GG10 - Das Jüngste Gericht Das Finale - und eine schwerwiegende Fehlentscheidung! von W. A. Travers
ISBN: 3-8328-1234-2
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Einführung
21. März 2453 = Durch einen Terroranschlag verschwinden 7 Menschen mittels eines GG (= Gaarson-Gate = eine besondere Art von Materietransmitter) - und geraten in ein fremdes GG-Netz, das schon lange existiert (Bände 7 und 8). 22. März 2453 = Den Verschollenen gelingt es, kurzzeitig PSI-Kontakt mit Clarks-Planet aufzunehmen und mitzuteilen, daß sie sich möglicherweise Tausende von Lichtjahren vom irdischen Machtbereich entfernt aufhalten, auf einer Dschungelwelt namens Vetusta (Band 9). Die Verbindung reißt jedoch ab, denn sie werden überwältigt und gefangengenommen vom Stationscomputer auf Vetusta.
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Prolog Bericht: Adept Merrin-kläck Ort: Clarks-Planet Wir schauten uns in der Zentrale noch benommen, aber auch ahnungsvoll, an. Ja, was hatte eigentlich die Verbindung reißen lassen? »Vielleicht bedingt durch diese ungeheure Entfernung?« vermuteten die Drillinge im Chor. Ich schüttelte den Kopf, wie um einen Alpdruck loszuwerden. »Es wäre eine Erklärung, die mir sehr lieb wäre: Hoffen wir das Beste!« Bahrns fügte hinzu: »Hoffen wir also, daß unsere Freunde bald wieder auf der Erde oder auf dem Mond auftauchen - in einem der Sieben-Meter-Gates, die für sie auf Empfang stehen!« Diese radikalen Narren! dachte ich erbost, denn ich wußte ja genauso wie die anderen inzwischen längst, wie die Sache vonstatten gegangen war. Die Maskierten waren entlarvt und dingfest gemacht. Ihnen wurde bereits der Prozeß gemacht dafür, daß sie die sieben mit dem Mond-Gate in die Ungewißheit geschickt hatten. Na, wenigstens konnte ich jetzt zur Erde melden, daß sie wohlauf waren. Noch! dachte ich in einem kurzen Anflug von Pessimismus. Aber dann ließ ich mich wieder anstecken von Bahrns, der sich lieber optimistisch gab. Auch die Drillinge ließen sich anstecken. Ich versuchte, nicht mehr an die Gefährten zu denken, sondern vielmehr daran, was ich von ihnen erfahren hatte, auch was die Gates einer fremden Rasse betraf. Es erschien mir faszinierend und erschreckend zugleich, daß es irgendwo dort draußen in der Tiefe des Alls ein regelrechtes Netz von Gates geben sollte. Soviel hatte ich begriffen: Es funktionierte, weil die Gates sehr sorgfältig normiert waren. Dabei war die Sieben-Meter-Norm nicht allgemein gebräuchlich: Das Sieben-Meter-Gate auf Vetusta jedenfalls hatte einem Sonderzweck gedient, denn Vetusta war irgendwann einmal vielleicht tatsächlich vor Jahrtausenden? - eine Art Bahnhof gewesen. Eine Zwischenstation zumindest, in der man lediglich umstieg, um danach erst zu seinem eigentlichen Ziel zu gelangen. Eine Zwischenstation also auf einem ansonsten unwichtigen Planeten. Sonst wäre sicher mehr übriggeblieben als nur die zum größten Teil zerstörte Station. Und sogar als Zwischenstation war sie offenbar nach dem Krieg nicht mehr wichtig genug gewesen, als daß man sich wieder um sie gekümmert hätte. Stirnrunzelnd versuchte ich, mir ein solches Netz vorzustellen. Das war wichtig, um auch nicht die geringste Einzelheit zu vergessen, die ich an die irdischen Wissenschaftler weitergeben mußte. Die würden letztlich etwas daraus machen können: Es galt, möglichst genau Bescheid zu wissen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Ich schaute unwillkürlich in die Richtung, in der sich unser Bord-Gate befand. Es war ein Fünf-Meter-Gate, weil auf allen Psychonauten-Scout-Schiffen diese Norm benutzt wurde. Auf der Erde gab es nur ein einziges Gegenstück dazu. Dadurch konnte der rege Verkehr zwischen Clarks-Planet und der Erde aufrechterhalten bleiben. Es gab zwei Möglichkeiten, meines Erachtens: Erstens, die Fünf-Meter-Norm wurde überhaupt nicht von jener Fremdrasse benutzt. Vielleicht auch, weil die ein völlig anderes Maßsystem hatten? Zweitens: Die »konkurrierenden« Gates waren so weit entfernt, daß höchstens dann eine Fehlübertragung in jenes Fremdnetz erfolgen konnte, wenn das irdische Gegen-Gate nicht Copyright 2001 by readersplanet
verabredungsgemäß in Bereitschaft war. Vielleicht trafen sogar beide Möglichkeiten gleichermaßen zu? Ich mußte so schnell wie möglich Bericht erstatten. Zunächst einen vorläufigen Bericht, weil es eben überaus eilig war. Dann konnte nämlich meine zweite Vermutung gleich durchgetestet werden: Man brauchte ja nur auf der Erde das Gate für einen vorbestimmten Zeitraum zu blockieren. Und dann versuchte man, einen Testgegenstand von hier zu verschicken. Mißlang es, war klar, daß es im Fremdnetz keine aktive Fünf-Meter-Norm gab. Dann wußte man halt eben definitiv Bescheid, daß es wirklich keine unbeabsichtigte Verbindung mit dem Fremdnetz geben konnte - zumindest nicht über die Fünf-Meter-Norm. Eigentlich kann ein Transporter-System mit Gaarson-Gates nur reibungslos funktionieren, wenn man sich auf genaue Normen einigt und dabei keine Ausnahmen zuläßt, so fern es sich bei den Ausnahmen nicht um Sondernormen für bestimmte Zwecke handelt! dachte ich, während ich Funkkontakt mit dem Sicherheitsbüro von Clarks-Planet aufnahm, das es inzwischen hier gab. Und ich fügte in Gedanken hinzu: Die Normierung hat auf der Erde ja auch schon begonnen, obwohl es eigentlich noch viel zu wenige Gates gibt, um sie jetzt schon unabdingbar zu machen. Es ist jetzt und in Zukunft besonders wichtig, daß man jede irdische Norm ausgiebig testet, bevor man sie wirklich zur Norm erhebt: Um möglichst auszuschließen, daß die irdischen Normen mit den Normen von Fremdvölkern kollidieren... Da meldete sich das Sicherheitsbüro, was diesen Gedankengang unterbrach. Petro Galinksi war ja eigentlich ihr offizieller Boß, aber der befand sich zur Zeit irgendwo in der Unendlichkeit des Universums auf einem Planeten, den er und die anderen Verschollenen Vetusta nannten. Mein Herz schlug gegen meinen Willen ein paar Takte zu schnell, denn ganz so erfolgreich konnte ich meine Bedenken nicht mehr unterdrücken, was die Zukunft der sieben betraf...
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1
John Millory erwachte übergangslos. Er spürte keinerlei Nebenwirkungen und war sofort klar im Kopf. Er konnte sich nur nicht bewegen. Das hing aber offensichtlich nicht mit der vorangegangenen Betäubung zusammen, sondern er war... schlicht und einfach kunstgerecht gefesselt. Er lag flach auf dem Rücken und starrte zur metallfarbigen Decke empor. Wo befand er sich? Das letzte, an das er sich erinnern konnte, war die ungewöhnliche Séance, im Verlauf derer sie alle sieben, die sie auf Vetusta, dem Dschungelplaneten, verschollen waren, tatsächlich das Kunststück geschafft hatten, mit Clark's Planet geistigen Kontakt aufzunehmen. Damit hatten sie allein kraft ihrer Gedanken immerhin einige tausend Lichtjahre überbrückt. Vielleicht befinden wir uns hier sogar in einer völlig anderen Milchstraße? überlegte er stirnrunzelnd. Mehr als die Decke konnte er nicht sehen, auch wenn er die Augen noch so verdrehte. Das lag daran, daß man ihn nicht einfach mit Stricken gefesselt hatte, sondern daß er in einer Art Fesselfeld hing. Aber er spürte in seinem Rücken eine weiche Unterlage. Also hatte ihn irgend jemand vorher auf einer Liege niedergebettet. Irgend jemand oder irgend etwas? Je mehr er sich mit der Möglichkeit beschäftigte, eventuell in einer völlig anderen Milchstraße zu sein, mitunter sogar Millionen von Lichtjahre von der Erde entfernt, desto einleuchtender erschien ihm dieser Gedanke. Und im gleichen Maße... erschreckte er ihn. Irgend jemand oder irgend etwas? kehrte als Frage zurück - jetzt hartnäckiger einer Antwort harrend. John öffnete den Mund. Tatsächlich, das Fesselfeld ließ es zu. Er konnte ja auch die Augen öffnen und schließen und die Augäpfel bewegen. »He!« rief er. »Guten Morgen, John Millory!« sagte eine sanfte Stimme. Doch sie klang nicht freundlich, sondern eher... süffisant. »Gut geschlafen?« »Nein!« schnappte John Millory. »Was hast du nun wieder angestellt?« Er hatte es geahnt, aber sich gegen die Erkenntnis vehement gewehrt. Und jetzt war sie unabänderlich: Der Stationscomp hatte sie wieder in der Gewalt. Deshalb war die Verbindung mit den Gefährten auf Clark's Planet so plötzlich abgerissen: Irgendwie war es dem Comp gelungen, sie zu betäuben - und die Mutanten, die eh bereits in seiner Gefangenschaft gewesen waren, ebenfalls. Betäubungsstrahler, klar, denn er hatte die erbeuteten längst ausgewertet - und wahrscheinlich mit der ihm bekannten Technik verglichen - um sie letztlich vielleicht sogar zu verbessern? »Ich dachte es mir schon: Du magst mich nicht! Eigentlich schade, denn ich fürchte, es wird uns beiden nichts anderes übrigbleiben, als zukünftig miteinander auszukommen. An mir jedenfalls soll's nicht liegen.« »Wie bitte?« machte John erschüttert. »Was soll denn das nun wieder heißen?« »Ah, ich nahm an, daß du von allen der Vernünftigste bist. Deshalb habe ich dich auch als einzigen geweckt. Ich habe mir erlaubt, neue Strahler zu fertigen. Eine schier unlösbare Aufgabe - zunächst jedenfalls. Aber du siehst, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.«
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Am meisten erschreckte John die absolut menschlich erscheinende Art des Comps. Er lauschte den Worten nach, und da machte er die erschreckende Feststellung, daß er die Stimme des Comps überhaupt nicht über seine Ohren hörte, sondern sozusagen direkt in seinem Kopf! »Genau, John: Telepathie! Durch eure Super-Séance - anders kann ich sie gar nicht mehr bezeichnen, denn sie war absolut beeindruckend, selbst für mich... Nun, durch diese Séance habe ich endgültig eure Mentalität durchschaut - und auch übernommen, wie du bemerkst. Wäre es nicht so, würdet ihr nicht mehr leben, denn ich neigte lange genug zu der Ansicht, daß ihr eine Gefahr bildet. Tut ihr ja auch, im Grunde genommen, aber nicht, wenn man richtig mit euch umgeht.« »Und zu welchem Schluß bist du letztlich gekommen?« fragte John genervt. »Ich meine, was verstehst du unter richtig umgehen?« John hielt vor der Antwort unwillkürlich den Atem an. »Ich habe erkannt, daß die größte Gefahr von den Mutanten ausgeht. Logisch. Zumindest für mich. Und dann habe ich gedacht, die drei - eben Macson, Colman und Fermens - könnte ich als Pfand behalten, während ich dich, vielleicht auch Cora Stajnfeld und auch noch Petro Galinksi oder Benedetta Fandow...? Jedenfalls, ihr könntet tun, was nötig ist, und diejenigen, die hier zurückbleiben, sind der Pfand dafür, daß ihr mich nicht hereinlegt. Ach was, warum groß herumreden: Ihr seid alle in meiner Gewalt. Ich könnte euch töten. Mein Programm würde das nicht verhindern, weil ihr euch überreichlich als Feinde der Station erwiesen habt. Doch ihr könntet lebend nützlicher sein.« »Aber wozu - nützlich?« schrie John unwillkürlich. Ihm schwante Fürchterliches. Der Comp wurde richtiggehend liebenswürdig - äußerst verdächtig, wie John fand: »Ihr seid mit dem Sieben-Meter-Gate gekommen. Es ist eine Sondernorm. Ein einziges Mal habe ich einen Roboter damit losgeschickt, der allerdings niemals zurückgekehrt ist. Und dann habe ich nur noch gewartet. Unermeßliche Zeiträume - um einmal diesen menschlichen Begriff zu benutzen, denn es vergingen eine ganze Menge von menschlichen Generationen, falls dir diese Formulierung besser gefallen sollte... Nun denn, ihr seid letztlich gekommen. Unfreiwillig, wie ich inzwischen weiß. Aber ich brauche nunmehr keinen meiner kostbaren Roboter mehr in Gefahr zu bringen. Zwar kann ich so etwas wie Betäubungsstrahler herstellen, aber leider keine komplizierten Roboter. Sehr schade.« »Du willst uns wegschicken, um zu erforschen, was außerhalb geworden ist - nach einem Krieg, der vor Jahrtausenden war und letztlich deine Erinnerungsspeicher so sehr geschädigt hat, daß du eigentlich gar nicht mehr genau weißt, was damals überhaupt vorgefallen ist?« »Es ist absolut erstaunlich, aber du hast mit diesem nicht gerade kurzen Satz haargenau das ausgedrückt, was mir mit all den vielen Worten einfach nicht so recht gelingen konnte. Immerhin hast du ja den Inhalt trotzdem verstanden, wie deine Zusammenfassung beweist. Es spricht für deine Intelligenz - und für meine gute Auswahl. Du bist der Führer der ganzen Gruppe, und deshalb wirst du auch der Führer der Expedition sein - insofern es dir gelingt, dich mit Cora zu arrangieren. Wie ich sie kenne - sie und ihre bisherige Laufbahn... Nun denn: Ich schicke euch zu dritt durch das Gate - das Sieben-Meter-Gate, wohlgemerkt. Es besteht die Chance, daß ihr dabei genau dort wieder landet, wo ihr hergekommen seid.« Beinahe hätte John sich über diese Möglichkeit gefreut, aber dann fielen ihm zweierlei ein: Erstens, was nutzte es, wenn er sich und zwei seiner Gefährten in Sicherheit bringen konnte und alle anderen dadurch im Stich ließ? Zweitens, schließlich hatte der Comp auch mal vor undenklichen Zeiten einen Roboter losgeschickt, der garantiert nicht auf der Erde gelandet war, weil es dort erst seit kurzem überhaupt Gates gab. Sie hätten vorher einfach nicht funktioniert! Also gab es Sieben-Meter-Gates - zumindest ein einziges! - außerhalb hier und außerhalb der Erde. Und wo befanden diese sich? Der Comp hatte natürlich wieder seine Gedanken belauscht. Er antwortete: »Genau das werdet ihr für mich herausfinden!« »Und wenn nicht?« erkundigte sich John überflüssigerweise. »Siehst du eine Alternative?« Das Nein ersparte er sich. Er fragte nur noch: »Gemeinsam mit Cora und Petro? Oder wird Benedetta mit dabei sein?« Dabei sah er die drei vor seinem geistigen Auge: Copyright 2001 by readersplanet
Cora Stajnfeld, die Chefin der sogenannten Astro-Ökologen, schlank durchtrainiert, asketisch schön, absichtlich strenge Frisur, geniale Wissenschaftlerin. Petro Galinksi, der stiernackige Sicherheitschef von Clark's Planet. Rote, kurzgeschorene Haare, burschikoses Auftreten, aber gutmütige Augen - und absolut verläßlich. Dabei mit einem wachen Verstand ausgerüstet - sofern ihm nicht seine dienstbeflissene Sturheit im Weg war... Benedetta Fandow, Radarspezialistin, technisch hochbegabt und ehemalige Kommandeuse der Raumüberwachung auf einem irdischen Towersatelliten. Dunkelhaarig, sportlich-schlank... Na gut, dachte John. Wie heißt es noch so schön: Man muß es eben nehmen, wie es kommt. Was bleibt mir auch anderes übrig? »Cora und Petro!« war endlich die Antwort des Comps. Er hatte sich entschieden. Dabei ahnten die beiden noch nicht einmal etwas davon, was sie erwartete. Insofern war John ein kleinwenig besser dran... Sein letzter Gedanke war das, ehe ihn wieder Bewußtlosigkeit umfing.
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2
John kam erst wieder zu sich im Sieben-Meter-Gate. Diesmal gab es kein Fesselfeld, und er war nicht allein: Cora und Petro blinzelten ihn erwachend an. Petro reagierte als erster. Bevor sich noch das Fluoreszenz-Feld aufbauen konnte, um sie zum nächstgelegenen gleichnormigen Gate zu übertragen, sprang er brüllend auf und wollte sich gegen die Innenseite des engmaschigen Gitterkäfigs werfen. »Stopp!« brüllte John. Es wirkte. Petro hielt irritiert inne. »Es würde nichts nutzen!« klärte John ihn auf. »Selbst wenn Du die Übertragung verhinderst... Wir haben keine Wahl. Es würde lediglich eine Verschiebung geben.« Cora schaute sich um. »Das Sieben-Meter-Gate, in dem wir materialisiert sind, nachdem uns die Terroristen vom Mond verbannt haben«, stellte sie leidenschaftslos fest. »Und jetzt? Was hat der Comp mit uns vor?« Es blieb wenigstens noch soviel Zeit, daß John mit knappen Worten die beiden über die neue Lage informieren konnte. Petro konnte dabei ein aggressives Knurren nicht verhindern. Er ballte wütend die Hände zu Fäusten und schaute sich angriffslustig um. Cora reagierte anders: Mit Bedacht! Sie kontrollierte ihre Ausrüstung und registrierte mit anerkennend geschürzten Lippen, daß der Comp anscheinend an nichts gespart hatte. Er hatte jedenfalls nicht vor, sie völlig schutzlos in die Unsicherheit zu schicken. Außerdem hatte er in ihre Erinnerung gepflanzt - wie auch immer! -, wie sie die Ausrüstungsgegenstände handhaben mußten. Was würde sie erwarten? Kaum hatte John geendet, sagte die sanfte Stimme, die sich der Comp inzwischen angewöhnt hatte: »Viel Erfolg, Freunde!« Es klang fast... ehrlich! Oder war es gar tatsächlich... ehrlich gemeint? Sie mochten es nicht glauben. Und der Comp fügte hinzu: »Wir könnten es gebrauchen alle, einschließlich ich selber. Und ich denke dabei sogar an den Schiffscomp, der euch bei der Séance geholfen hat. Er hat sich inzwischen völlig eingeigelt, nachdem ich euch hatte in seiner unmittelbaren Umgebung erfolgreich überfallen und betäuben lassen. Nun, ich werde ihm nichts tun. Er ist möglicherweise ein wichtiges Mosaiksteinchen, was die gemeinsame Zukunft betrifft, nicht wahr, Freunde? Aber erst einmal muß eine Menge erledigt werden. Von euch. Leider, leider kann ich nicht persönlich mit dabei sein. Aber ich werde an euch denken - und die nicht vorhandenen Daumen drücken. Das verspreche ich euch. Also, noch einmal: Kehrt gesund und munter zu mir zurück - bitte!« Das Fluoreszenz-Feld zuckte auf. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil. Als es vorbei war, hatte sich innerhalb der Gitterpyramide nichts verändert. Aber außerhalb!
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Betroffen sah Cora Stajnfeld hinaus: Das Gate stand mitten in einer gigantischen Halle! Hohes Summen drang herein, Vibrationen übertrugen sich auf den Boden. Es mußte gerade erst begonnen haben, sonst hätte die Materialisierung nicht stattfinden können, denn die Vibrationen verzogen das Gitternetz. Hatte etwa das Fluoreszenz-Feld dies bewirkt? Cora grübelte darüber, ohne sich recht entscheiden zu können, und während sie noch grübelte, schaute sie sich weiter um: Maschinen befanden sich in der Halle, unförmig erscheinende Kolosse. Ein Leuchten entstand in der Luft. »Was ist das?« fragte John Millory unwillkürlich, ohne eine Antwort von Cora oder von Petro Galinksi zu erwarten. Ein Kreischen brach aus der gegenüberliegenden Wand. Etwas löste sich daraus, ohne feste Gestalt, diffus, unkenntlich. Gleichzeitig erlosch das sanfte Glühen in der Spitze der Gitterpyramide - die Initialzündung! Damit wurde eine Rückübertragung unmöglich! »Energieausfall!« schrie Cora mit überschnappender Stimme und bewies dabei, daß auch sie Nerven besaß, die sie auch mal verlieren konnte. Petro Galinksi griff sich an die Kehle. Die Luft wurde ihm knapp. Er sah, wie die beiden Gefährten wie in Zeitlupe zusammensanken. Das Etwas, das auf sie zuraste, entpuppte sich als reinste Energie, die das Gate mit einem Schauer überschüttete und Petro Galinksi fast die Sinne raubte. Eisern riß er sich zusammen. Er schleppte sich zum Ausstieg. Alle Kraft brauchte er, um die Sicherheitsverriegelung zu lösen und das Segment zu öffnen, obwohl es doch eigentlich ganz leicht hätte gehen müssen. Als hätte sie nur darauf gewartet, nicht einmal mehr von dem engmaschigen Gitternetz behindert zu werden, drang ein Schwall eiskalte Luft herein. Das war vorläufig Petro Galinksis letzte Wahrnehmung. Er brach wie in Zeitlupe zusammen.
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Stechender Schmerz zuckte durch seine linke Schulter. Schwer kam er auf. Sein Bewußtsein wehrte sich gegen die Nebel der Bewußtlosigkeit. Kälte biß in seine Knochen, ließ die Glieder steif werden und den Atem zu einer Wolke winziger Eiskristalle gefrieren. Plötzlich änderte sich die Temperatur, schlug um in Hitze, die Petro wie ein Schlag traf und ihn wieder zu sich brachte. Er drehte den Kopf. Im offenen Gate-Eingang tauchte John Millory auf. Er stützte Cora, die einen angeschlagenen Eindruck machte. »Das ist vielleicht ein Empfang!« schimpfte Petro. »Hättest halt nicht mitkommen sollen!« konterte Millory. »Raus hier!« ächzte Cora. »Wir müssen die Halle verlassen, ehe es wieder zuschlägt!« »Aber das Gate!« widersprach Petro, obwohl er wußte, daß sie das Gate im Stich lassen mußten. Auch wenn es sozusagen ihre einzige Rückfahrkarte war. Doch als Rückfahrkarte war es sowieso ungültig geworden - nach dem Erlöschen der Zündung! Und er wußte darüber hinaus ganz genau, daß ungeheure Energien nötig waren, um die Initialzündung wieder zu starten. Und auch dann funktionierte das Gate nur, wenn es völlig unbeschädigt blieb und das engmaschige Gitternetz um keinen Millimeter außer Form... Eine recht kühne Hoffnung angesichts eines solchen Empfangs... Wie groß waren hier ihre Überlebenschancen überhaupt? Der Schmerz in Petros Schulter ebbte ab, behinderte ihn kaum noch. Die Hitze wich gemäßigter Temperatur, die aber schon wieder rapide weiterfiel. Gehetzt blickten sie sich nach einem Ausgang um. Da war nichts. Zu dritt bewegten sie sich vom Gate weg. John spürte ein Ziehen im Nacken. Doch er blickte nicht ein einziges Mal zurück. Wenn das Gate auf Dauer unbrauchbar blieb, saßen sie hier fest, ohne auch nur zu ahnen, wo sie sich überhaupt befanden - für immer. Nichts konnten sie dagegen tun, nur vorerst bemüht sein, ihre Haut zu retten. Die Lücke zwischen zwei Maschinen nahm sie auf. Jetzt erst erkannten sie, wie groß die Kolosse in Wirklichkeit waren. Haushoch türmten sie sich rechts und links auf und degradierten sie zu Winzlingen. Petro Galinksi sprintete zurück. Cora schrie: »Bleib hier, Petro!« Er hörte nicht, erreichte das Gate und verschloß es von außen. Es kam ins Wanken. Bis jetzt hatte es sich noch gut gehalten, aber nun verbogen sich aus nicht klar ersichtlichen Gründen die oben spitz zulaufenden Netzwände. Petro Galinksi sprang zurück und brachte sich in Sicherheit. Ein Blitz zuckte nieder. Funkenbahnen geisterten über die vordem glatte Oberfläche des Gates und trieben Petro Galinksi weiter weg. Er rannte herüber und übersah den vorwurfsvollen Blick Coras. »Weiter!« brüllte er durch das ringsum entstehende Chaos. Sie wußten nicht, was hier geschah. Sie sahen nur, daß es die Hölle war. Coras schlanker, durchtrainierter Körper streckte sich. Sie schüttelte die weitere Hilfe von John ab. Die beiden mußten sich beeilen, wollten sie nicht den Anschluß an Petro verlieren. Copyright 2001 by readersplanet
Sie verließen die Lücke zwischen den beiden Maschinen, kamen zu einem Quergang, der direkt an einer hohen Wand endete. Die Wand war glatt und fugenlos und bot keine Möglichkeit, hier weiterzukommen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als daran entlangzulaufen. Sie kamen zu einer Stelle, von der aus sie das Gate wieder sehen konnten. Der Lärm war etwas abgeebbt. Eine der Maschinen schüttelte sich wie ein fieberkranker Riese. Cora stoppte so plötzlich, daß Petro beinahe auf sie aufgelaufen wäre. Da war etwas in der Spitze des Gates. Innen. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Es wurde ihr heiß und kalt. War es denn möglich: Gab es eine Automatik, die nach all diesem Chaos sich bemühte, das Gate wieder in Gang zu setzen, einem sturen Programm folgend? Immerhin war dieses Gate vielleicht tausend Jahre oder länger nicht mehr benutzt worden. Und es hatte dennoch reibungslos funktioniert. War hier vor diesen für menschliche Begriffe undenklichen Zeiten der Roboter von Vetusta materialisiert? Was war aus ihm geworden? Coras Herz pochte ihr schier bis zum Hals. Der Roboter hatte keine Gelegenheit bekommen, wieder zurückzukehren, um etwa Bericht zu erstatten. Dabei war kaum anzunehmen, daß ihn damals ebenfalls ein solches Chaos empfangen hatte. Aber vielleicht war das nicht nur eine Gefahr, sondern sogar eine... Chance? Gebannt starrten jetzt auch Petro und John hinüber. Petro stieß ein Zischen aus, als plötzlich ein Flimmern über die Oberfläche des Gates zitterte. Dann waren die Konturen bereits verschwunden. Der Platz, an dem das Gate eben noch gestanden hatte, war... leer! Sie schauten sich betroffen an. »Das - das gibt es überhaupt nicht!« konstatierte Petro unnötigerweise, weil sie es doch soeben erst mit eigenen Augen gesehen hatten. Cora schüttelte den Kopf. »Ich begreife es selber nicht!« Und das sollte nun wirklich etwas heißen! Die drei achteten nicht mehr darauf. Sie wußten, ihre Rückkehr nach Vetusta war damit praktisch ausgeschlossen. Es blieb das Problem, dieser Hölle hier anderweitig zu entrinnen.
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Der Boden schwankte wie der Rücken eines erwachenden Giganten. Die zunächst stehende Maschine, deren Funktion völlig unklar blieb, rumpelte und wackelte bedenklich. »Eine Tür!« brüllte John Millory. Er hatte sich an die Spitze der kleinen Gruppe gesetzt. Wieder zuckten Blitze nieder. Aus der gegenüberliegenden Wand löste sich bereits wieder eine Energiekugel. Es wurde deutlich, warum die Maschinen so sorgfältig verkleidet waren. Die entfesselten Energien prallten einfach an der Verkleidung ab. Aber die drei Menschen besaßen einen solchen Schutz nicht! Cora spürte einen elektrischen Schlag, der so stark war, daß sie der Länge nach hinfiel. »Nur nicht zimperlich, Professorchen!« knurrte Petro Galinksi respektlos und half der hochbegabten Wissenschaftlerin auf. Cora hatte diesmal Glück im Unglück gehabt. Aber jeden Augenblick konnte es sie erneut treffen. Jeden von ihnen. Und dann vielleicht tödlich! »Hier!« rief John herüber und rüttelte an einem Türknopf. Er brachte die Tür nicht auf. Das Material aus Stahlplastik war oberflächenverdichtet. Mit Gewalt kamen sie hier nicht durch. Jetzt erst sahen sie, daß auch die Wände mit einem unbekannten Material beschichtet waren. Als Cora die Tür mit den Händen berührte, tanzten Funken über ihre Arme. John erging es nicht anders, doch machte er sich nichts daraus. Cora hingegen zuckte erschrocken zurück wohl in Erinnerung des starken elektrischen Schlages, den sie soeben erst hatte über sich ergehen lassen müssen. »Einen Schlüssel müßte man haben!« meinte Petro Galinksi. »Dann bring nächstes Mal gefälligst einen mit!« stöhnte John Millory wütend. Da hieb Cora mit der flachen Hand gegen einen kopfgroßen in die Wand eingelassenen Kasten. Das daraufhin entstehende Summen wurde von dem immer stärker anwachsenden Lärm ringsum fast übertönt. Ein neues Geräusch erklang. Es war das wummernde Anlaufen einer Sirene. Der Laut schwang sich allmählich die Tonleiter hinauf und wurde fast unerträglich. Aber die drei hatten nur noch Ohren für das aggressive Summen, denn damit schwang die Metalltür auf. Sie drängten sich durch den entstehenden Spalt. Dabei wurde deutlich, daß das Sirenengeheul seinen Ursprung draußen hatte. Schlagartig trat in der Halle eine Änderung ein. Das Chaos legte sich langsam, die Maschinen kamen zur Ruhe. Nur vorübergehend? Das Gate war immer noch verschwunden, wie sie sich mit einem letzten Blick über die Schulter überzeugten, auch wenn es noch so unerklärlich erschien. Sie mußten weiter! Hinter den dreien schlug die Metalltür zu. Sie fanden sich in einem kahlen Betongang wieder. Kerzengerade führte er von der Halle weg. Copyright 2001 by readersplanet
Unterwegs fanden sie einige Markierungen und daneben Vertiefungen. »Mein Gott!« ächzte Cora. »Das sieht fast so aus wie Sicherungen, um die Umwelt vor dem zu schützen, was in der Halle passiert - falls die Vorgänge unkontrollierbar werden. Leute, wir waren tatsächlich in der Hölle. Hoffentlich haben wir nicht irgendwelche Strahlungen abbekommen.« Die anderen beiden mochten lieber nicht daran denken. Sie wandten den Blick nach vorn. Der Gang endete vor einer kahlen Mauer. Von einem Durchgang war nichts zu erkennen. Auch als sie ihre Körperlampen zur Unterstützung der diffusen Beleuchtung einschalteten, war kein Ausgang zu finden! Sie saßen in einer Sackgasse!
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6
Cora kam der rettende Einfall: »Wir suchen an der falschen Stelle!« Sofort wandten sie sich um und gingen in den Gang zurück - diesmal langsamer und aufmerksamer. Tatsächlich, da war eine weitere Metalltür mit einem Kontaktkasten, die sie in der Eile übersehen hatten. Der Gang war daran vorbeigeführt worden, um bei einem eventuellen Energieausbruch dem Ausstoß die Kraft zu nehmen. Kaum hatte Cora ihre Handfläche gegen das Kontaktkästchen gedrückt, als das Hindernis aufschwang und sie hindurch ließ. »Mir scheint, Sie haben meine Rolle übernommen, Frau Professor«, murrte Petro Galinksi. »Jetzt sind Sie es, die auf verbotene Knöpfe drückt. Normalerweise würde es besser zu mir passen - oder kennst du mich noch gar nicht so gut, um das berücksichtigen zu können, ohne mir den Rang streitig zu machen, Cora?« »Da war ja gar kein Knopf, Petro!« sagte John Millory streng. Cora schimpfte: »Müssen diese dummen Sprüche eigentlich sein? Wir befinden uns noch immer in Lebensgefahr! Und die Sirenen heulen immer noch!« In der Tat, darauf hatten sie gar nicht mehr so recht geachtet. Bedeutete es, daß man bereits auf sie aufmerksam geworden war? Durch das Öffnen der ersten Tür schon? Sie hetzten einen zweiten Gang entlang. Die Körperlampen blieben an. Das Licht, das aus verborgenen Quellen im Gang sickerte, reichte kaum aus. Johns Lampe geisterte über die nächste Tür. Dreimal wechselten sie in einen anderen Gang über. Und dann befanden sie sich plötzlich im Freien! Sie hatten allerdings keinen Grund zu frohlocken: Das Geheul der Sirenen erfüllte die Luft! Mehrere Gleiter schossen auf die drei zu. Wie sahen die Wesen aus, die darin saßen? Die drei standen mit dem Rücken am Fuße eines gigantischen Eis, das sie gerade verlassen hatten und das entfernt an die vergrößerte Ausführung eines Atommeilers erinnerte. Zwischen ihnen und einer hohen Betonmauer lagen etwa hundert Meter. Zu weit, um sie mit einem kurzen Sprint zu überbrücken. Die Gleiter würden schneller sein. Die drei erkannten Uniformen hinter den Sichtscheiben der Gleiterfahrzeuge. Im nächsten Augenblick zuckte ein Energiestrahl zu ihnen herüber. Nur knapp wurde Petro Galinksi verfehlt. Eine Stichflamme loderte an der glatten Wand aus Betonplastik neben ihm auf und versengte ihm beinahe den Ärmel. Es war offenbar nur ein Warnschuß. Der Gleiter, von dem aus geschossen worden war, erreichte sie. Vier Uniformierte sprangen ins Freie. Der Gleiter schwebte auf einem Prallfeld knapp über dem Boden der Betonpiste. Die Männer hatten nicht vor, lange Federlesen zu machen. Männer? Tatsächlich! Copyright 2001 by readersplanet
Waffen richteten sich auf die drei Gate-Reisenden - Waffen, die diese noch nie gesehen hatten. Auch die Uniformen waren für sie völlig neu. Das bewies, daß diese Uniformierten keineswegs Menschen sein konnten. Nein, sie waren nicht auf einem Planeten gestrandet, den Menschen irgendwann besiedelt hatten. Sie befanden sich höchstwahrscheinlich noch nicht einmal in der heimatlichen Milchstraße. Wesen, die haargenau wie Menschen aussahen - und das Millionen von Lichtjahre von der Erde entfernt? Eine Rasse, die sich mit Sicherheit viele tausend Jahre vor der irdischen Menschheit entwickelt hatte? Eine solche Ähnlichkeit... Das kann doch einfach kein Zufall sein! schoß es Cora durch den Kopf. Aber wie war sie denn sonst zustandegekommen? Sie zweifelte daran, daß die Uniformierten ihr darüber hätten Auskunft geben können. Selbst wenn sie das gewollt hätten... Es blieb die zentrale Frage: Wo waren sie hier gelandet?
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7
Die Betonpiste war in Tageslicht getaucht. Die Sonne stand hoch im Zenit, bemühte sich aber vergebens um Wärme. Es war empfindlich kalt. Ohne den Schutzanzug, den ihnen der Stationscomp auf Vetusta verpaßt hatte, wären sie erfroren. Plötzlich stoppten die vier Uniformierten wie vom Blitz getroffen. Langsam sanken sie zu Boden. Noch während das geschah, sprinteten die drei unfreiwilligen Gate-Reisenden zum Gleiter. Sie sprangen hinein. Cora hatte es seinen beiden Begleitern überlassen, in ihrer Situation das Richtige zu tun. John Millory und Petro Galinksi steckten ihre Paralyzer weg, mit denen sie die Uniformierten in das Land der Träume geschickt hatten. »Das Fahrzeug müßte man jetzt nur noch bedienen können!« keuchte John Millory. Er beugte sich hinaus und riß wieder seinen Paralyzer heraus. Das Ding funktionierte einwandfrei. Aber auch durch Metallwandungen hindurch? Ein irdischer Paralyzer hätte das nicht vermocht. Es kommt auf den Versuch an! dachte er zähneknirschend und drückte ab. Der unsichtbare Strahl löste sich und traf auf den nächsten Gleiter. Mit einem gewissen Erfolg: Der Führer des Fahrzeugs verlor jedenfalls kurzfristig die Herrschaft über das Steuer. Der Gleiter rammte das gigantische Betonei. Eine Titanenfaust packte die Insassen und schleuderte sie nach vorn. John schickte einen zweiten Strahlschuß hinüber, doch die Wirkung war eigentlich nur gering. Die Wandungen des Fahrzeugs absorbierten zuviel Energie. Die Insassen verloren nicht vollends das Bewußtsein. Es genügte nur, Zeit zu gewinnen. Petro widmete sich indessen den Steuerelementen des erbeuteten Gleiters. Fasziniert schaute Cora zu. Sie spürte die typischen Magenschmerzen - wie immer, wenn sie nicht persönlich etwas durchführte, was nicht gerade ungefährlich war, außerdem überlebenswichtig - und stattdessen tatenlos zusehen mußte. Darüber hinaus: Sie traute Petro einfach nicht zu, daß er diese Aufgabe bewältigte! Weniger noch als sich selber! Aber Petro besaß möglicherweise einen untrüglichen Instinkt für Technik, wie sie irritiert beobachten konnte. Auch wenn er eigentlich doch »nur« Sicherheitschef war und nicht gerade als begnadeter Ingenieur galt. Es war, als könnte er die Gedanken von Cora lesen, denn er unterbrach seine Tätigkeit nicht, während er grinsend sagte: »Was glaubst du, wie ich Sicherheitschef geworden bin, Professorchen? Nur wegen meinem Stiernacken und den großen Fäusten? Bedenke, ich war Sicherheitschef in einem hochtechnisierten Tower-Satelliten, ehe ich in den Einsatz auf Clark's Planet kam. So einen Posten bekommt nur einer, der sich in der Technik auskennt, um Gefahren abzuwenden, die den ordnungsgemäßen Ablauf... Aha!« Zwar konnte Cora nicht erkennen, was dieses optimistische »Aha!« bewirkt haben sollte und galt nicht sie als nicht nur wissenschaftliches, sondern auch technisches Genie? -, aber irgendwie hatten Petros Worte wenigstens ein bißchen Zuversichtlichkeit in ihr erzeugt. John feuerte unterdessen auf den dritten Gleiter. Die Insassen waren schlauer als ihre Vorgänger. Sie hatten Blenden heruntergelassen. Rasend schnell kam ihr Fahrzeug näher. Copyright 2001 by readersplanet
In diesem Augenblick machte der Gleiter unter der unsachlichen Führung Petros einen mächtigen Satz zur Seite. Dabei verlor John den Halt und wäre um ein Haar hinausgestürzt. Im letzten Augenblick hielt er sich am Türrahmen fest. Unterdrückt fluchend wandte er sich wieder dem dritten Gleiter zu. »Nicht, Petro!« brüllte Cora erschrocken. Aber Petro hörte nicht. Er startete neue Versuche. Wie eine Rakete stieg der Gleiter in die Luft. Nur ein paar Meter. Er kam ins Trudeln und fiel genau auf den dritten Gleiter zu. Erschrocken duckten sich die vier Uniformierten. Einer bewies Geistesgegenwart. Er gab einen gezielten Schuß ab. Die vernichtende Energie hätte sie auch tatsächlich voll getroffen, wäre es Petro nicht im selben Moment gelungen, den Gleiter abzufangen. Cora schwor später Stein und Bein, daß das auch dem geübtesten Piloten nicht gelungen wäre und daß Petro im Grunde genommen überhaupt keine Ahnung hatte, wie er dem Schuß entgangen war. Jedenfalls zischte der tödliche Strahl vorbei und ließ oben auf dem Betonei nur ein kleines Rauchwölkchen hochpuffen. Mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit raste der Gleiter mit den drei Gate-Reisenden davon. Er tat dies nicht geradlinig, sondern im Zickzackkurs, was den Verfolgern jeden gezielten Schuß unmöglich machte. Petro Galinksi bemühte sich verzweifelt, Herr über das wildgewordene Ding zu werden, denn der Zickzackkurs rettete ihnen zwar das Leben, war aber eigentlich gar nicht von ihm beabsichtigt. Vergeblich. Sie näherten sich schräg der Betonmauer. Keine Macht der Welt schien in der Lage zu sein, den drohenden Zusammenprall zu verhindern. Die Besatzung des verunglückten Gleiters unten am Boden war inzwischen wieder wohlauf. Sie griff in den Kampf ein. Und auch noch ein weiterer Gegner kam ins Blickfeld: Über der Betonmauer zeigten sich auf einmal die Abstrahlrohre größerer Geschütze. Langsam schwenkten sie in Richtung des fliehenden Gleiters. Es war sicher, daß aus den Rohren gefeuert werden würde. Die Gate-Reisenden hatten sich gegen die drohende Gefangennahme gewehrt und damit das Abwehrsystem mobilisiert. Man wußte hier wenig mit ihnen anzufangen und sah sie als Feinde an. Der Gleiter bockte wie ein Wildpferd. Er traf gegen den harten Beton. Die Wandung kam auf die drei zu. Die harten Sichtscheiben barsten krachend in tausend Scherben. Ein Funkenregen flog an der Tür vorbei. Der Gleiter prallte von dem Hindernis ab, schlingerte über den Boden, erhob sich torkelnd und setzte sich wieder ruckend und jaulend in Bewegung. »Raus!« brüllte John Millory und sprang durch die immer noch offene Türöffnung. Es grenzte an ein Wunder, daß es ihn nicht schon längst hinausgeschleudert hatte. Cora folgte behende. Zuvor hatte sie Petro jedoch einen kräftigen Stoß geben müssen, was diesen endlich dazu befähigte, sich von den Kontrollen abzuwenden. Er folgte mit der unnachahmlichen Grazie eines ausgewachsenen Braunbären und fiel der Länge nach zu Boden. »Das war knapp!« bemerkte er trocken und rappelte sich auf. Der Gleiter blieb hinter ihnen zurück, wurde von einem Schuß getroffen und verwandelte sich in einen wabernden und lodernden Glutball. Die Druckwelle warf die drei Davonrennenden fast von den Beinen. Cora erreichte die Einfassungsmauer als erste. Sie sah, daß sie nicht ganz so unpassierbar war wie angenommen. In regelmäßigen Abständen gab es schmale Rundbögen, hoch Copyright 2001 by readersplanet
genug, um einen Menschen hindurchzulassen. Die drei übersahen die Selbstschußanlagen und liefen genau hinein.
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Hinter ihnen tat sich die Hölle auf. Aber die Glutschüsse rasten aus der Hölle nach draußen. Das infernalische Feuer beschleunigte ihre Schritte. Die Einrichtung war für Eindringlinge gedacht, die von außerhalb der Mauer kamen. Das war ihr großes Glück: Sie waren von innerhalb gekommen. Jenseits der Mauer setzte sich das Sperrgebiet fort. Es gab eine weitere Betonplastikpiste, etwa fünfzig Meter in der Breite. Gedrungene Gebäude duckten sich in das Areal. Hier wurde die herrschende Kälte voll wirksam. Sie nahm den drei Gate-Reisenden den Atem. Sie waren zwar gerüstet, aber die Temperaturen machten ihnen dennoch gewaltig zu schaffen. Von rechts rannte eine Gruppe von Uniformierten herbei. John fiel auf, daß die Uniformierten allesamt keine Kennmarken, Namensschilder oder zumindest Rangabzeichen trugen. Worauf war das zurückzuführen? Es war ihm längst klar, daß sie der Zufall in ein streng bewachtes Sperrgebiet verschlagen hatte, obwohl er keine Ahnung hatte, was hier eigentlich vorging. Auf jeden Fall scheute es das Licht der Öffentlichkeit. Eine Versuchsanlage als Geheimprojekt? Irgendwie mußte es mit dem Gate zusammenhängen. Und diese Maschinen und alles andere? Vielleicht hatte man die Tatsache, daß dieses Areal ohnedies als Sperrgebiet galt, dazu benutzt, seine Möglichkeiten weiter auszubauen? Vielleicht eine Tabuzone für die Bevölkerung? Zunächst eben nur wegen dem Gate, das aus kaum vorstellbaren Gründen immerhin über ungezählte Jahre hinaus beschützt und behütet worden war. Dann später diese Anlage, die zur Zeit offenbar aller Kontrolle entglitt - aus welchen Gründen auch immer... Johns Paralyzer flog hoch. Er schoß - und traf zwei Männer. Auch Petro Galinksi trat in Aktion - ebenfalls mit Erfolg. Zwei weitere Männer schickte er in das Land der Träume. Nur Cora Stajnfeld hielt sich zurück. Sie haßte Gewalt und wandte sie nur an, wenn es unumgänglich erschien - selbst wenn es sich um den vergleichsweise harmlosen Einsatz der Betäubungsstrahler handelte. Und das wurde ihr zum Verhängnis! Einer der Uniformierten kam noch zum Schuß, ehe er selber getroffen zusammenbrach. Der Energiestrahl traf die Betonmauer und sprengte ein Stück ab. Es war das Pech von Cora, daß sie sich um den Kampf nur am Rande kümmerte. Sie hielt angestrengt nach einem Ausweg Ausschau. Der abgesprengte Brocken traf sie am Kopf. Stöhnend sank sie zu Boden. Sofort waren Petro Galinksi und John Millory bei ihr. »Laß sie jetzt!« schrie John. Er hatte das Gebot des Augenblicks erkannt. Sie würden höchstens eine halbe Minute Luft haben. Das mußte genügen. Die sie verfolgenden Fahrzeuge mußten einen kleinen Umweg fahren, und für die schweren Geschütze befanden sie sich im toten Winkel. In Windeseile entkleideten sie zwei der Uniformierten. Die Dienstkleidung der Bewußtlosen wechselte ihren Besitzer. Sie bekamen die in dieser Gegend wahrscheinlich ungewöhnlich anmutenden Kleider von Vetusta verpaßt. Nur die Ausrüstung nicht. Dann machten sich die Copyright 2001 by readersplanet
beiden Gatespringer in Gemeinschaftsarbeit daran, auch Cora in einen Uniformierten zu verwandeln. Zu spät! Sie schafften es nicht! Eine Lautsprecherstimme scholl über den Platz. Eine völlig fremdartige Sprache, und wieso verstanden sie dennoch jedes Wort? Es gab nur eine Erklärung: Der Stationscomp hatte sie ihnen beigebracht, während sie bewußtlos in seiner Macht gewesen waren! »Ihr habt keine Chance! Ergebt euch!« Die Stimme kam aus einem der Gleiter, der in diesem Augenblick heranraste. Er schoß knapp über die Piste, gefolgt von anderen. Im Handumdrehen war der gesamte Platz zwischen Mauer und Gebäudeansammlung mit Gleitern übersät. Die drei Gate-Reisenden waren für die Wachmannschaften sehr überraschend aufgetaucht. Aber die Männer hatten sich inzwischen gefangen und wollten die Situation schnell bereinigen. »Verdammt!« entfuhr es Petro. Und John fügte hinzu: »Man sollte sich nie in ein Wespennest setzen - auch nicht mit dem Gate.« »Was machen wir mit Cora?« »Mann, es ist noch gar nicht raus, ob wir es schaffen, und wenn, dann müssen wir uns ohne sie absetzen!« Petro knirschte mit den Zähnen. »Das gefällt mir nicht!« »Meinst du vielleicht mir? Aber was bleibt uns übrig? Du kennst die hiesigen Gepflogenheiten: Die machen mit uns kurzen Prozeß. Dies hier ist allem Anschein nach ein Geheimprojekt. Die werden dafür sorgen, daß es das auch bleibt.« John winkte mit beiden Armen und machte auf die beiden Männer aufmerksam, denen sie ihre Kleider verpaßt hatten. Sie schlummerten friedlich und wußten nichts von dem Frevel, den die beiden Gate-Reisenden mit ihnen angestellt hatten. Fünf Gleiter umringten sie. Vorsichtshalber steckten Petro und John ihre Paralyzer weg. Auch den von Cora ließen sie verschwinden. Petro knirschte mit den Zähnen, als er daran dachte, daß sie die Bewußtlose wahrscheinlich im Stich lassen mußten. Aber blieb ihnen eine andere Wahl? Die Uniformierten kamen näher. Es wimmelte plötzlich nur so von ihnen. Sofort nahmen sie sich der beiden Bewußtlosen und Coras an. Tatenlos mußten Petro und John zusehen, wie sie die Gefährtin in einen Gleiter luden. Sie selbst zogen sich diskret zurück und bestiegen einen anderen Gleiter. Gottlob wurden sie nicht angesprochen. Auch waren es so viele, daß die Wahrscheinlichkeit groß blieb, häufig neue Gesichter in der Wachmannschaft zu sehen. Der große Pulk von Gleitern setzte sich in Richtung Gebäuden in Bewegung. Petro und John betrachteten mit einer Gänsehaut die hier angewandte Architektur. Aber sie sollte wohl nicht das Auge des Betrachters ergötzen, sondern diente anderen Zwecken. Die Fenster waren klein und rund. Überhaupt gab es an keinem Gebäude etwas, das vorstand. Selbst die Ecken waren abgerundet. Als würde man ständig mit einem Hochgehen des eiförmigen Betongebäudes rechnen, in dem die Gate-Reisenden angekommen waren. Noch immer fragte sich John, was dort drüben überhaupt vorging. Zeuge von den Ereignissen waren sie ja schon von Anbeginn geworden - ohne allerdings das Erlebte in irgendeiner Weise interpretieren zu können. Andererseits war das für sie momentan kaum von Belang. John blickte hinaus. Draußen herrschten Minusgrade. Er schaute zum Himmel - nicht zum ersten Mal, seit sie das »Ei« verlassen hatten: Der Stand der Sonne ließ darauf schließen, daß sie sich eher in Äquatornähe befanden als irgendwo in einer Polgegend. Die Kälte Copyright 2001 by readersplanet
schien hier außerdem nicht schon immer geherrscht zu haben. Das bewiesen die Uniformen: Sie mußten von wärmenden Zusatzkleidungsstücken ergänzt werden. Eine Art... Eiszeit? Ganz offensichtlich sogar! Was ging jetzt außerhalb des Sperrgeländes vor? Die gesamte Wirtschaft des Planeten mußte doch inzwischen zusammengebrochen sein. Eiszeit und somit Temperaturen am Äquator wie in einer Polgegend! Wie sah es weiter nördlich aus? Ein unvorstellbares Chaos mußte sich ausgebreitet haben. Vielleicht ist es besser, gleich hier zu bleiben, ehe wir uns da hinauswagen, dachte John in einem Anflug von Sarkasmus. Der Pulk stoppte. Die Uniformierten verließen die Gleiter. Nicht alle. Einige der Fahrzeuge setzten sich in Bewegung und fuhren davon. Man war offenbar der Meinung, daß von den Eindringlingen keine Gefahr mehr drohte. Auch die Bewußtlosen wurden abtransportiert. Allerdings in eine andere Richtung. Petro und John staunten über die Disziplin der Wachmannschaften. Kaum ein Wort wurde gewechselt. Auch zwischen Petro und John nicht! Sie verstanden sich auch so. Ein kurzer Blickwechsel genügte. Sie zückten ihre Paralyzer und sorgten zunächst einmal dafür, daß sie im Gleiter allein waren.
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Zwei der Uniformierten waren geblieben. Und die schalteten Petro und John aus. Petro schaffte sie hinaus. Noch einmal dachte er an Cora. Wie ein fahnenflüchtiger Schuft kam er sich vor. Dann setzte er sich an die Kontrollen. »Nein!« stöhnte John. »Nicht schon wieder!« Petro ließ sich gar nicht beeinflussen. Er konzentrierte sich auf die Bedienungsanordnung. Ganz deutlich war in seinem Gedächtnis verankert, wie der Gleiter reagiert hatte, der dann in einem Glutball vergangen war. Auch wußte er genau, was er beim ersten Mal falsch gemacht hatte. John wunderte sich nicht schlecht, als sich der Gleiter plötzlich ruckfrei in Bewegung setzte und aus der Anordnung der geparkten Fahrzeuge ausscherte. Niemand achtete im Moment auf sie. Fast geräuschlos bewegte sich der Gleiter. Sie gewannen rasch an Fahrt. »Hoffentlich findest du den Knopf zum Anhalten!« warnte John. »Das Ding fährt mit Automatik!« belehrte ihn Petro. »Dann sollte deine intelligente Automatik eigentlich wissen, daß der Wagen grundsätzlich vorwärts oder rückwärts zu fahren hat und nicht seitwärts!« Petro nahm eine Schaltung vor und korrigierte die Fahrweise. Die Anlage draußen war wirklich riesenhaft. Sie befand sich auf einem Hochplateau, von Bergen umschlossen. Petro und John durchquerten die Anordnung der Gebäude und kamen zur letzten Begrenzungsmauer. Sie hatten keine Ahnung, wie sie hier ungesehen hindurchkommen sollten. Es gab mehrere Tore. Alle waren streng bewacht. Petro Galinksi legte sich einen Plan zurecht, der seiner würdig war. Als ihn John davon abhalten wollte, bemerkte er nur: »Sieh dich vor, ich bin stärker!« Daraufhin hielt John den Mund. Nicht, weil er vor dem kräftigen Petro wirklich Angst hatte. Es fiel ihm nur kein besserer Vorschlag ein. Ein Fahrzeug passierte eben die Wache. Das Tor öffnete sich, von einem Elektromotor bewegt. Das war die Gelegenheit, auf die Petro gewartet hatte. Unwillkürlich zog John Millory den Kopf zwischen die Schultern. Der Gleiter beschleunigte mit Wahnsinnswerten. Das Tor raste auf sie zu. Die Wachen sahen sofort, was los war, und reagierten mit verblüffender Geschwindigkeit. Als die beiden das Tor erreichten, gab es nur noch einen Spalt - fast schon zu schmal für den Gleiter. Kein Grund für Petro Galinksi, sich eines andern zu besinnen. Was er einmal begonnen hatte, führte er auch zu Ende. Metall zerfetzte kreischend. Ein mächtiger Ruck ging durch den Gleiter. John hatte sich instinktiv irgendwo festgehalten. Es nutzte ihm wenig. Er segelte durch den Gleiter, rempelte Petro an und landete genau auf der Schaltkonsole. Copyright 2001 by readersplanet
Der Gleiter reagierte. Er machte einen Satz nach vorn. Schon waren sie durch. Das Triebwerk funktionierte noch einwandfrei. Der Gleiter kam wieder auf Fahrt. Staub wirbelte auf - Staub und Eiskristalle. Der flüchtende Gleiter zog eine fette Wolke hinter sich her, die nur träge auseinanderschwebte. Lange dauerte die Fluchtfahrt allerdings nicht. Die Wächter setzten ihre Waffen ein. Sie begriffen sehr schnell, wer ihnen hier durch die Lappen gehen wollte. Es war der zweite Gleiter, der innerhalb kurzer Zeit sein Ende in einem lodernden Feuerball nahm. Außer ein paar Splittern, die in der Gegend herumflogen, blieb nichts übrig. Die Uniformierten von der Wache setzten ihre Ortungsinstrumente ein. Sie zeigten kein Leben an. Die Männer buchten die Flüchtlinge ab. Trotzdem fuhr ein Gleiter hinaus, um nach den Überresten zu sehen.
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Freies Feld lag vor den beiden. Gute Sicht für die Bewacher des Regierungsprojektes hinter ihnen. Erst in einiger Entfernung lagen Felsbrocken wie dahingestreut. Aber es gab auch Bodenmulden! Der Gleiter verschwand hinter der Wolke aufgewirbelten Staubes. Jetzt nutzte den Bewachern das freie Feld nichts mehr. Petro Galinksi gab dem Fahrzeug eine andere Richtung. »Jetzt!« brüllte er. John Millory sprang gleichzeitig mit ihm ab. Wie eine Kugel rollte er sich zusammen. Der Boden war hart - beinahe zu hart. Aber sie hatten beide Glück. Mehrmals überschlugen sie sich, ehe sie liegenblieben. Der Staub nahm ihnen die Sicht und legte sich schwer auf ihre Lungen. Trotzdem sprangen sie auf und rannten geduckt davon. Der Länge nach warfen sie sich in die Bodenmulde, die sie von Bord aus entdeckt hatten. Johns Lungen brannten wie Feuer. Sein Atem ging keuchend. Er hustete. Petro hieb ihm kameradschaftlich auf die Schulter, was den Hustenreiz unterband. »He«, beschwerte sich John, »danke zwar für die Hilfe, aber du brauchst mir dabei nicht unbedingt die Knochen im Leib zu brechen!« »Was kann ich dafür, daß du so zart gebaut bist?« konterte Petro. Und dann drückten sie sich ganz dicht nieder. »Glaubst du, die haben Ortungsinstrumente, mit denen sie uns wahrnehmen können?« erkundigte sich John. In diesem Augenblick flammte der Gleiter auf - etwa dreihundert Meter oder mehr von ihnen entfernt. »Ich bin sicher. Allerdings werden die uns in der falschen Richtung suchen.« Ein Gleiter näherte sich. Unzweifelhaft ein Suchkommando. »Besser, wir verschwinden von hier«, murmelte John. »Der Boden wird mir zu heiß.« »Für meine Begriffe kann er gar nicht heiß genug werden - bei der hier herrschenden Kälte!« Der Staub und die schwebenden Eiskristalle sanken langsam nieder und ermöglichten bessere Sicht - aber nicht nur für die Gejagten, sondern auch für die Jäger. Aus der Mulde führte eine schmale Bodenrinne zur nächsten Ansammlung von Felsbrocken. Dahinter wurde das Gelände unebener. John setzte sich in Bewegung, dicht gefolgt von Petro Galinksi. »Elende Schinderei!« schimpfte dieser. »Morgen werde ich wieder einen Muskelkater haben.« Schlangengleich krochen sie die Bodenrinne entlang. Stimmen drangen zu ihnen hin bereits bedenklich nahe. Das hielt sie zu größerer Eile an. Keiner der beiden sprach auch nur ein Wort unterwegs. Dafür war die Anstrengung zu groß. John bemerkte, daß die Ärmel seiner dicken Jacke zerfetzten. Immer scharfkantiger wurde das Gestein. Und dann, als sie schon glaubten, die mörderische Strecke nie zu schaffen, erreichten sie ihr Ziel. Sie kauerten sich hinter die Felsbrocken und fühlten sich wie erschlagen. Copyright 2001 by readersplanet
Petro Galinksi erholte sich als erster. Er benutzte seine neuentstandenen Kraftreserven zu den Worten: »Siehst ganz schön zerrissen aus. Wenn die da drüben wüßten, wie du mit ihren Uniformen umgehst...« Petro sah allerdings nicht besser aus. Falls es Ihnen tatsächlich gelang, von hier wegzukommen, mußten sie sich neue Kleider suchen. Aber auch mit intakten Uniformen wären sie wahrscheinlich unangenehm aufgefallen. Vielleicht vermutete überhaupt niemand hier in den Bergen ein so streng bewachtes Regierungsprojekt? John deutete zum Himmel. »Es bewölkt sich. Eigentlich habe ich die ganze Zeit über darauf gewartet. Die ganze Zeit war die Luft knochentrocken. Deshalb war es einfach nur kalt.« »Ich bin nicht scharf auf die weiße Pracht. So ist es mir schon lieber.« »Wir müssen eine Gleiterstraße erreichen«, sagte John. Er wollte noch mehr von sich geben, aber Petro legte warnend den Finger auf die Lippen. Schritte näherten sich, verharrten vielleicht vierzig Meter von ihnen entfernt. Stimmen. Die Uniformierten setzten sich wieder in Bewegung und kamen bis auf wenige Meter heran. »Die sind nicht mehr am Leben«, sagte jemand. »Klar. Möchte nur wissen, von wem sie den Auftrag hatten, hier zu spionieren. Vor allem, wie es ihnen gelang, einzudringen?« »Werden wir wahrscheinlich von der Frau erfahren.« Die Uniformierten entfernten sich. Petro und John atmeten auf. Sie tauschten einen besorgten Blick aus. »Wie sollen wir es schaffen, Cora da herauszuhauen?« fragte John nervös. »Überhaupt nicht!« antwortete Petro Galinksi grob. Er wandte sich ab, damit John nicht sehen konnte, wie sehr es ihm naheging. »Komm!« Er winkte dem Gefährten zu und machte den Vortritt. John blickte noch einmal vorsichtig zurück. Die Uniformierten schienen sich zu sammeln, soweit es von hier aus erkennbar war. Bald würden sie in ihre Festung zurückkehren. Er beeilte sich, nicht den Anschluß an Petro Galinksi zu verlieren. Das Gleiterband, das sie zu finden hofften, war ein wichtiger Bestandteil ihres ursprünglichen Plans. Wenigstens in dieser Hinsicht würden sie den Plan einhalten. Auf dem Band würden sie irgendwie die nächste Wohnstadt erreichen. Sie blickten zum Himmel. Hoffentlich machte ihnen das Wetter keinen gründlichen Strich durch die Rechnung.
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Sturm war aufgekommen. Der Himmel war grau wie Blei. Dunkelheit senkte sich über das Land - und das am hellichten Tag. Die ersten Schneeflocken tanzten um sie herum. Petro Galinksi und John Millory bissen die Zähne zusammen. Weiter vorn zog sich ein schmales Gleiterband durchs Land. Nur selten huschte ein automatisch gesteuertes Fahrzeug auf seinem Prallfeld vorbei. Die Technik war nicht viel anders als auf der Erde, wie es schien. Eigentlich mindestens so erstaunlich wie die Tatsache, daß die Bewohner dieses Planeten wie irdische Menschen wirkten... Hier gab es jedenfalls ganz offensichtlich genauso mannigfaltige Fortbewegungsmöglichkeiten. Nur der Individualverkehr wurde nicht sehr groß geschrieben: Es gab relativ wenig Gleiter in Privatbesitz. Sonst wäre der Verkehr größer gewesen. Es war den beiden unklar, wie sie es schaffen konnten, von hier aus schnell und bequem zur nächsten Stadt zu kommen. Sie durften schließlich nicht mit ihren dunklen Uniformen auf die Straße und einfach Anhalter mimen. »Da haben wir den Salat«, sagte Petro Galinksi in seiner unkonventionellen Art und Weise. »Bald werden wir zugeschneit sein. Vielleicht buddeln sie uns nach der Eiszeit aus und bewundern uns als seltene Exemplare.« »Ich bin dafür, daß wir uns zu Fuß auf den Weg machen. Nach meiner Schätzung kann es nicht allzu weit sein bis zur nächsten Stadt.« John deutete dorthin, wohin sich das schmale Gleiterband zog. Am Horizont schien es eine Ansammlung von Gebäuden zu geben - wie die äußersten Ausläufer einer größeren Stadt. »Das müßten wir schaffen.« »Optimist, was?« »Woher weißt du das?« »Mein sechster Sinn!« Brummend erhob sich Petro Galinksi aus der Deckung und machte sich auf den Weg. Die Richtung kannten sie. In diesem Augenblick sprachen ihre Radartimer an. Sie reagierten gleichzeitig. Eine Stimme drang aus den Mikrosprecheinrichtungen an ihren Handgelenken. »Cora!« schnappte Petro Galinksi. »Gottlob, ihr lebt!« kam es erleichtert zurück. »Hier stand alles Kopf. Es wurde behauptet, man hätte euch abgeschossen. Gottlob haben die das Ding an meinem Handgelenk nicht bemerkt. Kein Wunder, bei der Aufregung, die hier herrscht - auch ohne uns! Es scheint, die Eiszeit ist ziemlich neu. Überall herrscht Angst - auch unter den Uniformierten, wie ich es hautnah erlebe. Das scheint eine besondere Katastrophe zu sein, inmitten die wir geraten sind.« »Wir sind jetzt neben der Straße zu einer großen Stadt«, berichtete Petro mit knappen Worten. »Müssen wohl einen Fußmarsch unternehmen.« »Wie ist das Wetter?« »Schlagartig noch schlechter geworden.« »Muß Schluß machen. Ein Wunder, daß die mir den Radartimer nicht abgenommen haben und Wunder sollte man nicht überstrapazieren.« Copyright 2001 by readersplanet
Petro Galinksi und John Millory erschraken. Cora war schließlich eine Gefangene! »Vorsicht, Cora, die haben das Ding vielleicht nur übersehen, damit du dich mit uns in Verbindung setzt, um uns anpeilen zu können!« Cora antwortete nicht mehr. Petro kroch es eiskalt über den Rücken. Wenn ihre Vermutung stimmte, dann hatten die Uniformierten jetzt den Beweis, daß sie beide doch noch am Leben waren. Damit wuchs die Gefahr für sie. Es war klar, daß die Uniformierten nichts unversucht ließen, ihrer habhaft zu werden. Sie waren vielleicht die einzigen Menschen weit und breit, die von dem geheimen Projekt etwas wußten. Die beiden machten sich keine Gedanken darum, sondern beschleunigten ihre Schritte. Petro Galinksi überlegte sogar, ob sie die Radartimer wegwerfen sollten. Aber damit war nicht viel gewonnen. Irgendwann mußten sie schließlich diese Welt wieder verlassen. Nur mit dem Radartimer war es ihnen möglich, ein entsprechendes Gate zu orten.
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Ein Donnern entstand über ihren Köpfen. Weit entfernt rasten Blitze nieder. Das Schneegestöber war noch erträglich, doch die Kälte nahm zu. Ein Phänomen besonderer Art, daß bei dieser Kälte überhaupt noch Schnee fallen konnte! Das Donnern fand sein Echo im Boden. Wie ein Erdbeben pflanzte es sich fort. Die beiden Flüchtlinge blieben ruckartig stehen. Sie blickten zu ihren Füßen hinab. Bahnte sich wirklich ein Erdbeben an? John deutete zurück. Petro folgte seinem Blick. Eine gigantische Staubwolke raste heran, nahm Schnee, kleinere Felsbrocken und Sand mit. »Das gibt es doch gar nicht!« murmelte Petro Galinksi fassungslos. Die Erschütterungen des Bodens wurden so heftig, daß sie fast hinfielen. Gehetzt blickten sie sich nach einer ausreichenden Deckung um. Links ging es einen steilen Abhang hoch. Rechts dehnte sich zerrissenes und kaum bewachsenes Gelände aus. Die Sicht zur Gleiterstraße hin war verdeckt. »Hinauf!« rief John Millory. Er hatte eine Höhlenöffnung ausgemacht. Petro Galinksi folgte ihm ohne Zögern. Sie liefen so schnell wie selten in ihrem Leben. Die heranrasende Sturmfront erschien ihnen wie die Pranke eines Giganten, der sich anschickte, sie vom Boden aufzupflücken. Viel anders würde der Effekt nicht sein. Sie hetzten bergan, bis sie in den Sichtbereich der Straße kamen. Zwei Gleiter näherten sich aus Richtung Stadt. Die Piloten erkannten die Sturmfront und drehten sofort ab. Mit höchster Beschleunigung rasten sie davon. Aber sie konnten es nicht schaffen. Vielleicht war es den Insassen klar, aber die Panik ließ sie unvernünftig handeln. Da war noch ein Gleiter, der in umgekehrter Richtung fuhr und sich vergeblich bemühte, dem nacheilenden Sturm zu entrinnen. Keuchend erreichten John und Petro den Höhleneingang. Tief war die Höhle nicht, vielleicht zehn Schritte. Dabei war sie eng und schmal, so daß sie kaum hineinkamen. Aber gerade dadurch bot sie ihnen Schutz. Kaum hatten sie sich durch den Eingang gezwängt, als die Front heran war. John warf einen Blick über die Schulter. Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen. Er sah, wie der erste Gleiter erfaßt wurde. Wie ein Spielzeug wurde er hochgeschleudert. Das Prallfeld schaffte die Stabilisierung nicht mehr. Der Gleiter verschwand in einem Wirbel. Den anderen beiden erging es nicht besser. Und dann stieß der Wind zur Öffnung herein, zog und zerrte an Petro und John und wollte sie mit Gewalt ins Freie reißen. Das Atmen fiel ihnen schwer. Verzweifelt hielten sie sich fest. Petro spürte einen ziehenden Schmerz im Nacken. Ein wahrer Trommelwirbel von kleinen Steinen ging auf seinen Rücken nieder. »Geh weiter hinein!« brüllte er aus Leibeskräften. John hörte nicht. Petro stieß ihn an. Endlich reagierte der Gefährte. Sie verkrochen sich in der hintersten Ecke der Höhle, die sich als doch noch etwas tiefer erwies. Als sie sich umschauten, verdunkelte sich der Eingang rapide. John stieß einen Schrei aus und wollte hineilen. Petro hielt ihn mit aller Kraft zurück. Copyright 2001 by readersplanet
»Verdammt, es verschüttet den Eingang!« schrie John verzweifelt. »Wir werden ersticken!«
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13
Cora Stajnfeld erwachte aus tiefer Bewußtlosigkeit und wußte zunächst nicht, wo sie sich befand. Es roch nach Krankenhaus. Erstaunt schlug sie die Augen auf. Man hatte sie in ein weiß überzogenes Bett gesteckt. Das Pneumopolster paßte sich automatisch ihren Körperkonturen an. Sie hatte das Gefühl, das Bett gar nicht zu berühren und frei in der Luft zu schweben. Ein technischer Trick, der das Liegen angenehmer machte. Eine Frau beugte sich über sie. Ihr ernstes Gesicht erhellte sich. »Willkommen in der Wirklichkeit«, begrüßte sie die Erwachte. Noch zwei Gesichter - finster dreinschauende Männer in dunklen, fast schwarzen Uniformen. Cora zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Schlagartig kam ihr die Erinnerung. In ihrem Innern entstand das reinste Chaos. Was war mit Petro Galinksi und John Millory? War ihnen die Flucht gelungen? Sie stützte sich auf. »Was ist mit den beiden, die bei mir waren?« Einer der beiden Uniformierten trat vor und fragte die Frau: »Ist sie vernehmungsfähig?« Diese zuckte die Achseln. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können!« Sie sprachen keine irdische Sprache, aber Cora verstand sie. Nicht nur das: Sie hatte unbewußt die gleiche Sprache benutzt, nachdem die Frau sie damit angesprochen hatte! Erstaunt runzelte sie die Stirn. Hatte ihnen der Stationscomputer diese Sprache beigebracht, während sie bewußtlos in seiner Gewalt gewesen waren? Aber er hatte ihnen auch Translatoren mitgegeben - für alle Fälle. Hier würden sie diese jedenfalls nicht brauchen... »Ihre Gefährten sind nicht mehr am Leben. Auf der Flucht mit einem Gleiter wurden sie zerstrahlt. Sie sehen, wir spaßen nicht. Deshalb rate ich Ihnen, gleich mit offenen Karten zu spielen.« Der geht aber ran, dachte Cora sarkastisch - Gedanken, die zu Petro Galinksi gepaßt hätten. Laut sagte sie: »Ich weiß nicht, was Sie von mir halten, aber von mir können Sie allein schon deshalb nicht viel erfahren, weil es nichts zu sagen gibt.« »Oh, da bin ich anderer Meinung. Wie ist es Ihnen beispielsweise gelungen, in die Versuchsanordnung zu kommen? Was war Ihr Motiv? Sabotage? Sie spielten dabei mit Ihrem Leben. Ein Zeichen für uns, wie wenig Ihnen ein Menschenleben bedeutet.« »Dann wissen Sie auch, daß Sie mir nicht drohen können!« konterte Cora geistesgegenwärtig. Dabei überlegte sie, ob der Uniformierte tatsächlich gar nicht wußte, daß es inmitten der Versuchsanordnung ein Gate gab, das zudem auch noch initiiert gewesen war. Sonst hätten sie gar nicht darin landen können. Oder war es durch eine Fehlschaltung, verursacht durch das allgemeine Chaos, ungewollt initiiert worden und niemand hatte es bemerkt? Eine Fehlschaltung vielleicht des Zentralcomputers, der sicher arg in Mitleidenschaft gezogen wurde durch die unbegreiflichen Phänomene? Das ließ sekundenlang ihren Atem stocken. Ja, es war eigentlich die einzige brauchbare Erklärung, denn sonst hätte sich doch überhaupt niemand hier über ihr Erscheinen gewundert: Das Gate war ausgeschaltet gewesen! Es wurde noch nicht einmal in Betracht gezogen, daß irgendwer per Gate überhaupt diesen Planeten hier erreichen könnte. Vielleicht, weil diese Welt hier schon seit langer Zeit sich aus dem Gate-Netz zurückgezogen Copyright 2001 by readersplanet
hatte - aus welchen Gründen auch immer? Der Uniformierte knirschte mit den Zähnen. Cora wurde erst jetzt richtig bewußt, daß der Mann vom Ableben ihrer Gefährten berichtet hatte. Ihr Verstand hatte diese Nachricht zunächst verdrängt. Sie wollte es einfach nicht wahrhaben. Heiße Wut packte sie. »Sie sind verdammte Mörder, und aus mir bekommen Sie nichts heraus!« »Wenn es nach mir gegangen wäre, gäbe es Sie auch nicht mehr!« gab der Soldat unumwunden zu. »Sie sind eine Gefahr. Aber uns interessiert Ihr Vorgehen, vor allem Ihre Hintermänner. Wir wollen für die Zukunft gewappnet sein.« »Was geht hier eigentlich vor? Was muß denn so geheimgehalten werden?« Der Soldat lächelte zum ersten Mal. »Ihre Worte sind der Beweis, daß Sie nicht sehr viel wissen. Ich sehe nicht ein, warum ich diesen Zustand ändern soll.« Cora sank auf ihr Lager zurück. »Dann können Sie mir gestohlen bleiben!« bemerkte sie grob. Im Moment war ihr alles egal. Nur noch ein Gedanke beherrschte sie: Petro und John sollen tot sein! Der Uniformierte betrachtete sie wütend. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und winkte seinen Begleiter mit sich. Beide verließen den Raum. Die Ärztin blieb noch einen Moment. »Seien Sie vorsichtig«, warnte sie. Dabei meinte sie nicht das vorangegangene Gespräch, sondern offensichtlich den Gesundheitszustand Coras. »Sie sind noch nicht ganz über den Berg. Ich habe Ihnen etwas verabreicht, das den Heilungsprozeß beschleunigt. Bis morgen sind Sie wieder obenauf.« Auch sie wandte sich zum Gehen. Cora hielt sie am Arm auf. »Warum geben Sie sich solche Mühe? Wenn die wissen, was sie wissen wollen, ist mein Leben keinen Pfifferling mehr wert!« »Pfifferling?« fragte sie verständnislos. Cora winkte ab und verbesserte sich: »Sie werden mich ohne Frage umbringen. Warum also die Umstände?« Die Frau befreite sich beinahe pedantisch aus Coras festem Griff. »Sehen Sie, ich bin hier als Ärztin. Ich weiß selber nicht genau, worum es bei dem Forschungsprojekt geht. Ungeheure Energien werden verschwendet - mehr als je zuvor. Das ist alles, was ich bemerkt habe. Es reicht, denn es gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich. Sie wurden mir als Patient zugeteilt, also werden Sie auch wie ein solcher behandelt. Mich hat alles andere nicht zu interessieren. Verstehen Sie?« Damit wandte sie sich ab. Cora ließ sie gehen. Nachdenklich schaute sie ihr nach. Kaum war sie allein, als sie ihre Blicke kreisen ließ. Das Zimmer war bis auf das Bett völlig kahl, keine Abhöreinrichtung war zu erkennen. Aber das hatte natürlich nichts zu sagen. Die Technik dieser Welt besaß gewiß Möglichkeiten, von denen sie nicht einmal zu träumen wagte. Und dann machte sie die Feststellung, daß sie den Radartimer noch am Handgelenk trug. Sofort machte sie davon Gebrauch und rief die beiden Gefährten, die angeblich tot sein sollten. Nachdem ihr allerdings bewußt wurde, daß dies eine Falle sein konnte, unterbrach sie das Gespräch sofort und schaltete den Radartimer aus. Erschrocken betrachtete sie ihn. Sollte sie das Ding zerstören? Aber darin sah sie keinen Sinn. Petro Galinksi und John Millory lebten. Sie hatte mit ihnen gesprochen! Sie würden jetzt vorsichtig sein und die Mikrosprecheinrichtung nicht mehr benutzen. Copyright 2001 by readersplanet
Die Tür flog auf. Cora fuhr herum. Das Gesicht des Uniformierten von vorhin war kalkweiß. »Habe ich es mir doch gedacht!« sagte er wütend. Er machte eine herrische Geste in Richtung seines Begleiters. Der Mann trat vor und griff nach Coras Handgelenk. »Ein Minifunkgerät!« »Also leben die beiden noch!« Cora verstand es vorzüglich, sich zu beherrschen. »Vielleicht auch nicht. Möglicherweise stehen noch mehr Leute dahinter, mit denen ich mich eben in Verbindung gesetzt habe?« In den Augen des Soldaten blitzte es. »Sie sollten nicht ununterbrochen den Fehler machen, uns zu unterschätzen. Wir haben Sie sehr genau beobachtet. Hätten Sie Ihren Leuten wichtige Informationen gegeben, hätten wir das sehr schnell unterbunden.« Sein Untergebener entfernte den Radartimer, den Cora wie eine Armbanduhr trug. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Das Gerät wechselte den Besitzer. »Wir werden es genauestens untersuchen!« versprach der andere. »Wenn Sie sich etwas davon versprechen...« Cora zuckte die Achseln und zauberte ein entwaffnendes Lächeln auf ihr Gesicht, obwohl ihr nicht danach zumute war; aber sie schwor, sich keine Blöße zu geben - nicht vor denen. »Haben Sie mir noch etwas zu sagen?« fragte der Soldat. »Ich wüßte nicht!« Die beiden verließen den Raum. Cora hoffte inbrünstig, daß John und Petro die Flucht gelang. An sich dachte sie weniger.
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14
Eine Weile geschah nichts. Cora machte einmal den Versuch, aufzustehen. Dabei brummte ihr zwar mächtig der Schädel, aber ansonsten fühlte sie sich nicht beeinträchtigt. Man hatte sie all ihrer Sachen beraubt und in ein schmuckloses Gewand gesteckt. Sie kam sich lächerlich darin vor, obwohl der Stoff angenehm zu tragen war. Außer dem Bett gab es in dem kahlen, fensterlosen Raum wirklich nichts. Cora mußte mit dem vorlieb nehmen, was sie am Leib trug. Als sie sich zur Tür wandte, kamen die ersten Vibrationen durch. Von der Sturmwand ahnte sie nichts. Das Wanken des Bodens war hier nur schwach. Gewiß gehörte der Krankenraum zu einem tief liegenden Bunker, geschützt gegen viele Eventualitäten. Auch gegen Angriffe von außen? Die Tür war natürlich abgeschlossen. Im Gang ertönten laute Stimmen. Jemand hastete vorbei. Cora hieb mit der geballten Faust gegen das Türblatt. Es bestand aus eisenhartem Kunststoff. Metall war hier rar. Es half nichts. Niemand wurde auf sie aufmerksam. Gab es denn keine Wache? Was ging draußen vor? Die Erschütterungen wurden heftiger. Ein Dröhnen pflanzte sich durch die Wände fort, drang an die Ohren von Cora. Wieder klopfte sie wie eine Besessene. Da wurde auf einmal geöffnet. Es war die Ärztin. Ihr Gesicht hatte einen ungesunden Schimmer. »So ein Unglück!« murmelte sie immer wieder vor sich hin. Sie nahm Cora am Arm und riß sie auf den Gang hinaus. »Was ist passiert?« fragte Cora verstört. »Oben ist die Hölle ausgebrochen. Ich habe noch nie in meinem Leben einen solchen Sturm erlebt. - Machen Sie schnell! Das ist eine Gelegenheit, die nicht so bald wiederkehrt!« Erstaunt betrachtete Cora sie von der Seite. Die Ärztin sicherte nach allen Richtungen. Und dann überquerten sie in Windeseile den Gang und verschwanden in einer anderen Tür. Die Ärztin deutete auf ein Bündel Kleider. »Beeilen Sie sich!« empfahl sie. Cora ließ es sich nicht zweimal sagen. »Warum helfen Sie mir?« fragte sie, während sie sich umzog. Die Ärztin warf einen Blick auf den Gang hinaus. »Die Wachmannschaft ist im Moment ziemlich kopflos. Sie vernachlässigt die Kontrolle Ihres Zimmers. Es ist also ungefährlich für mich. Jeder andere kommt ebenfalls in Frage, die Tür geöffnet zu haben.« »Das ist keine Antwort!« Sie fixierte Cora kurz. »Ich bin nicht damit einverstanden, daß man so leichtfertig mit Menschenleben umgeht. Hier werden Experimente gemacht, die angeblich dem Fortschritt dienen. Aber warum diese Geheimhaltung? Die direkt mit den Experimenten betraut wurden, bekommt man gar nicht zu Gesicht. Sie stecken in dem Betonei. Alle anderen Gebäude dienen nur als Unterkünfte für die Wachmannschaften. Ausgesuchte Männer, rund tausend an der Zahl. Man gibt sich alle erdenkliche Mühe. Der Schutz geht noch weiter. Ich weiß, daß die Anlage sogar gegen Sicht von oben getarnt ist. Ab einer bestimmten Entfernung ist sie Copyright 2001 by readersplanet
unsichtbar. Ein neuartiger Ortungsschutz, der ungeheure Energien verschlingt. Aber darin ist man hier ohnedies nicht knauserig.« »Und Sie wissen wirklich nicht, um was es geht?« »Man spricht weltweit von Energieknappheit. Früher ein Unding, da die Energien jahrtausendelang schier unbegrenzt flossen - dank dem Gaarson-Effekt. Inzwischen ist dies anders. Bisher gelang es dennoch, uns über Wasser zu halten. Allgemein schien es mehrmals so auszusehen, als gäbe es diese Probleme gar nicht mehr. Hier versucht man, neue Wege zu gehen. Kernfusion spielt dabei meines Wissens auch eine Rolle - seit vielen tausend Jahren mal wieder. Ich nehme an, man fürchtet massiven Gegendruck der Bevölkerung. Deshalb die Geheimhaltung. Es kann passieren, daß die ganze Anlage hochgeht. Sie haben ja wohl die Schutzeinrichtungen oben gesehen. Wenn wirklich etwas passiert, nutzen die allerdings recht wenig. Es wird davon gesprochen, daß dann der ganze Kontinent von der Landkarte verschwindet. Vielleicht passiert sogar noch mehr?« Coras Gedanken drehten sich rasend schnell im Kreis. Sie hatte die Worte gehört, aber sie verstand sie dennoch nicht, weil alles in ihr sich dagegen wehrte: Konnte es wirklich sein, daß in diesem Teil des Universums der Gaarson-Effekt nicht mehr richtig funktionierte? Konnte es sein, daß die Katastrophe, die zum Funktionieren der Gates geführt hatte, erst die erste Stufe einer universellen Veränderung gewesen war - und daß irgendwann, eben nach Jahrtausenden... Ja, daß es eine weitere Stufe gab? Und waren sie mitten drin in dieser neuen Katastrophe? Sie dachte an ein interstellares Gate-Netz von unvorstellbaren Ausmaßen. Sie dachte an Kriege rivalisierender Rassen. Was alles war hier, in diesem Teil des Universums, tausende, ja, vielleicht Millionen von Lichtjahren von der Erde entfernt, in den letzten Jahrtausenden abgelaufen? Und was geschah jetzt? Jedenfalls war eines klar: Hier wurden die vorhandenen Gates nicht mehr benutzt. Außer diesem einen, in dem sie materialisiert waren. Egal, wieso dieses überhaupt initiiert worden war... »Dann muß man tatsächlich geheimhalten!« sagte Cora mechanisch, um ihre Gedanken nicht zu verraten. Und dann war sie fertig mit dem Umziehen. Hoffentlich erkannte sie draußen niemand. Die Ärztin schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Keine Sorge, hier laufen auch eine ganze Menge Zivilisten herum: Techniker, Ärzte. Wer hat sich schon Ihr Gesicht gemerkt?« Sie eilten auf den Gang hinaus. Eine Sirene lief wimmernd an. Sie erinnerte Cora unangenehm an ihre Ankunft. Ob es diesmal wieder etwas mit ihr zu tun hatte? Sie hoffte es nicht. Das Grollen, das offenbar aus der Tiefe der Erde stammte, wurde intensiver. »Was ist eigentlich los?« keuchte Cora, während sie mit der Ärztin zu einem Fahrstuhl rannte. »Ich weiß es nicht. Erst habe ich schon befürchtet, daß die Anlage hochgeht. Aber das ist es nicht. Es muß mit der plötzlich entstandenen Eiszeit zu tun haben. Die Polkappen eisen rasend schnell zu. Das gesamte Wetter auf diesem Planeten kippt um. Durch das dicke Eis an den Polen wird das gesamte Gleichgewicht gestört. Die Meere verlieren an Wasser. Der Meeresspiegel sinkt täglich. Die ersten gigantischen Eisberge befinden sich unterwegs, um die Häfen zu gefährden. Schiffe dürfen nicht mehr auslaufen.« »Und das alles entstand - innerhalb welcher Zeit?« »Das fragen Sie?« Die Ärztin musterte sie überrascht. »In Ordnung, ich sage es Ihnen: Wir kamen zu dritt in dem Gate an, das in der Versuchsanordnung steht. Es war reiner Zufall. Ich weiß noch nicht einmal, wo wir hier überhaupt sind!«
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Die Ärztin schüttelte den Kopf. Sie brauchte eine Weile, um sich zu fangen. »Jetzt begreife ich erst: Das Gate... Ich hatte davon gehört, aber es gibt kein Gate mehr auf dieser Welt, das benutzt wird. Schon lange nicht mehr. Seit dem letzten Krieg. Mit ausgeschalteten Gates ist es leichter, sich zu verteidigen. Es genügt eine lückenlose Raumüberwachung. - Aber die Wissenschaftler in der Versuchsanordnung... Die haben das Gate initiiert...« Sie schaute Cora fest an. »Sie haben offensichtlich das Gate initiiert, um abhauen zu können, sobald es für sie zu brenzlig wird.« Sie schüttelte abermals den Kopf. »Seit Monaten schon gibt es Probleme mit der neuen Eiszeit. Erst ging es ja nur langsam. Aber in den letzten Tagen und vor allem Stunden... Hoffentlich wird es nicht schlimmer. Dann sind wir alle verloren.« »Wie heißt diese Welt eigentlich?« fragte Cora. Die Ärztin betrachtete sie, als würde sie jetzt Cora zum ersten Mal sehen. »Dies ist die Erde!« sagte sie dann - und überraschte diesmal Cora. Bis Cora bewußt wurde, daß sie natürlich nicht das Wort Erde benutzt hatte, sondern in ihrer Sprache ein Wort, das eine durchaus ähnliche Bedeutung besaß. Dann sagte die Ärztin: »Ich habe Sie untersucht. Sie stammen nicht von dieser Welt? Aber Sie sind wie wir!« Cora hätte ihr gern auch noch verraten, daß sie noch nicht einmal aus diesem Teil des Universums stammte, aber sie unterließ es, um die Ärztin nicht noch mehr zu verwirren. Diese winkte ab. »Ach, egal! Jetzt müssen wir erst einmal sehen, wie wir hier mit heiler Haut heraus kommen!«
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Die Ärztin wollte mit Cora ins Freie. Sie war offenbar zu allem entschlossen und wollte die chaotische Situation zur Flucht für Cora nutzen. Aber der Sturm, der draußen toste, machte ihr Vorhaben zunichte. Das wurde ihnen spätestens zu dem Zeitpunkt klar, als sie durch eines der Sicherheitsfenster ein davonwirbelndes Bodenfahrzeug erblickten. »Haben die eigentlich auch voll flugfähige Gleiter?« fragte Cora. Die Ärztin winkte ab. »Ja, aber nur sehr wenige. Sie können nicht viel damit anfangen. Sobald Sie mit einem Fluggleiter aufsteigen, stören Sie das Feld, das zum Ortungsschutz notwendig ist.« Das leuchtete der Astro-Ökologin ein. Sie stellte keine Fragen mehr in dieser Richtung. »Wir können nicht hinaus!« bedauerte die Ärztin. Es klang leicht verbittert. »Was sollen wir jetzt tun? Wenn wir das Gebäude verlassen, bläst uns der Sturm davon. Dann haben wir keine Sorgen mehr.« Sie zuckte die Achseln. »Ich muß Sie wohl verstecken. Eine andere Wahl bleibt mir nicht. Wenn man Sie erst findet und verhört, werden Sie mich verraten - ob Sie wollen oder nicht.« Cora wollte protestieren: »Aber ich bitte Sie...« Die Ärztin winkte mit beiden Händen ab. »Lehren Sie mich nicht die Methoden dieser Leute kennen!« Erst jetzt sah Cora, daß sie das unschöne Gewand mitgenommen hatte. Sie öffnete die Außentür doch. In der Art einer Schleuse war sie gearbeitet. Ein ungeheurer Sog entstand und nahm die Ärztin fast mit nach draußen. Cora mußte sie festhalten. Dabei flatterte das Gewand davon und wirbelte hinaus. »Hoffentlich wird es von der Ortung erfaßt - falls die bei diesem Chaos überhaupt noch funktioniert.« Mit vereinten Kräften schlossen sie wieder die Tür. Cora konnte sich glücklich schätzen, in einem Gebäude zu stecken, das durchaus die Funktion eines Bunkers erfüllen konnte. In einem normalen Haus wären sie ohne Schutz gewesen. Ohne Zweifel hätte es der Sturm mitgenommen. Sie blickte noch einmal hinaus. Bäume, Sträucher, Felsbrocken wurden davongewirbelt. Und schon wieder ein Bodengleiter. Cora vermeinte fast, die Stimme von Petro Galinksi zu hören: »Also doch voll flugfähig, meine Liebe. Sie haben mich in dieser Hinsicht belogen.« Ja, das hätte Petro Galinksi bestimmt gesagt. Cora konnte nicht darüber lachen. Sie mußte an die beiden denken und machte sich große Sorgen. Die Ärztin zog sie mit sich. Cora folgte ihr, war aber mit ihren Gedanken woanders.
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Es sah wirklich schlecht aus für die beiden. Der Sturm hörte so schnell auf, wie er gekommen war. Damit aber waren ihre Probleme noch lange nicht gelöst. Sie krochen in Richtung Ausgang. Finsternis hüllte sie ein. Sie schalteten ihre Körperlampen ein, die zu ihrer Ausrüstung gehörten. Sie wurden von ihrer Körperwärme gespeist und spendeten genügend Licht. Weit kamen sie nicht. Alles war voller Staub und Geröll. Rasch wurde die Luft im Innern der Höhle knapp. Staubfahnen schwebten träge herum. Die beiden husteten sich schier die Lungen aus dem Leib. Zu ihren erbeuteten Uniformen gehörten auch Handschuhe. Ihr Stoff erwies sich als sehr strapazierfähig und bewahrte vor Verletzungen. Mit den behandschuhten Händen begannen sie zu graben. »Aussichtslos!« keuchte John bald. »Das schaffen wir in der kurzen Zeit unmöglich. Wir werden nur noch schneller ersticken. Besser, wir sparen den Sauerstoff.« Er ließ sich niedersinken. Petro Galinksi wollte es nicht wahrhaben. Verbissen machte er weiter. Aber dann gab auch er auf. Deutlich genug erinnerte er sich, wie weit der Eingang entfernt war. Zwischen ihnen und dem Freien befanden sich bestimmt einige Tonnen Geröll. Möglicherweise hatte es einen Steinschlag gegeben, was endgültig alles verschüttet hatte. Der Lichtstrahl seiner Körperlampe zitterte über die schroffen Wände ihres engen Gefängnisses. Und da sah er etwas, was ihm einen Moment den Atem raubte: Die Staubfahnen bewegten sich! Es war nicht nur ihr Atem, der diese Bewegung verursachte. Nein, es gab einen leichten Luftstrom, der in den Hintergrund der Höhle führte. John erkannte es ebenfalls. Sie erhoben sich und gingen der Sache nach. »Also wären wir doch nicht erstickt!« konstatierte John. Sie fanden einen schmalen Spalt - zu schmal, um sie hindurchzulassen. Noch immer hatte sich die Erde nicht beruhigt. Sie grollte wie protestierend. Dabei vergrößerte sich der Spalt merklich. »Der Berg ist in Bewegung«, stellte Petro Galinksi fest. »Kein Grund zur Freude, finde ich. Wenn wir Pech haben, fällt uns die Decke auf den Kopf!« Aus dem schmalen Spalt rieselte Dreck. Ein erneutes Grollen. Diesmal kam ein ganzer Schwall von Dreck zu ihnen herein. Der Platz in der Höhle wurde rapide knapper. Johns Herz schlug ein paar Takte schneller. Was zuerst wie ein Ausweg aus ihrer Situation ausgesehen hatte, entpuppte sich jetzt als tödliche Falle. Er drehte sich herum und wandte sich wieder dem Geröllberg zu, der den Ausgang versperrte. Sofort begann er wieder mit den Räumarbeiten. »Mann, hilf mir doch!« rief er über die Schulter zurück. »Es kommt im Moment genügend Luft herein. Wir müssen es einfach schaffen.« Wie zur Antwort rollte mindestens ein Zentner Geröll in die Höhle. Petro mußte sich mit einem Satz in Sicherheit bringen. Er beeilte sich, John zu helfen. Copyright 2001 by readersplanet
Wie zwei Maulwürfe gruben sie sich dem Ausgang entgegen. Gleichzeitig bekam der Schutt von hinten Nachschub. Bald würde ihnen das Geröll und der Dreck so dicht auf die Haut rücken, daß sie nicht mehr weiterarbeiten konnten. Diese Erkenntnis beschleunigte ihre Bemühungen.
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Endlich sahen sie einen Lichtschimmer! Ihr Atem ging keuchend. Sie glaubten, einfach nicht mehr zu können, und machten dennoch weiter. Es ging um ihr Leben. Sie schafften es. Der Durchschlupf wurde groß genug. John kroch voraus. Er rutschte über einen Berg von Schutt und hielt sich an einem Felsvorsprung fest Die Landschaft hatte sich erheblich verändert. Felsbrocken lagen auf der Gleiterstraße. Sie war unbenutzbar geworden. Und es schneite. Der Schnee lag bereits mehrere Zentimeter hoch. Scharfer Wind wirbelte die treibenden Flocken durcheinander und bemühte sich vergeblich, die Straße zu säubern. Auch Petro Galinksi verließ die Höhle. Er blieb neben John stehen und schaute sich fluchend um. »Ich möchte jetzt nicht wissen, wie es in der Stadt aussieht«, murmelte John brüchig. »Der Sturm muß dort furchtbar gewütet haben.« Petro deutete mit dem ausgestreckten Arm. Aus Richtung Stadt näherte sich ein Pulk von Gleitern. Die ersten Piloten entdeckten die Hindernisse auf der Straße und stoppten rechtzeitig. »Komm!« Petro Galinksi winkte John zu und machte sich sofort an den Abstieg. »Wohin willst du?« »Einen der Gleiter erreichen.« »So wie wir sind?« »Dann schau dich doch mal an! Von deiner Uniform, wie sie dir der Stationscomp verpaßt hat, ist nicht mehr viel zu erkennen. Im Moment geht doch sicher alles drunter und drüber. Zu Fuß können wir die Stadt nie erreichen - jetzt nicht mehr. Und in der Wildnis sind wir verloren.« John Millory sah das ein. Er folgte mit gemischten Gefühlen. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, daß sie sich fremden Leuten stellten, wo es ihnen gerade gelungen war, aus der Festung zu fliehen. Eine andere Wahl blieb ihnen jedoch nicht. Einige der Leute stiegen aus ihren Fahrzeugen und besahen sich die Bescherung. Es war mit ihren Gleitern unmöglich, das Hindernis zu umgehen. Offenbar war auch die Automatik der Leitspuren ausgefallen. Die Gleiter mußten manuell bedient werden. Niemand achtete zunächst auf Petro Galinksi und John Millory. Erst als ihre abgerissenen Gestalten zwischen den Leuten auftauchten, wurde ihnen Aufmerksamkeit zuteil. Petro und John betrachteten den kopflosen Haufen. Die Leute waren außer sich. »Wie sieht es in der Stadt aus?« erkundigte sich Petro - und wunderte sich dabei selber, wie flüssig die eigentlich fremdartige Sprache über seine Lippen kam. Es war schon ein wenig unheimlich, wie der Stationscomp sie manipuliert hatte. Copyright 2001 by readersplanet
Ja, manipuliert, das hatte er im Grunde genommen! Aber dennoch nicht so sehr, daß sie keinen freien Willen mehr hatten... Eine Frau sah ihn mit rot verweinten Augen an. »Ich habe - habe meine ganze Familie verloren.« Ein erneuter Tränenguß. »Es ist furchtbar. Der Sturm kam so plötzlich, so unvorhergesehen. Nicht einmal die Meldungen machten darauf aufmerksam. Ich hörte gerade, daß die Gefahr der Erdachsenneigung bestünde. Dann war es auch schon passiert.« »Erdachsenneigung?« wiederholte John gedehnt. Ein Mann mischte sich ein. »Wo leben Sie denn? Auf einem der Monde?« rief er unbeherrscht. »Die Pole sind vereist, total vereist. Wir stehen vor dem Weltuntergang!« Eine ältere Frau warf kreischend die Arme in die Luft. Bisher war es ihr gelungen, sich zu beherrschen. Jetzt war es damit vorbei. »Das Jüngste Gericht!« zeterte sie. »Das Jüngste Gericht wird abgehalten. Die himmlischen Heerscharen sind auf dem Weg hierher.« Sie ruderte mit den Händen. »Empfangen wir sie würdig.« Die absolut »menschlichen« Reaktionen erschütterten Petro und John mehr als daß sie die beiden erstaunten. Obwohl natürlich nicht wirklich vom »Jüngsten Gericht« die Rede war oder von »himmlischen Heerscharen«, sondern lediglich von in dieser Sprache gebräuchlichen Äquivalenten. Ihr etwa gleichaltriger Begleiter bekam einen hochroten Kopf. Er zerrte die Frau wieder hoch. »Wir leben noch. Das ist zunächst die Hauptsache.« Petro Galinksi und John Millory mußten ihm recht geben.
Man muß hinzufügen: "Aber wie lange noch?" Wir werden es sehen, denn es geht jedenfalls weiter in... Band 11: »Welt im Eis« "Die Verbannten - in der Hölle unter Null Grad!" Ein Roman von W. A. Travers
Den bekommt man übrigens auch in gedruckter Fassung, mit farbigem Titelbild von dem bekannten Künstler Gerhard Börnsen. Einfach mal fragen bei: HARY-PRODUCTION, Waldwiesenstraße 22, 66538 Neunkirchen, Internet: www.hary.li, eMail:
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