Das Silberschiff Capitán Manuel Redrojo schob seine Ellenbogen auf die Heckbalustrade, an der er mit dem Rücken lehnte...
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Das Silberschiff Capitán Manuel Redrojo schob seine Ellenbogen auf die Heckbalustrade, an der er mit dem Rücken lehnte. Die Stimmen waren jetzt deutlicher zu hören. »Ist es nicht wie das Erwachen einer geläuterten Welt?« säuselte der Schreiberling. »Ja, Consuela, für mich ist es auch das Symbol des Neubeginns, der uns Menschen immer wieder möglich sein wird.« »Für uns wird jeder Tag neu und wunderschön sein«, hauchte das Mädchen. Redrojo konnte es nicht fassen. Völlig ungeniert redeten sie ihr verliebtes Zeug dort unten auf der Heckgalerie. Wie konnte man so einen Unsinn über das Wetter zusammenspinnen! Der Sturm war vorbei, und jetzt schien die Sonne. Das war alles. Das Mädchen war einfach zu schade für diesen albernen Kerl. Redrojo spürte seine Eifersucht wie eine innere Glut. Er blickte an sich hinunter und sah seine Hand auf dem Pistolengriff . . .
Die Hauptpersonen des Romans: Manuel Redrojo - der Capitán der Silber-Galeone »Fidelidad« ist in Liebe entflammt. und vernachlässigt die Führung seines Schiffes. Consuela Verguero - die hübsche Kaufmannstochter fährt als Passagier auf der »Fidelidad« und bringt Unruhe in den Bordbetrieb. Amadeo Palma - der Schriftsteller und Geschichtsschreiber wird in seiner Ehre beleidigt und verlangt Genugtuung mit dem Säbel. Cormac O'Sirideáin - der hitzköpfige Ire legt sich mit den Arwenacks an und empfängt eine tödliche Abfuhr. Philip Hasard Killigrew - eine Silber-Galeone ist dem Seewolf als »kleines« Geschenk für die königliche Lissy gerade recht.
1. Heilige Mutter Gottes! Er erschrak und war zugleich stolz auf sich. Diese ungewollte Reaktion zeigte seine innere Bereitschaft. Himmel, ja, seine Liebe war übermächtig! Er war der Mann für Consuela Verguero. Nicht dieser lächerliche Federfuchser. Ein solches Mädchen brauchte einen wirklichen Mann, einen Spanier vom Scheitel bis zur Sohle. Ja, er war bereit, den Kerl notfalls zu töten. Vielleicht würde ihm dann sogar wohler sein. Und gleichzeitig lieferte er Consuela den Beweis für die wahre, großartige Liebe, die er für sie empfand. Die Blicke, die sie ihm seit der Abfahrt aus Havanna gelegentlich zugeworfen hatte, bereiteten ihm noch jetzt einen Schauer des Wohlbehagens. Er hatte darüber nachgedacht und war zu der Überzeugung gelangt, daß in jenen Blicken Bewunderung und Sehnsucht gelegen hatten. Verständlich. Manuel Redrojo hatte anfangs seinen Augen nicht getraut, als er mit
den Ladepapieren auch die Dokumente für die beiden Passagiere erhalten hatte. Amadeo Palma, Schriftsteller und Geschichtsschreiber, Genueser von Geburt. Kaum zu glauben. Ein Stubenhocker und Träumer, der seinen Lebensunterhalt damit bestritt, sinnloses Zeug zu Papier zu bringen. Die Hochwohlgeborenen, die ihm das Geschreibsel abkauften, verstanden es in den seltensten Fällen. Aber sie schmückten sich mit ihrem angeblichen Kunstverstand. In ihren Kreisen überbot man sich gegenseitig mit solchem angeberischen Gehabe, natürlich auch mit Malerei und Musik. Die beiden letzteren Kunstrichtungen hatten für Capitán Redrojo noch einen gewissen Sinn. Mit Feder und Tinte Buchstaben und Zahlen niederzuschreiben, ergab dann einen Nutzeffekt, wenn es sich um die Kontobücher eines Kaufmanns handelte. Oder um das Logbuch eines Kapitäns. Aber Schreiben aus purem Vergnügen? Und dafür noch Geld verlangen? Redrojo schüttelte abermals den Kopf. Als der Genueser durch die Pforte
5 im Schanzkleid getreten war, hatte er gleich gewußt, daß dieser Bursche nicht ganz richtig im Oberstübchen war. Das bedauernswerte Mädchen, diese unvergleichliche Schönheit, mußte ihm von ihrem Vater versprochen worden sein. Anders konnte man sich das beim besten Willen nicht erklären. Auf der Heckgalerie säuselte er weiter, dieser Affe. „Der Atlantik, Consuela, hat diese einzigartige Härte. Sieh den Himmel in seinem stählernen Blau! Der Sonnenschein ist von einem Glanz, der uns Menschen die Erhabenheit der Natur spüren läßt. Gewiß, eine freundliche Sonne, die uns - wie vorhin gesagt - Grund zum Aufatmen gibt, Hoffnung auf das Neue, berauschend Schöne." „Ich glaube, ich verstehe, was du sagen willst", sagte Consuela. „Ich empfinde es ähnlich wie du, Amadeo. Die Karibik ist anders. Dort hat die Sonne etwas Verspieltes, und der blaue Himmel ist grenzenlos heiter. Selbst Regen und Gewitter tragen keine Schwere, sondern sie besänftigen gewissermaßen mit der Ankündigung, daß sie nur kurzzeitige Gäste sein werden." „Wie wahr!" rief der Schreiberling begeistert. „Und wenn du als weiteren Vergleich unser heimisches Mittelmeer hinzuziehst, wirst du dort eine wiederum völlig anders geartete Stimmung erkennen. Der mediterrane Himmel hat bisweilen etwas an sich, das Freude und Schwermut zugleich widerspiegelt. Es ist - wie soll ich es ausdrücken..." „Tu nicht so!" sagte Consuela lachend. „Dir hat es noch nie an Ausdrucksfähigkeit gemangelt."
„Beim Schreiben fällt es mir leichter als beim Sprechen." „Stell dein Licht nicht unter den Scheffel!" Beide lachten. Redrojo verdrehte die Augen und faßte sich an den Kopf. Ihm wurde fast übel. Das arme Mädchen fing schon an, die schwülstige Redeweise des Träumers anzunehmen. Es wurde höchste Zeit, daß man ihr vor Augen führte, was Männlichkeit wirklich bedeutete. Manuel Redrojo wußte jetzt, daß er den Schreiberling aufrichtig haßte. „Capitán! Ich bitte um Verzeihung, Capitán..." Redrojo zuckte ungewollt zusammen. Die Stimme, die da in sein Bewußtsein vordrang, war so störend wie nur irgend etwas. Ärgerlich zog er die Stirn in Falten. Er nahm den Anblick der Galeone wieder wahr, seiner Galeone. Und vor ihm baute sich Labastida diensteifrig auf. Labastida, der ehrgeizige Hund. Jorge Labastida, seines Zeichens Erster Offizier, der darauf hoffte, die nächste Reise von Cádiz nach Havanna im Range eines Kapitäns anzutreten. Die „Fidelidad" sah zerzaust aus wie ein Straßenköter, den man geprügelt und getreten hatte und der mit knapper Not entwischt war. Ein gnädiger Wind aus Südwest trieb die Galeone durch eine weite Dünung, die noch vom Sturm aufgebaut worden war und in westlicher Richtung verlief. Redrojo hatte angeordnet, das Schiff platt vor dem Wind laufen zu lassen Kurs Nordost. Nur so erfüllten die Segelfetzen noch einen Sinn. Der schwerbeladene Dreimaster wiegte sich behäbig in seiner mäßigen Fahrt, abwechselnd nach Backbord und Steuerbord krängend.
6 „Was ist los, verdammt?" zischte Redrojo. Ihn ärgerte besonders, daß die Turtelnden auf der Heckgalerie jetzt sicherlich auf ihn aufmerksam wurden. Andererseits war er der Kapitän, und er konnte sich an Bord aufhalten, wo er wollte. Genaugenommen hatte er auch das Recht, nachts ihre Kammern zu kontrollieren. Daß der Schreiberling zu später Stunde zu Consuela schlich, um es mit ihr zu treiben, stand außer Frage. Redrojo nahm sich vor, das ab sofort zu unterbinden. Die „Fidelidad" sollte, verdammt noch mal, ein sauberes Schiff bleiben. „Es handelt sich um unseren Kurs, Capitán, sagte der Erste Offizier laut und deutlich, als habe er es mit einem Schwerhörigen zu tun. „Außerdem verlaufen die Maßnahmen zum Beheben der Sturmschäden nicht zufriedenstellend." Redrojo zog unwillig die Stirn in Falten. „Letzteres werden Sie ja wohl selbständig überwachen können, Labastida. Und was den Kurs betrifft, sehe ich keinerlei offene Fragen." „Der Navigator ist der Meinung, daß wir in Lissabon eintreffen werden, wenn wir diesen Kurs beibehalten. Oder sogar nördlich von Lissabon. Nach dem Stand der Sonne . . . " „Unsinn!" schnitt ihm Redrojo das Wort ab. „Seemännische Erfahrung und die Klugscheißerei von Anfängern sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Einen Navigator, der seine zweite Atlantiküberquerung erlebt, kann man wohl kaum als erfahren ansprechen." „Aber er versteht etwas von seinem Fach", widersprach Labastida vorsichtig. Redrojo starrte den Ersten an, als hätte dieser unvermittelt Chinesisch
gesprochen. Redrojo hob den rechten Arm und wies mit übertriebenem Staunen auf den jungen Offizier, der neben dem Zweiten und dem Dritten an der vorderen Querbalustrade des Achterdecks stand und kluge Reden führte. „Sprechen Sie von diesem Grünschnabel? Allen Ernstes?" Labastida schluckte trocken hinunter und zwang sich, beherrscht zu bleiben. „Der Mann hat in Cádiz eine erstklassige Ausbildung genossen. Er hat seine Erfahrungen bei früheren Einsätzen im Mittelmeer gesammelt. Ich glaube, man sollte über seine Hinweise zumindest nachdenken." „Tun Sie das, Labastida, tun Sie das. Für mich gelten andere Grundsätze, Und ich bin immer noch der Kapitän dieses Schiffes, nicht wahr?" „Das habe ich mit keiner Silbe angezweifelt", entgegnete der Erste scharf. „Ich verwahre mich entschieden gegen derartige Unterstellungen." Redrojo blinzelte verwirrt. „Mann, was ist los mit Ihnen? Ist Ihnen eine Laus über die Leber gekrochen? Du lieber Himmel, wir sollten alle froh sein, daß wir den Sturm überstanden haben und noch am Leben sind! Genießen wir diesen herrlichen Tag!" Jorge Labastida wollte erwidern, daß er auch nur den angedeuteten Vorwurf von möglicher Meuterei niemals hinnehmen würde, ohne die Wiederherstellung seiner Ehre zu verlangen. Doch ein Blick in das Gesicht des Capitáns veranlaßte ihn, darauf zu verzichten. „Sie stimmen also einer Kursänderung nicht zu, Capitán?" „Nein", entgegnete Redrojo schroff. „Der Atlantik ist nicht das Mittelmeer. Und wenn ein Navigator nicht in der Lage ist, den Kontakt mit unserem Verband aufrechtzuerhal-
7 ten, dann sollte er anschließend nicht auch noch weise Kommentare von sich geben. Wir halten den festgelegten Kurs und damit basta!" „Jawohl, Capitán", sagte Labastida und salutierte. Redrojo blickte dem schlanken Offizier kopfschüttelnd nach und faßte siech an die Stirn. „Lissabon!" Er atmete stoßartig aus. Gütiger Vater im Himmel, dachte er, bin ich denn nur noch von Narren umgeben? Sie hatten mit der „Fidelidad" nicht nur den Anschluß an den Verband verloren. Sie hatten sich nach dem Sturm auch noch hoffnungslos versegelt. Dieser Schnösel von einem Navigator war so hilflos gewesen wie ein seiberndes Kleinkind. Und jetzt meinte er, die Kursentscheidung seines Kapitäns anzweifeln zu müssen, Nicht zu fassen! Nordost und nichts anderes. Punktum. Erst einmal mußten sie überhaupt vernünftige Fahrt laufen. Dann konnte man weitersehen. Lissabon! Unglaublich. Je mehr er darüber nachdachte, desto wütender wurde Redrojo über diesen vorlauten Navigator. Eigentlich war es angebracht, ihn wegen seiner Unverschämtheit zur Rechenschaft zu ziehen. Mit einer Disziplinarmaßnahme. Redrojo verwarf die Überlegung. Er hatte sich vorgenommen, milde gestimmt zu bleiben. Labastidas Hinweis, die Sturmschäden würden nicht zufriedenstellend behoben, waren typisch für die Diensteifrigkeit dieses Mannes. Er, Redrojo, wußte aus Erfahrung, wann man mit einer Crew hart und wann nachsichtig umspringen mußte. Nach dem Sturm hatten alle eine Verschnaufpause verdient. Man konnte
die Männer nicht schon wieder herannehmen, als sei nichts geschehen. Nach dem üblichen Zwischenaufenthalt auf den Azoren hatten sie geglaubt, eine rasche Heimreise vor sich zu haben. Man mußte verstehen, welche Enttäuschung jeden einzelnen der Männer durch den Sturm befallen hatte. Natürlich waren sie froh, nicht abgesoffen zu sein. Aber jeder träumte doch von seinem kleinen Glück in Cádiz - und wenn es nur darin bestand, eine ganze Nacht mit einer Hafenhure zu verbringen. Redrojo lächelte weltentrückt. Kaum einer an Bord würde ihn wohl verstehen, wenn er preisgab, daß er über die Verzögerung froh war. Nein, er würde es auch niemandem erzählen. Schließlich ging es keinen etwas an, daß er, Manuel Redrojo, die große Liebe seines Lebens gefunden hatte. Auf der Fahrt bis zu den Azoren hatte er es schon geahnt, aber durch die Beschäftigung mit dem Segeln im Verband war er vermutlich weitgehend davon abgelenkt worden. Nun jedoch, nach dem Sturm, waren ihm alle Zweifel genommen worden. Eine gütige Fügung des Schicksals hatte ihm diese unglaublich schöne junge Frau an Bord seines Schiffes geschickt. Er war der Mann für sie, niemand sonst. Sie würde es begreifen, wenn sie ihn erst einmal kennengelernt hatte. Dann würde sie diese läppische Figur von einem Genueser schnell vergessen. Redrojo fiel auf, daß er den Schreiberling nicht mehr säuseln hörte. Er drehte sich um und beugte sich über die Balustrade. Natürlich! Die Galerie war leer. Durch den Wortwechsel mit Labastida waren Consuela und ihr schwadronierender Galan verscheucht wor-
8 den. Er hätte dem Ersten einen Tritt in den Hintern verpassen können. Manuel Redrojo begann zu überlegen, welche Taktik er anwenden sollte, um mit Consuela Verguero in eine engere Beziehung zu treten. Berührungspunkte gab es bei den Mahlzeiten und meist abends, wenn man sich zum Wein im Achterdeckssalon traf. Der Schreiberling war an allem und jedem interessiert. Vielleicht sollte man ihm anbieten, sich von dem besserwisserischen Schnösel in die Geheimnisse der Navigationskunst einweisen zu lassen. Das würde Consuela natürlich langweilen. Gelegenheit für den Capitán, sich ihr mit Grandezza zu einer kleinen Plauderei anzubieten. Nicht im entferntesten Winkel seiner Gedankenwelt hätte Redrojo für möglich gehalten, daß seine Offiziere ernsthaft besorgt waren und er selbst der Mittelpunkt dieser Besorgnis war. 2. Edwin Carberry legte die Hände auf den Rücken und hob den Kopf. Er blähte die Nasenflügel und gab vernehmliche Schnüffelgeräusche von sich. „Riechst du was, Sir John?" fragte er schließlich, ohne den Blick zu wenden. Er setzte die Schnüffelei fort und schloß genießerisch die Augen. Der rote Papagei, der auf seiner linken Schulter thronte, beugte sich vor, so weit er konnte, ohne hinunterzufallen. Er drehte den runden Kopf in Schrägstellung und beäugte die Nasentätigkeit des Profosen. „Na, riechst du was, Sir John?" wie-
derholte Carberry, ließ die Augen geschlossen und schnupperte weiter. Die auf dem Hauptdeck beschäftigten Arwenacks grinsten und wechselten vielsagende Blicke. Ferris Tukker, der eine Lafette aufgebockt hatte und eine beschädigte Rolle auswechselte, tippte sich an die Stirn. „Das riecht nach England, Sir John", sagte Carberry wie im väterlichen Gespräch mit einem Kind, dem er die Lösung eines kleinen Rätsels offenbarte. „Nach England riecht das, mein Alter!" „Papageien können überhaupt nicht riechen", sagte der Schiffszimmermann überzeugt. Die Männer an Deck mußten an sich halten. Carberry riß die Augen schlagartig auf und starrte den rothaarigen Hünen an, als hätte dieser behauptet, zwei und zwei seien fünf. „Woher willst du das wissen, he?" Ferris wandte sich von der Lafette ab und richtete sich zu voller Größe auf. „Dafür brauche ich nur meine Augen, du Blindfisch. Papageien haben einen Schnabel und keinen Rüssel." Der Profos polterte augenblicklich los: „Willst du behaupten, daß ich einen Rüssel habe?" „Affenarsch!" schrie Sir John. „Verlauste Kakerlake!" „Nenn es, wie du willst", entgegnete Ferris aufgebracht. „Jedenfalls kannst du einem den Nerv töten." Er äffte Carberrys Stimme nach: „Das riecht nach England, Sir John!" Die Arwenacks lachten schallend. „Tut es auch!" erwiderte Carberry dröhnend. „Für so was habt ihr Blödiane eben kein Gespür!" „Kein Gespür!" schrie Sir John und wiegte sich aufgeregt von einer Seite
9 auf die andere. Ein rollendes Kräch- ihm leerten, sah's ziemlich übel aus in zen folgte: „Hol durch die Lose, Sir!" der ,Bloody Mary'." Die Männer grinsten. Sie bemerkOld Donegal Daniel O'Flynn, der neben Ferris Tuckers Lafette an der ten, wie Plymmie, die Wolfshündin, Verschanzung lehnte, verschaffte den Kopf hob und die Ohren spitzte. „Du bist nicht gemeint, Lady", sich Gehör, indem er mit seinem sagte Hasard junior und kraulte ihr Holzbein aufstampfte. die Ohren. „Wenn die Gentlemen mal eine Se„Da gibt's einen männlichen Plymkunde zuhören wollen!" rief er mit eimie in Plymouth", erklärte sein Bruner Stimme, die wie eine rostige Eider Philip. „Ein zweibeiniges Exemsenraspel klang. „Ich denke, wir könplar. Nathaniel Plymson mit vollem nen den Sachverhalt schnell klären Namen. Der arme Kerl ist der Inhaegal, wie gut ein Papagei riechen ber der Schenke ,Bloody Mary', und kann. Wenn wir nämlich auf dem Bowenn er wüßte, daß die Crew des Seeden der Tatsachen bleiben, ist die Gewolfs auf Heimatkurs liegt, würde er schichte verdammt einfach. Jeder der seine Bude wahrscheinlich mit BretGentlemen wird mir bestätigen, daß wir Südwestwind haben und mit un- tern verrammeln und für ein paar serem Schiffchen ziemlich genau auf Tage zu Verwandten aufs Land fahNordkurs segeln. Und da oben im ren. Da er es aber nicht weiß, wird er Norden liegt England! Wie, bitte in Kauf nehmen müssen, daß sich die sehr, soll es nach England riechen, Arwenacks zu einem gemütlichen wenn der Wind nahezu aus der entge- Beisammansein in seinem geschätzten Haus einfinden." gengesetzten Richtung weht?" „Und es bis auf den letzten Nagel Carberry sah den Alten an und blin- auseinandernehmen", fügte Hasard zelte verdutzt. junior lachend hinzu. „England riechst du eben auf tauDie Männer stimmten mit ein. Der send Meilen gegen den Wind", sagte Gedanke an den fetten Plymson war er nach kurzem Überlegen und grin- wirklich erbaulich. Sein Bierkeller ste. „Stell dir bloß mal sämtliche ge- mußte um diese Jahreszeit, im März, puderten Ladys und Gents auf einem schön kühl sein. Einen guten GerstenHaufen vor. Stell dir ihre Schlösser saft zapfte er wahrhaftig, und die Geund Landsitze vor, aus denen sie aus- mütlichkeit kannte bei ihm meistens ziehen, weil's vor Gestank nicht mehr keine Grenzen. auszuhalten ist. Stell dir die Straßen „Sieht so aus", sagte Ferris Tucker, von London vor, in denen es stinkt, nachdem sich alles wieder beruhigt daß den Leuten schwindlig wird, hatte, „als sei hier die Viehzeugbelehwenn sie sich nicht die Nasen zuhal- rungsstunde angebrochen. Vielleicht ten. England ist eine einzige große übernimmt jemand die dankenswerte Stinkdrüse." Aufgabe, Arwenack zu erklären, daß „Was willst du dann überhaupt es in England keine Bananen gibt?" da?" fauchte der alte O'Flynn. Arwenack, der Schimpanse, kek„Nur mal nachsehen, ob Plymmie kerte durchdringend und schlug sich seinen Saftladen renoviert hat", erwi- mit den flachen Händen auf den derte der Profos feixend. „Als wir Brustkasten, daß es dröhnte. letztes Mal das letzte Faß Bier bei „Das weiß er längst", sagte Car-
10 berry. „Schließlich ist er nicht zum erstenmal in England." Wieder hatte der Profos die Lacher auf seiner Seite. Einer endlosen Fortsetzung des Wortgeplänkels hätte nichts im Weg gestanden, wenn es nicht in diesem Augenblick von Bill mit durchdringender Stimme unterbrochen worden wäre. „Mastspitzen Steuerbord voraus!" Alle Blicke wandten sich in die angegebene Richtung. Auf dem Achterdeck hoben der Seewolf, Ben Brighton, Dan O'Flynn und Don Juan de Alcazar die Spektive. „Ein Zweimaster", sagte Dan, der Mann mit den schärfsten Augen in der Crew. Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Seewolf und seine Gefährten weitere Einzelheiten erkennen konnten. Der Zweimaster, der mit halbem Wind segelte, hatte zunächst auf Kurs Ostsüdost gelegen. Es war eine Karavelle, die die rot-weiß-gelb gestreifte spanische Flagge im Masttopp führte. Beim Sichten der Schebecke hatte der Spanier angeluvt und lag jetzt auf Südost. Er suchte die Begegnung und fühlte sich offenbar stark in der Nähe der heimischen Gewässer. „Keine weiteren Schiffe zu sehen", sagte Dan, nachdem er die Kimm gründlich abgesucht hatte. Jeder der Männer wußte, daß es an dieser Feststellung keinen Zweifel gab. Die Fluten des Atlantik rollten eisengrau. Das Licht der Vormittagssonne verstärkte den Eindruck der Endlosigkeit. In dieser Weite, in der die Naturgewalt die alleinige Herrschaft ausübte, hatten die Menschen auf zwei vergleichweise winzigen Seglern nichts Besseres zu tun, als
wie Kampfhähne aufeinander loszugehen und im blutigen Detail jenen Streit auszutragen, den ihre Königshäuser noch immer nicht beigelegt hatten. Doch die Arwenacks würden nicht die Angreifer sein. Philip Hasard Killigrew ließ Flagge zeigen und befahl Gefechtsbereitschaft. Im Topp des Großmastes wehte das schwarze Tuch mit den gekreuzten goldenen Säbeln aus. Unter der Flagge des Bundes der Korsaren entfalteten die Männer auf den Decks rege Betriebsamkeit. Während unter Aufsicht von Al Conroy die Culverinen und Drehbassen geladen wurden, beeilte sich Ferris Tucker, die aufgebockte Lafette in Ordnung zu bringen. Die gewohnte Prozedur wurde im Handumdrehen bewältigt - Ausstreuen von Sand auf den Decksplanken, Bereitstellen von Pützen mit Löschwasser und Vorbereiten der Eisenbecken mit glühender Kohle zum Zünden der Lunten. Die Söhne des Seewolfs übernahmen es abschließend, das Viehzeug so Carberrys liebevolle Bezeichnung für Wolfshündin, Schimpansen und Papagei - unter Deck zu bringen. Mittlerweile zeichneten sich Einzelheiten deutlicher ab. „Merkwürdig", sagte der Seewolf, ohne das Spektiv abzusetzen. „Die Karavelle ist einwandfrei spanischer Bauart. Aber die Burschen an Deck sehen mir nicht wie Spanier aus." „Zumindest nicht wie spanische Soldaten", entgegnete Ben Brighton. „Und die Karavelle hat noch nicht mal einen spanischen Namen", sagte Dan O'Flynn. „Laß schon hören", forderte Hasard, der aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, daß es Dan nicht ge-
11 fiel, sich mit seiner Sehschärfe aufzuspielen. „Galway", antwortete Dan. Die vier Männer auf dem Achterdeck setzten die Spektive ab und sahen sich an. Sie brauchten sich nichts gegenseitig zu erklären. Galway war die größte Hafenstadt im Westen Irlands. Spanien und Portugal pflegten enge Handelsbeziehungen zu den Iren, und Galway war für die Dons traditioneller Bestimmungshafen und wichtigster Handelsstützpunkt. Ein Dorn im Auge der königlichen Lissy. Aber die Wirksamkeit ihrer Kontrollmaßnahmen reichte eben nicht bis in jeden Winkel des wilden Irland. Niemand wußte genau, wie viele Spanier sich dort verkrochen hatten und unerkannt bei den Iren lebten. Das war damals geschehen, vor rund zehn Jahren, als die Armada besiegt worden war und ein Teil ihrer Schiffe auf dem Weg um Schottland und Irland geflohen war. In den Stürmen des Atlantik waren viele der ohnehin stark angeschlagenen spanischen Galeonen gesunken oder gestrandet — so auch vor der irischen Westküste. Ungezählte Überlebende hatten die Gelegenheit genutzt, auf der grünen Insel unterzutauchen und ein neues Leben anzufangen. Denn kaum einer der einfachen Seeleute hatte nach dem Grauen der Niederlage ein Verlangen danach gehabt, jemals wieder in die Dienste der spanischen Seestreitmacht zu treten. Und dieser Zweimaster, dessen Kapitän offenkundig auf eine Konfrontation scharf war, segelte unter spanischer Flagge - mit einem irischen Namen. Eine Seltenheit zumindest. Denkbar aber, daß die Dons das Schiff aus Höflichkeit gegenüber ihren offiziellen Handelspartnern nach
der irischen Hafenstadt benannt hatten. Die Karavelle leitete eine Wende ein. Die Männer auf dem Achterdeck der Schebecke hatten Gelegenheit, den Zweimaster während seines Manövers von der Backbordseite zu studieren. Es war ein ungewöhnlich stark armiertes Schiff, gemessen an seiner Größe. Die Stückpforten waren geöffnet - acht quadratische Öffnungen in der Verschanzung, aus denen dunkle Bronzemäuler gähnten. Acht Rohre auf jeder Seite also. „Sieht verdammt nach Vierundzwanzigpfündern aus", sagte Ben Brighton. Hasard nickte. „Dazu je sechs Drehbassen vorn und achtern. Ein gewaltiger Brocken." Die Männer schwiegen. Hasards Bemerkung bezog sich weniger auf das Registergewicht des Zweimasters als vielmehr auf Kampfkraft und Wendigkeit. Die Schebecke hatte praktisch keinerlei Vorteile, wenn eine Auseinandersetzung stattfinden sollte. In acht Kabellängen Entfernung krängte die Karavelle unter Vollzeug, legte sich auf den Steuerbordbug und setzte zu einem Kreuzschlag nach Westnordwest an. Hasard und seine Gefährten wußten, daß der Kapitän der „Galway" nicht etwa eine Änderung des Generalkurses beabsichtigte. In einigen Minuten würde er sich auf eine Position Backbord voraus begeben. Danach würde er versuchen, im laufenden Gefecht der Schebecke gründlich einzuheizen - immer vorausgesetzt, der Dreimaster blieb auf seinem Kurs. In der Nähe spanisch-portugiesischer Gewässer würde ein Fremder aber kaum anfangen, große Töne zu
12 spucken. Davon konnte jener Kapitän dort auf dem Achterdeck ausgehen. Lichtreflexe blitzten zwischen Ruder und Heckbalustrade der Karavelle. Die Sonne ließ das Glas der Spektive funkeln. Die Schiffsführungen beäugten sich gegenseitig. Der Kommandant der Karavelle war ein stämmiger, nur mittelgroßer Mann, besonders auffällig an ihm war das flachsblonde Haar. Sein Rang ließ sich daran ablesen, daß die drei anderen auf dem Achterdeck respektvollen Abstand von ihm hielten. Er trug einen mächtigen Schnauzbart, der hell in der Sonne schimmerte. Seine Kleidung war derb, geradezu ungepflegt. Die anderen Kerle sahen nicht besser aus. „Das sind keine Spanier", sagte Don Juan überzeugt. Der Zweimaster nahm auf seinem neuen Kurs zügig Fahrt auf. Das schlanke Schiff, das wegen seiner Neigung nach Steuerbord einen Teil der Unterwasserbeplankung an Backbord zeigte, war hervorragend in Schuß. Keine Muscheln, keine Algen. Und die Segeleigenschaften waren erstrangig. „An wen denkst du?" wandte sich Dan O'Flynn an de Alcazar. „Schnapphähne, die sich eine spanische Karavelle unter den Nagel gerissen haben?" Don Juan schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir haben es mit Iren zu tun." Hasard, Ben und auch Dan ließen die Spektive sinken und sahen den Spanier an. Unterdessen entfernte sich die Karavelle zunehmend rascher nach Westnordwest. „Wenn du recht hast", sagte der
Seewolf, „dürfen wir uns zu dieser Begegnung beglückwünschen." Er brauchte nichts hinzuzufügen. Mit den Iren war es eine besondere Sache. Die Arwenacks hatten da ihre einschlägigen Erfahrungen. Die Bewohner der grünen Insel waren eine Sorte für sich. In ihren Adern floß das Blut der keltischen Vorfahren und das der Wikinger, die vor ungefähr acht oder neun Jahrhunderten als Eroberer aufgekreuzt waren und sich auf Eire ausgebreitet hatten. Hitzköpfig waren sie, diese Iren starrsinnig, streitsüchtig und ohne jede Logik in ihrem Handeln, wenn ihr Blut erst einmal in Wallung geraten war. Andererseits sagte man ihnen einen übertriebenen Hang zur Melancholie nach - ebenso, wie sie alles andere als Kinder von Traurigkeit waren. Die Lieder, die sie sangen, waren wie sie selbst - ausgelassen und voller Fröhlichkeit, doch gleich darauf zu Tode betrübt. Königin Elizabeth I. hatte die Iren als ein unregierbares Volk bezeichnet, wobei zu berücksichtigen war, daß die Iren allerdings nicht den geringsten Wert darauf legten, von Engländern regiert zu werden. Noch wußten die Burschen dort drüben auf der Karavelle nicht, daß der Mittelmeerdreimaster von einer englischen Crew gefahren wurde. Wenn sie es herauskriegten, würden sie wahrscheinlich einen Brüllchor des Jähzorns anstimmen. „Viele Iren stehen als Seefahrer in spanischen Diensten", erklärte Don Juan. „Ich könnte mir vorstellen, daß unsere Freunde", er deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Zweimaster, „für Patrouillenfahrten zwischen Spanien und Irland zuständig sind." „In dem Aufzug?" entgegnete Hasard stirnrunzelnd. „So, wie die Bur-
13 sehen aussehen, gereichen sie Spanien nicht gerade zur Ehre." Don Juan zog die Schultern hoch. „Was ihre wirkliche Aufgabe ist, verraten sie uns vielleicht noch. Zutrauen würde ich es ihnen." In dem Punkt konnte der Seewolf dem spanischen Freund nicht widersprechen. Sie setzten die Beobachtung mit den Spektiven fort. Wenig später ging die Karavelle auf den ursprünglichen Kurs zurück. Als die Karavelle etwa drei Kabellängen von Backbord voraus heranrauschte, blitzte es in der vorderen Stückpforte an ihrer Steuerbordseite auf. Das Geschoß orgelte heran und ließ eine Wassersäule vor dem Bug der Schebecke aufsteigen. Die Arwenacks fluchten. Hasard nickte Ben Brighton zu. Der Erste Offizier wandte sich nach vorn und gab Befehl, die Segel wegzunehmen. Die Männer reagierten mit enttäuschten und verständnislosen Gesichtern. Doch sie wußten nur zu gut, daß das Verhalten des Seewolfs, keine unnötigen Gefechte anzuzetteln, berechtigt war. Sie mußten jederzeit mit dem Auftauchen anderer spanischer oder portugiesischer Schiffe rechnen. Dann konnte sich das Blatt sehr schnell zu ihren Ungunsten wenden. Nicht von ungefähr beobachtete Dan O'Flynn auch jetzt weiter die Kimm in allen Richtungen - besonders nach Osten hin, wo sich außer Sichtweite die Küste Portugals befand. Die Schebecke verlor an Fahrt. Ben Brighton ließ zusätzlich einen Treibanker ausbringen. Unterdessen wurden auch auf der Karavelle die Lateinersegel gebor-
gen. Wie der Seewolf erwartet hatte, nahmen die Iren eine Position in einer Kabellänge Distanz ein. Sie fierten ihr Beiboot ab und besetzten es mit sechs Rudergasten. Der flachsblonde Kapitän enterte über die Jakobsleiter nach unten und ließ sich auf der Achterducht nieder. Hinter dem Schanzkleid des Zweimasters zogen Musketenschützen auf. Zwei Dutzend Kerle insgesamt. Weitere harrten sprungbereit auf der Kuhl hinter ihnen aus. Die Karavelle war überbemannt. Nichtsdestoweniger erhöhte dieser Umstand ihre Kampfkraft. Der Kapitän der „Galway" ließ sich von zwei Rudergasten mit schußbereiten Pistolen begleiten, als er zum Hauptdeck der Schebecke auf enterte. Schnurstracks marschierte er zum Achterdeck, wo er breitbeinig stehen- . blieb. „Wer ist hier der Kapitän?" schnaubte er in schaurigem Spanisch. „Der bin ich", erwiderte Hasard mit einem kalten Lächeln, ebenfalls auf Spanisch. „Name?" Der Ire musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Philip Hasard Killigrew." Der Ire blinzelte. „Was für ein verdammter Name ist das?" fragte er barsch. „Einer, den ich mir nicht ausgesucht habe." „Ist das eine Antwort?" „Der Frage angemessen", sagte Hasard, und das Lächeln gefror in seinen Mundwinkeln. „Ich nehme nicht an, daß Sie sich zu einer Plauderstunde herüberbegeben haben. Sie haben uns einen Schuß vor den Bug gesetzt und werden uns sicherlich erklären, was Sie dazu berechtigt und wer Sie sind." Die Augen des irischen Kapitäns
14 wurden schmal. Er holte Luft. Sein Brustkasten schien dabei anzuschwellen. „Ich bin Cormac O'Sirideáin, Kommandant der ,Galway'. Schiff und Besatzung stehen in spanischen Diensten. Desgleichen die Männer, die ich nach Cádiz zu bringen habe, wo sie auf anderen spanischen Kriegsschiffen anmustern werden. Damit ist wohl klar, welches Recht ich habe, unbekannte Segler aufzubringen." „Begriffen", erwiderte Hasard knapp. Der Ire sprach seinen Namen nach der ursprünglichen gälischen Schreibweise aus. Die Engländer hatten daraus „Sheridan"gemacht, wie sie alle irischen Eigennamen in ihre Sprache und ihre Schrift übertragen hatten und die Iren zwangen, eben diese Schreib- und Sprechweise zu übernehmen. „Sie sprechen Spanisch", sagte O'Sirideáin leise und lauernd. „Aber der Lappen da oben ist ja wohl keine spanische Flagge, oder?" „Richtig bemerkt", sagte der Seewolf. „Wir sind freie Korsaren und haben unsere eigene Flagge. Und Spanisch spreche ich nur, weil Sie mich darin angesprochen haben." Die Augen des Iren waren nur noch ein Strich unter den buschigen Brauen. „Korsaren? Was ist Ihre Muttersprache, Mann?" Hasard sah, daß O'Sirideáin längst einen Verdacht hegte, was nicht verwunderlich war, als er den Namen Killigrew gehört hatte. „Englisch", antwortete der Seewolf knapp. Die Augen O'Sirideáins öffneten sich weit, seine Gesichtshaut verfärbte sich zu einem hellen Rot. „Engländer!" brüllte er. Die Adern an seinem Hals schwollen an. „Ihr
seid verfluchte Engländer!" Er riß die Pistole unter seinem Gürtel hervor und legte sie auf den Seewolf an. Das Zittern, das seinen ganzen Körper erfaßt hatte, ging auf die schwere Waffe über. „Verfluchte Engländer!" brüllte er abermals. Er war zu einem gälisch-rollend klingenden Englisch übergewechselt. Die Arwenacks standen sprungbereit. Ihre Muskeln waren angespannt. Ben Brighton, Dan O'Flynn und Don Juan hatten die Kolben ihrer Einschüssigen gepackt. Cormac O'Sirideáin spürte es bei all seiner schäumenden Wut: Wenn er den Zeigefinger krümmte, würde er im nächsten Atemzug ein toter Mann sein - trotz seiner beiden Begleiter und trotz der Musketenschützen auf der Karavelle. O'Sirideáin ließ die Waffe sinken. Doch sein Zorn war ungebrochen. „Ihr Schiff ist beschlagnahmt, Killigrew", sagte er mit bebender Stimme. „Sie und die gesamte Besatzung sind Gefangene der spanischen Krone. Ergeben Sie sich freiwillig, dann ersparen Sie es mir, Gewalt anzuwenden." Bevor Hasard antworten konnte, meldete sich Don Juan mit einer raschen Handbewegung zu Wort. „Ich bin Spanier", sagte er, an den Iren gewandt. „Meine Anwesenheit an Bord läßt Ihnen vielleicht klarwerden, daß Sie es hier mit einer völlig neutralen Crew zu tun haben. Mister Killigrew und meine übrigen Freunde sind weder Feinde der Spanier noch Feinde der Iren. Als freie Korsaren..." „Engländer sind Engländer!" überbrüllte O'Sirideáin den Schlichtungsversuch des Spaniers. „Und Sie, Señor, sollten sich schämen, mit verdammten Britenbastarden auf einem Schiff zu fahren!"
15 De Alcazar schwieg. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte. Ein Mann von der Sorte dieses irischen Hitzkopfs war nicht zu überzeugen. „Verschwinden Sie von Bord, O'Sirideáin", sagte der Seewolf eisig. Der sechsschüssige Drehling lag so plötzlich in seiner Hand, als sei er hineingezaubert worden. Auch Ben, Don Juan und Dan zogen ihre Pistolen. O'Sirideáin erbleichte. Die beiden Männer hinter ihm zögerten. Die Waffen, die sie im Anschlag hielten, nutzten ihnen angesichts der Übermacht nicht viel. „Engländerschwein!" zischte O'Sirideáin. „Das wird dir noch leid tun." „Ich könnte Sie auf der Stelle gefangennehmen", entgegnete Hasard, äußerlich völlig ruhig. „Halten Sie meinetwegen von Engländern, was Sie wollen. Scheren Sie meinetwegen alle über einen Kamm - es ändert nichts daran, daß Sie sich in diesem Fall im Ton vergriffen haben. Meine Männer und ich hatten Ihnen gegenüber keine feindseligen Absichten, und wir haben es auch jetzt noch nicht. Kehren Sie zurück an Bord Ihrer Karavelle, O'Sirideáin. Sollten Sie das Feuer eröffnen, werden wir nicht versuchen, davonzulaufen." Das Gesicht des Iren war verzerrt in dem mühsamen Bestreben, seine Wut zu unterdrücken. „Ich schieße euch zu Klump, verfluchtes Engländerpack!" sagte er, und seine Stimme zitterte noch mehr als zuvor. Er wandte sich ab und stapfte davon. Die beiden Kerle folgten ihm eilig und streckten verstohlen ihre Einschüssigen weg, als wollten sie niemanden unnötig herausfordern. Im Gegensatz zu ihrem Kapitän schienen sie begriffen zu haben, daß sie ihr
Leben nur der Fairneß des hochgewachsenen Mannes verdankten, den O'Sirideáin so ungerechtfertigt beleidigt hatte. Mit hastigen Riemenschlägen pullten die Iren zurück zur Karavelle. Die Musketenschützen standen noch immer mit schußbereiten Waffen hinter der Verschanzung. Niemand an Bord der Schebecke sprach ein Wort. Die Fassungslosigkeit des Seewolfs und der Arwenacks war zu groß. 3. Consuela Verguero schmiegte sich an den Mann, den sie über alles liebte, und blickte zu ihm auf. Er bemerkte es nicht, denn geradezu traumverloren beobachtete er das Geschehen an Bord der Galeone. Von der Heckbalustrade aus, wohin sie sich während der Abwesenheit Redrojos begeben hatten, konnte man die Kuhl und einen Teil der Back vollständig überblicken, da das Großsegel zu zwei Dritteln weggefetzt war. Der Segelmacher, seine beiden Gehilfen und zehn Mann, die ihnen zur Unterstützung zugeteilt worden waren, versuchten, aus den noch vorhandenen Resten von Tuch etwas Brauchbares zusammenzuflicken. Einer der Decksleute hockte auf einer Taurolle und sang heitere Lieder zur Laute. Vom Focksegel verborgen, arbeiteten der Schiffszimmermann und mehrere Helfer daran, den Rest des zersplitterten Bugspriets zu entfernen. Es herrschte eine entspannte Atmosphäre an Bord. Niemand wurde zur Eile angetrieben, keiner der Decksleute sah einen Grund, unnötige Hek-
16 tik zu entfalten. Capitán Redrojo ließ sich nicht blicken. Die Offiziere waren offenbar nicht geneigt, mehr zu befehlen, als er für angebracht gehalten hatte. Amadeo Palma hatte nach Consuelas Empfinden ein kühn geschnittenes Gesicht. Sein mittelblondes Haar trug er schulterlang, es schimmerte seidig im Sonnenlicht. Bekleidet war er mit einem einfachen schwarzen Wams, Leinenhemd, Kniebundhosen und Schnallenschuhen. Für jemanden, der die meiste Zeit an Stehpulten oder an einem Tisch sitzend verbrachte, war er erstaunlich kräftig gebaut. Consuela lächelte bei dem Gedanken - sie konnte das schließlich beurteilen. Er spürte ihren Blick, wandte den Kopf zur Seite und küßte sie auf den Mund. „Du sollst dir diesen bewundernden Blick abgewöhnen", sagte er leise. „Ich bin ein durch und durch normaler Mensch. Und niemandem tut es gut, wenn er von anderen in den Himmel gehoben wird. So einer kann leicht größenwahnsinnig werden. Weil er nämlich anfängt, sich wirklich für das zu halten, was man in ihm sieht." „Amadeo!" Consuela strich ihm mit der flachen Hand zärtlich über die Wange. „Vergleiche mich nicht mit ,anderen' und nicht mit ,man'. Die wahre, große Liebe spielt sich immer nur zwischen zwei Menschen ab. Und ich finde es einfach normal, dich zu bewundern. Für mich bist du einzigartig, sonst würde ich dich nicht lieben." Er küßte sie abermals. „Ich bete dich an, meine Teure. Du bist diejenige, die sich etwas einbilden kann. Denn du bist die Verkörperung des
äußerst seltenen Falles, in dem eine Frau nicht nur klug und gebildet, sondern auch noch atemberaubend schön ist. Du bist zart und sanft wie ein Reh, und das ungewöhnlichste an dir ist der Kontrast deiner hellbraunen Augen zu deinem blonden Haar. Du mußt wissen, ich fühle mich wie der Eroberer eines unerhört reichen Landes, das auf der ganzen Welt einmalig ist." Consuela schlang die Hände um seinen Nacken und ließ seinen Blick in den ihren versinken. „Du weißt, daß du mir schmeichelst", flüsterte sie. „Mein Vater ist froh, mich loszuwerden." „Sei nicht ungerecht!" rief Amadeo. „Ein spanischer Handelsmann hat es heutzutage in Havanna nicht leicht. Der Konkurrenzdruck wird immer größer. Dein Vater muß sich also nach der Decke strecken. Mit zwei Söhnen und drei Töchtern trägt er überdies eine große Verantwortung. Er ist nicht froh, dich loszuwerden, sondern glücklich, dich in guten Händen zu wissen und damit einer Sorge enthoben zu sein." „So kann man es auch ausdrükken", erwiderte Consuela lachend. „Er hat im übrigen sein Schäfchen im Trockenen und braucht sich um die Konkurrenz kaum noch zu kümmern. Meine beiden älteren Schwestern haben bereits eine sogenannte gute Partie gemacht, meine Brüder arbeiten im Geschäft, und ich bin endlich auch unter der Haube. Mein hochgeschätzter Herr Vater kann nun die Beine unter dem Tisch ausstrecken und sich von Mama bedienen lassen." „Du bist in der Tat ungerecht", sagte Amadeo. „Ich habe ihn als einen amüsanten und geistreichen Plauderer kennengelernt." „Aber ja!" rief Consuela und zog
17 sich wie ein kleines Mädchen an ihm hoch. „Ich weiß doch, daß er ein guter Mensch ist! Ich habe ihm seine Schwächen auch nie übelgenommen. Wir werden sehen, geliebter Amadeo, was für ein Bild wir beide in zehn oder zwanzig Jahren abgeben." Er seufzte und schlug die Hand vor die Augen. „Du lieber Himmel! Ich werde ein in Ehren ergrauter Stadtschreiber in Barcelona sein und abends, wenn ich nach Hause komme, die Vollzähligkeit meiner Kinderchen überprüfen." Consuela kicherte. „Du bist sehr optimistisch. Oder sehr von dir eingenommen, wie man's nimmt. Was du zustande bringst, werden wir erst noch sehen." „Consuela!" sagte er mit gespielter Empörung. „Du zweifelst doch nicht etwa an meiner..." Ein vernehmliches Räuspern unterbrach ihn. Consuela ließ sich sinken, bis sie mit den flachen Schuhen die Planken erreichte. Sie drehte sich um. Vor ihnen stand Jorge Labastida, der Erste Offizier der „Fidelidad". „Ich bitte um Vergebung", sagte er unsicher. „Es liegt mir fern, Sie in Ihrer Zweisamkeit zu stören, Señorita Verguero - Señor Palma. Trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen Augenblick zuhören würden." „Nur zu, nur zu!" entgegnete Amadeo gut gelaunt. „Was ist es - ein selbstverfaßtes Gedicht, das Sie mir vortragen wollen?" Er erlebte es oft genug, daß Leute, die sich für talentiert hielten, bei ihm, dem berufsmäßigen Schreiber, um fachmännischen Rat nachsuchten. Labastida schüttelte energisch den Kopf. „Es handelt sich um eine Angelegenheit, die Sie beide betrifft. Es ist
- nun, es ist mir sehr unangenehm, darüber zu sprechen. Andererseits halte ich es für meine Pflicht, Sie auf gewisse Umstände hinzuweisen." Amadeo und Consuela runzelten die Stirn. „Reden Sie schon", forderte Amadeo freundlich. „Es gibt nichts, was Ihnen unangenehm sein müßte - jedenfalls nicht uns gegenüber." Labastida gab sich einen Ruck und nickte. „Es geht um - um Ihrer beider Verhalten, das ich persönlich in keiner Weise kritisieren möchte. Nur bin ich auf diesem Schiff nicht maßgeblich. Es könnte sein - nein, es ist sehr wahrscheinlich, daß Sie einer gewissen Person zunehmend auffallen. Wissen Sie, auf einer Galeone Ihrer Allerkatholischsten Majestät gelten bestimmte ungeschriebene Gesetze, die darauf beruhen, daß an Bord eines solchen Schiffes die - hm, sagen wir - Lebensumstände einer Männergesellschaft herrschen." Der Erste holte Luft, um nach neuen Formulierungen für das heikle Thema zu suchen. Amadeo Palma zog die Brauen hoch. „Ich fange an, zu verstehen, Señor Labastida", sagte er amüsiert, legte den rechten Arm um Consuelas Schulter und zog sie an sich. Er ahmte den Ton des Offiziers nach. „Meine - hm, sagen wir - Beziehung zu Señorita Verguero wird Ihnen allzu deutlich. Ist es so?" Jorge Labastida schüttelte den Kopf. „Dann haben Sie mich falsch verstanden, Señor Palma. Ich muß vielleicht klarer sprechen. Capitán Redrojo ist ein Mann von eisernen Grundsätzen. In jüngster Zeit ist mir und meinen Offizierskameraden an ihm eine gewisse Verhaltensänderung aufgefallen." „Und das soll mit uns zusam-
18 menhängen?" entgegnete Consuela ungläubig. „Wir tun niemandem etwas zuleide - weder mit Worten noch mit Taten." „Im letzteren Punkt bin ich nicht ganz sicher", widersprach Labastida. „Ich kann Ihnen nichts vorschreiben. Um die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen, möchte ich Ihnen raten, den - äh - Austausch von Zärtlichkeiten weniger öffentlich vorzunehmen." Amadeo Palma lachte schallend. „Das haben Sie trefflich ausgedrückt, werter Señor Labastida! Wirklich trefflich!" „Der Umgang mit Wörtern ist nicht mein Metier", erwiderte Labastida gekränkt. Enttäuscht wandte er sich ab. „Diese Spitze war nicht nötig", sagte Consuela leise. „Er hat es nicht böse gemeint." „Natürlich nicht", entgegnete Amadeo. Er bezähmte seine Heiterkeit zu einem amüsierten Lächeln. „Ich werde mich bei passender Gelegenheit bei ihm entschuldigen, das verspreche ich dir. Es war nur seine gestelzte Ausdrucksweise, die mich zum Lachen gebracht hat. Ich weiß, ich weiß, es ist eine Art von Überheblichkeit, die ich mir abgewöhnen muß." „Dem ist nichts hinzuzufügen", sagte Consuela mit gestrenger Miene. Er lachte, nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah sie schwärmerisch an. Sie schmolz buchstäblich dahin. Er wollte sie küssen. Schritte von harten Stiefeln hielten ihn davon ab. Erstaunt wandten sich Consuela und Amadeo um. Capitán Redrojo stelzte auf sie zu, die Hände auf den Rücken gelegt. Es war diese gelassen-arrogante Haltung
eines Offiziers, die Amadeo Palma so sehr verabscheute. Redrojo war schlank und hochgewachsen. Er trug an diesem späten Vormittag keine Kopfbedeckung. Sein schwarzes Haupthaar war so ölig-gepflegt wie der gleichfalls schwarze Knebelbart. Seine elegante Kapitänskleidung, mit Kürbishosen und schenkelhohen Stulpenstiefeln machten ihn zu dem, was er vermutlich für ein Bild von einem Mann hielt. „Nun?" sagte er herablassend, indem er mit etwas gespreizten Beinen stehenblieb und dabei kaum merklich auf den Zehenspitzen wippte. Der jüngere Mann und die hübsche Kaufmannstochter sahen ihn an. Palma verzog das Gesicht schließlich zu einem spöttischen Lächeln. „Sicherlich geben Sie uns genug Zeit, Capitán, um darüber nachzudenken, was Sie mit diesem ,Nun?' zum Ausdruck bringen wollen." Redrojo grinste. „Eine interessante Reaktion, Señor Palma. Sie haben einen Aspekt genannt, an den ich nicht einmal gedacht habe. Verbringen Sie den Rest des Tages damit, über mein ,Nun?' nachzudenken. Dann sind Sie wenigstens anderweitig beschäftigt, als bei der Mannschaft für Verwirrung zu sorgen." Amadeo Palma sperrte den Mund auf. Da er ein Mann des geschriebenen und weniger des gesprochenen Wortes war, fiel ihm auf Anhieb keine passende Entgegnung ein. Manuel Redrojo wandte sich an die blonde Frau, und sein Grinsen verwandelte sich in ein Lächeln, das er für charmant hielt. „Ich schätze Sie als besonnen ein, Señorita Verguero, deshalb sage ich es Ihnen: Ihr Freund Palma ist ein rücksichtsloser Bursche, der Sie ohne Bedenken ins Unglück stürzt."
19 „Wie meinen Sie das?" fragte Consuela erschrocken. Redrojo warf sich in die Brust. Er begriff nicht, daß sie weniger über den Sinn seiner Andeutung als vielmehr über seinen rüden Ton erschrocken war. „Ihr Schreiberling nutzt Sie schamlos aus", sagte er. „Und er bringt Sie in eine Gefahr, in der ich Sie möglicherweise nicht mehr beschützen kann." Amadeo Palma hatte seine Fassung wiedergewonnen. „Jetzt reicht es aber, Capitán", sagte er energisch. „Falls Sie am Vormittag schon dem Rotwein zugesprochen haben, will ich Ihnen nachsehen, was Sie da eben von sich gegeben haben. Andernfalls..." „Halten Sie den Mund!" unterbrach ihn Redrojo schroff. „Da Sie den Begriff Ritterlichkeit noch nicht gehört zu haben scheinen, werde ich es Ihnen erklären, Sie Wicht. Punkt eins: Señorita Verguero ist die einzige Frau an Bord. Wobei zu bemerken ist, daß Frauen an Bord einer Galeone der spanischen Schatzflotte ohnehin eine seltene Ausnahme sind. Punkt zwei: Havanna liegt weit hinter uns, es sind lange Wochen vergangen. Die Mannschaft ist in mancher Hinsicht ausgezehrt. Nicht eben bei allen Männern kann man von einem Minimum an Niveau und von ausreichender Selbstbeherrschung sprechen. Punkt drei: Sie geschätzter Señor Palma, führen den armen Kerlen tagtäglich auf ziemlich dreiste Weise vor Augen, was man mit einer Frau alles anstellen kann. Es wird der Tag kommen, an dem sich einer oder mehrere andere der Burschen nicht mehr beherrschen können. Um es unmißverständlich auszudrücken: Sie, Palma, degradieren Ihre Braut zum
Objekt primitiver Begierde. Sie nehmen es in Kauf, daß sich einfache Naturen die unverschämtesten Einzelheiten ausmalen, wenn Sie Señorita Verguero vor aller Augen küssen und so weiter! Sie sollten sich schämen, Palma. Und Sie, Señorita Verguero, wären gut beraten, von Ihrem liebeshungrigen Begleiter ein bißchen mehr Zurückhaltung zu verlangen. Beide starrten den Kapitän an. Redrojo war sicher, zumindest Consuela einen Stachel des Mißtrauens ins Bewußtsein gestoßen zu haben. Und er hoffte, den Schreiberling gehörig beleidigt zu haben. Amadeo Palma hielt jedoch an sich und antwortete mit keiner Silbe. Ihm wurde auf einmal klar, daß ihn dieser Mann herausfordern wollte. Nichts anderes führte Redrojo im Schilde. Aber warum? Was hatte dieses Musterbeispiel von einem in Konventionen befangenen spanischen Offizier davon, seine Passagiere mit gezielten Bosheiten zu attackieren? Palma konnte es sich nicht erklären. Doch es stand für ihn jetzt fest: Solange er die Erklärung nicht kannte, würde er sich nicht herausfordern lassen. „Es ist Zeit für das Mittagessen", sagte Redrojo und zog sich nach einer abrupten Kehrtwendung zurück. 4. Noch mehr als zwanzig Yards von der Karavelle entfernt, brüllte O'Sirideáin den Feuerbefehl. In seiner Wut dämmerte ihm nicht, daß der Seewolf und seine Männer längst flachlagen. Er hatte es nicht bemerkt, da er auf der Achterducht der Jolle hockte. Keiner von O'Sirideáins Leuten
20 wagte es, die Sinnlosigkeit des Feuerbefehls laut auszusprechen. Die ersten Musketen peitschten, gleich darauf verdichteten sich die Schüsse zu einem Knattern. In rasender Folge prasselten die Kugeln in die Verschanzung der Schebecke. Einzelne Geschosse surten knapp darüber hinweg, doch keins fand ein Ziel, das einen menschlichen Schmerzensschrei ausgelöst hätte. Einen Atemzug später beeilten sich die Iren an Bord der „Galway", ihrerseits hinter der Verschanzung zu verschwinden. Die nachgeladenen Waffen, die sie zur Verfügung hatten, brachten sie nicht mehr rechtzeitig in Anschlag. Zehn Mann federten auf dem Hauptdeck der Schebecke hoch und feuerten noch im selben Moment. Die leergeschossenen Musketen ließen sie einfach fallen und übernahmen jene geladenen, die ihnen ihre Gefährten aus sicherer Deckung reichten. Der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge begannen sofort mit dem Nachladen der Waffen. Da die Arwenacks insgesamt mehr als dreißig Musketen an Deck geschafft hatten, gab es praktisch keine Feuerpause. Cormac O'Sirideáin trieb seine Rudergasten gestikulierend und brüllend zur Eile an. Über ihnen hackte das großkalibrige Blei in rasender Folge in die Bordwand. „Musketenschützen Feuer!" brüllte der blonde Ire und schüttelte die Fäuste in Richtung Schanzkleid. Aber niemand fühlte sich in der Lage, den Befehl auszuführen. Durch das Spektiv sah der Seewolf, daß Kopf und Hals des Iren purpurrot waren. Man konnte meinen, O'Sirideáin würde jeden Moment von ei-
ner innerlichen Explosion auseinandergerissen. Wilde Riemenschläge peitschten die Jolle auf die Jakobsleiter zu. Der Seewolf ließ das Spektiv kurz sinken und gab Big Old Shane ein Handzeichen. Der Schmied von Arwenack, der sich auf dem Achterdeck aufgebaut hatte, zündete die Lunte eines Pulverpfeils. Bedächtig legte er den Pfeil auf die Sehne seines englischen Langbogens. Die Iren auf den Duchten der Jolle nahmen die Riemen ein. Cormac O'Sirideáin richtete sich von der Achterducht auf, um zwischen den Rudergasten nach vorn zu steigen und als erster an der Jakobsleiter aufzuentern. Big Old Shane spannte den Bogen mit einem kräftigen Ruck. Immer noch krachten die Musketen der Arwenacks. Shane berechnete den Schußwinkel mit seinem gewohnt guten Augenmaß. Dann gab er die Bogensehne frei. Der Pfeil zischte in flacher Bahn davon. „Feuer!" brüllte O'Sirideáin noch einmal. Ebensogut hätte er versuchen können, seine Männer zu überreden, in ein offenes Messer zu laufen. Ein harter Schlag traf das Heck der Jolle. Der Ire, schon im Begriff, loszuhasten, zuckte zusammen und verharrte. Daß es kein Schuß gewesen war, hatte er sofort herausgehört. Hastig drehte er sich um. Von dem Pfeil, der sich in das Plankenholz neben der Ruderpinne gebohrt hatte, waren nur das gefiederte Ende und der seltsam dicke Schaft zu sehen. Die glimmende Lunte, knapp neben dem Einschuß, war O'Siri-
21 deáins Blicken durch den Spiegel der Jolle entzogen. Der vermeintliche Schabernack erfüllte ihn mit neu aufwallender Wut. „Verfluchte Britenbastarde!" brüllte er und hob drohend die rechte Faust zur Schebecke hin. „Dafür schieße ich euch zu den F i . . . " Die Explosion riß ihm die letzte Silbe von den Lippen. O'Sirideáin hatte das Gefühl, von einer mächtigen Druckwelle zurückgeschleudert zu werden. Daß es nur Einbildung war, ging ihm in dieser Minute noch nicht auf. Fluchend landete er zwischen den Rudergasten, die sich angstvoll duckten. Schwarzer Pulverrauch, der von dem auseinandergeflogenen Pfeil herrührte, hüllte sie ein. Erst nach Sekunden, als sie begriffen, daß ihnen nichts weiter geschehen war, richteten sie sich wieder auf. Cormac O'Sirideáin stolperte über die Duchten, stützte sich auf den Schultern seiner Kerle ab und erreichte die Jakobsleiter. Der Seewolf hatte die Zahl der Musketenschützen auf fünf verringert. Nichtsdestoweniger gelang es den Männern durch die unverändert rasche Schußfolge, die Iren hinter der Verschanzung in Deckung zu zwingen. An Bord der Schebecke setzte der freie Rest der Crew Segel. Mit Todesverachtung und weit hörbarem Gebrüll schwang sich O'Sirideáin durch die Pforte in der Verschanzung. Er hielt sich für schnell und wendig genug, um nicht getroffen zu werden. Daß die Männer auf der Schebecke es niemals fertigbringen würden, einem anderen in den Rücken zu schießen, paßte nicht in seine Vorstellung. Die Rudergasten überschlugen sich
fast in dem Bemühen, ebenfalls an Bord zu gelangen. Während die Schebecke schon Fahrt aufnahm, jagte Big Old Shane einen weiteren Pulverpfeil hinüber, diesmal zwischen die achteren Duchten der Jolle. Batuti, der seinen Langbogen ebenfalls einsatzbereit hatte, schickte einen Brandpfeil hinterher. Im Krachen des Pulverpfeils fielen zwei Iren über Bord. Ihre Schreie erstickten in einem Gurgeln, als sie Wasser schluckten. Die Flammen des Brandpfeils stiegen in dem fetten Rauch der Schwarzpulverexplosion auf - für die Iren noch nicht sichtbar. Al Conroy hatte sich hinter der vorderen Drehbasse an Backbord aufgebaut und schickte einen fragenden Blick nach achtern. Der Seewolf schüttelte den Kopf. Der Brandpfeil würde die Jolle nicht vernichten. Sie würden es beim Hieven rechtzeitig bemerken und die Flammen rasch löschen. Die Jolle aber mit einer Drehbassenladung zu zertrümmern, war nach Hasards Meinung zuviel des Guten. Wenn es gelang, die Iren zu besiegen, möglicherweise ihr Schiff zu versenken, dann durfte man den Überlebenden nicht die Chance nehmen, sich zu retten. Der Stückmeister richtete sich von der Drehbasse auf und schüttelte verständnislos den Kopf. Sie waren außer Musketenreichweite. Die Arwenacks auf dem Hauptdeck hatten das Feuer eingestellt. Hasard antwortete mit einer Handbewegung, die sein entschiedenes Nein unterstrich. Er wußte, was Al Conroy dachte. Diesen Iren durfte man ihre Unverschämtheit nicht nachsehen. Bei allem Verständnis für ihren Haß auf Engländer hatten sie doch kein Recht, sich in der Weise
22 aufzuführen, wie es O'Sirídeáin getan hatte. „An die Geschütze!" rief Ben Brighton, während Pete Ballie Ruder legte und den Dreimaster auf Hasards Anweisung nach Nordosten abfallen ließ. Für die Iren mußte es aussehen, als versuche die Schebecke, platt vor dem Wind die Flucht zu ergreifen. Al Conroy ließ die Culverinen an Backbord und Steuerbord besetzen. Die Eisenbecken mit glühender Kohle standen inzwischen bereit. Die Zwillinge hockten beim mittleren Pfahlmast und waren mit Pulverflasche, Kugelbeutel und Ladestock dabei, die Musketen nachzuladen und säuberlich nebeneinander zu legen. Cormac O'Sirídeáin fiel auf das Manöver des Seewolfs herein und hielt es tatsächlich für einen Fluchtversuch. Er jagte die Karavelle unter Vollzeug hinterher und lieferte Philip Hasard Killigrew die letzten nötigen Erkenntnisse über die Segeleigenschaften des Zweimasters. Der „Galway" konnten sie nicht davonlaufen. Die Karavelle holte auf. Der anfängliche Vorsprung von vier Schiffslängen schmolz zusammen. Hasard und seine Gefährten auf dem Achterdeck sahen die Drehbassenschützen, die auf der Back der Karavelle hinter den Gabellafetten lauerten. „Irgendwie muß sich unsere Taktik herumgesprochen haben", sagte Dan O'Flynn. Hasard, Ben und Don Juan nickten. In der Karibik hatten sie jene Spezialität entwickelt, von achteraus an einen Gegner heranzurauschen und ihm mit einem Drehbassenschuß in die Ruderanlage die Manövrierfähig-
keit zu nehmen. Da überwiegend Spanier die Opfer dieser Raffinesse gewesen waren, ließ es sich durchaus denken, daß man auch im Mutterland der Dons und im befreundeten Irland davon gehört hatte. Hasard winkte Al Conroy nach achtern. Der schwarzhaarige Stückmeister eilte mit langen Sätzen herbei. „Jetzt kannst du dich austoben, Al", sagte der Seewolf und deutete zu den Iren hinter den Schwenklafetten. „Ich möchte nicht, daß sie uns das Ruder zerschießen." Al Conroy grinste. „Andererseits willst du aber auch vorläufig den Kurs nicht ändern. Stimmt's, Sir?" Hasard nickte. „Ich denke, nach den Drehbassen wirst du dich als erstes um die Steuerbordbreitseite kümmern müssen." „Aye, aye, Sir!" Al winkte Luke Morgan und Bob Grey heran, die mit Pulverfaß, einer Kiste voll gehacktem Blei, Pulverschaufel und Ladestock im Anmarsch waren. Die drei Männer begannen ihre Arbeit an den beiden Hinterladern. Der wichtigste Teil der Aufgabe fiel Al Conroy zu. Das genaue Abmessen der Pulverladung bis zur Grenze des Möglichen war eine Sache, die auf Erfahrung beruhte. Obwohl der Vorsprung der Schebecke inzwischen auf drei Schiffslängen zusammengeschmolzen war, ließ sich Al nicht aus der Ruhe bringen. Eine ruhige Hand war für sein Vorhaben unabdingbar. Jeder in der Crew wußte, daß Al in der Lage war, die Schwarzpulvermenge, die er haben wollte, bis auf drei, vier Körnchen genau zu bestimmen - nach Gefühl und Augenmaß. Die Ladung mit dem Füllstutzen aus Messing zu ermitteln, war das
23 eine, was jeder Anfänger konnte. Das andere war die Kunst, die Belastbarkeit eines Geschützrohres bis zur Höchstgrenze zu nutzen - wenn es erforderlich war. Al Conroy beherrschte diese Kunst. Und er hatte den Arwenacks bisher nicht zugemutet, daß ihnen dabei ein Rohr in Form von vielen kleinen Bronzestücken um die Ohren geflogen war. „Wie sieht es aus?" wandte sich Hasard an Dan O'Flynn, der sich nach wie vor auf seine Beobachtertätigkeit konzentrierte. „Unverändert", erwiderte Dan. Er setzte das Spektiv kurz ab und sah den Seewolf an. „Scheint so, als ob uns die traute Zweisamkeit mit dem Iren erhalten bleibt." „Worauf wir gern verzichten könnten", entgegnete Hasard grinsend. Im nächsten Moment waren er und seine Gefährten gezwungen, in Dekkung zu gehen. Musketenschützen tauchten hinter den Drehbassenkerlen auf dem Vorschiff der Karavelle auf. Die ersten Schüsse peitschten. Kugeln zwitscherten über die Männer auf dem Achterdeck der Schebecke hinweg. Die Absicht O'Sirideáins war klar. Er wollte verhindern, daß die verhaßten Engländer ihre Drehbassen zum Einsatz brachten. Al Conroy und seine beiden Helfer ließen sich nicht beirren. Durch die Heckverschanzung hatten sie ausreichenden Schutz. Der Hinterlader an der Backbordseite des Achterdecks war feuerbereit. Al erledigte die letzten Handgriffe an Steuerbord. Dann hob er die linke Hand. „Feuer frei!" rief der Seewolf. Bewußt verzichtete er darauf, seinerseits noch Musketen einzusetzen. Es wäre ein unnötiger Aufwand gewe-
sen. Denn O'Sirideáin, dessen Gebrüll mittlerweile zu hören war, sollte seine Überraschung erhalten. Das Beiboot hatten die Iren an Deck gehievt, die Flammen zwischen den Duchten waren gelöscht. O'Sirideáin scheuchte seine Kerle hin und her, das Ganze sah ziemlich planlos aus. Trotzdem hatten sie ihre Geschütze natürlich längst klar zum Einsatz. Es wäre gefährlich gewesen, sich über die Feuerkraft dieser Geschütze hinwegtäuschen zu lassen. Was den Iren an Zielstrebigkeit, Geradlinigkeit des Denkens und an Besonnenheit fehlte, ersetzten sie durch wütende Entschlossenheit zum Kampf. Die Drehbassenschützen auf der „Galway" riskierten noch keinen Schuß. Die Entfernung war zu groß. Al Conroy richtete sich hinter der Drehbasse an Steuerbord auf. Zum Visieren brauchte er nicht mehr als eine halbe Sekunde. Ohne die Lage des Rohrs noch zu verändern, stieß er die Lunte ins Zündloch. Mit dumpfem Krachen entlud sich das kleine Geschütz. Es hörte sich an, als ob beide Drehbassen gleichzeitig abgefeuert worden wären. Grellrot und mehrere Yards lang stieß der Feuerstrahl über die Hecksee der Schebecke hinaus. Der schmetternde Einschlag folgte im selben Atemzug. Schreie gellten. Die Musketenschüsse waren wie abgeschnitten. Im Splittern von Plankenholz flog die Backborddrehbasse der „Galway" nach innenbords. Die Schreie der Getroffenen endeten nicht. Al Conroy war bereits am Backbordhinterlader. Bevor die Iren auf der Back der Karavelle zur Besinnung gelangt waren, feuerte der
24 Stückmeister der Arwenacks auch die zweite überhöhte Ladung ab. Abermals krachte es hart und weithallend. Mit nur geringer Streuung hieb die Ladung in die Verschanzung des Zweimasters. Wieder saß das gehackte Blei präzise im Ziel. Dort, wo sich eben noch die Steuerborddrehbasse der „Galway" befunden hatte, klaffte ein Loch von der Größe des Steuerruders einer Galeone. Die Schreie hatten zugenommen, weitere Männer waren getroffen worden. Jene, die es noch schafften, brachten sich in panischer Hast über die Niedergänge in Sicherheit. In Sekundenschnelle war das Vorschiff der Karavelle wie leergefegt. Al Conroy, Luke Morgan und Bob Grey luden die Drehbassen nach abermals mit der stärkeren Ladung. Doch im nächsten Moment wurde klar, daß sie die Hinterlader vorerst nicht mehr brauchten. Unvermittelt fiel die „Galway" nach Steuerbord ab und lief unter Vollzeug weiter, nun über Backbordbug auf Ostkurs segelnd. Hasard und die anderen hatten sich aufgerichtet. Sie brauchten die Lage nicht erst lange zu erörtern. Was der Ire vorhatte, war eine riskante Taktik. Als Trumpf spielte er dabei die überlegenen Segeleigenschaften des Zweimasters aus. Er riskierte jedoch, daß ihm die Schebecke mit einer Kursänderung nach Norden davonlief. Der Engländerhasser O'Sirideáin mußte deshalb mit seinem nächsten Schritt schnell genug sein. Sobald er südlich querab auf gleicher Höhe war, würde er seine Backbordbreitseite einsetzen. Der Seewolf beschloß, das zu tun, was O'Sirideáin am allerwenigsten erwartete. Er gab Befehl, ebenfalls nach Steuerbord abzufallen.
Präzise in dem Moment, in dem Pete Ballie Ruder legte, brüllte der Ire auf dem Achterdeck der „Galway" los. Seine Kanoniere stießen die Luntenstöcke in die Zündlöcher. Durch den Kurswechsel erhöhte sich der Winddruck für die Schebecke, und sie gewann momentan an Fahrt. Das Mündungsfeuer leckte aus den acht Stückpforten der „Galway". Al Conroy und seine beiden Helfer waren unterwegs zu den Culverinen an Steuerbord, wo sich die Geschützmannschaften hinter die Lafetten duckten. Die übrigen Arwenacks lagen flach. Alle horchten auf das Heranorgeln der Geschosse. Jedem war die Rechnung des Seewolfs klar. Würde sie aufgehen? Eine erste Wassersäule stieg auf, hoch über das Heck des Dreimasters hinaus. Philip Hasard Killigrew und seine Männer hielten den Atem an, wagten nicht, zu triumphieren und rechneten mit dem krachenden Schlag, der ihr Schicksal besiegeln würde. Die nächste Wassersäule schoß gischtend hoch, dann die dritte, die vierte - immer schneller folgten die weiteren. Ein wahrer Wald von Fontänen bildete sich für kurze Zeit - höllisch knapp hinter dem Ruderblatt der Schebecke. O'Sirideáin saß in der Falle. Die Arwenacks sprangen auf und brüllten ihren Kampfruf. „Ar - we - nack! Ar - we - nack!" Wie Donner rollte der Chor harter Männerstimmen über die Wasserfläche zwischen den beiden Schiffen. Al Conroy richtete das letzte Geschütz.
25 Dem Iren blieb keine Zeit mehr. In dem Moment, in dem er nach dem Mißerfolg seiner Breitseite begriff, daß er auf gleicher Höhe mit der Schebecke lag, war es schon zu spät für Konsequenzen. Auf seinem Achterdeck heulte O'Sirideáin vor Wut, als ihm klar wurde, daß er sich selbst in die Falle geknüppelt hatte. „Feuer!" brüllte Al Conroy. Eigenhändig bediente er das vordere Geschütz an Steuerbord. Sechs Luntenstöcke senkten sich in zeitgenauem Takt. Die Siebzehnpfünder röhrten. Der Rückstoß wuchtete die rumpelnden Lafetten mit den tonnenschweren Bronzerohren in die Brooktaue. Ein schwarzer Vorhang aus Pulverrauch versperrte die Sicht, als die Schebecke nach Backbord krängte. Ein einziger berstender Einschlag war zu hören - fast so, als hätte Al Conroy nur ein Geschütz abfeuern lassen. Doch im nächsten Augenblick, als der Dreimaster sich stabilisierte, war der Pulverrauch schon weitgehend verflogen, und die Sicht wurde klar. Sechs Treffer. Vier haargenau in der Wasserlinie, zwei knapp darüber. Schon in dieser Minute begann die Karavelle, nach Backbord zu krängen. Der Wassereinbruch mußte beträchtlich sein. O'Sirideáin überbrüllte die Schmerzensschreie der Verwundeten und scheuchte Männer unter Deck, an die Pumpen. Er schien nicht zu begreifen, daß ihm keine Lenzpumpe und kein Schiffszimmermann der Welt mehr helfen konnten. Die Arwenacks nahmen sich keine Zeit für einen Triumphchor. Sie befolgten die Order des Seewolfs und sorgten für kurzen Prozeß. Nach einer rasch eingeleiteten Wende häm-
merten Al Conroy und die Männer an den Geschützen dem Iren die Backbordbreitseite in die waidwunde Flanke. Big Old Shane und Batuti trugen mit Brand- und Pulverpfeilen das Ihre zum schnellen Ergebnis bei. Hohe Flammen loderten aus den zersplitterten Planken der Karavelle. Flammen erfaßten die Segel und fraßen sich zugleich in die Unterdecksräume. Die Schlagseite des Zweimasters nahm rasch zu. Die ersten reglosen Körper fielen über Bord. O'Sirideáin und einige andere waren noch am Leben und klammerten sich fest. Die Jolle, die sie retten konnte, lag noch auf der Kuhl, vor dem Großmast, schlampig vertäut. Brennende Fetzen von Segeltuch fielen nach unten. Ein grellweißer Blitz stieg senkrecht auf, höher als die Masten der Karavelle jemals gewesen waren. Der Blitz färbte sich hellrot und dann purpurrot. Die Macht, die ihn entstehen ließ, fetzte das Schiff auseinander. Die „Galway" existierte nicht mehr. Nur noch der grollende Nachhall der Explosion und der auseinanderwallende Rauchpilz erinnerten daran, daß der Zweimaster von seiner eigenen Pulverkammer vernichtet worden war. Trümmerteile regneten in weitem Umkreis nieder. Die Arwenacks duckten sich und suchten Schutz, um nicht von Holz oder Eisen getroffen zu werden. Als endlich Stille einkehrte, war das Wasser glatt. Dort, wo es die „Galway" zerrissen hatte, sah man nichts auf der Oberfläche. Plankenstücke und Reste der Masten waren nur in größerer Entfernung zu erkennen.
26 Der Seewolf ließ den ursprünglichen Kurs aufnehmen - Richtung England. Ferris Tucker überprüfte den Zustand der Schebecke. Außer einer Reihe von Bleikugeln, die sich in die Außenbeplankung und die Verschanzung gebohrt hatten, waren keine ernsthaften Kampfesnarben zu entdecken. Cormac O'Sirideáin war ein Fanatiker gewesen - wie so viele seiner Landsleute. Er hatte nicht einsehen wollen, daß es Unterschiede gab. Vermutlich wäre er nie darauf gekommen, daß die Männer an Bord des Mittelmeerdreimasters verdammt gut verstanden, warum die Iren einen Haß auf alles Englische hatten. Hätte sich O'Sirideáin der Mühe unterzogen, den Seewolf und die Arwenacks ein wenig näher kennenzulernen, dann wäre ihm gesagt worden, daß diese Männer eine Menge Freunde in Irland hatten. O'Sirideáin war an seinem sturen Drauflosdenken zugrunde gegangen. Es ersparte dem Seewolf und seinen Gefährten Verdruß. Sie brauchten nicht zu befürchten, daß überlebende Iren nach Erreichen der Küste Himmel und Hölle in Bewegung setzten. Es würde keinen kleinen Flottenaufmarsch geben, der das Ziel hatte, die Schebecke wie einen tollen Hund zu jagen. Sie konnten aufatmen. Aber sicher sein, daß die Karavelle das letzte Hindernis auf dem Weg nach England gewesen war, konnten sie noch lange nicht. 5. Die Trägheit nach der Mittagsstunde erfaßte alles an Bord der
„Fidelidad". So war es jeden Tag gewesen, bis auf die Tage, an denen sie den Sturm abgeritten hatten. Consuela haßte sich dafür, daß ihr die Vorwürfe des Kapitäns wie eingebrannt im Gedächtnis haftengeblieben waren. Aber vielleicht, so dachte sie mit einem Anflug von Selbstverspottung, lag es einfach an diesem Rest von sogenannter guter Erziehung, der an ihr haftengeblieben war. Das Mittagessen war vorüber, das letzte Glas Rotwein geleert. Amadeo hatte den Navigator und den Dritten und den Zweiten Offizier in ein Gespräch verwickelt. Es ging um technische Dinge, die Consuela nicht verstand. Sie war froh, sich mit einem gemurmelten Hinweis zurückziehen zu können. Denn so konnte sie veranschaulichen, daß Redrojo durchaus nicht in jedem Fall recht hatte. Es gab auch Gelegenheiten, bei denen sie sich ohne Amadeo in ihre Kammer zurückzog. Selten zwar, aber immerhin. Consuela kicherte lautlos hinter der hohlen Hand, als sie durch den stickigen Achterdecksgang schritt. Unter Deck erwärmte sich die abgestandene Luft rasch. Besonders mittags hatte man das Gefühl, daß man sie mit einem Messer schneiden konnte. Gewiß, das kontinentale Klima war bereits zu spüren. In der Karibik, das wußte Consuela genau, hätte sie zu dieser Tageszeit nicht einmal eine Minute in ihrer Kammer ausgehalten. Nichtsdestoweniger war sie froh, als sie das Kammerschott hinter sich schließen und ihr einfaches Leinenkleid abstreifen konnte. Die Kammer hatte nur ein kleines Bleiglasfenster, das sich lediglich einen Spalt breit öffnen ließ. Nicht einmal ein Luftzug
27 war zu spüren, Abkühlung brachte der Fensterspalt beileibe nicht. Consuela zog auch den Rest ihrer Sachen aus und legte sich nackt auf die Decken in der Koje. Nur bewegungslos war die Hitze zu ertragen. An Deck konnte sie schlecht ihre Siesta halten. Capitán Redrojo würde so etwas erst recht als einen Verstoß gegen Moral und gute Sitten betrachten. Die Decksleute, die armen Kerle, würden sie begehrlich anstarren und wahrscheinlich versuchen, sie mit Blicken auszuziehen. Und dann würde sich der eine oder andere nicht beherrschen können und über sie herfallen, ihr Gewalt antun - vor aller Augen. Ein Offizier würde gezwungen sein, den betreffenden Decksmann - oder auch mehrere zu töten. Der Skandal auf der „Fidelidad" würde auf Geheiß der Admiralität in einem hochnotpeinlichen Verfahren erörtert werden. Und damit dem Recht nach Männerverstand Genüge getan wurde, steckte man zweckmäßigerweise das Opfer der Vergewaltigung ins Gefängnis. Sie hatte die armen Decksleute ja regelrecht zu ihrem Tun herausgefordert! Sie hätte doch wissen müssen, daß sich ein Mann von einfachem Gemüt nicht mehr unter Kontrolle halten konnte, wenn ihm bestimmte weibliche Reize allzu augenfällig präsentiert wurden. Consuela schüttelte den Kopf auf dem Kissen. Es war einfach erstaunlich, wie Redrojo sie mit seinen verletzenden Worten getroffen hatte. Nichts davon ging ihr mehr aus dem Kopf. Sosehr sie sich auch bemühte, an etwas anderes zu denken - es gelang ihr nicht. Immer wieder kehrten ihre Gedan-
ken zu diesem einen Thema zurück, es sei denn, sie sprach mit Amadeo über etwas völlig anderes. Vielleicht waren sie wirklich zu sorglos gewesen. Das Leben in der Neuen Welt, speziell in Havanna, war freier als im muffigen Spanien, wo ein Mädchen vor der Hochzeit mit ihrem Verlobten nicht einmal allein sein durfte. Redrojo hatte auf seinen Seereisen wahrscheinlich nicht viel dazugelernt. Consuela hörte leise Schritte. Sie verzog das Gesicht zu einem Ausdruck von amüsiertem Tadel. Amadeo, dachte sie, du unverschämter Bursche! Kannst es einfach nicht lassen! Er klopfte leise wie üblich, damit nur sie es in ihrer Kammer hören konnte. Und wie immer würde er darauf geachtet haben, daß niemand ihm gefolgt war und er nicht beobachtet wurde. „Wer ist da?" rief sie halblaut, um ihn zu necken. Verflogen waren die Gedanken an Capitán Redrojo und seine Vorwürfe. Nur noch die Freude auf den Geliebten war in ihr. Es war auch die Freude darüber, daß sie ihm letztlich wichtiger war als das Gespräch mit den Offizieren. „Ich bin's", antwortete er gedämpft von der Außenseite des Schotts. „Ist es erlaubt?" „Frag nicht so dumm!" entgegnete sie und lachte. „Beeil dich gefälligst, bevor der Capitán mit erhobenem Zeigefinger vor dir steht und dir sagt, was für ein liederlicher Kerl du bist!" „Und eine Jammergestalt dazu!" Das Schott war aufgeschwungen und flog wieder zu. Manuel Redrojo legte den drehbar verankerten Riegel vor.
28 Consuela fuhr erschrocken in der „Gehen Sie!" Consuela schrie es Koje hoch und bedeckte ihre Blöße jetzt. „Um Himmels willen, gehen Sie, mit Händen und Armen. Fassungslos oder ich schreie das ganze Schiff zustarrte sie den Kapitän an. sammen!" Redrojo wandte sich ihr zu und läRedrojo lachte lauter, voller überchelte. Er verbeugte sich schwungvoll schwenglicher Heiterkeit. „Tun Sie und gekonnt - wie er es den Männern es. Schreien Sie! Sämtliche Männer von Adel abgeguckt hatte. an Bord werden denken, es seien „Nun?" sagte er voller Selbstüber- Schreie der Liebe. Für eine solche Anzeugung. „Bin ich nicht ein guter Be- nahme haben Sie schließlich selber obachter? Es fiel mir überhaupt nicht die Grundlage bereitet. Bei dem laschwer, diese - hoffentlich verzie- sterhaften Verhalten, das Sie vorgehene - kleine Täuschung anzuwen- lebt haben, wird jeder Decksmann den. Ich habe Ihren Galan schließlich seine besondere Freude an Ihren oft genug gesehen, wie er zu Ihnen Lustschreien haben." Er setzte sich in schlich. Meine Stimme konnte ich al- Bewegung und löste die Schließe seilerdings nicht verstellen. Hätten Sie nes Gürtels. genauer aufgepaßt, dann hätten Sie Consuela begann zu zittern. Mit gegemerkt, daß es nicht Ihr Amadeo weiteten Augen stierte sie zu dem war. Aber ich hatte mir vorgestellt, Mann, der es für beinahe selbstverdaß eine leise Stimme nur schwer zu ständlich zu halten schien, daß sie erkennen ist. Ich hatte recht." ihm zu Willen war. „Gehen Sie!" sagte Consuela ton„Nein", flüsterte sie. „Um Himmels los. Sie hatte einen Deckenzipfel willen, Sie können doch nicht einhochgezogen und konnte damit im- fach . . . " Ihre Stimme versiegte. merhin ihre Brüste verhüllen. „VerRedrojo nickte mit väterlicher lassen Sie sofort meine Kammer! Es Miene. „Ich gebe zu, meine Art der ist ungeheuerlich, was Sie sich her- Annäherung ist etwas ungewöhnlich. ausnehmen!" Aber da Sie ständig mit Palma her„Aber, aber!" entgegnete Redrojo umturteln, habe ich keinen anderen lachend. „Für Sie ist es doch etwas Weg gesehen. Sie werden mir dankvöllig Normales, Verehrteste. Ich bar sein, Consuela, glauben Sie mir. könnte es sogar verstehen, wenn es Ich werde Ihnen die Augen öffnen ein richtiger Mann wäre, den Sie mit- über wahre Manneskraft. Meine tags und abends in Ihre Kabine las- Liebe zu Ihnen ist wie eine Flamme, sen. Aber so eine traurige Figur wie die sich von Sekunde zu Sekunde verPalma? Consuela, Sie wissen ja gar größert." nicht, was Sie alles verpassen." Er Consuela war nicht mehr imstande, räusperte sich. „Nun, ich bin hier, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ihnen die wahren Freuden der Liebe Das Zittern verstärkte sich, ihr Körzu zeigen - Liebe, wie sie Ihnen nur per wurde wie von Krämpfen geein ganzer Mann bieten kann. Später, schüttelt. Als ihr die Decke wegfiel, wenn ich Sie allein lasse, werden Sie weiteten sich die Augen des Kapitäns sich in jeder Sekunde nach mir seh- vor Begierde. nen und den Tag verfluchen, an dem Der Schrei brach aus ihr heraus. Sie sich von dem Schreiberling zum Jemand hämmerte an das Schott. ersten Male anfassen ließen." Redrojo zuckte zusammen und ver-
29 harrte. Auf einmal wirkte er unschlüssig. „Hilfe!" schrie Consuela mit sich überschlagender Stimme. „Amadeo, so hilf mir doch!" „Ich bin hier!" rief er von außerhalb der Kammer. „Consuela, um Himmels willen, was ist geschehen?" „Redrojo! Er will mich..." Mit einem wütenden Knurrlaut stürzte sich der Kapitän auf die junge Frau und preßte ihr den Mund zu. „Keinen Ton mehr", zischte er, „oder es passiert etwas wirklich Schlimmes!" Consuela gab einen gurgelnden Laut von sich und wand sich unter dem brutalen Griff des Mannes. „Capitán Redrojo", sagte Amadeo Palma. Seine Stimme klang dumpf durch das Schott. „Ich werde die gesamte Schiffsbesatzung alarmieren, wenn Sie nicht augenblicklich den Riegel lösen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihres Ranges enthoben werden. Sie werden nie wieder ein Schiff führen, geschweige denn irgendwo an verantwortlicher Stelle tätig sein." Consuela sah, wie die Gier aus Redrojos Augen wich. Es war, als erwache er aus einer Art Trance. Ruckartig richtete er sich auf und ließ Consuela los. Keuchend rang sie nach Atem. Redrojo wandte sich von ihr ab, legte seinen Gürtel wieder an und ging ohne ein Wort auf das Schott zu. Er hob den Riegel ab. Amadeo Palma starrte ihn an und schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie müssen von Sinnen sein, Redrojo. Was Sie sich herausgenommen haben, ist ungeheuerlich." „Keineswegs", entgegnete der Capitán, der sich wieder in der Gewalt hatte. „Señorita Consuela hat sich stets äußerst einladend verhalten.
Als richtiger Mann kann man da nicht widerstehen, wie ich Ihnen gegenüber schon andeutete. Wie ich die Señorita im übrigen einschätze, hat sie auch durchaus nichts dagegen, einmal einen richtigen Mann kennenzulernen." Consuela stieß einen empörten Schrei aus. Amadeo war weiß im Gesicht. „Capitán Redrojo", sagte er mit bebender Stimme. „Ich verlange Genugtuung. Sie haben die Ehre meiner Braut und auch die meine verletzt. Sie werden sich mir stellen müssen." Redrojo sah ihn einen Moment an, als traue er seinen Ohren nicht. Dann lachte er. „Aber mit Vergnügen, mein Freund! Mit dem größten Vergnügen! Eine elegantere Möglichkeit, Sie aus dem Weg zu räumen, kann ich mir gar nicht wünschen!" Consuela schluchzte.
Unvermittelt stieß Dan O'Flynn einen Pfiff aus. Das Spektiv behielt er dabei am Auge. „Mastspitzen Backbord voraus", sagte er halblaut und gedehnt, wodurch klar wurde, daß er es wegen der großen Entfernung noch nicht als eine absolut sichere Meldung betrachtete. „Schon wieder ein Spanier, wie es aussieht." Hasard, Ben Brighton und Don Juan richteten ihre Spektive nach Nordwesten. Was Dan als Mastspitzen identifiziert hatte, war nicht mehr als eine blasse Veränderung im Dunst über der Kimm. Trotzdem gab es für den Seewolf und die anderen nicht den geringsten Zweifel daran, daß Dans Beobachtung stimmte. Auf die überdurchschnittliche
30 Schärfe seiner Augen war noch immer Verlaß. Das bestätigte sich endgültig nach einer guten halben Stunde. Hasard hatte die Schebecke weiter unter Vollzeug auf Nordkurs laufen lassen. Praktisch lief ihnen das fremde Schiff regelrecht in die Arme. Vielleicht auch umgekehrt. Es würde sich zeigen. In der Tat handelte es sich um einen Spanier. Er segelte wesentlich schwerfälliger als die Karavelle des Iren O'Sirideáin. Ein Dreimaster, das war inzwischen ebenfalls klar zu sehen. Die Schwerfälligkeit rührte indessen nicht allein von der Größe und Bauart des Schiffes her. Die Rahsegel waren stark beschädigt. Auf solche Weise wurde das Tuch nur in einem Sturm zerfetzt, wenn Kapitän und Mannschaft versäumt hatten, es rechtzeitig zu bergen. Selbst auf die Entfernung konnten Hasard und seine Gefährten eindeutig feststellen, daß dieser Dreimaster keineswegs in einem Gefecht beschädigt worden war. „Eine Galeone", sagte der Seewolf. „Für meine Begriffe liegt sie ziemlich tief." „Deine Begriffe kann ich nur bestätigen", erklärte Ben Brighton. Don Juan setzte sein Spektiv ab und blickte die beiden an, während Dan O'Flynn weiter die Kimm im Nordwesten absuchte. „Ich bilde mir fast ein, eure Gedanken lesen zu können", sagte der Spanier lächelnd. „Nicht weiter schwierig", entgegnete der Seewolf. „Unsere Gedanken sind Schlußfolgerungen." „So einfach wie man zwei und zwei zusammenrechnet", fügte Ben hinzu. „Dann fange ich mal an, euch was vorzurechnen", sagte Don Juan.
„Erste Aufgabe: Woher kreuzt eine gerupfte Galeone mit großem Tiefgang auf, wenn sie allem Anschein nach versucht, die spanische oder portugiesische Küste zu erreichen?" „Sie hat einen Sturm auf dem Atlantik hinter sich", erwiderte Hasard und grinste. „Also hat sie den Atlantik überquert, denn anderenfalls hätte sie irgendwo in Küstennähe Schutz suchen können. Da wir uns hier nördlich von Lissabon befinden, dürfte der Kapitän die Orientierung verloren haben. Denn sein Bestimmungshafen wird mit großer Wahrscheinlichkeit Cádiz sein." Don Juan nickte. „Zweite Aufgabe", fuhr er fort. „Wenn die Galeone den Atlantik überquert hat, wird sie vermutlich in Neuspanien losgesegelt sein. Frage: Ist sie allein ankerauf gegangen?" „Höchst unwahrscheinlich", sagte Ben Brighton und grinste ebenfalls. „Seit gewisse Korsaren in der Karibik ihr Unwesen treiben, fahren die Spanier nur noch in großen Verbänden mit Geleitschutz. Die Tatsache, daß dieser Bursche dort vorn allein herumkrebst, beweist also zusätzlich, daß er sich hoffnungslos versegelt hat." „Damit wären wir schon bei der dritten Aufgabe", sagte Don Juan. „Weil die Galeone also mit ziemlicher Sicherheit als Frachtschiff in einem Geleitzug eingesetzt war, wird ihre Armierung nicht besonders stark sein. Ein fetter Brocken also, der einem gewissermaßen in den Schoß fallen könnte." „Alle Aufgaben richtig gelöst." Hasard nickte anerkennend. „Vorausgesetzt allerdings, es tauchen nicht doch noch ein paar von den Bewachern auf." „Bislang sieht es nicht danach aus",
31 meldete sich Dan O'Flynn zu Wort. „Wieder mal ein Einzelfahrer. Die fette Seekuh zuckelt mutterseelenallein durch die Meere." Die Männer ließen ihre Spektive endgültig sinken. Hasard gab Befehl, den Kurs zu halten und Gefechtsbereitschaft herzustellen. Einkalkuliert, daß der Don versuchen würde, auszuweichen, mußte man noch mit etwa einer Stunde rechnen, bis man ihn vor den Rohren hatte. „Wenn er nicht gerade Felsbrocken geladen hat", sagte Ben Brighton nachdenklich, „haben wir es bestimmt mit einem lohnenden Objekt zu tun." „Felsbrocken", entgegnete der Seewolf grinsend, „sind es nicht wert, in einem Verband scharf bewacht zu werden. Nehmen wir also an, die Seekuh hat Gold oder Silber im Bauch." „Völlig klar", sagte Don Juan. „Schlachten sollte man sie auf keinen Fall. Aber man könnte ihr den besser ren Weg weisen." „Richtung London", erwiderte der Seewolf. „Wenn deine Landsleute dich so reden hören könnten, würden sie wahrscheinlich den Glauben an Gott und die Welt verlieren." Don Juan lachte. „Es sei denn, die Geschichte von dem Abtrünnigen und Verräter de Alcazar hat sich inzwischen herumgesprochen. Was bei Gibraltar passiert ist, war ja aufsehenerregend genug." Hasard, Ben Brighton und Dan O'Flynn konnten nur zustimmend nicken. Sie hatten Don Juan nur mit Mühe befreien können, als die Spanier ihn geschnappt und zum Tode durch die Garotte verurteilt hatten. „Wie dem auch sei", sagte der Seewolf. „Vorausgesetzt, die Galeone hat tatsächlich Gold, Silber oder Edel-
steine geladen, kann uns eigentlich kein besseres Geschenk über den Weg laufen." „Für Königin Elizabeth?" entgegnete Dan O'Flynn stirnrunzelnd. „Natürlich." „Meinst du, sie wird dir deswegen um den Hals fallen?" „Ich wäre nicht unbedingt scharf darauf", erwiderte Hasard. „Aber ich halte es für gut, ihr nicht mit leeren Händen gegenüberzutreten," Dan bewegte zweifelnd den Kopf. „Wenn ich mich irre, lasse ich mich gern belehren. Aber ich könnte mir vorstellen, daß eine spanische Schatz galeone nicht gerade das ist, was die königliche Lissy noch aus dem Häuschen bringt. Vielleicht hat sie inzwischen jede Menge Kaperbriefe ausgestellt, und die treuen Gefolgsleute liefern ihr jeden Tag ein paar von den Gold- und Silbereimern." „Wenn es so ist", sagte Hasard, „werden wir es rechtzeitig herausfinden. Dann können wir die Galeone immer noch für uns behalten." Dan gab sich damit zufrieden. Seine Meinung über die Unberechenbarkeit der Königin war nicht aus der Luft gegriffen. Das wußte jeder im Bund der Korsaren. Die Machtkämpfe und Intrigen bei Hofe hatten zu den schlimmsten Auswirkungen geführt. Die Arwenacks und ihre Freunde hatten das hinreichend zu spüren gekriegt, als sie nach ihrem Aufbruch in die Karibik von sehr ehrenwerten Gentlemen aus den besten Londoner Kreisen verfolgt worden waren. Ausgerechnet der unselige Sir John Killigrew war mit von der Partie gewesen. Er und die hochwohlgeborenen Halunken hatten mit dem Leben bezahlt. Aber die Nachdenklichkeit bei den Arwenacks war geblieben.
32 Hatte Königin Elizabeth I. nicht verhindern können, daß der Seewolf gejagt wurde? Oder glaubte sie gar den falschen Anschuldigungen, die gegen ihn erhoben worden waren? Gegen ihn, den sie zum Ritter geschlagen und mit einem Kaperbrief ausgestattet hatte? Die spanische Galeone hielt noch immer ihren Kurs. Zumindest ihr Ausguck mußte die Schebecke längst gesichtet haben. Deshalb blieb es ein Rätsel, warum die Schiffsführung nicht reagierte. Der Kapitän und die Offiziere konnten nicht allen Ernstes überheblich genug sein, den Mittelmeerdreimaster für so unbedeutend zu halten, daß sie ihn einfach übersahen. „Wir zeigen Flagge", entschied der Seewolf. „Aye, aye, Sir, Flagge zeigen!" brüllte Carberry. Gemeinsam mit Ferris Tucker zog er das Tuch hoch. Gleich darauf stand das Symbol des Bundes der Korsaren, vom Wind ausgeweht, über den Lateinersegeln. Hasard und die Männer auf dem Achterdeck beobachteten den Spanier abermals mit den Spektiven. Mittlerweile erkannten sie Einzelheiten. Auf der Kuhl und auf dem Vorkastell rührte sich fast nichts. Nur ein paar Gestalten bewegten sich träge. Die Stückpforten, die es immerhin auch gab, waren geschlossen. Der Ausguck im Großmars interessierte sich allem Anschein nach nicht im geringsten für die Umgebung seines Schiffes. Das einzige Geschehen, dem die Dons Bedeutung zumaßen, spielte sich offenbar auf dem Achterdeck der Galeone ab. Es vergingen noch Minuten, bis die Arwenacks nahe genug heran waren, um endgültige Klarheit zu gewinnen.
Die Galeone hieß „Fidelidad". Auf dem Achterdeck blitzten Klingen.
6. Die Sonne stand noch nahezu im Zenit. Keiner der beiden Duellanten hatte deshalb durch etwaige Blendwirkung einen Vor- oder Nachteil. Amadeo Palma, als Herausforderer, hatte seinem Gegner die Wahl der Waffen gelassen. Manuel Redrojo hatte sich für Säbel entschieden. „Achtung!" rief Jorge Labastida scharf. Er hatte in der Mitte des Achterdecks, an Steuerbord Aufstellung genommen. Ihm gegenüber, an der Backbordverschanzung, stand der Dritte Offizier, um ihm zu assistieren. Nur widerstrebend hatte Labastida zugestimmt, das Amt des Sekundanten zu übernehmen. Palma stand mit dem Rücken zur vorderen Querbalustrade. Er glaubte die Blicke aller Decksleute in seinem Nacken zu spüren. Redrojo stand an der Heckbalustrade. Die Duellanten befolgten das Kommando des Sekundanten und hoben den Säbelgriff vor den Brustkorb, so daß die Klinge senkrecht emporstand, haargenau vor der Nasenspitze, zwischen den Augen. Amadeo Palma war froh, seine Braut nicht sehen zu können. Consuela befand sich im Salon, in der Obhut des Zweiten Offiziers. Sie war einem Zusammenbruch nahe gewesen und hatte anfangs nicht einmal den Gedanken ertragen können, daß Amadeo ihretwegen sein Leben aufs Spiel setzen wollte.
Heute ist wieder einmal die Börse an der Reihe. Da haben wir ein Verkaufsangebot von E B , 8052 Moosburg, Straße . Er schreibt: Sehr geehrte Seewölfe-Redaktion! Im Romanheft Nr. 564 haben Sie bereits meine Verkaufsanzeige veröffentlicht. Leider bezog sich die starke Nachfrage nur auf die TBs und Romanhefte bis zu den Nummern 150 und Einzelstücke. Nun möchte ich die vorhandene Sammlung nicht noch mehr zerstückeln. Darum biete ich (wenn's noch mal möglich ist) die gesamte Sammlung - ca. 540 TBs und Romanheñe im Bestzustand - zu einem Gesamtpreis von DM 500,- einschließlich Versandkosten in Ihrer Verkaufsbörse an. Von TB 1 - Romanheft 590 ist alles außer den SW-Heften 48-55, 57, 58, 61, 84, 90,111 - 135, 180, 226, und 297 vorhanden. Da der Stückpreis pro TB / Romanheft unter DM 1- liegt, hoffe ich auf eine nochmalige Verkaufsanzeige und verbleibe mit einem herzlichen Dank und einem Grüß Gott - Ihr treuer Leser E B Ein feiner Preis, lieber Herr B ! Allerdings sind wir skeptisch, denn DM 500,wird nicht jeder Sammler auf Anhieb aufbringen können. Das ist - leider, leider der Nachteil beim Verkauf der gesamten Sammlung. Vom Stabsunteroffizier der Panzertruppe (Anmerkung der Redaktion: Daß man auch dort die SEEWÖLFE liest!!) M B , Straße , 5239 Bölsberg, Tel.: 02661/ , erhielten wir den folgenden Brief: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde die Seewölfe prima! Aber aus Platzgründen muß ich verkaufen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Anzeige veröffentlichen könnten. Vielleicht gibt es ja »Seewolf-Fan-Clubs«. Wenn dies so ist,
könnten Sie mein Angebot ja dorthin weiterleiten. Mein Angebot: 474 Hefte zwischen den Nummern 29 - 538 für 300,- plus Porto. Die Hefte sind alle gut erhalten, und ich meine auch nicht zu teuer. Es dankt im voraus mit kameradschaftlichem Gruß - Ihr M B Wir grüßen »kameradschaftlich« zurück, lieber Herr B , und haben beileibe nichts gegen Ihren Preis einzuwenden. Von der Existenz eines »Seewolf-Fan-Clubs« ist uns nichts bekannt (was nicht ist, kann ja noch werden!), darum haben wir Ihre Anzeige natürlich an dieser Stelle veröffentlicht. Den folgenden Brief schrieb M. M , straße , 4400 Münster: Sehr geehrte Redaktion! Durch einen Zufall konnte ich zwei Seewölfe-Sammlungen zu einer ergänzen. Daher bin ich jetzt in der Lage, Suchenden weiterzuhelfen. Ich biete hiermit die doppelten Hefte zu einem Stückpreis von DM 1,- an. Es handelt sich um die Nummern: 16-19,21,23,26,27,120 - 578. Es fehlen die Nummern: 195, 246, 276, 356, 364, 365, 440, 446, 447, 450 - 461, 468, 487, 533 und 539. In meiner nun fast kompletten Sammlung fehlt noch das SW-Heft Nr. 29. Es wäre schön, einen Verkäufer zu finden. Ferner möchte ich noch folgende SW-Taschenbücher anbieten, und zwar zu einem Stückpreis von DM3,- die Nummern: 9,14, 15,17,21,24-26. Und zum Schluß noch ein Wort zur Redaktion: Vielen Dank für alle bisherigen Seewölfe-Hefte. Macht weiter so! Mit freundlichen Grüßen -M.M Herzlichen Dank, lieber Herr M ! Wir grüßen zurück Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren.
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Auch die Darstellung der beiden Schiffchen auf den Seiten 34/35 stammen von Antoine Roux (1765 - 1835), dem französischen Maler von Segelschiffen seiner Zeit. Er malte das Bild 1809. Hier kreuzen ein dänisches Vollschiff und eine spanische Pinke die Kurse, und man ist versucht, zu fragen, wer wem ausweichen muß, denn das sieht verdächtig nach Kollisionskurs aus. Hier müssen wir gestehen, daß wir nicht wissen, wie es sich mit den damaligen »Ausweichregeln« verhielt. Eine alte Regel besagt (sie gilt auch heute noch), daß der »Amwinder« ein Vorfahrtsrecht vor Segelfahrzeugen hat, die mit halbem, raumem oder achterlichem Wind segeln. Danach dürfte das Vollschiff (links) Vorfahrt vor der Pinke (rechts) haben: Das Vollschiff segelt hart am Wind über Steuerbordbug, die Pinke liegt auf einem Halbwindskurs über Steuerbordbug. Tatsächlich wäre das Vollschiff für eine Ausweichmanöver »behindert«: Wenn es sowieso schon hart am Wind segelt, kann es nicht weiter anluven - es sei denn in der Absicht, in den Wind zu schießen. Andererseits könnte es abfallen, was aber Verlust an Höhe bedeuten würde (die vielleicht mühsam »erknüppelt« wurde). Außerdem ist nicht mal sicher, ob ein Abfallen die Kollision noch verhindern würde. Die Pinke wiederum müßte, um eine Kollision zu vermeiden, entweder hart anluven (und würde dann auf Parallelkurs mit dem Vollschiff liegen) oder hart abfallen und dabei eine Halse fahren. Sie ist also, was das Ausweichen betrifft, »besser« dran, das heißt, sie ist manövrierfähiger als das Vollschiff. Bei dem Vollschiff sind die beiden Bramsegel - die oberen Segel am Großmast und Fockmast - zusammengerafft, also nahezu aufgegeit und bilden ihre typischen »Blasen«, das heißt, der Wind stößt zwar hinein und »pustet« sie auf, aber sie erbringen keine Vortriebsleistung. Am achteren Mast, dem Kreuzmast, ist man offenbar dabei, das untere Segel, das Kreuzsegel, zu bergen, während Kreuzmarssegel und Kreuzbramsegel noch gesetzt sind, ebenso am Großmast das Großsegel und das Großmarssegel und am Fockmast die Fock und das Fockmarsegel. Vorn am Bugspriet stehen noch von innen nach außen Klüver und Außenklüver. Bei diesem Typ Vollschiff waren die Mars- und Bramsegel noch nicht in Unter- und Obermarssegel bzw. Unterbram- und Oberbramsegel geteilt, wie es später vor allem auf größeren Vollschiffen der Fall war. Die Pinke nun, die Antoine Roux malte, hat nichts mit dem Pinke genannten Segelschiff zu tun, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert als Rahsegler die Ost- und Nordsee befuhr. Vielmehr handelt es sich hier um ein reines Mittelmeerfahrzeug mit Lateinersegeln an den drei Masten, und Schiffshistoriker meinen, diese Mittelmeer-Pinke sei mit der Schebecke verwandt, die allerdings elegantere Linien hatte und auch größer als die Pinke war. Aber eine Ähnlichkeit mit der Schebecke ist nicht zu verleugnen. Warum die Bezeichnung »Pinke« für zwei so unterschiedliche Segler wie Rahschiff und lateinergeriggtes Schiff verwendet wurde, konnten die Schiffshistoriker noch nicht klären. In dem klassischen Werk von Wolfram Claviez »Seemännisches Wörterbuch« heißt es unter dem Begriff »Pink, Pinke«: »nicht eindeutige Typenbezeichnung für verschiedenartige Fahrzeuge seit dem 16. Jahrhundert. Die Erklärungen reichen vom >kleinen scharfgebauten Fischerboot< bis zum >dreimastigen Lastschiffe<.« Immerhin: So wie die Pinke von Antoine Roux - nur größer - sah die Schebecke aus, mit der die Arwenacks versuchen, England zu erreichen!
37 Doch sie hatte begreifen müssen, daß es ihm um ihrer beider Ehre ging. Ein Menschenverächter wie Redrojo sollte und durfte nicht die Oberhand in diesem niederträchtigen Spiel behalten, das er angezettelt hatte. Amadeo zwang sich, nicht an Consuela zu denken, wie sie vermutlich bebend vor Angst im Achterdeckssalon ausharrte und sich durch Worte kaum beruhigen ließ. „Seien Sie bereit, Señores!" sagte Jorge Labastida. Mit einer Handbewegung forderte er seinen Assistenten auf, noch einmal die Zahl der Schritte zu kontrollieren. Der Dritte setzte sich in Bewegung. Ihm war anzumerken, wie unbehaglich er sich unter dem starren Blick seines Kapitäns fühlte. Redrojo schien nicht mehr er selbst zu sein und mußte praktisch durch eigenen Entschluß den Verstand verloren haben. Labastida hatte diesen Eindruck als erster gehabt, und deshalb hatte er versucht, das junge Paar davon abzubringen, sich vor aller Augen so zu verliebt zu zeigen. Labastida hatte sich von allen mißverstanden gefühlt - von seinen Offizierskollegen, von Redrojo sowieso und von Amadeo Palma und Consuela Verguero ohnehin. Nun aber bestätigte sich wieder einmal, was sooft im Leben geschah: Die klare Erkenntnis eines einzelnen, von der Mehrheit mit größter Selbstsicherheit abgetan und belächelt, erwies sich als richtig. Redrojo hatte sich in einen Zustand aberwitziger Eifersucht und gockelhafter Verliebtheit gesteigert. Sein Geisteszustand war deshalb nicht mehr mit normalen Maßstäben zu messen. Trotzdem hatte Labastida sich gehütet, die Funktion des Sekundanten abzulehnen.
Redrojo war durchaus noch in der Lage, seine Autorität als Kapitän durchzusetzen und ihn, den Ersten Offizier, wegen Befehlsverweigerung zum Meuterer zu erklären. Diesem wirrköpfigen Capitán war zuzutrauen, daß er einen vermeintlichen Meuterer standrechtlich aufhängen ließ. „Zwanzig Schritt!" meldete der Dritte Offizier und markierte die mittlere Distanz zwischen den Duellanten mit einem Kreidestrich. Hastig trat er an seinen Platz zurück. Labastida zögerte. „Nun beeilen Sie sich schon!" zischte Redrojo. Seine Augen waren verengt, seine Lippen nur noch ein Strich. Labastida nickte. Die scharfe Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag, schluckte er hinunter. Redrojo würde kaum akzeptieren, daß er sich den Anweisungen des Sekundanten zu fügen hatte. Was er auf der einen Seite anordnete, stellte er andererseits gleich darauf wieder in Frage - ganz, wie es ihm in den Kram paßte. Der Erste Offizier gab das Zeichen zum Kampf. An Bord der „Fidelidad" herrschte atemlose Stille, als die Gegner mit hoch erhobenen Säbelklingen aufeinander zuschritten. Jeder Mann an Deck wußte, daß dieses Duell nicht ohne einen Toten enden würde. Redrojo und seine kämpferischen Qualitäten waren bekannt - ein ernstzunehmender Gegner, der das Säbelhandwerk hervorragend verstand. Palma dagegen war ein Unbekannter. Würde es eine Überraschung geben? Oder würde er kläglich versagen? War er der lächerliche Schreiberling, für den ihn Redrojo hielt, oder verbargen sich unter seinem
38 künstlerischen Gehabe Fähigkeiten, stürmte, schnellte Palma plötzlich ebenfalls los. die man ihm nicht zutraute? Der Gegenangriff erfolgte für RedImmerhin war er es gewesen, der den Capitán zum Duell gefordert rojo völlig überraschend. Seine Athatte. Diese Tatsache hatte sich wie tacke wurde fahrig und ungenau. ein Lauffeuer in der Mannschaft her- Abermals mußte er geschehen lassen, daß sein Gegner einen mörderischen umgesprochen. Die Todfeinde waren noch zwei Hieb parierte - diesmal schmetterte Schritt voneinander entfernt, als Palma ihm den Säbel einfach zur Redrojo zu einer jähen Attacke vor- Seite weg. Und mit einem eleganten Sprung wich er aus. schnellte. Redrojo wurde durch den eigenen Mit flirrendem Reflex fuhr sein SäSchwung nach vorn gerissen, taubel schräg abwärts. Den Beobachtern stockte der Atem. melte mit immer schnelleren SchritKlar, daß der Capitán mit dieser ten und verhinderte mit knapper Not, Blitzaktion versuchte, dem Gegner daß er sich im Stolpern in die Gefahr die Blankwaffe wegzuschlagen. brachte, in den eigenen Säbel zu stürWenn es gelang, würde er Palma im zen. nächsten Atemzug töten. Erst an der Querbalustrade konnte er sich abstützen. Einen demütigenStahl schmetterte auf Stahl. Der Schriftsteller parierte den Hieb den Sekundenbruchteil lang sah er die höhnischen Blicke der Decksbeinahe mühelos. Redrojos Gesicht verzerrte sich vor leute. Er hätte vor Wut brüllen könWut und Anstrengung. Denn Palma nen. Er stieß sich ab und wirbelte herstieß ihn zurück, Klinge an Klinge, allein mit der Kraft seiner Armmus- um. „Diesmal stirbst du, du Hund!" flükeln. Es war demütigend für den Capitán. Er stolperte und war gezwun- sterte er tonlos. Palma blieb ernst und konzentriert. gen, mit kleinen Schritten von Palma wegzuweichen, um nicht das Gleich- Er stand breitbeinig in der Mitte des Achterdecks und hatte noch immer gewicht zu verlieren. Ein Raunen ging durch die Mann- diese nervtötende Ruhe an sich. schaft, die bewegungslos auf der Redrojo schnellte los. Kuhl ausharrte. Niemand hielt sich Ein dumpf donnernder Schlag jetzt noch auf dem Vorkastell auf. hallte über das Wasser. Alle wollten aus nächster Nähe beobOffiziere und Mannschaft zuckten achten, wie die mörderische Ausein- zusammen. Es war, als hätte sie alle andersetzung endete. gleichzeitig der Hieb einer unsichtbaRedrojo sammelte sich zum neuen ren Peitsche getroffen. Angriff. Mit einem Wutschrei Nur Redrojo nahm nichts wahr. stürmte er abermals auf Palma los, Amadeo Palma ließ ihn leerlaufen. der ihn ohne erkennbare Nervosität Mit einem wilden Schrei drosch erwartete, äußerlich völlig ruhig. Es Redrojo ins Leere. Im nächsten Mowar diese verdammte Gelassenheit, ment taumelte er auf die Heckbaludie Redrojo bis aufs Blut reizte - wie strade zu. ein rotes Tuch den Kampfstier. Eine Wassersäule stieg vor dem Während der Capitán vorwärts- Bug der „Fidelidad" auf.
39 Erschrockene Laute waren aus den Reihen der Crew zu hören.
„Capitán!" brüllte Labastida. Redrojo hatte sich abgestützt und warf sich herum, den Säbel erneut zum Angriff erhoben. Er hielt inne. Palma stand breitbeinig da, wie unerschütterlich. Redrojo mußte sich beherrschen, um nicht erneut vor Wut loszubrüllen. Der Ausguck im Großmars erwachte in diesem Moment. „Deck!" schrie er schrill, mit sich überschlagender Stimme. „Dreimaster Steuerbord voraus!" Redrojo reagierte nicht. Sein Blick war starr auf Palma gerichtet. Labastida sah den fremden Dreimaster aus den Augenwinkeln. Das Schiff mußte auf Nordkurs gelegen haben. Es hatte kurz beigedreht, um den einen Schuß abzufeuern. Nun hielt es auf „Fidelidad" zu. Labastida hatte bei Redrojo immerhin durchgesetzt, den Kurs von Nordost auf Ost ändern zu dürfen. So, vermutete er, würden sie wenigstens noch die liberische Halbinsel anlaufen und sich nicht irgendwo in der Biscaya oder gar im Ärmelkanal wiederfinden. „Capitán, wir werden angegriffen!" rief Labastida schneidend. „In meiner Funktion als Sekundant erkläre ich das Duell für abgebrochen. Ich erwarte Ihre Befehle!" Redrojo hob verwirrt den Kopf. „Befehle?" Labastida mußte sich zwingen, nicht die Beherrschung zu verlieren. „Capitán Redrojo, ich bitte Sie dringend, das Kommando über das Schiff
zu übernehmen! Wir haben einen Schuß vor den Bug erhalten und . . . " Redrojo murmelte etwas, aber der Erste mußte entsetzt feststellen, daß es nicht ihm, sondern dem Schriftsteller galt. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, du Hundesohn! Wir sehen uns wieder, hier, an dieser Stelle!" „Kümmern Sie sich um Ihr Schiff, Redrojo", sagte Palma frostig. „Und vergessen Sie nicht, daß ich Sie gefordert habe. Es war nicht umgekehrt." Er erhob seine Stimme zu klirrender Schärfe. „Sie waren es, der versuchte, meiner Braut Gewalt anzutun! Dafür ziehe ich Sie zur Verantwortung, Mann! Tun Sie nicht so, als seien Sie derjenige, der in seiner Ehre verletzt wurde!" „Genug!" rief Labastida, der seine wachsende innere Unruhe nicht mehr bezwingen konnte. Der fremde Dreimaster, eine Schebecke, näherte sich mit hoher Fahrt. Eine Breitseite dieses wendigen Schiffs war durchaus ernstzunehmen. Vor allem war die Galeone viel zu schwerfällig, um gegen den Angreifer eine reelle Chance zu haben. Amadeo Palma nickte, stieß den Säbel in die Scheide und wandte sich ab. Er hatte es eilig, in den Achterdeckssalon zu gelangen. Consuela mußte vor Sorge krank sein. Redrojo schien noch immer nicht richtig begriffen zu haben, was sich abspielte. „Capitán!" drängte der Erste Offizier abermals, und es klang beinahe flehentlich. „Wir befinden uns in einer Lage, die sich zuspitzt. Wenn wir jetzt nicht wenigstens Gefechtsbereitschaft herstellen..." Redrojo unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Lassen Sie mich in Ruhe, Labastida", sagte er und wirk-
40 te plötzlich müde. „Übernehmen Sie das Kommando. Tun Sie, was Sie wollen." Labastida und der Dritte Offizier starrten ihn entgeistert an, wie er den Säbel wegsteckte und auf den Niedergang an Backbord zuschlurfte. An den heransegelnden Dreimaster verschwendete er keinen Blick. Labastida war versucht, dem Capitán nachzulaufen, um ihn davon abzuhalten, sich unter Deck zu begeben. Aber der Zweite befand sich im Salon, und auch der Navigator würde rechtzeitig zur Stelle sein, um zu verhindern, daß Redrojo den Schriftsteller heimtückisch überfiel. In seinem augenblicklichen Geisteszustand schien der Capitán zu allem fähig zu sein. Labastida eilte zur Querbalustrade. „Ich übernehme das Kommando!" brüllte er. Die Männer hatten ohnehin genug gesehen und gehört, um über die Lage Bescheid zu wissen. „Klar Schiff zum Gefecht! Alle Mann auf Gefechtsstation!" Die Decksleute gerieten in Bewegung. Ihnen allen saß auf einmal die Angst im Nacken. Aber gleichzeitig erwachte auch ihr Widerstandswille. Gewiß, sie verfügten über kein Kriegsschiff, das den vorwitzigen Angreifer allein durch seine übermächtige Feuerkraft kurz und klein geschossen hätte. Ein weiteres Handikap waren die Sturmschäden, wodurch die Galeone noch lahmer segelte als ohnehin schon. Aber die Culverinen auf dem Hauptdeck waren schließlich keine Dekorationsstücke. Labastida wußte, daß er sich auf die Männer verlassen konnte. Sie waren allesamt keine ahnungslosen Engel. Die meisten von ihnen hatten be-
reits auf Kriegsgaleonen gedient, und sie waren aufgrund dieser Erfahrung für den Dienst an Bord von Schatzschiffen ausgewählt worden. Auf der Kuhl wurden die Stückpforten geöffnet, die Geschütze geladen und ausgerannt. Die Mannschaft war zahlenstark genug, um alle Geschütze zu besetzen. Überdies waren noch genügend Männer frei, die Musketen und Pistolen und die dazugehörige Munition verteilen konnten. Auch das Achterdeck wurde mit Lang- und Kurzwaffen versorgt. Der Navigator erschien auf dem Backbordniedergang. Er sah blaß aus und wirkte fassungslos. Aber es schien zumindest im Salon keinen Grund für Alarm zu geben. Labastida registrierte verwundert, daß die Schebecke nach Backbord abfiel und offenbar abwarten wollte. Hatte der Kapitän dort drüben etwa vor, ihnen Zeit zu geben, bis sie in der Lage waren, sich zu verteidigen? „Der Capitán hat sich in seine Kammer zurückgezogen", berichtete der Navigator. „Er hat sich eingeschlossen und will von nichts und niemandem etwas hören." „Dann bleibe hier", entgegnete der Erste. „Ich führe das Kommando, und ich kann deine Unterstützung brauchen." „Jawohl, Señor", antwortete der junge Offizier, der sich mit einem raschen Rundblick über die Lage informiert hatte. „Der Zweite hat übrigens den Medikus gerufen. Señorita Verguero hatte einen leichten Schwächeanfall. Jetzt scheint es ihr aber besser zu gehen, da sie Palma gesund und wohlauf gesehen hat." Labastida nickte beruhigt. „Wenn wir jemals Spanien erreichen sollten, werden wir dafür sorgen müssen, daß eine Untersuchung eingeleitet wird.
41 Dieser Mann", er deutete auf die Stelle zu seinen Füßen, wo sich die Kapitänskammer befand, „dürfte die längste Zeit Kapitän eines Schiffes gewesen sein." „Ich bin dabei", sagte der Navigator. Von der Kuhl ertönte die Meldung des Stückmeisters. „Culverinen und Drehbassen feuerbereit!" Labastida bestätigte mit einem Handzeichen und wies den Rudergänger an, platt vor den Wind zu gehen. Vielleicht gelang es ihm, eine bessere Ausgangsbasis herauszuholen, indem sie an Fahrt zulegten. Labastida und seine Offizierskollegen beobachteten die Schebecke, die nun ihrerseits den Kurs änderte, indem sie etwa vier bis fünf Schiffslängen achteraus halste. Gleich darauf lag sie ebenfalls platt vor dem Wind und nahm die Verfolgung auf. Auf der Kuhl waren die Geschützmannschaften auf ihren Posten. Der Stückmeister hatte fünfzehn Mann zusätzlich als Musketenschützen eingeteilt. Weitere fünf Mann waren für das Nachladen der Langwaffen zuständig. „Was vermutest du?" wandte sich Labastida an den Dritten. „Wie werden sie angreifen?" „Schwer zu sagen", erwiderte der jüngere Offizier. „Wenn ich versuche, mich in seine Lage zu versetzen, glaube ich, daß ich mich nicht unbedingt vor unsere Geschützrohre wagen würde." „Und daraus folgt?" „Daß er irgendeine Taktik anwenden wird, die ihm mit seinem Schiffstyp Erfolg verspricht." Labastida nickte. So ähnlich stellte er sich das auch vor. Minuten später, als sich der Abstand zwischen den beiden unglei-
chen Seglern spürbar verringert hatte, bestätigte sich die Vermutung. Die Schebecke lag jetzt im Kielwasser der Galeone. Labastida begriff. „Musketenschützen auf das Achterdeck!" brüllte er. „Achtere Drehbassen besetzen!" Die Männer stürmten über die Niedergänge hoch, schwärmten aus und verteilten sich unter der Heckbalustrade. Der Dritte Offizier und der Navigator wußten jetzt ebenfalls, was Labastida erkannt hatte. Die Angreifer waren drauf und dran, ihnen die Ruderanlage zu zerschießen. Danach hatten sie um so leichteres Spiel. Auch Labastida und die beiden anderen Offiziere bewaffneten sich mit Musketen und gingen am Heck in Stellung. Labastida gab den Feuerbefehl, als die Schebecke noch hundertfünfzig Yards entfernt war - zu weit für die breit streuenden Drehbassen. Aber durchaus nicht zu weit für die Musketen. Zwar konnte man erst bei hundert Yards und weniger wirkliche Präzisionsschüsse anbringen. Aber es reichte, den Kerlen auf dem Vorschiff der Schebecke halbwegs gut gezielte Kugeln um die Ohren zwitschern zu lassen. Wenn es dabei einen Zufallstreffer gab - um so besser. Die ersten neun Musketen peitschten in rascher Folge. Die Nachlader reichten feuerbereite Waffen und übernahmen die leer geschossenen. Die zweite Hälfte der Musketenschützen feuerte. Es entstand ein nahezu ununterbrochener Kugelhagel, der auf den Bug des Dreimasters niederprasselte. Die Drehbassenschützen der „Fide-
42 lidad" gelangten indessen nicht zum Einsatz. Der Grund ließ sie und die Musketenschützen gleich darauf in Jubelgebrüll ausbrechen. Die Schebecke drehte ab. Labastida und die Männer richteten sich auf. Sie waren für die Angreifer außer Schußweite und konnten vorerst auf Deckung verzichten. „Kein Grund zum Frohlocken", sagte der Erste und dämpfte damit die Freude der anderen. „Sie haben ihrerseits keine Musketen eingesetzt, obwohl sie es hätten tun können. Das bedeutet, daß sie sich gewissermaßen nur herangetastet haben, um uns auf die Probe zu stellen. Sie wissen jetzt, womit sie rechnen müssen. Der nächste Angriff wird nicht so leicht abzuwehren sein, darauf können wir uns schon einmal einstellen." Labastida hob sein Spektiv. Auf dem Hauptdeck der Schebecke herrschte eine scheinbar unkontrollierte Wuhling. Der Eindruck trog, das wußte der Offizier. Was sie dort aus den Unterdecksräumen hinaufschleppten, konnte er zwar nicht erkennen, aber er war sich darüber im klaren, daß es nichts Gutes für ihn und seine Männer bedeutete. 7. Manuel Redrojo erlebte die schlimmste Stunde seines Lebens. Niemals war ihm etwas Vergleichbares widerfahren. Unruhig ging er in seiner Kammer auf und ab. Ein dumpfes Gefühl höhlte seinen Kopf aus. Er legte sich in die Koje. Aber es wurde nicht besser. Seine Gedanken ließen sich nicht mehr ordnen. Er hörte die Musketenschüsse und maß ihnen keine Bedeu-
tung bei. Die Erniedrigung, die er hatte hinnehmen müssen, war grausamer als körperlicher Schmerz. Palma hatte ihn öffentlich gedemütigt und sich erdreist, sich nicht mit dem ersten Hieb entwaffnen zu lassen. Sein Part wäre es gewesen, danach um Gnade zu winseln, die er, Redrojo, ihm wahrscheinlich großherzig gewährt hätte. Alle an Bord hätten dann erleben können, daß er einen Schwächeren nicht kaltblütig tötete. Consuela Verguero hätte endgültig begriffen, wo ihr Platz war - nicht an der Seite eines Schwächlings, sondern in der Obhut eines wirklichen Mannes, der von nun an für immer seine schützende Hand über sie halten würde. Aber nein. All das hatte dieser Widerling Palma mit seiner aufsässigen Art zerstört. Redrojo begriff nicht, wie ein Mensch so uneinsichtig sein konnte, sich nicht nach den klar erkennbaren Machtverhältnissen zu richten. Gegen den Kapitän einer Frachtgaleone Ihrer Allerkatholischsten Majestät hatte ein lächerlicher kleiner Schreiberling gefälligst nicht anzustinken. Aber ein Amadeo Palma durfte ja unverfroren genug sein, sich über alle geltenden Maßstäbe hinwegzusetzen! Seine erneut auflodernde Wut verursachte ein Schwindelgefühl. Die Koje schien zu kreisen und ihn mit dem Kopf zuerst abwärts sinken zu lassen. Er geriet in Angst. Vorsichtig setzte er sich auf. Das Schwindelgefühl blieb. Brachte dieser Hurensohn es fertig, ihn noch nachträglich zu besiegen? So begann es, wenn einen der Schlag traf, hatte Redrojo einmal gehört. Himmel, er war doch noch nicht so
43 alt, um auf diese Weise aus dem Leben gerissen zu werden! Sein Herz hämmerte in der Brust, und ihm wurde die Atemluft knapp. Er keuchte und griff sich an den Hals. Nein! schrie eine innere Stimme in heller Aufregung, nicht auf diese Weise! Nicht diese Genugtuung für Palma! Schritte waren zu hören. Keine Schüsse mehr. Redrojo horchte auf die Stimmen, die die Schritte begleiteten. Es waren der Feldscher und der Zweite Offizier, die sich nach mittschiffs entfernten. Auf einmal wich das Schwindelgefühl. Redrojo staunte und riß die Augen auf. Sein Kopf wurde klarer. Er wurde gefordert, erneut gefordert. Daran mußte es liegen. Die Aufgabe, die sich ihm stellte, sah er deutlich vor sich. Er ahnte, was geschehen würde. Er hatte es wie eine Version vor seinem geistigen Auge. Und er war stark und übermächtig wie immer! Langsam richtete er sich auf. Es klappte. Er kippte nicht um. Ja, er stand sicher auf beiden Beinen. Himmel, da hatte er doch tatsächlich einen Moment lang geglaubt, ein alter Mann zu sein! Es mußte an der halben Niederlage gelegen haben, die er gegen Palma erlitten hatte. Er hörte die neuen Schritte, die er erwartet hatte. Regungslos verharrte er und horchte. Eindeutig. Consuela Verguero bewegte sich leichtfüßig. Palma schlurfte nachlässig. Wie es eben nur ein Zivilist konnte, der nie eine militärische oder wenigstens eine seemännische Ausbildung genossen hatte. Redrojo griff nach dem Kolben sei-
ner Pistole. Das kühle Metall und das geölte Holz der Griff schalen beruhigten ihn. Er war imstande, seine Sinne auf das zu lenken, was er sich zur Aufgabe gestellt hatte. Ein rasch gefaßter Plan, den er in kalter Entschlossenheit in die Tat umsetzen würde. Er vernahm die leise Stimme Consuelas, als er horchend zum Schott seiner Kammer schlich. Beruhigende Worte von Palma folgten. Sie waren vorüber. Redrojo verdrängte alle Gedanken. Nur noch der Wille, es zu tun, war in ihm. Er riß das Schott auf, zog die Pistole im selben Moment und ließ sie in der Hand herumwirbeln, so daß er sie am Lauf packen konnte. Amadeo Palma war nur zwei Schritte entfernt. Redrojo stürzte sich auf ihn, als der Schreiberling sich erschrocken umdrehte. Palma brachte keine Silbe mehr heraus. Redrojo fällte ihn mit einem einzigen Hieb. Consuela war herumgewirbelt und stand starr vor Entsetzen. Redrojo stieß die Pistole unter den Gurt und warf sich auf die junge Frau, bevor sie schreien konnte. Er packte sie an den Oberarmen, zog sie über den Bewußtlosen weg und riß sie herum, so daß er sie von hinten umklammern und ihr den Mund zuhalten konnte. Er sah sich noch einmal nach beiden Seiten um. Der Gang war leer. Er stieß Consuela in seine Kammer. Für eine Sekunde mußte er sie loslassen, um das Schott zu verriegeln. Er brauchte nur diesen kleinen Moment dafür. Doch die kurze Zeitspanne hatte genügt, um Consuela völlig zu verwandeln.
44 Redrojo stutzte, als er auf sie losgehen wollte. Ihr Gesicht war das einer Tigerin. Jegliche Angst war von ihr abgefallen. Statt dessen stand wilder Kampfesmut in ihren Zügen, ihre hellbraunen Augen glommen in einem Feuer, wie es Redrojo noch nie gesehen hatte. Er versuchte, diese Tatsache zu ignorieren. „Dann wollen wir mal", sagte er grinsend. „Jetzt gibt es eine Lektion, Verehrteste. Eine Schulstunde zum Thema wahre Männlichkeit." Consuela stieß ein Fauchen aus. „Was haben Sie mit Amadeo getan?" rief sie wild. „Sie haben ihn erschlagen, Sie dreckiger Feigling!" „Aber, aber!" Redrojo lachte. Er glaubte an die Gerüchte, die er gehört hatte: Fauen meinten meist das Gegenteil von dem, was sie von sich gaben. Das lag an ihrem Unvermögen, logisch zu denken. Wenn sie ihn also einen dreckigen Feigling nannte, bedeutete das in Wirklichkeit, daß sie ihn bewunderte. Im Plauderton fuhr er fort: „Beim Duell hätte ich ihn sowieso getötet. Außerdem sollten Sie sich beglückwünschen, Consuela. Wenn es ihn wirklich erwischt hat, was ich hoffe, steht unserer Zweisamkeit nichts mehr im Wege." Sie war einen Schritt zurückgewichen. Plötzlich lag in ihrer Rechten die schwere Messinglampe von seinem Nachtschapp. Der Lampenfuß war nur mit einer Schraubzwinge befestigt gewesen. Sie hatte ihn einfach herausgerissen. Es erschien ihm aberwitzig. Himmel, sie konnte doch nicht derartige Bärenkräfte haben! „Nun mal halblang", sagte er mit einer dämpfenden Handbewegung. „Wir wollen doch nicht..." Consuela schleuderte die Lampe.
Er wich in die falsche Richtung aus. Ein Schlag wie von einem Pferdehuf traf seine Stirn. Er sah Blitze, die durch wallende schwarze Schleier zuckten. Er stürzte und fühlte sich dabei, als ob er ins Nichts fiele. Aber seine Bewußtlosigkeit schien nur Sekunden angedauert zu haben. Mit Mühe riß er die Augenlider auf, die zentnerschwer waren. Schmerz schrillte in seinem Kopf. Wieder erschrak er. Er blickte in die Laufmündung seiner eigenen Pistole. Und der Hahn war gespannt. Dahinter das Tigerinnengesicht Consuelas. Er rutschte von ihr weg, indem er sich mit den Händen abstützte. Sie lächelte mitleidig, spöttisch. Er schaffte es, sich halb aufzurichten. Das Kleiderschapp hielt ihn auf. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er war nicht waffenlos, nicht wehrlos. Der Säbel ruhte in der Scheide, neben seinem linken Bein. Aber was war ein Säbel gegen eine Pistole! Der Schmerz unter seiner Schädeldecke schwoll an und nahm ab - in stetem Rhythmus, wie das Pulsieren seines Blutes. Lächerlich! Eine verwöhnte Kaufmannstochter aus Havanna hatte keine Ahnung, wie man mit einer Pistole umging. Sie würde abdrücken und die Waffe dabei verreißen. Heilige Mutter Gottes, sie würde nicht einmal das Schapp auf die kurze Distanz treffen! Unter diesen Umständen konnte er getrost aufspringen und auf sie losgehen. Eine mahnende Stimme drang durch seinen Schmerz und hielt ihn dennoch zurück. Du kannst nicht sicher sein, Manuel Redrojo! Auch bei
46 Über Backbord segelnd gewann die Palma hattest du geglaubt, schnell Sieger zu sein. Nimm dich in acht. Un- Schebecke rasch Distanz. Was sich an Bord der Galeone abgeterschätze die Frau nicht. Sie glaubt, daß Palma tot ist. Vielleicht ist er es spielt hatte, war dem Seewolf und seiwirklich. Es macht sie zu allem fähig nen Männern noch immer ein Rätsel. - wirklich zu allem, was du ihr nicht Gewiß, sie hatten mit dem Schuß vor dem Bug ein Duell vorzeitig beendet. zutraust! Was aber zu dieser AuseinandersetRedrojo zögerte daher. zung geführt hatte, blieb vorerst unEs verursachte ihm ein inneres Zittern, seine eigene Unsicherheit zu ergründlich. Zumindest mußte es damit zu tun gehabt haben, daß die Spaspüren. nier so grenzenlos unaufmerksam geUnd dann traf ihn ein Hieb. wesen waren. Ein Hieb aus Spott. Sie mußten wissen, daß sie der wen„Ich bin zutiefst beeindruckt, Capitán. Ihre Männlichkeit ist umwer- digen Schebecke auf jeden Fall unterfend. So umwerfend, daß Sie dabei legen waren. Deshalb hatten sie soselber zu Boden gehen." Consuela fort die Zähne gezeigt, als sie erst einlachte leise. Im nächsten Moment mal zur Besinnung gelangt waren. Mittschiffs stapelte Ferris Tucker wurde ihre Stimme scharf. „Sie sind ein Schlappschwanz, Redrojo! So seine Kisten mit den Höllenflaschen. nennt man das wohl in Ihren Männer- Carberry assistierte ihm beim Aufkreisen, nicht wahr? Ein erbärmli- bau der provisorischen Höllenflacher, aufgeblasener Blender sind Sie! schenabschußkanone. Batuti und Big Ich bin froh, daß ich nicht das gering- Old Shane sortierten Pulverpfeile ste Interesse habe, ihre Fähigkeiten und Brandpfeile. Und Al Conroy dort zu erproben." Sie deutete mit ei- hatte eine weitere Kiste herbeigener Kopfbewegung zu seiner Koje. schleppt, in die er ein Sortiment der „Wahrscheinlich sind Sie dort ein chinesischen Brandsätze gepackt noch viel schlimmerer Versager. Ein hatte. „An ihr Ruder werden sie uns nicht Hahn, der sich aufplustert und nichts heranlassen", sagte Ben Brighton. zu bieten hat! Einfach lächerlich!" „Das brauchen wir nicht noch einmal Redrojo glaubte, in ein Nichts zu zu versuchen." versinken. „Die Taktik muß sich tatsächlich Niemals war er so verletzt worden. herumgesprochen haben", entgegAusgerechnet eine Frau hatte ihn nete Hasard mit einem Nicken. „Wir zu Tode beleidigt. haben es mit disziplinierten KämpEr sah rot. fern zu tun. Das ist keine irische Trotz der Pistole sprang er auf und Mannschaft wie die von O'Sirideáin, griff zum Säbel. in der alles drunter und drüber geht." „Treue Pflichterfüllung heißt ihr * oberstes Gebot", sagte Don Juan. „Ihnen dürfte klar sein, daß wir ihr Die Arwenacks waren auf Südost- Schiff und vor allem die Ladung hakurs gegangen, um außerhalb der Ge- ben wollen. Sie können also davon schützreichweite an der „Fidelidad" ausgehen, daß wir die Galeone nicht vorbeizuziehen. in Stücke schießen werden."
47 „Bukanier schaffen es, so einen Eimer zu kapern, ohne daß überhaupt ein Schuß fällt", warf Dan O'Flynn in die Debatte. „Vielleicht sollten wir uns mal eine solche Taktik zurechtlegen." „Dazu fehlen ein paar Voraussetzungen", entgegnete Hasard. „Erstens ist es nicht dunkel. Zweitens haben uns die Dons längst bemerkt. Wir können uns also nicht heimlich anschleichen und von der Galion her entern." „Dann warten wir eben bis zur Nacht", sagte Dan hartnäckig. Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Noch sind wir mit den Spaniern allein. Innerhalb von ein paar Stunden kann sich das ändern." „Der Meinung bin ich auch", sagte Don Juan. „Die Schiffe, die für den Begleitschutz zuständig sind, suchen meist so lange nach den Versprengten, bis sie sie gefunden haben. Die Ladungen sind zu wertvoll, als daß man sie kurzerhand sausen läßt." „Zugegeben", sagte Dan einlenkend und hob reflexartig das Spektiv, um sich abermals davon zu überzeugen, daß in keiner Himmelsrichtung unerwünschte Beobachter an der Kimm auftauchten. „Wir werden es mit einer kräftigen Mischung zelebrieren", sagte der Seewolf lächelnd. „Ein bißchen von den Bukaniern, ein bißchen vom Bund der Korsaren, ein bißchen von den Chinamännern und eine kleine Prise von der feinen englischen Art der Seekriegsführung." Die Männer wechselten Blicke. Sie konnten sich verdammt genau vorstellen, was Hasard im Sinn hatte. Wenn die Spanier auf der „Fidelidad" glaubten, gewisse Korsarentaktiken zu kennen, dann sollten sie an diesem Tag noch eine Menge dazuler-
nen. Ob sie das Gelernte jemals verwerten konnten, war eine andere Frage. Es mußte schon ein erstaunlicher Kapitän sein, der sein Schiff so sehr vernachlässigte, daß die gesamte Mannschaft den Angriff der Schebecke fast verschlafen hätte.
„Wagen Sie es nicht!" sagte Consuela Verguero gefährlich leise. Sie streckte den rechten Arm aus. Die Pistole wog schwer in ihrer Hand, und der klobige Lauf schwankte ein wenig. Redrojo hatte den Säbelgriff erfaßt. Sein Grinsen war verzerrt und spiegelte nichts als flammende Wut. Er beobachtete die Waffe in der Hand der jungen Frau und erkannte sehr genau, mit welchem Problem sie zu kämpfen hatte. Er lehnte mit dem Rücken am Kleiderschapp und wartete auf den günstigsten Moment, um blankzuziehen. Consuela wich bis zum Fußende der Koje zurück. Sie wußte, daß sie Abstand brauchte, um nicht gleich zu Beginn seines Angriffs überwältigt zu werden. Auf einmal vertraute sie der Pistole nicht mehr. Würde es ihr überhaupt gelingen, den Mann mit einer Kugel aufzuhalten? Sie hatte Männergespräche über Schußwunden gehört. Es sollte Soldaten gegeben haben, die noch mit einer Kugel im Kopf gekämpft hatten. Oder mit einem aufgepilzten Stück Blei in der Brust. Sie mußte also sein Herz treffen. Ihm den Kopf zu zerschießen, nahm sie sich gar nicht erst vor. Das Ziel war zu klein, sie würde es auf die zwei Yards Entfernung nicht treffen. Und das Herz?
48 Consuela erschrak. Sie bemühte sich, ihre Bestürzung nicht zu zeigen. Ihm das Blei durch das Herz zu jagen, war natürlich noch viel schwieriger als den Kopf zu treffen. Sie hob die linke Hand und legte sie unter den Pistolenknauf, um die Rechte auf diese Weise zu unterstützen. Redrojo zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. „Sie werden die Pistole bald überhaupt nicht mehr halten können", sagte er zischend. „Sie werden spüren, wie das Ding von Sekunde zu Sekunde schwerer wird. Ich habe Zeit. Ich kann warten. Wenn Sie es sich überlegen sollten, sich für Ihre Ungeheuerlichkeit zu entschuldigen, werden wir vielleicht noch zu einem Kompromiß finden." Er lachte leise und höhnisch. „Allerdings - werden Sie für die schwere Beleidigung eine Menge an Wiedergutmachung zu leisten haben." Consuela erschauerte. „Lösen Sie den Gurt mit dem Säbel", sagte sie und strengte sich dabei an, ihrer Stimme Festigkeit zu geben. „Lassen Sie ihn fallen. Los jetzt!" Einen Moment starrte er sie entgeistert an. Dann lachte er prustend. „Sind Sie größenwahnsinnig geworden, Verehrteste? Glauben Sie im Ernst, ich sei so von Ihnen beeindruckt, daß ich vor Angst zittere?" Er schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein, Sie sitzen genauso in der Klemme wie ich. Entspannen Sie den Hahn und legen Sie die Pistole weg. Ich verspreche Ihnen, nicht nachtragend zu sein, wenn Sie sich entschuldigen." Consuela raffte sich zu neuer Energie auf. „Hören Sie auf!" sagte sie zornig. „Sie sind ein ekelhafter, abstoßender Kerl. Sie haben Amadeo auf dem Ge-
wissen. Dafür werden Sie sterben. Ich habe jedes Recht dieser Welt, Sie zu töten. Und es wird mir kein bißchen leid tun. Denn ich habe in meinem ganzen Leben keinen widerwärtigeren Mann kennengelernt als Sie." Redrojo erbleichte. Die Wut loderte von neuem in ihm auf und ließ ihn zittern. Auf einmal spürte er wieder den Schmerz unter der Schädeldecke. Dieses furchtbare Pochen und Hämmern brachte ihn fast um den Verstand. Consuela hob die Pistole höher, und es gelang ihr tatsächlich, auf sein Herz zu zielen. „Weg mit dem Säbel!" schrie sie. Plötzlich war ein Poltern zu hören. Dann hämmerte jemand mit beiden Fäusten an das Schott. „Consuela! Consuela, bist du da?" Sie öffnete den Mund. Freude und Erschrecken befielen sie zugleich. Amadeo hämmerte weiter. „Mach auf, Consuela, um Himmels willen, mach auf!" Sie ruckte herum, als würde ihr erst jetzt bewußt, was sich abspielte. Hastig griff sie nach dem Riegel, den Redrojo vorgelegt hatte. Ein scharfes Metallgeräusch ließ sie zusammenzucken. Redrojo hatte den Säbel aus der Scheide gezogen und stürzte auf sie zu. Consuela riß den Riegel hoch und schwenkte die Pistole in die Visierlinie. Redrojo brüllte vor Wut und hob die blitzende Klinge im Vorwärtsstürmen. Consuela feuerte. Das Krachen des Schusses dröhnte wie Donner in dem engen Raum. Der Mündungsblitz wurde von Pulverrauch umwölkt. Consuela schrie gellend. Es war wie in einem Alptraum.
49 Der Heranstürmende wurde von der Kugel nicht aufgehalten. Sie hatte vorbeigeschossen! Neben ihr flog das Schott auf. Sie sah es nur am Rand ihres Blickfelds. Aus der schwarzgrauen Pulverwolke zuckte der Klingenstahl schräg nieder. „Consuela!" Es war Amadeo, der schrie. Sie spürte keinen Schmerz, nur die unendliche Freude darüber, daß er lebte und bei ihr war. Alles würde gut sein. Amadeo lebte. Mehr konnte sie vom Schicksal nicht verlangen. Sie hauchte seinen Namen, als sie in sich zusammensank. Und auch in diesem letzten Atemzug ihres Lebens spürte sie keinen Schmerz. Amadeo Palma prallte vor Entsetzen zurück. Einen Sekundenbruchteil lang verharrte er vor dem offenen Schott - unfähig, sich zu bewegen. Es war dieser Moment, der die Entscheidung bedeutete. Amadeo stierte auf die Tote. Er hatte blankgezogen, aber sein Verstand erfaßte nicht, was seine Augen sahen. Redrojo stürzte sich mit dem blutigen Säbel auf ihn. Der Schriftsteller nahm es noch wahr wie einen Blitz, der sein Bewußtsein durchzuckte. Aber er brachte den Säbel nicht mehr hoch. Greller Schmerz durchfuhr ihn und erfaßte seinen ganzen Körper mit der Gewalt einer Detonation. Der Schmerz fraß ihn auf und vernichtete ihn. Manuel Rodrojo stand keuchend und schwankend da. „So ist es gut", murmelte er mit einem ins Leere gerichteten Blick.
„Wenn ich sie nicht haben kann, sollst du sie auch nicht haben, du Hund." 8. Jorge Labastida schickte die Musketenschützen zurück auf die Kuhl. Lediglich die beiden Drehbassen auf dem Achterdeck ließ er besetzt. Gemeinsam mit dem Dritten Offizier und dem Navigator begab sich der Erste zur vorderen Querbalustrade des Achterdecks. Der Navigator wandte sich nach Steuerbord und hob das Spektiv, um die Schebecke zu beobachten, die sich längst außer Geschützreichweite befand. Noch immer ließ die Sonne die Wasseroberfläche glitzern. Die Dünung rollte schwächer und hatte sich unmerklich der neuen Windrichtung angepaßt. Möwen kreischten. Die Seevögel schwebten in elegantem Flug von der Schebecke herüber, auf das Vorschiff der Galeone zu. Die gefiederten Räuber zu hören, versetzte Labastida in Wehmut. Die Küste war zwar noch nicht zu sehen, aber sie konnte nicht mehr fern sein. Was für eine Absurdität, daß die Besatzung einer spanischen Galeone ausgerechnet zu dieser Stunde und in diesen Gewässern mutterseelenallein dem Verderben ausgeliefert war! Wo war sie, die starke und angeblich allgegenwärtige spanische Seemacht, die zumindest in heimischen Gewässern keine Dreistigkeiten von Feinden duldete? „Wir dürfen uns nicht irgendwelchen Illusionen hingeben", sagte Labastida, nachdem er eine Weile das Geschehen auf der Kuhl beobachtet hatte.
50 Nach dem ersten hastigen Klarieren zum Gefecht hatten die Männer jetzt Zeit, die Geschütze zu überprüfen und weitere Kartuschen und Geschosse bereitzulegen. Nachgeholt wurde das Ausstreuen von Sand, und sie stellten Pützen mit Meerwasser bereit, um etwaige Brandherde noch im Ansatz ersticken zu können. Es war die immer gleiche Prozedur, wie sie auf allen armierten Schiffen in Augenblicken der Gefahr stattfand. Und doch hatte diese Prozedur immer wieder von neuem etwas Bedrohliches. Vielleicht lag es daran, daß damit jedesmal das mögliche Ende eingeleitet wurde. „Was für Illusionen?" fragte der Dritte Offizier mit einem Seitenblick. „Die, daß wir auf Dauer gegen diese Burschen bestehen können." Labastida deutete mit einer Kopfbewegung in die Richtung, in der er den kleineren Dreimaster wußte. „Mit ihrer Wendigkeit werden sie die Entscheidung herbeiführen." Der Dritte nickte. „Ich fürchte, du hast recht. Die Illusionen, von denen du sprichst, habe ich von Anfang an nicht gehabt. Aber wie dem auch sei ich muß gestehen, daß ich dir keinen weisen Ratschlag geben kann. Davonlaufen können wir den Burschen jedenfalls nicht. Und wenn wir uns zum Kampf stellen, werden sie uns mit Leichtigkeit überrumpeln. Ich sehe eigentlich nur eine Hoffnung." „Und die wäre?" „Daß wir Verstärkung erhalten. Wenn wir die Konfrontation nur lange genug hinauszögern könnten!" „Haargenau", entgegnete Jorge Labastida. Er zog die Augenbrauen zusammen. „Aber das ist auch eine Illusion. Wir können jedenfalls nicht die Hände in den Schoß legen und unse-
ren Grips nicht mehr anstrengen. Ich schlage vor, daß wir die beiden entscheidenden Gesichtspunkte berücksichtigen." „Du brauchst nicht vorzuschlagen. Du kannst befehlen. Du bist der Kapitän." Labastida winkte ab. „Ich bin kein Freund von einsamen Entschlüssen. Mir ist lieber, wenn andere ihre Überlegungen beisteuern." „Der Capitán hätte für solche Ansichten wahrscheinlich wenig Verständnis." „Der Capitán ist nicht mehr das, was man einen mündigen Menschen nennt." „Hm. Also, was sind für dich die entscheidenden Punkte?" „Der erste: Wir müssen mit höchstmöglicher Fahrt auf die Küste zulaufen. Der zweite: Dabei müssen wir ständig bereit sein, einen Angriff mit allen Mitteln abzuwehren. Keine der beiden Maßnahmen reicht für sich allein aus, aber in der Kombination sehe ich die einzige Chance, die wir vielleicht haben." Der Dritte Offizier nickte. „Ich finde nicht den geringsten Ansatz, dir widersprechen zu können." Der Navigator gesellte sich zu ihnen. „Es ist wie verhext", sagte er. „Diese verfluchte Schebecke und unser lahmer Eimer sind die beiden einzigen Schiffe weit und breit." Die Aufmerksamkeit der drei Männer wurde abgelenkt. Auf der Kuhl erschienen der Feldscher und der Zweite Offizier. Beide wandten sich sofort dem Niedergang an Backbord zu und enterten auf. „Señorita Verguero geht es gut", sagte der Schiffsarzt. „Ich habe mich darauf beschränkt, ihr einen Kräuter-
51 tee zur Beruhigung der Nerven zu geben. Mehr war nicht nötig." „Señor Palma zu sehen, war besser als jede Medizin für sie", fügte der Zweite Offizier lächelnd hinzu. „Wo ist sie jetzt?" fragte Labastida. „Palma ist bei ihr", erwiderte der Medikus. Der Erste zog die Stirn in Falten. „Das gefällt mir nicht. Capitán Redrojo hat sich auch zurückgezogen. Wenn sich die drei ins Gehege geraten . . . " Ein dumpfer Schlag ließ ihn verstummen. „Das war in einer Achterdeckskammer!" rief der Zweite Offizier. „Um Himmels willen, wie konnten wir denn so etwas annehmen! Redrojo muß endgültig den Verstand verloren haben!" Der Zweite und der Dritte wollten nachsehen, was geschehen war. Unwillkürlich zogen sie ihre Pistolen, als sie im Begriff waren, loszueilen. Im nächsten Moment verharrten sie, noch vor dem Niedergang. Seltsam steifbeinig stelzte Capitán Redrojo auf die Kuhl hinaus. Drei Schritte vor dem Schott zu den Achterdeckskammern blieb er stehen, legte die Hände auf den Rücken und blickte nach Feldherrnart in die Runde. Er nickte zufrieden, kehrte um und enterte über den Niedergang an Steuerbord zum Achterdeck auf. Obwohl es ihnen höllisch widerstrebte, nahmen die Offiziere und der Feldscher unwillkürlich Haltung an. Redrojo nickte wohlwollend. Labastida und die anderen sahen seine schwellende Beule und wechselten einen vorsichtigen Blick. Mit dieser geistesabwesenden Miene hatten sie ihn gelegentlich schon erlebt. Er war dann unberechenbar.
„Was ist geschehen?" fragte Labastida dennoch. „Wieso ?" Redrojo starrte ihn mit einer ruckartigen Kopfbewegung an. „Wir haben einen Schuß gehört." „Von wo?" „Aus einer der Achterdeckskammern." Labastida mußte an sich halten, um sein Befremden nicht zu zeigen. Redrojos Ahnungslosigkeit war entweder gut gespielt, oder sie hing mit seiner generellen Verwirrung zusammen. Er schien das Durcheinander in seinem Kopf noch immer nicht abgeschüttelt zu haben. Redrojo lachte trocken. „Ich habe auch Schüsse gehört. Viele Schüsse sogar. Und ich bin erfreut, festzustellen, daß ordnungsgemäß Gefechtsbereitschaft hergestellt wurde. Wir werden den Feind vernichten." Er hatte wieder diese Pose eines Feldherrn eingenommen und wippte dabei auf den Zehenspitzen. „Capitán!" sagte Labastida eindringlich. „Was ist mit Señorita Verguero und Señor Palma?" Redrojo hob die Brauen. „Oh, die beiden haben ihre Ruhe. Ich werde mich in nichts mehr einmischen, was ihre Belange betrifft. Das ist aus und vorbei. Kein Grund mehr. Wechseln wir das Thema. Gehen wir zur Tagesordnung über." Die Offiziere und der Feldscher sahen sich an. Rodrojo bemerkte es nicht. „Sie hatten mir das Kommando übertragen", sagte der Erste. „Dann übernehme ich es wieder", entgegnete Redrojo mit weltentrücktem Lächeln. „Wie Sie befehlen, Capitán." Labastida nahm erneut Haltung an, obwohl er innerlich dagegen rebellierte. Doch er brachte es nicht fertig, zu wi-
52 dersprechen. Zu fest war die Dienstauffassung in ihm verwurzelt. Die anderen folgten seinem Beispiel. „Geben Sie mir einen kurzen Lagebericht", forderte Redrojo und stelzte hinüber nach Steuerbord. Er streckte die linke Hand aus. Der Dritte beeilte sich, ihm sein Spektiv zu überreichen. Jorge Labastida schilderte den ersten Angriffsversuch des Dreimasters und die Art und Weise, wie man ihn abgeschlagen hatte. „Ein lächerlicher Wicht", sagte Redrojo, nachdem er mit mehrfachem Nicken zugehört hatte und nun den Dreimaster auf seiner Position Steuerbord voraus beobachtete. „Wir werden ihn zerquetschen wie eine Laus." Die Offiziere schüttelten verständnislos den Kopf, da Redrojo ihnen den Rücken zuwandte. Der Feldscher wagte nicht, sich zurückzuziehen, obwohl alles in ihm danach drängte, in den Achterdecksräumen nach dem Rechten zu sehen. Aber der Capitán bemerkte meist haargenau das, was sich am unauffälligsten abspielen sollte. „Verzeihen Sie, Capitán", sagte Labastida behutsam. „Darf ich mir die Bemerkung erlauben, daß wir mit dem Dreimaster kein leichtes Spiel haben werden? Im Gegenteil, ich befürchte, wir sind auf Dauer unterlegen. Seine besondere Wendigkeit..." Redrojo drehte sich ruckartig um. „Papperlapapp! In solchen Situationen greift man zu einer Kriegslist, werter Señor Labastida. Lassen Sie sich das gesagt sein. Wir werden diese vorwitzigen Halunken hereinlegen, indem wir so tun, als ob wir ihnen davonlaufen wollen. Und dann, wenn sie überhaupt nicht damit rech-
nen, fallen wir über sie her. Angriff ist die beste Verteidigung, Señores! Wußten Sie das noch nicht?" Redrojo blickte herausfordernd und mit überlegener Miene in die kleine Runde seiner entgeisterten Zuhörer. Jorge Labastida war drauf und dran, entnervt die Augen zu verdrehen. „Wie Sie befehlen, Capitán", sagte er statt dessen. Seine Stimme klang matt.
„Höllenflaschenabschußkanone klar zum Einsatz!" brüllte Ferris Tukker. „Brand- und Pulverpfeile klar!" ließ sich Big Old Shane in der gleichen Lautstärke vernehmen. „Chinesisches Feuer ebenfalls!" meldete Al Conroy. Der Seewolf bestätigte, indem er kurz die rechte Hand hob. „Sieh dir das an", sagte Ben Brighton, ohne das Spektiv zu senken. Hasard richtete seinen Kieker wortlos auf die Galeone, die sich zu diesem Zeitpunkt in gut vier Kabellängen Entfernung querab an Backbord befand. Der Seewolf brauchte nicht zweimal hinzusehen, um zu wissen, was sein Erster Offizier meinte. Die „Fidelidad" war erneut auf Nordostkurs gegangen. Ein paar Fetzen notdürftig ausgebesserten Tuchs waren gesetzt worden — zumindest das Fockmarssegel und die Blinde. Mit einigen Quadratzoll mehr Segelfläche hoffte der Kapitän anscheinend auf höhere Fahrt. Dennoch war es lächerlich. „Er glaubt allen Ernstes, uns davonlaufen zu können", sagte Hasard, „es sei denn, er ist die Einfältigkeit in Person."
54 Ben nickte. „Du meinst, es soll ein Trick sein?" „Die besagte Einfältigkeit vorausgesetzt." „Anders wäre es nicht zu erklären." „Also sollten wir auf sein Spiel eingehen." „Genau das." Hasard wandte sich Dan O'Flynn zu, der weiter achtern mit dem Jakobsstab hantierte. Don Juan assistierte ihm beim Feststellen der Position, indem er die ermittelten Werte niederschrieb. „Dan!" „Sir?" „Sind andere Schiffe zu sehen?" „Kein einziges, Sir! Ich werde sofort weiter beobachten." Hasard bedankte sich mit einem Nicken. Ben Brighton hatte unterdessen Befehl gegeben, auf Verfolgerkurs zu gehen. Die Männer hatten alle Segel gesetzt, und die Schebecke gewann rasch an Fahrt. Pete Ballie richtete den Kurs parallel zur Galeone ein, seitlich um etwa drei Kabellängen versetzt. Die Distanz verringerte sich zusehends. Doch in Reichweite der Musketen würde man bei dem derzeitigen Kurs nicht gelangen. Das Überraschende geschah bereits nach fünf Minuten. Unvermittelt waren von Bord der Galeone laute Kommandos zu hören. Auf den Decks entstand Wuhling. Mit vor Staunen geweiteten Augen beobachteten die Arwenacks, wie die Segel der „Fidelidad" backgebraßt wurden. Mit abrupt verringerter Fahrt schwang der mächtige Schiffsleib herum. Die Schebecke rauschte auf die Steuerbordseite der Galeone zu. „Pete!" brüllte der Seewolf. „Hart Steuerbord!" Mit seinen Fäusten, die so groß wa-
ren wie Ankerklüsen, legte Pete Ballie schnell und sicher Ruder. Hart krängte die Schebecke über, als der Winddruck ihre Segel aus der jäh geänderten Richtung erfaßte. In den Stückpforten der „Fidelidad" zuckten grelle Blitze auf. Die Blitze nahmen ein blutiges Rot an und umhüllten sich mit schwarzem Rauch. Die Geschosse orgelten heran. Unwillkürlich zogen die Arwenacks die Köpfe ein. Noch war keineswegs sicher, ob sie es schaffen würden, rechtzeitig nach Steuerbord aus der Gefahrenzone zu gelangen. Das Orgeln verstärkte sich. „Deckung!" brüllte der Seewolf. Noch im selben Atemzug lagen die Männer flach. Ein Schmetterschlag traf die Schebecke. Den Arwenacks ging es durch und durch. Gleich darauf war ein mehrfaches Klatschen zu hören, verursacht von den restlichen Geschossen, die bedrohlich nahe beim Heck des Dreimasters ins schäumende Wasser schlugen. Wassersäulen stiegen auf und sanken in sich zusammen. Dann herrschte Ruhe. Hasard und seine Gefährten rappelten sich auf. Eins der Geschosse hatte ein Loch von einem Fuß Durchmesser in die Achterdecksverschanzung gerissen an Steuerbord, nur ein paar Zoll von der dortigen Drehbasse entfernt. Der Schaden war zu verschmerzen und konnte mit Bordmitteln behoben werden. Triumphgebrüll tönte auf den Decks der „Fidelidad". Während ihre Schebecke davonjagte, konnten die Arwenacks nur den Kopf schütteln. Der Kapitän der
55 Galeone mußte nicht alle Mucks im Schapp haben, daß er sich zum Kampf stellte. Und der Anfangserfolg, der im Grunde keiner war, würde ihn und seine Mannen womöglich noch blind machen. Fünf Kabellängen Steuerbord voraus vor der Galeone befahl der Seewolf, zu halsen. An Bord der „Fidelidad" mochten sie ahnen, was geschehen würde. Sie mochten ihre Geschütze nachladen, ihre Drehbassen klarieren und die Musketen schußbereit halten. All das würde ihnen herzlich wenig nutzen. Denn Philip Hasard Killigrew war jetzt entschlossen, alle Register zu ziehen. Er dachte nicht daran, sich auf ein längeres Geplänkel einzulassen. Daß der Geschützdonner an der Küste zu hören sein würde, war letztlich nicht auszuschließen. Eine kurze Strecke jagte der Dreimaster nach Südost und hielt dann, nach einer Wende, mit Nordwestkurs auf den Bug der Galeone zu. Die „Fidelidad" hatte ihr behäbiges Manöver, wieder auf ihren ursprünglichen Kurs einzuschwenken, noch nicht abgeschlossen. Befehle gellten über ihre Decks, die erbärmlichen Segel klatschten und schlugen, während angebraßt wurde. Musketen- und Drehbassenschützen eilten auf das Vorkastell. In zweihundert Yards Entfernung schossen Big Old Shane und Batuti die ersten Pulverpfeile ab. In rascher Folge ließen sie die brisant gefüllten Hohlschäfte mit den glimmenden Lunten aufsteigen - wobei sie jedesmal die Flugbahn ein Stück verkürzten. Als sie die Bogensehnen zum drittenmal spannten, begann es auf dem Vordeck der „Fidelidad" zu krachen. Grellrote Blitze zuckten knapp über
den Decksplanken auf. Die Musketenschützen und die Männer an den Drehbassen warfen sich hin. Einer, der von einem Pfeil getroffen wurde, schrie mit schriller, sich überschlagender Stimme. Mit einem Nicken gab Hasard dem Stückmeister zu verstehen, daß er freie Hand hätte. Al Conroy grinste und zündete die beiden ersten Brandsätze, die er in einfachen Halterungen aufgestellt hatte, damit sie in einer Kurve mit dem richtigen Scheitelpunkt aufstiegen. Die Raketen stießen einen fauchenden, glutperlenden Feuerstrahl aus und schienen sich in den Himmel bohren zu wollen. Dann aber, im gleißenden Sonnenlicht fast nicht mehr zu erkennen, senkten sie ihre dickleibigen Spitzen und rasten auf den Dreimaster zu. Unten, auf dem Vorkastell der „Fidelidad", explodierten die Pulverpfeile in unablässiger Folge. Zwei Männer hatten den Getroffenen, der noch immer schrie, gepackt und schleiften ihn in Richtung Kuhl. Die anderen versuchten, in der Nähe der Verschanzung Deckung zu finden. Nach wie vor hatten sie nicht begriffen, daß zumindest die Ladungen der Pulverpfeile nicht mehr als eine Schreckwirkung hervorriefen. Der erste Brandsatz flog in Höhe des Fockmarssegels dumpf krachend auseinander. Mit anschwellendem Heulen bildete sich eine wagenradgroße Spirale aus Feuer. Das Feuer färbte sich gelb und grün, und die Spirale schien sich mit diesem Geheul durch das Segeltuch zu fressen. Der zweite Brandsatz entlud sich mit ohrenbetäubendem Knattern zwischen Fock- und Großmast. Glutbälle spritzten nach allen Seiten auseinander und schienen das Segeltuch
56 zu durchschlagen. In einigen Fällen geschah dies tatsächlich, doch meist verglühten die Feuerbälle vorher. Batuti und Shane gingen zu Brandpfeilen über, damit sie auf den Decks der „Fidelidad" etwas zu tun kriegten. Und noch immer jagte die Schebecke auf den Bug der Galeone zu. In hundert Yards Entfernung ließ Pete Ballie den Dreimaster um zwei Strich nach Steuerbord abfallen. Der Seewolf hatte nicht vor, die fette Seekuh namens „Fidelidad" zu rammen. Ferris Tucker hatte seine Höllenflaschenabschußkanone an Backbord aufgebaut. Während weitere Brandsätze ihren Feuerzauber über den Decks der Galeone entfachten und die Brandpfeile erste Flammen züngeln ließen, wartete der rothaarige Schiffszimmer seelenruhig, bis die Distanz auf weniger als fünfzig Yards zusammengeschmolzen war. Er löste das katapultartige Abschußgerät aus. Die erste Flasche torkelte hinüber. Sie beförderte Schwarzpulver, gehacktes Blei und eine glimmende Lunte, die durch den schnellen Flug noch angefacht wurde. Sofort legte Ferris die zweite Flasche ein und schickte sie auf die Reise. Mit einem Donnerschlag flog die erste Höllenflasche auseinander knapp hinter der vorderen Balustrade des Vorkastells. Schreie ertönten. Gestalten waren zu erkennen, wie sie sich hochschraubten und sofort wieder in sich zusammensanken. Auf Hasards Kommando ließ Pete Ballie die Schebecke noch weiter abfallen. Während sie vor dem Bug der Galeone herumschwang und davonrauschte, explodierte Ferris Tuckers
zweite Höllenflasche - wiederum genau im Ziel, auf dem Vorkastell. Die Schreie der Getroffenen wollten nicht enden. Auf der Kuhl der „Fidelidad" waren Löschkommandos in fliegender Hast dabei, die lodernden Flammen zu bekämpfen, die an den verschiedensten Stellen Nahrung gefunden hatten - zwischen Taurollen, unter Nagelbänken, am Fuß des Großmastes und in der Rumpf beplankung einer der beiden Jollen. Ketten wurden gebildet, um genügend Löschwasser mit den Pützen an Bord zu hieven. Denn die Arbeit der Männer riß nicht ab. Immer neue Brandpfeile sirrten mit zischender Rauchspur heran. War hier ein Flammennest getilgt, loderte dort ein nächstes auf. Batuti und Big Old Shane verfügten über einen ausreichenden Vorrat, um den Hagel der Brandpfeile noch mindestens eine Stunde fortzusetzen. Der Seewolf hatte indessen nicht vor, auch nur mehr als zehn Minuten verstreichen zu lassen, ohne die Entscheidung durchzusetzen. Mit Ben Brighton, Dan O'Flynn und Don Juan de Alcazar gab es keine lange Diskussion. Die Männer schätzten die Lage keinen Deut anders ein als Hasard. Das Vorkastell der „Fidelidad" war wie leergefegt. Die Dons durften nicht zur Besinnung gelangen oder sich zusammenreißen, um die vorderen Drehbassen neu zu besetzen. Sie mußten in Atem gehalten werden. „Gebt ihnen wieder ein paar Pulverpfeile!" rief der Seewolf, an Batuti und Shane gewandt. Dem Stückmeister bedeutete er mit einem Handzeichen, das chinesische Feuer erneut einzusetzen. Grinsend zeigte Al Conroy klar.
57 Während die Schebecke weiter nach Südosten abfiel, entfaltete sich ein abermaliger Feuerzauber mit Krachen und Schmettern, Heulen und Fauchen und Knattern über den Decks der Galeone. In all dem nervenzerfetzenden Höllenlärm fiel es den Männern der Löschkommandos zunehmend schwerer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Ferris Tucker harrte mit gespannten Muskeln hinter der Höllenflaschenabschußkanone aus. Er wußte, was von ihm in wenigen Minuten abhängen würde. Denn in das Schußfeld der Bordgeschütze durften sie sich nicht wagen. Dort, und nur dort, waren ihnen die Spanier überlegen. Der Weg über das Vorschiff war jedoch weitgehend geebnet. Dafür zu sorgen, daß es so blieb, war die Aufgabe des rothaarigen Schiffszimmermanns. Batuti, Shane und Al Conroy konnten es allein nicht schaffen. In fünfhundert Yards Entfernung von der „Fidelidad" gab Hasard das Kommando, zu wenden. Pete Ballie legte Ruder, und die Schebecke ging mit einer solchen Eleganz auf Nordwestkurs, daß die Dons vor Neid käsige Gesichter kriegen mußten. „Klar zum Entern!" brüllte der Seewolf. Vom Hauptdeck ertönte ein donnerndes: „Ar - we - nack!" Hasard sah Dan O'Flynn an. Dan erwiderte sein Lächeln. Der Seewolf brauchte nichts zu erklären. Was jetzt folgen würde, war die Spezialität der Bukanier, jener karibischen Küstenhaie, die nicht einmal Bordgeschütze brauchten, um die dicksten spanischen Galeonen zu kapern.
9. In einem Winkel von neunzig Grad stieß die Schebecke auf den Bug der Galeone zu. Ferris Tucker schickte die Höllenflaschen in rascher Folge los. Das Krachen der Detonationen und das Prasseln des gehackten Bleis waren in der Tat die denkbar besten Wegbereiter, die sich die Arwenacks wünschen konnten. Al Conroy hatte aufgehört, Brandsätze zu zünden. Statt dessen stand er geduckt hinter der vorderen Drehbasse an Backbord. Überraschend auftauchende Spanier auf dem Vorkastell oder gar auf der Galion würden in seine Zuständigkeit fallen. Mit unerschütterlicher Ruhe schossen der Gambiamann und der Schmied von Arwenack ihre Pfeile mit den Rauchspuren ab. Auf der Kuhl des Spaniers herrschte nach wie vor Wuhling. Hasard gab Kommando, die Segel wegzunehmen. Edwin Carberry bestätigte. Im selben Moment ertönte ein Warnruf Dan O'Flynns. Die Männer auf dem Achterdeck ruckten herum. Vor den Steuerbordgeschützen tauchte eine Gruppe von Spaniern auf. In wilder Hast schoben sie eine Drehbasse, die sie mitsamt Schwenklafette aus den Unterdecksräumen geholt haben mußten, über die Verschanzung. „Mister Conroy!" rief der Seewolf. Der Stückmeister sah sich um, blickte in die Richtung, die der ausgestreckte Arm Hasards anzeigte, und warf das Rohr des Hinterladers im selben Moment herum. Noch reichte der Abstand der Schebecke aus. Aber das würde sich rasend schnell ändern. Für Anvisieren und Zünden
58 brauchte Al Conroy nur den Bruchteil einer Sekunde. Der Hinterlader wummerte und spie Feuer und Blei. Die Spanier hatten es eben geschafft, ihre Schwenklafette in eine provisorische Halterung zu schieben. Als der Pulverrauch aus dem Gesichtsfeld der Arwenacks verflog, waren die hastigen Dons nicht mehr vorhanden. Von der Drehbasse war nur noch das himmelwärts zeigende Rohr oberhalb der Verschanzung zu sehen. Zersplittertes Holz sah aus wie der stilisierte Strahlenkranz der Sonne auf einem Gemälde. Die Arwenacks hatten die Lateinersegel weggenommen. Mit auslaufender Fahrt glitt die Schebecke auf die Galion der „Fidelidad" zu. Hoch ragte das Vorschiff der Galeone über den Männern auf. Ferris Tucker schleuderte die Höllennaschen jetzt mit der Hand. Von der Kuhl und vom Achterdeck des Spaniers ertönte wildes Gebrüll. Sie rüsteten zur Verteidigung und wußten, daß sie das Entern der Angreifer nicht mehr verhindern konnten. Blacky, Luke Morgan und Stenmark warfen die ersten Enterhaken. In Sekundenschnelle lag die Schebecke unterhalb der Galion, in Fahrtrichtung der „Fidelidad". Mit federnden Sätzen stürmte der Seewolf nach vorn und enterte als erster. Dan O'Flynn und Don Juan de Alcazar waren unmittelbar hinter ihm. Ben Brighton übernahm gewohnheitsgemäß das Kommando an Bord des Dreimasters. Weitere Enterhaken flogen in hohem Bogen und wurden sofort an der Verschanzung der Schebecke belegt. Hasard erklomm die Galion. Dan
und Don Juan folgten ihm dichtauf. In der nächsten Sekunde waren Blacky, Luke und Stenmark zur Stelle. Gleich darauf ging es Schlag auf Schlag. Während auf dem Vorkastell noch immer Ferris Tuckers Höllenflaschen auseinanderflogen, schwangen sich die Arwenacks in immer rascherer Folge auf die Galion. Die Bukanier pflegten so etwas bei Dunkelheit zu tun, lautlos und unbemerkt. So leise wie sie sich anpirschten, enterten sie dann auch, um die Deckswache, die Crew und die Offiziere mit Messern und Säbeln zu bezwingen. Das lautlose Kaperhandwerk der Bukanier war bei den Dons ebenso gefürchtet wie die Feuer- und Kampfkraft der Schiffe des Bundes der Korsaren. Der Seewolf gab das Zeichen. Ferris Tucker stellte das Höllenflaschenwerfen ein. Nur Batuti und Shane schossen noch ihre zischenden Pfeile ab. Hasard und die Männer enterten zum Vorkastell auf. Wildes Feuer von Musketen und Pistolen schlug ihnen entgegen. Sie hatten damit gerechnet. Flach auf den Planken liegend schoben sie sich auf die achtere Balustrade der Back zu. Al Conroy war unter den Männern. Im Auf entern hob er eine der Drehbassen aus der Lafette, ließ sie auf die Planken sinken und schleifte sie mit sich. Das Rohr war noch geladen. Al zeigte ein erzwungenes Grinsen, als die anderen ihn ansahen - es lag an der glimmenden Lunte, die er zwischen die Zähne geklemmt hatte. Hasard erreichte die Balustrade und eröffnete das Feuer mit dem, Drehling. Mit der ersten Kugel erwischte er einen Spanier, der hinter den Beibooten hochfuhr und eine Muskete in Anschlag brachte. Der
59 Mann kippte gurgelnd hintenüber und verlor die Langwaffe aus den Händen. Auch die übrigen Arwenacks feuerten jetzt. Eine Gruppe von Dons versuchte an Steuerbord, zur Verschanzung zu gelangen. Sie hatten vor, auf die Schebecke zu feuern. Ein Kugelhagel der Arwenacks warf sie zurück. Die Absicht der Spanier, den Enterern den Rückweg abzuschneiden, war vereitelt. Hasard und die Männer ergänzten sich beim Schießen und Nachladen. Auf diese Weise erreichten sie eine dichte Schußfolge ohne längere Unterbrechungen. Die Spanier hatten sich hinter den Beibooten verschanzt und sie hatten Kisten aus den Unterdecksräumen an Deck geschleppt, um weitere Deckung zu haben. Um mindestens dreißig Gegner handelte es sich noch, und sie waren bestens mit Musketen und Pistolen ausgerüstet. Das Achterdeck der Galeone war wie leergefegt. Die beiden Schotts, die zu den Achterdecksräumen führten, standen jedoch offen. Auch dort zuckten Mündungsblitze auf. Hasard sah, daß schwere Truhen aufgebaut worden waren, die den Verteidigern vermutlich den Offizieren - als Brustwehr dienten. Auch die Decksleute verstanden ihr Handwerk. Die Feuerkraft ihrer Lang- und Kurzwaffen war hervorragend dosiert, und dem Seewolf wurde schon nach wenigen Minuten klar, daß die Fronten sich festfressen würden. Bevor er den Gedanken zu Ende führen konnte, erklang drüben ein schneidender Befehl aus dem Halbdunkel der Achterdecksgänge. Zehn Mann schnellten hinter Kisten hoch und stürmten an Backbord
los. Heftiger Geschoßhagel wurde von den restlichen Dons mitgeliefert, damit die Vordringenden ausreichenden Feuerschutz hatten. Sie feuerten ihrerseits und zogen blank, als sie noch zehn Yards bis zum Vorkastell zurückzulegen hatten. Gnadenlos jagte ihnen Al Conroy die Drehbassenladung entgegen. Auf die Distanz erreichte er die volle Streuwirkung des gehackten Bleies. Die Spanier wurden von einer unsichtbaren Wand aufgehalten. Ihre Schreie waren markerschütternd. Sie stolperten und verhedderten sich zu einem Menschenknäuel, aus dem in den nächsten Sekunden jegliches Leben gewichen war. Für Augenblicke geriet das Feuer der übrigen Dons ins Stocken. Auf beiden Seiten war Zeit zum Nachladen. „So kommen wir nicht weiter", wandte sich der Seewolf halblaut an Dan O'Flynn und Don Juan. Sie starrten ihn entgeistert an, als er seinen Plan schilderte. Dan setzte sich mit seiner Bedingung durch, daß er dem Beispiel Hasards folgen würde. Hasard zuckte mit den Schultern. Er fand kein Gegenargument, um seinen Alleingang zu rechtfertigen. * Hasard schüttelte energisch den Kopf, als auch Don Juan sich ihm anschließen wollte. Eine unmittelbare Konfrontation des Spaniers mit seinen Landsleuten auf der „Fidelidad" mußte nicht sein. Noch war der Kampf nicht entschieden. Informationen über den von der spanischen Krone Gesuchten konnten durchaus in Portugal durchsickern, falls Überlebende die Küste erreichten.
60 Don Juan fügte sich und versprach Hasard und Dan, daß die Spanier auf der Kuhl und in den Achterdecksgängen in Atem gehalten würden. „Die werden sich nicht einmal wünschen, einen Blick über das Schanzkleid zu werfen", sagte Don Juan augenzwinkernd. Hasard und Dan schoben sich rückwärts von den Männern weg und enterten zur Galion ab. Aus dem Blickwinkel der Spanier waren sie bereits heraus, so daß ihr Vorhaben unter keinen Umständen bemerkt werden konnte. Lediglich mit Säbeln und Pistolen ausgerüstet begannen sie, den Plan des Seewolfs in die Tat umzusetzen. Handzeichen genügten, um sich mit Ben Brighton und den anderen an Bord der Schebecke zu verständigen. Trotz des anhaltenden Schußwechsels auf der Galeone hielt Hasard es für ratsam, auf unnötigen Wortwechsel zu verzichten. Bisweilen verfügten ausgerechnet jene, die nichts mitkriegen sollten, über erstaunlich gute Ohren. Der Kutscher und die Zwillinge übergaben den beiden Männern freie Enterhaken. Hasard und Dan legten die Enden der Taue um ihre Hüften und verknoteten die Tampen. Über die Heckverschanzung der Schebecke erreichten sie mühelos die Fockmastrüsten. Indem sie sich mit der Rechten an den Wanten hielten, verharrten sie einen Moment lang geduckt, horchten und spähten zum Schanzkleid der Galeone. Nur die Schüsse krachten in unablässiger Folge. Keine Silhouette, kein neugieriges Gesicht zeigte sich indessen. Hasard schleuderte seinen Enterhaken auf die Rüsten des Großmastes zu. Schon beim ersten Versuch fand
der Haken Halt in den unteren Wanten. Hasard zog das Tau straff und schlang sich das lose Ende um die Hüfte. Er sprang. Bereits im Sprung begann er, sich hochzuziehen. Auf diese Weise gelang es ihm, die Pistole trocken zu halten. Nur mit den Stulpenstiefeln rauschte er knapp neben dem Schiffsrumpf in die Wasserlinie. Gleich darauf erreichte er hangelnd die Rüsten, schwang sich hinauf und löste den Enterhaken. Dan hatte Platz genug, um seinerseits den Enterhaken zu schleudern und dem Beispiel des Seewolfs zu folgen. Hasard war unterdessen schon auf dem Weg zu den Besanrüsten. Auf den Decks der Galeone schien es so zu verlaufen, wie er erwartet hatte. Für die Fronten von Angreifern und Verteidigern gab es kein vor und zurück. Mit ihrem Kugelhagel zwangen sie sich gegenseitig in Dekkung, und daran würde sich in der allernächsten Zeit auch kaum etwas ändern. Im Abstand von nur wenigen Sekunden drangen Hasard und. Dan nach achtern vor. Von den Besanrüsten bis zur Steuerbordseite der Heckgalerie betrug die Entfernung an die fünf Yards. Hasard schleuderte seinen Enterhaken und schwang sich hinüber. Für Dan erübrigte sich die Prozedur. Nachdem Hasard über die Balustrade geklettert war, löste er den Tampen von seiner Hüfte und warf ihn Dan zu. Gleich darauf war dieser ebenfalls zur Stelle. Auf leisen Sohlen bewegten sie sich auf das Schiffsheck zu und duckten sich, als sie zwei kleine Bleiglasfenster passierten. Dann verharrten sie. Vorsichtig
61 spähte Hasard nach rechts, wo sich die Fenster aneinanderreihten und die gesamte Breite des Hecks einnahmen. Nichts rührte sich. Niemand schien auf den Gedanken verfallen zu sein, über die Heckbalustrade einen Ausbruchsversuch zu unternehmen und einen Überraschungsangriff vom Achterdeck aus zu starten. Der Seewolf gab seinem Gefährten ein Zeichen. Abermals duckten sie sich, als sie zur Ruderanlage hin vordrangen. Hasard spähte in den Raum, der drei Fenster hatte, eines davon in der oberen Hälfte eines Schotts. Trotz des Halbdunkels war zu erkennen, daß es sich um den Salon handelte. Auf einem langen Tisch standen silberne Kerzenleuchter. Es herrschte Ordnung, kein schmutziges Geschirr stand herum. Hasard prüfte die Verriegelung des Schotts. Es ließ sich nicht öffnen. Er wechselte einen Blick mit Dan. Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Der Schußwechsel auf den Decks würde sich nicht ewig fortsetzen lassen. Und die Entscheidung durfte man nicht dem Zufall überlassen. Kurz entschlossen schlug Hasard die Scheibe knapp über dem Holzrahmen ein. Durch die Bleieinfassung fielen nur wenige Scherben heraus. Dan schob seine Hand durch die Öffnung. Das Schott schwang auf. Sie drangen lautlos in den Raum ein und horchten. In der abgestandenen Luft lag noch der Geruch der Mittagsmahlzeit. Der Schiffskoch hatte scharfe Gewürze und viel Knoblauch verwendet. Hasard zog den Drehling, Dan die Einschüssige. Der Seewolf öffnete das Schott. Ein Gang führte an Backbord nach vorn,
der andere verlief nach rechts. Schwaden von Pulverrauch wehten ihnen entgegen. Im Halbdunkel waren Einzelheiten nicht sofort zu erkennen. Dann jedoch sahen sie die kauernden Gestalten hinter der Truhe. Drei oder vier Männer. „Gebt auf, Señores!" brüllte der Seewolf auf Spanisch. Dan duckte sich vor ihm. Hasard hatte den Drehling mit beiden Händen im Anschlag. Die Spanier schwangen herum und sprangen auf. Ihre Waffen flogen hoch. Doch sie brachten keine einzige Kugel mehr aus dem Lauf. Der Bleihagel, der ihnen entgegenschlug, warf sie wie von unsichtbaren Fäusten zurück, auf die Truhe. Auf der Kuhl geriet das Feuer ins Stocken. Hasard wirbelte herum und stürmte los. Mit Dan brauchte er sich nicht zu verständigen. Seine Aufgabe war es, den Gang an Backbord vor Eindringlingen von der Kuhl her zu sichern. Dan hatte Zeit, seine Einschüssige nachzuladen. Hasard erreichte den Gang an Steuerbord. Er wandte sich nach links, auf die Kuhl zu. Auch hier verhüllte dichter Pulverrauch die Sicht. Schritte polterten. Eine Silhouette tauchte aus den Schwaden auf. Ein hochgewachsener, schlanker Mann. Nur die Stulpenstiefel, die Kürbishosen und der Knebelbart waren zu erkennen. „Halt, wer da?" ertönte eine schneidende Stimme, die unangenehm durchdringend klang. „Unangemeldeter Besuch", sagte Hasard grinsend. Er verfügte noch über drei nicht abgefeuerte Läufe des Drehlings. „Die Waffe weg!" befahl er mit metallischer Stimme. „Ich
62 nehme an, Sie sind der Kapitän des Schiffes. Geben Sie auf. Sie haben keine Chance mehr. Jeder weitere Widerstand kostet nur noch unnötig Menschenleben." „Sie haben Recht", entgegnete der Spanier. „Ich bin Capitán Manuel Redrojo. Aber Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie glauben, daß Ihnen dieses Schiff so mir nichts dir nichts in die Hände fällt. Hier wird gekämpft bis zum letzten Blutstropfen!" Er schrie es, und bei den letzten Silben schleuderte er seine Pistole in Hasards Richtung. Der Seewolf duckte sich reflexartig und feuerte. Die Silhouette war mit einem blitzschnellen Sprung zur Seite verschwunden. In dem nebelartigen Pulverrauch konnte Hasard erst jetzt sehen, daß sich dort ein offenes Kammerschott befand. Ohne zu zögern, stieß er den Drehung unter den Gurt und zog den Säbel. Mit zwei Sätzen war er vor der Öffnung. Er sah eine funkelnde Klinge. Im nächsten Moment erstarrte er ungewollt. Vor Redrojos Füßen lagen zwei reglose Körper. Ein junger Mann und eine junge Frau. Beide waren durch eine Säbelklinge gestorben. Ein rascher weiterer Blick genügte Hasard, um zu wissen, daß es sich um die Kapitänskammer handelte, in der Redrojo Zuflucht gesucht hatte. „Haben Sie diese beiden auf dem Gewissen?" fragte der Seewolf scharf. Redrojo hob den Säbel höher und kreischte: „Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, Mann!
Verschwinden Sie von meinem Schiff! Ich gebe Ihnen genau eine Minute Zeit. Wenn ich Sie dann noch an Deck sehe, lasse ich Sie standrechtlich . . . " Hasard schnellte auf ihn zu. Dieser Kerl mußte den Verstand verloren haben. Mit einer Blitzattacke trieb er ihn in die Kammer und vor die Koje. Redrojo wehrte sich mit erstaunlicher Verbissenheit, seine Fähigkeiten als Säbelfechter waren überdurchschnittlich. Hasard überwältigte ihn durch einen Scheinangriff, mit dem er ihn aus der Reserve lockte. Als Redrojo mit einem gellenden Wutschrei konterte, lief er buchstäblich in den Säbel des Seewolfs. Die Klinge tötete Redrojo auf der Stelle. Hasard wandte sich um. Fassungslos blickte er auf die beiden Toten in der Nähe des Schotts. Für diesen Moment waren die Schüsse an Deck für ihn in weiter Ferne. Welche Tragödie mußte sich hier abgespielt haben! Seine Gedanken wurden unterbrochen. Von der Kuhl war der donnernde Kampfruf aus Cornwall zu hören. „Ar - we - nack! Ar - we - nack!" Hasard verließ die Kapitänskammer, schob den Säbel in die Scheide und zog den Drehling, in dem er noch immer zwei Schüsse zur Verfügung hatte. Aber weder er noch Dan O'Flynn brauchten noch in den Kampf einzugreifen. Die Arwenacks machten kurzen Prozeß. Nachdem Hasard und Dan das Ziel erreicht hatten, die Spanier ihrer Führungsspitze zu berauben, war der Widerstand der überlebenden Decksleute im Handumdrehen zusammengebrochen. Carberry und
63 die anderen trieben die Besiegten an Deck zusammen.
Nur einer der Offiziere, Jorge Labastida, hatte überlebt - wenn auch mit einer schweren Verwundung. Der Kutscher untersuchte ihn, diagnostizierte einen Schulterdurchschuß und verarztete ihn. Während dieser Prozedur hatte Labastida Zeit, dem Seewolf zu schildern, was sich an Bord der „Fidelidad" ereignet hatte. „Redrojo hat seine gerechte Strafe erhalten", schloß der Spanier seinen Bericht. „Ich bin nicht froh über unsere Niederlage, aber ich bin froh, daß der Tod von Consuela Verguero und Amadeo Palma auf diese Weise gesühnt wurde." Hasard und seine Gefährten erfuhren weiter, daß die Laderäume der Galeone randvoll mit Silber waren. Der Kampf war den Einsatz wert gewesen. Nachdem der Kutscher, unterstützt von Mac Pellew und den Zwillingen, auch die übrigen Verwundeten ver-
sorgt hatte, wurden die insgesamt achtzehn überlebenden Besatzungsmitglieder der „Fidelidad" in den Beibooten landwärts geschickt. Mit einem Rundumblick überzeugte sich Dan O'Flynn abermals, daß es bei dem Gefecht keine Zeugen gegeben hatte. Mit Verfolgern brauchten sie also nicht zu rechnen. Hasard teilte die Männer ein, die die Galeone weitersegeln würden. Don Juan de Alcazar hatte das unerwartete Vergnügen, das Kommando an Bord einer spanischen Galeone zu übernehmen. Er quittierte eine diesbezügliche Bemerkung des Seewolfs mit einem Grinsen. Als Crew blieben Big Old Shane, Roger Brighton, Bill, Bob Grey, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Piet Straaten, Jan Ranse, Nils Larsen, Batuti und Mac Pellew an Bord der „Fidelidad." Der Rest der Männer begab sich zurück auf die Schebecke. Die Enterhaken wurden gelöst. Beide Schiffe gingen auf Nordkurs. Sie konnten die beiden Jollen der Spanier noch eine
64 Weile beobachten, wie sie von den Auf der „Fidelidad" und auf der Unverwundeten in Richtung Küste Schebecke wurde unterdessen mit gepullt wurden. den Reparaturen begonnen...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 602
Der Tag der Culverinen von Sean Beaufort AI Conroy, der Stückmeister der Arwenacks, feuerte das Buggeschütz ab, nachdem er den Gegner anvisiert hatte. Mit einem Sprung setzte er vom Vorschiff hinunter, kauerte sich hinter dem Schanzkleid neben das vorderste Steuerbordgeschütz und hielt den Luntenstock ans Zündloch. Ohne sich um den Schuß zu kümmern, hastete er weiter und zündete die nächste Culverine. Stichflammen und Rauch, der unbarmherzige Donner, das Rumpeln der Lafetten und die aufgeregten Rufe der Männer nahm er nur am Rande wahr. Schließlich krachte die letzte Steuerbord-Culverine und entlud einen vernichtenden Hagel von Eisenschrot und gehacktem Blei über das Deck der spanischen KriegsKaravelle...