenn er aber verstört und abgekämpft dort ankam, mußte er unweigerlich Aufsehen erregen. Endlich hatte er sich beruhigt und hergerichtet. Nun sah er wenigstens äußerlich ruhig und unverdächtig aus. Er trat entschlossen in das Transportfeld. Die Umgebung verschwand vor seinen Augen und wurde übergangslos durch eine andere abgelöst.
Auch diesmal ging alles gut. Die Transmitterstation war im Augenblick leer, niemand hatte seine Ankunft beobachtet. Noch einmal holte Snayssol tief Luft, dann verließ er das Gebäude und trat auf die Straße hinaus. Er hätte rennen mögen, doch er bewegte sich gemächlich wie jemand, der viel Zeit hat. Daß sein Vorgehen richtig war, zeigte sich bald. Ihn trafen zwar die neugierigen Blicke der Passanten, aber niemand schenkte ihm besondere Aufmerksamkeit. Sein Herz begann ruhiger zu klopfen, als er dann in die schmale Seitenstraße einbog, in der sein Großonkel wohnte. Garfuly war zu einem Einzelgänger geworden, seit seine Lebensgefährtin gestorben war. Er hatte sich hier in diesem Nest vergraben, wo er nur selten Besuch bekam. Als bekannter Baumeister hatte er früher genug verdient, um einen sorgenlosen Lebensabend zu haben. Trotzdem saß er auch jetzt noch die meiste Zeit über vor Zeichnungen und Entwürfen. Er träumte davon, vor seinem Tode noch ein Bauwerk zu schaffen, das seinesgleichen auf dem ganzen Planeten suchte. So traf ihn auch Snayssol an. Garfuly erhob sich überrascht, seine alten Augen blinzelten den Eintretenden an. Erst nach einigen Sekunden erkannte er ihn und kam mit ausgestreckten Händen auf ihn zu. »Snayssol, mein Junge! Wie schön, daß du dich auch wieder einmal bei mir sehen läßt. Sonst kommt nie jemand zu mir, und mit den Leuten hier im Norden kann ich mich einfach nicht anfreunden. Sie sind so ganz anders wie wir, jeder denkt immer nur an sich. Komm, du mußt dir gleich ansehen, was ich hier entwerfe. Eine Ruhmeshalle, die gleich neben dem Regierungspalast in Poal-To stehen soll – ganz Kledzak-Mikhon wird staunen, wenn sie einmal fertig ist.« Er ist wirklich alt geworden, dachte der Erbe, während er ihn begrüßte. Garfulys Pelz hatte sich gelichtet, die grauen Strähnen darin waren nicht zu übersehen. Nun mühte er sich ab, um noch einmal etwas Großes zu
Das Erbe der Akonen schaffen. Ein aussichtsloses Beginnen, das wußte selbst Snayssol. Es gab Tausende von jungen Männern mit neuen Ideen, die ihn längst überholt hatten. Natürlich hütete er sich, das auszusprechen. Er sagte einige anerkennende Worte und nahm dann den Becher mit Donrep entgegen, den ihm der Alte reichte. Beide tranken, und dann erkundigte sich der Erbe vorsichtig: »Ist es dir recht, wenn ich einige Tage bei dir bleibe? Ich habe frei, und du weißt, daß ich immer gern bei dir gewesen bin. Vielleicht kann ich dir irgendwie helfen.« Garfuly winkte ab. »Das kommt gar nicht in Frage, Junge. Im Gegenteil, solange du hier bist, werde ich einmal nichts tun. Du mußt mir viel erzählen, ich erfahre ja kaum noch, was draußen in der Welt so vor sich geht. Was machen unsere lieben Verwandten?« Snayssol entspannte sich und gab die gewünschten Auskünfte. Ja, hier war er sicher, das stand nun für ihn fest. Dieser alte Mann ging ganz in seinen eigenen Angelegenheiten auf, er wußte nichts davon, was sich inzwischen draußen ereignet hatte. Daß ihn jemand besuchte, von dem er es erfahren konnte, war kaum zu befürchten. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß behaglich die Augen. Doch im nächsten Moment fuhr er wie vom Schlag getroffen hoch, und sein Pelz begann sich zu sträuben, als eine fremde Stimme aufklang. »… noch immer Unklarheit über den Verbleib des Erben Snayssol, der während des Spieles der Schwarzen Tore verschwand«, sagte sie. »Obwohl es dabei Zeugen gab, konnte noch nicht festgestellt werden, was auf dem betreffenden Kampfplatz nun wirklich geschehen ist. Die Aussagen widersprechen sich so sehr, daß man an ihrer Glaubwürdigkeit starke Zweifel haben muß. Inzwischen ist aber vom regierenden Triumvirat der Befehl ausgegeben worden, Snayssol sofort festzunehmen, sobald er irgendwo auftauchen sollte. Er hat sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht, und deshalb
27 …« Rasend vor Wut und Enttäuschung schlug Snayssol auf die Aus-Taste des Videogeräts, das Garfuly gerade eingeschaltet hatte. Es war bestimmt seit langem nicht mehr in Betrieb gewesen, der Alte hatte es nur angestellt, um ihm einen Gefallen zu tun. Und das ausgerechnet jetzt, im ungünstigsten Moment! Der Erbe drehte sich langsam um und begegnete dem kalten Blick seines Großonkels. »Ach, so ist das also!« knurrte Garfuly erbittert. »Du bist also nur zu mir gekommen, um dich hier zu verbergen, weil du dich anderswo nicht mehr sehen lassen kannst … Nein, Junge, das kannst du mit mir nicht machen. Wie kann ich noch darauf hoffen, daß meine Ruhmeshalle einmal gebaut wird, wenn ich einem Gesetzlosen helfe. Verlaß mich wieder, aber schnell!« Snayssol wollte sich verteidigen, aber der Alte winkte nur verächtlich ab. »Spare dir die Worte, sie sind umsonst. Der einzige Gefallen, den ich dir noch tun will, ist der, daß ich deine Anwesenheit nicht den Behörden melde. Verschwinde von hier, augenblicklich!« Wortlos folgte der Erbe dieser unerbittlichen Aufforderung. Er schleppte sich hinaus, seine Füße waren wie aus Blei. Nun wußte er wirklich keinen Ort mehr, an dem er sich verbergen konnte. Automatisch schlug er den Weg zur Transmitterstation ein, und plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke, der ihm wieder Hoffnung gab. Der dunkelhäutige Mann aus dem Fahrzeug der Fremden hatte ihm versprochen, noch einige Zeit auf ihn zu warten! Vielleicht war diese Spanne noch nicht verstrichen – vielleicht war er noch da? Snayssol begann zu rennen, ohne sich um die verwunderten Blicke zu kümmern, die ihm folgten.
*
28 Die Aufregung und Verwirrung in der Transmitterhalle des Großen Tores von Sevvo-Bonth hatte ihren Höhepunkt erreicht. Niemand wagte sich näher als bis auf zwanzig Schritte an den Transmitter heran. Er war nach wie vor in Betrieb, der energetische Ring spannte sich noch immer über das wesenlose schwarze Nichts. Auch die beiden fremden Männer lagen immer noch regungslos dicht vor ihm auf dem Boden, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben. Keiner der Anwesenden ahnte, um wen es sich dabei handeln mochte und woher die beiden gekommen waren. Weder die Erben noch die Videotechniker hatten jemals Wesen gesehen, die ihnen auch nur entfernt glichen. Ihr Körperbau ähnelte zwar dem der Loghanen, aber das war auch schon alles. Man fand sie häßlich und furchterregend mit ihren bleichen, unbepelzten Gesichtern. Der eine hatte wenigstens auf dem Kopf langes helles Haar. Der Schädel des anderen dagegen war vollkommen kahl und wirkte direkt widerwärtig. Daß er unterhalb der Mundpartie ein dichtes Gewirr aus dunklem Pelz besaß, konnte diesen Mangel nicht ausgleichen. Rassafuyl hätte sie aufklären können, aber daran war ihm nicht das geringste gelegen. Zusammen mit Tamoyl, der sich inzwischen wieder gefaßt hatte, beobachtete er noch immer vom Regierungsgebäude aus die Szene. Er fieberte vor Erregung, denn jeden Augenblick konnten die beiden Ahnen erwachen und aktiv werden. Wo blieben nur die beiden Erben, die sich entfernt hatten, um Waffen zu holen? Der Rat schaltete wieder die Sprechverbindung ein. »Warum brauchen die beiden so lange?« herrschte er den in der Nähe des Nachrichtengeräts befindlichen Erben an. Der junge Mann zuckte zusammen. »Es wird nicht leicht für sie sein, sich Waffen zu beschaffen, Hoher Rat«, erwiderte er verschüchtert. »Das hiesige Arsenal ist leer, man hat alles fortgeschafft; weil es für die Spieler gebraucht wurde.« »Auch das noch!« bellte Rassafuyl, der
Harvey Patton immer nervöser wurde. Rasch unterbrach er die Verbindung und rief dafür den Begtan der Polizeitruppe an, deren Aufgabe es war, den Regierungspalast zu bewachen. »Setzen Sie augenblicklich fünfzig Männer mit voller Bewaffnung nach SevvoBonth in Marsch«, befahl er. »Sie sollen die Halle des Großen Tores aufsuchen und umstellen. Ein Kommando von zehn Mann soll in die Halle eindringen und die beiden Fremden töten, die dort durch das Große Tor gekommen sind. Sie haften mir persönlich dafür, daß nichts schiefgeht, Kimyul!« Der Begtan verstand nur die Hälfte, aber der drängende Ton in den Worten des Rates hielt ihn von zeitraubenden Rückfragen ab. Er hatte einen eindeutigen Befehl gegeben, und Kimyul war ein guter Beamter, dem Gehorsam über alles ging. »Sofort, Hoher Rat«, versicherte er, und Rassafuyl lehnte sich aufatmend zurück. Nun wußte er seine Sache in guten Händen. Selbst wenn noch Dutzende von Ahnen aus dem Transmitter kommen sollten, sie würden keine Chance haben, irgendwelches Unheil auf Kledzak-Mikhon anzurichten. Kaum zwei Minuten später setzte sich die Polizeitruppe in Marsch. Ihre Station verfügte über einen eigenen Transmitteranschluß, eine Sonderschaltung sperrte jede private Reise nach Sevvo-Bonth. So konnten die fünfzig Männer ohne jeden Verzug dorthin gelangen. Sie kamen etwa zweihundert Meter von der Halle des Großen Tores entfernt heraus, formierten sich und marschierten im Eiltempo auf sie zu. Inzwischen war es aber auch Dammyol und seinem Begleiter gelungen, bei Bekannten zwei Flammenstrahler aufzutreiben. Es waren zwar nur Jagdwaffen mit relativ geringem Wirkungsgrad. Zur Tötung von zwei bewußtlosen Männern mußten sie aber jeden Fall vollauf genügen. Dammyol war durchaus nicht wohl in seinem Pelz. Sein Spezialgebiet war die Technik, nicht das Töten. Er war zwar schon einige Male auf die Jagd gegangen und wußte mit den Strahlern umzugehen. Es war aber
Das Erbe der Akonen doch ein Unterschied, ob man diese auf irgendwelche Tiere richtete oder auf Männer, auch wenn diese Fremde waren. Doch auch er tröstete sich damit, daß der Befehl dazu von Rassafuyl gekommen war, der ihn und seine Folgen zu verantworten hatte. Zweifellos würde ihm der Rat hinterher eine einleuchtende Erklärung geben können, er war immerhin einer der höchsten Regierungsbeamten. Daß er persönlich zusehen würde, war eine zusätzliche Triebfeder für den jungen Erben. Er eilte mit seinem Begleiter in die Halle. Dort hatte sich in der Zwischenzeit nichts verändert. Noch immer lagen die beiden regungslosen Gestalten vor dem Torbogen, die anwesenden Loghanen standen in respektvoller Entfernung da. Dammyol drängte sie beiseite und ging auf den Transmitter zu. Als er nun die beiden Fremden vor sich sah, erschien es ihm schon weit weniger bedenklich, sie zu töten. Sie waren häßlich genug, besonders der Dicke mit dem kahlen Kopf. Er trug einen verbeulten Brustharnisch und ein breites Schwert, was kaum auf eine friedliche Gesinnung des Besitzers schließen ließ. Auch der andere schien nicht ungefährlich zu sein, denn an seiner Hüfte befand sich eine Waffe, die entfernt den loghanischen Flammenstrahlern glich. Es sah so aus, als wären beide geübte Kämpfer, und Dammyol lag nichts daran, es auf eine Probe ankommen zu lassen. Nein, es war schon besser, sie sofort umzubringen, ehe sie wieder erwacht waren. Er hob die Waffe, und sein Untergebener folgte seinem Beispiel.
7. Die Bardonier waren wirklich zähe Gegner. Sie waren uns wohl hoffnungslos unterlegen, aber trotzdem kam unsere Offensive einfach voran. Sie verteidigten die Grenzen ihres kleinen Reiches mit einem Mut und einer Verbissenheit, die uns immer wieder Bewunderung abnötigte.
29 Ich saß in einem kleinen Flugzeug, das hoch über ihren Linien kreiste. Durch die gläserne Kabine konnte ich die Landschaft unter mir sehen, und sie bot keinen erfreulichen Anblick. Tausende von Granaten und Bomben hatten sie umgepflügt, tiefe Trichter gähnten überall. Und doch krallten sich die Bardonier förmlich in diesem zerrissenen Boden fest. Irgendwie brachten sie es auch immer wieder fertig, Nachschub für ihre Kämpfer heranzubringen. Nacht für Nacht wurden neue Geschütze in Stellung gebracht, deren Feuer unseren Bodentruppen entgegenschlug, wenn sie im Morgengrauen zum Sturm ansetzten. Auf diese Weise hatten sie bereits drei große Angriffe abgeschlagen, und an den anderen Frontabschnitten war die Lage nicht viel anders. Ich richtete die Kamera neu ein und machte eine weitere Aufnahme. Von hier aus konnte man nicht erkennen, wo sich der Feind eingegraben hatte, aber die Fotos würden es zutage bringen. Gleich nach der Landung wurden sie entwickelt und ausgewertet. Dann bekamen die Geschützbatterien über Funk die entsprechenden Anweisungen, und bald danach würde sich erneut ein Granatenhagel über das gequälte Land ausschütten. »Feindlicher Jäger von hinten!« gellte die Stimme meines Heckschützen auf. Das war auch so etwas, das wir einfach nicht verstehen konnten: Immer wieder wurden die Flugplätze der Bardonier von unseren Kampffliegern bombardiert, sämtliche Rollfelder glichen nur noch Sturzäckern. Und doch schafften sie es immer wieder, Flugzeuge in die Luft zu bringen, von denen wir auch nicht wußten, woher sie überhaupt kamen. Hunderte hatten wir schon in der Luft und am Boden zerstört, aber wenn es darauf ankam, tauchten immer wieder neue auf. So auch jetzt. Meine Maschine war nur klein und relativ langsam, lediglich als Beobachter zu gebrauchen. Mehr als zweihundert Kilometer in der
30 Stunde schaffte die müde Karwa nicht, und das einzige Maschinengewehr im Heck besaß mehr symbolischen als wirklichen Wert. Die Jäger der Bardonier waren zwar auch nicht größer, dafür aber erheblich schneller und besser bewaffnet. Außerdem agierten die feindlichen Piloten mit einem Geschick und einer Verbissenheit, die ihresgleichen suchte. Ich mußte zu entkommen versuchen, das war mir klar. Sofort drosselte ich den Motor, fuhr die Bremsklappen an den Tragflächen aus, und mein Vogel ging im Sturzflug nach unten. Keine Sekunde zu früh, denn schon raste ein Geschoßhagel heran, ging aber über uns ins Leere. Natürlich war der Bardonier aus der Sonne gekommen, so daß Rasold ihn erst im letzten Moment hatte entdecken können. Ich fluchte lautlos vor mich hin und ließ die Maschine noch weiter durchsacken. Erst im letzten Augenblick fing ich sie ab, raste dicht über dem Boden dahin und auf unsere Linien zu. »Das wäre noch einmal gutgegangen, Rasold!« sagte ich erleichtert. Der Jäger war weit über uns weggeschossen und hatte nun keine Chance mehr, uns noch zu erreichen. Seine Schnelligkeit brachte es mit sich, daß er eine weite Kurve fliegen mußte, um wieder in Gegenrichtung zu kommen, und in der Zwischenzeit mußten wir über unserem Gebiet angelangt sein. Dorthin konnte er uns nicht folgen, ohne ein Opfer unserer dicht gestaffelten Abwehrgeschütze zu werden. Ich entspannte mich und schnitt meinem Bild im Rückspiegel eine Grimasse. Mein zuvor erblaßter Schnabel nahm wieder seine gesunde rote Farbe an, der Federkamm auf meinem Kopf richtete sich wieder auf. Noch zehn Minuten, dann konnten wir sicher landen und hatten für den Rest des Tages frei. Dann wartete schon Linbela in ihrem Nest auf mich, und dieser Abend … Mein ganzer Körper versteifte sich, als plötzlich von unten her etwas hart gegen die Maschine schlug. Einen Augenblick lang hatte ich ganz vergessen, daß wir uns immer
Harvey Patton noch über feindlichem Gebiet befanden, und das rächte sich nun! Irgendeiner dieser verrückten Bardonier mußte mit seinem eigentlich nur für den Bodenkampf gedachten Maschinengewehr auf uns gefeuert haben, und er hatte getroffen. Der Kabinenboden wurde förmlich zersägt. Rasold stieß einen erstickten Schrei aus, und ich selbst spürte einen brennenden Schmerz im linken Bein. Doch auch der Motor hatte etwas abbekommen – er begann zu stottern, und die Drehzahl des Propellers sank beängstigend rasch ab. Es wurde ernst für mich, beim Großen Ei! Mein linkes Bein ließ sich nicht mehr bewegen, unter meinem Sitz bildete sich rasch eine Blutlache. Verbissen arbeitete ich mit dem rechten Bein und beiden Händen, aber die Maschine gehorchte dem Steuerknüppel einfach nicht mehr. Beängstigend schnell rasten wir dem Boden zu – es war aus! Ich warf einen letzten Blick hinter mich und sah, daß Rasold bereits tot war. Nun, das ersparte ihm etwas, das ich noch vor mir hatte. Doch ich wollte nicht sterben, ich war ja noch so jung … Alles in mir sträubte sich gegen das unabwendbare Schicksal, und plötzlich fühlte ich mich seltsam frei. Im gleichen Moment wurde ich mir auch wieder meiner wahren Identität bewußt. Ich war Atlan, der Kristallprinz von Arkon, und nicht der Pilot Egnal aus der Luftflotte von Gersanien! Allerdings immer noch körperlos und eben dabei, meinen bisherigen Träger zu verlassen, dessen Lebensuhr abgelaufen war. Ich sah, wie das primitive Flugzeug trudelnd und nun auch brennend weiterstürzte, bis es auf einem Feld aufschlug. Die Nase bohrte sich tief in den weichen Boden, und schon Sekundenbruchteile später explodierten die Treibstofftanks. Das war auch Egnals Ende – der Krieg gegen die Bardonier hatte ein weiteres Opfer gefordert. Hätte ich einen Kopf besessen, würde ich ihn jetzt verzweifelt geschüttelt haben. Warum gab es nur überall im Universum immer
Das Erbe der Akonen wieder Kampf und Kriege? »Sind das deine ganzen Sorgen?« machte sich da Fartuloon vorwurfsvoll bemerkbar. »Ehe du dir Gedanken über das Schicksal fremder Wesen machst, solltest du erst einmal an das unsere denken! Klinsanthor hat offenbar versucht, uns wieder mit unseren Körpern zu vereinigen, aber das ist schiefgegangen. Ich beginne allmählich daran zu zweifeln, ob es ihm überhaupt gelingen wird.« »Ganz bestimmt«, behauptete ich zuversichtlich. »Er hat es uns versprochen, auch wenn das im Grunde nur aus eigennützigen Motiven heraus geschehen ist. Eigennutz ist aber bekanntlich eine der stärksten Triebfedern, deshalb wird er uns keinesfalls im Stich lassen.« »Hoffen wir es«, gab das Ich meines alten Lehrers mit deutlich spürbarer Skepsis zurück. »Wenn es der Anomalie in der Dimensionsfalte einfallen sollte, sich tagelang zu halten, könnte sein Vorhaben trotz seiner großen technischen Möglichkeiten doch scheitern. Und was wird dann aus uns?« Dieser Gedanke gefiel mir auch nicht sonderlich. Zwar hatte der Magnortöter gemeint, Zeit würde keine Rolle spielen, aber das erschien mir zunehmend unsicher. Irgendwo mußten unsere Körper jetzt hilflos herumliegen, vermutlich auf Kledzak-Mikhon. Ob unsere Gehirne auch wie gewohnt weiterarbeiten mochten, um die motorischen Körperfunktionen aufrechtzuerhalten? Wenn das nicht geschah, bekamen auch die Hirne keinen Sauerstoff mehr zugeführt. Dann waren sie nach Ablauf einer Viertelstunde so schwer geschädigt, daß auch unsere Rückkehr ihnen das Leben nicht mehr zurückgeben konnte! Doch Fartuloon hatte mich zu einem pragmatischen Mann erzogen, und so schob ich diese Gedanken von mir. Wir konnten nichts an unserem Schicksal ändern, also war es sinnlos, sich Gedanken darüber zu machen. Ich suchte nach Ablenkung, und sie war nicht schwer zu finden. »Wir sollten uns einmal weiter auf diesem
31 Planeten umsehen«, schlug ich vor. »Es sieht so aus, als kämpfte hier ein kleines Volk gegen eine große Übermacht. Worum es eigentlich geht, habe ich durch Egnal nicht erfahren können, aber zweifellos handelt es sich um einen Eroberungsfeldzug der Gersanier. Die Bardonier können unmöglich die Angreifer gewesen sein, dazu sind sie viel zu schwach.« Der Appell an den Gerechtigkeitssinn des Bauchaufschneiders erzielte auch den gewünschten Erfolg. Fartuloon zog sofort eine Parallele zu unserem Wirken unter den Echsen und stimmte mir zu. Gemeinsam setzten wir uns in Bewegung und schwebten auf das Land der Bardonier zu.
* »Das ist ja geradezu unmenschlich!« empörte sich Fartuloon schon nach kurzer Zeit. Ich mußte ihm recht geben, denn was wir inzwischen festgestellt hatten, ließ sich kaum anders ausdrücken. Bardonien war ein kleines Land, das nach allen Seiten hin von seinem Feind eingeschlossen war. Es grenzte nach Norden hin an ein großes Meer, aber auch dieses wurde von den Gersaniern beherrscht. Sie hatten eine totale Blockade errichtet, ihre Kampfschiffe machten jede Versorgung über die See hinweg unmöglich. Die Bardonier hungerten, und das nun schon seit langem. Daß sie überhaupt noch Widerstand leisten konnten, lag an den reichen Rohstoffvorkommen in ihrem Gebiet, auf die es der Gegner abgesehen hatte. Ihre Rüstungswerke wurden immer wieder bombardiert, aber irgendwie schafften sie es dennoch, ihre aufopfernd kämpfenden Truppen ausreichend zu versorgen. Daß sie das aber nicht unbegrenzt tun konnten, war uns bald klar. So tapfer sie auch waren, eines Tages mußten sie der Übermacht erliegen. Wir hatten diese Informationen direkt aus erster Hand. Es war uns gelungen, das bardonische Hauptquartier ausfindig zu machen, und in den Gehirnen der dortigen Offi-
32 ziere hatten wir die erforderlichen Informationen gefunden. Es war uns ohne Schwierigkeiten gelungen, nicht nur ihre Gespräche, sondern auch ihre Gedanken zu belauschen. So konnten wir uns ein umfassendes Bild von der Situation machen. Sie war tatsächlich hoffnungslos. Selbst die größten Optimisten unter den Bardoniern rechneten damit, daß ihr Land in spätestens zwei Monaten am Ende sein würde. Die Überlegenheit der Angreifer war einfach zu groß und konnte auf die Dauer auch durch Heldenmut nicht wettgemacht werden. Dabei gehörten beide Parteien derselben vogelähnlichen Spezies an, selbst in der Sprache gab es kaum Unterschiede. »Wir müssen ihnen helfen«, entschied Fartuloon kategorisch. Das war auch meine Meinung, und so begannen wir zu überlegen, wie das am besten zu bewerkstelligen war. Die Vogelwesen waren in ihrer Entwicklung weit hinter uns Arkoniden zurück. Ihre Fabriken wurden ausschließlich durch Dampfmaschinen betrieben, an die Ausnützung der Atomkraft hatte man bisher noch nicht einmal theoretisch gedacht. Ihre neuesten Errungenschaften waren die Verbrennungsmotoren, durch die sowohl Bodenfahrzeuge wie auch Flugzeuge angetrieben wurden. Es gab auch weder Radio noch Fernsehen, nur eine Übermittlung von Signalen auf Funkbasis. Das Kriegsgeschehen wurde allein durch den Einsatz von Handfeuerwaffen, Geschützen und Bomben mit Explosivstoffen bestimmt. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, den Bardoniern den Bau von Strahlwaffen zu ermöglichen, die ihnen bald ein kriegsentscheidendes Übergewicht verschaffen würden. Doch schon nach kurzer Zeit ließ ich ihn wieder fallen. Solange es bei ihnen nicht einmal die erforderlichen Grundbegriffe gab, war das ein aussichtsloses Unterfangen. Das gleiche galt auch für atomare Waffen, und ich begann bereits mutlos zu werden. Fartuloon hatte schließlich den richtigen Einfall.
Harvey Patton »Sie kennen noch keine gepanzerten Fahrzeuge!« teilte er mir triumphierend mit. »Dabei würde es ihnen gar nicht schwerfallen, solche zu bauen, die Voraussetzungen in Technik und Material sind gegeben. Nur einige hundert Kampfpanzer, mit Geschützen und Flammenwerfern ausgerüstet, und die Bardonier überrennen den Feind in kürzester Zeit.« »Eine vorzügliche Idee«, stimmte ich ihm zu. Den Gehirnen der Offiziere hatten wir auch entnommen, wo die größten Rüstungswerke lagen, und nun eilten wir dorthin. Nach kurzer Suche machten wir einen Konstrukteur ausfindig, der im Augenblick mit der Arbeit an einem neuen weittragenden Geschütz beschäftigt war. Das war der richtige Mann. Behutsam drangen wir in sein Gehirn ein und begannen seine Gedanken zu beeinflussen. Sormul ließ mitten in einem Zeichenstrich die Krallenhand sinken, sein bunter Federkamm auf dem Kopf stellte sich steil auf. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und überlegte, ohne zu bemerken, daß wir es waren, die behutsam seine Denkprozesse steuerten. Gleich darauf kam ein krächzender Jubellaut aus seinem edel geformten Schnabel. Hastig richtete er sich wieder auf, nahm ein neues Blatt zur Hand und begann eifrig zu zeichnen. Innerhalb weniger Minuten entstand die Skizze eines Panzerwagens mit Raupenketten und einem schwenkbaren Geschütz in seinem Turm. Erstaunt bemerkten wir, daß er von sich aus noch zusätzlich die Anlagen für zwei Maschinengewehre konzipierte, ohne dazu einen Denkanstoß erhalten zu haben. »Der Mann ist in Ordnung«, kommentierte Fartuloon anerkennend. Schon nach wenigen Minuten griff Sormul zu seinem Fernsprechgerät und rief aufgeregt seinen Vorgesetzten an, um ihm seine grandiose Idee mitzuteilen. Gleich darauf bevölkerte sich das Konstruktionsbüro mit einem halben Dutzend weiterer Männer. Schon nach den er-
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sten Erläuterungen begannen auch sie laut zu jubeln, aber ihr Überschwang legte sich schnell wieder. Statt dessen überlegten sie nüchtern und präzise, wie und wo sie den Bau der Kampfwagen in Angriff nehmen konnten, ohne daß feindliche Spione vorzeitig davon erfahren konnten. »Das ist die Rettung für Bardonien!« sagte schließlich der Leiter der Fabrik. »Sormul, ich beglückwünsche Sie. Ihr genialer Einfall wird nicht nur Tausenden unserer Männer das Leben retten. Ich bin davon überzeugt, daß das plötzliche Auftauchen der Panzerwagen an der Front den Feind so demoralisieren wird, daß wir noch den Sieg davontragen werden.« Weder Fartuloon noch ich vermochten seine Begeisterung voll zu teilen. Diese neue, in Wirklichkeit aber uralte Erfindung mußte unweigerlich eine Unzahl weiterer Opfer fordern, nur eben auf der anderen Seite der Front. Nur der Gedanke, daß wir damit einer gerechten Sache dienten, machte uns das Ganze halbwegs erträglich. Wir führten schließlich einen ähnlichen Kampf. Wir verließen das Gebäude und machten uns nun auf den Weg nach Gersanien. Doch wir kamen nicht mehr weit – auf einmal erfaßte uns wieder der bereits bekannte Sog! Erneut hatte Klinsanthor gehandelt, und ein weiterer Sturz durch die Unendlichkeit der Dimensionen begann.
* Rassafuyl atmete auf, als die beiden Erben mit ihren Waffen endlich in der Transmitterhalle erschienen. Für seinen Geschmack war schon viel zuviel Zeit vergangen. Wären die beiden Ankömmlinge früher erwacht, hätte es die größten Unannehmlichkeiten geben können. Lebten sie überhaupt noch? Oder hatte sie der starke Schock beim Durchgang durch das Große Tor getötet? Der Rat gab dem leitenden Nachrichtentechniker die Anweisung, sie in Großaufnahme auf den Schirm zu bringen. Vielleicht
war es gar nicht nötig, die Strahler überhaupt noch einzusetzen. In diesem Fall konnte man die Körper unauffällig verschwinden lassen und alle Anwesenden zu strengstem Stillschweigen verpflichten. Der Wink, daß sie zu den Teilnehmern am nächsten Spiel der Schwarzen Tore gehören würden, falls sie plauderten, mußte vollauf genügen. Doch Rassafuyl wurde enttäuscht. Tamoyl und er sahen deutlich, daß beide Männer noch atmeten. Also waren sie wirklich nur besinnungslos und konnten jeden Moment zu sich kommen. Die Räte griffen also nicht ein, sondern ließen die Erben ihr Werk vollenden. Als diese aber auf die Feuerknöpfe der Hitzestrahler drückten, erlebten sie eine gewaltige Überraschung. Im gleichen Moment begannen die Umrisse der beiden regungslosen Gestalten zu verschwinden. Es sah so aus, als würden sie entmaterialisiert wie bei einem Transmittersprung – aber sie verblieben an ihrem Platz. Sie wurden lediglich transparent, so daß man durch sie hindurch den Mosaikboden der Halle erkennen konnte. Die Thermostrahler trafen sie voll, aber sie schienen ihnen nicht zu schaden. Sie gingen scheinbar wirkungslos durch ihre Körper und trafen ungehindert auf den Stein. Rassafuyl und Tamoyl sahen, wie der Boden unter ihnen sich schwärzlich zu verfärben begann, und ihre Pelze begannen sich zu sträuben. Das konnte, durfte es einfach nicht geben! Und doch war es eine unbestreitbare Realität, die unbestechliche Kamera zeigte es ihnen deutlich …. Tamoyl begann zu wimmern und kroch vor Schreck in sich zusammen. Die alten Überlieferungen enthielten also die Wahrheit. Die Ahnen waren wirklich so mächtig, wie sie darin beschrieben wurden. Wenn sie nun nach Kledzak-Mikhon zurückkehrten – die Folgen waren nicht abzusehen! Rassafuyl aber gab nicht so leicht auf.
34 Auch ihm zitterten alle Glieder, aber er versuchte, die Übersicht zu behalten. Rasch ergriff er wieder das Mikrophon. »Weiterfeuern, Dammyol!« rief er mit überschnappender Stimme. »Diese Wesen müssen vernichtet werden, um jeden Preis.« Die beiden jungen Erben hatten sich dem Transmitter bis auf zehn Meter genähert, konnten also ebenfalls deutlich erkennen, was geschehen war. Sie waren vollkommen verstört, denn dieses Geschehen erschien ihnen erst recht unbegreiflich und unheimlich. Instinktiv wollten sie die Flucht ergreifen, aber die plötzlich aufdröhnende Stimme des Rates bannte sie an ihren Platz. Rassafuyl war zwar ein alter Mann, aber als Mitglied des regierenden Triumvirats besaß er große Macht. Wenn man seinen Befehlen nicht gehorchte, konnte das den Verweigerer ohne große Umwege ins nächste Gefängnis bringen. Die Erben nahmen also den letzten ihnen noch verbleibenden Mut zusammen und feuerten ein zweites Mal. Was diesmal geschah, gab ihnen den Rest. Wieder trafen die Flammen der Strahler nur den Steinboden, aber gleichzeitig ereignete sich etwas, das noch unfaßbarer erschien. Die beiden Körper blieben transparent, aber das große Schwert, das der kleinere Mann trug, nahm plötzlich wieder feste Formen an. Es schien die Energien förmlich in sich aufzusaugen, denn es begann sofort zu glühen. Zuerst nur in einem tiefdunklen Rot, dann jedoch in einem kalten, grellen Weiß. Dann zuckten Blitze aus ihm auf und den beiden Loghanen entgegen, und nun wandten sie sich endgültig zur Flucht, ihre Gefährten mit ihnen. Sie rasten kopflos davon, dem Ausgang der Transmitterhalle zu. Die Männer des Aufnahmeteams, die alles auf ihren Monitoren mit angesehen hatten, schlossen sich ihnen an. Gemeinsam liefen sie auf das große Tor zu, wirkungsvoll verhallte hinter ihnen die keifende Stimme Rassafuyls. Doch auch der Rat verstummte sehr schnell wieder. Noch immer stand die Groß-
Harvey Patton aufnahme der beiden Fremden auf seinem Bildschirm, und plötzlich stockte ihm der Atem. Das Glühen des Schwertes ließ schon nach kurzer Zeit wieder nach, die von ihm ausgehenden Entladungen erloschen. Dafür sah Rassafuyl nun, wie sich am Knauf der Waffe ein leuchtender Fleck zu bilden begann. Er strahlte in einem hellen Goldton auf, und dann erkannte der Loghane in dem Fleck deutlich ein Gesicht. Es war das Gesicht eines Ahnen, und es grinste ihn höhnisch und spöttisch an! Nun war es auch um Rassafuyls letzten Rest von Fassung geschehen. Er folgte Tamoyls Beispiel und schlug beide Hände vor das Gesicht, um diesen entnervenden Anblick nicht länger ertragen zu müssen. So sah er nicht mehr, wie sich die Gestalten vor dem Transmitter wieder zu verfestigen begannen. Sie wurden wieder voll materiell, und fast im selben Moment kam auch Leben in sie. Zuerst waren es nur zuckende, unkontrollierte Bewegungen, aber schon nach Sekunden ebbten sie wieder ab. Dafür öffneten sich nun die Augen der beiden Männer. Sie blinzelten zuerst, weil sie das grelle Licht des Transmitters blendete. Doch dann brach der Torbogen zusammen, die wallende Schwärze verschwand spurlos, das Arbeitsgeräusch der Kraftanlagen verstummte. Die Fremden erhoben sich und sahen sich in der unbekannten Umgebung um. Rassafuyl nahm die Hände wieder von den Augen, als ihm seine Ohren verrieten, daß sich in der Halle des Großen Tores erneut etwas verändert hatte. Nun sah er, daß die beiden Ahnen endlich erwacht waren, aber das überraschte ihn nicht mehr sonderlich. Damit war früher oder später zu rechnen gewesen. Sein Gehirn überwand die lähmende Lethargie, und gleich darauf nickte der Rat von Kledzak-Mikhon befriedigt vor sich hin. Diese zwei Männer waren allein gekommen! Das Große Tor war wieder außer Betrieb, es war also nicht damit zu rechnen,
Das Erbe der Akonen daß in nächster Zeit weitere Ahnen in SewoBonth eintreffen würden. Den Erben war es zwar nicht gelungen, die Ankömmlinge zu töten – aber immerhin befand sich der Begtan Kimyul mit seinen fünfzig Polizisten bereits in der Nähe der Transmitterhalle! Noch war also nicht alles verloren. Rassafuyl stürzte ans nächste Nachrichtengerät und befahl, augenblicklich eine Funkverbindung zu Kimyul herzustellen.
8. Ich hatte meinen Körper wieder! Diese Erkenntnis durchzuckte mich augenblicklich, als mein Ich wieder aus der Schwärze einer übergeordneten Dimension zurückfiel. Ein zwar unartikulierter, aber vertrauter Impuls meines Extrahirns gab mir diese Gewißheit. Klinsanthor hatte also doch nicht versagt, sondern irgendwie alle Schwierigkeiten bei unserem Transport überwunden. Auch mein Körper mußte die Zeit meiner »geistigen Abwesenheit« unbeschadet überstanden haben. Anders konnte es gar nicht sein, wenn das Gehirn als sein empfindlichster Teil sofort wieder seine Arbeit aufnahm. Im nächsten Moment empfing ich einen gedanklichen Impuls des Magnortöters. »Die Schwierigkeiten waren größer als erwartet, aber ich habe sie meistern können. Die Einheimischen von Kledzak-Mikhon haben versucht, Ihre Körper zu vernichten, doch ich konnte auch das verhindern. Damit habe ich meinen Teil unseres Abkommens erfüllt. Vergessen Sie nicht, nun auch das Ihre zu tun, sobald ich mich deswegen melde.« Die Mitteilung verstummte, und im nächsten Moment sprang ich hastig auf. Mein Körper sprach wieder auf die Umweltreize an, und die Gefühlsnerven meiner Kehrseite verrieten mir, daß der Steinboden, auf dem ich lag, ungemütlich heiß war. Fartuloon erging es ähnlich, denn auch er schnellte sofort hoch. Er griff nach dem Skarg und zog dann eine Grimasse.
35 »Man hat wohl versucht, uns zu rösten, wie es scheint. Kein sehr ermutigender Empfang für zwei Männer, die sich inzwischen geistig auf Irrwegen befanden. Es sieht so aus, als ob auch auf dieser Welt das Wort Toleranz aus dem Sprachschatz gestrichen worden wäre.« Ich kniff die Lippen zusammen und nickte nur. Wenn die intelligenten Wesen von Kledzak-Mikhon so rigoros auf das Auftauchen von zwei Fremden reagierten, sah es für uns wirklich nicht gut aus. Wir mußten also versuchen, schnellstens in Verbindung mit der Besatzung der ISCHTAR zu treten, denn unsere Ausrüstung war äußerst dürftig. Ich kam dabei noch am besten weg. Neben Malthors Flugaggregat besaß ich noch ein Armband-Funkgerät und einen Impulsstrahler. Der Bauchaufschneider dagegen hatte nur seinen uralten verbeulten Harnisch und das Skarg, und damit ließ sich nicht viel anfangen. Offenbar kannte man auch auf dieser Welt Energiestrahler, und das stimmte mich sehr bedenklich. Hätte uns der Magnortöter direkt in unser Schiff transportiert, wären uns vermutlich viele Schwierigkeiten erspart geblieben. Doch dann sah ich die große Transmitteranlage hinter uns und begriff. Auch ein Wesen wie Klinsanthor konnte keine Wunder wirken. In der ISCHTAR gab es keinen Transmitter, also hatte er uns notgedrungen hier absetzen müssen. Auch Fartuloon hatte sich inzwischen eingehend umgesehen, und plötzlich stieß er einen Ausruf der Überraschung aus. »Kaum zu glauben, Atlan – das hier ist eindeutig ein Produkt akonischer Technik! Verdammt, sollte es hier wirklich Akonen geben? Das würde mich sehr überraschen, nachdem sie doch spurlos von allen von ihnen beherrschten Welten verschwunden sind.« Er deutete auf einige weiter hinten in der Halle stehende Videokameras. »Es sieht ganz so aus, als wären wir hier mitten in eine Übertragung der hiesigen Bildfunkstationen hereingeplatzt. Das scheint die Leute
36 empfindlich gestört zu haben, deshalb hat man sofort auf unsere Körper geschossen. Was Klinsanthor zu ihrem Schutz unternommen hat, weiß ich nicht, es muß aber ziemlich wirkungsvoll gewesen sein. Die Angreifer sind jedenfalls Hals über Kopf geflohen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Sie sind zwar geflohen, aber sie können jederzeit mit Verstärkung zurückkehren. Wir haben nicht viel, das wir ihnen entgegensetzen können. Es wäre also angebracht, daß wir die Halle verlassen, ehe es zu spät ist.« Der Bauchaufschneider spähte zu dem großen Tor am Ende der Halle hinüber, das halb offen stand. »Diesen Weg zu nehmen, wäre jedenfalls kaum ratsam. Vermutlich würden wir den Akonen dort direkt in die Hände laufen. Es gibt aber noch Nebenräume, also sollten wir es dort versuchen.« Wir verließen den Transmitter und begaben uns zu der nächstgelegenen Tür an der rechten Seite. Sie stand halb offen, und man konnte ohne Schwierigkeiten erkennen, daß der dahinter gelegene kleine Raum für uns interessant war. Er enthielt nur allerhand Kram, offenbar persönliche Besitztümer der Leute, die hier beschäftigt waren. Einen Ausgang gab es nicht, nur ein kleines Fenster mit bunten Scheiben. Fartuloon winkte ungeduldig. »Komm weiter, wir müssen uns beeilen. Da draußen wird es lebendig. Offenbar haben die Geflohenen Verstärkung geholt, und man will uns jetzt mit Gewalt ans Leder.« Er stand schon an der nächsten Tür, die geschlossen war. Es gab keinen sichtbaren Öffnungsmechanismus, aber mein alter Lehrer wußte Rat. Er legte eine Handfläche gegen eine bestimmte Stelle der Füllung, und lautlos schwang die Tür vor uns auf. Dieser Raum glich dem ersten, aber er war vollkommen leer. Der Bauchaufschneider schüttelte enttäuscht den Kopf, wandte sich zum Gehen, zuckte aber sofort wieder zurück. Seine Hand wies auf das große Tor. »Da kommen sie schon! Verdammt, das sind ja gar keine Akonen! Alles so kleine
Harvey Patton Kerle mit grünem Fell, sie sehen eher wie Tiere aus. Vielleicht ein Hilfsvolk?« raunte er. Ich sah über seine Schulter und erkannte etwa zwei Dutzend Grünpelze, die vorsichtig hereingeschlichen kamen. Auf den ersten Blick machten sie mit ihren stumpfen Schnauzen und den spitzen Ohren wirklich den Eindruck von Tieren, zumal sie bis auf umgehängte Gurte vollkommen unbekleidet waren. Doch dieser Eindruck täuschte. Ihre vierfingrigen Hände hielten Waffen, deren Ähnlichkeit mit Impulsstrahlern unverkennbar war! Sie hatten uns noch nicht entdeckt, und so blieben wir hinter der halb geöffneten Tür stehen und verhielten uns still. Ich zog meine Waffe und machte sie schußbereit, aber sonderlich wohl war mir nicht in meiner Haut. Wir besaßen nur diesen einen Strahler, und die Übermacht war zu groß. Ihr solltet es mit Verhandlungen versuchen! riet mir mein Extrasinn. Solange man miteinander spricht, wird nicht geschossen. Da sie intelligent sind, müßten sie auch logischen Argumenten zugänglich sein. Ich grinste nur müde, zog diesen Vorschlag schließlich aber doch ernsthaft in Erwägung. Natürlich konnte es über den Ausgang solcher Verhandlungen kaum einen Zweifel geben. Unser unvermutetes Erscheinen in dem Transmitter schien den Pelzwesen einen gehörigen Schrecken eingejagt zu haben. Vielleicht sahen sie in uns Spione eines anderen Volkes, ich kannte die Verhältnisse in diesem System ja nicht. Auch wenn das nicht zutraf, war doch damit zu rechnen, daß sie unsere bedingungslose Kapitulation fordern würden. Die einzige Alternative dazu war der Kampf – und auch sein Ausgang war leicht abzusehen. Fartuloon sah mich schief an. »Ich weiß, daß du jetzt erwägst, dich zu ergeben«, meinte er leise. »Mach dir deswegen keine Illusionen, verehrter Kristallprinz! Ich traue den Grünen nicht über den Weg. Selbst
Das Erbe der Akonen wenn sie uns wider Erwarten am Leben lassen sollten, würden wir bestenfalls für unbestimmte Zeit in einem Gefängnis landen. Das darf nicht geschehen – vielleicht verläßt die ISCHTAR inzwischen das System wieder, und dann sitzen wir für ewig hier fest!« Ich zuckte mit den Schultern und spähte weiter in die Halle. Die Grünpelze trugen alle die gleichen Kreuzgurte, in deren Taschen Ersatzmagazine, Messer und ähnliche Dinge steckten. Das und die Tatsache, daß sie ausgesprochen systematisch vorgingen, ließ auf ihre Zugehörigkeit zu einer Militär- oder Polizeitruppe schließen. Sie bewegten sich geduckt voran und waren bemüht, immer im Schutz der dicken Säulen zu bleiben, die an beiden Seiten des Raumes aufragten. Noch hatten sie uns nicht entdeckt. Die immer noch brennenden Scheinwerfer des Fernsehteams leuchteten nur die Umgebung des Transmitters aus, während die übrige Halle in einem ungewissen Zwielicht lag. Vielleicht hatten wir doch noch eine Chance, ihnen zu entkommen, überlegte ich. Wenn wir versuchten … Wir hatten keine Chance! Meine Überlegungen wurden im Keim erstickt, ehe ich noch einen brauchbaren Gedanken formuliert hatte. Eine überlaute Stimme hallte plötzlich durch den Raum, unter der wir zusammenfuhren. Sie kam aus einem Lautsprecher, der zu der Videoanlage gehörte, und in diesem Moment war mir alles klar. Wir waren zwar die ganze Zeit seit unserem Erwachen allein gewesen, aber nicht unbeobachtet! Nicht nur die Scheinwerfer waren angeschaltet, auch die Aufnahmekameras liefen noch. Über sie hatte man alle unsere Bewegungen verfolgen können, und nun unterrichtete jemand unsere Gegner davon, wo wir uns jetzt aufhielten! Die Stimme sprach kein Idiom, das auch nur annähernd unserer arkonidischen Sprache glich. Es waren vollkommen fremde, abgehackt und bellend klingende Laute, von denen wir keine Silbe verstanden. Das war
37 aber auch gar nicht nötig, die Ereignisse sprachen für sich selbst. Die Angreifer warfen sich hinter den Säulen zu Boden, ihre Waffen zeigten in unsere Richtung. Gleich darauf schossen uns die ersten Strahlensalven entgegen. Ich feuerte nicht zurück, denn das wäre sinnlos gewesen. Statt dessen sprang ich zurück in den Raum und schlug die Tür hinter mir zu. Sie war aus Metall, schützte uns also für den Moment. Fartuloon stieß ein grimmiges Knurren aus. »Von wegen ergeben – da hast du die Antwort! Mach Platz, ich will ihnen das Eindringen in diesen Raum so schwer wie möglich machen.« Er zog das Skarg und stieß die Spitze der Klinge gegen eine bestimmte Stelle seitlich der Tür. Es knirschte laut, Funken sprühten aus, und der Geruch schmorender Isolationen schlug uns entgegen. Der Bauchaufschneider nickte befriedigt. »So, der Mechanismus ist hinüber. Jetzt müssen sie schon die Tür aufbrennen, wenn sie uns haben wollen, und das dauert eine Weile. Bis dahin sind wir längst draußen.« Er wies auf das Fenster, und ich mußte trotz unserer Lage unwillkürlich lächeln. Die Öffnung in der Mauer war höchstens fünfzig Zentimeter breit! Wie der korpulente Bauchaufschneider da durchkommen wollte, war mir ein Rätsel. »Grinse nicht, du Grünschnabel!« fuhr er mich barsch an. »Man kann alles, wenn es sein muß. Steck den Strahler weg und hilf mir, aber schnell!«
* Snayssol rannte um sein Leben. Bald schon fiel ihm das Laufen schwer, und er begann zu keuchen. Er hatte sich erst notdürftig von den Strapazen des Spieles der Schwarzen Tore erholt. Jetzt machten sich die Nachwirkungen unliebsam bemerkbar. Hinter der nächsten Straßenecke mußte er anhalten. Seine Glieder schmerzten, vor sei-
38 nen Augen begannen feurige Ringe zu tanzen. Erschöpft lehnte er sich in einem Hauseingang gegen die Tür und schnappte mit fliegenden Lungen nach Luft. Einige Frauen mit Einkaufstaschen kamen an ihm vorüber und warfen ihm befremdete Blicke zu. Schließlich kam eine alte Loghanin mit einem Jungen an der Hand. Sie blieb bei ihm stehen und sah ihn mitfühlend an. »Sind Sie krank, junger Mann?« erkundigte sie sich freundlich. »Dem kann abgeholfen werden, zwei Straßen weiter wohnt ein Arzt. Kommen Sie, ich führe Sie dorthin.« Sie streckte den Arm aus, aber Snayssol wehrte ab. »Nein, danke, es geht gleich wieder. Es ist nur eine momentane Schwäche, die nicht viel zu bedeuten hat. Ich war erst vor kurzem krank, und das macht sich bei der Hitze zuweilen noch bemerkbar.« Das klang plausibel, denn es war inzwischen tatsächlich sehr warm geworden. Der Sommer war hier im Norden des Kontinents nur kurz, dafür aber ausgesprochen heiß. Die langen Tage des Planeten, dessen Rotationszeit 34 Stunden betrug, trugen das ihre dazu bei. Geh doch weiter! betete der junge Erbe in Gedanken. Ich habe nur wenig Zeit – wenn ich das Fahrzeug der Fremden nicht mehr antreffe, ist alles verloren … Die Alte nickte. »Ja, das kenne ich. Sie sind noch jung, aber in meinem Alter fehlt es einem hier und da. Und wenn dann noch die Hitze dazukommt …« Sie hätte sich vermutlich noch lange über dieses Thema ausgelassen, aber irgendein Gott hatte Erbarmen mit Snayssol. Der Junge wurde ungeduldig und zog die Frau an der Hand. Sie gab ihm unmutig nach und ging weiter. Als sie um die Ecke verschwunden war, hatte sich der Erbe soweit erholt, daß er seinen Weg fortsetzen konnte. Er rannte wieder los, ohne sich um die Passanten zu kümmern, und hatte schließlich die Straße erreicht, in der die Transmitterstation lag.
Harvey Patton Obwohl die Zeit drängte, zwang er sich nun dazu, langsam zu gehen. Er wollte nicht im letzten Moment noch alles verderben. Zum Glück hatte er sich nur kurze Zeit bei seinem Großonkel aufgehalten, es konnte gerade noch reichen. Ein sinnloser Zorn auf Garfuly stieg in ihm auf. Der Alte hatte sich darüber beklagt, daß die Leute hier im Norden immer nur an sich selbst denken würden. Doch was hatte er gleich darauf getan? Er hatte auch nicht anders gehandelt und seinem eigenen Verwandten kalt die Tür gewiesen, als er sich in Not befand. Und das alles nur einer Ruhmeshalle wegen, die nie gebaut werden würde … Snayssol hatte den Eingang zur Transmitterstation erreicht. Einige Leute kamen ihm entgegen, aber er ging achtlos an ihnen vorbei. Jetzt konnte ihm nichts mehr geschehen. Nur noch wenige Sekunden, dann würde er durch das Tor gehen und gleich darauf in den Bergen ankommen. Der dunkelhäutige Mann würde bestimmt den Ort im Auge behalten und ihn sofort bemerken, wenn er dort auftauchte. Er würde ihn dann nicht im Stich lassen, selbst wenn die Wartezeit eigentlich schon abgelaufen war. Der Erbe sah nicht, wie sich plötzlich ein Mann nach ihm umdrehte, der eben aus der Station gekommen war. Um so größer war sein Erschrecken, als er dann die laute Stimme vernahm. »Haltet ihn auf, er darf nicht entkommen! Das ist der junge Mann, der überall von der Polizei gesucht wird. Ein Gesetzesbrecher, ich habe sein Bild im Videofunk gesehen …« Snayssol handelte spontan. In der Station befanden sich drei Männer, die gleichfalls den Transmitter benutzen wollten. Hinter ihm kam der Mann angelaufen, der ihn erkannt hatte und immer weiter seine Warnung schrie. Die anderen wurden aufmerksam und stellten sich ihm entgegen, aber die Angst verlieh dem jungen Erben zusätzliche Kräfte.
Das Erbe der Akonen Rücksichtslos stieß er alle Gegner beiseite und hatte damit Erfolg. Die Männer taumelten gegeneinander und hielten auch den vierten auf, der ihm nachgekommen war. Hastig betätigte Snayssol die Transmitterkontrollen, und vor ihm baute sich das Transportfeld auf. »Halt – Polizei!« bellte hinter ihm eine Stimme auf, aber das konnte ihn nun auch nicht mehr beeindrucken. Er warf sich vorwärts, in das Tor hinein, und im nächsten Moment stand er in der Gegenstation im Bergdorf. Ein rascher Knopfdruck, und der Transmitter war abgeschaltet. Snayssol wußte aber, daß ihm das nur einen minimalen Zeitgewinn verschaffte. Der Polizist in der Stadt brauchte nur die von ihm gewählte Einstellung erneut zu wählen, und schon würde die Verbindung wieder stehen. Doch vielleicht entschieden gerade die wenigen gewonnen Sekunden über sein weiteres Schicksal! Der junge Erbe hastete aus dem zerstörten Gebäude. Eilig wand er sich durch die Trümmer in der Umgebung, bis die Stelle in sein Gesichtsfeld kam, an der sich das Fahrzeug der Fremden befand. Es stand noch da …! Snayssol winkte aufgeregt, um sich den Insassen bemerkbar zu machen. Er konnte aber nicht mehr feststellen, ob diese ihn bemerkt hatten, denn schon klang vom Transmitter her ein wütendes Gebrüll auf. Der Polizist hatte schnell gehandelt, und mit ihm waren jene Männer gekommen, die der Erbe ebenso wenig rücksichtsvoll behandelt hatte. Erneut rannte Snayssol los. Ihm kam seine Ortskenntnis zugute, die ihn den kürzesten Weg zum Beiboot finden ließ. So gewann er trotz seiner Erschöpfung bald einen Vorsprung vor seinen Verfolgern. Der Polizist war jedoch nicht gewillt, sein Opfer entkommen zu lassen. Wenn er einen Gesetzesbrecher fing, der von der Regierung in Poal-To selbst angeklagt worden war, bedeutete das eine Anerkennung von höchster Stelle für ihn. Das war etwas, was einem einfachen Polizisten nur äußerst selten wi-
39 derfuhr, und diese Chance wollte er nicht versäumen! Er zog seinen Flammenstrahler, blieb stehen und wartete geduldig ab, bis der Erbe wieder in seinem Gesichtsfeld erschien. Dann drückte er ab, und dicht neben dem Flüchtling schlug der Feuerstoß in einem Mauerrest ein. Erschrocken ließ sich Snayssol zu Boden fallen. Dort blieb er liegen, denn er war nun wirklich am Ende seiner Kräfte. Er war seinem Ziel schon so nahe, ohne es jedoch noch erreichen zu können! Sobald er sich wieder erhob, mußte er ein leichtes Ziel für den Polizisten sein. Durch sein eigenes Keuchen hörte er die Geräusche der nahenden Verfolger, und noch einmal riß ihn sein Selbsterhaltungstrieb hoch. Sollte es gerade jetzt mit ihm zu Ende gehen, wo er einen kleinen Zipfel des Geheimnisses um die Ahnen gelüftet hatte? Nein, die unbarmherzigen alten Männer des Triumvirats in Poal-To sollten nicht triumphieren. Er sprang auf, mußte jedoch sofort wieder in Deckung gehen, denn der Polizist schoß erneut. Er wußte, wo sich Snayssol befand, war stehengeblieben und behielt diese Stelle im Auge. Indessen arbeiteten sich die anderen Männer vor, um den Erben einzukreisen. Sie waren sicher, daß er ihnen nicht wieder entkommen würde … Ra hatte buchstäblich bis zum letzten Moment der Frist auf Snayssol gewartet. Seine Finger lagen bereits auf den Bedienungselementen der Triebwerke, als er noch einen letzten Blick auf den Außenbildschirm warf. Im gleichen Moment hetzte Snayssol aus der Transmitterstation, und der Barbar zog die Hand wieder zurück. Er sah, wie der Ankömmling winkte, aber sofort wieder weiterrannte, und seine Brauen kniffen sich zusammen. Er ahnte bereits, was nun kommen würde. Richtig, da tauchten die Verfolger auch schon auf! Einer von ihnen trug eine Waffe und schoß auf Snayssol, ohne ihn aber zu treffen.
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»Wartet, euch kann geholfen werden!« knurrte der Barbar mit grimmiger Miene. Er griff in die Kontrollen und justierte das Paralysegeschütz des Beiboots ein. Um sicherzugehen, stellte er es auf Fächerstrahl und wartete dann, denn der Polizist wechselte gerade seinen Standort. Als er zum zweiten Mal schoß, drückte auch Ra ab. Der lähmende Strahl erfaßte den Loghanen voll. Einen Moment lang blieb er noch mit erhobener Waffe stehen, dann kippte er zur Seite weg. Ra grinste, schwenkte das Geschütz herum und suchte nach den anderen Verfolgern. Er fand sie und schaltete einen nach dem anderen aus. Dann lehnte er sich zufrieden zurück und wartete auf Snayssol.
9. Es war wirklich Schwerstarbeit, den Bauchaufschneider durch die enge Fensteröffnung ins Freie zu bekommen! Er hatte das Skarg angesetzt und den Metallrahmen einfach aus der Mauer gebrochen, aber auch das reichte noch nicht. Er mußte sich mit den Beinen voran herablassen, denn ein Blick aus dem Fenster hatte uns gezeigt, daß der Boden draußen etwa drei Meter tiefer lag. Schon sein Gesäß bereitete erhebliche Schwierigkeiten, aber unter einigen saftigen Flüchen brachte er es doch durch die Öffnung. Dann aber war Schluß – der Harnisch war zu breit, da halfen auch keine Flüche! Fartuloon klemmte fest, halb draußen und halb drinnen … »Hilf mir doch!« keuchte er mit hochrotem Kopf, auf seiner Glatze standen dicke Schweißperlen. Er bot einen umwerfend komischen Anblick, aber mir verging das Lachen. Unsere Lage war alles andere als gut, denn die Loghanen bemühten sich bereits, die Tür zu dem Raum aufzubrechen. »Erst einmal können«, gab ich zurück. »Ich kann dich höchstens zurückziehen, und dann mußt du schleunigst deinen albernen Blechladen ablegen. Mit ihm schaffst du es
nie.« Der Bauchaufschneider schnaufte empört auf. »Ich soll meinen treuen Begleiter aus alten Tagen hier zurücklassen? Nie werde ich das tun, darauf kannst du Gift nehmen.« »Nicht mehr nötig«, stellte ich fest und wies auf die Tür. Ihr Kunststoffüberzug begann bereits Blasen zu werfen, folglich versuchte man jetzt, sie aufzubrennen. Dieser Anblick überzeugte auch Fartuloon. Wir boten all unsere Kräfte auf, und wenige Sekunden später stand er wieder neben mir. Nun verschwendete er keine Worte mehr, sondern befreite sich hastig von dem Harnisch. Er dachte aber gar nicht daran, sich von ihm zu trennen, packte ihn und schob ihn schräg durch das Fenster. Ein schepperndes Geräusch zeugte von seinem Aufschlag, und ich fuhr zusammen. Wenn die Einheimischen nicht gerade taub waren, konnten sie den Krach unmöglich überhört haben. Jetzt mußten wir uns also noch mehr beeilen. Der Plastiküberzug der Tür war inzwischen vollkommen verschmort, eine beißende Rauchwolke zog durch den Raum. Trotzdem sahen wir, daß das Metall bereits glühte. Es konnte höchstens noch zehn Sekunden dauern, dann mußte es sich verflüssigen – und dann waren wir dran! Daß es nicht soweit kam, verdankten wir allein dem geheimnisvollen Skarg. Fartuloon sprang trotz der Hitze vor und hielt seine Spitze gegen die Tür. Verblüfft sah ich, daß das Metall augenblicklich schwarz wurde, während die Schwertklinge sanft aufzuleuchten begann. Der Bauchaufschneider grinste. »Jetzt können sie noch einmal von vorn anfangen, und das gibt uns genügend Zeit. Los jetzt, hilf mir.« Diesmal ging es bedeutend besser, obwohl Fartuloons Bauch erheblich zu leiden hatte. Endlich plumpste er nach draußen, und ich beeilte mich, ihm zu folgen. Die Angreifer waren nicht untätig geblieben, die Tür glühte bereits wieder. Ich hatte keine Schwierigkeiten, ließ mich
Das Erbe der Akonen aus dem Fenster gleiten und fing den Aufprall federnd ab. Sofort sah ich mich argwöhnisch um, aber niemand befand sich in unserer Nähe. Rings um das Gebäude erstreckte sich ein hoher Buschkomplex, der uns vor unerwünschten Beobachtern schützte. Der Bauchaufschneider war bereits dabei, seinen Harnisch wieder anzulegen. »Über diese Sache reden wir noch«, knurrte er. »Den ›albernen Blechladen‹ werde ich dir nicht so schnell vergessen.« Ich packte ihn einfach und zog ihn in die Büsche. »Beeile dich lieber, anstatt hier große Töne zu schwingen. Es kann nur noch Sekunden dauern, dann werden unsere Freunde am Fenster erscheinen. Sie sind auch von der Sorte, die zuerst schießt und dann erst Fragen stellt, das hat sich ja gezeigt.« Wir bewegten uns so geräuschlos wie möglich durch das Buschwerk nach links, auf das hintere Ende des Bauwerks zu. Wir hatten es noch nicht erreicht, als wütend bellende Stimmen von oben zu uns herabklangen. Die Angreifer hatten festgestellt, daß wir entkommen waren und machten nun ihrem Grimm Luft. In dem weichen Boden hatten wir deutliche Spuren hinterlassen. Wenn diese Männer auch nur halbwegs logisch denken konnten, mußten sie leicht darauf kommen, wohin wir uns gewandt hatten. Ich rechnete damit, daß sie nun wahllos in die Büsche feuern würden, aber gerade das taten sie nicht. Sie schossen kein einziges Mal, und das gab mir zu denken. Prompt meldete sich auch mein Logiksektor. Sie sind offenbar sicher, daß ihr ihnen nicht entkommen könnt, eröffnete er mir nüchtern wie immer. Wahrscheinlich haben sie die gesamte Umgebung abgeriegelt, ehe sie in die Halle eingedrungen sind. Ich nickte unwillkürlich und blieb stehen. Fartuloon sah mich verwundert an. »Willst du hier Wurzeln schlagen und einen Busch spielen?« erkundigte er sich ge-
41 dämpft. »Grün genug wärst du ja dafür, aber wo soll ich bleiben?« Ich winkte ärgerlich ab. »Spare dir deinen Galgenhumor, bis ich wieder Zeit zum Lachen finde. Ich überlege gerade, wie wir unbemerkt durch den Kordon um den Bau kommen könnten.« Der Bauchaufschneider schlug sich vor die Stirn. »Natürlich, darauf hätte ich auch kommen können! Die Brüder verhalten sich nur so still, weil sie wissen, daß wir ihnen so gut wie sicher sind. Ewig können wir uns hier nicht verbergen, und sobald wir die Nasen aus dem Grünzeug stecken, sehen wir direkt in die Strahlermündungen. Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis es hier dunkel wird. Dann haben wir wenigstens eine kleine Chance, uns durchzuschlagen.« Ich sah durch eine Lücke im Buschwerk nach oben und schüttelte dann den Kopf. »Daraus dürfte nichts werden, fürchte ich. Die Sonne steigt geradewegs zum Zenit empor, also ist hier Hochsommer, und der Tag dauert noch lange. Die Grünen werden wahrscheinlich ein paar Stunden lang warten, aber dann dürfte ihnen die Geduld ausgehen. Sie werden Verstärkung heranholen und das Gelände durchkämmen – rate mal, wer dann zweiter Sieger wird.« »Wenn ich nur auch einen Strahler hätte«, murrte Fartuloon. »Seit wir diesem AkonAkon begegnet sind, ist alles schiefgegangen! Ich wünschte, ich hätte diesen Knaben einmal richtig in meiner Gewalt. Ich würde ihn ganz langsam auf einem kleinen Feuer rösten, mein Wort darauf.« Ich brachte nur ein müdes Lächeln zuwege. »Keine leeren Versprechungen, mein Lieber. Wenn es darauf ankommt, schlägt ja doch dein gutes Herz wieder durch. Wir müssen eben versuchen, auch so durchzukommen. Halt – eben fällt mir etwas ein!« »Ich höre, Euer Erhabenheit«, meinte mein Pflegevater gespannt. Er bemühte sich um einen leichten Tonfall, aber damit konnte er mich nicht täuschen. Ich kannte ihn
42 schließlich von klein auf und war durch seine Schule gegangen. Die Abenteuer, die wir zusammen bestanden hatten, reichten für ein Dutzend Männer der härtesten Art. Ich wies auf mein Flugaggregat. »Damit müßte sich schon etwas anfangen lassen, denke ich. Die Spitzohren werden vermutlich nur auf dem Boden nach uns Ausschau halten, nicht aber in der Luft. Wenn wir es geschickt anfangen, können wir ihnen vielleicht fliegend entkommen.« Fartuloon betrachtete den Apparat mit zweifelnder Miene. »Du vielleicht, aber ich noch dazu? Schließlich bin ich ein Mann von – na, du weißt schon, was ich meine.« Er brachte es einfach nicht fertig, sein beachtliches Gewicht zu erwähnen. »Ein Mann von Format«, half ich ihm aus, ohne eine Miene zu verziehen. »Mach dir deswegen aber keine Sorgen. Das Ding hat Malthor und mich schließlich eine ganze Strecke weit getragen, als wir auf Ketokh vor den Julkas flohen. Für einen kleinen Hüpfer, der uns dem Zugriff der Grünen entzieht, reicht es bestimmt aus.« Er nickte, aber sein Gesicht blieb düster. »Gut, nehmen wir einmal an, daß uns das glückt. Damit sind wir wohl fürs erste in Sicherheit, aber wie soll es dann weitergehen? Wir haben schließlich keine Ahnung, wo die ISCHTAR stecken mag! Wir wissen nicht einmal, ob sie wirklich gelandet ist oder sich noch …« Er unterbrach sich, denn nicht weit von uns klang laut die bellende Stimme eines Planetariers auf. Sie schien einen Befehl zu geben, der gleich darauf von mehreren anderen Stellen aus bestätigt wurde. Dann begannen Büsche zu rascheln, und das sagte uns genug. »Da kommen sie schon!« knurrte der Bauchaufschneider. »Ab nach hinten, da scheint noch niemand zu sein. Wir müssen zusehen, daß wir eine Stelle finden, von der aus wir uns einen Überblick über die Umgebung verschaffen können. Wenn wir nur einfach auf gut Glück losfliegen, könnte das
Harvey Patton leicht unser Unglück sein.« »Das hast du gut gesagt«, grinste ich verzerrt, und dann liefen wir los.
* Rassafuyl war außer sich. Sein Pelz war gesträubt, seine geschlitzten Augen funkelten drohend das Abbild Kimyuls an, das auf dem Bildschirm vor ihm zu sehen war. »Was sagen Sie da?« brüllte er zornig. »Wie konnten Ihnen die Fremden entkommen? Sie hatten schließlich fünfzig Männer mit guten Waffen gegen sie. Sie haben versagt, Kimyul!« Der Polizeioffizier wand sich, die Spitzen seiner Ohren hingen herab. »Ich begreife das auch nicht, Hoher Rat. Wir hatten die Tür zu dem Raum, in dem sie sich befanden, schon fast aufgebrannt. Dann wurde sie plötzlich wieder vollkommen kalt, und wir mußten von neuem anfangen. Nur deshalb konnte es ihnen gelingen, durch das Fenster zu fliehen.« Er atmete auf, als er sah, wie Rassafuyl bei seinen Worten zusammenzuckte. Natürlich begriff er nicht, warum sein Vorgesetzter erschrocken war, weil er nichts über die Hintergründe dieser Angelegenheit wußte. Der Schock saß noch viel tiefer, als er dachte. Rassafuyl schaltete die Tonübertragung ab und beugte sich zur Seite, so daß er aus dem Erfassungsbereich der Bildkamera kam. Dort saß Tamoyl, der sich noch immer nicht dazu aufraffen konnte, aktiv in das Geschehen einzugreifen. »Sie haben es gehört, Tamoyl«, sagte der Rat heiser. »Wir haben es nur mit zwei Vorfahren zu tun, und sie machen uns schon eine Menge zu schaffen. Ihre Macht scheint noch genauso groß zu sein wie in alten Zeiten. Wie wäre es sonst wohl zu erklären, daß eine glühende Tür von einem Augenblick zum anderen wieder kalt wird?« Sein Amtsbruder hob hilflos die Hände. »Vielleicht sollten wir besser aufgeben und uns ihnen unterwerfen«, äußerte er nie-
Das Erbe der Akonen dergeschlagen. »Damit könnten wir ihr Wohlwollen erwerben, und wenn dann mehr von ihnen kommen …« Rassafuyl unterbrach ihn brüsk. Er hatte sich bereits wieder gefangen und funkelte Tamoyl an. »Aufgeben? Niemals! Vergessen Sie nicht, was es für unseren Planeten bedeuten würde, wenn die Ahnen hier wieder die Herrschaft erlangen. Unser Volk würde erneut zu Sklaven degradiert – wollen Sie das wirklich?« Seine Gestalt straffte sich wieder, als er fortfuhr: »Sie haben nicht den Mut dazu, aber denken Sie an den toten Kenyol. Er hätte niemals nachgegeben, und auch ich werde das nicht tun! Das Große Tor ist wieder außer Betrieb, und es soll auch nie mehr funktionieren, dafür werde ich sorgen. Dann sind diese beiden Männer hier abgeschnitten, und allein können sie sich auf die Dauer nicht behaupten.« Er schaltete die Verbindung zur Transmitterhalle von Sevvo-Bonth wieder ein, wo Kimyul auf neue Befehle wartete. »Sind alle Maßnahmen getroffen worden, um den Fremden das Entkommen unmöglich zu machen?« fragte er mit fester Stimme. Der Begtan nickte devot. »Ich bin nur mit fünfzehn Männern in die Halle eingedrungen, Hoher Rat. Die anderen fünfunddreißig haben zuvor die Anlagen umstellt, die das Gebäude umgeben. Bisher haben die Fremden noch keinen Versuch gemacht, das Gelände zu verlassen.« »Sie sollen weiter gut aufpassen«, bestimmte Rassafuyl. »Diese Wesen sind gefährlich und müssen unbedingt getötet werden! Ich werde veranlassen, daß Ihnen umgehend Verstärkung geschickt wird. Jetzt gehen Sie wieder zu Ihren Männern, bis sie eingetroffen ist. Anschließend wird damit begonnen, die Umgebung der Halle zu durchkämmen, klar?« »Ich habe verstanden, Hoher Rat«, gab Kimyul zurück und eilte davon. Rassafuyl rief das Hauptquartier der Polizei von PoalTo an und beorderte weitere hundert Männer nach Sevvo-Bonth. Dann schaltete er wieder
43 die Verbindung zum Großen Tor ein und verlangte nach Dammyol. Die Erben waren inzwischen wieder in die Halle zurückgekehrt. Dammyol trat vor die Kamera und bot das Bild eines total verängstigten Mannes. Sein Pelz war noch immer gesträubt, seine Ohren hingen schlaff herab. Der Rat wußte, wie es jetzt in ihm aussah, aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen. »Passen Sie gut auf, Dammyol«, schärfte er ihm ein. »Sie brauchen sich nicht weiter um die beiden Fremden zu kümmern, das ist jetzt Sache der Polizei. Ich habe eine andere Aufgabe für Sie: Sie bleiben in der Halle und bewachen das Große Tor. Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, daß noch mehr dieser Wesen auf unsere Welt gelangen. Sollte das Tor wieder zu arbeiten beginnen, zerstören Sie sofort alle Schaltanlagen, die dazu gehören!« Das Gesicht des Erben wirkte konsterniert. »Ist das Ihr Ernst, Hoher Rat? Wenn wir das tun, wird es uns nie mehr gelingen, die Kontrolle über die Anlagen zu erlangen.« Rassafuyl fuhr auf. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, fuhr er den verängstigten jungen Mann an. »Notfalls werde ich alle drei Großen Tore zerstören lassen, um weiteres Unheil von Kledzak-Mikhon fernzuhalten. Tun Sie, was ich Ihnen aufgetragen habe, verstanden?« Damit war der schwache Widerstand des jungen Erben gebrochen. Rassafuyl lehnte sich zurück und ließ dem Schicksal nun seinen Lauf. Er hatte getan, was in seiner Macht stand, um die Ahnen von seiner Welt fernzuhalten. Jetzt lag es an Kimyul und seinen Männern, die beiden Eindringlinge zur Strecke zu bringen. Verächtlich sah der Rat von Kledzak-Mikhon auf Tamoyl herab, der zusammengesunken in seinem Sessel hing. Dieser Schwächling! dachte er fast angewidert. Und doch nistete auch in seiner Seele die Furcht vor den Ahnen – er gestand es sich nur nicht ein …
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Inzwischen waren die hundert Polizisten bereits in Sevvo-Bonth eingetroffen. Kimyul erwartete sie vor der Transmitterhalle und gab ihnen sofort die nötigen Befehle. Gleich darauf schwärmten die Männer aus und drangen in die Grünanlage ein. Die Jagd auf die beiden rätselhaften Fremden begann!
* »Langsamer, Atlan!« keuchte der Bauchaufschneider. »Nimm doch wenigstens etwas Rücksicht auf einen alten Mann.« Ich grinste nur kurz, denn diese Tonart kannte ich zur Genüge. Fartuloon war alles andere als ein Schwächling, aber zuweilen gefiel er sich in dieser Rolle. Wir hatten nicht mehr als etwa hundert Meter zurückgelegt und befanden uns nun dicht vor dem hinteren Ende des ausgedehnten Buschwerks. In der gesamten Umgebung des Komplexes war es totenstill. Falls es hier zuvor Verkehr gegeben hatte, mußte er von den Streitkräften der Verfolger restlos unterbunden worden sein. Nur weit hinter uns waren zuweilen gedämpfte Rufe und das Rascheln von Zweigen zu vernehmen. »Eine regelrechte Treibjagd«, meinte Fartuloon, der plötzlich nicht die geringste Atemnot mehr zu spüren schien. »Man kämmt das Gelände von vorn her durch, um uns vor die Waffen jener zu bringen, die auf der anderen Seite lauern. Jetzt wird es allmählich ernst für uns.« »Wem sagst du das?« knurrte ich zurück. Ich ließ mich zu Boden sinken und schob mich behutsam durch eine Lücke zwischen den Büschen. Sie hingen voller Blüten, und der Pollenstaub drang in meine Nase. Mit Mühe unterdrückte ich ein Niesen und konzentrierte mich ganz auf das, was ich nun sah. Wir befanden uns offenbar mitten in einer großen Stadt. Vor mir zog sich eine breite Straße dahin, und hinter ihr ragten die Silhouetten ausgedehnter Häuserkomplexe auf.
Unwillkürlich zog ich eine Grimasse, denn das gefiel mir gar nicht. Freies Gelände mit dem nötigen Bewuchs, in dem wir uns hätten verbergen können, wäre mir lieber gewesen. »Was siehst du?« raunte der Bauchaufschneider hinter mir. Ich verzichtete auf eine Antwort, denn gerade kamen zwei bewaffnete Grünpelze in Sicht. Sie behielten den Rand der Anlage scharf im Auge, hier war also kein Durchkommen. Ich zog mich zurück und unterrichtete Fartuloon. Er fluchte leise, aber das änderte auch nichts an der Situation. Hinter uns wurde das Rascheln immer lauter – nur noch längstens eine halbe Minute, dann hatten sie uns! »Jetzt ist mir alles egal«, knurrte ich resigniert. »Wir brechen aus, ohne Rücksicht auf Verluste!« Mehr blieb uns einfach nicht übrig. Wir zogen uns einige Meter zurück, bis wir freien Himmel über uns sahen. Dann griff Fartuloon nach meinem Gürtel und krallte sich darin fest. Ich aktivierte das Flugaggregat, und langsam erhoben wir uns in die Luft. Es ging besser, als ich geglaubt hatte, Malthors Gerät erwies sich auch dieser Belastung gewachsen. Dicht über dem Laubdach stoppte ich erst einmal ab. Bewegungslos hingen wir in der Luft und sahen uns um. Die Stadt war weit größer, als ich vermutet hatte. Ein Meer von Häusern unterschiedlichen Stils erstreckte sich nach allen Richtungen hin. In der Ferne konnte ich auch Fahrzeuge erkennen, die durch die Straßen glitten. In der unmittelbaren Umgebung regte sich jedoch nichts. Die Truppe, die uns jagte, hatte nicht nur den Verkehr unterbunden, sondern auch dafür gesorgt, daß die Bewohner dieses Viertels in ihren Wohnungen blieben. »Diese Stadt ist eindeutig von Akonen erbaut worden«, stellte Fartuloon lakonisch fest. »Manches hat sich zwar verändert, aber die Hinweise auf sie sind nicht zu übersehen. Sie selbst scheinen allerdings auch von
Das Erbe der Akonen hier verschwunden zu sein. Später haben sich die grünen Stumpfnasen dann einfach ins gemachte Nest gesetzt.« »Uninteressant«, gab ich zurück. »Verdammt, diese Umgebung sagt mir überhaupt nicht zu. Wir können uns wenden, wohin wir wollen, überall sind es mehrere Kilometer bis zum Stadtrand. Das Flugaggregat reicht für diese Strecke zwar ohne weiteres aus. Wir können aber nicht hoch genug steigen, dafür ist die doppelte Last zu groß. Früher oder später muß uns jemand sehen – dann braucht man uns nur einen bewaffneten Gleiter auf den Hals zu hetzen, und es ist aus.« Der Bauchaufschneider knurrte zustimmend. »Da hast du leider nur zu recht. Ich habe bisher zwar noch keine Gleiter gesehen, aber das besagt nicht, daß es keine gibt. Eine Flucht hat also nur wenig Aussicht auf Erfolg. Hmmm … wäre es da nicht am besten, wir würden einfach auf dem Dach der Halle landen? Dort wird uns bestimmt niemand vermuten.« »Keine üble Idee«, gab ich zu. »Das Dach liegt ziemlich hoch und ist von den Bauten in der Umgebung nicht einzusehen. Da es flach ist, gibt es auch keine sonstigen Probleme. Wir brauchen uns nur in seiner Mitte hinzulegen und totzustellen.« Ich schaltete den Antrieb des Apparats wieder hoch. Das von ihm verursachte Geräusch war so minimal, daß es nur wenige Meter weit zu hören war. Langsam schwebten wir auf die große Halle zu, bis wir an ihrer Rückwand angekommen waren. Dort gab es keine Fenster, durch die man uns beobachten konnte. Ich mußte nur auf das Suchkommando achten, das sich im Buschwerk unter uns befand. Die Grünpelze gaben sich jetzt gar keine Mühe mehr, ihre Anwesenheit zu verheimlichen. Sie brachen mit erheblicher Geräuschentwicklung durch die dichte Anlage und verständigten sich laufend durch laute Zurufe in ihrem bellenden Idiom. Damit taten sie uns einen großen Gefallen. Anhand dieser Laute konnte ich mühelos ihre Standorte be-
45 stimmen und gefährliche Stellen umfliegen. Der neuralgische Punkt waren die letzten drei Meter, denn dort wuchs nichts. Die rückwärtige Front des Gebäudes war etwa fünfzig Meter lang und voll zu übersehen. Wenn zufällig einer der nach uns Suchenden im falschen Moment nach oben sah, war alles umsonst gewesen! Wir zwei mußten einen ungeheuer komischen Anblick bieten, wie wir so Huckepack in der Luft hingen, aber keinem von uns war zum Lachen zumute. Wir befanden uns auf einer vollkommen fremden Welt, über die wir praktisch nichts wußten. Mir war sogar der Name wieder entfallen, den uns Klinsanthor genannt hatte. Das war sehr ungewöhnlich, denn seit der Erweckung meines Extrahirns besaß ich ein sogenanntes fotografisches Gedächtnis. Vermutlich war das eine Sekundärwirkung der Trennung meines Ichs vom Körper mit all ihren ungewöhnlichen Folgen. Ich schickte mich gerade an, den Flug auf das Dach zu wagen, als mich das Fauchen eines Strahlerschusses zusammenzucken ließ, dem ein dumpfer Aufschrei folgte. Unwillkürlich ruckte ich am Steuerhebel, und wir sackten nach unten durch. Fartuloons Beine streiften eine Buschkrone und riefen ein Rauschen der Zweige hervor, das kaum zu überhören war. Hatte man es gehört? Rasch korrigierte ich meine Fehlleistung wieder. Wir schwebten einige Meter zurück und lauschten angestrengt. Wir vernahmen aber nur die Geräusche von Körpern, die eilig durch die Büsche brachen, und das Rufen aufgeregter Stimmen. Beides entfernte sich von uns, und Fartuloon grinste. »Da hat ein übereifriger Bursche einen seiner Kameraden angeschossen«, sagte er. »Pech für den Grünen, aber Glück für uns! Jetzt rennen alle dorthin, also ist die Gelegenheit günstig.« Ich nickte und schob den Antriebshebel nach vorn. Das Flugaggregat reagierte zwar nur träge, aber es brachte uns sicher auf das Dach der Halle. Dort warfen wir uns sofort nieder, doch schon im nächsten Moment
46 stöhnte der Bauaufschneider unterdrückt auf. »Alle Götter – ist das eine mörderische Hitze hier! Mann, wie sollen wir das nur aushalten?« Das war eine durchaus berechtigte Frage. Die Oberfläche des Daches war mit einer Gußmasse beschichtet. Sie war zwar teilweise schon vom Zahn der Zeit angefressen und bröckelig, ihre fast schwarze Farbe machte sie jedoch zu einem wahren Hitzespeicher. Die Sonne – sie war groß und grellweiß, offenbar ein Weißer Riese – brannte nun schon seit Stunden darauf herab, und das machte sich recht unangenehm bemerkbar. Es gab zwar einige buckelartige, mit Gittern versehene Aufbauten, die vermutlich zu Lüftungsanlagen gehörten. Sie waren aber viel zu niedrig, um als Schattenspender zu dienen. Uns blieb also weiter nichts übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und auszuhalten. Ob wir das aber ohne jeden Tropfen Wasser bis zum Einbruch der Nacht durchhalten konnten, mochten allein die Götter wissen! Wir befanden uns jetzt in etwa dreißig Meter Höhe und damit weit über den höchsten Gebäuden dieses Viertels. Die Halle schien sich ungefähr im Zentrum der Stadt zu befinden, soviel ich das beurteilen konnte. Nach allen Seiten hin umgab uns ein wahres Häusermeer, aber die Gebäude waren nur selten höher als fünf Stockwerke. Überall gab es Grünanlagen mit reichlicher, oft sehr exotischer Flora. Und noch etwas ließ sich von hieraus erkennen: die kleinen Grünpelze verfügten doch über gleiterähnliche Luftfahrzeuge! Allzu viele davon schien es nicht zu geben, aber in der Ferne schossen immer wieder einige über die Häuser dahin. Nur in unserer Nähe ließen sich keine blicken, und die Schlußfolgerung war recht simpel. Man hatte offenbar diese Gegend für jeden Flugverkehr gesperrt, um ungestört operieren zu können. So würde es aber mit Sicherheit nicht bleiben. Sobald man die Jagd auf uns abblies
Harvey Patton – und das mußte über kurz oder lang geschehen, wenn man uns nirgends fand – würden die Gleiter auch wieder hier auftauchen. Dann mußten wir unbedingt entdeckt werden, Fartuloons in der Sonne blitzender Harnisch konnte auf dem dunklen Untergrund gar nicht unbemerkt bleiben! Ich machte den Bauchaufschneider darauf aufmerksam, aber er schien mir gar nicht zuzuhören. Er sah starr nach Norden, und dann stöhnte er unterdrückt auf. »So lange brauchen wir nicht mehr zu warten! Dreh dich einmal um, dann weißt du, was ich meine.« Ich folgte seinem Blick und fuhr zusammen. Drei knallrote Gleiter kamen niedrig und mit langsamer Fahrt genau auf die Halle zu. Man hatte zwar etwas spät geschaltet, aber jetzt mußte man uns unbedingt finden! An eine Flucht mit dem Flugaggregat war nun nicht mehr zu denken. Bis wir eine nennenswerte Strecke zurückgelegt hatten, mußten die Fahrzeuge längst heran sein. Dann konnten uns die Insassen abschießen wie einen lahmen Vogel. Gehetzt sahen wir uns auf dem Dach um. Hatten wir wirklich keine Möglichkeit, irgendwie den Häschern zu entkommen? »Die Lüftungsschächte!« knurrte Fartuloon. »Sie führen zwar auch nur zurück in die Halle, aber dort sind wir jedenfalls sicherer als hier, wo wir auf dem Präsentierteller sitzen.« Wir sprangen auf und spurteten auf den nächsten Buckel zu.
10. Als Kimyul wieder auf dem Bildschirm erschien, rechnete Rassafuyl fest damit, eine Erfolgsmeldung zu erhalten. Was er statt dessen zu hören bekam, versetzte ihn in höchste Wut. »Sie sind nicht aufzufinden, sagen Sie?« bellte er den Begtan an. »Das ist doch einfach unmöglich! Schließlich haben Ihre Männer den gesamten Komplex abgesperrt, und die Gegend um die Grünanlage herum
Das Erbe der Akonen ist gut zu übersehen. Sie müssen sich noch dort befinden, daran kann es keinen Zweifel geben.« Kimyul war durchaus nicht wohl unter dem Pelz. Rassafuyl war so aufgebracht, daß er es vorläufig nicht wagte, ihm von dem Mißgeschick zu berichten, daß ein Polizist einen anderen angeschossen hatte. Er hob die vierfingrigen Hände. »Wir haben alles getan, was in der kurzen Zeit möglich war, Hoher Rat. Meine Leute sind dabei, die Büsche ein zweites Mal durchzukämmen, diesmal in einer Kette, die so dicht ist, daß zwei Personen überhaupt nicht übersehen werden können. Darf ich fragen, um wen es sich bei den beiden Fremden überhaupt handelt?« »Sie dürfen nicht!« bellte Rassafuyl. »Da ich schon halb mit einem Mißerfolg Ihrer unfähigen Männer gerechnet habe, habe ich eine weitere vorsorgliche Maßnahme getroffen. Drei Polizeigleiter sind bereits im Anflug auf die Halle. Sie werden das Gelände von der Luft aus überwachen, achten Sie also auf die Funkdurchsagen der Piloten. Vielleicht sind die Fremden im Geäst der Büsche verborgen, und von oben aus müßten sie besser zu entdecken sein. Sie können sich ja schließlich nicht unsichtbar gemacht haben.« »Können sie das wirklich nicht?« fragte Tamoyl zweifelnd, als die Verbindung wieder unterbrochen war. »Vergessen Sie nicht, was die alten Unterlagen über die Vorfahren berichten, Rassafuyl. Darin wird auch erwähnt, daß sie Geräte besaßen, mit denen das tatsächlich zu bewerkstelligen war! Es war von einer Umlenkung der Lichtstrahlen die Rede, die gewissermaßen einen Bogen um den machten, der einen solchen Apparat besaß.« Rassafuyl bellte ärgerlich: »Das habe ich keineswegs vergessen, Tamoyl. Ich kann aber noch logisch denken, während der Schock Ihr Gehirn scheinbar in Mitleidenschaft gezogen hat. Daß die beiden über außergewöhnliche Mittel verfügen, ist klar, sonst wären sie schon von den beiden
47 Erben vernichtet worden. Wenn sie aber tatsächlich Deflektoren besäßen, hätten sie diese auch angewandt. Dann hätten sie es gar nicht nötig gehabt, sich vor den Polizisten anderweitig zu verbergen und durch ein Fenster zu fliehen.« Tamoyl schwieg betreten. Was hätte er auch darauf erwidern sollen? Die Ereignisse seit Snayssols Verstoß gegen die Regeln des Spieles der Schwarzen Tore hatten ihn weit überfordert. Zum Glück nicht so sehr wie Kenyol, dessen Leiche inzwischen unauffällig weggeschafft worden war, aber immer noch mehr, als einem alten Mann zuträglich war. Er war froh, daß Rassafuyl nun die Führung übernommen hatte. Dieser war schon immer der agilste der Mitglieder des Triumvirats gewesen. Sein Wort hatte auch den Ausschlag dafür gegeben, daß Snayssol ein zweites Mal durch das Beginntor des Spieles geschickt worden war. Hatte nicht aber damit erst alles begonnen? Irgend jemand hatte den jungen Erben vor dem sicheren Tod gerettet. Wer das gewesen war, wußte man auch jetzt noch nicht, weil sich die Aussagen widersprachen. Es stand jedoch fest, daß die Retter mit einem Flugaggregat gekommen waren, das weit größer als die üblichen Gleiter gewesen war. Also konnten sie nicht von Kledzak-Mikhon stammen, denn auf dieser Welt kannte man keine Raumfahrt mehr. Die Annahme lag folglich sehr nahe, daß diese Unbekannten zumindest in Verbindung mit den Ahnen gestanden haben mußten. Diese hatten dann davon erfahren, wie man Snayssol behandelt hatte und waren daraufhin selbst in Erscheinung getreten. Ja, so mußte es gewesen sein. Ob es dann aber klug war, sich gegen sie zu stellen und ihre Vernichtung zu befehlen? Mußte man damit nicht geradezu Vergeltungsmaßnahmen herausfordern, sobald sich alle Großen Tore öffneten, um ihr Gros nach Kledzak-Mikhon zu bringen? Tamoyls Gedanken waren unerfreulich,
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aber er schwieg. Sein Amtsbruder hatte ungefragt die Macht an sich gerissen – mochte er nun auch zusehen, wie er mit allem fertig wurde …
* Keuchend langten wir an der etwa dreißig Meter entfernten Lüftungsanlage an. Dort warfen wir uns sofort wieder flach hin und ich griff nach meiner Waffe. Fartuloon schob jedoch meinen Arm energisch zur Seite. »Laß mich das machen«, forderte er kategorisch. »Bis jetzt können wir hoffen, daß man uns noch nicht gesehen hat. Wenn du aber den Strahler einsetzt, wird man die Energieemission sofort anmessen. Dann sind wir so gut wie erledigt, während wir jetzt immerhin noch eine kleine Chance haben.« Schon während der ersten Worte hatte er sich wieder halb aufgerichtet und das Skarg hervorgeholt. Nun setzte er seine Spitze an der Basis des Gitters an und riß das Schwert kraftvoll nach oben. Das Metall leistete jedoch erheblichen Widerstand, allem Anschein nach handelte es sich um molekularverdichteten Stahl. Das Gesicht des Bauchaufschneiders lief unter der Anstrengung dunkelrot an. Seine Zähne waren zusammengebissen, die Adern an den Schläfen traten dick hervor. Er ließ noch einmal kurz nach und ruckte dann erneut an. Diesmal gab das Gitter mit einem reißenden Laut nach und brach aus seiner Fassung. Fartuloon schob es aufatmend zur Seite und bedeutete mir, als erster einzusteigen. Ich folgte seinem Wink sofort, denn ich wußte, daß er sich keinesfalls zuerst in Sicherheit bringen würde. Für ihn war ich der rechtmäßige Thronfolger von Arkon, dessen Dasein es unter allen Umständen zu schützen galt. In seinen Augen war ich noch immer ein leichtsinniger junger Fant, der sein Leben viel zu oft aufs Spiel setzte, ohne daß es unbedingt nötig war. Der runde Lüftungsschacht durchmaß etwa achtzig Zentimeter, ließ mich also mit-
samt dem Flugaggregat ohne Schwierigkeiten durch. Ich schwang mich mit den Beinen zuerst hinein, hielt mich noch eine Sekunde lang fest und ließ mich dann einfach nach unten fallen. Dabei spreizte ich meine Beine so weit, daß die Stiefel die Schachtwandung berührten und meinen Fall um einiges abbremsten. Das war gut so, denn ich fiel etwa acht Meter weit durch. Dann kam ein Aufprall, der meine Gelenke knacken ließ und mir die Luft aus den Lungen trieb. Ein Dröhnen hallte durch den dunklen Schacht, offenbar war ich auf ein weiteres metallenes Gitter geprallt. Ich blieb in der Kniebeuge und tastete um mich. Rechts von mir stieß meine Hand ins Leere, dort schien sich der Schacht in horizontaler Richtung fortzusetzen. Die runde Röhre war ungefähr einen Meter hoch, und ich kroch sofort hinein. Keinen Augenblick zu früh, denn im nächsten Moment krachte Fartuloons schwerer Körper hinter mir herunter. Den Grund für seine Eile erkannte ich sofort. Ein Strahlschuß schlug oben in den Schacht ein, sein feuriger Schein zuckte bis zu uns hinunter. Die Besatzung der Gleiter hatte uns also doch entdeckt und nicht gezögert, das Feuer auf uns zu eröffnen. Ich schüttelte den Kopf, während ich mich weiterbewegte, um dem Bauchaufschneider Platz zu machen. Neue Treffer schlugen oben ein, verflüssigtes Metall spritzte herab, ohne uns aber noch schaden zu können. Warum waren diese Grünpelze nur so sehr bemüht, uns um jeden Preis zur Strecke zu bringen? Ich begriff das einfach nicht. Sicher, wir waren unter etwas seltsamen Umständen hier auf dieser Welt angekommen. Reichte das aber schon als Begründung für diese gnadenlose Jagd aus? Schließlich hatten wir doch nichts getan, was uns in den Augen dieser Wesen als Bedrohung erscheinen lassen konnte. Zwei einzelne Fremde, noch dazu nur ungenügend bewaffnet, stellten doch bestimmt keine Gefahr für diesen Planeten dar.
Das Erbe der Akonen Du vergißt die ISCHTAR! meldete sich da mein Logiksektor. Vermutlich ist sie inzwischen hier irgendwo gelandet, und die Planetarier haben vielleicht schlechte Erfahrungen mit ihrer Besatzung gemacht. Angesichts der Unberechenbarkeit Akon-Akons ist diese Befürchtung nicht von der Hand zu weisen. Das war leider nur zu wahr. Das Gebahren des jungen Suggestors war wirklich nicht dazu geeignet, ihm Freunde zu verschaffen. Vielleicht hatte er die Besatzung des Raumers unter Zwang dazu gebracht, rigoros gegen die Grünpelze vorzugehen. Das würde vieles erklären. Doch jetzt hatte ich keine Zeit, diesen Gedanken weiter nachzuhängen. Die Gleiter flogen offenbar einen neuen Angriff, denn erneut leuchtete oben in dem Lüftungsschacht der Feuerschein von Strahlschußtreffern auf. Wir spürten die von ihnen hervorgerufene Hitze noch, sie konnte uns aber nicht schaden. Dafür sorgte ein stetiger kühler Luftzug, der uns aus der Röhre entgegenwehte. »Weiter, Atlan!« spornte mich Fartuloon an. »Die Fahrzeuge werden zweifellos auf dem Dach landen, und dann wird man uns folgen. In dieser Röhre haben wir keine Möglichkeit, auszuweichen oder uns zu verteidigen. Man könnte uns nach Belieben abschießen.« Ich kroch also weiter, aber allzu viele Hoffnungen machte ich mir nicht. Das Belüftungssystem konnte uns vermutlich Zugang zu Räumen eröffnen, die über der Transmitterhalle lagen, doch damit war kaum etwas gewonnen. Man wußte jetzt genau wo wir uns aufhielten und konnte uns mühelos den Weg nach draußen abschneiden. Im Grunde brauchten die Verfolger nichts weiter zu tun, als aufzupassen und abzuwarten. Wir besaßen weder Wasser noch Nahrungsmittel – in dieser Situation nützte es uns auch nichts, wenn wir hier irgendwo ein Versteck fanden! Über kurz oder lang mußten wir es einfach verlassen, wenn wir nicht darin umkommen wollten.
49 Trotzdem bewegten wir uns weiter in der dunklen Röhre voran. Nach etwa zehn Metern bemerkte ich einen schwachen Lichtschein, der von unten her durch ein Gitter drang. Dort war der Boden durchbrochen, und ein Schacht führte senkrecht nach unten. Ich preßte mein Gesicht gegen das Gitter und erkannte weit unter uns einen kleinen Ausschnitt der Transmitterhalle. Damit war uns in keiner Weise gedient, also krochen wir weiter. Der Luftzug wurde stärker und war nun von einem immer lauter werdenden Summen begleitet. Wir näherten uns also offenbar den technischen Anlagen des Belüftungssystems. Jetzt kam es ganz darauf an, wie diese beschaffen waren. Wenn es dort ein Rotorsystem gab, das uns den Weg versperrte, waren wir am Ende. Ich hätte es zwar mit dem Strahler mühelos zerstören können, aber die dabei entstehende Hitze hätte auch uns geröstet. Plötzlich machte die Röhre eine Biegung nach links, und dann sah ich einen diffusen Lichtschimmer. Er zeigte mir tatsächlich rasend schnell rotierende Ventilatorflügel hinter einem Gitterwerk. Ich sah aber auch noch etwas anderes: Dicht vor dieser Anlage gab es eine runde Klappe, durch die man die Röhre zur rechten Seite hin verlassen konnte! Ein Einstieg für Arbeitstrupps, unterrichtete mich mein Extrahirn lakonisch. Ein an sich überflüssiger Hinweis, denn das war mir sofort klargeworden. Die Klappe war nur durch einen simplen Schnappriegel gesichert, den ich mühelos lösen konnte. Unter leisem Knarren schwang sie auf und gab uns den Weg in einen länglichen niedrigen Raum frei, in dem auf Regalen zahlreiche Werkzeuge und Ersatzteile verschiedener Art gelagert waren. Hier war schon seit langer Zeit niemand mehr gewesen, das zeigte die dicke Staubschicht auf dem Fußboden. Auch das kleine Fenster am Ende war vollkommen verdreckt und ließ nur wenig Licht eindringen. Hastig schloß ich die Klappe wieder, denn der ein-
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dringende starke Luftstrom wirbelte den Staub auf und verschlechterte die Sicht noch mehr. Dann sahen Fartuloon und ich uns ratlos an, denn dieser Raum besaß keinen regulären Ausgang! »Das gibt es doch gar nicht …« sagte der Bauchaufschneider verblüfft. »Verdammt, irgendwie müssen die Reparaturtrupps doch hier hereinkommen können, wenn die Anlage einmal versagt!« Er hatte recht, aber das änderte nichts an den Tatsachen. Wir suchten alles ab, auch den Boden, aber der bestand aus festem Kunststein und wies ebenfalls keinerlei Öffnungen auf. Die einzige war das Fenster, doch es war so klein, daß nicht einmal ich hindurchgekommen wäre. Wir schienen rettungslos in der Falle zu sitzen.
* Wir waren schon bereit, uns mit unserem Schicksal abzufinden, als mein Blick in den schmalen Raum zwischen zwei Regalen fiel. Dort war es fast dunkel, Fartuloon hatte ihn kurz inspiziert, dann aber abgewinkt. Er hatte sich darauf konzentriert, eine Tür zu finden – und dabei die beiden schmalen Metallsäulen übersehen, die diese Lücke rechts und links flankierten! Ich sah sie nun, und da wurde mir alles klar. »Ein Transmitter«, stöhnte ich erleichtert auf. »Fartuloon, da haben wir die Lösung. Die alten Akonen konnten auf andere Wege verzichten, so war es ja viel einfacher für sie. Bete zu deinen Göttern, daß das Ding noch funktioniert.« Wir stürzten auf die Anlage zu und untersuchten die Säulen in fieberhafter Hast. Es war höchste Zeit, daß wir aus dieser Mausefalle entkamen. Von der anderen Wand her, wo sich die Ausstiegsklappe befand, waren bereits dumpfe Geräusche zu hören. Offenbar arbeiteten sich die Verfolger schon durch die Röhre zu uns heran. Es gab kein Schaltpult oder sonstige Kontrollanlagen, sondern nur einen einfachen
Aktivierungsknopf. Dieser Transmitter stand also offenbar nur mit einer bestimmten Gegenstelle in Verbindung, vermutlich mit einem Arsenal oder einer ähnlichen Einrichtung. Wenn wir jetzt etwas Glück hatten, konnten wir also doch noch entkommen und uns bis zum Anbruch der Dunkelheit verbergen. Wir atmeten auf, als sich nach Betätigung des Schaltknopfes unter leisem Zischen der gleißende Bogen des Transportfelds vor uns aufbaute. Hastig schob ich den Bauchaufschneider hinein und folgte ihm sofort nach. Die wesenlose Schwärze nahm uns auf und spie uns augenblicklich in der Gegenstelle aus. Wir kamen in einem hell erleuchteten Raum ohne Fenster heraus, nicht viel größer als der, den wir eben verlassen hatten. Auch hier gab es nur Regale mit technischen Utensilien, niemand hielt sich darin auf. Ich wandte mich sofort um und zerstörte mit einem kurzen Feuerstoß aus dem Strahler den Empfangssektor des Transmitters. Nun konnte uns niemand mehr direkt folgen, aber wir mußten trotzdem schleunigst auch hier heraus. Die Grünpelze würden bestimmt wissen, wohin wir uns abgesetzt hatten. Sie würden versuchen, uns auf einem anderen Wege schnellstens nachzukommen. Erst jetzt wurde mir bewußt, wie wenig Zeit vergangen war, seit wir nach den Irrwegen durch die Dimensionsfalte wieder in unsere Körper gelangt waren. Seitdem waren wir nicht mehr zur Ruhe gekommen, die Stumpfnasen hatten uns fast pausenlos zugesetzt. Kein Wunder, daß sie uns sofort so massiv entgegengetreten waren. Wenn es auf dieser Welt ein ausgedehntes Transmitternetz gab, brauchten sie nur Minuten, um beliebig viele Verfolger auf uns anzusetzen. Ich drängte Fartuloon beiseite, ehe er die einzige Tür öffnen konnte und übernahm das selbst. Auf Anhieb fand ich die Kontaktstelle, und die Tür schwang willig nach außen hin auf. Hastig griff ich zu und zog sie bis auf einen schmalen Spalt zurück. Durch ihn spähte ich nach draußen.
Das Erbe der Akonen Vor mir lag ein langer Korridor mit vielen Seitentüren. Sie waren sämtlich geschlossen, und niemand hielt sich in meinem Sichtbereich auf. Ein leises Summen zeugte davon, daß in der Nähe starke Generatoren liefen, sonst war alles still. Ohne Zögern betrat ich den Gang, und der Bauchaufschneider folgte mir, das Skarg in der Hand. Wir hasteten den Korridor entlang. Alle Türen waren mit Zeichen versehen, die mir nichts sagten, aber Fartuloon konnte sie mühelos entziffern. »Alles nur Lagerräume«, knurrte er, und wir liefen weiter bis zum großen Ausgang. Hier zögerte ich sekundenlang, aber nun war es mein Pflegevater, der die Initiative ergriff. »Nur keine Zeit verlieren!« drängte er und legte seine Hand auf den Öffnungskontakt. Diesmal rollte die Tür vor uns zur Seite weg, und dann erstarrten wir vor Schreck. Effektvoller hätte auch ein guter Videoregisseur unseren Auftritt nicht inszenieren können. Wir sahen in einen riesigen Raum, in dem es von Grünpelzen nur so wimmelte! Schon der erste Blick verriet uns, daß wir hier eine zentrale Transmitterhalle vor uns hatten. Die zahlreichen Sende- und Empfangskabinen rings um das weite Rund waren kaum zu übersehen. Dauernd kamen Reisende an oder verschwanden in den von transparenten Wänden umgebenen Anlagen. Hunderte von großen und kleinen Planetariern bewegten sich hin und her, und so konnte es kaum ausbleiben, daß wir augenblicklich entdeckt wurden. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn ihre verständnislosen Blicke zeigten uns, daß die Grünen mit uns absolut nichts anzufangen wußten. Sie bellten zwar aufgeregt durcheinander, und sofort kam der gesamte Verkehr ins Stocken, aber sie schienen uns eher als eine Art von exotischen Tieren anzusehen. Ich atmete bereits auf und beschloß, ihr Erstaunen zu unseren Gunsten auszunutzen; doch von einem Moment zum anderen änderte sich die Lage. Laute, befehlende Stimmen übertönten
51 auf einmal alles, und dann stürmten fünf Stumpfnasen vom Ende der Halle her zielstrebig auf uns zu. Sie trugen einheitliche Kreuzgurte und Strahlwaffen, die sie sofort zückten, und damit war für uns alles klar. Das mußten Polizisten oder Soldaten sein – und sie waren bereits vor unserem Auftauchen gewarnt worden! »Schnell weg!« zischte Fartuloon und schob mich nach links, auf eine breite Freitreppe zu. Ich folgte ihm ohne langes Überlegen. Noch konnten die Angreifer nicht schießen, ohne ihre eigenen Artgenossen zu gefährden, die sich zwischen ihnen und uns befanden. Das änderte sich jedoch, als wir ein Dutzend Stufen emporgehastet waren. Nun hatten sie freies Schußfeld und zögerten nicht, ihre Waffen einzusetzen. In der Halle brach ein wahres Chaos aus, als die Glutbahnen durch die Luft zischten und ihre Ziele suchten. Diese Ziele waren wir, aber wir befanden uns nicht zum ersten Mal in einer solchen Situation. Wir verdoppelten unsere Geschwindigkeit und hetzten in großen Sprüngen die Stufen empor. Die Schützen reagierten nicht schnell genug. Als sie erneut schossen, hatten wir bereits den Knick der Treppe erreicht, und nun bot uns eine Zwischenwand Schutz. Bis die Verfolger am Fuß der Treppe angekommen waren, hatten wir schon eine Tür passiert, die sich an ihrem oberen Ende befand. Doch damit waren wir auch am Ende unseres Fluchtwegs angelangt. Diese Tür führte auf einen Dachgarten, der zwar zur Zeit verlassen war, uns aber keine weitere Fluchtmöglichkeit mehr bot. Nur der Weg durch die Luft blieb uns noch – als ich aber mein Flugaggregat aktivieren wollte, erlebte ich eine böse Überraschung. Es funktionierte nicht mehr! Der Bauchaufschneider hatte den Öffnungsmechanismus der Tür mit dem Skarg zerstört. Nun lachte er bitter auf und wies auf einige lose von dem Gerät herabbaumelnde Drähte.
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»Das wäre es wohl, Kristallprinz! Du mußt unterwegs irgendwo hängen geblieben sein, vermutlich schon in der Lüftungsröhre. Das zu reparieren, würde etwa eine Stunde dauern, schätze ich, und soviel Zeit wird man uns nie lassen. Da unten gibt es gleich dutzendweise Transmitter, durch die wahrscheinlich jetzt schon neue Jäger kommen, und die Gleiter werden auch bald da sein.« Ich trat an die Brüstung und sah nach unten, aber die Fassade des Gebäudes war vollkommen glatt. An ihr hätte auch der waghalsigste Kletterer keinen Halt gefunden. Die nächsten Häuser waren zwar nicht weit entfernt, aber ihre Dächer lagen viel zu tief. Hinabspringen zu wollen, wäre glatt einem Selbstmord gleichgekommen. Resignierend wandte ich mich um und zog den Strahler, aber Fartuloon winkte ab. »Laß es sein, Junge, sie kriegen uns ja doch. Die Lage ist zwar hoffnungslos, aber nicht ernst, wie schon das alte Sprichwort sagt. Oder weiß das Extrahirn Eurer Erhabenheit vielleicht noch einen Ausweg? Einen der berühmten Geistesblitze eines Mannes, der alle Prüfungen für die ARK SUMMIA mit Auszeichnung bestanden hat? Ruf doch einmal die Götter herbei, laß deine Beziehungen zu den höchsten Kreisen spielen …« Das war bitterster Sarkasmus, aber er berührte mich nicht. Ich hörte gar nicht mehr zu, denn ein Wort hatte eine gedankliche Assoziation hergestellt. Rufen – ja, das war es! Ich besaß noch das Armbandfunkgerät. Es hatte vermutlich keine große Reichweite, aber vielleicht konnte ich damit doch die ISCHTAR erreichen, wenn sie irgendwo in der Nähe war. Oder auch Akonen, falls es sie hier noch gab. Die Jagd nach uns konnte schließlich von den Grünpelzen ohne ihr Wissen inszeniert worden sein. Hastig aktivierte ich das Gerät und begann, das Notsignal der arkonidischen Flotte abzustrahlen.
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Vollkommen erschöpft stolperte Snayssol in die Luftschleuse des Beiboots. Hilfreiche Hände streckten sich ihm entgegen und zogen ihn weiter, und im Hintergrund erschien das dunkle Gesicht Ras. »Das ist ja noch einmal gut abgegangen«, sagte er über den Translator. »Ich wollte gerade abfliegen, als du wieder auf der Bildfläche erschienen bist. Deine Verfolger habe ich ins Reich der Träume geschickt, in Zukunft werden sie wohl etwas weniger aggressiv sein. Jetzt müssen wir schleunigst abfliegen, ehe unsere hohe Kommandantin ungeduldig wird.« Er ließ die Schleuse zugleiten und schickte seine Helfer wieder auf ihre Posten, während der Erbe in einem Kontursitz des Steuerraums Platz fand. Dann blinkte die Ruflampe des Funkgeräts auf, und Ra verzog das Gesicht. »Typisch weibliche Ungeduld …«, murmelte er und aktivierte den Empfänger. Doch die Bildfläche blieb dunkel, nur aus der Feldmembrane drangen rhythmische Geräusche, die sich in kurzer Folge wiederholten. Der Barbar fuhr zusammen, ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens erschien auf seinen Zügen. »Das Notsignal der Arkonflotte?« überlegte er halblaut. »Von der ISCHTAR kann es nicht kommen, dazu ist es viel zu schwach. Oder sollte etwa …« Er vollendete den Satz nicht mehr, sondern schaltete hastig den Sender ein. Als dann die Antwort kam, verschlug es ihm einen Augenblick lang die Sprache. »Du, Atlan?« brachte er schließlich heiser hervor. »Verdammt, wie ist das nur … ja, schon gut, ich frage nichts mehr. Laß dein Gerät eingeschaltet, damit wir es anpeilen können. Die ISCHTAR steht zur Zeit hinter dem Planeten, aber ich bin mit einem Boot in deiner Nähe. Ich komme mit allem, was der Antrieb hergibt.« Er aktivierte den Antrieb und ließ das Beiboot so heftig anrucken, daß einige Gravos Andruck durchschlugen. Dann erst rief er das Schiff über Hyperfunk an.
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Karmina Arthamin meldete sich sofort. Auch in der ISCHTAR hatte man das Notsignal empfangen, aber nur so schwach, daß man den Standort des Senders nicht anpeilen konnte. Die Arkonidin war nicht wenig überrascht, als sie erfuhr, daß Atlan der Absender war und sich offensichtlich in Not befand. »Holen Sie ihn unter allen Umständen heraus, Ra«, bestimmte sie mit der Ruhe einer erfahrenen Kampfkommandantin des großen Imperiums. »Worauf Sie sich verlassen können!« versicherte der Barbar grimmig, und die weißen makellosen Zähne blitzten in seinem dunklen Gesicht.
* Er kam buchstäblich im letzten Augenblick. Wir hatten uns hinter einigen kümmerlichen Büschen des Dachgartens in Deckung geworfen. Längst war die Kunststofftür unter den Strahlschüssen der Gegner verglüht, aber sie kamen nicht zu uns heraus. Sobald sich auch nur eine behaarte Ohrspitze zeigte, nahm ich sie unter Feuer, und das verschaffte uns den nötigen Respekt. Doch das war nur ein Aufschub, und wir wußten es. Längst mußten Verstärkungen der Gegner eingetroffen sein und das Transmittergebäude hermetisch abgeriegelt haben. Nun wartete man wohl nur noch auf die Gleiter, deren Eingreifen uns endgültig erledigen sollte. Wo blieb nur Ra mit dem Beiboot? Immer wieder suchte Fartuloon besorgt den Himmel ab, und schließlich stöhnte er unterdrückt auf. »Da sind sie, Atlan! Diesmal gleich zehn Stück, man will wohl ganz sicher gehen. Nur noch längstens zwanzig Sekunden … alle Götter, da kommt auch das Boot!« Das Heulen und Brausen gewaltsam ver-
drängter Luftmassen wurde hörbar, dann das Arbeitsgeräusch eines mit Höchstwerten bremsenden Antriebs. Ein Schatten fiel über das Dach, Luftwirbel rissen uns fast vom Boden hoch. Dann blitzte es über uns auf, und ich vernahm Fartuloons Ausruf. »Da hat es einen erwischt – da, noch einen! Die anderen drehen ab und rasen davon, so schnell sie nur können. Atlan, wir sind gerettet …« Ich konnte noch gar nicht richtig an diese Rettung in letzter Minute glauben. Erst als das Beiboot, vom Antigrav gehalten, rechts von uns dicht über dem Dach schwebte, wagte ich es, die Nase über das Grünzeug vor mir zu heben. Doch die Stumpfnasigen auf der Treppe hatten inzwischen auch erkannt, woher nun der Wind blies und schleunigst das Weite gesucht. Niemand schoß mehr auf uns, als wir uns erhoben und auf die offenstehende Schleuse zuliefen. Hinter uns schloß sie sich sofort wieder, und das Boot jagte wie ein Schemen in den Himmel hinauf. Im Steuerraum grinste uns Ra triumphierend an. »Na, wie habe ich das gemacht?« erkundigte er sich. Wir lobten ihn gebührend, aber dann fiel mein Blick auf den Grünpelz, der wie ein Häufchen Unglück in einem Kontursitz kauerte. »Was tut der denn hier?« fragte ich nicht sonderlich erbaut, aber der Barbar winkte nur kurz ab. »Ein armer Kerl, dem seine eigenen Leute übel mitgespielt haben«, erklärte er. »Doch ihm habt ihr es im Grunde zu verdanken, daß wir so schnell hierher kommen konnten! Seid also nett zu ihm, er hat es wirklich verdient.«
ENDE
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