Wendy hat Dave schon fast erobert – da taucht eine Rivalin auf, der sie sich nicht gewachsen fühlt: das hübsche Filmster...
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Wendy hat Dave schon fast erobert – da taucht eine Rivalin auf, der sie sich nicht gewachsen fühlt: das hübsche Filmsternchen Peggy Price..
Originalausgabe „When Wishes Come True“ 1985 by CORA Verlag
Band 58 (142) 1985
Scanned & corrected by SPACY Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt
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Judith Enderle
Das Mädchen vom Film Seit Wendy auf der Windridge-Ranche arbeitet, ist sie selig. Denn abgesehen davon, daß endlich bei ihren geliebten Pferden ist, trifft sie hier auch ihre heimliche Liebe, Dave Caldwell, wieder. Sie kennen sich von früher, als Wendy für Dave allenfalls ein netter Kumpel war. Doch inzwischen ist sie sechzehn und für Dave offensichtlich auch als Mädchen interessant. Er verabredet sich öfter mit ihr, und Wendy glaubt sich schon fast am Ziel ihrer Träume – da erscheint plötzlich ein neuer Gast auf dem Reiterhof. Peggy Price, begehrtes Filmsternchen und so hübsch, daß sie jedem Jungen den Kopf verdreht. Auch Dave scheint da keine Ausnahme zu machen, und Wendy kocht vor Eifersucht...
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1. KAPITEL Wendy schlug die Augen auf. Über ihre goldgelbe, sonnenbeschienene Bettdecke hinweg fiel ihr Blick auf den Kalender, der über dem Schreibtisch an der Wand hing. Das Kalenderbild des Monats zeigte ein rassiges Pferd, das auf einer tiefgrünen Weide friedlich graste. Neben dem Datum des heutigen Tages prangte ein leuchtendroter Stern. „Na endlich!" seufzte Wendy und sprang aus dem Bett. „Ich dachte schon, daß dieser Tag nie kommen würde." Zum erstenmal seit dem Beginn der Sommerferien vor zwei Wochen stand sie im Eiltempo auf. Herumtrödeln kam heute nicht in Frage. Schnell zog sie ihren Bademantel über. Auf dem Weg ins Bad stieg ihr der Duft von gebratenem Speck in die Nase. Ah, jemand machte schon Frühstück! Während sie duschte und dann ihr glattes rötlichbraunes Haar fönte, sang sie laut und gutgelaunt vor sich hin. Dann streckte sie ihrem sommersprossigen Spiegelbild fröhlich die Zunge heraus und lief in ihr Zimmer zurück, um sich anzuziehen. Wendy schlüpfte in verwaschene, vielfach geflickte Jeans und ein flauschiges rosa Sweat-Shirt und zog ihre Reitstiefel an. Die Stiefel saßen inzwischen ziemlich knapp. Bis zu ihrem vierzehnten Geburtstag hatte sie fast ein Jahr lang dafür gespart und sie dann gebraucht gekauft. Aber der Kauf hatte sich gelohnt. Die Stiefel waren damals noch fast neu und nur wenig zu groß für sie gewesen. Mrs. Nestor aus dem Laden für Reiterbedarf hatte sie ihr zurückgelegt und ihr erlaubt; die Stiefel in Raten abzustottern. Sobald Wendy auf diese Weise den halben Preis bezahlt hatte, durfte sie die Stiefel mitnehmen und die restlichen Raten im Nachhinein abzahlen. „Eines Tages werde ich auch die übrige Ausrüstung beisammen haben", dachte Wendy, stopfte die Hosenbeine der -3-
Jeans in die Stiefel und fuhr sich ein letztes Mal mit dem Kamm durch die Haare. „Irgendwann einmal werde ich ein eigenes Pferd besitzen und einen Sattel und vielleicht sogar..." bei diesem Gedanken mußte sie lächeln, „einen Jungen kennen lernen, der mit mir ausreitet. Freunde und Pferde sind doch die besten Erfindungen auf der Welt. Und bisher habe ich weder das eine noch das andere." Beim Frühstück herrschte in der Küche der Russels immer ein totales Chaos, weil jeder etwas anderes aß und sich das zubereitete, worauf er gerade Appetit hatte. Wendy setzte sich auf einen der beiden noch freien Stühle an dem runden Kiefernholztisch, der fast den ganzen Raum einnahm. Ihr Vater hatte gerade Eier mit Schinken und Toast gegessen. Er mußte sich beeilen, um pünktlich in der Bank zu sein. „Na, Tochter Nummer zwei", sagte er zu Wendy, „heute fängt für dich der Ernst des Lebens an, was?" Wendy lächelte und nickte. Für sie war Pferdepflege keine Arbeit. „Apropos Ernst des Lebens", meinte Kit, Wendys ältere Schwester, die auch schon mit dem Frühstück fertig war, „wir müssen los, Dad. Ich soll heute im Geschäft einen neuen Lehrling einweisen und muß deshalb früher dort sein als sonst." Kit war zwanzig und arbeitete bei ,Drobben's', einem Warenhaus in der Stadt. Erst kürzlich war sie zur Assistentin der Verkaufsleiterin der Wäscheabteilung befördert worden. Ihr Vater sah sie schon als Leiterin des gesamten Geschäftes, weil sie so tüchtig war. Angefangen hatte sie dort als Aushilfe, als sie noch zur High School ging. „Dick, kannst du mir bitte heute auf dem Nachhauseweg Milch mitbringen?" fragte Wendys Mutter ihren Mann. „Wir haben nur noch knapp einen Liter, und du würdest mir damit eine Fahrt in die Stadt ersparen.!" Wendys Mutter hatte dunkelrotes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Zwar zeigten sich erste graue -4-
Strähnchen, aber jeder war der Ansicht, daß sie viel zu jung aussah, um schon vier fast erwachsene Kinder zu haben. „Ich spiele gern den Milchmann für dich, Liebling", sagte Wendys Vater und küßte seine Frau zum Abschied. „Los, mach dich auf die Socken, Kit." Kit schob ihren Stuhl zurück, strich ihr kurzgeschnittenes welliges braunes Haar glatt und warf einen prüfenden Blick auf ihre lackierten Fingernägel. Sie wirkte eigentlich immer ruhig, gelassen und makellos. Wendy wunderte sich manchmal, wie Kit es fertigbrachte, inmitten dieser chaotischen Familie so ordentlich zu leben und auszusehen. Selbst als Kind war Kit im Gegensatz zu ihren Geschwistern nie zerzaust oder verdreckt nach Hause gekommen. Die Haustür schlug zu, und dann hörte man das Auto losfahren. „Und was hast du für heute geplant, Richard junior?" erkundigte sich Wendys Mutter bei ihrem Jüngsten, dem achtjährigen Rick, und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. Genau wie Wendy hatte Rick das rötlich schimmernde Haar von seiner Mutter geerbt. Kit und der dreizehnjährige Mitch, der im Moment vermutlich noch selig schlummerte, ähnelten mehr ihrem Vater und besaßen dasselbe dunkelbraune Haar, das er einmal gehabt hatte. Inzwischen war er allerdings fast kahl, abgesehen von seinem gepflegten Schnauzbart, den er so zwirbelte, daß die Spitzen an den Seiten abstanden. „Ich wette, daß Rick heute mit Brian Frösche fangen geht, stimmt's?" meinte Wendy und goß sich reichlich Milch über die Cornflakes. „Nee. Wir wollen im Hof von Brians Eltern ein Fort bauen. Hast du zufällig altes Holz über, Mom?" „Sieh hinter meinem Schuppen nach, Rick. Falls wir überhaupt Holz haben, so liegt es dort. Nimm dich aber vor Schlangen in acht, wenn du anfängst, zwischen den Brettern herumzuwühlen." „Ich habe doch keine Angst vor den Viechern", entrüstete sich Rick und stand vom Tisch auf. -5-
„Vorsicht ist nicht dasselbe wie Angst", gab seine Mutter zurück. Im nächsten Moment war Rick verschwunden, und Wendy saß allein mit ihrer Mutter am Frühstückstisch. „Endlich ist der große Tag da, Mom", sagte sie. „Das kann man dir ansehen. Du strahlst so, als wäre heute Weihnachten." „Ach, es ist noch viel toller." Wendy bestrich eine Scheibe Vollkornbrot dick mit Honig und biß ein großes Stück ab. „Na, ich werde wohl den ganzen Vormittag an meiner Töpferscheibe verbringen, Wendy. Die Geschenkboutique in der Stadt hat ein Dutzend Keramiktöpfe in Auftrag gegeben, und wenn sie gut gehen, wollen sie mir jeden Monat so viele abnehmen." „Toll, Mom. Mach ein paar mit der blauen Glasur, die finde ich am hübschesten." Wendy stürzte ein Glas Orangensaft hinunter und sah auf die Uhr. „Ich gehe jetzt", sagte sie dann. „Vergiß nicht, vorher das Geschirr abzuräumen!" Wendy spülte den gröbsten Schmutz von den Frühstückstellern ab. Morgens stellte sie immer das Geschirr zusammen, und ihr Bruder Mitch packte später alles in den Geschirrspüler. Abends erledigten Kit und Rick diese Arbeit. Das funktionierte normalerweise ganz gut. Aber manchmal hatten sie so viel untereinander getauscht, daß keiner mehr wußte, wer eigentlich dran war. „Morgen." Die Nase tief in seine Motorradzeitschrift versenkt, stolperte Mitch in die Küche. Er war von Motorrädern ebenso begeistert wie Wendy von Pferden. Aber er konnte sich genauso wenig wie seine Schwester einen seiner Lieblinge kaufen. Immerhin darf ich wenigstens mit Pferden arbeiten, dachte Wendy und stellte den letzten Teller in die Spüle. „Den Rest erledigst du, Mitch", sagte sie. „Mmm", knurrte er, ohne aufzusehen. -6-
Wendy wischte zum Abschluß noch einmal über den Tisch. Dann putzte sie sich die Zähne, schnappte sich ihre blaue Jeansjacke und zog los, nachdem sie sich von den anderen verabschiedet hatte. Wendy liebte den Weg zur Windridge Ranch, aber noch nie hatte sie ihn so sehr genossen wie an diesem Morgen. Die Jacke um die Hüften gebunden, schritt sie die Schotterstraße entlang. Ab und zu legte sie ein paar Hüpfer ein wie ein kleines Mädchen. Ganz in der Ferne konnte sie den sauberen weißen Zaun sehen, der die Grenze des Reitgeländes und der Ställe bildete. Einige Schritte vor ihr schossen plötzlich zwei Kaninchen aus dem dichten Unterholz und flitzten über die Straße. Dabei scheuchten sie eine Menge Wachteln auf. „Ich kriege Geld, ihr Kaninchen", rief Wendy übermütig, „die wollen mich tatsächlich dafür bezahlen, daß ich Star reite, ihr Wachteln!" Und vielleicht, ganz vielleicht, dachte sie, läßt mich Mr. Wright sogar Star kaufen, sobald ich genug Geld gespart habe. Das war nämlich der eine ihrer geheimen Wünsche. Der andere Wunsch betraf einen ganz speziellen Jungen. Aber natürlich konnte sie nicht einmal sicher sein, ob überhaupt einer der beiden Wünsche in Erfüllung gehen würde. Wendy betrachtete Star im Grunde als ihr Pferd. Als sie acht, Jahre alt wurde, hatte sie all ihr Geburtstagsgeld dafür ausgegeben, einen ganzen Tag lang reiten zu dürfen. Seitdem war sie regelmäßig auf Star geritten. Damals hatte ihr Old John, der die Pferde des Reitstalls versorgte, in den Sattel geholfen. Und Mr. Wright, der Besitzer, war höchstpersönlich neben ihr geritten, weil Star zu dem Zeitpunkt noch ein ganz junges und unerfahrenes Pferd war. -7-
Aber Wendy und Star verstanden sich auf Anhieb so gut, als seien sie schon seit Jahren miteinander vertraut. Es war bei beiden Liebe auf den ersten Blick, und jetzt, mehr als siebeneinhalb Jahre später, waren sie dicke Freunde. Wendy erreichte die Einfahrt, die durch zwei weiße Holzpfosten gekennzeichnet war, und betrat den mit hellem Kies bestreuten Weg zu den Ställen. An einem Pfosten hing ein schmiedeeisernes Schild. WINDRIDGE RANCH. REITSTALL UND GESTÜT. EIGENTÜMER: HARRISON WRIGHT. Wendys Stiefel knirschten auf dem Kies. leise summte sie einen Popsong vor sich hin, den sie aus dem Radio aufgeschnappt hatte. Ein grüner Gerätewagen fuhr langsam an ihr vorbei. Old John saß am Steuer. Sein buschiges weißes Haar hatte er offensichtlich naß gekämmt, damit es wenigstens am Morgen glatt und ordentlich aussah. Zur Begrüßung hupte er fröhlich. Wendy winkte ihm zu. Als sie die Kuppe des Hügels und damit das Ende der Zufahrt erreicht hatte, bog Wendy nach links ab und ging auf das langgestreckte niedrige weiße Gebäude mit dem grünen Dach zu, wo die Ställe untergebracht waren. Dahinter erstreckten sich die Weiden. Rechts und damit fast genau gegenüber der Stallfront lag der Übungsring, in dem Mr. Wright seinen Reitunterricht gab. Das Wohnhaus und die Ställe, die für die Pferdezucht benutzt wurden, lagen ziemlich versteckt hinter einem kleinen Hügel. Von ihrem Standort aus konnte Wendy nur ihre Dächer sehen. Dort arbeitete Mr. Wright den größten Teil seiner Zeit, denn er hatte mit dem Reitbetrieb nicht mehr soviel zu tun. Da es erst acht Uhr war, waren noch keine Kunden oder Reitschüler in Sicht. Sobald aber jemand auftauchte, sollte sich Wendy darum kümmern. Man hatte sie eingestellt, damit sie die Reiter auf ihren Ausritten begleitete und ihnen, wenn nötig, Tips und Ratschläge gab. -8-
Als sie sich dem Stall näherte, hatte Wendy das Gefühl, daß sich jemand darin aufhielt. Old John konnte es nicht sein. Na ja, vielleicht hatte sie sich geirrt. Oder war es der erste Reitkunde? Schnell ging sie hinein. Im Gegensatz zu dem grellen Sonnenschein draußen lag der Stall in einem sanftgrauen Dämmerlicht. Der süße Duft von Heu und frischem Grünfutter mischte sich mit dem beißenden Geruch von Mist. In den Boxen mampften die Pferde zufrieden die Reste ihres Frühstücks. Star wandte Wendy den Kopf zu, denn er erkannte sie an ihrem Gang. „Kann ich dir helfen?" rief sie dem Jungen zu, der an der letzten Box stand und dabei war, Sheba zu streicheln. Wendy fragte sich, ob er wohl wußte, daß es nicht immer ratsam war, ein unbekanntes Pferd zu streicheln. „Ich wollte dir gerade dieselbe Frage stellen." Irgendwie kam er ihr bekannt vor, besonders als er sich umdrehte und auf sie zuging, aber sein Gesicht erinnerte sie an einen sehr viel jüngeren Jungen. „Bist du's, Dave?" fragte Wendy unsicher, denn sie wußte nicht, ob ihr Gedächtnis ihr vielleicht einen Streich spielte. „Ich denke schon." Dave streckte prüfend beide Arme aus, als wollte er sie untersuchen. „Als ich sie das letzte Mal angeschaut habe, waren es noch meine Arme. Ja, kein Zweifel, ich bin es." Sie lachte. „Erinnerst du dich an mich? Wendy Russell." Sie ging ihm entgegen, blieb dann aber stehen, weil sie plötzlich unsicher wurde. Als sie Dave Lyons das letzte Mal gesehen hatte, war sie erst neun Jahre alt gewesen. Er war damals gerade zwölf geworden und verbrachte die Ferien bei seinem Onkel. Der Gedanke an jenen Sommer weckte viele schöne Erinnerungen. „Natürlich habe ich dich gleich erkannt, Wendy. Aber du hast dich ziemlich verändert. Die Zöpfe sind ab." Verlegen griff sie sich in das kurzgeschnittene Haar. -9-
„Ich könnte aber wetten, daß du immer noch deine Sommersprossen hast." Dave kam näher und betrachtete sie mit demselben freundlich-spöttischen Blick seiner grauen Augen, den sie noch so gut in Erinnerung hatte. „Es sind sogar mehr Sommersprossen als früher", stellte er zufrieden fest. „Na, und du bist immer noch der gleiche alte Spötter wie eh und je. Was, machst du eigentlich hier?" fragte Wendy angriffslustig. Sie fand zwar, daß Dave sich auch verändert hatte, und zwar zu seinem Vorteil. Aber das verschwieg sie. „Genau dasselbe wie du, ich arbeite für meinen Onkel. Ich gehe ab Herbst aufs College und kann deshalb ein bißchen Geld gebrauchen. Weil es in Michigan schwer ist, einen Job zu finden, versuchte ich hier mein Glück und rief Onkel Harry an. So kam ich wieder zurück auf die Ranch im sonnigen Kalifornien. Und was für Pläne hast du, Wendy?" „Ich gehe noch zur Paso High School. Den Sommer über will ich auch für deinen Onkel arbeiten. Er hat mich als Reitlehrerin und Betreuerin für die Leute eingestellt, die Pferde leihen. Du erinnerst dich doch sicher, daß drüben am See eine ganze Menge Sommerund Feriengäste wohnen, die gern mal ausreiten wollen. Ich hoffe bloß, daß diesen Sommer viele davon zu uns kommen." Plötzlich fiel Wendy ein, daß Dave ja vielleicht für dieselbe Arbeit angestellt worden war. Das würde bedeuten, daß sie bei weitem nicht soviel verdienen konnte, wie sie gehofft hatte. Mr. Wright wollte sie nämlich pro Ritt bezahlen, abgesehen von dem Grundlohn, den sie für die Pferdepflege bekam. „Ich soll die schweren Arbeiten übernehmen. Zäune flicken und neu anstreichen und Old John helfen", erklärte Dave, als hätte er ihre Gedanken erraten. Wendy nahm eine Bürste von dem Regal an der Wand und ging hinüber zu Stars Box. Sie legte ihm das Halfter an, schob die Tür auf, führte das große Pferd in den Gang und machte es dort zum Striegeln fest. - 10 -
Dave lehnte mit der Schulter an der Tür des Raumes, in dem die Geschirre aufbewahrt wurden. „Hast einen schönen Schreck gekriegt, was?" „Das habe ich nicht gesagt." „Brauchtest du auch nicht, Wendy, man konnte es dir ansehen. Du hast ein ziemlich langes Gesicht gezogen, als dir klar wurde, daß wir vielleicht beide den gleichen Job machen sollten." Er hatte ja recht. Aber wieso muß er mich bloß so genau durchschauen? dachte Wendy, während sie den kastanienbraunen Wallach mit gleichmäßigen Bewegungen striegelte. Sie versuchte, ihre Verlegenheit zu überspielen. Natürlich konnte Mr. Wright einstellen, wen er wollte. Besonders, wenn es sich dabei um seinen eigenen Neffen handelte. „Es würde mir bestimmt nichts ausmachen, wirklich nicht", meinte Wendy und hoffte, er würde ihr glauben. „Quatsch. Natürlich hätte es dich gestört. Mich doch auch. Aber zum Glück gibt es hier mehr als genug Arbeit für uns beide." Wendy wurde nervös, weil sie sich beobachtet fühlte. Außerdem lenkte Dave sie ab. Sie sah dauernd aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber, statt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Als sie ihn das letzte Mal getroffen hatte, war er ziemlich klein und dünn gewesen. Jetzt hatte er breite Schultern und war ein ganzes Stück größer als sie. Sie fragte sich, ob er wohl bemerkt hatte, daß sich an ihr auch mehr verändert hatte als nur die Frisur. Schließlich war sie inzwischen fast sechzehn. „Wenn's hier soviel Arbeit gibt, wieso wird dann nichts davon erledigt?" ertönte plötzlich die gutmütige Stimme von Harrison Wright. - 11 -
Wendy und Dave drehten sich beide überrascht zur Stalltür um. Mr. Wright kam mit den ausladenden Bewegungen eines Cowboys auf sie zugeschlendert. Er war groß und hatte dunkles Haar mit grauen Schläfen. Zu seinem blauen Hemd trug er Jeans und Stiefel. Wendys Blick schoß prüfend von ihm zu Dave. Die zwei sahen sich sehr ähnlich! Wendys Mutter, die sich normalerweise nur für ihre Töpferei interessierte, hatte schon öfter bemerkt, daß Mr. Wright ein sehr gutaussehender Mann sei. Manchmal neckte sie ihr Mann deswegen sogar. Klar, Dave hatte natürlich noch keine grauen Strähnen, aber er besaß das gleiche dichte wellige Haar wie sein Onkel, ein ebenso kantiges Kinn und das gleiche verschmitzte Lächeln. „Guten Morgen, Wendy", begrüßte sie Mr. Wright, „wie ich sehe, habt ihr eure Bekanntschaft schon erneuert." Er klopfte Star gutmütig auf die Hinterbacke. Star machte einen langen Hals und wieherte sanft. Es hörte sich so an, als würde er lachen. Mr. Wright fuhr fort, ihn zu streicheln. „Na, streiten sich die beiden schon wieder?" fragte er ihn. „Genau wie beim letzten Mal, als sie einen Sommer zusammen hier verbracht haben. Paß auf sie auf, Star. Gib ihnen einen Schubs, damit sie diesmal etwas netter zueinander sind." „Mr. Wright!" rief Wendy mitgespielter Empörung, „setzen Sie Star bloß keine zusätzlichen Flausen in den Kopf. Der kommt selbst auf genügend verrückte Ideen." Star schüttelte den Kopf, und Mr. Wright lachte. Wendy bürstete Star, als wollte sie ihn für eine Parade vorbereiten. Sooft haben Dave und ich uns damals doch gar nicht gezankt, dachte sie. Und wenn, dann handelte es sich um die üblichen Kindereien, wem dies oder das gehörte oder was wir den Tag über machen wollten. Nichts Ernstes also. Und heute hört sich Mr. Wright an, als wolle er uns verkuppeln. Ohne auf die Frotzeleien seines Onkels zu antworten, ging Dave zum Geräteraum und kam mit einer Schaufel und einer Schubkarre wieder heraus. Wendy war froh, daß es im Stall so dunkel war. Sie wurde nämlich schon wieder so rot wie eine Tomate. In letzter Zeit - 12 -
passierte ihr das dauernd. Meistens reichte schon ein Wort, manchmal war praktisch gar kein Anlaß nötig, so wie gerade eben. Dave und ich? überlegte sie. Ach, Unsinn. Mr. Wright hätte überhaupt nichts sagen sollen. Dave besitzt doch bestimmt mindestens ein Dutzend Freundinnen in Michigan. Sie werden ihm tonnenweise Briefe schreiben. Wie blöde, seinetwegen rot zu werden. Wendy sah hoch und stellte fest, daß Mr. Wright sie immer noch beobachtete. „Ich helfe Old John, bis die ersten Reiter kommen", erklärte sie, um ihm klarzumachen, daß sie zum Arbeiten gekommen war. „Prima, Wendy. Aber heute wirst du Dave helfen müssen. Old John wird nicht so bald zurückkommen. Nachher kommt eine Kindergruppe, die einen Geburtstag feiert. Fünf Mädchen, alle so um die acht oder neun Jahre alt. Sie sind für elf Uhr angemeldet. Zwei davon waren schon mal hier, aber nimm trotzdem die ruhigen Pferde: Puzzle, Shiloh, Copper, Ivory und Nutmeg. Du reitest natürlich Star. Manchmal wundert es mich, daß der alte Knabe dir noch nicht nach Hause nachgelaufen ist, Wendy." „Dafür ist er viel zu gut erzogen." Mr. Wright mußte wieder lachen. „Ich glaube, das Pferd gehört mir wirklich nur auf dem Papier. Pferde mögen eben hübsche Mädchen." Bei der Bemerkung versuchte er, zerknirscht auszusehen, aber es gelang ihm nicht so recht. „Mr. Wright!" protestierte Wendy und dachte: Er zieht andere Leute genauso gern auf wie Dave. „Stimmt doch. Frag Star." Star wieherte. „Siehst du? Er stimmt mir zu", grinste Mr. Wright. Er drehte sich um, lachte dabei in sich hinein und ging hinüber zu der Box, die Dave gerade ausmistete. „Dave, Old John kommt erst mittags zurück, Kannst du heute morgen seine Arbeit hier übernehmen und - 13 -
saubermachen? Laß alle Pferde außer denen, die Wendy braucht, auf die hintere Weide." „Okay." Dave nickte. „Danach hast du frei. Mit den Zäunen fangen wir dann morgen früh an." Sobald sein Onkel gegangen war, brachte Dave Wendy die Sachen zum Reinigen der Hufe hinüber. „Stört es dich, wenn ich mit euch reite, Wendy? Ich will mich nicht in deine Arbeit einmischen, sondern nur so als Freund mitkommen. Natürlich muß ich hier vorher fertig werden." „Ich habe nichts dagegen", antwortete Wendy, „und ich kann dir hier ja helfen. Zusammen schaffen wir das bestimmt bis um zehn. Erinnerst du dich, wie wir früher auch immer alles gemeinsam erledigt haben?" „Klar. Ich erinnere mich ganz genau an jede Einzelheit aus dem Sommer." Er wandte sich rasch ab und ging zurück an seine Arbeit, ehe sie sein Gesicht sehen konnte, um festzustellen, ob er das so ernst gemeint hatte, wie es klang. Während sie Stars Mähne bearbeitete und all die Knoten daraus entfernte, schielte Wendy immer wieder zu Dave hinüber. Sie sah ihm gern bei der Arbeit zu. Ob wohl zwei Wünsche in einem einzigen Sommer in Erfüllung gehen können? fragte sie sich.
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2. KAPITEL Nutmeg war das letzte Pferd, das Wendy noch bis um elf Uhr gesattelt haben mußte, und er machte ihr regelmäßig Schwierigkeiten. Jedesmal blies er seinen Bauch so stark auf, daß sie den Sattelgurt nicht strammziehen konnte. „Ich komme wieder, Nufty", meinte Wendy streng und klopfte ihm auf den Bauch, „mich kannst du nicht mehr hereinlegen, du alter Gauner. Ich erinnere mich nur allzu gut an den Tag, als ich durch deinen blöden Trick im Sand gelandet bin." Nutmeg sah sie mit seinen großen Augen so unschuldig an, als wollte er sagen: „Wer, ich?" Draußen im Hof kicherten fünf kleine Mädchen und hüpften vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. „Kümmere du dich nur um Nutmeg", sagte Dave, „ich helfe unseren Reiterinnen inzwischen beim Aufsitzen." Er führte Ivory und Shiloh aus dem Stall. „Willst du Mariah oder Sheba reiten, Dave?" rief Wendy, „ich sattle sie für dich." „Sheba. Wir haben uns schon wieder angefreundet", antwortete Dave. „Oh, ich möchte das weiße Pferd", rief eins der Mädchen und tätschelte" Ivorys Nase. Wendy zog ein letztes Mal Nutmegs Sattelgurt fest. Er ließ sich tatsächlich zwei Löcher enger schnallen als vorher. „Nicht schlecht gemacht, alter Junge", sagte sie zu ihm und führte Nutmeg und Copper, eine braune Stute, nach draußen. Als nächstes holte Wendy Star und Sheba, während Dave die fünf Mädchen auf ihre Pferde hob. Star tänzelte unruhig und hatte es offensichtlich eilig, loszukommen. - 15 -
„Immer mit der Ruhe, Star", redete sie deshalb auf ihn ein, „das wird ein ganz gemächlicher Ritt heute. Austoben kannst du dich später. Also benimm dich jetzt bitte." Wendy und Dave kontrollierten noch einmal, ob auch alle Sattelgurte fest saßen, und stiegen dann auf. Wendy sah die Mädchen an und sagte lächelnd: „Ich heiße Wendy, und dies hier ist Dave." Daraufhin stellten sich auch die Mädchen vor: Erin, Jacky, Monica, Tiffany und Annie. Wendy übernahm die Führung, und Dave ritt als letzter. „Mein Pferd will nicht losgehen", jammerte Jacky. „Du darfst sie nicht so fest in die Seite treten", erwiderte Wendy, „sag ihr lieber, was du vorhast, dann versteht sie dich besser. Preß deine Beine etwas zusammen, oder gib ihr einen ganz leichten Tritt und sag, ,Vorwärts'." Jacky befolgte den Rat, und Copper schloß sich den anderen Pferden an. „Auf dem Weg zum Reitgelände möchte ich euch noch mit ein paar Regeln vertraut machen", sagte Wendy, „eine davon habe ich schon erwähnt. Ihr dürft die Pferde nicht zu fest treten. Außerdem macht bitte keine plötzlichen ruckhaften Bewegungen mit den Zügeln." „Das tut nämlich weh", meinte Monica. „Genau", stimmte Wendy ihr zu, „Mr. Wright achtet zwar darauf, daß seine Pferde gesund und sanftmütig bleiben, aber dafür kann er natürlich nicht garantieren, wenn die Reiter sie schlecht behandeln. Die Pferde wollen es euch recht machen, aber ihr müßt ihnen schon sagen, was sie tun sollen." „Können diese Pferde auch schnell laufen?" fragte Erin. „Vielleicht nachher ein bißchen. Diejenigen von euch, die lieber langsam weiterreiten, können dann bei Dave bleiben." Wendy drehte sich um, um zu sehen, ob Dave sie verstanden hatte. Offensichtlich ja, denn er lächelte und winkte ihr zu. „Habt ihr sonst noch Fragen?" erkundigte sich Wendy, als sie auf die Einfahrt zuritten, hinter der der Reitweg anfing. - 16 -
„Was passiert, wenn ich herunterfalle?" wollte Annie wissen. „Halt dich nur gut am Sattel fest, dann kann dir gar nichts passieren", beruhigte sie Wendy, „wir haben ja extra die Westernsättel genommen, die diesen Sattelknauf vorn haben, damit man sich besser daran festhalten kann." „Die anderen Sättel mag ich auch nicht", meinte Tiffany. Wendy stieg ab und öffnete das Gatter. Dave ritt voraus und führte die Mädchen hindurch, dann schloß Wendy das Tor und stieg wieder auf Star. Sobald sie an der Spitze der Gruppe angelangt war, wartete Dave, bis alle an ihm vorbeigeritten waren, und schloß sich hinten an. Der Reitweg führte durch weites, leicht hügeliges Grasland auf ein kleines Eichenwäldchen zu. Eine ganze Weile lang hörte man nur die ledernen Sättel knarren. Gelegentlich kicherte eins der Mädchen, oder ein Pferd wieherte oder schnaubte. „Können wir jetzt die Pferde laufen lassen?" fragte Erin ungeduldig. „Noch nicht", erwiderte Wendy. Star begann wieder zu tänzeln, so daß Wendy ihn zügeln mußte. „Ich weiß", sagte sie und klopfte ihm auf den Hals, „du findest unser Tempo auch zu langsam." „Bist du schon oft geritten?" fragte sie dann Erin. „Ja. Heute zum drittenmal." Wendy mußte lächeln, bemerkte aber, daß Erin ziemlich gut im Sattel saß. „Ich habe unheimlich viele Bücher über Pferde und Reiten gelesen. Fast alle, die es in der Bücherei gibt, deswegen weiß ich, wie man sich bewegen. muß. Heute habe ich Geburtstag, und diesen Ausritt hatte ich mir gewünscht." Offensichtlich konnte man Erin bis ganz hinten hören, denn Dave rief: „Das kommt mir aber sehr bekannt vor." - 17 -
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, an wen du dabei denkst", konterte Wendy und sah sich um. Natürlich wußte sie, daß sie gemeint war. Sie verschlang auch jedes Buch über Pferde, das sie kriegen konnte, und hatte Dave damals, als er das erste Mal zu Besuch war, viele davon ausgeliehen. Inzwischen ritten sie durch das Eichenwäldchen. Zwei der Pferde wollten stehen bleiben und grasen, so daß Wendy sie antreiben mußte, damit sie weitergingen. Hinter dem Wäldchen kam eine große ebene Wiese und dann dichter Mischwald aus Fichten und Eichen. Mitten durch den Wald floß ein Bach, der das ganze Jahr über Wasser führte und an einer Stelle einen kleinen Teich bildete. Dort war Wendys Lieblingsplatz, um im Sommer ein Picknick zu veranstalten. „Jetzt könnt ihr den Pferden die Zügel freigeben", sagte Wendy. Dave ergriff die Zügel der anderen Pferde, die langsam weitergehen sollten. Wendy und Erin ließen ihre Pferde traben. Vorsichtshalber beobachtete Wendy Erin aufmerksam. Sie wirkte so, als würde sie sich hauptsächlich darauf konzentrieren, sich um jeden Preis im Sattel zu halten. Wendy gab ihr ein paar Ratschläge. „Stütz dich in den Steigbügeln ab. Fersen nach unten, Zehen einwärts drehen. Halt dich am Sattel oder an der Mähne fest. Versuch, im Gleichgewicht zu bleiben." Star trabte gleichmäßig und leichtfüßig nebenher, und Wendy saß im Sattel, als sei sie mit ihrem Pferd verwachsen. Wenige Minuten später zügelte sie Star und forderte Erin auf, es ihr nachzumachen. „Du kannst schon ganz gut reiten, Erin", lobte sie das Mädchen. „Ich spare all mein Geld für Reitstunden", antwortete Erin, „meine Mutter meint, daß ich im nächsten Frühjahr damit anfangen kann, aber ich werde versuchen, schon früher wieder herzukommen." - 18 -
Sie ließen ihre Pferde umkehren und ritten zurück zu den anderen vier Mädchen, die bei Dave geblieben waren. „Das sah so aus, als hätte es dir Spaß gemacht", sagte Dave zu Wendy, „was hältst du davon, nach dem Mittagessen nochmal auszureiten?" „Gern." Wendy nickte. Es kam ihr jetzt schon vor wie in alten Zeiten, als sie sich die Arbeit geteilt und zusammen gegessen hatten und dann gemeinsam ausgeritten waren. Die ganze Gruppe drehte um und machte sich auf den Rückweg zu den Ställen. Zwei der Mädchen jammerten. Sie waren müde. Aber Erin sah aus, als schwebe sie auf Wolken. Auf der Ranch rieben Wendy und Dave die Pferde ab, brachten die Sättel und Geschirre zurück an ihren Platz und säuberten die Boxen. Dann ließen sie die fünf Pferde auf die Weide. Da die Ausritte im allgemeinen im voraus vereinbart wurden, wußte Wendy, daß sie für diesen Tag mit ihrer Arbeit fertig war. „Wollen wir in die Stadt fahren und einen Hamburger essen?" fragte Dave, während er das Gatter hinter den Pferden zumachte. „Existiert Smitty's eigentlich noch?" „Klar gibt's das noch. Du glaubst doch nicht etwa, daß eine so ehrwürdige Institution wie Smitty's geschlossen werden könnte, oder?" „Also? Was ist?" „Ich komme gern mit. Aber vorher müßte ich noch kurz nach Hause gehen und mich umziehen." „Ach was, laß nur. Wir wollen hinterher ja sowieso wieder reiten, oder hast du deine Meinung geändert?" „Natürlich nicht. Und Star brennt geradezu darauf, sich ordentlich auszutoben." „Dann bürste deine Jeans ab und komm mit mir ins Haus. Du kannst dir dort die Hände waschen, Wendy." „Na, da sieh sich mal einer den Stall an. Das hätte ich auch nicht besser machen können", hörten sie plötzlich Old Johns Stimme. - 19 -
Mit dem Rücken zu Wendy und Dave stand er in der offenen Stalltür und kratzte sich am Kopf. „Old John! Nicht im Traum hätte ich gedacht, daß du jemals so etwas Tolles sagen würdest", meinte Wendy, „am Ende bilden wir uns noch ein, daß wir genauso hart arbeiten wie du." „Hm." Er strich sich sein weißes Haar, das seit dem Morgen wieder in seinen gewohnten buschigen Zustand zurückgekehrt war, aus dem runzligen Gesicht und blickte über die Schulter nach hinten. „Ich wußte gar nicht, daß ihr zwei immer noch hier herumlungert. Ihr wolltet mich wohl belauschen, was?" Wendy lächelte. Old John tat oft so griesgrämig, und dabei mochte er Menschen fast so gern wie Pferde. Sie hätte sogar gewettet, daß er genau wußte, wo sie und Dave standen, als er die Bemerkung über den Stall machte. „Du kannst das auch andersherum sehen, Old John", unterstützte Dave den Alten, „nun, da wir den Sommer so gut gestartet haben, ist unsere Leistung natürlich eine Verpflichtung für uns." „Ich werde dich gegebenenfalls daran erinnern, daß du es warst, der diesen Satz gesagt hat, mein Junge", erwiderte Old John listig, und die Lachfältchen um seine Augen vertieften sich. „Genau!" pflichtete ihm Wendy bei, „paß nur auf, daß du das nicht vergißt, Dave. Möglicherweise kann ich dir nicht immer helfen." „Was? Wollt ihr euch gegen mich verbünden?" fragte Dave. „Nicht mehr als sonst", meinte Old John und kicherte in sich hinein. „Übrigens soll ich dir ausrichten, daß dein Onkel im Haus auf dich wartet." „Da wollten wir sowieso gerade hin." „Vielleicht mußt du heute noch was für ihn erledigen, Dave", vermutete Wendy. „Nein, bestimmt nicht. Er hat mir doch für den Rest des Tages freigegeben. Los, komm mit." - 20 -
Dave griff nach Wendys Hand, und wie in jenem anderen Sommer liefen sie zusammen den Weg entlang auf das langgestreckte, niedrige Wohnhaus zu. Als ob wir wie getrennt gewesen wären, dachte Wendy. Genau wie die anderen Gebäude war das Haus weiß gekalkt und hatte ein dunkelgrünes Dach. Ein üppiger Bougainvilleabusch mit leuchtendroten Blüten rankte an der Hauswand hoch. Vor dem Haus war eine großzügige Terrasse aus spanischen Marmorplatten angelegt, die ein kunstvolles Mosaik bildeten. Um die große Fläche aufzulockern, hatte Mr. Wright an einigen Stellen Topfpflanzen aufstellen lassen, meist Kakteen und Palmen, die in rötlichen Tontöpfen wuchsen. „Fährst du heute noch in die Stadt, Dave?" fragte Mr. Wright, als Wendy und Dave ins Haus kamen. „Ja, wir wollen dort zu Mittag essen", antwortete Dave. Sein Onkel saß am Schreibtisch in einer Ecke des langgestreckten holzgetäfelten Raumes, dessen eine Wand ganz aus hohen französischen Fenstern bestand, die bis auf den Boden reichten. Im Zimmer verteilt gab es mehrere Sitzgruppen aus Sesseln und kleinen Sofas, die mit einem buntgeblümten Stoff bezogen waren. Durch die Fenster sah man direkt auf den Swimmingpool. In dem Rosenspalier an der einen Ecke des Schwimmbeckens saßen zwei Krähen und putzten ihr Gefieder. „Besorge mir bitte ein paar Briefmarken bei der Post, wenn du sowieso in die Stadt gehst, Dave", bat Mr. Wright. „Als Old John heute morgen losfuhr, habe ich dummerweise nicht daran gedacht, ihn darum zu bitten." „Wir kommen auch so schnell wie möglich wieder zurück", sagte Wendy, weil sie ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken hatte, gleich an ihrem ersten Arbeitstag eine lange Mittagspause einzulegen. „Hetzt euch nur nicht ab. Für heute nachmittag hat sich ja niemand zum Reiten angemeldet. Ich werde eine - 21 -
Unterrichtsstunde geben, doch dabei brauche ich euch nicht. Aber ihr könntet Old John vorher noch Bescheid sagen, daß er Mandy's Girl für mich bereithält. Ich nehme sie nachher für die Stunde. So, das war alles. Amüsiert euch gut!" Mr. Wright kümmerte sich wieder um seine Schreibtischarbeit. Wendy wusch sich noch kurz die Hände. „Bin sofort startbereit", sagte sie zu Dave. „Beeil dich, Wendy", meinte er, „sonst fällt Onkel Harry womöglich noch etwas anderes ein, das wir für ihn erledigen sollen." Sie wusch sich schnell die Hände und Gesicht und fuhr sich mit dem Taschenkamm, den sie zum Glück eingesteckt hatte, durch das vom Reiten zerzauste Haar. Während dessen gingen ihr weitere Erinnerungen an jenen ersten Sommer mit Dave durch den Kopf. Damals hatte seine Tante noch gelebt und ihn mindestens genauso häufig mit Aufträgen durch die Gegend gescheucht wie ihr Mann. Vermutlich war Mr. Wrightjetzt ziemlich einsam, ganz allein in dem großen Haus, aber Wendy hatte ihn nie danach gefragt. Allerdings wußte sie auch nicht, wie man mit jemandem über den Verlust eines geliebten Menschen redet. „Wendy!" „Ich komme!" Dave wartete im Flur. „Du bist noch genauso ungeduldig wie damals mit zwölf Jahren", beschwerte sich Wendy. „Und du bist noch ein ganzes Stück langsamer geworden", konterte er. „Das wollen wir erstmal sehen!" Wendy rannte an ihm vorbei durch die Haustür und dann die Einfahrt zur Garage hinunter. Dave war dicht hinter ihr und holte sie schnell ein. „Inzwischen sind meine Beine ein bißchen länger geworden", meinte er, als Wendy außer Atem stoppte. „Aber ich kann immer noch besser reiten als du", antwortete sie. - 22 -
„Das weiß ich", gab Dave zu. „Und ich erkenne an, daß du eine ausgezeichnete Reiterin bist." Dazu gab Wendy keinen Kommentar. Aber sie stellte mit Befriedigung fest, daß er bemerkt hatte, daß sie kein kleines Mädchen mehr war. In der Stadt war es wesentlich heißer als auf der Ranch. Dave parkte den Wagen ganz in der Nähe von Smitty's. Über dem Eingang des Lokals prangte in riesigen Buchstaben die Reklame: Smitty's: Die Nummer Eins für Hamburgers im Westen Als Wendy und Dave hineingingen, kamen ihnen Ellen Wilberts und Lindsay Brooks entgegen. Wendy registrierte, daß die beiden sich umdrehten, sobald sie an ihnen vorbei waren, um ihr und Dave nachzustarren. „Hallo Wendy", rief Ellen hinter ihr her. „Oh, hallo", erwiderte Wendy lässig. Sie wußte ganz genau, daß Ellen sie nur wegen Dave angesprochen hatte. In der Schule behandelten die beiden sie nämlich, als sei sie Luft. Wendy und ihre beste Freundin Gaby waren der Ansicht, daß Ellen und Lindsay eigentlich schon längst einen steifen Nacken haben müßten, weil sie immer so betont über andere Leute hinwegsahen. Gaby verbrachte ihre Sommerferien diesmal bei ihrem Vater in Nordkalifornien. Wendy beschloß, ihr noch am selben Abend einen Brief zu schreiben. „Da hinten wird gerade ein Tisch frei, Wendy. Los, komm mit", sagte Dave und ignorierte die beiden Mädchen völlig. „Tschüß", verabschiedete sich Wendy und ging hinter ihm her den Gang zwischen den Tischen und der Theke entlang. Sie nahmen sich die Speisekarten, die in einem Halter zwischen den Papierservietten und den Salz- und Pfefferstreuern steckten. - 23 -
„Heute gibt's ,Ranch Stew Smitty' als Stammessen", meinte Dave. „Klingt gar nicht schlecht, ich glaube, das nehme ich." „Ich dachte, du wolltest einen Hamburger", antwortete Wendy. „Beim nächstenmal." Super, er plant also schon ein nächstes Mal, überlegte Wendy. Sie wünschte nur, daß sie doch nach Hause gegangen wäre und sich umgezogen hätte, selbst wenn das etwas umständlich war. Aber sie hätte in diesem Moment viel lieber ihren neuen blauen Rock angehabt als die vergammelten Jeans. „Einen Hamburger ,Smitty Special' und ein Seven-up, bitte", bestellte Wendy, als die Serviererin kam. Dave blieb bei seinem Eintopf und nahm eine Cola dazu. „Sollen wir uns zum Nachtisch eine Apfeltasche teilen, Wendy?" „Mit Eis?" So hatten sie es in ihrem ersten gemeinsamen Sommer nämlich immer gemacht. Old John oder Mr. Wright nahmen sie in die Stadt mit, und dort legten Wendy und Dave dann ihr Geld zusammen, um sich eine Apfeltasche nach Art des Hauses leisten zu können. „Ich hatte ganz vergessen, wie toll es hier ist", meinte Dave und lehnte sich zufrieden zurück. „Die verschrammten Bänke, die Fliegenfänger, der Miefquirl an der Decke, der Geruch nach Hamburgern und Pommes und sagenhaft gutes Essen." Dann beugte er sich wieder vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Wieso hast du mir eigentlich nie geschrieben, Wendy?" „Das gleiche könnte ich dich fragen." „Zwölfjährige Jungs hassen es, Briefe zu schreiben." Wendy überlegte, ob Dave wohl diesmal Lust haben würde, ihr zu schreiben, wenn er nach dem Sommer wieder nach Hause fuhr, aber es war wohl noch ein bißchen früh, ihn das jetzt schon zu fragen.
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„Neunjährige Mädchen schreiben genauso ungern", antwortete sie daher und fuhr fort: „Was willst du eigentlich studieren, und wo?" „Ich dachte, du wüßtest es schon." „Was denn?" „Willst du damit andeuten, daß Onkel Harry und Old John dir nichts verraten haben?" „Worüber redest du überhaupt, Dave?" „Ich werde hier in Kalifornien bleiben und am College Tiermedizin studieren." „Was?" Wendys Herz machte einen Freudensprung, als ihr klar wurde, was er da gesagt hatte. Hey, reiß dich zusammen, ermahnte sie sich aber gleich darauf. So schnell verliebt man sich nicht. Liebe? Ihr Gesicht brannte. Ich muß unbedingt herausfinden, wie man aufhört, dauernd rot zu werden, dachte sie. Sonst behält mein Gesicht ewig die gleiche Farbe wie mein Haar. Und wieso denke ich sofort an Liebe? „Findest du die Neuigkeit, daß ich in der Nähe bleiben werde, so schlimm?" fragte Dave unsicher. „Vermutlich fahre ich sowieso nur an einigen Wochenenden auf die Ranch, und während der Woche bin ich natürlich auf dem College." „Schlimm? Nein. Ich find's toll. Ich meine... ich wußte nur nichts davon, das ist alles. Als du sagtest, daß du für deinen Onkel arbeiten wolltest, war mir nicht klar, daß du ganz hierbleiben willst." „Das ist mal wieder typisch mein Onkel. Sieht ihm ähnlich, dir nichts davon zu erzählen. Es kam mir doch gleich verdächtig vor, daß du heute morgen so sehr überrascht warst, mich zu sehen. Vielleicht dachte er, daß du den Job bei ihm ablehnen würdest, wenn er es dir sagt. Seiner Ansicht nach haben wir uns ja damals nicht ausstehen können, beziehungsweise nur Unsinn im Kopf gehabt, wenn wir uns mal vertrugen."
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„Das ist doch lange her. Wir waren schließlich noch Kinder", erwiderte Wendy und wunderte sich darüber, daß offenbar jeder jenen Sommer anders in Erinnerung hatte. „Außerdem fand ich die Zeit mit dir damals gar nicht so schlecht, Dave." „Ich auch nicht." Wendy konnte Dave plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. Ja, damals, dachte sie, und starrte dabei auf die gegenüberliegende Wand, als gäbe es dort etwas ungemein Interessantes zu sehen. Damals wurde ich auch noch nicht pausenlos rot, und du sahst noch nicht so sagenhaft gut aus, und außerdem war ich nicht in dich verliebt. Jetzt wurde sie schon wieder rot. „Wendy, erinnerst du dich an unsere Froschfarm?" fragte Dave, „wir wollten die Frösche verkaufen und dadurch reich und berühmt werden." „Die Idee war gar nicht so schlecht, Dave, außer daß wir sie im Swimmingpool halten wollten", lachte Wendy. Sie fand es viel leichter, Erinnerungen auszutauschen, besonders die lustigen, als sich mit der Gegenwart zu beschäftigen. Die Kellnerin kam mit den Speisen. Während Wendy und Dave aßen, schwelgten sie in Erinnerungen und lachten sich halb kaputt über ihre Streiche und Abenteuer aus jenem Sommer. „Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, wieder herzukommen", sagte Dave, als sie mit dem Essen fertig waren, „allein Smitty's ist die Reise wert, ganz zu schweigen von anderen Dingen." „Beim nächstenmal lade ich dich ein", versprach Wendy wie in alten Zeiten. „Einverstanden. Willst du mich dann nicht auch gleich ins Kino mitnehmen?" Wendy akzeptierte die Herausforderung. „Okay. Wie wär's mit Freitagabend?" „Gut, ich hole dich um sieben Uhr ab, dann gehen wir zu Smitty's zum Essen und hinterher ins Kino." - 26 -
Wendy starrte ihn mit offenem Mund an. Er hatte sie ernstgenommen! Und dabei habe ich schon mehr als die Hälfte des Preises für die Apfeltasche bezahlt! dachte sie. Aber wenn er für länger hierbleibt, gleicht sich das bestimmt wieder aus. Wer weiß, was bis Ende August noch alles passiert. Doch ich sollte mir besser keine zu großen Hoffnungen machen, womöglich wird dann doch nicht mehr daraus. Eigentlich liegt die Sache mit Dave so ähnlich wie mit Star. Ich muß mir eben selbst die Daumen drücken, hart arbeiten und die Hoffnung nicht aufgeben! Nachdem Wendy und Dave noch schnell zur Post gefahren waren, um die Briefmarken zu kaufen, ging's zurück zur Ranch. Dort sattelten sie ihre Pferde und ritten sofort los. Sobald sie sich außerhalb der Umzäunung auf ebenem Gelände befanden, gab Wendy Stars Drängen nach und ließ die Zügel schießen. Sie genoß den schnellen Ritt, den Wind im Gesicht, und die kraftvollen Bewegungen des mächtigen muskulösen Pferdes. Dave und Sheba lagen ein paar Schritte zurück, und Wendy und Dave versuchten gar nicht erst, sich zu unterhalten. In dem kleinen Mischwald stiegen sie ab und gingen eine Weile mit den Pferden hin und her, damit sie sich erholen und langsam wieder abkühlen konnten." „Wir müssen hier unbedingt bald mal ein Picknick machen", meinte Dave, „dieser Platz erinnert mich an so vieles." „Ich weiß." Wendy sah ihn an und überlegte, welche Art von Erinnerungen ihr wohl im nächsten Sommer einfallen würde, wenn sie dann an den kleinen Teich mitten in dem Wäldchen zurückkehrte. Sie starrte auf das Wasser und ließ ihrer Phantasie freien Lauf. Ihr Herz schlug einen Tick schneller, während sie sich einige besonders schöne Situationen ausdachte. Am seichten Ufer des Teiches erlaubte sie Star, seine Beine zu kühlen, als auf der gegenüberliegenden Seite ein Reh aus dem Wald trat. Während Wendy fasziniert das Reh beobachtete, hob Star plötzlich den Kopf, trat einen Schritt vor und stieß Wendy mit der Nase gegen die Schulter. Er versetzte - 27 -
ihr damit ungewollt einen ordentlichen Schubs, sie stolperte und verlor das Gleichgewicht. Zum Glück erwischte Dave sie gerade noch rechtzeitig, sonst wäre sie kopfüber ins Wasser gefallen. „Star!" keuchte sie erschreckt, während Dave sie in seinen kräftigen Armen hielt. „Der hat einige Tricks dazugelernt", meinte Dave gelassen und grinste. Erst nach einer Weile ließ er Wendy wieder los. „Dein Glück, daß ich so dicht neben dir stand, Wendy. Du wärst doch glatt bei den Fischen gelandet." „Ja, da habe ich wirklich Glück gehabt", wiederholte sie und sah zu ihm hoch. Daves graue Augen funkelten amüsiert. „Wenn ich so an früher denke... wahrscheinlich wäre ich es damals gewesen, der dich geschubst hätte." „Da könntest du durchaus recht haben", stimmte ihm Wendy zu. Sie war glücklich und gleichzeitig völlig durcheinander, weil sie die Gefühle, die Dave in ihr hervorrief, nicht verstand. Schließlich ging sie zu ihrem Pferd hinüber. „Das war überhaupt nicht witzig, Star", sagte sie zu ihm. Dabei klang ihre Stimme in ihren eigenen Ohren ganz anders als sonst, irgendwie fremd. Ihr Puls raste. Sie streichelte Stars Hals, während sie versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Meine Güte, dachte sie, kann es tatsächlich sein, daß ich mich so schnell in Dave verliebt habe? Es sah ganz danach aus, denn keiner der Jungen in der Schule hatte jemals eine ähnlich starke Wirkung auf sie ausgeübt. „Ich glaube, daß wir jetzt wieder umkehren sollten", meinte Wendy und stieg in den Sattel. „Eigentlich habe ich noch gar keine Lust dazu", erwiderte Dave und sprach Wendy damit aus dem Herzen. Sie schlugen ein wesentlich langsameres Tempo ein als auf dem Hinweg. Wendy mußte dauernd zu Dave hinüberschielen und ihn ansehen. Sie fragte sich, ob er wohl gerade ähnlich herrliche, wenn auch chaotische Gefühle empfand wie sie - 28 -
selbst. Äußerlich wirkte er allerdings genauso lässig wie immer. Als sie in den Hof vor den Stallgebäuden ritten, bemerkte Wendy eine graue Limousine, die in der Einfahrt parkte. Da der Wagen getönte Fensterscheiben hatte, konnte man nicht sehen, wer darin saß. „Aha, Onkel Harry hat offensichtlich ein paar interessante Kunden. Wem gehört denn das Auto?" erkundigte sich Dave. „Keine Ahnung", erwiderte Wendy, „genau dieselbe Frage ging mir auch gerade durch den Kopf."
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3. KAPITEL Außer Kit, die normalerweise ziemlich still wirkte, waren alle anderen Russels ziemlich gesprächig. „Und damit drücken wir nur auf höfliche Art aus, daß wir extrem geschwätzig sind", meinte Mrs. Russel immer lachend. „Na, wie war dein erster Arbeitstag?" fragte Wendys Vater und reichte Mitch die Kartoffeln. „Toll. Ratet mal, wer da jetzt auch arbeitet?" „Jemand aus deiner Schule?" fragte Wendys Mutter. „Nein." „Ist es jemand, den ich kenne?" wollte Mitch wissen. „Dave Lyons", antwortete Wendy, die das Ratespiel ganz kribbelig machte, weil sie die große Neuigkeit einfach nicht mehr länger für sich behalten konnte. „Dave?" Ihre Mutter zog nachdenklich die Stirn kraus. „Mr. Wrights Neffe?" fragte Kit. Wendy nickte. „Natürlich, jetzt erinnere ich mich", sagte ihre Mutter. „Das ist aber eine ganze Weile her, daß du ihn das letzte Mal gesehen hast", meinte ihr Vater, „Moment, der muß jetzt so ungefähr..." „Achtzehn ist er", fiel ihm Wendy ins Wort. „Wendy hat 'nen Freund! Wendy hat einen Freund!" sang Rick. Wendy spürte, daß ihr Gesicht schon wieder verdächtig heiß wurde. „Tatsächlich?" fragte Mitch. „Sei nicht blöd", meinte Kit, „sie kennen sich doch kaum." Damit sprach sie den Gedanken aus, der Wendy den ganzen Tag über beunruhigt hatte. Ihre Gefühle waren total durcheinander, obwohl sie gar nicht wußte, wie der Dave von heute eigentlich war. „Ich kann mich noch gut an Dave erinnern", behauptete Mitch. - 30 -
„Wie denn das?" wollte Kit wissen, „du warst damals erst... wie alt?" Fragend sah sie Wendy an. „Sechs oder sieben Jahre", antwortete Wendy und dachte, das ist wirklich eine ziemlich lange Zeit. „Ich kann mich aber sogar an Sachen erinnern, die passierten, als ich zwei Jahre alt war", widersprach Mitch ärgerlich. „Ich auch! Dumdidum", sang Rick mit schriller Stimme. „Wendy ist verliebt! Tralala, verliebt, tralala!" „Dad, sag' ihm, daß er aufhören soll!" protestierte Wendy wütend. „Hör' auf, dich über deine Schwester lustig zu machen, oder du kriegst keinen Nachtisch, Rick!" befahl ihm ihr Vater. „Spielverderberin!" murmelte Rick leise vor sich hin, war dann aber still. „Das klingt ja, als hättest du einen interessanten Sommer vor dir, Wendy. Lade Dave doch mal zum Abendbrot hierher ein, falls du Lust dazu hast", schlug ihre Mutter vor. Sie stand auf und stellte den Teekessel, der ein nervenzerfetzendes , schrilles Pfeifen von sich gab, vom Herd herunter. „Heute habe ich fünf kleine Mädchen beim Reiten begleitet", erzählte Wendy. Sie fand, daß es höchste Zeit war, das Thema zu wechseln. „Hoffentlich hast du gut auf sie aufgepaßt", meinte ihr Vater. „Klar. Mr. Wright weiß doch, daß ich mit Pferden umgehen kann", erwiderte Wendy, „mach' dir keine Sorgen, Dad." „Die Pferde bereiten mir auch kein Kopfzerbrechen, aber die Menschen. Sie sind einfach unberechenbar", erklärte er. Das Telefon klingelte, und Kit sprang auf. „Ich gehe schon dran", sagte sie rasch. Weil Wendy hoffte, daß Dave sie vielleicht anrufen würde, beobachtete sie ihre Schwester und hörte ihr aufmerksam zu, als sie den Hörer abnahm. „Ja, am Apparat", meldete sich Kit mit aufgeregter Stimme. Höchst erstaunt stellte Wendy fest, daß sie doch nicht die einzige von den Russels war, die rot werden konnte; Ganz - 31 -
besonders überraschte es sie, daß es jetzt ausgerechnet der ruhigen, kühlen, immer so gelassenen Kit passierte. Mist! dachte Wendy. Wenn nicht einmal Kit was dagegen tun kann, daß sie ein rotes Gesicht kriegt, dann gibt es sicherlich kein Mittel dagegen. „Gut. Freitag paßt mir. Ich komme gern." Aha, Kit hat offensichtlich einen neuen Freund, dachte Wendy. Als Kit sich wieder an den Tisch setzte, um ihren Nachtisch zu essen, schaute Wendy sie aufmerksam an. Kit war immer noch ziemlich rot, und ihre Augen funkelten viel mehr als sonst. Sie war immer hübsch, aber heute sah sie geradezu schön aus. Wendy erstickte fast an ihrer Neugier. Mit all ihrer Willenskraft schaffte sie es trotzdem, den Mund zu halten. Es gab viele Dinge, die sie ihre Schwester gern gefragt hätte. Aber sie hatten kein so tolles Verhältnis zueinander, daß sie über ihre Gefühle gesprochen hätten. Kit war immer schon sehr verschlossen gewesen und redete nur selten über Dinge, die sie gerade beschäftigten. Wendy war müde. Kurz nach dem Essen beschloß sie, früh zu Bett zu gehen. Als sie aus dem Bad kam, stand Kit schon wartend vor der Tür. Jetzt konnte sich Wendy nicht mehr zurückhalten. „Wie heißt er?" fragte sie und ging an ihrer Schwester vorbei. Erst tat Kit so, als hätte sie nichts gehört, dann lächelte sie plötzlich. „David. David Darnell." „Du magst ihn sehr, oder?" Die Antwort auf diese Frage konnte Wendy ihrer Schwester deutlich ansehen. „Sag' den anderen aber bitte nichts, Wendy. Ich hab's Mom und Dad noch nicht erzählt. Wir gehen am Freitag zusammen essen und..." „Oh, so ist das also? Gut, ich verspreche dir hoch und heilig, daß ich den Mund halten werde", versicherte Wendy und legte eine Hand aufs Herz. „Danke. Ich drücke dir die Daumen, daß Dave sich genauso stark für dich interessiert wie du für ihn!", meinte Kit. Wendy starrte sie mit offenem Mund an. „Aber ich habe - 32 -
doch keinen Ton..." „Ich hab's erraten. Du bist nicht die einzige, die hier was bemerkt, und dir kann man deine Gefühle ebenso leicht ansehen wie mir." Kit ging ins Bad und schloß die Tür hinter sich, bevor Wendy noch weitere neugierige Fragen stellen konnte. Dabei hätte sie manches brennend interessiert. Zum Beispiel, was genau am Freitag beim Essen passieren würde, oder wie Kit über Dave dachte. In ihrem Zimmer schlug Wendy die Bettdecke zurück, kuschelte sich in die Kissen und schlug den Roman auf, den sie gerade las. Die Geschichte spielte im Sommer, und die Hauptperson war ein Mädchen, dessen Eltern sich hatten scheiden lassen. Sie und die Mutter machten zum erstenmal ohne den Vater Urlaub in einem Ferienort. Dort trafen sie einen Mann, der mit seinem Sohn ebenfalls Ferien machte. Wendy ahnte bereits, daß sich alle verlieben würden. In Büchern gibt es immer ein Happy End, dachte sie. Und im wirklichen Leben? Kit hat eigentlich ständig einen Freund gehabt. Aber mir ist bisher noch niemand begegnet, den ich besonders gern mochte. Wendy seufzte und las dann die Geschichte über Robyn und Bill weiter, doch sie konnte sich einfach nicht richtig konzentrieren. Statt sich von dem Roman gefangen nehmen zu lassen, dachte sie darüber nach, was aus Wendy und Dave werden könnte. Schließlich gab sie es auf, legte ein Lesezeichen in das Buch, klappte es zu und machte das Licht aus. Im nächsten Moment, so schien es ihr wenigstens, wurde Wendy von dem lauten Gezeter zweier Eichelhäher geweckt, die sich in der Eiche vor ihrem Fenster einen morgendlichen Streit lieferten. Toll, ich kann wieder einen ganzen Tag reiten, dachte - 33 -
sie, gähnte und streckte sich. Ein Tag mit Star! Und mit Dave! Sie beeilte sich sehr im Bad und mit dem Frühstück und machte sich sofort auf den Weg zur Windridge Ranch. Es war zwar erst sieben Uhr, aber sie konnte es kaum noch abwarten, zu den Ställen zu kommen. Als Wendy die Kuppe des Hügels erreichte, hielt sie Ausschau nach Dave. Draußen war er nirgendwo zu sehen. Sie ging in den Stall und begrüßte Star. „Morgen", rief Old John. Er war gerade dabei, die Futterkrippen in den Boxen zu füllen. „Du bist heute aber früh dran, Wendy. Deine ersten Kunden sind erst für zwölf Uhr angemeldet. Hast du Lust, mir solange beim Füttern und Baden zur Hand zu gehen?" „Klar. Ich helfe dir, wo ich kann." Wendy guckte inzwischen unauffällig in alle Ecken des Stalles. „Er arbeitet heute morgen bei den Zäunen. Ist mit dem Ranchwagen losgefahren." „Wer?" fragte Wendy und versuchte, ein ganz unbeteiligtes Gesicht zu machen. „Wer!", schnaubte Old John. Das Pferd, das er gerade fütterte, stampfte und gab ein ähnliches Schnauben von sich, als wollte es ihn nachmachen. „Aber Wendy", sagte der Alte, „nicht einmal Star kann dich so zum Strahlen bringen wie Dave." „Old John! Du hast uns in diesem Sommer doch allerhöchstens zweimal zusammen gesehen!" „Mehr ist auch nicht nötig, um mitzukriegen, was sich da zwischen euch beiden entwickelt." Er kicherte in sich hinein, „ich wußte, daß das mal passieren mußte. Ihr wart ja schon als Babys ein Herz und eine Seele." „In dem Alter kannten wir uns noch nicht einmal." Wendy holte eine Schubkarre aus dem Geräteraum. „Wie du willst!" lachte Old John. „Laß die Pferde, die fertig sind, auf die Weide, bevor du mit dem Ausmisten anfängst. Sheba und die anderen in den hinteren Boxen müßten - 34 -
eigentlich soweit sein." Wendy war heilfroh, daß sie etwas zu tun kriegte. Jeder schien zu wissen, daß sie Dave unheimlich mochte, aber sie selber hatte keine Ahnung, was er von ihr hielt. Wir haben erst einen Tag zusammen verbracht, dachte sie, kann sowas überhaupt so schnell gehen? Um zwölf Uhr kamen Wendys angemeldeten Reitkunden, zwei Ehepaare aus dem Lakeside Lodge Hotel. Das eine Paar, die Gallaghers, waren bereits erfahrene Reiter. Old John half Wendy, Mandy's Girl und Domino für sie zu satteln. Die anderen beiden, Mr. und Mrs. Breen, hatten noch nie zuvor auf einem Pferd gesessen. Für sie suchte Wendy Copper und Ivory aus. „Man sitzt fast wie auf einem Karussellpferd, bloß weicher", meinte Mr. Breen, als er sich endlich schwerfällig in Coppers Sattel hinaufgewuchtet hatte. Wendy erklärte ihnen kurz die wichtigsten Reitregeln, dann ritten sie in Richtung Reitweg los. „Los geht's, altes Mädchen", schrie Mr. Breen, schwenkte seinen Cowboyhut durch die Luft und schlug dann Copper damit auf die Seite. Das Pferd machte einen erschreckten Satz zur Seite und warf den Kopf hoch. "Sie dürfen ihr keine Angst einjagen, Mr. Breen. Bitte seien Sie vorsichtig!" warnte ihn Wendy, „sie ist zwar ausgesprochen sanft, aber trotzdem kann sie sich furchtbar erschrecken!" „Tut mir leid, Miss", antwortete Mr. Breen, „sie hat mich auch ziemlich erschreckt." „Lassen Sie die Zügel ruhig locker, Mr. Breen", mahnte Wendy ihn, denn jetzt hielt er das Pferd viel zu stramm. Sie reichte hinüber zu Mr. Breen und zeigte ihm, wie er die Zügel halten sollte und dabei seine Hände lose auf das Sattelhorn stützen konnte. „So, nun stoßen Sie sie leicht mit den Fersen in die Seite, Mr. Breen. Denken Sie daran: nicht hart zutreten! Und dann sagen Sie Copper, daß sie losgehen soll." Copper kam in Gang und schloß sich den anderen Pferden - 35 -
an. „Sie kennen sich wirklich mit Pferden aus, Miss", meinte Mrs. Breen anerkennend. „Vielen Dank", erwiderte Wendy. Die Gallaghers interessierten sich sehr für die Ranch und erkundigten sich auch danach, wie lange Wendy schon ritt und welche Erfahrungen sie mit Pferden gemacht hatte. Dann erzählten sie von ihren eigenen Pferden, und Wendy fand ihre Stories ausgesprochen witzig. Sobald sich Mr. Breen ein wenig an das Reiten gewöhnt hatte, ließen sie ihre Pferde in gemütlichem Tempo gehen und genossen den Ritt und die wunderschöne Landschaft. Wendy merkte, daß sie nicht so ganz bei der Sache war. Andauernd schweiften ihre Gedanken ab. Während sie ihre vier Reiter den Weg entlang führte, der an der Grenze der Ranch verlief, sah sie sich nach Dave um, konnte aber weder von ihm noch von den anderen Mitarbeitern auch nur das geringste Anzeichen entdecken. Nachdem sie wieder bei den Ställen angekommen waren, sprachen auch die Gallaghers Wendy ein Lob aus. Mr. Breen versprach, daß sie vor dem Ende ihres Urlaubs noch einmal vorbeikommen würden, um mit ihr auszureiten. „Beim nächstenmal weiß ich dann auch, wie ich mich verhalten muß", sagte Mr. Breen und schwenkte seinen Cowboyhut, „und ich werde den anderen im Hotel erzählen, daß Sie gute Arbeit leisten, Miss, und sie zu Reitstunden herüberschicken. Wissen Sie was, ich glaube, daß ich mir nun meine Sporen redlich verdient habe und diesen Hut zu Recht tragen darf!" Aufrecht und übertrieben breitbeinig marschierte er zu seinem großen Wagen, der neben den Ställen geparkt war. Die Gallaghers lachten, aber Mrs. Breen schüttelte nur den Kopf. Wendy winkte ihnen nach, als sie abfuhren. Dann ließ sie - 36 -
die Pferde zum Abkühlen ein wenig hin- und hergehen, führte sie schließlich in den Stall, nahm ihnen die Sättel ab und begann, sie abzureiben. Old John kam aus dem Geräteraum, in dem er gerade das Zaumzeug gereinigt hatte. „Komm, ich helfe dir, Wendy." Sie erzählte ihm von dem Ritt und von Mr. Breen. „Klingt ja ganz so, als hättest du einen erfolgreichen Nachmittag verbracht. Wenn noch ein paar Kunden so sehr mit dir zufrieden sind, daß sie für dich Reklame machen, hast du ausgesorgt." Verschmitzt zwinkerte er ihr zu. „Das würde Mr. Wright bestimmt gefallen", meinte Wendy urid führte Copper in ihre Box. „Du hast wohl Angst, daß du dann weniger Zeit für Dave hättest, was?" „Hör' auf damit, Old John.Du bringst mich noch auf dumme Gedanken." Sie wurde schon wieder rot. „Als ob du dir die nicht sowieso machen würdest. Dave wird eine Weile hierbleiben. Hat er dir das schon erzählt? Du brauchst dir also keine Sorgen darum zu machen, daß du ihn vielleicht nicht oft genug zu sehen kriegst." „Ich mache mir keine Sorgen, Old John. Er hat mir gesagt, daß er in Kalifornien auf's College gehen will, aber das bedeutet doch noch lange nicht, daß er dauernd auf der Ranch ist." Als sie mit Mandy's Girl fertig war, brachte sie sie und Ivory in ihre Boxen, während sich Old John an Domino machte. Dann endlich konnte sie sich um Star kümmern. „Du bist ein guter Junge", sagte sie zu ihm und streichelte seine Mähne. „Wenn du ihn weiter so verhätschelst, Wendy, wird er noch mal ganz unleidlich. Bis er eines schönen Tages niemanden außer dir auf sich reiten läßt." Wendy sah einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Ob das wohl stimmt? dachte sie. Wenn Star nur noch mir gehorcht, muß Mr. Wright ihn mir verkaufen. Aber sie vermutete, daß - 37 -
Old John sie bloß aufziehen wollte. Noch nie hatte sie von einem Pferd gehört, das nur einen einzigen Menschen im Sattel duldete. Oder zumindest existierte sowas nur in Büchern. Aber wenn nun doch etwas Wahres dran war? „Na, sieh mal einer an. Wen haben wir denn da?" verkündete Old John und zeigte auf die offene Stalltür. Wendy war sicher, daß er Dave meinte. Richtig, Dave stand dort draußen, aber er war nicht allein. Die graue Limousine parkte in der Nähe des Übungsringes. Mr. Wright sprach mit einer sehr schlanken Frau, die ganz in Weiß gekleidet war. Sie trug ihr pechschwarzes Haar straff nach hinten gekämmt und in einem eleganten Knoten zusammengefaßt. Ihre Rede begleitete sie mit vielen Gesten, so daß die Diamanten ihrer zahlreichen Ringe in der Sonne glitzerten und funkelten. Es gab Wendy einen schmerzhaften Stich, Dave zu beobachten. Auch er redete mit jemandem. Mit einem Mädchen. Es war blond und zierlich, und selbst auf die Entfernung konnte Wendy erkennen, daß die Haut des Mädchens porzellanglatt, makellos und ohne eine einzige Sommersprosse war! Dave sprach eifrig auf das Mädchen ein, während es schwieg und in den Übungsring starrte. Wendy hatte das Gefühl, daß sie das Mädchen eigentlich kennen müßte, sie wußte aber nicht, woher. „Wetten, daß du auch gern solche schicken Sachen hättest, Wendy? Die Leute müssen ja im Geld schwimmen. Ob sie wohl Reitstunden nehmen wollen?" überlegte Old John laut. Wendy gingen ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf. Sie sah an sich herunter, auf die abgetragenen Stiefel, die geflickten Jeans, dann betrachtete sie das Mädchen, von dem Dave so offensichtlich fasziniert war. Kit wüßte bestimmt, was man in so einer Situation tut, dachte Wendy, die nur weiterhin das fremde Mädchen anstarren konnte. Es trug perfekt sitzende englische Reithosen, eine eng anliegende schwarze Jacke über der weißen Bluse und dazu einen Reithelm mit schwarzem Samtüberzug. Die - 38 -
ebenfalls schwarzen Reitstiefel waren auf Hochglanz poliert und sahen nagelneu aus. „Wer ist das denn?" fragte Wendy, machte Star los und führte ihn zu seiner Box. „Vermutlich Filmleute", meinte Old John, „mir haben sie sich noch nicht vorgestellt." „Vom Film?" Wendy starrte wieder nach draußen. Während sie beobachtete, wie die Frau und das Mädchen ins Auto stiegen, dachte sie, ich kenne sie irgendwie. Genau, ich weiß wer das ist, nur komme ich leider nicht auf ihren Namen. Nachdem sie die Tür zu Stars Box zugeschoben und sich von ihm verabschiedet hatte, ging sie nach draußen, um Dave abzufangen und ihn zu fragen, wer die Leute in der Limousine waren. Aber als sie in die Nachmittagssonne hinaustrat, stiegen Dave und sein Onkel gerade in den Ranch Wagen. Sie fuhren hinter dem grauen Auto her und schienen Wendy gar nicht zu bemerken. Ich habe heute überhaupt noch nicht mit Dave geredet, dachte Wendy und seufzte. „Tschüß, ich gehe jetzt nach Hause, Old John", rief sie. „Bis morgen, Wendy." Auf dem Heimweg versuchte sich Wendy zu erinnern, welcher Name zu dem Porzellangesicht und dem blonden Haar gehörte. Es war und blieb aussichtslos, er wollte ihr einfach nicht einfallen. „Na gut, dann muß ich eben morgen Dave fragen", sagte sie laut vor sich hin, „das heißt, falls ich ihn überhaupt treffe." Hoffentlich, dachte sie, als sie in die Einfahrt zum Haus ihrer Eltern einbog.
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4. KAPITEL „Hast du Dave heute getroffen?" fragte Mitch und bremste sein Fahrrad haarscharf neben Wendy ab. „Wieso?" fragte sie unsicher und ging etwas langsamer weiter. „Weil ich ihn eben gerade gesehen habe. Er saß neben seinem Onkel im Geländewagen. Sie fuhren hinter einem schicken großen Auto her. Weißt du, wem das gehört?" „Nein, keine Ahnung." Wendy beschleunigte ihr Tempo. „Kannst du es denn für mich herauskriegen? Ich hab' Kevin gesagt, daß du bestimmt genau darüber Bescheid weißt", rief Mitch hinter ihr her. „Nein, kann ich wirklich nicht", antwortete sie ärgerlich. Wendy fand es selber ungerecht, ihre Wut an Mitch auszulassen, aber sie konnte einfach nicht anders. Plötzlich fühlte sie sich wieder genauso abgehängt wie in der Schule, wenn die beliebten Mädchen mit den gutaussehenden Jungen flirteten. Die schienen eben zu wissen, wie man sich Jungen gegenüber verhalten muß, wie man sie zum Lachen bringt oder dazu, daß sie einen mögen. Bloß ich nicht, dachte Wendy. Für die Jungs in der Schule bin ich Luft. Die kümmern sich nur um mich, wenn sie einen Bleistift ausleihen oder sich in Mathe was erklären lassen wollen. Sie ging hinten ums Haus und schlüpfte leise durch die Küchentür. „Hast du Hunger?" fragte ihre Mutter, „es gibt Brathähnchen." „Geht so. Ich dusche erstmal, und dann kann ich ja den Tisch decken." „Ist was, Liebes?" erkundigte sich ihre Mutter und drehte sich um. Ihre Hände waren über und über mit Mehl bestäubt. - 40 -
„Nein, Mom. Mir ist bloß viel zu warm, und ich bin müde." Wendy verschwand so schnell es ging. Sie liebte ihre Mutter zwar, redete aber nur ungern über Jungen, Liebe und Ähnliches mit ihr. Ich bin doch wohl nicht eifersüchtig? überlegte Wendy, während ihr das warme Wasser auf die Schultern prasselte. Nein, wieso denn auch? Das wäre ja Unsinn. Dave und ich sind bloß gute Freunde. Mehr nicht. Wir gehen nicht miteinander, also kann ich gar nicht eifersüchtig sein, oder? Sei vernünftig, Wendy. Dave erwidert deine Gefühle überhaupt nicht. Sie erinnerte sich an die paar Minuten am Teich in dem Wäldchen. „Das hat nichts zu sagen", murmelte sie vor sich hin, „es war doch nur einer von Stars Tricks." Aber es hatte keinen Sinn, vernünftig darüber nachzudenken. Sie wußte, daß sie Dave nicht aus ihrem Herzen verbannen konnte. Dave! Sie hatte ihn mit dem Mädchen sprechen sehen, und er war hinterher nicht einmal vorbeigekommen, um guten Tag zu sagen oder so. Wendy ging es schrecklich schlecht. Vermutlich habe ich einfach zu viel erwartet, dachte sie. Ihre Augen brannten, aber sie gab dem Haarshampoo die Schuld daran. Nach dem Abendbrot erklärte Wendy, sie sei müde, und sie ging gleich in ihr Zimmer. Sie versuchte, einen Brief an Gaby anzufangen, aber sie wußte gar nicht mehr so recht, was sie ihr von Dave eigentlich erzählen wollte. Also schob sie das Briefpapier und den Filzstift beiseite und ließ den angefangenen Brief liegen. Dann begann sie, auf und ab zu wandern. „Ob Kit mir vielleicht helfen kann?" überlegte sie und starrte ihr Gesicht im Frisierspiegel an. Wendy ging auf den Flur, schlich leise zu Kits Zimmer und klopfte an. „Herein!" - 41 -
Kit lag mit einem Liebesroman in der Hand zufrieden zusammengerollt in ihrem blauen Sessel. „Kann ich dich was fragen, Kit?" „Ja, was ist denn?" Kit schaute ihre Schwester prüfend an und legte ihr Buch beiseite. Ihr Zimmer sah mal wieder sehr ordentlich aus. Nicht einmal die Tagesdecke auf dem Bett zeigte auch nur die kleinste Falte, stellte Wendy fest. Selbst die blau-weißen Vorhänge waren gerade ausgerichtet und hingen glatt und faltenlos herunter. Und nirgendwo lag etwas herum. Wendy wußte nicht genau, ob sie stehen oder sich hinsetzen sollte, also blieb sie stehen. „Woher wußtest du, daß David dich mag?" platzte sie heraus. Kits Augen begannen zu strahlen, sobald Wendy Davids Namen erwähnte. „Zuerst habe ich es an den Dingen gemerkt, die er tat. Zum Beispiel fing er an, nach dem Mittagessen auf mich zu warten und brachte mich abends zu der Stelle im Park, wo ich mich immer mit Dad treffe. Dann hat er es mir irgendwann gestanden." „Du meinst, er hat einfach gesagt: Kit, ich mag dich?" staunte Wendy. „So ungefähr. Warum?" „Ich habe nur so überlegt... für den Fall, daß..." „...Dave! Wendy, er ist doch erst seit zwei Tagen hier!" Wendy ging ans Fenster. Der Halbmond hob sich gegen den pechschwarzen Himmel ab. „Ich weiß, aber..." „Laß ihm Zeit, Wendy. Sei froh, daß ihr euch so gut versteht. Vielleicht wird mehr aus eurer Freundschaft, aber das kommt schon von selbst. Warte es ab." „Na ja, vermutlich. Danke." antwortete Wendy. Zeit, dachte sie. Und was ist, wenn ich gar keine Zeit habe? Wenn er mich ewig als guten alten Kumpel betrachtet, während - 42 -
ich ihn als...? Verzagt drehte sie sich um und ging zurück in ihr Zimmer. Wendy war unruhig, zog aber trotzdem ihren Pyjama an und legte sich ins Bett. Natürlich konnte sie nicht einschlafen. Stattdessen warf sie sich ruhelos von einer Seite auf die andere und dachte über Dave und das fremde Mädchen nach und darüber, was Kit gesagt hatte. Als Wendy am nächsten Morgen aufwachte, kreisten immer noch dieselben Gedanken in ihrem Kopf. Auf dem Weg zur Windridge Ranch war ihr überhaupt nicht nach Luftsprüngen zumute. „Sieht – aus - als - hätte - ich - mir - was - vor - gemacht", sagte Wendy laut vor sich hin. Während sie Star striegelte, begleitete sie jedes Wort mit einem Bürstenstrich. Zu der tiefsinnigen Erkenntnis, die sie so aussprach, war sie nach einigen Stunden des Nachdenkens gekommen. „Redest du mit mir?" Wendy hob den Kopf und sah Dave im Türrahmen stehen. „Offensichtlich nicht, da ich gar nicht wußte, daß du hier bist. Ich habe Selbstgespräche geführt." Wendy hoffte, daß er ihre Worte nicht genau mitgekriegt hatte und bemühte sich, ihre Stimme möglichst kühl klingen zu. lassen. Sie wollte ihm schließlich nicht erklären müssen, daß sie sehnsüchtig hoffte, er sei wenigstens ein bißchen an ihr als Freundin interessiert. Nur konnte sie leider nicht vergessen, wie er ausgesehen hatte, während er mit dem fremden Mädchen sprach. Vielleicht habe ich mir eingebildet, daß er mich mag, dachte sie, vielleicht waren das alles nur meine eigenen Wunschträume. Star reckte auffordernd den Hals, um Daves Aufmerksamkeit zu erregen. „Na, Alter, du bist nicht mehr der einzige Star auf der Ranch", erzählte er Star und tätschelte seine Nase. - 43 -
„Was soll denn das heißen?" fragte Wendy. Sie konnte zwar die Antwort bereits erraten, wollte sie aber aus Daves Mund hören. „Erinnerst du dich an die graue Limousine, die wir am Montag hier gesehen haben, Wendy? Ist dir aufgefallen, daß sie gestern wieder hier war?" „Ja, ich habe sie bemerkt", antwortete Wendy und hob Stars Fuß an, um den Huf zu reinigen. „Weißt du, wer drin saß?" Sie nahm sich den nächsten Huf vor. „Das Mädchen kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich glaube nicht, daß ich es kenne. Es geht jedenfalls nicht auf meine Schule." „Natürlich kommt dir ihr Gesicht bekannt vor du siehst sie nämlich dauernd, im Fernsehen, im Kino, auf den Titelseiten von Zeitschriften. Sie ist der Star, den ich vorhin meinte, ein absoluter Top-Star sogar: Peggy Price." Wendy richtete sich auf und starrte Dave an. „Die Peggy Price?" Dave mußte über Wendys verblüfften Gesichtsausdruck lachen und zog die Augenbrauen hoch. „Genau! Sie ist es." „Ach, da bist du ja, Dave", sagte Harrison Wright und betrat den Stall. „Guten Morgen, Mr. Wright", begrüßte ihn Wendy. Sie war froh, daß er gerade jetzt vorbeikam, denn die Neuigkeit hatte sie ziemlich umgehauen. Was will Peggy Price ausgerechnet hier bei uns? überlegte sie. Kein Wunder, daß ich dachte, ich hätte das Gesicht schon mal irgendwo gesehen. „Guten Morgen, Wendy. Ich sehe, daß du Star schon fertigmachst. Sehr gut. Hast du es ihr erzählt, Dave?" „Was sollte er mir denn sagen?" fragte Wendy und blickte von Mr. Wright zu Dave. „Ach so, Sie meinen, daß Peggy Price gestern hier war." Wendy begann, Stars Mähne zu kämmen. „Sie hat uns gestern besucht, und sie wird heute vormittag pünktlich um zehn Uhr wieder hier sein", begann Mr. Wright. „Peggy soll nämlich in einem Film als weiblicher Jockey auftreten, aber sie hat noch nie in ihrem Leben auf einem Pferd - 44 -
gesessen. Dave wird sie unterrichten. Sie bekommt einen Schnellkursus im Reiten und in all den anderen Dingen, die sie für den Film können muß. Wir haben uns entschlossen, Star dafür einzusetzen, weil er von der Größe und Erscheinung her dem Pferd, das sie im Film reiten soll, am ähnlichsten ist." „Aber Star ist doch kein Pferd für eine Anfängerin", stammelte Wendy. „Das ist das Pferd im Film auch nicht", erwiderte Mr. Wright. „Sie muß sich eben von Anfang an an ein gutes Pferd gewöhnen. Star ist eins unserer besten Reitpferde, und vielleicht kann Peggy mit ihm zusammen einige der Spezialübungen erlernen, die sie für den Film können muß." Einen Moment lang starrte sie nachdenklich vor sich hin, dann schaute er wieder Wendy an. „Warum nimmst du nicht solange Mariah, Wendy? Sie wird viel zu wenig geritten, und ich weiß ja, daß du mit ihr fertig wirst." Er drehte sich zu Dave um. „Ich werde einen Extramann für die Arbeiten am Zaun einstellen. Du übernimmst die Verantwortung für Miss Price, Dave. Während der nächsten sechs Wochen wird sie jeden Morgen hierher kommen. Nimm dir soviel Zeit mir ihr, wie nötig. Ich verlasse mich auf dich, mein Junge." „Ja, Sir", antwortete Dave. „Ich könnte ihm helfen", schlug Wendy vor und unterdrückte verzweifelt den Satz, der ihr auf der Zunge lag: bitte nehmen Sie mir Star nicht weg! „Nein, du kümmerst dich ausschließlich um deine Reiter, Wendy", sagte Mr. Wright. „Du leistet gute Arbeit mit ihnen. Dort wirst du gebraucht. Heute um halb neun kommt schon wieder eine Gruppe mit vier Leuten aus dem Hotel herüber. Offenbar bist du da schon bestens bekannt." Wendy schluckte krampfhaft und konzentrierte sich dann darauf, Stars Schwanz zu kämmen. Es kam ihr so vor, als sollte sie einen guten Freund verlieren. Sechs Wochen lang jeden Tag, dachte sie. Das heißt also, den ganzen Sommer über. Kein Star und kein Dave. Mr. Wright weiß, daß ich genauso gut wenn nicht sogar besser reiten kann wie Dave. Und mir gibt er - 45 -
nicht einmal die Chance, diese Peggy zu unterrichten. Wendy kämpfte gegen einen Anfall von Selbstmitleid, aber sie wurde auch wirklich ungerecht behandelt, fand sie. „John, komm hier herein", rief Mr. Wright und ging an Wendy und Star vorbei zur Hintertür des Stalles. „Du sattelst Star, sobald Miss Price eingetroffen ist." Er verschwand, und Old John kam durch die Tür herein. „Nicht schlecht, daß ich zumindest mehr Freizeit habe", meinte Dave, während Wendy die Tür von Stars Box aufschob und das Pferd hineinführte. Eilig kam sie wieder heraus, weil sie meinte, daß sie dem Pferd, das sie so gern hatte, um den Hals fallen und sich erstmal ausweinen würde, wenn sie länger als unbedingt nötig in der Box blieb. „Wieso gibt dein Onkel so wichtige Reitstunden nicht persönlich?" fragte sie Dave, der zur Seite trat, um sie vorbeizulassen, „bei einer derart berühmten Schülerin..." „Er fährt nächste Woche auf Geschäftsreise. Und da ich dann sowieso den Unterricht übernehmen müßte, fand er, daß es sinnvoller sei, wenn Peggy gleich von Anfang an nur ein und denselben Lehrer hat." „Da wirst du diesen Sommer ja ziemlich viel zu tun haben", meinte Wendy. „Später vielleicht. Aber zuerst wird der Unterricht vermutlich nur ein oder zwei Stunden am Tag dauern. Ich könnte dich also gut auf deinen Ritten am Nachmittag begleiten, wenn du nichts dagegen hast, Wendy." „Wieso sollte es mich stören? Wenn es Mr. Wright recht ist, finde ich es auch in Ordnung, Dave." Wendy hatte zwar das Gefühl, daß sie nicht so kühl und zurückhaltend sein sollte, aber es gibt schließlich eine Grenze für das, was ein Mensch ertragen kann. Und sie mußte in dem Moment innerlich mit zu vielen Problemen kämpfen. Sie beschleunigte ihr Tempo, damit Dave von ihren chaotischen Gefühlen nichts bemerkte. - 46 -
„Vermutlich sollte ich mich schnellstens wieder mit Mariah anfreunden", meinte sie, „schließlich werden wir viel Zeit miteinander verbringen." „Wendy, die Sache mit Star tut mir wirklich leid. Ich verspreche dir, daß ich gut auf ihn achten werde. Es wird ihm nichts geschehen." Dave folgte ihr zu der Box von Mariah. „Star paßt schon auf sich selber auf, Dave. Außerdem wird jawohl die Gesundheit von Peggy Price deine größte Sorge sein." Wendy hätte das gern in einem etwas weniger bitteren Tonfall gesagt, aber er entsprach nunmal ihrem Gemütszustand. „Wendy..." „Dave, kannst du mir mal kurz helfen?" rief Old John aus dem Geräteraum. „Wir müssen uns später weiter unterhalten, Wendy. Heute nachmittag, ja?" sagte Dave und ging zu Old John hinüber. Wendy antwortete nicht. Sie holte Mariah aus ihrer Box und machte sie im Gang fest. Dann begann sie, Mariah zu striegeln. Da das Pferd einfach nicht stillhalten wollte, bekam sie schnell den Eindruck, daß sie mindestens ebenso viel Zeit damit verbrachte, hinter Mariah herzulaufen, wie sie zu bürsten. „Daß du dich ja gut benimmst, wenn wir nachher ausreiten, Mariah!" befahl ihr Wendy, während sie versuchte, ihr den Schwanz zu kämmen. „Mr. Breen würde bestimmt auch Gegenreklame machen, wenn es ihm bei uns nicht mehr gefällt. Und ich will nicht auch noch meinen Job verlieren." Sobald sie mit den Pferden fertig war, die für die Ausritte an diesem Tag gebraucht wurden, half Wendy Old John beim Ausmisten der Boxen. Sie wollte möglichst viel zu tun haben. Old John murmelte irgend etwas über Pferdeverstand vor sich hin, sprach Wendy aber nicht auf Star oder Dave an. Darüber war sie ziemlich froh, weil sie überhaupt keine Lust auf eine Unterhaltung hatte. Ihr kam es so vor, als hätte man ihr einfach ihren schönen Sommer weggenommen und ihn Peggy Price - 47 -
geschenkt. Und all die wundervollen Tage, die sie vor sich gesehen hatte, erschienen ihr plötzlich grau und trübe. Dabei war sie so glücklich gewesen. Dave war verschwunden, um etwas für seinen Onkel zu erledigen, als die vier Reiter eintrafen. Die Breens waren wieder dabei, aber diesmal hatten sie ein anderes Ehepaar mitgebracht, die Millers, beides Anfänger. Während Old John die Pferde aus dem Stall nach draußen führte, erklärte Mr. Breen seinen Freunden die Reitregeln der Windridge Ranch. Wendy holte Mariah selbst aus ihrer Box und sprach beruhigend auf sie ein, als sie nervös hin- und hertänzelte. Wendy vermißte Star schon jetzt unheimlich. Sie waren kaum unterwegs, da begann Mr. Breen zu reden, und er redete und redete und redete. Die Sonne brannte heiß vom Himmel, und die Pferdefliegen machten sich ebenso über die Reiter wie über die Pferde her. Mariah und Copper entwickelten eine Abneigung gegeneinander., so daß Wendy auch noch darauf achten mußte, daß Mariah nicht nahe genug an Mr. Breens Pferd herankam, um es zu treten, beziehungsweise sich von Copper so weit fern zu halten, daß er Mariah nicht beißen konnte. Die Millers waren ein eher ruhiges Ehepaar. Beide hatten offensichtlich Angst vor Pferden und warteten nur darauf, daß der Ritt endlich zu Ende ging. Ihre Pferde schienen zu merken, daß ihre Reiter keine Kontrolle über sie besaßen, und Wendy verbrachte die meiste Zeit damit, die kleine Gruppe beieinanderzuhalten, indem sie dauernd außen um sie herumritt. Der Tag blieb so unbefriedigend, wie er begonnen hatte. Als sie verschwitzt und müde wieder bei den Ställen ankamen, fühlte sich Wendy so kaputt, als sei sie Ewigkeiten mit den Leuten unterwegs gewesen. Zum erstenmal, seit sie - 48 -
sich erinnern konnte, war sie froh, daß sie endlich absteigen durfte. „Vielleicht können wir noch einen Reittermin in unsere Ferienpläne einbauen", sagte Mr. Breen, „wissen Sie was, Miss, ich glaube fast, daß ich mir ein Pferd zulegen werde, wenn ich wieder zu Hause bin. Mir macht das Reiten solchen Spaß." Er wandte sich an seine Frau, die gerade ihre Hände an einem Tuch abrieb. „Was hältst du denn davon, Margaret?" Mrs. Breen, die schon den ganzen Tag schweigsam gewesen war, steckte ihr Taschentuch in die Hosentasche und sagte: „Es ist wohl besser, wenn wir jetzt wieder zurück ins Hotel fahren, Phillip, die Millers sind sehr müde." „Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen", meinte Mr. Breen und klopfte Mr. Miller freundschaftlich auf die Schulter, „nach meinem ersten Ritt war ich auch ziemlich zerschlagen. Aber Sie werden sich bestimmt daran gewöhnen, oder was meinen Sie, Miss?" Wendy lächelte mühsam. Sie nahm an, daß Mr. Breen mit der Zeit am Reiten Gefallen finden würde, bezweifelte aber stark, ob sie die Millers oder Mrs. Breen noch einmal wiedersehen würde. „Bis zum nächstenmal, Miss", sagte Mr. Breen fröhlich, winkte und folgte seinen Begleitern zum Wagen. „Bis dann, Mr. Breen. Vielen Dank für Ihren Besuch!" erwiderte Wendy automatisch. Sie überlegte, ob Mr. Breen sich wohl tatsächlich ein Pferd anschaffen würde, kam dann aber zu dem Schluß, daß Mrs. Breen vermutlich dagegen Widerspruch einlegen würde. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, die Gruppe im Übungsring völlig zu ignorieren, sah Wendy seit der Abfahrt der Breens und der Millers immer wieder hinüber. Die graue Limousine parkte direkt am Zaun, dort, wo sie wirklich niemand übersehen konnte. Die dunkelhaarige Frau, von der Wendy annahm, daß sie Peggys Mutter war, hatte einen Begleiter bei sich. Er war dünn und kahlköpfig. Er trug Jeans - 49 -
und dazu ein kariertes Hemd. Sie wirkten nicht wie ein Ehepaar. Beide sahen bei der Reitstunde zu, die im Übungsring stattfand. Dave wartete neben Star, doch Peggy saß gar nicht auf dem Pferd. Sie stand dicht neben dem Zaun, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und starrte zu Boden. Wendy sah auf die Uhr und stellte fest, daß der Unterricht schon seit über einer Stunde im Gang war, falls Peggy pünktlich eingetroffen war, also kurz nachdem sie selbst mit ihrer Gruppe losgeritten war. Vielleicht ist die Reitstunde ja schon vorbei, dachte Wendy, obwohl sie es merkwürdig fand, daß alle sich so verhielten, als warteten sie darauf, daß etwas passierte. Mrs. Price und der Mann steckten die Köpfe zusammen und berieten sich. Wendy seufzte und schaute wieder weg. Sie hatte selbst genug zu tun, da sie am Nachmittag noch eine weitere Gruppe begleiten sollte. „Wir fahren nicht ab, bevor du es tust", hörte sie jemanden mit strenger Stimme sagen und drehte sich erneut um. Peggy hatte inzwischen ein paar Schritte auf die Mitte des Rings zu gemacht, dann aber ihre ablehnende Haltung wieder eingenommen. „Halt dich da lieber raus und mach dich an deine Arbeit", ermahnte sich Wendy und ging in Richtung Stall, ohne sich noch einmal umzusehen. „Na, hat Mariah sich gut benommen?" erkundigte sich Old John. Er hatte die vier Pferde schon abgesattelt. Wendy kam zu ihm, um ihm mit Mariah zu helfen. „Solange ich sie nicht in Coppers Nähe gelassen habe, ja. Die zwei scheinen sich nicht leiden zu können." „Stimmt. Das hatte ich ganz vergessen. Wir müssen darauf achten, daß sie nicht zusammen unterwegs sind. Du kannst ruhig auch mal andere Pferde einsetzen, Wendy. Bewegung brauchen sie alle."
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„Ja, ich weiß. Ich werde versuchen, daran zu denken", sagte Wendy lustlos, denn mit Star war sowieso keins der Pferde zu vergleichen. „Mach nicht so ein langes Gesicht, Wendy. Diese Reitstunden werden Star nicht wehtun." „Ich vermisse ihn aber so sehr." „Das Gefühl kenne ich. Es ist schon hart, daß sie dir gleich beide Lieblinge weggenommen haben. Aber das dauert ja nicht ewig." Wendy schüttelte den Kopf, aber sie brachte kein Wort heraus. Dave war doch nicht ihr Liebling war es nie gewesen. Er war nur der Neffe des Chefs und würde den Sommer über auf der Ranch bleiben, genau wie schon einmal. Und ich bin nur eine Nachbarstochter, die zufällig hier arbeitet. Das ist die Lage, und ich sollte sie wohl besser akzeptieren, dachte sie. Nur war es ein großer Unterschied, zu wissen, wie sie sich verhalten sollte, und es auch tatsächlich zu tun. Sie fand es sagenhaft schwer. Weder war Star ihr Pferd, noch Dave ihr fester Freund, und leider wußte sie überhaupt nicht, wie sie der Erfüllung ihrer beiden Wünsche nachhelfen sollte, denn mit einem Filmstar in Konkurrenz zu treten, das kam ihr völlig aussichtslos vor. Ich muß unbedingt noch einmal mit Kit sprechen, dachte sie. „Heute gehe ich zum Mittagessen nach Hause, John", teilte sie ihm mit, „aber ich bin rechtzeitig zurück für meine nächste Gruppe." „Okay. Bis dann." Wendy verließ den Stall und sah im Vorbeigehen zum Übungsring hinüber. Dort war alles unverändert. Star trat auf der Stelle, Peggy und Dave standen daneben, Mrs. Price und der Mann unterhielten sich. Wendy zuckte nur die Achseln. Vielleicht wollte Dave in der ersten Stunde hauptsächlich die theoretischen Grundlagen des Reitens erklären. Das hieß vielleicht, daß sie an diesem Nachmittag Star möglicherweise doch noch reiten konnte. Er würde Bewegung brauchen, wenn er den ganzen Vormittag nur herumgestanden hatte. - 51 -
Zum erstenmal, seit Wendy von den neuen Plänen für diesen Sommer gehört hatte, hatte sie wieder etwas Hoffnung, aber zum Lachen war ihr immer noch nicht zumute.
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5. KAPITEL „Da bist du ja, Wendy! Ich hatte dich eigentlich zum Mittagessen zu mir nach Hause einladen wollen." Dave wartete in der Einfahrt und hatte Sheba und Star fertig aufgezäumt schon mitgebracht. „Ich wollte mal wieder bei meinen Eltern essen." Wendy ging zu Star und streichelte seine weiche Nase. „Das hat mir Old John erzählt. Deine Nachmittagsgruppe hat angerufen. Sie kommen erst morgen, weil es ihnen heute zu heiß ist zum Reiten." „Sie haben ja recht. Es ist wirklich ziemlich drückend." Wendy spürte, daß ihr Schweißtropfen auf der Stirn und auf der Oberlippe standen. Vermutlich sehe ich schrecklich aus, dachte sie. „Findest du es auch zu heiß zum Ausreiten, Wendy?" „Nein, gar nicht. Aber vielleicht ist Star zu müde. Ich will ihn nicht überanstrengen." „Die Gefahr besteht heute bestimmt nicht", erwiderte Dave mit auffällig ruhiger Stimme und hielt ihr die Zügel hin. „Wieso? Ihr hattet wohl eine gemütliche Stunde?" „Gemütlich ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Ich glaube kaum, daß diese Reitstunden Peggys Idee waren. Sie hat sich geweigert, auf das Pferd zu steigen." „Was? Wie will sie denn einen Jockey spielen, ohne ein Pferd zu reiten?" „Genau das hat ihr der Agent, Mr. Matthews, auch dauernd eingehämmert. Immer wieder. Und ihre Mutter hat sie gedrängt, doch mit mir zusammenzuarbeiten." „Aber sie hat es nicht getan?" „Ich habe ihr in allen Einzelheiten erzählt, wie sanft und klug Star ist, und daß du schon als kleines Kind auf ihm geritten bist." - 53 -
Dave setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich in den Sattel. „Was hat sie darauf gesagt?" „Daß sie vielleicht morgen reiten wird." Wendy lehnte sich vor und klopfte Stars Hals. Er war also immer noch ihr Pferd. Sie lenkte ihn zum Tor, Dave folgte auf Sheba. „Sechs Wochen ist sowieso ganz schön knapp, um Reiten zu lernen", bemerkte Wendy. „Stimmt. Hoffentlich kann ich es ihr beibringen. Wir müssen schnellstens einen Rennsattel besorgen und dann das Aufspringen üben. Ich werde mal mit Old John über dieses Problem sprechen. Er hat eine ganze Weile auf dem Rennplatz gearbeitet. Vielleicht kann er ihr die spezielle Technik der Rennreiter beim Aufsteigen zeigen." „Vermutlich hat niemand damit gerechnet, daß Peggy Price launisch sein könnte, was Dave?" „Launisch? Das ist sie auch nicht, glaube ich.. Sie ist überhaupt völlig anders, als ich gedacht hätte." Wendy traute sich nicht, ihn zu fragen, was er denn eigentlich erwartet hatte. Sobald sie das erste Wäldchen erreichten, überließen sie es den Pferden, sich zu entscheiden, wie schnell sie laufen wollten. Eigentlich war es sowieso zu heiß für mehr als Schrittempo. Nicht einmal Insekten waren unterwegs. Daß selbst die Fliegen sich nicht mehr rührten, war ein sicheres Zeichen für ungewöhnliche Hitze. „Was ist denn wohl Peggys Problem, Dave?" „Ich glaube, sie hat Angst." „Angst!" Bei Wendys überraschendem Ausruf fiel Star prompt in Trab. „Ruhig, alter Junge", sagte sie, „ich wollte dich nicht erschrecken." Wendy starrte Dave an. Das Haar klebte ihm in lockigen Strähnen an den Schläfen. Sein Gesicht und die Arme waren schon braungebrannt. Er sah aus, als sei er seit Wochen - 54 -
in Kalifornien, nicht erst seit ein paar Tagen. Dave erwiderte ihren Blick. Ernsthaft sagte er: „Meiner Ansicht nach könnte es sein, daß sie generell vor Pferden Angst hat und sich deshalb weigert, Star zu reiten." „Wieso ist sie dann überhaupt darauf eingegangen, die Rolle eines Jockeys zu übernehmen? Das ist doch unsinnig." „Vielleicht wußte sie bisher gar nicht, daß sie solche Angst hat." „Na, ich weiß nicht recht", antwortete Wendy zweifelnd, denn sie fand Daves Theorie ziemlich unglaubwürdig. Inzwischen hatten sie das erste Wäldchen durchquert und näherten sich dem zweiten. „Star und Sheba freuen sich bestimmt schon auf den Teich", sagte Dave. „Ich auch. Wie schade, daß ich meinen Badeanzug nicht mitgenommen habe", meinte Wendy bedauernd. „Apropos Badeanzug. Was hältst du davon, nächste Woche mal einen Nachmittag am See zu verbringen? Wir könnten im Hotel essen. Du kennst ja inzwischen sogar ein paar von den Leuten dort." Wendy merkte, daß er sie aufziehen wollte. „Du spielst wohl auf Mr. Breen an, was? Falls wir beide gleichzeitig frei haben sollten, hätte ich große Lust, dorthin zu fahren. Aber Mr. Breen würde ich lieber nicht begegnen. Womöglich lädt er uns zu einer Besichtigungstour unter seiner Leitung ein." Dave grinste fröhlich. „Bestimmt. Ich habe ihn heute morgen reden gehört. Das ist einer von denen, die immer alles wissen." „Darauf könnte ich wetten", antwortete Wendy. Jetzt waren sie in dem kleinen Mischwald angekommen. Der Geruch von moderigen Eichenblättern und Fichtennadeln verbreitete sich in der heißen schwülen Luft. Wendy und Dave schwiegen. Man hörte nur noch das gedämpfte Geräusch der Pferdehufe und gelegentlich das Knirschen der Sättel. Sobald - 55 -
sie den Teich erreichten, stiegen sie ab und führten die Pferde zum Wasser. „Es ist unheimlich still heute", sagte Wendy und atmete tief. „Das macht die Schwüle. Jeder verkriecht sich im Schatten und verhält sich möglichst ruhig", stöhnte Dave, weil ihm so heiß war. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und zog sein Hemd aus. „Wendy, würdest du morgen mal beim Unterricht zusehen, falls du gerade Zeit hast? Vielleicht kannst du feststellen, ob ich mit meiner Vermutung recht habe. Wenn Onkel Harry hier wäre, könnte er mir helfen. Aber nun ist er weg und verläßt sich doch ganz auf mich." „Na schön, ich schaue zu, falls ich nichts zu tun habe." „Ich glaube, daß Peggy ganz nett ist, wenn man sie nur erst richtig kennt. Vielleicht ist sie ein bißchen schüchtern." Dave saß auf einem umgefallenen Baumstamm am Rand des Teiches. Wendy stand neben ihm. Sie konnte sich nur mit Mühe den Satz verkneifen, der ihr auf der Zunge lag: eine gute Schauspielerin kann einem Mann doch alles vortäuschen, wenn sie will. „Hast du ihre Reitausrüstung gesehen, Wendy? Alles funkelnagelneu. Die Jacke ist maßgeschneidert. Ihre Mutter erzählte mir, daß sie sie extra für Peggy haben anfertigen lassen. Was das wohl für ein Gefühl ist, wenn man ein Star ist und nur mit dem Finger zu schnippen braucht, damit die Leute angerannt kommen, um einem zu helfen? Muß ganz angenehm sein." Wendy wünschte, daß Dave endlich aufhören würde, von Peggy Price zu reden, besonders da er offensichtlich zu den Leuten gehörte, die auf ihr Zeichen hin sofort sprangen. Wendy war es jetzt schon leid, dauernd von dem Filmstar zu hören, und das, nachdem die Reitstunden gerade erst begonnen hatten. Sie griff nach einem Stock und begann, die Rinde davon abzumachen. „Was würdest du tun, wenn du jemanden unterrichten solltst, der Angst hat, Wendy?" - 56 -
Dave starrte über den Teich. Wendy seufzte. „Vielleicht würde ich ihr raten, das Ganze aufzugeben. Schließlich muß nicht jeder reiten können." „Aber die Möglichkeit hat sie doch gar nicht. Sie muß es lernen, und zwar ziemlich schnell." Peggy hat mehr Ahnung als du denkst, überlegte Wendy, aber ihre Gedanken bezogen sich nicht aufs Reiten. Sie warf den Stock ins Wasser und beobachtete, wie sich die Wellen daraufhin ausbreiteten. Sie fragte sich ernsthaft, wie lange sie es wohl noch aushalten würde, Daves Gerede über Peggy zu ertragen. „Vermutlich muß ich ihr nur gut zureden und sie am Anfang nicht drängen und warten, bis sie mehr Vertrauen bekommt." „Sie ist bestimmt daran gewöhnt, immer im Mittelpunkt zu stehen", murmelte Wendy und ergriff Stars Zügel. „Was hast du gesagt?': Dave kontrollierte Shebas Sattelgurt. „Ach, nichts. Ich fragte mich gerade, ob sie wohl überhaupt wiederkommt." „Ich glaube, ja", meinte Dave. Das befürchte ich leider auch, dachte Wendy mißvergnügt. Peggy kam tatsächlich. Pünktlich um zehn Uhr am nächstn Morgen tauchte die graue Limousine auf der Kuppe des Hügels auf und fuhr dann am Übungsring vor. Es war schon ziemlich heiß. Die Temperatur in den Ställen lag nur wenig unter der Außentemperatur. Wendys Reitkunden hatten erneut wegen der großen Hitze abgesagt, so daß Wendy sich nicht herausreden konnte, als Dave sie ansprach. „Ich sollte Old John helfen, Dave", versuchte sie es trotzdem, „mehr als die Hälfte der Boxen sind noch nicht ausgemistet, und wir müssen frische Streu verteilen." „Geh du ruhig mit Dave", widersprach der alte Mann, der zugehört hatte, „ich schaffe das schon allein. Und Dave braucht deinen Rat. Du solltest ihm wirklich helfen." - 57 -
Wendy wußte, daß Old John sie Dave bloß in die Arme treiben wollte. Ob er noch nie gemerkt hatte, daß drei Leute einer zuviel ist? dachte sie. „Okay, dann schaue ich mir eben den Unterricht an." Sie seufzte und folgte Dave zu dem grauen Wagen. Wendy rieb sich die Hände an ihren Jeans sauber, kam sich aber trotzdem völlig verschmutzt und ungepflegt vor, als Mrs. Price, Peggy und Mr. Matthews aus dem Auto stiegen. Diesmal trug Peggy ein blaßgrünes Flanellhemd zu schneeweißen Reithosen. Das Haar hatte sie zurückgekämmt und mit einem farblich zur Bluse passenden Band hochgebunden. Ihre Mutter hielt ihren weißen Trainingshelm unter dem Arm. Dave nahm Wendy bei der Hand und zog sie hinter sich her. Sie kam sich vor wie ein kleines Mädchen, wehrte sich aber nicht. Vielleicht denkt Peggy, daß wir die ganze Zeit Händchen halten, dachte sie und bemühte sich, mit Daves langen Beinen Schritt zu halten. „Peggy Price, Mrs. Price, Mr. Matthews, darf ich Ihnen Wendy Russel vorstellen. Sie arbeitet für meinen Onkel." „Hallo", sagte Wendy. „Hallo", erwiderte Peggy und seufzte. Dann drehte sie sich um, ging an den Zaun und warf einen Blick auf Star, der schon im Ring wartete. Galt der Seufzer nun mir, Dave oder Star? fragte sich Wendy. „Guten Tag", begrüßte Mrs. Price Wendy mechanisch und ging hinter Peggy her, um ihr den Helm aufzuetzen. „Los, laßt uns anfangen", meinte Mr. Matthews nervös, „die Show muß endlich starten." Wendy war sich noch nie so überflüssig vorgekommen. Die drei nahmen keine Notiz von ihr, behandelten sie eher wie ein lästiges Insekt. „Bitte, bleib hier", flüsterte Dave ihr zu und drückte kurz ihre Hand. Wendys Herz setzte seinen Schlag lang aus. Dann ermahnte sie sich: Laß dich nicht einwickeln, Wendy! Dave - 58 -
konnte schon mit zwölf Jahren sehr überzeugend sein, wenn er wollte. Sie hatte keine Lust, am Auto stehenzubleiben und ging deshalb zum Eingangstor des Ringes hinüber. Ein paar Minuten später kamen auch Peggy und Dave. Wendy bemerkte, daß Peggy eine Faust geballt hatte, aber ansonsten konnte sie keinerlei Anzeichen dafür entdecken, daß sie vielleicht nervös war oder sogar ängstlich, wie Dave vermutet hatte. „Paß auf, Peggy. Ich helfe dir in den Sattel", sagte Dave munter, während die beiden den Ring betraten. „Nimm die Zügel in deine linke Hand. Mit der rechten hältst du dich am Sattel oder an Stars Mähne fest. Dann brauchst du nur noch dein Bein über seinen Rücken zu schwingen. Die Steigbügel werde ich erst richten, wenn du oben sitzt." Soweit Wendy feststellen konnte, befolgte Peggy Daves Anweisungen, ohne zu zögern. „Eins, zwei drei", zählte Dave, und sie saß im Sattel. „So, jetzt die Zügel aufnehmen. Nicht zu fest, Peggy. Ja, gut so. Und nun mußt du nur noch die Beine ein wenig zusammenpressen, damit er weiß, daß es losgehen soll." „Sie will nicht", meinte Peggy und sah zu Dave hinunter. „Er", verbesserte Dave, „versuch es nochmal. Die Beine fest zusammendrücken, Peggy. Darauf reagiert er. Fersen nach unten, die Zehen einwärts." Dave korrigierte die Stellung ihrer Füße und sagte dann: „Okay, jetzt kann's losgehen." ' Peggy starrte ihn nur an und schüttelte den Kopf: „Das blöde Pferd will nicht." Dave sah Wendy an, und sie kam ihm zu Hilfe. „Sag' ihm, daß er Losgehen soll. Vermutlich sind die Zeichen, die du mit deinen Beinen gibst, noch nicht eindeutig genug. Und außerdem ist er kein blödes Pferd!" „Ich kann aber nicht mit dem Pferd reden. Im Text für meine Rolle stehen ganz bestimmt keine Anweisungen an das Pferd." - 59 -
„Okay, okay. Versuch's einfach nochmal, Peggy", meinte Dave. Peggy warf erst Wendy, dann Dave einen grimmigen Blick zu. „Ich kann nicht." „Weißt du was, Dave, ich habe eine Idee", sagte Wendy plötzlich, „wenn dein Onkel mit Kindern arbeitet, benutzt er immer eine Longe. Nimm Star doch an die Leine." „Was meint sie?" fragte Peggy. „Sie hatte einen ausgezeichneten Einfall", erklärte Dave. „Kannst du mir die Longe und das 'Zubehör herbringen, Wendy?" „Klar. Bin gleich wieder zurück." Na, wenn Peggy nicht mitmachen will, auf Star kann man sich wenigstens verlassen, dachte Wendy, während sie zum Geräteraum lief. Dort nahm sie eine lange Leine, die eine Schlaufe am einen und einen Drehverschluß am anderen Ende besaß, von einem Haken. Außerdem holte sie noch das Verbindungsstück, mit dem die Longe am Zaumzeug befestigt wird, dann eilte sie zurück zum Ring. „Hier, Dave", sagte sie und gab ihm die Longe. „Danke." „Was hast du vor?" wollte Peggy mißtrauisch wissen. „Ich will euch beide an die Leine nehmen", neckte sie Dave. Peggy rang sich nicht einmal ein Lächeln ab. „Okay, Peggy. Halte die Zügel so, wie ich es dir gezeigt habe. Und faß ruhig in Stars Mähne, bis du einigermaßen im Gleichgewicht bist. Zuerst bleiben wir beim Schritt, und wenn das klappt, können wir auch mal ein bißchen traben." Dave forderte Star auf zu gehen. Peggy ertrug das alles mit steinernem Gesicht. „Lenke ihn mit dem rechten Zügel zum Zaun. Gleichzeitig mußt du das linke Bein an seine Flanke pressen, Peggy", rief Dave. Diesmal kapierte Star, was sie von ihm verlangten, und auch Peggy fing an mitzumachen. - 60 -
„Wunderbar, Darling", rief Peggys Mutter, „ich wußte doch, daß du es kannst!" „Prima, Baby", meinte ihr Agent, „und jetzt bitte lächeln!" Peggy starrte die beiden nur an. Nicht einmal die Andeutung eines Lächelns erschien auf ihrem Gesicht. Na ja, jetzt hat sie's geschafft, dachte Wendy, sie ist der Star der heutigen Vorstellung, auf den sich die Aufmerksamkeit des gesamten Publikums konzentriert. „Aha, ihr kommt voran." Wendy schrak zusammen. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß Old John hinter ihr aufgetaucht war. „Eine gelungene Show", antwortete sie bissig. „Fersen nach unten, Zehen einwärts", rief Dave, „du kannst die Steigbügel ruhig ein bißchen mehr belasten. Ich lasse Star traben, sobald du gut ausbalanciert bist. Halt dich fest, Peggy." Peggy befolgte die Anweisungen, ohne eine Miene zu verziehen und klammerte sich die ganze Zeit an Stars Mähne fest. „Total verängstigt, das kleine Ding", meinte Old John, „ein Glück, daß Star ruhig bleibt. Wenn der sich etwas zu schnell bewegt, verliert sie die Nerven." Na ja, wenn du meinst dachte Wendy, sagte aber nichts. Dave ließ Star in einen langsamen, rhythmischen Trab fallen. Peggy flog leicht nach vorn, und er rief ihr zu, was sie an ihrer Haltung und der Stellung ihrer Füße verändern sollte. „Ich glaube, das reicht für heute", sagte Mrs. Price, „wir wollen doch nicht, daß sie herunterfällt. Hast du genug, Baby?" Peggy antwortete nicht. Dave ließ Star langsamer werden und schließlich stehenbleiben. Dann trat er neben das Pferd. Peggy begann, langsam abzusteigen. Sie legte Dave einen Arm um die Schulter, und er half ihr herunter. „Heute ging's besser", sagte Dave strahlend, „du hast große Fortschritte gemacht. Morgen üben wir traben." - 61 -
„Vielen Dank", meinte Peggy, als sie wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stand. „Es hat mir Spaß gemacht." Während die beiden auf das Tor zugingen, wandte sich Wendy ab und wanderte zurück zu den Ställen. „Vielen Dank", murmelte sie verächtlich vor sich hin und hatte dabei Peggy vor Augen, wie sie ihren Arm um Daves Schulter legte. „Was für eine gerissene kleine Schauspielerin. Ich könnte mich totlachen." „Was sagst du da?" fragte Old John, als sie den Stall betrat. „Ach, nichts", erwiderte Wendy, „ich glaube, ich gehe jetzt nach Hause. Sieht sowieso nicht so aus, als ob heute noch jemand zum Reiten herkommt." „Nein, es ist zu heiß", stimmte er ihr zu. „Viel zu heiß", sagte Wendy, aber sie meinte nicht die Temperatur. Sie durchschaute Peggys Spiel, doch es war ihr klar, daß Old John und Dave es nicht taten. Die beiden fallen auf sie herein, dachte sie, weil sie sich von dem Glanz, eine Filmschauspielerin auf der Ranch zu haben, verblenden lassen.
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6. KAPITEL „Du bist so still heute, Wendy", bemerkte ihre Mutter und reichte ihr den Griespudding, damit sie ihn auf den Tisch stellte, „hattet ihr viel zu tun?" „Nein, eigentlich nicht. Bei der Hitze gehen die Leute lieber schwimmen als reiten." „Das wundert mich nicht", meinte ihr Vater, „selbst mir ist es heute zu heiß, und dabei hat mein Büro sogar eine Klimaanlage. Mich macht dies Wetter todmüde." „Ich bin auch müde", sagte Rick, räkelte sich auf seinem Stuhl und gähnte sehr betont, „ich glaube kaum, daß ich es schaffe, heute abzuwaschen." „Richard!" ermahnte ihn seine Mutter in warnendem Tonfall. „Gar nicht schlecht, deine Idee", fand Mitch und stieß seinen Bruder mit dem Ellbogen in die Seite. „Ich tausche das Abwaschen heute abend gegen das Aufräumen morgen früh, Rick", bot Wendy an. „Einverstanden." Rick machte sich über seinen Pudding her, „darf ich bitte draußen spielen, bis es dunkel ist?" „Klar", lachte seine Mutter, „wenn du nicht zu müde dazu bist." Rick grinste. Dem Schwung nach, mit dem er die Tür hinter sich zuknallte, war er kein bißchen müde. „Das war mal wieder ein ausgezeichnetes Essen", bemerkte der Vater, „ist noch etwas Pudding da?" „Eine Portion reicht für dich", erwiderte seine Frau gespielt streng, „du solltest nicht soviel Süßes essen." „Hm", grummelte er, „manchmal wäre ich froh, wenn du dir weniger Sorgen wegen meiner schlanken Linie machen würdest." - 63 -
Aber er lächelte, als sie ihm einen Kuß auf die Stirn drückte. Sobald Wendys Eltern nach nebenan gegangen waren, und Mitch seinem Bruder nach draußen folgte, begann sie, das Geschirr zusammenzustellen. „Bleibt's dabei, daß du morgen abend ausgehst, Kit?" fragte sie ihre Schwester. Kit lächelte glücklich. „Ja. Wir wollen im Lodge Hotel essen und dann ein bißchen tanzen." Sie öffnete die Geschirrspülmaschine, nahm die Frühstücksteller heraus und stellte sie in den Schrank. „Kit, hast du jemals...? Hat dir mal eine andere...?" Wendy wußte überhaupt nicht, wie sie ihre Frage herausbringen sollte. „Schon wieder Probleme mit Dave?" Kit öffnete die Besteckschublade. Wendy reichte ihr das Körbchen mit dem sauberen Besteck und holte dann das restliche Geschirr aus der Maschine." „Ja und nein, Kit. Ich meine, ich glaube nicht, daß Dave das eigentliche Problem ist." „Wer oder was denn sonst?" „Peggy Price." Wendy seufzte. „Wer?" „Peggy Price. Filmstar, Fernsehstar, Cover Girl in allen möglichen Zeitschriften. Ich weiß, daß du sie schon gesehen hast. O Kit, wie kann ich denn gegen so ein Mädchen ankommen? Es ist einfach hoffnungslos." „Du glaubst, daß sich Dave in einen Filmstar verknallt hat? Bist du ganz sicher?" „Er redet dauernd über sie." „Aber deswegen brauchst du dir doch noch keine Sorgen zu machen. Die Chance, daß die zwei sich jemals treffen, ist höchstens..." „Einhundert Prozent. Sie nimmt Reitstunden bei ihm. Mr. Wright hat Dave beauftragt, sie zu unterrichten. Und sie lernt auf Star" sprudelte Wendy all ihre Probleme in einem Atemzug heraus. „Star für einen Star", murmelte Kit vor sich hin, „ist das - 64 -
nicht das Pferd, das du sonst immer reitest?" „Ritt." Wendy nickte. „Hm. Hast du schon mit Mom darüber gesprochen?" „Sie hat soviel zu tun, um ihre Töpferwaren für die Geschenkboutique rechtzeitig fertigzukriegen. Außerdem komme ich normalerweise gerade dann nach Hause, wenn es Zeit ist, mit ihr das Abendessen vorzubereiten. Und Mitch und Rick sind dann auch immer hier. Ganz abgesehen davon, daß ich nicht sicher bin, daß Mom mich verstehen würde. Ich mag mit ihr nicht so gern über Jungen und so reden. Du hast schon viele Freunde gehabt. Deswegen dachte ich, daß dir das vielleicht auch mal passiert ist, Kit. Ich meine, daß ein anderes Mädchen denselben Jungen mochte wie du. Weißt du, was ich tun kann, Kit?" „Bist du überhaupt sicher, daß sich Dave und Peggy Price füreinander interessieren?" „Er redet viel über sie, und sie..." „Ja, was ist mir ihr?" Wendy überlegte. Peggy hatte Dave den Arm um die Schulter gelegt, als sie vom Pferd stieg. Ob das schon ein Zeichen von Liebe war? „Na?" „Ich weiß nicht, Kit." „Es sieht doch so aus, als könnte sie jeden Jungen kriegen, den sie will. Wieso sollte sie sich ausgerechnet Dave aussuchen?" „Weil er nett ist und witzig, und ich..." Wendy merkte, daß sie rot wurde, während sie sich den Rest ihres Satzes: „und ich ihn mag", verkniff. „Wendy, kann es sein, daß du dir nur deshalb solche Sorgen machst, weil sie berühmt ist? Wieso sprichst du nicht einfach mal mit ihr darüber? Wenn sie auch dauernd darüber redet, wie nett Dave ist und wie witzig und so weiter, dann hast du tatsächlich Grund genug, dich aufzuregen. Aber bisher klingt das alles, als sei er ihr Reitlehrer und weiter nichts." „Du müßtest sie nur mal sehen und ihn hören", jammerte - 65 -
Wendy, wandte sich ab und begann, die Abendbrot-Teller abzuspülen. „Okay. Was ist so toll an ihr, Wendy? Sie ist ein Mädchen, sechzehn Jahre alt, eine Schönheit. Zufällig handelt es sich um einen Filmstar. Auf dich treffen all diese Punkte auch zu, Wendy, außer daß du natürlich kein Filmstar bist, aber das ist nicht so wichtig. Du läßt dir davon Angst machen, Schwesterchen. Mir scheint, daß du deutlich im Vorteil bist. Du kennst Dave schon lange, du kannst gut reiten, und du verbringst den ganzen Tag auf der Windridge Ranch." „Peggy auch, jedenfalls während der nächsten sechs Wochen. Außerdem bin ich nicht schön und werde erst im August sechzehn." „Bleib ruhig und geh die Sache gelassen an, Wendy. Sechs Wochen sind doch keine Ewigkeit." „Du hast gut reden, Kit! Für dich mag das kein Problem sein, da du sowieso immer ruhig und gelassen bist, aber ich würde lieber etwas tun oder mit Dave reden oder so... ach, ich weiß auch nicht. Es wäre so schön, wenn Dave mich auch mögen würde." „Was? Du hältst mich für ruhig und gelassen, Wendy?" „Na klar. Offensichtlich bringt dich nichts durcheinander, und du regst dich nur äußerst selten auf. Du weißt immer genau, was du willst und auch, wie du es bekommst, Kit." „So bin ich überhaupt nicht", widersprach Kit überrascht, „ich bin häufig unsicher, oft ziemlich aufgebracht, und ganz bestimmt bekomme ich nicht immer, was ich mir wünsche." „Das sehe ich anders, Kit. Du redest nicht viel und bleibst meistens total cool, selbst wenn die ganze Familie ausflippt und sich alle anschreien und miteinander streiten." „Es ist ja auch nicht gerade leicht, hier zu Wort zu kommen, Wendy. Ich unterhalte mich viel mit Mom. Sie hat übrigens eine Menge Verständnis für Liebesprobleme. Außerdem stehe ich nicht gern im Mittelpunkt. Die Älteste zu sein ist an sich schon schwer genug, als Erste erwachsen zu werden ist - 66 -
ziemlich mühsam. Man weiß nie, wie die Eltern reagieren werden. Was meinst du denn, warum ich mir solche Sorgen mache, ob Mom und Dad David mögen?" „Aber du hast ihnen doch schon viele deiner Freunde vorgestellt, Kit." „Mit David ist das etwas anderes." Kit stellte den letzten Teller in die Geschirrspülmaschine und machte sie zu. Dann stellte sie das Programm ein. „Ich hatte ja keine Ahnung", sagte Wendy und überdachte die erstaunlichen Geständnisse ihrer Schwester noch einmal, „bisher hatte ich einfach angenommen, daß du eben ganz anders bist als Rick und Mitch und ich." „Ihr drei steht euch ja auch näher, und das nicht nur vom Alter her. Manchmal war ich richtig neidisch auf euch. Besonders auf dich und auf Mitch. Vermutlich haben uns fünf Jahre Vorsprung einfach daran gehindert, richtige Freundinnen zu werden. Ich ging schon in den Kindergarten, als du noch ein Baby warst, und dein Vorhandensein machte mir das Leben nicht gerade leichter. Außerdem wohnten wir damals, im Gegensatz zu heute, mitten in der Stadt." „Darüber habe ich noch nie nachgedacht, Kit", sagte Wendy verblüfft, „du meine Güte, ich kenne also nicht einmal meine eigene Schwester." „Stimmt. Und genauso wenig weißt du über Peggy Price", erwiderte Kit und stellte die Streuer mit Salz und Pfeffer und die Zuckerdose auf den Tisch. „Mir reicht's zu wissen, daß Peggy einfach alles besitzt." „Bist du da wirklich so sicher?" Das Telefon klingelte. David war am Apparat und beendete somit die Unterhaltung der beiden Schwestern. Wendy ging ins Wohnzimmer und nahm sich vor, von nun an öfter mit Kit zu reden, um sie besser kennenzulernen, natürlich vorausgesetzt, daß Kit nicht bald heiratete und auszog. Andererseits hatte Wendy das Gefühl, daß genau dies ziemlich bald geschehen würde. Sie nahm sich eine Zeitschrift vom Tisch und setzte sich auf - 67 -
das beigefarbene Kordsofa. Lustlos blätterte sie in dem Magazin, ohne die Fotos oder den Text wirklich wahrzunehmen. Nebenan sahen ihre Eltern fern. Abwesend lauschte sie dem Wetterbericht, der ein Ende der Hitzewelle voraussagte. Ob Kit wohl recht hat? überlegte Wendy. Sollte ich versuchen, Peggy Price kennenzulernen? Aber wie denn nur? Man kann doch nicht einfach einen Filmstar ansprechen und sagen, ,Laß uns Freunde sein!', oder? Am Freitag war es wesentlich kühler. Schon um neun Uhr morgens hatten sich Grüppchen von Reitern sowohl für den Vormittag als auch für den Nachmittag angemeldet. Dave und Wendy hatten beide soviel zu tun, daß ihnen kaum Zeit blieb, ein Wort miteinander zu wechseln, und Wendy schob den Gedanken an Peggy Price erstmal beiseite. Sie warf nur ab und zu einen Blick auf den Filmstar im Übungsring, während sie die Pferde sattelte, mit ihren Kunden ausritt, sie zurückführte und dann schnell frische Pferde für die nächste Gruppe fertigmachte. Wendy sah sich den Plan neben dem Stalltelefon an. Zeit: Halb zwölf. Name des Kunden: Brooks. Anzahl der Personen: Zwei. Reiterfahrung: keine. Brooks ist ja ein weit verbreiteter Name, dachte Wendy, während sie Nutmeg aus ihrer Box holte. Sie wußte, daß Ellen und Lindsay nur sehr ungern ritten. Und sie fand die Konkurrenz mit Peggy schon nervend genug. Da brauchten sich nicht auch noch diese beiden Mädchen einzumischen. Als Wendy um halb zwölf aus dem Stall kam, fuhr ein brauner VW Transit auf den Parkplatz. Ellen Wilberts und Lindsay Brooks stiegen aus. Sie trugen nagelneue Jeans und auffallend rot-weiß gestreifte T-Shirts. Ellen klimperte lässig mit den Wagenschlüsseln, damit niemand übersehen konnte, daß sie schon den Führerschein hatte. - 68 -
Ich werde mir von meinem ersten Lohn neue Jeans anschaffen, schwor sich Wendy im stillen und hoffte, daß sie in ihren alten Jeans und dem blauen Hemd nicht vergammelt, sondern wie eine Mitarbeiterin der Ranch wirkte. „Hallo Wendy", rief Ellen. „willst du heute auch reiten?" Ehe Wendy noch antworten konnte, ergriff Lindsay Ellens Arm und drehte sie herum. „Weißt du, wer das ist?" fragte sie und zeigte auf den Ring. „Die sieht ja aus wie Peggy Price! Ob sie es wirklich ist? Tatsächlich? Wow! In ihrem letzten Film hat sie Mick Carfield geküßt! Stell' dir das bloß mal vor!" Lindsay fragte Wendy: „Glaubst du, daß das wirklich Peggy Price ist? Du kennst doch den Typ da drüben, oder? Frag' ihn mal. Ich muß es unbedingt wissen." Wendy fand das Getue der zwei zwar reichlich übertrieben, antwortete aber geduldig: „Sie ist es. Für ihren nächsten Film muß sie reiten lernen und nimmt deshalb hier Stunden." „Im Ernst? Können wir ein Autogramm von ihr kriegen?" fragte Ellen aufgeregt. „Erst nach ihrem Unterricht." „Wollt ihr nicht losreiten?" erkundigte sich Old John und führte Nutmeg und Ivory aus dem Stall, „ich habe Mariah für dich gesattelt, Wendy." „Ist das der Führer, der mit uns reitet?" flüsterte Ellen.. „ich hatte gehofft, daß..." Sie sah zu Dave hinüber. „Ich werde euch begleiten", erwiderte Wendy kühl, „dazu bin ich hier angestellt." „Was? Du? Machst du Witze? Dann mußt du ja Peggy Price bereits kennengelernt haben", sagte Lindsay verblüfft. „Wie ist sie? Geht der Typ da drüben mit ihr? Spricht sie über ihre Filme?" „Hat sie Mick Carfield erwähnt?" fragte Ellen. „Ich kenne sie nicht näher, und soweit ich weiß, geht sie mit niemandem." Wendy setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich in Mariahs Sattel. - 69 -
„Aber ich glaube, daß ich jetzt lieber Peggy Price zusehen werde als selbst auszureiten", meinte Lindsay. „Zuschauer sind nicht erwünscht", sagte Old John, „also los, meine Damen. Wollt ihr nun reiten oder nicht? Eure Zeit läuft von dem Moment an, in dem ich die Pferde aus dem Stall führe." Mariah stampfte ungeduldig und warf den Kopf hoch. Ellen und Lindsay sahen sich an. „Wann ist sie denn fertig?" erkundigte sich Ellen. „Das ist jeden Tag verschieden", erwiderte Wendy, die allmählich die Geduld verlor. Können die nicht mal über etwas anderes reden? dachte sie wütend, muß es immer Peggy Price sein? „Außerdem ist es völlig egal", meinte Old John ungnädig, „wir würden euch Mädchen sowieso nicht gestatten, unsere besten Kunden zu belästigen." „Altes Ekel", murmelte Ellen. Wendy lächelte und sah den Alten an. Er zwinkerte ihr verschmitzt zu. Schließlich saßen die beiden Mädchen auf. Wendy hielt ihren üblichen kleinen Vortrag, dann waren sie unterwegs zu ihrem einstündigen Ausritt. Als sie zurückkamen, waren Peggy und Dave verschwunden. „Wetten, daß der Alte dabei seine Finger im Spiel hatte?" meckerte Lindsay. „Vielleicht ist sie mit dem Typ essen gegangen. Wie heißt er eigentlich, Wendy?" wollte Ellen wissen. „Dave", antwortete Wendy, die auch gerade überlegte, ob Peggy und Dave sich wohl verabredet hatten. Ellen und Lindsay stiegen ab und übergaben Wendy die Zügel ihrer Pferde. „Scheußlich, ich rieche ja nach Pferd", sagte Ellen und wischte sich die Hände an ihren Jeans ab. „Weißt du, Wendy, ich kann gut verstehen, warum du hier arbeiten wolltest, aber ich glaube nicht, daß ich den Gestank aushalten würde. Mir wird ganz schlecht davon." - 70 -
„Die Pferde mögen den Geruch von Menschen auch nicht besonders gern", meinte Old John, während er Nutmeg und Ivory abholte. Ellen starrte ihn wütend an, aber er schien es nicht zu bemerken. „Wie hältst du es nur aus, mit dem alten Trottel zusammenzuarbeiten, Wendy? Und daneben zu stehen, während Dave und Peggy Price sich zusammen amüsieren! Ich würde kündigen", sagte Ellen. „Ich auch. Das muß der schlimmste Sommer deines Lebens sein. Arme Wendy." Lindsay lächelte süßlich. „Wir müssen jetzt gehen, besorge uns doch ein paar Autogramme, fallst du kannst." „Vielleicht", erwiderte Wendy. Die beiden Mädchen gingen zum Auto. Sie benahmen sich genauso widerlich wie in der Schule, dachte Wendy, aber das war ja zu erwarten. Während sie Mariah in den Stall führte, tobte sie innerlich. Auf das Mitleid von Ellen und Lindsay verzichtete sie gern. Die beiden platzten jetzt bestimmt vor Schadenfreude, und Wendy wußte nun, warum sie hatten ausreiten wollen. Die müssen irgendwie herausgekriegt haben, daß Dave hier arbeitet, dachte sie, wahrscheinlich haben sie ihn mal den Wagen der Ranch fahren sehen. Und in einem Punkt liegen sie goldrichtig: dieser Sommer ist wirklich nicht mehr das, was er war, bevor Peggy Price hier auftauchte. Wendy erinnerte sich an den Tag, als sie und Dave Ellen und Lindsay bei Smitty's begegnet waren. Es schien Wochen herzusein, nicht erst einige Tage. Damals hatte ich mich mit Dave für Freitagabend verabredet. Das wäre heute, dachte sie. Ob er wohl daran denken wird? Darauf verlassen konnte sie sich wirklich nicht.
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7. KAPITEL Als Wendy nach der Arbeit wegging, war der Wagen der Ranch immer noch nicht wieder zurück. Die Enttäuschung schnürte ihr fast den Hals zu. Sicher, Old John zeigte sein Mitgefühl, und Kit hatte jede Menge unbrauchbare Ratschläge zur Hand, aber weder das eine noch das andere konnten Wendy darüber hinwegtrösten, daß sie von Dave so schnell fallengelassen worden war. Nicht einmal die Tatsache, daß sie ihren ersten Lohn in der Tasche hatte, machte es ihr leichter, diesen Schmerz zu ertragen. Zu Hause knallte Wendy die Tür hinter sich zu. Ein großer Topf mit dampfendem Chili kochte auf dem Herd leise vor sich hin. Normalerweise hätte der appetitanregende Duft sie sofort hungrig gemacht, aber heute war ihr alles egal. Offenbar war noch niemand zu Hause, Wendy vermutete, daß ihre Mutter bis zur letzten Minute hinter ihrer Töpferscheibe saß. Ich werde bestimmt nicht den ganzen Abend hier herumsitzen und mich selbst bemitleiden, dachte Wendy trotzig. Aber was kann ich denn sonst tun? Sie überlegte eine Weile, ohne daß ihr etwas einfiel und beschloß dann, ihren Schrank aufzuräumen. Als sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer am Telefon vorbeikam, begann es schrill zu klingeln. Sie zuckte zusammen und nahm den Hörer ab, bevor es ihr noch einen solchen Schreck einjagen konnte. „Hallo?" „Hallo. Wendy?" „Ja." „Hier Dave. Ich schaffe es nicht vor halb acht. Ist dir das recht?" „Halb acht?" Wendys Puls raste. Meinte er etwa, daß...? - 72 -
„Sag' bloß, du hast unsere Verabredung vergessen! Du hast mich eingeladen, erinnerst du dich?" Wendy mußte lächeln. „Okay, Dave. Ich rufe an und ändere unsere Tischbestellung. „Was? Bei Smitty's kann man doch gar keinen Tisch vorbestellen, oder?" „Ach so, Smitty's. Ich dachte, ich hätte dich zum Essen ins Hotel Ritz eingeladen." „Ha, ha. Paßt dir halb acht, Wendy?" „Klar. Wir haben genug Zeit, bevor der Film anfängt." „Okay. Bis nachher." Dave legte auf. Wendy tanzte ausgelassen in der Küche herum. Dann überlegte sie laut: Was soll ich bloß anziehen? Vielleicht die knallengen weißen Jeans? Oder lieber den witzigen JeansMinirock und dazu das hellblaue, ärmellose Sweatshirt? Aber falls es kühl wird, brauche ich einen passenden Pullover. Habe ich sowas? Ich glaube nicht. „Mit wem redest du?" fragte ihre Mutter. Sie war durch die Hintertür hereingekommen und trug einen blauen Keramiktopf in der Hand. „Mit mir selbst, Mom. Ich bleibe heute nicht zum Abendbrot. Dave und ich wollen essen gehen und danach ins Kino." „Oh! Hat er dich eben gerade eingeladen?" „Na ja, eigentlich eher ich ihn." Hat das etwas zu bedeuten? fragte sich Wendy nervös. Macht es einen Untershied? Ob er wohl auch mit mir hätte ausgehen wollen, wenn ich ihn nicnt eingeladen hätte? Hätte er mich dann selbst gefragt? „Nett von dir", meinte ihre Mutter, „das ist auch nur fair. Dave hat dich doch neulich zum Mittagessen eingeladen, oder?" „Ja." Und ein paar Tage später hat er mittags nach mir gesucht, dachte Wendy, und ihre Laune stieg wieder. Ihre Mutter stellte den Keramiktopf auf den Tisch. „Der ist viel zu schade, um ihn zu verkaufen, findest du - 73 -
nicht auch, Wendy?" „Stimmt. Aber was wird Dad dazu sagen?" „Solange es keine alten Tonscherben sind", erwiderte ihre Mutter lachend, die eine leidenschaftliche Sammlerin antiker Tongefäße war, „hat er nichts dagegen. Der Topf nimmt auch nicht viel Platz weg. Außerdem verliebe ich mich ja nicht sehr oft in eins meiner Produkte abgesehen von euch Kindern natürlich." Sie lächelte erneut und zwinkerte Wendy zu. „Und dabei sehe ich nicht einmal wie ein alter Topf aus, Mom." „Keiner von euch ist perfekt", antwortete ihre Mutter und nahm sie in die Arme, „aber ich liebe euch trotzdem." „Ich muß mich jetzt umziehen", sagte Wendy und überlegte, daß sie mit ihren Eltern wirklich Glück gehabt hatte, „Dave holt mich um halb acht ab." „Dann hast du ja noch gut zwei Stunden Zeit." „Mom! Ich muß doch erstmal entscheiden, was ich tragen will." „Wie wär's mit dem blauen Minirock?" „Daran hatte ich auch schon gedacht. Und dazu mein hellblaues Sweat-shirt ohne Ärmel und die weißen BallerinaSchuhe. Aber ich habe keinen passenden Pullover. Das Kino hat eine Klimaanlage, und nachts wird es manchmal ziemlich kühl." „Nimm doch einfach den weißen Schal, den deine Großmutter mir gehäkelt hat. Er paßt eigentlich zu allem." „Ist er nicht ein bißchen zu altmodisch für mich? Wir gehen schließlich nur zu Smitty's." „Aber nein. Der Schal sieht zu allen Sachen gut aus. Das ist einer der Gründe, weswegen ich ihn so liebe, Kit leiht ihn sich auch andauernd aus." „Vielen Dank, Mom." Wendy fand den Schal viel zu altmodisch. Aber sie wollte ihre Mutter nicht beleidigen und sagte deshalb lieber nichts mehr zu diesem Thema. - 74 -
Wendy holte ihren Jeans-Rock aus dem Schrank. Der knallenge Minirock bildete einen witzigen Kontrast zu dem superweiten, extralangen Sweatshirt. Dann nahm sie ein langes, duftendes Schaumbad und kümmerte sich anschließend um ihre Fingernägel, die bei der Arbeit in den Ställen einiges auszuhalten hatten. Deshalb waren sie auch relativ kurz, aber Wendy schob nun wenigstens die Nagelhäutchen sorgfältig zurück und legte danach zwei Schichten farblosen Nagellack auf. In ihren kuscheligen weißen Bademantel gehüllt, stand sie eine Weile an ihrem Schlafzimmerfenster und blickte an der alten Eiche vorbei auf die bräunlich schimmernden, sanft welligen Hügel in der Ferne. Ein paar Kühe und Pferde grasten auf der Weide unter dem leuchtend roten Abendhimmel. Wendy war sicher, daß sie diese Aussicht aus ihrem Fenster nie langweilig finden würde. Manchmal fragte sie sich, wie es wohl wäre, woanders zu wohnen und nur bis zum Nachbarhaus oder in einen Hinterhof blicken zu können. Allmählich wurde es Zeit zum Umziehen. Auf Strumpfhosen konnte sie bei ihren braungebrannten Beinen wohl verzichten. Sie zog das Sweatshirt und den Rock über, strich ihn über den Hüften glatt, und stellte sich auf Zehenspitzen, um soviel wie möglich von sich in ihrem Frisierspiegel zu sehen. Zufrieden begutachtete Wendy ihr Spiegelbild. Ihr Gesicht glühte. Teilweise lag es an der Aufregung, zum anderen Teil an ihrer Arbeit an der frischen Luft und in der Sonne. Als letztes tauschte sie ihre hufeisenförmigen Ohrringe gegen zierliche silberne Dreiecke aus und legte blaßrosa Lippenstift der Marke Coral Kiss auf. „Du siehst super aus, Wendy Russel", flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu, „den Anblick würde Peggy Price vor Neid erblassen lassen." Komisch, wieso habe ich denn das gesagt? überlegte Wendy. Ich hatte sie doch fast vergessen. Aber nur fast. Dann drapierte sie den Schal um ihre Schultern, nahm ihn - 75 -
aber rasch wieder ab und beschloß schließlich, ihn locker über ihre Schultertasche zu hängen. Für den Fall, daß es wirklich zu kühl wurde. Sorgfältig verstaute sie ihren Wochenlohn in der Tasche. Nun brauchte sie nur noch auf Dave zu warten. Als Wendy in die Küche kam, war die Familie gerade mit dem Abendessen fertig. Mitch ließ einen anerknnenden Pfiff los. „Ich schließe mich deinem Urteil an, Mitch", sagte Wendys Vater schmunzelnd. „Du siehst wundervoll aus", meinte ihre Mutter. „Etwas fehlt noch", fand Kit, „komm mit in mein Zimmer, Wendy." Wendy ging hinter ihrer Schwester her. Wieder stellte sie fest, daß Kits Zimmer, im Gegensatz zu ihrem eigenen, in dem ein absolutes Chaos herrschte, superordentlich war. „Hier, lege dir die um", forderte Kit Wendy auf und reichte ihr ein schmales silbernes Kettchen, „warte, ich mache dir den Verschluß zu. Da, fertig." Wendy schaute in den Spiegel und bewunderte den Halsschmuck. „Du hattest recht, Kit. So ist es erst perfekt. Und was ist mit dir? Ich dachte, daß du heute auch ausgehen wolltest?" „Es bleibt dabei, aber wir fahren erst später los." „Dann kriege ich David also wieder nicht zu sehen." "O doch. Bald wirst du ihn ziemlich häufig treffen." An dem Funkeln in Kits Augen merkte Wendy, daß es ihr mit David wirklich sehr ernst war. Sie wollte Kit gerade fragen, worin sich David denn von den anderen Jungen unterschied, mit denen sie schon ausgegangen war, als Rick sie unterbrach. „Ein Typ für dich! Ein Typ für dich, Wendy", brüllte er, tauchte kurz in Kits Zimmer auf, machte eine Kehrtwendung und rannte die Treppe wieder hinunter. „Dem müßte Mom endlich mal bessere Manieren beibringen", meinte Kit kopfschüttelnd. „Beachte ihn einfach nicht", erwiderte Wendy, „das gibt - 76 -
sich ganz von selbst. Im nächsten Jahr ist er bestimmt schon viel vernünftiger." „Das möchte ich stark bezweifeln. Er ist schließlich unser Nesthäkchen, und wir haben ihn alle viel zu sehr verwöhnt." Wendy hätte sich gern noch länger mit ihrer Schwester unterhalten, aber andererseits wollte sie Dave nicht unnötig warten lassen. Also ging sie nach unten ins Wohnzimmer, wo Dave gerade mit ihren Eltern sprach. Er wirkte eigentlich ganz locker dabei, aber an der Art, wie er mit dem Cowboyhut, den er in den Händen hielt, herumspielte, merkte Wendy, daß er doch wohl ziemlich nervös sein mußte. „Hallo", begrüßte er sie. „Hi, Dave. Wie ich sehe, hast du dich bereits selbst mit Mom und Dad bekannt gemacht." „Ja", sagte ihr Vater, „wir haben uns schon kennengelernt. Dave hat uns eben gesagt, daß Harrison Wright völlig aufgeschmissen wäre, wenn du ihm nicht auf der Ranch helfen würdest." „Da bin ich aber nicht so sicher", meinte Wendy und lächelte Dave zu. „Du siehst gut aus, Wendy", sagte er bewundernd, „bist du startbereit?" „Danke. Ja." „Amüsiert euch gut", rief Wendys Mutter den beiden nach, die schon auf dem Weg zur Haustür waren. „Das werden wir bestimmt", antworteten Wendy und Dave im Chor. Am Horizont war immer noch ein letzter blaß rosa Schimmer des Abendrots zu sehen. Dave setzte seinen Hut auf und drehte sich zu Wendy um. „Na?" fragte er erwartungsvoll. „Na, was denn?" „Gefällt dir mein Hut?" Wendy trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn kritisch. - 77 -
Der Hut bestand aus sehr feinem Strohgeflecht und war wie ein Cowboyhut geschnitten. An der Seite steckte in dem mit grauen und goldenen Fäden bestickten Hutband eine farbenprächtige Feder. Wendy schaute ihn nachdenklich an. „Hm", meinte sie dann gedehnt, „sehr." „Sehr was?" Gern hätte sie gesagt, ich mag dich sehr, traute sich natürlich aber nicht. „Sehr modisch", erwiderte sie stattdessen. „Das soll er wohl! Ich habe heute nachmittag geschlagene zwei Stunden damit verbracht, ihn auszusuchen. Deshalb bin ich so spät dran." „Zwei Stunden! Und die Männer sagen immer, daß Frauen beim Einkaufen zuviel Zeit vertrödeln." „Ich wollte eben dazugehören. Alle Leute hier draußen tragen diese Hüte. Jetzt bin ich einer von ihnen oder sehe wenigstens so aus als ob." „Hast du denn bisher gedacht, daß du nicht zu uns gehörst, Dave?" fragte Wendy sehr überrascht. „Eigentlich ja. Jetzt erst habe ich das Gefühl, daß ich bei euch im Westen Fuß gefaßt habe." Dave lächelte zu ihr herab und sah aus, als sei ihm das Ganze etwas peinlich. „Okay, und nun sind Sie ein echter Cowboy, Sir", gab Wendy zurück. „Vielen Dank, Ma'am." sagte Dave. Er öffnete die Beifahrertür des Kleinlasters und half Wendy beim Einsteigen. Dann lief er um den Wagen herum und setzte sich ans Steuer. „Hast du meinem Vater wirklich erzählt, daß dein Onkel gesagt hätte, ich würde ihm helfen, die Ranch zu führen, Dave?" „Na klar. Mein Onkel hält große Stücke auf dich wie wir alle." Und was denkst du persönlich? hätte Wendy gern gefragt. Was würdest du wohl antworten, wenn ich mutig genug wäre, dich zu fragen? dachte sie, wußte aber, daß sie es nicht tun würde. - 78 -
Während Dave auf eine Lücke im Verkehr wartete, um in die Hauptstraße einbiegen zu können, gingen Wendy seine Worte über den Hutkauf durch den Kopf. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, daß er sich tatsächlich fehl am Platze vorkommen könnte. Er wirkte immer so selbstbewußt. Genau wie Kit. Vermutlich weiß man wirklich nie, was in anderen Menschen vorgeht, dachte sie. Einen Moment lang sah sie Peggy Price vor sich, wie sie im Übrungsring gestanden und auf den Boden gestarrt hatte. Aber das war doch etwas ganz anderes, dachte sie gleich darauf und ärgerte sich darüber, daß sie sich mit solchen Gedanken selbst diesen schönen Abend verdarb. Filmstars besitzen garantiert viel Selbstvertrauen, überlegte sie weiter. Sie stehen im Rampenlicht. Wenn sie es nicht hätten, wären sie keine Stars. Dann versuchte sie, die Gedanken an Peggy so weit wie möglich in den Hintergrund zu drängen. „Einen Penny für deine Gedanken", sagte Dave. „Sie sind nicht zu verkaufen", antwortete Wendy. „Hm. Du bist also eine zurückhaltende Person. Genau wie Peggy. Sie versteckt ihre Gefühle hinter ihrer Schauspielerei. Das macht sie ganz gut, aber nicht völlig überzeugend. In der Hinsicht erinnert sie mich an ein Mädchen, mit dem ich zu Hause mal gegangen bin." Bis zu diesem Moment hatte Wendy ganz vergessen, daß Dave früher in Michigan gelebt und dort bestimmt viele Mädchen kennengelernt hatte. Jetzt grübelte sie über diese vielen unbekannten Konkurrentinnen nach. Wie sie wohl heißen? Ob er mal eine feste Freundin gehabt hat? Sie starrte ihn von der Seite her an. Dave bog in die Hauptstraße ein. Sein Gesichtsausdruck verriet Wendy absolut nichts. Sie wandte sich ab, guckte aus dem Fenster und seufzte. Hoffentlich diskutieren wir nicht den ganzen Abend über Peggy und ihre Probleme, dachte sie. „Sieht so aus, als ob die meisten Leute aus der Umgebung - 79 -
heute abend auf dem Weg in die Stadt wären", bemerkte Dave und drehte das Radio leise. „Welcher Film läuft denn eigentlich, Dave? Ich habe nicht einmal nachgesehen. Hoffentlich ist es ein guter." „Keine Ahnung", antwortete Dave, „aber ich fänd's toll, wenn sie zufällig einen Film mit Peggy Price zeigen würden." „Sehr toll", murmelte Wendy. Ihre anfängliche Hochstimmung ließ schon merklich nach. „Ich bin am Verhungern", klagte Dave, „gibt's bei Smitty's immer noch diese phantastische hausgemachte Gemüsesuppe?" „Ich weiß nicht, ob sie heute abend ausgerechnt die Gemüsesuppe anbieten, aber sie machen dort alle Suppen und auch die Pasteten selbst. Weißt du was?" "Na?" „Na,was denn." „Du hast mich angesteckt. Jetzt werde ich auch hungrig." „Dann sollten wir uns besser beeilen." Dave gab etwas mehr Gas. Eine Weile lang waren nur das Surren der Reifen auf dem Asphalt, der Motor und der Fahrtwind zu hören. Gemüsesuppe ist nicht gerade ein romantisches Thema, dachte Wendy. Einerseits bin ich ja froh, daß das Zusammensein mit Dave so zwanglos und locker ist, aber andererseits wünschte ich manchmal doch, daß er über etwas anderes als Suppe oder Peggy Price reden würde. Nur war sie sich nicht ganz sicher, was ihr eigentlich lieber gewesen wäre. Sie seufzte leise. Schade, daß sie nicht mehr Erfahrungen mit Jungen hatte. Bei Smitty's war es so voll wie üblich. „Möchten Sie am Tresen Platz nehmen?" fragte die dunkelhaarige Serviererin, als Dave und Wendy des Restaurant betraten. „Nein", antworteten sie wie aus einem Munde und mußten - 80 -
daraufhin schrecklich lachen. „Zwei Leute, ein Gedanke", meinte Dave. „Dann müssen Sie sich etwa eine Viertelstunde gedulden", sagte die Bedienung. „Das macht nichts", erwiderte Wendy, obwohl ihr der verführerische Essensduft in die Nase stieg und ihr Magen vor Hunger knurrte. Sie stellten sich in eine Ecke und warteten. „Komisch, ich weiß nicht, woran es liegt, an der Serviererin oder der Beleuchtung oder was immer, aber jedenfalls kommt mir Smitty's am Abend ganz anders vor als am Tag, Wendy." „Ist mir auch aufgefallen. Vielleicht sind's die Kerzen", vermutete sie. „Könnte sein", stimmte Dave ihr zu und grinste. Wendy hatte ihre Bemerkung ganz ernst gemeint und fragte sich nun, was er daran wohl so witzig fand. Schließlich tauchte die Serviererin wieder auf und führte sie zu einem Zweiertisch. Dann brachte sie die Speisekarten und zündete die rote Kerze an, die in einer kleinen Glasampel auf dem Tisch stand. Dave schlug seine Speisekarte auf und sagte: „Du brauchst das Essen aber nicht unbedingt zu bezahlen, Wendy." „Was soll denn das heißen? Natürlich bezahle ich. Beim nächstenmal bist du wieder dran, und vielleicht gebe ich mich dann nicht mit Smitty's zufrieden!" Wendy heftete ihren Blick auf die Speisekarte und drückte sich selbst die Daumen, daß es ein nächstes Mal geben würde. Hoffentlich würde Peggy ihr keinen Strich durch die Rechnung machen. „Wendy, wir haben uns doch für irgendwann nächste Woche zum Schwimmen in dem kleinen Teich verabredet, weißt du noch?" „Stimmt." Lächelnd sah Wendy ihn an. „Wir müssen das vermutlich noch ein Weilchen verschieben. Wir könnten stattdessen den Swimming Pool auf der Ranch nehmen." „Wieso denn?" Ehe sie sich's versah, hatte Wendy die Frage - 81 -
schon gesteilt, obwohl sie ungefähr ahnte, wie die Antwort lauten würde. „Wegen Peggy", erklärte Dave, „ich muß unbedingt mehr mit ihr üben. Sie macht zwar Fortschritte, aber viel zu langsam. Ich wäre froh, wenn sie sich endlich mal beim Reiten entspannen würde. Ihr Sitz ist immer noch ganz verkrampft. Und Star merkt natürlich, daß sie viel zu angespannt ist. Wenn sie so weitermacht, schaffen wir es nicht in sechs Wochen, fürchte ich." Gern hätte Wendy ihn jetzt sagen hören, daß er den Unterricht aufgeben würde, oder daß er zumindest in anderes Pferd nehmen wollte. Sie starrte auf ihre Speisekart, als wäre sie der neueste Bestseller. „Okay, okay." „Was ist okay, Dave?" „Ich hör' schon auf, über meine Arbeit zu reden." „Aber..." „Du hast es satt, dir meine Probleme mit Peggy anzuhören, das habe ich inzwischen mitgekriegt. Ich kann's dir nicht verdenken, Wendy. Deine Hilfe neulich hat mich schon ziemlich weitergebracht. Aber eigentlich müßte es mir gelingen, mit ihr noch schnellere Fortschritte zu machen, aber ich komme einfach nicht voran. Manchmal denke ich, daß Peggy viel mehr lernen würde, wenn ihr Agent, dieser Mr. Matthews, und ihre Mutter mal nicht daneben stehen würden. Die beiden kleben am Zaun und überschütten sie mit Anweisungen, Kommentaren und Kritik. Die arme Peggy ist vermutlich schon ganz durcheinander." „Kannst du die zwei nicht bitten, mal wegzugehen?" „Ich glaube kaum, daß Onkel Harry damit einverstanden wäre." „Vermutlich hast du recht." Fast hätte Wendy erneut laut geseufzt, aber diesmal konnte sie sich gerade noch zurückhalten. Dann kam die Serviererin und nahm die Bestellung auf inklusive Gemüsesuppe nach Art des Hauses. „Du hast es gut", meinte Dave. „Ich? Wie kommst du darauf?" - 82 -
„Du hast eine nette Familie und viele Freunde. Und du weißt genau, welche Dinge du gern tust oder magst." „Meine Familie ist okay, das stimmt. Aber Gaby, meine beste Freundin, bleibt den ganzen Sommer über weg, und zwischen wissen, was man will und es auch bekommen, besteht ein Riesenunterschied." Wendy fragte sich, ob Dave wohl erraten hatte, daß sie ihn damit meinte. Bloß nicht rot werden, dachte sie, bitte nicht rot werden! Dave streckte seinen Arm über den Tisch und nahm ihre Hand. Sie zuckte fast zusammen, als seine große Hand ihre kleine umfaßte, und sie bemühte sich dann, ihre Hand stillzuhalten. „Ich hab's auch gut', fuhr er fort, „bsonders in diesem Sommer." Wendy fiel absolut keine Antwort darauf ein, aber sie begann unwillkürlich zu lächeln. Dave drückte noch einmal kurz ihre Hand und ließ sie dann wieder los. „Weißt du wer mir leid tut?" fragte er. „Peggy." „Wie bitte? Du hast Mitleid mit Peggy, Dave? Warum denn das? Sie hat doch alles, was man sich wünschen kann, oder sie könnte es wenigstens kriegen, wenn sie wollte." „Das dachte ich zu Anfang natürlich auch. Aber ich glaube, ihr fehlen zwei wichtige Dinge: Zeit und Freunde." Wendy sah ihn verwirrt an. „Also, ich will damit sagen, daß ich durch die Beobachtung dessen, was sich so täglich zwischen Peggy und ihrer Mutter abspielt, das Gefühl bekommen habe, daß Peggys Leben ganz und gar von anderen Leuten bestimmt wird. Die planen jeden ihrer Schritte im voraus. Kannst du dir vorstellen, wie das ist, Wendy?" Wendy überlegte eine Weile und kam dann zu dem Schluß, daß sie sich ein solches Leben nicht vorstellen konnte. Aber woher weiß Dave, wie ihr Leben wirklich ist? dachte sie. Wieso ist er sich so sicher? Hat Peggy ihm Einzelheiten erzählt? Oder bildet er sich nur ein, sie wäre ein armes kleines reiches Mädchen? - 83 -
Dann kam das Essen, und sie ließen endlich das Thema Peggy Price fallen. Der Film fing gerade an, als sie das Kino betraten. Es war ein Science Fiction Thriller. Obwohl die Vorstellung fast ausverkauft war, fanden sie zwei nebeneinanderliegende freie Plätze am Gang. Die Sitze knarrten laut, als sie sich setzten, und Wendy hatte das Gefühl, daß sich alle Leute nach ihnen umdrehten. „Möchtest du Popcorn oder was zu trinken?" fragte Dave. „Nein danke, ich bin viel zu satt." „Geht mir genauso." Dave ergriff ihre Hand und legte seinen anderen Arm um ihre Schultern. Seine Hand fühlte sich ziemlich warm an, und Wendy betete, daß ihre nicht zu feucht oder zu kalt war. Sie spürte Daves Nähe und achtete wesentlich mehr auf ihn als auf den Film. Während Außerirdische die Erde eroberten, Planeten explodierten und Raumschiffe fliegende Untertassen jagten, betrachtete Wendy Daves kantiges Kinn und überlegte, welches Aftershave er wohl benutzte. Sie genoß es einfach, mit ihm im Kino zu sitzen, auch wenn sie nicht alles von dem Film mitkriegte. Viel zu schnell war die Vorstellung zu Ende. „Los, laß uns rasch verschwinden", flüsterte Dave, während der Nachspann noch lief. Auf dem Weg zum Ausgang legte er ihr wieder seinen Arm um die Schultern. Es war eine klare, milde Sommernacht. Tausende von Sternen funkelten am Himmel. Draußen ließ Wendy ihre Hand in Daves ausgestreckte Rechte gleiten und wünschte, daß der Weg zum Wagen ewig dauern würde. Die Straße entlang wälzten sich Autoschlangen, auf dem Bürgersteig genossen Familien, Teenager und ältere Ehepaare den lauen Sommerabend. Natürlich erreichten Dave und Wendy den Parkplatz viel eher, als sie gehofft hatte. Dave öffnete ihr die Beifahrertür und lief dann um den Wagen herum auf seine Seite. Er ließ den - 84 -
Motor an, manövrierte das Auto aus der Parklücke und reihte sich in die Schlange ein. Erst als sie in die Nebenstraße zur Ranch abgebogen waren, hatten sie die Straße endlich für sich allein. Trotzdem fuhr Dave weiterhin langsam. Zufrieden kuschelte sich Wendy in ihren Sitz. Der Lärm und die Lichter der Stadt blieben hinter ihnen zurück, bald hörten sie nur noch die Fahrgeräusche des Wagens, der die kurvenreiche, leicht hügelige Straße langsam entlangzockelte. Wendy stellte sich vor, wie komisch sie es damals, in jenem ersten Sommer mit Dave, gefunden hätte, wenn ihr jemand prophezeit hätte, daß sie später mal mit ihm ausgehen würde. Oder daß sie sich jemals wünschen könnte, mehr als eine Froschfarm mit ihm gemeinsam zu haben, geschweige denn davon zu träumen, daß er sie in die Arme nehmen und küssen würde. Sie sah zu ihm hinüber und überlegte, ob er wohl ähnliche Gedanken hatte. Ob er mich küssen wird? fragte sie sich. Sie betrachtete sein männliches Profil, das von der Armaturenbeleuchtung sanft angestrahlt wurde. „Da wären wir", sagte er, als sie in die Einfahrt der Russells einbogen. Er hielt an, machte den Motor und die Scheinwerfer aus und schaute Wendy an: „Ich hoffe, daß wir bald wieder zusammen weggehen können." „Ich auch", antwortete Wendy. Plötzlich wußte sie nicht mehr, was sie sagen sollte und überlegte, wann „bald wieder" sein würde. Besonders, weil er ja gerade die Verabredung am Teich verschoben hatte. Dave stieg aus und ging um den Wagen herum auf ihre Seite. Er reichte ihr die Hand und half ihr, die hohe Stufe vom Führerhaus herunterzusteigen. Dann ließ er sie aber nicht los, sondern zog sie sanft an sich und legte beide Arme um sie. Wendy blickte zu ihm hoch. Eine Haarsträhne hing ihm in die Stirn, so daß er ganz lässig und entspannt wirkte. Im milden Mondlicht konnte sie jede Einzelheit in seinem Gesicht erkennen. Dave sah sie lange an, dann senkte er seinen Kopf und küßte - 85 -
sie auf die Stirn, legte seine Hand unter ihr Kinn, hob es an und küßte sie sanft auf die Lippen. „Bis morgen", sagte er schließlich mit leiser, rauher Stimme. Hand in Hand gingen sie auf die Haustür zu. Dort drehte sich Wendy zu ihm um. „Gute Nacht, Dave." Er drückte noch einmal ihre Hand. „Gute Nacht, Wendy." Sie lauschte seinen Schritten, als er zum Wagen zurücklief. Der Motor wurde angelassen, die Scheinwerfer leuchteten auf. Erst als sie die Rücklichter nicht mehr sehen konnte, ging Wendy ins Haus. Sie hatte Peggy vollständig vergessen. Drinnen knipste sie die Außenbeleuchtung aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Ich mag Dave, dachte sie. Nein, ich glaube, ich liebe ihn. Sie berührte ihre Lippen mit den Fingern und lächelte bei der Erinnerung an seinen zärtlichen Gutenachtkuß. Dann ging sie zum Wohnzimmer, aus dem Stimmengemurmel drang.
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8. KAPITEL „Da bist du ja", begrüßte sie ihr Vater, als Wendy in der Tür stehenblieb. Sie sah sich erstmal um. Ihre Eltern saßen in den Sesseln, während Kit und ein junger Mann mit lockigem rötlichen Haar auf der Couch Platz genommen hatten. Die beiden hielten sich an den Händen und wirkten sehr glücklich. „Komm her, damit ich dir David vorstellen kann", forderte Kit sie strahlend auf. Wendy trat neben den Sessel ihrer Mutter und setzte sich auf die Armlehne. Ihre Mutter rutschte beiseite. „Setz dich doch hier hin", sagte sie. Wendy zwängte sich neben sie. Kit sah aus, als würde sie gleich explodieren vor Glück. So temperamentvoll wie an diesem Tag hatte Wendy sie noch nie erlebt. „Ich möchte dir eine großartige Neuigkeit mitteilen", verkündete Kit, „David hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten möchte, und ich habe ja gesagt." „Meiner Ansicht nach war es genau umgekehrt", meinte David mit seiner tiefen Stimme, deren Klang Wendy auf Anhieb gefiel, „hast du nicht mich gefragt, und ich sagte ja, Kit?" Kit gab ihm einen liebevollen Rippenstoß und meinte, „Na gut, dann haben wir uns eben gemeinsam dazu entschlossen, zu heiraten." „Wann?" fragte Wendy, „ich meine, an welchem Tag soll die Trauung sein?" „Das steht noch nicht fest", antwortete Kit. „Ich habe bisher nicht einmal einen Ring besorgt", sagte David, „das werden wir als nächstes erledigen. Ich muß doch sichergehen, daß mir niemand deine Schwester vor der Nase wegschnappt." - 87 -
Er legte seinen Arm um Kit und zog sie näher zu sich heran. Wendy hörte ihre Mutter leise seufzen. „Vermutlich muß ich mit meinem Boß über ein Darlehen verhandeln", überlegte Wendys Vater, „Hochzeiten sind heutzutage ganz schön teuer." „Dad", protestierte Wendy, „du solltest jetzt doch nicht über solche profanen Dinge nachdenken. Eigentlich müßtest du überglücklich sein und David dazu beglückwünschen, daß er so einen guten Geschmack bewiesen hat." Lächelnd erwiderte ihr Vater: „Ich mache doch nur Witze. Natürlich weiß ich, wie gut David gewählt hat." „Wissen die Jungen es schon?" fragte Wendy. „Nein, ich sag's ihnen morgen früh. Rick liegt bereits im Bett, und Mitch übernachtet bei einem Freund", antwortete Kit. „Ich muß mich jetzt verabschieden, so ungern ich euch auch verlasse", sagte David, „aber schließlich ist mein Heimweg ziemlich lang." Er stand auf, und Wendy stellte fest, daß er sehr groß war, ein ganzes Stück größer als ihr Vater. David schüttelte ihren Eltern die Hand, dann wandte er sich an Wendy. „Wie schön, daß ich dich heute noch kennengelernt habe, Wendy. Wir werden uns in Zukunft sicher häufiger sehen." „Ich bringe dich zur Tür, David", meinte Kit. Wendys Mutter seufzte wieder und schniefte ein bißchen, als die beiden das Zimmer verlassen hatten. Wendy sah sie erstaunt an. „Weinst du. etwa, Mom? Was ist denn los?" „Ach, es sind nur Glückstränen, Wendy." „Deine Mutter ist romantisch", sagte ihr Vater, „paß auf, morgen früh wird sie bereits bis über beide Ohren in Plänen für das große Ereignis stecken." „Ich kann gar nicht glauben, daß meine Kinder jetzt schon erwachsen werden", sagte seine Frau nachdenklich und putzte sich entschlossen die Nase. - 88 -
„Keine Sorge, Mom. Ich werde noch nicht so bald heiraten", beruhigte Wendy sie. „Noch nicht?" Ihr Vater zog fragend die Augenbrauen hoch. „Ach, du weißt doch, was ich meine", erwiderte Wendy und wurde mal wieder rot. In diesem Moment kam Kit zurück. „Mir fiel gerade wieder ein, daß du heute ja mit Dave aus warst. Habt ihr euch gut amüsiert?" „Ja, aber ich beantworte keine weiteren Fragen", erwiderte Wendy trotzig und stand auf. „Ich glaube, wir brauchen auch nicht tiefer zu bohren", zog ihr Vater sie auf. „Paß nur auf, daß es nicht zu ernst wird. Du bist noch viel zu jung für so etwas." „Laß sie in Ruhe, Dad", sagte Kit. „Eine verliebte Tochter zur Zeit reicht mir", antwortete er brummend. Wendy ging zur Tür. Sie wußte, daß ihr Gesicht inzwischen leuchtete wie eine Tomate und hoffte inständig, daß er mit seinem Gerede aufhörte. „Du weißt genau, daß du das nicht so meinst", sagte Wendys Mutter zu ihrem Mann, „gerade du müßtest dir darüber im klaren sein, daß man die Liebe nicht planen kann. Schließlich haben alle deine Brüder und du selbst jeweils im Abstand von nur sechs Monaten geheiratet." „Hm", knurrte ihr Mann, „ihr Frauen habt wirklich ein gutes Gedächtnis." . Dann sah er Wendy an, die schon in der Tür stand und sich umgedreht hatte, um gute Nacht zu sagen. „Laß dir nur genug Zeit", meinte er zu ihr. „Keine Angst, Dad", antwortete Wendy. Sie schaute ihre Schwester an, die auf dem Sofa saß und immer noch unglaublich glücklich aussah. „Das war eine wunderbare Neuigkeit, Kit." „Du mußt mir beim Pläne machen helfen, Wendy. Oh, ich bin ganz durcheinander vor Glück." „Wir auch", sagte ihre Mutter, „so glücklich!" Und sie begann, erneut zu weinen. - 89 -
„Ich gehe jetzt zu Bett", meinte Wendy, die es eilig hatte, dieser gefühlsbeladenen Atmosphäre zu entkommen. „Schlaf gut", schniefte ihre Mutter. „Bis morgen", sagte Kit. „Gute Nacht, Darling", meinte ihr Vater. Wendy wußte, daß er sie beobachtete und fragte sie, ob er wohl bemerkt hatte, daß es für seine Ratschläge schon zu spät war. Sie war unwiderruflich in Dave verliebt. Dagegen konnte sie nichts mehr tun. Genau wie Mom gesagt hat, dachte sie, Liebe läßt sich nicht planen. In ihrem Zimmer ließ sich Wendy erschöpft aufs Bett fallen und ging in Gedanken noch einmal den ganzen Abend durch, selbst die Unterhaltung mit Dave über Peggy. Aber nachher hat er mich geküßt, dachte sie. Wann wir wohl wieder zusammen ausgehen? Sie sprang auf, ging zum Frisiertisch und nahm den angefangenen Brief an Gaby in die Hand. „Ich will jeden Tag ein bißchen weiterschreiben", teilte sie ihrem Spiegelbild mit, „und ich werde darauf hoffen, daß der Brief ein Happy End bekommt." Dann holte sie einen Kugelschreiber, ging zu Bett und begann eine neue Seite. Gerade war sie mit ihrer Beschreibung der Ausritte mit den verschiedenen Kunden fertig und wollte damit anfangen, von der Verabredung mit Dave zu erzählen, als jemand an ihre Tür klopfte. „Herein!" rief sie und legte Papier und Stift beiseite. „Ich bin's nur", sagte Kit und steckte ihren Kopf durch den Türspalt. „Setz dich", forderte Wendy sie auf und klopfte einladend auf ihre Bettdecke. „Was hältst du von David?" fragte Kit und ließ sich aufs Bett fallen.
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„Er gefällt mir, und er sieht gut aus, finde ich. Aber viel mehr kann ich natürlich nicht sagen, nachdem ich ihn nur ein paar Minuten gesehen habe." „Er ist ein wunderbarer Mensch, Wendy." „Das stimmt vermutlich, denn ich habe dich noch nie in so kurzer Zeit soviel reden hören, Kit." „Wir wollen Ringe kaufen gehen. Aber ich möchte nichts Auffallendes. Lieber ganz schlichte Ringe. Ich bin nicht einmal sicher, ob mit oder ohne Stein. Was meinst du, Wendy?" „Das müßt ihr beide zusammen entscheiden. Ich habe keine Ahnung von Verlobungsringen." „Du hast recht. Mom hat genau das gleiche gesagt. Oh, in meinem Kopf dreht sich alles, und ich habe das Gefühl, mein Herz könnte vor Aufregung und Glück zerspringen. Warte nur, Wendy, bis du den Richtigen gefunden hast. Dann wirst du verstehen, wie es mir jetzt geht." Sie stand auf. „Ich muß schleunigst zu Bett gehen, aber ich weiß, daß ich bestimmt nicht einschlafen kann." „Gute Nacht, Kit." „Gute Nacht, Wendy." Kit schwebte aus dem Zimmer. Warten, bis ich den Richtigen finde, dachte Wendy. Ich weiß, daß ich Dave liebe, aber ich will nicht heiraten, jedenfalls jetzt noch nicht. Wendy wußte noch nicht, wohin sie die Liebe führen würde und eigentlich fand sie das auch ganz richtig so. Die Unterbrechung der Hitzewelle hielt nicht lange an. Schon am Mittwoch der folgenden Woche ließen die Anmeldungen zum Reiten auf der Ranch wieder nach. Deshalb verbrachte Wendy ihre Zeit damit, Ställe zu reinigen, Pferde zu bewegen und ihre Schützlinge von Ungeziefer frei zu halten. Dieser Sommer verlief auch ohne Daves Zutun ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. - 91 -
Als sie gerade Nutmeg von der Weide zurück in seine Box führte, sah sie die graue Limousine abfahren. Kurze Zeit später war Dave bei ihr. „Bist du bald fertig?" fragte er. „Ja. Ich muß nur noch Nutmeg in den Stall bringen. Du hast auch nichts mehr zu tun, wie ich sehe." Sie führte das Pferd durch das Gatter und schloß es hinter sich. „Stimmt. Für heute ist meine Arbeit getan", sagte Dave ziemlich niedergeschlagen, „wie wär's mit einem Bad auf der Froschfarm?" „Auf der... ach so." Wendy lachte, als sie begriff, daß er den Swimming Pool hinter dem Haupthaus auf der Ranch meinte. „Ja, gern. Ich muß nur erst nach Hause gehen und meinen Badeanzug holen." „Wenn du Zeit hast, könnte ich uns hinterher ein paar Hot Dogs grillen. Tut mir leid, daß ich nichts Besonderes im Hause habe, aber wenn Old John weg ist, koche ich mir meistens nichts Spezielles." „Hot Dogs sind doch ganz okay. Was ist denn mit Old John? Eßt ihr nicht gemeinsam?" „Nur manchmal. Aber heute ist sein Kartenabend. Da sitzt er mit Freunden zusammen. Deshalb werden wir beide ganz allein sein, abgesehen von den Pferden und den zwei Angestellten, aber die wohnen für sich und sorgen selbst für ihre Verpflegung." „Dann bringe ich jetzt Nutmeg weg, laufe nach Hause und bin in etwa einer Stunde wieder hier, Dave." „Prima. Oh, was möchtest du als Beilage zu den Hot Dogs essen?" „Was hast du denn da?" Dave zuckte nur die Achseln. „Na ja, das können wir auch überlegen, wenn ich wieder hier bin", sagte Wendy. Ihr Herz klopfte schon wie wahnsinnig bei dem Gedanken an einen Abend ganz allein mit Dave. Außerdem wußte sie, daß es noch so eine klare, mondhelle Nacht werden würde, da - 92 -
der blasse Vollmond zu sehen war, der erst nach Sonnenuntergang so richtig romantisch scheinen würde. Dave blickte ihr nach, als sie die Einfahrt hinunterging. Wendy drehte sich noch einmal um und winkte ihm zu. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang zu rennen, so schnell sie konnte. „Du strahlst ja heute geradezu vor Glück", meinte ihre Mutter, als Wendy in die Küche stürzte, „hast du viele Kunden gehabt?" „Nein, das nicht. Aber Dave hat mich für heute abend zum Schwimmen und Essen auf die Ranch eingeladen." „Ich dachte, daß Mr. Wright gar nicht zu Hause ist?" „Ist er auch nicht. Dave will uns Hot Dogs grillen." „Wer wird denn sonst noch da sein?" „Auf der Ranch? Ein paar Angestellte, aber die machen sich ihr Essen selbst." „Und wer ißt mit dir?" „Na Dave und... na ja, nur Dave." „Wendy..." Ihre Mutter runzelte zweifelnd die Stirn. „Ihr zwei seid also ganz allein? Ich weiß nicht, ob ich von der Idee so begeistert bin. Deinem Vater würde sie bestimmt nicht gefallen." „Mom. Ich bin schließlich kein Kind mehr. Es wird doch nichts passieren." „Das meine ich auch nicht. Ich weiß, daß ich dir vertrauen kann." „Und Dad tut das nicht? Mom!" „So hab ich's nicht gemeint. Aber zwei junge Leute allein zusammen ist keine so glänzende Idee." Wendys Herz sank, und sie fühlte, wie ihre Begeisterung und ihr Glücksgefühl abnahmen. „Wir wollen doch nur schwimmen und dann zusammen essen. Was ist denn daran so schlimm?"
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„Wer will schwimmen gehen?" fragte Mitch, der in diesem Moment in die Küche kam. Seine Haare waren schweißverklebt. „Kann ich mitkommen?" „Mitch! Du bist gelaufen, und das bei der Hitze! So etwas ist bestimmt nicht gut für dich", schimpfte seine Mutter und strich ihm das feuchte Haar aus der Stirn. „Ist gar nicht wahr, Mom. Meine eine Pedale brach ab, so daß ich mein Fahrrad den ganzen Weg von Bobs Haus bis hierher schieben mußte. Mom, wenn ich bloß ein ordentliches, kerniges Geländerad hätte, dann..." „Nein, kein neues Fahrrad, Mitch. Wasch dir lieber erstmal das Gesicht", unterbrach ihn seine Mutter. Wendy war verzweifelt. Jetzt sah es so aus, als sei das Thema ihrer Verabredung mit Dave bereits abgeschlossen, ohne daß sie auch nur irgendeinen Einfluß darauf gehabt hatte. Nachdenklich schaute sie ihren Bruder an. „Möchtest du gern schwimmen gehen, Mitch?" fragte sie ihn. „Ja klar! Willst du an den See fahren?" „Nein, es geht um den Swimming Pool auf der Ranch. Mom, ist es dir recht, wenn Mitch mitkommt?" Wendy fand zwar die Idee, ihren dreizehnjährigen Bruder als Aufpasser mitzunehmen, nicht besonders gut, aber immer noch besser, als überhaupt nicht gehen zu dürfen. Außerdem brauchte sie dann Dave nicht zu sagen, daß ihre Mutter sie nicht mit ihm allein lassen wollte. „O Mom! Darf ich, Mom? Sag bitte ja!" bettelte Mitch, „ich sterbe vor Hitze. Wasser, Wasser, Badewasser!" Wie ein Verdurstender stolperte er in der Küche herum. Seine Mutter sah Wendy an. „Du paßt aber auf ihn auf, ist das klar, Wendy?" „Mensch, ich kann schon lange schwimmen, Mom", protestierte Mitch, „ich bin kein Baby mehr." „Ich weiß, Mitch", erwiderte sie kurz, drehts sich um und machte den Kühlschrank auf. „Wann gehen wir los, Wendy?" fragte Mitch. - 94 -
„Sobald du deine Badehose angezogen hast. Ach, und nimm ein Handtuch und ein Sweatshirt mit", antwortete Wendy. „Okay, ich bin ich ein paar Minuten startbereit", sagte Mitch und lief wie der Blitz aus dem Raum. „Vielen Dank, Mom", meinteWendy. „Paß bloß auf Mitch auf!" erwiderte diese und klapperte unnötig laut und ungeduldig mit ihren Töpfen und Pfannen. „Mach ich, Mom. Und er wird auf mich achten, so daß du dir überhaupt keine Sorgen zu machen brauchst." Wendy duschte schnell und zog dann ihren blaßgrünen Bikini an. Sie hatte ihn im vorigen Sommer gekauft, aber er sah noch wie neu aus. Danach schlüpfte sie in ihre weißen Shorts und ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt, holte das Sweatshirt mit dem Aufdruck ihrer Schule aus der Kommode, schnappte sich ein Badetuch aus dem Wäscheschrank und warf einen letzten Blick auf ihr Haar. „Ich dachte, du wolltest dich beeilen, Wendy. Stattdessen brauchst du eine Ewigkeit", beschwerte sich Mitch, der rittlings auf einem Küchenstuhl saß und auf sie wartete. „Ich habe noch schnell geduscht. Vermutlich hätte dir das auch ganz gut getan." „Warum denn? Ich gehe doch gleich wimmen." Wendy verzichtete darauf, ihrem Bruder einen Vortrag über Körperhygiene zu halten und meinte nur: „Auf geht's." „Und was essen wir?" fragte Mitch. „Dave will Hot Dogs machen." „Okay. Dann nehme ich ein paar Kartoffelchips mit. Darf ich, Mom?" „Klar, Mitch. Und seid vorsichtig." „Das hast du mir schon mindestens hundertmal gesagt, Mom", beschwerte sich Mitch und holte eine Tüte Chips aus dem Schrank. „Na gut, dann sag ich's eben zum einhundertundersten Mal. Paßt gut aufeinander auf, ihr zwei." „Los, komm, Wendy", meinte Mitch, der schon ungeduldig wurde. - 95 -
„Wir bleiben auch nicht allzu lange, Mom", sagte Wendy, ehe sie die Tür hinter sich ins Schloß fallen ließ. „Ich finde es richtig nett von dir, daß du mich aufgefordert hast, mitzukommen, Wendy. Weiß Dave davon?" fragte Mitch, während sie um das Haus herumgingen. Der betäubende Duft von Jasmin hing schwer in der stillen weichen Abendluft. Wendy liebte den Geruch und atmete ihn genießerisch ein. „Nein", erwiderte sie. Mitch verlangsamte seinen Schritt, damit Wendy ihn einholen konnte. Er war im letzten Jahr erstaunlich schnell gewachsen und inzwischen fast so groß wie sie. „Ah, jetzt kapier' ich!" „Was verstehst du, Mitch?" „Mom wollte dich nicht allein gehen lassen, also hast du mich gebeten, dich zu begleiten, so daß sie es dir erlauben mußte." „Du brauchst ja nicht mitzukommen, wenn du keine Lust hast", antwortete Wendy mürrisch. Sie war noch immer ziemlich irritiert wegen der übertriebenen Vorsicht ihrer Mutter. „Außerdem warst du derjenige, der zuerst gefragt hat, wenn ich mich recht erinnere." „Klar. Mensch, Wendy, ich gehe doch genauso gern schwimmen wie du. Ich verspreche dir, euch nicht zu stören. Wenn du willst, bleibe ich die ganze Zeit auf der anderen Seite des Schwimmbeckens und mache die Augen zu, während er dich küßt." Wendy mußte lächeln. „Das ist nicht nötig, Mitch. Vielen Dank für's Mitkommen. Ich habe gar nichts dagegen, daß du dabei bist." Ungläubig zog Mitch eine Augenbraue hoch und sah sie an. „Okay, okay", sagte Wendy daraufhin, „es macht mir nicht viel aus, und du kannst herzlich gern am anderen Ende des Pools schwimmen, gib bitte keine blöden Bemerkungen von dir und schling nicht zu viele Hot Dogs herunter." - 96 -
„Na, das klingt schon eher nach dir, Wendy. Ich werde dich bestimmt nicht blamieren, das verspreche ich dir. Guck her, ich lege mit jetzt meinen Heiligenschein an." Er hielt die Arme so über den Kopf, daß sie einen Halbkreis bildeten und die Finger sich berührten. „Ich glaube, der hängt schief", meinte Wendy und lachte. Noch ehe sie das Ranchhaus sehen konnten, wehte schon der Holzrauch vom Grill zu ihnen herüber. Wendy führte Mitch den Weg entlang, der seitlich um das Haus herum verlief. Sie öffnete das hölzerne Tor und schloß es automatisch wieder hinter sich, eine Geste, die ihr durch ihren langjährigen Umgang mit Pferden zur Gewohnheit geworden war. Dann betraten die beiden voller Vorfreude auf den Abend den Hof. „Aha, da kommten die restlichen Partygäste", ertönte Old Johns Stimme. Wendy war äußerst überrascht, ihn zu hören. Sie blickte über das angestrahlte, tiefblaue Schwimmbecken. Auf der anderen Seite saß der Alte mit einer Dose Bier in der Hand in einem Liegestuhl. Er trug eine knallbunte Badehose im Hawaiistil und ein ebensolches Hemd. Wenn sie nicht seine Stimme gehört und sein weißes Haar gesehen hätte, hätte Wendy ihn in dieser fröhlichen Aufmachung wohl kaum wiedererkannt. „Ich dachte, heute sei dein Kartenabend, Old John", sagte Wendy. „Stimmt. Aber ich habe Mr. Wright versprochen, ein Auge auf die Dinge hier zu haben. Parties für zwei sind nicht das Richtige. Zum Feiern braucht man mehr Leute." „Sie hören sich genauso an wie unsere Mutter", bemerkte Mitch. Er warf sein Handtuch auf den nächsten Stuhl und zog sein Sweatshirt aus. „Old John, darf ich dir meinem Bruder Mitch vorstellen. Mitch, dies ist Old John, der Verwalter." „Der sieht noch gar nicht so alt aus", meinte Mitch. - 97 -
Der Verwalter griente. „Den Namen haben sie mir damals auf der Pferderennbahn angehängt, weil der zweite Trainer ein bißchen jünger war als ich. So hieß er eben Young John und ich war Old John. Ich glaube kaum, daß sein Name die Jahre überdauert hat, aber meiner ist mir geblieben." Wendy sah sich suchend nach Dave um. „Er ist drinnen, Wendy. Geh doch rein. Ich sehe Mitch beim Schwimmen zu. Ach, du kannst mir eigentlich ein Handtuch mitbringen, vielleicht springe ich auch mal kurz ins Wasser." Da die großen französischen Fenster der Gartenfront des Hauses bis auf den Boden reichten, brauchte Wendy nur einen Flügel zu öffnen, und schon stand sie auf dem kühlen, zimtfarbenen Parkettfußboden des riesigen Wohnzimmers. „Dave, wo bist du?" rief sie. „In der Küche", kam die Antwort, „was willst du als Beilage zu den Hot Dogs? Einen Salat, Mais oder grüne Bohnen?" „Salat bitte. Ich helfe dir beim Anmachen", schlug Wendy vor und betrat die hell erleuchtete Küche. Die Einrichtung bestand aus schweren Eicheneinbauschränken, Spüle, Herd und Kühlschrank waren teilweise mit hand bemalten Kacheln verkleidet. Das Ganze sah ziemlich neu und unbenutzt aus. Wendy vermutete, daß Mr. Wright meistens auswärts aß. „Bedien' dich", meinte Dave, „ich glaube, die Salatschüsseln sind in einem der Hängeschränke, aber ich weiß nicht, in welchem." „Ich finde mich schon zurecht. Du könntest inzwischen ein paar Tomaten und Möhren in Scheiben schneiden, falls du welche hast." „Hast du Old John gesehen, Wendy? Er will heute abend hierbleiben und mit uns essen und schwimmen", erzählte Dave, während er das Gemüse wusch. „Geht in Ordnung, Dave. Meine Mutter bestand darauf, daß Mitch mitkommt." Wendy lächelte spitzbübisch, als Dave sich erstaunt zu ihr umdrehte. Er erwiderte ihr Lächeln. - 98 -
„Dann haben wir ja wohl genügend Aufpasser", meinte er. „Das ist mir immer noch lieber, als wenn sich niemand dafür interessieren würde, was ich mache", sagte Wendy. „Mich interessiert es sehr, Wendy." Dave hielt ihr ein Möhrenstückchen hin, und Wendy steckte es sich in den Mund. Sie schnitt inzwischen den Salat klein und zwang sich dazu, nicht allzu viel in Daves Worte hineinzulesen, aber sie machten sie dennoch ganz kribbelig. „Die Tomaten und Möhren sind fertig. Was jetzt?" „Ich wünschte, wir hätten etwas Grünzeug." „Grünzeug?" „Na ja, Kresse, Schnittlauch oder Petersilie. Das paßt gut in Salate." „Im Stall drüben liegt haufenweise Grünzeug, die Pferde fressen es jeden Tag. soll ich etwas holen?" „Dave, ich hatte das ernst gemeint." „Gut. Ich mag ernsthafte Leute." Er beugte sich über den Tisch und küßte sie auf die Nasenspitze. „Wie wär's mit einer Zwiebel, Wendy?" „Lieber nicht." „Wieso nicht?" Wendy wurde knallrot. „Hast du vielleicht Radieschen oder Gurken, Dave?" fragte sie ablenkend und machte den Kühlschrank auf, um nachzusehen. „Nein." Dave stand direkt hinter ihr, als sie sich wieder umdrehte. „Du siehst einfach süß aus, wenn du rot wirst", sagte er. Wendy hätte gern abgestritten, daß sie rot geworden war, aber ihr Gesicht brannte ja noch. Dave küßte sie schnell auf den Mund. Dann nahm er die Salatschüssel vom Tisch, trug sie zur Spüle und wusch sie unter fließendem Wasser ab. „Ich glaube nicht, daß Onkel Harry häufig Salate ißt", erklärte er. Wendy ging an den Kühlschrank und suchte ein fertiges Dressing. Vergeblich. Dafür stand in der Speisekammer eine - 99 -
frisch angebrochene Flasche mit einer Mischung aus Essig und Öl. „Hey, wann essen wir denn endlich?" rief Mitch von draußen. „In wenigen Minuten", antwortete Dave. Dann fragte er Mitch: „Willst du vorher auch noch kurz schwimmen?" „Ja. Ach, ich sollte dir doch ausrichten, daß du ein Handtuch für Old John mitbringen möchtest." „Okay. Ich hole das Handtuch, du kannst inzwischen den Salat und die Hot Dogs nach draußen tragen. Wenn wir den Grill ein bißchen schwächer stellen, brauchen die Hot Dogs länger. Währenddessen schwimmen wir eine Runde." Wendy brachte die Schüssel mit dem Salat und zwei Pakete Hot Dogs auf die Terrasse und hoffte dabei, daß weder Mitch noch Old John ihr ansehen würden, daß Dave sie gerade geküßt hatte. Andererseits platzte sie fast vor Glück und konnte gar nicht anders, als ein strahlendes Gesicht machen. Vielleicht hat Kit doch recht gehabt, dachte sie, laß ihm nur Zeit, hatte sie gesagt und behandle ihn wie einen guten Freund. Und an diesem Abend verhielt sich Dave eindeutig so, als sei er mehr als nur ein guter Freund. Wäre es in diesem Moment möglich gewesen, die Daumen zu drücken, ohne etwas fallen zu lassen, so hätte Wendy sicher auf das alte Mittel, dem Glück etwas nachzuhelfen, zurückgegriffen. Leider mußte sie sich damit begnügen, es im Geiste zu tun. Dave kam hinter ihr aus dem Haus. „Hier hast du dein Handtuch, Old John, Wie wär's mit einem Wettschwimmen?" fragte Dave den Verwalter. „Nein, danke, mein Junge. Ich will nur kurz tauchen, dann werde ich mich um die Hot Dogs kümmern, während ihr drei schwimmt." „Hallo, du bist bestimmt Mitch", begrüßte Dave Wendys Bruder, der gerade aus dem Becken stieg. „Und du mußt Dave sein. Wendy redet andauernd von dir", sagte Mitch und lächelte Wendy dabei unschuldig zu. - 100 -
Sie hätte ihn erwürgen mögen, denn er hatte doch versprochen, keine peinlichen Bemerkungen zu machen. Aber dann wurde ihr klar, daß Mitch ja nicht wußte, wie unangenehm ihr seine ehrlichen Worte waren. „Hoffentlich erzählt sie nur Gutes", bemerkte Dave. „Vermutlich. Ich höre ja nicht immer zu", erwiderte Mitch. Mit einem Kopfsprung stürzte er sich vom Beckenrand zurück ins Wasser. „Los, kommt schon, ihr zwei. Es ist schön warm hier drin", rief er, als er wieder auftauchte. Wendy schlüpfte aus ihren Shorts und dem T-Shirt und folgte Mitch. Er hatte ganz recht gehabt, sie spürte das weiche Wasser wie warme Seide auf der Haut. Langsam schwamm sie auf die gegenüberliegende Seite des Beckens zu. Dave sprang neben ihr in den Pool und paßte sich dem Rhythmus ihrer Schwimmzüge an. Schließlich legten sie eine Pause ein. Am entgegengesetzten Beckenrand übte Mitch tauchen. Old John war schon eifrig dabei, die Hot Dogs zu grillen. „Dein Badeanzug gefällt mir, Wendy." „Danke. Schwimmst du mit mir um die Wette bis zum anderen Ende, Dave?" „Okay. Los." Wendy stieß sich von der gekachelten Beckenwand ab und kraulte, so schnell sie konnte. Kurz vor dem Ziel überholte Dave sie trotzdem. „Ich gebe zu, daß du vermutlich besser reiten kannst als ich, Wendy, aber weder im Laufen noch im Schwimmen bist du so gut wie ich", lachte Dave atemlos und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. „Allerdings war ich auch die ganze Oberstufe über der beste im Schwimmen." „Dann hättest du mir einen Vorsprung lassen müssen", protestierte Wendy. Gemächlich schwamm sie die Strecke wieder zurück. Nach wenigen Sekunden zog Dave erneut an ihr vorbei. Wendy, Dave und Mitch aßen sich satt an Hot Dogs, Kartoffelchips, Salat und den Erdbeeren, die Old John - 101 -
beigesteuert hatte und tranken dazu eisgekühlten Tee. Anschließend saßen sie auf der Terrasse und sprachen über die Hitze, Pferde und die Rückkehr von Mr. Wright. Dave erzählte, daß sein Onkel noch eine ganze Weile wegbleiben würde, da er sich in vielen verschiedenen Landesteilen Zuchtpferde ansehen wollte. „Dann bist du also hier der Chef", meinte Old John und zwinkerte ihm fröhlich zu. „Oh, wenn das so ist", erwiderte Dave, „möchte ich vorschlagen, daß du unserem Gast Mitch die Ställe zeigst. Du mußt doch sowieso noch deinen abendlichen Inspektionsgang machen, Old John. Danach fahre ich Wendy und Mitch nach Hause." „Aber ich möchte gar nicht..." fing Mitch an. „Klar möchtest du", unterbrach ihn Old John, „komm mit, ich zeige dir, wo deine Schwester den ganzen Tag über arbeitet. Los, beeil dich, wir müssen durch alle drei Ställe gehen." Bevor Mitch ihm noch einmal widersprechen konnte, führte er ihn um das Haus herum zum Tor. „Old John ist wirklich in Ordnung", lobte Dave. „Ja, er ist ein Schatz", stimmte Wendy ihm zu. Sie räkelte sich zufrieden in ihrem Liegestuhl. Allmählich nahm das Summen und Surren der allnächtlich ausschwärmenden Insekten zu. Eine leichte Brise kam auf und brachte die Palmen, die in einer Ecke des Hofes wuchsen, zum Rascheln. Dave setzte sich in den Liegestuhl neben Wendy und nahm ihre Hand. „Das war ein toller Abend", sagte er, „vielleicht sogar schöner, als wenn wir ins Lodge Hotel am See gefahren wären." „Ich fand's auch super so", antwortete sie. Eine ganze Weile saßen sie nur Hand in Hand, schwiegen einträchtig und genoßen den lauen Abend. „Wendy?" „Ja?" - 102 -
„Was hältst du davon, bald mal wieder einen Abend auf diese Weise zu verbringen?" „Hm. Gern." Ihr war gar nicht nach Reden zumute. Sie hätte stundenlang einfach nur dasitzen können. Schließlich entzog Dave ihr seine Hand und stand auf. „Komm, Wendy. Ich sollte jetzt wohl besser deinen Bruder und dich nach Hause bringen." Er reichte ihr die Hände und zog sie aus ihrem Stuhl hoch. Ehe er das Tor aufmachte, drehte er sich zu ihr um und legte seine Arme: um ihre Taille. „Mir kommt es so vor, als wären diese Mondnächte speziell für uns gedacht", sagte Dave. „Ich werde noch ein paar davon bestellen", murmelte Wendy. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm auf. „Du bist genau das Mädchen, das ich mag." Ihre Lippen trafen sich. Diesmal war Daves Kuß leidenschaftlicher und schien gar nicht enden zu wollen. Erst nach einiger Zeit hob Dave den Kopf, hielt aber Wendy noch fest umschlungen. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust. Sie konnte den gleichmäßigen Schlag seines Herzens deutlich hören. Mein Mädchen, mein Mädchen schien es zu sagen. Sie hoffte, daß er den Satz auch wirklich so gemeint hatte.
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9. KAPITEL Drei Wochen waren vergangen, seit Peggy begonnen hatte, Reitstunden zu nehmen. Dave und Wendy waren nach dem Abend am Swimming Pool noch nicht wieder richtig verabredet gewesen. Zwar unterhielten sie sich manchmal morgens während der Arbeit, aber das war ja wirklich nicht vergleichbar. Wendy hatte keine Ahnung, was Dave abends unternahm, aber jedenfalls rief er sie nicht an und sch1ug auch nicht vor, gemeinsam in die Stadt zu fahren oder schwimmen zu gehen. Ob er wohl alle seine Freundinnen so behandelt? dachte sie. Vielleicht ist sogar jedes Mädchen das richtige für ihn? Habe ich seinen Satz neulich Abend zu wichtig genommen? Diese Fragen gingen ihr ständig durch den Kopf, während ein Tag nach dem anderen verstrich und sie ihn nur ab und zu sah, meistens zusammen mit Peggy im Übungsring. Es war ein ungewöhnlich schwüler und bedeckter Tag für Ende Juli. Im Radio hörte Wendy, daß sich ein tropisches Sturmtief von Mexiko aus nordwärts bewegte Die Pferde wurden unruhig, und es waren mindestens doppelt so viele Insekten unterwegs wie gewöhnlich. Dave und Peggy arbeiteten im Übungsring. „Fersen nach unten, Peggy! Halt die Arme still. Du bist doch kein Vogel!" rief Dave ungeduldig, während Star im Kreis herumtrabte. „Ich wünschte, ich wäre einer!" schrie Peggy zurück. Sie zog die Zügel an, ließ Star halten und stieg ab. Wendy stellte fest, daß sie offenbar keine Angst mehr vor dem Auf- und Absteigen hatte, obwohl sie immer noch seltsam steif im Sattel saß. - 104 -
„Deine Stunde ist noch nicht zu Ende", sagte Dave und warf einen Blick zum Zaun hinüber, wo, wie üblich, die beiden Beobachter standen. Peggy stürzte wortlos aus dem Ring zum Auto. „Sie kommt gleich zurück!" rief ihre Mutter. Wendy schaute interessiert zu, denn sie hatte sich in letzter Zeit oft gefragt, ob nun Peggy vielleicht genau das Mädchen war, das Dave mochte. Peggy und ihre Mutter redeten mit unterdrückten Stimmen aufeinander ein, so daß Wendy nichts verstehen konnte. Aber sie sah an Peggys Gesichtsausdruck und an den Gesten ihrer Mutter, daß die Unterhaltung weder angenehm noch friedlich verlief. Nach einigen Minuten kehrte Peggy um, stieg auf und ließ Star im Schritt gehen. „Galopp", rief Dave ihr zu, „wenn er nicht auf deine Zeichen reagiert, mußt du ein bißchen hin- und herschaukeln, damit er dich versteht." „Schaukeln sieht doof aus", meckerte Peggy, aber kurze Zeit später galoppierte sie durch den Ring. „Fersen nach unten! Fersen nach unten! Fersen runter!" schrie Dave, „und halte ihn in der Bahn." Star fiel wieder in Trab. Wendy machte sich allmählich Sorgen um das Pferd, es wirkte schon ziemlich angestrengt. Also trat sie ein paar Schritte vor die Stalltür und hoffte, daß Dave sie bemerken würde. „Okay, noch eine Runde. Erst im Schritt, dann ein kurzer Galopp, und dann kannst du gehen, Peggy", sagte Dave. Sobald Peggy abgestiegen war, ging Wendy in den Ring, um Star zu holen. Das Pferd dampfte in der Hitze. Sie streichelte seinen Nacken und tätschelte ihm die Nase. „Na los, alter Junge. Du hast ganz schön hart gearbeitet für so einen heißen Tag. Komm, wir gehen ein bißchen im Kreis." „Danke; Wendy", rief Dave, „tut mir leid, daß Star warm geworden ist." Er kam zu ihr hinüber und legte ihr seine Hand auf die Schulter. „Ich helfe dir gleich beim Striegeln, Wendy", sagte er. - 105 -
Wendy sah Peggy an und registrierte überrascht ihren Gesichtsausdruck. Er war eine Mischung aus Neugier und Traurigkeit. Alle Spuren ihrer Wut von vorher waren verschwunden. Als sie allerdings merkte, daß Wendy sie beobachtete, wurde ihr Gesicht wieder glatt, eine kühle Maske der Gleichgültigkeit. Wendy nahm Star den Sattel ab und legte ihn auf die Umzäunung. Dann führte sie das Pferd langsam im Kreis herum, damit es Zeit hatte, abzukühlen, ehe sie Star zurück in den Stall brachte. Während sie so gemeinsam ihre Runden drehten, sprach sie leise und zärtlich mit ihrem Lieblingspferd, ohne sich um die Zuschauer zu kümmern. Sobald die Limousine abgefahren war, kam Dave zu Wendy. „Na, ist er schon genügend abgekühlt?" Wendy legte Star ihre Hand auf die Brust. „Fast." „Tut mir leid, daß ich ihm soviel abverlangen mußte. Das schwüle Wetter schaffte uns alle. Außerdem ist Peggy ziemlich eigensinnig, so daß wir entweder große Fortschritte erzielen oder überhaupt keine, wie heute." „Du kannst nichts dafür, Dave und Star auch nicht." Wendy führte Star noch ein paar mal hin und her und dann durch das Gatter zurück in den Stall. Dort band sie ihn zum Striegeln im Gang an. Dave kam mit dem Sattel hinterher und nahm Wendy das Zaumzeug ab, sobald sie Star davon befreit hatte. „Ich mache das für dich sauber", sagte er und trug die Sachen zum Geräteraum. „Danke." Sie seufzte. Wir sind offensichtlich wieder bei einer ganz normalen Kameradschaft angelangt, dachte sie, Dave scheint meine Gefühle überhaupt nicht mehr zu erwidern. Kurz darauf war Dave schon zurück. „Old John hat mir die Arbeit abgenommen", teilte er ihr mit, „er sagt, er sei sowieso dabei, und ein Zaumzeug mehr oder weniger macht keinen Unterschied. Ich habe ihm meine Hilfe angeboten, aber er - 106 -
meinte, daß ich lieber dir helfen sollte. Was ist denn hier noch zu tun?" „Nicht viel. Die vorderen Boxen brauchen frische Streu, ansonsten bin ich für heute fertig." Dave lehnte an der Stalltür und seufzte. „Star scheint die Ausritte mit dir zu vermissen", sagte er. „Du willst doch nicht etwa behaupten, daß er an Peggys Schwierigkeiten schuld sei?" fragte Wendy in einem Tonfall, der deutlich zeigte, daß sie ihren Liebling sofort verteidigen würde, falls Dave ihn angriff. „Nein, so habe ich das nicht gemeint. Star ist bei weitem das beste Pferd auf der Ranch, das weißt du doch genauso gut wie ich." Wendy warf einen Blick auf Dave, „Vermutlich geht es mich ja nichts an, Dave, aber ich habe heute zwangsläufig mitgekriegt, wie Peggy sich in ihrer Reitstunde benommen hat. Hast du schon mal versucht, dich gegen sie durchzusetzen? Mir scheint, daß alles nach ihrem Kopf geht, wenn sie das will. Man steigt doch nicht einfach mitten im Unterricht vom Pferd und läuft weg!" „Sie meint es nicht so, Wendy. Das ist eine Selbstverteidigung." „Und wogegen muß sie sich verteidigen?" „Gegen ihre Mutter. Und den Agenten. Ach, gegen alles, nehme ich an." Wieder einmal fragte sich Wendy, woher er bloß soviel über Peggy wußte. Ob sie sich während der Reitstunden unterhalten hatten? Aber andererseits waren immer die beiden Zuschauer dabei. Der Gedanke, daß Dave an all den Abenden, an denen er sich bei ihr nicht gemeldet hatte, mit Peggy ausgegangen war, tauchte kurz auf, aber Wendy verwarf ihn gleich wieder. Denn wenn Peggy mit Dave ginge, dachte sie, dann würde sie sich in den Stunden nicht so abweisend verhalten. Oder doch? Vielleicht wollte sie nur, daß niemand, auch ich nicht, auf diese Idee kommt? Ich muß das unbedingt endlich herausfinden. Möglicherweise ist Dave deswegen in letzter Zeit immer so zerstreut und in Gedanken, daß er mich kaum bemerkt? - 107 -
„Soll ich uns zwei frische Pferde satteln?" fragte Dave, „Wir könnten am Teich ein Picknick machen. Mir ist es auf der Ranch viel zu ruhig. Ich muß dringend mal ein paar Stunden weg von hier. Heute meldet sich bestimmt niemand mehr zum Reiten an, und die restliche Arbeit können wir ja erledigen, wenn wir zurückkommen." „Okay", antwortete Wendy. Sie hatte auch keine Lust mehr, weiterzuarbeiten. Außerdem hoffte sie, daß sich eine Gelegenheit ergeben würde, herauszufinden, was nun wirklich zwischen Dave und Peggy war. „Suche uns zwei Pferde aus, Wendy. Ich sage eben Old John Bescheid, daß wir ausreiten." Wendy sattelte Mariah und Sheba, während Dave schnell zum Haus lief und in aller Eile ein paar Essenssachen für das Picknick in einen Korb warf. Sie ritten sofort los, als er wieder beim Stall ankam. Inzwischen hatte sich der Himmel bezogen. Dunkle Wolken hingen bedrohlich niedrig, und die Luft war erheblich schwüler als am Vormittag. „Hoffentlich regnet es bald", meinte Wendy, „ich hasse dies Wetter." „Mir wär's lieber, wenn der Regen erst nach unserem Picknick kommt", antwortete Dave. Schweigend ritten sie auf das Wäldchen zu. Die Pferde schlugen mit den Schwänzen in dem vergeblichen Versuch, die vielen aufdringlichen Fliegen zu verscheuchen. Die Luft fühlte sich an wie in einer Dampfsauna, und Wendy mußte sich häufig den Schweiß von den Schläfen und der Stirn wischen. Sie warf einen Blick auf Dave. Er wirkte völlig entspannt und zufrieden. „Wird sie rechtzeitig fertig sein?" fragte Wendy. „Hm. Äh?" Er war offenbar in Gedanken meilenweit weg gewesen. „Meinst du, daß Peggy es vor Probenbeginn schafft?" „Keine Ahnung." „Und wie denkt sie darüber?" - 108 -
„Das weiß ich auch nicht." „Was? Redet sie nicht mit dir darüber?" „Nein. Sie sagt überhaupt wenig. Von Zeit zu Zeit erklärt sie mir, daß sie die Reitstunden haßt und mit meinen Anweisungen unzufrieden ist. Aber die meisten ihrer Ansichten entnehme ich mehr ihrem Verhalten und ihren Bewegungen als ihren Worten. Wenn ich mir das so überlege, glaube ich kaum, daß sie jemals viel darüber zu mir gesagt hat." „Aber du scheinst sie doch gut zu kennen, Dave." „Tatsächlich? Das sind meine Vermutungen, Wendy, nachdem ich so viele Tage mit ihr verbracht habe. Sie tut mir leid, und ich versuche, eine Erklärung dafür zu finden daß sie so unglücklich ist." Wedy runzelte die Stirn und überlegte. Wieso sollte Peggy Price unglücklich sein? Sie führt doch die Art von Leben, von der Millionen Mädchen träumen, und sie besitzt Schönheit, Ruhm und Geld im Überfluß. Dave meint, daß sie keine Zeit für sich hat, aber er kann es nicht mit Sicherheit wissen. Außerdem findet Peggy Zeit vielleicht nicht so wichtig wie andere Leute. Ganz abgesehen davon, daß sie möglicherweise sogar massenhaft Zeit hat, und wir nur nicht darüber informiert sind. Am Teich angelangt, stiegen Wendy und Dave ab. „Was hast du denn in den Korb gepackt?" fragte Wendy. „Von allem etwas, ich habe einfach wahllos in den Kühlschrank gegriffen." Dave trug den Korb zu einem umgefallenen Baumstamm am Ufer des Teiches, und Wendy sah sich an, was der Korb zu bieten hatte. „Hm", überlegte sie, „wir haben Brot, Senf, Erdnußbutter, Thunfisch, aber keinen Dosenöffner, Sellerie, Gewürzgurken, Leberwurst aber kein Messer, Kekse, einen Apfel und zwei Dosen Zitronenbrause." „Klingt ja schrecklich", gab Dave schuldbewußt zu. „Wir brauchen auf jeden Fall ein Messer", meinte Wendy. - 109 -
„Ich habe ein Taschenmesser dabei, reicht das?" „Muß es wohl. Ist ein Dosenöffner dran?" „Leider nicht. Nur zwei Klingen. War ein Sonderangebot." „Also gibt es keinen Thunfisch. Dann bleiben uns: Saure Gurken mit Erdnußbutter, Sellerie mit Erdnußbutter gefüllt oder Leberwurst mit Senf. Du hast die Auswahl." „Ich nehme Leberwurst mit Senf. Entschuldige, daß ich nichts Besseres mitgebracht habe." „Macht nichts, Dave. Es ist sowieso zu heiß, um viel zu essen." Wendy bereitete zwei Sandwiches zu. Dave öffnete die Getränkedosen. Als Nachtisch teilten sie sich den Apfel und die Kekse. „Ich finde es herrlich friedlich hier", meinte Wendy, „abgesehen von den Ställen ist dies wirklich mein absoluter Lieblingsplatz auf der Ranch." „Ich weiß, was du meinst. Der Ort hier liegt so abgeschieden, daß er einem wie eine ganz andere, eigene Welt vorkommt. Vielleicht könnten wir Peggy mal hierher mitnehmen." „Wir?" fragte Wendy höchst überrascht. „Möglicherweise würde ihre Mutter ihr den Ausflug erlauben, wenn wir zu dritt sind. Ich bin sicher, daß sie mich niemals allein mit ihr ausreiten lassen würde." Aber eigentlich wäre das dein heimlicher Wunsch, Dave, dachte Wendy bitter. Und ich soll in der Rolle der Gouvernante mitkommen. So wie Mitch neulich. Nein, danke! „Ich habe keine Lust, diesen Ort mit jemandem teilen zu müssen", antwortete Wendy ungnädig. „Ich weiß. Geht mir genauso. Ich dachte nur, daß es für Peggy schön wäre, endlich mal eine Weile die Aufsicht. ihrer Mutter und ihres Agenten los zu sein.!" Dave schaute Wendy ernst an und fuhr fort: „Du weißt, daß ich keine Schwester habe, und vielleicht klingt es seltsam, Wendy, aber ich habe mich noch nie jemandem gegenüber so sehr als Beschützer gefühlt wie bei Peggy. Vermutlich erscheint es dir verrückt, - 110 -
aber sie ist schrecklich unglücklich, und zwar auf eine Art und Weise, die ich bisher noch bei niemandem erlebt habe. Zumindest nicht derartig tiefgehend und nicht als Dauerzustand. Hast du nicht bemerkt, daß Peggy fast nie lächelt?" Dave sah Wendy in die Augen, und sie fragte sich, ob er wohl das Mißtrauen, das sie empfand, darin entdecken würde. „Wenn du sie doch nur richtig kennenlernen könntest, Wendy. Bilde dir selbst ein Urteil und stelle fest, ob ich recht habe. Vielleicht werdet ihr ja am Ende noch Freundinnen. Zwei Mädchen können sich viel besser unterhalten, als ein Junge und ein Mädchen. Mit dir redet sie vielleicht. Mir würde sie ganz bestimmt nicht anvertrauen, was los ist." Wendy schluckte. Sie wollte ja gern glauben, daß Daves Interesse für Peggy so brüderlich war, wie es den Anschein hatte. Aber sobald sie an Peggy Price, den berühmten Filmstar, dachte, fiel es ihr sagenhaft schwer, überhaupt noch irgend etwas zu glauben. „Willst du mal mit ihr reden?" fragte Dave, „bitte, Wendy." „Na gut, wenn sie es auch möchte." Wendy nahm allerdings an, daß sie der letzte Mensch war, mit dem sich Peggy Price gern unterhalten würde besonders, falls sie ein mehr als schwesterliches Interesse an Dave hatte. Schweigend saßen Dave und Wendy nebeneinander auf dem Baumstamm, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Wendy ließ Erinnerungen an jenen schönen Sommer, damals in ihrer Kindheit, im Geiste an sich vorüberziehen. Einmal hatte Dave eine Katzenmutter mit sechs Jungen nach Hause geschleppt. Sie hatten sie im Wald, nicht weit von der Stelle entfernt, an der sie jetzt saßen, gefunden. Wendy hatte Dave damals erklärt, daß die Katze sich vermutlich mit Absicht zurückgezogen hatte, um in Ruhe ihre Jungen zur Welt zu bringen und daß sie bestimmt einem der Nachbarn gehörte. Aber Dave hatte Angst gehabt, daß ein Koyote die Katzen finden könnte und Wendy beschwatzt, ihm beim Transport der - 111 -
Tiere zu helfen. So brachten sie die Katzen, die sich heftig sträubten, zur Ranch und richteten ihnen eine gemütliche Ecke in einer leerstehenden Pferdebox ein. Zwei der Jungen lebten heute immer noch auf der Ranch, sie waren inzwischen offizielle StalIkatzen. Für die anderen hatte Old John Abnehmer gefunden. Nur die Mutter verschwand wenige Tage nach dem Umzug. Während Wendy jetzt nachdenklich den Teich und die Umgebung beobachtete, die Büsche, die sich leicht bewegten, weil irgendwelche kleinen Tiere darunter Schatten und Kühle suchten, wurde ihr erneut klar, daß Dave ein Mensch war, der viel Sympathie mit hilflosen und leidenden Kreaturen besaß. Aber ist Peggy Price tatsächlich auch dort einzuordnen? fragte sich Wendy. Sie war sich immer noch nicht sicher. Allerdings wußte sie nun wenigstens, daß Dave nicht mit ihr ausgegangen war zumindest noch nicht. Dicke warme Regentropfen unterbrachen ihre Gedanken. „Wir sollten besser zurückreiten", meinte Dave, sammelte die Überreste des Picknicks ein und half Wendy beim Aufstehen. Während sie Mariah und Sheba in Richtung Stall dirigierten, streckte Dave einen Arm zu Wendy hinüber und berührte sie an der Schulter. „Vergiß die Sache mit Peggy nicht", bat er sie. „Okay", versprach Wendy und dachte: keine Angst, ich kann sie doch gar nicht vergessen, du läßt mir dazu ja keine Chance. „Danke. Du bist wirklich ein ganz besonderes Mädchen, Wendy." Na ja, dachte Wendy, das ist nicht dasselbe wie ,mein Mädchen'. Und gerade das hätte sie doch so gern von ihm gehört. Am Vormittag hatte Wendy eine Gruppe beim Ausritt begleitet, aber der Nachmittag blieb ruhig, so daß sie drangehen konnte, die Ställe einmal gründlich zu reinigen. - 112 -
Schließlich war sie mit der letzten Box fertig und nahm sich nun nacheinander die Schwänze und Mähnen der Pferde vor. Das war allerdings eine Arbeit, die bestimmt Wochen dauern würde, da Mr. Wright sehr viele Pferde besaß. Aber er legte großen Wert darauf, daß seine Tiere einwandfrei aussahen, auch diejenigen, die jeweils auf der Weide waren. Wendy schlug sich gerade mit Mariah herum, die sich fast allen Dingen, die mit ihrer Pflege zu tun hatten, heftig widersetzte, als Dave und Peggy in den Stall kamen. Diesmal trug Peggy zu ihren Reithosen eine rosa Bluse und ein passendes Band im Haar. „Hier halten wir unsere Pferde", erklärte ihr Dave. Dann führte er Peggy zu Wendy. Peggy hielt sich eng an seiner Seite und verschwand fast hinter seinem Rücken, als er neben Mariah stehen blieb. „Wendy, ich wollte, daß Peggy sich mal die Ställe ansieht. Vielleicht könntest du sie ein bißchen herumführen. Du kennst dich ja mit allem hier sehr gut aus." Wendy sah Peggy an, die sie aus großen, leuchtendblauen Augen anblickte, dabei aber nicht lächelte. „Was machen deine Reitstunden?" fragte Wendy höflich. „Och, es läuft ganz gut, nehme ich an." „Ich muß dringend mit Old John reden", sagte Dave, „aber ich werde in ein paar Minuten wieder zurück sein. Kannst du dich solange um Peggy kümmern, Wendy? Vielleicht zeigst du ihr mal, was du da gerade mit Mariah machst." Natürlich durchschaute Wendy seine Absicht. Er wollte erreichen, daß sie und Peggy sich kennenlernen. Ob er wohl Peggy gefragt hat, was sie davon hält? überlegte Wendy. In diesem Moment schubste Mariah, die ziemlich ungeduldig geworden war, sie ein paar Schritte rückwärts gegen die Wand. „Mach', daß du da rüber kommst, Alte", sagte Wendy grob und gab dem großen Pferd einen ordentlichen Klaps, damit es wieder auf seinen Platz ging. Peggy verschränkte die Arme vor der Brust und trat vorsichtig etwas zurück. - 113 -
„Wie hältst du das nur aus?" fragte sie. Sie schüttelte angewidert den Kopf und hielt sich eine Hand vor Mund und Nase. Deshalb dachte Wendy, daß sie wohl den Stallgeruch meinte, der eigentlich gerade nicht sehr durchdringend war, da sie ja kürzlich alles sauber gemacht hatte. Schweigend ging sie wieder daran, Mariah auszukämmen. „Die Pferde sind so riesig. Sie erschrecken mich zu Tode, und du behandelst sie, als seien sie klein und ganz harmlos wie Hundebabys", bemerkte Peggy mit halberstickter Stimme. „Meistens sind Pferde auch bereit zu tun, was man von ihnen verlangt. Man muß ihnen nur deutlich zeigen, wer der Herr ist. Sonst versuchen sie, einem auf der Nase herumzutanzen. Sie testen eben gern, wie weit sie gehen können." Wendy band Mariah los und führte sie in ihre Box. „Komm mit, Peggy. Ich zeige dir die anderen Pferde." „Muß ich dann zu ihnen hineingehen?" fragte Peggy, ohne sich von der Stelle zu rühren. „Nein, natürlich nicht." Wendy verriegelte Mariahs Box und fuhr fort, „du hast also tatsächlich Angst vor Pferden? Warum?" „Keine Ahnung. Das ist einfach so." Das klang fast trotzig. „Versuch' lieber, dagegen anzugehen. Pferde merken sowas sofort." „Ich weiß." „Wieso willst du denn überhaupt reiten lernen?" Diese Frage hatte Wendy ihr schon so lange stellen wollen, daß sie sie jetzt unbedingt loswerden mußte. „Ich muß eben, und ich hasse es." Peggy warf einen vorsichtigen Blick in Richtung Stalltür. „Bitte verrate meiner Mutter nicht, daß ich dir das gesagt habe", meinte sie mit unterdrückter Stimme, „sie würde mir nur wieder vorwerfen, daß ich mein öffentliches Image verderbe. Aber das ist mir inzwischen egal. Ich kann nun mal nicht in allen Dingen - 114 -
perfekt sein. Und ich wäre froh, wenn ich nicht reiten lernen müßte. Es macht mir wirklich keinen Spaß." „Dann hör' auf damit", meinte Wendy. „Ich habe dir schon gesagt, daß ich weitermachen muß. Ach, könnte ich doch einfach so wie du die Pferde herumschubsen, damit sie tun, was ich von ihnen will." „Du siehst überhaupt nicht aus, als hättest du Angst, wenn du Star reitest." „Habe ich aber. Ich glaube, daß er mir deswegen häufig nicht ganz gehorcht. Na ja, zumindest ist er kein bösartiges Pferd." „Bösartige Pferde gibt es gar nicht", antwortete Wendy, „nur solche, die gelernt haben, sich gegen boshafte Menschen zu wehren. Pferde haben ein langes Gedächtnis. Sie vergessen nichts so schnell, besonders dann nicht, wenn jemand sie schlecht behandelt hat." „Sie wehren sich?" wiederholte Peggy mit sanfter Stimme. „Vielleicht könnte ich dir zeigen, wie man sich einem Pferd nähert und es erstmal kennen lernt, Peggy. Oder hat Dave das schon getan?" „Dazu hatte er gar keine Zeit", bedauerte Peggy, „er brauchte ziemlich lange, mich zu bewegen, überhaupt auf Star zu steigen und im Sattel zu bleiben, während Star seine Runden im Schritt drehte. Vermutlich hat Dave dir davon erzählt. Ich bin nicht gerade die beste Schülerin." Wendy antwortete nicht sofort, denn sie hatte eine Idee. „Kannst du noch ein Weilchen hierbleiben, Peggy? Dann zeige ich dir, wie man ein Pferd aufzäumt, sattelt und striegelt. Wenn du dich auf diese Art erstmal daran gewöhnt hast, mit einem Pferd umzugehen, werden dir Pferde nicht mehr so riesig und furchterregend vorkommen. Wir könnten Star dafür nehmen." „Ich würde ja gern mitkommen, aber..." „Peggy, Darling. Komm jetzt nach draußen", rief Peggys Mutter durch die offenstehende Stalltür. - 115 -
Die Worte an sich klangen zwar nicht bedrohlich, aber der Tonfall zeigte deutlich, daß es keine freundliche Aufforderung, sondern ein Befehl war. „Ich lerne hier etwas über Star!" antwortete Peggy. Sie drehte sich nicht um, aber Wendy bemerkte, daß sie die Hände zu Fäusten geballt hatte. „Du mußt zu deiner Tanzstunde. Wir können Madame Levay doch nicht warten lassen. Komm schon, Peggy!" Peggy seufzte. „Ich fürchte, daß ich jetzt gehen muß. Vielen Dank für das Angebot, Wendy." „Macht nichts, dann eben morgen", schlug Wendy vor. Peggy lächelte. Sie war wirklich eine Schönheit. Wendy war klar, daß sie es Dave nicht übelnehmen konnte, falls er sich in dieses Mädchen verliebte. Und zum erstenmal verstand sie jetzt auch, warum er sich stark für Peggys Schicksal interessierte und sich plötzlich als Beschützer fühlte. „Meinst du das im Ernst? Kann ich morgen wiederkommen?" „Natürlich. Außer wenn ich eine Gruppe begleiten muß. Aber im Moment sind die Nachmittage sehr ruhig. Ich nehme nicht an, daß es morgen anders sein wird. Dann würde ich dir gern alles zeigen." „Okay. Ich erzähle meiner Mutter einfach, daß ich bei dir etwas lerne, das ich für meine Rolle können muß. Im Gegensatz zu Mr. Matthews hat sie das Drehbuch sowieso nicht durchgelesen, und er erinnert sich bestimmt nicht. Also glaubt sie mir vielleicht. Vielen Dank, Wendy." „Peggy! Liebling!" „Ich komm' ja schon, Mutter." Peggy drehte sich um und lief aus dem Stall. Wendy folgte ihr langsam und blieb an der Tür stehen. „Du sollst gehen, Darling", meckerte Mrs. Price gerade. „Es sieht nicht gut aus, wenn ein Filmstar läuft. Du mußt dich damenhaft und etwas würdevoller bewegen." - 116 -
Wendy sah zu, wie Peggy und ihre Mutter zum Wagen gingen. Sie seufzte. Peggy wirkte zwar wie sechzehn, aber in vielen Dingen benahm sie sich eher wie eine Achtjährige. Nachdenklich drehte sich Wendy um, weil sie an ihre Arbeit zurückkehren wollte. Dicht hinter ihr stand Dave, der den beiden auch nachschaute. „Arbeitet hier eigentlich überhaupt niemand mehr?" ertönte eine wohlbekannte Stimme von der Hintertür des Stalles her. „Hallo, Mr. Wright", rief Wendy, „seit wann sind Sie denn zurück?" „Ich bin vor ein paar Minuten angekommen. Es ist ja schrecklich ruhig bei euch. Kommen denn keine Leute mehr zum Reiten?" „Nachmittags reitet kaum jemand", erwiderte Wendy, „aber ich hatte heute morgen eine Gruppe." „Das liegt an der Hitze", meinte Dave. „Die Ställe sehen ja tiptop aus", lobte Mr. Wright. „Aha, diese Stimme kenne ich doch." Old John kam aus dem Geräteraum und schüttelte Mr. Wright erfreut die Hand. „Dave, ich bin gerade dem Wagen von Mrs. Price begegnet. Wie kommt ihr denn mit dem Reitunterricht voran?" „Nicht allzu gut", gestand Dave und sah Wendy dabei an. „Und woran liegt das?" fragte sein Onkel. „Sie hat Angst", sagte Wendy. „Was?!" Mr. Wright blickte Old John fragend an, als erwartete er eine Bestätigung von ihm für das, was Dave und Wendy ihm mitgeteilt hatten. „Stimmt", erwiderte der Alte, „jedesmal, wenn sie auf Star sitzt, sieht die Kleine aus, als wollte sie am liebsten weglaufen. Aber Mut hat sie. Sie macht trotzdem weiter." „Hm", sagte Mr. Wright nur und überlegte. - 117 -
„Ich habe Peggy angeboten, ihr zu zeigen, wie man ein Pferd versorgt und pflegt", meinte Wendy, „vielleicht hilft es ihr, wenn sie ein Pferd erstmal auf diese Art kennenlernt." „Ist sie denn damit einverstanden?" wollte Mr. Wright wissen. „Ja, aber..." „Aber was? Habt ihr noch mehr Schwierigkeiten?" „Das eigentliche Problem sind ihre Mutter und der Agent", mischte sich nun auch Dave ein. „Peggy bekommt ihre Anweisungen von drei verschiedenen Seiten. Wenn du ihnen klarmachen könntest, daß sie das Mädchen nicht dauernd überwachen sollen, oder wenn du sie vielleicht mit irgendwas ablenken könntest, Onkel Harry, dann wäre es eventuell leichter, mit Peggy schnellere Fortschritte zu machen." „Vermutlich hätte ich dieses Problem voraussehen sollen", meinte Mr. Wright, „schließlich bin ich solchen Eltern schon öfters begegnet. Sie denken, daß ihre Kinder Roboter ohne eigenen Willen sind, die man programmieren und steuern kann. Ich werde mal sehen, was ich da tun kann. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit. Wendy, meinst du, daß du noch ein bißchen Arbeit in deinem Stundenplan unterbringen kannst, um uns zu helfen? Deine Ideen sind wirklich gut. Ich werde dir für jede Stunde Arbeit mit Peggy dasselbe zahlen wie für einen Ritt mit einer Gruppe." „Ich schaffe das schon", meinte Wendy, „wenn Dave nichts dagegen hat." „Außerdem kann ich einen Teil von Wendys Aufgaben übernehmen", bot Old John an, „das berühmte Kind sieht nämlich so aus, als hätte es ein paar Freunde ebenso nötig wie ihre Reitstunden." Wendy schaute den Alten nachdenklich an. Er war also der gleichen Ansicht wie Dave. Vielleicht hatten sie recht? Außerdem falls Peggy vorhin im Stall nicht geschauspielert hatte, dann brauchte sie tatsächlich dringend Hilfe und - 118 -
jemanden, der ihr zuhörte. Denn Wendy hatte nicht den Eindruck, daß ihre Mutter oder der Agent dazu bereit waren. „Versuchen wir es also", meinte Mr. Wright, „okay, Dave?" „Ich finde die Idee großartig", sagte Dave. „Abgemacht. Von morgen an werdet ihr beide mit Peggy arbeiten. Macht euch selbst einen Plan für die Stunden im Ring und im Stall. John, du übernimmst alle Reitgruppen, die sich für die Zeit angemeldet haben, in der Peggy hier ist. Wir haben nicht mehr viel Spielraum, um sie rechtzeitig auf ihre Filmrolle vorzubereiten. Andererseits wird das Ergebnis unserer Bemühungen sicherlich einen Einfluß auf den Ruf der Ranch haben." Wendy bemerkte, daß auch Mr. Wright von Peggy sprach, als sei sie noch ein Kind. Sie wußte aber, daß er sie selbst und Dave nicht für Kinder hielt. Also habe ich mit meinen Ansichten über Peggy recht gehabt, dachte Wendy. Allerdings würde ich mich viel besser fühlen, wenn ich sicher sein könnte, daß sie mir nichts vorgespielt hat. „Wendy?" Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch. „Sieht ganz so aus, als wären wir auch in diesem Sommer wieder Partner", meinte Dave grinsend, während sein Onkel und Old John den Stall verließen. Dave ergriff Wendys Hand und drückte sie leicht. Dann lächelte er sie an. Und sie spürte plötzlich, wie ein überwältigendes Glücksgefühl in ihr hochstieg und sie ganz erfüllte. „Partner!" wiederholte sie.
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10. KAPITEL Als Wendy am nächsten Morgen zur Ranch ging, schleppte sie einen ganzen Stapel Bücher über Pferde mit sich. Diese Idee war ihr am vergangenen Abend gekommen, während sie sich fürs Zubettgehen fertigmachte. Daraufhin hatte sie sofort alle Pferdebücher herausgesucht, die sie besaß, weil sie dachte, daß Peggy vielleicht ein oder zwei davon ausleihen würde, um sich über die Pferdepflege zu informieren. Nur zwei Gruppen hatten sich für einen Ausritt am frühen Vormittag angemeldet. Wendy übernahm die erste, die aus drei Ehepaaren, die sich im Lodge Hotel aufhielten, bestand. Old John bot an, die zweite Gruppe zu begleiten, damit Wendy auf der Ranch sein konnte, wenn Peggy eintraf. Diesmal blieb Wendy nicht im Stall, als die graue Limousine vorfuhr. Stattdessen ging sie zum Übungsring, um sich den Unterricht aus der Nähe anzusehen. Als erstes fiel ihr auf, daß Peggy nicht. mit Star redete, bevor sie aufstieg, obwohl es nach Wendys Ansicht für die Zusammenarbeit zwischen Reiter und Pferd sehr wichtig war, daß man das Pferd mit einem freundschaftlichen Klaps und einem Hallo begrüßte. „Laß ihn erstmal im Schritt gehen, bis er warm geworden ist", sagte Dave und ging an den Rand des Ringes. „Nicht traben, Peggy!" rief er ihr zu, als sie doch schneller wurde. Dann nickte er Wendy zu: „Ich bin ehrlich froh, daß du hergekommen bist, um uns zu helfen." „Und um euch Mut zu machen", fügte sie hinzu. Jetzt, da sie den Unterricht aus der Nähe verfolgte, bemerkte sie, wie verspannt Peggy im Sattel saß. Und sie wußte natürlich, daß sich diese Spannung auf Star übertrug. Selbst das wohlerzogenste Pferd würde so etwas ausnutzen, sobald sich eine Möglichkeit ergab. - 120 -
„Entspanne dich!" rief sie Peggy deshalb zu, „du bist doch eine Schauspielerin. Stell dir vor, daß du auf einem Schaukelpferd oder auf einem Karusselpferd sitzt. Reiten soll schließlich Spaß machen!" Peggy warf Wendy einen Blick zu. Dann sah es so aus, als ob sie eine Minute lang die Augen zumachte. Wendy drückte ihr die Daumen, daß sie mit Hilfe ihrer schauspielerischen Disziplin tatsächlich in der Lage sein würde, so zu tun als ob. Offensichtlich klappte das Kunststück! Peggy entspannte ihre Schultern und ließ die Arme leicht sinken. „Sehr gut!" rief Dave, „in wenigen Minuten kannst du ihn traben lassen." „Dave, ich glaube, du liegst richtig mit deinem Vorschlag, Peggy ins Gelände mitzunehmen", meinte Wendy, „vielleicht können wir gleich für morgen einen Ausritt arrangieren. Geh' und sprich mit deinem Onkel, ich achte solange auf Peggy. Da kommt er schon!" Wendy ging in die Mitte des Ringes, während Dave auf Mr. Wright zusteuerte. „Denk dran, Peggy", begann Wendy, „Gleichgewicht ist das wichtigste. Du solltest weder die Steigbügel noch die Zügel brauchen, um dich auf dem Pferd zu halten. Jetzt bleib fest sitzen. So, nun kannst du ihm das Zeichen zum Traben geben. Nicht zu schnell! Zwing Star, dir zu gehorchen. Du mußt ihm zeigen, wer der Herr ist!" „So wie du das erklärst, Wendy, klingt es ja ganz einfach!" „Vermutlich auch nicht leichter, als wenn du mir erzählen würdest, wie man eine Rolle einstudiert und spielt." Peggy holte tief Luft, dann trabte Star folgsam an der Außenseite des Ringes entlang. „Gut. Den Sitz kontrollieren. Okay. Ich weiß doch, daß Dave das mit dir eingeübt hat. Fersen nach unten! Das Gleichgewicht nicht vergessen! Mitdenken: auf, ab. Auf, ab." „Ich träume schon immer davon!" bemerkte Peggy, aber diesmal in gutgelauntem Tonfall. - 121 -
„Kein Wunder. Das kann ich dir gut nachfühlen", versicherte Wendy. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und sah Mr. Wright auf Mrs. Price und Mr. Matthews zugehen. Dave kam zurück zum Ring. „Alles okay", sagte er, „wir können morgen zusammen ausreiten. Mein Onkel wird die beiden lästigen Zuschauer ablenken." Kurze Zeit danach stiegen Mr. Wright, Peggys Mutter und der Agent in den Wagen und fuhren langsam in Richtung Haupthaus. „Mach dir keine Sorgen, Darling", rief Mrs. Price im Vorbeifahren aus dem geöffneten Fenster, „wir bleiben in der Nähe. Ich bin bald zurück. Paß auf dich auf und sei vorsichtig!" Peggy gab ihr keine Antwort und sah auch nicht zu ihr hin. „Laß Star jetzt galoppieren!" sagte Wendy. „Gut. Halte dein Gleichgewicht. Sitz ganz locker! Mit den Schenkeln Druck geben!" „Das war phantastisch. Du gibst dir wirklich Mühe, Peggy", lobte Dave sie. „Morgen reiten wir zu dritt ins Gelände", erzählte Wendy, „du kannst jetzt absteigen, dann mache ich dich mit Star bekannt." „Du willst mich vorstellen? Aber..." Peggy zögerte. „Klar doch. Pferde sind genauso unterschiedlich wie Menschen. Du hattest nur noch keine Gelegenheit, das selbst festzustellen." „Na ja, es gibt braune Pferde, schwarze, weiße..." „Die Farbe ist nicht das Einzige", sagte Wendy, „Pferde haben völlig verschiedene Persönlichkeiten." Peggy schwang ihr Bein über Stars Rücken und sprang ab, diesmal ohne Daves Unterstützung. - 122 -
„Ich habe dir ein paar Bücher mitgebracht, die du dir ausleihen kannst, Peggy, damit du ein bißchen mehr über Pferde und Reiten lernst. Selbstverständlich mußt du sie nicht mitnehmen, wenn du nicht willst." „Aber ich würde sie sehr gern lesen, Wendy. Nur was den Geländeritt angeht, bin ich nicht sicher. Wie soll ich mich dabei verhalten?" „Im Prinzip genauso wie immer. Du hast doch gesehen, daß ich öfters Gruppen über den Hof führe. Fast an der Grenze des Geländes, das zu der Ranch gehört, befindet sich ein kleiner Teich. Dorthin reiten wir. Vielleicht nehmen wir sogar einen Picknickkorb mit." „Ich glaube nicht, daß meine Mutter..." begann Peggy. „Keine Angst. Mein Onkel kümmert sich darum", versicherte Dave, „es ist alles geregelt, wir können morgen zu dritt ausreiten." „Und was ist, wenn ich noch nicht gut genug vorbereitet bin?" „Darüber zerbrich dir man nicht den Kopf", erwiderte Wendy, „du hast schon mehr gelernt als die meisten Leute, die ich täglich begleite, das kannst du mir glauben." „Ich fühle mich überhaupt nicht so." „Du wirst es bestimmt schaffen!", meinte Dave, „außerdem kommen Wendy und ich ja beide mit. Wir kümmern uns schon um dich." „Okay. Dann laßt uns jetzt in den Stall gehen und Star gemeinsam abzäumen", schlug Wendy vor. „Ich zeige dir, wie man ihn striegelt, Peggy. Da, nimm die Zügel und führe ihn zum Stall." Sie reichte Peggy die Zügel. „Geh nicht voran, bleib immer neben dem Pferd. Mit einer Hand hältst du die Zügel dicht an seinem Kopf fest, mit der anderen nimmst du das lose Ende, aber schlinge es dir nicht um die Hand. Gut. Jetzt geht ihr nebeneinander los. So ist's richtig." - 123 -
Peggy warf einen nervösen Blick auf Stars Hufe, dann setzten sich beide in Gang. „Geschafft", sagte Peggy erleichtert, als sie die Stalltür erreicht hatten. „Gut", meinte Dave, „nun mußt du ihn anbinden." „Wo? Wie?" fragte Peggy ratlos. „Hier", antwortete Dave und ging voran. „Paß auf, ich zeig's dir", meinte Wendy und brachte ihr das eine Ende der langen Leine, an dem ein Haken befestigt war. „Nimm ihm das Zaumzeug ab, dann streife ihm den Halfter über. Jetzt kannst du die Leine an diesem Ring am Halfter festhaken. So, das war die eine Seite, du kannst dasselbe auf der anderen Seite machen, Peggy." „Normalerweise wird ein Pferd vor dem Reiten gründlich gestriegelt, damit sich auf keinen Fall Schmutz oder Kletten unter dem Sattel festsetzen können", erklärte Dave. „Außerdem müssen die Hufe gereinigt werden. Aber wir werden dir trotzdem jetzt zeigen, wie man das alles macht, damit du es morgen selbst versuchen kannst." Dave schnallte den Sattel los und nahm ihn Star ab. „Wendy, ich bringe das schnell in den Geräteraum und räume dort gleich noch ein bißchen auf. Aber ich bin bald zurück." „Ist gut, Dave. Das Zaumzeug kannst du auch mitnehmen." Sie holte die Zügel, die sie an die Stalltür gehängt hatte und warf sie ihm über die Schulter. „Danke, Dave." „Und was jetzt?" frage Peggy interessiert. „Als erstes bringe ich dir bei, wie man die Hufe eines Pferdes pflegt. Sie müssen immer frei von Schmutz und Steinen sein, damit sie nicht wund werden und das Pferd richtig laufen kann. Sie werden deshalb vor jedem Ritt nachgesehen." Wendy holte ein gebogenes Metallwerkzeug von einem Regal an der Wand. - 124 -
„Mit diesem Gerät reinigt man die Hufe, Peggy. Stelle dich so hin, daß dein Gesicht der Hinterhand des Pferdes zugewandt ist und fahre dann mit einer Hand das Bein entlang. Gleichzeitig lehnst du dich gegen das Pferd, damit es sein Gewicht auf die anderen drei Beine verlagert und du den Huf anheben kannst. Dann kratzt du mit Hilfe dieses Messers allen Dreck aus dem Huf, und zwar immer von dir weg. Schau, in diesem Huf steckt nur ein kleiner Stein. Ich entferne ihn jetzt. Dabei muß man aufpassen, daß der innere, weiche Teil des Hufs nicht verletzt wird. So, das wär's schon. Nun nehme ich mir das Hinterbein vor. Ich lege eine Hand auf Stars Rücken und rede mit ihm, solange ich mich hinter ihm befinde. Auf die Weise kann er nicht vergessen, daß ich dort stehe. Sonst könnte er eventuell ausschlagen, wenn er sich erschrickt. Als nächstes sind die Beine auf der anderen Seite dran. Möchtest du eins übernehmen?" „Oh, nein", antwortete Peggy kopfschüttelnd. Davor hatte sie Angst. „Dann paß genau auf, vielleicht magst du es morgen versuchen", sagte Wendy und kontrollierte schnell die beiden Hufe. Schließlich legte sie das Werkzeug weg und holte ein sauberes Handtuch. „Heute reibe ich Star nur kurz mit diesem Handtuch ab, Peggy. Aber bevor wir morgen losreiten, zeige ich dir, wie man ihn richtig striegelt und sattelt." „Er ist mir einfach zu riesig", gestand Peggy, „ich werde mich nie daran gewöhnen, mit einem Pferd umzugehen. Manchmal denke ich, daß ich ein unwahrscheinlicher Feigling bin." Sie seufzte. „Unsinn", erwiderte Wendy, „ich finde es ziemlich mutig von dir, überhaupt reiten zu lernen, obwohl du solche Angst vor Pferden hast." „Ich wünschte, ich wäre wie du, Wendy." - 125 -
„Davon hättest du wenig, Peggy. Du könntest deine Karriere glatt abschreiben." „Wie meinst du das?" „Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben auf der Bühne gestanden. Im fünften Schuljahr. Damals sollte ich eine Prinzessin darstellen. Sobald ich die Bühne betrat, konnte ich mich an kein Wort mehr erinnern. Den ganzen Text hatte ich vergessen, obwohl ich höchstens zwei Zeilen zu sagen hatte. Ich dachte, ich würde sterben vor Scham. Selbst jetzt ist die Erinnerung daran sagenhaft peinlich. Bei dem bloßen Gedanken an jenen Auftritt zittern mir heute noch die Knie und es schnürt mir den Hals zu." „Genauso fühle ich mich, wenn ich morgens den Übungsring betrete", versicherte Peggy. Nun konnte Wendy erst richtig verstehen, was Peggy die ganze Zeit durchmachen mußte, und sie empfand zum erstenmal echtes Mitgefühl für sie. „Wie ging denn die Sache mit deinem Stück damals aus?" fragte Peggy. „Meine Lehrerin, Mrs. Becker, souflierte mir so laut, daß das Publikum sie bis in die hintersten Reihen deutlich verstehen konnte. Seitdem habe ich mich immer von vornherein freiwillig als Bühnenarbeiter gemeldet, um nicht wieder ins Rampenlicht zu müssen." „Vielleicht versuchst du es doch noch einmal..." „Nein danke, Peggy. Die Bühne gehört dir." Peggy lächelte spitzbübisch: „Dabei wollte ich dir nur mit einem deiner eigenen Ratschläge für mich weiterhelfen: versuch's noch einmal." „Zum Glück brauche ich ihn ja nicht zu befolgen. Im Gegensatz zu dir, Peggy, denn Reiten ist eine Voraussetzung für deine Rolle als Jockey." „Ich weiß." Peggy seufzte. „Soll ich dir die Bücher bringen, Wendy?" rief Dave aus dem Geräteraum. „Möchtest du sie haben, Peggy?" fragte Wendy. - 126 -
„Wenn du nichts dagegen hast?" „Natürlich nicht. Ich habe sie doch extra für dich mitgebracht." Wendy nahm Dave die Bücher ab und reichte sie Peggy. „Du mußt dich nicht wahnsinnig beeilen, Peggy, aber ich würde sie gern wiederbekommen, sobald dein Unterricht zu Ende ist." „Das dauert nicht mehr lange", meinte Peggy, „und bis dahin muß ich noch sehr viel lernen. Aber ich denke jetzt, ich werde es schaffen." „Ich bringe Star auf die Weide", sagte Dave und band ihn los, nachdem er eine Führungsleine an seinem Halfter befestigt hatte. Als er nach draußen verschwunden war, fragte Peggy: „Wie lange kennst du Dave schon, Wendy?" Aha, jetzt kommt es, dachte Wendy. Sie war immer noch mißtrauisch. „Vor ein paar Jahren verbrachten wie einen Sommer gemeinsam auf der Ranch. Er war damals zwölf und ich neun Jahre alt. Danach sahen und hörten wie nichts voneinander, bis ich ihn an meinem ersten Arbeitstag in diesen Ferien wiedertraf." „Tatsächlich?" sagte Peggy überrascht, „mir kam es so vor, als ob ihr euch schon lange kennt. Ich dachte, daß ihr zusammen geht." Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Dave mag dich sehr gern, Wendy. Und ich habe dich zu Anfang gehaßt." „Du hast mich gehaßt? Warum?" fragte Wendy verblüfft. „Weil Dave mir dauernd sagte, daß ich dich beim Reiten beobachten sollte. Dabei wußte ich genau, daß ich nie so gut reiten werde wie du." „Sprecht ihr zwei etwa über mich?" Dave war unbemerkt rein gekommen. - 127 -
„Peggy erzählte mir gerade, was für ein Leuteschinder du bist, Dave, aber das war mir ja nicht neu. Partner müssen solche Dinge schnell mitkriegen." „Ich? Ein Leuteschinder? Niemals", protestierte Dave, „ich habe noch nie jemanden angeschrieen." „Aber, aber Dave. Jetzt steh' auch zu deinem wahren Ich!" erwiderte Peggy, „Fersen nach unten. Fersen runter!" begann sie im Kommandoton und führte dann eine ziemlich perfekte Imitation von Dave vor. Wendy stellte fest, daß Peggy wirklich Talent hatte. Sie beherrschte nicht nur seine Kommandos, sondern auch seine Mimik und Gestik bis ins kleinste Detail. Bald konnten sie sich alle drei vor Lachen kaum noch halten. „Ihr scheint den Unterricht für heute beendet zu haben", bemerkte Mr. Wright, der mit Mrs. Price und Mr. Matthews gerade in dem Moment auftauchte, als das Trio den Stall verließ. „Was hast du denn da, Peggy?" fragte ihre Mutter und zeigte auf die Bücher. „Pferdelektüre", antwortete Peggy, „ich werde jetzt alles über Pferde lernen." „Braves Mädchen", lobte Mr. Wright, „nur wer Pferde richtig versteht, wird ein guter Reiter." Mrs. Price sah ihn an und lächelte. Wendy und Dave tauschten verständnisvolle Blicke. Mr. Wright konnte wirklich jeden um den Finger wickeln, wenn er es wollte. „Nächste Woche beginnen deine Gesangsstunden, Peggy. Sieh' zu, daß dir genug Zeit zum Üben bleibt!" mahnte Mrs. Price. „Wirst du denn auch noch in einem Film singen?" fragte Wendy. „Sie sollte jedenfalls auf diese Möglichkeit vorbereitet sein", erwiderte Mr. Matthews streng. Peggy seufzte halblaut. - 128 -
„Bis morgen", verabschiedete sie sich dann von Wendy und Dave. „Zieh alte Jeans an", riet ihr Wendy, „wir nehmen die Westernsättel. Sie sind bequemer." „Ich glaube nicht, daß du ein Paar alte Jeans besitzt", meinte Mrs. Price spitz, „wir werden dir welche kaufen müssen." „Mutter, natürlich habe ich alte Jeans", widersprach Peggy, „außerdem wären sie ja neu, wenn wir extra welche kaufen gingen." Zum erstenmal, seit Wendy sie kannte, klang Peggy wie ein ganz normaler Teenager. „Na, habt ihr Fortschritte gemacht?" erkundigte sich Mr. Wright, sobald die Limousine abgefahren war. „Ja, wir sind ein großes Stück vorangekommen", antwortete Dave. „In mehr als einer Beziehung", stimmte ihm Wendy zu. Sie sah Dave an und erinnerte sich, daß Peggy angenommen hatte, daß sie miteinander gingen. Ich wünschte, es wäre wahr, dachte sie sehnsüchtig.
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11. KAPITEL Am nächsten Morgen kam Peggy zum ersten mal zu spät. Kaum hielt der Wagen an, als sie auch schon die Tür aufriß, heraussprang und auf den Stall zurannte, natürlich begleitet von den Ermahnungen ihrer Mutter, die hinter ihr herrief, daß sie nicht laufen sollte. Wendy wartete mit Dave bereits an der Stalltür. Old John war gerade mit einer Gruppe von drei Reitern zu einem Geländeritt aufgebrochen. „Entschuldigt, daß ich so spät komme. Ich konnte meine alten Jeans einfach nicht finden. Meine Mutter bestand darauf, ein neues Paar zu kaufen, aber ich habe mich geweigert. Schließlich tauchte diese vergammelte Jeans ganz hinten im Schrank auf." Wendy begutachtete die Hose und stellte fest, daß sie nicht einmal getragen aussah, und schon gar nicht alt und vergammelt. Vermutlich ist in diesem Haushalt jedes Kleidungsstück alt, das mehr als dreimal gewaschen wurde, dachte sie. „Magst du Star selber striegeln?" fragte Wendy. „Ich werd's versuchen. Gestern abend habe ich bis Mitternacht in deinen Büchern gelesen. Ich glaube, daß ich nun doch ein bißchen mehr über Pferde weiß. Eigentlich komisch, daß man durch bloßes Lesen mehr Selbstvertrauen gewinnen kann." „Vielleicht war das mein Problem. Ich habe nie ein Buch über Lampenfieber gelesen", meinte Wendy. „Und ich habe nicht einmal eins, das ich dir leihen könnte. Tut mir leid", erwiderte Peggy. „Das hatte ich auch nicht angenommen. Du hast bestimmt nie eins nötig gehabt." Wendy lachte. Dave holte Star aus seiner Box. - 130 -
„Ich werde ihn selbst anbinden", sagte Peggy. Überrascht sah Dave sie an, dann zwinkerte er Wendy zu. „Ich hab's gesehen, Dave", meinte Peggy, „ihr müßt mich ja wirklich für einen Trottel halten, aber ich habe immer noch Angst." „So war es nicht gemeint, Peggy", widersprach Dave, „ich bin nur froh, daß du dir endlich ernsthaft Mühe gibst." „O je, ich habe dich sicher schon oft genervt. Tut mir echt leid." „Halb so schlimm, ich konnte dich gut verstehen, Peggy." „Wirklich? Du hast doch bestimmt gedacht, daß ich bloß ein verwöhnter Filmstar wäre." Eine Minute lang herrschte Totenstille. Wendy hielt verlegen die Augen gesenkt. Schließlich war sie diejenige gewesen, die solche Vorurteile gehabt hatte. „Nein, Peggy", sagte sie endlich, „Dave hat gemerkt, daß deine Angst echt war." „Was sich auch noch nicht vollständig geändert hat", gab Peggy zu. „Wie geht es jetzt weiter?" Wendy brachte ihr eine weiche Bürste und zeigte ihr, wie sie damit sanft Stars Kopf, Hals und Beine bearbeiten sollte. Sie selbst nahm sich mit einer etwas härteren Bürste Stars Rücken, Lenden und Mähne vor. „So, als nächstes reinigst du ihm die Hufe, Peggy", sagte Wendy. „Ich... ich kann nicht." „Es ist nicht schwer", versicherte Dave, „soll ich's dir zeigen?" „Nein, ich weiß, wie das geht. Wendy hat es mir gestern vorgemacht. Ich habe nur Angst, daß das Pferd mich tritt." „Star wird dich nicht treten, solange du seinen Huf festhältst", beruhigte Wendy sie, „er ist sehr geduldig und mag außerdem gern gestriegelt werden." Unsicher sah Peggy erst Dave, dann Wendy an. Schließlich gab sie sich einen Ruck. „Na gut, ich versuche es." Sie lehnte sich gegen Stars Schulter und griff nach dem Huf. - 131 -
„Was machst du da?" schrie plötzlich Mrs. Price in höchster Angst und kam in den Stall gerannt, „geh sofort von dem Pferd weg, Peggy! Wenn es ausschlägt, bist du vielleicht für immer verunstaltet. Was hast du dir nur dabei gedacht!" Star wieherte laut, Peggy ließ den Huf los und sprang zurück. „Star würde sie nie treten widersprach Wendy. „Mutter! Du hast ihn fast erschreckt. Bitte geh jetzt zum Wagen, oder ich lasse hier alles stehen und liegen und sage dem Produzenten, daß ich nicht reiten kann. Das ist mein voller Ernst, Mutter." Peggy funkelte ihre Mutter grimmig an. „Du wirst natürlich nicht bei dieser absurden Ansicht bleiben", erklärte Mrs. Price mit Bestimmtheit. Peggy sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. „Doch, das werde ich", sagte sie mit erstickter Stimme. „Wo ist Mr. Wright?" fragte ihre Mutter und schaute erst Wendy, dann Dave herausfordernd an, „ich bin sicher, daß das Anheben von Pferdehufen kein notwendiger Bestandteil des Reitunterrichts sein kann!" Star schnaubte, und sie machte entsetzt einen Satz nach hinten. „Seht ihr? Jetzt wird das Pferd auch noch wild!" „Mein Onkel hält sich oben im Haupthaus auf. Wenn Sie es wünschen, Mrs. Price, kann ich ihn über das Stalltelefon erreichen und bitten, herzukommen, um mit Ihnen zu sprechen", sagte Dave mit ruhiger Stimme. Voller Bewunderung hörte Wendy ihm zu. Er blieb erstaunlich cool und sicher. Sie wußte, daß sie selbst besser kein Wort sagte, denn dazu machte Mrs. Price sie viel zu wütend. „Ja, junger Mann, ich möchte Mr. Wright sprechen, und zwar sofort. Rufen Sie ihn an. Ich werde draußen warten. Peggy, du kommst mit mir!" „Nein, Mutter. Ich habe jetzt Unterricht. Du kannst allein draußen warten."
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Dann lehnte sie sich gegen Star, bückte sich und hob einen Huf an. Ganz ruhig und wie selbstverständlich begann sie, Stallmist und Schmutz davon zu entfernen. „O Gott, ich kann das nicht mit ansehen", stöhnte ihre Mutter und floh aus dem Stall. „Wendy, mach du weiter mit dem Unterricht, ich gehe jetzt meinem Onkel Bescheid sagen", meinte Dave. „Was wird er tun?" fragte Peggy, „meine Mutter ist sehr wütend." „Keine Sorge, Peggy. Deine Filmrolle ist doch ziemlich wichtig, oder?" „Ja." „Ich glaube, daß Mr. Wright darüber informiert ist. Er wird deine Mutter bestimmt beruhigen, da er sowohl auf Pferde als auf Menschen einen besänftigenden Einfluß hat." „Aber er kennt meine Mutter nicht", murmelte Peggy, „sie ist einem Maultier viel ähnlicher als einem Pferd." Wendy verstand diese Bemerkung nur, weil sie ganz dicht neben Peggy stand. Sie unterdrückte mühsam ein Lächeln, denn Peggy hatte mit dieser Beschreibung ihrer Mutter genau ins Schwarze getroffen. Als sie mit dem Striegeln fertig waren, packte Wendy alle Geräte, die sie benutzt hatten, wieder ordentlich weg. „Jetzt sind Zaumzeug und Sattel an der Reihe", erklärte sie. Dave holte den Sattel aus dem Geräteraum. Wendy zeigte Peggy, wie man die Satteldecke von vorn nach hinten über den Pferderücken streift und erklärte ihr, daß man auf diese Weise verhindert, daß sich das Pferd wundscheuert. Dave demonstrierte ihr den eigentlichen Umgang mit dem Sattel. Als Peggy es dann selbst versuchte, stöhnte sie: „Oh, der ist aber schwer." „Das liegt daran, daß wir heute die Westernsattel nehmen. Sie wiegen erheblich mehr als englische Sättel." „So, als nächstes legen wir ihm das Zaumzeug an, danach wird der Sattelgurt noch einmal festgezogen. Sobald wir die - 133 -
anderen beiden Pferde gesattelt und aufgezäumt haben, kann's endlich losgehen", meinte Dave. „Hilf ihr beim Aufzäumen, Dave. Ich mache Sheba und Ivory fertig", sagte Wendy. „Schon wieder etwas, das ich nicht kann", beschwerte sich Peggy. „Es ist keine Frage des Könnens, Peggy", erwiderte Dave, „du weißt nur noch nicht, wie es geht." Er hielt das Zaumzeug hoch. „Diese Metallstange nennt man das Gebiß", erklärte er und zeigte Peggy die Verbindung zwischen Gebiß und Zügel. „Das Gebiß wird in das Maul des Pferdes gelegt. Die Veränderung des Drucks, der darauf liegt, signalisiert dem Pferd, was es tun soll. Deshalb darf man nicht zu hart an den Zügel reißen, denn das tut ihm weh. Dies hier ist das Kopfstück. Schau, so streift man es über." Dave hielt Star das Zaumzeug vor die Nase, das Pferd öffnete bereitwillig sein Maul, und Dave schob das Gebiß hinein, während er weiter mit Peggy sprach: „Dann hält man ihm das Gebiß vor's Maul. Siehst du? Star weiß genau, was von ihm erwartet wird. Das Gebiß paßt in die Lücke zwischen den vorderen und den Backenzähnen, als hätte die Natur sie extra dafür entwickelt." „Stars Zähne sind unheimlich groß", meinte Peggy. „Ja, ja... damit er dich besser fressen kann, was Peggy? Stimmt auch, Sei lieber vorsichtig und stecke ihm auf keinen Fall den Finger ins Maul. Wenn er das Maul mal nicht aufmachen will, brauchst du nur leicht mit dem Gebiß dagegen zu drücken. Star ist sehr kooperativ und gehorcht eigentlich immer. Aber mit dem Gebiß mußt du vorsichtig umgehen, damit es richtig sitzt und nicht gegen seine Zähne stößt. Sonst wird ein Pferd schnell kopfscheu, so daß man einen regelrechten Kampf mit ihm führen muß, um das Gebiß einzulegen und die Zügel überzustreifen." Dave nahm das Zaumzeug wieder ab und das Gebiß heraus. „Jetzt bist du dran, Peggy." - 134 -
„Meine Mutter würde sterben, wenn sie mich jetzt sehen könnte", sagte Peggy und sah nervös zur Tür. „Konzentriere dich lieber auf das, was du tust, und mach dir um deine Mutter keine Sorgen", erwiderte Dave. Peggy befolgte alle seine Instruktionen. Es klappte! „Toll, er hat mir gehorcht, Dave! Er hat sein Maul geöffnet! Liegt das Gebiß richtig? Warum kaut er darauf herum?" „Er schiebt es sich nur zurecht. Na, das war nicht so schwer, wie du dachtest, oder?" „Auch nicht gerade einfach. Aber ich hab's geschafft!" Peggy lächelte zufrieden. Wendy war ebenfalls erleichtert. Von dem Platz aus, an dem sie Sheba und Ivory sattelte, hatte sie alles beobachten können. Jetzt stellte sie fest, daß Peggy zum erstenmal, seit sie sie kannte, glücklich aussah. Wenn wir nur den Agenten und ihre Mutter schon eher von ihr abgelenkt hätten, dachte Wendy, vielleicht wäre Peggy dann inzwischen viel weiter gekommen. „Ich zäume Ivory auf, und du übernimmst Sheba, Wendy", sagte Dave. „Und was soll ich tun?" fragte Peggy. „Sprich mit Star. Streichle ihn. Erzähle ihm, wie schön und klug er ist und daß du dich auf unseren Ritt nachher freust." „Wenn ich überhaupt mitreiten darf. Da kommt meine Mutter." Mrs. Price und Mr. Wright blieben an der Stalltür stehen. „Peggy, Darling. Mr. Wright war so nett, mich zum Mittagessen ins Lodge Hotel einzuladen. Aber Mr. Matthew bleibt hier auf der Ranch. Schicke ihn zu mir, falls du mich brauchst." Dann schweifte ihr Blick zu Wendy und Dave. „Und Sie beide werden mir dafür sorgen, daß meine Tochter nicht vom Pferd fällt. Ihr Onkel hat mir hoch und heilig versprochen, daß sie in Ihrer Obhut sicher ist." „Mutter! Ich bin doch nicht mehr fünf Jahre alt! Deine Babysitter brauche ich nicht, ich kann selbst auf mich aufpassen", erwiderte Peggy entrüstet. - 135 -
„Du bist sehr zart, Darling. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, daß dir etwas zustößt, Peggy, Liebling." „Sie können völlig unbesorgt sein, Mrs. Price", beruhigte Wendy sie, „wir werden ganz langsam reiten." „Außerdem nehmen wir Peggy in die Mitte und behalten sie ständig im Auge", fügte Dave hinzu. „Und vergiß nicht, Mr. Matthew sofort zu mir zu schicken, wenn du mich brauchst, Peggy", mahnte Mrs. Price ihre Tochter noch einmal. „Bis nachher, Mutter!" sagte Peggy ungeduldig. Ihrem Gesicht und ihrer Stimme merkte man an, daß sie kurz davor war, die Nerven zu verlieren. Aber ihre Mutter schien das nicht zu spüren. Als Mrs. Price und Mr. Wright endlich fortgegangen waren, entfuhr Peggy ein lauter Stoßseufzer. „Sie macht mich noch wahnsinnig mit ihren vielen Ermahnungen und Ratschlägen. Ich darf nicht einmal selbst entscheiden, was ich anziehen will. Immer muß sie mit Mr. Matthews Unterstützung ihren Senf dazugeben. Vermutlich werden die beiden mir nie erlauben, erwachsen und selbständig zu werden." „Ach, Peggy, ich glaube, daß wir alle irgendwann solche Erfahrungen mit unseren Eltern machen", meinte Wendy, „nur kommt in deinem Fall noch erschwerend hinzu, daß du an deine Karriere denken mußt. Deine Mutter befürchtet wahrscheinlich, daß du etwas tun könntest, das dir eine schlechte Publicity einbringt." „Wenn sie nicht aufhört, an mir herumzunörgeln, werde ich ziemlich bald mit Absicht mein Image ruinieren. Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie nervig mein Leben ist, Wendy." Peggy ging hinüber zu Wendy, die immer noch mit Ivory zu tun hatte. „Oh, was für ein schönes Pferd", rief Peggy bewundernd, „meinst du, daß ich es reiten könnte, Wendy?" „Statt Star?" fragte Wendy verwundert. „Star ist aber das beste Pferd im Stall." - 136 -
„Sicher, er ist nett. Nur wollte ich immer schon mal gern ein weißes Pferd reiten. Außerdem reicht ein Star. Heute bin ich bloß Peggy." „Ivory sieht zwar hübsch aus", meinte Wendy unsicher, „kann aber ziemlich störrisch sein." „Egal. Ich verhalte mich schließlich auch manchmal bockig, wenn ich etwas nicht will", antwortete Peggy. „Was hältst du von der Idee, Dave?" fragte Wendy, „dein Onkel hat versprochen, daß..." „Ivory ist ein zuverlässiges Pferd. Sogar die kleinen Kinder dürfen sie reiten. Peggy wird bestimmt keine Probleme mit ihr haben, denn sie hat schließlich inzwischen einige Reiterfahrung." Wendy bezweifelte, daß er tatsächlich so zuversichtlich war, wie der Klang seiner Stimme. „Danke." sagte Peggy. Sie streichelte Ivorys Kopf, Wendy bemerkte, daß Peggy sich zum erstenmal in der Nähe eines Pferdes ganz natürlich bewegte und sich offenbar sicher fühlte. Vielleicht geschah jetzt gerade mit ihr und Ivory das, was Wendy mit Star damals passiert war; Liebe auf den ersten Blick. „Los, alles aufsteigen" rief Dave, „Sheba ist fertig gesattelt, Ivory ist fertig, Star ist fertig." Als Wendy sich in Stars Sattel schwang, drehte er sich erstaunt nach ihr um. „Ja, ich bin's mal wieder, alter Junge", sagte sie zärtlich und tätschelte seinen Hals. Es schien schon eine Ewigkeit her zu sein, daß sie ihr Lieblingspferd zuletzt geritten hatte. Eine sanfte Brise brachte das braune, sonnenverbrannte, ausgedörrte Gras auf dem hügeligen Ranchgelände in leichte Schwingbewegungen.
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Ein Schwarm Wachteln watschelte direkt vor ihnen quer über den Reitpfad, so daß der letzte Vogel den drei Reitern nur noch mit knapper Not entkam. „Dies macht mir viel mehr Spaß, als immer bloß im Kreis herum im Ring zu reiten", sagte Peggy begeistert, „wären wir doch gleich von Anfang an ins Gelände gegangen." In der Ferne erblickte Wendy Old John mit seiner Gruppe, die sich auf dem Rückweg zum Stall befand, Sie winkte ihm zu. „Der Unterricht im Ring war aber eine ausgezeichnete Vorbereitung auf unseren heutigen Ritt", meinte Dave. „Stimmt, Dave", erwiderte Wendy, „trotzdem geht es mir wie Peggy. Mir gefallen die Geländeritte auch immer am besten." „Morgen wird Old John Star den Jockeysattel aufschnallen und dir das Reiten im Jockeysattel beibringen, Peggy", sagte Dave. „Meinst du, daß ich das lernen kann?" „Na klar, mit etwas Übung solltest du es schaffen. Ich hab's zwar nie ausprobiert, aber so besonders schwer sieht es nicht aus." Peggy schaute nachdenklich erst Wendy, dann Dave an. „Ihr habt's gut, daß ihr beide zusammen hier auf der Ranch arbeiten könnt. Und außerdem scheint mir, daß ihr ein tolles Team seid und jeder das tut, was er am besten kann." „Vermutlich ganz ähnlich wie beim Film, Peggy, oder? Jeder Star muß seine Rolle spielen, und die Techniker machen ihre spezielle Arbeit, sonst wird nie ein Film draus", überlegte Wendy. „Wahrscheinlich hast du recht, Wendy", stimmte Peggy zu, „nur habe ich meine Arbeit noch nie auf diese Weise betrachtet." Sie tauchten in die schattig, wohltuende Kühle des kleinen Wäldchens ein. „Rauscht hier irgendwo Wasser?" fragte Peggy, - 138 -
„Ja, gleich da vorn", antwortete Wendy, „die Quelle speist einen Bach, der sich sogar an einer Stelle zu einem kleinen Teich aufgestaut hat." „Oh, wie schön", rief Peggy aus, als sie den Teich erreichten, „wer hätte gedacht, daß sich mitten in diesem trockenen Gelände so ein herrlicher Ort befindet!" „Dies ist unser Lieblingsplatz auf der Ranch", sagte Dave und sah Wendy dabei an. Sein Blick sprach Bände: wir gehören zusammen, Partner, wir sind ein Team. Natürlich hatte Wendy gemerkt, daß er laut und deutlich ,unser' Lieblingsplatz gesagt hatte. Ein warmes Glücksgefühl durchströmte sie. Jetzt wußte sie, wie überflüssig ihre Sorgen wegen Dave und Peggy gewesen waren. Sie entspannte sich im Sattel und genoß die weichen Bewegungen ihres Pferdes. „Du hast es geschafft, Peggy", meinte Dave, als sie schließlich an einer geeigneten Stelle am Teichufer anhielten. Die Pferde senkten sofort ihre Köpfe zum Wasser. „Laßt sie lieber nicht zuviel auf einmal trinken", warnte Dave. „Wir sind doch langsam geritten", antwortete Wendy, „Star ist eigentlich nicht zu warm geworden und Sheba und Ivory vermutlich ebensowenig." „Okay, Boß", nickte Dave und grinste. „Dann laßt sie trinken." Wendy lächelte zurück: „Warum steigen wir nicht ab und strecken unsere Glieder ein bißchen, während die Pferde grasen und trinken? Ich glaube, daß wir Zeit genug haben, Peggy. Deine Mutter ist schließlich mit Mr. Wright ausgegangen. Das kann dauern!" „Laufen die Pferde denn nicht weg?" fragte Peggy und ließ sich langsam aus dem Sattel gleiten. „Nein, ich habe extra Leinen und Halfter mitgenommen", antwortete Wendy. „Ach deshalb schleppst du das ganze Zeug hinter deinem Sattel mit", sagte Dave, „ich hatte schon gedacht, daß du hier am Teich eine Unterrichtsstunde abhalten wolltest." - 139 -
Er setzte sich auf den umgefallenen Baumstamm am Ufer und zog die Reitstiefel aus. Dann bewegte er erleichtert seine Zehen und entledigte sich schließlich auch noch seiner Socken. „Tolles Gefühl!" meinte er. „Kein Unterricht, Dave", erwiderte Wendy, „ich dachte, die Arbeitsstunde haben wir heute zur Abwechslung mal im Stall absolviert, dies hier betrachte ich als Vergnügen und Erholung, außer wenn du, Peggy, noch irgendwelche Fragen hast." „Nein, Wendy", antwortete Peggy, „ich habe zwar eine ganze Menge aus unserem Ritt hierher gelernt, doch im Moment ist mir auch eher nach Entspannung und ein bißchen Spaß zumute. Aber mir sind einige Dinge klar geworden. Die Anweisungen, die ihr mir im Ring gegeben habt, ergeben plötzlich einen Sinn für mich. Klingt das einigermaßen logisch, Dave?" „Erwartest du etwa, daß ich dir darauf antworte?" neckte Dave sie. „Ich verstehe, was du meinst, Peggy", sagte Wendy, „vermutlich hast du das Reiten immer nur mit den Stunden im Ring verbunden. Heute dagegen konntest du sinnvoll anwenden, was du jeden Tag üben mußtest und endlich ausprobieren, was wirkliches Reiten bedeutet." „Siehst du, Dave? Was ich gesagt habe, hat doch gestimmt", stellte Peggy fest. „Wenn ihr das beide meint", erwiderte Dave friedlich lächelnd. Dave stand auf und stellte sich in das seichte Wasser am Rand des Teiches. „Ah, tut das Wasser meinen Füßen gut!" Wendy schaute auf seine breiten Schultern und den kräftigen Rücken. Die Versuchung wurde unwiderstehlich. Gespannt und voller Vorfreude warf sie Peggy einen Blick zu. Peggy nickte. Sie hatten beide dieselbe Idee gehabt! Wendy näherte sich Dave vorsichtig von der einen, Peggy von der anderen Seite her. Als sie noch etwa einen Schritt entfernt waren, schrie - 140 -
Wendy: „Jetzt!" Die zwei sprangen Dave gleichzeitig von hinten an und schubsten ihn mit Schwung in den Teich. Dave schnaufte und prustete, sobald er wieder auftauchte. Wendy und Peggy bogen sich am Ufer vor Lachen. „Oh, wartet nur, ihr beiden, bis ich euch zu fassen kriege!" drohte er keuchend. ' „Ist das Wasser naß?" kicherte Wendy. Zu mehr war sie nicht imstande, denn sie bekam schon Seitenstiche vom Lachen. Dann hob sie die Hände als Zeichen, daß sie sich ergab, trat aber vorsichtshalber ein paar Schritte vom Ufer zurück. „Dave, denk daran, was Mrs. Price sagen würde, wenn Peggy klatschnaß zurückkäme", warnte ihn Wendy. „Und für deinen Onkel wäre es ziemlich peinlich, wenn wir beiden Reitlehrer wie nasse Ratten nach Hause kämen. Aber so können wir erzählen, daß du ausgerutscht bist und wir dir herausgeholfen haben." Sie kicherte wieder schadenfroh. „Ja, wir werden sagen, daß du dich hingekniet hast, um zu trinken. Und dabei hast du das Gleichgewicht verloren und bist in den Teich gefallen", schlug Peggy mit unschuldigem Gesicht vor, „genau so ist es doch auch passiert, nicht wahr, Wendy?" „Stimmt. Ein Glück, daß wir gerade vorbeikamen, was?" „Aus diesem dreckigen Teich trinken? Scheußlich", antwortete Dave angeekelt, „und im Moment finde ich euch beiden wirklich nicht besonders hilfreich." Er stand mit triefenden Haaren und klatschnassen Klamotten hüfttief im Wasser und wirkte, als sei er halbertrunken. Star hob den Kopf, sah ihn bedächtig an und wieherte. Peggy lachte hell auf. „Star findet dich wohl komisch!" kicherte sie. „Star hat eben zuviel Zeit mit euch beiden verbracht, das verdirbt den Charakter." Dave watete ans Ufer und funktelte die Mädchen wütend an, die daraufhin einen neuen Lachanfall kriegten. - 141 -
„Vielleicht kann ich dir's nie heimzahlen, Peggy. Aber du, Wendy, warte bloß ab. Ich werde diese Sache ganz besimmt nicht vergessen." „Oh, ihr zwei habt wirklich Glück", seufzte Peggy, die plötzlich ganz traurig geworden war. All ihre ausgelassene Fröhlichkeit schien wie weggewischt. Sie setzte sich auf den Baumstamm und stützte ihr Kinn in die Hand. „Ich habe nie soviel Spaß wie ihr", sagte sie nachdenklich. „Du mußt deiner Mutter irgendwie klarmachen, daß du ein bißchen Zeit für dich allein brauchst. Zeit, in der du du selbst sein kannst, statt Peggy Price, der Filmstar", antwortete Wendy. „Sicher, Wendy. Genau das würde mir gut tun. Aber meine Mutter versteht das nicht. Sie würde gar nicht wissen, wovon ich rede." „Versuch's trotzdem", meinte Dave, „warte einen günstigen Moment ab, wenn sie sowieso gute Laune hat. Vielleicht nach der Premiere deines jetzigen Films, bevor du mit dem nächsten anfängst." „Ich werde meine Zustimmung zu dem nächsten Film erst geben, sobald ich selbst dazu bereit bin. Diesmal müssen Mutter und Andy Matthews mir die Entscheidung überlassen", sagte Peggy leise vor sich hin, dann fuhr sie lauter und zu Wendy und Dave gewandt fort, „ja, das werde ich tun. Meine Mutter hat noch nicht kapiert, daß ich allmählich erwachsen werde." „Mit dem Problem stehst du allerdings nicht allein da", bemerkte Wendy, „die meisten Mädchen, die ich kenne, haben dieselben Schwierigkeiten. Ich glaube fast, daß alle Mütter einfach nicht damit rechnen, daß ihre Babys irgendwann Frauen werden." „Das gilt ebenso für Jungs", meinte Dave, „und zwar nicht nur in Bezug auf ihre Mütter, auch die Väter wollen nicht einsehen, daß die Kinder älter werden." „Stimmt, Dave", nickte Wendy, „Väter sind genauso schlimm, manchmal sogar schlimmer." - 142 -
„Ich kann mich an meinen Vater gar nicht erinnern", sagte Peggy, „meine Eltern trennten sich, als ich geboren wurde und reichten die Scheidung ein, sobald ich laufen konnte. Vermutlich war ich ihm gleichgültig. Ich weiß nicht einmal, wo er jetzt ist." Wendy stellte im Stillen Vergleiche zwischen ihrem eigenen Familienleben und dem von Peggy an und erkannte, daß sie mit ihren interessierten, verständnisvollen Eltern Glück gehabt hatte. Die paar Verbote, die sie dafür hinnehmen mußte, wie zum Beispiel, nicht auf die Ranch gehen zu dürfen, wenn Dave dort ganz allein war, erschienen ihr, in diesem neuen Licht besehen, halb so schlimm. „Du solltest dich in die Sonne stellen und ein bißchen trocknen, Dave", schlug Wendy vor. Er schüttelte sich und bespritzte beide Mädchen mit Wasser. Dann zog er das nasse Hemd über den Kopf und wrang es aus. „Okay, ich hänge das hier auf einen Zweig zum Trocknen und setze mich dort drüben in die Sonne. Junge, Junge. Euch darf ich nicht einmal zwei Minuten den Rücken zudrehen, sonst plant ihr gleich den Aufstand." „Hm", machten Wendy und Peggy gleichzeitig. Sie schauten sich an und lachten. „Und behauptet nur nicht, daß ihr bloß nett sein wolltet", fuhr Dave fort, „selbst Peggy würde ich das nicht glauben." „Siehst du, Peggy", meinte Wendy, „ich habe dir ja gleich gesagt, daß ich nicht überzeugend schauspielern kann." „Aber du hast es versucht", erwiderte Peggy und lachte. Sobald Daves Hemd einigermaßen trocken war, machten sie sich auf den Rückweg. Wendy ergriff die Gelegenheit und trieb Star zu einem kurzen, wilden Galopp an. Sie fühlte sich so glücklich wie schon seit langem nicht mehr. Schließlich zügelte sie ihr Pferd und schloß sich den andere beiden wieder an. - 143 -
„Du reitest phantastisch, Wendy", sagte Peggy bewundernd, „und du holst eine Menge aus Star heraus. Ich bin richtig neidisch. Wenn ich mich im Sattel doch nur so wohl fühlen könnte, wie du beim Reiten wirkst!" „Mit der Zeit wirst du das schon schaffen, Peggy, falls du das Reiten nicht an den Nagel hängst", antwortete Dave. Peggy schüttelte zweifelnd den Kopf. „Er hat recht", unterstützte Wendy Dave, „als ich zum erstenmal auf einem Pferd saß, flog ich auf und ab, ruderte wild mit den Armen in der Luft herum und konnte so gerade eben mein Pferd in Gang bringen und wieder anhalten. Das war alles. Aber ich war vom Reiten begeistert, kam sooft es ging hierher und verschlang jedes Buch über Pferde, das mir in die Hände fiel." „Darin liegt auch der wesentliche Unterschied zu mir, Wendy", erwiderte Peggy, „du hattest von vornherein Lust zum Reiten, während ich fast vor Angst gestorben bin." Wendy warf einen Blick auf Dave und überlegte, ob sie ihre Vermutung, daß Mrs. Price Schuld an der Angst ihrer Tochter war, laut aussprechen sollte. Dann entschied sie sich dagegen, um die friedliche, harmonische Atmosphäre nicht zu zerstören. Außerdem weiß Peggy inzwischen bestimmt selbst, für welche Dinge ihre Mutter verantwortlich ist, dachte sie. Als sie bei den Ställen ankamen, schritt Mrs. Price ungeduldig neben der Limousine auf und ab. Wendy rechnete schon damit, daß sie ihre Tochter direkt vom Pferd ins Auto zerren würde. Stattdessen fauchte die Dame: „Beeil dich, Peggy!", schlüpfte in den Wagen und knallte die Tür hinter sich zu. „Morgen geht's wieder ran an die Arbeit", sagte Dave zu Peggy, während sie abstieg und die drei einträchtig ihre Pferde in Richtung Stall führten. „Aber vielleicht bleibt uns genug Zeit für einen weiteren Geländeritt, ehe mein Unterricht vorbei ist", meinte Peggy hoffnungsvoll, „ich hätte große Lust dazu." „Wann immer du willst", antwortete Wendy, „auch nachdem deine Stunden zu Ende sind." - 144 -
„Danke", sagte Peggy, „ich betrachte euch ab jetzt als meine ganz besonderen Freunde. Hoffentlich habt ihr nichts dagegen." „Peggy!!" ertönte eine schrille Stimme aus dem Wagen. Dann wurde gehupt. „Natürlich nicht, Peggy", versicherte Wendy, „Dave und ich sind stolz darauf, deine Freunde zu sein." „Und dabei habt ihr mich nicht einmal um ein Autogramm gebeten!" meinte Peggy lachend und fügte hinzu, „keine Sorge, ich mache nur Witze." „Peggy!!!" „Ich weiß, daß ich euch eigentlich beim Abzäumen helfen sollte... aber... tut mir leid, ein andermal. Ich muß jetzt weg." „Klar", versicherte Dave, „wir können das verstehen. Bis morgen, Peggy." Sie rannte los und drehte sich noch einmal kurz um, um ihnen zum Abschied zuzuwinken, ehe sie ins Auto stieg. „Wetten, daß ihre Mutter ihr nun einen Vortrag hält, daß sie nicht laufen darf, Wendy?" „Bestimmt. Meine Güte, Peggy zahlt wirklich einen hohen Preis für all ihren Ruhm", antwortete Wendy. Sie nahm Ivory den Sattel und die Decke ab. „Ich weiß", meinte Dave, „aber ich glaube, daß wir heute größere Fortschritte gemacht haben als in all den vorangegangenen Stunden. Dieser Tag war sicher nicht umsonst." „Na, wart's ab, Dave. Morgen werden wir ja sehen, ob es genützt hat." „Ich bin felsenfest davon überzeugt. Und zum großen Teil ist das dein Verdienst, Wendy." Diese Bemerkung beschämte Wendy, besonders da sie sich noch gut daran erinnern konnte, wie sehr sie Peggy abgelehnt hatte. Ich habe den gleichen Fehler gemacht wie mit Kit, dachte sie. Ich habe sie beurteilt, obwohl ich sie überhaupt - 145 -
nicht kannte. Nur weil sie ein Filmstar ist, war ich überzeugt, daß sie widerlich sein müßte. Als sie die Pferde versorgt und auf die Weide gebracht hatten, begleitete Dave Wendy die Einfahrt hinunter bis zum Tor, „Hast du Lust, mal wieder mit mir auszugehen, Wendy? Diesmal bezahle ich." „Gern. Wohin?" „Wir könnten morgen abend im Lakeside Lodge Hotel essen gehen." „Klingt wunderbar." „Finde ich auch." Er nahm ihre Hand und lächelte Wendy zu. Minutenlang standen sie so und starrten sich schweigend an. Gelegentlich wurde die Stille um sie her von dem Wiehern eines Pferdes oder dem Zirpen einer Grille unterbrochen, „Okay, ich seh' besser zu, daß ich nach Hause komme", brach Wendy als erste das Schweigen, „bis morgen, Dave." Er hielt ihre Hand noch ein Weilchen fest, ehe er sie schließlich losließ. „Es dauert noch so lange bis morgen", sagte er bedauernd, Wendy machte sich auf den Heimweg. Mehrfach drehte sie sich um und winkte ihm zu. Jetzt hätte sie wieder singen und hüpfen können vor Freude. Wie an ihrem allerersten Arbeitstag, Aber diesmal lag es nicht nur an ihrer Begeisterung fürs Reiten.
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12. KAPITEL Als Dave am nächsten Abend kam, um Wendy abzuholen, saß die ganze Familie im Wohnzimmer und bewunderte Kids Verlobungsring. „Komm herein und gratuliere unserem jungen Paar zur Verlobung!" rief Wendys Vater fröhlich Dave zu, der noch in der Tür stand. „Paar?" Dave sah Wendy fragend an. „Ich bin's nicht", sagte sie und wurde rot. Dabei hatte sie doch gedacht, daß sie Ihr Erröten endlich unter Kontrolle hätte! „Du hast mir einen schönen Schock versetzt", flüsterte Dave ihr ins Ohr, während sie ins Wohnzimmer gingen. Kit saß nebem ihrem Verlobten David auf der Couch. Er schien sich nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen, da sich die Aufmerksamkeit so stark auf ihn konzentrierte. „Ich gratuliere", sagte Dave lächelnd und gab David die Hand, „wann soll denn die Hochzeit sein?" „Im Mai", verkündete Kit strahlend. „Wendy, willst du meine Brautjungfer sein?" „Ich? Bei deiner Hochzeit? Oh, Kit, wahnsinnig gern!" Jetzt erst wurde Wendy von der allgemeinen Aufregung über das bevorstehende große Ereignis angesteckt. Sie ging zu ihrer älteren Schwester und umarmte sie stürmisch. „Wir haben uns einen Tisch reservieren lassen", bemerkte Dave, „hoffentlich stört es nicht, wenn wir gleich wegfahren." „Natürlich nicht", erwiderte Wendys Mutter verständnisvoll. Sie und ihr Mann begleiteten Dave und Wendy zur Haustür. „Die Hälfte meiner Kinder ist plötzlich erwachsen geworden", meinte Wendys Mutter etwas wehmütig, als die beiden zum Auto gingen. - 147 -
"Mom! So erwachsen nun auch wieder nicht!" lachte Wendy. Sie warf ihren Eltern eine Kußhand zu und verglich in Gedanken ihre eigene Mutter, die nur ein bißchen traurig war, daß ihre Kinder das Nest verließen, mit Mrs. Price, die ihrer Tochter einfach jeden Schritt zur Selbständigkeit verbot. „Ich mag dein Kleid", sagte Dave bewundernd und hielt Wendy die Wagentür des Lincoln auf, den er für diesen Abend von seinem Onkel ausgeliehen hatte. „Freut mich", erwiderte Wendy. Wenn der wüßte, wie lange ich vor dem Spiegel gestanden habe, bis ich mich zwischen meinen Kleidern entscheiden konnte, dachte sie und strich das leichte, dunkelgrüne Baumwollkleid im Folklorestil sorgfältig glatt, ehe sie sich in die mit weißem Plüsch bezogenen Polster zurücklehnte. Dave ließ den Motor an und drehte am Radio, bis er einen Sender gefunden hatte, der gerade sanfte, leise Musik brachte. Dann fuhren sie auf der dunklen, kurvenreichen Straße zum Lakeside Lodge. Einmal sah Wendy einen Hirsch am Straßenrand stehen. Seine Augen leuchteten wie zwei glühende Punkte im Scheinwerferlicht. Ein Stückchen weiter zog plötzlich der unverkennbare Geruch eines Stinktieres durch den Wagen. „Ich liebe die Landluft", witzelte Dave prompt. „Meistens ist sie besser als in der Stadt", antwortete Wendy, „du solltest das ja wissen." „Yeah, stimmt. Abgesehen von der guten Luft liebe ich auch die Mädchen vom Lande." Er legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich heran, während er mit der anderen Hand das Auto lenkte. „Alle?" fragte Wendy, und war überrascht, daß sie sich traute, so etwas einfach zu sagen. „Zwei davon", erwiderte Dave geheimnisvoll. „Zwei?" Wendy hörte selbst, wie ihre Stimme brach. Sie beschloß, daß Thema lieber zu wechseln. Plötzlich wollte sie gar nicht mehr wissen, wer die beiden Mädchen waren. - 148 -
„Der Sommer geht schnell vorbei, nicht wahr, Dave?" „Ja. Bald ist Anfang August. Kaum zu glauben." „Und dann kommt der Herbst." „Na und?" fragte Dave, „die Jahreszeiten wechseln zwar, doch vergiß nicht, daß ich hier in der Nähe studieren werde." „Ja, aber..." „Aber was, Wendy?" „Du wirst am College viele Mädchen treffen. Ich dagegen gehe immer noch hier zur Gesamtschule. Und so gut kennen wir uns schließlich noch nicht. Und falls du..., na ja, du weißt schon." „Eins weiß ich bestimmt, Wendy; wenn du so weitermachst, löst du dich bald in Tränen auf. Außerdem besteht kein Grund zur Panik. Ich werde nie einem Mädchen begegnen, das wie du bereit wäre, mit mir eine Froschfarm aufzuziehen, Partner." „Ach, du!" Wendy mußte lächeln. Trotzdem hatte sie Mühe, ihre düsteren Gedanken darüber, was wohl alles in Zukunft passieren könnte, beiseite zu schieben. Dann fuhr Dave zwischen den beiden riesigen Fichten hindurch, die an der Einfahrt zum Lakeside Lodge Hotel und zum Erholungsgebiet standen. Der glatte Asphaltweg führte direkt zu dem großen Parkplatz vor dem großzügig angelegten Holzhaus, aus dem man Lachen und Musik hörte. „Tanzt du eigentlich gern, Wendy?" „Wahnsinnig gern. Klingt, als hätten die da drinnen eine Liveband." „Ja, das ist die neueste Errungenschaft des Hotels. Ich hörte, daß sie erst in diesem Sommer die Musikbox durch Live Musik ersetzt haben." „Und wer hat dir das erzählt?" „Old John." „Wer?" Wendy traute ihren Ohren nicht. „Old John. Er hat in der Kirche in der Stadt eine Witwe kennengelernt und sie in diesem Sommer öfters zum Essen und - 149 -
Tanzen ausgeführt." „Und nicht ein Sterbenswörtchen davon gesagt." „Ich mußte es auch aus ihm herausquetschen. Eines Tages lief er mir in die Arme. In seinem Sonntagsstaat. So gut wie an dem Abend hat er im Stall noch nie geduftet." „Hast du ihm das etwa gesagt?" fragte Wendy entsetzt. „Du machst wohl Witze? Ich doch nicht." Dave kam um den Wagen herum und hielt Wendy die Tür auf. „War er jemals verheiratet, Dave?" „Ich glaube, ja. Aber ist schon sehr lange her, und er redet nicht viel, außer über Pferde. Du kennst ja Old John." Hand in Hand stiegen Wendy und Dave die vier Stufen zu der Veranda hoch, die an der gesamten Vorderfront des Hotels entlangführte. Einige Paare saßen dort in bequemen Sesseln und bewunderten den Blick auf den See, in dem sich der Vollmond spiegelte. „Schau mal, Dave", sagte Wendy und trat ans Geländer, „was für ein tolles Panorama." „Ja, und die Wasseroberfläche ist so still und spiegelglatt, als wäre sie aus Glas." Er legte ihr einen Arm um die Schultern, „diese Sommernächte sind wirklich durch nichts zu überbieten." „Ich weiß. Dave, ich könnte den ganzen Abend hier stehenbleiben." „Ich aber nicht. Dazu bin ich viel zu hungrig. Komm, laß uns essen gehen, Wendy." „Okay. O Dave! Es wird wirklich höchste Zeit. Du schrumpfst ja schon ein." „Genau... schrumpf, schrumpf. Hilfe, Wendy!" Sie lachte. Dave führte Wendy durch die großen gläsernen Flügeltüren, die an diesem Abend weit offen standen, in das Restaurant. An den Holzwänden des Innenraumes hingen dekorative handgewebte indianische Decken. Die Band spielte auf der - 150 -
gegenüberliegenden Seite des Saales. Ziemlich viele Paare tanzten bereits auf der spiegelglatten Tanzfläche in der Mitte. „Sie hatten einen Fenstertisch bestellt, Mr. Lyons. Hier, bitte, ist es recht so?" fragte die Serviererin, nachdem sie die beiden zu einem kleinen Zweiertisch geführt hatte, von dem aus sie einen wunderbaren Ausblick auf den See genießen konnten. „Ausgezeichnet, danke", erwiderte Dave und blieb stehen, bis Wendy sich gesetzt hatte. Die Bedienung nahm das Schild ,Reserviert' vom Tisch und reichte ihnen die Speisekarte. „Ich bin gleich zurück", sagte sie, „wollen Sie schon etwas zu trinken bestellen?" Wendy kriegte einen Schrecken. Ob sie wohl alkoholische Getränke meint? überlegte sie. „Vielleicht einen Eistee oder Kaffee?" schlug die Serviererin vor und beseitigte damit Wendys Zweifel. „Nein danke, jetzt noch nicht", erwiderte Wendy. „Ich werde auch lieber warten", schloß Dave sich ihr an. Ehe sie sich in die Speisekarte vertiefte, schaute sich Wendy erstmal in ihrer Umgebung um. Die meisten Tische waren besetzt. In der Mitte eines jeden stand eine kleine goldene Lampe, deren flackerndes Licht lange Schatten auf das blütenweiße Leinentischtuch warf. In dem offenen Kamin an der gegenüberliegenden Wand brannte zwar in einer so warmen Nacht kein Feuer, aber Wendy wußte, wieviel Gemütlichkeit er an kalten Winterabenden in diesem Raum verbreitete. Über der Feuerstelle hing ein großes Ölgemälde, das den See und seine Umgebung darstellte. Insgeheim freute sich Wendy, daß die Besitzer des Lokals ihren Speiseraum mit einem Bild geschmückt hatten und nicht mit dem ausgestopften, glasäugigen Kopf irgendeines armen Waldtieres. „Was möchtest du essen?" fragte Dave und sah Wendy über den Rand seiner grün-beigen Speisekarte hinweg an. „Eine Seeforelle. Das klingt so gut. Und du?" - 151 -
„Ich glaube, ich werde mir Froschschenkel bestellen." „Was? Ich wußte gar nicht, daß sie hier so etwas anbieten." Wendys Blick schweifte suchend über die Speisekarte, dann las sie laut vor: „,Eine Delikatesse, in Butter gedünstet, mit einem Hauch von Knoblauch'. Dave, heißt das, daß man sie wirklich essen kann?" Dave grinste. „Ich lasse dich gern probieren." „Hm. Wie schmecken sie denn?" „Ähnlich wie Huhn." „Ich glaube, du hast gerade einen Geschäftspartner verloren, Dave. Und denk' bloß nicht, daß ich jemals wieder Huhn essen werde." „Was wäre ein Betrieb, wenn man das Produkt nicht verkaufen kann, Wendy?" „Zumindest human. Außerdem dachte ich, daß wir unsere Frösche als Haustiere an Kinder und Kleintierhandlungen verkaufen würden, nicht an Restaurants!" „Ich bin wirklich überrascht, Wendy, daß du nicht längst vegetarisch lebst." „Ich habe es mir schon mehrfach vorgenommen. Nur vergesse ich meine guten Vorsätze unweigerlich, sobald Mom mal wieder ihr Spezialgericht kocht Rindergulasch mit Chili. Außerdem fand ich Kühe auch noch nie so besonders attraktiv." „Sind dir denn bisher nie ihre großen, braunen, vertrauensvollen Augen aufgefallen? Der langsame, behäbige Gang, die..." „Dave, hör' sofort auf! Sonst bringe ich ich keinen Bissen herunter." Er nahm ihre Hand. „Tut mir leid, Wendy. Ich kann so schwer der Versuchung wiederstehen, dich zu ärgern. Es wird mir noch zur Gewohnheit." Die Kellnerin kam, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Als sie wieder verschwunden war, nahm Dave auch Wendys andere Hand. „Sieh mal, der Mond, Wendy!" Sie schauten beide aus dem Fenster. Von drinnen wirkte der - 152 -
Mond noch größer als vorher von der Veranda aus. Der riesige gelbe Ball warf sein weiches Licht über den See. Keine einzige Welle trübte das glasklare Spiegelbild im Wasser. Die Serviererin brachte den Salat. „Hast du Lust, nach dem Essen ein bißchen am Strand entlang zu schlendern, Wendy?" „Ja, gern, Dave." Wendy spürte die Wirkung der Abendstimmung. Innerlich wurde sie ruhig und gelassen. Sie begann, ihren Salat zu essen und dachte dabei: ich glaube, ich könnte den ganzen Rest des Sommers hier verbringen und immer nur Daves Hand halten und den See ansehen. Sie merkte kaum, was sie gerade aß. Ihre Stimmung verging allerdings, als das Hauptgericht kam. „Sind das die Froschschenkel?" fragte sie und beäugte mißtrauisch Daves Teller. Sie probierte ihren Fisch. Die Forelle war ausgezeichnet. „Willst du eins?" fragte Dave. „Uh, nein." Fasziniert beobachtete Wendy, wie Dave einen winzigen Froschschenkel verspeiste. Nur ein Häufchen zerbrechliche kleine Knochen blieb übrig. Dann sah er hoch und fing Wendys Blick auf. „Quak", sagte er, „quak", und wirkte dann, als hätte er sich damit überrascht, denn er führte verlegen die Serviette zum Mund. Wendy sah sich um, ob jemand etwas gemerkt hatte. Sie versuchte, sich auf ihr Essen zu konzentrieren, mußte aber andauernd an Frösche denken. „Das sind nur die Nebenwirkungen", flüsterte Dave. Er ließ die Serviette sinken und nahm den nächsten Froschschenkel. „Quak. Quak!" „Mir scheint, Dave, daß deine Augen bereits ein bißchen hervortreten!" meinte Wendy mit unbewegtem Gesicht. Sie stellte sich vor, wie Dave sich auf seinem Stuhl ihr gegenüber so ganz allmählich in einen Frosch verwandelte und - 153 -
konnte natürlich ihren gleichmütigen Gesichtsausdruck nicht beibehalten, sondern fing an zu kichern. Dann bekam sie einen Schluckauf. Sofort legte sie eine Hand auf den Mund, denn ein Schluckauf von Wendy Russell war etwas bemerkenswert Geräuschvolles. "O, hick, nein", sagte sie. „Hast du auch Nebenwirkungen?" erkundigte sich Dave teilnahmsvoll. Wendy versuchte, ihn wütend anzufunkeln, aber wie machte man das jemandem gegenüber, dessen Augen so fröhlich zwinkerten wie die von Dave? Andererseits fand sie ihren Schluckauf gar nicht witzig, vor allem nicht in einem Restaurant. Also hielt sie den Atem an, bis sie dachte, daß sie ihre zwerchfellerschütternden Krämpfe überwunden hatte. Natürlich entfuhr ihr prompt ein sehr lautes ,hick', sobald sie den Mund wieder aufmachte. Dave lachte. „Entschuldige", sagte er, „mit so einer Wirkung hatte ich nicht gerechnet." Wendy behielt die Serviette vor dem Mund. Sie wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen, so peinlich war ihr das Ganze. „Ich weiß ein gutes Mittel gegen Schluckauf, Wendy", sagte Dave und stand auf. Wendy fragte sich, was er vorhaben mochte. Schließlich wollte sie nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen. „Los, komm mit", forderte Dave sie auf. Er half ihr beim Aufstehen und führte sie auf die Tanzfläche. Dort legte er die Arme um sie. Ein einziges ,hick' entschlüpfte Wendy noch, dann folgte sie Daves weichen Bewegungen zu der romantischen Musik. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, allmählich entspannte sie sich. Um sie herum tanzten mehrere, meist ältere Paare. Erst als die Musik zu Ende ging, merkte Wendy, daß ihr Schluckauf verschwunden war. Mit einem Lächeln sah sie zu Dave auf. „Es hat funktioniert!" „Natürlich, Wendy. Ich habe dich doch von den Fröschen - 154 -
abgelenkt." „Dave! Hör auf, sonst fange ich gleich wieder damit an." „Und dann würdest du nur noch krächzen." Er lachte. „Tut mir leid, ich konnte nicht widerstehen." „Du bist einfach unmöglich!" flüsterte sie, während er ihr am Tisch den Stuhl zurechtschob. Als sie ihr Hauptgericht aufgegessen hatten, kam die Kellnerin mit einem großen Teewagen, damit sie sich selbst eins der vielen Desserts aussuchen konnten. „Ich nehme Schwarzwälder Kirschtorte", sagte Dave. „Für mich bitte ein Blaubeertörtchen", bestellte Wendy. Nach dem Nachtisch führte Dave Wendy wieder auf die Tanzfläche. Wendy lag glücklich und zufrieden in seinen Armen und meinte, daß sie die ganze Nacht so weitertanzen könnte. Sie sah zu ihm auf und fragte sich, woran er gerade dachte. „Grün steht dir ausgezeichnet", sagte er auf ihren fragenden Blick hin. Ein spitzbübisches Grinsen überflog ihr Gesicht. Warum kann ich nur nicht ernst bleiben, wenn ich mit Dave zusammen bin, überlegte sie. Ob ich wohl Angst davor habe, was sonst passieren würde? Sie räusperte sich: „Ich habe die Farbe extra für dich ausgesucht, Dave." „Oh?" „Hm. Es ist ein Froschgrün." „Na, und wer fängt jetzt wieder damit an?" Dave kicherte und zog sie näher zu sich heran. „Genau das mag ich so sehr an dir, Wendy Russel." „Was? Mein froschgrünes Kleid?" Sie legte den Kopf in den Nacken und sah lächelnd zu ihm auf. „Das auch. Aber es ist so angenehm, mit dir zusammen zu sein, entspannt, doch nicht langweilig. Du weißt eben, wie man sich amüsiert." - 155 -
Wendy erkannte, daß das ein Kompliment sein sollte, nur wünschte sie, daß er mehr sagen würde und etwas anderes. Sie wollte noch einmal hören, daß sie etwas Besonderes sei, oder besser, daß er sie liebte. Das wäre vermutlich zuviel verlangt, dachte sie dann. Ganz abgesehen davon, daß er ja dieses andere Mädchen erwähnt hatte, wer immer es auch sein mochte. Aber ich werde es herausfinden, schwor sie sich. „Hast du jetzt Lust auf unseren Spaziergang?" fragte Dave Wendy nach dem nächsten Musikstück. „Sicher. Du tanzt übrigens himmlisch für jemanden mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen." „Vielen Dank, quak quak, herzlichen Dank." Dave riß die Augen weit auf und starrte sie an. Wendy unterdrückte ihr Kichern und betete, daß der Schluckauf nicht wieder anfangen würde. Nachtblühende Jasminbüsche säumten den Kiesweg, der vom Hotel zum Strand führte. Ihr süßer, schwerer Duft hing in der Luft. Wendy und Dave betraten den schmalen Sandstreifen am Ufer des Sees. Das Wasser kräuselte sich leicht und kroch nur wenige Zentimeter die Strandlinie hoch, ehe es zurückfloß. Das leise Geräusch, das dabei entstand, erschien Wendy wie ein Flüstern. Liebe, Liebe wiederholte es unaufhörlich im Dunkeln. Sie spürte Daves Gegenwart, seine Hand, die ihre umfaßt hielt. „Was für ein toller Abend", schwärmte Dave, „komm, wir wollen auf den Steg hinausgehen." Er ließ ihre Hand los und legte stattdessen den Arm um Wendy. Ihre Schritte dröhnten hohl auf den hölzernen Planken. Unter ihnen schwabbte das Wasser leise plätschernd gegen die Pfähle. Sie stellten sich ans Geländer und schauten über den See. Ab und zu wehten einzelne Fetzen Musik aus dem Hotel zu ihnen hinaus. Wendy kam sich vor wie im Film und überlegte, was Peggy wohl in diesem Moment machte. - 156 -
„Weißt du, was Peggy gestern sagte, als du auf Star davongaloppiert bist, Wendy?" Überrascht machte Wendy: „Eben gerade habe ich auch an Peggy gedacht. Was hat sie denn gesagt?" „Sie meinte, daß du ihre erste Freundin seist. Und sie findet dich großartig, genauso wie ich." Er legte den Arm um Wendy und zog sie an sich. Wendys Herz schlug schneller, als er seinen Kopf senkte und ihre Lippen sich trafen. Sein Kuß war warm, zärtlich und dauerte lange, aber nicht lange genug. Wäre es nach Wendys Wunsch gegangen, dann wäre er nie zu Ende gewesen. Sie wollte allein mit Dave auf dem Steg im hellen Mondlicht über den spiegelglatten See davontreiben. Ihre Lippen lösten sich schließlich voneinander. Dave küßte sie auf die Stirn, auf den Nacken, auf ihren Hals und immer wieder auf ihren Mund. Dann zog er sie noch enger an sich. Wendy kuschelte sich an ihn und fühlte sich geborgen, beschützt, und, wie sie überrascht feststellte, geliebt! „Mein College ist nur etwa dreihundert Kilometer von hier entfernt, Wendy. Ich werde so viele Wochenenden auf der Ranch verbringen, wie möglich. Meinst du, daß du dies Jahr ein bißchen Zeit für mich übrig hättest?" „Ja, sogar eine ganze Menge Zeit, Dave", flüsterte Wendy. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Lange standen sie schweigend auf dem Steg und schauten auf den See, ehe sie langsam zum Parkplatz zurückgingen. In dieser Nacht lag Wendy schlaflos im Bett und sah den Mond an, der in ihr Zimmer schien. Sie dachte über die beiden Sommer nach, die sie mit Dave verbracht hatte. Heute war ihre lockere, fröhliche Beziehung zu Dave um eine neue Erfahrung reicher geworden. Jetzt wußte sie sicher, daß sie Dave Lyons liebte. Und obwohl er es immer noch nicht ausgesprochen hatte, glaubte sie, daß er ihre Gefühle erwiderte.
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13. KAPITEL Dave und Wendy standen außerhalb des Rings am Zaun und beobachteten, wie Peggy Star durch alle Gangarten führte. „Phantastisch, Peggy!" rief Wendy. Peggy verbeugte sich dankend im Sattel. „Als nächstes wechseln wir die Sättel und du führst uns noch einmal den Jockeystil vor", sagte Dave. Wendy half ihr beim Ab- und Aufzäumen. „Dies fällt mir immer noch schwer", meinte Peggy. Sie zählte stumm eins, zwei, drei, dann half ihr Dave mit dem charakteristischen schnellen Schwung in den kleinen Jockeysattel. ,Du siehst toll aus, Peggy. Jetzt weißt du wirklich, wie's geht", lobte Wendy sie begeistert. „Vielen Dank, ihr zwei." Peggy stieg ab und führte Star zum Gatter. „Es ist nicht alles unser Verdienst", meinte Dave, „du sitzt schließlich selbst auf dem Pferd." Peggy lächelte. „Na gut, sagen wir, wir sind ein .Team. Der Gedanke gefällt mir." Wendy erinnerte sich, wie anders Peggy in ihrer ersten Reitstunde im Ring gestanden hatte, als sie sich sogar weigerte, auf das Pferd zu steigen. „Vermutlich werde ich mich mit meinen Reitkünsten ganz gut durchschlagen können. Die schwierigen Rennszenen brauche ich zum Glück ja nicht selbst zu spielen, sie haben eine Reiterin als Double für mich engagiert." Peggy führte Star durch das Gatter. Einträchtig gingen sie alle drei zum Stall. „Ich will ihn allein abzäumen", sagte Peggy, „ich glaube, ich kann das jetzt." - 158 -
„Ich glaube, ich kann das jetzt", machte Dave sie nach, „hast du gehört, was sie eben gesagt hat, Wendy?" „Die muß sich wohl für einen Star oder sowas halten", stimmte Wendy in seine Neckerei ein, „alles Angabe. Hat offenbar vor nichts mehr Angst." Peggy guckte erst ganz dumm, dann lachte sie. „Oh, ihr zwei. Ihr zieht mich ja auf. Ach, wär' das schön, wenn wir immer Freunde bleiben könnten, echte Freunde. Ihr ward so nett und habt mir viel geholfen. Du hast recht, Wendy. Ich glaube, daß ich keine Angst mehr vor Pferden habe." „Natürlich können wir Freunde bleiben", antwortete Wendy, „mir würde das auch gefallen. Du triffst mich immer hier oder erreichst mich bei meinen Eltern. Ich schreibe dir meine Telefonnummer und Adresse auf. Komm gern vorbei, sobald du kannst. Und vielleicht schreiben wir uns ja ab und zu mal einen Brief." „Und vergiß mich nicht, Peggy", sagte Dave, „ich werde auch gelegentlich hier sein." „Wie könnte ich dich vergessen, Dave", erwiderte Peggy. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm schnell einen Kuß. Dann warf sie einen Blick zu der Limousine, die wie üblich am Zaun parkte. Mrs. Price und Mr. Matthews waren zwar bei Mr. Wright im Haus, aber das Auto war eine ständige Erinnerung an ihren Aufpasser-Job. „Ich komme wieder. Ganz besimmt", versprach Peggy, „irgendwie werde ich die Zeit dazu finden. Und ich würde dir gern schreiben, Wendy. Laß uns das so machen." Als sie den Sattel Old John übergab, der auch gekommen war, um „Auf Wiedersehen" zu sagen, machte Peggy Wendy ein Geständnis. „Weißt du was, Wendy? Zu Anfang hatte ich eine Heidenangst vor dir. Ich dachte, daß du total hochnäsig sein würdest, weil du dich mit Pferden so gut auskennst." „Was? Du hast mich für hochnäsig gehalten, Peggy? Dann sage ich dir lieber gar nicht erst, wie ich dich eingeschätzt habe." - 159 -
Peggy seufzte: „Ich kann es mir vorstellen. Manchmal ist das Leben eines Stars nicht besonders witzig. Aber ich muß zugeben, daß ich es meistens doch ganz prima finde." „Na, das war wenigstens ehrlich", meinte Old John trocken und marschierte zurück zum Geräteraum. „Viel Glück, Miss Price." „Danke!" rief Peggy. „Recht hat er", bemerkte Dave, „aufrichtig bist du wirklich." „Ich versuche neuerdings einfach, deutlicher zu sagen, was ich denke und fühle", antwortete Peggy, „hoffentlich lerne ich dadurch, ich selbst zu sein." Sie nahm Star die Zügel ab und streifte ihm den Halfter über. Als sie dann seine Nase tätschelte, genoß er offensichtlich ihre Zärtlichkeiten und stieß sie an, weil er nie genug davon bekommen konnte. „Ach du altes Schmusepferd", sagte Peggy zu ihm, „jetzt weiß ich auch, warum Wendy dich so vermißt hat." „Du hast dich wirklich verändert, Peggy", meinte Wendy, „denn deine Angst hat sich vollständig verflüchtigt," „Ja, aber noch nicht seit langem. Und wenn ich ehrlich bin, muß ich zugeben, daß mir immer noch die Knie zittern, sobald Star mich aus seinen riesigen braunen Augen anstarrt. Dann frage ich mich, was er wohl denkt, zum Beispiel: vielleicht schubse ich sie gleich in den Dreck. Oder: ob ihre Knie gut schmecken würden?" Dave und Wendy lachten. „Mich hat noch nie ein Pferd ins Bein gebissen", meinte Wendy. „Und als ich im Dreck gelandet bin, lag es an zwei frechen Mädchen, nicht an meinem Pferd", fügte Dave hinzu. „Dave ist genau wie ein Pferd", sagte Peggy, „er hat ein langes Gedächtnis." „Darauf kannst du dich verlassen", antwortete Dave. „Wißt ihr was?" fragte Peggy, „ich werde im nächsten Sommer wiederkommen und einige Reitstunden nehmen. Werdet ihr dann hier sein?" - 160 -
„Ich bestimmt", erwiderte Dave. „Ich hoffentlich auch", meinte Wendy. Dave legte seinen Arm um Wendy und zog sie zu sich heran. „Selbstverständlich bist du wieder mit von der Partie, Wendy. Ich werde meine Beziehungen zu Onkel Harry ausspielen." „Und ich hatte gehofft, daß ich selber einigen Einfluß auf ihn hätte", sagte Wendy. „Den hast du", antwortete Dave, „auf mich besonders!" „Wendy, ich kann dir ein gutes Zeugnis ausstellen, falls dir das etwas nützt", bot Peggy an. Sie schob die Tür von Stars Box zu. Dann holte sie tief Luft und gestand ihnen: „Wißt ihr was? Ich glaube, ich werde euch vermissen." Wendy bemerkte die Tränen in ihren Augen und war sicher, daß sie echt waren. „Du wirst uns auch fehlen, Peggy", versicherte sie. Sie zog Dave und Peggy näher zu sich heran, so daß sie sich alle drei umarmen konnten. Star wieherte laut zum Abschied. „Ich bin richtig froh, daß wir dich kennengelernt haben, Peggy", sagte Wendy. Sie drehten sich um und verließen eingehakt den Stall, Dave links, Wendy rechts und Peggy in der Mitte. „Mir geht es genauso. Ich werde meine beiden ersten wahren Freunde niemals vergessen", antwortete Peggy. „Peggy, Darling! Bist du fertig? Wir müssen dich doch heute nachmittag neu einkleiden", rief ihre Mutter. „Ich komme ja schon, Mutter. Vielen Dank nochmal, ihr beiden." Sie löste sich von Dave und Wendy. „Bis nächsten Sommer." „Wir werden dich im Kino sehen!" meinte Dave. „Peggy, Liebling, beeil dich!" rief Mrs. Price und riß auffordernd die hintere Wagentür auf. Einmal drehte sich Peggy noch um und winkte, dann ging sie langsam auf das wartende Auto zu. - 161 -
„Ich werde sie viel mehr vermissen, als ich es jemals für möglich gehalten hätte, Dave." „Ja, ich weiß, was du meinst. Aber ich bin glücklich dran." „Wieso?" „Weil ich immer noch dich habe, Partner." Er umarmte sie. „Hey, laß uns doch ein paar Sachen zum Essen einpacken und an den See reiten, Wendy." Er zog sie hinter sich her zum Haus. Mr. Wright saß in einem Liegestuhl am Swimming Pool. „Ihr habt mit Peggy Price gute Arbeit geleistet", sagte er, „ihr Agent hat mir versprochen, sich darum zu kümmern, daß wir Freikarten für die Premiere ihres Films bekommen." „Mensch, das ist ja super", antwortete Wendy, „hoffentlich können wir hingehen." „Aber sicher", meinte Dave. „Onkel Harry, wir würden gern zum See reiten und dort ein Picknick machen. Kannst du uns heute nachmittag entbehren? Bitte!" „Natürlich. Ihr habt euch einen halben freien Tag verdient. Aber morgen reitet Wendy wieder und du kehrst zurück an deine Arbeit bei den Zäunen." „Wer denkt denn jetzt an Morgen", erwiderte Dave lachend, „Los, Wendy. Laß uns den Kühlschrank plündern." Der Weg zum See war lang und kurvenreich. Wendy und Dave überließen es den Pferden, das Tempo zu bestimmen. „Hier längs", sagte Dave und lenkte Sheba nach links in das Dickicht, das die Uferlinie des tiefblauen Sees säumte. Wendy folgte ihm auf Star. Sie ritten im Dämmerlicht, da das dichte Laub über ihren Köpfen nur wenige Sonnenstrahlen durchließ. Die Luft zwischen den Bäumen war kühl und erfrischend. „Horch mal", sagte Wendy, „der Wasserfall! Man hört ihn bis hier." „Ich weiß, genau dorthin wollte ich dich führen." - 162 -
Am Waldrand mündte der schmale Pfad auf einen kleinen Sandstrand. Hier stürzte in einer abgeschlossenen winzigen Bucht klares Quellwasser das Kliff hinunter und floß brodelnd und schäumend in den See. Wendy und Dave legten den Pferden ihre Halfter an und führten sie zum Grasen an den Waldrand. Dann trug Dave ihren Picknickkorb und eine Decke zu dem großen Felsen, der aus dem Sand herausragte. „Hm, himmlisch", schwärmte Wendy. Sie setzte sich auf die Wolldecke und lehnte den Rücken gegen den warmen Felsen. Mit geschlossenen Augen lauschte sie auf das Rauschen des Wasserfalls. „Bin ganz deiner Meinung", sagte Dave und ließ sich neben ihr nieder. Ehe Wendy die Augen wieder öffnen konnte, hatte er sie schon in seine Arme geschlossen und küßte sie stürmisch. Nach einer Weile richtete er sich auf. „Meinst du, daß Peggy..." begann Wendy. Dave verschloß ihren Mund mit seinen Lippen. Dann sagte er: „Ich glaube, wir können das Thema Peggy mal eine zeitlang fallen lassen." „Worüber möchtest du denn reden, Dave?" Wendys Herz klopfte wild unter ihrem blauen Sweatshirt. „Wir werden uns über uns beide unterhalten, darüber, wie wir den Rest des Sommers verbringen wollen und über den Jahrmarkt im August." „Erzähl' mir erstmal Genaueres über die beiden Mädchen vom Lande, die du liebst." Wendy wollte wissen, woran sie mit ihm war. „Na endlich. Ich dachte schon, daß es dich überhaupt nicht interessiert, Wendy." Daves Augen zwinkerten fröhlich. „Aber ich bin doch froh, daß du fragst. Also, die eine, mein Schatz, bist du." „Und die andere?" Wendy hielt den Atem an. „Und..." er beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr ins Ohr, „ich will es lieber nicht laut sagen, sonst bildet sie sich vielleicht noch etwas darauf ein. Sheba ist die andere." - 163 -
„Sheba!" „Scht! Außerdem wird sie bestimmt eifersüchtig, wenn sie merkt, daß sie nicht die einzige ist, deshalb soll sie nicht hören, daß wir über sie reden." Er beugte sich vor und küßte Wendy. „Dave! Du alter Idiot. Ich liebe dich", sagte Wendy und warf ihm temperamentvoll die Arme um den Hals, „und jetzt können wir über den Jahrmarkt Ende August reden. Ich hatte ihn fast vergessen." „Na, ich habe dich ja daran erinnert. Nimmst du mich mit?" fragte er. ,,O nein, nicht schon wieder!" „Was hast du denn, Wendy?" Dave tat ganz unschuldig. „Ich falle nicht noch einmal darauf herein und werde bestimmt nicht für dich bezahlen. Du bist nicht mehr zwölf, Dave Lyons. Und als wir das letzte Mal zusammen hingegangen sind, hast du meine Zuckerwatte einfach allein aufgegessen. Ich bin bereit, mit dir zu teilen, aber du schuldest mir noch eine Zuckerwatte." Seine Augen funkelten schon wieder. „Ich teile mir die Kosten für den Jahrmarkt mit dir. So war das gemeint." „Klingt gut. Aber da du gerade von Schulden sprichst ich habe noch einmal ,ins Wasser schubsen' gut, Wendy." Wendy sprang hastig auf: „O nein, Dave!" Sie rannte weg und hielt erst bei den Pferden an, die friedlich unter den Bäumen grasten. „Die werden dich auch nicht beschützen", sagte Dave ungerührt und kam hinter ihr her. Er griff nach ihr, aber sie wich ihm lachend aus. Plötzlich kriegte Wendy einen Schubs von hinten. Sie fiel vorwärts direkt in Daves Arme. Er lachte schallend. „Gut gemacht, Star. Du hast meine Gedanken erraten." „Ihr zwei habt euch gegen mich verschworen", beschwerte sich Wendy, „und stell' dir vor, es gefällt mir sogar." „Weißt du was, Wendy? Ich liebe dich." - 164 -
Er küßte sie wieder und wieder. Erst stürmisch, dann zärtlich und leidenschaftlich. Nach einer ganzen Weile sagte er: „Ich glaube, ich werde hungrig. Dein Bad muß eben bis später warten." Arm in Arm gingen sie zurück zu der Wolldecke und fielen über den Picknickkorb her. Während Wendy zwei dicke Sandwiches belegte, schaute sie hinüber zu Dave, der sich auf der Decke ausgestreckt hatte. Der Sommer ist noch nicht vorbei, dachte sie, aber schon jetzt ist einer meiner beiden Wünsche in Erfüllung gegangen.
ENDE -
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