Vampirova Produkt # 25 29. 7. 2002
Carnacki the Ghost Finder Nr. 2 "Das Haus Lorbeeren"
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von William Hope Hodgson Ü...
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Vampirova Produkt # 25 29. 7. 2002
Carnacki the Ghost Finder Nr. 2 "Das Haus Lorbeeren"
in
von William Hope Hodgson Übersetzung aus dem Englischen von Martin Clauß
den
Offenbar befand sich das Gebäude in äußerst miserablem Zustand, als es in Wentworths Besitz überging, und das Anwesen war völlig vernachlässigt und sah, wie ich weiß, über alle Maßen heruntergekommen und öde aus. Er begutachtete das große Haus alleine, und er gab mir gegenüber zu, ein unangenehmes Gefühl dabei empfunden zu haben; das mag natürlich nicht mehr gewesen sein als die natürliche Trostlosigkeit eines großen leeren Hauses, das lange nicht bewohnt war und das man alleine durchstreift. Als er mit dem Rundgang fertig war, ging er hinab zum Dorf in der Absicht, den einstigen Verwalter des Grundstückes zu treffen und jemanden als Hausmeister anzustellen. Der Verwalter, der sich übrigens als Schotte erwies, war durchaus bereit, die Pflege des Grundes wieder zu übernehmen; doch er versicherte Wentworth, er würde
„Es ist ein wunderliches Garn, das ich vor euch ausbreiten möchte“, sagte Carnacki, als wir es uns nach einem ruhigen kleinen Abendessen in seinem gemütlichen Eßzimmer bequem gemacht hatten. „Ich komme soeben aus dem Westen Irlands zurück“, fuhr er fort. „Wentworth, ein Freund von mir, hat neulich eine recht unerwartete Erbschaft gemacht, in der Form eines großen Anwesens und eines Herrenhauses, etwa anderthalb Meilen außerhalb des Dorfes Korunton. Der Ort nennt sich Gannigton Manor und steht seit vielen Jahren leer; wie dies erfahrungsgemäß bei vielen Häusern der Fall ist, in denen es angeblich spukt, wie man es meist nennt. 2
niemals einen Hausmeister dafür finden; und sein Rat war es, das Haus abreißen und ein neues errichten zu lassen. Dies verblüffte meinen Freund natürlich, und während sie zusammen zum Dorf gingen, gelang es ihm, eine Art Erklärung aus dem Mann herauszuquetschen. Es scheint, daß es seit jeher eigentümliche Geschichten über diesen Ort gab, der zu früheren Zeiten Landru Castle genannt wurde, und daß sich in den vergangenen sieben Jahren zwei außergewöhnliche Morde dort zugetragen hatten. In beiden Fällen waren es Landstreicher gewesen, die nichts von dem Ruf des Hauses ahnten und das große leere Gebäude gewiß als für ein kostenloses Nachtlager wie geschaffen ansahen. Es hatte keinerlei Anzeichen von Gewalteinwirkung gegeben, die über die Art des Todes Aufschluß gegeben hätten, und bei beiden Gelegenheiten wurde die Leiche in
der großen Eingangshalle aufgefunden. Inzwischen hatten sie den Gasthof erreicht, in dem Wentworth wohnte, und er versicherte dem Verwalter, er würde beweisen, daß dieser angebliche Spuk nur dummes Zeug war, indem er selbst ein oder zwei Nächte in dem Herrenhaus verbrachte. Zweifellos waren die Tode der beiden Landstreicher ungewöhnlich; aber das bewies nicht, daß eine übernatürliche Macht dabei am Werke war. Es waren nichts als isolierte Ereignisse, die jahrelang in der Erinnerung der Dorfbewohner haften blieben, was an einem Ort wie Korunton keine Seltenheit war. Landstreicher mußten eines Tages sterben, und irgendwo, und es hatte keine Bedeutung, daß zwei von möglicherweise Hunderten, die in dem verlassenen Haus genächtigt hatten, die Gelegenheit nutzten, unter der Obhut eines Daches zu sterben. Doch der Verwalter nahm seine 3
Bemerkung sehr ernst, und sowohl er als auch Dennis, der Wirt des Gasthofes, versuchten ihr Bestes, um ihn davon abzubringen, dorthin zu gehen. Bei seiner Seele flehte ihn der Ire Dennis an, so etwas nicht zu tun; und bei seinem Leben tat der Schotte das gleiche. Es war später Nachmittag und, wie Wentworth mir erzählte, warm und sonnig, und es klang wie ausgemachter Blödsinn, die beiden so ernsthaft über das Unmögliche schwadronieren zu hören. Er fühlte sich voller Mumm und beschloß, die ganze Spukgeschichte auf der Stelle in Stücke zu hauen, indem er die folgende Nacht unverzüglich im Herrenhaus verbrachte. Er machte ihnen klar, daß es sehr in ihrem Sinne wäre, wenn sie ihn begleiteten und ihm Gesellschaft leisteten. Doch der arme alte Dennis war von diesem Vorschlag schockiert, nehme ich an, und obwohl Tabbit, der Verwalter, mit mehr Fassung
reagierte, blieb er sehr entschieden bei seiner Meinung. Es scheint, daß Wentworth tatsächlich hinging; und als der Abend kam, so berichtete er mir, erschien die Angelegenheit in einem völlig anderen Licht. Eine ganze Menschenmenge aus Dorfbewohnern hatte sich versammelt, um ihn zu verabschieden; denn mittlerweile wußte jeder von seinem Vorhaben. Wentworth trug seine Flinte bei sich und eine große Packung Kerzen; und er machte allen deutlich, daß es nicht klug war, Tricks zu versuchen; er beabsichtigte, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen. Und nun bekam er einen Eindruck davon, wie ernst sie die ganze Angelegenheit nahmen; denn einer von ihnen führte eine riesige Englische Dogge herbei und bot ihm an, sie mitzunehmen. Er tätschelte seine Waffe, doch der alte Mann, dem die Dogge 4
gehörte, schüttelte den Kopf und erklärte, das Tiere könne ihn rechtzeitig warnen, wenn er das Schloß verlassen mußte. Es war überdeutlich, daß er in der Waffe keinen Sinn sah. Wentworth nahm den Hund entgegen und bedankte sich bei dem Mann. Er erzählte mir, daß er sich bereits wünschte, seine Absicht nicht so unwiderruflich ausgesprochen zu haben, doch nun mußte er zu seinem Wort stehen. Er schritt durch die Menschenmenge und stellte plötzlich fest, daß sie alle ihn begleiteten wie ein Mann. Sie blieben den ganzen Weg bis zum Manor bei ihm und streiften mit ihm zusammen durch das gesamte Haus. Es herrschte noch immer Tageslicht, als dies getan war, wenngleich der Abend graute, und für eine Weile standen die Männer unschlüssig umher, als schämten sie sich, wegzugehen und Wentworth ganz alleine zurückzulassen. Er sagte
mir, daß er zu dieser Zeit bereits liebend gerne fünfzig Pfund dafür gegeben hätten, mit ihnen zusammen zurückkehren zu dürfen. Auf einmal kam ihm eine Idee. Er schlug vor, sie mochten doch bei ihm bleiben und ihm die Nacht hindurch Gesellschaft leisten. Anfangs lehnten sie ab und versuchten ihn dazu zu überreden, mit ihnen zurückzugehen; doch schließlich machte er ihnen ein Angebot, das ihnen schmeckte. Er schlug vor, sie sollten alle zum Gasthof zurückkehren, ein paar Dutzend Flaschen Whisky, eine Eselsladung Holz sowie mehr Kerzen holen. Daraufhin würden sie zurückkehren und im großen Kamin ein riesiges Feuer entfachen, alle Kerzen anzünden und sie überall verteilen, den Whisky köpfen und eine lustige Nacht verbringen. Und – alle Achtung! – er kriegte sie so weit, zuzustimmen. Sie machten sich auf den Weg, hatten bald den Gasthof erreicht, und während 5
der Esel beladen wurde, gab Dennis alles, um Wentworth davon abzuhalten, wieder zum Manor zurückzukehren; doch er war auf seine Weise ein vernünftiger Mann und gab auf, als er sah, daß es keinen Sinn machte. Versteht ihr, er wollte die anderen nicht so sehr verängstigen, daß sie Wentworth nicht mehr begleiten würden. ‚Ich sag Ihnen, Sir’, meinte er, ‚das ist sinnlos, das Schloß zurückhaben zu wollen. Das ist mit unschuldigem Blut verflucht, und Sie reißen das besser ab und bauen ein neues. Aber wenn Sie dort schlafen wollen, tun Sie die große Tür offenlassen, und passen Sie auf auf das Bluttropfen. Wenn nur ein einziger Tropfen fällt, bleiben Sie nicht für alles Gold in der Welt, wo man Ihnen zahlt, da drin.’ Wentworth wollte wissen, was es mit dem Bluttropfen auf sich hatte. ‚Das Blut von denen’, sagte er, ‚die was
der alte Schwarze Mick früher in der alten Zeit im Schlaf getötet hat. Die Blutrache wollt er beilegen, sagt er, und er lädt sie ein – die O’Haras – siebzig davon. Und gibt ihnen zu trinken und redet ein auf sie, und wo sie ihm trauen, schlafen sie bei ihm. Da bringt er sie alle um, mit seinen Leuten, im Schlaf. Die Geschichte hab ich von meinem Großvater. Und seit der Zeit heißt es Tod für jeden, sagt man, der die Nacht im Schloß verbringen tut, wenn das Bluttropfen kommt. Es macht die Kerzen aus und das Feuer, und dann im Dunkeln wär sogar die Heilige Jungfrau machtlos und könnt dich nicht beschützen.’ Wentworth erzählte mir, daß er darüber lachte, hauptsächlich deshalb, weil man, wie er es formulierte, über so ein Garn unwillkürlich lachen muß, wie immer man sich dabei auch fühlen mag. Er fragte den alten Dennis, ob er wirklich von ihm erwarte, daß er ihm die 6
Geschichte abnahm. ‚Ja, Sir’, sagte Dennis. ‚Ich meine, Sie sollten es mir abnehmen, und wenn Sie’s tun und Gott es will, dann können Sie wieder hier und in Sicherheit sein, bevor die Nacht zuende geht.’ Die aufrichtige Einfachheit des Mannes rührte Wentworth, und er reichte ihm seine Hand. Dennoch machte er sich auf den Weg, und ich muß ihn für seinen Mut bewundern. Es waren nun etwa vierzig Männer, und als sie zum Herrenhaus zurückkehrten – oder zum Schloß, wie die Dorfleute es stets nannten –, dauerte es nicht mehr lange, bis das Feuer loderte und die brennenden Kerzen überall aufgestellt waren. Sie hatten alle Stöcke mitgebracht, so daß sie einen harten Brocken für jeden körperlichen Angreifer bedeuteten; und natürlich trug Wentworth seine Flinte. Er verwaltete den Whisky selbst, denn er wollte sie
nüchtern halten, aber er gab gleich zu Beginn eine kräftige Runde aus, damit sie ihren Spaß hatten und nach mehr verlangten. Wenn man eine Menschenmenge wie diese erst einmal zur Ruhe kommen läßt, dann beginnen die Leute zu grübeln und dann, sich Dinge einzubilden. Die große Eingangstür hatte man auf seine Anordnung hin offenstehen lassen, was zeigt, daß er Dennis’ Worte beachtet hatte. Es war eine windstille Nacht, also spielte dies keine Rolle – die Kerzen brannten ruhig, und alle vergnügten sich volle drei Stunden lang. Er hatte eine zweite Runde Flaschen geöffnet, und jeder war guter Laune; so guter Laune, daß einer der Männer den Geistern laut zurief, sie sollten herauskommen und sich zeigen. Und dann geschah etwas höchst Ungewöhnliches; die schwere Haupttür schwang leise und langsam zu, als werde sie von einer unsichtbaren 7
Hand geschoben, und schloß sich mit einem scharfen Klicken. Wentworth erstarrte und begann plötzlich zu frösteln. Er erinnerte sich an die Männer und warf einen Blick in die Runde. Einige waren verstummt und starrten furchtsam auf die große Tür; doch den meisten war es entgangen, und sie palaverten und fabulierten. Er tastete nach seiner Waffe, und im nächsten Moment brach die große Dogge in ein ohrenbetäubendes Bellen aus, das die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe auf sich zog. Ich muß hinzufügen, die Halle ist von rechteckiger Form. Die Südwand besteht ganz aus Fenstern, aber die nördliche und östliche haben Reihen von Türen, die ins Innere des Hauses führen, während die westliche Wand von dem großen Portal eingenommen wird. Die Türreihen, die ins Haus führen, waren alle verschlossen, und der Hund rannte zu einer dieser
Türen in der Nordwand, hielt jedoch Abstand zu ihr; und mit einem Mal begann sich die Tür langsam zu öffnen, bis die Schwärze des Flures dahinter sichtbar wurde. Der Hund kam winselnd zu den Männern zurück, und eine Minute lang herrschte absolute Stille. Dann löste sich Wentworth von den Leuten und richtete seine Waffe auf die offene Tür. ‚Wer immer da ist, komm heraus, oder ich schieße’, rief er; aber nichts tat sich, und er verfeuerte beide Trommeln in die Dunkelheit. Als wären die Schüsse ein Signal, öffneten sich nun langsam alle Türen entlang der nördlichen und westlichen Wand, und Wentworth und seine Männer starrten voller Angst in die schwarzen Rechtecke der leeren Flure. Wentworth lud sein Gewehr eilig und rief nach dem Hund; doch das Tier vergrub sich in den Männern; die Furcht des Hundes ängstigte ihn mehr als alles 8
andere, so verriet er mir. Dann geschah etwas anderes. Drei der Kerzen drüben in der Ecke der Halle verlöschten und gleichzeitig ein halbes Dutzend weitere an verschiedenen Orten im Haus. Mehr und mehr Kerzen gingen aus, und in den Ecken der Halle war es recht dunkel geworden. Die Männer waren aufgestanden, hielten ihre Stöcke fest und scharten sich zusammen. Keiner sagte ein Wort. Wentworth berichtete mir, daß er sich krank fühlte vor Furcht. Ich kenne das Gefühl. Dann, plötzlich, fiel etwas auf den Rücken seiner linken Hand. Er hob sie und sah sie an. Sie war mit einem Spritzer Rot bedeckt, das von seinen Fingern tropfte. Ein alter Ire in seiner Nähe bemerkte es und krächzte mit zitternder Stimme: ‚Das Bluttropfen! Das Bluttropfen!’ Und dann erlosch etwa ein Dutzend Kerzen gleichzeitig, und die Halle lag in Finsternis. Der Hund gab ein
lautes, klagendes Heulen von sich, und eine kurze schreckliche Stille entstand, während der jeder erstarrte. Die Spannung fiel von ihnen ab, und jeder stürzte zur Haupttür. Sie rissen sie auf und stolperten hinaus in die Dunkelheit; doch etwas schlug sie mit einem Donnern hinter ihnen zu und sperrte den Hund ein. Wentworth hörte ihn heulen, als sie die Auffahrt hinabhasteten. Doch keiner hatte den Schneid zurückzugehen und ihn herauszulassen, was mich nicht überrascht. Wentworth benachrichtigte mich am folgenden Tag. Er hatte im Zusammenhang mit dem Fall des Kirchturmmonsters von mir gehört. Ich kam mit dem nächtlichen Postzug an und quartierte mich bei Wentworth im Gasthof ein. Am nächsten Tag gingen wir zum alten Herrenhaus hinauf, das in der Tat mitten in der Wildnis liegt. Was mich allerdings am meisten beeindruckte, war 9
die außergewöhnliche Zahl der Lorbeerbüsche rund um das Gebäude. Der Ort ist förmlich unter ihnen begraben, so daß das Haus aus einem Meer grünen Lorbeers herauszuwachsen scheint. Dies und das grimmige, altertümliche Aussehen des Gebäudes machten den Ort ein wenig klamm und gespenstisch, selbst am Tage. Die Halle war gigantisch und bei Tageslicht gut ausgeleuchtet; was ich nicht bedauerte. Wißt ihr, Wentworths Schilderung hatte mich ziemlich erregt. Wir stießen auf etwas recht Merkwürdiges, und das war die große Englische Dogge, steif daliegend, mit gebrochenem Genick. Das machte mir den Ernst der Lage bewußt; denn es zeigte, daß sich – ganz gleich, ob übernatürlichen Ursprungs oder nicht – eine enorm lebensgefährliche Macht in diesem Haus aufhielt. Später, während Wentworth mit seiner
Flinte Wache stand, untersuchte ich die Halle. Die Flaschen und Krüge, aus denen die Männer ihren Whisky getrunken hatten, lagen verstreut umher; und über den ganzen Ort verteilt standen Kerzen aufrecht in ihrem eigenen Wachs. Eine kurze und allgemeine Suche erbrachte nichts, und ich entschloß mich, in gewohnter Weise jeden Quadratfuß genau zu inspizieren – nicht nur die Halle, sondern in diesem Fall das gesamte Innere des Schlosses. Ich verbrachte drei lästige Wochen mit der Suche; ohne jegliche Resultate. Wie ihr wißt, ist meine Sorgfalt in dieser Phase enorm, denn ich habe Hunderte sogenannter Spukfälle in diesem frühen Stadium gelöst, schlicht durch eine höchst minutiöse Untersuchung und das Bewahren eines offenen Geistes. Doch, wie ich schon sagte, ich fand nichts. Während der gesamten Inspektion brachte ich Wentworth dazu, mit seiner 10
geladenen Schrotflinte Wache zu halten; und ich legte großen Wert darauf, daß wir niemals nach der Dämmerung dort angetroffen wurden. Ich beschloß nun, ein Experiment zu unternehmen, indem ich eine Nacht in der großen Halle verbrachte, selbstverständlich ‚geschützt’. Ich sprach mit Wentworth darüber, doch sein eigener Versuch hatte ihn so nervös gemacht, daß er mich darum ersuchte, derartiges nicht zu tun. Ich dagegen fand das Risiko angemessen und konnte ihn am Ende überreden, anwesend zu sein. Mit dieser Sache vor Augen suchte ich die benachbarte Stadt Gaunt auf und kam nach einer Vereinbarung mit dem dortigen Polizeipräsidenten in der Genuß der Dienste von sechs Polizisten und ihren Gewehren. Die Abmachung war freilich inoffizieller Natur, und die Männer durften sich freiwillig melden und sollten eine Bezahlung erhalten.
Als die Beamten sich früh am nächsten Morgen im Gasthof einfanden, gab ich ihnen ein gutes Frühstück, worauf wir zum Manor aufbrachen. Mit uns führten wir vier Esel, die mit Brennmaterial und anderem beladen waren, ebenso zwei große Jagdhunde, die einer der Polizisten führte. Als wir das Haus erreichten, ließ ich die Männer die Esel entladen, während Wentworth und ich uns daran machten, alle Türen mit Ausnahme des Haupteinganges mit Wachs und Bändern zu versiegeln; falls die Türen wirklich geöffnet wurden, würde ich dessen ganz sicher sein. Ich würde nicht Gefahr laufen, von einer gespenstischen Halluzination oder einem hypnotischen Einfluß getäuscht zu werden. Als es erledigt war, hatten die Polizisten die Esel entladen und sahen sich neugierig, erwartungsvoll um. Zwei von ihnen ließ ich in dem großen Kamin ein Feuer vorbereiten. Einen der 11
Jagdhunde brachte ich ans Ende der Halle, am weitesten vom Portal entfernt; dort trieb ich eine Klammer in den Boden und band den Hund mit einer kurzen Kette daran. Um ihn herum malte ich ein Pentakel mit Kreide auf den Fußboden. Außerhalb des Pentakels machte ich einen Kreis aus Knoblauch. Exakt so verfuhr ich mit dem zweiten Hund, nur weiter in der nordöstlichen Ecke der Halle, wo die beiden Türreihen zusammenstoßen. Kaum war auch diese Arbeit verrichtet, räumte ich die Mitte der Halle und ließ sie von einem der Polizisten fegen; danach wurden meine gesamten Gerätschaften auf der freien Fläche ausgebreitet. Ich ging zur Haupttür hinüber und hakte sie in geöffnetem Zustand so fest, der der Haken aus der Haspe gehoben werden mußte, ehe sie geschlossen werden konnte. Anschließend plazierte ich brennende Kerzen vor jeder der
versiegelten Türen und eine in jeder Ecke des riesigen Raumes; schließlich entfachte ich das Feuer. Als ich sicher war, daß er ordentlich brannte, rief ich die Männer in der Mitte des Raumes bei den Geräten zusammen und nahm ihnen die Pfeifen ab, denn, wie das Sigsand MS. schreibt: ‚Es darf keyn Lycht da kommen aus dem Inner’n der Schranckung.’ Dies mußte ich sicherstellen. Ich nahm mein Bandmaß zur Hand, maß einen Kreis im Durchmesser von dreiunddreißig Fuß ab und fixierte ihn mit der Kreide. Die Polizisten und Wentworth zeigten enormes Interesse, und ich nutzte die Gelegenheit, eine Warnung auszusprechen, denn was ich tat, war kein alberner Mummenschanz, sondern der entschlossene Versuch, eine Barriere zwischen uns und dem unmenschlichen Ding zu errichten, das die Nacht uns offenbaren mochte. Ich schärfte ihnen ein, daß so sie ihr Leben schätzten – und 12
mehr als ihr Leben mochte auf dem Spiel stehen – sie die Grenzen des Kreises unter keinen erdenklichen Umständen überschreiten sollten. Nachdem ich den Kreis gezeichnet hatte, nahm ich ein Büschel von dem Knoblauch und rieb ihn rings um den Kreidekreis, etwas außerhalb davon. Ich nahm mir Kerzen aus meinem eigenen Vorrat, ließ sie von den Polizisten entzünden, und als sie brannten, nahm ich sie und klebte sie mit Wachs an den Boden, direkt innerhalb des Kreidekreises, fünf Inch von einander entfernt. Da jede Kerze etwa ein Inch Durchmesser hatte, brauchte es sechsunddreißig Kerzen, um den Kreis zu komplettieren. Ich brauche kaum zu erwähnen, daß jeder Zahl und jedem Maß eine Bedeutung zukommt. Von Kerze zu Kerze zog ein einen ‚Gayrd’ aus Menschenhaar, wickelte ihn abwechselnd linksherum und
rechtsherum, bis der Kreis vollständig war. Die mit Silber überzogenen Enden des Haares drückte ich ins Wachs der sechsunddreißigsten Kerze. Seit geraumer Zeit war es dunkel, und ich beeilte mich, die ‚Verteidigung’ fertigzustellen. Ich ließ die Männer enger zusammenrücken und baute das Elektrische Pentakel eng um uns auf, so daß die fünf Spitzen des schützenden Sterns gerade die Innenseiten des Haarkreises berührten. Es dauerte nicht lange, und binnen einer Minute hatte ich die Batterien angeschlossen, und das schwache blaue Glimmen der ineinander verwundenen Vakuumröhren leuchtete zu allen Seiten. Jetzt fühlte ich mich wohler, denn das Pentakel stellt, wie ihr alle wißt, eine wundervolle ‚Verteidigung’ dar. Ich habe euch bereits an den Gedanken teilhaben lassen, die mir nach der Lektüre von Professor Garders ‚Experimente mit einem Medium“ 13
gekommen waren. Er hatte herausgefunden, daß ein Strom von einer bestimmten Schwingungsfrequenz im Vakuum das Medium ‚isolierte’. Es ist schwierig, eine unwissenschaftliche Erklärung zu wagen – falls ihr ein ehrliches Interesse daran habt, solltet ihr Garders Vortrag über ‚Astarrale Vibrationen im Vergleich mit Materoinvolierten Vibrationen unter der SechsMilliarden-Grenze’ lesen. Als ich mich von der Arbeit erhob, konnte ich draußen in der Nacht ein ständiges Tropfen von den Lorbeeren hören, die, wie ich erwähnt habe, sehr dick zu allen Seiten des Hauses emporwachsen. An dem Geräusch erkannte ich, daß ein leichter Regen eingesetzt hatte; es gab keinerlei Wind, wie mir die ruhigen Flammen der Kerzen verrieten. Einen Augenblick lang lauschte ich, bis einer der Männer meinen Arm berührte
und fragte, was zu tun sei. Aus seiner Stimme ersah ich, daß er die ungewöhnliche Atmosphäre spürte, und die anderen Männer, Wentworth eingeschlossen, waren jetzt so still geworden, daß ich fürchtete, sie könnten bald nervös werden. Ich ließ sie sich mit den Rücken zueinander auf den Fußboden setzen, die Beine strahlenförmig ausgestreckt. Dann richtete ich ihre Beine mit Hilfe des Kompasses in die acht HauptHimmelsrichtungen, zog mit Kreide einen Kreis um sie und zeichnete gegenüber ihren Füßen die Acht Zeichen des Saamaaa-Rituals. Der achte Platz war freilich leer, aber bereit, jederzeit von mir eingenommen zu werden, denn ich hatte das versiegelnde Zeichen an dieser Stelle weggelassen, bis ich meine Vorbereitungen abgeschlossen hatte und den Inneren Stern betreten konnte. Ein letztes Mal sah ich mich in der 14
großen Halle um und erkannte die beiden großen Hunde, die friedlich dalagen, ihre Nasen zwischen ihren Pfoten. Das Feuer wirkte kraftvoll und aufmunternd, und die Kerzen vor den beiden Türreihen brannten ruhig, ebenso jene, die einzeln in den Ecken standen. Ich umkreiste den kleinen Stern aus Männern und warnte sie, sich nicht zu fürchten, ganz gleich, was geschah, sondern meiner ‚Verteidigung’ zu vertrauen und sich durch nichts dazu verleiten zu lassen, die Grenzen zu übertreten. Ich wies sie außerdem an, ihre Füße exakt an ihren Position zu belassen und darüberhinaus keine Schüsse abzugeben, bevor ich den Befehl dazu gab. Zu guter Letzt ging ich an meinen Platz, setzte mich und zeichnete das Achte Zeichen vor meine Füße. Dann legte ich mir meine Kamera und das Blitzgerät zurecht und untersuchte meinen Revolver.
Wentworth saß hinter dem Ersten Zeichen, und da meine Nummerierung entgegen des Uhrzeigersinnes verlief, war er mein Nachbar zur Linken. Ich erkundigte mich leise, wie er sich fühlte; er gab zu, nervös zu sein, habe aber Vertrauen in mein Wissen und sei bereit, die Sache durchzuziehen, was immer geschah. Wir warteten. Es wurde nicht gesprochen, mit ein oder zwei Ausnahmen, als einer der Polizisten sich zum anderen hinüberbeugte und seltsame Bemerkungen über die Halle flüsterte, die in der tiefen Stille überdeutlich hörbar waren. Nach kurzem gab es nicht einmal mehr ein Flüstern, nur das monotone Tropf-Tropf des leichten Regens außerhalb des großen Portals und den dunklen, dumpfen Klang des Feuers in dem gewaltigen Kamin. Wir gaben eine eigenartige Gruppe ab, wie wir mit den Rücken zueinander 15
saßen, unsere Beine sternförmig von uns gestreckt, um uns das fremdartige blaue Glühen des Pentakels und jenseits davon das klare Leuchten des Ringes brennender Kerzen. Außerhalb des Kerzenscheins wirkte die große leere Halle dagegen ein wenig düster, außer dort, wo die Kerzen vor den versiegelten Türen brannten und der Feuerschein aus dem Kamin drang. Diese geheimnisvolle Stimmung! Könnt ihr euch die vorstellen? Es mag etwa eine Stunde später gewesen sein, als mir ein ungewöhnliches Gefühl der Beklemmung in der Atmosphäre dieses Ortes auffiel. Nicht das nervöse Ahnen eines Mysteriums, das uns die ganze Zeit über begleitet hatte, sondern eine neue Empfindung, als ob sich jeden Augenblick etwas ereignen könne. Unvermittelt drang ein leichtes Geräusch vom östlichen Ende der Halle her, und ich fühlte, wie der Stern aus
Menschen sich bewegte. ‚Ruhig! Nicht bewegen!’ rief ich, und sie verharrten. Ich sah die Halle hinauf und erkannte, daß die Hunde auf den Beinen waren und auf seltsame Weise zum Eingang hin starrten. Ich wandte mich um und spürte die Bewegung, als auch die anderen ihre Köpfe reckten. Plötzlich begannen die Hunde ein ohrenbetäubendes Bellen, ich blickte zu ihnen hinüber – sie fixierten noch immer den großen Eingang. So rasch der Lärm begonnen hatte, so rasch endete er, und sie schienen zu lauschen. Gleichzeitig vernahm ich zu meiner Linken ein leises metallisches Klirren, das mich auf den Haken starren ließ, der die große Tür offenhielt. Er bewegte sich, während ich ihn beobachtete. Etwas Unsichtbares machte sich daran zu schaffen. Ein widerwärtiger Schauer des Ekels durchlief mich, und ich spürte, wie all die Männer um mich sich vor Anspannung versteiften. Ich war sicher, 16
daß uns etwas bevorstand: wie der Eindruck einer unsichtbaren, doch übermächtigen Präsenz. Die Halle war gefüllt mit einer unwirklichen Stille, kein Laut kam von den Hunden. Dann sah ich, wie der Haken sich langsam aus der Haspe hob, ohne daß etwas Sichtbares ihn berührte. Heftige Bewegung kam in mich. Ich hob meine Kamera, das Blitzlicht bereit, und knipste die Tür. Das gewaltige Gleißen des Blitzes flammte auf, begleitet von einem gleichzeitigen Aufheulen der beiden Hunde. Die Intensität des Lichts ließ den ganzen Ort für einige Momente finster erscheinen, und in dieser Zeit der Dunkelheit hörte ich ein Klingeln aus der Richtung der Tür und versuchte etwas zu erkennen. Die Wirkung des grellen Lichts verschwand, und ich konnte wieder klar sehen. Das große Portal wurde langsam geschlossen. Es rastete mit einem scharfen Klacken ein, und es folgte eine
lange Stille, nur durchbrochen von dem Winseln der Hunde. Ich wandte mich hastig um und starrte Wentworth an. Er fixierte mich. ‚Wie beim ersten Mal’, flüsterte er. ‚Höchst außergewöhnlich’, sagte ich, und er nickte und sah sich nervös um. Die Polizisten waren sehr still, und ich schätzte, daß sie in noch schlechterer Verfassung waren als Wentworth; ihr dürft nicht glauben, daß es mir wohl ums Herz war, aber ich habe so viel Ungewöhnliches gesehen, daß ich meine Nerven vermutlich etwas besser unter Kontrolle halten kann als die meisten Leute. Über meine Schulter warf ich einen Blick auf die Männer und warnte sie davor, die Barriere zu übertreten, was auch geschehe; auch nicht dann, wenn das Haus zu schwanken und über ihnen zusammenzubrechen schien; denn ich wußte nur zu gut, wozu einige der 17
Großen Mächte imstande sind. Trotzdem – solange es sich nicht als eine der schlimmeren Saiitii-Manifestationen herausstellen sollte, waren wir beinahe hundertprozentig sicher, wenn wir nur im Inneren des Pentakels blieben. Etwa anderthalb Stunden vergingen still, wenn nicht gerade die Hunde ein furchtsames Winseln von sich gaben. Bald gaben sie auch das auf, und ich konnte sie auf dem Boden liegen sehen, die Pfoten in kurioser Weise über ihre Nasen gelegt und sichtbar zitternd. Der Anblick machte mich nur noch ernster, wie ihr begreifen werdet. Plötzlich erlosch die Kerze, die am weitesten vom Haupteingang entfernt war. Einen Augenblick später zerrte Wentworth an meinem Arm, und ich erkannte, daß eine Kerze vor einer der versiegelten Türen ausgegangen war. Ich hielt meine Kamera bereit. Eine nach der anderen erloschen die Kerzen in der
Halle, so rasch und so unregelmäßig, daß ich den Moment des Verlöschens nie beobachten konnte. Ich ließ das Blitzgerät aufflammen. Während ich halbblind von dem gewaltigen Gleißen des Blitzes dasaß, bereute ich es, diese rußgeschwärzte Schutzbrille nicht mitgebracht zu haben, die ich in solchen Situationen manchmal benutzte. Die Männer waren vor Schreck fühlbar zusammengezuckt, und ich ermahnte sie laut, ruhig zu bleiben und ihre Füße auf den exakten Positionen zu belassen. Meine Stimme klang, wie ihr euch vorstellen könnt, in dem gigantischen Raum ziemlich schaurig und furchterregend, und alles in allem war es ein grauenvoller Moment. Als ich wieder sehen konnte, starrte ich hierhin und dorthin; doch nichts Ungewöhnliches war zu sehen; außer natürlich, daß es drüben in den Ecken nun dunkel war. 18
Jetzt erkannte ich, daß das große Feuer sich verdunkelte. Es erlosch, während ich zusah. Wenn ich sage, daß eine monströse, unsichtbare, unmögliche Kreatur ihm das Leben aussaugte, beschreibt es die Art und Weise vermutlich am besten, wie das Licht und die Flamme verschwanden. Es war ein höchst extraordinärer Anblick. Während ich es betrachtete, verschwand die letzte Spur des Feuers, und es gab nun kein Licht mehr außerhalb des Ringes aus Kerzen um das Pentakel. Die Zielgerichtetheit der Angelegenheit beschäftigte mich mehr, als ich euch erklären kann. Sie übermittelte mir den Eindruck der Präsenz einer besonnenen Planenden Macht: Diese feste Absicht, Dunkelheit zu schaffen, war entsetzlich. Der Ausmaß der Macht, auf Materie einzuwirken, war nun die alles beherrschende Frage in meinem Hirn. Versteht ihr?
Hinter mir hörte ich die Polizisten sich erneut regen, und ich wußte, daß sie nun gründlich Angst bekamen. Ich drehte mich zur Hälfte um und teilte ihnen mit ruhigen, aber deutlichen Worten mit, daß sie in Sicherheit waren, solange sie im Pentakel blieben, in der Position, in die ich sie gebracht hatte. Wenn sie den Kreis auch nur einmal zerbrachen und die Barriere verließen, konnte all mein Wissen das Grauen der Gefahr nicht ermessen. Ich versuchte sie mit diesen Wiederholungen zu beruhigen; doch wenn sie, wie ich, gewußt hätten, daß kein Schutz absolute Sicherheit bot, hätten sie in ihrer Angst die ‚Verteidigung’ vielleicht durchbrochen und ihr Heil in einer dummen, törichten Flucht gesucht. Eine weitere Stunde verging in vollkommener Stille. Ich empfand eine schreckliche Anspannung und einen 19
Druck, als ob ich nur eine kleine Seele in der Gesellschaft eines unsichtbaren, lauernden Monstrums aus einer unbekannten Welt sei, das uns noch kaum bemerkt hatte. Ich lehnte mich zu Wentworth hinüber und fragte ihn, ob er das Gefühl habe, etwas befände sich im Raum. Er sah sehr blaß aus, und seine Augen waren ständig in Bewegung. Er blickte mich nur einmal an und nickte; dann ließ er seine Blicke wieder durch die Halle schweifen. Ich tat nichts anderes. Unvermittelt, als ob hundert unsichtbare Hände sie ausgelöscht hätten, ging jede Kerze in der Barriere aus, und wir wurden in einer Dunkelheit zurückgelassen, die nahezu absolut war; das Licht des Pentakels war zu schwach, um weit in die große Halle vorzudringen. Ich sage euch, einen Augenblick lang saß ich da, als wäre ich festgefroren. Ein Schauer lief über meinen ganzen Körper und endete in meinem Gehirn. Ich schien
über ein übermenschliches Gehör zu verfügen. Ich konnte mein eigenes Herz außergewöhnlich laut pochen hören. Nach einer Weile ging es mir zwar besser, doch hatte ich noch immer nicht den Schneid, mich zu bewegen. Versteht ihr? Bald eroberte ich meinen Mut zurück. Ich ergriff meine Kamera und das Blitzlicht und wartete. Meine Hände waren schweißgetränkt. Ich warf Wentworth einen Blick zu. Ich konnte ihn nur schwach erkennen. Seine Schultern waren ein wenig zusammengezogen, sein Kopf vorgestreckt; doch obwohl er sich nicht regte, wußte ich, daß seine Augen sich bewegten. Es ist merkwürdig, wie man solche Dinge manchmal weiß. Die Polizisten waren ebenfalls still. So verging einige Zeit. Ein plötzlicher Laut durchbrach die Stille. Von zwei Seiten kamen leise Geräusche. Ich erkannte sie sofort als das Brechen von Siegelwachs. Die 20
versiegelten Türen öffneten sich. Ich hob die Kamera und das Blitzgerät, und es war eine seltsame Mischung aus Furcht und Courage, die mich den Auslöser drücken ließ. Als der gewaltige Lichtblitz die Halle erleuchtete, zuckten die Männer um mich zusammen. Die Dunkelheit fiel wie ein Donner über uns herein, wenn ihr versteht, und schien zehnfach so tief. In dem Augenblick der Helligkeit allerdings hatte ich erkannt, daß alle versiegelten Türen geöffnet waren. Um uns herum erklang ein Tropf-tropftropf auf dem Boden der großen Halle. Mich überkam das Vorgefühl einer höchst realen bevorstehenden Gefahr. Das ‚Bluttropfen’ hatte begonnen. Und die bittere Frage lautete nun, ob uns die Barrieren vor dem schützen konnten, was in dem gewaltigen Raum erschienen war. Einige schreckliche Minuten lang steigerte sich das ‚Bluttropfen’ zu einem Regen; und bald fiel etwas davon auch
innerhalb unserer Schranken. Ich sah mehrere große Tropfen auf die fahl glühenden verschlungenen Röhren des Elektrischen Pentakels klatschen; doch seltsamerweise schienen keine auf uns herabzufallen. Über das furchtbare Geräusch des ‚Tropfens’ hinaus gab es keinen anderen Laut. Und dann kam ein grauenhaftes schmerzerfülltes Heulen von dem Jagdhund in der entferntesten Ecke, unmittelbar gefolgt von einem ekelerregenden, brechenden Geräusch und einer sofortigen Stille. Wenn ihr auf der Jagd jemals einem Hasen das Genick gebrochen habt, dann kennt ihr das Geräusch – im Kleinen! Wie ein Blitzstrahl schoß der Gedanke in meinen Kopf: ES hat das Pentakel überschritten. Denn ihr werdet euch erinnern, daß ich eines für jeden der Hunde gefertigt hatte. Mit einer widerlichen Vorahnung dachte ich an unsere eigenen Barrieren. Etwas befand sich bei uns in der Halle, das die 21
Schranken des Pentakels um einen der Hunde durchschritten hatte. In der darauffolgenden schrecklichen Stille bebte ich am ganzen Leib. Und plötzlich stieß einer der Männer hinter mir einen Schrei aus, wie den einer Frau, und stürzte zur Tür. Er tastete ein wenig herum und hatte sie im Handumdrehen geöffnet. Ich rief den anderen zu, sich nicht zu bewegen, doch sie folgten ihm wie Schafe, und ich hörte, wie sie in ihrer Panik die Kerzen durch die Halle kickten. Einer von ihnen trat auf das Elektrische Pentakel, zerbrach es, und die Finsternis war vollkommen. Mir wurde sofort klar, daß ich den Mächten der Unbekannten Welt hilflos ausgeliefert war, und mit einem wilden Sprung war ich außerhalb der nutzlosen Schranken, zum großen Portal hinaus und in der Nacht. Ich denke, ich kreischte vor lauter Schreck. Die Männer waren mir ein Stück voraus; ich hörte nicht auf zu rennen,
und sie ebensowenig. Ab und zu warf ich einen Blick zurück über meine Schulter; und ich spähte in die Lorbeeren, die die ganze Auffahrt entlang wuchsen. Die scheußlichen Dinger raschelten und raschelten in einer hohlen Weise, als ob etwas darunter auf gleicher Höhe mit mir bleiben würde. Der Regen hatte aufgehört, und ein trostloser Wind ächzte durch das Anwesen. Es war widerwärtig. Ich holte Wentworth und die Polizisten an der Gartenpforte ein. Wir verließen das Grundstück und rannten den ganzen Weg ins Dorf hinab. Wir fanden den alten Dennis noch wach, und die Hälfte der Dorfbewohner leistete ihm Gesellschaft. Er sagte, er sei bei seiner Seele überzeugt davon gewesen, daß wir zurückkehren würden, falls wir überhaupt zurückkehrten – und das ist keine Fehlübersetzung seines irischen Dialekts. Glücklicherweise hatte ich meine Kamera aus dem Haus geschafft – 22
vermutlich, weil der Trageriemen zufällig um meinen Hals lag. Dennoch machte ich mich nicht sofort an das Entwickeln, sondern saß mit den anderen in der Bar, wo wir uns stundenlang über die Einzelheiten der grauenhaften Affäre austauschten. Später allerdings ging ich auf mein Zimmer und kümmerte mich um die Photographien. Ich war jetzt gefaßter, und es schien mir möglich, daß auf den Negativen etwas zu sehen sein würde. Auf den ersten beiden Platten fand ich nichts Ungewöhnliches, aber auf der dritten, die ich als erstes geknipst hatte, entdeckte ich etwas, das mich in höchstem Maße erregte. Ich untersuchte sie sehr sorgfältig mit einem Vergrößerungsglas; dann legte ich sie in die Wässerungswanne und zog ein Paar Gummigamaschen über meine Stiefel. Das Negativ hatte mir etwas Außergewöhnliches gezeigt, und ich hatte
beschlossen, nachzuprüfen, was es anzudeuten schien, ohne noch eine Sekunde zu verlieren. Es machte keinen Sinn, Wentworth oder der Polizei etwas zu sagen, bevor es geklärt war; außerdem nahm ich an, alleine größere Erfolgschancen zu haben; ich gehe ohnehin nicht davon aus, daß irgend etwas sie in dieser Nacht noch zum Manor hinauf gebracht hätte. Ich nahm meinen Revolver und stieg leise hinab und hinaus in die Dunkelheit. Der Regen hatte wieder eingesetzt, doch das kümmerte mich nicht. Ich beeilte mich. Als ich zum Gartentor kam, hielt mich ein plötzlicher Instinkt davon ab, hindurchzugehen, und ich kletterte über die Mauer in den Park. Ich hielt mich abseits der Auffahrt und näherte mich dem Gebäude durch die tristen tropfenden Lorbeeren. Ihr könnt euch vorstellen, daß es mir kaum geheuer war. Bei jedem raschelnden Blatt zuckte ich 23
zusammen. Ich kam von hinten an das große Haus heran und verschaffte mir Zugang durch ein kleines Fenster, daß mir bei meiner Inspektion aufgefallen war; denn natürlich kannte ich den Ort vom Dach bis zu den Kellern. Ich stieg leise die Küchentreppe empor, bebend vor Angst, und oben angekommen wandte ich mich nach links und betrat einen langen Korridor, der durch eine der Türen, die wir versiegelt hatten, mit der großen Halle verbunden war. Ich blickte hindurch und sah das schwache Flackern eines Lichts an seinem Ende; auf Zehenspitzen näherte ich mich ihm und hielt meinen Revolver bereit. Als ich die Tür erreicht hatte, hörte ich Männerstimmen und Gelächter. Ich ging weiter, bis ich in die Halle sehen konnte. Da war eine Gruppe aus mehreren Männern. Sie waren gut gekleidet, und ich erkannte, daß mindestens einer von ihnen eine Waffe
trug. Sie betrachteten meine ‚Barrieren’ gegen das Übernatürliche mit einer Menge hämischem Lachen. Niemals in meinem Leben kam ich mir so dumm vor. Nun war mir klar, daß es eine Gruppe von Männern war, die das verlassene Herrenhaus, vielleicht seit Jahren, für ihre eigenen Zwecke nutzten; und nun, da Wentworth es in Besitz zu nehmen versuchte, spielten sie mit den Traditionen dieses Ortes, in der Hoffnung, ihn zu vertreiben und den praktischen Unterschlupf weiterhin zu ihrer freien Verfügung zu haben. Doch was sie waren, ob Falschmünzer, Diebe, Erfinder oder sonstiges, das wußte ich nicht. Sie verließen bald das Pentakel und versammelten sich um den lebenden Jagdhund, der mir erstaunlich ruhig erschien. Es gab eine Diskussion, ob man das Tier am Leben lassen sollte oder nicht; doch schließlich entschlossen sie sich, ihn vorsichtshalber zu töten. Ich 24
sah, wie zwei von ihnen eine gebogene Seilschlinge in sein Maul preßten, und die beiden Schlaufen der Schlinge wurden hinter dem Kopf des Jagdhundes zusammengezogen. Dann stieß ein dritter Mann einen dicken Spazierstock durch die beiden Schlingen. Die beiden Männer mit dem Seil beugten sich hinab, um den Hund festzuhalten, so daß ich nicht erkennen konnte, was geschah; doch das arme Tier gab ein plötzliches gräßliches Heulen von sich, und der unangenehme brechende Laut, den ich in dieser Nacht schon einmal gehört hatte, wie ihr euch erinnern werdet, wiederholte sich. Die Männer standen auf und ließen den Hund zurück, der nun still war, wie man sich denken kann. Was mich betrifft, so war ich mir der berechnenden Skrupellosigkeit durchaus bewußt, die das Todesurteil über das Tier gefällt hatte, und der kalten Entschlossenheit, mit der dieses anschließend so gekonnt
vollstreckt wurde. Ich ging davon aus, daß jeder, der diesen ganz speziellen Herrschaften unter die Augen kam, höchstwahrscheinlich ein ähnlich unglückliches Ende finden würde. Eine Minute später rief einer der Männer den anderen zu, sie sollten ‚die Drähte entfernen’. Einer von ihnen näherte sich der Tür, bei der ich stand, und ich rannte eilig zurück in die Dunkelheit des dahinterliegenden Korridors. Ich sah den Mann sich recken und etwas von oberhalb der Tür nehmen, und ich hörte das leise, klingelnde Rasseln eines Stahldrahtes. Als er gegangen, eilte ich zurück und sah die Männer einen nach dem anderen durch eine Öffnung in der Treppe verschwinden – eine der Marmorstufen war angehoben worden. Als der letzte verschwunden war, wurde die Platte, die die Stufe bildete, wieder geschlossen, und es gab kein Zeichen einer Geheimtür 25
mehr. Es war die siebste Stufe vom Boden aus, wie ich sorgfältig zählte. Und eine hervorragende Idee, denn sie war so massiv, daß sie nicht hohl klang, nicht einmal unter einem schweren Hammer, wie ich später herausfand. Viel mehr gibt es nicht zu erzählen. Ich verließ das Haus so rasch und leise wie möglich, und kehrte zum Gasthof zurück. Die Polizisten folgten mir – es brauchte keine Überredungskunst, nun, da sie wußten, daß die ‚Geister’ aus Fleisch und Blut waren. Wir betraten den Park und das Herrenhaus auf dieselbe Weise, wie ich es getan hatte. Doch als wir versuchten, die Stufe zu öffnen, gelang es uns nicht, und wir mußten sie zertrümmern. Das muß die Spukgesellen gewarnt haben, denn als wir in einen geheimen Raum hinabstiegen, den wir am Ende eines langen, schmalen Ganges fanden, war niemand dort. Die Polizei war furchtbar empört, wie
ihr euch vorstellen könnte; aber für mich spielte es so oder so keine Rolle. Ich hatte den Geist auf Eis gelegt, wie man sagen könnte, und dazu war ich hergekommen. Ich hatte keine Sorge, daß die anderen mich auslachen würden, denn sie alle waren darauf hereingefallen, und am Ende hatte ich gesiegt – ohne ihre Hilfe. Wir durchsuchten die geheimen Gänge und fanden einen Ausgang am Ende eines langen Tunnels, der draußen in den Wiesen zu einem Brunnen führte. Die Decke der Halle war hohl und durch ein kleines geheimes Treppchen in der großen Treppe zu erreichen. Das ‚Bluttropfen’ war nichts als gefärbtes Wasser, das man durch die winzigen Öffnungen in der verzierten Decke fallen ließ. Wie die Kerzen und das Feuer gelöscht wurden, weiß ich nicht; denn hier handelten die Spukgesellen nicht streng nach der Tradition, die vorsah, 26
daß die Lichter von dem ‚Bluttropfen’ gelöscht wurden. Vielleicht war es zu schwierig, die Flüssigkeit zu lenken, ohne sie förmlich zu versprühen, was das ganze hätte auffliegen lassen. Die Kerzen und das Feuer mögen durch die Verwendung eines Karbongases gelöscht worden sein; doch ich habe keine Ahnung, wie es ausgebracht wurde. Die geheimen Verstecke waren selbstverständlich uralt. Es gab außerdem – habe ich es erwähnt? – eine Glocke, die sie so aufgehängt hatten, daß sie klingelte, wenn jemand durch die Gartenpforte am Ende der Auffahrt kam. Wäre ich nicht über die Mauer gestiegen, hätte ich nichts vorgefunden, denn die Glocke hätte sie gewarnt, wäre ich durch das Tor gekommen.“ „Was war auf dem Negativ zu sehen?“ wollte ich neugierig wissen. „Ein Bild von dem feinen Draht, mit dem sie nach dem Haken tasteten, der
die Eingangstür offenhielt. Sie taten das von einem der Risse in der Decke aus. Sie hatten offenbar keine Vorbereitungen für die Beseitigung des Hakens getroffen, da sie wohl nicht annahmen, jemand könne Gebrauch davon machen – deshalb mußten sie eine Angel improvisieren. Der Draht war zu dünn, als das wir es in dem schwachen Licht gesehen hätten; doch das Blitzlicht ‚schälte ihn heraus’. Versteht ihr? Die inneren Türen wurden mit Drähten geöffnet, wie ihr zweifellos schon vermutet habt, die sie nach Gebrauch abmontierten, sonst hätte ich sie bei meiner Inspektion sofort aufgestöbert. Ich denke, ich habe nun alles erklärt. Der Hund wurde natürlich unmittelbar von den Männern getötet. Wißt ihr, sie machten den Ort zunächst so dunkel wie irgend möglich. Freilich wäre das Geheimnis des Spuks auf der Stelle aufgeflogen, wäre es mir gelungen, das 27
Blitzgerät genau in diesem Moment zu zünden. Doch das Schicksal wählte einen anderen Weg.“ „Und die Landstreicher?“ fragte ich. „Oh, du meinst die beiden Streuner, die tot im Manor aufgefunden wurden“, sagte Carnacki. „Tja, natürlich kann man es nicht mit Sicherheit sagen, aber vielleicht fanden sie etwas heraus und bekamen eine Spritze verpaßt. Es ist genauso wahrscheinlich, daß der Tod sie auf natürliche Weise ereilte. Es ist annehmbar, daß in dem alten Haus eine Menge Landstreicher geschlafen haben.“ Carnacki erhob sich und klopfte seine Pfeife aus. Wir standen ebenfalls auf und griffen nach unseren Mänteln und Hüten. „Geht!“ sagte Carnacki freundlich, die vertraute Formel benutzend. Hinaus auf den Straßendamm gingen wir und machten uns in der Dunkelheit auf unsere unterschiedlichen Heimwege.
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