Helen Perkins Band 3
Das Geheimnis von El-Sharif von Helen Perkins Eine italienische Prinzessin verirrt im Tal der Kö...
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Helen Perkins Band 3
Das Geheimnis von El-Sharif von Helen Perkins Eine italienische Prinzessin verirrt im Tal der Könige.
Die Sonne war bereits untergegangen, doch ein letzter Widerschein von Gold und Purpur lag noch über dem Tal von Abu Simbel, als eine schmale Frauengestalt geschickt über eine Leiter die Aus grabungshöhlen verließ, die seit Wochen zu ihrer Wirkungsstätte ge worden waren. Principessa Bianca-Maria di Medici war eine junge Frau von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut. Trotz ihrer Abstammung aus einer uralten römischen Familie waren ihre Züge lieblich, die Haut hell, das Haar blond. Einzig die mandelförmigen, rehbraunen Augen gemahnten den Betrachter daran, dass die Prinzessin von jenseits der Alpen kam. Prof. Bertoli di Medici, ihr Vater, hatte sich einst in eine deutsche Gräfin verliebt und sie gegen den Willen seiner Eltern gehei ratet. Marie-Auguste von Helmsdorf war ebenso bezaubernd gewesen, wie ihre Tochter es jetzt war. Und der junge Prinz Medici hatte mit der ganzen Glut seines südländischen Temperaments um sie geworben. Dass der Standesunterschied groß war, viel zu groß für das konserva tive Haus Medici, war ihm ebenso einerlei gewesen wie die Drohungen seines Vaters, ihn zu enterben und aus allen Ämtern zu entfernen, die das weit gestreute Imperium der uralten Kaufmannsfamilie mit sich brachte. Bertoli hatte sich bereits damals mehr für die Wissenschaft interessiert und war nicht traurig gewesen, als man ihm quasi von o berster Stelle aus den kaufmännischen Weg verbaute. Er hatte seine schöne junge Frau in bescheidene Verhältnisse heimführen müssen, denn mit der väterlichen Gunst hatten sich auch jegliche finanziellen Zuwendungen erübrigt. Doch Bertoli war ein Mann der Tat. Er hatte studiert, gearbeitet und es zu etwas gebracht. Und nach dem Tod des Fürsten waren alle Querelen vergessen gewesen. Der Prinz, damals schon ein arrivierter Wissenschaftler, hatte Titel und Ehren geerbt und seiner geliebten Frau zumindest für wenige Jahre noch den Lebens standard bieten können, der ihr nach Ansehen und Herkunft zustand. Marie-Auguste hatte ihrem Mann eine kleine Tochter geschenkt, die Krönung ihrer Liebe. Bertoli hing seit Bianca-Marias Geburt mit abgöt tischer Liebe an dem Geschöpf, das seiner Mutter mit jedem Jahr ein wenig ähnlicher geworden war. Viel zu früh hatte der Fürst seine Frau hergeben müssen, eine tü ckische Krankheit hatte sie ihm erbarmungslos geraubt und ihn für 4
Monate in tiefster Verzweiflung zurückgelassen. Ohne Bianca-Marias Beistand hätte sein Leben jeglichen Sinn verloren, das wusste der Pro fessor. Die junge Dame von nicht einmal zwanzig Jahren hatte ihm nicht nur den Lebensmut zurückgegeben, sie hatte auch, selbst bereits von der Leidenschaft für Frühforschung und Archäologie erfasst, dafür gesorgt, dass er seine Studien wieder aufnahm. Das war nun sechs Jahre her. Die Prinzessin war zur gelehrigsten Schülerin ihres Vaters geworden, eigene Studien hatten das ihre dazu beigetragen, in BiancaMaria einen besonderen Sinn für die hohe Kultur des frühen Ägypten und Mesopotamien zu wecken. Und als Prof. di Medici im Frühjahr 1909 ins Tal der Könige aufgebrochen war, um den Gräbern der Pha raonen die letzten Geheimnisse zu entlocken, war seine Tochter selbstverständlich an seiner Seite gewesen. Das war nun über ein Jahr her und man hatte bereits beachtliche Erfolge zu verzeichnen. In Rom, London und Paris wartete die Fachwelt gespannt auf jeden weiteren Fund, der, der staubigen Erde entlockt und gereinigt, zur Untersuchung in die großen Museen geschickt wurde. Bianca-Maria, die nun eines der Zelte neben der Ausgrabungsstät te betrat, fuhr sich mit einer müden Geste ordnend durch ihr Haar. Lange Stunden der Arbeit lagen hinter ihr, Staub und abgestandene, stickige Luft in den Grabkammern hatten ihr zu schaffen gemacht. Sie sehnte sich nach einem erfrischenden Bad und einer ausgiebigen Nachtruhe. Die Prinzessin war kein Luxusgeschöpf, sie brauchte nicht viel, um zufrieden zu sein und verstand sich auch auf körperliche Ar beit. Doch nach einem langen Tag in den Ausgrabungsstätten hatte sie nur den Wunsch, sich auszuruhen, nichts mehr zu sehen und zu hören. Anna, ihre persönliche Zofe, hatte ihr bereits ein Bad gerichtet. Die Sitzwanne war nicht sehr bequem, doch die Prinzessin hatte sich daran gewöhnt. Anna dagegen, die jeden Tag mit Wehmut vom fürst lichen Haushalt in Rom sprach, hatte stets etwas zu beanstanden. So auch jetzt. »Es ist nicht richtig, dass Sie wie ein Mann arbeiten, Principessa«, mahnte sie. »Ich verstehe auch den Professore nicht. Er mutet Ihnen viel zuviel zu!« 5
»Ach, Anna, du machst dir überflüssige Sorgen«, versicherte die junge Frau und genoss das duftende Nass auf ihrer Haut. »Ich bin jung und gesund. Die Arbeit macht mir Freude. Es gibt keinen Grund, etwas daran zu ändern.« Das ebenmäßige Gesicht der jungen Hochad ligen wurde plötzlich ernst, es schien, als senke sich ein dunkler Schleier über die sonst so klaren, strahlenden Augen, als sie mit leiser Stimme fortfuhr: »Papa ist nicht mehr ganz gesund. Obwohl er immer versucht, es vor mir zu verbergen, habe ich doch bemerkt, dass er Schmerzen hat. Ich fürchte, es ist das Herz. Und er mutet sich einfach zuviel zu.« »Haben Sie mit ihm darüber gesprochen? Wenn er krank ist, muss er mit der Arbeit aufhören und sich untersuchen lassen.« Bianca-Maria lächelte traurig. »Ich wünschte, ich könnte mit ihm darüber reden. Aber das geht nicht. Er würde sich in seinem Stolz, seiner Ehre gekränkt fühlen. Das will ich nicht.« Anna schwieg, obwohl sie anderer Meinung war. Aber sie wusste, dass es ihr im Grunde nicht zustand, sich in die Familienangele genheiten ihrer Brotherrin einzumischen. Dass die Prinzessin sie nicht wie eine Zofe, sondern wie eine gute Freundin behandelte, lag nur an ihrem guten Herzen und großzügigen Wesen. Anna half der jungen Frau wenig später beim Ankleiden und zog sich dann zurück. Die Prinzessin trug nur einfache Kleidung bei der Arbeit, meist Blusen und Röcke aus Baumwollstoff. Am Abend aber, wenn sie zusammen mit ihrem Vater noch eine kleine Mahlzeit ein nahm, wählte sie immer ein hübsches Kleid, zum Beispiel aus hellem Musselin, so wie jetzt. Das blonde Haar trug sie aufgesteckt, was ihren langen, schlanken Hals betonte. Und als der Professor wenig später erschien, stellte er anerkennend fest: »Du bist wunderschön, cara mia. Mit jedem Tag wirst du deiner Mutter ein wenig ähnlicher. Und sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe.« »Ach, Papa, du schmeichelst mir«, wehrte sie lächelnd ab. »Lass uns lieber von der Arbeit sprechen. Was glaubst du, werden wir den Sarkophag von Omses dem Dritten wohl in dieser Grabkammer fin den?« 6
Der Professor, ein hoch gewachsener Herr mit grauen Schläfen, Schnauz und ausdrucksvollen, dunklen Augen zögerte ein wenig mit der Antwort. Schließlich erwiderte er vorsichtig: »Es deutet vieles dar auf hin. Doch es ist zu früh, um sich festzulegen.« »Es wäre eine Sensation«, sinnierte Bianca-Maria. »Der Sarkophag galt als verschollen. Wenn er wirklich hier ist, woran ich nicht zweifle, dann...« Sie verstummte erschrocken, als sie bemerkte, dass ihr Vater plötzlich blass geworden war. Seine Rechte wanderte zitternd zum Herzen, krampfte sich dort kurz zusammen. Das unheimliche Schau spiel dauerte nur wenige Augenblicke, doch es versetzte die junge Frau in große Angst. Sofort wollte sie wissen: »Hast du wieder Schmerzen? Bitte, sei ehrlich zu mir!« Der Professor lächelte angestrengt. »Es geht schon. Ich fürchte, ich habe es heute ein wenig übertrie ben. Die Hitze, der Staub... Na, du weißt ja selbst, dass die Arbeit dort unten nicht immer sehr angenehm ist.« Bianca-Maria dachte an die mahnenden Worte von Anna. Vor sichtig ließ sie anklingen: »Wir sollten vielleicht eine Pause einlegen. Ein paar Tage Ruhe könnten uns beiden nicht schaden. Wie wäre es, wenn wir nach Kairo reisen und...« »Das geht nicht und du weißt es. Wir sind einem sensationellen Fund auf der Spur. Wenn wir jetzt aufgeben, werden andere das Ren nen machen. Und das würde bedeuten, über ein Jahr Arbeit in den Wind zu schreiben.« »Ich mache mir aber Sorgen um dich, Papa«, ließ sie ihn beklom men wissen. »Schau, ich habe ja nur dich auf der Welt. Und ich möch te dich nicht verlieren.« »Keine Angst, so schnell wirst du mich nicht los«, scherzte er. »Ich bin nur ein wenig müde. Das Beste wird sein, ich gehe gleich zu Bett. Und du solltest auch nicht mehr allzu lange aufbleiben. Morgen liegt wieder ein langer Tag vor uns...« Sie seufzte leise, gab aber nach. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Gute Nacht.« Bertoli di Medici zog sich umgehend in sein Schlafzelt zurück. Als er allein war, zerfiel seine gleichmütige Miene, machte einem Ausdruck 7
von Schmerz und Leiden Platz. Schon seit geraumer Zeit litt der italie nische Fürst unter zunehmenden Schmerzen und Beklemmungen am Herzen, die sich immer weiter verschlimmerten. Er hatte bereits heim lich einen Arzt in Assuan aufgesucht. Doch dieser konnte ihm nichts raten, außer sich zu schonen und in Ruhe sein kommendes Alter zu erwarten. Aber eben das war dem Professor ganz unmöglich. Nach dem frühen Tod seiner Frau hatte die Wissenschaft seinem Leben wie der einen Sinn gegeben. In gewisser Weise war sie zu seiner wahren Leidenschaft geworden. Er wusste, dass er ganz dicht vor einem sen sationellen Fund stand und konnte deshalb nicht kürzer treten. Selbst wenn ihm bewusst war, wie unvernünftig sein Verhalten in Bezug auf seine Gesundheit war. Doch er wollte einfach nicht aufgeben. Er brauchte den Erfolg, um die Mühen der vergangenen Monate verges sen zu können. Wenn nötig, auch um jeden Preis...
*
Am nächsten Tag erhielten die Forscher unerwartet Besuch. Sir George Egglethorpe, der britische Botschafter in Kairo, machte den Italienern seine Aufwartung. Bianca-Maria war darüber alles andere als erfreut. Der Diplomat, den sie bei einem Empfang in der italienischen Botschaft kennen gelernt hatte, war ihr unsympathisch. Ein aufdringlicher und schwatzhafter Zeitgenosse, der zudem kein Hehl daraus machte, dass sie ihm überaus gut gefiel. Schon auf dem Empfang waren ihr seine offenen Avancen zuwider gewesen. Der Professor bat seine Tochter allerdings, freundlich zu dem Besucher zu sein. »Möglich, dass seine Regierung an unserer Arbeit Interesse zeigt. Und es ist nie verkehrt, viele Gönner zu haben«, erklärte er ihr geschäftstüchtig. Der Prinzessin fehlte dafür jedoch jedes Verständnis, sie monierte: »Dieser Mann ist mir zuwider, ich kann ihn nicht leiden. Und ich glaube auch nicht, dass er uns in irgendeiner Weise einen Vorteil verschaffen könnte. Ganz davon abgesehen, dass wir den nicht brauchen. Ein Mann von deinem Ruf...« 8
»Dein unerschütterliches Vertrauen in mich ist schmeichelhaft«, erwiderte der Professor lächelnd. »Aber ich halte es trotzdem nicht für falsch, sich viele Optionen offen zu halten.« »Schön, wie du willst«, gab sie daraufhin wenig begeistert nach. »Aber ich möchte dich um etwas bitten: Lass mich nicht mit diesem Menschen allein.« »Keine Angst, ich werde die ganze Zeit an deiner Seite bleiben.« Der Fürst schmunzelte. »Aber du kannst es dem Botschafter nicht ver denken, wenn er dir Komplimente macht. Schließlich ist er nicht blind...« »Ach, Papa, du machst Witze!« Bianca-Maria folgte ihrem Vater zu dem größten Zelt, in dem die Arbeiter gewöhnlich ihre Mahlzeiten zu sammen einnahmen. Es diente aber auch dazu, Gäste zu empfangen und zu bewirten. Der britische Botschafter erwartete die Italiener be reits. Als sie eintraten, erhob er sich hastig und kam mit ausgestreck ten Händen auf den Professor zu. Er tat so, als treffe er einen lange vermissten, guten Freund endlich wieder und könne seine Freude dar über kaum zügeln. Bianca-Maria verkniff sich einen passenden Kommentar. Sie dach te an die Bitte ihres Vaters und schwieg mit undurchdringlicher Miene. Sir George war ein mittelgroßer, etwas gedrungener Mann mit rötli chem Haar und Sommersprossen. Er hatte die vierzig bereits über schritten, tat aber stets so, als sei er noch ein junger Mann, der gera de erst im Begriff stand, sich im Leben zurecht zu finden. Vermutlich beabsichtigte er mit diesem Verhalten, sein Gegenüber für sich einzu nehmen. Die junge Italienerin fand es nur peinlich und unpassend. Ebenso wie seine direkten Komplimente, die er bereits in die Begrü ßung einstreute. »Principessa, Sie sehen hinreißend aus! Ganz Ägypten würde sei nen Glanz und Liebreiz einbüßen, sollten Sie es sich einfallen lassen, abzureisen.« Sie lächelte säuerlich. »Eigentlich habe ich das nicht vor. Es sei denn, Sie würden uns in Zukunft öfter besuchen.« Er stutzte kurz, lachte dann aber aufgesetzt und sagte zu Prof. di Medici: »Schlagfertig und amüsant! Ihre Tochter weist in der Tat alle 9
guten Eigenschaften auf, die eine Lady ihres Ranges haben sollte. Der Mann, der sie einmal heimführen darf, wird ebenso beneidet wie glücklich werden!« Der Professor ging nicht auf die Worte des Besuchers ein, statt dessen schlug er vor: »Wenn Sie möchten, führe ich Sie durch die Ausgrabungsstätte, Sir, damit Sie sich einen ersten Eindruck ver schaffen können. Und später zeige ich Ihnen dann die Ergebnisse un serer Arbeit aus der vergangenen Woche. Ich denke, die Funde sind beachtlich und können sich sehen lassen. Es hat durchaus den An schein, als ob wir vor einer großen Entdeckung stehen, die unsere Forschung ein beachtliches Stück voran bringen wird.« Während er gesprochen hatte, war er aus dem Zelt getreten und hatte sich der aktuellen Ausgrabungsstätte zugewandt. Sir George folgte nur zö gernd. Keinen Blick ließ er von der Prinzessin, der es zunehmend schwerer fiel, zu seinem Verhalten zu schweigen. Was er sich ihr ge genüber herausnahm, war unverschämt, besonders, da sie ihm bereits sehr deutlich gezeigt hatte, dass er ihr nicht sehr sympathisch war. Doch das schien ihm ganz einerlei zu sein. In einem kurzen, unbeo bachteten Moment näherte er sich ihr und bat: »Möchten Sie mir nicht die Ausgrabungsstätte zeigen, Prinzessin? Ich würde mich überaus glücklich schätzen...« »Finden Sie Ihr Verhalten sehr passend, Signore?«, erwiderte Bi anca-Maria abweisend. »Ich kann mich nicht erinnern, Sie dazu er mutigt zu haben. Oder habe ich Ihnen vielleicht Hoffnung auf meine Sympathie gemacht?« »Nun, ich weiß, ich bin kein Adonis, aber ich habe einer Frau viel zu bieten. Und ich bete Sie an, immer muss ich nur an Sie denken, Tag und Nacht! Sie haben mir das Herz geraubt, beim ersten Blick in Ihre wundervollen Augen war ich willenlos, Ihr Sklave! Verfügen Sie über mich, jeden Wunsch will ich Ihnen erfüllen, jeden!« »Wirklich jeden?« Sie lächelte schmal, als er eifrig zustimmte. »Dann lassen Sie mich in Ruhe. Nichts anderes wünsche ich mir von Ihnen.« Hoch erhobenen Hauptes ließ sie ihn stehen und sah nicht mehr die bittere Enttäuschung in seinen Augen, die schon allzu bald zu einem anderen, ebenso intensiven Gefühl werden sollte... 10
Bereits kurze Zeit später verabschiedete der britische Botschafter sich. Angeblich hatte er noch wichtige Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten. Prof. di Medici fragte seine Tochter: »Kann es sein, dass er hier nicht gefunden hat, was er suchte?« Bianca-Maria lächelte fein. »Schon möglich.« »Jedenfalls sind wir ihn los. Und ich kann nicht behaupten, dass mich das sonderlich traurig stimmt. Du hattest recht, er ist un sympathisch. Auf solche Kontakte sind wir weiß Gott nicht angewie sen.« Der Fürst legte einen Arm um die Schultern seiner Tochter und schlug vor: »Lass uns wieder an die Arbeit gehen und diesen wenig erfreulichen Besuch so rasch wie möglich vergessen. Er ist fort und das ist die Hauptsache.« »Ich glaube nicht, dass wir den Botschafter so schnell los wer den«, mutmaßte die junge Frau. »Er wird sicher nicht so ohne wei teres aufgeben. Seine Liebeserklärung hatte etwas Übertriebenes, das mich seltsam berührt hat.« »Nun, du solltest dir keine Gedanken mehr über ihn machen. Falls er noch einmal hier aufkreuzt, werde ich ihn kurz und schmerzlos ab fertigen. Du brauchst kein Wort mehr mit ihm zu wechseln. Ich lasse es nicht zu, dass meine Tochter von solch einem aufdringlichen Kerl belästigt wird!« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, atmete dann aber doch er leichtert auf. Bianca-Maria wusste, dass sie auf ihren Vater zählen konnte. Er hatte sie bislang vor allen Unbilden des Lebens beschützt und würde dies auch weiterhin tun. Sie glaubte sich vor Sir George Egglethorpe sicher und ahnte nicht einmal, wie bald die Dinge sich grundlegend ändern sollten... * Wenige Tage vergingen im Gleichmaß. Prof. di Medici arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Manchmal musste Bianca-Maria ihn mit sanfter Gewalt in sein Bett bugsieren. Oft hatte sie den Ein druck, dass er von dieser Ausgrabung wie besessen war. Sie fing an, 11
sich ernsthafte Sorgen zu machen, als ihr sein Tagebuch durch Zufall in die Hände fiel. »Ich muss es schaffen«, hatte er am Vorabend mit zitternder Hand eingetragen. »Wenn ich nicht zur dritten Kammer vorstoße, be vor es zu spät ist, wird alles verloren sein. Bianca kann meine Arbeit allein nicht vollenden. Mein Lebenswerk wäre zum Scheitern verur teilt.« Die Prinzessin war über diese offenen Worte sehr erschrocken. Wie es schien, wusste ihr Vater recht genau, dass es schlecht um ihn, um seine Gesundheit stand. Doch anstatt sich zu schonen, nutzte er die Zeit bis zur letzten Sekunde aus. Die junge Frau konnte dies nicht akzeptieren. Sie verstand zwar die Leidenschaft, mit der ihr Vater sei ner Forschung nachging. Doch so weit, wie er es nun trieb, wäre sie niemals gegangen. Sie fand es falsch, die Ausgrabungen über das ei gene Leben zu stellen. Und sie fasste den Entschluss, ihn vor sich selbst zu schützen. Wenn er schon von sich aus nicht vernünftig wur de, musste sie eben ein wenig nachhelfen. Heimlich schickte sie nach einem Arzt aus dem eine Tagesreise entfernten Assuan. Bianca-Maria hoffte, dass eine aktuelle Diagnose ihrem Vater drastisch vor Augen führen konnte, wie leichtsinnig er bereits mit seinem Leben gespielt hatte. Sollte er trotz allem noch störrisch auf seiner Haltung beharren, würde sie ihn notfalls auch mit sanfter Gewalt zum Ausruhen zwingen. Obwohl die junge Frau sich durchaus bewusst war, dass der Fürst ihr Verhalten niemals billigen würde, tat sie es doch aus Liebe. Sie wollte ihren Vater nicht verlieren. Er war nicht nur der einzige Mensch auf der Welt, der zu ihr gehörte, sie blickte auch zu ihm auf und wünschte sich nicht zuletzt, dass er die Früchte seiner jahrelangen Forschungsarbeit noch ernten konnte. Anna, die Zofe der Principessa, bemerkte wohl, dass mit ihrer jun gen Herrin etwas nicht stimmte. Und sie brauchte gar nicht lange nachzufragen, bis diese ihr freiwillig das Herz ausschüttete. Wie er wartet war die Bedienstete sofort auf ihrer Seite. »Sie haben das einzig Richtige getan!«, versicherte sie mit Nach druck. »Keine Arbeit ist es wert, dafür das eigene Leben zu opfern!« »Ja, das denke ich auch. Trotzdem fürchte ich mich vor dem Mo ment, wenn Papa alles erfährt. Ich kann schlecht behaupten, dass die 12
ser Arzt ganz zufällig hier vorbeigekommen sei, fast zweihundert Kilo meter von Assuan entfernt...« »Sie können aber sagen, dass Sie aus Sorge gehandelt haben, Principessa. Und dagegen kann Ihr Vater nichts einwenden.« Bianca-Maria lächelte schmal. »Ich hoffe, du hast recht...« Aufgeregte Stimmen, die aus Richtung der Ausgrabungsstätte ka men, drangen im nächsten Augenblick an das Ohr der Prinzessin. Und gleich darauf rief der Vorarbeiter von draußen: »Schnell, kommen Sie, Prinzessin, Ihr Vater...« Er verstummte, denn wieder wurden Rufe von weiter weg laut. Bianca-Maria, die einen Moment lang wie erstarrt vor Schreck gewesen war, verließ in fliegender Hast ihr Zelt und eilte hin ter dem Vorarbeiter her. »Was ist denn geschehen? Wo hält sich mein Vater auf? So reden Sie doch!«, forderte sie von dem aufgeregten Mann, der ganz blass im Gesicht war. »Der Professor war allein in einer der Kammern. Ich wollte nach sehen, weil ich länger nichts von ihm gehört hatte. Und da fand ich ihn: Er lag ohne Besinnung auf der Erde.« »Um Himmels willen! Hat er sich verletzt, ist ein Pfeiler gebro chen? Wie kam es zu dem Unglück?«, drang sie weiter in den Mann, der selbst noch ganz verstört und durcheinander war. »Nein, nichts dergleichen. Es war kein Unglück«, entgegnete die ser da zu ihrer Bestürzung. »Der Professor ist einfach nur umgefallen. Er ist ganz bleich. Wir dachten, er sei tot...« »Mein Gott...« Bianca-Marias Lippen zitterten. Sie musste wie zwanghaft an die letzte Tagebucheintragung denken. Was, wenn sich die Befürchtungen ihres Vaters nun bewahrheitet hatten, wenn er ei nen schweren Herzanfall erlitten... Sie verbot sich selbst solche schlimmen Gedanken. Es wäre eine Ironie des Schicksals gewesen, hätte der Professor ausgerechnet am Vorabend des Arztbesuches eine Herzattacke erleiden müssen. Nein, das durfte nicht sein! Gewiss war er nur überarbeitet... Die verschüchterten Arbeiter traten zur Seite, als die Prinzessin die Grabkammer betrat. Sie hatten den Fürsten auf ihre Jacken gebettet und einen schrecklichen Moment lang glaubte Bianca-Maria tatsäch 13
lich, dass ihr Vater tot war. Ein leises Schluchzen entrang sich ihr, sie kniete neben dem Reglosen nieder, nahm sein Gesicht in beide Hände und sprach leise seinen Namen. Sie spürte, dass seine Haut kühl war, doch sein Herz schlug noch, wenn auch kaum wahrnehmbar. Für ein paar Augenblicke fühlte die Prinzessin sich unendlich schwach und verzweifelt. Ihr wurde bewusst, dass sie nur unter Fremden war. Auch wenn der Vorarbeiter ein Italiener war, gab es hier doch niemanden, der ihr helfen konnte, diese schlimme Situation zu bewältigen. Sie war völlig auf sich selbst gestellt. Und das machte ihr Angst. Doch es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder im Griff hatte. Ih re gute Erziehung, zu der auch ein gerüttelt Maß Selbstbeherrschung gehörte, verbot es Bianca-Maria, sich vor anderen gehen zu lassen. Sie wies den Vorarbeiter an, ihren Vater in sein Zelt zu bringen. »Aber seien Sie sehr vorsichtig!«, wiederholte sie mehrere Male. Dann kehrte sie zu Anna zurück, informierte sie kurz und bat sie, ihr frisches Was ser und einige saubere Tücher zu bringen. »Ich werde bei ihm wachen und seine Stirn kühl halten«, ließ sie die Zofe wissen. »Ich hoffe, das wird ihm ein wenig helfen.« »Wollen Sie denn die ganze Nacht aufbleiben?« »Es geht nicht anders. Der Arzt kommt morgen früh an. Bis dahin werde ich bei meinem Vater bleiben.« Sie schluckte. »Falls ihm in der Zwischenzeit nichts zustößt...« »Oh, Principessa, bitte, lassen Sie mich mit Ihnen wachen!«, fleh te Anna mit tränenschwerer Stimme. »Ich kann Sie doch jetzt nicht allein lassen.« »Wenn du willst, bleib«, gab Bianca-Maria nach, obwohl sie im Moment lieber mit ihrem Vater allein gewesen wäre. Doch sie ahnte auch, dass die Nacht sich noch lange hinziehen würde. Und dass sie Beistand und Trost brauchte, sollte der Arzt zu spät eintreffen. Die Zofe nickte wortlos, wischte sich über die Augen und verließ kurz das Zelt. Bianca-Marias Blick fiel auf das Tagebuch ihres Vaters und das Herz wurde ihr sehr schwer. In diesem Moment hätte sie alles dafür gegeben, niemals nach Ägypten gekommen zu sein und diese Ausgra bungen begonnen zu haben. Sie sollten für ihren Vater zu einer Le 14
bensaufgabe werden. Und nun würden sie ihm vielleicht den Tod brin gen. * Die Stunden der Nacht zogen sich in der Tat unendlich lang dahin. Bianca-Maria wachte tapfer und ausdauernd am Lager ihres Vaters. Mittlerweile hatte der Fürst leichtes Fieber, das unaufhörlich anstieg, wenn auch langsam. Die Prinzessin tat alles, um ihrem Vater Erleichte rung zu verschaffen. Doch sein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Gegen fünf Uhr, am Horizont lag bereits ein Streifen purpurnen Lichts, das den neuen Tag ankündigte, fiel Bianca-Maria in einen leich ten, unruhigen Schlaf. Sie träumte wirr, sah sich selbst auf der Spitze einer Pyramide stehen, umtost von einem gewaltigen Sandsturm. Der Professor war an ihrer Seite, aber sie konnte ihn nicht sehen. Und als sie die Hand nach ihm ausstreckte, war er plötzlich verschwunden... Die junge Frau erwachte schlagartig, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte und jemand leise ihren Namen sprach. Hastig schreckte sie auf und blickte sich verwirrt um. Sie sah Anna vor sich, die leise erklärte: »Ihr Vater möchte mit Ihnen sprechen, Principessa. Er ist eben zu sich gekommen...« Sofort war Bianca-Maria hellwach. Sie erhob sich und trat an das Lager des Fürsten. Als sie in seine Augen schaute, die vom Fieber glänzten, erschrak sie. Und es war, als lege sich eine kalte Hand um ihr Herz, während sie ihn leise sagen hörte: »Es geht mit mir zu Ende, cara mia. Aber ich habe dir noch etwas zu sagen, bevor ich sterbe.« »Oh, Papa, sprich nicht so!«, flehte sie zutiefst erschrocken. »Du bist nur müde, hast zuviel gearbeitet. Aber es wird alles wieder gut. Ich habe einen Arzt bestellt, der bald hier eintreffen wird. Sorge dich nicht, du wirst wieder gesund.« Bertolt di Medici lächelte wehmütig. »Ich verstehe deinen Schmerz und deine Verzweiflung. Und ich füge mich auch nicht leicht in das Unabänderliche. Aber es muss sein!« »Nein, Papa, bitte!« Sie nahm seine Hand und schmiegte ihre Wange hinein. »Du musst durchhalten, bitte!« 15
Er lächelte wehmütig. Wie schwer fiel es ihm, seine geliebte Bian ca-Maria ganz allein in einem fremden Land zurück zu lassen. Die Sor ge um das Wohlergehen seiner Tochter gab ihm noch einmal die Kraft, ruhig und mit Nachdruck zu ihr zu sprechen. »Hör zu, cara mia. Wenn ich sterbe, wirst du nach Italien heim kehren. Ich möchte nicht, dass du allein hier bleibst. Du würdest nichts erreichen, dich nur unnötigen Gefahren aussetzen.« »Aber die Ausgrabungen, dein Lebenswerk...« »Darüber habe ich bereits nachgedacht. Du erinnerst dich gewiss an einen jungen Engländer. Dr. James Hastings, den wir vor einer Wei le auf einem Kongress kennen gelernt haben. Er wäre der richtige Mann, um diese Arbeit hier fortzusetzen. Ich bitte dich daher, dich mit ihm in Verbindung zu setzen. Schildere ihm die Lage, gib ihm alles Material, das wir zusammengetragen haben. Gewiss wird er erkennen, wie lohnenswert dieses Projekt ist.« Der Professor verstummte er schöpft und schloss kurz die Augen. Bianca-Maria, die ihm aufmerksam zugehört hatte, widersprach nun: »Ich finde den Gedanken, deine Arbeit einem anderen quasi zu schenken falsch und geschmacklos. Zumal ich diesen Dr. Hastings als nicht sonderlich sympathischen Zeitgenossen kennen gelernt habe. Er ist arrogant und snobistisch und hat mich behandelt wie eine bessere Handlangerin. Die Vorstellung, ihm all das hier zu überlassen, macht mich ganz krank. Nein, Vater, es muss noch eine andere Möglichkeit geben!« Der Professor lächelte nachsichtig. »Du musst deine Gefühle in diesem Fall hintan stellen, Bianca. Es hat keinen Sinn, zu diskutieren. Ich bitte dich ganz einfach, mir diesen Wunsch zu erfüllen.« Er streck te die zitternden Hände nach ihr aus, als sie diese ergriff, versicherte er: »Ich hätte es mir anders gewünscht, weiß Gott. Doch das Schicksal hat es so bestimmt. Und dem können wir uns nicht widersetzen. Ver sprich mir, dass du nach Rom zurückkehrst, wenn ich nicht mehr bin.« »Ich...« Sie verstummte, als Anna erschien und die Ankunft des Arztes meldete. Die Prinzessin war erleichtert, denn diese Unter brechung entband sie von der Notwendigkeit einer Antwort. Sie lächel 16
te ihrem Vater zu und bat beruhigend: »Versuche, dich zu entspannen, Papa. Der Doktor wird dir helfen.« Der Mediziner, ein erfahrener Mann in mittleren Jahren, der in As suan eine Klinik leitete, blieb lange im Zelt des italienischen Fürsten. Bianca-Maria wartete voller Ungeduld und mit bangem Herzen darauf, dass er endlich kam und ihr Klarheit verschaffte. Anna brachte ihr starken Kaffee und eine Kleinigkeit zu essen, die sie allerdings nicht anrührte. Ihr Magen war wie zugemauert. Die Sonne war bereits über den Pyramiden aufgegangen, doch die Arbeiter wagten nicht, die Aus grabungsstätten zu betreten. Pickel und Schaufel ruhten, eine ange spannte Stille lag über dem Land, die in der bereits heißen Luft zu flir ren schien. Selten zuvor hatte Bianca-Maria das Wüstenklima als so bedrückend empfunden. Sie wünschte sich einmal mehr zurück in die Villa Medici nach Rom. Daheim - dieses Wort bekam in Angst, Unsi cherheit und quälender Fremdheit eine ganz neue Qualität für sie. Doch die Prinzessin gestattete sich solche Gedanken nicht. Sie musste nun stark sein; egal, was auf sie zukam oder wie die Dinge sich ent wickelten. Endlich erschien Dr. Fallil wieder. Seine Miene war verschlossen, was nichts Gutes verhieß. Und tatsächlich erklärte er der jungen Frau, dass der Zustand ihres Vaters sehr ernst sei. »Er hat einen schweren Herzanfall erlitten. Und ich fürchte, es war nicht der erste. Können Sie mir dazu etwas sagen, Prinzessin?« »Nun, ich habe nicht gewusst, dass mein Vater so krank ist«, er klärte sie mit unsicherer Stimme. »Mir ist durchaus bewusst gewesen, dass es ihm in den vergangenen Wochen nicht sehr gut ging. Ich habe auch mehrfach versucht, ihn dazu zu bringen, weniger zu arbeiten, kürzer zu treten. Leider umsonst.« »Ihr Vater ist ein großer Wissenschaftler. Aber ein sehr unvernünf tiger Mann«, konstatierte der Arzt. »Leider kann ich ihn hier nicht be handeln, er muss in meine Klinik. Ich schlage deshalb vor, ihn direkt mitzunehmen. Ich werde ihn während der Fahrt betreuen.« »Ist das wirklich nötig? Ich meine, sein Zustand ist nicht der beste und dann die lange Reise...« 17
»Wäre es möglich, ihm diese Fahrt zu ersparen, würde ich das selbstverständlich tun«, versicherte Dr. Fallil. »Doch ich kann hier nichts für ihn tun.« Bianca-Maria nickte langsam. »Gut, wenn Sie es sagen, muss ich Ihnen ja glauben. Ich möchte aber mitkommen.« Der Arzt hatte nichts dagegen. Er war mit einem geräumigen Au tomobil gekommen, das zum Transport von Kranken gut geeignet schien. Bianca-Maria bereitete sich eilig auf die Reise vor, während sie dem Vorarbeiter Anweisung gab, die Ausgrabungen bis zu ihrer Rück kehr ruhen zu lassen. Die Zofe Anna sollte ihre Herrin nach Assuan begleiten. Sie hatte rasch eine kleine Reisetasche mit allem Notwendi gen gepackt. Es war nicht einmal eine Stunde seit dem Gespräch zwi schen der Prinzessin und dem ägyptischen Mediziner vergangen, als Bianca-Maria neben ihrem Vater in dem Transporter saß, seine Hand hielt und ihm versicherte, dass es ihm sehr bald wieder besser gehen würde. Anna, die noch nie in einem Automobil gesessen hatte, schien sich zu fürchten. Angespannt kauerte sie in einer Ecke und der Ausdruck ihrer Augen besagte deutlich, dass sie nun sehr viel lieber ganz wo anders gewesen wäre... Die Prinzessin nahm die Strapazen der langen Fahrt ohne Murren auf sich. Sie blieb die ganze Zeit an der Seite des Fürsten, der meist schlief oder in einem Zustand zwischen Traum und Wachen vor sich hin dämmerte. Dr. Fallil verabreichte ihm in gleichmäßigen Abständen ein Beruhigungsmittel, das ihn die Reise leichter überstehen ließ. Am nächsten Morgen erreichten sie dann endlich Assuan. Der Me diziner sorgte dafür, dass sein Patient sofort medizinisch behandelt wurde. Bianca-Maria, die es ablehnte, sich auszuruhen, wanderte un ruhig im Wartezimmer auf und ab, das Herz tat ihr weh vor Bangigkeit und Verlassensein. Stunde um Stunde verrann, ohne dass sich etwas Neues ergab. Anna saß in einer Ecke des Warteraums auf einem Stuhl und schlief. Bianca-Maria hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie das Mädchen dieser Strapaze aussetzte. Doch sie hatte Anna auch nicht ganz allein bei der Ausgrabungsstätte zurücklassen können... 18
Endlich, es ging bereits auf Mittag zu, erschien Dr. Fallil im War teraum. Bianca-Maria ahnte bereits, dass er schlechte Nachrichten brachte, denn seine Miene war sehr ernst. Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und für ein paar Augenblicke voller Schwäche wünschte sie sich, nicht hören zu müssen, was er ihr sagen wollte. Die Angst vor der Zukunft, der Ungewissheit und vielleicht dem Ende aller Wege setzte ihr schwer zu. Doch dann bewahrte sie Haltung, hörte mit unbewegter Miene, wie der Doktor sagte: »Es tut mir sehr leid, Prinzessin, aber wir konn ten nichts mehr für Ihren Vater tun. Mein Beileid.« »Kann ich... ihn noch einmal sehen?« Die Worte kamen beinahe automatisch und ohne ihr Zutun. Und sie erschrak zugleich über den fremden Klang ihrer eigenen Stimme. Unterbewusst hörte sie Anna leise weinen. Der Tod des Fürsten erschien ihr aber noch nicht greif bar, nicht real nach all den Strapazen, die hinter ihnen lagen und die nun völlig umsonst gewesen sein sollten... »Bitte folgen Sie mir, Prinzessin«, bat der Mediziner leise, BiancaMaria zögerte nicht. Sie spürte, dass sie sich einfach von ihrem Vater verabschieden musste, es war ihr ein inneres Bedürfnis. Hatte sie schon nicht bei ihm sein können im Augenblick des Todes, so wollte sie ihm zumindest jetzt Lebewohl sagen. Der Verstorbene befand sich in einem kleinen Raum, durch dessen Fenster ein lauer Wind säuselte. Ein Duft nach exotischen Blüten lag darin wie die Erinnerung an alle Hoffnungen und Wünsche, die sich für den Professor mit seiner Ägyptenreise verbunden hatten. Nun war all dies verloren, unwiederbringlich dahin. Bianca-Maria musste an die letzte Bitte ihres Vaters denken, die ihr zum Auftrag, ja zur Pflicht ge worden war. Sie musste einem anderen all das übergeben, was für den Vater Lebensaufgabe und Leidenschaft gewesen war. Und die Vorstellung, dass dieser andere auch den Ruhm ernten würde, die Früchte der Arbeit, die eigentlich Bertolt di Medici zustanden, machte ihr das Herz noch schwerer. Zögernd trat sie an das Lager des Toten, strich zaghaft über seine kühle Stirn. Ein verzweifeltes Schluchzen kam über ihre Lippen. Und dann war es um ihre Beherrschung geschehen. Übermannt von Trauer und tiefem Schmerz brach die Prinzessin in die 19
Knie, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte lange. Eine über große Verzweiflung ergriff von ihr Besitz und die Gewissheit, nun ganz allein auf der Welt zu stehen, ließ sie schwach werden. »Oh, Papa, wie konntest du mich nur allein lassen«, schluchzte sie heiser. »Wie konntest du nur...« Mit einem Mal schien sich der Boden unter Bianca-Marias Füßen zu bewegen. Eigenartige Geräusche drangen an ihr Ohr, die Helligkeit im Zimmer nahm zu und blendete sie. Erstickt rief sie um Hilfe, aber kaum ein Laut kam über ihre Lippen. Und dann sank die zutiefst Er schöpfte und Verzweifelte wie leblos zu Boden. Die schlimmen Erleb nisse der vergangenen Stunden waren einfach zuviel für Bianca-Maria gewesen... * Die Prinzessin erwachte am nächsten Tag aus einer tiefen Er schöpfung. Als sie sich in dem kleinen, luftigen Krankenzimmer um schaute, erfasste sie sofort wieder die Erinnerung an den vergangenen Tag und den schreckliche Verlust, den sie erlitten hatte. Kraftlos blieb Bianca-Maria in dem schmalen Bett liegen, eben noch hatte sie sich erheben wollen, doch nun schien ihr alle Energie, aller Wille zu fehlen. Der Tod des geliebten Vaters lahmte sie und machte es ihr unmöglich, noch an eine Zukunft zu glauben. Sie fühlte sich allein und verlassen, das Leben war ihr nur noch eine Last. Müde schloss sie wieder die Augen und wünschte sich nur eines: Nichts zu hören und zu sehen, das Leben zu vergessen und vom Leben vergessen zu werden. Doch das war nicht möglich, wie sie wenig später erfahren sollte. Dr. Fallil erschien, um nach ihr zu sehen. Und Anna berichtete, dass man in der Stadt überall vom Tod des Professors sprach. Bianca-Maria begriff allmählich, wie bekannt und geschätzt ihr Vater gewesen war. Doch diese Erkenntnis machte ihren Verlust nur noch schmerzhafter. Am Nachmittag erschien dann der britische Botschafter am Kran kenbett der italienischen Prinzessin. Bianca-Maria wollte ihn nicht se hen, denn der aufdringliche Engländer war nun der Letzte, der ihr Trost spenden konnte. Doch Sir George ließ sich nicht abweisen. Ge 20
gen den ausdrücklichen Wunsch der Kranken verschaffte er sich Zutritt zu ihrem Zimmer. Mit einer demütigen Geste verneigte er sich und erklärte, noch ehe sie etwas sagen konnte: »Mylady, Sie sehen mich zutiefst betrübt und ebenso betroffen. Der Tod Ihres Vaters ist nicht nur menschlich ein Verlust, sondern für die Welt der Wissenschaft ein schwerer Schlag. Menschen in aller Welt betrauern den Professor. Und ich sehe es als meine heilige Pflicht an, seine Tochter zu beschützen und für sicheres Geleit bei Ihrer Heimreise zu sorgen!« Bianca-Maria musterte ihren Besucher kühl. »Ich danke Ihnen für die gute Absicht, aber ich benötige keinen Schutz. Denn ich habe nicht vor, das Land in absehbarer Zeit zu verlassen.« Ihre Worte brachten den Botschafter kurz aus dem Konzept, ir ritiert wollte er wissen: »Wie darf ich das verstehen?« »Nun, ich wüsste zwar nicht, was es Sie angeht, Signore, aber ich kann Ihnen trotzdem versichern, dass ich willens und in der Lage bin, die Forschungen meines Vaters fortzusetzen.« Sie musterte ihn ebenso hochmütig wie kühl. »Und das werde ich tun.« »Aber, meine Liebe, das kann nicht ihr Ernst sein! Es ist völlig unmöglich, dass Sie nach Abu Simbel zurückkehren. Wenn ich ehrlich sein soll, so habe ich es bereits als leichtsinnig von Ihrem Vater ange sehen, dass er Sie mit in dieses Land gebracht hat. Sie haben gewiss schon von wilden Beduinenstämmen und allerlei anderem Volk gehört, das in den Wüstenregionen haust und es vor allem auf wehrlose Aus länder abgesehen hat. Männer werden von ihnen getötet, Frauen ver schleppt. Ich kann Sie nur eindringlich davor warnen, sich in eine sol che Gefahr zu begeben!« Die Prinzessin hatte mit ausdrucksloser Miene zugehört, nun erwi derte sie gelassen: »Seltsam, dass mir während all der Monate, die ich bereits in diesem Land bin, keine solche Räuberhorde begegnet ist, nicht wahr?« Sir George wollte ihren Einwurf nicht gelten lassen. »Sie zeigen sich natürlich nicht, sie leben im Versteckten«, behauptete er. »Doch das bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt. Deshalb kann ich Ihnen nur dringend davon abraten, ohne männlichen Schutz ins Aus grabungsgebiet zurückzukehren.« 21
Bianca-Maria lächelte spöttisch. »Und dieser männliche Schutz, das wären dann wohl Sie, nicht wahr?« Der Engländer schaute sie betroffen an. »Ich möchte Ihnen doch nur helfen, verhindern, dass Ihnen etwas zustößt«, unterstrich er be kümmert. »Ist das ein Grund, mich zu verspotten?« Kurz zögerte die junge Frau, denn es schien ihr beinahe so, als tue sie dem Botschafter Unrecht. War er am Ende tatsächlich nur an ihrem Wohlergehen interessiert? Bianca-Maria konnte es sich eigentlich nicht vorstellen, nach allem, was sie bereits erlebt hatte. Und sie sollte sich nicht getäuscht haben. Sir George, der ihr Schweigen als Unsicherheit auslegte, nahm ih re Hand und bat sie innig: »Lassen Sie mich für Sie sorgen, Prinzessin! Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie niemals enttäuschen werde! Ver gessen Sie die Ruinen, die Ausgrabungen. Bleiben Sie bei mir und ge ben Sie mir die Gelegenheit, Ihnen das Leben zu bieten, das Sie ver dienen. Ich will Sie auf Händen tragen und...« Er verstummte, als sie ihm abrupt ihre Hand entzog und abweisend forderte: »Gehen Sie, Sir George. Sie vergessen sich in jeder Beziehung. Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten. Und ich verbitte mir ein für alle Mal Ihre Zudringlichkei ten!« Er starrte sie kurz fassungslos an, dann trat aber ein anderer Aus druck in sein blasses Gesicht; etwas wie Verschlagenheit. Er machte keine Anstalten, den Raum zu verlassen, erinnerte sie statt dessen mit drohendem Unterton: »Sie sind ganz allein in diesem Land, Prinzessin. Eine Ausländerin ohne Freunde, ohne Familie. Ich fürchte, Sie beden ken Ihre Lage nicht. Hätten Sie dies getan, würden Sie nicht versu chen, sich mich zum Feind zu machen. Denn das ist ebenso dumm wie naiv.« »Wollen Sie mir drohen?«, fragte sie unmissverständlich. »Um Himmels willen, das käme mir niemals in den Sinn!« Er lä chelte scheinheilig. »Sie wissen zu gut, wie ich zu Ihnen stehe, Prin zessin. Das Einzige, was ich will, ist, Sie vor Schaden zu bewahren. Bitte, glauben Sie mir, es wäre ein sehr großer Fehler, zu den Ausgra bungsstätten zurückzukehren. Als Frau ohne Schutz wären Sie dort allem ausgeliefert. Außerdem würden die Arbeiter nicht auf Sie hören. 22
Es wäre ein aussichtsloses Unterfangen, die Arbeit Ihres Vaters fort setzen zu wollen.« Bianca-Maria hatte genau zugehört, nun mutmaßte sie: »Gewiss können Sie mir raten, wie ich weiterhin verfahren soll.« »Nun, es gibt bestimmte, nicht wenig einflussreiche Kreise in die sem Land, die auf dem Standpunkt stehen, dass die Pharaonengräber und alles, was dazu gehört, der genuine Besitz Ägyptens sind. Und dass es keinem Ausländer zusteht, sie einfach zu plündern, um die Museen der Welt damit zu füllen.« »Und diese Auffassung vertreten Sie auch?«, wollte sie erstaunt wissen. »Ich glaube, nicht fehl in der Annahme zu gehen, wenn ich behaupte, dass Ihr Heimatland bereits aus der ganzen Welt Kunst schätze zusammengetragen hat. Und kaum jemand hat sich je daran gestört. Einmal abgesehen von den Ländern, die bestohlen wurden...« »Liebe Prinzessin, es liegt nicht in meiner Absicht, eine theoreti sche Diskussion mit Ihnen zu führen«, unterstrich der Botschafter nun leicht ungehalten. »Ich bin hier, um Ihnen in einer Notlage zu helfen. Und ich möchte Sie noch einmal bitten, meine Hilfe nicht so einfach von sich zu weisen. Bislang standen Sie unter dem Schutz und der Fürsorge Ihres lieben verstorbenen Vaters. Das ist nun Vergangenheit. Und ich könnte weitaus ruhiger schlafen, wenn ich Sie auf der Heim reise wüsste, weit weg von Abu Simbel und all den Gefahren, die dort lauern.« Bianca-Maria ließ sich die Worte ihres Besuchers noch einmal durch den Kopf gehen, eh sie antwortete: »Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie es darauf anlegen, mich loszuwerden, Sir George. Vielleicht tue ich Ihnen ja auch Unrecht und Sie sorgen sich tatsächlich nur um mich. Trotzdem muss ich Ihr Ansinnen abweisen. Ich werde, sobald es mein Gesundheitszustand erlaubt, nach Abu Simbel zurück kehren. Das bin ich meinem Vater schuldig.« Dass der Professor sie ebenfalls gebeten hatte, das Land zu verlassen, verschwieg sie geflis sentlich. Es wäre ja nur Wasser auf die Mühle des Botschafters gewe sen. Sir George machte ein sehr bekümmertes Gesicht. »Nun, ich kann Sie nicht zwingen, mein Angebot anzunehmen. Aber ich appelliere 23
noch einmal an Ihren gesunden Menschenverstand, Prinzessin! Bege ben Sie sich nicht unnötig in Gefahren, die sich ganz leicht vermeiden ließen.« Er küsste ihr zum Abschied galant die Hand. »Falls Sie es sich anders überlegen sollten oder aber Hilfe benötigen, zögern Sie bitte nicht, sich an mich zu wenden. Ich bin, wie gesagt, immer für Sie da.« »Das ist sehr großzügig von Ihnen, aber ich werde sicher auch al lein zurecht kommen«, entgegnete Bianca-Maria distanziert. Sie at mete erst auf, nachdem der Botschafter den Raum verlassen hatte. Obwohl Sir George sich ihr gegenüber sehr besorgt und auch nicht mehr ganz so aufdringlich gezeigt hatte wie bisher, blieb doch die spontane Abneigung, die sie diesem Mann entgegenbrachte. Sie konn te den Engländer nicht leiden und hoffte sehr, ihn nie wieder sehen zu müssen! Sir Georges freundliche Miene zerfiel, sobald er das Krankenzim mer verlassen hatte. Ein tückisches Funkeln trat in seine hellen Augen und um seinen schmalen Mund zuckte es in unterdrücktem Jähzorn. Dass es ihm wieder nicht gelungen war, die so innig geliebte Frau ein wenig für sich einzunehmen, machte ihn rasend. Doch so schnell wür de er nicht aufgeben. Bianca-Maria musste die Seine werden! Nun, da der Professor nicht mehr schützend vor ihr stand, konnte sie sich sei nem Ansinnen auf Dauer nicht entziehen. Zudem würde sie schon sehr bald bereuen, seine Hilfe und seinen Schutz abgelehnt zu haben. Dafür würde er nun ohne Skrupel sorgen... * Beinahe eine Woche verbrachte die Prinzessin in Assuan im Kran kenhaus. Ihre Erschöpfung wich nur langsam, zudem war und blieb ihr das Herz schwer vor Trauer um den geliebten Vater. Dr. Fallil mahnte sie, sich auch weiterhin zu schonen und riet zu einem Klimawechsel. Am Tag ihrer Entlassung redete der erfahrene Mediziner der jungen Frau noch einmal streng ins Gewissen. »Sie sollten Ägypten verlassen, ein gemäßigtes Klima wird helfen. Ihre Kräfte wieder aufzubauen, Prinzessin. Und es wird Ihnen woanders sicher auch leichter fallen, mit dem Verlust umzugehen, den Sie erlitten haben.« 24
Bianca-Maria lächelte angedeutet und drückte dem Arzt kurz dan kend die Hand. »Sie haben viel für mich getan, Doktor, dafür bin ich Ihnen dankbar. Doch ich muss nun eine Aufgabe erledigen. Und ich scheue nicht davor zurück, dies zu tun.« Der Klinikchef musterte sie fragend. »Darf ich erfahren, was Ihre Worte bedeuten?« »Ich werde nach Abu Simbel zurückkehren, zu den Ruinen von ElSharif.« Sie bemerkte sein Erstaunen und fuhr entschieden fort: »Es ist mir eine Herzenssache, die Forschungen meines Vaters weiter zuführen und letztlich das zu erreichen, was ihm durch seinen allzu frühen Tod nicht mehr vergönnt war.« Dr. Fallil zögerte mit einem Einwand, den er ganz offensichtlich auf der Zunge hatte. Er wusste, dass es ihm im Grunde nicht zustand, Bianca-Maria di Medici Ratschläge zu erteilen, doch es fiel ihm auch schwer zu schweigen, nachdem er erfahren hatte, was sie plante. Deshalb äußerte er vorsichtig: »Die Gegend um die Ausgrabungs stätten ist nicht unbedingt das, was man als sicher bezeichnen würde. Ich möchte zu bedenken geben, dass Ihre Entscheidung vielleicht noch einmal überdacht werden sollte, Prinzessin.« Sie lächelte schmal. »Ich weiß Ihre Fürsorge durchaus zu schät zen, Dr. Fallil, aber ich werde schon auf mich selbst aufpassen. Ich muss es eben lernen. Die Ausgrabungen sind mir sehr wichtig. Und ich werde sie nicht aufgeben, bloß weil ich jetzt allein bin. Mein Entschluss steht fest: Ich werde den Ruinen von El-Sharif die letzten Geheimnisse entlocken.« Der Arzt nickte angedeutet. »Es ist Ihre Entscheidung. Dann bleibt mir wohl nur, Ihnen alles Gute zu wünschen. Und vor allem eine Bitte: Überanstrengen Sie sich nicht, Prinzessin. Sie sind noch nicht wieder ganz auf dem Posten. Und, wie Sie wissen, dort draußen ist nicht je derzeit ein Doktor zur Stelle...« »Ja, ich weiß.« Sie verabschiedete sich herzlich und dankbar von dem Mediziner, der ihr in der schwersten Phase ihres Lebens sehr ge holfen hatte und verließ wenig später das Hospital. Anna wartete bereits mit ihrem Gepäck im Hof. Die junge Zofe sah aus, als ginge ihr etwas sehr gegen den Strich. Allerdings machte sie 25
ihrem Herzen erst Luft, als sie zusammen mit ihrer Herrin in einer Mietdroschke saß, die sie zum Bahnhof bringen sollte. Da fragte Bian ca-Maria sie nämlich, was los sei. »Ich finde es falsch, wieder an diesen verfluchten Ort zurückzu kehren«, sagte Anna direkt. »Wenn Sie mich fragen, Principessa, dann sollten wir auf dem schnellsten Weg zurück nach Bella Italia reisen!« »Wenn du das möchtest, Anna, steht es dir natürlich frei«, erwi derte die Prinzessin großzügig. »Ich werde dir das Reisegeld geben und du fährst nach Rom und wartest in der Villa Medici auf mich. Ich muss dann eben für den Rest meines Aufenthalts hier auf deine Diens te verzichten.« Dem Mädchen blieb kurz der Mund offen stehen, denn senkte es den Blick und murmelte beschämt: »Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen dürfen. Bitte verzeihen Sie mir!« »Aber nein, ich habe das ganz ernst gemeint«, versicherte BiancaMaria nachsichtig. »Ich weiß selbst, dass das, was ich vorhabe, gefähr lich ist. Und ich kann dir nicht zumuten, mich zu begleiten. Wenn du heimfahren möchtest, kannst du das jederzeit tun. Es steht dir frei, ist deine Entscheidung.« Anna musterte ihre Brotherrin unsicher, dann vergewisserte sie sich noch einmal: »Sie würden mich wirklich fortschicken? Brauchen Sie mich denn gar nicht?« »Sicher brauche ich dich, Anna, das weißt du doch. Aber du bist meine Zofe. Und ich kann nicht verlangen, dass du dich meinetwegen in Gefahren begibst, die in keinem Verhältnis zu deiner Anstellung ste hen.« »Ich bleibe auf jeden Fall bei Ihnen, Principessa«, versicherte die Zofe da ebenso spontan wie nachdrücklich. »Ich könnte Sie niemals hier allein lassen, niemals! Ich hatte doch gehofft, dass wir zusam men...« »Später ganz sicher.« Bianca-Maria lächelte unergründlich. »Wenn alles erledigt ist, kehren wir natürlich nach Rom zurück.« Sie hatten nun den großen Bahnhof von Assuan erreicht, Anna be sorgte die Fahrkarten und achtete dann darauf, dass ihr Gepäck or dentlich verstaut wurde. Die Prinzessin und ihre Zofe bezogen ein Ab 26
teil erster Klasse, doch die Annehmlichkeiten hielten sich trotzdem in Grenzen. Anna schimpfte in einem fort über den verschmutzten Fuß boden, die leere Wasserkaraffe und die Hitze, die trotz geschlossener Vorhänge nach innen drang und den Schweiß aus allen Poren trieb. Bianca-Maria nahm die Gegebenheiten mit der Nonchalance, die Menschen ihres hohen Standes schon von klein auf anerzogen wurde. Auf die zögerliche Frage ihrer Zofe, wo der Professor denn begraben werde, erwiderte sie gefasst: »Natürlich in Rom, in unserer Familien gruft. Sein Leichnam ist bereits dorthin unterwegs. Ich hätte es nicht über mich gebracht, ihn in einem fremden Land beisetzen zu lassen.« Anna schwieg bekümmert und nach einer Weile fiel die Prinzessin in einen leichten Schlaf. Dr. Fallil hatte wohl recht, sie war noch nicht wieder ganz auf dem Posten. Und die Reise würde sie zudem anstren gen. Außerdem wusste sie nicht, was sie in Abu Simbel erwartete. Die Frage danach begleitete die junge Frau bis in ihre Träume und ließ sie selbst im Schlaf nicht wirklich zur Ruhe kommen... * Vier Wochen waren nun vergangen, seit Bianca-Maria aus Assuan zu den Ruinen von El-Sharif zurückgekehrt war. Mittlerweile hatte der Juni begonnen, die Temperaturen stiegen am Tag manchmal bis auf fünfzig Grad. Und in der Nacht näherten sie sich dafür dem Nullpunkt. Das Klima war überaus belastend. Selbst die Einheimischen stöhnten unter der Hitze. Und die italienische Prinzessin hatte mehr als einmal das Gefühl, in den Ausgrabungshöhlen ohnmächtig zu werden. Die Hitze staute die schlechte Luft so sehr, dass sie kaum noch zu atmen war. Doch Bianca-Maria gönnte sich keine Pause. Mit dem gleichen Ehrgeiz und Durchhaltewillen wie ihr Vater arbeitete sie nun daran, die dritte Grabkammer freizulegen, deren Existenz bislang nur eine Mut maßung war, die noch durch nichts bewiesen werden konnte. Zudem hatten sich die Arbeitsbedingungen an der Ausgrabungs stätte sehr verschlechtert. Mehrere Arbeiter hatten gekündigt oder waren einfach nicht mehr erschienen. Der Vorarbeiter erklärte BiancaMaria, dass die Männer es ablehnten, für eine Frau zu arbeiten. Die 27
Prinzessin ärgerte sich zwar darüber, ließ sie aber ziehen. Was hätte sie auch tun sollen? Neue Kräfte konnten im Gegenzug aber nicht ver pflichtet werden. Wenn sie erfuhren, für wen sie Schaufel und Pickel schwingen sollten, machten sie auf der Stelle einen Rückzieher. So blieben eigentlich viel zu wenige Arbeiter übrig, um die Ausgrabungen im gesteckten Zeitrahmen auszuführen. Bianca-Maria wollte das nicht wahrhaben. Sie kroch beim ersten Tageslicht in den Ausgrabungs schacht und verließ ihn erst wieder, wenn die Sterne schon am Himmel flimmerten. Natürlich war dieses Verhalten sehr schädlich für ihre an geschlagene Konstitution. Und es dauerte nicht lange, bis die Prinzes sin erneut auf der Nase lag. Ein Schwächeanfall zwang sie mehrere Tage auf ihr Lager, Anna wachte streng darüber, dass sie liegen blieb und sich ausruhte. Mit dem Ergebnis, dass danach auch die restlichen Arbeiter fort waren. Bianca-Maria hätte weinen können, als ihr das klar wurde. Sie machte ihrer Zofe große Vorhaltungen. Doch diese erinnerte sie nur daran, dass sie bei ihrem Vater ebenso reagiert hatte. »Die Gesundheit muss immer an erster Stelle stehen, das haben Sie selbst gesagt, Principessa!«, beharrte sie. »Ja, du hast wohl recht, Anna. Ich kann dir auch keinen Vorwurf daraus machen, dass du dich um mich sorgst. Aber wie soll es hier nun weitergehen? Wie soll ich ohne Arbeiter die Ausgrabungen fortfüh ren?« »Gar nicht!« Anna lächelte wissend. »Denken Sie nicht mehr an Dr. Hastings? Der Professore hat Sie doch gebeten...« »Schweig! Diese Dinge gehen dich nichts an«, reagierte BiancaMaria ärgerlich. Sie hatte ganz vergessen, dass die Zofe anwesend war, als ihr Vater von dem Engländer gesprochen hatte. Nun empfand sie ein schlechtes Gewissen, schließlich hatte sie den letzten Wunsch ihres Vaters nicht respektiert. Doch sie hatte das einfach nicht tun können. Sie war nicht in der Lage gewesen, das Lebenswerk eines so bedeutenden Wissenschaftlers einfach einem Fremden zu schenken. Das konnte sie nicht! »Ich werde diesen Hastings niemals herholen. Lieber lasse ich die Höhlen sprengen«, murmelte sie düster. »Er ist ein ungehobelter, großspuriger Wichtigtuer. Und er wird ganz bestimmt 28
nicht das Erbe meines Vaters antreten! Das werde ich zu verhindern wissen.« »Aber wie? Niemand ist mehr hier, der uns helfen könnte. Und es ist zudem gefährlich, ganz allein hier zu bleiben«, gab Anna zu be denken. »Die Beduinen...« »Bislang haben sie uns in Ruhe gelassen. Und so wird es gewiss auch weiterhin bleiben.« Bianca-Maria wusste selbst, dass diese Ein stellung nur ein frommer Selbstbetrug und zudem gefährlich war. Aber sie war einfach nicht gewillt aufzugeben, selbst wenn die La ge hoffnungslos schien. Dass sie damit nicht nur ihr Leben und das ihrer Zofe in Gefahr brachte, sondern zudem auch noch den letzten Wunsch ihres Vaters ignorierte, schien ihr egal zu sein. Und ihre sture Haltung sollte sich bereits am nächsten Tag auf beängstigende Weise rächen... Das Wetter hatte umgeschlagen, ein Sandsturm zog von Süden her auf und hüllte das ganze Land in einen wirbelnden Vorhang aus hellem Beige. Die Prinzessin verließ die Ausgrabungshöhle, als sie An nas Stimme von droben hörte, die ängstlich nach ihr rief. Die Zofe war ganz verstört, es dauerte eine Weile, bis Bianca-Maria es schaffte, ein vernünftiges Wort aus ihr heraus zu bringen. Und was sie dann sagte, ergab trotzdem keinen Sinn. »Sie kommen mit dem Sturm... Es sind Reiter und sie werden uns holen. Oh, Principessa, ich habe Sie doch gewarnt! Warum konnten Sie nicht auf mich hören? Ich fürchte mich so schrecklich, sie werden uns bestimmt umbringen...« »Nun mal ganz ruhig, Anna. Komm.« Sie schob die zitternde junge Frau in den Gang, der zur Ausgrabungsstätte führte. Hier waren sie einigermaßen vor dem Sturm geschützt. Dann wollte die Prinzessin wissen, was Anna damit meine. »Welche Reiter? Und wo her weißt du, dass sie mit dem Sturm kommen? Hast du sie gesehen?«, fragte sie die Weinende sachlich. »Bitte, Anna, reiß dich zusammen! Ich weiß, so ein Sandsturm ist beängstigend. Aber er geht vorbei. Und wenn du dich zu sehr fürchtest, dann bleiben wir hier drin, bis der Sturm sich gelegt hat. Einverstanden?« 29
»Aber sie werden uns hier drin finden! Und wir haben keine Waf fen, können uns nicht wehren. Ach, wäre ich doch zurück nach Rom gefahren, als es noch möglich war! Jetzt werde ich Bella Italia nie wie der sehen«, schluchzte sie verzweifelt. Die Prinzessin schwieg und lauschte auf den Sturm, denn sie hatte nun das Empfinden, ebenfalls etwas wahrgenommen zu haben. Es war schwierig, dies zu beschreiben, denn das Heulen des Sandsturms nahm immer weiter zu. Die Welt außerhalb der Höhlen schien nur noch aus Sand zu bestehen, wirbelnd, in Aufruhr, verwirrend verschieden in Konsistenz und Eigenschaft und doch im Grunde gleich. Trotzdem meinte Bianca-Maria, in dem Wirbeln dunkleren Schatten ausmachen zu können. Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken, obwohl es in dem Gang stickig warm war. Wenn Anna nun recht hatte, wenn dies wirk lich Beduinen waren... Ihre Befürchtung wurde gleich darauf auch schon bestätigt. Denn da näherte sich ein einzelner Reiter dem Eingang zur Höhle. Die Prin zessin meinte, das Schnauben seines Pferdes gehört zu haben und das Klingen von Silberzeug am Sattel. Anna schrie gepeinigt auf, sie hatte es wohl auch wahrgenommen. Im nächsten Moment aber war der geisterhafte Reiter schon wieder verschwunden, beinahe wie ein Spuk. Die Prinzessin trat neben ihre Zofe, die zusammengekauert im hinters ten Winkel des Gangs auf dem Boden saß und leise wimmerte. »Du musst dich nicht fürchten, sie sind fort«, versicherte sie Anna, doch diese schien sie gar nicht zu hören. Sie war mit ihrer inneren Kraft, ihrer Nervenstärke am Ende. Wie ein Häuflein Elend saß sie am Boden und weinte. Und in diesem Moment fühlte Bianca-Maria sich scheußlich. Sie machte sich selbst den Vorwurf, an dieser schreckli chen Situation die Schuld zu tragen. Hätte sie auf das gehört, was Sir George und Dr. Fallil ihr geraten hatten, wäre sie zurück nach Rom gereist, respektive nach London, wie ihr Vater es gewünscht hatte und hätte Dr. Hastings die Forschungsarbeit überlassen, wären sie und Anna niemals in eine solch schlimme Lage geraten. Aber noch war es nicht zu spät, ihren Fehler einzusehen und dies zu ändern. Während der Sturm draußen unvermindert weiter tobte, fasste die Prinzessin einen Entschluss: Sie würde mit Anna nach Lon 30
don reisen und Dr. Hastings aufsuchen. Es hatte keinen Sinn, dies hier allein zu versuchen. Denn sie wollte ihr Schicksal nicht noch weiter herausfordern. Nachdem Bianca-Maria sich dazu entschlossen hatte, ging es ihr schon ein wenig besser und sie meinte, nun den Mut zu haben, diese unheimliche Situation überstehen zu können. Sie setzte sich zu Anna auf den Boden, legte einen Arm um die Verzweifelte und versprach dieser: »Wir werden bald von hier fort gehen. Es tut mir leid, dass ich dir soviel zugemutet habe, Anna. Aber du hattest recht, ich scharfe es allein nicht. Ich muss mit Dr. Hastings reden.« Die Zofe hob den Blick, der nun nicht mehr so stumpf und wegge treten war wie gerade eben noch und fragte mit verhaltener Hoffnung: »Wir verlassen Ägypten?« »Ja, aber wir werden wiederkommen. Wenn Dr. Hastings die For schungsarbeit meines Vaters weiterführen will, dann nur unter der Bedingung, dass wir zusammenarbeiten.« »Sie glauben, er wird darauf eingehen? Ich dachte, er wäre Ihnen unsympathisch, weil er so eingebildet ist.« »Leider habe ich keine andere Wahl und kann mir keinen sympa thischeren Partner aussuchen«, erwiderte sie mit einem unglücklichen Lächeln. »Ich werde endlich den letzten Wunsch meines Vaters erfül len. Und ich weiß, dass Hastings auf unserem Gebiet brillant ist. Auch wenn er mir persönlich unsympathisch ist. Aber solche Empfindungen müssen in diesem Fall zurückstehen. Wichtig ist nur, dass ich endlich das Richtige tue...« Die Zofe schwieg, denn sie wusste nicht, was sie dazu sagen soll te. Ob dieser Engländer der würdige Nachfolger des Professor sein würde, konnte sie nicht beurteilen. Eines aber war ihr völlig klar: näm lich, dass es höchste Zeit war, die Dinge wieder ins rechte Lot zu rü cken. Denn solche Stunden der Angst wie an diesem Tag, die wollte Anna nie wieder erleben! Es dauerte noch eine ganze Weile, bis der Sturm sich legte. Erst als draußen wieder Ruhe herrschte, wagten die beiden jungen Frauen sich aus ihrem Versteck. Die Prinzessin bekam einen großen Schreck, als sie das Ausmaß der Verwüstung sah. Alle Zelte waren umgerissen 31
worden, nichts war mehr heil geblieben. Sprachlos und zutiefst nieder geschlagen wanderte sie zwischen den Überresten der einfachen Be hausungen und ihrer Ausrüstung hindurch, als ihr etwas auffiel. Über all, wo die Verwüstung besonders stark war, fanden sich viele Huf spu ren, die der Wind nicht völlig verweht hatte. Also waren die Reiter kei ne Einbildung gewesen, sondern real. Bei diesem Gedanken lief ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Bianca-Maria beschloss, Anna nichts von ihrer Entdeckung zu ver raten. Die Zofe fürchtete sich bereits genug, da brauchte es nicht noch mehr Hiobsbotschaften. Anna erwartete sie wenig später bei den Aus grabungshöhlen. Sie hatte einiges ihrer Habe retten und hier in Si cherheit bringen können. Mit ängstlichem Blick schaute sie ihrer Brot herrin entgegen und fragte: »Was glauben Sie, Principessa, waren diese Reiter wirklich hier? Oder hat der Sturm das getan?« »Ganz genau lässt sich das nicht sagen«, behauptete Bianca-Maria ausweichend. »Aber ich denke, was Du zusammengesucht hast, ge nügt, um uns ins nächste Dorf durchzuschlagen. Und dann werden wir weiter sehen.« Die Augen der Zofe begannen sofort zu leuchten. »Wir brechen auf der Stelle auf?«, vergewisserte sie sich. Und als die Prinzessin nick te, atmete sie auf und murmelte: »Gott sei Dank, ich habe schon ge fürchtet, diesen verfluchten Ort nie wieder verlassen zu können.« Bianca-Maria lächelte schmal. In gewisser Weise hatte Anna wohl recht. Seit dem Tod des Fürsten hatte sich hier alles zum Schlechten gewandt. Es hatte keinen Sinn, auszuharren, wenn ihnen die Basis für ein sinnvolles Arbeiten entzogen war. Als die beiden jungen Frauen wenig später die Ruinen von ElSharif verließen, bemerkten sie nicht, dass sie beobachtet wurden. Eine schmale, dunkel verhüllte Gestalt auf einem tiefschwarzen Hengst blickte ihnen mit geheimnisvollem Blick nach. * Die Reise nach England wurde beschwerlich. Bianca-Maria und ihre
Zofe unternahmen einen Fußmarsch von mehreren Stunden, bis sie die
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kleine Ansiedlung Ei-Diwan nördlich von Abu Simbel erreichten. Von dort aus ging es mit einem Eselskarren weiter. In Assuan kamen sie erst zwei Tage später an und mussten dann einen unfreiwilligen Auf enthalt hinnehmen, weil der Zug nach Kairo durch die Sandstürme der vergangenen Tage große Verspätung hatte. In Alexandria bestiegen Bianca-Maria und Anna eine Fähre, die sie nach Athen brachte. Von dort aus ging es auf dem Landweg quer durch halb Europa, bis die Prinzessin schließlich zusammen mit ihrer Zofe ein letztes Mal überset zen musste und zwar vom französischen Festland hinüber auf die briti schen Inseln. Anna hatte die Strapazen dieser langen, über drei Wochen dau ernden Reise, tapfer überstanden. Trotzdem empfand Bianca-Maria ein schlechtes Gewissen ihrer Zofe gegenüber und sie entschied im stillen, die treue Seele nicht wieder mit zurück nach Ägypten zu nehmen. Wenn es ihr gelang, Dr. Hastings unter ihren Bedingungen zu ver pflichten, würde sie Anna in Rom zurücklassen. Allerdings sagte sie ihr nichts davon, denn sie ahnte, dass die Gute nicht freiwillig von der Seite ihrer Herrin weichen würde... In London mietete die Prinzessin sich im ersten Haus am Platze ein und erstand zunächst einmal eine Grundgarderobe nach dem Ge schmack der Saison. Sie stellte fest, dass die Taillen in diesem Sommer sehr eng geschnürt waren und die Hutmode überaus verspielt und farbenfroh daherkam. Für ihren Besuch bei Dr. Hastings ließ die Prin zessin sich ein kostbares Seidencomplet anfertigen, das mit schmalem Hut und passenden Glacehandschuhen überaus elegant wirkte. Natür lich war es, wie sämtliche neuen Kleider, in tiefem Schwarz gehalten, denn Bianca-Maria stand ja in Trauer um ihren geliebten Vater. Einen Termin bei James Hastings zu bekommen, war nicht so ein fach wie gedacht. Er verfügte über eine rigorose Vorzimmerdame, die anscheinend glaubte, ihren Arbeitgeber vor Anrufern oder Besuchern schützen zu müssen. Es bedurfte mehrerer Gespräche und des klin genden Namens Medici, bis sich ihr die Türen zum Arbeitszimmer des englischen Archäologen endlich öffneten. Und Dr. Hastings empfing Bianca-Maria nicht eben mit offenen Armen. Er sprach ihr knapp sein Beileid zum Tod ihres Vaters aus und fragte sie dann direkt: »Was 33
führt Sie nun zu mir, Prinzessin? Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.« Sie schwieg, warf ihm lediglich einen Blick zu, aus dem ebenso Verärgerung als auch Abneigung sprachen. Der Engländer suchte die Situation zu entschärfen, indem er seinem Gast zunächst einmal Platz und einen Sherry anbot. Dr. Hastings war Anfang dreißig, ein großer, schlanker Mann mit dunklem Haar und klaren, grauen Augen, die sein markantes Gesicht dominierten. Er war sehr sportlich, verbrachte seine Zeit durchaus nicht nur hinter dem Schreibtisch, sondern ritt jeden Morgen durch den Hyde-Park und nahm auch an manchem Polomatch teil. Sein scharfer Verstand und seine große Fachkenntnis hatten ihn bereits in jungen Jahren zu einem der führenden Altertumsforscher seines Landes gemacht. Dies hatte Prof. di Medici bei ihrem einzigen Zusammentreffen schnell herausgefunden. Dass der junge Mann im Gegenzug sehr eigen war, beinahe ein Exzentriker, dessen Meinung über seine Mitmenschen, insbesondere die weibliche Hälfte davon, nicht sehr hoch war, hatte den italienischen Wissenschaftler nicht irri tiert. Bertoli di Medici war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass große Geister sich nicht nur in Wissen und Klugheit aus der Masse er hoben, sondern meist eben auch in Schrullen und Eigenheiten. Und er war der Meinung gewesen, dass dies hinzunehmen sei. Bianca-Maria konnte dem ganz und gar nicht zustimmen. Die Abneigung, die sie gegen den selbstgefälligen Engländer entwickelt hatte, war unverän dert. Und sie fragte sich, wie sie es schaffen sollte, mit einem solchen Menschen zusammenzuarbeiten. Es erschien ihr nach wie vor ganz unmöglich... Nachdem sie an ihrem Sherryglas genippt hatte, erklärte sie be tont sachlich: »Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hier, Dr. Hastings. Gewiss haben Sie Kenntnis von den Ausgrabungen bei Abu Simbel, die mein Vater geleitet hat. Ich war dabei seine Assistentin und bin deshalb auf dem neuesten Stand der Dinge, Es ist ein überaus viel versprechendes Projekt und wir standen kurz vor dem Durchbruch, als... mein Vater so plötzlich aus dem Leben gerissen wurde. Sicher können Sie sich vorstellen, dass die Arbeiten nun ruhen. Allein kann 34
ich die Forschungen nicht weiterführen. Deshalb bin ich hier, um Ihnen die Mitarbeit an diesem Projekt anzubieten.« James hatte seinem Gast mit ausdrucksloser Miene zugehört, nachdem Bianca-Maria verstummt war, ließ er sich zudem noch Zeit mit einer Antwort. Und diese fiel dann genauso aus, wie die junge Frau befürchtet hatte. »Ich finde es sehr schmeichelhaft, dass Sie mir ein solches Angebot machen, Prinzessin. Zumal dort unten in El-Sharif in der Tat alles auf eine Sensation hindeutet. Allerdings muss ich Sie enttäuschen, denn es ist nicht meine Art, mich in ein bestehendes Pro jekt einzuklinken. Ich kann die Arbeit Ihres verstorbenen Vaters nicht fortführen.« »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?« Hastings legte die Fingerspitzen gegeneinander, seine grauen Au gen musterten Bianca-Maria ebenso interessiert wie distanziert. »Nun, wenn ich offen sein soll: Ich arbeite stets allein, niemals mit Assisten ten oder anderen Mitarbeitern. Das ist so eine Marotte von mir. Außer dem forsche ich nur auf neuen Pfaden. Die Vorstellung, etwas zu voll enden, was ein anderer angefangen hat, geht mir gegen die Ehre. Es tut mir leid, aber ich fürchte, Sie haben diese Reise umsonst gemacht, Prinzessin. Ich bin nicht der richtige Mann für diese Aufgabe.« Bianca-Maria lächelte spöttisch. »Sie machen es sich leicht. Ich denke, ich kenne jetzt das Geheimnis Ihres Erfolges. Sie scheuen wirk lich aufwendige Projekte, sie beeindrucken mit dem schnellen Ruhm die Öffentlichkeit. Aber Sie sind kein wirklicher Wissenschaftler. Mein Vater war Archäologe mit Leib und Seele. Es war ihm egal, ob er seine Arbeit teilen oder einen Kollegen um Rat fragen musste. Für ihn zählte nur die Entdeckung, der wissenschaftliche Fortschritt, kurzum die Er kenntnis. Auf billigen Ruhm war er nie aus. Und ich sehe mich nun in meiner ursprünglichen Einstellung bestätigt: Sie sind kein würdiger Nachfolger für den Professore.« Sie erhob sich und wollte den Raum verlassen, als Hastings ihr vorwarf: »Sie urteilen schnell. Aber sind Sie überzeugt, dass Sie damit auch richtig liegen? Können Sie einen Men schen so schnell ausrechnen?« 35
»Ich habe genug gehört, um zu wissen, dass Sie nicht der Mann sind, der den Höhlen von El-Sharif das letzte Geheimnis entlocken kann. Leben Sie wohl, Dr. Hastings.« »Sie taktieren sehr geschickt«, konstatierte er. »Für eine Frau scheinen Sie über einen erstaunlichen Verstand zu verfügen. Das Erbe Ihres Vaters?« Bianca-Maria spürte, wie ihr eine feine Röte ins Gesicht stieg. Da war sie wieder, jene unverschämte Art, die sie an Hastings so hasste! Sie wollte nun endgültig das Arbeitszimmer des Engländers verlassen, als dieser andeutete: »Ich wäre vielleicht interessiert, allerdings nur zu meinen Bedingungen. El-Sharif ist ein Ort, der archäologische Ge schichte schreiben wird, darüber sind sich alle Fachleute einig. Und wer möchte nicht ein Teil dieser Geschichte sein?« Sie blitzte ihn böse an. »Sie spielen mit mir, das verbitte ich mir! Da Sie bereits sehr deutlich gemacht haben, dass Sie nicht gewillt sind, mein Angebot anzunehmen, sehe ich keinen Sinn mehr in diesem Ge spräch. Leben Sie wohl, Dr. Hastings!« Hoch erhobenen Hauptes ver ließ sie endgültig das Zimmer, der junge Wissenschaftler machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. Bianca-Maria kochte innerlich vor Wut, denn die Demütigung, die sie gerade erfahren hatte, war weitaus schlimmer gewesen als Dr. Hastings respektloses Verhalten ihr gegen über bei ihrem ersten Zusammentreffen. Nach außen hin bewahrte die Prinzessin Haltung, zeigte mit keinem Wimpernschlag, wie sie emp fand. Erst als sie in ihrer Hotelsuite war, kam ein wahrer Schwall italie nischer Schimpfwörter und Flüche aus ihrem Mund, als müsse dieser sich ganz einfach Luft verschaffen. Anna stellte daraufhin gelassen fest: »Er hat Sie also abgewiesen.« »Sehr klug von dir, dies zu bemerken«, erwiderte die Prinzessin ironisch. »Weißt du auch, was es bedeutet? Uns bleibt nichts weiter übrig, als nach Rom zurückzukehren und das Lebenswerk meines Va ters anderen zu überlassen. Irgendein unbedeutender Wissenschaftler wird El-Sharif zum Grundstein seiner Karriere machen. Und der Name meines Vaters gerät in Vergessenheit. Oh, Anna, ich war ihm keine gute Tochter. Sonst hätte ich dies verhindern müssen...« 36
»Aber besteht denn nicht die Möglichkeit, dass der Doktor es sich doch noch anders überlegt?«, gab die Zofe zu bedenken. »Schließlich heißt es doch, dass dieser Dr. Hastings ein ungewöhnlicher Mann mit... na, wie sagt man... fantasticare... vielen Spinnereien ist?« Bianca-Maria musste wider Willen lachen. »Ja, er hat tatsächlich viele Spinnereien, das kann man nicht anders sagen. Aber ich kann mir trotz seiner Exzentrik nicht vorstellen, dass er mit mir zusam menarbeiten wird. Er ist eingebildet und rückständig. Mag sein, dass er auf seinem Fachgebiet eine Koryphäe ist. Aber menschlich trennen uns Welten. So leid es mir auch tut, ich werde den letzten Wunsch Papas nicht erfüllen können.« »Gibt es denn keinen anderen Wissenschaftler, der Ihnen helfen könnte, Principessa?«, wollte Anna mitfühlend wissen. Schließlich kannte sie ja die große Leidenschaft, die sowohl die Prinzessin als auch ihren Vater mit der Archäologie verbanden. Bianca-Maria schüttelte entmutigt den Kopf. »Nein, Hastings wäre der einzige gewesen. Aber unter diesen Umständen muss ich wohl aufgeben.« * Sehr zeitig am nächsten Morgen, Bianca-Maria war gerade erst aufge standen und wollte Toilette machen, meldete ein Hoteldiener der Prin zessin einen Besucher. Sie fuhr den Burschen erbost an: »Was sind denn das für Manieren? Kein Mann von Welt sucht eine Dame vor elf Uhr am Vormittag auf. Er soll gehen!« »Aber er sagte, Sie wollten ihn ganz sicher sehen«, wagte der Die ner einzuwenden und hielt ihr ein silbernes Tablett mit einer Visiten karte hin. Die Prinzessin nahm sie unwirsch an sich, warf nur einen kurzen Blick darauf und verzog dann spöttisch den Mund. »Das hätte ich mir ja denken können. Also schön, er soll im Salon warten.« Der Hoteldiener entfernte sich ebenso erleichtert wie hastig, Bian ca-Maria wies Anna an, ihr ein Bad einzulassen. Dabei lächelte sie hei ter. »Wenn er so früh herkommt, dann sicher nicht, um mir noch eine Abfuhr zu erteilen. Und das bedeutet, er kann gerne warten...« 37
»Dieser Dr. Hastings hat Sie wohl sehr gekränkt«, mutmaßte Anna, während sie das Badewasser mit allerlei süß duftenden In gredienzien mischte. »Sonst sind Sie doch nicht so nachtragend.« »Signore Hastings ist kein Gentleman. Deshalb behandle ich ihn auch nicht wie einen«, erklärte die Prinzessin schlicht. Tatsächlich musste der junge Mann eine geschlagene Stunde auf Bianca-Maria warten. Mehr als einmal dachte er daran, zu gehen und diesen ganzen Unsinn zu vergessen. Schließlich war es verrückt, sich auf eine solche Sache überhaupt einlassen zu wollen. Die italienische Prinzessin schien sich einzubilden, dass er mit ihr zusammenarbeiten würde. Das war wirklich absurd! Doch trotz allem blieb James Hastings und wartete, bis die junge Da me erschien. Die Aussicht, die sagenhafte Grabkammer von Omses dem Dritten als erster Sterblicher nach über dreitausend Jahren zu betreten, war für den leidenschaftlichen Wissenschaftler atemberau bend. Dafür wollte er sogar diese enervierende Person in Kauf neh men. Und wenn es sein musste, würde er ihr sogar das Blaue vom Himmel herunter versprechen für diese Chance... Als Bianca-Maria endlich erschien, grazil und bezaubernd in tau benblauem Musseline, war Hastings einen Moment lang sprachlos. Er hatte sie nicht so schön in Erinnerung und begriff erst später, dass es allein an der Farbe des Kleides lag. Die Prinzessin hatte für ihn kurz ihre Trauerkleidung abgelegt... »Nun, Mr. Hastings, ich muss wohl nicht extra betonen, dass Sie mich mit Ihrem Besuch zur Unzeit in eine kompromittierende Lage gebracht haben«, erklärte sie kühl, nachdem er ihre Hand geküsst hat te. »Ich hoffe sehr, Sie haben einen guten Grund dafür...« »Den besten, Mylady.« Er lächelte schmal. »Ich habe mir Ihre Worte während der gesamten Nachtstunden noch einmal durch den Kopf gehen lassen und bin zu dem Schluss gelangt, dass ich vorschnell reagiert habe.« Sie warf ihm einen überraschten Blick zu, schwieg aber. Also fuhr er fort: »Was Sie mir geboten haben, ist die größte Chance, die es derzeit in der Ägyptologie gibt. Möglich, dass in El-Sharif nichts gefun den wird, alles bloß eine Legende ist. Aber möglich auch, dass es der 38
größte Fund seit langer Zeit ist. Und ich wäre ein Narr, würde ich die Mitarbeit an diesem Projekt ablehnen. Sie, Prinzessin, sind aus freien Stücken und voller Großmut zu mir gekommen und waren bereit, das Lebenswerk Ihres Vaters in meine Hände zu legen. Ich habe reagiert wie ein Narr. Können Sie mir verzeihen?« Bianca-Maria zögerte mit einer Antwort. Im Grunde war sie sehr froh und erleichtert, dass Hastings nun doch zustimmen wollte. Doch sie war es ihrem Stolz schuldig, ihn noch ein wenig zappeln zu lassen. Außerdem war es ihr ein innerer Vorbeimarsch, diesen eingebildeten Laffen in seine Schranken zu weisen. »Sie schweigen? Habe ich Sie am Ende zu sehr verletzt? Das könnte ich mir nie verzeihen«, behauptete der junge Wissenschaftler so verbindlich, dass die Prinzessin misstrauisch wurde. Sie lächelte abschätzig und forderte: »Hören Sie auf, Süßholz zu raspeln. Sie fühlen sich dabei doch ebenso unwohl wie ich. Sind wir beide ehrlich zueinander, dann lässt sich vielleicht doch noch eine an nehmbare Lösung finden.« »Sie meinen...« »Ich mag Sie nicht, das ist schon seit unserer ersten Begegnung der Fall. Sie sind in meinen Augen nichts weiter als ein aufgeblasener, eingebildeter Chauvinist und Frauenfeind. Sie lehnen ab, was Sie nicht kennen und lassen nur Ihre eigene Meinung gelten. Menschen wie Sie sind mir zuwider. Und ich bin nur zu Ihnen gekommen, um den letzten Wunsch meines Vaters zu erfüllen. Er fürchtete, dass ich allein das Projekt wegen vieler Widrigkeiten nicht zum Ende bringen könne. Des halb hat er mir am Sterbebett das Versprechen abgenommen, dass ich Ihnen die Mitarbeit anbiete. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich ElSharif lieber gesprengt, als es Ihnen zu überlassen. Leider sind die Vorzeichen nun anders. Aber ich warne Sie; sollten Sie sich als un würdig erweisen, das Erbe meines Vaters anzutreten, werde ich nicht zögern, alles zu tun, damit Ihnen der Erfolg versagt bleibt, der einzig und allein meinem Vater zugestanden hat.« James Hastings lächelte schmal. »Respekt, das waren deutliche Worte. Aber in gewisser Weise bin ich Ihnen auch dankbar dafür. Ich 39
hasse Schmus und falsches Schöntun ebenso wie Sie, Prinzessin. Wer den wir also zusammenarbeiten?« »Es liegt an Ihnen. Ich habe Ihnen ja die Mitarbeit angeboten. Al lerdings sollte Ihnen klar sein, dass ich mich nicht aus dem Projekt heraus drängen lasse. El-Sharif ist ebenso meine Arbeit wie die Ihre. Auf dieser Basis können wir zusammenkommen.« Der junge Wissenschaftler zögerte nicht, er stimmte spontan zu. Und als er Bianca-Maria die Hand hinhielt, schlug diese ein. * Eine knappe Woche später brach man dann nach Ägypten auf. Es kos tete Bianca-Maria eine Menge Überredungskunst, Anna zurück nach Rom zu schicken. Die treue Seele wollte sich, wie vorauszusehen war, nicht von ihrer jungen Herrin trennen. Erst als diese sie an den Sandsturm und das Auftauchen der geisterhaften Beduinenreiter erin nerte, gab sie schließlich nach. Der Abschied verlief tränenreich. Und auch Bianca-Maria fühlte sich sehr allein gelassen, nachdem der Zug Richtung Kontinent abgefahren war. Schließlich hatten sie und Anna viel miteinander erlebt und durchgemacht, das schweißte zusammen. Aber die Prinzessin hatte sich vorgenommen, nun nicht nur an sich selbst zu denken. Anna war in El-Sharif bis an die Grenze ihrer Kräfte gegangen, das wollte die junge Forscherin ihr nicht noch einmal zu muten. Allerdings fehlte Anna ihr doch sehr, vor allem auf der Reise nach Süden. Der Engländer gab sich meist wortkarg, über ein paar Fachgespräche fand ihre Konversation nie hinaus. Zudem ging Dr. Hastings sehr auf Distanz zu der italienischen Prinzessin, um diese nicht in einem falschen Licht erscheinen zu lassen. Dass er BiancaMaria bezaubernd fand, selten einem schöneren und faszinierenderen Geschöpf begegnet war, verschwieg er geflissentlich. Solche Regungen wären ihrer gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit ebenso wenig zuträglich gewesen wie seinem Ruf als Frauenverächter... Als die Reisenden schließlich ihr Ziel erreichten, boten die Ruinen von El-Sharif einen traurigen Anblick. 40
Einer der Ausgrabungsschächte war eingestürzt, von dem Lager, das mit viel Mühe in der Wüste errichtet worden war, zeugten nur noch ein paar aufragende Holzträger. Dr. Hastings hatte bereits in Assuan ein halbes Dutzend Arbeiter engagiert und gleich mitge nommen. Sie bauten zunächst provisorische Unterkünfte und legten den eingestürzten Schacht wieder frei. Nachdem die Grabungsmann schaft erneut volle Stärke hatte, was einige Tage dauerte, wurde das Lager wieder so errichtet, wie es vorher gewesen war. Bianca-Maria beobachtete diese Entwicklung mit gemischten Ge fühlen. Natürlich war sie froh, dass es nun wieder weiter ging, dass das Projekt, das Lebenswerk ihres Vaters, nicht in Vergessenheit ge riet. Doch zugleich fragte sie sich, warum sie als Leiterin nicht akzep tiert worden war. Wieso waren ihr die Arbeiter davon gelaufen, wäh rend sie Dr. Hastings aufs Wort gehorchten? Und das war nicht alles, was ihr missfiel. Auch jetzt hörten die Gehilfen nicht auf das, was sie sagte, sondern holten sich stets eine Bestätigung von dem Engländer. Das kränkte Bianca-Maria dermaßen, dass sie den Kollegen schließlich darauf ansprach. Hastings gab sich ahnungslos. »Stimmt etwas nicht? Haben die Leute Fehler gemacht?«, fragte er sie überrascht. »Mir ist nichts dergleichen aufgefallen.« »Darum geht es nicht und das wissen Sie sehr genau«, unterstrich sie verärgert. »Die Arbeiter behandeln mich wie Luft, nichts, was ich sage, wird akzeptiert oder ausgeführt, bevor Sie es abgesegnet haben. Und das ist nicht richtig. So ist es nicht gewesen, als mein Vater noch lebte.« »Was wollen Sie damit sagen? Vielleicht, dass ich versuche, Sie auszubooten?«, fragte er verärgert. Sie sah ihn ruhig an. »Tun Sie das denn?« Für ein paar Sekunden lag eine deutliche Spannung in der Luft. Und nicht zum ersten Mal fragte Bianca-Maria sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war, Hastings nach El-Sharif zu holen. Doch nun war es zu spät, sie konnte diesen Schritt nicht mehr rückgängig ma chen. Aber sie konnte sich sehr wohl wehren, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlte, so wie eben jetzt. 41
»Sie wissen ganz genau, dass es mir nur um die Ausgrabungen geht«, antwortete er ihr schließlich ausweichend. »Es ist lächerlich, mir zu unterstellen...« »Ja, sicher, was von mir kommt, muss natürlich lächerlich sein«, unterbrach sie ihn aufgebracht. Seine herablassende, unterkühlte Art reizte ihr südländisches Temperament. »Wenn ich so dumm und ein fältig bin, wie Sie mich anscheinend sehen und auch vor den Arbeitern darstellen, dann frage ich mich, wieso mein Vater große Stücke auf meine wissenschaftliche Arbeit hielt!« Der Doktor lächelte schmal. »Er war Ihr Vater...« »Das ist doch wohl...« Sie war kurz davor, einen Wutanfall zu be kommen, denn die Dinge hatten sich noch viel schlimmer entwickelt, als sie es sich in ihren finstersten Träumen hatte einfallen lassen. Doch als sie das kleine, ironische Lächeln auf Hastings Lippen bemerkte, wirkte dies wie eine kalte Dusche auf ihr heißes Geblüt. Da wurde ihr nämlich von einem Moment zum anderen bewusst, dass sie die ganze Zeit nur gegen eine Mauer gerannt war und sich dabei den Kopf blutig geschlagen hatte. Gegen diesen Mann konnte sie mit Gewalt und Ge fühl nicht gewinnen. Er lachte über sie, so wie über alle Frauen, die er als dumm und einfältig ansah, gerade gut genug für eine dienende Aufgabe. Doch Bianca-Maria würde ihm zeigen, dass er auf dem Holz weg war. Ihr Stolz machte sie stark und in diesem wichtigen Au genblick auch ganz ruhig. Mit einer gemessenen Bewegung wandte sie sich ab und verließ ohne ein weiteres Wort das Zelt. In den nun folgenden Tagen arbeitete die Prinzessin selbst in den Höhlen mit, wie sie es oft getan hatte, als ihr Vater noch da gewesen war. Sie wechselte kaum ein Wort mit James Hastings, der ganz offen sichtlich mit dieser Situation nicht recht zufrieden war. Scheinbar ging ihm etwas ab, wenn er sie nicht ärgern konnte. Aber diesen Gefallen tat sie ihm nicht mehr. Sie vermied es, den Arbeitern Anweisungen zu geben, machte, wenn möglich, alles selbst. Und was sie nicht schaffte, ließ sie eben bleiben. Natürlich war dies keine effiziente Arbeitsweise, zumal Hastings sich immer weiter zur dritten Grabkammer vorarbeite te. Doch Bianca-Maria hätte sich lieber die Zunge abgebissen, statt ihn um eine engere Zusammenarbeit zu bitten. Schließlich war es der jun 42
ge Engländer, der einlenkte. An einem noch heißen Abend Ende Au gust lud er die Prinzessin zum Abendessen ein. Der Koch war über Tag in Ei-Diwan auf dem Markt gewesen und hatte frisches Obst und Ge müse besorgt. Das Mahl fiel entsprechend üppig aus. Bianca-Maria aß trotzdem nicht viel. Sie war schmal geworden in den zurückliegenden Wochen, beinahe elfenzart, wie James fasziniert feststellte. Noch ehe er aber das Wort an sie richten konnte, erinnerte sie ihn auf ihre ty pisch spröde Weise: »Dass Sie mich zum Essen einladen, bedeutet nicht, dass wir Waffenstillstand schließen. Dazu bin ich unter gar kei nen Umständen bereit.« »Unter gar keinen?«, hakte er schmunzelnd nach. »Und wie steht es mit einer Flasche Don Perignon?« »Ich kann über Ihren Humor nicht lachen, tut mir leid.« Sie wollte aufstehen, aber er bat: »Bleiben Sie doch, zumindest noch eine Weile. Ich würde gerne mit Ihnen über die Ausgrabungen sprechen. Wir sind in den letzten Wochen gut vorangekommen. Und ich glaube, dass wir uns nun langsam dem Ziel nähern. Ich habe heute in den Gesteins strukturen auffällige Regelmäßigkeiten entdeckt, die auf eine geschlos sene Konstruktion hinweisen. Ich denke, wir sind ganz nah an der drit ten Kammer. Aber ich möchte den Durchbruch nicht ohne Sie machen, Prinzessin. Das wäre nicht richtig, es wäre moralisch wie wissenschaft lich verwerflich.« »Das fällt Ihnen jetzt ein? Gibt es einen besonderen Grund für diesen Sinneswandel?«, wunderte sie sich süffisant. James hatte es in diesem Moment wirklich ehrlich gemeint. Und Bianca-Marias Ironie traf ihn empfindlich. Verärgert entgegnete er: »Glauben Sie doch, was Sie wollen. Ich habe Ihnen angeboten, dabei zu sein, wenn ich morgen zur dritten Kammer vorstoße. Es ist Ihre Entscheidung, dies abzulehnen oder anzunehmen.« »Das ist wirklich der Gipfel«, ereiferte sie sich. »Haben Sie viel leicht vergessen, wer Ihnen diese Arbeit ermöglicht? Sie gehen den Weg, den mein Vater bereitet hat. Und da stellen Sie sich hin und bie ten mir großzügig an, teilzuhaben an Ihrer Entdeckung! Nachdem Sie einen Keil zwischen mich und die Arbeiter getrieben haben und alles nur zu Ihren Gunsten. Ich verachte Sie, James Hastings! Und ich 43
wünschte, ich hätte den letzten Willen meines Vaters einfach missach tet. Damit wäre allen Beteiligten eine Menge Kummer erspart geblie ben.« Sie wollte ins Freie stürmen, aber er hielt sie impulsiv bei den Schultern fest. Für eine süße Ewigkeit waren sie einander sehr nah. Er spürte den raschen Schlag ihres Herzens, roch den Duft ihres Haares und hatte das fast unbezwingbare Verlangen, sie zu küssen. Doch da zischte sie ihn böse an: »Lassen Sie mich los, Sie ungehobelter Klotz! Was bilden Sie sich eigentlich ein!« Er nahm ruckartig seine Hände von ihr, erschrocken und verwirrt von der Intensität der Gefühle, die ihn und sie völlig unvorbereitet getroffen hatten. Noch eh er sich aber entschuldigen konnte, war sie fort, hinaus in die Nacht. James Hastings verließ ebenfalls das Zelt. Vergessen war das A bendessen, der junge Mann hatte große Mühe, sein inneres Gleichge wicht wieder zu finden. Er spazierte eine Weile durch den noch war men Sand, unter dem unendlichen, samtschwarzen Himmelszelt, das mit Millionen funkelnder Sterne bestickt schien. Dabei fragte er sich, was mit ihm los war. Seit er Bianca-Maria kannte, stand sein Leben Kopf. Es war nicht nur das außergewöhnliche Forschungsprojekt, der Traum eines jeden Ägyptologen, das ihn so aufwühlte und ständig beschäftigte. In seine sonst so nüchternen Gedanken drängte sich immer wieder das Bild einer blonden Sylphe, die all seine Sinne ver wirrte und zugleich unendlich bezauberte. Hatte er sich am Ende in dieses unberechenbare, wunderbare, streitsüchtige Wesen verliebt? Dieser Gedanke erschien ihm ebenso fremd wie unglaublich. Bislang hatte James Hastings sein ganzes Leben und all seine Zeit der Wissen schaft, der ernsten Forschung gewidmet. Frauen erschienen ihm stets als putzsüchtige, bunte Schmetterlinge, die nur auf Äußerlichkeiten ausgingen und wie ein Kind durchs Leben tollten. Für sie schien in seiner Welt kein Platz zu sein. Und doch hatte sich eines dieser rätsel haften Wesen klammheimlich in sein Leben geschlichen und es nach und nach völlig verändert. Plötzlich waren Dinge wichtig, die er früher nie wahrgenommen hatte. Seinem messerscharfen Verstand schien ein starker Konkurrent erwachsen zu sein: das Gefühl. 44
In gewisser Weise fand James das beängstigend, aber auch wie der schön. Die widerstreitenden Empfindungen in seinem Innern ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen... * Bianca-Maria fand in dieser Nacht ebenfalls keinen Schlaf. Unruhig lief sie in ihrem Zelt auf und ab und fragte sich immer wieder, wie sie sich verhalten sollte. Wenn sie am nächsten Morgen der Ausgrabung fern blieb, überließ sie Hastings damit das Terrain, den Ruhm und die wis senschaftliche Anerkennung. Gesellte sie sich aber zu ihm, war das wie eine Friedenserklärung. Und diese Vorstellung war ihr völlig zuwider, erschien sie ihr doch wie ein symbolischer Kniefall. Je länger die Prinzessin über ihr Problem nachdachte, desto un schlüssiger wurde sie. Nun wünschte sie sich, Anna nicht heim nach Rom geschickt zu haben. Sie hätte dringend einen Menschen ge braucht, mit dem sie offen reden konnte. Doch sie war allein und musste selbst entscheiden, was sie tun würde... Als Dr. Hastings am nächsten Morgen die Ausgrabungshöhle be trat, traf er dort auf Bianca-Maria. Sie musterte ihn kühl und stellte gleich klar: »Ich bin nur hier, weil diese Entdeckung eigentlich meinem Vater zusteht und ich es nicht zulassen kann, dass Sie seinen Ruhm für sich einheimsen.« James sagte nichts, er nickte nur und machte ihr dann ein Zei chen, mit der Arbeit zu beginnen. Sie gingen an diesem Morgen sehr vorsichtig zu Werke, denn es sah alles danach aus, als ob sie die dritte Grabkammer fast erreicht hatten. Nun durften sie keinen Fehler ma chen. Zu grobes Werkzeug, zu starke Erschütterungen - und der Traum von einem sensationellen wissenschaftlichen Fund wurde für immer unter Tonnen von Schutt begraben. Bianca-Maria stand an James Hastings Seite, sie ließ es sich nicht nehmen, selbst Hand anzulegen. Auch wenn sie noch immer Zweifel plagten, sie sich fragte, ob sie nicht zu schnell nachgegeben hatte; allein ihrem Vater zuliebe musste sie nun einfach dabei sein! Die Suche nach dem Grab des sagenhaften Pharaonenkönigs Omses III war zu 45
seinem Lebenswerk geworden und hatte ihn schließlich sogar das Le ben gekostet. Die Prinzessin wollte nun an seiner Stelle und für ihn an dem Ruhm teilhaben, den diese Entdeckung zwangsläufig mit sich bringen würde. Gegen Mittag stießen die beiden Wissenschaftler auf eine Art Tür, die in den Stein gehauen war. Bianca-Maria spürte plötzlich eine star ke, innere Erregung. Bisher waren ihre Forschungen nur Theorie ge wesen, die Hoffnung, hier auf einen besonderen Fund zu stoßen, hatte sie angetrieben. Doch nun, da es so aussah, als sollten sich alle Mut maßungen des Professors bewahrheiten, war das wie ein schöner Traum, der sich erfüllte. Als sie unvorsichtig einen Stein zerbrach, der die Türfüllung um gab, fuhr Hastings sie an: »Passen Sie doch auf! Wir sind an einem kritischen Punkt angelangt. Alles, was Sie hier tun, kann drüben auf der anderen Seite Auswirkungen zeigen, die wir nicht abschätzen kön nen.« »Das weiß ich auch«, erwiderte sie nervös. »Schließlich arbeite ich nicht erst seit gestern hier.« Er ging nicht auf ihre Worte ein, brach vorsichtig ein kleines Loch in Augenhöhe und vergrößerte dieses nach und nach. Bianca-Maria räumte den anfallenden Schutt beiseite. Obwohl es ihr lieber gewesen wäre, direkt an der Wand zu arbeiten, hatte sie doch keine Lust, sich schon wieder mit Hastings zu streiten. So kurz vor dem Durchbruch lagen die Nerven blank, der kleinste Anlass führte gleich zur Konfron tation. »Geben Sie mir eine Lampe«, forderte der Engländer, als er das Loch soweit gebrochen hatte, dass er einen Arm hindurch strecken konnte. Die Prinzessin reichte ihm eine kleine Öllampe. James schob sie durch den Spalt und erleuchtete so den hinter der Mauer liegenden Raum. Angestrengt spähten die beiden Forscher hinein. Zunächst war nicht viel zu erkennen, der schwache Schein der Lampe erhellte nur einen minimalen Radius. In der seit Jahrtausenden konservierten Luft wirbelten ungezählte Staubpartikel. Auch den Boden bedeckte eine Schicht aus Staub und Sand. Als sich ihre Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, entdeckten sie beiden fast gleichzeitig das matte 46
Leuchten von Gold. Es war auf einer gerundeten, leicht gerieften Flä che aufgetragen, zudem mit Farben vermischt wie Kobaltblau und Karmesinrot. Für Bianca-Maria und James gab es nun keinen Zweifel mehr: Sie hatten den Sarkophag von Omses III entdeckt! * Es dauerte noch beinahe einen Tag, bis die Grabkammer ganz freige legt worden war. Dr. Hastings schärfte den Arbeitern ein, langsam und vorsichtig vorzugehen. Obwohl er ebenso wie Bianca-Maria darauf brannte, die Grabkammer endlich betreten zu können, wollte er doch auf jeden Fall Schäden verhindern, die durch Unvorsicht und zu schnelles Aufbrechen entstehen konnten. Als es dann soweit war, ließ er der Prinzessin den Vortritt. Mit einer Öllampe in der Hand betrat Bianca-Maria diesen Ort, auf den seit dreitausend Jahren kein Mensch seinen Fuß gesetzt hatte. Es war ein seltsames Gefühl, überwältigend, angst einflößend aber auch wunderbar. Als die Prinzessin sich umsah, den reich verzierten, perfekt erhaltenen Sarkophag betrachtete und all die vielen kostbaren Grabbeigaben, von denen manches lange zu Staub zerfallen, anderes aber noch gut erhalten war, konnte sie nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie dachte an ihren Vater, an die Planung dieser Forschungsreise. Vor beinahe zwei Jahren hatten sie zusammen auf der Terrasse der Villa Medici in Rom geses sen und darüber gesprochen, ob es überhaupt möglich sein könnte, diese Grabkammer zu finden. Bianca-Maria war damals skeptisch ge wesen, doch ihr Vater hatte von Anfang an diese Idee vertreten. Er war überzeugt gewesen, dem Wüstensand das letzte große Geheimnis entlocken zu können. Und er hatte recht behalten, auch wenn es ihm nicht mehr vergönnt gewesen war, diesen Anblick zu genießen. »Es ist alles da, die Grabkammer ist unberührt«, hörte sie nun ih ren Kollegen sagen, der einen näheren Blick auf die Grabbeigaben geworfen hatte. »Sie können sehr stolz sein, Prinzessin.« »Ohne Sie hätte ich es nicht geschafft«, gab sie offen zu und lä chelte ein wenig. »Ich muss Ihnen danken, Dr. Hastings. Sie haben 47
dafür gesorgt, dass der Lebenstraum meines Vaters doch noch Wirk lichkeit geworden ist.« Er betrachtete sie im diffusen Licht der Öllampen einen Moment lang mit einem schwer zu deutenden Blick, dann entschied er: »Wir sollten anfangen, die Funde zu katalogisieren. Wie ich es sehe, wartet hier eine ganze Menge Arbeit auf uns.« Bianca-Maria nickte. Sie hatte sich gefangen, der Überschwang der Gefühle war einem nüchternen Überlegen gewichen. »Wie sollen wir mit dem Sarkophag verfahren?« James überlegte kurz, dann meinte er: »Wir lassen ihn fürs Erste hier drin und postieren vor dem Eingang einen bewaffneten Wächter.« »Glauben Sie denn, uns droht hier eine Gefahr?«, wunderte die Prinzessin sich. Sie dachte kurz an die unheimlichen Reiter, die sie während des Sandsturms gesehen hatte. Doch seit sie mit Dr. Hastings nach El-Sharif zurückgekehrt war, hatte sich nichts Ungewöhnliches mehr ereignet. »Das ist schwer zu sagen. Vor Jahren habe ich in der nubischen Wüste an einer ähnlichen Ausgrabung teilgenommen. Das Projekt lief unter strikter Geheimhaltung. Trotzdem plauderte ein Arbeiter und wir mussten uns mit bewaffneten Plünderern auseinandersetzen. Es ist besser, wir sind vorsichtig.« Die Prinzessin ließ ihrem Kollegen freie Hand, da sie erkennen musste, dass er die größere Erfahrung in diesen Dingen besaß. Sie arbeiteten noch bis zum späten Abend, denn es erwies sich bald, dass die Fundstücke sehr viel reichhaltiger waren als zunächst angenom men. Schließlich war es Hastings, der Bianca-Maria mit sanfter Gewalt zu den Zelten bugsierte. »Sie muten sich zuviel zu«, warf er ihr vor. »Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.« »Ja, ich weiß. Aber es fällt mir schwer, abzuschalten«, gab sie zu. »Sind Sie sicher, dass die Grabkammer ausreichend bewacht wird? Ich mache mir nun doch Sorgen. Können wir denn einen solchen Fund auf Dauer geheim halten?« »Sicher nicht. Doch wenn die Welt davon erfährt, ist für Grabräu ber nichts mehr zu holen«, wusste der Wissenschaftler. »Bis es aber 48
soweit ist, müssen wir vorsichtig sein. Ich habe zur Sicherheit zwei Wachen postiert. Das sollte genügen.« Er lächelte ihr ein wenig zu. »Legen Sie sich ein paar Stunden schlafen, Prinzessin. Sie brauchen dringend Erholung. Und machen Sie sich keine Gedanken um die Grabkammer. Ich sorge dafür, dass unserem Pharao nichts ge schieht...« Obwohl Bianca-Maria eigentlich widersprechen wollte, fügte sie sich letztlich doch. Das mochte auch daran liegen, dass sie ganz ein fach todmüde und total erledigt war. Ein unendlich langer und ebenso anstrengender Tag lag hinter ihr. Sie sehnte sich nach Ruhe und Erho lung. Und als sie dann auf ihre Schlafstatt sank, dauerte es nur ein paar Augenblicke, bis die junge Frau fest eingeschlafen war... Irgendwann, es war noch finstere Nacht, schreckte Bianca-Maria abrupt aus ihren Träumen. Mit wild pochendem Herzen starrte sie in die Dunkelheit und lauschte auf jedes Geräusch. Ein leichter Wind war aufgekommen, er schlug mit unsichtbaren Fingern gegen die Zeltpla nen und verursachte fremde, unheimliche Geräusche. Selten hatte die junge Italienerin sich in dem Camp so unwohl und unsicher gefühlt. Sie wurde einfach den Eindruck nicht los, dass etwas nicht stimmte, auch wenn sie nicht sagen konnte, was es war. Als sich draußen schnelle Schritte ihrem Zelt näherten, dachte sie sofort an die Grab kammer. Waren das bereits Räuber, die von dem sensationellen Fund gehört hatten und sich nun ihren Anteil einfach nehmen wollten? Ob wohl Bianca-Maria sich fürchtete, verließ sie doch ihr Bett und spähte nach draußen. Sie konnte nicht viel erkennen, aber es schien ihr so, als habe sie sich getäuscht. Weit und breit war niemand zu sehen, kein Licht brannte mehr. Nur aus der Grabkammer drang der gelbliche Schein der Öllampen, die die Wächter bei sich trugen. Die Prinzessin wollte sich schon zurückziehen, als sie aus dem Augenwinkel heraus eine schnelle Bewegung wahrnahm. Noch ehe sie begriff, was dies zu bedeuten hatte, oder reagieren konnte, spürte sie zwei grobe Hände, die sich um ihren Nacken und vor ihren Mund legten. Sie war so er schrocken, dass sie nicht sofort reagieren konnte. Und das wurde ihr zum Verderben; als sie automatisch einatmete, schmeckte sie einen scharfen, medizinischen Geruch. Kurz wurde ihr übel, dann aber schien 49
es, als schwebe sie losgelöst von allem mitten in den samtigen Nacht himmel hinein... * Als Dr. Hastings am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich wie ge rädert. Er hatte eine miserable Nacht hinter sich, obwohl er es eigent lich gewöhnt war, noch weitaus unkomfortabler zu nächtigen. Der jun ge Engländer erhob sich und drückte den verspannten Rücken durch. Er fragte sich, ob all die seltsamen Träume, die ihn heimgesucht hat ten, wohl von Bedeutung waren. Und zugleich versuchte er, sich an den genauen Inhalt, die Bilder zu erinnern, die vor seinem geistigen Auge nur widerwillig noch einmal auftauchten. Mehr als einmal war ihm so gewesen, als wären ungewöhnliche Geräusche an sein Ohr gedrungen, so, als sei im Lager etwas vorgegangen, das die Dunkel heit der Nacht als Schutz brauchte. Er fragte sich, ob dies nun ein Traum oder vielleicht sogar die Realität gewesen war... Erst nach einer Weile, als James Hastings sich gewaschen und an gekleidet hatte, fiel ihm die Stille im Camp auf. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Hatte er in der vergangenen Nacht tatsächlich nur ge träumt oder... Mit einem Ruck schlug er die Zeltplane zurück und sah sich um. Der frühe Morgen war noch kühl, die Sonne eben erst über den flachen Horizont geklettert. Auf den ersten Blick sah alles aus wie immer. Aber eben nur auf den ersten Blick. Es dauerte nicht lange, bis der Engländer begriff, dass er einen Überfall auf die Ausgrabungsstätte einfach verschlafen hatte. Aber wie war das möglich? Hatte er denn einen dermaßen festen Schlaf gehabt? Das war ungewöhnlich, denn normalerweise schreckte der junge Mann beim kleinsten Geräusch hoch. Und nun sollte er einen ganzen Überfall einfach verpasst haben? Das war schwer zu glauben, doch die Fakten sprachen für sich. Die Transportkamele waren verschwunden, das Kochzelt verwü stet. Keiner der Arbeiter hatte sich bislang blicken lassen. Das Zelt, in dem bereits ein Teil der Grabbeigaben aufbewahrt worden war, hatten die Räuber ebenfalls dem Erdboden gleich gemacht. James brauchte 50
es sich gar nicht näher anzusehen, um zu wissen, dass alles von Wert geraubt worden war. Der Sarkophag! Siedend heiß durchfuhr ihn der Gedanke an den kostbaren Fund. Sofort eilte er zu den Ausgrabungshöhlen, rief noch im Laufen nach den Wächtern. Allerdings erhielt er keine Antwort. Und - er hatte es bereits befürchtet - die Räuber hatten auch vor der Grab kammer nicht Halt gemacht. Dr. Hastings fluchte saftig, als ihm be wusst wurde, dass damit die Arbeit von Wochen dahin war. Verweht vom Wüstenwind. Doch es war nicht nur der materielle Verlust, der ihn treffen sollte. Als der junge Mann die erste Grabkammer erreichte, wo die Wäch ter sich am Vorabend aufgehalten hatten, packte ihn das kalte Entset zen. Die beiden Männer waren nämlich noch da; sie lagen tot und in ihrem Blut auf dem Boden. Die Räuber hatten ihnen kaltblütig die Keh len durchgeschnitten. James Hastings schluckte. Er beugte sich über die Toten und schloss ihnen wenigstens die Augen, die gebrochen zur Decke starrten und noch all den Horror widerspiegelten, dem die ar men Kerle in ihren letzten Momenten ausgesetzt gewesen waren. Mehr konnte James leider nicht tun. Er musste ihre Familien benachrichti gen, eine Aufgabe, vor der er sich gerne gedrückt hätte... Mit müden Schritten erreichte er die dritte Grabkammer. Dass der Sarkophag ver schwunden war, regte ihn kaum noch auf. Sein Gewissen hatte mit dem Tod der Wächter zu kämpfen, die sich sinnlos geopfert hatten. Allmählich fragte Dr. Hastings sich, ob auf dieser Ausgrabung ein Fluch lag. Drei Tote hatte sie bereits gefordert. War es das wert? Er verließ die Grabkammern und steuerte wenig später auf das Zelt von Bianca-Maria zu. Sie musste wissen, was geschehen war. Er ahnte, dass die schlimme Nachricht sie hart treffen würde, doch er konnte ihr das nicht ersparen. Schließlich war es noch mehr ihr Projekt als das Seine. Der junge Wissenschaftler musste sich erst die Kehle frei räus pern, eh er nach der Prinzessin rufen konnte. Das eben Erlebte setzte ihm noch immer zu. Zudem erhielt er aus dem Innern ihres Zeltes kei ne Antwort. Er versuchte es noch einmal - wieder nichts. »BiancaMaria, hören Sie mich? Ich komme jetzt herein, wenn ich nichts Ge 51
genteiliges höre«, rief er schließlich. Auch darauf reagierte sie nicht. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er dachte an den Überfall der ver gangenen Nacht. Sollte die Prinzessin ihn ebenfalls ›verschlafen‹ ha ben, so wie er, oder... Urplötzlich fuhr ihm ein scharfer Schmerz mitten ins Herz. Die Vor stellung, dass Bianca-Maria etwas zugestoßen sein könnte, war für James kaum zu ertragen. Mit einem Ruck öffnete er die Zeltplane und fand seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Das Innere war leer, ihr Bett benutzt, daneben lagen auf einem Stuhl ordentlich ihre Kleider. Wo immer sie mitten in der Nacht hingegangen sein mochte ob freiwillig oder gezwungen - sie hatte es im Nachthemd getan. Und das deutete doch schon sehr in Richtung Entführung. »Mr. Hastings, es tut mir leid...« James fuhr herum, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass sich außer ihm noch jemand im Camp befand. Nun stand er dem beleibten Koch gegenüber, der eine über aus schuldbewusste Miene machte. »Was ist geschehen? Reden Sie!«, forderte der junge Engländer erregt. »Die Prinzessin di Medici ist verschwunden, wir wurden ausge raubt, das Lager verwüstet, die Wachen getötet. Wie konnte das alles geschehen, ohne dass ich es gemerkt habe?« »Nun, ich...« »Ja, was haben Sie zu sagen?!« »Wie gesagt, es tut mir sehr leid. Aber sie haben mich gezwun gen, etwas in Ihr Essen zu geben. Ich weiß, Sie werden mich jetzt ins Gefängnis werfen lassen, aber...« »Sie? Wer sind ›sie‹? Ich habe kein Interesse an Ihrer Bestrafung, ich möchte nur die vollständige Wahrheit erfahren und zwar auf der Stelle. Wenn Sie reden, können Sie gehen.« »Sie sind zu gütig, Dr. Hastings... Es waren zwei Beduinen. Sie kamen gestern, als alle in den Höhlen waren und drohten, meine Schwestern zu entführen, wenn ich nicht tue, was sie mir sagen. Dann gaben Sie mir ein kleines Fläschchen Kräuterextrakt. Ich glaube, es waren recht harmlose Kräuter, die meisten konnte ich am Geruch bestimmen. Ich hatte Angst vor den Männern und habe deshalb getan, was sie sagten.« 52
»Sie haben mir also ein Schlafmittel verabreicht. Und was geschah in der Nacht?«, forschte James ungeduldig weiter. »Sie kamen mit vielen. Ich schwieg, denn ich wusste, wenn ich mein Zelt verlasse, töten sie mich. Und ich bin doch nur ein Koch, kein Soldat! Sie stahlen alles, was aus der dritten Grabkammer stammte. Und dann sah ich einen, der die Prinzessin betäubte und einem ande ren aufs Pferd gab.« Er schwieg kurz, senkte die Stimme und fuhr dann ängstlich fort: »Ich glaube, es war Prinz Fallahd, der sie mit sich nahm...« »Prinz Fallahd? Wer ist das?« »Er ist sehr mächtig, ein noch junger Stammesfürst, der aber gro ßen Einfluss auf alle Beduinen in diesem Land ausübt. Niemand wagt es, sich gegen ihn zu stellen. Seine Reiter sind schnell wie der Wind und so gefährlich wie eine Giftschlange. Wenn Sie klug sind, Dr. Has tings, verlassen Sie El-Sharif.« Der junge Engländer lächelte schmal. »Das werde ich ganz sicher nicht tun. Mag sein, dass Sie sich vor diesem Fallahd fürchten, ich tue es nicht. Er hat letzte Nacht einige Verbrechen begangen, für die er zur Verantwortung gezogen werden muss. Und ich scheue nicht davor zurück, dies zu tun!« »Aber, Sir, das können Sie nicht!«, warnte der Koch erschrocken. »Fallahd ist mächtig, er wird Sie zertreten...« »Soll ich die Prinzessin di Medici einfach im Stich lassen? Und was ist mit den beiden Männern, die kaltblütig ermordet wurden? Von den unschätzbaren geraubten Kunstschätzen ganz zu schweigen. Oh nein, ich werde es nicht hinnehmen, was dieser Mann getan hat. Ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen!«, versicherte Dr. Hastings mit Nachdruck. Und seine Worte klangen dabei wie ein Schwur... * Die Suche nach Prinz Fallahd gestaltete sich für James Hastings zu nächst schwieriger als gedacht, da es ihm nach dem Überfall der Bedu inen an den elementarsten Dinge mangelte. Er hatte nicht genügend Vorräte für einen längeren Marsch durch die Wüste, ebenso wenig wie 53
Träger oder Lasttiere. All dies zu beschaffen dauerte eine Weile und verschaffte dem Beduinenprinzen einen nicht unbeträchtlichen Vor sprung, wie der junge Engländer zähneknirschend feststellen musste. Als er endlich aufbrechen konnte, mit zwei Trägern, drei Kamelen und Proviant für eine mindestens zweiwöchige Reise, waren einige Tage seit dem Überfall vergangen. Die Spur aufzunehmen, die längst kalt war, erwies sich als schwierig bis unmöglich. Die Träger waren James Hastings dabei keine Hilfe. Sie verstanden nur ein paar Brocken Eng lisch, zudem schienen sie sich ebenso wie der Koch vor dem Prinzen zu fürchten. Selbst wenn sie gekonnt hätten, von ihnen hätte der junge Engländer gewiss keinen Hinweis erwarten können. Er war also darauf angewiesen, von Ansiedlung zu Ansiedlung zu ziehen und überall nach Fallahd zu fragen. Dadurch blieb es nicht aus, dass auch der Gesuchte von seinem Verfolger erfuhr. Und es dauerte nicht lange, bis James die Folgen seines Verhalten zu spüren bekam... Der englische Forscher war nun eine Woche unterwegs, er lagerte in einer winzigen Oase, gut hundert Meilen westlich von El-Sharif. Die Menschen hier waren Beduinen, sie hatten den Fremden freundlich aufgenommen, wie es in der Wüste Sitte war. Niemand verweigerte da einem Reisenden einen Becher Wasser oder einen Schlafplatz für die Nacht, denn schon solch elementare Gaben konnten über Leben oder Tod entscheiden. Dr. Hastings nutzte die Gunst der Stunde und stellte einem jungen Mann viele Fragen. Er war der Sohn des Ältesten, stu dierte in Kairo und besuchte derzeit seine Familie. Deshalb sprach er fließend Englisch und konnte dem Briten alle Fragen, die dieser an ihn richtete, ohne Probleme beantworten. Zumindest eine Sprachbarriere gab es nicht. Doch was der gebildete junge Mann, der Arzt werden wollte, zum Thema Fallahd zu sagen hatte, wich nur geringfügig von den Warnungen des Kochs in El-Sharif ab. Er hörte sich langmütig die Beschreibungen seines Gastes an und riet ihm schließlich: »Sie sollten nicht mehr an dieser Sache rühren. Auch wenn es Sie drängen mag, Fallahd zur Rechenschaft zu ziehen, tun Sie es lieber nicht. Die Wüste hat ungeschriebene Gesetze. Und eines davon besagt, dass der Herr scher dem Lauf der Sonne gleicht. Man kann ihn betrachten, aber man soll ihn niemals antasten.« 54
»Finden Sie es nicht ein wenig billig, sich hinter einem alten Sprichwort zu verstecken, wenn jemand solche Verbrechen begeht?«, hielt Dr. Hastings ihm ärgerlich entgegen. »Dieser Fallahd mag von königlichem Geblüt sein, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass er und seine Horde gemordet, geraubt und entführt haben. Bei allem Respekt für die Kultur Ihres Landes, aber das kann ich nicht so einfach hinnehmen. Tut mir leid.« »Mir auch.« Der junge Mann lächelte unergründlich. »Sie begehen einen großen Fehler, Sir. Die Beduinen sind hier zu Hause, sie kennen die Wüste zu jeder Stunde des Tages, sie wissen, wie man hier über leben kann. Sie dagegen irren wie ein Blinder durch die Hitze und wä ren längst gestorben ohne unsere Gastfreundschaft. Vielleicht überle gen Sie es sich noch einmal und geben Ihr unsinniges Unterfangen auf, bevor es zu spät ist...« »Ich werde den Prinzen finden, mit oder ohne Ihre Hilfe«, versi cherte der Engländer mit Nachdruck und erhob sich. Er sah in diesem Gespräch keinen Sinn mehr. Und er beschloss, zeitig am nächsten Morgen aufzubrechen. Hier würde man ihm doch nicht weiterhelfen können... James suchte das Zelt auf, das man ihm überlassen hatte, um noch ein paar Stunden zu schlafen. Er wollte es gerade betreten, als sich plötzlich von hinten jemand auf ihn stürzte. Grobe Hände legten sich um seinen Hals und drückten sofort zu. Der junge Mann wurde von dem Überfall so unvorbereitet getroffen, dass er zunächst gar nicht dazu kam, sich zu wehren. Der Angreifer drohte ihm mit heiserer Stimme, doch er sprach einen seltsamen Dialekt, den James nicht verstand. Nur der Name Fallahd, der ebenfalls fiel, war ihm bekannt. Doch momentan hatte der junge Engländer andere Sorgen. Er bekam keine Luft, sah bereits Sterne vor seinen Augen, die wie überreife Früchte zerplatzten. Der Sauerstoffmangel brachte ihn einer Ohnmacht nah. Aber das wollte er unter allen Umständen verhindern. Er durfte dem Angreifer nicht wehrlos ausgeliefert sein, denn er ahnte, dass er dann nie wieder aufwachen würde... Dr. Hastings war ein sportlicher, durchtrainierter Mann. Er besaß Kraft und kannte sich auch mit Kampftechniken aus. Diesen Vorteil 55
wollte er nun nutzen, bevor es zu spät war. Die ganze Zeit hatte er sich ruhig verhalten, war passiv geblieben und hatte seinen Gegner damit quasi in Sicherheit gewiegt, weil dieser sich wie der Überlegene fühlte. Nun aber explodierte er von einer Sekunde zur anderen. Seine Ellbogen rammte er mit aller Kraft in den Magen des Mannes, der hin ter ihm stand, zugleich drehte er sich, denn der Griff um seinen Hals lockerte sich ein wenig und versetzte dem verdutzten Angreifer, der sich plötzlich in der Rolle des Opfers sah, einige sehr schmerzhafte Handkantenschläge gegen Hals und Nacken. Der Fremde brach mit einem erstickten Seufzen in die Knie, ein weiterer Schlag auf sein Kinn schickte ihn endgültig ins Reich der Träume. Seine Gastgeber, die sich die ganze Zeit bedeckt gehalten hatten, erschienen nun plötzlich und versicherten James: »Solche Überfälle hat es hier lange nicht gegeben. Hoffentlich ist Ihnen nichts gesche hen, Sir!« »Nichts Ernstes. Kennen Sie diesen Mann?« Der Sohn des Ältesten ergriff wieder das Wort. James wurde den Eindruck nicht los, dass er mit diesem Fallahd unter einer Decke steck te, denn wieder stellte er den Beduinenprinzen als unantastbare Per son dar. »Es ist einer von Fallahds Reitern«, erklärte er nachdenklich. »Wenn er den Auftrag hatte, Sie auszuschalten, dann bedeutet dies, man weiß bereits über Sie Bescheid.« Er wechselte ein paar Worte mit seinem Vater und fuhr dann fort: »Sie müssen uns sofort verlassen. Wir wollen uns nicht den Zorn des Prinzen zuziehen. Seine Rache wäre grausam.« Der junge Engländer fragte sich ernsthaft, ob sein Gesprächspart ner ihm nicht nur etwas vorspielte. Doch das würde er sowieso nicht herausfinden können. Es hatte wenig Sinn, noch länger in der Oase zu bleiben. Hier würde er keine Antworten auf seine Fragen finden und niemand war gewillt, ihm zu helfen. »Gut, ich ziehe weiter«, gab er nach und bemerkte dabei die Er leichterung des jungen Mannes, die nicht gespielt wirkte. »Nur noch eine Bitte: Sagen Sie mir, in welche Richtung ich mich wenden muss, wenn ich Fallahd finden will. Ich denke, das ist doch nicht zuviel ver langt, oder?« 56
Doch nicht einmal diesen Gefallen wollte man dem Fremden noch tun. Sein Gegenüber erwiderte mit verschlossener Miene: »Fallahd ist überall, im Wind, im Rauschen der Blätter, im Murmeln eines Baches. Sie müssen ihn nicht suchen, denn er wird Sie finden. Wenn er es will...« * Bianca-Maria erwachte aus wirren Träumen und richtete sich abrupt auf. Sie war für ein paar Momente völlig desorientiert, starrte fragend gegen den purpurnen Baldachin, der das breite Bett krönte und suchte zugleich nach einem Anhaltspunkt, etwas Bekanntem, das ihr verriet, wo sie war. Doch sie fand nichts. Nur ganz allmählich kehrte die Erin nerung zurück. Und während sie sich kraftlos nach hinten in die seide nen Kissen gleiten ließ, zogen noch einmal die Bilder ihrer Entführung und all dessen, was danach gefolgt war, vor ihrem geistigen Auge vor bei. Es war die Nacht vor über einer Woche gewesen, in der sie ganz plötzlich und ohne Vorwarnung aus tiefem Schlummer gerissen worden war. Seltsame Geräusche hatten sie geweckt, etwas war vorgegangen, was sie sich zunächst nicht hatte erklären können. Als sie aus ihrem Zelt gespäht hatte, war dieser Kerl über sie hergefallen, hatte sie be täubt. Was dann geschehen war, wie sie in diese Oase gelangt war, in der Prinz Fallahd herrschte, wusste sie nicht. Ein großes, schwarzes Loch klaffte da in ihrer Erinnerung. Sie war irgendwann aufgewacht, mit rasenden Kopfschmerzen und einem schlechten Geschmack im Mund. Da hatte sie sich bereits in diesem prächtig ausgestatteten Raum befunden, der ihr seither als Quartier diente. Zwei junge Frauen hatten sie bedient, es gab quasi alle Annehmlichkeiten eines großen Luxushotels. Doch Bianca-Maria war trotz allem eine Gefangene. Und sie konnte ihre Umgebung nur als goldenen Käfig bezeichnen, denn sie war gegen ihren Willen hier. Die Frage, was im Camp geschehen war, wie es Dr. Hastings und den anderen ging, machte ihr zu schaffen. Sie fürchtete sich beinahe davor, die Wahrheit zu erfahren. Doch bislang gab es dazu keinen An lass, denn der Prinz ließ sich nicht blicken. Bianca-Maria hatte von ei 57
ner der Dienerinnen seinen Namen erfahren. Diese hatte ihn mit so viel Ehrfurcht ausgesprochen, dass der jungen Italienerin gleich klar geworden war, wie gehoben seine Stellung sein musste. Doch auch wenn er königlichen Geblüts war, änderte das nichts an den Tatsa chen. Er hatte sie verschleppt, hielt sie gefangen. Und er schien es nicht einmal für nötig zu halten, mit ihr zu sprechen, sein Verhalten zu erklären. Bianca-Maria spürte Wut und Empörung, wenn sie darüber nachdachte. Zu gerne hätte sie dem Beduinen ihre Meinung ins Ge sicht gesagt. Aber dazu hatte sie ja bislang keine Gelegenheit gehabt. Die junge Frau erhob sich und trat an eines der Fenster. Sie hatten keine Scheiben, waren zudem sehr groß. Und die in den Stein der Mauern gehauenen Nischen ermöglichten es, sich hinein zu setzen und zu beobachten, was unten im Innenhof vor sich hing. Das Haus war groß, beinahe wie ein Palast. Der Innenhof gefüllt mit exotischen Pflanzen, die in dem Wüstenklima einen besonderen Blickfang boten. Alle Böden wiesen kostbare Mosaiken auf. Zudem plätscherte im Innenhof ein verspielter Springbrunnen, der aus reinem Gold zu bestehen schien. Es war eine märchenhafte Kulisse, in der die jungen Frauen, die den Innenhof durchquerten oder hier lachend und plaudernd verharrten, wie bunt gekleidete Feen wirkten. Doch all das konnte Bianca-Maria nicht über die Wirklichkeit hinweg täuschen. Sie wusste, dass sie nicht fliehen konnte, denn in der Wüste wäre sie al lein und ohne Proviant unweigerlich zugrunde gegangen. Doch sie würde ihre Situation auch nicht einfach hinnehmen. Fest entschlossen, sich Fallahd wehrhaft entgegen zu stellen, fragte sie die beiden Diene rinnen, die wenig später erschienen, nach ihrem Herren. Beide er schraken und schüttelten nachdrücklich den Kopf, doch Bianca-Maria ließ sich nicht einschüchtern. Sie beharrte: »Ich will ihn sprechen! Er hat sich mir nicht einmal vorgestellt. Ein solches Verhalten würde kein wirklicher Gentleman an den Tag legen!« Obwohl die Mädchen nicht alles verstanden hatten, wurden sie doch blass vor Schreck, denn sie spürten, dass die Prinzessin re spektlos über ihren Herren gesprochen hatte. »Er kommt, wenn er will«, bedeutete eines der Mädchen ihr mit entsprechenden Gesten. Bianca-Maria lachte abfällig. »Ja, das kann ich mir denken! Er kann 58
sich das wohl leisten, schließlich hören alle hier auf ihn und scheinen zudem einen Heidenrespekt zu haben. Ich verstehe das allerdings nichts. Einem Mann ohne Manieren würde ich keinen Respekt entge gen bringen!« »Aber Sie kennen mich doch gar nicht, Bianca-Maria«, ließ sich da eine männliche Stimme von der Tür her vernehmen. Sofort ver schwanden die Dienerinnen, Fallahd näherte sich der Italienerin nur ein wenig, blieb beinahe auf der Türschwelle stehen. Er war sehr groß, dazu schlank und von stolzer, königlicher Haltung. Die Gewänder, die er trug, waren aus dunkler Seide, verziert mit goldenen Ornamenten. Selbst der Krummdolch, den er als Zeichen seiner Würde mit sich führ te, steckte in einer reich ziselierten Goldscheide. Sein Gesicht mit den markant männlichen Linien war schmal, die Haut von einem dunklen Olivebraun. Er blickte die Italienerin aus leicht schräg stehenden, tief dunklen Augen an, die sie sofort in seinen Bann zogen. Prinz Fallahd war unbestritten eine faszinierende Persönlichkeit. »Ich möchte Sie um Verzeihung bitten, weil ich die simpelsten Ge bote der Gastfreundschaft vergaß und Sie einfach hier warten ließ«, erklärte er mit einer leicht rauchigen, tiefen und sehr kultivierten Stimme. Er sprach fast akzentfreies Englisch, was darauf hindeutete, dass er eine ausgiebige Schulausbildung im Ausland genossen hatte. »Darf ich eintreten?« Bianca-Maria hatte ihre Fassung wiedererlangt und nickte hoch mütig. Sie spürte, dass sie auf Distanz zu diesem ungewöhnlichen Mann bleiben musste, denn er übte eine nahezu magische Faszination auf sie aus. Eine Faszination, die gefährlich werden konnte, bedachte man ihre Lage. »Ich hoffe, die Räume sind zu Ihrer Zufriedenheit«, sagte der Prinz und trat an eines der Fenster, um einen Blick in den Innenhof zu werfen. »Haben Sie alles, was Sie brauchen?« Sie musterte ihn kühl. »Alles außer meiner Freiheit. Ich wüsste gerne, was das hier zu bedeuten hat. Wieso ließen Sie mich ent führen? Nennen Sie das vielleicht Gastfreundschaft?« Er lächelte unergründlich. »Sagen wir so, es gibt bestimmte Grün de für meine Handlungsweise, die ich Ihnen noch nicht verraten kann. 59
Doch seien Sie gewiss, dass Ihnen hier kein Haar gekrümmt werden wird. Dafür stehe ich mit meinem Leben ein.« »Das nützt mir herzlich wenig. Ich verlange zu erfahren, was hier gespielt wird«, beharrte sie empört. »Was ist in jener Nacht in ElSharif geschehen? Wo ist Dr. Hastings? Wir haben wertvolle Funde dort gemacht, was...« »Oh, meine Liebe, ich bitte Sie!« Er wollte gehen, doch sie for derte: »Haben Sie den Mut zur Wahrheit! Oder sind Sie vielleicht ein Feigling?« Ihre Worte trafen ihn hart und hatten die erwünschte Wirkung. Doch was er ihr dann sagte, wirkte wie ein Schock auf sie. »Vergessen Sie El-Sharif! Alles, was dort in der Erde lag, ist mein Eigentum. Sie werden sich kein Stück davon mehr aneignen, dafür habe ich gesorgt. Und was diesen Engländer betrifft...« Er lächelte kalt. »Vergessen Sie auch ihn. Das Lager ist leer. Niemand wird mehr wissen, dass dort einmal gegraben wurde. Alles ist bereits vom Wind verweht...« Sie starrte ihn schreckensbleich an. »Das... glaube ich nicht. Sie haben...« »Glauben Sie es nur! Oder haben Sie vielleicht keinen Mut zur Wahrheit?«, erwiderte er ironisch, dann ging er hinaus. Bianca-Maria aber blieb wie gelähmt zurück. Sie wollte, sie konnte nicht glauben, was Fallahd behauptet hatte. James Hastings - tot? Nein, das durfte nicht sein! Und doch schien der Prinz keinen Grund zu haben, sie zu belügen. Schließlich war sie in seiner Hand, er konnte über ihr Schick sal bestimmen, wie es ihm gefiel. Die junge Italienerin hätte am liebs ten geweint, doch sie verbot sich die Tränen. Es hatte doch keinen Sinn, nun zu verzweifeln. Tief in ihrem Herzen spürte sie noch die Hoffnung, eine schwer zu erklärende innere Sicherheit, dass James Hastings noch am Leben war. Sie wollte einfach nicht an seinen Tod glauben, denn sie begriff nun, wie viel er ihr bedeutete. Erst jetzt, da sie sich in einer scheinbar ausweglosen Lage befand, Kräften ausgelie fert, die sie weder kannte noch kontrollieren konnte, wurde ihr be wusst, dass sie viel mehr mit dem Engländer verband, als sie sich je mals hatte eingestehen wollen. Allein deshalb durfte es nicht zu spät sein... 60
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James Hastings erreichte unterdessen eine weitere Oase, gut fünfzig Meilen von dem Ort entfernt, an dem sich Bianca-Maria aufhielt. In der Zwischenzeit waren seine Träger verschwunden, hatten sich nachts heimlich aus dem Staub gemacht. Der junge Engländer konnte es ih nen nicht mal verdenken. Sie schienen Angst vor Fallahd zu haben und waren nicht gewillt, für ihren geringen Lohn ihr Leben aufs Spiel zu setzen. So war der junge Mann nun gezwungen, allein mit den Kame len durch die Wüste zu ziehen. Er orientierte sich durch den Son nenstand und mittels eines kleinen Kompasses, der ihm hierbei un schätzbare Dienste leistete. So fand er zwar die in der Wüste weit ver streuten menschlichen Ansiedlungen, doch nirgends wollte man ihm weiterhelfen. Für die Menschen hier schien der Beduinenprinz eine Art Gottheit zu sein, die man unter gar keinen Umständen erzürnen wollte. James machte sich keine großen Hoffnungen, dass es in El-Allam an ders sein würde. Es war eine kleine Oase mit wenigen einfachen Häu sern. Hauptsächlich Hirten lebten hier, es gab einen Hain mit Dattel palmen, der Hauptnahrungsquelle der armen Landbevölkerung und einen groben Steintrog, der Mensch und Tier als Wasserquelle diente. Der Engländer hatte sich mittlerweile einige Brocken der Lan dessprache angeeignet und konnte sich leidlich verständigen. Man lud ihn zum Essen ein und bot ihm auch eine Schlafstätte an. Und dieses Mal schreckten seine Gastgeber nicht zurück, als der Name Fallahd fiel. Dr. Hastings registrierte es mit leichter Verwunderung. Es dauerte aber nicht lange, bis er den Grund dafür herausgefunden hatte. Der Haus herr, ein einfacher Hirte, hatte sich einst gegen einen Überfall von Fallahds Reitern auf sein Dorf gewehrt. Er hatte dabei seine beiden Söhne verloren und hasste den Beduinenprinzen seither von Herzen. Gab es eine Möglichkeit, ihm zu schaden, ergriff er diese mit Freuden. Und als James Hastings ihn nun nach dem Aufenthaltsort Fallahds fragte, stimmte er sofort zu, ihn zu der etwas abseits gelegenen Oa senstadt des Prinzen zu führen. 61
So brachen die beiden unterschiedlichen Männer am nächsten Tag im Morgengrauen bereits auf. Der Hirte, der auf den Namen Fahd hör te, sprach kaum. Er schien in Gedanken ganz woanders zu sein, doch er fand seinen Weg sicher durch die hohen, sich stets verändernden Dünen. Auf einen Kompass oder ähnliche Hilfsmittel war er nicht an gewiesen. James bewunderte seinen Orientierungssinn, die Sicherheit, mit der er die richtige Richtung einschlug. Sie wanderten bis zum Mit tag, legten dann eine Rast ein, um der glühenden Sonne zu entgehen. Unter einem einfachen, rasch errichteten Zelt tranken sie Tee und a ßen Haferbrot. Der Engländer ahnte, wie anders das Leben dieser Menschen doch war, an denen der Fortschritt bislang spurlos vorüber gegangen war. Doch dieses Dasein in der Natur, im Rhythmus der Zeiten, hatte auch einiges für sich. Die Ruhe und Gelassenheit, die Fahd ausstrahlte, übertrug sich ebenfalls wohltuend auf James Has tings. Und als er nach der einfachen Mahlzeit schläfrig wurde, genoss er die kurze Ruhepause, die seinem Körper und seiner Seele wohl tat. Der junge Forscher wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als ihn ein Geräusch schlagartig weckte. Etwas verwirrt blickte er sich um und stellte fest, dass die Sonne bereits weit in den Westen gewan dert war. Die Mittagszeit lag also hinter ihnen, sie konnten aufbrechen. Doch wo war sein Führer? James Hastings schaute sich suchend um, musste jedoch feststel len, dass er ganz allein war. Außer den Kamelen, die in einigem Ab stand in die Knie gegangen waren und ebenfalls Siesta hielten, schien er das einzige Lebewesen in der Wüste zu sein. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. War es denn möglich, dass Fahd es sich anders überlegt und ihn im Stich gelassen hatte? Das konnte James sich eigentlich nicht vorstellen. Zumal er doch einen guten Grund hatte, dem Englän der zu helfen. Und sein Esel stand ebenfalls noch hier. Doch wo moch te der Hirte sein? Dr. Hastings fand darauf keine Antwort. Was ihm blieb, war, den Beduinen zu suchen. Denn ohne seine Hilfe würde er sein Ziel kaum finden. Die Oasenstadt lag recht versteckt und abseits der üblichen Wegrouten. Deshalb war James ja auch so froh gewesen, einen ortskundigen Führer gefunden zu haben. Allerdings schien es ihm langsam so, als solle er den Prinzen Fallahd einfach nicht finden. 62
Immer wieder tauchten neue Hindernisse auf, legten sich ihm wieder Steine in den Weg... Der junge Mann griff nach seinem Kompass und bestimmte zu nächst seine Position, bevor er sich auf die Suche nach dem Hirten machte. Es hatte wenig Sinn, wenn er sich jetzt verlief, zumal es bald dunkel werden würde. Der Abend kam in der Wüste abrupt und konnte einen Unwissenden leicht überraschen. Wenn man dann die Orientie rung verlor, blieb einem nichts weiter übrig, als bis zum Sonnenauf gang zu verharren. Und die Nächte waren empfindlich kalt... James Hastings bereitete sich gewissenhaft auf seine Suche vor. Dass dies gar nicht nötig gewesen wäre, wurde ihm bereits kurze Zeit später klar. Er musste nur wenige Meter hinter die nächste Düne mar schieren, um fündig zu werden. Allerdings hätte er auf diesen Anblick gerne verzichtet. Fahd, der einfache Hirte, hatte seinen Mut mit dem Leben bezahlt. Die vielen Hufspuren, die sich im Sand noch abmalten, verrieten die Männer, die ihn auf dem Gewissen hatten. Wie bereits die Wächter in El-Sharif, so war auch der Mann aus der Oase von El-Allam kaltblütig ermordet worden. Die Täter hatten ihm die Kehle aufgeschlitzt und den Toten dann als Mahnung liegen lassen. James Hastings aber wür de sich nicht schrecken lassen. Er war fester denn je entschlossen, diesen verfluchten Fallahd zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen, das schwor er sich beim Anblick des Mannes, der ihm nur hatte helfen wollen und diese Hilfsbereitschaft nun mit dem Leben bezahlt hatte... * Bianca-Maria spazierte durch den Innenhof des fürstlichen Palastes und tat so, als genieße sie die schöne Umgebung und den Müßiggang. In Wirklichkeit hielt sie aber die ganze Zeit Ausschau nach einer Fluchtmöglichkeit. Sie hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, eine der Dienerinnen um Hilfe zu bitten. Doch mittlerweile wusste sie, dass die beiden Fallahd treu ergeben waren. Zudem hatten sie viel zu große Angst vor einer Bestrafung, wenn sie sich gegen den Prinzen wandten. Diese Möglichkeit schied also von vorneherein aus. Bianca-Maria würde 63
sich nur auf sich selbst verlassen müssen. Und bislang hatte sie das auch immer gekonnt. Doch nun standen die Umstände einfach gegen sie. Überall bewegte sich Wächter, unauffällig strichen sie zwischen den großen exotischen Pflanzen hindurch oder standen neben den Eingängen. Der Palast glich einer Festung. Es war praktisch unmöglich, ungesehen hinauszugelangen. Zumal alle Wächter einen mächtigen Krummsäbel trugen, den sie ganz sicher ohne Zögern benutzten, wenn jemand versuchen sollte, gegen den Willen des Prinzen zu handeln. Bianca-Maria fühlte sich niedergeschlagen und entmutigt. Sie hat te gehofft, in einem unbeobachteten Moment zumindest aus diesem Haus entfliehen zu können. Doch es schien absolut unmöglich. Es war, wie sie auf Anhieb richtig erkannt hatte, ein goldener Käfig, aus dem es kein Entrinnen gab. »Darf ich mich zu Ihnen gesellen?« Der Prinz suchte in den ver gangenen Tagen öfter ihre Nähe. Bislang war Bianca-Maria sehr ab weisend zu ihm gewesen. Sie fürchtete ihn, zugleich fürchtete sie aber auch, dass er ihrem leidenschaftlichen Herzen gefährlich werden könn te. Er war ein außergewöhnlicher Mann. Und das geheimnisvolle Feu er, das in seinen dunklen Augen brannte, war durchaus dazu angetan, sich die Finger zu verbrennen. Doch als er nun an ihre Seite trat, gab sie sich ein wenig freund licher als bisher. Sie dachte daran, sein Vertrauen zu gewinnen. Viel leicht würde es ihr auf diese Weise gelingen, diesem Palast zu entlie hen. »Dieses Haus gehört Ihnen. Müssen Sie da noch fragen?« Er lächelte angedeutet. »Ich habe nicht vergessen, was Sie über Männer ohne Manieren gesagt haben. Und ich möchte, dass Sie mich respektieren, Bianca-Maria. Ist nicht Respekt die Basis für alle weiteren Gefühl, sogar für... Liebe?« Sie warf ihm einen knappen, schwer zu deutenden Blick zu und fragte: »Spielen Sie mit mir? Das schätze ich gar nicht.« Abrupt blieb er stehen, seine schlanke und doch kräftige Rechte legte sich besitz ergreifend um die ihre. Leise beschwor er sie: »Spre chen Sie nicht so. Sie wissen, es ist anders...« 64
»Ich bitte Sie! Vergessen Sie doch nicht, in welcher Situation ich mich befinde. Als Ihre Gefangene kann ich mich nicht wehren. Doch was Sie fordern, vermag nur mit einem freien Willen zu gedeihen, niemals unter Zwang!« Er gab sie frei, schwieg eine Weile betroffen. Schließlich ließ er sie wissen: »Sie sind nicht hier, weil ich Ihnen Gewalt antun will. Ich kannte Sie nicht einmal, als ich Sie auf meinen Pferd hierher brachte. Es gibt Verpflichtungen, die höher stehen als persönliche Gefühle. Mehr kann und darf ich Ihnen nicht sagen. Doch was ich empfinde, ist keine Spielerei.« »Es gibt auch für einen Mann Ihres Ranges Verpflichtungen, die Sie zu Raub und Mord zwingen? Das glaube ich nicht!« Ein wehmütiges Lächeln zuckte um seine schmalen Lippen. »Sie wissen sehr wenig, Bianca-Maria. Wenig über mein Land, über mich. Ich würde Ihnen gerne, alles erzählen, Ihnen mein Herz öffnen. Doch später... Im Moment muss ich schweigen, es gibt keinen anderen Weg. Ich kann Sie nur bitten, mir zu vertrauen.« »Ich soll Ihnen vertrauen? Sie haben mich entführt!«, rief sie ent rüstet. »Wie können Sie da Vertrauen erwarten?« »Mir ist durchaus bewusst, dass Vertrauen nicht von heute auf morgen entsteht. Aber ich möchte mir Ihr Vertrauen erwerben. Sie dürfen mir glauben, dass ich Sie schützen werde. Was einmal galt, soll null und nichtig sein. Jetzt, da ich Sie kenne und weiß, dass mein Herz ohne Sie nicht mehr schlagen will, stehe ich mit meinem Leben für das Ihre ein. Das schwöre ich Ihnen!« Er nahm noch einmal ihre Hand und zog sie leidenschaftlich zu seinem Herzen. In seinen geheimnisvollen Augen brannte ein Feuer, das Bianca-Maria ebenso verwirrte wie ängs tigte. »Ich liebe Sie, vergessen Sie das nie, was auch geschehen mag!« Bereits im nächsten Moment war er fort, beinahe wie ein Spuk. Die junge Frau brauchte eine Weile, um ihre Gedanken zu ordnen, ihre in Wallung geratenen Gefühle wieder in den Griff zu kriegen. Prinz Fallahd verstand es, eine Frau zu betören. Wenn er ihr so nah war, sie in seine schönen Augen schaute, dann traute sie ihm keine Schlechtig keit zu. Und doch wusste sie sehr genau, dass hinter dieser edlen Fas 65
sade ein Herz schlug, das durchaus auch kalt und brutal sein konnte. Er sandte seine Reiter aus, um Angst und Schrecken, Tod und Leiden zu verbreiten. Und zugleich konnte er in so tiefer und bewegender Weise seinen Gefühlen Ausdruck verleihen. Dieser Widerspruch war kaum zu fassen und niemals zu begreifen. Bianca-Maria kehrte in ihre Räume zurück, um ein wenig zu ruhen. Sie suchte, sich von ihren verwirrten Gedanken durch das Planen einer Flucht abzulenken. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Immer wieder sah sie Fallahds Gesicht vor sich, der ihr schwor, sie zu lieben... * Am späten Abend, die Sonne war eben untergegangen, erreichte eine Karawane die Oasenstadt. Bianca-Maria hielt sich in ihren Räumen auf und konnte vom Fenster aus genau beobachten, was sich im Innenhof abspielte. Gäste kamen an. Und die Prinzessin glaubte, nur zu träu men, als sie Sir George Egglethorpe erkannte, den britischen Botschaf ter aus Kairo. Was hatte er hier zu suchen? Sie dachte kurz daran, sich bemerkbar zu machen, als sie sah, wie der Botschafter und der Prinz sich sehr vertraut begrüßten, beinahe wie alte Freunde. Es sah so aus, als könne Bianca-Maria auch von dieser Seite keine Hilfe erwarten... Sie trat ein wenig zurück, als der Engländer kurz den Blick hob und zu ihrem Fenster hinauf sah. Ein seltsames Gefühl beschlich Bian ca-Maria. Es war fast, als wüsste er, dass sie sich dort oben aufhielt. Aber das war natürlich Unsinn. Sie verdrängte diesen Gedanken und wandte sich um, als die beiden Dienerinnen erschienen. Sie brachten ein kostbares Gewand aus hellblauer Seide, schweren Goldschmuck und feine Sandalen für ihre Füße. Die junge Italienerin glaubte zu ver stehen: Fallahd wollte sie Sir George als seine Trophäe, seine beson dere Attraktion vorstellen. Sie ahnte nicht einmal, wie sehr sie sich täuschte... Die Prinzessin war mit ihrer Toilette fast fertig, als der britische Botschafter plötzlich vor ihr stand. Sie erschrak, denn er fasste hastig ihre Hände, bedeckte sie mit Küssen und flüsterte: »Ich bin so glück lich, Sie wieder zu sehen, so unendlich glücklich...« 66
»Sir George, ich bitte Sie!« Mit einem Ruck entzog sie ihm ihre Hände und bat kühl: »Nehmen Sie sich doch zusammen!« »Ja, sicher...« Er räusperte sich und grinste schief. »Verzeihen Sie mir, Prinzessin. Ich war nur ganz außer mir, als ich erfuhr, dass Sie hier sind. Ich werde mich ab sofort zusammennehmen, das verspreche ich.« »Können Sie mir helfen? Ich bin nämlich nicht freiwillig hier«, wagte sie den Sprung ins kalte Wasser. »Der Prinz hat mich entführen lassen und hält mich hier nun schon seit Wochen gefangen. Ich war in El-Sharif, zusammen mit einem englischen Kollegen, als er seine Reiter schickte. Er hat nicht nur mich entführt, sondern auch die Kunstschät ze geraubt, die wir ausgegraben hatten...« Sir George hatte ihr mit unbewegter Miene zugehört, nun er kundigte er sich: »Sie waren also wieder in El-Sharif? Ich dachte, Sie seien abgereist, das hat man mir jedenfalls berichtet.« »Ich war in England, um Dr. Hastings für das Projekt zu gewin nen. Aber das tut doch nichts zur Sache, ich meine...« »Liebe Prinzessin, ich fürchte, Sie sehen das falsch«, belehrte er sie herablassend. »Sind Sie nicht von allen Seiten davor gewarnt wor den, diese Ausgrabungen fortzusetzen? Ich muss Ihnen leider sagen, dass es Ihre eigene Schuld ist, was danach geschehen ist. Und ich wüsste beim besten Willen nicht, wie ich Ihnen da helfen sollte. Schließlich bin ich nur Gast in diesem Haus, zudem in meiner Ei genschaft als britischer Botschafter. Und mein Land legt Wert auf gute Beziehungen zum Hause des Prinzen.« »Sie wollen also nichts für mich tun«, schloss sie ernüchtert. Wie hatte sie auch glauben können, dass dieser Mann ihr helfen würde? Sie hatte ihn immer wieder zurückgewiesen. Es musste für ihn ein in nerer Vorbeimarsch sein, sich dafür nun zu rächen. »Ich kann es nicht, das ist ein feiner Unterschied«, behauptete er tückisch. »Außerdem kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Prinz Sie hier als Gefangene hält. Es macht auf mich eher den Eindruck, als ob Sie sich bereits gut eingelebt hätten. Nun... gegen einen Mann wie Fallahd kann ich natürlich nicht konkurrieren.« 67
»Was bilden Sie sich ein?«, fuhr Bianca-Maria da impulsiv auf. »Sie wagen es, mir zu unterstellen...« Er winkte ab. »Ich unterstelle Ihnen gar nichts, Mylady. Ich sehe nur, dass Ihr Herz ganz offensichtlich für einen anderen schlägt. Das werde ich wohl oder übel hinnehmen müssen, so schwer mir das auch fällt. Wir sehen uns beim Abendessen.« Er verließ ohne ein weiteres Wort den Raum, Bianca-Maria starrte ihm ebenso fassungslos wie erbost hinterher. Sir George war ja noch mieser, als sie angenommen hatte. Nicht nur, dass er sofort wieder versucht hatte, sie zu belästi gen. Er stellte sie nun auch noch als Lügnerin und Geliebte des Prinzen dar. Das war wirklich der Gipfel! Bianca-Maria musste sich sehr zusammennehmen, um den Drang zu besänftigen, etwas gegen die Wand zu schmettern. Ihr südländi sches Temperament ging wieder einmal mit ihr durch, aber sie schaff te es nur mit äußerster Willensstärke, wieder ruhig zu werden. Wie es schien, gab es momentan für sie keinen Fluchtweg. Alles, was ihr blieb, war abzuwarten und nicht die Nerven zu verlieren. Auch wenn ihr das sehr, sehr schwer fiel... * Mitten in der Nacht, Bianca-Maria hatte noch keinen Schlaf gefunden, erklangen aus dem Innenhof plötzlich erregte Stimmen. Die Prinzessin verließ ihr Bett und trat vorsichtig ans Fenster, um einen Blick nach unten zu erhaschen. Der Abend war alles andere als angenehm verlau fen, weshalb sie bisher auch keine Ruhe hatte finden können. Sir George hatte ihr die ganze Zeit dumme Geschichten aus seiner Zeit als Botschafter in Indien erzählt, während Fallahd meist geschwiegen und sie aus halb geschlossenen Augen beobachtet hatte. Bianca-Maria hat te sich überaus unwohl gefühlt und war erleichtert gewesen, als sie sich endlich zurückziehen konnte. Nun lauschte sie auf die Stimmen, die von unten an ihr Ohr drangen. Sie waren nicht sehr laut, doch un verhohlene Wut, ja Hass sprachen aus ihnen. Und es dauerte nicht lange, bis die Prinzessin erkannte, wer sich da ein Wortduell lieferte: Es waren Fallahd und Sir George. Der Engländer schien dem Wein zu 68
sehr zugesprochen zu haben, seine Zunge war schwer und er torkelte leicht. Fallahd beobachtete ihn mit Verachtung. Doch der Streit, den beide Männer hatten, war durchaus als ernst zu bezeichnen. »Es war so abgemacht und dabei bleibt es!«, rief Sir George auf gebracht. »Oder muss ich Sie an Ihr Wort als Ehrenmann erinnern? Ich dachte, Sie waren auch in Oxford.« »Cambridge«, verbesserte der Prinz herablassend. »Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr rück gängig machen. Ich liebe Bianca-Maria und werde sie nicht gehen las sen. Vor allem aber überlasse ich sie nicht einem Wiesel wie Ihnen...« »Sie wagen es!« Ein Geräusch von splitterndem Glas erklang. Bi anca-Maria hatte das Gefühl, als bohre sich der Klang mitten in ihr Herz hinein. Es gab also eine Abmachung zwischen den beiden Män nern, ein Geschäft. Und sie war dabei der Preis! Das war nicht zu fas sen. Sie konnte kaum glauben, dass der Engländer zu einer solchen Niedertracht fähig war. Aber alles sprach dafür. »Sie sollten sich niederlegen«, riet Fallahd nun seinem Gast, aber davon wollte dieser nichts hören. Er keuchte: »Sie gehört mir. Ich habe Ihnen dafür diesen ver dammten Sarkophag überlassen. Weiß Gott, wozu Sie dieses alte Ding brauchen. Aber das Geschäft gilt! Ich habe meinen Teil der Ab machung eingehalten. Und ich werde nicht von hier weggehen, bis Sie den Ihren erfüllen.« »Sie sollten wirklich schlafen gehen. Wir reden morgen in Ruhe über alles«, schlug der Prinz begütigend vor. Sir George brummte et was Undefinierbares, doch seine Gegenwehr erlahmte, der Alkohol schien seine Wirkung zu tun. Der Prinz winkte zwei Diener herbei, die den Engländer fort brachten. Bianca-Maria stand wie erstarrt hinter dem Fenster und konnte noch immer nicht fassen, was sie da gerade gehört hatte. Ihre Entführung war also geplant gewesen, kein spontaner Akt von Grabräubern, die noch eben eine Geisel mitnahmen. Und hinter alldem steckte Sir George! Er hatte es zudem darauf angelegt, das Lebenswerk ihres Vaters zu zerstören. Der Sarkophag befand sich nun in den Händen des Prinzen und es schien unwahrscheinlich, dass er 69
diesen wieder hergeben würde. Die junge Frau stöhnte gequält auf. Ganz allmählich begriff sie das Ausmaß der Verblendung, die den Eng länder geleitet haben musste, sich dermaßen tief in Verbrechen zu verstricken, um sein Ziel zu erreichen. Sir George musste wahnsinnig sein, wenn er so weit ging! Bianca-Maria spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Die Vorstellung, dass Fallahd sie vielleicht diesem Mann übergab, war ihr unerträglich. Sie musste fliehen! Doch wie? Seit sie in diesem Palast eingesperrt war, dachte sie über eine Möglichkeit nach, zu entkommen. Bislang ohne jeden Erfolg. Nun aber, da sie wusste, in welcher Gefahr sie schwebte, musste ihr einfach etwas einfallen. Unter keinen Umständen wollte sie riskieren, Sir George in die Hände zu fallen. Seine angebliche Liebe zu ihr hatte längst manische Züge angenommen. Unruhig lief sie in ihrem Zimmer auf und ab, rang die Hände, stöhnte und suchte ver zweifelt nach einer Lösung, ohne dass sich ihr ein Weg zeigte. Als der Morgen bereits graute, sah sie zufällig, wie eine junge Dienerin einen neben liegenden Raum verließ, über eine Steintreppe nach außen ge langte und durch einen sehr schmalen Gang verschwand. Bislang war das Nebenzimmer immer abgeschlossen gewesen. Die Dienerin schien dies nun vergessen zu haben. Vielleicht glaubte sie auch, zu so früher Stunde noch von niemandem gesehen worden zu sein. Bianca-Maria aber hatte sie gesehen. Und sie ergriff sofort die einzige Chance zu fliehen, die sich ihr bislang hier geboten hatte. * Prinz Fallahd marschierte unruhig in seinen Gemächern auf und ab. Er fand keine Ruhe in den kühlen Stunden der Nacht, obwohl die Stille wie ein schweres Tuch über allem lag. Hinter seiner hohen Stirn arbei tete es unablässig. Der Grund für seine innere Aufgewühltheit war natürlich Bianca-Maria. Selten war ihm eine Frau von größerem Lieb reiz begegnet. Er liebte und begehrte sie, dachte daran, sie zu seiner Erstfrau zu machen, wenn er erst die Fürstenwürde innehatte. Doch bis dahin lag noch ein langer und schwieriger Weg vor ihm. Er hatte geglaubt, durch den Handel mit dem englischen Botschafter schneller 70
und einfacher an sein Ziel zu gelangen. Allerdings hatten ihm seine Gefühle nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. Unter keinen Umständen konnte er Bianca-Maria diesem kleinen, verschlagenen Widerling überlassen. Aber Sir George drängte auf die Einhaltung die ser Verpflichtung. Und Fallahd fühlte sich hin und her gerissen zwi schen seinem Wort als Ehrenmann und seiner Liebe zu der Frau, die sein Herz betört hatte. Sehr früh am Morgen, das erste schwache Licht des neuen Tages schimmerte in grauem Purpur am Horizont, beschloss der Prinz, aus zureiten. In der unendlichen, majestätischen Weite der Wüste gelang es ihm immer am besten, seine Gedanken zu ordnen. Er verließ seine Gemächer, betrat den Innenhof - und stutzte. Gerade in diesem Mo ment schlich eine schmale Gestalt vorsichtig über die Außentreppe, die den ersten Stock des Palastes mit dem äußeren Hof verband. Fallahd wusste sofort, dass es Bianca-Maria war. Er hätte sie unter allen Frauen dieser Welt erkannt. Und er erkannte auch ihre Absicht: Sie ver suchte, zu fliehen. Dies konnte er allerdings unter keinen Umständen zulassen. Mit wenigen Schritten hatte er den Innenhof hinter sich gelassen. Er dachte nicht daran, die Wachen zu alarmieren, denn dies hätte viel leicht auch seinen englischen Gast aufgeschreckt. Der Prinz wollte sei ne Herzdame selbst wieder einfangen. Und es sollte ihm gelingen... Bianca-Maria hatte sich in einen einfachen, schwarzen Burnus ge kleidet und einen Schal um ihr helles Haar gewickelt, um nicht aufzu fallen. Sie hoffte, zusammen mit den anderen Dienerinnen das um grenzte Gelände verlassen zu können, ohne dass jemand etwas be merkte. Dabei ahnte sie nicht, dass ihre Flucht längst entdeckt worden war. Ihr Herz klopfte wild, als sie den schmalen Gang betrat, der zwi schen zwei hohen Mauern hindurch führte. Sie hatte ihn fast durch quert, als unvermittelt Fallahd vor ihr stand. Hastig verhielt sie ihren Schritt, überlegte fieberhaft. Zurück konnte sie nicht, dann war sie wieder in ihrem Gefängnis. Der Fluchtweg aber war ihr versperrt. Es gab keine weitere Möglichkeit; sie musste einsehen, dass sie nicht ent kommen konnte. 71
»Bianca-Maria, wohin wollten Sie?«, fragte der Prinz mit strafendem Unterton in der Stimme. »Ich dachte, Sie wissen, wie ich zu Ih nen stehe. Niemals werde ich zulassen, dass der Engländer Ihnen zu nah tritt. Das schwöre ich! Aber wie soll ich Sie schützen, wenn Sie mir davonlaufen?« »Lassen Sie mich gehen! Sehen Sie denn nicht ein, dass Liebe sich nicht erzwingen lässt?«, hielt sie ihm entschlossen entgegen. Doch davon wollte er nichts wissen. »Sie gehören mir«, erklärte er ohne Zö gern und traf auf sie zu. »Ich kann Sie nicht fort lassen, ohne Sie ist mein Leben sinnlos. Glauben Sie mir, Bianca-Maria, Sie werden mich lieben!« Er starrte ihr so zwingend in die Augen, dass sie sich plötzlich willenlos fühlte, ihr Widerstand dahin schmolz. Sie spürte eine süße Schwäche, als er sie in seine Arme zog, seine fordernden Lippen ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss verschlossen. Da schien es ihr, als versinke die Welt um sie herum und sie gab sich völlig auf, gab sich ganz diesem Rausch hin, der ihr fremd und zugleich wunderbar vertraut schien. »Sie werden mich lieben, Bianca-Maria«, flüsterte er und nahm ih re Hand. »Aber Sie dürfen mich nicht verlassen. Kommen Sie.« Er brachte sie zurück zu ihren Räumlichkeiten und ließ sie dann allein. Mehr denn je empfand er die Dringlichkeit, sich mit Sir George zu eini gen. Was immer der Engländer fordern würde, er sollte es bekommen. Nur die Prinzessin, die würde Fallahds Palast nicht verlassen, wenn es nach ihm ging... Der britische Botschafter erwachte erst gegen Mittag mit schweren Kopfschmerzen. Mühsam verließ er seine Bettstatt und schüttete sich als erstes kaltes Wasser über den Kopf, um wieder einigermaßen klar zu werden. Nur bruchstückhaft erinnerte er sich an die letzte Nacht. Er wusste, dass er sich mit dem Beduinen gestritten hatte, dass es um Bianca-Maria gegangen war. Der verdammte Wüstensohn wollte sie nicht herausrücken. Aber damit würde er bei dem Engländer nicht durchkommen. Geschäft war Geschäft. Zumal Sir George viel riskiert hatte. Natürlich war er nicht berechtigt gewesen, die geborgenen Kunstschätze einfach zu verschenken. Und schon gar nicht im Tausch gegen das Leben eines Menschen. Doch das war ihm ganz einerlei. Er 72
war verrückt nach der italienischen Prinzessin. Und er würde es nicht zulassen, dass dieser Fallahd sie in sein Harem steckte. Noch an die sem Tag wollte er abreisen und sie mit sich nehmen. Sollte der Prinz sich weigern, sie herauszugeben, würde er eben etwas rüdere Metho den anwenden müssen, um seine Interessen zu wahren. Sir George trat neben seine Reisetasche und grinste kalt. Er langte hinein, förderte eine Pistole zu Tage und betrachtete sie eine Weile nachdenklich. Eigentlich war der Diplomat kein gewalttätiger Mensch. Aber in diesem Fall lagen die Dinge etwas anders. Ohne Bianca-Maria würde er die Oasenstadt nicht verlassen. Er war fest entschlossen, alles was nötig war zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn es nicht anders ging, sogar über die Leiche von Prinz Fallahd... * James Hastings rastete im Schatten einiger Dattelpalmen. Seit sein Führer ermordet worden war, hatte der junge Engländer noch eine gute Strecke Wegs allein zurückgelegt. Dabei hatte er mit Hilfe seines Kompasses die Richtung beibehalten, die Fahd eingeschlagen hatte. Und es schien, als bringe ihn dieser Weg genau dorthin, wo er hin wollte. Denn auf seiner Karte war eine winzige Ansiedlung verzeichnet, die am Ende dieser Strecke, etwas abseits der üblichen Routen lag. James vermutete, dass es sich um die Residenz des Beduinenprinzen handelte, die absichtlich als klein und unbedeutend eingetragen wor den war. Fallahd legte anscheinend keinen Wert auf ungebetenen Be such. Der Forscher grinste kalt. Nun würde er sich allerdings darauf einstellen müssen. Er hoffte sehr, dass es Bianca-Maria gut ging, man sie angemessen behandelte. Doch nach der Blutspur zu urteilen, die von den Männern des Prinzen durch die Wüste gezogen worden war, musste er wohl leider mit dem Schlimmsten rechnen. Bei diesem Ge danken stieg in Dr. Hastings die heiße Wut auf und wieder spürte er die Entschlossenheit, Fallahd für seine Taten zur Rechenschaft zu zie hen. Der junge Engländer blickte zum Himmel und stellte fest, dass die Sonne bereits ihren Zenit überschritten hatte. Das hieß, er konnte sei nen Weg fortsetzen. 73
Nur kurze Zeit später marschierte James Hastings los. Weit und breit ödes Land, Wüste und gleißende Sonne, dazu ein seltsam blass blauer Himmel. Das deutete darauf hin, dass sich ein Sandsturm nä herte, was zu dieser Jahreszeit nicht ungewöhnlich war. Allerdings hoffte der einsame Wanderer sehr, dass der Sturm erst losbrechen würde, wenn er sein Ziel erreicht hatte. Denn danach konnte ihm auch der Kompass kaum noch helfen, wenn die gesamte Umgebung wieder vollkommen anders aussah... Es war bereits hoher Nachmittag, als sich dem Engländer Reiter näherten. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen, waren plötzlich heran. Und noch ehe er reagieren konnte, bedrohten sie ihn mit ihren Musketen, forderten ihn auf, sich zu ergeben. Was blieb ihm auch an deres übrig? Zudem hatte James den Verdacht, dass diese Männer ihn genau dorthin bringen würden, wo er sowieso hinwollte. Sie fesselten ihm die Hände und setzten ihn auf eines ihrer Pferde. Was sie spra chen, verstand er nur sehr lückenhaft. Doch der Name ›Fallahd‹ fiel und das genügte Dr. Hastings. Dann ging es in atemraubendem Tempo davon. Die Reiter des Be duinenprinzen achteten nicht weiter auf ihren Gefangenen, sie führten nur die Befehle ihres Herren aus. Sonst wäre ihnen vielleicht aufgefal len, dass der Engländer ganz zufrieden wirkte... Währenddessen hatte Sir George sein Zimmer verlassen und ver langte, den Prinzen zu sprechen. Er gab sich sehr selbstsicher, wozu auch die ›Lebensversicherung‹ in seiner Brusttasche beitrug. Fallahd ließ ihn allerdings warten. Beinahe eine geschlagene Stunde mar schierte der Botschafter mit wachsendem Unmut im Innenhof des Pa lastes auf und ab. Am liebsten wäre er sofort abgereist, denn eine solche Behandlung war er nicht gewöhnt. Aber es gab einen wichtigen Grund, der ihn davon abhielt. Der Gedanke an Bianca-Maria ließ ihn schon wieder ruhiger werden. Ohne sie konnte er den Palast nicht ver lassen... Endlich ließ man ihn zum Prinzen vor. Fallahd musterte den Eng länder mit schwer zu beschreibender Miene, als dieser sich über die lange Wartezeit beschwerte. Und nachdem Sir George verstummt war, ging er mit keinem Wort auf dessen Lamento ein, meinte statt dessen 74
nur ruhig und gelassen: »Sie sollten jetzt abreisen, Sir George. Unser Geschäft war ein Fehler, wie ich mittlerweile eingesehen habe. Sie sollen allerdings auch nicht leer ausgehen. Nennen Sie mir eine Sum me, Sie wissen, der Sarkophag ist für mich sehr wertvoll.« Der Engländer lachte abfällig. »Wohl nicht so wertvoll wie die Frau, nicht wahr? Ich durchschaue Sie, Fallahd! Und ich bin nicht ge willt, mir das bieten zu lassen, was Sie hier versuchen, verstanden?« Er trumpfte auf: »Es war abgemacht, dass Sie den alten Krempel be kommen und ich im Gegenzug die Prinzessin di Medici. Von dieser Abmachung gehe ich keinen Zentimeter ab, niemals! Also versuchen Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen!« »Das ist nicht meine Absicht«, erwiderte der Prinz besonnen. »Doch ich habe Ihnen bereits erklärt, dass ich mich nicht mehr von Bianca-Maria trennen kann, das ist mir unmöglich.« Sir George lachte kalt. »Sie hatten von Anfang an vor, mich zu be trügen, Sie mieser...« Er winkte ab. »Wozu soll ich meinen Atem ver schwenden? Geben Sie die Frau heraus, auf der Stelle. Oder ich sehe mich gezwungen, sie mir mit Gewalt zu holen!« »Ich fürchte, Sie schätzen Ihre Lage nicht richtig ein, mein Gu ter«, stellte der Beduinenprinz mit einem herablassenden Lächeln fest. »Sie haben hier gar nichts zu fordern. Unser so genanntes Geschäft ist vor dem Gesetz null und nichtig. Wenn ich wollte, könnte ich Sie auf der Stelle hinter Gitter bringen. Was Sie getan haben, würde Sie Ihre Stellung, Ihre Ehre... alles kosten. Vielleicht überlegen Sie sich das einmal in Ruhe. Wie ich Ihnen bereits gestern gesagt habe: Ich bin bereit, einen angemessenen Betrag zu zahlen und wir vergessen die ganze Angelegenheit. In Ihrem eigenen Interesse sollten Sie diesen Vorschlag annehmen.« Der Botschafter hatte mit ausdrucksloser Miene zugehört, nun flog ein kaltes, verächtliches Lächeln über seine Lippen und im nächsten Moment hielt er eine Waffe in der Hand. Mit Genugtuung stellte er fest, dass Prinz Fallahd eine Spur blasser wurde. Sofort triumphierte er: »Jetzt sieht die ganze Angelegenheit wohl schon ein wenig anders aus, oder? Sie geben mit Bianca-Maria heraus und ich lasse Sie am Leben. Nun, wie klingt denn dieser Vorschlag in Ihren Ohren?« 75
»Sie wagen es, eine Waffe gegen mich zu richten? Sie Narr!« Sir George lachte irre. »Ich verlange, dass Sie auf der Stelle tun, was ich sage. Oder aber Sie werden es sehr bereuen!« »Also schön, wie Sie wollen.« Fallahd betätigte eine Klingel, die einen Diener herbeirief. Er gab eine kurze Anweisung, dann sagte er zu dem Engländer: »Sie wird hergebracht. Aber glauben Sie ja nicht, dass es Ihnen gelingen wird, die Wüste unbeschadet zu durchqueren. Meine Reiter werden Sie jagen - und finden...« Der Botschafter machte eine wegwerfende Geste. »Sie werden mir nichts tun, wenn Bianca-Maria bei mir ist. Oder können sie riskieren, sie zu verletzen...« »Sie mieses, kleines Schwein. Sich hinter einem Weiberrock zu verstecken, entbehrt jeglicher Würde.« »Lieber würdelos als tot«, entgegnete der Engländer abfällig. »Außerdem geht Sie das nicht im geringsten etwas an. Kümmern Sie sich lieber um sich selbst, schließlich haben Sie ebenfalls Ihr Wort gebrochen.« Sir George verstummte, als die Tür sich öffnete und Bian ca-Maria erschien. Kurz war er abgelenkt, fixierte den Prinzen nicht, sondern starrte nur auf die Frau, die er um alles in der Welt besitzen wollte. Fallahd nutzte diese Gelegenheit. Er stürmte auf den Engländer zu und wollte ihm die Waffe entringen. Doch noch ehe er Sir George er reichen konnte, wandte dieser sich ihm wieder zu. Für den Bruchteil einer Sekunde erkannte der Prinz den Wahnsinn, der in den Augen des anderen schimmerte. Dann drückte Sir George ab. Die Waffe entlud sich, eine Kugel traf den Prinzen aus kürzester Distanz in die Brust. Bianca-Maria schrie entsetzt auf und starrte mit großen, unnatürlich geweiteten Augen auf Fallahd, der mit einem erstickten Seufzer in die Knie brach und zu Bo den fiel. Der Schuss in den Räumen des Prinzen rief sofort die Wächter auf den Plan. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis sich der Raum mit Bewaffneten füllte. Doch Sir George hatte bereits damit gerechnet. Er packte Bianca-Maria und presste ihr die Waffe an die Schläfe. Ein Schuss befand sich noch darin, genug, um ihr im Handstreich das Le ben zu nehmen. Obwohl die Wächter die Drohungen des Engländers 76
nicht wörtlich verstanden, begriffen sie doch gleich die Situation und hielten sich deshalb zurück. So gelang es dem Botschafter, zusammen mit seiner Geisel den Palast zu verlassen. Nur kurze Zeit später stiegen Sir George und Bianca-Maria in die Kutsche des Botschafters und fuh ren davon... Die Reiter, die James Hastings gefangen genommen hatten, er reichten wenige Minuten, nachdem die Kutsche abgefahren war, die Oasenstadt. Im Innenhof des Palastes herrschte helle Aufregung. Es ging von Mund zu Mund, dass der Engländer den Prinzen ermordet habe. In dem allgemeinen Durcheinander gelang es James, seinen Bewachern zu entschlüpfen und sich fürs erste in einer Wandnische zu verbergen. Dabei versuchte er zu erfahren, was genau geschehen war. Doch dies erwies sich als gar nicht so einfach. Wie es aussah, war ein Landsmann von ihm hier gewesen und hatte Streit mit Fallahd gehabt. Mit wohl tödlichem Ausgang. Viel wichtiger war Dr. Hastings allerdings die Frage nach Bianca-Maria. War sie hier und wenn, wo hielt sie sich auf? Es schien ihm müßig, sie suchen zu wollen. In den unzähligen Gemächern des Palastes würde er sie doch nicht finden. Er musste jemanden fragen. Doch wen? Eine Dienerin, die an seinem Versteck vorbei eilte, ohne ihn zu bemerken, hielt er einfach am Arm fest und zog sie an sich. Sie erschrak, weil sie ihn nicht kannte, doch als er in ihrer Sprache zu ihr redete, wurde sie ein wenig ruhiger. »Kennst du die italienische Prinzessin?«, fragte er vorsichtig. »Weißt du, wo sie sich aufhält?« »Sie ist fort. Der Engländer hat sie mitgenommen.« »Wohin wollten Sie? Weißt du das?« »Er hat sie entführt und auf unseren Herren geschossen. Er ist verrückt!« »Du meinst, sie ist nicht freiwillig fort von hier?« »Er hat sie einfach mitgenommen. Er ist verrückt!«, wiederholte die Dienerin noch einmal und wollte davon. Aber Dr. Hastings gab sie noch nicht frei. Streng verlangte er zu erfahren: »Was ist sein Ziel? Wohin will dieser Mann?« 77
»Er kommt aus Kairo«, wusste das Mädchen. »Aber er wird die Wüste nicht verlassen. Fallahds Reiter sind bereits hinter ihm her. Sie werden ihn töten, aus Rache für das Leben unseren Herren werden sie seines nehmen!« »Und die italienische Prinzessin?« Die Dienerin machte sich los und rannte davon. James Hastings überlegte kurz, wie er nun vorgehen sollte. Dann sah er, dass ein gu tes Dutzend Reiter auf Araberhengsten, schnell wie der Wind, den Au ßenhof verließ. Da wusste er, was er zu tun hatte... * Bianca-Maria saß wie erstarrt im äußersten Winkel der Kutsche, die sich schwankend ihren Weg durch die Wüste bahnte. Sir George thron te auf dem Kutschbock und trieb die Pferde an. Er fluchte in einem fort, weil sie trotz der Karawanenstraße, die sie befuhren, viel langsa mer vorankamen als erhofft. Jetzt dachte der Engländer daran, dass es sinnvoller gewesen wäre, Kamele als Reittiere zu wählen. In seiner Hast hatte er nicht groß nachdenken können. Und nun war es zu spät, er musste das Beste aus den Gegebenheiten machen. Doch es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Reiter Fallahds sie auf spürten. Obwohl Sir George sich in einem Zustand fortgeschrittener Unzurechnungsfähigkeit befand, graute ihm doch davor, diesen Wüs tensöhnen in die Hände zu fallen. Er hatte ihren Anführer auf dem Gewissen und sie würden bestimmt keine Gnade kennen, wenn es darum ging, an ihm Rache zu nehmen. Nach einer Weile brachte der Engländer die Pferde ganz zum Ste hen und sprang vom Bock. Als er den Schlag aufriss, wich BiancaMaria schreiend zurück, doch er packte sie ohne Rücksicht und herrschte sie an: »Schweig, Weib! Oder soll ich erst dafür sorgen, dass du es tust?« Sie verstummte augenblicklich, als er sie vollkommen irre anstarr te. Ein glucksendes Lachen löste sich aus seiner Kehle und er mur melte: »Schon besser. Und jetzt komm, wir haben noch einen weiten Weg vor uns und nicht viel Zeit. Diese Bastarde werden versuchen, 78
uns zu trennen. Aber das lasse ich nicht zu. Du bist mein, BiancaMaria. Und du wirst mein bleiben, für alle Zeit und für die Ewigkeit!« Sie versuchte, sich aus seinem eisernen Griff zu lösen, musste a ber schnell erkennen, dass dies unmöglich war. Ohne Rücksicht zerrte Sir George die Wehrlose hinter sich her, immer weiter durch die Wüs te, hinein ins Niemandsland. »Bitte, können wir nicht eine Pause einlegen?«, flehte sie. »Ich... kann nicht mehr!« »Nichts da. Eine Pause können wir uns nicht leisten«, zischte er und zerrte sie so fest am Handgelenk, dass sie vor Schmerz gepeinigt aufschrie. Er warf ihr einen bösen Blick zu. »Sei still! Du bist doch ü berhaupt an allem schuld. Hättest du dem Prinzen keine schönen Au gen gemacht, dann wäre es nie zu all dem gekommen. Du weißt doch, dass ich dich liebe. Nur ich allein! Wie konntest du mir da untreu wer den?« »Bitte, Sir George, geben Sie mir doch eine Chance. Ich kann Ih nen ja alles erklären, es war doch ganz anders«, versuchte sie noch einmal, vernünftig mit ihm zu reden. Aber er wollte nichts hören, herrschte sie bloß an, zu schweigen. Eine Weile marschierten sie in hohem Tempo durch die Wüste. Die Sonne stieg immer höher, es wurde heißer und heißer. Bianca-Maria hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Die Zunge klebte ihr am Gaumen, vor ihren Augen drehte sich alles. Es schien ihr, als ob ihre Füße zentnerschwer wären. Sir George aber behielt sein Tempo bei. Es musste der Wahnsinn sein, der ihm mit einem Mal solch fanati sche Kräfte verlieh. Früher war er blass und kraftlos gewesen, ein Schreibtischmensch und Maulaffe. Nun gab es nichts, was ihn aufhal ten, nichts, was ihn wieder zur Vernunft bringen konnte. Er strebte ohne Unterlass einem geheimen Ziel zu, das nur er kannte. BiancaMaria wurde von Verzweiflung gepeinigt, denn sie wusste nicht, wie sie dieser unerträglichen Situation endlich ein Ende bereiten konnte. Sie war nicht in der Lage, sich gegen den Engländer zu wehren. Sie konnte ihm nicht entfliehen, denn das hätte zudem bedeutet, sich so fort rettungslos zu verlaufen. So war sie ihm ausgeliefert und konnte 79
nur hoffen, dass sich ihr noch irgendeine Möglichkeit zur Flucht bieten würde, bevor es zu spät war... Währenddessen waren die Reiter Fallahds den beiden dicht auf den Fersen. Sie hatten die verlassene Kutsche längst entdeckt und waren zudem in der Lage, die Spuren zu lesen, die von den beiden Fußgängern hinterlassen wurden. Dr. Hastings folgte der zweite Welle Reiter in gebührendem Abstand. Er konnte nur hoffen und beten, dass er nicht zu spät kam. Wenn die Beduinen die beiden vor ihm fanden, sah es finster aus. Nach dem gewaltsamen Tod ihres Herrschers wür den sie vermutlich auch Bianca-Maria für schuldig erklären. Bevor ihr aber etwas zustoßen konnte, musste James sie unter allen Umständen retten, sonst würde er sich nie wieder selbst ins Gesicht schauen kön nen. Verbissen blieb er den Reitern auf der Spur. Und dabei fiel ihm wieder die seltsame Himmelsfarbe auf. Es gab keinen Zweifel, dort war ein Sandsturm im Anzug. Der junge Forscher hoffte sehr, dass dieser erst losbrach, wenn Bianca-Maria in Sicherheit war. Denn in einem sol chen Inferno würde er ihr nicht helfen, sie nicht vor Sir George schüt zen können... Kaum eine Stunde später konnte man nicht mehr die Hand vor Augen sehen. Der Sandsturm war schneller gekommen als befürchtet. Fallahds Reiter taten das einzig Vernünftige: Sie schlugen ein proviso risches Lager auf, wo sie unter einer Zeltplane das Ende des Sturms abwarteten. James Hastings mochte sich eine solche Pause nicht gön nen. Obwohl er wusste, dass es im Grunde sinnlos war, was er tat, konnte er doch nicht einfach tatenlos abwarten. Zumal er überzeugt war, dass Sir George sich ebenfalls immer weiter auf sein Ziel zu be wegte. Der kleine Kompass, den seine Wächter nicht entdeckt hatten, lieferte dem jungen Mann auf seinem Weg gute Dienste. Mit seiner Hilfe war er in der Lage, weiterhin die Himmelsrichtung einzuschlagen, die Sir George schon die ganze Zeit angestrebt hatte: Westen. James musste nicht lange überlegen, um zu wissen, was dies bedeutete. In westlicher Richtung lagen die Pyramiden von El-Baris. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, was der Botschafter dort wollte, doch die Py ramiden waren allem Anschein nach sein Ziel. Und Dr. Hastings war 80
ebenfalls fest entschlossen, sie zu erreichen. Wenn möglich, noch vor allen anderen... Bianca-Maria war in der Zwischenzeit einige Male zusammen gebrochen. Als sie sich nicht mehr rührte, packte Sir George sie kur zerhand und warf sich den schlanken Körper über die Schulter. Dabei lachte er irre und laut. Dass sich sein Mund augenblicklich mit Sand füllte, schien ihm egal zu sein. Auch die Unbilden des Wetters nahm er nur am Rande wahr. Sein verwirrter Geist gaukelte ihm den schönsten Frühlingstag in England vor. Ihm war, als stelle er an diesem wunder baren Morgen seine Verlobte den Eltern vor. Und diese waren überaus entzückt. »George, mein Junge, du hast eine hervorragende Wahl getrof fen«, lobte die Mutter, die eigentlich immer etwas an ihm auszusetzen gehabt hatte. Und der Vater scherzte jovial: »Gut gemacht, mein Jun ge, dieses Prachtmädel wird uns eine ganze Batterie von Enkelkindern schenken, dammig noch mal.« Das war sein Lieblingsspruch gewesen. »Dammig noch mal, dammig noch mal«, flüsterte der Engländer, wäh rend er mit seiner lebenden Last weiter stolperte. »Ihr werdet stolz auf mich sein, ihr werdet endlich stolz auf mich sein...« Bianca-Maria, die schon seit einer ganzen Weile wieder bei Be wusstsein war, ließ sich unerwartet von Sir Georges Schulter gleiten und rannte dann, so schnell sie konnte davon. Doch auch dieser Fluchtversuch war zum Scheitern verurteilt. Die junge Frau hatte nicht mit ihrer eigenen Erschöpfung und Orientierungslosigkeit gerechnet. Und sie schien ihren Entführer noch immer zu unterschätzen. Sir George hatte sie nach kurzer Zeit eingeholt. Brutal stieß er sie zu Bo den, ihre Gegenwehr ignorierte er einfach. Ohne ein Wort fesselte er ihr Hände und Füße und warf sie sich dann noch einmal über die Schulter. »Schau, dort vorne ist El-Baris«, schrie er nach einer ganzen Weile gegen den Sturm an. »Dort wird sich unser Schicksal erfüllen!« Er lachte irre, Bianca-Maria lief eine Gänsehaut über den Rücken und zugleich versuchte sie vergeblich, etwas in dem beigen Flimmern des Sandsturms zu erkennen. Aber der Name, den ihr Entführer genannt hatte, war ihr nicht fremd. Sie wusste, dass es in El-Baris Pyramiden 81
gab. Zwar war sie noch nie dort gewesen, denn diese Königsgräber waren längst geplündert, ihr Inhalt in alle Winde zerstreut. Aber Bian ca-Maria ahnte, was Sir George vorhatte. Und das kalte Grauen packte sie, wenn sie daran dachte, dass sie diesem Mann nach wie vor hilflos ausgeliefert war. * Der Sandsturm dauerte noch Stunden. James Hastings war weiter auf dem gleichen Weg geritten, den zuvor Sir George und seine Geisel genommen hatten. Die ganze Zeit über orientierte er sich nur durch seinen Kompass, denn Sicht hatte er praktisch keine. Er fragte sich mehr als einmal, wie der englische Botschafter es schaffte, ohne jede Hilfe sein Ziel zu finden. Doch immerhin war es ja auch möglich, dass Sir George sich verlaufen hatte, dass nur James Hastings bei den Py ramiden von El-Baris ankam, die ganz offensichtlich das Ziel des Ent führers waren. Während James ganz allein durch das Tosen des Sturms ritt, versuchte er, sich über die Beweggründe seines Lands mannes klar zu werden. Was mochte dieser bei den Pyramiden wollen? Es gab hier weit und breit keine menschliche Ansiedlung, kein Ver steck. Hätte er logisch gedacht, wäre Sir George auf schnellstem Wege nach Kairo zurückgekehrt. Dass er dies nicht tat, zeigte, hier stimmte etwas nicht. Und Dr. Hastings konnte sich das nur so erklären, dass der Botschafter den Verstand verloren hatte. Wieso sonst diese sinnlo se Odyssee durch die Wüste? Wenn er recht hatte, bedeutete dies aber auch, dass Bianca-Maria einem Verrückten ausgeliefert war. Und diese schlimme Vorstellung war für den jungen Mann kaum zu ertra gen... James wusste nicht, wie lange er bereits unterwegs war, als sich plötzlich riesige Umrisse vor ihm aus dem wirbelnden Sand schälten. Zunächst hielt er das Ganze nur für Einbildung. Doch dann wurde ihm schlagartig klar, dass er die Pyramiden erreicht hatte. Nun hieß es vor sichtig sein! Der Sturm verbarg ihn zwar vor seinem Gegner und schluckte auch alle Geräusche. Doch zugleich machte er die Orientie rung ebenso schwierig wie den Versuch, vorsichtig zu sein und auf 82
eventuelle Angriffe vorbereitet. James erreichte den Fuß der ersten Pyramide, die etwas kleiner war als ihr Zwilling. Er sprang vom Pferd und versuchte, sich umzuschauen. Der Sandsturm hatte ein wenig an Intensität verloren, doch es war noch immer kaum möglich, auch nur die nähere Umgebung im Auge zu behalten. Der junge Wissenschaftler hatte diesen Ort schon einmal besucht und wusste, wo sich eine schmale Treppe befand, die auf die Spitze der Pyramide führte. Einer Eingebung folgend betrat er die Steinstufen und kletterte langsam nach oben. Nun wurde ihm schmerzlich klar, dass er nicht mal eine Waffe bei sich hatte, nichts, womit er sich verteidigen konnte. Die blo ßen Fäuste mussten genügen. Aber ob sie das tatsächlich tun würden, gegen einen solchen Gegner, den vermutlich der Wahnsinn trieb? Ja mes musste es darauf ankommen lassen, er hatte schließlich keine andere Wahl... Stufe um Stufe erklomm er die schmale Steintreppe, zu seiner Rechten die Mauer der Pyramide, zur Linken der gähnende Abgrund, der sich immer mehr vertiefte, je höher der junge Mann stieg. Es war ein seltsames Gefühl, dies bei Sturm zu tun. Zum einen verhinderte der wirbelnde Sand, dass James sah, wie hoch er bereits geklettert war, zum anderen erschwerte der starke Wind, der in Böen an seiner Kleidung zerrte, das Hinaufklettern. Der Wissenschaftler wusste nicht ganz genau, wie hoch die Pyramide war. Doch falls er recht behielt, Sir George sich mit Bianca-Maria bereits dort oben befand, dann war die geliebte Frau in höchster Gefahr! Diese Vorstellung trieb Dr. Hastings an, seinen Schritt noch weiter zu beschleunigen. Unvermittelt aber hatte der junge Mann das Gefühl, gegen eine Mauer gelaufen zu sein. Er hörte einen entfernten Schrei und spürte etwas Hartes, das an seiner Schläfe explodiert zu sein schien. Für ein paar Augenblicke mischten sich gelbliche längliche Wellen in das gleichmäßige Wirbeln des Sandes. Dann war er wieder klar bei Be wusstsein und spürte einen stechenden Schmerz am Kopf. Beinahe zeitgleich erfolgte der zweite Angriff. Dieses Mal war James Hastings darauf vorbereitet und konnte entsprechend schneller reagieren. Er wich aus, der Holzstock knallte gegen die Mauer und splitterte. Der Angreifer schrie erbost auf. Und dann sah er sich selbst in der Rolle 83
des Angegriffenen. James langte nach vorne, bekam den anderen zu packen und zog ihn zu sich heran, um ihn im nächsten Moment gegen die Mauer zu drücken. Wie erwartet starrte ihn das vom Wahnsinn entstellte Gesicht von Sir George Egglethorpe an. »Wo ist Bianca-Maria?!«, schrie der Wissenschaftler gegen den Sturm an, aber der Diplomat lachte nur irre und versetzte ihm einen gemeinen Tritt gegen das Schienbein. Es gelang ihm zwar nicht, frei zukommen, doch James stöhnte schmerzlich auf. Das schien dem Bot schafter zu gefallen. Er brüllte: »Du kriegst sie nie! Sie gehört mir, mir allein, nur mir!« Dr. Hastings hatte sich gefangen. Er ahnte, dass es wenig Sinn hatte, sich mit Egglethorpe auseinanderzusetzen. Der hatte ganz of fensichtlich den Verstand verloren und würde ihm sicher nicht helfen, Bianca-Maria zu linden. Im Gegenteil. Das einzige, was er tun könnte, war den Irren schachmatt zu setzen. Mit einem gezielten Kinnhaken gelang ihm das sogleich. Sir George sackte in sich zusammen, James lehnte ihn gegen die Wand und stieg dann die schmale Treppe weiter nach oben. Er hatte so eine Ahnung, dass er die Prinzessin am höchs ten Punkt der Pyramide finden würde. Und er musste sich beeilen, bevor Sir George wieder zu sich kam und versuchte, ihn daran zu hin dern. So schnell es die widrigen Witterungsverhältnisse zuließen, klet terte der junge Mann weiter hinauf. Er hatte die obere Plattform fast erreicht, als er Bianca-Maria sah. Und es schien ihm für einen kurzen Augenblick, als setze dabei sein Herz aus. Die Prinzessin di Medici hing bewusstlos an einem schmalen Seil über dem Abgrund, ein Spiel den tauben Winden. Hektisch schaute James sich um. Er wusste nicht, wie er zu ihr gelangen sollte. Wo war das Seil vertäut? Für eine kleine E wigkeit ergriff das lähmende Gefühl, zu spät zu kommen, von ihm Be sitz. Doch es dauerte nicht lange, bis er seine Fassung wieder erlangt hatte und bis zur Spitze der Pyramide kletterte. Es war schwierig, hier her zu gelangen und noch schwieriger, sich bei dem Sturm dort zu halten. Verbissen klammerte der junge Mann sich an den obersten Steinquadern fest, während er nach dem Seilanfang suchte. Der Sturm umtoste ihn, riss an Haaren und Kleidung, streute ihm scharfen Sand 84
in die Augen und machte es fast unmöglich, etwas zu sehen. Doch James dachte an Bianca-Maria. Sie war für ihn etwas ganz besonderes, die Frau, die er liebte, die sein ganzes Leben verändert hatte. Ihr durf te nichts geschehen, nicht jetzt, da er ihrer Rettung bereits so nah war! Endlich hatte er die Schlinge ertastet, die um einen kleineren Quader geschlungen war. Das Seil war dermaßen stramm gespannt, dass es den jungen Mann unglaubliche Kraft kostete, es ein winziges Stück nach oben zu ziehen. Eine Windböe ließ ihn dabei taumeln. Und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen. Doch er hielt sich. Und dann zog er das Seil ganz langsam, Stück für Stück zu sich hinauf. Dass die Steinquader rau waren, hatte James Hastings bereits bemerkt. Aber nun zeigte sich die Wirkung dieses Zustandes auf gefährlich deutliche Weise an dem Seil: Es wurde aufgeraut. James zog schneller, was den Effekt aber nur verstärkte. Er stieß einen Fluch aus. Es durfte jetzt nichts mehr schief gehen, nicht so kurz vor dem Ziel! Endlich sah er Bianca-Marias blondes Haar durch den wirbelnden Sand leuchten. Er streckte eine Hand nach ihr aus - in diesem Moment erhielt er einen üblen Schlag von hinten, der ihn taumeln ließ. Verbis sen hielt er das Seil fest, denn er ahnte, dass es reißen würde, wenn er nun los ließ. Sein Angreifer aber schien genau das zu beabsichtigen. »Lass los, du Schwein!«, keuchte Sir George durch den tosenden Sturm. Er blutete aus dem Mund, doch der Kinnhaken hatte ihn an scheinend nur kurzzeitig außer Gefecht gesetzt. Nun kämpfte er mit der bösen Verbissenheit und Niedertracht eines Menschen, der lange alle Skrupel und jegliche Gewissensbisse hinter sich gelassen hatte. Er wusste Bianca-Maria für sich verloren. Und das bedeutete, niemand anders durfte sie besitzen. Noch war sein Plan, dass sie gemeinsam sterben sollten, nicht völlig zum Scheitern verurteilt. Noch konnte er siegen... Dr. Hastings sah die Ausweglosigkeit seiner Lage. Wenn er das Seil los ließ, würde er die geliebte Frau damit dem sicheren Tod über antworten. Ließ er nicht los, konnte er Sir George nicht Paroli bieten. 85
Es war eine Entscheidung von Sekunden. Und sie fiel zu Bianca-Marias Gunsten aus. James Hastings wand sich das Seil blitzschnell um die Hüften. Ein starker Ruck, der durch die Gewichtsverlagerung entstand, zog ihn ein Stück näher zum Abgrund. Doch er fand Halt und so die Möglichkeit, sich gegen Egglethorpe zu wehren, der wie ein Berserker auf ihn losging. Ein zäher Kampf entspann sich, bei dem keiner der beiden unterschiedlichen Männer nachgeben wollte. James war sport lich und stark, dem Diplomaten körperlich eigentlich überlegen. Doch dieser hatte die Kraft des Wahnsinns, die ihm half, ständig über sich selbst hinaus zu wachsen. Die Gegner lieferten sich einen Kampf auf Leben und Tod. Über Minuten rangen sie direkt am Abgrund. Immer wieder gewann Sir George die Oberhand. Aber Dr. Hastings wehrte sich ausdauernd und unverdrossen. »Du kriegst sie doch nie«, höhnte der Botschafter plötzlich und grinste kalt. »Sieh doch, das Seil reißt...« James dachte zuerst an ei nen Bluff. Aber dann bemerkte er, dass das Seil sich unterhalb von ihm bewegte. Er warf einen kurzen Blick darauf, sah, wie sich die ein zelnen Stränge langsam auflösten. Und fast zeitgleich hörte er Sir George kreischen: »Stirb endlich!« Gedankenschnell wich Dr. Hastings dem Angreifer aus, der nun den eigenen Schwung nicht mehr abbremsen konnte und ins Leere griff. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte Sir George Egglethorpe vom höchsten Punkt der Pyramide fast hundert Meter in die Tiefe. Der Wahnsinn, der seinen Geist verwirrt und ihn dazu ge trieben hatte, Bianca-Maria opfern zu wollen, hatte nun sein eigenes Leben gefordert. James konnte sich darüber nun keine weiteren Gedanken machen, er hatte ein sehr viel dringlicheres Problem: Er musste die geliebte Frau retten, bevor das aufgeraute Seil endgültig riss. So schnell es ihm möglich war, zog er Bianca-Maria nach oben. Noch einmal setzte der junge Mann seine ganze Kraft ein, denn er wusste, dass er nun nicht versagen durfte, dann war alles umsonst... Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Seil riss. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte James Hastings die italienische Prinzessin bereits zu fassen bekommen. Behutsam zog er sie nach oben, bettete sie neben 86
sich auf den harten Stein. Sie war wie leblos, aber ihr Herz schlug, stellte er erleichtert fest. Was sie umfangen hielt, war nur eine tiefe Ohnmacht, die sie vor den bisherigen Schrecken geschützt hatte. Nun brauchte sie Zeit, um wieder zu sich zu kommen. Und die hatten sie beide reichlich. Auf der vom Sturm umtosten Spitze der Pyramide, die zum Schauplatz eines perfiden Verbrechens auserkoren worden war, gab es nun keine Gefahr mehr für Bianca-Maria. Und auch ihr Retter war in Sicherheit, denn der Sandsturm verbarg sie beide. * Beinahe ein Monat war nun seit den dramatischen Ereignissen in der Wüste von El-Baris vergangen. Der Tod von Sir George Egglethorpe hatte zu einigen diplomatischen Verwicklungen geführt. Doch es ge lang den Politikern auf beiden Seiten mit etwas gutem Willen, die Sa che schließlich unter Stillschweigen beizulegen. Der Leichnam des Eng länders wurde in seine Heimat verschifft und dort beigesetzt. BiancaMaria und James Hastings wussten davon nichts. Sie hatten die ver gangenen Wochen im Palast von Prinz Fallahd verbracht. Denn der Beduinenherrscher war keineswegs an seiner Schussverletzung ge storben. Durch das schnelle Herbeieilen seiner Leibärzte war er im letzten Moment gerettet worden, doch sein Leben stand für Tage buchstäblich auf Messers Schneide. Dass er es letztlich schaffte, lag an seiner zähen Natur und seinem Willen. Schließlich hatte er einen guten Grund, wieder gesund zu werden. Er musste sich noch mit BiancaMaria aussprechen. Dr. Hastings war die Bitte des Prinzen, noch eine Weile in seinem Palast zu bleiben, nicht sehr gelegen gekommen. Lie ber wäre er zusammen mit seiner Begleiterin nach Kairo gereist, um sich von all dem, was hinter ihnen lag, zu distanzieren. Doch BiancaMaria schien ebenfalls daran interessiert, einen sauberen Schlussstrich unter dieses abenteuerliche Kapitel ihres jungen Lebens zu ziehen. In gewisser Weise hatte der Engländer die Zeit im Prinzenpalast zudem genossen. Er verbrachte viele Stunden mit Bianca-Maria, die beiden kamen sich näher, wenn auch nur auf freundschaftlicher Basis. Nach dem sie alle Gefahren überstanden hatten, war wieder eine gewisse 87
Distanz zwischen ihnen entstanden. James Hastings war der letzte, der diesen Zustand gewaltsam ändern wollte. Zum einen ließ er der gelieb ten Frau Zeit, die sie dringend brauchte, um zu vergessen, was hinter ihr lag und wieder zu sich selbst zu finden. Zum anderen waren seine Gefühle auch für ihn selbst noch immer verwirrend und fremd. Doch dass sein Herz Bianca-Maria gehörte, daran zweifelte der junge Wis senschaftler keine Sekunde mehr. Nach drei Wochen durfte Prinz Fallahd zum ersten Mal seine Bett statt verlassen. Der erste, kurze Weg, den er zurücklegte, führte ihn in den Innenhof, wo Bianca-Maria ihn bereits erwartete. Sie bemerkte gleich, wie seine Augen zu leuchten begannen, als sie ihm ein wenig zulächelte. Doch im selben Moment wusste sie, dass es für seine ro mantischen Wünsche keine Erfüllung geben konnte. Sie liebte den Be duinen nicht, auch wenn er sie auf gewisse Weise sehr faszinierte. Und sie war entschlossen, ihm die Wahrheit zu sagen. Zu lange war die junge Frau nur der Spielball männlicher Verblendung und Leidenschaft gewesen. Das musste nun ein Ende haben! Allerdings war es keine Liebeserklärung, was sie zunächst zu hören bekam. Der Prinz erzählte mit gedämpfter Stimme: »Ich habe es schon oft bereut, mit Sir George diese unredliche Abmachung getroffen zu ha ben. Als er zu mir kam, von dem Sarkophag Omses III. sprach, da erschien mir das wie ein Fingerzeig des Schicksals. Sie müssen wissen, dass dieser Herrscher ein direkter Vorfahr meiner Familie war. Sein Sarkophag wird den Herrschaftsanspruch, der nur meinem Haus zu steht, noch einmal untermauern. In den vergangenen Jahren gab es viele Fehden und blutige Kämpfe unter den Mitgliedern meines Volkes. Die Beduinen fühlen sich zu ihrem jeweiligen Stamm zugehörig, es ist schwierig, von ihnen Respekt für eine übergeordnete Person zu ver langen. Aber eben das müssen wir, um mit einer Stimme sprechen zu können. Ich weiß, dass ich mit einem mächtigen Symbol wie diesem Sarkophag viel erreichen kann. Und ich habe es mir zur Aufgabe ge setzt, mein Volk zu einen. Vielleicht verstehen Sie jetzt, wieso mir der Besitz dieses Relikts so wichtig war, dass ich mich sogar auf eine solch unlautere Abmachung eingelassen habe.« Er verstummte erschöpft, Bianca-Maria versicherte: »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Fallahd. 88
Und ich sehe, dass Sie für Ihren Fehler bereits bezahlt haben, deshalb liegt es mir fern, Ihnen Vorhaltungen zu machen. Was Sir George ge tan hat, war schrecklich. Er hat uns beide nur benutzt und in seinem Wahn nicht mehr gewusst, was er tat.« Sie wischte sich flüchtig über die Stirn. »Ich bin froh, dass es vorbei ist. Und ich denke, ich spreche auch in Ihrem Sinn, wenn ich nicht mehr daran rühren möchte.« »Sie sind eine sehr tapfere Frau, Bianca-Maria«, lobte der Prinz aus ehrlichem Herzen. »Ich weiß, dass es hier auch um das Lebens werk Ihres Vaters geht. Deshalb habe ich mich entschlossen, den Sar kophag nach einer gewissen Zeit, wenn meine politischen Ziele er reicht sind, der Öffentlichkeit in einem Museum zugänglich zu machen. Natürlich mit dem Hinweis auf die Ausgrabungsstätte und den For scher, dem wir diesen Fund verdanken.« »Das ist sehr anständig von Ihnen«, kam es gerührt von der jun gen Frau. »Ich danke Ihnen...« »Es ist das wenigste, was ich tun kann«, murmelte er betreten und suchte ihren Blick. »Ich muss mich bei Ihnen für so vieles ent schuldigen, dass es mir schwer fällt, einen Anfang zu finden. Aber ei nes sollen Sie wissen, Bianca-Maria: Meine Gefühle für Sie sind unver ändert. Ich liebe Sie und wäre überglücklich, wenn Sie sich entschlie ßen könnten, hier zu bleiben, bei mir...« Sie wich seinem Blick aus, stand auf und ging ein paar Schritte. Die Distanz, die so zwischen ihnen entstand, machte es ihr leichter, ihm zu antworten. »Es schmeichelt mir natürlich, dass Sie mir solche Gefühle entgegenbringen. Aber ich muss ehrlich sein: Ich erwidere sie nicht. Und es wäre falsch, dies einfach zu ignorieren. Was ich in den vergangenen Monaten mitgemacht habe, hat mein Leben sehr verän dert. Ich bin nicht mehr die Frau, die ich war, als ich mit meinem Vater nach Ägypten reiste, um das Grab des sagenhaften Pharaonenkönigs zu finden. Ich bin müde, mein Herz ist schwer, denn es ist erst kurze Zeit vergangen, seit ich meinen Vater verloren habe. Ich werde nach Hause fahren und hoffe sehr, in Italien meinen Seelenfrieden wieder zu finden.« »Und es gibt nichts, was Sie umstimmen könnte?«, fragte er und erhob sich ebenfalls. Es fiel ihm noch schwer, sich aufrecht zu halten, 89
doch er gab sich Mühe, wollte sich vor ihr keine Blöße geben. »Ist es Dr. Hastings, dem Ihr Herz gehört?« Sie schaute ihn fragend und überrascht an. »Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?« »Nun, ich bin nicht blind. Der Doktor hat mehrfach sein Leben für Sie riskiert. Und man muss nur sehen, wie er Sie anschaut, um zu wis sen, dass es auf seiner Seite gewiss Liebe ist, die er Ihnen entge genbringt.« Seine Worte erstaunten Bianca-Maria so sehr, dass sie ein paar Augenblicke brauchte, um sie überhaupt zu begreifen; James Hastings liebte sie? Das war schwer vorstellbar. Schließlich hatte er ihr mehr als einmal gezeigt, dass er sie für schwach und unfähig ansah. Allein seine abfälligen Äußerungen über Frauen in der Wissenschaft schienen ihr Indiz genug, dass er zu einer solchen Regung gar nicht in der Lage war. Und doch; in den vergangenen Wochen, die sie hier gemeinsam verbracht hatten, war ihr mehr als einmal aufgefallen, dass sich ihr Umgang miteinander verändert hatte. Konnte es denn sein... »Sie schweigen? Dann stimmt es, was ich befürchtet habe«, mur melte der Prinz müde und mit deutlicher Enttäuschung in der Stimme. »Es ist sehr schwer für mich, dies hinzunehmen, denn mein Herz schlägt noch immer für Sie, meine Liebe. Aber wenn Sie mit einem anderen glücklicher werden, dann muss ich dies wohl oder übel hin nehmen.« Noch ehe sie ihm antworten konnte, hatte er ihre Hand ge küsst und sich, so rasch es sein Zustand zuließ, entfernt. Bianca-Maria blieb ebenso verwirrt wie unschlüssig zurück. Sie war froh, dass die Dinge zwischen ihr und Fallahd nun geklärt waren. Doch wie die Zu kunft aussehen sollte, das vermochte sie sich in diesem Moment nicht vorzustellen... * »Dio mio, Principessa, so kann es aber nicht weitergehen! Sie haben Ihr Frühstück kaum angerührt. Bitte, Sie müssen etwas essen. Die Köchin fürchtet schon, dass Sie ihre Kochkünste nicht mehr zu schät 90
zen wissen.« Anna musterte ihr Gegenüber mit echter Besorgnis, doch die Prinzessin winkte ab und lächelte schmal. »Es besteht kein Grund zur Besorgnis, meine liebe Anna, das kannst du auch der Köchin sagen. Ich habe nur ein paar Schwierig keiten, mich wieder dem Klima in Rom anzupassen, das ist alles. In ein paar Tagen werde ich das ganz sicher bewältigt haben. Und dann kehrt gewiss auch mein Appetit zurück.« Die Zofe schien ihrer jungen Herrin nicht ganz zu glauben, wie ih rer skeptischen Miene anzusehen war. Und auch ihre Worte un terstrichen dies. »Ich denke eher, Ihnen fehlt Dr. Hastings. Er ist doch noch in Ägypten und leitet die restlichen Ausgrabungsarbeiten. Sicher wären Sie gerne bei ihm.« »Wie kommst du denn auf den Gedanken, Anna?«, fragte die Prin zessin ein wenig zu unwirsch. »Das ist Unsinn!« »So? Ich glaube, Sie wollen es nur nicht wahrhaben. Der englische Doktor hat Ihr Herz gestohlen und...« »Anna! Mäßige bitte deine Zunge, ich will das nicht hören«, rügte sie. Die Zofe schwieg kurz, dann fuhr sie vorsichtig fort: »Dr. Hastings hat Ihnen viele Briefe geschrieben, nicht wahr? Aber in den letzten Tagen kam keiner mehr. Sind sie deshalb traurig?« Bianca-Maria konnte nur noch den Kopf schütteln. »Anna, du bist heute wirklich sehr vorlaut. Ich glaube nicht...« Sie verstummte, als gegen die Tür des Frühstückszimmers geklopft wurde und gleich dar auf der Butler erschien, eine Visitenkarte auf dem Silbertablett. Die Prinzessin errötete leicht und murmelte: »Ich lasse bitten. Führen Sie Dr. Hastings auf die Terrasse, Ettore.« Anna schmunzelte, enthielt sich aber eines weiteren Kommentars, denn nun schienen die Dinge sich ja von selbst zu regeln. Seit ihre Brotherrin heimgekehrt war, hatte die gute Seele sich große Sorgen um diese gemacht. Denn mit dem Herzen schien Bianca-Maria noch in Ägypten zu sein. Allerdings war die Prinzessin zu stolz gewesen, dies zuzugeben. Und ganz sicher hätte sie auch niemals den ersten Schritt getan, um Dr. Hastings wieder zu sehen. Die Zofe seufzte erleichtert 91
auf. Nur gut, dass der sture Engländer dieses Mal über seinen Schat ten gesprungen war... Die junge Hausherrin ließ ihren Gast nicht lange warten. James hatte kaum Gelegenheit, den herrlichen Blick über das herbstliche Rom zu genießen, den man von der Terrasse der Villa Medici aus hatte. Denn als Bianca-Maria erschien, hatte er natürlich nur Augen für sie. Noch schöner erschien sie ihm, noch feingliedriger und stolzer, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Formvollendet küsste er ihre Hand und gestand dann: »Es ist mir eine besondere Freude, Sie wieder zu sehen, Prinzessin. Und ich bringe gute Neuigkeiten mit aus Ägypten.« Sie lächelte fein, bot ihm Platz auf einer verspielten Sitzgruppe aus weiß lackiertem Eisen an und fragte dann: »Wie sieht es in El-Sharif aus? Haben Sie die Grabungen abgeschlossen?« Er nickte, bedankte sich beim Butler, der ihnen frischen Kaffee brachte und berichtete: »Prinz Fallahd hat sich sehr für unsere Arbeit eingesetzt. Wie es scheint, ist er nach seiner Genesung noch beliebter und hat auch einigen politischen Einfluss an den richtigen Stellen. Die Grabungen konnten ohne weitere Zwischenfälle abgeschlossen wer den. Und hier ist die Liste der Fundstücke, die wir noch fördern konn ten.« Sie nahm das Blatt Papier, das er ihr reichte, wobei sich ihre Fin gerspitzen nur leicht berührten. Doch beide zuckten zusammen, denn es schien ihnen, als treffe sie ein kleiner elektrischer Funke. BiancaMaria errötete ein wenig, James räusperte sich nervös und fühlte sich plötzlich sehr unsicher. Während der gesamten Reise nach Rom hatte er darüber nach gedacht, wie er zu ihr über seine Gefühle sprechen konnte. Denn dass er dies tun musste, war keine Frage. Nach ihrer Abreise aus Ägypten hatte er sie mit jedem Tag, der vergangen war, stärker vermisst. Und zugleich war Dr. Hastings klar geworden, dass er sein Leben nicht mehr ohne Bianca-Maria verbringen wollte. Er hatte sich seine Worte genau zurecht gelegt. Aber als er nun neben ihr saß, ihre Schönheit betrachtete und den Duft ihres Haares wahrnahm, schien sein Kopf vollkommen leer zu sein. 92
Nichts, was er ihr hatte sagen wollen, fiel ihm noch ein. Und zu gleich verspürte er den Wunsch, sie einfach in seine Arme zu nehmen und ihr mit einem innigen Kuss zu zeigen, wie er empfand. Natürlich tat James das nicht. Er wartete ab, bis die Prinzessin die Liste überflogen hatte und fragte dann: »Wäre es Ihnen recht, wenn wir die gesamten Fundstücke zunächst in einer Ausstellung in Kairo zeigen, bevor sie aufgeteilt und an europäische Museen zu For schungszwecken geschickt werden? Dieser Vorschlag stammt von Prinz Fallahd und ich finde ihn vernünftig.« Bianca-Maria musste nicht lange überlegen, sie stimmte spontan zu. »Das klingt tatsächlich vernünftig. Wie geht es dem Prinzen denn? Sie haben ihn erst vor kurzem gesehen?« Sie bemerkte, dass seine Miene sich verfinsterte. Und es war eindeutig Eifersucht, die in seinen klaren Augen brannte. Doch er gab sich Mühe, seine Gefühle im Zaum zu halten. »Es geht ihm wieder gut, er hat sich völlig erholt. Und er hat sich natürlich auch nach Ihnen erkundigt.« »Ach, wie nett.« »Ja, er ist sehr nett.« Seine Stimme klang überaus ironisch, wes halb die Prinzessin wissen wollte: »Haben Sie etwas gegen Fallahd einzuwenden? Er hat mich wie ein Gentleman behandelt. Und die Wo chen in seinem Palast waren ebenfalls angenehm, das können Sie nicht leugnen.« »Könnten wir vielleicht das Thema wechseln?« James erhob sich und trat an die Balustrade. Die Villa Medici lag auf einem der sieben Hügel Roms und bot einen herrlichen Blick über das Häusermeer der Stadt. Eine Weile schwieg der junge Engländer, noch immer ärgerte er sich über sich selbst. Nicht nur, dass er unfähig war, der Frau seines Herzens eine Liebeserklärung zu machen, nun musste er sich auch noch anhören, wie lieb und nett sein größter Rivale und Nebenbuhler war. Und das ging ihm ganz eindeutig gegen die Ehre. »Was haben Sie, Dr. Hastings?«, fragte Bianca-Maria ihn nach ei ner Weile, in der er nur stumm auf die Stadt geblickt hatte. Sie erhob sich nun ebenfalls und trat neben ihn. Beinahe feindselig wich er ein Stück zur Seite und murmelte: »Nichts. Ich werde jetzt wohl besser 93
gehen. Mein Zug fährt in einer Stunde von Stazione Termini ab. Und ich denke, den sollte ich nicht versäumen.« »Sie wollen schon wieder abreisen?« Sie wirkte ehrlich enttäuscht. »Ich dachte, Sie bleiben eine Weile in Rom. Oder gibt es Verpflichtun gen, die Sie zurück nach London rufen?« »Nun, nicht direkt. Andererseits habe ich auch keinen speziellen Grund, mich noch länger hier aufzuhalten. Ich wollte Ihnen nur die Liste überbringen und Sie wissen lassen, dass in El-Sharif alles gut gegangen ist.« »Schön, wenn ich Sie partout nicht aufhalten kann... Dann leben Sie wohl, Dr. Hastings.« Sie reichte ihm die Hand zum Kuss, doch er verbeugte sich nur knapp und eilte dann ohne weiteren Abschied da von. Bianca-Maria wusste nicht, was sie von diesem Auftritt halten sollte. Sie war überzeugt gewesen, dass James nur gekommen war, um ihr endlich eine Liebeserklärung zu machen. Doch statt dessen ver hielt er sich wie ein Fremder und war letztlich beinahe aus ihrer Nähe geflüchtet. Was mochte sein Verhalten nur bedeuten? Hatte sie sich denn so sehr in ihm getäuscht? Anna, die hinter einer der Terrassensäulen gestanden und ge lauscht hatte, erschien nun und riet ihrer Herrin: »Sie sollten ihn nicht so gehen lassen.« Diese, ganz in Gedanken versunken, schüttelte nachsichtig den Kopf und mahnte: »Anna, was habe ich denn eben über dein vorlautes Mundwerk gesagt? Ich fürchte, du verfügst zudem auch noch über ein sehr kurzes Gedächtnis.« »Aber, Principessa, ich muss sprechen! Denken Sie nur an unsere Zeit in Ägypten, da haben Sie mich auch immer angehört!« »Ich werde den Eindruck nicht los, dass diese Zeit keinen guten Einfluss auf dich hatte«, rügte Bianca-Maria mild. »Aber schön, wenn du mir etwas so Wichtiges zu sagen hast, dann sprich. Ich werde dir zuhören.« Die Zofe atmete erleichtert auf und fuhr dann hastig fort: »Dr. Ha stings hat nicht den Mut aufgebracht, von seinen wahren Gefühlen zu sprechen. Aber ich denke, bei einem romantischen Abendessen zu zweit könnte dies vielleicht anders sein...« 94
»Und wo und wann soll dieses Abendessen stattfinden?«, fragte die Prinzessin daraufhin. »Falls es dir nicht entgangen ist, der Doktor ist abgereist.« »Aber er ist noch in Rom! Ich könnte zum Bahnhof fahren und...« »Anna, ich weiß nicht. Vielleicht irren wir uns ja beide. Ich hatte tatsächlich gehofft, dass Dr. Hastings und ich uns... ein wenig näher kommen würden. Aber das ist nicht geschehen. Und bedenkt man sei ne frauenfeindliche Haltung, erscheint das auch nicht sehr verwunder lich.« »Er liebt Sie, Principessa, das weiß ich! Aber er ist Engländer...« Sie verdrehte die Augen. »Ein wenig schwerfällig, nicht wahr? Er braucht einen kleinen Tritt!« »Und den willst du ihm versetzen?« Bianca-Maria wusste noch immer nicht recht, was sie davon halten sollte. Auf der einen Seite wusste sie längst, dass sie den spröden Briten ins Herz geschlossen hatte. Auf der anderen Seite aber wollte auch sie sich keine Blöße ge ben, dagegen stand ihr Stolz. Eine vertrackte Situation... »Darf ich eine Mietkutsche nehmen? Dann bin ich noch rechtzeitig da«, schlug die Zofe pragmatisch vor. Ihr Blick war dabei so bittend, dass die Prinzessin nicht nein sagen konnte. Und vielleicht war es ja wirklich gut, wenn sich ihnen noch eine Chance bot, zumindest ver nünftig miteinander zu reden. Selbst wenn sie dies nur als gute Freun de taten. Das wäre immerhin besser gewesen, als dieser unpersönliche Abschied, fand die Prinzessin. Anna lief wie der Wind, winkte hastig einer Mietkutsche und trieb den Fahrer dermaßen an, dass sie beinahe gleichzeitig mit Dr. Ha stings den Hauptbahnhof erreichte. In dem Menschengewühl war es nicht leicht, den englischen Gentleman auszumachen. Aber schließlich gelang es ihr doch. Und James staunte nicht schlecht, als die Zofe ihn ansprach und formvollendet zum Diner im Hause di Medici bat. Allerdings lehnte er entschieden und sehr zu Annas Enttäuschung ab. »Bitte, Signore, überlegen Sie es sich noch einmal«, bat sie ein fach, obwohl sie wusste, dass es ihr eigentlich nicht zustand, so mit dem Engländer zu reden. Doch sie ignorierte seine indignierte Miene 95
und fuhr beschwörend fort: »Die Principessa hat Sie sehr vermisst. Und Sie ist nun überaus traurig, dass Ihr Besuch nur so kurz gedauert hat.« »So? Und woher beziehst du deine Meinung?« »Ich bin ihre Zofe und kenne sie sehr genau«, warf Anna sich in die Brust. »Und ich weiß, dass sie sich wirklich gefreut hat, Sie wieder zu sehen. Ich finde, wenn Sie schon unbedingt abreisen, dann sollten Sie sich zumindest richtig von ihr verabschieden! Das ist doch wohl das Mindeste!« James Hastings konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er wusste nicht recht, was er von dieser kleinen Italienerin halten sollte. Doch sie bot ihm den willkommenen Anlass, zu Bianca-Maria zurückzu kehren, die zweite Chance, die er wohl brauchte, um sich ihr endlich zu erklären... »Also schön...« »Anna!« »Also schön, Anna, richte bitte deiner Herrin aus, dass ich die Ein ladung zum Diner dankend annehme. Ich werde meine Reise eben um ein paar Tage verschieben.« »Ich richte es ihr aus, sofort!«, rief Anna erfreut und war im näch sten Moment schon verschwunden. Nun spürte sie doch, wie ihr Herz klopfte, denn was sie getan hatte, erforderte nicht nur Mut, sondern auch eine große Portion Frechheit. Über beides verfügte die Zofe zum Glück! Und sie konnte es kaum erwarten, der Prinzessin den Besucher des heutigen Abends anzukündigen... * Dr. Hastings stand pünktlich um acht Uhr am Abend vor dem Portal der Villa Medici. Im dunklen Abendanzug sah er sehr elegant aus. Und das Bouquet tiefroter Rosen, das er mitgebracht hatte, sprach eigent lich schon für sich, wie Anna meinte, die aus dem Fenster von BiancaMarias Beaudoir gespitzelt hatte. »Frisiere mir lieber die Haare, sonst muss mein Gast zu lange war ten«, forderte die Prinzessin mit einem kleinen Lächeln. Die Zofe war 96
sofort zur Stelle. Sie arbeitete nicht nur schnell, sondern auch präzise. Und als Bianca-Maria wenig später das Empfangszimmer betrat, blieb James ganz unfein der Mund einen Moment lang offen stehen bei ih rem zauberhaften Anblick. Das tiefblaue Seidenkleid, das ihre schlanke Figur wunderbar zur Geltung brachte, ließ das blonde Haar leuchten. Noch mehr aber leuchteten ihre Augen, als der junge Mann ihr die Rosen in den Arm legte. »Vielen Dank, die sind wunderschön«, freute die junge Frau sich und atmete mit geschlossenen Augen den betörenden Duft ein, den die samtigen Blütenköpfe verströmten. James betrachtete sie mit einem warmen Lächeln. Dann nahm er ihre Hand und zog sie auf den Diwan, der hier stand. »Bitte verzeihen Sie mir meinen plötzlichen, ungebührlichen Aufbruch heute morgen. Ich will versuchen, Ihnen zu erklären, was mich bewegte.« Er räusper te sich ein wenig verlegen, denn schließlich war dies die erste Liebes erklärung, die James Hastings im Begriff war, zu machen. Und er musste feststellen, dass es weitaus leichter und angenehmer war, in einem heißen, unzugänglichen Grabungsschacht zu stecken, als die eigenen Gefühle in Worte zu fassen. Beinahe fühlte er sich wieder so unsicher wie am Morgen. Doch dieses Mal kam Bianca-Maria ihm zur Hilfe. »Sie brauchen es nicht auszusprechen, ich spüre es auch so«, ver sicherte sie ihm leise. »Dabei müssen Sie einen schlimmen Eindruck von mir haben. Eine Frau, die ihre Zofe losschickt, um einen Mann zum Abendessen einzuladen...« »Aber nein, nein! Ich war sehr froh, ich meine... Ich wollte sagen. Ach, Bianca, es fällt mir so schwer, in Worte zu fassen, was du für mich bist.« »Dann sag es mir doch ohne Worte«, bat sie ihn ebenso un kompliziert wie verschmitzt. Damit hatte sie ihn allerdings an der Ehre gepackt. Denn noch ehe er sie an sich zog und küsste, erklärte er fei erlich: »Ich liebe dich. Und ich möchte dich bitten, meine Frau zu wer den!« »Herzlich gerne. Aber ich warte noch immer auf den Kuss!« 97
»Oh du... Den sollst du bekommen!« Entschlossen nahm er sie in den Arm und verschloss ihre süßen Lippen mit einem Kuss, der kein Ende nehmen wollte. In diesem süßen Moment fanden zwei wi derspenstige Herzen zusammen, die fortan nur noch füreinander schlagen wollten, denn das Band der großen, der wahren Liebe hatte sie für immer verbunden. Anna, die Zofe, hatte alles durch einen Türspalt beobachtet. Und erst, als ihre Herrin und der junge Engländer in einem unendlich zärtli chen Kuss versanken, wandte sie sich ab, lächelte zufrieden und mur melte: »Das wurde aber auch wirklich Zeit!« Ende
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