Das Spiel in der Ästhetik
Alexander Wachter
Walter de Gruyter
Alexander Wachter Das Spiel in der Ästhetik
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Kants...
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Das Spiel in der Ästhetik
Alexander Wachter
Walter de Gruyter
Alexander Wachter Das Spiel in der Ästhetik
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Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Funke, Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Thomas M. Seebohm
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
Alexander Wachter
Das Spiel in der Ästhetik Systematische Überlegungen zu Kants Kritik der Urteilskraft
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISSN 0340-6059 ISBN-13: 978-3-11-019038-0 ISBN-10: 3-11-019038-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel „Der Begriff des Spiels in Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘ und das Abgrenzungsproblem in der Ästhetik“ im Wintersemester 2004/05 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Breisgau angenommen wurde. Ich danke Prof. Dr. Gerold Prauss für zahlreiche Diskussionen und für seine intensiven Seminare, in denen ich die Philosophie erst richtig ernst nehmen lernte. Für die Lektüre des Manuskripts und hilfreiche Gespräche bedanke ich mich herzlich bei PD Dr. Cord Friebe; für die kurzfristige Übernahme des Zweitgutachtens bei Prof. Dr. Bernd Dörflinger. Die Arbeit an diesem Projekt hat die Friedrich-Naumann-Stiftung mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt.
Freiburg, September 2006
Alexander Wachter
Inhalt Abkürzungen und Zitierweise .......................................................... XIII Einleitung .................................................................................................. 1 Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“ .............................................................. 15 A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant..................................................................................................... 15 1. Die §§1-9 der „Analytik des Schönen“ ............................................ 15 2. Der Begriff der Zweckmäßigkeit im §10......................................... 30 3. Der Begriff der Zweckmäßigkeit in der KU insgesamt (Exkurs) 35 a) Der Begriff der Zweckmäßigkeit in der „Einleitung“............... 36 b) Zweckmäßigkeit in der „Analytik des Schönen“....................... 46 c) Vorschlag für die Systematisierung der Bedeutungen von „Zweckmäßigkeit“ in der KU insgesamt .................................... 48 4. Zweckmäßigkeit der Form im §11 ................................................... 55 B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten ........................................................................................ 58 1. Vollkommenheit und formale Zweckmäßigkeit im §15................ 58 2. Die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ .............................................................................................. 63 3. Geometrische Figuren im §62........................................................... 66 4. Kants Einwände gegen die eigene Lehre von der formalen Zweckmäßigkeit .................................................................................. 71 a) Geometrisch-regelmäßige Objekte in der „Allgemeinen Anmerkung“ ................................................................................... 71 b) Form als conditio sine qua non für Bestimmung ............................ 75 c) Die grundsätzliche Interessiertheit von Erkenntnis.................. 78 5. Das freie Spiel der Vorstellungskräfte ............................................. 83
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Inhalt
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU .................................................................... 88 1. Zwei unversöhnliche Begrifflichkeiten ............................................ 88 2. Das „freie Spiel“ in der „Analytik des Schönen“ ........................... 91 a) Der §9, noch einmal betrachtet.................................................... 93 b) Das „freie Spiel“ in der „Analytik des Schönen“ außerhalb des §9 ............................................................................. 99 3. Das „freie Spiel“ und die Konzeption der Zweckmäßigkeit in den späteren Teilen der KU........................................................ 104 4. Kants Zwiespalt mit der Begrifflichkeit von Spiel ....................... 115
Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung.........................................................121 A. Das Spiel ................................................................................................. 121 1. Scheiternde Spieltheorien: Spiel ganz als Zweck und ganz ohne Zweck .............................................................................. 122 2. Spiel als Fall von Intendieren .......................................................... 130 3. Intendieren ohne Interesse.............................................................. 132 4. Zweckmäßigkeit und Zweckwidrigkeit in Spiel und ästhetischer Einstellung ................................................................... 135 5. Spiel als Überformung von Praxis.................................................. 139 6. Spiel, naturwüchsige Praxis und Reflexion ................................... 141 B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis........................... 146 1. Die Praktizität von Erkenntnis als Problem ................................. 146 2. Die Unterlassungshandlung als Fall von praktischem Bewußtsein......................................................................................... 149 a) Unterlassen als Fall von Absichtlichkeit ................................... 150 b) Die kausale Relevanz des Unterlassens..................................... 153 c) Die Unterlassungshandlung als Handlung ohne Körperbewegung.......................................................................... 158 C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein.......................................... 161 1. Die theoretische Einstellung ........................................................... 161 a) Die ästhetische Einstellung als Verwirklichungsbewußtsein . 161 b) Mehrere Fälle von Verwirklichungsbewußtsein mit zurückgestellten Präferenzen...................................................... 164 2. Die Abgrenzung von ästhetischem Verwirklichungsbewußtsein ............................................................ 166 a) Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein als Überformung von theoretisch-praktischem ...................................................... 166 b) Spiel und Fiktion .......................................................................... 169
Inhalt
XI
Teil III: Das Spiel und die Schönheit ................................................179 A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption....................... 179 1. Der Spielbegriff bei Kant, noch einmal betrachtet ...................... 179 2. „Anhängende Schönheit“ als unreine Schönheit ......................... 182 3. Die Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit anhand von Kants Beispielen....................................... 187 4. Kunstschönheit als freie Schönheit................................................ 195 B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit...................... 201 1. Güte, Zweckmäßigkeit und Interesse im Fall des Schönen........ 201 2. Zweckmäßigkeit und Wohlgeratenheit .......................................... 203 3. „Freie Schönheit“ als Sonderfall des Schönen ............................. 208
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität ............................................213 Literaturverzeichnis .............................................................................221 Personenregister...................................................................................231 Sachregister ...........................................................................................233
Abkürzungen und Zitierweise Für Texte Kants werden die folgenden Abkürzungen verwendet: AS AE EE KäU KpV KrV KtU KU
(Analytik des Schönen) (Analytik des Erhabenen) (Erste Einleitung in die „Kritik der Urteilskraft“) (Kritik der ästhetischen Urteilskraft) (Kritik der praktischen Vernunft) (Kritik der reinen Vernunft) (Kritik der teleologischen Urteilskraft) (Kritik der Urteilskraft)
Alle Seitenzahlen ohne weitere Angaben beziehen sich auf die zweite Originalauflage der KU (zitiert nach der von Karl Vorländer herausgegebenen Ausgabe der „Philosophischen Bibliothek“). Seitenzahlen mit „A“ und „B“ beziehen sich auf die erste bzw. zweite Auflage der KrV, für alle übrigen Stellen bei Kant werden Band und Seitenzahl der Akademie-Ausgabe angegeben. Die Reflexionen („R“) aus dem Nachlaß Kants werden nach ihrer Zählung in den Bänden 15 und 16 der Akademie-Ausgabe aufgeführt.
Einleitung Die Ästhetik tut sich mit der Abgrenzung ihres Gegenstands vom Bereich der Erkenntnis traditionell schwer. Dabei geht es nicht bloß um die Befindlichkeit einer relativ jungen philosophischen Disziplin, deren Eigenständigkeit in Frage steht, sondern vielmehr um das Verständnis dessen, womit sie sich beschäftigt. Weil das diskursive Verständnis eines Gegenstandes genau darin besteht, daß man ihn durch die Angabe eines spezifischen Merkmals von anderen abgrenzt, ist das genannte Abgrenzungsproblem eine wichtige Sachfrage, in der es sich zu entscheiden gilt: Entweder man betrachtet den Gegenstand von Ästhetik als eigenständiges Phänomen, oder man versucht ihn als Teilbereich von Theorie zu bestimmen. Das historische Vorbild für letzteren Weg ist Baumgarten, der Begründer der Ästhetik, der sie als Wissenschaft einer besonderen, der sinnlichen Erkenntnis, und einer besonderen, der sinnlichen Wahrheit, versteht.1 Sein Antipode ist Kant, dessen „Analytik des Schönen“ mit der These beginnt, daß das ästhetische Verhältnis zum Objekt kein Fall von Erkenntnis sei.2 Ob der Gegenstand der Ästhetik als Fall von Erkenntnis verstanden werden muß oder nicht, ist eine Frage, die sich diese Disziplin nach wie vor stellt. Beispiele für aktuelle Positionen in der deutschsprachigen Debatte, die sich für die erste Option entscheiden, sind die von Gernot
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Baumgarten, Aesthetica, z.B. §1 und §423. Am Anfang der „Analytik“ will Kant das Prädikat „ästhetisch“ nicht den Geschmacksurteilen im eigentlichen Sinn vorbehalten wissen, weil auch die Urteile über bloß Angenehmes „ästhetisch“ im Sinn von „nicht objektiv“ seien. Die Verwendungsweise von „ästhetisch“ bzw. „Ästhetik“, die sich bis heute durchgesetzt hat, ist nicht die Kants, da für ihn der Bereich des Ästhetischen der des bloß Sinnlichen ist, von etwas also, das alleine keine Erkenntnis konstituieren kann. Da die heute gebräuchliche Bezeichnung „ästhetisch“ nicht die von Kant zurückgewiesene Theorie des Schönen (die „Ästhetik“ als Theorie einer sinnlichen Erkenntnis betreiben will) impliziert, kann man den Ausdruck guten Gewissens auch mit Bezug auf Kants Konzeption in der KäU verwenden. Anders als etwa Wieland in Urteil und Gefühl (S. 34-46) sehe ich hier (wie auch Recki, Ästhetik der Sitten, S. 58, Anm.) eine rein terminologische Frage. Kant hat nicht die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen des Schönen zurückgewiesen, sondern lediglich die Diskursivität der Unterscheidung, die durch das Geschmacksurteil getroffen wird. Mit „ästhetisch“ benenne ich im folgenden den Gegenstandsbereich, um den es Kant in der KäU eigentlich geht, und unter „Ästhetik“ verstehe ich diejenige philosophische Disziplin, die sich um eine diskursive Auseinandersetzung damit – wie Kant in seiner dritten Kritik – bemüht.
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Einleitung
Böhme3 und Wolfgang Welsch4, während sich Autoren wie etwa Rüdiger Bubner5 und Martin Seel6 für die Abgrenzung von Theorie und ästhetischer Einstellung aussprechen. Eindringliche Plädoyers für den Sonderstatus der ästhetischen Erfahrung in der jüngeren Diskussion sind die Beiträge von Andrea Kern7 und Ruth Sonderegger8, wobei beide in einer gemeinsamen Stellungnahme die gerade angedeutete Alternative bei der Abgrenzung des Gegenstands von Ästhetik insgesamt in Frage zu stellen scheinen. Beide genannten Optionen seien unbefriedigend, sagen Kern und Sonderegger: Auf der einen Seite drohe eine „Heteronomisierung“ der Ästhetik durch theoretische Philosophie,9 auf der anderen aber die Gefahr der Trivialisierung des Phänomens durch seine Ansiedlung außerhalb des Theoretischen. Soll hier aber nicht nur das Selbstverständnis einer philosophischen Disziplin auf dem Spiel stehen, sondern vielmehr das Verständnis einer Sache, dann ist freilich weder das eine noch das andere ein Problem: Gegen eine Heteronomisierung der Ästhetik durch Erkenntnistheorie ist nichts einzuwenden, wenn dabei die ästhetische Einstellung in ihrer Besonderheit erfaßt werden kann – vorerst ist nicht einzusehen, warum das nicht innerhalb der Gattung „Theorie“ geschehen kann –, und vor beschriebener „Trivialisierung“ wird sich nur fürchten, wer alles Nichttheoretische automatisch als Trivialität abtut. Eigentlich geht es Kern und Sonderegger aber um die These, daß die fragliche Alternative gar nicht zwingend sei. Ihr liege die unhinterfragte Prämisse zugrunde, „daß die Idee einer ästhetischen Erfahrung, die autonom ist, und die Idee einer ästhetischen Erfahrung, die eine Bedeutung für unser gewöhnliches Leben hat, einander ausschließen“.10 Kern und Sonderegger wollen den Sonderstatus der ästhetischen Erfahrung sichern, ohne sie deswegen gleich an den Vorwurf der Trivialität auszuliefern, indem sie zeigen, „daß die ästhetische Erfahrung gerade durch die besondere Art und Weise, wie sie auf die gewöhnliche, alltägliche Erfahrung
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Böhme, Aisthetik, S. 11f. Welsch, „Das Ästhetische – Eine Schlüsselkategorie unserer Zeit“?, S. 34ff. Bubner, „Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik“, z.B. S. 31. Seel, Ethisch-Ästhetische Studien, S. 40ff. und S. 266f. Kategorisch ist Seels Haltung in dieser Frage allerdings nicht – vgl. z.B. Die Kunst der Entzweiung, wo es zu seinen Redeweisen gehört, daß in der ästhetischen Einstellung etwas „erhellt“ werde (S. 209). In „Kunst, Wahrheit, Welterschließung“ macht sich Seel zudem auf die Suche nach einem spezifisch ästhetischen Sinn von Wahrheit. Eine entschiedene Kritik an jeglicher „Wahrheitsästhetik“ kommt von Schmücker (Was ist Kunst, z.B. S. 38f.). Kern, Schöne Lust. Sonderegger, Für eine Ästhetik des Spiels. Kern/Sonderegger, Falsche Gegensätze, S. 7. Vgl. auch Bubner, „Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik“, S. 31. Kern/Sonderegger, Falsche Gegensätze, S. 9.
Einleitung
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bezogen ist, zu einer autonomen wird“.11 Durch einen solchen Bezug auf Erfahrung, den sie der ästhetischen Einstellung unterstellen, sehen sie die Gefahr der Trivialisierung abgewendet, weil sich die so charakterisierte ästhetische Erfahrung der Gesellschaft von etwas unbestreitbar Nichttrivialem versichert: „Dieses Bezogensein auf die gewöhnliche Erfahrung verbindet die ästhetische Erfahrung [...] mit der Philosophie“.12 Beinhaltet der Lösungsvorschlag also am Ende doch, daß die ästhetische Erfahrung ihren Sonderstatus einzig innerhalb des Bereichs von Erkenntnis erhalten kann? Das Verständnis dieser Position hinsichtlich der eingangs dargestellten Alternative hängt freilich von dem Begriff der Erfahrung ab. Kern kennzeichnet die ästhetische Erfahrung näher als „Reflexion“, womit zunächst eine Gemeinsamkeit zwischen ästhetischer Erfahrung und Philosophie aufgezeigt sei. Beide seien nämlich selbstbezüglich („selbstreflexiv“13), worunter Kern versteht, daß wir uns in ihnen auf uns selbst zurückbeugen, nämlich „auf die Form unseres Urteilens überhaupt“.14 Demnach haben Philosophie und ästhetische Erfahrung denselben Inhalt. Unterschiedlich seien sie aber, so Kern weiter, im „Zugang“ zu diesem Inhalt: Während die ästhetische Erfahrung einen „fühlenden“ habe, sei der von Philosophie „diskursiv“.15 Die Nähe der ästhetischen Einstellung zur Philosophie suggeriert zwar, erstere sei nun doch – wie letztere – als Fall von Erkenntnis zu verstehen. Worin ein gemeinsamer Sinn von „diskursiver“ und „intuitiver“ Erkenntnis bzw. „diskursiver“ und „intuitiver“ Wahrheit bestehen könnte, wäre dann aber zu klären. Daß es sich bei Fällen von Erkenntnis um Gebilde handelt, die wahr oder falsch sind, dürfte einigermaßen unstrittig sein; ob dergleichen auch bei Intuition in Anspruch genommen werden darf, ist aber eine Frage, die erst zu beantworten wäre.16 Solange kein gemeinsamer Sinn von Wahrheit aufgezeigt werden kann, wäre es also sinnvoll, den Wahrheitsbegriff im Kontext einer „intuitiven Erfahrung“ zurückzuhalten. Deswegen liegt es nahe, die Rede von „Erfahrung“ und „Reflexion“ im fraglichen Zusammenhang in einem nichttheoretischen Sinn zu verstehen, wie es etwa Christoph Menke tut. Auch er bestimmt das ästhetische Urteil – in Anlehnung an Mendelssohn – als Fall von „Selbstreflexion“, die sich aber auf „kein mögliches Objekt von Erkenntnis“ beziehe. „In
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Ebd., S. 10. Ebd. Kern, „Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn“, S. 102. Ebd. Ebd., S. 103. Vgl. die Bemühungen Seels („Kunst, Wahrheit, Welterschließung“) und Wellmers („Wahrheit, Schein, Versöhnung“, S 30ff.) um einen spezifisch ästhetischen Wahrheitsbegriff.
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Einleitung
der ästhetischen Selbstreflexion erfahren wir das Wirken von Kräften, indem wir es vollziehen; aber wir erkennen nicht die Existenz, Beschaffenheit und Ergebnisse von Kräften“.17 Hier scheint „Erfahrung“ den allgemeinen Sinn von „Mentalem“ oder „Bewußtsein“ zu haben, und unter diesen Vorzeichen ließe sich selbst nach Kant der Erfahrungsbegriff für etwas Nichtdiskursives wie fragliche „Intuition“ rechtfertigen. Das Nichttheoretische des fraglichen Mentalen wird insbesondere dann deutlich, wenn man, wie etwa Kern, die zentrale Rolle des Phänomens der Lust in Kants Konzeption der ästhetischen Erfahrung würdigt.18 Auch wenn solches Mentale mit Erkenntnis oder der Tätigkeit der Erkenntniskräfte in irgendeiner Verbindung steht, ist es selbst kein Fall von Erkenntnis, und daran ändert sich auch nichts, wenn für dieses Mentale so etwas wie Selbstbezüglichkeit nachgewiesen werden kann, denn jedes Bewußtsein im Sinn eines Selbstbewußtseins, auch noch diesseits von so etwas wie Selbsterkenntnis, bezieht sich auf sich selbst.19 All das bestätigt nicht die These von der „falschen Alternative“ zwischen Erkenntnischarakter und Autonomie der ästhetischen Einstellung, sondern vielmehr die fortbestehende Notwendigkeit einer Entscheidung für das eine oder andere. Im einen Fall müßte man einen gemeinsamen Sinn von Wahrheit finden, der sich sowohl für die ästhetische Erfahrung als auch für die als Urteilswahrheit verstandene Erkenntnis anwenden ließe, im anderen eine eigenständige Charakterisierung der ästhetischen Einstellung außerhalb von Theorie. Die prominenteste Antwort auf die Frage, was die ästhetische Erfahrung sei, wenn nicht ein Fall von Erkenntnis, liegt wohl im Begriff des
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Menke, „Wahrnehmung, Tätigkeit, Selbstreflexion“, S. 47. Vgl. Kern, Schöne Lust, S. 55 und S. 68ff. Ganz anders als Kern will Fricke, von der eine der einschlägigen Arbeiten zur KU stammt, im Rahmen eines eigenständigen Versuchs der systematischen Begründung von Ästhetik auf den Rekurs von dergleichen wie Gefühle verzichten (vgl. Zeichenprozeß und ästhetische Erfahrung). Ihr zeichentheoretischer Ansatz, der den Irrweg einer „Gefühlsästhetik“ vermeiden soll, kann aber als das beste Beispiel für die Unergiebigkeit solcher Versuche gelten: Frickes Weg führt zu einem Katalog von nicht weniger als zehn Kriterien, der die Unterscheidung zwischen „ästhetischer“ und „epistemischer“ Zeichenpraxis bestimmen soll (S. 368f.). Diese sind alle quantitativer Art, und das gilt insbesondere für die Formel, Kunstwerke seien „freie Zeichen von geringer Bedeutungstransparenz“ (S. 309ff.); wie gering die fragliche Transparenz im Extremfall gerade noch sein darf, ist dabei die Frage, denn geht sie gegen Null, dann mit ihr auch der Zeichencharakter des Gebildes. Es ist vielleicht doch der große Vorteil des Kantischen Ansatzes, daß dieser beim Wohlgefallen ansetzt. Ein Bewußtsein von etwas impliziert, daß man sich dieses etwas bewußt ist, weshalb ein Bewußtsein, das in diesem Sinn nicht selbstbezüglich wäre, gar nicht vorstellbar ist – vgl. etwa die Interpretation von Kants berühmtem Diktum „Das Ich denke muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ [B 131f.] von Friebe in Theorie des Unbewußten, besonders S. 58ff. Eine Kennzeichnung der ästhetischen Einstellung, die auf so verstandene Selbstbezüglichkeit abhebt, ist also ganz unspezifisch für den ästhetischen Bereich.
Einleitung
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Spiels.20 Konstruktionen, die sich dieses Begriffs bedienen, kommen allerdings ohne den Erkenntnisbegriff nie ganz aus; man begegnet im Kontext von Ästhetik Redeweisen wie etwa „Spiel mit Erkenntnisweisen“21, „Wahrnehmungsspiel“22 oder „Spiel mit Wahrheit“23. Es ist hier also die Dopplung zweier nichtästhetischer Phänomene, die die Spezifität der ästhetischen Einstellung beschreiben soll. Als differentia specifica bietet sich der Begriff des Spiels nicht unmittelbar an; weil er einem nichttheoretischen Bereich entlehnt ist, kann er kaum Phänomene wie „Wahrnehmung“ oder „Erkenntnis“ spezifizieren. Und wenn er es könnte, wäre die geleistete Abgrenzung eben letztlich wieder eine innerhalb von Erkenntnis. Dieses Problem besteht auch schon dort, wo die Wirkungsgeschichte des Spielbegriffs in der Ästhetik ihren Anfang nimmt:24 Kant, der im §1 seiner AS die These aufstellt, daß das ästhetische Verhältnis zu den Dingen kein Fall von Erkenntnis sei, und der von da an mit einer positiven Antwort gefordert ist, greift mit seiner Formel vom „freien Spiel der Erkenntniskräfte“ auf den Erkenntnisbegriff wieder zurück. Es sind die Erkenntnisvermögen, die spielen sollen; Vermögen also, die in der KrV einzig deshalb eingeführt wurden, um das „Faktum der Erfahrung“ zu erklären. Wir brauchen Verstand und Einbildungskraft, um zu verstehen, wie es überhaupt zu Erkenntnis von Objekten kommen kann, so lautete die These Kants im erkenntnistheoretischen Kontext. Nun aber sollen diese beiden Vermögen25 auch noch abseits ihrer eigentlichen Bestimmung tätig werden können. Was das bedeutet, ist verständlich zu machen. In der Literatur läuft die Rekonstruktion des freien Spiels der Erkenntnisvermögen meist darauf hinaus, es als Abweichung vom gewöhnlichen Erkenntnisprozeß zu verstehen. Die auffälligste Anomalie der ästhetischen Erfahrung besteht nach weitgehend übereinstimmender Meinung in der Abwesenheit von Begriffen. Auf etwas, das im Rahmen all-
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Im Rahmen von Gadamers hermeneutischer Konzeption steht der Spielbegriff freilich auch im Kontext eines Versuchs, das Ästhetische zum Modellfall von Theorie schlechthin zu machen: Seine Phänomenologie des Spiels führt Gadamer in Wahrheit und Methode zum Begriff der „Darstellung“ (S. 113), von dort aus zum „Schauspiel“ (S. 117) und schließlich zu einer „Freude der Erkenntnis“ (S. 118) – siehe dazu unten, S. 140, Anm. 214. Sonderegger, „Wie Kunst (auch) mit der Wahrheit spielt“, S. 231. Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 60. Wellmer, „Das musikalische Kunstwerk“, S. 172. Zu der auf Kant zurückgehenden Wirkungsgeschichte des Spielbegriffs als Inbegriff für die Autonomie des Ästhetischen vgl. Behler, „Nietzsche und die romantische Metapher von Kunst als Spiel“, S. 101ff. und S. 109. Daß es sich um zwei getrennte Vermögen handelt, ist gar nicht sicher. Das zeigt eine Anmerkung Kants in seinem Handexemplar der KrV, wo an der Stelle A 78 B 103 der Ausdruck „Einbildungskraft als Funktion der Seele“ korrigiert wird zu „Funktion des Verstandes“ (vgl. Bd. 23, S. 45).
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Einleitung
täglicher Erkenntnis, gerade nach Kant, unentbehrlich ist – den Begriff, ohne den Anschauungen „blind“ sind – soll im Rahmen der ästhetischen Erkenntnistätigkeit verzichtet werden.26 Etwas mithin, ohne das die empirische Erkenntnis nicht vorstellbar ist, nämlich die Bestimmung eines Objekts durch einen Begriff, soll jetzt unterbleiben. Doch diese Defizienz ist offenbar nicht mit Mangel gleichzusetzen, kann sie doch auch als Gewinn gewertet werden: Erst dadurch, daß es nicht zur Bestimmung des Gegenstandes kommt, werde das Tätigsein für die Erkenntnisvermögen lustvoll; jetzt erst, vom „Zwang“ des Begriffs entlastet, operierten sie womöglich „frei“, so daß man vielleicht sogar sagen könnte: Erst durch ihre Befreiung von Vorgaben durch Begriffe sind die Erkenntniskräfte (oder mindestens die Einbildungskraft) in ihrem eigentlichen Element. Eine solche Deutung kann sich insofern auf Kant berufen, als dieser im Zusammenhang mit dem Begriff tatsächlich von einer Einschränkung (28) spricht. All das versteht sich aber nicht von selbst. Die Schwierigkeit wird von Kants Interpreten dabei meist weniger im Begriff des Spiels als auf der Seite des Erkenntnisvorgangs gesehen. Es wird versucht, das freie Spiel der Erkenntniskräfte aus dem Detailverständnis der regulären Erkenntnistätigkeit heraus zu erklären. Eine Interpretation, an der man dies in vorbildlicher Weise studieren kann, ist die von Dieter Henrich. Sie beginnt mit der Feststellung, die Erklärung der ästhetischen Einstellung sei „derived from the explanation of the possibility of our knowledge of objects“,27 und es wird als vordringliche Aufgabe angesehen, eine detaillierte Beschreibung dieses Spiels bzw. der darin auftretenden „cognitive operations“, die Kant nicht geliefert habe, nachzutragen.28 Henrichs Rekonstruktion nun sieht vor, daß in der ästhetischen Einstellung die Einbildungskraft gegen den Verstand gehalten werde, aber nicht um Begriffe auf Wahrnehmungen anzuwenden, wie im Kontext alltäglicher Erfahrung; statt dessen werde „the state of imagination with the conditions of a possible conceptualization in general“ verglichen.29 In diesem Zusammenhang agiere die Einbildungskraft frei, „it will pass through manifolds in various ways and produce traces of forms without aiming at particular forms and
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Vgl. dazu z.B. Fricke, „Freies Spiel und Form der Zweckmäßigkeit“, S. 49; Bubner, „Gibt es ästhetische Erfahrung bei Hegel?“, S. 71f.; Stolzenberg, „Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 10 und Henrich, Aesthetic Judgment and the Moral Image of the World. Im Rahmen einer solchen Interpretation stellt sich die Frage, wie dann noch der Bezug auf einen Gegenstand hergestellt werden kann. Aichele fordert bezeichnenderweise – nicht ohne eine gewisse Konsequenz – „die Rede von ‚ästhetischen Gegenständen‘“ müsse „als mißverständlich vermieden werden“ (Philosophie als Spiel, S. 82). Vgl. Aesthetic Judgment and the Moral Image of the World, S. 34. Ebd., S. 40. Ebd., S. 49.
Einleitung
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without stopping when they have been attained“, und ihre Tätigkeit, die darin bestehe, das Mannigfaltige ohne Zwänge durchzugehen, sei „pleasing in itself“.30 Das harmonische Spiel trete ein, wenn die freie Beschäftigung von sich zu Formen komme, „that correspond to the general feature of an exhibition of an empirical concept“. Verstand und Einbildungskraft, sonst immer nur gezwungenermaßen zusammenarbeitend, agierten nun auf einmal in Harmonie wie Tanzpartner oder, noch treffender, wie zwei, die ein Ballspiel ausführten.31 Die ästhetische Tätigkeit der Erkenntniskräfte ist dieser Konstruktion zufolge nicht losgelöst von allen Erfordernissen der Erkenntnis. Zu einem Wohlgefallen kommt es nur, weil gewissen Bedingungen, die auch im Rahmen von Erkenntnis gelten, entsprochen wird. Der fragliche Zustand „appears to facilitate the understanding’s activity“, „it also strengthens the understanding’s readiness to form concepts and to apply them“.32 Auch die Einbildungskraft kommt nicht zu kurz: „Imagination profits from this accordance too. For the power of understanding refrains from further interference in such a situation“.33 Überhaupt ist dieses Wohlgefallen an ein Erfolgserlebnis der Erkenntnisvermögen im Rahmen ihrer eigentlichen Bestimmung gekettet, denn die Erfüllung der „conditions of a possible conceptualization in general“ ist etwas Positives und Erfreuliches nur in Hinblick auf den Zweck der Erkenntnis. Alles scheint also in besonderer Weise den Anliegen der Erkenntniskräfte entgegenzukommen, so daß man sich am Ende fragen muß, warum das Anliegen der Erkenntnis selbst nicht erfüllt wird bzw. warum die Entbindung von diesem Zweck für Verstand und Einbildungskraft, die doch wohl nicht als eigenwillige Quasi-Subjekte im Subjekt mit individuellen Vorlieben und Bedürfnissen verstanden werden sollen, so lustvoll sein kann. Der Spagat, den eine solche Konstruktion zu leisten hat, ist der zwischen dem freien Spiel, das eine Freiheit von den Anforderungen von Erkenntnis zu beinhalten scheint, und den „Bedingungen von Erkenntnis überhaupt“, auf die sich dieses Spiel zu beziehen scheint. Wie die Verbindung zwischen dem einen und dem anderen zu verstehen ist, wird im §9 der AS, in dem die genannten Schlagwörter fallen, nicht wirklich klar, und auch Kants Interpreten will die Aufklärung dieser Zusammenhänge nicht recht gelingen.34
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Ebd., S. 51. Ebd., S. 52f. Ebd., S. 51. Ebd. Immer wieder sehen sich Kants Interpreten genau wie Henrich gezwungen, sich das freie Spiel als den Zustand der Zweckmäßigkeit für Erkenntnis schlechthin zurechtzulegen (vgl. etwa Fricke in Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, S. 123), was aber keinen rechten Sinn ergibt, weil etwas für Erkenntnis Wesentliches fehlen soll. Fricke (ebd., S. 149), spricht im
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Einleitung
Es ist fraglich, daß es hier tatsächlich am Detailverständnis der Erkenntnisoperationen mangelt. Man darf vermuten, daß die besondere Attraktivität, die Kants Formel vom „freien Spiel der Erkenntniskräfte“ seit jeher genossen hat – insbesondere auch bei den weniger notorisch mit Kant sympathisierenden Theoretikern –, allein an dem so plausiblen Bild des Spiels hängt. Sie hängt jedenfalls nicht an Kants erkenntnistheoretischer Konzeption mit den Vermögen Verstand und Einbildungskraft, deren Zusammenwirken zu den Fundamentalproblemen seines transzendentalphilosophischen Projekts gehört.35 Es ist nämlich keineswegs klar, was Verstand und Einbildungskraft im Normalfall eigentlich „tun“, so daß die Plausibilität dieses Bilds zweier spielenden Erkenntnisvermögen nur etwas über die suggestive Kraft des Begriffs vom Spiel aussagt. Ganz gleich, welche „Operationen“ im Erkenntnisvorgang auch ablaufen mögen – daß diejenigen Vermögen, die sonst auf ernste Weise agieren, im
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Zusammenhang mit der spielerischen Tätigkeit der Erkenntniskräfte sogar von einem „Scheitern“, das aber in ein Erfolgserlebnis umgedeutet wird (vgl. auch Longueness, Kant’s Theory of Judgment, S. 146 und Bubner, „Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik“, S. 36f). Recki bezieht in „Intentionalität ohne Intention“ Kants Redeweise von der „Harmonie der Erkenntnisvermögen“ sowohl auf das Spiel als auch auf den Zweck der Erkenntnis (S. 175), muß kurz darauf aber eingestehen, daß die Intention der Erkenntnis aufgehoben wird (S. 176). Ein anderes Beispiel gibt Stolzenberg, dem zufolge im freien Spiel Einbildungskraft und Verstand „den für sie geltenden ‚Regeln‘“ folgten, wobei aber „ihre Funktionen nicht dem Zweck der Gewinnung einer begrifflich bestimmten Erkenntnis eines Objekts unterstellt sind“ („Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 11). Daß Stolzenberg hier „Regel“ in Anführungsstriche setzt, deutet schon an, daß sich nicht eben leicht verständlich machen läßt, um was für eine Regel es sich hier im Gegensatz zu den sonstigen Regeln der Erkenntnistätigkeit handeln kann. Daß es eine „nicht [...] inhaltlich festgelegte Regel“ sein soll, die durch eine „dem Inhalte nach nicht determinierte Fülle von Daten“ (ebd.) eine andauernde Erkenntnistätigkeit des Verstandes nötig macht, läßt sich aus Sicht der Erkenntniskräfte nur mühsam als Vorteil verkaufen. Man muß sich in dieser Frage Ginsborg anschließen, die es mit Blick auf den ähnlich interpretierenden Allison (Kant’s Theory of Taste, S. 51) grundsätzlich fragwürdig findet, daß die Nötigung zu fortdauernder Erkenntnistätigkeit durch eine Fülle an unbestimmtem oder unbestimmbarem Material lustvoll sein soll („Aesthetic Judging and the Intentionality of Pleasure“, S. 168). Kulenkampff weist in Kants Logik des ästhetischen Urteils darauf hin, daß Kant über eine überzeugende Urteilstheorie gar nicht verfügt (S. 233). Eine wirklich haltbare Urteilstheorie würde die Lösung des Schematismusproblems voraussetzen, also der Frage, wie reine Verstandesbegriffe und sinnliche Anschauungen, die „ganz ungleichartig“ (A 137 B 176) sind, sich aufeinander beziehen können. Die Frage, wie der reine Verstand sich „versinnlicht“, ist insgesamt ein offenes Problem, und daß Kant selbst gar nicht der Meinung gewesen sein kann, hierzu das letzte Wort gesagt zu haben, zeigt überzeugend Heller in „Kant und J.S. Beck über Anschauung und Begriff“. Kühne Versuche, eine Lösung dieses Problems aus der KU zu rekonstruieren, gehen an dem eigentlichen Schematismusproblem, wie es Heller entfaltet, völlig vorbei: Damit Kants Diktum aus der KU, wonach im Geschmacksurteil eine Schematisierung „ohne Begriff“ stattfinde, verständlich werden kann, müßte mindestens klar sein, wie dieser Vorgang „mit Begriff“ zu verstehen ist. Völlig abwegig ist es etwa, anhand der Rezeption abstrakter Kunst die Lücke in der Erkenntnistheorie schließen zu wollen (wie es etwa Bell, „The Art of Judgment“, S. 239, versucht).
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ästhetischen Fall miteinander spielen, wirkt irgendwie überzeugend, und der Grund dafür ist wohl der, daß der Begriff des Spiels die für die ästhetische Einstellung so wichtige Interesselosigkeit bildhaft einzulösen vermag. Aber vielleicht könnte es hilfreich sein, einmal die Schwierigkeiten zu betonen, die mit diesem so gelungenen Bild einhergehen. Das Anliegen dieser Arbeit ist es, den Begriff des Spiels in drei Hinsichten zu problematisieren.36 Erstens stellt sich im Zusammenhang mit der eben angedeuteten Schwierigkeit die Frage nach der Rolle des Spielbegriffs in der Gesamtkonzeption von Kant. Es kann gezeigt werden, daß der Begriff des Spiels in einem schwierigen Verhältnis zum Begriff der Zweckmäßigkeit steht: Während das Spiel doch gerade deswegen den Anspruch der Interesselosigkeit für die ästhetische Einstellung einzulösen vermag, weil es als die Alternative schlechthin zur Zweckrationalität gehandelt wird, steht der Begriff der Zweckmäßigkeit für das Mittel/ZweckVerhältnis, und damit für das Paradigma von Interessiertheit schlechthin.37 Und auch wenn Kant die ästhetische Zweckmäßigkeit mit seiner Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ von der Zweckrationalität des Alltags abzuheben bemüht ist, so soll es dennoch auch im ästhetischen Kontext die Zweckmäßigkeit von etwas für etwas geben. Kants Text legt an mehreren Stellen nahe, daß die Hinsicht der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Erkenntnisvorgang ist, und das Erfülltsein der „Bedingungen von Erkenntnis überhaupt“, wie es laut §9 dem ästhetischen Wohlgefallen zugrunde liegen soll, müßte daher eigentlich darauf hinauslaufen, daß sich der ästhetisch gefallende Gegenstand in irgendeiner Weise für den Zweck der Erkenntnis als vorteilhaft erweist bzw. den Erkenntniskräften beim
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Die Literatur findet es durchweg nicht bedenklich, daß sich Kant an dieser Schlüsselstelle auf einen Begriff mit schwer durchschaubarer Semantik verläßt, einen Begriff, dessen Plausibilität in der Ästhetik ganz auf alltagssprachlicher Intuition beruht. Der Begriff des Spiels hat nach Kant eine erstaunliche Karriere gemacht und den unterschiedlichst motivierten Angriffen gegen Subjektivität und Rationalität gedient, von Nietzsche bis zum späten Heidegger, von Wittgenstein bis Derrida. So etwas wie Unbehagen angesichts der verwirrenden Einsatzmöglichkeiten für diesen Begriff findet sich offenbar nur bei Literaturwissenschaftlern gelegentlich formuliert, wie etwa bei Anz, dem die Eignung des Spiels für das Anliegen der Postmoderne durchaus suspekt zu sein scheint (vgl. „Das Spiel ist aus?“), und bei Matuschek, der in einem lesenswerten Überblick über die Erfolgsgeschichte dieses Begriffs ein „modisches Passepartout“ (vgl. Literarische Spieltheorie, S. 1-25) diagnostiziert. Das Zweckmäßigkeitsverhältnis im Fall des ästhetischen Wohlgefallens als Mittel/ZweckBeziehung in Hinblick auf das Spiel zu verstehen (vgl. Fricke, „Freies Spiel und Form der Zweckmäßigkeit“, S. 49f. und 51f.), so daß hier etwas als Mittel für das Spiel zu gelten hätte, ist bei Kant (bis auf Ausnahmefälle – siehe unten, S. 108) nicht gemeint. Eine „Zweckmäßigkeit für Spiel“ wäre eigentlich eine „Zweckmäßigkeit für Nichtpraktizität“, und dabei müßte schon klar sein, worin Nichtpraktizität besteht. Deren Sinn will Kant vielmehr vom Begriff der Zweckmäßigkeit aus erst erläutern.
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Erfüllen ihrer Aufgabe entgegenkommt. Jens Kulenkampff stellt fest, daß in der Konsequenz dieses Gedankengangs eine Schwierigkeit liegt: Soll der schöne Gegenstand den Bedürfnissen der in der Wahrnehmung involvierten Erkenntniskräfte entgegenkommen, müßte er sich eigentlich durch Verständlichkeit und Durchsichtigkeit auszeichnen.38 Diejenigen Dinge, deren Auffassung am leichtesten und problemlosesten funktioniert, sind Gegenstände mit geometrisch-regelmäßigen Formen; denen widmet Kant aber eine besondere „Anmerkung“ am Ende der AS, um zu zeigen, daß im Zusammenhang mit einfachen und regelmäßigen Formen ein ästhetisches Wohlgefallen auszuschließen sei.39 Und von den „Bedingungen für Erfahrung überhaupt“ aus betrachtet, ist überhaupt nicht einzusehen, warum außer Verständlichkeit und Durchsichtigkeit auch Abwechslung und Mannigfaltigkeit einen besonderen Wert haben sollen – von den Anliegen der Erkenntniskräfte her ist nur die zweite Hälfte der Formel „Mannigfaltigkeit und Einheit“40 einsichtig. Die erste wäre noch zu begründen, und damit die eigentlich spielerische Komponente der ästhetischen Erfahrung. Es wird zu zeigen sein, daß zwischen der Spielterminologie und der Begrifflichkeit von Zweckmäßigkeit, soweit diese sich auf die Erfordernisse der Erkenntniskräfte bezieht, eine argumentative Inkongruenz besteht, die sich in den einzelnen Teilen von Kants Text unterschiedlich auswirkt.41 Zweitens ist die Berechtigung einer Analogie zwischen der ästhetischen Einstellung und dem Spiel zu klären. Kant nimmt zu dem Phänomen des Spiels im außerästhetischen Sinn, also zu dem metaphorischen Bürgen für die Interesselosigkeit der ästhetischen Lust, eine ambivalente Haltung ein. Gegen Ende der KäU spricht Kant dem Spiel im eigentlichen Sinn eine uninteressierte Lust zwar durchaus zu, macht sie ihm aber andererseits auch wieder streitig. Daß er dem Spiel im nicht übertragenen Sinn auf der einen Seite „interessierte Absicht“ abspricht (und ihm damit genau das zuzugestehen scheint, was auch das ästhetische Wohlgefallen charakterisiert), die spielerische Lust aber andererseits als Fall von Annehmlichkeit bestimmt42 und sie damit zu einem interessierten Wohlge-
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Kulenkampff, „Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“, S. 34. Vgl. auch Rogerson in „Kant on Beauty and Morality“, S. 346f. Sein Vorschlag geht dann dahin, die ästhetische Zweckmäßigkeit in Hinblick auf „ästhetische Ideen“ zu konstruieren; auf etwas also, von dem Kant sagt, es könne „keine Erkenntnis werden“ (KU 239). Vgl. KU, §61. Daß sich in Kants Konzeption das freie Spiel mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit nicht reibungslos verträgt, wird in einigen Interpretationen deutlich, z.B. bei Budd („The Pure Judgement of Taste“, S. 255ff.) und Kulenkampff („The Objectivity of Taste“, S. 105f.). Sonderegger macht in der KU sogar die Beobachtung „zweier völlig heterogener Begrifflichkeiten“ (Für eine Ästhetik des Spiels, S. 360ff.). Vgl. KU, §54.
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fallen macht, sollte doch die Rolle dieses Begriffs innerhalb von Kants Ansatz erklärungsbedürftig erscheinen lassen. Selbst im Rahmen eines Bilds wäre die Rede vom Spiel der Erkenntnisvermögen für die Ästhetik unbrauchbar, wenn die Interesselosigkeit, die Kant für die ästhetische Einstellung ansetzt, für das Spiel im eigentlichen Sinn sich gar nicht halten ließe. Und wenn ihre Berechtigung sich bestätigen sollte, dann wäre immer noch zu zeigen, welchen Sinn es haben kann, das Spiel aus seinem eigentlichen Umfeld, der Praxis, in das der Erkenntnisvermögen zu transferieren, wo diese beiden Bereiche doch fundamental verschieden zu sein scheinen: Während das Spiel im Zusammenhang mit Handeln steht, also dem Wirklichmachen so oder anders bestimmter Außenwelt, soll die ästhetische Einstellung im Kontext bloßer Theorie zuhause sein, also in einem Bereich, der nach gängiger Überzeugung nur das Bewußtmachen von schon wirklicher Außenwelt umfaßt. Drittens stellt sich im Kontext von Kants Ansatz die Frage, ob mit der Konstruktion des „freien Spiels“ dasjenige Phänomen erklärt werden kann, um das es Kant am Anfang der „Analytik“ geht, nämlich das der Schönheit. Zu Kants viel diskutierter Unterscheidung zwischen „freier Schönheit“ und „anhängender Schönheit“ läßt sich nämlich aus der Perspektive des Spielbegriffs fragen, ob sich dieser tatsächlich auf beides anwenden läßt oder ob das „freie Spiel“ sich nicht vielmehr auf „freie Schönheit“ beschränkt. Sollte sich dies bestätigen, wäre das womöglich ein ernstes Problem für Kants Ansatz. Vorliegende Arbeit gliedert sich, den genannten Fragen entsprechend, in drei Teile. Die Probleme, um die es im ersten und dritten Teil geht, beziehen sich direkt auf den Text von Kants dritter Kritik, während im zweiten Teil ein Vorschlag für die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung durch den Spielbegriff außerhalb von Kants Konzeption, in einem handlungstheoretischen Rahmen erarbeitet wird. Der erste Teil ermittelt im Zuge einer argumentativen Analyse die Stellung des Spielbegriffs in Kants Konzeption. Im Zentrum der Interpretation steht die These, daß die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“, derjenige Text, der mehr als jeder andere Teil der KU die Motivation für den Spielbegriff zu verdeutlichen vermag, in einem unversöhnlichen Spannungsverhältnis zum Begriff der Zweckmäßigkeit steht. Während Kant im Zusammenhang mit diesem Begriff das ästhetische Wohlgefallen auf die Zweckmäßigkeit einer Form für ihre Auffassung durch die Erkenntnisvermögen zurückführen will, liefert die „Allgemeine Anmerkung“ Argumente gegen eine solche Strategie. Diese Argumente laufen letztlich darauf hinaus, daß es sich bei einem Wohlgefallen, das auf die Zweckmäßigkeit von etwas für die Aufgabe der
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Erkenntniskräfte gegründet sein soll, um kein spezifisch ästhetisches Wohlgefallen handeln kann, sondern nur um ein praktisches. Ein Blick auf das Spiel im eigentlichen Sinn wird dieses Ergebnis bestätigen: Die intentionalitätstheoretische Analyse des Spiels im zweiten Teil zeigt, daß das spielerische Wohlgefallen nicht etwa dadurch zustande kommt, daß etwas zweckmäßig ist in Hinblick auf das spielimmanente Ziel. Das schlechthin Zweckmäßige steht dem Anliegen des Spielers sogar entgegen, und darin besteht der Gegensatz des Spiels zur Praxis. Das spielerische Anliegen wird nicht durch etwas Zweckmäßiges erfüllt, sondern durch die das Spiel durchherrschende Struktur von Mitteln und Zwecken insgesamt, der sich der Spieler frei unterwirft. Deshalb hat die Rede von Zwecken und Zweckmäßigkeit auch im Spiel ihren Sinn, aber einen, der zu den Anforderungen der Praxis quer steht. Diese Beschäftigung mit dem Spiel im außerästhetischen Sinn ist Teil eines Versuches, die Anwendung des Spielbegriffs in der Ästhetik durch Auffinden einer gemeinsamen Gattung für Handeln und Erkennen, unter die dann auch das Spiel und die ästhetische Einstellung fallen könnten, zu rechtfertigen. Auch wenn diese Überlegungen außerhalb des Rahmens von Kants Ansatz stattfinden, stehen sie doch in der Konsequenz seiner Grundprämissen: Kants Bemühungen, die ästhetische Einstellung gegen „Interesse“ abzugrenzen, die wiederholten Redeweisen von „Zweck“, „Absicht“ und „Zweckmäßigkeit“ im Zusammenhang mit Erkenntnis und vor allem die Überlegungen der schon erwähnten „Allgemeinen Anmerkung“ zeugen davon, daß er dazu neigt, auch Erkennen als etwas Praktisch-Interessiertes anzusehen. Mit weiteren Argumenten für die Zusammengehörigkeit von Erkennen und Handeln wäre ein Weg aufgezeigt, wie der Spielbegriff, der ursprünglich in den Bereich von Handeln und Verwirklichen gehört, im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Erkenntnisvermögen seine Anwendung finden kann. Diesen Weg ernst zu nehmen, der bei Kant nur angedeutet sein mag, heißt aber, die ästhetische Einstellung in einen eher ungewöhnlichen Zusammenhang zu setzen: Statt die ästhetische Einstellung als „bloßes Schauen“ ganz außerhalb von Praxis zu thematisieren, soll sie hier mit solchen Verhaltensweisen verglichen werden, wo bloßes Wahrnehmen und Beobachten als Fall von Praxis auffällig wird. Der Vergleich eines Theaterbesuchers mit einem passiven Mordzeugen wird zeigen, daß Ästhetiker mit Praktikern mehr gemein haben, als ihnen gemeinhin zugestanden wird.43 Erst auf der Basis
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Als Vorbild für das Heranziehen der Unterlassungshandlung als Beleg für die Praktizität des Erkennens dient Prauss in Kant über Freiheit als Autonomie (S. 216ff.), wobei ich allerdings ein anderes Argumentationsziel als er verfolge. Die Verbindung zwischen Unterlassen und ästhetischer Einstellung stellt auch Seel in Sich bestimmen lassen her.
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dieser Ergebnisse, so die Argumentation, kann mit dem Gebrauch des Spielbegriffs in der Ästhetik wirklich ernst gemacht werden. Der dritte Teil wendet sich dann wieder Kants Text zu, jetzt aber, um die Grenzen des Spielbegriffs in der Ästhetik zu ermitteln. Es wird argumentiert, daß der Spielbegriff nicht in eine Erklärung des Phänomens des Schönen mündet, obwohl das, was er im Zusammenhang mit Erkenntnis zu charakterisieren vermag, sehr wohl ein ästhetisches Phänomen ist. Für eine Theorie des Schönen, die auch dasjenige mit umfaßt, was Kant die „anhängende Schönheit“ nennt, so lautet die These, ist der Begriff des Spiels nicht geeignet. Als aufschlußreich könnte sich aber ein erneuter Blick auf den wahrlich vertrackten Begriff der Zweckmäßigkeit erweisen. Die Arbeit basiert auf der Überzeugung, daß eine angemessene Würdigung von Kants ästhetischer Theorie in der KU nur unter Berücksichtigung ihrer praktizistischen Tendenz möglich ist. Ihre besondere Qualität erhält die Analogie zum Spiel im Rahmen von Kants Konzeption nur deshalb, weil der dem Spiel entgegengesetzte Ernst, die praktisch-interessierte Einstellung, in bezug auf Erkenntnis kein leeres Bild darstellt. Die Bemühung dieser Arbeit um eine Abgrenzung der ästhetischen Einstellung anhand des Spielbegriffs versteht sich somit als Beitrag zu einer praktizistischen Theorie von Subjektivität.44
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Vgl. Prauss, Die Welt und wir.
Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“ A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant 1. Die §§1-9 der „Analytik des Schönen“ In der KäU will Kant eine Theorie „der Beurteilung des Schönen“ liefern, d.h. er versucht zu erklären, „was [...] dazu erfordert wird“ (3 Anm.), „um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht“ (3). Bei einem ästhetischen Urteil (wie etwa: „Diese Blume ist schön“) handelt es sich um „kein Erkenntnisurteil“ (4), denn darin „beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekte zum Erkenntnisse“ (3). Zum Vergleich: wenn wir etwas im Rahmen von Erkenntnis über den Gegenstand aussagen – wie etwa in: „dies ist rund“ –, werden „gegebene Vorstellungen“ (gemeint sind Sinnesdaten bzw. Anschauung) „im Urteile auf das Objekt bezogen“ (5)1. Einer solchen „Beziehung der Vorstellungen“, die „objektiv“ sei, liege „das Reale einer empirischen Vorstellung“ (4) zugrunde, womit Kant ihren Sachgehalt meint. Ob etwas also z.B. rund ist oder nicht, entscheidet sich dadurch, ob der entsprechende Gehalt in „Rund-Anschauung“ erfolgreich auf ein Objekt bezogen wird. Das Prädikat „schön“ verleihen wir nicht auf diese Weise, denn der Bestimmungsgrund für die Unterscheidung, „ob etwas schön sei oder nicht“, ist keine sachhaltige Anschauung, sondern das „Gefühl der Lust oder Unlust, wodurch gar nichts im Objekte bezeichnet wird“ (4). Nennt das Subjekt einen Gegenstand schön, ist es sich einer Vorstellung „mit der Empfindung des Wohlgefallens bewußt“ (4). Das Prädikat „schön“ ist kein reales bzw. sachhaltiges Prädikat; es gibt nur die Haltung des Subjekts zum betreffenden Gegenstand an; es drückt aus, wie es ihm gegenüber „sich selbst fühlt“ (4). Ausgedrückt wird damit der Vorzug des Subjekts für einen bestimmten Gegenstand im Gegensatz zu anderen,2 also eine
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An der betreffenden Stelle heißt es, sie würden „nur im Urteile auf das Objekt bezogen“ (Hervorhebung von mir), wobei das „nur“ sinnvollerweise vor „auf das Objekt“ stehen müßte. Vgl. Kulenkampff, der von „value judgments“ als „expressions of praise or blame“ spricht („The Objectivity of Taste“, S. 101).
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Präferenz3, und dadurch unterscheidet sich das ästhetische Urteil von Erkenntnisurteilen, die keine Auskunft darüber geben, wie das Subjekt den Gegenstand empfindet, sondern nur darüber, wie ein Gegenstand inhaltlich bestimmt ist. Man könnte formulieren, daß das ästhetische Urteil einen Gegenstand hinsichtlich der Lust oder Unlust des Subjekts bestimmt. Das ästhetische Urteil ist aber nicht das einzige Urteil, durch welches das Subjekt eine Auszeichnung von Gegenständen vornimmt. Als weitere Fälle für den Ausdruck einer Präferenz nennt Kant die Prädikate „angenehm“ und „gut“ (nützlich), zwischen denen offenbar ein Zusammenhang besteht, da das Nützliche letztlich immer „als Mittel zu irgendeiner Annehmlichkeit gefällt“ (13). Urteile über das Gute und das Angenehme sind von der ästhetischen Wertschätzung deshalb fundamental unterschieden, weil ihnen immer ein Interesse an der Wirklichkeit des Objekts zugrunde liegt. Beim Angenehmen wie beim Nützlichen kommt es darauf an, „worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge“ (6): Damit ein angenehmer Gegenstand positive Empfindungen hervorrufen kann, muß er wirklich sein; auch ein nützlicher Gegenstand, der als Mittel zu einem Zweck dienen soll, muß existieren, damit das Subjekt ihn auch verwenden kann.4 Einem Gegenstand, bei dem klar ist, daß er bloß vorgestellt und nicht wirklich ist, kann dementsprechend keine dieser Arten von Wohlgefallen gelten. Beim Schönen dagegen reicht die „bloße Vorstellung“ (6) des Gegenstandes aus, um Anlaß für ein Wohlgefallen zu sein. Einem ästhetisch eingestellten Subjekt liegt deshalb nichts an der Wirklichkeit des betreffenden Objekts; es ist hinsichtlich der Wirklichkeit schöner Gegenstände „ganz gleichgültig“ (7). Um zu verstehen, warum die AS gerade diesen Anfang nimmt, und warum solche Überlegungen für Kant von „vorzüglicher Erheblichkeit“ (7) sind, genügt ein Blick auf die KpV, mit deren Fertigstellung Kant unmittelbar vor dem Beginn seiner Arbeit an der KU beschäftigt war. Am Ende der KpV, in der „Methodenlehre“, spricht Kant im Zusammenhang mit Schönheit von einem Wohlgefallen an einem Gegenstand, dessen „Existenz [...] uns gleichgültig bleibt“ – von einem Wohlgefallen also, das als interesselos bezeichnet werden kann.5 Am Anfang der KpV ist „die
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Unter „Präferenz“ verstehe ich nicht schon so etwas wie „personale Präferenz“ (Pauen, Illusion Freiheit?, S. 67), also eine auf personaler Konstitution basierende Vorliebe, die bereits etwas von Regelhaftigkeit hat – vergleichbar etwa Kants „Maximen“ –, sondern viel allgemeiner dasjenige, was jeder Entscheidung des Subjekts für den einen und gegen den anderen Gegenstand zugrunde liegen muß. Vgl. Otto, Ästhetische Wertschätzung, S. 182ff. Vgl. Bd. 5, S. 160. Die wesentlichen Elemente der Konzeption für die AS müssen Kant zu diesem Zeitpunkt vor Augen gestanden haben (Basch nennt diesen Text, der früher datiert als der berühmte Brief an Reinhold, „la véritable source de la Critique du Jugement“ [Essai
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Lust an der Wirklichkeit eines Gegenstandes“, als „Bestimmungsgrund“ des Willens, der „jederzeit empirisch“ ist, das der Moral entgegengesetzte Prinzip schlechthin.6 Daß es außer interessierter Lust noch eine andere Art Lust geben könnte, kommt dort nicht zur Sprache, vielmehr scheint Lust hier für Kant prinzipiell die Lust der Annehmlichkeit zu sein: Lust ist die Vorstellung der Übereinstimmung des Gegenstandes oder der Handlung mit den subjektiven Bedingungen des Lebens, d.i. mit dem Vermögen der Kausalität einer Vorstellung in Ansehung der Wirklichkeit ihres Objekts (oder der Bestimmung der Kräfte des Subjekts zur Handlung es hervorzubringen).7
Am Anfang der KpV ist Moralität klarerweise die einzige Alternative zu Interesse und den „subjektiven Bedingungen des Lebens“; das Beispiel einer Lust, die nicht von der Existenz eines Gegenstands abhängt, wäre in diesem Kontext zumindest eine Erwähnung wert gewesen. So scheint Kant während der Arbeit an den ersten Paragraphen der KpV noch wie in der KrV der Meinung zu sein, daß die Erklärung der „Unterscheidung nach Geschmack“ bloß psychologisch bzw. empirisch geführt werden könnte,8 was bedeutet, daß eine transzendentalphilosophische Auseinandersetzung mit dem Schönen sich also erübrigte und eine „Kritik des Gefühls der Lust und Unlust, sofern sie nicht empirisch begründet ist“9, ein Unding wäre. Die Bedeutung dieser Meinungsänderung bei Kant ist also vor dem Hintergrund seiner Moralphilosophie zu bewerten. Es handelt sich beim ästhetischen Wohlgefallen für Kant deshalb um einen höchst bemerkenswerten Fall von Lust, weil es nicht aus der Befriedigung einer naturalen Neigung resultiert und den seltenen Fall aufzeigt, wo sich das Subjekt
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Critique, S. XXXIII]). Es ist im Kontext von „Zweckmäßigkeit“ die Rede, von einer „Harmonie der Vorstellungskräfte“, und von dem erwähnten Wohlgefallen heißt es, daß es „sich auch andern mittheilen läßt“. Vgl. Bd. 5, S. 21. Allison behauptet in Kant’s Theory of Taste, in der dritten Kritik stelle Kant die dort so wichtige Verbindung von Interesse und der Existenz von Gegenständen zum ersten Mal her (S. 88). Doch erkennt man das Prinzip der Interessiertheit in der KpV deutlich wieder, wenn Kant dort das „Prinzip der Selbstliebe“ auf eine „Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, sofern sie ein Bestimmungsgrund des Begehrens dieser Sache“ sei, zurückführt. Hier werde durch „die Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subjekt von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet, das Begehrungsvermögen bestimmt“ (Bd. 5, S. 22). Bd. 5, S. 9 Anm. A 21 B 35 Anm. Die Interesselosigkeit des ästhetischen Wohlgefallens hat Kant allerdings schon früher vertreten (vgl. etwa Bd. 25, S. 1334; Bd. 29, S. 892), offenbar ohne daraus die Konsequenz zu ziehen, daß es eine nicht bloß empirisch bestimmte Lust gibt. Im Anschluß an die Überlegungen am Anfang der KpV, wo die Universalität des Moralgesetzes in Abhebung von der Kontingenz und Empirizität von Lust/Unlust gewonnen wird, hätten der Sonderstatus des ästhetischen Wohlgefallens und dessen Implikationen aber deutlich zutage treten müssen. EE, Bd. 20, S. 207.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
einmal mit seiner Umwelt zufrieden gibt, ohne ihr konsumierend oder instrumentalisierend gegenüberzutreten. Diese Eigenheit des ästhetischen Wohlgefallens ist es also, auf die Kants erste Schritte am Anfang der AS abheben; der begriffliche Rahmen, in dem sie entfaltet wird, entspricht dem am Anfang der KpV. Anders als neigungsbedingtes Wohlgefallen, das eine pathologische Abhängigkeit des Subjekts von der Wirklichkeit so oder anders bestimmter Gegenstände beinhaltet, ist das ästhetische Wohlgefallen durch die Freiheit einer besonderen Einstellung gekennzeichnet, nämlich die „Freiheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen“ (15f.). Nun darf das aber nicht so verstanden werden, als habe das Subjekt kraft dieser Freiheit die Möglichkeit, jedes beliebige Objekt zum Gegenstand eines solchen Wohlgefallens zu erheben, denn das ästhetisch eingestellte Subjekt hat trotz seiner Interesselosigkeit gegenüber den Objekten, mit denen es sich befaßt, auch Ansprüche. Das ästhetische Wohlgefallen gilt nur manchen Gegenständen, und so etwas wie eine „Wahl nach Geschmack“ (16) ohne so etwas wie ein Interesse zu erklären, ist die eigentliche Herausforderung der AS. Um zu verstehen, welche Lösung Kant am Ende vorschlägt, muß man zuerst nachvollziehen, wie Kant die beiden Arten interessierter Präferenz analysiert. Über das Angenehme sagt Kant, es sei Sache bloßer Rezeptivität: „Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt“ (7). Um das positive Bewußtsein einer Annehmlichkeit zu verspüren, ist keinerlei Auseinandersetzung mit dem Objekt und insofern auch nicht die Spontaneität von Begriffsbildung nötig. Die Unterscheidung, ob etwas angenehm ist oder nicht, setzt „gar kein Urteil über die Beschaffenheit des Objekts“ (10) voraus.10 Die Erkenntnis eines Gegenstandes ist hier nämlich gar nicht konstitutiv für das Wohlgefallen: Im Zusammenhang mit diesem Wohlgefallen von einem Gegenstand zu sprechen, bedeutet nur, die Ursache für das Wohlgefallen zu bezeichnen; wobei dieses aber ganz unabhängig von der Wahrheit einer solchen Erkenntnis vorliegt. Aber daß an einem Gegenstand, der Lust durch reine Fremdeinwirkung auf den Körper des Subjekts hervorrufen kann, ein Interesse besteht, versteht sich von selbst; hier wird „durch Empfindung eine Begierde nach dergleichen Gegenstande rege“ (9) gemacht, so daß „das Wohlgefallen nicht das bloße Urteil über ihn, sondern die Beziehung seiner Existenz auf meinen Zustand [...] voraussetzt“ (ebd.).11
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Das Wohlgefallen gründet sich nicht auf das Urteil; nicht deshalb, weil wir den Gegenstand als angenehm beurteilen, ruft er in uns Wohlgefallen hervor (so klingt es bei Wolterstorff, „An Engagement with Kant’s Theory of Beauty“, S. 106), sondern wir beurteilen ihn als angenehm aufgrund von Lust. Die Definition, die Kant für Interesse gibt, trifft also auf das Wohlgefallen der Annehmlichkeit eigentlich nicht zu, denn dieses Wohlgefallen tritt durch Fremdaffektion, unab-
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Anders als das Wohlgefallen einer Annehmlichkeit, zu dem bloß Sinnlichkeit und kein Verstand verlangt wird, setzt das Wohlgefallen am Nützlichen einen Begriff voraus, denn diese Lust ist Resultat davon, was jeweils erkennend in der Außenwelt vorgefunden wird. Die Freude an etwas Nützlichem ist die Freude darüber, daß ein solcher, und nicht ein anderer Gegenstand als wirklich erkannt wird. Das gilt, obwohl das Nützliche auch Mittel bloß für eine Annehmlichkeit sein kann: Ein durstiger Wanderer empfindet Lust durch die Wahrnehmung einer Quelle, ihm gefällt die Wirklichkeit eines Gegenstandes, den er etwa als „Wasser“ bestimmt, noch bevor er diese erkannte Wirklichkeit in die Empfindung einer Annehmlichkeit überführt hat. Die Notwendigkeit einer Wahrnehmungskorrektur hätte allerdings Folgen für dieses Wohlgefallen.12 Vom „Guten“ im Sinn des Nützlichen, also demjenigen, das „wozu gut“ ist, sagt Kant, daß es „nur als Mittel gefällt“ (10). Der Nützlichkeit liege immer der „Begriff eines Zwecks“ zugrunde, „mithin das Verhältnis der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen“ (ebd.)13. Ohne eine inhaltliche Bestimmung des Gegenstandes könne seine Nützlichkeit nicht erkannt werden: „Um etwas gut zu finden, muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding sein solle, d.i. einen Begriff von demselben haben“ (ebd.). Kant geht so weit, das Wohlgefallen am Nützlichen als das Wohlgefallen zu kennzeichnen, das durch Begriffe vermittelt wird: „Gut ist das, was vermittels der Vernunft, durch den bloßen Begriff, gefällt“ (ebd.).14 Die Präferenz für ein inhaltlich so oder so bestimmtes Ding er-
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hängig von einer Erkenntnis bzw. der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes auf. „Von dem, was ich angenehm nenne, sage ich, daß es in mir wirklich Lust bewirke“ (62). Interessiert ist diese Art von Lust dennoch, bzw. sie ist das Paradigma von Interessiertheit schlechthin, denn das Wohlgefallen am Nützlichen ist letztlich immer nur die Vorwegnahme des Wohlgefallens einer Annehmlichkeit. Und im ästhetischen Fall nicht, wie man sich verdeutlichen muß: Nach dem Kriterium der Interesselosigkeit kann ein ästhetisches Wohlgefallen (etwa beim Anblick einer Oase in der Wüste) auch nach Einsicht in einen Wahrnehmungsirrtum fortbestehen. Mit einem „wenigstens möglichen Wollen“ meint Kant nicht etwa einen möglichen Zweck im Gegensatz zu einem bestimmten Zweck, sondern einen möglichen Zweck im Gegensatz zu einem aktualen. Bei einem interessierten Wohlgefallen will man wissen, „ob uns oder irgend jemand an der Existenz der Sache irgend etwas gelegen sei, oder auch nur gelegen sein könne“ (5; Hervorhebung von mir), betont Kant entsprechend im §2. Um die Nützlichkeit eines Dings erkennen zu können (und um das Wohlgefallen an seiner Nützlichkeit zu empfinden), genügt es, daß es sich als verwendbar erweist; ein Wohlgefallen an etwas Nützlichem kann schließlich auch dann zustande kommen, wenn die Verwendung aktual nicht bezweckt wird. Aber damit das Ding sich als verwendbar erweist, muß klar sein, in Hinblick auf welchen Zweck. Diese Formel soll auch für das moralisch Gute gelten (Bartuschat etwa konzentriert sich bei seiner Interpretation dieser Passage ganz auf den moralischen Aspekt des Begriffs des Guten – vgl. Zum systematischen Ort von Kants ‚Kritik der Urteilskraft‘, S. 94). Im moralischen Sinn ist unter „Begriff“ freilich etwas ganz Andersartiges zu verstehen als im Kontext von Nützlichkeit, jedenfalls keine inhaltliche Bestimmung des Gegenstandes. Daß Kant hier nur
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
klärt Kant also durch den vorderhand feststehenden Zweck, der vorschreibt, „was der Gegenstand für ein Ding sein solle“, wie das Ding also beschaffen sein muß, um ihm zu genügen. Das Wohlgefallen am Schönen ist demgegenüber dasjenige Wohlgefallen, das nicht durch einen Begriff, und deshalb auch nicht durch einen Zweck vermittelt wird. Um Schönheit woran zu finden, habe ich das [zu wissen, was der Gegenstand für ein Ding sein solle] nicht nötig. Blumen, freie Zeichnungen, ohne Absicht ineinander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, hängen von keinem bestimmten Begriffe ab und gefallen doch. Das Wohlgefallen am Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgendeinem Begriffe (unbestimmt welchem) führt, abhängen, und unterscheidet sich dadurch auch vom Angenehmen, welches ganz auf der Empfindung beruht (10f.).
Blumen und freie Zeichnungen „bedeuten nichts“, d.h. sie weisen nicht über sich hinaus auf etwas Weiteres.15 Daß das Wohlgefallen an ihnen nicht von einem „bestimmten Begriff“ abhängt, ist vor dem Hintergrund der Struktur nützlicher Dinge zu verstehen: Weil die Nützlichkeitsrelation einen bestimmten Zweck voraussetzt, in Hinblick auf den etwas nützlich sein soll, gefällt das nützliche Ding vermittels eines „bestimmten Begriffs“; es gefällt, weil es etwa ein Messer ist, und nicht nur ein Stück Holz; weil es scharf und fest ist, und nicht stumpf und zerbrechlich. Gefällt etwas vermittels eines bestimmten Begriffs, so Kants These, gefällt es als Mittel zu einem Zweck und damit interessierterweise. Das Wohlgefallen am Schönen dagegen tritt an Dingen mit „irgendeinem“ Begriff auf, ohne vorgängige Präferenz bezüglich des Inhalts. Im §6 tritt Kant mit der neuen These an, daß das Schöne „ohne Begriffe als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird“ (17). Dies könne „aus der vorigen Erklärung desselben, als eines Gegenstandes des Wohlgefallens ohne alles Interesse, gefolgert werden“ (ebd.). Um die Legitimation jener beiden im Reden über Kants Konzeption so geläufigen Schlagwörter von der „Allgemeingültigkeit“ und „Begrifflosigkeit“ des Geschmacksurteils zu untersuchen, ist man also auf seine vorangegangenen Überlegungen zur Interesselosigkeit der ästhetischen Einstellung verwiesen.16 Daß es hier einer Begründung bedarf, sollte eigentlich deutlich
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das moralisch Gute meint (das könnte durch den Rekurs auf „Vernunft“ so scheinen), ist im Zusammenhang mit dem folgenden Text jedenfalls ausgeschlossen, und man kann sogar sagen, daß das Instrumental-Gute für dasjenige, worauf Kant hier hinauswill, viel wichtiger ist als das Moralisch-Gute, weil nur im Zusammenhang mit diesem die interessierte Dimension von Begriffen bzw. des Verstandes und damit der Impetus von Kants Abgrenzungsversuchen für die ästhetische Einstellung verständlich werden kann. D.h. sie haben keinen Zweck (vgl. Marc-Wogau, Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft, S. 108). Daß das Kriterium der Allgemeingültigkeit nach dem der Interesselosigkeit eingeführt und aus diesem abgeleitet wird, ist, wie Otto in Ästhetische Wertschätzung zu Recht betont, ein Indiz für die übergeordnete Bedeutung des letzteren (S. 300).
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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sein, denn beides, sowohl die „Allgemeingültigkeit“ als auch die „Begrifflosigkeit“ des ästhetischen Urteils, kann ohne Erläuterung zunächst einmal nicht verständlich sein. Erstens gehören divergierende Geschmacksurteile zu den Gemeinplätzen der ästhetischen Erfahrung, und außerdem dürfte unbestritten sein, daß im ästhetischen Umgang – mindestens etwa mit sprachlichen Kunstwerken – Begriffe gebildet und auch verwendet werden, nämlich als unabdingbarer Bestandteil ihrer Rezeption. Es ist also sorgfältig zu prüfen, was mit der These des §6 gemeint sein kann, und was nicht. Was die „Allgemeingültigkeit“ des ästhetischen Urteils angeht, ist zumindest so viel klar, daß darunter etwas anderes als eine theoretische Allgemeingültigkeit zu verstehen ist. Gemeint ist nämlich etwas, das den Status einer Forderung besitzt, und somit statt in den Bereich der Theorie vielmehr in den Kontext intersubjektiver Praxis gehört.17 Abweichende ästhetische Werturteile haben etwas anderes zu bedeuten als Meinungsverschiedenheiten im theoretischen Bereich, wo es um wahr und falsch geht. Daß ein Subjekt es nicht einfach akzeptieren kann, wenn seine ästhetische Wertschätzung eines Objekts von anderen nicht geteilt wird, versteht Kant in Analogie zur Allgemeingültigkeit des Moralgesetzes: Der ästhetisch Urteilende „tadelt“, wenn seine Mitmenschen „anders urteilen, und spricht ihnen den Geschmack ab, von dem er doch verlangt, daß sie ihn haben sollen“ (20)18; er „fordert“ von ihnen „die Einstimmung in sein Urteil des Wohlgefallens“ (ebd.); er „mutet [...] anderen ebendasselbe Wohlgefallen zu“ (19). Die „Allgemeingültigkeit“ des ästhetischen Urteils bezieht ihren Anspruch „nicht von der Beziehung einer Vorstellung auf das Erkenntnisvermögen“, sondern beruft sich „auf das Gefühl der Lust und Unlust“ (23).19
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In der Anthropologie heißt es sogar, das ästhetische Urteil stehe der Form nach „unter dem Princip der Pflicht“ (Bd. 7, S. 244). Hervorhebung von mir. Kern führt in „Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn“ eine Stelle aus den Prolegomena an, um zu zeigen, daß Kant mit „Sollen“ im ästhetischen Bereich etwas meint, das auch im Zusammenhang mit der Allgemeingültigkeit theoretischer Urteile auftrete (S. 85). Aber wenn Kant sagt, daß das Erfahrungsurteil eine Beziehung „auf ein Objekt“ habe und deswegen „für uns jederzeit und ebenso vor jedermann gültig sein solle“ (Bd. 4, S. 298), dann wird mit „Sollen“ hier nicht ein Anspruch an andere Subjekte erhoben (wie es im §7 der KU durch Formulierungen wie „zumuten“ und „fordern“ eindeutig gemeint ist), sondern an das Urteil bzw. an das urteilende Subjekt selbst. Die Stelle „Das Sollen im ästhetischen Urteil wird [...] doch nur bedingt ausgesprochen“ (63) versteht Kern so, daß Kant mit dem entsprechend unbedingten Anspruch eines Sollens den Fall eines theoretischen Urteils meint. Tatsächlich ist aber die fragliche Stelle so zu verstehen, daß Kant das ästhetische Sollen vom moralischen Sollen abhebt, denn dieses allein ist ein absolutes Sollen. Im vorangegangenen Paragraphen war das einzige andere Sollen, das thematisiert worden war, das Moralgesetz (Kant spricht dort von einer praktischen Notwendigkeit, die vorschreibe, „daß man [...] auf gewisse Art handeln solle“ [62]).
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Der zuletzt genannte Punkt markiert nicht nur die Differenz zwischen der ästhetischen „Allgemeingültigkeit“ und der von Erkenntnis; es ist auch der eigentliche Grund für die „Begrifflosigkeit“ des ästhetischen Urteils. Denn jene besondere ästhetische Allgemeingültigkeit, die Kant im §8 „subjektive Allgemeingültigkeit“ nennt, ist nichts anderes als eine Allgemeingültigkeit, „die auf keinem Begriffe beruht“ (23f.) – nämlich eine, die sich auf das Gefühl der Lust und Unlust beruft. Den eigentlichen Grund für die „Begrifflosigkeit“ des ästhetischen Urteils haben wir also schon ganz zu Beginn der AS kennengelernt. Es handelt sich dabei um den Umstand, daß das Geschmacksurteil Ausdruck einer Präferenz für bestimmte Objekte ist und der Vorzug für das eine und gegen das andere Objekt ursprünglich nicht durch Begriffe erklärt werden kann. Im §6 formuliert Kant das so: „Von Begriffen gibt es keinen Übergang zum Gefühle der Lust oder Unlust“ (18).20 Da er noch zwei Paragraphen zuvor ein Verhältnis zwischen Begriffen und Lust/Unlust abgehandelt hat (durch Vermittlung von Begriffen könnten Gegenstände Lust bereiten, hieß es im §4), kann er hier nur meinen, daß Begriffe eine Präferenz für den einen oder anderen Gegenstand nicht verständlich machen können, es sei denn in Beziehung auf Lust, d.h. dadurch, daß ein Ding letztlich durch einen Begriff als mögliches Mittel für eine Annehmlichkeit bestimmt wird. Er sagte deshalb, daß das Nützliche „als Mittel zu irgendeiner Annehmlichkeit gefällt“ (13). Und er hat dafür argumentiert, daß solchen Fällen, in denen ein Objekt vermittels eines Begriffs gefällt, ein interessiertes Wohlgefallen zugrunde liegt, und damit ein Interesse. Folgt man dem Gedankengang der AS bis zu diesem Punkt, gibt es keine Veranlassung für eine so starke These, das ästhetisch betrachtende Subjekt bildete keinerlei Begriffe vom Objekt.21 Kant hat bislang nur
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Als Ausnahme führt Kant im Anschluß das Moralgesetz an, in dessen Zusammenhang freilich zu klären wäre, ob „Achtung“ tatsächlich als Fall von Lust zu verstehen ist, wie er hier impliziert. Zwei Verständnisweisen von „Begrifflosigkeit“ sind hier also zu unterscheiden: Die eine besteht darin, die ästhetische Einstellung als ein Verhältnis zu Objekten zu verstehen, in deren Rahmen keine Begriffe gebildet werden, die andere schließt Begriffe nur als Bestimmungsgrund für die ästhetische Unterscheidung aus. Daß das eine das andere nicht impliziert, betont Otto, Ästhetische Wertschätzung, S. 300. Prauss („Kants Theorie der ästhetischen Einstellung“) argumentiert überzeugend, daß es ohne Begriffe keine Gegenständlichkeit geben kann: Da Anschauungen ohne Begriffe blind sein sollen, hätte ein begriffloses Urteil keinen Gegenstand und wäre mit einer Blume, einem Vogel oder einem Bild nicht in Verbindung zu bringen. Daß das ästhetische Urteil in der Form „dies ist schön“ nicht komplett wäre, betont auch Kulenkampff („Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“). Er gibt die Minimalform des ästhetischen Urteils mit „dies da ist schön“ an (S. 29), was ja heißt, das schöne Objekt mindestens zu bestimmen als dasjenige, das in einem bestimmten Raumgebiet liegt. Begrifflos wäre das ästhetische Urteil dann nicht mehr, und nur dadurch, und das heißt auch: durch eine Irrtumsmöglichkeit, wird sichergestellt, daß sich das ästhetische Urteil überhaupt auf ein Objekt bezieht. Die Überlegungen von Guyer (Kant’s Critique
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Argumente dafür geliefert, daß das ästhetische Wohlgefallen nicht davon abhängen kann, ob der Gegenstand als dieser oder jener bestimmt, ob dieser oder jener Begriff verwendet wird. Denn das hieße davon auszugehen, daß das Wohlgefallen durch einen Zweck motiviert würde, weil nur der erklären könnte, wie es zu einer inhaltlichen Vorgabe bzw. einer inhaltlich motivierten Präferenz für den Gegenstand kommen kann (indem der Zweck nämlich das Wozu der Nützlichkeitsrelation konkretisiert). Wenn Kant vor dem §9 davon spricht, das ästhetische Wohlgefallen sei „ohne Begriff“, kann er damit nur meinen, es sei nicht durch einen Begriff vermittelt, was ja auch für das Wohlgefallen am Angenehmen gilt. Das macht auch die bereits zitierte Stelle aus dem §4 deutlich, wo Kant von der ästhetischen Lust sagt, daß zu ihr keine Begriffe vonnöten seien, und fortfährt: „Das Wohlgefallen am Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand [...] abhängen, und unterscheidet sich dadurch auch vom Angenehmen“ (11). Das heißt: durch das, was Kant zuvor über das Schöne gesagt hat, unterscheidet sich das eigentlich ästhetische Wohlgefallen von der Annehmlichkeit nicht. Und wenn auch klar ist, daß das Wohlgefallen des ästhetisch eingestellten Subjekts nicht durch einen Begriff vermittelt werden kann, muß auf der anderen Seite sichergestellt werden, daß es nicht mit der reinen Rezeptivität der Lust am Angenehmen zusammenfällt. „Allgemeingültigkeit“ ist nun dasjenige Kriterium, das die Abgrenzung zwischen Annehmlichkeit und ästhetischem Wohlgefallen leisten soll, denn es wäre, wie Kant betont, geradezu ein Unding, eine angenehme Empfindung anderen Subjekten „zuzumuten“ bzw. sie von ihnen zu fordern, wie das beim ästhetischen Wohlgefallen möglich sein soll. Daß ein Subjekt in sei-
_____________ of the Power of Judgment, S. XIV), Savile (Kantian Aesthetics Pursued, S. 109) und Budd („Delight in the Natural World“, S.4 Anm.) gehen in eine ähnliche Richtung, während Janaway, („Kant’s Aesthetics and the ‚Empty Cognitive Stock‘“) Begriffe nur im Zusammenhang mit einem besonderen Fall von Schönheit (Kants sogenannter „adhärierender Schönheit“) gelten lassen will. In der Literatur wird für die ästhetische Einstellung aber überwiegend die völlige Abwesenheit von Begriffen vertreten, wie etwa bei Wieland, Urteil und Gefühl, S. 118; Ginsborg, The Role of Taste, S. 40; Kern, „Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn“, S. 99; Fricke, „Freies Spiel und Form der Zweckmäßigkeit“, S. 49; Bubner, „Gibt es ästhetische Erfahrung bei Hegel?“, S. 71; Cohen, „Three Problems in Kant’s Aesthetics“, S. 2; Stolzenberg, „Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 10; Henrich, Aesthetic Judgment and the Moral Image of the World, S. 48 und Bartuschat, „Ästhetische Erfahrung bei Kant“, S. 49. Ameriks, („New Views on Kant’s Judgment of Taste“) will das Prädikat „schön“ im Sinn sekundärer Sinnesqualitäten verstehen, was ebenfalls bedeutet, den Objektbezug des ästhetischen Urteils grundsätzlich in Frage zu stellen, denn der Gegenstand soll schön sein, was nach der Theorie der sekundären Sinnesqualitäten nicht mehr haltbar wäre. Daß man die Bedeutung des Objektbezugs des Geschmacksurteils bei Kant als Problem konsequent im Blick behalten kann, auch wenn man die Auffassung vertritt, daß in der ästhetischen Einstellung „die Sphäre begrifflicher Beurteilung [...] ganz und gar verlassen“ wird, zeigt dagegen Dörflinger (Die Realität des Schönen, S. 150).
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
ner Vorliebe für dieses oder jenes Angenehme „so bescheiden ist“, dergleichen „anderen nicht eben anzusinnen“ (22), führt Kant auf die bloße Rezeptivität dieser Präferenz zurück: Weil dieses Wohlgefallen allein durch die Einwirkung eines Objekts auf das Subjekt zu erklären ist, kann sich die Präferenz für ein angenehmes Objekt allenfalls auf die individuelle physische Konstitution des Subjekts berufen. Die einzige Möglichkeit, um zu erklären, warum im Fall des ästhetischen Urteils das Subjekt sich nicht nur auf sein „Privatgefühl“ (18) beruft, sondern mit seinem Urteil einen überindividuellen Anspruch irgendeiner Art erhebt, sieht Kant in einer Zutat an Spontaneität. Nicht durch pathologische „Privatbedingungen“ (17), sondern nur durch die transzendentale Konstitution der Erkenntnistätigkeit kann ein überindividueller Anspruch legitimiert werden. Ausgeschlossen ist also, daß sich das ästhetisch eingestellte Subjekt gegenüber dem Objekt des Wohlgefallens rein passiv verhielte und auf jedwede Spontaneität, wie sie durch den Verstand – das Vermögen der Begriffe – geleistet wird, verzichtete. Die Lösung für das Problem, wie das ästhetische Wohlgefallen weder bloß rezeptiv noch vermittelt durch Begriffe zu erklären ist, hat Kant, zumindest umrißhaft, oben schon gegeben: „Das Wohlgefallen am Schönen muß von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgendeinem Begriffe (unbestimmt welchem) führt, abhängen“ (11). Das bedeutet: das Wohlgefallen kann nicht davon abhängen, welcher Begriff verwendet wird, sondern es muß gewissermaßen auf dem Weg zum Begriff – „unbestimmt welchem“ – auftreten. Es ist nicht das inhaltlich bestimmte Resultat der Erkenntnistätigkeit – die Bestimmung des Dings als dieses oder jenes –, sondern die Tätigkeit der Erkenntniskräfte, wie sie zur Bildung oder Verwendung eines Begriffs führt, aus der heraus Kant das ästhetische Wohlgefallen erklären will.22
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Vgl. auch 149, wo die Rede ist von einer Lust, die „mit der bloßen Beurteilung, vor allem Begriffe, verbunden sein soll“ („in der bloßen Beurteilung“ ist hier offenbar analog zu „in der bloßen Reflexion“ zu verstehen). In der Metaphysik Dohna (1792/93) heißt es: „Das Schöne ist das was in der bloßen Reflexion gefällt (noch ohne Begriff)“ (Bd. 28, S. 676, Hervorhebung im Original). Das „noch“ zeigt an, daß ein Begriff der Lust zwar nicht zugrunde liegt, innerhalb derselben Tätigkeit, die zum ästhetischen Wohlgefallen führt, dennoch ein Begriff verwendet wird. Longueness (Kant and the Capacity to Judge, S. 164) würde das bestreiten; sie vertritt die These, daß im Rahmen des ästhetischen Urteils die Begriffsbildung scheitert. Die Stelle, die dies für das ästhetische Urteil belegen soll, gibt das aber nicht her (In EE, S. 220f. ist nur die Rede davon, daß bei der Beurteilung einer bloß subjektiven Zweckmäßigkeit weder ein Begriff „erfordert noch dadurch erzeugt wird“). Auch die kurz zuvor von Longueness zitierte Stelle gestattet nicht die Redeweise von einem Scheitern: „Ein bloß reflektierendes Urteil aber über einen gegebenen einzelnen Gegenstand kann ästhetisch sein, wenn [...] die Urteilskraft, die keinen Begriff für die gegebene Anschauung bereit hat, die Einbildungskraft (bloß in der Auffassung desselben) mit dem Verstande (in Darstellung eines Begriffs überhaupt) zusammenhält“ (EE, S. 223). Daß
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Dies ist das Programm des §9, in dem Kant den „Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“ (27) zu liefern verspricht. Läge dem Geschmacksurteil eine „bloße Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung“ (27) zugrunde, heißt es dort, hätte es „nur Privatgültigkeit“ (ebd.); das Wohlgefallen wäre Folge bloßer Rezeptivität, das Subjekt könnte sich nur auf seine individuelle physische Konstitution berufen. Über seine Privatbedingungen geht das Subjekt gewöhnlich hinaus, indem es Erkenntnis von Objekten betreibt: „Es kann aber nichts allgemein mitgeteilt werden als Erkenntnis und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört“ (27). Nur Erkenntnis ist „objektiv“, und nur sie hat „dadurch einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötigt wird“ (27f.).23 Der „Bestimmungsgrund“ (28) des ästhetischen Urteils, also
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hiermit gleich ein Scheitern der Bemühung um einen Begriff gemeint sein soll, ist vor allem dann nicht zwingend, wenn man den von Longueness ausgelassenen Text mitberücksichtigt, in dem Kant erklärt, warum die Urteilskraft keinen Begriff „bereit hat“: Der hier angesprochene Zustand der Einbildungskräfte sei nämlich anzusetzen, „ehe noch auf die Vergleichung [des Gegenstandes] mit andren gesehen wird“, also noch vor der eigentlichen Begriffsbildung (denn mit „Vergleichung eines Gegenstands mit anderen“ ist die tradierte Theorie der Begriffsbildung, die Kant übernimmt, gemeint). Scheitern kann die Begriffsbildung natürlich erst, wenn sie versucht wird. Auf jeden Fall geht die Interpretation von Longueness zu weit, wenn sie im Zusammenhang mit ästhetischen Urteilen unterstellt: „Reflection can never arrive at conceptual determination“ (ebd.). Die Antwort auf die Frage, die Kant dem §9 voranstellt („ob im Geschmacksurteil das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe“), fällt also zugunsten des letzteren aus. Zu klären ist allerdings, was Kant mit „Beurteilung“ hier meinen kann. Ist „Beurteilung“ gleichbedeutend mit der Unterscheidung, „ob etwas schön sei oder nicht“ (das vertritt Kulenkampff in „Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“, S. 36), käme das letztlich einer Rücknahme des §1 gleich, des Ausgangspunkts der „Analytik“, denn dessen erstem Satz zufolge beziehen wir „um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, [...] die Vorstellung [...] auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben“ (vgl. dazu Crawford, Kant’s Aesthetic Theory, S. 67ff. und Fricke, Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils; S. 44f.). Im §9 geht es durchgehend um etwas, das der ästhetischen Lust vorausgeht; im Titel nennt das Kant „Beurteilung“, in den ersten beiden Absätzen dann aber „allgemeine Mitteilungsfähigkeit“. Nicht zu vergessen ist, daß es sich dabei um eine Bedingung der ästhetischen Lust handeln soll, nicht um das fertige Geschmacksurteil mit allen seinen Attributen. Ginsborg („Reflective Judgment and Taste“, S. 72) sieht sich unter Berufung auf diese Passage gezwungen, gleich so etwas wie die Selbstreferentialität des Geschmacksurteils, das sich auf seine eigene universale Gültigkeit beziehe, ansetzen zu müssen. Statt der allgemeinen Mitteilungsfähigkeit eines Gemütszustandes muß vielmehr ein allgemein mitteilungsfähiger Gemütszustand gemeint sein, denn es soll, wie Allison in Kant’s Theory of Taste zu Recht gegenüber Ginsborg betont, um die Frage gehen, woher die „allgemeine Mitteilungsfähigkeit“ des Geschmacksurteils stammt (S. 115f.). Wenn in der EE davon die Rede ist, das Geschmacksurteil ergehe „vermittelst der Empfindung der Lust oder Unlust, aber doch auch zugleich über die Allgemeinheit der Regel, sie mit einer gegebenen Vorstellung zu verbinden“ (229), kann Kant damit nur meinen, daß sich das Geschmacksurteil nicht einfach nur auf ein Gefühl der Lust oder Unlust überhaupt beruft, sondern auf ein solches, das unter „mitteilungsfähigen“ bzw. „allgemeingültigen Bedingungen“ zustande gekommen ist. Liest man den §9 komplett und im Kontext der vorhergehenden Paragraphen, besteht sein Beitrag einzig darin, daß er die Tä-
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das, was den Ausschlag für das ästhetische Wohlgefallen oder Mißfallen gibt, soll auf der anderen Seite auch „ohne einen Begriff vom Gegenstande gedacht werden“ (28). Aber wie schon angedeutet: Nicht nur die Erkenntnis selbst, also Urteile über Objekte, sondern auch „Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört“, also auch ihre Aufbaustücke, die noch nicht selbst Urteil sind, sind ein „allgemeiner Beziehungspunkt“, weil die subjektiven Bedingungen für Erkenntnis „für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar“ (29) sein müssen. Der gesuchte Bestimmungsgrund kann also, wenn er auf der einen Seite nicht die bloße Objektivität von Erkenntnis und auf der anderen nicht die bloße Subjektivität einer angenehmen Empfindung sein darf, „kein anderer als der Gemütszustand sein, der im Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen“ (28). Eine gegebene Vorstellung auf „Erkenntnis überhaupt beziehen“, bedeutet, sie sozusagen vor dem Hintergrund der allgemeinen Bedingungen von Erkenntnis zu betrachten: Kant spricht etwas weiter unten von der „Allgemeinheit [...] der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände“, auf der „sich allein diese allgemeine subjektive Gültigkeit des Wohlgefallens“ gründet (29).24 Das ästhetische Wohlgefallen wird also durch das Erfülltsein „der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände“ erklärt, und es wurde schon gesagt, was diese Bedingungen erfüllen soll: ein „Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander“, das sich durch einen besonderen Gemütszustand ausdrückt. Die gemeinten Vorstellungskräfte sind Einbil-
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tigkeit der Erkenntniskräfte, die bei jedem Subjekt im Spiel sind, als den Ort der universalen Gültigkeit des Geschmacksurteils benennt. Zum Ausdruck „Mitteilbarkeit“ ist außerdem zu betonen, daß damit mehr als „Kommunizierbarkeit“ gemeint sein muß, denn auch Urteile über das Angenehme sind „kommunizierbar“ (vgl. Kulenkampff, Kants Logik des ästhetischen Urteils, S.89f.). Bei Kants Begriff der „Mitteilung“ schwingt noch die alte Bedeutung von „communicatio“ mit, die sich auf das „gemeinsam haben“ von etwas erstreckt (dazu vgl. Kulenkampff, ebd., S. 224 und Hüglis Artikel „Mitteilung“ im Historischen Wörterbuch der Philosophie) und wonach Lustempfindungen oder Schmerzen nicht mitteilbar, weil nicht im Gemeinbesitz, sind. „Die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt ist die Möglichkeit empirischer Erkenntnisse als synthetischer Urtheile“ (EE, Bd. 20, S. 203 Anm.); in einem solchen Kontext verwendet Kant „überhaupt“ also wie „als solche“. Folglich kann er mit „Erkenntnis überhaupt“ nicht so etwas meinen wie eine Erkenntnis besonderer Art (vgl. Kaulbach, Ästhetische Welterkenntnis bei Kant, S. 30f.), eine nicht vergegenständlichende „Vorstufe von Erkenntnis“ bzw. ein „Verfahren von hohem Eigenwert“ (Scheer, Einführung in die philosophische Ästhetik, S. 90) oder eine Erkenntnis, die noch ohne propositionalen Gehalt ist (Wieland, Urteil und Gefühl, S. 352f.), sondern nur Erkenntnis, unter einem formalen Gesichtspunkt betrachtet, der von ihrem Inhalt abstrahiert (vgl. Kern, Ästhetischer und philosophischer Gemeinsinn, S. 98). Eine andere Frage ist, ob es beim Geschmacksurteil nicht auch zur Zusammenstimmung eines bestimmten Begriffs mit einer bestimmten Anschauung kommt, was Kern (ebd., S. 99) allerdings verneinen würde.
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dungskraft und Verstand; jener besondere Gemütszustand wird in der Folge mehrmals beschrieben als ein Zustand der gegenseitigen „Zusammenstimmung“. So ist die Rede von einem „Gemütszustand“ in dem Einbildungskraft und Verstand „untereinander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen“ (29), den Kant auch als das „zum Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis“ (ebd.) bezeichnet. Der Bestimmungsgrund für die ästhetische Unterscheidung liegt also in der spontanen Tätigkeit der Erkenntniskräfte, genauer: in der Zusammenarbeit von Verstand und Einbildungskraft, die bei jeder empirischen Erkenntnis im Spiel sind. Damit diese ihrer Aufgabe gerecht werden können, müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein, und das können sie offenbar besser oder schlechter – denn, wo es ein „schickliches“ Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand gibt, muß es auch ein „unschickliches“ geben können. Und nur deshalb, weil es ein Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft gibt, das mit Blick auf ihre Aufgabe mehr oder weniger „schicklich“ bzw. geeignet ausfallen kann, gibt es auf der Ebene der Erkenntniskräfte den Grund für ein Wohlgefallen oder Mißfallen. An anderer Stelle ist im Zusammenhang mit dem ästhetischen Wohlgefallen von einer „Proportion“ der Erkenntniskräfte untereinander die Rede, die „die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist“ (66).25 Die diskriminierende Präferenz für einen Gegenstand, die durch das ästhetische Wohlgefallen zum Ausdruck kommt, kann also unabhängig von einem Begriff des Gegenstandes sein, weil hier nur den „subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände“ (29) in (vorbildlicher) Weise entsprochen wird und dieses „schickliche Verhältnis“ von Verstand und Einbildungskraft sich durch „Empfindung kenntlich“ macht (31). Es ist ein Wohlgefallen, das nicht durch das zustande kommt, was das Subjekt am Objekt erkennt – ob es das Objekt als dieses oder jenes bestimmt –, sondern dadurch, daß das Subjekt bei der Beurteilung des Gegenstandes sich positiv gestimmt fühlt, weil es sich der „wechselseitigen subjektiven Übereinstimmung der Erkenntniskräfte untereinander im Geschmacksurteile bewußt“ (30) wird. Der „Schlüssel“ zur Kritik des Geschmacks, so dargestellt, paßt präzise auf die Problemstellung der §§1-8.26 Doch wird diese Darstellung der
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Vgl. Budd, „The Pure Judgement of Taste“, S. 251, insbesondere Anm. 6. Der Hinweis auf die „zuträglichste“ Proportion ist gegen Meerbotes Einwand zu richten, die Bedingungen von Erfahrung überhaupt seien bei allen erkennbaren Gegenständen erfüllt („Reflection on Beauty“, S. 81). „Der Schlüssel“ zur „Kritik des Geschmacks“ ist dieser Paragraph wohlgemerkt nur in Hinblick auf die Fragen, die Kant in den vorangegangen Paragraphen selbst exponiert hat.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Komplexität des §9 nicht ganz gerecht. Das liegt insbesondere an einem bisher unbeachteten Ausdruck, der in diesem Paragraphen zum ersten Mal auftaucht und der ein Spannungsverhältnis zum bisher Dargestellten aufbaut. Die Rede ist vom Begriff des „freien Spiels der Erkenntniskräfte“, der die Konzeption von der „Zusammenstimmung“ von Verstand und Einbildungskraft insofern konterkariert, als letztere so etwas wie einen vorschriftsmäßigen Ablauf des Erkenntnisvorgangs suggeriert, während durch den Rückgriff auf den Spielbegriff eine Entbindung der Erkenntniskräfte von Zwang und Notwendigkeit der Erkenntnis gefordert zu werden scheint. Die Erkenntniskräfte, die durch die gegebene Vorstellung „ins Spiel gesetzt werden“, seien im Fall des ästhetischen Wohlgefallens nämlich „in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt“ (28)27. Gemäß der bisherigen Argumentation gab es aber keinen Anlaß, durch einen bestimmten Begriff die „Einschränkung“ von so etwas wie der „Freiheit der Erkenntniskräfte“ zu sehen. Es wurde kein Grund genannt, warum der Begriff, gemäß der KrV Ausdruck von Spontaneität schlechthin, nun auf einmal dem Prinzip der Freiheit entgegenstehen sollte. In der Bildung und Verwendung von Begriffen besteht einerseits das Prinzip der Spontaneität und andererseits eine Voraussetzung für die Objektivität, die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis.
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Es kann nicht die Rede davon sein, daß das ästhetische Wohlgefallen insgesamt erklärt wäre, denn Kant kündigt die Auflösung der Frage, „ob und wie ästhetische Urteile a priori möglich sind“ (30), gegen Ende des Paragraphen erst noch an. Eine Frage, die sich schon hier stellt, ist aber die, wodurch die Besonderheit einer ästhetischen Einstellung gewährleistet wird, wo doch Verstand und Einbildungskraft bei jeder Erkenntnis mit im Spiel sind. Bei jeder Erkenntnis müßte somit auch ein mehr oder minder schickliches Verhältnis der Vorstellungskräfte vorliegen, und laut „Einleitung“ würde dies in jedem Fall von der reflektierenden Urteilskraft – „auch unabsichtlich“ – registriert (XLIV). Damit die gerade beschriebene Konstruktion des §9 überzeugen kann, muß erklärt werden, was im Fall der ästhetischen Einstellung zum Kontext gewöhnlicher Erkenntnis noch hinzukommt. Durch eine besondere objektive Beschaffenheit der Gegenstände, das ist klar, kann dies nicht begründet werden, weil man auch zu schönen Gegenständen eine gewöhnliche Erkenntniseinstellung einnehmen kann, in deren Rahmen Schönheit keine Rolle spielt. Die ästhetische Einstellung, deren Leistung jenes besondere Verhältnis zu den Dingen sein soll, beinhaltet, daß das Subjekt diese Befindlichkeit, die im Rahmen der Tätigkeit der Erkenntniskräfte wohl ohnehin auftritt, eigens thematisiert und in Beziehung zum Objekt setzt, was im Rahmen gewöhnlicher Erfahrung nicht geschieht. Was das bedeutet, versteht man wohl erst unter Hinzunahme der unmittelbar nach dem §9 erarbeiteten Begrifflichkeit von Zweckmäßigkeit, die wohl zweierlei zu beinhalten scheint: Erstens, daß der Gegenstand für die Aufgabe der Erkenntnisvermögen zweckmäßig ist (was nur thematisch werden kann, wenn man „auf die formalen Eigentümlichkeiten seiner Vorstellung oder seines Vorstellungszustandes achthat“ [157]), und zweitens, daß dasjenige auf objektiver Seite, was dies ermöglicht, eigens gewürdigt wird (dazu unten, S. 203ff.), was im Kontext der Erkenntniseinstellung nicht der Fall ist. Hervorhebung von mir.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Kants Überlegungen am Anfang der AS setzten bei der Annahme an, daß die Unterscheidung, „ob etwas schön sei oder nicht“, durch irgend etwas motiviert sein muß. Ein Sachgehalt ist Schönheit nicht, so Kants erster Schritt im §1, vielmehr beruht der Unterschied zwischen dem Schönen und Nichtschönen, der eigentlich eine Präferenz ist, auf etwas Subjektivem, einem Wohlgefallen. Und dieses kann nicht vermittelt durch irgendeinen bestimmten Begriff auftreten, genausowenig, wie es einfach eine bloße Sache der Affektion wie im Fall einer Annehmlichkeit sein kann. Wenn also im Zusammenhang mit der ersten Erwähnung des „freien Spiels“ im §9 die Besonderheit der ästhetischen Einstellung sinngemäß als deren „Freiheit vom Begriff“ angegeben wird, kann damit nicht jenes „ohne Begriff“ gemeint sein, für das Kant seit dem §1 argumentiert hatte. Gegenüber dem Bild einer Erkenntnistätigkeit, die vom „Zwang des Begriffs“ befreit wurde, ist die These, daß das ästhetische Wohlgefallen nicht vermittelt durch einen Begriff auftrete, viel bescheidener. Im §9 bezeichnet Kant den „Bestimmungsgrund“ für die ästhetische Unterscheidung näher als ein bestimmtes Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft; welches, wie er an anderer Stelle betont, auch im Zusammenhang mit „der gemeinsten Erfahrung“ (155) aufzutreten hat. Es sind „subjektive Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis überhaupt“, und „die Proportion dieser Erkenntnisvermögen, welche zum Geschmack erfordert wird“, sei „auch zum gemeinen und gesunden Verstande erforderlich [...], den man bei jedem voraussetzen darf“ (ebd.). Nur deshalb darf „auch der mit Geschmack Urteilende [...] sein Wohlgefallen am Objekte jedem anderen ansinnen und sein Gefühl als allgemein mitteilbar, und zwar ohne Vermittlung der Begriffe, annehmen“ (ebd.). Das bedeutet, daß die Allgemeingültigkeit des ästhetischen Urteils auf die übersubjektiven Bedingungen für Erkenntnis gegründet sein soll. Die Argumentation für die Allgemeingültigkeit des ästhetischen Urteils macht sich also das Faktum übersubjektiver Voraussetzungen für Erfahrung zunutze. Das „freie Spiel“ suggeriert nun, es werde durch das Ausbleiben von Bestimmung des Gegenstands eine um so größere Allgemeingültigkeit hergestellt, ausgerechnet dadurch also, daß auf die Erfüllung einer die Objektivität von Erkenntnis ausmachenden Bedingung verzichtet wird. Dieser Verzicht kann nicht so erklärt werden, daß Begriffe notwendig eine inhaltliche und damit durch Interesse begründete Präferenz für bestimmte Gegenstände mit sich führten. Denn bloß deshalb, weil es zur Bestimmung eines Gegenstands kommt, muß das Wohlgefallen nicht auch
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
schon durch den jeweiligen Begriff vermittelt sein;28 es ist doch denkbar, daß das Wohlgefallen sich auf die Art und Weise bezieht, wie sich die Bildung oder die Verwendung des Begriffs gestaltet – nämlich Folge davon ist, ob den Erkenntniskräften die Erfüllung ihrer Aufgabe leicht fällt oder nicht. Die argumentative Motivation des „freien Spiels“ wird aus dem §9 allein somit nicht klar. 2. Der Begriff der Zweckmäßigkeit im §10 Im Anschluß an den §9 führt Kant den Begriff der Zweckmäßigkeit ein. Sucht man nun auf dem zuletzt erreichten Stand der Überlegungen nach der passenden Anschlußstelle für diesen neuen Begriff, bietet sich unmittelbar jenes „Verhältnis der Vorstellungskräfte“ an, das Kant im §9 als „Zusammenstimmung“ bzw. „Harmonie“ beschrieben hatte. Die Funktion des Begriffes der Zweckmäßigkeit könnte nun darin bestehen, dieses Verhältnis und damit den Bestimmungsgrund für das ästhetische Wohlgefallen näher zu charakterisieren. Darüber, daß Kant ab dem §10 ausgerechnet diesen Begriff wählt, um die Bedingung des ästhetischen Wohlgefallens zu beschreiben, sollte man sich aber auch wundern. „Zweckmäßig“ heißt zunächst nämlich nichts anderes als: „für einen Zweck geeignet“ – drückt also „Zweckdienlichkeit“ aus und ist damit der Sache nach eng verwandt, wenn nicht sogar weitgehend gleichbedeutend, mit „nützlich“.29 Genau wie bei einem Nützlichen muß sich fragen lassen, wozu oder wofür etwas zweckmäßig ist, also in Hinblick auf welchen Zweck, und wer der Nutznießer, also für wen die Sache zweckmäßig ist.30 Daß Kant diesen Standardfall einer praktischen Auszeichnung von Dingen nicht im Blick haben kann, wenn es ihm darum geht, das ästhetische Wohlgefallen zu erklären, versteht sich von selbst. Kant macht entsprechend deutlich, daß er „Zweckmäßigkeit“ als ästhetisches Phänomen gegenüber dem ursprünglichen Verständnis von Zweckmäßigkeit wesentlich abgewandelt wissen will. Die berühmte Formel von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ bringt genau dies zum Ausdruck. Dabei formuliert allerdings der Zusatz
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Vgl. Budd, „The Pure Judgement of Taste“, S. 253. Zu Zweckmäßigkeit als „Nützlichkeit“ bzw. „Nutzbarkeit“ bei Kant vgl. Tonelli, „Von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes Zweckmäßigkeit in der ‚Kritik der Urteilskraft‘“, S. 156. Bei „Zweckmäßigkeit“ handelt es sich um einen Ausdruck, der offenbar erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkam. Die Wörterbücher von Campe und Adelung etwa führen keinen entsprechenden Eintrag. Von den Beispielen, die das Grimm’sche Wörterbuch anführt, orientieren sich alle an der Bedeutung von Nützlichkeit. Vgl. auch die Verwendung des Ausdrucks bei Moritz („Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten“, S. 6).
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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„ohne Zweck“ gegenüber dem gewöhnlichen Verständnis eine Einschränkung, die so rigoros ist, daß der gesamte Ausdruck paradoxe Züge annimmt. Es fragt sich, ob etwas, das „ohne Zweck“ sein soll, überhaupt noch, sei es auch nur im Sinn einer denkbar weiten Analogie, als zweckmäßig verstanden werden kann. Denn es ist nicht verständlich, wie etwas nützlich sein kann, wenn es kein Wofür gibt. Von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ aus betrachtet, müßte die besagte Formel ein Mittel ohne Zweck beschreiben. Im §10 schlägt Kant aber einen ganz anderen Weg ein, um einen ästhetischen Sinn von Zweckmäßigkeit zu konstruieren. Betrachtet man die Stelle genauer, an der Kant die Formel der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ zum ersten Mal vorbereitend erläutert, zeigt sich: Kant beruft sich hier auf eine Bedeutung von „Zweckmäßigkeit“, die sich in Semantik und Syntax von der gerade beschriebenen unterscheidet. Während Zweckmäßigkeit im Sinn von „etwas ist zweckmäßig zu/für etwas“ die Mittel/Zweck-Relation zum Ausdruck bringt, sagt „Zweckmäßigkeit“, wie Kant sie in der AS einführt, etwas über die Entstehungsursache des Gegenstandes: „Die Kausalität eines Begriffs in Ansehung seines Objekts ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis)“ (32).31 Fragt man nach dem Zweck eines zweckmäßigen Objekts, fragt man nicht nach seinem Nutzen, also nicht danach, wofür es gut ist, sondern danach, wodurch es entstanden ist: „Wo also nicht etwa bloß das Erkenntnis von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung nur als durch einen Begriff von der letzteren möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck“ (32). Im §10 baut Kants Weg zur Formel von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ also auf einem Verständnis von Zweckmäßigkeit auf, das das Entstandensein eines Gegenstandes durch eine Zweckursache zum Ausdruck bringt. Von dieser Zweckmäßigkeit im Sinn von Zweckentstandenheit kommt Kant zu einer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ durch folgenden Schritt:32
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An dieser Formulierung irritiert natürlich, daß die Kausalität des Begriffs, und nicht das Objekt, zweckmäßig genannt wird. Laut „Einleitung“ aber ist „der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält, der Zweck“, dagegen ist „die Übereinstimmung eines Dinges mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge, die nur nach Zwecken möglich ist, die Zweckmäßigkeit der Form derselben“ (XXVIII). Eine ähnliche Konstruktion (inklusive der Formel „zweckmäßig, aber ohne Zweck“) macht Kant bezeichnenderweise in einem teleologischen Kontext, nämlich in der 1788, also während der Arbeit an der KU verfaßten Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (Bd. 8). Hier wird „zweckmäßig“ als Adverb für „wirken“ verwendet, mit der Bedeutung „wie ein Zweck“ bzw. „wie nach Zweckvorstellungen“ (S. 181). Ich kann Tonelli nicht folgen, wenn er meint, der in dieser Schrift zugrundegelegte Sinn von „zweckmäßig“ sei unvereinbar mit dem im §10 der KU („La formazione del testo della ‚Kritik der
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Zweckmäßig aber heißt ein Objekt oder Gemütszustand oder eine Handlung auch, wenngleich ihre Möglichkeit die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraussetzt, bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d.i. einen Willen, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen (33).
Es kommt auf den Irrealis gegen Ende an: Wir betrachten den Gegenstand so, als hätte ihn eine Kausalität nach Zwecken (also ein Verstand) hervorgebracht, ohne zu behaupten, daß es so ist. Trotzdem nennen wir ihn „zweckmäßig“, stellen damit aber keine Behauptung über seine Entstehungsursache auf, sondern sagen nur etwas über seine Form: Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursachen dieser Form nicht in einen Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit nur, indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können (33).33
Ein zweckmäßiger Gegenstand „ohne Zweck“ sieht also so aus, als sei er durch eine Zweckvorstellung hervorgebracht worden, ohne daß er es ist; in diesem Sinn kann gesagt werden, daß er (nur) die „Form der Zweckmäßigkeit“ hat.34 Das „ohne Zweck“ der ästhetischen Zweckmäßigkeit ist also dem §10 zufolge als das Fehlen einer wirklichen Entstehungsursache zu verstehen. Zweckmäßigkeit kann dem Gegenstand aber dennoch, aufgrund seiner Form, zugeschrieben werden, weil wir uns diese nur „begreiflich“ machen können, wenn wir sie von einem Willen ableiten. Weil die Zweckentstandenheit des Gegenstands hier nur hypothetisch ausgesagt wird, ist die Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ nicht paradox. Durch „ohne Zweck“ wird dem Gegenstand nämlich die be-
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Urteilskraft‘“, S. 446). Diese Aussage relativiert er allerdings an anderer Stelle („Von den verschiedenen Bedeutungen“, S. 157). Stolzenberg („Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 15) vertritt die These, daß der nachfolgende Satz („Nun haben wir [...]“) gegenüber dem gerade zitierten einen weiteren Sinn von Zweckmäßigkeit einführe: „Von dieser Art der Erklärung, und das ist nun Kants neue These, können wir bei der Wahrnehmung einer zweckmäßigen Gestalt auch absehen“. Zielte dieser Satz auf einen neuen, dritten Sinn von Zweckmäßigkeit ab, wäre das aber kurios, denn schon im vorhergehenden, dem gerade zitierten Satz erreicht Kant die Formel von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“. Wäre dies noch nicht die ästhetische Zweckmäßigkeit, müßte es zwei solche Formeln geben. Auf einen nichtästhetischen Sinn von „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ kommt Kant tatsächlich noch zu sprechen, nämlich in einer Fußnote am Ende des dritten Moments der „Analytik“. Das darin besprochene Beispiel für Zweckmäßigkeit „ohne Zweck“ (ein prähistorisches Artefakt, dessen Zweck wir nicht kennen), verdient eigentlich aber diese Bezeichnung nicht, weil wir wissen, daß dieses Ding einen Zweck bzw. eine intentionale Entstehungsursache hatte – also wirklich, und nicht im Sinn eines Als-ob. Dieses Beispiel hat mit der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ des vorletzten Satzes im §10 nichts zu tun, denn diese ist die hypothetische und damit genau die, auf die Kant hinauswill. Vgl. EE, Bd. 20, S. 200, wo es heißt, daß „Gegenstände der Natur bisweilen blos nur so beurtheilt werden, als ob ihre Möglichkeit sich auf Kunst gründe“.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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sondere Entstehungsursache, die ihm durch das Prädikat „zweckmäßig“ zugesprochen wurde, nicht etwa gleich wieder abgesprochen, sondern lediglich der Status ihrer Zuschreibung modifiziert: Von einem zweckmäßigen Gegenstand „ohne Zweck“ wird gesagt, daß er nicht tatsächlich durch eine Zweckvorstellung entstanden ist, sondern daß er nur so aussieht, als habe seiner Entstehungsursache eine Zweckvorstellung zugrundegelegen. Das hier maßgebliche Verständnis des Begriffs der Zweckmäßigkeit ist gegenüber der ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks ungewohnt und erläuterungsbedürftig. Es ist zwar klar, daß zwischen beiden Bedeutungen ein Zusammenhang besteht: Beide Verwendungsweisen von „zweckmäßig“ hängen insofern miteinander zusammen, als bei einem durch eine Zweckvorstellung hervorgebrachten Gegenstand die Frage nach seinem Wozu naheliegt – weil Zweckursachen mit der Erschaffung von Gegenständen gewöhnlich „etwas bezwecken“ bzw. sie in aller Regel als Mittel für Zwecke herstellen. Und umgekehrt mag es bei Dingen, die sich für etwas als zweckdienlich bzw. nützlich erweisen, naheliegend sein, daß sie zu dem betreffenden Zweck geschaffen wurden. Aber keines von beiden impliziert das jeweils andere: Daß jeder durch eine nach Begriffen wirkende Ursache zustande gekommene Gegenstand ein nützlicher bzw. zweckdienlicher sein muß, wäre eine These, für die man erst zu argumentieren hätte. Und wenn sie sich halten ließe, wäre das teleologische Verständnis von Zweckmäßigkeit reicher als das ursprüngliche, denn durch die teleologische Komponente des Prädikats „zweckmäßig“ wäre etwas mitbehauptet, was bei seiner üblichen Verwendungsweise nicht gemeint ist. Wenn sich ein Gegenstand als „zweckmäßig“ im gewöhnlichen Sinn erweist, also in dem von Nützlichkeit, ist damit über seine Zweckmäßigkeit im anderen, teleologischen Sinn, noch nichts gesagt. Ein Gegenstand kann als nützlich ausgezeichnet werden, ohne daß dadurch das geringste über seine Entstehungsursache behauptet wäre. Die Struktur „x ist zweckmäßig für y“ ist von der Frage, ob x durch eine nach Begriffen wirkende Ursache hervorgebracht wurde, zu trennen. Im Zusammenhang mit jener teleologischen Variante von Zweckmäßigkeit gibt es kein Wofür. Daraus, daß der durch eine Zweckvorstellung hervorgebrachte Gegenstand in einem Verhältnis zu seinem Schöpfer steht, folgt nicht, daß er für denselben zweckmäßig ist. Er ist, weil intendiert, Zweck für seinen Schöpfer. Zweckmäßig für das Schöpfersubjekt ist er deswegen aber nicht, denn das „für“ ist nur bei der üblichen Verwendung des Prädikats, die zweistellige, die den Mittel-Charakter
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
von etwas impliziert, sinnvoll.35 Zwar mag es schwerfallen, aus der Welt der Objekte ein Beispiel für einen Zweck zu finden, der nicht auch Mittel ist. Aber es wäre eine starke These zu behaupten, daß alles durch Intention Geschaffene auch den Charakter eines Mittels für etwas haben muß. Gegenbeispiele (wie etwa Kunstwerke) drängen sich da auf. Im §10 steht die Mittel/Zweck-Relation, wie sie der Begriff der Zweckmäßigkeit bei sich führt, jedenfalls völlig im Hintergrund; hier hebt Kant allein auf den teleologischen Aspekt ab, denn der ist es, der ihn zu einer Zweckmäßigkeit führt, die „ohne Zweck“ ist. Die andere Bedeutung von „Zweckmäßigkeit“ ist im weiteren Text der KU indes nicht zu vernachlässigen. Wie im folgenden zu zeigen ist, findet die ursprüngliche Bedeutung von „zweckmäßig“ in der KU außerhalb des §10 durchaus ihre Anwendung. Deutlich tritt sie überall dort in Erscheinung, wo sich sinnvoll nach dem Wofür oder dem Wozu des als zweckmäßig Bezeichneten fragen läßt. Kant formuliert an mehreren Stellen, es sei etwas zweckmäßig für etwas, etwa da, wo er sagt, im Falle der Schönheit sei etwas zweckmäßig „für die Urteilskraft“ (150).36 Daß diese Zweckmäßigkeit noch spezifiziert wird, z.B. als „subjektive“, ändert nichts daran: Hier erfolgt der Gebrauch von „zweckmäßig“ mindestens formal analog zu dem von „nützlich“, insofern die Relation „zweckmäßig für“ erfüllt ist.37
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Es gibt noch eine andere einstellige Verwendungsweise des Ausdrucks, wie etwa in „das ganze Feld ihrer [der menschlichen Vernunft] zweckmäßigen Tätigkeit“ (B 128). Hier hat das Prädikat „zweckmäßig“ die Bedeutung von „Zweckgemäßheit“ und drückt aus, daß etwas seiner Bestimmung gemäß gebraucht wird. Von einer „Zweckmäßigkeit für etwas“ zu sprechen, ginge in diesem Kontext nur, wenn das Subjekt ausgetauscht würde (zweckmäßig wäre dann hier ein Tätigkeitsfeld für die menschliche Vernunft). Daß Zweckmäßigkeit im Sinn einer Zuträglichkeit oder Geeignetheit von etwas für etwas zu unterscheiden ist von „Zweckursächlichkeit“, betont insbesondere Rang („Zweckmäßigkeit, Zweckursächlichkeit und Ganzheitlichkeit in der organischen Natur“, S. 40ff.). Den gerade dargestellten Sinn von „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“, der auf eine hypothetische Artefaktizität hinausläuft, will Rang aber nur für die Teleologie gelten lassen, was aber nicht verständlich ist, da dies genau der Sinn von „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ ist, den Kant im §10 erläutert. Fricke vertritt die Auffassung, Kant verwende „Zweckmäßigkeit“ in einem insgesamt von der Umgangssprache abweichenden Sinn (Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, S. 75). Nur umgangssprachlich werde mit „zweckmäßig“ ein Mittel/Zweck-Verhältnis thematisiert. Träfe dies aber zu, dürfte die Frage nach dem Wozu der zweckmäßigen Objekte bei Kant nicht gestellt werden, wo er sie doch selbst unentwegt stellt und auch beantwortet, wie in Formulierungen wie „zweckmäßig für die Einbildungskraft“ oder „zweckmäßig für die Erkenntniskräfte“ deutlich wird. Aber auch Fricke ist der Meinung, daß bei Kant eine zweifache Bedeutung von „Zweckmäßigkeit“ auseinanderzuhalten sei: Kant verwende den Terminus „erstens zur Bezeichnung eines tatsächlichen oder nur vermuteten Ursache-Wirkungs-Verhältnisses zwischen einem Begriff und dem Gegenstand dieses Begriffs, (d.h. zwischen einer Zweckvorstellung und einem Zweck),“ – das entspräche also dem, was hier als „abgeleitetes“ bzw. „teleologisches Verständnis von Zweckmäßigkeit bezeichnet wurde – „und zweitens zur Bezeichnung einer formalen Eigenschaft eines Gegenstandes, der notwendigerweise als ein Zweck angesehen werden muß“ (ebd.). Bei letzterem kann es sich
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Daß diese Bedeutung des Prädikats „zweckmäßig“, die man auch „praktisch“ nennen könnte, nicht hinweggedacht werden darf, zeigt sich bereits, wenn man das Ausgangsproblem in der KäU der Fragestellung des zweiten Teils der KU gegenüberstellt. Das Erklärungsbedürftige am Ausgangspunkt der AS ist eben nicht der Geltungsanspruch teleologischer Urteile über Naturgegenstände, sondern ein Wohlgefallen. Um ein Wohlgefallen durch Zweckmäßigkeit im Sinn des §10 zu erklären, also dadurch, daß ein Gegenstand so geformt ist, als hätte ihn eine nach Zwecken wirkende Ursache hervorgebracht, ist ein zusätzlicher, und zwar der eigentliche Erklärungsschritt noch erforderlich. Es müßte nämlich immer noch erklärt werden, warum eine so verstandene Form der Zweckmäßigkeit ein Wohlgefallen hervorruft. Ob ein Grund dafür angegeben werden kann, oder besser gesagt: einer, der zu einem ästhetischen Wohlgefallen führt, ist vorerst nicht die Frage. Nur wo die ursprüngliche Bedeutung von „Zweckmäßigkeit“ festgestellt wird, bedarf es keines weiteren Schrittes, um ein Wohlgefallen zu erklären. Liegt an einem Ding Zweckmäßigkeit im Sinn von Nützlichkeit vor, ist dergleichen wie ein Wohlgefallen, das diesem Gegenstand gilt, etwas geradezu Selbstverständliches. Es ist der nützliche Gegenstand, der durch das Prädikat „zweckmäßig“ in einem wertend-positiven Sinn ausgezeichnet wird, nämlich als passendes Mittel in Hinblick auf einen zu erreichenden Zweck. Diese Zweckmäßigkeit, die zur Erklärung eines Wohlgefallens keines weiteren Aufwandes mehr bedarf, ist aber Ausdruck von Interessiertheit schlechthin, wie schon deutlich geworden ist. 3. Der Begriff der Zweckmäßigkeit in der KU insgesamt (Exkurs) Die Unterscheidung zwischen einer teleologischen Bedeutung des Begriffs der Zweckmäßigkeit, die auf die Entstandenheit des Gegenstands abhebt, und einer praktischen, die die Struktur „etwas ist zweckmäßig für etwas“ zum Ausdruck bringt, ist für die weitere Rekonstruktion von Kants Ansatz folgenreich. Die Rolle des Spielbegriffs, so die These, kann nur im Zusammenhang mit dem praktischen Verständnis von Zweckmäßigkeit und der damit verbundenen Mittel/Zweck-Relation verständlich gemacht werden. Angesichts der verwirrenden Vielfalt von Kants Verwendungsweisen des Ausdrucks „zweckmäßig“ bietet es sich deshalb an, vor einer Wiederaufnahme der Rekonstruktion von Kants Argumentation in der AS den gerade gemachten Vorschlag zur Differenzierung des Begriffs der
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aber nicht um eine eigenständige Bedeutung handeln, denn die Form von Zweckmäßigkeit steht nicht für eine eigene Art von Zweckmäßigkeit, sondern für einen anderen Status ihrer Zuschreibung.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Zweckmäßigkeit vorausgreifend mit Blick auf die Gesamtkonzeption der KU zu untersuchen. Die praktische Bedeutung von Zweckmäßigkeit, durch die eine Auszeichnung von etwas in Hinblick auf einen Mittel/Zweck-Zusammenhang vorgenommen wird, läßt sich auch in der „Einleitung“ der KU nachweisen, obwohl es dort zunächst den Anschein hat, daß der Begriff der Zweckmäßigkeit in einem ausschließlich theoretischen Kontext steht. a) Der Begriff der Zweckmäßigkeit in der „Einleitung“ In der „Einleitung“ spricht Kant vom „Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur“ als einem transzendentalen Prinzip. „Denn der Begriff von den Objekten, sofern sie als unter diesem Prinzip stehend gedacht werden“, heißt es zur Begründung, „ist nur der reine Begriff von Gegenständen des möglichen Erfahrungserkenntnisses überhaupt und enthält nichts Empirisches“ (XXX). Damit stellt Kant das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur in eine Reihe mit all dem, was er in der KrV an apriorischen Bedingungen für alle Gegenstände möglicher Erfahrung herausgearbeitet hat. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur, wenn er nicht aus der empirischen Wirklichkeit gewonnen sein kann, stammt also wie die transzendentalen Kategorien aus dem Subjekt selbst. Mit diesem nichtempirischen Begriff nimmt das Subjekt nicht etwas aus der Natur, die es vorfindet, auf, sondern es tritt mit ihm an die Natur heran; ähnlich, wie es das mit den Formen der Sinnlichkeit und den reinen Verstandesbegriffen tut. Der entscheidende Unterschied besteht aber darin, daß etwas erst dadurch, daß es in Raum und Zeit auftritt bzw. den Verstandeskategorien genügt, zum Objekt für das Subjekt werden kann, während auch eine Natur, die sich als nicht zweckmäßig erweist, erkannt werden und wirklich sein kann. Die Kategorien stellen Bedingungen auf, „ohne welche Natur überhaupt (als Gegenstand der Sinne) nicht gedacht werden kann“ (XXXII); ohne die apriorischen Verstandesgesetze könnte die Natur „gar kein Gegenstand einer Erfahrung sein“ (XXXV). Dagegen setzt „Zweckmäßigkeit“ als Spezifikation von Natur diese voraus, sie kann nur „an einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande [...] vorgestellt werden“ (XLVIII). Die Zweckmäßigkeit der Natur ist also keine Bedingung für die Möglichkeit von Erfahrung überhaupt.38 Warum handelt es sich bei ihr dennoch um ein transzendentales Prinzip?
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Eine andere Meinung vertreten hier z.B. Allison (Kant’s Theory of Taste, S. 32f.) und Floyd („Heautonomy“, S. 209f.). Beide führen in diesem Zusammenhang eine Passage aus der EE an (Bd. 20, S. 211-213, insbesondere S. 211f. Anm. und S. 213, Z. 1-5), die sich so lesen läßt, daß die beschriebene Zweckmäßigkeit der Natur eine notwendige Voraussetzung
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Kant scheint diese Frage dadurch zu beantworten, daß er die Liste der transzendentalen Operationen des Subjekts einfach erweitert, nämlich um den Begriff einer „reflektierenden Urteilskraft“ (die er der „bestimmenden Urteilskraft“ gegenüberstellt). Das könnte leicht mißverstanden werden als der Versuch, die Transzendentalität dieses Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur quasi zu erschleichen durch das unmotivierte Postulat eines weiteren Akteurs der im Subjekt angesiedelten Erkenntnisfakultäten,39 der, weil er nicht bestimmend ist, zur Erkenntnis eigentlich nichts beizutragen hat und daher überflüssig zu sein scheint.40 Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft darf indes nicht dahingehend mißverstanden werden, daß es mit der empirisch vorgefundenen Wirklichkeit nichts zu tun hätte. Dieses Prinzip kann die reflektierende Urteilskraft nämlich nur deshalb nicht „der Natur vorschreiben“, weil „die Reflexion über die Gesetze der Natur sich nach der Natur, und diese sich nicht nach den Bedingungen richtet, nach welchen wir einen in Ansehung dieser ganz zufälligen Begriff von ihr zu erwerben trachten“ (XXVII). Statt der wirklichen Natur etwas vorzuschreiben, „trachtet“ die reflektierende Urteilskraft also nach etwas, das
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für jede Begriffsbildung bzw. jede „besondere Erfahrung“ darstellt. Diese Stellen hängen mit dem Mangel einer plausiblen Begriffsbildungstheorie bei Kant zusammen: Eine Theorie, die Begriffsbildung auf Vergleichung von Gegenständen zurückführt, gemäß dem zu Kants Zeiten vorherrschenden Theorem der Begriffsbildung, ist nach den transzendentalphilosophischen Grundprämissen ein Unding. Da es ein Bewußtsein von Gegenständen erst durch Anschauung und Begriff gibt, kann für Begriffsbildung nicht eine gegebene Pluralität von Gegenständen vorausgesetzt werden, wie es die genannte Theorie verlangt (vgl. dazu Heller, „Kant und J.S. Beck über Anschauung und Begriff“). In der „Einleitung“ macht Kant deutlich, daß nur die in der KrV genannten Voraussetzungen für Erfahrung notwendige Bedingungen sind. Kulenkampff sieht die „Einleitung“ als den unplausiblen Versuch, die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur „aus der Analyse des Begriffs der reflektierenden Urteilskraft“ herzuleiten (Kants Logik des ästhetischen Urteils, S. 66). „Reflexion“, in der Jäsche-Logik neben „Comparation“ und „Abstraktion“ eines von drei Momenten, wodurch „Begriffe ihrer Form nach erzeugt werden“ (Bd. 9, S. 94f.), steht bei Kant oft kurzerhand für eine vergleichende Operation (wie in „logische Reflexion“, die „bloße Komparation“ sein soll [A 262 B 318]) oder, wie zu seiner Zeit üblich (vgl. Reimarus, Vernunftlehre, Bd. 2, §12), für Begriffsbildung insgesamt (vgl. z.B. in Bd. 7, S. 134 Anm.). Manchmal verbindet Kant mit „Reflexion“ ausdrücklich einen Sinn von Rückbezüglichkeit des Subjekts auf sich selbst, der darin besteht, daß Gegenstand jener vergleichenden Operation „die subjektiven Bedingungen, [...] unter denen wir zu Begriffen gelangen können“ (A 260 B 316), sein sollen. Im §40 der KU versteht Kant unter der „Operation der Reflexion“ (157) die Gewinnung eines allgemeinen, übersubjektiven Standpunkts durch die Abstraktion von den subjektiven Bedingungen des Urteils, womit freilich der Sinn von Rückbezüglichkeit enthalten ist, weil man dabei „auf die Eigentümlichkeiten seiner Vorstellung [...] achthat“. „Reflektierende Urteilskraft“ ist dem Wortsinn ihrer Definition nach (sie sucht das „Allgemeine“ zu einem gegebenen Besonderen“ [XXVI]) eine begriffsbildende Urteilskraft. Wie sich im Kontext zeigt, handelt es sich bei ihr um eine Operation, in deren Rahmen konkretes Erkenntnismaterial in bezug auf die subjektiven Bedingungen zur Bildung von Begriffen beurteilt wird, während es sich bei „bestimmender Urteilskraft“ um die Anwendung von Begriffen handeln muß.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
sie offenbar nur faktisch auch bekommt. Obwohl das Prinzip einer Zweckmäßigkeit der Natur somit weder ein empirischer Begriff ist, der dieser entnommen werden kann, noch ein Begriff ist, der der Natur oktroyiert wird, wie etwa die Kategorien, handelt es sich dabei um kein ideelles Prinzip, sondern um eines, das mit dem faktisch Vorgefundenen erfüllt ist oder nicht. Für die Anwendung dieses nichtempirischen Begriffs gibt es in manchen Fällen eine Berechtigung, soll heißen: die Natur, die das Subjekt durch Erfahrung gewinnt, ist zweckmäßig, insofern wir Zweckmäßigkeit an ihr „antreffen“ (XXXIV) – oder auch nicht.41 Um etwas Apriorisches handelt es sich bei diesem Prinzip also nicht etwa insofern, als dadurch Bedingungen einer Natur überhaupt formuliert würden, sondern insofern das Subjekt immer schon, a priori, etwas „zu erwerben trachtet“, was bedeutet, daß sich das Subjekt immer schon mit einer gewissen Erwartungshaltung an die Erkenntnis der Natur macht bzw. eine transzendentale Präferenz für eine zweckmäßige Natur hat. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ist mit den Kategorien also nur deshalb vergleichbar, weil es sich bei beiden um so etwas wie eine apriorische Vorgabe handelt. Nur sind die transzendentalen Kategorien als eine Vorgabe zu betrachten, die notwendigerweise erfüllt sein muß, damit es überhaupt zu einer objektiv wirklichen Natur für das Subjekt kommt. Demgegenüber wird durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur quasi ein besonderes „Bedürfnis“ formuliert, das sich an das faktisch Vorgefundene anschließt und darüber hinaus geht. Es ist die Rede von einem „Bedürfnis“ des Verstandes bzw. einer „Aufgabe“, die „a priori in unserem Verstande liegt“ (XXXV). In diesem Zusammenhang von einer „Aufgabe“ zu sprechen, kann nicht heißen, daß der Verstand Zweckmäßigkeit in die Natur hineinbringen will – er kann sie ihr nicht oktroyieren, er findet sie vor oder nicht –, aber daß er sie wenigstens suchen muß (und inso-
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Auch in denjenigen Fällen, in denen Zweckmäßigkeit der Natur bloß unterstellt wird, ist dies durch irgend etwas motiviert; d.h. auch in den hypothetischen Verwendungsweisen wird dieses Prädikat bloß faktisch verliehen. In bezug auf die Einleitung zu sagen, wir könnten „prinzipiell“ nicht wissen, ob die Natur als Ganzes zweckmäßig eingerichtet ist, verfehlt Kants Punkt, denn entweder läßt sie sich in Gattungen und Arten spezifizieren und auf wenige physikalische Gesetze reduzieren, oder nicht. Recki (vgl. Ästhetik der Sitten, S. 82) schlägt hier einen Bogen von der „Einleitung“ zum § 74, wo Kant tatsächlich die Auffassung vertritt, über die Zweckmäßigkeit der Natur könne nur gemutmaßt werden. Im dortigen Kontext von Teleologie ist etwas Zweckmäßiges aber klarerweise ein durch Zweckvorstellungen Hervorgebrachtes, und über die Entstehungsursache von Naturgegenständen kann in der Tat nur unterstellend geurteilt werden. Von Zweckmäßigkeit im Sinn von Systematizität auf den Urheber solcher Zweckmäßigkeit zu schließen, bietet sich freilich auch in der „Einleitung“ an vielen Stellen an; nur muß dabei klar sein, daß dazu ein anderer Begriff von Zweckmäßigkeit zugrundegelegt wird.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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fern der Natur auch zuerst einmal, im Sinn einer Arbeitshypothese, unterstellen).42 Nachdem auf diese Weise nun der Status dieses Prinzips umrissen ist, stellt sich als nächstes die Frage, was man sich unter der Zweckmäßigkeit der Natur inhaltlich vorzustellen hat, d.h. was eine zweckmäßige von einer nicht zweckmäßigen Natur unterscheidet. Der Unterschied besteht relativ zu einem Anliegen der Erkenntnis, denn Kant charakterisiert die Zweckmäßigkeit der Natur näher als „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“ (XXXIV). Als zweckmäßige kommt die Natur dem Anliegen der Erkenntniskräfte entgegen durch „Einheit“ (XXVII) der vorgefundenen Mannigfaltigkeit, durch „Faßlichkeit“ (XL) bzw. „faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten“ (XXXV). Dieses Anliegen ist transzendental, was bedeutet, daß genauso, wie das Subjekt auf Wirklichkeit aus ist, es auch in seinem Interesse ist, daß diese Wirklichkeit eine größtmögliche Ordnung und Einheit aufweist. Und genausowenig, wie es das Subjekt in der Hand hat, daß es etwas zu erkennen gibt, also Objekte gibt, die den „Bedingungen von Erfahrung überhaupt“ genügen, genausowenig hängt es von ihm ab, ob es besagte Einheit in der Natur auch wirklich gibt: Daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher, unsere Absicht begünstigender Zufall wäre, erfreut (eigentlich eines Bedürfnisses entledigt) werden, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob wir gleich notwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit (XXXIV),
weil wir „sonst keine Naturordnung ausmachen würden“ (XXXV). Aber
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Auch wenn davon die Rede ist, daß die Urteilskraft dieses Prinzip „von der Natur präsumiert“ oder „an ihr voraussetzt“ bzw. daß wir es „schlechterdings annehmen“ müßten (EE, S. 204), kann nicht gemeint sein, daß dies im selben Sinn wie bei den Kategorien geschehe. Gemeint ist dagegen ein Prinzip für die Nachforschung, das Kant auch als „Maxime“ (XXXIV) bezeichnet (vgl. A 649 B 677). Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur findet sich der Sache nach auch in der „Transzendentalen Dialektik“ der KrV, wo Kant das Prinzip der regulativen Ideen entfaltet und von einer „Forderung der Vernunft“ nach „Einheit der Prinzipien“ spricht (A 305 B 362). Diese Forderung bestehe, „um den Verstand mit sich selbst in durchgängigen Zusammenhang zu bringen, so wie der Verstand das Mannigfaltige der Anschauung unter Begriffe und dadurch jene in Verknüpfung bringt“ (ebd.). Entscheidend ist aber die folgende Einschränkung: „Aber ein solcher Grundsatz schreibt den Objekten kein Gesetz vor, und enthält nicht den Grund der Möglichkeit, sie als solche überhaupt zu erkennen und zu bestimmen, sondern ist bloß ein subjektives Gesetz der Haushaltung mit dem Vorrate unseres Verstandes, durch Vergleichung seiner Begriffe, den allgemeinen Gebrauch derselben auf die kleinstmögliche Zahl derselben zu bringen, ohne daß man deswegen von den Gegenständen selbst eine solche Einhelligkeit, die der Gemächlichkeit und Ausbreitung unseres Verstandes Vorschub tue, zu fordern, und jener Maxime zugleich objektive Gültigkeit zu geben, berechtigt wäre“ (A 306 B 362f.). Kant formuliert also bereits in der KrV ein Prinzip, das die ökonomische Faßlichkeit des durch den Verstand Erkannten fordert. Anders als in der KU, wo nur auf die Einheit der Naturerkenntnis abgehoben wird, führt Kant in der KrV aber auch die Spezifikation der Natur auf ein transzendentales Prinzip zurück (A 656ff. B 684ff.) und spricht sogar von einem „Interesse der Mannigfaltigkeit“ (A 666 B 694).
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
es läßt sich wohl denken, daß ungeachtet aller der Gleichförmigkeit der Naturdinge, nach den allgemeinen Gesetzen, ohne welche die Form eines Erfahrungserkenntnisses überhaupt gar nicht stattfinden würde, die spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur samt ihren Wirkungen dennoch so groß sein könnte, daß es für unseren Verstand unmöglich wäre, in ihr eine faßliche Ordnung zu entdecken, ihre Produkte in Gattungen und Arten einzuteilen (XXXVI).
Diese Zweckmäßigkeit der Natur bzw. ihre „faßliche Ordnung“, die immer nur faktisch vorgefunden wird, ist relevant für den ästhetischen Kontext, und zwar deshalb, weil bereits hier eine Verbindung zum Phänomen der Lust angelegt ist: „Die entdeckte Vereinbarkeit zweier oder mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Prinzip“ sei „der Grund einer sehr merklichen Lust, oft sogar einer Bewunderung, selbst einer solchen, die nicht aufhört, ob man schon mit dem Gegenstande derselben genug bekannt ist“ (XL). Die Herleitung dieser Lust ergibt sich aus den bisherigen Ausführungen zur „reflektierenden Urteilskraft“ und ihrem apriorischen Prinzip: Weil die „Zweckmäßigkeit der Natur“ eine „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“ darstellt, ist mit einer zweckmäßigen Natur ein „Verstandesbedürfnis“ befriedigt.43 Das „[…] Studium, ungleichartige Gesetze derselben womöglich unter höhere, obwohl immer noch empirische, zu bringen“, hat, „wenn es gelingt“, zur Folge, daß wir „an dieser Einstimmung derselben für unser Erkenntnisvermögen, die wir als bloß zufällig ansehen, Lust [...] empfinden“ (XL)44. Weil das Vorfinden der beschriebenen Zweckmäßigkeit Ausdruck eines Gelingens ist, muß dies sogar Lust zur Folge haben, denn „die Erreichung jeder Absicht45 ist mit dem Gefühle der Lust verbunden“ (XXXIX).46
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Während eine leicht spezifizierbare Natur der „Absicht“ des Verstandes entgegenkommt, setzen die „allgemeinen Gesetze des Verstandes, welche zugleich Gesetze der Natur sind, [...] keine Absicht mit unserem Erkenntnisvermögen“ (XXXVIII) voraus. Dies aber nur, „weil wir nur durch dieselben von dem, was Erkenntnis der Dinge (der Natur) sei, zuerst einen Begriff erhalten, und sie der Natur, als Objekt unserer Erkenntnis überhaupt, notwendig zukommen“ (XXXVIIIf.). D.h. hier kann eine absichtliche Präferenz deshalb nicht vorliegen, weil ohne diese Voraussetzung überhaupt keine Natur gewonnen werde könnte. Hervorhebung von mir. Dieser Ausdruck suggeriert, die Absicht werde als Erfolg verstanden. Das Erreichte ist aber im fraglichen Kontext nicht die Absicht, sondern die Erkenntnis. Nach Kulenkampffs Ansicht enthält die Argumentation unlösbare Schwierigkeiten, wie sich im Textanschluß zeige, wo es heißt: „und ist die Bedingung der ersteren eine Vorstellung a priori, wie hier ein Prinzip für die reflektierende Urteilskraft überhaupt, so ist das Gefühl der Lust auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig bestimmt, und zwar bloß durch die Beziehung auf das Erkenntnisvermögen“ (XXXIX). Zu Recht verweist Kulenkampff in Kants Logik des ästhetischen Urteils darauf, daß zwischen einer Absicht (bzw. der Bedingung einer Absicht) und ihrem Erfolg unterschieden werden muß und daß
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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Dieser Zusammenhang ist für Kants Theorie des ästhetischen Wohlgefallens von besonderer Bedeutung, denn er zielt auf das zentrale Problem in der Erklärung der ästhetischen Lust. Das besteht Kant zufolge schließlich darin, daß sie einerseits nicht durch praktische Interessen motiviert sein und daß sie andererseits nicht bloß privat-subjektive Gültigkeit haben soll. Mit jenem apriorischen „Verstandesbedürfnis“ macht Kant nun den entscheidenden Schritt: […] ist die Bedingung der [Absicht] eine Vorstellung a priori, wie hier ein Prinzip für die reflektierende Urteilskraft überhaupt, so ist das Gefühl der Lust auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig bestimmt; und zwar bloß durch die Beziehung des Objekts auf das Erkenntnisvermögen, ohne daß der Begriff der Zweckmäßigkeit hier im mindesten auf das Begehrungsvermögen Rücksicht nimmt, und sich also von aller praktischen Zweckmäßigkeit der Natur gänzlich unterscheidet (XXXIX).
Diese Lust ist also nicht praktisch, weil sie nur eine „Beziehung auf das Erkenntnisvermögen“ enthält – der Verstand „will“ schließlich nur erkennen, und nicht etwa sinnliche Begierden stillen –, und kann andererseits von „jedermann“ nachvollzogen werden, bzw. sie ist „für jedermann gültig bestimmt“, weil ein apriorisches Verstandesbedürfnis – anders als eine bestimmte naturale Neigung – bei jedermann vorausgesetzt werden kann. Schön wäre demnach die Natur, sofern sie so wäre, wie es sich der Verstand wünschen würde, nämlich sofern sie sich nach Art und Gattung durchgehend spezifizierbar bzw. in ihren einzelnen Gesetzen als systematisierbar erwiese. Es sieht also so aus, als ließe sich Kants Verständ-
_____________ mit der bloßen Absicht noch nicht ihr Erfolg garantiert ist (S. 61f.). Deswegen, so Kulenkampff weiter, sei die Verbindung, die Kant zwischen dem „transzendentalen Prinzip“ und dem Gefühl der Lust herstellen will, nicht begründet, denn jenes apriorische Prinzip stehe ja nur für die Absicht, nicht aber für ihre Erfüllung: „Da das Gefühl der Lust mit der ‚Erreichung‘ einer Absicht verbunden ist, so ist das bloße Vermögen reflektierender Urteilskraft, die als Absicht beschrieben wird, noch nicht mit Lust verbunden. Damit, daß reflektierende Urteilskraft eine sinnvolle Absicht ist, ist ja noch nichts erreicht, keine Erfüllung gegeben und auch keine Erfüllung garantiert, und folglich ist im bloßen Vermögen oder im Begriff der reflektierenden Urteilskraft keine Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriff der ‚Zweckmäßigkeit der Natur‘ (XXXVIII) zu finden“ (ebd., S. 62f.). Womit Kulenkampff hier ein Problem hat, ist nichts Geringeres als das Problem der Intentionalität selbst: Er tut so, als sei Kant der Nachweis eines apriorischen Prinzips als Grund der ästhetischen Lust erst dann gelungen, wenn das Subjekt deren Bedingungen aufstellt und diese Bedingungen selbst erfüllt. Dabei kann es doch für Kant, für den die Faktizität dieser Lust außer Frage steht, nur darum gehen, aus der Apriorität der Absicht die Apriorität des Grundes der Lust herzuleiten. Auch wenn der Erfolg einer Intention nur faktisch eintritt, ist er Erfolg eben dieser Intention, und wenn eine Intention sich auf Bedingungen zurückführen läßt, die für alle Subjekte gelten, beruht die Lust, die mit dem Erfolg dieser Intention einhergeht, auf einem apriorischen Prinzip. Kulenkampff dagegen scheint zu behaupten, daß der bloß faktische Erfolg einer Intention nicht ihr eigener Erfolg ist, weil die Intention – was ja stimmt – keine „hinreichende Bedingung“ (ebd.) für den Erfolg darstellt. Dann aber hätten nur unfehlbare Intentionen Erfolg.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
nis von Schönheit in das Prinzip einer wohl geordneten Welt übersetzen, was aber seiner eigentlichen Absicht nicht unbedingt entspricht, wie sich bei näherem Hinsehen zeigt. Auch wenn einige Stellen suggerieren, die Systematizität der Natur sei dasjenige, was die ästhetisch reflektierende Urteilskraft im Fall des Schönen positiv registriere,47 nimmt er innerhalb der bis hierhin beschriebenen „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“, die die Ordnung der Schöpfung als ein Beispiel für Schönheit mit umfassen würde, noch eine Einschränkung vor, durch die dann erst der ästhetische Bereich im eigentlichen Sinn abgesteckt wird. Zur Erklärung des Wohlgefallens des Schönen beruft sich Kant auf eine Zweckmäßigkeit, die innerhalb der Erkenntnistätigkeit bei der Wahrnehmung eines einzelnen Gegenstands auftreten soll:48 Die Zweckmäßigkeit also, die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht, ja sogar, ohne die Vorstellung desselben zu einem Erkenntnis brauchen zu wollen, gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, ist das Subjektive derselben, was gar kein Erkenntnisstück werden kann. Also wird der Gegenstand alsdann nur darum zweckmäßig genannt, weil seine Vorstellung unmittelbar mit dem Gefühle der Lust verbunden ist; und diese Vorstellung selbst ist eine ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit (XLIIIf.).49
Die „ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit“ ist also dadurch näher charakterisiert, daß sie nicht von einer schon aus verschiedenen Gegenständen zusammengesetzten Natur gelten kann, da fragliche Zweckmäßigkeit „vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht“. Das Objekt kann nur in einem eingeschränkten Sinn als zweckmäßig bezeichnet werden: Es
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Vgl. z.B. EE, S. 232f. und L. Welchen Status die Faßlichkeit der Natur im Sinn der Systematisierbarkeit ihrer einzelnen Gesetze erhalten soll, bleibt offen. In der EE bezeichnet sie Kant als „logische Zweckmäßigkeit“ der Natur, die er zurückführt auf ihre „Übereinstimmung zu den subjektiven Bedingungen der Urtheilskraft in Ansehung des möglichen Zusammenhangs empirischer Begriffe in dem Ganzen einer Erfahrung“ (Bd. 20, S. 217). Wenn Kant im nächsten Abschnitt die Unterscheidung zwischen einem ästhetischen und einem teleologischen Reflexionsurteil vornimmt, hat es ganz den Anschein, daß er beide auf die zuvor abgehandelte logische Zweckmäßigkeit zurückführen will, denn mit dieser Zweckmäßigkeit im Sinn von Systematisierbarkeit fängt auch dieser Abschnitt an. Später (S. 232f.) grenzt Kant die Teleologie auf den Bereich ein, der sich mit der Frage der Entstehungsursache von Dingen beschäftigt, während er die Zweckmäßigkeit, die mit der „Idee einer Erfahrung, als Systems“ zusammenhängt, dem Bereich der Ästhetik zuweist. Die „Idee einer Erfahrung, als (eines) Systems“ enthalte das Prinzip einer „formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Urteilskraft“, das Kant dort so beschreibt: „Die Natur stimmt nothwendiger Weise nicht blos in Ansehung ihrer transzendentalen Gesetze mit unserem Verstande, sondern auch in ihren empirischen Gesetzen mit der Urtheilskraft und ihrem Vermögen der Darstellung derselben in einer empirischen Auffassung ihrer Formen durch die Einbildungskraft, zusammen“ (S. 233). In der EE bestimmt Kant den Ort des ästhetischen Urteils allerdings als das Stadium der Erkenntnistätigkeit „ehe noch auf die Vergleichung [eines einzelnen Gegenstands] mit andern gesehen wird“ (Bd. 20, S. 223).
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ist „nur darum“ zweckmäßig, weil seine Vorstellung mit dem Gefühl der Lust verbunden ist. Sie ist es „unmittelbar“, was bedeutet, nicht vermittelt durch das, als was der Gegenstand erkannt wird, also durch einen Begriff. Wenn mit der bloßen Auffassung (apprehensio) der Form eines Gegenstandes der Anschauung, ohne Beziehung derselben auf einen Begriff zu einem bestimmten Erkenntnis, Lust verbunden ist: so wird die Vorstellung dadurch nicht auf das Objekt, sondern lediglich auf das Subjekt bezogen; und die Lust kann nichts anderes als die Angemessenheit desselben zu den Erkenntnisvermögen, die in der reflektierenden Urteilskraft im Spiel sind, und sofern sie darin sind, also bloß eine subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objekts ausdrücken (XLIV).
Zweckmäßig ist das Objekt nur in einem subjektiven Sinn, denn die Zweckmäßigkeit wird durch eine Lust kenntlich. Die ästhetische Lust ist unmittelbarer Ausdruck einer Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen, weil ihr Grund „die Angemessenheit“ des Objekts (bzw. seiner Form) zu den aktual tätigen Erkenntniskräften ist. Dieser Grund liegt nicht im Resultat der Erkenntnistätigkeit, nämlich in der Bestimmung des Gegenstandes durch diesen oder jenen Begriff, sondern wirkt sich innerhalb des Prozesses aus, der die begriffliche Bestimmung des Gegenstands zu leisten hat. Zweckmäßig gestaltet sich insbesondere der Prozeß der Auffassung der Form des Gegenstandes, denn „jene Auffassung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflektierende Urteilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche“ (XLIV). Im ästhetischen Sinn ist also ein Gegenstand zweckmäßig, wenn seine Form die Aufgabe, „Anschauungen auf Begriffe zu beziehen“, erleichtert und damit einem apriorischen „Bedürfnis“ des Subjekts entgegenkommt bzw. etwas Zweckmäßiges „zu Bestimmung seiner Form an sich“ hat.50 Die Beurteilung eines Gegenstandes als schön, die das entsprechende Wohlgefallen zum Ausdruck bringt, kann „mit Recht Anspruch auf jedermanns Beistimmung“ machen, weil der Grund zu dieser Lust in der allgemeinen, obzwar subjektiven Bedingung der reflektierenden Urteile, nämlich der zweckmäßigen Übereinstimmung eines Gegenstandes [...] mit dem Verhältnis der Erkenntnisvermögen unter sich, die zu jedem empirischen Erkenntnis erfordert werden [...], angetroffen wird (XLVII).
Die Begründung für den Sonderstatus dieser Lust fußt, wie gezeigt worden ist, letztlich auf der Apriorität jenes Prinzips der reflektierenden Urteilskraft, das seinerseits nichts anderes ist als ein apriorisches „Bedürfnis“ der Erkenntnisvermögen, das zu den transzendentalen Bedingungen der Erfahrung noch hinzutritt. Das ist aber nicht ohne weiteres zu verstehen:
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EE, S. 249.
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Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich mit den notwendigen Bedingungen für Erfahrung der Umfang dieser Vorgaben nicht auch schon erschöpfen muß. Denn wenn es dem Subjekt um Erkenntnis geht, dann müßte ihm konsequenterweise alles recht sein, was es an Objektiv-Wirklichem auch bekommt – eben schon dadurch, daß es etwas Wirkliches zum Gegenstand erhält, müßte das Subjekt sein Ziel erreicht haben. „Wenn man uns sagt, eine tiefere oder ausgebreitetere Kenntnis der Natur durch Beobachtung müsse zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Gesetzen stoßen, die kein menschlicher Verstand auf ein Prinzip zurückführen kann“, soll gelten, daß „wir es auch zufrieden sind“ (XLI). Damit kann Kant nur meinen, daß wir mit einer solchen Natur zufrieden sein können, sofern sie eine objektiv-erkannte ist – und es Erkenntnis zunächst einmal nur um Objektivität überhaupt gehen kann und nicht um eine bestimmte. Aber entscheidende Bedeutung in der „Einleitung“ zur KU hat das unmittelbar darauffolgende Eingeständnis, daß wir es gleich lieber hören, wenn andere uns Hoffnung geben, daß, je mehr wir die Natur im Inneren kennen würden, [...] wir sie in ihren Prinzipien um desto einfacher und bei der scheinbaren Heterogenität ihrer empirischen Gesetze einhelliger finden würden, je weiter unsere Erfahrung fortschritte (ebd.).
Das bedeutet, daß das Anliegen des Subjekts über bloße Objektivität hinausgeht, denn eine systematisierbare und leicht auffaßbare Natur ist in keiner Weise „objektiver“ als ein reines Chaos, sofern auch dieses aus wirklichen Objekten besteht. Daß eine wohl systematisierbare und leicht auffaßbare Natur einem genuinen Anliegen der Erkenntnis entspricht, mag nun unmittelbar einleuchten. Die Plausibilität dieser Auffassung muß aber zum Anlaß werden, naive Vorstellungen von Erkenntnis im Sinne Kants zu hinterfragen: Erkennen als das Auf- oder Entgegennehmen dessen, „was ist“, kann keine Präferenzen bezüglich des erkennend Vorgefundenen haben. Sie ist bezüglich des Erkannten indifferent, ihr Ziel ist mit jedweder Wirklichkeit erreicht. Dagegen steht die These, daß das in Erkenntnis begriffene Subjekt immer schon mit Präferenzen auf objektive Wirklichkeit ausgeht, und zwar nicht nur im Sinn inhaltlicher Präferenzen, die etwa durch naturale Neigungen und Bedürfnisse konstituiert würden, sondern auch in formaler Hinsicht. Die von Kant beschworene „Einheit“ der Natur in ihren Gattungen und Arten bzw. in ihren Gesetzen wie auch die „Faßlichkeit“ dessen, was dem Subjekt anschaulich gegeben wird, sind Ausdruck formaler Präferenzen. Das gilt auch für die Zweckmäßigkeit, die sich „vor der Erkenntnis“ bemerkbar machen soll. Das „transzendentale Prinzip“, das diese Präferenz des Subjekts begründen soll, wird von Kant nicht eigens hergeleitet. Es ist aber offensichtlich, daß mit ihm kein zu vernachlässigender Seitenaspekt, sondern
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ein zentraler Impetus seines Ansatzes zur Sprache kommt. Erkennen gibt es nicht jeweils als sinnliches und intellektuelles, sondern nie ohne Spontaneität, ohne aktives Ausgehen des Subjekts auf Anderes seiner selbst – das ist schließlich die These, mit der Kant gegen die Tradition antritt. Sie soll auch schon für die sinnliche Wahrnehmung von Objekten gelten. Daß sich in der KU die Referenzen auf dergleichen wie „Absicht“, „Interesse“, „Zwecke“ oder „Zweckmäßigkeit“ auch in Kontexten, in denen von unmittelbarer empirischer Erkenntnis die Rede ist, häufen, ist nicht als figurativer Sprachgebrauch zu werten, sondern als Konsequenz der maßgeblichen Besonderheit von Kants erkenntnistheoretischem Ansatz. Diese praktizistische Tendenz51 verdient bei der Beschäftigung mit seiner Theorie des interesselosen Wohlgefallens besonderes Augenmerk, denn fest steht: Wie immer Kant sich die Erkenntnis eines empirischen Objekts im Detail vorstellen mag – um ein passiv-theoretizistisches Entgegennehmen dessen, „was ist“, handelt es sich dabei nicht.52 Nur vor dem Hintergrund dieser praktizistischen Tendenz bei Kant wird der Begriff der Zweckmäßigkeit im ästhetischen Kontext wirklich interessant. Von Zweckmäßigkeit in der hier relevanten Bedeutung, die Kant in der „Einleitung“ „ästhetisch“ nennt, die aber, weil es sich um eine Zweckmäßigkeit „für etwas“ handelt und die somit ihre Grundstruktur mit der praktischen Zweckmäßigkeit teilt, hebt Kant in der „Einleitung“ später eine „logische Vorstellung der Zweckmäßigkeit“ (XLVIII) ab. Eine logische bzw. „objektive“ (L) Zweckmäßigkeit einem Ding zuzusprechen, heißt, die „Übereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von ihm“, also etwas über die Art seiner Entstehungsursache zu behaupten. Da diese „ein Begriff“ sein soll, ist ein in diesem Sinn zweckmäßig genannter Gegenstand ein Artefakt. Diese Bedeutung von Zweckmäßigkeit, die man auch teleologisch nennen kann, hat „nichts mit einem Gefühle der Lust an den Dingen, sondern mit dem Verstande in Beurteilung derselben zu tun“ (XLIX). Es handelt sich also um eine „logische Zweckmäßigkeit“, weil sie den Aspekt der Wertschätzung und Präferenz, wie bei der anderen Bedeutung von Zweckmäßigkeit immer mit im Spiel, nicht enthält.
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Daß das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur über das Feld der Erkenntnistheorie hinaus in den Bereich der Praxis weist, sieht besonders klar z.B. Recki in Ästhetik der Sitten, S. 73ff. Anders als sie möchte ich die praktischen Implikationen der KU aber in einem diesseits von Moralphilosophie angesiedelten Bereich untersuchen, dem einer moralneutralen Handlungstheorie, die Kant sich freilich nicht annähernd so detailliert zum Thema gemacht hat wie Moral. Vgl. dazu Dörflinger, Das Leben theoretischer Vernunft, z.B. S. 35ff.
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b) Zweckmäßigkeit in der „Analytik des Schönen“ Die beiden Bedeutungen von Zweckmäßigkeit, die Kant in der „Einleitung“, der zuletzt entstandenen Textpartie der KU, unterscheidet, erscheinen in der AS nicht derart getrennt.53 Sie treten dort vielmehr ineinander verwoben auf: Spricht Kant in der „Analytik“ von Zweckmäßigkeit, ist meist beides gemeint. Das läßt sich insbesondere am §11 studieren, in dem es darum geht, den im §10 gewonnenen Begriff der Zweckmäßigkeit auf die Ergebnisse des §9 anzuwenden. Der Grund, warum „kein Begriff des Guten [...] das Geschmacksurteil bestimmen“ (34) kann, sei der, daß das Geschmacksurteil „ein ästhetisches und kein Erkenntnisurteil ist, welches also keinen Begriff von der Beschaffenheit und inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes durch diese oder jene Ursache [...] betrifft“ (ebd.). Das klingt so, als werde die Nichtpraktizität des ästhetischen Urteils dadurch gewährleistet, daß von der Entstehungsursache des Dings abgesehen wird. So scheint es auch weiter unten im Text, denn wenn Kant die ästhetische Zweckmäßigkeit expliziert als „subjektive Zweckmäßigkeit [...] ohne allen (weder objektiven noch subjektiven)54 Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit“ (35), dann ist das „ohne Zweck“ (wie auch kurz später im Text das „ohne Begriff“) offenbar im Sinn des §10 gemeint – als Fehlen einer nach Zweckvorstellungen operierenden Entstehungsursache. Mit der „bloßen Form der Zweckmäßigkeit“ meint er hier demnach genau dasselbe wie zuvor im §10 mit einer „Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen“ (34). Gemeint ist also eine Zweckmäßigkeit, die sich nur auf das Aussehen
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Im Haupttext der KU isoliert Kant erst im §63 Zweckmäßigkeit im Sinn von bloßer Nützlichkeit von jener Zweckmäßigkeit, bei der „ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu beurteilen ist“ (279). Daß Kant im Verlauf seiner Arbeit die Geschmackskritik um eine Teleologie erweitert, ist also nicht als „shift in focus“ hin zu einem bisher nicht vertretenen teleologischen Aspekt zu verstehen (so Crawford, „The Sublime in Kant’s Aesthetic Theory“, S. 179), sondern im Sinne einer Trennung zweier bis dahin zusammengedachter Aspekte. Die Unterscheidung zwischen subjektivem und objektivem Zweck im §11 ist zunächst unverständlich, weil Kant unter der „Vorstellung eines objektiven Zwecks“ einen „Begriff des Guten“ (34) versteht, unter dem subjektiven aber einen „Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird“ – und das kann der Zweck im Sinn des Begriffs des Guten ja auch sein. In seinem Bemühen, den Begriff der Zweckmäßigkeit auf die Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte der „Analytik“ rückzubeziehen, scheint Kant „subjektive“ und „objektive“ Zweckmäßigkeit hier im §11 mit dem Angenehmen und dem Guten zu korrelieren (vgl. Stolzenberg, „Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 16). Zumindest wird weiter unten, wenn abermals vom Begriff des Guten die Rede ist (und dieser dort mit Vollkommenheit gleichgesetzt wird), das Angenehme als das zweite nichtästhetische Prinzip angeführt (35).
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des Gegenstandes beruft, im Sinn eines bloßen Als-ob, ohne die Zweckentstandenheit des Dings zu behaupten. Diese „bloße Form der Zweckmäßigkeit“ bzw. „Zweckmäßigkeit der Form nach“ kann laut §10 „nicht anders als durch Reflexion“ (34) bemerkt werden. Das gilt von der teleologischen Zweckmäßigkeit, die Kant in der „Einleitung“ von der ästhetischen klar abhebt, aber genauso. Denn diese beschreibt er dort als „Übereinstimmung seiner [des Gegenstands] Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält“ (XLVIIIf.), und diese Übereinstimmung wird von einer „reflektierenden, nicht Objekte bestimmenden Urteilskraft“ (LII) ermittelt.55 Wie eng dasjenige, was gemäß „Einleitung“ als „ästhetische“ und „teleologische“ Zweckmäßigkeit auseinanderzuhalten ist, in der AS zusammengedacht wird, zeigt sich auch im §15, wo Kant die ästhetische Zweckmäßigkeit der „objektiven“ Zweckmäßigkeit, die er in „Nützlichkeit“ (die praktische Zweckmäßigkeit) und „Vollkommenheit“ unterteilt, gegenüberstellt. In diesem Paragraphen versteht er objektive Zweckmäßigkeit auch als das Prinzip, daß einem Ding „der Begriff von diesem, was es für ein Ding sein solle“ (46), „vorangehe“. Unter „Zweck“ versteht er in diesem Zusammenhang dasjenige, „dessen Begriff als der Grund der Möglichkeit eines Gegenstandes selbst angesehen werden kann“ (45). Das ist genau die Beschreibung einer nichtästhetischen Zweckmäßigkeit, die nicht nur der Form nach bestehen soll, wie sie Kant auch im §10 gegeben hat. Wenn er nun weiter unten im §15 die ästhetische Zweckmäßigkeit in Abhebung davon dadurch gegeben sieht, daß sie „durch die bloße Form gegeben wird“ (46), dann entspricht das genau demjenigen Schritt, den er im §10 gemacht hat, um die ästhetische
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Es könnte den Anschein haben, daß die „Zweckmäßigkeit der Form nach“ des §10 von der teleologischen der „Einleitung“ verschieden ist, weil letztere „nach Begriffen“ (LII) ermittelt wird. Aber dieser Eindruck täuscht, denn wenn mit „Begriff“ hier die Ursache eines Dings gemeint sein soll („der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“, sei der „Zweck“ [XXVIII]), dann ist jene am Ende der „Einleitung“ beschriebene Zweckmäßigkeit genauso „begrifflos“ wie die im §10 beschriebene „Zweckmäßigkeit der Form“ nach. Denn auch im Fall von Teleologie soll eine Zweckursache bzw. Begriffsursache nicht behauptet, sondern nur im Sinne einer Analogie zur Erklärung der Form des Gegenstandes diesem beigelegt werden. Kulenkampff versteht den letzten Satz des §10 als Abgrenzung der ästhetischen Zweckmäßigkeit von der teleologischen, die Kant im Satz davor behandelt habe (vgl. „Der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks“, S. 37f.); die eigentlich ästhetische sei dadurch charakterisiert, daß sie nur durch Reflexion bemerkt werde. Aber er übersieht, daß auch die teleologische Zweckmäßigkeit ein Gegenstand der reflektierenden, nicht der bestimmenden Urteilskraft sein soll (vgl. LII). Im §10 wie überhaupt in der gesamten AS gibt es die Unterscheidung zwischen ästhetischer und teleologischer Zweckmäßigkeit noch nicht.
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Zweckmäßigkeit in der Gegenüberstellung mit der teleologischen zu gewinnen.56 Nur wenn man berücksichtigt, daß in der AS das Verständnis jener teleologischen Zweckmäßigkeit mit dem der ästhetischen einhergeht, läßt sich verstehen, warum Kant in seinem Brief an Reinhold vom 28. Dezember 1787 in Zusammenhang mit neu entdeckten „Principien a priori [...] jetzt drey Theile der Philosophie“ unterscheiden will, nämlich „theoretische Philosophie, Teleologie und practische Philosophie“57. Dieser Plan ist, wohlgemerkt, noch einer frühen Phase der Arbeit an der dritten Kritik zuzuordnen, gehört also in die Zeit, als von einer „Kritik der Urteilskraft“ bzw. einer Zweiteilung in die KäU und KtU noch gar keine Rede ist.58 Der Titel des Gesamtwerks lautet hier zunächst noch „Kritik des Geschmacks“, und das apriorische Prinzip, von dem Kant spricht, muß das der Zweckmäßigkeit ohne Zweck sein, die noch ganz im Sinn des §10 der „Analytik“ – zumindest auch - teleologisch zu verstehen ist. In jenem bereits erwähnten Abschnitt vom Ende der KpV – einer ersten, stichwortartigen Skizze für Kants ästhetische Konzeption – ist auch nicht zufällig von Naturdingen wie Insekten und der „Organisation ihrer Zweckmäßigkeit“ die Rede. c) Vorschlag für die Systematisierung der Bedeutungen von „Zweckmäßigkeit“ in der KU insgesamt Zur Entwirrung der systematischen Fäden, die die KU durchlaufen, ist es also hilfreich, zwei Verwendungen des Begriffs der Zweckmäßigkeit strikt zu unterscheiden. Da gibt es einerseits die übliche, an den umgangssprachlichen Gebrauch angelehnte Bedeutung im Sinne von „Zweckdienlichkeit“ oder „Nützlichkeit“, in welchem Fall immer die Struktur „etwas ist zweckmäßig für/zu etwas“ vorliegen muß. Davon zu trennen ist die abgeleitete Verwendungsweise, der diese Struktur nicht zugrunde liegt, die statt dessen aber zum Ausdruck bringt, daß als Ursache eines Dings eine Zweckvorstellung anzusetzen ist. In der zweiten Verwendungsweise wird
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Zur praktischen Bedeutung von „Zweck“ und „Zweckmäßigkeit“, die im §15 ebenfalls eine Rolle spielt, siehe unten, S. 58ff. Bd. 10, S. 514f. Guyer mag recht haben, daß der teleologische Aspekt in der Ästhetik eigentlich die neue Zutat ist, durch die sich die KU von Kants früheren Vorlesungen zur Ästhetik unterscheidet, und daß erst die Einsicht in die teleologische Dimension der Ästhetik Kant dazu bewog, die KU zu schreiben (Values of Beauty, S. 165). Aber das Interessante daran entgeht einem, wenn man – wie Guyer – nicht berücksichtigt, daß im Stadium der Ankündigung an Reinhold dieses Projekt eben noch keinen von Ästhetik getrennten teleologischen Teil beinhaltet.
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ausgedrückt, daß das Zweckmäßige durch eine Zweckursache entstanden, also ein Artefakt ist; prädiziert wird demnach die „Zweckentstandenheit“ bzw. „Artefaktizität“ eines Dings. Ein Zusammenhang besteht freilich in beide Richtungen, insofern es nämlich bei Artefakten naheliegt, daß sie nützlich sind (was aber nicht der Fall sein muß), wie umgekehrt bei nützlichen Dingen die Annahme naheliegt, daß sie Artefakte sind (was aber gleichfalls nicht der Fall sein muß). Für Kants Theorie des Schönen wie auch für seine Teleologie ist die zweite Beziehung die wichtigere, weil die Frage der Artefaktizität mit weiterreichenden Implikationen verbunden ist.59 Hervorzuheben ist, daß es den Fall einer problematischen Zuschreibung des Prädikats nicht nur im Zusammenhang von Zweckmäßigkeit als Artefaktizität gibt, sondern auch im Rahmen von Nützlichkeit. Damit ist nicht einfach bloß die Irrtumsmöglichkeit beim Urteil „Dieses x ist zweckmäßig/nützlich“ gemeint. Vielmehr tritt im Zusammenhang mit dem Prädikat „zweckmäßig“ eine epistemische Schwierigkeit auf, die es bei empirischen Begriffen nicht gibt: Im Zusammenhang mit organischen Strukturen, Kants „Naturzwecken“, kann über das Vorliegen von Nützlichkeit (wie etwa bei: „die große Oberfläche der Lungenbläschen ist zweckmäßig/nützlich für die Aufnahme von Sauerstoff“) nur auf einer nichtempirischen Ebene entschieden werden. Das hat hier nichts mit der Frage zu tun, ob eine empirisch nicht zu erkennende Zweckursache im Spiel ist, sondern vielmehr damit, ob es etwas gibt, wofür etwas zweckmäßig ist – also letztlich, ob es ein Subjekt gibt, für das sich diese Nützlichkeit auswirkt, d.h. als solche erweisen kann.60 Gibt es kein Subjekt, ist
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Während die Beziehung von Zweckmäßigkeit im eigentlichen Sinn und Artefaktizität in mehreren Zusammenhängen von Bedeutung ist, wird der Schluß vom Artefakt auf Nützlichkeit nur in einem einzigen Kontext interessant, nämlich in bezug auf das Kunstschöne (siehe dazu unten, S. 197f.). Für den Schluß von Zweckmäßigkeit im Sinn von Nützlichkeit auf Artefaktizität muß geklärt werden, welche Art jener Zweckmäßigkeit im engeren Sinn vorliegt. Es gibt Stellen, die nahelegen, daß sich die Nützlichkeit in einem formalen Sinn erweisen muß, um Anlaß für einen solchen Schluß abgeben zu können (vgl. EE, S. 240f.; dazu siehe unten, Anm. 69). Eine Berechtigung für die Deskription organischer Vorgänge im Sinn von Nützlichkeitsverhältnissen ergibt sich letztlich nur, wenn man ein Subjekt als Nutznießer dieser Verhältnisse benennt. Nicht das Herz oder das Gehirn, denen der Sauerstoff zugeführt wird, sind Nutznießer der Vorgänge in der Lunge – das Nützliche muß von einem Subjekt verwendet werden oder verwendet werden können. Deshalb sagt Kant: „Daß aber Dinge der Natur einander als Mittel zu Zwecken dienen [...], dazu haben wir gar keinen Grund in der allgemeinen Idee der Natur als Inbegriffs der Gegenstände der Sinne“ (267), weil in einem solchen Fall Zwecke angenommen werden müssen, „die nicht die unsrigen sind“ (268) und wir dann die Natur als „intelligentes Wesen annehmen“ (ebd.) müßten. Das wäre aber gleichbedeutend mit einer „Vernünftelei [...], die nur den Begriff des Zwecks in die Natur der Dinge hineinspielt, aber ihn nicht von den Objekten und ihrer Erfahrungserkenntnis hernimmt“ (ebd.). Man vergleiche dazu auch den §63 und den Beginn
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die Redeweise von Zweckmäßigkeit lediglich metaphorischer Natur, oder – soll der Status der Zuschreibung noch offengelassen werden – hypothetischer. Und übertragener Sprachgebrauch bzw. Fälle, in denen ein Begriff nur im Sinn eines Als-ob verwendet wird, dürfen nicht als Spezifikation des Begriffs behandelt werden, weil ein Gattung/Art-Schema dasjenige erst festzulegen hat, worauf sich solcher Sprachgebrauch bezieht.61 Daraus folgt, daß Zweckmäßigkeit im ursprünglichen Sinn nicht spezifiziert werden darf zu „subjektiv“- und „objektiv“-zweckmäßig. Sie ist eo ipso subjektiv, weil es sie nur gibt, wenn es ein Subjekt gibt oder geben kann, für welches die in Frage stehende Nützlichkeit erst einen Sinn erhält. Wird ein Ding nur so betrachtet, als ob es ein Subjekt gäbe, relativ zu dem eine Zweckmäßigkeit besteht, liegt uneingeschränkt subjektive Zweckmäßigkeit vor, aber eben im Sinn einer Hypothese oder einer bloßen Metapher.62 Eine sinnvolle Spezifikation kann nur in bezug auf das Wozu der Zweckmäßigkeit bzw. Nützlichkeit erfolgen. Wenn Kant von „formaler Zweckmäßigkeit“ spricht, meint er damit nicht auch schon eine Zweckmäßigkeit, die nur in dem eingeschränkten Sinn eines Als-ob prädiziert werden könnte, sondern insbesondere eine Zweckmäßigkeit in formaler Hinsicht. Gewisse Formen erweisen sich, wie schon betont, tatsächlich als zweckmäßig für ihre Auffassung, und eine leicht systematisierbare und kategorisierbare Natur kommt tatsächlich dem Verstandesbedürfnis nach Einheit entgegen. Zweckmäßig sind nach Kant einige Formen und eine
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des §82, wo Kant als Minimalbedingung für dergleichen wie ein Mittel/Zweck-Verhältnis Naturzwecke ansetzt (S. 379f.), etwas also, das „mit dem bloßen Begriffe einer Natur, ohne ihr einen Zweck unterzulegen, [...] nicht begriffen werden kann“(S. 286), und bei dem der „Zweck der Existenz [...] in ihm selbst“ oder „außer ihm in anderen Naturwesen“ (381f.) liegen müsse, was bedeutet, daß es dann „nicht als Endzweck, sondern notwendig zugleich als Mittel“ existiere. In solchen Kontexten ist „Zweck“ nicht (nur) als „Zweckursache“ zu verstehen, sondern als der Zweck der Mittel/Zweck-Relation. Genau darin besteht ein Fehler zahlreicher Versuche, einen kohärenten Sinn von „Zweckmäßigkeit“ zu finden, weil sie die Gattung zur „hypothetischen“ und eigentlichen Zweckmäßigkeit suchen müßten, dies aber nicht tun (siehe oben, Anm. 37). Zweckmäßigkeit im Sinn einer Zweckmäßigkeit von etwas zu/für etwas ganz „auf der Ebene des Objekts“ konstruiert, wie bei Kulenkampff (Kants Logik des ästhetischen Urteils, S. 228), kann es also nicht geben, oder besser gesagt: nur so, daß sich das Subjekt ein anderes Subjekt vorstellen muß, das als möglicher Nutznießer in Frage kommt. Was Kulenkampff hier wohl im Blick hat, ist aber etwas ganz anderes: Er will Zweckmäßigkeit qua Organisiertheit als diejenige Zweckmäßigkeit fassen, die nicht eine Zweckmäßigkeit „der Natur für das urteilende Subjekt“ ist. Das ändert nichts daran, daß es sich dabei um eine praktische Zweckmäßigkeit handelt, denn die Mittel/Zweck-Relation im Rahmen von Organisiertheit ist eine praktische, für die es ein nutznießendes Subjekt geben muß. Die Erkenntnis einer solchen Zweckmäßigkeit wäre, wenn es sich dabei nicht doch um eine Zweckmäßigkeit für das urteilende Subjekt handeln soll, als solche wohl tatsächlich nicht mit Lust verbunden.
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auf gewisse Weise strukturierte Natur zu nennen, obwohl sie das nicht in bezug auf ein praktisches Bedürfnis sind. Eine praktische Zweckmäßigkeit liegt dagegen bei Objekten wie z.B. Messern und Tischen vor, aber auch im Zusammenhang mit Kants Beispiel eines Stückes Holz, das als „Hebebaum“ verwendet werden kann.63 Fragt man bei solchen Dingen nach dem Wozu ihrer Zweckmäßigkeit, erwartet man Antworten wie „Nahrungsaufnahme“ oder „Heben von Lasten“, also inhaltlich bestimmte Zwecke. Dagegen wird durch das Prinzip der Sparsamkeit der Formen in der Natur offensichtlich einem formalen Anliegen des Subjekts entsprochen, was Kant als „Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“ bezeichnet. Innerhalb der „formalen Zweckmäßigkeit“ muß aber eine weitere Spezifikation durchgeführt werden, weil nur ein Teilbereich davon die ästhetische Zweckmäßigkeit ausmacht, denn diese soll sich innerhalb der sinnlichen Erkenntnis einzelner Gegenstände bemerkbar machen,64 während mit der Zweckmäßigkeit der systematisch erfaßbaren Natur nicht die ästhetische Zweckmäßigkeit gemeint zu sein scheint. Beim Begriff der Zweckmäßigkeit im Sinn von Artefaktizität ist die Situation eine andere: Da ihr nicht die Struktur „zweckmäßig für/zu“ zugrunde liegt, sondern hier die Art der Verursachtheit von etwas durch etwas zum Ausdruck kommt, kann die Spezifikation nicht hinsichtlich des Zwecks eines Gegenstands, sondern nur hinsichtlich seiner Ursache erfolgen. Die muß indes in jedem Fall ein Subjekt sein. Es gibt einen einzigen Unterschied hinsichtlich des verursachenden Subjekts, der für eine Spezifikation des Artefaktbegriffs relevant sein könnte: Das Subjekt kann einerseits etwas anderes als das Artefakt sein, andererseits aber auch mit diesem (in irgendeinem zu klärenden Sinn) identisch. Unter ersteres fallen Artefakte im üblichen Sinn wie Stühle und Tische, letzteres wäre die Umschreibung für das, was Kant „Naturzweck“ nennt, solches also, das Organisiertheit, genauer: Selbstorganisiertheit aufweist. Während die Wirklichkeit von ersterem nicht in Frage steht, ist es die von letzterem durchaus, denn diese Struktur von einem Objekt der Natur auszusagen, bedeutet, ihm Subjektivität zu unterstellen. Es ergibt sich folgendes Schaubild, das die angeführten Differenzierungen des Zweckmäßigkeitsbegriffs aufnehmen soll:
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EE, Bd. 20, S. 219. Natürlich gestattet diese Differenzierung, daß auch ein Ensemble von Naturgegenständen als schön beurteilt wird, weil das Wohlgefallen dann die Gesamtform der sich den Sinnen darbietenden Naturgegenstände betrifft, nicht aber die begriffliche Systematisierbarkeit der verschiedenen wahrgenommenen Objekte.
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(I) Zweckmäßigkeit („Zweckdienlichkeit“ – etwas ist zweckmäßig für etwas) (Ia) formal (Ia1) Form des Objekts zweckmäßig für Auffassung durch Einbildungskraft
(Ia2) Gegenstände der Natur zweckmäßig für systematische Erkenntnis
(Ib) inhaltlich Nützlichkeit für praktische Bedürfnisse
(II) Zweckmäßigkeit („Zweckentstandenheit“ bzw. „Artefaktizität“) (IIa) Zweckursache ausserhalb des Artefakts
(IIb) Zweckursache im Artefakt selbst
Für einige Konstruktionen von Zweckmäßigkeit bei Kant gibt es keine Zuordnung in diesem Schaubild. Dazu gehören das Angenehme, das Kant in der EE als einen Fall von Zweckmäßigkeit verstanden wissen will,65 das Erhabene und das Moralische,66 ferner geometrische Formen und Vollkommenheit (auf deren beider Problematik später noch ausführlich eingegangen wird). Für alle anderen Verwendungsweisen von „Zweckmäßigkeit“ bei Kant läßt sich eine Entsprechung im Schaubild finden. Eine kantische Besonderheit ist die Spezifizierung von Zweckmäßigkeit in eine inhaltliche (hier: Ib), die wohl allein für dasjenige in Frage kommt, was man umgangssprachlich unter Nützlichkeit versteht, und eine formale (Ia), die Kant auch „subjektive Zweckmäßigkeit“67 nennt. Sie steckt den für die Ästhetik eigentlich interessanten Bereich ab. Ihre weitere Spezifikation (hier in Ia1 und Ia2), läßt sich zwar aus der „Einleitung“ rekonstruieren, wird aber nicht einmal dort von Kant konsequent durchgeführt. Am Anfang der KtU thematisiert er die „subjektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besonderen Gesetzen zu der Faßlichkeit für die menschliche Urteilskraft und der Möglichkeit der Verknüpfung der besonderen Erfahrungen in ein System derselben“, und „unter den vielen
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Das Angenehme als einen Fall von Zweckmäßigkeit zu verstehen („subjektiv empirische Zweckmäßigkeit“ [Bd. 20, S. 248]), hieße, es als etwas Zweckmäßiges für Lust anzusetzen. Wird Lust als Zweck verstanden, wäre das Angenehme aber ein Fall des Guten, was laut „Analytik“ (7ff.) ausgeschlossen ist. Der Versuch einer Einordnung dieser beiden Fälle, die Kant nur mühsam mit der Terminologie der Zweckmäßigkeit zusammenbringen kann, trägt in systematischer Hinsicht wenig ein. EE, Bd. 20, S. 233.
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Produkten derselben“, heißt es weiter, müsse es auch solche geben, „die, als ob sie ganz eigentlich für unsere Urteilskraft angelegt wären, solche spezifische ihr angemessene Formen enthalten, [...] denen man [...] den Namen schöner Formen beilegt“ (267). So gesehen erscheint die formale Zweckmäßigkeit, wie sie dem Schönen zugrunde liegt (Ia1), als ein Sonderfall einer breiter ausgelegten formalen Zweckmäßigkeit (Ia2), wie Kant sie an anderer Stelle auch „logische Zweckmäßigkeit“ nennt.68 Die inhaltliche Zweckmäßigkeit, die originäre Nützlichkeit, nennt Kant auch „objektive Zweckmäßigkeit“ bzw. „äußere“ objektive Zweckmäßigkeit (44). Der Ausdruck „objektive Zweckmäßigkeit“ ist aber meist für dasjenige reserviert, was hier Artefaktizität (II) genannt wird. An einer Stelle stellt Kant die „Nutzbarkeit“ als „objektive und materiale“ und „relative“ Zweckmäßigkeit (279f.) der objektiv-materialen Zweckmäßigkeit der organisierten Wesen gegenüber, die eine „innere“ sei, und er versteht hier unter objektiv-materialer Zweckmäßigkeit die Entstandenheit von etwas durch einen „Zweck der Natur“. Hier geht es also um den Schluß von „äußerer Nützlichkeit“ auf Artefaktizität, der aber nicht zwingend ist, weil etwas im vollen Sinn nützlich sein kann, ohne deswegen gleich ein Artefakt sein zu müssen, wie Kant selbst gleich darauf hervorhebt (280). Wenn von der „bloßen Form der Zweckmäßigkeit“ die Rede ist, meint Kant einen Fall, in dem das Prädikat „zweckmäßig“ nur in einem problematischen Sinn gebraucht werden darf, wobei sich dieser Gebrauch aber dadurch legitimiert, daß immerhin die Form der Zweckmäßigkeit vorliegt. Bei dieser, als „bloße Form der Artefaktizität“ verstanden, müßte es sich um etwas Formales handeln, das gewissermaßen alle Artefakte gemein haben, aber nicht als eine Eigenschaft „Artefaktizität“, denn dann wäre die Redeweise von der „bloßen Form“ nicht verständlich. Es muß sich vielmehr um etwas handeln, das die Deutung von etwas als Artefakt bloß nahelegt, in der Art, daß die Aussage, ein Ding habe diese Form, noch nicht damit gleichbedeutend ist, Artefaktizität von ihm zu prädizieren. Diese Formel kann auf beide Arten von Artefaktizität angewendet werden. Im Fall von (IIb) wäre klar, daß die Form von Artefaktizität „Organisiertheit“ heißen müßte, die wiederum darin besteht, daß Teile eines Gegenstands sich wechselseitig Mittel und Zweck – also zweckmäßig in der eigentlichen Bedeutung – sind. Weniger klar ist, was im anderen Fall (IIa) dafür in Frage käme. Es müßte wohl auch hier die Struktur von Nützlichkeit (jetzt in Hinblick auf das Objekt als ganzes) vorliegen, da sie der einzige Anlaß dafür scheint, etwas als Artefakt zu bestimmen. Aber zu sagen, daß Nützlichkeit „die Form von Artefaktizität“ ist, wäre unsinnig,
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EE, Bd. 20, S. 217.
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weil im Sinn von inhaltlicher Nützlichkeit etwas nur durch seinen Inhalt, aber nie durch seine Form nützlich wird. Es könnte aber einen formalen Grund dafür geben, von Nützlichkeit zu sprechen, und dieser wäre gleichermaßen ein formaler Grund, auf Artefaktizität zu schließen.69 Den Ausdruck „bloße Form der Zweckmäßigkeit“ auf den Fall Ia anzuwenden, ist offenbar schwierig (darin ist die Formalität der Zweckmäßigkeit schon beinhaltet), wenn er nicht einfach eine andere Formulierung von „formaler Zweckmäßigkeit“ darstellen soll. Weil die „Form der Zweckmäßigkeit“ nicht so etwas sein kann wie „Tischform“ oder „Kreisform“ – das wäre Inhalt – muß es sich hier um eine Form höherer Ordnung handeln, um etwas also, das nützliche Formen von nicht nützlichen Formen unterscheidet, und das, wenn es dies gäbe, auch als Grundlage für die Bestimmung von etwas als Artefakt dienen könnte. Ob dergleichen anzusetzen sinnvoll ist, muß sich im weiteren Verlauf klären. Kant mag Zweckmäßigkeit im Sinn von Nützlichkeit und Artefaktizität am Anfang seiner ästhetischen Konzeption gleichermaßen im Blick gehabt haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, als er offensichtlich noch gar nicht daran dachte, eine von der Ästhetik gesonderte Teleologie zu verfassen. Wenn er aber dasjenige, was hier als „Nützlichkeit“ und „Artefaktizität“ auseinandergehalten wird, offenbar immer zusammendenkt bzw. beim einen schnell aufs andere zu sprechen kommt, darf mit Blick auf die Ästhetik ein entscheidender Punkt nicht vergessen werden, und dieser Punkt ist auch der Grund, warum die Trennung von „Nützlichkeit“ und „Artefaktizität“ hilfreich ist, um den Überblick über die systematischen Fäden der KU zu behalten: Für den ästhetischen Kontext ist entscheidend, daß nur die linke Seite des obigen Schaubilds einen Zweckmäßigkeitsbegriff zugrundelegt, der unmittelbar zur Erklärung einer Lust in Frage kommt. Bei Vorliegen von „Zweckmäßigkeit“ im Sinn von Artefaktizität müßte, wie schon angedeutet, eine Erklärung für so etwas wie ein Wohlgefallen erst noch geleistet werden. Wie ein ästhetisches Verständnis der Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ mit der Bedeutung
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Von der Nützlichkeit eines Steins, auf dem man etwas zerschlagen oder bauen kann, auf dessen Artefaktizität zu schließen, sei nicht zulässig; bei einem Auge, das zum Sehen tauglich ist, dagegen wohl. Es sei nämlich „in der Form und in dem Bau desselben eine Nothwendigkeit, auf gewisse Weise gebildet zu sein“ (EE, Bd. 20, S. 240; – vgl. auch Bd. 20, S. 217, wo es heißt, „Erden, Steine, Mineralien“ seien „ohne alle zweckmäßige Form“ ). Das Formale, das zum Schluß auf Artefaktizität berechtigt, kann aber nicht einfach als „Organisiertheit“ bezeichnet werden, sondern muß schon von den einzelnen Teilen des organisch Zusammenstimmenden gelten, da bereits die Form der „Crystallinse im Auge“ (236), die Kant zuvor behandelt hat, den entscheidenden Unterschied etwa zum Stein aufweist. Zur Antwort auf die Frage, wie sich dieses Formale näher charakterisieren läßt, siehe unten, S. 81f.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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von „Zweckdienlichkeit“ konstruiert werden kann, muß freilich rätselhaft erscheinen. 4. Zweckmäßigkeit der Form im §11 Um die zuletzt angeklungene Frage anzugehen, soll nach diesem Exkurs nun wieder zum Gedankengang der AS, der nur bis zum §10 entwickelt worden ist, zurückgekehrt werden. Dabei ist der Blick vor allem auf Zweckmäßigkeit, soweit sie die Semantik von Nützlichkeit und damit Interessiertheit bei sich führt, zu richten. Eine deutliche Verbindung zwischen Zweckbegriff und Interesse stellt Kant gleich am Anfang des §11 her. „Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird“, heißt es dort, „führt immer ein Interesse als Bestimmungsgrund des Urteils über den Gegenstand der Lust bei sich“ (34). Im Anschluß unternimmt es Kant, diesen Zweckbegriff mit den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung zusammenzubringen und auf sie anzuwenden. Dazu folgt eine knappe Zusammenfassung der beiden zentralen Resultate der ersten beiden „Momente“ der „Analytik“, nämlich erstens: „Kein Begriff des Guten kann das Geschmacksurteil bestimmen [...],70 welches also keinen Begriff von der Beschaffenheit [...] des Gegenstandes [...] betrifft“ (34).71 Und zweitens: Kein Begriff, „sondern bloß das Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden“ (ebd.), liege dem Geschmacksurteil zugrunde. Letzterer Punkt ist die Neuerung des §9, und dessen Konstruktion, jenes besondere, zusammenstimmende Verhältnis der Vorstellungskräfte, soll durch die Implementierung des Begriffs von Zweckmäßigkeit erklärt werden. Ganz unabhängig von der Frage, was in diesem Zusammenhang als das Zweckmäßige gelten kann, läßt sich damit bereits angeben, wofür es zweckmäßig sein soll, nämlich für die Aufgabe der Vorstellungskräfte. Um das zu sehen, ist einfach der Begriff der Zweckmäßigkeit in das Ergebnis des §9 einzusetzen: Was dort als das „schickliche Verhältnis“ von Verstand und Einbildungskraft beschrieben wurde, ist eine Voraussetzung, die zum Zwecke der Erkenntnis erfüllt sein muß. Dasjenige
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Hier folgt: „weil es ein ästhetisches und kein Erkenntnisurteil ist“. Das entspricht aber nicht dem Argumentationsgang am Anfang der „Analytik“: Nicht deshalb, weil das ästhetische Urteil kein Erkenntnisurteil ist, kommt das Gute nicht in Betracht zur Erklärung desselben, sondern, weil das ästhetische Urteil uninteressiert ist, besteht eine Opposition zum Guten – und deshalb kann das ästhetische Urteil nicht auf Begriffe gegründet sein. Ausgeblendet habe ich hier den dritten Aspekt, den Kant auch noch in diesen Satz packt: Nach „Beschaffenheit“ folgt: „und inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes durch diese oder jene Ursache“. Damit bringt er die Zweck-Terminologie des §10 ins Spiel.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Anschauungsmaterial, das diese Voraussetzung in vorzüglicher Weise erfüllt, ist in Hinblick auf den Zweck der Erkenntnis zweckmäßig und Grund für das ästhetische Wohlgefallen. Berücksichtigt man also einerseits, daß die fragliche Zweckmäßigkeit in das Spannungsfeld von Interessiertheit und Interesselosigkeit gestellt werden soll, und daß andererseits der Ort der ästhetischen Interesselosigkeit im Rahmen der Tätigkeit der Erkenntniskräfte liegt, die zu einem Gegenstand immer erst führen kann, spricht nicht viel dafür, die „subjektive Zweckmäßigkeit“ im teleologischen Sinn zu verstehen. Wollte man den Sinn von Zweckmäßigkeit gemäß dem §10 konstruieren, müßte man nach einem Gegenstand Ausschau halten, der zumindest möglicherweise die Wirkung einer nach Zwecken wirkenden Ursache wäre. Das Zweckmäßige kann hier aber genaugenommen kein Gegenstand sein, nichts also, bei dem sich die Frage nach seiner Entstehung stellte. Eine klare Antwort auf die Frage nach dem Zweckmäßigen der geforderten Zweckmäßigkeits- bzw. Zweckdienlichkeitsrelation gibt der §11 nicht. Die Zweckmäßigkeit, die in der „Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird“ (35), zum Tragen kommen soll, jene noch vor der Erkenntnis des Objekts sich auswirkende „subjektive Zweckmäßigkeit“, bezeichnet Kant auch als „bloße Form der Zweckmäßigkeit“, die sich aber auf Zweckmäßigkeit im Sinn von Zweckdienlichkeit nicht leicht anwenden läßt. Man könnte zwar als „Form“ der Zweckmäßigkeit die Struktur „x ist zweckmäßig für y“ heranziehen.72 Doch soll bei Kant diese Struktur in irgendeiner Weise auch erfüllt sein, denn es geht darum, ein Wohlgefallen zu erklären. Für dieses muß es einen Anlaß geben – also etwas Zweckmäßiges. Doch nimmt man die folgenden Paragraphen der AS hinzu, wo Kant auch von einer „formalen Zweckmäßigkeit“ (36) und einer „Zweckmäßigkeit der Form“ (38) spricht, wird die Bedeutung des Formbegriffs klarer. Zumindest soviel deutet sich da an, daß der Begriff der Form Kant als positive Formulierung für einen sonst immer nur negativ gekennzeichneten Sachverhalt dient. Fest steht seit dem §4, daß der schöne Gegenstand nicht durch einen Begriff gefällt, weil das bedeuten würde, daß er als Mittel gefiele. Nicht weil das Ding dies oder jenes ist, etwa ein Tisch oder ein besonders fester Tisch, ein Messer oder ein besonders scharfes Messer, gefällt der schöne Gegenstand. Anders als beim Guten hat man beim Schönen deshalb nicht nötig zu wissen, „was der Gegenstand für ein Ding sein solle“ (10). Praktisch gefallende Gegenstände weisen eine in diesem Sinn „inhaltliche“ Zweckmäßigkeit auf, insofern sich nämlich ihre Zweckmäßigkeit darauf gründet, wie sie inhaltlich bestimmt sind. Ein als „Tisch“
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So Kulenkampff in Kants Logik des ästhetischen Urteils, S. 227.
A. Ästhetische Präferenz und der Begriff der Zweckmäßigkeit bei Kant
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bestimmter Gegenstand ist durch den Sachgehalt „Tisch“, also eben durch seine „Bestimmung“ als Tisch, zweckmäßig zu seinem Gebrauch. Auf die naheliegende Frage, aufgrund wovon ein Gegenstand sonst Anlaß für ein Wohlgefallen sein könnte, ist der Formbegriff nun die Antwort. Anlaß für das ästhetische Wohlgefallen ist die Zweckmäßigkeit, die nicht durch den Inhalt des Gegenstands konstituiert wird, sondern durch seine Form. Da die Zweckmäßigkeit der Form „in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird“ (35) zum Tragen kommen soll, liegt fragliche Zweckmäßigkeit also offenbar nicht beim Objekt, sofern es erkannt werden kann. Die Zweckmäßigkeit der Form soll sich erweisen, noch bevor der Gegenstand durch diesen oder jenen Begriff bestimmt ist. In der „Einleitung“ spricht Kant entsprechend auch von einer „Zweckmäßigkeit [...], die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht“ (XLIII). Die Antwort auf die Frage, was in diesem Zusammenhang das Zweckmäßige ist – wenn nicht das Objekt – ergibt sich in der „Einleitung“ aus folgender Textpassage: „Wenn mit der bloßen Auffassung (apprehensio) der Form eines Gegenstandes der Anschauung, ohne Beziehung derselben auf einen Begriff zu einem bestimmten Erkenntnis, Lust verbunden ist: so wird die Vorstellung dadurch nicht auf das Objekt, sondern lediglich auf das Subjekt bezogen“ (XLIV); die Lust drücke demnach „nichts anderes als die Angemessenheit desselben zu den Erkenntnisvermögen“ (ebd.) aus. Mit „desselben“ kann Kant hier zwar nur das Objekt meinen, doch ist das eigentlich Zweckmäßige etwas Subjektives, bloße Form, die sich zur „Absicht“ ihrer Auffassung als zweckmäßig erweist. Um zu verdeutlichen, warum diese Zweckmäßigkeit, obwohl sie eine Hinsicht, also ein Wofür hat, nichtpraktisch bzw. „ohne Zweck“ ist, sei noch einmal auf die schon erwähnten Passagen aus der „Einleitung“ verwiesen: Diese Zweckmäßigkeit ist interesselos, weil ihr „Zweck“ bzw. die dahinterstehende „Absicht“ zur Erkenntnis gehört. Die im fraglichen Kontext auftretende Lust kommt „bloß durch die Beziehung des Objekts auf das Erkenntnisvermögen“ zustande, und „ohne daß der Begriff der Zweckmäßigkeit hier im mindesten auf das Begehrungsvermögen Rücksicht nimmt“ (XXXIX). Deshalb kommt Kant zu dem Schluß, daß sich die in diesem Zusammenhang auftretende Zweckmäßigkeit „also von aller praktischen Zweckmäßigkeit der Natur gänzlich unterscheidet“ (ebd.). Sie ist jeglicher praktischen Zweckmäßigkeit vorgeordnet.
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B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten 1. Vollkommenheit und formale Zweckmäßigkeit im §15 Der §15 versucht, den positiven Sinn einer ästhetisch-interesselosen Zweckmäßigkeit in der Gegenüberstellung mit der nichtästhetischen, der „objektiven“ Zweckmäßigkeit zu gewinnen. Es ist die Pointe des §15, daß diese nichtästhetische Zweckmäßigkeit nicht gleichbedeutend sein soll mit Nützlichkeit, sondern auch das Phänomen der Vollkommenheit umfasse. In der Zurückweisung von dergleichen wie Vollkommenheit zur Erklärung des ästhetischen Wohlgefallens liegt bekanntlich eine der charakteristischen Besonderheiten der kantischen Konzeption gegenüber den Ansätzen seiner Vorgänger.73 Die Vollkommenheit, die „dem Prädikate der Schönheit schon näher“ (44) komme als die Nützlichkeit, verhält sich offenbar zu dieser wie die Art einer Gattung zu einer anderen Art derselben Gattung: Während es sich bei Nützlichkeit um „äußere“ objektive Zweckmäßigkeit handeln soll, bezeichnet Kant die Vollkommenheit entsprechend als „innere“ objektive Zweckmäßigkeit (44). Warum Nützlichkeit als „äußere“ objektive Zweckmäßigkeit verstanden wird, läßt sich leicht nachvollziehen, obwohl Kant diesen Ausdruck nicht näher erläutert: Insofern die Struktur von Nützlichkeit darin besteht, daß etwas nützlich ist für etwas anderes, also etwas außer ihm Liegendes, und damit Nützlichkeit eine Relation zwischen zwei Entitäten darstellt, ist das dadurch beschriebene Verhältnis konsequenterweise ein äußeres. Jene „innere objektive Zweckmäßigkeit“ soll demgegenüber offenbar eine Relation innerhalb ein und desselben Gegenstandes beschreiben. Kant führt in diesem Zusammenhang den Begriff eines „inneren Zwecks“ (45) ein. Was ist nun der Grund, daß die so verstandene Vollkommenheit nicht zur Erklärung von Schönheit in Frage kommt? „Um sich eine objektive Zweckmäßigkeit an einem Dinge vorzustellen“, so Kant, müsse „der Begriff von diesem, was es für ein Ding sein solle, vorangehen; und die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben zu diesem Begriffe
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Vgl. Baumgarten, Aesthetica, §14ff.; G. Fr. Meier, Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, §1. Mit der Ablehnung des Vollkommenheitsbegriffs distanziert sich Kant insbesondere auch von eigenen früheren Ansichten, denn er hat im ästhetischen Kontext auf den Vollkommenheitsbegriff bis zur KU immer wieder gerne zurückgegriffen; auch in nach 1788 datierten Vorlesungsmitschriften tauchen noch Reste des alten Vollkommenheitsbegriffs in ästhetischen Zusammenhängen auf, ohne daß sie dort kritisiert würden (vgl. Bd. 24, S. 514 und 705).
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten
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(welcher die Regel der Verbindung desselben an ihm gibt)“, sei die Vollkommenheit eines Dinges (45). Diese Zusammenstimmung des Dinges zu dem, was es sein soll, also zu seinem Begriff, laufe auf eine vorbildliche Entsprechung des Dings zu seinem Zweck hinaus – ganz wie im Fall der Nützlichkeit. In beiden Fällen „bedürfen wir jederzeit den Begriff eines Zwecks“ (ebd.). Das Schöne soll dagegen „durch keinen Begriff eines Zwecks gedacht“ (46) werden. Anders als dem Vollkommenen liege dem Schönen eine formale Zweckmäßigkeit zugrunde; Schönheit werde durch eine „bloße Form“ konstituiert. Demnach lautet also der Einwand gegen das Prinzip der Vollkommenheit, dabei handele es sich um etwas Inhaltliches; eine Auszeichnung eines Dinges durch das Prädikat „vollkommen“ sei als Ausdruck einer inhaltlichen Präferenz zu verstehen. Das muß man sich so zurechtlegen, daß auch das Wohlgefallen an etwas Vollkommenem letztlich darauf beruhen soll, ob das Ding als dieses oder jenes bestimmt wird. Dies zwar nicht direkt, wie im Fall der Nützlichkeit, aber wenigstens indirekt, weil jeder Begriff am Ende den Zweck einer Sache zum Ausdruck bringt; und erst mit Blick auf diesen Zweck erhält das Prädikat „vollkommen“ seinen positiv-wertenden Gehalt. Der Unterschied zwischen Vollkommenheit und Schönheit bestehe darin, so Kant, daß letztere eine Zusammenstimmung des Mannigfaltigen im Ding ohne Wofür, also nicht zu einem bestimmten Zweck sei, nämlich die „Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt, was es sein solle)“ (45). Anders als beim Schönen werde bei der Beurteilung der Vollkommenheit einer Sache nicht vom Zweck dieses Objekts „abstrahiert“ (46). Daß ein vollkommenes Objekt letztlich in Bezug auf einen bestimmten Zweck gefällt, illustriert Kant am Beispiel einer kreisrunden Waldlichtung: Wie z.B., wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume im Zirkel stehen, und ich mir dabei nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum ländlichen Tanz dienen solle, vorstelle, nicht der mindeste Begriff von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird (46).
In diesem Kontext fallen nun wertvolle Formulierungen zur Charakterisierung des ästhetischen Wohlgefallens und der formalen Zweckmäßigkeit, die ihm zugrundeliegen soll, weil Kant hier nicht nur andeutet, was Schönheit negativ von Vollkommenheit unterscheiden soll (die fehlende Hinsicht auf einen Begriff bzw. Zweck vom Gegenstand), sondern darüber hinaus positiv angibt, was übrigbleibt, wenn von einem bestimmten Zweck des Gegenstands abstrahiert bzw. abgesehen wird: Die bei Absehen von einem Zweck zurückbleibende ästhetische Zweckmäßigkeit sei nämlich „nichts als die subjektive Zweckmäßigkeit [...] des Vorstellungszustandes im Subjekt, und in diesem eine Behaglichkeit desselben, eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen“ (46).
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Das bei Abstraktion von bestimmten Zwecken Zweckmäßige ist also die Zweckmäßigkeit „des Vorstellungszustandes“ im Subjekt, und diese Zweckmäßigkeit beschreibt Kant näher als die „Behaglichkeit“ (des Subjekts oder des Vorstellungszustandes), „eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen“. Wie der Ausdruck „behaglich“ durch die mitschwingende Bedeutung von „bequem“ bzw. „passend“ andeutet, ist der Anlaß für das ästhetische Wohlgefallen, daß die „gegebene Form“ für ihre Auffassung in ausgezeichneter Weise geeignet ist und somit den Anforderungen der Einbildungskraft vorbildlich entgegenkommt. Die im §9 beschriebene Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte anläßlich einer gegebenen Vorstellung (28) wird also hier konkretisiert: Es ist eine in Hinblick auf die Arbeit der Einbildungskraft besonders geeignete Form des Gegenstandes, die diese Übereinstimmung ermöglicht, und dieses Phänomen, dem nur „das Formale in der Vorstellung eines Dinges, d.i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt was es sein solle)“ (45) zugrunde liegt, nennt Kant nun „subjektive Zweckmäßigkeit“. Diese so verstandene ästhetische, nämlich formale Zweckmäßigkeit geht von dem ursprünglichen Verständnis von Zweckmäßigkeit im Sinn von Zweckdienlichkeit bzw. Nützlichkeit aus. Das „ohne Zweck“ der Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ heißt hier im §15, daß von einem bestimmten praktischen Zweck abgesehen wird. Das läuft nicht auf die Paradoxie hinaus, etwas könne als zweckdienlich für etwas angesehen werden, ohne daß eine Hinsicht gedacht werde. Diese Paradoxie vermeidet Kant, indem er darauf hinweist: Die Zweckmäßigkeit, die zurückbleibt, wenn von einem bestimmten Zweck abgesehen wird, ist nicht etwa die Zweckmäßigkeit zu eben diesem Zweck, (das wäre widersprüchlich), sondern eine ganz andere. Es ist schließlich nicht das Ding, das zweckmäßig genannt wird, sondern es sind die „Vorstellungen im Gemüte des Anschauenden“ bzw. der „Vorstellungszustand“, also etwas Subjektives. Und aus dieser Zweckmäßigkeit im Zusammenhang mit besagten „Vorstellungen im Gemüte des Anschauenden“ läßt sich so etwas wie ein nichtpraktischer Zweck konstruieren: Es soll etwas geben, nämlich eine Form, das gewissen Anforderungen genügt, und zwar den Anforderungen der Einbildungskraft. Von einem „Zweck“ läßt sich also insofern sprechen, als die Einbildungskraft eine Aufgabe zu erfüllen hat, nämlich eine gegebene Form „aufzufassen“, und es ist naheliegend, daß manche Formen diesem Anliegen eher genügen können als andere, daß also manche Formen die Arbeit der Einbildungskraft erleichtern, so gesehen ein passendes Mittel zu einem Zweck darstellen. Bei der Formel von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ muß gemäß dem §15 daher das „ohne Zweck“ verstanden werden als „ohne praktischen Zweck“, während sich in
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten
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einem anderen Sinn sehr wohl etwas als zweckmäßig zu etwas erweist, aber nur in einem theoretischen Sinn, indem etwas („eine gegebene Form“) zweckmäßig ist für einen theoretischen Zweck, bzw. einen Zweck, wie er sich im Zusammenhang mit der Aufgabe der Erkenntniskräfte ergibt. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel der runden Waldlichtung, bei dem zu klären ist, wofür es stehen soll. Einiges deutet darauf hin, daß Kant hier ein Beispiel für etwas Schönes nennt. So hat er im selben Absatz kurz zuvor ausgeführt, beim Schönen müsse von seinem Zweck „abstrahiert“ werden, und was das bedeuten soll, ließe sich anhand der kreisrunden Waldlichtung illustrieren: Wenn ich mir „dabei nicht einen Zweck [...] vorstelle“ (46), etwa den bestimmten Zweck eines „ländlichen Tanzes“, wird „durch die bloße Form“ nicht „der mindeste Begriff von Vollkommenheit gegeben“ (ebd.). Zwischen der Kreisform und einem „ländlichen Tanz“ besteht nicht immer schon ein Zusammenhang, man kann hier also von einem solchen bestimmten Zweck auch absehen. Und abstrahiert man nun bei einem kreisrunden Naturobjekt von jeglichem bestimmten Zweck, scheint durchaus etwas übrigzubleiben, das in irgendeiner Weise bemerkenswert ist: die runde Form, die ein solches Objekt von anderen Naturgegenständen abhebt. In einer Vorlesung, in der Kant auf das Beispiel eines „Amphitheaters im Walde“ zu sprechen kommt, hebt er dessen Besonderheit durch den Hinweis hervor, daß „es kunst zu seyn scheint“, also Artefakt zu sein scheint.74 Dieser Anschein muß in einer formalen Besonderheit gründen – der Kreisform. Was bei einem kreisrunden Objekt wie der Waldlichtung bei Absehen von jeglichem Zweck übrigbleibt, paßt zudem gut zu der Beschreibung, wonach das ästhetisch wohlgefallende Objekt auf die „Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt, was es sein solle)“ (45) zurückzuführen sei. Die Kreisform ist ein vorbildliches Beispiel dafür, wie Einheit in einem Mannigfaltigen der Anschauung auftreten kann: Alle Punkte auf der Kreislinie haben gemeinsam, daß sie den gleichen Abstand zu einem bestimmten Punkt aufweisen. Es ist naheliegend, daß eine solche Form den Erkenntniskräften bei der Aufgabe ihrer Auffassung entgegenkommt und sich damit für diese als besonders „behaglich“ erweist. Und diese formale Besonderheit ist nicht gleich mit bestimmten praktischen Zwecken in Verbindung zu bringen. Denkbar wäre allerdings auch, daß das Beispiel der Lichtung im §15 nicht für ein schönes Objekt stehen soll, sondern lediglich als negatives Beispiel für etwas dient, von dem unter Absehen von einem bestimmten Zweck keine Vollkommenheit ausgesagt werden dürfe. Dann aber müßte
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Bd. 25, S. 1510. Kant versteht im dortigen Zusammenhang das runde Objekt übrigens eindeutig als Beispiel für etwas Schönes.
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Kant die formale Besonderheit eines kreisrunden Naturobjekts leugnen bzw. vertreten, daß die Besonderheit von solchen Naturobjekten gegenüber anderen erst durch das Hinzudenken von so etwas wie einem praktischen Zweck zustande käme. Das ist reichlich kontraintuitiv, zumal er ja an anderer Stelle betont, daß es Objekte gibt, deren Artefakt-Sein man erkennt, ohne daß klar wäre, zu welchem bestimmten Zweck sie dienen. Bei jenen „steinernen Geräten“ archäologischer Grabfunde, auf die er in einer Anmerkung verweist (61), läßt sich trotz Unkenntnis ihres Zwecks auf die Ursache, die dahinter steckt, schließen. Dafür muß es eine formale Besonderheit geben, nämlich ihre „Gestalt“ (ebd.), die sich durch gerade oder gekrümmte Linien auszeichnet.75 Sollte es sich bei dem Beispiel der Waldlichtung nicht um etwas Schönes handeln, lieferte Kant damit ein Beispiel für eine bloß formale Auszeichnung einer Sache, die mit Blick auf das Argumentationsziel die Lage komplizieren würde, weil es die Besonderheit der Schönheit als formaler Zweckmäßigkeit weiter erklärungsbedürftig machen würde. Aber ganz unabhängig von der Frage, ob bei Absehen von einem bestimmten Zweck im Fall der Waldlichtung Schönheit vorliegen soll oder nicht, ist Kants These von der Vollkommenheit als inhaltlichem Prinzip irritierend. Von welch großer Bedeutung es für Kant ist, das Wohlgefallen an Vollkommenheit auf eine inhaltliche Präferenz zurückzuführen, kann man an der Vehemenz ablesen, mit der er die Vorstellung von Vollkommenheit als bloß formaler Auszeichnung eines Dings zurückweist: Eine formale objektive Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d.i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begriff von dem, wozu zusammengestimmt wird, wenn es auch bloß die Idee einer Gesetzmäßigkeit überhaupt wäre), sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch (46).
Das sind schwere Geschütze, die Kant hier gegen die Möglichkeit von so etwas wie einer „formalen Vollkommenheit“ auffährt; es könne sich dabei allenfalls um eine „vorgeblich-formale [...] Zweckmäßigkeit“ (47) handeln, sagt er. Aber die Redeweise von einem „Widerspruch“ in diesem Zusam-
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Dabei handelt es sich hier, weil Artefakt, ausdrücklich um kein Beispiel für etwas Schönes. Sofern Kant ästhetisch-teleologisch argumentiert, hat er es wohl allein auf die These abgesehen, daß Natur, die „Kunst zu sein scheint“, schön ist (vgl. die oben zitierte Stelle Bd. Bd. 25, S. 1510 bzw. den §45: „Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah“). Immerhin hat Kant an anderer Stelle auch bei Artefakten „Abgemessenheit und Ordnung“ als Indiz für Schönheit angesehen (siehe unten, Anm. 101). Im hiesigen Kontext geht es aber, wohlgemerkt, allein um die Besonderheit der Form solcher Dinge, nicht um die Frage des Vorliegens von Artefaktizität, wie in der von der Ästhetik abgesonderten Teleologie. Dort kann Kant dann im Zusammenhang mit solchen Beispielen von einer „materialen“ Zweckmäßigkeit sprechen, weil „ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu beurteilen ist“ (279) und dabei von der formalen Besonderheit von Dingen auf einen nach bestimmten Zwecken handelnden Urheber geschlossen wird.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten
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menhang ist erläuterungsbedürftig. Worin sollte der bestehen? Daß dieser drastische Wortgebrauch in keinem Verhältnis zu Kants Sicherheit in diesem Punkt steht, kann man an der später entstandenen EE ablesen. Dort sagt Kant: „Die Vollkommenheit eines Dinges in Beziehung seines Mannigfaltigen auf einen Begriff desselben ist nur formal“76, und damit räumt er genau dasjenige ein, was gemäß §15 ein „wahrer Widerspruch“ sein soll. Wie Kant in der EE zugibt, ist die vorbildliche Zusammenstimmung eines Dings zu seinem Begriff, weil es unerheblich ist, mit welchem Begriff sie stattfindet, nicht inhaltlicher, sondern formaler Natur. Nicht durch den Inhalt des Begriffs wird hier der Gegenstand in irgendeiner Weise hervorgehoben, und nur dann wäre Vollkommenheit eine inhaltliche Auszeichnung. Die geschilderte Behandlung des Begriffs der Vollkommenheit hält Kant in einer späteren Phase seiner Konzeption also nicht aufrecht. Die Überlegungen, die ihn in der Zwischenzeit dazu veranlaßt haben, diese Korrektur vorzunehmen, lassen sich, wie im folgenden gezeigt werden soll, nachzeichnen. 2. Die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ Mit einem Nachtrag, der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“,77 liefert Kant eine wichtige Ergänzung zum §15. Im ersten Absatz der „Anmerkung“ revidiert er die Haltung des §15 zum Begriff der Vollkommenheit, wenn auch unauffällig, indem er sagt: Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren genötigt wird, so wird ihr Produkt, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es sein soll; aber alsdann ist das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am
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Bd. 20. S. 228. Kant nennt solche formale Vollkommenheit „ontologisch“ (ebd.). Davon unterscheidet er einen „teleologischen“ Sinn des Begriffs, der wiederum „objectiv und material“ sei. Diese Unterscheidung rettet die im §15 behauptete Inhaltlichkeit der Vollkommenheit nicht, denn im Kontext von Schönheit ist der ontologische Sinn von Vollkommenheit mindestens genauso interessant wie der teleologische, wenn nicht sogar interessanter. Guyer bemerkt in Kant and the Claims of Taste, die „Allgemeine Anmerkung“ sei „clearly not just a continuation of the argument of that section“, versteht sie aber als „concluding remark on the whole of the Analytic of the Beautiful, which may consequently be used in its interpretation without consideration of its location“ (S. 91 Anm. 69). Unstrittig ist, daß sich die „Anmerkung“ nicht etwa auf den §22 bezieht, sondern auf die gesamte „Analytik“. Den Status einer abschließenden („concluding“) Bemerkung hat sie aber nicht, sondern den eines Nachtrags (so wie die „Allgemeine Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflektierenden Urteile“ eindeutig ein Nachtrag zur AS ist, weil sie die Liste der Arten von Wohlgefallen um das Erhabene ergänzt). Nur wenige Passagen in der AS weisen zur „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ eine inhaltliche Verbindung auf (dazu siehe unten, S. 91-104).
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Schönen, sondern am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen) (69)78.
Durch den Inhalt der Klammer macht Kant aus der Sicht des §15 etwas Erstaunliches: Durch die Ergänzung „allenfalls bloß der formalen“79 wird dem Prädikat „formal“ ganz beiläufig gestattet, Vollkommenheit näher zu spezifizieren. Im §15 wäre dies undenkbar gewesen, war „formal“ doch stets für die ästhetische Zweckmäßigkeit reserviert, um den Gegensatz zu Vollkommenheit zu verdeutlichen. Zur Erinnerung: Eine formale objektive Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d.i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne alle Materie und Begriff von dem, wozu zusammengestimmt wird [...]), sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch (46).
Der Sinneswandel bei Kant deutet sich im eingangs angeführten Zitat der „Allgemeinen Anmerkung“ schon da an, wo es heißt, das „Produkt“ werde „der Form nach, durch Begriffe bestimmt“. Ganz anders als im §15, wo die „bloße Form“ des Gegenstandes und der „bestimmte Begriff“ ein Gegensatzpaar bildeten, in dessen Mitte der Graben zwischen objektiver und subjektiver Zweckmäßigkeit verlief, wird jetzt offenbar schon die Form des Gegenstandes, sofern sie eine bestimmte ist bzw. sofern der Gegenstand durch sie begrifflich bestimmt wird, auf die Seite der objektiven Zweckmäßigkeit gezogen. Um zu sehen, daß hierin eine Neuerung liegt, sei an das Beispiel der kreisrunden Waldlichtung erinnert: Erst dadurch, daß man sich einen „bestimmten Zweck“ denkt, also z.B. eine „ländliche Tanzveranstaltung“, sollte von dergleichen wie „Vollkommenheit“ und damit praktischem Interesse die Rede sein können, nicht aber aufgrund der „bloßen Form“, also noch nicht dadurch, daß die Waldlichtung als „kreisförmig“ bestimmt wird. Hier in der „Allgemeinen Anmerkung“, klingt es so, als sei bereits durch die Bestimmung eines Gegenstandes, also bereits dadurch, daß ein Begriff verwendet wird, ein Fall von objektiver Zweckmäßigkeit gegeben. Kant geht hier tatsächlich weiter als im §15 und sieht schon dadurch, daß „die Vorstellung auf einen bestimmten Begriff von einem Gegenstand bezogen wird“ (69), etwas gegeben, das mit der „freien Gesetzmäßigkeit des Verstandes“ (ebd.), also mit der besonderen Freiheit der ästhetischen Einstellung, unvereinbar sei. Man beachte, daß in diesem Zusammenhang die bisherige Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ eine Abwandlung erfährt, wie sie bislang noch nicht vorgenommen wurde: Kant spricht zum ersten (und einzigen) Mal von der „Zweckmäßigkeit ohne Begriff“ (70)80, die „zur Schönheit nötig“ sei. Das klingt so, als sei es nicht erst der bestimmte Zweck, durch
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Hervorhebung von mir. Das „bloß“ muß eigentlich vor „formalen“ stehen. Hervorhebung von mir.
B. Die Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit und ihre Schwierigkeiten
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den so etwas wie Interessiertheit zustande kommt, und als sei schon die Bestimmung eines Gegenstandes Ausdruck von Interessiertheit. Daß es sich bei solchen Bemerkungen zur Terminologie um keine Spitzfindigkeiten handelt und daß zwischen den Thesen der „Allgemeinen Anmerkung“ und den Überlegungen des §15 eine Spannung besteht, zeigt sich im folgenden, wo Kant auf ganz ähnliche Beispiele zu sprechen kommt wie jene „kreisrunde Lichtung im Walde“ des §15: Niemand wird leichtlich einen Menschen von Geschmack dazu nötig finden, um an einer Zirkelgestalt mehr Wohlgefallen als an einem kritzlichen Umrisse, an einem gleichseitigen und gleicheckigen Viereck mehr als einem schiefen, ungleichseitigen, gleichsam verkrüppelten zu finden: denn dazu gehört nur gemeiner Verstand und gar kein Geschmack (70).
Der Grund, weshalb dem Wohlgefallen an einer „Zirkelgestalt“ nur „gemeiner Verstand“ und „kein Geschmack“ zugrunde liegt, wird im folgenden deutlich, wo Kant darauf abhebt, daß Dinge aufgrund ihrer bloßen Form zweckwidrig sein können, ohne daß gesagt wäre, in Hinblick auf welchen Zweck: „Ein Zimmer, dessen Wände schiefe Winkel machen, ein Gartenplatz von solcher Art, selbst alle Verletzung der Symmetrie, sowohl in der Gestalt der Tiere (z.B. einäugig zu sein) als der Gebäude oder der Blumenstücke, mißfällt, weil es zweckwidrig ist“, aber nicht nur „in Ansehung eines bestimmten Gebrauchs dieser Dinge“ (70).81 Denn: Wo eine Absicht, z.B. die Größe eines Platzes zu beurteilen, oder das Verhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen in einer Einteilung faßlich zu machen, wahrgenommen wird, da sind regelmäßige Gestalten, und zwar die von der einfachsten Art, nötig; und das Wohlgefallen ruht nicht unmittelbar auf dem Anblicke der Gestalt, sondern der Brauchbarkeit derselben zu allerlei möglicher Absicht (70)82.
Was Kant über das Phänomen der „geometrisch-regelmäßigen Gestalten“ (ebd.) in der „Allgemeinen Anmerkung“ sagt, gilt also auch von der kreisrunden Lichtung im Walde des §15, nur daß er hier zum gegenteiligen Schluß kommt. Auch ohne daß ein bestimmter Zweck wie besagte Tanzveranstaltung gedacht wird, müßte die Waldlichtung jetzt als objektiv-zweckmäßig, ein Wohlgefallen an ihr also als interessiertes angesehen werden. Ein Objekt mag zwar durch seine „bloße Form“ noch keine Nützlichkeit für einen bestimmten Zweck zeigen, so lautet der Nachtrag zum §15, wohl aber Nützlichkeit zu einem möglichen Zweck. Diesem Nachtrag zufolge muß also das Beispiel, das sich an einer früheren Stelle als Beispiel für einen Gegenstand des interesselosen Wohlgefallens lesen ließ, nun der Gegenseite, dem interessierten Wohlgefallen zugeschlagen werden. Darin liegt aber noch nicht die ganze
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Hervorhebungen von mir. Hervorhebung von mir.
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Brisanz des Vorgangs, denn nicht nur die Interpretation des Beispiels im §15 wird in der „Allgemeinen Anmerkung“ zurückgenommen, sondern auch das, was es illustrieren sollte, nämlich die Beschreibung des ästhetischen Wohlgefallens. Denn es hatte im §15 geheißen: Abstrahiert man davon, „was es sein solle“, gebe das Ding „keine objektive Zweckmäßigkeit zu erkennen“ (45 f.), „weil, da von diesem Einen als Zweck (was das Ding sein solle) abstrahiert wird, nichts als die subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellungen im Gemüt des Anschauenden übrigbleibt“ (46). Dies wird nun durch die „Allgemeine Anmerkung“ bestritten, denn die Erörterung der „geometrisch-regelmäßigen Gestalten“ hat gezeigt, daß, wird von einem bestimmten Zweck abstrahiert, sehr wohl eine praktische Zweckmäßigkeit im Sinn von Nützlichkeit übrigbleiben kann – eine Nützlichkeit zwar ohne bestimmten Zweck, dafür aber eine Brauchbarkeit „zu allerlei möglicher Absicht“. Hält man allerdings im §15 am Wortsinn der Festlegung von „objektiver Zweckmäßigkeit“ auf „Zweckmäßigkeit mit bestimmtem Zweck“ fest, wäre das, was „übrigbleibt“, in der Tat „subjektive Zweckmäßigkeit“ – und diese subjektive Zweckmäßigkeit brächte aus der Sicht der „Allgemeinen Anmerkung“ ein praktisches Interesse zum Ausdruck. Man kann diese Unstimmigkeiten nicht als nebensächlich abtun, sondern man muß hier eine irritierende Veränderung in der Konzeption registrieren. Von Interesse sind diese Beobachtungen nicht zuletzt deshalb, weil sie eine „Anmerkung“ betreffen, die nicht an die Überlegungen der vorhergehenden Paragraphen anschließt und also später hinzugefügt worden sein könnte. Die Thematik der „Allgemeinen Anmerkung“ weist zudem eine enge Entsprechung auf zu einem Paragraphen der KtU, die deutlich später entstanden ist als der erste und älteste Teil der KU, die AS. 3. Geometrische Figuren im §62 Der §62, der sich dem Phänomen geometrischer Formen widmet, beginnt mit der Beobachtung: Alle geometrischen Figuren, die nach einem Prinzip gezeichnet werden, zeigen eine mannigfaltige, oft bewunderte objektive Zweckmäßigkeit, nämlich der Tauglichkeit zur Auflösung vieler Probleme nach einem einzigen Prinzip (271).
Was Kant hier als „objektiv zweckmäßig“ bestimmt, sind keine Gegenstände (wie etwa Blumen, Tische oder Waldlichtungen), sondern „geometrische Figuren“, also Formen, d.h. Formen besonderer Art. Es sind solche Formen, „die nach einem Prinzip gezeichnet werden“, was bedeutet, daß sie nach einer Konstruktionsvorschrift stetig konstruierbar, also besonders regelmäßig sind. Ihre Zweckmäßigkeit besteht darin, daß sich
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durch sie „viele Probleme nach einem einzigen Prinzip“, also auf besonders ökonomische Weise, auflösen lassen. „Die Zweckmäßigkeit ist hier offenbar objektiv und intellektuell“, fährt Kant fort, „nicht aber bloß subjektiv und ästhetisch“ (271). Es fragt sich, warum diese Zweckmäßigkeit keine subjektive sein soll, wo doch Kant weiter unten im Text betont, daß sie „nicht aus einem Begriffe des Objekts“ (275) folge, und ihr nur die „Übereinstimmung des Objekts zu dem Bedürfnis der Regeln, welches dem Verstande eigen ist“ (276), zugrunde liege. Diese Übereinstimmung, die Kant auch als „Harmonie“ kennzeichnet, werde „aller dieser Zweckmäßigkeit ungeachtet, dennoch nicht empirisch, sondern a priori erkannt“. Deshalb sagt er, daß ich in ein regelmäßig-geometrisch geformtes Ding „die Zweckmäßigkeit hineinbringe, nicht von diesem über dieselbe empirisch belehrt werde“ (276). Die betreffende Zweckmäßigkeit sei keine subjektive, sagt Kant, „denn sie drückt die Angemessenheit der Figur zur Erzeugung vieler abgezweckten Gestalten aus und wird durch Vernunft erkannt“ (271). Hier wiederholt Kant noch einmal den Grund, warum die fragliche Zweckmäßigkeit eine objektive sei: Sie drückt die Nützlichkeit der Form „zur Erzeugung vieler abgezweckten Gestalten“ aus, zeigt also an, daß etwas als Mittel zum Erreichen eines Zwecks dient. Ein Argument gegen dergleichen wie subjektive Zweckmäßigkeit nennt er damit eigentlich nicht, denn es wäre ja prinzipiell denkbar, daß nicht nur eine objektive, sondern auch eine subjektive Zweckmäßigkeit vorliegt. Daß die erwähnte Zweckmäßigkeit, „eine Zweckmäßigkeit in dem Wesen der Dinge, die sich doch völlig a priori in ihrer Notwendigkeit darstellen“ (273) läßt, keine subjektive sein soll, verwundert, zumal ihr Kant im folgenden auch noch attestiert, sie sei „formal“:83 Diese intellektuelle Zweckmäßigkeit aber, ob sie gleich objektiv ist (nicht, wie die ästhetische, subjektiv), läßt sich gleichwohl ihrer Möglichkeit nach als bloß formale (nicht reale), d.i. als Zweckmäßigkeit, ohne daß doch ein Zweck ihr zum Grunde zu legen, mithin Teleologie dazu nötig wäre, gar wohl, aber nur im allgemeinen begreifen (274).
Was er unter der entsprechenden „realen“ Zweckmäßigkeit versteht, wird durch den erläuternden Nebensatz deutlich: Dies wäre eine, der „ein Zweck zum Grunde gelegt“ werden müsse, wie in der Teleologie, und das erläutert Kant in der Folge so, daß der Begriff eines Zwecks der Grund für die Form des Gegenstands wäre: „Es ist hiermit nicht so bewandt, als wenn ich einem in gewisse Grenzen eingeschlossenen Inbegriffe von Dingen außer mir, z.B. einem Garten, Ordnung und Regelmäßigkeit der
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Daß Kants Terminologie der AS hier unter Druck gerät, wird selten problematisiert (Vgl. aber Zammito, The Genesis of Kant’s Critique of Judgment, S. 96 und Marc-Wogau, Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft, S. 70).
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Bäume, Blumenbeete, Gänge usw. anträfe, welche ich a priori aus meiner nach einer beliebigen Regel gemachten Umgrenzung eines Raumes zu folgern nicht hoffen kann (275)“. Diese Zweckmäßigkeit sei „als real von dem Begriffe eines Zwecks abhängig“ (ebd.). Es ist bei jener „intellektuellen Zweckmäßigkeit“ also nicht so, daß ein vorderhand feststehender Zweck (wie bei einem Garten) den Grund für die Regelmäßigkeit abgibt, sondern umgekehrt so, daß dergleichen wie eine allgemeine Zweckmäßigkeit gewissermaßen in der Form liegt und ein bestimmter Zweck immer erst hinzutritt. Nicht die zweckhafte Anwendung bestimmt die Form, sondern die Form eröffnet zahlreiche Möglichkeiten für eine Anwendung: Es ist eine wahre Freude, den Eifer der alten Geometer anzusehen, mit dem sie diesen Eigenschaften der Linien dieser Art nachforschten, ohne sich durch die Frage eingeschränkter Köpfe irre machen zu lassen, wozu denn diese Kenntnis nützen sollte? z.B. die der Parabel, ohne das Gesetz der Schwere auf der Erde zu kennen, welches ihnen die Anwendung derselben auf die Wurflinie schwerer Körper (deren Richtung der Schwere in ihrer Bewegung als parallel angesehen werden kann) würde an die Hand gegeben haben (272f.).
Wenn es etwa darum geht, „aus der gegebenen Grundlinie und dem ihr gegenüberstehenden Winkel einen Triangel zu konstruieren“, so sei „die Aufgabe unbestimmt, d.i. sie läßt sich auf unendlich mannigfaltige Art auflösen. Allein der Zirkel befaßt sie doch alle insgesamt, als der geometrische Ort für alle Dreiecke“ (272).84 Daß die „Aufgabe unbestimmt“ ist, läßt sich nur so verstehen, daß bei diesem Zweckmäßigen noch gar nicht feststeht, auf welche Weise es nützlich werden kann, daß also bei ihm der Zweck oder die Zwecke gewissermaßen unbestimmt sind, wie im folgenden Text noch deutlicher hervortritt: Die Zirkelfigur ist eine Anschauung, die durch den Verstand nach einem Prinzip bestimmt worden: die Einheit dieses Prinzips, welches ich willkürlich annehme und als Begriff zum Grunde lege, angewandt auf eine Form der Anschauung (den Raum), die gleichfalls bloß als Vorstellung und zwar a priori in mir angetroffen wird, macht die Einheit vieler sich aus der Konstruktion jenes Begriffs ergebenden Regeln, die in mancherlei möglicher Absicht zweckmäßig sind, begreiflich, ohne dieser Zweckmäßigkeit einen Zweck oder irgendeinen anderen Grund derselben unterlegen zu dürfen (274f.).
Spätestens hier, wo sich Kant inzwischen zur Redeweise von einer „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ durchgerungen hat, wird es schwierig, den Gedanken an eine direkte Verbindung zur ästhetischen Zweckmäßigkeit zu unterdrücken, zumal Kants Euphorie angesichts geometrischer Formen ähnliche Worte findet wie die, mit denen er an anderer Stelle seiner Bewunderung für das Phänomen des Schönen Ausdruck verliehen
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Hervorhebung von mir.
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hatte.85 Vieles von dem, was Kant zu den geometrisch-regelmäßigen Formen sagt, könnte sich, ohne irgendwie aufzufallen, in der KäU finden, wo im übrigen nirgends davor gewarnt wurde, die „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ oder jene „formale Zweckmäßigkeit“ als eine exklusive Beschreibung der ästhetischen Zweckmäßigkeit anzusehen. Jetzt sind wir überraschenderweise gezwungen, noch eine nichtästhetische „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ und eine formale objektive Zweckmäßigkeit anzunehmen. Die Gründe für eine Differenz zwischen jener subjektiven und der hier beschriebenen Zweckmäßigkeit geometrisch-regelmäßiger Figuren sind auffallend dürftig, die Analogien dagegen so eindrucksvoll, daß man sich gegen Ende des Paragraphen wundern muß, warum Kant dieser Zweckmäßigkeit das Prädikat „subjektiv“ immer noch vorenthält. Das tut er offenbar nur noch mit Rücksicht auf die ästhetische Zweckmäßigkeit, die sonst überhaupt keine spezifische Charakterisierung mehr für sich in Anspruch nehmen könnte. Den schlagenden Parallelen stellt Kant über den gesamten Paragraphen hinweg nur zwei äußerst zaghafte Versuche der Abgrenzung der hier beschriebenen Zweckmäßigkeit von der ästhetischen entgegen. Zum einen ist da jene bereits zitierte und recht schwache Bemerkung am Anfang, der zufolge es sich hier deshalb um keine „subjektive“ Zweckmäßigkeit handeln soll, weil eine „objektive Zweckmäßigkeit“ bzw. „Angemessenheit der Figur zur Erzeugung vieler abgezweckten Gestalten“ vorliege. Der zweite Versuch einer Abgrenzung findet sich gegen Ende des Paragraphen, wo es heißt, bei den geometrisch-regelmäßigen Formen sei es keine ästhetische Beurteilung, durch die wir sie zweckmäßig finden, keine Beurteilung ohne Begriff, die eine bloße subjektive Zweckmäßigkeit im freien Spiele unserer Erkenntnisvermögen bemerklich macht, sondern eine intellektuelle nach Begriffen, welche eine objektive Zweckmäßigkeit, d.i. Tauglichkeit zu allerlei (ins Unendliche mannigfaltigen) Zwecken deutlich zu erkennen gibt (278).
Der entscheidende Unterschied soll demnach dadurch zustande kommen, wie die jeweilige Zweckmäßigkeit „bemerklich“ wird bzw. sich „zu erkennen gibt“: Während jene subjektive Zweckmäßigkeit ohne Begriffe „beurteilt“ wird, finde bei der Zweckmäßigkeit jener geometrisch-regelmäßigen
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Es ist die Rede von einer „Bewunderung [...]. die auch sofern nicht getadelt werden kann, indem die Vereinbarung jener Form der sinnlichen Anschauung (welche der Raum heißt) mit dem Vermögen der Begriffe (dem Verstande) nicht allein deswegen, daß sie gerade diese und keine andere ist, uns unerklärlich, sondern überdem noch für das Gemüt erweiternd ist, noch etwas über jene sinnlichen Vorstellungen Hinausliegendes gleichsam zu ahnen, worin, obzwar uns unbekannt, der letzte Grund jener Einstimmung angetroffen werden mag. Diesen zu kennen, haben wir zwar auch nicht nötig, wenn es bloß um die formale Zweckmäßigkeit unserer Vorstellungen a priori zu tun ist; aber auch nur da hinaussehen zu müssen, flößt für den Gegenstand, der uns dazu nötigt, zugleich Bewunderung ein“ (277). Vgl. 170; 258f.
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Gegenstände eine „intellektuelle“ Beurteilung „nach Begriffen statt“. Doch die Frage ist, wie man sich das vorzustellen hat: Durch welchen Begriff wird bei einem regelmäßig-geometrisch geformten Objekt eine „Tauglichkeit zu allerlei Zwecken“ festgestellt? Nicht in Frage kommt dafür ein Prädikat wie „kreisrund“, denn solange man bei diesem noch keinen Zweck hinzudenkt, zeigt es noch überhaupt keine Nützlichkeit an; das tut es erst dann, wenn klar ist, daß ein bestimmter Zweck eine kreisrunde Form erfordert. Und Kant sagt ja selbst, daß die Zweckmäßigkeit geometrischer Gestalten „nicht aus einem Begriffe des Objekts“ (275) folgen soll. Oder will Kant auf die Tatsache hinaus, daß sich im Fall jener geometrisch-regelmäßigen Gegenstände mit Hilfe eines Begriffs angeben läßt, wodurch sie zweckmäßig werden? Denn anders als beim Schönen läßt sich ja sagen, wodurch eine Form wie der Kreis eine „Tauglichkeit zu allerlei Zwecken“ erhält. Es ist seine Regelmäßigkeit, die Tatsache, daß er nach einem Prinzip „gezeichnet“ bzw. „konstruiert“ wird: „Die Zirkelfigur ist eine Anschauung, die durch den Verstand nach einem Prinzip bestimmt worden“. Die Einheit dieses Prinzips werde „als Begriff zum Grunde“ (274) gelegt. Aber damit ist keine inhaltliche Bestimmung gegeben; bei einem solchen „Begriff“ handelt es sich um etwas ganz anderes, als etwa bei „Tisch“ oder „Säge“. Durch letztere Begriffe werden Objekte bestimmt, durch den Begriff „Tisch“ also der Tisch, nicht aber die Tischform. Weder durch das Prinzip, nach dem ein Kreis konstruiert wird, noch durch einen Begriff wie „regelmäßig“ liegt ein Begriff vom kreisförmigen Ding vor, sondern immer nur von seiner Form. Von einer Form zu sagen, sie sei regelmäßig, hat übrigens eine ganz andere Berechtigung, als wenn etwa der Durchmesser eines Kreises dessen „Eigenschaft“ genannt wird. Soll nämlich tatsächlich der ideelle, nichtempirische Kreis gemeint sein, und nicht der empirische, auf Papier gezeichnete, ist das Anlegen eines Maßes eine fragwürdige Angelegenheit, die sich eigentlich nur als Simulation der empirischen Welt, um deren Berechnung es ja eigentlich geht, verstehen läßt. Dagegen hat die Redeweise von Regelmäßigkeit im Bereich von Formen ihre ursprüngliche Berechtigung, und bei Gegenständen, wenn sie dort überhaupt angemessen ist, nur eine übertragene. So klingt es in den seltensten Fällen natürlich, von einem empirischen Ding Regelmäßigkeit auszusagen. Ein „regelmäßiger Garten“ ist ein Garten, dessen Beete in regelmäßigen Abständen angelegt wurden. Dinge sind spitz, rund oder eckig, und nicht ihre Formen. Ihre Formen sind regelmäßig, und sie selbst sind es nur in einem übertragenen Sinn. Wird ein Gegenstand aufgrund der Regelmäßigkeit seiner Form mit einem Wohlgefallen bedacht, ist das eigentlich Zweckmäßige die Form, und diese selbst ist kein Objekt.
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Kant mag zwar kein Problem haben, für die Objektivität der Zweckmäßigkeit der geometrisch-regelmäßigen Formen und damit für das praktische Interesse an ihnen zu argumentieren, aber die Frage, warum diese Zweckmäßigkeit nicht zugleich eine subjektive sein soll, bringt ihn in Erklärungsnot. Sollte sich herausstellen, daß geometrisch-regelmäßig geformte Objekte alle Kriterien für subjektive Zweckmäßigkeit erfüllen, wäre das für seine Konzeption mißlich. Denn dann hätte sich gezeigt, daß die Bedingungen für ästhetische Zweckmäßigkeit gar keine Ausschlußkriterien für praktische Zweckmäßigkeit darstellen. Daß etwas die Kriterien für ästhetische Zweckmäßigkeit erfüllt, wäre also noch kein hinreichender Grund dafür, daß das Wohlgefallen, das ihm gilt, ohne Interesse ist. Daß Kant hier ein Problem hat, wird der mit der KäU schon vertraute Leser zunächst aber kaum bemerken. Denn in dem zuletzt zitierten Abschnitt fällt ein seit der AS bekanntes Schlagwort, durch welches das entscheidende Unterschiedskriterium genannt zu werden scheint, nämlich das vom „freien Spiel der Erkenntniskräfte“. Doch die zum Verständnis dieses Ausdrucks einschlägige Stelle in der AS ist eben nicht der §9, der ihn zum ersten Mal verwendet, sondern die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“, denn hier und nur hier gibt Kant in einiger Deutlichkeit zu erkennen, was ihn zur Redeweise einer „freien“ Tätigkeit der Erkenntniskräfte im Zusammenhang mit dem ästhetischen Wohlgefallen eigentlich bewegt. Und, wohlgemerkt, diese Anmerkung ist vielleicht gerade ein Nachtrag zur AS; ein Nachtrag zumal, dem es erst darum geht, geometrisch-regelmäßig geformte Objekte als Beispiele für Schönes auszuschließen. 4. Kants Einwände gegen die eigene Lehre von der formalen Zweckmäßigkeit a) Geometrisch-regelmäßige Objekte in der „Allgemeinen Anmerkung“ Die Verlegenheit Kants am Ende des §62, einen Unterschied zwischen der Zweckmäßigkeit geometrisch-regelmäßiger Objekte und der Zweckmäßigkeit schöner Gegenstände zu bestimmen, gilt es, am Anfang der „Allgemeinen Anmerkung“ in Erinnerung zu behalten. Im §62 hatte Kant den „geometrisch-regelmäßigen Figuren“ subjektive Zweckmäßigkeit mit der Begründung abgesprochen, ihre Zweckmäßigkeit werde „nach Begriffen“ kenntlich gemacht und diese Begriffe gäben eine „objektive Zweckmäßigkeit, d.i. Tauglichkeit zu allerlei [...] Zwecken deutlich zu erkennen“ (278). Ganz gleich, ob er unter den besagten Begriffen von geometrisch-
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regelmäßig geformten Objekten Begriffe wie „kreisrund“ oder „gerade“ versteht, oder ob er das Konstruktionsprinzip solcher Formen meint, das denselben „als Prinzip zum Grunde gelegt“ wird – darüber, daß Kant in den ersten Abschnitten seiner „Allgemeinen Anmerkung“ bereits das Phänomen geometrisch-regelmäßiger Formen vor Augen hat, besteht kein Zweifel. Man wird an die Überlegungen des §62 erinnert, wenn es heißt: „Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren genötigt wird, so wird ihr Produkt, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es sein soll“. Denn eine Form, die „durch Begriffe bestimmt“ wird, ist dem §62 zufolge z.B. die Zirkelfigur, „eine Anschauung, die durch den Verstand nach einem Prinzip bestimmt worden“ (274). Ein Wohlgefallen an einem so geformten Gegenstand sei nicht interesselos, heißt es nun in der „Allgemeinen Anmerkung“, sondern eines „am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen)“ (69). Es folgt eine wichtige Ergänzung zu jener „Zusammenstimmung“ von Einbildungskraft und Verstand, von der zum ersten Mal im §9 die Rede war: Es wird also eine Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz, und eine subjektive Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstande ohne eine objektive, da die Vorstellung auf einen bestimmten Begriff von einem Gegenstande bezogen wird, mit der freien Gesetzmäßigkeit des Verstandes (welche auch Zweckmäßigkeit ohne Zweck genannt worden) und mit der Eigentümlichkeit eines Geschmacksurteils allein zusammen bestehen können (69).
Kant nimmt das Konzept der Zusammenstimmung von Verstand und Einbildungskraft aus dem §9 auf und darin eine deutliche Verschärfung vor. Im §9 war bloß die Rede davon gewesen, daß „die gegebene Vorstellung, welche das Geschmacksurteil veranlaßt“, kein Begriff sei – was noch überhaupt nicht bedeutet, daß innerhalb des Erkenntnisprozesses, der den allgemeinen Bedingungen für Erkenntnis genügt, kein Begriff verwendet wird. Jetzt will er aber offenbar darauf hinaus, daß die Verwendung eines Begriffs gänzlich unterbleibt, da bloß eine „subjektive Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstande ohne eine objektive“ vorliege. Der Grund dafür lautet, daß dies mit der „freien Gesetzmäßigkeit des Verstandes“ unvereinbar sei. Im §9 war in Zusammenhang mit Einbildungskraft und Verstand zwar von einem „objektiven Verhältnis“ (31) im Gegensatz zu „seinen subjektiven Bedingungen“ die Rede gewesen, dabei aber das eine nicht gegen das andere ausgespielt, sondern nur darauf hingewiesen worden, daß das fragliche objektive Verhältnis „seinen Bedingungen nach subjektiv ist“ und deshalb „in der Wirkung auf das Gemüt empfunden werden“ (ebd.) kann. Daß mit jener „freien Gesetzmäßigkeit des Verstandes“, innerhalb welcher die Vorstellung nicht „auf einen bestimmten Begriff von einem Gegenstande bezogen wird“, etwas anderes gemeint ist als am Anfang der
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„Analytik“, wo Kant lediglich auf die Unabhängigkeit des ästhetischen Wohlgefallens von einem bestimmten Begriff abhob, zeigen die unmittelbar darauf folgenden Absätze der „Allgemeinen Anmerkung“: Nun werden geometrisch-regelmäßige Gestalten, eine Zirkelfigur, ein Quadrat, ein Würfel usw. von Kritikern des Geschmacks gemeiniglich als die einfachsten und unzweifelhaftesten Beispiele der Schönheit angeführt; und dennoch werden sie eben darum regelmäßig genannt, weil man sie nicht anders vorstellen kann als so, daß sie für bloße Darstellungen eines bestimmten Begriffs, der jener Gestalt die Regel vorschreibt (nach der sie allein möglich ist), angesehen werden. Eines von beiden muß also irrig sein: entweder jenes Urteil der Kritiker, gedachten Gestalten Schönheit beizulegen, oder das unsrige, welches Zweckmäßigkeit ohne Begriff zur Schönheit nötig findet (70).
Anders als der letzte Satz nahelegt, hat Kant bis zu diesem Punkt der Untersuchung kein Argument dafür geliefert, warum eine durch einen Begriff „vorgeschriebene“ Gestalt den Bedingungen für ein ästhetisches Wohlgefallen widerspricht. Kant müßte begründen, warum diesem Phänomen, also der durch ein Verstandesprinzip gleichsam determinierten Anschauung, nur ein interessiertes Wohlgefallen gelten können soll. Den Zusammenhang zwischen Interessiertheit auf der einen und Begriffen auf der anderen Seite haben bislang Zwecke hergestellt: Weil es Zwecke sind, wodurch die Präferenz für einen inhaltlich so oder so bestimmten Gegenstand motiviert wird, sei jedes durch Begriffe vermittelte Wohlgefallen ein interessiertes, hatte die Argumentation am Anfang der „Analytik“ gelautet. Jetzt aber ist von Zwecken nicht die Rede, sondern nur davon, daß eine „Regel vorgeschrieben“ wird; und warum dies schon dergleichen wie ein Interesse beinhalten soll, kann noch keineswegs klar sein. Jedenfalls könnte man darin den Grund sehen, warum Kant in diesem Zusammenhang nicht die Formulierung „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ gebraucht, bzw. das „ohne Zweck“ durch ein „ohne Begriff“ ersetzt: Daß darin, daß einer Gestalt „die Regel vorgeschrieben wird“, interessierter Praxis Genüge getan wird, ist noch gar nicht begründet. Die Begründung dafür, die weder im §9 noch sonst irgendwo in der Analytik gegeben worden ist, folgt im Anschluß, wo Kant die „Brauchbarkeit“ der geometrischregelmäßigen Figuren „zu allerlei möglicher Absicht“ hervorhebt. „Regelmäßige Gestalten“, sagt Kant, seien nicht nur „praktisch in Ansehung eines bestimmten Gebrauchs dieser Dinge, sondern auch für die Beurteilung in allerlei möglicher Absicht“ (70). Wo eine „Absicht“ vorliege, wie etwa „die Größe eines Platzes zu beurteilen, oder das Verhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen in einer Einteilung faßlich zu machen“, seien „regelmäßige Gestalten, und zwar die von der einfachsten Art, nötig“ (ebd.). Es fällt auf: Regelmäßig geformte Gegenstände sind nicht nur zweckmäßig in Hinblick auf praktische Zwecke, sondern offenbar auch nützlich für solche „Absichten“, die zunächst einmal nur als
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Fälle von Theorie gelten dürfen, wie „die Größe eines Platzes zu beurteilen“ oder die „Verhältnisse der Teile zueinander und zum Ganzen in einer Einteilung faßlich zu machen“. Oben wurde bemerkt, daß die Zweckfreiheit der ästhetischen Zweckmäßigkeit im §15 eigentlich darin besteht, daß statt eines praktischen Zwecks einem Anliegen der Erkenntnis Genüge getan wird. Weil nun die Zweckmäßigkeit regelmäßiger Gestalten, die ja praktisch sein soll, ebenfalls eine theoretische Hinsicht enthält, beeilt Kant sich hinzuzufügen: Das ästhetische Wohlgefallen oder Mißfallen aber ergehe „ohne Rücksicht auf den Gebrauch oder einen Zweck“, es sei „mit der bloßen Betrachtung des Gegenstandes unmittelbar“ (71) verbunden. Damit diese Versicherung überzeugt, müßte Kant jetzt natürlich hinzufügen: „ohne Rücksicht auf einen, sei es auch nur unbestimmten, bloß möglichen Gebrauch oder Zweck“. Es fragt sich, wie Kant geometrisch-regelmäßig geformte Objekte von der Charakterisierung des Schönen, wie er sie im §15 gegeben hat, ausschließen will. Die Beschreibung der geometrischen Regelmäßigkeit, die jetzt in der „Allgemeinen Anmerkung“ folgt, liest sich nämlich wie die Beschreibung des Schönen im §15. Es heißt hier: „Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstand führt“, sei die „Bedingung [...], den Gegenstand in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestimmen“ (71). Und wenn nun Kant außerdem sagt, daß man jene regelmäßigen Formen „nicht anders vorstellen kann als so, daß sie für bloße Darstellungen eines bestimmten Begriffs, der jener Gestalt die Regel vorschreibt (nach der sie allein möglich ist), angesehen werden“ (70)86, ist die Frage, warum nicht genau damit „das Formale in der Vorstellung eines Dinges, d.i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem“ bzw. die „Behaglichkeit [...], eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen“ (45f.) gemeint ist – zumal im §15 das auf diese Formulierungen unmittelbar folgende Beispiel von einer regelmäßigen Form (der Kreisform) handelt. Von zentraler Bedeutung für die Lehre von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ war der Gedanke, daß das Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft bzw. „diejenige Proportion, welche sich für eine Vorstellung (wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird) gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen“ (65), unterschiedlich zweckmäßig ausfallen kann. Eine wichtige Rolle spielte der Gedanke, daß es eine „Proportion“ zwi-
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Wenn Kant hier von einem „bestimmten Begriff“ spricht, ist in Erinnerung zu behalten, daß laut §62 die Einheit der Regel geometrisch-regelmäßiger Gestalten „nicht aus dem Begriff des Objekts, z.B. des Zirkels“ (275) folgen soll. Es geht hier um Gestalten, deren „Begriffe konstruiert werden können“ (ebd.), was heißt, daß ich in sie „die Zweckmäßigkeit hineinbringe“ (276), weshalb die daraus resultierende Zweckmäßigkeit als etwas durch und durch Formales zu verstehen ist.
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schen beiden gibt, die „die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis“ (66) ist. Die Passage der „Allgemeinen Anmerkung“, aus der eben zitiert wurde, stellt diesen Begründungsversuch des ästhetischen Wohlgefallens in Frage. Sie lautet vollständig: Die Regelmäßigkeit, die zum Begriffe von einem Gegenstande führt, ist zwar die unentbehrliche Bedingung (conditio sine qua non), den Gegenstand in eine einzige Vorstellung zu fassen und das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestimmen. Diese Bestimmung ist ein Zweck in Ansehung der Erkenntnis; und in Beziehung auf diese ist sie auch jederzeit mit Wohlgefallen (welches die Bewirkung einer jeden, auch bloß problematischen, Absicht begleitet) verbunden. Es ist alsdann bloß die Billigung der Auflösung, die einer Aufgabe Genüge tut (71).
Um zum Begriff von einem Gegenstand zu kommen, um „das Mannigfaltige in der Form desselben zu bestimmen“, ist Regelmäßigkeit die „unentbehrliche Bedingung“, eine „conditio sine qua non“, eine Voraussetzung also, bei deren Nichterfüllung die Lösung der Aufgabe nicht etwa erschwert würde, sondern überhaupt nicht geleistet werden könnte. Das bedeutet, daß es in Hinblick auf die Bestimmung eines Gegenstandes keine mehr oder weniger günstigen Bedingungen, also kein mehr oder minder „schickliches Verhältnis“ zwischen Verstand oder Einbildungskraft bzw. eine mehr oder weniger ausgeprägte „Behaglichkeit“, eine Form aufzufassen, geben kann, sondern nur eine Voraussetzung für die Bestimmung des Objekts, ohne welche also gar kein Gegenstand vorläge. Daß Kant diese notwendige Bedingung „Regelmäßigkeit“ nennt, verwundert, da doch auch ein Gegenstand mit „kritzlichem Umriß“ bestimmt werden kann. Allerdings läßt sich diese Passage, die von Bedingungen für die Bestimmung eines Gegenstandes handelt, in Zusammenhang mit der AE lesen, denn dort formuliert Kant ebenfalls eine unentbehrliche Bedingung für die Bestimmung eines Gegenstandes, wie im folgenden gezeigt werden soll. b) Form als conditio sine qua non für Bestimmung „Das Erhabene an Naturobjekten“ charakterisiert Kant in der Gegenüberstellung mit dem Schönen: Während die „Naturschönheit (die selbständige) eine Zweckmäßigkeit in ihrer Form, wodurch der Gegenstand für unsere Urteilskraft gleichsam vorherbestimmt zu sein scheint, bei sich führt und so an sich einen Gegenstand des Wohlgefallens ausmacht“, sei das, was das Gefühl des Erhabenen erregt, „der Form nach [...] zweckwidrig für unsere Urteilskraft, unangemessen unserem Darstellungsvermögen und gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft“ (76). Es bietet sich an, auch hier wieder die einschlägige Formulierung des §15 in Erinnerung zu
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rufen, die dem Schönen eine „gewisse Zweckmäßigkeit des Vorstellungszustandes im Subjekt, und in diesem eine Behaglichkeit desselben, eine gegebene Form in die Einbildungskraft aufzufassen“ (46), zuspricht. Wenn das Erhabene demgegenüber als „zweckwidrig für unsere Urteilskraft, unangemessen unserem Darstellungsvermögen und gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft“ beschrieben wird, liegt es also nahe, es als die jener „Behaglichkeit“ des §15 entgegengesetzte „Unbehaglichkeit des Vorstellungszustandes im Subjekt“ zu verstehen. Daß das Erhabene Grund für ein ästhetisches Mißfallen wäre, es also mit dem Häßlichen zusammenfallen würde, kann aber nicht sein, da dem Erhabenen selbst ein Wohlgefallen gelten soll. Fest steht, daß beide, die AE wie der §15, von Bedingungen für die Aufgabe der Bestimmung von Gegenständen handeln und daß diesbezüglich im einen Fall günstige, im anderen ungünstige Voraussetzungen beschrieben werden. Und schaut man sich in der AE eingehend danach um, was das entsprechend Positive zum Negativen des Erhabenen sein soll, zeigt sich: Dieses Positive ist eine conditio sine qua non, eine unentbehrliche Bedingung dafür, daß überhaupt Bestimmung durchgeführt, daß überhaupt ein Gegenstand vorliegen kann. Denn die „regelloseste Unordnung“ (78) des Erhabenen äußert sich in „Formlosigkeit“ (79), wodurch die „Zusammenfassung in eine Anschauung“ (92) unmöglich wird: Unsere Einbildungskraft aber beweist, selbst in ihrer größten Anstrengung, in Ansehung der von ihr verlangten Zusammenfassung eines gegebenen Gegenstandes in ein Ganzes der Anschauung [...] ihre Schranken und Unangemessenheit (97).
Das Erhabene „übertrifft“ den „Maßstab der Sinne“ (92), weil hier überhaupt keine Form vorliegt, die ja immer „in der Begrenzung besteht“ (75), so daß das Subjekt durch die gegebene Anschauung gar nicht zu einem Gegenstand kommt, den man dann erhaben nennen könnte. Das Erhabene sei nämlich „nicht in den Dingen der Natur, sondern allein in unseren Ideen zu suchen“ (84), heißt es entsprechend. – „Nichts also, was Gegenstand der Sinnen sein kann, ist, auf diesen Fuß betrachtet, erhaben zu nennen“ (84f.). Nur die „Geistesstimmung“ sei es, die erhaben genannt werden könne, und zwar „durch eine gewisse, die reflektierende Urteilskraft beschäftigende Vorstellung, nicht aber das Objekt“ (85).87 Einen „Widerstand gegen das Interesse der Sinne“ (115) leistet das Erhabene
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Solche Bemerkungen stehen allerdings im Widerspruch zu vereinzelten Stellen, an denen Kant formuliert, daß beim Erhabenen der Gegenstand „formlos sein kann“ (83), oder wo davon die Rede ist, daß das Erhabene „auch an einem formlosen Gegenstande zu finden“ (75) sei. Ist der Gegenstand im Zusammenhang mit dem Erhabenen nicht formlos, wird „Unbegrenztheit [...] durch dessen Veranlassung“ eben nur „vorgestellt“ (ebd.; alle Hervorhebungen von mir).
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genau besehen also gar nicht „der Form nach“ (76), sondern gleichsam in Ermangelung einer Form. Hier gibt es also die Beschreibung einer „unentbehrlichen Bedingung“ für die Bestimmung eines Gegenstandes, und was liegt näher, als darin auch die „unentbehrliche Bedingung“ zu sehen, von der Kant in der „Allgemeinen Anmerkung“ spricht – zumal es keine Andeutung dafür gibt, worin eine weitere unentbehrliche Bedingung für die Bestimmung von Gegenständen bestehen könnte. Für die These Kants, das ästhetische Wohlgefallen gründe auf einer Zweckmäßigkeit, „die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht“ (XLIII), hat das Konsequenzen. Denn es fragt sich, worin jene „Angemessenheit [...] zu den Erkenntnisvermögen“, die sich bei der „Auffassung der Formen in die Einbildungskraft“ (XLIV) bemerkbar machen soll, bestehen kann, wenn nicht im Erfülltsein genau dieser Bedingung. Eine „Übereinstimmung“ der Form eines Gegenstandes „in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Begriffe, mit den Erkenntnisvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem Erkenntnis überhaupt zu vereinigen“ (XLVIII), besteht eben bereits darin, daß überhaupt eine Form vorliegt, und dieses Vorliegen ist offenbar keine Selbstverständlichkeit. Damit ist die Konzeption einer Zweckmäßigkeit, die „dem Erkenntnis des Objekts vorhergeht“, in Frage gestellt – wenigstens solange nicht klar ist, in welcher anderen Weise diese Zweckmäßigkeit zu denken ist. Soll es so etwas geben wie die Angemessenheit oder Unangemessenheit der Form für die Anliegen der Erkenntniskräfte, muß es sich dabei um eine gradierbare Bedingung handeln; eine Form muß dann den Anforderungen der Erkenntniskräfte mehr oder weniger entsprechen können.88
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Eine weitere Bedingung für die Bestimmung eines Dings, die Kant nicht beschreibt, bietet sich im Rahmen seiner Theorie allerdings an: Weil die in der Anschauung gegebene Form nur in den seltensten Fällen die Form des erkannten Gegenstandes ist, liegt der Erkenntnis etwa eines runden Tisches je nach Lage der Sinnesorgane in aller Regel eine Ovalanschauung zugrunde. Die in der Anschauung gegebene Form kann die Erkenntnistätigkeit des Subjekts nun insofern erschweren oder erleichtern, als sie Mißdeutungen der objektiven Oberflächenform des Objekts begünstigt oder zu vermeiden hilft. Diejenige objektive Raumform, die immer durch die ideale Anschauung vermittelt wird, ist die Kugelform. Denn ganz gleich, wie die Sinnesorgane zu Kugelobjekten gestellt sind: Aus jedem Blickwinkel wird dem Subjekt in der Anschauung eine kreisrunde Form gegeben. Es sind Objekte denkbar, bei denen sich die Erdeutung ihrer Oberflächenform denkbar schwierig gestaltet bzw. bei denen schon minimale Lageveränderungen der Sinnesorgane es der Einbildungskraft schwer machen, die tatsächliche Oberflächenform in das Urteil einzubringen. Hier böte sich nun ein Sinn von „Faßlichkeit“ an, der in der Tat gradierbar wäre. Den Überlegungen des folgenden Abschnitts zufolge wäre allerdings auch eine so verstandene Zweckmäßigkeit mit dem Kriterium für Interesselosigkeit nicht vereinbar.
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c) Die grundsätzliche Interessiertheit von Erkenntnis Ein Objekt „mit einem kritzlichen Umriß“ ist nicht weniger bestimmt als ein regelmäßig-geometrisch geformter Gegenstand, weil sich auch ein unregelmäßiger Umriß als Grenze erweist. Wenn das Kriterium der Abgrenzbarkeit die einzige Bedingung für die Bestimmbarkeit eines Gegenstandes darstellt, ist eine Zweckmäßigkeit, „die dem Erkenntnis des Objekts vorhergeht“, wenn sie die Zweckmäßigkeit der Form sein soll, schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. In Frage steht also, daß eine Form für ihre Auffassung mehr oder weniger geeignet oder zweckmäßig sein kann. Kants Beispiele im Kontext jener zitierten Passage bringen aber eindeutig ein Mehr oder Weniger an Zweckmäßigkeit von Formen zum Ausdruck. Die Zweckmäßigkeit regelmäßig-geometrischer Formen ist eindeutig eine theoretische, denn es seien „regelmäßige Gestalten [...] nötig“, um etwa „die Größe eines Platzes zu beurteilen, oder das Verhältnis der Teile zueinander und zum Ganzen faßlich zu machen“ (70).89 An anderer Stelle sagt Kant entsprechend, der Verstand „bedarf“ einer „Ordnung der Natur“ (XXXV) bzw. einer „faßlichen Ordnung“ (XXXVI) oder der „Faßlichkeit der Natur“ (XL); genau darin bestehe „das Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen“ (XXXIV) bzw. die „Zusammenstimmung der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen“ (XXXVI). Die Begründung dafür, daß eine „faßliche Natur“ für unser Erkenntnisvermögen zweckmäßig sei, übernimmt in der „Einleitung“ das schon erwähnte „Verstandesbedürfnis“ (XXXVIII), dessen Erklärungsleistung aber gering ist. Es scheint nur soviel zu bedeuten, daß der Verstand gewissermaßen eine Vorliebe für eine faßliche Natur hat; eine Vorliebe, die also in seiner Natur zu liegen scheint und nicht weiter zu begründen wäre. Das alles klingt so harmlos, als handele es sich um so etwas wie eine „Marotte“ des Verstandes, der zu entsprechen nur in einem eng begrenzten Rahmen sich bemerkbar macht, nämlich „nur in subjektiver Rücksicht“ oder in bezug auf eine „nur auf Erkenntnis gerichtete Absicht“. Das Interessante an der oben zitierten Passage der „Allgemeinen Anmerkung“ ist, daß sie die Harmlosigkeit von so etwas wie einer theoretischen Zweckmäßigkeit, unabhängig davon, worin diese bestehen möge, in Frage stellt. Kant bezweifelt hier nämlich nicht nur, daß es so etwas wie eine besondere Zweckmäßigkeit für die Bestimmung eines Dings gibt, sondern er schließt darüber hinaus auch aus, daß sich eine solche Zweckmäßigkeit, wenn es sie denn gäbe, als etwas Nichtpraktisches verstehen ließe. Einem „Zweck in Ansehung der Erkenntnis“ zu genügen, ist nämlich nicht etwa „interesselos“: Das Wohlgefallen am Erfülltsein dieses
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Hervorhebungen von mir.
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Zwecks ist auch mit der „Bewirkung einer jeden, auch bloß problematischen (hypothetischen), Absicht“ verbunden. Zusammen mit den Beispielen, die zuvor angeführt worden sind, wird klar: Die besondere Geeignetheit regelmäßiger Formen für die Zwecke der Erkenntnis darf nicht etwa auf dergleichen wie Vorpraktizität pochen und daraus Nichtpraktiztität für sich ableiten. Denn bei einem Zweck wie der Beurteilung der Größe eines Platzes oder dem „Faßlichmachen des Verhältnisses der Teile zueinander und zum Ganzen in einer Einteilung“ läßt sich kaum ein theoretisches Anliegen von einem praktischen isolieren; das eine ist hier offenbar eng mit dem anderen verbunden. Die theoretische Zweckmäßigkeit ist somit nur scheinbar eine eigenständige, denn sie mündet direkt in eine praktische – wenn sie nicht sogar selbst schon praktisch genannt werden müßte. Das Wohlgefallen anläßlich einer besonders geeigneten weil regelmäßigen Form ist praktisch motiviert, eben weil damit ein „Zweck in Ansehung der Erkenntnis“ erfüllt wird. Jetzt fehlt vor „der Erkenntnis“ das „nur“, und das Informative in dieser Formulierung der „Allgemeinen Anmerkung“ ist nicht mehr, daß hier der Sonderstatus eines „Zwecks in Ansehung der Erkenntnis“ beschworen wird, sondern daß im Gegenteil betont wird, daß es sich auch hier um einen Zweck handelt, wodurch also immer auch so etwas wie Interesse angezeigt wird. Daß ein Entgegenkommen von etwas für einen theoretischen Zweck dem Subjekt als grundsätzlich praktisch Interessiertem zugute kommt, darf für Kant nicht verwunderlich sein, da er doch schließlich davon ausgeht, daß „alle Bearbeitung unserer Vermögen auf das Praktische ausgehen und sich darin als in ihrem Ziele vereinigen muß“ (8). Allerdings zieht Kant nur hier, in der „Allgemeinen Anmerkung“, die letzte Konsequenz aus dieser Einschätzung, denn in der AS klang es noch sehr danach, daß sich im Rahmen von Erkenntnis etwas als vorteilhaft erweisen könne, ohne ein praktisches Interesse zu implizieren. Wie eng die Interessen der Theorie und jene der Praxis zusammenhängen – das wird nirgendwo in der KU so deutlich wie in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“. Im §15 jedenfalls ist Kant davon ausgegangen, daß so etwas wie Interesse erst durch einen inhaltlich bestimmten Zweck auf den Plan tritt und daß einer Präferenz, die der „bloßen Form“ gilt, dergleichen noch nicht zugrunde liegen kann. Hier in der „Allgemeinen Anmerkung“ vertritt er die Auffassung, daß es eine rein formale und praktische Zweckmäßigkeit gibt, die schon interessiert ist, obwohl bei ihr von einem bestimmten Zweck noch keine Rede sein kann. Eine solche Zweckmäßigkeit liegt vor bei solchen Formen, die gewissermaßen so aussehen, als ob der Verstand sie für sich entworfen hätte: Formen, die durch ein Prinzip bestimmt werden, was bedeutet, daß man sie durch eine Formel, also ohne Anschauung,
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beschreiben und dieser Formel gemäß stetig rekonstruieren kann. Daß sich solche Formen für die „Beurteilung in allerlei möglicher Absicht“ als geeignet erweisen und solchermaßen stetig-regelmäßig konstruierte Formen bzw. die durch sie geformten Gegenstände in vielfacher praktischer Hinsicht besonders tauglich sind, zeigt, daß die Ökonomie des Verstands, der einer Form die Regel vorschreibt, auch die Ökonomie der Praxis ist. Was an anderer Stelle als Harmlosigkeit erschien, nämlich als ein bloßes „Verstandesbedürfnis“, zeigt sich hier als Ausdruck prinzipieller Interessiertheit, weil darin bereits das Mittel/Zweck-Schema wirksam ist, wie es auch die Praxis prägt. Das grundsätzlich praktisch interessierte Subjekt hält sich nicht gerne mit und bei den Dingen auf, denn die Beschäftigung mit und die Hervorbringung von ihnen ist ja kein Selbstzweck, sondern immer nur Mittel ohne eigene Daseinsberechtigung. Daß es sich nicht in stärkerem Maße mit ihnen auseinandersetzen bzw. sich länger in ihnen orientieren muß, als unbedingt nötig, dafür garantiert die regelmäßige Form, wie z.B. bei einem Garten die „Ordnung und Regelmäßigkeit der Bäume, Blumenbeete, Gänge usw.“ (275). Wenn das Subjekt selbst als Produzent von Gegenständen in Erscheinung tritt, sind stetig-regelmäßige Formen, wenn es keine zusätzliche Motivation für so etwas wie eine Abweichung gibt, grundsätzlich erste Wahl. Und umgekehrt sind unter den Naturobjekten zum praktischen Gebrauch stets erste Wahl Objekte mit Formen, die der Verstand entwerfen würde, wenn er „sich selbst überlassen“90 wäre. Nur weil die kreisrunde Lichtung im Wald des §15 eine denkbar stetig-regelmäßige Form aufweist, kommt das Subjekt auf die Idee, z.B. den Zweck eines ländlichen Tanzes „hinzuzudenken“. Regelmäßigkeit ist nicht selbst Form von Gegenständen – nicht der Garten ist regelmäßig, sondern seine Form. Regelmäßigkeit ist somit etwas, das von Formen ausgesagt wird, und Formen sind, wie die gesamte Geometrie, etwas Nichtempirisches; etwas, das das Subjekt ganz aus sich heraus erzeugt. Da das Subjekt kein Ding ist, nämlich nichts Geformtes, das eine Form hat, sondern das Formende, ist es Form. Die Regelmäßigkeit bzw. Stetigkeit einer Form ist Ausdruck von Ökonomie, weil sie sicherstellt, daß der Aufwand des Subjekts von sich selbst nur dem nötigen Minimum entspricht. Bei etwas Regelmäßigem handelt es sich demnach um etwas, das einer Regel gemäß ist, die das Subjekt sich zum Erreichen seiner Zwecke selbst auferlegt. Die regelmäßigste, weil ökonomischste Form, die Linie, taugt allerdings nicht als Form zur Abgrenzung eines Gegenstandes, also als Oberflächenform eines Objekts. Die ökonomischste Form, die dies kann, ist der Kreis. Denkbar ökonomisch ist er deshalb,
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Vgl. die entsprechende Formulierung für die Einbildungskraft (69).
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weil er die geringstmögliche Abweichung von der Linie aufweist. Die Oberflächenform eines Objekts kann der Kreis nämlich schon durch die minimal mögliche Abweichung von der Linie werden, nämlich durch seine Krümmung, die eine konstante Abweichung darstellt und die Kreislinie dadurch stetig-konstruierbar macht. Geringstmögliche Abweichung von der ökonomischsten Form, das ist gleichbedeutend mit der geringstmöglichen Abweichung des Subjekts von sich selbst, bedeutet also den geringstmöglichen Einsatz von sich selbst als Mittel und den geringstmöglichen Aufwand zum Erreichen eines Zwecks. Die Form seiner Wahl ist für das praktisch interessierte Subjekt entsprechend die größtmögliche Monotonie. Ökonomische Formen sind in diesem Sinn also zweckmäßige bzw. nützliche Formen, und ihre Zweckmäßigkeit ist insofern rein formal, als sie noch keinen inhaltlich konkretisierten Zweck voraussetzt. Umgekehrt ist Ökonomie im Sinn von Regelmäßigkeit die „Form“ der Zweckmäßigkeit. Es handelt sich dabei um keine „bestimmte“ Form bzw. nicht um eine Form, durch die ein Gegenstand bestimmt werden kann, sondern um die Vorgabe eines allgemeinen Prinzips für die Formung von Gegenständen, welche dem Selbstzweck Subjekt gegenüber grundsätzlich nur als Mittel firmieren. Die Präferenz des Subjekts für ökonomische Formen ist Ausdruck des grundsätzlichen Mittelcharakters des Geformten, und da Nützlichkeit nichts anderes als die positive Kennzeichnung von Mitteln ist, ist die Ökonomie der Form die Form der Zweckmäßigkeit qua Nützlichkeit. Das ist sie so prinzipiell, daß ein Subjekt, das in seiner Außenwelt auf geometrische Formen trifft (Kant bringt das Beispiel eines regulären „im Sande gezeichneten“ Sechsecks, das der Beobachter „in einem ihm unbewohnt scheinenden Land“ wahrnimmt [285]), geradezu automatisch auf ein anderes Subjekt als Urheber schließen kann. Der Grund dafür ist nicht etwa, daß Subjekte aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen eine Vorliebe für geometrisch-regelmäßige Figuren hätten oder daß sie aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen die einzigen Wesen wären, die diese hervorbringen können (was gar nicht stimmen würde), sondern daß Regelmäßigkeit qua Ökonomie gewissermaßen die Form von Interessiertheit schlechthin ist und regelmäßig geformte Gegenstände gewissermaßen die Form des interessierten Subjekts tragen. Letztlich zeigt die Entdeckung der praktischen Zweckmäßigkeit geometrischer Formen, daß das Subjekt gleichsam sich selbst zweckmäßig sein kann und daß diese Zweckmäßigkeit bereits praktisch ist. Es gibt keinen vorpraktischen Bereich, in dem die Redeweise von Zweckmäßigkeit dann lediglich übertragene Bedeutung hätte. Das Subjekt ist sich in Zusammenhang mit Erkenntnis schon im Vollsinn Mittel, und in diesem Rückgriff auf sich selbst, der mehr oder weniger ökonomisch erfolgen
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kann, ist das Subjekt bereits im Vollsinn praktisch. Werden ihm Gehalte für die Bestimmung von Objekten gegeben, die eine solche Form haben, wie sie das Subjekt mit Vorliebe verwendet, trägt der damit verbundene Bonus für das Subjekt nicht den Charakter eines harmlosen Entgegenkommens für so etwas wie eine vorpraktische weil bloß theoretische Bedürftigkeit des Subjekts, sondern bereits den der Begünstigung des Subjekts in seiner Praktizität. Daß Praktizität und Interessiertheit so tief in der Konstitution des Subjekts verankert sind, berücksichtigt Kant offensichtlich nicht an jeder Stelle seiner Systematik gleichermaßen. Man betrachte seine ersten Versuche für die Abgrenzung der interesselosen ästhetischen Einstellung von den praktischen Verhaltungen des Subjekts am Anfang der „Analytik“: Von wegweisender Bedeutung ist dort die Einschätzung, daß das praktische Interesse am Nützlichen bzw. das Mittel/Zweck-Schema erst durch den „Begriff eines Zwecks“ (10) zum Tragen kommt: „Um etwas gut zu finden“ – d.h. damit etwas als Mittel gefallen kann –, „muß ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding sein solle, d.i. einen Begriff von demselben haben“ (ebd.). So etwas wie Nützlichkeit, und damit so etwas wie ein Mittel, kann es demzufolge immer erst im Anschluß an die Bestimmung eines Dings geben. Erst indem das Objekt als dieses oder jenes bestimmt ist, kann sich auch erweisen, in Hinblick auf welchen Zweck es zu verwenden ist. Die Praktizität des Subjekts sieht Kant somit erst durch die Bedürfnisse des Subjekts konstituiert, weil erst durch diese so etwas wie ein Ausgehen auf inhaltlich bestimmte Objekte für ihn ins Spiel kommt. Die Überwindung der praktischen Einstellung stellt sich Kant entsprechend als ein Absehen von bestimmten Zwecken vor.91 Offenbar kann Kant bei dieser Konzeption nicht stehenbleiben. Denn alles, was er ab dem §4 zur Beschreibung des ästhetischen Wohlgefallens anbringt, schließt das Wohlgefallen an geometrisch-regelmäßigen Gegenständen ein. Darin sieht er zunächst wahrscheinlich deshalb kein Problem, weil er das Wohlgefallen an ihnen durchaus für ein ästhetisches Wohlgefallen hält.92 Dem Ausschlußkriterium für ästhetisches Wohlgefallen – der
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Dies allerdings verbunden mit einer reflexiven Wendung, einem Achtgeben darauf, wie das Subjekt sich beim „Auffassen“ der Form eines Subjekts selbst fühlt. Siehe oben, S. 27, Anm. 26. Vgl. die Vorlesung „Menschenkunde“ aus dem Wintersemester 1781/82: „Es fragt sich, liegt in der Natur etwas, wobei man ohne die Beistimmung Anderer sagen könnte, daß dieses Anderer Beifall haben müsse? Allerdings liegt etwas in der Natur der Sache, woraus wir a priori urtheilen können, daß etwas für den öffentlichen Sinn, d.i. nicht nur angenehm, sondern auch schön sey. Dies sieht man deutlich bei dem Ebenmaße. Die Abgemeßenheit und Ordnung in einem Hause, wo die Thür nicht in einem Winkel angebracht ist, muß je-
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Vermitteltheit desselben durch bestimmte Zwecke bzw. bestimmte Begriffe – halten sie ja stand: Beim bloß Gleichförmigen und Regelmäßigen ist „kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt“ (49f.). Kants Intervention gegen den bis dato in der Lehre des Schönen wichtigen Vollkommenheitsbegriff könnte man so verstehen, daß er hier einer Intuition folgt, ohne zur eigentlichen Praktizität des Phänomens vordringen zu können. Das kann er nicht mit Rücksicht auf seine eigene Konzeption, die bis zu diesem Punkt die Vollkommenheitsästhetik nicht wirklich hinter sich gelassen hat. Das wäre schon in der „Analytik“ manifest geworden, hätte er nicht erst in der ihr angeschlossenen „Allgemeinen Anmerkung“ eingesehen: Vollkommenheit kann sehr wohl, ja muß eigentlich als die Auszeichnung von etwas rein Formalem angesehen werden, ohne deshalb im mindesten eine interesselose Präferenz für Objekte begründen zu können. 5. Das freie Spiel der Vorstellungskräfte Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen sei nun noch einmal jene Passage aus der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ betrachtet, in der Kant überraschenderweise so etwas wie „formale Vollkommenheit“ einräumt. Wenn aber die Einbildungskraft nach einem bestimmten Gesetze zu verfahren genötigt wird, so wird ihr Produkt, der Form nach, durch Begriffe bestimmt, wie es sein soll; aber alsdann ist das Wohlgefallen, wie oben gezeigt, nicht das am Schönen, sondern am Guten (der Vollkommenheit, allenfalls bloß der formalen), und das Urteil ist kein Urteil durch Geschmack (69).
Daß das Wohlgefallen an einem Produkt, das „der Form nach, durch Begriffe bestimmt“ wird, „wie es sein soll“ – damit meint Kant einen regelmäßig-geometrisch geformten Gegenstand – ein interessiertes Wohlgefallen ist, begründet er in der Folge, wie gezeigt, mit der praktischen Zweckmäßigkeit regelmäßiger Formen. Noch keineswegs verständlich ist aber, warum jene praktische Zweckmäßigkeit, die in der Ökonomie solcher Formen besteht, so etwas wie einen negativen Beigeschmack für das Subjekt haben sollte – wie es der Ausdruck vermittelt, der Einbildungskraft werde dabei ein Verfahren aufgenötigt.93 Anderen Formulierungen
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dem gefallen; dies läßt sich aus der Natur der Sache beweisen“ (Bd. 25, S. 1097). Vgl. dazu auch unten, S. 88f. Im §8 etwa hatte es geheißen, es könne „keine Regel geben, nach der jemand genötigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen“ (25; Hervorhebung von mir), was aber nicht mit
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zufolge ist die „reproduktive“ Einbildungskraft den Assoziationsgesetzen „unterworfen“ (69), es wird einer Gestalt die Regel „vorgeschrieben“ (70), oder die Einbildungskraft ist durch Regelmäßigkeit einem „Zwange“ (71) bzw. einem „lästigen Zwang“ (72) ausgesetzt. Diese Unlust suggerierenden Ausdrücke verlangen nach einer Erklärung, denn schließlich steht außer Frage, wie Kant selbst sagt, daß Regelmäßigkeit auf der anderen Seite der Grund für ein Wohlgefallen ist, wenn auch für ein interessiertes. Und der Grund dafür, daß die Regelmäßigkeit der Form nicht als Bedingung für das ästhetische Wohlgefallen in Frage kommt, liegt in nichts anderem als dem Nachweis dieses Interesses, also dem Nachweis der Berechtigung eines Wohlgefallens. Zu zeigen ist also, wodurch dieser Umschlag eines praktischen Wohlgefallens in jenes Negative von „Zwang“, „Nötigung“ oder „Vorschrift“ motiviert sein bzw. wie die Erfüllung eines praktischen Interesses mit Unfreiheit einhergehen soll. Was als positives Gegenbild zu jener negativen Befindlichkeit entworfen wird, ist nämlich die Rede von einer besonderen „Freiheit“ – in Formulierungen wie „freie Gesetzmäßigkeit der Einbildungskraft“, „Einbildungskraft in ihrer Freiheit“, „freie Gesetzmäßigkeit des Verstandes“, und „Einbildungskraft, wie sie sich selbst frei überlassen wäre“ (69). Diese besondere Freiheit ist erklärungsbedürftig, weil die entsprechende Unfreiheit darin bestehen soll, daß theoretischpraktische Interessen vorbildlich bedient werden. Unbefriedigend wäre eine Erklärung, die sich einfach nur auf ein besonderes Anliegen der Einbildungskraft beriefe und ihr unterstellte, daß sie sich durch die Anforderungen der Erkenntnis und der Praxis immer schon von ihren ureigenen Bedürfnissen gewissermaßen entfremdet habe. Das würde bedeuten, Verstand und Einbildungskraft gegeneinander auszuspielen und die Interessen von Theorie und Praxis ersterer, so etwas wie ein ästhetisches Anliegen letzterer zuzuschlagen. Die Freiheit, von der Kant in Zusammenhang mit der Einbildungskraft spricht, ist natürlich die Freiheit einer insgesamt anderen Einstellung, die nicht nur aus der Perspektive der einzelnen Aufbaustücke von Subjektivität und deren „Bedürfnisse“ beschrieben werden kann – dann wäre die Einheit des Subjekts in Frage gestellt –, sondern sich in der Überwindung der Interessiertheit von Praxis äußert. Nur dann ist das Subjekt als ganzes betroffen. Daß der theoretisch-praktische Kontext und seine Erfordernisse jetzt offenbar insgesamt als Zwang empfunden werden, ist also Ausdruck einer anderen Ebene von Befindlichkeit, die als Phänomen neu in den Blick gerät. Dieser ästhetischen Befindlichkeit widmet sich Kant weiter unten im
_____________ der Nötigung verwechselt werden darf, einen Begriff bei der Auffassung eines Gegenstandes zu verwenden.
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Text der „Allgemeinen Anmerkung“, weshalb also die Redeweisen von Freiheit der Einbildungskraft auf der einen und Zwang und Nötigung durch Regeln auf der anderen Seite, die in den ersten Absätzen auftauchen, nur ein Vorgriff sind. An die Erörterung der praktischen Nützlichkeit regelmäßiger Formen anschließend, wo es hieß, daß das Gelingen der Bestimmung eines Gegenstandes ein „Zweck in Ansehung der Erkenntnis“ sei, also „bloß die Billigung der Auflösung, die einer Aufgabe genüge tut“, folgt nun der entscheidende Zusatz: Es handele sich hier nicht um „eine freie und unbestimmt-zweckmäßige Unterhaltung der Gemütskräfte mit dem, was wir schön nennen, und wobei der Verstand der Einbildungskraft, und nicht diese jenem zu Diensten ist“ (71). Die Tätigkeit der „Gemütskräfte“, in der die ästhetische Freiheit der Einbildungskraft auf ihre Kosten kommt und der Verstand ihr „zu Diensten“ ist, beschreibt Kant als eine „freie“ – insofern nämlich „unbestimmtzweckmäßige“ – Unterhaltung. „Alles Steif-Regelmäßige“ habe „das Geschmackswidrige an sich: daß es keine lange Unterhaltung mit der Betrachtung desselben gewährt“ (72), fährt Kant fort, wobei der negativwertende Zusatz „steif“, wenn er nicht analytisch gemeint sein soll, nur bedeuten kann, daß eine besonders strenge Regelmäßigkeit gemeint ist. Dieser negative Beigeschmack kann dem Phänomen der Regelmäßigkeit nicht von sich aus zukommen, wo doch Kant an anderer Stelle die geometrisch-regelmäßigen Formen „der Einfachheit ihrer Konstruktion“ wegen einer „Bewunderung“ (277) für wert erachtet. Hier wird das Regelmäßige jedenfalls dafür gerügt, daß es „keine lange Unterhaltung“ gewährt, sondern, „sofern es nicht ausdrücklich das Erkenntnis oder einen bestimmten praktischen Zweck zur Absicht hat, lange Weile macht“ (72). Der Gegensatz zu den Anliegen der Praxis ist kaum deutlicher zu machen als durch den Ausdruck „lange Weile“; wird dadurch doch ein Mißfallen bezeichnet, das im Zusammenhang mit den Interessen der Praxis keine Daseinsberechtigung hat. Für das praktisch eingestellte Subjekt besteht nämlich nicht der geringste Vorteil darin, sich länger als nötig erkennend mit seiner Umwelt auseinandersetzen zu müssen. Als Beispiel für einen Gegenstand, bei dessen „Anblick“ das Subjekt leicht „überdrüssig“ wird, nennt Kant eine Plantage. Beim Anblick eines „Pfeffergartens“,94 so das einer Reisebeschreibung entnommene Beispiel, „wo die Stangen, an denen sich dieses Gewächs rankt, in Parallellinien Alleen zwischen sich bilden“ (72), versetze der Verstand „durch die Regelmäßigkeit sich in die Stimmung zur Ordnung, die er allerwärts bedarf“ (ebd.). Ein solches Objekt kommt dem Anliegen der Praxis in vorbildlicher Weise entgegen, weil
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Kants einziges Beispiel für einen geometrisch-geformten Gegenstand der Empirie im §62 ist ebenfalls ein Garten bzw. die „Ordnung und Regelmäßigkeit“ der in ihm angeordneten Beete und Gänge (vgl. oben, S. 67).
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das Subjekt nicht erst Anstrengungen unternehmen muß, um sich für den praktischen Umgang mit ihm zu orientieren,95 sich also nicht unnötig lange bei Theorie aufhalten muß und sofort dazu übergehen kann, worum es ihm eigentlich geht: die Verfolgung seiner praktischen Zwecke und Befriedigung seiner Bedürfnisse. Um das den Interessen der Praxis gegenübergestellte ästhetische Anliegen des Subjekts zu beschreiben, ein Anliegen, unter dem es sich auf einmal an Umständen erfreut, die innerhalb von Praxis Anlaß für Mißfallen sind, und es einer für Praxis denkbar zweckmäßig eingerichteten Umwelt „überdrüssig“ wird, verwendet Kant den Ausdruck „Spiel“ bzw. „freies Spiel“. So sei die praktisch-zweckmäßige, weil regelmäßige Anlage des Pfeffergartens nichts, „womit Einbildungskraft ungesucht und zweckmäßig spielen kann“ (72).96 Dies nun ist der Kontext, in dem Kants „freies Spiel der Vorstellungskräfte“ (71) zu Hause ist. Daß Kant hier, wo er von „Spiel“ spricht, auch wirklich Spiel meint, macht das Attribut „frei“ deutlich. Es stellt sicher, daß unter „Spiel“ so etwas wie ein Gegenmodell zu Praxis und Arbeit zu verstehen ist, und nicht nur ein bloßes zeitliches Nacheinander von Vorstellungen im Gegensatz zu räumlichem Zugleich, für welches Kant den Ausdruck „Spiel“ als Terminus des öfteren einsetzt.97 In der Bedeutung eines bloßen Nacheinander, und ohne jede Konnotation von spielerischer Freiheit im Gegensatz zum Zwang von Arbeit und Praxis, verwendet Kant den Begriff des Spiels auch hier in der KU, und zwar in früheren Partien wie dem §14 der AS: „Alle Form der Gegenstände der Sinne (der äußeren sowohl als mittelbar auch des inneren) ist entweder Gestalt oder Spiel: im letzteren Falle entweder Spiel der Gestalten (im Raume: die Mimik und der Tanz), oder bloßes Spiel der Empfindungen (in der Zeit)“ (42). Daß Kant in solchen Kontexten meist pejorativ von einem „bloßen“ Spiel spricht, bringt das Zurückbleiben eines solchen Nacheinander hinter
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In der Natur sich zu orientieren, heißt Kant zufolge, „sich in dieser ihrer übergroßen Mannigfaltigkeit Begriffe zu verschaffen“ (L). Man beachte den neuen, ungewohnten Kontext von „zweckmäßig“: Mit diesem Ausdruck wird jetzt etwas spezifiziert, das sich mit seinem Anliegen seinerseits von Zweckmäßigkeit qua Nützlichkeit abhebt. Der Zweck, von dem jetzt die Rede ist, ist gewissermaßen das Spiel, etwas also, das eigentlich außerhalb der Sphäre von Nutzen und Zweck steht. Mit dieser Verwendung von „zweckmäßig“, die nur vereinzelt auftritt (siehe unten, S. 108), ließe sich nun eine neue Bedeutung der Formel „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ konstruieren: Das Zweckmäßige wären diejenigen Umstände, unter denen so etwas wie Spiel befriedigend ausfallen kann, während mit dem Spiel kein Zweck verfolgt wird. Bezüglich der Anliegen der Erkenntnis sind die dem Spiel förderlichen Formen aber gerade nicht zweckmäßig. Als Synonym für Spiel in diesem Sinn eines bloßen Nacheinander gebraucht Kant auch die Ausdrücke „Gefolge“ bzw. „Reihe“ (R 683). Vgl. außerdem R 655; A 101 und A 194 B 239 zusammen mit A 33 B 49f.
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Erkenntnis zum Ausdruck. Das ist etwa auch im §21 der Fall, wo Kant ein „bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte“ (65) zum Thema macht, welches, „gerade so wie es der Skeptizism verlangt“, keine „Übereinstimmung mit dem Objekt“ (ebd.) und damit auch keine allgemeine „Mitteilbarkeit“ gestattet.98 Der Sinn von Spiel als Gegenmodell zu den Mühen und Zwängen von Arbeit bzw. Praxis liegt dagegen überall da zugrunde, wo vom „freien Spiel“ die Rede ist, wie in der „Allgemeinen Anmerkung“ und in der eindeutig zu den später entstandenen Teilen der KU gehörenden zweiten Hälfte der „Deduktion“, insbesondere ab dem §43, von dem noch zu handeln sein wird.
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In der KrV bedeutet die Rede von einem „bloßen Spiel“ klarerweise jenes rein Negative, daß das Nacheinander von Vorstellungen ohne Zusammenhang, für die Erkenntnis also fruchtlos ist (z.B. A 239 B 298; A 101). Spätestens seit Trebels’ Arbeit Einbildungskraft und Spiel (vgl. aber auch schon Tumarkin, „Zur transzendentalen Methode der Kantischen Ästhetik“, S. 355) hat es allerdings Schule gemacht, bereits in der KrV ein Spiel im Gange zu sehen. Beispiele hierfür sind Paetzold, Ästhetik des deutschen Idealismus, S. 64f., Pilot, „Kant’s Theory of the Autonomy of Reflective Judgment“, S. 111; Wieland, Urteil und Gefühl, und zuletzt Gasché, der unter Berufung auf Trebels’ Ergebnisse behauptet: „In the Critique of Pure Reason [...] play stands in opposition to cognition, and its product is Erdichtung (fiction or invention)“ (The Idea of Form, S. 43). In der KrV darf „Erdichtung“ aber nicht im Sinn einer nichtkognitiven Einstellung verstanden werden; Kant meint damit ein Zurückbleiben hinter die Bedingungen von Erkenntnis bzw. eine mangels Objektbezug gar nicht vollständig gewordene Erkenntnis (vgl. Heidemann, Der Begriff des Spiels, S. 128). Jede Verbindung zum ästhetischen Kontext und zum „Spiel“ im eigentlichen Sinn, und damit zu einer Einstellung von eigenem Wert, ist hier abwegig. Um seine These zu belegen, daß im §9 das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ gleichzusetzen sei mit dem zur „Erkenntnis überhaupt schicklichen subjektiven Verhältnis“, daß also jeder Erkenntnis ein freies Spiel wie im Rahmen der ästhetischen Einstellung zugrunde liege, gibt Wieland in Urteil und Gefühl (S. 354) als Vergleichsstelle in der KrV die folgende Passage an: „Wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, d.i. sich auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll, so muß der Gegenstand auf irgendeine Art gegeben werden können. Ohne das sind Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in der Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt“ (A 155 B 194f.; vgl. die Stelle A 239 B 298f., die – mit ähnlicher Intention – auch Strub, „Das Häßliche und die Kritik der ästhetischen Urteilskraft“, S. 429 Anm., anführt). Worauf sich Kant hier mit dem Ausdruck „spielen“ – eindeutig pejorativ – bezieht, ist aber eine Situation, in der ein intendierter Objektbezug nicht stattfindet und deswegen ein für Erkenntnis denkbar unschickliches Verhältnis von Verstand und Einbildungskraft vorliegen muß. Daß Wieland jene Gleichsetzung von freiem Spiel und den Bedingungen für Erkenntnis als unproblematisch ansieht, ist tatsächlich „überraschend“ (vgl. Kern, „Lust an der Erkenntnis“, S. 1063). Unplausibel ist zudem die damit zusammenhängende These, daß jede empirische Erkenntnis durch ein freies Spiel der Erkenntnisvermögen hindurch muß, was ja auch heißt, daß jeder erkennbare Gegenstand (vielleicht mehr oder weniger) schön wäre (vgl. Kern, S. 1064), somit eine „Wahl nach Geschmack“ – das ist die Unterscheidung, „ob etwas schön sei oder nicht“ (3) – gar nicht stattfinden könnte.
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C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU 1. Zwei unversöhnliche Begrifflichkeiten Um den Weg Kants zum Begriff des „freien Spiels“ nachzuvollziehen, ist die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ also der rechte Ort, denn hier (und nirgendwo sonst) wird überzeugend dargelegt, was unter jenem dem „freien Spiel“ entgegengesetzten „Zwang“ zu verstehen ist. Dieser Zwang besteht in Erfordernissen der Praxis, die aufgrund ihrer ureigensten Bedingungen immer dergleichen wie Regelmäßigkeit und Monotonie den Vorzug geben wird. Der ökonomischen Form kann ein Wohlgefallen gelten, aber es ist nicht das ästhetische, denn wie die „Allgemeine Anmerkung“ darlegt, betrifft ein solches Wohlgefallen eigentlich die „objektive“ Zweckmäßigkeit solcher Gestalten und ist also interessiert. Das ist aber nicht der Grund, warum eine ökonomisch eingerichtete Welt den Vorstellungskräften gleich „Zwang“ antut oder warum jener beschriebene Pfeffergarten als „langweilig“ empfunden wird. Der Grund dafür kann nur sein, daß ein ästhetisch eingestelltes Subjekt mit anderen Anliegen, anderen Erwartungen seiner Außenwelt gegenübertritt als ein praktisch motiviertes. Die Vorstellungskräfte eines ästhetisch eingestellten Subjekts wollen „unterhalten werden“ (71), sie verlangen Gegenstände, die „lange Unterhaltung mit der Betrachtung“ (72) gewähren. Einen Namen erhält dieses Anliegen durch die Analogie zum Spiel, und die entsprechenden Ausdrücke für das, was dem ästhetisch-spielerischen Anliegen zuwider ist, was es in seiner spielerischen Freiheit stört, lauten etwa „Nötigung“, „Zwang“ oder „Einschränkung“. Die spielerisch gestimmte Einbildungskraft fühlt sich in ihrer Freiheit beschnitten, wenn sie auf eine Außenwelt trifft, die den Regeln der Praxis untergeordnet ist. Im §9, der den Begriff des „freien Spiels der Erkenntniskräfte“ einführt, wird dieser Hintergrund nicht klar. Die Frage ist aber, ob sich dieser Hintergrund, wenn er einmal geklärt ist, mit dem Rest des §9 ohne weiteres verträgt. Das freie Spiel und die mit ihm verbundene Begrifflichkeit ist innerhalb Kants Nachdenken über Ästhetik jedenfalls nichts Neues, denn seine Spuren lassen sich bis weit in die vorkritische Phase zurückverfolgen.99 Auch Überlegungen, die im Zusammenhang mit Spiel ein Element der „Unterhaltung“ bzw. „Belebung“ der Gemütskräfte hervorheben, tauchen in Kants Reflexionen und Vorlesungen regelmäßig auf.100 Die Rolle der „Allgemeinen Anmerkung“ kann nun nicht nur darin bestehen, diesen
___________ 99 Vgl. z.B. Bd. 15, R 618; R 801-812; R 922. 100 Vgl. z.B. R 618; R 801; R 802; R 811; R 817; R 901; R 921a; Bd. 25, S. 762, 983, 986f.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU
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Aspekt der Spielbegrifflichkeit zu erläutern, denn indem dieser Abschnitt der KU regelmäßig-geometrischen Gegenständen Schönheit abspricht, enthält er die klare Revision eines früher vertretenen Standpunkts: Kant war ausdrücklich einmal der Meinung gewesen, daß Regelmäßigkeit das ästhetische Wohlgefallen begünstigt.101 Die Spielterminologie ist zwar mit Sicherheit nicht erst die Antwort auf diese Korrektur, doch durch diesen neuen Standpunkt wird das Zusammenwirken der einzelnen Theoriebausteine, die zum großen Teil auch schon vor der KU zur Verfügung standen, empfindlich gestört. Fast alles, was die AS an Begrifflichkeit zu bieten hat, gehört schon vor der KU irgendwie zusammen: Man trifft auf Begriffe wie die „Übereinstimmung“102 bzw. „Zusammenstimmung“103 von Verstand und Sinnlichkeit, Übereinstimmung von Anschauung mit den „Regeln des Verstands“104 oder der „Form“ bzw. „Erscheinung“ mit den „Gesetzen der Sinnlichkeit“105; auf Formulierungen, die das Schöne zurückführen auf ein besonderes Maß an „Begreiflichkeit und Leichtigkeit“ in der Zusammenfassung106, Erleichterung der „Unterscheidung“ bzw. „Abstechung“107; erleichterte „Handlungen des Verstands“108 oder „Faßlichkeit“109 bzw. „Klarheit“ der Form110. Die Erleichterung der Tätigkeit der Erkenntniskräfte sieht Kant auf der anderen Seite als Grund für die „Belebung“ bzw. „Bewegung“ der Erkenntniskräfte an,111 und dergleichen wie
___________ 101 Das tritt in Reflexionen und Vorlesungsnachschriften viel deutlicher zutage als im §15, wo nur das Beispiel der kreisrunden Waldlichtung vorgebracht wird. Vgl. R 871; Bd. 24, S. 356; Bd. 25, S. 181. Kants Beispiele sind u.a. ein „regelmäßig aufgeführter Palast“ (Bd. 24, S. 348), Häuser, die durch „Ordnung“ und „Abgemessenheit“ und rechte Winkel gefielen (Bd. 25, S. 1097) und das schon erwähnte „Amphitheater im Walde“ (Bd. 25, S. 1510). Auch in Zusammenhang mit Geometrie und Symmetrie, der „Regel der Sparsamkeit“, fällt das Prädikat „schön“ (Bd. 24, S. 140; S. 807), was in der KU nicht vorkommt. 102 R 1810; vgl. auch R 983; R 1798; R 1910. 103 R 1842; Bd. 24, S. 710. 104 R 1797; R 1798. 105 R 1793. 106 R 638; R 625. 107 R 625. 108 R 630. 109 R 672; R 1797. 110 Bd. 24, S. 353. 111 „Alles, was unsere Anschauungen erleichtert, wodurch man die Gegenstände den Verstandesbegriffen auf leichte Weise nahe bringt oder dem intellectualen sinnlichkeit giebt, was ein freyes Spiel unsrer Vermögen giebt: gefällt subjectiv“ (R 806). Vgl. Bd. 24, S. 344, wo es heißt, daß eine Erkenntnis dann mit dem Subjekt übereinstimme, „wenn sie alle Gemüthskräfte in ein leichtes und freyes Spiel versetzt“. An anderer Stelle spricht Kant einmal von einer Erkenntnis, die „uns zu dencken giebt“, und führt dies u.a. auf ihre „Leichtigkeit“ zurück (Bd. 24, S. 44), oder er stellt einen Zusammenhang her zwischen der „Übereinstimmung“ von Verstand und Sinnlichkeit und dem Ziel, die „Gemüthskräfte harmonisch zu beleben“ (Bd. 25, S. 759f.). An einer anderen Stelle ist die Rede davon, daß die
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Bewegung und Belebung gehört für Kant seit jeher zu den Wirkungen des Spiels schlechthin.112 Es wäre aber falsch, auf diesen gewohnten Zusammenhang beim früheren Kant zu verweisen, um für die Homogenität der Begrifflichkeit des §9 zu argumentieren. Zwar gibt es auch eine Stelle gegen Ende des §9, wo Kant aus der „Zusammenstimmung“ der Erkenntniskräfte eine Belebung ableitet und von einem „erleichterten Spiele“ (31) des Verstands und der Einbildungskraft spricht. Hier steht im Hintergrund der Gedanke, daß Kräfte sich da, wo sie auf kein Hindernis treffen, „frei“ entfalten können, was nichts anderes bedeutet, als Belebung darauf zurückzuführen, daß das Erreichen eines vorgegebenen Zieles begünstigt wird. Aber die Implikationen der Spielbegrifflichkeit, wie sie in der „Allgemeinen Anmerkung“ entfaltet wird, gehen nicht in diese instrumentelle, sondern in eine grundsätzlich andere Richtung: Das Zweckmäßige in „allerlei möglicher Absicht“, d.h. jede theoretische wie praktische Begünstigung des Subjekts, ist in Hinblick auf die ästhetische Belebung geradezu hinderlich, wie es dort heißt, und erst so wird klar, was jene besondere „Freiheit“ von Begriffen und Erkenntnisregeln an jener Stelle, die im §9 das „freie Spiel“ zum ersten Mal erwähnt, zu bedeuten hat. Weder Begriffe noch Erkenntnisregeln stellen für die Erkenntnistätigkeit ein Hindernis dar; ganz im Gegenteil sind Begriffe und Regeln unentbehrliche Mittel, um Gegenstände zu erkennen. Von ihnen befreit zu sein, bedeutet keine Belebung im Sinn der Erleichterung einer Aufgabe. Nach der „Allgemeinen Anmerkung“ ist das von Erkenntnisregeln befreite Subjekt nur insofern belebt, als es ihm in dieser besonderen, ästhetischen Einstellung um die Befreiung vom gewöhnlichen, immer zweckorientierten theoretisch-praktischen Zusammenhang geht. Im selben Maß, wie durch die „Allgemeine Anmerkung“ zur „Analytik“ der Kontext des Begriffs vom „freien Spiel“ klar wird, wird der Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des §9 fragwürdig. Was sich vor der KU noch zu ergänzen schien: das freie Spiel, die Erleichterung der Erkenntnistätigkeit und ihre Belebung, paßt durch die Überlegungen der „Allgemeinen Anmerkungen“ nicht mehr zusammen. Durch die Begrifflichkeit der KU geht ein Riß, und wie zu zeigen ist, läßt sich dieser Riß nicht nur systematisch-argumentativ nachweisen, sondern auch in der Ge-
_____________ Sinnlichkeit „in beständiger Aktivität“ sein wolle, und daß sie deshalb Stoff brauche, „womit sie sich beschäftigen kann“ (Bd. 24, S. 353). Im unmittelbaren Kontext heißt es, die „Accorde der Musik“ gefielen wegen „des leichten Verhältnisses [...] zwischen ihren Tönen“; ein Gebäude errege Wohlgefallen, wenn sein Anblick durch die Proportionen „erleichtert“ werde (ebd.). „Symetrie erleichtert die Begreiflichkeit, und ist das Verhältniß der Sinnlichkeit. [...] Gleichheit der Theile befördert meine sinnlichen Vorstellung, erleichtert die Anschauung, vermehrt das Leben der Thätigkeit und begünstigt sie“ (Bd. 25, S. 181). 112 Siehe unten, S. 116ff.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU
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genüberstellung der einzelnen Teile der KU, in denen die Terminologien von Zweckmäßigkeit und Übereinstimmung von Verstand und Einbildungskraft auf der einen und die vom freien Spiel und Belebung auf der anderen jeweils ganz unterschiedliches Gewicht haben. 2. Das „freie Spiel“ in der „Analytik des Schönen“ Die Rekonstruktion einer geschlossenen Argumentation aus dem begrifflichen Gefüge des §9 wird durch die „Allgemeine Anmerkung“ in Frage gestellt, weil ihre Überlegungen die Zusammengehörigkeit jenes „Zustands eines freien Spiels der Erkenntniskräfte“ (28) mit dem, was Kant das zur „Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis“ (29) nennt, in Frage stellen. Denn befragt man die „Anmerkung“, was unter einem zur „Erkenntnis überhaupt schicklichen subjektiven Verhältnis“ zwischen Verstand und Einbildungskraft zu verstehen ist, erhält man zwei mögliche Antworten, deren Folgen für die Konstruktion des §9 gleichermaßen verheerend sind. Einerseits könnte nämlich geantwortet werden, daß es ein solches Verhältnis, soll damit ein günstiges Verhältnis zur Bestimmung des Gegenstandes gemeint sein, nicht gibt, weil es für die Bestimmung eines Gegenstandes nur eine einzige Bedingung geben kann: die Abgrenzbarkeit des Gegenstandes durch eine umschließende Oberflächenform. Bei Nichterfüllung dieser Bedingung läge überhaupt kein Gegenstand vor. Zum anderen ließe sich mit der „Allgemeinen Anmerkung“ sagen, daß jede Bedingung, die zu so etwas wie einer vorbildlichen Arbeit der Erkenntniskräfte führt bzw. deren Aufgabe erleichtert, einem „Zweck in Ansehung der Erkenntnis“ genügen würde und deshalb ein Wohlgefallen hervorriefe, welches „bloß die Billigung der Auflösung, die einer Aufgabe Genüge tut, und nicht eine freie und unbestimmt-zweckmäßige Unterhaltung der Gemütskräfte“ (71) wäre. Der Ausdruck „Harmonie der Erkenntnisvermögen“ aus dem §9 ist durch die „Anmerkung“ prinzipiell fragwürdig geworden. Denn in regulärer Erkenntnistätigkeit, so heißt es dort, ist die Einbildungskraft dem Verstand gewissermaßen zu Diensten, so daß hier jede „Zusammenstimmung“ nur durch das Diktat des Verstandes, aus der Sicht der Einbildungskraft also nur unfrei zustande kommen kann. Und soll es die Einbildungskraft sein, die auf ihre Kosten kommt, dreht sich das Verhältnis um, so daß es dann der Verstand ist, der die Rolle des Zurückgestellten einzunehmen hat. Weil es gemäß der „Allgemeinen Anmerkung“ im Zustand des freien Spiels eindeutig der Verstand ist, der sich fremden Anforderungen zu unterwerfen hat, ist es auch nicht denkbar, daß die „Harmonie“ des §9 durch einen Ausgleich der Interessen von Verstand
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
und Einbildungskraft geleistet wird. Bei der geforderten „freien und unbestimmt zweckmäßigen Unterhaltung der Gemütskräfte“ sei schließlich „der Verstand der Einbildungskraft, und nicht diese jenem zu Diensten“ (71). Der Verstand gibt diesem „Spiel der Vorstellungskräfte“ allenfalls eine Grenze, soweit es nämlich nur „unter der Bedingung, daß der Verstand dabei keinen Anstoß leide“ (ebd.), stattfinden kann. Die Interessen des Verstandes werden hier also nur insofern beachtet, als die Grenze des für ihn Tolerierbaren nicht überschritten werden soll. Ein solches Kräfteverhältnis zwischen Einbildungskraft und Verstand ist mit der im §9 beschriebenen „Harmonie“ zwischen Verstand und Einbildungskraft, die „auf jener Allgemeinheit [...] der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet“ (29)113, kaum zu vereinbaren. Hat man das Spiel der Erkenntniskräfte und die Zusammenstimmung von Verstand und Einbildungskraft bezüglich der Bedingungen von „Erkenntnis überhaupt“ argumentativ voneinander abgesondert, zeigt sich, daß das Ineinander der beiden Terminologien in der Textgestalt der AS bzw. im §9 nicht gerade dicht ist. Die Spielterminologie, wie sie auf die „Allgemeine Anmerkung“ zurückzuführen ist, läßt sich im gesamten Text der AS leicht isolieren, weil ihre Rolle dort stark begrenzt ist. Bis zum §9 taucht sie überhaupt nicht auf, und in den 13 Paragraphen zwischen dem §9 und besagter „Allgemeinen Anmerkung“, die ihre Überlegungen zu Regelmäßigkeit und Spiel für das „Resultat aus den obigen Zergliederungen“ ausgibt, gibt es nur vier Stellen, an denen dieser Begriff (jeweils
___________ 113 Außer natürlich, ein Spiel der Erkenntniskräfte soll Teil einer „ästhetischen Vorgeschichte des Erkennens“ sein (vgl. Wieland, Urteil und Gefühl, S. 378). Zu diesem Mißverständnis kann es freilich nur kommen, wenn man auch Kants Gebrauch des Ausdrucks „Spiel“ in der KrV in der hier relevanten Bedeutung versteht (siehe oben, Anm. 98). Die einschlägigen Stellen des §9 genügen dazu nicht. Auch jene Stelle des §39, wo Kant von einer „Proportion dieser Erkenntnisvermögen“ spricht, die „auch zum gemeinen und gesunden Verstande erforderlich ist“ (155), gibt das nicht her. Hier darf man Kant nicht so verstehen, daß die Vorstellungskräfte schon immer spielen (wie etwa Gracyk, „Sublimity, Ugliness and Formlessness in Kant’s Aesthetic Theory“, S. 50). An dieser Stelle versucht Kant vielmehr, das freie Spiel mit den Bedingungen für Erkenntnis erst zu vereinbaren: Das Gemeinsame von ästhetischer und theoretischer Einstellung ist hier „die gemeine Auffassung eines Gegenstandes durch die Einbildungskraft, als Vermögen der Anschauung, in Beziehung auf den Verstand“ (ebd.), nicht aber die „Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen in ihrer Freiheit“ (ebd.), denn diese markiert die Besonderheit der ästhetischen Erkenntnistätigkeit. Die „Beschäftigung beider Erkenntnisvermögen in ihrer Freiheit“ nennt er „subjektiv zweckmäßig“ (ebd.), wobei sich aber fragt, was die Hinsicht dieser Zweckmäßigkeit ist: Ist es die „Beschäftigung in ihrer Freiheit“ – dann ist vorausgesetzt, daß die Erkenntniskräfte unter besonderen Vorgaben operieren sollen, die nicht mehr das Erkenntnisziel beinhalten; ist es die zuvor geschilderte Aufgabe, einen Gegenstand „in Beziehung auf den Verstand“ durch die Einbildungskraft aufzufassen – dann wäre das schlecht vereinbar mit dem Aspekt besagter „Freiheit“.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU
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denkbar knapp) Erwähnung findet. In dem wichtigen §15 kommt der Begriff des Spiels, nicht aber der des „freien Spiels“ vor.114 Dieser Paragraph widerspricht zudem in einem wichtigen Punkt den Ergebnissen der „Allgemeinen Anmerkung“, die ja die Grundlagen für den Spielbegriff schafft. a) Der §9, noch einmal betrachtet Außerhalb des §9 wird in der AS das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“ nur an wenigen Stellen thematisiert. Aber selbst im §9 ist der Ausdruck des „freien Spiels“ nur lose verankert – so lose in der Tat, daß es sogar denkbar wäre, diese Formel als spätere Zutat zum §9 anzusehen. Wie ein erneuter Blick auf den Gedankengang des §9 zeigen soll, ist die Beziehung zwischen der Formel des „freien Spiels“ und dem übrigen Text so oberflächlich, daß sich auch ohne diese eine stimmige Argumentation ergeben würde.115 Zur besseren Übersichtlichkeit sind im folgenden die ersten sieben Absätze des Paragraphen vollständig und numeriert wiedergegeben; durch Fettdruck hervorgehoben sind die drei Stellen, die das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ zum Thema haben. Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurteile das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe. [1] Die Auflösung dieser Aufgabe ist der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks und daher aller Aufmerksamkeit würdig. [2] Ginge die Lust an dem gegebenen Gegenstande vorher, und nur die allgemeine Mitteilbarkeit derselben sollte im Geschmacksurteile der Vorstellung des Gegenstandes zuerkannt werden, so würde ein solches Verfahren mit sich selbst im Widerspruche stehen. Denn dergleichen Lust würde keine andere als die bloße
___________ 114 Gegen Ende des §15 ist von der „Einhelligkeit im Spiele der Gemütskräfte“ (47) die Rede, wobei „Einhelligkeit“ aber ganz im Sinn der „Behaglichkeit“ und des Zusammenstimmens der Vorstellungskräfte zu verstehen ist. (An anderer Stelle taucht die Formulierung „einhellig“ zwar im Zusammenhang mit dem „freien Spiel“ auf, doch ist es dort nicht die „Einhelligkeit“, sondern eben die „Unbestimmtheit“ der Tätigkeit, die als Grund für die Belebung von Verstand und Einbildungskraft und damit als eigentlich „spielerisches“ Element angeführt wird; [31] vgl. dazu unten, Anm. 118). Unter „Spiel“, zumal an dieser Stelle das Attribut „frei“ fehlt, kann also ein bloßes Nacheinander von Vorstellungen verstanden werden. 115 Daß der Konflikt in Kants Begrifflichkeit sich mit der zeitlichen Entstehungsreihenfolge der einzelnen Teile der KU zusammenbringen läßt, ist für meine Argumentation nicht entscheidend; es geht hier um eine sachliche Schwierigkeit, die in der Spielbegrifflichkeit begründet liegt. Wichtiger als die These, das „freie Spiel“ könne nachträglich in den §9 eingefügt worden sein, ist der Nachweis, daß der §9 auch ohne diesen Begriff einen vollständigen und stringenten Gedankengang ergäbe. Anhaltspunkte für eine Einfügung der fraglichen Passagen sind mir natürlich willkommen.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Annehmlichkeit in der Sinnenempfindung sein, und daher ihrer Natur nach nur Privatgültigkeit haben können, weil sie von der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben wird, unmittelbar abhinge. [3] Also ist es die allgemeine Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche, als subjektive Bedingung des Geschmacksurteils, demselben zum Grunde liegen und die Lust an dem Gegenstande zur Folge haben muß. Es kann aber nichts allgemein mitgeteilt werden als Erkenntnis und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört. Denn sofern ist die letztere nur allein objektiv, und hat nur dadurch einen allgemeinen Beziehungspunkt, womit die Vorstellungskraft aller zusammenzustimmen genötigt wird. Soll nun der Bestimmungsgrund des Urteils über diese allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellung bloß subjektiv, nämlich ohne einen Begriff vom Gegenstande gedacht werden, so kann er kein anderer als der Gemütszustand sein, der im Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen. [4] [A] Die Erkenntniskräfte, die durch diese Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hierbei in einem freien Spiele, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt. Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des freien Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse überhaupt sein. Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntnis werde, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt. [B] Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen, bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, muß sich allgemein mitteilen lassen; weil Erkenntnis, als Bestimmung des Objekts, womit gegebene Vorstellungen (in welchem Subjekte es auch sei) zusammenstimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für jedermann gilt. [5] Die subjektive allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellungsart in einem Geschmacksurteile, da sie, ohne einen bestimmten Begriff vorauszusetzen, stattfinden soll, kann nichts anderes als der Gemütszustand [C] in dem freien Spiele der Einbildungskraft und des Verstandes (sofern sie untereinander, wie es zu einem Erkenntnisse überhaupt erforderlich ist, zusammenstimmen) sein; indem wir uns bewußt sind, daß dieses zum Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis ebensowohl für jedermann gelten und folglich allgemein mitteilbar sein müsse, als es eine jede bestimmte Erkenntnis ist, die doch immer auf jenem Verhältnis als subjektiver Bedingung beruht. [6] Diese bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes oder der Vorstellung, wodurch er gegeben wird, geht nun vor der Lust an demselben vorher und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen; auf jener Allgemeinheit aber der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjektive Gültigkeit des Wohlgefallens, welches wir mit der Vorstellung des Gegenstandes, den wir schön nennen, verbinden.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU
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[7] Daß seinen Gemütszustand, selbst auch nur in Ansehung der Erkenntnisvermögen, mitteilen zu können, eine Lust bei sich führe, könnte man aus dem natürlichen Hange des Menschen zur Geselligkeit (empirisch und psychologisch) leichtlich dartun. Das ist aber zu unserer Absicht nicht genug. Die Lust, die wir fühlen, muten wir jedem anderen im Geschmacksurteile als notwendig zu, gleich als ob es für eine Beschaffenheit des Gegenstandes, die an ihm nach Begriffen bestimmt ist, anzusehen wäre, wenn wir etwas schön nennen; da doch Schönheit ohne Beziehung auf das Gefühl des Subjekts für sich nichts ist. Die Erörterung dieser Frage aber müssen wir uns bis zur Beantwortung derjenigen: ob und wie ästhetische Urteils a priori möglich sind, vorbehalten.
Daß zur Rekonstruktion eines vollständigen Gedankengangs die Formel vom „freien Spiel der Erkenntniskräfte“ nicht benötigt wird, wie oben bereits dargestellt,116 kann durch einen Blick auf die Absätze 6 und 7 sinnfällig bestätigt werden. Das wichtigste Ergebnis ist zufolge des Absatzes 6, der die bisherigen Überlegungen zusammenfaßt, daß die ästhetische Beurteilung des Gegenstandes auf den „subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet“ – kein Wort davon, daß diese Bedingungen in einer wesentlichen Abweichung vom gewöhnlichen Erkenntnisprozeß bestehen, wie es der Ausdruck „freies Spiel der Erkenntniskräfte“ mit der dadurch verbundenen Entbindung von der Einschränkung „auf eine besondere Erkenntnisregel“ suggeriert. Inklusive der Konstruktion des „freien Spiels“ beinhaltet der §9 also zwei wesentliche Ergebnisse; neben der Hinwendung zu den subjektiven Bedingungen der Erkenntnis wäre die Besonderheit dieser Tätigkeit als „freier“ zumindest noch einmal erwähnenswert. Auch am Anfang des Absatzes 7 hält es Kant für die hauptsächliche Neuerung des §9, daß das ästhetische Urteil sich auf einen „Gemütszustand [...] in Ansehung der Erkenntnisvermögen“ beruft, nicht aber die Tatsache, daß dieser Gemütszustand im Gegensatz zum üblichen Erkenntnisprozeß ein „freies Spiel“ beinhaltet. Da diese Konzeption noch an keiner Stelle der Analytik vorbereitet wurde, muß das spärliche Eingehen auf diese wichtige Neuheit verwundern. Im gesamten Text dieser ersten sieben Absätze gibt es nur eine einzige Passage, die sich als eine Erläuterung des Ausdrucks „freies Spiel der Erkenntniskräfte“ verstehen läßt, nämlich Abschnitt A am Anfang von Absatz 4. Die beiden anderen Sätze, in denen das „freie Spiel“ Erwähnung findet, ergäben auch ohne diesen Begriff einen klaren Sinn: Das „freie Spiel“ ist in beiden Fällen nur als Zusatz zum Konzept der „Zusammenstimmung“ von Verstand und Einbildungskraft zu verstehen, bzw. es wird die Zusammenstimmung der Vorstellungskräfte durch besagte Formel als „freies Spiel“ verstanden. Am Anfang von Satz B ist der Satzanschluß „Dieser Zustand“ unpassend, weil im Satz davor von einem „freien Spiel“
___________ 116 Siehe oben, S. 25ff.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
keine Rede war (der stimmige Bezugspunkt wäre also direkt Passage A), weshalb der Satz stringenter beginnen würde: „Und der Zustand der Erkenntnisvermögen bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird [...]“117. In Satz C könnte „in dem freien Spiele“ entfallen bzw. durch „im Verhältnis“ (vgl. das Ende von Absatz 3) ersetzt werden. Außerdem fällt auf, daß die Passage A – hat man sie einmal als solche optisch isoliert – den Textverlauf stört. Die natürliche Fortsetzung des Satzes „Soll nun der Bestimmungsgrund [...] eine gegebene Vorstellung auf Erkenntnis überhaupt beziehen“ wäre der Satz „Nun gehören zu einer Vorstellung [...]“, weil er den letzten Gedanken im Absatz 3 aufnimmt und erläutert, was mit den erwähnten „Vorstellungskräften“ gemeint ist. Die Passage A hingegen geht gleich dazu über, die Tätigkeit dieser Vorstellungskräfte zu erläutern. Daß nach diesen Ausführungen in A, die eine unkonventionelle Verfahrensweise der Erkenntniskräfte, schon ins Detail gehend, beschreiben, erst noch gesagt wird, was die Akteure dieser Tätigkeit sein sollen, befremdet. Streicht man die Passage A komplett, ergibt sich ein flüssiger Gedankengang: Die Absätze 4 und 5 erläutern sukzessive den letzten Satz in Absatz 3; während Absatz 4 ausführt, daß es sich bei den gerade erwähnten Vorstellungskräften um Verstand und Einbildungskraft handelt und daß diese bei jeder Erkenntnis im Spiel sind, erklärt Absatz 5, daß die Zusammenstimmung der beiden bzw. ihr besonders schickliches Verhältnis dasjenige ist, worauf im Geschmacksurteil Bezug genommen wird und wodurch die Allgemeinheit desselben gewährleistet wird. Dem um das „freie Spiel der Einbildungskräfte“ bereinigten Gedankengang vom Ende des Absatzes 3 bis einschließlich Absatz 5 fehlt nichts, um verständlich zu sein; im Gegenteil wirkt er klarer und weniger umständlich. Und die Absätze 6 und 7 haben diesem Gedankengang, als Zu-
___________ 117 In der ersten Ausgabe der KU begann der Satz mit „Und dieser Zustand“. Das „und“ verstärkt den Eindruck der Unstimmigkeit im Satzanschluß. Baum kommentiert das folgendermaßen: „Das letzte der erklärungsbedürftigen Vorkommnisse des ‚freien Spiels‘ ist zunächst durch die sprachliche Schwierigkeit belastet, daß der entsprechende Satz mit den Worten beginnt: ‚Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen [...]‘. Dadurch wird der Leser der KU in der Tat dazu verleitet, das ‚freie Spiel‘ als Charakteristikum der im vorhergehenden Satz genannten Zusammengehörigkeit von Einbildungskraft und Verstand als Bedingung dafür, daß aus einer gegebenen Anschauung Erkenntnis werden kann, zu verstehen. Zur Erkenntnis gehört jedenfalls ein ‚Begriff, der die Vorstellungen [der Anschauung] vereinigt‘ (28). Die Erwähnung eines solchen Begriffes schließt es aber aus, daß die Anfangsworte ‚Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen [...]‘ im nachfolgenden Satz sich auf den unmittelbar vorhergehenden Satz beziehen, zumal in ihm weder von einem Zustand noch einem freien Spiel die Rede ist. Also muß es sich um einen sprachlich mißglückten Rückverweis auf den davorstehenden Satz handeln“ (vgl. „Subjektivität, Allgemeingültigkeit und Apriorität des Geschmacksurteils“, S. 276).
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU
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sammenfassung bzw. Erläuterung, wie gesagt, nichts Entscheidendes hinzuzufügen.118 Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang auch einen Blick auf den §35 der „Deduktion“ zu werfen, da dieser inhaltlich eine enge Parallele zum §9 aufweist und nach übereinstimmender Meinung der einschlägigen Untersuchungen neben der AS zu den früheren Partien der KU gehört.119 Der entscheidende Gedankengang des §9 erscheint im §35 in einer deutlich konzentrierten Fassung. Und die beiden gerade genannten, nur schwer zu vereinbarenden Konzeptionen des §9 finden sich dort säuberlich voneinander getrennt. Kant beginnt mit dem Hinweis, daß das ästhetische Urteil „eine Allgemeinheit und Notwendigkeit, aber nicht nach Begriffen vom Objekt, folglich eine bloß subjektive“, enthält – das ist die Ausgangslage des §9. Das ästhetische Urteil gründe sich nicht auf Begriffe, sondern auf die „subjektiven formalen Bedingung eines Urteils überhaupt“ (145). „Erfordert“ sei „zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben) und des Verstandes (für den Begriff als Vorstellung der Einheit dieser Zusammenfassung“ (ebd.). Wie im §9 hebt Kant im folgenden darauf ab, daß die Allgemeinheit des Geschmacksurteils zustande komme, indem sie Auskunft darüber gebe, wie diese subjektiven Bedingungen für Erkenntnis erfüllt seien: Weil nun dem Urteile hier kein Begriff vom Objekte zum Grunde liegt, so kann es nur in der Subsumtion der Einbildungskraft selbst (bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedingung, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt, bestehen (145f.).
Unter „Subsumtion“ ist „Bestimmung“ zu verstehen: Ein Ding unter einen Begriff zu subsumieren, ist nach Kant gleichbedeutend damit, es
___________ 118 Zu diskutieren wäre allerdings, ob die beiden nun folgenden Absätze die Konzeption des freien Spiels voraussetzen. Wie aus dem letzten Satz von Absatz 7 und dem Anfang des folgenden hervorgeht, gehört der Gedankengang, der nun folgt, nicht zum Hauptstrang des Paragraphen, sondern setzt sich im Vergleich zu dem, was wir von den folgenden Paragraphen zu erwarten haben, mit einer „minderen Frage“ (30) auseinander. Von dem nun anschließenden Text kann allenfalls die Redeweise einer „Belebung beider Vermögen [...] zu unbestimmter, aber doch vermittels des Anlasses der gegebenen Vorstellung einhelliger Tätigkeit“ (ebd.) als der Konzeption des freien Spiels zugehörig verstanden werden. Das „unbestimmter Tätigkeit“ wurde in der dritten Auflage, dem Korrektor offenbar suspekt, abgeändert zu „bestimmter“ (an den Korrekturarbeiten war Kant sehr wahrscheinlich nur bei der Erstellung der zweiten Auflage direkt beteiligt – vgl. Windelbands Erläuterungen zur Entstehung des Textes in Bd. 5, S. 526). Der Rede von einem „erleichterten Spiele“ der durch „Zusammenstimmung belebten Gemütskräfte“ (31) liegt jedenfalls der Gedanke zugrunde, daß eine Tätigkeit durch geringen Aufwand belebt wird (das steht im Gegensatz zu den Überlegungen der „Allgemeinen Anmerkung“). 119 Vgl. Zammito, The Genesis of Kant’s Critique of Judgment, S. 4f. und S. 90; Dumouchel, „Genèse de la Troisième Critique“, S. 21; S. 27 und Tonelli, „La formazione del testo“, S. 445.
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durch diesen Begriff zu bestimmen.120 Hier wird die Einbildungskraft gegen den Verstand gehalten und von ihr gesagt, daß sie die „Bedingung, daß der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt“, erfüllt bzw. in besonderer Weise erfüllt. Soweit ist die Argumentation bekannt: Etwas erfüllt die Bedingungen für Erkenntnis überhaupt und macht sich deshalb als positive Befindlichkeit bemerkbar. Was darauf folgt, ist eingeleitet mit „d.i.“, also markiert als Erläuterung des Bisherigen: D.i. weil eben darin, daß die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht, so muß das Geschmacksurteil auf einer bloßen Empfindung der sich wechselseitig belebenden Einbildungskraft in ihrer Freiheit und des Verstandes mit seiner Gesetzmäßigkeit, also auf einem Gefühle beruhen, das den Gegenstand nach der Zweckmäßigkeit der Vorstellung (wodurch ein Gegenstand gegeben wird) auf die Beförderung der Erkenntnisvermögen in ihrem freien Spiel beurteilen läßt; und der Geschmack, als subjektive Urteilskraft, enthält ein Prinzip der Subsumtion, aber nicht der Anschauungen unter Begriffe, sondern des Vermögens der Anschauungen oder Darstellungen (d.i. der Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (d.i. den Verstand), sofern das erstere in seiner Freiheit zum letzteren in seiner Gesetzmäßigkeit zusammenstimmt (146).
Abgesehen davon, daß die Einbildungskraft auf einmal „ohne Begriffe schematisiert“ (nicht ganz das gleiche wie die Formulierung, daß dem Urteil – das ist die Unterscheidung, „ob etwas schön ist oder nicht“ – kein Begriff vom Objekte zum Grunde liegt), wird die im vorigen entwickelte Konstruktion übernommen und in diese die Terminologie der Freiheit der Einbildungskraft integriert. Es ist auch hier die Rede von der Subsumtion des einen Vermögens unter das andere, nur in abgewandelter Form, denn vorhin war von Bedingungen für Erkenntnis die Rede, die erfüllt sein sollen, wohingegen jetzt die Freiheit der Einbildungskraft betont wird. Besagter „Zusammenstimmung“ wird freilich ein neuer Sinn gegeben: War es vorher so etwas wie „Übereinstimmung“ von Verstand und Einbildungskraft gemäß den allgemeinen Bedingungen für Erkenntnis, ist es jetzt die „Zusammenstimmung“ („Vereinbarkeit“?) von zwei unterschiedlichen Prinzipien, nämlich Einbildungskraft und Freiheit auf der einen und Verstand und Gesetzmäßigkeit auf der anderen. Es handelt sich dabei um eine Abwandlung der zuvor abgehandelten Konstruktion, nicht aber um deren Erläuterung, wie das einleitende „d.i.“ vorgibt.
___________ 120 Vgl. XXVI.
C. Das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ in der Gesamtkonzeption der KU
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b) Das „freie Spiel“ in der „Analytik des Schönen“ außerhalb des §9 Unter den wenigen Stellen der AS, die sich auf das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ berufen, gibt es nur eine, die den übrigen Duktus des betreffenden Paragraphen reibungslos zu ergänzen scheint. Gemeint ist eine Stelle im §16, dem es um die Unterscheidung der „freien Schönheit“ von der bloß „anhängenden Schönheit“ geht. Die betreffende Passage lautet: In der Beurteilung einer freien Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Geschmacksurteil rein. Es ist kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekt dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde (49f.)121.
Der hervorgehobene Teilsatz ist unauffällig, da er das Anliegen des gesamten Paragraphen zum Ausdruck zu bringen scheint. Doch den ganzen §16 über lautet das Argument dafür, daß die „freie Schönheit“ keinen Begriff von der Sache voraussetzen darf, daß sonst die Schönheit „unter dem Begriffe eines besonderen Zwecks stehen“ (49) würde. Das Fehlen eines Zwecks beim Schönen wird dadurch begründet, daß die „Verbindung des Guten“ (50), also die dadurch zum Ausdruck gebrachte Nützlichkeit122, der Schönheit „Reinigkeit [...] Abbruch“ (ebd.) tut. Das mag mit dem Anliegen der Einbildungskraft, die „in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielen möchte“, welches durch einen Begriff von einem Zweck „eingeschränkt werden würde“, irgendwie zusammenhängen, wäre aber gesondert zu begründen.123 Auffällig ist dagegen die Schlußüberlegung des §12, da sie sich mit der Hauptaussage der beiden darauffolgenden Paragraphen nicht verträgt. Der §13 will zeigen, daß das ästhetische Wohlgefallen keiner „Beimischung der Reize und Rührungen“ (38) bedarf. Einem Wohlgefallen, das sich durch Reize motivierte, würde ein „Interesse“ zugrunde liegen, und ein solches „verdirbt das Geschmacksurteil“ (37). Reize, als „Materie des Wohlgefallens“, dürfen auf das Geschmacksurteil keinen Einfluß haben, denn dieses hat „bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde“ (38). Der nun folgende §14 ist dazu eine „Erläuterung durch Beispiele“ (39). Kant geht hier auf die Frage ein, ob das Wohlgefallen an Farben und Tönen als ein ästhetisches zu verstehen ist. Seine Antwort lautet, daß ein
___________ 121 Hervorhebung von mir. 122 Die immer wieder mitschwingende moralische Komponente beim Begriff des Guten ist in diesem Kontext nicht gemeint, denn das Gute erläutert Kant hier so: „Wozu nämlich das Mannigfaltige dem Dinge selbst, nach seinem Zwecke, gut ist“ (50), und weiter oben: „wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen [...] solle“ (49f.). 123 Zur besonderen Rolle des §16 in der AS siehe ausführlich unten, S. 182ff.
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Wohlgefallen an bestimmten Farben und Tönen lediglich als „Annehmlichkeit einer Farbe vorzüglich vor der anderen, oder des Tons eines musikalischen Instruments vor dem anderen“ (40) zu deuten sei und daß ein ästhetisches Wohlgefallen demgegenüber nur der Reinheit der Farbe oder des Tones bzw. ihrer „Gleichförmigkeit“ (ebd.) gelten könne. In dieser Frage scheint Kant hier sehr entschieden, was aber verwundern muß, weil er kurz zuvor, am Ende des §12, festgestellt hat, es gebe eine Analogie zwischen dem Schönen und der Art, wie „der Reiz in der Vorstellung des Gegenstandes die Aufmerksamkeit wiederholentlich erweckt, wobei das Gemüt passiv ist“ (37). Die Hinzufügung, daß das eine und das andere aber „nicht einerlei“ (ebd.) sei, läßt noch auf eine weitere Differenzierung hoffen, diese bleibt aber aus. Es gilt, die Vorgeschichte dieser Bemerkung im §12 zu betrachten. Es geht in diesem Paragraphen um die „Verknüpfung des Gefühls einer Lust oder Unlust, als einer Wirkung, mit irgendeiner Vorstellung (Empfindung oder Begriff)“ (35). Es sei „unmöglich“ zwischen Mentalem wie etwa einer Vorstellung und dem Gefühl der Lust oder Unlust ein „Kausalverhältnis“ (35) zu etablieren, denn dergleichen wäre „jederzeit nur a posteriori und vermittelst der Erfahrung“ (ebd.) zu erkennen. Der zentrale bzw. der neue Gedanke des §12 ist folgender: „Der Gemütszustand aber eines irgend wodurch bestimmten Willens ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch, folgt also nicht als Wirkung daraus“ (36). Daß Kant hier, wo es um die Erkenntniskräfte geht, auf einmal den Willen thematisiert, darf natürlich nicht überraschen, denn seit Beginn der AS will Kant die ästhetische Lust unter Rückgriff auf Begriffe wie „Wille“, „Absicht“ und „Begehrungsvermögen“ erklären. Das tut er, obwohl er von Anfang an der Meinung ist, daß das ästhetische Wohlgefallen uninteressiert, nichtpraktisch sei. Kant vertritt also gewissermaßen den Standpunkt, daß, wo dergleichen wie Lust und Unlust auftritt, ein Wille nicht weit sein kann. Wie die ästhetische Lust, die ja irgendwie in einem Willen angesiedelt sein muß, nichtpraktisch sein kann, scheint die zentrale Frage zu sein; eine, für die Kant offenbar keine einfache Lösung zur Hand hat. Hier im §12 entscheidet er sich für eine Sprachregelung, die zunächst einmal alle Fragen offen läßt: Die ästhetische Lust sei „bloß kontemplativ und ohne ein Interesse“ (36). Aber daran, daß auch die ästhetische Lust als ein „Gemütszustand [...] eines irgend wodurch bestimmten Willens“ zu verstehen sein soll, besteht kein Zweifel, denn im folgenden ist im Zusammenhang mit dem ästhetischen Wohlgefallen die Rede von einem „Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts“ und von „Kausalität“. Wie der Gemütszustand hier „bestimmt“ sein muß, damit diese Lust auftreten kann, ist nicht klar, ganz anders als in Praxis: Ein lustvoller Gemütszustand im Rahmen von Praxis ist etwa so bestimmt, daß naturale
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Neigungen befriedigt sind, oder so, daß das Subjekt ein Objekt erkennt, das als Mittel zur Befriedigung von Neigungen erkannt wird. Jetzt ist Kant gefordert, die Umstände des fraglichen Gemütszustands im ästhetischen Zusammenhang zu charakterisieren. Eine naheliegende Antwort gibt es seit dem §9, denn dort war ja wiederholt von einem besonderen „Gemütszustand“ die Rede, einem zudem, der sich durch Ausdrücke wie „schicklich“, „Harmonie“ oder „Zusammenstimmung“ positiv kennzeichnen ließ, weil er Ausdruck davon sein sollte, daß den Bedingungen von Erkenntnis entsprochen wird. Im §9 hat Kant einen Gemütszustand beschrieben, auf den sich später die Begrifflichkeit von „Zweckmäßigkeit“ anwenden, an dem sich also eine Analogie zu Nützlichkeit nachweisen ließ. Man kann diesen Gemütszustand nun einfach in die obige Formel, wonach Lust mit dem Gemütszustand eines irgend wodurch bestimmten Willens identisch ist, einsetzen: „Es ist das Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit“ (36), in dessen Rahmen sich etwas als zweckmäßig „in Ansehung der Erkenntnis überhaupt“ (37) erweist, und das Bewußtsein dieser subjektiven Zweckmäßigkeit „ist die Lust selbst“ (37). Nicht die Befriedigung eines naturalen Bedürfnisses, nicht die Erkenntnis eines nützlichen Gegenstandes, sondern eine Zweckmäßigkeit, die mit einer „nur auf Erkenntnis gerichteten [...] Absicht“ (XXXVIII) zusammenstimmt, ist der Grund für diese Lust. Auch die Zweckmäßigkeit in Hinblick auf eine theoretische Absicht ist wohlgefallend, denn die „Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust verbunden“ (XXXIX)124. Auf die allgemeinen Bedingungen für Erkenntnis abzuheben, wäre zwar auch im §12 konsequent, und es hätte nicht zu einer Spannung mit dem folgenden Paragraphen geführt; es ist aber nicht das, was Kant hier macht.125 Statt sich auf die Angemessenheit einer Vorstellung zu den Erfordernissen von Verstand und Einbildungskraft zu berufen, führt er aus, besagte Lust enthalte „einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte desselben, also eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt“ (37). Jenes „zweckmäßig“ scheint sich zwar auf „Erkenntnis überhaupt“ zu beziehen, doch nimmt man die vorhergehenden Formulierungen mit hinzu, zeigt sich: Kant will hier nicht darauf hinaus, daß Verstand und Einbildungskraft ideale Bedingungen für ihre Arbeit vorfinden, so daß eine „auf Erkenntnis gerichtete Absicht“ bedient würde. Statt dessen scheint hier die Absicht, in Hinblick auf welche die betreffende Zweckmäßigkeit vorliegt, eine ganz andere zu sein, nämlich die „Belebung
___________
124 Hervorhebung von mir. 125 Auf die Diskrepanz beim Begriff der Zweckmäßigkeit in „Einleitung“ und §12 weist Düsing (Die Teleologie in Kants Weltbegriff; S. 83 Anm.) hin.
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der Erkenntniskräfte“. Damit ist offenbar gemeint, daß ein Anliegen an der Fortdauer der Arbeit der Erkenntniskräfte besteht, wie in der folgenden Passage deutlich wird: Diese Lust ist auch auf keinerlei Weise praktisch, weder wie die aus dem pathologischen Grunde der Annehmlichkeit, noch die aus dem intellektuellen des vorgestellten Guten. Sie hat aber doch Kausalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht zu erhalten. Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproduziert; welches derjenigen Verweilung analogisch (aber doch mit ihr nicht einerlei) ist, da ein Reiz in der Vorstellung des Gegenstandes die Aufmerksamkeit wiederholentlich erweckt, wobei das Gemüt passiv ist (37).
Man erkennt deutlich den Gesichtspunkt wieder, den Kant in der „Allgemeinen Anmerkung“ ausführlich betont, denn die hier beschriebene „Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht“ entspricht der dortigen „unbestimmt-zweckmäßigen Unterhaltung der Gemütskräfte“ (71). Gemäß der „Anmerkung“ ist Voraussetzung für das ästhetische Wohlgefallen, daß eine „lange Unterhaltung mit der Betrachtung“ des Gegenstandes „gewährt“ wird, ohne daß diese Beschäftigung „Erkenntnis oder einen bestimmten praktischen Zweck zur Absicht hat“ (72). Die Einbildungskraft verlangt etwas, heißt es dort, „womit sich das Gemüt unterhält, während es durch die Mannigfaltigkeit, auf die das Auge stößt, kontinuierlich erweckt wird“ (73). Als Beispiele führt Kant den „Anblick der veränderlichen Gestalten eines Kaminfeuers oder eines rieselnden Baches“ an. Beide seien zwar „keine Schönheiten“, doch heißt es ausdrücklich, daß sie „für die freie Einbildungskraft einen Reiz bei sich führen, weil sie ihr freies Spiel unterhalten“ (73). Wie sollte man die zuletzt angeführte Bemerkung anders verstehen, als daß der beschriebene Reiz im Zusammenhang mit einem ästhetischen Wohlgefallen zum Tragen kommt? Daß es sich bei den betreffenden Reizen, obwohl sie mit der Freiheit der Einbildungskraft vereinbar sind, dennoch um „keine Schönheiten“ handeln soll, ist Ausdruck einer Unentschiedenheit, die sich bei Kant auch im Zusammenhang mit dem §12 konstatieren läßt. Die Überschrift des §13 und die argumentative Stoßrichtung dieses sowie des nächsten Paragraphen ist eindeutig: Das „reine Geschmacksurteil ist von Reiz und Rührung unabhängig“, weil das Schöne, selbst als Ornament, „nur durch seine Form“ (43) gefällt. Und doch begegnen zweideutige Formulierungen, wie etwa in Klammern der Zusatz, daß Schönheit „doch eigentlich bloß die Form betreffen sollte“ (38)126. Und im Zusammenhang mit den Farben, die doch nur durch ihre Reinheit und Gleichförmigkeit gefallen sollen, heißt es in einem Halbsatz,
___________ 126 Hervorhebung von mir.
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sie würden „durch ihren Reiz die Vorstellung beleben, indem sie die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand selbst erwecken und erhalten“ (43). Diese Bemerkung wirft die Frage auf, ob das „Erwecken der Aufmerksamkeit“ nun eine Leistung der Schönheit sein soll oder ob hier etwas vorliegt, das der Reinheit des Wohlgefallens Abbruch tun würde. Kant ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Aus der Sicht der „Allgemeinen Anmerkung“ ließe sich die Frage, was ein „Reiz“ im ästhetischen Kontext sein kann und was nicht, allerdings klar beantworten. Im ästhetischen Kontext nicht plausibel ist der Ausdruck „Reiz“, sofern damit etwas gemeint sein soll, das in Opposition zum Formbegriff steht – wie „Reiz und Rührung“ der Paragraphen 13 und 14. Der Reiz, den etwa eine bestimmte Farbe beinhalten mag, ist nichts anderes als die Aussicht auf eine Annehmlichkeit. In ästhetischer Hinsicht trägt die Analogie zu Reizen nur vor dem Hintergrund des Anliegens, „die Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht zu erhalten“, wobei es ja nicht um bestimmte Zwecke und die Befriedigung naturaler Neigungen geht, sondern um das Fortdauern der Tätigkeit selbst. Das Fehlen eines ästhetischen Reizes ist mit dem spezifisch ästhetischen Mißfallen der Langeweile verbunden. Der Anblick selbst einer Plantage mit den attraktivsten Früchten kann für ein ästhetisch eingestelltes Subjekt aufgrund von Monotonie und Gleichförmigkeit eines jeden Reizes entbehren, und zwar allein aufgrund seiner Form, die den Erkenntniskräften keinen Anlaß zur Tätigkeit gibt, oder, mit den Worten der „Allgemeinen Anmerkung“ formuliert, der Einbildungskraft nicht „beständig Nahrung“ (72) verschafft, so daß sie des Anblicks „überdrüssig“ wird, weil sie nicht „ungesucht und zweckmäßig spielen kann“ (ebd.). Eine weitere Erwähnung des „freien Spiels“ befindet sich noch am Ende des §20, in Form eines eingeklammerten Ergänzungssatzes. Insgesamt soll der Paragraph zeigen, daß die Bedingung der Notwendigkeit des Geschmacksurteils als die Idee eines Gemeinsinns zu verstehen sei. Erst der nächste Paragraph hat die Aufgabe zu untersuchen, „ob man mit Grund einen Gemeinsinn voraussetzen kann“ (65). Der Schlußsatz des §20 ist nun bemerkenswert, weil er einerseits zusammenfassend wiederholt, daß das Geschmacksurteil nur unter der Bedingung eines Gemeinsinns möglich ist, andererseits aber in Klammern bereits angibt, wie man sich diesen Gemeinsinn vorzustellen hat: Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen Gemeinsinn gebe (wodurch wir aber keinen äußeren Sinn, sondern die Wirkung aus dem freien Spiel der Erkenntniskräfte verstehen), nur unter der Voraussetzung, sage ich, eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurteil gefällt werden (64f.).
Die Beantwortung der Frage, ob es einen Gemeinsinn geben kann, ist natürlich von der Frage, wie ein solcher zu denken ist, nicht zu trennen,
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und einen Vorschlag dafür macht der §21. Eine Verbindung zwischen diesem Paragraphen und der Spielterminologie läßt sich in einem Satz herstellen, der syntaktisch überfrachtet erscheint: Gleichwohl aber muß es eine [Proportion von Verstand und Einbildungskraft] geben, in welcher dieses innere Verhältnis zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist (66).
Syntaktisch unstimmig wirkt dieser Satz insbesondere deshalb, weil nicht klar ist, wofür das fragliche Verhältnis bzw. die betreffende Proportion „zuträglich“ sein soll – ist es die „Belebung“ (die an „dieses innere Verhältnis“ mit „zur“ eigenartig angeschlossen ist), oder sind es „die Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis“? Hier stiftet die Redeweise von „Belebung“, die bei Kant im Kontext von pathologischem „Vergnügen“ und Spiel ihr natürliches Umfeld hat,127 auch im Satzbau Verwirrung. 3. Das „freie Spiel“ und die Konzeption der Zweckmäßigkeit in den späteren Teilen der KU Die wenigen Stellen in der AS, an denen sich die Terminologie des „freien Spiels“ bemerkbar macht, lassen sich also leicht isolieren, und übrig bleibt ein Gedankengang, der auch ohne diese Begrifflichkeit vollständig wäre. Man betrachte in diesem Zusammenhang den §38, die eigentliche „Deduktion“ des Geschmacksurteils, die gegenüber der „Analytik“ zwar nichts Neues enthält, dafür aber eine knappe Zusammenfassung der Argumente des §9. Die Rede ist hier von einer „subjektiven Zweckmäßigkeit“ der Form des Gegenstandes „für die Urteilskraft“, von „formalen Regeln der Beurteilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch Begriff)“ oder „subjektiven Bedingungen des Gebrauchs der Urteilskraft überhaupt“ (150); ferner bezieht sich Kant auf „dasjenige Subjektive, welches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich) voraussetzen kann“ (151). Es sei die „Übereinstimmung einer Vorstellung mit diesen Bedingungen der Urteilskraft [...] für jedermann gültig“, so daß „die Lust oder subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellung für das Verhältnis der Erkenntnisvermögen in der Beurteilung eines sinnlichen Gegenstandes überhaupt [...] jedermann mit Recht angesonnen werden“ könne (ebd.). Nichts trübt hier den Eindruck, daß sich der Text nur auf die allgemeinen Bedingungen für Erkenntnis beruft, zumal Kant in einer Fußnote noch einmal betont: Die Legitimation des Geschmacksurteils auf überindividuelle Gültigkeit beruhe darauf, daß das
___________ 127 Vgl. unten, S. 116f. und R 586; R 711; R 811; R 901.
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Verhältnis der „Erkenntniskräfte zu einem Erkenntnis überhaupt“ bei jedem Menschen „einerlei“ sei und daß das Geschmacksurteil „bloß auf dieses Verhältnis (mithin die formale Bedingung der Urteilskraft) Rücksicht“ (151 Anm.) nehme. Davon, daß dieses Verhältnis in einem freien Spiel bestehe oder daß die Einbildungskraft hier zu einer besonderen Freiheit gelange, die sie in gewöhnlicher Erkenntnis nicht genießt, fehlt jede Andeutung, und wenn dies gemeint sein sollte, dann wäre Kant mit einer entsprechenden Begründung gefordert. Mit dem §38 gibt es also eine Partie der KU, die den Anspruch des ästhetischen Urteils auf Allgemeingültigkeit herleiten soll und dabei das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ nicht einmal erwähnt. Ein anderer Teil der KU, der ebenfalls gänzlich ohne das freie Spiel auskommt, obwohl er mindestens eine Zusammenfassung der Kerngedanken der ästhetischen Konzeption gibt, ist die „Einleitung“, von der noch zu handeln sein wird. Es gibt aber auch einen solchen Teil der KäU, bei dem die Begrifflichkeit des Spiels eindeutig im Zentrum steht, nämlich der Abschnitt von §43 bis 54, dem es um eine Theorie der schönen Kunst zu tun ist und der eine eigenartige Stellung in der Gliederung des Gesamtwerkes einnimmt.128 In diesem Block treten Formulierungen aus der „Allgemeinen Anmerkung“ gehäuft auf.129 Hinweise auf das, was sich im §9 (ohne den Spielbegriff) als Bedingung des ästhetischen Wohlgefallens und dessen Allgemeinheit rekonstruieren ließ, nämlich die Berufung auf die allgemeinen Bedingungen der Erkenntniskräfte und ihrer Tätigkeit, ferner Anspielungen auf die Lehre von der formalen Zweckmäßigkeit bzw. der Zweckmäßigkeit ohne Zweck, tauchen dagegen spärlich auf.130 Dies könnte zwar damit zusammenhängen, daß die betreffenden Paragraphen einem besonderen Thema, nämlich dem Kunstschönen, gewidmet sind. Doch darf nicht vergessen werden, daß Kant das Kunstschöne zwar dem Naturschönen nachordnet,131 es aber auch in Analogie zu demselben verstanden wissen will. Und es ließe doch auf eine schwer überbrückbare Differenz zwischen dem Kunstschönen und dem Naturschönen schließen, wenn besagte Freiheit der Einbildungskraft und das Anliegen, die Beschäftigung der Erkenntniskräfte zu unterhalten, sich nur im Zusammenhang mit einem von beiden
___________ 128 Dieser gesamte Textblock ist offiziell Teil der „Deduktion“, eigentlich aber nur ein unmotiviertes Anhängsel an dieselbe, denn die eigentliche Deduktion wurde schon mit dem §38 abgeschlossen und ihr Ergebnis in der darauffolgenden „Anmerkung“ zusammengefaßt (vgl. dazu auch Zammito, The Genesis of Kant’s Critique of Judgment, S. 129f.). 129 Vgl. 180; 186; 191-200; 202f.; 205; 206; 210; 212; 214; 215f.; 217; 218; 221. 130 Dazu siehe unten, S. 109f. 131 Weil nur am Naturschönen, nicht aber am Kunstschönen, ein „unmittelbares und zwar intellektuelles Interesse“ (167) genommen werde könne. Ein interesseloses Wohlgefallen liegt aber in beiden Fällen vor; das Kunstschöne ist nicht deshalb dem Naturschönen nachgeordnet, weil das Wohlgefallen an ihm ein interessiertes wäre.
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auswirken sollte. In der „Allgemeinen Anmerkung“ deutete übrigens nichts darauf hin, daß ihre Überlegungen ausschließlich auf das Kunstschöne gemünzt seien, und nicht auch auf die Schönheit in der Natur. Daß die §§43-53 eine Einheit darstellen, die insgesamt von der Spielterminologie beherrscht wird, kann auch dadurch belegt werden, daß am Ende dieses Textblocks, in dem Kant seine Theorie der schönen Kunst und des Genies entfaltet, eine „Anmerkung“ steht, die sich explizit des Themas „Spiel“ annimmt; eines Themas, das auch schon im ersten Paragraphen dieser Serie, dem §43, angeschnitten wurde. Dort hat Kant die schöne Kunst durch eine Analogie zum Spiel eingeführt: Im Gegensatz zur „Lohnkunst“ sehe man die schöne bzw. freie Kunst „so an, als ob sie nur als Spiel, d.i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne“, während Lohnkunst „als Arbeit, d.i. Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm (beschwerlich) und nur durch ihre Wirkung (z.B. den Lohn) anlockend ist, mithin zwangsmäßig auferlegt werden kann“ (175). Kant fügt an, daß „der Geist [...] in der Kunst frei sein“, in dieser aber dennoch „etwas Zwangsmäßiges“ (176) enthalten sein müsse, womit die Hauptmotive der folgenden Paragraphen und der Lehre vom Genie vorgezeichnet sind. Wenn Kant die Analogie zwischen dem Spiel und der Kunst im folgenden einschränkt, dann nur in dem bereits erwähnten Sinn, daß die schöne Kunst nicht nur aus Spiel, sondern auch aus Regeln und Arbeit besteht, daß man nicht „allen Zwang von ihr wegnehmen und sie aus Arbeit in bloßes Spiel verwandeln“ (176) kann. Mit Kants Theorie der Kunst und des Genies steht eine Textpartie im Zeichen der Spielbegrifflichkeit, die offensichtlich nach der AS fertiggestellt wurde, während diese Terminologie in der „Analytik“, der Keimzelle der KU, insgesamt eine untergeordnete Rolle spielt. Der Teil der KäU, der wahrscheinlich zuletzt entstand, ist die AE,132 und in ihr ist ein Übergewicht der einen oder anderen Begrifflichkeit nur schwer auszumachen. In den Passagen, die noch einmal rückblickend das Schöne thematisieren, beruft sich Kant auf die formale Zweckmäßigkeit, wie sie etwa auch im §15 entwickelt wird: Für die Naturschönheit konstatiert er hier eine „Zweckmäßigkeit in ihrer Form, wodurch der Gegenstand für unsere Urteilskraft gleichsam vorherbestimmt zu sein scheint“ (76). Dem entspricht auch die Rede von der „Einhelligkeit“ von Verstand und Einbildungskraft“ (99). Auf der anderen Seite aber sei „die ästhetische Zweckmäßigkeit [...] die Gesetzmäßigkeit der Urteilskraft in ihrer Freiheit. Das Wohlgefallen an dem Gegenstande hängt von der Beziehung ab, in welche
___________ 132 Vgl. Tonelli, „La formazione del testo“, S. 445.
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wir die Einbildungskraft setzen wollen; nur daß sie für sich selbst das Gemüt in freier Beschäftigung unterhalte“ (119) – was ganz und gar nicht an eine „Einhelligkeit“ von Verstand und Einbildungskraft erinnert, sondern vielmehr ein Bild krasser Unausgewogenheit vermittelt. Die Einbildungskraft, die das Gemüt „für sich selbst unterhält“, scheint hier, geradezu autistisch, den Verstand zu vergessen. Drittens tauchen aber auch Formulierungen auf, die so tun, als gehörten das Spiel der Einbildungskraft und ihre Zusammenstimmung mit dem Verstand geradezu natürlicherweise zusammen, als bestehe das eine in dem anderen. Vergleichbar mit zwei Formulierungen im §9, nur ohne die dortigen Unebenheiten,133 formuliert Kant, daß „die ästhetische Urteilskraft in Beurteilung des Schönen die Einbildungskraft in ihrem freien Spiele auf den Verstand bezieht, um mit dessen Begriffen überhaupt (ohne Bestimmung derselben) zusammenzustimmen“ (94). Es liegt aber auf der Hand, daß durch das „freie Spiel“ der Einbildungskraft deren „Zusammenstimmung“ mit dem Verstand nicht begünstigt, sondern erschwert wird. Denn die erwünschte Zusammenstimmung muß offenbar dadurch zustande kommen, daß sich der Verstand diesem freien Spiel anpaßt. Die Erläuterung „ohne Bestimmung“ verrät, daß der Verstand auf die Erfüllung seines Hauptanliegens verzichtet. Die „Zusammenstimmung“ von Einbildungskraft und Verstand wird hier somit nur dem Schein nach geleistet, denn sie bedeutet normalerweise, daß sich die Einbildungskraft den Bedingungen des Verstandes fügt. Daß sich Kant in der AE trotzdem auf die Zusammenstimmung von Einbildungskraft und Verstand und die „Zweckmäßigkeit der Form“ wiederholt beruft, hat aber einen triftigen systematischen Grund. Schließlich will er das Erhabene auf eine gewisse „Unzweckmäßigkeit“ (101) von gegebener Anschauung für die Erkenntnisvermögen zurückführen, weshalb er also zur Abgrenzung zwischen beidem für das Schöne am Begriff der Zweckmäßigkeit festhalten muß. Doch diese Abgrenzung ist fragwürdig, was in der AE nur deshalb nicht deutlich wird, weil Kant dort einen wichtigen Teil seiner Spielterminologie ausblendet. Wenn von der „Freiheit der Einbildungskraft“ die Rede ist, müßte nämlich gesagt werden, wovon sich die Einbildungskraft als „frei“ erweisen soll. Gemeint sind natürlich die „willkürlichen Regeln“ des Verstands, die von der Einbildungskraft als „Zwang“ (179) empfunden werden. Der Verstand als das Prinzip der Einheit ist es aber auch, der der Einbildungskraft vorschreibt, daß der Gegenstand „in ein Ganzes der Anschauung“ (97) zusammengefaßt werden muß, und diese Bedingung ist es, die im Fall des Erhabenen nicht erfüllt wird. Wenn also Kant dem Erhabenen, dem für
___________ 133 Siehe oben, S. 93ff.
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die Erkenntniskräfte Zweckwidrigen, weil schwer Auffaßbaren, eben durch diese Unzweckmäßigkeit zugesteht, es beinhalte eine „höhere Zweckmäßigkeit“ (77)134 und eine „Geistesstimmung durch eine gewisse, die reflektierende Urteilskraft beschäftigende Vorstellung“ (85), fragt sich, ob Entsprechendes sich nicht auch vom freien Spiel der Einbildungskraft und damit im Zusammenhang mit dem Schönen sagen ließe. So besteht die Unzweckmäßigkeit des Erhabenen darin, daß sich die „Zusammenfassung“ bzw. Bestimmung von Anschauung als schwierig, wenn nicht unmöglich erweist – und die entsprechende Zweckmäßigkeit wäre eine Anschauung, deren „Zusammenfassung in ein Ganzes“ sich als denkbar einfach herausstellte. Die ist auch das Gegenbild zu den zweckmäßigen Bedingungen für das freie Spiel der Erkenntniskräfte im Kontext des Schönen, wo eine freie Einbildungskraft ihre Beschäftigung „für sich selbst“ unterhalten soll.135 Zweckmäßigkeit bedeutet in Zusammenhang mit dem Spiel der Erkenntnisvermögen nicht die Zweckmäßigkeit von Anschauung für deren Auffassung, wie die AE an anderen Stellen nahelegt; die Zweckmäßigkeit für Spiel besteht in ganz anderen Voraussetzungen. So gebe es das „Gefühl eines zweckmäßigen Zustandes des Gemüts“ (161) überall dort, „wo Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt“ (ebd.).136
___________ 134 Die in der „Erweckung“ des „Vermögens der Einbildungskraft für Vernunftideen“ (101) bestehen soll. 135 Auf diese Parallele weist Recki hin (vgl. Ästhetik der Sitten, S. 191 Anm.), aber anstatt hier eine Unstimmigkeit in Kants Konzeption zu betonen, konnotiert sie kurzerhand die anhaltende Tätigkeit des Verstandes, die nicht zu einem Begriff führt, im Kontext des Schönen positiv, im Zusammenhang mit dem Erhabenen negativ. Das freie Spiel, das Wohlgefallen am Schönen zugrunde liegt, sei so zu verstehen, daß ein „Überschuß in der subjektiven Anmutung [...] es möglich macht, daß wir uns lange mit [der Erscheinung] befassen können, ohne jemals mit ihr fertig zu werden“ (Ästhetik der Sitten, S. 165), während beim Erhabenen ein „Problem der anschaulichen Darstellung“ vorliege, das ein „steckengebliebenes Erkenntnisurteil“ zur Folge habe (ebd., S. 192). Daß im einen Fall ein „Nichtfertig-Werden“ vorliegt, im anderen aber ein „Steckenbleiben“, könnte man sich freilich so zurechtlegen, daß im Fall des Schönen ein Begriff gefunden werden könnte, die Erkenntniskräfte aber aus reiner Freude an der Tätigkeit, also ohne jede Notwendigkeit, in ihrer Aktivität fortfahren. Aber so meint es Kant nicht, denn die Vorstellung der Einbildungskraft, die das freie Spiel zur Folge hat, ist eine, der „kein Begriff völlig adäquat sein kann“ bzw. eine, die „soviel zu denken veranlaßt, als sich niemals in einem bestimmten Begriff zusammenfassen läßt“ (194). Reckis Erklärungsversuch, wonach im Fall des Schönen immerhin das Erlebnis eines Teilerfolgs gegeben sei, nämlich davon, „daß die Einbildungskraft die Einheit einer Anschauung leistet“, was im Fall des Erhabenen nicht der Fall sei (a.a.O., S. 198), ändert nichts daran, daß im Fall des Schönen auch eine mindestens partielle Unzweckmäßigkeit zu konstatieren wäre. 136 „Regelmäßig“ ist hier zu verstehen als „den Regeln des Verstandes gemäß“ im Sinn von: diese, als Einschränkung, nicht überschreitend. Kulenkampff spricht im Zusammenhang mit dieser Stelle von einem „Zustand optimaler Übereinstimmung von Verstand und Ein-
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In dem Teil der KU, der sich der Lehre vom Genie und dem Kunstschönen widmet und in dem die Terminologie des Spiels entfaltet wird, bekommt der Begriff der „Zweckmäßigkeit“ indes eine andere Färbung. Daß Kant diesen Begriff dort überhaupt weiter verwendet, spiegelt Kontinuität in der Terminologie nur vor. Tatsächlich wird hier deutlich, daß dergleichen wie die Zweckmäßigkeit im Sinn der AS innerhalb des „freien Spiels der Erkenntniskräfte“ nichts zu suchen hat, sondern eigentlich dessen Widerpart darstellt. Im Zusammenhang mit der Dichtkunst wird die Tätigkeit der Einbildungskraft als „bloßes Spiel“ (215) bzw. „bloßes unterhaltendes Spiel“ (217) bezeichnet, „welches gleichwohl vom Verstande und zu dessen Geschäfte zweckmäßig gebraucht werden kann“ (215f.)137. Das freie, „bloße“ Spiel wird hier als etwas bezeichnet, das ganz auf der Seite der Einbildungskraft zu verorten ist und dem so etwas wie Zweckmäßigkeit, als Prinzip des Verstandes, gegenübersteht.138 Und ist in diesem Zusammenhang von „Angemessenheit“ die Rede, dann ist damit lediglich eine Einschränkung oder Grenze des freien Spiels gemeint: Reich und original an Ideen zu sein, bedarf es nicht so notwendig zum Behuf der Schönheit, aber wohl der Angemessenheit jener Einbildungskraft in ihrer Freiheit zu der Gesetzmäßigkeit des Verstandes. Denn aller Reichtum der ersteren bringt in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor; die Urteilskraft ist aber das Vermögen, sie dem Verstande anzupassen (202).
_____________ bildungskraft“ („Vom Geschmack als einer Art sensus communis“, S. 34), was aber ungereimt ist, weil sich die Frage stellt, in bezug worauf hier von einem Optimum die Rede sein kann. In Frage kommen hierfür nur die Bedingungen der Erkenntnis überhaupt, die immer auch die Bedingungen für die Bildung und Verwendung von Begriffen sein muß. Daß diese „optimal“ erfüllt sein können, wenn die „freie“ Einbildungskraft vom Verstand gerade noch davon abgehalten wird, vollends über die Strenge zu schlagen bzw. regelwidrig zu werden, ist unplausibel. Kulenkampff sieht aber ganz recht, daß die Interesselosigkeit des ästhetischen Urteils, wenn dieses tatsächlich auf einen optimalen Zustand zwischen Verstand und Einbildungskraft zurückzuführen sein soll, nur dadurch gewährleistet sein kann, daß das Subjekt statt stur auf Erkenntnis aus zu sein, seine Aufmerksamkeit auf den Zustand der Erkenntniskräfte richtet. Deren Übereinstimmung ist jetzt nicht (bloß) Mittel zum Zweck, und erfolgt (aber nur) insofern „unbeabsichtigterweise“. Dabei handelt es sich allerdings um eine eher schwache Version von Interesselosigkeit, weil vielleicht das eigentliche Ziel aus dem Blick geraten mag, die Auszeichnung des Zustands aber nur aufgrund seiner Geeignetheit in Hinblick auf eben dieses Ziel erfolgen kann. Eine Freiheit der Einbildungskraft wird innerhalb einer solchen Konstruktion nicht verständlich, weil die Bedingungen für Erkenntnis genau dieselben bleiben, die auch im interessierten Ausgehen auf die Welt gültig sind. Darin, daß Kant sich die Interesselosigkeit des ästhetischen Wohlgefallens an manchen Stellen tatsächlich so zurechtlegt, würde ich Kulenkampff zustimmen. 137 Hervorhebungen von mir. 138 Der Gegensatz wird auch an der folgenden Stelle deutlich: „Der Redner gibt also zwar etwas, was er nicht verspricht, nämlich ein unterhaltendes Spiel der Einbildungskraft; aber er bricht auch dem etwas ab, was er verspricht und was doch sein angekündigtes Geschäft ist, nämlich den Verstand zweckmäßig zu beschäftigen“ (206).
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Das „freie Spiel“, das der Einbildungskraft einseitig zugeschlagen werden muß, bedarf beim Genie der „Zucht“ (203). Von seiner Freiheit muß gegebenenfalls etwas „aufgeopfert“ (ebd.) werden, so daß schließlich sogar von einem „Widerstreit“ (ebd.) zweier verschiedener Anliegen die Rede ist. Es muß auffallen, daß Kant später so etwas wie eine „Harmonie der beiden Erkenntnisvermögen, der Sinnlichkeit und des Verstandes“ grundsätzlich in Frage stellt: Die beiden könnten „einander zwar nicht entbehren“, ließen „aber doch auch ohne Zwang und wechselseitigen Abbruch sich nicht wohl vereinigen“ (206).139 Dies ist allerdings die Folge davon, daß Kant der Einbildungskraft jenes Sonderanliegen unterstellt, das konsequenterweise als „Spieltrieb“ beschrieben werden müßte. Denn unter dieser Voraussetzung, nämlich daß Einbildungskraft und Verstand gleichsam von Natur aus nicht an einem Strang ziehen, wird die Harmonie der Erkenntniskräfte in beide Richtungen unmöglich, und es könnte allenfalls ein Kompromiß hergestellt werden. Jedenfalls bietet sich zur Beschreibung dieser neuen Konstellation der Begriff der „Zweckmäßigkeit“ nicht unbedingt an, denn nicht weniger als diese müßte auch deren Gegenteil, nämlich eine gewisse Zweckwidrigkeit, unabdingbarer Bestandteil der ästhetischen Einstellung sein. Für das Wohlgefallen am Kunstschönen wird die Einbildungskraft „soviel zu denken veranlaßt, als sich niemals in einem bestimmten Begriff zusammenfassen läßt“, also „mehr nämlich bei Veranlassung einer Vorstellung zu denken, [...] als in ihr aufgefaßt und deutlich gemacht werden kann“ (194f.). Erinnert man sich an die AS, wo von einer Zweckmäßigkeit von Formen für ihre Auffassung die Rede war, und an die AE, wo das entsprechende Gegenteil als „Unzweckmäßigkeit“ bezeichnet wurde, wird es geradezu schlagend, daß Kant jetzt auf einmal den Begriff der Zweckmäßigkeit, zumindest teilweise, zurücknehmen muß. Daß die Erkenntniskräfte dazu veranlaßt werden, „mehr zu denken“, als sie auffassen können, heißt nichts anderes, als daß dem ästhetischen Anliegen eine gewisse Zweckwidrigkeit geradezu förderlich ist, weil nur durch diese die Einbildungskraft ihr freies Spiel aufrechterhalten kann. Diese Beobachtung ist es dann auch, die als einzig sinnvolle Erklärung für das Kuriosum taugt, daß das „freie Spiel“ in der „Einleitung“ der KU kein einziges Mal Erwähnung findet. Daß sich Kant in seiner Einleitung über diesen Begriff ausschweigt, muß zunächst irritieren – wenn man dem „freien Spiel“ nicht die Bedeutung für Kants ästhetische Konzeption
___________ 139 Etwas ganz anderes ist es, daß im Rahmen einer Theorie von Erkenntnis die Vereinigung von beiden schwer zu erklären ist. Nur in dieser Hinsicht ist die Ungleichartigkeit von Sinnlichkeit und Verstand ein Problem; die empirische Erkenntnis selbst wird dadurch nicht mühevoll. Sie ist ein erstaunlich komplikationsloses Geschehen, und nicht erst im Rahmen der ästhetischen Einstellung.
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insgesamt absprechen will. Ebenso irritierend ist, daß auch über die ganze Lehre vom Kunstschönen und vom Genie, die ganz im Zeichen der Spielterminologie steht, in der publizierten „Einleitung“ kein einziges Wort verloren wird.140 Abwegig wäre es allerdings, die Entstehung dieser Textpartien, die sich ganz auf die Spielbegrifflichkeit stützen und kaum auf die Terminologie der Zweckmäßigkeit, nach der „Einleitung“ zu datieren. Denn daß Kant „Vorrede“ und „Einleitung“, wie üblich, zuletzt abgefaßt hat, ist durch seinen Briefwechsel einigermaßen deutlich belegt.141 Ein überzeugender Grund dafür, daß Kant in der „Einleitung“ gewissermaßen so tut, als gäbe es in seiner Konzeption weder ein „freies Spiel der Erkenntniskräfte“ noch den Genie-Begriff, liegt vielmehr darin, daß diese Begriffe hier unerwünscht sind, weil sie Unruhe stiften würden. Das besondere Anliegen der „Einleitung“ ist es nämlich, dem höchst disparat scheinenden Gesamtwerk der KU eine Einheit zu verleihen, und der Begriff, der diese Einheit herstellen soll, ist der der Zweckmäßigkeit: An einem in der Erfahrung gegebenen Gegenstande kann Zweckmäßigkeit vorgestellt werden: Entweder aus einem bloß subjektiven Grunde, als Übereinstimmung seiner Form, in der Auffassung (apprehensio) desselben vor allem Begriffe, mit den Erkenntnisvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einem Erkenntnis überhaupt zu vereinigen; oder aus einem objektiven, als Übereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält (XLVIII).
Das Phänomen der Zweckmäßigkeit als objektiver soll Gegenstand der Teleologie, Zweckmäßigkeit als subjektiv-formale Thema der Ästhetik sein. In Hinblick auf den ästhetischen Teil seiner Theorie beruft sich Kant auf eine Zweckmäßigkeit, die in der „Auffassung“ einer Form bestehen soll, womit er auf die formale Zweckmäßigkeit zurückkommt, wie sie in der AS konstruiert wurde. Und da dort im Begriff der Zweckmäßigkeit neben der Bedeutung von „Nützlichkeit“ von Anfang an auch der Verweis auf eine nach Zwecken wirkende Ursache mitgedacht war,142 läßt sich den subjektiv-zweckmäßigen Gegenständen „gleichsam eine Rücksicht auf unser Erkenntnisvermögen nach der Analogie eines Zwecks“ (L) beilegen – und eine ähnliche Analogie soll auch das Reden von Zwecken bei den Gegenständen der Teleologie ermöglichen. Durch die Art und Weise, wie Kant den Begriff der ästhetischen Zweckmäßigkeit in der „Einleitung“ einführt, wird also schnell klar, warum die Spielterminologie und die Lehre vom Genie dort unerwünscht
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140 Selbst die Unterscheidung zwischen Naturschönem und Kunstschönem kommt in der „Einleitung“ nur am Rande vor, nämlich in Form von zwei eingeklammerten Zusätzen: „[...] Gegenstandes (er sei Produkt der Natur oder der Kunst)“ (XLVII) bzw. „[...] Formen der Sachen (der Natur sowohl als der Kunst)“ (XLVIII). 141 Vgl. dazu Windelband in Bd. 5, S. 523 und Tonelli, „La formazione del testo“, S. 448. 142 Vgl. oben, S. 46ff.
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sind. Denn würde er diese Teile seiner Konzeption berücksichtigen, würde er sich den gemeinsamen Boden von Ästhetik und Teleologie, den er hier schaffen will, gleich wieder entziehen. Eine „Rücksicht auf unser Erkenntnisvermögen nach der Analogie eines Zwecks“ läßt sich nämlich nur unterstellen, wenn sich der Gegenstand in Hinblick auf seine Auffassung als günstig erweist, nicht aber, wenn sich seine Auffassung als in einem gewissen Sinn auch ungünstig bzw. zweckwidrig herausstellt. Denn genau das tut derjenige Gegenstand, der sich für das „freie Spiel“ eignet, weil er eine anhaltende Tätigkeit der Erkenntniskräfte notwendig macht. Liest man dagegen Kants Darstellung der ästhetischen Zweckmäßigkeit in der „Einleitung“, muß man zu dem Schluß kommen, daß die Natur doch am schönsten da wäre, wo sie dergleichen wie „Pfeffergärten“ hervorbringt – denn welche Formen wären für ihre Auffassung durch die Einbildungskraft besser geeignet, als die geometrisch-regelmäßigen? Damit wäre wieder der Fragenkomplex berührt, der in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ zur Sprache kommt. Auf dem Stand dieser Anmerkung oder zumindest auf dem Weg dorthin befand sich Kant schon während der Arbeit an der früher, wohl noch vor der KtU fertiggestellten143 und nicht veröffentlichten EE. Das läßt sich an der „Anmerkung“ zum Abschnitt VIII zeigen, wo Kant auf den Begriff der Vollkommenheit eingeht. Die Tatsache, daß er sich in einer Einleitung noch einmal gesondert ein Thema vornimmt, dem im Haupttext bereits ein ganzer Paragraph (der §15) gewidmet worden war, und daß er dies in vergleichbarem Umfang wie schon im Haupttext tut, ist dabei schon allein bemerkenswert. Doch das Thema ist wichtig genug, und wie noch einmal in Erinnerung zu rufen ist, war auch die „Allgemeine Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ als Nachtrag zum §15 zu lesen. Eine auffällige Gemeinsamkeit der „Allgemeinen Anmerkung“ mit der „Anmerkung“ der EE besteht nun darin, daß auch letztere das Phänomen geometrisch-regelmäßiger Formen thematisiert. Und dadurch besteht hier wie auch bei der „Allgemeinen Anmerkung“ eine Verbindung zum Anfang der KtU, da ein wichtiges Beispiel dieser „Anmerkung“ – ein „reguläres Sechseck“ – auch dort (im §64) herangezogen wird. Von Bedeutung ist in der EE insbesondere eine Passage, die sich als Nachtrag liest zu der These des §15, daß der Beurteilung von Vollkommenheit immer so etwas wie ein Zweck zugrundegelegt werden muß.144 Der Nachtrag lautet: Dieser Zweck darf aber nicht immer ein practischer Zweck seyn, der eine Lust an der Existenz des Objects voraussetzt oder einschließt, sondern er kann auch zur
___________ 143 Vgl. Tonelli, „La formazione“, S. 439. 144 Siehe oben, S. 58ff.
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Technik gehören, betrift also blos die Möglichkeit der Dinge und ist die Gesetzmäßigkeit einer an sich zufälligen Verbindung des Mannigfaltigen in demselben. Zu einem Beyspiel mag die Zweckmäßigkeit dienen, die man an einem regulären Sechseck in seiner Möglichkeit nothwendig denkt, indem es ganz zufällig ist, daß sechs gleiche Linien auf einer Ebene gerade in lauter gleichen Winkeln zusammenstoßen, denn diese gesetzmäßige Verbindung setzt einen Begrif voraus, der, als Princip, sie möglich macht.145
Das Neue dieses Abschnitts besteht in einer Differenzierung des Zweckbegriffs: Kant unterscheidet bei „Zweck“ jetzt eine „praktische“ Bedeutung, also eine der Nützlichkeit gemäße, von einer „technischen“, also teleologischen Bedeutung. Als Beispiel für letzteren Zweckbegriff führt er im folgenden auch organisch strukturierte Objekte an. Diese Differenzierung des Zweckbegriffs, die auch eine Differenzierung des Begriffs der Zweckmäßigkeit zur Folge hat, wodurch „zweckmäßige“ Gegenstände als nützliche von solchen unterschieden werden, deren Ursache eine Zweckvorstellung ist, sucht man in der gesamten AS vergebens, denn dort wurden die beiden Bedeutungen stets zusammengedacht. Und eine von ihnen habe mit Lust nichts zu tun, so Kant jetzt im folgenden: Jene „objektive“ Zweckmäßigkeit beinhalte den Begriff eines „Zwecks der Natur“146, wobei „darüber das Urtheil teleologisch heißt und gar kein Gefühl der Lust bey sich führt, so wie diese überhaupt in dem Urtheile über die bloße Causal-Verbindung gar nicht gesucht werden darf“.147 Von besonderem Interesse ist der Kontext, in dem diese Differenzierung durchgeführt wird: Es geht hier um den Begriff der Vollkommenheit, der im §15 unter dem Stichwort der „objektiven Zweckmäßigkeit“ abgehandelt wurde. Wie in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ fällt auch hier das Beispiel einer geometrischregelmäßigen Gestalt. Und laut der zitierten Passage der EE soll auch für sie gelten, was für organische Objekte gilt. Sie stelle einen Fall von objektiver Zweckmäßigkeit dar und habe dementsprechend mit dem Gefühl der Lust und Unlust nichts zu tun. Doch während für organisch strukturierte Naturobjekte die Ausgrenzung aus dem Bereich der Untersuchung von Lust und Unlust plausibel erscheint, muß dies für geometrisch-regelmäßige Objekte umstritten sein. Denn mit der „Allgemeinen Anmerkung“ widmet Kant in der „Analytik“ einen ganzen Abschnitt der Beobachtung, daß regelmäßig-geometrisch geformte Gegenstände sehr wohl Gegenstand
___________ 145 EE, Bd. 20, S. 228. 146 Ebd. 147 Der Ausdruck „bloße Causal-Verbindung“ läßt sich natürlich so verstehen, daß auch im Kontext des Geschmacksurteils eine Causal-Verbindung vorliegt. Entscheidend ist aber, daß Kant jetzt anerkennt, daß diese Causal-Verbindung nicht als Bestimmungsgrund für das ästhetische Wohlgefallen in Frage kommt, daß dieser also in etwas anderem liegen muß.
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eines Wohlgefallens sein können, was Fragen in bezug auf den Vollkommenheitsbegriff qua objektiver Zweckmäßigkeit als auch die Lehre von der formalen Zweckmäßigkeit aufwirft. Die „Anmerkung“ der EE, die das reguläre Sechseck mit dem organischen Naturobjekt in einen Topf wirft, kann also als der Versuch gewertet werden, Zweifel an der bisherigen Konzeption abzuwiegeln, während die „Allgemeine Anmerkung“ der „Analytik“ die unangenehmen Konsequenzen ein Stück weit zur Sprache bringt und eine Erweiterung der Terminologie mit sich führt. Es wird wohl kein Zufall sein, daß beide „Anmerkungen“ durch den Verweis auf die regelmäßig-geometrischen Figuren eine enge Beziehung zu den ersten Paragraphen der KtU aufweisen.148 Kant hat sich offenbar erst nach Abschluß der AS zu einer gesonderten Teleologie veranlaßt gesehen, womit zusammenpaßt, daß in der „Analytik“ der Zweckbegriff noch sowohl eine instrumentelle als auch eine teleologische Komponente hat. Ebensowenig dürfte es ein Zufall sein, daß an diesem wichtigen Punkt, der vielleicht einen systematischen Wendepunkt in der Genese der KU markiert, einer Terminologie der Boden bereitet wird, die die Begrifflichkeit von Zweckmäßigkeit konterkariert, nämlich die von Spiel. Am Anfang der KtU behandelt Kant mit den regelmäßig-geometrischen Formen etwas, das eigentlich als „Form der Zweckmäßigkeit“ zu bezeichnen wäre, womit diese Formel für den ästhetischen Kontext in Frage gestellt würde.149 Die Inhomogenität der KU, wie sie durch die unterschiedliche Gewichtung der Spielterminologie und den Wandlungen des Zweckmäßigkeitsbegriffs deutlich wird, ist also folgendermaßen zusammenfassen: Im ältesten Teil der KU, der AS, ist die Spielterminologie so schwach eingebunden, daß sie einigermaßen problemlos aus dieser hinwegzudenken wäre, zumal andere Partien tatsächlich ohne sie auskommen, nämlich der Schlüsselparagraph der „Deduktion“ (ein relativ früher Teil der KU) und die „Einleitung“ (der späteste Teil). Derjenige Textblock, der sich dem Kunstschönen widmet, ist dagegen von der Spielterminologie geradezu durchdrungen, was dazu führt, daß der Begriff der formalen Zweckmäßigkeit, wie er etwa in der „Analytik“ entwickelt wurde, dort eine entscheidende Veränderung erfährt. In der AE kommen beide Begriff-
___________ 148 In beiden „Einleitungen“ kommt Kant jeweils im ersten Abschnitt auf die Geometrie zu sprechen und bespricht sie als Beispiel von „Regeln der Geschicklichkeit“, die „technischpraktisch“ zu nennen seien (XIV), bzw. als Sätze zur „Erzeugung von Gegenständen“ (Bd. 20, S 196). In der EE wird betont: „Eine practische Geometrie, als abgesonderte Wissenschaft, ist ein Unding“ (S. 198), und in einer Anmerkung fügt Kant hinzu, daß die eigentlichen Mittel der Geometrie nicht „wirkliche Werkzeuge“ bzw. „zusammengesetztere Maschinen“ seien, sondern Operationen der Einbildungskraft, „der kein Instrument es gleich thun kann“ (ebd.). 149 Siehe oben, S. 66ff.
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lichkeiten vor, wobei aber die konsequente Anwendung des Begriffs der formalen Zweckmäßigkeit dort dazu führen müßte, daß das Erhabene als das Häßliche zu gelten hätte, was nur dadurch vermieden wird, daß für das Erhabene eine „höhere Zweckmäßigkeit“ geltend gemacht wird, die Ähnlichkeiten zur Zweckmäßigkeit im Zusammenhang mit dem Kunstschönen aufweist. Das komplette Fehlen der Spielterminologie im letzten Teil der KU, der „Einleitung“, ist besonders auffällig und hat einen anderen Grund als im §39 der „Deduktion“: Während Kant den Spielbegriff dort (noch) nicht braucht, muß hier davon die Rede sein, daß er ihn nicht (mehr) brauchen kann, weil dann der Zweckmäßigkeitsbegriff nicht mehr ohne weiteres dazu taugen würde, die Einheit des gesamten Werks herzustellen. Aber nicht nur die schwierige Vereinbarkeit der Begrifflichkeit von Spiel mit den übrigen Elementen der KU ist für Kant ein Problem. Auch das Phänomen des Spiels selbst stellt Kant vor Schwierigkeiten. Es fragt sich nämlich, ob die ihm entlehnte Begrifflichkeit der Sache, die es in der Ästhetik zu erklären gilt, tatsächlich angemessen ist. 4. Kants Zwiespalt mit der Begrifflichkeit von Spiel Es verdient besondere Aufmerksamkeit, wenn Kant sich dem Gegenstand, der für das Bild eines Spiels von Einbildungskraft und Verstand als Analogon dient, einmal gesondert widmet. Das tut er in dem schon erwähnten, als „Anmerkung“ übertitelten §54150, der am Ende einer Serie von Paragraphen steht, in denen Kant seine Theorie der Kunst und des Genies entwickelt und die, wie gezeigt, in besonderer Weise von der Spielbegrifflichkeit geprägt sind. Erst indem man berücksichtigt, wie konsequent es ist, daß Kant zum Abschluß dieser Einheit das Thema „Spiel“ noch einmal gesondert behandelt, wird deutlich, wie verwunderlich der Inhalt dieser „Anmerkung“ eigentlich ist. Denn während in den Paragraphen zuvor die terminologischen Analogien zum Spiel immer in konstruktiver Weise erfolgten, dadurch nämlich, daß diese die besondere Freiheit des Genies und die Rezeption von Kunstwerken illustrieren sollten,151 wird jetzt ein deutlicher Kontrast zwischen dem Phänomen Spiel einerseits und der ästhetischen Einstellung andererseits deutlich. Und es ist nicht so, daß Kant hier nur darum bemüht wäre, zu den zahlreichen Parallelen zwischen Spiel und ästhetischer Einstellung nun auch noch die Grenzen dieser Analogie aufzuzeigen. Vielmehr rückt er das Phänomen
___________ 150 Es ist möglich, daß für diese „Anmerkung“ ein Paragraph gestrichen wurde, denn sie steht zwischen den Paragraphen 53 und 55 und war zunächst, wie andere „Anmerkungen“ auch, nicht als eigenständiger Paragraph geführt. Erst Hartenstein hat sie zum §54 gemacht. 151 Vgl. 180; 186; 191-200; 202f.; 205; 206; 210; 212; 214; 215f.; 217; 218; 221.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
Spiel in weite Ferne von allem, was dem Anspruch des interesselosen Wohlgefallens genügen könnte, und stellt damit die ganze Analogie in Frage. Die „Anmerkung“ am Ende der „Deduktion“ vertritt nämlich die These, daß das Wohlgefallens im Zusammenhang mit Spiel auf physiologischem Weg, als pathologische Lust, zu erklären sei. „Alles wechselnde freie Spiel der Empfindungen (die keine Absicht zum Grund haben) vergnügt, weil es das Gefühl der Gesundheit befördert“ (223), sagt Kant. Er meint damit keineswegs nur solche Spiele, bei denen die körperliche Bewegung im Vordergrund steht, denn er spricht von „Glücksspiel, Tonspiel und Gedankenspiel“ (ebd.). Bis auf das Glücksspiel thematisiert er damit solche Spiele, die dem, was er zuvor im Zusammenhang mit der schönen Kunst behandelt hat, auffallend ähneln, zumal mit „Tonspiel“ ja die Musik genannt wird. Über deren Rolle hat er sich im §51 übrigens bemerkenswert unentschieden geäußert und offengelassen, ob Tönen überhaupt ein „Wohlgefallen an der Form in der ästhetischen Beurteilung“ (212) gelten kann und ob Musik nicht etwa nur als eine „angenehme Kunst“ (213) statt als eine „schöne“ anzusehen sei.152 Im Rahmen von Spiel soll nicht etwa körperliche Bewegung die Ursache für ein Wohlgefallen sein. Es sei die seelische Bewegung, welche ein körperliches Wohlbefinden zur Folge haben soll, denn man müsse annehmen, „daß mit allen unseren Gedanken zugleich irgendeine Bewegung in den Organen des Körpers harmonisch verbunden sei“ (227). So werde verständlich, daß durch jede „innere Motion das ganze Lebensgeschäft im Körper befördert zu sein scheint“ (224). Diese „Belebung“, die „bloß körperlich“ sei, „ob sie gleich von Ideen des Gemüts erregt wird“, sorge für ein „Gefühl der Gesundheit durch eine jenem Spiele korrespondierende Bewegung der Eingeweide“ (224). Kants Einsicht, „daß man dem Körper auch durch die Seele beikommen“ (225) kann, könnte man zwar als ein eindrucksvolles Beispiel dafür ansehen, daß er, hier ganz wie Burke physiologisch denkend, keine Zweiwelten-Theorie des Seelischen und Somatischen vertritt. Doch ist diese Überlegung im betreffenden Kontext Teil eines argumentativen Gewaltaktes, der ein schlechtes Licht auf die gesamte bisherige Untersuchung wirft. Denn mit den geschilderten Anleihen aus der Welt der Physiologie will Kant erklären, warum Spiel „vergnügend“ sein kann, „ohne interessierte Absicht dabei zum Grunde zu legen“ (224). Es ist die offenkundige Interesselosigkeit des Spiels, die Kant durch physiologische Terminologie erklären will, und es fragt sich, warum nicht auch die Interesselosigkeit des ästhetischen Wohlgefallens auf ein körperliches Wohlbefinden, das seiner-
___________ 152 In der „Analytik“ hatte Kant die „Musik ohne Text“ (49) noch als Muster einer „freien Schönheit“ gerühmt.
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seits durch so etwas wie ein „Gedankenspiel“ hervorgerufen sein könnte, zurückgeführt werden darf. Es soll „mit allen unseren Gedanken zugleich irgendeine Bewegung in den Organen harmonisch verbunden“ (227)153 sein, und deshalb müßte Kant erklären, warum die ästhetische Spontaneität ein ästhetisches Wohlgefallen anderer Art hervorruft. Das Wohlgefallen an einer spielerischen Tätigkeit liegt Kant zufolge „in der Empfindung“ (222) und ist demzufolge wie die Lust am Angenehmen zu verstehen. Doch hier müßte Kant unterscheiden: Bei der Empfindung einer Annehmlichkeit handelt es sich um ein Wohlbefinden, welches das Subjekt sich letztlich nur rezeptiv, durch äußere Einwirkung auf seinen Körper, verschaffen kann. Dagegen soll die Quasi-Annehmlichkeit des spielerischen Wohlgefallens durch „innere Motion“ zustande kommen. Daß Kant auch dieser „inneren Bewegung“ rezeptive Züge unterstellt, wird dadurch deutlich, daß er sie als den bloßen Wechsel von Affekten, also als das bloße Nacheinander von positiven und negativen Empfindungen versteht.154 Soll das Phänomen Spiel im bloßen Wechsel von Affekten aufgehen, wäre es schon sehr verwunderlich, daß Kant eine terminologische Analogie zum Spiel bei der Erörterung des ästhetischen Wohlgefallens auch nur erwägt. Während Kant die offensichtliche Interesselosigkeit von Spiel hier in der „Anmerkung“ der Deduktion durch den Hinweis auf die Physiologie des spielerischen Vergnügens verharmlost, ja sogar zerredet, nimmt er sie an anderer Stelle für die Beschreibung der ästhetischen Einstellung ohne Abstriche in Anspruch. Das tut er etwa im §12, der im Zusammenhang mit dem Spiel der Erkenntniskräfte eine Analogie zu den Reizen angenehmer Gegenstände herstellt. „Das Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntniskräfte“, hieß es dort, sei „die Lust selbst“, weil es „einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte desselben, also eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt“ (36f.) habe. Kant fährt fort: Diese Lust ist auch auf keinerlei Weise praktisch, weder wie die aus dem pathologischen Grund der Annehmlichkeit, noch die aus dem intellektuellen des vorgestellten Guten. Sie hat aber doch Kausalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht zu erhalten (37).
Daß die Lust einer „Belebung“ der Erkenntniskräfte „auf keinerlei Weise praktisch“ bzw. interessiert sein soll, ist im Kontext der „Anmerkung“ am Ende der „Deduktion“ nichts mehr wert. Insofern die durch das Spiel
___________ 153 Hervorhebung von mir. 154 Vgl. insbesondere 225f.
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geleistete „Belebung“ , die auf die Tätigkeit von Gedanken zurückzuführen ist, „bloß körperlich“ und dennoch „ohne interessierte Absicht“ sein kann, ist ein Unterschied zur „pathologischen“ Annehmlichkeit nicht mehr deutlich zu erkennen. Von Bedeutung ist die Frage, was es heißen soll, daß die beschriebene Lust der „Belebung“, die im §12 eine ästhetische Lust sein soll, eine „innere Kausalität“ hat bzw. Kausalität, „den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht zu erhalten“. Das „doch“, mit dem der betreffende Satz eingeleitet wird, deutet an, daß hier eine Bestimmung der ästhetischen Lust genannt wird, die sie auf gewisse Weise doch wieder in die Nähe der praktischen Lust stellt. Ein ähnliches Indiz ist die Wendung „ohne weitere Absicht“, da „ohne weitere“ signalisiert, daß in Gestalt dieser „inneren Kausalität“, der es um die Erhaltung der Erkenntnistätigkeit geht, doch eine Absicht vorliegt; eine zwar, die nicht über die Beschäftigung der Erkenntniskräfte hinausgeht, gewissermaßen aber die Tätigkeit der Erkenntniskräfte selbst betrifft. Eine praktische Lust ist immer Ausdruck des Interesses an der Wirklichkeit eines Gegenstandes; die hier vorliegende nichtpraktische Lust dagegen beinhaltet offenbar, daß dem Subjekt nur am Erhalt der Beschäftigung der Erkenntniskräfte selbst liegt. Ein solches „Interesse“, das irgendwie nichtpraktisch sein soll, wäre freilich erläuterungsbedürftig. Behält man hier die physiologisch argumentierenden Passagen am Ende der „Deduktion“ mit im Blick, muß fraglich werden, ob mit dem Spielbegriff die Interesselosigkeit der ästhetischen Einstellung konstruiert werden kann. Kant ist unentschieden: Der Rückgriff auf die Begrifflichkeit von Spiel erfolgt in manchen Fällen zur Illustration der Freiheit der ästhetischen Einstellung, während an anderer Stelle jeder Analogiebildung zwischen ästhetischer Erfahrung und dem Phänomen des Spiels durch eine physiologische Interpretation des letzteren und die Deutung seiner spezifischen Lust als Fall von Annehmlichkeit die Grundlage entzogen wird. Kant deutet das Spiel hier in der KU übrigens nicht zum ersten Mal auf diese Weise. Auch schon der vorkritische Kant hat unter dem Eindruck der vorherrschenden angelsächsischen Theoreme das Wohlgefallen am Spiel pathologisch erklärt.155 Und der Meinung, daß für das Wohlgefallen am Schönen allenfalls empirische Prinzipien aufgefunden werden können, war Kant auf jeden Fall noch zum Zeitpunkt der ersten Auflage der KrV, in der er ausdrücklich so etwas wie nichtempirische Prinzipien für die Wissenschaft des Schönen zurückweist.
___________ 155 Vgl. z.B. R 685; R 801; R 802.
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Da klar ist, daß die AS nichts anderes will, als genau solche nichtempirischen Bedingungen für das ästhetische Wohlgefallen namhaft zu machen, muß in der Zwischenzeit bei Kant ein Paradigmenwechsel in der Behandlung des Schönen stattgefunden haben. Die terminologischen Verweise auf den psychologisch-physiologischen Ansatz wären somit als Reste einer eigentlich überwundenen Konzeption zu verstehen. Dies könnte zu der Sicht verleiten, daß man es hier insgesamt mit dem ältesten Teil der KU zu tun hat. Doch kann gezeigt werden, daß die §§43 bis 54 nach der „Analytik“ entstanden sind, weil sie bereits terminologische Elemente enthalten, die in der „Analytik“ nicht, in der mit Sicherheit spät entstandenen KtU und den beiden Einleitungen aber verstärkt auftreten.156 Die Bedeutung der Spielterminologie ist wohl einfach auch zu hoch, als daß man sie bloß als Reminiszenz an einen im Grunde längst überkommenen Ansatz verstehen könnte und sie damit aus der Konzeption der KU, soweit diese sich die Erarbeitung nichtempirischer Prinzipien für die Ästhetik zum Ziel gemacht hat, nachträglich herauszudividieren hätte. Ganz unabhängig davon, ob man der Meinung ist, daß das „freie Spiel der Erkenntniskräfte“ sich bruchlos in die übrige Konstruktion der „Analytik“ einfügt und sich mit der Lehre von der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ vereinbaren läßt, ist wohl unstrittig, daß die Rede von der freien Einbildungskraft, die sich von Zwang und Nötigung des Verstandes befreit, innerhalb der Gesamtkonzeption in ihrer Endgestalt eine zentrale Rolle spielt. Um so irritierender ist es, daß Kant das Bild des Spiels zur Illustration einer besonderen Freiheit gebraucht, das Spiel selbst aber offenbar nicht anders erklären kann als physiologisch-naturalistisch. Zusammenfassend ist also zu konstatieren, daß der Spielbegriff auf doppelte Weise ein Problem für Kant darstellt: Einerseits steht die Terminologie des freien Spiels der Erkenntniskräfte im Widerspruch zur Konzeption der formalen Zweckmäßigkeit, weil letztere eine möglichst ungehinderte, glatte Erkenntnisaktivität suggeriert, die solche Formen bevorzugt, wie sie dem Spiel abträglich sind, nämlich einfache und monotone. Andererseits muß offen bleiben, ob das freie Spiel dem Phänomen der ästhetischen Einstellung und deren Ansprüchen gerecht werden kann: Daß das Spiel als Gegenentwurf zu Praxis, als das schlechthin Andere zu Alltag, sich nicht von selbst versteht, zeigt die Unentschiedenheit Kants in der Frage, ob Spiel als Gegenmodell zur grundsätzlichen Interessiertheit des Subjekts taugt. Weder das schwierige Verhältnis, in dem die Spielbegrifflichkeit zu anderen Teilen der Konzeption steht, noch Kants Zwiespalt bezüglich dieser Terminologie selbst kommen ans Licht, wenn
___________ 156 Siehe Tonelli, „La formazione del testo“, S 440.
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Teil I: „Formale Zweckmäßigkeit“ und das „freie Spiel der Erkenntnisvermögen“
man etwas Erklärungsbedürftiges, nämlich den Spielbegriff, zur Erklärung der Gesamtkonzeption unkritisch einspannt.157 Man beruft sich so lediglich auf die scheinbare Selbstverständlichkeit dieses Begriffs, die für Kant offenbar keine war, da er ihn – wenn auch offenbar ohne Konsequenzen – problematisiert. Um den Zwiespalt Kants in dieser Frage besser zu verstehen, wird es nötig sein, den Spielbegriff aus dem ästhetischen Kontext, wo er nur eine übertragene Bedeutung hat, herauszulösen und in seinem ursprünglichem Umfeld – dem der Praxis – zu betrachten. Im Kontext der Ästhetik auch Handlungstheorie zu betreiben, liegt in der Konsequenz des kantischen Ansatzes, denn nicht erst der Spielbegriff ist ursprünglich im Kontext des Handelns zu Hause – vielmehr haben mehrere Begriffe, die für die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung eine Funktion übernehmen sollen, wie der Begriff des Interesses und der Zweckmäßigkeit, ihren eigentlichen Kontext im Bereich der Praxis.
___________ 157 Statt auch nur von fern ein Problem mit dem Begriff des Spiels zu sehen, schmückt etwa Henrich das Bild der miteinander spielenden Erkenntnisvermögen noch weiter aus und schlägt vor, man solle sich Verstand und Einbildungskraft vorstellen, wie sie miteinander tanzen bzw. ein Ballspiel ausführen (Aesthetic Judgment and the Moral Image of the World, S. 52f.). Aber Henrich ist bei weitem nicht allein darin, auf das Bild des Spiels zurückzugreifen, ohne im Zusammenhang mit dieser Terminologie ein Problem zu thematisieren (vgl. z.B. Stolzenberg, „Das freie Spiel der Erkenntniskräfte“, S. 28; Kern, Schöne Lust, u.a. S. 191f. und 230ff. und Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 19f. und S. 60).
Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung A. Das Spiel Die These von der Interesselosigkeit des ästhetischen Wohlgefallens bildet den Anfang von Kants AS. Das Kriterium der Interesselosigkeit ist die differentia specifica, mit der er die ästhetische Einstellung einzugrenzen versucht, und dasjenige, wovon er sie abgrenzt, ist die interessierte Praxis. Dieser Abgrenzungsversuch muß aber solange trivial scheinen, wie unklar bleibt, ob es überhaupt einen Gattungsbegriff für Praxis und ästhetische Einstellung gibt. Um also die Besonderheit der ästhetischen Einstellung zu verstehen, muß der Blick zunächst auf die Gemeinsamkeiten, die sie mit Praxis hat, gerichtet werden. Zu einem tieferen Verständnis der Besonderheit des Ästhetischen ist es mit Erkenntnistheorie allein somit nicht getan. Wie schon die auffallende Präsenz von praktischer Terminologie mit Begriffen wie „Absicht“, „Zweck“ und „Zweckmäßigkeit“ in Kants ästhetischer Theorie anzeigt, ist in Hinblick auf die zu leistende Abgrenzung der ästhetischen Einstellung auch Handlungstheorie gefragt. Für eine mögliche handlungstheoretische Annäherung an die ästhetische Fragestellung macht das folgende Kapitel einen Vorschlag. Die ästhetische Einstellung wird im folgenden in den ungewohnten Kontext zweier nichtästhetischer, meist im Zusammenhang mit Praxis diskutierter Phänomene gestellt, nämlich der Unterlassungshandlung und des Spiels. Beim Spielbegriff, um den es zunächst gehen soll, liegt die Bedeutung für Kants Ansatz freilich auf der Hand. Kant greift auf ihn zurück, weil der Versuch, das ästhetische Wohlgefallen auf die Zweckmäßigkeit eines gegebenen Anschauungsmaterials für die nichtpraktischen „Zwecke“ der Erkenntnis zurückzuführen,1 das vorgegebene Kriterium der Interesselosigkeit offenbar nicht überzeugend einzulösen vermag. Indem Kant die Tätigkeit der Erkenntniskräfte innerhalb der ästhetischen Einstellung in Analogie zum Spiel beschreibt, gelingt es ihm zwar, die Nichtpraktizität der ästhetischen Einstellung anschaulich zu machen – denn das Spiel ist das Sinnbild für ein zweckfreies und insofern auch interesseloses Tun schlechthin –; er holt sich mit dem Spielbegriff und dessen schwieriger
___________ 1
Siehe oben, S. 58-83.
122 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Semantik aber einen der Praxis näher als Theorie und Ästhetik stehenden Fremdkörper in seine Konzeption, zu dem sich insbesondere zwei Fragen stellen. Erstens fragt sich, ob das Phänomen Spiel die geforderte Analogie überhaupt zuläßt. Wenn es stimmt, was Kant selbst zum Spiel bemerkt, nämlich daß es lustvoll nur im Sinn einer „pathologisch“-affektiven Annehmlichkeit sei,2 dann scheint das Bild spielender Erkenntniskräfte ungeeignet, die ästhetische Einstellung zu illustrieren. Damit die Anwendung dieser Begrifflichkeit von irgendeinem Gewinn sein kann, muß dem Spiel also selbst bereits jene Zweckfreiheit nachgewiesen werden können, die für die ästhetische Einstellung in Anspruch genommen wird. Gerade Kants eigene Einlassungen zum Spiel zeigen, daß dessen Zweckfreiheit hinterfragt und somit nicht unkritisch vorausgesetzt werden kann. Daraus ergibt sich dann zweitens die Frage, ob Kants Ausgangspunkt nicht zu revidieren wäre. Ist nämlich auch das Spiel zweckfrei bzw. interesselos, ist das ästhetische Wohlgefallen nicht mehr das einzig interesselose, als das es noch am Anfang der AS beschrieben wurde. Mit dem Spiel müßte noch eine zweite interesselose Einstellung angesetzt werden, und es wäre dann nötig, die eine von der anderen abzugrenzen.3 1. Scheiternde Spieltheorien: Spiel ganz als Zweck und ganz ohne Zweck Es gibt einflußreiche Deutungen des Phänomens Spiel, die ihm dergleichen wie Freiheit von Zwecken absprechen. Adorno zum Beispiel sagt zwar, Spiel sei „im Begriff der Kunst das Moment, wodurch sie unmittelbar über die Unmittelbarkeit der Praxis und ihrer Zwecke sich erhebt“. Es sei aber „zugleich“ als Fall von Naturwüchsigkeit zu verstehen, weil „rückwärts gestaut, in die Kindheit, wo nicht die Tierheit“.4 Eine Analogie zwischen dem Phänomen Spiel und dem Bereich des Ästhetischen benennt somit gerade dasjenige an der Kunst, was an ihr noch Naturwüchsigkeit ist: Im Spiel „regrediert die Kunst, durch ihre Absage an Zweckrationalität, zugleich hinter diese“.5 So spricht Adorno im Zusammenhang mit Spiel auch von Unfreiheit, denn er bezeichnet es als „Nachbild unfreier Arbeit“, das die „Funktion erfüllt, Menschen auf die Anforderungen der
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Siehe oben, S. 115ff. Nach Seel, der von einem „ästhetischen Spiel“ (Ästhetik des Erscheinens, S. 216) spricht, wäre diese Abgrenzung innerhalb der Gattung „Spiel“ durchzuführen. Ästhetische Theorie, S. 469. Ebd.
A. Das Spiel
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Praxis [...] zu gewöhnen, ohne daß sie die Kontrebande von Praxis bemerken“6. Statt „Zweckfreiheit“7, einer positiv konnotierten Abwesenheit von Zwecken, die als Errungenschaft gegenüber interessierter Praxis zu verstehen wäre, bescheinigt Adorno dem Spiel also allenfalls eine gewisse Irrationalität, die am praktischen und damit interessierten Charakter der Tätigkeit nichts ändert; und wenn doch, dann eben nicht im Sinn einer wie auch immer verstandenen Freiheit. Dergleichen wie „Zweckfreiheit“ liegt Adorno zufolge, wenn überhaupt, dann nur in einem abwertenden Sinn vor: als naturwüchsiges Zurückbleiben hinter Zweckrationalität, nicht als Befreiung von ihr. Um ein Geschehen, das von Zwecken frei wäre, könne es sich deshalb nicht handeln, so Adorno, weil das Spiel insgesamt den Status eines Mittels habe: Sein Zweck bestehe darin, das Subjekt an die Praxis heranzuführen, ihr die Erfordernisse derselben nahezubringen und sie ihm durch „relative Umfunktionierung physischer Unlust in sekundäre Lust“ erst schmackhaft zu machen.8 Adorno ist nicht der einzige, der sich gegenüber der oft beschworenen Zweckfreiheit des Spiels skeptisch zeigt und darin übt, es als Fall von Interessiertheit zu demaskieren. Spiel als Mittel für das Überleben im Konkurrenzkampf: diese Deutung hat vor allem in biologistischen Ansätzen in der Nachfolge Darwins Tradition. Als einflußreich erwies sich insbesondere die Theorie von Karl Groos, der Spiel als „Vorübung“ faßte.9 Das Spiel hat demnach seinen Zweck darin, daß durch seinen Vollzug bestimmte, für den späteren Alltag relevante Tätigkeiten erlernt werden.10 Groos spricht von einem „unberechenbaren Nutzen“ des Spiels für Tiere, der in der „spielenden Vorübung und Einübung jener wichtigen Lebensaufgaben“ bestehe.11 Ein solcher „Nutzen“ ist etwas ganz anderes als materielle oder ideelle Güter, die mit dem Erreichen des spielerischen Ziels verknüpft werden können,12 wie etwa eine Spielprämie. Der „Nut-
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Ebd., S. 471. Ebd., S. 470. Ebd., S. 471. Die Spiele der Tiere, S. 68. Ebd. Ebd. Das ist wohl die nächstliegende Strategie, das Spiel in seiner Zweckfreiheit wegzuerklären: Weil klar ist, daß die durch Spiel hervorgebrachten Dinge keinen direkten Nutzen bzw. dieser direkte Nutzen nicht Anlaß für das Spiel sein kann – ein sinnfälliges Beispiel für ein nutzloses, durch Spiel hervorgebrachtes Ding ist etwa der Pfeil, der an der Zielscheibe steckt –, wird gelegentlich versucht, ihnen einen indirekten Nutzen beizulegen. So wird vertreten, daß ein Spieler seine Motivation für das Intendieren daraus ableite, daß das Gewinnen des Spiels mit Vorteilen verbunden sei, wenn nicht mit materiellen, so wenigstens mit sozialen (vgl. Caillois, Die Spiele der Menschen, S. 22), was aber unplausibel ist. Denn einerseits bleibt unerklärt, daß es Spiele gibt, die weder Publikum noch Mitspieler
124 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
zen“ des Spiels im Sinn von Groos ist vor allem aber nichts, das dem spielenden Tier oder Kleinkind vor Augen schweben bzw. bewußt sein könnte. Der „Nutzen“ von Spiel ist nach Groos gewissermaßen biologischer Art, denn die als „Spiel“ beschriebenen Tätigkeiten sollen nur durch Trieb oder Instinkt, nicht aber durch „Zweckvorstellungen motiviert“ sein, wie er feststellt.13 Und insofern Instinkt der Anlaß für den Eintritt in diese Tätigkeit darstellt, kann es sich dabei um keine freie handeln: Hervorzuheben ist, daß die Tiere selbst nichts intendieren, nicht in bewußter Weise um etwas kämpfen [...]. Sie handeln als reine Naturwesen nur nach durchaus notwendigen und strengen Lebensgesetzen. Sie handeln eigentlich gar nicht selbst, sondern werden nach höheren Gesetzen zu ganz bestimmten Lebensäußerungen veranlaßt.14
Die Annahme von einem generellen „Spieltrieb“ weist diese Theorie zurück: Es gibt nicht einen allgemeinen Trieb zum Spielen überhaupt, sondern einzelne Instincte äussern sich auch da, wo für ihre ernstliche Bethätigung kein Anlass gegeben ist, zum Zwecke der Übung, besonders der Vorübung, und diese einzelnen Instincte werden dadurch zu den einzelnen Spielen.15
Beim spielerischen Wohlgefallen handelt es sich nun um etwas geradezu Alltägliches, nämlich um „die Lust, die die Aktivierung jeder instinktiven Tendenz begleitet“ und um „die mit jeder erfolgreichen Handlung verbundene Freude“16. Von der Zweckfreiheit des Spiels, die Groos zu einem Fall gewöhnlicher Bedürfnisbefriedigung degradiert, bleibt so nicht viel übrig.17 Inwie-
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brauchen (vgl. etwa Huizinga, Homo Ludens, S. 52), zum anderen bleiben durch eine solche Beschreibung wesentliche Strukturmomente von Spiel unberücksichtigt. Denn ginge es dem Spieler beim Gewinnen des Spiels um materielle oder andere Vorteile, wäre dann die Befriedigung durch das Spiel nur im Erfolgsfall gegeben. Auch jemand, der es im Spiel prinzipiell darauf anlegte, von anderen bewundert zu werden, ginge im Mißerfolgsfall genauso leer aus, wie ein Jäger, der etwa um seine Mahlzeit gebracht wird. Daß ersterer Mißerfolg relativ folgenlos sein mag, wäre der einzige Unterschied (siehe unten, S. 134). Die Spiele der Tiere, S. 61; vgl. auch Hassenstein, „Das Spielen der Tiere“, S. 26. Ebd., S. 25. Ebd., S. 68f. So Piaget (Nachahmung, Spiel und Traum, S. 195) in Anlehnung an Groos. Piaget setzt die Freude am Erfolg gleich mit der „Freude, Ursache zu sein“. Doch kann es sich dabei nicht um dasselbe handeln: Letztere beinhaltet ein Wohlgefallen darüber, daß man selbst die Ursache von etwas ist – womit thematisierendes Bewußtsein von sich selbst vorausgesetzt wird, da nur ein sich selbst erkennendes Subjekt sich auch als die Ursache von etwas thematisch werden kann. Bei Tieren, die zwar ihren Erfolg in der Außenwelt wahrnehmen können, darf dies nicht vorausgesetzt werden. Die Freiheit des Spiels von Bedürfnisbefriedigung ist z.B. für Huizinga das Grundcharakteristikum des Phänomens schlechthin: „Spiel steht außerhalb des Prozesses der unmittelbaren Befriedigung von Notwendigkeiten und Begierden, ja es unterbricht diesen Prozeß“ (Homo Ludens, S. 16).
A. Das Spiel
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fern es sich von anderen naturalen Neigungen und Bedürfnissen abgrenzen ließe, wäre jetzt die Frage, denn die Art und Weise, wie das Subjekt zur spielerischen Tätigkeit veranlaßt werden soll, wäre dieselbe wie bei anderen Instinkten oder Trieben. Da es einen umfassenden Spieltrieb nicht geben kann, ist die Art und Weise solcher Betätigung nicht auf spezifische Weise motiviert; Spiel bestünde genau wie jede andere triebgeleitete Verrichtung darin, daß das Ausführen ganz bestimmter Tätigkeiten bzw. Körperbewegungen pathologisch motiviert wird. Zu sagen, daß das, was das Subjekt im Rahmen eines etwaigen spielerischen Triebes hervorbringt, keinen Nutzen habe, daß also z.B. das erfolgreiche Ausführen einer gestellten Jagdtätigkeit des Tieres nicht dem Nahrungserwerb dient, wäre uninformativ, weil auch in anderen Fällen die Redeweise, das erfolgreich Hervorgebrachte diente einem Zweck, unangebracht ist. Daß im einen Fall die Beute einverleibt wird und im anderen nicht, wäre nur ein recht oberflächlicher Unterschied, da eben im einen Fall der Trieb beim erfolgreichen Ausführen der jagdrelevanten Tätigkeit aufhörte, im anderen Fall bei der Einverleibung des Erjagten. Genausowenig wie im Zusammenhang mit dem einen kann beim anderen die Rede davon sei, daß etwas Nützliches verwirklicht wird. Als nützlich könnte das Einverleiben einer Beute allenfalls zum physischen Erhalt des Individuums bezeichnet werden, doch mit dieser Charakterisierung würde man sich auf etwas berufen, das nicht im Bewußtsein des Subjekts liegen kann.18 Denn einem Trieb nachzugehen besteht genau darin, daß etwas getan wird, wozu das Subjekt durch seine naturale Basis angehalten wird, ohne ein Bewußtsein von dessen Nutzen zu haben. Die Rede von dergleichen wie Nutzen ist bei triebgeleitetem Tun ganz prinzipiell teleologischer Art, sie beruht auf der Unterstellung, die Natur, die solche Triebe in ihren Subjekten angelegt hat, verfolge so etwas wie Ziele. Aber das würde heißen, der Natur Absichtlichkeit bzw. Intentionalität zu unterstellen.19
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Anz meint in Literatur und Lust, S. 56, die Motivierung bestimmter Aktivitäten durch Lust habe die Natur eingerichtet, „weil das Motiv, überleben zu wollen, allein nicht ausreicht“. Aber gerade bei naturwüchsigem Intendieren ist dieses Motiv unverständlich, weil ein Tier, dem es um seinen physischen Fortbestand ginge, von sich als in seinem Fortbestand Gefährdeten wissen müßte, was es aber mit Sicherheit nicht tut. Erst für den Menschen als von sich Wissendem kann es einen Zwiespalt geben zwischen Lust und Überlebenwollen auf der einen Seite und der unangenehmen Situation, Unlust für den Selbsterhalt in Kauf nehmen zu müssen, auf der anderen. Entsprechend irritierend ist es, daß Freud den Sexualtrieb den „Lebenstrieb“ nennt und dies dadurch erläutert, daß die „Geschlechtsfunktion das Leben verlängern und ihm den Schein der Unsterblichkeit verleihen“ könne. Aber dieser „Zweck“ des Geschlechtsakts kann für ein naturwüchsiges Intendieren nicht einmal „unbewußt“ im Freudschen Sinn sein, sondern muß vielmehr als etwas Nichtbewußtes verstanden werden (Vgl. Jenseits des Lustprinzips, [SA, Bd. 3], S. 253).
126 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Der Gegenstand, der durch die Befriedigung eines Bedürfnisses hervorgebracht wird, ist, mit Kant zu sprechen, stets ein angenehmer, nicht aber ein guter bzw. nützlicher. Er ist kein Mittel, denn hinter ihm gibt es keinen weiteren Zweck im Bewußtsein des Subjekts. Ein naturwüchsiges Subjekt, das seinen Hunger stillt, weiß nichts von sich als einem Wesen, dessen physisches Fortbestehen zu sichern ist; ein Subjekt, das dem Geschlechtstrieb folgt, weiß nichts von der Aufgabe, seine Art erhalten zu müssen. Genau in diesem Sinn wüßte auch ein Subjekt, das naturwüchsig eine etwaige spielerische Tätigkeit ausführte, nichts von einem Nutzen – ein besonderer Nutzen wäre er nicht schon dadurch, daß er nicht in der konkreten Situation, sondern erst in der Vorbereitung des Subjekts auf künftige Situationen bestehen soll. Alle solche Redeweisen sind teleologischer Natur. Hinter dem durch Trieb Hervorgebrachten liegt im eigentlichen Sinn nie ein Zweck. Die Strategie, Spiel von höherer, übersubjektiver Warte aus zu einem Mittel zu erklären, hat, wenngleich nicht im Rahmen einer biologistischen Argumentation, ja auch Adorno gewählt. Eine andere Möglichkeit, dem Spiel dergleichen wie Interesselosigkeit abzusprechen, wählt Freud. Für ihn ist das Spiel nicht der Erwerb von Mitteln für Erfordernisse der Praxis, sondern eine Weise der Erfüllung eines praktischen Zwecks ohne erfolgreiche Verwirklichung von Außenwelt. Im Spiel versetze das Kind „die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung“20; ohne sie in ihrer Wirklichkeit zu verändern, imaginiere es die erwünschte Wirklichkeit, die es nicht herbeiführen kann.21 Das Spielen des Kindes werde „von Wünschen dirigiert, eigentlich von dem einen Wunsch, der das Kind erziehen hilft, vom Wunsche: groß und erwachsen zu sein“22. Freud stellt das Spiel in eine Linie mit dem Tagtraum, der dieselbe Funktion für den Heranwachsenden habe wie das Spiel für das Kind.23 Spiel und Tagtraum sind dazu da, Befriedigung, die in der Wirklichkeit nicht herbeigeführt werden kann, durch Imagination herzustellen: „Der Glückliche phantasiert nie, nur der Unbefriedigte“24. Innerhalb dieser Erklärung des Spiels als Bedürfnisbefriedigung wird dem Phänomen der Status einer in sich selbst lustvollen Tätigkeit abgesprochen. Eine Tätigkeit, die ihren Zweck in sich selbst hat, ist das Spiel nach Freud genau so wenig wie nach Groos. Stimmt die Freudsche
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Der Dichter und das Phantasieren (SA, Bd. 10), S. 171. In Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (SA, Bd. 4, S. 121ff.) beruft sich Freud aber auch auf Groos. Er sagt dort, das Nachahmungsspiel folge „wahrscheinlich einem der Triebe, welche das Kind zu Übung seiner Fähigkeiten nötigen“. Der Dichter und das Phantasieren (SA, Bd. 10), S. 173. Ebd., S. 172; vgl. auch Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, (SA, Bd. 3), S. 20f. und Jenseits des Lustprinzips, (SA, Bd. 3), S. 227. Der Dichter und das Phantasieren, ebd., S. 173.
A. Das Spiel
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Theorie – und beim „Spiel“ von Tieren und Kleinkindern mag ihr nur schwer zu widersprechen sein – ist die beschriebene Freiheit des Spiels eine Illusion.25 Eine gewisse Freiheit läge darin nach Freud nur, insofern im Spiel sich das Subjekt von den Gegebenheiten der Wirklichkeit frei machte und einen alternativen Weg zur Befriedigung seiner Bedürfnisse wählte. Doch statt sich von den Zwängen der Praxis zu lösen, bleibt das Spiel ihr grundsätzlich verpflichtet. Das Ausweichen in eine phantasierte Gegenwelt kann insbesondere deshalb kaum als ein Akt der Freiheit verstanden werden, weil es aus der Zwangssituation heraus geschieht, daß die eigentliche Befriedigung der Bedürfnisse nicht gelingt. Der Weg der phantasierten Bedürfnisbefriedigung ist, wie sich im weiteren Verlauf seiner Praxis mit der darin unvermeidlichen Frustration erweisen wird, für das Subjekt nur schlechte zweite Wahl und keinesfalls der Prototyp von Interesselosigkeit. Obwohl es gerade in Freuds Spieltheorie so aussieht, als müsse die Lust des Spiels beschrieben werden als Wohlgefallen, das unabhängig von der Wirklichkeit von Außenwelt auftritt, ist durch die Analogie zum Traum eigentlich das Gegenteil der Fall: Eben weil der Inhalt des Tagtraums durch die Neigungen des Subjekts vorgegeben wird, gilt das in ihm generierte Wohlgefallen eigentlich der Wirklichkeit, für die er nur schlechter Ersatz ist. Die Frage, ob das Vorgestellte wirklich ist oder nicht, und damit die Existenz der Sache, ist dem Subjekt alles andere als „gleichgültig“26. Wenn sich das Phänomen Spiel in dem von Freud beschriebenen Gegenstand erschöpfen sollte, erfolgte die Verwendung des Spielbegriffs unter den Vorgaben der kantischen Ästhetik also eindeutig zu Unrecht. Freud selbst baut zwar eine Brücke vom Spiel zum ästhetischen Bereich, indem er auf der Basis des von ihm charakterisierten Spiels einen „formalen, d.h. ästhetischen Lustgewinn“27 für möglich hält. Dabei muß er allerdings eingestehen: Erzählten Tagträumen gelingt es nicht, Wohlgefallen in uns zu erzeugen, während wir beim Dichter „hohe, wahrscheinlich aus vielen Quellen zusammenfließende Lust“ empfinden. „Wie der Dichter das zustandebringt, das ist sein eigenstes Geheimnis; in der Technik der Überwindung jener Abstoßung [...] liegt die eigentliche Ars poetica“.28 Mit einer „Befreiung von Spannungen in unserer Seele“, die Freud in diesem Zusammenhang anführt, ist es aber in Hinblick auf den ästhetischen Kontext wohl nicht getan, und die Rede vom „formalen, d.h. ästhetischen Lustgewinn“ ist innerhalb Freuds mechanistischer Erklärungskonstruktion
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Daß bei Tieren und Kindern nicht von einem Als-ob gesprochen werden darf, betonen Piaget (Nachahmung, Spiel und Traum, S. 198f.) und Caillois (Die Spiele der Menschen, S. 27). KU, 6f. Freud, Der Dichter und das Phantasieren (SA, Bd. 10), S. 179. Ebd.
128 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
durch nichts gerechtfertigt.29 Freuds Theorie läßt keinen Raum für eine Lust, die gemäß dem kantischen Anspruch formale Bedingungen haben soll – seine Behandlung des Spiels und die des Kunstwerks sind sich in diesem Punkt gleich.30 Der Verweis auf solche Theorien des Spiels, die in ihm nichts als Zwecke, seien es biologische oder unbewußte, am Werke sehen, zeigt, daß für die Zweckfreiheit des Spiels erst zu argumentieren ist. Jenen die Zweckfreiheit des Spiels negierenden Theorien stehen aber Ansätze gegenüber, die in ihm überhaupt keine Spur von Zwecken erkennen wollen. Ein solcher Fall ist die Interpretation des Spiels bei Gadamer, der sich in Wahrheit und Methode auf Beispiele wie „Spiel der Wellen“ beruft, um den Spielbegriff als Grundbegriff der Ästhetik zu positionieren. Er orientiert sich in seiner Deutung des Begriffs vom Spiel an der Bedeutung des „Hin und Her“ einer Bewegung, bei der es von zu vernachlässigender Bedeutung sei, „wer oder was diese Bewegung ausführt“31. Gadamer kommt zu dem Schluß: „Es ist offenbar nicht so, daß auch Tiere spielen und daß man im übertragenen Sinne sogar vom Wasser und vom Licht sagen kann, daß es spielt. Vielmehr können wir umgekehrt vom Menschen sagen, daß auch er spielt. Auch sein Spielen ist ein Naturvorgang“32. Spiel, als Naturvorgang verstanden, bildet einen Gegenentwurf zu subjekthaften Tätigkeiten deshalb, weil ihm überhaupt keine Zwecke zugrunde liegen sollen. Das „Hin und Her einer Bewegung“ wie beim „Spiel der Wellen“, sei „an keinem Ziel festgemacht [...], an dem sie endet“, heißt es bei Gadamer.33 Diese „ziellose“ bzw. „zwecklose“34 Bewegung kennzeichnet er als eine freie, als einen Fall von Selbstbewegung: „Das Spiel erscheint nun als eine Selbstbewegung, die durch ihre Bewegung nicht Zwecke und Ziele anstrebt, sondern die Bewegung als Bewegung [...] meint“35. Der Bereich, in dem Gadamer die Zweckfreiheit des Spiels ansiedelt, ist aber aus Kants Sicht trivialerweise zweckfrei, denn in der Natur ist die Rede von Zwecken und Zielen grundsätzlich fragwürdig. Sie bedarf, wenn
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Zumal er diese ästhetische Lust als „Vorlust“ kennzeichnet (ebd.), und damit in Beziehung setzt zu derjenigen Lust, die die nötigen Energien zum Vollzug des Geschlechtsakts, an dessen Ende die „Befriedigungslust“ bzw. „Endlust“ steht, generieren soll (vgl. Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, [SA, Bd. 5], S. 115.). Freud führt Schönheit an einigen Stellen auf den sexuellen Reiz zurück (ebd.; S. 114; vgl. auch S. 66, Anm. 2). Wahrheit und Methode, S. 109. Ebd., S. 111. Ebd., S. 109. Die Aktualität des Schönen, S. 114. Ebd. Vgl. Schiller, der von einer „freien Bewegung“ spricht, die „sich selbst Zweck und Mittel ist“ (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 27. Brief), [Nationalausgabe, Bd. 20] S. 406).
A. Das Spiel
129
sie über unreflektierten Animismus hinaus aufrechterhalten werden soll, sorgfältiger Rechtfertigung, was übrigens auch für biologistische Positionen gilt. Gadamer aber nimmt für diese „Freiheit von Zwecken“, die in der Natur vorliegen soll, und die auch als bloße „Zwecklosigkeit“ verstanden werden könnte, den vollen Sinn von „Freiheit“ in Anspruch – so wird die nichtsubjektive Natur zum Freien schlechthin. Indem Gadamer den Gebrauch von Begriffen wie „Freiheit“ und „Selbstbewegung“ auf die „Ziel-“ bzw. „Zweckfreiheit“ des Spiels gründet, wäre die entsprechende Unfreiheit konsequenterweise nicht etwa die von Determination bzw. Fremdkausalität, sondern die von Zielen und Zwecken. Aber sich darauf zu berufen, daß Wasserwellen und Licht „spielen“, was bedeutet, das bloße Hin und Her als Beispiel von Zielfreiheit anzuführen, geht natürlich nur im Kontext einer animistischen Weltsicht. Wer das Hin und Her der Wellen als Beispiel für ein „zielloses“ Geschehen anführt, behauptet entweder implizit, daß ein Ereignis wie die Erwärmung eines Steins durch die Sonne „zielhaft“ erfolgt. Oder er behauptet, so die einzige Alternative, daß sämtliche Naturvorgänge als solche bereits als spielerisches Geschehen zu verstehen sind, wobei dann aber das Abheben auf ein „Hin und Her“ überflüssig wäre. Ein Gegenmodell zum subjekthaften Tun findet man in einem bloßen Hin und Her also nur deshalb, weil schon ein Ereignis, zu dem sich Anfang und Ende angeben läßt, und damit jedes naturkausale Ereignis, unausdrücklich subjektartig erscheint. Die so verstandene Zweckfreiheit als Kriterium für Spiel führt zu unhaltbaren Konsequenzen, denn zum Spiel würde schlicht alles, das nicht durch Zwecke geschieht. Letztlich müßte der Sonne unterstellt werden, daß sie bei der Erhitzung des Steins einen Zweck verfolgt, um zu begründen, daß sie in einem solchen Fall nicht spielt. Und werden zweckfreie Vorgänge als Fälle von „Selbstbewegung“ verstanden, müßte ausgerechnet das nach Zwecken handelnde Subjekt, eben weil es Zwecke hat, als nicht selbstbewegt gelten. Wenn es aber etwas gibt, das nach dem Muster der Fremdkausalität agiert, dann ist es die unbelebte Natur, und wenn es in dieser Welt etwas geben können soll, wofür das Prinzip der Selbstbewegung in Frage kommt, dann doch wohl das nach Zwecken handelnde Subjekt. Genausowenig wie Interesselosigkeit im Zusammenhang mit nichtinteressierten, weil keine Subjekte seienden Wesen, informativ ist, kann so etwas wie Zweckfreiheit in einem Bereich gesucht werden, in dem Zwecke trivialerweise nicht anzutreffen sind. Die gemeinsame Gattung von zweckhafter Praxis und zweckfreiem Spiel muß irgendeinen Sinn von Zweck enthalten, denn auch innerhalb von Spiel werden Zwecke verfolgt: Ein Tennisspiel etwa ist nicht ein bloßes „Hin und Her“ eines Balls, der
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von der einen Seite des Platzes zur anderen und wieder zurück wandert. Die fragliche Bewegung kommt nur dadurch zustande, daß einer der beiden Spieler seinen Zweck, den Ball regelgemäß außerhalb der Reichweite des anderen zu befördern, noch nicht erreicht hat.36 Es wäre abwegig zu leugnen, daß auch ein Spieler etwas will. Der Mindestsinn von Praxis, der im Begriff des Wollens enthalten ist, muß also auch dem Spiel zugeschrieben werden. 2. Spiel als Fall von Intendieren Der Wille bzw. das „Begehrungsvermögen“ ist nach Kant das Vermögen, „durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein“ (XXIII Anm.). Der Wille ist „nicht etwa als ein bloßer Wunsch“ zu verstehen, sondern als „die Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind“37. Es steht im Einzelfall nicht fest, ob diese „Causalität [...] zur Wirklichkeit der Objekte zulange“38, was bedeutet, daß in manchen Fällen der Wille zwar ergeht, das Gewollte bzw. Intendierte sich aber nicht einstellt. Es muß somit unterschieden werden zwischen der „Causalität“ des Subjekts, also dem, was es aktiv tut, indem es will, und dem, was es dabei – fehlbarerweise – je und je bewirkt, und dessen Wirklichkeit sich nur kontingenterweise einstellt. All dies gilt auch für die Tätigkeit des Spiels, in dessen Rahmen ein Subjekt auf die Wirklichkeit eines Gegenstandes aus ist, die nicht in allen Fällen auch erreicht wird. Beim Tennisspiel ist dies etwa die Wirklichkeit eines Balles, der auf der anderen Seite des Netzes im Spielfeld aufkommt. Man muß sich also klarmachen, daß auch im Spiel zwischen Wille bzw. Intention auf der einen und Wirkung auf der anderen Seite streng zu unterscheiden ist. Wenn Kant zum Spiel bemerkt, es trete darin ein Wohlgefallen auf, das durch die Tätigkeit39 allein zustande komme, und
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Fink sieht das klar. Er spricht im Zusammenhang mit solchen Zwecken vom „immanenten Spielzweck“ (Oase des Glücks, S. 23). Auch Gadamer will die Rede von Zwecken im Zusammenhang mit Spiel offenbar nicht ausschließen (er redet von „Scheinzwecken“ [Wahrheit und Methode, S. 113] und gesteht zu, daß im Spiel die „Zweckbezüge, die das tätige und sorgende Dasein bestimmen, nicht einfach verschwunden“ [ebd., S. 107] sind). Wie sich dieser Befund mit der behaupteten Subjektlosigkeit des Spiels verträgt, bleibt aber offen. Bd. 4, S. 394. Bd. 5, S. 45; vgl. auch S. 15. Mit „Tätigkeit“ im Unterschied zu Wirkung kann intentionalitätstheoretisch nur die Intention gemeint sein. Etwas anderes kommt nicht in Frage, auch nicht die Körperbewegung. Die ist in der Regel Mittel zum Erreichen eines Zwecks, als solches aber selbst schon Wirkung bzw. Erfolg einer Intention, weil das Ergehen der Intention das Eintreten der Körperbewegung nicht impliziert: Es kann vorkommen, daß die Intention ergeht, den Tennisschläger zu ergreifen, die Bewegung des Arms, die dazu nötig ist, aber
A. Das Spiel
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nicht durch die Wirkung, ist der zuletzt genannte Aspekt von großer Bedeutung. Denn die merkwürdige Besonderheit des Spiels wird nur deutlich, wenn man berücksichtigt, daß die Lust nicht vermittelt durch eine beabsichtigte Wirkung hergestellt werden soll, obwohl es das Subjekt im Spiel genau auf eine solche Wirkung abgesehen hat. Daß es eine Tätigkeit geben kann, die sich nicht auf die Verwirklichung von etwas außerhalb ihrer Liegendem richtet, also so etwas wie ein rein selbstgenügsames Tun, ist intentionalitätstheoretisch ausgeschlossen. Es müßte sich dabei um eine Intention handeln, die nur auf sich selbst ausginge, und als schon wirkliche Intention auf sich selbst ausgehen, würde heißen, eine Wirklichkeit erst noch herzustellen zu versuchen, die schon vorliegt. Der Bezug auf etwas Anderes ihrer selbst ist geradezu der Wesenszug einer Intention: Eine Intention ist die Verwirklichung von etwas noch nicht Wirklichem; wäre das Intendierte schon wirklich, wäre die Intention überflüssig. Und um auf sich selbst ausgehen zu können, müßte die Wirklichkeit dessen, was doch erst erzielt werden soll, schon vorausgesetzt werden.40 Von diesen Gesetzmäßigkeiten bildet das Spiel, wenn es nicht ein naturkausaler Vorgang sein soll, keine Ausnahme. Soll es so etwas wie eine selbstzweckhafte Tätigkeit geben können, dann nur auf der Grundlage von „Fremdzwecken“, die zum Intendieren in seiner elementaren Form wesentlich hinzugehören. Das intentionale Hervorbringen von noch nicht wirklichen Objekten kann demzufolge keine exklusive Eigenheit von interessierter Praxis sein. Wie sehr Praxis und Spiel sich in diesem Punkt gleich sind, zeigt sich besonders deutlich daran, daß in manchen Fällen zwischen Spiel und Praxis kein äußerlicher Unterschied vorliegen muß. Manche Spiele bestehen aus Verrichtungen, die eins zu eins aus Praxis übernommen werden. So braucht in dem, was an Objekten hervorgebracht wird und mit welchen Mitteln, etwa zwischen einer spielerischen Jagd und einer praktischen nicht der geringste Unterschied zu bestehen. Ob ein Geschehen als Praxis oder Spiel zu bestimmen ist, läßt sich von außen oft nicht feststellen. Es soll sogar Subjekte geben, die die Praxis ihres Alltags zum Spiel machen und sie dann als ein solches betreiben. Um äußerlich identische Vorgänge als Alltag oder Spiel beschreiben zu können, muß man sich also auf deren subjektive Tiefenstruktur stützen, und die ist nicht empirisch vorfindbar. Um zu klären, ob eine bestimmte Tätigkeit als Spiel oder Alltag zu verstehen ist, muß angegeben
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nicht eintritt (z.B. aufgrund einer Lähmung, oder weil ihn jemand festhält). Freilich erstrecken sich Tätigkeiten, anders als Intentionen, über eine Zeitspanne, was aber nichts anderes bedeutet, als daß sie als immer wieder neue Intention mit gleichbleibendem Ziel zu beschreiben sind. Zu all dem vgl. Prauss, Die Welt und wir, Bd. I/1, S. 235 und Bd. II/1, S. 5f.; S. 24ff.
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werden, wie das Subjekt zu ihm steht. So ist Kants Definitionsversuch für Spiel zu verstehen, der nicht zufällig auf Lust und Unlust rekurriert: Spiel wird von ihm als diejenige Beschäftigung bestimmt, die nicht durch ihre Wirkung mit Wohlgefallen verbunden sei. Zwar gibt es eine Wirkung, also ein hervorzubringendes Objekt, wie etwa den Pfeil, der in der Zielscheibe steckt, aber das Hervorgebrachte ist nicht der Grund für das Wohlgefallen. Die Besonderheit des Spiels gegenüber Praxis liegt nicht in der Art des Hervorgebrachten, sondern im Verhältnis des Subjekts zu ihm. Der Status, den die Objekte im Spiel für das Subjekt haben, ist aber so fundamental von dem der Praxis unterschieden, daß dies zunächst einmal befremden muß. 3. Intendieren ohne Interesse „Die Menschen beschäftigen sich damit, hinter einem Ball oder einem Hasen herzujagen; das ist sogar das Vergnügen der Könige“, beobachtet Pascal mit Verwunderung.41 Wer sich nun mit ihm wundert, wie privilegierte Personen im Spiel ein Interesse an so minderwertigen Objekten wie Bällen und Hasen finden können, hat das eigentlich Irritierende noch gar nicht erfaßt. Zu den Gegenständen, nach denen man im Spiel strebt, bemerkt Pascal nämlich: „Man würde sie nicht haben wollen, würden sie als Geschenke angeboten“.42 Das gilt sogar für Spiele, bei denen man dies am wenigsten erwarten würde, weil ihre Prämien ganz objektiv wertvoll zu sein scheinen: „Gebt [dem Spieler] jeden Morgen das Geld, das er am Tag gewinnen könnte, unter der Bedingung, nicht mehr zu spielen: so macht ihr ihn unglücklich“.43 Warum man einen Hasen jagt, den man nicht geschenkt will, oder beim Wetten um eine Prämie glücklicher als mit der Prämie selbst sein kann, verlangt nach einer Erklärung. Zunächst ist aber dieser Rätselhaftigkeit selbst noch etwas genauer auf den Grund zu gehen. Pascals Verwunderung enthält ja bereits eine Prämisse, die nicht selbstverständlich ist. Mit der Anormalität des Spiels ist der Normalfall behauptet: Normalerweise steht hinter dem, was wir wollen und hervorbringen, etwas weiteres. Was wir im einzelnen intendieren, ist normalerweise Zweck nicht im absoluten Sinn, sondern nur in dem relativen, daß er Mittel ist in Hinblick auf ein darüber hinausliegendes Ziel. Man will dieses und jenes, aber nur deshalb, weil dadurch jeweils ein anderes möglich wird; so will man Geld in der Regel nicht um seiner selbst
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Pascal, Pensées, Nr. 141 (S. 84). Ebd., Nr. 139 (S. 78). Ebd., Nr. 139 (S. 82).
A. Das Spiel
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willen, denn die Freude, die mit ihm verbunden ist, bezieht sich auf die Möglichkeiten, die sich durch dieses Mittel eröffnen. Auch der zu jagende Hase ist also niemals von sich selbst her Zweck, sondern durch etwas anderes, Dahinterstehendes, in Hinblick worauf er lediglich als Mittel fungiert.44 Somit erweist sich schon Praxis als befremdlich. Weil einer Sache ihr Wert offenbar erst durch einen außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck zukommt, erscheint die eigentliche Wertstiftung in einen unendlichen Progreß hinausgeschoben. Die Frage, wie es trotzdem zu dergleichen wie Zwecken kommt, stellt sich auch Kant: „Ein Ding in der Natur ist ein Mittel dem andern; das läuft immer so fort, und es ist nothwendig, am Ende ein Ding zu denken, das selbst Zweck ist, sonst würde die Reihe kein Ende haben“.45 Ob es aber ein Ding geben kann, das sein Zwecksein in sich selbst trägt, wäre nach Kant zu bezweifeln. Etwas, das seinen Zweck nicht außerhalb seiner selbst hat, kann ihm zufolge kein Ding sein, sondern nur das Subjekt, das „selbst Zweck“ bzw. Zweck an sich seiende, das Anderes seiner selbst erst zum Zweck zu machen hat.46 Aber wodurch wird für ein solches Subjekt etwas Anderes seiner selbst Zweck? Daß die ursprüngliche Setzung eines Zwecks durch unmotivierte Willkür geleistet würde, wäre unverständlich. Im Rahmen von interessierter Praxis hat das Subjekt keine freie Wahl;47 es ist nicht beliebig, auf welches Objekt es ausgeht. Eine Mittel/Zweck-Kette braucht einen Endpunkt, die Präferenz für etwas ganz Bestimmtes, welche nicht wiederum durch eine Mittel/Zweck-Erwägung motiviert ist. Es gibt aber etwas, wodurch im Rahmen von interessierter Praxis eine solche Präferenz ursprünglich konstituiert wird, nämlich dergleichen wie Neigung oder Bedürfnis. Es liegt an unseren Neigungen und Bedürfnissen, weshalb wir Subjekte laut Kant „keine Freiheit“ haben, „uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen“48. Welcher Gegenstand mit Lust verbunden ist – das ist dem Subjekt im Rahmen seiner naturalen Bedürftigkeit durch die Faktizität seiner affektiven Befindlichkeit und der empiri-
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In Korsgaards Terminologie (vgl. „Two Distinctions in Goodness“, S. 170) ausgedrückt, müßte man also bezweifeln, daß es ein „final good“ im Gegensatz zu einem „instrumental good“ gibt. Als einziges Gutes, das kein Mittel ist, käme dann Korsgaards „intrinsic good“ in Frage; dasjenige also, was seinen Zweck in sich hat (der „Zweck an sich“). Daß es ein „extrinsic good“ gibt, das kein „instrumental good“ ist, kann man gegen Korsgaard bezweifeln. Bei ihrem Beispiel, einem Gemälde (ebd., S. 186), ist nämlich zu fragen, ob es sich dabei überhaupt um ein Gutes handelt. Bd. 27, S. 1321. Mit Korsgaard (siehe oben, Anm. 44) müßte man formulieren, daß Kant in der zitierten Passage nach einem „final good“ fragt, mit seinem „Zweck an sich“ letztlich aber auf ein „intrinsic good“ stößt. Vgl. KU, 15f. Ebd.
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schen Wirklichkeit vorgegeben. Wenn das Subjekt im Rahmen von Praxis frei wählen könnte, welches Objekt Lust verschafft, gäbe es gar keinen Grund, Interessiertheit durch eine irgendwie geartete „Abhängigkeit“ zu charakterisieren, wie Kant am Anfang der AS. Abhängig ist das interessierte Subjekt, sofern sein Wohlbefinden von der Wirklichkeit eines Objekts abhängt; entweder, weil das fragliche Objekt als Mittel Voraussetzung ist zur Hervorbringung eines anderen Objekts, oder weil es selbst Ursache jener affektiven Befindlichkeit sein kann. Die entscheidende Frage ist nun, wie sich das Spiel zu dem geschilderten Kriterium der Abhängigkeit von Wohlgefallen verhält. Der Eindruck, daß das spielerische Wohlgefallen wie das ästhetische nicht von der Wirklichkeit des intendierten Objekts abhängt, drängt sich auf, weil der Spieler das Objekt, auf das er im Spiel ausgeht, „nicht geschenkt haben will“. Mit den Gegenständen, die man im Rahmen von Spiel verwirklicht, ist in Praxis nicht viel anzufangen, und wie Pascal bemerkt, darf selbst dann, wenn es im Spiel um Geld geht, dieses nicht die Motivation für das Spiel darstellen. Diese Analyse scheint nun aber leicht anfechtbar: Der Spieler freut sich doch, wenn er gewinnt, und ärgert sich, wenn er verliert. Die Behauptung, daß das Wohlgefallen des Spiels nicht vom Erreichen des spielerischen Ziels, von der Wirklichkeit des im Spiel Intendierten abhängt, scheint deshalb falsch. Aber dabei darf das Wesentliche nicht übersehen werden: Ein Spieler, der in der Niederlage zeigt, daß er sich den Mißerfolg zu sehr zu Herzen nimmt, muß genau dafür kritisiert werden. Es gilt als Kennzeichen einer spielerischen Einstellung, daß man den Mißerfolg „sportlich nimmt“, wie es heißt. Wer das nicht tut, entlarvt sich als schlechter Verlierer, d.h. als schlechter Spieler. Wem der Mißerfolg im Spiel aufs Gemüt schlägt, dem wird die Befähigung zum Spielen abgesprochen. Es wäre zwar hoffnungslos, zu bestreiten, daß Erfolg und Mißerfolg im Spiel für den Spielenden einen Unterschied machen: Der Spieler darf sich als Spieler freuen oder auch ärgern, er hat den Erfolg ja auch intendiert. In einem gewissen Sinn ist die Anteilnahme auch als Anzeichen dafür zu verstehen, daß er „bei der Sache“ war. Aber um den Unterschied zur Praxis deutlich zu sehen, vergleiche man den Mißerfolgsfall bei einer praktischen Handlung und der entsprechenden spielerischen Verrichtung: Ein interessierter Jäger, der zum Zweck des Lebensunterhalts auf das Erlegen der Beute ausgeht, hat bei einem Scheitern seiner Bemühungen allen Grund, den geleisteten Einsatz als vergeblich zu werten. Bei der entsprechenden spielerischen Tätigkeit wäre dies unverständlich. Ein
A. Das Spiel
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Spieler, der das spielimmanente49 Ziel verfehlt, hat nicht den geringsten Anlaß, seine Tätigkeit zu bereuen.50 Das wiederum heißt nicht, daß nicht auch der Spieler in seinem spielerischen Anliegen enttäuscht werden kann. Ob der Vollzug des Spiels sich für ihn gelohnt hat, erweist sich aber auf einer ganz anderen Ebene. Nicht der spielimmanente Erfolg oder Mißerfolg gibt da den Ausschlag, sondern die Frage, ob sich das Spiel für ihn als erfüllend erwies. Wenn sich z.B. ein großer Leistungsunterschied zwischen den Spielenden bemerkbar macht, ist das nicht nur für den Verlierer ein Nachteil. Auch für den Überlegenen sind solche Bedingungen ungünstig, obwohl sich so seine Aussicht auf Erfolg erhöht. Darin liegt ein krasser Gegensatz zur Praxis. Im Spiel gibt es also eine Dimension von Lust und Unlust, in der Erfolg und Mißerfolg bzw. die Wirklichkeit des Intendierten keine Rolle spielt.51 Weil es sich genau dabei um die eigentlich spielerische Ebene handelt, gilt Kants maßgebliches Kriterium für Interesselosigkeit auch für das spielerische Wohlgefallen. 4. Zweckmäßigkeit und Zweckwidrigkeit in Spiel und ästhetischer Einstellung Vor dem Hintergrund des zuletzt erreichten Ergebnisses erweist sich die Analogie zwischen dem Spiel und der ästhetischen Einstellung also als berechtigt. Um zu sehen, wie breit die Grundlage für eine solche Analogie ist, sei noch einmal kurz der Blick auf die AS gerichtet, wo Kant eine auf Vollständigkeit Anspruch erhebende Liste der Arten von Lust aufgestellt hat. In der ist das spielerische Wohlgefallen analog zum ästhetischen Wohlgefallen zu behandeln,52 denn die Lust am Spiel ist weder ein Fall des Genusses angenehmer Gegenstände noch ein Herstellen nützlicher Objekte; sie tritt auf im Rahmen einer Tätigkeit, also von Spontaneität. Betrachtet man die Wertlosigkeit dessen, was im Spiel verwirklicht wird, legt
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Vgl. oben, Anm. 36. Wohlgemerkt, wir reden hier nicht vom „Profi“, für den Erfolg oder Mißerfolg im Spiel handfeste Konsequenzen im Alltag haben. Ein professioneller Spieler ist jemand allerdings nur dann, wenn er die über das Spiel hinausreichenden Mittel/Zweck-Bezüge für die Dauer des Spiels auszublenden vermag. Diese besondere Fähigkeit ist wohl auch der Grund für die über bloße Bewunderung von Leistung hinausgehende Verehrung, die manchen professionellen Spielern zuteil wird und die der Verehrung von Künstlern gleicht. Wohl aber ist die Wirklichkeit der Mittel und der Umstände von großer Bedeutung. Wenn z.B. ein Spielfeld im Tennis nicht eben ist, wird dies der spielerischen Freude abträglich sein. Aber der Grund dafür ist nicht die dadurch verminderte Wahrscheinlichkeit von Erfolg. Vgl. KU, 7.
136 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
sich in der Tat der Eindruck nahe, daß auch der Spieler sich „irgend woraus einen Gegenstand der Lust“53 macht. Und auch zur Zweckmäßigkeit verhält sich das Spiel ähnlich wie die ästhetische Einstellung. Der Begriff der Zweckmäßigkeit, durch den etwas als Mittel für einen Zweck ausgezeichnet wird, steht zunächst für den nichtästhetischen Bereich schlechthin. Daß auch im Rahmen der ästhetischen Einstellung etwas zweckmäßig sein soll für ein Anliegen des Subjekts, also gewissen Zwecken gemäß, scheint sich mit der geforderten Interesselosigkeit nicht zu vertragen. Eine ähnliche Spannung zwischen dem Prinzip der Zweckmäßigkeit und jenem „ohne Zweck“ von Interesselosigkeit findet sich beim Spiel exakt wieder. Sie läßt sich hier sogar deutlicher zuspitzen als bei der ästhetischen Einstellung, weil beim Spiel Mittel/Zweck-Verhältnisse noch offensichtlicher zutage treten – das Spiel ist schließlich durch und durch von ihnen geprägt. Der Spieler tut gewissermaßen nichts, das nicht zweckmäßig bzw. einem Zweck dienlich wäre. Zwischen einem Jäger und einem Spieler besteht hinsichtlich der Zweckmäßigkeit ihrer Verrichtungen nicht der geringste Unterschied: Jeder Handgriff, den der Sportbogenschütze ausführt, geschieht mit Blick auf die Spielaufgabe; und er unternimmt auch nicht etwa weniger als der praktisch motivierte Schütze, um die Vereinigung des Pfeils mit dem Zielobjekt zu erreichen. Der Mittel/Zweck-Zusammenhang ist im Fall des Spiels also nicht weniger konsequent oder streng als in der interessiertesten Praxis. Auch die Gerätschaften des Spiels sind nicht etwa weniger nützlich als die im Alltag. Betrachtet man den Ernst, mit dem sie hergestellt und ausgewählt werden, käme man wohl kaum auf den Gedanken, daß sie für etwas anderes als Praxis, von deren Ausgang viel abhängt, vorgesehen sein sollen. Was also die Mittel/Zweck-Bezüge des Spiels und die Zweckmäßigkeit seiner Mittelhandlungen angeht, ist das Spiel gegenüber der Praxis in keiner Hinsicht defizient. Um nun das „ohne Zweck“ des Spiels zu bestimmen, gilt es zu berücksichtigen, daß das Spiel am Ende etwas hervorbringt, das nicht nützlich ist für weiteres. Das darf indes nicht so verstanden werden, daß das Spiel bis dorthin zweckmäßig betrieben würde und die Mittel/ZweckBezüge dann plötzlich abbrächen. Der Unterschied von Spiel zu Praxis ist nicht als punktuelles Weniger von Zweck zu beschreiben; Spiel ist nicht Praxis, der am Ende ein Zweck fehlt. Der Umstand, daß das Intendieren des spielimmanenten Ziels weder durch ein Bedürfnis noch durch Nützlichkeitserwägungen motiviert ist, rückt vielmehr das gesamte Geschehen in ein grundsätzlich anderes Licht.
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Ebd., S. 15f.
A. Das Spiel
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Jede Verrichtung im Spiel steht zwar unter der Voraussetzung, daß sie adäquates Mittel ist, um das gesteckte Ziel zu erreichen, so daß sie jederzeit durch eine erfolgversprechendere Ausführung ersetzt werden könnte. Aber fragt man sich, wie das Ziel eigentlich zu definieren ist, dreht sich der Blick auf die Vorgänge im Spiel um: Wenn man etwa das Ziel des Sportschützen beschreibt als die Vereinigung des Pfeils mit der Zielscheibe, drängt sich die Frage auf, warum er sich dies so schwer macht. Denn er könnte sich mit seinem Pfeil unmittelbar vor die Zielscheibe begeben und ihn dort an der gewünschten Stelle anbringen. Was hindert ihn daran? Den Pfeil aus einer gewissen Entfernung mit dem Bogen zur Zielscheibe zu befördern, kann jedenfalls kaum das erfolgversprechendste Mittel sein. Während der Jäger deshalb Pfeil und Bogen wählt, weil er keinen besseren Weg zum Erreichen des Gewünschten weiß, gilt dies für den spielerisch motivierten Schützen keineswegs. Ihn hält etwas davon ab, den leichtest möglichen Weg zu gehen. Was den Spieler hindert, die erfolgversprechendste aller Möglichkeiten zu nutzen, ist die Spielregel. Wer einen Pfeil ohne Bogen mit dem Ziel vereinigt, gehorcht nicht den Regeln des Spiels „Bogenschießen“. Um zu verstehen, was das heißt, ist zu fragen, woher die Verbindlichkeit der Spielregel kommt. Von den anderen Mitspielern, was naheliegend scheinen könnte, stammt sie nicht: Erstens gibt es Spiele auch ohne Mitspieler, und zweitens ist es ja nicht so, daß die Spielregel dazu da wäre, das Miteinander der Spieler auf eine für alle verträgliche Weise zu regeln. Diesen Zweck haben die Regeln des Alltags, etwa Verkehrsregeln. Alltagsregeln sind grundsätzlich Mittel zum Zweck, d.h. ein notwendiges Übel. Auf die Spielregel trifft das nicht zu, denn während es ohne Verkehrsregeln noch Verkehr gäbe – sei der dann auch noch so chaotisch und gefährlich –, gäbe es ohne die Spielregel kein Spiel mehr. Die Spielregel ist das Gegenteil von einer Regel des Alltags, denn sie macht das Tun prinzipiell schwieriger, als es sein muß. Anders als bei der Alltagsregel ist ihr zugrunde liegendes Prinzip nicht Nützlichkeit, sondern Schikane.54 Während das notwendige Übel der Alltagsregel dem Alltagssubjekt von den anderen Subjekten auferlegt wird, gibt sich das Spielsubjekt seine Regel, die eine Schikane ist, selbst. Während der Praktiker keine zusätzlichen Schwierigkeiten sucht, nutzt der Spieler seine Freiheit offenbar dazu, die Dinge zu komplizieren. Er gibt sich zusätzlich zu seinem Alltag eine
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Es gibt natürlich auch im Alltag Konventionen, die keinem Zweck zu genügen und deshalb sinnlos scheinen; solche Regeln haben dann mindestens den Zweck, einen Status quo zu sichern oder den Handelnden ein Gefühl von Stabilität bzw. Harmonie zu verschaffen. Daß solche Regeln der Konvention die Nivellierung von Spiel und Alltag hergeben, wie etwa Baatz zu meinen scheint („Das Spiel ist ernst, der Ernst ist Spiel“, S. 9), ist wohl eher fraglich.
138 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
neue Aufgabe, ohne daß diese ihm von irgendwoher aufgenötigt würde. Für den Spieler ist von höchstem Interesse nicht, daß er diese Aufgabe löst, sondern, daß sich ihm diese Aufgabe stellt. Das Anliegen des Spielers ist, im Gegensatz zu dem des Praktikers, nicht durch das Lösen der Aufgabe erfüllt, sondern dadurch, daß diese Aufgabe noch besteht.55 Während im Rahmen von Alltagspraxis eine durch und durch zweckmäßige Welt, und das heißt, eine Welt, die wenig Aufwand zum Erreichen von Zwecken erfordert, immer willkommen sein muß, ist eine solche Welt im Rahmen von Spiel sogar unerwünscht. Die denkbar größte Zweckmäßigkeit in Hinblick auf das Erreichen des spielerischen Zieles ist nicht die ideale Welt für den Spieler. Für einen spielerisch motivierten Bogenschützen ist es von großer Bedeutung, daß ihn die Aufgabe, das Ziel zu erreichen, herausfordert. Er muß sich die Regel geben, von der Zielscheibe so weit weg zu stehen, daß er es nicht „mit links“ erreichen kann. Zwar darf er sich andererseits nicht so weit von ihr entfernen, daß er unter Einsatz seiner Fertigkeiten keine realistische Möglichkeit dazu hätte. Steht aber der Erfolg schon so gut wie fest, mag sich zwar der Praktiker freuen, der Spieler aber kommt dann nicht auf seine Kosten. Durch diesen Punkt wird die Parallele zwischen Spiel und ästhetischer Einstellung schlagend.56 Während Kant sich an manchen Stellen das ästhetische Wohlgefallen so erklären will, daß es dem Subjekt und seinen Erkenntnisfakultäten denkbar leicht gemacht wird, den „Zweck“ der Erkenntnis zu erreichen, kommt er an anderer Stelle zu der Einsicht, daß eine für Erkennen denkbar zweckmäßige Welt für das ästhetische Anliegen unzweckmäßig ist, und das heißt: langweilig. Das Beispiel der Pfefferplantage, das für eine Welt stand, in der sich das Subjekt erkennend leicht orientieren kann, sollte zeigen, daß in einer solchen zweckmäßigen Welt das ästhetisch motivierte Subjekt geradezu mißmutig werden müßte. Die Kennzeichnung dieser spezifisch ästhetischen Unlust – Langeweile – gehört genau so in den Bereich des Spiels wie in den der Ästhetik. Denn Spieler und ästhetisch Eingestellte sind sich im Gegensatz zum Praktiker darin gleich, daß sie das Ungelöstsein der Aufgabe nicht als Mangel bedauern. Was der Spieler bedauert, ist das Ende des Spiels, und auf ähnliche Weise wünscht sich der Leser eines guten Buches, es möge nie zu Ende sein. Das Wohlgefallen des Praktikers könnte nicht ver-
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Deshalb wird ein Spiel unlusthaft ab dem Punkt, wo sein Ausgang feststeht, und dies – nicht die Tatsache, daß der Ausgang des Spiels offener oder unsicherer wäre als der anderer Ereignisse – ist seine Besonderheit. „Es gibt kein Spiel, dessen Ausgang gewiß ist“, sagt etwa Frey in Der unendliche Text, S. 281, und es fragt sich, ob es andere Ereignisse gibt, solche mit Beteiligung von Subjekten zumal, deren Ausgang im gerade beschriebenen Sinn „gewiß“ zu nennen wäre. Sie stellt überzeugend Anz in Literatur und Lust (z.B. S. 108ff.) her.
A. Das Spiel
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schiedener sein; seines ist die Erleichterung darüber, daß er sein Ziel erreichen konnte. Sein Wohlgefallen betrifft allein das Ergebnis, während für den Spieler mit dem Erzielen des Ergebnisses das eigentlich Lustvolle, die Tätigkeit des Spiels selbst, an ein Ende kommt. All das macht Spieler und ästhetisch Eingestellte nicht etwa zu Masochisten, denn es ist ja keineswegs so, daß sie sich unlösbare Aufgaben stellten: Genausowenig wie der Spieler sich Frustration durch nicht Machbares wünscht, genausowenig wünscht sich der ästhetisch Eingestellte eine chaotische und unförmige Wirklichkeit, in der nichts zu bestimmen und auf Begriffe zu bringen ist. Und doch darf nicht alles zweckmäßig sein, im Spiel genausowenig wie im Bereich der ästhetischen Einstellung. Wenn alles der spielerischen Aufgabe gemäß ist, erledigt diese sich auf ganz unerwünschte Weise fast von selbst; und mit der in Hinblick auf Erkenntnis denkbar zweckmäßigen Welt ist der ästhetisch Eingestellte schneller fertig, als ihm lieb sein kann. So gesehen hat im Rahmen beider Einstellungen auch das Prinzip von Zweckwidrigkeit einen Platz. Mit Blick auf den kantischen Zusammenhang erweist sich also, daß die Prinzipien „Belebung“ und „Zweckmäßigkeit“ im Spiel gerade nicht zusammenpassen. Die größtmögliche Erleichterung der spielerischen Aufgabe ist geradezu der Tod des Spiels. 5. Spiel als Überformung von Praxis Obwohl im Spiel Mittel zum Erreichen eines Zwecks ergriffen werden, ist es selbst dem Mittel/Zweck-Prinzip geradezu entgegengesetzt. Das ist nun nicht so zu erklären, daß das Spiel lediglich an manchen Stellen Mittel/Zweck-Verhältnisse vermissen ließe, sich diesbezüglich also gegenüber Praxis punktuell als defizient erwiese. Die Tätigkeit des Spiels gehorcht vielmehr durchgehend Zweckmäßigkeitserwägungen und ist insgesamt ohne Zweck. Obwohl es im Spiel darum geht, eine Aufgabe zu lösen, die sich eigentlich gar nicht stellt, wird sie auf eine Weise gelöst, als wäre sie unumgehbar. Das Spiel wird genau so eingerichtet, als müßte eine bestimmte Außenwelt verwirklicht werden und als gäbe es dafür keinen anderen Weg als gemäß seinen Regeln. Im Spiel werden nicht weniger und nicht unbedingt andere Mittel ergriffen als in Praxis; ein bestimmter Ausschnitt von Praxis ist in ihm komplett enthalten. Dieser aus Praxis herausgelöste Ausschnitt eines Mittel/Zweck-Zusammenhangs bedarf aber eines stützenden Elements, denn die fragliche Struktur stand zuvor in einem breiteren Kontext, der sie trug, und auf sich allein gestellt, müßte sie in sich zusammenfallen. Zu dem aus
140 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
der Praxis herausgelösten Zusammenhang von Mitteln und Zwecken muß etwas hinzukommen, wenn er selbständig werden, in Spiel eingehen soll. Die Frage nach der Art dieses Zusätzlichen im Spiel gegenüber Praxis läßt sich klar beantworten: Da der Unterschied zwischen Spiel und Praxis nicht in etwas Inhaltlichem bestehen kann – es gibt keinen gegenüber Praxis zusätzlichen Inhalt im Spiel –, muß es sich dabei um etwas Formales handeln. Ein Ausschnitt aus Praxis ist demzufolge Aufbaustück von Spiel derart, daß letzteres eine Überformung des ersteren darstellt. Nur im Sinn einer solchen Überformung, durch die Praxis insgesamt übergeht in etwas anderes, kann der Fortbestand des praktischen Mittel/Zweck-Zusammenhangs im Inneren des Spiels verständlich werden.57 Hierin liegt auch der Grund, warum die Analogie zum Spiel für die ästhetische Einstellung so plausibel ist. Hinsichtlich der Frage, gegenüber welchen Objekten sie eingenommen werden kann, darf es dort nämlich ebenfalls keine inhaltliche Beschränkung geben, und selbst die Frage, ob die Betrachtung der Objekte mit Wohlgefallen oder Mißfallen verbunden ist, kann nicht auf deren Inhalt zurückgeführt werden, denn sonst ließe sich ja begrifflich angeben, wodurch sich ästhetisch wohlgefallende Gegenstände gegenüber anderen auszeichnen. Aber noch deutlicher als der Nachweis von Theorie in ästhetischer Einstellung ist der von Praxis in Spiel. Nicht weniger als Praxis ist auch das Spiel ein Gefüge von Mitteln und Zwecken, in dem es um die Verwirklichung eines Objekts geht. Der Objektbezug im Spiel ist gegenüber dem der Praxis nicht abgemildert. Die Frage, die sich beim Spiel somit eindeutig beantworten läßt, muß in Hinblick auf die ästhetische Einstellung aber als umstritten gelten. Daß so, wie Spiel Praxis enthält, die ästhetische Einstellung Erkennen als Aufbaustück in sich trägt, wäre mit Blick auf die Ästhetik ein kontroverses Ergebnis. Denn oft wird die ästhetische Einstellung gegenüber dem Erkennen als defiziente Variante beschrieben: als ein Vorgang, bei dem auf die Verwendung von Begriffen verzichtet und der Erkenntnisvorgang unvollständig sei bzw. an kein Ende komme.58 Das Spiel macht nun vor, wie etwas
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Daß das Spiel gegenüber Praxis in keiner Weise defizient ist und der Unterschied zwischen ersterer und letzterer in einem Zusätzlichen bestehen muß, macht auch Fink geltend. Um das Verhältnis zwischen Spiel und Praxis zu charakterisieren, greift er auf den Begriff der „Darstellung“ zurück (Oase des Glücks, S. 25): Das Spiel enthalte Praxis insofern in sich, als es diese „darstelle“. Bis zu diesem Schritt ist Finks phänomenologische Analyse plausibel, danach nicht mehr: Zum Spiel gehört nicht dazu, wie zum Bühnenspiel in der Kunst, daß es für jemanden erfolgt (das wäre insbesondere gegen Gadamer einzuwenden [vgl. Wahrheit und Methode, S. 114]). Daß Spiele auch für Zuschauer wohlgefallend sein können, ist ein zusätzliches Problem, aber nicht die Erklärung für das spielerische Wohlgefallen als solches. Durch die Einführung des Darstellungsbegriffs verbaut sich Fink die Chance, einen vorästhetischen Spielbegriff zu gewinnen, von dem aus dann die Ästhetik bereichert werden könnte. Vgl. Fricke, Kants Theorie des reinen Geschmacksurteils, S. 148 und Kern, Schöne Lust, S. 231.
A. Das Spiel
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zweckfrei sein kann, obwohl es intendierend auf Erfolg aus ist. Die Struktur des Spiels kann als Modell für eine nichtpraktische Einstellung dienen, die ihren Bezug auf Objekte nicht aufgibt. Eindeutig auf Objekte aus ist das Spiel, obwohl deren Wirklichkeit nicht das ist, worum es ihm geht, und obwohl es selbst dann wohlgefallend sein kann, wenn die intendierten Objekte nicht wirklich werden. 6. Spiel, naturwüchsige Praxis und Reflexion Die Mittel/Zweck-Struktur ist das Kennzeichen von Praxis und Interessiertheit schlechthin. Man spricht von den Zwängen der Praxis, weil das Erreichen des Ziels vom Erfolg von Mittelhandlungen abhängt. Durch den Zweck sind die Mittel vorgegeben, und von deren erfolgreicher Verwirklichung ist das den Zweck intendierende Subjekt abhängig. Obwohl die Mittel/Zweck-Struktur und damit die gerade beschriebene Abhängigkeit im Spiel nicht außer Kraft gesetzt wird, ist das Spiel insgesamt frei, weil es als ganzes nicht durch irgendeine affektiv vorgefundene Bedürftigkeit veranlaßt wird, sondern zusätzlich zur Praxis frei geschaffen wird. Das Spiel ist eine künstlich geschaffene Praxis. Nun ist aber die natürliche Praxis beschwerlich genug, müßte man hier einwerfen, und sich verwundert fragen, wozu das Subjekt noch einer weiteren bedürfte. Warum soll es sich zusätzlich zu dem Mittel/ZweckZusammenhang, dem es von Natur, als Bedürftiges, schon unterworfen ist, noch einen weiteren frei schaffen? Warum ist ihm diese zusätzliche Welt aus Mitteln und Zwecken geradezu, wie es bei Fink heißt, eine „‚Oase‘ angekommenen Glückes in der Wüstenei unseres sonstigen Glücksstrebens und tantalischen Suchens“?59 Das „Tantalische“ der Praxis, von dem sich das Spiel absetzen soll, besteht schließlich in deren Mittel/Zweck-Gefüge, wie auch Fink andeutet: „Alle alltäglichen Zwecke sind architektonisch verspannt in der Zielung auf den Endzweck“60. Diese Struktur ist geprägt von der Jagd nach dem noch nicht Wirklichen, dem Glück, denn wir haben „sozusagen in keinem Moment einen ruhigen Aufenthalt [...]. Immer werden wir aus jeder Gegenwart weg- und vorwärtsgerissen von der Gewalt unseres Lebensentwurfes auf das rechte und glückliche Dasein hin“61. Warum nun gerade das Spiel einen „Aufenthalt in der Zeit“ ermöglichen soll, ein „Verweilen gewährt“62, versteht sich keinesfalls von selbst. „Das Spiel schenkt
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Fink, Oase des Glücks, S. 22. Ebd. Ebd., S. 20. Ebd., S. 24.
142 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
Gegenwart“63, sagt Fink, und es fragt sich, wie es das erreicht, wenn in ihm doch Subjekte genauso von einem Ding zum anderen hetzen wie in Praxis. Im Spiel wird genausowenig beim Mittel stehengeblieben wie im Alltag, das Spiel geht genau so grundsätzlich auf das noch nicht Wirkliche des Zwecks aus. Der immanente Zweck des Spiels wird mit einer Intensität intendiert, als wäre er der Endzweck aller Dinge. Das Spiel als konsequenter Mittel/Zweck-Zusammenhang ist das schlechteste Beispiel für ein Zur-Ruhe-Kommen und somit ebenfalls ein „Lebensgetriebe“, wenn auch nur ein zusätzliches zu dem ohnehin schon bestehenden der Praxis. Eine vielversprechende Antwort auf die Frage, was das Subjekt von einem solchen zusätzlichen Mittel/Zweck-Zusammenhang, der das Spiel ja ist, haben kann, gibt Pascal. Er erklärt die Motivation von Spielern, „die einen Hasen jagen, den sie nicht gekauft haben möchten“, kurzerhand so: „Dieser Hase könnte uns nicht davor schützen, den Tod und unser Elend zu schauen; die Jagd aber, die uns davon ablenkt, schützt uns davor“.64 „Wie ist es möglich“, fragt Pascal, „daß jemand, der verzweifelt über den Tod seiner Frau und seines einzigen Sohnes ist, (oder) der in einen gefährlichen Streitfall verwickelt ist, der ihn ängstigt, jetzt nicht traurig ist und daß er frei von ihn peinigenden und beunruhigenden Gedanken zu sein scheint?“ Man solle sich über die Antwort nicht wundern, sagt Pascal: „Man wirft ihm gerade einen Ball zu, den er dem Partner zurückschlagen muß, er ist damit beschäftigt, ihn richtig auf den Schläger zu nehmen, um einen Punkt zu gewinnen“.65 Durch das Spiel schütze sich das Subjekt davor, sein „Elend zu schauen“. Das tue es, indem es sich „beschäftigt“, also sich einem künstlich geschaffenen Mittel/Zweck-Zusammenhang unterwirft, durch den es voll in Anspruch genommen wird. Vor Unlust und Elend schützt sich das Subjekt gewöhnlich aber auf fundamental andere Weise. Um etwa die Unlust und das Elend des Hungers zu vermeiden, intendiert der Jäger die Tötung eines Hasen, die im Erfolgsfall Lust bzw. Glückseligkeit garantiert. Hier aber schützt sich das Subjekt nicht durch das Objekt seiner Bedürftigkeit, sondern durch die Tätigkeit selbst. Schon die Beschäftigung, die es voll in Anspruch nimmt, soll vor Unlust schützen, und nicht erst deren Erfolg. Das wäre kaum zu verstehen, wenn es sich in beiden Fällen um ein vergleichbares Elend handelte. Aber offenbar sind der „Tod und unser Elend“, das wir nicht „schauen“ wollen, etwas anderes als dasjenige, das wie Hunger aus naturwüchsiger Bedürftigkeit entspringt. In Pascals Beispiel ist der Tod nicht etwa deshalb etwas, vor dem man sich zu schützen
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Ebd. Pensées, Nr. 139 (S. 79). Ebd., Nr. 140 (S. 83f.).
A. Das Spiel
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hat, weil er das Ende aller möglichen Glückseligkeit und Bedürfnisbefriedigung darstellt. Vor ihm zu schützen hat man sich offenbar nicht insofern er ist, was er ist, sondern nur insofern er Thema von Bewußtsein ist. Entsprechend ist das „Elend“, vor dem man sich durch das Spiel zu schützen hat, nicht so etwas wie die Nichtbefriedigung naturaler Bedürfnisse oder nicht wirkliche Außenwelt, sondern Elend als ein solches thematisierendes Bewußtsein.66 Weil thematisierendes Bewußtsein von sich nicht Sache naturwüchsigen Intendierens, sondern nur die eines spezifisch menschlichen Intendierens sein kann,67 muß erwogen werden, daß das Spiel im Zusammenhang bloßer Naturwüchsigkeit keinen Sinn hätte. „Der Mensch ist das einzige Thier, das arbeiten muß“68, sagt Kant, und behauptet somit, daß die Tiere, die sich zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auch betätigen, den mit Arbeit verbundenen Zwang nicht kennen. Daß die Arbeit „zwangsmäßig auferlegt werden“69 kann, gilt nicht nur im Gegensatz zu Spiel, sondern auch im Gegensatz zu naturaler Bedürfnisbefriedigung. Diejenige Voraussetzung am Menschen, die ihn zur Arbeit befähigt oder zwingt, ist seine Fähigkeit, sich selbst Thema im Sinn von wissentlicher Selbstsorge zu werden. Arbeit ist innerhalb von bloß naturwüchsiger Praxis nicht denkbar, weil sie voraussetzt, daß das Subjekt nicht nur Objekte thematisiert, sondern auch sich als etwas zu Erhaltendes. Darin besteht ja die Mühsal der Arbeit, daß sich das Subjekt zu ihr selbst antreiben und disziplinieren muß. Arbeit ist keine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, sondern das bewußte Inkaufnehmen von Unlust in Hinblick auf die Gewinnung von etwas, dessen bloßes Mittelsein durchschaut ist. Und diese Voraussetzung scheint es auch zu sein, die den Reiz des Spiels überhaupt erst verständlich machen kann. Der Mißstand, dem das Subjekt durch das Spiel abhelfen will, hat mit ihm selbst zu tun, denn sein Problem ist, daß es von sich weiß, während sich das naturwüchsige Subjekt im Objektbezug noch nie Thema geworden ist. Daß letzteres eine Gelegenheit bräuchte, um sich im Hervorbringen von Objekten zu verlieren, ist nicht einzusehen. Ein „Glück [...], das darin besteht, daß man gehindert wird, an sich selbst zu denken“70, braucht das naturwüchsige Subjekt mangels Reflexionsvermögen nicht.
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Gemeint ist thematisierendes Bewußtsein, weil jede Unlust zumindest nichtthematisch bewußt sein muß, damit es sie als Fall von Bewußtsein überhaupt geben kann (vgl. Friebe, Theorie des Unbewußten, S. 44ff.). Naturwüchsigem Bewußtsein ist immer das Andere, das Begehrte thematisch, aber nie seine eigene Befindlichkeit. Vgl. Prauss, Die Welt und wir; Bd. I/2, S. 946. Pädagogik, Bd. 9, S. 471. KU, 175f. Pensées, Nr. 81 Anm. (S. 461).
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Das „Bedürfnis“ des Spielers bezieht sich nicht wie das des naturwüchsigen Praktikers hauptsächlich auf Objekte, denn es ist kein Mangel an diesen oder jenen Dingen, der den Spieler zum Handeln antreibt. Das Spiel versucht nicht, Lust durch Verwirklichung begehrter Außenwelt herzustellen; sein Anliegen besteht vielmehr darin, thematisches Unlustbewußtsein aus der Welt zu schaffen. Und das tut es interessanterweise durch das Verwirklichen von Außenwelt – aber nicht ein solches, dem es um das paßgenaue Hervorbringen eines die Unlust behebenden Objekts ginge. Es geht im Rahmen dieser Tätigkeit nicht um bestimmte Objekte. Und doch ist das, was verwirklicht wird, nicht beliebig: Das von Pascal als Beispiel genannte Ballspielen eignet sich für das spielerische Anliegen in besonderer Weise, weil es das tätige Subjekt als bewußt Intendierendes voll in Anspruch nimmt, und das kommt daher, weil das Subjekt in solchem Spiel gezwungen ist, sich den Ball immer wieder zum Thema zu machen. Tätigkeiten, die man routiniert erledigen kann und die deshalb auch kein durchgehend sie thematisierendes Bewußtsein erfordern, sind dazu weniger geeignet. Was im Rahmen von naturwüchsiger Praxis als Zwang erscheinen mochte, die Unterwerfung unter einen Mittel/Zweck-Zusammenhang, wird im Rahmen von Spiel schließlich zum Glücksgaranten.71 Eine quasi-naturwüchsige Praxis benötigt das Subjekt offenbar also nur deshalb, weil es seine Naturwüchsigkeit verloren hat. Weil es sie nicht mehr hat, ist sie erst wieder künstlich herzustellen. Die mißliche Lage eines Subjekts, das sich einer solchen quasi-naturwüchsigen Praxis unterwirft, besteht darin, daß es gewissermaßen vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und arbeiten, d.h. zur Sicherung seiner physischen Existenz wissentlich Unlust in Kauf nehmen muß. Dieses Subjekt hat, weil es um sich selbst weiß, für sich als solches zu sorgen, und das Leben, das ihm blüht, als unabsehbaren Mittel/Zweck-Zusammenhang vor Augen. Für ein solches Subjekt ist naturwüchsiges Intendieren – das von all dem nichts weiß und dessen Horizont hinter den Dingen aufhört, denen es
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Diese Sicht unterscheidet sich darin von der systematischen Darstellung bei Anz, daß dieser das gerade beschriebene Phänomen als Fall von „Funktionslust“ verständlich machen will (Literatur und Lust, S. 56ff.). Solche Lust sei wie bei Groos auf die Befriedigung biologisch-nützlicher Neigungen zurückzuführen und von der „Lust an der Bewältigung des Schwierigen“ (S. 69), die eigentlich nicht dem Vollzug der Tätigkeit, sondern deren erfolgreicher Abschluß (als „Endlust“) gelte (S. 70), abzusetzen. Letzteres ist m.E. entweder mit dem ersteren zu vereinbaren, denn zur Funktionslust gehört ja, daß die Tätigkeit dem vom Spieler bewältigbaren Niveau entspricht; oder es handelt sich dabei um etwas völlig Unspielerisches, denn ein Wohlgefallen, das vom Erreichen eines Zieles (wie der Bewältigung einer gesetzten Vorgabe) abhängt, ist das Erkennungszeichen einer praktischen Einstellung. Natürlich dürfen die im Spiel gestellten Aufgaben nicht unlösbar sein, denn auch das würde den Spieler aus seiner Einstellung werfen. Aber die Bewältigung einer Schwierigkeit ist im Spiel keine Frage des Ehrgeizes.
A. Das Spiel
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gerade hinterherjagt – das reinste Paradies.72 Spiel gibt es nur für das Subjekt, das um sich weiß, und damit mehr weiß, als ihm lieb sein kann. Spiel ist so gesehen die Affirmation seiner naturwüchsigen Praktizität gegenüber der reflektierten. Mit diesen Ergebnissen ließe sich also Kants Unentschiedenheit gegenüber dem Spiel erklären und auflösen. Daß Kant das spielerische Wohlgefallen auf der einen Seite als Fall von Annehmlichkeit beschreiben und damit auf relative naturwüchsige Unfreiheit zurückführen möchte, hat insofern seine Berechtigung, als das Spiel tatsächlich ein Fall von naturwüchsiger Praxis ist. Daß es dennoch zur Metapher für freies, interesseloses Wohlgefallen taugt, liegt daran, daß es sich dabei um eine künstlich hergestellte Naturwüchsigkeit handelt. Insofern dieser künstlichen Praxis ein Als-ob zugrunde liegt, ist die Rede von einem freien Wohlgefallen berechtigt. Dieses geht gewisserweise auf Kosten dessen, was das freie Subjekt strukturell vom naturwüchsigen unterscheidet, nämlich sein Wissen von sich, das als leidhaft und störend empfunden wird. So betrachtet hat Adorno also recht, wenn er dem Spiel eine gewisse Rückwärtsgewandtheit unterstellt. Die beschriebene Rückkehr zum naturwüchsigen Intendieren ist aber selbst nichts Natürliches, ganz im Gegenteil verlangt es von seiten des Subjekts ein Höchstmaß an Künstlichkeit. Der künstlich geschaffene Zusammenhang von Praxis ist ein durch und durch fragiler Gegenalltag, der von der tatsächlichen, nie vollständig zurückgelassenen Alltagswelt, die immer wieder in den künstlich geschaffenen Spielraum eindringen kann, bedroht wird – auch durch Mitmenschen, die mitzuspielen haben, wenn sie das Spiel nicht verderben wollen. Die reflektierte Alltagseinstellung kann sich jederzeit wieder vordrängen, insbesondere etwa dann, wenn der künstlich geschaffene Zwang der Spielwelt dadurch zurücktritt, daß das Subjekt in seinem Hervorbringen des spielimmanenten Ziels sich nicht mehr gefordert sieht. Weil dieser Gegenalltag etwas Zusätzliches ist, darf die Regression des Spiels nicht als bloßes Zurück verstanden werden. Das Spiel erklärt sich vielmehr dadurch, daß dem Subjekt, das von sich weiß, das Zurück in den Zustand der Naturwüchsigkeit verwehrt ist. Das Rad zurückdrehen kann das reflexionsbegabte Subjekt nicht. Und nur, weil es das nicht kann,
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Die Mißlichkeit der nicht mehr naturwüchsigen Praxis ist so noch unvollständig wiedergegeben, besteht diese schließlich nicht nur in der Dimension von Selbstsorge, in die das um sich selbst wissende Subjekt eintritt. Ihre Mißlichkeit liegt vielmehr auch noch darin, daß ein Subjekt, das sich kennt, damit auch das zu ihm Andere als solches neu, nämlich als Anderes im Unterschied zu sich, kennenlernt. Gegenüber anderen Subjekten verliert das Subjekt damit gleichsam seine Unschuld. Auch die moralische Verpflichtung gegenüber dem Anderen ist etwas, von dem das Subjekt Grund hätte, lieber nicht zu wissen.
146 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
kommt es zu jener künstlichen und zusätzlichen Quasi-Praxis, in der die Wirklichkeit des Intendierten seine Bedeutung verliert.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis 1. Die Praktizität von Erkenntnis als Problem Wenn sich also für das Spiel zeigen läßt, daß es die Kriterien Kants für Interesselosigkeit aus der AS erfüllt, wäre nun zu fragen, ob es nicht sogar als das eigentliche Paradigma für Interesselosigkeit angesehen werden muß. Mit der des Spiels verglichen, könnte die Nichtpraktizität der ästhetischen Einstellung nämlich ohne weitere Begründung als Trivialität erscheinen. Beim Spiel ist die Unterstellung von Nichtpraktizität nicht trivial, weil es dem Handeln ähnlich sieht. Mit dem Handeln hat das Spiel gemeinsam, daß es ein Intendieren im Sinn eines absichtlichen Verwirklichens von inhaltlich so oder so bestimmter Außenwelt darstellt, und nur vor dem Hintergrund dieser Gemeinsamkeit erhält der Unterschied, der in der Interesselosigkeit des Spiels besteht, seinen Sinn. Bei der ästhetischen Einstellung handelt es sich prima facie aber um überhaupt keinen Fall von Intention.73 Während das Spiel nur in der Gegenüberstellung mit Handlung verständlich werden kann, ist der Bezugspunkt für die ästhetische Einstellung das Wahrnehmen oder Erkennen, denn genauso wie Spiel eine andere Weise der Verwirklichung von inhaltlich so oder so bestimmter Außenwelt darstellt, ist die ästhetische Einstellung eine andere Weise des Betrachtens bzw. Wahrnehmens von Außenwelt. Und dieses hat mit Praxis als Verwirklichen eines noch nicht Wirklichen zunächst einmal nichts zu tun. Auch Kant, der die Redeweise von „Absicht“ und „Zweck“ zwar auf den theoretischen Bereich überträgt, versteht Erkennen deshalb nicht immer konsequent als Fall von Praxis. Vielmehr verwendet er den Ausdruck „Absicht“ in Zusammenhang mit Erkennen oft nur im Sinn einer
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Außer, man versteht „Intention“ in dem gänzlich nichtpraktischen Sinn von bloßem „Beziehen“, wie etwa Brentano, der seinen Begriff der Intentionalität von jedem praktischen Verständnis abgrenzt und hervorhebt, er sei „in der Art mißverstanden worden, daß man meinte, es handele sich dabei um Absicht und Verfolgung eines Zieles“; deshalb hätte er (Brentano) „besser getan“, diesen Ausdruck „zu vermeiden“ (Psychologie vom empirischen Standpunkt, S. 8 Anm.). Und Husserl schließt für seine „intentionalen Akte“ sogar aus, daß dabei ein Sinn von „Betätigung“ mitgedacht werden müsse (Logische Untersuchungen, Bd. 2, Teil 1, S. 393). Den Begriff der Intentionalität gebraucht insbesondere Kant im Sinn von „Absichtlichkeit“ (KU, 324); er ist also nicht „unkantisch“, wie Strub behauptet (vgl. „Das Häßliche und die ‚Kritik der Urteilskraft‘“, S. 425).
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
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Analogie. Wenn Kant von einer „nur auf Erkenntnis gerichteten Absicht“74 bzw. einer „Absicht auf Erkenntnis“75 spricht, scheint das Intendierte hier nur die erfolgreiche Erkenntnis selbst zu sein, nicht aber ein Stück Außenwelt, dessen Wirklichkeit durch eine Intention zu verwirklichen ist. „Intentionen“ müßte es demnach also zweierlei geben: Solche, die die Wirklichkeit eines Gegenstands schaffen – Kant spricht in diesem Zusammenhang auch vom Willen als einer „von den mancherlei Naturursachen in der Welt“76, und solche, denen es um die Gewinnung von Erkenntnis geht.77 Der volle praktische Sinn von Handlung wird wohl gewöhnlich nur der ersten Verwendungsweise zuerkannt werden. Vor diesem Hintergrund droht sich die Interessiertheit des Erkennens und damit auch die Interesselosigkeit der ästhetischen Einstellung in bloße Metaphorik aufzulösen. Wie sich aber bei der Analyse der KU gezeigt hat, stellt Kant einen Zusammenhang zwischen Erkennen und Praxis her, der den Sinn der Interessiertheit der Praxis auf Erkennen zumindest abstrahlen läßt. Das Wohlgefallen an einer „für die Beurteilung in allerlei möglicher Absicht“ (70) zweckmäßigen Welt soll Kant zufolge deshalb kein interesseloses Wohlgefallen sein, weil sie nur scheinbar theoretisch, in Wahrheit nämlich auf eine Zweckdienlichkeit für praktische Zwecke zurückzuführen sei. Die Konsequenz daraus kann zunächst aber nur lauten, daß Erkenntnis immer schon in einer praktischen Hinsicht steht, nämlich grundsätzlich als Mittel für Praxis zu denken ist: Um eine Welt gemäß den eigenen Neigungen und Bedürfnissen zu gestalten, so ließe sich ganz unkontrovers behaupten, müsse sie zuerst einmal wahrnehmend erkannt werden, wie sie noch vor jeder Einwirkung durch das Subjekt wirklich ist. Insofern sei Erkenntnis als notwendiges Mittel für Praxis anzusehen, und insofern auch selbst praktisch. Das ist jedenfalls das Mindestmaß an Praktizität, das Kant für Erkennen nachweislich in Anspruch nimmt. In der KU tut er das nicht erst in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“, sondern eigentlich schon in den ersten Paragraphen der AS, wo er ein enges Verhältnis zwischen Begriffen auf der einen und Nützlichkeit auf der anderen Seite herstellt und behauptet, daß jedes durch Begriffe vermittelte Wohlgefallen interessiert sei. Etwas als etwas zu erkennen, und diese Erkenntnis aufgrund ihres Inhalts mit Wohlgefallen zu verbinden, heißt
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KU, XXXVIII. Ebd., 66. Ebd., XII. Dieses recht harmlose Verständnis der Praktizität von Erkenntnis bei Kant vertritt etwa Meerbote (vgl. „Reflection on Beauty“, S. 69 und „Erkenntnisvorschriften“, z.B. S. 124). Die Interessiertheit von Erkennen sieht er nämlich in Mittel/Zweck-Relationen in Hinblick auf den „Zweck“ der Erkenntnis, was bedeutet, daß es zweierlei Zweck gibt: den des Handelns und den des Erkennens.
148 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
demnach, ein Wohlgefallen an der Nützlichkeit dieses Objekts zu empfinden. Das klingt schon sehr danach, daß Erkennen von Objekten als Bewußtsein von inhaltlich so oder so Bestimmtem immer schon im Rahmen eines interessierten Ausgehens auf noch nicht Wirkliches zu verstehen ist. Aber Kants Ansatz greift schon seinen erkenntnistheoretischen Grundannahmen zufolge tiefer, geht es ihm mit seiner „Kopernikanischen Wende“ doch darum, den naiven Realismus zu widerlegen, demzufolge Wahrnehmung als rezeptives Entgegennehmen von vorgegebener Außenwelt zu verstehen sei. Nimmt man zentrale Formulierungen Kants beim Wort, durch die Erkennen zu einem Geschehen aus Spontaneität erklärt wird, liegt es in der Tat nahe, nicht erst Handeln, sondern auch schon Erkennen als Eingriff in bzw. aktive Gestaltung von Wirklichkeit zu verstehen.78 Hier fangen die eigentlich spannenden Fragen an: Daß seitens des erkennenden Subjekts irgendeine Aktivität ergeht, mag ja noch unmittelbar einleuchten, um diese aber als interessiert und praktisch zu bezeichnen, wird etwas schlechthin Kontraintuitives verlangt. Denn die Aktivität der Praxis ist stets so zu verstehen, daß sie das, worauf sie ausgeht, allererst verwirklicht, während das „Machen“ des Erkennens gemeinhin nur als Bewußtmachen verstanden wird, womit gemeint ist, daß das Bewußtgemachte schon vorher bestanden hat. Verwirklichen von noch nicht Wirklichem scheint sich gewissermaßen nur durch „Zupacken“ verstehen zu lassen, nicht aber durch Hinschauen oder Hinhören.79 Ist diese Trennung aufrechtzuerhalten, wäre die von Kant behauptete Spontaneität von Erkennen quasi eine Spontaneität im Dienste einer Rezeptivität, denn es bliebe dabei, daß erkennendes Bewußtsein Wirklich-
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Vgl. Dörflinger, Das Leben theoretischer Vernunft, S. 39. Die spontane Leistung des Subjekts wird im Rahmen der Standardinterpretation von Kant gerne als Synthesisleistung im Sinn der Zusammenfassung von ungeordnetem Mannigfaltigen verstanden, so als würden dem Subjekt gleichsam rezeptiv die Bausteine gegeben, um sich eine geordnete Natur spontan zusammenzusetzen. So betont etwa Baum bei dem Versuch, einen haltbaren Sinn von „Machen“ innerhalb der Erkenntnistätigkeit nach Kant auszuloten, daß das Objekt zwar „durch die Sinne gegeben“ sei, diese „aber nicht das Objekt als Objekt, sondern als gegebenes Mannigfaltiges in zufälliger und variabler Einheit vorstellen“ („Erkennen und Machen in der ‚Kritik der reinen Vernunft‘“, S. 175). Dabei erzeuge das Subjekt „nur die Form solcher synthetischer Einheiten“, weshalb auch nicht die Objekte als verwirklicht durch das Subjekt gelten dürften, sondern nur deren „Objektivität“ (ebd., S. 176). Wenn das Subjekt zwar nicht Objekte, aber deren „Objektivität“ verwirklicht, wäre zu fragen, warum dann dasjenige, was die Form der Objektivität erst erhalten soll, schon die Bezeichnung „Objekt“, sei es auch nur im entferntesten Sinn, verdient, oder ob für das, was dem Subjekt als „Gegebenes“ zur Verfügung stehen kann, dieser Ausdruck nicht völlig unangebracht ist. Prauss zeigt, daß Redeweisen bei Kant, die suggerieren, dem Subjekt würden „Gegenstände gegeben“, irreführend sind (vgl. Die Welt und wir, Bd. I/1, S. 116), und legt seiner Rekonstruktion von Kants erkenntnistheoretischem Ansatz einen viel radikaleren Sinn von „Machen“ zugrunde, nämlich den einer Fremdverwirklichung durch Selbstverwirklichung.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
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keit hinzunehmen hat, wie sie ist, und erst Handeln diese verwirklicht. Ein Zusammenhang zwischen beidem bestünde dann allenfalls in dem Sinn, daß Handeln Bewußtsein voraussetzt. Es wäre aber denkbar, daß Subjektivität allein als theoretische Begabung aufträte, gewissermaßen nur darauf aus seiend, sich Anderes seiner selbst bewußt zu machen, ohne jemals darauf aufbauend noch in Praxis einzutreten. Im folgenden soll gezeigt werden, daß ein Verständnis von Bewußtsein als rezeptivem Hinnehmen im Gegensatz zu Praxis als aktivem Verwirklichen nicht zu halten ist. Das soll sich durch die Analyse eines bestimmten Falls von Praxis, der Unterlassungshandlung, erweisen. Handeln durch Unterlassen, so die These, kann nur verständlich werden als Praxis, deren Struktur allein durch Bewußtsein konstituiert wird. Für die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung wird sich daraus das wichtige Zwischenresultat ergeben, daß der Begriff von Intentionalität als Verwirklichungsbewußtsein80 zu einer gemeinsamen Gattung von Erkennen und Handeln führt. Das erst wird die Anwendung des Spielbegriffs als differentia specifica für die ästhetische Einstellung ermöglichen. 2. Die Unterlassungshandlung als Fall von praktischem Bewußtsein Handeln und Zuschauen scheinen sich auszuschließen: Wer handelt, macht etwas noch nicht Wirkliches wirklich, während ein Beobachter das schon Wirkliche beläßt, wie es ist. Wer handelt, setzt seinen Körper und andere Dinge in Bewegung, während ein Zuschauer ruhig bleibt und mit seiner Umwelt nicht interagiert. Mit dem Phänomen des Unterlassens gibt es aber einen Fall von Ruhe bzw. bloßen Zuschauens, der juristisch relevant, ja sogar strafbar sein kann. Für die folgenden Überlegungen wird unterstellt, daß die Rechtspraxis in diesem Punkt richtigen Intuitionen folgt. Es wird argumentiert, daß die faktische Verantwortbarkeit des Unterlassens ohne dergleichen wie Intentionalität undenkbar wäre. Außerdem wird gezeigt, daß der hier in Anspruch zu nehmende Sinn von Intentionalität kein eingeschränkter ist, sondern den vollen Sinn von Handlung, einschließlich ihrer Kausalität, impliziert. Abschließend wird es darum gehen, diesen besonderen Fall einer Handlung abzugrenzen von Handlung im gewöhnlichen Sinn.
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Zu diesem Begriff vgl. Prauss, Die Welt und Wir, Bd. II/1.
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a) Unterlassen als Fall von Absichtlichkeit Daß im Fall des strafbaren Unterlassens ein Subjekt Verantwortung für etwas übernehmen muß, steht außer Frage. Ebenso klar dürfte sein, daß man Verantwortung nur für etwas Wirkliches übernehmen kann, nicht etwa für etwas nicht Wirkliches. Nach gängigen Auffassungen soll Unterlassen aber allein dadurch charakterisiert sein, daß man etwas nicht tut, obwohl es möglich gewesen wäre.81 Dasjenige, wofür ein Unterlassungsdelinquent Verantwortung übernehmen soll, ist aber nicht das Unterlassene bzw. die Handlung, die nie eingetreten ist. Allein dasjenige wird indes durch die Beschreibung der Unterlassung kenntlich gemacht. Mit dem Objekt des Verbs „unterlassen“ kommt nämlich stets nur das zur Sprache, was nicht wirklich geworden ist: eine Hilfeleistung z.B. oder die Verhinderung eines Mords. Es fällt schwer, das Objekt von „unterlassen“ einem Subjekt so zuzuschreiben, daß diese Zuschreibung nicht trivial bzw. völlig uninformativ wirkt. Jeder unterläßt zu jeder Zeit tausende Dinge: Der Schreiner, der einen Tisch macht, unterläßt es, einen Stuhl oder einen Schrank herzustellen, und ein Schriftsteller, der einen Text schreibt, unterläßt es, aus dem Fenster zu springen oder Kaffee zu kochen.82 Solche Verwendungsweisen von „Unterlassung“, die semantisch mit „Unterbleiben“ zusammenhängen, geben lediglich diejenige Handlungsoption an, die ein Subjekt nicht verwirklicht.83 Mit dem in diesem Sinn nicht Getanen hat das handelnde Subjekt klarerweise nichts zu tun. Wenn ich die Straße
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Vgl. Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 32. Nicht aus dem Fenster zu springen, sondern einen Text zu schreiben, ist laut Berger kein Beispiel für eine Unterlassung, sondern für ein „bloßes Nichttun [...], denn für unsere Unterlassungen sind wir verantwortlich, nicht jedoch für ein bloßes Nichttun, das uns gleichsam nur widerfährt oder zustößt“ (Unterlassungen, S. 14). Das ist unverständlich, weil es mir doch wohl nicht zustößt oder widerfährt, daß ich nicht aus dem Fenster springe. Ein Ereignis, das nicht wirklich wird, und für dessen Nicht-wirklich-Werden ich nichts kann, ist nicht einmal Nichttun, sondern bloß ein Nichtereignis – Bergers Beispiel fällt nicht unter diese Beschreibung. Genau das gibt die von Seel zitierte Wendung Nietzsches wieder: „Indem wir thun, lassen wir“ (Die fröhliche Wissenschaft, Nr. 304). Sie ist aber nicht gleichbedeutend mit „Alles Tun ist ein Lassen“ (Seel, Sich bestimmen lassen, S. 7), und schon gar nicht folgt, daß „das Lassen ein Element des jeweiligen Tuns“ sei und „zugleich das Tun, wie sehr es eher aktiv oder passiv erscheinen mag, ein Aufenthalt in unabsehbaren Möglichkeiten und damit ein Lassen“ (ebd., S. 275). Auf was Seel hinauswill, ist ein Lassen im Sinn einer Offenheit für die Kontingenz der Wirklichkeit, das mit Heideggers „Gelassenheit“ zusammenzudenken sei. Bei Heideggers „Sein-Lassen“ als „Sicheinlassen auf das Seiende“ („Vom Wesen der Wahrheit“, S. 188) muß es sich gleichsam um ein Lassen höherer Potenz handeln, um eine durch und durch extreme Haltung, die mit der Entscheidung für eine Möglichkeit und dem damit einhergehenden Ausschluß anderer, die schon jedem naturwüchsigen Handeln zugrunde liegt, kaum etwas gemeinsam hat.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
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entlanggehe, statt, was mir möglich wäre, einen Menschen zu ermorden, stehe ich in einem denkbar fernen Verhältnis zu dem nicht Verwirklichten. Mir diesen möglichen Inhalt zuzuschreiben, erscheint unmotiviert und gesucht. Die Möglichkeit des Mordes steht in keiner Beziehung zu mir in meiner Wirklichkeit. Ein ganz anderer Fall und damit eine ganz andere Motivation für die Zuschreibung einer Unterlassung ist es aber, wenn ich niemanden ermorde, obwohl ich den Wunsch bzw. die Neigung habe, dies zu tun. Dann von mir zu sagen, ich unterließe den Mord, ist sehr wohl informativ. Denn zwar ist in dem Fall die Handlung bzw. die Intention, jemanden zu töten, nicht wirklich. Wirklich ist aber etwas, das Inhalt einer Intention werden könnte, nämlich der Mordwunsch. Für die Frage der Verantwortbarkeit eines Verhaltens ist aber der nicht in wirkliche Intention eingegangene Inhalt völlig unerheblich. Genauso wenig wie die nicht wirklich gewordene Intention mit dem Inhalt „Hilfeleistung“ moralisch ist, ist die nicht wirklich gewordene Mordintention strafbar, und zwar ganz unabhängig von der Frage, ob der jeweilige Inhalt in Form von Wunsch oder Neigung vorgelegen hat. Nicht für Wünsche oder Neigungen, die einem zustoßen können, sondern nur für das, was man will, also für wirklich ergangene Intentionen, kann Verantwortung zugeschrieben werden.84 Um zu erklären, daß auch im Zusammenhang mit Unterlassen Verantwortbarkeit entspringen kann, muß auf eine wirklich ergangene Intention referiert werden können.85
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Vgl. dazu den Anfang der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Bd. 4, S. 393f. Es gibt freilich eine philosophische Tradition, die den Handlungsbegriff von Absichtlichkeit trennt. Wie unhaltbar das ist, zeigt sich u.a. bei Davidson („Handeln“, S. 285ff.), der dies anhand der Tötung von Polonius durch Hamlet demonstrieren will. Diese Argumentation fällt in sich zusammen, wenn man berücksichtigt, daß Intentionen auch nicht intendierte Wirkungen haben können – wie etwa den Mißerfolg. Natürlich intendiert eine Intention immer nur Erfolg, was aber nichts daran ändert, daß Mißerfolgsfälle wie die in den von Davidson angeführten Beispielen eine durch Handlungen verursachte Wirklichkeit sind. Der Tod von Polonius ist durch Hamlets Intention auf Vatertötung herbeigeführt (wenn auch nicht als ihr Erfolg), und nur deshalb auch als Handlung von einem Subjekt zu verantworten. Man betrachte etwa die Interpretation des Mißerfolgsfalls von Rohs: „Wenn uns unsere Handlungen mißlingen, tun wir nicht, was wir tun wollten“ (Feld – Zeit – Ich, S. 216). Das ist falsch, denn im Mißerfolgsfall erreichen wir nicht, was wir erreichen wollten. Erfolg oder Mißerfolg kann sich nur relativ auf eine Intention einstellen, und nur diese ist eine Handlung. Die geforderte Beschreibung könnte man nun dadurch zu leisten versuchen, daß man die offenbar unvermeidliche Negation in der Beschreibung der Unterlassungshandlung nicht auf den Willen bezöge, sondern auf seinen Inhalt. Statt um die Beschreibung einer nicht wirklichen Intention handelte es sich dann um eine wirkliche Intention, deren Inhalt es ist, etwas nicht zu tun, wie etwa, nicht zu helfen. Aber auch zu diesem Negativen muß sich ein Positives finden lassen, weil das Intendieren der Nichtwirklichkeit von etwas, das ohnehin nicht wirklich ist, keinen Sinn besitzt; es wäre schlicht überflüssig. Soll es sich hier um eine
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tur:
Man betrachte dazu folgendes Fallbeispiel aus der juristischen LiteraReich (R) ist 88 Jahre alt und erfreut sich guter Gesundheit. Sein Schwiegersohn Meuchling (M) sehnt den Erbfall herbei. Als R eine kostspielige Weltreise ankündigt, schreitet M zur Tat. Er bietet R einen vergifteten Kaffee an, der alsbald R’s Tod herbeiführt. M’s Frau (F) hat alles durchschaut, sich aber ahnungslos gestellt, weil sie dem Anschlag Erfolg wünschte.86
Es ist klar, daß eine Charakterisierung von F’s Verhalten, die das Vorliegen eines Vergehens begründen soll, sich nicht auf das bloß Negative beschränken darf, F sei nicht eingeschritten, obwohl sie hätte einschreiten können. Das Entscheidende wird dadurch nicht zum Ausdruck gebracht; der Grund dafür, daß sich F strafbar gemacht hat, liegt allein in dem letzten Halbsatz der zitierten Fallbeschreibung, der nämlich etwas Positives formuliert. F hat deshalb nichts unternommen, „weil sie dem Anschlag Erfolg wünschte“ – ohne diesen Teil der Beschreibung kann die Strafbarkeit von F’s Verhalten nicht begründet werden. Daß sich F eines Vergehens schuldig gemacht haben soll, weil sie sich den Tod ihres Vaters „wünschte“, wie es im zitierten Beispiel heißt, wäre vom Standpunkt Kants aus aber nicht verständlich. Nach Kant kann aus so etwas wie einem bloßen Wunsch keine Verantwortbarkeit entspringen, denn ein „bloßer Wunsch“ beinhaltet nicht „die Aufbietung aller Mittel, soweit sie in unserer Gewalt sind“87, um etwas Bestimmtes wirklich zu machen. Einem „bloßen Wünschen“ liegt keine Entscheidung zugunsten oder gegen die Verwirklichung dieses oder jenes Wirklichen zugrunde – eine solche Entscheidung kann nur Sache eines Wollens sein.88 Und nur dann, wenn man Mittel ergreift, um dieses oder jenes wirklich zu machen – egal, ob mit Erfolg oder ohne – besteht Verantwortbarkeit. Wünscht man sich etwa, daß es an einem bestimmten Ort zu Weihnachten Schnee geben soll, und schneit es dann tatsächlich, ist man dafür nicht verantwortlich, weil man keine entsprechenden Mittel ergriffen hat bzw. gar nicht ergreifen konnte. Läge im fraglichen Beispiel bei F also tatsächlich nur ein Wünschen vor, wäre die Verantwortbarkeit des Verhaltens nicht zu begründen. F kann nur deshalb für das Geschehene belangt werden, weil sie dessen Ausgang gewollt hat. Sie hat sich genauso verhalten, wie sie sich verhalten mußte, damit der Tod ihres Vaters Wirklichkeit werden konnte. Und wenn sie wollte, daß der Anschlag erfolgreich ausgeht, bedeutet das, daß
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Leistung von Intention handeln, müßte sich diese positiv als Erhalt eines Zustands beschreiben lassen. Aus: Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 82. Bd. 4, S. 394. Siehe oben, S. 130.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
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der Tod R’s nicht nur der Erfolg von M, sondern auch ihr Erfolg ist.89 Die Wirklichkeit, für die sich F verantworten muß, läßt sich klar benennen: Es ist ihre Absicht, sich so zu verhalten, daß R stirbt. Das, wofür sich F zu verantworten hat, ist nicht nur etwas nicht Getanes, sondern etwas positiv Beschreibbares, nämlich daß sie für das Wirklichwerden von M’s Tod gesorgt hat. M’s Tod war das Beabsichtigte, das hinter ihrem Verhalten stand, und ohne Angabe dieser Absicht bleibt dessen Beschreibung uninformativ. Daß dasjenige, wofür F zur Verantwortung gezogen wird, nur eine wirkliche Absicht ist, zeigt sich insbesondere daran, daß sich ein Mißerfolgsfall konstruieren läßt, der ebenfalls strafbar wäre: Auch im Fall einer irrtümlichen Annahme F’s, M habe das Gift in den Kaffee getan, kann es zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordversuchs kommen.90 b) Die kausale Relevanz des Unterlassens Nun mag zwar klar sein, daß F Verantwortung für eine Absicht übernehmen muß. Offen scheinen könnte aber immer noch, ob hier Absicht im eigentlichen bzw. im vollen Sinn vorliegt oder ob nicht vielmehr nur in einem eingeschränkten. Eine Tötungs- oder Mordabsicht im eigentlichen Sinn müßte nämlich beinhalten, daß sie kausal wirksam war, zumindest im Erfolgsfall (und der liegt ja hier vor).91 Aber F, so wird man einwenden,
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Die intentionalitätstheoretische Voraussetzung, daß nur Intentionen Erfolg haben können, liegt dem juristischen Sprachgebrauch meist nicht zugrunde. Dort hat der Ausdruck, wie auch im hier zitierten Text, gewöhnlich die neutrale Bedeutung von „Folge“, „Resultat“ (in der gleichen Bedeutung z.B. auch bei Kant, Bd. 5, S. 95), was sich z.B. in Radbruchs Definition der Tat als „Körperbewegung in kausaler Verbindung mit ihrem Erfolg“ (Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, S. 75) als nachteilig erweist. Vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 84. Damit Verantwortlichkeit entspringen kann, reicht eine kausal wirksame Absicht nicht aus, denn nicht für alles, was Subjekte verursachen, sind sie auch verantwortlich. Verursachung ist aber, wenn auch keine hinreichende, immerhin eine notwendige Voraussetzung für Verantwortlichkeit. Wie Verantwortlichkeit ohne Kausalität zustande kommen soll, bleibt etwa bei Berger, der das „Ergebnis“ einer Unterlassung nicht als Bewirktes verstehen will, ein Rätsel (vgl. Unterlassungen, S. 17). Eine solchermaßen gelagerte Unterscheidung zwischen Ergebnis und Wirkung ist kurios, und sucht man bei Berger nach den Argumenten hinter seinem Entschluß, zum Lösen des Rätsels Unterlassung ausgerechnet an dieser Stelle anzusetzen, findet man nur das Phänomen der Unterlassung selbst, also das Phänomen, daß eine handelnde Person „gar nichts körperlich ausübt“ (S. 242). In diesem Fall „gibt es nichts, das im weiteren das erwartete Resultat herbeiführen könnte“ (ebd.). Statt also zu erklären, wie Verantwortlichkeit ohne Kausalität entspringen kann, nimmt Berger die Verantwortlichkeit ohne Kausalität, und damit eine Absurdität, als Faktum. Es ist absurd, daß Subjekte für etwas verantwortlich sein sollen, ohne zu dessen Zustandekommen etwas beigetragen zu haben, denn beitragen heißt analytisch: kausal beitragen. Auch die Strafbarkeit einer Intention, die keinen Erfolg hatte (wie bei einem gescheiterten Mordversuch), ist
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hat nichts gemacht; M war es, der dafür gesorgt hat, daß R stirbt; nur M ist „handgreiflich“ geworden und deswegen auch nur er die Ursache für R’s Tod. Ganz so klar, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist das alles aber nicht. Im Gerichtssaal wird man auf F zeigen, und sagen, daß R noch am Leben wäre, wenn F es nur gewollt hätte. Weil F es aber nicht anders gewollt hat, das heißt positiv: weil sie seinen Tod gewollt hat, mußte er sterben. Genau das wäre die Beschreibung der Zusammenhänge vor Gericht, und es wäre eine Beschreibung nach dem Muster von Ursache und Wirkung. F’s Wille mag zwar nicht die einzige Ursache für R’s Tod sein, aber er ist eine Mitursache, eine notwendige Bedingung für das Eingetretene, denn ohne diesen Willen wäre das Geschehene nicht eingetreten. F hätte nur ihren Vater warnen müssen. Man stelle sich vor, F hätte unabhängig von M den Plan gehabt, den Tod ihres Vaters herbeizuführen. Dann hätte sie sich ab dem Moment, wo sie die Handlung von M durchschaute, gar nicht anders verhalten dürfen, als sie es tatsächlich tat. Die kleinste Körperbewegung hätte nämlich die Vorgänge, die zum Tod ihres Vaters führen sollten, vereiteln können. In diesem Fall ist es besonders deutlich, daß F’s Verhalten kein Sich-Heraushalten aus dem Geschehen darstellt. Es ist viel eher ein Überwachen dessen, was geschieht, d.h. ein Dafür-Sorge-Tragen, daß etwas Bestimmtes eintritt. Es sind allein die Umstände, die entscheiden, ob zur Verwirklichung des Intendierten eine Körperbewegung opportun ist oder nicht. An der Ursächlichkeit für das Zustandekommen einer intendierten Wirklichkeit ändert es also nichts, wenn glückliche Umstände dazu keine Bewegung erfordern. Solche krassen Beispiele für ein Intendieren ohne Körperbewegung genügen, um die Frage nach der grundsätzlichen Praktizität von scheinbar rein theoretischen Verhaltensweisen wie dem Zuschauen bzw. Beobachten zu entscheiden. Aber auch in weit weniger deutlichen Fällen, bei denen das fragliche Ereignis sich nicht so eindeutig als vom Unterlassungsdelinquenten intendiert beschreiben läßt, kann für die kausale Relevanz des Unterlassenden argumentiert werden. Man betrachte etwa
_____________ ohne die Wirklichkeit einer Ursache nicht denkbar (der wirklichen Intention, die nicht die intendierte Wirkung hatte). Auch das als Beleg von Berger zitierte Beispiel eines Urlaubers, der von Zuhause abreist, ohne den Herd abzustellen (S. 243), gibt dergleichen wie Verantwortlichkeit ohne Verursachtheit nicht her – selbstverständlich geht unsere Intuition dahin, dem für den Hausbrand verantwortlichen Urlauber eine kausale Relevanz einzuräumen; alles andere wäre indiskutabel. Gewiß enthält die hier propagierte Alternative auch eine Zumutung, nämlich die These, daß Subjekte in der Lage sind, intendierend etwas zu verwirklichen, ohne sich zu rühren – dies verstößt nämlich gegen die empiristische Grundüberzeugung, daß alles, was wirklich und wirksam ist, Empirisches sein muß. Absurd ist das aber nicht.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
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die sogenannten „echten“ Unterlassungsdelikte, die dann vorliegen sollen, wenn man von einem intendierten Schaden nicht sprechen kann. Wer etwa zufällig Zeuge eines Verbrechens an einem ihm Unbekannten wird und, statt dem Gefährdeten zu helfen, einfach seines Weges geht, etwa weil er einen wichtigen Termin nicht versäumen möchte, hat die Schädigung des Opfers wahrscheinlich nicht beabsichtigt. Aber zumindest soviel läßt sich hier sagen, daß der Unterlassende die Wahl hatte zwischen dem einen und dem anderen, dem Einhalten des Termins und der Rettung des anderen Subjekts. Zwar hatte der Zeuge des Verbrechens vom Eintreten des Schadens für das andere Subjekt keine Vorteile zu erwarten. Auch ist dessen Eintreten nicht als Erfolg des Unterlassenden zu verstehen, denn es wäre wohl kaum gegen seinen Willen gewesen, wenn etwa andere Subjekte das Verbrechen verhindert hätten. Die Schädigung des anderen Subjekts ist vielmehr nur etwas, das er in Kauf nimmt, nämlich als unbeabsichtigte Nebenwirkung jener Intention, den Termin einzuhalten. Weder Intentionalität noch Kausalität als Grund für Verantwortbarkeit kann einem solchen Fall abgesprochen werden, denn nur weil der Zeuge des Verbrechens seines Weges ging und die Schädigung des anderen Subjekts intendierend in Kauf nahm, konnte die Schädigung eintreten. Daß das Beibehalten seines Bewegungszustands eine kausale Relevanz haben soll, ist für den unreflektierten Empirismus des Alltags freilich ein Stein des Anstoßes. Denn wie kann etwas ein Fall von Aktivität sein, wenn auf der Seite des Subjekts gewissermaßen „nichts geschieht“? Einzig die unhinterfragte empiristische Grundüberzeugung, daß alles, was geschieht, etwas empirisch Beobachtbares sein muß, ist es auch, die dazu führt, Unterlassungsdelikten Kausalität abzusprechen. Kaufmann, einer der einflußreichsten Autoren in der juristischen Debatte, führt zur Begründung der fehlenden kausalen Relevanz von Unterlassungsdelikten ins Feld, man könne den Unterlassungstäter gewissermaßen aus der Welt hinwegdenken, ohne daß sich am Ausgang des Weltenlaufs etwas ändern würde.92 In diesem Hinwegdenken liegt aber der entscheidende Fehler, dem eine empiristisch verzerrte Sicht zugrunde liegt. Es darf nämlich nicht unterschlagen werden, daß Subjekte einen ontologischen Sonderstatus gegenüber Nichtsubjekten genießen, und der betrifft die Art und Weise, wie sie zu Anderem ihrer selbst in ein Verhältnis treten. Ein Stein, der nicht Teil einer Ereigniskette ist, darf zu deren Beschreibung in der Tat vernachlässigt werden. Ein Subjekt, das nur wie ein Stein außerhalb einer Ereigniskette steht, kann zu dieser aber in ein Verhältnis treten, das dem Stein verwehrt ist.93 Qua Bewußtsein nehmen Subjekte an dem, was um
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Vgl. Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 61ff. Darauf scheint Wolf, der Kaufmanns Einwand allerdings gelten läßt, hinauszuwollen (Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 55).
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sie herum geschieht, Anteil, und diese Anteilnahme am empirischen Geschehen ist von kausaler Relevanz, weil die Möglichkeit des Subjekts, in die ihm bewußten Ereignisse einzugreifen oder nicht, qua Bewußtsein in ihm liegt.94 Wenn man der Meinung ist, daß sich das Subjekt entscheiden konnte, den Gang der Dinge in eine andere Richtung zu steuern, muß man auch vertreten, daß es für den Verlauf der Dinge in der Tat relevant war, und zwar nicht nur dann, wenn es sich bewegend einschreitet, sondern auch dann, wenn es sich nicht rührt. In beiden Fällen ist das Subjekt (wenn auch nur fehlbarerweise) Teil der kausalen Wirkungsgeschichte des eintretenden Ereignisses und darf, anders als etwa herumliegende Steine, zu dessen Beschreibung nicht vernachlässigt werden. Nicht erst durch die Veränderung seines Körperzustands wird das Subjekt kausal wirksam, sondern kraft seines an dem Geschehen teilnehmenden Bewußtseins. Wird einem Subjekt z.B. bewußt, daß ein Anderer in Gefahr steht zu ertrinken, und hat es die Möglichkeit einzuschreiten, ist ihm die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers unter den genannten Umständen verwehrt.95
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Birnbachers Lösungsvorschlag für das Unterlassungsproblem überzeugt nicht, weil seine Strategie dahin geht, für das Subjekt eine Ursächlichkeit wie für herumliegende Steine in Anspruch zu nehmen. Birnbacher argumentiert, daß ein unbewegter Stein für die Ereignisse um ihn herum kausal relevant sei, und was für Steine gilt, soll auch für Subjekte gelten. Indem der Unterschied zwischen stillhaltenden Subjekten und herumliegenden Steinen nivelliert wird und dennoch dergleichen wie Ursächlichkeit vorliegen soll, wird gegen die Regel ex nihilo nihil fit verstoßen. Birnbacher spricht von „positiven Ereignissen“ (vgl. Tun und Unterlassen, S. 80ff.) und suggeriert, es gäbe auch „negative Ereignisse“, wie etwa das Nichtansteigen eines Wasserspiegels oder das sich Nicht-in-Bewegung-Setzen eines Steines. Dabei handelt es sich aber um Ereignisse, die nicht stattfinden, was schlicht bedeutet, daß sie nicht wirklich sind, weshalb sie keine kausale Relevanz haben können. Ein Kausalverhältnis kann nur zwischen wirklichen Ursachen und wirklichen Folgen bestehen, und nur das Subjekt kann im Ruhefall mit dergleichen dienen, denn die Absicht, mittels Stillhalten dieses oder jenes zu erreichen, ist etwas Wirkliches (und nicht ein „negatives Ereignis“ oder eine „negative Ursache“). Den hier wichtigen ontologischen Unterschied zwischen Subjekten und Nichtsubjekten macht der Sache nach Berger, der betont, daß ruhende Subjekte anders zu behandeln sind als Schußwaffen, die nicht losgehen (Unterlassungen, S. 186). Aber Berger, der zugibt, daß ein Nichttun ein „Ergebnis“ hat, meint damit überraschenderweise nicht, daß die Unterlassung für dieses ihr Ergebnis auch kausal relevant sei (siehe oben, Anm. 91). Seel sieht zwar richtig, wenn er sagt: „Auch der, der etwas unterläßt, ergreift eine Möglichkeit“ (Sich bestimmen lassen, S. 271), versteht diese Möglichkeit dann aber nur als etwas Theoretisches, im konkreten Fall der unterlassenen Hilfeleistung etwa als die Möglichkeit, „dem Ertrinkendenden zuzuschauen“. Daß zwischen diesem angeblich bloßen Betrachten und dem, was da betrachtet wird, ein kausaler Zusammenhang bestehen muß, kommt in Seels „Kleiner Phänomenologie des Lassens“ nicht zur Sprache. Erst wenn klar wird, daß hinsichtlich des Intendierten kein Unterschied zwischen Unterlassen und Tun besteht, wodurch der gemeinsame Sinn von „Handeln“ allererst gewährleistet wird, läßt sich der Unterschied zwischen beidem bestimmen. Seel gibt sich leider mit der Rede von einer „Relativität der Opposition von Tun und Unterlassen“ zufrieden.
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
157
Aus der Analyse der Unterlassungshandlung ist also die Konsequenz zu ziehen, daß die Art und Weise, wie Subjekte etwas wirklich machen, keine Veränderung ihres Körperzustands voraussetzt.96 Diesen Fall von Aktivität, der sich in keinem wahrnehmbaren Ereignis niederzuschlagen braucht, etwa als „innere Handlung“ zu bezeichnen,97 wäre indes unpassend, weil sie sich nicht weniger auf Äußeres bezieht als eine solche Handlung, die mittels einer Körperbewegung ihr Ziel zu erreichen versucht. Im Fall einer Unterlassungshandlung ist das Intendierte zum Beispiel das Sterben eines anderen Subjekts, und damit auch dann etwas Außenweltliches, wenn es nicht durch eine Körperbewegung herbeigeführt wird. Wer die Legitimität gängigster Rechtspraxis in diesem Punkt nicht von Grund auf anfechten will, muß den Unterlassungsfall also als Nachweis einer besonderen, nicht naturkausalen Weise des Wirksamwerdens gelten lassen. Subjekte wirken demnach nicht immer auch durch Bewegung, sondern oft schon allein durch Absicht, und das heißt, durch Bewußtsein. Alleinige Ursache für ein Ereignis kann ein unterlassendes Subjekt nicht sein; es muß immer auch andere Ursachen geben.98 Durch Bewußtsein zu wirken, kann nur heißen: mit Hilfe des Bewußten, durch Zunutzemachen des als mögliche Ursache Erkannten. Durch Bewußtsein zu wirken, beinhaltet demnach, sich die bewußte Außenwelt und die dort geltenden Ursache/Wirkung-Zusammenhänge antizipierend zu Diensten zu machen,99 d.h. für die eigenen Zwecke nichtempirisch zu überformen.100 Die Konsequenz, die aus dem Unterlassungsfall zu ziehen ist, lautet also, daß Bewußtsein nicht erst durch Hinzukommen einer Körperbewegung zu einem Fall von Handeln wird. In Hinblick auf den zu
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Das ist kein Verstoß gegen die Regel ex nihilo nihil fit. Radbruch betont zwar zu Recht: „Die Kausalität verknüpft Veränderung mit Veränderungen, der Nichteintritt einer Veränderung kann also Wirkung ebensowenig wie Ursache sein“ (Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, S. 132). Dieser Hinweis richtet aber nichts aus, weil das Ergehen einer Intention zwar kein empirisches Ereignis ist, sehr wohl aber ein Ereignis. 97 Vgl. Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 24, oder Willaschek, „Inneres Handeln“. 98 Es ist fraglich, ob ein Handeln mit Körperbewegung entsprechend jemals als die einzige Ursache für das Zustandekommen einer so oder so bestimmten Wirklichkeit verständlich werden kann. 99 Vgl. Kahlo (Die Handlungsform der Unterlassung als Kriminaldelikt, S. 240), der personales Handeln als „willensbegründete Indienstnahme von wirklichkeitsdeterminierenden Gesetzen“ definiert. 100 Die Frage nach der angemessenen Beschreibung dieser Kausalrelevanz möchte ich offenlassen. Eine Möglichkeit könnte lauten, das unterlassend handelnde Subjekt nicht als eine zusätzliche Ursache zu denjenigen des beobachteten Kausalzusammenhangs zu beschreiben, sondern seine kausale Relevanz darin zu sehen, daß es kausal-notwendige Ursachen zu hinreichenden macht (dieser Vorschlag stammt von Friebe). Solange das Subjekt die Möglichkeit hat einzugreifen, ist die Kausalkette demnach nicht hinreichend, sondern erst, wenn die Entscheidung des Subjekts feststeht.
158 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
klärenden Status von Bewußtsein zeigt das Phänomen der Unterlassung die Unhaltbarkeit jeder einseitig theoretizistischen Sicht: Statt einer wirkungslosen Abbildfunktion des Wirklichen, statt eines passiven Entgegennehmens dessen, was ist, muß Bewußtsein vielmehr als etwas verstanden werden, das auf die aktive Gestaltung von Wirklichkeit auszugehen vermag, und wohl auch ständig tut. c) Die Unterlassungshandlung als Handlung ohne Körperbewegung Mit Unterlassen ist den vorangegangen Überlegungen zufolge nicht etwa ein Nichthandeln gemeint, sondern ein Handeln im vollen Sinn; eines, dem Intentionalität und Kausalität nicht weniger zukommen als dem Handeln im eigentlichen Sinn. Daß das Unterlassen als dasjenige, wofür man Verantwortung zu übernehmen hat (gemeint ist also nicht das Unterlassen im Sinn von bloß „nicht tun“),101 eine Handlung ist, übersieht man allerdings leicht, wenn man es nur am Verb „unterlassen“ untersucht. Denn dieses bringt mit seinem Objekt in der Tat nur ein Negatives, nicht Wirkliches zum Ausdruck. Aufschlußreicher als „unterlassen“ erweist sich hingegen das Verb „lassen“: Während das Akkusativobjekt von „unterlassen“ das Nichtausgeführte bzw. das Nichtintendierte angibt, kommt durch das Objekt von „lassen“ das Intendierte selbst zur Sprache. Wer etwa eine Hilfeleistung unterläßt, läßt einen Menschen sterben, was im Fall der Verantwortbarkeit solchen Verhaltens damit gleichbedeutend sein muß, das Sterben eines Menschen zu intendieren oder für den Erfolg einer Intention in Kauf zu nehmen. „Tötenlassen“ heißt in manchen Fällen, eine Tötung in Auftrag zu geben, und in anderen, sie lediglich „zuzulassen“, was in beiden Fällen aber nichts anderes bedeutet, als die Tötung – mit welchen Motiven auch immer – zu intendieren bzw. wenigstens als Nebenwirkung einer Intention in Kauf zu nehmen.102 Bevor man nun nach einem gemeinsamen Sinn für alle Fälle von „lassen“ fragt, ist zunächst auf einen Unterschied aufmerksam zu machen: Das Objekt des Verbs „lassen“ ist manchmal ein Ereignis, manchmal aber nicht. Genauso, wie man etwas geschehen lassen103 kann, kann man auch
___________ 101 Zwei unterschiedliche Bedeutungen von „Unterlassen“ rekonstruiert Brinkmann (Praktische Notwendigkeit, S. 147) bei Kant; eine nämlich, die sich an Nichttun orientiert (Bd. 2, S. 192, Z. 6-21; Bd. 7, S. 131, Z. 19), und eine, die sich als Unterlassungshandlung im hier beschriebenen Sinn charakterisieren ließe (Bd. 2., S. 66, Z. 30ff.; S. 183, Z. 15f.). 102 Auch mit „lassen“ läßt sich das nicht Intendierte angeben, aber nur in der Verbindung „bleiben lassen“ bzw. „sein lassen“ (wie in: „Laß es sein/bleiben!“). 103 Der Unterschied zwischen „Geschehenlassen“ und „Unterlassen“ ist der zweier komplementärer Perspektiven: Ein Geschehenlassen kann, mit anderem Objekt, als Unterlassen, und manche Fälle von Unterlassen können als Fall von Geschehenlassen
B. Intentionalität als Gattung für Theorie und Praxis
159
etwas lassen, wie es ist, nämlich rot oder rund: im Sinn von belassen. Negativ ausgedrückt, handelt es sich dabei um ein Nichtverändern, oder entsprechend positiv, da das Belassen auf eine Entscheidung und damit eine Leistung des Handelnden zurückgeht, um ein Erhalten. Fälle von „geschehen lassen“ sind aber eindeutig Fälle von Veränderung, und die bisher besprochenen Beispiele für Unterlassungshandlungen fallen allesamt in diese Kategorie. Eine Tötung geschehen lassen, heißt, eine Veränderung geschehen lassen, und da das Resultat Erfolg einer Absicht ist, ist das Geschehenlassen insgesamt ein Fall von Veränderung. Worin kann nun ein gemeinsamer Sinn von Handlungen im Sinn des Lassens liegen, wenn es genauso ein Erhalten wie ein Verändern von Außenwelt sein kann? In einer bestimmten Hinsicht liegt in beiden gerade behandelten Fällen von „lassen“ ein Erhalten vor: Um ein Erhalten im Gegensatz zu einem Verändern handelt es sich beide Male hinsichtlich des eigenen Körpers, denn sowohl ein Verändern im Sinn des Lassens als auch das entsprechende Erhalten beruht auf dem Beibehalten seines jeweiligen Bewegungszustands. Und darin, daß in beiden Fällen der Körper des Subjekts in Ruhe bzw. in gleichförmiger Bewegung belassen wird, liegt der gemeinsame Sinn des Lassens, der dann auch der sogenannten Unterlassungshandlung zugrunde liegt. Das Verhältnis von Handeln, Tun und Lassen geht also aus folgendem Schaubild hervor: Handeln
durch Wechsel des Körperzustands („Tun“)
durch Beibehalten des Körperzustands („Lassen“ bzw. „Unterlassungshandlung“)
Weil „Handeln“ als Oberbegriff fungieren muß, bietet sich für die linke Seite der Ausdruck „tun“ an, der ja auch in aller Regel den Kontrastbegriff zu „lassen“ bildet.104 Hinsichtlich der intendierten Objekte kann sowohl
_____________ beschrieben werden. Statt einer „besonderen Form des Unterlassens“ (Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 103ff.) ist das Geschehenlassen die positive Beschreibung einer bestimmten Art von Unterlassung (derjenigen nämlich, die nicht auf ein Erhalten, sondern auf ein Verändern aus ist). 104 Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Tun und Lassen weicht vom Sprachgebrauch des Alltags wie dem der einschlägigen Literatur insofern ab, als es dort eine klare Abgrenzung zwischen „Handeln“ und „Tun“ meist nicht gibt (Birnbacher etwa benutzt „Tun“ synonym mit „Handlung“). Von Wright, der die Unterlassung („forbearance“) als
160 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
das Tun als auch das Lassen auf deren Veränderung bzw. deren Erhaltung ausgehen. Auch ein Tun ist mitunter ein Erhalten, denn die Konservierung von Objekten kann den Einsatz von Körperbewegungen erfordern. Nur hinsichtlich des Bewegungszustands des eigenen Körpers ist die Differenzierung zwischen Tun und Lassen die zwischen Veränderung und Erhalten. Ein absolutes Erhalten, ein Erhalten sowohl auf der Seite des Körpers, der in den meisten Fällen nur als Mittel dient, als auch auf der Seite des Zwecks, ist eo ipso ein Lassen. Sowohl die Körperbewegung als auch die Erhaltung des Bewegungszustandes des Körpers müßten in diesem Kontext der Genauigkeit halber zudem als „unmittelbar“ gekennzeichnet werden, weil auch ein vermitteltes Bewegen des eigenen Körpers im Sinn des Lassens denkbar ist, wie etwa, wenn ein Subjekt sich in Ruhe hält, weil es am aktuellen Aufenthaltsort auf die Bewegung seines Körpers durch Fremdeinwirkung spekuliert. Der Grund, warum das, was ein Subjekt „geschehen“ läßt, ihm als Erfolg zuzurechnen ist, obwohl es doch nicht durch seinen Körper mit ihm wechselwirkt, ist, wie oben ausgeführt, allein durch das Bewußtsein des Subjekts begründet. Denn das Verhältnis, durch welches das Subjekt im Rahmen von Bewußtsein zu Anderem seiner selbst tritt, schließt die Wechselwirkung zwischen seinem Körper und diesem Anderen seiner selbst nicht ein.105 Als Bewußtsein-Habendes kann sich das Subjekt den antizipierten Kausalzusammenhang der erkannten Objekte für seine eigenen Zwecke zunutze machen. Es hängt allein von den Umständen ab, ob der intendierte Erhalt oder die intendierte Veränderung von Außenwelt eine Wechselwirkung seines Körpers mit den Dingen verlangt. In den Fällen, wo das Subjekt zum Erreichen des Intendierten den Zustand seines Körpers beibehalten kann, also in Situationen, die man als bloßes Betrachten oder Zuschauen beschreiben könnte, liegt über Bewußtsein hinaus nichts vor; für die skizzierte praktische Dimension solchen Zuschauens wird kein zusätzliches Prinzip erfordert. Weil solches Zuschauen Dinge in ihrer Wirklichkeit erhalten oder als wirkliche herstellen kann, kann hier von Verwirklichungsbewußtsein gesprochen werden. Ein Verwirklichen durch Stillhalten bzw. durch Zuschauen ist zwar ein Fall von „nichts als Bewußtsein“, deswegen aber nicht gleichbedeutend mit Wahrnehmung. Um so etwas wie ein strafbares Unterlassen erklären
_____________ Unterart von „action“ versteht – übrigens ohne Angabe einer differentia specifica – wählt als Kontrastbegriff zu „Unterlassung“ den von „act“ (Norm and Action, S. 48). 105 Damit eine Baum-Gesichtsanschauung entstehen kann, müssen Lichtstrahlen mit der Netzhaut wechselwirken, nicht aber das Subjekt mit dem Baum. Es besteht zwar ein psycho-physisches Problem, nämlich die Frage nach der Wechselwirkung zwischen Somatischem und Mentalem. Die dabei zu erklärende Wechselwirkung ist aber nicht die zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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zu können, also etwas, das eine Handlung im vollen Sinn zu sein hat, muß innerhalb von solchem Bewußtsein eine Entscheidung zugunsten von dieser oder jener Wirklichkeit fallen. Nur dann kann ein stillhaltendes Subjekt für ein Ereignis in der Außenwelt verantwortlich gemacht werden, wenn ihm unterstellt wird, daß es das Eintreten dieses Ereignisses seinem Ausbleiben vorgezogen hat. Ohne eine solche Präferenz für dieses oder jenes inhaltlich Bestimmte ist nicht nur die Rede von Verantwortlichkeit fraglich, sondern auch die von Handeln allgemein. Für das, was man wahrnimmt, kann man nämlich nichts, und zwar deshalb, weil man es sich dem Inhalt nach nicht ausgesucht hat: Ob ich den Stab im Wasser gerade oder gebrochen wahrnehme, ist keine Frage meiner Präferenz. Will ich im konkreten Fall erfolgreich etwas als wirklich hinstellen, habe ich nur eine Möglichkeit bzw. ich entscheide mich für die einzige erfolgversprechende Option. Nur im Handeln wird der Inhalt verwirklicht, den man bevorzugt, denn nur im Rahmen von Handeln sorgt man selbst dafür, daß eine so und nicht anders bestimmte Außenwelt wirklich wird. Und nur für eine solche Wahl kann man – unter weiteren Voraussetzungen –106 Verantwortung übernehmen. Das Verwirklichungsbewußtsein, von dem hier die Rede ist, ist ein bevorzugendes, wählendes Bewußtsein, und damit also der Struktur nach komplexer als Wahrnehmungsbewußtsein.107
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein 1. Die theoretische Einstellung a) Die ästhetische Einstellung als Verwirklichungsbewußtsein Es gibt Fälle von Zuschauen und Betrachten, die nicht so theoretisch sind, wie sie scheinen. Zuschauer und Betrachter sind im Fall der Unterlassungshandlung nachweislich Praktiker, weil ihr Verhalten dazu dient, ein Intendiertes wirklich zu machen. Wer dabei zusieht, wie des Nachbarn Haus abbrennt, ohne die Feuerwehr zu rufen, entscheidet sich dafür, daß das Haus abbrennen soll, und er ist aufgrund dieser Entscheidung Mitursache für das Wirklichwerden dieser ganz bestimmten Außenwelt. Das
___________ 106 Siehe oben, Anm. 91. 107 In diesem Punkt unterscheidet sich hiesige Darstellung der Unterlassungshandlung von der bei Prauss (vgl. Kant über Freiheit als Autonomie, S. 216ff. und Die Welt und wir, Bd. II/1, S. 119). In der schwierigen Frage, wie Erkennen und Handeln voneinander abzugrenzen bzw. wie sich Erkennen innerhalb von Praxis eingrenzen läßt, beziehe ich keine Position. Für die hier zugrunde liegende ästhetische Fragestellung genügt die These, daß Fällen bloßen Betrachtens oder Zuschauens der volle Sinn von Praxis zukommt.
162 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
abgebrannte Haus ist dann die Wirkung seiner Entscheidung, sich nicht zu rühren, also die Wirkung einer Handlung. Es stellt sich jetzt die Frage, ob Subjekte als bewußte Wesen jemals diesseits von Verwirklichung im gerade beschriebenen Sinn bleiben können. Besser gefragt: Gibt es Fälle von Fremdbewußtsein, wo dieses nicht Ursache ist für das Wirklichwerden dieser oder jener Außenwelt? Spätestens diese Frage stellt den Zusammenhang mit dem Kontext der Ästhetik wieder her, denn die ästhetische Einstellung steht wohl mehr als jedes andere Verhalten in dem Ruf eines einflußlosen Zugegenseins. Wenn es einen Fall von Bewußtsein geben soll, innerhalb dessen das Verhältnis zur bewußten Außenwelt bloß das des erkennenden Entgegennehmens von bereits Wirklichem ist, statt eines Verwirklichens von ihr, dann scheint dafür nichts eher in Frage zu kommen als die interesselose ästhetische Einstellung. Als Beispiel für eine denkbar krasse Möglichkeit von Nichtinvolviertsein wäre etwa ein Theaterbesuch anzuführen: Wer dem Geschehen auf der Bühne zusieht, scheint sich in denkbar klarer Weise ausschließlich in der Position eines Zuschauenden zu befinden und nicht in der eines Verwirklichenden. Aufgrund dieses Merkmals ordnet Seel die ästhetische Einstellung dem Begriff der „Kontemplation“ zu. Kontemplatives Verhalten „erstrebt keine Resultate“108, so Seel, es halte „Abstand von jeder Art des realisierenden Tätigseins“109. Der Kontemplation, von der Seel außer der ästhetischen auch noch eine theoretische und praktische kennt, gehe es allein um „Anschauen oder Vernehmen von etwas“, es sei ein „Verhalten, dem es um nichts anderes geht, als in der Betrachtung von etwas zu verweilen“110. Aber dieser Eindruck täuscht, denn es läßt sich gerade auch im Rahmen der ästhetischen Einstellung Wirkliches benennen, an dessen Zustandekommen sie Anteil hat; Außenwelt also, deren Wirklichwerden auch vom ästhetisch Eingestellten abhängt. Dabei handelt es sich im gerade genannten Fall um die Darbietung auf der Bühne, denn die kann nur deswegen vonstatten gehen, weil die Zuschauer es wollen. Sofern sie alle die Möglichkeit haben, die Aufführung zu stören, vielleicht sogar zu vereiteln, haben sie alle Anteil daran, daß sie stattfinden und reibungslos ablaufen kann. Insofern sie durch ihre Entscheidung, das Wirklichwerden der Aufführung zuzulassen, Mitursachen sind für deren Wirklichkeit, ist das Zustandekommen der Aufführung auch Erfolg des Publikums.111
___________ 108 109 110 111
Ethisch-ästhetische Studien, S. 261. Ebd., S. 262. Ebd. Für die Wirklichkeit einer friedlichen Gesellschaft ist das Unterlassen seiner Individuen wohl nicht weniger wichtig als ihr Tun. Das Wirklichwerdenkönnen einer Theaterauffüh-
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
163
Wie immer sich ein Subjekt auch verhält – es kann gar nicht anders, als sich dafür zu entscheiden, ob diese oder jene Außenwelt wirklich werden soll. In allen Fällen von Bewußtsein gibt es somit inhaltlich so oder anders bestimmte Wirklichkeit, an deren Zustandekommen das bewußte Subjekt Anteil hat. Zumindest sind solche Fälle, wo dies einmal nicht der Fall sein sollte, nicht einer besonderen Einstellung geschuldet. Die einzige Möglichkeit für das Subjekt, nicht als Miturheber von zu ihm Anderem zu fungieren, sind solche Mißerfolgsfälle, in denen eine intendierte Veränderung – etwa eine Körperbewegung – unterbleibt. Ein solcher Mißerfolgsfall unterscheidet sich aber vom Erfolgsfall nicht etwa dadurch, daß die Intention auf Außenwelt abbräche – sie ergeht auch hier. Deswegen ist das Subjekt qua Bewußtsein durchgehend Verwirklichungsbewußtsein. Auch solche Fälle von Bewußtsein, die als bloßes Beobachten beschrieben werden, sind kausal relevant für das sich Einstellen dieser oder jener Wirklichkeit. Für die Ästhetik bedeutet dies, daß Subjekte durch Betreten eines für die ästhetische Einstellung vorgesehenen Bereichs nicht etwa vor Praxis im Sinn des Verwirklichens inhaltlich so oder anders bestimmter Wirklichkeit zurücktreten. Auch wenn sie sich in der ästhetischen Einstellung befinden, sind sie qua Bewußtsein kausal relevant für das Wirklichwerden oder Wirklichbleiben solcher oder anderer Objekte. Besonders deutlich wird das, wenn man hier die moralische Ebene einblendet, denn es zeigt sich, daß ästhetisch eingestellte Subjekte von ihren Pflichten gegenüber anderen Subjekten keineswegs entbunden sind. Ein Subjekt, das ins Theater oder Museum geht, macht sich nicht moralisch unangreifbar und ist dort vor Ansprüchen seiner Mitmenschen keineswegs in Sicherheit. Denkbar ist es, daß genau durch den Vollzug einer ästhetischen Beschäftigung mit Objekten Pflichten gegen Andere verletzt werden, etwa dann, wenn jemand, statt sich um einen hilfebedürftigen Mitmenschen zu kümmern, Gedichte liest. Ob die Folgen eines solchen Handelns, etwa die Schädigung jenes Mitmenschen, genau dasjenige war, worauf es der Leser damit abgesehen hatte, oder ob er es nur als notwendiges Übel in Kauf genommen hat, ändert nichts daran, daß er für die eingetretene Wirklichkeit zur Verantwortung gezogen werden kann, weil er sie durch den Rückzug in die ästhetische Einstellung mitverursacht hat. Diese Überlegungen sollen zeigen, daß das Einnehmen der ästhetischen Einstellung nicht als Ausstieg aus Praxis und als Eintritt in einen vorpraktischen Bereich verstanden werden darf. Sie laufen aber nicht darauf hinaus, daß im Rahmen der ästhetischen Einstellung Praxis einfach
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rung hängt vom gleichgesinnten Zusammenspiel zahlreicher Individuen ab, muß also als Produkt einer konzertierten intersubjektiven Disziplin verstanden werden. Viele weitere Beispiele ließen sich dafür anführen.
164 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
weiterliefe wie zuvor. Diese Einstellung ist nicht etwa ein besonderer Fall von Praxis, ein Handeln besonderen Inhalts. Was es im Gegensatz zu Praxis positiv ist, ist im folgenden erst zu klären. Für die Gegenüberstellung zwischen ästhetischer Einstellung und Praxis ist derjenige Fall von Handeln heranzuziehen, der als Unterlassungshandlung charakterisiert worden ist. Denn mit diesem hat die ästhetische Einstellung etwas gemeinsam, nämlich das Unterbleiben von Körperbewegungen. Gesucht wird nun nach demjenigen, worin sich die beiden Fälle unterscheiden, und dieser Unterschied muß, wohlgemerkt, ein formaler sein. Am Inhalt des zu verwirklichenden Objekts kann er nicht festgemacht werden, denn es ist ja nicht auszuschließen, daß einem Unterlassen den Objekten nach, die in seinem Vollzug verwirklicht werden, sein praktischer oder ästhetischer Charakter von außen gar nicht anzusehen ist. Es kann ja auch die Betrachtung von etwas mit ästhetischem Genuß verbunden sein, das die Schädigung von Subjekten zur Folge hat, und das Nichteinschreiten somit nicht durch praktisches Interesse, sondern ästhetisch motiviert sein. b) Mehrere Fälle von Verwirklichungsbewußtsein mit zurückgestellten Präferenzen Die Unterlassungshandlung ist diejenige Handlungsart, die intendierte Wirklichkeit ohne Körperbewegung zu erlangen versucht. Ob diese besondere Weise des Handelns opportun ist oder nicht, ergibt sich allein aus den jeweiligen Umständen. Ganz anders verhält es sich mit der ästhetischen Einstellung, die der Praxis insgesamt entgegengesetzt sein soll. Sie ist nur als Unterlassen denkbar.112 In eine Theateraufführung als Zuschauer einzugreifen, hieße, sie als solche zu stören; ein Bild im Museum zu verändern, hieße, es zu beschädigen. Solches Verhalten hat mit der ästhetischen Einstellung nichts zu tun – dabei handelt es sich deutlich um Fälle von Praxis. Der Grund, warum ästhetisch eingestellte Subjekte an den Objekten ihrer Einstellung keine Veränderungen vornehmen, ist nicht etwa der, daß sie zufälligerweise keine Änderungswünsche hätten. Ein Theaterzuschauer läßt das Geschehen auf der Bühne nicht deswegen zu, weil das Stück den gewünschten Verlauf nähme – so wie etwa der Unterlassungsdelinquent deswegen zuschaut, weil die Dinge sich gemäß seinen Wünschen entwickeln. Der die Aufführung zulassende Zuschauer bleibt vielmehr auf seinem Platz sitzen, weil er sich von vornherein entschieden hat, sich auf
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112 Soll es so etwas geben können wie ein interaktives Kunstwerk, bei dem der Rezipient das Werk verändern soll, dann wird der Rezipient damit eben auch zum Kunstschaffenden; ein Gegenbeispiel wäre das nicht.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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das Zuschauen zu beschränken. Er schaut zu, weil er sehen will, wie das Stück weitergeht. Die Frage, die sich jetzt aber stellt, ist die, ob das ästhetische Unterlassen im gerade beschriebenen Sinn die einzige Möglichkeit eines nichtpraktischen Zuschauens bzw. Unterlassens darstellt. Mit Seel wäre zu Recht darauf hinzuweisen, daß es auch andere sich jeden Eingreifens enthaltende Verhaltensweisen gibt, die weder ästhetisch noch praktisch motiviert sind. Ein anderes Subjekt sprechen zu lassen und ihm zuzuhören – Seel nennt das „praktische Kontemplation“113 –, scheint eine solche Verhaltensweise zu sein. Denn so verhält man sich in der Regel nicht deshalb, weil dieses Subjekt genau das sagte, was man hören will (das gibt es allerdings auch), sondern weil man wissen will, was es zu sagen hat. Ein solches Geschehenlassen erfolgt also nicht deshalb, weil die Wirklichkeit einen ihrem Inhalt nach bevorzugten Verlauf nähme, sondern wegen eines Wissenwollens. Zu einem solchen Wissenwollen gehört nicht nur das Geschehenlassen im Kontext intersubjektiven Verstehens. Auch ein Wissenschaftler, der einem Naturvorgang zusieht, ohne einzugreifen, tut das nicht deswegen, weil sich die Geschehnisse zufälligerweise in eine Richtung entwickelten, die ihm zupaß kommt – was der Grund für das Nichteinschreiten bei einem Unterlassungsdelikt wäre –, sondern weil er wissen will, was geschieht, wenn er nicht eingreift.114 Für eine solche Verhaltensweise ist übrigens keine wesentliche Voraussetzung, daß das Betrachtete ein Ereignis in der Zeit ist. Auch ein sich orientierendes Umsehen in einer gleich bleibenden Wirklichkeit, wie etwa Kants Beispiel der „Beurteilung eines Platzes“115, ist ein Fall von theoretisch motiviertem Nichteingreifen bzw. Nichtverändern, denn in einem solchen Fall hält sich das Subjekt eindeutig aus theoretischer Motivation mit einem Ding auf. Was solche Weisen des Unterlassens, ob sie aus intersubjektiver oder wissenschaftlicher Motivation erfolgen, gemeinsam haben, ist der Verzicht des Subjekts, bevorzugend Einfluß auszuüben, d.h. eine dem Inhalt nach präferierte Wirklichkeit herzustellen. In allen solchen Fällen stellt das Subjekt seine Vorlieben für eine inhaltlich so oder anders bestimmte Wirklichkeit zurück und verhält sich gleichsam so, als hätte es keine Ansprü-
___________ 113 Ethisch-ästhetische Studien, S. 268. Im folgenden orientiere ich mich an Seels drei Arten der „Kontemplation“, ohne allerdings den in dem Ausdruck mitgedachten Aspekt der Passivität für das hier gemeinte Phänomen in Anspruch zu nehmen. 114 Vgl. Heidegger in Sein und Zeit, der in solchen Fällen eine „Defizienz des besorgenden Zutun-habens mit der Welt“, ein „Sichenthalten von allem Herstellen, Hantieren u. dgl.“ analysiert (S. 61; vgl. S. 357). 115 KU, S. 70.
166 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
che.116 Es läßt zu, daß sich genau die Wirklichkeit einstellt, die sich einstellen würde, wenn es sie nicht in seinem Sinn mitgestalten könnte bzw. wenn es nicht anwesend wäre. 2. Die Abgrenzung von ästhetischem Verwirklichungsbewußtsein a) Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein als Überformung von theoretisch-praktischem Also ist ein Geschehenlassen von Wirklichkeit, das ohne Präferenz für diese oder jene Wirklichkeit erfolgt, nicht immer auch ein Fall von ästhetischer Einstellung. Durch das gerade geschilderte Kriterium scheint eine Unterscheidung vorgenommen zu werden zwischen Praxis auf der einen und den geschilderten Unterlassungen, nämlich ästhetischer, intersubjektiv-theoretischer und wissenschaftlich-theoretischer Art, auf der anderen Seite. Nichtpraktizität ist aber bisher immer am Kriterium der Interesselosigkeit festgemacht worden. Deren Kennzeichen hatte, gemäß Kants Überlegungen zu Beginn der AS, in der Unabhängigkeit des Subjekts und seiner Befindlichkeit von der Wirklichkeit des Objekts bestanden. Für die theoretischen Unterlassungen ist nun zu zeigen, daß sie diesem Kriterium nicht genügen. Für ein Subjekt, das Wirklichkeit aus theoretischen Motiven geschehen läßt – das mag nun Mitteilungen anderer Subjekte betreffen oder Naturobjekte – ist entscheidend, daß das Wahrgenommene bzw. Erkannte wirklich ist. Wer sich theoretisch in seiner Umwelt orientiert, hat es ja gerade auf Wirklichkeit abgesehen. Und diese theoretische Bemühung um Wirklichkeit ist kein Selbstzweck: Es ist für das kommunizierende Subjekt nicht gleichgültig, ob es mit dem Versuch, das andere Subjekt zu verstehen, also seine Wirklichkeit als dieses oder jenes Mitteilende zu erdeuten, erfolgreich ist oder nicht. Und das liegt daran, daß das Ergebnis des theo-
___________ 116 Seel stellt richtig fest, daß man sich bei dem Entschluß, einen Film anzusehen, bestimmen läßt, denn „hierbei nehmen wir in Kauf, unter Einflüssen zu stehen, die für uns nicht absehbar sind“ (Sich bestimmen lassen, S. 289). Aber erstens beinhaltet diese Offenheit für Unabsehbares kein Einverständnis des Subjekts mit jedweder Wirklichkeit, etwa einer sein Wohlergehen gefährdenden, und zweitens ist es verkehrt, dieses Inkaufnehmen mit den Unwägbarkeiten gewöhnlicher Praxis zu vergleichen, etwa der Kontingenz der Folgeereignisse, denen wir uns aussetzen, wenn wir etwa – wie in Seels Beispielen – ein Kind in die Welt setzen oder den Wohnort wechseln. Solches Verhalten impliziert nicht die geringste inhaltliche Indifferenz bezüglich der Wirklichkeit, die sich einstellt, sondern nur die ganz unvermeidbare Machtlosigkeit gegenüber der Faktizität von Erfolg oder Mißerfolg. Eine theoretische oder ästhetische Offenheit ist dagegen dadurch gekennzeichnet, daß verschiedene Möglichkeiten von Wirklichkeit gleichermaßen willkommen sind.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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retischen Unterlassens relevant ist in weiterer Hinsicht. Auch wenn es nicht seine eigenen Bedürfnisse befriedigen will, sondern um des Anderen willen handelt, ist das Subjekt darauf angewiesen, daß es den Anderen richtig versteht bzw. daß dieser es nicht täuscht. Eine entsprechende Abhängigkeit vom Erfolg gilt im Rahmen der Erkenntnis von Naturobjekten auch. Wegen der praktischen Relevanz der Erkenntnis von Natur ist ein Mißerfolg hier für das Subjekt mitunter fatal. Das Zurückstellen von Neigungen und Bedürfnissen geschieht im Rahmen solchen Verhaltens also mit Kalkül. Solches theoretische Sehenwollen oder Wissenwollen ist zwar gegenüber der Wirklichkeit großzügiger und liberaler als Handeln, insofern das Subjekt auf Einflußnahme verzichtet und den Dingen ein Stück weit ihren Lauf läßt; es ist deshalb aber noch kein uneingeschränktes Interesse an Wirklichkeit als solcher. Es liegt hier ein Interesse zugrunde, das sich in allen beschriebenen Fällen konkretisieren lassen muß: Es geht in den beschriebenen Verhaltensweisen nicht nur um Objekte, sondern auch um Wissen, einen Fall von Bewußtsein; einen solchen allerdings, der sich erinnern, festhalten und gegebenenfalls auch weitergeben läßt. Dieses Wissen ist relevant für die Objektwelt, nämlich als mögliches Mittel zu deren Verwirklichung. Das gilt natürlich auch für die Objektwelt, die aus anderen Subjekten besteht, denn Wissen von anderen Subjekten wird verlangt, ob man sie nun als Mittel oder als Zweck (oder als beides) zu behandeln gedenkt. Interessanterweise wird innerhalb der theoretisch-wissenschaftlichen Einstellung, in der sich das Subjekt durch Zurückstellen des Allersubjektivsten, nämlich Lust und Unlust, frei macht für Objektivität, das konkrete Objekt nicht etwa bedeutsamer als in Praxis. Denn die Wirklichkeit dieses bestimmten, im Rahmen seines Experiments verwirklichten Objekts tritt gegenüber dem zu gewinnenden Wissen in den Hintergrund. Von Interesse ist das konkrete Objekt nur durch seine Reproduzierbarkeit und die mögliche Übertragung der gewonnenen Erkenntnisse auf andere Fälle. Bei der intersubjektiven „Theorie“ muß das zwar nicht so sein, denn das „Objekt“, um dessen Erkenntnis es letztlich geht, kann ja auch – im Sinn von Moralität – als Zweck behandelt werden. Aber auch in diesem Fall ist das Erkannte kein Endpunkt des Intendierens, da sich verfehlte Wirklichkeit in weiteren praktischen Kontexten, die sich an das Erkennen anschließen, negativ auswirken würde. Die Bemühung um Objektivität im Rahmen aller Fälle von theoretischem Unterlassen ist gemäß Kants Kriterien vom Anfang der AS interessiert, hängt in ihr das Subjekt doch von der Wirklichkeit des Erkannten ab; zwar nicht direkt, da die erkannte Objektwelt für das praktische Subjekt nicht von unmittelbarer Bedeutung ist, aber indirekt, da die an ihr gewonnene Erkenntnis nur als erfolgreiche etwas wert ist. Der Zweck, den
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ein theoretisch-unterlassendes Subjekt in der konkreten Situation verfolgt, läßt sich zwar nicht, wie etwa im Fall von naturwüchsiger Praxis, als diese oder jene inhaltlich bestimmte Außenwelt benennen. Es ist kein bestimmtes Mittel zu einem bestimmten Bedürfnis, auf das ein theoretisch eingestelltes Subjekt ausgeht. Was es aber im Rahmen dieses theoretischen Verwirklichens gewinnt, ist dennoch Mittel, wenngleich nur mögliches in Hinblick auf mögliche Bedürfnisse oder Zwecke. Von der Frage, ob solche Erkenntnis Wirklichkeit erzielt hat, hängt somit künftige Lust ab. Daß das theoretisch-unterlassende Subjekt sich zunächst nur um Objektivität bemüht und dabei auf die Herstellung einer dem Inhalt nach präferierten Wirklichkeit verzichtet, heißt somit nicht, daß es den Anspruch auf eine dem Inhalt nach so oder anders bestimmte Wirklichkeit aufgegeben hat. Sowohl im Rahmen wissenschaftlich-theoretischen als auch intersubjektiv-theoretischen Unterlassens bricht Praxis mit ihrem Mittel/Zweck-Zusammenhang hinter der intendierten Erkenntnis nicht ab; sie geht über sie hinaus, und die erzielte Objektivität gewinnt ihre Bedeutung in diesem Gefüge, auch wenn noch offen bleiben mag, für welche zu erzielenden Inhalte sie sich als wertvoll erweisen kann. Die Ausgangslage für die Bestimmung des Verhältnisses der uninteressierten ästhetischen Einstellung zu solch theoretisch-praktischem Unterlassen ähnelt damit der bei der Abgrenzung von Spiel und Praxis. Auch die Besonderheit des Spiels bestand darin, daß die Mittel/Zweck-Bezüge beim Intendierten endeten und nicht in einem daran anschließenden Kontext standen. Der Unterschied zwischen beidem konnte nur als formaler bestimmt werden, denn an den Inhalten der jeweiligen Mittel/Zweck-Zusammenhänge ließ sich die unterschiedliche Struktur der Bezüge nicht festmachen. Daß hinter dem im Spiel Intendierten die Reihe von Mitteln und Zwecken aufhörte, war nur durch einen Zusatz an Form zu erklären. Und genau so läßt sich nun die Abgrenzung zwischen ästhetischem Verwirklichungsbewußtsein und den genannten theoretisch-praktischen Verhaltungen vornehmen. Die ästhetische Einstellung ist demnach als Überformung des theoretisch-praktischen Unterlassens zu charakterisieren. Genau wie der Unterschied zwischen Spiel und Praxis kann auch der zwischen theoretisch-praktischem und ästhetischem Unterlassen nicht auf der Objektseite bestimmt werden, denn ob eine Natur Gegenstand einer praktischen Umsicht wird oder einer ästhetischen Betrachtung, kann nur vom Subjekt und dem Anliegen seiner jeweiligen Einstellung abhängen. Bezüglich des intendierten Objekts und der eingesetzten Mittel erwies sich Spiel als eine Tätigkeit, die genauso gut auch Praxis sein könnte: Es ist oft ein und derselbe Inhalt, der in Spiel und Praxis verwirklicht wird; im Spiel aber anders als in Praxis nicht umwillen der Befriedigung von Bedürfnis-
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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sen, sondern umwillen des praktischen Intendierens selbst. Entsprechend dem Spiel, das als quasi-naturwüchsige Praxis beschrieben wurde, kann nun die ästhetische Einstellung als quasi-theoretisches, ähnlich dem Spiel selbstzweckhaft betriebenes Unterlassen gefaßt werden. Beim Spiel zeigte sich, daß sein Vollzug unter Bedingungen lustvoll ist, die im Rahmen von Praxis eher unerwünscht sind, und umgekehrt. Das Entsprechende läßt sich auch in bezug auf die ästhetische Unterlassung sagen: Obwohl sie dem Inhalt nach von theoretischem Verwirklichen nicht zu unterscheiden ist, sind die Bedingungen, die im Rahmen des einen erwünscht sind, dem anderen aus formalen Gründen abträglich. Wie sich im Zusammenhang mit Kant erwiesen hatte, ist eine theoretisch systematisierbare Wirklichkeit nichts anderes als eine in Hinblick auf Praxis durchschaubare Wirklichkeit, und eben eine solche ist für den ästhetischen Vollzug unbrauchbar. Ein ästhetisches Unterlassen ist kein Mittel für Praxis, und deswegen auch nicht darum bemüht, möglichst rasch zu einem Ergebnis zu kommen. Statt mit der Tätigkeit des Erkennens ein dahinterliegendes Anliegen zu verfolgen, wie im Zusammenhang mit interessierter Theorie, wird in der ästhetischen Einstellung das Tätigsein selbst als solches affirmiert. Wohlgemerkt: zwar wird nicht die Praktizität von Subjektivität bejaht – wie im Spiel – aber auch nicht Objektivität als solche. Affirmiert wird vielmehr Subjektivität, wie sie sich um Objektivität bemüht. b) Spiel und Fiktion Überzeugend ist die Analogie zwischen der ästhetischen Einstellung und dem Spiel insbesondere im Kontext der Kunst. Während bei Naturschönem allein die Auffassung von Oberflächenformen für den Sinn einer spielerischen Beschäftigung der Erkenntniskräfte zur Verfügung steht, läßt sich im Kontext der Kunst aufgrund der semantischen Dimension ihrer Gebilde leicht verständlich machen, daß einzelne Gegenstände eine anhaltende, vielleicht sogar kaum jemals deren Reichtum ausschöpfende Erkenntnistätigkeit erfordern bzw. erlauben. Im folgenden soll es um die Frage gehen, ob sich mit dem Spielbegriff eine Abgrenzung der Kunst gegenüber nichtkünstlerischen Artefakten vornehmen läßt. Diese Frage ist in der Gegenüberstellung mit einem anderen Kandidaten für die Bestimmung der Besonderheit von Kunst – dem Begriff der Fiktion – zu klären. Was Fiktion ist, kann aber nur im Zusammenhang mit einer Theorie von Realität bestimmt werden, und es ist eine Pointe von Kants Erkenntnistheorie, daß ausgerechnet dasjenige Vermögen im Subjekt, das sich zur Erklärung der Möglichkeit von Fiktion anbietet, eine bedeutende Rolle in
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der Konstitution der Wirklichkeit spielt. Denn Einbildungskraft – „das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen“117 – spielt im Erkenntnisvorgang, wie Kant ihn konstruiert, eine unentbehrliche Rolle. „Daß die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst sei“, sagt Kant, die Besonderheit seines Ansatzes herausstellend, „daran hat wohl noch kein Psychologe gedacht“118. Man habe die eigentliche Bedeutung der Einbildungskraft übersehen, „weil man dieses Vermögen teils nur auf Reproduktion einschränkte, teils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein Eindrücke, sondern setzten solche sogar zusammen, und brächten Bilder der Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel außer der Empfänglichkeit der Eindrücke, noch etwas mehr [...] erfordert wird“119. Der Grund für die Bedeutung der Einbildungskraft in Kants Theorie liegt also in der Zurückweisung der Rezeptivitätsauffassung von Erkenntnis: Die Meinung, daß die Aufgabe des wahrnehmenden Subjekts nur darin bestehe, schon wirkliche Objekte passiv entgegenzunehmen, ist für Kant naiver Realismus; ihm zufolge ist das Subjekt, um zum Fremdbewußtsein von Anderem seiner selbst kommen zu können, in seiner Spontaneität gefordert. Objekte, die als räumlich ausgedehnte und nach Substanz/Akzidens strukturierte apriorische Aufbaustücke enthalten müssen, können dem Subjekt nicht gegeben sein; das Subjekt hat sich seine Gegenstände aus Sinnesdaten allererst zu formen bzw. zu entwerfen. Gegenstandsbewußtsein ist aber noch kein Bewußtsein von wirklichen Gegenständen, oder anders gesagt: Die Vergegenständlichung eines Objekts kann noch keine hinreichende Bedingung für dessen Wirklichkeit sein, weil das Subjekt in seinem Ausgehen auf Objekte sonst unfehlbar wäre. Die Fehlbarkeit der Erkenntnis von Wirklich-Anderem muß darin begründet liegen, daß zur Vergegenständlichung eines Objekts noch etwas weiteres hinzutritt, nämlich daß das Vergegenständlichte als wirklich hingestellt wird. Das kann aber erst durch das Urteil geschehen, und erst unter der Voraussetzung eines Urteils stellt sich die Frage von Wahrheit oder Falschheit. Ob nun das im Urteil als wirklich Hingestellte tatsächlich wirklich ist oder nicht – dem Urteil muß das Bewußtsein eines Gegenständlichen zugrundeliegen. Die Redeweise von wirklichen und nicht wirklichen Gegenständen wäre sonst gar nicht informativ, bzw. es wäre unverständlich, wie man überhaupt einen Gegenstand thematisieren könnte, der nicht wirklich ist.120 Wahrheit und Falschheit kann es also ohne Urteil nicht geben, und Urteile setzen voraus, daß das, was durch sie als wirklich hingestellt wird,
___________ 117 118 119 120
B 151. A 120 Anm. Ebd. Vgl. dazu Prauss, Einführung in die Erkenntnistheorie, S. 194f. und S. 204f.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
171
bereits gegenständlich ist. Weil auch das im Fall von Wahrnehmungsirrtum erfolglos als wirklich Hingestellte gegenständlich ist, stellt sich die Frage, wie es ein Fremdbewußtsein ohne Wirkliches geben kann, nicht erst im Zusammenhang mit Fiktion, sondern bereits im Rahmen von Erkenntnis- bzw. Wahrnehmungstheorie. Die Klärung des ontologischen Status von Objekten, die gegenständlich, aber nicht wirklich sind, gehört für die Transzendentalphilosophie zur Klärung der Frage nach dem Zustandekommen von empirischer Erkenntnis. Die Frage, um die es hier geht – ob das Phänomen der Fiktion etwas spezifisch Ästhetisches ist oder nicht –, ist damit aber nicht geklärt. Denn das Gegenstandsbewußtsein, das nach transzendentalphilosophischen Prämissen im Rahmen jeder Wahrnehmung bzw. Erkenntnis auftreten muß, ist kein Fall von Fiktion. Unter Fiktionsbewußtsein ist vielmehr ein Gegenstandsbewußtsein zu verstehen, das von dem geschilderten Phänomen abzuheben ist, denn wenn Kant sagt, daß die Kategorien des Subjekts „a priori auf Objekte gehen“121, meint er damit: auf die Verwirklichung von Objekten und damit auf wirkliche Objekte, nicht bloß vorgestellte.122 In seiner Erkenntniseinstellung gibt sich das Subjekt mit Gegenstandsbewußtsein nicht zufrieden, sondern geht immer über dieses hinaus auf Wirklich-Anderes seiner selbst. Innerhalb von Fiktionsbewußtsein wird dagegen in irgendeinem Sinn nicht auf Wirklichkeit ausgegangen. Es genügt nicht, den fiktiven Gegenstand durch seine fehlende Wirklichkeit zu charakterisieren, weil diese Beschreibung auch für das irrtümlich als wirklich hingestellte Objekt gilt. Während im Rahmen von Irrtum sich das Wissen um die Unwirklichkeit des Objekts erst nachträglich im Sinn einer Korrektur des zuvor Behaupteten einstellen kann, steht bei Fiktion die Nichtwirklichkeit des Vorgestellten von Anfang an fest.123 Wer ein Bild betrachtet, ein Theaterstück
___________ 121 A 79 B 105. 122 Vgl. z.B. B XLf. Anm. 123 Wer etwa die Ereignisse eines Hörspiels im Radio für wirklich hält, stellt Dinge als wirklich hin, deren Wirklichkeit vom Autor gar nicht behauptet wurde und verfehlt die vom Autor intendierte Fiktion. Dies kann freilich vom Autor bewußt in Kauf genommen, ja sogar intendiert werden. Dann treibt dieser ein Spiel mit dem Unterschied von Fiktion und Realität; weder setzt er damit aber den Unterschied zwischen beiden außer Kraft noch erweitert er den Bereich des einen oder anderen. Natürlich braucht der Rezipient einen Anhaltspunkt dafür, ob er sich das Dargestellte als fiktional vorzustellen hat oder nicht; das besorgt, wenn es nicht auch anders zu erschließen wäre, die Aufschrift „Roman“ auf dem Buchdeckel, die Angabe „Kriminalfilm“ im Fernsehprogramm oder der Kontext des Theaters mit Vorhang und Bühne. Keineswegs bedarf es im Theaterstück noch „Fiktionssignalen“, um dem Zuschauer deutlich zu machen, daß mit dem Dargestellten keine Realität gemeint ist (diese Auffassung vertritt Iser in Das Fiktive und das Imaginäre, S. 41). Verfremdungseffekte, also „desillusionierende“, das Theater als Theater demaskierende Stilmittel von Theaterinszenierungen – Iser verweist auf die Regieanweisungen zu
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oder einen Film sieht, auch wer einen Roman oder ein Gedicht liest, hat es von Anfang an auf irgendeine Weise mit Gegenständen zu tun, die nur vorzustellen und nicht als wirklich hinzustellen sind. Ein Als-wirklichHinstellen unterbleibt in solchen Fällen, weil Irrtum und Täuschung hinsichtlich der Wirklichkeit der vorgestellten Gegenstände nicht auftreten können. Wer etwa in einem Märchenfilm ein Einhorn sieht, weiß, daß dieses „nur dargestellt“ ist. So sehr er bei der Darbietung „mitleidet“, „mitfiebert“, angespannt ist oder sich freut – der Zuschauer ist nie der Meinung, daß die im Film dargestellten Dinge und Ereignisse wirklich sind. Wäre das der Fall, müßte das Ende der Vorstellung wie das Ende einer Halluzination erfahren werden und der Zuschauer müßte das Gesehene, sich die Augen reibend, nachträglich revidieren. Er mag zwar die Wirklichkeit draußen für eine gewisse Zeit vergessen haben und wird sich wieder an sie gewöhnen müssen; einer Täuschung unterlag er aber nicht, und das heißt, daß er den Inhalt des Films nicht als wirklich hingestellt hat. In allen solchen Fällen gilt, wie Frege bemerkt, daß „die Form des Behauptungssatzes [...] ihre behauptende Kraft verliert“.124 Das im Theater gefällte Urteil „dies ist ein König“ behauptet nicht die Wirklichkeit eines Königs auf der Bühne. „Wie der Theaterdonner nur Scheindonner, das Theatergefecht nur Scheingefecht ist, so ist auch die Theaterbehauptung nur Scheinbehauptung“.125 Die Vergegenständlichung von Objekten ohne deren Als-wirklich-Hinstellen, was Frege hier „Schein“ nennt, ist also das Prinzip der Fiktion. Damit ist nun etwas Formales gemeint, dem Formalen der Behauptung vergleichbar, die gegenüber dem behaupteten Inhalt ein Zusatz nur an Form ist. Ob die Äußerung eines Subjekts Behauptung ist oder Fiktion, läßt sich am Inhalt des Geäußerten nicht entscheiden. Es ist also nicht einzusehen, warum zu Fiktionalität, im Sinn einer Gegenständlichkeit von etwas ohne die Behauptung seiner Wirklichkeit, dergleichen wie Kontrafaktizität gehören soll, denn die Frage nach Wirklichkeit oder Unwirklichkeit ist völlig irrelevant dort, wo auf Wirklichkeit gar nicht ausgegangen wird, und sie wird nur dann intendiert, wenn die Form der Behauptung auftritt. Im Zusammenhang mit dem Inhalt von Fiktion von Wirklichem und Unwirklichem zu sprechen, wäre aus der Sicht von Kant und Frege naiver
_____________ Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ – können gerade nicht als Markierungen von Fiktionalität verstanden werden und sind also offenbar Teil eines viel komplexeren Phänomens. Entgegen der Deutung Isers sind solche Elemente wohl eher dazu da, das Dargestellte näher an die Wirklichkeit des Zuschauers zu rücken, aber ohne daß dies am fiktionalen Status des Dargestellten etwas änderte. 124 Frege, „Der Gedanke“, S. 347. 125 Ebd.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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Realismus. Es gibt kein „Mischungsverhältnis“ von „Gegebenem und Hinzugedachten“126, es gibt keine „Realitätsfragmente“127 in der Fiktion. Im fiktionalen Text ist Auerbachs Keller nicht realer als Mephisto und Faust; sie sind sich hinsichtlich ihrer Wirklichkeit oder Unwirklichkeit gleich. Aus kantischer Perspektive ist es eine naiv-realistische Sicht, daß Realität in „die Darstellung fiktionaler Texte eingehen“128 soll, weil Realität nichts Vorfindbares ist und somit auch nicht in einen Text übergehen kann. Von einer erkenntniskritischen Warte aus ist Wirklichkeit keine „Gegebenheit“129, sondern immer Ergebnis einer Leistung mit kontingentem Ausgang. Das Subjekt hat sich nach Kant fremde Wirklichkeit immer erst zu erarbeiten, d.h. aus Sinnesdaten heraus zu erformen und als wirklich hinzustellen. Ihm steht somit auch keine Wirklichkeit zur Verfügung, die es einfach in Fiktion übernehmen könnte. Für den Inhalt von Fiktion als solchen macht es keinen Unterschied, ob er erfolgreich als wirklich hingestellt werden kann oder nicht. Das ist in der Tat so unerheblich, daß man sich ein Werk der Fiktion vorstellen kann, mit dessen Inhalten ohne jede Ausnahme erfolgreich Außenwelt erzielt werden könnte. Es ist schließlich denkbar, daß ein Autor eine von ihm oder jemand anderem real erlebte Geschichte Wort für Wort in Literatur überführt; ja es könnte sein, daß die Schilderung einem Brief entnommen wird, der eigentlich zu Zwecken der Kommunikation verfaßt wurde. Um es allererst zu etwas Fiktivem zu machen, bedarf es keiner Änderung am Inhalt; es wäre verwunderlich, müßte der Autor in die Geschichte frei erfundene Inhalte einfügen, damit diese allererst den Status eines literarischen Texts erhielte. Etwas hinzuerfinden müssen Autoren nur, um den inhaltlichen Ansprüchen an Literatur zu genügen. Wenn also die Leistung des Schöpfers eines Werks der Fiktion nicht im Imaginieren eines Kontrafaktischen bestehen muß, dann kann sie offenbar allein in einer Formung bestehen: Etwas, das auch Inhalt einer Behauptung sein könnte, erhält die Form von Fiktion.130 Dieses rein Formale, wodurch etwas zum Inhalt von Fiktion wird, ist dann allerdings der objektiven Seite zuzuschreiben, also der Seite der Darstellung. Denn die Möglichkeit, daß der Rezipient eine Fiktion als Behauptung oder eine Behauptung als Fiktion verfehlen kann, setzt voraus, daß
___________ 126 127 128 129 130
Vgl. Iser, Das Imaginäre und das Fiktive, S. 18 Ebd., S. 37. Ebd., S. 20. Ebd. Bei einem Roman wie Die Verteidigung der Kindheit von Martin Walser könnte jeder einzelne Satz (von Walser Perspektive in der dritten Person einmal abgesehen) den wirklichen Tagebüchern des wirklich existiert habenden Vorbilds für den Protagonisten wörtlich entnommen worden sein, und es wäre dennoch, weil dies für den Leser irrelevant ist, Fiktion. In einem solchen Fall besteht die Leistung des Autors also allein in der Auswahl der Inhalte und der damit verbundenen Formung.
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der fragliche Unterschied im Gegenstand liegt. Weil formaler und nichtempirischer Natur, kann dem Gegenstand sein fiktionaler oder behauptender Charakter immer nur unterstellt werden, was aber an der Objektivität dieses Unterschieds nichts ändert – der Gegenstand ist ein Fall von Fiktion oder Behauptung.131 Ob es sich beim Gegenstand um einen Fall von Fiktion oder Behauptung handelt, entscheidet sich übrigens nicht am Dargestelltsein von etwas allein – dann wären alle Bilder Fälle von Fiktion. Ruhende und sich bewegende Bilder gibt es auch außerhalb von Fiktion, wie etwa in Form von Bildern in Zeitungen oder Dokumentarfilmen. Was man darin jeweils sieht, stellt man in der Regel als wirklich hin; zwar nicht im Sinn von „hier und jetzt“, wohl aber im Sinn von „dort und zu jener Zeit“, und deshalb sind ihre Gegenstände auch nicht fiktiv.132 Es wäre aber falsch, daraus zu folgern, daß ein Als-wirklich-Hinstellen im Zusammenhang mit Bildern fiktiver Gegenstände völlig unterbliebe. Wäre das so, dürfte es im Zusammenhang mit Bildern von fiktiven Gegenständen keinerlei Irrtumsmöglichkeit geben. Die gibt es aber: Auch im Rahmen eines Films, der eine fiktive Geschichte erzählt, kann etwas mißverstanden werden; das wäre also ein Irrtum bezüglich des dargestellten
___________ 131 Auch nach Iser trifft Fiktion „keine Aussagen über das, was ist“ (Das Fiktive und das Imaginäre, S. 400 Anm.), also auch nicht mit jenen ihrer Inhalte, die nach seinem Verständnis „real“ sein sollen. Damit fragt sich, was mit der Kennzeichnung von „Realität“ im Text ausgerichtet wird. Der Unterschied zwischen „realen“ (d.h. mit Erfolgsaussicht behauptbaren) und frei erfundenen Inhalten, auf den Iser aufmerksam macht, ist natürlich sinnvoll, aber gerade rezeptionsästhetisch nur in Ausnahmefällen von Belang (dann nämlich, wenn Imaginiertes gegen Weltwissen verstößt, was in einigen Genres irritieren kann, aber nicht immer irritieren muß). Ihre eigentliche Berechtigung hat die genannte Unterscheidung in bezug auf die theoretische bzw. wissenschaftliche Einstellung zum Text, denn für das theoretische Verständnis des Textes ist es durchaus wichtig, woher seine Gehalte stammen. Gemeint ist dann aber nur der Unterschied zwischen solchen Gehalten, die in Form einer Behauptung zu Wirklichkeit führen würden und solchen, mit denen nur Mißerfolg erzielt werden könnte. So kann es für den Literaturwissenschaftler, der Aufschlüsse über den Text gewinnen will, sinnvoll sein nachzuprüfen, ob mit dem Satz „Im Dezember 1932 war es in New York ungewöhnlich warm“ (Uwe Johnson, Jahrestage I, S. 181) erfolgreich Wirklichkeit behauptet werden kann oder nicht. Solchen Inhalten von Literatur auf außertextuelle Weise auf die Spur zu kommen, kann aus wissenschaftlicher Perspektive bedeutsam sein; insbesondere deshalb, weil Literatur immer auch als Dokument bestimmter Subjekte und ihrer Zeit betrachtbar ist (manche Literatur mag eine solche Perspektive sogar einfordern). Den Text als Text und die ästhetische Einstellung auf ihn betreffen sie aber nicht, weil er als literarischer Text auch nur aus „realen“ Inhalten im Sinn Isers bestehen kann, ohne deswegen den Charakter des Fiktiven zu verlieren. 132 „Noch das unbewegteste Photo ist darin Illusion, daß es eine Präsenz evoziert, die bereits vergangen ist“, betont Koch in „Filmische Welten“, S. 165. Es gehört also zum Bild, daß es eine Anschauung für etwas hervorruft, das nicht hier und jetzt als wirklich hinzustellen ist. Daß bei Bildern, die sich als solche zu erkennen geben und die mich nicht dazu veranlassen, etwas nicht Wirkliches als wirklich hinzustellen, von „Illusion“ gesprochen werden kann, ist fraglich.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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Inhalts (nicht bezüglich der Wirklichkeit des dargestellten Gegenstands). Das bedeutet, daß im Rahmen der Rezeption von fiktiven Gegenständen über diese Gegenstände Urteile gefällt werden, aber nicht in bezug auf ihre Wirklichkeit, sondern ihre Dargestelltheit. Das gilt bei Bildern von fiktiven Gegenständen und nichtfiktiven Gegenständen gleichermaßen. Denn zum Beispiel bei einem Bild in der Zeitung kann man sich nicht nur darüber täuschen, daß es den dargestellten Gegenstand tatsächlich gibt (das dargestellte Ereignis mag nie stattgefunden haben, das Bild also Produkt von Manipulation sein), sondern auch darüber, was das Bild eigentlich darstellen soll. Aber nicht nur das: Sogar über den Bild-Status von etwas kann man sich täuschen, und etwas, das eigentlich Bild sein soll, für wirklich halten, wie etwa einen porträtierten für einen anwesenden Menschen. Alle diese Irrtumsmöglichkeiten betreffen nicht das im Bild Dargestellte, sondern die Wirklichkeit des Bilds.133 Auch das Bild wird also als wirklich hingestellt, und das muß heißen, mindestens zu urteilen, daß ein anderes Subjekt (oder mehrere andere Subjekte) dies oder jenes im Bild dargestellt haben (wie immer das auch zu verstehen ist).134 Bei der Wahrnehmung von Bildern besteht also Erkenntniserfolg bzw. -mißerfolg bezüglich des anderen Subjekts bzw. dessen Intentionen. Das Spezifische des Bewußtseins von Fiktion besteht somit darin, daß nur die Wirklichkeit des Bilds bzw. des darstellenden Subjekts behauptet wird und nicht auch noch die Wirklichkeit des dargestellten Objekts. So gefaßt, ist das Phänomen der Fiktion aber immer noch breiter als das der Kunst. Es gibt zahlreiche Beispiele für nichtkünstlerische Bilder, die genau diese Bedingung erfüllen. Der Alltag ist geradezu voll von Bildern, bei denen das Dargestellte nicht als wirklich hingestellt wird: Darstellungen auf Werbetafeln, Abbildungen auf Verkehrsschildern, Piktogramme, des weiteren Skizzen und Entwürfe für Häuser oder Maschinen oder Abbildungen in Gebrauchsanleitungen, aus dem Bereich bewegter Bilder außerdem Demonstrationsfilme oder gespielte Dialoge wie z.B. in audiovisuellen Sprachkursen – sie alle erfüllen die geschilderte Bedingung. Hinsichtlich der Fiktionalität des Dargestellten fehlt solchen Beispielen im Vergleich zum künstlerischen Bild nichts. Die Darstellung von etwas Fiktivem, ob bewegt oder nicht, ist nicht immer ein Kunstwerk oder Teil eines
___________ 133 Vgl. Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 112 und 115. 134 Fiktionsbewußtsein ist also intentionalitätstheoretisch nicht so zu konstruieren, daß das Subjekt jegliches Als-wirklich-Hinstellen unterließe und damit die Urteilsstruktur aufgäbe zugunsten eines Sonderwegs ohne jedes Intendieren von Außenwelt. Die Besonderheit von Fiktionsbewußtsein besteht nicht darin, daß dergleichen wie eine Behauptung generell unterbliebe, sondern nur darin, daß das Vergegenständlichte nicht auch behauptet wird. Als wirklich hingestellt wird sehr wohl etwas, aber etwas anderes, nämlich daß das Vorgestellte von einem anderen Subjekt dargestellt wurde, also ein anderes Subjekt.
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solchen, sondern kann auch als Entwurf oder Simulation135 einer Situation bzw. eines noch zu verwirklichenden Objekts auftreten. In allen solchen Zusammenhängen steht außer Frage, daß die Darstellung von Gegenständen, die nicht als wirklich hinzustellen sind, den Charakter eines Mittels besitzt.136 Auch durch solche Bilder, durch die man sich etwas nicht Wirkliches bzw. eine fiktive Wirklichkeit vorzustellen hat, sind oft Mittel im Rahmen von Praxis, also in Hinblick auf die Verwirklichung einer so oder anders bestimmten Wirklichkeit. Bilder sind hier Hilfsmittel bzw. Teil von Kommunikation, in der es allein um noch zu Verwirklichendes geht und in der nichts als wirklich hingestellt wird.137 Der Mittelcharakter solcher Fiktion bedeutet, daß ihr Wert sich allein in Hinblick auf einen Zweck bemißt: Das Verkehrsschild ist dazu da, den Verkehrsteilnehmer auf eine Regel oder eine Gefahr aufmerksam zu machen; die von Ingenieuren simulierte Wirklichkeit dient nur dem Zweck, durch sie zu einem wirklichen Objekt zu kommen, das diese oder jene Anforderung erfüllt; der Filmdialog im Sprachkurs soll helfen, dem Lernenden ein bestimmtes kommunikatives Verhalten beizubringen. Fiktion steht in solchen Kontexten im Dienst eines Zwecks, sie ist Teil einer Bemühung, die scheitern oder Erfolg haben kann, und ob das eine oder andere eintritt, läßt sich für die Beteiligten in aller Regel eindeutig ermitteln. Zur Ermittlung der Besonderheit von Kunst bietet Kant das Kriterium der Nichtpraktizität an.138 Nur in der Selbstzweckhaftigkeit der
___________ 135 Diesen Begriff, der doch eigentlich gut geeignet ist, um Kunst von nichtkünstlerischer Fiktion zu unterscheiden, macht Wellershoff für die Anwendung auf die Literatur stark („Fiktion und Praxis“, S. 21f). Was er nicht liefert, ist die Differenz zwischen Simulation in praktischer Hinsicht und „literarischer“ Simulation. Denn was Wellershoff über letztere sagt, gilt für erstere auch: Literatur sei „ein fiktives Handeln“, in dem man „Routinen überschreitet, ohne ein wirkliches Risiko einzugehen“ (ebd., S. 22). 136 Der Unterschied zu sprachlichen Zeichen besteht offenbar allein darin, daß diese mittels arbiträrer Vereinbarung Begriffe mitteilen, zu denen der Rezipient die passende Anschauung aus seinem Erinnerungsschatz beizusteuern hat, während Bilder Anschauung liefern, zu denen der Rezipient den passenden Begriff hervorzuholen hat. Das Bild ist nichts anderes als das Bewirken von Anschauung im anderen Subjekt, also von etwas Mentalem, und es ist nicht zu sehen, wo hier eine Relation der Ähnlichkeit zu finden sein soll. Dasjenige Ding, an das ein Bild materialiter gebunden ist, und das die Aufgabe hat, die Anschauung zu verursachen, hat mit dem Dargestellten keine Ähnlichkeit. 137 Die Beispiele für nichtkünstlerische Fiktion ähneln damit solchen sprachlichen Äußerungen, die nichts als wirklich hinstellen und entsprechend gekennzeichnet sind, wie etwa Imperativ und Frage. 138 Weil kein geeigneteres Kriterium in Sicht ist, erweist sich die Autonomie der Kunst als Voraussetzung für ihre Abgrenzbarkeit von anderen Gegenständen – ähnlich wie das Spiel nur als freies von Praxis unterschieden werden konnte (siehe oben, S. 122ff.). Dieses Kriterium anzufechten, ist freilich möglich, hätte aber Konsequenzen im Sprechen über diese Dinge.
C. Ästhetisches Verwirklichungsbewußtsein
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Fiktion kann demnach das Besondere der Kunst liegen:139 Nur dadurch, daß das Vorstellen nichtwirklicher Gegenstände nicht im Dienste eines zu erreichenden Zwecks steht, sondern um seiner selbst willen betrieben wird, gewinnt dieser Akt den spezifischen Charakter des Kunstvollzugs. Das Vorstellen einer fiktiven Wirklichkeit ist im Rahmen der Kunstrezeption eine Erkenntnistätigkeit, die es nicht letztlich auf diesen oder jenen Gegenstand abgesehen hat, sondern der es allein um ihr Tätigsein selbst geht. Fiktion als Kunst ist Teil einer Erkenntnistätigkeit, die spielerisch vollzogen wird.140 Mit dem Spielbegriff ließe sich also die künstlerische Fiktionalität von einer noch diesseits des Künstlerischen angesiedelten Fiktionalität abgrenzen bzw. als Überformung einer solchen kunstneutralen Fiktionalität begreifen. Im Kontext von Kunst sind Bilder, die im Normalfall Anschauung liefern als Mittel für etwas – sei es intersubjektive Verständigung oder Simulation von herzustellender Wirklichkeit – Material für eine sinnlicherkennende Auseinandersetzung, in der sich das ästhetisch eingestellte Subjekt aufhalten kann. So werden Bilder zum „reichen Stoff“141 für eine anhaltende Tätigkeit der Erkenntniskräfte, die sich nicht weniger intensiv mit der fiktiven Wirklichkeit auseinandersetzen, als stehe hinter dieser Tätigkeit ein theoretisch-praktisches oder ein intersubjektives Anliegen. Darin, daß es ein solches aber nicht gibt, besteht das Spielhafte und damit das Als-ob der Kunst, und nicht in der Fiktionalität ihrer Inhalte. Damit das Material des künstlerischen Bildes das ästhetisch eingestellte Subjekt in diese Tätigkeit zu verwickeln und in ihr zu halten vermag, muß es in sich Bezüge enthalten, die die erkennende Tätigkeit lohnend machen, d.h. es muß genauso sehr eine Bewandtnisganzheit bilden, wie es die Zeichenwelt des Alltags tut.142 Während es aber der Kommunikation des Alltags um eine Ökonomie der semantischen Bezüge zu tun sein muß, weil im Alltag die theoretisch-praktische Verständigung kein Selbstzweck ist, darf bzw. muß die Kunst verschwenderisch im Herstellen von Bewandtniszusammenhängen verfahren. Während im theoretisch-praktischen Kontext Vieldeutigkeit zu vermeiden ist, ist sie in der Kunst geradezu er-
___________ 139 Vgl. Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 106f. 140 Iser, der das Phänomen der Fiktion auf den Bereich der Kunst beschränkt, denkt dabei allerdings einen spielerischen Aspekt mit (Das Fiktive und das Imaginäre, S. 377ff.). 141 KU, S. 186. 142 Einen Sonderstatus genießt in diesem Zusammenhang offenbar die Musik, denn sie scheint für Zwecke der Kommunikation nicht einsetzbar zu sein. In der KU argumentiert Kant allerdings dafür, daß die Musik zwar nicht als Sprache, aber wie eine Sprache funktioniert, weil ihr Material, die Töne, auf die Bestimmbarkeit von Unterschieden, auf „begreifliche Unterschiede“ hin ausgelegt ist, durch die sich eine „verständliche Sprache der Empfindungen“, durch die Affekte diesseits von Begriffen mitgeteilt werden können, ergibt (vgl. KU, 211ff.; 219).
178 Teil II: Die Praktizität von Erkenntnis und die Abgrenzung der ästhetischen Einstellung
wünscht. Denn genau wie im Spiel, dem es um das Bereitstellen von reichhaltigem Material für Praxis geht, geht es auch in der Kunst darum, dem Subjekt Material zu schenken, an dessen Verarbeitung es sich verausgaben kann.143 Die Analogie zum Spiel erklärt, warum im Rahmen von Kunst Formen auftreten, die aus theoretisch-praktischer Perspektive wie schikanöse Aufgaben für die Erkenntniskräfte aussehen, wie etwa die Reimform im Gedicht. Eine weitere Konsequenz dieser Analogie ist, daß die Vieldeutigkeit im Kunstwerk nicht als Beleg dafür zu nehmen ist, daß seine Rezeption ohne Bestimmung und Verwendung von Begriffen abliefe. Denn da der Unterschied zwischen der ästhetischen Einstellung und der theoretisch-praktischen analog zu dem zwischen Spiel und Praxis rein formaler Natur sein soll, könnte die Erkenntnistätigkeit, wie sie im Vollzug von Kunstrezeption statt hat, genau so auch im Rahmen von alltäglicher Theorie ablaufen. Nicht also die Frage, was geschieht, sondern nur, mit welcher Motivation es geschieht, kann zur Bestimmung des ästhetischen Objektbezugs von Bedeutung sein. Genau so wenig, wie beim Spiel auf das Intendieren von Zwecken verzichtet wird, kann es bei Kunstwerken darum gehen, sich ohne die Verwendung von Begriffen mit ihnen zu befassen. Und alles andere wäre mit Blick auf die Wirklichkeit des Kunstvollzugs, wie sie jeder Leser, Theater- oder Museumsbesucher von sich selbst kennt, auch nicht plausibel. Genauso wenig wie im Rahmen von Spiel etwa unvollständige Intentionen auftreten, erfolgt dies im Rahmen der ästhetischen Einstellung. Der Spielbegriff kann also im Bereich der Kunst dazu dienen, den Unterschied zwischen Fiktion im alltäglichen und künstlerischen Sinn zu verdeutlichen.
___________ 143 Dieses Material ist um so geeigneter, desto größer der Bereich des durch es Erdeutbaren. Der Inhalt kann dennoch existentiell sein, und er kann auch andere Subjekte als Reflektierende beschäftigen, indem das „Welt- und Selbstverhältnis der Rezipienten ins Spiel kommt“ (Wellmer, „Das musikalische Kunstwerk“, S. 172). Auf eine „Arabesken-Ästhetik“, wie der Vorwurf seit Schiller (Brief an Körner vom 25. Januar 1793) lautet, läuft das nicht zwangsläufig hinaus.
Teil III: Das Spiel und die Schönheit A. Schönheit als Problem innerhalb Kants Konzeption 1. Der Spielbegriff bei Kant, noch einmal betrachtet Um mit dem Gebrauch des Spielbegriffs in der Ästhetik Ernst machen zu können, war ein Ausflug in Handlungstheorie nötig: Nur weil mit dem Begriff der Intentionalität eine gemeinsame Gattung für Erkenntnis und Handeln bzw. Spiel und ästhetische Einstellung gefunden werden konnte, erwies sich der Spielbegriff in der Ästhetik als mehr denn nur ein leeres Bild. Wäre das Betrachten oder Zuhören als solches schon dem interessierten Verwirklichen entgegengesetzt, könnte ein „Spiel der Erkenntniskräfte“ nur als Metapher verstanden werden, in der das Entscheidende zu vernachlässigen wäre. Der Aspekt der Nichtpraktizität, der dem Spiel so wesentlich ist, wäre im Kontext der Erkenntniskräfte nämlich trivial oder überflüssig, weil diese grundsätzlich außerhalb von Praxis stünden, also des Bildes eines nichtpraktischen Tätigwerdens gar nicht bedürften. Da aber selbst Beispiele für „bloßes Schauen“ oder „bloßes Betrachten“ als Fälle von Praxis, nämlich als interessiertes Verwirklichungsbewußtsein zu deuten sind, kann verständlich werden, was es heißt, ein Ding bzw. einen Vorgang „uninteressiert“ im Sinn von „spielerisch“ anzuschauen bzw. zu verfolgen. Der Rückgriff auf den Begriff des Spiels ist in der Ästhetik also deshalb informativ, weil es zur spielerischen Erkenntniseinstellung auch einen entsprechenden interessierten Ernst gibt, und die Abgrenzung zwischen Erkennen und ästhetischer Einstellung ist deshalb genau parallel zu der zwischen Handeln und Spiel zu vollziehen. Bei der ästhetischen Einstellung handelt es sich den Überlegungen des letzten Kapitels zufolge um ein unterlassendes, nichtpraktisches Verwirklichungsbewußtsein, das sich zum Spiel verhält wie theoretisches (aber interessiertes und damit praktisches) Verwirklichungsbewußtsein zum Handeln. Die Auseinandersetzung mit Kants Text hätte aber nicht zwingend zu dem Entschluß führen müssen, den Spielbegriff ins Zentrum der ästhetischen Fragestellung zu rücken. Am Text der KU hatte sich gezeigt, daß die Stellung des Spielbegriffs in Kants Konzeption alles andere als unangefochten ist. Wo Kant sich der Spielbegrifflichkeit bedient, läuft seine Konzeption in eine ganz andere Richtung als die, die er mit der Termino-
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Teil III: Das Spiel und die Schönheit
logie der „formalen Zweckmäßigkeit“ einschlägt. Und obwohl die Spielbegrifflichkeit offensichtlich besser geeignet ist, das Kriterium der Interesselosigkeit vom Anfang der AS einzulösen, kann keine Rede davon sein, daß Kant die Konzeption der „formalen Zweckmäßigkeit“ zugunsten der Spielbegrifflichkeit aufgäbe. Wenn nun im folgenden noch einmal die Fäden des ersten Kapitels aufgenommen werden sollen, dann mit der Intention, den Geltungsbereich des Spielbegriffs kritisch zu hinterfragen. Ob die mit dem Spiel in Verbindung stehende Begrifflichkeit den Problembereich, der Kant vor Augen steht, umfassend charakterisiert, ist eine Frage, die im ersten Kapitel nicht gestellt wurde und nun nachzuholen ist. Angesichts der Heterogenität der dort zutage getretenen Ansätze dürfte es jedenfalls nicht verwundern, wenn sich zeigte, daß mit dem Spielbegriff nur ein Teilbereich dessen, was Kant im Kontext von Ästhetik als erklärungsbedürftig ansah, abgedeckt wäre. Geradezu prädestiniert für die Analogiebildung zwischen der ästhetischen Einstellung und dem Spiel ist jedenfalls der Bereich der Kunst. Es hatte sich hinsichtlich der Spielbegrifflichkeit in der KU gezeigt, daß die Vorstellung einer spielerischen und vom Zwang der ernsten Praxis entbundenen Erkenntnistätigkeit besonders stark verankert und zugleich besonders verständlich ist in jenen Partien, die sich ausschließlich mit dem Kunstschönen beschäftigen. Dort macht Kant den Zusammenhang zwischen ästhetischem Wohlgefallen und dem Spiel dadurch deutlich, daß er aufzeigt, wie zentral für diese Lust das Andauern der Tätigkeit der Erkenntniskräfte ist, und daß es Leistung des Kunstschönen sein muß, der fortdauernden Erkenntnistätigkeit eine nachhaltige Motivation durch Bereitstellen von reichhaltigem Material zu verschaffen. Das Verhältnis des Subjekts zum Kunstobjekt beschreibt Kant als „unterhaltendes Spiel“ (217) bzw. „Spiel, welches sich von selbst erhält“ (192), und das „reichen Stoff“ (186) voraussetzt. Dieser Gedanke läßt sich auch auf das Naturschöne übertragen. Das ist in der für die Spielbegrifflichkeit so wichtigen „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ deutlich geworden, wo Kant einer mit Formen sparsam ausgestatteten Natur die Eignung für eine anhaltende ästhetische Beschäftigung abspricht und sie als Gegenstand eines spezifisch ästhetischen Mißfallens – der Langeweile – deklariert. Zum Gegenstand eines ästhetischen Wohlgefallens qualifiziert sich die Natur dementsprechend durch Formenreichtum und Abwechslung, also dadurch, daß dem Subjekt die Gelegenheit gegeben wird, sich bei der Orientierung in ihr mit ihr aufzuhalten. Es ist der Spielbegriff, durch den sich erklären läßt, warum gerade eine „an Mannigfaltigkeiten bis zur Üppigkeit verschwenderische Natur“ (72) ein ästhetisches Wohlgefallen hervorruft, warum die „gemeinsten Blumen“ (248), „Muschelschalen“ (163), „der
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Papagei, der Kolibri, der Paradiesvogel“ (49) durch das Prädikat „schön“ ausgezeichnet werden. Der Grund dafür ist, daß eine „an Mannigfaltigkeit bis zur Üppigkeit verschwenderische Natur“ gewissermaßen durch Überschuß an Form der Erkenntnistätigkeit „Nahrung geben“ (72) und dadurch ein Spiel der Vorstellungskräfte ermöglichen kann. Aber zu fragen ist, ob alle Verwendungsweisen des Prädikats „schön“ sich auf solche Weise erläutern lassen; ja eigentlich sogar, ob überhaupt irgendeine. Um die Berechtigung dieser Frage zu verdeutlichen, sei noch einmal zur „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ zurückgekehrt. Dieser Abschnitt war für das gerade skizzierte Verständnis von Schönheit von herausragender Bedeutung, weil er wie kein anderer der AS die Motivation für den Spielbegriff deutlich werden ließ. Verständlich wird diese Motivation nur im Zusammenhang mit der Zurückweisung geometrischer Regelmäßigkeit als Beispiel für Schönheit. Und genau hier drängt sich ein Einspruch auf: Daß sich das Prädikat „schön“ in bezug auf eine regelmäßig strukturierte Natur verbietet, ist nicht so klar, wie Kant es hinstellt. Schließlich hat Kant selbst an anderer Stelle regelmäßige Formen als Fälle von Schönheit angeführt, wie etwa ein „Amphitheater im Walde“, das schön sei, „weil es kunst zu seyn scheint“ (Bd. 25, S. 1510), also Artefakt zu sein scheint – und das kann es nur aufgrund seiner Regelmäßigkeit.1 In seinen Vorlesungen schließt Kant Schönheit bei regelmäßigen und symmetrischen Formen nicht nur nicht aus, sondern führt erstere auf letztere an mehreren Stellen zurück.2 Im Alltagsgebrauch des Prädikats „schön“ werden nicht selten regelmäßig geformte Objekte – wie etwa die an einer Stelle von Kant als Beispiel angeführten rechtwinkligen Wände und Türen3 im Gegensatz zu solchen Gegenständen mit „schiefen Winkeln“ – positiv hervorgehoben. Kants Überlegungen in der „Allgemeinen Anmerkung“ zielen aber darauf ab, solchen Sprachgebrauch anzufechten. Kant gesteht dort wohl zu, daß eine symmetrische Gestalt gegenüber einer „ungleichseitigen, gleichsam verkrüppelten“ (70) ein gewisses Wohlgefallen verdiene, streitet diesem Wohlgefallen aber den ästhetisch-interesselosen Charakter und damit auch die Rechtmäßigkeit einer Auszeichnung durch „schön“ ab. Es spricht nicht für seine Theorie, wenn sie selbst ihn dazu zwingt, eigene, frühere Beispiele für Schönheit zurückzuziehen. Und weil es gängigste Verwendungsweisen des Prädikats sind, die Kant somit auf einmal als illegitim abtun will, übernimmt er eine nicht unerhebliche Beweislast.
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Vgl. Anthropologie Busolt (Bd. 25, S. 1510; datiert 1788/89). Vgl. auch §15, 46. Bd. 24, S. 140 und S. 356; Bd. 25, S. 181; Bd. 25, S. 1097. Bd. 25, S. 1097.
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Daß es ihm in den genannten Zusammenhängen gleich darum gehen müßte, die Berechtigung der beschriebenen Verwendungsweisen von „schön“ zu bestreiten, könnte allerdings als nicht zwingend erscheinen. Nimmt Kant doch im §16 eine Unterscheidung vor, die es gestattet, einer bestimmten Verwendung des Prädikats einen eingeschränkten, deswegen aber nicht auch schon falschen Sinn von Schönheit beizulegen. Gemeint ist die wichtige Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit, von der im folgenden allerdings gezeigt werden soll, daß sie zunächst einmal mehr Zweifel an der Konzeption Kants aufwirft, als sie zu beseitigen vermag. Die folgenden Überlegungen zum Begriff der Schönheit erfolgen aus der Perspektive des Spielbegriffs. Erwogen werden soll, daß vom Begriff des Spiels aus ein Verständnis des Phänomens der Schönheit, das Kants Problembewußtsein gerecht werden könnte, vielleicht gar nicht zu gewinnen ist. 2. „Anhängende Schönheit“ als unreine Schönheit Im §16 will Kant zeigen, daß „das Geschmacksurteil, wodurch ein Gegenstand unter der Bedingung eines bestimmten Begriffs für schön erklärt wird, [...] nicht rein“ (48) sei. Der Rückgriff auf das Bild der Unreinheit zur Erklärung des genannten Sinns von Schönheit beinhaltet zweierlei: Einerseits wird dadurch das eine dem anderen zwar nachgeordnet – fraglicher Sinn von Schönheit ist nur eine „bedingte“ (49) und damit gegenüber der „unbedingten“ in irgendeiner Weise herabgesetzte, oder wie Kant sagt, eine in ihrer Freiheit „eingeschränkte“ (50) Schönheit. Auf der anderen Seite aber rettet die Redeweise von „Unreinheit“ die Berechtigung der Verwendung des Ausdrucks „schön“. Ein unreiner Gebrauch ist nämlich nicht etwa ein fehlerhafter, sondern genießt eine gewisse Legitimität. Daß es hier um zwei Arten von Schönheit, also eine Differenzierung nach Gattung/Art-Verhältnis geht, ist aber aus zwei Gründen unplausibel. Erstens sind die Arten einer Gattung, was ihre Semantik angeht, gleichberechtigt. Zu sagen, daß eine Art mehr als die andere den Gattungssinn in sich enthalte, erscheint als unangemessene Quantifizierung desselben. Zweitens erfüllt Kant im §16 von den Bedingungen, die für eine Unterscheidung nach Gattung/Art gefordert sind, nur die eine Hälfte: Er benennt zwar die differentia specifica zwischen freier und anhängender
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Schönheit („erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll“ [49]), nirgends aber die Gemeinsamkeit.4 Die Unterscheidung zwischen dem „reinen“ und „unreinen“ Gebrauch eines Prädikats scheint deshalb gar nicht auf eine Differenzierung nach dem Art/Gattungsverhältnis hinauszulaufen, sondern darauf, daß es eine Verwendungsweise des Prädikats „schön“ gibt, in welcher sein eigentlicher Sinn mit etwas anderem vermengt auftritt. Für die Berechtigung dieser uneigentlichen Verwendungsweise wäre demnach nicht allein die Schönheit von etwas ausreichend, sondern es hätte im Verbund mit ihr immer auch etwas anderes vorzuliegen. Das wäre dann ein uneigentlicher Gebrauch des Prädikats deshalb, weil sein eigentlicher Sinn eine komplexere Tiefenstruktur hätte, als seine Oberfläche zu erkennen gäbe. Es wäre hier also mehr gemeint, als gesagt wird, denn eine Sache im fraglichen Sinn „schön“ zu nennen, würde heißen, ihr nicht nur Schönheit, sondern auch noch etwas anderes zuzuschreiben. Die Berechtigung für die Bezeichnung einer Sache als „schön“ wäre damit freilich nicht in Frage gestellt, denn wäre sie nicht schön, würde sie dieses Prädikat ja nicht verdienen. Was dieses Zusätzliche für die Verwendung des Prädikats „schön“ in diesem uneigentlichen Sinn sein könnte, das Kant im Titel als die „Bedingung eines Begriffs“ beschreibt, geht aus dem Haupttext des §16 schnell hervor. Während „in der Beurteilung einer freien Schönheit [...] kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekt dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt“ (49f.) wird, setzt die Beurteilung der anhängenden Schönheit „einen Begriff vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll, mithin einen Begriff seiner Vollkommenheit“ (50). Das Zusätzliche, das mit dem Tatbestand der Schönheit vermengt auftritt und sie zu einer bloß „anhängenden“ Schönheit macht, ist also das Phänomen der Vollkommenheit – und somit ausgerechnet dasjenige, was Kant im vorhergehenden §15 dem
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Dieser Einwand wurde in die angelsächsische Debatte von Lorand („Free and Dependent Beauty“, S. 32) eingebracht, ist aber in der Literatur schon oft geäußert worden, etwa von Pareyson (L’Estetica di Kant, S. 137) oder Derrida (Die Wahrheit in der Malerei, S. 123). Der Sache nach handelt es sich hier um eine berechtigte Kritik, weil die von Kant genannte differentia specifica dem Prinzip des Schönen, wie er es bis hierhin bestimmt hat, zu widersprechen scheint. An einer zentralen Stellen der AS, wo Kant für die Interesselosigkeit und Begrifflosigkeit des Geschmacksurteils argumentiert, führt er ausschließlich Beispiele an, die der „freien Schönheit“ des §16 entsprechen: „Blumen, freie Zeichnungen, ohne Absicht ineinander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, hängen von keinem bestimmten Begriffe ab und gefallen doch“ (10f.). Da die anhängende Schönheit dieses Kriterium offenbar nicht erfüllt, scheint sie durch Kants Versuche der Abgrenzung des Schönen vom Guten bzw. vom Angenehmen nicht gedeckt. Er hätte also erst zu begründen, daß es einen gemeinsamen Gattungssinn von Schönheit tatsächlich gibt.
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Schönen entgegengesetzt hat. Es scheint fraglich, daß das Nichtästhetische der Vollkommenheit mit Schönheit vereinbar sein kann. Wie aber das Bild der Unreinheit nahelegt, ist die Vereinbarkeit von beidem einigermaßen problemlos denkbar. Soll anhängende Schönheit unreine Schönheit sein, dann ist das Verhältnis zu dem, womit vermengt sie auftritt, natürlich ein äußerliches5 (wie etwa verunreinigtes Gold zu dem, womit es verunreinigt wurde, ein Anderes ist). Die Nichtästhetizität dieses anderen Prinzips wäre somit kein Hindernis, es mit Schönheit zusammenzudenken: Anhängende Schönheit wiese das eine neben dem anderen auf, also Schönheit neben Vollkommenheit, wobei das eine jeweils genausogut auch ohne das andere auftreten könnte und keines das andere implizierte. Soll aber verständlich werden, daß im Fall anhängender Schönheit so etwas wie ein Schönheitsprinzip zusammen mit einem Vollkommenheitsprinzip aufzutreten hat, müssen sich die beiden Prinzipien jeweils unabhängig voneinander charakterisieren lassen. Durch den §16 und seinen Kontext wird aber nur verständlich, was unter letzterem zu verstehen ist. Das Prinzip der Vollkommenheit ist schließlich schon aus dem §15 bekannt; es handelt sich dabei um die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen einer Sache mit ihrem Begriff. Wie zu diesem Vollkommenheitsprinzip dergleichen wie ein Schönheitsprinzip hinzukommen kann, bleibt offen. Soll Schönheit im beschriebenen Fall zu Vollkommenheit hinzutreten, muß sie konsequenterweise genau dasjenige sein, was im Sinn freier Schönheit isoliert vorliegt.6 Es ist gar nicht so abwegig, in diesem Zusammenhang auf Kants Theorie von „Parerga“ aus dem §14 zu verweisen,7 obwohl es sich bei diesem Phänomen um eigenständige Dinge handelt: Was man Zieraten (Parerga) nennt, d.i. dasjenige, was nicht in die ganze Vorstellung des Gegenstandes als Bestandstück innerlich, sondern nur äußerlich als Zutat gehört und das Wohlgefallen des Geschmacks vergrößert, tut dieses doch auch nur durch seine Form, wie Einfassungen der Gemälde oder Gewänder an Statuen, oder Säulengänge um Prachtgebäude (43).
Zierat als etwas Zufügbares ist in der Tat der ideale Kandidat für etwas, das einerseits „durch seine Form“ – d.h. im Vollsinn – schön ist, andererseits ein Objekt nicht in dem tangiert, was es seinem Begriff nach sein soll, denn Zierat widerspricht als solcher nicht der Bestimmung oder der Funktionalität eines Objekts. Für so zustande kommende Schönheit ist es zudem auch keine Zumutung, wenn der funktionale Aspekt den Vorrang
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Vgl. Harris, „Laubwerk auf Tapeten“, S. 91. Vgl. Budd, „Kant on Aesthetic Appreciation“, S. 10. Vgl. Gammon, „Parerga and Pulchritudo adhaerens“, S. 158ff und Allison, Kant’s Theory of Taste, S. 140f.
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genießt und dem ästhetischen klare Grenzen vorgibt. Und genau einen solchen Nachrang von Schönheit hinter Funktionalität, wie er im Fall von Zierat kein Problem darstellt, scheint Kant mit seiner „anhängenden Schönheit“ schon deren Namen nach zum Ausdruck bringen zu wollen. Um den Nachrang so verstandener Schönheit hinter der Funktionalität bzw. Vollkommenheit des Gegenstandes zu erläutern, ließe sich die folgende wichtige Stelle zitieren: Man würde vieles unmittelbar in der Anschauung Gefallende an einem Gebäude anbringen können, wenn es nur nicht eine Kirche sein sollte; eine Gestalt mit allerlei Schnörkeln und leichten, doch regelmäßigen Zügen, wie die Neuseeländer mit ihrem Tätowieren tun, verschönern können, wenn es nur nicht ein Mensch wäre; und dieser könnte viel feinere Züge und einen gefälligeren sanfteren Umriß der Gesichtsbildung haben, wenn er nur nicht einen Mann oder gar einen kriegerischen vorstellen sollte (50).
Für die Anwendbarkeit der Theorie von „Parerga“ auf das Phänomen der anhängenden Schönheit wäre freilich Voraussetzung, diese Theorie von äußerlich hinzufügbaren Dingen auszudehnen auf das Phänomen des Ornamentalen schlechthin. Denn „vieles unmittelbar in der Anschauung Gefallende“, und noch deutlicher die Tätowierung am Menschen, sind nicht als eigene Dinge zu verstehen, sondern als etwas in dem bereits vorliegenden Ding Aufgehendes, das dennoch auf ähnliche Weise zu ihm hinzukommt wie die Beispiele für „Parerga“ des §16. Für die Interpretation anhängender Schönheit im Sinn von Ornament bzw. Zierat spräche dann auch die Tatsache, daß es zwischen dem, was Kant im §14 als schmückenden Zierat bestimmt, Entsprechungen in der Liste der freien Schönheiten des §16 gibt. Zwischen dem „Laubwerk zu Einfassungen oder auf Papiertapeten“ des §16 und „Einfassungen der Gemälde“, die durch ihre Form schön sein sollen, ist kein wesentlicher Unterschied auszumachen, und das bedeutet, daß Kant noch unter einem weiteren Aspekt das Bild der Unreinheit dieser „anhängenden Schönheit“ einzulösen vermöchte. Denn dasjenige, was in ihrem Fall zum Objekt hinzukommt, wäre nichts anderes als die eigentliche, die freie Schönheit. Wird das im Zustand der Unreinheit Vermengte voneinander geschieden, darf das so Isolierte nicht von dem verschieden sein, was „rein“ genannt wird – und genau das hätte Kant mit seiner Theorie von anhängender Schönheit qua Ornament auch berücksichtigt. Er könnte somit von seiner Theorie behaupten, daß sie einen einheitlichen Sinn von Schönheit enthielte. Ein solcher Ansatz bietet trotz seiner theorieimmanenten Stringenz aber auch erhebliche Schwachstellen. Im Zusammenhang mit den Parerga des §14 muß nämlich auffallen, daß nach Kant durch den Zierat nicht etwas anderes schön wird; der Zierat selbst soll schön sein. Die Schönheit
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des Parergon geht auf dasjenige, an dem es auftritt, gar nicht über: Kant spricht zwar davon, daß die schöne Einfassung des Gemäldes das Wohlgefallen erhöhe, aber er sagt gerade nicht, daß dadurch das Bild selbst in irgendeiner Weise schön oder schöner würde. Genau das gilt von allem Ornamentalen, denn die Art und Weise, wie es zu einem Ding hinzutritt – wie etwa die Tätowierung zum Menschen oder die Verzierung zur Kirche –, ist diesbezüglich die gleiche. Daß das für Kant so ist, darf nicht verwundern, denn er begreift beispielsweise das „Laubwerk auf Papiertapeten“ als freie Schönheit, nicht also als etwas Dienendes, durch welches etwas anderes als es schön würde. Gerade nach Kant müßte präziser Sprachgebrauch darin bestehen, einen Tisch schön verziert oder ein Bild schön eingerahmt zu nennen – aufgrund solcher „Parerga“ aber noch nicht schön, und zwar gerade deshalb, weil er dem Ornament als freie Schönheit eine so hohe Stellung einräumt und es damit als eigenständige Entität begreift. Ferner könnte man bestreiten, daß nach Kant die Begrenztheit der anhängenden Schönheit durch den Begriff des Objekts mit dem Nachrang des Ornaments hinter Funktionalität zu vergleichen ist. Die Tätowierung am Menschen, die Verzierungen an der Kirche, die gefälligen Umrisse am Krieger sind ja nicht deswegen unpassend, weil sie der Funktion oder dem Zweck des jeweiligen Objekts im Wege stünden – dann nämlich wäre der Krieger im beschriebenen Fall zu schön, um ein guter Krieger zu sein. Das scheint aber nicht der Fall zu sein; die genannte Bedingung besteht offenbar dafür, daß der fragliche Mann ein schöner Krieger sein kann.8 Ähnliches gilt auch für die Tätowierung am Menschen und die Verzierungen an der Kirche: Sie machen ihre Gegenstände nicht etwa zu schön, um ihrem Zweck dienen zu können, sondern sie sind deren Schönheit abträglich. Die Unpassendheit solchen Ornaments ist vielleicht gar nicht dem Vorzug der Vollkommenheit über die Schönheit geschuldet, sondern einzig den Bedingungen, denen die Kirche oder der Mensch genügen müssen, um eine schöne Kirche oder ein schöner Mensch zu sein. Weil die Schönheit solcher Objekte mit dem zusammenhängt, als was sie bestimmt sind, kann sie nicht durch etwas Äußerliches (und damit auch nicht durch Ornamente) geleistet werden – das ist es, was diese Passage bei Kant eigentlich zeigt. Mit Blick auf Kants Beispiele für anhängende Schönheiten müßte sich die Frage stellen, ob „die Schönheit eines Menschen (und unter dieser Art
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Scarre („Kant on Free and Dependent Beauty“) mißversteht hier Kant: Er interpretiert die Formulierung „viel feinere Züge und einen gefälligeren sanfteren Umriß“ (KU 50) dahingehend, das Gesicht eines Kriegers dürfe nicht „too beautiful“ sein (S. 353). Das ist eindeutig nicht gemeint: Wären die genannten Bedingungen nicht erfüllt, wäre das Gesicht kein schönes „Krieger-Gesicht“.
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die eines Mannes oder Weibes oder Kindes)“ oder „die Schönheit eines Pferdes“ (50) durch etwas zustande kommen kann, was hinzufügbar oder entfernbar ist. Wird eine Frau oder ein Kind durch etwas schön, was mit dem Objekt als Frau oder als Kind nichts zu tun hat bzw. hinwegdenkbar wäre? Wird ein Mensch, eine Kirche oder ein Pferd schön genannt, bezieht man sich nicht vielmehr auf diese konkrete Mensch-, Kirche- oder Pferdform, und damit auf genau dasselbe, was auch in Hinblick auf den Begriff der Vollkommenheit beurteilt wird? Weil nicht klar ist, wie „anhängende“ Schönheit von Pferden, Menschen und Häusern auf etwas anderes als die Pferdform, Menschform und Hausform des als schön Bezeichneten zurückzuführen ist, und weil die Zusammenstimmung einer Sache zu dem, „was sie sein soll“, deren Vollkommenheit ist, muß also der Eindruck entstehen, daß durch das Prädikat „schön“ in solchen Fällen die Vollkommenheit des Gegenstands ausgedrückt wird, daß also das Phänomen der anhängenden Schönheit mit dem der Vollkommenheit schlicht zusammenfällt. Und wenn sich dieser Eindruck bestätigte, würde das Kant vor dem Hintergrund des §15 in eine unangenehme Lage bringen. Denn entweder wäre er gezwungen, seine Einschätzung des Begriffs der Vollkommenheit zurückzunehmen (das würde freilich auch eine Revision des Begriffs der freien Schönheit nach sich ziehen), oder er müßte seine Unterscheidung zwischen freier und anhängender Schönheit aufgeben. Letzteres wiederum würde entweder bedeuten, die Differenz zwischen beidem, also das eine Phänomen zugunsten des anderen fallenzulassen, oder in einem von beiden Fällen die Rechtmäßigkeit der Verwendung des Prädikats „schön“ in Frage zu stellen. 3. Die Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit anhand von Kants Beispielen Es wurde die Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit aus einem eher begriffstechnischen Blickwinkel betrachtet, nämlich unter dem Gesichtspunkt des zu suchenden gemeinsamem Sinns von Schönheit. Im folgenden soll es darum gehen, den phänomenalen Sinn dieser Unterscheidung anhand der Beispiele, die Kant gibt, nachzuvollziehen. Das ist notwendig, weil mit Blick auf diese die Unterscheidung künstlich und fragwürdig scheinen könnte. So wundern sich manche Interpreten Kants, daß „Papageien“ und „Schaltiere des Meeres“ freie Naturschönheiten sein, Pferde aber allenfalls im Sinn von „anhängender“
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Schönheit sich für eine ästhetische Auszeichnung qualifizieren sollen,9 während andere Kommentatoren Kants Beispiele für insgesamt irreführend halten.10 Aber wie zu zeigen sein wird, lohnt es sich, Kant an dieser wichtigen Stelle ernst zu nehmen. Kants Beispiele für anhängende Schönheiten sind „die Schönheit eines Menschen“ bzw. „eines Mannes oder Weibes oder Kindes“ und „die Schönheit eines Pferdes, eines Gebäudes (als Kirche, Palast, Arsenal oder Gartenhaus)“ (50). Beispiele für freie Schönheiten sind Kant zufolge „viele Vögel (der Papagei, der Kolibri, der Paradiesvogel), eine Menge Schaltiere des Meeres [...], Zeichnungen à la grecque, das Laubwerk zu Einfassungen oder auf Papiertapeten usw.“ (49).11 Worin Kant die Besonderheit der freien Schönheit sieht, führt er exemplarisch anhand seines bevorzugten Beispiels für Schönheit aus: „Was eine Blume für ein Ding sein soll, weiß außer dem Botaniker schwerlich sonst jemand, und selbst dieser, der daran das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt, wenn er darüber durch Geschmack urteilt, auf diesen Naturzweck keine Rücksicht“ (49). Um eine Blume durch das Prädikat „schön“ auszuzeichnen, ist es völlig unerheblich, um was für ein Ding es sich dabei genau handelt, so daß man sagen könnte: Unabhängig davon, was es ist – unabhängig davon, was es exakt heißt, eine Blume zu sein – dieses Etwas hier ist schön.12 In der Gegenüberstellung mit den Beispielen für „anhängende Schönheit“ bedeutet dies, daß die schöne Blume gewissermaßen ein schönes Ding ist, ein schönes Pferd aber „nur“ ein schönes Pferd.13 Um ein Pferd schön finden zu können, muß ich es in Hinblick auf seine Bestimmung als Pferd auszeichnen, und nur unter Berücksichtigung dessen, um was es sich bei diesem Gegenstand handelt, kann es gefallen. Stellte man es in eine Reihe mit allen möglichen anderen Dingen, wäre seine ästheti-
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Vgl. Pillow, Sublime Understanding, S. 61; Scarre, „Kant on Free and Dependent Beauty“, S. 351 und Schaper, Studies in Kant’s Aesthetics, S. 86. So etwa Crawford in Kant’s Aesthetic Theory, S. 114. Er meint, die Beispiele seien überflüssig, weil Kant lediglich einen Unterschied der Einstellung im Blick habe (siehe dazu auch unten, Anm. 16). Eindeutig besteht der Unterschied zwischen freier und anhängender Schönheit nicht darin, daß nur die Beispiele für letzteres begrifflich bestimmbare Gegenstände wären – Fälle von freier Schönheit sind als „Blumen“, „Meerestiere“ und „Vögel“ bestimmt. McAdoo bestreitet in „Kant and the Problem of Dependent Beauty“ die Berechtigung dieses Befunds mit dem Hinweis: „After all, Kant himself, in §16, refers to the ‚free beauty‘ of parrots, humming birds and birds of paradise – but such concepts will themselves tend to determine the character of their aesthetic qualities“ (S. 451). Er weist also die Unterscheidung, die Kant hier vornimmt, einfach mit der entsprechenden Gegenbehauptung zurück. Man sollte sich hier ein Stück weit auf das einlassen, worauf Kant hier hinauswill, nämlich daß es für die Schönheit solcher Objekte völlig unerheblich sein soll, was es heißt, ein Ding von dieser Art zu sein – obwohl es für solche Dinge Begriffe wie „Blume“ oder „Pfauenfeder“ gibt. Vgl. Crawford, Kant’s Aesthetic Theory, S. 113.
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sche Auszeichnung nicht mehr verständlich. Nur im Gegensatz zu anderen Exemplaren seiner Art ergibt die ästhetische Auszeichnung einen Sinn. Mit der Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit müßte Kant nicht vertreten, daß bei freien Schönheiten wie Blumen ein ästhetisch motivierter Vorzug für ein bestimmtes Exemplar der Art gegenüber anderen Exemplaren unmöglich wäre.14 Es würde nach Kant etwas anderes bedeuten, eine Blume als Blume auszuzeichnen, also sie in bezug auf das, was sie sein soll, und somit gegenüber anderen Exemplaren ihrer Gattung hervorzuheben, als die Blume aufgrund ihrer Schönheit, die sie „für sich“ hat, zu würdigen. Diesen letzteren Sinn von Schönheit müßte Kant allerdings in bezug auf Dinge wie Pferde bestreiten. Wer z.B. Pferde als schöne Dinge begreift, etwa der Pferdeliebhaber, zeichnet sie eigentlich gegenüber anderen Tieren, im plausibelsten Fall etwa gegenüber anderen Säugetieren aus, und sagt, Pferde seien schönere Tiere als etwa Esel und Giraffen (oder gar Kröten).15 Indem Kant mit Blumen, bunt gemusterten Schaltieren und Vögeln Beispiele von Dingen nennt, die „für sich“ (49) schön seien, und Pferde, Menschen und Häuser davon ausnimmt, nimmt er eine Unterscheidung in der Welt der Dinge vor. Daß er Schönheit in diesem Sinn zu einer Sache von Objektivität macht, darf hier nicht verwundern, denn seine Theorie soll eine „Wahl nach Geschmack“ erklären helfen, und nicht nur eine besondere Perspektive auf die Dinge.16 Der Unterschied, der Kant hier
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Dutton versteht die Möglichkeit, unter freien Schönheiten einzelne Exemplare hervorzuheben, als Argument gegen Kants Unterscheidung (vgl. Kant and the Conditions of Artistic Beauty, S. 232). Wicks („Dependent Beauty as Appreciation of Teleological Style“, S. 387), Budd („The Delight in the Natural World“, S. 9 Anm.) und Mallaband („Understanding Kant’s Distinction between Free and Dependent Beauty“, S. 71) argumentieren, es gebe Arten von Dingen, bei denen anhängende Schönheit ausgeschlossen sei. Aber für den, der etwa Spinnen (Budds Beispiel) und Kröten (Mallaband) nicht schon der Art nach als mißratene Geschöpfe der Natur ansieht (und das heißt doch nichts anderes, als schon die unterstellte Zweckvorstellung, dem sie ihre Entstehung verdanken, abzulehnen), gibt es durchaus schöne, d.h. besonders wohlgeratene Exemplare von Spinnen und Kröten. Spinnen und Kröten sind jedenfalls keine „freien Häßlichkeiten“; sondern, wenn sie nicht als Arten häßlich sein sollen, dann im Sinn von „anhängender Häßlichkeit“, nämlich im Hinblick auf irgendeinen Zweck, den man Tieren insgesamt unterstellt. Auch Scarre („Kant on free and dependent beauty“, S. 353) richtet in dieser Frage mit dem Verweis auf das Beispiel des Kriegers im §16 nichts aus, denn nur der, der kriegerische Menschen ablehnt, kann es plausibel finden, daß das Prädikat „schön“ nicht auch auf Krieger als Krieger Anwendung finden kann. Daß es hier nur um verschiedene Betrachtungsweisen für ein und dasselbe Ding bzw. um mögliche Arten von Urteilen gehe, wird bei Crawford (Kant’s Aesthetic Theory, S. 114) mit dem Hinweis auf den letzten Absatz des §16 begründet; daraus gehe hervor, daß es vom Beobachter abhänge, ob er ein Ding als anhängende oder freie Schönheit beurteile. Träfe das aber zu, wäre überhaupt nicht verständlich, warum Kant Beispiele für das eine oder
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vorschwebt, wird verständlicher, wenn man die wichtige Äußerung hinzunimmt, daß die Blumen, Blüten, ja die Gestalten ganzer Gewächse, die für ihren eigenen Gebrauch unnötige, aber für unseren Geschmack gleichsam ausgewählte Zierlichkeit der tierischen Bildungen von allerlei Gattungen; vornehmlich die unseren Augen so wohlgefällige und reizende Mannigfaltigkeit und harmonische Zusammensetzung der Farben (am Fasan, an Schaltieren, Insekten, bis zu den gemeinsten Blumen), die, indem sie bloß die Oberfläche und auch an dieser nicht einmal die Figur der Geschöpfe, welche doch auch zu den inneren Zwecken derselben erforderlich sein könnte, betreffen, gänzlich auf äußere Beschauung abgezweckt zu sein scheinen (248).
Daß Blumen und andere freie Schönheiten „für sich“ ästhetisch gefielen, soll heißen, daß sie so aussehen, als seien sie „auf äußere Beschauung abgezweckt“, also zum Betrachten gemacht.17 Und darin kann man Kant durchaus folgen: Während bei einer Blume oder einer Pfauenfeder sich der Gedanke nahelegt, ihr Schöpfer habe sie zum Anschauen allein hervorgebracht, wäre das entsprechende bei vielen anderen Dingen, wie Pferden, Menschen und Häusern abwegig.18 Um den phänomenalen Befund deutlicher zu sehen, den Kant hier im Auge hat, könnte man sagen: „Freie Schönheiten“ wie Blumen oder Pfauenfedern können ihrerseits als Ornament verwendet werden, anhängende Schönheiten (schöne Hunde, schöne Tische oder schöne Messer) nicht. Was Blumen und andere freie Schönheiten verbindet, und was anderen Gegenständen wie Menschen oder Pferden völlig abgeht, ist, daß der Zweck ihres Daseins das Betrachtetwerden entweder ist (wie bei „Zeichnungen à la grecque“) oder wenigstens zu sein scheint (wie bei freien Naturschönheiten). Zum Verständnis der Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit ist es außerdem hilfreich, wenn man das eine und das andere bestimmten Teilen von Kants Theorie zuordnet, was sich fast von selbst anbietet. Denn hinter der „freien“ Schönheit steht, wie sich unschwer erkennen läßt, genau derjenige Theoriekomplex, der auf dem Spielbegriff basiert. Wenn Kant in bezug auf die freie Schönheit sagt, es
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andere anführt. Daß er am Ende des Paragraphen den Fall beschreibt, daß eine Sache sowohl in der einen als auch der anderen Hinsicht beurteilt werden kann, ist nur mit Blick auf die freie Schönheit zu verstehen; nur sie gestattet beide Perspektiven; aber nur deshalb, weil jedes Ding kraft seines Begriffs „etwas sein soll“. Hier besteht eine auffällige Parallele zu Hogarths Analysis of Beauty, die Kant mit Sicherheit kannte (vgl. dazu Crawford, The Sublime in Kant’s Aesthetic Theory, S. 167). Hogarth bemerkt nämlich zum „ornamental part of nature“: „The shapes and colours of plants, flowers, leaves, the paintings in butterflies wings, shells, etc. seem of little other intended use, than of entertaining the eye with pleasure of variety“ (S. 16). Häuser mag es durchaus geben, die so aussehen, als seien sie zum Betrachten (und nicht zum Benutzen) gemacht; das kann aber in manchen Fällen dazu führen, ihr Haus-Sein in Frage zu stellen, d.h. sie gewissermaßen als Skulptur anzusehen.
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sei „kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde“ (49f.), benennt er damit die Möglichkeit des freien Spiels als dasjenige, das den Vorzug der freien Schönheit gegenüber der anhängenden erklären soll. Denn worauf sich die ästhetische Auszeichnung von Blumen, manchen „Schaltieren“, Papageien, aber auch Werken der Musik nach Kant gründet, sollte vor dem Hintergrund der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ klar geworden sein: Ihre ästhetische Qualität erhalten solche Objekte durch ihren Formenreichtum, der den Erkenntniskräften die Gelegenheit gibt, bei ihrer Betrachtung zu verweilen, sich in ihr womöglich gar zu verlieren.19 Daß freie Schönheiten auf äußere Anschauung abgezweckt scheinen, läßt sich nun so verstehen, daß sie es sind, die ein freies Spiel der Erkenntnistätigkeit gestatten, weil sie durch einen Formenreichtum, der jeden praktischen Zweck übersteigt, der Einbildungskraft Stoff für unbeschränkte Tätigkeit zur Verfügung stellen. Zur Charakterisierung des Bereichs der „freien Schönheiten“ drängt sich noch ein weiteres Schlagwort auf. Wie die auffallende Verbindung mit dem §14 schon gezeigt hat, versteht Kant das Ornament als freie Schönheit; und der gerade beschriebene Überschuß an Formen, den freie Schönheiten aufweisen, jene „für den Gebrauch unnötige“ Mannigfaltigkeit an Gestaltung, die „gänzlich auf äußere Beschauung abgezweckt“ zu sein scheint, ist umgekehrt das Prinzip des Ornamentalen schlechthin. Ornament, freie Schönheit und freies Spiel gehören offensichtlich zusammen. Mit Blick auf die anhängende Schönheit gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder der mit dem freien Spiel zusammenhängende Sinn von freier Schönheit wird für sie in Anspruch genommen – die anhängende Schönheit wäre dann ein vollkommenes Ding plus Ornament –, oder sie reduziert sich auf Vollkommenheit. Für ersteren Standpunkt spricht, daß
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Das Prinzip von „Einigkeit und Mannigfaltigkeit“ beinhaltet nicht etwa, daß der größtmögliche Formenreichtum auftreten soll – es handelt sich hier vielmehr um den Reichtum der Form von etwas, also eines Gegenstandes (oder eines Ensembles von Gegenständen). Mustergültiges Beispiel dafür ist die Blume, deren Oberflächenform zwar einerseits eine klare Abgrenzung gestattet, andererseits aber aus zahlreichen geometrischen Formen zusammengesetzt ist. Genau wie beim Spiel bestehen die idealen Bedingungen für eine anhaltende Beschäftigung mit dem Ding nicht in den denkbar zweckwidrigen Voraussetzungen für die zu lösende Aufgabe; also nicht in Chaos und Unförmigkeit. Es muß ein Reichtum an Form vorliegen, der sich auch in irgendeiner Weise erfolgreich auffassen läßt, genauso, wie es im Spiel eine anspruchsvolle Aufgabe geben muß, die lösbar ist. Worin die Aufgabe von Verstand und Einbildungskraft bei der Auffassung von Objekten aber im einzelnen auch bestehen mag – nicht weniger als bei der theoretischen Einstellung muß es bei der ästhetischen um die Aufgabe der Wahrnehmung von etwas gehen.
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Kant an der oben zitierten Stelle genau genommen gar nicht davon spricht, das freie Spiel sei im Fall der anhängenden Schönheit ausgeschlossen; die Rede ist nur davon, das freie Spiel sei durch den Begriff von einem Zweck „eingeschränkt“ (50). An den anderen beiden Stellen der AS, wo das freie Spiel der Erkenntnisvermögen als das ästhetische Prinzip schlechthin exponiert wird, ist die Entgegensetzung desselben zu Begriffen und Zwecken aber deutlicher. Im §9 begründet Kant die Redeweise von einem „freien Spiel“ damit, daß „kein bestimmter Begriff“ die Erkenntniskräfte „auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt“ (28). Eingeschränkt durch einen Begriff wird hier nicht das freie Spiel, sondern die Tätigkeit der Erkenntniskräfte, und diese Einschränkung wird als Ausschlußkriterium für das freie Spiel verstanden. Auch in der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ sieht es nicht danach aus, daß Kant das freie Spiel mit einem Bezug auf bestimmte Begriffe als vereinbar ansieht. Dort heißt es: Es wird also eine Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz, und eine subjektive Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstande ohne eine objektive, da die Vorstellung auf einen bestimmten Begriff vom Gegenstande bezogen wird, mit der freien Gesetzmäßigkeit des Verstandes (welche auch Zweckmäßigkeit ohne Zweck genannt worden) und mit der Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils allein zusammen bestehen können (69).
Weiter unten argumentiert Kant durchgehend gegen die Möglichkeit, Schönheit könne im Zusammenhang mit einem bestimmten Begriff, der einer „Gestalt die Regel vorschreibt“ (70), auftreten. Es sei eine „Zweckmäßigkeit ohne Begriff zur Schönheit nötig“ (ebd.), so Kant, und nach einer Relativierung dieser Auffassung sucht man innerhalb der „Anmerkung“ vergebens. Soll das freie Spiel dasjenige sein, das die Rede von Schönheit im Zusammenhang mit Vollkommenheit ermöglicht, müßte an den Beispielen von anhängender Schönheit dergleichen wie Ornament, also über Zwecke hinausgehende Form, aufgewiesen werden.20 Bei Artefakten wie Häusern
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Guyer will in Kant and the Claims of Taste (S. 248ff.) darauf hinaus, daß jeder Gebrauch des Prädikats „schön“ durch die Freiheit der Einbildungskraft gerechtfertigt werden kann; im Fall der anhängenden Schönheit könne durch eine besondere Abstraktionsleistung vom Begriff und damit vom Zweck einer Sache abgesehen und dadurch das freie Spiel ermöglicht werden (vgl. auch Stecker, „Lorand and Kant on Free and Dependent Beauty“, S. 72). Wicks („Dependent Beauty as the Appreciation of Teleological Style“), der Guyers Konzeption berechtigterweise dafür kritisiert, daß sie die Vollkommenheit des schönen Dings nur als negatives Kriterium für anhängende Schönheit bestimmt, bringt einen raffinierten Vorschlag, wie das „freie Spiel“ mit Vollkommenheit zu versöhnen sein soll. Seine Konstruktion beinhaltet im Grunde ein Spiel mit der Vorstellung von Zweckmäßigkeit des Objekts (vgl. S. 394 ff.), worin der Rezipient das Objekt mit anderen Möglichkeiten zur Lösung der durch den jeweiligen Zweck gestellten Aufgabe vergleiche. Das ästhetische Wohlgefallen beziehe sich auf das Wie der am Objekt gezeigten Lösung. Dem ent-
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und Tischen wäre dies relativ einfach nachzuvollziehen, denn in Zusammenhang mit solchen Beispielen ist der Sinn von Ornament klar – verzierte Häuser und Tische gibt es, und zu diskutieren wäre bloß, ob nur diese auch schön sein sollen, was man vertreten müßte, wenn man ihre Schönheit auf Ornamentierung zurückführte. Bei Menschen und Pferden aber bietet sich offensichtlich nichts an, was die Redeweise von Ornament rechtfertigen würde, denn es ist klar, daß mit einem schönen Menschen im Normalfall nicht ein geschmückter oder geschminkter Mensch gemeint ist.21 Anhängende Schönheit, als ornamentale Zutat zu Vollkommenheit verstanden, wäre auch auf die eingangs angeführten Verwendungsweisen von „schön“ – wie im Zusammenhang mit wohlgeformten und nicht durch Unregelmäßigkeiten verunstalteten Objekten – nicht verständlich. Findet man die parergonale Erklärung des Schönen nicht überzeugend, sind allerdings erhebliche Skrupel gegen die nächstliegende Konsequenz – die Gleichsetzung von anhängender Schönheit mit Vollkommenheit – zu überwinden. Eine Möglichkeit, wie freie Schönheit und Vollkommenheit zu vereinbaren sein könnte, scheint aber nicht in Sicht. Gesucht wird eine positive Beschreibung dessen, worauf sich die Auszeichnung einer Sache als anhängend schön gründet. So sorgfältig man den §16 auch absucht: Außer der freien Schönheit im Sinn von Ornament ist die Charakterisierung der Vollkommenheit das einzige von Kant angeführte Prinzip, das eine Auszeichnung der beschriebenen Dinge ansatzweise verständlich machen könnte. Ein Ding ist gemäß §15 vollkommen genau
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gegnet Guyer wiederum zu Recht, die so verstandene Auszeichnung berufe sich letztlich auch wieder nur darauf, daß ein Ding seinen Zweck in vorbildlicher Weise erfülle („Dependent Beauty Revisited“, 359f.). Völlig unklar bei Guyer ist dann aber, wie „the freedom of the form of the object from constraint by the concept of its purpose“ zusammenpassen soll mit „harmony of the form with this purpose“ (S. 360). Entweder die Form ist in Übereinstimmung mit dem Zweck – dann landet Guyer beim Begriff der Vollkommenheit – oder sie befreit sich von Zwecken – dann ist das freie Spiel, aber nicht mehr Vollkommenheit plausibel. Guyer liefert in diesem Zusammenhang eine interessante Formel („form goes beyond the requirement of its concept“), von der aber die Vereinbarkeit mit dem freien Spiel zu klären wäre. Denn entweder geht die Form in dem Sinn über die Anforderungen des Begriffs hinaus, daß sie ihn besser als notwendig erfüllt (dann sprechen wir von Vollkommenheit), oder sie übertrifft fragliche Anforderungen durch zusätzliche Form – und dabei handelt es sich dann um dergleichen wie Ornament. Die einzig mögliche Antwort könnte Darwins Theorie der sexuellen Auslese geben, die z.B. das menschliche Kopfhaar als Ornament versteht. Schon dadurch, daß ein solcher Körperteil keine Hilfe für die natürliche Auslese darstellt und dessen Erhalt darauf zurückgeführt werden muß, daß es sich als Attraktivitätsmerkmal in Hinblick auf die sexuelle Auslese als nützlich erweist, sei es als Ornament zu verstehen, so die Theorie (vgl. etwa Menninghaus, Das Versprechen der Schönheit, z.B. S. 94). Zu fragen wäre aber, ob hier auch wirklich ein ästhetischer Sinn von Ornament zugrunde liegt, einer, der so etwas wie freie Form impliziert – oder ob es sich hier nicht vielmehr um eine Attraktivitätskonvention ohne ästhetischen Eigenwert handelt.
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dann, wenn es ein vorbildliches Exemplar seiner Art darstellt, das heißt, wenn es in vorbildlicher Weise zu dem zusammenstimmt, was es gemäß seinem Begriff zu sein hat. Und der einzige Grund dafür, daß sich gewisse Gesichtsformen für den Krieger und gewisse Ornamente für die Kirche nicht eignen, ist ebenfalls der, daß sonst dieses Ding nicht mehr in vorbildlicher Weise mit dem zusammenstimmte, was es gemäß seiner Bestimmung als dieses oder jenes zu sein hat. Damit könnte man den §16 als Offenbarung einer Schwierigkeit in Kants Ansatz verstehen. Unmittelbar nachdem er das Prinzip der Vollkommenheit dem der Schönheit entgegengesetzt hat, sieht sich Kant gezwungen, es doch wieder bedenklich nahe an das Phänomen der Schönheit zu rücken. Das Bild der Unreinheit, mit dem er diesen Schritt kaschieren will, überzeugt aber nicht. Denn eine „reine“ Schönheit, die sich sowohl im Fall von „anhängender“ als auch bei „freier“ Schönheit nachweisen ließe, gibt es womöglich nicht. Die Vereinbarkeit des Prinzips der freien Schönheit mit dem der anhängenden Schönheit ist fraglich; dasjenige, was etwa eine Blume zu einer schönen macht – der Überschuß an Form, der dem Bereich des Ornamentalen nahezustehen scheint –, tritt an schönen Menschen und Pferden nicht auf, also auch nicht vermengt mit einem anderen Prinzip. Das Ausmaß von Kants Verlegenheit wird aber erst deutlich, wenn man berücksichtigt, daß er mit der Unterscheidung zwischen „freier“ und „anhängender“ Schönheit ausgerechnet die unproblematischere oder geläufigere Verwendungsweise des Ausdrucks „schön“ zu einem untergeordneten oder abgeleiteten Phänomen erklärt.22 Daß im Alltag durch das Prädikat „schön“ ein bestimmtes Ding als besonderes Exemplar seiner Art ausgezeichnet wird, hat in der überwiegenden Zahl der Fälle als unkontrovers zu gelten. Daß dagegen dieses Prädikat in manchen Fällen auch einer Sache „für sich“ verliehen werden kann, unangesehen dessen, was sie ist, muß dagegen als weit umstrittener gelten. Wenn es Kant nun nicht gelingen sollte zu erklären, wie jene „uneigentliche“ Verwendungsweise des Prädikats „schön“ mit dem seiner Theorie nach ursprünglichen Phänomen zusammenhängt, ist dies fast schon als Zeichen seines Scheiterns zu verstehen. So sehr es nun auch danach aussehen mag: Daß die im §16 getroffene Unterscheidung sinnlos wäre, impliziert all dies nicht. Wie wichtig die Unterscheidung tatsächlich ist, läßt sich insbesondere bei ihrer Anwendung auf den Bereich der Artefakte zeigen, obwohl auch dort zunächst Unstimmigkeiten auffallen.
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Vgl. Kulenkampff, Kants Logik des ästhetischen Urteils, S. 151.
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4. Kunstschönheit als freie Schönheit Während Kant im §16 mit „Musik ohne Text“ (49) ein Beispiel für Kunstschönheit zu den freien Schönheiten zählt, scheint er im §48 darauf hinauszuwollen, daß alle Kunstwerke als Fälle von anhängender Schönheit zu betrachten sind. Er betont, es müsse „in der Beurteilung der Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht werden“ (188). Der Eindruck, der zunächst entsteht, ist der, daß alle Naturschönheiten eo ipso auch freie Schönheiten seien: „Um eine Naturschönheit als eine solche zu beurteilen, brauche ich nicht vorher einen Begriff davon zu haben, was der Gegenstand für ein Ding sein solle“ (ebd.). Dann aber erinnert Kant an die Beispiele für anhängende Schönheit des §16, zu denen ja auch Naturgegenstände gehört haben, und kommt dabei wieder auf den schönen Menschen und das schöne Pferd zu sprechen: Zwar wird in der Beurteilung, vornehmlich der belebten Gegenstände der Natur, z.B. des Menschen oder des Pferdes, auch die objektive Zweckmäßigkeit gemeiniglich mit in Betracht gezogen, um über die Schönheit derselben zu urteilen; alsdann ist aber auch das Urteil nicht mehr rein-ästhetisch, d.i. bloßes Geschmacksurteil (188f.).
Der Grund, warum allen Kunstgegenständen nur jener unreine Sinn von Schönheit zukommen kann, ist dem §48 zufolge ihre „Zweckmäßigkeit“ (188). Damit ist nicht Zweckmäßigkeit im Sinn von Zweckdienlichkeit bzw. Nützlichkeit gemeint, sondern im Sinn von Zweckentstandenheit bzw. Artefaktizität.23 Kant beruft sich hier nämlich auf den Umstand, daß „Kunst immer einen Zweck in der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt“ (ebd.). Dazu müsse „zuerst ein Begriff von dem zum Grund gelegt werden, was das Ding sein soll“ (ebd.).24 Ist diese Bedingung nicht erfüllt, kann es sich bei dem fraglichen Objekt gar nicht um das Produkt eines Subjekts handeln; es wäre also ein Naturgegenstand. Aber dieser Versuch einer Bestimmung der Kunstschönheit als Fall anhängender Schönheit überzeugt nicht. Denn vor dem Hintergrund der Kriterien für anhängende Schönheit des §48 wird einerseits unverständlich, warum Kant im §16 die „Musik ohne Text“ als Beispiel für freie Schönheit anführen konnte. Auch sie als Vertreterin einer ungegenständlichen und begrifflosen Kunst ist doch wohl Werk von Subjekten. Zweitens muß auffallen, daß sich Kant im Anschlußtext zu einer sehr irritierenden Behauptung versteigt, wenn er sagt, die anhängende Naturschönheit werde „nicht mehr beurteilt, wie sie als Kunst erscheint, sondern sofern sie
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Zu dieser Unterscheidung siehe oben, S. 30-54. „Der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“, ist der „Zweck“ (XXVIII).
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wirklich (obzwar übermenschliche) Kunst ist“ (189). Weil hier eindeutig die anhängende Schönheit im Gegensatz zur freien Schönheit gemeint ist,25 bedeutet dies, daß Kant die Frage, ob es sich bei Naturgegenständen tatsächlich oder nur der Form nach um Artefakte handelt, mit der Unterscheidung zwischen anhängender und freier Schönheit korreliert. Das wiederum heißt, daß Kant dem Urteil über anhängende Naturschönheit generell einen illegitimen Anspruch unterstellt, denn solche Naturteleologie, die der Natur in einem ganz unhypothetischen oder unmetaphorischen Sinn Subjekthaftigkeit zuschreibt, ist ihm zufolge schlicht falsch. Zur Erinnerung: daß der betreffende Naturgegenstand nicht das Werk eines Subjekts ist, sondern nur so angesehen wird, als ob er es wäre, war die Pointe der Formel von der Zweckmäßigkeit ohne Zweck im §10. Sie wird also hier im §48 für die anhängende Naturschönheit zurückgenommen. Sie hat demzufolge nicht nur die Form der Artefaktizität, sondern ist Artefakt. Weil „das teleologische Urteil [...] dem ästhetischen zur Grundlage und Bedingung“ (189) dient, wäre es konsequenterweise zu vermeiden, von schönen Pferden und Menschen zu sprechen, denn es ist unhaltbar, von Pferden und Menschen in einem nicht übertragenen Sinn zu sagen, sie seien Artefakte. Um zu verstehen, was hier vor sich geht, ist ein Blick auf den Kontext im §48 nötig. Denn in den paßt der vierte Absatz, dem die gerade geschilderten Überlegungen entnommen sind, nicht nahtlos hinein. Der erste Satz des fünften Absatzes („Die schöne Kunst zeigt darin eben ihre Vorzüglichkeit [...]“ [189]) schließt direkt an den dritten Absatz an, der nur aus einem Satz besteht („Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschönheit ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge“ [188]). Die dazwischen stehende Erörterung zum Thema Vollkommenheit bzw. anhängende und freie Schönheit, die inhaltlich mit dem §16 in Verbindung steht, trägt zum Argumentationsziel des Paragraphen, wonach die Kunstschönheit eine schöne Vorstellung von einem Ding sei, nichts bei. Anliegen dieses Abschnitts ist vielmehr die Anwendung der unmittelbar zuvor aufgestellten Hauptthese des §48 auf das Phänomen der „anhängenden“ Naturschönheit. Diese ist nach wie vor ein Problem für Kant, und die Formel des §48, wonach Kunstschönheit in der „schönen Vorstellung eines Gegenstandes“ bzw. der „Form der Darstellung eines Begriffs“ (190) bestehen soll, bietet ihm nun eine neue Konstruktionsmöglichkeit für den Zusammenhang von Begriff und Schönheit. Eine neue Rechtfertigung für das Prädikat „schön“ bei der anhängenden Naturschönheit ergibt sich mit Hilfe des §48 dadurch, daß diese als schöne Darstellungsweise
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Das „nicht mehr“ in „die Natur wird nicht mehr beurteilt, wie sie als Kunst erscheint“ korrespondiert mit dem „nicht mehr rein-ästhetisch“ (189) des vorangegangenen Satzes, so daß mit „die Natur“ nur die Natur als unfreie Schönheit gemeint ist.
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eines Begriffs verstanden wird. Weil dies aber das Kennzeichen der Kunstschönheit sein soll, macht Kant die anhängende Naturschönheit kurzerhand zu einem Fall von Kunst, also zu etwas, das nicht nur zweckentstanden scheint, sondern ist. So sehr drückt Kant das Problem der anhängenden Schönheit, daß er einen Lösungsvorschlag akzeptiert, der ihn letztlich dazu zwingt, alle „anhängende“ Naturschönheit als Fall von Kunst zu betrachten. Daß er das tut, liegt, wohlgemerkt, nicht in der Konsequenz jener berühmten Formel vom Anfang des §45, wonach Natur nach Kunst und Kunst nach Natur auszusehen habe. Die geschilderte Konstruktion des §48 gilt schließlich nur für einen Sonderfall von Naturschönheit, nämlich die unfreie. Naturschönheit und Kunstschönheit sind ganz unabhängig von jenem Unterschied zwischen anhängender und freier Schönheit auseinanderzuhalten, denn in ihrem Fall kann die Differenz nur durch die Art der Entstehungsursache bestimmt werden: Kunst bzw. Artefakt ist, was durch ein Subjekt hervorgebracht wurde, Natur dagegen, von dem das nicht bzw. allenfalls in einem übertragenen oder bloß unterstellenden Sinn gesagt werden kann, und das entsprechende gilt für die schöne Kunst und die schöne Natur. Fragt man nach der Motivation für jene Formel, wonach das Kunstschöne so aussehen soll, als ob es von Natur hervorgebracht wäre, trifft man freilich auf eine Schwierigkeit, die mit der Problematik der „anhängenden Schönheit“ eine deutliche Parallele aufweist. Denn der Grund, warum die „anhängende Schönheit“ Kant in Erklärungsnot brachte, war die im Vorfeld herausgearbeitete Verbindung zwischen Begriff und Interesse: Ein Wohlgefallen, das durch einen Begriff vermittelt wird, sei ein interessiertes, und stehe mit Zwecken in Verbindung, hatte Kant zu Anfang der AS festgestellt, und weil „anhängende Schönheit“ nur mit Rücksicht auf den Begriff einer Sache ermittelt werden kann, gerät das Wohlgefallen an ihr in den Verdacht der Interessiertheit. Und ganz Ähnliches gilt auch für die Artefaktizität eines Dings: Da etwas für Kant genau dadurch zum Artefakt wird, daß seine Ursache ein Begriff – und damit auch ein Zweck – ist („der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“, ist der „Zweck“ [XXVIII] – und kann nichts „als Zweck gedacht werden“, ist das Ding „ein bloßes Produkt des Zufalls“ [186]), sieht es danach aus, daß es ein interesseloses, ein reines ästhetisches Wohlgefallen an einem solchen Ding gar nicht geben kann.26 Eine entsprechende Überlegung läßt sich auch im vierten Ab-
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Zusatzprämisse ist in solchen Kontexten stets, daß die Beurteilung der Schönheit eines Dinges nur mit Rücksicht auf das von seinem Urheber Bezweckte geschehen kann. Deutlich ist dies etwa im zweiten Absatz des §45, wo Kant sagt: „Nun hat Kunst jederzeit eine bestimmte Absicht, etwas hervorzubringen. Wenn dieses aber bloße Empfindung [...] wäre,
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schnitt des §48 auffinden. Kant sagt dort, daß „Kunst immer einen Zweck in der Ursache“ voraussetze, und kommt gleich darauf zu der These, daß „in der Beurteilung der Kunstschönheit“ immer auch „die objektive Zweckmäßigkeit [...] mit in Betracht“ zu ziehen sei, womit er hier ihre Vollkommenheit, also die Zusammenstimmung der Sache zu dem, was sie sein soll, meint. Wenn etwas also Werk eines Subjekts nur dadurch sein kann, daß dieses Subjekt es als seinen Zweck verwirklicht – und das heißt für Kant offenbar auch: daß es mit diesem Ding etwas bezweckt – ist dieses Ding als das, als was es intendiert wurde, etwas Gutes.27 Und deswegen muß es Kant für unmöglich halten, daß Subjekte jemals eine von Zwecken befreite Form hervorbringen können. Da Subjekte offenbar gar nicht anders können, als die Dinge bezweckenderweise zu verwirklichen, scheint diese Skepsis auch berechtigt. Nicht übersehen werden darf, daß Kant für dieses Problem eine Lösung anbietet: den Geniebegriff. Auf den ersten Blick scheint diese Lösung zwar darin zu bestehen, daß er das Genie-Subjekt einfach zu einem Fall von Natur und damit zum Nichtsubjekt macht (das suggerieren Redeweisen wie die vom Genie als „die Natur im Subjekte“ [182]), aber damit würde sich Kant natürlich im Kreise drehen und den Unterschied von Naturschönheit und Kunstschönheit durch dasjenige, was letztere erklären soll, gleich wieder aufheben, denn auch Natur, die „im Subjekt“ ist, ist Natur. Statt dessen kann es sich beim Genie nur um einen besonderen Fall von Subjektivität handeln; einen mithin, der auch in irgendeiner Weise nach Zwecken handelt, aber auf irgendeine „naturhafte“ Weise. In diese Richtung scheinen Kants Überlegungen zu gehen, wenn er davon spricht, daß im Fall des Genies „nicht ein überlegter Zweck der Kunst (der Hervorbringung des Schönen) die Regel gibt“ (242). Der Ausdruck „überlegter Zweck“, der offensichtlich synthetisch gemeint ist, scheint zu implizieren, daß es auch „unüberlegte“ Zwecke gibt, durch welche dann die geforderte Interesselosigkeit verbürgt werden kann. Da „Zweck“ nach Kant „der Begriff von einem Objekt“ ist, „sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält“ (XXVIII), wäre das auch leicht
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die mit Lust begleitet sein sollte, so würde dies Produkt in der Beurteilung nur vermittelst des Sinnengefühls gefallen. Wäre die Absicht auf die Hervorbringung eines bestimmten Objekts gerichtet, so würde, wenn sie durch die Kunst erreicht wird, das Objekt nur durch Begriffe gefallen“ (180). Guyer sieht sich in Kant and the Claims of Taste gleich zu folgender Interpretation berechtigt: „On Kant’s own theory of art, every work of art has some purpose. Even nonrepresentational works such as abstract paintings or wallpapers and music without themes have purposes – to cover walls, to earn livings for their composers, and so on“ (S. 250). Was Kant mit der „Zweckmäßigkeit“ aller Artefakte an der fraglichen Stelle aber eigentlich nur meinen dürfte, ist, daß ein Kunstwerk als wirkliches Objekt Wirkung und damit Erfolg eines intendierenden Subjekts sein muß.
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verständlich: Ein „unüberlegter Zweck“ ließe sich als etwas vom Subjekt ohne weitergehendes Kalkül Intendiertes verstehen. Doch wie immer die durch das Genie geleistete Kunstproduktion im Detail zu konstruieren sein mag – die Funktion des Geniebegriffs besteht jedenfalls darin, zu erklären, daß ein Objekt einerseits im vollen Sinn Werk eines Subjekts ist, also Artefakt, und andererseits nicht als Mittel zu einem Zweck erschaffen wurde. Und weil der Geniebegriff sich als Kennzeichnung einer besonderen Art der Herstellungsursache Subjekt verstehen läßt, nämlich eines Subjekts, das „naturhaft“ im Sinn von „unüberlegt“ vorgeht, könnte der Unterschied von Natur- und Kunstschönheit durchaus in bezug auf die „anhängende Schönheit“ des Naturobjekts eine Rolle spielen. Diese ließe sich nämlich analog zum nichtgeniehaften, also überlegenden Subjekt verstehen: Ein Naturobjekt wäre in bezug auf einen Begriff zu beurteilen, also als Fall von „anhängender Schönheit“ zu fassen, wenn die Natur, die es hervorgebracht hat, in Analogie zu einem überlegenden, d.h. nach Zweckerwägungen handelnden Subjekt verstanden wird. Der Unterschied zwischen künstlerischen und nichtkünstlerischen Artefakten würde dann auf den Bereich der Nichtartefakte übertragen. Die anhängende Schönheit der Natur wäre demzufolge nicht als Artefakt zu verstehen, wie der vierte Absatz des §48 suggeriert, sondern wie ein Artefakt, bzw. ein solches, das durch ein Nichtgenie hervorgebracht worden ist – also wie ein nichtkünstlerisches Artefakt. Weil der Geniebegriff erklären soll, daß etwas Werk eines Subjekts, also im vollen Sinn Artefakt sein kann, ohne daß deswegen schon mit diesem Ding etwas Praktisches bezweckt wird, ist es also gar nicht nötig, alle Kunstwerke auf die Seite der anhängenden Schönheit zu schlagen, wie es Kant im §48 tut. Das zu tun, heißt eigentlich, jenen Sonderstatus von Artefakt, der durch den Geniebegriff begründet werden soll und möglicherweise auch begründet werden kann, von vornherein gar nicht in Anspruch zu nehmen. Und ihn in Anspruch zu nehmen, hieße, den Unterschied zwischen freier und anhängender Schönheit nicht zwischen Artefakte und Naturobjekte zu legen, sondern ihn auf beides gleichermaßen anzuwenden, also auf die Welt der durch Natur entstandenen Objekte genauso wie auf die der durch ein Subjekt, der „nach Zwecken wirkenden Ursache“ (355), hervorgebrachten. An einer bestimmten Stelle, die schon begegnet ist, läßt Kant durchblicken, daß auch im Zusammenhang mit freier Schönheit die Rede von Zwecken nicht nur legitim, sondern sogar angebracht ist. Freie Naturschönheiten seien solche Objekte, hat er gesagt, die „gänzlich auf äußere Beschauung abgezweckt zu sein scheinen“ (248). Das muß so verstanden werden, daß freie Schönheiten durchaus so angesehen werden können, als hätten sie einen Zweck – nur daß der nicht in einem praktischen Nutzen besteht, sondern in deren Betrachtung durch andere Subjekte.
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So formuliert, erscheint die freie Kunstschönheit gar nicht mehr als das Unmögliche, als das Kant sie bisher darstellen wollte. Denn diese Charakterisierung trifft auf vieles, was Menschen hervorbringen, bestens zu. Wenn sich z.B. vom Ornament nicht sagen läßt, daß es „gänzlich auf äußere Betrachtung abgezweckt zu sein scheint“, dann nur deshalb, weil es das nicht nur scheint – denn das Ornament ist ohne jeden Zweifel auf äußere Beschauung abgezweckt. Und was sich vom Ornament sagen läßt, gilt von allen Kunstwerken. Es handelt sich bei ihnen stets um Dinge, die zum An- oder Zusehen bzw. zum Zuhören geschaffen wurden. Mit dem Ornament haben sie also wenigstens etwas gemeinsam, nämlich daß ihre Form nicht im Dienst eines praktischen Zwecks steht, sondern gleichsam als Überfluß, zusätzlich zu den Formen der Dinge des praktischen Alltags, für das Betrachten oder Zuhören geschaffen worden ist.28 Die Unterscheidung zwischen freier und anhängender Schönheit ist also eine, die sich auch auf die Welt der Artefakte anwenden läßt, ja vielleicht gerade hier ihre eigentliche Plausibilität genießt. Plausibel ist es, hinsichtlich des „Zwecks“ im Sinn der Entstehungsursache einer Sache zu unterscheiden zwischen solchen Artefakten, deren Zweckursache es auf Nützlichkeit abgesehen hat, und anderen, die nicht aus Nützlichkeitserwägungen heraus geschaffen worden sind. Daran, daß Kant etwa schöne Kunstwerke und schöne Gebrauchsgegenstände gleichermaßen und aus dem selben Grund für anhängende Schönheiten erklärt, was hochgradig unplausibel ist, zeigt sich die ungenutzte Chance der Unterscheidung zwischen freier und anhängender Schönheit. Freie Schönheiten findet man im Bereich solcher Artefakte, deren Zweck einzig im Betrachten oder Zuhören liegt, anhängende Schönheiten dagegen unter den Artefakten, die um eines praktischen Nutzens willen geschaffen wurden. Die Unterscheidung, die Kant im §16 vornimmt, ist eigentlich die zwischen Schönheit bei künstlerischen und nichtkünstlerischen Artefakten. Und diese Unterscheidung kann auf Naturgegenstände übertragen werden, nämlich im Sinn uneigentlichen Sprechens, indem freie Naturschönheiten so angesehen werden, als habe ein Urheber sie zum Betrachten gemacht, und anhängende Naturschönheiten so, als habe ein Urheber mit ihnen einen praktischen Zweck verwirklichen wollen. Was an dieser Unterscheidung nicht überzeugen kann, ist lediglich die Art und Weise, in der Kant die beiden unterschiedenen Phänomene ge-
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Fragt man nun, wodurch Kunst jemals über das Ornamentale hinauszugehen vermag, dann kann die Antwort nur lauten: durch ihren Inhalt (also sprachlichen oder in irgendeiner Weise nichtsprachlichen Ausdruck). Formal gesehen ist aber mit dem Ornament der entscheidende Unterschied zur Welt aller nützlichen Artefakte bereits erreicht (für Friedrich Schlegel ist „die Arabeske die älteste und ursprüngliche Form der menschlichen Fantasie“ [Charakteristiken und Kritiken I, S. 319]).
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit
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meinsam unter dem Namen der Schönheit versammeln will, denn gerade vor dem Hintergrund seiner eigenen Theorie, die jeweils völlig verschiedene Prinzipien für die Erklärung der beiden genannten Phänomene bereitstellt, muß deren Vereinbarkeit fraglich werden. Wohin solche Überlegungen am Ende führen werden, hat sich schon längst angedeutet: Wenn das Prinzip des Ornamentalen kein geeignetes Beispiel für das ursprüngliche Phänomen des Schönen ist, erweist sich auch der Spielbegriff als unpassend.29 Statt dessen scheint der Schlüssel zum Verständnis des Phänomens in einer Richtung zu liegen, die Kant die ganze Zeit bekämpft. Und obwohl das so ist, gereicht dies dem ursprünglichen Ansatz Kants nicht unbedingt zum Nachteil, wie später noch zu zeigen sein wird.
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit 1. Güte, Zweckmäßigkeit und Interesse im Fall des Schönen Will man mit dem Begriff der freien Schönheit einen Sinn verbinden, dann den einer freien, weil gleichsam überflüssigen Form: Die freie Schönheit ist an einem Ding zu finden, das seine Form nicht hat, um einem praktischen Zweck zu genügen, sondern um den Erkenntniskräften reichhaltiges Material an die Hand zu geben, also um angeschaut zu werden.30 Das trifft auf Blumen, Pfauenfedern und alle ornamentalen Formen zu,31 aber auch auf Kunstwerke, die ja nicht primär umwillen des Zwecks
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Gadamer greift die seit Schiller bestehende Kritik an der „Arabeskenästhetik“ Kants auf und diagnostiziert hier eine „fatale Lehre“ (Wahrheit und Methode, S. 50ff.). Zwar weist er genau wie Schiller das Ornamentale als Grundphänomen von Schönheit zurück, behält aber auf der anderen Seite den Spielbegriff für seine Konzeption bei, ja er bedient sich desselben in vielleicht noch stärkerem Maße als Kant. Möglich wird das durch die Auffassung, daß die spielerische Freiheit der Einbildungskraft nicht dort „am reichsten“ sei, „wo sie schlechthin frei ist, wie angesichts der Windungen der Arabeske, sondern dort, wo sie in einem Spielraum lebt, den das Einheitsstreben des Verstandes ihr nicht so sehr als Schranke aufrichtet, wie zur Anregung ihres Spiels vorzeichnet“ (S. 52). Begriffe nicht als Einschränkung, sondern als „Anregung“ für ein Spiel der Erkenntniskräfte: Das ist bei Kunstwerken verständlich, nicht aber dort, worauf Gadamer sich beruft, nämlich beim „Ideal der Schönheit“, für das nach Kant nur die menschliche Gestalt in Frage kommen soll. Was ein freies Spiel der Erkenntniskräfte im Zusammenhang mit einem schönen Menschen bedeuten kann – darin besteht ja das Problem. Um das Wohlgefallen an einem schönen Menschen zu erklären, drängen sich ganz andere Möglichkeiten auf. Ein Ding wird nicht schon dadurch zu einer freien Schönheit, daß die Zuschreibung seiner Form zu einem Zweck schwer ist, wie Kants Beispiel eines prähistorischen Artefakts (61 Anm.) zeigt. Auch ohne daß dessen Zweck klar wäre, ist sein Zeug-Sein an ihm ersichtlich. Bei Blumen ist das nicht der Fall. Allison meint, daß Blumen nur ganz zufälligerweise für uns freie Schönheiten seien: „We usually do not associate such natural forms with any purpose with which we might com-
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Teil III: Das Spiel und die Schönheit
der Kommunikation geschaffen und genauso wie Ornamente zusätzlich zu den praktischen Dingen des Alltags, auch zusätzlich zu allen Mitteilungen, nämlich zum Betrachten, Hören oder Lesen allein, hergestellt werden. „Frei“ ist all dies, was nach Kant unter „freie Schönheit“ fällt, weil es sich nicht in Mittel/Zweck-Zusammenhänge einspannen läßt und mit seiner Eignung für eine spielerische Beschäftigung der Erkenntniskräfte den Alltagskontext sprengt. Kants „freie Schönheit“ läßt sich also einem eingrenzbaren Phänomen zuordnen, aber ob sich von diesem Phänomen aus nun erklären läßt, was Schönheit ist, muß längst als fraglich gelten. Fraglich ist, daß es einen gemeinsamen Sinn von Schönheit gibt, der sich sowohl am gerade beschriebenen Phänomen als auch an Kants „anhängender Schönheit“ verständlich machen ließe. Mit jener „anhängenden Schönheit“ läßt sich das freie Spiel nämlich nicht ohne weiteres in Verbindung bringen, es sei denn, man führt sie auf anhängende Ornamente zurück, so daß ein schöner Tisch bzw. ein schöner Mensch als Tisch bzw. Mensch mit Ornamenten verständlich werden müßte. Weil es problematisch ist, vom freien Spiel aus die anhängende Schönheit zu verstehen, soll nun versucht werden, einen umfassenden Sinn von Schönheit, zumindest andeutungsweise, von der anhängenden Schönheit aus zu gewinnen. Auf der Suche nach einem haltbaren Sinn von Schönheit bei der anhängenden Schönheit anzusetzen, heißt, eine zu Kants Ansatz gegenläufige Richtung einzuschlagen, weil er die anhängende, unreine Schönheit allenfalls als „eingeschränkte“ bzw. periphere Bedeutung des Schönheitsbegriffs gelten lassen will. Das muß er, weil sich bei anhängenden Schönheiten, wie er betont (49ff.; 188f.), die Frage nach einem praktischen Zweck und damit eine Verbindung zum Phänomen des
_____________ bine their aesthetic estimation“ (Kant’s Theory of Taste, S. 142). Er fährt fort: „Our evaluation of horses is so closely connected with the purposes for which we use them that it is difficult, if not impossible, to separate a purely aesthetic estimation from this larger picture“ (ebd.; vgl. auch Pillow, Sublime Understanding, S. 61). In ein ähnliches Horn stößt Derrida, der an derselben Stelle ein anthropozentristisches Vorurteil diagnostiziert. Der einzige Grund für die „anhängende“ Schönheit der Pferde liege darin, so Derrida, daß das Pferd dem Menschen „zu Diensten“ sei (vgl. Die Wahrheit in der Malerei, S. 131). Aber Kants Unterscheidung ist phänomenologisch interessanter: Wir verbinden deshalb mit Blumen keine Zwecke, weil der Reichtum ihrer Formen über jede Zweckmäßigkeit hinauszugehen scheint, während Pferde so aussehen, als seien sie für einen Zweck gemacht. Die Erklärung der Blumen in der Biologie, die ihrer Form nun in der Tat einen Zweck zuschreibt – den, eine besondere Anschauung für Bienen darzubieten –, ist ja eher eine Bestätigung dieser Besonderheit von Blumen gegenüber Pferden als deren Widerlegung. Schließlich setzt die Beschreibung eines solchen Zwecks so etwas wie Bewußtsein auf Seiten eines anderen wahrnehmenden Subjekts voraus. Während Allison suggeriert, es sei eben zufällig so, daß wir mit Blumen meistens keine Zwecke verbinden, mit Pferden aber schon, ergibt sich mit Kants Unterscheidung zwischen „freien“ und „anhängenden“ Schönheiten vielmehr eine Differenzierung, die offenbar in der Sache begründet liegt.
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit
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Guten geradezu aufdrängt. Für Kant ist der Umstand, daß ein Ding in vorbildlicher Weise dem entspricht, „was es sein solle“ (45)32, also seinem Zweck als Mensch oder Haus, ein Indiz für die Interessiertheit des ihm geltenden Wohlgefallens. Denn indem etwas in vorbildlicher Weise dem entspricht, was es sein soll, ist es offenbar auch ein gutes Ding. In der „Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik“ scheint Kant davon auszugehen, daß das Wohlgefallen an der Wohlgeformtheit eines Artefakts dessen Güte, das Mißfallen an seiner Mißratenheit aber seiner Zweckwidrigkeit gilt. Sieht eine Tür nicht genau durch ihre regelmäßig-geometrische Gestalt auch nach einer guten bzw. nützlichen Tür aus, so könnte man fragen? Denn eine Tür, der man ansieht, daß sie ihren praktischen Zweck verfehlt, kann wohl kaum ein schönes Exemplar ihrer Art sein. Und ist es nicht so, daß ein Pferd, dem man ansehen kann, daß es nicht gut laufen kann, genau deswegen auch unmöglich schön sein kann? Daß der Zusammenhang von Güte und Interessiertheit nicht so eindeutig ist, wie ihn Kant in der „Allgemeinen Anmerkung“ herstellt, läßt sich dadurch zeigen, daß er ähnliche Beispiele wie dort, etwa regelmäßige und rechtwinklige Wände und Türen, an anderer Stelle aufgrund ihrer Wohlgeformtheit als Beispiel für etwas Schönes anführt.33 Und vielleicht gibt es eine gar nicht so abwegige Möglichkeit, die genannte Verbindung zwischen Schönheit und Güte gelten zu lassen, ohne deswegen die Nichtpraktizität der Beurteilung in Frage stellen zu müssen. Daß es zur Beurteilung anhängender Schönheit von Belang ist, was das Ding sein soll – so die These im folgenden –, liegt daran, daß anhängende Schönheit sichtbare, also formale Wohlgeratenheit bedeutet und diese nur mit Blick auf die Bestimmung einer Sache, also dem, was ihr Schöpfer im Sinn gehabt hat, beurteilt werden kann. Daß ein wohlgeratenes Ding auch nach einem guten Ding aussieht, hat nicht automatisch zur Folge, daß dem Wohlgefallen an ihm ein Interesse zugrunde liegen muß. Das kann im Zusammenhang mit Kants Zweckmäßigkeitsbegriff verdeutlich werden, zu dem oben schon festgestellt wurde, daß er sich nicht in der Bedeutung von Zweckdienlichkeit bzw. Nützlichkeit erschöpft. 2. Zweckmäßigkeit und Wohlgeratenheit Die ursprüngliche Bedeutung von „Zweckmäßigkeit“ ist die von Güte, nämlich im Sinn von „Zweckdienlichkeit“ oder „Nützlichkeit“; aber bei Kant umfaßt der Begriff, wie oben dargestellt, auch den Aspekt von „Ar-
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Vgl. 46; 49f.; 188f. Vgl. Bd. 25, S. 181 und S. 1097. Siehe auch oben, S. 89, Anm. 101.
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Teil III: Das Spiel und die Schönheit
tefaktizität“.34 Für Zweckmäßigkeit im Sinn von „Zweckdienlichkeit“ spielt das Verhältnis des Objekts zu einem aktual oder möglicherweise nutznießenden Subjekt eine Rolle, denn nur in Hinblick auf die Interessen eines solchen kann allererst Nützlichkeit konstituiert werden. Für die Bedeutung im Sinn von Artefaktizität gilt das aber nicht: So, wie Kant den Begriff der Zweckmäßigkeit im §10 einführt, beschreibt dieser lediglich das Verhältnis zwischen einem Objekt und seiner Entstehungsursache. Nimmt man Kants Definition von Zweckmäßigkeit im §10 genau beim Wort, so bringt der Ausdruck nur dieses eine zum Ausdruck: daß ein Ding durch eine Zweckvorstellung, also durch ein Subjekt hervorgebracht wurde. Es ist darauf hingewiesen worden, daß im Rahmen so verstandener Zweckmäßigkeit, die ein Ding allein hinsichtlich seiner Subjektentstandenheit charakterisiert, dergleichen wie ein Wohlgefallen noch gesondert zu erklären wäre. Daß durch das Prädikat „zweckmäßig“ auch in objektiver Hinsicht eine Auszeichnung vorgenommen werden kann, läßt sich aber leicht verständlich machen, und es liegt einzig an der eigenartigen Verwendungsweise, mit der Kant den Begriff der Zweckmäßigkeit im §10 einführt, daß dergleichen nicht von selbst zutage tritt. Deutlich wird der Sinn einer positiven Auszeichnung nämlich etwa an einer Stelle, wo Kant von der „Zweckmäßigkeit und Ordnung“ spricht, „die man in so bewunderungswürdigem Grade“ in der Natur antreffe.35 Solche „Zweckmäßigkeit“ muß sich hier nämlich durchaus so verstehen lassen, daß damit nicht nur eine Nützlichkeitsrelation, ein „x ist zweckmäßig für y“ gemeint ist, sondern auch das auf objektiver Seite anzusiedelnde Verhältnis zwischen Objekt und seinem Schöpfer. Schließlich hebt Kant im unmittelbaren Anschluß darauf ab, daß die in Rede stehende Zweckmäßigkeit Anlaß sei, eine „verständige Ursache“ bzw. „einen verständigen Urheber anzunehmen“. Daß Kant hier weder allein die Zweckdienlichkeit solcher Natur noch allein den Umstand ihrer anscheinenden Subjektentstandenheit im Blick hat, zeigt sich durch den „bewunderungswürdigen Grad“, den die fragliche Zweckmäßigkeit aufweisen soll, denn „Zweckentstandenheit“ ist nicht gradierbar. Kann die Bewunderungswürdigkeit nicht allein der Artefaktizität des Objekts gelten, weil dann alle Artefakte Objekte von Bewunderung zu sein hätten, muß sie damit zusammenhängen, daß dieses Objekt so und nicht anders geworden – daß es wohlgeraten ist. Was mit einer „bewunderungswürdigen“ Zweckmäßigkeit somit gemeint sein kann, ist eine Zweckmäßigkeit, die als herauszuhebende Leistung verstanden wird.
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Vgl. oben, S. 30-54. Was heißt: Sich im Denken orientieren?, Bd. 8, S. 138.
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit
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Das heißt, daß die Bewunderung (oder das entsprechend Negative), von der Kant in solchen Fällen spricht, nicht nur dem Objekt gilt, sondern auch seinem Schöpfer zukommt. Durch das Prädikat „zweckmäßig“ in dieser Bedeutung wird also ein Objekt gewürdigt, weil es so ist, wie es hat „sein sollen“, aber nicht in bezug auf die aktualen oder möglichen Interessen des urteilenden Subjekts, sondern in Hinblick auf die Intentionen des Urhebers jenes beurteilten Objekts. So werden auch die Ausdrücke verständlich, die Kant gebraucht, um diese Auszeichnung zu charakterisieren: Dergleichen wie „Beifall“ oder „Bewunderung“ hat seine ursprüngliche Bedeutung im Kontext von Intersubjektivität und muß in bezug auf Objekte als übertragener Sprachgebrauch gelten.36 Sie drücken die Gelungenheit von etwas aus, die nur vor dem Hintergrund der Intention des Schöpfers beurteilt werden kann; von dem her, was sein Produkt hat „sein sollen“. Dabei kann es sich um die verschiedensten Gegenstände handeln, auch solche, die einem praktischen Zweck zu dienen haben. Zu wohlgeratenen Produkten ihres Urhebers werden sie dadurch, daß ihre Formen mit dem, was sie sein sollten, regelmäßig zusammenstimmen. Solche Objekte mögen gleichzeitig nützlich für praktische Belange sein.37 Aber in dem Urteil, das einer solchen Natur Schönheit im Sinn von sichtbarer Wohlgeratenheit bescheinigt, wird einzig darauf abgehoben, daß an solcher das „Mannigfaltige“ dem Objekt „dient“ bzw. demjenigen, „was dieses [...] vorstellen solle“ (49). Nicht die mit der formalen Qualität verbundene Nützlichkeit wird durch solch ein Urteil gewürdigt, sondern allein das Gelingen und die Leistung des Schöpfers. Für seine „schönen“ Buchstaben lobt man ein mit dem Schreiben gerade beginnendes Kind, wenn diese regelmäßig gezeichnet und deshalb leserlich und insofern auch nützlich-zweckmäßig sind. Das mit dem Prädikat „schön“ verbundene Wohlgefallen gilt aber nicht der Tatsache, daß dem lobenden Subjekt das Erreichen eines Zwecks (das Lesen des Zeichens) leicht fällt, sondern bezieht sich vielmehr auf die Tatsache, daß und wie das Kind den Buchstaben hervorgebracht hat, das heißt, daß es sich dabei verausgabt hat.38
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Vgl. hierzu Prauss, der in Kant über Freiheit als Autonomie auf die intersubjektive Bedeutung der von Kant verwendeten Ausdrücke wie „Beifall“, „Bewunderung“, „Gunst“ oder „Liebe“ hinweist. Wie Prauss darlegt, hat Kants Redeweise von einem „Wohlgefallen“, das man einer Sache „widmet“ (KU, 17), die Aufgabe, den Sinn von „Beifall“ erst synthetisch zu erzeugen; denn Beifall ist nichts anderes als ein Wohlgefallen, das das Subjekt ohne jeden praktischen Zwang sich abnötigt, also aus freien Stücken aufbringt (S. 296ff.). Siehe oben, S. 81. Zu diskutieren wäre noch, ob solches Lob, das der Leistung und dem vollbrachten Aufwand gilt, sich auch darauf bezieht, daß diese Leistung für das lobende Subjekt erbracht
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Teil III: Das Spiel und die Schönheit
Hier wäre also der Begriff der Zweckmäßigkeit, wie ihn Kant im §10 einführt, angebracht. In bezug auf die Naturgegenstände erfolgte seine Anwendung freilich nur in dem eingeschränkten, hypothetischen Sinn eines Als-ob, denn es soll ja nur darum gehen, die Natur so zu betrachten, als ob sie Produkt eines intentionalen Urhebers wäre. In bezug auf Menschenwerke hätte der Begriff der Zweckmäßigkeit im Kontext von Schönheit dagegen uneingeschränkte Gültigkeit. In beiden Fällen aber, ob nun die eigentliche oder nur eine übertragene Bedeutung zugrunde liegt, weist der so verstandene Begriff der Zweckmäßigkeit in den Bereich der Intersubjektivität. Denn die Auszeichnung eines in diesem Sinn zweckmäßigen Gegenstands bezöge dessen Schöpfer, sei es ein tatsächlicher oder nur ein hypothetisch erwogener, immer mit ein. Wenn in diesem Zusammenhang von Interesse die Rede zu sein hat, dann in einem intersubjektiven Sinn; in dem Sinn nämlich, wie andere Subjekte für ein Subjekt auch jenseits von Bedürfnisbefriedigung von Bedeutung sein und ihm Wohlgefallen bereiten können. Und ein solches intersubjektives Interesse erfüllt Kants Kriterien für Interesselosigkeit vom Anfang der AS nicht. Denn wenn sich das Interesse am Anderen nicht immer in Mittel/Zweck-Bezügen erschöpft, sondern darüber hinauszugehen vermag, so bleibt es doch ein Interesse an dessen Wirklichkeit. Wie sehr das Subjekt auch sein Gegenüber als Selbstzweck betrachten oder behandeln mag – daß es dieses andere Subjekt auch tatsächlich gibt, bleibt von entscheidender Bedeutung. Und das heißt: Wird ein Objekt als Ausdruck der Leistung eines anderen Subjekts gewürdigt, und soll das Wohlgefallen diesem Gelingen allein gelten, dann ist die Wirklichkeit dieses Objekts in der Tat wichtig. Und so ist auch zu verstehen, daß Kant gegenüber der Schönheit der Natur ein „unmittelbares Interesse“ feststellt: „[...] nicht allein ihr Produkt der Form nach“ gefalle bei der schönen Natur, „sondern auch das Dasein desselben gefällt“ (167). Denn: „daß die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die Anschauung und Reflexion begleiten“ (ebd.). Hierin soll aber bekanntermaßen ein „Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit“ (167) bestehen, was bedeuten würde, daß die gerade ermittelte intersubjektive Dimension ausgerechnet für denjenigen Fall von Schönheit nicht gelten soll, der nicht nur hypothetischer- oder metaphorischerweise auf andere Subjekte zu beziehen ist, sondern faktisch. Das gilt es aber zu hinterfragen. Die Besonderheit der Naturschönheit hinsichtlich jenes unmittelbaren oder „intellektuellen“ Interesses macht Kant durch das Beispiel der nicht
_____________ worden ist, im Sinn von Gunst. Dann gehörte das beurteilende Subjekt mit seinen Anliegen wieder zum Bestimmungsgrund der Auszeichnung hinzu.
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit
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durchschauten Imitation des Klanges einer Nachtigall deutlich. Deren Entlarvung führe dazu, daß die positive Auszeichnung zurückzunehmen sei, denn: „Dieses Interesse, welches wir hier an Schönheit nehmen, bedarf durchaus, daß es Schönheit der Natur sei, und es verschwindet ganz, sobald man bemerkt, man sei getäuscht, und es sei nur Kunst“ (172). Es fragt sich aber, ob der Beifall, der in einem solchen Fall offenbar revidiert wird, weil er nur der Natur zugedacht war, nicht aber anderen Subjekten, bei einem entsprechenden Beispiel aus dem Bereich des Kunstschönen nicht genauso hinfällig würde. Man stelle sich vor, was mit dem Beifall für ein Kunstwerk geschieht, wenn sich herausstellt, daß das Objekt gar nicht von einem Subjekt hergestellt worden, sondern naturentstanden ist. Auch in einem solchen Fall erfährt die Würdigung der Leistung durch die objektive Seite eine wesentliche Veränderung. Ob sie nun darin besteht, daß die Auszeichnung ganz zurückgenommen wird (weil die dem Werk unterstellten Sinngehalte nur projiziert waren), oder ob sich das Wohlgefallen noch steigert (weil der Gedanke der Naturentstandenheit des Objekts den Respekt vor ihm noch erhöht) – in jedem Fall wird deutlich, daß der ursprüngliche Beifall unter der Voraussetzung stand, daß es sich dabei um ein Kunstwerk handelt. Denn für die Würdigung eines Kunstwerks, die immer auch ein Beifall für dessen Schöpfer darstellt, ist die Wirklichkeit von Kunstwerk wie Schöpfer von fundamentaler Bedeutung.39 Der Beifall für ein Kunstwerk müßte eigenartig erscheinen, wäre dem Lobenden gleichgültig, ob das von ihm mit Beifall bedachte Werk das eines anderen Subjekts ist oder nicht. Auch bei Kunstwerken wird mit dem Prädikat „schön“ immer die Tatsache gewürdigt, daß es ein anderes Subjekt gibt, das solche Objekte hervorzubringen vermag. Während sich also die Würdigung schöner Kunstwerke und die von Naturschönheiten diesbezüglich gleich ist, muß der Unterschied zwischen beidem darin liegen, daß anders als bei Naturschönheiten die Urheberschaft bei Kunstwerken durch ein anderes Subjekt außer Frage steht. Und
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„An einem Produkte der schönen Kunst muß man sich bewußt werden, daß es Kunst sei, und nicht Natur“ (179). Wenn aber Kant dann sagt, die Kunst müsse „so frei scheinen, als ob es ein Produkt der bloßen Natur sei“ (ebd.), bezieht er sich nicht auf ein gemeinsames Merkmal aller Kunstwerke, sondern darauf, wie die Kunst zu sein hat, um ästhetisch zu gefallen, nämlich frei „von allem Zwange willkürlicher Regeln“ (ebd.). Auch gezwungen wirkende Kunst ist ein Fall von Kunst, wenngleich mißglückte. Dies muß als Hinweis darauf verstanden werden, worin die Leistung des Künstlers, die durch das Prädikat „schön“ gewürdigt wird, besteht: in der Schaffung von „reichhaltigem Stoff“ für die Anschauung des Betrachters, nicht aus einem Mittel/Zweck-Kalkül heraus, sondern als freie Verausgabung und damit so kalkülfrei und nicht berechnend, wie es Natur in vorbildlicher Weise ist. In diese Richtung könnte man jedenfalls gehen, um sich Kants Rekurs auf den Geniebegriff verständlich zu machen. In der Anthropologie erklärt Kant die notorische materielle Erfolglosigkeit des „gebornen Poeten“ durch dessen Hang, „die Sorgen durch das gesellige Spiel mit Gedanken zu verjagen“ (Bd. 7, S. 249).
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Teil III: Das Spiel und die Schönheit
weil der Beifall für Naturschönheiten beinhaltet, daß die Natur, also dasjenige, aus dem Subjekte hervorgegangen sind, wie ein Subjekt betrachtet wird, geht mit solchem Beifall auch immer „etwas einem religiösen Gefühl Ähnliches“ (478 Anm.) einher, was im Zusammenhang mit dem Kunstschönen wohl nicht der Fall ist. Eine Natur, die in Form einiger ihrer Objekte so betrachtet werden muß, als sorge sie nicht nur für Leib und Wohl des Menschen, sondern auch für seine ästhetischen Anliegen, ist Anlaß für das Gefühl, daß der Mensch nicht nur als praktisch-interessierter „in die Welt paßt“40, d.h. „in die Natur paßt“.41 Die Wirklichkeit einer verspielten, formenreichen Natur ist Anlaß, Spekulationen über die Natur, und zwar ganz besonderer Art, anzustellen. 3. „Freie Schönheit“ als Sonderfall des Schönen Mit Kants Prämissen wäre damit wenigstens im Ansatz ein Verständnis von Schönheit gewonnen, wenn auch noch keine Theorie von ihr. Angedeutet hat sich, daß die Beurteilung von Schönheit nicht immer auf einer spielerischen Auseinandersetzung mit Dingen beruhen muß. Und nur soviel ist klar, daß sich bei der Beurteilung von Schönheit immer auch die Frage nach dem Schöpfer des Dings stellt, wodurch Schönheit in einem wie auch immer näher zu charakterisierenden Kontext von Intersubjektivität steht. Eine Theorie des Wohlgefallens am Schönen bzw. eine Theorie der spezifischen Behandlungsart für ästhetische Gegenstände, die der Behandlung anderer Subjekte zu ähneln scheint, steht damit noch aus. Denn die müßte, ähnlich wie oben die Deutung des Spiels, einen Vorschlag für das Verständnis des in diesem Rahmen auftretenden Wohlgefallens machen. Wird also durch die bisherigen Überlegungen nahegelegt, daß die Struktur der als spielerische Tätigkeit verstandenen ästhetischen Erfahrung nicht zur Erklärung von Schönheit taugt, ist Kants „freie Schönheit“ nicht nur nicht die elementare Art von Schönheit, sondern überhaupt kein Fall von Schönheit. Dieses Ergebnis ist weniger problematisch als es scheinen könnte, denn es besagt nicht, daß die von Kant angeführten Beispiele von freier Schönheit nicht schön sein können. Es besagt lediglich, daß sie nicht schon durch das, was Kant als Phänomen der freien Schönheit beschreibt, also den verschwenderischen Reichtum ihrer Formen, schön sind. Das kann auch nicht so sein, wenn es so etwas wie
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Vgl. die immer wieder zitierte Stelle R 1820a. Daß der Mensch als praktisch-interessierter, und das heißt: als der erfolgsorientierte Opportunist, der er zweifellos ist, in die Welt paßt, muß der Natur ja nicht unbedingt hoch angerechnet werden.
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nichtschöne Blumen soll geben können. Die fehlende Schönheit einer Blume kann nicht durch einen praktischen Zweck erklärt werden; auch eine mißratene oder häßliche Blume ist ein Fall verschwenderischer Form, sofern sie sich dem alltagspraktischen Zusammenhang von Mitteln und Zwecken verweigert. Auch andere Formen der Natur, die wie Verzierungen und Ornamente aussehen, sind durch ihren ornamentalen Charakter allein noch keine Fälle von Schönheit; es kann sie als schöne und nichtschöne geben. Das Prädikat „schön“ beinhaltet in bezug auf sie dasselbe wie in bezug auf alle anderen Dinge, wie auch Artefakte, nämlich, daß sie als das, was sie sein sollen, gelungen sind und daß ihrem Schöpfer Anerkennung für seine Leistung gebührt. Wenn nämlich durch das Prädikat „schön“ allein die sichtbare Leistung des Urhebers eines Werks gewürdigt wird, ist dadurch noch nichts darüber gesagt, worin diese Leistung besteht. Sie kann beispielsweise in der Schaffung von Ordnung und Regelmäßigkeit bestehen, wenn Ordnung und Regelmäßigkeit als Leistung, und nicht als Resultat minimalen Aufwands, verstanden wird;42 sie kann aber auch darin bestehen, daß das hervorgebrachte Objekt eine spielerische Tätigkeit der Erkenntniskräfte gestattet. Werden also Blumen oder Bilder als „schön“ bezeichnet, wird mit diesem Prädikat dem Schöpfer dieser Objekte Beifall gespendet und dadurch die besondere Leistung gewürdigt, Objekte hervorgebracht zu haben, in deren Betrachtung das Subjekt sich verlieren kann. Wenn ein solches Objekt, das „auf äußere Beschauung abgezweckt zu sein“ scheint (die freie Naturschönheit) bzw. tatsächlich auf äußere Beschauung abgezweckt ist (die freie Kunstschönheit),43 schön genannt wird, steht das an ihm sichtbare Gelingen in bezug zu diesem Zweck. Nur für „anhängende“ Schönheit in Frage kommende Objekte haben als nichtschöne oder häßliche ihren Zweck aufgrund ihres Aussehens noch nicht verfehlt, denn ein häßliches Pferd sieht zunächst einmal nur so aus, als erfülle es ihn nicht. Anders verhält es sich bei freien Schönheiten: Blumen und Gedichte, deren Anblick bzw. Lesen kein ästhetisches Wohlgefallen hervorruft, hören sich nicht nur so an oder sehen nicht nur so aus, als hätten sie ihren Zweck verfehlt, sondern sie haben es tatsächlich. Die Auszeichnung eines Objekts, wie sie durch das Prädikat „schön“ geleistet wird, steht also nicht in allen Fällen in Beziehung zu dem ästheti-
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So kann auch ein Ding wegen der Reinheit seiner Farbe „schön“ genannt werden, was Kant im §14 ja einzuräumen scheint (40) und mit dem Prinzip der „Gleichförmigkeit“ erklärt. Daß andererseits mangelnde Abwechslung in der Farbe auch als monoton und langweilig empfunden werden kann, steht dazu nun nicht mehr im Widerspruch. Über den ontologischen Status des Kunstwerks ist damit nur wenig gesagt, und damit auch über eine etwaige Einordnung der Kunstproduktion in obige Untergliederung von Verwirklichungsbewußtsein. Die wäre noch zu leisten.
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schen Wohlgefallen, wie es im Rahmen jenes „freien Spiels der Erkenntniskräfte“ auftritt. Dabei handelt es sich um ein überraschendes, aber willkommenes Ergebnis, weil es ein entscheidendes Erklärungsdefizit von Kants Konzeption zu beheben hilft. Die ungeklärte Frage bezüglich der Legitimation von Geschmacksurteilen bei „anhängender“ Schönheit stellte schließlich kein randständiges, sondern ein erhebliches Problem für seine Theorie dar.44 Daß der Gebrauch des Prädikats „schön“ in vielen Fällen nur schwer mit dergleichen wie einem „freien Spiel“ zusammenzubringen ist, dürfte mit Blick auf viele Beispiele von natürlichem Sprachgebrauch, dem Kant ja gerecht werden will, deutlich sein. Und wie sich angedeutet hat, könnte das seine sachliche Berechtigung darin haben, daß das Phänomen des Schönen nicht mit derjenigen Einstellung zusammenfällt, die sich durch das Kriterium des freien Spiels abgrenzen läßt. Daß Kant diese Trennlinie zwischen dem Phänomen des Schönen und dem ästhetischen Wohlgefallen, wie es im Zusammenhang mit dem „freien Spiel“ steht, nicht sieht, könnte einer der Gründe dafür sein, daß er sich – zum Teil vielleicht berechtigterweise – den Vorwurf eines einseitigen Subjektivismus einhandelt. Denn indem Kant betont, daß die Wirklichkeit des Objekts keine Bedeutung für das ästhetische Wohlgefallen haben soll, und indem er die ästhetische Einstellung in Analogie zu einem Spiel beschreibt, muß die Bedeutung des Objekts im Rahmen dieser Haltung fragwürdig werden. Wenn das Verhältnis des ästhetisch eingestellten Subjekts zu dem wohlgefallenden Objekt parallel zum Subjekt/ObjektVerhältnis im Spiel zu verstehen ist, muß das Objekt in der Tat als Nebensache erscheinen. Denn das Spiel ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie ein Objekt, obwohl intendiert, für den Intendierenden geradezu nebensächlich sein kann.45 Wenn die Würdigung eines schönen Objekts tatsächlich diesem als Anderem gilt, kann dessen Wirklichkeit dem Subjekt unmöglich – wie im Spiel – gleichgültig sein. Zwar ist nicht das Ansetzen bei der Lust, die der Erfahrung des Schönen zugrunde liegen soll, eine Vorentscheidung zugunsten eines einseitig-subjektiven Ansatzes, wohl aber das Kriterium von Interesselosigkeit, wenn dieses in einer Unabhängigkeit von der Wirklichkeit des beurteilten Objekts bestehen soll.46 Hier setzt sich Kant der Gefahr aus,
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Vgl. Kulenkampff, Kants Theorie des ästhetischen Urteils, S. 159f. Vgl. oben, S. 122-146. Kants Kriterium der Interesselosigkeit scheint mir eindeutig: Dem ästhetisch eingestellten Subjekt soll es „ganz gleichgültig“ (7) sein, ob der gefallende Gegenstand wirklich ist oder nicht. Dies läßt sich kaum damit vereinbaren, daß das ästhetische Wohlgefallen auf der anderen Seite davon abhängen soll, ob das Objekt natur- oder subjektentstanden ist (vgl. z.B. Barchana-Lorand, „The Kantian Beautiful“, S. 313), denn für diese Unterscheidung kann nicht davon abstrahiert werden, ob der Gegenstand wirklich ist oder nicht – betrifft sie doch den Grund seiner Wirklichkeit. Es ist eindeutig Kants Intention, für Schönheit einen
B. Intersubjektivität als Tiefendimension der Schönheit
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die objektive Seite nachhaltig aus dem Blick zu verlieren.47 Mit der Theorie des freien Spiels, die diese Interesselosigkeit absichern soll, kommt er zwar zu einer plausiblen Konzeption für ein wichtiges ästhetisches Phänomen, hat sich dabei aber inzwischen unbemerkt auf einen Teilbereich des ursprünglichen Zielphänomens eingeengt und gerät mit anderen Befunden in Konflikt. Ein Gegenstand, der den Erkenntniskräften ein freies Spiel ermöglicht, indem er ihnen reichhaltiges Material für ihre Tätigkeit zur Verfügung stellt, ist dadurch allein noch nicht schön. Dazu wird zusätzlich verlangt, daß dieser sein Formenreichtum als Ausdruck eines Gelingens oder als Leistung seines Schöpfers anzusehen ist. Nur unter dieser Bedingung kann ein Gegenstand, der ein freies Spiel der Erkenntniskräfte gestattet, schön sein, und eine ganz andere Frage ist es also, ob ein Ornament oder ein Kunstwerk aufgrund seines über alle praktischen Zwecke hinausgehenden Formenreichtums geschätzt wird oder als Ausdruck der dahintersteckenden Leistung, des Opfers an Zeit, Mühe und Können auf Seiten seines Schöpfers. In einer Zeit, wo Farben- und Formenvielfalt fast keinen Aufwand mehr kostet, haben Ornamente wahrscheinlich einen anderen Stellenwert als in primitivsten Zeiten, wo sie dem Alltag unter großen Beschwernissen abgerungen werden. Das betrifft, wohlgemerkt,
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objektiven Sinn zu wahren, denn das ästhetische Wohlgefallen ist für ihn nicht nur wegen dessen „innerer Möglichkeit im Subjekte“ von Bedeutung, sondern vor allem „wegen der äußeren Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur“ (258f.) und den damit verbundenen Konsequenzen. Um Kant in diesem Punkt mit seinem eigenen Subjektivismus verträglich zu machen, bieten sich nicht viele Möglichkeiten an. Während etwa Dörflinger die Realität des Schönen gegen das Kriterium der Interesselosigkeit verteidigt, indem er letzterem seine Schärfe zu nehmen versucht (Die Realität des Schönen, S. 96ff.), vertritt vorliegende Untersuchung die These, daß das Kriterium der Interesselosigkeit vom Anfang der „Analytik“ in dieser Strenge für das Phänomen der Schönheit nicht gilt. Kants Theorie des freien Spiels als im starken Sinn interesselose, weil von der Wirklichkeit des Gegenstands unabhängige Beschäftigung, deckt sich nicht mit seinen Ansätzen zu einer Theorie von Schönheit. Adornos Vorwurf an Kants Konzeption, sie leiste einem Verständnis von Kunst als „Genußmittel höherer Ordnung“ (Ästhetische Theorie, S. 27) Vorschub, ist nicht ganz unbegründet, solange dem ästhetischen Wohlgefallen nur ein Spiel, aber kein Verhältnis zu einem Objekt, dessen Wirklichkeit irgendwie relevant wäre, zugrunde liegen soll. Nicht einmal die „traditionelle Verhaltensweise zum Kunstwerk“, so Adorno, sei damit vereinbar, sei aus ihr doch dergleichen wie „Bewunderung“ für das Kunstwerk und damit auch der Bezug auf das, was das Kunstwerk „an sich“ sei statt nur „für den Betrachter“ (ebd.), nicht wegzudenken. Dem, was Adorno hier gegenüber dem Kunstwerk einfordert, entspricht in Kants Theorie jenes „intellektuelle Interesse“ (§42), von dem freilich nur im Zusammenhang mit dem Naturschönen die Rede ist. Wenn man dieses intellektuelle Interesse aber mit den hier dargelegten Gründen auch für das Kunstschöne in Anspruch nimmt, läßt sich mit Kant das objektive Moment in der Wertschätzung von Kunst begründen – dies aber, im Gegensatz zu Adorno, ohne Kunsterfahrung damit zu einer Sache von „Wahrheit“ (ebd.) zu machen.
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nicht nur den materiellen Wert solcher Objekte, sondern auch ihre ästhetische Wertschätzung. Rezipienten von Kunstwerken bedenken nicht alles, was ihnen Unterhaltung gewährt, automatisch mit Beifall, was nur daran liegen kann, daß der Formenreichtum, der den Erkenntniskräften viel „Nahrung“ gibt, nicht immer als eigens zu würdigendes Gelingen oder als besondere Leistung anderer Subjektivität angesehen wird. Sie wird oft als effizientes Handwerk mit praktischem Kalkül durchschaut, ohne mit Beifall bedacht zu werden. Das freie Spiel bei der Auffassung eines Gegenstands und die Würdigung der Leistung anderer Subjektivität durch das Prädikat „schön“ sind demnach auseinanderzuhalten. In Hinblick auf Objekte weniger interessiert zu sein als die beschriebene spielerisch-ästhetische Einstellung, scheint zwar kaum möglich. Sie kann aber mit der Würdigung von anderer Subjektivität verbunden werden; dadurch nämlich, daß die Wirklichkeit eines das spielerisch-ästhetische Anliegen erfüllenden Objekts als besondere Leistung eines anderen Subjekts anerkannt wird. Und eine solche Würdigung anderer Subjektivität, die in der Zuschreibung von Schönheit in bezug auf ein bloßes Objekt besteht, ist mit einem ausgeprägten Interesse verbunden, einem freilich, das dem Interesse an anderen Subjekten zumindest ähnelt, wenn sich dieses Interesse nicht sogar als ein intersubjektives Anliegen erweisen läßt. Deshalb wäre die Würdigung der Schönheit eines Objekts „nur“ in dem Sinn eine Überwindung von Praktizität und Interessiertheit, wie dergleichen auch im Rahmen von Intersubjektivität statt hat. Damit zeigt sich, daß für das weitere Fortkommen im Bereich der Ästhetik eine ausgearbeitete Theorie von Intersubjektivität, die bei Kant sicherlich nicht vorliegt, wohl eine wichtige Voraussetzung wäre.48
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Eine Möglichkeit, wie mit einer um Intersubjektivitätstheorie erweiterten Transzendentalphilosophie an Kants Ansätze für eine Theorie der Schönheit angeknüpft werden könnte, deutet sich bei Prauss an: Wenn sich die These bestätigen läßt, daß Fremdbewußtsein ursprünglich zu einem animistischen Verständnis von Objekten führen muß (vgl. Die Welt und wir, Bd. II/1, S. 485f.), dann ist die intersubjektive Dimension der ästhetischen Einstellung zu Naturobjekten als Rückkehr zu diesem animistischen Weltverhältnis zu deuten. Verständlich wäre die ästhetische Einstellung somit nur vor dem Hintergrund, daß das Subjekt sich inzwischen selbst als Zweck erkannt und die Natur als bloßes Mittel durchschaut hat, diese ihm also entmythologisiert gegenübersteht.
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität Das Fazit zu den vorangegangenen Überlegungen könnte nun lauten, mit Hilfe des Spielbegriffs werde in der Ästhetik am Ende ein triviales Phänomen eingegrenzt. Wenn nicht auf das Phänomen der Schönheit, dann scheint der Spielbegriff in der Ästhetik auf das der Unterhaltung hinauszulaufen; auf etwas also, das im Ruf des Trivialen steht. Aber die Frage ist, ob damit das Phänomen wirklich desavouiert wird. Für manchen Rezipienten von Kunst mag die Unterstellung, man gehe etwa ins Theater, „um sich zu unterhalten“, die reinste Zumutung sein, aber ein vorurteilsfreier Blick auf das Phänomen wird wohl zu dem Ergebnis kommen müssen, daß der Besuch einer „Faust“-Vorstellung und der eines „Unterhaltungsfilms“ im Kino, das Lesen des „Werther“ und eines Groschenromans mehr miteinander gemein haben als beides mit dem Studium wissenschaftlicher Literatur. Wenn es um Erkenntnis geht, geht es um wahr oder falsch, und wer Wissenschaft nicht als Spiel mißversteht, strebt Ergebnisse an, auf die sich aufbauen läßt. Warum sollte es ein Wissenschaftler nicht begrüßen, wenn abschließende Antworten sich ergeben? Der Rezipient von Kunstwerken dagegen, ganz gleich, ob es sich dabei um „hohe“ oder „seichte“ Kunst handelt, ist „vollzugsorientiert und nicht resultatorientiert“1. Er bedauert das Ende eines guten Stücks oder eines guten Buchs. Kunstrezipienten können manchmal andere Subjekte dafür beneiden, dieses oder jenes Buch ihres Lieblingsautors noch nicht gelesen zu haben; für einen Wissenschaftler wäre es eine wunderliche Haltung, wenn er sich sein erworbenes Wissen wegwünschte. Es ist die Struktur des Spiels im Gegensatz zu der des Alltags, die den Unterschied verdeutlicht, und was durch sie abgegrenzt wird, ist nichts Triviales. Eine gewisse Belanglosigkeit im Zusammenhang mit der beschriebenen Struktur von Spiel und der spielerisch verstandenen ästhetischen Einstellung ist nicht zu bestreiten, sie betrifft die objektive Seite dieses besonderen Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt. Ohne tiefere Bedeutung, fast beliebig ist im Rahmen einer nach dem Muster von Spiel vollzogenen Tätigkeit der jeweilige Gegenstand. Im Spiel kann es um noch
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Vgl. Wellmer, „Das musikalische Kunstwerk“, S. 164.
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so kostbare Objekte gehen, in der Kunst können noch so tiefe Einsichten verarbeitet sein – sie sind im Rahmen auch des anspruchsvollsten spielerisch-ästhetischen Tätigseins nur Material. Doch wenn auch von seinem Inhalt abgesehen werden kann, ist das Phänomen des Spiels alles andere als belanglos, denn die Struktur, die diesem Vorgang auf der subjektiven Seite zugrunde liegt, versteht sich keineswegs von selbst. Im Zusammenhang mit dem Spiel liegt jedenfalls genau dasjenige vor, was Kant am Anfang der AS als höchst bemerkenswert erscheint, nämlich eine von außenweltlichem Erfolg unabhängige Lust, eine Zufriedenheit des Subjekts ohne Instrumentalisierung oder Konsum seiner Umwelt. Für die Lust im Spiel ist nicht entscheidend, ob das Intendierte wirklich wird oder nicht, und der spielerisch-ästhetische Vollzug ist freudvoll ganz unabhängig von der Frage, ob die Erkenntnistätigkeit erfolgreich verläuft. Dieser Umstand ist für Kant deshalb höchst bemerkenswert, weil die Abhängigkeit des Subjekts von seiner außenweltlichen Wirklichkeit für ihn einen Grundtatbestand endlicher Subjektivität darstellt. Berücksichtigt man, wie fundamental die Abhängigkeit des Subjekts von fremder Wirklichkeit für Kant ist, wird die Bedeutung dessen, was im Rahmen einer spielerischen Einstellung geschieht, erst eigentlich deutlich. „Nun habe ich wiederum nicht den mindestens Begriff, kann auch kein Beispiel von einem Willen geben“, sagt Kant, „bei welchem das Subject nicht seine Zufriedenheit auf dem Gelingen seines Wollens gründete, der also nicht von dem Dasein des äußeren Gegenstandes abhinge“2. Diese Charakterisierung der menschlichen Endlichkeit gewinnt Kant in Gegenüberstellung mit Gott, dessen „Zufriedenheit (acquiescentia) durchaus nicht vom Dasein der Dinge außer ihm abhängt“, wie es im unmittelbaren Kontext heißt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Möglichkeit, die sich dem Subjekt im Spiel bietet, geradezu ungeheuerlich. Besteht durch das Spiel also die Möglichkeit der Überwindung der Endlichkeit von Subjektivität? Der Spielbegriff wurde nach Kant wohl nicht zufällig immer wieder gegen das Subjekt gewendet. Und wenn etwa Ästhetiker bei Spiel und ästhetischer Einstellung eine besondere Hinwendung auf das Jetzt konstatieren,3 von einer „gesteigerten Gegenwart“4 bzw. der „Produktion von Präsenz“5 sprechen und sogar eine Art „Epiphanie“6 oder den „Genuß“ einer „stehenden Zeit“7 in Aussicht stellen,
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Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, Bd. 8, S. 400 (Hervorhebungen von Kant). Vgl. Seel, Ethisch-ästhetische Studien, S. 267; Ästhetik des Erscheinens, S. 218. Seel, Versuch über die Formen des Glücks. Vgl. auch Fink, Die Oase des Glücks, S. 24. Gumbrecht, „Die Schönheit des Mannschaftssports“, S. 208. Ebd., S. 222. Seel, Ethisch-ästhetische Studien, S. 267.
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klingt das sehr danach, daß das Subjekt im Spiel gewissermaßen über seinen Schatten zu springen und sich von sich selbst zu befreien imstande sei. Über den Status dieser Selbstbefreiung hat die Analyse des Spiels allerdings einiges ergeben. Worum es in dieser Einstellung geht, ist demnach nur die Befreiung von sich selbst als Reflektiert-Kalkulierendem, das Tätigwerden unter Ausblenden einer besonderen Erkenntnis, ein Wahrnehmen von Wirklichkeit ohne die Last des von sich Wissens. Das Verwirklichen bzw. das Hinschauen oder Hinhören ist in diesem Kontext weniger als Transzendierung des Subjekts hin zu etwas Göttlichem zu verstehen denn vielmehr als kontrollierte Regression zu einem quasinaturwüchsigen Bewußtsein, das sich ganz ungetrübt von der desillusionierenden Kenntnis seiner eigenen Endlichkeit und der Grenzen des Möglichen in Tätigkeit ergehen kann. Es ist eher die erwartungsfrohe Neugier eines kindlichen Intendierens, zu dem das Subjekt hier (wieder) findet, als die Überwindung seiner Endlichkeit. All das geschieht freilich nur in einem vom übrigen Alltag abgegrenzten Raum, einer Welt, die immanent nach dem Mittel/Zweck-Prinzip gestaltet ist. Es ist keine Absage an Zweckrationalität, die hier stattfindet, sondern ihre Aufrechterhaltung unter modifizierten Bedingungen. Die Befreiung von der Abhängigkeit der endlichen Mittel/Zweck-Zusammenhänge des Alltags erfolgt durch eine Binnenwelt der Mittel im Spiel. Daß im Zusammenhang mit dem Spiel von einem Bewußtsein „konzentrierter Intensität“8 die Rede ist oder eine „gesteigerte Intensität des Bewußtseins von Gegenwart“9 beobachtet wird, läßt sich damit begründen, daß das Subjekt im Vollzug solcher Tätigkeit von der Last des Wissens um sich und seine Zukunft bzw. Endlichkeit befreit ist und im momentanen Tun aufgehen kann; im Zusammenhang mit Spiel und spielerisch-ästhetischer Einstellung aber davon zu künden, daß der „irreversible, lineare Verlauf der Zeit aufgehoben“10 sei oder ein „Zustand reiner, von Vergangenheit und Zukunft nicht tangierter Gegenwart“11 erreicht werde, ginge zu weit. Im Rahmen von Spiel findet eine Befreiung von der prinzipiellen Ausgerichtetheit auf das noch nicht Wirkliche nicht statt, denn auch innerhalb spielerischer Erkenntnistätigkeit hat das Bewußtsein des Gegenwärtigen Mittelcharakter. Entsprechend sind die Teile des Objekts in der ästhetischen Einstellung immer schon in Hinblick auf das Verständnis des Ganzen überschritten – sei dies der Gesamtzusammenhang des im Film, Buch, Bild oder Gedicht Dargestellten. So gesehen liegt die-
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Gumbrecht, „Die Schönheit des Mannschaftssports“, S. 223. Seel, Ästhetik des Erscheinens, S. 218. Seel, ebd., S. 267 (unter Berufung auf Bohrer). Ebd.
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ser Haltung kein radikaler Abstand zum Vollbringen zugrunde;12 in dieser immer schon über das Gegebene hinausgehenden Erkenntnistätigkeit findet sich vielmehr eine deutliche Analogie zur Praxis. Ein Stehenbleiben beim Objekt ist die spielerische Erkenntnistätigkeit nur in dem eingeschränkten Sinn, daß das Verständnis des Objekts keiner weiteren praktischen Hinsicht dient.13 Daß dies nicht als ein Stehenbleiben beim Gegenstand verstanden werden darf, zeigt sich insbesondere daran, daß mit so etwas wie einem abschließenden Verständnis des Gegenstands, wenn es denn überhaupt erreicht wird, die ästhetische Einstellung sich nicht auf eine positiv besetzte Weise erfüllt, wie es etwa im Rahmen alltäglichen Verständnisses der Fall wäre, sondern sich auf eine negativ zu konnotierende Weise erschöpft.14 Zwar tritt im Spiel die Sorge um sich als von sich wissendem Subjekt in den Hintergrund, doch bleibt die Struktur der Abhängigkeit vom Erfolg in der Binnenwelt des Spiels grundsätzlich bestehen. In der spielerischen Tätigkeit hängt nämlich von jedem einzelnen Moment viel für das Weitere ab – das ist im Spiel geradezu Kennzeichen von Qualität. Intendiert werden muß hier so, als ob es um viel ginge, und die Spielwelt gleicht in ihrer Dichte gerade jenem Alltag, in dem viel „auf dem Spiel steht“. In einem guten Film oder einem guten Buch ist jedes Detail für das Verständnis der Geschichte von Bedeutung; wer etwas verpaßt, wird unter Umständen mit dem weiteren Verlauf nichts mehr anfangen können. Der Folgenreichtum von Erfolg oder Mißerfolg zu jedem einzelnen Moment im Rahmen ästhetischer Erfahrung bildet eine klare Analogie zum Alltag und dessen Mittel/Zweck-Zusammenhang, der sich nicht etwa durch seine Konse-
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Vgl. dagegen Seel, ebd., S. 167. Ein krasses Beispiel für die Apotheose der spielerisch-ästhetischen Einstellung gibt Theunissen, der von einem Zustand der „Freiheit von der Zeit“ spricht und dies näher charakterisiert als ein „Verweilen“, als „Nicht-Mitgehen mit der Zeit“ („Freiheit von der Zeit“, S. 289), das in einem sich „Sich-Zurücknehmen aus der Zukunft“ (S. 291) bestehen soll. Das ästhetische Schauen (der Aristotelischen Theoria verwandt), das „dem praktischen Glück geradezu entgegengesetzt“ (S. 291) sei, führe zu einem „Erlebnis des Augenblicks“ (S. 292). In dem ästhetischen Zustand, der Theunissen vorschwebt, sei die Zeit „ausgelöscht“ (S. 293), heißt es weiter. Denn: „anders wäre auch kaum zu erklären, daß im echten Verweilen keine Langeweile aufkommt“. Im fraglichen Zusammenhang ist die ästhetische Einstellung als spielerische Tätigkeit gemeint (wie die Entgegensetzung zur Langeweile zeigt) – die Zeit kann hier aber nicht in ihrer Vorwärts-Gerichtetheit aufgehoben sein, sondern nur in dem trivialen Sinn der Abwesenheit von thematisierter Zeitdauer überwunden werden. Vgl. dazu Blumenberg, „Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstandes“, S. 178. Daß der ästhetische Gegenstand nicht zur „‚erledigten Sache‘ zusammensinken“ darf, interpretiert Blumenberg freilich in Hinblick auf den möglichen „Austausch“ mit anderen Subjekten, der dadurch vereitelt werde; er versteht dies also intersubjektiv und nicht primär spielerisch.
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität 217
quenz vom Spiel unterscheidet, sondern lediglich dadurch, daß er nach hinten unbegrenzt ist. Die Rede von einer „sinnabstinenten sinnlichen Aufmerksamkeit“ 15, soll sie eine mit Spiel in Verbindung stehende ästhetische Einstellung betreffen, wäre vor diesem Hintergrund also falsch, und sollte aus dieser Einschätzung weiter gefolgert werden, es handele sich hier um die „radikalste Form vollzugsorientierten Verhaltens“16, sind Zweifel berechtigt, vor allem dann, wenn sich noch eine andere Einstellung denken ließe, für die dergleichen wie „Sinnabstinenz“ überzeugend in Anspruch genommen werden könnte. Um das Spiel noch nach einer anderen Seite hin abzugrenzen, soll es im folgenden um die Frage gehen, ob eine das Spielerische an Radikalität überbietende Einstellung denkbar ist. Und an zwei Beispielen kann gezeigt werden, daß das Spiel womöglich nicht das letzte Wort in Sachen Überwindung von Interessiertheit und Praktizität darstellt, und beide Beispiele lassen sich, ganz anders als das Spiel, als Versuch der Überwindung von Subjektivität verstehen. Zwar hat dergleichen wie ein Vorhaben, alle Mittel/Zweck-Verhältnisse und damit die Grundstruktur interessierter Praxis aufzugeben, sicherlich als ambitioniertes Projekt zu gelten; so ambitioniert, daß es geradezu unmöglich erscheinen könnte. Eine Bestrebung, der man eine solche Tendenz aber tatsächlich unterstellen darf, findet sich im Kontext der modernen abendländischen Kunst. Für einen an Radikalität wohl kaum zu überbietenden Angriff auf Bedeutungs- und Mittel/Zweck-Strukturen aller Art steht etwa das Werk von John Cage, der versucht, dem Rezipienten seiner musikalischen Kompositionen die Möglichkeit des Herstellens von Sinnkonstellationen zu nehmen. Mit der Losung „the sounds were just sounds“17 beschreibt Cage sein Ideal einer musikalischen Aufführung. Das Klangereignis hat dann keine kontextuelle Bedeutung; nichts mehr ist Mittel, weil die Existenzberechtigung des Einzelnen nicht mehr in Hinblick auf eine übergreifenden Struktur liegt, sondern das Klangereignis punktuell und isoliert für sich wahrzunehmen ist. Indem solche Werke ihrem Rezipienten keine Sinnbezüge mehr an die Hand geben und damit alle Mittel/Zweck-Zusammenhänge vermeiden,18 verweigern sie ihm genau das, was das Spiel auszeichnet, denn von diesem wurde gesagt, daß es in der Hierarchie von Mitteln und Zwecken dem Alltag nicht nachsteht. Cage fordert sein Publikum heraus, die Suche nach Sinnzusammenhängen
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Seel, Ethisch-ästhetische Studien, S. 267. Ebd. Cage, A Year from Monday, S. 134. Daß semantische Verweisungszusammenhänge analog zu praktischen Mittel/ZweckZusammenhängen zu verstehen sind bzw. darin gründen, ist zumindest eine der prominenten Thesen Heideggers in Sein und Zeit (S. 77-82).
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aufzugeben, mit seiner Aufmerksamkeit bei sinnlichen Ereignissen stehenzubleiben, die sich nicht überschreiten lassen.19 Auf der objektiven Seite steht hier allerdings ein „Werk“, das nichts Artifizielles mehr an sich haben darf, denn das würde das beschriebene Anliegen durch das Herstellen eines Verweisungszusammenhangs konterkarieren. Die Aufgabe, die sich ein solcher „Künstler“ stellt, scheint widersprüchlich zu sein, nämlich ein Artefakt hervorzubringen, das nichts von einem Artefakt mehr hat.20 Weil das schwierig, vielleicht sogar unmöglich ist, muß er sich geradezu überlisten, um sicherzustellen, daß er nicht doch beziehungsfähiges Material hervorbringt.21 Da das Ideal solcher „Musik“ Geräusch sein muß, wird sie als Artifizielles eigentlich überflüssig,22 wenn dem eigentlichen Anliegen, das eher als ein ästhetisches vielleicht als meditatives verstanden werden muß,23 nicht sogar hinderlich, denn im Hervorbringen unzeichenhafter Geräusche ist die unbeseelte Wirklichkeit schwer zu übertreffen. Der zweite Kandidat für eine wirklich „radikale“ Einstellung steht mit dem ersten in Verbindung und ist ein außerästhetisches, nämlich ein religiöses Phänomen. Die Rede ist von den meditativen Praktiken ostasiati-
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Für Cage mag gelten, was Seel zur modernen Kunst allgemein bemerkt, daß nämlich seine Werke „in eine pure Gegenständlichkeit treten“ (Ethisch-ästhetische Studien, S. 267). Ein Autor wie Cage will beim Rezipienten tatsächlich eine Einstellung evozieren, von der gilt, daß „auch jeder nichtkünstlerische Gegenstand in dieser Weise zum Objekt einer sinnabstinenten sinnlichen Aufmerksamkeit werden“ kann (ebd.). Zu diskutieren wäre aber, ob diese Charakteristik auf alle moderne Kunst anzuwenden wäre oder nur auf ein absolutes Extrem. Ob eine Einstellung ohne jegliche Sinnbezüge etwa auch auf den im Kunstmuseum ausgestellten Gebrauchsgegenstand ohne weiteres anwendbar ist, wäre zu fragen, denn dies hat eine sinnhafte Pointe, die ohne das Verständnis des praktischen Verweisungszusammenhangs, in dem dieses Objekt normalerweise steht, nicht zu erfassen ist. Daß es im Rahmen einer Einstellung, „in der jeder Gegenstand und jede Szenerie in ihrer Individualität und Augenblicklichkeit gleichermaßen willkommen ist“, die folglich „keine wertende oder auf Werte [...] bezogene Tätigkeit“ ist, noch Schönheit (oder auch nur Schönheit in Anführungsstrichen, wie bei Seel in „Kunst, Wahrheit, Welterschließung“, S. 43), geben kann, ist fraglich. Kants Formel von der Kunst, die wie Natur aussehen soll, wird durch solche Gebilde überboten: Sie wollen nicht nur so aussehen wie Natur, sondern Natur sein. Das Anliegen des „Komponisten“ muß es Cage zufolge sein, „keine Spuren zu hinterlassen“ (Vgl. Silence, S. 90). In seinem Stück „Music of Changes“ hat Cage 1951 versucht, die Komposition durch Würfeln an den Zufall zu delegieren (Vergleichbares hat zur selben Zeit auch Pierre Boulez mit seinen „Structures 1A“ unternommen). „Sounds everywhere. Our concerts celebrate the fact that concerts are no longer necessary“ (Cage, Silence, S. 154). So ist Cage zu verstehen, wenn er sagt: „I said that since the sounds were sounds, this gave people the chance to be centered within themselves, where they actually are, not off artificially in the distance as they are accustomed to be, trying to figure out what is being said by some artist by means of sounds“ (ebd., S. 134).
Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität 219
scher Traditionen,24 von denen sich eine besondere für den Vergleich mit dem Spiel aufdrängt, weil sie rein äußerlich betrachtet für ein Spiel gehalten werden könnte, ihrem Anspruch nach offenbar aber nicht ist. Wenn es nämlich stimmt, daß bei jener berüchtigten „Kunst des Bogenschießens“ im Zen der Schütze das Treffen der Zielscheibe „aus den Augen zu verlieren“ hat,25 läge darin die Möglichkeit für eine interessante Gegenüberstellung entlang des bisher Erarbeiteten. Um den Gegensatz zwischen Spiel und Alltag deutlich zu machen, war oben das Beispiel der Jagd gewählt worden.26 Äußerlich können sich die Verrichtungen beim Spiel und in der praktischen Jagd aufs genaueste entsprechen, denn denkbar ist, daß exakt dieselben Mittelhandlungen vollzogen werden, ohne daß zu entscheiden wäre, ob das eine oder andere vorliegt – Spiel oder Jagd im eigentlichen Sinn. Der Unterschied wurde als formaler und das Spiel als die zusätzliche Überformung der Alltagshandlung bestimmt. Im Spiel wird die Handlung aus dem Alltagskontext herausgerissen und erhält eine völlig artifizielle Motivation. Der Mittel/Zweck-Zusammenhang bleibt indes erhalten – der Spieler verrichtet ganz wie der praktische Jäger Mittelhandlungen, damit sich der Pfeil mit dem Ziel vereinigt. Genau dies aber soll im Rahmen der sogenannten Zen-Praxis nicht mehr gelten: Hier soll der Schütze also vergessen, daß es eine Zielscheibe gibt, die zu treffen ist, und wie wenig dies mit dem spielerischen Hervorbringen zu tun hat, sieht man auch daran, daß es hier im Gegensatz zum Spiel nicht darum geht, eine möglichst erfolgsversprechende Technik zu finden.27 Während im Spiel wie in der Praxis alle Mittelhandlungen ihre Einheit in einem übergreifenden Ziel erhalten, führt ein Schütze, der das Treffen der Zielscheibe vergessen hat, eine Folge von Einzelhandlungen aus, deren Aneinanderreihung entgegen allem Anschein nicht einem Mittel/Zweck-Zusammenhang zu danken ist, deshalb also in seiner Arbitrarität eher einer religiösen Zeremonie zu ähneln und die Struktur des Um-zu aufzuheben scheint. Obwohl die einzelnen Vorgänge äußerlich betrachtet sich auch als Teil einer Alltagshandlung konstruieren ließen, ist das Geschehen völlig anders zu beschreiben. Für einen Vorgang, der sich empirisch immer wieder bis aufs Haar gleichen kann, gäbe es nun also drei Möglichkeiten zur Beschreibung seiner inneren Struktur: die des Alltags, die des Spiels, und die meditative. Während in der Binnenwelt des Spiels – ganz wie im Alltag – die Prinzi-
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Vgl. z.B. Cage, „These Days“, S. 178, wo er sich u.a. auf Zen beruft. An anderer Stelle bezieht Cage sich aber auch auf die europäische Tradition der Mystik, nämlich Meister Eckhardt (vgl. „More Satie“, S. 93). Vgl. Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens, S. 71 und S. 85f. Siehe oben, S. 132f. und 142f. Vgl. Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens, S. 40f.
220 Ausblick: Das Spiel des Subjekts und das Projekt der Überwindung von Subjektivität
pien von Nützlich und Nutzlos, von Gut und Schlecht bestehen bleiben, werden sie in der sie weiter überbietenden Verrichtungsweise der gerade beschriebenen Meditation aufgelöst; einen Grund, warum dies und nicht jenes ausgeführt wird, ein bloßes Mittel zum Zweck, darf es nicht mehr geben. Auch hier wird eine Alltagshandlung überformt, aber so, daß jede einzelne ihrer Verrichtungen als punktuelles Intendieren von diesem oder jenem zu beschreiben ist. Das bedeutet, daß zu jedem Zeitpunkt statt Mittel gleichsam „nur noch Zweck“ intendiert wird. Die Überformung der Praxis, wie sie die religiöse Meditation dieser Interpretation zufolge anstrebt, ist anders als das Spiel nicht der Einstieg in eine neu geschaffene Pseudo-Praxis, aber auch nicht, wie im Fall der Moral, die punktuelle Überwindung des interessierten Mittel/Zweck-Zusammenhangs anläßlich anderer Subjekte, sondern eine prinzipiell andere Haltung zur Außenwelt, in der es eigentlich keine wertenden Unterschiede gegenüber Anderem mehr geben darf. Soll dergleichen realisierbar sein, dann gebührt wohl dieser Haltung der Superlativ „radikalste Form vollzugsorientierten Verhaltens“; hier scheint die Rede von einer „sinnabstinenten sinnlichen Aufmerksamkeit“ dann gerechtfertigt, und nur hier läge somit eine Einstellung vor, in deren Zusammenhang das Prinzip der Zweckmäßigkeit nicht mehr aufgefunden werden kann. Die Gegenüberstellung von Spiel und dieser so extremen Haltung kann davor schützen, die in Spiel und in der mit ihm verwandten ästhetischen Beschäftigung mit den Dingen erreichte subjektive Befindlichkeit falsch einzuschätzen. Weder das Spiel noch die ästhetische Einstellung sind, was ihre Nichtpraktizität angeht, eine derart extreme Haltung, daß das Prinzip der Zweckmäßigkeit insgesamt seine Berechtigung verlöre. So etwas kann, wenn überhaupt realisierbar, nur die Ambition einer Einstellung sein, der es um die Überwindung von Subjektivität als solcher geht. Die spezifische Leistung des Spiels – und nur um die ging es hier – muß jedenfalls darin bestehen, das Subjekt auf solche Weise von seiner Last zu befreien, daß es als Subjekt und die Objekte als Objekte in ihrem Recht belassen werden können. Was das Spiel zu leisten vermag, ist nicht weniger als dies, aber auch nicht mehr. Es überwindet vorübergehend das berechnende, von wissentlicher Sorge geleitete Intendieren und die damit verbundene Abhängigkeit vom erfolgreichen Verwirklichen, aber es verneint nicht Subjektivität als solche – es affirmiert sie immerhin als naturwüchsig-unreflektierte. Obwohl es im Rahmen einer solchen Haltung nicht um Erkenntnis geht, ist die Besorgnis, das Spiel und die spielerischästhetische Einstellung dadurch zu trivialisieren, unbegründet, weil die Praktizität des Subjekts, und damit auch deren Überformung, nichts Triviales ist.
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Personenregister Adorno, Theodor W. 122f., 126, 145, 211, 221, 228 Aichele, Alexander 6, 221 Allison, Henry E. 17, 25, 36, 184, 201f., 221 Ameriks, Karl 23, 221 Anz, Thomas 9, 125, 138, 144, 221 Aristoteles 216 Baatz, Ursula 137, 221 Barchana-Lorand, Dorit 210, 221 Bartuschat, Wolfgang 19, 23, 221 Basch, Victor 16, 221 Baum, Manfred 96, 148, 221 Baumgarten, Alexander Gottlieb 1, 58, 221 Behler, Ernst 5, 222 Bell, David 8, 222 Berger, Armin 150, 153f., 156, 222 Birnbacher, Dieter 150, 156f., 159, 222 Blumenberg, Hans 216, 222 Böhme, Gernot 2, 222 Boulez, Pierre 218 Brentano, Franz 146, 222 Brinkmann, Walter 158, 222 Bubner, Rüdiger 2, 6, 8, 23, 222 Budd, Malcolm 10, 23, 27, 30, 184, 189, 222 Burke, Edmund 116 Cage, John 217f., 222 Caillois, Roger 123, 127, 222 Cohen, Ted 23, 222, 226 Crawford, Donald W. 25, 46, 188f., 190, 222 Darwin, Charles 193 Davidson, Donald 151, 222 Derrida, Jacques 9, 183, 202, 222 Dörflinger, Bernd 23, 45, 148, 211, 223 Dumouchel, Daniel 97, 223 Dürrenmatt, Friedrich 172 Düsing, Klaus 101, 223 Dutton, Dennis 189, 223 Fink, Eugen 130, 140ff., 214, 223 Floyd, Juliet 36, 223 Frege, Gottlob 172, 223
Freud, Sigmund 125-128, 223 Frey, Hans-Jost 138, 223 Fricke, Christel 6f., 9, 23, 25, 34, 140, 223 Friebe, Cord VII, 4, 143, 157, 223 Gadamer, Hans-Georg 5, 128ff., 140, 201, 223 Gammon, Martin 184, 223 Gasché, Rodolphe 87, 223 Ginsborg, Hannah 8, 23, 25, 222f. Gracyk, Theodore A. 92, 224 Groos, Karl 123, 124, 126, 144, 224 Gumbrecht, Hans-Ulrich 214f., 224 Guyer, Paul 22, 48, 63, 192f., 198, 224, 226 Harris, Karsten 184, 224 Hartenstein, Gustav 115 Hassenstein, Bernhard 124, 224 Heidegger, Martin 9, 150, 165, 224 Heidemann, Ingeborg 87, 224 Heller, Edmund 8, 37, 224 Henrich, Dieter 6f., 23, 120, 224 Herrigel, Eugen 219, 224 Herzberg, Rolf Dietrich 152f., 224 Hogarth, William 190, 224 Hügli, Anton 224 Huizinga, Johan 124, 224 Husserl, Edmund 146, 225 Iser, Wolfgang 171-174, 177, 225 Janaway, Christopher 23, 225 Johnson, Uwe 174 Kahlo, Michael 157, 225 Kaufmann, Armin 155, 225 Kaulbach, Friedrich 26, 225 Kern, Andrea 2f., 21, 23, 26, 87, 120, 140, 225f., 228 Koch, Gertrud 174, 225 Korsgaard, Christine M. 133, 225 Kulenkampff, Jens 8, 10, 15, 22, 25f., 37, 40f., 47, 50, 56, 108f., 194, 210, 225f. Longueness, Beatrice 8, 24f., 226 Lorand, Ruth 183, 192, 221, 226, 228 Mallaband, Philip 189, 226 Marc-Wogau, Konrad 20, 67, 226 Matuschek, Stefan 9, 226
232 McAdoo, Nick 188, 226 Meerbote, Ralf 147, 226, 229 Meier, Georg Friedrich 58, 226 Menke, Christoph 3f., 225f. Menninghaus, Winfried 193, 226 Moritz, Karl Philipp 30, 226 Nietzsche, Friedrich 5, 9, 150, 226 Otto, Marcus 16, 20, 22, 226 Paetzold, Heinz 87, 226 Pareyson, Luigi 183, 226 Pascal, Blaise 132, 134, 142, 144, 227 Pauen, Michael 16, 227 Piaget, Jean 124, 127, 227 Pillow, Kirk 188, 202, 227 Pilot, Harald 87, 227 Prauss, Gerold 12f., 22, 131, 143, 148, 161, 170, 205, 212, 227 Radbruch, Gustav 157, 227 Rang, Bernhard 34, 227 Recki, Birgit 1, 8, 38, 45, 108, 227 Reimarus, Herrmann Samuel 37, 227 Reinhold, Carl Leonhard 16, 48 Rogerson, Kenneth F. 10, 227 Rohs, Peter 151, 227 Savile, Anthony 23, 227 Scarre, Geoffrey 186, 188f., 227 Schaper, Eva 188, 227 Scheer, Brigitte 26, 227 Schiller, Friedrich 128, 178, 201, 227
Personenregister Schlegel, Friedrich 200, 227 Schmücker, Reinold 2, 228 Seel, Martin 2, 5, 12, 120, 122, 150, 156, 162, 165f., 175, 177, 214-218, 228 Sonderegger, Ruth 2, 5, 10, 225f., 228 Stecker, Robert 192, 228 Stolzenberg, Jürgen 6, 8, 23, 32, 46, 120, 228 Strub, Christian 87, 146, 228 Theunissen, Michael 216, 228 Tonelli, Giorgio 30f., 97, 106, 111f., 119, 228 Trebels, Andreas H. 87, 228 Tumarkin, Anna 87, 228 Walser, Martin 173 Wellershoff, Dieter 176, 228 Wellmer, Albrecht 3, 5, 178, 213, 228f. Welsch, Wolfgang 2, 224, 229 Wicks, Robert 189, 192, 224, 229 Wieland, Wolfgang 1, 23, 26, 87, 92, 225, 229 Willaschek, Marcus 157, 229 Windelband, Wilhelm 111 Wittgenstein, Ludwig 9 Wolf, Ernst A. 155, 229 Wolterstorff, Nicholas 18 Wright, Georg H. von 159, 229 Zammito, John 67, 97, 105, 229
Sachregister Abhängigkeit 16-19, 23f., 127, 134, 136, 141, 166f., 210, 214ff., 220 Absicht, absichtlich 10, 12, 20, 27f., 3941, 45, 57, 65f., 68, 73, 75, 78-80, 85, 90, 95, 100-104, 109, 116ff., 121, 125, 131, 146f., 150, 153, 159, 197f. Affektion 18, 29 Allgemeingültigkeit 20-23, 25, 29, 105 Als-ob 32, 47, 50, 127, 145, 177, 206 angenehm, das Angenehme 1, 10, 16-20, 22-26, 29, 46, 52, 82, 94, 100, 102f., 106, 116ff., 122, 126, 135, 145, 183 Animismus 129, 212 Anschauung 6, 8, 15, 22, 24, 26, 37, 39, 43, 56f., 61, 68ff., 72f., 76ff., 89f., 92, 94, 96ff., 107f., 111, 121, 160, 170, 174, 176f., 185, 191, 202, 206 Arbeit 60, 86f., 91, 101, 106, 122, 143f. Ästhetik, ästhetisch - (Begriff ) 1 - Einstellung (siehe: Einstellung) - Idee (siehe: Idee) Bedingungen für Erkenntnis 26f., 72, 87, 92, 97f., 101, 109 Bedürftigkeit, Bedürfnisse 82, 133, 141f. Begrifflosigkeit, ohne Begriff 8, 20-23, 29, 46f., 64, 69, 73, 98, 108, 183, 192, 195 Belebung 88-91, 93, 97f., 101, 103f., 116ff., 139 Darstellung 5, 24, 42, 73-76, 98, 108, 140, 173, 175f., 196 Einbildungskraft 5-8, 24, 27ff., 34, 42f., 55, 59f., 63, 72, 74-80, 83-99, 101112, 114, 119f., 191f., 201 Einstellung - ästhetische 2-6, 9-13, 18, 20, 22f., 28f., 64, 82, 84, 87, 90, 92, 110, 115, 117ff., 120ff., 135f., 138f., 140, 146f., 149, 161-164, 166, 169, 174, 178ff., 188, 191, 210, 212-217, 220 - meditative 218 - praktische 82, 144f., 164ff.
- spielerische 134, 141-144, 179f., 210, 214ff. - theoretische 28, 92, 161, 167, 171, 174, 178f., 191 erhaben, das Erhabene 52, 63, 75f., 107f., 115 fiktiv, Fiktion 169-178 Freiheit 7, 18, 28f., 64, 74, 84ff., 88, 90, 92, 98f., 102, 105-110, 115f., 118f., 122ff., 127ff., 133, 137, 141f., 145, 182, 191f., 201, 215f. Gefühl 15, 17, 21f., 24ff., 29, 40-43, 45, 75, 93ff., 98, 100f., 108, 113, 116, 198, 208 Genie 106, 109ff., 115, 198f., 207 geometrische Formen 10, 52, 65-74, 78, 80-83, 85, 89, 112ff., 181, 191, 203 Gleichförmigkeit 40, 83, 100, 102f., 209 Glück, Glückseligkeit 126, 132, 141-144, 216 Glücksspiel 116 Gott 214 gut, das Gute 16, 19, 31, 46, 52, 55f., 64, 72, 83, 99, 102, 117, 126, 133, 183 - moralisch 19f., 99 - nützlich 16, 19f., 99, 186, 198, 203, 220 (siehe auch: Nützlichkeit) Handlung , Handeln 11f., 17, 21, 32, 62, 89, 120f., 124, 129, 134, 136f., 141, 144-164, 167, 176, 179, 199, 219 - innere 157 Handlungstheorie 11, 45, 120f., 179 Hin und Her 128ff. Ideal der Schönheit 201 Idee, ästhetische 10 Intellekt , intellektuell (siehe: Verstand) Intention, Intentionalität 8, 12, 32f., 41, 87, 123ff., 130-136, 141-149, 151164, 168f., 171f., 175, 178ff., 198f., 205f., 210, 214ff., 220 Interesse 9f., 12f., 16-20, 22, 35, 39, 41, 45, 55f., 63-66, 71, 73, 76-86, 88, 91f., 99f., 105, 109, 117-121, 123, 131-136, 138, 141, 147f., 164, 167,
234
Sachregister
169, 179, 197, 201, 203-208, 212, 217, 220 - intellektuelles 105, 206, 211 Interesselosigkeit 9ff., 17f., 20, 45, 56ff., 65, 72, 78, 82f., 105, 109, 116ff., 121f., 126f., 129, 136, 145ff., 162, 166, 180f., 183, 197f., 206, 210f. Intersubjektivität 21, 163, 165f., 177, 201, 205f., 208, 212, 216 Irrtum 22, 49, 171f., 174f. Kausalität, kausal 17, 31f., 100ff., 117f., 129, 131, 149, 153-158, 160, 163, 195 Kinder 122, 124, 126f., 166, 187, 205, 215 Kopernikanische Wende 148 Körper 18, 116ff., 125, 130, 149, 153f., 156-160, 163f., 193 Kunst, Kunstwerk 8, 21, 32, 34, 49, 61, 105f., 109, 111, 114ff., 122, 128, 140, 164f., 175-178, 180f., 195-201, 206209, 211-214, 217ff. (siehe auch: Schönheit - Kunst-) Langeweile 88, 103, 138, 180, 209, 216 Leben 2, 17, 90, 116, 123ff., 141f., 144, 154 Lust 6f., 10, 15-26, 40-43, 45, 50, 52, 54f., 57, 84, 87, 93ff., 100ff., 104, 112f., 116ff., 122-136, 142, 144, 167, 169, 180, 198, 210, 214 - spielerische (siehe: Spiel - Lust im) (siehe auch: Unlust) Mannigfaltigkeit 10, 39, 44, 86, 102, 180f., 190f. - und Einheit 10, 191 Maxime 16, 39 Mensch 34, 44, 52, 95, 104f., 125, 128, 132, 143, 185-190, 193-196, 200-203, 206, 208, 214 Mittel/Zweck 9, 12, 16, 19f., 22, 31, 3336, 49f., 53, 56, 60, 67, 80, 81f., 90, 101, 109, 123, 126, 128, 130-144, 147, 152, 160, 167ff., 176f., 199, 202, 206ff., 212, 215ff., 219f., 220 Moral 17, 19, 20ff., 45, 52, 99, 145, 151, 163, 220 Musik 90, 100, 116, 177, 191, 195, 217f. Natur als Technik 113 Natur, natural 17, 32, 35-52, 57, 61ff., 75f., 78, 80, 82, 86, 94, 100f., 103, 111-114, 119, 124ff., 128ff., 133, 141, 143, 147f., 165-168, 174, 180f., 189f., 195-201, 204-212, 218 (siehe auch: Schönheit - Natur-)
Naturwüchsigkeit 122f., 125f., 141-145, 150, 168f., 215, 220 Naturzweck 49ff., 53, 113, 188 Neigung 17f., 41, 44, 101, 103, 125, 127, 133, 144, 147, 151, 167 nützlich, Nützlichkeit 16, 19f., 22f., 30f., 33ff., 46-55, 58ff., 65-68, 70, 73, 81f. 85f., 99, 101, 111, 113, 125f., 135ff., 144, 147f., 193, 195, 200, 203ff., 220 Objektivität, objektiv 1, 15, 25f., 28f., 38f., 44, 46, 72, 77, 87, 94, 111, 132, 148, 167, 169, 173f., 189, 192, 195, 204, 207, 211, 213, 218 Organismus, Organisation 34, 48-51, 53f., 113f. Ornament 102, 185f., 190-194, 200ff., 209, 211 Parerga 184ff., 193 pathologisch 18, 102, 104, 116ff., 122, 125 Pflicht 21, 145, 163 Präferenz 15-29, 38, 40, 44f., 59, 62, 73, 79, 81, 83, 133, 161, 164ff. Praxis, praktisch 11f., 13, 21, 30, 35f., 45f., 48, 51, 56f., 66, 71, 73, 79-90, 100, 102, 113ff., 117-123, 126f., 129149, 154, 160-169, 176-180, 191, 199203, 205, 208f., 211f., 216-220 (siehe auch: Handlung, Handeln) Reflexion 3f., 20, 23ff., 37, 42f., 47, 82, 141, 143, 145, 178, 206, 215, 220 Regelmäßigkeit 67f., 70, 74f., 80f., 84f., 88f., 92, 181, 193, 209 Religion 208, 218f., 220 schön, das Schöne, Schönheit 1, 10, 11, 13, 15ff., 20, 22-25, 28f., 34, 43, 49, 53, 56, 58f., 61-64, 68, 70f., 73-76, 82f., 85, 87, 89, 94f., 98-103, 106109, 118f., 128, 179-213, 218 - anhängende 11, 13, 23, 99, 182-200, 202f., 209f. - freie 11, 99, 116, 182-191, 193-197, 199-202, 207ff. - Kunst- 49, 105f., 109ff., 114ff., 180, 195-200, 207ff., 211 - Natur- 41f., 51, 75, 105f., 111f., 169, 180, 187, 190, 195-201, 206-211 Seele 5, 116, 127 sensus communis 109 Sinnlichkeit, sinnlich 1, 8, 19, 36, 41, 45, 51, 69, 89f., 104, 110, 177, 217f., 220 Sollen 21
Sachregister Spiel - als Bild 8, 88, 115, 119-122, 135, 178f. - als Nacheinander 86f. - als unfreies 122f. - als Vorübung 123f. - außerästhetisch 11f., 106, 115-119, 121-149, 168f., 175, 178f., 191, 210, 213ff., 219f. - bei Kindern 124, 126f. - bei Tieren 124, 127f. - bloßes 86f., 109 - erleichtertes 89f., 97, 139 - freies 5-11, 15, 23, 28f., 32, 46, 69, 71, 83, 86-112, 116, 119f., 191ff., 201, 202, 210ff., 228 - in der Natur 128f. - Lust im 10, 12, 117f., 124, 127, 132, 134f., 138, 144, 180, 214 - zweckmäßiges 9, 86, 103 Spielregel 137 Spieltrieb 110, 124f. spontan, Spontaneität 18, 24, 27f., 45, 117, 135, 148, 170 Subjektivität, subjektiv 17, 22, 24, 26f., 29, 34, 37, 39, 41ff., 46, 50ff., 56-60, 64, 66f., 69, 71f., 78, 87, 91f., 94f., 97f., 101, 104, 108, 111, 126, 167, 169, 192, 210f., 214, 220 Symmetrie, symmetrisch 65, 89, 181 Systematizität 38f., 41f., 44, 50ff., 169 Teleologie, teleologisch 31, 33f., 35, 38, 42, 45-49, 54, 56, 62f., 67, 111-114, 125f., 196 Tiere 65, 122-125, 127f., 143, 189 Unlust 15ff., 21f., 25, 84, 100, 113, 123, 125, 132, 135, 138, 142-144, 167 (siehe auch: Lust) Unterhaltung 85, 88, 92, 102, 105, 107ff., 180, 212f. Unterlassen 12, 149-169, 179 Unzweckmäßigkeit (siehe: Zweckwidrigkeit) Urteil 3, 170 - Erkenntnis- 8, 15f., 18, 21, 26f., 46, 49, 55, 77, 97, 108, 170, 172, 175 - Geschmacks- 1, 3f., 8, 15f., 20-29, 42f., 46, 55, 69, 72, 83, 93-99, 102105, 108f., 113, 175, 182f., 189, 192, 195f., 205 - reflektierendes 24, 43 - teleologisches 35, 38, 196 Urteilskraft 24f., 34, 37, 39, 42, 52f., 75f., 98, 104ff., 109
235
- ästhetische 107 - bestimmende 37, 47 - reflektierende 28, 37, 40-43, 76, 108 Verantwortung, Verantwortbarkeit 149158, 161, 163 Vernunft 19f., 34, 39, 67, 108 Verstand (Intellekt) 5-8, 15, 19f., 24, 2729, 32, 36, 38-42, 44f, 50, 54f., 64f., 67-80, 84f., 87, 89-98, 101, 104, 106111, 115, 119f., 123, 126, 191f., 201, 215 Vollkommenheit 46f., 52, 58f., 61-64, 72, 83, 112ff., 183-187, 191-196, 198 Wahrheit 1-5, 18, 21, 170, 211, 213 Welt 42, 88, 126, 138f., 141, 147, 165, 178, 208, 215f., 219 Widerstreit 110 Wohlgeratenheit 198, 203ff. Wunsch 126, 130, 151f., 164 Zen 219 Zierat 184f. Zweck - als Ursache 19, 31ff., 35, 46f., 50f., 55f., 67f., 111f., 195, 197f., 200 - an sich 133 - der Erkenntnis 7, 9, 12, 45, 55, 57, 60f., 75, 78f., 85, 91, 121, 138, 147 - im Spiel 129f. - innerer 58, 190 - möglicher 19, 65, 70, 74, 168 - nichtpraktischer 60, 199ff., 207, 209 - objektiver 46 - praktischer 20, 23, 30, 33, 35, 48, 50f., 53, 55, 59-70, 73f., 79-82, 85f., 99, 102, 112f., 121-129, 133-138, 141, 147, 157, 160, 167f., 173, 176ff., 183, 186, 191ff., 198, 200ff., 205, 209, 217 - subjektiver 46 - theoretischer 121 - überlegter 198 Zweckmäßigkeit - als Artefaktizität 31-34, 38, 45-54, 113, 198, 204 - als Organisiertheit 50 - als Wohlgeratenheit 203ff. - als Zweckdienlichkeit 9, 11, 30-36, 46, 48ff., 52ff., 56, 60, 66, 81, 101, 113, 136, 138, 147, 195, 202, 204f., 220 - ästhetische 10, 42, 45ff., 51, 54, 59f., 60, 64, 68f., 71, 74, 106, 111f. - äußere 53, 58
236
Sachregister
- (Begriff) 9, 30, 33, 35f., 46, 48, 104, 204f. - bloße Form der 47, 53f., 56 - der Form 31, 46f., 54-57, 70, 77f., 81, 99, 104, 106f., 110f., - der Natur 36-39, 40ff., 45, 50, 52, 54, 206 - des Vorstellungszustands 60, 66, 98 (siehe auch: - für Erkenntnis) - empirische 52 - Form der 32, 35, 46, 53f. - formale 50, 52ff., 56, 58, 60, 62, 64, 69, 71, 81, 101, 105, 111, 114, 117, 119, 180 - für Belebung 101 - für die Urteilskraft 34, 104 - für Erkenntnis 7, 9f., 12, 28, 34, 3945, 50ff., 55-57, 60f., 78, 92, 101, 104, 108, 121 (siehe auch: - des Vorstellungszustands) - für Spiel 9, 86, 103, 108 - für Unterhaltung 85, 91f., 102 - im Spiel 12, 136, 138f., - inhaltliche 52f., 56
- innere 53, 58 - intellektuelle 67ff. - logische 42, 45, 53 - materiale 53, 62 - nichtpraktische 57, 78 - objektive 28, 45ff., 50, 53, 58, 62, 6467, 69, 71, 88, 111, 113f., 195, 198, 204 - ohne Begriff 64, 69, 73, 192 - ohne Zweck 9, 30-34, 46, 48, 57, 60, 64, 68f., 72ff., 86, 105, 119, 136, 192, 196 - praktische 35, 41, 45, 47f., 50ff., 57, 66, 71, 74, 79, 81, 83 - reale 67 - relative 53 - subjektive 24, 34, 46, 50, 52, 59, 60, 66f., 69, 71, 92, 101, 104, 111 - teleologische 31, 34, 45, 47f., 56, 67, 111 - theoretische 74, 78f., 101 - vor der Erkenntnis 42, 57, 77f. Zweckwidrigkeit 65, 75f., 110, 107f., 112, 135, 138f., 191, 203