Nr. 163
Das Geheimnis von Gostacker Ein Mann und ein Roboter - in der Höhle der Rätsel von Kurt Mahr
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Nr. 163
Das Geheimnis von Gostacker Ein Mann und ein Roboter - in der Höhle der Rätsel von Kurt Mahr
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Mitte September des Jahres 2843. Die Krise, die von Komouir, dem auf der galaktischen Eastside gelegenen Fundort wertvoller Schwingkristalle, ausging und Lordadmiral Atlan veranlaßte, gemeinsam mit Froom Wirtz, dem Instinktspezialisten, und Terrania Skeller, einem parapsychisch begabten Kind, der Welt der Schatzsucher einen Besuch abzustatten, ist ausgestanden. Der Chef der USO überlebte das Wirken von Kräften, die ganze Planeten und deren Bewohner zu hilflosen Spielbällen machten. Dank Skanmanyon oder dessen Überrest, der sich in dem zerstörten Körper Terrania Skellers festsetzte und das Mädchen auf unnatürliche Weise am Leben erhielt, gelang es Atlan auch, den Kriegsplaneten der Akonen unbeschadet wieder zu verlassen. Jetzt weilt der Arkonide wieder in Quinto-Center, seinem Hauptquartier, ohne zu ahnen, was auf Gostacker, dem Mond eines unwirtlichen und galaktopolitisch unwichtigen Planeten, sich inzwischen abspielt. Ein USO-Spezialist ist jedoch wachsam. Zusammen mit seinem Roboter fliegt er los und entdeckt etwas, das aus der fernen Vergangenheit in die Gegenwart greift … Er entdeckt DAS GEHEIMNIS VON GOSTACKER …
Das Geheimnis von Gostacker
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Die Hautpersonen des Romans: Fehrndor Globus - USO-Agent auf dem Planeten der Systemveränderer. Freud - Ein Roboter mit einem Psychologie-Tick. Nally Motcher - Fehrndors »Haushälterin«. Sinker Wallaby - Ein Mann, der ein großes Geschäft wittert. Nunkla und Kikko - Zwei »Schatzsucherinnen«. Chapat - Ein Fremder erwacht.
1. »Die Frustration, die sich aus dem Zusammenleben von Gruppen verschiedener Herkunft mit den dazugehörigen verschiedenen Mentalitäten ergibt, ist latenter Natur.« So sprach Freud, der es ja wissen mußte. Und aus der Kuhle, wo junge Terraner und Arkoniden, die in die Wüste gezogen waren, um abseits von aller Zivilisation zu leben, um ein loderndes Feuer saßen, gellte es: »Halt's Maul, blöder Robot!« Freud aber stand aufrecht am Rand der Kuhle und fuhr mit weithin hallender Stimme fort zu predigen: »Gegen diese Frustration kann man sich jedoch wehren. Freilich – die Sache erfordert einigen Aufwand. Man muß sich Zeit nehmen. Wenigstens zwei Stunden pro Tag …« Da kam ein glühendes Holzscheit aus der Kuhle heraufgeflogen. Aber Freud war ein Roboter. Er wartete, bis das gefährliche Wurfgeschoß noch zwei Meter von ihm entfernt war, dann wich er blitzschnell aus – mit jener Reaktionsfähigkeit, wie sie Wesen eigen ist, deren Inneres nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Mikroelektronik besteht. »Ich glaube, das wird gefährlich«, brummte Fehrndor Globus, der es sich unmittelbar neben Freud auf dem von der Sonne noch warmen Sandboden bequem gemacht hatte. »Ach wo«, antwortete Freud halblaut, »das sind nur die Anlaufschwierigkeiten. Sie haben gerade ihre nachdenkliche Stunde und wollen nicht gestört werden. Aber ich werde jetzt ein Thema anschneiden, das sie augenblicklich auf die Beine bringt.«
Und mit der bisherigen lauten Stimme dozierte er weiter: »Es ist nämlich so, daß die Spannungen, die zwischen zwei Gruppen verschiedener Herkunft auftreten, am besten dadurch ausgeräumt werden können, daß Männer und Frauen der verschiedenen Provenienzen sich zusammentun und auf dem Umweg über die sexuelle Kontaktaufnahme die Frustration zunächst neutralisieren!« »Du, das ist eine blöde Idee«, bemerkte Fehrndor Globus. »Da unten sitzen neunzehn Terraner und einundzwanzig Arkonidinnen. Wie willst du denen klarmachen …« »Daran habe ich im Augenblick nicht gedacht!« stieß Freud hastig hervor. »Das könnte man schließlich noch reparieren, aber … duck dich!« Die letzten beiden Worte wurden in schrillem Ton hervorgestoßen. Aus der flachen Kuhle erhob sich ein wahrer Hagel von Wurfgeschossen: brennende Holzstücke, Steine, Hände voll Sand und was die irritierten Aussiedler noch mehr zwischen die Finger bekommen hatten. Globus bekam ein faustgroßes Felsstück gegen die Schulter, und selbst Freud mußte einige Treffer hinnehmen, da auch er nicht auf mehr als fünfzehn Projektile gleichzeitig achten konnte. Freud hatte ein sehr sensitives Inneres. Die Treffer erzielten dann auch sofort eine Wirkung. »Psssssssssschrftkk«, sagte Freud verächtlich. Das brachte Fehrndor Globus auf die Beine. Nichts erzürnte ihn mehr, als wenn Globus durch die Unvernunft von Menschen, denen er eigentlich hatte helfen wollen, in Gefahr geriet. Er sprang auf. Während der Robot schwankte und unverständliche Laute
4 von sich gab, donnerte Globus: »Ihr Narren solltet euch schämen! Hier steht ein Robot, der weiter nichts im Sinn hat, als euch bei der Verwirklichung eures schwierigen Projekts behilflich zu sein, und ihr habt weiter nichts zu tun …« »Hör auf, Quasselmühle!« gellte es herauf, ungeduldig und zornig diesmal. »Nimm deinen Blechmann und zieh ab, sonst machen wir euch Beine!« »N nnnnnxxxxxxff …«, war alles, was Freud dazu zu sagen hatte. »Da seht ihr, was ihr angerichtet habt!« donnerte Fehrndor Globus in höchstem Zorn. »Dieser Robot, der mein Freund geworden ist, hat mich den letzten Solar gekostet, und ihr macht ihn einfach kaputt. Ihr solltet euch …« Da wuchsen, gegen das Lagerfeuer deutlich abgezeichnet, plötzlich Gestalten aus der Dunkelheit auf. Ehe Globus sich's versah, wurde er bei den Schultern gepackt und niedergerungen. Er versuchte, sich zu wehren, aber es waren der Angreifer zu viele. Da schrie er in höchster Verzweiflung: »Freud! Notschaltung! Hilf mir hier raus …!« Und Freud machte: »Gnnnnssssschchohch …« Schon im nächsten Augenblick war er jedoch plötzlich wieder voll bei der Sache. Fehrndor Globus' Aufschrei mußte ein bisher brachliegendes Segment seines Innenlebens aktiviert haben. Er stürzte sich mitten ins Getümmel derer, die seinem Herrn und Meister soeben eine kräftige Tracht Prügel verabreichten. Wie die Spreu vor dem Wind stoben sie auseinander. Gellendes Schmerzensgeschrei bewies, daß die plasmadermbedeckten Stahlarme des Roboters den organischen Muskeln der Angreifer weit überlegen waren. Nachdem Freud die prügellustigen Aussiedler vertrieben hatte, wollte er ihnen nacheilen. Aber Fehrndor Globus bekam ihn an einem Bein zu fassen. »Nicht fortgehen, Freud! Hilf mir auf!« Die Sorge um seinen Herrn war Freuds oberstes Handlungsmotiv, dafür hatte schon
Kurt Mahr Globus selbst gesorgt, als er die Umprogrammierung vornahm. Der Robot beugte sich nieder und half dem stöhnenden Fehrndor behutsam wieder auf die Beine. »Soviel Undank«, jammerte Globus, »haben wir nicht verdient, Freud. Sollen sie doch zusehen, wie sie zurechtkommen. Wir jedenfalls haben hier nichts mehr zu suchen.« Auf die Schulter des Roboters gestützt, entfernte er sich vom Rand der Kuhle und schritt in die Wüste hinaus. Er sollte, dachte er traurig, sich an diese ewigen Fehlschläge mittlerweile eigentlich schon gewöhnt haben. Auf dieser verschrobenen Welt namens GOSTACK gab es mehr Verrückte, Durchgedrehte und Spinner als sonst auf einem Planeten in der weiten Milchstraße. Nirgendwo aber weigerten sich die Verrückten, Durchgedrehten und Spinner hartnäckiger als ausgerechnet hier, die Gefährlichkeit ihrer Lage zu erkennen und fachmännische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei war Fehrndor Globus – so glaubte er wenigstens – eines der genialsten kosmopsychologischen Naturtalente, die die Galaxis je gekannt hatte. Mit Freuds Hilfe erreichte er schließlich einen inmitten eines Dorngebüschs abgestellten, klapprigen Gleiter. Er hatte das Fahrzeug wohlweislich hier gelandet, weit von dem Lager der jugendlichen Aussiedler entfernt,weil er sich ähnlicher Gelegenheit erinnerte, bei denen man ihm noch deutlicher als heute zu verstehen gegeben hatte, daß er unerwünscht war – zum Beispiel dadurch, daß man außer ihm selbst auch noch sein Fahrzeug demolierte. Freud öffnete das Luk und ließ seinen Herrn behutsam ins Innere gleiten. Das Fahrzeug gab ein ächzendes Geräusch von sich, als es die Last des Fahrgastes spürte. »Du nimmst das Steuer, Freud«, sagte Fehrndor Globus mit einer Stimme, die deutlich zum Ausdruck brachte, wieviel Mitleid er mit sich empfand. »Nach Hause, nichts wie nach Hause!«
Das Geheimnis von Gostacker
* »Das ist die schönste Farbe«, bemerkte Nally Motcher sarkastisch, »die ich jemals an einem menschlichen Auge gesehen habe: blau, gelb und grün mit Rot unterlaufen!« Nally Motcher spielte in Fehrndor Globus' Haushalt eine etwas undurchsichtige Rolle. Globus selbst nannte sie seine Haushälterin, Freud gab sie als Globus' Putzfrau aus, aber ganz Gostack wußte, daß Nally weit mehr als das war. Und mit ihrer prächtig proportionierten Figur, ihrem brandroten Haar und dem klaren Verstand hatte sie durchaus auch das Recht und den Anspruch darauf, mehr zu sein. Fehrndor Globus ließ sich ächzend in einen uralten Gliedersessel sinken, der den Raum zierte, den Globus sein Herrenzimmer nannte. Freud blieb respektvoll unter der Tür stehen. »Wieder schwierige Kunden gehabt?« erkundigte sich Nally mit unverkennbarem Mitgefühl. »Die Kunden sind das Grün und das Gelb«, antwortete Fehrndor Globus. »Das Blau und das Rot stammen von der Notlandung, die Freud gebaut hat.« Nallys gestrenger Blick richtete sich auf den Robot. Es war kaum zu glauben, aber Freud schien unter dem Strahl des anklagenden Auges ein Stück kleiner zu werden. »Ich kann nichts dazu«, verteidigte er sich. »Alle Anzeigen waren normal, da setzte plötzlich das Triebwerk aus.« »Hör auf, du Blechmensch!« schimpfte Nally. »Ich denke …« »Nein, so darfst du Freud nicht nennen!« fiel Fehrndor Globus ihr hastig ins Wort. »Du weißt, wie empfindlich Freud in dieser Hinsicht ist. Er ist kein Blechmensch, sondern ein maximal-sensitives elektropositronisches Kybernetikon, ein MASEPOK, wie man das nennt, und nicht anders solltest auch du ihn nennen, wenn du ihn schon nicht bei seinem Namen rufen willst!« Nally stemmte die Arme in die Seite und
5 starrte zuerst Fehrndor Globus, dann den Masepok an. Schließlich schüttelte sie den Kopf und machte dazu ein Gesicht, als könne sie die Welt nicht mehr verstehen. »Also schön«, gab sie schließlich nach. »Ich weiß nicht, wie ihr beiden es fertigbringt, zu glauben, daß die Welt auf eure Hilfe angewiesen sei, wo in Wirklichkeit doch ihr es seid, die Hilfe brauchen. Aber …« »Sag mir lieber, was es Neues gibt, Nally«, unterbrach sie Globus, der eine Standpauke fürchtete, der er gewöhnlich wenig plausible Argumente entgegenzusetzen hatte. »Sinker Wallaby war hier und wollte einen Hyperspruch aufgeben«, antwortete sie. »Wie üblich machte er lange Finger nach mir und ich mußte ihm eine draufgeben.« »Aber das Schild hing doch draußen: Sendestation nicht besetzt!« protestierte Fehrndor Globus. »Was hat er da hier zu suchen? Warum kommt er her?« »Weil er nicht lesen kann«, urteilte Nally Motcher abfällig. »Ist das alles, was es an Neuigkeiten gibt?« wollte Globus wissen. »Ja. Was erwartest du sonst noch? Hier ist das leibhaftige Ende der Welt, wußtest du das noch nicht?« Fehrndor Globus gab einen Seufzer von sich. »O doch, da war noch was«, sagte Nally plötzlich. »Ich habe einen verrückten Funk_ spruch aufgefangen, Radiokom, VauHa-Ef.« Globus war plötzlich hellhörig geworden. »Und wie hieß er?« »Das ist es ja gerade!« Nally schmunzelte. »Wenn der Text nicht so närrisch gewesen wäre, hätte ich ihm gar keine Bedeutung geschenkt.« »Also red schon!« drängte Globus. »Der Text hieß so ungefähr: Gold an Silber. Das Huhn hat ein Ei gelegt. Achtunddreißigachtzehn Nord einszwo-neunzweiundachtzig West. Eierbecher
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können anrollen.« Fehrndor Globus war aufgesprungen. Er schien auf einmal gar keine Schmerzen mehr zu haben. »Sag das noch mal!« forderte er Nally auf. »Ich meine die Zahlen!« Nally wiederholte die Zahlen, die sie, um ihrer Sache sicher zu sein, nun von einer Folie ablas, auf der sie den Funkspruch aufgezeichnet hatte. »Verdammt und zugenäht«, knurrte Fehrndor Globus bestürzt, »da hat doch einer die Nase viel zu tief drinstecken …!«
* Fehrndor Globus' kleines Anwesen lag am oberen Ende eines stellenweise tief eingeschnittenen Tales, das sich aus der Ebene von Oopla hinauf in die Südberge zog. Das Tal endete kaum zweihundert Meter unterhalb eines mächtigen Berggipfels vor einer steilen Felswand. Aus der Felswand brach ein Wasserfall, der einen Bach formte, der der Ebene von Oopla zueilte. Fehrndor gehörte das obere Talende, eine Fläche von etwa fünfzigtausend Quadratmetern mit einem barackenähnlichen Gebäude darauf, an dessen Vorderseite ein selbstgebasteltes Schild prangte: FEHRNDOR GLOBUS, SENDEund EMPFANGSSPEZIALIST, FERN UND NIEDRIGE GEBÜHREN. Und oben auf dem Berggipfel erhob sich aus dem Fels eine Gruppe von Antennen, einige unter ihnen von ausgesprochen abenteuerlicher Konstruktion, von Globus selbst für den besseren Empfang und die wirkungsvollere Abstrahlung von Hypersendungen entworfen. Gostack war eine Welt, die das Solare Imperium sich unter den Nagel zu reißen vergessen hatte. So meinten wenigstens diejenigen, die auf halb abgetakelten Interstellarfrachtern hier landeten, um, wie sie sich ausdrückten, ein neues Leben fern von den Pressionen der konventionellen Gesellschaft zu beginnen. In der Tat gab es auf ganz Gostack, einem Planeten etwa von der Größe der Erde, keine Behörde, die das Interesse
des Solaren Imperiums oder sonst einer politischen Konstellation vertrat. Es gab überdies auch kaum eine Behörde, die die Interessen der Gostack-Siedler vertrat, denn die, die hierherkamen, hatten mit den konventionellen Vorstellungen vom geregelten Leben derart unwiderruflich gebrochen, daß sie nichts um sich dulden mochten, was auch nur entfernt nach der Welt roch, der sie soeben den Rücken gekehrt hatten. Gostack lag mitten im Einflußbereich des Solaren Imperiums, und die Leute, die hierherkamen, irrten sich, wenn sie glaubten, daß man in Terrania-City den paradiesischen Planeten einfach übersehen habe. Gostack zog wie ein Magnet jene Elemente an, deren einziger Lebenszweck in der Absicht bestand, »das System zu überwinden« – Leute, die das Imperium lieber auf Gostack unter einem Hut wußten, als sie auf unbekannten Pfaden quer durch die Galaxis schwirren zu sehen, Unheil anrichtend, wo immer sie auftauchten. Gostack wirkte wie ein Katalysator. Die Leute, die sich hier niederließen, waren zumeist jung und voller Ungeduld, die Welt zu verbessern. Aber nachdem sie einige Jahre hier gelebt hatten, stellte sich unvermeidlich die Reife ein, die sie erkennen ließ, daß das System, das zu überwinden und zu erneuern sie ausgezogen waren, eine ungeheure Trägheit besaß und sich mit der Sturheit eines Stahlblocks gegen jede rasche Veränderung stemmte. Gewöhnlich kam nach den Jahren der Entbehrung – denn Gostack war zwar eine paradiesische Welt, aber keineswegs ein Paradies für diejenigen, die den Komfort der Zivilisation gewöhnt waren – noch die Einsicht hinzu, daß es draußen in der Welt doch gar nicht so übel gewesen sei, wie man allgemein angenommen hatte. Und so kam es, daß die Mehrzahl der Systemveränderer die Paradieswelt Gostack nach einigen Jahren »geheilt« wieder verließ, um sich von neuem den Pressionen des konventionellen Lebens auszuliefern. Die Bevölkerung des Planeten hatte in den vergangenen dreißig Jahren kaum nennenswert zugenommen und lag bei rund drei Millionen Men-
Das Geheimnis von Gostacker schen. In Terrania-City wußte man also sehr wohl, was man tat, wenn man sich den Anschein gab, kein Interesse an Gostack zu haben. Ein Sanatorium für Revolutionäre nannte die Solare Abwehr die Paradieswelt im Kellehrt-System, 15 000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Fehrndor Globus befand sich seit dreizehn Standardmonaten auf Gostack. Auch er war mit einem halbwracken Frachter hier angekommen, zusammen mit einer mehr als hundert Köpfe zählenden Gruppe von Terranern, Akonen, Arkoniden, Antis und was die Galaxis sonst noch an humanoiden Völkern zu bieten hatte. Mit dem gleichen Frachter hatte wenige Tage später der Mann Gostack verlassen, den abzulösen Fehrndor Globus gekommen war. Denn Gostack war eine Relaisstation im weltweiten Hyperfunknetz der United Stars Organisation. Es handelte sich um eine der wichtigeren Stationen, die ständig bemannt sein mußte. Wen die USO nach Gostack versetzte, der hatte es hier zwei Jahre lang auszuhalten. Fehrndor Globus' Ankunft auf Gostack war sorgfältig vorbereitet worden. Nicht von seinem Vorgänger, sondern von einem völlig Unbeteiligten erwarb er für geringes Geld die kleine Funkstation hoch oben im Tal. Er richtete sich dort ein und verdiente sein Geld, indem er Radiokom- und Hyperkom-Sendungen übermittelte – die ersteren auf der Oberfläche von Gostack, die letzteren bis auf eine Entfernung von maximal achtzehn Lichtjahren. Seine Tätigkeit als Inhaber einer Funkstation also war die Maske, hinter der sich der geschulte USO-Spezialist verbarg. Seine Neigung zur Kosmopsychologie und seine Überzeugung, daß er es auf diesem Gebiet dereinst zum Status einer Koryphäe bringen werde, waren dagegen echt. Nach drei Monaten Anwesenheit auf Gostack hatte er einen alten, baufälligen Robot gekauft, ihn mühselig und unter viel Aufwand wieder hochgepäppelt und gleichzeitig dabei umprogrammiert. Freud, wie das Maschinenwesen getauft wurde, besaß nun ebensoviel kosmopsychologische Kenntnisse wie sein Herr und Meister und
7 hatte ebenso wie dieser den unwiderstehlichen Drang, sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an den Mann zu bringen. Globus und Freud waren im weiten Umkreis um die Ebene von Oopla und die angrenzenden Berge als kosmopsychologisches Team bekannt und gefürchtet; denn wann immer Globus Zeit hatte, dann zog er mit Freud zusammen in die Welt hinaus und versuchte, den armen Verwirrten draußen fachmännische Hilfe zu leisten, unabhängig davon, ob sie diese Hilfe begehrten oder nicht. Nur eines hatte Fehrndor Globus von seinem Vorgänger übernommen: Nally Motcher. Als sie einander trafen, da befand sich Fehrndors Vorgänger in Nallys Begleitung. Wahrscheinlich bemerkte er die interessierten Blicke, mit denen Globus die rothaarige Schönheit von Zeit zu Zeit bedachte; denn schließlich ging er aus sich heraus und sagte: »Weißt du was – ich gehe von hier weg, weil's mir hier stinkt, und Nally bleibt hier, weil's ihr hier nicht stinkt. Nally ist in Ordnung. Sie sieht gut aus, hat Grips und ist liebevoll. Ich sehe die Stielaugen, die du nach ihr machst. Warum einigst du dich nicht mit ihr?« So geschah es. Nally zog mit Fehrndor Globus in seine Funkstation im Hochtal, hielt ihm das Anwesen in Ordnung und war, wie der abgelöste USO-Mann gesagt hatte, liebevoll. Und selbst mit Freud, der kurze Zeit später zum dritten Mitglied des eigenartigen Haushalts ernannt wurde, kam Nally einigermaßen zurecht. So genoß Fehrndor Globus das geruhsame Dasein eines Außenagenten. Von Zeit zu Zeit besuchte er das Versteck, das die USO einige hundert Kilometer von seiner Funkstation im Innern eines Berges angelegt hatte, und überzeugte sich, daß dort alles noch in Ordnung war. Das Versteck beherbergte die komplizierte elektro-positronische Maschinerie des Hyperfunkrelais. Und außerdem einen kleinen Fahrzeugpark, der Fehrndor zur Verfügung stand, wenn er aus
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dienstlichen Gründen schneller irgendwohin reisen mußte, als es ihm sein klappriger Gleiter erlaubte. Auf einmal jedoch schien die Ruhe des Außenagentendaseins erschüttert zu sein. Fehrndor hatte die Koordinaten des USOVerstecks einigermaßen im Kopf. Nachdem Nally ihm einen Drink serviert und er den Becher geleert hatte, stand er auf und ging in sein Privatgemach, um sich zu vergewissern. Der Verdacht hatte ihn nicht getrogen. 38,18 Grad Nord, 129,82 Grad West – das war nur wenige Kilometer von dem ausgehöhlten Berg entfernt, in dem sich die Relaisstation befand.
2. »Ich muß meditieren«, sagte Fehrndor tiefsinnig, nachdem er mit Nally das Abendessen eingenommen hatte. »Du und deine Meditiererei!« barst es aus Nally hervor. »Hat noch niemand was eingebracht, das Meditieren.« Fehrndor schüttelte traurig den Kopf. »Das verstehst du nicht, Mädchen. Jemand, der so tief in die Geheimnisse der kosmischen Psychologie vorgedrungen ist wie ich, muß sich von Zeit zu Zeit aus seiner gewohnten Umwelt lösen, sich ganz allein in eine neue Umwelt begeben und ungestört über die Probleme nachdenken, die der Lösung bedürfen.« »Ja, ja«, maulte Nally ungeduldig, »vom glatten Reden hast du immer schon was verstanden. Aber was wird aus Sinker Wallaby, wenn er wieder hierherkommt und lange Finger nach mir macht?« »Ich lasse dir Freud da«, antwortete Fehrndor feierlich. »Er wird dich beschützen!« »Pah!« machte Nally. »Freud und jemand beschützen! Das arme Kerlchen braucht den Schutz selbst viel nötiger als ich.« In diesem Augenblick schritt der Robot durch die Tür. Er hörte, daß die Rede von ihm war, und empfand dies als die Bestätigung seiner Wichtigkeit.
»Es scheint sich mir da ein bedauerlicher, wenn auch erklärlicher Irrtum in die Überlegungen unserer gemeinsamen Freundin eingeschlichen zu haben«, dozierte er. »Ich und deine Freundin!« lachte Nally spöttisch. »So weit müßte es noch kommen!« Aber Freud fuhr unbeirrt fort: »Man beobachtete in der Tat oft, daß Menschen, die sich lange in der Einsamkeit aufhalten, aus blauem Himmel Vorurteile entwickeln, auf die sie bei einem normalen, aktiven Leben nie verfallen wären. Es scheint sich dabei um eine unterbewußte Aktivierung des in die Thalamus-Drüse eingebetteten latenten Logikzentrums zu handeln. Das Zentrum tritt selbständig in Tätigkeit und produziert Gedanken, die aufgrund ihrer obskuren Herkunft den üblichen logischen Prüfprozeß nicht zu durchlaufen brauchen und daher ungeprüft in den Denkprozeß gelangen. Es ist durch viele Vorfälle bewiesen, daß ich keineswegs so schutzbedürftig bin, wie ich mir aus guten Gründen den Anschein gebe. Daher kann ich bei unserer Freundin Nally nur diagnostizieren …« »Wenn du nicht sofort das Maul hältst!« kreischte Nally, und anstatt den Satz zu vollenden, griff sie eine Eßschüssel auf und ging in wurfbereite Stellung. »Es müßte zuerst geprüft werden«, mischte Fehrndor sich ein, »ob da nicht eher bei dir ein Trugschluß vorliegt, lieber Freund Freud. Denn ich kenne keinen einzigen Vorfall, in dem du aus eigener Kraft …« »O doch!« jammerte Freud. »Denk nur an …« »Ich schmeiß euch beide raus, wenn ihr nicht sofort mit dem psychologischen Quatsch aufhört!« Fehrndor Globus erhob sich vom Tisch. »Ich glaube, hier kommen wir nicht weiter, Freud«, sagte er. »Ich muß jetzt wirklich meditieren gehen. Wir können unsere Diskussion später fortsetzen. Bis zum Morgen bin ich vielleicht schon wieder da. In der Zwischenzeit paßt du mir auf Nally auf, klar?«
Das Geheimnis von Gostacker
* Fehrndor Globus' Gleiter war längst nicht so baufällig, wie er zu sein vorgab. Aber ein altes, schrottreifes Fahrzeug gehörte mit zu dem Image, das Globus von sich aufgebaut hatte. Er wollte bei den Siedlern von Gostack als ein Mann gelten, der draußen in der Welt Schiffbruch erlitten hat und nach Gostack gekommen ist, um sich hier von dem geringen Betrag seiner Ersparnisse eine Existenz aufzubauen, die ihn gerade so ernährte. Dazu hatte er die alte Funkstation erworben, und zu diesem Bild gehörte der Gleiter, der ab und zu ungefährliche Bruchlandungen baute, weil Fehrndor es so wollte. Freud, der ihn auf den meisten seiner Fahrten begleitete, konnte den Schwindel nicht durchschauen, denn bei seiner Umprogrammierung hatte der USOSpezialist darauf geachtet, daß dem Roboter auch kein Quentchen technischen Wissens mehr verblieb. In dieser Nacht ging es Fehrndor Globus selbstverständlich nicht ums Meditieren. Er wollte das Versteck inspizieren und sich vergewissern, daß dort noch alles so war, wie es sein sollte. Obwohl er den Funkspruch, den Nally aufgefangen hatte, für verdächtig hielt, wollte er nicht so recht glauben, daß es tatsächlich einem Unbefugten gelungen sein könnte, das Versteck zu entdecken. Er trug bei sich ein kleines Gerät, an dem sich auf einen Knopfdruck hin die Signalwerte der wichtigsten Sicherheitsfunktionen ablesen ließen. Die Anzeigen waren ohne Ausnahme in Ordnung, was darauf hinwies, daß zumindest auf »normalem« Wege niemand ins Innere des Verstecks gelangt war. Globus brachte den Gleiter in Gang, hob das Fahrzeug über das obere Talende und den südlich angrenzenden Gipfel hinweg und ging sodann auf Westkurs. Es war eine herrliche, sternenklare Nacht, und drüben im Nordosten zeigte ein milchiger Lichtfleck am Horizont an, daß Gostacks einziger Mond, Gostacker genannt, sich aufzugehen anschickte. In Gedanken versunken flog
9 Globus dahin. Der Gleiter kannte den Weg, da er dem Autopiloten das verabredete Kodesignal gegeben hatte, durch das die Adreßkoordinaten des Verstecks in den kleinen Kursrechner geladen worden waren. Der Weg ging über eine bewaldete Hochebene, und einige Zeit später wuchteten von neuem Berge auf diese höher und mächtiger als die Gebirgskette, die die Ebene von Oopla umschloß, ein wildes, größtenteils noch unbesiedeltes Land, in dem es von Blaubären und den gefürchteten Reißzahntigern angeblich nur so wimmelte. Inzwischen hatte sich Gostacker majestätisch über den Horizont erhoben. Die gelbliche Scheibe des Mondes erschien mehr als viermal so groß wie der irdische Vollmond. Das hing damit zusammen, daß Gostacker, an seiner Größe und an seinem Verhältnis zu Gostack gemessen, schon fast kein Mond, sondern eher ein Zwillingsplanet war. Auf Gostackers Oberfläche herrschte eine Gravitation von mehr als 0,8-normal. Gostacker hatte eine atembare Sauerstoffatmosphäre, die nur unwesentlich dünner war als die des Planeten, den er als Satellit umkreiste. In Wirklichkeit war auch der Begriff »umkreisen« nicht allzu wörtlich zu nehmen. Da die beiden Himmelskörper an Masse einander recht nahekamen, bewegten sie sich in der Art eines Hantelsystems um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Es gab Astrophysiker, die behaupteten, diese Art des Umeinanderkreisens werde in Jahrtausenden zu einer instabilen Situation führen, in deren Verlauf Gostack und Gostacker sich einander näherten und schließlich miteinander kollidierten. Nach zwei Stunden höchst gemächlicher Fahrt erreichte Fehrndor das Zielgebiet. Bevor es soweit kam, koppelte er jedoch den Autopiloten aus und übernahm selbst das Steuer. Sein Kurs führte geradlinig etwa dreißig Kilometer südlich des Berges vorbei, in dem sich das Depot befand. Für den Fall, daß tatsächlich jemand in dieser Gegend umherspionierte, wollte nicht ausgerechnet Fehrndor Globus derjenige sein, der ihn auf
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eine wichtige Spur brachte. Er hatte alle Meßgeräte eingeschaltet, die angeblich nicht funktionierten und deren Empfindlichkeit weit über das Maß hinausging, über das die Instrumente eines kommerziellen Fahrzeugs normalerweise verfügten. Der erste Flug quer durch die Bergwelt erbrachte keinerlei Resultat, die Instrumente rührten sich nicht. Daraufhin flog Fehrndor weit im Westen einen großen Bogen und kehrte so zurück, daß er diesmal den Berg, in dem das Versteck sich befand, zu seiner Rechten liegen hatte. Und da klappte es plötzlich: Der Orter zeigte die schwachen energetischen Störsignale einer Maschine an, die sich unweit eines der Zugänge zum unterirdischen Depot befand.
* Fehrndor Globus wußte genau, was er zu tun hatte. Wer auch immer sich dort unten aufhielt, hatte seinen Gleiter wahrscheinlich längst bemerkt. Fehrndor aktivierte eine der Schaltungen, denen sein Fahrzeug den Ruf des unzuverlässigsten Vehikels weit und breit verdankte. Das Triebwerk fing an zu stottern und setzte, als der Gleiter sich dem unebenen Boden bis auf zwanzig Meter genähert hatte, schließlich ganz aus. Mit mörderischem Krachen und Bersten pflügte das schwere Fahrzeug eine breite Schneise in den Urwald und kam schließlich wenige Meter vor einer Felswand zum Stehen. Fehrndor war kräftig durchgebeutelt worden. Diese fingierten Notlandungen gingen nicht immer so sanft ab, wie er es gerne gehabt hätte. Er brauchte die Rolle des Benommenen nicht zu spielen, als er das Luk öffnete und ins Freie kletterte. Es war ihm tatsächlich ein wenig schwummrig zumute. Gostacker stand über einer Berglehne im Osten und sandte seinen hellen Schein in das tief eingeschnittene Tal herab. Fehrndor kümmerte sich zunächst um sein Fahrzeug und stellte fest, daß es noch immer flugtüchtig war. Zu seiner Linken erhob sich der
Berg, in dessen Innerem sich das Depot befand. Einer der geheimen Zugänge war nicht weiter als fünfzehn Meter von dem Ort entfernt, an dem der Gleiter nach seiner abenteuerlichen Rutschpartie endlich zur Ruhe gekommen war. Und weiter unten im Tal war einige Sekunden lang surrendes Motorengeräusch zu vernehmen, das jedoch plötzlich abbrach. Fehrndor vergewisserte sich, daß er angemessen bewaffnet war; dann machte er sich auf den Weg. Er kannte sich hier aus, und zudem schien der Mond so hell, daß ihm das Anschleichen keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Er brauchte zwanzig Minuten, da kam er an den Rand einer kleinen Lichtung, auf der ein Fahrzeug älterer Fertigung niedergegangen war. Es lag ganz ruhig da, unbeleuchtet, aber eine der Luken stand offen, und durch die Öffnung drangen seltsame Geräusche. Fehrndor Globus war ein erfahrener Mann und wußte die Laute wohl zu deuten. Ein verstohlenes Grinsen huschte über sein hageres Gesicht. Er verließ seine Deckung und schritt geradewegs auf den fremden Gleiter zu. Er war bis auf etwa fünf Meter an das Fahrzeug herangekommen, da ertönte aus seinem Innern eine erschreckte weibliche Stimme: »Huch … da kommt einer!« Um seine Harmlosigkeit zu beweisen, blieb Fehrndor stehen und rief zurück: »Ganz richtig, hier kommt einer! Bin ich genehm?« »Der Teufel soll dich holen!« knurrte eine männliche Stimme. »Was hast du dich mitten in der Nacht in der Wildnis herumzutreiben? Gibt es denn auf diesem verdammten Planeten keinen einzigen Ort, an dem man ungestört …« »Es liegt mir fern, dich belästigen zu wollen, mein Sohn«, antwortete Fehrndor in beruhigendem Tonfall. »Ich bin in der Nähe notgelandet und brauche Hilfe. Hast du vielleicht einen VHF-Sender an Bord?« »Du spinnst wohl!« röhrte es aus dem Innern des Gleiters. »Woher soll ich das Geld für einen VHF nehmen?«
Das Geheimnis von Gostacker Fehrndor hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Aus der Nähe konnte er ins Innere des Gleiters blicken. Er sah ein molliges junges Mädchen und einen hageren jungen Mann, beide im Zustand fortgeschrittener Derangiertheit. »Scher dich fort!« fauchte das Mädchen. »Was hast du hier zu glotzen?« Fehrndor winkte grinsend ab. Er hatte sich überzeugt, daß es im Innern des Gleiters keinen VHF-Sender gab. »Nichts für ungut«, sagte er. »Ihr könnt mir wirklich nicht helfen. Also macht ruhig weiter!« Er wandte sich ab, überquerte die Lichtung und verschwand wieder im Unterholz. Sein nächtliches Unternehmen war ein Fehlschlag gewesen. Niemand hatte das geheime USOVersteck entdeckt – am allerwenigsten das junge Liebespaar, das sich eigens zu dem Zweck um Hunderte von Kilometern von der Zivilisation entfernt hatte, um seinen Neigungen ungestört nachgehen zu können. Das Vernünftigste, was er jetzt tun konnte, war, einfach wieder nach Hause zu fliegen.
* Von unterwegs rief er Nally an, um ihr mitzuteilen, daß er früher als erwartet zurückkomme. Sie liebte solche kleinen Gesten, da sie, wie sie sagte, wissen ließen, daß sie nicht nur einfach mit zum Mobiliar der Funkstation gehörte. Statt Nally meldete sich jedoch Freud. »Hier ist Doktor Freud, Spezialist für kosmopsychologische Neurosen und …« »Es würde mich interessieren, auf welcher Universität Sie Ihren akademischen Grad erworben haben«, unterbrach ihn Fehrndor spottend. »Oh, du bist es«, antwortete der Robot. »Was kann ich für dich tun?« »Gib mir Nally an den Apparat!« »Das geht leider nicht. Nally hat Kundschaft zu bedienen.« »Jetzt? Mitten in der Nacht?«
11 »Ja, ich glaube, sie war selber ein wenig überrascht. Aber so ungestüm, wie diese Leute Einlaß begehrten …« Fehrndor schwante Unheil. »Wer ist es?« stieß er hervor. »Sinker Wallaby mit dabei?« »Ja, das ist der Ungestümste von allen.« Aus dem Hintergrund hörte Fehrndor eine zornig grollende Stimme. »Heh, Blechmensch …!« rief sie. »Moment, ich muß jetzt gehen«, sagte Freud. »Man verlangt nach mir!« »Paß auf Nally auf, verdammt!« schrie Fehrndor. Dann gab es einen Mordskrach, und plötzlich war der Empfänger tot. Fehrndor brachte den Gleiter auf Höchstgeschwindigkeit. Gleichzeitig zog er ihn in die Höhe, um den Bergspitzen auszuweichen, über die er jetzt mit mehr als sechshundert Kilometer pro Stunde dahinbrauste. Für den Herflug hatte er zwei Stunden gebraucht, den Rückflug bewältigte er in nicht ganz zwanzig Minuten. Er drückte das Fahrzeug nach unten, hob es ganz knapp über die Bergkuppe hinweg, die sich am Ende seines Tals erhob, und landete den Gleiter an der obersten, engsten Stelle der Talschlucht. Von dort aus konnte er sehen, daß sein Anwesen hell erleuchtet war. Vor dem Haus standen drei Gleiter, drei hochmoderne Fahrzeuge, wie sie sich in ganz Oopla nur Sinker Wallaby und seine Freunde leisten konnten. Durch eine geöffnete Tür drang zorniges Geschrei. Nallys Stimme war mit dabei, und im Hintergrund ein ruhiges, dozierendes Organ: Freud. Fehrndor eilte das abschüssige Tal hinab. Wie von selbst war ihm der Schocker in die Hand geglitten. Wut hatte von ihm Besitz ergriffen. Er würde Sinker Wallaby ein für allemal klarmachen, daß er seine schmutzigen Finger von Nally zu lassen hatte. Er erschien gerade in dem Augenblick vor dem Haus, als zwei Männer eine sich heftig sträubende Frauengestalt durch die weit offene Tür trugen. Unter einem Tuch hervor, mit dem sie Nally den Mund zugebunden
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Kurt Mahr
hatten, waren halb erstickte, protestierende Laute zu hören. Hinter den zwei Lastenträgern kamen noch drei Männer und beinah zum Schluß Sinker Wallabys untersetzte, gedrungene Gestalt. Aber dahinter kam noch einer – hoch gewachsen und hager, die linke Schulter ein wenig tiefer als die rechte, weil ihn da anscheinend ein heftiger Schlag oder ein Wurfgeschoß getroffen hatte, aber das Ganze doch ziemlich aufrecht und vor allen Dingen mit ungebrochener Stimmkraft dozierend: »Hostilitäten dieser Art sind Abartreaktionen solcher Instinkte, die infolge der Bequemlichkeit des Lebens fast nicht mehr angesprochen werden, wie zum Beispiel der Überlebensinstinkt. Es wäre euch allen wahrscheinlich viel wohler zumute, wenn ihr euch von mir behandeln ließet …« »Heh, Sinker!« grölte einer der Männer. »Kann ich dem blöden Blechdings eine über den Schädel geben, damit es endlich Ruhe hält?« »Lieber nicht«, antwortete Sinker Wallaby knurrend. »Wir werden ohnehin schon genug Ärger mit Fehrndor Globus haben, wenn wir uns nicht rasch genug auf die Socken machen.« Im selben Augenblick trat Fehrndor aus dem Schatten, der ihn bisher verborgen hatte. »Dein Ärger ist schon da, Sinker!« stieß er wütend hervor.
3. Die beiden Träger ließen Nally Motcher zu Boden gleiten und griffen zum Gürtel. Fehrndor war konsequent. Kaum hatte er die Bewegung bemerkt, da begann sein Schocker zu singen. Ächzend gingen die beiden Leute zu Boden. »Das wirst du bereuen, Fehrndor«, knirschte Sinker Wallaby. »Du hast keine Ahnung …« Sinker war der nächste. Er gab keinen Laut von sich, als der Schocker ihn fällte. Die restlichen drei Mitglieder der Gruppe
warfen entsetzt die Arme in die Höhe; aber Fehrndor Globus kannte keine Gnade. Dreimal noch sang der Schocker, dann war auch die letzte Gefahr vorerst gebannt. »… denn eine fachmännische Behandlung von den ersten Kapazitäten dieser Welt«, klang Freuds Stimme über den rasch verebbenden Lärm hinweg, »garantiert euch Befreiung von allen unerwünschten Komplexen und gibt euch die Möglichkeit zurück, wieder ihr selbst zu sein. Und welch größeres Glück …« »Halt's Maul!« herrschte Fehrndor ihn an. »Die Show ist vorbei.« »Oooh …«, machte der Robot, »es muß mir völlig entgangen sein, daß …« »So also paßt du auf Nally auf, wie?« fauchte Fehrndor. »Ich hätte schon noch eingegriffen!« verteidigte sich Freud. »Aber die Zeit war noch nicht reif. Noch gab es eine gewisse Hoffnung, daß ich die Leute zur Einsicht ihres Fehlverhaltens bringen konnte.« Fehrndor kniete nieder und befreite Nally von ihrem Knebel. Sie richtete sich in sitzende Stellung auf und schlang ihm die Arme um den Hals. »Danke«, sagte sie einfach. Er half ihr auf. Den bewußtlosen Gestalten schenkte er keine Beachtung. Er kannte die Wirkung seines Schockers und wußte, daß sie nicht vor Ablauf von drei Stunden wieder zu sich kommen würden. »Was wollten sie?« fragte er. »Mich«, antwortete Nally. »Sie donnerten gegen die Tür und behaupteten, sie hätten einen Notruf abzusetzen. Ich glaubte ihnen kein Wort, aber ich mußte sie trotzdem einlassen, nicht wahr? Sie stürmten herein, Sinker an der Spitze. Von Notruf war keine Rede mehr. Sie wollten, daß ich sie auf einen Ausflug begleitete.« »Was für einen Ausflug?« »Das sagten sie nicht. Sie taten recht geheimnisvoll. Nur daß es um eine längere Reise gehen sollte, davon war die Rede.« Fehrndor war viel zu wütend, um sich viel bei dieser Äußerung zu denken. Sie betraten
Das Geheimnis von Gostacker das Gebäude. Sinker Wallabys Gruppe hatte ziemlich viel Durcheinander angerichtet. Das Sende- und Empfangsgerät, über das Fehrndor mit seiner Heimatstadt Verbindung hielt, wenn er mit dem Gleiter unterwegs war, lag in Trümmern. »Sie riefen mich, erinnerst du dich?« klagte Freud. »Als ich nicht rasch genug kam, warfen sie einen Stuhl nach mir. Ich bückte mich rechtzeitig, aber der Stuhl traf den Empfänger.« Fehrndor sah sich um. Dann stapfte er hinaus, und als er zurückkehrte, brachte er Sinker Wallaby mit, indem er ihn mit einer Hand hinter sich herzerrte. Er ließ den reglosen Körper zu Boden gleiten und öffnete den Magnetverschluß von Sinkers Jacke. Aus einer der Innentaschen produzierte er einen kleinen, zylindrischen Druckbehälter für Geldmarken. »Auf wieviel schätzt ihr den Schaden?« fragte er Nally und Freud. »So wie ich die Sache betrachte …« ließ der Robot sich hören. »Dreitausend Solar«, antwortete Nally kurz entschlossen. »… nicht mehr als zweihundert Solar«, schloß Freud seine Ausführungen. »Du bist ein Trottel«, knurrte Nally. »Richtig, du bist ein Trottel«, bestätigte Fehrndor und entfernte sechs Fünfhundert-Solar-Chips aus dem Druckbehälter. »Das sollte uns den materiellen Schaden ersetzen.« Dann blickte er Nally Motcher fest an. »Und über den anderen Schaden werde ich noch mit ihm reden.«
* Pünktlich nach drei Stunden kam Sinker Wallaby als erster wieder zu sich. Inzwischen hatte Fehrndor Globus ihn und seine Genossen mit ein paar Plastikriemen so eingewickelt, daß sie kaum einen Finger rühren konnten. Auch die Waffen, einen handlichen Blaster und pro Mann einen Schocker, hatte er ihnen abgenommen. Wallaby brauchte nicht lange, um sich zu
13 erinnern, was vorgefallen war. Er hatte ein grob geschnittenes, brutal wirkendes Gesicht. Ein wütender Blick fiel auf Fehrndor Globus. »Mach mich los!« knurrte er. Er lag auf dem nackten Boden des Raumes, in dem sich der Großteil des Alltagsdaseins des Globus-Haushalts abspielte. Er konnte den Kopf gerade weit genug bewegen, um zu sehen, daß seine Genossen ebenso wie er gefangen waren. »Ich binde dich los, wenn es mir paßt«, antwortete Fehrndor. »Vorher habe ich dir und deinen Freunden etwas mitzuteilen.« »Das wird dir leid tun, Globus!« drohte Sinker Wallaby. »Niemand hält mich gefangen, ohne daß es ihm später leid tut.« Fehrndor grinste spöttisch. »Dir kann ich deinen Teil schon vorab geben, Sinker. Damit du weißt, woran du bist. Wir leben in einem freien Land. Das Haus, in dem ich sitze, und das Grundstück, auf dem das Haus steht, gehören mir. Ich bin ein freier Unternehmer und brauche auf meinem Grund und Boden nicht zu dulden, wer mir nicht paßt. Und unter den Leuten, die mir nicht passen, stehst du an erster Stelle, Sinker, ist das klar? Wenn du auch nur deine Nase noch ein einziges Mal über die Grenzen meines Grundstücks steckst, brenne ich dir eine auf den Pelz, daß nicht einmal deine Haut mehr etwas wert sein wird.« Erstaunlicherweise blieb Wallaby daraufhin zunächst ruhig, dann stieß er hervor: »Ich habe mir Zeit gelassen, um mir deine Worte gut einzuprägen, Globus. Du hast recht: Dies ist ein freies Land. Aber manche sind fähiger, diese Freiheit zu nutzen, als andere. Ich sage: Ich weiß, wo das Huhn sitzt, das die goldenen Eier legt. Ihr habt mich für reich gehalten … aber das ist nichts im Gegensatz zu dem, was ich in kurzer Zeit besitzen werde. Dann komme ich zurück, und dann, Globus …« Er bäumte sich unter den Fesseln auf, daß Freud erschreckt ein paar Schritte zurückwich. »… und dann kaufe ich mir Oopla und alles, was darum herumliegt. Bis dahin, Globus, bist du am besten schon
14 weit weg von hier. Denn wenn ich dich einmal zwischen die Finger bekomme, dann hast du für alle Zeiten ausgesorgt. Und dein Flittchen hier, das bekomme ich auch noch.« Mit einer nonchalanten Handbewegung brachte Fehrndor Globus den Schocker erneut zum Vorschein. Er richtete die Mündung auf Wallaby, dessen Augen sich entsetzt weiteten, und sagte: »Du hast genug Gift verspritzt, Sinker. Jetzt brauchen wir erst wieder einmal ein bißchen Ruhe.« Die Waffe sang hell, und Sinker Wallaby versank erneut in den Abgrund der Bewußtlosigkeit. Der Reihe nach kamen nun Sinkers Genossen wieder zu sich. Fehrndor teilte ihnen mit, was er zu sagen hatte, dann verpaßte er auch ihnen mit einer Ausnahme eine Schockdosis. Die Bewußtlosen wurden in einen der drei Gleiter geladen, und der einzig Verschonte erhielt den Befehl, sie nach Hause zu bringen. Die beiden übrigen Gleiter, versprach Fehrndor, werde er selbst mit seinen Leuten am nächsten Tag nach Oopla chauffieren. Als sie, nachdem der Gleiter sich entfernt hatte, ins Haus zurückkehrten, meinte Nally: »Mit deinen Ausflügen und deiner Meditiererei wird es für eine Weile vorbei sein, Fehrndor, falls dir überhaupt etwas an mir liegt!« Er schlang ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. »Ich möchte den sehen, der sagen wollte, an dir läge mir nicht mehr … na ja, vergessen wir das.« Er wurde ein wenig verlegen. »Du hast recht: Ich bleibe fürs erste in der Gegend. Auf das Blechgerippe ist kein Verlaß …« »Blechgerippe!« protestierte Freud in schrillem Tonfall. »Ja, genau dich meine ich!« fuhr Fehrndor ihn an. »Du bist fehlprogrammiert! Du bist das feigste, unfähigste Gebilde, das ich je gesehen habe.« Damit kam er jedoch bei Freud an die falsche Adresse. »Fehlprogrammiert kann schon sein«,
Kurt Mahr meinte er abfällig. »Man muß sich nur ansehen, wer mich programmiert hat!« Fehrndor Globus, der nicht wußte, was er darauf erwidern sollte, wandte sich von neuem an Nally Motcher. »Übrigens glaube ich nicht, daß Sinker Wallaby sich hier so schnell wieder sehen lassen wird.« »Und warum nicht?« »Er wollte dich auf einen Ausflug mitnehmen, nicht wahr? Und als er zu mir sprach und mir drohte, sagte er: Dann komme ich zurück. Alles deutet darauf hin, daß er eine Zeitlang nicht im Lande sein wird.« »Je länger, desto besser«, meinte Nally mit Inbrunst. »Übrigens ist mir eines aufgefallen, dir nicht auch?« »Was?« »In letzter Zeit ist merkwürdig oft die Rede von Hühnern, die irgendwelche Eier legen, findest du nicht auch?«
* Fehrndor war abrupt stehengeblieben. Er starrte in die Luft, wie er es immer tat, wenn er angestrengt über etwas nachdachte. »Das ist richtig«, sagte er schließlich mehr im Selbstgespräch als zu Nally. »Erst der Funkspruch … und dann Sinker Wallaby. Glaubst du, es gibt einen Zusammenhang?« Nally zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich das wissen? Der Ausdruck ist ziemlich geläufig …« Fehrndor dachte eine Zeitlang nach. Dann wandte er sich an den Robot. »Heh, Freud! Ich habe einen Auftrag für dich.« »Gut«, antwortete Freud, der übrigens noch immer die linke Schulter ein wenig hängen ließ. »Es wird Zeit, daß ich endlich wieder etwas zu tun bekomme, was meiner Befähigung entspricht.« »Mehr als das!« ermunterte ihn Fehrndor. »Übrigens – was ist mit deiner Schulter los?« »Ooh, Sinker Wallaby schlug mit dem
Das Geheimnis von Gostacker Kolben seines Blasters auf mich ein«, wehrte der Roboter ab. »Da muß irgendein Ligament aus der Halterung gerutscht sein.« »Na und?« »Na und … was?« »Execute Repair«, sagte Fehrndor. Freud wurde plötzlich merkwürdig starr. Im Zustand der Starre jedoch begann sich die linke Schulter langsam zu heben, bis sie wieder die ursprüngliche Position einnahm. Die beiden Worte, die Fehrndor ausgesprochen hatte, stellten einen Kode dar, der einen Sonderteil von Freuds Programmierung aktivierte. Er hatte sich selbst repariert. Das beschädigte Ligament hing wieder dort, wo es hingehörte. »Also … meine Aufgabe!« forderte Freud. »Ich will wissen, wo Sinker Wallaby hingeht, sobald er wieder zu sich gekommen ist.« »Und dann soll ich ihn …« »Und dann kommst du wieder hierher und erzählst mir darüber, verstanden?« »Weiter nichts?« »Weiter nichts!« »Eine einfache, primitive Bespitzelung!« jammerte Freud in durchaus menschlichen Tönen. »Ausgerechnet ich, das bewundernswerteste Erzeugnis menschlicher Technik …« »Wenn du nicht gleich aufhörst, dich zu bemitleiden«, schrillte Nallys Stimme, »jage ich dich mit einem Elektrobesen hinaus!«
* Kurz vor Sonnenaufgang gab es in der Ebene von Oopla ein seltenes Schauspiel: Ein gelblich weißer Feuerball erstand im trüben Licht des ersten Morgens und erhob sich donnernd und fauchend in den Himmel. Dabei verwandelte er sich in eine längliche Flammenzunge, und als diese weit genug in den Himmel gestiegen war, so daß die Strahlen der Sonne sie erreichten, da sah man, daß sie ein kleines, torpedoförmiges Raumfahrzeug vor sich hertrug.
15 Fehrndor Globus, dem die Ereignisse der Nacht ohnehin die Ruhe zum tiefen Schlaf raubten, sprang auf, sobald er das erste Donnergrollen hörte. Er sah den Feuerball in die Höhe steigen und erblickte, als er in die Zone des ersten Tageslichts vorstieß, das Raumschiff an seiner Spitze. Zu seiner Überraschung fand er plötzlich Nally neben sich. Sie hatte den Lärm ebenfalls gehört. »Ich wette, das hat etwas mit Sinker Wallaby zu tun!« behauptete sie. Fehrndor fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Aber wo soll er hinwollen? Der alte Kahn taugt höchstens für eine Reise nach Gostacker!« »Na und? Wer hat gesagt, daß sein Ausflug weiter wegführen soll?« Fehrndor war plötzlich ein Gedanke gekommen. »Den Funkspruch!« stieß er hervor. »Ich brauche den Funkspruch, den du gestern empfangen hast … mitsamt der genauen Empfangszeit.« Sie eilten ins Haus zurück. Im Funkraum kramte Nally den aufgezeichneten Text des Funkspruchs unter Fehrndors unordentlichen Ablagen hervor. Die Aufzeichnung war automatisch erfolgt, und die Druckfolie trug am oberen Rand das Datum und die genaue Uhrzeit des Empfangs. »Fünfzehn Uhr dreiundfünfzig«, knurrte Fehrndor. »Ich muß wissen, wo Gostacker um diese Zeit gestanden hat!« »Wahrscheinlich schon untergegangen«, antwortete Nally. »Dieser Tage verschwindet er genau um sechzehn Uhr.« »Sieh genau nach!« bat Fehrndor. Nally sah sich um und fand einen Kalender, in dem die täglichen Auf- und Untergangszeiten für Mond und Sonne angegeben waren. »Für Oopla, gestern …«, sagte sie, während sie suchte, »… sechzehn Uhr neun.« Fehrndor hieb mit der Faust auf den Tisch. »Das ist es!« rief er, nur um seine Bestimmtheit sogleich wieder abzuschwächen:
16 »Wahrscheinlich. Ich muß wissen, in welcher Richtung Gostacker genau untergegangen ist.« »Und das soll ich wohl auch für dich herausfinden, wie?« protestierte Nally. Fehrndor wehrte ab. »Nein, das kann ich«, sagte er hastig. Wenige Augenblicke später hing er am Radiokom und sprach mit dem Leiter der einzigen Sternwarte, die es auf Gostack gab. Der Mann war über das Anliegen erstaunt, aber er gab Fehrndor bereitwillig Auskunft. Mit einem Blatt voller Ziffern eilte Globus auf den breitflächigen Tisch zu, auf dem die Karte noch ausgebreitet lag, die er gestern benutzt hatte, um zu ermitteln, wie weit von seinem Versteck entfernt der in der geheimnisvollen Funkbotschaft erwähnte Punkt eigentlich lag. Mit Schreibstift, Winkel und Lineal trug er ein paar Linien ein, und als er damit fertig war, trat er zwei Schritte zurück und begutachtete sein Werk mit der Miene eines Künstlers, der mit seiner Leistung zufrieden ist. »Das ist es«, sagte er. »Wir sind einem falschen Hinweis aufgesessen.« »Du sitzt auf, nicht ich«, verteidigte sich Nally Motcher. »Ich habe überhaupt keine Schlüsse gezogen.« Fehrndor sah ein, daß er ein wenig unvorsichtig gewesen war. Er durfte nichts davon verlauten lassen, daß er in der vergangenen Nacht gar nicht ans Meditieren gedacht hatte. »Ich glaubte die ganze Zeit über, der Funkspruch sei von hier gekommen«, erklärte er und fuhr mit dem Finger die Linie nach, die er zuletzt eingetragen hatte. »3 8,18 Grad Nord, 129,82 Grad West – das ist der Punkt, der in der Meldung erwähnt wurde, und genau auf diesen Punkt zeigte die Peilanweisung des Empfängers.« Er grinste, als Nally ihn verständnislos anblickte. »Aber in Wirklichkeit«, fuhr er fort, »kam der Spruch von Gostacker. Es war weiter nichts als Zufall, daß Gostacker gerade um diese Zeit in genau derselben Richtung un-
Kurt Mahr terging.« Nally verstand immer noch nicht, das war an ihrem Gesichtsausdruck zu erkennen. In diesem Augenblick wurde draußen Motorengeräusch hörbar. Die Tür öffnete sich, und Freud trat ein. »Ich habe wichtige Neuigkeiten!« rief er schon von weitem. »Sinker Wallaby ist mit einer Gruppe seiner Leute nach Gostacker unterwegs.« »Danke«, antwortete Fehrndor Globus nachdenklich, ohne den Blick von der Karte zu wenden, die vor ihm ausgebreitet war, »aber das wußten wir bereits.«
4. Nach einer Weile sagte Nally: »Ich verstehe zwar von alledem nichts, aber ich sehe, daß die Sache dich stark interessiert.« »Da hast du recht, Mädchen!« antwortete Fehrndor Globus mit Nachdruck. »Stark genug, um mich zu einem Ausflug nach Gostacker zu reizen.« »Aber warum …?« Diese Frage brachte ihn vorübergehend aus dem Gleichgewicht. Er konnte nicht zugeben, daß er sich als Vertreter der USO hier befand und in dieser seiner Rolle darauf zu achten hatte, daß das von Unzufriedenen, Systemflüchtigen und Weltverbesserern notdürftig etablierte Gleichgewicht gewahrt blieb. »Hast du nicht gehört, womit Wallaby drohte?« fragte er schließlich. »Wort für Wort. Sag bloß, du nimmst das Gewäsch ernst!« Fehrndor nickte. »Ich nehme es ernst.« Er dachte eine Sekunde lang nach, dann fuhr er fort: »Du bist vorläufig außer Gefahr. Ich kann dich für ein paar Tage allein lassen. Freud und ich …« »Heh!« unterbrach sie ihn aufgeregt. »Ich glaube gar, du willst wirklich nach Gostacker!« »Natürlich«, bestätigte er ernst. »Aber womit willst du die Überfahrt be-
Das Geheimnis von Gostacker zahlen?« Da hatte sie allerdings recht. Sein materieller Status erlaubte ihm keine solchen Reisen. Das Funkgeschäft warf gerade so viel ab, daß er und Nally genug zu essen und trinken dafür einkaufen konnten. Für eine Fahrt nach Gostacker blieb wirklich nichts übrig. Die Fähren verlangten acht- bis zwölfhundert Solar für die einfache Überfahrt, je nach der Geschwindigkeit des Fahrzeugs und dem an Bord gebotenen Komfort. Was Nally nicht wußte, war, daß Fehrndor Globus in seinem Versteck über ein Raumfahrzeug verfügte, das ihn völlig kostenlos nach Gostacker bringen würde. »Es wird sich schon jemand finden«, murmelte er verdrossen, »der mich umsonst mitnimmt. Heylar Zunuki zum Beispiel schuldet mir seit einem halben Jahr die Gebühr für einen Hyperspruch.« »Wenn du dich an ihn wendest«, meinte Nally verächtlich, »wird er seine Schulden bezahlen und dir sagen, du sollst dich zum Teufel scheren. Du weißt, wie arm das Fährgeschäft dran ist. Niemand denkt auch nur im Traum daran, einen Fahrgast umsonst mitzunehmen!« »Da kennst du Zunuki schlecht!« protestierte Fehrndor. »Er ist mein Freund. Ich sage dir, er wird mich mitnehmen!« »Meinetwegen versuch's. Aber in spätestens zwei Stunden bist du wieder hier und wirst mir recht geben.« Fehrndor faßte sie bei den Schultern und drehte sie so, daß sie ihm ins Gesicht sehen mußte. »Und wenn Zunuki mich doch mitnimmt – mich und dieses Blechgerippe dort –, wirst du dann auf mich warten, bis ich zurückkomme?« Nally wollte zornig antworten. Sie überlegte es sich jedoch anders und lächelte ihn freundlich an. »Na klar, Dünner! Was sollte ich denn ohne dich anfangen? Aber eins sage ich dir: Du bist am besten vor Sinker Wallaby zurück.«
*
17 »Der nächste Fährenhafen liegt in Narimba«, bemerkte Freud, »aber wir befinden uns nicht auf dem Weg dorthin!« »Du sagst es«, antwortete Fehrndor, der den Autopiloten durch Kodezeichen auf die Koordinaten des Verstecks orientiert und sich bequem in seinen Sessel zurückgelehnt hatte. Auf derartig nichtssagende Antworten war Freud nicht eingestellt. »Ich habe also recht?« erkundigte er sich. »Wortwörtlich recht«, bestätigte Fehrndor. Freud begann, sich zu ereifern. »Aber was sagst du da? Du willst so schnell wie möglich nach Gostacker und nimmst trotzdem nicht den geradesten Weg zur nächsten Fährenstation?« »Ganz recht«, nickte Fehrndor und schaute unbeteiligt zum Fenster hinaus, »ich nehme ihn nicht.« »Ja, aber …« Freud blieb die Sprache weg. Fehrndor lachte gutmütig. »Siehst du, ich habe meine eigenen Methoden, nach Gostacker zu kommen. Dinge, von denen Nally nichts weiß und auch nichts zu wissen braucht. Ich besitze ein Kurzstrecken-Raumfahrzeug, das mich viel bequemer und viel billiger nach Gostacker bringt als jede kommerzielle Fähre.« Der Robot dachte darüber nach. »Du spielst also«, ließ Freud sich hören, »Nally gegenüber kein offenes Spiel!« »In fast allen Dingen«, verteidigte sich Fehrndor. »Aber von meinem kleinen Raumschiff braucht sie nichts zu wissen.« »Ich verstehe dich immer weniger«, beschwerte sich Freud. »Es scheint mir da in deinem Unterbewußtsein ein schädlicher Komplex zu existieren, der dich dazu zwingt, andere Leute zu belügen und irrezuführen. Ja, ich glaube, ich weiß, worum es sich handelt! Es ist wiederum ein Ausdruck der Frustration! Bernecker hat zuerst darüber berichtet, als er Gruppen von Siedlern auf einer großen Kolonialwelt untersuchte. Die Leute waren so weit voneinander getrennt, daß sie das gemeinsame Programm,
18 das sie ursprünglich geplant hatten, nicht durchführen konnten, Phobia Berneckerensis, das ist es …« »Freud!« sagte Fehrndor Globus scharf. »Ja?« »Halt den Mund! Du machst mich nervös.« »Aber das ist ja gerade eines der wichtigsten Symptome!« ereiferte sich Freud. »Der von der Berneckerschen Krankheit Befallene zeigt sich äußerst irritiert, wenn er auf sein seltsames Verhalten hingewiesen wird. Du bist geradezu ein Paradefall für …« »Freud!« »Ja …?« »Schnauze!« Der Robot schwieg sofort. Die grobe Floskel war eines der in seinem Kernprogramm verankerten Kodewörter. Er reagierte darauf mit befristetem Schweigen. Fehrndor Globus widmete sich von neuem der Betrachtung seiner Umwelt. Der Gleiter überquerte die Hochebene und drang in die jenseits gelegene Bergwelt ein. Wie in der Nacht zuvor umflog Fehrndor das Gebiet, in dem sein Versteck lag, zunächst einige Male und vergewisserte sich, daß sich niemand darin aufhielt. Dann drückte er das Fahrzeug nach unten und nahm Kurs auf eine steil aufragende Felswand. Das war der Augenblick, in dem bei Freud die Wirkung des Schweigebefehls ausklang. Er warf in typisch menschlicher Manier die Arme in die Luft und schrie im Tone höchsten Entsetzens: »Hilfe, wir zerschellen! So lenke doch zur Seite, du … du …« Er hatte das passende Schimpfwort noch nicht gefunden, da entstand in der Felswand, auf die der Gleiter sich mit beachtlicher Geschwindigkeit zubewegt hatte, ein senkrechter Riß, der sich blitzschnell verbreiterte und zu einer gähnenden, finsteren Einflugöffnung wurde. Fehrndor ließ das Steuer fahren. Von jetzt an kontrollierten weder er, noch der Autopilot die Bewegungen des Gleiters, sondern vielmehr die Steuerautomatik, die in die Wände des Einflugstollens
Kurt Mahr eingebaut war. Es wurde finster. Das Fahrzeug bewegte sich noch immer beachtlich schnell. Hinter ihm schloß sich der Stollenmund automatisch, und erst als von der Öffnung nichts mehr zu sehen war, flammte schlagartig die Innenbeleuchtung des geheimen Verstecks auf. Der Gleiter hatte den Stollen inzwischen verlassen und befand sich in einem weiten, hallenartigen Raum, in dem es von technischem Gerät nur so wimmelte. An den Wänden entlang zogen sich die Speicherbänke und Kom-Prozessoren der USORelaisstationen. Zur linken Hand des Stollenausgangs war ein positronischer Rechner mit sämtlichen Peripheriegeräten installiert worden. Am beeindruckendsten jedoch war die Sammlung von Fahrzeugen, die das Zentrum der riesigen Halle einnahm. Das bestechendste Stück des Fahrzeugparks war ein Kampfboot der USOFlotte vom Typ »Korvette«, ein kugelförmiges Raumfahrzeug mit einem Durchmesser von sechzig Metern. Daneben gab es eine Space-Jet, mehrere Raumgleiter und schließlich ein halbes Dutzend schnittiger Gleitfahrzeuge für den Einsatz im bodennahen Verkehr. Fehrndor setzte seine Maschine behutsam auf einer freien Stelle ab. Freud hatte seine Überraschung noch immer nicht überwunden. Natürlich war es einem Roboter nicht möglich, Überraschung zu empfinden. Aber Fehrndor Globus hatte seinen so programmiert, daß er beim Auftreten eines überraschenden Effekts ausgesprochen menschlich reagierte: Er rollte mit den Augen, hielt den Mund halb geöffnet und gab unzusammenhängende Laute von sich. Schließlich stieß er hervor: »Das … das … gibt es doch gar nicht …!« »Komm, komm!« mahnte Fehrndor Globus. »Du als Psychologe müßtest als allererster wissen, welch gefährliches Symptom es ist, wenn das Bewußtsein sich einreden will, daß das, was es klar und deutlich wahrnimmt, überhaupt nicht existiert.« Sie stiegen aus, Freud ziemlich unbehol-
Das Geheimnis von Gostacker fen, weil sich seine Aufmerksamkeit auf die Fahrzeuge und Geräte konzentrierte. »Ja, aber …«, krächzte er und stolperte über die Bordkante des Gleiters, »… und das alles gehört dir?« »So könnte man sagen«, gab Fehrndor zu. »Nicht für immer, nur auf gewisse Zeit.« »Und wozu … wozu brauchst du das alles?« »Schau her, Freud«, meinte Fehrndor, »dies hier ist ein geheimes Versteck. Auch du darfst davon nichts wissen. Wenn ich dir jetzt erzähle, welchem Zweck es dient, dann muß ich später ein um so größeres Stück deiner Erinnerung löschen. Also sparen wir uns die Mühe, einverstanden?« Freud war nicht wirklich neugierig, er tat nur so. Er war sofort mit Fehrndors Vorschlag einverstanden. Der USO-Mann inspizierte einen der Raumgleiter und fand ihn bedingungslos flugtüchtig. Das Fahrzeug hatte ein Fassungsvermögen von sechs Personen, den Piloten eingerechnet, war also für Fehrndors Vorhaben mehr als ausreichend. Er setzte das Triebwerk in Gang und bezeichnete dem Autopiloten den Ausgang, durch den er das Versteck zu verlassen beabsichtigte. Die unterirdische Anlage hatte mehrere Zu- und Ausgänge, von denen einer geräumig genug war, um selbst die Korvette passieren zu lassen. Der Stollen, den Fehrndor gewählt hatte, stieg durch die kuppelförmige Decke der Halle nahezu senkrecht in die Höhe und mündete dicht unterhalb der Spitze des Berges, in dessen Innerem das Versteck lag. Freud schwieg noch immer, als die Stollenbeleuchtung erlosch und weit vorab in der Finsternis eine schmale, lichte Stelle entstand: die Stollenmündung, die sich vor dem heranfliegenden Fahrzeug öffnete. Augenblicke später stieß der Raumgleiter bereits mit hoher Fahrt in das helle Sonnenlicht hinaus. Fehrndor Globus musterte den wolkenlosen blauen Himmel und murmelte vor sich hin: »Auf nach Gostacker also … Sinker Wallaby, nimm dich in acht!«
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* Der Flug nach Gostacker war kurz und verlief ohne jeglichen Zwischenfall. Fehrndor hatte eine recht genaue Vorstellung davon, wie er möglichst unbemerkt in die Nähe des Punktes gelangen wollte, an dem er Sinker Wallaby und seine Gruppe vermutete. Dieser Ort lag am Südabhang eines ausgedehnten Gebirgsmassivs, dessen höchste Gipfel bis über die Fünftausendmetergrenze hinaus aufragten. Genau lag der von den Koordinaten bezeichnete Punkt auf einer in südwestlicher Richtung in ein breites Tal hinab abfallenden Bergflanke, die nach Fehrndors Information von Dornbusch und einigen Bauminseln bewachsen war; ein Gelände, in dem es zwei Fußgängern nicht schwerfallen konnte, unbemerkt bis in die unmittelbare Nähe des Lagers zu kommen, das Wallabys Gruppe sicherlich aufgeschlagen hatte. Die Schwierigkeit bestand lediglich darin, den Raumgleiter irgendwo sicher unterzubringen, nicht allzu weit vom gegnerischen Lager entfernt, so daß der Fußmarsch durch das unwegsame Gelände nicht allzu beschwerlich wurde. Fehrndor Globus hatte sich daher entschlossen, den Anflug von Norden her durchzuführen. Dabei kam er durch die tief eingeschnittenen Täler des namenlosen Gebirgsmassivs, in denen ihn sicherlich niemand bemerken würde. Als Landepunkt hatte er sich eine Felsplatte in der Nordwand des Berges ausgesucht, auf dessen südwestlichem Abhang er Sinker Wallaby und seine Leute vermutete. Allerdings erwies sich die Platte bei näherer Betrachtung als so exponiert, daß Fehrndor es vorzog, im Tal zu landen, das den Fuß des Berges halbkreisförmig umzog. Es gab dort unten einen schmalen, kristallklaren Bach, an dessen Ufern sich eine wildwuchernde Vegetation angesiedelt hatte. Freud, dem Fehrndor aufgetragen hatte, nach einem passenden Lagerplatz Ausschau zu halten, entdeckte schließlich eine Stelle, an der der Bachlauf einen eng gekrümmten Halbkreis
20 beschrieb. Auf der dadurch entstehenden Halbinsel gab es im Gestrüpp eine kleine Lichtung, gerade umfangreich genug, um den Gleiter und seine Besatzung aufzunehmen. Fehrndor Globus folgte dem Hinweis. Mit der spielerischen Leichtigkeit, die den erfahrenen Piloten kennzeichnet, setzte er das Fahrzeug haargenau auf die Lichtung und stellte dabei mit Befriedigung fest, daß die umgebende Vegetation die Aufbauten des Gleiters noch um einige Meter überragte. Ein sichereres Versteck konnte es in fünfzig Kilometern Umkreis nicht geben. Sie stiegen aus. Trotz der Nähe des Baches war die Luft außerordentlich trocken und ziemlich kühl. Der Mond Gostacker war zwar eine Sauerstoffwelt, aber infolge seiner geringeren Masse war die Atmosphäre nicht so dicht wie die von Gostack. Daher rührte die eigenartige Trockenheit, der auch die am weitesten verbreitete Vegetationsform des Mondes ihre Existenz verdankte: der Dornbusch. »Ich friere!« beklagte sich Freud unverzüglich. »Das ist bedauerlich«, antwortete Fehrndor trocken. »Steig wieder in den Wagen, dort ist es warm.« »Ich mag aber nicht«, klagte der Robot, »ich muß mir die Beine vertreten!« Die Diskussion hätte sich sicherlich noch eine Weile hingezogen, wenn sich nicht etwas völlig Unerwartetes ereignet hätte. Bachabwärts war ein lautes Plätschern zu hören. Fehrndor wollte nachsehen gehen, was sich da bewegte, denn es gab auf Gostacker einige Tierarten, die dem Menschen durchaus gefährlich werden konnten. Noch hatte er jedoch keine zwei Schritte getan, da knackte, knisterte und krachte es in dem Gestrüpp, das am Ufer des Baches entlang wuchs. Eine helle Stimme stieß einen Fluch aus. Das Gebüsch teilte sich, und Fehrndor Globus erblickte aus weit aufgerissenen Augen eine Frau, obendrein noch nicht einmal eine schlechtaussehende, die sich jedoch von oben bis unten mit durchaus männlichen
Kurt Mahr Utensilien ausgestattet hatte: einem Elastoform-Helm, der gegen Steinschlag schützte, einem Allzweckgürtel, an dem außer bergsteigerischem Gerät auch ein paar Waffen baumelten, schweren Bergstiefeln und einer »offenherzigen« Montur, die aus den Beständen der Solaren Flotte stammte. Das lange Haar hing der jungen Frau wirr ins Gesicht. In der rechten Hand trug sie ein kurzläufiges Strahlgewehr. Mit der Linken wischte sie sich die Strähnen aus den Augen. Dabei erschien ein jungenhaftes Grinsen auf ihrem Gesicht. Sie wandte den Kopf halb zur Seite und rief mit kräftiger Stimme: »He, beeilt euch, ihr Schlampen! Hier sind Männer!«
5. Im nächsten Augenblick hob sie mit einem entschlossenen Ruck, der Fehrndor völlig überraschte, das Gewehr und hielt dessen Mündung auf Freud gerichtet, den sie anscheinend für den Gefährlicheren der beiden hielt. »Keine Bewegung!« herrschte sie die beiden an. »Nunkla wird bestimmen, was mit euch geschieht.« Den Bach herauf drang jetzt lautes Platschen und aufgeregtes Stimmengewirr. Das Mädchen mit dem Gewehr gehörte anscheinend zu einer ganzen Gruppe von Frauen, denn Fehrndor hörte keine einzige männliche Stimme. Was sie in dieser gottverlassenen Gegend suchten, war ihm unklar. Auf demselben Weg, den auch das Mädchen genommen hatte, betraten nun die übrigen Mitglieder der Gruppe die Lichtung. Sie schienen allesamt eine Menge an Strapazen durchgemacht zu haben, denn es gab keine unter ihnen, denen die zerfetzte Kleidung jene Körperstellen, die eine Frau in der Öffentlichkeit ohne Not nicht herzeigt, mehr als notdürftig bedeckte. Dabei besaßen längst nicht alle die körperlichen Vorzüge des Mädchens mit dem Gewehr. Ein fettes Wesen von mittlerem Alter drängte sich nach vorne. Auch diese Frau
Das Geheimnis von Gostacker schwenkte ein Gewehr, ohne es jedoch in Anschlag zu bringen. Mit finsteren Blicken musterte sie die beiden Männer. »Zu dürr für meinen Geschmack«, urteilte sie mit dröhnender Stimme. »Der da mag vielleicht noch angehen.« Sie deutete auf Freud. Fehrndor dagegen hatte die Prüfung eindeutig nicht bestanden. »Tut mir leid, Nunkla«, antwortete das Mädchen mit dem Gewehr. »Das war alles, was ich finden konnte.« »Hast du sie schon ausgefragt, Kikko?« wollte die Fette wissen. »Nein, das wollte ich dir überlassen«, meinte das Mädchen. Nunkla hakte das Gewehr in eine dafür vorgesehene Öse, die an einem breiten Schulterriemen befestigt war, stemmte beide Arme in die Seiten und trat einen Schritt näher auf die beiden Männer zu. Was sie auf dem Herzen hatte, bekam allerdings die Welt vorläufig noch nicht zu hören. Freud hatte bislang geschwiegen. Jetzt jedoch hielt er den Augenblick endgültig für gekommen, in dem den Frauen klargemacht werden mußte, daß ihr Verhalten von akuter psychischer Instabilität zeugte. »Ihr seid arme Geschöpfe«, begann er daher in salbungsvollem Ton, »vielleicht ohne zu wissen, wie arm ihr dran seid! Was haben zwei Handvoll Frauen in dieser Einöde zu suchen? Welches unterschwellige Motiv veranlaßte euch dazu, die Wärme und Geborgenheit eures Heims zu verlassen, der Zivilisation den Rücken zu kehren und diese weglose Wildnis aufzusuchen? Versteht ihr denn nicht die inneren Zusammenhänge der menschlichen Psyche? Begreift ihr denn nicht, daß eure ungewöhnliche Verhaltensweise darauf hindeutet, daß in eurem Bewußtsein etwas ganz entschieden gestört ist?« Die wohlgesetzte Rede hatte Nunkla so überrascht, daß sie ein paar Augenblicke lang nicht wußte, was sie sagen sollte. Schließlich wandte sie sich um und fragte Kikko im Tonfall allerhöchsten Staunens: »Was hat er gesagt …?«
21 Ein paar Frauen kicherten. Kikko grinste. »Er fragte, ob wir wüßten, wie arm wir dran seien.« Zwei oder drei Frauen lachten prustend auf. Nunkla, die Arme noch immer in die Seiten gestemmt, wandte sich den beiden Männern wieder zu. »Arm dran?« röhrte sie. »Ob wir das wissen? Seit mehr als sechs Wochen keinen Mann! Du sprichst meine Sprache, mein Junge! Du hast ein mitfühlendes Herz für eine arme, einsame Frau! Komm her, mein Junge, wir machen einen Spaziergang, dort, am Bach entlang, da kenn' ich ein lauschiges Plätzchen, an dem wir uns ungestört unterhalten können …« Und schon hatte sie den völlig verdatterten Roboter am Arm gepackt und zog ihn hinter sich her. Freud protestierte lautstark, aber er leistete keinen physischen Widerstand. Die Frauen waren ernst geworden. Neidische Blicke gingen hinter Nunkla und ihrem Begleiter drein. Nur um Fehrndors Mundwinkel zuckte es verdächtig.
* Allerdings gab es für ihn, bevor die Bombe platzte, noch anderes zu tun. Die Lage, in der er sich befand, gefiel ihm nicht. Kikko hatte immer noch das Gewehr im Anschlag, aber im Augenblick war ihre Aufmerksamkeit abgelenkt, weil sie in die Richtung blickte, in der Freud und Nunkla verschwunden waren. Sie stand nicht mehr als vier Schritte von Fehrndor entfernt. Er überwand diese Distanz mit einem mächtigen Sprung aus dem Stand. Mit voller Wucht rammte er das Mädchen in die Seite. Sie wurde davongeschleudert und stürzte mitten unter ihre Genossinnen, aber noch im Stürzen entriß Fehrndor ihr das gefährliche Gewehr. Die Frauen schrien entsetzt. Ein paar waren von Kikko mit zu Boden gerissen worden. Das gab Fehrndor Gelegenheit, sich zu vergewissern, daß die Waffe geladen und schußbereit war. Er hob den Lauf und ließ die Mündung an der Front der Frauen entlangpendeln.
22 Kikko lag noch am Boden. Sie hatte sich auf die Ellbogen gestützt und sah ihn von unten herauf an, Zorn und einen kleinen Funken von Bewunderung in den grünen Augen. »Der Zirkus ist beendet«, verkündete Fehrndor mit harter Stimme, »jetzt beginnt die Wirklichkeit.« Der Lauf des Blasters zuckte schnell zur Seite und wies auf einen Punkt am Rande der Lichtung. »Ihr tretet jetzt eine nach der andern vor, geht dort hinüber und legt eure Waffen ab. Wir fangen sofort an. Du, geh zuerst!« Er zeigte auf eine kleine, zierliche Frau, in deren Blick die helle Angst loderte. Sie gehorchte sofort – eine andere hätte vielleicht gezögert und Fehrndor dadurch auf die Probe gestellt, wie ernst er es nun wirklich meinte. Sie trat zu der bezeichneten Stelle und legte ihre Bewaffnung ab: eine kleine Strahlpistole, einen ziemlich unförmigen Schocker und eine Nadelwaffe für die Jagd nach eßbarem Wild. Eine nach der andern traten die Frauen nun beiseite und entledigten sich der gefährlichen Mordinstrumente. Kikko kam als letzte an die Reihe. Sie schritt dicht an Fehrndor vorbei und warf ihm einen schrägen Blick zu. »So ganz ohne bist du also doch nicht, Dürrer, wie …?« Fehrndor hatte die ganze Zeit über die Ohren offengehalten. Im ersten Augenblick hatte hier auf der Lichtung beträchtlicher Lärm geherrscht. Es war möglich, daß Nunkla ihn gehört hatte. Er legte keinen Wert darauf, mitten in der Entwaffnung der Gefangenen gestört zu werden. Aber Nunkla schien, selbst wenn sie etwas gehört hatte, mit Wichtigerem beschäftigt zu sein. Die Entwaffnung wurde abgeschlossen, ohne daß eine Störung eintrat. Fehrndor ließ die Frauen so antreten, daß er jede einzelne deutlich vor Augen hatte. Sie zählten insgesamt elf, Nunkla nicht mitgerechnet, und Kikko war eindeutig die bestaussehende unter ihnen. Außerdem schien sie neben Nunkla die zweite Rolle in dieser Bande von Frauen zu spielen. Fehrndor wandte sich also an sie.
Kurt Mahr »Was sucht ihr hier?« »Gostackit«, lautete die knappe Antwort. Gostackit war ein einheimisches Mineral, das dem terranischen Opal ähnelte, jedoch in weit intensiverem Feuer glänzte und daher in aller Welt als Schmuckstein überaus beliebt war. Ein Karat Gostackit wurde auf den galaktischen Märkten zu annähernd demselben Preis gehandelt wie dieselbe Menge hochgradiger Brillanten. Der Preis entsprach der Seltenheit des Minerals und seiner Beliebtheit bei den Käufern. »Gostackit?« wiederholte Fehrndor verwundert. »Versteht ihr denn etwas von der Suche nach Gostackit?« »Nunkla, ich und noch zwei andere haben Fernkurse in Mineralogie absolviert«, erklärte Kikko. »Und warum mußtet ihr ausgerechnet nach Gostacker kommen? Gibt es nicht auf Gostack selbst genug Fundorte?« »Die meisten sind nicht besonders ergiebig. Außerdem ist Gostack in der Hauptsache eine Männerwelt. Wir emanzipierten Frauen dagegen …« »Ja, ja ihr emanzipierten Frauen«, lachte Fehrndor. Als er jedoch sah, wie Kikko und ihre Genossinnen finster die Brauen zusammenzogen, beschloß er, das Thema vorerst fallenzulassen. »Die Fundorte auf Gostacker sind genauso wenig ergiebig wie die auf Gostack«, behauptete er. »Gerade deswegen ist das Zeug ja so verdammt teuer.« Kikko sah zur Seite. »Nun …?« drängte Fehrndor. »Wir hatten einen Geheimtip«, antwortete das Mädchen schließlich. »Aha. Von wem?« »Von einem alten Prospektor, der die Hälfte seines Lebens auf Gostacker verbrachte.« »Er kannte ein reiches Gostackit-Lager?« »Ja.« »So war er wohl ein steinreicher Mann, wie?« »Nein, das war er nicht. Er hatte keine Möglichkeit, das Lager auszubeuten. Es ist schwer zugänglich, und ihm fehlten die Mit-
Das Geheimnis von Gostacker tel, die man zum Abbau des Minerals braucht.« »Aha. Und da verkaufte er das Geheimnis an euch?« »An Nunkla. Für knapp fünfzigtausend Solar, also so gut wie geschenkt.« »Was erhielt Nunkla dafür?« »Eine genaue Bezeichnung des Lagers.« »Habt ihr es schon aufgesucht?« »Wir wollten, aber an der Karte müssen ein paar Gradangaben falsch sein. Auf jeden Fall haben wir uns vorerst einmal gründlich verirrt.« Fehrndor grinste. »Ich wette, daß an der Karte noch mehr falsch ist als nur ein paar Gradangaben. Der Alte hat sich natürlich schon längst von Gostacker abgesetzt, nicht wahr?« »Ja. Er litt an Staublunge und mußte dringend ein Sanatorium aufsuchen.« Fehrndor lachte hämisch. »Mädchen, wenn du das wirklich alles glaubst, dann gehört dir das Großkreuz des Dummheitsordens verliehen; aber ich glaube …« Er wurde unterbrochen. Aus dem Tal herauf dröhnte ein röhrender Schrei der Wut. Sekunden später platschte es im Bach. Jemand näherte sich mit gewichtigen Schritten. Es war Nunkla. Mit der Wucht eines verwundeten Elchbullen drang sie prasselnd durch das Gestrüpp und erschien mit zornesfunkelnden Augen und gerötetem Gesicht am Rand der Lichtung. Sie schien gar nicht wahrzunehmen, daß sich die Lage hier inzwischen drastisch geändert hatte. Mit der Wut des zutiefst verletzten Stolzes schrie sie in die Runde: »Verfluchte Schande … das ist überhaupt kein Mann! Das Ding ist ein Roboter!«
* Wenige Augenblicke später kam ruhig und gelassen Freud durch die von Nunkla geschlagene Bresche einhergeschritten. »Ich habe das soeben gehört«, gab er zur Kenntnis. »Ich bin kein Ding, sondern ein
23 maximal-sensitives elektropositronisches Kybernetikon, also ein Mitglied der hochentwickelten Art der Masepoks. Und was die Enttäuschung dieser Dame angeht, so ist sie völlig ungerechtfertigt; denn ich sagte ihr schon die ganze Zeit über, daß ihrem labilen geistigen Zustand die physische Liebe ganz und gar abträglich sein müsse. Sie hätte auf mich hören und auf ihre Forderung verzichten sollen. Dann wäre ihr die Enttäuschung erspart geblieben.« Fehrndor warf einen raschen Blick auf Kikko. Er sah ihre Mundwinkel zucken. Wahrscheinlich gönnte sie Nunkla den Reinfall. Nunkla dagegen war weit davon entfernt, die Blamage auf sich sitzen zu lassen. Sie gab einen zischenden Laut von sich und schrie: »Packt den Kerl, ihr Schlampen, und haut ihn in Stücke.« Wutentbrannt schaute sie sich um, und erst als auf ihren Befehl keine der Genossinnen sich rührte, schien ihr aufzugehen, daß sich hier in der Zwischenzeit etwas geändert hatte. »Was …?« schnaubte sie und griff hastig nach der Öse, an der sie zuvor das Strahlgewehr befestigt hatte. Im Eifer ihrer Bemühungen um Freuds Gunst mußte sie die Waffe jedoch abgeschnallt und weggelegt haben. Auf jeden Fall war sie unbewaffnet. In der Erkenntnis ihrer Hilflosigkeit senkte sie den Kopf und ließ die stämmigen Arme schlaff an den Seiten herabhängen. »Ich an deiner Stelle würde die Sache nicht so tragisch nehmen«, versuchte Fehrndor sie zu trösten. »Irgendwann wirst du schon zu einem Mann kommen. Am besten, ihr setzt euch alle auf dem schnellsten Wege wieder nach Gostack ab, dann braucht ihr …« Nunkla hob den Kopf und funkelte ihn wütend an. »Wir? Uns absetzen? Kommt nicht in Frage! Wir haben hier noch viel zu tun.« »Wenn wir es euch tun lassen«, fügte Fehrndor belehrend hinzu. »Außerdem sieht doch jedes Kind, daß ihr mit eurer Go-
24 stackit-Mine ganz gewaltig hereingelegt worden seid.« »Wer hat ihm das verraten?« zischte Nunkla wütend. »Ich«, antwortete Kikko gelassen. »Ich konnte nicht anders. Er hatte das Gewehr auf mich angelegt.« Nunkla knickte in sich zusammen. Sie hatte wohl selbst schon lange gemerkt, daß sie übers Ohr gehauen worden war. Ihren Genossinnen gegenüber hatte sie weiterhin die starke Führerin gespielt und vielleicht damit gerechnet, daß die Frauen eines Tages zu müde und zu zerschlagen sein würden, um noch weiter nach der Mine zu suchen, und daß sie dann nach Gostack zurückkehren würden, ohne daß sie einzugestehen brauchte, daß sie von einem alten Prospektor betrogen worden war. Daß Fehrndor ihr das Versagen auf den Kopf zusagte, brach den letzten Rest ihres Selbstvertrauens. Sie ließ sich einfach zu Boden fallen und hockte da, ein trauriges Häuflein Mensch. »Zeig mir den Plan«, forderte Fehrndor sie auf, »und laß mich ihn ansehen. Vielleicht ist er doch etwas wert.« Widerspruchslos öffnete sie eine kleine Tasche an ihrem breiten Gürtel und zog ein zu einer kleinen Fläche gefaltetes Stück Druckfolie hervor. Sobald Fehrndor es in die Hand nahm, sprangen die Falten selbsttätig auseinander, und es entstand ein fast einen Quadratmeter großes Stück Landkarte, an dem auch nicht der geringste Faltknick zu bemerken war. Schon auf den ersten Blick wurde Fehrndor Globus klar, daß er hier auf einen eigenartigen Zusammenhang gestoßen war. Er gab sich den Anschein, als studiere er die Einzelheiten der Karte. In Wirklichkeit jedoch dachte er angestrengt darüber nach, wie er diesen Zusammenhang zu seinem Vorteil ausnützen konnte. Er rollte die Karte schließlich zusammen und hielt sie in der Hand wie einen Stab. Dabei sah er vor sich hin, und sein Blick war so seltsam, daß den Frauen klar wurde, er müsse etwas ganz Wichtiges entdeckt haben.
Kurt Mahr »Was ist es?« fragte Kikko, und bei dem aufgeregten Klang ihrer Stimme wurde auch Nunkla neugierig. Sie hob den Kopf. »Ich glaube nicht mehr, daß man euch betrogen hat«, sagte Fehrndor ernst. Die Frauen begannen aufgeregt zu sprechen. Nur Nunkla verhielt sich ruhig. »Raus mit der Sprache!« knurrte sie Fehrndor an. »Was hat es mit der Karte auf sich.« »Sie könnte echt sein«, meinte Fehrndor vorsichtig. »Wie kommst du darauf?« »Man müßte sich an Ort und Stelle überzeugen, ob an den Angaben des Prospektors etwas Wahres ist«, wich Fehrndor aus. »Die Gradeinteilung am Rand der Karte ist falsch. Das habt ihr schon bemerkt. Aber die Topographie ist echt. Sie liegt nur an einer anderen Stelle, als es das Gradnetz angibt.« »Weit von hier?« erkundigte sich Nunkla hoffnungsvoll. »Nicht weit. Einen knappen Tagesmarsch.« Nunkla sprang auf. »Es ist noch früh am Tag. Wir brechen sofort auf!« Fehrndor machte eine besänftigende Handbewegung. »Nicht alle«, wehrte er ab. »Zunächst brauchen wir einen Scout!« »Einen Scout? Wofür?« »Ich fürchte, daß euer Geheimnis auch anderen bekannt ist.« Eine Zeitlang herrschte betretenes Schweigen. »Anderen?« fragte Kikko ungläubig. »Ja. Zum Beispiel Sinker Wallaby von Oopla«, sagte Fehrndor. Denn das war der Zusammenhang, den er auf den ersten Blick erkannt hatte: Die Markierungen der Karte zeigten genau auf den Punkt, dessen Koordinaten 3 8,18 Grad Nord, 129,82 Grad West betrugen.
6. »Den kenne ich nicht«, maulte Nunkla nach kurzem Überlegen. »Wie kann er unser
Das Geheimnis von Gostacker Geheimnis kennen?« »Das frage ich mich auch. Vielleicht hat der Prospektor dieselbe Karte an mehrere Parteien verkauft.« Nunkla war plötzlich ein Gedanke gekommen. »Und was habt ihr beiden überhaupt in dieser Gegend zu suchen?« Die Frage kam Fehrndor ungelegen. Aber er mußte sie beantworten, und zwar um seines Vorhabens willen glaubhaft beantworten. »Sinker Wallaby hat mich vor geraumer Zeit einmal betrogen. Er schuldet mir Tausende von Solar. Ich hörte ein Gerücht, wonach er einem umfangreichen Schatz auf der Spur sei, und ließ jede seiner Bewegungen beobachten. Als er nach Gostacker flog, war ich sofort informiert und nahm die Verfolgung auf.« Nunklas Augen blitzten tatendurstig. Sie hatte das moralische Tief überwunden. »Gut!« konstatierte sie. »Da gibt es für uns nur eines zu tun. Ich bin der Scout. Ich sehe mich um.« Ihre Entscheidung kam so überraschend, daß Fehrndor zunächst keinen Einwand vorbringen konnte. Er ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. Nunkla glaubte zu wissen, daß sich dort, wo Sinker Wallabys Lager stand, ein großer Schatz befand. Wahrscheinlich hatte sie recht, denn Wallaby war nicht einer, der sich leicht hereinlegen ließ. Wenn er große Sprüche über den Reichtum machte, der ihm in Kürze zur Verfügung stehen werde, dann mußte man annehmen, daß an der Sache etwas dran sei. Nur daß es sich um Gostackit handelte, wollte Fehrndor nicht so recht glauben. Die Gegend sah nicht danach aus, als enthielte sie nennenswerte Mengen des wertvollen Minerals. Wie dem auch sei: Nunkla konnte nicht daran gelegen sein, mit Wallaby gemeinsame Sache zu machen. Sie wollte den ganzen Schatz. Für ihr Vorhaben mußte ihr Fehrndor Globus der wünschenswertere Partner sein. Man konnte sie also getrost gehen lassen. Wenn eine Bedingung erfüllt war, hieß das.
25 »Verstehst du etwas vom Spionieren?« versuchte Fehrndor sich sofort zu vergewissern. »Ich bin der beste Scout, den die Welt je gesehen hat«, antwortete Nunkla im Brustton der Überzeugung. Kikko und die übrigen Frauen bestätigten die Wahrheit dieser Behauptung, so daß Fehrndor sich schließlich zufrieden gab. Allerdings hatte er trotz allem nicht die Absicht, Nunkla den ganzen Weg allein gehen zu lassen. »Ich werde dich begleiten«, erklärte er. »Warum?« brauste die Fette auf. »Damit dieser Wallaby dein dürres Gesicht sieht und weiß, wer ihm auf den Fersen ist?« Fehrndor gab dem Lauf des Gewehres eine neue Richtung, so daß die Mündung auf Nunkla zeigte. »Wenn wir Partner werden wollen, müssen wir uns eines höflicheren Benehmens befleißigen«, sagte er, nicht ohne ein Quantum Spott in der Stimme. »Ich kann nichts dafür, daß ich dürr bin, ebenso wenig wie du für deine Fettleibigkeit. Wir beide gehören eben nicht zu den schönsten Menschen, die der liebe Gott erschaffen hat. Wenn aber du mit deinem unsäglich frechen Maul dich noch einmal in abfälliger Weise auf meine Dürrheit beziehst, dann werde ich dich übers Knie legen.« »Brrrrrrr …!« machte Nunkla, und es war nicht zu hören, ob dies ein Laut des Zorns sei oder eine Herausforderung. »Da wir uns soweit verstehen«, fuhr Fehrndor fort, »will ich dir versichern, daß ich nicht beabsichtige, dich bis in unmittelbare Nähe von Wallabys Lager zu begleiten. Ich werde rechtzeitig zurückkehren. Der Weg ist beschwerlich, und manchmal sieht das Auge eines Mannes die Schwierigkeiten des Geländes deutlicher als das Auge einer Frau. Du siehst also, daß ich nur auf deinen Vorteil bedacht bin.« »Jahaaaa …«, machte Nunkla verächtlich. Die Frauen fanden sich rasch mit der veränderten Situation ab. Sie unternahmen keinen Versuch, die Männer zu überwältigen. Es sah fast so aus, als seien sie froh, daß
26 endlich jemand ihnen die Last der Verantwortung abgenommen hatte. Nunkla bereitete sich auf den Aufbruch vor. Sie mußte Proviant und Trinkwasser mitnehmen, da sie knapp zwei Standardtage im unwegsamen Gelände unterwegs sein würde. Fehrndors Vorbereitungen dagegen waren weniger umfangreich. Er würde Nunkla bis zur Berglehne hinauf begleiten, von der aus der südwestliche Abhang des Berges überblickt werden konnte. Für diesen Weg schätzte er eine Marschzeit von drei bis vier Stunden. Da er nicht auf Nunklas Rückkehr zu warten gedachte, würde er also höchstens acht Stunden unterwegs sein. Vor dem Aufbruch nahm er jedoch Freud beiseite. »Ich weiß, was du sagen willst«, beteuerte der Robot, bevor Fehrndor noch das erste Wort hervorgebracht hatte. »Diese Frauen sind alle mehr oder weniger nymphoman, und ich soll die Zeit nutzen, sie von ihrer Krankheit zu kurieren.« »Laß um Himmels willen die Finger davon!« fuhr Fehrndor ihn an. »Dieses Unternehmen ist gefährlich und auf keinen Fall eine kosmopsychologische Exkursion. Du wirst nicht versuchen, die Frauen psychologisch zu behandeln und zu verarzten. Du wirst wohl aber dafür sorgen, daß sie alle schön zusammenbleiben und daß Sinker Wallaby, wenn er Scouts aussendet, auf keinen Fall von unserer Anwesenheit erfährt.« »Aber wie soll ich das machen?« jammerte Freud. »Ich habe zu meinem Unbehagen in letzter Zeit des öfteren erfahren müssen, daß man meine Worte nicht immer achtet.« »Mit dem Gewehr, wenn es nottut«, erklärte Fehrndor. Das brachte Freud zum Schweigen. Wenn sein Herr und Gebieter ihm befahl, notfalls die Waffe einzusetzen, dann wußte er, daß die Lage ernst war. Trotzdem nahm Fehrndor auch Kikko noch einmal beiseite und schärfte ihr ein, daß sie sich keinerlei Unvorsichtigkeit leisten konnten. Daraufhin erschien auf dem Gesicht des Mädchens ein wissendes Lächeln. Sie sagte:
Kurt Mahr »Um uns mach dir keine Sorgen. Paß lieber auf dich selber auf!« »Wie meinst du das?« »Nunkla ist bekannt dafür, daß sie keinen Trick für zu gemein hält, wenn er ihr zu einem Mann verhilft!«
* Nicht alleine aufgrund dieser Äußerung war Fehrndor, als er mit Nunkla zusammen aufbrach, auf das Schlimmste gefaßt. Seine Befürchtungen erwiesen sich jedoch als gegenstandslos. Nunkla machte keinerlei Annäherungsversuche. Ob das damit zusammenhing, daß der Weg ziemlich beschwerlich war, oder daher rührte, daß Fehrndor Globus einfach nicht Nunklas Typ verkörperte, das ließ sich nicht sagen. Hätte Fehrndor die Gedanken gekannt, die in diesen Minuten und Stunden in Nunklas Bewußtsein spielten, wäre er weitaus weniger sorglos gewesen. So jedoch stapfte er der fetten Frau voran bergaufwärts und verstand es, den Weg durch den immer ruppiger werdenden Dornbusch so zu wählen, daß sie ziemlich rasch und unbelästigt vorwärtskamen. Knapp vier Stunden waren seit ihrem Aufbruch vergangen, da standen Nunkla und Fehrndor auf dem höchsten Punkt der südöstlichen Berglehne. Jenseits fiel der breite Hang zur Ebene hinunter ab, und irgendwo auf dieser weiten, dornbuschbewachsenen Fläche mußte sich Sinker Wallabys Lager befinden, wenn Fehrndors Überlegungen richtig waren. Er blickte über den schier endlosen Hang hinab, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches bemerken. Das war nicht verwunderlich. Wallaby würde dafür gesorgt haben, daß man sein Versteck nur mit Mühe auffinden konnte. Nunkla holte einmal tief Luft und stieß den Atem pfeifend zwischen den Zähnen hindurch. Dann sagte sie: »Du kannst jetzt gehen. Von hier an bin ich alleine.« »Ich werde dir ein wenig nachschauen«,
Das Geheimnis von Gostacker antwortete Fehrndor gelassen. »Ich möchte sehen, wie du dich alleine zurechtfindest.« Nunkla gab einen verächtlichen Laut von sich, dann nahm sie resolut die ziemlich steil abfallende Lehne in Angriff. Fehrndors Blicke verfolgten sie noch etwa eine Viertelstunde. In dieser Zeit kam sie recht zügig voran, und schließlich wurde ihr massiger Körper zu einem winzigen Punkt, den Fehrndor in dem Gewirr des Dornbuschs nicht mehr ausmachen konnte. Da stand er auf und machte sich auf den Rückweg. Irgendwie war ihm nicht besonders wohl zumute. Er kehrte ins Tal zurück und schritt bachaufwärts bis zu der Halbinsel, auf der er den Gleiter abgestellt hatte. Schon von weitem hörte er Freuds dozierende Stimme. »… haben die Alten gefordert, daß der Mensch sich aus den Banden des Fleisches löse. Denn, seht ihr, die Flucht in den Sexus ist weiter nichts als ein unterbewußtes Eingeständnis, daß der Fliehende mit der Realität des Lebens nicht so richtig fertig wird. Es gibt verschiedene Arten und Weisen, wie der Mensch der Wirklichkeit entfliehen kann. Der eine entdeckt plötzlich seinen unstillbaren Hunger und fängt an zu fressen. Er entweicht der Realität, indem er den anderen Urinstinkt, nämlich den der Selbsterhaltung, zu befriedigen versucht. Der andere eben flüchtet sich in die rein körperliche Liebe. Er entrinnt der Wirklichkeit, indem er sich vorspiegelt, daß der Fortpflanzungstrieb wichtiger sei als jede andere Regung seines Bewußt- oder Unbewußtseins.« In diesem Augenblick trat Fehrndor Globus auf die Lichtung. Der Anblick, der sich ihm bot, war ungewöhnlich. Freud, der Roboter, saß oben auf dem Gleiter, von wo aus er einen weiten Überblick hatte. Er trug, soweit Fehrndor sehen konnte, keine Waffe. Die elf Frauen hockten auf dem Boden und hatten einen Halbkreis um das Fahrzeug gebildet, auf dem Freud saß. Es war unmöglich zu verkennen, daß sie seinen Worten mit größtem Interesse lauschten. Freud erhob sich ein wenig schuldbewußt,
27 als er Fehrndor erblickte, und kam von den Aufbauten des Fahrzeugs herabgerutscht. »Ich habe sie zusammengehalten, wie du mir befahlst«, sagte er halblaut. »Keine hat das Lager verlassen, und Sinker Wallaby hat keine Ahnung davon, daß wir hier sind.« »Woher willst du das wissen?« fragte Fehrndor. »Sein Späher hätte sich nur bis auf zwei Kilometer zu nähern brauchen, dann hätte er dein wohltönendes Organ bereits vernommen und genau gewußt, mit wem er es zu tun hat.« Kikko war aufgestanden und schlenderte herbei. Sie schwenkte kokett die Hüften, ging einen engen Halbkreis um Freud und sagte zu Fehrndor: »Kein schlechter Kerl, dein Freud. Er kann den größten Blödsinn mit so ernstem Gesicht verzapfen, daß man einfach hingerissen ist. Schade, daß er kein Mann ist!« »Ich sagte schon«, protestierte Freud, »daß die Bande des Fleisches …« »Ach, hör auf mit den Banden des Fleisches«, wies Fehrndor ihn zurecht. »Die Mädchen sind so lange einsam gewesen, daß ihnen dein Geschwätz auch nicht weiterhilft.« Freud machte große Augen. »Du willst doch nicht etwa sagen …« »Nein, das will ich nicht. Für mich ist Nally da, vergiß das nicht!« Er blickte an den Hängen der im Norden gelegenen Berge hinauf und studierte den Verlauf der Schattenlinie. »Es wird langsam Abend«, murmelte er vor sich hin. »Eine Rotation von Gostacker dauert zweiundfünfzig Stunden. Morgen um diese Zeit wird Nunkla zurück sein.« Er sah Freud an. »Ich beabsichtige, mich eine Zeitlang hinzulegen.« »Alleine?« fragte Kikko anzüglich. »Alleine«, bestätigte Fehrndor. »Und ihr Mädchen tut am besten das gleiche.« »Wir haben noch nichts gegessen!« protestierte Kikko. »Warum nicht?« Sie sah ein wenig verlegen zu Boden. »Wir haben nicht mehr.«
28 »Seit wann hungert ihr schon?« »Seit … mehr als einem Tag.« »Gostacker-Tag?« fragte Fehrndor entsetzt. »Ja.« »Freud, hol den Mädchen ein wenig Proviant aus dem Wagen!« befahl Fehrndor. »Wir haben selbst nicht jede beliebige Menge, aber um über das Magenknurren hinwegzuhelfen, sollte es schon reichen.« Freud rührte sich nicht. »Na, wird's bald?« »Ich bin ein Kosmopsychologe, kein Essenholer!« protestierte der Robot. Fehrndor trat drohend einen Schritt auf ihn zu. »Wenn du dich nicht gleich auf die Socken machst, du altes Blechgestell …« Freud flüchtete entsetzt in Richtung des Gleiters. Er sprang mit einem kapitalen Satz durch das offene Luk und machte sich drinnen an den Vorratsbehältern zu schaffen. Dabei hörte man seine zeternde Stimme: »Kein Blechgestell … wenn schon, dann ein Masepok!« Fehrndor wandte sich an Kikko. »Viel kriegt ihr nicht. Auf leeren Magen schläft sich's besser, und ich möchte möglichst lange Ruhe vor euch haben. Die Nacht dauert rund zwanzig Stunden, jetzt im Sommer. Gegen Morgengrauen gehen wir jagen. Ihr habt wohl nichts Jagdbares gefunden, wie?« Kikkos Gesicht war ernst. Sie schüttelte den Kopf und antwortete: »Aus der Ferne gesehen, schon. Aber nicht nahe genug, daß wir einen sicheren Schuß hätten abgeben können. Wir haben einfach nicht die nötige Erfahrung. Weißt du, was?« Die Frage kam so impulsiv, daß Fehrndor nicht wußte, was er dazu sagen sollte. Und bevor ihm noch etwas einfiel, platzte das Mädchen heraus: »Ich glaube, die ganze Sache mit der Emanzipation ist ein Riesenmist!« Damit wandte sie sich ab und ließ Fehrndor Globus ziemlich ratlos stehen.
Kurt Mahr
* Freud hielt die ganze Nacht über Wache. Er brauchte keinen Schlaf. Kurz nach Mitternacht wachten die Frauen wieder auf, und Fehrndor ließ ein zweites Mal geringe Mengen Proviant verteilen. Danach wurde weitergeschlafen. Soviel Ruhe hatte Fehrndor sich schon lange nicht mehr gönnen können. Er fühlte sich herrlich ausgeruht und gestärkt, als Freud ihn etwa zwei Stunden vor Sonnenaufgang weckte. Die Jagd war erfolgreich. Fehrndor war erst zweimal zuvor auf Gostacker gewesen, nur der Neugierde halber; aber sein Training als USO-Spezialist enthielt einige harte Lektionen in der Kunst des Überlebens. Es fiel ihm leicht, Spuren zu erkennen und auf die meist benutzten Wildwechsel zu schließen. Die Sonne war noch nicht ganz über die östlichen Berggipfel hinausgewachsen, da blickten Fehrndor und die vier Frauen, die ihn unter Kikkos Führung begleiteten, auf eine stolze Strecke von vier Känguruhhasen und zwei gewichtigen Höhlenwürmern. Es war den Frauen nur schwer beizubringen, daß die blinden, grottenolmartigen Höhlenwürmer den besseren Teil der Jagdbeute darstellten. Ihr Fleisch war nicht nur äußerst zart und schmackhaft, es eignete sich auch vorzüglich zum Konservieren durch Trocknen. Damit konnte man sich einen Vorrat schaffen, der einem später zustatten kam, wenn es keine Jagdmöglichkeit gab. Der Tag verging träge und ereignislos. Die Jagdbeute war gebraten und zum Teil verzehrt, zum Teil zum Trocknen aufgehängt worden. Die Mädchen hatten sich die Mägen vollgeschlagen und waren friedlich geworden. Über das Funkgerät des Gleiters sprach Fehrndor mit Nally und erfuhr, daß auch auf Gostack alles ruhig war. Er schilderte die Lage, in der er sich befand, und es freute ihn, an Nallys Stimme zu erkennen, daß sie der Gedanke an die vielen Frauen, in deren Gesellschaft er sich befand, beunruhigte.
Das Geheimnis von Gostacker Der Mittag strich vorüber. Die Sonne wanderte und malte immer neue Schattenmuster auf die Bergwände. Fehrndor schlief ein paar Stunden, unterhielt sich mit Freud und nahm ein Bad in dem klaren und ziemlich kalten Wasser des Baches. Er war mit dem Abtrocknen beschäftigt, als er aus der Richtung des Lagers aufgeregte laute Stimmen hörte. Hastig kleidete er sich an und bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp am Ufer des Baches, bis er die Lichtung erreichte. Da sah er seine Vermutung bestätigt: Nunkla war zurückgekehrt. Sie stand mitten auf der Lichtung, unmittelbar neben dem Gleiter, und ihre Genossinnen stürmten auf sie ein. Sie aber sprach kein Wort. In ihren Augen lag ein merkwürdiges Funkeln. Sie sah Fehrndor kommen, schob die Frauen beiseite und kam ihm zwei, drei kurze Schritte entgegen. »Die Lage ist günstig«, sagte sie. »Du hattest recht. Eine Gruppe von Leuten aus Oopla ist in der Nähe des Fundorts an der Arbeit. Ich lag nahe genug und hörte sie die Siedlung Oopla nennen.« »Wieviel Mann?« wollte Fehrndor wissen. »Mann?« Nunkla hob die Oberlippe und entblößte verächtlich die Hälfte eines kräfti_ gen Gebisses. »Neun herrliche Männer!« »Na und …?« »Und fünf häßliche Weiber!« knurrte Nunkla. »Weiß der Teufel, was sie auf Gostacker zu suchen haben.« »Was tun sie?« fragte Fehrndor. »Ich nehme an, sie bauen das Gostackit-Lager ab.« »Du nimmst an? Ich dachte, du warst …« »Ich war nahe genug, um sie sprechen zu hören. Aber das Lager befindet sich im Innern einer Höhle. Ich konnte nicht sehen, was sie da drin taten.« »Wie ist das Gelände?« »Der Höhlenmund liegt in einer kleinen, felsigen Erhebung, einem Felsklotz, der ziemlich übergangslos aus dem Berghang aufsteigt. Ich konnte in den Höhleneingang hineinblicken. Der Stollen dahinter geht
29 ziemlich steil in die Tiefe. Ich glaube, daß die Höhle zum größten Teil unter dem Niveau des Berghangs liegt.« Fehrndor reagierte nicht darauf. Er wollte wissen, was Nunkla vorzuschlagen hatte. »Wie siehst du die Lage?« fragte er schließlich, als er sah, daß die Anführerin der Frauen von sich aus keinen Vorschlag zu unterbreiten hatte. Das Funkeln in ihren Augen verstärkte sich, als hätte sie nur auf dieses Stichwort gewartet. »Ich habe lange genug Zeit gehabt, um darüber nachzudenken«, stieß sie hervor. »Ich habe einen vorzüglichen Plan. Ob ich ihn dir nenne, hängt davon ab, was für Forderungen du erhebst für den Fall, daß wir die Mine erbeuten.« Gar keine, lag es Fehrndor auf der Zunge; aber schließlich besann er sich doch eines Besseren. »Sinker Wallaby hat Schulden bei mir«, antwortete er. »Die möchte ich nicht in den Rauchfang schreiben müssen.« Nunkla überlegte ein paar Sekunden. »Das ist an sich Wallabys Sache. Um wieviel handelt es sich genau?« »Mit fünftausend Solar bin ich zufrieden.« Sie winkte verächtlich ab. »Geschenkt! Wenn wir mit eurer Hilfe Wallaby aus der Höhle vertreiben, sollst du deine fünftausend Solar haben.« »Du brauchst unsere Hilfe?« »Na klar, Mensch! Alleine schaffen wir das nicht. Außerdem bist du hierhergekommen, um Sinker Wallaby ganz allein die fünftausend Piepen abzunehmen. Du kannst froh sein, daß wir hier sind, um dir zu helfen!« Von ihrer Warte, fand Fehrndor, hatte sie recht. Trotzdem war ihm nicht ganz geheuer. Nunkla hatte sich auf merkwürdige Weise verändert, seitdem sie ihren Kundschaftergang unternommen hatte.
7. »Wir nehmen sie zwischen zwei Feuer«,
30 erklärte Nunkla eine Zeitlang später, nachdem sie ein kleines Stück kalten Känguruhhasen_ Braten verzehrt hatte. »Ihr zwei kommt den Abhang herauf, nachdem wir Frauen Wallaby und seine Bande aus der Höhle gelockt haben. Ihr dringt in die Höhle ein und haltet den Eingang. Bis dahin haben wir nur Spaß gemacht. Auf euer Zeichen greifen wir im Ernst an. Wallaby weicht auf die Höhle zurück und kommt dabei euch vor die Läufe. Da muß er einsehen, daß er geschlagen ist, oder nicht?« Sie strahlte vor Begeisterung über ihr taktisches Geschick. »Das kommt«, antwortete Fehrndor Globus bedächtig, »ganz darauf an, ob sich die Dinge so entwickeln, wie du sie dir vorgestellt hast. Wie lockst du Wallaby aus der Höhle?« »Das stelle ich mir ganz einfach vor. Er muß darauf bedacht sein, daß niemand sein Geheimnis erfährt. Wenn er merkt, daß draußen vor der Höhle jemand herumkriecht, wird er nachsehen kommen. Und wenn er feststellt, daß es ziemlich viele Leute sind, die sich da draußen bewegen, dann wird er seine Streitmacht nachziehen und Jagd auf uns machen.« »In Ordnung, das klingt logisch. Nur darfst du nicht vergessen, daß Wallaby und seine Leute ebenfalls bewaffnet sind.« »Mach dir keine Sorgen!« wehrte Nunkla ab. »Ich habe mir das Gelände genau angesehen und weiß, wo ich diese Schlampen postieren muß, damit Wallaby ihnen nichts tun kann.« »Meinetwegen. Und wie kommen wir ins Spiel?« »Ihr seid die Hauptstreitmacht!« triumphierte Nunkla. »Etwa zwei Kilometer südlich des Höhleneingangs gibt es eine zweite Erhebung, einen Felsklotz, der oben eine tischglatte Fläche hat. Darauf landet ihr mit eurem Gleiter.« »Damit Wallaby uns kommen sieht, wie?« »Quatsch! Die ganze Sache findet in der Nacht statt. Wir haben zwar Gostack-Licht,
Kurt Mahr aber das ist mir gerade recht; denn mein Vorposten muß euch bei der Landung beobachten können, damit ich weiß, wann ich anfangen soll, Wallaby aus der Höhle zu locken.« »Ebensogut kann uns Wallaby selbst beobachten.« »Nein. Erstens liegt euer Landeplatz vom Höhleneingang her hinter einer Bodenwelle versteckt, und zweitens befindet sich Wallabys gesamte Mannschaft mit Ausnahme eines Postens im Innern der Höhle. Wenn ihr geschickt anfliegt, kann der Posten euch nicht sehen, und vor den andern braucht ihr ohnehin keine Angst zu haben.« Der Plan wurde noch eine Zeitlang diskutiert, und schließlich einigten sie sich darauf, daß Nunkla und ihre Gruppe so bald wie möglich aufbrechen sollten, um ihr Ziel noch vor Anbruch des kommenden Morgens zu erreichen. Nunkla traute es sich zu, die Mädchen auf Eilmärschen bis vor Wallabys Höhle zu führen. »Ich habe mir den Weg genau gemerkt«, behauptete sie. Fehrndor und Freud sollten dagegen erst vier Stunden vor Tagesanbruch mit ihrem Raumgleiter starten und möglichst auf einem Umweg, so daß von der Höhle aus auch kein Fahrgeräusch zu hören war, den Felsklotz anfliegen, den Nunkla ihnen bezeichnet hatte. Nunkla legte Wert darauf, daß sie genau da und nirgendwo anders landeten, denn: »Ich brauche jedes Mädchen dringend. Ich kann keines von ihnen so weit wegschicken, daß es das Gelände nach euch absuchen kann. Die Bodenwelle ist nicht weit von der Höhle entfernt. Wenn man auf dem Kamm der Welle liegt, kann man den Felsen sehen, auf dem ihr landet. Mein Vorposten soll warten, aber nicht suchen müssen. Ist das klar?« »Jawohl, Frau Feldmarschall!« grinste Fehrndor Globus spöttisch.
*
Das Geheimnis von Gostacker Am frühen Abend, immerhin noch ein paar Stunden vor Sonnenuntergang, brachen die Frauen unter Nunklas Führung auf. Sie waren sicher, daß die Höhle und der Schatz ihnen gehören würden, bevor die Sonne sich wieder über dem Horizont erhob. Fehrndor und Freud blieben zurück. Eine Zeitlang noch konnten sie die Frauen sehen, wie sie zur Berglehne hinaufstiegen. Dann lag die Gegend wieder ruhig und unberührt. »Das war eine äußerst merkwürdige Erfahrung«, bemerkte Freud nach einer Weile tiefsinnig. »Ja, da hast du recht«, pflichtete Fehrndor bei. »Solchen Frauen begegnet man nicht allzu oft. Sie nennen sich zwar alle emanzipiert, aber in der Wildnis herumkriechen, zwei Tage lang Hunger leiden und nach Schätzen suchen, das tun nur die wenigsten.« »Das meine ich nicht«, antwortete Freud. »Sondern was sonst?« »Nunkla. Als wir sie kennenlernten, war sie eine Frau voller Komplexe. Auf ihrem Kundschaftergang muß ihr etwas widerfahren sein, das eine heilsame Wirkung auf sie hatte. Jedenfalls war sie kaum mehr dieselbe Frau, als sie zurückkam.« Fehrndor nickte bedächtig. »Ja, das ist mir auch aufgefallen. Woran, glaubst du, liegt es?« »Wahrscheinlich die Weite der unberührten Natur«, philosophierte Freud. »Ihr Anblick hat einen ausgleichenden Einfluß auf den Menschen.« Fehrndor starrte ihn an, als traue er seinen Ohren nicht. »Die Weite der unberührten Natur?« wiederholte er. »Eine fette Frau, die nach Männern toll ist und seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hat? Die auf gefährliche Kundschaft geht und sich dabei einen GostackerTag und eine Gostacker-Nacht lang die Beine aus dem Leib stampfen muß? Die Weite der unberührten Natur?« Er schüttelte lachend den Kopf. »Mensch, ich glaube wirklich, ich muß dich umprogrammieren. Du verstehst von Psychologie genauso wenig
31 wie ich von der Kunst des Häkelns.« Anstatt sich über diese vernichtende Strafrede aufzuregen, setzte der Roboter ein strahlendes Lächeln auf, das Fehrndor Globus vollends aus dem Gleichgewicht brachte. »Was ist jetzt los?« erkundigte er sich verblüfft. »Du hast mich ›Mensch‹ genannt!« Fehrndor schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Darauf bilde dir nichts ein!« rief er dem Roboter zu. »Ich glaube, bei mir ist auch schon eine Schraube locker.« Er blickte zum Himmel hinauf und dann auf die Uhr, die er am linken Handgelenk trug. »Und um diesem Zustand abzuhelfen, lege ich mich jetzt ein wenig hin«, sagte er. »Wenn deine Systemuhr noch einigermaßen funktioniert, dann weck mich in vier Stunden.« Er stieg in den Gleiter, um sich auf einer der Sitzbänke auszustrecken. Freud rief hinter ihm her: »Dein bedenklicher Zustand könnte daher rühren, daß du in letzter Zeit zuviel schläfst! Hast du das schon bedacht?« Aber aus dem Innern des Fahrzeugs kam keine Antwort. Freud gab sich, wie es seiner Robotnatur entsprach, damit zufrieden. Er versank in eine Art von Starre, in der alle pseudomenschlichen Funktionen ausgeschaltet waren. Nach vier Stunden jedoch erhob er sich lautlos und ging zum Gleiter, um seinen Herrn zu wecken. Die Sonne war inzwischen untergegangen. Die Nacht hatte sich über das Tal gesenkt. »Wenn dir soviel am Schlafen liegt«, bemerkte Freud, »dann verstehe ich nicht, warum du jetzt schon wieder aufstehen willst. Es ist eben erst dunkel geworden, und die Nacht ist noch lang.« Fehrndor Globus reckte sich, daß die Gelenke knackten. »Das kommt daher«, antwortete er mit ausgiebigem Gähnen, »daß wir heute nacht
32 noch einen langen Marsch vor uns haben.« »Marsch? Ich denke, wir fliegen.« »Nur ein Stück weit. Nicht einmal ein Drittel des Weges. Von da an geht's zu Fuß weiter.« Freud betrachtete seinen Herrn mit fragendem Blick. »Du hättest nicht Lust, dich näher über deine Pläne auszulassen?« wollte er wissen. »Es ist merkwürdig genug, daß du nicht von selbst merkst, was hier gespielt wird«, brummte Fehrndor mißmutig. »Wenn wir nach Hause kommen, werde ich nichts Eiligeres zu tun haben, als dich umzuprogrammieren, damit aus dir wieder ein anständiger Roboter wird.« »Masepok!« protestierte Freud. »Nix Masepok!« schrie Fehrndor wütend. »Roboter!« Er tauchte ins Innere des Raumgleiters und erwischte aus dem Vorrat, den Freud im Schleusenluk angelegt hatte, ein Stück getrocknetes Höhlenwurmfleisch. Er biß herzhaft hinein, und sein Zorn verlor sich sofort. »Wie lange waren die Mädchen ohne Nahrung, als wir zum ersten Mal davon erfuhren?« fragte er den Robot. »Rund fünfzig Stunden«, antwortete Freud ahnungslos. »Gut. Und wie lange danach kehrte Nunkla zurück?« »Einen Tag später, knapp einen Tag, also wiederum rund fünfzig Stunden.« »Wie lange also war Nunkla ohne Nahrung?« »Einhundert Stunden … wenn sie unterwegs nichts gefunden hat.« »Im Dornbusch? Was gibt es da zu finden?« »Jagdbare Tiere. Flughasen zum Beispiel.« »Und auf die schießt sie, während sie den Gegner beschleicht?« Freud wiegte in typisch menschlicher Manier den Kopf. »Na ja«, gab er zu, »besonders logisch klingt es nicht.« »Auf absolut leeren Magen macht sie also
Kurt Mahr einen Gewaltmarsch«, fuhr Fehrndor in seiner Argumentation fort. »Und nicht nur das. Sie kehrt hierher zurück. Sie sieht gebratenes Fleisch in Hülle und Fülle herumliegen. Was tut sie? Stürzt sie sich darauf wie eine Verhungerte? Nein! Erst berichtet sie weitläufig von ihrem Kundschaftergang, und lange Zeit später ißt sie einen winzigen Happen.« »Vielleicht hatte sie Angst, ihren leeren Magen zu überlasten.« »Sieh zu, daß ich meine Geduld bewahre und dir nicht aus lauter Verzweiflung in den Blechhintern trete. Ich will dir sagen, was geschehen ist: Sie hat sich mit Sinker Wallaby ins Einvernehmen gesetzt … der Himmel mag wissen, für welchen Preis. Wallaby hat sie bewirtet und ihr noch Proviant mit auf den Weg gegeben. Deswegen hatte sie weder Hunger noch Durst, als sie hierher zurückkehrte, verstanden?« »Wie willst du beweisen, daß dein Verdacht richtig ist?« »Beweisen werde ich das erst kurz vor Sonnenaufgang. Aber einen deutlichen Hinweis darauf, daß ich recht habe, den gibt es jetzt schon.« »Und welcher ist das?« »Aus wieviel Leuten besteht Sinker Wallabys Gruppe?« antwortete Fehrndor mit einer Gegenfrage. »Vierzehn, wenn ich mich richtig erinnere.« »Woher weißt du das?« »Nun … Nunkla sagte es, nicht wahr?« »Richtig. Nunkla sagte es. Und wo sollen wir landen, wenn wir morgen früh kurz vor Sonnenaufgang losfliegen?« Die Fragestellung verwirrte den Roboter sichtlich. Er wußte nicht, worauf Fehrndor hinauswollte. »Auf einem Felsklotz …«, antwortete er mehr oder weniger hilflos. »Der wie weit von Wallabys Höhle entfernt liegt?« »Zwei Kilometer.« »Und das bei Gostack-Schein! Warum können wir es uns erlauben, bei halbem Ta-
Das Geheimnis von Gostacker geslicht anzufliegen?« »Weil der Felsklotz hinter einer Bodenwelle versteckt liegt und … und … und …« Er zögerte. An seinem auf menschlich programmierten Minenspiel war zu erkennen, daß ihm ein Licht aufging. »Weil uns ohnehin niemand beobachtet«, vollendete er den angefangenen Satz. »Wallaby hat nur einen Posten an der Höhlenmündung stehen, die übrigen befinden sich im Innern der Höhle.« »Aha!« triumphierte Fehrndor. »Woher also weiß Nunkla, daß Wallabys Gruppe aus genau vierzehn Leuten besteht, neun Männern und fünf Frauen?« Freud zuckte verlegen mit den Schultern. »Wahrscheinlich war sie im Innern der Höhle«, meinte er. »Und hat sich mit Sinker Wallaby vereinbart«, fügte Fehrndor mit Nachdruck hinzu. »Genau das meine ich auch!«
* Sie brauchten nur ein paar Minuten vom Lager an der Bachschleife bis hinauf zu der fast horizontal verlaufenden Berglehne, aus der der eigentliche Gipfel des Berges mit unmittelbarer Schroffheit aufstieg. Fehrndor hielt sich mit dem Gleiter ständig in Bodennähe und verzichtete auf den Gebrauch der Scheinwerfer. Die Anzeige des Mikrowellentasters genügte ihm, jedes Hindernis rechtzeitig zu erkennen und ihm auszuweichen. Das Fahrzeug bewegte sich vermittels seines für den Landevorgang gedachten Feldtriebwerks, das absolut geräuschlos arbeitete. Etwa vier Stunden nach Sonnenuntergang landete Fehrndor den Gleiter an einer Stelle, die genau in jenem Knick lag, den die flache Berglehne und der steil ansteigende Gipfel miteinander bildeten. Es gab auch hier dichten Dornbusch, der dem Fahrzeug ein ausgezeichnetes Versteck bot. Unmittelbar nach der Landung entwickelte Fehrndor Globus für kurze Zeit eine hektische Aktivität. Er öffnete die Verkleidung der Kontrollkonsole, die gleichzeitig den
33 Autopiloten des Raumgleiters beherbergte. Mit einigen Geräten rumorte er eine Zeitlang im Innern der Konsole herum, ohne daß Freud, der infolge der Umprogrammierung alle technischen Kenntnisse verloren hatte, zu sagen vermochte, was er denn nun tat. Schließlich kam er aus den Tiefen des Kontrollaggregats wieder zum Vorschein und schloß die Verkleidung. Aus einer kleinen Lade im Schalttisch des Piloten holte er ein kleines, kastenförmiges Gerät mit mehreren Schalt- und Druckknöpfen zum Vorschein – einen Kodegeber, wie Freud sich vage zu erinnern glaubte. Er vergewisserte sich, daß das Instrument funktionierte, dann schob er es in die Tasche. »Hast du Waffen?« fragte er den Robot. »Ich hasse Waffen«, antwortete Freud. »Sie sind der Ausdruck von niederer Gesinnung …« »Du brauchst einen Blaster und einen Schocker«, fiel Fehrndor ihm ins Wort. »Sieh zu, daß du sie dir beschaffst. Wir haben keine Zeit zu verlieren.« Freud gehorchte wortlos. Wenige Augenblicke später brachen sie auf. Bislang wußte Freud noch immer nicht, was Fehrndor eigentlich vorhatte. Aber er bemerkte, daß es über die Berglinie hinweg und drüben wieder hinab ging. Das Ziel war also offenbar die Gegend, in der sich Sinker Wallabys Lager befand. Fehrndor bediente sich eines optischen Kompasses, der mit einer Uhr versehen war und den er auf einen besonders hell leuchtenden Stern justiert hatte. Sie schritten kräftig aus, und da es die ganze Zeit bergab ging, kamen sie rasch voran. Es fehlten noch acht Stunden bis zum Sonnenaufgang, da rötete sich der Himmel im Norden, und kurze Zeit später stieg Gostacks riesige Scheibe über den bergigen Horizont. Von da an war es noch leichter. Eine Weile später sahen sie zu linker Hand den Felsstock aufragen, in dem nach Nunklas Schilderung der Eingang der geheimnisvollen Höhle lag. Sie machten einen weiten Bogen, um nicht bemerkt zu werden. Später hielten sie geradlinig und sich immer
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Kurt Mahr
auf demselben Niveau bewegend, nach Südosten. Gostack stand mittlerweile schon hoch am Himmel und verbreitete genug Licht, daß sie den Felsklotz, den sie suchten, schon aus geraumer Entfernung ausmachen konnten. Sie bewegten sich vorsichtig auf ihn zu. Fehrndor Globus meinte, Sinker Wallabys Leute könnten in der Gegend sein. Aber sie sahen niemand. Sie kamen unbemerkt bis an den Fuß des Felsklotzes. Fehrndor suchte ein Versteck zwischen einzeln umherliegenden Gesteinsbrocken, und als er es gefunden hatte, kletterte er hinein und ließ sich einfach zu Boden fallen. Dazu sagte er: »So, jetzt warten wir!«
8. Gostacks Weg über den Nachthimmel von Gostacker war nur ein kurzer. Fehrndor und Freud hatten erst eine halbe Stunde in ihrem Versteck gelegen, da sank die grünlich leuchtende Scheibe des Planeten rasch dem Horizont entgegen, und es begann, dunkler zu werden. Dieser Effekt war jedoch nur von kurzer Dauer. An einer anderen Stelle des Horizonts, im Osten, breitete sich neue Helligkeit aus, als die Sonne sich zum Aufgehen anschickte. Plötzlich wurde es im Gelände rege. Das Versteck zwischen den Felsklötzen bot keinen weiten Ausblick. Das Blickfeld war nur ein schmaler Streifen, der sich in nordöstlicher Richtung den Berghang hinaufzog. Über diesen Streifen huschten in kurzen Abständen geduckte Gestalten – Mitglieder von Sinker Wallabys Gruppe. Sie kamen näher, aber ihr genaues Ziel war aus ihren Bewegungen nicht zu erkennen. »Es wird Zeit«, sagte Fehrndor. Freud sah ihn den kleinen Kodegeber aus der Tasche ziehen. Er betätigte eine Reihe von Knöpfen; dann steckte er das Gerät wieder weg. Er machte einen ruhigen, gelassenen Eindruck, und Freud fragte sich, was er wohl im Sinn haben mochte. Glücklicherweise wurde seine Neugierde nicht auf eine lange Probe gestellt. Nach wenigen Minuten
war plötzlich ein neues Geräusch zu hören, das freilich nur der scharfe Gehörsinn des Roboters zu erfassen vermochte. Es war ein hohes, dünnes Pfeifen, verbunden mit einem sanften Rauschen. Freud identifizierte es sofort; das war das Geräusch, das der Raumgleiter beim Durchschneiden der Atmosphäre erzeugte. Gostacks sinkende Scheibe erzeugte einen matten Schatten, als der Flugkörper über das Versteck der beiden Späher hinwegglitt. Freud reckte den Kopf und sah, wie der Gleiter mit minimaler Geschwindigkeit die Kuppe des Felsklotzes anflog, an dessen Fuß ihr Versteck lag. Er sah das Fahrzeug landen. Dann aber begannen die Ereignisse sich zu überstürzen. Aus den Schründen am Rande der Kuppe brachen dieselben Gestalten hervor, die vor kaum einer halben Stunde den Berghang herabgeklettert waren. Freud sah sie einen Kreis um den gelandeten Gleiter bilden und ihre schweren Waffen in Anschlag bringen. Eine gellende Stimme ertönte: »Luk auf! Kommt mit erhobenen Armen heraus!« Freud wandte sich nach Fehrndor um und sah ihn verächtlich grinsen. »Da siehst du, was auf uns wartete«, sagte er, »und da hast du gleichzeitig den Beweis dafür, daß Nunkla falsch spielt!« »Ein Fluchtversuch ist zwecklos«, gellte oben die Stimme von neuem. »Wir machen aus deinem Gleiter einen Schrotthaufen, bevor er zehn Meter hoch gestiegen ist.« Fehrndor nickte dazu. »Das könnt ihr wohl«, bemerkte er im Selbstgespräch. »Der Gleiter hat keine Schirmfeldanlage.« »Ihr habt noch fünf Minuten Zeit!« gellte auf der Kuppe die Stimme des Belagerers. »Dann eröffnen wir das Feuer.« Fehrndor stand auf. »Am besten machen wir uns auf die Beine«, sagte er. »Bis die da oben fertig sind, haben wir das Ziel schon erreicht.« »Wohin willst du?« erkundigte sich Freud entsetzt.
Das Geheimnis von Gostacker »Zur Höhle, wohin sonst? Nunkla und Wallaby haben uns hier eine Falle gestellt. Aber um die Falle zu nützen, mußte Wallaby sämtliche Männer seiner Gruppe aus der Höhle abziehen, und auch Nunkla mit ihren Mädchen wird nirgendwo hier in der Nähe sein. Die Höhle ist also so gut wie unbewacht. Diese Möglichkeit sollten wir nützen, meinst du nicht auch?«
* Die Schwierigkeit war, eine Strecke Dornbusch zu finden, die ausreichende Höhe besaß, um sie vor den Blicken der Männer oben auf der Felskuppe zu schützen. Als sie das schließlich geschafft hatten, war der Rest nur noch ein Kinderspiel. Sie arbeiteten sich mit beachtlicher Geschwindigkeit am Hang entlang aufwärts und hatten nur auf zwei Dinge zu achten: daß sie die Richtung nicht verfehlten und daß sie nicht aus lauter Zufall auf Nunklas Truppe stießen, die Fehrndor irgendwo in der Nähe vermutete. Es war Fehrndor noch immer unklar, welche Art von Übereinkommen Nunkla mit Sinker Wallaby getroffen hatte. Sicherlich hatte sie dabei auf den größeren Teil ihres Anrechts auf den in der Höhle verborgenen Schatz verzichten müssen, denn Wallaby war nicht der Mann, der auf Reichtum verzichtete, nur um einen Mann und einen Robot in die Hand zu bekommen, die ihm nach der geplanten Machtergreifung in Oopla ohnehin wie reife Pflaumen in die geöffnete Hand fallen würden. Und ebenso sicher war Nunkla dieser Verzicht leichtgefallen, weil Wallaby in seiner nichtdiskriminierenden Vitalität, für die er auch in weitem Umkreis um Oopla bekannt war, ihr das gegeben hatte, was sie von Freud nicht hatte erlangen können. Die Frage war nur, wie ihre Genossinnen sich dazu verhalten würden. Nach sechs Wochen mörderischer Strapazen mußte bezweifelt werden, daß sie bereit waren, auf die erhoffte Beute zu verzichten, weil Nunkla endlich einen Mann gefunden hatte. Nach vierzigminütigem, angestrengtem
35 Marsch sahen Fehrndor und Freud die Felsengruppe vor sich aufragen, in der nach Nunklas Schilderung der Eingang zu der geheimnisvollen Höhle lag. Um den südlichen Fuß des Felsstocks war der Boden erst vor kurzem gerodet worden: ein weites Feld verkohlter Dornbuschstumpen wies darauf hin, daß Wallabys Leute hier mit brutaler Gewalt vorgegangen waren. Auf dieser Lichtung lag ein kleines, linsenförmiges Raumschiff, eines jener Fahrzeuge, wie sie von der Raumfahrtindustrie für den Privatgebrauch der Reichen hergestellt wurden. Es bot bis zu zwanzig Reisenden Platz und hatte nicht mehr als interplanetare Reichweite. Von Wallabys Gruppe oder Nunklas Mädchen war nicht die Spur zu sehen. Dafür war der Höhleneingang um so schwerer zu verfehlen. Er war ungeheuer breit, an die einhundert Meter, dabei jedoch ziemlich niedrig. Im Licht der aufgehenden Sonne wirkte der Stollen ausgesprochen finster und drohend. Aber Freud, der über ein besseres Sehvermögen verfügte als Fehrndor Globus, behauptete, er sehe im Hintergrund der Höhle ein schwaches Licht brennen. Rasch überquerten sie die gefährliche Lichtung. Fehrndor vergewisserte sich durch einen Seitenblick, daß es sich bei Sinker Wallabys Raumfahrzeug in der Tat um eine unbewaffnete Ausführung für Privatkäufer handelte. Dann erreichten sie den Höhlenschlund und tauchten darin unter. Die Dunkelheit war hier weniger undurchdringlich, als es von draußen den Anschein gehabt hatte. Jetzt sah auch Fehrndor weit im Hintergrund den glitzernden Punkt der Lampe. Die Höhle verlief bis dorthin, etwa achtzig Meter weit, annähernd geradlinig und mit sich stetig verengendem Querschnitt. Wie es jenseits des Lichtes weiterging, das erfuhr Fehrndor erst, als er bis dorthin vorgedrungen war. Die Lampe war an einer Stelle befestigt, an der der Verlauf der Höhle einen annähernd rechtwinkligen Knick nach links beschrieb. Bislang war der Höhlenboden nur sanft ins Innere des Berges hinein abgefal-
36 len. Jenseits des Knicks jedoch ging es ziemlich steil bergab. Unten brannten weitere Lampen. Aber es gab keinerlei Anzeichen, daß sich irgend jemand hier befand. Die beiden Kundschafter drangen weiter vor. Der Boden der Höhle bestand aus unebenem, natürlich gewachsenem Gestein. Die Höhle wurde jetzt ziemlich eng. Die Lampen waren in regelmäßigen Abständen angebracht und erzeugten genug Helligkeit, so daß Fehrndor sich mühelos orientieren konnte. Es ging etwa zweihundert Meter weit bergab, dann begann der Stollen sich plötzlich zu weiten, und gleichzeitig ging er wieder zu ebenem Verlauf über. Völlig überraschend entstand an dieser Stelle eine Art weiter Felsenhalle, annähernd kreisförmig, mit einem Durchmesser von sicherlich mehr als einhundert Meter und einer annähernd kuppelförmigen Decke, die im Zenit eine Höhe von fünfzig bis sechzig Meter besaß. Die Halle war durch mehrere Batterien von Lampen bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet. Der Zweck der Festbeleuchtung war unmittelbar ersichtlich: Mitten in der Halle stand der Schatz, auf den Sinker Wallaby ebenso wie Nunkla mit ihren Genossinnen aus waren. Es war ein ganz und gar fremdartiges Gebilde, eindeutig kein Produkt der terranischen oder irgendeiner anderen bekannten Technologie, und man mußte sich wundern, wie es überhaupt hier hereingekommen war, wo doch der Querschnitt der Höhle nirgendwo eine solche Form besaß, die das fremde Ding hätte passieren können. Es handelte sich um einen Zylinder von rund zehn Meter Höhe und vier Meter Durchmesser. Die Wandung des Zylinders war nicht völlig glatt. Es gab da Kerben und Ausbuchtungen, Auswüchse, die wie erstarrte Tentakel wirkten, und Gebilde, die die Form eines Insektenfühlers hatten und womöglich Antennen darstellten. Der Zylinder schien aus Metall zu bestehen, schimmerte aber in einer kräftigen, tiefblauen Farbe, wie kein bekanntes Metall sie besaß. Fehrndor fühlte sich eigenartig ergriffen.
Kurt Mahr Es schien von dem fremdartigen Gebilde eine Strahlung auszugehen, die ihn gleichzeitig in einen Zustand freudiger, erwartungsvoller Erregung versetzte und vor einer drohenden Gefahr warnte. Er trat ein paar Schritte näher auf den Zylinder zu, da wurde das Empfinden einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr sprungartig intensiver. Ohne diese geheimnisvolle Warnung wäre Fehrndor wahrscheinlich in den Anblick des Zylinders vertieft geblieben. So jedoch erinnerte er sich plötzlich, in welcher Lage er sich befand, und wich instinktiv zur Seite hin aus, in einen Winkel der Halle, der von dem Höhleneingang aus nicht eingesehen werden konnte. Freud folgte ihm, da er sich sagte, daß Fehrndors Manöver einen tieferen Grund haben müsse. Sie waren keine Sekunde zu spät ausgewichen; denn kaum hatten sie sich in Sicherheit gebracht, da drang aus dem steil abfallenden Teil der Höhle das Geräusch von Schritten. Fehrndor horchte scharf, konnte aber nicht unterscheiden, ob die Schritte von einer oder von zwei Personen herrührten. Er machte den Schocker schußbereit und wartete. Ein paar Sekunden vergingen, da entstand unter der Mündung des Höhlengangs Bewegung. Die Gestalt einer Frau erschien. Sie blieb stehen und musterte das blauleuchtende Gebilde. Sie gehörte nicht zu Nunklas Gruppe, wie Fehrndor ohne Schwierigkeit erkannte, mußte also zu Sinker Wallabys Begleiterinnen gehören. Jetzt wandte sie sich um und sprach in den Stollen hinein: »Scheint alles in Ordnung zu sein. Wir können wieder gehen!« Und aus dem Stollen kam die Stimme einer zweiten Frau: »Sieh dich nur ordentlich um! Wie, wenn sich einer hinter dem Ding versteckt hat. Du könntest ihn nicht einmal sehen.« »Komm mit, bitte!« bettelte die erste. »Alleine ist es mir zu unheimlich.« »Na schön«, willigte die zweite ein und kam nun auch zum Vorschein. Sie beschränkte sich nicht darauf, die un-
Das Geheimnis von Gostacker mittelbare Umgebung des Zylinders mit den Augen abzusuchen, sondern ließ den Blick kreuz und quer durch die mächtige Felsenhalle schweifen. Dabei erblickte sie Fehrndor und Freud und schrie entsetzt auf. Fehrndor hatte den Schocker längst in Anschlag gebracht. »Keine Aufregung, Mädchen«, sagte er in beruhigendem Tonfall. »Niemand wird euch etwas tun!« Die beiden Frauen hatten ihren Schrecken noch nicht überwunden, da hatte Freud sie schon entwaffnet. »Ihr gehört zu Sinker Wallabys Gruppe, nicht wahr?« erkundigte sich Fehrndor freundlich. Sie nickten wortlos. »Was ist aus Nunkla und ihren Frauen geworden?« wollte er wissen. Zuerst zögerten sie mit der Antwort, als er aber drohend mit dem Lauf des Schockers wackelte, wurden sie plötzlich gesprächig. »Nunkla ist bei Sinker«, antwortete die ältere der beiden, die Umsichtige. »Ihre Mädchen sind gefangen und werden von uns bewacht!« »Gefangen?« staunte Fehrndor. »Wie kam das?« »Nunkla hatte eine Abmachung mit Wallaby getroffen, die den Mädchen nicht gefiel. Nunkla hatte sie bis zuletzt in dem Glauben gelassen, daß Wallaby mit eurer Hilfe aus der Höhle vertrieben werden sollte. Ihr seid doch Fehrndor und Freud, nicht wahr?« »Ja, das sind wir«, bestätigte Fehrndor. »Nun, als sie nach mehrstündigem Marsch hier ankamen, mußte Nunkla endlich mit der Wahrheit herausrücken. Sie hatte sich mit Sinker darauf geeinigt, daß er achtzig und sie zwanzig Prozent des Wertes erhalten soll, den dieses Ding dort hat. Nicht Wallaby sollte vertrieben, sondern ihr beide solltet gefangengenommen werden. Erstens wart ihr im Wege, und zweitens besitzt ihr einen Raumgleiter, der sich ebenfalls für eine Stange Geld losschlagen läßt. Als die Mädchen das hörten, protestierten sie. Sie fielen
37 über Nunkla her und wollten sie verprügeln. Gerade rechtzeitig erschienen Sinker und seine Männer und kamen Nunkla zu Hilfe. Die Mädchen wurden gefangengenommen, und als Wallaby mit seinen Begleitern loszog, um euch auf der Felskuppe eine Falle zu stellen, da mußten wir Frauen zurückbleiben, um die Mädchen zu bewachen.« Fehrndor warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Er versuchte zu schätzen, wie lange Wallaby und seine Leute brauchen würden, um zu entdecken, daß sich in dem Raumgleiter, den sie belagerten, niemand befand. »Wo liegen die Gefangenen?« fragte er die Frau. Sie kniff die Lippen zusammen und schwieg. »Mach keine Mätzchen!« drohte Fehrndor. »Hier ist eine riesige Schweinerei im Gange, und die Mädchen sind unschuldige Leidtragende. Ich werde sie herausholen, auch wenn du mir nicht sagst, wo sie sich befinden. Nur wird es dann ein wenig schmerzhafter für dich und deine Freundin hier. Also …« »Schon gut!« fiel sie ihm ins Wort. »Wir haben draußen im Dornbusch ein kleines Versteck angelegt, eine künstliche Lichtung, auf der wir die Mädchen angebunden haben.« »Kommt!« befahl Fehrndor knapp. Er trieb die beiden Frauen vor sich her. Freud folgte ihm. Fehrndor rechnete fieberhaft. Sinker Wallaby hatte, sich selbst mitgerechnet, neun Mann. Dazu kam Nunkla. Wenn es ihm, Fehrndor, gelang, die Mädchen zu befreien und ihre Waffen zu erbeuten, die sich sicherlich ebenfalls in dem Versteck befanden, dann verfügte er über eine Streitmacht, die es sehr wohl mit Wallabys Restgruppe aufnehmen konnte. Wichtig war nur, daß alles recht schnell geschah. Am Rand der abgebrannten Lichtung, die das Vorfeld der Höhle bildete, befahl Fehrndor den beiden Frauen stehenzubleiben. Er wandte sich an Freud, zog ihm den Schocker aus dem Gürtel und drückte ihn ihm in die Hand.
38 »Wir trennen uns hier!« entschied er. »Es ist schon zuviel Zeit verstrichen, und man muß jede Sekunde damit rechnen, daß Sinker und seine Leute zurückkehren. Ich bleibe hier und halte Ausschau. Du befreist inzwischen die Mädchen.« »Aber …«, machte Freud entsetzt. »Ruhig! Du hast zwei Geiseln, die übrigen drei Frauen werden dir keine Schwierigkeiten machen. Wenn sie dir krumm kommen, schieß sie nieder. Du befreist die Mädchen, legst die fünf hier in Fesseln und gibst mir irgendein Zeichen, daß die Sache gelungen ist. Am besten schickst du eines der Mädchen zu mir. Klar?« »Ja, aber ich fürchte mich …« »Du bist ein Masepok und kannst dich gar nicht fürchten. Außerdem verlieren wir mit deinem nutzlosen Geschwätz zuviel Zeit. Hau ab und mach deine Sache gut!« Er packte Freud bei den Schultern und drehte ihn so herum, daß er in die Richtung blickte, in die die beiden Frauen hatten gehen wollen. Dort irgendwo mußte das Versteck liegen. Freud schickte sich in sein Los und sagte ergeben: »Also, ihr habt das gehört, ihr Schlampen!« Den Ausdruck hatte er von Nunkla gelernt und sich sofort angeeignet. »Ihr führt mich zum Versteck, und wehe, ihr macht mir Schwierigkeiten. Ein Schocker tötet nicht, aber er tut ganz schön weh! Vorwärts!« Sie schritten gehorsam voran und waren wenige Augenblicke später im Dornbuschdickicht verschwunden. Halbwegs im Gestrüpp verborgen, kauerte sich Fehrndor am Rande der Lichtung nieder. Eine seltsame Unruhe war in ihm, ganz so, als hätte er vorläufig doch auf die Befreiung der Mädchen verzichten sollen. Die Zeit war zu knapp. Sinker Wallaby konnte jeden Augenblick erscheinen. Er horchte. Tödliche Stille lag über dem Hang des Berges. Nicht einmal ein Tier rührte sich. Da – was war das gewesen? Es hatte wie sanftes Fauchen geklungen. Wie … ja, das war es! Der Abschuß eines Blasters. Das Geräusch kam aus der Rich-
Kurt Mahr tung, in der die Felskuppe lag, auf der der Raumgleiter gelandet war. Wallabys Leute hatten das Fahrzeug unter Feuer genommen. Das war einerseits schade, denn lange würde die feldschirmlose Fahrzeughülle den Strahlsalven nicht standhalten. Andererseits gereichte ihm die Beobachtung zum Trost; denn wenn dort unten geschossen wurde, dann bedeutete das, daß Wallabys Leute sich noch dort befanden. Ein wenig beruhigt wartete er weiter. Jetzt, da er sein Gehör geschärft hatte, machte es ihm keine Mühe, die schwachen Geräusche der Blasterabschüsse noch des öfteren zu hören. Als er auf die Uhr blickte, bemerkte er, daß seit Freuds Abmarsch über zwanzig Minuten vergangen waren. Nach der Schilderung der beiden Frauen lag das Versteck, in dem die Mädchen gefangengehalten wurden, nur wenige hundert Meter von hier entfernt. Warum hatte der Robot noch nichts von sich hören lassen? Fehrndor wartete noch zehn Minuten und versuchte sich einzureden, daß Freud sich in seiner Gegenwart zwar manchmal wie ein hilfloser Depp anstellte, daß er aber, wenn er eindeutige Anweisungen erhalten hatte und auf sich allein gestellt war, durchaus seinen Mann zu stehen wußte. Mit solchen Gedanken besänftigte er die innere Unruhe eine Zeitlang. Aber als die zehn Minuten um waren, hielt es ihn nicht länger in seinem Versteck. Der Pfad, den die beiden Frauen genommen hatten, war unschwer zu erkennen. Fehrndor schritt zunächst schnell, später ein wenig vorsichtiger aus. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um zu lauschen. Wenn es dem Robot wirklich gelungen war, Nunklas Mädchen zu befreien, dann mußte ihr Geschnatter ziemlich weit zu hören sein. Aber es war totenstill ringsum. Fehrndor drang weiter vor. Der Pfad, der mitten durch übermannshohen Dornbusch führte, beschrieb eine scharfe Biegung. Fehrndor blieb stehen, sicherte und sah jenseits der Biegung die kleine Lichtung vor sich liegen. Noch immer war es still. Man
Das Geheimnis von Gostacker sah an verschiedenen Anzeichen, daß sich vor kurzem Menschen hier befunden hatten. Jetzt jedoch war von ihnen nichts mehr zu sehen. Fehrndor trat aus der Deckung des Gebüschs hervor und schritt bis zur Mitte der Lichtung. Da hörte er seitwärts eine wohlvertraute Stimme: »Na also, da ist er ja! Und ihr wolltet nicht glauben, daß er kommt!« Fehrndor wollte herumwirbeln, denn er hatte Sinker Wallabys tiefes Organ erkannt. Aber mitten in der Bewegung traf ihn etwas gegen die Stirn. Er bekam einen Schlag, als hätte der Huf eines auskeilenden Pferdes ihn getroffen. Im Innern seines Bewußtseins gab es eine lichterfunkelnde Explosion … und dann war gar nichts mehr.
9. Das erste, was er nach langer Zeit wieder wahrnahm, war ein intensives Schädelbrummen. Er kannte das Gefühl. Als Einsatzspezialist der USO war er öfter in die Lage gekommen, die Nachwirkung eines konzentrierten Schockstrahls am eigenen Körper zu empfinden. Er machte mit geschlossenen Augen ein paar Atemübungen, ein paar Atemübungen, die von den Medizinern der United Stars Organisation dazu entwickelt worden waren, Schockstrahlopfern über die unangenehmen Nebeneffekte der Schockbehandlung hinwegzuhelfen. Die Methode war überaus wirksam. Fast augenblicklich spürte Fehrndor, wie der Druck, der auf seinem Schädel lastete, geringer wurde und das Brummen nachließ. Im gleichen Augenblick jedoch hörte er ganz in der Nähe eine aufgeregte Stimme: »Heh, Sinker! Ich glaube, er kommt zu sich!« Fehrndor öffnete widerwillig die Augen. Auf den ersten Blick erkannte er, daß er in der Höhle lag, in der der blauschimmernde Zylinder stand. Er lag in der Nähe der Wand, das Gesicht zur Wand gerichtet, und konnte den Zylinder selbst nicht sehen. Aber
39 der steil aufsteigende Fels, der sich weiter oben kuppelförmig abwölbte, und das grelle Licht der Lampen waren unverkennbar. Fehrndor versuchte, sich zu bewegen, und stellte fest, daß er gefesselt worden war. Die harte Spitze eines Stiefels traf ihn in die Seite. »Bist du endlich wieder da?« fragte Sinker Wallabys hohntriefende Stimme. Fehrndor blickte auf. Wallaby stand über ihm und grinste. »Schön reingefallen, wie?« Fehrndor nahm sich vor, die Ruhe zu bewahren. »Passiert den besten unter uns«, antwortete er gelassen. »Auch du wirst eines Tages reinfallen, Sinker.« »Mach dir nichts vor!« höhnte Sinker. »So schlau, wie ich bin, passiert mir so bald nichts. Du dachtest, wir wären noch immer dabei, deinen Gleiter zu knacken, wie? Deswegen schicktest du das Blechgestell, um Nunklas Frauen zu befreien.« »So war es, Sinker«, bekannte Fehrndor. »Dabei hatten wir den Braten längst gerochen! Schon fünf Minuten nach der Landung. Ich wußte sofort, daß du darauf aus warst, mich hereinzulegen. Ich war ganz sicher, daß du die Höhle inspizieren würdest, während wir uns um den Gleiter balgten. Es wäre ziemlich einfach gewesen, dich in der Höhle einzuschließen. Aber wer weiß, welchen Schaden du aus lauter Wut an dem Zylinder angerichtet hättest. Deswegen schickte ich die beiden Frauen und ließ sie euch erzählen, daß wir Nunklas Mädchen gefangengenommen hatten. Ritterlich, wie ihr beide seid, wußten wir, daß ihr euch sofort aufmachen würdet, um den Damen aus ihrer mißlichen Lage zu helfen. Ich finde es ausgesprochen elegant, daß meine Rechnung so genau aufgegangen ist.« Fehrndor kochte vor Wut. Er war Sinker Wallaby auf den Leim gegangen wie ein unerfahrener Knabe. Nach außen hin ließ er sich jedoch nichts anmerken. »Geschickt«, lobte er und zwang ein Grinsen auf sein Gesicht. »Ich nehme an, die
40 Mädchen erfreuen sich statt dessen ungebundener Freiheit und sind deine besten Verbündeten, wie?« »O nein!« antwortete Wallaby und zog dabei die buschigen Brauen in die Höhe. »Dieser Teil der Geschichte war nicht erfunden. Die Mädchen muckten auf und wurden einstweilen mundtot gemacht. Was weiter mit ihnen geschehen wird, darüber werde ich bei Gelegenheit befinden.« »Da wird Nunkla auch gerne ein Wörtchen mitreden wollen«, meinte Fehrndor. »Denn wenn du mit den Mädchen allzu nachsichtig verfährst, werden sie Nunkla das Fell vom Leib ziehen, sobald sie nach Gostack zurückkehrt.« Sinker Wallaby schüttelte verächtlich den Kopf. »Nunkla hat nichts mehr zu sagen. Sie ist zusammen mit ihren Schicksen gefangen.« Fehrndor war ehrlich erstaunt. »Sinker, du entpuppst dich immer mehr als der größte Stratege des Jahrtausends. Nur einmal möchte ich mit dir in einem Unternehmen stecken und das Gefühl der vertrauensvollen Sicherheit genießen, das du deinen Geschäftspartnern einflößt.« »Halt's Maul!« knurrte Wallaby erbost und hieb Fehrndor zum zweiten Mal die Stiefelspitze in die Seite. »Hier geht's um Millionen, und davon gebe ich nichts ab. Nunkla ist ein mannstolles Weibsbild, das seine Mutter dafür verkaufen würde, einen Mann für sich allein zu haben. Sie am allerwenigsten hat verdient, an diesem Reichtum beteiligt zu werden. Und wenn sie ihr das Fell vom Leib ziehen, wenn sie nach Gostack zurückkehrt … ist mir auch recht.« Er wandte sich um, in die Richtung, in der der blaue Zylinder stand. »Was mich jetzt kümmert, ist das Ding dort. Es läßt mich nicht mehr los. Und du wirst mir dabei helfen, es zu knacken.« Fehrndor machte eine verneinende Kopfbewegung. »Auf mich brauchst du nicht zu zählen, Sinker. Ich habe mir das Ding angesehen und weiß, daß es keiner uns bekannten
Kurt Mahr Technologie entstammt. Solche Sachen sind gefährlich. Lieber lasse ich mich von dir über den Haufen schießen, als daß ich mich an dem Zylinder zu schaffen mache.« »Wir werden sehen«, knurrte Sinker Wallaby. »Wenn du nicht helfen kannst, dann werde ich dich zwingen, deinen Roboter wieder instand zu setzen. Vielleicht weiß der einen Trick!« »Freud?« machte Fehrndor erschreckt. »Was ist mit ihm?« Sinker zuckte mit den Schultern. »Er bekam einen Knüppel über den Schädel, und seitdem ist er nicht mehr ganz der alte.« Fehrndor atmete auf, ohne sich die Erleichterung anmerken zu lassen. Freuds edle Teile befanden sich nicht wie beim Menschen im Schädel, sondern sie lagen in der weitaus weniger exponierten Höhlung des Leibes. Freud konnte also nicht ernsthaft beschädigt sein. Wahrscheinlich spielte er den Verletzten nur. Wenn er Sinker Wallaby in seinem Irrglauben beließ, konnte er aus dieser Lage womöglich einen Vorteil schlagen.
* Später, nachdem Fehrndor mehrere Stunden lang unbeachtet gelegen hatte, wurden in der Felshalle umfangreiche Vorbereitungen getroffen. Fehrndor konnte sie nicht beobachten. Er war so kunstvoll gefesselt worden, daß es ihm unmöglich war, sich zu bewegen, und sei es auch nur, sich auf die Seite zu wälzen. Er hörte Sinker Wallaby Befehle schreien, und er hörte, wie schweres Gerät durch den Höhlenstollen hereingebracht wurde. Aus den Lauten, die an sein Ohr drangen, schloß er,daß die Instrumente auf der anderen Seite der Höhle, unmittelbar vor dem Ausgang des Stollens, aufgestellt wurden. Später kam Sinker Wallaby zu ihm herüber und sagte: »Du sollst selber sehen, wie wissenschaftlich wir vorgehen. Ich binde dir jetzt die Beine los, so daß du gehen kannst. Aber
Das Geheimnis von Gostacker mach keinen Unsinn! Ich habe einen Mann extra für den Zweck abgestellt, dich zu bewachen. Sobald du die geringste unvorsichtige Bewegung machst, wird er dich abschießen – mit einem Blaster, wohlgemerkt!« Fehrndors Wächter, ein hagerer, hoch aufgeschossener junger Mann von bleicher Gesichtsfarbe, durchtrennte die Beinfesseln des Gefangenen. Fehrndor massierte die Waden, um die Zirkulation in Gang zu bringen. Währenddessen musterte er seinen Wächter. Der Junge hatte ein nichtssagendes Gesicht, in dem lediglich die Augen einen gefährlichen Glanz besaßen. Er hatte schütteres, ungepflegtes Blondhaar, von dem ihm eine Strähne in die Stirn fiel. »Wie heißt du?« wollte Fehrndor wissen. »Geht dich 'n Dreck an.« »Ein seltsamer Name«, meinte Fehrndor und schüttelte dazu den Kopf. »Aber heutzutage wissen die Eltern vor lauter Verrücktheit nicht mehr, wie sie ihre Kinder nennen sollen. Also, Gehtdichndreckan, wenn du gut mit mir auskommen willst, dann …« Mit einem wilden Knurren wollte sich der Junge auf Fehrndor stürzen, und der hob die zusammengebundenen Hände, um den Angriff abzuwehren. Aber Sinker Wallaby hielt den Wütenden zurück. »Der Mann ist schlau, Sazzek«, warnte er. »Du darfst dich von ihm nicht reizen lassen.« Fehrndor stand auf. Er drehte sich um und sah an dem blauen Zylinder vorbei die Maschinen, die Wallabys Leute aufgefahren hatten. Ein kleiner Fusionsmeiler versorgte einen Positronikrechner und mehrere Experimentierbänke, von denen Fehrndor auf Anhieb nicht zu sagen vermochte, welche Funktionen sie versahen. Sein Blick wanderte zur Seite. Dort lagen Nunkla und ihre Mädchen, von den fünf Frauen in Wallabys Gruppe bewacht. Sie waren nicht so gefesselt, wie Fehrndor es bis vor kurzem gewesen war, Kikko sah zu ihm herüber und warf ihm einen bittenden Blick zu. Er nickte, unmerklich, wie er meinte, aber Sinker Walla-
41 by hatte es trotzdem bemerkt. »Nur keine Dummheiten, Globus!« warnte er. »Sie hat eine hübsche Fratze und auch sonst alles, was dazugehört. Aber Sazzeks Blaster ist auch nicht zu verachten.« »Du redest zuviel, Sinker«, fiel ihm Fehrndor abfällig ins Wort. »Sag mir lieber, was da drüben vor sich geht.« Er deutete auf die Geräte, die am Ausgang des Stollens aufgebaut worden waren. Sinker Wallabys Gesicht leuchtete vor Stolz. »Das sind die technischen Tricks, mit denen wir dem blauen Kanister dort beikommen werden.« »Was ist das überhaupt für ein Ding?« wollte Fehrndor wissen. »Wir sind nicht so ganz sicher«, antwortete Wallaby. »Zwei meiner Leute fanden es zufällig, als sie hier nach Gostackit suchten. Es gibt eine geheimnisvolle Strahlung von sich, Hyperfrequenzen, allerdings minimale Leistung. Wir vermuten, daß es schon seit undenklichen Zeiten hier liegt, der Zeuge einer längst vergangenen Zivilisation. Die Galaktoarchäologie wird Millionen dafür berappen, einen solchen Apparat in die Hände zu bekommen.« Das also, überlegte Fehrndor, war die Meldung, die er abgefangen hatte: Gold an Silber. Das Huhn hat ein Ei gelegt. Achtunddreißigachtzehn Nord, einszwo-neunzweiundachtzig West. Eierbecher können anrollen. Die Meldung stammte von den beiden Männern, die nach Gostackit gesucht und etwas ganz anderes gefunden hatten. Sinker Wallaby kannte den blauen Zylinder also erst seit kurzem. »Das ist dein erster Versuch, an das Ding heranzukommen, nicht wahr?« fragte Fehrndor. Sinker Wallaby lag das Thema am Herzen, darum ließ er die übliche Vorsicht fallen und sprach offen. »Ja und nein«, antwortete er. »Der erste wissenschaftliche Versuch. Wir haben schon versucht, auf mechanische Weise an das Ding zu kommen.« »Erfolg?«
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»Null. Der Kanister reagiert nicht auf Blaster und nicht auf moderne Schweißbrenner. Es ist unmöglich, ihm einen Kratzer beizubringen, und selbst mit dem stärksten Traktorfeld kann man ihn nicht vom Platz bugsieren. Nur eines haben wir festgestellt, nämlich durch Abklopfen: Das Innere des Kanisters besteht zum Teil aus Hohlräumen, zum Teil aus solidem Material. Wir nehmen an, daß es über einem der Hohlräume einen Zugang gibt, und meine Experten sind der Ansicht, daß es nicht schaden kann, wenn wir den Zugang so behandeln, wie wir eine unserer eigenen Türen behandeln würden, deren Servokode wir nicht kennen. Wir hageln einfach einmal ein paar Tausend verschiedener Kodekombinationen darauf ab und sehen zu, ob sich etwas rührt.« »Viel Glück«, sagte Fehrndor spöttisch. Begleitet von Wallaby und Sazzek schritt er um den Zylinder herum bis in die Nähe der Geräte, die am Ausgang des Stollens installiert worden waren. Dabei entdeckte er an der Wand der Halle einen dunklen Fleck. Er ging ein paar Schritte darauf zu, was Sinker ihm nicht verwehrte, und erkannte Freud, der dort reglos am Boden lag. Er hatte die Augen weit geöffnet und starrte blicklos zur Decke. Der Anblick war ergreifend, obwohl Fehrndor den Robot nach wie vor im Verdacht hatte, daß er die ganze Sache nur spielte. Wortlos wandte er sich ab. Sinker Wallabys Männer hatten sich formiert. Das Experiment sollte beginnen.
* »Acht-Bit-Kode!« gellte der Befehl. Fehrndor hatte mit einigem Staunen zur Kenntnis genommen, daß es unter Wallabys Leuten in der Tat zwei gab, die ausgebildete Techniker waren und eine Menge von der Positronik verstanden. Sie waren diejenigen, die Wallaby dazu überredet hatten, daß man versuchen solle, durch wahlloses Abstrahlen von Servokodes einen hypothetischen Öffnungsmechanismus in der Wandung des
blauen Zylinders zu betätigen und sich auf diese Weise Zutritt zum Innern des geheimnisvollen Behälters zu verschaffen. In der vergangenen halben Stunde waren Kodes verschiedener Länge generiert und über dem Zylinder abgeregnet worden. Der Positronikrechner war eines der fortgeschrittensten Modelle auf dem Markt. Es war erstaunlich, daß Wallaby ihn in so kurzer Zeit hatte beschaffen können. Zum Erzeugen und Abregnen aller denkbaren AchtBit-Kode-Kombinationen (256 an der Zahl) brauchte er nicht länger als eine halbe Mikrosekunde oder den zweimillionsten Teil einer Sekunde. Die Versuchsreihe erzeugte keinerlei Ergebnis. Der Zylinder rührte sich immer noch nicht. »Neun-Bit-Kode!« befahl einer der beiden Techniker. Der Rechner trat von neuem in Tätigkeit. Auf den umliegenden Experimentierbänken wurde die Reaktion des Zylinders gemessen. Man nahm an, daß aus seinem Innern irgendeine bisher noch nicht wahrgenommene Streustrahlung dringen würde, sobald eine der wahllos ausgestrahlten Kodekombinationen genau das Muster besaß, auf das der Öffnungsservo ansprach. Allmählich bekam Fehrndor Globus Respekt vor Wallabys Methode. Sie war nach menschlichem Ermessen sinnvoll und wurde konsequent angewandt. Um so mehr mußte er Wallaby den Mißerfolg wünschen. Denn wenn es ihm wirklich gelang, den Zylinder zu öffnen, wenn dieser Fund wirklich etwas darstellte, wofür sich die Galaktoarchäologie oder sonst eine Wissenschaftssparte interessierte, dann würde Sinker Wallaby in Kürze in Geld schwimmen. Was er damit anzufangen gedachte, daraus hatte er von Anfang an keinen Hehl gemacht. Und daß ihm dieses Vorhaben gelingen würde, daran bestand wenigstens für Fehrndor, nachdem er die Entschlossenheit und die Zielstrebigkeit des Mannes erkannt hatte, kein Zweifel mehr. Nach dem Neun-Bit-Kode versuchte man es mit sämtlichen denkbaren Zehn-
Das Geheimnis von Gostacker Bit-Kode-Kombinationen, und immer so weiter, bis man schließlich beim SechzehnBit-Kode angelangt war. Es gab 65 536 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten in einem solchen Kode, und wiederum brauchte der Rechner nur den winzigen Bruchteil einer Sekunde, um sämtliche denkbaren Möglichkeiten zu erzeugen und abzustrahlen. Instinktiv fühlte Fehrndor, es müsse jetzt etwas geschehen, und da schrie auch schon der zweite Techniker auf: »Reaktion! Wir haben …« Weiter kam er nicht. Etwas völlig Unerwartetes geschah. Einer der erstarrten Tentakel, die Fehrndor schon bei seinem ersten Besuch der Höhle bemerkt hatte, war plötzlich in Bewegung geraten. Mit unglaublicher Geschwindigkeit schoß er vorwärts, ein sich ewig verlängernder stählerner und doch schlangengleich biegsamer Arm. Ehe die beiden Techniker es sich versahen, hatte der Greifarm den Rechner erfaßt, riß ihn aus seiner provisorischen Verankerung, hob ihn mit spielerischer Leichtigkeit empor und schleuderte ihn gegen die Wand der Felsenhalle. Das alles geschah in Sekundenbruchteilen. Noch hatten die Zuschauer sich nicht von ihrem Schreck erholt, da zuckte der Arm zurück und griff nach der Konsole des UHFSenders, der die Kodesignale abstrahlte. Ihm widerfuhr dasselbe Schicksal wie eine halbe Sekunde zuvor dem Rechner. Sinker Wallabys Techniker brachten sich schreiend in Sicherheit. Der Tentakel aber fuhr fort, unter den kostbaren Geräten zu wüten, bis er auch das letzte aus der Halterung gerissen und gegen den Fels geschleudert hatte. Als er an den Fusionsgenerator kam, da zerbarst beim Aufprall dessen Plasmatank. Es kam zu zwei dicht aufeinanderfolgenden Explosionen: einmal, als der vollständig ionisierte Wasserstoff sich mit den freien Elektronen der Luft verband, und zum zweitenmal, als er sich mit dem Sauerstoff zu einer örtlich begrenzten Knallgasmischung vereinte, die unter der Wirkung eines Funkens detonierte. Der Luftdruck riß Fehrndor Globus von
43 den Beinen und schleuderte ihn zu Boden. Mit ihm flogen Sazzek, Sinker Wallaby und alle, die sonst noch in der Nähe waren. Fehrndor kam mit leichten Abschürfungen davon. Die Wunden schmerzten, aber dennoch lachte er aus vollem Halse, als er mühsam wieder aufstand. Sinker, der ebenfalls mit minimalen Verletzungen davongekommen war, bedachte ihn mit einem wütenden Blick. »Gib's auf, Sinker!« röhrte Fehrndor, der die unerwartete Eruption der Heiterkeit nicht zu dämmen vermochte. »Das Ding mag dich nicht!«
10. Der Staub der beiden Explosionen war verflogen, die Trümmer der teuren Geräte hatte man weggeräumt. Niemand war ernsthaft zu Schaden gekommen; aber Wallabys Techniker weigerten sich, ein zweites Experiment dieser Art auch nur in Erwägung zu ziehen. Der tödliche Tentakel war wieder ins Innere des blauen Zylinders zurückgewichen; der Teil, der noch aus der Zylinderhülle herausragte, machte einen ebenso reglosen Eindruck wie zuvor. Sinker Wallaby hatte Fehrndor auf die Seite gezogen und Sazzek, der den ihm Anvertrauten weisungsgemäß nicht aus den Augen lassen wollte, mit barschen Worten fortgewiesen. Es war nicht schwer zu ahnen, was Wallaby wollte. Er wandte sich mit verlegenem Grinsen an Fehrndor und meinte: »Du kannst dir denken, was ich auf dem Herzen habe, Globus. Ich bin festgefahren. Ich habe nur eine Garnitur technisches Gerät, und die ist hin. Also wende ich mich an dich. Du hast einen Robot, den du vielleicht wieder in Gang setzen kannst. Wir haben festgestellt, daß der Kanister auf positronische Beeinflussung reagiert, wenn auch bisher in unerwünschter Weise. Wir müssen die Reihe der Experimente fortsetzen, denn das Ding ist Milliarden wert, und ich bin nicht bereit aufzugeben. Du wirst mir also helfen, Globus, und weil ich nicht erwarten kann,
44 daß du mir als mein Gefangener zur Seite stehst, will ich einen Handel mit dir machen. Was sagst du dazu?« Fehrndors Verstand arbeitete schon seit einigen Minuten auf Hochtouren. Er hatte gewußt, daß ein derartiger Vorschlag auf ihn zukommen würde. Wallaby hatte keine andere Wahl. Globus wußte auch, daß er sich auf Wallabys Angebot nicht verlassen konnte – ebensowenig wie Nunkla sich auf ihre Übereinkunft hatte verlassen können. Aber wenn er Freud zum Leben erweckte und mit seiner Hilfe dem blauen Zylinder zu Leibe rückte, dann ließ sich vielleicht eine Situation heraufbeschwören, in der die Flucht nicht mehr ein so absolut aussichtsloses Unterfangen warwie im Augenblick. Er mußte geschickt verhandeln. Vor allem durfte er nicht so tun, als nehme er Wallabys Worte von Anfang an für bare Münze. Er kniff daher die Augen mißtrauisch zusammen und antwortete: »Nunkla hat auch einen Handel mit dir gemacht, nicht wahr?« »Glaubte sie«, machte Wallaby wegwerfend, »aber mit Weibern handle ich nicht, schon gar nicht mit emanzipierten.« »Und auch nicht mit Leuten, die hübsche Haushälterinnen haben, und mit den Eigentümern von Sendestationen und so weiter, wie?« Wallaby sprang auf. »Verdammt, dann laß es eben sein!« schrie er wütend. »Wenn du glaubst, ich käme auf den Knien zu dir gerutscht …« Fehrndor stand ebenfalls auf. »Gut, lassen wir es sein«, meinte er. »Du hast eben auf dem Vertrauenskonto kein Guthaben mehr.« Sinker Wallabys Zorn erwies sich als nur gespielt. Er streckte die Arme aus und hielt sie Fehrndor in der Art eines Händlers entgegen, der seine Ware anpreist: »Aber siehst du denn nicht, daß ich auf dich angewiesen bin? Ich komme ohne dich und deinen Robot nicht weiter. Also muß ich es ernst meinen!« Die Logik war alles andere als zwingend;
Kurt Mahr aber Fehrndor ging zunächst darauf ein. »Welche Sicherheit bietest du?« »Du bekommst deinen Schocker zurück und wirst deiner Fesseln ledig«, antwortete Wallaby so hastig, als hätte er auf diese Frage nur gewartet. Fehrndor wiegte den Kopf. »Klingt nicht schlecht. Und was wird aus dem Gewinn?« »Ich beteilige dich mit fünf Prozent!« »Du spinnst! Ich hebe den Schatz, und du kassierst fünfundneunzig Prozent?« »Ich habe den Schatz gefunden!« protestierte Wallaby. »Du hast keinen Finger dafür krummgemacht. Außerdem, bedenk doch: Wenn das Ding eine Milliarde wert ist, wie ich schätze, dann sind fünf Prozent noch immer fünfzig Millionen!« Fehrndor schüttelte hartnäckig den Kopf. »Nichts da! Zwanzig Prozent, oder der Handel gilt nichts!« »Zehn«, rief Wallaby. »Zwanzig!« »Fünfzehn!« »Zwanzig!« Da entrang sich Wallabys Brust ein gequälter Seufzer, und niedergeschlagen gab er nach. »Also schön, zwanzig!« Sie reichten einander die Hand und schüttelten sie kräftig. Fehrndor Globus aber hatte nun die Gewißheit, daß Sinker Wallaby ihn zu betrügen gedachte; denn so leicht hätte er sich, wenn er es ernst meinte, nicht bis auf zwanzig Prozent hinaufhandeln lassen. Er war auf Fehrndors Forderung eingegangen, weil er zu wissen glaubte, daß er nicht würde Wort halten müssen.
* »He, wach auf, Blechmensch!« raunte Fehrndor dem Roboter zu. Freud ruckte halbwegs in die Höhe. »Nicht Blechmensch …«, gurgelte er, »… Masepok!« Seine Stimmwerkzeuge hatten etwas abbekommen und die Augen, die er nur halb
Das Geheimnis von Gostacker zu öffnen vermochte, hatten einen merkwürdig rötlichen Glanz. Wahrscheinlich hatte das Röhrensystem flüssiger Lichtleiter, das die Augenoptik mit dem Rechner im Innern des Roboters verband, irgendwo ein Leck bekommen. »Kannst du logisch denken?« fragte Fehrndor. »Logisch« und »denken« waren Schlüsselworte, die einen geheimen Programmsektor in Freuds Innenleben ansprachen. »Affirmativ«, antwortete er. Fehrndor atmete auf. Dadurch wurde die Sache wesentlich leichter. »Hier glaubt jedermann, du seist bis auf den Tod verletzt«, sagte er. »Das ist gut. Da haben sie nicht soviel Angst vor dir. Du machst jetzt ein ›execute repair‹, aber schön langsam und mit Geduld, damit die Leute nicht merken, daß du sie die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hast. Bestätige!« »Langsames ›execute repair‹; bestätige«,antwortete Freud. »Zwei Stunden?« »Reichen aus. Ich überlasse dich dir selbst. Melde dich bei mir, wenn du soweit bist.« Fehrndor hatte die ganze Zeit über so getan, als betaste er den Roboter und versuche, schadhafte Stellen zu finden. Wallaby und seine Leute hatten sich auf seine Anweisung hin weit im Hintergrund gehalten, weil er, wie er ihnen klargemacht hatte, in einem derart billigen Handel nicht auch noch die Geheimnisse seines Roboters als Gratisgabe dazuliefern wollte. Er stand auf und kehrte gemessenen Schrittes zu Sinker Wallaby zurück, der die Szene aufmerksam beobachtet hatte. »Na … und?« »Wenn wir Glück haben, kommt er wieder zu sich«, antwortete Fehrndor. »Ich habe die Bruchstelle gefunden und temporär überbrückt. Während dieser Überbrückung konnte der Robot mich verstehen. Er verfügt über eine begrenzte Selbstreparaturfähigkeit. Auf die sind wir im Augenblick angewiesen.« Er sah sich in der weiten Felsenhalle um und machte ein mißmutiges Gesicht.
45 »Was behagt dir nicht?« wollte Sinker Wallaby wissen. »Wir müssen mit dem nächsten Experiment da anknüpfen, wo deine Geräte aufgehört haben. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, daß der Kanister genauso allergisch reagiert wie vorhin. Ich möchte meinen Roboter nicht gleich beim ersten Versuch wieder verlieren. Wir werden die Höhle verlassen!« Mit Absicht kleidete er seine Idee nicht in die Gestalt eines Vorschlags oder einer Bitte. Sie sollte ganz normal klingen. »Das könnte dir so passen, wie?« höhnte er. »Aus der Höhle hinaus, ab und davon. So hattest du es dir vorgestellt, nicht wahr?« Fehrndor schüttelte den Kopf. »Nein, ich will zweierlei: zwanzig Prozent vom Gewinn und meinen Robot. Und keines von beiden kriege ich, wenn ich hier in der Höhle bleibe. Ich sage dir, wir müssen hinaus ins Freie, damit wir vor den Tentakeln sicher sind. Du kannst deine Leute meinetwegen so aufbauen, daß ich nicht entkommen kann.« Wallaby ging eine Zeitlang mit sich zu Rate. Schließlich gab er knurrend nach. »Du sollst deinen Willen haben. Aber ich sage dir, eine falsche Bewegung, und unser Handel ist gewesen. Und du auch!«
* »Fang mit Siebzehn-Bit-Kode an!« befahl Fehrndor. Freud hatte weisungsgemäß zwei Stunden gebraucht, um sich selbst zu reparieren. Er war völlig wiederhergestellt, auch die Lichtleiterflüssigkeit war aus seinen Augen verschwunden. In der Zwischenzeit waren die Gefangenen heraus ins Freie transportiert worden. Wallabys Gruppe hatte sich etwa einhundert Meter vor dem Eingang der Höhle postiert. Die Männer standen so, daß sie einen weiten Kreis um die Stelle bildeten, an der Freud und Fehrndor standen. Fehrndor hatte darauf verzichtet, den SechzehnBit-Kode, auf den der blaue Zylinder zuvor
46 in so erschreckender Weise reagiert hatte, noch einmal anzuwenden. Freud begann, Siebzehn-Bit-Kode-Kombinationen aneinanderzufügen und in Richtung der Höhle abzustrahlen. Er war wesentlich langsamer als der Positronikrechner, aber immer noch vergingen nur wenige Sekunden, bis sämtliche Siebzehn-Bit-Kombinationsmöglichkeiten abgewickelt waren. Der blaue Zylinder hatte sich nicht gerührt. »Achtzehn Bit!« befahl Fehrndor. Das gleiche Spiel wiederholte sich. Es gab 262 144 verschiedene AchtzehnBit-Kode-Kombinationen. In kaum zwanzig Sekunden hatte Freud sie heruntergerasselt; aber der Kanister, wie Sinker Wallaby ihn nannte, zeigte noch immer keine Reaktion. Auch die Gesamtheit aller NeunzehnBit-Kodes erwies sich als wirkungslos. Erst als Freud begann, sämtliche denkbaren Zwanzig-Bit-Kombinationen abzustrahlen, geschah etwas. Und genau wie zuvor geschah es auf völlig unerwartete Weise und so, daß Fehrndors Hypothese, hier draußen sei man in Sicherheit, ernsthaft ins Wanken geriet. Der erste, der etwas merkte, war Freud. Er schrak plötzlich aus seinem tranceähnlichen Zustand auf und schrie: »Vorsicht! Ein Erdbeben!« Fast im gleichen Augenblick fühlte Fehrndor den Boden unter den Füßen zittern. Er war sich noch nicht darüber im klaren, ob er die Gefahr ernst nehmen solle, da gab es drüben bei der Höhle einen berstenden Krach, dem dicht aufeinander eine Reihe weiterer Explosionen folgte. Aus dem Höhlenmund schossen dichte, wirbelnde Schwaden blaugrauen Qualms. Der Felsen wankte. Einen Atemzug lang hielt Fehrndor die Bewegung für eine optische Täuschung. Dann jedoch sah er durch den immer dichter werdenden Qualm, wie sich in der Wand des Felsens Risse bildeten. Das ganze, riesige Gebilde rutschte in sich zusammen und verwandelte sich in eine Masse zerkrümelnden Gerölls, das sich unter seinem eigenen Gewicht zunächst langsam, dann immer schnel-
Kurt Mahr ler hangabwärts zu bewegen begann. »Zur Seite!« schrie Fehrndor, der die Gefahr nun deutlich erkannte. »Zur Seite, sonst erwischt uns die Lawine!« Sinker Wallaby war der erste, der der Aufforderung folgte. Das war für seine Leute das Signal, die bisher streng gewahrte Formation aufzugeben. Jeder trachtete nur noch danach, so weit wie möglich aus dem gefährlichen Bereich der Geröllawine zu entkommen. Jetzt hätte Fehrndor die Gelegenheit gehabt, deretwegen er sich auf dieses Unternehmen überhaupt eingelassen hatte. Niemand hätte es bemerkt, wenn er einfach verschwunden wäre. Aber erstens war Freud viel zu weit von ihm entfernt, als daß er ihn hätte auf sein Vorhaben aufmerksam machen können, und zweitens hatte ihn nun selbst die Neugierde gepackt, wie diese Entwicklung denn enden würde. Man drang bis zum Rand des Dornbuschs vor und bemerkte dort, daß der Rand der Lawine in sicherer Entfernung vorbeizog. Die mächtige Gesteinsmasse vollführte ein donnerndes, brüllendes Geräusch, in dem jegliche Unterhaltung hilflos ersticken mußte. Fehrndor hielt den Blick gebannt auf jene Stelle gerichtet, an der noch bis vor wenigen Minuten der Felsen gestanden hatte, in dessen südwestlicher Wand die Mündung der Höhle lag. Was war aus der Höhle, was war aus dem geheimnisvollen blauen Zylinder geworden? Hatte er sich selbst zerstört? Und was war aus Sinker Wallabys kleinem Raumschiff geworden, das unmittelbar neben dem Höhleneingang gestanden hatte? Qualm und Staub verzogen sich schwerfällig. Die Geröllawine war irgendwo in der hangabwärts gelegenen Bodenrille zum Stehen gekommen. Die Natur beruhigte sich wieder. Allmählich wurde die Sicht klarer. Als erstes kam das Raumschiff zum Vorschein. Die Wucht der Lawine hatte es von den Landestützen gerissen und auf die Seite gedreht. Ansonsten aber schien es keinen nennenswerten Schaden gelitten zu haben. Dann wurde die Stelle sichtbar, an der zuvor der mächtige Fels mit den steil aufragen-
Das Geheimnis von Gostacker den Wänden gestanden hatte. Fehrndor hielt unwillkürlich die Luft an, so erstaunlich war das Bild, das sich ihm bot: Der Fels war verschwunden, die Höhle war nicht mehr. Er hätte ein tiefes, offenes Loch zu sehen erwartet. Statt dessen wölbte sich der Berghang dort, wo sich der Felsen befunden hatte, sanft nach oben. Dieselben Gewalten, die das Erdbeben erzeugt und die Lawine verursacht hatten, mußten auch für diese Anhebung des Bodens verantwortlich sein. Auf dem höchsten Punkt der sanften Kuppel, die der Berghang jetzt bildete, stand der geheimnisvolle, blaue Zylinder, der sich zuvor tief im Erdinnern befunden hatte. Er wirkte völlig unversehrt. Aber das Leuchten, das von ihm ausging, hatte an Intensität zugenommen. Und noch etwas nahm Fehrndor wahr: Am Fuß des Zylinders hatte sich eine dunkle Öffnung gebildet, die äußerst schmal war, aber mindestens doppelte Mannshöhe besaß. Das Wunder war geschehen! Das fremde Gebilde hatte seine Unnahbarkeit aufgegeben. Sinker Wallabys Stimme riß Fehrndor in die Wirklichkeit zurück. »Die Vorstellung ist vorbei! Ihr Frauen seht nach, ob den Gefangenen etwas zugestoßen ist. Weit genug abseits haben sie wohl gelegen. Und ihr Männer, hebt eure Augen auf zu dem Berg und seht das Wunder, das sich dort ereignet hat. Und dann nehmt Globus seinen Schocker ab, der ohnehin nichts taugt, und schlagt seinen Roboter in Stücke! Wir brauchen von jetzt an weder Globus noch das Blechding!«11. Fehrndor fluchte verbissen vor sich hin. Er hatte sich übertölpeln lassen. Über dem Anblick des geheimnisvollen Zylinders hatte er nur eine halbe Minute lang die Gefahr vergessen, in der er schwebte. Für Sinker Wallaby war das genug. Fehrndor wirbelte herum und sah Wallabys Leute mit angeschlagenen Waffen auf sich zukommen. Er drückte auf den Auslöser des Schockers, aber die Waffe funktionierte nicht. Wallaby lachte höhnisch.
47 »Du enttäuschst mich, Globus!« rief er. »Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, daß ich mit dir einen Handel eingehen würde, wie?« In diesem Augenblick sagte eine helle, klare Stimme: »Das war dein letzter Betrug, Wallaby!« Fehrndor wandte den Kopf. Seine Augen wurden übernatürlich groß vor Staunen, als er die Gestalt am Rande der Lichtung erkannte: Nally Motcher. Er hatte keine Gelegenheit, sich zu fragen, wie das Mädchen hierhergekommen sein mochte. Die Dinge überstürzten sich, Nally trug einen schweren Schocker. Eben in dem Augenblick, in dem Fehrndor sie gewahrte, summte die gefährliche Waffe hell auf. Sinker Wallaby gab einen halb erstickten Schrei von sich und stürzte bewußtlos zu Boden. Die Männer, die sich Fehrndors hatten bemächtigen wollen, waren stehengeblieben, ebenso die fünf Frauen, die Wallaby zu den Gefangenen geschickt hatte. »Keiner rührt sich!« befahl Nally scharf. »Bei der ersten verdächtigen Bewegung kriegt Wallaby eine tödliche Ladung!« Fehrndor und Freud waren ein wenig zur Seite getreten, um ihr nicht in der Schußlinie zu stehen, und niemand hinderte sie daran. Trotzdem, fand Fehrndor, war die Lage nach wie vor kritisch. Die acht Männer trugen ihre Blaster schußbereit. Nally brauchte sich nur durch irgend etwas ablenken zu lassen, dann war sie verloren. Die Frauen, die sich etwa dreißig Meter von der Szene entfernt hatten, trugen nur leichte Schocker. Sie bildeten keine unmittelbare Gefahr. Nally schien die Lage auf die gleiche Art zu deuten. »Laßt die Blaster fallen!« befahl sie den Männern. Niemand rührte sich. Es war klar, daß Wallabys Leute ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht dadurch zu opfern gedachten, daß sie sich entwaffnen ließen. Sazzek rief: »Du bist viel zu schlau, um nicht zu sehen, daß du in einer Zwickmühle steckst, Mädchen! Also steck deinen Knaller wieder
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ein, und laß uns hier weitermachen.« Nally begriff, daß sie sich die Courage nicht abkaufen lassen durfte. Der schwere Schocker sang ein zweites Mal, und diesmal ging Sazzek stöhnend zu Boden. Aber der winzige Augenblick, in dem Nallys Aufmerksamkeit ganz allein auf Sazzek konzentriert war, genügte einem der anderen, Fehrndor Globus von neuem vor den Lauf zu bekommen. Fehrndor gewahrte die Gefahr aus dem Augenwinkel und warf sich zur Seite. Im Sturz noch hörte er das glühende Bündel geballter Energie dicht über sich hinwegfauchen. Er schnellte sich sofort weiter weg, und trotzdem wußte er instinktiv, daß er so gut wie keine Überlebenschance hatte. Der nächste oder der übernächste Schuß würde ihn treffen. Und Nally … Da war plötzlich eine neue Stimme zu hören, kraftvoll, als käme sie aus einem mächtigen Lautsprecher. »Ich verlange Ruhe!« verkündete sie, und eine halbe Sekunde verging, bis Fehrndor zu Bewußtsein kam, daß die Stimme nicht Terranisch, sondern Interkosmo gesprochen hatte. Jemand – es mußte eine von Wallabys Frauen gewesen sein – stieß einen spitzen Schrei aus; dann war es totenstill. Verwundert richtete Fehrndor sich auf. Aller Augen waren auf den Berghang gerichtet, dorthin, wo der blaue Zylinder stand. Er wandte sich um, und beim Anblick des Fremden, der aus dem Innern des fremden Behälters getreten war, fuhr es ihm unwillkürlich über die Lippen: »Atlan …!«
* Schon im nächsten Augenblick wußte er, daß er sich getäuscht hatte. Die Ähnlichkeit mit dem großen Arkoniden war unverkennbar, aber dieser Mann hier wirkte jünger als Atlan, war größer als er und hatte eine bronzegetönte Haut. Überdies war er nackt. Langsam schritt er den Hang herab, und hinter ihm geschah Unglaubliches. Der blau-
leuchtende Zylinder begann sich zu verformen. Er löste sich in vier große Teile auf, und die Teile fuhren fort, sich unabhängig voneinander zu verformen. Gebannt verfolgte Fehrndors Blick das ungewöhnliche Schauspiel. Die vier Bruchstücke des blauen Zylinders durchliefen nacheinander eine Reihe verschiedener Zustandsformen, und als ihre Metamorphose schließlich geendet hatte, da waren aus ihnen vier Robotwesen geworden, die auf dürren Storchenbeinen dem nackten jungen Mann in respektvoller Entfernung folgten. Ihre Arme endeten nicht, wie das bei Robotern sonst üblich war, in handähnlichen Greifwerkzeugen, sondern in Waffenmündungen. Aus dem blauschimmernden Zylinder waren vier Kampfroboter geworden! Der Bronzefarbene war inzwischen bis auf wenige Schritte herangekommen. Wortlos deutete er mit einer umfassenden Handbewegung auf die acht Männer, die zu Sinker Wallabys Gruppe gehörten, und sodann auf die fünf Frauen, die abseits standen. Die Arme der Roboter ruckten in die Höhe. Ein helles Singen war zu hören, ähnlich dem Geräusch, das terranische Schocker erzeugten, und im nächsten Augenblick lagen die Bezeichneten bewußtlos am Boden. Fehrndor wandte sich dem Fremden zu. Jetzt erst bemerkte er, daß der ein kleines Gerät bei sich trug. Er hielt es auf der Fläche der rechten Hand. Er hatte den Unterarm ausgestreckt, und seine ganze Aufmerksamkeit schien auf das seltsame Ding gerichtet. Es hatte die Form eines Kegels, eines Kreisels, wie ihn Kinder schon seit Urzeiten als Spielzeug verwenden. Der Kreisel schien aus demselben Metall geformt zu sein wie zuvor der Zylinder und jetzt die vier Kampfroboter. Ein intensives, blaues Leuchten ging von ihm aus. An der Basis hatte er einen Durchmesser von nicht mehr als fünf Zentimeter. Seine Höhe mochte zwei Zentimeter mehr betragen. Etwa in der Mitte, bemerkte Fehrndor, befand sich eine flache Kerbe, die den Kreis ringförmig umschloß. Der Fremde starrte vor sich hin. Sein
Das Geheimnis von Gostacker Geist schien abwesend. Er nahm den Anblick nicht wahr, der sich seinen Augen bot. Fehrndor fühlte sich beklommen. Es war, als sei der Fremde in eine Aura gehüllt, die seinen freien Willen beeinträchtigte. Er wollte ihn fragen, wer er sei, aber es kostete ihn Anstrengung, bis er endlich die Worte über die Lippen brachte: »Wer bist du?« Der Fremde reagierte nicht sofort. Es war, als brauchten die Worte eine geraume Zeit, um sein Bewußtsein zu erreichen. Schließlich bekam sein Blick Kontur. Er hob den Kopf und bewegte die Augen, als suche er den, der zu ihm gesprochen hatte. Fehrndor hatte die Frage auf Interkosmo formuliert. Der Fremde antwortete in derselben Sprache: »Ich bin Chapat. Ich bedarf vorübergehend deiner Hilfe, und du wirst sie mir nicht versagen.« Fehrndor hatte etwas gegen Leute, die berechtigt zu sein glaubten, nach Belieben über ihn zu verfügen. Er wollte widersprechen. Er wollte dem Fremden erklären, daß über das, was er versagte oder nicht versagte, er allein zu bestimmen habe. Aber die Worte wollten ihm nicht über die Lippen. Ein fremder Zwang hatte sein Bewußtsein gefangen. Wie von ungefähr erkannte er plötzlich, daß Chapat in der Tat der Hilfe bedurfte und daß er ihn unmöglich im Stich lassen konnte. Zu gleicher Zeit wußte er deutlich, daß dies nicht seine eigenen Gedanken waren. Es waren Impulse, die mit fast hypnotischer Kraft aus Chapats Bewußtsein in das seine flossen. Er konnte sich nicht dagegen wehren, und der einzige Trost, der sich ihm bot, war die Einsicht, daß Chapat nichts Böses wollte. Der Fremde sprach weiter: »Hier sind Gute und Böse versammelt. Ich konnte sie schon aus dem Innern meines Fahrzeugs voneinander unterscheiden. Die Bösen sind bewußtlos. Tue mit ihnen, was du für gut hältst, aber schaffe sie mir aus den Augen. Danach werden wir sprechen.« Er setzte sich auf ein Felsstück, das die
49 Lawine zurückgelassen hatte, stützte das Kinn in beide Hände und versank wieder in den Zustand der Abgekehrtheit. Fehrndor machte sich nicht die Mühe, ihn ein zweites Mal anzusprechen. Er wandte sich seitwärts. Seine Augen erfaßten Nally, die ihn mit feinem Lächeln musterte. Da waren plötzlich all die Fragen wieder da, die ihn beschäftigt hatten, bevor Chapat auftauchte. »Wie kommst du hierher?« fragte er. »Mit einer Space-Jet«, antwortete das Mädchen. »Woher … woher hast du eine SpaceJet?« »Aus unserem Versteck.« »Unserem …?« echote Fehrndor. Sie nickte lächelnd. »Ich war nicht weniger überrascht als du«, bekannte sie. »Ich frage mich, wie lange ich dieses Spiel schon mitgemacht habe, ohne es zu durchschauen. Nicht wahr, auch der Mann, von dem du mich sozusagen erbtest, war ein USO-Spezialist?« Fehrndor sah sich um. Es war niemand da, der diese Frage hatte hören können, mit Ausnahme von Freud und natürlich dem Fremden, der jedoch in seine eigenen Gedanken versunken zu sein schien. »Wieso auch?« wollte er wissen. »Genauso wie ich, genauso wie du«, antwortete Nally. »Du …?« »Ja, ich. Ich bin seit knapp sechs Jahren auf Gostack und habe die Aufgabe, die Relaisstation zu überwachen. Meine Dienstzeit hier beträgt insgesamt acht Jahre. In zwei Jahren also darf ich wieder in die Zivilisation zurückkehren.« Fehrndor starrte eine Zeitlang verblüfft vor sich hin. Schließlich jedoch fing er an zu lachen. »Sie haben sicherlich ihre Gründe dafür, die linke Hand nicht wissen zu lassen, was die rechte tut. Aber schließlich hätten wir selbst schlau genug sein müssen, um zu wissen, daß wir auf Gostack nicht allein sind.« Die Reihe, erstaunt zu sein, war jetzt an Nally Motcher.
50 »Wissen müssen?« »Genau. Es gibt eine USO-Vorschrift, wonach in Gebieten, die weiter als zweitausend Lichtjahre vom nächsten USOStützpunkt entfernt sind, Spezialisten niemals alleine eingesetzt werden dürfen. Gostack erfüllt diese Bedingung. Du und ich, und die Leute vor uns … wir hätten wissen müssen, daß wir uns nicht alleine hier befinden. Wie kamst du mir übrigens auf die Spur?« »Ich fragte bei Heylar Zunuki nach, ob du eine Passage nach Gostacker bekommen hättest. Aber Heylar hatte dich im Lauf der vergangenen Monate nicht zu Gesicht bekommen. Da wurde ich mißtrauisch. Ich flog zum Versteck und sah dort nach. Und richtig, ein Raumgleiter war verschwunden. Derselbe übrigens, der zwei Kilometer südlich von hier auf einer Felsnase steht.« Fehrndor lachte von neuem. »Und warum kamst du hierher?« »Ich weiß einiges von der Mentalität der Frauen. Gestern erzähltest du mir von deiner Begegnung mit Nunkla und ihren Genossinnen. Frauen von Nunklas Art sind gefährlich, besonders, da Männer die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nicht leicht erkennen. Ich dachte mir, daß du in Schwierigkeiten geraten würdest. Die Koordinaten für Gostacker hatte ich – also machte ich mich auf den Weg, um dich aus der Patsche zu holen, falls du in eine geraten warst.« »Ich bin dir dankbar«, sagte er halblaut und trat auf sie zu. »Und es wäre mir lieb, wenn sich an unserer Freundschaft nichts ändern würde, auch wenn wir beide zum selben Klub gehören.« Sie sah zu ihm auf, und in ihren Augen lag ein merkwürdiges Glitzern. »Einverstanden, Fehrndor Globus«, antwortete sie mit fester Stimme. »Ich mag dich, und wenn du in zwei Jahren nach Gostack kommst, um mich abzuholen, werde ich dir einen Heiratsantrag machen.« »In zwei Jahren?« fragte er verwirrt. »Ich habe nicht die Absicht, mich von meinem Posten zu entfernen. Ich selbst habe noch
Kurt Mahr …« »Oh, verlaß dich auf Chapat!« unterbrach sie ihn. »Ich habe das Gefühl, er wird dich kurzerhand aus dieser Gegend entführen.«
* Die Abfertigung der Gefangenen war Routine. Sinker Wallaby und seine Leute, die Frauen mit eingeschlossen, wurden an Ort und Stelle zurückgelassen. Sie mochten zusehen, wie sie ihr umgekipptes Kleinraumschiff wieder flott bekamen. Wallaby hatte sich zumindest des Verbrechens der Freiheitsberaubung schuldig gemacht. Aber Fehrndor Globus wußte, wie wenig aussichtsreich es war, auf Gostack jemand gesetzlich verfolgen zu lassen. Also gab er Wallaby und seinen Leuten die Chance, nach Gostack zurückzukehren, und verließ sich darauf, daß die auf Gostacker erlittene Blamage dafür sorgen würde, daß sie nicht wieder zu frech wurden. Bezüglich Nally hatte er jetzt, da er wußte, daß sie eine USOSpezialistin war, weniger Sorge. Sie würde sich gegen Wallaby zu wehren wissen, falls er seine Zudringlichkeit erneuerte. Nunkla mußte sich Wallabys Gruppe anschließen. Das war für beide, für Wallaby ebenso wie für Nunkla, eine zusätzliche Strafe. Bis zur Rückkehr nach Gostack würden sie einander die Hölle heiß machen. Nunklas Genossinnen wurden befreit. Von ihrer Space-Jet aus, die übrigens nicht weit von Fehrndors Gleiter entfernt gelandet war, rief Nally einen auf Gostack beheimateten Fährdienst an und ließ ihn wissen, daß auf Gostacker eine Gruppe abenteuerlustiger Frauen gestrandet sei, die dringend nach Hause wollte. Das Fahrzeug, mit dem sie nach Gostacker gekommen waren, hätte bei der Landung Havarie erlitten und wäre nicht mehr zu gebrauchen. Der Fährdienst wurde angewiesen, mit seinem Fahrzeug unmittelbar an der Stelle zu landen, an der früher der Felsen mit dem Eingang der Höhle gestanden hatte. Nachdem Chapats Weisung in dieser Art
Das Geheimnis von Gostacker
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Folge geleistet worden war, drängte der Fremde selbst darauf, den »Ort der Zwietracht«, wie er ihn nannte, so rasch wie möglich zu verlassen. »Du besitzt ein Raumfahrzeug, nicht wahr?« erkundigte er sich bei Fehrndor. »Das ist richtig«, erhielt er zur Antwort. »Ich muß reisen«, erklärte Chapat. »Wirst du mit deinem Genossen mich begleiten?« Er deutete auf Freud. Fehrndor fühlte von neuem ein starkes Verlangen, die Bitte abzulehnen. Aber er brachte es nicht übers Herz. »Wir werden dich begleiten«, antwortete er. Chapat blickte zur Seite und bemerkte, daß die vier Kampfroboter, die aus dem Zylinder entstanden waren, ihm noch immer folgten. »Ich glaube, wir brauchen sie nicht mehr«, sagte er einfach und machte eine kurze Handbewegung. Die Roboter hielten mitten in der Bewegung inne und lösten sich vor den erstaunten Blicken der Zuschauer in Nichts auf. Sie wurden zu kleinen Nebelwölkchen, die in den blauen, wolkenlosen Himmel hinaufstiegen und sich rasch auflösten. Fehrndor hatte plötzlich einen ganz enormen Respekt vor der Technologie der Zivilisation, der Chapat entstammte. Es verstand sich wie von selbst, daß Fehrndor und Nally die Fahrzeuge tauschten. Chapat hatte keine Andeutung darüber verloren, wohin die Reise gehen solle; aber es war anzunehmen, daß sein Ziel außerhalb des Gostack-Systems lag. Die Space-Jet verfügte über einen zusätzlichen Linearantrieb, der Raumgleiter dagegen war nur für interplanetarische Distanzen geeignet. Fehrndor und Nally verabschiedeten sich abseits, außer Sichtweite des nackten Fremden und des ewig neugierigen Freud, der in den vergangenen Stunden merkwürdig ruhig gewesen war, so daß zu erwarten stand, daß er in den nächsten Minuten zu um so größerer Geschwätzigkeit erwachte. »Ich warte auf dich«, sagte Nally. »Laß mich nicht zu lange warten!«
»Niemand haßt das Warten so sehr wie ich«, antwortete Fehrndor und nahm sie dabei in die Arme. »Du und ich … wir werden es nicht lange ohne einander aushalten müssen.« Sie kletterte in den Raumgleiter, der übrigens durch keinen einzigen Treffer beschädigt worden war, da Sinker Wallaby unmittelbar nach der Landung bemerkt hatte, daß er keine Fahrgäste trug. Das schnittige Fahrzeug stieg steil in den blauen Himmel hinauf und war wenige Sekunden später spurlos verschwunden. Die Space-Jet lag am Fuße des Felshügels. Mit Hilfe eines Kodegebers öffnete Fehrndor das vordere Schleusenluk. Es fuhr aus, und eine kurze Laufbrücke kam automatisch herausgeglitten. Chapat schritt darauf zu und betrat sie, als habe er zeit seines Lebens nichts anderes getan, als an Bord terranischer Raumfahrzeuge durch die Gegend zu reisen. Bevor er jedoch die Schleuse betrat, hielt er an. Er streckte die rechte Hand aus und musterte das seltsame kreiselförmige Gebilde, das er noch immer wie ein Kleinod bei sich trug. Fehrndor stand hinter ihn. Er konnte seine Neugierde nicht mehr länger zügeln. »Was ist das?« fragte er. Chapat antwortete lange nicht. Er starrte den blauen Kreisel an. Als er schließlich den Mund öffnete, da brachte er Worte mit traurigem Klang hervor. »Das«, sagte er schwer, »ist Ischtars Kreisel. In den Worten eurer Sprache: das Ischtar-Memory.« Damit ging er weiter und trat in die Schleuse. Hinter Fehrndor aber murmelte Freud, der endlich wieder zum Leben erwachte: »O mein Gott, er hat einen IschtarKomplex …!«
ENDE
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