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Jagd auf das Silberschiff
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Seewölfe 746 1
Fred McMason
Jagd auf das Silberschiff
„Wahrschau! Steuerbord voraus treibendes Floß!“ Blacky. der im tonnenförmigen Ausguck der Schebecke stand, deutete mit der Hand zu dem bezeichneten Sektor. Philip Hasard Killigrew, der gerade den Niedergang zum Achterdeck aufenterte, blieb überrascht stehen, beschattete die Augen mit der Hand und blickte über das spiegelnde Wasser. Nach einigen Augenblicken entdeckte er das treibende Etwas, das behäbig in der leichten Dünung schaukelte. Mit ein paar Sätzen war er auf dem Achterdeck und ließ sich von Ben Brighton das Spektiv geben. „Ein Floß“, murmelte er. „Darauf liegt eine vom Wasser umspülte Gestalt.“ „Und Haie umkreisen das Floß“, setzte Dan O'Flynn hinzu. Der Seewolf zögerte nicht lange. „Kursänderung, Pete!“ sagte er zum Rudergänger. „Das sehen wir uns aus der Nähe an.“ Die Hauptpersonen des Romans: Pedro Pájaro - mehr tot als lebendig wird der Spanier von den Seewölfen auf einem treibenden Floß gefunden, und er weiß eine erstaunliche Geschichte zu berichten. Don Bartolomeo de Zumarraga - als Kommandant der riesigen Manila-Galeone hat er nur den einen Wunsch: sein Schiff mit der kostbaren Ladung unbeschadet nach Acapulco zu bringen. Don Juan de Alcazar und Blacky - lassen sich Bärte wachsen, um Schiffbrüchige zu spielen, denn sie haben einen bestimmten Auftrag. Philip Hasard Killigrew - der Seewolf setzt zu einem Raid an, der ihm schon einmal gelungen ist - auf die legendäre Manila-Galeone.
1. Eine leichte Brise, die fast achterlich einfiel, schob die Schebecke durch leichte Dünung nach Osten. Es herrschte das, was man als Bilderbuchwetter bezeichnete. Über dem Meer spannte sich ein intensiv blauer Himmel. Die Sonne stand als sattgelber Ball darin, der sich langsam nach Süden bewegte. Der frische Wind sorgte für eine angenehme Temperatur. Die Blicke der Seewölfe konzentrierten sich auf den treibenden Gegenstand im Wasser, der schnell größer wurde. Es war tatsächlich ein Floß, primitiv zusammengebunden aus unterschiedlich langen Hölzern. Die Konstruktion erweckte den Eindruck, als falle sie jeden Augenblick auseinander. Auf dem Floß war ein kleines Fäßchen festgezurrt. In der Mitte befand sich eine gebogene Stange, die Reste eines primitiven Segels trug. Das Segel war
allerdings zerfetzt und in Streifen gerissen. Ein Ruder hatte das Floß nicht. Hasard blickte aus schmalen Augen zu der ausgemergelten Gestalt. Sie trug nur eine zerschlissene Hose mit einem Ledergürtel, sonst nichts. Drei große Haie umkreisten das Floß, das sich leicht in der Dünung wiegte. Ein vierter war nur als Schattenriß unter Wasser zu erkennen. Die Haie mußten das Floß schon ein paarmal attackiert haben, denn aus dem Holz waren Stücke herausgefetzt worden, wie sie nur die scharfen Zähne der gierigen Räuber hinterließen. Hasard blickte wieder zu dem Mann. Er lag auf der Seite und war offenbar ohne Bewußtsein. „Ob er noch lebt?“ fragte der Seewolf. Der Kutscher neben ihm, an den die Frage gerichtet war, hob die Schultern. Sein Gesicht war ernst. „Er sieht mehr tot als lebendig aus, Sir. Jedenfalls hat er alles an körperlichen
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Strapazen hinter sich, was einem Schiffbrüchigen zugemutet werden kann. Wenn er wirklich noch lebt, werden wir einige Mühe haben, ihn wieder aufzupäppeln. Er scheint sehr lange unterwegs zu sein. Seine Haut sieht wie Leder aus.“ „Wie zu scharf gebackenes und verbranntes Brot“, ergänzte Hasard. Er fragte sich, wie lange der Mann schon auf seinem primitiven Floß unterwegs sein mochte, und was ihn in die Bandasee verschlagen hatte. Wenn er weiter mit Wind und Strömung nach Osten trieb, würde er eines fernen Tages irgendwo auf den Kepulauan Tual oder an der Küste von Neu-Guinea landen. Allerdings würde er das Land ganz sicher nicht mehr lebend erreichen. Auf Hasards Zeichen wurden die Rahruten abgefiert. Die Fahrt der Schebecke nahm merklich ab. An der Backbordseite standen Smoky, Carberry und Roger Brighton mit langen Peekhaken bereit, um das Floß in den Griff zu nehmen. Zwei der Haie tauchten ab, einer umkreiste weiterhin neugierig das kleine Fahrzeug. Smoky mit dem Haken zustieß, griff der Hai unvermittelt an. Es geschah so schnell, daß die Bewegung kaum zu sehen war. Das mörderische Gebiß schnappte krachend zu. Rasiermesserscharfe Zähne gruben sich in den Peekhaken und trennten das untere hakenförmige Ende so sauber ab, als sei es mit der Axt durchschlagen worden. Entsetzt starrte der Decksälteste auf das Bruchstück. Er hatte den Haken nicht losgelassen und war kräftig durchgeschüttelt worden. Dar Seewolf griff in einer fließenden Bewegung nach dem Radschloßdrehling, hielt ihn dicht neben das Floß und drückte ab. Dreimal hintereinander ertönte ein scharfer, peitschender Knall. Der Hai verschwand in einer wilden Bewegung. Eine rötliche Spur im Wasser zeigte an, daß zumindest einer der Schüsse getroffen hatte.
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Wild zuckend verschwand der Räuber, schnellte ein paar Yards weiter noch einmal aus dem Wasser, bis seine helle Bauchseite zu sehen war. Anschließend tauchte er in einer weiteren rötlichen Wolke endgültig ab. Smoky starrte immer noch verblüfft auf den Torso in seinen Händen, ehe er ihn an Deck warf. Carberry und Roger Brighton packten jetzt zu, hieben die Bootshaken in das Holz und hielten das Floß fest. Sie zogen es bis an die Rüste. „Ich hole ihn“, sagte Batuti. Der Mann aus Gambia enterte ohne ein weiteres Wort ab, hielt sich an der Rüste fest und stieg vorsichtig auf das schwankende Gebilde hinunter. Der Mann auf dem Floß rührte sich nicht. Jedes Leben schien in seinem ausgemergelten Körper erloschen zu sein. Batuti hatte den Eindruck, als blicke er auf eine Mumie. Vorsichtig nahm er auf dem schwankenden Untergrund den Körper auf. Er mußte dazu knien, sonst wäre das Floß gekentert. Wie bei einem Balanceakt richtete er sich danach auf und stemmte den Mann nach oben. Es sah spielerisch aus, erforderte aber Kraft und Geschick, um nicht den Halt zu verlieren. Carberry nahm den Mann entgegen. Er zuckte etwas zusammen, als er das leichte Bündel Mensch in den Armen hielt. Der Mann lebte noch, aber er hatte sehr hohes Fieber. Sein Körper war glühendheiß. „Was tun wir mit dem Floß, Sir?“ fragte Batuti. „Laß es treiben“, entgegnete Hasard. Batuti löste die Leine von dem Fäßchen und reichte es ebenfalls nach oben. Dem Gewicht nach war es leer und enthielt schon seit langer Zeit kein Wasser mehr. Er sprang auf die Rüste, als Roger den Peekhaken losließ. Durch die Bewegung trieb das Floß langsam achteraus. Als der Mann ausgestreckt auf einer Gräting lag, ließ Hasard wieder die Segel setzen. Die Schebecke ging auf ihren alten Kurs zurück. Achteraus trieb das armselige
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Floß davon und verschwand im quirligen Kielwasser. „Das sieht wirklich böse aus“, sagte der Kutscher nach einer ersten flüchtigen Untersuchung. „Er hat eitrige Wunden, und hier am rechten Bein sieht es so aus, als hätte ihn ein Tier gebissen. Diese Wunde ist besonders schlimm.“ Der Unbekannte lag jetzt auf dem Rücken. Er hatte die Augen geschlossen. Sein Mund stand ein wenig offen. Die Brust hob und senkte sich in unregelmäßigen Abständen. Der Atem ging sehr flach. Er war dunkelhaarig und bärtig, sein Gesicht war eingefallen, die Lippen ein dünner Strich. Der Körper selbst sah wie altes, runzeliges Leder aus, von der Sonneverbrannt und ausgedörrt, von Wind und Wetter gegerbt. Die Haut spannte sich über den Wangenknochen wie Pergamente Auch die Augen lagen tief in den Höhlen. Sein Alter ließ sich schlecht schätzen. Während einige auf annähernd fünfzig Jahre tippten, meinte der Kutscher, der Mann sei allerhöchstens fünfunddreißig. Man rätselte herum welcher Nation er angehören mochte. Auch hier gingen die Meinungen wieder auseinander. Er konnte Engländer sein, aber auch Spanier, Portugiese, Italiener oder Franzose. Der Kutscher und Mac kümmerten sich um den Unbekannten, der da so überraschend ihren Kurs gekreuzt hatte. Zunächst Ließ ihn der Kutscher mit kühlem Wasser berieseln, um die knochentrockene Haut etwas zu entspannen. Mac goß ihm tropfenweise Trinkwasser in den Mund, sperrte mit Daumen und Zeigefinger die Lippen auf und träufelte ihm immer wieder etwas ein. Es erfolgte nur eine schwache Reaktion. Die ausgedörrte Kehle des Mannes bewegte sich. Die Wassertropfen rannen hinunter, und der verkrampft wirkende Körper entspannte sich allmählich. Die Atmung ging etwas regelmäßiger, doch das hohe Fieber begann den Körper hin und wieder hart zu schütteln.
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„Für den Anfang sieht es nicht schlecht aus“, meinte der Seewolf anerkennend. Doch der Kutscher schüttelte betrübt den Kopf. „Das sagt gar nichts. Es ist nur eine Reaktion des Körpers auf den Wechsel. Er hat jedenfalls eine schwere Infektion.“ „Wundbrand etwa, so wie der Holländer vor einigen Tagen?“ „Nein, es ist etwas anderes. Scheint eine schleichende Vergiftung des Blutes zu sein, wenn ich mich nicht irre. Aber das weiß ich leider nicht genau.“ „Sollen wir ihm etwas Brühe einflößen?“ fragte Smoky besorgt. Die Antwort des Kutschers war wiederum ein Kopfschütteln. „Er muß sehr vorsichtig an Essen und Trinken gewöhnt werden. Anfangs immer nur ein paar Tropfen. Kühles Wasser ist das einzige, was wir ihm vorerst verabreichen können.“ Die beiden Männer bemühten sich intensiv um den Unbekannten. Sie behandelten seine schwärenden Wunden, wuschen sie mit scharfem Rum aus und legten ein paar Salbenverbände an. Der Mann lag jetzt unter einem kleinen Sonnensegel im Schatten und wurde nach wie vor mit kühlem Wasser übergossen. Der Kutscher verabreichte ihm Laudanum, auch kretisches Ziströslein genannt, ein opiathaltiges Harz, das mit Alkohol vermischt war. Das linderte die Schmerzen und betäubte gleichzeitig, denn unter starken Schmerzen schien der Mann zu leiden, das bewiesen seine immer wieder auftretenden heftigen Zuckungen. „Im Augenblick können wir nicht mehr für ihn tun“, bedauerte Mac Pellew. „Also warten wir ab. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er das Bewußtsein erlangt.“ „Du bist aber sehr optimistisch“, entgegnete Hasard nach einem langen Blick auf den wie tot daliegenden Mann. Nur ein Zucken seines Körpers verriet, daß noch Leben in ihm steckte. Mac blieb neben ihm sitzen. Mit einem Lappen fächelte er ihm kühle Luft zu. Alle paar Augenblicke erhob er sich, um die
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Lippen des Mannes mit kühlem Wasser zu benetzen. Achteraus war das Floß zu diesem Zeitpunkt längst verschwunden. Nur der Mann an Deck kündete noch von dem Zwischenfall. Mac blickte ihm ins Gesicht und zuckte zusammen, als der Mann unvermittelt die Augen aufschlug, als hätte er Macs Starren irgendwie bemerkt. Die Augäpfel schwammen in einer trüben Flüssigkeit und waren von einem feinen Schleier überdeckt. Der Mann konnte nichts erkennen, das stand für Mac sofort fest. Das Öffnen der Augen war ein reiner Reflex, vielleicht ein Anzeichen dafür, daß es ihm etwas besser ging. Irgendwo verlor sich der verschleierte Blick im Blau des Himmels. Dafür hörte Mac eine leise, flüsternde Stimme. „Tengo sed“, sagte die Stimme, ehe sie erstarb. „Habt ihr das gehört?“ fragte Mac erstaunt. „,Tengo sed`, hat der Bursche gesagt. Ich habe Durst. Das ist ein Spanier, kein Zweifel.“ Der Mann war sofort von etlichen Arwenacks umringt. Noch einmal wiederholte er die Worte, aber sehr mühsam diesmal. „Tengo sed!“ Die Stimme verlor sich zu einem Hauch. Mac und der Kutscher beeilten sich, dem Mann abermals Wasser einzuflößen. Jetzt ging es auch viel leichter. Der Mann wolle gierig trinken und schlucken, doch das ließ der erfahrene Kutscher nicht zu. Wahrscheinlich hatte er seit ein paar Tagen nichts mehr getrunken. Schluckte er jetzt auf einmal zuviel Wasser, dann konnte das ernste Folgen nach sich ziehen. Aber sie benetzten sein Gesicht auch weiterhin mit Wasser. Zwischendurch gaben sie ihm wieder ein paar Tropfen. „Gracias“, sagte der Unbekannte. Sein Kopf sank zurück, die Augen schlossen sich. Zuerst hielten sie ihn für tot, doch dann sahen sie am Heben und Senken seines mageren Brustkorbs, daß er noch lebte. Es
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schien, als sei seine Atmung jetzt etwas regelmäßiger geworden. 2. Die Sonne stand bereits im Zenit, als der Mann zum zweiten Male erwachte. Verständnislos sah er sich um und wandte dabei schwach den Kopf. In seinen Augen lag jetzt ein fiebriger, fast überirdischer Glanz. Hasard und der Spanier Juan de Alcazar standen neben ihm. Unverwandt blickten sie ihn an. „Du bist in Sicherheit, mein Freund“, sagte Don Juan in seiner spanischen Muttersprache. „Alle Strapazen liegen hinter dir. Kannst du mich verstehen?“ Der fiebrige Blick ging hin und her, ohne etwas zu sehen. Die Augen sahen durch den Seewolf hindurch, ebenfalls durch Juan Die Lippen des Mannes bewegten sich, doch sein Murmeln blieb unverständlich. „Agua, por favor, tengo sed, mucho sed.“ Diesmal verstanden sie die krächzende, kaum hörbare Stimme etwas deutlicher. „Der muß total ausgetrocknet sein“, sagte der Seewolf. „Kannst du es verantworten, Kutscher, ihm noch mehr Wasser zu geben?“ „Ein bißchen schon. Er hat einen enormen Nachholbedarf an Flüssigkeit. Ich werde ihr, noch etwas einflößen. In ein paar Stunden können wir ihm vielleicht schon eine schwache Brühe geben.“ Der Mann trank wieder gierig aus der Holzkelle. Das Wasser rann ihm über die Lippen und das Kinn bis auf seinen sonnenverbrannten Oberkörper. Nach jedem Schluck schien es ihm besser zu gehen, und nach und nach erwachten etliche seiner Lebensgeister. Nur seine Augen blieben wie tot und sahen durch alles hindurch. Hin und wieder schien er für kurze Zeit bei Bewußtsein zu sein, dann wieder versank er in einer Welt, zu der die anderen keinen Zutritt fanden. „Wie ist dein Name, Amigo?“ fragte Don Juan eindringlich. Er mußte die Frage noch einmal
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wiederholen, ehe ihn der fiebrige Blick flüchtig streifte. Pájaro, Pedro Pájaro“, murmelte Mann. „Pájaro heißt Vogel“, sagte Don Juan belustigt. „Ob das sein richtiger Name ist? Für einen Spanier klingt das ungewöhnlich.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er uns in seiner jetzigen Lage etwas vorflunkert“, entgegnete Hasard. „Er hat auf eine Frage ehrlich geantwortet, und das hat ihn große Mühe gekostet. In einer derartigen extremen Situation lügt niemand. Warum sollte er auch?“ „Ja, warum sollte er auch?“ wiederholte Juan nachdenklich. „Ich werde versuchen, etwas mehr aus ihm herauszuholen.“ „Aber bitte vorsichtig“, sagte der Kutscher besorgt. „Er ist völlig erschöpft und ausgelaugt. Er darf nicht überanstrengt werden. „Keine Sorge. Ich stelle ihm nur Fragen. Er kann sie beantworten, oder er kann es bleiben lassen.“ Zuerst sah der Kutscher jedoch wieder nach der gräßlichen Wunde, von der er annahm, sie sei auf einen Biß zurückzuführen. Als Juan abermals eine Frage an den Spanier stellte, begann das Laudanum zu wirken. Der Mann schlief übergangslos ein. „Irgendwo im weiten Bereich der Bandasee scheint ein spanisches Schiff untergegangen zu sein“, sagte Don Juan nachdenklich. „Oder hast du eine andere Erklärung für den Vorfall?“ fragte er den Seewolf. „Es gibt auch noch andere Erklärungen“, erwiderte Hasard ausweichend. „Aber deine Annahme ist die wahrscheinlichste von allen.“ Ferris Tucker blickte sinnend ins Kielwasser, in dem das primitive Floß längst verschwunden war. Er räusperte sich leise. „Wenn der Don Schiffbruch erlitten hat“, sagte er, „dann ist anzunehmen, daß es ein paar Trümmer gab, und er sich aus diesen Trümmern ein einfaches Floß gezimmert hat. Dagegen spricht aber die Tatsache,
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daß das Floß aus Hölzern bestand, aus Palmenhölzern und schenkelstarken Knüppeln, wie es sie auf einem Schiff nicht gibt – oder normalerweise nicht gibt. Auch hat er zum Bau des Floßes kein Tauwerk verwendet, sondern zu Stricken gedrehte Lianen und ähnliches Zeug. Es muß also etwas anderes dahinterstecken.“ „Alle Achtung“, sagte der Seewolf verblüfft. „Du hast aber gute und logische Schlüsse gezogen.“ „Ich habe mir nur das Floß etwas genauer angesehen.“ „Und was schließt du jetzt daraus?“ „Offenbar hauste der Spanier irgendwo allein auf einer Insel, wo er sich alles mühsam zusammengebaut hat.“ „Er kann aber auch von dem Wrack abgetrieben worden sein“, sagte Hasard nachdenklich. „Das ist auch möglich. Jedenfalls muß der Schiffbruch schon ziemlich lange zurückliegen. Aber daß der Don auf einer Insel strandete, steht für mich außer Zweifel. Dort vegetierte er ziemlich lange, bis er eines Tages den Sprung wagte. Das einzige, was vielleicht mal an die Insel gespült wurde, war das kleine Wasserfaß, das er vor seinem Aufbruch noch gefüllt hat.“ „Eine Theorie, die ohne weiteres stimmen kann“, meinte der Seewolf. „Vielleicht werden wir bald die ganze Wahrheit erfahren.“ Trotz des beruhigenden Laudanums begann sich Pedro Pájaro plötzlich von einer Seite auf die andere zu wälzen. Anfangs wimmerte er, dann begann er laut zu schreien. Nach ein paar weiteren Minuten schlug er um sich, und die Männer mußten ihn festhalten. Schließlich band ihn Carberry mit ein paar dünnen Leinen an der Gräting fest, damit er sich nicht selbst verletzte. „Armer Hund“, sagte Smoky mitfühlend. „Hoffentlich bringen wir ihn durch.“ „Sieht nicht danach aus“, murmelte der Kutscher leise. „Der Blaufärbung einiger Stellen nach scheint er eine Vergiftung zu haben. Wahrscheinlich hat ihn eine
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Schlange gebissen, und er hat versucht, die Bißwunde aufzuschneiden. Aber das ...“ Ein weiterer Schrei unterbrach seine Worte. Der Spanier bäumte sich auf. Schweißperlen liefen über sein Gesicht in den Bart. „Nein – nein, das könnt ihr nicht tun! Ich – ich schaffe das nicht. Nicht aussetzen, das ist furchtbar ...“ Die ausgemergelte Gestalt fiel in sich zusammen. Wie ein Häufchen Elend lag sie jetzt auf der Gräting. Hasard, Don Juan und Ben Brighton wechselten einen schnellen Blick. „Aussetzen?“ fragte Hasard leise. „Soll das heißen, die Dons haben ihn ausgesetzt?“ „Das kann im Fieberwahn gesprochen sein“, bemerkte der Kutscher, „im Delirium, und muß nicht unbedingt wahr sein. Allerdings ist es auch nicht ausgeschlossen, daß er dennoch die Wahrheit spricht.“ „Das glaube ich fast“, sagte Don Juan. „Man kann ihn ohne weiteres wegen irgendeiner Verfehlung ausgesetzt haben. Dafür würde das Floß und das Wasserfaß sprechen. Man hat ihn auf einer Insel einfach sich selbst überlassen.“ Der Mann, jetzt hatte er zumindest einen Namen, gab ihnen weiterhin Rätsel auf. Sprach er Unsinn im Fieberwahn, oder sagte er die Wahrheit? Niemand wußte es. „Der Sprache nach scheint er aus Leon zu stammen“, sagte Don Juan, „möglicherweise aus Salamanca. Er spricht genau diesen Dialekt.“ „Ja, eine harte Aussprache“, stimmte Hasard zu. „Die Basken sprechen so ähnlich, allerdings noch härter.“ Abermals bemühte sich der Kutscher um den Mann, doch schließlich gab er kopfschüttelnd auf. „Das Laudanum wirkt und wird auch noch eine Weile anhalten. Er scheint eine Bärennatur zu haben, aber die Strapazen haben ihm eben doch alles abgefordert. Lassen wir ihn am besten ruhen. Er wird aber sicher bald wieder erwachen.“ „Ich bleibe bei ihm“, versicherte Mac Pellew.
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„Tu das“, sagte der Kutscher. „Vergiß nicht, seinen Körper hin und wieder mit Wasser abzukühlen.“ „Bin ich vielleicht ein Anfänger?“ entgegnete Mac griesgrämig. Als an Bord das Mittagessen ausgeben wurde, kam der Spanier wieder zu sich und schlug die Augen auf. Sofort wurde er von etlichen Arwenacks umringt. „Wo bin ich?“ fragte er ruhig, während er in den Himmel starrte. „In Sicherheit - auf einem englischen Schiff“, antwortete Don Juan in ebenfalls ruhigem Tonfall. „Inglése?“ fragte Pedro ungläubig. Er kicherte leise in sich hinein. „Nicht auf der ,Mar adentro`?“ Er versuchte, sich zu erheben, aber die Fesseln ließen das nicht zu. „Keine Sorge“, beruhigte ihn der Seewolf. „Das war nur zu deiner eignen Sicherheit. Wie ist dein Name, Spanier?“ „Pedro Pájaro, ich bin Zweiter Feldscher gewesen“, setzte er zaghaft hinzu. Name schien also zu stimmen. Hasard sah in die graubraunen Augen des Mannes. Das fiebrige Licht war noch immer in ihnen, aber offenbar hatte der Spanier jetzt ein paar klare Augenblicke. Ein hohles Lachen folgte seinen schwerverständlichen Worten. „Hat man dich ausgesetzt?“ fragte Hasard während er vorsichtig die Fesseln löste, um dem Mann Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Die Antwort ließ lange auf sich warten. Erst schien es, als habe Pedro die Frage nicht verstanden. Seine Augen schlossen sich für eine Weile, ehe er zaghaft nickte. „Ausgesetzt“, hauchte er. Erneut folgte das hohle Lachen, bis der abgezehrte Körper schließlich von unbändigem Gelächter geschüttelt wurde. Hasard wußte nicht, was er von diesem Ausbruch halten sollte. „Die Bastarde“, keuchte Pedro, nachdem er sich etwas beruhigt hatte. „Die verdammten Bastarde. Sie haben mich ausgesetzt. Kann ich etwas Wasser haben?“ „Selbstverständlich.“
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Mac flößte ihm wieder Wasser ein. Inzwischen erschien der Kutscher mit verdünnter Brühe. Sie war nur lauwarm, doch der Don schluckte gierig. „Langsam“, mahnte der Kutscher. „Zuviel tut dir nicht gut.“ Ein plötzlicher Fieberkrampf schüttelte den Don. Doch er schien einen eisernen Willen zu haben und ließ sich nicht wieder zurückzwingen. Er rang buchstäblich mit einem Unsichtbaren, konnte aber nicht verhindern, daß seine Sprache undeutlicher wurde und ihm wieder Schweiß in dicken Perlen auf die Stirn trat. „Engländer“, keuchte er mühsam, „ein Witz! Ihr habt das Floß gefunden?“ „Ja, wir sahen es in der See treiben“, sagte Hasard. „Seit wann bin ich hier?“ „Seit ein paar Stunden. Sehr viel länger hättest du vermutlich nicht mehr durchgehalten.“ „Gracias. Ah, das Fieber, es frißt mich auf, Senores! Es war eine gelbe Schlange, sie war im Wasser und biß mich. Eine Seeschlange, gelb, schwarze Streifen, groß, Fieber, alles kaputt.“ Seine Worte gingen in unverständliches Murmeln über. Ein weiterer Krampf schüttelte seinen Körper. „Also doch“, sagte der Kutscher, „genau, wie ich vermutet habe. Aber eine Seeschlange?“ „Gibt es genügend“, sagte Hasard. „Gelb gebänderte Seeschlangen, wahre Teufelsbiester, deren Biß meist tödlich ist. Er hat sich selbst geholfen, so gut es ging und die Bißwunde gereinigt. Aber das Gift scheint längst überall in seinem Körper zu sein.“ „Und ich kann nichts tun“, sagte der Kutscher hilflos. „Gar nichts, verdammt noch mal.“ Der Spanier begann jetzt im Fieberwahn zu faseln. Zwischendurch war seine Stimme klar, verlor sich dann aber wieder und wurde zu einem Raunen und Flüstern. Es schien, als versuche er, etwas ganz eindringlich zu schildern.
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Mitunter gab er auf gestellte Fragen auch konkrete Antworten, doch dann faselte er wieder von der gelben Seeschlange. „Wie hieß das Schiff?“ fragte Don Juan noch einmal leise. „,Mar adentro`.“ „Das heißt seewärts“, sagte Don Juan. „Nur ganz spezielle Schiffe erhalten solche Namen. Es muß also eine besondere Bewandtnis mit diesem Schiff haben.“ Hasard sah, daß Don Juan scharf überlegte. Er war sehr nachdenklich geworden, und in seinen schiefergrauen Augen begann es eigentümlich zu leuchten. „Na, alter Freund, hast du mir vielleicht etwas zu sagen?“ fragte der Seewolf. „Der Gedanke ist noch zu ungeheuerlich“, erwiderte Don Juan. “Nein, ich möchte mir erst Gewißheit verschaffen, ohne das Risiko einzugehen, ausgelacht zu werden.“ Er kümmerte sich nicht um die erstaunten Blicke, sondern wandte sich wieder dem todkranken Feldscher zu. „Was ist das für ein Schiff, Pedro?“ Die Antwort ließ lange auf sich warten. „Die Nao de China“, sagte Pedro erschöpft. „Die Manila-Galeone.“ Es war, als hätte eine Breitseite die Schebecke erwischt. * Lange Zeit schwiegen alle und starrten ungläubig auf den Mann. Auf der Schebecke schien jedes Geräusch zu ersterben. Überdeutlich war jetzt das Plätschern des Wassers zu hören, ebenso der warme Wind, der in der Takelage säuselte. Diese Geräusche, allen wohlvertraut, wurden wieder ganz bewußt wahrgenommen. „Die Manila-Galeone“, sagte Hasard fast ehrfürchtig. „Dieser Mann war an Bord der berühmtesten Galeone. Ich brauche euch ja nicht zu erklären, welche besondere Bedeutung dieses Schiff hat. Wir hatten schon einmal eine Manila-Galeone aufgebracht. Dieses Schiff hat zwar wenig Gold, dafür aber die exotischste Fracht an Bord, die von der spanischen Flotte befördert wird. Kunstwerke, Juwelen,
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asiatische Handelswaren, Ingwer, Nelken, Muskat, Pfeffer, Zimt und Seide, um nur einiges zu nennen. Und dieses Schiff soll sich ausgerechnet in diesen Gewässern befinden? Das kann ich mir vorstellen.“ „Sie wird hier auch nicht kreuzen“, sagte Don Juan. „Der Mann kann ja schon monatelang unterwegs sein. Die Galeone segelt von Manila aus über den Pazifischen Ozean und berührt unseren augenblicklichen Kurs nicht.“ „Vielleicht hat man eine andere Route gewählt“, wandte Hasard ein. Doch Don Juan schüttelte den Kopf. „Die vor knapp hundert Jahren von Ferdinand und Königin Isabella von Spanien gegründete Casa de Contratacion, das Marineamt also, entscheidet über den Kurs der Manila-Galeone. Die Casa entscheidet grundsätzlich über alles und plant im voraus jede Einzelheit einer Seereise. Da sitzen knochentrockene Beamte, die sogar über Disziplinarfragen an Bord entscheiden und nichts dem Zufall überlassen. Weil es über die riesigen Entfernungen hinweg so gut wie keine Nachrichtenverbindungen gibt, muß vor Antritt der Reise an alles gedacht, für alles Vorsorge getroffen werden.“ „Und diese knochentrockenen Beamten“, warf Hasard ein, „Diese Leute verstehen nichts von der Seefahrt, haben aber einen komplizierten bürokratischen Apparat, von dem sogar festgelegt wird, welche Gebete im Sturm auf See gesprochen werden, oder wie groß die Hüte sein dürfen, die die Sklaven tragen.“ „Und du glaubst, sie ändern niemals den Kurs der Manila-Galeone, Juan?“ „Normalerweise nicht, weil die Anweisungen der Casa stur befolgt werden.“ „Vielleicht ist es diesmal anders, mein Freund. Spanien hat eine Schlappe nach der anderen einstecken müssen. Die Geleitzüge werden immer wieder gerupft. Galeonen mit unvorstellbaren Schätzen an Bord laufen in die Riffe oder sinken im Sturm. Die Weltmacht der Dons bröckelt seit Vernichtung der Armada langsam,
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aber sicher ab. Das weiß auch die Casa, und das weiß der spanische König.“ „Was willst du damit sagen?“ „Daß man vielleicht doch eine Kursänderung erwogen hat, eben aus diesen Gründen, um nichts mehr zu riskieren. Die Route wird immer ein wenig geändert, und auch den Abfahrtstermin hält man streng geheim. Um zu retten, was noch zu retten ist, hat man jetzt möglicherweise völlig anders geplant.“ Don Juan überlegte lange. Er war jedem Argument gegenüber aufgeschlossen und tat nichts als abwegig ab. Schließlich sagte er: „Ganz auszuschließen wäre das natürlich nicht. Es ist immerhin eine Überlegung wert. Allerdings ist bis jetzt noch durch nichts bewiesen, ob die Angaben des Spaniers stimmen.“ „Ich hege keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der Worte.“ Da war wieder das altbekannte und verwegene Lächeln des Seewolfs, das ganz unvermittelt auftauchte. In seinen eisblauen Augen schimmerten Kristalle. „Stellt euch vor, wir könnten dieses Vögelchen rupfen! Für Spanien wäre das ein äußerst schmerzhafter Verlust, der Seine Allerkatholischste Majestät empfindlich treffen würde. Bisher ist es nur einmal gelungen, diese sagenhafte Manila-Galeone zu kapern, und das haben wir zustande gebracht. Ein zweiter Schlag würde eine empfindliche Wunde reißen.“ Von der Aussicht, diese einmalige Beute zu reißen, waren alle Arwenacks hellauf begeistert, aber selbst Hasard mußte diesen Eifer dämpfen, denn bisher war alles nur graue Theorie. Niemand wußte etwas Konkretes. Daher gingen die Blicke unwillkürlich zu dem Spanier zurück, der wieder reglos auf der Gräting lag. Hasard hatte abermals das Gefühl, daß der Mann tot war, denn er blickte aus weit offenen Augen zu dem Sonnensegel über sich. Der Eindruck täuschte jedoch. Pedro Pájaro befand sich nur in jenem Zustand, den manche als Fieberdelirium
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bezeichneten und andere als Halluzinationen eines Todkranken abtaten. Anfangs stammelte er unzusammenhängende Sätze, in denen immer wieder von Seeschlangen die Rede war. Don Juan versuchte, die Situation zu nutzen. „Erzähle uns, was passiert ist, Pedro“, flüsterte er eindringlich. „Erzähle es uns, berichte von der Manila-Galeone. Welchen Kurs segelt sie? Wann ist sie in See gegangen? Was ist mit dir passiert?“ „Sie haben mich ausgesetzt, die Bastarde“, flüsterte der Mann. „Warum haben sie das getan?“ „Es war Don Bartolomeo de Zumarraga, ein schrecklicher Kerl.“ „Der Capitan?“ „Si, der Capitan Caballero Don Bartolomeo. Wir wurden zu zweit ausgesetzt, auf einer Insel ohne Wasser.“ „So gut wie zum Tod verurteilt“, sagte Don Juan leise. „Damit sie später keine Informationen weitergeben konnten. Aber erzähle ruhig weiter, mein Freund, wenn es dich nicht anstrengt.“ Das Gespräch verlief keineswegs so flüssig. Es wurde immer wieder vom Husten oder Röcheln des Spaniers unterbrochen. Mitunter schwieg er auch lange Zeit, um in seiner Erinnerung zu kramen. Für die Zuhörer ergab sich dennoch ein Mosaik, das mühelos zusammengesetzt werden konnte. Mitunter hatte Hasard den Eindruck, als befände er sich selbst an Bord der sagenhaften Manila-Galeone. Pedro Pájaro vermittelte ihnen einen Blick in die jüngste Vergangenheit, und das waren recht farbige Bilder und Eindrücke. 3. Die letzte Besprechung vor dem Auslaufen der Manila-Galeone fand in der Kapitänskammer statt. Anwesend waren der Capitan Caballero Don Bartolomeo de Zumarraga, der Erste Offizier Don Jerome de Zumarraga, ein Bruder des Capitans, ein paar weitere
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hochgestellte Adelige von Rang und Namen und schließlich zwei auf den ersten Blick unscheinbar wirkende Männer aus Sevilla, die der Casa de Contratacion angehörten. Die Casa fungierte als eine Art Kontor und Kontrollbehörde der spanischen Handelsmarine. Weiter hinten in der Kammer standen neben einem Pult der Zahlmeister und der Zweite Offizier, die jetzt von Don Bartolomeo mit einer flüchtigen Handbewegung entlassen wurden. Man hatte nicht vor, sie an diesem Gespräch teilhaben zu lassen. Vor dem Capitan lagen Papiere, Seekarten und speziell gefertigte Roteiros, die der Navigation dienten und bei den Spaniern wie der eigene Augapfel gehütet wurden. Diese Roteiros waren geheime Seekarten, in die nur wenige Auserwählte einen Einblick erhielten. Fiel ein spanisches Schiff Piraten in die Hände, so bestand die Vorschrift, zuerst die Roteiros zu vernichten, damit sie keinem Feind Aufschluß über spanische Aktivitäten ten oder Seerouten geben konnten. Diese Vorschrift war bindend und von den Kapitänen auch strikt eingehalten. Die beiden ehrenwerten Senores der Casa hatten ebenfalls einen Wust Papieren vor sich liegen. Eine Weile war nur das Rascheln von Pergament zu hören. Dann ergriff Don Porfirio de Aranjuez vom Marineamt das Wort. „Wie besprochen, gehen wir morgen früh bei Sonnenaufgang in See, Caballeros. Der Verlauf der Reise ist bis ins Detail ausgearbeitet und festgelegt, wie es der Vorschrift entspricht. Unsere Reise nach Acapulco wird, mit Gottes Segen, wie üblich etwa zehn Wochen betragen. Es müssen sich also – wegen eventueller widriger Umstände – für mindestens vierzehn Wochen Lebensmittel und Trinkwasser an Bord befinden. Haben Sie veranlaßt, Don Bartolomeo, daß diese Toleranzgrenze eingehalten wurde?“ „Selbstverständlich, Don Porfirio. Der Zahlmeister hat mir die Listen vorgelegt, der Zweite hat sich durch
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Inaugenscheinnahme von der Richtigkeit überzeugt.“ „Sehr gut, auch wir haben das nochmals überprüft. Dieser äußerst wichtige Punkt kann also abgehakt werden.“ Etliche der Papiere wurden zur Seite geschoben. Don Bartolomeo, groß, hager, schwarzhaarig mit kantigem Gesicht und dunklen Augen, lehnte sich steif in seinem hochlehnigen Stuhl zurück. Die Hände ruhten übereinander gelegt auf der schweren Tischplatte. „Die Ladung wird wie immer auf demselben Weg nach Acapulco gebracht?“ fragte er. Um die Mundwinkel des Don Profirio zuckte es ein wenig. „Wie immer“, versicherte er. „Die Fracht wird in Acapulco auf Maultiere verladen und weiter auf dem Landweg nach Vera Cruz transportiert.“ „Das ist mir bekannt“, sagte Don Bartolomeo etwas von oben herab. „Ich fragte im besonderen nach dem Kurs. Was nach Löschen der Ladung geschieht, liegt nicht mehr in meiner Verantwortung.“ „Wir tragen immer eine große Verantwortung, für Spanien, für seine Allerkatholischste Majestät und für den Rest der Welt“, mußte er sich belehren lassen. „Aber davon später, Don Bartolomeo. Hier ist die Auflistung der Gewürze, hier die der Kunstwerke, Juwelen, der chinesischen Seidenwaren, des Porzellans und der Perlen. Bestätigen Sie bitte anhand Ihrer eigenen Listen die Richtigkeit.“ „Das ist Sache des Zahlmeisters“, sagte Don Jerome de Zumarraga überheblich, der als Erster Offizier an Bord der großen Galeone kommandiert war. „Ich brauche auch die Unterschrift des Capitans. So ist es nun mal Vorschrift. Also die Ihre, Don Bartolomeo,“ Der andere Mann von der Casa, ebenfalls ein unauffällig wirkender Typ mit einem ausdruckslosen Gesicht, reichte ein Tintenfäßchen, Löschsand und einen Gänsekiel hinüber.
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Don Bartolomeo mußte wohl oder übel noch einmal die Listen vergleichen und tat es provozierend langsam und gründlich. Er hatte zwar die Befehlsgewalt über die Manila-Galeone, aber die beiden Senores vom Marineamt waren diejenigen, die alles planten, festlegten und bestimmten. Sie hatten wochenlang daran gearbeitet und waren pingelige Bürokraten. Sie ließen sich auch nicht aus der Ruhe bringen und sahen interessiert zu, wie der Capitan zeitraubend die Liste für Ingwer durchging, ehe er sich den anderen zuwandte. Sie hatten ohnehin noch eine Überraschung für ihn bereit, an der er eine ganze Weile schlucken würde. Unterdessen hockte Don Jerome mit finsterem und bösartigem Gesicht am Tisch und blickte hin und wieder blasiert in die Runde. Die anderen anwesenden Adligen verhielten sich abwartend und nippten nur ab und zu vorsichtig an ihrem Wein, der sehr spärlich in ihre kostbaren Kristallgläser geflossen war. Da sich Don Bartolomeo mehr als ausgiebig Zeit ließ, bis er endlich mit der Durchsicht fertig war, servierten ihm die beiden Casa-Senores noch eine kleine Schikane. „Wir würden gern die beiden Feldschere kennenlernen, die sich an Bord befinden“, sagte Don Porfirio liebenswürdig. „Sind sie für ihre verantwortungsvollen Berufe qualifiziert?“ „Selbstverständlich, Senores. Muß das ausgerechnet jetzt sein?“ „Wir müssen uns von jeder Kleinigkeit persönlich überzeugen. Ein Feldscher an Bord ist ebenfalls lebenswichtig.“ Etwas angesäuert gab Don Bartolomeo den Befehl an eine Ordonnanz, die beiden Feldschere „vorzuführen“. Etwas später traten zwei Männer ein, die sich leicht verneigten. Der eine war mittelgroß, mit silbergrau gelockten Haaren und einem glattrasierten Gesicht. „Don Alberto Sinnera de Taco, Erster Feldscher an Bord der ,Mar adentro“`,
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sagte der Capitan. „Er ist ausschließlich für das Achterdeck zuständig und somit für die Behandlung der oberen Stände.“ „De Taco“, wiederholte der CasaBevollmächtigte indigniert. „Ein etwas seltsamer Name.“ „Ein Beiname“, sagte der Capitan hüstelnd. „Don Alberto hat das seit fünfzig Jahren so genannte Billardspiel, eine Erfindung der Italiener, vervollkommnet und weiten Kreisen erschlossen. Die ehrenwerten Senores werden an Bord eine Kammer in der ein Billardtisch steht. Die Ausführung dieses eigenartigen Spieles erfordert allerdings absolute Meeresstille. Das Spiel wird mit einem Stock und etlichen bunten Kugeln nach gewissen Regeln gespielt. Es ist natürlich nur den oberen Chargen vorbehalten.“ „Interessant“, erwiderte Don Porfirio. „Nun, man wird unterwegs sicher genügend Muße haben, diesem Spiel zu frönen.“ „Vorausgesetzt, die See ist spiegelglatt“, sagte der andere Mann, der als zweiter Feldscher diente, etwas voreilig. Daraufhin traf ihn ein etwas eisiger Blick. „Wer sind Sie?“ fragte Don Porfirio kühl. Der Mann war etwas kleiner und trug einen Oberlippenbart. Bei seinen Worten hatte er ein bißchen gegrinst was die ehrenwerten Senores nicht besonders schätzten. Don Porfirio hatte auch das Gefühl, als ginge von diesem Mann eine leichte Fahne nach gewissen alkoholischen Erzeugnissen aus, ein zarter Duft sozusagen. „Pedro Pájaro“, sagte der Schnauzbärtige. Er sah sich ungeniert in der eleganten Kapitänskammer um, was die Senores ebenfalls indigniert zur Kenntnis nahmen. „Senor Pájaro ist für das Decksvolk zuständig“, erklärte der Capitan. „Ein guter Mann, mitunter nur etwas übereifrig. Übrigens, ebenfalls ein Meister dieses ungewöhnlichen Spieles. Die beiden Feldschere kennen sich seit vielen Jahren.“ „So - so! Ich hoffe, sie gehen mehr in ihren täglichen Aufgaben auf als in diesem - äh Billardspiel.“ Nach einer erneuten Musterung, wobei dieser Pájaro wieder so unverschämt und
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ungeniert grinste, waren die beiden Feldschere entlassen. Draußen blieb Pedro Pájaro stehen und flüsterte: „Wir sollten die Ohren ein bißchen ans Schott legen, Alberto. Da erfährt man sicher eine Menge Neuigkeiten.“ „Bist du verrückt!“ zischte Alberto. „Wenn uns jemand dabei erwischt, sind wir erledigt. Die lassen uns glatt in Eisen schließen. Ich ziehe es jedenfalls vor, zu verschwinden.“ Pájaro aber blieb ungerührt stehen, als Alberto davonging, und er genierte sich auch nicht, die Ohren ans Schott zu legen, wie er verkündet hatte. Auf diese Weise erfuhr er alles das, was nur den obersten Chargen vorbehalten war, und das waren wirklich sensationelle Neuigkeiten. * Don Bartolomeo nahm wieder steif und hölzern Platz. Die Papiere hatte er weit von sich geschoben, bis auf die Roteiros, die noch auf dem Tisch lagen. „Dann wäre, bis auf den Kurs, alles besprochen“, sagte er. „Ja, bis auf den Kurs“, stimmte der CasaMann mit einem kurzen Lächeln zu, einem Lächeln, das Don Bartolomeo allerdings nicht gefiel, jedoch zu überspielen versuchte, indem er kurz die Lippen verzog. „Der Kurs dürfte ja festliegen.“ „Allerdings“, erklärte der Casa-Mann freundlich. „Er liegt fest.“ Der Capitan deutete auf seine Seekarte. Es war ein mehrfach gefaltetes und geklebtes Blatt, das er aufgefaltet hatte. Auf dem Blatt waren verwirrend viele Linien eingezeichnet, Kompaßrosen, beständig wehende Winde in Form von pausbäckigen Engeln, die mit vollen Backen dicke Wolken aus irgendwelchen Richtungen bliesen. „Wir verlassen die Manila Bahia und passieren die Isla Corregidor an Backbord. Bei etwa drei Leguas Abstand zur Küste schwenken wir auf Nordkurs, runden die
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Nordspitze bei Bangui und gehen im Babuyan-Kanal auf direkten Ostkurs. Auf diesem Kurs werden wir später etwa hundertzehn Meilen südlich die Inselgruppe Hawaii passieren. Aufenthalte sind keine vorgesehen, wie es jedes Jahr der Fall war. Zur Zeit haben wir auflandigen Westwind und werden einige Schwierigkeiten überwinden müssen, um aus der Bahia Manila aufzukreuzen und die offene See zu erreichen. Die Jungfrau Maria möge uns beschützen. Sind noch irgendwelche Fragen offen, Senores? Was unsere Bewaffnung betrifft, haben wir alles gestern ausführlich besprochen. Die Stückmeister der einzelnen Decks sind informiert. Ich bitte mir aus, daß über unseren Kurs allerstrengstes Stillschweigen bewahrt wird.“ Das Lächeln Don Porfirios vertiefte sich. „Oh, Don Bartolomeo, Sie dürfen diesen Kurs ruhig hinausposaunen, um das einmal so auszudrücken. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn einige davon erführen.“ Der Capitan, der sich schon halb erhoben hatte, setzte sich wieder. Er kniff die Augen zusammen und musterte die beiden Bevollmächtigten der Casa, als sähe er sie heute zum erstenmal. „Was soll das heißen?“ fragte er scharf. Don Porfirio sagte es ihm. „Der Kurs der Manila-Galeone war im Prinzip immer der gleiche, mit kleinen Änderungen und der üblichen Geheimhaltung. Daher wird auch jeder annehmen, daß sich inzwischen nichts an dem üblichen Kurs geändert hat. Überall lauert heutzutage Piratengesindel, liegen Engländer auf der Lauer oder sind Spione am Werk, die Informationen weitergeben. Genau dieses Gesindel wird auch jetzt wieder informiert sein; und alle Hebel in Bewegung setzen, um von den unermeßlichen Reichtümern zu profitieren. Aus diesem Grund wurde von uns Bevollmächtigten der Casa ein neuer Kurs ausgearbeitet.“ „Neu ausgearbeitet – was soll das heißen?“ „Das heißt, daß wir aus Gründen der Geheimhaltung einen völlig anderen Kurs nach Acapulco segeln werden. Wir haben zusätzlich zu unserer üblichen Fracht noch
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ein paar Tonnen Silber an Bord, die in Spanien dringend gebraucht werden. Die Staatskasse ist leider hoffnungslos überschuldet, und so ist Spanien auf diese Ladung ganz besonders angewiesen. Diese Ladung muß unter allen Umständen unser Land erreichen. Um das zu gewährleisten, ist es unerlässlich auch einen Umweg in Kauf zu nehmen.“ „Senores! Ich stehe im Rang eines Generalkapitans der spanischen Flotte!“ rief Don Bartolomeo aufgebracht. „Ich darf doch wohl verlangen, dass keine wichtigen Entscheidungen über meinen Kopf hinweg getroffen werden! Warum hat man mich nicht konsultiert?“ „Um absolute Geheimhaltung zu gewährleisten“, erwiderte Don Profirio trocken. De Zumarragas dunkle Augen sprühten Blitze. Sein kantiges Gesicht färbte sich dunkelrot. „Heißt das, ich sei nicht imstande, etwas geheimzuhalten?“ Stimme hatte jetzt eine Höhe erreicht, die mühelos bis an Deck zu hören war. Die beiden Bevollmächtigten ließ der Ausbruch kalt. „Ich darf Sie daran erinnern, dass allein Bevollmächtigten der Casa de Contractacion über die Einzelheiten entscheiden. Das Marineamt untersteht direkt seiner Allerkatholischsten Majestät. Muß ich das noch ausführlicher erklären, Don Bartolomeo?“ Die Stimme Profirios war bei den letzten Worten etwas schärfer geworden. Der Capitan beherrschte sich auch mühsam und sichtlich nach Fassung ringend. Er war sich darüber im klaren, daß die beiden Männer über mehr Machtbefugnisse verfügten als er. In letzter Konsequenz konnten sie ihn sogar seines Amtes entheben. „Gut“, sagte er mürrisch, „dann teilen Sie mir gnädigerweise den neuen Kurs mit. Ein Capitan sollte schließlich wissen, wohin sein Schiff segelt.“ „Ich war gerade dabei, Ihnen das zu erläutern.“ Porfirio de Aranjuez überhörte die Bitterkeit in den Worten des Capitans.
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„Wir segeln diesmal nicht wie sonst nach Norden, sondern in entgegengesetzte Richtung, also nach Süden.“ „Nach Süden“, ächzte Don Bartolomeo, „ausgerechnet nach Süden, wo in der Sulusee Piraten aller Schattierungen auf der Lauer liegen. Wie sollen wir zwischen einigen tausend Inseln manövrieren, um in den Pazifik zu gelangen?“ „Die Piraten, die sich in der Sulusee herumtreiben, haben wir nicht zu befürchten, Don Bartolomeo. Es ist kleines Gesindel, das niemals eine Manila-Galeone angreifen würde, weil es dazu nicht gerüstet ist. Vielmehr haben wir Engländer zu befürchten, aber die werden wir dort unten im Süden ganz sicher nicht antreffen. Deshalb werden wir noch tiefer nach Süden segeln, die Molukken passieren und in die Arafurasee laufen. Dort gibt es zwischen Guinea und dem sagenhaften Südland eine Wasserstraße, die uns in den Pazifik bringt. Unterwegs werden zwei weitere Galeonen zu uns stoßen. Es handelt sich um die gut armierte ,Soberania` und die ebenfalls sehr gut ausgerüstete ,Campana de rebato`. Beide Schiffe werden uns über den Pazifik begleiten.“ „Eine Infamie“, sagte der Capitan mit unterdrückter Wut in der Stimme. „Man übergeht mich in einer Weise, die mehr als ehrenrührig ist. Sie werden mir nicht einreden wollen, daß dieser Kurs erst jetzt ausgearbeitet wurde.“ „Das hat niemand behauptet“, erwiderte Don Profirio kühl. „Ich habe nur gesagt, daß der Kurs von uns festgelegt wurde. Einen Zeitraum habe ich nicht genannt.“ „Das hörte sich aber so an.“ „Das ist Ihre persönliche Auslegung, Senor Capitan. Es ist alles seit langer Zeit geplant, so auch das Zusammentreffen mit den beiden bereits erwähnten Galeonen. Hier sind die erforderlichen Unterlagen.“ Don Profirio schob Papiere hinüber, doch der Capitan warf nicht einen einzigen Blick darauf. Sein Stolz war zutiefst verletzt, seine Ehre war gekränkt, und das ließ ihm abermals die Röte ins Gesicht steigen.
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Er sah sich im Kreis der anderen Adligen um, doch die meisten hielten die Köpfe gesenkt oder blickten mit leeren Augen an die kostbare Holzvertäfelung der Kapitänskammer. Auch sein Bruder sagte nichts. Don Jerome blickte nur bösartig vor sich hin und strich über seinen Oberlippenbart. „Wie geht es weiter, falls wir die eine oder andere Galeone nicht antreffen?“ fragte er eisig. „Sie werden da sein, das ist mit Sicherheit zu sagen. Sollten sich die beiden Schiffe doch verspätet haben, dann werden wir ein paar Tage in einer versteckten Bucht vor Anker gehen und warten.“ „Wissen Sie eigentlich, wieviel Zeit wir verlieren?“ fragte der Capitan. „Wir werden Acapulco niemals in den üblichen zehn Wochen erreichen. Das bedeutet gleichzeitig, daß unsere Rationen knapp werden können. Sie aber sprachen vorhin noch von einer Reisedauer von zehn Wochen.“ „Damit ist lediglich die reine Fahrt über den Pazifik gemeint. Wir haben für vierzehn Wochen Proviant und Trinkwasser an Bord. Weitere Lebensmittel können wir von den Galeonen übernehmen.“ „Auf diesem eigenartigen Kurs werden wir mindestens drei weitere Wochen vertrödeln.“ „Das ist einkalkuliert, Don Bartolomeo.“ Die Kerle sind nicht zu fassen, dachte de Zumarraga. Die sind aalglatt und winden sich immer wieder heraus. Er schob die Papiere mit verächtlicher Geste von sich. Die beiden Senores faßte er dabei scharf ins Auge. „Sie werden von mir nicht erwarten, daß ich die Verantwortung für die kostbare Ladung übernehme, wenn Sie mir einen Kurs aufzwingen, der uns auf abenteuerliche Weise in Ecken der Welt führt, die vormals noch nie ein Mensch befahren hat“, sagte er kühl. „Ich führe zum zweiten Male eine Nao de China über den Pazifik, aber nicht auf einer derartigen Wahnsinnsroute. Die Risiken sind unabwägbar.“
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„Risiken sind immer unabwägbar“, erklärte Don Profirio ungerührt. „Wenn Sie allerdings nicht bereit sind, das Schiff führen zu wollen…“ Er sprach nicht weiter. Seine Finger schnippten gelangweilt ein unsichtbares Stäubchen von seiner dunkelblauen Jacke. „Könnte man nicht einen Kompromiß schließen, Senores?“ fragte de Zumarraga schnell. „Wir müssen doch nicht unbedingt Kurs auf das sagenhafte Südland nehmen. Es gibt nicht mal Kartenmaterial darüber. Wir könnten durch die Mindanaosee in den Pazifik segeln.“ „Keine Kompromisse“, entschied der Bevollmächtigte. „Der Kurs ist festgelegt, und zwar im Namen seiner Allerkatholischsten Majestät, wie Sie dem versiegelten Schreiben entnehmen können, falls Sie .sich der Mühe unterziehen, es wenigstens einmal anzusehen. Kartenmaterial gibt es ebenfalls, an dem wir uns hervorragend orientieren können.“ De Zumarraga griff nach dem Schreiben und erbrach das Siegel. Es war Vollmacht für die Casa de Contractacion, deren Anweisungen bebedingungslos Folge zu leisten waren. Als der Capitan die Unterschrift mit den Siegeln sah, traten ihm feine Schweißperlen auf die Stirn. Das Dokument war unterzeichnet mit: Francisco Gomez de Sandoval y Royas, Herzog von Lerma. Günstling König Philipp III., hätte noch dazugehört, dachte der Capitan. Aber diesen Gedanken behielt er besser für sich, obwohl jeder in Spanien wußte, daß der Günstling und Erzieher des Königs Seine Majestät völlig beherrschte und seine Macht hauptsächlich zur eigenen Bereicherung. und Verschwendung benutzte. „Dann ist alles klar“, hörte er sich selbst mit fremder Stimme sagen. „Ich stehe natürlich zu Ihrer Verfügung, Senores.“ Die beiden Bevollmächtigten lächelten fein und erhoben sich. Sie waren die eigentlichen Befehlshaber des großen Schiffes, das auf den Namen „Mar
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adentro“ getauft worden war. Der Name bedeutete „Seewärts“. Als in der Kapitänskammer Stühlerücken zu hören war, schrak Pedro Pájaro heftig zusammen. Blitzschnell verschwand er durch den niedrigen Gang. Er hatte eine ganze Menge erfahren, und das mußte er zumindest seinen beiden Freunden, Don Alberto Sinnera de Taco und Roman Ortiz, verklaren. Die würden vielleicht staunen! 4. Die Stimme Pedro Pájaro brach unvermittelt ab. Ein Hustenanfall schüttelte den geschwächten Körper, und sofort bemühte sich der Kutscher wieder um ihn. Hasard und Don Juan, die schweigend den oft wirr zusammenhängenden Worten gelauscht hatten, sahen sich fassungslos an. „Zweifelst du noch an seinen Worten?“ fragte der Seewolf. „Nein, das ist, mit Verlaub, die wildeste Geschichte, die ich jemals gehört habe“, antwortete der Spanier. „Das würde bedeuten, daß sich die Manila-Galeone ausgerechnet in diesen Gewässern herumtreibt, in denen auch wir uns befinden. Mich erstaunt allerdings diese Präzision, mit der alles vorbereitet wurde.“ „Ja, die Angst vor den Ingléses“, sagte Hasard lächelnd. „Wir scheinen deine Landsleute ganz schön aufgescheucht zu haben, daß sie jetzt bereits derartige Umwege in Kauf nehmen. Old Philip muß es mächtig nötig haben, wenn er derartige Vorkehrungen trifft.“ Don Juan lächelte dünn, dann grinste er. „Wenn wir ihnen diese Galeone wegzaubern könnten, wäre das ein herber Schlag. Vielleicht erwischt man sie an einem Punkt, wo sie noch nicht auf die Begleitschiffe gestoßen ist.“ „Sehr viel Hoffnung habe ich nicht“, erklärte der Seewolf. „Hier gibt es unzählige Inseln und Eilande und damit vorzügliche Verstecke. Da müßte schon ein Zufall helfen, um das Schiff zu finden.“ „Allerdings. Wir müßten auch in Erfahrung bringen, wie lange das alles
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zurückliegt. Möglicherweise hat die Galeone inzwischen bereits den halben Pazifik durchquert.“ „Alles möglich. Also hatte ich mit meiner Vermutung einer Kursänderung gar nicht so unrecht. Ich hatte das irgendwie im Gefühl, kann es aber nicht erklären.“ Eine röchelnde Stimme verlangte Wasser. Es war mehr als erstaunlich und fast schon unheimlich, wieviel dieser todkranke Spanier trank. Das Fieber schien ihn von innen her aufzufressen, und er konnte die Hitze in seinem Körper anscheinend nur noch durch riesige Wassermengen ertragen. Nach ein paar Schlucken schlief er etwa eine halbe Stunde lang, ehe er wieder erwachte. Er sah Hasard direkt in die Augen und war vorübergehend bei absolut klarem Bewußtsein. „Madre de Dios“, murmelte er, „ich hätte es wissen müssen – Engländer! Und du schwarzhaariger Teufel bist El Lobo del Mar!“ „Kein Grund, dich deshalb zu fürchten, Spanier“, sagte Hasard trocken. „Ja, so nennt ihr mich. El Lobo del Mar. Wir werden versuchen, dich wieder auf die Beine zu bringen, Don Pedro, obwohl du nur noch Haut und Knochen bist.“ „Vergiß es, El Lobo“, sagte der Mann. „Ich bin selbst Feldscher. Ihr habt mir wegen der Schmerzen Ziströslein gegeben – Laudanum. Aber das Gift geht nicht mehr aus meinem Körper. Es wirkt langsam, aber es wirkt tödlich. Wollt ihr noch mehr wissen? Ich habe gequatscht.“ „Da du weißt, wer ich bin, kann ich nicht verlangen, daß du deine Landsleute verrätst“, sagte Hasard. „Oh! Du bist ritterlich, El Lobo, ein Caballero, vor dem ich den Hut ziehen möchte. Du bist kein Pirat, und du hast deine Gegner immer anständig und ritterlich behandelt. Ob du es glaubst oder nicht, El Lobo, manche deiner Gegner bewundern dich.“ „Das soll es geben“, sagte Don Juan mit einem breiten Grinsen. „Ich gehöre auch dazu und hatte mal die Ehre, als
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Generalkapitän der spanischen Krone zu dienen. Jetzt stehe ich auf der anderen Seite.“ Der Mann lachte röchelnd. Offenbar verfügte er noch über eine gute Portion schwarzen Humors. „Senor de Alcazar“, sagte er, nach Atem ringend. „Ha! Wenn ich das Geld hätte, das man als Prämie für eure Ergreifung ausgesetzt hat ... Nun ja, es würde nichts mehr nutzen. Ich würde es versaufen, aber damit habe ich mir ja mein eigenes Grab geschaufelt.“ „Hat man dich deshalb ausgesetzt?“ „Ja, das war auch ein Grund. Wollt ihr auch noch den Rest hören?“ „Wenn es dich nicht zu sehr anstrengt gern“, sagte Hasard. „Aber du musst nichts verraten, wenn du nicht willst. Niemand wird dich dazu zwingen.“ „Sollen sie doch zur Hölle fahren, diese Bastarde, und möge der Satan den Herzog von Lerma persönlich holen! Diese Teufel haben uns von Bordgejagt und auf einer Insel ausgesetzt, wobei sie genau wußten, daß wir binnen kurzer Zeit elend verrecken würden. Zur Hölle mit der ManilaGaleone, deren Schätze irgendwo in den Taschen der Hofschranzen verschwinden werden, ohne daß das Volk auch nur eine Dublone sieht. Schiffe wollen sie mit dem Silber bauen, Kriegsgaleonen! Aber ihr könnt das verhindern, nur wird es nicht einfach sein, diese Festung zu knacken.“ „Einmal ist uns das schon gelungen“, sagte Hasard. „Ja, davon habe ich gehört. Aber sie sind vorsichtiger geworden, viel vorsichtiger. Deshalb werden auch diese zeitraubenden und komplizierten Umwege gewählt und so spät festgelegt, daß niemand vor Antritt der Reise etwas erfährt.“ Hasard sagte nichts, er sah den Spanier nur an. Der Mann war bei klarem Bewußtsein, und er wollte erzählen. Vielleicht freute er sich darüber, daß er seinen Landsleuten noch eins auswischen konnte, bevor ihn der Tod holte. Pedro Pájaro schloß die Augen und berichtete weiter.
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Am anderen Morgen lief die ManilaGaleone weisungsgemäß aus und verließ die Bahia Manila. Der Wind wehte auflandig aus Westen, und so wurde das Manöver zu einer schweißtreibenden Plackerei. Da die Galeone dem Ruderdruck kaum gehorchte, begann das Großsegel zu killen, das in der unteren Ecke die gestickte Buchstabenreihe A.V.M.G.P. trug. Ave Maria gratia plena. Damit stand das Schiff, dessen Großsegel die Anfangsbuchstaben des Englischen Grußes trug, unter dem ganz besonderen Schutz der Jungfrau Maria. Allerdings sah es am Anfang nicht so aus, als würde die Heilige Jungfrau sehr besorgt um das Schiff sein. Eine jäh einfallende Bö ließ auch die anderen Segel killen. Es hörte sich an, als würden in rascher Folge Musketen abgefeuert. „Ein Wahnsinn, bei auflandigem Wind in See zu gehen“, erboste sich der Capitan wütend. „Diese Casa-Leute verstehen nichts von dem, was sich an Deck abspielt. Die haben nur ihre abenteuerliche Route im Kopf und sind ganz versessen darauf, um die halbe Welt zu segeln.“ „Schwachköpfe“, sagte sein Bruder Don Jerome verächtlich. „Aber die Verantwortung liegt bei uns, wenn wir auf Legerwall geraten und die Pieranlagen mitnehmen. Bedauerlicherweise kann man diese Schwachköpfe nicht einfach zum Teufel jagen.“ An Deck wurden Befehle gebrüllt. Die beiden Rudergänger mühten sich verzweifelt, um das große und schwere Schiff einigermaßen gegen den Wind zu halten. Länger als einen halben Tag brauchten sie, bis die Galeone endlich klarkam und sich freisegeln konnte. Als sie die Bucht schließlich verließen, war es bereits später Nachmittag und die Stimmung an Bord dementsprechend gespannt.
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Die Galeone ging auf südlichen Kurs und segelte jetzt behäbig über Backbordbug mit Steuerbordhalsen. Gleichzeitig versuchte sie, mehr Höhe zu gewinnen, um beim auflandigen Wind nicht zu dicht unter Land zu geraten. Die beiden Rudergänger brachten auch dieses Kunststück fertig. Die „Mar adentro“. entfernte sich weiter vom Land und nahm Kurs aufs offene Meer und die große Insel Mindoro, die später an Backbord liegen bleiben sollte. Trotz der steifen Brise war es heiß an Deck, und in den unteren Decks schwitzten sich die Männer fast zu Tode. Das betraf besonders die Seesoldaten, die nach dem strengen Reglement der Casa auch in der größten Hitze ihre schwere Harnische tragen mußten – Bratröhren, in denen manche Männer fast erstickten. Nach dem Auslaufen begann der Drill an den Geschützen, damit an Bord keine Langeweile entstand. Die Seesoldaten waren gut ausgebildet, doch sie mußten immer wieder antreten, bis zum Umfallen, obwohl jeder Handgriff saß. Die ehrenwerten Senores auf dem Achterdeck begannen sich nach einigen Tagen zu langweilen. Des Herumstehens müde geworden, besannen sie sich auf die Kammer, wo der Tisch mit den bunten Kugeln stand. Die See war jetzt auch etwas ruhiger geworden, und so trafen sich Offiziere und ein paar Adlige dort zur Kurzweil, auch die Senores der Casa de Contratacion waren dabei. In der Mitte der Kammer stand ein schwerer, im Boden verbolzter und mit grünlichem Tuch bespannter Tisch. In einem Kästchen lagen ein paar Kugeln aus Elfenbein und in einer Halterung befanden sich lange „Stöcke“, deren Enden oben mit einem Lederpropf versehen waren. Der Tisch war ringsum mit einem erhöhten Rand versehen, den Don Alfonso de Zaragoza befühlte. „Der Rand dient sicherlich dem Zweck, damit die Kugeln bei unruhiger See nicht von der Platte fallen“, sagte er. Die Senores rätselten lange daran herum und stritten sich. Mit diesem Spiel, das die
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Italiener vor rund fünfzig Jahren erfunden hatten, konnten sie nicht viel anfangen. Schließlich versuchte es Don Alfonso. Er nahm die drei Kugeln und warf sie auf den Tisch. Mit einem der Stöcke schlug er wahllos auf die Kugeln ein, doch das ergab keinen Sinn. Die Kugeln strebten auseinander, trafen auf die Bande und rollten wieder zurück. Nach einer Weile gab er achselzuckend auf. „Na ja, von den Italienern kann man schließlich nicht viel erwarten“, sagte er überheblich. „Das Spiel ergibt keinen Sinn.“ „Da sind doch die beiden Feldschere, die das Spiel angeblich beherrschen“, sagte Don Porfirio. „Allerdings ist der eine nicht von adligem Geblüt, dieser vorlaute Kerl mit dem Schnauzbart. Es ist unter meiner Würde, mir Spielregeln von einem ganz gewöhnlichen Kerl erteilen zu lassen. Man muß auf Distanz achten.“ Das fanden die anderen auch. Mit einem „Wald-und-Wiesen-Feldscher“ konnte man schließlich nicht spielen. Der kriegte es fertig und begann, die hohen Herren zu belehren. Ein unmöglicher Gedanke. Nachdem sich auch der Capitan zu ihnen gesellt hatte, verfiel man auf eine andere Lösung. Die beiden Männer sollten gegeneinander spielen. Man würde hoheitsvoll zusehen und sich nichts dabei vergeben. Aber man begriff gleichzeitig die Spielregeln, und die beiden Männer konnten ja ein paar Erläuterungen dazu abgeben. Ein halbe Stunde später waren sie da und den ehrenwerten Senores wurde schonend beigebracht, daß der „Rand“ des Tisches keinesfalls dazu diente, die Kugeln vorm Herabfallen bei unruhiger See zu bewahren. Sie warfen mit Ausdrücken herum, die die Senores erst sorgfältig einordnen mußten. „Der Witz bei einem Spiel ist der“, erklärte der schnauzbärtige Pedro Pájaro, „mit dem Spielball die beiden anderen Bälle zu treffen. Dies hier ist der Spielball.“
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Die Senores nahmen das mit hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis. Dieser Schnauzbärtige hatte eine unverfrorene Art an sich, das zu erklären und sprach zu ihnen wie mit seinesgleichen. Respekt hatte, der Kerl jedenfalls nicht, auch ging wieder dieser merkwürdige Geruch von ihm aus, von dem er behauptete, das sei auf vorbeugende Maßnahmen gegen Krankheiten zurückzuführen und nichts weiter als Medizin. Aber das Spiel beherrschte er grandios, das mußten die Senores neidlos anerkennen. Er zeigte ihnen Kopf- und Tiefstöße, sprach von Vorbande und nannte den Stock „taco“. Das war gleichzeitig der Beiname des anderen Feldschers Don Alberto Sinnera, der ebenfalls ein Meister in diesem seltsamen Spiel mit Bällen war. Feldscher eins gegen Feldscher zwei nannten die Senores das Spiel und sahen dabei dreimal zu. Damit waren die beiden Feldscher entlassen. Die Senores glaubten nun, über genügend Kenntnisse zu verfügen und vergnügten sich stundenlang an diesem Spiel, das bald zur Leidenschaft wurde. Pedro Pájaro wurmte es mächtig, daß die ehrenwerten Senores jetzt allein spielten und auf ihn verzichteten. Ohne sein Mitwirken hätten sie vermutlich mit den Kugeln Fangen gespielt. Am Abend des zwölften Tages ihrer Abreise aus Manila hockten Pedro Pájaro, Don Alberto und Roman Ortiz zusammen, um zu beraten, wie man in den Genuß des Spieles gelangen konnte. Ortiz war ein Freund von .Pedro und ebenfalls ganz versessen. Die beiden hockten immer zusammen und tranken heimlich einen. Entweder hatten sie einen der Köche beklaut und ihm eine Buddel entwendet, oder sie hatten einen mit Geld bestochen. Pedro war an diesem Abend schon reichlich angetörnt, während Don Alberto sich sehr zurückhielt. „Das stinkt mir, daß wir diesen Affen alles erklärt haben, aber selbst nicht spielen dürfen“, nörgelte er. „Für die sind wir doch
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der letzte Mist. Aber ich habe einen Weg gefunden. Wir können heimlich nachts spielen, wenn die Kerle alle in ihren Kammern sind.“ „Der Raum ist abgeschlossen“, sagte Don Alberto. „Außerdem darf niemand das Achterdeck betreten, wenn er dazu nicht ausdrücklich aufgefordert wird.“ Pedro hielt grinsend einen großen Schlüssel hoch. „Den habe ich mir in der Schiffsschmiede selbst zurechtgefeilt“, verkündete er stolz. „Damit haben wir ungehindert Zutritt zu der Billardkammer.“ Roman Ortiz, der ebenfalls einen sichelförmigen Schnauzbart trug, war sofort mit Feuereifer bei der Sache. „Klar, wir spielen, wenn die Kerle pennen“, sagte er grinsend. „Das wird ein toller Spaß.“ „Wir nehmen natürlich eine Buddel mit“, sagte Pedro eifrig. Er hatte es ein bißchen auf der Lunge und hustete oftmals. „Ich werde sofort was besorgen.“ Don Alberto Sinnera sperrte sich.. „Was ihr da vorhabt, ist eine Ungeheuerlichkeit“, sagte er ruhig. „Ihr dringt in einen Raum ein, der nur Offizieren und Adligen vorbehalten ist. Ich kann euch nur warnen! Wenn man euch dabei erwischt, vielleicht auch noch angesoffen, so wie meistens, blüht euch eine Strafe, die sich nicht nur aufs Auspeitschen beschränkt. Man wird euch kielholen lassen oder in Eisen schließen. Wenn ihr Pech habt, hängt man euch sogar an die Rah.“ Pedro gluckerte wieder einen weg und grinste abfällig. Sobald er einen über den Durst getrunken hatte, war er Argumenten gegenüber nicht mehr zugänglich und tat alles mit einer Handbewegung ab. „Bis die merken, was los ist, sind wir längst wieder weg. Außerdem liegt die Kammer so weit entfernt, daß sie nichts hören können.“ „Und die Wachen nachts auf dem Achterdeck?“ Pedro winkte abermals lässig ab. „Tricksen wir aus. Ich habe einen Gang gefunden, der am großen Laderaum vorbei nach achtern führt. Dort gelangt man im Mitteldeck
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wieder heraus und befindet sich ganz in der Nähe der Kammer.“ „Auf mich müßt ihr verzichten“, sagte Don Alberto. „Das Spiel ist mir zu riskant. Damit brechen wir sämtliche Gesetze und Vorschriften. Ich will nicht wegen des verdammten Spiels ausgepeitscht werden. Kann ich mir als Erster Feldscher auch gar nicht erlauben.“ Roman und Pedro feixten bis an die Ohren. Sie hielten das immer noch für eine gute Idee, was sie vorhatten. „Dann gehen wir allein, einverstanden?“ fragte Pedro. Ortiz gab ihm die Hand. Sie grinsten wie zwei Verschwörer und freuten sich diebisch auf ihr Abenteuer. Die Buddel wurde gelenzt, und danach waren sie noch tatendurstiger. Irgendwelche Bedenken räumte Pedro immer gleich aus dem Weg. „Da passiert nichts“, verkündete er immer wieder großspurig. „Niemand wird auf die Idee verfallen, daß wir da heimlich spielen. Lichtschein dringt auch nicht nach außen. Die Kammer ist absolut dicht, ich habe mich schon davon überzeugt.“ Ein paar Einzelheiten wurden noch besprochen. Dann war man sich endgültig einig. 5. Die Galeone hatte Mindoro längst passiert und befand sich auf dem Törn in die Sulusee. Jeden Tag wurden Hunderte von Inseln passiert, Perlen in der See, die vor dem Bug auftauchten und im sprudelnden Kielwasser wieder verschwanden. Nach den Berechnungen der beiden CasaBevollmächtigten sollte in nunmehr einer Woche der Punkt erreicht werden, wo die beiden anderen Galeonen warteten. Das war eine Bucht in der südlichen Ecke von Zamboanga vor der Basilan-Straße. Der Wind fiel jetzt achterlich als dwars ein, und so lief die riesige Manila-Galeone gute Fahrt, obwohl sie bis an die Halskrause beladen war.
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Mehr als eine Stunde nach Mitternacht schlichen zwei Gestalten auf dem geheimen Weg nach achtern und öffneten ungesehen von den Wachen den Raum mit dem Billardtisch. Sie hatten sich ziemlich viel Mut angetrunken, denn ein bißchen kribbelte es schon in ihren Bäuchen, als sie lautlos das Schott schlossen und die Laterne entzündeten. Etwas später spielten sie wie besessen und nahmen auch keine Rücksicht auf die Lautstärke mehr. Pedro war in seinem Element, Roman Ortiz ebenfalls. Da sie zwischendurch auch ständig noch einen tranken, wurden sie bald übermütig. Die Kugeln bolzten an die Bande und polterten auch mal im Eifer des Spieles auf den Boden. Bald vergaßen sie die Welt um sich her und brüllten und hieben sich auf die Schultern, wenn ein Spiel besonders gut gelungen war. Ihr Pech war, daß Don Bartolomeo de Zumarraga in dieser Nacht sehr schlecht schlief und sich unruhig von einer Seite auf die andere wälzte. Er bereitete sich Sorgen über die zu segelnde Strecke, denn schon seit einigen Tagen hatte es Schwierigkeiten bei der Navigation gegeben, was die beiden Beamten jedoch nicht wahrhaben wollten. Er erwachte wieder und starrte in die Dunkelheit. Da vernahm er undeutliche Geräusche sowie hin und wieder ein dreckiges Gelächter, das von Gebrüll unterbrochen wurde. Außerdem polterte es in unregelmäßigen Abständen, und der Krach wurde immer lauter. Dem Capitan schwoll die Zornesader, daß jemand wagte, sich mitten in der Nacht an Bord lauthals zu belustigen. Eine bodenlose Frechheit war das, eine Respektlosigkeit sondergleichen. Wutentbrannt zog er sich an und schnallte den Degen um. Dann verließ er die Kammer und ging dem Geräusch nach. Der Gang lag wie ausgestorben vor ihm, nur von einer leicht pendelnden Laterne
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notdürftig erhellt. Bis auf zwei Laternen durfte nachts an Bord der Nao de China kein Licht brennen. Auch das war eine der strengen Vorschriften, die unbedingt eingehalten wurde. Die Geräuschquelle fand er schnell Es war der Raum, wo der Spieltisch stand. Mit finsterem Gesicht riß er das Schott auf und erstarrte. Er sah zwei stark angetrunkene Kerle, die sich auf ihre Weise die Zeit vertrieben und mit der größten Selbstverständlichkeit den geheiligten Spielraum entweihten, indem sie munter auf die Kugeln droschen und sich gegenseitig nach einem gelungenen Treffer um den Hals fielen. Das Spiel wurde jäh unterbrochen. Doch dann hatte dieser schnauzbärtige Feldscher die Unverfrorenheit grinsend auf ihn zuzutorkeln. Daß er ihm dabei noch leutselig auf die Schulter klopfte, grenzte schon an Gotteslästerung. De Zumarraga stand wie erstarrt. Er konnte einfach nicht fassen, was er mit eigenen Augen sah. „Ah, Senor Capitan!“ grölte der Feldscher. „Wir laden Sie zu einem Spielchen ein, einverstanden? Sagen wir – eine Dublone für den Sieger.“ De Zumarraga stand immer noch stocksteif da. Eine Fuselwolke streifte ihn und nahm ihm glatt die Luft. Er war so fassungslos, daß er kein Wort hervorbrachte. Auf dem Boden entdeckte er eine leere Flasche, die der andere Kerl grinsend anstarrte. „Auf, Capitan!“ rief Pedro Pájaro lallend. „Mal sehen, ob Sie heute abend Glück haben. Ich werde Ihnen mal aus der Hand lesen.“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde Roman Ortiz schlecht, als er sah, was sie sich jetzt einbrockten. Jetzt wollte dieser Saufbold dem Capitan auch noch aus der Hand lesen, eine Angewohnheit von Pedro, wenn er einen zuviel getrunken hatte, die Ortiz absolut nicht schätzte. Pedro hatte schon nach der Hand des Capitans gegriffen und hielt sie so, daß er
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im trüben Licht der Laterne ein paar Handlinien sehen konnte. „Oh! Sie haben eine schwere Enttäuschung hinter sich“, lallte Pedro. „Sie kriegen Schwierigkeiten, Senor.“ „Sie auch“, ächzte de Zumarraga. „Wache!“ brüllte er mit Donnerstimme und riß seine Hand los. „War doch nur ein kleiner Spaß“, sagte Pedro, und jetzt war es nur noch ein sehr klägliches Grinsen, das in seinem Gesicht stand. „Aber Sie haben schwere Sorgen, Capitan, das habe ich deutlich gesehen.“ Bevor er weiterreden konnte, tauchten zwei Männer auf. Ein dritter folgte im Sturmschritt. „Festnehmen!“ schrie de Zumarraga. „Alle beide festnehmen und in der Vorpiek in Eisen schließen lassen!“ Beiden verging jetzt endgültig das Grinsen, als die Wachen über sie herfielen. Es hagelte Püffe und Schläge, und etwas später fanden sich die beiden ganz vorn im Schiff wieder, wo absolute Finsternis herrschte und das Bilgenwasser immer wieder hochschwappte. Die dreckige und stinkende Brühe überspülte sie, sobald sich das Schiff hob oder senkte. Sie lagen auf einer Gräting und waren gefesselt. Außerdem hörten sie in ihrer Nähe die Ratten pfeifen. Dazu war es so heiß und schwül, daß sie kaum Luft kriegten. „Der Alte versteht überhaupt keinen Spaß!“ rief Pedro. „Dabei haben wir nur ein bißchen gespielt, oder?“ „Na ja, du hättest ihm ja nicht unbedingt aus der Hand lesen müssen“, erwiderte Roman Ortiz. „Das hat ihm am allerwenigsten gefallen. Aber du hörst ja nichts, wenn du voll bist.“ „Du warst ja selber voll.“ „Morgen gibt's Senge“, verkündete Ortiz. „Sie werden uns kräftig was überbraten. Mann, mir tut jetzt schon das Kreuz weh. Was glaubst du, wie viele Hiebe werden wir kriegen?“ „Mindestens zehn mit der Neunschwänzigen.“
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Danach erstarb ihr Gespräch ziemlich rasch, und sie lauschten besorgt in die Dunkelheit hinein. In der Frühe des anderen Morgens erfuhren sie dann genau, wie viele Hiebe man ihnen zugedacht hatte. Dabei verfuhr der Capitan noch recht gnädig mit ihnen. Sie wurden an die Großwanten gebunden, und der Profos erklärte ihnen, daß er jedem zwei Dutzend Hiebe überziehen würde, die sie gefälligst wie ein Mann ertragen sollten. Die offizielle Anklage lautete: nächtliches, unbefugtes Eindringen ins Achterdeck. Zu mehr hatte sich Zumarraga nicht durchringen können, um keinen Autoritätsverlust hinnehmen zu müssen. Auf der Galeone wäre vermutlich das große Grinsen umgegangen, wenn die Decksleute die Wahrheit erfahren hätten. Dem Senor Capitan tanzte man schließlich nicht auf der Nase herum. Die Neunschwänzige pfiff durch die Luft und zeichnete zunächst blumige Muster auf die nackten Rücken der beiden. Nach dem ersten halben Dutzend blühten die Muster zu flammenden Blumen auf, als die Haut platzte. Nach mehr als einem Dutzend Schlägen, die vom Profos mit aller Kraft geführt wurden, sackten die beiden in sich zusammen. Von den anderen Hieben hörten sie nicht mal mehr das Klatschen. Sie wurden losgebunden und mit Seewasser übergossen, wie es der üblichen Prozedur entsprach. Noch am Nachmittag mußten sie an die Arbeit und wurden hart rangenommen. De Zumarraga dachte mit einem höhnischen Grinsen daran, daß den beiden Halunken jetzt für alle Zeit ihr Spieltrieb ausgeprügelt war. Doch er irrte sich. Die beiden waren unbelehrbar. Sie überwanden den Schock der Auspeitschung ziemlich rasch - und schon eine Woche später klopften erneut nächtliche Kobolde im Schiff herum und trieben ihr geisterhaftes Unwesen. *
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Zu diesem Zeitpunkt hatte das große Schiff nach einigen Schwierigkeiten den südlichen Zipfel von Zamboanga erreicht und lief in die weit Bucht ein. Hier erwartete die Spanier allerdings eine herbe Enttäuschung. Von den beiden Galeonen, die sie auf ihren langen Törn über den Pazifik begleiten sollten, war keine Spur zu sehen. Für de Zumarraga war das ein Grund, auf den beiden Beamten herumzuhacken. Das war ja vorauszusehen!“ höhnte er. „Theoretisch geht die Planung immer auf, nur in der Praxis bewährte sie sich nicht. Darf man fragen, ob hier überhaupt der richtige Platz ist?“ „Wir sind an der richtigen Stelle“, sagte Don Profirio etwas gedämpft und verunsichert. „Möglicherweise sind die Galeonen in einen Sturm geraten, der sie aufhielt. Oder sie lagen in einer Kalme, die lange dauerte.“ Vielleicht sind sie auch längst untergegangen“, sagte der Capitan, „und wir liegen hier bis zum Sankt Nimmerleinstag herum und warten.“ „Jedenfalls werden wir hier warten, bis sie eingetroffen sind“, entgegnete der Beamte schon etwas schärfer. „Und wie lange kann das im Extremfall sein?“ „Höchstens zwei Wochen“, sagte Don Alfonso de Zaragoza, der nur selten den Mund auftat. „Nach Ablauf dieser Frist segeln wir weiter.“ Nach Süden und Südwesten erstreckten sich so viele kleine Inseln, daß man sie nicht mehr zählen konnte. Die Gewässer hier waren von Haien verseucht, die sich immer wieder in der Nähe des Schiffes zeigten und über die Abfälle herfielen, die über Bord gekippt wurden. Sie warteten und warteten. Zwei Ausgucks suchten pausenlos die See ab. Jeden Augenblick wartete der Capitan auf eine Meldung, doch die blieb immer wieder aus. Nicht mal ein Fischerboot wurde gesichtet.
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In der Bucht war es drückend heiß, und abends fielen Wolken von stechwütigen Moskitos über die Männer her. Etliche wurden Tage später krank. Ein Spanier wurde über Bord gegeben. Er war unter rätselhaften Umständen an hohem Fieber ganz plötzlich gestorben. Einen Tag später schlichen Pedro und Roma Ortiz wieder in die Kammer des Achterdecks, entzündeten die Laterne und begannen zu spielen. Nur knapp eine Stunde vorher waren die Senores gegangen, nachdem sie sich an dem neuen Spiel ergötzt hatten. Es stand nicht zu befürchten, daß nachts noch jemand spielen würde. Wie schon vor einer Woche, so hatten sie sich auch diesmal vom Koch eine Buddel „geborgt“ und waren gerade in der richtigen Stimmung. Etwas später ging es wieder hoch her. Sie veranstalteten einen Krach, der diesmal den Ersten Offizier, Don Jerome de Zumarraga, auf den Plan rief. Don Jerome war kleiner als sein Bruder, aber von einer bösartigen und überheblichen Wesensart, die keinen Widerspruch duldete. Er lauschte an dem Schott und hörte die beiden diskutieren. Ungeniert unterhielten sich die Kerle, während sie die Kugeln über die Platte tanzen ließen. Don Jerome ging weiter, holte einen Corporal und zwei Seesoldaten und kehrte wieder zurück. Zu seinem Erstaunen herrschte jetzt tiefe Ruhe in der Kammer. Er versuchte das Schott zu öffnen, aber es war verschlossen. „Befindet sich jemand in der Kammer?“ fragte er gefährlich leise. Er erhielt keine Antwort, auch auf seine zweite Frage nicht. „Aufbrechen“, befahl er dem Corporal, „aber so, daß nicht das ganze Achterdeck geweckt wird, verstanden?“ Der Corporal ließ einen sehr massiven Kuhfuß holen. Damit hebelte er vorsichtig herum, bis das Schott aufsprang. Don Jerome drang in den Raum ein. In der Hand hielt er einen Degen. Die anderen stellten sich so ans Schott, daß keine Maus durchkam.
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Auf der großen Platte lagen noch die drei Kugeln und auch die Stöcke, die wie zwei Degen übereinander gekreuzt waren. Die Laterne blakte und hüllte den Raum in dumpfes Licht. Am Boden lag eine leere Flasche, der ganze Raum stank nach Fusel und dem Öl der Laterne. Sonst war niemand zu sehen. Don Jerome ging um den großen Spieltisch herum. Seine Lippen verzogen sich zu einem bösartigen Grinsen. Sein Degen stach zu. Die Spitze senkte sich in die Halsgrube von Pedro Pájaro. Die beiden Kerle hockten auf dem Boden und hatten versucht, sich hinter dem Tisch zu verstecken. „Das dachte ich mir fast“, sagte er zufrieden. „Penetranter Pöbel, Bastarde! Die paar Hiebe haben euch Pack nicht geläutert. Aber ganz sicher wird die morgige Bestrafung das tun.“ „Wir haben nur einmal ...“, sagte Pedro, doch die Degenspitze bohrte sich weiter in seine Halsgrube, bis ein paar Tropfen Blut daraus hervorsickerten. „Abführen!“ befahl Don Jerome. „In die Piek mit dem Pöbel. Vorher die Kerle genau durchsuchen.“ Bei der Durchsuchung entdeckten sie den nachgefertigten Schlüssel, Flint und Feuerstein, mit dem die beiden Kerle die Laterne entzündet hatten. „Diebstahl!“ zählte Don Jerome auf, „Eindringen in der Achterdeck, Entzünden von offenem Feuer, Anfertigung eines Nachschlüssels, Gefährdung der Borddisziplin, Gefährdung durch offenes Feuer. Mir fallen noch mehr Anklagepunkte ein. Ab in die Vorpiek mit den Bastarden und zwei Wachtposten vor das Schott. Keine Verpflegung und kein Wasser!“ Der Corporal mußte die Laterne löschen, während Don Jerome seinen Degen zweimal durch die Luft pfeifen ließ. Die beiden pfeifenden Hiebe fetzen die Hemden der Männer auseinander und zogen eine blutige Schramme über ihre Oberkörper. Anschließend wurden sie abgeführt - sehr unsanft, denn als sie in der pechschwarzen
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Vorpiek landeten, waren ihre Körper voller blauer Flecken, und sie konnten kaum noch laufen. Diesmal wurden sie mit den Gesichtern nach unten auf die Gräting gebunden. Jetzt schwappte zwar keine Brühe mehr über, aber dafür hingen sie mit der Nase über der übel riechenden Bilgenjauche. Reden konnten sie auch nicht mehr miteinander, doch dazu war ihnen längst die Lust vergangen. Den ganzen nächsten Tag und die folgende Nacht verbrachten sie in der stickigen Hitze der Vorpiek. Niemand brachte ihnen Wasser, und so litten sie entsetzliche Qualen. Erst am Morgen des übernächsten Tagen wurden sie an Deck gebracht. * Zu ihrem Erstaunen wurde auf eine formelle Anklage verzichtet, und so verspürte Pedro bereits wieder Oberwasser. Lediglich die Hände hatte man ihnen auf den Rücken gebunden. Sie blinzelten in die grelle Sonne. Auf dem Oberdeck herrschte die übliche Geschäftigkeit aus Exerzieren und Decksarbeit. Keiner aus der Mannschaft beachtete sie. Ihre Unternehmung schien sich auch nicht herumgesprochen zu haben. Der Profos, der früher auf einer Galeere als Sträfling gefahren war, stand ganz in ihrer Nähe. Interessiert blickte er auf die inzwischen abgefierte Jolle, in der vier Seesoldaten in ihren Rüstungen Platz nahmen. In der Jolle befand sich zwischen den Duchten nur ein kleines Fäßchen, sonst nichts. „Da geht's hinunter“, sagte der Profos, der eine gebogene Nase und ölige Haare hatte. Sein Mund war ein verkniffener Strich, um den herum sich zwei Warzen gruppierten. Er war mindestens doppelt so breit wie Pedro und überragte beide um Kopfeslänge. Die beiden blickten auf die hinuntergelassene Jakobsleiter und dann auf ihre gefesselten Hände. Sie hatten
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keine Ahnung, was man mit ihnen vorhatte, waren aber auf allerlei Unannehmlichkeiten gefaßt. „Ach so“, sagte der Profos freundlich. „Ihr könnt ja nicht klettern. Na, das haben wir gleich.“ Mit seinen riesigen Pranken packte er Pedro am Genick und Hosenbund, hob ihn mühelos hoch und warf ihn über Bord. Bevor sich Roman Ortiz von seinem Schreck erholt hatte, flog er schon hinterher. Im Wasser ersoffen sie fast und hatten hündische Angst, denn die Seesoldaten ließen sich viel Zeit, um sie wieder herauszufischen und in die Jolle zu hieven. Jetzt saß ihnen die Angst im Genick, als auch der Profos Platz nahm und sich an die Pinne setzte. Pedro schielte ständig nach dem Kasten mit der neunschwänzigen Peitsche, aber den hatte er nicht dabei. Allerdings hatten die Seesoldaten Musketen, und das gab ihnen mächtig zu denken. Ortiz beschäftigte sich mit der Frage, ob man sie wohl wegen ihrer Verfehlungen erschießen würde, auf einer der Inseln vielleicht, von denen es hier nur so wimmelte. „Wo – wo geht es hin, Senor Arvilos?“ fragte Pedro schüchtern, als die Fock gesetzt wurde und die Jolle gleich darauf Fahrt aufnahm. „Maul halten!“ brüllte der Profos. „Hier werden keine dämlichen Fragen gestellt!“ Daraufhin schwiegen beide eingeschüchtert. Fast zwei Stunden lang segelte die Jolle nach Süden zwischen vielen Inseln hindurch. Den beiden schmerzten die auf den Rücken gefesselten Hände. Sie konnten sich kaum bewegen. Besonders schlimm fanden sie, daß niemand während der Fahrt auch nur ein einziges Wort sprach. Ein unheilvolles Schweigen war um sie herum. Die erschießen uns, dächte Pedro Pájaro. Und zwar auf einer der Inseln, damit man es vom Schiff aus nicht sieht. Sie nahmen jetzt Kurs auf eine lächerlich kleine Insel, auf der nur drei oder vier,
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Palmen wuchsen. Sonst gab es nur Buschwerk und einen langen Strand. Die Insel ließ sich bequem in einer halben Stunde zu Fuß umrunden. Auf der vorderen Landspitze gab es ein Riff aus scharfen Korallen, das jetzt bei Ebbe freilag. Dort wimmelte es nur so von geschäftigen Krebsen und Krabben. Dicht neben dem Riff lief die Jolle auf den weißen Korallenstrand. Der Profos sprang auf den Sand und nahm das Fäßchen mit. Ziemlich unsanft warf er es neben einen Stein. „Raus mit euch Bastarden“, knurrte er. „Adelante, sonst fliegen euch ein paar Kugeln hinterher!“ Er riß die beiden hoch und stieß sie aus der Jolle in den Sand. Die Fesseln nahm er ihnen nicht ab. Beide rappelten sich mühsam auf und starrten ängstlich zu den vier Seesoldaten und dem Profos, der jetzt wieder in die Jolle stieg. „Hier habt ihr Zeit zum Spielen“, sagte er höhnisch. „Don Jerome hat beschlossen, daß er in Zukunft ohne euch auskommen wird, was er natürlich sehr bedauert. In dem Faß ist Wasser. Die Stricke um eure Hände dürft ihr auch behalten. Daran könnt ihr euch später aufhängen, wenn ihr das Wasser ausgesoffen habt.“ Die Jolle wurde ins Wasser geschoben. Ein paar Augenblicke später sahen sie nur noch die Rücken der fünf Männer, die zur Nao de China zurücksegelten. 6. Steif und unbeweglich standen Pedro und Roman am Strand und stierten der Jolle nach. „Ausgesetzt“, flüsterte Pedro mit zuckenden Lippen. „Mann, die Schweine haben uns einfach ausgesetzt!“ „Ja, sieht so aus. Immerhin haben sie uns nicht gleich erschossen, wie das anfangs glaubte.“ Immer noch völlig fassungslos stellten sie das Faß auf und sahen nach, was es enthielt. Es war tatsächlich Trinkwasser.
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Ihre Fesseln hatten sie inzwischen mit ein paar schnellen Bewegungen abgestreift. Sie waren nicht sehr fest. Die Jolle verschwand als kleiner Punkt in einem blauen Meer, und von hier aus konnten sie auch die „Mar adento“ sehen, die wie ein Spielzeug in der großen Bucht vor Anker lag. Aber für sie war sie jetzt weiter entfernt als der Mond. Roman hockte sich in den heißen Sand und blickte aufs Meer hinaus. „Das bedeutet das Ende für uns“, sagte er. „Hätten wir nur die Finger von diesem verdammten Spiel gelassen.. Jetzt haben uns die Bastarde drüben eine feine Quittung aufgebrummt. Wir haben nur ein Wasserfaß und zwei kleine Tauenden, mehr nicht.“ „Damit können wir leider nicht viel anfangen.“ Du sagst es, aber sehen wir uns lieber mal die Insel an. Wenn wir Glück haben, finden wir Trinkwasser. Dann können wir schon wesentlich länger überleben.“ Das Fäßchen mit dem Wasser, ihr kostbarstes Gut jetzt, stellten sie in Schatten der Büsche, damit es nicht zu heiß wurde. Sie zogen ihre zerfetzten Hemden aus und warfen sie neben das Faß. Dann marschierten sie los. Zu ihrer Enttäuschung gab die Insel nicht viel her. Aber das hatten die Kerle von der Galeone absichtlich so gewählt, damit sie keine Chance zum Überleben hatten. Trinkwasser gab es nicht. Die Insel würde außerdem noch schrumpfen und kleiner werden, sobald die Flut auflief. Vier Kokospalmen gab es, an denen Früchte hingen. Da sie nichts anderes zu tun hatten, zählten sie die. Nüsse und kamen auf etwa über siebzig. „Jeder jeden Tag eine“, sagte Ortiz. „Das würde uns das Überleben für mehr als einen Monat sichern. Solange können wir es hier aushalten, dann ist Ende, Schluß, aus.“ „Wenn du einen Monat lang Kokosnüsse frißt, wirst du wahnsinnig“, sagte Pedro angewidert.
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„Wenn du einen Monat lang keine frißt, wirst du noch wahnsinniger“, entgegnete Roman Ortiz. „Also lassen wir uns vorerst keine grauen Haare wachsen. Wir müssen uns damit abfinden. Außerdem können wir zwischen den Riffen nach Muscheln und Krebsen suchen. Leider müssen wir das alles kalt runterwürgen.“ „Scheiß drauf“, knurrte Pedro Pájaro. „Sie haben uns wenigstens nicht mehr ausgepeitscht, gekielholt oder abgeknallt. Eine Chance zum Überleben bleibt uns trotzdem noch. Wir sind beide gute Schwimmer, und wir schaffen es ganz sicher bis zur nächsten Insel, die größer ist. Auf einem dieser verdammten Eilande wird es doch auch Wasser geben.“ „Mit Sicherheit. Allerdings gibt es hier auch Haie, und die sind verflucht zahlreich. Kann sein, daß sie uns unterwegs ein bißchen annagen.“ Da wurde Pedro allerdings sehr kleinlaut. „Ja, das ist der Haken bei der Sache, und das haben die Halunken natürlich auch gewußt. Wahrscheinlich lachen sie sich jetzt krank über uns.“ Sie konnten es immer noch nicht so richtig begreifen, daß sie jetzt dazu verdammt waren, den Rest ihres Lebens auf dieser abgelegenen und kleinen Insel verbringen zu müssen. Das ging nur sehr schwer in ihre Köpfe. Die Insel hatten sie jetzt erkundet. Sie gab wirklich nicht viel her, außer den paar Palmen. Die Büsche, die ein paar hundert Schritte weiter wuchsen, trugen auch keine Früchte. Nicht mal Vögel brüteten auf diesem Eiland. Dafür gab es größere und bewachsene Inseln, wo sie in Scharen nisteten. Am ersten Tag sahen sie ihre Verbannung noch als Abenteuer an, doch das sollte sich rasch ändern. Da sie großen Durst verspürten, benetzten sie nur ihre Lippen mit Seewasser, suchten sich zwischen den Korallen eine seichte, wassergefüllte Stelle und badeten darin, um ihre Körper zu kühlen. Das half ein wenig über den Durst hinweg. Anschließend erkundeten sie vorsichtig das aus dem Wasser ragende Korallenriff.
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Dabei erwischten sie auch drei kleinere Fische, die dicht am Grund lagen und auf die Flut warteten. Als der Hunger sich unangenehm meldete, aßen sie die Fische roh und rissen ihnen nur die Köpfe ab. Danach sammelten sie größere Muscheln, deren harte Schalen sie mit Hilfe von Steinen knackten. Der Inhalt schmeckte nicht schlecht. Es fragte sich jedoch m, wie lange er wohl schmecken mochte, er ihnen zum Hals heraushing Noch bevor es Abend wurde, erklomm Pedro, der ein flinker Kletterer war, den Stamm einer Palme und holte ein paar Kokosnüsse. Auch die schlugen sie mit Hilfe von scharfkantigen Steinen auf. Leider waren die Nüsse noch nicht reif. Das Fleisch war noch wabbelig und die Milch nur ein Fingerhut voll. „Das reicht schon mal nicht“, sagte Pedro, „um mindestens einen Monat lang zu überleben. Die Mistdinger sind einfach zu klein. Wir haben eben immer nur Pech.“ „Noch leben wir, und mit Muschelfleisch und Fisch wird es schon eine Weile gehen.“ „Ob die uns noch mal einen Besuch abstatten, diese Mistkerle?“ fragte Pedro, auf das weit entfernte Schiff zeigend. „Die werden sich bestimmt überzeugen wollen, wann wir endgültig verreckt sind. Vierzehn Tage bleiben sie ja noch hier, wenn die beiden anderen Galeonen nicht aufkreuzen“ „Glaube ich nicht. Wie und wann wir verrecken, interessiert doch die Senores nicht. Für die sind wir nur Dreck, der nicht wert ist, auch nur angesehen zu werden.“ Ziemlich lustlos stromerten sie weiter auf der Insel herum, doch es gab nichts Neues zu entdecken. „Wo pennen wir eigentlich?” fragte Pedro. „Einfach so in den Sand hauen und mit dem Himmel zudecken?“ „Viel mehr bleibt uns kaum übrig.“ Roman Ortiz wandte sich um und blickte zu den Büschen, die etwa fünfzig Schritte vom Strand entfernt wuchsen. Sie standen dicht zusammen wie eine Hecke und hatten oben weitauslaufende Blätter.
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„Am Strand werden wir kaum bleiben können“, sagte er und zeigte mit der Hand in den Sand. „Die Flut läuft schon auf, und die verdammte Insel wird merklich kleiner. Selbst die Korallen sind kaum noch zu sehen.“ „Stimmt, die Insel schrumpft zusammen. Hauen wir uns irgendwo im Inselinnern aufs Ohr, wenn es soweit ist.“ Das Inselinnere war natürlich ein Witz. Man konnte von hier mühelos bis zur anderen Seite blicken, wo wieder das Wasser in winzigen Wellen gegen den Strand rannte. Aber zumindest würde das Wasser dort nichts überspülen. Sie untersuchten die Büsche und gruben mit den Händen zwei langgestreckte Mulden, die groß genug waren, um einen Körper aufzunehmen. „Unsere Bunks auf dem Schiff waren auch nicht besser“, meinte Pedro. „Aber hier ist es richtig gemütlich.“ Sie rissen Blätter ab, um die Sandmulden auszupolstern. über sich hatten sie das grüne Blätterdach, das so dicht war, daß es nur schwach das Sonnenlicht durchließ. Ortiz hatte sich noch einen Rest Galgenhumor bewahrt. „Heute werden wir auf das Billardspiel verzichten müssen, damit wir nicht wieder unangenehm auffallen.“ „Dafür gehen wir morgen wieder nach achtern“, sagte Pedro. Die kurze Dämmerung hüllte die Insel in ein fahles Licht. Noch einmal sahen sie aus der Ferne die Galeone in der Bucht liegen. Es war ein beklemmendes Gefühl, zu wissen, daß das Schiff bald verschwunden sein würde. Dann waren sie in sehr weitem Umkreis die einzigen Lebewesen. Sie waren jetzt zwar frei wie der Vogel, doch es war eine bittere Freiheit, mit der sie nichts anfangen konnten, weil ihr Ende ganz einfach vorgezeichnet war: Die Dunkelheit fiel wie ein Vorhang. Sie hauten sich in ihre Mulden und blickten noch einmal zum sternenübersäten Samthimmel, bevor sie einschliefen.
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„Wenigstens haben wir hier unsere Ruhe“, spottete Pedro. „Hier kann uns niemand stören oder ärgern.“ Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er entsetzt hochfuhr. Gleich darauf stieß er einen Schrei aus und sprang mit einem wilden Satz auf die Beine. Unerträgliche Schmerzen fuhren durch seinen Körper. Er griff sich schreiend an die Brust und hielt etwas Zappeliges in den Händen, das biß und zwackte. Ortiz war ebenfalls blitzschnell auf den Beinen. In Angst und Schrecken rannte er ein paar Schritte durch das Blättergrün. Im Licht des Mondes sahen sie dann, was sie so peinigte, und trauten ihren Augen nicht. Ganze Scharen von Strandkrabben waren über sie hergefallen und zwickten gierig in ihr Fleisch, aus dem sie winzige Stücke herausschnitten. Die beiden gerieten noch mehr in Panik, als sie sahen, daß es auf der Insel von den Krabben buchstäblich wimmelte. Der Strand war voll von ihnen. Sie rannten hin und her und fraßen alles, was ihnen vor die Scheren geriet, gierig, wild und ungestüm. Sie hockten da und schaufelten Blätter, abgestorbenen Tang und angeschwemmten Schlamm in sich hinein. Die Freßgeräusche waren auf der ganzen Insel zu hören. Es war wie das Sirren von Heuschrecken, wie kleine Sägen, die unermüdlich raspelten. „Oh, ihr verdammten Bastarde!“ schrie Pedro in hellem Entsetzen. „Ihr habt uns in der Hölle ausgesetzt, ihr dreckigen Halunken.“ Überall biß und brannte es. Die Strandkrabben, nicht einmal faustgroß, dafür aber in ihrer Zahl unendlich, hatten sich inzwischen von ihnen gelöst. Doch wo sie auch hintraten, der ganze Strand war voll von den gefräßigen kleinen Monstern. Wie riesige Kakerlaken liefen sie überall durcheinander. An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken. Sie konnten nicht mal mehr zur Mulde zurück. Denn dort war eine riesige Armee Strandkrabben dabei, die abgerupften Blätter zu vertilgen, an die sie
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an den Sträuchern sonst nicht gelangten. Jetzt taten sie sich gütlich daran, und sägten unermüdlich weiter. In ohnmächtigem Zorn traten sie Krabben tot, warfen Steine in die Ansammlungen und erreichten nichts weiter, als daß die gierigen Biester jetzt ihre toten Artgenossen fraßen und in blinder Freßgier über die Reste herfielen. Im Mondlicht rannten sie entnervt zur anderen Inselseite hinüber, wo es nicht anders aussah. Auch hier bevölkerten ganze Armeen Sandkrabben das Land. Was die See tagsüber anspülte, wurde nachts von ihnen vertilgt, bis alles wieder sauber war. Endlich fanden sie ein paar große Steine, die nicht. von Krabben bevölkert waren. Sie kauerten sich darauf nieder und verfluchten ihr Schicksal. Aber die Angst ließ sie nicht einschlafen, auch wenn sie noch so müde waren. Überall war das Raspeln und Knirschen zu hören, das unermüdliche Sägen und Nagen, das kein Ende nahm. „Wir müssen hier weg“, sagte Pedro erschöpft. „Auf der Insel können wir nicht bleiben, sonst werden wir bei lebendigem Leib von diesen Mistviechern gefressen. Anscheinend tauchen die hier nur nachts auf.“ „Ja, sie gehen nur nachts an Land, um zu fressen. Aber ich wußte nicht, daß es hier welche gibt. Wir müssen uns tatsächlich etwas einfallen lassen.“ „Aber was nur, zum Teufel? Hier fressen uns die Krabben, und im Wasser zerfetzen uns die Haie, oder was es sonst noch alles gibt.“ „Weiß ich auch noch nicht. Irgendeine Lösung werden wir jedoch bald finden müssen.“ Sie dösten vor sich hin und schraken immer wieder hoch. Das ging bis zum Morgen so, als die Sonne im Osten scheinbar aus dem Meer stieg und ihre funkelnde Scheibe neugierig an der Kimm hervorlugte. *
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Der Strand war wieder sauber, wie leergefegt. Keine einzige der gefräßigen Krabben war mehr zu sehen, und sie fragten sich bereits, ob ihnen ihre überreizten Sinne nicht einen üblen Streich gespielt hatten. Aber da waren die Wunden auf ihren Körpern – winzige Bißstellen, die entsetzlich juckten und brannten. Wie tiefe Nadelstiche sahen manche aus. Von den Kokosnüssen, die sie sich gestern geholt hatten, waren nur noch die harten Schalen übrig. Alles andere war abgenagt und sah blank aus. Schluckend sahen sie sich die Mulden an, aus denen sie so unsanft geweckt worden waren. Vorher waren sie mit Blättern ausgepolstert gewesen, mit einer Menge Blättern. Jetzt befand sich kein Fetzen Grün mehr in den Mulden. Die Krabben hatten auch hier ganze Arbeit geleistet. Das Wasserfaß hatten sie zum Glück in Ruhe gelassen. Vor dem Fäßchen lagen ein paar leere Schalen von Krabben, die sie getötet hatten und die dann von ihren Artgenossen verspeist worden waren. Sie tranken ein paar Schlucke Wasser. Das Fäßchen war noch zu zwei Dritteln gefüllt. Der kleine Vorrat schrumpfte ziemlich schnell zusammen. „Infierno“ nannten sie die Insel – Hölle, und das war keineswegs übertrieben. Sie hockten sich in den Sand und starrten zu der Manila-Galeone hinüber, die unbeweglich in der Bucht lag. „Hoffentlich verpassen sie die Galeonen“, sagte Pedro haßerfüllt. „Noch lieber wäre mir, sie würden Piraten zum Opfer fallen oder absaufen, diese Höllenhunde.“ „Vielleicht wird der Wunsch erfüllt“, erwiderte Ortiz. „Es kann aber auch sein, daß man uns noch zurückholt.“ „Wie kommst du darauf?“ „Ich weiß nicht. Möglicherweise ist es nur eine Art Strafe, bis wir vor Angst nur so schlottern.“ Aber das war bloßes Wunschdenken. Niemand dachte daran, sie von der Hölleninsel wieder zurückzuholen. Auf der
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Galeone hatte man sie längst vergessen und abgeschrieben. Wieder sahen sie sich die Insel an und trugen schließlich Steine zusammen, mit denen sie einen Ringwall bildeten, um wenigstens nachts ruhig schlafen zu können. Sie schufteten, bis ihnen der Schweiß in dicken Tropfen über die Gesichter rann. Der Ringwal war gut einen halben Yard hoch und befand sich an einer völlig vegetationslosen Stelle. Für die gefräßigen kleinen Ungeheuer mußte diese Stelle uninteressant sein. „Hier werden sie uns wohl in Ruhe lassen“, sagte Ortiz zuversichtlich. Vor der Nacht hatten sie trotzdem Angst, denn ob ihr neues Domizil sicher war, mußte sich erst noch erweisen. Den Tag verbrachten sie mit Muschelsammeln und fingen auch wieder ein paar kleine Fische in den seichten Korallenlöchern. Ein paar Kokosnüsse vervollständigten das Essen. Der rohe Fisch schmeckte fade, aber das Fleisch löschte ein wenig den Durst. Bei den Muscheln war es genau umgekehrt: nach dem Verzehr des Innern, das salzig schmeckte, verspürten sie wieder Durst. Die Abfälle warfen sie jetzt immer ins Wasser, damit nichts am Strand liegenblieb, was die Teufelsviecher reizen konnte. Bei Einbruch der Dunkelheit suchten sie ihren Wall auf und legten sich in den schnell kühler werdenden Sand. Sobald es finster wurde, begann das nervenzerfetzende Sägen und Nagen wieder, als Abertausende von Krabben an Land krochen. Atemlos lauschten sie in die Dunkelheit, bis Pedro einen leisen Schrei ausstieß. „Verflucht noch mal, die Viecher überklettern unsere Steine!“ Ein paar Dutzend Krabben schafften es, den Wall zu erklimmen und ließen sich von oben fallen. Unter Brüllen und Fluchen schlugen sie auf die Plagegeister ein und warfen sie wieder hinaus.
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Es gab auf der Insel keinen Schutz vor ihnen. Nichts war vor ihnen sicher, sie fanden jede Lücke und überwanden auch höhere Wälle. Am nächsten Morgen bot sich ihnen das gleiche Bild Die Insel war blitzsauber und wie leergefegt. Mit Steinen aus dem seichten Wasser erhöhten sie den Wall weiter, und von da an hatten sie endlich nachts einigermaßen Ruhe. Nur selten kamen noch ein paar 1: gebetene Gäste zu Besuch. Dafür hörten sie es in ihrer Nähe raspeln, schmatzen und nagen. So verging ein Tag nach dem anderen, und jeden Tag sahen sie die Galeone in der großen Bucht liegen. Dort gab es warmes Essen und Wasser, und da hatte man ein Dach über dem Kopf. Am fünften Tag hatten sie das Trinkwasser verbraucht In dem Fäßchen befand sich kein Tropfen mehr. „Jetzt sind wir so gut wie erledigt“, sagte Ortiz. „Ich habe mir schon ein paarmal die Insel dort drüben angesehen, die Insel mit dem großen Hügel. In ihrer Mitte ist sattes dunkles Grün. Könnte sein, daß es dort Trinkwasser gibt.“ „Und wenn nicht?“ „Drüben sind wir auf jeden Fall besser dran als hier. Die Insel ist mindestens fünfzehnmal so groß wie diese hier. Außerdem wachsen auf ihr jede Menge Palmen. Dort läßt es sich besser leben. Traust du dir die Strecke zu?“ „Schätze, daß wir mindestens drei bis vier Stunden kräftig schwimmen müssen. Ich traue mir das zu – aber die Haie!“ „Ja, die Haie. Hier verrecken wir so oder so. Wir müssen das Risiko eingehen.“ Nach einigem Zögern stimmte Pedro zu. „Wir haben hier wirklich nichts mehr zu verlieren“, meinte er. „Also gut, verlassen wir Infierno.“ „Jetzt gleich?” „Wenn schon – denn schon.“ Sie nickten sich zu und grinsten hart. Bartstoppeln bedeckten ihre sonnenverbrannten Gesichter. Sie trugen nur noch ihre Hosen, die Hemden waren zerfetzt.
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Sie umgingen das Riff und blickten zu der fernen Insel hinüber. Sie lag wie ein verlockendes Juwel im Meer, mit ihrem sattgrünen Hügel und den zahlreichen Palmen. Als sie im glasklaren Wasser standen, nickten sie sich aufmunternd zu. „Hoffentlich sieht man uns von der Galeone aus nicht“, sagte Pedro. „Die Bastarde kriegen es fertig und bringen uns wieder zurück.“ „Glaube nicht, daß die noch nach uns Ausschau halten.“ Sie standen schon im Wasser, als in der Bucht einige Vorbereitungen getroffen wurden, die sie stutzig werden ließen. Die ausgesetzten Jollen wurden an Bord genommen und die Segel gesetzt. „Die gehen ankerauf“, sagte Pedro verblüfft. „Sie warten nicht mehr auf die anderen Schiffe.“ „Tatsächlich.“ Ortiz war genauso verblüfft. Mit ein paar Sätzen waren sie wieder an Land und beobachteten alles genau. Die Manila-Galeone ging tatsächlich ankerauf und drehte nach gut einer Stunde schwerfällig aus der Bucht. Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen ging sie jedoch nicht auf südlichen Kurs, sondern törnte langsam nach Norden hinauf. „Verstehst du das?“ fragte Ortiz fassungslos. „Nein, ich kann nur Vermutungen anstellen. Sie glauben, daß sich die beiden Galeonen höher im Norden befinden und haben beschlossen, die Strecke abzusegeln. Vielleicht liegt auch ein Navigationsfehler vor.“ „Nein, sie suchen bestimmt nach den anderen. Sie werden früher oder später wieder nach Süden segeln. Das haben die beiden Casa-Kerle so angeordnet, und so wird es auch gehalten.“ Natürlich kümmerte sich niemand um sie, wie sie insgeheim doch noch gehofft hatten. Ziemlich dicht segelte die Nao de China jetzt unter der Küste entlang unbeirrbar nach Norden. Als sie die Galeone Stunden später nicht mehr sehen konnten, war es für ihr Vorhaben zu spät, und sie beschlossen, in der Frühe des
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Fred McMason nächsten Morgens schwimmen.
zu
der
Insel
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7. Die See war wieder ruhig, als sie losschwammen. An der Riffbarriere entdeckte Pedro plötzlich den Hai. Es war derselbe, den sie schon ein paarmal gesehen hatten, ein großes Tier, das unruhig durch die Gewässer strich und ihnen schon ein paarmal das Baden verleidet hatte. Der Hai schwamm ziemlich dicht an Ortiz vorbei, nachdem Pedro seinem Freund eine Warnung zugebrüllt hatte. Ortiz sah das Tier auch, das jetzt genau auf ihn zuhielt und ihn einmal neugierig umkreiste. Gleich darauf verspürte er einen leichten Stoß am rechten Bein, als die Schmirgelhaut ihn streifte. „Zurück, Pedro!“ brüllte er. „Schnell an Land!“ Als der Schatten vor ihm auftauchte, geriet Roman Ortiz in Panik. Er schlug um sich und versuchte, das Riff zu erreichen. Pedro schwamm ihm nach, so schnell er konnte. Roman übersah die dem eigentlichen Riff vorgelagerte kleine Korallenbank. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn, als er mit den Beinen über die rasiermesserscharfen Korallen streifte. Augenblicklich strömte Blut aus zahlreichen Wunden. Bei dem Hai löste das sofort eine wilde Reaktion aus. Er roch das Blut im Wasser, das jetzt zu einer breiten, rosafarbenen Spur wurde, und er sah das große Etwas über sich wild zappeln. Er griff mit wahnwitziger Geschwindigkeit an und stürzte sich auf sein wehrloses Opfer. Zu diesem Zeitpunkt war Pedro noch etwa dreißig Yards entfernt. Er schrie laut und gellend auf, als er sah, daß Ortiz mit einem wilden Ruck in die Tiefe gezogen wurde. Er drosch mit den Händen auf das Wasser und konnte doch nicht helfen. Irgendwo tief unter sich glaubte er, etwas zappeln zu sehen, doch alles ging so schnell, daß er nur wirbelndes Wasser,
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einen blaßrosa Strudel und etwas Schaum erkannte. Das Drama am Riff war schneller beendet, als er denken konnte. Er sah Roman Ortiz nie wieder, er sah nur die lange Blutspur im Wasser, die sich allmählich auflöste und verdünnte. Der Hai war ebenso in der Tiefe verschwunden wie Ortiz. Und er selbst konnte absolut nichts tun. Ihm blieb nur das namenlose Grauen, das Entsetzen und hilflose Zuschauen. Er wußte auch nicht mehr, wie er den Strand wieder erreicht hatte. Aber er kniete im Sand und erbrach sich, bis er nichts mehr im Magen hatte und mit einem würgenden Krampf zusammenbrach. Von jetzt an war er mutterseelenallein auf der Insel Er fand auch nicht mehr die Kraft, zu der anderen Insel. zu schwimmen. Er dachte ständig an den Hai, den er zwar nicht mehr sah, von dem er aber sicher wußte, daß er noch um das Riff strich. Ihm würde gar nichts anderes übrig bleiben, als auf das Ende zu warten. Auf seine Überreste würden sich die gierigen Krabben stürzen, und nur ein ausgebleichtes Gerippe würde später im Sand zurückbleiben. Aber es kam anders, als er dachte. * Einen Tag später bewölkte sich der Himmel, und es begann in dicken Tropfen zu regnen. Dieser tropische Regenguß weckte augenblicklich seine schon fast erloschenen Lebensgeister. Wasser! Da war Wasser, das vom Himmel fiel, und zwar in solchen Mengen, daß er sie nie verbrauchen konnte. Schnell holte er das Faß, riß große Blätter von den Büschen ab und legte sie verschachtelt übereinander, bis sie eine größere Fläche bildeten. Der Regen ergoß sich zischend und prasselnd auf die Blätter, strömte darüber hinweg und schoß gurgelnd in das Faß. Innerhalb kurzer Zeit war es bis an den Rand gefüllt.
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Pedro selbst lief im Regen hin und her, breitete die Arme aus, öffnete gierig den Mund und trank, bis er nicht mehr konnte. Der Regen hielt einen Tag und eine Nacht an. Danach begann es von See her unangenehm stark zu wehen. Erst war es eine steife Brise, dann wurde ein Sturm daraus, und schließlich war alles grau in grau, und orkanartiger Wind peitschte über die Insel. Pedro verkroch sich hinter dem Wall, aber selbst die Steine wurden vom Sturm davongerollt. Es wurde eine fürchterliche Nacht, in der er hin- und hergeworfen wurde und ihm Sand und Blätter um die Ohren flogen. Am nächsten Morgen gab es keine einzige Palme mehr auf Infierno. Der rasende Sturm hatte die Stämme mehrfach geknickt und aus dem Rest Kleinholz gemacht. Pedro Pájaro handelte wie in Trance, nachdem sich Meer und Himmel wieder beruhigt hatten. Er trug die Stämme, jetzt nur Trümmerstücke, zusammen und legte sie dicht ans Wasser. Das Meer hatte noch ein paar weitere Hölzer und eine Menge Dreck an die Insel getrieben. Aus den Trümmern baute er sich ein mehr als primitives Floß, und zum Zusammenbinden drehte er aus Lianen Stricke. Mehr als zwei Tage lang war er mit dem Bau beschäftigt. Eins der Holzstücke klemmte er als provisorischen Mast in das Floß und band die Fetzen ihrer alten Hemden daran zusammen. Er wollte nur noch weg von hier, egal wohin. Er würde sich einfach treiben lassen, bis ihn das Meer an eine andere Insel spülte. Auch das Wasserfaß verstaute er, so gut es eben eng, und nahm ein paar Kokosnüsse mit, die jetzt dicht am Wasser lagen. Ein paar Tage würde er es sicher aushalten. Es gab in dieser Ecke ja so unendlich viele Inseln. Am nächsten Morgen, er wußte nicht, wie lange er auf Infierno zugebracht hatte, schob er das Floß ins Wasser.
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Es blieb jedoch an einer der Korallenzacken hängen, und so mußte er ins Wasser steigen, um es wieder flottzukriegen. Als er es gerade geschafft hatte, zuckte er zusammen und blickte entsetzt nach unten. Zuerst dachte er an den Hai, doch dann erkannte er einen seltsam geformten, schwarzgelb gefärbten Aal, der sich um sein rechtes Bein ringelte. Das Biest war fast mehr als armlang und ähnelte verteufelt einer Schlange. Voller Ekel und Entsetzen versuchte er, das unheimliche Ding abzuschütteln und zog sich hastig auf das Floß hinauf. Da verspürte er einen schnellen und sehr schmerzhaften Biß im rechten Bein. Die Korallen-Seeschlange zuckte zurück und sank in die Tiefe, bis sie auf dem Grund verschwand. Pedro starrte sein Bein an. Die Bißstelle verfärbte sich rasend schnell, schwoll an und wurde dicker. Die Schlange ist giftig, schoß es ihm durch den Kopf. Ihr Biß war vermutlich auch tödlich, wenn auch nicht sofort. Jetzt mußte er schnell handeln, denn als Feldscher kannte er sich mit Bißwunden und Verletzungen aus. Ein Messer hätte er gebraucht, aber er hatte keins. So riß er aus dem Holz einen spitzen und langen Span heraus und jagte ihn sich mit angespannten Gesicht in die Haut, direkt in die Bißstelle. Er ließ das Blut tropfen, drückte und preßte an der Wunde herum und wusch sie schließlich mit Seewasser aus. Am Nachmittag, als er schon längst irgendwo in der See trieb, begann das Fieber, wobei heftige Schauer durch seinen Körper jagten. Heiße Wellen durchfuhren ihn, wilder Schmerz bohrte in allen Gliedern. Hin und wieder verlor er das Bewußtsein. Diese Phasen wechselten ständig. Mal fühlte er sich ermattet, mal war er wieder vorübergehend bei klarem Bewußtsein, bis die heftigen Anfälle erneut auftraten, die ihn schüttelten und schwächten. Wind und Strömung trugen das Floß schnell fort und trieben es nach Süden. Ein
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leichter Sturm fegte es tagelang vor sich her, immer weiter und tiefer nach Süden. Wenn er bei klarem Bewußtsein war, sah er, daß sein Körper an einigen Stellen merkwürdig blau verfärbt war. Dann konnte er auch einen kleinen Schluck Wasser trinken. Tagsüber begann das Delirium mit Alpträumen, Trugbildern und irrealen Vorstellungen. Nachts, wenn es abkühlte, fühlte er sich meist ein wenig besser und schlug mit großer Mühe eine der Nüsse auf, indem er sie an einer anderen zerschmetterte. In den klaren Stunden wußte er auch, daß das heimtückische Gift seinen Körper allmählich durchsetzte. Es konnte wochenlang so gehen, bis er eines qualvollen Todes starb, es konnte aber auch schon morgen der Fall sein. Er kannte die Wirkung des Giftes nicht und wußte auch nicht, wie viel sein Körper aufgenommen hatte. So trieb er weiter, jahrhundertelang, wie ihm manchmal schien. Er trieb durch eine Ewigkeit, die keinen Anfang und kein Ende hatte, bis eines Tages... * „Findet dieses verdammte Schiff“, murmelte Pedro, „findet es und nehmt es auseinander. Es wird mir eine Freude sein. Der Kurs führt an den Molukken vorbei, dann an Neu-Guinea bis hinten zum Südland, wo es den Weg in den Pazifik nehmen wird. Vielleicht segelt es allein, vielleicht sind aber auch die beiden anderen Galeonen dabei.“ Hasard nickte und sah auf den erschöpften Mann, der eine so unglaublich harte Sache hinter sich gebracht hatte und noch lebte. Er mußte Furchtbares durchgestanden haben, alle Höhen und Tiefen menschlichen Leidens. Ein bißchen belustigte ihn ein Teil der Geschichte allerdings auch, und das war die Sache mit diesem merkwürdigen Spiel, das die beiden Kerle Kopf und Kragen gekostet hatte. Ein bißchen verrückt waren die wirklich.
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Der Kutscher gab Pedro jetzt eine Kleinigkeit zu essen. Danach schlief der Spanier übergangslos ein und wurde später nach unten in die Krankenkammer gebracht. An Deck beratschlagten sie inzwischen und redeten sich die Köpfe heiß über die sagenhafte Galeone. „Die ist ganz sicher wieder auf dem Weg nach Süden“, sagte Don Juan bestimmt. „Angehörige der Casa ändern nicht die Route, wenn die erst mal festgeschrieben ist. Sie werden auf die beiden Galeonen gewartet, sie dann gesucht haben und setzen ihre Fahrt fort, deren Kurs uns ja jetzt bekannt ist.“ „Nur mit der Zeit haben wir noch Schwierigkeiten“, sagte Hasard. „Der Don kann sich an keine bestimmte Zeit erinnern. Ich schlage daher vor, daß wir ebenfalls ein paar Tage auf diesem Kurs kreuzen. Sichten wir die Galeone nicht, setzen wir die Reise fort.“ „Und wenn wir sie wirklich sichten?“ fragte Smoky. „Was dann?“ Don Juan hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt. „So ein Brocken ist nicht im Handumdrehen zu knacken“, sagte er. „Man müßte erst an Bord gelangen, um dort gründlich zu spionieren, wie alles läuft, was da passiert und so weiter, bis wir den wunden Punkt gefunden haben.“ „Und dann?“ fragte Hasard gespannt. „Willst du die Senores fragen, ob sie dich ein Stückchen mitnehmen?“ „So ungefähr stelle ich mir das vor. Allerdings über denn kleinen Umweg als Schiffbrüchiger.“ Um ihn herum begannen ein paar Seewölfe bereits zu grinsen, denn sie hatten schon begriffen, daß Don Juan mal wieder einen tollkühnen Raid ausheckte, der sicher auch Hasards Zustimmung fand, denn ein ungewöhnlicher Raid war immer nach seinem Geschmack. „Laß hören, alter Freund“, sagte der Seewolf. „Sollten wir die Galeone sichten, ziehen wir uns sofort zurück“, erklärte Don Juan. „Wir segeln aber bei Nacht an ihr vorbei – natürlich so, daß wir nicht gesehen werden.
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Dann wird eine Jolle ausgesetzt, in der zwei Schiffbrüchige sitzen, die entsprechend präpariert wurden.“ „Ich nehme an, du bist einer der beiden“, sagte Hasard belustigt, aber dennoch gespannt „In aller Bescheidenheit – ja, Sir. Der andere ist, mit deinem Einverständnis natürlich, Blacky. Der ist fast der typische Spanier, schwarzhaarig, dunkeläugig, dunkler Teint.“ „Hört sich gut an“, sagte Hasard gelassen. „Hoffentlich vergißt du dabei nicht, daß du einmal Generalkapitän der spanischen Krone warst und ein paar höhere Chargen dich vielleicht erkennen. Was dir dann blüht, brauche ich wohl nicht aufzuzählen. Du hast die Erfahrung ja bereits einmal gemacht und konntest gerade noch entwischen.“ „Das liegt schon lange zurück. Ich habe mich inzwischen auch ein wenig verändert“, erwiderte Don Juan lässig, „und nicht die geringsten Bedenken. Wenn sie uns wirklich auffischen und an Bord nehmen, werden wir den Dons eine vorher genau abgesprochene Geschichte auftischen.“ „Was haltet ihr davon?“ wandte sich Hasard fragend an die Arwenacks. Na, und ob die Kerle wollten! In ihren Gesichtern spiegelte sich bereits die Vorfreude darauf. „Na klar, diese Galeone wollen wir knacken!“ rief Blacky begeistert. „Auf Biegen oder Brechen, das muß zu schaffen sein.“ Selbst der alte O'Flynn war mit Begeisterung bei der Sache und überlegte bereits ernsthaft, ob er nicht persönlich an dem Raid teilnehmen sollte. Doch das war dem Seewolf zu riskant. Das Spanisch, das der alte Bursche sprach, war nicht so, wie sich ein Spanier ausdrückte. Don Juan aber beherrschte alle spanischen Dialekte, und Blacky stand ihm da kaum nach. Er hatte immer wieder gelernt und gebüffelt, bis alles einwandfrei saß. „Nun gut, ich bin einverstanden“, sagte Hasard. „Von nun an werden wir nach der Galeone Ausschau halten, und wenn wir
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sie wirklich sichten, werden wir versuchen, sie zu schnappen. Dazu ist aber erforderlich, daß wir jede Einzelheit genau besprechen. Irgendwann müßt ihr ja auch mal wieder verschwinden, falls sie euch überhaupt an Bord nehmen.“ „Genau das ist der Kernpunkt“, sagte Don Juan. „Wenn die Beamten von der Casa schlechte Laune haben, wird man uns glatt übersehen. Die kriegen es fertig und lassen Schiffbrüchige einfach weitertreiben, ohne sich um sie zu kümmern. Für die zählt nur die Ladung, dann das Schiff und erst danach die Leute. Sollte das schief gehen, werden wir uns eine andere Lösung einfallen lassen müssen. Was aber das Zurückkehren betrifft, werden wir heimlich nachts von Bord verschwinden und euch schwimmend erreichen. Ich brauche ja nicht zu betonen, daß wir beide gute und ausdauernde Schwimmer sind.“ „Da liegt ebenfalls ein Risiko“, entgegnete Hasard. „Ihr könnt uns bei Nacht verfehlen, denn wir können uns ja nicht zeigen.“ „Das sprechen wir anhand von Karten ab“, sagte der Spanier. „Wir suchen uns ganz einfach eine Insel, wo wir uns treffen.“ „Kann aber in die Hose gehen“, wandte Ferris Tucker ein. Don Juan winkte gelassen ah. „Ein Risiko ist immer dabei, wenn es um ein so großes Ziel geht. Wir sind schon viele Risiken eingegangen. Hm, ab heute dürfen wir uns natürlich nicht mehr rasieren, Blacky.“ „Meine Stoppeln sind schon zwei Tage alt“, sagte Blacky. „Ich werde daran denken, Euer Gnaden. Glattrasierte Schiffbrüchige wirken nicht besonders gut, eh?“ „Stimmt auffallend.“ Hasard grübelte inzwischen schon über den Kurs nach. Dabei überlegte er sich auch den Kurs der Nao de China. Die Dons schienen demnach den Weg zwischen dem Südland und der Insel Neu Guinea bereits zu kennen, sonst hätten sie nie diese Route gewählt. Das war allerdings sehr beachtlich, mußte er zugeben, und sie verstanden es hervorragend, solche Routen geheim zu
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halten. Vielleicht hatte die Casa schon lange daran mitgewirkt, um diesen Seeweg zu finden, der noch so gut wie unbekannt war. Sie selbst hatten ihn vor Jahren nur durch einen Zufall entdeckt. „Dann laßt uns jetzt alles genau durchsprechen“, schlug er vor. „Wir werden auch die Karten zu Hilfe nehmen, aber entscheiden können wir tatsächlich erst dann, wenn wir das Ungetüm sichten. Was wir jetzt tun, ist nur strategische Planung. Die genaue Taktik legen wir später fest.“ Er wandte sich an Dan O'Flynn, der wieder mal Kartenstudium betrieb und viele Ecken der Welt auswendig kannte, weil er das Material immer und immer wieder durchging und genau studierte. Um einen Navigator wie Dan hätte sie jeder Spanier beneidet, doch diesmal mußte Dan auf die Navigation vorerst verzichten. „Tut mir leid, Dan, aber du bist ausnahmsweise nun mal im Ausguck unerläßlich. Ich schicke dich auch nur ungern dort hinauf, aber hier ist ganz entscheidend, daß wir die Nao rechtzeitig sichten, um uns noch verdrücken zu können. Sonst ist unser Vorhaben im voraus gescheitert und wir brauchen uns nicht weiter damit zu befassen.“ „Weiß ich, Sir“, sagte Dan. „Davon hängt wirklich alles ab. Mich stört es nicht weiter, im Ausguck zu stehen. Ich werde mir außerdem das stärkste Spektiv mitnehmen. Wenn wir hier herumkreuzen, kann ich sowieso nicht viel tun.“ „Wir werden noch weiter nach Osten segeln, Dan, und das so schnell wie möglich. Mindestens siebzig, achtzig oder noch mehr Meilen sollten wir hinter uns bringen, wenn die Manila-Galeone den Kurs läuft, den Pedro angegeben hat“ „Dann setzen wir doch den Spitzbusen“, schlug Smoky vor. „Wir haben fast achterlichen Wind, und da ist das Segel goldrichtig.“ „Na los!“ röhrte Carberry plötzlich los. „Auf was wartet ihr noch? Sind euch die Affenärsche verhagelt? Hoch mit dem Spitzbusen, ihr schlafmützigen
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Prielwürmer. Ich will das Schiffchen nicht auf, sondern über den Wellen laufen sehen.“ Das Segel mit dem eigenartigen Namen wurde aus der Segellast geholt und angeschlagen. Ein paar hundert Jahre später sollte man dieses ballonförmige Segel als Spinnaker bezeichnen, das der Schebecke mächtigen Vortrieb gab. „Ah, jetzt huscht das Mädchen ab wie eine Wasserjungfer, wenn sieh ihr Röckchen bauscht!“ rief Carberry begeistert, nachdem praller Wind den „Spitzbusen“ gefüllt hatte. „Hab noch nie eine Wasserjungfer mit gebauschtem Röckchen gesehen“, sagte Matt Davies kopfschüttelnd. „Du hast ja auch keine Phantasie“, knurrte der Profos. „Dabei kann man sich das ganz einfach vorstellen, wenn man nur will.“ „Wie geht es unserem Patienten?“ fragte Hasard, als der Kutscher gerade an Deck erschien. „Er schläft noch immer. Aber das verdammte Fieber steht schon wieder in seinem Gesicht. Es ist zum Verzweifeln, da hilft alles nichts. Außerdem waren die Strapazen zu hart. Das übersteht kaum jemand.“ „Du glaubst, er überlebt es nicht?“ Der Kutscher schüttelte traurig den Kopf. „Es ist ein Wunder, daß er bis jetzt überhaupt überlebt hat“, erwiderte er. „Aber sein Körper ist durch und durch von diesem langsam wirkenden und lähmenden Gift durchsetzt. Weiß der Teufel, wie lange er es schon in sich hat. Ich versuche wirklich alles, aber irgendwo sind leider die Grenzen gesetzt.“ Hasard nickte nur wortlos. Am anderen Morgen war der Spanier Pedro Pájaro tot. Er war aus seinem langen Schlaf nicht mehr erwacht. 8. Der alte Segelmacher Will Thorne nähte schweigend die Leiche des Spaniers in Segelleinen ein.
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Die Arwenacks bestatteten ihn auf See mit allen Ehren und drehten bei, um die Zeremonie vorzunehmen. Eine siebzehn Pfund schwere Eisenkugel zog den Spanier rasch in die dunkelblaue Tiefe der See. „Damit übergeben wir diese sterbliche Hülle dem unendlichen Meer“, sprach Big Old Shane. „Wir hoffen auf die Auferstehung des Leibes, wenn das Meer seine Toten freigibt. Möge der allmächtige Gott seiner armen Seele gnädig sein. Amen.“ Das leise Gemurmel der Arwenacks begleitete den Toten auf seiner letzten Reise. Sie hatten ihn kaum gekannt, aber einigen war doch so, als hätten sie einen guten Freund verloren. Die Schebecke ging auf ihren alten Kurs zurück, der sie ziemlich schnell nach Osten brachte. Vier Tage lang geschah gar nichts, außer, daß Dan O'Flynn abends die Augen tränten vom vielen Starren im Ausguck. Am fünften Tag, es ging auf den Abend zu, glaubte keiner mehr daran, daß die ManilaGaleone jemals auftauchen würde. Da sah Dan O'Flynn den Schatten an der Kimm. Es war ein mächtiger Schatten, im beginnenden Dämmer kaum noch zu erkennen. „O Mann“, murmelte er vor sich hin, „das sieht verdammt nach einem Dreidecker aus. Ein wahres Ungetüm.“ Er nahm den Kieker und blickte hindurch. Es zeigten sich schon feine Schlieren in der Optik, und das Bild verwackelte ständig. Hasard kehrte gerade aufs Achterdeck zurück, als er bemerkte, wie Dan auf einen bestimmten Punkt an der Kimm starrte. „Etwas entdeckt?“ rief er hinauf. „Ein mächtiger Schatten an der Kimm, fast genau im Osten, Sir. Das Ding zieht wie ein Geisterschiff seine Bahn. Es fährt abgedunkelt und scheint ein Dreidecker zu sein.“ Hasard fragte nicht weiter. Mit ein paar Sätzen war er oben in der „Tonne“, wo Dan stand. Es wurde ein bißchen eng. Hastig griff Hasard nach dem Spektiv. Nach ein paar Augenblicken entdeckte er den Schatten ebenfalls. An- -fangs wirkte
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dieser Schatten wie ein plumpes Ungeheuer, das sich aus dem Wasser erhoben hatte. Es schien darüber zu schweben, wahrhaftig einem Geisterschiff nicht unähnlich. „Das muß sie sein“, sagte Hasard. „Wer sollte sich sonst in diesen Gewässern herumtreiben als die Nao de China? Nach allem, was wir erfahren haben, kann es gar kein anderes Schiff geben, jedenfalls nicht von dieser Größe.“ An Deck war den anderen die plötzliche Aktivität nicht entgangen. Hasard gab aus der Tonne bereits seine Anweisungen. „Kein Licht an Deck entzünden!“ rief er. „Ben, versuche, genau auf den Kurs zu gehen, den ich dir angebe. In ein paar Augenblicken ist das Schiff nicht mehr zu sehen, weil es die Dunkelheit verschluckt.“ Auf dem Achterdeck standen jetzt Ben, Pete Ballie und Don Juan. „Einen Strich Steuerbord!“ rief der Seewolf. „Ruder ganz langsam legen, sonst geraten wir um etliche Meilen vom Kurs ab!“ Pete Ballie hatte dafür ein ganz besonderes Gefühl. Sehr vorsichtig legte er Ruder, mußte aber immer wieder korrigieren. „Jetzt müßten wir genau in ihrem Kielwasser sein“, sagte Hasard nach einer Weile. Dan O'Flynn bestätigte das. „Ja, wir liegen genau auf demselben Kurs.“ Der Schatten begann langsam zu zerfließen, wurde breiter und breiter und verschwamm schließlich mit der Kimm, bis er sich aufzulösen schien. Alle beide verließen den Ausguck und gingen aufs Achterdeck, wo sie auf den Kompaß blickten. „Ostsüdost“, sagte Hasard. „Wenn der Bursche da vorn nicht den Kurs ändert, bleiben wir in seinem Kielwasser. Es ist verwunderlich, daß die Manila-Galeone keine Hecklaterne entzündet hat.“ „Absichtlich nicht“, sagte Don Juan. „Die Nao hat immer eine große mit Schnörkeln verzierte Eisenlaterne am Heck, und das ist die einzige Lichtquelle an Bord. Gleichzeitig ein Zeichen besonderer
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Würde und Autorität, das nur der Generalkapitän führen darf. Diese Laterne haben sie gar nicht erst entzündet - und werden es auch nicht tun. Der Kurs soll absolut geheim bleiben, ein weiteres Zeichen dafür, daß wir auf der richtigen Fährte sind.“ „Und wie halten sie den Kurs?“ wollte Ben Brighton wissen. „So ähnlich wie wir. Die ,bitacora`, das Kompaßhaus auf dem Achterdeck, ist von unten her ganz schwach durch eine Laterne beleuchtet. Daran orientieren sie sich. Es ist aber so abgedunkelt, daß nicht mal ein Widerschein an Deck dringt.“ Hasard blickte zum jetzt dunklen Himmel. Der Mond war nicht zu sehen, aber in dem Schwarzblau waren ein paar silbrige Löcher zu erkennen. Die Sterne leuchteten jedoch so schwach, daß sie sich an dem spärlichen Licht nicht orientieren konnten. Das hatte wiederum den Vorteil, daß auch die anderen nichts sahen, zumal die Schebecke wesentlich kleiner war und tiefer in der leichten Dünung verschwand. Außerdem wußten die Spanier nicht, daß sie einen heimlichen Fühlungshalter achteraus hatten. „Noch in dieser Nacht müssen wir so an ihr vorbeisegeln, daß sie uns erstens nicht bemerken, und wir uns zweitens morgen weit voraus auf die Lauer legen können. Wenn wir uns nur um ein paar Meilen verschätzen, ist der Raid zu Ende, noch bevor er begonnen hat.“ „Dann gehe ich mit deiner Erlaubnis in deine Kammer, Sir“, sagte Dan O'Flynn. „Dort können wir uns an den Karten orientieren und haben auch genügend Licht. Wir können gemeinsam jede Einzelheit festlegen, obwohl die Rückkehr immer noch reichlich unwägbar bleibt. Das läßt sich nur grob über den Daumen peilen.“ Ben übernahm das Kommando solange, während der Seewolf und Dan nach unten in die Kammer gingen. Dort verdunkelten sie erst das Heckfenster, bevor sie eine kleine Laterne entzündeten.
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Kurz darauf rauchten beiden die Köpfe, als sie Kurse vermaßen, Berechnungen anstellten und alles so genau festlegten, wie es bei einem solchen Wagnis nur möglich war. Sie brauchten mehr als zwei Stunden dazu, ehe sie sich gegenseitig beglückwünschen konnten und wieder an Deck gingen. „Wir setzen wieder den Spitzbusen“, sagte Hasard. „Jetzt brauchen wir Vortrieb, um die Galeone achteraus liegen zu lassen. Unter vollem Zeug dürften wir fast dreimal schneller sein als das behäbige Monstrum, das sicher voll beladen ist.“ Ein neuer Kurs wurde gefahren, diesmal weiter nach Steuerbord versetzt und zu einem Abstand von der unsichtbaren Nao, der nach Dans Berechnung zwischen fünfzehn und achtzehn Meilen betrug. Die Distanz war groß genug, um von den Spaniern nicht gesehen zu werden. Zudem lag auf diesem Kurs eine Inselkette, wo sie sich später verbergen konnten. In dieser Nacht segelten sie dem Teufel ein Ohr ab und flogen nur so über die See dahin. In dieser Nacht besprachen auch Don Juan und Blacky alle Einzelheiten, damit es später keine Überschneidungen oder Widersprüche gab. Sie legten alles genau fest und fragten sich gegenseitig ab, bis alles bis im Detail übereinstimmte. Denn wenn es ihnen wirklich gelang, an Bord der Nao de China genommen zu werden, mußten sie damit rechnen, einem strengen Verhör unterzogen zu werden. Die Dons waren nun mal sehr mißtrauische Leute. * Der Mittag des anderen Tages warf die bange Frage auf, ob ihnen auch kein Fehler bei der nächtlichen Navigation unterlaufen war. Sie hatten die Inselkette erreicht, eine Insel angelaufen und lagen jetzt mit der Schebecke in einer Bucht, die sich südlich vom Kurs der Galeone befand. Von einem Hügel aus konnten sie das Meer weithin nach Norden überblicken
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und hatten auch die hergerichtete Jolle im Auge, ohne selbst gesehen zu werden. Aber die Jolle war noch nicht unterwegs. Ferris Tucker hatte dafür gesorgt, daß alles bestens präpariert war. Aus der „Kleiderkammer“ hatten sie sich selbst versorgt, und so standen sie jetzt ärmlich und abgerissen an Deck. Bartstoppeln bedeckten ihre dunkelbraunen Gesichter. Sie trugen Überreste von spanischen Plünnen, wie sie die Handelsfahrer der spanischen Krone trugen, die im Auftrag Seiner Allerkatholischsten Majestät Güter beförderten. Immer wieder gingen die Blicke zur Kimm, doch weit und breit war keine Nao de China zu sehen. „Hoffentlich haben die nicht einen Punkt angesteuert, an dem sie jetzt mit den beiden anderen Galeonen zusammentreffen“, sagte der Seewolf besorgt. „Wir sind ja nur bis dahin informiert, als Pedro und sein Freund ausgesetzt wurden. Was danach geschah oder abgesprochen wurde, entzieht sich leider unserer Kenntnis.“ „Wir sollten jetzt doch lostörnen“, mahnte Don Juan. „Wenn die Nao erst an der Kimm auftaucht, ist es für uns zu spät.“ „Gut, dann törnt jetzt los“, sagte Hasard. „Alles andere wie besprochen. Wir drücken euch die Daumen.“ Die beiden wurden mit den besten Wünschen verabschiedet, enterten in die Jolle und setzten das Segel, das zum Teil zerfetzt war und uralt aussah. Dafür wiederum hatte Will Thorne gesorgt. Sie segelten aus der Bucht, rundeten die südliche Spitze und gingen auf nördlichen Kurs. Von jetzt an waren sie allein auf sich gestellt, und niemand konnte ihnen helfen. Auch um die Sichtung der Galeone mußten sie sich nun kümmern. Sie segelten rein gefühlsmäßig so weit nach Norden, bis sie annahmen, hier irgendwo müsse die Galeone ihren Kurs kreuzen. In der Jolle hatten sie zwei kleine Wasserfässer, eine Pistole ohne Munition, etwas Hartbrot und eine leere
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Rotweinflasche aus Spanien. Auch ein paar Kokosnüsse lagen noch in der kleinen Jolle. An deren Bug war in schlecht lesbaren Buchstaben der Name „Golondrina“ aufgepinselt. So hieß auch ihre angebliche Galeone, die im Sturm gesunken war. Die Geschichte hatte sich Don Juan bis ins letzte Detail ausgedacht, und Blacky konnte sie längst auswendig. Sogar die Namen etlicher Besatzungsmitglieder hatten sie sich gemerkt. Vom Hügel aus konnten Dan und der Seewolf die Jolle als winzigen Punkt erkennen. Nichts tat sich, die See lag wie leergefegt da. Der Seewolf äußerte leichte Bedenken. „Wir haben uns in irgendeinem Punkt verschätzt, Dan. Oder es geriet etwas dazwischen, was wir nicht einkalkulieren konnten, weil wir es ganz einfach nicht wußten.“ Dan O'Flynn legte die Stirn in Falten und peilte zum x-ten Male über das spiegelnde Wasser. „Ich habe getan, was ich konnte, aber ich bin mir nicht bewußt, daß mir ein Fehler unterlaufen ist. Juan sagte außerdem, nur ein Seebeben könne die Nao vom Kurs abbringen, den sie einmal steuert.“ „Sie müßte doch aber, verdammt noch mal, längst an der Kimm zu sehen sein.“ Sie warteten und warteten, starrten hin und wieder auf das Pünktchen in der See und wurden allmählich kribbelig. „Wußte ich es doch“, sagte Dan etwas später mit zufrieden klingender Stimme. „Da kreuzt unser Freund auf.“ Der Seewolf stieß einen leisen Pfiff aus. An der westlichen Kimm schoben sich dünne Striche hoch, zerbrechlich und klein wirkend, doch sie wurden deutlich größer und steckten in einem Rumpf mit vielen Segeln. „Donnerwetter“, sagte Hasard anerkennend, „da haben unsere Berechnungen fast auf den Punkt gestimmt. Ich kann es kaum fassen, aber sie ist es wirklich, unsere ersehnte Beute.
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Und sie ist immer noch allein. Wo sind die beiden anderen Galeonen?“ Da konnte Dan nur mit den Schultern zucken. Aber er genoß doch den Triumph, alles so genau berechnet zu haben. Fasziniert sahen beide Männer zu dem Ungeheuer an der Kimm, das sich langsam, aber stetig durch die See fraß wie eine riesige Schnecke mit ihrem gewaltigen Haus. Wieder entstand dieser merkwürdige Eindruck von einem Geisterschiff, das einsam und verlassen seine unheimliche Bahn zog und dabei dicht über dem Meer zu schweben schien. Aber das war nur eine optische Täuschung durch die Spiegelung der tausend winzigen Sonnenstrahlen. Beide warteten jetzt gespannt, was weiter geschah. * Ebenso gespannt warteten Blacky und Juan, als der Koloß an der Kimm auftauchte. Der Spanier rieb sich die Hände und grinste. „Na, wer sagt es denn, Hermano Custara? Wir haben den ersten Teil zumindest geschafft. Ihr seid ein guter Navigator.“ „Und Ihr ein vorbildlicher und tapferer Erster Offizier, Senor Juan de Almiente.“ „Du kannst ruhig bei ,Don Juan` bleiben. Der Name fällt nicht auf und ist sehr häufig.“ „Wie belieben“, sagte Blacky grinsend. „Jetzt muß uns der gute Capitan nur noch das freundliche Patschhändchen reichen. Dann hat er zwei ganz miese Spione an Bord.“ Sie grinsten wieder bis zu den Ohren und legten die Jolle so, daß sie genau ihren Kurs kreuzten. Das fiel von weitem auch nicht auf, denn wenn es hier wirklich Schiffbrüchige gab, die eine Galeone sichteten, dann würden sie natürlich alles dransetzen, um die Aufmerksamkeit zu erregen. Das Schiff wurde schnell größer. Vor sich her schob es einen riesigen weißen Bart
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aus aufgischtendem Schaum. Am Rumpf vorbei schäumte es weiter, bis alles in große Luftblasen und Verwirbelungen überging. Immer mehr Einzelheiten der sagenhaften Galeone wurden sichtbar, auch Spanier an Deck, die ihre Arbeit unterbrachen und zu dem Boot starrten Don Juan und Blacky blickten zu dem hochaufragenden Achterkastell des Schiffes. Es war nicht mehr so schräg nach vorn geneigt wie das der anderen Galeonen, wirkte von hier aus aber, als könne man sich dort kaum auf den Beinen halten. Sehr viel Freibord hatte die Nao de China allerdings nicht. Sie lag so tief im Wasser, daß die Stückpforten im unteren Deck nur bei ruhiger See hochgezogen werden konnten. Für Don Juan war das ein Zeichen, daß die Galeone unschätzbare Reichtümer in ihrem riesigen Bauch trug. „Jedenfalls hat sie ihren Geleitschutz verpaßt“, sagte er. „Das dürfte für uns natürlich einiges erleichtern. So, es wird langsam Zeit, daß wir unser Tänzchen aufführen. Sie müssen uns längst gesehen haben. Alle Ausgucks sind auf dem Kahn besetzt.“ Sie standen schon seit einiger Zeit in der Jolle und taten so, als seien sie von dem Anblick des großen Schiffes regelrecht fasziniert. Dann begannen sie zu winken und laut um Hilfe zu brüllen. Ihre Arme fuhren dabei wie Dreschflegel durch die Luft. „Wir sind Spanier, Schiffbrüchige!“ rief Don Juan, als die Galeone sich näherte und fast genau auf ' sie zuhielt. „Helfen Sie uns, Senores, wir haben Schiffbruch erlitten!“ Er sah jetzt seitlich das aufragende Achterdeck der Steuerbordseite und erkannte etliche Männer in spanischen Uniformen, darunter auch zwei in den typischen Kürbishosen und dem blausamtenen Wams mit der weißen Halskrause.
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Zwei der Kerle unterhielten sich offenbar, die meisten anderen standen herum wie die Ölgötzen und stierten Löcher in die Luft.. Keiner der Hochwohlgeborenen blickte sie direkt an. Sie schienen eher gelangweilt an der Jolle und den beiden Männern vorbeizublicken. In Don Juan wallte jäher Zorn auf, als er diese verächtliche Ignoranz bemerkte. Und zu dieser Clique hatte er auch einmal gehört! Er bereute keinen Augenblick, der spanischen Krone den Rücken gekehrt zu haben. Da gab es nur noch bornierte, überhebliche und menschenverachtende Bastarde, die sich für den Nabel der Welt hielten, so wie diese Kerle jetzt, die mit der größten Selbstverständlichkeit Schiffbrüchige ihrem Schicksal überließen und keine Hand zu ihrer Rettung rührten. Daß sie keine wirklichen Schiffbrüchigen waren, wußte ja da drüben niemand, aber der Eindruck war echt. Don Juan konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß man sie durchschaute, zumal man dann ganz anders gehandelt hätte. „Verdammtes Lumpenpack“, knurrte er sauer. Er und Blacky ließen sich jedoch keine Regung anmerken, sondern flehten weiter um Hilfe und schrien ihr „Misericordia“ hinaus. Die Bugwelle erfaßte die Jolle jetzt und versetzte sie in schlingernde Bewegung. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, und die Galeone hätte sie einfach untergemangelt. Don Juan hielt Augenkontakt mit einem Mann des Achterdecks und versuchte seinen Blick festzuhalten. Es war ein verkniffen wirkendes, überhebliches Gesicht mit bösen und kalten Augen und einem dünnen Mund, über dem ein scharf ausrasierter Oberlippenbart stand. Der Uniform nach mußte er der Erste Offizier der ManilaGaleone sein. Der Kerl gab den Blick zurück, sah aber glatt durch ihn hindurch und hatte dabei einen menschenverachtenden Zug um den Mund. Es war nicht zu fassen. Don Juan hätte vor Wut brüllen mögen, daß es diese Kerle den
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Teufel kümmerte, ob jemand elend umkam. Es schien sie nicht im geringsten zu interessieren, was aus ihnen wurde. Da war die Galeone aber auch schon an ihnen vorbeigezogen, und keiner der Kerle warf auch nur einen Blick zurück. Blacky war etwas blaß geworden. „Diese verfluchte Saubande!” rief er. „Die interessiert es einen Dreck, wenn einer ihrer Landsleute zum Teufel geht. Die ignorieren mit der größten Selbstverständlichkeit Schiffbrüchige und überlassen sie einfach ihrem Schicksal. Da hast du allerdings recht gehabt, daß es schwer sein würde, an Bord zu gelangen. Der Torfkahn ist weg. Hoffentlich brummen sie auf ein Riff und saufen ab.“ „Na gut, dann werden wir es ihnen auf die andere Art zeigen“, sagte der Spanier. „Diesmal auf die feine englische. Diese Bastarde schießen wir in Grund und Boden; Denen wird ihre Überheblichkeit noch vergehen.“ Er wollte der Galeone noch einen saftigen Fluch der Enttäuschung hinterherschicken, doch den verschluckte er. Zumindest blieb er ihm im Hals stecken, denn jetzt geschah ein Wunder. Das siebenhundert Tonnen große Schiff schor schwerfällig aus dem Kurs und drehte ebenso schwerfällig in den Wind. Es wurden keine Segel backgebraßt, um die Fahrt aus dem Schiff zu nehmen, aber sie gingen immerhin in den Wind, und das bewirkte einen ähnlichen Effekt. Während sie noch fassungslos dem Schiff nachstarrten, sahen sie einen Kerl auf dem Achterdeck, der ihnen über die Verschanzung herrisch mit der Hand zuwinkte. „Die meinen tatsächlich uns“, sagte Blacky verblüfft. „Na los, dann nichts wie ab mit der Jolle.“ „Kaum zu glauben“, sagte Don Juan. „Damit habe ich wahrhaftig nicht mehr gerechnet. Doch ich traue ihnen zu, daß sie uns nur aushorchen wollen und dann weitersegeln, während wir sehen können, wo wir bleiben.“ „Glaubst du wirklich, sie würden das tun?“ „Es ist nicht ausgeschlossen, denn ich
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frage mich, was diesen plötzlichen Sinneswandel bewirkt haben kann.“ „Ja, das würde ich auch gern wissen.“ 9. Den Sinneswandel hatte im Grunde ein Zufall bewirkt, und der hieß Don Porfirio de Aranjuez, und er war Bevollmächtigter der ehrenwerten Casa de Contratacion. Ebenso zufällig war er nach dem verspäteten Mittagessen auf das Achterdeck gegangen, um dort ein bißchen frische Luft zu schnappen. Auf dem Achterdeck stand er dann auch stumm herum. Die Stimmung war nicht besonders gut. De Zumarraga hatte ein kantiges Gesicht und hüllte sich schon seit Stunden in eisiges Schweigen. Sein Bruder, Don Jerome, schloß sich diesem Schweigen an und starrte blicklos in die Ferne voraus. Zwischen den Beamten der Casa und der offiziellen Schiffsführung bestanden fast unerträgliche Spannungen. Sie hatten vierzehn Tage für nichts und wieder nichts vergeudet und auf die beiden Galeonen gewartet. Und da hatte der Capitan den Beamten unterstellt, sie verstünden absolut nichts von Navigation und hätten sich vermutlich um ein paar tausend Meilen verrechnet oder verschätzt. Jetzt habe man einen riesigen Umweg in Kauf nehmen müssen und würde noch mehr Zeit verplempern. De Zumarraga hatte sich sogar zu der Behauptung verstiegen, daß Seine Allerkatholischste Majestät an den beiden Helden der Casa unermeßliche Freude haben würde. So hatte ein Wort das andere gegeben, bis der Capitan die beiden Senores beleidigte, die ihm daraufhin kräftig zurückzahlten. Die einzige „Unterhaltung“ bestand darin, daß von Zeit zu Zeit die beiden Rudergänger kräftig angepfiffen wurden, mal vom Capitan und dann zur Abwechslung wieder vom Ersten Offizier. In diese Stimmung hinein platzte die Nachricht von der Sichtung einer Jolle.
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Die Ausgucks brüllten sie an Deck, und ein Läufer rannte zum Achterdeck, um sie den ehrenwerten Senores zu verklaren. Doch die hatten dafür nicht mal ein Blinzeln übrig. „Jolle direkt auf unserem Kurs mit zwei Mann an Bord“, meldete der Läufer nun schon zum dritten Male, weil die Senores offenbar Wachs in den erlauchten Ohren hatten. Der Läufer stand da, klein, hilflos und gedemütigt, weil seine Nachricht überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. Die Beamten sagten auch kein Wort, und so schlich der Mann wieder über das Quaterdeck zurück auf die Kuhl. Die beiden de Zumarragas ignorierten die Jolle mit den abgerissenen Gestalten und überhörten das Gebrüll der beiden geflissentlich, wobei ihre Blicke stur nach vorn gerichtet blieben. Eine Kursänderung wurde schon gar nicht befohlen, selbst wenn die Jolle untergemangelt worden wäre. Don Porfirio, der seinen eigenen, reichverzierten Kieker hatte, nahm ihn ans Auge und spähte hindurch. „Der Kleidung nach scheinen es Spanier zu sein, Don Alfonso“, sagte er erregt zu dem anderen Beamten. „Spanier?“ Don Alfonso wurde sofort hellhörig und blickte ebenfalls lange durch das Spektiv. „Madre de Dios, wahrhaftig. Es sind Spanier. Sie rufen um Hilfe.“ Den Capitan juckte das nicht. Er dachte nur an die Verspätung. Die ManilaGaleone würde diesmal mehr als zehn Wochen für ihre Reise über den Pazifik brauchen, und das stieß ihm sauer auf, weil er es wieder zu verantworten hatte. „Schiffbrüchige auf unserem Kurs!“ rief Don Porfirio dem Capitan zu. „Zur Kenntnis genommen“, schnarrte der eisig zurück. „Außerdem habe ich selbst Augen im Kopf. Da werden sich wieder ein paar Piraten einen neuen Streich ausgedacht haben.“ Don Porfirio peilte nochmals durch das Spektiv, aber die beiden sahen nun gar nicht wie Piraten aus. Und es war auch sehr unwahrscheinlich, daß zwei Mann
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gegen die große Nao de China etwas ausrichten konnten. Die beiden Beamten blickten sich anschließend nachdenklich an. Sie hatten beide den gleichen Gedanken. „Da muß etwas mit unseren Galeonen passiert sein.“ „Genau das ist mein Gedanke, Don Porfirio.“ „Dann sollten wir auch nicht länger zögern.“ „Haben Sie nicht gehört, Senor Capitan?“ schrie Don Alfonso. „Es sind Spanier, die von einer der beiden Galeonen stammen könnten! Es kann ein Unglück gegeben haben.“ „Ich pfeife auf Ihre imaginären Galeonen, die wahrscheinlich nur in Ihren Köpfen herumspuken“, erwiderte der Capitan sauer. „Ich bin restlos bedient von diesen ständigen Aufenthalten. Wenn die Kerle wollen, dann können sie ja aufentern. Nahe genug sind sie ja herangesegelt. Es wundert mich ohnehin, daß sie direkt vor unserem Bug auf der Lauer liegen. Oder gibt Ihnen das nicht zu denken?“ „Gerade das ist ja der Punkt. Nur sie können über unsere Route unterrichtet sein, oder begreifen Sie das nicht?“ „Sie sind schon weg“, sagte de Zumarraga verächtlich. Die Jolle verschwand achteraus im Kielwasser und wurde noch einmal kräftig durchgeschüttelt. Da riß Don Porfirio der Geduldsfaden. „Wenn Sie nicht sofort Maßnahmen ergreifen, um die beiden Männer an Bord zu nehmen, Senor Capitan“, sagte er mit eisiger Stimme. „Dann werden wir Sie augenblicklich von Ihrer Verantwortung für das Schiff befreien. Sie wissen, daß wir die Vollmachten dazu haben. Außerdem wird Ihnen das eine Anklage einbringen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie noch in Neu-Spanien vor ein Gericht gestellt werden.“ Der Capitan schluckte hart. Haß stand plötzlich in seinen Augen, und seine Hand fuhr zum Degen. Doch im allerletzten Augenblick besann er sich anders.
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Mit der Ankunft in Acapulco waren heimliche Pfründe verbunden, die ihm bis obenhin die Taschen füllten. Alle höheren Chargen waren an den kleinen Nebengeschäften beteiligt, denn es fiel immer reichlich für jeden etwas ab, sobald die kostbare Ladung gelöscht wurde. .Er dachte dabei weniger an die Schiffbrüchigen als an das Gold und Silber, das ihm entgehen würde. „Nun gut, aber auf Ihre Verantwortung. Ich lehne es ab, dafür verantwortlich zu zeichnen.“ „Die Verantwortung übernehmen wir. Durch die Anbordnahme der beiden Männer besteht die Möglichkeit, etwas über unsere Galeonen zu erfahren. Lassen Sie das Schiff in den Wind gehen.“ So geschah es, daß die Manila-Galeone ganz plötzlich aus ihrem Kurs lief und nach Norden schwenkte, bis die Segel zu killen begannen. Die beiden Beamten verließen das Achterdeck und begaben sich auf die Kuhl, um die Männer dort in Empfang zu nehmen. Die pullten und segelten jetzt hinter dem Schiff her, bis sie keuchend die Bordwand erreichten. Die Leine der Jolle wurde wahrgenommen, die Pforte im Schanzkleid gleichzeitig geöffnet. Die Jolle war noch nicht richtig vertäut, als die Nao de China wieder auf ihren alten Kurs zurückging. Es war umständlich und dauerte lange, bis sie wieder normale Fahrt aufnahm. Der Erste Offizier winkte vom Achterdeck aus dem Profos zu. „Sorgen Sie dafür, daß die Jolle verschwindet, Senor Arvilos!“ pfiff er ihn an. „Sie schlägt an die Bordwand und hält uns nur auf. Vorwärts, weg damit!“ Der Profos rang die Hände und blickte sich verlegen um. „Wir können sie nicht mehr an Bord nehmen, Don Jerome, wir haben schon zuviel Fahrt drauf.“ „Dann kappen Sie die Leine, verdammt noch mal!“ Der Profos fackelte nicht lange und war froh, daß er sich nicht den Zorn des hohen
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Herrn zuzog. Er fummelte sein Entermesser aus dem Hosenbund und säbelte die Leine durch. Die Jolle knallte noch einmal gegen die Steuerbordseite der Galeone und sackte dann achteraus. Im Kielwasser führte sie einen wilden Tanz auf, ehe sie dümpelnd weitertrieb. Der Profos konnte aber gerade noch den Namen an der Jolle erkennen. Don Juan und Blacks sahen der Jolle verblüfft nach. Sie standen an Deck und blickten sich dann um, als zwei Senores in kostbarer Kleidung auf sie zutraten. Die beiden nannten ihre Namen und stellten sich als Beamte der Casa de Contratacion vor. Don Juan hatte noch keinen der beiden gesehen, wie er erleichtert feststellte. „Was ist passiert?“ fragte Don Porfirio sofort besorgt. „Wir haben vierzehn Tage lang gewartet und sind noch einmal nach Norden gesegelt. Was ist aus den Schiffen geworden?“ Don Juan kapierte die Frage auf Anhieb und wußte genau, was dahintersteckte. Hier lag offenbar eine Verwechslung vor. Die beiden Senores hielten sie für Schiffsbesatzungen ihrer beiden vermißten Galeonen. Wenn er das vorher gewußt hätte, hätte es sicher einen ganz anderen Anknüpfungspunkt gegeben. Oder nein, korrigierte er sich sofort selbst. Vielleicht wäre dann gleich von Anfang an alles aufgeflogen. Die Männer hätten sich ja vielleicht kennen können. Also mußte er diese Verwechslung berichtigen. Vorgestellt hatten sie sich bereits, wobei die beiden Senores nur eifrig und ungeduldig genickt hatten. „Hier liegt offenbar ein Irrtum vor, Don Porfirio“, sagte der Spanier. „Wir sind auf jenen Inseln dort drüben vor ein paar Wochen gestrandet. Das Unglück überlebten nur acht Leute, die nach und nach an Entkräftung starben, bis nur wir beide, mein Navigator und ich, übrig blieben. Auf den Inseln gab es kaum
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Trinkwasser, und so brachen wir heute auf, um im Norden nach festem Land zu suchen. Zumindest nimmt mein Navigator an, daß dort eine große Insel liegt. Unterwegs sahen wir Masten an der Kimm und erkannten zu unserer Freude Landsleute. Wir segelten heran und riefen um Hilfe.“ Die beiden sahen sich einen Augenblick sprachlos an. „Sie sind also nicht von der ,Campana de rebato` oder der ,Soberania`, auf die wir warten?“ fragte Don Alfonso fassungslos. „Bedauerlicherweise nein. Wir kennen die Schiffe auch gar nicht. Wir sind doch aber hier auf einem spanischen Schiff, nicht wahr?“ „Ja, natürlich“, erwiderte Don Alfonso schluckend. Die Enttäuschung stand in seinem Gesicht, das immer länger wurde. „Dann liegt hier offenbar ein Mißverständnis vor“, sagte sein Begleiter ebenso enttäuscht. Don Juan und Blacky lasen in ihren Gesichtern wie in einem Buch. Wenn wir das gewußt hätten, dann hätten wir euch niemals an Bord genommen, sollte die Mimik heißen. Ein Grund für die beiden, sich heimlich eins zu grinsen. „Es scheint so“, stimmte Don Juan höflich zu. „Wir möchten uns natürlich für die wundersame Rettung bedanken.“ „Nun ja.“ Don Porfirio hüstelte. „Damit hatten wir allerdings nicht gerechnet. Folgen Sie uns aufs Achterdeck! Schließlich muß auch der Capitan unterrichtet werden.“ Sehr wohl scheinen sich die beiden nicht in ihrer Haut zu fühlen, dachte Don Juan. Aber jetzt waren sie erst mal an Bord und würden eine Menge über das Schiff in Erfahrung bringen. Auf dem Achterdeck sahen sie in die verkniffenen Gesichter der anderen Senores, die sie so verächtlich angeblickt hatten. Don Porfirio nannte ziemlich kleinlaut ihre Namen. „Zwei spanische Schiffbrüchige“, sagte er mit seltsam belegter Stimme. „Sie sind vor
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ein paar Wochen auf den Inseln im Süden gestrandet und haben als einzige überlebt.“ De Zumarraga grinste höhnisch und überlegen. „Das heißt“, sagte er kühl, „sie sind nicht von den Galeonen, auf die wir so lange gewartet haben.“ „Sehr richtig, Don Bartolomeo.“ Die Spannung war deutlich spürbar. Zwischen den Männern bestand eine offene Feindschaft, wie Don Juan sofort bemerkte, zumindest aber eine Fehde, und sie konnten sich gegenseitig nicht ausstehen. „Woher sind Sie?“ fragte der Capitan schroff. „Wie kommen Sie mit einem spanischen Schiff in diese Ecke der Welt?“ „Wir sind Handelsfahrer aus Sevilla“, erwiderte Don Juan. „Wir fahren für königliche Order im Auftrag des Herzog von Lerma.“ „Und was tun Sie hier?“ „Wir hatten eine Gewürzladung von den Molukken, trieben auf der Rückreise aber in einem Sturm ab, der uns weit nach Süden jagte. Das ist jetzt ein paar Wochen her. Vor einer Inselkette gerieten wir erneut in einen heftigen Sturm und wurden auf die Riff e geworfen.“ „Aha! Und dann?“ „Das Schiff brach nachts auseinander“, beichtete Don Juan weiter. „Die meisten ertranken oder kamen in den Riffen um. Es überlebten nur acht Männer, die aber nacheinander wegstarben. Schließlich blieben nur der Navigator und ich übrig.“ De Zumarraga musterte die beiden kritisch. Er nahm mit absoluter Sicherheit an, daß sie Spanier waren, aber er war trotzdem mißtrauisch. „Welche Funktion hatten Sie an Bord?“ „Ich war Erster Offizier, Don Bartolomeo.“ „Und der da?“ „Er ist als Navigator gefahren. Ein hervorragender Mann übrigens.“ „Wie hieß das Schiff?“ „Es war die Galeone ,Golondrina`. Ein gutes Schiff.“ „Das leider beim ersten Sturm auseinanderbrach“, höhnte der Capitan. „Und dann sahen Sie zufällig, rein zufällig
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natürlich, dieses Schiff und kreuzten genau zum richtigen Zeitpunkt auf, um gerettet zu werden?“ „Wir hielten jeden Tag nach Schiffen Ausschau, nachdem wir unsere restlichen Männer begraben hatten. Wir gaben die Hoffnung schon auf, da entdeckten wir die Galeone an der Kimm. Wir packten nur das Notwendigste in die letzte, uns noch verbliebene Jolle und segelten los. Der Mutter Maria sei für unsere glückliche Rettung gedankt. Wir sind froh, auf Landsleute gestoßen zu sein.” „Amen“, sagte der Capitan sarkastisch. „Nun, die Geschichte könnte stimmen, sie könnte aber auch erfunden sein.“ Blacky und Don Juan zeigten erstaunte Gesichter. „Wir würden Sie niemals anlügen, Don Bartolomeo. Unsere Angaben sind jederzeit überprüfbar. Wir befanden uns auf jener Insel dahinten, wo auf der Südseite noch ein Teil unseres Wracks liegt. Dort sind auch noch die Gräber und die Kreuze zu sehen, die wir mühsam genug angefertigt haben.“ „Sie werden wohl nicht erwarten, daß ich deshalb extra umkehre, um mir das anzusehen.“ Nein, dachte Don Juan belustigt. Das tust du ganz sicher nicht, da kann ich ruhig auftragen. Du hast keine Zeit mehr zu verlieren, Amigo, und du willst so schnell wie möglich nach Acapulco, um dort deine Taschen zu füllen. Laut aber sagte er: „Es würde beweisen, daß unsere Angaben richtig sind.“ Der Capitan ging ein paar Schritte hin und her. Seine Blicke waren dabei auf die sauber gescheuerten Planken gerichtet. „Es paßt mir nicht, daß Sie an Bord sind. Wissen Sie eigentlich, auf welchem Schiff Sie sich befinden?“ „Es könnte eine Kriegsgaleone seiner Allerkatholischsten Majestät sein“, erwiderte Don Juan unbefangen. „Ja, damit liegen Sie richtig. Es ist eine Kriegsgaleone. Haben Sie noch irgendwelche Fragen zu stellen?“ „Wir sind froh, an Bord sein zu dürfen, Don Bartolomeo.“
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„Es ist nicht gesagt, daß Sie an Bord bleiben, Senores. Ich werde mir nachher Ihre Jolle ansehen. Wenn sie noch seetüchtig genug ist, versorgen wir Sie mit reichlich Proviant und Wasser. Wir segeln später am Festland vorbei. Dort werden wir Sie absetzen.“ „Die Jolle habe ich slippen lassen“, sagte der Erste Offizier. „Was sollten wir mit der Nußschale?“ „Bißchen voreilig“, murrte der Capitan. „Damit hättest du ,ruhig noch etwas warten können.“ „Wir haben mehr Zeit vertrödelt, als uns lieb sein kann.“ Der Capitan nickte. „Allerdings. Na, wir werden sehen. Sie verlassen jetzt vorerst das Achterdeck und melden sich auf der Kuhl bei Senor Arvilos. Das ist der Profos vom Oberdeck. Wenn Sie schon an Bord sind, wird er auch einen Weg finden, Sie zur Arbeit einzuteilen. Von der Heuer sind Sie selbstverständlich ausgenommen, Sie fahren für Kost und Logis.“ Die beiden bedankten sich artig und etwas demütig, wie es andere in ihrer Lage vermutlich auch getan hätten. Dann meldeten sie sich beim Profos, wie der Capitan befohlen hatte, und der zeigte ihnen in einem Anflug von Leutseligkeit flüchtig das Schiff, weil er Don Juan für einen Offizier hielt. Später teilte er sie zur Arbeit ein. Aber sie konnten wenigstens zusammenbleiben. Und dann fanden sie auch Zeit für ein kleines Gespräch. „Hast du die Bewaffnung gesehen?“ fragte Blacky. „Ja, natürlich. Zweiunddreißig Culverinen, ein verdammt harter Brocken.“ „Ich meine diese überlangen Rohre, außergewöhnlich schwere Schiffsartillerie. Damit schießen sie meilenweit. Leider hat uns der Profos gleich weitergezogen, aber so ein Kaliber habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.“ „Ich auch nicht, ich war sehr beeindruckt. Sie sind doppelt so lang wie große Geschütze. Die Dinger müssen wir uns später bei einer günstigen Gelegenheit
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etwas genauer ansehen. Sie haben vier auf jeder Seite davon.“ „Mit diesen Rohren kriegen wir noch Ärger“, murmelte Blacky. „Denen haben wir nichts entgegenzusetzen. Wenn nur eins dieser Monster losbrüllt, bläst es uns in die Luft.“ Daran dachte auch Don Juan mit etwas Besorgnis. Ebenso fragte er sich, was das wohl für ein Kaliber sein mochte. Später blickten sie sich an Deck um. Von der Schebecke und ihrer Jolle war nichts zu sehen. Die Weite des Meeres lag vor und hinter ihnen, und nur eine blasenwerfende Bahn im Wasser verkündete, daß sich die Riesenschnecke unermüdlich durch den Ozean fraß, langsam nur, aber Meile um Meile. Und doch waren irgendwo weit achteraus die anderen Arwenacks, die langsam, aber sicher zur großen Jagd auf die Manila-Galeone bliesen. Der Tag verlief für die beiden Männer zufriedenstellend. Einen Teil ihres großen Zieles hatten sie bereits erreicht. * Hasard grinste nur still vor sich hin, als sie die weiteren Geschehnisse verfolgten. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich ganz auf den dümpelnden Punkt in der See, der später mit dem wuchtigen Umriß der Nao de China zu einer Einheit verschmolz. Sein Gesicht wurde jedoch immer besorgter. „Verdammt“, hörte Dan O'Flynn ihn flüstern. „Die segeln tatsächlich weiter und lassen unsere Leute einfach in der Jolle sitzen.“ „Womit wir wieder am Anfang wären“, sagte Dan seufzend. „Aber dieses Risiko war einkalkuliert. Juan hat jedenfalls damit gerechnet. Er kennt seine Landsleute eben besser als wir.“ Durch den Kieker sahen sie Don Juan und Blacky heftig winken, als die Galeone an ihnen vorbeigerauscht war. Hasard schüttelte das Instrument wütend in der Hand und kniff die Lippen zusammen.
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Die Galeone zog weiter, als sei nichts geschehen. Er fragte sich, was das wohl für einen echten Schiffbrüchigen für ein Gefühl sein müsse, so schnöde im Stich gelassen zu werden, vielleicht noch dreckig angegrinst von denen, die in Sicherheit waren und keinen Hunger und Durst litten. Er schrak zusammen, als Dan ihn anstieß. „Da, sie gehen in den Wind, Sir. Und unsere Kerle segeln und pullen jetzt hinterher. Die Dons scheinen es sich überlegt zu haben.“ Die Galeone drehte bei. Dann verfolgten sie durch den Kieker, was alles geschah, wie die beiden an Bord genommen wurden und sich etwas später die Jolle von der Galeone löste und achteraus in der See trieb. Die Arwenacks stießen einen Freudenschrei aus. „Der Anfang ist da, Freunde!“ rief der Seewolf, als er und Dan an Bord zurückkehrten. „Wir haben einen fetten
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Brocken vor uns, und an den werden wir uns jetzt hängen, allerdings unsichtbar.“ Sie warteten, bis die Galeone mit den beiden Seewölfen an Bord an der Kimm verschwand und nur noch ihre Masten und kleine Wolken zu sehen waren, die ihr Segeltuch darstellten. Da verließen sie die Bucht und nahmen Kurs aufs offene Meer. Hasard wies Pete Ballie peinlich genau in den Kurs ein, den die Galeone segelte, bis sie diese exakt voraus wußten. Unterwegs fischten sie die Jolle auf und nahmen sie an Bord. Sie enthielt noch alles, was sie so mühsam präpariert: hatten. Aber immerhin war ihnen jetzt ein kleiner Erfolg beschieden. „Wir bleiben als Fühlungshalter dran“, sagte der Seewolf. „Und Dan wird dafür sorgen, daß wir sie nicht mehr aus den Augen verlieren.“ Nachdem die Jolle festgezurrt` war, setzte die Schebecke ihre Reise fort. Es ging weiter auf östlichem Kurs, aber sie mußten diesmal sehr vorsichtig sein, um nicht das Mißtrauen der Spanier zu wecken...
ENDE