Nr. 497
Das magische Erbe Ein Bettler wird zum Herrscher von H. G. Francis
Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze...
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Nr. 497
Das magische Erbe Ein Bettler wird zum Herrscher von H. G. Francis
Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxis ist längst aufgehoben. Der Zusammenbruch der dunklen Mächte begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, durch die Schwarze Galaxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis ge bracht wurde und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten. Dann löste die große Plejade den Lebensring um Ritiquian auf. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Statthalter des Dunklen Oheims starben aus. Doch das Schicksal der dunklen Mächte scheint damit noch nicht endgültig besiegelt zu sein. Der Dunkle Oheim traf jedenfalls einschnei dende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusammenführte und mit ih nen startete. Die Lage, die gegenwärtig auf Pthor herrscht, ist schwer überschaubar. Unheimli che Bedrohungen für Land und Leute wechseln einander ab, und die Verantwortli chen haben alle Hände voll zu tun, um das Unheil zu bannen. Bei den meisten Vorgängen ist Magie mit im Spiel, denn nach wie vor existiert DAS MAGISCHE ERBE …
Das magische Erbe
3
Die Hautpersonen des Romans:
Sconnos - Ein Bettler wird zum Magier.
Angy - Sconnos' Geliebte und Beraterin.
Staff - Ein Gegner verwandelt sich in einen Freund.
Senta - Gouverneurin von Moondrag.
Teiss - Sentas Agent.
leger, die über viele Dimensionsfahrstühle verstreut waren. In jedem Weltfragment wa Prolog ren einige von ihnen an scheinbar sicherer Der Dunkle Oheim verlor seinen vor Stelle, meistens tief unter der Oberfläche, übergehenden Optimismus, der sich darauf verborgen. Sie befanden sich in einem inak begründet hatte, daß er meinte, eine ihm ge tiven Zustand und waren nicht viel mehr als nehme Macht auf Pthor heranreifen zu se winzige Keime zu einer Form von Leben. hen. Jetzt starben sie einer nach dem anderen. Er sah sich vor Schwierigkeiten gestellt. Der Dunkle Oheim zweifelte nicht daran, Die lange Reise neigte sich ihrem Ende daß ihr Tod mit dem Erlöschen der schwar entgegen. Das Ziel rückte in greifbare Nähe. zen Kerne zusammenhing. Ausgerechnet jetzt aber traten Energiepro Trotz aller negativen Anzeichen dachte bleme auf. der Dunkle Oheim jedoch nicht daran, sich Die Schwierigkeiten, die sich daraus er geschlagen zu geben. gaben, begannen mit der Veränderung, die Auch wenn er viel verloren hatte, blieb mit dem schwarzen Kern von Pthor vorge ihm doch die Gewißheit, daß er allein durch gangen war. Danach hatte der Oheim viele seine Gegenwart die Kräfte des Bösen seiner Diener verloren, die ganz nebenbei schürte … auch die Funktion einer stillen Reserve zu erfüllen gehabt hatten. Eine negative Macht, 1. die in Pthor herangewachsen war und dem Lange bevor der Dunkle Oheim den er Dunklen Oheim über diesen Verlust hätte sten Todesschrei eines seiner Ableger hörte: hinweghelfen können, war ausgeschaltet »Schnell«, sagte der Junge. »Du sollst worden, ohne daß das Ringwesen auch nur kommen, Alpex stirbt.« den geringsten Nutzen davon gehabt hätte. Sconnos zuckte zusammen, als habe ihn Nun zeigte sich zu allem Überfluß, daß an der Schlag getroffen. dere Dimensionsfahrstühle auf die Ereignis »Alpex stirbt?« fragte er erschrocken. se in Pthor reagierten. »Aber das kann nicht sein.« Die Vernichtung des einen schwarzen »Es ist so. Wenn du ihn noch lebend se Kerns wirkte wie der Startimpuls zu einer hen willst, mußt du dich beeilen.« Kettenreaktion. Immer mehr schwarze Ker Wie betäubt kroch Sconnos aus seinem ne in anderen Weltenfragmenten hörten aus Unterstand, der mitten in den Trümmern ei unerklärlichen Gründen auf zu arbeiten und nes Hauses lag. Einige querliegende Balken lösten sich buchstäblich in Nichts auf. bildeten die Decke dieser primitiven Unter Es schien, als sei das noch nicht genug. kunft. Lose herumliegende Steine türmten Der Dunkle Oheim empfing einen deutli sich darüber auf. Sconnos besaß nichts außer chen Impuls, dessen Ursprung er zunächst dieser Höhle und einem sackartigen Ge nicht herausfinden konnte. Erst als sich die wand, das er auf dem nackten Körper trug. ser Impuls einige Male wiederholt hatte, er Er lebte von den spärlichen Resten, die an kannte er, was er zu bedeuten hatte. Jeder dere wegwarfen, oder von Abfällen, die als Impuls war der Todesschrei eines seiner Ab
4 ungenießbar angesehen wurden. Alpex war der einzige in Moondrag gewesen, der ihm hin und wieder etwas gegeben hatte, was zum Verzehr geeignet war. Daher empfand er die Nachricht von dem bevorstehenden Tod seines Gönners so, als ob auch ihm der Lebensfaden durchge schnitten würde. In dem Teil Moondrags, in dem er lebte, stand kein einziges Haus mehr. Sconnos folgte dem Jungen, der nicht weniger zer lumpt aussah als er, durch die Trümmerland schaft bis zu einer ärmlichen Holzhütte. »Ich danke dir, Trux«, sagte Sconnos. »Ich weiß, daß es mühsam für dich war, zu mir zu gehen.« Der Junge schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Sconnos wußte, daß er wenigstens ebenso unter dem Hunger litt wie er selbst. Er zwang sich zu einem Lä cheln. »Wenn ich mal reich bin, werde ich dich für diesen Freundschaftsdienst belohnen«, versprach er. Trux lächelte müde. Er wußte, daß Scon nos sein Versprechen niemals einzulösen brauchte. Die Stadt Moondrag war am Ende, und sie hatte auch keine Zukunft. Das wußte jeder ihrer Einwohner. Der Junge nickte Sconnos zu, drehte sich um und ging mit hängenden Schultern da von. Sconnos blickte ihm nach. Er wußte nicht, ob er ihn jemals wiedersehen würde. Schon oft hatten sich Freunde so von ihm verabschiedet, waren dann irgendwo in den Trümmern in einen Unterschlupf gekrochen und dort gestorben. Er hörte Alpex im Innern der Hütte hu sten. Hastig trat er ein. Sein Gönner lag auf dem nackten Fußboden, mit einem Fetzen Stoff zugedeckt, der nicht einmal für den Oberkörper ausreichte. Sconnos erkannte augenblicklich, daß Alpex tatsächlich im Sterben lag. Der Alte streckte ihm eine Hand entge gen, und er kniete sich neben ihm auf den Boden. »Mein Freund«, röchelte Alpex. »Wir ha
H. G. Francis ben oft über bessere Zeiten gesprochen.« »Nicht jetzt«, entgegnete Sconnos war nend. »Du mußt dich schonen.« »Zu spät.« Der Alte lächelte verzerrt, und seine dunklen Augen glühten noch einmal auf. »Wir haben Wichtiges zu besprechen.« »Was könnte es jetzt noch Wichtiges ge ben?« »Sehr viel. Du wirst alles erben, was ich besitze.« Sconnos fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Er hatte nie daran gedacht, daß Alpex so großmütig sein könnte, ihm seine Hütte zu überlassen. »Ich danke dir«, flüsterte er ergriffen. »Du weißt ja noch gar nicht, um was es geht.« »Die Hütte.« »Die auch«, bestätigte der Sterbende. »Aber das ist es nicht allein. Du wirst uner meßlich reich werden, wenn du willst.« Sein Verstand hat sich verwirrt, dachte Sconnos traurig. Warum müssen wir unter solchen Umständen Abschied nehmen? »Höre mir zu, mein Freund«, fuhr der Al te fort. »Vor langen Jahren bin ich in der Senke der verlorenen Seelen gewesen.« Sconnos horchte auf. Sprach Alpex doch mit klarem Verstand? »Dort bin ich in einem der Glaspaläste ge wesen. Ich sehe ihn noch deutlich vor mir. Er bestand aus mehreren säulenartigen Ab schnitten, die den Pfeifen einer Orgel gli chen.« Alpex hielt röchelnd inne. Seine Lider schlossen sich. Behutsam legte Sconnos ihm die Hand an die Schulter. Seine Neugier war erwacht. »Sprich weiter, mein Freund«, drängte er. »Was war mit diesem Glaspalast?« Alpex blickte ihn wieder an. Seine Augen waren trübe, und Sconnos hatte das Gefühl, daß der Freund gar nicht mehr mußte, daß er bei ihm war. »Bitte, Alpex. Was war in dem Glaspa last?« »Wenn du dorthin gehst, wirst du sieben schwarze Schwerter finden, und wenn es dir
Das magische Erbe gelingt, sie an dich zu nehmen, wirst du vor dem ganz großen Glück stehen.« »Warum bist du nie dorthin gegangen, um dir die Schwerter zu holen?« Alpex lächelte matt. »Eine berechtigte Frage. Sie ist leicht be antwortet. Ich war dort, aber ich konnte die Schwerter nicht an mich nehmen.« »Warum nicht?« Sconnos beugte sich über den Freund, der die Augen wieder geschlossen hatte. Ge spannt wartete er auf eine Antwort, doch Al pex schwieg, und er öffnete die Augen auch nicht mehr. Behutsam strich Sconnos ihm über die Stirn, und erst jetzt merkte er, daß Alpex tot war. Von tiefer Trauer übermannt, blieb er ne ben ihm sitzen. An sein Erbe dachte er nicht. Es schien ihm nichts wert zu sein. Wie sollte er Moondrag verlassen und in die Senke der verlorenen Seelen ziehen? Dazu fehlte ihm die Kraft. Er wäre noch nicht einmal bis zum Stadttor gekommen, ohne vor Schwä che zusammenzubrechen. Dieses Erbe war also nichts wert. Ganz anders sah es dagegen mit der Hütte aus. Diese war ein echter Gewinn für ihn. Einige Stunden später schleppte er den to ten Alpex zu seiner Höhle und verscharrte ihn dort unter den Trümmern. Dann zog er in die Hütte um. Er hatte Hunger. Deshalb durchsuchte er seine neue Unterkunft bis in die Winkel hin ein. Alles, was er fand, waren einige Kartof felschalen, angefaulte Salatblätter und schwärzliche Schwarten, die derart stanken, daß ihm übel wurde. Davon konnte er nichts essen, sonst aber gab es nichts in der Hütte. Er hatte sogar den Boden durchgewühlt, aber seine Mühen wa ren vergeblich gewesen. Trübsinnig saß er auf dem Boden der Hüt te und starrte die verdorbenen Speisenreste an. Sein Magen schmerzte, denn er hatte vor drei Tagen zuletzt etwas gegessen. Sconnos verfluchte sein Schicksal.
5 Er hatte keine Hoffnung mehr, und daß er die Hütte geerbt hatte, erschien ihm nun wie bitterer Hohn. Was konnte er schon mit der Hütte anfangen, wenn er nichts zu essen hat te? Ein paar Tage konnte er vielleicht noch durchhalten, aber dann würde er vor Hunger sterben. Er schloß die Augen und dachte voller Sehnsucht an vor Hitze dampfende Kartof feln, frischen Salat und durchwachsenen Speck, so wie er ihn zuletzt vor fast drei Jah ren gegessen hatte. Ihn schwindelte. In sei ner Phantasie malte er sich die Speisen so intensiv aus, daß er meinte, ihren Duft in der Nase zu verspüren. Seufzend öffnete er die Augen. Er sah vier dampfende Kartoffeln, fri schen Salat und durchwachsenen Speck auf dem Boden liegen. Rasch schloß er die Augen wieder und öffnete sie erneut. Die Delikatessen waren noch immer da. Mit zitternden Händen griff er zu einer Kartoffel. Sie war so heiß, daß er sie vor Schreck gleich wieder fallen ließ. Der Schmerz war real, und so zweifelte er nicht mehr daran, daß wirklich da war, was er sah. Gierig stopfte er die Salatblätter in sich hinein, biß von dem Speck ab und verzehrte schließlich auch die Kartoffeln. Er aß schnell, als fürchte er, die Köstlichkeiten könnten verschwinden, bevor er sie im Ma gen hatte. Kaum hatte sich ein Sättigungsgefühl ein gestellt, als auch schon heftige Magen schmerzen einsetzten. Sconnos hatte ge wußt, daß derartiges geschehen würde, doch er hatte sich nicht beherrschen können. Jetzt wälzte er sich schwitzend und keuchend auf dem Boden, bis sich die Schmerzen endlich legten. Dabei dachte er nicht ein einziges Mal über das nach, was ihm widerfahren war. Das tat er erst, als er am nächsten Morgen erwachte und zu seinem Erstaunen feststell te, daß er immer noch satt war. Wäre das Sättigungsgefühl nicht gewesen, hätte er vermutlich an seinem Verstand gezweifelt.
6 Er erinnerte sich an die Märchenerzählun gen, die er als Kind gehört hatte. War ihm nicht etwas Ähnliches widerfah ren wie den Gestalten dieser Erzählungen? Oder konnte mit dem nüchternen Geist er klärt werden, was geschehen war? Er hatte einige verdorbene Speisenreste gehabt, die sich plötzlich in wahre Kostbar keiten verwandelt hatten. Irgend jemand muß in die Hütte gekom men sein und die Reste gegen die frischen Speisen ausgetauscht haben, schoß es ihm durch den Kopf. Eine andere Erklärung konnte es nicht ge ben. Er erhob sich und verließ seine Hütte. Zwischen den Trümmern lungerten einige halbverhungerte Kinder und Männer herum. Einige von ihnen drehten die Steine um, die auf dem Boden lagen. Wenn sie Würmer oder genießbare Insekten darunter fingen, schlangen sie sie hastig herunter, damit ih nen niemand ihre dürftige Beute wegneh men konnte. Sconnos drehte sich bei diesem Anblick der Magen um, obwohl er selbst oft genug nach Würmern gesucht und seinen Hunger damit gestillt hatte. Jetzt aber dachte er an die Speisen, die er genossen hatte. Konnte es nicht immer so sein, daß Men schen sich mit solchen Köstlichkeiten er nährten? Er blickte zum Stadtzentrum hinüber, wo noch eine Reihe von Häusern standen. Dort lebten die Reichen. Und noch weiter im Norden sollte es Felder und Äcker geben, auf denen Sklaven verschiedene Gemüsear ten anbauten. Sconnos hatte sogar davon ge hört, daß es Gehöfte in Moondrag gab, in denen Schlachtvieh gezüchtet wurde, doch daran glaubte er nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es Menschen in Moondrag gab, die regelmäßig Fleisch aßen. Woher sollte Fleisch kommen? Für ihn war ganz und gar unglaublich, daß es tatsächlich Tiere in Moondrag gab, die aufgezogen und geschlachtet wurden, damit
H. G. Francis ein Teil der Bevölkerung der Stadt versorgt werden konnte, während der größte Teil der Bevölkerung am Rand des Hungertods lebte. Da er nicht wußte, was er tun sollte, zog er sich in seine Hütte zurück, um erneut zu schlafen. Er erwachte, als jemand seine Schulter berührte. »Sconnos«, flüsterte eine matte Stimme. »Hast du etwas zu essen für mich?« Er richtete sich auf. Neben ihm kauerte Angy, ein ehemals hübsches Dalazaaren mädchen, das nur noch aus Haut und Kno chen zu bestehen schien. Sconnos spürte, wie sich der Hunger in ihm regte. Bald würde er sich auf die Suche nach irgend etwas Eßbarem machen müssen. »Tut mir leid, Angy«, antwortete er. »Ich habe nichts. Sieh dich um. Wenn du irgend etwas in der Hütte findest, was du essen kannst, dann nimm es, aber du wirst nichts finden.« Sie senkte den Kopf, und ihre Schultern zuckten. Mitleidig streckte er die Hand nach ihr aus. »Ich würde dir so gern helfen«, sagte er, »wenn ich nur könnte.« Sie erhob sich wortlos und ging hinaus. Dabei setzte sie vorsichtig Fuß vor Fuß. Sie hatte offensichtlich große Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Sconnos erkannte plötz lich, daß sie nicht mehr lange leben würde. Sie war schon zu geschwächt, und da keine Aussicht darauf bestand, daß sie in naher Zukunft etwas Kräftiges zu essen bekam, gab es keine Hoffnung mehr für sie. Von dumpfer Wut erfüllt, dachte er an die Reichen von Moondrag. Warum gaben sie nicht ein wenig von ihrem Reichtum ab, um damit so junge Menschen wie Angy zumin dest am Leben zu erhalten? Warum sahen sie zu, wie der größte Teil der Bevölkerung verhungerte? Warum versuchten sie nicht, die Wirtschaft in Moondrag zu organisieren, so daß jeder satt werden konnte? Angy blieb in der Tür stehen und blickte zurück. »Ich möchte weg hier«, sagte sie leise,
Das magische Erbe »aber allein schaffe ich es nicht. Kommst du mit?« Er schüttelte den Kopf. »Wohin denn? Wir sind viel zu schwach. Wir kämen nicht weit.« Sie ging hinaus. Wenig später schreckte ihn ein Schrei hoch. Neugierig verließ er die Hütte. Eine Grup pe von sieben Reitern kam durch die Trüm mer heran. Auf den hochbeinigen Dadaren ritten einfach gekleidete Dalazaaren und Ke lotten. Sconnos aber kam es vor, als begeg neten ihm Wesen aus einer anderen Welt. Die schlichten Umhänge der Reiter erschie nen ihm wie kostbare Gewänder. Das Ge schirr der Dadare mit den klirrenden Metall plättchen beeindruckte ihn so, daß er auf die Knie sank, weil er meinte, den Reitern Re spekt erweisen zu müssen. Dann aber sah er, daß einer der Dalazaa ren etwas Braunes in der Hand hielt und da von abbiß. Eilig kroch er auf den Reiter zu und streckte ihm die Hände entgegen. »Bitte«, rief er wimmernd. »Gebt einem Verhungernden etwas zu essen, hoher Herr.« Der Dalazaare zügelte sein Dadar und blickte grinsend auf ihn herab. Sconnos sah, daß der Mann eine weiße Narbe auf der Stirn hatte, die sich von Schläfe zu Schläfe zog. »Friß«, sagte der Reiter und warf ihm einen abgenagten Knochen vor die Füße. Sconnos ergriff ihn eilig und verbarg ihn un ter seiner Kleidung. »Ich danke dir, Herr. Du hast ein gutes Herz«, flüsterte er. Der Narbige lachte dröhnend, trieb sein Dadar an und ritt weiter, während Sconnos eilig in seine Hütte zurückkehrte. Hier ent fernte er den Schmutz von dem Knochen und betrachtete danach verzückt seine Beu te. Der Knochen war etwa fingerlang, und ein paar Fleischfasern hingen noch daran. Von ihnen ging ein so intensiver Bratenge ruch aus, daß Sconnos das Wasser im Mun de zusammenlief. Er legte den Knochen vor sich auf den Boden und dachte voller Ver
7 gnügen daran, was für ein Glück er an den letzten beiden Tagen hatte. Erst waren die Delikatessen in seiner Hütte gewesen, und nun hatte er gar einen Knochen mit etwas Fleisch daran erbeutet. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn an diesem Knochen nicht nur ein paar Fleischfasern gewesen wären, sondern noch ein wenig mehr. Wäre es nicht schon überwältigend gewesen, wenn das Stück Fleisch so groß gewesen wäre wie eine Fingerkuppe? Oder gar wie ein Finger? Oder eine Hand? Du bist undankbar, dachte er und schloß die Augen. Er konnte sich jedoch nicht gegen die Ge danken wehren, die immer wieder in ihm aufkamen. Er wußte, wie groß das Stück Fleisch gewesen war, das der Reiter verzehrt hatte, und er konnte sich genau vorstellen, wie es geduftet hatte. Er schnupperte. Bratenduft stieg ihm in die Nase. Sconnos riß die Augen auf. Vor ihm auf dem Boden lag ein großes Stück Fleisch mit einem kleinen Knochen daran. Es war gebraten, und aus den Poren an seiner Oberseite quoll köstlicher Saft. Er riß das Fleisch an sich und biß hinein. Die Gier übermannte ihn, und er schlang es wild in sich hinein. Dann aber dachte er an die Schmerzen, die er nach dem gestrigen Mahl erlitten hatte, und er zwang sich dazu, langsamer zu essen. Dabei erinnerte er sich an Angy. Er sah sie wieder vor sich, wie sie seine Hütte verließ. Lebte sie noch? Du hast gestern reichlich gegessen, und heute auch, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie hat nichts gehabt. Er stand auf, versteckte das Fleisch unter seinem Gewand und ging hinaus. Angy war nicht weit gekommen. Sie kau erte kaum zehn Meter von ihm entfernt auf dem Boden und schien schon tot zu sein. Er setzte sich neben sie und schob ihr das Fleisch in die Hand. Eine endlos lange Zeit schien zu vergehen, bis sie die Augen öffne
8 te, tief seufzte und ihn ansah. Sie lächelte fassungslos, begann danach zu weinen und stopfte sich das Fleisch derart gierig in den Mund, daß Sconnos sich beschämt abwende te. »Sei vorsichtig«, warnte er. »Wenn du zu schnell ißt, gibt dein Magen alles wieder her.« Angy war jedoch ebensowenig in der La ge, sich zu beherrschen, wie er es gewesen war. Und so erging es ihr nicht anders als ihm. Aber auch sie erduldete die Schmerzen und kämpfte ebenso verzweifelt wie erfolg reich darum, das Genossene im Magen zu behalten. »Wo hattest du das Fleisch her?« fragte sie ihn, als sie nach Stunden zu ihm in die Hütte kam. »Das weiß ich selbst nicht«, antwortete er und schilderte, was ihm widerfahren war. Er hatte keine Bedenken, das zu tun, da er ihr vertraute. »Du hast dir also einfach nur gewünscht, daß es da ist?« Er nickte. »Versuche es noch einmal«, bat sie. »Wünsche dir Brot. Bitte.« Lächelnd wehrte er sie ab. »Ich weiß nicht, was passiert ist«, erwi derte er. »So etwas wie ein Wunder war es wohl. Aber ich glaube nicht, daß ich das wiederholen kann.« »Das mußt du herausfinden«, ereiferte sie sich. »Los doch.« Er gab ihr lächelnd nach, obwohl er nicht davon überzeugt war, daß er erfolgreich sein würde. Da er sich aber sagte, daß nichts oh ne ausreichende Ernsthaftigkeit gelingen konnte, konzentrierte er sich ebenso wie bei den vorausgegangenen Malen. »Nichts«, sagte er, als er die Augen wie der öffnete. »Es ist überhaupt nichts pas siert.« Angy blickte ihn zweifelnd an. »War es auch bestimmt so wie gestern und vorhin?« erkundigte sie sich. »Nicht ganz«, antwortete er, ohne darüber nachzudenken, was er sagte. »Gestern waren
H. G. Francis ein paar Reste da, ein Salatblatt, Kartoffel schalen und eine Speckschwarte, und heute hatte ich den Knochen.« Sie packte seinen Arm, und ihre Augen leuchteten auf. »Verstehst du denn nicht?« fragte sie er regt. »Das ist es. Du brauchst Reste, um aus ihnen frische Speisen machen zu können.« Sie stand auf. »Warte. Ich werde den Knochen holen, und dann versuchen wir es noch einmal.« Sie ging zur Tür, blieb dann aber stehen und drehte sich wieder zu ihm um. »Was ist los, Angy?« »Ich habe Karrt den Knochen gegeben. Er wollte sich das Mark herausholen.« »Dann geh schnell zu ihm. Vielleicht hat er es noch nicht getan.« Sie schüttelte den Kopf. »Es wäre falsch, Karrt einzuweihen«, wi dersprach sie. »Karrt ist gefährlich. Er wür de dich ausnutzen.« Sie setzte sich wieder zu ihm. »Ich habe eine andere Idee«, erklärte sie. »Wir beiden werden in die Nähe der Woh nungen der Reichen ziehen. Dort finden wir bestimmt Abfälle, und damit werden wir es noch einmal versuchen.« Sconnos blickte das Mädchen zweifelnd an, da er nicht wußte, ob dieser Vorschlag ernst gemeint war. Wußte Angy, wovon sie sprach? Sie war nie in den Bezirken der Rei chen gewesen. Wenn sie dorthin wollten, mußten sie wenigstens zwei Tage lang durch die Ruinen klettern. Dieser äußerst be schwerliche Marsch barg aber auch noch ei ne Reihe von Gefahren in sich, da in allen Teilen von Moondrag Horden lebten, die ih ren Bezirk energisch verteidigten. Sconnos war sich dessen nicht bewußt, daß er selbst Teil einer solchen Horde war. Auch er hätte sich gegen jeden Fremden ge wandt, der versucht hätte, sich irgendwo in der Nähe seiner Hütte einzunisten. Das Nah rungsangebot reichte bei weitem nicht für die Menschen, die hier lebten. Jeder, der hinzukam, bedrohte daher das Leben aller. »Glaubst du, bei den Reichen liegen die
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Abfälle nur so herum?« fragte er. »Wenn das so wäre, würden dort viele Arme leben und sie aufsammeln.« »Dennoch müssen wir hier weg«, beharrte sie auf ihrem Vorschlag. »Hier finden wir vielleicht nie mehr etwas. In einigen Tagen könnte es schon zu spät sein.« Er dachte über das nach, was sie gesagt hatte, und er mußte ihr recht geben. Wenn sich das Wunder nicht in den nächsten Ta gen wiederholte, würden sie möglicherweise verhungern. Deshalb war es besser, etwas zu unternehmen, als nur abzuwarten, ob etwas geschah. »Vielleicht kommen wir durch«, erwider te er, »wenn wir allen von vornherein erklä ren, daß wir nicht in ihrem Bezirk bleiben wollen.« Sie stand auf, schwankte einen Moment vor Schwäche, fing sich aber wieder. »Dann komm«, forderte sie. »Mit jeder Sekunde, die wir warten, verringern sich un sere Chancen.«
2. Sconnos sank erschöpft auf den Boden. Er kauerte zwischen zwei verfallenen Häusern, die von grünen Ranken überwuchert wur den. Neben ihm stand Angy. Und einige Schritte vor ihm versperrte ihm ein vier schrötiger Mann den Weg. Seit mehr als zwanzig Stunden waren Sconnos und das Mädchen unterwegs, ohne auf so großen Widerstand gestoßen zu sein, wie er be fürchtet hatte. Jetzt aber schienen sie am En de ihres Weges angekommen zu sein, ohne ihr Ziel erreicht zu haben. Sconnos blickte zu dem vierschrötigen Mann auf. Dieser war etwa 1,90 m groß und damit um wenigstens zehn Zentimeter grö ßer als er. Außerdem hielt er sich gerade und sah so aus, als habe er schon lange nicht mehr gehungert. Auch war er nur etwa zwanzig Jahre alt. Verglichen mit ihm hatte Sconnos ein geradezu greisenhaftes Ausse hen, obwohl er noch nicht einmal doppelt so alt war, denn er war dünn und bleich, hatte
ein schmales, knochiges Gesicht mit einer langen Nase und einem fast lippenlosen Mund. Seine blaugrauen Augen lagen tief in den Höhlen, und das Haar hing ihm verfilzt und verschmutzt bis auf die Schultern herab. Bei Sconnos war unschwer zu erraten, daß Körperpflege etwas war, was er in sei ner Not längst vergessen hatte. Der andere dagegen schien gerade erst aus der Badestu be gekommen zu sein. »Kehrt um«, sagte der Vierschrötige. »Für Gesindel eurer Art ist hier kein Platz.« »Wir wollen nicht hier bleiben«, erwider te Sconnos beschwörend. »Wir wollen wei ter.« Der andere schüttelte den Kopf. Er lachte selbstsicher. Ihm schien Spaß zu machen, daß er so überlegen war, und daß Sconnos und das Mädchen nichts gegen ihn ausrich ten konnten. »Wie heißt du?« fragte Angy. Sie war kleiner als Sconnos, nur etwa 1,60 m groß. Ihr braunes Haar war ebenso stumpf und verfilzt wie das ihres Begleiters, und ihre Augen schienen farblos zu sein. Sie trug eine verblichene Kutte, unter der sie ih ren ausgemergelten Körper verbarg. Angy war vor einigen Tagen zwanzig geworden. Ein alter Mann, der in ihrer Nähe hauste, hatte sie darauf aufmerksam gemacht. Sie selbst hätte es nicht gewußt. »Teiss«, antwortete der vierschrötige Mann. Er stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mir gehört dieser Bezirk. Ich könnte kräfti ge Männer und Frauen gebrauchen, verhun gerte Krüppel nützen mir nichts.« Sconnos schnitten sich diese Worte ins Herz. Sie taten ihm weh, weil sie auch Angy galten, und diese war nicht verkrüppelt, son dern sie litt lediglich unter dem schier uner träglichen Hunger. Er richtete sich auf. »Richtig«, wisperte das Mädchen neben ihm. »Wenn du weiterkommen willst, mußt du kämpfen.« Sconnos horchte in sich hinein. Wie recht sie hat, dachte er. Wer weiter kommen will, muß kämpfen. Teiss da hat ge
10 kämpft. Nur weil er das getan hat, steht er jetzt da, ist mächtig und versperrt uns den Weg. »Er ist ein Magier«, behauptete Angy und deutete auf Sconnos. »Doch er hat ein wich tiges Requisit seiner Macht verloren, und die anderen Magier haben ihm eine Prüfung auf erlegt. Sobald er diese bestanden hat, und das wird in einigen Tagen der Fall sein, kehrt er zurück. Er wird dir ein Geschenk mitbringen, das wertvoller und großzügiger sein wird als alles, was du bisher bekommen hast.« Teiss lachte spöttisch auf. Er ging auf Sconnos zu, um ihn zu verscheuchen, doch dann hielt er nachdenklich inne. Seine Lider zuckten. Sie verrieten, daß er unsicher war. Er trat auf Sconnos zu, packte ihn am Kinn und bog ihm den Kopf in den Nacken. Prüfend blickte er ihm ins Gesicht. Dann stieß er ihn höhnisch lachend zu rück. »Ein Magier, wie? Schert euch zum Teu fel.« Sconnos stürzte zu Boden. Seine Hände klammerten sich um einen Stein. Teiss wandte sich ab. Der Stein flog auf ihn zu und traf ihn an der Schläfe, als er sich noch einmal umdrehen wollte. Betäubt kippte er um und blieb ausgestreckt liegen. Blut sickerte aus seiner Schläfe. »Schnell«, sagte Sconnos erschrocken. »Weiter. Wir müssen weg sein, wenn er auf wacht.« Angy lachte ausgelassen. Sie freute sich unbändig über den Sieg, den sie errungen hatten. Aufgeregt schwatzend hastete sie ne ben Sconnos her, ständig in die Runde spä hend, weil er befürchtete, daß Freunde oder Verbündete des Vierschrötigen aus den Rui nen auftauchen und sie aufhalten könnten. Er war sich darüber klar, daß sie keine Zeit verlieren durften, und er zweifelte nicht dar an, daß Teiss jede sich bietende Gelegenheit nutzen würde, die Scharte auszuwetzen, die er ihm beigebracht hatte. Dennoch fühlte er sich so wohl wie schon lange nicht mehr.
H. G. Francis Er hatte das dumpfe Gefühl der Resignati on überwunden. Ein Funke war in ihm er wacht und hatte den Impuls ausgelöst, sich nicht mit dem Elend abzufinden, in dem er leben mußte. Einige zerlumpte Gestalten tauchten zwi schen den Ruinen auf, stellten sich ihnen je doch nicht in den Weg. Sconnos, der sonst immer ein wenig ge beugt ging, richtete sich höher auf. Ihm wur de bewußt, welchen Eindruck die Haltung des Vierschrötigen auf ihn gemacht hatte. Deshalb wollte er sich nun auch in voller Größe zeigen, um dadurch alle abzu schrecken, die glaubten, es mit ihm aufneh men zu müssen. Lange hielt er jedoch nicht durch. Dann zeigte sich, wie schwach er wirklich war. Die beiden Mahlzeiten, die er genossen hatte, reichten nicht aus, die jahrelange Schwächung durch den Hunger auszuglei chen. Und Angy ging es nicht anders. Sie mußte ihn schließlich um eine Pause bitten, und sie ließ sich erschöpft in den Schatten eines verfallenen Hauses sinken, als er zu stimmend nickte. »Ich habe mal gehört, daß es früher Hau stiere in Moondrag gegeben haben soll«, sagte sie, als sie sich ein wenig erholt hatte. »Ich erinnere mich daran«, antwortete er. »Aber die Zeiten sind vorbei. Die Tiere haben diese Hungerzeiten nicht überlebt. Mich wundert eigentlich, daß die Menschen von Moondrag nicht schon übereinander hergefallen sind.« Sie erschauderte vor Entsetzen bei dem Gedanken an Kannibalismus. Sconnos lehnte sich an die Wand des Ge bäudes. Ein fauliger Geruch wehte ihm um die Nase. »Ich rieche etwas«, sagte er. »Hier muß irgendwo Abfall sein.« »Sieh nach«, bat sie. »Ich kann noch nicht weitergehen.« Als er aufstehen wollte, merkte er, wie sehr ihn der Gewaltmarsch durch die Rui nenstadt angestrengt hatte. Um Kräfte zu
Das magische Erbe schonen, kroch er auf allen vieren in das Ge bäude. Seine Blicke fielen sofort auf Abfäl le, die in der Ecke lagen, und von denen der Gestank ausging. Es waren einige Knochen, Blätter und Gräten. Insekten krochen darauf herum. Sconnos kroch bis zu den Abfällen hin, ließ sich davor auf den Bauch sinken, schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, von welchen Köstlichkeiten diese Dinge üb riggeblieben waren. Zur gleichen Zeit bemerkte Angy eine hochgewachsene Gestalt, die einige Meter von ihr entfernt zwischen den Ruinen her vorkam. »Teiss«, murmelte sie erschrocken. Un willkürlich stemmte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand des Hauses. Der vierschrötige Mann trug ein Schwert in den Händen, und er sah so aus, als sei er entschlossen, es auch anzuwenden. Hinter ihm standen vier Männer, die mit Messern bewaffnet waren. »Da ist sie«, sagte Teiss. »Der Kerl muß ebenfalls in der Nähe sein. Packt sie und schlagt ihnen die Köpfe ab.« Seine Begleiter nickten und gingen an ihm vorbei. Angy war wie gelähmt. Sie wollte fliehen, aber ihre Beine verweigerten ihr den Dienst. Sie konnte noch nicht einmal schreien. Vol ler Entsetzen blickte sie Teiss an, und seine Augen verrieten ihr, daß er keinen Scherz gemacht hatte, sondern unerbittlich auf der Durchführung seines Befehls bestehen wür de. »Nein«, stammelte sie. »Bitte nicht.« Doch die Männer packten sie und warfen sie bäuchlings über eine niedrige Mauer. Ei ner von ihnen schob ihr das Haar über den Kopf nach vorn, so daß der Nacken frei war. Da ertönte eine sanfte Stimme. »Oh«, sagte Sconnos freundlich. »Du bist es. Kann ich dir einen Gefallen tun? Wie wäre es mit einer gebratenen Keule oder ei nem gebeizten Fisch?« Die Männer hielten inne und blickten zu Sconnos hinüber, der ins Freie getreten war
11 und genüßlich von einem Stück gebratenen Fleisch abbiß, das so groß und schwer war, daß er es kaum in den Händen halten konn te. Angy rutschte von der Mauer und kroch schluchzend vor Angst von den Männern weg, die sie hatten ermorden wollen. »Seht euch den an«, sagte Teiss verblüfft. »Nehmt ihm das Fleisch weg. Er hat es ge stohlen.« Sconnos hielt Teiss das Fleisch hin und deutete mit dem Daumen auf die Ruine, als dieser es ihm abgenommen hatte. »Da drinnen ist noch mehr«, erklärte er. »Genug für euch alle und für eure Freunde. Von dem, was da liegt, können mehr als hundert Menschen satt werden.« Teiss biß gierig von der Keule ab, die er Sconnos abgenommen hatte. Er schritt an ihm vorbei und blickte in die Ruine. »Er hat recht«, bemerkte er dann. »Da ist wirklich genug. Für ihn jedoch nicht. Er braucht nichts mehr. Schlagt ihm den Kopf ab.« Jetzt packten seine Helfer Sconnos und schleiften ihn zur Mauer. Doch Angy trat ih nen energisch entgegen. »Ihr Dummköpfe«, schrie sie. »Ich habe doch gesagt, daß er ein Magier ist. Wem habt ihr es denn zu verdanken, daß da drin nen soviel zu Essen liegt? Nur ihm. Wenn ihr ihn tötet, werdet ihr hungern. Wenn ihr ihn leben laßt, habt ihr von nun an immer genug zu Essen.« »Ist das wahr?« fragte Teiss. »Du kannst es ja darauf ankommen las sen«, erwiderte Sconnos kaltblütig. »Das, was da drinnen liegt, habe ich beschafft. Be dient euch.« Teiss wurde unsicher. Er gab seinen Män nern zu verstehen, daß sie Sconnos verscho nen sollten, befahl zugleich aber, ihn und das Mädchen zu fesseln. Nachdem diese An weisung ausgeführt worden war, stürzte er sich zusammen mit seinen Freunden auf die Speisen, die in der Ruine lagen.
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12 Teiss winkte Sconnos zu sich heran. Er war satt, und das machte ihn friedfertig. »Hast du diese Sachen wirklich herbeige schafft?« fragte er, als Sconnos vor ihm auf dem Boden kauerte. »Du bist also so ein Tischlein-deck-dich-Magier?« »So könnte man das nennen«, erwiderte Sconnos, wobei er sich selbstsicherer gab, als er war. »Das mußt du mir beweisen. Ich habe mir die Ruine eben angesehen. Sie ist leer. Auf dem Boden liegen lediglich ein paar Gräten. Wenn du wirklich ein Magier bist, dann kannst du mir ein paar frische Fische holen.« Sconnos erhob sich, ließ sich die Fesseln abnehmen, und betrat die Ruine. Teiss, die Männer seiner Horde und Angy blickten ihm nach, und nur das Mädchen glaubte daran, daß er die ihm gestellte Aufgabe lösen konn te. Die anderen grinsten, weil sie davon überzeugt waren, daß Teiss den vorgebli chen Magier in Verlegenheit gebracht hatte. Doch ihre Schadenfreude wich einem fas sungslosen Staunen, als Sconnos Minuten später wieder ins Freie trat und Teiss vier große, gebratene Fische übergab. »Ich bin satt«, erklärte der Vierschrötige. »Will noch jemand essen?« Als sich keiner meldete, befahl er Scon nos, die Fische wegzuwerfen. »Um uns herum gibt es genügend Men schen, die dem Hungertod nahe sind. Ihnen werde ich die Fische geben.« Teiss sprang auf. »Das wirst du nicht«, brüllte er. »Du wirst mir gehorchen. Wirf die Fische hier auf den Boden.« Sconnos schüttelte den Kopf, drehte sich um und entfernte sich. Zwischen den Ruinen tauchten mehrere ausgemergelte Gestalten auf. Jetzt wurde deutlich, daß die Gruppe die ganze Zeit über von ihnen beobachtet wor den war. Doch das hatte außer Angy und Sconnos niemand bemerkt. Teiss eilte hinter Sconnos her, packte ihn an der Schulter und riß ihn herum. Er hob das Schwert gegen ihn. »Ich gebe hier die Befehle«, schrie er au
H. G. Francis ßer sich vor Zorn. Doch plötzlich standen vier seiner Män ner neben ihm und fielen ihm in den Arm. »Wir haben selbst lange genug Hunger gehabt«, erklärte einer von ihnen, ein dun kelhäutiger Kelotte. »Die Armen sollen die Fische haben.« Er nahm sie Sconnos aus den Händen und trug sie zu den Wartenden hin. »Das entspricht meinen Wünschen«, sagte Sconnos. Er lächelte. »Ich denke, ihr seit da mit einverstanden, wenn ich ab heute das Kommando führe. Teiss kann bei uns blei ben, wenn er sich mir beugt. Ich verspreche euch, daß ihr immer genügend zu Essen ha ben werdet.« Teiss wollte sich wutentbrannt auf ihn stürzen, doch seine Männer hinderten ihn daran. »Dafür bringe ich dich um«, schrie er Sconnos zu. Der neue Anführer ließ sich durch seine Drohgebärden nicht beeindrucken. »Ich glaube dir, daß du mit dem Schwert umgehen kannst«, erwiderte er freundlich. »Doch das genügt nicht. Es ist leicht, mit den Muskeln seiner Arme zu kämpfen, schwieriger ist es schon, das gleiche mit dem Kopf zu tun.« Die Männer der Horde lachten. »Das Mädchen und ich benötigen neue Kleider«, sagte Sconnos. »Verschafft sie uns.« Er setzte sich auf einen Stein, damit die anderen nicht merkten, wie erschöpft er war. Angy kauerte sich neben ihn auf den Boden. Während einige Männer der Horde davo neilten, um dem Befehl ihres neuen Anfüh rers nachzukommen, zündeten andere ein Feuer an, um sich daran zu wärmen. »So schnell geht das«, sagte Sconnos lei se. »Vor ein paar Stunden waren wir noch die Ärmsten der Armen und ohne Hoffnung, und jetzt brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen. Andere bedienen uns.« »Du bist noch nicht am Ziel«, warnte das Mädchen. »Ich bin zufrieden«, erwiderte er erstaunt.
Das magische Erbe »Ich kann essen und trinken, wann und wie viel ich will. Und ich habe eine Horde von achtzehn Männern, die mich gegen alle Feinde verteidigen wird. Wir sind reich, An gy.« »Noch lange nicht«, widersprach sie. »Achte auf Teiss. Er haßt dich, und er wird die erste beste Gelegenheit ergreifen, dich zu stürzen.« »Satt zu werden, ist das größte Problem in Moondrag«, stellte Sconnos fest. »Mit die sem Problem hat jeder zu kämpfen. Für die Männer dieser Horde ist das Leben leichter geworden, weil sie wissen, daß sie sich über Proviant keine Gedanken mehr machen müssen. Sie werden mich bis zum äußersten verteidigen, weil sie wissen, daß sie damit auch um den Topf kämpfen, aus dem sie es sen.« »Was passiert, wenn deine neuen Kräfte versagen?« gab sie zu bedenken. Sconnos runzelte die Stirn. »Mußt du so etwas fragen?« »Natürlich. Du solltest vorplanen. Und deshalb ist das nicht genug, was du erreicht hast. Du mußt deine Macht ausweiten, bis du an die Stelle von Moondrag vorgedrun gen bist, an der das Leben auch ohne magi sche Kräfte leichter ist.« Er dachte über das nach, was sie gesagt hatte, und er mußte ihr recht geben. Er durf te sich nicht nur auf seine neuen Fähigkeiten verlassen. Zwei Männer kehrten mit einfachen, aber sauberen Kleidungsstücken für Angy und ihn zurück. Er nahm sie entgegen und zeigte dann zu einem turmartigen Gebäude hin über, das sich etwa einen Kilometer von ih nen entfernt aus den Ruinen erhob. »Was ist das?« fragte er. »Das ist die Burg von Staff, dem Erbar mungslosen«, antwortete Teiss. »Willst du dich mit ihm anlegen?« »Warum nicht? Wir brauchen schließlich eine vernünftige Unterkunft. Oder wollt ihr ewig in Hütten und Ruinen leben?« Seine neuen Freunde blickten ihn unsi cher an. Einige lachten verlegen. Sie konn
13 ten sich nicht vorstellen, daß er irgend etwas gegen jenen Staff tun konnte, den man den Erbarmungslosen nannte. »Sobald ich mich umgezogen habe, gehen wir los«, erklärte Sconnos. »Ich brauche dringend ein Bad, und ich hoffe, daß Staff mir eines zur Verfügung stellt.« »Richtig«, flüsterte Angy ihm zu. »So mußt du mit ihnen reden. Dann respektieren sie dich.«
* Teiss bemühte sich um Gelassenheit. Er wollte sich auf keinen Fall anmerken lassen, was er empfand. Das Auftreten der beiden zerlumpten Ge stalten, die so schwach waren, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, verblüffte ihn. Woher nahmen sie die Energie, mit der sie sich den anderen und auch ihm gegen über durchgesetzt hatten? Er glaubte nicht daran, daß Sconnos ein Magier war. Vielmehr war er fest davon überzeugt, daß sein Nachfolger mit einem Trick arbeitete und schon alles vorbereitet hatte, bevor er mit ihm zusammengetroffen war. Er haßte Sconnos und das Mädchen aus tiefster Seele, und er war entschlossen, beide bei erster sich bietender Gelegenheit zu tö ten. Vorläufig aber wollte er abwarten. Sconnos verfolgte einen Plan, sagte er sich, während er auf den Trümmern eines Hauses kauerte und zu seinen Leuten hin überblickte, die seinen Nachfolger und das Mädchen mit Kleidungsstücken versorgten. Er vermutete, daß Sconnos seine Männer nur um sich scharte, um irgend jemanden anzugreifen und zu vernichten. Staff, der Erbarmungslose, schoß es ihm durch den Kopf, und er erschauerte vor Furcht bei dem Gedanken, daß Sconnos es tatsächlich wagen sollte, sich gegen diesen Mann aufzulehnen. War es besser, Sconnos gegen Staff an rennen zu lassen und zuzusehen, wie er sich
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eine blutige Abfuhr holte? Oder war es rat »Paß auf«, flüsterte Angy. »Deine Leute samer, ihn vorher kurzerhand umzubringen? beobachten dich. Sie sind gespannt, wie du Natürlich ist es besser, Staff die schmutzi in die Burg kommen willst.« ge Arbeit machen zu lassen, schoß es ihm »Ich auch«, erwiderte er fatalistisch. durch den Kopf. Warum sollte ich tun, was »Sei nicht albern«, sagte sie. »Irgend et Staff mit Sicherheit schafft? was wird dir schon einfallen.« Teiss beschloß, vorläufig abzuwarten und »Also gut«, seufzte er und richtete sich die sich durch Sconnos bietenden Vorteile ein wenig höher auf. Er hob die rechte Hand, mitzunehmen. um seinen Männern anzuzeigen, daß sie ste henbleiben sollten. Allein ging er weiter. Auch Angy blieb zurück. 3. Der Dalazaare richtete die Spitze der Lan Nachdem Sconnos sich einige Stunden ze auf ihn, als er sich ihm bis auf wenige lang erholt hatte, befahl er den Aufbruch. Er Schritte genähert hatte. spürte die Spannung, unter der seine Beglei »Was willst du?« fragte er abweisend. ter standen, von denen jeder einzelne kräfti »Ich will Staff sprechen«, erklärte Scon ger war als er. nos. »Was du vorhast, ist gefährlich«, flüsterte »Da kann ja jeder kommen. Er empfängt Angy ihm zu. Sie schritt mit gesenktem niemanden.« Haupt neben ihm her. Ein wärmender Um »Auch keinen, der ihm Geschenke hang umhüllte ihren Körper, und eine Kapu bringt?« ze schützte ihren Kopf. »Sei auf der Hut. Der Dalazaare musterte ihn abschätzend, Besonders Teiss ist nicht zu trauen.« schüttelte dann den Kopf und trat drohend »Keine Angst. Ich weiß, um was es geht«, auf ihn zu. sagte er selbstsicher. »Wenn du nicht sofort verschwindest, ge Seine Zuversicht schmolz jedoch dahin, be ich dir die Lanze zu spüren«, sagte er und als sie sich dem gewaltigen Bauwerk näher drückte Sconnos die Lanzenspitze gegen die ten, in dem Staff hauste. Die Haltung seiner Brust. Begleiter verriet Sconnos, daß Staff ein all »Das würde dich teuer zu stehen kom seits gefürchteter Mann war, der nicht nur men. Ich habe Geschenke für Staff. Erlesene seine Burg, sondern auch deren Umgebung Speisen und Getränke. Wenn er erfährt, daß beherrschte. du mich abgewiesen hast, wird er dich be Sorgen machte dem neuen Hordenführer, strafen.« daß er noch nicht wußte, wie er in die Burg Der Wächter schnaubte verächtlich. kommen und sich Staff gegenüber verhalten »Speisen und Getränke, wie?« höhnte er. sollte. »Wo hast du sie denn?« Aus der Nähe sah die turmartige Burg Sconnos lächelte. Staffs ganz anders aus als aus der Ferne. Sie »Sie sind schon da drinnen in der Burg. machte einen eher gedrungenen Eindruck, Ich werde sie mit meinen magischen Kräften da der Turm hinter einer wuchtigen Mauer sichtbar machen.« nahezu verschwand. Ein breiter Graben um »Idiot.« Der Dalazaare holte aus, um spannte die Mauer, so daß die Burg nur über Sconnos mit der Lanze zu durchbohren, als eine Ziehbrücke zu erreichen war. Auf die der zweite Wächter auf der Mauerkrone ser stand ein riesiger Dalazaare, der mit ei plötzlich laut pfiff und ihm etwas zurief. ner Lanze und einem Schwert bewaffnet Wenig später kam er selbst auf die war. Über ihm kauerte ein zweiter Wächter Brücke. auf der Mauer, neben dem eine Waggu auf Es war ein Kelotte, dessen linkes Auge den Steinen lag. fehlte. Die Augenhöhle war durch eine häß
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liche Narbe entstellt. Als Sconnos dies sah, kam ihm plötzlich ein Gedanke. »Leidest du sehr darunter, daß du nur noch ein Auge hast?« fragte er. Der Wächter blickte ihn forschend an. »Was geht das dich an?« »Sehr viel, denn ich kann dir das zweite Auge zurückgeben, wenn du willst.« Scon nos erschrak über seine eigenen Worte. So weit hatte er nicht gehen wollen. Er wurde sich dessen bewußt, daß er sich um Kopf und Kragen redete, wenn er seine Behaup tung nicht beweisen konnte. Der Kelotte zog sein Schwert. »Ich wollte dir helfen«, erklärte er. »aber das werde ich jetzt nicht mehr tun. Ich kann Leute nicht ausstehen, die meinen, sich über mich lustig machen zu müssen.« Sconnos schloß die Augen und konzen trierte sich. Er versuchte, sich vorzustellen, wie der Wächter ausgesehen hatte, als er sein Auge noch nicht verloren gehabt hatte. Im gleichen Moment vernahm er einen ge dämpften Schrei. Er blickte auf. Das vorher entstellte Gesicht des Wäch ters sah wieder normal aus. Staunend strich sich der Kelotte über seine linke Gesichts hälfte und das linke Auge. »Ich habe mein Auge wieder«, sagte er mit erstickter Stimme und machte Anstalten, sich vor Sconnos auf den Boden zu werfen, doch dieser hinderte ihn daran. »Wirst du mir nun helfen, zu Staff zu kommen?« fragte er. »Ich werde alles für dich tun, was du von mir verlangst«, versprach der Wächter. »Warte hier mit deinen Freunden. Ich bin in wenigen Minuten zurück.« Er eilte davon. Lächelnd blickte Sconnos den Dalazaaren an. »Wie hätte ich das wissen sollen?« stam melte dieser.
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Sconnos merkte, daß er endgültig bei sei ner Horde gewonnen hatte, als der Kelotte zurückkehrte, um ihm mitzuteilen, daß Staff bereit war, ihn zu empfangen. »Hast du Teiss beobachtet?« fragte Angy flüsternd, als sie nebeneinander über die Brücke in die Burg gingen. »Er gönnt dir diesen Erfolg nicht. Sei auf der Hut.« »Solange ich Erfolg habe, wird nichts ge schehen«, erwiderte er. »Danach könnte es allerdings gefährlich werden.« Im Innenhof der Burg standen zwanzig Dadare. Die dromedarähnlichen Reittiere wurden von einigen Männern mit Wasser versorgt. Treppen führten zum Mittelbau der Burg hinauf. Davor standen einige Hocker. Der Wächter bat Sconnos, Platz zu nehmen und zu warten, bis Staff ihn rufen ließ. Teiss gesellte sich zu ihm. »Das läßt du dir gefallen?« fragte er spöt tisch lächelnd. »Warum nicht? Ich habe Zeit genug«, ent gegnete Sconnos gelassen. »Inzwischen könntest du mir etwas über Staff erzählen. Wer ist dieser Mann, und was treibt er hier? Woher hat er seinen Beinamen?« »Nun wird dir Angst, wie?« Sconnos blickte Teiss durchdringend an. »Ich warne dich. Du hast zu gehorchen.« »Und was ist, wenn ich es nicht tue?« »Dann ist es ziemlich wahrscheinlich, daß ich dich in einen häßlichen Gnom verwand le.« Teiss erbleichte erschrocken. Er hatte ver folgt, wie Sconnos den Kelotten geheilt hat te, und er benötigte nicht viel Phantasie, sich auszumalen, daß er auch mit ihm einiges an stellen konnte. Er beugte sich seinem Nach folger. »Schon gut. Entschuldige. Ich wollte nicht ungehorsam sein«, stammelte er. »Was weißt du über Staff?« »Nicht viel. Es heißt, daß er ein ehemali ger Pirat vom Regenfluß ist. Er soll ein bru taler, rücksichtsloser und erbarmungsloser Mann sein, der erst zuschlägt, und dann fragt. Sein Reich ist nicht nur diese Burg, sondern vor allem die Umgebung der Burg.
16 Er reitet mit seinen Kriegern hinaus und plündert, wo immer ihm das möglich ist.« Eine Tür am oberen Ende der Treppe flog auf, und ein untersetzter Mann mit wehen dem Rotschopf und einem mächtigen Bart trat heraus. Hellblaue Augen musterten Sconnos. Es waren wilde, grausame Augen, die verrieten, daß Staff vor nichts zurück schreckte. Er war ein Mann, der seinen Beinamen verdiente. Staff war ein Orxeyaner, und er trug auch die von diesen bevorzugte Kleidung, die aus engen Lederhosen, einem Lederhemd und einer Pelzjacke bestand. In seinem Gürtel steckte ein gewaltiges Messer. »Komm her, du«, befahl Staff. Er hatte ei ne dunkle, heisere Stimme, die erkennen ließ, daß er gewohnt war, Befehle zu ertei len. Sconnos erhob sich und stieg die Treppe langsam empor. Er wäre gern schneller ge gangen, aber dazu fehlte ihm die Kraft. Staff bemerkte seine Schwäche sofort, und der Ausdruck seiner Augen änderte sich. Strahlten sie vorher Kraft und Vernich tungswillen aus, so zeichnete sich nun Er staunen in ihnen ab. Sconnos erriet, was der Burgherr dachte. »Urteile nicht vorschnell«, sagte er daher. »Warte ab.« »Man hat mir gesagt, daß du ein Heiler bist«, erklärte Staff und bedeutete ihm mit einer energischen Geste, die Burg zu betre ten. »Das wirst du beweisen müssen.« »Warum nicht?« Sconnos spürte, daß er die erste kritische Situation überstanden hat te. Er wurde sicherer. »Wenn ich weiß, was ich für dich tun kann, werde ich deine Wün sche erfüllen.« »Du siehst so schwach aus, daß man glaubt, dich umpusten zu können.« Staff lachte dröhnend. Er stieß Sconnos an und schleuderte den vermeintlichen Magier da bei quer durch einen kärglich eingerichteten Raum. Sconnos landete in einer Ecke auf dem Boden. Verblüfft blickte Staff ihn an. »Anderen kannst du helfen?« fragte er.
H. G. Francis »Aber was ist mit dir selbst?« »Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, erwiderte der Hordenführer und erhob sich mühsam. Er schleppte sich zu einem Tisch und setzte sich. »Gib mir etwas zu Trinken und zu Essen.« »Sonst noch was?« »Nein. Das würde mir genügen. Es muß nicht viel sein.« »Gefressen wird erst, wenn du deine Ar beit getan hast.« Staff schlug wütend mit der flachen Hand auf den Tisch. Es krachte so laut, daß Sconnos erschrocken zurückfuhr und fast von der Bank gefallen wäre, auf der er saß. »Du benimmst dich wie ein Barbar«, be merkte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte. »Was willst du damit verbergen? Fehlt es dir hier oben?« Sconnos tippte sich an die Stirn. Die Augen Staffs blitzten auf. Wortlos riß er das Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf Sconnos. »Nein, Staff, nicht«, schrie eine junge Frau, die durch die Tür hereineilte. »Denke doch an Jay.« Staff ließ das Messer sinken. Er blickte Sconnos an, und dieser begriff, daß sein Le ben an einem seidenen Faden hing. Der vor angegangene Angriff hatte ihn gar nicht ein mal so erschreckt, da er davon überzeugt ge wesen war, daß Staff ihn nicht töten wollte. Der Burgherr hatte ihn zu sich gerufen, weil er etwas von ihm erwartete, und Sconnos konnte sich nicht vorstellen, daß er ihn um bringen würde, ohne ihm vorher seine Wün sche genannt zu haben. Jetzt erfaßte er, daß er sich gründlich ge irrt hatte. Staff war ein brutaler Mörder, der nicht besonders intelligent war und sich nicht in der Gewalt hatte. Teiss hatte ihn richtig charakterisiert. Staff schlug erst zu und stellte danach die Fragen. Und wenn sein Gegenüber zu die sem Zeitpunkt bereits tot war, dann regte ihn das auch nicht sonderlich auf. Jetzt aber geschah etwas Überraschendes.
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Der harte Ausdruck der blauen Augen Zimmer. milderte sich, und einige Tränen quollen Er hielt sich die Nase zu, weil er den Ge über die Wimpern. Staff trat hastig zurück stank nicht ertrug, und ging zum Bett. Ent und wandte sich ab. schlossen schlug er die Decke zurück. »Also, höre mir gut zu«, sagte er drohend. Entsetzt stöhnte er auf, als er sah, in wel »Ich habe ein Problem. Nebenan liegt ein chem Zustand sich das Mädchen befand. Für Mädchen. Ich will, daß es wieder gesund ihn war ein Wunder, daß sie überhaupt noch wird.« lebte. Ihr rechtes Bein war von den Zehen Sconnos verfluchte den Moment, in dem spitzen an bis über das Knie hinaus dunkel er sich entschlossen hatte, mit der Horde zur braun. Burg aufzubrechen. Das Mädchen hatte den Wundbrand. Das Warum habe ich das nur getan? fragte er bedeutete, daß ihr Bein sich auflöste. Das sich. Ich hatte alles, was ich wollte. Immer Gewebe zerfiel. Dabei entstanden Giftstoffe, hin achtzehn Männer, auf die ich mich ver die längst ihren ganzen Körper durchdrun lassen konnte. Ich hätte monatelang ohne gen haben mußten. die geringste Aufregung leben können. Aber Sconnos wollte sich bereits abwenden, als das genügte mir nicht. Ich wollte mehr. Und er sich an die Worte Staffs erinnerte. jetzt? Ich komme von einer lebensgefährli Du wirst das Zimmer in dem gleichen Zu chen Situation in die andere. stand verlassen wie sie, fuhr es ihm durch Da er nicht auf die Worte Staffs antworte den Kopf. Also tu etwas. Versuche es wenig te, ging der Orxeyaner auf ihn zu, packte ihn stens. am Arm und führte ihn mit eisernem Griff in Er rückte einen Stuhl an das Bett, blickte den Nebenraum. die Kranke lange an und schloß dann die Hier war es dunkel und stickig. Augen. Der Raum enthielt nur ein Bett, zwei Er malte sich aus, wie sie ausgesehen ha Stühle, einen Tisch und einen Schrank. Ein ben mochte, als sie gesund gewesen war. flauschiger Fellteppich bedeckte den Boden. Als er danach die Augen öffnete, sah das Im Bett lag eine Kranke. Von ihr sah Scon Bein schon viel besser aus als vorher, wenn nos nur das eingefallene, bleiche Gesicht gleich es sich noch nicht normalisiert hatte. und die langen, schwarzen Haare. Das Mäd Ihr Zustand ist so schlimm, daß du es mit chen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ih einem Anlauf nicht schaffen kannst, dachte rer Mutter, der Dalazaarin, die Staff be er und mahnte sich zur Geduld. schworen hatte, Sconnos nicht zu töten. Er wartete einige Minuten ab, bis er sich Ein fauliger Gestank ging vom Bett aus. ein wenig von der geistigen Anstrengung er »Das ist meine Tochter Jay«, erklärte holt hatte, dann schloß er erneut die Augen Staff mit gedämpfter Stimme. »Sie hat sich und konzentrierte sich. vor einiger Zeit am Bein verletzt. Niemand Ein tiefer Seufzer schreckte ihn auf. Er konnte ihr helfen. Jetzt bist du dran. Du blickte das Mädchen an. Deren Augen wei wirst das Zimmer mit ihr zusammen verlas teten sich. Sie zog die Bettdecke bis unter sen, und dabei wirst du in dem gleichen Zu das Kinn hoch und bedeckte ihre Beine. stand sein wie sie. Wenn sie lebt, wirst du Dann schrie sie gellend um Hilfe. auch leben. Wenn sie tot herauskommt, wird Sconnos fuhr entsetzt zurück. Der Stuhl, man dich auch mit den Füßen voran heraus auf dem er gesessen hatte, kippte um. tragen.« »Hilfe«, schrie das Mädchen. »Helft mir »Laßt mich allein mit ihr«, forderte Scon doch.« nos. Die Tür flog auf. Staff stürzte herein. Er Staff und die Dalazaarin, die ihnen ge packte Sconnos und schleuderte ihn so folgt war, gehorchten. Sie verließen das wuchtig zur Seite, daß der Heiler in eine
18 Ecke flog, mit dem Kopf gegen den Schrank schlug und dort bewußtlos liegenblieb. Er kam wieder zu sich, als Staff ihn über die Treppen in den Hof der Burg schleifte. Die Dalazaarin eilte jammernd hinter ihnen her. »Hör auf«, röchelte Sconnos. »Du ver dammter Narr, laß mich endlich los.« Staff drehte sich um und ließ ihn auf den Boden fallen. Mit zornig blitzenden Augen blickte er auf ihn herab. »Du Lump«, sagte er. »Du hast versucht, dich meiner Tochter zu nähern.« »Du bist der dümmste Mensch, der mir je mals untergekommen ist«, erwiderte Scon nos nicht weniger wütend. »Wie hätte ich das Bein deiner Tochter heilen können, ohne es wenigstens anzusehen? Und ist dir über haupt aufgefallen, daß Jay lebt, während sie vorher dem Tode so nahe war, daß man sie besser eine Leiche hätte nennen sollen?« Die Dalazaarin schlug Staff ein Tuch, das sie um die Schultern getragen hatte, um die Ohren. »Er hat recht«, schrie sie. »Du hast ein Spatzengehirn.« Sconnos erhob sich und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. »Allmählich habe ich die Nase voll von dir«, sagte er und blickte zu der Tür am En de der Treppe hoch. »Da oben steht Jay. Sieh sie dir an.« Staff murmelte etwas in seinen Bart. Grimmig wandte er sich seiner Tochter zu, und jetzt erhellte sich sein Gesicht. Jay stand in der Tür und lächelte schadenfroh. Ihr schien zu gefallen, wie Staff mit Sconnos umgesprungen war. »Wieso verschonst du diesen Kerl?« frag te sie. »Er war in meinem Schlafzimmer und hat an meiner Decke herumgefummelt.« »Sie weiß gar nicht, daß sie krank war«, bemerkte Sconnos sanft. »Verstehst du? Sie hat nicht die geringste Ahnung, wie nahe sie dem Tode war. Sie ist aufgewacht und hat mich gesehen. Natürlich mußte sie das Falsche denken, denn sie fühlte sich ja nicht so, als ob sie einen Arzt benötigte, sondern
H. G. Francis völlig gesund.« »Verschwinde«, brüllte Staff dem Mäd chen zu. »Zieh dir etwas an, bevor du dich hier draußen sehen läßt.« Jay gehorchte, und Staff wandte sich Sconnos zu. »Du hast recht«, sagte er. »Sie hat keine Ahnung.« Er eilte die Treppe hinauf und ver schwand im Turm.
* Angy kam zu Sconnos, nachdem sie eini ge Stunden gewartet hatten, ohne daß Staff sich wieder hätte sehen lassen. Teiss und die anderen Männer wurden unruhig. Teiss war gewohnt, die Männer zu unterdrücken und dadurch zum Gehorsam zu zwingen, und die Männer hatten nichts anderes kennengelernt als Gewalt. Die Art, wie Sconnos sie führte, machte sie unsicher und zum Teil auch un zufrieden. »Hier sind ein paar Abfälle«, flüsterte das Mädchen. »Die Männer haben Hunger. Ich habe gesehen, daß die Sklaven Staffs kaum etwas zu essen haben. Staff kann uns wahr scheinlich gar nichts geben.« »Ich verstehe«, erwiderte Sconnos. »Jetzt geht mir auch auf, weshalb er sich nicht se hen läßt. Normalerweise müßte er uns einla den oder sich sonst irgendwie erkenntlich zeigen für das, was ich für ihn getan habe. Aber er kann es nicht, weil er nichts hat, was er uns anbieten könnte.« »Genau.« Sconnos blickte lächelnd zur Burg hinauf. »Er wartet darauf, daß wir endlich abzie hen, aber diesen Gefallen werden wir ihm nicht tun. Im Gegenteil. Wir nisten uns hier ein und essen ihm etwas vor, und wenn wir gnädig sind, darf er sich zu uns setzen.« Angy breitete die Abfälle vor Sconnos auf dem Boden aus, und Sekunden darauf lagen ein geräucherter Schinken, gebratenes Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, einige Mehl speisen, Früchte und Käse vor ihm. Einer der Männer aus der Horde stellte lachend
Das magische Erbe drei verstaubte Krüge daneben und blickte Sconnos erwartungsvoll an. Der Hordenfüh rer erfüllte seine Bitte, und die Krüge füllten sich mit verführerisch duftendem Kromyat, einem von den Orxeyanern bevorzugten Wein, der aus Beeren gegoren wurde. Von allem war so reichlich vorhanden, daß die achtzehn Männer es kaum verzehren konn ten. Laut schwatzend machten sie sich über die Köstlichkeiten her, und Sconnos ließ den Krug kreisen. Kaum hatten drei Männer daraus getrun ken, als Staff wie aus dem Boden gewachsen neben der Gruppe erschien. »Ich sehe, meine Leute haben euch inzwi schen mit Speisen und Getränken versorgt«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich hoffe, es ist genügend für euch alle da?« Sconnos nahm Teiss den Krug mit Kro myat ab und reichte ihn dem Burgherren. »Trink«, forderte er ihn auf. »Und mach dir keine Sorgen. Wir haben soviel, daß wir gar nicht alles aufessen können.« Staff wollte antworten. Er schluckte, brachte aber keine Silbe hervor. Mit zittern den Händen griff er nach dem Krug, setzte ihn an und trank gierig, bis die anderen Männer zu murren begannen. »Köstlich«, sagte er danach und gab Teiss den Krug. »Ich habe niemals einen so guten Kromyat getrunken. Woher habt ihr …? Ich meinte, mein Kellermeister ist ein Schelm, daß er es gewagt hat, diesen Wein so lange vor mir zu verbergen. Ich werde gleich mit ihm sprechen.« »Ich möchte dir für deine Gnade und dei ne Güte danken«, erwiderte Sconnos und drückte Staff einen Braten in die Hände. »Doch was zuviel ist, ist zuviel. Wir können nicht alles aufessen. Bitte, sei mir nicht bö se, wenn ich dir dies zurückgebe.« Der Burgherr drückte den Braten an sich, als fürchte er, daß Sconnos ihn wieder zu rücknehmen könnte. Seine Augen flacker ten. »Nicht doch, nicht doch«, stammelte er und schritt langsam rückwärts. »Wir haben
19 genug von allem. Eßt doch. Und behaltet auch diesen Braten.« »Ich sehe, du zürnst mir doch«, sagte Sconnos und streckte die Hände nach dem Fleisch aus. »Dabei wollten wir in diesen schweren Zeiten nur nichts verschwenden.« »Du brauchst dir keine Sorgen zu ma chen, mein Freund.« Staff stotterte, als habe er das Reden verlernt. »Es ist alles in Ord nung.« Damit drehte er sich um und eilte die Treppe hinauf in die Burg. Teiss und die an deren Männer der Horde lachten. Sie wink ten die Sklaven Staffs zu sich heran, die nach und nach aus den Kellern unter der Burg und der Schutzmauer hervorkamen. »So ist es richtig«, lobte Sconnos. »Alle sollen satt werden.«
4. Staff ließ sich erst einige Stunden später wieder sehen, als die meisten Männer der Horde und die Sklaven schliefen. Sconnos und Angy waren wach. Sie saßen auf einem Stein am geschlossenen Tor und unterhielten sich. Der Orxeyaner näherte sich ihnen mit al len Anzeichen der Verlegenheit. »Ich weiß nicht, wie du das alles gemacht hast«, eröffnete er das Gespräch. »Magie muß aber wohl im Spiele sein.« Sconnos ging schweigend darüber hin weg, daß Staff seine Schwäche eingestand. »Magie? Mag sein. Auf jeden Fall habe ich es mit dem Kopf vollbracht und nicht mit dem Bizeps.« Staff schluckte den Vorwurf. »Ich bin zu heißblütig, ich weiß es«, erwi derte er. »Doch das soll anders werden. Ich will, daß du bei mir in der Burg bleibst. Du bist mein Gast, so lange du willst. Und wenn du dein ganzes Leben hier verbringen willst, so soll es mir recht sein.« Sconnos war keineswegs überrascht, daß dieser Vorschlag kam. Staff konnte kein besseres Geschäft machen, als ihn in der Burg zu haben.
20 »Ich hätte einige Bedingungen«, erklärte er daher. Der Burgherr winkte großmütig ab. »Sie sind bereits erfüllt. Du brauchst gar nichts mehr zu sagen.« Staff rieb sich die Hände. »Wir beide zusammen stellen eine Macht dar, der die anderen nichts gegen überzustellen haben. Wir werden hinausge hen und uns holen, was wir brauchen. Man wird uns fürchten lernen.« Sconnos schüttelte den Kopf. »Wir werden nicht nach draußen gehen und die Armen ausplündern«, widersprach er. »Das wäre nicht der richtige Weg. Wir werden niemanden mehr berauben, sondern wir werden dafür sorgen, daß die Menschen da draußen Arbeit bekommen. Sie sollen ih re Häuser aufbauen, Gärten errichten und Gemüse anbauen. Sie sollen sich sicher füh len vor Überfällen und Handel treiben, da mit es uns allen besser geht.« Staff blickte ihn an, als halte er ihn für geistesgestört. »Wir können haben, was wir wollen. Du brauchst es nur zu wollen«, entgegnete er. »Wozu sollen wir da noch arbeiten?« »Ich werde meine Kräfte für den Aufbau zur Verfügung stellen«, eröffnete ihm Scon nos. »Moondrag soll wieder eine reiche Stadt werden, in der zu leben sich lohnt. Das geht nur, wenn wir nicht allein an uns den ken, sondern vor allem an die vielen ande ren, die dem Hungertod nahe sind.« Über die Armen hatte Staff noch nie nachgedacht. Auch von wirtschaftlichen Zu sammenhängen wußte er so gut wie nichts. Sconnos hatte jedoch bessere Tage in seiner Jugend erlebt. Er hatte lange Jahre als Leh rer gearbeitet und sagte sich, wenn unter den gegebenen Umständen das Leben in Moon drag zu erlöschen drohte, dann mußte man es damit versuchen, daß man alles ins Ge genteil verkehrte. Wenn Plünderungen und Überfälle zur Armut führten, dann mußte es wohl richtig sein, für Sicherheit zu sorgen. Wenn Sklaverei das gleiche Ergebnis zeitig te, dann konnte Freiheit die bessere Antwort sein.
H. G. Francis »Wir beide wissen nicht, ob dieser Weg richtig ist, den ich vorgeschlagen habe«, sagte er, nachdem er eine Weile mit Staff diskutiert hatte. »Ich bin jedoch sicher, daß alles anders werden wird, wenn wir die Zu stände radikal ändern.« Da Staff fürchten mußte, daß Sconnos die Burg kurzerhand verließ, willigte er schließ lich ein und versprach, den Menschen, die in der Nähe der Burg in den Trümmern hau sten, zu helfen. Damit begann eine neue Entwicklung in Moondrag, die für viele ihrer Bewohner völ lig überraschend kam. Sconnos schickte sei ne Männer zuerst in jenen Bereich der Stadt aus, in dem er selbst gelebt hatte, um seine Freunde und Nachbarn zu holen. Er versorg te sie mit Lebensmitteln und Kleidungs stücken und siedelte sie in der Umgebung der Burg an. Ohne daß es Staff bewußt wurde, ging die Befehlsgewalt in den nächsten Tagen all mählich von ihm auf Sconnos über. Dieser sagte, was zu geschehen hatte und wie vor zugehen war, und Staff gab seine Befehle weiter. Es schien sogar, als sei der Burgherr froh, daß ihm jemand die Verantwortung ab nahm. Nach und nach erschienen weitere Freun de und Nachbarn von Sconnos in der Burg. Sie waren mißtrauisch und ängstlich, aber das änderte sich schnell, nachdem Sconnos sie mit allem versorgt hatte, was sie brauch ten. Unter den Neuankömmlingen waren auch Trux, der Junge, der Sconnos zu dem ster benden Alpex geholt, und Karrt, dem Angy einen abgenagten Knochen gegeben hatte, damit er sich das Mark herausholen konnte. Trux bot sich Sconnos als Diener an. »Ich könnte dir nützlich sein und dir viele Wege abnehmen«, sagte der Junge eifrig. Sconnos war einverstanden. Er brauchte jemanden wie Trux, denn Angy wollte er nicht als Botin einsetzen. Dazu war sie ihm als Beraterin zu wertvoll. Nach und nach kamen die Bewohner der näheren Umgebung aus ihren Trümmern zur
Das magische Erbe Burg. Sie stürzten sich gierig auf die Spei sen, die Sconnos ihnen reichen ließ und ta ten danach, als seien sie ebenso versessen darauf, seine Ratschläge zu hören. Tatsäch lich war jedoch zunächst niemand bereit, die Trümmer zur Seite zu räumen und die Stadt Moondrag neu aufzubauen. Die Männer, Frauen und Kinder, die lange Jahre gehun gert hatten, konnten sich anfangs gar nicht vorstellen, daß man etwas anderes tun konn te, als von der Hand in den Mund zu leben. Doch allmählich änderte sich die Einstel lung dieser Menschen. Sie begriffen, daß Sconnos ihnen wirklich helfen wollte, daß sie aber auch etwas für sich selbst tun muß ten. Von da an verbesserten sich die Zustände in der Umgebung der Burg von Tag zu Tag. Immer mehr Menschen zogen heran, um sich mit Nahrungsmitteln versorgen und sich Arbeit zuweisen zu lassen. Sconnos war oft stundenlang damit beschäftigt, aus Abfällen aller Art die Dinge zurückzuverwandeln, die benötigt wurden. Er schuf Handwerkzeuge, Baumaterial und Saatgut ebenso wie chemi sche Mittel, mit denen die Umgebung der Burg gesäubert wurde, oder er heilte Kran ke, wo es notwendig war. Während dieser Zeit arbeitete Teiss eifrig mit. Er schien seine mißgünstigen Gedanken vergessen und sich in einen treuen Verbün deten verwandelt zu haben. Zwischen Angy und Sconnos entwickelte sich ein Gefühl tiefer Liebe, so daß eine enge Verbindung zwischen ihnen entstand. Sehr zum Ärger von Jay, Staffs Tochter, die Angy eifersüch tig begegnete und häufig versuchte, ihr et was in den Weg zu legen, während sie gleichzeitig Sconnos herausforderte. Sie war immer wieder bemüht, ihm mit ihren Reizen die Sinne zu verwirren, und da sie damit kei nen Erfolg hatte, steigerte sich ihre Wut ge gen Angy immer mehr. Staff schien das alles nicht zu bemerken. Er sah nur, daß seine Burg allmählich zu ei ner Oase des Wohlstands inmitten der Wüste von Moondrag wurde. Alles anderes interes sierte ihn nicht.
21 Zuweilen dachte er allerdings daran, wie er Sconnos wieder loswerden konnte. Er wollte ihn keineswegs für alle Zeiten in sei ner Burg dulden, sondern nur solange dort belassen, bis ein gewisser Wohlstand er reicht war. Wie hoch das Niveau war, das er anstrebte, wußte er allerdings nicht. Doch auch darüber machte er sich vorläufig keine Gedanken. Er wollte abwarten. Fünf Wochen lang vermeldete Sconnos nur Erfolge. Es schien, als sei die Not zu mindest in diesem Teil von Moondrag end gültig besiegt. Doch Sconnos hatte die Rechnung ohne die anderen Mächtigen gemacht. Er glaubte, eine Oase des Friedens errich tet zu haben, und er machte sich keine Ge danken darüber, was diejenigen empfanden, die außerhalb dieser Oase lebten. Staff war im Vergleich zu mehreren ande ren nur ein kleiner Bandit, der davon gelebt hatte, die Umgebung seiner Burg auszuplün dern. Weit über ihm rangierten mehrere Männer und Frauen, die im nördlichen Bereich von Moondrag lebten und hier schon vor länge rer Zeit Aufbauarbeit geleistet hatten. Sconnos erfuhr durch seine Späher, daß es im Norden der Stadt tatsächlich Ländereien gab, in denen allerlei Ackerfrüchte ange baut, und in denen Vieh gezüchtet wurde. Hinter erst kürzlich errichteten Mauern, breiten Gräben und scharf bewachten Sperr zonen lebten viele Bewohner von Moondrag unter Bedingungen, unter denen sie zumin dest den Hungertod nicht zu fürchten brauchten. Sie waren Untertanen von Män nern und Frauen, die verächtlich auf alle herabblickten, die außerhalb ihrer Herr schaftsbereiche lebten. Sie empfanden sich selbst als etablierte Gesellschaft und pfleg ten untereinander Kontakte, bei denen sie ih re eigene Bedeutung immer wieder betonten. Früher oder später erfuhren sie von Scon nos. Sie sahen in ihm einen Emporkömmling, der ihre eigenen Kreise störte.
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Für sie war selbstverständlich, daß sie Vertrauensleute aussandten, die als Spione bis in die Burg Staffs eindrangen, und die danach berichteten, was dort geschah. Über der Burg braute sich allmählich et was zusammen, ohne daß Sconnos oder ei ner seiner Vertrauten sich dessen bewußt wurde. Selbst die kluge und weitsichtige Angy war völlig ahnungslos.
* Sconnos schreckte auf, als eine krachende Explosion die Burg erschütterte. Er fand sich in seinem Zimmer, das er sich im ober sten Geschoß der Burg eingerichtet hatte. Angy war bei ihm. Er eilte zum Fenster und blickte hinaus. Von dem Burgtor waren nur noch bren nende Bruchstücke vorhanden. Reiter stürm ten auf ihren Dadaren in den Innenhof der Burg. Sie schlugen jeden nieder, der sich ih nen in den Weg stellte. Teiss und seine Männer versuchten vergeblich, sie abzuweh ren. Staff stürzte in den Innenhof der Burg und kämpfte mit dem Schwert gegen die Eindringlinge. Angy zog Sconnos vom Fenster weg. »Es ist besser, wenn sie uns nicht sehen«, sagte sie. »Das könnte sie nach hier oben locken.« »Wir müssen Staff helfen«, entgegnete er. Sie schüttelte den Kopf. »Mit dem Schwert zu kämpfen, ist nicht deine Stärke, und wo Staff nichts ausrichtet, wirst du auch nichts erreichen.« Sie blickte flüchtig hinaus. »Außerdem ist es schon vor bei. Staff hat verloren.« »Wir haben verloren«, korrigierte er sie, doch damit war sie nicht einverstanden. »Wir sind hier nur zu Gast«, widersprach sie. »Es ist nicht unsere Burg, obwohl du hier die Befehle gibst. Wir hatten nie vor, für alle Zeiten zu bleiben.« Er setzte sich. »Du redest, als ob gar nichts wäre«, be merkte er erstaunt. »Da unten schlagen sie sich die Köpfe blutig, und du sagst, daß wir
hier nur zu Gast sind und eigentlich schon ganz woanders sein müßten. An noch besse rer Stelle vermute ich.« »Natürlich. Du hast die Macht, die Zu stände in Moondrag zu ändern, also solltest du es auch tun.« »Ich bin froh, wenn wir diesen Überfall lebend überstehen.« Sie lächelte unbesorgt. »Das werden wir. Es wird schon ruhig. Die Schlacht ist geschlagen. Jetzt werden die Angreifer mit der Plünderung beginnen, und dann ziehen sie ab.« Er erkannte, daß sie völlig furchtlos war, obwohl die Gefahr bestand, daß man sie ver schleppen würde. Angy war zu voller Schönheit erblüht, und nichts deutete noch darauf hin, daß sie vor wenigen Wochen dem Hungertod nahe gewesen war. Sconnos machte sich keine Illusionen. Wenn die Männer, die die Burg überfallen hatten, sie fanden, würden sie sie nicht verschonen. »Wir gehen nach oben«, entschied er und zeigte auf eine Luke in der Decke. »Vielleicht finden sie uns dort nicht.« Er rückte den Tisch unter die Luke, klet terte hinauf und öffnete sie, nachdem Angy ihm noch einen Hocker gereicht hatte, auf den er sich stellen konnte. Er stieg auf das Dach der Burg, während Angy den Tisch und den Hocker wieder an ihren Platz schob. Nun warf sie ein Bettlaken zu ihm hoch. Er ergriff das eine Ende, während sie sich das andere um die Hände wickelte. Danach zog er sie zu sich herauf und verschloß die Luke wieder. Nun deutete nichts mehr dar auf hin, daß sie auf diesem Weg nach oben geflohen waren. Sie legten sich flach auf das Dach, damit sie von unten nicht gesehen werden konnten. Im Hof der Burg lärmten die Sieger der Schlacht. Sie taten sich an den Nahrungsmit teln gütlich, die sie in den Speisekammern gefunden hatten, und sprachen auch dem Wein ausgiebig zu. Angy legte den Finger an die Lippen, als sie unter sich Schritte und Stimmen hörte. Jemand durchsuchte das Zimmer, in dem sie
Das magische Erbe eben noch gewesen waren, fand jedoch nichts, was weitere Mühen gelohnt hätte, und zog wieder ab. Sconnos kroch zum Dachrand vor und spähte durch einen Spalt in den Steinen zum Hof hinunter, kehrte jedoch gleich wieder zu Angy zurück. »Einen von ihnen kenne ich«, flüsterte er. »Es scheint der Anführer zu sein.« »Wer ist es?« fragte sie. »Erinnerst du dich an das Fleisch, das ich dir gegeben habe? Den Knochen dazu habe ich einem Reiter abgebettelt, einem Mann mit einer auffälligen Narbe, die sich quer über die ganze Stirn zieht.« Er erinnerte sich deutlich an die Begeg nung mit diesem Dalazaaren und an die ver ächtliche Gebärde, mit der dieser ihm den Knochen hingeworfen hatte. Ob der Narbige wußte, gegen wen er gekämpft hatte, und wem der Reichtum dieser Burg zu verdan ken war? »Hoffentlich verschwinden sie bald«, sag te Angy, doch die Männer, die die Burg überfallen hatten, dachten gar nicht daran, wieder abzuziehen, bevor sie ihren Sieg aus gekostet hatten. Sconnos und das Mädchen mußten wohl oder übel die ganze Nacht hin durch und den nächsten Morgen auf dem Dach verbringen. Dann erst befahl der Nar bige den Aufbruch. Die Überlebenden der Schlacht und die Bewohner der Häuser in der Umgebung der Burg standen tatenlos herum, als die Reiter mit ihren schwerbepackten Dadaren die Burg verließen. Niemand versuchte, sie für das zu bestrafen, was sie getan hatten, oder ihnen das Beutegut abzunehmen. Sconnos und Angy verließen das Dach und gingen nach unten. Erschrocken über das Ausmaß der Zerstörung, blieben sie im mer wieder stehen. Die Plünderer hatten sämtliches Mobiliar in der Burg zerschlagen, die Fenster zertrümmert und den Inhalt der Schränke über den Boden verstreut. Als Sconnos ins Freie trat, schrie einer der Männer im Hof auf. »Er lebt! Seht doch, Sconnos lebt. Er ist
23 unverletzt«, brüllte er. Die Bewohner der Burg rannten auf den Mann zu, von dem sie alle Hilfe erwarteten, und drängten sich um ihn. Sie klopften ihm begeistert auf die Schultern und redeten alle zugleich auf ihn ein. Jeder meinte, ihm et was mitteilen zu müssen. Überrascht und gerührt von soviel Herz lichkeit wehrte Sconnos sie ab. Eine der Frauen drückte ihm einen schim mernden Kristall in die Hand. »Nimm ihn, Sconnos«, bat sie ihn. »Einer der Plünderer hat ihn verloren.« Der Kristall war etwa so groß wie eine Kirsche und schien von einem geheimnis vollen Feuer erfüllt zu sein. Er fühlte sich warm und lebendig an. Sconnos bat um Ruhe. Er entdeckte Trux und winkte ihn zu sich heran. »Wo sind Staff und Teiss?« fragte er. »Sind sie tot?« »Sie sind schwer verletzt«, antwortete der Junge. »Tote hat es glücklicherweise nicht gegeben.« Er führte Sconnos zu einem Keller unter der Burgmauer, in dem mehr als zwanzig verletzte Männer lagen. Unter ihnen befan den sich auch Staff und Teiss. Beide waren bewußtlos. Jemand hatte ihre Wunden not dürftig verbunden. Für Sconnos wurde nach flüchtiger Untersuchung klar, daß sie nicht überleben würden, falls er nichts unternahm. Er lächelte. Daß du daran noch nicht gedacht hast, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie groß die Zerstörungen auch immer sein mögen, und wie schwer die Verletzungen sind, du kannst alles rückgängig machen. Schadenfreude kam in ihm auf. Die Plünderer mochten sich über ihren Sieg freuen, doch ihre Gefühle würden sich bald ändern, wenn sie erfuhren, wie schnell die Burg und ihre Bewohner die Niederlage überwunden hatten. Er setzte sich auf den Boden und konzen trierte sich darauf, die Verletzten wiederher zustellen. Dabei spürte er, wie sich der Kristall in
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seiner Hand erwärmte. Ein Energiestrom weit hinauf, bis er über die Köpfe aller hin floß durch seinen Körper und ließ ihn erbe weg sehen konnte. ben. Überrascht öffnete er die Augen. Er »Wir werden wieder aufbauen, was diese sah, daß Staff, Teiss und die anderen Ver Schufte zerstört haben«, rief er. »Danach wundeten sich aufrichteten und sich erstaunt werden wir die Burg besser befestigen, so an den Stellen betasteten, an denen sie ver daß wir uns gegen weitere Überfälle schüt letzt worden waren. zen können. Unsere Neider sollen es in Zu Der Kristall hatte einen leuchtend grünen kunft schwerer haben.« Kern bekommen, der sich nun allmählich Er teilte die Männer und Frauen zur Ar verflüchtigte. beit ein, setzte sich dann vor dem Burgtor Er gibt dir Kraft, erkannte Sconnos ver auf den Boden und konzentrierte sich. Inner blüfft. Er hilft dir, Energie aufzufangen, in halb weniger Sekunden war das Tor wieder irgendeiner Weise zu verändern und weiter hergestellt. Sconnos dachte jedoch nicht dar zugeben. an, den anderen die Arbeit abzunehmen. Er »Verdammt, mit dir als Freund kann ei wollte, daß alle arbeiteten. Er selbst wollte nem wenig passieren«, sagte Staff. Er warf nur das Wichtigste erledigen, denn diese die Binden von sich, da er sie nun nicht geistigen Kraftakte kosteten viel Energie. mehr benötigte. »Du hast recht. Mit dem Sie gingen nicht spurlos an ihm vorüber, und Kopf zu kämpfen, ist allemal besser als mit je mehr er erneuerte, desto länger wurden der Faust. Leider ist in meinem Kopf zu we die Erholungspausen, die er benötigte. nig Verstand, so daß es wenig Sinn für mich Als die Burg soweit gesichert war, daß sie hätte, damit zu kämpfen.« einem erneuten Angriff standhalten würde, Er grinste und legte Sconnos die Hand auf kam Staff zu ihm. Der Mann, den man den die Schulter. Das war seine Art, seine Dank Erbarmungslosen genannt hatte, war so er barkeit auszudrücken. regt, daß er kaum sprechen konnte. Teiss nickte Sconnos nur zu und ging hin »Teiss ist weg«, stammelte er. »Er ist ge aus. flohen.« »Was ist mit ihm los?« fragte Staff. Sconnos glaubte, sich verhört zu haben. »Eben noch war er auf dem Weg zur Hölle, »Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte er. und jetzt kann er noch nicht einmal den »Gerade eben habe ich Teiss geholfen. Mund aufmachen, um sich bei dir zu bedan Wenn ich es nicht getan hätte, wäre er jetzt ken?« schon tot gewesen. Warum sollte er flie »Vielleicht wäre er lieber in der Hölle ge hen?« landet als hier«, entgegnete Sconnos. »Er ist eifersüchtig auf dich und deine Er »Auf jeden Fall wäre er dort besser aufge folge. Er kann nicht verkraften, daß du ihm hoben.« überlegen bist. Deshalb versucht er, dich zu Sconnos verließ den Keller zusammen mit bestrafen.« den anderen, die er geheilt hatte, und trat auf »Bestrafen?« Sconnos lächelte. »Es ist den Burghof hinaus, wo sich mittlerweile keine Strafe für mich, wenn er wegläuft. nicht nur die übrigen Burgbewohner, son Besser als hier wird er es so leicht nicht fin dern auch die Männer, Frauen und Kinder den, also ist er mehr bestraft als ich.« aus der näheren Umgebung der Burg ver Staff senkte den Kopf. sammelt hatten. Staunend und voller Begei »Er hat Angy mitgenommen«, erklärte er. sterung empfingen sie ihn. Sconnos hatte das Gefühl, den Boden un Von diesem Augenblick an war endgültig ter den Füßen zu verlieren. klar, daß er der unbestrittene Herrscher in »Und niemand hat es bemerkt?« fragte er. diesem Teil von Moondrag war. »Niemand ist aufmerksam geworden. Ei Er stieg die Treppe zur Burg einige Stufen ner meiner Männer hat lediglich gesehen,
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daß Teiss Angy nach draußen vor das Tor geführt hat, aber er hat sich nichts dabei ge dacht.« Wie von Sinnen schob sich Sconnos durch die Menge und rannte zum Tor und über die Zugbrücke hinaus. Doch von Teiss und Angy war nichts mehr zu sehen. Zwi schen den Häusern hielt sich niemand auf, den er hätte fragen können, wohin sich der Entführer mit seinem Opfer gewandt hatte. Niedergeschlagen kehrte er in den Innen hof der Burg zurück, wo ihn eine mitfühlen de Menge schweigend empfing. Staff trat ihm zögernd entgegen. Der bärtige Orxeya ner erwies sich als unerwartet feinfühlig. In seiner Nähe stand Jay. Sie war die einzige, die lächelte. Sie machte keinen Hehl daraus, daß sie mit der Entführung einverstanden war. »Wir sollten sofort aufbrechen«, sagte Staff. »Je früher wir ihn verfolgen, desto besser sind unsere Chancen. Wenn du willst, werden dich alle begleiten.« »Nein, das will ich nicht«, antwortete Sconnos. »Das wäre sinnlos, weil wir mit ei ner ganzen Kriegsschar nur Kämpfe provo zieren würden. Gerade die aber will ich ver meiden. Wohin könnte Teiss sich gewendet haben?« »Er ist bestimmt nicht in seinen alten Be zirk gegangen«, erwiderte ein Dello, der zu der Horde von Teiss gehört hatte. »Dort gä be es nichts mehr für ihn zu holen. Ich wet te, daß er versucht, sich zu den Mächtigen durchzuschlagen, zu der Horde von diesem Narbigen, die uns überfallen hat.« »Das glaube ich auch«, bemerkte Staff. »Er wird versuchen, ihm Angy als Beute an zudienen und dich dadurch aus der Burg zu locken.« »Gut. Wir marschieren nach Norden. Nimm noch zwei deiner Männer mit. Es müssen gute Kämpfer sein. Ich versorge un sere Leute mit Nahrungsmitteln. Sobald ge nügend da ist, brechen wir auf.«
5.
Wie richtig die Entscheidung war, die Sconnos getroffen hatte, zeigte sich schon bald. Staff wollte nicht nur abwarten. Er schickte mehrere seiner Männer aus, um sie Erkundigungen einholen zu lassen. Sie frag ten nach Teiss und Angy. Zwei von ihnen stießen auf eine Frau, die die beiden gesehen hatte, wie sie nach Norden gegangen waren. Sie waren ihr aufgefallen, weil Angy ver sucht hatte, Teiss wegzulaufen. Staff reichte Sconnos ein Breitschwert, als sie durch das Burgtor hinausschritten, um dieser Spur zu folgen. »Du wirst es brauchen«, sagte er. »Nicht immer kann man mit dem Kopf allein kämp fen.« Sconnos nahm es zögernd an. Er hatte noch nie mit einem Schwert gekämpft, woll te aber für den Notfall eine Waffe haben. Es dämmerte bereits, als die vier Männer über die Brücke gingen. Staff hatte als wei tere Begleiter Estarr, einen blonden Orxeya ner, und den Kelotten Kamma ausgewählt. Er hielt beide für zuverlässig und kampf stark. Sconnos hatte sich in den vergangenen Wochen gut erholt. Dennoch hatte er Mühe, das Tempo zu halten, das Staff anschlug. Da er jedoch ebenfalls möglichst schnell voran kommen wollte, protestierte er nicht, son dern trottete neben dem kleineren Staff her, bis er Stiche in den Seiten verspürte und ihm die Luft zu knapp wurde. Staff lachte leise, als er merkte, daß Scon nos eine Erholungspause benötigte. Er dul dete jedoch nicht, daß sie stehenblieben oder sich gar setzten, sondern bestand darauf, daß sie langsam weitergingen. »Teiss hat sich einen guten Zeitpunkt aus gesucht«, bemerkte Estarr. »Es wird gleich dunkel, und er hat einen großen Vorsprung. Wenn er jetzt die Richtung ändert, verlieren wir seine Spur.« »Davon bin ich noch lange nicht über zeugt«, widersprach Sconnos. Er zog ein Brot aus dem Beutel, den er an der Seite trug, und hielt es hoch, so daß es weithin zu sehen war.
26 Langsam drehte er sich um sich selbst. Sie befanden sich in einer schmalen Gasse aus verfallenen Häusern, von denen einige den Eindruck machten, als habe man ver sucht, die Schäden an ihnen zu beseitigen, während andere unmittelbar vor dem Zu sammenbruch zu stehen schienen. Niemand schien sich in der Nähe aufzuhalten. Kein Laut verriet, daß irgendwo Menschen lebten. Sconnos aber wußte, daß sich Männer, Frau en und vielleicht auch Kinder in den Häu sern versteckt hielten. »Ich habe Brot für euch«, rief er mit hal lender Stimme. »Kommt her, damit ich es unter euch aufteilen kann.« Unmittelbar neben ihm streckte ein alter Mann den Kopf aus einem Fenster. »Meinst du es ehrlich, oder machst du dich über uns lustig?« fragte er. »Ich brauche eine Auskunft«, erwiderte Sconnos. »Wenn ihr sie mir gebt, werde ich euch etwas zu essen schenken.« Jetzt kamen zerlumpte und ausgemergelte Gestalten aus den Häusern hervor. Ängstlich und voller Mißtrauen näherten sie sich den vier Männern. Sconnos zählte zwanzig Köp fe, und er atmete insgeheim auf, daß es nicht mehr waren. »Ich suche einen Mann und eine Frau«, erläuterte er. »Sie könnten hier durchgekom men sein.« »Die habe ich gesehen«, antwortete ein Junge. Er war etwa zehn Jahre alt und sah so schwach aus, daß Sconnos glaubte, er müsse gleich zusammenbrechen. »Du hast sie gesehen?« fragte Staff. »Wie sahen sie denn aus? Und wieso sind sie dir aufgefallen?« »Der Mann war sehr groß und kräftig. Er hatte ein rotes Gesicht, und er hat die Frau geschlagen«, entgegnete der Junge. »Diese war sehr schön. Sie hatte schwarzes Haar, das ihr bis auf die Schultern reichte, und sie trug einen weißen Umhang, der vorn mit ei nem roten Band verziert war.« Sconnos erbleichte. Der Junge hatte Teiss und Angy richtig beschrieben. Er nahm ein Messer und teilte das Brot auf. Dann legte er
H. G. Francis noch einige Stücke Fleisch hinzu, so daß alle etwas abbekamen. Die Hungernden rissen ihm die Gaben förmlich aus der Hand. »Habt ihr noch nie von Staffs Burg ge hört?« fragte Sconnos. »Warum geht ihr nicht dorthin? Dort gibt man euch etwas zu essen, wenn ihr bereit seid, ein wenig dafür zu arbeiten.« »Man hat uns davon erzählt«, antwortete ein Mann, »aber wir haben es nicht ge glaubt. Die Burg gehört Staff, dem Erbar mungslosen, und er hat anderen noch nie et was abgegeben, sondern ihnen immer nur et was abgenommen.« »Die Zeiten haben sich geändert«, ver kündete Sconnos. »Geht hin und sagt, daß Sconnos euch geschickt hat. Man wird euch hereinlassen und mit allem versorgen, was ihr benötigt.« Er ließ sich genau beschreiben, welche Richtung Teiss und Angy eingeschlagen hat ten, und verabschiedete sich dann. Eilig zo gen sich die Hungernden in ihre Behausun gen zurück, um dort zu verzehren, was er ih nen geschenkt hatte. In gleicher Weise befragte Sconnos weite re Bewohner der Stadt, und er erhielt die ge wünschten Auskünfte, sobald er Nahrungs mittel verteilte. Teiss flüchtete unbeirrt in nördlicher Richtung weiter. Sein Vorsprung wuchs, da er nirgendwo Pausen machte. Gegen Mitternacht stieß Sconnos mit sei nen Begleitern auf vier Frauen, die in einem erbärmlichen Zustand waren. Sie hausten in einem Erdloch, in dem kaum Platz für sie al le war. Aus Abfällen, die er mitführte, ließ er Nahrungsmittel für sie entstehen und reichte sie ihnen. Dankbar verrieten sie ihm, daß sie Teiss und Angy einige hundert Me ter weit gefolgt waren, weil sie gehofft hat ten, irgend etwas erbeuten zu können. Dabei hatten sie gesehen, daß Teiss vier bewaffne te Dellos angesprochen und ihnen Quorks gegeben hatte. Die Dellos lauerten nun in den Trümmern. »Wir haben uns schon gedacht, daß der Mann und das Mädchen verfolgt werden«, erklärte eine der Frauen. »Wenn ihr uns
Das magische Erbe noch ein wenig mehr zu essen gebt, zeigen wir euch, wie ihr an ihnen vorbeigehen könnt, ohne daß sie euch sehen.« Sconnos war gern bereit, ihre Dienste zu belohnen. Eine der Frauen führte ihn und seine Begleiter kurz darauf durch die Dun kelheit bis zu einer Mauer. »Hier könnt ihr hinüberklettern«, erklärte sie und verabschiedete sich. »Auf der ande ren Seite ist alles frei. Die Wachen stehen weit weg von hier.« Staff stieg als erster über die Mauer, und er bestätigte, was die Frau gesagt hatte. Un gehindert konnten sie die Verfolgung fort setzen. »Gut, daß uns das passiert ist«, bemerkte Estarr. »Jetzt bildet Teiss sich ein, daß er den Rücken frei hat. Das macht ihn viel leicht unvorsichtig.« Sie alle hofften, Teiss und Angy noch im Verlauf der Nacht einholen zu können, doch als der Morgen graute, hatten sie ihn noch immer nicht gesehen. Zu dieser Zeit arbeite ten sie sich durch einen Stadtteil von Moon drag voran, in dem vordem wohlhabende Bürger gewohnt haben mußten. Diese Häu ser waren überwiegend zweistöckig und viel größer als in jenem Bereich, aus dem Scon nos kam. Die meisten von ihnen standen noch, wenngleich sie verwahrlost und häufig stark beschädigt waren. Als Sconnos und seine Begleiter einen Platz erreichten, in dessen Mitte sich eine Säule mit zahlreichen eingeschlagenen Bild schirmen erhob, zischte der Bolzen einer Skerzaal an Sconnos vorbei. Staff stieß ihm die Faust gegen die Schulter und schleuderte ihn zur Seite. Ein zweites Geschoß flog so dicht am Kopf Estarrs vorbei, daß dieser sich erschrocken auf den Boden warf. »Zurück«, schrie Staff und sorgte dafür, daß Sconnos rechtzeitig in Deckung kam. Er wußte, daß er sich um Estarr und Kamma nicht zu kümmern brauchte. Die beiden wa ren kampferfahren und wußten, wie sie sich zu verhalten hatten. »Verdammte Bande«, fluchte Staff und zeigte zu einem Haus auf der anderen Seite
27 des Platzes hinüber. »Siehst du sie? Sie kau ern hinter den Fensterläden. Wahrscheinlich haben sie Angst, daß wir ihnen ihre küm merlichen Habseligkeiten klauen.« Sconnos musterte die Häuser, die den Platz umsäumten. Sie sahen alle so aus, als stünden sie kurz vor dem Zusammenbruch. Sie wirkten jedoch nicht verlassen und tot. Viele kleine Anzeichen deuteten darauf hin, daß sie bewohnt wurden. »Wir müssen ihnen etwas hinlegen«, sag te Staff, »sonst lassen sie uns nicht durch. Hast du noch etwas, was wir ihnen anbieten können?« »Ein paar Knochen sind noch da«, ant wortete der Magier, nachdem er seine Ta schen durchwühlt hatte. Er konzentrierte sich auf einen der Knochen und nahm zu gleich den Kristall in die Hand, der sich als so hilfreich erwiesen hatte. Ein großes Stück Fleisch entstand. »Wir haben frisches Fleisch für euch«, brüllte Staff, nachdem er es gesehen hatte. »Wir wollen nicht hier bleiben. Wir müssen weiter. Das Fleisch lassen wir hier. Als We gezoll.« Er nahm es und trug es auf den Markt platz hinaus. Danach kehrte er zu Sconnos, Estarr und Kamma zurück. Einige Minuten vergingen. Dann antwortete eine schrille Stimme. »Ihr könnt gehen. Aber beeilt euch. Fremde sind uns nicht willkommen.« »Können wir ihnen trauen?« fragte Kam ma. Sein Gesicht war maskenhaft starr. Es verriet nicht die geringste Nervosität. Auch Estarr war so ruhig, als könne ihnen nichts geschehen. »Ich denke schon«, erwiderte Staff und trat auf den Platz hinaus. Er ging langsam weiter. »Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte Sconnos. Zusammen mit dem Dello und dem Or xeyaner folgte er Staff. Er fühlte die Blicke der Hausbewohner auf sich gerichtet, und die Kehle wurde ihm eng. Was war los auf Pthor? Hatte man in der
28 FESTUNG so große Schwierigkeiten, daß man Moondrag nicht mehr versorgen konn te? Warum duldete man die Zustände in die ser Stadt? Oder wußte man gar nichts da von? Wo blieben die Versorgungstranspor te? Kamen keine Dellos mehr nach Moon drag, um all die vielen Dinge zu bringen, die hier dringend benötigt wurden? Je länger Sconnos darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, daß irgend etwas nicht stimmte. Er konnte sich nicht vorstel len, daß man die Bewohner von Moondrag vergessen hatte. Aus welchem Grunde aber hätte man sonst die Nahrungsmitteltranspor te einstellen sollen? Der Verdacht kam in ihm auf, daß es ir gend jemanden in Moondrag gab, der die Transporte umleitete, so daß die Versor gungsgüter in den falschen Händen landeten. Warum verhielten sich die Bewohner die ser Häuser so eigenartig? Warum waren sie so angriffslustig? Lag das vielleicht daran, daß ein Teil der Versorgungsgüter in ihre Häuser geleitet wurde, und daß sie ängstlich darauf bedacht waren, ihren Überfluß zu verteidigen? Sconnos atmete auf, als sie den Markt platz endlich überquert hatten und eine Gas se betraten, in der sie sich sicherer fühlten. Er hörte Stimmen hinter sich, und als er sich umdrehte, beobachtete er, wie mehrere Män ner sich auf das Fleisch stürzten, das sie zu rückgelassen hatten. Ihr Verhalten machte deutlich, daß diese Männer und ihre Familien in bitterster Not lebten. Die Gasse fiel steil ab, und als sie einen Bogen machte, konnten Sconnos und seine Begleiter grünes Weideland sehen, hinter der sich eine, graue Mauer erhob. Hinter dieser standen zahlreiche Häuser. Vor der Mauer weideten Tiere. Erstaunt blieben die vier Männer stehen. Sie wollten nicht glauben, was sie sahen. Es gab also wirklich noch Tiere in Moondrag, die als Zuchtvieh dienten. Als Sconnos einige Schritte weiterging, entdeckte er, daß die Gasse an einem breiten
H. G. Francis Wassergraben endete, der tief und unüber windlich zu sein schien. »Da ist Teiss«, brüllte Staff plötzlich. Er regt packte er Sconnos am Arm. Er zeigte zu einigen Bäumen hinüber, die zwischen Gra ben und Mauer wuchsen. Auf einem schma len Pfad zerrte Teiss die schwarzhaarige An gy voran. »Schnell. Wir müssen hinterher«, rief Sconnos. »Wenn Teiss über den Graben ge kommen ist, schaffen wir es auch.« Die vier Männer rannten die Gasse hinun ter. Diese endete nicht, wie sie zunächst ge glaubt hatten, an dem Wassergraben. Viel mehr lag zwischen diesem und den letzten Häusern der Gasse ein fast zehn Meter freier Raum. Er zog sich am Graben entlang, so daß sich niemand diesem nähern konnte, oh ne gesehen zu werden. Eine Brücke, auf der sechs bewaffnete Männer postiert waren, überspannte den Graben. Sconnos und seine Freunde eilten zu ihr hin. »Eben ist ein Mann über die Brücke ge laufen«, rief Staff, noch bevor sie sie er reicht hatten. »Er hat eine Frau entführt. Wir müssen hinter ihm her.« Die Wächter zogen ihre Schwerter an den Gürteln. »Nur zu«, antwortete einer von ihnen. »Mit entführten Weibern weiß man hier et was anzufangen, mit ihren Verfolgern aber nichts.« Er nahm eine Kampfhaltung an und gab damit klar zu verstehen, daß er niemanden passieren lassen würde. »Nicht doch«, sagte Sconnos und ver suchte, die Wächter zu besänftigen. »Über so etwas kann man doch reden. Oder nicht?« »Mit dem nicht«, erwiderte Staff und stürzte sich auf die Wachen. Entschlossen hieb er mit seinem Schwert auf sie ein. Est arr und Kamma zögerten nicht, sich eben falls in den Kampf zu werfen. Daher meinte Sconnos, nicht anders handeln zu können, als auch zum Schwert zu greifen. Doch schon bei der ersten Attacke merkte er, wie ungeschickt er damit war, und wie leicht sein Gegner seine Deckung durchbre
Das magische Erbe chen konnte. Bevor er sich's versah, hatte er eine tiefe Fleischwunde an der Hüfte, einen Schnitt an der Schulter und einen an der Wange. Er blutete so heftig, daß Staff ihn er schrocken von der Brücke drängte, um ihn von einem weiteren Zweikampf abzuhalten. Aber auch er, Kamma und Estarr waren den Wächtern unterlegen. Diese waren in der Überzahl und nutzten diese Tatsache ge schickt aus. Und als sich Staff tatsächlich einmal durchsetzte, lähmten sie ihn mit einer Waggu, und versuchten danach, ihn mit dem Schwert zu töten. Doch da warf sich Scon nos zwischen Staff und sie. Er zog den Ge lähmten von der Brücke und befahl auch Kamma und Estarr den Rückzug. Mürrisch gehorchten sie. Sie mochten sich nicht mit ihrer Niederlage abfinden. Die siegreichen Wachen lachten trium phierend, verzichteten jedoch darauf, die vier Männer zu verfolgen. So konnte Scon nos seine Freunde bis zu einer Hauswand bringen. Dort nahm er sich ihrer an und heil te ihre Wunden, was den Wachen auf der Brücke entging, weil diese demonstrativ so taten, als hätten sie jedes Interesse an ihnen verloren. Sie blickten in eine andere Richtung. Sconnos versuchte, seine eigenen Wun den mit Geisteskraft zu verschließen, doch das gelang ihm nicht. Estarr mußte sie ihm verbinden. Staff fluchte vor sich hin. Mit tückischen Augen beobachtete er die Wächter. Er woll te eine Revanche, wußte jedoch nicht, wie er sie herbeiführen konnte. Sconnos kauerte sich auf den Boden, nachdem auch seine Wunden versorgt wa ren. Er fühlte sich schwach und elend, und er war unzufrieden mit sich selbst. Er ärgerte sich über sich, weil er sich in den Kampf hatte verwickeln lassen. Du betonst immer, daß die Waffen des Geistes schärfer sind als das beste Schwert, warf er sich vor, und dann machst du sowas! Aber was hätte er tun können? War es überhaupt möglich, mit den Waf fen des Geistes ein solches Hindernis zu
29 überwinden? Und genügte es, die Wachen auszuschalten? Sicherlich nicht, schoß es ihm durch den Kopf. Wenn ich hier den Befehl hätte, würde ich drüben an der Mauer weitere Wachen aufstellen und auch sonst noch einiges für die Sicherheit tun. Er sah, wie sich einige tentakelartige Ge bilde auf der anderen Seite des Grabens aus dem Wasser streckten und an der Wand hochschoben. Die Begrenzungswand des Grabens war jedoch so hoch, daß sie die Mauerkrone nicht erreichten. Träge versan ken die Gebilde wieder in den Fluten. Sconnos erschauerte vor Entsetzen. Jetzt wußte er, daß der Graben eine unge mein sichere Abgrenzung war. Wer versuch te, ihn zu durchschwimmen, kam auf keinen Fall lebend auf der anderen Seite an. Und wenn er es geschafft hätte, ihn zu durchque ren, dann wäre er an der Begrenzungsmauer gescheitert. Nein. Es mußte eine andere Möglichkeit geben, zu den fernen Häusern zu kommen. Aufgeben wollte er auf keinen Fall. Er wollte Angy befreien, und er war bereit, da für jedes Opfer zu bringen. Erst in zweiter Linie dachte er daran, sich an Teiss zu rä chen. Angy war ihm wichtiger als ihr Ent führer, und er wußte, daß er sein Ziel bald erreichen mußte, wenn er Angy vor einem Sklavendasein bewahren wollte. »Habt ihr eine Idee?« fragte er seine Be gleiter. »Wir müßten uns Skerzaals verschaffen«, antwortete Staff. »Dann könnten wir die Wachen aus sicherer Entfernung abknallen.« »Oder Waggus«, sagte der Dello. »Auch darauf sind sie vorbereitet. Das ist für mich ganz sicher«, erwiderte Sconnos. »Irgend etwas müssen wir doch tun.« Staff schlug sich klatschend mit der Hand aufs Knie. »Oder wir müssen zur Burg zu rückgehen und aufgeben.« Sconnos blickte mit verengten Augen zu den Häusern hinter der Mauer hinüber. »Sie haben Vieh auf der Weide«, stellte er fest. »Das ist für mich geradezu ungeheuer
30 lich. Auf dieser Seite des Grabens hungern die Menschen, und weiter im Süden ist es noch viel schlimmer. Dort wären schon Hunderte gestorben, wenn wir ihnen nicht geholfen hätten.« »Was soll das?« fragte Estarr. »Das wis sen wir doch.« »Ich überlege nur. Gerade habe ich mich gefragt, was die Menschen wohl denken und fühlen, die hier in dieser Gegend leben. Was würdet ihr sagen, wenn euch das Vieh vor der Nase herumläuft, während ihr vor Hun ger nicht in den Schlaf kommt?« »Ich hätte eine Stinkwut«, erwiderte Staff. »Ich würde alles kurz- und kleinschlagen.« »Vielleicht würde ich das Wasser im Gra ben vergiften oder die Wachen auf der Brücke umbringen«, fügte Kamma, der Del lo, hinzu. »Das ist es, was ich meine. Die Leute hier müssen die da drüben hassen. Wenn es uns gelänge, sie zu einem Angriff zu bewegen, dann hätten wir Chancen.« Seine drei Begleiter blickten ihn verblüfft an. Keiner von ihnen hatte daran gedacht, daß man sich auch Verbündete schaffen konnte, um diese als Waffen zu benutzen. Sconnos stand begeistert auf. »Hört zu, Freunde, ich benötige Abfälle. Und das möglichst schnell. Wir werden für die Bewohner dieses Stadtviertels den Tisch decken. Das wird sie aus ihren Häusern locken, so daß wir mit ihnen reden können.« Staff, Estarr und Kamma begriffen sofort. Sie nickten ihm nur zu und eilten davon. Sconnos aber kehrte in die Gasse zurück, durch die sie gekommen waren. Er bemerkte einige Schatten, die blitzartig in den Häu sern verschwanden. Gelassen suchte er ein paar Balken zu sammen und schichtete sie auf, so daß ein primitiver Tisch entstand. Bald darauf kehr ten seine drei Freunde zurück. Sie brachten Knochen, Blätter, Eierschalen und andere Abfälle mit. Sconnos breitete sie auf den Balken aus und verwandelte sie mit Hilfe der fremdartigen Energien, die aus dem Nichts kamen und sich in seinem Gehirn
H. G. Francis konzentrierten, in frische und genießbare Nahrungsmittel zurück, bis sich diese zu ei nem wahren Berg auftürmten. Staff, Estarr und Kamma schritten durch die Gasse und forderten die Bewohner der Häuser mit lauten Rufen auf, herauszukom men und sich zu bedienen. Doch nichts regte sich. Verwundert und enttäuscht wartete Scon nos ab. Während er jedoch neben dem provisori schen Tisch stand, dachte er daran, was er gefühlt hatte, als er noch in den Trümmern gelebt hatte. Du wärst auch nicht hingegangen! Du hät test an eine Falle geglaubt. Niemand schenkt dir solche Dinge. Wie aber konnte er die Bewohner dieser Gasse davon überzeugen, daß er es ehrlich meinte und daß es sich für sie lohnte, zu ihm zu kommen und sich beschenken zu lassen? Er fühlte, daß er in einem fremdartigen Energiestrom stand, der ihn nicht nur dazu befähigte, Abfälle als Restteile in ihr ur sprüngliches Ganzes zurückzuverwandeln, sondern der noch mehr ermöglichte. Er holte tief Luft, und einer instinktiven Eingebung folgend, begann er, laut zu sin gen. Doch kam keine Melodie über seine Lippen, sondern nur ein durchdringender, hoher Ton. Staff, Estarr und Kamma kehrten er schrocken zu ihm zurück. »Was ist mit dir los?« fragte Staff. »Tickt was nicht mehr richtig bei dir?« Sconnos antwortete nicht. Er holte tief Luft und sang erneut. Staff packte ihn an den Schultern. »Du bist keine Sirene, Sconnos.« Der Or xeyaner war so besorgt um den Freund, daß er kaum sprechen konnte. »Sei still.« Doch Sconnos sang weiter. Die Türen der Häuser öffneten sich und verhungerte, dürre Gestalten traten auf die Straße hinaus. Mit unbeholfenen Schritten näherten sie sich den vier Männern. In ihren bleichen Gesichtern zeichnete sich keine Be wegung ab.
Das magische Erbe Allmählich füllte sich die Gasse, denn auch aus den Nebenstraßen kamen weitere Männer, Frauen und Kinder hinzu. Sconnos verstummte. Er sah sich mit leuchtenden Augen um. Für das, was ge schehen war, hatte er keine Erklärung, mit dem Ergebnis aber war er hochzufrieden. »Leute, ob ihr es glaubt oder nicht, alles war hier liegt, gehört euch«, brüllte Staff. »Nehmt euch, was ihr tragen könnt, und schlagt euch die Bäuche voll, und wenn ihr satt seid, kommt noch einmal und holt euch Vorräte.« Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als der Sturm auf den Tisch auch schon begann. Die Hungernden rissen an sich, was sie nur bekommen konnten, so daß im Nu alles ver teilt war und viele Männer, Frauen und Kin der übrigblieben, die nichts erhielten. Scon nos tröstete sie. Er legte einige Abfälle auf den Tisch und verwandelte sie mit Hilfe der fremdartigen Energien, deren Fluß er zu steuern vermochte, in ihren Ursprungszu stand. »Wenn ihr mir weitere Abfälle bringt, könnt ihr soviel haben, wie ihr wollt«, ver sprach er. Dieser Aufforderung kamen diejenigen, die auch jetzt leer ausgegangen waren, au genblicklich nach. Und Sconnos hielt sein Versprechen, so sehr es ihn auch anstrengte. Der sich immer mehr erwärmende Kristall in seiner Hand half ihm, und schließlich waren alle Bewohner dieses Stadtviertels versorgt. »Jetzt kannst du lange warten, bis sie zu rückkommen«, bemängelte Estarr. »Sie wer den sich den Magen vollschlagen und sich danach in Krämpfen winden, aber kämpfen werden sie nicht für uns.« »Wart's ab«, riet Sconnos ihm. Etwas mehr als eine Stunde verstrich. Dann füllte sich die Gasse allmählich wie der. Mit erwartungsvollen Augen blickten die Hungernden Sconnos an, und einige for derten ihn auf, nun endlich mit dem Erschaf fen von Vorrats waren zu beginnen. »Macht euch keine Sorgen«, rief Sconnos ihnen zu. »Ich werde eure Speisekammern
31 füllen, so daß ihr auch morgen noch genug zu essen habt. Aber damit bin ich nicht zu frieden. Die alte Zeit geht vorbei, ich spüre es, und eine neue bricht an. Bald wird auf Pthor alles anders sein als bisher, und wir al le müssen dafür sorgen, daß es so wird, wie wir es wünschen. Wenn wir weiterhin nichts weiter tun, als bis morgen zu denken, wird es uns niemals besser gehen. Wir müssen uns gegen jene wehren, die auf der anderen Seite des Grabens leben und uns vorenthal ten, was uns ebenfalls gehört. Glaubt ihr, dort drüben verhungert auch nur ein einziger Mensch? Bestimmt nicht.« Er merkte, daß er den richtigen Ton ange schlagen hatte. Schon lange blickten die Be wohner dieses Stadtteils sehnsüchtig zu den Häusern auf der anderen Seite des Grabens hinüber. Sie konnten sehen, was dort gesch ah, und ihnen gefiel nicht, daß es den Men schen dort so deutlich besser erging als ih nen. »Wir müssen die da drüben zwingen, sich mit uns zu befassen, und wenn sie sich sträuben, dann müssen wir alle gemeinsam gegen sie vorgehen. Ein einzelner wird es nicht schaffen, ihren Widerstand zu brechen, wir alle zusammen werden keine Mühe ha ben.« Sconnos wartete einige Sekunden, damit seine Zuhörer über diese Worte nachdenken konnten. Dann fuhr er fort: »Ich bin hier, weil ich euch in das Land dort drüben führen will. Wenn ihr euch mir anschließt, werde ich euch reich belohnen, und eure Not wird be endet sein.« Aufgrund seiner Unerfahrenheit in rheto rischen Dingen hatte er erwartet, daß die Menge in Jubel ausbrechen würde, aber der Beifall war nur mäßig. Enttäuscht setzte er zu einer erneuten An sprache an, doch einige wendeten sich ab und wollten weggehen. »Lauft nicht weg, ihr Narren«, brüllte Staff zornig. Sein Gesicht glühte. »Denkt lieber nach. Ihr werdet uns helfen, den Stadtteil da drüben zu stürmen, denn sonst
32 wird dieser Magier alles wieder verschwin den lassen, was wir euch geschenkt haben. Eure Mägen werden schlagartig leer, und der Hunger wird noch schlimmer sein als vorher, und von euren Vorräten wird nichts bleiben. Hört zu, ihr Himmelhunde, wir wol len eine bessere Zukunft für euch alle, wenn ihr aber nicht bereit seid, etwas dafür zu tun, stoßen wir euch zurück in euer Elend.« Staffs Kalkulation ging auf. Die Angst der hungernden Menschen, das wenige, was sie hatten, wieder zu verlieren, war größer als die Angst vor den Wachen an der Brücke. Sconnos erinnerte sich daran, daß es ihm gelungen war, die Menschen mit Hilfe sei nes eintönigen Gesangs aus den Häusern zu locken. Sollte es nicht auch möglich sein, sie mit seiner Stimme zu führen? Er drehte sich um und begann zu singen. Dabei schritt er die Gasse hinunter bis zum Graben und wandte sich dann der Brücke zu. Er brauchte sich nicht umzusehen, um sich von seinem Erfolg zu überzeugen. Er hörte das Lachen Staffs, der dicht hinter ihm ging. »Das ist es«, sagte der Orxeyaner. »Sie haben es begriffen.« Die Wachen auf der Brücke hoben ihre Schwerter, aber noch wollte Sconnos den Graben nicht überschreiten. Zehn Meter vor der Brücke blieb er stehen. Er sang weiter. Seine Stimme hallte durch die Gassen, und immer mehr Männer und Frauen kamen aus den Häusern hervor, um sich ihm anzu schließen. Er beobachtete die Wachen, die zuneh mend unsicherer wurden. »Wie viele sind es?« fragte er Staff. »Das ist schwer zu schätzen, aber es sind bestimmt nicht weniger als dreitausend.« Sconnos wußte nicht, wie viele Menschen in diesem Teil der Stadt lebten und wie viele seine Stimme hörten, noch aber wollte er nicht losgehen. Er wollte mehr Helfer. Die Wächter auf der Brücke sprachen lei se miteinander, und einer von ihnen eilte da von, um den Vorfall zu melden. Jetzt drehte Sconnos sich um. Überrascht blickte er auf die Menge, die
H. G. Francis sich um ihn geschart hatte. Sie war größer, als Staff geschätzt hatte. »Kommt«, rief er. »Wir werden die Zu kunft gewinnen.« Er schritt auf die Wachen zu. Diese blie ben stehen, bis er nur noch etwa zwei Meter von ihnen entfernt war, dann aber wichen sie zurück. Die Menge jubelte. Schreiend und lachend stürmten die zer lumpten Gestalten über die Brücke, während die Wachen sich zur Flucht wandten. »Wartet«, rief Sconnos ihnen zu und rannte hinter ihnen her. »Was wir wollen, geht auch euch an. Wenn ihr auf unserer Seite kämpft, braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.« Doch sie glaubten ihm nicht und liefen weiter.
6. Als Angy die Brücke mit den sechs Wächtern darauf sah, fühlte sie sich erleich tert. Sie war davon überzeugt, daß es Teiss nicht gelingen würde, sie an den Wachen vorbeizuschleppen und damit die Barriere zu überwinden, die ihn endgültig vor Sconnos in Sicherheit bringen würde. Sie schüttelte seine Hand ab. »Laß mich endlich los, du Narr«, fauchte sie ihn an, doch er krallte seine Finger so gleich wieder um ihren Arm. Sie sträubte sich gegen seinen Griff, um den Männern auf der Brücke ihre Notlage anzuzeigen. »Du tust mir weh«, schrie sie und schlug nach ihm. Doch Teiss schien ihre Schläge gar nicht zu bemerken, rücksichtslos zerrte er sie mit sich. Angy erwartete, daß die Wachen ihn zu rückweisen würden. Sie saßen auf dem Ge länder der Brücke und unterhielten sich, und sie versperrten ihm nicht den Weg, als er die Brücke betrat. Sie unterbrachen noch nicht einmal ihre Gespräche. »Helft mir«, rief sie. »Dieser Mensch hat mich entführt.«
Das magische Erbe Die Wächter grinsten und blieben untätig. Teiss lachte laut auf. »Wie kann man nur so töricht sein?« frag te er und schob sie vor sich her. Angy erkannte die Wahrheit und gab auf. Teiss hatte sein Ziel erreicht. Er war nicht in der Trümmerlandschaft im Süden zu Hau se, wo sie auf ihn gestoßen waren, sondern hier hinter den grauen Mauern. Sie schritt neben ihm her, ohne weiteren Widerstand zu leisten, da sie sich darüber klar war, daß sie sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnte. Bald darauf erreichten sie die graue Mauer, vor der ein breiter Gra ben lag. Über eine Zugbrücke ging es durch das Stadttor. Der jungen Frau stockte der Atem. Sie betrat eine Welt, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Hier war Moondrag noch in Ordnung. Die Häuser sahen sauber und ge pflegt aus. Nirgendwo entdeckte Angy ein Anzeichen von Verfall. Auch die Menschen, die sich in den Gassen zwischen den Häu sern bewegten, waren ordentlich gekleidet – sie fand sogar, daß die meisten sich übertrie ben herausgeputzt hatten. Die Frauen trugen tiefausgeschnittene Kleider, deren Säume den Boden berührten, und ausladende Hüte mit farbigen Fransen. Die Kleidung der Männer war weniger auffallend, für Angy jedoch noch seltsam genug. Sie bemerkte niemanden, der zerlumpte Sachen anhatte oder barfuß ging. Eine andere Welt öffnete sich vor ihr, eine Welt, die nichts mit dem Elend in den ande ren Teilen von Moondrag zu tun hatte. Die Bewohner dieser Stadt blieben erstaunt ste hen, als sie Teiss und die junge Frau sahen. Einige zogen sich indigniert zurück oder blickten durch sie hindurch, als seien sie nicht vorhanden. Angy senkte den Kopf. Sie kam sich elend und schmutzig vor. Teiss lachte herablassend. »Du brauchst dich nicht zu schämen«, sagte er. »Man wird dich gleich in eine Ba dewanne stecken und den Dreck herunter spülen.«
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»Und dann?« fragte sie. »Du wirst schon sehen.« Er lachte erneut und schob sie durch die Gassen voran. Sie näherten sich einem weißen Gebäude, das die Form eines sich aufrichtenden Schmet terlings hatte. Grüne Bäume umsäumten das Haus und spendeten Schatten für die Vor plätze, auf denen zahlreiche Männer und Frauen auf Stühlen saßen und plauderten. Angy richtete sich auf. Du hast keinen Grund, dich zu schämen, sagte sie sich stolz. Im Gegenteil. Diese Leu te hier sollten sich schämen. Sie sind Schma rotzer, die auf Kosten anderer leben, die an dere gar verhungern lassen, nur um ein we nig mehr zu haben, als sie eigentlich für ihr Leben benötigen. Es sind Diebe, die uns al les wegnehmen, was sie bekommen können. Teiss führte sie in das Haus, als ein uni formierter Diener eine Tür vor ihnen öffne te, und als Angy eintrat, versanken ihre Füße tief in einem weichen Teppich. Ein ebenfalls uniformierter Kelotte trat ih nen entgegen. Verwundert bemerkte die jun ge Frau, daß er ihren Entführer recht gut kannte. »Teiss«, sagte er. »Es freut mich, daß du dich hier einmal wieder sehen läßt.« »Ich war verhindert«, erwiderte der Vier schrötige, »sonst wäre ich schon früher ge kommen. Wo ist Senta?« »Sie weiß schon, daß du kommst. Eine Wache hat es ihr gemeldet. Sie wartet im Blauen Salon auf dich.« Er wandte sich An gy zu und musterte sie von oben bis unten. Teiss grinste breit. »Sie kommt mit«, erklärte er. »Auch wenn sie so dreckige Füße hat, als wäre sie die ganze Nacht durch Schlamm gelaufen.« »Wir werden sie baden.« »Das werdet ihr.« Teiss gab dem Kelotten mit einer Geste zu verstehen, daß er voran gehen sollte. Der Uniformierte führte sie durch breite Gänge, die mit Stoffbezügen ausgeschlagen und mit kostbaren Gemälden verziert waren. Angy glaubte zu träumen. Die Leuchter an den Wänden schienen aus purem Gold zu
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sein, und die Bilder waren so lebensecht, ben. War Senta keine Orxeyanerin, sondern daß sie einige Male glaubte, die dargestell eine Dalazaarin, wie sie selbst auch? Und ten Figuren bewegten sich. wieso sollte sie ihre Schwester sein? Das Die Menschen hier haben vergessen, daß war doch unmöglich. Angy erinnerte sich wir da draußen auch Menschen sind, fuhr es deutlich an ihre beiden Geschwister, die vor ihr durch den Kopf. Wahrscheinlich wissen einiger Zeit verhungert waren. Und sie wuß viele von ihnen gar nicht, wie es in den te auch, wer ihre Eltern waren. Niemand Trümmern aussieht, und Teiss, dieser Verrä hatte ihr etwas davon gesagt, daß es eine ter, sagt es ihnen nicht. Schwester namens Senta gab, die soviel älter Ein Gong ertönte. Eine Tür, die mit war als sie selbst. schimmernden Kristallen besetzt war, öffne Sie wollte aufbegehren, hielt es dann aber te sich vor ihnen, und sie betraten einen für klüger, zunächst zu schweigen und erst Saal, der so prunkvoll eingerichtet war, daß einmal abzuwarten. Angy wie geblendet ihre Blicke senkte. An Die Augen der korpulenten Frau leuchte den Wänden schienen alle Schätze Pthors ten. Wohlwollend blickte sie Angy an. angebracht worden zu sein. Vor wandhohen »Ich freue mich, daß du zu uns gefunden Bildern in schimmernden Rahmen erhoben hast«, sagte sie. »Sei mir willkommen, sich kunstvolle Statuen, von der Decke hin Schwesterchen.« gen Lampen von filigranartiger Schönheit »Ich mußte sie entführen, weil sie freiwil herab, farbenprächtige Teppiche bedeckten lig nicht mit uns gekommen wäre«, erklärte den Boden, und in der Mitte des Raumes Teiss. »Sie hat bei Staff, dem Erbarmungslo stand Mobiliar, das Angy zu kostbar erschi sen, in der Burg gelebt.« en, als daß man es hätte benutzen dürfen. Angy trat vor. In einem Sessel mit prunkvoller Rücken »Ich nehme an, daß du Senta bist und hier lehne saß eine korpulente Frau. Sie hatte das Sagen hast?« graues Haar und sah elend aus. Angy vermu »Ich bin Senta. Und ich bin die Gouver tete, daß es eine Orxeyanerin war. Sie trug neurin von Moondrag.« einen glänzenden Anzug aus einem Materi »Das ist nicht wahr«, protestierte Angy. al, wie die Entführte es noch nie gesehen »Dies ist nicht Moondrag, sondern nur ein hatte, und der so eng war, daß er ihre Fett Teil von Moondrag. Ein Stadtviertel.« polster zu dicken Wülsten aufwarf. Die Frau »Nun ja«, räumt Senta ein. »Moondrag saß in eigenartig zur Seite geneigter Haltung existiert nicht mehr. Von der einst stolzen in dem Sessel und knickte ein Bein ab, als Stadt ist nur noch Quost übrig, dieser Stadt könne sie es nicht anders halten. teil. Wir sind uns einig darin, daß wir ihn Und plötzlich begriff Angy. Moondrag nennen.« Sie hat Schmerzen! erkannte sie. Sie ist »Das stimmt nicht. Es gibt Moondrag krank und kann nicht richtig sitzen. noch«, rief Angy, doch sie kam nicht weiter. »Teiss«, rief die Frau, die Angy für die Der Uniformierte, der sie hereingeführt hat Herrscherin dieses Stadtteils von Moondrag te, packte sie am Arm und führte sie zur Tür. hielt. »Man hat mir schon angekündigt, daß »Wascht sie«, befahl Senta. »Wir können du kommst. Wer ist das an deiner Seite?« sie schließlich nicht mit dem alten Quarras »Das ist Angy, deine jüngere Schwester«, verheiraten, wenn sie aussieht, als hätte man antwortete er. sie gerade durch den Dreck gezogen.« Die dicke Frau richtete sich erstaunt auf, Angy schrie auf. Ihr wurde übel bei dem zuckte zusammen und nahm sogleich wieder Gedanken, daß sie mit irgend jemandem ihre alte, gezwungene Haltung an. vermählt werden sollte, den sie nicht kannte. »Angy? Du hast sie also gefunden?« Sie wollte sich dagegen wehren, hinausge Die Entführte glaubte, sich verhört zu ha führt zu werden, doch der Kelotte war stär
Das magische Erbe ker als sie. Die Tür fiel hinter ihr zu. Senta und Teiss blickten sich an. Die Frau rieb sich die Hände. »Das hast du gut gemacht«, lobte sie. »Der alte Quarras wurde bereits ungemüt lich. Er hat mich unter Druck gesetzt. Die al ten Verträge geben ihm die Möglichkeit da zu.« Sie schnippte mit den Fingern, und ein Diener eilte zu ihr hin. »Bring Wein«, befahl sie. »Teiss hat mir meine Schwester zurückgebracht. Das muß belohnt werden.« Der Diener holte aus einem Schrank einen Krug mit Wein und zwei Metallbecher. Er füllte sie und reichte sie Senta und Teiss. Die Herrscherin von Quost prostete ihrem Gegenüber zu, und Teiss trank seinen Be cher aus. »Du hast eine schwere Zeit hinter dir«, stellte sie fest. »Es muß nicht leicht gewesen sein, da draußen zu leben und dich den an deren anzupassen, während du wußtest, daß du es hier sehr viel bequemer hättest haben können.« »Es war erträglich«, erwiderte er. »Ich hatte die Aufgabe, deine verschollene Schwester zu finden und hierherzubringen.« »Aber du hast festgestellt, daß meine Schwester tot ist?« Er blickte sie überrascht an. »Das weißt du?« Sie lachte gequält. »Du bist nicht mein einziger Agent, Teiss. Einem anderen meiner Freunde ist es gelun gen, die Spur meiner Schwester zu finden. Sie endete bei einem Grab in der Nähe des großen Tores.« Teiss griff erneut zu dem Weinbecher, den der Diener mittlerweile wieder gefüllt hatte. »Du mußt jedoch zugeben, daß dieses Mädchen deiner Schwester verblüffend ähn lich sieht.« »Das ist richtig«, entgegnete Senta. »Und diese Ähnlichkeit genügt. Quarras wird glauben, daß er meine Schwester heiratet.« »Obwohl sie es nicht ist. Ein Genie
35 streich, Senta. Du bist deine Schwierigkeiten los, und Quarras hat endlich die Frau, die er wollte.« »So ist es. Natürlich darf er nie erfahren, welch einen Streich wir ihm gespielt haben. Aber du hast immerhin auch versucht, mir eine falsche Schwester unterzuschieben.« Senta blickte ihn freundlich lächelnd an. Teiss lachte. »Was blieb mir anderes übrig? Ich wußte doch, wie schwierig die Situation für dich war.« »Du wußtest es.« »Ja – ich wußte es.« »Ein kleiner schmutziger Trick also.« »Ein Trick – ja. Aber schmutzig? Es ist doch allen damit geholfen. Natürlich muß alles geheim bleiben.« »Selbstverständlich«, sagte Senta und lehnte sich zurück. »Das ist ja auch der Grund dafür, daß ich dich soeben mit dem Wein vergiftet habe.« Sie reichte dem Diener ihren vollen Be cher zurück. Teiss stand erschrocken auf. Das Blut wich aus seinen Wangen. »Vergiftet?« stammelte er und legte sich die Hände gegen den Magen. »Deshalb ist mir so eigenartig.« Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. »Ich mag es nun mal nicht, wenn man versucht, mich hereinzulegen«, erklärte Sen ta. Sie stand ebenfalls auf, stützte sich auf den Diener und ging humpelnd davon. Teiss blickte ihr nach. Er versuchte, ihr zu folgen, kam jedoch nur zwei Schritte weit. Dann stolperte er und fiel der Länge nach auf den Boden. Seine Augen brachen.
* Sconnos gab den Versuch auf, die Wa chen für sich zu gewinnen. Er drängte nun mehr auf Eile, so daß die Elendsgestalten, die ihn, Staff, Kamma und Estarr begleite ten, nicht allzu weit hinter ihnen zurückblie
36 ben. Er wollte vermeiden, daß die Wachen die graue Mauer mit großem Abstand vor ih nen erreichten, und das gelang ihm. Obwohl die halbverhungerten Menschen, die ihm folgten, sich nur noch mit äußerster Anstren gung auf den Beinen hielten, kämpften sie sich weiter voran. Die Wächter an der Mauer zogen die Brücke hoch, doch Sconnos, Staff, Estarr und Kamma sprangen noch rechtzeitig hin auf. Einige andere Männer kletterten hinter her. Sie konnten Sconnos und seinen Freun den nicht entscheidend helfen, lenkten aber immerhin die Verteidiger des Stadttors von ihnen ab. Staff packte einen der Wächter und schleuderte ihn in den Burggraben, während Sconnos sich auf den Mann stürzte, der die Ziehbrücke betätigte. Er konnte ihn zur Seite stoßen und die Rückschlagarretierung der Zugmaschine lösen, so daß die Brücke sich wieder senkte. Jubelnd stürmten die zerlumpten und er schöpften Männer und Frauen aus der ver fallenen Umgebung dieser Wohlstandsoase über die Brücke und durch das Tor. Die Menge schob sich mit unwiderstehlicher Ge walt voran. Mehrere Wachen schossen mit ihren Skerzaals oder mit Waggus auf die Männer und Frauen. Sie verletzten und be täubten viele von ihnen, konnten aber den Vormarsch nicht aufhalten. Staff und Sconnos harrten bei der Zug brücke aus, bis alle durch das Tor gegangen waren. Dann zogen sie die Brücke hoch, um ihnen den Fluchtweg zu versperren. Sie wollten die Masse der halbverhungerten Menschen zwingen, in diesem Stadtteil zu bleiben. Sconnos, der auf den Stufen einer Leiter am Stadttor stand, sah elegant gekleidete Männer und Frauen, die in panikartiger Angst in die Häuser flohen, um sich vor den verwahrlost aussehenden Elendsgestalten in Sicherheit zu bringen. Einer von ihnen schleppte einen ganzen Korb Quorks mit sich herum. Sconnos hatte den Eindruck, daß er den Schatz in seiner Angst sogar ab
H. G. Francis zuwerfen versuchte, daß es ihm jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht gelang. Allmählich verebbten die Schreie der Ein dringlinge. Staunend sahen die Männer und Frauen sich um. Häuser wie diese kannten sie kaum noch. Und die Bewohner dieses Stadtteils, die erschrocken hinter den Fen stern standen und aus sicher erscheinender Höhe auf sie herab blickten, schienen noch nie Hunger gehabt zu haben. Sconnos wies Staff an, beim Tor zu blei ben. Er selbst schob sich durch die Menge. Als er etwa hundert Meter weit gekom men war, bemerkte er eine dichtgedrängte Gruppe von Männern, und er hörte Schreie. Er eilte zu der Gruppe hin. Einer der wohl genährten Bewohner dieses Stadtteils lag auf dem Boden und versuchte, sich gegen die Fußtritte der wütenden Menge zu wehren. »Hört auf«, befahl Sconnos. »Das hat kei nen Sinn.« Er drängte die Schläger zurück und half ihrem Opfer auf die Beine. Der Mann war älter als er, hatte graues Haar, das ihm bis auf die Schultern herabreichte, und tiefe Furchen im Gesicht. »Wer hat den Befehl über diese Stadt?« fragte er. Sein Gegenüber stemmte sich stöhnend die Hände in die Seiten. »Senta. Wenn du willst, führe ich dich zu ihr.« Sconnos lächelte. Er wußte, daß der Mann auf diese Weise Sicherheit vor weiteren Überfällen suchte. Doch ihm war nur recht, wenn er so schnell wie möglich zu dem Be fehlshaber kam. Er sah sich flüchtig um. Nirgendwo wurde mehr gekämpft. Die Ver teidiger dieses Stadtteils schienen eingese hen zu haben, daß sie die Menge nicht ab wehren konnten. Wenig später betrat Sconnos das weiße Haus im Mittelpunkt der Anlage, in dem Senta, die Gouverneurin, residierte. Ein Uniformierter trat ihm entgegen, blickte herablassend auf ihn herab und frag te: »Was willst du hier?« »Ich will verhindern, daß diese schöne
Das magische Erbe Stadt von den Hungernden da draußen ge plündert wird. Bringe mich zu Senta. So fort.« Der Uniformierte wandte sich wortlos um und ging davon. Sconnos folgte ihm bis in einen Saal, in dem eine korpulente Frau in einem Sessel mit reich verzierter Rückenleh ne saß. Sconnos erkannte sofort, daß sie krank war und unter großen Schmerzen litt. »Ah, der kühne Eroberer von Quost«, rief die Frau. »Komm heran, mein Held. Männer wie du sind mir jederzeit willkommen. Willst du einen Schluck Wein?« Sie schnippte mit den Fingern, und ein uniformierter Diener füllte Wein aus einem Krug in zwei metallene Becher. Sconnos nahm den für ihn bestimmten Becher entgegen und schüttete ihn der Frau ins Gesicht. »Ersticke daran«, sagte er zornig. »Da draußen stehen mehr als dreitausend Men schen, die dem Hungertod nahe sind. Du wirst dich um sie kümmern. Du wirst die Vorratsräume leeren, und ihnen zu essen und zu trinken geben.« Senta wischte sich gelassen den Wein aus dem Gesicht, nachdem der Diener ihr ein Tuch gegeben hatte. »Und wenn ich es nicht tue?« fragte sie spöttisch. »Was ist dann, mein Held?« »Dann werden sich die Kammern von selbst leeren, so wie sich dieser Weinkrug dort leert.« Sconnos wies auf den Krug, aus dem der Diener eben eingeschenkt hatte. Er konzen trierte sich kurz und fühlte dann, daß Ener gie vom Krug zu ihm hinfloß. Der Diener schrie erschrocken auf. Er eilte mit dem Krug zu Senta und zeigte ihn ihr. »Er war eben noch voll Wein«, erklärte er erregt. »Ich kann es beschwören. Jetzt aber sind nur noch Beeren darin.« Die Gouverneurin blickte ihren Besucher mit verengten Augen an. »Du mußt Sconnos sein«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Man hat mir von dir und deinen magischen Fähigkeiten erzählt.« Sie richtete sich ächzend auf.
37 »Du bist ein Heiler. Du kannst mich von meinen Schmerzen befreien.« »Es könnte sein, daß ich das tue«, erwi derte er. »Erst jedoch werden die Mägen der Menschen dort draußen gefüllt. Die Zeit des Hungers muß ein Ende haben.« »Aber ich kann nicht allen etwas geben«, lehnte sie sich auf. »Wenn ich das täte, hätte ich selbst nichts mehr.« »Wenn meine Forderung nicht erfüllt wird, gebe ich das Kommando, die Häuser zu plündern. Wir werden alles mitnehmen, was uns wertvoll erscheint. Nahrungsmittel bleiben nicht zurück. Danach werden wir das Tor schließen und niemanden mehr her auslassen.« »Dann verhungern wir«, rief sie entsetzt. »Genau das«, bestätigte er. »Aber was macht das schon? Es sind schon so viele in Moondrag verhungert, daß ein paar mehr keine Rolle spielen. Und wir werden keinen Finger krümmen, um euch zu helfen. Wir werden dafür sorgen, daß kein Transport mehr zu euch durchkommt. Selbst wenn man mit einem Zugor versuchen sollte, euch etwas zu bringen, werden wir es zu verhin dern wissen. Du hast also die Wahl.« »Ich muß nachdenken«, jammerte sie. »So schnell kann ich mich nicht entschei den.« »Gut. Ich warte.« Sconnos setzte sich in einen Sessel, wäh rend Senta mit ihrem Diener zur Tür ging. Bevor sie diese erreichte, bemerkte der Ma gier: »Vergiß nicht, Angy mitzubringen.« Die Gouverneurin fuhr überrascht herum. »Was hast du mit Angy zu tun?« fragte sie. »Ich erwarte, daß sie sehr schnell zu mir kommt«, erwiderte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.
7. Mit unbewegtem Gesicht ließ Angy sich gefallen, daß zwei Frauen ihr neue Kleider überstreiften, nachdem sie gebadet worden war. Dann begann eine der Frauen, sie zu
38 kämmen. Die Tür öffnete sich, und ein buckliger Mann kam herein. Vergnügt kichernd näher te er sich ihnen. »Was will der Kerl hier?« fragte Angy er regt. »Er soll verschwinden.« Sie blickte angeekelt zur Seite, als der Mann vor ihr stehenblieb. Der Fremde war grauhaarig. Seine Kleidung machte einen al ten und zerschlissenen Eindruck. Eine der Frauen lachte. »Ziere dich nicht so, Angy«, sagte sie. »Das ist dein Mann Quarras. Das heißt, noch ist er es nicht, du wirst ihn erst in wenigen Minuten heiraten.« »Nein«, stammelte die junge Frau ent setzt. »Niemals.« Quarras hüpfte von einem Bein auf das andere. Grinsend rieb er sich die Hände. »So ist's recht«, lobte er zufrieden. »Putzt sie nur ordentlich heraus. Wer weiß, wie lange ich noch zu leben habe. Ich will alles genießen, was mir noch vergönnt ist. Ich verlasse mich auf euch.« Er versuchte, Angy die Wange zu tät scheln, aber sie schlug seine Hand weg. »Temperament hat sie«, sagte er lachend. »Das gefällt mir. Ich hasse langweilige Wei ber.« Närrisch kichernd hinkte er aus dem Raum. Angy blickte ihm nach, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Ihr wurde übel bei dem Gedanken, daß dieser Schwachsinnige sie anfassen würde. »Warum?« fragte sie die beiden Frauen. »Warum soll ich diesen Menschen heira ten?« Der Auftritt schien die Dienerinnen eben falls erschreckt zu haben. »Er ist der Bruder des Tormeisters«, er klärte eine von ihnen, eine kleine, blonde Frau mit lebhaften, blauen Augen. »Und der Tormeister hat mit Senta Verträge geschlos sen, in denen festgehalten wird, daß er uns mit allem beliefert, was wir benötigen, wenn sein Bruder, der wohl sonst keine Frau fin det, mit ihrer Schwester vermählt wird.« »Senta haßt ihre Schwester, weil diese
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jung und schön ist«, erläuterte die andere. »Aber ich bin nicht ihre Schwester«, be teuerte Angy. »Das spielt keine Rolle. Wichtig ist für Senta nur, daß diese Heirat zustande kommt.« »Wer ist der Tormeister?« fragte Angy. »Und wieso ist er so mächtig?« »Er hat großen Einfluß in Moondrag«, antwortete die blonde Dienerin, »bei ihm ge hen alle Waren ein, die die Dellos von der FESTUNG und aus den anderen Gegenden von Pthor nach Moondrag bringen.« »Es kommen also laufend Waren an?« »Natürlich.« »Aber draußen auf Pthor weiß man nicht, was hier geschieht. Der Tormeister und Sen ta betrügen alle anderen Einwohner von Moondrag.« »So ist es.« Angy lehnte sich zurück. Ein kühner Plan reifte in ihr. Wenn es mir schon nicht gelingt, diesem schwachsinnigen Zwerg zu entgehen, dachte sie, dann soll er mich wenigstens zum Tor meister bringen. Ich werde seinen Bruder töten, wenn sich mir eine Gelegenheit dazu ergibt, und dann ist der Betrug an der Be völkerung von Moondrag zu Ende. »Der Tormeister ist ein mächtiger Mann«, sagte die blonde Dienerin und kämmte sie. »Du wirst ihn sicherlich bald sehen. Er ist groß und hat eine weiße Narbe auf der Stirn, die sich von Schläfe zu Schläfe zieht.«
* Senta, die Gouverneurin von Quost, war außer sich vor Zorn. Der Angriff von Scon nos und den Elenden aus der Umgebung der Stadt hatte sie völlig überraschend getroffen. Sie hatte in der festen Überzeugung gelebt, daß es niemandem gelingen würde, gegen ihren Willen in die Stadt einzudringen. Sie trat an das Fenster des Sitzungsraums, in dem sie acht Männer aus ihrem Mitarbei terstab zusammengerufen hatte. »Was können wir tun, um diese scheußli
Das magische Erbe chen Kreaturen loszuwerden?« fragte sie mit schriller Stimme. Sie ließ sich in einen Ses sel sinken. »Wir können nichts tun«, antwortete ein untersetzter Paarle. Er griff sich kurz an die Hörner, die ihm aus der Stirn wuchsen. »Du willst, daß wir uns ergeben?« Senta fuhr auf, doch die Schmerzen, die durch ih ren Körper tobten, warfen sie sofort wieder in den Sessel zurück. »Das ist Verrat. Dafür sollte man dich umbringen.« »Damit ist es nicht getan«, erklärte ein greiser Orxeyaner, der neben ihr saß. »Einige Wachen haben versucht, die Meute mit Waggus zu lähmen. Sie haben vom zweiten Geschoß eines Hauses herunterge schossen.« »Und? Was ist passiert?« »Die Leute sind in das Erdgeschoß einge drungen und haben das Haus angesteckt. Es ist abgebrannt. Die Feuersicherung konnte es nicht mehr retten. Sie konnte nur verhin dern, daß die Flammen auf die Nebengebäu de übergesprungen sind. Seitdem ist Ruhe. Niemand greift diese Elendsgestalten mehr an, denn diese sind sich bewußt geworden, wie mächtig sie sein können, wenn sie sich einig sind.« Senta blickte zornig in die Runde. »Also – was empfehlen mir die fähigsten Köpfe dieser Stadt?« fragte sie ebenso an griffslustig wie verächtlich. Keiner der Männer antwortete ihr. Alle waren sich dessen bewußt, daß Sconnos sie mit seinem Angriff überrascht und lahmge setzt hatte. Wenn die Stadt sich von den Menschen der Umgebung befreien wollte, blieb ihr nur noch nackte Gewalt. Die Be wohner von Quost konnten ihre Besetzer nur loswerden, wenn sie mit tödlichen Waffen gegen sie vorgingen. Da aber nur verhältnis mäßig wenige Waffen in der Stadt vorhan den, und die Angreifer etwa zehnmal so zahlreich waren wie die Quoster, blieb im Gründe genommen nur noch die Kapitulati on. »Ihr beugt den Kopf vor dieser waffenlo sen Meute«, rief Senta erregt. »Ihr habt
39 Angst davor, daß diese Menschen euch mit bloßen Händen überlegen sein könnten, und ihr habt ein schlechtes Gewissen. Seit Jahren habt ihr ihnen vorenthalten, was ihnen ge hört, und ihr habt nicht schlecht dabei ge lebt. Dabei habt ihr vergessen zu kämpfen.« »Es hat keinen Sinn mehr«, erwiderte der Paarle. »Ich gebe nicht auf«, erklärte Senta hart näckig. »Im Grunde genommen dreht sich alles um Sconnos. Wenn wir ihn ausschal ten, können wir die anderen aus der Stadt treiben.« »Du willst ihn töten?« Ein weißhaariger Dalazaare beugte sich vor und blickte sie an. »Ich finde, es hat schon genug Opfer ge geben, und nach allem, was ich gehört habe, ist Sconnos in der Lage, uns allen zu helfen. Ihn zu töten, wäre Wahnsinn.« »Dann haben wir nur noch eine Chance. Angy! Sconnos hat nach ihr gefragt. Er legt viel Wert auf sie. Er wird nachgeben, wenn wir ihn vor die Wahl stellen: ihr Leben ge gen die Freiheit der Stadt.« »Du willst sie als Geisel behalten?« fragte ein Dello, der sich durch besonderen Einsatz und überragende Fähigkeiten für diesen klei nen Kreis qualifiziert hatte. »Genau das. Ihr Leben gegen unsere Frei heit. Die Meute soll abziehen. Wenn sie in die Ruinen zurückgekehrt ist, werden wir Angy freigeben.« »Aber es geht um die Verträge mit dem Tormeister«, gab der Paarle zu bedenken. »Und Sconnos könnte uns von dem Nach schub abtrennen«, warnte ein anderer. »Und wäre es nicht überhaupt besser, den Ideen von Sconnos zu folgen?« fragte ein dritter. »Wäre es nicht klüger, ganz Moon drag wieder aufzubauen, allen Menschen Arbeit zu geben und wieder mit einem ech ten Handel zu beginnen?« »Das geht nicht von heute auf Morgen, und wenn wir das wollen, müssen wir alle auf viel verzichten«, wandte Senta ein. »Um es klar zu sagen: Ich will nicht.« Die Gouverneurin war hart und unerbitt lich, wenn es ihr darum ging, ihre Pläne
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durchzusetzen. Ihre Mitarbeiter hatten es oft genug erlebt, und sie wußten, daß Senta selbst vor einem Mord nicht zurückschreck te, wenn sich ihr jemand entgegenstellte. Daher gaben sie schließlich gegen ihre Überzeugung die Zustimmung dazu, Angy als Geisel zu benutzen.
* »Das hat lange gedauert«, kritisierte Sconnos, als Senta zu ihm zurückkehrte. Sie schleppte sich hinkend zu einem Ses sel. Ihre Schmerzen waren so groß, daß sie nicht sogleich antworten konnte. »Es waren einige Vorbereitungen zu tref fen«, erklärte sie schließlich. »Wozu?« »Das will ich dir gerne zeigen.« Sie erhob sich und zeigte auf eine Tür. Sconnos folgte ihr zögernd. Er mißtraute dieser Frau und war auf einen Anschlag gefaßt. Er versuchte, ihre Gedanken zu erraten, um ihren Schrit ten zuvorkommen zu können, denn er rech nete nicht damit, daß sie ohne heftige Ge genwehr die Herrschaft über diesen Teil von Moondrag abtreten würde. Senta führte ihn auf einen Balkon hinaus, von dem aus er auf einen kleinen Innenhof sehen konnte. Erschrocken blickte er auf Angy hinunter, die an einen Baum gefesselt war. Vor ihr standen drei Männer mit angeschlagenen Skerzaals. Ein Buckliger protestierte krei schend dagegen, daß man so mit seiner Frau umging. »Was soll das?« fragte Sconnos, obwohl für ihn zweifelsfrei feststand, was die Gou verneurin mit diesem Schauspiel beabsich tigte. »Angy wird sterben, wenn du nicht sofort den Rückzugsbefehl gibst«, erklärte die Frau an seiner Seite. »Und danach bist du dran.« Die Skerzaals bestehen zur Hälfte aus Holz, dachte Sconnos. Damit müßte ich also etwas anfangen können. »Mir ist völlig unklar, wie du Angy um bringen willst«, entgegnete er.
»Die Männer da unten werden sie erschie ßen.« »Ich glaube nicht, daß sie das können.« Senta blickte ihn unsicher an. Ihr Gesicht rötete sich vor Erregung. »Ziehst du ab? Ja oder nein?« »Nein!« »Tötet das Mädchen«, befahl die Frau mit schriller Stimme. »Erschießt sie. Sofort.« Die Männer legten die Skerzaals an. Sconnos konzentrierte sich. Seine Hand schloß sich um den Kristall. Er schloß die Augen, fühlte den Energiestrom und lenkte ihn mit seinem Willen auf die Waffen. Aufschreiend fuhren die Männer im Hof zurück. Die Skerzaals schienen in ihren Händen zu explodieren, denn die Kolben der Waffen verwandelten sich in Bäume. Diese kippten auf die Schützen und begruben sie unter sich. »Nun?« fragte er die Gouverneurin. »Hast du noch weitere Befehle zu geben?« Sie brach zusammen und krümmte sich vor Schmerzen auf dem Boden, so als sei ein Teil der Energien in ihren Rücken und ihre Beine geflossen, wo sie ihre Leiden noch verstärkten. Sconnos beachtete Senta nicht. Diese Frau hatte nicht verdient, daß er ihr half. Sie hatte den Tod von zahllosen Menschen auf dem Gewissen, indem sie die für sie bestimmten Versorgungsgüter an sich genommen und nach Quost gelenkt hatte. Er trat an die Brüstung und befahl einigen Dienern, die in Angys Nähe standen: »Bindet sie los und bringt sie zu mir herauf, aber wehe ihr geschieht etwas. Das wäre eu er Ende.« Er brauchte keine Minute mehr zu warten, dann fiel ihm Angy um den Hals. »Ich wußte, daß du mich befreien wür dest«, sagte sie. Die Tür öffnete sich, und mehrere unbe waffnete Männer traten auf den Balkon hin aus. »Wir sind die Mitarbeiter der Gouverneu rin«, erklärte einer von ihnen, ein Paarle. »Wir haben beschlossen, daß wir deine Be
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dingungen erfüllen werden. Die Stadt ist of fen für alle Bewohner von Moondrag. Von heute an werden wir den Hunger in der Stadt bekämpfen und uns um den Aufbau bemü hen.« »Und was wird aus Senta?« fragte Scon nos. »Wir haben nichts mehr mit ihr zu tun. Wir verstoßen sie. Wenn du einverstanden bist, werfen wir sie aus der Stadt. Sie kann sehen, wo sie bleibt.« Sconnos blickte sinnend auf die Frau hin ab, die noch immer auf dem Boden lag. Ihre Macht war gebrochen. Jetzt war er der Herr scher von Quost, und er würde die nächsten Schritte bestimmen. Vor Senta brauchte er sich nicht mehr zu fürchten. Er schloß die Augen und konzentrierte sich kurz auf sie, und nach kaum einer Se kunde setzte sie sich seufzend auf. »Ich habe keine Schmerzen mehr«, sagte sie erstaunt. »Geh«, fuhr Sconnos sie an. »Sofort, be vor ich es mir anders überlege.«
* Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Sturz der Gouverneurin in Quost. Die Besetzer der Stadt brachen in Ju bel aus, als sie erkannten, daß sie ihr Ziel er reicht hatten. Nun wollte keiner mehr aus Quost fliehen. Sconnos ließ die Zugbrücke herabfahren. Er teilte Staff mit, daß Senta ihr Reich verlassen würde. Und schon weni ge Minuten darauf sprengte die gestürzte Herrscherin auf einem weißen Dadar durch die Gassen der Stadt, begleitet von dem höh nischen Geschrei der Massen. Sie trieb ihr Reittier mit wütenden Peitschenhieben an und jagte zum Tor hinaus. Staff schickte ihr einen Fluch hinterher. Er befahl Kamma und Estarr, am Tor zu bleiben und es notfalls abzusichern, obwohl er nicht damit rechnete, daß irgend jemand Quost von außen her angreifen würde. Dann ging er zu Sconnos. Er fand den neuen Herrscher in einer Be
sprechung mit den bisherigen Mitarbeitern der Gouverneurin vor. »Die Bewohner von Quost sollen ihre Vorratskammern sofort öffnen und verteilen, was darin ist«, sagte Sconnos gerade, als Staff eintrat. »Ich will, daß alle satt werden. Die Leute sollen neu eingekleidet werden. Man soll ihnen die Möglichkeit geben, sich zu waschen, und Ärzte sollen Hilfe leisten, wo es notwendig ist.« Die Männer, die mit ihm an einem Tisch gesessen hatten, erhoben sich eilig und ver ließen den Raum, um seine Befehle weiter zuleiten. Angy trat unmittelbar nach Staff ein. Sie sah glücklich und zufrieden aus. Sie küßte Sconnos. »Die Leute beten dich an«, sagte sie dann. »Bis zuletzt haben sie nicht daran geglaubt, daß du Erfolg haben würdest. Ich halte es für gut, wenn vorläufig noch unter uns bleibt, daß wir Quost bald verlassen.« Sconnos und Staff blickten sich verblüfft an. »Habe ich richtig gehört?« fragte der Or xeyaner. »Du hast«, erwiderte Sconnos lachend. »Das ist meine Angy, wie sie leibt und lebt. Kaum ist sie dem Henker entkommen, schon denkt sie an den nächsten Schritt, der für uns alle sicherlich nicht weniger gefährlich ist als der letzte.« »An welchen Schritt?« Staff setzte sich. »Wir sind gerade erst hier. Da draußen war ten über dreitausend Menschen, die versorgt werden müssen. Und in der Umgebung wird sich herumsprechen, wie die Lage in Quost ist. Es werden noch einige tausend hinzu kommen, um die wir uns auch kümmern müssen. Und du redest schon von Auf bruch?« Sconnos erhob sich. Er ging zum Fenster, blickte kurz auf die Menschenmassen hin aus, die sich durch die Gassen bewegten, und wandte sich Staff dann wieder zu. »Angy hat recht. Unsere Macht steht auf tönernen Füßen, solange es noch jemanden in Moondrag gibt, der ebenfalls Macht und
42 Einfluß hat.« »Gibt es ihn denn?« »Den Mann mit der Narbe auf der Stirn. Den Tormeister gibt es.« Sconnos setzte sich und ließ sich von Angy etwas Wein reichen. »Ich bin davon überzeugt, daß Senta zu ihm reiten und ihn gegen uns aufstacheln wird. Der Tormeister ist ein Verbrecher, eine böse Macht, so wie Senta eine ist. Er wird sich nicht so ohne weiteres entmachten lassen.« »Welche Aufgaben hat er? Wieso ist er mächtig?« Sconnos erklärte es ihm. »Er sitzt am Tor. Ohne ihn kommt nichts nach Moondrag herein. Wer über Moondrag und damit über Pthor herrschen will, der muß ihn aus dem Weg räumen.« »Das ist es also«, stellte Staff fest. »Dir genügt es nicht, Herr über diesen Teil der Stadt oder gar über ganz Moondrag zu sein. Du willst in die FESTUNG und dein Reich von dort aus regieren.« Der Orxeyaner schien enttäuscht zu sein. »Wir wissen nur, wie es in den Teilen von Moondrag aussieht, die wir gesehen haben«, erwiderte Sconnos. »In anderen mag es bes ser sein. Doch davon will ich mich überzeu gen. Vielleicht geht es allen oder den mei sten Bewohnern von Pthor schlecht? Viel leicht warten sie auf jemanden wie mich, der ihnen hilft, ein menschenwürdiges Leben zu führen? Das müssen wir klären, und nicht mehr oder weniger hat Angy gesagt.« Staff blickte sie forschend an. Dann leuchteten seine Augen auf, und er nickte anerkennend. »Du bist eine kluge und weitsichtige Frau, Angy«, lobte er. »Wenn wir dich nicht hät ten, wären wir noch lange nicht soweit. Aber du mußt eines wissen. In der FESTUNG gibt es jemanden, den sie den König nennen. Er empfindet sich als Herrscher von Pthor, und er dürfte mehr Format haben als diejenigen, die Sconnos bisher entmachtet hat. Mich eingeschlossen.« Sconnos horchte in sich hinein. Überrascht bemerkte er, daß ihm die Wor te Staffs einen Stich versetzten. Er war bis
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her alles andere als machthungrig gewesen, sondern hatte nur gehandelt, um dem Bösen zu begegnen und den Schwachen zu helfen. Es hatte ihn mit Genugtuung erfüllt, daß Senta Quost verlassen hatte, und er hatte es nicht bedauert, daß Teiss für seine Tat ver giftet worden war, doch machtlüstern war er deshalb nicht. Jetzt aber ärgerte ihn, daß es jemanden gab, der sich König von Pthor nennen ließ. Warum? Weil ich ihm diesen Titel streitig machen werde, fuhr es ihm durch den Kopf. Er soll beweisen, daß er mir überlegen ist und die Probleme der Bewohner von Pthor besser lösen kann als ich. Nur wenn er das kann, werde ich ihn als König anerkennen. Plötzlich mußte er an die Worte seines Gönners Alpex denken, der in einer ärmli chen Hütte gestorben war und ihn zu seinem Erben erklärt hatte. Ich bin in der Senke der verlorenen See len gewesen, hatte der Sterbende gesagt. In einem der Glaspaläste. Der bestand aus mehreren säulenartigen Abschnitten, die den Pfeifen einer Orgel glichen. Wenn du dort hin gehst, wirst du sieben schwarze Schwer ter finden, und wenn es dir gelingt, sie an dich zu nehmen, wirst du vor dem ganz großen Glück stehen. Die sieben schwarzen Schwerter sind das Erbe, das Alpex mir vermacht hat, dachte er. Damals, als er starb, habe ich keinen Ge danken daran verschwendet, daß ich in die Senke der verlorenen Seelen gehen könnte. Es wäre unmöglich für mich gewesen. Doch jetzt ist alles anders. Er blickte Angy und Staff an, die darauf warteten, daß er sich zu dem König in der FESTUNG äußerte. Ich bin mächtig. Ich habe Freunde. Ich kann sogar Dadare satteln lassen, genügend Proviant und Waffen mitnehmen und den Weg zur Senke auf dem Rücken der Reittie re zurücklegen. Angy lächelte. Erriet sie seine Gedanken? Sieben Schwerter, fuhr es ihm durch den
Das magische Erbe Kopf. Eines für mich und die anderen für sechs Freunde. Es müssen ganz besondere Schwerter sein, denn sonst hätte Alpex sie nicht erwähnt. Wenn es mir gelingt, sie an mich zu bringen, werde ich vor dem ganz großen Glück stehen. Es wird mir gelingen. Sobald ich ganz Moondrag unter meine Kontrolle gebracht habe, brechen wir auf. Und mit den sieben schwarzen Schwertern werden wir gegen den König ziehen und ihm die Nagelprobe machen. Sconnos dachte nicht lange darüber nach, wie diese Probe ausfallen würde. Er war da von überzeugt, daß er auch in der FE STUNG die Macht übernehmen würde. Hatte er aber auch seine magischen Fähig keiten von Alpex geerbt? Es sah so aus, dennoch war Sconnos ganz sicher, daß das nicht der Fall war. Alpex war kein Magier gewesen, denn sonst hätte er sich und seinen Freunden leicht Nahrungs mittel verschaffen können. Nein, von seinem Gönner hatte er die magischen Fähigkeiten nicht. Sie waren in ihm entstanden, als er in der Hütte von Alpex gewesen war, aber mit Alpex selbst konnten sie nichts zu tun ha ben. Er beschloß, später zu klären, woher die magischen Kräfte gekommen waren. Vor läufig mußte er sich um andere Dinge küm mern. Er wandte sich seinen Freunden wieder zu. »Wir sind uns darüber einig, daß wir die Macht des Tormeisters brechen werden«, sagte er. »Dieses Mal ist unser Gegner ge warnt. Er kann sich auf unseren Angriff vor bereiten. Aber wir lassen uns Zeit. Zunächst will ich, daß Stoßtrupps gebildet werden, die ganz Moondrag erkunden und die Menschen darüber informieren, daß sie hier Hilfe fin den können.« Er besprach mit Staff, wie diese Stoß trupps vorgehen sollten und setzte den Or xeyaner als Organisator dafür ein. Dann ging er hinaus, um sich in Quost umzusehen. Doch er kam bald zurück, denn wo er sich auch zeigte, drängten sich die Menschen um
43 ihn, um ihm zu danken. Die früheren Mitarbeiter der Gouverneu rin erwiesen sich als überraschend tüchtig, und sie ließen keinen Zweifel daran, daß sie loyal zu Sconnos standen. Sie halfen, die Versorgung aller Bewohner von Moondrag zu organisieren, soweit das möglich war. Sie teilten die Männer und Frauen zu den not wendigen Arbeiten ein und verschafften ih nen Quartiere. Die Menschen von Moondrag atmeten auf. Endlich zeigte sich ein Hoffnungs schimmer am Horizont. Sie glaubten wieder an ihre Zukunft. Was sonst auf Pthor gesch ah, interessierte sie nicht. Und als sie beob achteten, daß einige Bewohner von Quost mit Quorks beladen ihre Häuser verließen, hielten sie sie nicht auf. Sconnos hatte ein neues Währungssystem angekündigt, so daß es ihnen unsinnig vorkam, daß einige Wohl habende ihre Schätze in Sicherheit zu brin gen versuchten. Stutzig wurden einige Män ner und Frauen, als sie beobachteten, daß ei nige dieser Reichen unter der Last ihrer Quorks fast zusammenbrachen, und daß sie sich bemühten, die Körbe mit den Schätzen abzuwerfen, was ihnen jedoch nicht gelang. Doch niemand kümmerte sich um die Ge quälten. Man machte Witze über sie und ließ sie ansonsten in Ruhe, obwohl einige richtig erkannten, daß die Quorks erheblichen Ein fluß auf ihre Herren nahmen. Doch bald ver lor sich dieser Einfluß wieder, und man ver gaß die Vorfälle, da man genügend mit dem Aufbau zu tun hatte. Tag für Tag strömten weitere Moondrager nach Quost, um sich hier anzusiedeln. Die Impulse, die von diesem Teil der Stadt aus gingen, strahlten über ganz Moondrag aus, und Staff ließ keine Gelegenheit aus, der Öf fentlichkeit zu verkünden, daß der Angriff auf den Tormeister und den Hauptzugang von Moondrag unmittelbar bevorstand. Zu gleich wuchs die Zahl der Männer, die bereit waren, die festungsähnliche Anlage am Haupttor anzugreifen. Estarr befragte alle, die die Befestigungen gesehen hatten, und bereitete einen Angriffs
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plan vor.
8. Als Estarr meinte, genügend Daten ge sammelt zu haben, ging er zu Sconnos, der in einem großen Raum im Zentralgebäude über Versorgungsplänen saß. »Es wird schwer, wenn nicht unmöglich werden, die Anlagen am Haupttor zu durch brechen«, erklärte er. »Der Tormeister hat sich gut auf unseren Angriff vorbereitet.« Er legte Sconnos eine Zeichnung der Toranlagen auf den Tisch. »Bauque, der Tormeister, hat eine Mauer aus den Trümmern der umliegenden Häuser errichten lassen, die wir nicht überwinden können. Das Eingangstor ist vielfach gesi chert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß je mand Moondrag gegen den Willen des Tor meisters betreten oder verlassen kann«, er läuterte Estarr. »Darüber hinaus wäre es we nig sinnvoll, Bauque belagern zu wollen, denn er hat alles, was er benötigt, und er kann Nachschub bestellen, wann immer er will. Damit aber nicht genug. Ihm steht auch wenigstens ein Zugor zur Verfügung, mit dem er uns angreifen kann.« »Wenn er das versucht, kommt er in den Bereich unserer Lähmstrahler, was auch nicht gerade vorteilhaft für ihn wäre«, be merkte Staff grinsend. »Wer Moondrag verlassen will, muß durch das Tor gehen«, sagte Sconnos nach denklich, »denn diese Stadt steht auf einem Hochplateau. Überall jenseits der Stadtmau ern fällt das Land nahezu senkrecht ab. Nur beim Stadttor führt ein Weg nach unten in die Wüste Fylln.« Staff betrat den Raum. »Unsere Streitmacht ist bereit«, berichtete er. »Wir haben etwa zehntausend Männer zusammen. Wenigstens viertausend brechen von hier aus auf, die anderen sechstausend stoßen während unseres Marsches zum Tor zu uns.« Sconnos erhob sich. »Dann wollen wir nicht länger warten«,
sagte er. »Wir greifen an.« Er war sich noch nicht darüber klar, wie er die Anlagen seines Feindes angreifen soll te, aber er vertraute darauf, daß ihm noch rechtzeitig etwas einfallen würde. Zumin dest wollte er seine Streitmacht aufmar schieren lassen, um Bauque deutlich zu zei gen, daß die Bevölkerung der ganzen Stadt gegen ihn war, und daß es schon aus diesem Grunde sinnlos war, die bisherige Position weiter zu verteidigen. Die Geschäfte, die Bauque bisher betrieben hatte, waren in Zu kunft unmöglich. Die drei Männer verließen den Raum und traten auf einen Balkon hinaus, der sich auf der Vorderseite des Hauses befand. Auf dem Platz vor dem Gebäude und in den Gassen hatten sich Tausende versammelt. Sconnos gab einem uniformierten Diener, der auf dem Balkon stand, ein Zeichen. Der Mann setzte ein Horn an die Lippen und blies das Signal, mit dem Sconnos den Beginn der letzten Schlacht um Moondrag anzeigte. Die dichtgedrängt stehenden Menschen brachen in einen frenetischen Jubel aus. Je der wußte, um was es ging, und alle warte ten darauf, daß das Tor zu den anderen Tei len von Pthor endlich aufgebrochen wurde. Sconnos ließ sich von Staff ein Schwert reichen. Er hob es über den Kopf, und aber mals jubelten die Massen. Danach rief er zu einem energischen Freiheitskampf um Moondrag auf und versprach, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um die Tyrannei des Tormeisters für alle Zeiten zu beenden. Eine Stunde später verabschiedete Scon nos sich vor dem Tor von Quost von Angy. Er stand an der Spitze eines gewaltigen Zu ges von nunmehr fast fünftausend Männern, von denen allerdings die wenigsten bewaff net waren. Doch das spielte eine untergeord nete Rolle. Die Zahl der Kämpfer war ent scheidend, und auf dem Weg zum Haupttor konnten sich viele von ihnen noch bewaff nen. »Wo ist der schwachsinnige Bruder von Bauque geblieben?« fragte Angy. »Ich möchte nicht, daß er mich belästigt, während
Das magische Erbe du fort bist.« »Er ist gut versorgt«, beruhigte Sconnos sie. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.« Er hob den Arm und gab damit das Zei chen zum Aufbruch. Dieses Mal brauchte er nicht zu singen, um Anhänger und Mit kämpfer zu gewinnen. Die Männer folgten ihm aus eigenem Antrieb heraus. Staff bot Sconnos ein Dadar als Reittier an, doch der Magier lehnte ab. »Ich gehe zu Fuß wie alle anderen auch«, sagte er. »Das wäre ein Fehler. Du bist der Anfüh rer. Deine Männer müssen dich sehen kön nen. Sie müssen wissen, daß du da bist, und wo sie dich finden, wenn sie dir etwas zu melden haben. Du mußt reiten. Außerdem brauchst du auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Bis zum Haupttor sind es kaum zwanzig Kilometer. Das ist ein Tagesmar sch. Jeder von uns wird das schaffen, ohne sich übermäßig anzustrengen.« Widerwillig schwang sich Sconnos auf den Rücken eines Dadars. Er war der einzi ge, der ritt. Die anderen Dadare hatten ledig lich Versorgungsgüter zu tragen. Die Männer um ihn herum jubelten ihm zu. Sie begrüßten es, daß er sich in so ein deutiger Weise herausstellte. Sconnos winkte Angy zu und ritt los. Die Kriegsschar folgte ihm. Schon als der Zug die Brücke über den Graben überquerte, schlossen sich ihm weitere Männer an, die aus den Ruinen der Umgebung kamen. Und so blieb es auf der ganzen Strecke bis hin zum Haupttor, das Sconnos mit seinen Män nern noch am gleichen Tage erreichte. Von allen Seiten kamen immer mehr Männer hin zu, die bereit waren, an dem Kampf teilzu nehmen. Aus den Trümmern holten sie viele Eisenstangen, Holzkeulen oder andere Din ge, die sie als Waffen benutzen konnten, bis kaum noch jemand unbewaffnet war. Sconnos sah das Haupttor schon von wei tem. Obwohl er auf seinen Anblick vorberei tet war, hielt er doch den Atem an. Der Wall, den Bauque, der Tormeister er
45 richtet hatte, war mehr als fünfzehn Meter hoch, und das Tor bestand aus massivem Stahl. Sconnos gab das Zeichen zum Halt. Gleichzeitig drehte er sich im Sattel um. Er schätzte die Zahl der Krieger, die ihm ge folgt war, auf mehr als zehntausend. Was aber nützte eine solche Anzahl von Men schen, wenn er keine Waffe hatte, mit der er die Mauer brechen konnte? Auf der Mauerkrone hatten sich etwa hun dert Krieger in metallisch blitzenden Unifor men postiert. Sie hielten Waggus in den Händen. »Wenn dir bis jetzt noch nichts eingefal len ist«, sagte Staff, »dann wird es Zeit, daß du einen Plan entwickelst.« »Wir bauen eine Rampe«, antwortete Sconnos. »Männer haben wir genug. Wenn jeder von ihnen nur zehn Steine aus den Rui nen holt und vor der Mauer aufschichtet, helfen Bauque alle Abwehrmaßnahmen nichts.« »Falls die Wachen unsere Männer nicht mit den Waggus lähmen, sobald sie sich der Mauer nähern«, gab Estarr zu bedenken. »Das werden sie nicht tun«, erwiderte der Magier. »Wir haben einige Skerzaals. Damit treiben wir sie zurück, und wir haben eben falls Waggus, mit denen wir sie lähmen kön nen. Es kommt nur darauf an, nahe genug an die Mauer zu kommen. Und da sind wir im Vorteil. Wir montieren die Waggus auf ein fache Karren, fahren diese dicht an die Mau er heran und lösen die Waffen mit einem Fa den aus der Ferne aus. Die Wächter aber können die Mauer nicht verlassen. Sie kön nen sich uns nicht nähern.« Staff nahm diesen Gedanken begeistert auf. In den Ruinen der Umgebung fand sich genügend Material für mehrere Fahrgestelle. Diese waren schnell zusammengebaut, und es war auch nicht schwierig, sie auf dem leicht abschüssigen Gelände in die Nähe der Mauer zu bugsieren, ohne selbst in die Reichweite der gegnerischen Waffen zu ge raten. Mit Hilfe langer Fäden löste Staff die Waggus aus, und er jubelte jedesmal laut
46 auf, wenn eine der Wachen auf der Mauer zusammenbrach. Erste Erfolge zeichneten sich ab. Die Angreifer schleppten Steine an die Mauer, um eine Rampe zu errichten. Sobald sich Verteidiger auf der Mauerkrone zeigten, schoß Staff sie ab, so daß es schon schien, als sei es leicht, die Festung Bauques zu stürmen. Doch dann stieg plötzlich ein Zugor hinter der Mauer auf, schwebte über die Mauer hinweg und griff an. Drei Männer, die mit der Schale flogen, kippten eine kochende Flüssigkeit auf die Angreifer. Dann schossen sie mit Skerzaals, wobei sie sich außerhalb der Reichweite der Waggus hielten. Auf die se Weise verschafften sie den Verteidigern eine Atempause, während derer weitere Männer die Mauerkrone erklimmen konn ten, um auch von hier aus das Feuer aufzu nehmen. Der Angriff der Zehntausend kam ins Stocken, weil es Sconnos nicht gelang, die überlegene Zahl seiner Krieger effektvoller zu nutzen. Sconnos eilte zu den Verletzten, um ihnen zu helfen. Ohne große Mühe befreite er sie von ihren Schmerzen und verschloß die Wunden. Als er danach zu Staff zurückkehrte, blickte dieser ihn kopfschüttelnd an. »Eines verstehe ich nicht«, sagte der Or xeyaner. »Warum versuchst du nicht, deine magischen Kräfte für den Angriff einzuset zen? Es muß doch möglich sein, mit ihrer Hilfe die Mauer zu brechen.« »Wie denn?« »Hast du nicht aus den Kolben der Sker zaals Bäume werden lassen?« »Das habe ich, aber in was könnte ich ei ne Mauer umwandeln oder ein stählernes Tor?« »Die Steine der Mauer sind aus Sand ent standen.« Sconnos blickte zur Mauer hinüber. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es ihm ge lingen würde, diese praktisch aufzulösen. »Ich könnte es immerhin versuchen«, sag
H. G. Francis te er zögernd. »Gut.« Staff atmete schnaufend, als habe er große Anstrengungen hinter sich. »Wenn es soweit ist, gebe ich das Zeichen zum An griff.« Er gab dem Hornisten den Befehl, ein Si gnal zu blasen, und während Sconnos sich auf den Boden setzte und den Kristall in die Hand nahm, hallte ein schauriger Ton über das Schlachtgelände. Die Verteidiger wuß ten mit diesem Signal nichts anzufangen, wohl aber die Angreifer. Sie schwärmten aus, so daß sie die Festung halbkreisförmig umspannten, und warteten auf den Moment, in dem ein Angriff günstig erschien. Sconnos kämpfte seine inneren Zweifel nieder. Er wußte, daß er nichts erreichen würde, wenn es ihm nicht gelang, sich wirk lich zu konzentrieren, und wenn er seine Un sicherheit nicht überwand. Mehrere Minuten vergingen, ohne daß et was geschah. Sconnos spürte, wie sich der Kristall in seiner Hand erwärmte. Er glaubte, den grünen Kern zu sehen, obwohl er die Augen geschlossen hielt. Dann warf er seine magischen Kräfte gegen die Mauer. Er woll te, daß aus den Steinen, die zum Teil in Zie geleien gefertigt, zum Teil aber auch in Jahr millionen von der Natur geschaffen worden waren, wieder Sand und Ton wurden. Er wollte, daß sich der Mörtel auflöste und zu Staub zerfiel. Plötzlich schrien die Wachen auf der Mauerkrone auf. Sconnos hob den Kopf. Er öffnete die Au gen. Er sah Staubwolken über der Mauer aufsteigen und seitlich aus ihr herausschie ßen. Die Wachen verloren den Boden unter den Füßen und stürzten in die Tiefe. Die Mauer brach zusammen. Sand und Staub schoben sich zu den Seiten hin weg. Staff jubelte, und der Hornbläser gab das Angriffssignal. Zehntausend Männer brüll ten begeistert auf und rannten auf die Fe stung zu. Sconnos saß wie betäubt auf dem Boden. Die Krieger stürmten an ihm vorbei. Sie schwangen ihre primitiven Waffen und
Das magische Erbe kämpften sich durch Sand und Steine voran. »Willst du hier bleiben?« schrie Staff. »Willst du deinen Triumph verpassen?« Er half Sconnos hoch und führte ihn zu seinem Dadar. »Los. Steige auf und reite in die Festung. Du bist der Anführer.« Der Magier spürte den Vorwurf, der sich in den Worten versteckte. Ihm wurde be wußt, daß er es nicht mit der Eroberung des Haupttors von Moondrag genug sein lassen wollte, sondern daß er nach einem Sieg über Bauque sogar den Kampf mit der FE STUNG ins Auge fassen würde. Das konnte er nicht tun, wenn er auf dem Boden hockte und zusah, wie andere kämpften. Er stieß einen schrillen Schrei aus, hieb dem Dadar die Hacken in die Seiten und trieb das Tier voran. Staub wirbelte unter den Füßen der Zehntausend auf und verdich tete sich zu einem Nebel, so daß Sconnos kaum zwanzig Meter weit sehen konnte. Es störte ihn nicht. Ein Rausch erfaßte ihn. Jetzt wollte er kämpfen. Er wollte mitten im Kampfgetümmel stehen, und er dachte nicht daran, daß er der einzige war, dem niemand helfen konnte, wenn er verletzt wurde. Das Dadar jagte über das umgekippte Stahltor hinweg in die Festung hinein, wäh rend die Masse seiner Krieger über den Sandwall eindrang. Ungefähr fünfhundert Krieger standen den Angreifern gegenüber. Unter ihnen be fanden sich Bauque, der Mann mit der auf fallenden Narbe auf der Stirn, und Senta, die gestürzte Herrscherin des Stadtteils Quost. Sconnos war früher, als Moondrag nach bessere Zeiten erlebt hatte, einige Male hier am Haupttor gewesen, doch jetzt erkannte er es kaum wieder. Fünf Lagerhäuser erhoben sich davor. Vor wenigen Stunden schien ein Transport angekommen zu sein. Zahllose Waren stapelten sich auf Zugors und auf Wagen. Die Umladearbeiten waren mitten im Angriff abgebrochen worden. Die Dellos, die den Transport begleitet hatten, rannten in heilloser Flucht durch das offene Haupttor hinaus. Ihnen schloß sich ein Teil der Ver
47 teidiger der Anlage an, da diese erkannt hat ten, daß sie einer allzu großen Übermacht gegenüberstanden. »Kämpft sie nieder«, schrie Sconnos. »Tötet sie, wenn sie sich wehren!« Erschrocken hielt er inne. Was war in ihn gefahren? Er war nie ein gewalttätiger Mensch ge wesen. Immer hatte er den gewaltlosen Weg gesucht. Jetzt aber forderte er seine Männer gar zum Töten auf. Hatten seine neuen Fähigkeiten ihn verän dert? Es schien so. Seine anfeuernden Rufe zeigten Wirkung. Die Angreifer stürzten sich auf die Män ner Bauques und schlugen mit allem auf sie ein, was ihnen als Waffe diente. Die seit Jahren aufgestaute Wut gegen diejenigen, die alle Versorgungsgüter für sich beanspruchten, um damit Geschäfte zu machen, entlud sich. Die Übermacht erstick te den Kampf der Verteidiger, so daß schon nach wenigen Minuten klar zu erkennen war, wer die Schlacht gewinnen würde. Sconnos saß auf seinem Dadar und schrie Befehle. Keiner der Männer von Bauques Horde sollte ihm entkommen. Bauque! Du hast ihn völlig vergessen! warf er sich vor, während er sich wild nach dem Mann mit der Narbe auf der Stirn umsah. Er erin nerte sich wieder daran, daß dieser Mann mit seinen Kriegern Staffs Burg überfallen und ausgeplündert hatte, nur weil ihm dort ein Konkurrent erwachsen war. Und er sah die Zerstörungen wieder vor sich, die Bau ques Männer in der Burg angerichtet hatten. Er dachte an Angy, die beinahe ein Opfer dieses Mannes geworden war, und an die vielen Verletzten, die nur durch Magie ge rettet worden waren. Bauque durfte ihm nicht entkommen, ebensowenig wie Senta. Sconnos trieb sein Dadar an. Er hielt eine Waggu in den Händen, und er war entschlossen, die beiden Hauptübeltä ter von Moondrag damit zu lähmen. Er woll
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te sie lebend in die Hände bekommen, um ten sie ihm entkommen. Sconnos wollte sie sie vor Gericht stellen zu lassen. auf jeden Fall vorher abfangen. Bauque und Senta hatten schwere Strafen Er hob seine Waggu, zielte sorgfältig über verdient. Sie waren schuld an dem Hunger den Kopf seines Dadars hinweg und löste tod von zahllosen Menschen. Sie durften die Waffe aus, als er glaubte, Bauque und nicht entkommen und anderswo mit neuen Senta im Visier zu haben. Als Schütze war Untaten ein zweites Reich aufbauen. er jedoch viel zu ungeübt, um unter solch Du willst Herrscher über ganz Pthor wer schwierigen Umständen sicher schießen zu den, dachte Sconnos, während er mitten können. Die lähmenden Strahlen trafen die durch die kämpfende Menge ritt. Wenn du es Hinterbeine des Dadars. Das Reittier brach wirklich willst, dann sorge für Ordnung und zusammen und rutschte laut schreiend über lege denen das Handwerk, die dir immer die Felskante hinweg. wieder Schwierigkeiten machen werden. Bauque und Senta versuchten, im letzten Plötzlich tauchte Estarr vor ihm auf. Der Augenblick noch abzuspringen und sich zu Freund blutete aus mehreren Wunden, lachte retten, doch das gelang ihnen nicht mehr. jedoch, als sei alles in bester Ordnung. Tri Sie stürzten mit dem Dadar in die Tiefe. umphierend streckte er sein Schwert in die Sconnos war so erschrocken, daß es ihm Höhe. erst unmittelbar vor dem Abgrund gelang, »Wir haben gewonnen, Sconnos. Die sein Reittier zu zügeln. Er blickte über die Schlacht ist geschlagen, und wir sind die Felskante hinweg und sah Bauque und seine Sieger«, brüllte er. Komplizin weit unter sich zwischen die Stei »Wo ist Bauque?« fragte der Magier. »Ich ne fallen. muß wissen, wo Bauque ist.« Erschüttert wandte er sich ab. Estarr ließ nachdenklich das Schwert sin Das hatte er nicht gewollt. ken. Dann fuhr er herum und blickte zum Er fühlte sich schuldig am Tod der bei Haupttor. den. »Ich habe ihn in der Nähe des Tores gese »Was ist los mit dir?« fragte Staff, als er hen«, antwortete er. wenig später zu ihm kam. »Du siehst aus Sconnos dankte ihm und hieb seinem Dawie drei Tage Regenwetter. Dabei haben wir dar die Hacken in die Weichen. Das Tier den Kampf gewonnen. Moondrag ist frei. stürmte voran. Fast gleichzeitig rannte ein Die Stadt ist in unserer Hand, und das be anderes Dadar hinter einem der Lagerhäuser deutet, daß sie wieder eine Zukunft hat.« hervor. Auf ihm saßen Bauque und Senta. Sconnos deutete stumm auf den Abgrund. Sie flüchteten in Richtung Haupttor. Staff ging an ihm vorbei und blickte nach »Bauque«, brüllte Sconnos. unten. Gleichmütig zuckte er mit den Schul Er erwartete, daß der Mann mit der Narbe tern, als er die Toten sah. sein Dadar zügeln würde, um sich ihm zu »Sie haben ihre gerechte Strafe erhalten«, stellen, doch er irrte sich. Bauque blickte nur sagte er. »Es waren Mörder, die ein solches flüchtig zu ihm herüber und trieb sein Reit Ende verdient haben. Es wäre nicht richtig, tier gleichzeitig mit wütenden Hieben an. um sie zu trauern. Denke lieber an die vie Senta schrie entsetzt auf, als sie ihn bemerk len, die sie auf dem Gewissen haben.« te. Sie nestelte an ihrem Gürtel herum, wo »Wahrscheinlich hast du recht«, erwiderte sie eine Waggu trug. Sconnos, aber die Worte des Freundes hal Sconnos jagte hinter den Fliehenden her fen ihm nur wenig. durch das Haupttor. Gleich dahinter bog der Weg scharf nach rechts ab und führte steil in die Tiefe. Sobald Bauque und Senta hinter der Wegbiegung verschwunden waren, muß
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Weiter geht es in Atlan Band 498 von König von Atlantis mit: Das Parraxynt
von H. G. Francis