Arno Zoller Das Schicksal der »Veränderten« Rex Corda Band Nr. 20 Version 1.0 Das Schicksal der »Veränderten« Das Bollwe...
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Arno Zoller Das Schicksal der »Veränderten« Rex Corda Band Nr. 20 Version 1.0 Das Schicksal der »Veränderten« Das Bollwerk Teckan ist geschlagen. Das tollkühne Unternehmen der Männer der Erde war von Erfolg gekrönt. Rex Corda ist es gelungen, 36 geniale Wissenschaftler von Teckan zu befreien. Die Erde darf wieder Hoffnung schöpfen. Jetzt hat sie die Chance, um die sie verbissen gekämpft hat. Doch Rex Corda weiß, daß Lakton zurückschlagen wird. Noch weiß Lakton nicht, wohin die Wissenschaftler fliehen. Aber das kann kein Geheimnis bleiben. Es gibt zu viele Spuren, die zur Erde führen. Rex Corda flieht! Er will auf der Erde sein, bevor die Laktonen zurückschlagen. Doch es gibt einen Riegel aus mächtigen Raumschiffen in der Galaxis. Die Orathonen liegen auf der Lauer. Und plötzlich sieht sich Rex Corda wieder zwischen den Fronten im Kampf der beiden Giganten Lakton und Orathon. Plötzlich zerbröckelt die Hoffnung. Zerschmettert der Konterschlag der Laktonen das kleine Wachboot – die COROCON III? Die Katastrophe scheint unabwendbar. Auch die Genies von Teckan können nichts mehr tun. Doch da geschieht etwas, mit dem niemand mehr gerechnet hat. Auch die schöne Laktonin nicht, die den Auftrag hat, das Todesurteil über Rex Corda zu sprechen. Während Rex Corda plötzlich einem unerklärlichen Geschehen gegenübersteht, muß sich Ierra Kretan, die Laktonin, entscheiden. Ein Knopfdruck genügt, um Rex Corda zum Tode zu verurteilen… Die wichtigsten Personen Rex Corda : Laktons Wissenschaftler hoffen auf ihn Latak Decimo : ein laktonischer Synoptiker Ierra Kretan : eine unberechenbare Mathematikerin Tykanta : das grauenhafte Rätsel auf Swamp Ron Carlotte : ein Zwerg, aber mit Riesenkräften *** Es durfte nicht sein! Fünfunddreißig Spitzenwissenschaftler waren es, fünfunddreißig Genies, die von Teckan geflohen
waren, und immer noch hatte man sie nicht gefunden.
Hark Axthon ballte wütend die Fäuste. Er war seinen Vorgesetzten gegenüber dafür verantwortlich,
daß die Wissenschaftler wieder zurückgebracht wurden. Und es gab nur eine Alternative. Den Tod.
Die Wissenschaftler mußten über einen Transmitter entflohen sein, aber ein Transmitter besaß nur
eine Reichweite von zwei Lichtjahren. Es hatte eine ungeheure Menge von Schiffen gekostet, um
diesen Raumsektor außerhalb des TeckanSystems abzusuchen, aber die Suche war ohne Erfolg
geblieben.
War es möglich, daß ein Zwischenfeld eingeschaltet worden war? Dann konnte sich die
Transmitterstation außerhalb einer Zone von zwei Lichtjahren befinden.
Und in diesem Fall trat automatisch die Alternative in Kraft. Die Wissenschaftler mußten sterben.
Es galt als sicher, daß kleine Patrouillen der Orathonen im Hyperraum einen Sperrgürtel gebildet
hatten.
Wenn die Wissenschaftler den Orathonen in die Hände fallen würden, gäbe es eine Katastrophe.
Sie mußten vernichtet werden!
*
Tellek Perco hieb die Kommunikationstaste herunter. Es war unmöglich. Es durfte einfach nicht sein.
Bis vor wenigen Sekunden hatte der Laktone entspannt und fast teilnahmslos vor den Hyper
Ortungsgeräten gesessen.
Das Kontrollschiff befand sich im Hyperraum, fast vier Lichtjahre von Teckan entfernt.
Sofort war alle Müdigkeit schlagartig von Perco abgefallen. Hier geschah etwas, das allen
Bestimmungen zuwiderlief. Der Kurs des georteten Objektes ließ sich in keine Sonderregelung
einordnen. Es handelte sich um ein Wachboot. Mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit schoß es durch
den Hyperraum, direkt in die Richtung, wo man eine kleine Flotte der Orathonen vermutete.
Die Funkzentrale des PithonRaumers antwortete sofort auf Percos Anfrage. Das Wachboot war
nachweislich laktonischer Bauart.
Aber was bewies das schon?
Tellek Perco besaß Sondervollmachten. Er ließ sich sofort mit der Funkzentrale konform schalten. Der
Coderuf ging über UltraFrequenz ins All.
»Wer seid ihr?«
Tellek Perco bleckte die rötlichen Zähne. Die Flügel seiner scharfgeschnittenen Nase bebten, als er
wieder und wieder die Frage hervorstieß. Sein fast lippenloser Mund war zu einem eisigen Strich
verkniffen, während er auf Antwort wartete.
Höchste Dringlichkeitsstufe. Und dennoch kam keine sofortige Antwort.
Es gab nur einen Schluß. Das geortete Wachboot war auf der Flucht.
Der Detailschirm des Holografen enthüllte nur die Konturen des fliehenden Objektes.
Fieberhaft glitten die Hände des Beobachters über die Kontrollen. Perco überflog die aufflammenden
Farbskalen mit einem Blick. Er nickte befriedigt vor sich hin.
Hauptalarm!
Signale schrillten in den Gängen, in den Zentralen und Mannschaftsräumen des PithonRaumers. Sofort
wurde der kilometergroße Schlachtgigant von wirbelndem Leben erfüllt.
Grün, rot, orange, violett: Waffenleitzentrale, Navigationszentrum, Funkzentrale,
Schirmfeldgeneratoren waren zu höchster Aktivität erwacht.
Jetzt erst betätigte Tellek Perco den Hauptschalter.
»Perco?«
Das breite Gesicht Muntt Tryvvans blickte, auf ihn herab. Der Holograf ließ die brennenden dunklen
Augen des Kommandanten doppelt so groß erscheinen.
Tellek Perco straffte sich zu einer Erklärung. Der Kommandant winkte ab.
»Ich habe mitgehört. Keine Erklärungen. Ich weiß Bescheid. Sie kommen sofort zur Zentrale.«
Perco sprang von seinem Schalensitz auf. Ein anderer Laktone nahm seinen Platz ein. Der Offizier war
bereits mit der Übernahme der Kontrollen beschäftigt, als Perco aus dem Raum hetzte. Er warf sich in
einen Gravoschacht, wurde von Leitfeldern in einen Gang geschleudert, wo ihn ein Gravoband übernahm.
Augenblicke später stand Tellek Perco neben dem Kommandanten des PithonSchlachtschiffes. Sein
militärischer Gruß fand keine Beachtung.
Eine abgehackte Stimme erfüllte den Raum.
»Meldung COROCON III. Meldung COROCON III. Sondereinsatz nach Plan 17 E 81. Entschlüsselung
erfolgt über…«
Endlose Zahlenkolonnen folgten. Sofort trat der gleichgeschaltete Hauptcomputer in Aktion.
PithonKommandant Muntt Tryvvan gab den etwas verdutzten Blick des ChefBeobachters Perco
gleichmütig zurück. Die Computer würden das Ergebnis in wenigen Sekunden durchgeben. Dann würde
das Schicksal des Flugobjektes COROCON III feststehen.
*
»Wir haben sie schon einmal täuschen können«, sagte Rex Corda. »Aber jetzt werden wir unsere
Verfolger nicht wieder bluffen.«
Latak Decimo wandte sich von seinen Kontrollen ab. Ein ernster Blick des Synoptikers traf den
Terraner.
»Ja, Corda, unsere Chancen sind sehr gering.«
Zusammen mit Fan Kar Kont, der neben Latak Decimo an den Kontrollen saß, blickten sie auf den
Holografen.
Aus der Staffel der Hyperraumpatrouille hinter ihnen löste sich ein Raumer. Langsam schwang der
Gigant herum.
Jeder der drei Männer in der Kommandozentrale des Wachbootes COROCON III wußte, daß diese
Langsamkeit nur scheinbar war. Die Täuschung verursachte die ungeheure Masse des Super
Schlachtschiffes. Der Raumer bewegte sich mit doppelter Geschwindigkeit durch den Hyperraum. Er
würde nur wenige Minuten brauchen, um das verhältnismäßig kleine Wachboot einzuholen. Eine Atmosphäre konzentrierter Spannung schien die Luft in der Kommandozentrale zum Ersticken zu erhitzen. Auch das war eine Täuschung. Die Kühlaggregate arbeiteten fehlerfrei und normal. »Noch kein Hauptalarm«, knurrte nun Fan Kar Kont. Ein Schatten lief über die helldunklen Streifen auf dem Gesicht des FarGeborenen. »Lassen wir uns nicht täuschen. Jede Sekunde können die Computer hinter den Schwindel kommen!« Rex Corda hob fragend die dunklen Augenbrauen. »Unsere Zahlenkombinationen«, erklärte Latak Decimo, »haben dem Computer einige Schwierigkeiten bereitet. Es gibt einen Sondereinsatz nach Plan 17 E 81, aber die Entschlüsselung ist irreführend.« »Wenn wir Glück haben«, ergänzte Fan Kar Kont, »brennt denen die Hauptpositronik durch!« Er hob selbstbewußt das energische Kinn. »Sie wissen noch nicht, wer hier an Bord der COROCON III ist. Sie werden es bald merken!« Corda starrte auf den Holografen. Aus der unendlichen Anzahl von Punkten hatte sich die dunkle Silhouette des PithonRaumers gelöst. Der Terraner kniff die Augen zusammen, als der Gigant einen mächtigen Sprung nach vorn tat. Innerhalb von Sekunden war er ein riesiges Stück im Hyperraum aufgerückt. In einer Entfernung von mehreren Lichtminuten schien er wieder unbeweglich zu verharren. Und dann dröhnte eine harte Stimme durch die Kommandozentrale. Der elektronische Verstärker auf der Brust Cordas übersetzte simultan. »An COROCON III. An COROCON III. Sofort umkehren. Sofort umkehren!« Die Stimme klang aufgeregt und zitterte vor Wut. Die gestreifte Oberlippe Fan Kar Konts verzog sich. »Unser Plan scheint teilweise zu gelingen.« Rex Corda ballte die Fäuste. Er kam sich zwischen diesen laktonischen Spitzenwissenschaftlern verdammt nutzlos vor. Und doch brauchten sie ihn, sie brauchten ihn und die Erde. Die Spitzenkräfte der laktonischen Wissenschaft hatten sich entschlossen, dem Joch der Politiker und Militärs zu entfliehen. Sie wollten nicht in einem goldenen Käfig leben. Die Erde war ihr Ziel. Und jetzt gab es keine Alternative mehr für sie. Die Erde oder der Tod. »Es ist nutzlos«, kam eine dunkle Stimme von der Rückseite des Raumes. Zwischen den mächtigen Kästen der Computerbänke und automatischen Steuerungsanlagen trat eine schlanke Gestalt hervor. Die Augen von Ierra Kretan blickten kühl. Überrascht fragte sich Rex Corda, wie lange die laktonische Mathematikerin unbemerkt zwischen den Computern gestanden haben mochte. Oder war sie eben erst erschienen? »Ihr könnt nicht alle Positroniken kurzschließen. Das ist mathematisch unmöglich. Die Gegenprogrammierung muß vor…«, sie bewegte einen Augenblick stumm die Lippen, »… muß vor drei Sekunden erfolgt sein. Ich…« »Völlig klar«, unterbrach sie Kont. Der Chefwissenschaftler blickte die Frau mit einer Mischung aus Nachsicht und Spott an. »Manchmal frage ich mich wirklich, warum du dich uns überhaupt angeschlossen hast.« Die mandelförmigen Augen der Frau senkten sich. Ihr goldbrauner Teint wurde dunkel. Plötzlich stieß sie ihre Hand anklagend gegen Rex Corda. Das schöne Gesicht mit den enganliegenden kurzen Haaren wurde zu einer starren Maske. Rötliche Zähne blitzten. »Ihr habt euer Schicksal in die Hände eines Wilden gelegt, eines unzivilisierten Barbaren!« Die Schritte der Frau knallten auf den Kunststoffboden der Zentrale, als sie den Raum verließ. An der kleinen Öffnung stieß sie mit dem Biochemiker Hent Marat zusammen. Die füllige Gestalt Marats quetschte sich zur Seite, um die aufgeregte Frau durchzulassen. Dann trat er näher. Die Schritte der Laktonin verklangen. »Unsere Kleine ist wieder mal nervös geworden, was?« erkundigte sich der Biochemiker trocken. »Was machen unsere militärischen Beschützer?« Das Aufblitzen auf dem Holografen enthob die anderen einer Antwort. Marat schüttelte mißbilligend den breiten Kopf. Das lange weiße Haar flatterte.
»Das zeugt von schlechter Erziehung«, murmelte er.
Ein SchemaSchirm enthüllte die Bahn der Raumgranate. Sie würde auf einen imaginären Punkt
auftreffen. Da, wo sich die COROCON III in wenigen Sekunden befinden mußte.
*
Tellek Perco bewunderte die Beherrschung des Kommandanten. Tryvvan hatte keine Miene verzogen,
als ihm der Cheftechniker die Nachricht überbrachte.
Das große Positronengehirn befand sich in einem Zustand, den man nur mit dem Wort Verwirrung
bezeichnen konnte.
Kommandant Muntt Tryvvan reagierte sofort. Ein scharfer Befehl ging an die Waffenleitzentrale.
Sekunden später raste ein schlanker Torpedo in den Hyperraum hinaus.
Perco war fassungslos. Als Vertrauter des Kommandanten konnte er es sich leisten, seine Gefühle zu
zeigen.
»Aber Kommandant«, stammelte er, »warum…?«
»Sie werden ihre Strafe erhalten«, knurrte Tryvvan. »Alle. Wenn es nötig sein wird, werden sie
vernichtet. Sie haben einen Schaden von Millionen Kredits angerichtet. Das ist Sabotage. Das ist
Verrat. Aber sie sind zu kostbar, um getötet zu werden.«
»Wissen Sie denn, wer an Bord ist, Kommandant?« Muntt Tryvvan nickte.
»Es gibt nur einen Schluß. Sie sollten in der Lage sein, ihn selbst zu ziehen, Perco!«
Tellek Perco hatte verstanden.
»Die entflohenen Wissenschaftler!«
Der Kommandant beachtete ihn nicht. Sein Blick klebte an der Bahn der Granate, die ihren jagenden
Kurs verfolgte. Dann kamen hart und klar seine Befehle.
Sechs Raumkreuzer und Dutzende von Linienschiffen glitten in den Hyperraum über. Mit dem Pithon
Raumer Tryvvans an der Spitze jagten sie durch das fünfdimensionale Zwischenkontinuum.
Die Hauptpositronik des PithonRaumers arbeitete nicht mehr. Der unlösbare Code der fliehenden
Wissenschaftler hatte die empfindlichen Gedankenbahnen des Gehirns in ein Chaos gestürzt.
Elektronische ErsatzComputer waren sofort in Aktion getreten, aber sie konnten die Anlagen nur
teilweise bedienen. Wachrobots fielen aus, Ergbänder funktionierten nicht mehr, die
Holografenadjustierung mußte manuell erfolgen. Doch es dauerte nur Augenblicke, bis eine
Kopplungsschaltung zum nächsten Schlachtschiff hergestellt worden war. Unterdessen machten sich
die Robotpsychologen und Techniker an die schwierige Aufgabe, die teuflische Fragestellung
aufzulösen. Man hatte bisher eine Verwirrung des positronischen Gehirns für undenkbar gehalten.
Undenkbar, aber sie war der letzte Beweis, daß sich ein Team von genialen Wissenschaftlern auf dem
fliehenden Wachboot befinden mußte.
Muntt Tryvvan keuchte. Sein Untergebener vergaß alle militärischen Vorschriften, als er den
Kommandanten erregt bei der Schulter packte.
Der Ortung konnte kein Fehler unterlaufen sein. Jetzt mußten sie handeln. Ehe es zu spät war.
Vor ihnen stand eine Flotte der Orathonen, ihrer ärgsten Feinde. Man hatte sie in diesem Sektor
vermutet, mit ihrem raschen Auftauchen jedoch nicht gerechnet.
Und das Wachschiff mit den entflohenen Wissenschaftlern schoß direkt darauf zu!
*
Die COROCON III raste mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit durch das Grau des Hyperraums.
Hinter ihnen war die Hölle los. Der Schwarm der Verfolger vergrößerte sich mit jeder Sekunde. Die
titanischen SuperKreuzer wurden von Schwärmen von kleineren Linienschiffen begleitet. Sie rückten
unaufhaltsam näher.
Die größte Drohung aber war schon heran. Rex Cordas Blicke saugten sich förmlich auf dem Holografen
fest, der ein dreidimensionales Bild des tödlichen Verfolgers gab. Von der vorbeirasenden schlanken
Granate ging eine ungeheure Drohung aus.
»Sie werden unsere Bruchstücke auflesen wie Flöhe vom Rücken eines CaddisHundes«, bemerkte Hent
Marat. Er schob seinen wuchtigen Körper näher an den Holografen heran.
Erregt wandte sich Rex Corda an Decimo.
»Können wir nichts dagegen tun?«
Der Synoptiker schüttelte den Kopf, ohne seinen Blick von den Kontrollen zu nehmen.
»So gut wie nichts!«
Fan Kar Konts Hände glitten über die Kontrollen.
Auf dem Holografen blitzte eine Sonne auf, die sich dem Projektil näherte. Die Granate schien in eine
ruckende Bewegung zu verfallen und – verlangsamte ihre Fahrt.
Rex Corda las keine Enttäuschung in dem Blick des Chefwissenschaftlers, als die Abwehrgranate der
COROCON III wirkungslos verpuffte. Unbeirrt zog das feindliche Projektil durch die leuchtenden
Gasmoleküle der Explosion. Und dann änderte es seinen Kurs und näherte sich der COROCON III in
einem spitzen Winkel.
Die blauen Augen des Terraners schossen Blitze. Sie durchdrangen die Gestalten der Laktonen, die
ruhig und scheinbar ergeben in ihr Schicksal in ihren Schalensesseln saßen.
Für einen Moment nahm er ihr Gefühl wahr. Die außerordentliche Fähigkeit des terranischen
Präsidenten ließ ihn Stimmungen und Empfindungen der Laktonen wahrnehmen.
Gab es noch eine Hoffnung?
Neben sich vernahm Rex Corda das stoßweise Atmen Hent Marats. Dem Biochemiker schien aller
Humor vergangen zu sein. Und dennoch bestand ein elementarer Unterschied seiner Gefühle zu den
beiden genialen Gehirnen vor den Kontrollen…
Rex Corda registrierte, daß sich die Bahn des Schiffes nicht mehr wesentlich verändern ließ. Und
dennoch versuchte es der Synoptiker. Latak Decimo stand unter einer ungeheuren Anspannung. Aber
sein Geist war kühl, klar…
Zu kühl, dachte Corda. Er mußte sich zusammenreißen, um seine Fragen nicht hinauszuschreien.
»Warum treten wir nicht aus dem Hyperraum heraus?«
Es war die gleiche Frage, die Hent Marat hatte stellen wollen, aber etwas hinderte den Biochemiker
daran, sie auszusprechen.
Ein herber, jedoch nicht unangenehmer Geruch hing im Raum. Die Laktonen waren sehr erregt. Ihre
Körper sonderten den eigenartigen Geruch ab, den Corda schon öfter bemerkt hatte.
Träge tickten die Sekunden vorüber. Seine Gedanken rasten. Noch immer hatte keiner geantwortet.
Wenn der Kurs so bleibt, dachte Corda, würde die Granate in ungefähr zehn Sekunden treffen.
Ausweichmanöver waren einkalkuliert.
Zehn!
Latak Decimo schwang herum. Seine Stimme klang gequält. Er stand unter einer ungeheuren
psychischen Anspannung, deren Ursache Corda nicht erkennen konnte.
»Corda, wir können nicht.«
Neun! Acht!
»Die Steuercomputer sind blockiert. Die Umschaltung klappt nicht.«
Sieben! Sechs! Fünf!
»Wir kommen nicht aus dem Hyperraum heraus!«
Vier! Drei! Zwei! Eins! Null! dachte Corda.
Einen Augenblick schien ein verzweifeltes Manöver Latak Decimo einen Ausbruch zu ermöglichen. Doch
blitzschnell, gedankenschnell schoß die Granate mit dem positronischen Spürkopf herüber. Ein
leuchtender Bogen spannte sich, glitzerte hell auf.
Das All schien zu erglühen. Eine feurige Sonne entstand vor den Augen der Männer. Kaskaden von Licht
schossen über den Bildschirm. Die Front des Holografen selbst schien aufzuflammen, so unerträglich
war die gleißende Helle.
Die COROCON III schüttelte sich wie ein Tier. Rex Corda und Hent Marat warfen sich keuchend zu
Boden, als eine wellenförmige Erschütterung durch die Kommandozentrale lief. Eine Verstrebung löste
sich und schoß pfeifend in den Raum. Dröhnend schlug sie gegen die gegenüberliegende Wand.
Etwas rammte sich auf Corda, preßte ihm die Luft aus den Lungen und jagte Wellen des Schmerzes
über seinen Körper. Etwas Weiches schlug auf seinen Kopf, aber es hatte die Schwere eines
Vorschlaghammers.
Das letzte, was Rex Corda vernahm, war ein heiseres Stöhnen. Er wußte nicht, daß es von seinen
eigenen Lippen kam.
*
Erst aus einer Entfernung von wenigen Kilometern konnte man erkennen, daß es in einem bestimmten
Abschnitt außerhalb des Systems nicht ganz in Ordnung war. Dabei war es gleichgültig, ob es sich um
menschliche oder laktonische Augen handelte oder um die Laserstrahlen eines Holografen. Die
ablenkenden Felder waren mathematisch nahezu vollkommen aufgebaut.
Seit mehreren Tagen galaktischer Zentralzeit schwebte eine Anzahl von Hantelraumern der Alakin
Klasse im Hyperraum. Bewegungslos in Relation zu dem sechs Parsec entfernten TeckanSystem. Es
bestand nur eine geringe Chance der Entdeckung. Sie waren ein Stäubchen in der Unendlichkeit des
fünfdimensionalen Raumes.
Sie waren wachsam. Jede Bewegung größeren Ausmaßes wurde von ihnen registriert. Nichts blieb ihnen
verborgen.
Die kleine Flotte der Orathonen hatte Zeit. Sie konnten warten. Aber wenn etwas geschah, dann
würden sie zuschlagen. Gnadenlos!
Auf allen Schiffen der Orathonen schrillten die Alarmsignale, als die Bewegung registriert wurde. Es
mußte etwas geschehen sein, das selbst den Laktonen eine unerwartete Überraschung bereitet haben
mußte. Anders ließ sich der regellose Haufen von Raumern nicht erklären.
Die Bewegung kam direkt auf sie zu!
Sieben Hantelraumer richteten ihre silbrigen Kugeln gegen den zu erwartenden Feind aus.
Diskusraumer fluteten wie ein Schwarm Hornissen aus den rotbeschrifteten Wölbungen.
Die kleine Flotte der Orathonen formierte sich zu einem Kessel, zu einem Schlauch, an dessen Ende
das Verderben auf die Ankommenden wartete.
Erst jetzt machte man das lächerlich kleine Objekt aus, das an der Spitze heranschoß.
Computer errechneten, daß es sich um eine Vorhut handeln konnte. Man kannte die Taktik der
Laktonen. Dies hier war keine einheitliche Formation. Es war einfach unmöglich, daß ein winziges
Wachschiff eine Flotte von PithonRaumern anführte.
Flucht!
Das kleine Wachboot machte verzweifelte Bemühungen, seinen wesentlich stärkeren und schnelleren
Verfolgern zu entkommen. Die Anzahl der Verfolger ließ darauf schließen, daß der Inhalt oder die
Besatzung des Wachbootes einen ungeheuren Wert für die Laktonen darstellen mußte.
Langsam schoben sich die Hantelraumer vorwärts, umgeben von den wirbelnden Kreisen der
Diskusschiffe.
Die Orathonen hatten Zeit, unendlich viel Zeit. Aber sie wußten auch, wann ihre Stunde gekommen war.
In den Waffenleitzentralen arbeiteten die Kursprogrammierer.
Sie waren bereit.
*
Die Stimme Muntt Tryvvans war laut und hoch. Die Überheblichkeit war völlig von dem Kommandanten
abgefallen. Er hatte Perco zur Seite geschoben wie einen lästigen Gegenstand.
Die Flotte der Orathonen breitete sich zu einem Fächer aus.
Etwas von der Verkrampfung verschwand aus Muntt Tryvvans Zügen, als die Entscheidung des
Oberkommandos eintraf. Gleichzeitig registrierte er erleichtert, daß die Hauptpositronik wieder
arbeitete.
Es war Hark Axthon persönlich, der den Spruch durchgab. Es war ein Todesurteil für das kleine
Wachschiff.
Muntt Tryvvan bestätigte den Spruch und stellte die Verbindung zu der Waffenleitzentrale her.
Die Flüchtlinge mußten vernichtet werden. Sie konnten nicht mehr lebend gefangen werden. Jetzt galt
die tödliche Order.
Die entkommenen Wissenschaftler durften den Orathonen nicht in die Hände fallen. Der Schaden
würde unabsehbar sein.
Die COROCON III mußte vernichtet werden!
Der Kommandant hätte fast aufgelacht, als die reichlich verspätete Nachricht von der Hauptpositronik
kam. Jetzt erst wurde bestätigt, daß ein Wachboot COROCON III im Raum Teckan unbekannt war.
Das war überholt. Wütend riß Muntt Tryvvan eine Taste herunter, die seine Bestätigung ausdrückte.
Im gleichen Augenblick erbebte der Raumgigant unter dem Abschuß von Hunderten von Raumtorpedos.
Aber nur wenige waren auf das kleine Ziel des Wachbootes gerichtet. Die zylindrischen, über sechs
Meter langen Projektile rasten auf die Millionen Kilometer entfernten Schiffe der Featherheads zu.
Die Vernichtung der Flüchtlinge würde nebenbei erfolgen. Wenige gezielte Granaten würden genügen,
die schwachen Schutzschirme zu durchbrechen.
Für die COROCON III würde es keine Chance geben.
*
Die Stimmfetzen brachten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.
Stimmen?
Rex Corda fuhr auf und stieß gegen etwas Weiches. Erstaunt öffnete er die Augen. Aber die
Wirklichkeit war noch nicht klar zu erkennen. Ein kräftiger Druck auf beide Arme brachte ihn wieder
vollkommen zur Besinnung.
Er drehte sich um, und der Druck verschwand. Ierra Kretan ließ die Arme sinken. Dann brachte sie ihre
grüne Kombination wieder in Ordnung. Nicht nur Rex Corda blickte verständnislos. Auch die
Mathematikerin schien verlegen zu sein.
»Sie sind fast als letzter aufgewacht«, stellte sie fest. Ihre dunklen Mandelaugen hefteten sich einen
Moment lang interessiert auf Corda, dann irrten sie ab.
Fast die ganze Besatzung der COROCON III schien in der Kommandozentrale versammelt zu sein.
Sogar John Haick grinste zu Corda hinüber, der automatisch die Lippen verzog.
»Das eben war eine freundliche Warnung«, bemerkte Hent Marat ruhig. »Übrigens eine nette Geste,
daß die Granate hundert Meter vor uns gezündet wurde. Entschuldigen Sie, Corda, aber Sie scheinen
meinem Körpergewicht nicht ganz gewachsen zu sein!«
Rex Corda nickte mechanisch. Dann preßte er seine Lippen zu einem schmalen Spalt zusammen. Er
glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Hatte sich das Schiff gedreht? Die Computer arbeiteten
wieder. Die COROCON III hatte den Hyperraum verlassen!
Erregte Ausrufe gellten durch den Kommandoraum. Die Wissenschaftler drängten sich näher an den
Holografen. In dem Durcheinander sah Corda das zornige Gesicht Fan Kar Konts, der sich auf seinem
Schalensessel herumgedreht hatte. Sofort begriff Corda. Die Wissenschaftler machten mit ihren
erregten Fragen und Ausrufen jede normale Reaktion der beiden Piloten unmöglich.
»Zurück!« schrie Rex Corda. »Gehen Sie in Ihre Kabinen. Jeder, der hier nichts zu suchen hat…«
Plötzlich befand sich Corda mitten unter den Laktonen. Die Wissenschaftler waren völlig verstört. Eine
Panik drohte auszubrechen.
Auf dem Holografen, der den Raumabschnitt vor ihnen zeigte, war eine Vielzahl sich bewegender
Punkte erschienen.
Raumschiffe. Und sie schossen direkt auf sie zu!
Laktonen? Nein, es waren Hantelraumer. Und sie mußten sich ihnen in wenigen Sekunden genähert
haben. Es waren Orathonen, die gefürchteten Featherheads!
Rex Corda riß die Laktonen einzeln zurück. Neben sich sah er Ierra Kretan. Die Frau hatte ebenfalls
die Nerven behalten. Auch Hent Marat half, die Panik zu verhindern.
Im Augenblick war der Kommandoraum geräumt. Hastende Schritte auf den Gängen verrieten, daß die
Wissenschaftler zu ihren Kabinen rannten.
»Wenn man aus dem Hyperraum in den normalen Raum eintritt«, ließ sich Marats trockene Stimme
vernehmen, »braucht man etwas Ruhe. Rauchen ist jedenfalls verboten.«
Das betraf John Haick, der sich eben mit zitternden Händen eine Zigarette anzünden wollte.
Der Terraner starrte den Biochemiker einen Augenblick verständnislos an. Dann zerdrückte er die
Zigarette zwischen den Fingern.
»Festhalten!« brüllte Decimo.
Es war zu spät. Der Andruck warf sie zu Boden. Die Neutralisatoren des kleinen Bootes waren der
plötzlichen Richtungsänderung nicht gewachsen. Das Metall kreischte auf. Der Raum der Zentrale schien sich nach innen zu wölben. Helle Striche schossen über die Oberfläche des Holografen. Etwas raste in einer unmöglichen Bahn auf sie zu, schien sie zu durchdringen, und wieder schüttelte sich das Schiff und warf die Männer im Kommandoraum durcheinander. Rex Corda hörte ein Schluchzen und sah die Laktonin in einer Ecke liegen, die Arme vor das Gesicht geschlagen, als weigere sie sich, an dem furchtbaren Anblick teilzunehmen, den der Holograf enthüllte. Sie befanden sich wieder im normalen RaumZeitKontinuum. Der Weltraum war ein Chaos von gleißenden, sich vielfach überschneidenden Linien: Den Markierungen der superschnellen Granaten und Torpedos. Etwas, das einer Tonne glich, kam dicht an ihnen vorbei. Die Relation gab dem Hunderte von Tonnen schweren Geschoß der »Silent Mary« den Anschein der langsamen Bewegung. Wie hypnotisiert starrte Rex Corda auf das riesige Gebilde, dessen freiwerdende Energien den Schutzschirm eines Schlachtschiffes durchschlagen konnten. Ein Auftreffen auf die COROCON III würde deren sofortige Vernichtung nach sich gezogen haben. Ebenso wie die Orathonen waren nun auch die Verfolger in den normalen Raum eingetreten. Ihr Kurs war jetzt ein Tänzeln im Raum. Das kleine Wachboot verfolgte einen gewagten ZickZackKurs, um dem Hagel der Geschosse auszuweichen. Ein zweites Mal überfiel sie würgende Übelkeit, als die Piloten das Boot in den Hyperraum übergleiten ließen. Verzweifelt fragte sich Rex Corda, warum sie nur für so kurze Zeit wieder in den Hyperraum glitten. Ein längerer Sprung konnte die Rettung bringen. War das Wachboot schon halb vernichtet? Er hatte nicht gemerkt, daß er seine Frage laut hinausgeschrien hatte. Das Toben und Bersten um ihn herum, die Geräusche der überbeanspruchten Wandungen und Schirmfeldgeneratoren, schienen ohnehin jeden anderen Laut zu ersticken. Corda starrte in das Gesicht Latak Decimos, der sich von seinen Kontrollen abgewandt hatte. Der Synoptiker mußte schreien, um sich verständlich zu machen. »Wir befinden uns innerhalb eines Traktorstrahls, der eine völlige Flucht in den Hyperraum unmöglich macht. Der Strahl geht von einem orathonischen Hantelraumer aus!« Decimo wandte sich wieder seinen Kontrollen zu. Die beiden Wissenschaftler kämpften einen verzweifelten und beinahe aussichtslosen Kampf. Aber ihre überragenden Fähigkeiten waren fast nutzlos. Das Wachboot COROCON III hatte gegen das unglaublich hohe Energiepotential eines Hantelraumers keine Chance. Was waren das für Gewalten, die selbst am Rande des Hyperraumes noch wirksam waren? Taumelnd richtete sich Rex Corda auf. Es war nur noch eine Frage von Augenblicken, bis ihr Schiff so getroffen wurde, daß der verhältnismäßig schwache Schutzschirm getroffen würde. Ein Blick zeigte ihm, daß John Haick und Hent Marat bewegungslos in einer Ecke lagen. Dann glitten sie langsam über den Kunststoffboden, als sich das Schwerefeld des Raumers verlagerte. Die Laktonin schien in Apathie versunken. Rex Corda sprang auf sie zu und riß sie an den Schultern empor. Der harte Griff brachte die Frau wieder zu sich. Ihre angstvoll geweiteten Augen zeigten Erkennen, dann wurden sie von Panik verdunkelt. »Los!« schrie Corda ihr ins Gesicht. »Die Raumanzüge! Wir müssen in die Raumanzüge!« Sie nickte krampfhaft, dann machte sie sich mit entschlossener Geste frei. Die Raumanzüge hingen in den transparenten Kästen bereit. Aber es war noch keiner auf die Idee gekommen, sie anzulegen. Zuerst wurden die Piloten versorgt. Latak Decimo und Fan Kar Kont blickten von ihren Kontrollen nicht auf. Ohne den Fluß ihrer Manöver zu unterbrechen, schlüpften sie in die Kombinationen. Die Verriegelungen schlossen sich automatisch. In einem Augenblick des Verstehens grinsten sich die beiden Laktonen kurz an. Es war ungeheuer, was diese Männer leisteten. Angesichts einer ausweglosen Situation versuchten sie, mit waghalsigen Manövern die Traktorstrahlen abzuschütteln. Vielleicht wußten sie, daß es keinen Sinn hatte. Aber keiner dachte an Aufgeben.
Als ein schwerer, schmetternder Einschlag das Schiff erbeben ließ, brach eine neue Panik aus. Aber jetzt liefen Rex Corda und Ierra Kretan um ihr Leben, als die kostbare Atemluft pfeifend in den Raum entwich. Das Schiff war schwer getroffen worden. Ein breiter Riß klaffte am Bug. Spanten waren eingedrückt und hatten wertvolle Leitungen und Mechanismen zu Schrott verwandelt. Die Schotten funktionierten nur unvollkommen. Und immer mehr Luft strömte aus dem vorderen Abschnitt des Wachbootes ins All. Rex Corda fühlte schwarze Schatten vor seinen Augen tanzen, als er die Verriegelung eines Sicherheitsabteils löste und am Öffnungsmechanismus riß. Jemand stieß ihn zur Seite. Er taumelte. Durch einen dunklen, pulsierenden Schleier sah er, wie Ierra Kretan an der Sicherheitstür riß. Sie sprang zur Seite und hielt Corda fest, als ein Schwall heißer Luft sie überschwemmte. Der Terraner war am Rande der Bewußtlosigkeit. Täuschte er sich, oder tanzten da wirklich Flammen vor seinen Augen? Etwas glitt an seiner Haut entlang. Tausend Nadeln stachen plötzlich in seinem Gesicht. Ein schwerer Gegenstand schlug auf seine Schultern. In seinen Ohren, in denen noch eben quälend laut das Rauschen seines eigenen Blutes getönt hatte, verstummte jedes Geräusch. Frische klare Luft füllte seine Lungen. Die Laktonin legte ihren Raumhelm gegen seinen, um die akustische Verbindung herzustellen. »Hier, nehmen Sie das!« Sie drückte einen schweren Gegenstand in Cordas Hände und rannte den Gang voran. Die Vibrationen ihrer Stiefel ließen den Boden erzittern. Corda blickte wieder auf. Er hatte sich vorhin nicht getäuscht. Es brannte im vorderen Teil des Raumschiffes. Die Flammen züngelten meterlang aus dem berstenden Metall hervor. Ierra Kretan sprang direkt auf die gleißende, züngelnde Lohe zu. * Sie durften nicht zu spät kommen! Muntt Tryvvan ballte die nervigen Fäuste, als er die schemenhafte Masse der COROCON III erblickte, die sich wie von magischen Kräften angezogen auf den Hantelraumer zubewegte. Der Kommandant glaubte nicht an Magie. Das waren Traktorstrahlen. Und noch dazu von einer unbekannten Art. Das erzeugte Energiepotential mußte ungeheuerlich sein. Tryvvan riß die Augen weit auf, als er sah, wie das kleine Wachboot verschwand und Sekunden später wieder auftauchte. Die Traktorstrahlen waren sogar an den Randzonen des Hyperraums wirksam! Dunkel hob sich das Wachschiff von der ungeheuren Masse einer silbrigen Kugel des Hantelraumers ab. Ein greller Lichtblitz schoß auf die COROCON III zu. Die Granate würde ihr Ziel treffen, wenn nicht… Nein! Die COROCON III ging nicht wieder in den Hyperraum, aber auch die überschwere Granate traf nicht ihr Ziel. Das gleißende Aufblitzen verriet, daß sie explodiert war, aber das Schiff der Flüchtenden wurde nicht voll getroffen. Der Kommandant nickte befriedigt, als Tellek Perco die eben erhaltenen Nachrichten weitergab. Die Koordinierung der sechs großen Schlachtschiffe war erfolgt. Aber sie mußten sich beeilen. Das kleine Raumboot konnte sich höchstens einige hundert Kilometer von dem Hantelraumer entfernt befinden. Auch die Radarleitzentralen waren jetzt koordiniert. Im gleichen Augenblick rasten die Breitseiten der ParkerSGuns auf den Feind zu. Bei der theoretischen Schußfolge von 2400 Granaten pro Minute mußten es Hunderte sein, die in diesem Augenblick die gefütterten 28 cm Rohre verließen. Und jetzt konnten die SilentMaryGeschosse abgefeuert werden. Die ParkerSGun besaß den Taumeleffekt, der beim Aufprall auf die Schutzschirme des Gegners die Energieströmung außer Phase bringen würde. Die Geschosse der Silent Mary würden ein Chaos unter dem Feind anrichten. Muntt Tryvvan bemühte sich nicht, sein Frohlocken zu verbergen, als sich zwei weitere große Hantelraumer an das anvisierte Schiff heranschoben. Offenbar wollten sie dem ersten Schiff die Aufnahme des Flüchtlingsbootes erleichtern. Der Kommandant legte den Kopf in den Nacken und öffnete weit seinen Mund, als das unheimliche Rollen und Bersten über ihm verkündete, daß die Geschosse der Silent Mary soeben abgeschossen worden waren. Auf den fünf anderen großen Schlachtschiffen geschah das gleiche.
* Während er hinter der Laktonin hereilte, die in den hellen Flammen verschwunden war, schaltete er durch einen Druck auf die Innenfläche seines Handschuhs die Radioverbindung ein. Rex Corda näherte sich der Flammenwand. Gleichzeitig hörte er abgerissene, erregte Worte. Jetzt wußte er, daß es nutzlos war, Ierra vor den Flammen zu retten, denen das Material des Raumanzuges nur kurzen Widerstand entgegensetzen konnte. Es war aus. Vorbei. Keine einzige Chance mehr, den Fangstrahlen, die von dem orathonischen Hantelraumer ausgesandt wurden, zu entgehen. Latak Decimo hatte alle Tricks angewendet, die sein genialer Geist verwirklichen konnte. Auch Fan Kar Kont konnte ihn nicht mehr unterstützen. Rex Corda kämpfte sich weiter durch die Flammen vor. Er befand sich jetzt in dem Teil des Raumschiffes, wo der Einschlag erfolgt war. Die Luftversorgungsanlage war zerstört worden. Sauerstoff strömte mit rasender Schnelligkeit aus den zerrissenen Leitungen. Ein Kurzschluß hatte den Kunststoffußboden in Brand gesetzt. Isolierungen verschmorten. Der vor ihm tanzende Schatten verriet ihm, daß die Mathematikerin mit einem Löscher gegen die züngelnden Flammen kämpfte. Es war nutzlos. So nutzlos wie die verzweifelten Bemühungen Latak Decimos. Corda schaltete sich in die Unterhaltung ein. »Wie weit noch?« Latak Decimos Stimme klang tonlos. »… können uns nicht mehr länger halten. Kein Eintauchen in den Hyperraum mehr möglich. Die Computer sind wieder ausgefallen…« »Zerschlagen Sie sie! Schalten Sie direkt! Es ist doch gleich, wohin wir fliehen«, knurrte Corda. » Wollen Sie, daß wir in die Hände der Featherheads fallen?« »Kaum. Lieber tot…« Ein Knacken verriet, daß der Synoptiker die Verbindung unterbrochen hatte. Rex Corda stöhnte verzweifelt auf. Undeutlich sah er vor sich den kämpfenden Schatten der Laktonin, ein von Flammen umhüllter, seltsam zuckender Schemen. Corda rannte zurück. Die Löschversuche blieben sinnlos, wenn nicht die Sauerstoffzufuhr abgestellt wurde. Der Haupthahn in einer Nebenschleuse war bald erreicht, aber es dauerte eine Ewigkeit, um ihn zu schließen. »Corda!« schrie eine gellende Stimme in höchster Todesangst. »Corda, helfen Sie mir!« Der Haupthahn war geschlossen, jetzt jagte der Terraner vorwärts. Die Flammen hüllten ihn ein. Vor sich sah er die undeutliche, schwankende Gestalt der Frau. Dann war sie verschwunden. Das angstvolle Keuchen verstummte. Es handelte sich um eine blitzschnelle Eingebung. Ein weißer Strahl zuckte aus der Handfeuerwaffe Cordas und zerstörte die Verriegelung des Schotts. Er stemmte sich gegen die Notleiter, klammerte die schweren Metallplasthandschuhe gegen die Handgriffe der manuellen Schottöffnung. Er glaubte das Pfeifen und Zischen der entweichenden Luft zu hören. Die Flammen leckten an ihm vorbei und schlugen ins All hinaus. Es dauerte quälende Sekunden, bis die Abteilung luftleer war. Corda war unfähig, sich zu bewegen. Der Sog preßte ihn gegen den schmalen Spalt, zerrte an seinem Raumanzug und drohte ihn in die Unendlichkeit zu reißen. Während er sich mit zitternden Muskeln gegen die Öffnung stemmte, sah er aus dem Augenwinkel die dunkle, regungslose Gestalt der Laktonin. Daneben glühten riesenhafte Kondensatoren auf. Feurige, sich windende Schlangen krochen über den Boden, peitschten die Wände wie lebende, bösartige Wesen. Kabelstränge, deren Isolationen in der dunklen Höllenglut züngelten. Wie er mit der Laktonin in den Kontrollraum kam, wußte Rex Corda nicht. Er starrte plötzlich auf den mächtigen Holografen, dessen Bilder eine reine Unmöglichkeit darstellten. Darunter erschien eine grinsende graue Fratze. »Corda!« dröhnte die Stimme Latak Decimos. »Corda, sehen Sie nur!« Die Stimme klang vertraut, aber die optischen Eindrücke stimmten mit seinen Erfahrungen nicht überein. Das war nicht Latak Decimo, was sich da auf einem gewaltigen grauen Thron ringelte, der nicht
die entfernteste Ähnlichkeit mit einem Schalensessel hatte. Daneben kauerte ein monströses, tonnenartiges Ungeheuer. Erst als er die Stimme des Chefwissenschaftlers hörte, wußte Rex Corda, daß er es mit dem verzerrten Abbild Fan Kar Konts zu tun hatte. »Corda!« keuchte der Wissenschaftler, »das ist schlimmer als der Tod!« Die jagenden, verwirrenden Linien auf dem Holografen verschwanden, sie lösten sich in Nichts auf. Dann tauchte eine neue Form auf, stecknadelklein zuerst, dann aufberstend zu einer Feuerblume. Eine weiße Hölle brach aus, in der die Raumer und Geschosse als dunkel flammende Blitze auftauchten. Ein Negativbild. Aber auch die Formen waren verändert, waren vertauscht. Es war ein Kosmos des Wahnsinns. * Atemlose Spannung hing fast greifbar in der Zentrale des PithonRaumers. Die Laktonen schwiegen. Die Erregung ließ die rötlichen Zähne aufblitzen. Nur wenige achteten auf die Skalen der Kontrollgeräte. Fast alle Augen waren auf die großen Holografen gerichtet, auf denen sich die Geschosse der Silent Marys als kleine Punkte abzeichneten, die sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit ihrem Ziel näherten. Ein Glockensignal schrillte. Die Computer hatten errechnet, daß sich die Superschirme der Hantelraumer außer Phase befinden mußten. Jetzt konnten die Geschosse der größten laktonischen Waffen die Schlachtschiffe vernichtend schlagen. Muntt Tryvvan straffte seinen breiten Körper, als sich der Bildschirm mit flammendem Rot überzog. Die Färbung war ungewöhnlich. Sie widersprach allen Erfahrungen. Aber ebenso ungewöhnlich war der gleichzeitige Einsatz von sechs Geschossen. War es wirklich möglich, daß drei Raumer der ArcaKlasse vernichtet worden waren? Es mußte so sein. Dort in dieser kochenden Hölle wurde alle Materie in einen tödlichen Strudel gezogen. Die Augen des laktonischen Kommandanten weiteten sich ungläubig. Die eigenartige Färbung der Explosionsstelle dauerte an. Die glutenden Gaswolken mußten erkalten, auseinandertreiben, doch sekundenlang geschah nichts. Im Gegenteil. Der Brand schien sich auszudehnen. Und dann wurde etwas sichtbar, das einem Strudel glich. Das Raumgefüge selbst war zerstört worden. Entsetzt und fassungslos blickten die Laktonen auf die näherjagenden Wirbel, deren erste Spiralarme nur noch wenige Parsec entfernt waren. Zu spät gab Muntt Tryvvan den Befehl zum Rückzug. Das unglaubliche Geschehen holte sie ein, riß sie mit in den kochenden Abgrund. Eine erste aufbrüllende Woge schlug gegen das Superschlachtschiff. Die Schirme barsten. Der Rumpf wurde der Länge nach aufgeschlitzt. In einer instinktiven Bewegung taumelte der Kommandant gegen die Wand, die sich sofort öffnete und ihn mit den zuschnappenden Klammern des Raumanzuges umgab. Neben sich sah der Kommandant verschwommen das Gesicht Tellec Percos. Es war schwarz und zu einer riesigen Größe angeschwollen. Alle Linien des Raumes wurden verzerrt, die Farben kehrten sich um. Das Licht bog sich. Es gab nichts, was noch Bestand hatte. Den mächtigen Stoß, der durch das Superschlachtschiff lief, nahm der Kommandant nicht mehr wahr. Sein regungsloser Körper wurde in den Resten der zertrümmerten Zentrale umhergewirbelt, als eine titanische Faust den Bug des raketenförmigen Raumgiganten auseinanderbrach und auf das Teckan System zuschleuderte. Die blutige Schlacht im All hatte ein grauenvolles, überraschendes Ende gefunden. Es gab keinen Sieger. Nur noch Bruchstücke, die herumwirbelten. Nur langsam beruhigte sich das Chaos wieder. Kalt blinkten die Sterne, Stecknadelköpfe auf einem schwarzen Samttuch… * Erwachen. Sein Kopf dröhnte. Die Zunge klebte am Gaumen. Es war unmöglich, die Augen zu öffnen. Sie schienen von einer harten Masse verklebt zu sein. Automatisch tastete er nach seinem breiten Gürtel, fingerte
mit den ungefügen, klobigen Handschuhen an einer Reihe von Erhebungen entlang. Er öffnete den Mund. Warmes, brackiges Wasser tropfte auf seine Zunge. Er widerstand der Versuchung, die Feuchtigkeit wieder auszuspucken. Vielleicht fehlte ihm die Kraft dazu. Rex Corda drehte sich stöhnend auf den Rücken. Das Geräusch klang hohl in der engen Kuppel des Raumhelms. Er erschrak. Wie lange lag er schon hier? Wo befand er sich? Mit einer heftigen Anstrengung gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Die Lider rissen förmlich auseinander. Das Licht schmerzte. Nicht die Intensität, aber das flackernde HellDunkel eines gleißenden Strahlers. Er wandte den Kopf zur Seite. So ließ sich das Licht ertragen. Corda sah sich um. Der Kommandoraum der COROCON III bot ein Bild der Verwüstung. Die Vorderfronten der Computer klafften teilweise auseinander, Streben stießen jäh in den Raum vor, breite Risse durchzogen die Decke. Überall lagen bewegungslose Körper herum. Tote? Erst nach dem dritten Anlauf gelang es dem Terraner, sich zu erheben. Jeder Schritt bereitete ihm Mühe. Es schien jeder Muskel in seinem Körper gezerrt, jedes Gelenk verstaucht zu sein. Er schleppte sich vorwärts. Sein Körper schien so schwer wie noch nie zu sein. Es waren nur drei Schritte bis zu den Hauptkontrollen, aber diese drei Schritte schienen die schwersten seines Lebens zu sein. Mühsam stützte er sich an der zerfetzten Kante eines Computers hoch. Nur einen Meter von ihm entfernt hing eine schlaffe Gestalt halb über dem Kontrollbord. Corda schob sich hinüber und griff nach der gepanzerten Hand. Sie fiel herunter. Das Geräusch war nicht zu hören, aber ein Vibrieren pflanzte sich durch die schweren Stiefel fort. Rex Corda trat einen Schritt nach links. Dann ließ er sich in einen leeren Schalensessel fallen. Selbst diese Bewegung schmerzte und schien alle Knochen seines Körpers zu erschüttern. Dann entdeckte er die Ursache für die lähmende Schwere. Einer der Körper war auf das Kontrollbord geprallt und hatte den Gravitationsregler herumgerissen. Die Gravitation betrug in diesem Augenblick fast das Doppelte wie normal. Er war nicht sicher, ob er Erfolg haben würde. Das Schiff wirkte von innen wie ein Wrack, in dem nichts Funktionsfähiges mehr war. Die Schwere wich! Sofort fühlte der Terraner sich wie von einem Alpdruck befreit. Er richtete sich wieder auf und wandte sich dem Flackern der Lampe zu. Es war eine Sektion, die nur dem Zweck der Beleuchtung diente. Corda wußte, daß er es nicht etwa mit einem Warnsignal zu tun hatte. Das Flackern machte ihn fast wahnsinnig. Er befand sich auf einem Wrack, das vermutlich voller Toter war, und steuerte einem ungewissen Kurs entgegen. Corda wußte nicht, wo sie sich befanden. Hatte man sie schon eingefangen? Sein Gefühl sprach dagegen. Er ahnte, daß sie von grenzenloser Einsamkeit umgeben waren. Aber der Holograf konnte ihm keine Auskunft über den Standort oder den Kurs geben. Die Fläche des Bildgerätes war schwarz und spiegelnd. Grenzenlose Enttäuschung stieg in Corda hoch. Seine blauen Augen wurden dunkel. Schwer schlug der Raumhelm gegen die flackernde Sektion. Und gleichzeitig hob sich die gepanzerte Faust und hieb gegen das flammende Feld. »Corda, denken Sie an die teure Einrichtung«, bemerkte hinter ihm eine vertraute Stimme. Die kleinen Lautsprecher im Raumhelm gaben deutlich die Richtung der gesprochenen Worte an. Ächzend richtete sich Hent Marat auf. Die füllige Gestalt gab dem Raumanzug das Aussehen, als habe man seinen Inhalt mit Gewalt hineingestopft. Ein breites Lächeln erschien auf den gespannten Zügen des Terraners. »Schrecklich unbequem, diese Raumanzüge«, meinte Marat. Er grinste Rex Corda harmlos zu, doch der Terraner wußte, daß dieses Lächeln täuschte. Marat machte sich die gleichen Sorgen wie er über den Zustand der COROCON III und ihrer Besatzung. »Fangen wir an. Kommen Sie, Corda.« Die beiden Männer beugten sich über die nächste Gestalt. Es war Latak Decimo. Ein breiter Sprung lief quer über die Glocke seines Raumhelmes. Er mußte mit unwahrscheinlicher Gewalt aufgeprallt sein. Ein
blauer Fleck auf der Stirn rundete das Bild ab. Der Synoptiker atmete schwach. Als die beiden Männer ihn schüttelten, lief ein Zucken über sein Gesicht. Marat erhöhte die Sauerstoffzufuhr im Innern des Raumanzuges, und Decimo erwachte völlig. Als sich seine Augen öffneten, lasen die beiden anderen den Schreck über das Aussehen der Zentrale darin. Sie halfen Decimo auf die Beine. Der Synoptiker taumelte. Er klagte über große Schmerzen in der Brustgegend, schwieg aber sofort, als ihn Marat merkwürdig ansah. Rex Corda begriff, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Kein Laktone achtete auf solche Lächerlichkeiten wie angeknackte Rippen oder verstauchte Beine. Decimo stand unter einem hohen Sauerstoffrausch, sonst hätte er nie ein Wort über seine Verletzungen verloren. Es erwies sich, daß keiner der Besatzung wirklich ernsthaft verletzt war. Die Raumanzüge laktonischer Bauart würden selbst schweren Hammerschlägen standhalten. Ein zusätzliches Isolationsfeld sorgte dafür, daß nicht nur der Anzug, sondern auch sein Träger unbeschädigt blieb. Immer größer wurde der Trupp der Laktonen, die mit Rex Corda an der Spitze durch das Schiff gingen, um die Wissenschaftler aus ihrer Bewußtlosigkeit zu erwecken. Latak Decimo und Fan Kar Kont waren zusammen mit Ierra Kretan in der Zentrale zurückgeblieben, um den Holografen wieder in Gang zu bringen. Nie würde Rex Corda den Blick vergessen, den ihm die Mathematikerin zuwarf, als sie aus der Bewußtlosigkeit erwachte. Die Freude darüber, daß keiner dem Angriff zum Opfer gefallen war, wich bald einer tiefen Mutlosigkeit angesichts des völlig zerstörten Schiffes. Die COROCON III war ein halbes Wrack. Nur in wenigen Teilen war noch Luft vorhanden. Große Flächen waren aufgeschlitzt. An einigen Stellen blinkten die Sterne hindurch. Corda atmete auf. Der Raum schien frei von Kriegsschiffen der Laktonen und Orathonen zu sein. Aber wie war das geschehen? Den letzten der Besatzung fanden sie in einer eigenartigen Lage. Bir Osgo, einer der fähigsten Organisationstechniker von Teckan, hing in einem Spalt. Ein Teil seines Körpers ragte in den Raum hinein. Als die anderen ankamen, war er bereits aus der Bewußtlosigkeit erwacht. Langsam bewegten sich seine Beine, wie ein riesiges, hilfloses Insekt, das langsam zu Tode gequält wird. Bevor sie sich heranarbeiten konnten durch ein Gewirr von verbogenen Streben und verschobenen Planken, hörten sie schon seine Stimme. Er hatte ihre Gespräche mitgehört. Bir Osgo wußte, daß sie kommen würden. »Ihr braucht euch nicht zu beeilen«, sagte er in seiner langsamen Sprechweise. »Ich habe Zeit. Ich habe den Hyperraum gesehen. Es gibt nicht mehr viel, das wichtig wäre.« Etwas beunruhigt schnitten sie Osgo mit Strahlern frei. Aber ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Osgo war nicht wahnsinnig geworden. Das änderte aber nichts daran, daß er kaum etwas von seiner Eigenart verloren hatte. Alle versammelten sich im Hauptkontrollraum zu einer ersten Beratung. Rex Corda betrachtete die Gesichter der Laktonen nacheinander. John Haick neben ihm hatte die Hand auf die Schulter des Freundes gelegt. Auch er war bewußtlos gewesen. »Mir ist etwas aufgefallen«, bemerkte der Atomwissenschaftler von Terra. »Wir alle wurden bewußtlos. Warum?« »Der Schock vermutlich«, meinte Corda achselzuckend. John Haick sah seinen Freund zweifelnd an. Mit einer nervösen Geste strich er über sein weiches dunkles Haar. Sie hatten die Raumanzüge anbehalten, die Helme jedoch heruntergeklappt, nachdem es sich erwiesen hatte, daß im Kommandoraum ein annehmbarer Luftdruck aufrechterhalten werden konnte. »Es muß etwas anderes gewesen sein«, meinte John Haick. »Erinnere dich bitte an die Begleitumstände, die normalerweise bei einem Übergleiten in den Hyperraum auftreten. Übelkeit, Schwindelgefühl. Diesmal muß es anders gewesen sein. Meine Hypothese besagt etwa folgendes: Wir glitten nicht in den Hyperraum über, sondern der andersdimensionierte Raum verschlang uns und spuckte uns gleich darauf wieder aus. Das könnte eine Erklärung des gleichzeitigen…«
»Nein«, sagte eine Stimme neben ihnen langsam. Es war erstaunlich, wie sehr man ein so kurzes Wort
dehnen konnte.
»Nein«, wiederholte Bir Osgo. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine für laktonische
Verhältnisse lächerlich kleine Gestalt mehr zur Geltung zu bringen. Seine kurzsichtigen Augen
blinzelten. »Nicht alle waren bewußtlos. Ich habe alles bei Bewußtsein erlebt. Ich habe den Hyperraum
gesehen!«
Er stocherte mit seinen kleinen Fingern im Ohr herum, weil der in seinem Gehörgang versteckte
Projektor nicht einwandfrei arbeitete. Die von Mikrozellen hervorgerufene Verdichtung der Luft vor
seinen Augen hatte die Funktion einer terranischen Brille.
Mißtrauisch wölbte Bir Osgo die Augenbrauen.
»Oder zweifelt etwa jemand an meinen Worten?«
In diesem Augenblick schrie Fan Kar Kont ein paar Worte. Latak Decimo sprang zurück und lehnte sich
gegen das Kontrollbord.
Der Holograf blitzte auf. Langsam schälte sich ein Licht heraus, das immer größer wurde. Es wuchs auf
einmal rasend schnell zu einer rötlichen Sonne, die auf das kleine Raumschiff zu stürzen schien.
Ein roter Riese!
Und die COROCON III stürzte genau in das System hinein, auf die unheimlichen Schwerefelder des
kosmischen Giganten zu.
»Sie haben den Raum gesehen?« fragte Corda leise den kleinen Laktonen.
Bir Osgo nickte nachdrücklich. Das schmale, spitz zulaufende Kinn stieß auf Corda zu.
»Weshalb fragen Sie?«
Der Terraner antwortete nicht. Bir Osgo hatte ihn auch so verstanden.
Er erstarrte förmlich. Sein Gesicht überzog sich mit einer eisigen Blässe.
»Ich habe den Hyperraum gesehen«, murmelte er mechanisch.
»Und der Hyperraum hat Sie gesehen«, ergänzte Hent Marat trocken.
Der kleine Organisationstechniker ahnte wieder eine beleidigende Anspielung auf seine geringe
Körpergröße. Mit unsicher gekräuselten Mundwinkeln wandte er sich ab und verschränkte die Arme auf
der Brust. Die Welt hatte sich wieder einmal gegen ihn verschworen.
Aller Augen, mit Ausnahme Osgos, waren auf den großen Holografen gerichtet. Es war keine Täuschung.
Die COROCON III stürzte tatsächlich mit hoher Geschwindigkeit auf das fremde Sonnensystem zu.
Und das kleine Wachboot machte in seinem jetzigen Zustand nicht den Eindruck, als könnte man seinen
Kurs wesentlich abändern oder die Fahrt stoppen.
Der rote Riese drohte wie ein bösartiges Auge zu ihnen herüber. Es füllte fast den ganzen Bildschirm
der Detailvergrößerung aus. Über seine dunkel glutende Oberfläche schien ein dunkler Punkt zu
kriechen. Ein Planet. Die Feinmessung Decimos ergab, daß dieses System insgesamt drei Planeten haben
mußte.
Fan Kar Kont drehte sich in seinem Kontursessel herum. Langsam wandten die Laktonen und die beiden
Menschen ihren Blick von dem funkelnden Zyklopenauge auf den Chefwissenschaftler Teckans.
»Wenn nichts geschieht«, sagte Kont leise, »werden wir in vier Stunden in diesen verfluchten Ball
stürzen.«
Eisiges Schweigen folgte seinen Worten.
Hent Marat trat von einem Bein auf das andere. Der Biochemiker nickte vor sich hin.
»Vier Stunden, sagten Sie? Ausgezeichnet. Dann können wir noch eine kräftige Mahlzeit nehmen.« Rex
Corda lachte lautlos in sich hinein. Der Humor dieses Mannes war manchmal fast unheimlich. Aber
Marat besaß ein feines Gespür dafür, wie man eine Grenzsituation steuern mußte.
»Es ist mir unbegreiflich«, bemerkte die kühle Stimme Ierra Kretans, »wie gewisse Leute in einer
solchen Situation essen können.«
»Sehr richtig«, sagte Rex Corda, »erst einmal die Arbeit, Marat. Wenn wir nicht in diesen netten
Feuerball hineinfallen wollen, müssen wir einiges tun.«
Die anderen atmeten auf. Es waren Worte, die ihnen mehr Mut machten, als jeder Versuch einer
Beschönigung der Lage es vermocht hätte. In kleinen Trupps entfernten sich die Wissenschaftler aus
der Kommandozentrale, um das Schiff zu inspizieren. Hent Marat warf Corda einen nachdenklichen Blick zu, in seinen Mundwinkeln zuckte es. Die Zentrale war jetzt fast leer. Nur das Schnappen der Luftschleusen verriet, daß sich die anderen Wissenschaftler in die zerstörten Teile der COROCON III begaben. Von allen Seiten ertönte das Trappeln der schweren Stiefel. »Wie sieht es aus, meine Herren?« wandte sich Rex Corda an die beiden Wissenschaftler hinter den Kontrollen. Er sah auf und merkte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der riesenhafte Himmelskörper war ein großes Stück näher gerückt. »Schlecht«, knurrte Fan Kar Kont trocken, ohne sich umzuwenden. »Vier Stunden war noch sehr optimistisch geschätzt. Nach meinen Ermittlungen sind es nicht einmal drei Stunden. Dieser rote Riese saugt uns förmlich an sich. In jeder Sekunde wird unser Fall beschleunigt.« »Haben wir noch Reserven?« fragte Rex Corda. »Können wir unseren Kurs ändern?« Fan Kar Kont antwortete nicht. Latak Decimo wich Cordas Blick aus. »Nein«, sagte Decimo hart. Seine Miene verschloß sich. Man merkte ihm an, wie sich in seinem Gehirn die Gedanken jagten. Er kritzelte ein par Formeln auf die Platte des Bordes. »Nein«, wiederholte er abwesend, »im wesentlichen nicht.« Dann beschäftigte er sich so fieberhaft mit einem Computer, der für die Kursangaben vorgesehen war, daß Fan Kar Kont verblüfft aufsah. »Holen Sie mir bitte Ierra Kretan«, murmelte Decimo Rex Corda zu. Er schien völlig abwesend zu sein. Der Terraner rannte aus dem Raum. Neben ihm knallten die schweren Stiefel John Haicks über den glatten Metallplastboden des Ganges. Sie fanden die Mathematikerin in der völlig zerstörten Sektion mit mehreren anderen Laktonen zusammen. Sie waren damit beschäftigt, provisorische Reparaturen mit einem SpezialLeitmittel, der ELeiterpaste, auszuführen. Rex Corda erkannte den Raum wieder, wo er die Frau aus den Flammen geholt hatte. Er nickte ihr zu. Ihr Kopf in der Kuppel des Helmes bewegte sich leicht. Dann lächelte sie. »Latak Decimo hält Ihre Anwesenheit im Kommandoraum für erforderlich«, sagte er. Die Elektronik übersetzte seine Worte. Die Frau nickte und sprang auf. Ihren Platz nahm John Haick ein. Er assistierte Hent Marat, der eine überraschende Geschicklichkeit im Umgang mit den komplizierten Schaltungen entwickelt hatte. Das streichfähige, pastenförmige Material stellte sofort wieder die unterbrochene Verbindung her. Sobald sie in der Zentrale angelangt waren, erlebte Rex Corda, wie ein laktonischer Synoptiker arbeitete. Fan Kar Kont ermittelte die genauen Raumkoordinaten des Systems und seiner Planeten und verglich sie mit den kartographischen Angaben des Sternatlas. Ierra Kretan löste komplizierte mehrdimensionierte Gleichungen. Es handelte sich um ein SechsKörperProblem völlig unorthodoxer Art. Bir Osgo bekam über Sprechfunk eine Aufgabe, die irgend etwas mit Hitze und den damit verbundenen psychischen Belastungen zu tun hatte. Vier Spezialisten, die sich im Maschinenraum befanden, wurden mit der genauen Ermittlung der verfügbaren Kraftreserven betraut. Verschiedene Probleme. Spezialisten aus Bereichen der Wissenschaft, die kaum etwas miteinander gemeinsam hatten. Und der Riesenball der roten Sonne näherte sich unaufhaltsam. Keiner der Wissenschaftler wußte, wie seine Arbeit von Latak Decimo eingereiht wurde. Nur der Synoptiker konnte die Ergebnisse der Spezialisten zu einem Ganzen formen und seine Schlüsse und Entscheidungen daraus ziehen. Fan Kar Kont wies als erster ein Ergebnis vor. Das System trug den laktonischen Namen KS 3366 b und galt als ein Raumsektor, dessen Besiedlung oder Ausbeutung nicht lohnte. Ein trostloser Flecken im Weltraum, abgelegen und unwirtlich. Eine Landung wäre nur auf dem zweiten der insgesamt drei Planeten sinnvoll. Das galt unter normalen Umständen. Swamp II besaß einen kleinen Mond und war – wenn man viel Phantasie hatte – eine Welt für Sauerstoffatmer.
Latak Decimo winkte ab. Er brauchte genaue Angaben. Fan Kar Kont rasselte Äquatordurchmesser, Dichte, die Schwere und den Gasdruck der Lufthülle herunter. Es folgten die Angaben über den Mond. Rex Corda fiel auf, daß Decimo nur die Gravitationsbedingungen interessierten. Ierra Kretan hatte ebenfalls ihr Problem mit Hilfe der Computer gelöst. Sie überreichte Latak Decimo eine Folie mit einer verwirrenden Vielzahl von Symbolen. Die Verwirrung ließ sich auch deutlich auf ihrem Gesicht ablesen. Der Maschinenraum meldete, daß noch Kraftreserven vorhanden waren, die man allerdings kaum als solche bezeichnen konnte. Deutlich fühlte Rex Corda, wie Latak Decimo mit sich kämpfen mußte, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Die Zahlenwerte mußten niederschmetternd sein, denn sogar Fan Kar Kont zuckte zusammen. Als letzter meldete sich Bir Osgo. Er vertrat die Ansicht, daß keiner an Bord weder einer physischen noch einer psychischen Belastung mehr gewachsen sei. Latak Decimo lächelte bitter. Dann zog der Synoptiker seine eigenen Schlüsse. Er verband die Ebene, formulierte die Befehle und gab neue Zeitangaben durch. Es war Rex Corda fast unmöglich, untätig in der Zentrale herumzustehen, aber ein Wink Decimos hielt ihn an seinem Platz. Die meisten Anweisungen des Synoptikers blieben dem Terraner unverständlich. Aber das war nicht einmal das größte Problem für Corda. Die Ereignisse der letzten Stunden führten einen ungeordneten Tanz in seinem Hirn auf. Wo waren sie? Weshalb befanden sie sich außerhalb des bekannten Raumes? Wieso waren sie jetzt allein? Wo waren die Orathonen und die Laktonen? »Wir befinden uns weiter denn je von Terra entfernt«, bemerkte Fan Kar Kont, als habe er die Gedanken Cordas erraten. * Der rote Brand, der Riß durch die Unendlichkeit des Kosmos, hatte vor den Grenzen des Teckan Systems haltgemacht. Trotzdem pflanzten sich die Ausläufer der Strukturerschütterung in einer Entfernung von mehreren Lichtstunden fort. Auf Teckan selbst schienen die Meere zu kochen. Springfluten verwüsteten das Land. Wirbelstürme von ungeahnten Ausmaßen ließen sich auch nicht durch die überragende Technik der laktonischen Superwissenschaft bannen. Die Sonne des Systems wurde zu einem bösartig funkelnden Auge. Ein Stakkato harter Strahlungen peitschte die Lufthüllen der Planeten. In diesem Chaos taumelten die Reste der geschlagenen Verfolger. Die Jagd auf ein kleines Wachboot hatte ungeheuerliche Opfer gefordert. Rettungsschiffe waren unterwegs, um die Überlebenden in den zerfetzten Riesenleibern der Raumer aufzusammeln. In vielen Schiffen bot sich ein entsetzlicher Anblick. Es waren nicht die Toten, die den Männern auf den Bergungsschiffen das Grauen einflößten. Vor allem waren es die Strukturveränderten, deren Zustand schlimmer als der Wahnsinn war. Sie hatten das Chaos aus unmittelbarer Nähe miterlebt. Ihre Augen hatten gesehen, wie der Raum aufbrach und die Hölle offenbarte. Sie waren nicht mehr normal, aber sie konnten noch sprechen. Doch was sie sagten, veranlaßte die Sicherheitsbehörde von Teckan, sie sofort in die Isolation zu stecken. Die Aspekte hatten sich verschoben. Muntt Tryvvan und Tellek Perco waren um Haaresbreite diesem Schicksal entgangen. Das Kommitee entschied, daß die PsychoRobots ihnen noch den Weg zurück zeigen konnten. Kommandant Tryvvan warf sich in seinen Fieberträumen in den engen Fesseln der GravoVerriegelung seines Bettes herum. In den wenigen lichten Augenblicken erinnerte sich sein gequälter Geist… Er hatte seinen Auftrag erfüllt. Die entflohenen Wissenschaftler existierten nicht mehr… * »Es ist mehr als ein Wunder«, bemerkte Bir Osgo. »Unsere Existenz ist eine Unmöglichkeit. Allerdings wird sie nicht mehr lange andauern.« Rex Corda sah den Organisationstechniker fragend an. »Ja, Corda. Unsere Energiereserven sind erschöpft. Wir können ein paar Kurskorrekturen vornehmen. Das ist aber auch alles.«
»Die Tatsache scheint Sie nicht besonders zu beunruhigen«, warf John Haick ein. Der terranische
Atomwissenschaftler wischte sich mit einer unbewußten Bewegung die schwarzen Haare aus dem
Gesicht. »Man könnte fast meinen, unsere Schwierigkeiten lassen Sie kalt.«
Bir Osgo wippte auf den Zehenspitzen. Dabei verursachten seine schweren Raumstiefel knallende
Geräusche. Die Luftverdichtung vor seinen Pupillen, eine Weiterentwicklung der terranischen Brille,
erzeugte ein flimmerndes Feld.
»Ich habe keine Angst«, verkündete Bir Osgo mit einem Blick auf die Mathematikerin, die unter Latak
Decimos Angaben schweigend die Computer bediente. »Sie müssen wissen, Haick, ich habe den
Hyperraum gesehen. Ich kenne nichts, was mir noch Angst einflößen könnte.«
Osgo verstummte unter dem scharfen Blick Cordas. Der kleine Laktone ahnte, daß dieser Terraner ihn
durchschaute. Das war ihm mehr als unangenehm.
Auf dem Holografen hatte die rötlich glimmende Sonne den ganzen Bildschirm eingenommen. Auf den
Detailschirmen zeichnete sich ein Ausschnitt dieses riesigen Himmelskörpers ab. Das blutige Rot
zeigte dunkle Flecken. Die Sonne lag im Sterben. Sie war in einer permanenten Expansion begriffen,
die das System eines Tages verschlingen würde. Eines Tages, Jahrhunderte später…
Latak Decimo ließ sich mit den einzelnen Abteilungen verbinden. Das Schiff war notdürftig instand
gesetzt worden. Die kostbare Atemluft pfiff zwar noch durch unzählige Ritzen, aber der Druckverlust
war gering.
»Fertig?«
Scheinbar entspannt saß Latak Decimo hinter den Kontrollen, neben ihm Fan Kar Kont.
Die COROCON III schien direkt in den glutflüssigen Ball hineinzustürzen. Die Oberfläche der Sonne
näherte sich rasend schnell. Sie war in ständiger Bewegung. Rotschimmernde breite Bahnen flossen von
den Polen der Sonne herab, konzentrierten sich zu wirbelnden Punkten, bildeten Trichter und Krater,
die Tausende von Kilometern hoch glutflüssige Materie in den Raum schleuderten.
Es war unerträglich heiß in dem kleinen Wachboot geworden. Die Kühlanlagen versuchten, die Hitze zu
absorbieren, aber es konnte nur noch Minuten dauern, bis sie völlig zusammenbrachen.
Einer nach dem anderen der Besatzung schloß den Raumhelm. Die Anzüge hielten die größte Hitze ab,
aber wie lange noch?
Die Sonne des SwampSystems hielt das winzige Schiff in den eisernen Schlingen seiner Gravitation.
Brüllende Flammenzungen leckten empor, hüllten das Schiff in eine helleuchtende Gaswolke.
Der Andruck schleuderte die Besatzungsmitglieder in die entferntesten Winkel. Es war ein
furchtbarer Druck, der ihnen die Knochen im Körper zu zerreißen drohte. Die Raumanzüge jedoch
wehrten das Schlimmste ab.
Das Schiff wurde abgebremst.
Es fiel auf die Oberfläche der Sonne zu, aber seine Eigengeschwindigkeit war stärker und riß es um
den Körper der Sonne herum.
Der Synoptiker hatte darin die einzige Möglichkeit gesehen, die COROCON III abzubremsen.
In einer weiten Parabel schwang das Wachboot um die Riesensonne, vollführte an ihrem Gipfelpunkt
eine Bewegung, die der in einer Haarnadelkurve gleichkam, und raste zurück.
Doch die Geschwindigkeit war jetzt merklich langsamer geworden.
Mit vorsichtigen, tastenden Bewegungen löste sich Rex Corda aus der Ecke, in die ihn der
unbarmherzige Andruck geschleudert hatte. Es wäre sinnlos gewesen, sich irgendwo festzuschnallen.
Nichts war den Gewalten dieser Supergravitation gewachsen. Die Gurte wären wie Papier gerissen.
Langsam, einer nach dem anderen, meldeten sie sich wieder über die kleinen Sender ihrer Raumanzüge.
Es waren Stimmen, die von den ausgestandenen Strapazen der letzten Minuten zeugten.
Minuten?
Rex Corda sah auf den Zeitmesser neben dem Holografen. Nach Umrechnung der laktonischen
Zeiteinheiten hatten sie sich fast eine halbe Stunde in dem grausamen Schwerefeld der Sonne
aufgehalten.
Der Himmelskörper, auf den sie jetzt zusteuerten, hatte ebenfalls eine rötliche Färbung. Aber es war
ein dunkles Rot, das nur von schwach leuchtenden Streifen belebt wurde.
Die COROCON III näherte sich dem Mond des zweiten Planeten.
»Die Geschwindigkeit ist immer noch sehr hoch!« keuchte Fan Kar Kont. Der Chef der
Geheimorganisation auf Teckan hatte sich bisher nicht aus der Ruhe bringen lassen. Jetzt aber
zitterte seine Stimme vor Erregung. Während Corda seinen Freund vom Boden aufhob und ihn gegen
die Wand bettete, wunderte er sich wieder einmal über die ungeheuren Leistungsreserven, die die
Laktonen zur Verfügung hatten.
Die Stimme Latak Decimos klang ruhig wie immer. Und immer noch strahlte er jene Autorität aus, die
ihn zum selbstverständlichsten Leiter der Gruppe gemacht hatte.
»Das war nach unseren Berechnungen zu erwarten. Steuern Sie auf diesen verdammten Mond zu. Für
ein paar Korrekturen reichen unsere Reserven noch.«
In diesem Augenblick von Reserven zu reden, war fast schon ein Witz. Schweigend führte Fan Kar Kont
die Befehle aus.
Der Radius des Umlaufhalbkreises war längst vorprogrammiert.
Die rötlich leuchtende Oberfläche des Mondes schoß auf sie zu. Diesmal blieb die Hitze aus, aber das
grauenhafte Gefühl, auf diesen fast leblosen Steinklumpen herabzufallen, blieb.
Diesmal waren sie auf den Andruck besser vorbereitet. Möglicherweise war er auch nicht so stark.
Dennoch führten die Sternbilder einen verrückten Tanz um sie herum auf, als die COROCON III in
einer engen Bahn um den Mond herumschoß und Kurs auf den zweiten Planeten dieses so überraschend
aufgetauchten Systems nahm.
Dann tauchten sie in die Randzonen der Atmosphäre ein.
Zuerst war es ein Rauchen, das sich nach Sekunden zu einem donnernden Tosen verstärkte. Das Schiff
rüttelte und wurde wie ein Blatt im Sturm herumgeworfen. Verbogene Platten, die von Treffern
teilweise aufgerissen worden waren, fetzten mit knallenden Geräuschen ab. Das Schiff erdröhnte
unter hämmernden Schlägen. Und wieder kam die Hitze. Sie war fast noch stärker als beim Umlauf um
die Sonne.
»Tiefster Punkt«, klang die ruhige Stimme des Synoptikers in Rex Cordas Helm auf. »Wir lösen uns
wieder.«
Die COROCON III schwang herum, richtete ihre Nase gegen den mattdunklen Weltenraum mit den
Millionen von schimmernden Punkten.
Sekunden später brüllten die Reaktoren kurz auf. Wieder tauchte das Wachboot in die Gashülle des
Planeten.
»Es ist gar nicht so einfach«, erläuterte Latak Decimo ruhig. »Wir müssen bei der Programmierung des
Kurses die Verletzungen der Außenhülle einkalkulieren.«
»Wir sollten unseren Tod einkalkulieren«, kam die krächzende Stimme Bir Osgos über die
Helmverbindung.
Fan Kar Kont antwortete mit einem scharfen mehrsilbigen Fluch, den jedoch das Übersetzungsgerät
Cordas nicht übertrug. Osgo meldete sich danach nicht mehr.
Trotzdem schien er recht zu haben, überlegte Corda.
Die COROCON III spiralte sich tiefer. Immer wieder setzten die Reaktoren ein, bremsten den Sturz
ab und verringerten jeweils die Geschwindigkeit um einen Bruchteil.
Dann schwang plötzlich Latak Decimo auf seinem Schalensessel herum. Die dunklen Augen in seinem
breiten Kopf drückten Besorgnis aus.
Jeder in der Zentrale und auch die Laktonen im Maschinenraum wußten jetzt, daß die Kraft der
Reaktoren versiegt war.
Das Schiff schüttelte sich. Der Höhenmesser zeigte immer noch hohe Werte an.
»Können wir noch etwas tun?« fragte Rex Corda. Hinter der gelassenen Miene des Synoptikers ahnte
er die Verzweiflung.
»Die Gleitflächen lassen sich nicht ausfahren. Sie würden vielleicht unseren Sturz abbremsen können.
Die Zerstörungen sind zu groß. Es war die letzte Hoffnung.«
Rex Corda sprang auf den Laktonen zu. Er taumelte, als sich das Wachschiff in einer erneuten Bö
herumwarf.
»Kommen Sie, Decimo. Dann müssen wir eben nachhelfen.« Der Synoptiker begriff. Offenbar hatte er zunächst diese Möglichkeit für undurchführbar gehalten. Zusammen mit dem Terraner taumelte er die Gänge entlang und kroch durch enge Rohre, die nur für eine Überholung gedacht waren. Sie kletterten kleine Leitern empor, ließen sich durch schmale Schächte hinab, immer behindert durch die unvorhergesehenen Bewegungen des Raumers. Der Fehler fand sich schnell, aber es erwies sich als schwierig, ihn zu beseitigen. Die mechanischen Einrichtungen, die mit Servomotoren die gewaltigen Gleitflügel nach draußen stoßen sollten, waren durch zerrissene Metallplatten verklemmt. Die Motoren waren weggerissen worden. Es hätte also auch nichts genutzt, das Wirrwarr von Metall zu beseitigen. Die großen Flügel würden sich um keinen Zoll nach außen rühren. Insgesamt gab es vier solcher Flügel, die auf einem kranzförmigen Umbau des Wachbootes in der Mitte waren. Rex Corda brüllte dem großen Laktonen neben sich etwas zu, aber seine Stimme schien nicht durch das Durcheinander von knatternder Statik und durcheinanderirrenden Nachrichten der verstörten Wissenschaftler zu dringen. Ein gewaltiger Stoß erschütterte das kleine Raumschiff. Sie hatten eine weitere Atmosphäreschicht durchstoßen. Jetzt sahen es beide Männer: Die Wandung glühte auf. Auch der Boden unter ihnen strömte eine gewaltige Hitze aus. Wie viele Kilometer waren sie noch von der Oberfläche Swamps entfernt? Oder waren es nur noch Meter? Und konnte nicht jeden Augenblick der Aufprall kommen? Rex Corda riß seine Strahlpistole aus der Seitentasche seines Raumanzuges. Sein klobiger Handschuh umfaßte den Kolben, wurde eins mit ihm. Der gepanzerte Zeigefinger verschob den Regler auf maximale Streuleistung, dann krümmte er sich um den Drehpunkt. Eine grünliche Flamme raste aus der Waffe, stieß auf die breite Unterseite des spitzen Flügels zu. Im gleichen Augenblick begriff Latak Decimo, was der Terraner beabsichtigte. Seine Waffe trat ebenfalls in Aktion. Unter dem konzentrierten Feuer beider Strahler löste sich der breite Flügel aus seinen Lagern, glitt nach außen. Quälend langsam, ruckweise, Stück für Stück. Sie wurden herumgeworfen, aber ihre Augen waren klar, ihr Wille eisern. Sie starrten auf die meterlange Fläche, die sich langsam nach außen schob, zurückruckte, dann wieder ein Stück vorwärtsstieß. Ob sie noch Erfolg haben würden, konnten sie nur ahnen. Sie handelten jetzt völlig unbewußt, ließen den Strahl der Waffe wandern, erfaßten die gesamte Fläche, die sich nur zögernd bewegte. Dann schien das Schiff einen mächtigen Satz zu machen. Corda hörte einen Schrei, der sich in der engen Glocke seines Helmes vielfältig brach. Es war ein Schrei der Freude, oder täuschte er sich? Etwas stieß ihn gegen die Decke, aber der Strahler wurde nur für Sekunden von seinem Ziel abgelenkt. Etwas brach über ihm zusammen, klemmte ihn ein. Corda war unfähig, sich zu bewegen. Der Schmerz löschte alles aus… * Einmal war Tykanta eine mikroskopisch kleine Spore gewesen, die in den dichten Schwaden der Atmosphäre dahintrieb. Sie hatte sich in einer Bodenspalte festgesetzt, hatte Nahrung aufgenommen, die ersten Zellen entwickelt. Sie war hungrig. Ihr Appetit kannte keine Grenzen. Sie fraß sich durch den weichen Boden, der ihr Nahrung gab, schickte Wurzeln und Triebe aus, vergrößerte sich ungeheuer. Damals hatte sie noch kein Bewußtsein. Sie hatte erst vor kurzem begriffen, daß sie Tykanta war, daß sie dazu erschaffen war, zu erobern und zu herrschen. Sie hatte sich dem Boden angepaßt, war geschmeidig um Felsbrocken herumgeglitten, hatte ihre tastenden Wurzeln ausgeschickt. Tykanta war nicht immer erfolgreich gewesen. So erinnerte sie sich an das große Tier, für das sie eine willkommene Nahrung gewesen war. Ein Rückschlag, aber ein neuer Beginn. Sie hatte daraus gelernt. Sie mußte sich anpassen, tarnen. Eine Erfahrung aus jenem schrecklichen Erlebnis hatte sie gelehrt, die Fruchtkörper nicht an der Oberfläche zu lagern. Damals war ihre Reaktion rein instinktiv gewesen,
aber sie hatte richtig gehandelt. Jetzt lagen die Fruchtkörper in unterirdischen Höhlen, und auch das Auftauchen der Unbesiegbaren hatte nicht viel daran ändern können. Auch daran erinnerte sich Tykanta nicht gern. Sie ahnte jedoch, daß das Auftauchen der Unbesiegbaren mit dem Erwachen ihres Bewußtseins zusammenhing. Es war wie ein Schock über sie gekommen. Sie erkannte sich selbst, ahnte, was ihre Aufgabe war. Tykanta wollte einen Planeten beherrschen. Sie wußte nicht, daß es sich um einen Planeten handelte, ahnte noch gar nichts von Sonnen und dem grenzenlosen All. Dennoch strebte sie nach der Unendlichkeit. Der Gedanke war zuerst in ihr aufgetaucht, als sie feststellte, daß die Unbesiegbaren auch verletzt werden konnten. Es war ein Zufall gewesen. Aber dieser Zufall hatte das Leben Tykantas ebenso beeinflußt wie das Auftauchen jener Wesen, die sie in einem Anfall von Schwäche unbesiegbar genannt hatte. Es gab nichts, was sie nicht besiegen konnte. Sie wußte, daß die Oberfläche ihr Bereich war. Tykanta hatte ihre Wurzeln tief in das Innere des weichen Bodens gesandt und festgestellt, daß sie auf harte Materie traf. Das war für sie uninteressant. Sie wollte leben, sich ernähren, wachsen. Felsen half ihr dabei nicht weiter. Obwohl sie auch Felsen durchdringen konnte. Und die Unbesiegbaren würden ihrem unersättlichen Appetit ebenso zum Opfer fallen wie die kleineren Tiere, die sie in ihrem Herrschaftsbereich auch schon nahezu ausgerottet hatte. Kleinere Mißerfolge mußten dabei hingenommen werden. Aber es gab nicht nur Mißerfolge. Es war der Tag, an dem sie feststellte, daß die Fremden, jene seltsamen Wesen, eine besonders gute Nahrung abgaben. Tykanta hatte eine Neuentwicklung einer ihrer Kulturen geplant. Sie befand sich nahe des Zentrums, jenes Ortes, in dem ihr Bewußtsein zum ersten Male erwacht war. Es hatte sich um längliche, vielfach verzweigte Gebilde gehandelt, deren Oberfläche besonders gut dazu geeignet war, den Sauerstoff aufzunehmen. Natürlich befanden sich auch Seher an den neuen verzweigten Gebilden. Die Seher meldeten zuerst das Auftauchen des schwebenden Gegenstandes. Dieser Gegenstand war gegen die neue Kultur gestoßen, einer der Äste hatte instinktiv zugegriffen und einen der Unbesiegbaren herabgeholt. Er versank augenblicklich. Die Verletzungen, die Tykanta dabei erfuhr, kümmerten sie nicht. Die Nahrung war viel wertvoller. Es war ein Genuß, den sie nie zuvor erfahren hatte. Tykanta hatte nicht geglaubt, daß die merkwürdigen Körper der Fremden solche Köstlichkeit waren. Außerdem hatte sie an die Unbesiegbarkeit geglaubt. Das war jetzt vorbei. Es gab genug Unbesiegbare, um sich ab und zu von ihnen einen Leckerbissen zu ergattern. Oft genug strichen sie durch die Zweigkulturen, zerstörten alles, was sie fanden. Wenn sie allein waren, wurden sie zerstört. Waren sie zu zweit oder zu dritt – das hatte Tykanta durch ihre Seher sehr bald erfahren –, konnte man ihnen kaum etwas anhaben. Aber die Gelegenheit zu einem Leckerbissen bot sich oft. Heißer Schmerz durchzuckte sie. Ein empfindlicher Teil ihres weitverzweigten Körpers wurde von einer brüllenden Flamme getroffen und zu Asche zerschmolzen. Das ganze Zentrum Tykantas nahm an dem Schmerz teil. Noch weit entfernt verbogen sich ganze Wälder in Agonie. Seher welkten dahin oder schmolzen zusammen. Es war unfaßbar. Es war wie an dem Tag, als die Unbesiegbaren kamen, nur war sich Tykanta ihres Schmerzes weit mehr bewußt. Sie mußte etwas unternehmen. Aber sie durfte nicht unvorsichtig werden. Im Zentrum Tykantas trafen die Informationen der unverletzten Seher im Umkreis des Katastrophenortes ein. Und im Zentrum des gigantischen Körpers reifte ein Plan. * Das Erwachen war von einem heftigen Schmerz begleitet. Es dauerte ein paar Minuten, bis er begriff, daß die beißende Wunde auf seiner Oberlippe von den Schläuchen der Nahrungsaufnahme verursacht
worden waren, in die er sich festgebissen hatte. Rex Corda drehte sich um. Es war schwer, denn über ihm lag ein massiger Körper. »Decimo.« Er hatte schreien wollen, aber seine Stimme war nur ein schwaches Stöhnen. Doch der Laktone hatte ihn gehört. »Verdammt, Corda, Sie geben eine verdammt ungemütliche Unterlage ab.« Gleichzeitig wälzte sich der breite Körper des Synoptikers herunter. Beide Männer grinsten sich zu, etwas unsicher, aber in einem geheimen Einverständnis. Die Unsicherheit rührte daher, daß sie mit der Situation, in der sie sich befanden, überhaupt nichts anfangen konnten. Es war kein Geräusch zu hören. Der Boden vibrierte nicht mehr und beulte sich jäh heraus. Vor allem schien das Schiff ruhig zu liegen. Das konnte nur eines bedeuten. »Decimo, wissen Sie überhaupt, daß wir gelandet sind?« knurrte Corda. Die Stimme des Laktonen war ein heiseres Flüstern. »Es scheint so.« Der Synoptiker richtete sich jäh auf – und fiel wieder in sich zusammen. Er stöhnte, dann machte er erneute Versuche, sich aufzurichten. Unter Fluchen gelang ihm das. Dann zog er Rex Corda empor. Der Präsident der fernen Erde war unter einem verbogenen Stahlband an den Boden gepreßt, das eigentlich dazu dienen sollte, die Innentür der Schleuse zu verkleiden. Gemeinsam wanderten sie durch das Innere des zerstörten Schiffes. Das ganze Durcheinander war unbeschreiblich. Die Faust eines Titanen schien hier gewütet zu haben. Dank der Raumanzüge war jedoch keiner der Wissenschaftler ernsthaft verletzt worden. Mehrere hatten gebrochene Gliedmaßen zu beklagen, aber das entlockte den anderen nur ein mitleidiges Lächeln. Die Verletzungen wurden verbunden, die Brüche geschient. Alle versammelten sich im Kommandoraum, dem einzigen Raum, der allen Platz bot. Latak Decimo hatte seinen Raumhelm abgelegt und schlürfte genüßlich einen Cocktail. Die anderen schickten sich an, es ihm gleichzutun. »Darauf muß man wirklich trinken«, bekannte der Synoptiker seufzend. »Ich empfehle Ihnen, ein gleiches zu tun, meine Damen und Herren!« »Damen« war nun bei weitem übertrieben, denn die einzige Frau an Bord war Ierra Kretan. Die Mathematikerin wirkte irgendwie einsam und verloren unter den vielen Männern, die mit einer gewollten Fröhlichkeit versuchten, die niederschmetternden Tatsachen zu vertuschen. Als Rex Corda zu ihr herüberblickte, senkte sie schnell die Augen. Der Mund der Frau verzog sich zu einem schmalen Strich. Hent Marat hatte einige seiner Instrumente, die von den Strapazen unbehelligt geblieben waren, in den Kommandoraum geschleppt. In seiner üblichen legeren Art lag der Biochemiker auf dem Bauch und beobachtete einige Skalen. Rex Corda fiel auf, daß er seinen Raumhelm, im Gegensatz zu den meisten anderen, aufbehalten hatte. »Die Aufgabe eines Synoptikers«, erklärte Latak Decimo gerade, »besteht darin, den spezialisierten Wissenschaftlern ihre jeweilige Einzelaufgabe zuzuordnen. Das Prinzip der Synopsis ist es aber, den einzelnen nichts von der Gesamtheit der zu lösenden Probleme wissen zu lassen. Vielleicht werden Sie auch den Eindruck gehabt haben, daß schon in den oberen Luftschichten unsere Energiereserven versiegt waren. Das war falsch. Ierra Kretan selbst hat, ohne es zu wissen, die Energiemenge für den Endschock ausgearbeitet. Ich glaube, es ist ihr gelungen. Rex Corda hat…« »Sehr schön«, ließ sich Hent Marat vernehmen, »Ihre kleine Rede ist außerordentlich interessant, Decimo. Den Synoptikern wird auch in Zukunft meine Bewunderung gehören. Aber seien Sie so nett und setzen Sie Ihren Raumhelm wieder auf. Die anderen bitte auch. Sie haben etwa fünf Minuten verseuchte Luft eingeatmet.« Latak Decimo klappte den Unterkiefer herunter. Er schleuderte das Glas weit von sich und schloß hastig den Raumhelm über seiner Kombination. Die anderen beeilten sich, seinem Beispiel zu folgen. »Sehr schön«, sagte Hent Marat und richtete sich aus seiner liegenden Stellung auf. »Sie sollten alle
wissen und auch bestimmte Synoptiker, die ja meist in höheren Regionen schweben, daß die Hülle der COROCON III nicht als Musterbeispiel einer Raumschiffaußenwandung gelten kann. Die Lufthülle dieses Planeten entspricht weitgehend der eines normalen Sauerstofftyps. Allerdings schwirren hier so viele Bakterien, Sporenpilze und anderes Zeugs herum, daß ich keinem empfehlen würde, diese Brühe einzuatmen. Es wäre tödlich, längere Zeit ohne Filter hier zu leben.« »Irgend jemand muß jetzt wohl damit anfangen, diesen verdammten Planeten zu erforschen«, knurrte Latak Decimo. »Kar Kont wird die Abteilung für die Wiederherstellung der Außenhülle festlegen. Wir wollen hier schließlich keine Wurzeln schlagen. Sie haben hoffentlich unser Ziel nicht vergessen?« Das Ziel dieser Gruppe war die Erde. Keiner hatte es vergessen. Die Erde, die jetzt ferner denn je war, bot den laktonischen Wissenschaftlern jene große Freiheit, die sie bisher vermißt hatten. Aber ihr Ausbruchsversuch von Teckan, dem Planeten der Wissenschaft, dem geistigen Zentrum des laktonischen Reiches, hatte hier ein jähes Ende gefunden. So sah es jedenfalls aus. »Rex Corda und ich sehen uns diesen gastlichen Planeten einmal an«, verkündete Decimo. »Wir bleiben in Funkverbindung.« Zusammen schlüpften sie aus der Luftschleuse. Die Verriegelung war eigentlich nicht mehr sinnvoll, denn ohnehin war die Luft innerhalb des Wachbootes verseucht. Rex Corda sprang als erster auf den Boden. Der Terraner fluchte, als er bis über die Knie in einer zähen Masse versank. »Man sollte diese Welt nicht KS 3366 b nennen, sondern schlicht und einfach ›Swamp‹. Denn dieser Planet ist wirklich weiter nichts als ein einziger großer Schlammklumpen.« »Swamp«, grinste Latak Decimo. »Das werde ich mir merken. Zu Fuß kommen wir hier übrigens nicht weiter. Aber wir haben noch eine AntigravPlatte. Bir Osgo holt sie gerade mit seinen Bärenkräften aus dem Maschinenraum.« Zusammen mit zwei weiteren Laktonen schleppte der kleine Wissenschaftler die Plattform durch die Luftschleuse und ließ sie patschend auf den Sumpf fallen. Sofort stiegen Rex Corda und Latak Decimo auf die Plattform. Leicht hob die Antigravplatte vom Boden ab. Um das Raumschiff herum war die Oberfläche des Planeten schwarz gebrannt. Trotzdem schien sie porös und bodenlos. In der Ferne erhoben sich Wälder, durch die eine glühend rote Sonne herüberblinkte. Die Berechnungen hatten Latak Decimo gezeigt, daß das Zentralgestirn gerade aufgegangen war. Ein Tag lag vor ihnen. Ein Tag auf einer unbekannten, drohenden Welt. Swamp war alles andere als ein gastlicher Planet. Nicht nur die trübe, riesengroße Sonne erzeugte ein unbehagliches Gefühl in den beiden Männern. Auch der phosphoreszierende Boden, die kleinen, sich am Boden dahinwindenden Pflanzen bestärkten das Gefühl, daß diese Welt krank war. Die Evolution war nicht den natürlichen Weg gegangen. Rex Corda wandte sich um. Die COROCON III bot einen nicht sehr erfreulichen Anblick. Das Wachboot stand schräg auf dem sumpfigen Boden. Es war durch den Druck der Bremsdüsen zwar fast gerade aufgekommen, aber der sumpfige Untergrund schien das Raumschiff langsam verschlucken zu wollen. In der Ferne erhoben sich bläulich getönte Hügelketten, die von dem gleichen baumähnlichen Gewächs bewachsen zu sein schienen, wie es die COROCON III umgab, nur daß im Umkreis des Raumschiffes die Bäume verkohlt waren. Nach einigen Minuten näherte sich die Plattform den ersten größeren Pflanzen. Es waren kakteenartige Gewächse, die in einem grünlichen Blau schimmerten. Sie hatten fleischige Blätter, die mit langen Stacheln besetzt waren. Rex Corda griff nach einer dieser Pflanzen. Irgend etwas faszinierte ihn an diesen Gewächsen. Zwei Blätter verzweigten sich vor seinen Augen. Sie wuchsen empor, so schnell, daß das Auge der Veränderung folgen konnte. Ein fleischiger blaugrüner Arm teilte sich, ein Blatt strebte empor, entwickelte einen Dorn, teilte sich sofort wieder und gebar an der Spitze zwei giftgrüne Auswüchse, Klammern ähnlicher als Blättern.
Rex Corda fuhr zurück, als mit plötzlicher Gewalt an dem oberen Ende eine Knospe aufbrach.
»Stimmt etwas nicht?«
Latak Decimo ließ den Gleiter auf der Stelle schweben.
Der Synoptiker zuckte zurück. Seine Augen weiteten sich ungläubig.
Die Pflanze hatte ein Auge entwickelt und zwinkerte ihm zu!
»Corda, das ist unmöglich!« krächzte der Laktone.
Der Terraner betrachtete aufmerksam das Auge.
»Die Ähnlichkeit mag täuschen«, sagte Corda schließlich. »Es kann sich genausogut um eine Blüte
handeln, die absolut…«
Latak Decimo war unheimlich erregt.
»Das ist ein Auge«, keuchte er, »es gibt keinen anderen Sinn!«
Fassungslos betrachtete er den langen schwankenden Pflanzenstengel, auf dessen oberer Spitze das
runde, augenähnliche Organ schwebte. Mit einer entschlossenen Bewegung schoß die Hand des
Synoptikers vor und zerbrach den Hals der Blüte.
Das Auge perlte herab und verdunkelte sich, bevor es auf dem sumpfigen Boden auftraf.
Cordas Hand zuckte zur Waffe, doch es geschah nichts. Das seltsame Organ der Pflanze verschwand in
dem sumpfigen Boden dieses rätselhaften Planeten.
Sie glitten weiter vorwärts. Ab und zu schossen rötlich blinkende Augen aus der Oberfläche des
Sumpfes. Aber sie versuchten, diese gespenstischen Boten einer unerklärlichen Macht zu ignorieren.
Der elektronische Dolmetscher auf der Brust Cordas baumelte herab.
»Ich hoffe nur, daß wir bald spaltbares Material finden«, äußerte der Synoptiker. »Die COROCON III
muß von hier verschwinden. Ich fühle es. Wir müssen unsere Reserven auffüllen.«
Rex Corda, der Präsident der fernen Erde, fühlte es ebenfalls. Aber es war nur eine Ahnung, die sich in
ihm breitmachte.
Swamp war eine Welt des Unheils…
*
Der Akt der Dekorierung wirkte wie eine Trauerfeier. Tellek Perco, der kleine laktonische
Nachrichtenmann, nahm die Ehrung an der Seite des Kommandanten Muntt Tryvvans entgegen. Vor
ihnen eine Front steinerner Gesichter.
Die Laktonen wußten, was sie verloren hatten. Ohne die Gefiederten, die im Hinterhalt gelegen hatten,
wäre die Vernichtung des flüchtigen Raumbootes ein Kinderspiel gewesen.
Und trotzdem wurden die höchsten der wenigen Überlebenden geehrt. Perco und Tryvvan waren erst
vor wenigen Monaten entlassen worden. Ganze Teile ihres Bewußtseins waren ausgelöscht worden. Im
Grunde wußten sie auch gar nicht, worum es eigentlich ging. Denn auch der Verlauf der großen Schlacht
zählte zu den Dingen, die man aus ihrem Bewußtsein entfernt hatte.
»Sie werden als Geehrter Ihre Dienste fortsetzen.«
»Wir freuen uns.«
»Sie werden als Geehrter dem Schenna dienen.«
»Ja.«
Der Akt fand seinen Abschluß mit der feierlichen Verleihung des Ordens, dessen Bedeutung beide
Ordensträger nicht erfaßten. Irgend etwas gab es in ihrer Erinnerung…
Das Oberkommando Laktons ging ganz sicher.
Die Feierlichkeit war zu Ende, als ein Sicherheitsoffizier auf Muntt Tryvvan zutrat.
»Wie ich hörte, befand sich auf jenem Schiff, das Sie verfolgten, ein Agent von uns. Ich möchte…«
Ehe der Sicherheitsoffizier seinen Satz zu Ende sprechen konnte, wurde er von einem Gravofeld
abtransportiert.
Auch Sicherheitsoffiziere waren Beschränkungen unterworfen…
*
Ierra Kretan hatte den Raumanzug abgelegt. Wie die Messungen ergaben, war ihre Einzelkabine –
übrigens die einzige des Raumbootes – noch völlig luftdicht. Es war eine Wohltat für die
Mathematikerin, sich wieder einmal normal bewegen zu können. Normal – das war für sie eine
Bekleidung, die aus elegant geschnittenen Hosen und Pullis bestand. Ierra Kretan hielt nichts von
Uniformen. Sie war sich sehr wohl dessen bewußt, daß sie eine Frau war.
Einer anderen Tatsache war sie sich ebenso bewußt.
Der kleine, aber sehr weitreichende Sender war unter einem Durcheinander von Wäsche und anderen
persönlichen Utensilien getarnt. Dieser Sender hatte sie die ganze Zeit über beschäftigt. Es gab noch
andere Dinge, die sie beschäftigten. Faktoren, die sie zu einem Ganzen vereinen mußte.
Einer dieser Faktoren war der Terraner Rex Corda. Zunächst hatte Ierra Kretan versucht, diesen
Mann, der in ihren Augen ein Primitiver war, mit dem Abstand zu behandeln, den er zweifellos
verdiente. Doch es gelang ihr einfach nicht.
Der Terraner gehörte einer Kultur an, die der der Laktonen um Jahrhunderte zurücklag, und trotzdem
hörte Latak Decimo auf ihn.
Dieser Mann war eine Persönlichkeit!
Ierra Kretan war eine Frau, aber sie war auch Mathematikerin. Sie berechnete genau, welchen Einfluß
dieser Primitive auf ihre eigene Persönlichkeit nahm; sie versuchte auszuschalten, daß dieser Mann ihr
Leben gerettet hatte. Sie versuchte sich einzureden, daß jeder andere sich ebenso in die Flammen
gestürzt hätte. Aber diese Vorstellung barg keine Überzeugungskraft.
Mit einer entschlossenen Bewegung drückte Ierra die Ruftaste des Senders. Es war ihre Pflicht, den
ihr übertragenen Auftrag auszuführen. Persönliche Dinge galten dabei nichts. Es ging allein darum, daß
Lakton…
Die Mathematikerin lächelte bitter in sich hinein. Wie weit lag Lakton nach den Angaben Decimos.
Würde sie es jemals wiedersehen? Es schien nicht so zu sein. Die COROCON III schien so zerstört zu
sein, daß sie sich nicht mehr einen Meter über die Oberfläche eines Planeten erheben konnte.
Ierra Kretan atmete tief ein, dann aktivierte sie die Verbindung. Das blaue Licht leuchtete auf. Es
bestand also tatsächlich die Möglichkeit, mit Lakton zu sprechen.
Aus den Augenwinkeln sah sie die Bewegung. Hastig schob die Frau einige Kleidungsstücke über das
Gerät. Sie hätte fast aufgelacht, als sie Bir Osgo erkannte, der schüchtern in der Tür ihres Raumes
stand.
Hastig schloß der Raumexperte die Tür hinter sich. Zischend schlossen sich die Dichtungen.
»Sie sollten sich auch einen Raumfahranzug anziehen«, meinte Osgo leise. Er blickte zu Boden. Seine
mit optischen Kraftfeldprojektoren bewaffneten Augen schienen offenbar die in ein Trikot gekleidete
Frau nicht fassen zu können.
Ierra Kretan hatte sich schnell von ihrer Überraschung erholt.
»Was gibt es, Osgo?«
Unter der kühlen Stimme schien der Raumfahrexperte zusammenzuzucken. Mit seinen 1.70 Metern war
er für laktonische Verhältnisse ein Zwerg. Aus dieser Tatsache begründeten sich auch seine
Minderwertigkeitskomplexe.
Bir Osgo blickte auf seinen Raumanzug herab, der um seine Glieder schlotterte.
»Fan Kar Kont braucht Sie«, sagte er schließlich betreten. »Irgendwie sind Impulse von diesem
Raumschiff abgegangen, die verdächtig nach Tasterwellen aussahen. Sie werden zur
Winkelregistrierung benötigt. Genauere Angaben kann ich Ihnen leider auch nicht machen…«
Bir Osgo, der betreten die Augen niederschlug, als Ierra Kretan ihren Raumanzug überstreifte,
machte allerdings den Eindruck, als wüßte er gern einige Dinge genauer.
*
Die Störungen kamen von allen Seiten. Schmerzwellen überfluteten sie. Es war einfach zuviel.
Blindlings griff Tykanta zu.
Es war ein Unbesiegbarer, und er war allein!
Allerdings machte ihr die Größe des Wesens zu schaffen. Sie hatte den Körper nur wenige Sekunden in
einer Sektion gefangen, als er sich wieder zu befreien drohte. Eine ihrer stärksten Ranken riß.
Blitzschnell ließ Tykanta neue Triebe nachwachsen. Es geschah mit einer Geschwindigkeit, die sie zuvor
nie für möglich gehalten hatte.
Doch das Wesen wehrte sich verzweifelt. Eilig zog Tykanta entfernte Triebe zusammen, stieß
unbrauchbare Glieder ab, zog Energiereserven heran und bildete ein Nebenzentrum, direkt unter der Gefahrenquelle. Jetzt war es möglich, das Wesen wirkungsvoll zu bekämpfen. Neue Ranken schossen an der Oberfläche hervor, legten sich um die starken Gliedmaßen des Unbesiegbaren. Tykanta hatte das Wesen nicht unterschätzt. Dieser Fehler passierte ihr nicht mehr. Die Giftnadel war jetzt auch vorbereitet. Das hornartige Zusatzglied brach aus dem Boden und tastete sich voran. Tykanta entdeckte, daß der Unbesiegbare von einem Material umgeben war, das der Stachel nicht durchdringen konnte. Wieder stieß der Arm vor. Doch die scharfe Kante glitt an der Oberfläche ab. Kostbare Säure wurde verschwendet. Dann wußte Tykanta, wie sie vorzugehen hatte. Sie mußte ihr Gewicht verstärken, um den Unbesiegbaren herabzuziehen. Eine Menge neuer Triebe schossen aus dem Boden. Wie Schlangen ringelten sie sich empor. Für jeden Arm, den das Wesen abriß, legten sich zwei neue um seinen breiten Körper. Der Kampf entzückte Tykanta. Sie verschwendete ihre Kräfte, aber sie empfand ein nie gekanntes Vergnügen. Es war etwas gänzlich anderes, als bei Kleintieren auf der Lauer zu liegen oder die gewöhnlichen Unbesiegbaren zu erlegen. Das hier war ein Feind, der ihr gefährlich werden konnte. Tykanta achtete nicht auf die großen Schmerzen, die sie durchzuckten, wenn einer der Arme abgerissen wurde. Das Zentrum verlagerte sich. Neue Kräfte strömten zum Kampfplatz. Dicke, schwellende Adern pulsierten, erweiterten sich, brachen aus dem Sumpfboden heraus. Die Seher waren überall, sie lieferten ein vielfältiges Bild des Kampfes. Und einer der Seher entdeckte auch den schwachen Punkt des Giganten. Den Ansatzpunkt für den Giftstachel. Das obere Ende des Unbesiegbaren war überraschenderweise völlig ungeschützt. Das entsprach nicht den Erfahrungen, war aber mehr als günstig. Tykanta belohnte den Seher mit einem Energiestoß. Das Organ schwoll an und schwankte dankbar auf seinem dünnen Stengel. Jetzt konnte Tykanta zuschlagen. Der Giftarm ringelte sich empor und legte sich weit zurück. Jetzt konnte sie zustoßen! * Vorsichtig glitten die beiden Männer mehrere Meter über dem sumpfigen Boden dahin. Um sie herum leuchteten die Pflanzen in einem grünlichen Blau. Ab und zu tauchten rote Punkte auf, die wie Irrlichter wirkten. Über den fleischigen, großblättrigen Pflanzen stand die Sonne des SwampSystems. Sie leuchtete matt und riesengroß durch den Dunst der Atmosphäre. Die Umgebung wirkte gespenstisch. Wie eine dumpfe Drohung lag es über der fremdartigen Landschaft. »Wir haben nur eine Möglichkeit, hier wieder herunterzukommen«, sagte Latak Decimo. »Wir müssen spaltbares Material finden, um unsere Energiespeicher aufzufüllen. Die kümmerlichen Reste, die uns verblieben sind, reichen gerade dazu aus, ein paar Abdichtungsarbeiten auszuführen und die Luft zu reinigen. Aber sie können die COROCON III keinen Meter über den Boden dieser verdammten Welt heben.« Rex Corda blieb mit weitausholenden Bewegungen an der Seite des Synoptikers. Die kristallblauen Augen des Terraners suchten die Umgebung ab. »Haben Sie Hoffnung, daß wir etwas finden?« Latak Decimo schüttelte den Kopf. Über die Funkanlage Cordas kam ein verächtliches Seufzen. »Ich mache mir keine großen Hoffnungen. Dieser Planet ist ein unbrauchbarer Schlammklumpen. Ehrlich gesagt, ich bin mit Ihnen nur hier, um die anderen zu beruhigen…« Die Stimme des Synoptikers brach ab. Er hielt die Gravoplattform auf der Stelle. »Haben Sie es auch gespürt? Der Boden scheint sich bewegt zu haben!« Corda starrte auf die wellenförmige Bewegung der Pflanzen. Die Augen des Synoptikers hatten sich geweitet. Unter der Glocke des Raumhelms bewegte sich der breite Kopf leicht.
»Da! Jetzt wieder!« Auch Rex Corda sah es jetzt deutlicher. Es war wie eine wellenförmige Bewegung, wie eine Erschütterung, die über den weichen Boden lief. Pflanzen neigten sich. Fleischige Blätter rieben aneinander. »Gase, die an die Oberfläche gedrungen sind«, vermutete der Terraner. »Oder ein entferntes Erdbeben.« Der Laktone antwortete nicht. Er starrte schweigend auf das kleine Gerät, das er auf der Brustplatte seines Raumanzuges hatte. »Corda, die Instrumente haben angesprochen! Irgendwo gibt es radioaktives Material. Es muß sich um große Vorkommen handeln.« »Davon hätten wir aber schon früher etwas merken müssen«, wandte Rex Corda ein. »Eben. Das verstehe ich auch nicht. Die starke Strahlung hätten wir auch auf der COROCON III auffangen müssen. Dieser Planet ist verhext…« Eine seltsame Feststellung, dachte Rex Corda. Ein Synoptiker sollte eigentlich in wissenschaftlichen Terminologien denken. Plötzlich schien die Pflanzenwelt um sie herum in Bewegung zu geraten. Wieder lief ein Beben durch den Boden. Rex Corda stieß den Laktonen warnend an, als neben ihnen eine hohe Ranke in der Luft schwankte. Sie bewegte sich direkt auf die Männer zu. Feuchte Schlammklumpen klebten an der dicken Knospe, die auf dem vorderen Ende heranpendelte. Latak Decimo stieß ein heiseres Keuchen aus. Cordas Augen weiteten sich entsetzt. Die Außenmikrofone übertrugen urwelthafte, wilde Schreie, die ihnen die Trommelfelle zu sprengen drohten. Sie wurden von einem riesenhaften Mann ausgestoßen, der sich in verzweifelten Windungen bewegte. Der Riese mußte über fünf Meter hoch sein. Um Schulter, Körper und Gliedmaßen hatten sich unzählige fleischige Arme gelegt. In schlangenartigen Windungen krochen sie über den grünen Raumanzug, mit dem der Gigant bekleidet war. Was auf den ersten Blick einer Pflanze geglichen hatte, erschien bald als ein riesiger roter Polyp. Saugnäpfe hatten sich auf der Oberfläche des Raumanzuges festgesogen und rissen den Giganten hin und her. Die Gestalt sah, abgesehen von ihrer ungeheuren Größe, wie ein Mensch aus. Fassungslos sahen die beiden Männer, daß der Riese keinen Raumhelm trug. Er atmete die verseuchte Luft. Langes braunes Haar flatterte. Riesige blaue Augen schimmerten blutunterlaufen. Sein Kampf würde nicht mehr lange dauern. Das begriff Rex Corda sofort. Er ahnte auch die Bedeutung des dünnen, gewundenen Tentakels, der sich immer höher emporarbeitete. Ein gebogener Dorn saß an seinem vorderen Ende. Corda glaubte sogar die Tropfen einer Flüssigkeit zu erkennen, die von diesem Dorn herabfielen. Ehe Latak Decimo ihn daran hindern konnte, riß Rex Corda seinen Strahler aus der Halfter. Ein feiner, glühender Strahl bildete sich vor der Mündung und schoß auf den gefangenen Riesen zu. Dicht vor dessen Hals wurde die dünne, schlangenartige Ranke durchtrennt. Zuckend fiel der Tentakel zurück. Der Riese hatte jetzt die beiden Männer entdeckt. Mit ungeheurer Kraftanstrengung riß er mehrere der dicken Ranken gleichzeitig ab. Ungeheure Kräfte wüteten. Die Pflanze war nicht mehr in der Lage, neue Ranken zu bilden. Doch immer noch war der Gigant von Dutzenden von Armen umgeben, die ihn langsam auf den Boden preßten. Bis zu den Knien war der Riese eingesunken, doch seine ungeheure Gestalt erhob sich immer noch vier Meter über den Boden. Jetzt trat Latak Decimo in Aktion. Zusammen mit dem Terraner befreite er das ungeheure Wesen von den dicksten Pflanzenarmen. Zuckend schlugen die abgetrennten Enden auf den Boden. Dicker grünlicher Saft schoß meterhoch in die Luft. Wo er auf den Boden auftraf, zischte der Sumpf auf. Weiße Rauchsäulen stiegen in der dunstigen Atmosphäre Swamps auf. Der Riese hatte keine Mühe, sich mit seinen unwahrscheinlichen Kräften gegen die restlichen Ranken zu wehren. Die Beschäftigung des Ausreißens und Vernichtens schien ihm ein diabolisches Vergnügen
zu bereiten. Weißer Schaum stand ihm vor dem Mund. Er brüllte.
Das Brüllen wurde durch dröhnendes Gelächter unterbrochen. Die beiden Männer erschauerten.
Dann hatte sich der Koloß befreit. Er trampelte auf den zerfetzten Pflanzenresten am Boden herum,
stampfte tief in den weichen Boden und stieß dabei urwelthaftes Gebrüll aus. Die beiden Männer
schien er vergessen zu haben.
Latak Decimo hatte die Plattform gelandet.
Langsam trat Rex Corda näher. Die riesenhafte Gestalt faszinierte ihn. Züge des Gesichtes, Form der
Wangen, Kinn, Nase, Ohren sahen verblüffend menschlich aus. Nur die Größe der Gestalt besagte, daß
es sich um ein außerirdisches Lebewesen handeln mußte.
»Bleiben Sie hier, Corda!« zischte Decimo. Er zog den Terraner am Ärmel der Kombination zurück.
Im gleichen Augenblick sprang der Koloß auf sie zu. Die blutunterlaufenen blauen Augen hatten die
Größe einer Männerfaust.
Kann er uns gehört haben? zuckte es Corda durch den Kopf. Nein, das war unmöglich.
Gleich darauf erlebten sie eine andere Unmöglichkeit.
Zehn Meter vor ihnen war der Riese stehengeblieben. Mit einem einzigen Satz würde er sie erreicht
haben. Dann öffnete er den gewaltigen Mund. Dunkle Zähne lagen wie Felsen in einer Höhle aus grau
schimmerndem Fleisch.
»Verschwindet, ihr verdammten Mörder!« brüllte der Gigant. »Verschwindet, ehe ich euch eure
mageren Hälse umdrehe!«
Die beiden Männer erstarrten.
Der Riese hatte englisch gesprochen.
Die monströse Gestalt bückte sich nach einer abgerissenen Ranke und schleuderte sie den beiden
Männern gegen die Brust. Sie taumelten zurück. Decimo packte Corda am Arm, um ihn herumzureißen,
aber der Terraner war unbeweglich stehengeblieben.
Seine blauen Augen hatten sich geweitet. Sein empathischer Geist überschwemmte jeden vernünftigen
Gedanken. Er nahm die Gefühle des Monsters in sich wahr. Das Erlebnis war grauenhaft. Corda spürte
einen ohnmächtigen, hilflosen Zorn, der jede Regung des Riesen überflutete, spürte den wilden Haß auf
alles, was lebte und menschenähnlich aussah. Ein ungeheurer Vernichtungsdrang füllte diesen fremden
Geist bis zum Bersten aus.
Und dann spürte Rex Corda noch etwas anderes: Dieses Monster war wahnsinnig. Der von Haß und
Vernichtungswahn gepeinigte Geist war einer bösartigen Krankheit verfallen.
»Kommen Sie, Corda!« brüllte Latak Decimo. Er zerrte den Terraner zur Plattform zurück, aber Corda
schien wie versteinert.
Das krankhafte Gehirn drohte von ihm Besitz zu ergreifen. Die Ausstrahlungen waren ungeheuer stark
und in ihrer Bösartigkeit bezwingend.
Der Gigant sprang vorwärts. Seine Faust, die in einem mächtigen metallenen Handschuh steckte, schoß
den beiden Männern entgegen. Latak Decimo konnte Rex Corda im letzten Augenblick zurückreißen.
Beide taumelten zu Boden. Die mächtige Faust schoß über ihn hinweg. Ein brüllendes, wahnsinniges
Gelächter erschütterte die Luft. Abgerissene Worte wurden laut, Worte in englischer Sprache, aber
sie ergaben keinen Sinn. Wilde Flüche gellten in den Raumhelmen der beiden Männer.
Und wieder griff der Riese an.
Diesmal gab es kein Entkommen. Der Schnelligkeit des Riesen waren sie nicht gewachsen. Zwei
ausgestreckte Hände ergriffen die Körper der Männer, hoben sie hoch in die dunstige Atmosphäre, um
sie zu Boden zu schleudern.
Die grausame Umklammerung nahm Latak Decimo den Atem. Aus den Augenwinkeln sah er den Körper
Rex Cordas. Der Terraner lag seltsam erschlafft in der gewaltigen Faust, die mühelos seine Hüfte
umspannte.
Der Riese kostete sichtlich die Situation aus. Wilde Verwünschungen quollen von den verzerrten
Lippen. Graue Schaumflocken fielen zu Boden.
Der Druck um seine Hüfte wurde unerträglich.
Latak Decimo schrie in höchster Todesqual auf.
*
Die massige Gestalt Hent Marats saß in dem breiten Schalensessel. Er beobachtete Ierra Kretan, die
den Computer bediente, während Fan Kar Kont die errechneten Daten ablas.
Hent Marat überlegte sich, daß ihm eine kräftige Mahlzeit nichts schaden konnte. Es gab nur wenige
Räume, die abgedichtet und schon desinfiziert waren. Trotzdem stand einer Mahlzeit nun nichts mehr
im Wege. Marat beschloß jedoch, noch einige Minuten zu bleiben. Irgend etwas an dem Benehmen der
Mathematikerin fiel ihm auf. Die Frau schien nervös zu sein.
Marat schüttelte den Kopf. Sie hatte Schweres durchgemacht wie alle an Bord. Die Strapazen, die
Angst, die ausgestandene Gefahr wirkten sich erst jetzt aus. Und trotzdem…
»Mittlere Entfernung von der Sonne?«
Die Stimme Kar Konts klang kalt und präzise.
Der Mund der Frau verengte sich zu einem schmalen Strich.
»238,8 Millionen Kilometer.«
»Äquatorialdurchmesser von KS 33 66 b?«
»9838 Kilometer.«
»Dichte?«
Das Spiel von Frage und Antwort dauerte an.
»Ierra, wir haben Wellen aufgefangen, die von einem Hochleistungsfunkgerät abgestrahlt worden sein
müssen. Wissen Sie etwas darüber?«
Die Frau schüttelte den Kopf. Hent Marat blieb interessiert stehen. Funkwellen? Wer an Bord konnte
Interesse daran haben, einen Funkspruch abzusenden. Und an wen?
Ein Verdacht stieg in Marat auf.
»Wir können uns natürlich irren«, meinte Kar Kont beiläufig. »Die Instrumente haben auf dem Wege zu
diesem Planeten mehr als einmal verrückt gespielt. Trotzdem sollten wir der Sache auf den Grund
gehen. Meinen Sie nicht auch, Ierra?«
»Es kann sich auch um eine Sekundärstrahlung handeln«, meinte die Frau gleichmütig. »Ich verstehe
nicht, was daran so interessant sein soll.«
»Wenn es wirklich so ist«, sagte Fan Kar Kont, jedes einzelne Wort betonend, »daß jemand an Bord der
COROCON III versuchte, einen Funkspruch ins All zu senden, dann gibt es nur einen Schluß: Wir haben
einen Spitzel an Bord!«
»Was soll ich dabei?« erkundigte sich Ierra Kretan.
»Sie sollen uns helfen, Ierra, den Standort dieses Senders auf diesem Schiff zu berechnen. Mehr
wollen wir von Ihnen nicht!«
Ierra Kretan nickte. Dann weiteten sich ihre Augen. Sie würden dunkel vor Erstaunen. Der
ausgestreckte Arm der Frau wies auf den Holografen. Die Hand in dem schweren Handschuh zitterte.
»Sehen Sie sich das an!«
Vor Stunden noch war der sumpfige Boden des Planeten ein schwarzgebrannter kahler Fleck gewesen.
Doch jetzt erhoben sich fleischige grünlichblaue Blätter um das Schiff herum, als hätte es nie eine
Verbrennung des Bodens gegeben. Zahlreiche glühend rote Punkte leuchteten durch den Dunst, der in
Schwaden am Boden dahinkroch.
Hent Marat schüttelte den Kopf.
»Wir werden uns auf einige Überraschungen gefaßt machen müssen«, äußerte er. »Hoffentlich haben
Latak Decimo und Rex Corda keine Schwierigkeiten.«
Fan Kar Kont verglich die Skala des Zeitmessers mit seinen Aufzeichnungen.
»Sie müßten sich schon längst gemeldet haben«, sagte er ernst.
*
Er fühlte, daß ihm die Sinne schwanden. Rex Corda schwebte in der engen Umklammerung in einer Höhe
von etwa sechs Metern über dem Sumpfboden Swamps. Das höhnische, irre Gelächter des Riesen gellte
in seinen Ohren.
Er war wie gelähmt. Und trotzdem brachte er es fertig, seine haltlos pendelnden Arme zu einer
vernünftigen Bewegung zu zwingen. Corda schwang sich mit äußerster Willensanstrengung nach rechts.
Seine Hand schoß herunter und griff nach dem Kolben des Strahlers. Die Waffe klapperte auf dem rauhen Metall des ungeheuren stählernen Handschuhs, der seinen Oberkörper umklammerte. Der Ausdruck höllischen Vergnügens auf den verzerrten Zügen des Giganten veränderte sich zu einer Grimasse des Entsetzens, als der blitzende Strahl aus der Waffe schoß. Ein gurgelnder Schrei löste sich. Rex Corda fühlte, wie der Griff schlaffer wurde. Dann öffnete sich die Faust des Giganten. Zwei dunkle Körper fielen auf den weichen Boden des Planeten. Sofort sank Corda bis zu den Knien ein. Über ihm taumelte die gigantische Gestalt. Der Riese griff nach seinen Augen, die jetzt nichts mehr sahen. Doch die Strahlen der Waffe waren tiefer gedrungen. Es war unglaublich, daß sich der Gigant noch auf den Beinen halten konnte. Rex Corda löste sich mit äußerster Willenskraft aus dem Zwang des Entsetzens. Der Terraner kroch auf die Gestalt zu, die nur wenige Meter neben ihm halb in den Boden eingesunken war. Der dunstige Himmel verdunkelte sich über ihnen. Einen Augenblick war der mächtige Kopf des Riesen von dem feurigen Ball der Sonne des SwampSystems wie von Blut übergossen. Dann fiel er vornüber. Corda sprang zur Seite, Latak Decimo mit sich reißend. Sie mußten aus dem Bereich der zuckenden Gliedmaßen kommen. Der Riese peitschte in seinem Todeskampf große Brocken der sumpfigen Erde empor, riß Pflanzen aus und erschütterte mit seinem wütenden Brüllen die Luft. Latak Decimo bewegte sich totenbleich an der Seite Rex Cordas. Zusammen brachten sie sich in Sicherheit. Corda war aus seinem Alptraum erwacht. Mit geweiteten Augen beobachtete er, wie der ungefüge Körper des Riesen langsam versank. Der sumpfige Boden schloß sich nach wenigen Minuten über dem Giganten. Die Männer zogen sich weiter zurück. Der Boden schien plötzlich flüssig zu werden. Blasen stiegen auf, wo der Riese versunken war, zerplatzten und verströmten einen eigenartigen Geruch. Wie der Dunst eines Raubtieres, vermischt mit Fäulnis… »Kommen Sie, Corda«, murmelte Latak Decimo. »Wir müssen zurück.« Der Laktone gab seine Standortmeldung und empfing sofort die Antwort der COROCON III. Ohne sich um die erregten Fragen zu kümmern, ließ er sich die Richtungsdaten geben. Dann stieg die Antigravplatte wieder auf. Die Zahl der brenenden roten Lichter am Boden hatte sich vergrößert. Mehr denn je schienen sie wie bösartig funkelnde Augen. * Das Zentrum Tykantas entspannte sich. Sie hatte Verluste erlitten, aber neue Energien hatten diese Verluste ersetzt. Es war der größte Unbesiegbare gewesen, den sie jemals aufgenommen hatte. Das glich auch die Tatsache aus, daß die Lebensenergie schon gewichen war. Aber sie durfte sich nicht ausruhen. Neue Aufgaben warteten. Der ewige Hunger trieb sie vorwärts. Auch die Verbrennungen waren geheilt. Jetzt konnte Tykanta darangehen, ihren Plan auszuführen. Sie hatte Zeit, und ihre Energien waren fast unerschöpflich. Aber sie mußte sich beeilen. Die Bewegungen der Unbesiegbaren waren sehr schnell, manchmal zu schnell. Doch auch das hatte Grenzen. Tykanta dachte an den Tag, an dem sie die Quelle der Kraft erobern würde. Jenes Zentrum, dem sie ihr Erwachen aus der dumpfen Bwwußtlosigkeit verdankte. Nichts würde danach ihrer Herrschaft über diesen Planeten im Wege sein. * »Es gibt bessere Särge als einen dieser Raumanzüge«, äußerte Latak Decimo. Im Innern des einen abgedichteten Raumes hatten sie es sich bequem gemacht. Alle außer den Wachtposten hatten sich in der Zentrale versammelt. Die Neuigkeiten waren begierig aufgenommen worden, aber keiner der Wissenschaftler konnte sich ein Bild von den rätselhaften Vorgängen auf Swamp machen. Hent Marat vermutete, daß es sich bei dem riesenhaften Menschen um eine halbintelligente Rasse
dieses Planeten handelte. Die Tatsache, daß er Rex Corda in englischer Sprache angeredet hatte,
deutete darauf hin, daß es sich um eine telepathische Intelligenz handelte.
Obwohl Latak Decimo und Rex Corda diese Ansicht nicht teilen konnten, war es unmöglich, das
Gegenteil zu beweisen.
Die Tatsachen paßten einfach in keine andere Theorie. Es war nicht unmöglich, daß Menschen zu dieser
Größe mutierten, aber wie kamen Terraner auf diesen abgelegenen Planeten?
»Wir brechen morgen wieder auf«, sagte Rex Corda. »Wir müssen die Leiche des Riesen finden. Eine
genaue Analyse wird Aufschluß darüber geben, womit wir es zu tun haben.«
»War es nötig, ihn zu töten?« fragte Fan Kar Kont ernst.
»Es war reine Notwehr«, protestierte Latak Decimo. »Wir wären nicht hier, wenn Rex Corda nicht
geschossen hätte.«
Aller Augen wandten sich zur Tür, als die ruhige Stimme Ierra Kretans erklang. Die Mathematikerin
trug diesmal nicht Hose und Pullover, sondern die übliche Bordkombination der laktonischen
Wissenschaftler: Einen dunkelgrünen Overall, einen schmalen, hellen Gürtel und knöchelhohe Stiefel.
Ierra Kretan hatte selbstbewußt den dunklen Kopf erhoben.
»Sie sollten nicht gehen, Corda!« Fan Kar Kont hustete trocken. Latak Decimo konnte ein leichtes
Grinsen nicht verhindern. Rex Corda, der neben John Haick stand, sah die Frau erstaunt an. Unter dem
zwingenden Blick des Terraners senkte die Mathematikerin den Kopf.
»Ich meine«, sagte sie stockend, »Sie haben ungeheure Strapazen hinter sich. Sie könnten dem
Kommenden nicht gewachsen sein.«
Die Frau spielte mit dem kirschroten Ring, den sie an der linken Hand trug. Das Schweigen, das sie
umgab, zwang sie, den Kopf zu heben.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie mit verlegenem Lächeln, »es war dumm von mir.«
»Was heißt überhaupt Strapazen?« wunderte sich, Bir Osgo. Der kleine Organisationstechniker stellte
sich auf die Zehenspitzen. »Nur wer jemals den Hyperraum gesehen hat, kann beurteilen…«
Rex Corda sah den Laktonen aufmerksam an. Bir Osgo biß sich auf die Lippen und schwieg. Das
Kraftfeld verzerrte das Bild seiner Augen, als der Laktone den Blick senkte.
»Wir haben einiges durchgemacht«, sagte Rex Corda scharf. Dann bedauerte er sofort wieder, daß er
den Kleinen so scharf angefahren hatte. Er wußte, daß Bir Osgo niemals den Hyperraum gesehen haben
konnte, wenn das überhaupt möglich war. Er war bewußtlos gewesen wie alle anderen. Außerdem hätte
ihm eine riesige Stahlplastplatte die Sicht genommen.
In der improvisierten Lichtschleuse erschien Hent Marat. Er schleppte an einem riesigen
Kunststoffbeutel. Der Biochemiker kam wieder einmal im rechten Augenblick. Jetzt erinnerten sich
alle, wie hungrig sie waren.
»Hören Sie, Osgo«, meinte Rex Corda, während er dankbar von Marat eine Verpflegungsration
entgegennahm.
Die tiefliegenden Augen wandten sich ihm mißtrauisch zu.
»Könnten Sie vielleicht mit einigen anderen Spezialisten das Energiepotential der Garvoplattform
erhöhen?« Er wandte sich an Decimo. »Reicht unser Energievorrat aus?«
Der Synoptiker nickte langsam.
»Es könnte reichen. Osgo, macht Ihnen das Schwierigkeiten?«
Bir Osgo schüttelte lächelnd den Kopf und fühlte dankbar, daß man ihn wieder anerkannte.
»Sie können das Ding in drei Stunden haben.«
»Danke, morgen früh ist auch genug. Wir sollten uns alle etwas ausruhen.«
Aber daraus wurde nichts.
Einer der draußen aufgestellten Posten glitt blitzschnell durch die improvisierte Luftschleuse zum
Kommandoraum.
»Draußen ist der Teufel los!«
Aller Augen wandten sich zu dem mächtigen Holografen an der Stirnseite des Raumes. Doch dort war
nichts zu erkennen. Bis sie genauer hinsahen. Winzige Lichtpünktchen tauchten auf und schienen direkt
auf den Beschauer zuzurasen.
»Das sind Pfeile!« keuchte der Posten. Einen Augenblick sah er entsetzt an seinem Raumanzug herunter, dann riß er seine Waffe aus dem Halfter, schaltete sie auf breiteste Streuwirkung und feuerte einen kurzen Energiestoß gegen seine rechte Seite ab. »Was ist eigentlich los?« »Das war wieder einer von diesen verdammten Pfeilen. Sie können die Raumanzüge durchdringen, wenn man nicht aufpaßt.« Langsam bekamen sie aus dem Laktonen heraus, daß seit einer halben Stunde ein wahrer Schauer von winzigen Pfeilen auf die COROCON III abgefeuert wurde. Zuerst hatten sie nicht darauf geachtet. Dann aber hatte man bemerkt, daß mehrere Pfeile an einer Stelle durch die Raumanzüge dringen konnten. Zwei Mann der Besatzung, die die größten Lecks der COROCON III bewacht hatten, wanden sich jetzt in Krämpfen. Sie befanden sich in einem abgedichteten Raum. Es handelte sich um die Kabine Ierra Kretans. Die Mathematikerin war im gleichen Augenblick aus dem Kommandoraum verschwunden. Rex Corda sah ihr gedankenvoll nach. Der Posten beruhigte sich langsam. »Wenn ich Sie recht verstanden habe«, sagte Hent Marat, »sind die Dinger eigentlich harmlos?« Der Posten nickte. Man mußte nur höllisch aufpassen. Besonders die Tatsache, daß die Sporen durch die Lecks gedrungen seien und sich überall im Schiff breitmachten, halte er für gefährlich. Unbedingt müßte man besonders wachsam sein. »Kommen Sie«, sagte Hent Marat zu Latak Decimo. Die anderen folgten ihm. Überall in den Gängen konnte man die schwach leuchtenden winzigen Objekte sehen. Hent Marat nahm eines auf und legte es auf die Innenfläche seiner gepanzerten Handschuhe. Der Giftpfeil glich eigentlich mehr einem Flugsamen. »Pflanzlichen Ursprungs«, murmelte Marat. »Diese verdammten Gewächse da draußen befinden sich in der Reifezeit. Vernichten Sie sie!« Unter dem konzentrierten Feuer der Strahler krümmten sich die fleischigen Blätter der grünlichblauen Pflanzen zusammen. Gleichzeitig hörte auch der Sporenflug auf. Nun begann eine Jagd in den Gängen nach den kleinen Pfeilen. Mit breitester Streuwirkung ließen die Strahler jene unscheinbaren Geschosse als verbrannte Stäubchen zu Boden sinken. Nach einer halben Stunde war der verseuchte Teil des Schiffes gesäubert. »Offenbar ein natürlicher Prozeß der Entwicklung dieser Pflanzen«, äußerte Hent Marat. Erst später erkannte er seinen schwerwiegenden Irrtum. * Bir Osgo wies stolz sein Ergebnis vor, das er mit mehreren Technikein erarbeitet hatte. Die umgebaute Gravoplatte konnte bedeutend schneller manövrieren. Fan Kar Kont hatte schweren Herzens seine Zustimmung gegeben, den Reaktor der COROCON III anzuzapfen. Er war sich darüber klar, daß die Restenergie lange nicht ausreichend war, um das Wachschiff von der Oberfläche Swamps abzuheben. Aber jetzt konnte er bei einem etwaigen größeren Angriff die großen Energieprojektoren nicht mehr einsetzen. Corda und Decimo bestiegen die kleine Plattform in der Hauptschleuse. Und diesmal hatten sie mehr Spezialinstrumente mitgenommen. Dazu gehörte die laktonische Entwicklung eines Echolotes, das sie besonders zur Aufspürung des Vorkommens verwenden wollten. »Haben Sie die Art des Vorkommens herausbekommen?« fragte Fan Kar Kont. Latak Decimo schüttelte den Kopf. »Es handelt sich offenbar um radioaktives Gestein. Wir dürfen nicht zu optimistisch sein, wenn auch das Auftauchen dieses Riesen darauf hinwies, daß dieser Planet keineswegs tot und öde sein kann. Mein Gefühl sagt mir, daß wir hier so bald wie möglich verschwinden sollten.« Mit bitterem Lächeln fügte er hinzu: »Eigentlich sollten wir jetzt schon auf der Erde sein.« Rex Corda sah Decimo ernst an. »Wir kommen hin«, sagte er. »Das verspreche ich Ihnen.« Doch die Erde, das Ziel der unterdrückten laktonischen Wissenschaftler, schien so weit wie nie
entfernt zu liegen.
Aber auch Fan Kar Kont lächelte jetzt optimistisch.
»Wenn Sie zurückkommen, Decimo, ist die COROCON III so weit, daß wir starten können. Wir bleiben
in Verbindung. Viel Glück!«
Das äußere Schleusentor des Wachbootes öffnete sich. Die flache Plattform mit den beiden Männern
bewegte sich vorsichtig auf den Rand zu und stieg dann unter dem Steuer Decimos leicht auf. Der
Gleiter vollzog eine elegante Kurve und stieg dann weiter. Sie hatten sich zunächst sofort zu der Stelle
begeben wollen, wo das rätselhafte Monster im weichen Boden des Planeten versunken war, doch etwas
veranlaßte Rex Corda, Decimo um eine weitere Schleife um das Wachboot zu bitten.
»Decimo, sehen Sie sich das an!« Rex Corda blickte über den Rand hinunter.
»Vor drei Stunden haben wir diese Pflanzen um das Schiff herum ausgerottet, und jetzt sieht es so
aus wie vorher!«
Sie beobachteten ein paar Minuten lang die Umgebung des Wachschiffes, dann strebte der Gleiter
nach Norden.
Bir Osgo hatte mit seinen Technikern wirklich ganze Arbeit geleistet. Der Gleiter sah ziemlich primitiv
aus, aber er erfüllte seine Funktionen vorzüglich. Leicht strich das Flugzeug über den niedrigen
Dunstwolken dahin.
Als sie nach wenigen Augenblicken die Stelle erreicht zu haben glaubten, wo der Riese im Sumpf
versunken war, ließ Decimo den Gleiter auf der Stelle schweben. Das Echolot trat in Aktion.
»Verdammt!« knurrte Decimo, der sich langsam die terranische Ausdrucksweise angewöhnte, »so ein
riesiger Körper kann sich doch nicht in so kurzer Zeit auflösen? Und was ist das?«
Rex Corda beugte sich vor.
Der Gleiter schwebte in einer Höhe von zwanzig Metern über der Oberfläche. Unten regten sich die
breiten, fleischigen Wedel der Pflanzen in einer pulsierenden Bewegung. Sie schienen doppelt so groß
zu sein wie vor wenigen Stunden, aber das konnte eine Täuschung sein.
»Sehen Sie, Corda«, sagte Decimo erregt, »unter der Oberfläche müssen ausgedehnte Höhlen liegen.«
Corda wußte nicht, worauf der Synoptiker hinauswollte.
»Nach den ersten Messungen«, fuhr Decimo fort, »ist der Boden dieser Höhlen völlig eben, während
die Decke ein unregelmäßiges Gewölbe zu sein scheint. Verstehen Sie, was ich meine, Corda?«
Der Funken der Erregung sprang auf den Terraner über.
»Ich verstehe«, murmelte Rex Corda, »diese Höhlen sind künstlichen Ursprungs!«
Latak Decimo nickte zustimmend. Er maß sorgfältig Ausdehnung und Länge der Höhlen aus.
»Es muß sich um ein riesiges Gewölbe handeln«, stellte der Synoptiker fest. »Vielleicht handelt es sich
um die Wohnung des Monsters.«
»Kein erfreulicher Gedanke«, knurrte Rex Corda. »Aber ich glaube nicht daran. Dieses Monster paßte
einfach nicht auf diesen Planeten. Die Theorie Hent Marats, daß es sich bei dem Riesen um einen
telepathisch begabten Bewohner des Planeten handelt, kann ich nicht teilen. Aber ich fürchte, wir
vergeuden unsere Zeit!«
Latak Decimo beschäftigte sich wieder mit dem Energiedetektor. Das Suchgerät gab sofort die
Richtung an. Es handelte sich um ein Kraftfeld von unvorstellbarer Größe.
Während die beiden Männer Vermutungen austauschten, unterbrach sie ein Schrillen. Die COROCON
III meldete sich mit dem verabredeten Zeichen.
Fan Kar Kont war gegen seine sonstige Gewohnheit äußerst erregt.
»Hören Sie, Decimo, wir haben einen Notruf aufgefangen. Die Intensität war ungeheuer. Der Notruf
kam von diesem Planeten, und er war auf Lakton ausgerichtet. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Sie brauchen nicht so zu schreien«, bemerkte Latak Decimo ruhig. »Sind Sie sicher, daß der
Funkspruch von diesem Planeten kommt?«
Fan Kar Kont schien die Nerven zu verlieren. Einen Augenblick hörte man Gesprächsfetzen, als er sich
mit einem anderen Wissenschaftler unterhielt.
»Der Notruf kommt von diesem Planeten. Seine Intensität und Dringlichkeit läßt vermuten, daß man
begründete Hoffnungen hat, daß Lakton Hilfe sendet. Ich habe errechnet, daß es nur noch ein paar
Stunden dauern wird, bis die ersten Raumschiffe Laktons ankommen. Zwangsläufig wird man uns
finden. Was dann passiert, können Sie sich denken. Wir haben vielleicht die COROCON III in ein paar
Stunden startbereit, aber wir brauchen Energien. Besorgen Sie Energien, dann können wir starten.«
»Verstehen Sie, Decimo?« brüllte Kar Kont.
»Ja«, sagte Decimo leise, »ich verstehe. Laktonen sind auf Swamp.«
Latak Decimo schwieg.
Rex Corda mischte sich in das Gespräch. »Haben Sie den Notruf anpeilen können?« fragte er.
»Natürlich«, bellte Kar Kont. »Sie müssen in nördlicher Richtung suchen. Nach unseren Ergebnissen
kommt dieser Notruf von einem hohen Bergkegel in nördlicher Richtung. Es sollte verhältnismäßig
einfach sein…«
Fan Kar Kont unterbrach sich wieder und wechselte mit einem Nebenstehenden ein paar aufgeregte
Worte.
»Bei euch scheint ja allerhand los zu sein«, bemerkte Latak Decimo.
Fan Kar Kont lachte trocken.
»Es sind wieder diese verdammten Pflanzen.«
»Wieder Giftpfeile?«
»Nein. Sie haben sich etwas Neues einfallen lassen. Es handelt sich um große, polypenartige Wesen, die
sich nähern. Sie wirken fast wie Tiere. Sie gleichen übrigens jener Pflanze, mit der euer Monster
gekämpft hat.«
»Dann viel Vergnügen«, wünschte Decimo. »Mit einem Strahler könnt ihr die Dinger fertigmachen. Wir
melden uns wieder.«
»Viel Glück!«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Latak Decimo ließ den Gleiter nach Norden schnellen.
»Geht Ihnen das in den Kopf, Corda?« fragte er beiläufig. »Laktonen auf diesem gottverlassenen
Planeten. Was suchen sie hier? Und dann: Was ist geschehen, daß sie einen Notruf nach Lakton
abgeben?«
*
Ihre Geduld war unerschöpflich. Sie wußte, daß man alles bekommen konnte, wenn man zu warten
vermochte. Warten hieß aber nicht untätig sein.
Und ein neuer Plan reifte in der Riesenpflanze heran. Der Angriff der Sporen war ein Fehlschlag,
gewesen. Auch die breite Front der Ranken drohte erschlagen zu werden. Neue blutende Wunden.
Aber der neue Plan durfte nicht fehlschlagen. Die Nacht war dafür am günstigsten.
*
Stolz betrachtete Muntt Tryvvan den neuen TrakonRaumer, den man ihm unterstellt hatte. Er
verfügte über eine erstklassige Besatzung. Darunter befand sich auch sein Cheffunker Tellek Perco.
Während Tryvvan im Gravolift zur Schleuse emporschwebte, glitten seine Blicke liebevoll über die
glatte, geschwungene Wandung des Raumschiffes der TrakonKlasse. Seine Spitze verlor sich in den
Wolken Teckans. Ohne die gewaltigen Gravofelder würde die ungeheure Masse zusammenbrechen.
In wenigen Minuten befand Muntt Tryvvan sich in der Kommandozentrale. Sein Stab von Offizieren
erwartete ihn respektvoll.
Kommandant Tryvvan grüßte kurz und wandte sich dann dem Hauptholografen zu. Jetzt erst würde er
über den Sinn der neuen Order aufgeklärt werden. Bisher wußte er nur zwei Dinge: Das Projekt
unterlag der höchsten Geheimhaltungsstufe, und äußerste Eile war erforderlich.
Plötzlich erschien das Gesicht eines Laktonen auf dem Schirm. Auf den Schultern blitzten Edelsteine.
Der massige Kopf neigte sich vor, ein kleiner Mund entblößte rötliche Zähne.
»Kommandant Tryvvan!«
Die Ehrenbezeigung des Kommandanten wurde gnädig aufgenommen.
»Wir geben Ihnen jetzt die Koordinaten des Planeten KS 33 66 b…«
*
Der Bergkegel ragte steil in den dunstigen Abendhimmel Swamps empor. Es fiel Rex Corda auf, daß die
weite Ebene, über die sie jetzt dahinschwebten, fast keinen Pflanzenwuchs zeigte. Aber er vergaß es
sofort wieder. »Wir hätten ein Peilgerät mitnehmen sollen. Jetzt wissen wir natürlich nicht, ob diese seltsamen Notrufe wirklich von diesem Bergkegel kommen. Wo sollen wir hier Laktonen finden. Und zu welchem Zweck sind die hier?« Rex Corda hielt ein kleines Gerät vor seine Augen. Die Luftverdichtung vor seinen Augen wurde von einem Kraftfeldprojektor vorbereitet. Die Anwendung des Gerätes entsprach einem irdischen Fernglas, doch die Funktion war wesentlich besser. »Wir kommen auch ohne Peilgerät aus«, stellte Rex Corda fest. »Gehen Sie tiefer, Decimo. Wir geben zwar kein besonders gutes Ziel ab, aber man soll es auch nicht auf die Spitze treiben.« Latak Decimo senkte die Plattform, bis sie dicht über dem Boden dahinschoß. »Fliegen Sie nach Westen. Ich glaube, dort kommen wir unserem Ziel näher.« Der Bergkegel ragte spitz und völlig nackt aus dem Boden heraus. Er erschien wie ein Klotz, den man einfach auf den Boden Swamps gestellt hatte. Zahlreiche Schroffen und Grate liefen an der Oberfläche entlang und warfen täuschende Schatten. Die beginnende Dunkelheit ließ alles noch gespenstischer und unwirklicher erscheinen. Ein großer Schwarm Raubvögel flog krächzend vor ihnen auf. Aber sie kümmerten sich nicht weiter um den kleinen Gleiter, dessen Insassen mit ihren scharfen Augen die Schatten der Dämmerung zu durchdringen versuchten. Sie waren um den halben Kegel herumgeglitten, als sie es gleichzeitig sahen. Decimo ließ sofort den Gleiter durchsacken. Dann setzte die Plattform sanft auf dem Boden Swamps auf. Vor ihnen erhob sich ein riesiges Tor. Es war hoch genug, um ein kleineres Raumschiff wie die COROGON III hindurchzulassen. Doch es war verschlossen. Ein Mechanismus zum Öffnen war nicht zu entdecken. »Funksignale«, vermutete Latak Decimo, »einen Schlüssel werden wir hier nicht finden. Es wird durch Funksignale geöffnet. Ich kenne diesen Typ etwa. Er wurde auf Teckan ebenfalls verwendet. Die unterirdischen Labors wurden mit genau diesen Toren abgesichert.« In der Stimme des Synoptikers klang Befremden mit. »Das Ganze ist mir ein Rätsel. Lakton scheint hier ungeheure Summen investiert zu haben.« Es war das erste Mal, daß Rex Corda den Synoptiker wirklich ratlos sah. Er hatte durch seine Flucht, wie auch die anderen Wissenschaftler, dem laktonischen System eine klare Abfuhr erteilt, aber jetzt schien Decimo einen Begriff davon zu bekommen, wie undurchsichtig die meisten Machenschaften seiner politischen Führer wirklich waren. »Steuern Sie nach links«, sagte Rex Corda. »Ich glaube, wir kommen dort weiter.« Links von dem gewaltigen Tor schien der Berg wie mit einem gigantischen Messer eingeschnitten. Ein schmaler Spalt zog sich bis weit in den Berg hinein. Der Gleiter schob sich in den Schatten vor. Latak Decimo manövrierte mit äußerster Vorsicht. Sie mußten nicht nur darauf gefaßt sein, plötzlich auf einen Trupp Laktonen zu stoßen, sondern konnten auch gegen einen der zahlreichen Schroffen und Grate stoßen. Sie konnten sich eine Zerstörung des Gleiters nicht leisten. Er war die einzige Verbindung zum fernen Wachboot. Langsam ging Decimo tiefer. Er bog um eine weitere Felsspalte. Der Gleiter bewegte sich im Schrittempo vorwärts. Rechts schwebte er so dicht an der steil ansteigenden Kante des Felsens, daß Rex Corda mit den Handschuhen den rauhen Felsen berühren konnte. Plötzlich riß Latak Decimo den Gleiter zurück. Beide Männer hatten sich zur gleichen Zeit aufgerichtet. Hinter der nächsten Felsnase quoll eine Lichtflut hervor. Weißes Licht kam scheinbar direkt aus dem Felsen. Decimo brauchte mehrere Sekunden, um zu erkennen, daß das Licht aus einem besonders getarnten, jetzt aber offenstehenden Eingang quoll. Beide Männer drehten sämtliche Frequenzen ihrer Helmlautsprecher auf, aber sie konnten außer dem rhythmischen Knattern der Statik nichts wahrnehmen. Der ebene Boden unter ihnen war taghell erleuchtet, doch nichts bewegte sich. Es konnte eine Falle sein, das wußten beide Männer. Trotzdem mußten sie das Risiko eingehen.
Der Gleiter stieg unter den behutsamen Energiedosierungen Decimos empor, klebte einen Augenblick wie eine Fliege an der steil ansteigenden Felswand und senkte sich langsam. Rex Corda hatte sofort begriffen, was Decimo von ihm wollte. Sie standen oberhalb des Eingangs. Hier kam verhältnismäßig wenig Licht hin. Sie befanden sich also in wesentlich besserer Deckung, als wenn sie direkt frontal in den Nebeneingang eingeflogen wären. Jetzt lehnte sich Rex Corda weit über den Rand des Gleiters hinaus, hakte sich mit den schweren Raumstiefeln in die Schlaufen am Boden der Plattform ein und blickte nach unten. Mit einem Ruck schwang er sich wieder empor. »Fliegen Sie vorsichtig ein, Decimo.« Unwillkürlich war seine Stimme zu einem Flüstern geworden. Der Gleiter tauchte nach unten und schob sich langsam vor. Sie sahen einen Rahmen aus Metallplast, der die geöffneten Flügel eines Metallplastportals hielt. Ein Knistern ließ sie zurückzucken. Ein flimmernder Schein umgab die beiden Männer und die Plattform. Er legte sich um jedes Stück Materie, tauchte es in einen schimmernden Funkenregen und verschwand dann plötzlich wieder. »Ein Kraftfeld«, flüsterte Decimo. »Jede Pflanzenspore, jedes Staubkorn wird verbrannt. Nur gewisse Materialien wie Metall oder der Kunststoff unserer Raumanzüge werden nicht angegriffen. Vermutlich werden wir hier die Luft atmen können.« Sie kamen durch ein zweites Tor, dessen Flügel ebenfalls geöffnet waren. Es schien, als habe jemand vor kurzer Zeit die geheimnisvolle Anlage im Berg verlassen. Unvermittelt befanden sie sich in einer riesenhaften Halle. Das erste, was ihre Blicke auf sich lenkte, war ein Raumschiff laktonischer Bauart. Die Größe entsprach etwa der des Wachbootes. Auch der äußere Zustand ähnelte dem des Wachbootes. Das Raumschiff in der Halle war völlig zerstört. Der erste Eindruck war der, als sei ein wahnsinniger Riese über das Schiff hergefallen und habe es zerschlagen. Gezackte Risse durchzogen die Oberfläche, breite Scharten und Kratzer hatten sich tief in das Metall der Hülle eingegraben. Was konnte die Zerstörungen hervorgerufen haben? Einen Augenblick dachte Rex Corda an den Giganten, dem sie beinahe zum Opfer gefallen wären. Doch dann wies er diesen Gedanken als absurd zurück. »Gehen wir hinein«, sagte Rex Corda ruhig. Er mußte sich zwingen, um seine Stimme in normaler Lautstärke zu halten. Zu groß war die Spannung, die ihn erfüllte. Latak Decimo zögerte zuerst, dann ließ er den kleinen Gleiter dicht neben der geöffneten Luftschleuse des Raumschiffes auf den Boden sinken, der zum Teil aus solidem Felsgestein bestand. Decimo wandte sich an Rex Corda. Die Männer grinsten sich durch die Kugeln ihrer Raumhelme grimmig an. Dann schritten sie die Rampe empor, die zur Luftschleuse führte. Am Ende der Rampe drehten sie sich um. Aber noch immer war die gewaltige Halle im Innern des Berges leer. Nicht einmal Roboter waren zu sehen. Auf den Gängen des Raumers brannte die Beleuchtung teilweise. Auch hier waren die Einwirkungen einer unbekannten, sinnlos zerstörerischen Gewalt deutlich zu sehen. Die Verkleidungen der Wände waren abgerissen oder wiesen breite Dellen auf. Leitungen waren abgerissen und verbogen, Türen wie Papier zerknüllt. Die beiden Männer hielten an. Obwohl sie mit geschlossenen Raumanzügen das Schiff betreten hatten, wußten sie, daß sie an der Vibration jeden sich Nähernden erkennen konnten. Das erforderte aber, daß sie alle paar Sekunden stehenblieben und in sich hineinhorchten. Ohne daß sie sich darauf geeinigt hatten, gingen beide Männer zunächst zum Kommandoraum im Bug des Raumers. Auch hier ein Bild der Verwüstung. Die Schalensessel vor den Kontrollen der Piloten waren aus ihren mächtigen Halterungen gelöst und in blinder Zerstörungswut gegen die Wände geschleudert worden. Ein Blinkzeichen flammte auf. Leuchtendes Blau warf Reflexe gegen die gegenüberliegende Wand. Selbst in den abgedichteten Glocken ihrer Raumhelme konnten die Männer das Kreischen dieser Geräte hören. Rex Corda erstarrte, als er den ersten Körper sah. Ein toter Laktone lag in einer grauenhaft
verdrehten Haltung am Boden. Er mußte einen fürchterlichen Tod erlitten haben. Und dann sahen sie die anderen. Wie Spielzeugpuppen waren sie gegen die Wände geworfen worden. Die Wände und die Mißhandelten gaben ein grauenhaftes Zeugnis davon ab. Schweigend verließen die beiden Verbündeten den Kommandoraum. Über den Gang, dessen Metallwände eigenartige Risse und Falten aufwiesen, gelangten sie in die Funkzentrale. Hier wies Latak Decimo auf das Gerät hin, das im Kommandoraum das schrille Kreischen verursacht hatte. Es handelte sich um das Funkpeilgerät des Raumers. Die Intensität seiner Signale deutete darauf hin, daß es den Notruf empfangen hatte. Doch niemand schien sich darum zu kümmern. Wie lange schon gellte dieses unheimliche Schrillen in dem zerstörten Raumschiff? Seit Stunden gewiß! Latak Decimo stieß einen heiseren Schrei aus. Rex Corda wirbelte herum. Beide Männer hatten die Waffen im Anschlag. Aber sie waren einer Täuschung erlegen. Tatsächlich hatte sich etwas bewegt, doch hier drohte keine Gefahr. Ein über zwei Meter großer Metallgigant lag am Boden, ein laktonischer Kampfroboter. Der kopflose Körper mit dem breiten Linsensystem an der oberen Kante war fast völlig zerstört. Der Brustpanzer wies große Dellen auf. Das ganze komplizierte Durcheinander im Innern des Kampfgiganten mußte zerstört worden sein. Aber nicht völlig. Einer der Arme, an dessen Enden die Mehrzweckglieder und eingebaute Waffen saßen, pendelte in einer stetigen Bewegung, wie das Bein einer Spinne, die schon seit Stunden tot ist. Reflexbewegungen, und dennoch hatten die Männer erkannt, daß ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Hier hatten die Titanenschläge eines Giganten gewütet, in sinnloser, grausamer Raserei. Rex Corda fühlte sich plötzlich winzig klein. Von allen Seiten konnten sie beobachtet werden. Die Kräfte, die ein Raumschiff zerstören konnten, denen sogar die hochspezialisierten Kampfroboter Laktons nichts in den Weg stellen konnten, konnten auch über sie hereinbrechen. Latak Decimo war stehengeblieben. »Corda, gehen wir lieber.« Der Terraner schüttelte bestimmt den Kopf. Er konnte Decimo sehr gut verstehen. Vermutlich hatte der Synoptiker eine wesentlich bessere Vorstellung von den Kräften, die hier gewütet hatten. Aber das Rätsel dieses hohlen Berges mußte gelöst werden. Sie mußten herausfinden, wer den Notruf abgegeben hatte, mußten hinter die Ursache der grauenhaften Verwüstungen kommen. Ihre wichtigste Aufgabe war zweifellos die, für die COROCON III neue Energiereserven heranzuschaffen. Der Notruf war vor einer Stunde abgefangen worden. Wie lange aber war er schon tatsächlich nach Lakton abgestrahlt worden? Die COROCON III mußte fliehen. Und zwar so bald wie möglich. Zu viele Faktoren hingen von dem Gelingen dieses Planes ab. Allein die Tatsache, daß Lakton seine Wissenschaftler eher hatte opfern wollen, als sie an eine fremde Macht zu verlieren, deutete darauf hin, um welche Einsätze hier gespielt wurde. Die Erde benötigte diese Wissenschaftler, und die laktonischen Forscher brauchten die Erde! »Hören Sie, Decimo«, sagte Rex Corda, »hier auf diesem Wrack bietet sich doch die einmalige Gelegenheit, die Energiezelle auszubauen. Die COROCON III scheint ein ähnlicher Typ zu sein wie dieses Schiff. Halten Sie das für möglich?« Latak Decimo nickte. »Ich bin Ihrer Meinung, Corda. Bauen wir die Zelle aus und verschwinden wir.« Aber der Terraner hatte einen Entschluß gefaßt. »Diese Anlage birgt ein Geheimnis«, sagte Corda fest. »Ich bin der Überzeugung, daß wir noch nicht einmal einen Zipfel davon gelüftet haben. Wenn wir hier fertig sind, kommt die Energiezelle dran. Okay?« Corda verstand sehr gut, daß Decimo lieber sofort zur COROCON III zurückkehren wollte. Aber auch der Laktone schien den Drang zu verspüren, hinter das Geheimnis dieser Anlage zu kommen. »Standortmeldung an COROCON III?« fragte Rex Corda. Latak Decimo schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Die Nachricht kann aufgefangen werden. Eine solche Anlage verfügt über recht genaue Peilgeräte.« Kopfschüttelnd blieben die beiden Männer vor einem der riesigen gezackten Löcher in der Wandung
des Raumers stehen. Es sah so aus, als sei ein Monster direkt durch die Hülle des Raumschiffes gebrochen. Welche Kräfte waren hier am Werk gewesen? Welches Monster lebte im Innern dieses geheimnisvollen Berges? Rex Corda kletterte zuerst aus dem gezackten Loch, das einen Durchmesser von etwa anderthalb Metern hatte. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sich in der Nähe nichts regte, sprang Corda zu Boden. Die Schwerkraft von Swamp entsprach etwa dreiviertel der irdischen. Trotz des schweren Raumanzuges setzte der Terraner federnd auf. Latak Decimo folgte ihm. In den letzten Stunden hatte sich ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Männern gebildet. Jeder respektierte die Entschlüsse des anderen, ohne dabei mit der eigenen Meinung zurückzuhalten. Das Quadrat im Boden fiel beiden gleichzeitig auf. Der unregelmäßige Felsboden der gigantischen Halle im Innern des Berges war einem offenbar künstlichen Material gewichen. Ein sehr dunkles Quadrat mit einer Kantenlänge von zehn Metern sah zunächst aus wie eine Einfärbung des Bodens. Doch dann bewegte er sich. Die beiden Männer wollten zurückspringen, aber es war bereits zu spät. Der Boden senkte sich mit ihnen. Es ging rasend schnell abwärts. Sie befanden sich auf der Plattform eines Fahrstuhls. Die Tatsache, daß auch Latak Decimo nichtsahnend in die Begrenzung des Quadrats getreten war, deutete darauf hin, daß auch er hier völlig unbekannten Dingen gegenüberstand. Und doch war die Anlage laktonischer Bauart. Daran gab es keinen Zweifel. Ebenso plötzlich, wie die Bewegung begonnen hatte, hörte sie auch wieder auf. Während der Bewegung hatte sie vollkommene Dunkelheit umgeben. Doch unvermittelt wurden sie wieder von gleißendem Licht umspült. Rex Corda und Latak Decimo standen Rücken an Rücken, die Waffen im Anschlag. Aber auch hier war alles wie ausgestorben. Sie standen in einer weiten Halle, deren Decke niedrig herabgezogen war. Sternförmig liefen Gänge nach allen Richtungen. Zögernd traten die Männer von der Plattform herunter und folgten dem nächsten Gang. Wieder kamen sie in eine Halle, die jedoch kleiner war als der erste große Raum. »Es ist unfaßbar«, keuchte Latak Decimo. Auch die Augen Cordas hatten sich vor Erstaunen geweitet. Sie befanden sich in einem unterirdischen Laboratorium, dessen Ausdehnung unübersehbar war. Selbst Corda konnte sehen, daß die Laktonen ungeheuer viel hier investiert hatten. Die Funktionen der einzelnen mächtigen Maschinen konnte Corda nur ahnen. Mächtige Wandungen der Maschinengiganten ragten auf, hohe Wände waren von blinkenden Skalen der Hochleistungscomputer bedeckt. Dicke Kühlschlangen wanden sich an der Decke entlang. Zwanzig Meter entfernt kauerte ein riesiger schwarzer Kessel wie ein schlafendes Raubtier. Doch auch in diesen Laboratorien hatte die blindwütige Zerstörung gewütet. Pfützen einer hellen Flüssigkeit standen auf dem Boden, blitzende Borde und Arbeitstische hatten die Vorderfronten der Computer eingedrückt. Schwarzverschmort hingen aus klaffenden Spalten ganze Bündel von Wicklungen herunter. Wer konnte diese Zerstörungen angerichtet haben? Doch auch die andere Frage tauchte immer drängender auf: Weshalb hatte Lakton hier ein neues Zentrum der Wissenschaft errichtet, weit abseits von Teckan? Die hier investierten Mittel konnten nicht geringer sein. Die Projekte, die hier der Vollendung entgegenreiften, mußten ungeheuer wichtig und gefährlich gewesen sein. »Davon haben wir nichts gewußt!« keuchte Latak Decimo. »Keiner von uns wußte, daß Lakton hier ein neues wissenschaftliches Zentrum errichtete! Allerdings wird mir jetzt manches klar. Immer wieder verschwanden Wissenschaftler von Teckan. Erklärungen wurden niemals abgegeben. Man wird sie nach Swamp gebracht haben. Doch wo sind sie jetzt?« Rex Corda sah sich vorsichtig um. In seinem kantigen Gesicht arbeitete es. »Zu einer solchen gewaltigen Anlage gehört noch einiges mehr. Es muß hier Wachmannschaften gegeben haben, Soldaten, Roboter. Sie können sich nicht in Luft aufgelöst haben.«
Vorsichtig drangen die beiden Männer weiter vor. Die Gänge waren leer. Immer wieder stießen sie auf Zerstörungen. Kostbare Hochleistungsgeräte waren vernichtet worden, wertvolle Computer in sinnloser Raserei zu wertlosem Schrott verwandelt worden. Sie fanden einen Raum, der voller zerstörter Kampfroboter war. Schweigend stiegen die Männer über die Berge der zerbrochenen Gliedmaßen, blickten in zerstörte, gesplitterte Linsen. Nichts regte sich. Die Verwüstungen hatten keinen Halt gemacht. Dann stießen sie auf die ersten Forscher. Es war ein gespenstisches Bild, das die Dutzende der verkrümmten Gestalten zeigten. Unter unglaublichen Gewalteinwirkungen hatten diese Laktonen den Tod gefunden. Hier hatte ein entsetzliches Grauen gewütet, ein Grauen, das sich in den geöffneten Mündern und in den erloschenen Augen widerspiegelte. Das Entsetzen war über diese Wissenschaftler gekommen. Waren sie die Opfer ihrer eigenen Experimente geworden? Oder hatte eine fremde, gnadenlose Macht hier getobt? Rex Corda hob die Waffe, als er den scharfen Ausruf Latak Decimos hörte. Aber von einem erwarteten Feind war nichts zu sehen. »Sehen Sie sich das an!« knurrte der Synoptiker. Sein Gesicht war zu einer starren Maske geworden. Rex Corda trat näher. Auf einem blitzenden Tisch lag ein Toter. Es war offensichtlich, daß es sich um einen Terraner handelte. Der Mann lag ausgestreckt auf der völlig ebenen Platte. Sein Kopf war durch einen blitzenden Helm halb verdeckt. Verschlungene Kabel liefen zu diesem Helm. Aber die meisten waren zerrissen und hingen zu beiden Seiten des Tisches herunter. Ein Operationstisch? Rex Corda weigerte sich, dem fürchterlichen Verdacht Glauben zu schenken, der sich in ihm breitmachte. Aber die Tatsachen forderten den Verdacht geradezu heraus. Doch es war Latak Decimo, der die Worte aussprach. »Experimente mit Terranern?« Die Stimme des Synoptikers klang verzerrt. Corda sah, daß das Gesicht des Laktonen grau geworden war. »So sieht es aus«, sagte Rex Corda zornig. »Wollen Sie sagen, daß Sie davon nichts gewußt haben?« Einen Augenblick wirkte es, als wollte sich der Synoptiker auf ihn stürzen. »Das hier geht gegen jedes Gesetz«, sagte Decimo hart. »Wenn Lakton hier wirklich experimentiert hat…« Seine Stimme brach ab. »Nicht einmal der Schenna konnte davon gewußt haben. Das hätte er niemals zugelassen!« Rex Corda nickte. Er zweifelte nicht daran, daß Latak Decimo die Wahrheit sprach. Aber sie hatten bisher auch nur Vermutungen geäußert. Keiner von ihnen wußte, was wirklich in diesen unterirdischen Laboratorien vor sich gegangen war. Dennoch sprachen die Tatsachen für sich. »Als die Laktonen die Erde eroberten, nahmen sie viele Terraner mit in den Raum. Auch meine Geschwister befanden sich darunter. Sie wurden ebenfalls entführt. Wir hatten einiges durchzumachen, bevor wir sie finden konnten. Aber wir hatten Glück. Ich konnte meine Geschwister wiederfinden. Andere hatten nicht diese Möglichkeit. Bisher konnte noch nicht geprüft werden, wie viele Terraner tatsächlich von der Erde entführt wurden. Die Orathonen kamen und vertrieben euch aus dem Sonnensystem. Erst mit unserer Hilfe gelang es euren Agenten, die Macht der Gefiederten zu zerschlagen. Verstehen Sie, Decimo, mit unserer Hilfe! Ist das jetzt der Dank Laktons?« Latak Decimo antwortete nicht auf die Frage. Er schien in brütende Gedanken versunken. Das Geräusch ließ die beiden Männer herumfahren. Die Spannung brach sich in einem erregten Keuchen Bahn. Eine Stimme stand plötzlich im Raum, eine Stimme, die wie gesprungenes Glas tönte. Rex Corda riß den Strahler empor. Eine eiskalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. * Die Nacht auf Swamp schien tausend Augen zu haben. Auf seinem Patrouillengang hatte Bir Osgo den Strahler zuerst schußbereit gehabt, doch die Waffe ermüdete ihn. So ließ er den Strahler wieder in die Halfter gleiten, ließ die Hand aber dicht darüber schweben, den Daumen seines Handschuhs in den
Gürtel über dem Raumanzug eingehakt.
Bir Osgo hatte seinen Wachdienst fast beendet, doch die roten Augen von Swamp hatten von ihrer
Unheimlichkeit nichts eingebüßt. Sie bewegten sich, tanzten wie Irrlichter, schienen jäh
heranzuschießen, um dann wieder zurückzuweichen.
Alle fünf Minuten hatte Osgo das Schiff abgeschritten und traf sich mit dem anderen Laktonen, der
die gegenüberliegende Seite bewachte.
Nein, Bir Osgo war froh, wenn seine Wache vorbei war. Noch lieber wäre es ihm gewesen, wenn sie
diese ungastliche Welt bald wieder verlassen könnten. Aber das wiederhergestellte Schiff war ohne
Antrieb. Es konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft von diesem Planeten lösen. Hoffentlich hatten
Latak Decimo und Rex Corda bald spaltbares Material gefunden. Ohnehin war ungewiß, was aus den
beiden geworden war. Sie hatten sich schon seit Stunden nicht mehr gemeldet. Waren sie in Gefahr
geraten?
Bir Osgo starrte in die Dunkelheit. Er fühlte sich von wehenden Schatten umgeben. Die Pflanzen
schienen näher zu rücken.
Osgo schrak zurück, als sich direkt vor seinen Füßen eine Ranke aus dem weichen Boden ringelte.
Das ungewisse Licht des rötlichen Mondes enthüllte eine dicke Knospe, die platzend aufbrach. Eine
rötliche Kugel schob sich aus den zurücktretenden kleinen Blättern. Das »Auge« schien Osgo intensiv
anzustarren. Der glühende näherte sich dem Laktonen.
In einer heftigen Bewegung trat Bir Osgo zu. Unter seinem schweren Stiefel krümmte sich die Ranke
zusammen. Das »Auge« war verschwunden. Ein weißlicher Saft klebte auf den Stiefeln.
Bir Osgo keuchte auf. Erregt trat er einen Schritt zurück, näherte sich der schützenden Wandung der
COROCON III.
»Stimmt etwas nicht?« klang eine Stimme in seinen Raumhelm hinein. Der andere Wachtposten meldete
sich.
Bir Osgo mußte beschämt zugeben, daß ihm die Nerven durchgegangen waren. Der andere Posten
lachte.
»Wir werden gleich abgelöst, Osgo. Dann können sich die nächsten mit diesen Pflanzen herumärgern!«
»Mir scheint, sie sind wieder näher gerückt«, sagte Osgo vorsichtig.
Der andere Wachtposten schwieg ein paar Sekunden.
»Jetzt fällt es mir auch auf. Diese Schlingpflanzen wachsen Tag und Nacht hindurch. He, Osgo…«
Die Stimme des anderen Laktonen auf der gegenüberliegenden Seite des Wachschiffes brach mit
einem hohen Schrei ab. Gleichzeitig meldete sich Fan Kar Kont aus der Zentrale.
»Was ist los? Geben Sie Antwort.«
Aber der andere meldete sich nicht. Und auch Osgo hatte genug mit sich selbst zu tun.
Die Pflanzen schienen einen mächtigen Satz nach vorn getan zu haben. Mehr denn je erschienen sie wie
bösartige, lauernde Ungeheuer.
Dann tauchten schattenhafte Gestalten auf. Sie näherten sich langsam, bewegten sich ruckartig vor
der dunklen Kulisse der riesigen Blätter.
Helles Licht fiel aus der geöffneten Schleuse des Raumers. Es tauchte Kopf und Schulter Osgos in ein
weißes Licht. Die Scheinwerfer wanderten weiter und blieben zitternd stehen.
Es konnte nicht sein!
Bir Osgo wich zurück. Sein Atem ging pfeifend. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Der intensive herbe
Geruch in seinem Raumanzug steigerte sich. Absorber zischten auf, saugten den ganzen Dunst ab und
ersetzten ihn durch frische Atemluft, aber Osgo achtete gar nicht darauf. Schritt für Schritt wich er
weiter zurück, bis er gegen die Wandung des Raumschiffes stieß.
Das erste Wesen wurde in zitterndes Licht getaucht.
Es hatte humanoide Form!
Das Wesen war etwa so groß wie Bir Osgo. Sein Körper war mit einem schuppenartigen Material
bedeckt. Die Gliedmaßen wirkten schlangenartig und schienen sich in einer stetigen pulsierenden
Bewegung zu befinden.
Es waren dreißig dieser seltsamen Wesen, die vor dem Wachtposten aufgetaucht waren. Sie bewegten
sich jetzt nicht mehr. Langsam wanderte ein Scheinwerfer über die seltsamen schuppigen Leiber. Weitere Scheinwerfer tauchten jetzt auf. Spitze Lichtstrahlen richteten sich auf die Köpfe der Wesen. Panik drohte Bir Osgo zu überwältigen. Die runden Köpfe waren fast humanoid zu nennen, wenn es sich auch bei ihnen um kein ausgebildetes Gesicht handelte. Die Augen! Es waren die gleichen Augen, mit denen die Pflanzenwelt ausgestattet war, und sie leuchteten in einem höllischen Feuer. Das Grauenhafte an diesen Augen aber war die Tatsache, daß sie vor den Köpfen zu schweben schienen. Sie hingen an langen Stielen und bewegten sich hin und her. Bir Osgo fühlte sich von diesem Anblick abgestoßen und angezogen zugleich. Sein Fuß hob sich, tappte vor… Die harte Stimme in seinem Raumhelm riß ihn aus dem hypnotischen Zustand. »Osgo?« Bir Osgo erkannte die Stimme Fan Kar Konts. »Ja?« »Sehen Sie sich diese Biester einmal näher an. Sie können sie besser erkennen. Wir decken Sie!« »Vielen Dank«, murmelte Osgo. Der Laktone bemühte sich, nicht in die glühenden Augen zu blicken, als er auf die Wesen zutrat. Den Strahler hielt er jetzt entsichert in der Hand. Auch das nächste Wesen machte einen Schritt auf den Laktonen zu. Bir Osgo hob den Strahler. Seine Nerven vibrierten. Auch das Wesen vor ihm machte eine Bewegung. Zögernd hob sich seine Hand. Vier zitternde, spinnenartige Finger streckten sich dem Laktonen entgegen. Gleichzeitig traten die glühenden Augen des Wesens weiter aus ihren Höhlen. Näher und näher schob sich das Wesen heran. »Osgo!« brüllte plötzlich Hent Marats Stimme. »Gehen Sie zurück. Sofort! Sie…!« Der Rest ging in einem unverständlichen Durcheinander von Stimmen unter. Aber Bir Osgo hatte bereits begriffen, was Marat meinte. Auch er hatte es gesehen. Doch es schien zu spät zu sein. Ein schlangenartiger Arm von der Dicke eines Schenkels brach aus dem Boden. Die Puppe an seinem vorderen Ende pendelte haltlos in der Luft, wurde abgestoßen. Dann war der riesige Saugnapf, der sich im Oberkörper der Puppe verborgen hatte, deutlich sichtbar. Bir Osgo stand vor Schreck wie gelähmt. Er war unfähig, seinen Strahler zu heben. Die Vielzahl der roten Augen verstärkte sich. Sie schienen einen Tanz aufzuführen, zogen satanische Kreise… Die mächtige Faust eines gezielten Zugstrahles packte Osgo und hob ihn von der Erde. Das Kopfende der dicken Ranke klatschte an ihm vorbei auf den Boden. Der Sumpf um das Schiff teilte sich jetzt an unzähligen Stellen. Die Ranken hatten sich bis dicht an das Schiff unter der Erde vorgearbeitet. In dem Augenblick, als die Schleuse zuschnappte, klatschten schon die ersten langen Ranken über den Körper der COROCON III. Es dauerte nicht einmal eine halbe Stunde, bis das Schiff von einem Netz dicker, pulsierender Ranken bedeckt war. Die Schleusen ließen sich nicht mehr öffnen. Die Eingeschlossenen wären Gefahr gelaufen, daß sich die unheimlich schnellen Ranken sofort in das Schiff vorgearbeitet hätten. Sie hatten sich in der Kommandozentrale zu einer Lagebesprechung versammelt. Auf dem Holografen sah man die Außenwelt. Sie war ein undurchdringliches schwarzes Dickicht. Dazwischen standen die rotglühenden Augen. Unverwandt schienen sie das Schiff anzustarren. Hent Marat hatte bisher nicht einen Augenblick seine schon fast sprichwörtliche Ruhe verloren. Jetzt aber stampfte der füllige Biochemiker wütend hin und her. »Ich hätte es vorher wissen müssen«, knurrte er. »Aber anscheinend haben zwei Warnungen nicht ausgereicht.« Marat kümmerte sich nicht um die fragenden Blicke der anderen. Er war sich darüber klar, daß jetzt rasch eine Lösung gefunden werden mußte. Die an vielen Stellen dünne Außenhaut der COROCON III würde vielleicht nur wenige Stunden den ungeheuren Druck aushalten können. Er verstärkte sich mit
jeder Minute. Neue Triebe kamen hinzu.
Ein unheilvolles Knacken durchlief den Rumpf der COROCON III…
*
Rex Corda ließ den Strahler sinken. Aus dem Augenwinkel registrierte er, daß auch Latak Decimo den
Schock überwunden hatte.
Beide Männer starrten auf die Gestalt, die vor ihnen stand. Es handelte sich um einen Terraner!
Auffallend an diesem Mann war, daß seine mittelgroße Gestalt knochig und zerrüttet wirkte. Ein
ständiges Zucken des linken Auges entstellte das schmale Gesicht. Der dünne, fast lippenlose Mund
öffnete sich. Die krächzende Stimme ließ wieder ein paar abgerissene, unverständliche Laute hören,
dann senkte der Mann unvermittelt seinen Kopf und betrachtete den Fußboden.
Der Fremde trug keinen Raumanzug!
Plötzlich hob der Mann wieder seinen Kopf. Ein verlegenes Lächeln glitt über die abgezehrten Züge. Er
trat auf Rex Corda zu und streckte ihm seine Hand hin.
»Mein Name ist Ron Carlotte«, sagte er krächzend.
Corda gelang es, seine Überraschung zu verbergen. Er fühlte, daß mit diesem Mann einiges nicht
stimmte. Trotzdem trat er ebenfalls einen Schritt auf den Terraner zu, der sich Ron Carlotte genannt
hatte.
»Rex Corda«, sagte er.
Der Fremde ergriff den klobigen Raumhandschuh mit einer scheinbar laschen Bewegung. Rex Corda
mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut zu schreien. Ein knirschendes Geräusch tönte über die
Außenempfänger. Ron Carlotte zog seine Hand zurück und achtete nicht auf den Raumhandschuh
Cordas, der eng zusammengepreßt war.
»Es ist schön, daß Sie gekommen sind«, sagte der Mann. »Ich fühle mich manchmal so einsam.«
Langsam bewegte Rex Corda seine gequetschten Finger im Innern seines Handschuhs. Dieser Mann war
ihm ein Rätsel. Konnten in einem derart ausgemergelten Körper solche Riesenkräfte stecken?
»Hören Sie, Carlotte«, sagte Corda, »was geht hier eigentlich vor? Aus welchem Grunde befinden Sie
sich auf diesem Planeten?«
Ron Carlotte schien seine Frage nicht zu hören. Geistesabwesend starrte der Mann vor sich hin.
Dann hob er wieder seinen Kopf. Die stumpfe Miene veränderte sich zu einem freundlichen, harmlosen
Lächeln.
»Sie scheinen Amerikaner zu sein, Corda. Ich stamme auch aus den USA.« Die Stimme brach ab und
ging in ein Flüstern über. »Irgendwo im Norden ist…«
Rex Corda versuchte es noch einmal.
»Sie sind entführt worden, Carlotte. Sie kamen auf ein Raumschiff, nicht wahr? Was hat man mit
Ihnen gemacht?«
Der Terraner schien in sich hineinzuhorchen. Wieder reagierte er nicht auf Cordas Worte.
»Hypnoblock«, flüsterte Latak Decimo. »Der Block scheint sich auch auf ihn zu erstrecken. Der
Terraner bemerkt mich vermutlich gar nicht!«
Rex Corda unternahm einen letzten Versuch.
»Carlotte!«
»Ja?« Der Terraner hob den schmalen, abgezehrten Kopf.
»Können Sie mich hören, Carlotte?«
»Natürlich«, krächzte der Terraner. »Schießen Sie los, Corda. Was wollen Sie wissen?«
»Wer hat diese Zerstörungen hier angerichtet?«
Rex Corda wies auf die eingebeulten Wände, auf die zerrissenen Polster, auf die zerbrochenen und
zerschrammten Sitzbänke.
Ron Carlotte sah sich verständnislos um. Er sah direkt auf die zerrissene Front eines Computers.
»Was meinen Sie, Corda? Ich verstehe Sie nicht.«
Kopfschüttelnd entfernte sich der Mann ein paar Schritte.
»Sehen Sie, Corda«, flüsterte Latak Decimo erregt.
Der Hinterkopf des Mannes wies eine kleine, kahlgeschorene Stelle auf. Es wirkte wie eine Tonsur.
Der Terraner schien alles um sich vergessen zu haben. Langsam schlenderte er über den Plastikboden
den Weg zurück, den die Männer genommen hatten, als sie sich einen Weg durch die verwüsteten
Labors bahnten. Der Terraner ging gleichgültig, ohne Schritt und Geschwindigkeit zu verringern, in den
kleineren Raum, wo der tote Mann auf der blitzenden Bahre lag. Er ignorierte ebenfalls die toten,
verkrümmten Gestalten, kletterte über die Berge der zerstörten Roboter und schaute weder rechts
noch links.
»Er ist wahnsinnig«, stellte Rex Corda fest. Vorsichtig bemühte er sich, seinen Geist gegen die
fremden Empfindungen abzuschirmen. Er erinnerte sich an die Begegnung mit dem Riesen im Sumpf.
Dort waren ihm seine empathischen Fähigkeiten beinahe zum Verhängnis geworden. Rex Corda hatte
nicht vor, sich hier ebenfalls von den überstarken Empfindungen eines kranken Geistes
überschwemmen zu lassen. Das konnte verhängnisvoll werden.
»Wo wollen Sie hin, Carlotte?« schrie Rex Corda. Die beiden Männer hatten Mühe, dem unscheinbaren
Mann zu folgen. Der Terraner schien sich hier gut auszukennen. Die Männer hatten ihn aus den Augen
verloren.
Von fern tönte die krächzende Stimme: »Spazierengehen, Corda. Mal ein bißchen frische Luft
schnappen.«
Corda schüttelte den Kopf. Sie rannten den Gang entlang und folgten dem Klang der Stimme.
Am Ende erweiterte sich der Gang zu der großen Halle, in deren Mitte die Fahrstuhlplattform lag.
Und jetzt sahen sie auch Ron Carlotte. Der Terraner war in das dunkle Quadrat gesprungen und
schwebte nun langsam nach oben. Mit ihm bewegte sich ein Segment des Fußbodens.
Es war zu spät, ihm zu folgen. Der Terraner war längst aus ihrer Reichweite verschwunden.
Ron Carlotte schwebte langsam nach oben. Breitbeinig stand er auf der Plattform und lächelte
freundlich hinab.
»Kommen Sie, Corda«, rief er. »Sie müssen auch etwas frische Luft atmen. Dieser Raumanzug muß ja
furchtbar stören. Ziehen Sie ihn aus!«
Ein Gelächter tönte von oben. Der Terraner war ihren Blicken entschwunden.
»Wissen Sie, was das heißt?« keuchte Rex Corda. »Carlotte will ohne den Raumanzug an die
Oberfläche. Das ist sein sicherer Tod. Niemand kann mehr als fünf Minuten die verseuchte Luft
einatmen, ohne wenigstens einen Filter zu haben!«
»Kommen Sie«, sagte der Synoptiker. Er faßte Rex Corda beim Arm und ging einen Schritt vorwärts.
Der Terraner machte sich mit einer heftigen Bewegung frei.
»Was soll das? Dieser verdammte Fahrstuhl ist doch oben!«
Ein leichtes Lächeln glitt über die Züge des Synoptikers.
»Das dachte ich zuerst auch. Aber dieser Fahrstuhl basiert auf dem Prinzip der unendlichen Ebene.«
Corda folgte jetzt Decimo.
»Ein reichlich merkwürdiger Begriff«, brummte er.
»Stammt von mir«, grinste Latak Decimo. »Sie werden es vielleicht komisch finden, aber diese
Erfindung habe ich auf Teckan mit mehreren Wissenschaftlern zusammen entwickelt.«
»Sie haben…?«
»Genau. Allerdings sind wir über das Versuchsstadium nicht hinausgekommen. Das Prinzip war klar,
aber wir durften es nie erproben. Die Entwicklung wurde uns aus der Hand genommen. Hier auf Swamp
finde ich es wieder. – Kommen Sie!«
Zusammen sprangen sie auf die neue dunkle Fläche, die sich zu ihren Füßen gebildet hatte. Langsam
glitten sie nach oben, viel zu langsam.
»Carlotte kann schon im Sterben liegen«, bemerkte Rex Corda bedrückt. »Dieser Mann ist wahnsinnig,
aber wir hätten ihm helfen müssen. Er hat sicher furchtbare Erlebnisse hinter sich.«
»Warum sollte er ohne Raumanzug nicht existieren können?« fragte Decimo. »Die Luft, die in die Halle
gelangt, durchläuft die Strahlenfilter. Es braucht ihm nichts passiert zu sein.«
Aber damit irrte sich Latak Decimo.
Als die Plattform sie zur Oberfläche der Halle innerhalb des Bergkegels gebracht hatte, sahen sie
zuerst, daß das gewaltige Hauptportal geöffnet war. Und über diesem Tor lag kein Strahlenvorhang.
Ron Carlotte stand in Gedanken versunken an einem Geländer. So schien es jedenfalls zunächst. Als Rex Corda vorsichtig auf den Terraner zutrat, sah er, daß das abgezehrte Gesicht von Wut und Furcht zu einer entsetzlichen Grimasse verzerrt war. Ron Carlotte stieß ein heiseres Keuchen aus. Der Mann achtete nicht auf Rex Cordas beruhigende Worte. Er schien nicht einmal wahrzunehmen, daß jemand neben ihm stand. Ein urwelthafter Schrei ließ Decimo und Corda zusammenzucken. Die Luft in der gigantischen Halle schien unter der Macht des Schreies zu bersten. Eine unbeschreibliche Grausamkeit lag in diesem Ruf, Haß, Wahnsinn, alles vermischte sich zu einem Brüllen, das den Männern kalte Schauer über den Rücken jagte. Die Gestalt Ron Carlottes straffte sich. Er antwortete. Es war ein heiseres Stöhnen, verzweifelt. Es klang ausgesprochen kläglich. Latak Decimo packte Cordas Arm. Die beiden standen wie erstarrt. Rex Corda hatte das Geländer, das aus Panzerplast bestand, gepackt und verbog es anscheinend mühelos zwischen den schmalen Händen. Fast spielend wickelte er sich das unglaublich widerstandsfähige Material um das Handgelenk, entrollte es wieder und knüllte es zusammen. Rasselnd schlug das Bündel auf dem Boden der Halle auf. Und jetzt sahen Rex Corda und der Synoptiker das Wesen, das den furchtbaren Schrei ausgestoßen hatte. Wieder zitterte die Luft unter dem Gebrüll, und wieder antwortete die schwache Stimme Carlottes. Das Wesen, das zwischen der Plattform zum Fahrstuhl und dem Riesenleib des zerbeulten Raumschiffes stand, lachte dröhnend. Dann rief es etwas herauf. Corda konnte die Worte nicht verstehen, aber er wußte, daß es spanische Flüche waren. Dieser Mann dort unten sah jedoch nicht aus wie ein Terraner. Er war über zwei Meter groß und unglaublich muskulös. Der kahle Schädel blinkte im Schein der mächtigen Strahler an der Decke der Halle. Wieder schrie der Gigant. Seine Muskelstränge strafften sich, als er einen Schritt zurücktrat und sich bückte. Latak Decimo stöhnte auf. Der kahlköpfige Mann hatte die Gravoplattform, mit der sie von der COROCON III gekommen waren, vom Boden aufgehoben. Ihr Gewicht schien ihm keine nennenswerten Schwierigkeiten zu machen. Dann preßte er die gewaltigen Arme zusammen. Das Metall bog sich – und brach! Dann hob der Riese die Reste der Gravoplattform hoch über seinen kahlen Schädel und schmetterte sie zu Boden. * Ihre Hand glitt unter den Stapel von Kleidungsstücken. Die Finger der Frau umfaßten den Regler und drehten ihn langsam auf. Jetzt konnten sie es tun. Die Schaltung war vorprogrammiert. Sie mußte es tun! Ierra Kretan horchte auf. Aber es schien sich keiner der anderen zu nähern. Das Geräusch, das sie mißtrauisch gemacht hatte, kam von der überlasteten Wandung des Raumers. Die tödliche Umklammerung der Pflanzen hatte sich verstärkt. Der Dschungel um das Wachboot wurde mit jeder Stunde dichter. Fan Kar Kont, der sich jetzt mit den anderen in der Zentrale befand, hatte errechnet, daß sie höchstens noch zwei Stunden aushalten konnten. Dann würde die Wandung durchbrechen. Das wäre das Ende. Ierra Kretan dachte an ihren Auftrag. Sie hatte die Pflicht, eine Standortmeldung an das Hauptquartier abzugeben. Sie brauchte nur die Sperre zu entriegeln und den Funkspruch abzugeben. Dann würden Laktons Kriegsraumer kommen. Für sie als Agentin bedeutete das die Rettung. Für die anderen war es das Todesurteil. Das Urteil, das man schon vor Tagen vollstreckt zu haben glaubte, als COROCON III scheinbar in der gigantischen Explosion der drei vernichtenden OrathonRaumer vergangen war. Keiner konnte ahnen, daß das Wachboot eine phantastische Versetzung erfahren hatte. Ihren ersten Versuch, eine Standortmeldung abzugeben, hatte sie nicht ausgeführt. Trotzdem war Fan Kar Kont sofort mißtrauisch geworden. Wenn sie jetzt den Notruf durchgab… Was wurde dann aus diesen Männern, die sich heldenhaft bis zu diesem entsetzlichen Planeten
vorgearbeitet hatten? Was wurde aus Rex Corda, der die Macht der laktonischen Wissenschaftler
nach Terra bringen wollte? Ierra Kretan wußte, daß man Corda betrogen hatte. Mit seinen Agenten
hatte dieser Mann es ermöglicht, daß Lakton die Orathonen aus dem Sternenraum um das SolSystem
vertreiben konnte. Jetzt sollte er sterben, weil es der Geheimdienst so wollte.
Ierra Kretan war eine geschulte und gute Agentin. Sie war in der Tradition Laktons aufgewachsen.
Aber das ging ihr nicht in den Kopf. Irgend etwas daran war falsch und ungerecht. Und diese
Ungerechtigkeit ging von Lakton aus. Man hatte Terra ausgenutzt. Jetzt nahmen sich die Terraner,
was ihnen zukam, was man ihnen versprochen hatte. Und das sollte ein Verbrechen sein?
Langsam zog Ierra Kretan, die Agentin im Dienste der Geheimpolizei Laktons, die Hand von dem Sender
zurück.
Sie konnte es nicht tun.
Die Agentin hatte sich entschieden. Es war ein Gedanke, der ihre Entscheidung erleichtert hatte: Sie
würden nicht überleben.
*
Ron Carlotte schrie auf. Es war ein Schrei, der an den Tod erinnerte.
Latak Decimo schien das gleiche zu empfinden.
»Er hat keine Chance«, keuchte er. Dann hob er den Strahler. »Wir wollen…«
»Nein«, sagte Rex Corda fest, »wir haben kein Recht einzugreifen. Beide sind Menschen. Wir wissen
nicht, wer recht hat und ob es überhaupt ein Recht gibt. Wir bringen uns nur selbst in größte Gefahr.«
Der Synoptiker ließ die Waffe sinken.
»Es hat ohnehin keinen Sinn.«
Ron Carlotte hatte den kahlköpfigen Giganten erreicht, der dem Kleinen wieder höhnische Worte in
spanischer Sprache zuschrie.
Carlotte ließ sich nicht davon beeindrucken. Mit wirbelnden Fäusten rannte er gegen den Koloß. Ein
Tritt gegen die Brust warf ihn zurück. Carlotte kugelte schreiend über den Boden der Halle, aber er
war sofort wieder auf den Beinen. Der Riese nahm ein Stück des geborstenen Gleiters vom Boden auf
und hieb es dem anstürmenden Carlotte gegen die Stirn.
Das schmetternde Geräusch ließ die beiden zusammenzucken. Sie ahnten, welche Wucht hinter dem
Schlag saß.
Der Kleine fiel zu Boden und regte sich nicht mehr.
Langsam trat der Spanier auf ihn zu. Ein mächtiger Fuß hob sich.
Der Gigant kostete seinen Triumph sichtlich aus.
»Was sind das für Monster!« stöhnte Rex Corda. »Jeder dieser Schläge hätte sogar einen Laktonen
auf der Stelle getötet!«
Latak Decimo nickte angespannt. Er konnte kein Auge von diesem ungleichen Kampf abwenden.
Der Fuß des Riesen hob sich höher, um danach jäh herabzuschnellen. Aber er dröhnte auf den harten
Boden der Halle. Ron Carlotte hatte sich blitzschnell zur Seite gerollt. Seine Bewegung war so schnell
gewesen, daß man ihr nicht mit den Augen folgen konnte.
Der Riese konnte es anscheinend nicht fassen, daß er sein Opfer nicht getroffen hatte. Seine
wütenden Schreie gellten durch die Halle. Wild stampfte er umher, ohne den Körper des Kleinen zu
treffen, der sich wie ein Aal am Boden entlangschlängelte, aber mit einer Geschwindigkeit, wie sie ein
menschlicher Körper eigentlich nicht entwickeln konnte. Jedesmal, wenn die breiten Füße des Riesen
auf den Boden aufstampften, erschütterte ein Donnern die Luft der Halle. Seine Kraft schien nicht zu
erlahmen. Und dann kam der Augenblick, in dem er Carlotte traf. Der Schrei des Kleinen war dünn, aber
so durchdringend, daß den Männern das Blut in den Adern gefror.
Der Riese beugte sich hinunter. Seine breiten Fäuste schlugen auf den sich windenden Körper unter
ihm, schlugen wieder und wieder zu, mit der erbarmungslosen Präzision eines Dampfhammers.
»Verdammt, wir müssen etwas tun«, fluchte Rex Corda. Dem Terraner stand der Schweiß auf der
Stirn, obwohl die Kühlanlage im Innern des Raumanzuges für eine gleichbleibende Temperatur sorgte.
Latak Decimo sah Corda durchdringend an.
»Ja«, knurrte Rex Corda, »ich habe vorhin gesagt, daß wir da nicht eingreifen wollen, aber wir müssen
einfach etwas tun. Das ist Mord, Decimo!«
Corda schaltete seinen Strahler auf breiteste Streuwirkung. Der Schuß würde den Riesen nicht töten,
aber die Luft um ihn herum unangenehm erhitzen. Das dürfte genügen, um ihn zu vertreiben.
Rex Corda hob den Strahler. Das flimmernde Feld überbrückte gedankenschnell die zwanzig Meter bis
zu der Stelle, an der die beiden ungleichen Kämpfer in ihrem verbissenen Ringen verkrallt lagen. Über
der zuckenden Gestalt Carlottes richtete sich der Gigant auf. Die Fäuste trommelten auf den
Wehrlosen herab.
Die Luft um den Giganten leuchtete grellrot. Der Riese brummte und schüttelte den Kopf. Dann hieb er
weiter auf Carlotte ein…
Die Hitze schien ihm nichts auszumachen.
Jetzt aber hatte auch Latak Decimo das Feuer eröffnet. Die beiden Männer auf dem Podest des
Fahrstuhls sahen, wie die Haare des Kleinen aufloderten. Sie vermeinten sogar, den Geruch des
versengten Haares wahrzunehmen. Doch das war eine Täuschung. Der Kampf aber hörte nicht auf. Die
Hitze um die beiden Kämpfenden war unerträglich. Kein Mensch, kein Laktone hätte sie ertragen
können.
Die Kombination des Riesen hing in dunklen Fetzen an dem massigen, muskulösen Körper herunter. Dann
brüllte der Gigant zornig auf. Er ergriff den Kopf des Kleinen, schmetterte ihn immer wieder gegen
den harten Boden der Halle.
»Los! Zurück!« schrie Decimo, aber der Riese hatte sie bereits gesehen. Er richtete sich brüllend auf.
Seine hellen Augen schossen Blitze. Dann stand er schwankend über der kleinen verkrümmten Gestalt,
die sich immer noch zuckend bewegte.
Corda und Decimo sahen sich nach einem Fluchtweg um, aber sie hatten keine Deckung. Sie mußten
über den glatten Boden der weiten Halle fliehen. Der Gigant konnte sie schon nach den ersten Metern
eingeholt haben. Und trotzdem wagten sie es.
Sie rannten über den Boden, stolperten, fielen hin. Hinter sich hörten sie den keuchenden Atem des
Verfolgers. Der Riese holte schnell auf. Corda riß Decimo hoch. Sie hetzten weiter. Doch sie hatten
keine Chance. Der keuchende Atem, den sie über den Außenempfänger hörten, kam näher.
Die Raumanzüge behinderten sie. Sie waren nach fünfzig Metern trotz der geringen Gravitation völlig
ausgepumpt und schweißgebadet. Und noch immer befanden sie sich auf der weiten, ungedeckten
Ebene.
Sie blieben stehen.
Gleichzeitig rissen sie die Strahler empor. Es war ein grauenhaftes Bild, wie der Riese heranjagte. Vor
der Brust hielt er wie einen Schild eine große Platte des zerstörten Gleiters.
Die Strahlen aus den Waffen der beiden Männer prallten von dem widerstandsfähigen Metall ab,
brachten es zur Weißglut, vermochten es aber nicht zu durchdringen.
Stöhnend sank Rex Corda zu Boden. Die Welt um ihn herum war ein Aufruhr von Farben und
Gegenständen, die haltlos durcheinanderwirbelten. Jeden Augenblick konnte sie die vernichtende
Gewalt des Mutierten treffen.
Aber es geschah nichts. Der Schmerz wich. Ein berstendes Krachen erfüllte die Halle.
Langsam hob Rex Corda den Kopf. Wenige Meter vor ihm herrschte ein grauenhaftes Gewühl.
Ron Carlotte war in gewaltigen Sätzen hinter dem Giganten hergejagt, hatte ihn vor seinen neuen
Opfern erreicht und zu Boden gerissen.
Jetzt sahen die beiden Männer, daß der Kampf nicht mehr so ungleich erschien wie zuerst. Carlottes
kleine, ausgemergelte Gestalt schien breiter und größer geworden zu sein.
Wie war das möglich? Wie konnte sich ein Lebewesen nach einer derart grauenvollen Tortur wieder
erholt haben?
Das Brüllen der beiden Kämpfer erfüllte die Halle.
Latak Decimo versuchte vergeblich, den Lärm zu durchdringen. Mit einer raschen Bewegung griff der
Laktone nach der rechten Hand des Terraners und reaktivierte den Außenempfänger.
»Kommen Sie!« schrie Latak Decimo. »Wir müssen fliehen!«
Gemeinsam taumelten sie auf das zerstörte Raumschiff vor dem geöffneten Portal zu.
* Tykanta wand sich in Agonien des Triumphes. Es fehlte nicht mehr viel, dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Sie hatte ungeheure Kräfte mobilisieren müssen. Die Energien flossen aus den entlegensten Gegenden ihres über Hunderte von Kilometern verzweigten Körpers herbei. Tykanta hatte einen großen Entschluß fassen müssen, um ihren Plan zu verwirklichen. Aber es schien sich zu lohnen. Sie hatte ihr Zentrum verlagert. Tykanta verließ sich nicht mehr auf den Zufall. Sie stellte keine Fallgruben und lockte nicht mehr mit Irrlichtern. Sie handelte planvoll. Und sie wußte, daß sie in kurzer Zeit nichts mehr hatte, das sich ihr in den Weg stellen konnte. Eine Welt war zu erobern, eine Welt der Unbesiegbaren. Die Unbesiegbaren! Dieser Ausdruck paßte ganz und gar nicht. Sie würde ihn ändern, so wie sie das Gesicht dieser Welt ändern würde. In ihrem Zentrum schlummerten schon weitere Pläne, die sie zunächst in die hintersten Kammern ihrer denkenden Zellen verbannt hatte. Pläne, die sie zuerst erschreckt hatten. Die Seher hatten es ihr zuerst gemeldet. Es gab nicht nur diese Welt. Viele der Lichtpünktchen am Nachthimmel waren neue Welten, die nur auf Tykanta warteten. Es war möglich, Sporen fliegen zu lassen; das Prinzip hatte sie bereits ausgearbeitet. Sie verstärkte den Griff der großen Ranken um die Kraftquelle. Mehrere Seher meldeten, daß das Material nicht mehr lange standhalten konnte. Es war ein starkes Material, aber dem Druck würde es auf die Dauer nicht gewachsen sein. Mit großem Frohlocken dachte Tykanta an das Leben, das sich innerhalb der Umhüllung befand. Die denkenden Zellen meldeten sich wieder. Woher kam dieses Leben? * Ihre Plastikstiefel donnerten die Rampe empor. Die zerbeulten Gänge warfen den Schall vielfältig zurück. Für einen Augenblick waren sie den drohenden Gewalten der Monster in der Halle entkommen. Doch immer noch stand die andere Gefahr im Hintergrund. Die dringende Notwendigkeit, Energiereserven oder wenigstens spaltbares Material zur wartenden COROCON III zu bringen. Hier in diesem von Titanschlägen zerstörten Raumschiff bot sich vielleicht noch die letzte Chance. »Das Schiff stammt vom selben Typ wie unser Wachboot«, keuchte Latak Decimo. »Es muß sich im unteren Teil des Schiffes, nahe der Hauptschleuse, ein Hangar befinden.« Die Stiefel donnerten einen Gang herunter, liefen Leitern entlang. Die Männer schlitterten über schiefe Ebenen, stiegen in engen Schächten hinab. Das Transportsystem an Bord des Riesenschiffes funktionierte nicht mehr. Hieß das etwa, daß es keine Antriebsenergien mehr an Bord des Raumers gab? Der Hangar war wie eine kleine Halle. Auch hier hatten ungeheure Kräfte gewütet. Gleiter waren gegen die Wände geworfen worden. Ihre Antriebszellen hatten sich in detonationsartigen Blitzen entladen. Die geschwärzten, von zackigen Rissen durchzogenen Wände zeichneten ein genaues Bild von dem Sturm der Vernichtung, der hier getobt hatte. Einer der Gleiter schien noch zu funktionieren. Es handelte sich um ein einfaches Modell zum Befördern von Lasten beim Be und Entladen des Schiffes. Es hatte eine Grundfläche von zwei mal zwei Metern. Der Boden war gewellt, das umlaufende Gitter verbogen und teilweise abgerissen, aber er hob leicht vom Boden ab, als sich Latak Decimo hinter die einfachen Bedienungshebel setzte. »Jetzt sind wir genauso dran wie vorher«, knurrte Rex Corda. Er betrachtete das Fahrzeug mit schlecht verhohlenem Mißtrauen. »Sind Sie sicher, Decimo, daß wir den Antrieb dieses Schiffes auf einer so kleinen Grundfläche unterbringen können?« Latak Decimo lächelte. »Sie haben recht, Corda, der ganze Antrieb könnte nicht einmal von einem Gleiter, der zehnmal so groß ist wie dieser, befördert werden. Aber das wollen wir auch gar nicht. Uns geht es um die Antriebszelle. Den Energieblock, wenn Sie wollen.« »Das wird sich auch nicht so ohne weiteres machen lassen. Wir können ihn ja nicht einfach in die
Tasche stecken«, vermutete der Terraner.
»Genau. Wir werden Mühe haben, ihn zu lösen!«
Rex Corda sprang auf den Gleiter, der bewegungslos einen Meter über dem Boden des kleinen Hangars
schwebte. Sofort senkte sich die Plattform. Latak Decimo fing die Bewegung mit einem sicheren Druck
auf die Kontrollen ab und ließ den Gleiter aus dem Hangar schweben.
»Wir können es uns jetzt etwas einfacher machen«, sagte der Synoptiker. »Wir schweben direkt
durch den stillgelegten Gravoschacht zum Heck des Schiffes. In den Gängen wäre das Manövrieren
auch zu schwierig.«
Der Maschinenraum schien der Kraft des unbekannten Giganten doch größeren Widerstand
entgegengesetzt zu haben als die restlichen Abteilungen des Schiffes. Aber er war auch hier gewesen.
Rohre waren zerknickt, Platten zerknüllt…
Der dunkel drohende Block in der Mitte des Raumes aber war unversehrt, wenn er auch in seinen
Verankerungen gelöst schien.
Der Anblick dieses von schwerem Metall umkleideten Ungetüms ließ Überlegungen in Corda aufsteigen.
Konnte Carlotte der Urheber dieser Verwüstungen sein?
Es schien unglaublich, daß ein Mensch solche Kräfte entwickeln konnte. Was hatte man mit den
Terranern angestellt? Ihre Körper waren anscheinend unbesiegbar geworden, aber jeder der drei
veränderten Terraner, denen sie begegnet waren, schien wahnsinnig zu sein.
Jetzt bestand für Corda kein Zweifel mehr darüber, daß auch der fünf Meter hohe Gigant in den
Sümpfen von Swamp ein Terraner gewesen war. Die teuflischen Experimente der Laktonen hatten ein
Monster aus ihm gemacht. Aber war das Experiment geglückt?
Nein. Die Schöpfungen dieser Experimente hatten sich gegen die Forscher gerichtet. Keiner war
verschont worden. Es schien zweifelhaft, ob einer der laktonischen Forscher überlebt hatte. Auch das
Schicksal der Wachmannschaften stand fest. Nicht einmal die Kampfroboter hatten die Veränderten
vernichten können.
Gemeinsam mit Latak Decimo schob Corda den Rand des Gleiters unter die aufklaffende Seite des
Blocks.
Mit einem knirschenden Geräusch löste sich die schwere Masse vom Boden. Die Männer stemmten sich
gegen die Kante, schoben den Rand des Gleiters zentimeterweise unter den Block. Dann hatten sie es
geschafft. Latak Decimo betätigte die Kontrollen. Unerträgliches Kreischen erfüllte den Nebenraum,
als die Schwebeplattform unter die Energiezelle gedrängt wurde.
Mit detonationsartigem Krachen zerbarsten die letzten Verankerungen. Die Energiezelle ruhte auf der
Plattform.
Behutsam ließ Latak Decimo den Gleiter aufsteigen. Die Plattform, begann unter dem schweren
Gewicht zu schwanken, sie bog sich beängstigend durch.
Der Gleiter taumelte, als sie den stillgelegten Gravoschacht emporglitten.
*
»Das ist der letzte Versuch«, bemerkte Hent Marat ernst. »Sie haben meine Theorie akzeptiert, daß
es sich bei diesen Pflanzen um ein Einzelwesen handelt. Wir müssen die Gesamtheit dieser Pflanze,
oder wie wir dieses verdammte Ding nennen sollen, bekämpfen. Es genügt nicht, ein paar Ranken
abzuschneiden. Das würde überhaupt keine Lösung bringen.«
Die anderen Wissenschaftler nickten.
»Es handelt sich übrigens um die letzten Energiebestände«, bemerkte Fan Kar Kont.
»Ich wette, Sie haben immer noch ein paar Megawatt in der Tasche«, lächelte John Haick.
Der terranische Atomwissenschaftler, zugleich der beste Freund Rex Cordas, hatte sich vollständig in
die Gemeinschaft der Laktonen eingefügt. Man war nicht mehr der Meinung, daß Haick als
Wissenschaftler den Laktonen grenzenlos unterlegen war.
»Sie irren sich gewaltig, Haick«, sagte Fan Kar Kont. »Ierra Kretan hat bei ihrer Berechnung alle
Reserven mit einbezogen.«
Die Köpfe der Laktonen wandten sich der Mathematikerin zu, die anscheinend unbeteiligt mit dem
kirschroten Ring am Finger ihrer linken Hand spielte.
»Wenn wir jetzt zum letzten Schlag ausholen, dann wird jeder Funke Energie an Bord der COROCON III verbraucht sein. Wir haben kein Licht mehr. Unsere Ortungsgeräte laufen nicht mehr. Wir haben keine Funkverbindung mehr. Wir hätten praktisch keine Möglichkeit, uns mit Latak Decimo und Rex Corda zu verständigen.« Wieder wandte sich die Frau ihrem Ring zu. Sie schien ihre Umgebung vergessen zu haben. »Glaubt jemand etwa noch daran, daß die beiden leben?« Keiner wußte, wer die Worte ausgesprochen hatte, aber sie schienen die Gedanken aller auszudrücken. Hent Marat durchbrach das Schweigen. »Los! Fangen wir an!« Mit Fan Kar Kont prüfte er, ob die Anlage einsatzbereit war. »Wir dürfen die Energie nicht schrittweise erhöhen, sondern müssen einen einzigen Schock abgeben. Das sollte genügen«, brummte der füllige Biochemiker. Mit einem Ruck riß Fan Kar Kont den Hebel herunter, der die Außenwandungen der COROCON III in ein mächtiges elektrisches Feld hüllen würde. Aller Augen hatten sich an der zitternden Nadel festgesaugt. Der Stromstoß verbrauchte alle Energien. Die Lichter flackerten und setzten aus. Das Summen der Klimaanlage erstarb. Der Holograf wurde dunkel. Taschenlampen flammten auf und beleuchteten die verkrampften Gesichter der Wissenschaftler. »Das war’s!« stieß Hent Marat gepreßt hervor. »Wenn dieses Biest jetzt noch lebt, dann will ich…« Das unheilvolle mächtige Knacken fand sein Echo in einem einzigen Schrei, der in der dunklen Kommandozentrale aufbrandete. Der letzte Versuch war mißlungen. Der Stromstoß hatte die Kräfte des Ungeheuers eher noch verstärkt. * Kommandant Muntt Tryvvan starrte auf den großen Holografen, der eine Wand der Kommandozentrale des großen Kriegsraumers einnahm. Er wandte sich an Tellek Perco, der neben ihm stand. Der Sender meldete sich nicht mehr. »Der Notruf war vorprogrammiert. Sie haben nicht geantwortet. Lassen Sie die Landungsboote auslaufen!« Während Tellek Perco die Befehle durchgab, wurde der Kommandant wieder von jenem unheilvollen Gefühl befallen, das ihn schon die ganze Reise zu diesem System nicht losgelassen hatte. Immer wenn er an das geheime Forschungszentrum auf KS 33 66 b denken mußte, kamen ihm Zweifel. Was wurde dort wirklich getrieben? Diese Forschungen mußten ungeheuer gefährlich sein. Kommandant Tryvvan hatte keine Angst, aber dieses Gefühl war weit schlimmer als Angst. * Langsam manövrierte der Gleiter aus dem zackigen Loch an der Seite des zerstörten Wachbootes. Das vorher so strahlende Licht in der gewaltigen Kuppelhalle im Innern des Bergkegels war seltsam diffus. Dann erkannte Rex Corda die Ursache. Ein neuer Tag meldete sich an. Durch die beiden weit geöffneten Portale kam helles Licht herein. Corda blickte auf die Überreste des kleinen Gleiters, mit dem sie hierhergeflogen waren. Obwohl Latak Decimo das schwer beladene Fahrzeug schneller auf den Ausgang zumanövrierte, erkannte Rex Corda die verkrümmte Gestalt neben den verbogenen Metallplatten. Ein kahler Kopf schimmerte. Dünne Arme hatten sich wie schutzsuchend um die Seiten des Kopfes gelegt. Die eben noch über zwei Meter große Gestalt des Spaniers schien merkwürdig zusammengeschrumpft zu sein. Und erst jetzt sah Corda die breite, wuchtige Gestalt zwischen den hohen Portalen. Da begriff er die ganze Wahrheit: Die Kraft des Riesen war auf Ron Carlotte übergegangen. In einer Entfernung von fünf Metern schwebte der Gleiter an Carlotte vorbei. Der Mann war noch zu erkennen, obwohl sich sein Aussehen so völlig gewandelt hatte. Breite, wuchtige Schultern liefen in schräg herabhängende, ungeheuer dicke Arme aus. Die Hüften und Schenkel Carlottes hatten den doppelten Umfang wie vorher. Das Zucken des linken Auges war nicht mehr zu sehen, aber noch immer leuchtete der Wahnsinn aus diesem Gesicht.
Ron Carlotte schien den Gleiter mit den beiden Männern nicht zu bemerken. Der breite Kopf starrte nach oben, in den blauen Himmel Swamps hinein. Wieder fiel Rex Corda die kahl geschorene Stelle am Hinterkopf des Mannes auf. »Corda!« schrie Decimo plötzlich auf. Der Gleiter machte einen Satz nach vorn. Rex Corda starrte ebenfalls in die Luft. Hoch über ihnen hing ein riesiges rotes Raumschiff. Zahlreiche Landungsboote waren als dunkle Punkte zu erkennen. Sie näherten sich schnell der Oberfläche. In diesem Augenblick klang die Stimme in ihren Raumhelmen auf. Die Worte schwollen wie ein Orkan an. »An die Besatzung der Labors! An die Besatzung der Labors und die gesamte Wachmannschaft! Melden Sie sich! Geben Sie Ihren Standort durch! Wir bringen Hilfe! Ich wiederhole…« Der Gleiter raste vorwärts. Latak Decimo beschleunigte mit Höchstgeschwindigkeit. Aber dennoch schien das Fahrzeug zu kriechen. Und jetzt schoß unter ihnen ein Schatten vorbei. Die Gestalt Ron Carlottes raste mit wilden Schreien über die Ebene. Im Laufen warf er immer wieder den Kopf empor und starrte auf die wirbelnden Punkte, die sich herabsenkten. Rex Corda fühlte, wie die geistige Ausstrahlung des Wahnsinnigen nach ihm griff. Er konnte seinen empathischen Geist nicht länger mehr abschirmen. Zu stark war der Strom verwirrter Gedankenfetzen, der auf ihn eindrang. Wut, Haß, Angst beugten seinen Geist mit stählernen Armen. Corda fühlte noch einmal die wahnsinnigen Schmerzen des Mannes, die geistige Folter der Experimente. Sein Willen lag machtlos unter dieser Flut von grauenhaften Erlebnissen, die sich mit den Empfindungen des zur Bösartigkeit mutierten Gehirns vermischten. Corda taumelte zum Rand des Gleiters. Er wußte nicht, was er tat, als er die Arme ausbreitete. Die harte Stimme riß ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Latak Decimo hatte den Terraner zu Boden geworfen und den Lautsprecher von Cordas Helm auf vollste Lautstärke gestellt. Die brüllend hervorgestoßenen Worte ließen fast seine Trommelfelle platzen, aber sie erreichten ihre Wirkung. »Corda! Rex Corda! Terraner! Mann, kommen Sie wieder zu sich!« Die Faust des Laktonen schüttelte ihn. »Okay«, stöhnte der Terraner. »Es geht schon wieder. Was war geschehen?« Hinter ihnen senkten sich die ersten Landungsboote der Laktonen. Decimo ließ den Gleiter tief am Boden dahinrasen. * Sie fanden das Raumschiff nicht. Vergeblich hatten sie versucht, eine Funkverbindung herzustellen. Doch niemand hatte geantwortet. Vorsichtig ließen sie den Gleiter höher steigen. Auch jetzt noch, da sie weit vom Bergkegel und den daneben gelandeten Raumern entfernt waren, durften sie nicht leichtsinnig werden. Die Oberfläche bot noch die beste Deckung. Der Fehler lag darin, daß sie versucht hatten, ein Raumschiff in einem Wald von Pflanzen zu erspähen. Der Gedanke, daß die COROCON III bereits von einem Urwald überwuchert war, wäre ihnen absurd vorgekommen. Sie konnten es einfach nicht fassen. Selbst dann nicht, als sie das Blinken unter der dichten Decke des Dschungels sahen. Schweigend sahen sich die beiden Männer an. Sie hatten erwartet, daß ihnen ein jubelnder Empfang bereitet wurde. Immerhin war ihre Mission erfolgreich gewesen. Sie hatten eine größere Kraftquelle ausbauen können. Es sah aber so aus, als würde die COROCON III niemals wieder eine Antriebskraft gebrauchen können. Was mit der Besatzung geschehen war, wagten sie sich nicht vorzustellen. Es dauerte drei Stunden, bis sie sich einen Weg durch die sich windenden Pflanzen geschnitten hatten. Immer wieder wuchs der Urwald nach. Die Ranken schienen nicht pflanzlichen Ursprungs zu sein. Sie wuchsen und bewegten sich mit einer Schnelligkeit, die an einen Zeitraffer erinnerte. Dann lag die Hauptschleuse vor ihnen. Decimo betätigte die Entriegelung, während Rex Corda schweigend seinen Strahler kreisen ließ. Der Urwald griff an. Giftpfeile schossen auf die beiden Männer zu und ergossen blitzschnell ihre klebrige Flüssigkeit über die Raumanzüge. Tentakel schossen
blitzschnell heran und legten sich um Schultern und Beine der Männer. Die Waffe Cordas befand sich
pausenlos in Aktion. Während Decimo das komplizierte Schloß bearbeitete, angelte sich der Terraner
den zweiten Strahler aus der Tasche des Synoptikers und schoß beidhändig.
Eine mächtige Ranke, die pfeifend heranschoß, verfehlte nur um Millimeter ihr Ziel. Der Gleiter drang
in die Luftschleuse ein. Sofort schloß sich die automatische Verriegelung hinter ihm.
Mit zusammengebissenen Zähnen sahen sich Corda und Decimo an. Zögernd betätigte der Synoptiker
die Entriegelung der Innenschleuse.
Dann löste sich sein gespanntes Gesicht zu einem breiten Lachen.
Die gesamte Besatzung der COROCON III hatte sich zum Empfang versammelt.
Aber jetzt war keine Zeit, das Wiedersehen zu feiern. Die Energieanlage mußte installiert werden.
Ganze Teile des Schiffes waren bereits eingedrückt. Immer wieder lief ein berstendes Krachen durch
den Schiffsrumpf.
Im Maschinenraum wurde die verbrauchte Energieeinheit gegen die neue ausgewechselt. Man verlor
keine Sekunde mehr.
Es war die gleiche Bewegung wie vor einigen Stunden, als Fan Kar Kont den Hebel herunterriß, der die
Außenwandung der COROCON III in ein starkes elektrisches Feld hüllen würde…
*
Der Schock tötete sie auf der Stelle. Mit aufnahmebereiten Speicherzellen hatte Tykanta das Schiff
umgeben, hatte mehr und mehr den Druck verstärkt.
Ein zuckendes Beben pflanzte sich über Hunderte von Kilometern über den Sumpfboden Swamps fort,
als das übersättigte Zentrum wie eine Bombe zerplatzte.
Ganze Wälder wurden von der Gewalt des Druckes in den Dunst des Morgenhimmels gerissen. Sie
verdorrten noch im Fluge. Überall krümmten sich die Pflanzen zusammen, wurden schwarz und
schrumpften zu winzigen, verkohlten Stäubchen zusammen.
Schlagartig war ein phantastischer, himmelstürmender Traum erloschen, der Traum einer intelligenten
Pflanze.
Tykanta existierte nicht mehr.
*
Der Holograf enthüllte in allen Einzelheiten die Veränderungen der Pflanzen; um die COROCON III
ringelten sich dunkle, abgestorbene Tentakel.
»Und Sie sind wirklich der Meinung, daß es sich um ein Lebewesen handelte?« fragte Latak Decimo.
Hent Marat nickte.
»Meine Theorie geht sogar noch weiter. Wir haben uns viel zu spät mit dem eigentlichen Problem
beschäftigt. Eine genaue Analyse zu Anfang hätte nämlich ergeben, daß diese Pflanze wirklich
intelligent war.«
»Hören Sie, Marat«, protestierte einer der Wissenschaftler.
»Es handelt sich nicht um Reflexreaktionen«, fuhr Marat ungerührt fort. »Dieser Angriff war das
Ergebnis kalter, bewußter Überlegungen.«
»Aber, eine intelligente Pflanze…«
Hent Marat nickte. Er hob sein Glas mit kostbarem laktonischen Sekt, den er eine Stunde vorher
seufzend gestiftet hatte.
»Das Ergebnis steht fest. Wir haben ein Energiezentrum, eine Strahlungsquelle gefunden. Sie befand
sich unmittelbar dort, von wo der Notruf kam und wo Latak Decimo und Rex Corda auf die geheimen
Laboratorien stießen. Das läßt nur einen Schluß zu!«
Hent Marat schlürfte genießerisch einen Schluck des kostbaren dunklen Getränks.
Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an.
»Die Experimente hier auf Swamp haben die Pflanze verändert. Sekundärstrahlung ließ die Zellen einer
vorher fleischfressenden Pflanze mutieren und schaffte ein Monster, das sich auf Grund seiner
Intelligenz über den ganzen Planeten verbreiten konnte. Unser erster Versuch, das Wesen zu töten,
schlug fehl. Die Pflanze saugte die Energiemenge mühelos auf. Der Stoß war zu schwach. Jetzt aber
haben wir ihr mehr zu schlucken gegeben, als sie fressen kann. Wenn Sie wollen, meine Damen und
Herren: Das Monster ist an Magenverstimmung gestorben.«
In das befreiende Gelächter wandte sich Latak Decimo an Ierra Kretan.
»Vielleicht wollen Sie mit mir nach terranischer Sitte auf das gute Zwischenergebnis anstoßen?«
Der Synoptiker hatte seinen Raumhelm heruntergeklappt. Sein verschwitzter Körper steckte aber
immer noch in der Kombination, die jetzt in schweren Falten herunterhing.
Ierra Kretan blickte stirnrunzelnd auf den von Säure und Schmutz bedeckten Raumanzug.
»Wenn Sie sich gewaschen haben, gern«, gab sie zurück. Dann blickte die Mathematikerin Rex Corda
strafend an.
»Das gilt natürlich auch für Sie, Corda!«
Dann lächelte sie.
»Sagen Sie mal«, wandte sich Hent Marat an die gesamte Besatzung. »Weiß jemand zufällig, ob zur
Ausrüstung der COROCON III eine Badewanne gehört?«
ENDE