Natur und Freiheit
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Natur und Freiheit
ELEMENTA Schriften zur Philosophie und ihrer Problemgeschichte herausgegeben von Rudolph Berlinger † und Wiebke Schrader
Band 78 - 2004
Amsterdam - New York, NY 2004
Natur und Freiheit Eine Untersuchung zu Kants Theorie der Urteilskraft
Jyh-Jong Jeng
The paper on which this book is printed meets the requirements of "ISO 9706:1994, Information and documentation - Paper for documents Requirements for permanence". ISBN: 90-420-1059-2 ©Editions Rodopi B.V., Amsterdam - New York, NY 2004 Printed in The Netherlands
Vorbemerkung
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2002/03 von der Philosophischen Fakultät III der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Inaugural-Dissertation angenommen. Zuerst möchte ich allen danken, die das Entstehen dieser Arbeit ermöglicht oder daran in irgendeiner Weise mitgewirkt haben. Ganz besonders danke ich meinen Lehrern, Frau Prof. Dr. Wiebke Schrader und Herrn Prof. Dr. Rudolph Berlinger, die mir den Weg europäischen Denkens aufgezeigt, mich unterstützt und gefördert haben. Herrn Prof. apl. Dr. Peter Prechtl danke ich herzlich für die Übernahme des Koreferats. Mein Dank gilt auch denjenigen, die Korrektur gelesen und sprachliche Verbesserung an der Arbeit vorgenommen haben: insbesondere Herrn Dr. Michael Leibold, Herrn Priv.Doz. Dr. Rolf Elberfeld, Herrn Andreas Schäfer M.A., Frau Dr. Martina Scherbel und Frau Dr. Dorothea Grund.
Hsin-Chu / Taiwan, im Juli 2003 J.J. Jeng
V
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung 0.1
1
Der Transzendenzcharakter der Existenz des Menschen und die systematische Stellung der KU in der Kantischen Philosophie …………..
1
Methodischer Ansatz und die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ……………..
9
Voraussetzungen und Grenzen der vorliegenden Untersuchung …………………………...
25
Überblick und Gliederung …………………..
30
§ 1 Bestimmende und reflektierende Urteilskraft
34
0.2 0.3 0.4
1.1
Bestimmen bei der transzendentalen und empirischen Urteilskraft ………………………..
37
1.2
Reflektieren bei der empirischen Kognition ...
53
1.3
Anmerkung zur topologischen Struktur der Harmonie der Erkenntniskräfte in der Reflexion der Urteilskraft …………………………
62
§ 2 Heautonomie und Vermittlung der Urteilskraft 2.1 2.1.1
69
Übergang von der Denkungsart des Verstandes zur Denkungsart der Vernunft …………..
72
Praktische Forderung der Einheit des Vernunftgebrauchs in der KrV und KpV ………...
84
2.1.2
Von der physischen zur moralischen Teleologie in der KU ………………………………...
104
2.1.2.1 Bestimmbarkeit des Übersinnlichen durch die Zweckmäßigkeit der Natur ………………….
117
2.1.2.2 Struktur des moralischen Gottesbeweises …..
121
2.2
Pragmatischer Übergang in der Weltgestaltung unter moralischem Gesetz ……………..
127
Notwendigkeit der Annahme einer Naturteleologie in der Naturforschung durch den Organismus als Naturzweck …………………...
130
2.2.2
Pragmatische Aufgabe der Urteilskraft ……..
141
2.3
Vermittlung der Urteilskraft ………………...
147
2.2.1
§ 3 Reflexion und Darstellung der Urteilskraft
152
3.1
Reflexion bei Kant …………………………..
163
3.1.1
Transzendentale Apperzeption als konstituierendes Reflexionsbewusstsein ………………
164
3.1.2
Reflexionsbegriffe …………………………..
167
3.1.3
Logische und transzendentale Reflexion ……
180
3.2
Urteilskraft als Vermögen der Darstellung ….
201
3.2.1
Schematische Darstellung …………………...
206
3.2.2
Symbolische Darstellung ……………………
212
VIII
§ 4 Ästhetische Darstellung der Zweckmäßigkeit der Natur 4.1
225
Das freie Spiel der Erkenntniskräfte in § 9 der KU ……………………………………….
234
Die methodische Wende der transzendentalen Exposition des Geschmacksurteils in § 9 …...
237
Die transzendentale Erörterung der ästhetischen Beurteilung in § 9
239
4.1.3
Ästhetische Wahrnehmung ………………….
248
4.2
Form der Zweckmäßigkeit …………………..
261
4.3
Systematische Bedeutung der ästhetischen Zweckmäßigkeit …………………………….
285
Transzendentale Deduktion der Zweckmäßigkeit der Natur …………………………….
294
4.1.1 4.1.2
4.4
Bibliographie Abkürzungen ………………………………..
305
Zitierweise …………………………………..
308
Kants Werk ………………………………….
309
Ausgewählte Sekundärliteratur ……………...
310
IX
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Einleitung 0.1 Der Transzendenzcharakter der Existenz des Menschen und die systematische Stellung der KU in der Kantischen Philosophie Kants transzendentaler Denkansatz besteht darin, die Prinzipien a priori der Vernunft im Rekurs auf die Subjektivität des Subjekts, nämlich auf die Möglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens (i.w.S.) selbst zu rechtfertigen, dessen Gebrauch dem Anfang des Denkens zugrunde liegt (vgl. KU, § 76).1 Die Frage nach der Bedingung bzw. dem Grund der Möglichkeit der menschlichen Subjektivität läßt sich aber nicht »dogmatisch« beantworten, weil die Kritik der menschlichen Vernunft sich sonst in einen Zirkel begibt, oder in einen regressus ad infinitum gerät. Das bedeutet aber nicht, daß diese »Selbsterkenntnis« der Vernunft nach Kant unmöglich oder nur erdichtet ist. Vielmehr kennzeichnet diese »Selbstbetrachtung« oder »Selbstbestimmung« der Vernunft eine ausgezeichnete »Erkenntnis«, die selbst keine kategoriale Erkenntnis der Gegenstände ist, sondern die obersten Prinzipien aller synthetischen 1
Die Hauptaufgabe der KrV, welche von der der allgemeinen Kritik der menschlichen Vernunft unterschieden werden muß, ist die Klärung der theoretisch »objektiven Gültigkeit« der apriorischen Begriffe des Denkens. Dies setzt aber die Möglichkeit des Denkens bereits voraus, deren Untersuchung nicht zum Hauptzweck der KrV gehört (vgl. KrV, AXVI f.). J.-H. Königshausen hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die kritisch selbstexplikative Ergründung des reinen Denkens weder geltungslogisch noch fundamentalontologisch ist. Die prinzipielle Vorgängigkeit des Denkens und dessen Handlungscharakter kommt in der Vorrede zur MAN folgendermaßen zum Ausdruck: »Alle wahre Metaphysik ist aus dem Wesen des Denkungsvermögens selbst genommen, und keinesweges darum erdichtet, weil sie nicht von der Erfahrung entlehnt ist, sondern enthält die reinen Handlungen des Denkens, mithin Begriffe und Grundsätze a priori, welche das Mannigfaltige e m p i r i s c h e r V o r s t e l l u n g e n allererst in die gesetzmäßige Verbindung bringt, dadurch es e m p i r i s c h e s E r k e n n t n i s , d.i. Erfahrung, werden kann« (MAN, AXIII/IV472). – Die Abkürzungen und Zitierweise der Schriften Kants siehe die Bibliographie.
Urteile a priori enthält, die wiederum die Erfahrung, also die »empirische Erkenntnis« ermöglichen (vgl. z.B. Metaphysik Arnoldt, XXIX970). Demzufolge unterscheidet Kant zwischen Kritik und Doktrin (Metaphysik der Natur und der Sitten). Die Kritik macht sich die Untersuchung der Quellen und des Inhalts des menschlichen Wissens in theoretischem und praktischem Sinne, des Umfangs des möglichen und nützlichen Gebrauchs desselben und der Grenze der menschlichen Vernunft zur allgemeinen Aufgabe. Die Kritik setzt nicht das »Faktum« der Einzelwissenschaft, sondern die »Tatsache« der Vernunft voraus, vor deren nicht kategorialer Wirklichkeit die Vernunft sich im Handeln auszuweisen hat.2 In diesem Zusammenhang bedeutet der Begriff ›Faktum‹ oder ›Tatsache‹ keineswegs das Faktum brutum, sondern ursprünglich etwas, was gemacht wird, und zwar vom Urteilenden selbst. Das Faktum der Vernunft besagt nach Kant zweierlei: Das höchste Prinzip der Vernunft ist zum einen philosophisch nicht aus anderen Quellen als der Vernunft selbst ableitbar, und darum im strengen Sinne unerklärlich. Die letzte Begründung der Philosophie kann deshalb zum anderen nur selbstexplikativ sein. Im Faktum der Vernunft bringt sich nach Kant eigentlich das zum Ausdruck, was der endlichen menschlichen Vernunft an ihrer Grenze bewußt wird. Dem Vorrang des Methodenproblems in Kants Philosophieren entsprechend wird die Kritik vornehmlich als »ein Traktat von der Methode« (KrV, BXXII) bestimmt, und zwar zuerst in dem »negativen« Sinne, daß die Kritik »nicht zur Erweiterung, sondern nur zur Läuterung unserer Vernunft« dient und sie von Irrtümern frei hält (vgl. KrV, A11/B25), indem die Untersuchung sich auf die in der Vernunft selbst liegenden Prinzipien richtet. Die Erkenntnis der Grenze, die keine bloße Schranke bedeutet, ist die Selbsteinschränkung, die Disziplin (Zucht) der Vernunft und somit deren Selbster-
2
Vgl. De mundi, A11/II395; KrV, B5; Prol., A38 f./IV274; KU, 457, 467; Entdeckung, A124/VIII249 f.; Nachträge zur KrV, XXIII20; Brief an Herz vom 26.05.1789, 397 ff.
2
mächtigung, die keineswegs eine maßlose Selbstverherrlichung ist.3 Gerade in dieser Erkenntnis der Grenze geht die Vernunft zugleich auch über sich hinaus zu sich selbst (Freiheit) und von da zur Weltund Gottesidee. 4 Durch diese apriorische »Selbsterkenntnis« vermag die Vernunft die Rolle der Gesetzgeberin zu leisten. Die Endlichkeit der menschlichen Vernunft gründet sich nach Kant in transzendentaler Hinsicht auf die Diskursivität des menschlichen Denkens, aber in ontologischer Hinsicht letztlich auf die Seinsverfassung des Menschen selbst, nämlich auf dessen sinnlichübersinnlichen Natur, aufgrund deren das Denken sich in seinem Weltentwurf als einen »Schnittpunkt von Immanenz und Transzendenz«5 zu erweisen vermag. Daraus ergibt sich, daß der Mensch das Ganze der Wirklichkeit und somit die Wirklichkeit im Ganzen nur in der Idee und durch die Idee zu erblicken vermag. Erst im Opus postumum hebt Kant die Transzendentalität der Wesensnatur des Menschen hervor. Nach ihm ist der Mensch eigentlich der »Demiurg« (Weltarchitekt) des Übergangs: »Kosmotheoros, der die Elemente der Welterkenntnis a priori selbst schafft, aus welchen er die Weltbeschauung als zugleich Weltbewohner zimmert in der Idee« (Op. post., XXI31).6 Darüber hinaus erhält die 3
4 5 6
Vgl. KrV, A709/B737; R. Berlinger (1992) S. 11 ff., (1982) S. 45 ff. – Kant übernimmt hier die ursprüngliche Unterscheidung zwischen »Grenze« und »Schranke« in der Mathematik (vgl. Prol., A166 ff./IV352 ff., A180 ff./IV360 f.). Dabei ist aber nicht zu verkennen, daß Kant im Kontext der Begrenzung der menschlichen verstandesmäßigen Erfahrung im Gegensatz zum Dogmatismus die Idee oder das Noumenon bloß im negativen Sinne verstehen will (vgl. z.B. KrV, A395 f., B307). Der objektive Gehalt der transzendentalen Idee – nicht als rein logisches, sondern als »transzendentales« Prinzip, das sich aus der Natur der Vernunft notwendig ergibt – bleibt im Problemkreis der Kritik in gewissem Sinne ungelöst. In diesem Sinne kann nun gesagt werden, daß die Vernunft der Kritik sich bei ihrer Selbstergründung noch nicht im Denkhorizont der reinen Prinzipienwirklichkeit erhebt, die Kant erst im Opus postumum auf dem »höchsten Standpunkt der Transzendentalphilosophie« zum Problem macht. Dazu vgl. folgende Anm. 19 (S. 14). Vgl. hier S. 13 ff. R. Berlinger (1992) S. 30. Die Schreibweise und Zeichensetzung aller in der Einleitung zitierten Texte aus dem Opus postumum werden von mir sinngemäß ergänzt und modernisiert.
3
Kritik auch einen »positiven Nutzen«, nämlich die transzendentale Fundierung der Metaphysik der Natur und der Sitten durch die Idee eines Systems der »Transzendentalphilosophie«, dessen selbstexplikative Ergründung sich von der KrV bis zum Opus postumum erstreckt aber von Kant nicht zu Ende geführt wird. Die Kantische Philosophie unterscheidet sich von der traditionellen abendländischen Philosophie nicht so sehr dem Inhalt, sondern der Methode nach. Kant bestimmt seine transzendentale Methode in Analogie zur methodischen Revolution in der neuzeitlichen Naturwissenschaft als eine »Umänderung der Denkart« (KrV, BXVI) der neuzeitlichen Metaphysik. Diese Umänderung betrifft die Beweisart, den Beweisgrund, mit einem Wort die transzendentale Begründung in Sachen der Metaphysik (vgl. KrV, A786 ff./B814 ff.; Prol., § 26). Unter ›transzendentaler Begründung‹ verstehe ich hierbei im Sinne Kants den Nachweis der Möglichkeit des menschlichen Wissens und Glaubens und zwar in der Art, daß die Bedingung der Möglichkeit des zu Begründenden unabhängig von seiner empirischen Bestimmtheit auf das Vermögen des Subjekts Mensch als seinen apriorischen Ermöglichungsgrund zurückgeführt wird. Der letzte für Menschen erweisbare aber nicht schlechthin absolute Grund des »transzendentalen Idealismus« beruht also nach Kant auf der Natur der menschlichen Vernunft selbst. In diesem Sinne bemerkt Knittermeyer mit Recht: »Die Kritik zielt auf eine transzendentale Anthropologie. Sie will nicht dem Menschen die Beschäftigung mit dem Fragen verwehren, die sich aus seiner sinnlich-übersinnlichen Natur und Bestimmung ergeben«7. Die drei Kritiken können deshalb als die Grundlegung dieser von Kant selbst ungeschriebenen Anthropologie angesehen werden. Die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht ist, wie der Titel zeigt, nur ein Teilaspekt oder besser eine Anwendung der transzendentalen Anthropologie auf die sich auf die Empirie beziehende Praxis. Dieser Sachverhalt bestätigt sich in der Behauptung Kants, daß die drei ersten Grundfragen der Philosophie sich auf die letzte Gesamtfrage
7
H. Knittermeyer (1941) S. 251; vgl. ders. (1939) S. 151 f.
4
beziehen, nämlich »Was ist der Mensch?«.8 Die drei ersten Grundfragen lauten: 1. »Was kann ich wissen?« (Metaphysik); 2. »Was soll ich tun?« (Moral); 3. »Was darf ich hoffen?« (Religions-, Geschichtsphilosophie). Die dritte Frage ist eine Synthesis der zwei ersten Fragen (vgl. KrV, A 805 f./B833 f.). Ihre Beantwortung gehört nach der KU zur Instanz der reflektierenden Urteilskraft (vgl. KU, § 86 ff.). Kants transzendentaler Methode der Isolierung gemäß ist erst mit der Beantwortung der drei Teilfragen eine Antwort auf die letzte Gesamtfrage möglich. Vor diesem Hintergrund stelle ich hier lediglich die These auf, daß Kant in der Ideenlehre des Nachlaßwerks diese letzte Frage der Menschheit transzendental durch das demiurgische, weltseiende Prinzip der Subjektivität des Subjekts Mensch zu beantworten sucht, und zwar in dem Sinne, daß der Mensch als selbstbewegende Mitte im Übergehen (Transzendieren), Welt und Gott subjektinnerlich miteinander zu einem System der theoretischen und praktischen Zwecke verknüpft.9 Der nur in Bruchstücken nachgelassene Spätentwurf der Ideenlehre kann aus dem transzendentalen Systemgedanken der KU als dessen Weiterführung gedeutet werden, nämlich als Vermittlung von Natur und Freiheit durch das kritische teleologische Weltprinzip. Dieses Weltprinzip vereinigt mittels der Heautonomie (Selbstgesetzlichkeit) der reflektierenden Urteilskraft die Autonomie des Verstandes und der Vernunft in sich. Dies läßt sich in zweifacher Hinsicht verdeutlichen. Zum einen wird in der KU auf den Transzendenzcharakter des Menschen bereits dadurch aufmerksam gemacht, daß der Mensch als letzter Zweck und Endzweck der Natur das Subjekt des Übergangs ist (vgl. KU, § 82- § 84). Zum anderen zielt der Übergang der KU letztendlich in der moralischen Teleologie auf das System des Übersinnlichen durch die Idee des Endzwecks der praktischen Vernunft, nämlich das höchste durch Freiheit in der Welt mögliche Gut ab (vgl. KU, § 85 - 91). Im Unterschied zum Übergang von der Na8
Vgl. KrV, A804 ff./B832 ff.; Jäsche Logik, A25/IX25; PM5 f.; Brief an C.F. Stäudlin vom 04.05.1793, 634. 9 Vgl. Op. post., XXI23, 27, 29, 31, 37 f., 70, 78, 84, 100, 106 u.ö.; dazu vgl. KU, 300.
5
tur (dem Sinnlichen) zur Freiheit (dem Übersinnlichen) in der KU erhebt sich der Mensch, im Opus postumum auf dem Boden der Kritik, als schöpferisch-geschöpflicher Mittler von Gott und Welt in die übersinnliche Ideensphäre, deren Wirklichkeit durch das geistige Vermögen der Freiheit als ontologische Selbstbestimmung des Menschen in der Welt hervorgebracht wird. Die KU verweist bereits darauf, daß die physische Teleologie sich ihrer Endabsicht nach in der moralischen Teleologie vollenden muß. Nun geht die Ideenlehre des Nachlaßwerks direkt von dieser moralischen Teleologie aus. Während Gott nach Kant ohne Zweifel das »höchste Wesen in moralischer Bedeutung« (Op. post., XXII127) ist, »ist der Mensch ihm gegenüber, insoweit doch selbständig, als er sich zu sich selbst, d.h. in Freiheit zu seinem wahren Selbst bestimmen kann. ›Gott ist der Heilige, aber kann kein heiliges Wesen machen‹. ›Gott kann einen Menschen erschaffen als Naturwesen, aber nicht als moralisches Wesen mit Prinzipien der Gerechtigkeit, Gültigkeit und Heiligkeit. – Er – nämlich der Mensch! – mu ß e s ur s pr ün g l i c h s e l b s t s e i n ‹ (XXI, 66)«10. Mit dem Brückenschlag von der theoretischen zur praktischen Philosophie nimmt die KU eine ausgezeichnete Stellung im gesamten System der Kritik ein. Diese systematische Problematik der KU zu verfolgen, ihre Fragestellung zu verdeutlichen, den Kantischen Lösungsvorschlag zum Natur- und zugleich Selbstverständnis des Menschen und dessen vernünftiger Einstellung zur Natur im Ganzen aufzuspüren, sind die Grundintention der vorliegenden Untersuchung. Die KU eröffnet einen Zugang zum Ganzen der Wirklichkeit, die uns zwar erscheint, aber selbst keine Erscheinung ist, durch das kritisch-idealistische Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen. Auf die Mehrdimensionalität dieses Prinzips der Urteilskraft wird in der vorliegenden Untersuchung ausführlich eingegangen. Hier sei nur angedeutet, daß der kritische Begriff der Naturzweckmäßigkeit ein beachtenswertes Naturkonzept in der Naturphilosophie auch für die heutige Umweltdiskussion 10
H. Knittermeyer (1939) S. 152.
6
darstellt. Die Naturphilosophie hat seit der ökologischen Krise in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder an Aktualität gewonnen.11 Die Natur wird in der KU nicht mehr als bloße Natur (rohe Materie, lebloser Mechanismus), sondern vielmehr in ihrer eigenständigen Produktivität als »ideehafte« Erscheinung betrachtet, in der die Natur selbst – dieser Ausdruck verweist bereits auf das »übersinnliche Substrat der Natur« – uns in ihren schönen Formen »figürlich« und in ihren organischen Formen »plastisch« (»technisch«) anzusprechen scheint (vgl. KU, 170; EE, XX233 f., 251). Der Begriff ›Scheinen‹ sollte hier eher positiv als negativ verstanden werden, und zwar gleichsam im Sinne von Lichten als »Deuten«12 und nicht im Sinne von Schein als Trugbild, wenn die kritische Grenze der theoretischen Unerkennbarkeit der inneren Natur dabei nicht überschritten wird. In diesem Sinne reiht sich die kritische Deutung der lebendigen Natur an eine lange geistesgeschichtliche Tradition, die durch den griechischen Begriff ›phýsis‹ (IXYVL) und den christlichlateinischen Begriff ›natura naturans‹ dargestellt wird.13 Dieser Naturbegriff ist nicht nur kompatibel zu dem Naturverständnis der modernen Naturwissenschaft, deren Wissen für die technisch-industrielle Gesellschaft unentbehrlich ist, sondern er fordert auch eine Umänderung der neuzeitlichen »mechanistischen« Einstellung des Menschen zur Natur, welche unter dem Motto der uneingeschränkten Naturbeherrschung steht, und dadurch eine verheerende Umweltzerstörung verursacht hat und somit den Lebensraum des Menschen selbst beeinträchtigt. Dem Mensch als vernünftigem Naturwesen, das unter dem moralischen Gesetz steht, soll seine Naturerkenntnis, die für sich selbst, als Mittel, weder gut noch böse ist, zum höheren Zweck der Vernunft dienen.
11
Vgl. z.B. Gr. Schiemann (1996), L. Schäfer (1993), und die Aufsätze in den folgenden Sammelbänden: K. Gloy (1996), G. Böhme (1989), J. Zimmermann (1982). 12 Zu »scheinen« als »deuten« vgl. G. Prauss (1971) S. 122-138; als »meinen« oder »vorläufiges urteilen« vgl. z.B. PM147 f.; Jäsche Logik, A100 f./IX66 f. 13 Vgl. K. Gloy (1995) S. 23 ff.; V. Gerhardt/Fr. Kaulbach (1989) S. 121, 124 f.
7
Kant ist kein Natur- oder Tierschützer in dem Sinne, daß er meint, alle Naturwesen ohne Unterschied seien gleichwertig zu behandeln. Seine kritische teleologische Einstellung zur Natur ist vielmehr ausschließlich von moralischen Aspekten geleitet. Diese Einstellung beruht letztlich auf dem anthropologischen Grund. Der Mensch als moralisches Subjekt in der Welt soll und muß, wenn er moralisch konsequent handelt, Tierquälerei und Zerstörung von Natur verbieten, weil diese Taten der »Pflicht des Menschen gegen sich selbst« zuwiderlaufen, und nicht weil die Natur selbst Zweck an sich ist, was nach Kant a priori nur für Menschen als Person apodiktisch gilt. Man muß im folgenden vieldiskutierten Kantzitat, in dem das Verbot der Tierquälerei und der Naturzerstörung moralisch begründet ist, insbesondere auf den Begründungskontext von Pflichten achten, um das Mißverständnis zu vermeiden, daß Tierquälerei und Naturzerstörung für Kant nicht an sich verwerflich wären.14 »In Ansehung des S c h ö n e n obgleich Leblosen in der Natur ist ein Hang zum bloßen Zerstören (spiritus destructionis) der Pflicht des Menschen gegen sich selbst zuwider; weil es dasjenige Gefühl im Menschen schwächt oder vertilgt, was zwar nicht für sich allein schon moralisch ist, aber doch diejenige Stimmung der Sinnlichkeit, welche die Moralität sehr befördert, wenigstens dazu vorbereitet, nämlich etwas auch ohne Absicht auf Nutzen zu lieben (z.B. die schöne Kristallisationen, das unbeschreiblich Schöne des Gewächsreichs). In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst weit inniglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität, im Verhältnisse zu anderen Menschen, sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird; […] Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes 14
Zur Diskussion des Kantischen teleologischen Naturkonzepts im Rahmen der ökologischen Ethik vgl. L. Schäfer (1993) S. 192 ff., hier insb. S. 206 ff.
8
oder Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären) gehört i n d i r e k t zur Pflicht des Menschen, nämlich i n A n s e h u n g dieser Tiere, d i r e k t aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen g e g e n sich selbst« (MAT, A107 f./VI443).
0.2 Methodischer Ansatz und die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung Die kritische Selbstaufklärung der Vernunft setzt subjektiv voraus, daß die Vernunft als ein teleologisches System und ihr apriorisches Prinzipiengefüge in sich geschlossen sei, obwohl seine Auswicklung in der Welt ein offenes System ist (vgl. z.B. KrV, BXXII f.).15 Das System der kritischen Philosophie beruht also letztlich auf der innersubjektiven Teleologie der Vernunft, welche in der KU durch das heautonome (selbstgesetzgebende) Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft, als subjektive Bedingung des zweckmäßigen Gebrauchs der Vernunft, zum Ausdruck kommt. Aufgrund dieses Prinzips hat man Grund, die zweckmäßige Einheit der Natur zu erwarten, und die Einheit der Welt zu erhoffen. Im dritten Abschnitt der Vorrede der KU bestimmt Kant im Anschluß an die apriorisch konstitutiven Prinzipien des Verstandes und der Vernunft die Aufgabe der KU, welche durch folgende Fragen dargestellt wird: 1. Hat die Urteilskraft im Erkenntnisvermögen, als Mittelglied zwischen dem Verstand und der Vernunft, auch für sich Prinzipien a priori? Aufgrund der systematischen Dreiteilung des Erkenntnisvermögens nach dem Prinzip der Synthesis darf man die Bejahung dieser Frage erwarten, denn nach Kant
15
Kant unterscheidet zwischen apriorischem (bzw. transzendentalem) und empirischem System (vgl. z.B. MAN, AXIII ff./IV472 f.). Das apriorische System erhebt den Anspruch auf Vollständigkeit aufgrund des geschlossenen Systems der Vernunft, nicht jedoch den Anspruch auf eine geschlossene Systematik, die hinsichtlich der raum-zeitlichen Artikulation der Vernunft geschichtlich bedingt ist. Das empirische System hingegen ist offen.
9
muß jedes eigenständige Vermögen zu seinem Gebrauch eigentümliche Prinzipien haben. 2. Sind die Prinzipien nun konstitutiv oder bloß regulativ? Wenn sie in bezug auf die Objektbestimmung »bloß regulativ sind (und also kein eigenes Gebiet beweisen)« (KU, V), weil die reflektierende Urteilskraft »nur zum Verknüpfen dient« (EE, XX246), fragt man sich dennoch, 3. ob sie bloß in Beziehung auf das Subjekt »dem Gefühle der Lust und Unlust, als dem Mittelgliede zwischen dem Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen, (ebenso wie der Verstand dem ersteren, die Vernunft aber dem letzteren a priori Gesetze vorschreiben,) a priori die Regel gebe« (KU, V f.)? Diese sogenannten Sachfragen werden außerdem noch unter einem systematischen Aspekt gestellt und untersucht, nämlich dem Übergang von der Gesetzgebung der Natur zur Gesetzgebung der Freiheit, bzw. dem Problem der Einheit des Vernunftgebrauchs und somit der Einheit der Welt. Das Streben nach Einheit des Vernunftgebrauchs ist die zwingende Konsequenz aus der Struktur der Vernunft selbst und nicht, wie man denkt, »auf einen ungegründeten Hang Kants zur Architektonik zurückzuführen«.16 Die Verflechtung der sachlichen und systematischen Probleme der Urteilskraft macht die KU zu einem schwierigen und zugleich interessanten Werk, dessen geschichtliche Wirkung meistens auf einem Mißverständnis beruht. Daher macht sich die vorliegende Untersuchung eine angemessene Auslegung dieses komplexen, das kritische System schließenden Werkes zur Aufgabe (vgl. KU, X). Die Schwierigkeiten bestehen in der sachlichen Komplexität und der begrifflichen Verschiebung in der Ausarbeitung der Kritik der reinen Vernunft zu einem System. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb die logische Stringenz der Beweisstruktur der KU zu prüfen, um Licht in die systematische Trag16
M. Horkheimer S. 92; vgl. E. Adickes (1887), R. Odebrecht S. 11 und A. Schopenhauer S. 672.
10
weite des Prinzips der Urteilskraft zu bringen, indem der jeweils sachlich bedingte Perspektivenwechsel aufgezeigt wird und die Mehrdeutigkeit der Grundbegriffe Kants, und zwar um ihrer Einheitlichkeit (Zusammengehörigkeit) willen, aufzuklären versucht wird. Insofern ist die Untersuchung Kant-immanent. Auf eine Darstellung der historischen Hintergründe wird verzichtet. Auch handelt es sich nicht um eine rezeptionsgeschichtliche Arbeit, wenngleich Sekundärliteratur dort, wo es zur Verdeutlichung der eigenen Position angemessen oder bedeutsam erscheint, in Fußnoten angeführt wird. Es wird ebenfalls nicht versucht, die Entwicklungslinie der Kantischen Kritiken aufzuzeigen. Die Kantische Philosophie gilt als einer der größten Systementwürfe der Neuzeit. Ihr Verdienst und ihre geschichtliche Wirkung braucht hier nicht thematisiert zu werden. Seltsamerweise läßt sich dieses System vielfältig und zwar nicht selten gegensätzlich interpretieren. Daher wird in der vorliegenden Abhandlung versucht Kant textnah auszulegen. Das ergibt sich auch aus der sachlichterminologischen Überlegung, daß jeder Begriff systembedingt ist. Die Auseinandersetzung mit Kants Text wird deshalb soweit wie möglich in der Kantischen Terminologie geführt, um Mißverständnisse zu vermeiden. Angestrebt wird hierbei durch eine kritische Strukturanalyse »Kant zu verstehen«. Freilich ist dies nur ein Standpunkt unter vielen. Eine exakte und differenzierende Analyse von Kants Denken, die nicht bereits mit einem vorgefertigten Urteil an dieses herantritt, um es dann auf einer gänzlich anderen Grundlage zu dekonstruieren, ist allerdings die methodische Voraussetzung einer fundierten Kritik. Eine »Kant-Kritik« im strengen Sinne wäre der nächste Schritt. Methodisch bedient sich die Interpretation der Maxime, daß die Werke Kants, zumindest aber die drei Kritiken, selbst organisch betrachtet werden sollten, um die scheinbar paradoxen Formulierungen nicht voreilig als Beweis der Uneinheitlichkeit der Philosophie Kants, sondern als Nachweis ihrer Lebendigkeit anzusehen. Diese Lebendigkeit zeigt sich darin, daß Kant unermüdlich um den Aufbau des Systems der »Metaphysik« auf dem festen Boden der Kritik ringt, die selbst aber wiederum ihren System- bzw. Prinzipien11
charakter erweisen muß. Dieser Prinzipiencharakter beruht, dem transzendentalen Denkansatz Kants gemäß, letztlich auf der Wesensnatur des Menschen selbst. Es geht dieser Methode aber nicht um eine Dekonstruktion Kantischen Denkens oder den formalistischen Nachweis terminologischer Inkonsistenz in einem gewachsenen Werk, vielmehr sollen Kants eigene Methode und sein eigener Ansatz fruchtbar gemacht werden, um aus der kritischen Distanz der historischen Perspektive die Konsistenz des Kantischen Systems auch in bezug auf die Frage nach der Urteilskraft aufzuspüren. In der KrV wird das Gebiet der Natur (des Sinnlichen) durch die Gesetzgebung des Verstandes allgemein strukturiert und in der KpV wird das Gebiet der Freiheit (des Übersinnlichen) durch die Gesetzgebung der praktischen Vernunft formal bestimmt. Dies ist nur unter der Vorgabe einer strengen Unterscheidung zwischen der sinnlichen und der intelligiblen Welt möglich, welche auf der Diskursivität des menschlichen Verstandes beruht. Ohne diese Unterscheidung geriete die menschliche Vernunft in einen Widerstreit und die Freiheit wäre auch nicht zu retten (vgl. z.B. KrV, A536/B564). Obwohl in der KrV die Widerspruchsfreiheit von Naturnotwendigkeit und Freiheit zumindest in dem denkenden und handelnden Subjekt festgestellt wird, ist der Regreß vom Sinnlichen (Bedingten) zum Übersinnlichen (Unbedingten) unter dem Gesichtspunkt der theoretischen Philosophie dennoch unmöglich (vgl. KU, XIX f.). Andererseits soll nach dem Begriff der Kausalität durch Freiheit die Verwirklichung des moralisch gesetzten Zwecks in der Sinnenwelt möglich werden, »und die Natur muß folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme« (ebd.). Diese Forderung ist jedoch moralisch-praktischer Natur. Die Autonomie des Verstandes und der Vernunft machen die Notwendigkeit dieser Übereinstimmung einerseits aber nicht begreiflich, weil die beiden »Gebiete« voneinander unabhängig sind, obwohl sie nach Kant für die menschliche Vernunft nur ein und denselben »Boden« haben, nämlich die Natur als »Inbegriff aller Gegenstände der Sinne« oder 12
als »Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung«, auf welchem Verstand und Vernunft ihr Gebiet errichten und ihre Gesetzgebung ausüben (vgl. KU, XVII); aus systematischem Grund bedarf andererseits die Vermittlung oder die Einheit beider Gebiete eines Dritten, dessen Prinzip weder zu dem einen noch zu dem anderen gehört. Dieses Dritte ist nach Kant nun die reflektierende Urteilskraft. Ihr Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur soll die systematische Aufgabe des Übergangs von der Gesetzgebung der Natur zur Gesetzgebung der Freiheit möglich machen. Im Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur wird – im Rekurs auf den technisch-praktischen Gebrauch der Vernunft und zwar unabhängig von der moralischen Forderung – ein kritischer Begriff der »lebendigen« Natur konzipiert. Die physisch-teleologische Naturbetrachtung führt nach der Natur der menschlichen Vernunft unumgänglich zur Dimension des Übersinnlichen, dessen Bestimmung nach Kant für Menschen nur moralisch-praktischer Natur sein kann. In dieser Dimension werden der Mensch, die Welt und Gott mit Hilfe der Selbstbetrachtung des moralischen Subjekts als Endzweck der Natur in Verknüpfung miteinander notwendig zu einem Gedankensystem. Dieser kritische teleologische Natur- oder Weltbegriff der KU setzt sich auf dem Boden der reflektierenden Urteilskraft im neuen Entwurf der Ideenlehre in Kants Nachlaßwerk weiter fort.17 Dort ringt Kant um die Definition18 der Transzendentalphilosophie als ideales (subjektiv betrachtet) und zugleich reales (objektiv betrachtet) »System der Selbsterkenntnis« (Op. post., XXI108) im Zusammenhang mit der Begründung der Metaphysik der Natur. Die Transzendentalphilosophie ist nun nach Kant, aus ihrem »höchsten 17
Vgl. das VII. und I. Konvolut im Op. post.; ferner G. Lehmann (1969) S. 258 ff., 284 f., 351 ff.; R. Spemann/R. Löw (1985) S. 139 ff.; H. Knittermeyer (1941) S. 266 ff., (1939) S. 138 ff. 18 In der KrV hebt Kant den nachträglichen (suchenden) Charakter der Definition (»Exposition«) der philosophischen Begriffe im Gegensatz zur mathematischen Konstruktion der Begriffe hervor, mit der ein mathematischer Beweis beginnen muß (vgl. KrV, A730/B758; A731/B759 Anm.). »In der Mathematik gehört die Definition ad esse, in der Philosophie ad melius esse. Es ist schön, aber oft sehr schwer, dazu zu gelangen. Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe vom Recht« (KrV, A731/B759 Anm.).
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Standpunkt«19 betrachtet, die »transzendentale« Ideenlehre, die – im Gegensatz zur Ideenlehre der KrV, welche sich noch im Denkhorizont des negativen Nutzens der Kritik als »Überwindung des Begründungsdenkens der neuzeitlichen Metaphysik«20 befindet – aus der reinen »Selbstbestimmung des denkenden Subjekts« (Op. post., XXI92) positiv in dem Sinne bestimmt wird, daß die »Autonomie der Ideen, insofern sie ein selbständiges Ganze[s] im Gegensatz der Erfahrung ausmachen«21, hinsichtlich der Selbstobjektivierung der Vernunft heautonom (selbstgesetzgebend) bleibt.22 Dies steht aber nicht im Widerspruch zu Kants negativer Bestimmung der Transzendentalphilosophie der Vernunft in der KrV (vgl. A246 f./B303; A845/B873), denn Ideen sind im Opus postumum zum einen als innerlich »von uns selbst gemacht« und nicht als äußerlich, also sinnlich gegenständlich »gegeben« betrachtet, und die Transzendentalphilosophie bezieht sich hier zum anderen nicht auf die Onto19
Vgl. Op. post., XXI18, 23, 32, 44, 94, 95 u.ö. – In der KrV hingegen ist der höchste Standpunkt der Transzendentalphilosophie die synthetische Einheit der Apperzeption, also das Vermögen des reinen Verstandes (vgl. KrV, B134 Anm.). – Kant bestimmt die Transzendentalphilosophie in der KrV lediglich unter dem theoretischen Aspekt. Die Grundsätze, Grundbegriffe der Moralität gehören daher nicht zur Transzendentalphilosophie (vgl. KrV, A14 f./B28 f.; A801/B829 Anm.). In diesem Sinne betrachtet Transzendentalphilosophie »nur den V e r s t a n d und Vernunft selbst in einem System aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die g e g e b e n w ä r e n (Ontologia)« (KrV, A845/B873). Ontologie heißt demnach Lehre der Wesenheit, der Dinge überhaupt, mit Kants Worten, der Gegenständlichkeit. Dementsprechend wird die Transzendentalphilosophie in der KrV in ihrem engeren Sinne als Ontologie verstanden, die nach der Natur des menschlichen Verstandes nur für die Gegenstände der Erfahrung gilt, weil Gegenstände uns nur durch Anschauungsformen gegeben werden können (vgl. Fortschritte, A10 f./XX260). 20 M. Riedel (1989) S. 11. 21 Op. post., XXI81; vgl. XXI79, 92, 93, 101. 22 Autonomie heißt hier »Selbstgeschöpf« (Op. post., XXI84, 100, 118) oder »Selbstdarstellung« (Op. post., XXI117, 118, 122). Hinsichtlich der Ideen als Prinzipien der Selbstobjektivierung des Subjekts wird im Opus postumum die Unterscheidung zwischen der Autonomie und der Heautonomie der KU insofern wegfallen, als im Bereich des Prinzips die reine Innerlichkeit der Subjektivität die Autonomie und die Heautonomie in sich vereint.
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logie (metaphysica generalis), sondern auf die sogenannte »besondere« Metaphysik (metaphysica specialis). Die Ontologie (Transzendentalphilosophie in engerem Sinne) als »System aller Verstandesbegriffe und Grundsätze« ist nach Kant nur ein »Teil der Metaphysik«. »Sie berührt nicht das Übersinnliche, welches doch der Endzweck der Metaphysik ist, gehört also zu dieser nur als Propädeutik […] der eigentlichen Metaphysik« (Fortschritte, A10 f./XX260). »Transzendentalphilosophie ist die Autonomie der Ideen, insofern sie unabhängig von allem Empirischen ein unbedingtes Ganze[s] ausmachen, und die Vernunft sich selbst zu diesem als einem absonderlichen System konstituiert« (Op. post., XXI79).
Die »Gegenstände« dieser Transzendentalphilosophie sind nach Kant »Gott, Welt und der dem Pflichtbegriff unterworfene Mensch in der Welt« (ebd., XXI81). Nach Kant sollen nun in der Transzendentalphilosophie »Gott über mir, die Welt außer mir und der freie Wille in mir in Einem System vorgestellt« werden (Op. post., XXI41). In diesem Sinne sind »[t]ranszendentale Ideen […] von Idealen unterschieden«, denn Ideen dienen hier nicht heuristisch zur verstandsgemäßen Objektbestimmung, sondern subjektinnerlich zur Selbstbestimmung der Vernunft. Der Mensch selbst ist ein geistiges Weltwesen als Person, »welches sich zu einem Glied konstituiert« (ebd., XXI81; vgl. XXI18). Die transzendentalen Ideen müssen in ihrem wahren Sinne deshalb nicht als bloß ideal (gedacht), sondern als subjektiv real angesehen werden. Die Freiheit wird hier nicht wie in der Postulatenlehre der KpV (A238 f./V132) auf dem Standpunkt der vernunftfähigen Naturwesen nur in bezug auf das moralische Gesetz »postuliert«, sondern sie ist insofern »wirklich«, als der »innere Lebensgeist des Menschen in der Welt« (Op. post., XXI41) sich in und durch sich selbst konstituiert. Ein Geist (mens) – nicht »Seele, denn das setzt einen Körper voraus« (ebd., XXII55) – ist nach Kant ein »immaterielles und intelligentes Prinzip als Substanz« (ebd., XXI18). Die »transzendentalen« Ideen sind also nicht »Begriffe, sondern reine Anschauungen, nicht diskursive, sondern intuitive Vorstellungen, denn es ist nur Ein solcher Gegenstand, 15
[nämlich] Ein Gott, Eine Welt (universum) und in dem Freiheitsgesetz nur Ein Prinzip der Verehrung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote durch Menschen in der Welt« (ebd., XXI79). Kant schränkt diese geistige Selbstanschauung der Idee seinem Kritizismus gemäß folgendermaßen wieder ein: »Es ist hierbei nicht tunlich die Existenz einer Substanz von dieser Qualität anzunehmen« (ebd.), denn »Transzendentalphilosophie ist das System des reinen Idealismus der Selbstbestimmung des denkenden Subjekts durch synthetische Grundsätze a priori aus Begriffen, vermittelst deren dieses sich selbst zu einem Objekt konstituiert, und die Form macht hier den ganzen Gegenstand selbst aus« (ebd., XXI92). »Daß ein solches Wesen [Gott] existiere, kann nicht geleugnet werden, aber [es kann] nicht behauptet werden, daß es außer dem vernünftig denkenden Menschen existiere. In ihm (dem moralisch nach Pflichtgeboten unserer selbst denkenden Menschen) leben (sentimus), weben (agimus) und sind wir (existimus)« (ebd., XXII55).
Die Selbstanschauung der Idee ist in diesem Sinne keineswegs ihre Hypostasierung oder Verdinglichung, sondern vielmehr bedeutet die »Autonomie der Idee« hierbei das Selbstprinzip des menschlichen Geistes. Auf dieser Prinzipienebene ist das transzendentale Selbstbewußtsein (Apperzeption) zugleich die intellektuelle Selbstanschauung des menschlichen Geistes, die nach Kant aber keineswegs mit der »intellektuellen Anschauung« eines göttlichen Verstandes gleichgesetzt werden darf. Hier wird der autonome Wesenscharakter des Menschen in seinem ursprünglichen Transzendieren hervorgehoben. Diese Selbstermächtigung des Menschen, die als die sich selbst im Übergang vollständig auslegende und in dieser Selbstauslegung sich selbst objektivierende Vernunfteinheit zu bewähren ist,23 läßt sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erörtern, da sie sich wesentlich auf die drei Kritiken, genauer auf die KU konzentriert. Zu23
Vgl. K. W. Zeidler S. 211, H. Knittermeyer (1941) S. 269.
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sammenfassend sei hier nur auf einige charakteristische Formulierungen Kants für die »Exposition« der Transzendentalphilosophie im Opus postumum verwiesen: »Transzendentalphilosophie ist das Bewußtsein des Vermögens vom System seiner Ideen, in theoretischer sowohl als praktischer Hinsicht Urheber zu sein. I d e e n sind nicht bloße Begriffe, sondern Gesetze des Denkens, die das Subjekt ihm selbst vorschreibt. – A u t o n o m i e . … Transzendentalphilosophie subjektiv ober objektiv betrachtet: Im ersteren Fall ist sie das System synthetischer Erkenntnis aus Begriffen a priori. Im zweiten ist sie Autonomie der Ideen und das Prinzip der Formen, denen die Systeme in theoretisch-spekulativer und moralisch-praktischer Absicht gemäß sein müssen. … Transzendentalphilosophie ist nicht ein Aggregat, sondern ein System, nicht von objektiven Begriffen, sondern von subjektiven Ideen, welche die Vernunft selbst schafft, und zwar nicht hypothetisch (p r o b l e m a t i s c h oder a s s e r t o r i s c h ), sondern a p o d i k t i s c h , indem sie sich selbst schafft. Transzendentalphilosophie ist das Vermögen des sich selbstbestimmenden Subjekts durch den systematischen Inbegriff der Ideen, welche a priori die durchgängige Bestimmung desselben als Objekts (die Existenz desselben) zum Problem machen, sich selbst als in der Anschauung g e g e b e n zu konstituieren. – Gleichsam s i c h s e l b s t m a c h e n « (Op. post., XXI93). »Transzendentalphilosophie ist nicht der Inbegriff der Objekte der Sinne, sondern das Verhältnis der theoretisch-spekulativen und moralisch-praktischen Vernunft in Verknüpfung miteinander in einem System der Selbsterkenntnis nach der Analogie eines Objekts möglicher Erfahrung; nicht aus Erfahrung, sondern a priori aus der Vernunft, was also nicht empirisch begründet und gegeben in der Erscheinung a s s e r t o r i s c h , sondern p r o b l e m a t i s c h nur gedacht wird. – Ens rationis non ens.
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… Transzendentalphilosophie ist die Autonomie des Systems der Ideen, sich selbst a priori in der durchgängigen Bestimmung, nicht empirisch, nicht als Aggregat eines Mannigfaltigen in der Erscheinung, sondern als absolute Einheit des Ganzen zu einem Objekt zu konstituieren« (Op. post., XXI108). »Die Autonomie der theoretisch-spekulativen in Verbindung mit der moralisch-praktischen Vernunft zum Behuf möglicher Erfahrung, [… macht] (als Prinzip) das Ganze der Transzendentalphilosophie aus[…]. Die Wissenschaft vom All der Wesen (entium, nicht rerum, […] worunter man vernunftlose Wesen, Sachen versteht) – nicht bloß als Inbegriff (complexus), sondern als ein verknüpftes Ganze[s]; nicht bloß g e d a c h t (ideal), sondern auch als ein solches gegeben (real); non solum cogitabile sed etiam dabile – ist Objekt der Transzendentalphilosophie. … Transzendentalphilosophie ist eine Philosophie, die auf das G a n z e der synthetischen Erkenntnis aus Begriffen als einem System a priori gerichtet ist, und so sich selbst der Form der Zusammensetzung nach zu einem absoluten i d e a l e n oder r e a l e n Ganzen konstituiert« (Op. post., XXI109).
Kants Ringen um die systematische Einheit seines »transzendentalen Idealismus« im Opus postumum ist die konsequente Weiterführung seines Denkansatzes der Kritik und keineswegs »Ausdruck zunehmender Senilität, sondern der unglaublichen Lebendigkeit dieses kritischen Geistes«24. In diesem Versuch hält Kant den »dualen«25 Grundzug seiner Philosophie in dem Sinne konsequent fest, daß die Unterschiedenheit in der »faktisch unaufhebbare[n] apriorische[n] Struktur des endlichen Wissens überhaupt« 26 nicht vorschnell als Verschiedenheit und somit als Unvereinbarkeit der selbständigen Prinzipien der Vernunft angesehen wird. Auch im 24
B. Tuschling (1995) S. 210. Zur Unterscheidung von ›dual‹ und ›dualistisch‹ vgl. H. M. Baumgartner (1991) S. 214 f. Der Ausdruck ›dualistisch‹ ist stärker als der ›dual‹. Dualismus bedeutet die Unüberbrückbarkeit von zwei selbständigen Prinzipien. 26 H. M. Baumgartner (1991) S. 105. 25
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»höchsten Standpunkt« der Transzendentalphilosophie wird die Differenz von menschlichem und göttlichem Verstand, von dem Sinnlichen (äußere Natur) und Übersinnlichen (innerer Geist), von technisch-theoretischer und moralisch-praktischer Vernunft und kurz von Subjekt und Objekt nicht aufgehoben, obwohl die moralischpraktische Vernunft hier auch als oberstes Prinzip, im Sinne vom »Primat des Praktischen«27, die technisch-praktische Vernunft lenkt. Der transzendentale Idealismus ist gleichsam ein monistisch orientierter Dualismus oder dualistisch orientierter Monismus. Im eigentlichen Sinne ist der kritische Idealismus weder Monismus noch Dualismus. Darin besteht auch die unauflösliche innere Spannung der Kantischen Philosophie, welche mit reicher Problemfülle das Denken anregt. Der göttliche Verstand wird in der KU in bezug auf die Natur von der theoretisch-reflektierenden Urteilskraft als den obersten Grund alles Mannigfaltigen angesehen, und er wird im Verhältnis zur Freiheit von der praktisch-reflektierenden Urteilskraft moralisch bestimmt. Die KU weist zwar einen möglichen Weg von der Natur zur Freiheit, aber dieser Weg bleibt in der Kritik insgesamt äußerlich. Kant unterscheidet drei Ideen des Übersinnlichen gemäß der Dreiteilung des Erkenntnisvermögens in Verstand, Urteilskraft und Vernunft (vgl. KU, 245). Sie bleiben dort in gewissem Sinne beigesellt und bilden noch kein System, obwohl Kant in der moralischen Teleologie schon den Denkversuch des Opus postumum vorwegnimmt. Im Opus postumum wird der Systemgedanke des Übergangs von Kant vielfältig bestimmt. Festzustellen ist die Tendenz zur Verinnerlichung der Vermittlung der Vernunftprinzipien. In dieser Verinnerlichung wird das Verhältnis der Momente im Systemgefüge hinsichtlich der systematischen Einheit des gesamten Systems angemessener bestimmt als dessen Bestimmung in den drei Kritiken. Dies betrifft insbesondere die transzendentale Ideenlehre. Das Verhältnis zwischen Verstand und Vernunft wird in der KrV von Kant unbefriedigend bestimmt. Denn die Funktion von beiden wird dort zum einen streng auseinandergehalten, aber die Vernunft bestimmt 27
Vgl. § 2, S. 95 ff.
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zum anderen durch ihre Ideen den empirischen Gebrauch des Verstandes.28 Wie bestimmt denn die Vernunft den Verstand? Wie gewinnen Ideen, außer ihrer regulativen Funktion für die Heuristik der empirischen Erkenntnis, auch konstitutive Bedeutung für menschliches Erkennen überhaupt? Diese Fragen bleiben in der KrV ungelöst trotz Kants Versuchs der subjektiven bzw. der »transzendentalen Deduktion der Ideen« im Anhang zur transzendentalen Dialektik (A642/B670-A704/B732). Im Opus postumum wird die ursprüngliche synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption von vornherein a priori durch drei Ideen: Einheit (Seele, bzw. Geist), Ganzheit (Welt), Totalität (Gott), nach dem Prinzip einer Erfahrung innerlich bestimmt. Die Selbstanschauung der transzendentalen Apperzeption vereinigt Anschauung und Idee in sich. Dies wäre der letzte Versuch Kants, den Systemcharakter der theoretischen Philosophie a priori zu erweisen. Die konstitutive Funktion der Ideen dient demnach lediglich zur transzendentalen Selbstbestimmung des Menschen und nicht zur Bestimmung von Dingen außer uns. Die »drei Elemente der Erkenntnisquellen« (KrV, A702/B730): Anschauung, Begriff, Idee, gehören in der synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption ursprünglich zusammen. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der folgende Satz Kants neue Bedeutung: »So fängt denn alle menschliche Erkenntnis mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen, und endigt mit Ideen« (ebd.; vgl. B1, A298/B355). Es wäre mißverständlich, wenn diese »natürliche« Reihenfolge der menschlichen Erkenntnis bei ihrer rein transzendentalen Begründung zeitlich (nacheinander) verstanden würde. Wie ist aber die Vermittlung von Natur und Freiheit zu einem System der Erfahrung schrittweise durch Akt und Selbstsetzung des denkenden Subjekts mit Hilfe dessen Leibbewußtseins nach einem Prinzip der Innerlichkeit der Vernunft vor- und rückwärts möglich? Auf diese Grundfrage des Opus postumum kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht näher eingegangen werden. Ihr Ziel liegt darin, zu zeigen, daß das kritische Prinzip der Naturteleo28
Vgl. vgl. KrV, A547/B575, A573/B601, A653 f./B681 f., A657/B685. – Siehe dazu § 2, Anm. 9 (S. 74 f.).
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logie keineswegs bloßer erkenntnistheoretischer Natur ist, sondern vielmehr metaphysischer oder besser transzendentaler (i.w.S.).29 In diesem Sinne läßt sich die Einheit der KU zugleich begreiflich machen, auch wenn die KU Kants transzendentaler Methode der Isolierung gemäß in die Teilaspekte zu zerfallen scheint. Die unmittelbaren Nachfolger Kants haben kaum Probleme mit der Einheit der KU. Sie konzentrieren sich vielmehr auf das Problem des Übergangs. Nach der sogenannten »metaphysischen Wende« in der Kantinterpretation im Jahr 1924 bis zur Gegenwart wird die KU unter Kantinterpreten meistens als eine Einheit gelesen. Der Meinungsunterschied besteht lediglich in der Interpretation der Art und Weise dieser inneren Einheit. Die Übergangsproblematik wird nach wie vor meistens als unlösbar im Begriffsrahmen der Kantischen Philosophie angesehen.30 Der Versuch der Lösung der systematischen Problematik des Übergangs durchzieht die ganze KU und steht hinter der einzelnen Fragestellung. Ohne eine angemessene Berücksichtigung und Auslegung dieses Grundproblems zerfiele die KU in zwei ganz heterogene Teile. Sie wäre, wie Schopenhauer im Gegensatz zu Goethes Lob31 klassisch formuliert, »die barocke Vereinigung der Erkenntniß des Schönen mit der des Zweckmäßigen der natürlichen Körper, in E i n Erkenntnisvermögen, U r t e i l s k r a f t genannt, und die Abhandlung beider heterogenen Gegenstände in einem Buch« (S. 672). Auch wenn eine gewisse Spannung zwischen der physischen und der moralischen Teleologie in der KU aufgrund von Kants transzendentaler Methode der Isolierung besteht und die Verknüpfung von Natur und Freiheit zu einem System der Transzendentalphiloso29
Zu Kants Unterscheidung zwischen metaphysischem und transzendentalem Prinzip vgl. KU, XXIX. 30 Zur Rezeptionsgeschichte der KU vgl. z.B. V. Gerhardt/Fr. Kaulbach (1989) S. 98 ff., insb. S. 109 ff. 31 Das Erscheinen der KU ist für Goethe ein Glücksfall. So sagt Goethe: »… dieser [KU] bin ich eine höchst frohe Lebensepoche schuldig. Hier sah ich meine disparatesten Beschäftigungen nebeneinandergestellt, Kunst- und NaturErzeugnisse eins behandelt wie das andere, ästhetische und teleologische Urteilskraft erleuchteten sich wechselsweise« (Goethe, 1820a, S. 436). Zur geistigen Beziehungen zwischen Kant und Goethe vgl. z.B. Géza von Molnár.
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phie nicht ohne weiteres ersichtlich ist, ist die kritisch fundierte teleologische Weltverfassung jedoch bedeutsam für die pragmatische Weltgestaltung des Menschen unter dem moralischen Gesetz. Die kritische Naturteleologie zeigt zumindest für den menschlichen Verstand einen möglichen Weg vom Sinnlichen zum Übersinnlichen »ohne einen zu gewaltsamen Sprung« (KU, 260) auf. Sie liefert uns eine vernünftige Weltidee, die nicht nur die Erforschung der Natur leitet, sondern auch mit der Befolgung der sittlichen Zwecke in der Welt übereinstimmen könnte. Die pragmatische Aufgabe der Urteilskraft besteht darin, daß sie auf dem »Boden der Erfahrung« (KrV, A3/B7; KU, XVIII) im Einklang mit den Gesetzgebungen der theoretischen und der praktischen Vernunft eine vernunftgemäße Welt errichten soll. »Die reflektierende Urteilskraft ist also eigentlich das Grundvermögen, durch das der Mensch sich zum Reichtum und zur Vielfalt seiner Welt erkennend, handelnd und betrachtend verhalten kann und sich nicht bei seinen besonderen Lebensvollzügen in der Zerstreuung an das Einzelne verliert«32. Kant hebt die systematische Aufgabe der KU erst in den beiden Einleitungen hervor, in denen die beiden Teile der KU ausschließlich unter den Aspekt der Zweckmäßigkeit der Natur dargestellt werden. Im Haupttext ist dieser systematische Aspekt mit der sachlichen Darstellungen ineinander verwoben. Ziel ist es hier, den roten Faden der systematischen Funktion der Zweckmäßigkeit der Natur zu verdeutlichen und die Einheit der KU dadurch verständlich machen zu können. Insofern wird die Auswahl der sachlichen Analyse der KU von diesem systematischen Aspekt bestimmt. In der KU betrachtet Kant die beiden vorangehenden Kritiken ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der subjektiv und zugleich objektiv konstitutiven, also autonomen Funktion der Vernunft, die der Gesetzlichkeit der Natur und der Freiheit zugrunde liegt. Die Sachphilosophie wird dadurch vollständig in den theoretischen und den praktischen Teil zerlegt. Unter dieser Voraussetzung wird die Heautonomie der Urteilskraft hervorgehoben. Die Urteilskraft kann daher nur bloß subjektive Prinzipien haben, die sie hinsichtlich ihres 32
K. Düsing (1986) S. 11.
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Gebrauchs für sich selbst a priori zu Gesetzen machen muß. Sie ist das Grundvermögen, die formalen Prinzipien der Vernunft in concreto auszuüben. In dieser Anwendungsfunktion schließt die Urteilskraft in sich die objektiven Prinzipien der Vernunft. Die Kritik der reinen Vernunft besteht nun »aus drei Teilen: der Kritik des reinen Verstandes, der reinen Urteilskraft und der reinen Vernunft, welche Vermögen darum rein genannt werden, weil sie a priori gesetzgebend sind« (KU, XXV). Die Ausarbeitung der ersten Kritik durch die KpV und die KU zu einem System der Kritik der reinen Vernunft erfährt eine konzeptuelle Verschiebung, wodurch gewisse Unstimmigkeiten in Kants Bestimmung der drei Grundvermögen der Vernunft entstanden sind. Festgehalten werden soll Kants Bestimmung derselben in der KU, um die Struktur und Funktion der Urteilskraft von diesem Standpunkt aus zu verdeutlichen. Die bloß reflektierende Urteilskraft mit ihrem heautonomen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ist das Neue der KU. Die Urteilskraft bringt durch ihren reflektierenden Wirklichkeitsbezug das dynamische Moment in der transzendentalen Denkbewegung der Vernunft ans Licht – im Gegensatz zur bloß formalen Fundierung der Gesetzlichkeit der Natur und der Freiheit durch Verstand und Vernunft. In der KU wird das Verhältnis der Erkenntnisvermögen unter dem Aspekt der Urteilskraft als Instanz der Ausführung der Prinzipien der Vernunft betrachtet. In diesem Sinne könnte die Vernunft im allgemeinen auch als reflektierende Urteilskraft, und zwar in einem weiteren Sinne, angesehen werden. Um die subjektive Notwendigkeit der Annahme der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen nachzuweisen, greift Kant in beiden Einleitungen auf die allgemeine Aufgabe des Verstandes zurück, nämlich die Einheit in die Naturgesetze hineinzubringen. Dazu bedarf der Verstand aber der Funktion der Urteilskraft, weil er diskursiv ist.33 Die transzendentale Deduktion der Zweckmäßigkeit der Natur beruht also auf dem objektiven (logischen) Gebrauch der Urteilskraft. Der Begriff der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur wird daher dem Inhalt nach von vorn33
Siehe § 1, S. 48 ff.; § 2, S. 133 ff.; § 4.4, S. 294 ff.
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herein erkenntnistheoretisch in dem Sinne bestimmt, daß die Natur in ihren empirischen Gesetzen ein faßliches System für die Urteilskraft sei.34 Diese epistemische Fundierung verdeckt aber zugleich die Beziehung der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur zu der ästhetischen. Von dieser sogenannten transzendentalen zu der ästhetischen Zweckmäßigkeit führt kein direkter Weg, weil die ästhetische Beurteilung der Form des Gegenstandes nach Kant keine absichtliche Erkenntnistätigkeit ist. Die Einheit von ästhetischer und logischer Reflexion ist demnach dadurch noch nicht ersichtlich. Diese Schwierigkeiten werden in der vorliegenden Untersuchung zu Kants Theorie der Urteilskraft näher untersucht, wenn sie dadurch auch nicht gänzlich zu beseitigen sind. Die Rückführung des Geschmacksurteils auf die ästhetische Darstellung eines unbestimmten Begriffs macht die Einheit und Differenz von ästhetischer und kognitiver Reflexion begreiflich, welche gemeinsam auf dem allgemeinen Verfahren der Urteilskraft in der Darstellung eines Begriffs beruhen (vgl. § 3 u. 4). Die Harmonie der Erkenntniskräfte als subjektive Bedingung der Erkenntnis überhaupt läßt sich nach Kant auf die innere Reflexionsstruktur der Urteilskraft zurückführen. Die teleologische Umschreibung des freien Spiels der Erkenntniskräfte an einer anschaulich gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt als ästhetische Darstellung der Zweckmäßigkeit der Natur sollte hinsichtlich der allgemeinen Naturteleologie ersichtlich werden (vgl. § 4). Die Begründung dieser kritischen Naturteleologie vollzieht sich nach Kant in zwei Schritten, nämlich in der transzendentalen Deduktion der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur und in der Ausweitung der teleologischen Beurteilung der Natureinheiten auf das »Naturganze (die Welt)« (KU, 361) als System nach Zwecken. Letztere bringt die metaphysische Tragweite der Zweckmäßigkeit der Natur zum Vorschein. Die Naturschönheit und der Organismus sind nur zwei ausgezeichnete Bespiele dieser allgemeinen Naturteleologie, die aufgrund der Diskursivität des menschlichen Verstandes notwendig in den anschaulichen und den begrifflichen Teil zerlegt wird. 34
Siehe § 4.3, S. 285 ff.
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Weil Kant die Reflexionsstruktur der Urteilskraft zusammen mit der Deduktion der reinen Geschmacksurteile erörtert, läßt sich der volle Sinn der transzendentalen Deduktion der Naturzweckmäßigkeit erst nach der ästhetischen Deduktion begreifen. Die transzendentale Deduktion wird demnach am Ende der vorliegenden Untersuchung (§ 4.4) im Zusammenhang mit der systematischen Bedeutung der ästhetischen Zweckmäßigkeit (§ 4.3) kurz dargestellt. Sie schließt den Anfang der vorliegenden Untersuchung. Kant gebraucht den Begriff der Urteilskraft nicht einheitlich. Es ist hier nicht das Ziel, Kants Theorie der Urteilskraft im strengen Sinne zu rekonstruieren, sondern vielmehr eine Klärung der ›Urteilskraft‹ und des ›Urteils‹ bei ihm zu suchen, welche ausreichend für die Erfassung der bestimmenden und der reflektierenden Urteilskraft ist. Diese Fragestellung dient der vorliegenden Untersuchung als Leitfaden im Hinblick auf die Vermittlung zwischen der Gesetzgebung der Natur und der Gesetzgebung der Freiheit. Die Spontaneität des Erkenntnisvermögens, also die Freiheit im weiteren Sinne wird insofern in Betracht gezogen, als sie durch die »Handlung der Urteilskraft« auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommt. So wird Kants These des Übergangs von der Gesetzgebung der Natur zur Gesetzgebung der Freiheit im Rückgriff der kritischen Naturteleologie auf die innersubjektive Teleologie der Vernunft transzendental erwiesen.
0.3 Voraussetzungen und Grenzen der vorliegenden Untersuchung Die Kantische Philosophie ist ein uneindeutiges und mit reicher Problemfülle geladenes, unabgeschlossenes Denksystem. 35 Die nachkantischen deutschen Idealisten versuchen das Kantische duale System zu überwinden. Sie führen entweder die Natur auf den Geist oder den Geist auf die Natur zurück. Oder Natur und Geist werden 35
Vgl. Fr. Kaulbach (1969) S. 333, H. Knittermeyer (1939) S. 138 f., A. Dorner S. 284 f.
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als zwei dialektische Momente in der in sich kreisenden Denkbewegung des absoluten Geistes angesehen. Ob diese Versuche, unabhängig von dem sogenannten Zusammenbruch des deutschen Idealismus nach dem Tod Hegels, gelingen, vermag ich hier nicht zu beurteilen. Grundsätzlich halte ich das Kantische duale System für angemessen und leistungsfähig, weil der transzendentale Idealismus die Welt der endlichen menschlichen Vernunft besser beschreibt. Das Kantische duale System bedeutet nichts anderes als die Betrachtung der Welt aus dualer Perspektive. In der vorliegenden Untersuchung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft wird versucht, diese Art der dualen Weltbetrachtung zu rechtfertigen. Aufgrund der methodischen Beschränkung der kritischen Strukturanalyse des Kantischen Gedankengangs werden die Voraussetzungen des transzendentalen Idealismus in der vorliegenden Untersuchung nicht in strengem Sinne geprüft. Geprüft wird ihre logische Stringenz. Diese Voraussetzungen beruhen auf einer transzendentalmetaphysischen Seinsverfassung des Menschen. Kants Philosophie ist keine Philosophie des Absoluten, sondern der endlichen menschlichen Vernunft. Die vorliegende Untersuchung setzt keineswegs voraus, daß es keine anderen beachtenswerten Typen des Philosophierens außer des Kantischen Systems geben kann. Es gibt auch keine philosophisch zwingenden Gründe, daß man die Voraussetzungen der Kantischen Philosophie akzeptieren und in ihrem Begriffsrahmen denken muß. Es wird aber behauptet und zu rechtfertigen versucht, daß die Kantische Philosophie im Ganzen ein konsistentes Gedankensystem ist und sie als ein lebendiges Beispiel zum Philosophieren dienen kann. Ein wesentliches Moment der dualen Weltbetrachtung Kants besteht im Offenhalten des Urgrundes des Phänomens (vgl. KrV, BXXX; A286 f./B342 f.). Der transzendentale Idealismus sucht, zwischen Empirismus (Skeptizismus) und Rationalismus (Dogmatismus) in der neuzeitlichen Metaphysik durch eine kritische Theorie der Subjektivität zu vermitteln, die aller Subjekt-Objekt-Bezie-
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hung vorgeht, sie konstituiert und dadurch ermöglicht.36 Der Urgrund des Phänomens ist uns zwar theoretisch nicht erkennbar, aber er muß bei menschlichem Erkennen dennoch angenommen werden als »unbekanntes Etwas«, das uns erscheint, selbst jedoch nicht als Erscheinung betrachtet wird.37 Denn der Begriff der Erscheinung, wenn sie als Erfahrung von »Schein« als Trugbild zu unterscheiden ist, setzt bereits den Begriff eines Noumenon im negativen Sinne voraus. »Der Verstand also, eben dadurch, daß er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und so fern können wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin bloßer Verstandeswesen nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich sei« (Prol., A105/IV315).
Abgesehen von der sachlich-terminologischen Schwierigkeit ist Kants Absicht bei der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich insofern eindeutig, als diese Unterscheidung sich notwendig aus einer dualen Weltbetrachtung aufgrund der Diskursivität des menschlichen Verstandes ergibt (vgl. KrV, BXIX Anm., A38/B55). Dem endlichen menschlichen Verstand muß bei seiner Erkenntnis der Gegenstände notwendig etwas Mannigfaltiges gegeben werden, wenn er darauf Anspruch erhebt, daß seine Erkenntnis die Erkenntnis der Natur und keine bloße Phantasie ist. Nach Kant können wir überhaupt nicht wissen (weder bejahen noch verneinen), daß die uns mögliche Erkenntnis der Natur mit deren An-sich-Beschaffenheit übereinstimme. Dies weiß allein Gott. Das Übersinnliche kann nur aufgrund des intelligiblen Vermögens des Menschen, nämlich der Freiheit seine praktische reale Bedeutung gewinnen. Die transzendentalen Ideen dienen hier dem Subjekt Mensch nur zu intellektueller Selbstbestimmung, nicht zu empirischer Bestimmung seiner selbst. Auf dem Hintergrund der bisherigen Erörterung,
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In 60er Jahren vertritt Kant selbst eine Position des Skeptizismus, der z.B. in Träume eines Geistersehers (1766) dargestellt wird. 37 Vgl. KrV, A256/B312, A288/B344; KpV, A9/V6; KU, LVI, 245, 374.
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möchte ich zwei Thesen aufstellen, die als Resultate der vorliegenden Untersuchung angesehen werden können. Erstens, die KrV ist ein unvollendetes Werk. Die Resultate seiner Teilstücke sollten unter dem Gesichtspunkt ihrer jeweiligen Zielsetzung geprüft werden. Zum mindesten werden die Lehre vom Schematismus und die Ideenlehre in der Weiterführung der KrV bis zum Opus postumum als ergänzungsbedürftig angesehen. Trotz dieses Sachverhaltes werden die Hauptresultate der KrV von Kant festgehalten (vgl. z.B. KU, Einleitung § 1 – § 3). Sie setzt eine Urteilslogik voraus, die auf der Aristotelischen Tradition beruht. Kants Transzendentallogik bedient sich des logisch-ontologischen Denkmodells, das die Möglichkeit des »vollständigen Begriffs«, also eines individuellen und nicht-diskursiven Begriffs für Menschen ausschließt. Die Erkenntnis im eigentlichen Sinne besteht daher nach Kant im gegenstandsgemäßen Urteil, weil das Erkennen für den menschlichen Verstand nichts anderes als das Vereinigen von Anschauung und Begriff ist. Kant gebraucht den Begriff ›Erfahrung‹ nicht eindeutig. In der KrV wird die Gesetzlichkeit der Erfahrung überhaupt, also die allgemeine Natur thematisiert, welche nicht nur für die wissenschaftliche, sondern auch für die alltägliche Erfahrung gilt. Daß Kant in der KrV den Erfahrungsbegriff im Sinne der Gegenstandserkenntnis einengt, erweckt den Anschein, als ob die KrV eine bloße Erkenntnistheorie ohne ontologische Bedeutung und die Idee eine bloße »Fiktion« wäre. Die kritische Theorie der Erfahrung ist aber zugleich eine »Ontologie der Erscheinung«, und die Idee ist nach Kant auch kein bloßer formaler Methodenbegriff, vielmehr trägt sie in sich einen bestimmten Gehalt als Prinzip. Die Idee ist das Unbedingte, das Übersinnliche, der notwendige Begriff der Vernunft.38 38
Kants kritische Umwälzung der Platonischen Ideenlehre ist in erster Linie von moralisch-praktischen Gesichtspunkten geleitet. In diesem Sinne betrachtet sich Kant selbst als Platoniker (vgl. KrV, A314 ff./B371 ff.; ferner § 2, S. 87 f.). »P l a t o bemerkte sehr wohl, daß unsere Erkenntniskraft ein weit höheres Bedürfnis fühle, als bloß Erscheinungen nach synthetischer Einheit buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können, und daß unsere Vernunft natürlicher Weise sich zu Erkenntnissen aufschwinge, die viel weiter gehen, als daß irgend ein Gegenstand, den Erfahrung geben kann, jemals mit ihnen kongruieren kön-
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Sie ist zwar auf dem Weg der Verstandeserkenntnis unerschließbar, aber die Möglichkeit der Erfahrung setzt bereits die nicht-kategoriale Existenz des Übersinnlichen voraus. In diesem Sinne ist bereits in der KrV eine positivistische Kant-Deutung nicht ohne weiteres zulässig. Die Einengung des Erfahrungsbegriffs bereitet aber dem Kantischen System selbst sachlich-terminologische Schwierigkeiten. Wie ist der systematische Ort einer nicht-gegenständlichen Erfahrung in der Welt der Erfahrung denkbar? Wie ist die Lebenswelt möglich? Ist sie subjektiv gesehen eine mit Gefühl gefärbte und objektiv betrachtet eine mit Sinn und Bedeutung erfüllte Gegenstandswelt? Ist die Lebenswelt bloß ein Aggregat und kein System? Mit solchen Fragen bewegt man sich schon im Denkhorizont der KU, in der gezeigt werden soll, daß die Urteilskraft ursprünglich und unabhängig von aller Erfahrung die Welt des erkennenden, fühlenden und handelnden Subjekts Mensch durch das kritische teleologische Prinzip gestaltet. Hier wird ersichtlich, daß die theoretische Fundierung der apriorischen Gesetzlichkeit der Erscheinungswelt in der KrV nur ein abstrahierender Aspekt der Weltgestaltung des menschlichen Geistes ist. In der KU legt Kant deshalb großen Wert auf die apriorisch konstitutive Leistung der Urteilskraft für das Vermögen der Lust und Unlust, weil ein nicht kategorial objektivierbares, ganzheitliches Gefühl des Lebens die ursprüngliche Einheit der Weltgestaltung deutlich zum Vorschein bringt. In diesem sogenannten »Weltgefühl« zeigt sich die intellektuelle, innerliche Vereinigung von Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft durch die kontemplative, unvoreingenommene Beurteilung der Urteilskraft. Zweitens, die Natur bzw. Welt wird in der KU auf vielfältige Weise reflektiert. Die Perspektiven der reflektierenden Urteilskraft, die hier bloß thematisch nebeneinander ohne Rücksicht auf ihre Überlagerung dargestellt werden, sind subjektiv-transzendental (erfahrungsermöglichend), anthropologisch, empirisch-kognitiv, wissenschaftlich-methodologisch, ästhetisch, physisch- und moralischteleologisch, theologisch und religionsphilosophisch. Der Naturbegriff der KU kann deshalb kaum auf irgendeiner Dimension einne, die aber nichtsdestoweniger ihre Realität haben und keineswegs bloße Hirngespinste sind« (KrV, A314/B370 f.).
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deutig fixiert werden. Anders als die Eindimensionalität der objektiv-formalen Gesetzlichkeit des Verstandes für die sinnliche Natur und der Vernunft für die übersinnliche Freiheit wird in der KU die Einheit der dualen Weltbetrachtung in Betracht gezogen. Hier wird die »ideehafte« Erscheinung ästhetisch und organisch-teleologisch »erfahren«. Diese Erfahrung der reflektierenden Urteilskraft ist nach Kant keine bestimmende Erkenntnis. Sie ist nicht begrifflich objektivierbar und damit erkennbar. In dieser Erfahrung der Naturzweckmäßigkeit zeigt sich grundsätzlich die Vereinbarkeit von Natur und Freiheit. Die KU bewegt sich lediglich im Denkhorizont der Kritik. Sie zielt aber letztendlich auf eine transzendentale Anthropologie, die erst in der Ideenlehre des Opus postumum ihren höchsten Standpunkt erreicht.
0.4 Überblick und Gliederung In den beiden Einleitungen spricht Kant vom Vorrang der »Ästhetik« vor der »Teleologie«. Dieser methodische Vorrang hat hier mit dem System des Gemüts und mit dem konstitutiven Prinzip der ästhetischen Urteilskraft für das Vermögen der Lust und Unlust zu tun. Aber das ist nur ein Aspekt. Wenn unter Teleologie die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen verstanden wird, dann hat diese im weiteren Sinne aufgefaßte »Teleologie« einen prinzipiellen, systematischen Vorrang vor der »Ästhetik«, denn die »Ästhetik« wird in der KU unter diesem Aspekt untersucht. Die ästhetische Zweckmäßigkeit hat eine tiefere Beziehung zum allgemeinen Prinzip der Urteilskraft als die organisch-teleologische, weil sie eine reine Anwendung dessen ist. Im reinen Geschmacksurteil kommt die bloß reflektierende Urteilskraft am deutlichsten zum Vorschein. Vor diesem Hintergrund wird die vorliegende Untersuchung zu Kants Theorie der Urteilskraft, welche von der Strukturanalyse des Sach- und Systemproblems der kritischen Teleologie geleitet wird, folgendermaßen gegliedert.
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In § 1 wird auf die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft eingegangen. Die Hauptfrage ist hierbei, inwiefern diese wichtige Unterscheidung im Rekurs auf die Diskursivität des menschlichen Verstandes aufrechterhalten wird. Um die Selbstgesetzlichkeit der Urteilskraft von ihrer Heterogenität hervorzuheben, führt Kant eine neue Terminologie, nämlich die der reflektierenden Urteilskraft in die Philosophie ein. Die reflektierende Urteilskraft erfaßt alle Funktionen unseres Erkenntnisvermögens, die nicht objektiv gesetzgebend sind. Diese Unterscheidung wird aber in den beiden Einleitungen zur KU ausschließlich unter dem logischen (kognitiven) Aspekt hinsichtlich der transzendentalen Deduktion der Zweckmäßigkeit der Natur getroffen. Sie ist für die Erfassung der ganzen Breite der Funktion der reflektierenden Urteilskraft ungenügend. Es fehlt eine umfassende »Definition« der Urteilskraft, welche ihren reflektierenden und bestimmenden Gebrauch erfaßt. Es ist beispielsweise nicht klar, wie die bestimmende und die reflektierende Urteilskraft beim empirischen Bestimmen zusammen fungieren. Auf das Problem wird in § 3 (S. 196 ff.) bei der Heuristik des »vorläufigen Urteilens« noch näher eingegangen. Dieses Defizit wird durch den Aspekt der Urteilskraft als Instanz der Ausführung der Vernunftgesetze behoben. Kant zufolge empfiehlt es sich nicht, den Weg der dialektischen Auffassung der reflektierenden Urteilskraft zu beschreiten, weil diese die heautonome Funktion derselben verdecken würde. Ziel ist es, das Hindernis im Verständnis der transzendentalen Deduktion der Zweckmäßigkeit der Natur durch die Klärung der Äquivokation des Bestimmens auszuräumen. Diese Deduktion beruht auf Kants transzendentalem Idealismus, nach dem das Subjekt selbst Schöpfer der Welt als Erscheinung ist, die notwendig auf das Übersinnliche verweist, das zwar nicht erkannt wird, aber uns immer zum Denken veranlaßt. Die ontologische Wirklichkeit des Übersinnlichen kann und muß sich nach Kant durch die Tat der Freiheit in der Welt dartun. In § 2 werden die Heautonomie der Urteilskraft und ihre Vermittlungsfunktion thematisiert, indem die teleologische Weltverfassung im Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur verdeutlicht wird. Hier wird argumentiert, daß der Mensch das Subjekt des Übergangs 31
von der Natur zur Freiheit ist. Hervorgehoben werden sein Reflexionsvermögen und seine nicht moralneutrale pragmatische Weltgestaltung, weil die »Klugheit« nach Kant letztendlich vom moralischteleologischen Weltprinzip geleitet werden soll und muß. Die Selbstgesetzlichkeit der bloß reflektierenden Urteilskraft charakterisiert einen ursprünglichen Aspekt der Kritik als Selbstkritik. Die Heautonomie der Urteilskraft sollte aber nicht überinterpretiert werden, weil aus ihr keine objektivierbare Objektbestimmung entspringen kann. Die Vermittlungsfunktion der Urteilskraft läßt sich aus einer Tabelle (S. 149 f.) ersehen, in der der systematische Zusammenhang der drei Erkenntnisvermögen bei Kant ohne weitere Kommentierung zusammengestellt ist. In § 3 wird auf die Problematik der umfassenden Bestimmung der Urteilskraft rekurriert. Erwogen werden drei mögliche Auffassungen: denkende Subsumtion, die Reflexion und die Darstellung. Kants Bestimmung der Urteilskraft ist an ihrem logisch-gnoseologischen Gebrauch orientiert. Es wird argumentiert, daß der Begriff der Darstellung umfassender und passender als der Begriff der Subsumtion das Wesen und die Funktion der Urteilskraft erfaßt. Die Kantische Charakterisierung der Spontaneität des Denkens durch die Reflexion läßt sich in Verbindung mit der teleologischen Auffassung der Vernunft als subjektive Bedingung des Erkennens verständlich machen. Herausgehoben wird die heuristische und kritische Funktion der reflektierenden Urteilskraft beim vorläufigen Urteilen (vgl. S. 199 ff.). In der Erläuterung des Begriffs ›Darstellung‹ wird das allgemeine Verfahren der ästhetischen Reflexion als die Darstellung eines unbestimmten Begriffs charakterisiert. In § 4 wird die transzendentale Deduktion der reinen Geschmacksurteile fokussiert. Kant rechtfertigt die subjektive Allgemeingültigkeit derselben im Rekurs auf das allgemeine Verfahren der Urteilskraft. Festgehalten werden soll der Unterschied zwischen ästhetischer und kognitiver Harmonie der Erkenntniskräfte. Die Apriorität der reinen Geschmacksurteile beruht auf der Autonomie der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft. Betont wird Kants Anwendung der transzendentalen Methode auf die Analyse der ästhetischen Erfahrung. Die Lust an der »freien Schönheit« ist eine Lust 32
der bloßen Reflexion über die Form eines anschaulich gegebenen Gegenstandes. Die ästhetische Freiheit zeigt sich darin, daß im Geschmacksurteil alle beteiligten Erkenntniskräfte nicht nur ihre eigene Freiheit (Spontaneität) erhalten, sondern zugleich auch wechselseitig befördern. Es wird versucht, den Sinn der Zweckmäßigkeit der Natur und ihre systematische Bedeutung herauszukristallisieren.
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§ 1 Bestimmende und reflektierende Urteilskraft Kant konzipiert seine Transzendentalphilosophie anhand der Vermögenslehre der Schulphilosophie, die nach ihm bloß als Leitfaden zur transzendentalen Untersuchung des unterschiedlichen Gebrauchs ein und derselben Vernunft und zur Entdeckung seiner apriorisch gesetzgebenden Prinzipien dient.1 Kant grenzt die transzendentale Untersuchung, die auf die Frage nach der »Bedingung der Möglichkeit« der Urteile (quid juris) zielt, streng von der empirischpsychologischen (quid facti) ab. Der transzendentalen Untersuchung des Erkenntnisvermögens geht es nicht darum, »was geschieht, d.i. nach welcher Regel unsere Erkenntniskräfte ihr Spiel wirklich treiben, und wie geurteilt wird, sondern wie geurteilt werden soll«2. Dieser transzendentalen Einstellung wird oft Formalismus vorgeworfen. In gewissem Sinne geschieht dies zu Unrecht, weil eines der Hauptanliegen der Transzendentalphilosophie darin besteht, die Bedingungen der Anwendung der uns a priori gegebenen Begriffe auf Erscheinungen anzugeben. Das Problem der Anwendung bzw. der Realisierung gehört zur Hauptaufgabe der Urteilskraft. Die »Lehre der Urteilskraft« ist, so behauptet J. Meyer (S. 77), »für das richtige Verständnis des Kerns der Kantischen Gedankengänge« in der KU »entbehrlich«, und darf »nur als scholastisches Beiwerk ohne wesentliche Bedeutung betrachtet werden«. Es wird sich aber zeigen, daß eine angemessene Auslegung der Urteilskraft zum Verständnis des Kerns der Gedankengänge in der KU sehr wohl etwas beitragen kann.
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Zur systematischen Funktion der zweifachen Dreiteilung des gesamten Vermögens des Gemüts vgl. Kants Selbstgeständnis in dem berühmten Brief an Reinhold vom 28.12.1787, 335; ferner EE, § II f.; KU, § III u. IX. KU, XXXI; vgl. 66, 112 f., 130 f., 143 f.; EE, XX230 ff., 238 ff.; KrV, A84 ff./B116 ff., A840/B869; dazu auch Kants Behandlung von Vermögen in der Anthropologie A14 f./VII134; A115 ff./VII196 ff., A168 ff./VII230 ff., A184 ff./VII239 ff., A203 ff./VII251 ff.
Im Hinblick auf die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft besteht in beiden Einleitungen kein wesentlicher Unterschied, außer in der generellen Differenz der Textgestaltung. Kants Darstellung dieser wichtigen Unterscheidung ist nicht ohne weiteres klar, sondern eher irreführend.3 So stellen sich folgende Fragen: Kann diese Unterscheidung Gültigkeit beanspruchen?4 Worin liegt der Unterscheidungsgrund? Wie hängt die reflektierende Urteilskraft mit der bestimmenden zusammen?5 Ist die reflektierende Urteilskraft mit dem hypothetischen Gebrauch der Vernunft identisch?6 Oder ist sie der Sache nach nicht schon implizit in der transzendentalen Analytik der KrV in Ansehung der empirischen Urteilskraft enthalten?7 Im folgenden werden diese Fragen untersucht. Zuerst soll hierzu die entscheidende Stelle zur Definition der Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft in 3 4
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Vgl. z.B. J. Kulenkampff (1994) S. 45; R. Zocher (1959) S. 75. F. P. van de Pitte und K. Marc-Wogau (S. 11) z.B. verneinen diese Frage. Pitte verwechselt jedoch die Verfahrensweise mit dem Anwendungsbereich der beiden Arten der Urteilskraft (vgl. van de Pitte S. 449 f.). Man kann aber über einen Gegenstand reflektieren und denselben Gegenstand bestimmen. M. Liedtke (1964, insb. Behauptung 3 u. 4.) versucht ausgehend vom Begriff der Reflexion (S. 155 f.) den Zusammenhang zwischen den Arten der Urteilskraft zu zeigen. K. Marc-Wogau (S. 4 ff., insb. 9 f.) hingegen glaubt ein dialektisches Moment bei Kants Begriffen vom »Bestimmen« und »Reflektieren« zu entdecken. Ähnlich wie Marc-Wogau meint B. Liebrucks (1966, 309 ff.) im Hinblick auf die teleologische Antinomie, daß die reflektierende Urteilskraft die »dialektische Aufhebung« (ebd. S. 265) der bestimmenden sei und folglich in sich die bestimmende als Moment enthalte. Im Fortgang der Leitfadenfunktion der reflektierenden Urteilskraft zur Entdeckung der Objektbestimmungen entpuppt sich, glaubt Liebrucks, ein Widerspruch. »Der Kantische Versuch der Trennung der reflektierenden und der bestimmenden Urteilskraft erwies sich insofern als mißglückt, als die reflektierende Urteilskraft zwar das ›als ob‹ vor ihre Sätze setzte, von da ab aber als bestimmende auftrat« (ebd., S. 316). Die meisten Autoren sprechen sich dafür aus, daß sich die reflektierende Urteilskraft aus dem hypothetischen Vernunftgebrauch entwickelt; dem widersprechen z.B. W. Bartuschat (1972, S. 52), H. Mertens (S. 36 f.), R. A. Makkreel (1991 u. 1997, S. 79) u. J. Peter. M. Liedtke (1964) z.B. bejaht dies, W. Bartuschat (1972) verneint es und J. Peter schließt sich ihm an.
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der von Kant selbst publizierten Einleitung der KU vorgestellt werden, um anschließend die ausführliche aber nicht immer eindeutige Darstellung aus der EE zur Erläuterung heranzuziehen. »Urteilskraft überhaupt ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert, (auch, wenn sie als transzendentale Urteilskraft a priori die Bedingungen angibt, welchen gemäß allein unter jenem Allgemeinen subsumiert werden kann) b e s t i m m e n d . Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß r e f l e k t i e r e n d « (KU, § IV, XXV f.).
Zur ersten Orientierung mag diese kurze Formulierung dienlich sein, mehr kann sie aber nicht leisten. Denn das Wesen und die Funktion der Urteilskraft werden nur unter subjektiven und objektiven Gesichtspunkten vollständig sichtbar. Zuerst wird die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft unter dem objektiven Aspekt getroffen. Die subjektive Seite wird von Kant gemäß dem Begriff der Reflexion (oder der Darstellung) und insbesondere in bezug auf die ästhetisch reflektierende Urteilskraft unter dem Aspekt der subjektiven Bedingung eines Urteils überhaupt erst exponiert (vgl. KU, § 9, 21, 35, 38). Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Arten der Urteilskraft liegt in der Bestimmtheit (bzw. Unbestimmtheit) der Subsumtion. Die Reihenfolge, wobei das Allgemeine (bzw. das Besondere) zuerst gegeben und das Besondere (bzw. das Allgemeine) dann gesucht wird, charakterisiert nur einen ausgezeichneten Fall, sie ist aber als Kennzeichen für die Unterscheidung nicht nur nicht hinreichend, sondern geradezu irreführend. Der Grund für diese Unterscheidung wird von Kant auf die Diskursivität des menschlichen Verstandes zurückgeführt, d.h. er ergibt sich aus dem transzendentalphilosophischen Grund und nicht aus dem psychologischen.8
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Zur Zurückweisung der psychologischen Deutung vgl. K. Marc-Wogau S. 13 f.
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1.1 Bestimmen bei der transzendentalen und empirischen Urteilskraft Objektiv betrachtet hat die Urteilskraft die Aufgabe, die Unterordnung des Besonderen unter ein Allgemeines zu vollziehen. Mit anderen Worten macht die Urteilskraft durch ihren Akt des Urteilens Begriffe (bzw. Regeln) brauchbar. »In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere [dann] auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird« (KrV, A68/B93). Begriffe als »Prädikate möglicher Urteile« (KrV, A69/B94) dienen einerseits als Erkenntnisgrund, unter dem mehrere Vorstellungen enthalten sind. Unter erkenntnistheoretischem Gesichtspunkt sind Begriffe andererseits Merkmale, d.h. Teilvorstellungen, die in vielen Vorstellungen gemein und enthalten sind.9 Begriffe als Prädikate möglicher Urteile haben nach Kant die »Funktion«10 eines Urteils, d.h. sie enthalten Bedingungen zu Regeln (vgl. KrV, A159/B198). Regel11 (bzw. Urteil) heißt »die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltige, (mithin auf einerlei Art) gesetzt 9
Zum Begriff als Merkmal vgl. z.B. Fortschritte, A46 f./XX273 f.; Wiener Logik, XXIV910 f.; Logik-Dohna, XXIV753 f.; Jäsche Logik, § 7 u. 13; R2279 ff., XVI297 ff.; R2877, XVI556; R2902, XVI567; R4634, XVII616 f. 10 »Ein Begrif hat vermöge seiner Gemeingültigkeit die function eines Urtheils. Er bezieht sich auf andere Begriffe potentialiter. Die [w]irkliche Beziehung eines Begrifs auf andere als ein Mittel ihrer Erkentnis ist das Urtheil. […] Ein Urtheil ist die Einheit eines Begrifs aus dem Verhältniß (Verknüpfung) verschiedener Begriffe« (R3045, XVI630). Es ist aber zwischen Begriff und Urteil zu unterscheiden. Begriffe werden in Urteilen gebraucht. Begriffe als Prädikate möglicher Urteile sind noch keine Urteile, sondern enthalten Bedingungen zu Regeln (bzw. Urteilen). Als solche sind sie Prädikatsvariablen, folglich an sich unbestimmt (vgl. MAN, A141/IV556). Ihre Anwendbarkeit im Urteil macht ihr Wesen als Begriffe (Allgemeinheit) aus. »B e g r i f f e gehören zu einem Bewustseyn nur dadurch, daß sie unter, nicht neben einander (wie E m p f i n d u n g e n ) gedacht werden« (R3051, XVI633). Begriffe beruhen also auf »Funktionen« (vgl. KrV, A68/B93). – Zum Begriff der »Funktion« bei Kant vgl. P. Schulthess S. 267276 und 217-259. 11 Vgl. Prol., § 23; R5750 f., XVIII343; R3202, XVI710; R4809, XVII735.
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werden kann« (KrV, A113). Urteil ist eine »Funktion«. Unter ›Funktion‹ versteht Kant in Analogie zur mathematischen Bedeutung des Wortes »die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen« (KrV, A68/B93). Urteil wird von Kant in zweifachem Sinne gebraucht, einmal als der Akt des Urteilens selbst und einmal als das Produkt desselben. Dementsprechend wird der Begriff ›Funktion‹ einmal als die nach bestimmten Regeln einheitstiftende Handlung, einmal als Funktionswert gebraucht.12 Funktion ist nicht die Handlung des Unterordnens selbst, sondern die Funktion bringt der Handlung Einheit nach einer vorgegebenen Anweisung.13 Der Verstand als Vermögen der Regeln stiftet der Urteilskraft als Vermögen der Subsumtion die Einheit. Ob die Einheit subjektiv oder objektiv, analytisch oder synthetisch ist, bleibt unausgemacht, denn hier ist von dem »V e r s t a n d überhaupt als ein V e r mö g e n z u u r t e i l e n « (KrV, A69/B94) die Rede.14 Urteilskraft als ein Vermögen der Subsumtion ist also ein Moment der »Funktion« zu urteilen überhaupt, nämlich die »Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen«. Anhand des Begriffs ›Funktion‹ läßt sich die logische bzw. transzendentallogische Struktur eines Urteils überhaupt begreiflich machen. Die Urteilskraft bedarf einer Regel (Gesetz oder Prinzip), um die Subsumtion zu vollziehen. Die Urteilsintention besteht dann 12
Funktion als Funktionswert (abhängige Variable) zu gebrauchen, ist zu Kants Zeit unter Mathematikern und noch bis zu Zeiten Freges üblich. Vgl. dazu P. Schulthess S. 272, 239. – Die mathematische Funktion wird durch drei Momente festgelegt: 1. Definitionsbereich (hier: Menge von Vorstellungen, die sich mittelbar oder unmittelbar auf Gegenstände beziehen), 2. Wertebereich (hier: Menge von den Urteilen als Funktionswerte, den Ergebnissen des Urteilens) und 3. Funktionsvorschrift (Zuordnungsanweisung, oder unter irgendeiner Bedingung stehend, wie Kant es formuliert). Funktion ist also die Handlung, Elemente vom Definitionsbereich nach vorgegebener Zuordnungsvorschrift eindeutig zu Elementen des Wertebereiches abzubilden. 13 Vgl. P. Schulthess S. 267; K. Düsing (1986) S. 61; B. Longuenesse S. 142. 14 Zum logischen Verstandesgebrauch überhaupt vgl. R. Brandt (1991) S. 46 ff., und zum Verhältnis von Verstand und Vernunft unter rein logischem Aspekt vgl. ebd. S. 50 f. – Zur subjektiven und objektiven Einheit des Bewußtseins vgl. § 3, Anm. 10 (S. 156 f.).
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darin, Wahrheit oder Irrtum eines Urteils festzustellen, nämlich zu prüfen, ob die Unterordnung im Urteil der gegebenen Regel gemäß vollzogen wird. In einem kategorischen Urteil ist z.B. die Bedingung so zu urteilen die Bestimmung des Urteilssubjektes.15 »Z.E. wenn ich sage: ein Mensch ist sträflich, so sehe ich, daß ohne Bedingung dieses dem Begriffe des Menschen gar nicht zukommt. Sage ich aber: ein Mensch, der lasterhaft ist, ist sträflich: so ist das Lasterhaft[-]seyn die Bestimmung des Subjectes« (Wiener Logik, XXIV932). Als weiteres Beispiel mag die Teilbarkeit des Körpers gelten: »ein jeder Körper als ein ausgedehntes Wesen ist teilbar«16. Die Bedingung der (transzendentalen oder empirischen) Wahrheit eines Urteils ist nach Kant kein Thema der formalen Logik, sondern gehört zur transzendentalen Logik. Denn die Wahrheit bzw. die Falschheit eines Urteils zu entscheiden, bedarf über den Umfang eines Begriffs und die bloße Form eines Urteils hinaus des Inhalts der Begriffe und des Wahrheitskriteriums der Unterordnung.17 Laut der KrV sind alle Urteile nach Kategorien und Grundsätzen des reinen Verstandes wahrheitsdifferent (objektiv gültig), nämlich (transzendental) bestimmend.18 Die Kategorien als formende Formen von 15
»(Jedes Urteil hat die Bedingung der Wahrheit – der Grund, warum man ihm ein Prädikat beilegt.) In jedem Urteil muß doch im Subjekt was sein, welches macht, daß ihm das Prädikat beigelegt wird und dieses nennt man die Bedingung« (Logik-Dohna, XXIV764). 16 Logik-Dohna, XXIV764; vgl. dazu KrV, A27/B43. 17 »Die allgemeine Logik abstrahiert, wie wir gewiesen, von allem Inhalt der Erkenntnis, d. i. von aller Beziehung derselben auf das Objekt, und betrachtet nur die logische Form im Verhältnisse der Erkenntnisse aufeinander, d.i. die Form des Denkens überhaupt« (KrV, A55/B79). Ferner vgl. A57/B81 f., A76 f./B102, A132 f./B171 f. 18 »Ein Urteil, welches ausmacht, was wahr oder falsch [ist], heißt bestimmend« (Logik-Dohna, XXIV772). Andererseits sind Kategorien »Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n zu Urteilen als b e s t i m m t angesehen wird« (KrV, B128, vgl. B143). Nicht alle bestimmenden (objektiv gültigen) Urteile sind wahr, sondern wahrheitsdifferent (vgl. KrV, A760/B788). Nach G. Prauss (1971, S. 86 f.) ist die Unterscheidung zwischen objektiver Gültigkeit und Wahrheit bei Kant durchaus deutlich. In manchen Textstellen, insbesondere dort, wo von »transzendentaler Wahrheit« der Grundsätze die Rede ist
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objektiven Inhalten überhaupt bilden ein System der Denkhandlungen des Verstandes, welches apriorische Erkenntnisse von Gegenständen überhaupt (Gegenständlichkeit) ermöglicht. Die Kategorien als reine Verstandesbegriffe können nicht direkt auf Erscheinungen angewendet werden, denn sie sind nicht von sinnlichen Vorstellungen abstrahiert, und folglich sind auch keine Merkmale (Teilvorstellungen) in ihnen enthalten. Die Grundsätze des reinen Verstandes stellen nichts anderes als ein System der schematisierten Kategorien dar, welches die objektiven Bedingungen der Möglichkeit eines Urteils beschreibt. Erst in Form der Grundsätze bekommt die transzendentale Urteilskraft von den Kategorien ihre objektiven Anweisungen »zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht« (KrV, A132/B171). Die subsumierende Funktion der (bestimmenden19) Urteilskraft läßt sich am besten durch einen kategorischen Vernunftschluß charakterisieren, in dem der Urteilskraft die Aufgabe zukommt, zu entscheiden, ob das Subjekt der Konklusion ein Fall der Bedingung der Regel (ma(A146/B186; vgl. A237/B296), fallen beide aber zusammen (vgl. A788/B816, A125, A202/B247). Die Unterscheidung der objektiven Gültigkeit und der Wahrheit eines Urteils betrifft die Funktion des Verstandes und der Urteilskraft beim Urteilen. Die Grundsätze des reinen Verstandes sind sowohl objektiv gültig als auch transzendental wahr. Die Urteilskraft bildet die objektiv gültigen Erfahrungsurteile nach den transzendentalen Grundsätzen einerseits und stellt andererseits fest, ob sie auch empirisch wahr sind. Ein objektiv gültiges Urteil ist empirisch (wirklich) wahr, wenn es mit wirklichen Zusammenhängen der Erfahrung übereinstimmt (vgl. KrV, A74 f./B100 f., A218/B266, A255 f./B272 f.). 19 Die Urteilskraft ist in der KrV der Tradition gemäß immer die bestimmende Urteilskraft als Unterscheidungsvermögen. Der Begriff der reflektierenden Urteilskraft stammt von Kant selbst. Sie wird außer der KU und EE in Kants Druckschriften (außer § 83, bzw. R3282, XVI757 u. § 84 in Jäsche Logik, welche strenggenommen keine Druckschrift von Kant ist) nicht berücksichtigt. Auf den Grund für diese Zurückhaltung, sei es, wie A. Model es vermutet (1987, S. 111 f. u. 1991, S. 140 f.), ein Zurückschrecken vor der drohenden Sprengung des Rahmens der Transzendentalphilosophie durch den Begriff der reflektierenden Urteilskraft oder sei es, daß die reflektierende Urteilskraft als Spiegelung von Leibniz’ Grundbegriff der Monade diese Bedeutung außerhalb der KU (als »Parallelschrift zur ›Monadologie‹ Leibniz’«) verliert, kann hier nicht näher eingegangen werden.
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jor) ist (vgl. KrV, A304/B360 f.). Im Verfahren der bestimmenden Urteilskraft sind die Regeln der Subsumtion – wie im Vernunftschluß – schon als bestimmt vorgegeben. Nun stellt sich die Frage, wie die Regeln der Subsumtion, wenn sie empirisch sind, zustande kommen, insbesondere wenn nur das Besondere gegeben ist. Wie kann ein Allgemeines, unter dem das Besondere subsumiert werden soll, gefunden werden? Was ist die Bedingung dieser Subsumtion? Ist sie bloß subjektiv und zufällig oder folgt sie einer bestimmten Regel oder gar einem besonderen Naturgesetz? Auf welche Prinzipien gründet sich die Notwendigkeit dieser empirischen Regeln, die nur durch wirkliche Erfahrung erkannt werden können?20 Im anfangs angeführten Zitat werden zwei Verfahrensweisen beim Vorgang der Begriffs- und Urteilsbildung voneinander getrennt dargestellt. Ähnlich wird diese Formulierung in § IV der EE bei der Auseinandersetzung mit dem transzendentalen Prinzip der Urteilskraft vor der Behandlung der reflektierenden Urteilskraft (§ V) eingeführt. Die Urteilskraft, heißt es dort, »ist nicht bloß ein Vermögen, das Besondere unter dem Allgemeinen (dessen Begriff gegeben ist) zu subsumieren, sondern auch umgekehrt, zu dem Besonderen das Allgemeine zu finden« (EE, XX209 f.). Die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft wird aber in § V der EE (XX211) speziell anhand zweier Arten der empirischen Subsumtion getroffen: Die Urteilskraft ist bloß reflektierend, wenn sie sich zu einer gegebenen Vorstellung einen dadurch möglichen (empirischen) Begriff nach einem gewissen Prinzip ausdenkt (vgl. auch KU, 348 f.). Sie ist bestimmend, wenn sie einen gegebenen Begriff sinnlich (anschaulich) macht, d.h. ihm »eine korrespondierende Anschauung zur Seite« stellt (KU, XLIX).21 Diese Formu20
Unter diesem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt wird die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft in beiden Einleitungen im allgemeinen getroffen. Die Differenzierung der reflektierenden Urteilskraft in die ästhetische und teleologische wird erst dann unter dem Gesichtspunkt der Art der Reflexion derselben über konkrete Dinge eingeführt. 21 »Die Urteilskraft kann entweder als bloßes Vermögen, über eine gegebene Vorstellung, zum Behuf eines dadurch möglichen Begriffs, nach einem gewissen Prinzip zu r e f l e k t i e r e n , oder als ein Vermögen, einen zum Grunde lie-
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lierung ist insofern unklar, als man gewöhnlich unter ›empirischem Bestimmen eines Dinges‹ gerade dasjenige verstehen könnte, was Kant hier als Vorgang der reflektierenden Urteilskraft bezeichnet. Wir sehen z.B. einen Gegenstand, suchen ihn zu erfassen: Er ist vierfüßig, haarig, bellend etc. Wir identifizieren ihn als Hund. Dieser Vorgang ist nach Kant kein Werk der reflektierenden Urteilskraft, sofern vierfüßig, haarig, bellend etc. als Merkmale eines Hundes, die hinreichend sind, um einen Gegenstand zu indizieren, schon vorher bestimmt gegeben sind.22 In der KU, bzw. auch schon in der EE (z.B. XX212) wird diese Unklarheit gelöst: bei der (transzendentalen) bestimmenden Urteilskraft durch den regelgebenden Charakter des gegebenen Allgemeinen – bei der bloß reflektierenden Urteilskraft durch unbestimmten Charakter des noch zu findenden Allgemeinen. Das angeführte Zitat weist bereits darauf hin. Es gilt hier zu betonen, daß bei Kants Methode des Isolierens immer zu beachten ist, daß sie keine ontologische (sachliche) Abtrennung, sondern eine methodische Absonderung ist, wodurch die Grenze der Erkenntnisse gesichert und ein apriorisches Prinzip derselben untersucht werden soll. »Es ist von der äußersten Erheblichkeit, Erkenntnisse, die ihrer Gattung und [ihrem] Ursprunge nach von anderen unterschieden sind, zu i s o l i e r e n , und sorgfältig zu verhüten, daß sie nicht mit anderen, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein Gemische zusammenfließen« (KrV, A842/B870).23
genden Begriff durch eine gegebene empirische Vorstellung zu b e s t i m m e n , angesehen werden. Im ersten Falle ist sie die r e f l e k t i e r e n d e , im zweiten die b e s t i m m e n d e U r t e i l s k r a f t « (EE, XX211). – K. Marc-Wogau (S. 9 ff.; ähnlich J. Kulenkampff 1994, S. 43) hat m.E. recht, wenn er von der Unklarheit der Kantischen Darstellung des sachlichen Unterschiedes zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft an dieser Textstelle spricht. 22 Vgl. G. Schönrich (1997) S. 560 ff. 23 Vgl. dazu Brief an Herz Ende 1773, 113 f.; MAN, AXIII ff./IV472 f. – Zur methodischen Funktion des Isolierens in der Philosophie nach dem Vorbild der Chemie vgl. z. B. KrV, BXX Anm., A22/B36, A62/B87, A305/B362; KpV, A291/V163. Kant warnt in einer Anmerkung der ersten Antinomie (KrV,
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Man soll diese methodische Trennung immer im Auge behalten, um bei der begrifflichen (dichotomischen) Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft das (synthetische) Zusammenspiel der beiden unter dem Gesichtspunkt der empirischen24 Urteilskraft nicht aus dem Blick zu verlieren. Kant bemüht sich zwar darum, begriffliche Unterscheidungen deutlich zu machen, versäumt aber in den meisten Fällen ihre Einheit verständlich darzustellen. Die transzendentale Urteilskraft ist nur bestimmend, während die empirische Urteilskraft bei der Anwendung der Verstandesregeln auf Erscheinungen die »Erfahrung zur Lehrerin« (KrV, A222/B269) annehmen muß. Am Begriff der Urteilskraft in der KrV bleibt unklar, wie die Urteilskraft überhaupt unter unterschiedlichen Gesichtspunkten differenziert werden kann und wie sich diese Gesichtspunkte aufeinander beziehen können. Dunkel bleibt insbesondere die hier relevante Unterscheidung von transzendentaler und empirischer Urteilskraft, die Kant zum Teil unter psychologischanthropologischem Gesichtspunkt als unerlernbares »besonderes Talent« (KrV, A133/B172) charakterisiert. Die transzendentale UrA429/B457) vor der Verwechselung der methodischen Absonderung mit der ontologischen Abtrennung. 24 Vgl. KrV, A219/B266; KU, XLV; ferner M. Liedtke (1964) S. 5. – Liedtkes (ebd., S. 140 ff., 156) Gleichsetzung der empirischen Urteilskraft mit der empirisch bestimmenden Urteilskraft führt zu einer terminologischen Unklarheit, zumal er letztere auch als reflektierend bezeichnet. Die empirische Urteilskraft hat einen bestimmenden und reflektierenden Gebrauch, während die transzendentale Urteilskraft bloß bestimmend ist. Es wird sich noch zeigen, daß die »Reflexion« der Urteilskraft überhaupt von der »Reflexion« der reflektierenden Urteilskraft zu unterscheiden ist. Man könnte auch sagen, daß die bestimmende Urteilskraft auch »reflektiert« (vgl. EE, XX212). Denn im Gegensatz zur Rezeptivität der Sinnlichkeit »reflektieren« alle Erkenntnisvermögen. – H. Busche (S. 4 ff.) setzt die bestimmende Urteilskraft (apodiktischer Vernunftgebrauch) der transzendentalen Urteilskraft (dem transzendentalen Bestimmen) gleich. Er erweckt dadurch fälschlich den Eindruck, daß die reflektierende Urteilskraft (hypothetischer Vernunftgebrauch) mit der empirischen Urteilskraft (dem empirischen Bestimmen) identisch sei. – Ch. Wohlers (S. 199, 20 f.) setzt sogar Verstand mit der bestimmenden Urteilskraft in Ansehung der Natur und Vernunft mit der reflektierenden Urteilskraft in Ansehung der Welt gleich.
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teilskraft könnte in Gegenüberstellung zur empirischen Urteilskraft als empirischer Gebrauch des Verstandes in abstracto angesehen werden. 25 Sie verwendetet Kategorien vermittels Schemata, also schematisierte Kategorien auf reine Anschauungen und bildet die synthetischen Urteile a priori.26 Aber nach Kant kommt der transzendentalen Urteilskraft auch die Aufgabe zu, die Schemata auf jede empirische Synthesis anzuwenden, welche das Hauptanliegen des Grundsatzkapitels ist. Es ist das Verfahren systematisch zu zeigen, wie die objektiv gültigen Erfahrungsurteile zustande kommen (vgl. z.B. EE, XX212). Kant scheint zwei inkonsistente Theorien im Hinblick auf die Beziehung von transzendentalen und empirischen Gesetzen zu vertreten. Er vermittelt einerseits den Eindruck, eine starke Trennung von beiden Gesetzen anzunehmen, die einer je eigenen Gesetzgebung zu folgen scheinen, und zwar dort, wo die Zufälligkeit der empirischen Gesetze betont wird. 27 Andererseits müssen die empirischen Gesetze unter transzendentalen Gesetzen stehen, d.h. empirische Gesetze als solche müssen als Spezifikation der transzendentalen Gesetze angesehen werden (vgl. KrV, A114, B163 ff.; KU, § IV f.). Es gibt zwei Möglichkeiten für die Spezifikation: entweder die Notwendigkeit der empirischen Gesetze gründet sich auf eine mathematische Konstruktion der den Gesetzen zugrundeliegenden Begriffe, wobei die Spezifikation folglich konstruktiv und apodiktisch gewiß ist, oder die Notwendigkeit derselben ist bloß induktiv und analogisch, also klassifikatorisch, wobei die Spezifikation dann nur »distributiv« (KrV, A644/B672) ist und solche besonderen Gesetze nur empirische Gewißheit haben können (vgl. MAN, AV ff./IV468 ff.). Die starke Trennung von transzendentalen und empirischen Gesetzen ist nicht kohärent mit Kants transzendentalem Programm der Begründung der Erfahrungsurteile. Die transzendentale Urteilskraft spielt bloß die apriorisch gesetzgebende Rolle des Verstandes. Die empirische Urteilskraft hingegen ist ein Vermögen, wirkliche Urteile zu bilden. Sie ist eigentlich dasjenige, was Kant mit dem Vermögen der Anwendung der Verstan25
Vgl. KrV, A219/B266, A148 f./B187 f.; KU, XXVI, XXXII, 311. Vgl. KrV, A135 ff./B174 ff.; EE, XX212. 27 Vgl. z.B. EE, XX208 f., KU, XXXI f.; KrV, A127 f., B165. 26
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desgesetze auf Erscheinungen (empirischen Anschauungen) meint (vgl. Prol., § 22). Kant beschreibt die Verfahren der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft oft in einer Weise, als ob sie gegenläufigen Bewegungen folgten.28 Diese Charakterisierung reicht aber nicht aus, um das Verhältnis von beiden angemessen zu erfassen. Denn nach dieser Beschreibung fungierten die reflektierende und die bestimmende Urteilskraft nicht nur auf ein und derselben Ebene, sondern auch gegensätzlich zueinander.29 Das ist aber nicht der Fall. Wenn dem so wäre, bliebe z.B. unverständlich, was für einen Status empirische Urteile (Erfahrungsurteile) haben und wie sie gebildet werden. Mit anderen Worten verfährt die empirische Urteilskraft bei der konkreten Urteilsbildung, insbesondere bei der Entdeckung der besonderen Naturgesetze oder bei der Hypothesenbildung, niemals bloß bestimmend oder reflektierend, sondern umfaßt in ihrem Gebrauch beide Verfahren. Der richtige (kritische und gereifte) Gebrauch der Urteilskraft in concreto ist ein Zusammenwirken von beiden.30 Wie dieses Zusammenwirken möglich ist, bleibt noch zu untersuchen.31 Die reflektierende Urteilskraft verfährt bei der Syste28
Außer den schon zitierten Textstellen vgl. zusätzlich auch in der KU, XVI f., 311 f.; ferner Anthr., A123/VII201 (Unterscheidung von Urteilskraft und Witz) oder KrV, A646 f./B 674 f. (Unterscheidung von apodiktischem und hypothetischem Vernunftgebrauch). Kant beschreibt die Schlüsse der Urteilskraft (Analogie und Induktion) im Vergleich mit den Schlüssen der Vernunft (deduktivem Verfahren) auch in ähnlicher Weise, z.B. KrV, A330 f./B386 f., A429/B 674 f.; PM160 f.; Logik-Dohna, XXIV771 f., 776 f.; Logik-Busolt, XXIV679 f.; R3200, XVI709; R3201, XVI710 und Jäsche Logik, § 82-84. 29 F. P. van de Pitte (S. 448) versteht z.B. die Unterscheidung als exklusiv; ihm widerspricht z.B. P. Guyer (1990, S. 18), J. Floyd (S. 200 f.). 30 Beim konkreten Urteilsvorgang gibt es Grenzfälle, »in denen man nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermag, ob man die Denkhandlung bestimmend oder reflektierend nennen soll« (W. Frost 1906a, S. 21). Frost ist der Meinung, daß die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft ein Ergebnis der Abstraktion und in manchen Fälle nur eine Frage der Perspektive sei (vgl. ebd., S. 21 ff.). – Vgl. folgende Anm. 34 (S. 47). 31 Dieses Zusammenwirken ist nicht nur in der alltäglichen und wissenschaftlichen Erfahrung, sondern auch in der ästhetischen Erfahrung von Bedeutung, z.B. in der symbolischen Darstellung eines gegebenen Begriffs durch einen
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matisierung (Klassifikation) der empirischen Erfahrungserkenntnisse nicht nur vom Besonderen (den niederen Arten) zum Allgemeinen (den höheren Gattungen) aufsteigend nach dem Prinzip der Homogenität, sondern auch vom Allgemeinen zum Besonderen herabsteigend nach dem Prinzip der Spezifikation.32 Sie verbindet schließlich beide Verfahren nach dem Prinzip der Kontinuität, in dem alle Arten (Gattungen) als von einer höchsten Gattung abstammend und miteinander verwandt betrachtet werden können.33
ganz anderen Gegenstand der sinnlichen Anschauung (vgl. KU, 256). Zur symbolischen Darstellung vgl. § 3.2.2, S. 212 f. 32 Zur Induktion (nach dem Prinzip der Generalisierung) und Analogie (nach dem Prinzip der Spezifikation) als Erkenntnismittel der (reflektierenden) Urteilskraft vgl. § 4, Anm. 53 (S. 284). – Zur Heuristik des »vorläufigen Urteilens« vgl. § 3, S. 196 ff. 33 Vgl. EE, XX214 f.; KU, XXXV f.; KrV, A657 f./B685 f. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, daß M. Liedtke (1964, S. 151 f.) das Prinzip der Spezifikation das Prinzip der bestimmenden (bzw. unterscheidenden) Urteilskraft und das Prinzip der Gattungen das Prinzip der reflektierenden (bzw. vergleichenden) Urteilskraft nennt. Die Verwirrung läßt sich darauf zurückführen, daß er die Stelle in der KrV A654/B682, in der vom doppelten Interesse der Vernunft (Scharfsinn und Witz als Denkungsart) die Rede ist, mißdeutet. Die unzutreffende Zuordnung der Vernunftprinzipien verwischt die Grenze von konstitutivem Verstandesgebrauch und regulativem Vernunftgebrauch, folglich die Grenze von bestimmender und reflektierender Urteilskraft. Die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft ist nicht identisch mit der Unterscheidung von apodiktischem und hypothetischem Vernunftgebrauch (KrV, A646 f./B 674 f.), denn die Unterscheidungen stehen in völlig verschiedenen Zusammenhängen. Die Vernunft bezieht sich direkt auf den Verstand. Sie »geht also niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgend einen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a priori durch Begriffe zu geben« (KrV, A302/B359). Urteilskraft handelt aber von der wirklichen Erfahrung und geht auf Anschauungen ein. Die Urteilskraft bezieht sich direkt auf die empirische Bestimmung der Dinge. Darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen der reflektierenden Urteilskraft und dem hypothetischen Vernunftgebrauch. Der apodiktische (bzw. hypothetische) Vernunftgebrauch entspricht dem Verfahren der Deduktion (bzw. der Induktion). Im Hinblick auf das induktive Verfahren der Systematisierung der empirischen Erkenntnis übernimmt die reflektierende Urteilskraft die Funktion des hypothetischen Vernunftgebrauchs.
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Die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit der Subsumtion in einem Urteil wird nicht im wesentlichen dadurch entschieden, ob im Urteil das Besondere oder das Allgemeine zuerst gegeben wird,34 sondern vielmehr dadurch, ob die Subsumtion nach bestimmten (bzw. konstitutiven) oder unbestimmten (bzw. regulativen) Regeln erfolgt. Allerdings wird dieser Sachverhalt von Kant in beiden Einleitungen nicht deutlich genug hervorgehoben. Deutlich unterscheidet Kant die beiden Verfahren der Urteilskraft nur dadurch, daß die Regel der bestimmenden (bzw. reflektierenden) Subsumtion bestimmt (bzw. unbestimmt) ist. Die Urteilskraft verfährt bestimmend, wenn die Regeln der Subsumtion schon als bestimmt gegeben angesehen werden. Diese Unterscheidung der Urteilskraft gemäß Bestimmtheit und Unbestimmtheit der Subsumtion findet sich beispielsweise in der Auflösung der Antinomie des Geschmacks (KU, § 57). Der Terminus ›Begriff‹, auf den sich die Maximen des Geschmacks beziehen, wird nicht einheitlich gebraucht. In der Thesis (das Geschmacksurteil gründet sich nicht auf Begriffe) wird ›Begriff‹ im Sinne von Verstandesbegriff genommen, in der Antithesis (das Geschmacksurteil gründet sich auf Begriffe) wird er im Sinne der Vernunftidee verwendet. Der Verstandesbegriff ist bestimmbar, während die Ver34
Vgl. hierzu M. Kugelstadt S. 207. Ähnlich ist G. Schönrich der Ansicht anhand des pragmatischen Modells der Abduktion von Peirce, daß bestimmende und reflektierende Urteilskraft sich angesichts der Reihenfolge des Allgemeinen und Besonderen nicht grundlegend unterscheiden. »Die Frage, wie eine Regel auf einen Fall bezogen wird, ob ausgehend von einer vorgegebenen Regel ein Fall subsumiert wird, oder ob ausgehend von einem Fall die Regel erst gesucht werden muß, läßt sich in die andere Frage transformieren, wie die in jedem Urteilen mitlaufenden ›Kennzeichen‹ ins Spiel gelangen. Unter Benutzung der Terminologie von Eco lassen sich zwei Fälle unterscheiden: der Urteilsvollzug ist aufgrund der mitlaufenden Kennzeichen c o d i e r t [ ü b e r c o d i e r t ] , dann ist er b e s t i m m e n d . Oder er ist überhaupt nicht codiert, sondern k r e a t i v , in Kants Sinne also r e f l e k t i e r e n d « (1991, S. 705 f.; vgl. 1997, S. 560 ff.). Außerdem hebt Schönrich noch einen dritten Fall hervor: »Der Urteilsvollzug ist u n t e r c o d i e r t . In Kants Terminologie: die Urteilskraft ist p r o d u k t i v , das heißt die Codierung durch Kennzeichen ist nicht hinreichend, um jeden Spielraum der Interpretation auszuschließen. Hier muß sich die Urteilskraft mit einem gewissen Risiko für eine Möglichkeit entscheiden« (1997, S. 562).
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nunftidee an sich unbestimmt und damit undarstellbar ist. Jener bezieht sich auf das Sinnliche, diese auf das Übersinnliche. Die Antinomie ergibt sich daraus, daß das Geschmacksurteil sich zwar nicht auf bestimmte Begriffe, aber doch auf einen, obzwar unbestimmten Begriff (nämlich vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen) gründet (vgl. KU, 237). Dieser zweifache Gesichtspunkt der Beurteilung ist für die Urteilskraft35 notwendig, weil der Mensch ein vernünftiges Sinnenwesen ist. Was die Beurteilungsprinzipien (synthetische Urteile a priori) angeht, ist für die transzendentale Urteilskraft »der Schein, in der Vermengung des einen mit dem anderen, als natürliche Illusion unvermeidlich« (KU, 234). Dieser unvermeidliche Schein des Widerstreits bei der Beurteilung ist besonders signifikant für die Antinomie der teleologischen Urteilskraft. Die mechanistische Maxime erweckt den Anschein eines konstitutiven Prinzips der Zeugung der Naturdinge, weil sie eine notwendige Beziehung auf unseren diskursiven Verstand hat. Die Erfahrung mit dem »organisierten und sich selbst organisierenden Wesen« (vgl. KU, 292), nämlich Organismus veranlaßt zur Annahme des teleologischen Prinzips, welches der Vernunftkausalität eine theoretische Objektivität verheißt. Beide Maximen sind aber bloß regulative Prinzipien für die reflektierende Urteilskraft, »weil wir von der Möglichkeit der Dinge nach bloß empirischen Gesetzen der Natur kein bestimmendes Prinzip a priori haben können« (KU, 315). Im Kontext der Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft wird das Allgemeine auf zwei Ebenen angesetzt, zum einen als die Regel (Bedingung des Urteils), wonach das Urteil gebildet wird, und zum anderen als das Allgemeine im Urteil, welches das Besondere subsumiert oder subsumieren soll. Kant scheint das Allgemeine im Kontext immer im zweiten Sinne zu gebrauchen. Aber wenn vom Allgemeinen bei der Begriffs- bzw. Urteilsbildung in bezug auf »die Regel, das Gesetz, das Prinzip« (KU, XXVI) die Rede ist, bedeutet es nichts anderes als das Allgemeine im ersten Sinne. Das Allgemeine kann empirisch oder apriorisch 35
Kant spricht hier eigentlich von der transzendentalen Urteilskraft, weil die Antinomie in den Prinzipien a priori einerseits besteht und weil Kant die Urteilskraft auf die Antinomie in der KrV andererseits bezieht.
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sein, während das Besondere immer empirisch gegeben sein muß.36 Die Aufklärung dieser Äquivokationen ist der Schlüssel zur Unterscheidung und Einheit von bestimmender und reflektierender Urteilskraft. Am wichtigsten dabei ist es, den Unterschied zwischen der empirischen und der transzendentalen (apriorischen) Ebene zu berücksichtigen. Das transzendentale Bestimmen als apriorisches Konstruieren von Natur als Erfahrungsobjekt überhaupt durch kategoriale Bestimmungen ist notwendig (nomothetisch), während das empirische Bestimmen als prädikatives Determinieren37 von besonderen Erfahrungsobjekten zufällig38 (a priori von uns unbestimmt) ist. Die Einzeldinge haben daher eine andere Gesetzgebung als die unseres Verstandes und sind niemals durch Prädikation vollständig bestimmbar. Das empirische Bestimmen setzt nach Kant das transzendentale voraus, weil Kategorien und Grundsätze notwendige Bedin36
H. Busche sieht hier die Äquivokation von Allgemeinem und Besonderem richtig. Aber das Besondere der reflektierenden Urteilskraft muß nicht nur ein »Begriff niedrigerer Abstraktionsstufe« (S. 4) sein, sondern kann ebenso die empirische Anschauung sein. Genauso kann das Besondere der bestimmenden Urteilskraft auch empirischer Begriff sein. 37 Zum prädikativen Determinieren vgl. Kants Merkmals- bzw. Begriffs- und Urteilslehre, z. B. in der KrV, B10 ff., A68 ff./B93 ff., A137 f./B176 f., A266 f./B322 f., A571 ff./B599 ff., A598/B626, A655 f./B683 f.; Fortschritte, A46 f./XX273 f.; De mundi, A29 f./II411 f.; Jäsche Logik, § 7 u. 13; R2281, XVI298; R2877, XVI556; R3738, XVII278; R4634, XVII616 f.; R4676, XVII657; ferner R. Stuhlmann-Laeisz, 73 ff. – Das prädikative Determinieren heißt im früheren Sprachgebrauch Kants »so zu setzen, daß jedes Gegenteil ausgeschlossen ist, und bedeutet daher das, was mit Gewißheit ausreicht, eine Sache so und nicht anders zu begreifen« (Nova Dilucidatio, WI427/I393; vgl. ebd., WI423/I391 f.). Dieser Sprachgebrauch wird auch in der KrV z. B. im »Grundsatz der durchgängigen Bestimmung« alles Existierenden (A571 ff./B599 ff.) beibehalten. 38 »Erfahrungsbegriffe haben also zwar ihren Boden in der Natur, als dem Inbegriffe aller Gegenstände der Sinne, aber kein Gebiet (sondern nur ihren Aufenthalt, domicilium): weil sie zwar gesetzlich erzeugt werden, aber nicht gesetzgebend sind, sondern die auf sie gegründeten Regeln empirisch, mithin zufällig sind« (KU, XVI f.). Vgl. dazu KU, 346 f. Zur Zufälligkeit des Empirischen als apriorischer Unbestimmtheit der Gesetzgebung unseres Verstandes vgl. KU, XXVI, XXVII, XXXIII, XXXV.
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gungen a priori für alle Erkenntnis sind. Mit anderen Worten, das transzendentale (allgemeine, apriorische) Bestimmen ermöglicht objektives Urteilen. Das empirische Prädizieren ist sozusagen das zweite (besondere, aposteriorische) Bestimmen. Das Problem liegt aber darin, wie das transzendentale Bestimmen im empirischen fungieren kann. Das ist bekanntlich das Problem des Grundsatzkapitels in der KrV. Wenn man, vereinfacht gesagt, einen empirischen Gegenstand prädiziert, wurde bereits das transzendentale System der Kategorien (Substanz, Größe, Kausalität etc.) verwendet, um ihn als Gegenstand und seine Zustände als Eigenschaften zu identifizieren. »Die bestimmende Urteilskraft unter allgemeinen transzendentalen Gesetzen, die der Verstand gibt, ist nur subsumierend; das Gesetz ist ihr a priori vorgezeichnet, und sie hat also nicht nötig, für sich selbst auf ein Gesetz zu denken, um das Besondere in der Natur dem Allgemeinen unterordnen zu können« (KU, XXVI; vgl. EE, XX212).
Mehrfach verweist Kant darauf, daß die transzendentale Urteilskraft bloß bestimmend und heteronom ist (vgl. KU, XXXI f., 311, 313). Unklar ist, ob das Allgemeine, nach dem das empirische Urteil gebildet wird, bei der bestimmenden Urteilskraft (die transzendentale Urteilskraft ist ein Sonderfall) nur das vorgezeichnete transzendentale Gesetz ist oder ob auch eine empirische Regel (bzw. Gesetz), die schon gefunden wurde, als solches gelten kann. Nach Kant machen die transzendentalen Grundsätze allein die Erfahrungsurteile objektiv gültig (transzendental bestimmend).39 Die empirischen Gesetze machen sie aber wahr (empirisch bestim-
39
Vgl. z.B. Prol., A89/IV305 Anm., A100/IV312; KrV, A159/B198, A126 f., 127 f.; dazu Wolfgang Becker S. 79 ff. – Ein Beispiel aus der KU im Kontext der Analogie der subjektiven Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der Geschmacksurteile mit der objektiven der Erfahrungsurteile kann hier zur Erläuterung dienen: »Ein einzelnes Erfahrungsurteil, z.B. von dem, der in einem Bergkristall einen beweglichen Tropfen Wasser wahrnimmt, verlangt mit Recht, daß ein jeder andere es eben so finden müsse, weil er dieses Urteil nach den allgemeinen Bedingungen der bestimmenden Urteilskraft unter den Gesetzen einer möglichen Erfahrung überhaupt gefällt hat« (KU, XLVI).
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mend).40 Ein wahres, objektiv gültiges Erfahrungsurteil muß beide Bedingungen erfüllen. Das Wesentliche beim Bestimmen sieht Kant darin, daß im Bestimmen »der zum Grunde gelegte Begriff vom Objekte, der Urteilskraft die Regel vorschreibt« (EE, XX211), d.h. wie die Urteilskraft Anschauungen unter den gegebenen Begriff subsumieren kann. Somit dient das Allgemeine bei der bestimmenden Urteilskraft einerseits als Regel der Urteilsbildung, welche die Stelle des Prinzips bei der reflektierenden Urteilskraft vertritt, und andererseits als das Allgemeine (Prädikat) im Urteil. Die Unklarheit bei der bestimmenden Urteilskraft im Hinblick auf den Unterschied zwischen empirischem und transzendentalem Bestimmen liegt darin, daß Kant die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft anhand der bloß bestimmenden (transzendentalen) und bloß reflektierenden Urteilskraft deutlich machen will. So bedeutet das Allgemeine im Fall des transzendentalen Bestimmens einerseits das urteilbildende Gesetz und andererseits das »ontologische« Prädikat im Urteil (KU, XXIX). Der wesentliche Unterschied zwischen empirischem und transzendentalem Bestimmen besteht darin, daß das Allgemeine beim empirischen Bestimmen a posteriori gegeben sein muß und als Regel keine »hinreichenden Kennzeichen« (KrV, A136/B175) für die Subsumtion abgeben kann. So gibt z.B. der Begriff Hund keine hinreichenden Merkmale für die Indizierung des Gegenstandes. Das transzendentale Bestimmen hat hingegen in reinen Begriffen des Verstandes schon seine hinreichenden Anweisungen (allgemeine Bedingungen zu Regeln), denn Schemata können a priori den Fall anzeigen, worauf die Regeln angewandt werden.41 Kant illustriert das durch den Grundsatz der Kausalität: »Z.B. der Verstand sagt: Alle Veränderung hat ihre Ursache (allgemeines Naturgesetz); die transzendentale Urteilskraft 40
In »Betracht der Natur gibt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit« (KrV, A318/B375). 41 Vgl. KrV, A135/B174 f.; EE, XX212; ferner heißt es im anfangs angeführten Zitat, daß »transzendentale Urteilskraft a priori die Bedingungen angibt, welchen gemäß allein unter jenem Allgemeinen subsumiert werden kann« (KU, XXVI).
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hat nun nichts weiter zu tun, als die Bedingung der Subsumtion unter dem vorgelegten Verstandesbegriff a priori anzugeben; und das ist die Sukzession der Bestimmungen eines und desselben Dinges« (KU, XXXII).
Die schematisierten Kategorien bzw. transzendentalen Grundsätze geben der bestimmenden Urteilskraft apriorische Anweisungen, wie die Vorgänge in der Natur subsumierend verknüpft (bzw. abgetrennt) werden können. So wird Fensterglas z.B. durch einen Stein zerbrochen. Der Stein ist die Ursache des Zerbrochenseins des Fensterglases. Durch den Grundsatz der Kausalität allein (a priori) kann dieses empirisch bestimmende Urteil nicht erfolgen. Dazu bedarf es noch empirischer Kenntnis der Eigenschaften von Stein und Glas sowie von der zufälligen Verbindung beider Ereignisse, wobei der Grundsatz allein die empirische zufällige Verknüpfung zum objektiven Erfahrungsurteil macht (vgl. Prol., § 22 Anm.). Dieser scheinbare Widerspruch ergibt sich durch die äquivoke Verwendung des Ausdrucks »Bestimmen« bei Kant (vgl. Nova Dilucidatio, WI423 ff./I393). Der Verstand allein bestimmt zwar alle Erfahrungsurteile durch transzendentale Gesetze, aber er allein (a priori) kann besondere Erfahrungsurteile nicht bestimmen. Das transzendentale Bestimmen macht Erfahrungsurteile objektiv gültig, das empirische Bestimmen determiniert das Besondere (Determination). Die Differenzierung der bestimmenden Urteilskraft in empirische und transzendentale ist aufgrund der Diskursivität des menschlichen Verstandes notwendig. Denn unser Verstand kann das Dasein der Dinge nicht in der Anschauung konstruieren, welches immer nur a posteriori gegeben werden kann und für uns zufällig ist. Die dynamischen Grundsätze des reinen Verstandes (insbesondere die Analogien der Erfahrung) sind deswegen nur regulativ für die Erscheinungen als Gegenstände der Sinne (Phänomene), obwohl die Grundsätze insgesamt konstitutiv für alle Erfahrungsurteile (Erkenntnisse) sind.42 In der KU heißt es, daß unser Verstand
42
Vgl. KrV, A160 ff./B199 ff., A178 ff./B220 ff., A664 ff./B692 ff. Die Grundsätze werden durch ihren Konstitutionscharakter von den regulativen Ideen unterschieden.
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»in seinem Erkenntnisse […] vom A n a l y t i s c h - A l l g e m e i n e n (von Begriffen) zum Besonderen (der gegebenen empirischen Anschauung) gehen muß; wobei er also in Ansehung der Mannigfaltigkeit des letzteren nichts bestimmt, sondern diese Bestimmung für die Urteilskraft von der Subsumtion der empirischen Anschauung (wenn der Gegenstand ein Naturprodukt ist) unter dem Begriff erwarten muß« (KU, 348).
Das heißt aber nicht, daß die allgemeinen Naturgesetze bei empirischen Naturgesetzen nicht fungieren und die empirische Bestimmung der Dinge durch unsere Urteilskraft nicht festgestellt werden kann. Die empirischen Gesetze, sofern sie Gesetze heißen sollen, müssen die durch allgemeine Naturgesetze festgelegten Rahmenbedingungen erfüllen. Die transzendentalen Gesetze sind in allen besonderen Naturgesetzen enthalten und sind für sie analytisch (vgl. EE, XX203 Anm.; KrV, A159/B198). Die empirischen Gesetze können deswegen nicht von allgemeinen Naturgesetzen abgeleitet werden (vgl. KrV, B165, A126 f.). Das Auffinden der empirischen Gesetze ist für unsere Urteilskraft zufällig. In Ansehung des Aufsuchens derselben hat unsere Urteilskraft kein bestimmendes Prinzip a priori (vgl. KU, 346 ff.).43 Festzuhalten ist, daß die bestimmende Urteilskraft nach schon bestimmt gegebenen Regeln verfährt. Dementsprechend wird die bestimmende Urteilskraft gekennzeichnet durch »das Vermögen unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht« (KrV, A132/B171).
1.2 Reflektieren bei der empirischen Kognition Welche Beziehung besteht nun zwischen Allgemeinem und Besonderem im Hinblick auf die reflektierende Urteilskraft? Im Fall der bloß reflektierenden Urteilskraft führt Kant nur aus, daß die Urteils43
Vgl. K. Düsing (1986) S. 89 ff.
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kraft zum gegebenen Besonderen das Allgemeine finden solle, welches das gegebene Besondere subsumiert. Nach welchen Regeln aber soll dieses Allgemeine gefunden werden und welchen Status hat es? Darüber wird nichts im anfangs angeführten Zitat (KU, XXV f.) gesagt. Festzustellen ist, daß das Allgemeine im reflektierenden Urteil, im Gegensatz zu der bloß bestimmenden Urteilskraft, nicht identisch mit seinem unbestimmten Prinzip ist. Im Kontext44 sagt Kant nur, daß die bloß45 reflektierende Urteilskraft, wenn das zu suchende Allgemeine gefunden werden soll, das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur voraussetzen muß. Wenn man den Ausdruck ›bloß‹ 46 beachtet, kann man den Status des gefundenen Allgemeinen in der gedachten Subsumtion bestimmen. Kants Methode des Isolierens zufolge ist diese Subsumtion nur hypothetisch und folglich noch unbestimmt. Ob das nur durch »Reflexion« gefundene Allgemeine als (empirisch) bestimmt angesehen werden kann, bedarf dann noch der empirischen Über44
Die drei regulativen Vernunftprinzipien im Anhang zur transzendentalen Dialektik können auch als die Maximen der reflektierenden Urteilskraft fungieren (vgl. EE, XX210, 214 f.; KU, XXX f.). Zwei Maximen (Mechanismus und Teleologie) der teleologischen Urteilskraft z. B. dienen als Prinzipien der Reflexion für die Erforschung der Natur, obwohl sie »nach der Beschaffenheit und den Schranken unserer Erkenntnisvermögen« dabei unterschiedlich fungieren müssen (KU, 328). 45 Es sei hier erneut darauf hingewiesen: Die Urteilskraft ist bloß reflektierend, wenn »nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll« (KU, XXVI). Das Besondere ist nur gegeben und wir wissen a priori nicht, was für ein empirisches Allgemeines zum gegebenen Besonderen paßt. Nur das Aufsuchen des empirischen Allgemeinen gehört zur Aufgabe der bloß reflektierenden Urteilskraft. Nach dem transzendentalen Prinzip der Urteilskraft sollte es gefunden werden können, wobei dazu die empirische Urteilskraft des bestimmenden Gebrauches bedarf. 46 Zu einer »nicht pejorativ-einschränkenden« Bedeutung von ›bloß‹ bei Kant siehe M. Kugelstadt S. 4, B. Kaluza S. 98, W. Biemel S. 13. Biemel (S. 16) sieht bei ›bloß‹ in ›bloß reflektierend‹ zuerst die Bedeutung einer Einschränkung (›nicht bestimmend‹, wie bei J. Kulenkampff 1994, S. 57), nämlich gegenüber von ›bestimmend‹. – »Das wort ›lediglich, bloß, allein, nur‹ gegen die Worte ›überhaupt, schlechthin, schlechterdings‹. Jenes sind wörter nicht der Schranken, sondern des actus der Einschränkung« (R5107, XVIII90, 1776-78; vgl. dazu auch H. Graubner S. 100 ff.).
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prüfung. Kant kennt hierzu vor allem zwei Methoden, Induktion und Analogie als Erkenntnismittel der (reflektierenden) Urteilskraft.47 Das gefundene Allgemeine ist dann nur »e mp i r i s c h e Allgemeinheit« (Jäsche Logik, § 81; vgl. EE, XX211). Man könnte, so z.B. Marc-Wogau (S. 9 ff., 21 f.), folgenden Einwand gegen diese Interpretation erheben: Die hypothetische Subsumtion im Gegensatz zum Bestimmen reflektierend zu nennen, sei ungereimt. Oder um es allgemeiner zu formulieren, die Gegenüberstellung von Bestimmen und Reflektieren als zwei Arten der Subsumtion werde nicht aufrechterhalten, weil das Bestimmen in der Subsumtion selbst bestehe. Nach Marc-Wogau, sei das Bestimmen einerseits nichts anderes als Subsumieren; andererseits schließt das Reflektieren das Bestimmen für Kant auch nicht aus: Die Urteilskraft ist in bezug auf die allgemeinen Naturbegriffe »in ihrer Reflexion zugleich bestimmend« (EE, XX212). Wie reimt sich das zusammen? Es sei an die Äquivokation von ›Bestimmen‹ bei Kant erinnert. ›Reflektieren‹ oder ›Reflexion‹ wird von ihm auch nicht univok gebraucht (vgl. § 3). Das Reflektieren kennzeichnet einerseits die diskursive Tätigkeit des Verstandes überhaupt, und charakterisiert andererseits auch ein spezifisches Verfahren desselben. Im Sinne des letzteren ist das Reflektieren (Überlegen) ein vergleichender Akt des Bewußtseins. Reflektieren heißt dann »gegebene Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnisvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammen zu halten« (EE, XX211). Die Reflexion zielt nicht auf die Gegenstandskonstitution, sondern hat nur eine heuristische Funktion, um einen dadurch möglichen Begriff zu erlangen (vgl. KrV, A260/B316). Kant scheint ›Reflexion‹ in XX212 der EE in beiden Bedeutungen zu gebrauchen. Die Reflexion der reflektierenden Urteilskraft ist allerdings von der kategorialen Reflexion der transzendentalen zu unterscheiden. Sie vergleicht die Vorstellungen nicht nach bestimmten, sondern nach unbestimmten Prinzipien.
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Zur Induktion und Analogie vgl. § 4, S. 283 f.
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Wäre das Subsumieren nichts anderes als Bestimmen, so wäre die reflektierende Urteilskraft zugleich bestimmend. Es ist aber bei Kant zwischen der denkenden (überlegenden) und erkennenden (bestimmenden) Subsumtion zu unterscheiden (vgl. § 3). Letztere ist das Bestimmen im eigentlichen Sinne. Bei der Unterscheidung von transzendentalem und empirischem Bestimmen sei auf die Äquivokation von ›Bestimmen‹ bei Kant aufmerksam gemacht. Wir betrachten nun diese Äquivokation im Hinblick auf die erkennende Subsumtion. 48 Urteil heißt die Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine. In der Subsumtion eines apophantischen Urteils kann ›Bestimmen‹ in zweifachem Sinne verwendet werden: entweder das Besondere wird durch das Allgemeine bestimmt, oder das Allgemeine durch das Besondere. Ersteres kommt in gewöhnlichem Sprachgebrauch der Prädikation zum Ausdruck: das Allgemeine ist das Bestimmende, das Besondere das zu Bestimmende. Letzteres wird unter dem Gesichtspunkt der Materie-Form-Beziehung oder der Spezifikation betrachtet: Die Materie »bedeutet das Bestimmbare überhaupt«, die Form »dessen Bestimmung«. »Die Logiker nannten ehedem das Allgemeine die Materie, den spezifischen Unterschied aber die Form« (KrV, A266/B322; vgl. EE, XX215). Die subtile Differenzierung des Bestimmtseins des Besonderen durch das Allgemeine bzw. des Allgemeinen durch das Besondere, wie sie auch Wogau betont, ist aber unwesentlich für die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft, weil die Subsumtion apophantisch ist. Ob Bestimmen dabei Prädizieren oder Spezifizieren heißt, ist nur eine Frage der Perspektive, wenn die Subsumtion schon bestimmt ist oder zumindest als bestimmt angesehen werden kann. Ein Begriff wird einerseits durch seine korrespondierende Anschauung näher bestimmt (erhellt), d.h. der Begriff hat dadurch objektive Realität (Gültigkeit) und ist nicht leer. Andererseits wird die Erscheinung als der »unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung« durch Begriffe bestimmt (KrV, A20/B34). Jene betont die Leistung der Sinnlichkeit (Sinn und Einbildungskraft), diese die des Verstandes (vgl. KrV, A50/B74). In der 48
Vgl. K. Marc-Wogau S. 10 f.
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KrV dient die Sinnlichkeit dem Verstand vermittels der Einbildungskraft durch kategoriale Synthesis der Apperzeption, um Erfahrung (Verbindung der Wahrnehmungen) möglich zu machen. Durch die synthetische Einheit der Apperzeption haben Kategorien ihre erste Anwendung auf die formale Anschauung, wodurch das Raumzeit-Kontinuum ein einheitliches Bezugsystem wird. Mittels der mathematischen Synthesis bekommt das gegebene Mannigfaltige eine bestimmte Raumzeitstelle und wird dadurch für uns ein Gegenstand (vgl. KrV, B160 f. Anm., A268/B324). Nach dem systematischen Programm der KrV, nämlich der Begründung der Gesetzlichkeit der Natur überhaupt durch unseren Verstand steht die Thematisierung der reflektierenden Urteilskraft gar nicht zur Diskussion.49 Erst durch das Spiel der denkenden Phantasie in der KU wird die Sinnlichkeit von dem diktierenden Verstand befreit. Die freie Vereinigung von Einbildungskraft und Verstand bereitet den Weg für die reflektierende Urteilskraft. Beim Verfahren der bloß reflektierenden Urteilskraft ist unwesentlich, ob das zum gegebenen Besonderen gefundene Allgemeine eine bereits bekannte oder eine völlig neu zu entdeckende Regel ist. Andererseits kann das Allgemeine, z. B. der Begriff des Naturzwecks im teleologisch reflektierenden Urteil überhaupt nicht zur »Bestimmung eines Dinges« (KrV, A598/B626) dienen. Als Beispiel kann die Entdeckung der Gesetze der Planetenlaufbahn dienen. 50 Die mathematischen Gesetze einer Ellipse sind seit langer Zeit bekannt. Ob die Planetenlaufbahn aber als Fall dieser Gesetze angesehen werden kann, wird zuerst durch systematische Beobachtung, Induktion und Analogie hypothetisch angenommen. Um den Zusammenhang zwischen Planetenlaufbahnen und den mathematischen Gesetzen der Ellipse zu entdecken, zu erforschen und festzu49
Vgl. W. Bartuschat (1972) S. 32 ff., M. Horkheimer, S. 102 ff. Ob die Sinnlichkeit als solche in der KrV überhaupt nicht in den Blick kommen kann, bleibt an dieser Stelle offen. 50 Vgl. Th. d. Himmels, AI ff./I243 ff.; KrV, BXII ff., BXXII Anm., A662 f./B690 f.; ferner Prol., A115 f./IV321; KU, 273; Allg. Gesch., A388/VIII18; R778, XV340; R5414, XVIII176; Op. post., XXII518 f., 521, 528 f. u.ö.; E. Cassirer S. 311; H. Heimsoeth (1970) S. 17-21, 39-41, 100-102; K. Düsing (1986) S. 77 f.
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stellen, kommt der reflektierenden Urteilskraft eine zentrale Rolle zu, aber sie allein kann keine empirischen Regeln (Gesetze) feststellen. Wenn die gefundenen Regeln (bzw. Gesetze) bloß empirische Gewißheit enthalten, sind sie nach Kant »ein nur uneigentlich so genanntes Wi s s e n « (MAN, AV/IV468). Sie können dennoch als Regeln zur empirischen Bestimmung von Dingen dienen, solange sie durchgängig mit unserer Erfahrung übereinstimmen. Durch das allgemeine Gesetz der Gravitation als Ursache der Bewegung eines Himmelskörpers werden die Keplerischen Erfahrungsgesetze erst als apodiktisch-gewiß erwiesen, weil das System der mathematischen Physik sich auf metaphysische51 Prinzipien der Natur a priori gründen kann, wie Kant es in der MAN zu zeigen sucht. D.h. die spezifischen Naturgesetze müssen letztendlich wiederum auf das System der transzendentalen Gesetze zurückgeführt werden. Diese Begründung ist nicht im trivialen Sinne als analytisches Zugrundelegen zu verstehen, sondern im Sinne von Spezifikation durch mathematische Konstruktion der empirischen Begriffe, wobei vorausgesetzt wird, daß empirische Naturgesetze kein »uneigentlich so genanntes Wi s s e n « sein sollten.52 Kant behauptet nicht, daß empirische Naturgesetze sich auf die reflektierende Urteilskraft allein gründen, sondern die reflektierende Urteilskraft für die Festlegung der Systematizität der empirischen Gesetze als solcher unentbehrlich ist. Es ist zwar nicht überzogen, wenn man die methodologische Rolle der reflektierenden Urteilskraft für die empirische Erkenntnis betont, aber es wäre zu wenig, wenn man behauptete, die transzendentalen Grundsätze seien nicht für die Notwendigkeit der empirischen Erkenntnis verantwortlich. Die alltäglichen Erfahrungsurteile sind nach Kant die Wirkung (erste Anwendung) der transzendentalen Gesetze. 53 Die 51
Ein Prinzip heißt »metaphysisch, wenn es die Bedingung a priori vorstellt, unter der allein Objekte, deren Begriff empirisch gegeben sein muß, a priori weiter bestimmt werden können« (KU, XXIX). 52 Zum akromatischen (diskursiven) Beweis der philosophischen Erkenntnis im Unterschied zur mathematischen Demonstration vgl. KrV, A734 ff./B762 ff. 53 In transzendentaler Hinsicht macht Kant keine deutliche Unterscheidung zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Erfahrung. In letzterer wird nur der
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Mathematisierbarkeit der empirischen Begriffe ist die notwendige Bedingung für die »naturwissenschaftliche« Begründung der empirischen Erkenntnis, welche sich auf metaphysische Prinzipien der Einzelnaturwissenschaft gründet. Die metaphysischen Prinzipien sind die Spezifikation der transzendentalen Gesetze. Die transzendentalen Gesetze haben also eine zweifache Anwendung auf die empirische Gesetze.54 Damit ein Fall der Regel unterschieden werden kann, bedarf die Urteilskraft noch einer weiteren Regel. Dieser Unterscheidungsprozeß führt auf empirischer Ebene, objektiv betrachtet, in einen unendlichen Regressus, endet aber nach Kant auf transzendentaler Ebene durch das System der transzendentalen Gesetze.55 Subjektiv betrachtet, muß die Urteilskraft aber doch auch den unendlichen Regressus auf empirischer Ebene nach irgendeinem Prinzip beenden, um überhaupt urteilen zu können. Systematizität und physischmechanische Konstruierbarkeit z.B. sind solche Kriterien, die der Urteilskraft nur selbst zur Regel dienen, um unterscheiden zu können, ob ein Urteil mit gutem Grund gefällt wird, oder ob Erkenntnis im eigentlichen Sinne Erkenntnis ist. Dementsprechend teilt Kant die Naturwissenschaft in der MAN in die »uneigentliche« und »eigentliche« ein.56 Erstere ist nach Kant architektonische Charakter des Wissens bewußt gemacht und die größte systematische Einheit dient dem Ideal einer Wissenschaft. 54 Zum Problem der starken Trennung von transzendentalen und empirischen Gesetzen in der englischsprachigen Kantinterpretation vgl. M. Friedman (1992) S. 161-199. 55 Vgl. KrV, A132 f./B171 f., A135 f./B174 f.; Anthr., A119 f./VII199; KU, VII; zum empirischen Regressus vgl. z.B. KrV, A517 ff./B545 ff. – Kant benutzt dieses Argument eigentlich, um zu zeigen, daß die transzendentale Logik von der allgemeinen (formalen) Logik zu unterscheiden ist, und, daß Urteilskraft ein »besonderes Talent«, ein sogenannter »Mutterwitz« ist. In der KU (VII) wird ein ähnliches Argument gebraucht, um die Heautonomie der Urteilskraft nachzuweisen. Urteilen ist für Kant nach transzendentalen Gesetzen »mechanisch« (schematisch), auf empirischer Ebene aber »technisch«. 56 Vgl. MAN, AV ff./IV468 ff. Zu Kants Zeit gibt es noch keine Unterscheidung von »Naturwissenschaft« und »Geisteswissenschaft«. Die Naturphilosophie (bzw. Metaphysik der Natur) ist der sogenannte reine Teil der Naturwissenschaft, die empirische Naturwissenschaft ist der angewandte Teil.
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ein empirisches System von »Erfahrungsgesetzen«, die bloß empirische Gewißheit enthalten und keine Gründe a priori anführen können, wie z.B. die Erfahrungsgesetze in der Chemie zu Kants Zeit.57 Zweitere ist ein System der apodiktisch gewissen Naturerkenntnis, wie die der mathematischen Physik. Systematische Einheit und mathematische Konstruierbarkeit sind nach Kant zwei unabdingbare Kriterien für die Wissenschaftlichkeit einer »eigentlichen« Naturwissenschaft. Jene ist die notwendige Bedingung für alle Wissenschaft, diese das zusätzliche Kriterium für den Ausschluß nicht streng naturwissenschaftlicher Erkenntnis (vgl. MAN; AIX f./IV470). Denn jede eigentliche Wissenschaft erfordert »einen reinen Teil, der dem empirischen zum Grunde liegt, und der auf Erkenntnis der Naturdinge a priori beruht« (AVI/IV469). Die bestimmten Naturdinge a priori zu erkennen, heißt ihren Begriffen korrespondierende Anschauungen a priori zu geben, d.h. durch mathematische Konstruktion der Begriffe. Die Untersuchung der reinen Philosophie der Natur überhaupt ist auch ohne Mathematik möglich, aber die apriorische Begründung der spezifischen Naturlehre ist nur vermittels der Mathematik möglich. Für die Rolle der reflektierenden Urteilskraft ist in bezug auf die Entdeckung der »eigentlichen« Naturgesetze besonders signifikant, daß systematische Einheit allein für die Begründung der empirischen Erkenntnis als solcher nicht hinreichend ist.58 Die reflektierende Urteilskraft muß sich in ihrer bloßen »Reflexion über die Gesetze der Natur« (KU, XXVII) selbst ein Prinzip als Gesetz geben,59 wofür allerdings kein bestimmendes für die Bestimmungen der Objekte von Verstand oder Vernunft hergenommen 57
Vgl. MAN, AX/IV470 f., AV ff./IV468 ff. Kants negative Beurteilung der Chemie betrifft in der MAN die traditionelle phlogistische Theorie von G. Stahl (vgl. KrV, A645 f./B673 f., A652 f./B680 f.), nicht die neue revolutionäre Theorie von Lavoisier (1789). Die philosophische Auseinandersetzung mit der Theorie von Lavoisier führt Kant in Opus postumum. Zur positiven Bewertung der Chemie nach Lavoisier vgl. Anthr., A323/VII326; MAR, AVII/VI207. 58 Vgl. dazu M. Friedman (1992) S. 188 f. 59 Zur Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft vgl. z. B. EE, XX225 und KU, XXXVII; ferner EE, 204, 210, 214, 216, 234, 236, 241; KU, VII, XXVII f., XXXIII, 130, 252 f., 258 f., 269 f., 312, 313 f., 342.
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werden kann, da sonst die Urteilskraft bestimmend wäre. Die bloß reflektierende Urteilskraft muß sich selbst bei der Reflexion das bloße Gesetztsein ihres Gesetzes bewußt machen, während die bestimmende bei ihrer Subsumtion das gegebene Gesetz als »schon a n s i c h g e w i ß « (KrV, A646/B674) setzt.60 Heautonomie (Selbstgesetzlichkeit) der reflektierenden Urteilskraft heißt das Bewußtsein der Subjektivität-Objektivität-Beziehung in der Reflexion über das empirische Bestimmen der Gegenstände, welche auf subjektive Bedingungen dieser Objektbestimmungen eingeht. Denn Urteilskraft ist für sich kein Vermögen, »Begriffe von Objekten hervorzubringen, sondern nur mit denen, die ihr anderweitig gegeben sind, vorkommende Fälle zu vergleichen und die subjektive Bedingungen der Möglichkeit dieser Verbindung a priori anzugeben« (EE, XX225). Dementsprechend verfährt die bestimmende Urteilskraft dogmatisch (schematisch, mechanisch), die reflektierende kritisch (technisch, künstlerisch, symbolisch, analogisch).61 »Wir verfahren mit einem Begriffe (wenn er gleich empirisch bedingt sein sollte) dogmatisch, wenn wir ihn als unter einem anderen Begriffe des Objekts, der ein Prinzip der Vernunft ausmacht, enthalten betrachten und ihn diesem gemäß bestimmen. Wir verfahren aber mit ihm bloß kritisch, wenn wir ihn nur in Beziehung auf unser Erkenntnisvermögen, mithin auf die subjektiven Bedingungen, ihn zu denken, betrachten, ohne es zu unternehmen, über sein Objekt etwas zu entscheiden. Das dogmatische Verfahren mit einem Begriffe ist also dasjenige, welches für die bestimmende, das kritische das, welches bloß für die reflektierende Urteilskraft gesetzmäßig ist« (KU, 329).
Vorläufig kann festgehalten werden, daß die bestimmende Urteilskraft sich auf Objektbestimmungen bezieht, während die reflek60
B. Liebrucks (1966, S. 289) sieht den Unterschied zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft in folgendem: »Die bestimmende Urteilskraft subsumiert unter gegebenen Gesetzen oder Begriffen als Prinzipien. Die reflektierende Urteilskraft hat das allgemeine Gesetz nicht. Sie setzt es daher und hebt dieses Gesetztsein des Gesetzes ins Bewußtsein«. 61 Vgl. EE, XX248, 213 f., 217 f., 204 Anm.; KU, 255, 324 Anm.
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tierende von der subjektiven Bedingung dieser Objektbestimmungen handelt, welche im Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen zum Ausdruck kommt. Sie gehören nicht zu ein und derselben Ebene des Urteilens. Daher ist jede dialektische Auffassung des Zusammenwirkens reflektierender und bestimmender Urteilskraft beim konkreten Urteilen über Dinge der Natur verfehlt, selbst wenn dadurch die Zusammengehörigkeit der beiden betont werden soll.62
1.3 Anmerkung zur topologischen Struktur der Harmonie der Erkenntniskräfte in der Reflexion der Urteilskraft Der Grund der Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft wird von Kant letztendlich auf die Diskursivität des menschlichen Verstandes zurückgeführt. Umgekehrt ist die Urteilskraft für die Erfahrung unentbehrlich. Das wesentliche Kriterium der Unterscheidung der beiden Arten der Urteilskraft liegt in der Bestimmtheit oder Unbestimmtheit der Subsumtion. Die bestimmende Urteilskraft hat nur die Aufgabe, die angegebene Bedingung der Subsumtion zu vollziehen, während die reflektierende mehrere Funktionen hat. Sie soll zu »allen Naturdingen empirisch bestimmte B e g r i f f e « (EE, XX211) nach einem allgemeinen aber zugleich unbestimmten Reflexionsprinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Fassungskraft finden, welche einerseits von der Gesetzge62
Die reflektierende Urteilskraft geht z.B. nicht bei empirischer Begriffsbildung »im Aktus ihrer Reflexion s e l b s t in bestimmende über« (M. Kugelstadt S. 3 f.), weil sie überhaupt nichts bestimmen will. Zu entscheiden, ob empirische Begriffe Bestimmungen der Gegenstände sind, ist vielmehr die Aufgabe der bestimmenden Urteilskraft nach kategorialen Gesetzen und vermittels der Erfahrung (vgl. z.B. KrV, A764 ff./B792 ff.). Die dialektische Auffassung könnte zu einem solchen Bild des unkritischen Verfahrens der reflektierenden Urteilskraft verleiten, wie bei G. Wohlfart, der sich auf Liebrucks (1966, S. 265, s.o. Anm. 5, S. 35) stützt, wenn er formuliert: »… die reflektierende Urteilskraft reflektiert über ein Naturobjekt unter der Voraussetzung von Gesetzen, deren bloßen Voraussetzungscharakter sie aber zugleich vergessen muß, wenn sie es als reflektierende Urteilskraft bestimmen können soll« (Wohlfart 1970, S. 94).
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bung unseres Verstandes a priori unbestimmt gelassen und andererseits von der Aufgabe desselben notwendig gefordert werden (vgl. KU, XXXIII; EE, XX214). Im Hinblick auf diese Aufgabe verfährt die reflektierende Urteilskraft systematisch, um von Wahrnehmungen zu einzelnen Erfahrungsurteilen und von niederen Arten der empirischen Gesetze zu höheren Gattungen derselben zu gelangen, und schließlich die empirische Erfahrung im Ganzen als ein System betrachten zu können (vgl. EE, XX210, 220). Die reflektierende Urteilskraft hat außer dieser Aufgabe für das Auffinden des empirischen Allgemeinen als Bestimmung von Naturdingen noch eine vermittelnde Aufgabe. Durch das Reflexionsprinzip der »Endursache« (KU, 301) bezieht sie in ihrer Reflexion über Begriffe bzw. Gesetze der Naturdinge das Sinnliche auf das Übersinnliche als seinen Grund, wodurch zugleich eine »Aussicht in eine teleologische Ordnung der Dinge« (KU, 302) für uns eröffnet wird. Der teleologisch regulative Gebrauch der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur in Verbindung mit dem Verstand und der Vernunft hat aber »keine unmittelbare Beziehung auf das Gefühl der Lust und Unlust, die gerade das Rätselhafte in dem Prinzip der Urteilskraft ist« (KU, IX). Urteilskraft ist in ihrem ästhetisch kontemplativen Gebrauch gesetzgebend (konstitutiv) für das Gefühl der Lust und Unlust, das als Mittelglied zwischen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen angesehen wird (vgl. z.B. EE, XX207). Die ästhetisch reflektierende Urteilskraft nimmt bei der kontemplativen Beurteilung von Formen der Dinge der Natur oder Kunst eine merkwürdige Lust oder Unlust wahr. Die durch ästhetisch »reflektierte Wahrnehmung« (KU, XLVI; vgl. 8) mit der Vorstellung eines Gegenstandes notwendig verbundene Lust wird von Kant auf die innere Struktur der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft zurückgeführt, nämlich die Harmonie des freien Zusammenspiels der daran beteiligten Erkenntniskräfte, Einbildungskraft und Verstand, welche von der subjektiven Bedingung einer Erkenntnis überhaupt als Übereinstimmung der Erkenntniskräfte zu unterscheiden sein muß, obwohl Kant selbst die Unterscheidung nicht deutlich macht. 63 Die Aus63
Vgl. z.B. EE, 223 ff., 238; KU, XLV ff., § 9, § 21, § 35 u. § 38.
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gangsbedingungen der subjektiven Einstellung von beiden Akten ist sehr unterschiedlich. Die ästhetische Kontemplation ist in ihrer Reflexion über Formen der Naturdinge nicht durch einen bestimmten Begriff geleitet, wenngleich die Reflexion unabsichtlich zu einem Begriff führen und die Lust oder Unlust »wohl die Wirkung irgend einer Erkenntnis sein kann« (KU, XLIII), während die kognitive Reflexion von vornherein einen dadurch möglichen Begriff intendiert, obwohl dieser mögliche Begriff im Hinblick auf die Bestimmung von Dingen vorläufig unbestimmt ist. Die kognitive Lust ist eher intellektuell, während die ästhetische Lust anschaulich (sinnlich) ist. Beiden gemeinsam ist ihre Bezogenheit auf (bestimmte oder unbestimmte) Begriffe und sie gehören deswegen zur Wirkung der Reflexion der Urteilskraft. Die Unterscheidung der kognitiven und ästhetischen Harmonie der Erkenntniskräfte ist insofern wichtig, weil ohne diese Unterscheidung alle Erkenntnisurteile zugleich Geschmacksurteile sein müßten, oder alle Geschmacksurteile zugleich Erkenntnisurteile befördern würden. Das aber steht im Widerspruch zu Kants strenger Unterscheidung von Geschmacksund Erkenntnisurteilen. Im Hinblick auf die Harmonie der Erkenntniskräfte sind zwei Aspekte von Bedeutung: Der eine ist, daß durch die gesetzgebende Funktion der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft für das Gefühl der Lust und Unlust die zweigleisige Trichotomie der Gemüts- und Erkenntnisvermögen zu einem System wird, welches das kritische Programm vollendet. In diesem System ist Urteilskraft in zweierlei Hinsicht Mittelglied. Die ästhetisch reflektierende Urteilskraft bildet durch ihre gesetzgebende Verbindung mit dem Vermögen des Gefühls der Lust und Unlust einen spezifischen (symbolischen) Übergang von der Gesetzgebung der Natur zur Gesetzgebung der Freiheit. Das Gefühl des Erhabenen (Geistesgefühl), welches eigentlich die Wirkung des zweckmäßigen Gebrauchs der Vernunft ist, macht das übersinnliche Vermögen des urteilenden Subjekts selbst fühlbar (vgl. KU, 78, 132 f.). »S c h ö n ist das, was in der bloßen Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe
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des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, daß es ohne alles Interesse gefallen müsse. E r h a b e n ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt. … Das Schöne bereitet uns vor, etwas, selbst die Natur ohne Interesse zu lieben; das Erhabene, es selbst wider unser (sinnliches) Interesse hochzuschätzen« (KU, 115).
Das Erhabene der Natur ist eine sinnliche Darstellung der Vernunftidee (vgl. KU, 75 ff., 94 f.), während das Gefühl des Schönen »subjektiv mit der Versinnlichung der Verstandesbegriffe durch die Urteilskraft verbunden ist« (EE, XX223). Das Schöne der Natur führt direkt bei sich »ein Gefühl der Beförderung des Lebens« (KU, 75; vgl. 4).64 Leben heißt hier nach Kant »das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln« (KpV, A16 Anm.) oder »das Vermögen einer S u b s t a n z , sich aus einem i n n e r e n Pr i nz i p zum Handeln […] zu bestimmen« (MAN, A120/IV544). Leben versteht Kant daher nicht im biologischen Sinne.65 »Leben ist das innere Princip der Selbstthätigkeit. Lebende Wesen, die nach diesem innern Princip handeln, müssen nach Vorstellungen handeln. Nun kann es eine Beförderung, aber auch ein Hinderniß des Lebens geben. Das Gefühl von der Beförderung des Lebens ist Lust, und das Gefühl von der Hinderniß des Lebens ist Unlust« (PM169). 66 So könnte das Schönheitsgefühl als Identität 64
»Lust und Unlust machen allein das absolute aus, weil sie das Leben selbst sind« (R4857, XVIII11). 65 Nach Kant haben z.B. Tiere Leben, Pflanzen aber nicht. Vgl. K. Düsing (1986) S. 117, 145 ff. – »Das Leben bei dem Menschen ist z w e i f a c h : das thierische und das geistige Leben. Das thierische ist das Leben des Menschen, als Mensch; und hierzu ist der Körper nöthig, daß der Mensch lebe. Das andere Leben ist das geistige Leben, wo die Seele, unabhängig vom Körper, dieselben Actus des Lebens auszuüben continuiren muß« (PM235 f.). 66 »Leben ist das Vermögen, sich selbst aus dem innern Princip nach Willkühr zu bestimmen. Materie aber, als Materie, hat kein inneres Princip der Selbstthätigkeit, keine Spontaneität, sich selbst zu bewegen; sondern alle Materie, die belebt ist, hat ein inneres Princip, welches abgesondert ist von dem Gegenstande des äußeren Sinnes, und ein Gegenstand des innern Sinnes ist; es ist in ihr ein besonderes Princip des innern Sinnes« (PM217). »Vermittelst der Vernunft ist
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des Selbst- und Weltgefühls interpretiert werden, weil das reine Geschmacksurteil nicht aus einem privaten Standpunkt gefällt wird und das Gefühl des Schönen eine ästhetische Darstellung (exhibitio) des Begriffs Zweckmäßigkeit der Natur an Formen der Naturdinge ist.67 »Das Schöne selbst lädt zum Schmecken (sapor) ein, damit wir offen (sapiens) werden für die innigste Vereinigung mit dem Gegenstand auf der Grundlage des unmittelbaren Genusses« 68 . Das Schönheitsgefühl ist im Gegensatz zum Gefühl des Erhabenen eine »positive Lust« (KU, 75 f.). In der Dialektitk der ästhetischen Urteilskraft wird das Gefühl des Schönen von Kant durch eine analoge Betrachtung mit dem moralischen Gefühl in Zusammenhang gebracht, wobei die Schönheit dadurch als »Symbol der Sittlichkeit« (KU, § 59) gedeutet werden kann. Der Geschmack wird somit am Ende der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft im Unterschied zur Analytik derselben als »ein Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen« (KU, 263) bezeichnet. Der andere Aspekt für die Harmonie der Erkenntniskräfte ist die Zurückführung der subjektiven Bedingung einer Erkenntnis bzw. des Urteils überhaupt auf die innere Reflexionsstruktur der Urteilskraft. Die notwendige Unterscheidung von kognitiver und ästhetischer Reflexion führt zur zweifachen Perspektive der subjektiven Bedingung der Erkenntnis unter dem Gesichtspunkt der zweifachen Beziehung einer Erkenntnis. der Seele des Menschen ein G e i s t (mens, QRX¸¸ ) beigegeben, damit er nicht ein bloß dem Mechanism der N a t u r und ihren technisch-praktischen, sondern auch ein der Spontaneität der F r e i h e i t und ihren moralisch-praktischen Gesetzen angemessenes Leben führe« (Fried. i. d. Ph., A494 f./VIII417). Vgl. dazu H. Heimsoeth (1940) u. (1970) S. 253. 67 Zur Deutung des ästhetischen Schönheitsgefühls als Einheit des Ich- und Weltgefühls vgl. KU, § 42; ferner E. Cassirer S. 339 ff., 353 f.; Fr. Kaulbach (1984) S. 57 ff.; K.-H. Schwabe S. 49 ff.; M. Riedel (1997) S. 521 ff. – Außer der viel zitierten Notiz R1820a (vgl. § 2, S. 114 f., Anm. 65) ist folgender Gedanke Kants aufschlußreich für das ästhetische Weltgefühl: »Was mit mir selbst zusammenstimmt, in so fern ich als ein individuum der sinnenwelt mich betrachte, ist angenehm; was mit mir, als durch das gantze der Sinnenwelt bestimmt, harmonirt, ist schön; was mit mir als einem Glied der intellectualen Welt zusammenstimmt, ist gut« (R712, XV316). 68 M. Riedel (1997) S. 511; vgl. dazu Anthr., A188 f./VII241 f.
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»Alle unsre Erkenntnis hat eine z w i e f a c h e Beziehung: e r s t l i c h , eine Beziehung auf das O b j e k t , z w e i t e n s , eine Beziehung auf das S u b j e k t . In der erstern Rücksicht bezieht sie sich auf V o r s t e l l u n g ; in der letztern aufs B e w u ß t s e i n , die allgemeine Bedingung alles Erkenntnisses überhaupt« (Jäsche Logik, A40/IX33; vgl. R1693, XVI85; Wiener Logik, XXIV805).
Die kognitive Reflexion bezieht sich in erster Linie auf das Bewußtsein der Vorstellungen untereinander, die ästhetische eher auf das Bewußtsein der Struktur des Bewußtseins selbst. Beide werden unter dem subjektiven Aspekt der allgemeinen Bedingung einer Erkenntnis, mit anderen Worten, unter dem Aspekt der Reflexion betrachtet. Mit diesen subtilen Unterscheidungen von Reflexion wird auf zwei Probleme hingewiesen. Das erste bezieht sich auf die Urteilskraft als Vermögen der Reflexion, die im weitesten Sinne nichts als Denken ist. In der schon zitierten Textstelle in der KU ist Urteilskraft überhaupt »das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken« (KU, XXV). Damit wird Urteilskraft in Beziehung auf die Vorstellung des Objekts als das Vermögen der Reflexion der Vorstellungen untereinander bezeichnet. Diese Betrachtung bezieht sich unmittelbar auf den allgemeinen (logischen69) Gebrauch der Urteils69
Vgl. EE, XX214. In der KU wird ›logisch‹ als Gegenbegriff zu ›ästhetisch‹ verwendet. Diese Gegenüberstellung bedeutet etwas ganz anderes als die von ›Logik‹ und ›Ästhetik‹ in der KrV. Dort bedeutet Logik im weitesten Sinne »Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt«, und Ästhetik »Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt« (A 52/B 76; vgl. Anthr., A25 f./VII140 f.). Die strenge Unterscheidung von objektiven Erkenntnisurteilen und subjektiven Geschmacksurteilen macht die Gegenüberstellung von ›logisch‹ und ›ästhetisch‹ aus. Das Logische bezieht sich auf einen Begriff von Objekt, das Ästhetische bloß auf das Gefühl der Lust und Unlust vermittels der reflektierenden Urteilskraft. Alles, was objektiv als zur Erkenntnis von einem Objekt gehörig in Betracht gezogen wird, heißt logisch (nach Begriffen), während alles, was in Gegenüberstellung vom Logischen steht, »sinnlich« (nach dem Gefühl) heißt (vgl. EE, XX222 f., 227; KU, L, 47 f.). Das Teleologische ist nur eine Unterart des Logischen, das Ästhetische eine des Sinnlichen (vgl. z.B. EE, XX221 ff., 247, 235). – Anstatt der kognitiven Reflexion, die vorher in Gegenüberstellung zur ästhetischen Reflexion verwendet wird, würde der Ausdruck logische Re-
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kraft. Sie soll die Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine vollziehen. Das zweite handelt von der subjektiven Bedingung einer Erkenntnis überhaupt, d. i. der Gebrauch der Erkenntniskräfte. Die Übereinstimmung der Erkenntniskräfte in ihrer Beziehung auf Objekterkenntnis kann nach Kant wiederum in zweifacher Hinsicht betrachtet werden (vgl. EE, XX223). Die objektive Seite wird schon in der KrV (insbesondere im transzendentalen Schematismus der Urteilskraft) gezeigt. Dort dient die Einbildungskraft dem Verstand (bzw. der transzendentalen Apperzeption) einseitig unter der Gesetzmäßigkeit des Verstandes, während in der ästhetischen Reflexion »Verstand und Einbildungskraft wechselseitig zur Beförderung ihres Geschäfts« (EE, XX221) zusammenstimmen. Die subjektive Seite handelt von der sogenannten Deduktion der Geschmacksurteile. Die transzendentalphilosophische Begründung des reinen Geschmacksurteils geht auf frei spielende Übereinstimmung der Erkenntniskräfte zurück. In bezug auf das ästhetisch urteilende Subjekt selbst kann die Harmonie der Erkenntniskräfte als die Subsumtion des Vermögens der Anschauungen (Einbildungskraft) unter das Vermögen der Begriffe (Verstand) in der bloßen Beurteilung der Formen der Anschauungsgegenstände betrachtet werden (vgl. KU, 146). Mit dieser philosophischen Metakonstruktion ist nichts anderes als die Isomorphie von der logischen Struktur des Urteils und der subjektiven Beziehung der Erkenntniskräfte (in bezug auf die Objekterkenntnis) gemeint.
flexion besser zur Kantischen Terminologie passen, welche aber leicht mit der ›logischen Reflexion‹ im Amphibolie-Kapitel verwechselt werden kann. – Zu ›logisch‹ und ›real‹ vgl. § 2, Anm. 86 (S. 136).
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§ 2 Heautonomie und Vermittlung der Urteilskraft Im vorangehenden Paragraphen wurde die Urteilskraft im Hinblick auf die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft thematisiert, welche Kant in beiden Einleitungen insbesondere unter dem (logisch) kognitiven Gesichtspunkt trifft. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung ist in der Diskursivität (Reflexivität) des menschlichen Verstandes begründet, der bei der konkreten Begriffs- und Urteilsbildung das empirische und apriorische Moment der Erkenntnis berücksichtigen muß. Der diskursive Verstand ist zwar gesetzgebend für die Naturerkenntnis, aber er kann sie nicht vollständig bestimmen. Insbesondere ist der menschliche Verstand nach Kant, im Gegensatz zur selbsttätigen Vernunft 1 , kein rein spontanes Vermögen, sondern bedarf immer eines Gegebenen, um die a priori in ihm liegenden Grundbegriffe (Regeln) zu gebrauchen. In bezug auf das Gegebene leistet die Sinnlichkeit (die Passivität unseres Gemüts) apriorische Formen der Anschauung (Raum und Zeit), wodurch uns ein Gegenstand als Erscheinung gegeben werden kann. Die Unterscheidung von Verstand als »reiner« Spontaneität und Sinnlichkeit als »reiner« Passivität im menschlichen Gemüt ist nach Kant eine bloß methodische Absonderung aufgrund der transzendentalen Tatsache der Diskursivität des menschlichen Verstandes überhaupt. Dies bringt Kant im Kontext der Theorie der transzendentalen Idealität und der empirischen Realität des Raumes und der Zeit zum Ausdruck. Weil die menschliche Anschauung, abgesondert betrachtet, keine Selbsttätigkeit, d.h. nicht »intellektuell« ist, kann der Mensch sich selbst nur nach der Art anschauen, »wie es von innen affiziert wird, folglich wie es sich erscheint, nicht wie es ist« (KrV, B69). »Das Bewußtsein seiner selbst (Apperzeption) ist die einfache Vorstellung des Ich, und, wenn dadurch allein alles Mannigfaltige im Subjekt s e l b s t t ä t i g gegeben wäre, so würde die innere Anschauung intellektuell sein. Im Menschen erfor1
Vgl. unten Anm. 40 (S. 92).
dert dieses Bewußtsein innere Wahrnehmung von dem Mannigfaltigen, was im Subjekte vorher gegeben wird, und die Art, wie dieses ohne Spontaneität im Gemüte gegeben wird, muß, um dieses Unterschiedes willen, Sinnlichkeit heißen« (KrV, B68; vgl. B130, B134 f.).
Die Grundthese der Kantischen Erkenntnistheorie besteht somit darin, daß die Formen der Erkenntnis überhaupt a priori von uns selbst geleistet, und die spezifischen Inhalte derselben a posteriori gegeben werden müssen, sofern die Erkenntnis im eigentlichen Sinne zustande kommen können soll. Die Erkenntnis ist demnach allgemein die Synthesis von sinnlichen Anschauungen und diskursiven Begriffen. So bleibt das Kardinalproblem des Kantischen transzendentalen Apriorismus die Spezifikation der transzendentalen Grundsätze zu empirisch besonderen Gesetzen, oder allgemeiner, das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen. Die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft liegt zwar bezüglich der Kantischen Differenzierung zwischen Verstand und Vernunft in der KrV unter theoretischem Gesichtspunkt nahe, aber sie nimmt diese Differenzierung nicht zum Ausgangspunkt, sondern sie wird vielmehr im Hinblick auf die Struktur und Funktion der Urteilskraft selbst dargelegt, d.h. auf den zweckmäßigen Gebrauch unseres Erkenntnisvermögens. 2 Die folgenden zwei Gründe mögen genügen, die Richtigkeit der einfachen Gleichsetzung der bestimmenden Urteilskraft mit dem Verstand, und der reflektierenden mit der Vernunft zu widerlegen: Erstens unterscheidet Kant zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft nicht nur im Hinblick auf den theoretischen, sondern auch auf den praktischen Gebrauch der Vernunft.3 Demzufolge wird die physische Teleologie von der moralischen Teleologie nach der »Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens« subjektiv »für u n s (Menschen überhaupt)« (KU, 446) unterschieden (vgl. KU, 437, 445 f., 474); diese beruht auf dem moralisch-praktischen Ver2 3
Vgl. § 1, Anm. 24 (S. 43) und Anm. 33 (S. 46). Vgl. KU, § 87 u. § 88. Die Idee des Endzwecks der Natur, oder des moralischen Welturhebers ist z.B. ein Begriff der praktisch-reflektierenden Urteilskraft (vgl. KU, 433 ff.).
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nunftgebrauch und gehört der praktisch-reflektierenden Urteilskraft an; jene resultiert aus dem technisch-praktischen Vernunftgebrauch und wird der theoretisch-reflektierenden Urteilskraft zugeordnet.4 Zweitens ist das Begriffspaar ›bestimmend/reflektierend‹ nicht einfach mit dem von ›konstitutiv/regulativ‹ gleichzusetzen, weil die Unterscheidungen nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven getroffen werden, sondern sich auch überlagern.5 Die reflektierende Urteilskraft kennt in ihrer teleologischen Beurteilung des Regelmäßigen der Natur nur regulative Prinzipien, aber in ihrer ästhetischen Beurteilung des Schönen ein konstitutives Prinzip für das Gefühl der Lust und Unlust (vgl. KU, LVII; EE, XX229 f.). Das Prinzip der ästhetischen Urteilskraft ist andererseits nur ein normatives (regulatives) Prinzip des Geschmacks für die Feststellung der empirischen Geschmacksregeln, nach denen ein gegebener Gegenstand in der Erscheinung schön genannt werden soll, weil der Begriff der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur unbestimmt ist (vgl. z.B. KU, 62 f., 200, 237 f.). Die Grundsätze des Verstandes sind, wie schon erwähnt, zwar konstitutiv für die Erfahrung, aber die dynamischen Grundsätze sind nur regulativ für die Erscheinungen (Phänomene). Die Vernunftideen sind in ihrem theoretischen Gebrauch zwar regulativ für den Verstandesgebrauch, aber vor allem die Idee der Freiheit ist in ihrem moralisch-praktischen Gebrauch dennoch konstitutiv für die Willensbestimmung. Das moralische Gesetz ist ferner für die Beurteilung der praktischen Handlung a priori bestimmend (gesetzgebend), aber für die Ausführung des Gesetzes nur regulativ, weil die Befolgung des moralischen Gesetzes, der Eingeschränkt-
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Zur Unterscheidung von ›technisch-praktisch‹ (Zwecksetzung nach Naturbegriffen) und ›moralisch-praktisch‹ (Zwecksetzung nach Freiheitsbegriff) vgl. EE, XX195-200; KU, XII-XIV; KpV, A46/V26 Anm.; MAR, A12 f./VI217 f.; MAT, A12 f./VI385; Gemeinspruch, A224 f./VIII285 Anm.; Fried. i. d. Ph., A494 ff./VIII417 ff. – Dazu vgl. ferner H. Mertens S.49-51; G. Lehmann (1969) S. 290 f., 344 f., 349-357. Vor allem geht Lehmann (1969, S. 349 ff.) auf die Fortführung der ›Technik der Urteilskraft‹ in die ›technisch-praktische Vernunft‹ des Opus postumum ein. Eine gute Darstellung der Unterscheidung vom ›konstitutiv/regulativ‹ gibt M. Friedman (1991) S. 73-102.
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heit der menschlichen Vernunft halber, nur nach Maximen geschieht.6 Anders gesagt: »Die reine Vernunft als praktisches Vermögen, d.i. als Vermögen, den freien Gebrauch unserer Kausalität durch Ideen (reine Vernunftbegriffe) zu bestimmen, enthält nicht allein im moralischen Gesetze ein regulatives Prinzip unserer Handlungen, sondern gibt auch dadurch zugleich ein subjektiv-konstitutives in dem Begriffe eines Objekts [sc. Endzwecks] an die Hand, welches nur Vernunft denken kann, und welches durch unsere Handlungen in der Welt nach jenem Gesetze wirklich gemacht werden soll« (KU, 429). »Wenn es aber auf das Praktische ankommt, so ist ein solches r e g u l a t i v e s Prinzip (für die Klugheit oder Weisheit): dem, was nach Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen von uns auf gewisse Weise allein als möglich gedacht werden kann, als Zwecke gemäß zu handeln, zugleich k o n s t i t u t i v , d.i. praktisch bestimmend; indes eben dasselbe, als Prinzip die objektive Möglichkeit der Dinge zu beurteilen, keineswegs theoretisch-bestimmend […], sondern ein bloß r e g u l a t i v e s Prinzip für die reflektierende Urteilskraft ist« (KU, 437 f.).
2.1 Übergang von der Denkungsart des Verstandes zur Denkungsart der Vernunft In einer äußerst komprimierten Weise faßt Kant die Problematik des Übergangs vom Sinnlichen zum Übersinnlichen7 im letzten Absatz 6 7
Vgl. KrV, A812/B840; KpV, A141/V79; KU, 342 f.; Religion, A49/VI46 f. Das Übersinnliche als Nichtgegenständliches hat bei Kant nichts mit den mystischen Gedanken vom Übernatürlichen zu tun. Die Vernunft (Freiheit) gehört noch zur Natur in einem übergreifenden Sinne, also zur »Natur des Übersinnlichen« im Unterschied zur »Natur des Sinnlichen« (vgl. KpV, A74/V43). Die Betrachtung des Übersinnlichen bleibt bei Kant immer innerhalb der Grenze der bloßen Vernunft. Kant gebraucht den Begriff ›übersinnlich‹ erst nach der vollen Entwicklung seiner Ethik (etwa 1785), wobei das übersinnliche Prinzip der Freiheit völlig un-
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des Abschnitts II der zweiten Einleitung zur KU im Kontext der Zweiteilung der Sachphilosophie vor dem Abschnitt III von der KU als einem Verbindungsmittel der zwei Teile der Philosophie zu einem Ganzen folgendermaßen zusammen: »Ob nun zwar eine unübersehbare Kluft zwischen dem Gebiete des Naturbegriffs, als dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Freiheitsbegriffs, als dem Übersinnlichen, befestigt ist, so daß von dem ersteren zum anderen (also vermittelst des theoretischen Gebrauchs der Vernunft) kein Übergang möglich ist, gleich als ob es soviel verschiedene Welten wären, deren erste auf die zweite keinen Einfluß haben kann: so soll doch diese auf jene einen Einfluß haben; nämlich der Freiheitsbegriff soll den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen, und die Natur muß folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme. – Also muß es doch einen Grund der E i n h e i t des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält, geben, wovon der Begriff, wenn er gleich weder theoretisch noch praktisch zu einem Erkenntnisse desselben gelangt, mithin kein eigentümliches Gebiet hat, dennoch den Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen zu der nach Prinzipien der anabhängig vom spekulativen Begriff der transzendentalen Freiheit begründet wird. Dieser Begriff kommt zum ersten Mal (in den gedruckten Schriften) in dem Aufsatz vor: Was heißt: Sich im Denken orientieren? (1786). Mit ihm wird diejenige metaphysische Dimension bezeichnet, die Kant zuvor mit Begriffen wie ›Ding an sich‹, ›Noumenon‹ oder ›intelligibel‹ auszudrücken suchte. Das Übersinnliche ist bei Kant vom »Nichtsinnlichen« zu unterscheiden, wobei diese Unterscheidung die Differenzierung zwischen Verstandesbegriffen und Vernunftideen markiert. Zum Nichtsinnlichen gehören auch Kategorien des Verstandes, welche zwar nicht sinnlich sind, aber deren Beispiele sich im Sinnlichen befinden. Daher »kann das Nichtsinnliche, z.B. der Begriff der Ursache, welcher im Verstande seinen Sitz und Ursprung hat, doch, was das Erkenntnis eines Gegenstandes durch denselben betrifft, noch zum Felde des Sinnlichen, nämlich der Objekte der Sinnen gehörig genannt werden« (Fortschritte, A10/XX260). – Über eine begriffsgeschichtliche Untersuchung des Terminus ›übersinnlich‹ siehe A. Model (1987) S. 91-100.
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deren möglich macht« (KU, XIX f.; vgl. KU, VIII f., XXIV f., LIII ff., 260 u.ö.; EE, XX246 f.).
Kant gliedert diesen kompakten Text durch den Gedankenstrich in zwei Teile, die durch die praktische Notwendigkeit der Einheit des Übersinnlichen verbunden sind. Im ersten Teil werden die Grundthesen der KrV und KpV kurz wiedergegeben. Die Einheit der theoretischen und praktischen Philosophie ist eine notwendige Forderung der praktischen Vernunft.8 Denn die Vernunft ist »zur Erfahrung überhaupt nicht notwendig« (EE, XX233),9 aber die Ausfüh8
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Vgl. K. Düsing (1986) S. 102-115; K. Marc-Wogau S. 28-34. Die dialektische Auffassung Marc-Wogaus (S. 31 ff.) halte ich aufgrund seines Mißverständnisses der Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft für unangemessen. Die Notwendigkeit der praktischen Forderung der Einheit des Systems steht nicht in Widerspruch zur transzendentalen Feststellung der Unbegreiflichkeit dieser Einheit für die endliche Vernunft (vgl. auch unten Anm. 32, S. 88). Man sieht diese Einheit zwar nicht ein, aber man darf die Welt so interpretieren, wenn es gute Gründe für die Urteilskraft, und zwar nur für sie selbst, gibt. – Es ist aber nicht abwegig, wenn Marc-Wogau meint, daß die »Verbindung des Naturbegriffs mit dem Freiheitsbegriff durch die Urteilskraft nicht die geforderte Verbindung derselben« (S. 32) durch die praktische Vernunft ist, wenn letztere »objektiv gültig« sein soll. Es läßt sich aber fragen, ob Kant, wie Marc-Wogau meint, die praktisch geforderte Verbindung derselben in Wahrheit für »objektiv gültig« hielte (vgl. KU, 429). Die Ausführung des moralischen Zwecks ist nach Kant für uns Menschen nur nach der Maxime möglich, also subjektiv. Die Verfolgung des moralischen Gesetzes kann anderseits, der Eingeschränktheit des menschlichen Verstandes zufolge, ihren Erfolg in der Welt letztlich nicht garantieren. Es ist umstritten, ob der Verstand ohne Funktion der Vernunft richtig fungieren kann, da die Vernunft durch ihre Ideen den empirischen Gebrauch des Verstandes bestimmt (vgl. KrV, A547/B575, A573/B601, A653 f./B681 f., A657/B685). – Kant will hierbei nur sagen, daß die Vernunftidee (als Begriff des Unbedingten) – insbesondere die moralische Idee – zur bestimmenden Naturerkenntnis »völlig entbehrlich« (Prol., A131/IV331; vgl. KrV, A799/B827) ist, und die Verstandeseinheit von der Vernunfteinheit streng unterschieden werden muß. Die Vernunfteinheit (systematische oder kollektive Einheit der Erfahrung) ist keine distributive Einheit der möglichen Erfahrung. Kant erwähnt zwar im dritten Postulat des empirischen Denkens schon die Anwendung der Vernunft auf Erfahrung, aber die Kategorien der Modalität tragen die »Bestimmung des Objekts« nicht bei, sondern drücken »nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen« aus (vgl. KrV, A219/B266). – Dazu vgl. KrV,
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rung der Kausalität durch Freiheit bedarf unumgänglich des Verstandes, weil die Folge derselben notwendig in der Sinnenwelt liegt. – Im Zweiten Teil wird die systematische Aufgabe der KU eingeführt, nämlich einen Begriff zu finden, welcher den Übergang von der Denkungsart des Sinnlichen zu der des Übersinnlichen möglich macht, indem der gesuchte Begriff in sich den Grund der Einheit des Übersinnlichen enthält. Daß es einen Grund der Einheit des Übersinnlichen geben muß, hat sich aus der moralisch-praktischen Notwendigkeit erwiesen, welche Kant in der KrV und KpV durch den Begriff des höchsten in der Welt abgeleiteten Guts zu zeigen sucht. Mit diesem Begriff soll sich die dritte große Frage: »Was darf ich hoffen?« beantworten lassen. Diese Frage ist zwar »praktisch und theoretisch zugleich« (KrV, A805/B833), aber ihre Beantwortung soll nach Kant unter der Leitung durch die praktische Vernunft gesucht werden, indem »das Praktische nur als ein Leitfaden zu Beantwortung der theoretischen, und, wenn diese hoch geht, spekulativen Frage führt« (ebd.).10 Daher lautet die Frage: »Wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdann hoffen?« (ebd.). Es ist nicht ganz klar, was Kant hier mit dem Begriff vom »Grund der Einheit des Übersinnlichen« meint, und wie dieser Begriff den Übergang möglich machen soll. Man vermutet, und zwar mit gutem Grund, daß Kant hierbei einen Gott als moralischen Welturheber denkt. 11 Denn der Übergang (Überschritt) vollzieht A302/B359, A307/B363 f., A326/B383, A509/B537, A684/B712 u.ö.; Prol., A131 f./IV331 f., A167/IV353, A187/IV364. 10 Das Denken soll sich im Feld des Übersinnlichen nicht nur an der praktischen Vernunft, sondern vielmehr auch an der gemeinen Menschenvernunft orientieren. »Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Kompaß, wodurch der spekulative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde übersinnlicher Gegenstände orientieren, der Mensch von gemeiner doch (moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg, so wohl in theoretischer als praktischer Absicht, dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig angemessen vorzeichnen kann« (S. i. D. orient., A320/VIII142; vgl. KrV, A830 f./B858 f.; Fortschritte, A122/XX301). – Siehe dazu unten Anm. 95 (S. 144). 11 J. Freudiger sieht z.B. den Brückenschlag der KU im moralischen Gottesbeweis und hält es durchaus für gelungen. Th. Gfeller (S. 230 f.) ist dazu zwar kritisch, aber er sieht den teleologischen Brückenschlag wie Freudiger im Gottesbeweis.
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sich vom Sinnlichen durch den Begriff der formalen Zweckmäßigkeit der Natur über den Begriff der Zwecke derselben, sowie den des Endzwecks der Schöpfung12 (oder Natur) und schließlich den des höchsten durch Freiheit in der Welt möglichen Guts als Endzweck des praktischen Vernunftgebrauchs zu einem Gott als moralischem Welturheber, der nach unseren Begriffen das Zweckmäßige in der Natur nicht anders als aus moralischen Gründen hervorbringt. Befriedigend ist diese Interpretation nicht, weil sie nicht zur Grundintention der KU paßt, wobei die Urteilskraft durch den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur, welcher auf einen intuitiven Verstand als verständige Weltursache verweist, zwar unabhängig vom Moralisch-praktischen, aber mit dem letzten wohl verbunden, den Übergang vom Sinnlichen zum Übersinnlichen möglich macht (vgl. KU, LV). Angemerkt sei hier, daß die Naturteleologie nach Kant allein ohne praktische Idee des Endzwecks zum bestimmten Begriff des Übersinnlichen unzulänglich ist. Das besagt aber nicht, daß die Naturteleologie schließlich nur durch die Idee des Endzwecks begründet werden kann.13 Das Prinzip der Naturteleologie wäre objektiv, wenn sein Grund im Übersinnlichen (Urgrund der Natur) uns erkennen ließe. Es wäre dann nicht das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, sondern der bestimmenden (vgl. z.B. KU, 359 f.). Worin besteht dann genau der Übergang? Besteht er in der sinnlichen Natur des Menschen als vernünftiges Naturwesen, oder allgemeiner betrachtet, in der zweckmäßigen Anordnung der Natur12
Unter ›Schöpfung‹ versteht Kant hier »die Ursache vom D a s e i n einer W e l t , oder der Dinge in ihr (der Substanzen)« (KU, 422 Anm.), und zwar bloß in ihrer eigentlichen Bedeutung (actuatio substantiae est creatio). In diesem Sinne führt der Begriff Schöpfung »nicht schon die Voraussetzung einer freiwirkenden, folglich verständigen Ursache […] bei sich« (KU, 422 Anm.). Der mit der »Schöpfung« sinnverwandte Begriff ist die »Technik der Natur«, die natürliche, unabsichtliche Technik (Forma finalis naturae spontanea, technica naturalis; vgl. EE, XX235; KU, 321) oder die eigenständige »Ausbildung der Natur« zur Erscheinung (Th. d. Himmels, A111/I312). Der Endzweck der Schöpfung ist folglich nichts anderes als Endzweck der Natur. 13 Diese These vertritt z.B. B. Raymaekers (1991, S. 158 f.; 1998, S. 89 ff.). Er sieht zwar das moralische Motiv im Übergang der KU richtig, aber führt das Thema aufgrund der Gewichtsverlagerung der moralischen Freiheit zu weit.
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dinge durch die Maxime der Urteilskraft, oder in der Vereinigung des Übersinnlichen durch das Prinzip des Endzwecks der praktischen Vernunft? Auf welche Art ist er möglich? Die letzte Frage kann man leicht beantworten, nämlich durch die ästhetische und teleologische Beurteilung der Natur. Für die erste gibt es kaum eine befriedigende Antwort, weil Kant sie nicht genau gibt, oder wohl auch nicht geben kann. Kant spricht beispielsweise auch vom »Übergang unseres Beurteilungsvermögens von dem Sinnengenuß zum Sittengefühl« (KU, 164) durch Reflexionsgeschmack. Man kann gleichsam tautologisch sagen, daß der Übergang sich in der Wende von der physischen zur moralischen Teleologie vollzieht, wenn man die Naturteleologie im übergreifenden Sinne gebrauchen darf, weil der ästhetische Übergang nach Kant unbeschadet seiner Eigentümlichkeit mit in den teleologischen (i.w.S.) Denkhorizont einbezogen werden muß. Der Übergang der KU sollte nach Kant nicht im ontologisierenden Sinne verstanden werden, nämlich als Überschritt von der sinnlichen (sensiblen) zu einer intelligiblen Welt, da Kant die Unterscheidung vom Sinnlichen der Natur und Übersinnlichen der Freiheit nur so betrachten will, »gleich als ob es soviel verschiedene Welten wären« (KU, XIX). Aber manche Ausdrücke Kants legen die Vermutung zweier Welten (Sinnen- und Verstandeswelt) nahe.14 Beispielsweise deutet die einzige15 Stelle in der EE, in der unmittel14
Vom Denkansatz der KrV her will Kant die zwei Weltentheorie der Dissertation von 1770 vermeiden, aber er kann sie in Wahrheit nicht völlig überwinden (vgl. A. Baeumler S. 345 f.). Das ist keine Kritik nur an Kant, denn diese Schwierigkeit ist alle Theorien des Apriorismus gemein. Kant selbst ist diese Schwierigkeit durchaus bewußt, wenn er von der Schwierigkeit des scheinbaren doppelten Ichs spricht (vgl. KrV, B68; Anthr., A14 f./VII134 Anm., A27 f./VII141 f.; Fortschritte, A30-38/XX268-271). Die Theorie zweier Perspektiven ein und derselben Sache wäre die befriedigendere Lösung (vgl. KrV, BXIX Anm., A38/B55). Nach ihr ist die erkenntnistheoretische Unterscheidung nicht zugleich die ontologische. 15 An einer anderen Stelle der EE deutet Kant den (ästhetischen) Übergang bereits an: Die Kritik der ästhetischen Urteilskraft eröffnet, »dadurch, daß sie eine Lücke im System unserer Erkenntnisvermögen ausfüllt, eine auffallende und […] viel verheißende Aussicht in ein vollständiges System aller Gemütskräfte, so fern sie in ihrer Bestimmung nicht allein aufs Sinnliche, sondern auch aufs Ü-
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bar vom Übergang die Rede ist, die zwei substanziellen Welten an: Die Urteilskraft verknüpft die theoretische mit der praktischen Philosophie durch »ein eigentümliches Prinzip«, und macht zugleich den Übergang »von dem s i n n l i c h e n Substrat der ersteren, zum i n t e l l i g i be l e n der zweiten Philosophie« möglich (EE, XX246). Mit dem »sinnlichen Substrat« ist hier wohl die empirische materielle Substanz (substantia phaenomenon) gemeint, die uns theoretisch zulänglich ist und a priori durch Verstandesgesetze allgemein strukturiert wird.16 Das sinnliche Substrat der Natur, also keine bloße Vorstellung von uns, soll nicht mit dem übersinnlichen Substrat der Natur verwechselt werden, welches theoretisch gänzlich unbestimmt ist. Zugestanden ist, daß es bei Kant in bezug auf die Unterscheidung von Phaenomenon und Noumenon nicht nur terminologische, sondern auch sachliche Schwierigkeit gibt.17 Es ist hier hauptsächlich zu zeigen, daß der Ausdruck des sinnlichen Substrats der Natur in bezug auf das Übergangsprogramm der KU zwar im ersten Augenblick ungewöhnlich, aber der Sache nach wohl angemessen ist. Vorausgesetzt ist nur, daß das sinnliche Substrat der Natur hier eine Bedeutungsverschiebung erhält. Sie wird im Denkhorizont der KrV hauptsächlich zur Gegenwehr gegen den Verdacht des subjektiven Idealismus und weiterhin gegen den naiven Realismus gebraucht (vgl. KrV, A45 ff./B62 f.). Daß die Erscheinung als bloße Vorstellung von uns vom Ding an sich zu unterscheiden sein muß, ist »transzendental«; die Einteilung der Erscheinung in die bloß subjektive Vorstellung und in das objektive Phänomen (als Gegenstand an sich im Raum) ist aber »nur empirisch« (vgl. ebd.). Die Erscheinung ist kein Schein, sondern sie hat als Phänomen einen der Anschauung korrespondierenden Gegenstand außerhalb der bersinnliche bezogen sind, ohne doch die Grenzsteine zu verrücken, welche eine unnachsichtliche Kritik dem letzteren Gebrauche derselben gelegt hat« (EE, XX244 f.). 16 Zu Raum-Zeit als »Substrat des Realen«, Materie (dem Beweglichen im Raum) als »substantia phaenomenon« und Erscheinung (Phänomen) als sinnlicher Substrat der Natur vgl. KrV, A45 f./B62 f., A182/B224 f., A265/B321; Prol., A116 f./IV322; MAN, A42/IV502 f; ferner H. Mertens S. 203 f. 17 Zu verschiedenen Gegenstandsbegriffen bei Kant vgl. § 3, Anm. 39 (S. 173), und zur Zweideutigkeit von ›außer uns‹ vgl. § 4, Anm. 47 (S. 279 f.).
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Vorstellung in Raum und Zeit. Das sinnliche Substrat der Natur ist in der KU der Sache nach nichts anderes als das, was im Begriff des Sinnlichen enthalten ist. Das Sinnliche bedeutet nun soviel wie das Besondere der Natur, also die erscheinende Natur oder die »sinnliche Natur«, die die Existenz der Dinge unter empirisch bedingten Gesetzen ist (vgl. KpV, A74/V43), während die »nicht empirisch erkennbare Natur« (KU, 331) übersinnlich ist. In der KU wird die Natur in ihrer eigenständigen Produktivität (Selbstorganisiertheit) betrachtet, während die KrV auf ihre Bestimmbarkeit durch allgemeine Verstandesgesetze einen besonderen Akzent setzt. Der Ausdruck des sinnlichen Substrats der Natur ist insofern mißverständlich im Zusammenhang mit dem Übergang von der Gesetzgebung der Natur zur Gesetzgebung der Freiheit, als er den Eindruck erweckt, als ob es zwei (sinnliche und übersinnliche) Substrate der Natur gäbe. Das ist wohl der Grund dafür, daß Kant den Ausdruck außer an dieser Stelle der EE nicht mehr in der KU gebraucht. Dort ist nur vom Sinnlichen (Natur) und Übersinnlichen (Grund der Natur) die Rede. Wir können uns zwar verschiedene mögliche Welten denken, aber es gibt nach der KrV für uns objektiv nur eine Erscheinungswelt (die Natur), die wir erkennen können, als »Inbegriff der Gegenstände aller möglichen Erfahrung« (KU, XVII). Wir können den Grund dieser Erscheinungswelt theoretisch nicht erkennen, sondern nur durch die praktische Vernunft, soviel an ihr liegt, mittels der freien Handlung moralisch bestimmen, weil die Folge der Kausalität aus Freiheit immer eine Handlung (Begebenheit) in der Sinnenwelt ist. Bei Menschen fallen aber Sein und Sollen nicht zusammen (vgl. z.B. KU, 342 ff.; KrV, A807 f./B835 f.). Die praktische Bestimmung der Handlung in der Welt ist nicht zugleich die wirkende Ursache der Natur. Menschen können nur durch ihre freie Handlung in der Ordnung der Natur mitwirken. Wir haben dementsprechend eine zweifache »Denkungsart« oder »Gesetzgebung« in bezug auf ein und dieselbe Erscheinungswelt. »Verstand und Vernunft haben also zwei verschiedene Gesetzgebungen auf einem und demselben Boden der Erfahrung« (KU, XVIII), auf welchem Verstand und Vernunft ihr Gebiet (ditio) errichten und ihre Gesetzgebung aus79
üben (vgl. KU, XVII). Ganz in diesem Sinne spricht Kant von der »E i n h e i t des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält« (KU, XX). Hier ist von zwei Perspektiven des Grundes der erscheinenden Natur die Rede, nämlich das theoretisch unbestimmte Übersinnliche und ebendasselbe, das durch das übersinnliche Vermögen (die Freiheit) im Menschen die moralisch-praktische Bestimmung gewinnt (vgl. KU, LVI). Verknüpft werden sollen also beide Denkungsarten oder Gesetzgebungen durch ein apriorisches Prinzip der Urteilskraft, welches sich je auf beide Gesetzgebungen subjektiv-notwendig in einer bestimmten Weise bezieht. Diese Verknüpfung ist aber nicht im Sinne einer Vereinigung von beiden Gesetzgebungen durch ein noch höheres Prinzip als das des Verstandes und der Vernunft zu verstehen, weil ein solches Prinzip nach Kant für uns unzulänglich ist. Genau in diesem Sinne wird die Metapher des Anbaus eines Übergangs zwischen zwei »für sich bestehenden« Gebäuden, wobei die zwei Systeme bloß verknüpft werden, in § 68 der KU im Kontext der Frage nach der Zugehörigkeit der Teleologie zur Naturwissenschaft oder zur Metaphysik gebraucht (KU, 305). Die Teleologie gehört insofern zur Naturlehre, wenn der Zweck in der Selbstorganisation der Natur bloß formal betrachtet wird, d.h. man läßt dabei die Frage: ob die Form der Organisation absichtlich oder absichtslos sei, gänzlich unbestimmt. Sie ist aber zur Metaphysik gehörig, sofern der Zweck der Existenz in Betracht gezogen wird, unabhängig davon, ob diese Betrachtung bejaht oder verneint wird. Denn diese Betrachtung setzt den Begriff eines verständigen Wesens voraus, das die Natur nach Zwecken einrichtet. Dieses Sinnbild sollte man immer bei dem komplexen Gedanken des Kantischen Übergangs vom Sinnlichen zum Übersinnlichen im Auge behalten. Die Urteilskraft hat zwar ein eigenständiges Prinzip, aber es dient bloß zur Verknüpfung. Die zu verknüpfenden theoretischen und praktischen Teile der Philosophie bleiben je für sich eigenständige Systeme. Ich werde im folgenden der Einfachheit halber gelegentlich auch vom Übergang von der Natur zur Freiheit sprechen, womit der »Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen zu der 80
nach Prinzipien der anderen« (KU, XX), oder der »Übergang von der reinen theoretischen zur reinen praktischen, von der Gesetzmäßigkeit nach der ersten zum Endzwecke nach dem letzten« (KU, LV; vgl. 431 f.), gemeint ist. Es könnte drei Möglichkeiten geben, den zweiten weiter oben zitierten Textteil (KU, XX) zu lesen. Man unterscheidet entweder den Grund der Einheit des Übersinnlichen von der Zweckmäßigkeit der Natur; jener wäre dann der moralische Welturheber, diese macht den Übergang möglich. Diese Möglichkeit paßt zwar zur Grundintention der KU, aber nicht zum Text selbst. Oder man nimmt den schillernden Begriff des Endzwecks als gesuchten Begriff an. Der Endzweck spielt zwar eine wesentliche Rolle im Übergang der KU, aber es läßt sich in der KU keine Textstelle finden, worin ausdrücklich gesagt wird, daß der Endzweck den Übergang möglich macht. Andererseits ist der Endzweck, der in der Natur verwirklicht sein soll, eine praktische Vernunftidee. Diese Möglichkeit können wir aber aus der theoretischen Philosophie nicht ableiten. Darin besteht gerade das Problem des Übergangs von der Natur zur Freiheit. Befriedigender wäre, den gesuchten Begriff als Zweckmäßigkeit der Natur und insbesondere als die mit diesem Begriff unzertrennlich verbundene verständige Weltursache zu verstehen. Diese Lesart paßt einerseits zum Grundprogramm der KU, und andererseits wird die verständige Weltursache mittels des Endzwecks des höchsten durch uns in der Welt möglichen Guts mit dem moralischen Welturheber verknüpft. Wenn man aber hier den gesuchten Begriff, wodurch der Übergang möglich gemacht wird, als Gott annimmt, gerät man dann nicht in die Gefahr, den Brückenschlag der KU als die allein aus dem moralisch-praktischen Interesse entstandene Einheitsforderung des Vernunftgebrauchs anzusehen, wie in der KrV und KpV? Man neigte demnach leicht dazu, den Übergang der KU zum Scheitern zu verurteilen. Denn die Blickrichtung vom moralischen Welturheber (zugleich als Weltursache) zur sinnlichen Natur wäre dann immer moralisch-praktisch, auch wenn man zugibt, daß Kants Lösungsvorschlag kein Deus ex machina ist. Diese moralische Weltverfassung mag nützlich für den praktischen Vernunftgebrauch sein, 81
aber sie ist für die theoretisch-bestimmende Urteilskraft unbefriedigend, weil selbst die bestimmende Urteilskraft in der Naturwissenschaft mit der teleologischen »Erklärung der Produkte der Natur durch Kausalität nach Zwecken lange nicht zufrieden« ist (KU, 350). Die Aufgabe der Kritik der teleologischen Urteilskraft besteht gerade darin, die notwendige Annahme einer Kausalität der Natur nach Zwecken für den menschlichen Verstand zu zeigen, um das Hindernis der bestimmenden Urteilskraft dadurch wegräumen zu können (vgl. KU, 434). Man muß hierbei zwischen einer Betrachtung mit dem moralischen Interesse und einer durch die moralische Forderung unterscheiden, weil ohne diese Unterscheidung die Autonomie der ästhetischen Freiheit und die Eigentümlichkeit der Selbstorganisation der Natur verloren gehen würden. Das Resultat der KU ist, daß der Brückenschlag vom Sinnlichen zum Übersinnlichen durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur wenigstens für die reflektierende Urteilskraft hinreichend dargetan werden kann (vgl. KU, 434 f.), obwohl er für die bestimmende unbefriedigend ist. »Dieses ist das Mindeste, was man der spekulativen Philosophie ansinnen kann, die den sittlichen Zweck mit den Naturzwecken vermittelst der Idee eines einzigen Zwecks zu verbinden sich anheischig macht; aber auch dieses Wenige ist doch weit mehr, als sie je zu leisten vermag« (KU, 431).
Mit dem einzigen Zweck meint Kant hier wohl das höchste durch Freiheit zu bewirkende Gut in der Welt als Endzweck der Natur nach moralischen Begriffen. Dies ist die Kantische Umwandlung des traditionellen ontologischen Begriffs der Weltvollkommenheit durch die praktische Vernunft. Dadurch vollzieht Kant eine moralische Wendung in der traditionellen Metaphysik. Auf dem Hintergrund der bisherigen Erörterung, möchte ich nun sechs Thesen für meine Interpretation vorstellen. Erstens, das Problem des Übergangs vom Sinnlichen zum Übersinnlichen ist kein spezifisches Problem der KU, sondern der kritischen Philosophie überhaupt. Dieses Problem ist nicht identisch mit dem der Anwendung der Vernunftprinzipien a priori (i.w.S.), welche von der allgemeinen Kritik der reinen Vernunft zu spezifischen metaphysischen 82
Systemen der Natur und Freiheit, und von da weiter zu den empirischen Lehren führt.18 Zweitens, die moralische Teleologie und der moralische Gottesbeweis sind in der KpV in ihren Grundzügen bereits hinreichend erwiesen.19 Das neu in der KU Hinzukommende ist die klare Strukturierung der Beweisgründe und die Zugehörigkeit des Endzwecks der Natur und des moralischen Gottesbegriffs zur praktisch-reflektierenden Urteilskraft. Insbesondere wird die moralische Teleologie im Zusammenhang mit der physischen Teleologie und Ethikotheologie zum Zweck des Übergangs von der Natur zur Freiheit ausführlich behandelt. Drittens, der ästhetische und teleologische Übergang sind nicht identisch. Jener vollzieht sich vor allem durch das Gefühl (Bedeutung der Schönheit); dieser eher durch den Begriff (Naturdeutung). Beide werden gemeinsam in einen teleologischen (i.w.S.) Denkhorizont mit einbezogen, und vollenden sich zuletzt in der Verbindung mit der moralischen Teleologie. Viertens, Kants transzendentale Auflösung des Übergangs von der Natur zur Freiheit durch die Naturteleologie ist, allein aus dem Gesichtspunkt des Verstandes und der Vernunft betrachtet, unbefriedigend. Sie ist nur hinreichend für die theoretisch-reflektierende Urteilskraft, indem die Naturteleologie zu einer verständigen Weltursache als übersinnlichem Grund der Natur (in uns und außer uns) führt. Die verständige Weltursache wird dann durch moralische Teleologie zu einem moralischen Welturheber ergänzt, oder genauer gesagt, in praktischer Absicht bestimmt. Die moralische Teleologie bedarf aber der physischen Teleologie keineswegs, weil sie allein durch Zwecke der Freiheit begründet ist. Kant scheint am Ende der KU (§ 85 - § 88), die Naturteleologie unter die moralische Te18
Dies stelle ich hier nur als These auf. G. Lehmann geht in seinem Aufsatz ›Anwendung und Übergang als Systemprobleme der Kantischen Philosophie‹ ausführlich darauf ein (1969, S. 188-195). 19 In der Religionsschrift wird ein neuer Aspekt des Beweisgrundes für das Dasein Gottes von Kant berücksichtigt, nämlich Gott als Stifter des ethischen Gemeinwesens (vgl. Religion, A123 ff./VI96 ff.); dazu vgl. auch H. M. Baumgartner (1997) und Eck. Förster S. 349 ff.
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leologie mittels der Ethikotheologie unterzuordnen. In der Tat werden die physische und moralische Teleologie in der KU scharf voneinander abgegrenzt (vgl. KU, 472 f.). Wie beide dann genau zu einem System im strengen Sinne vereinigt werden können, ist für unsere Vernunft schlechterdings unbegreiflich (vgl. Theodizee, A210 f./VIII263 f.; Fortschritte, A138 ff./XX306 ff.). Der moralische Welturheber als Urgrund der Natur ist bloß für die praktischreflektierende Urteilskraft hinreichend. Bei Kant besteht also eine Spannung zwischen der physischen und moralischen Teleologie. Daher wird der Brückenschlag der KU von den meisten Kantinterpreten als Fehlschlag gesehen.20 Positiv könnte man nur sagen, daß die Naturteleologie für den menschlichen Verstand einen möglichen Weg vom Sinnlichen zum Übersinnlichen aufzeigt. Sie liefert uns eine vernünftige Weltverfassung, die mit der Befolgung der sittlichen Zwecke in der Welt übereinstimmen könnte. Fünftens, das Subjekt des Übergangs ist also nicht Gott als moralischer Welturheber, der zwar nach unseren Begriffen der letzte Garant der höchsten Einheit sei, sondern der Mensch als vernünftiges Sinnenwesen, weil es bei der moralischen Weltbetrachtung ihrer Absicht nach um nichts anderes als um die Selbstbestimmung des Willens geht (vgl. KU, 436); d.h. der Mensch als Subjekt unter moralischen Gesetzen ist der Endzweck der Natur, worauf auch die Naturteleologie gerichtet ist (vgl. KU, § 84). Daher gewinnt der Übergang vom Sinnlichen zum Übersinnlichen schließlich eine pragmatische Bedeutung im Kantischen Sinne.
2.1.1 Praktische Forderung der Einheit des Vernunftgebrauchs in der KrV und KpV Die eigentümliche Leistung der Urteilskraft, nämlich der Übergang vom »Gebiet« der Naturbegriffen zum »Gebiet« des Freiheitsbe20
Zur älteren Literatur zu diesem Thema vgl. z.B. K. Düsing (1986) S. 102 Anm. 1; zur neueren vgl. z.B. Th. Gfeller S. 233 f. Anm. 20. – Zur Fortsetzung dieser Problematik in Op. post. vgl. G. Lehmann (1969) S. 284 f.
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griffs läßt sich allein unter der Perspektive der Differenzierung zwischen Verstand und Vernunft nicht begreiflich machen, da die beiden Gebiete »gegen allen wechselseitigen Einfluß, den sie für sich (ein jedes nach seinen Grundgesetzen) auf einander haben könnten, durch die große Kluft, welche das Übersinnliche von den Erscheinungen trennt, gänzlich abgesondert« (KU, LIII) sind. Der Verstand gibt in seiner Gesetzgebung für die Erkenntnis der Erscheinung zwar »Anzeige auf ein übersinnliches Substrat derselben« (KU, LVI), aber er »läßt dieses gänzlich u n b e s t i mmt « (ebd.), als ein unbekanntes Etwas (Noumenon),21 weil uns die intellektuelle Anschauung dazu fehlt. 22 Die Vernunft bestimmt zwar das Übersinnliche in uns durch ihr moralisches Gesetz, aber diese Bestimmung hat nur praktische Realität.23 Daher läßt sich keine Objekterkenntnis des Übersinnlichen in spekulativer Absicht erreichen. 24 Am Menschen als dem einzigen Naturwesen, »erkennen« wir durch sein Sittengesetz »ein übersinnliches Vermögen (die Fr e i h e i t )« (KU, 398),25 aber wir können der Natur selbst, nämlich ihrem »übersinnlichen Substrat (in uns sowohl als außer uns)« (KU, LVI) ein solches Vermögen der Freiheit nicht dogmatisch beilegen, weil wir dann den Fehler des Anthropomorphismus begingen.26 21
Vgl. KrV, A256/B311 f., B306 f., A286 f./B342 f.; Prol., A104 f./IV314 f. Zur Anzeige des Übersinnlichen durch das Sinnliche vgl. KrV, A251 f., BXXVXXX; Prol., A169 ff./IV354 f.; GMS, A106/IV451; MAN, A51 f./IV507; Fortschritte, A151 f./XX311; KU, 116, 235 ff., 243 f., 341 f., 352, 358 u.ö. 23 Vgl. z.B. KpV, A188 f./V105 f., A288 f./V161 f. 24 Vgl. KpV, A80-A87/V46-50, A95 f./V55, A243 f./V134 f. 25 Kant gelangt erst in der KpV endgültig zu einem klaren, und zwar analytischem Verhältnis zwischen dem moralischen Gesetz und der Freiheit, d.h. das Sittengesetz ist nichts anderes als Kausalität des freien Willens (vgl. GMS, A104 f./IV450). Die Freiheit ist die »ratio essendi des moralischen Gesetzes«, das moralische Gesetz aber die »ratio cognoscendi der Freiheit«. (KpV, A5/V4 Anm.; vgl. A52 f./V29) Weder das moralische Gesetz noch die Freiheit läßt sich durch »Deduktion« im eigentlichen Sinne nachweisen (vgl. KpV, A81 f./V47). Mit dem »Faktum der Vernunft« will Kant bloß die Unableitbarkeit und Unbegreiflichkeit des Sittengesetzes zum Ausdruck bringen (vgl. KpV, A55 f./V31, A80-A87/V46-50). – Vgl. dazu folgende Anm. 28 (S. 86). 26 Zu Kants Kritik am Anthropomorphismus vgl. KrV, A692 ff./B720 ff.; Prol., A171 ff./IV355 ff.; KpV, A244 ff./V135 ff.; KU, 257 ff., 436 ff., 440 ff.; Ton, 22
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Die Unmöglichkeit der Vermittlung zwischen dem Sinnlichen und Übersinnlichen aus den Gesichtspunkten des Verstandes und der Vernunft besteht nach Kant darin, daß dem menschlichen Verstand überhaupt eine intellektuelle Anschauung fehlt.27 Darum kann die Vernunft (i.w.S.) weder in ihrem theoretischen noch praktischen Gebrauch das Übersinnliche im strengen Sinne erkennen. Darum »wirkt« das moralische Gesetz als Kausalität durch Freiheit, deren Folge zur Sinnenwelt (Natur) gehört, auch auf eine »unerklärliche Art« (KU, LV Anm.).28 Das Problem des Übergangs bei Kant ist nicht künstlich herbeigeredet, sondern system-immanent.29 Das Streben nach Einheit des Vernunftgebrauchs ist in den beiden ersten Kritiken immer schon wirksam, wenngleich es nicht, wie in der KU (besonders in der
A410 ff./VIII400 f. Anm. – Die Als-ob-Erklärung ist ein, der Transzendentalphilosophie gemäß, erlaubter symbolischer Anthropomorphismus (Prol., A175/IV357; vgl. KrV, A697/B725). 27 Vgl. z.B. KrV, B 68, B72, 159; KpV, A56/V31, KU, 348 ff.; dazu auch W. Bartuschat (1972) S. 257. 28 Zur Unmöglichkeit, Freiheit zu erklären, vgl. insb. GMS, A120 ff./IV458 ff., MAT, A2 f./VI379 f. Anm.; und die Unbegreiflichkeit des radikal Bösen in uns (vgl. Religion, A46/VI44 f., A32 f./VI37); ferner obige Anm. 25 (S. 85). – Wenn Kant das Gefühl der Achtung fürs Gesetz, welche die »Wirkung« der freien Willensbestimmung des Sittengesetzes ist, als subjektive Triebfeder sittlicher Handlungen bestimmt, wird dadurch das »Wirken« des Sittengesetzes keineswegs erklärt, sondern bloß analysiert, und zwar unter der Voraussetzung, daß es die praktische Vernunft gibt und das moralische Gesetz »wirken« muß. »Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüte wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori anzuzeigen haben« (KpV, A128/V72). – Vgl. dazu auch unten Anm. 38 (S. 91 f.). 29 Vgl. M. Horkheimer S. 92, E. Adickes (1887). – A. Stadler verkennt z.B. die systematische Stelle der Übergangsproblematik in der KU. Er betrachtet vom erkenntnistheoretischen Standpunkt der KrV aus das Problem der Vermittlung oder Einheit der theoretischen und praktischen Philosophie für unwesentlich. Das Übergangsproblem ist nach ihm nur ein »Nebenergebnis«, kein »eigentliches Ziel der Untersuchung« der KU (Stadler S. 26). Für ihn sind die Sachprobleme wie die Fragen (vgl. KU, V f.): ob die Urteilskraft eigentümliche Prinzipien enthalte und das Gefühl der Lust oder Unlust a priori bestimme, bedeutsamer als jene Systemfrage.
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zweiten Einleitung), zum zentralen Gedanken erhoben wird.30 Das Charakteristische der KU ist die Art und Weise, wie das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Fassungskraft den Übergang vom Sinnlichen zum Übersinnlichen leistet. In der KU ist das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ein eigenständiges transzendentales Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, während Kant in der KrV die teleologische Weltverfassung, nämlich die Natur im Ganzen als System der Zwecke, durch die Idee des höchsten Guts zu begründen suchte, wobei die Ethikotheologie der Physikotheologie vorausgeht (vgl. KrV, A814 ff./B842 ff.). In der KU hingegen wird eine scharfe Grenze zwischen der physischen Teleologie, Physikotheologie, moralischen Teleologie und Ethikotheologie gezogen.31 Die physische Teleologie kann zwar »als Vorbereitung (Propädeutik) zur Theologie brauchbar« sein (KU, 410), aber nur die moralische Teleologie verdient den »Vorzug« (KU, 460 f., 476; vgl. KrV, A636 f./B664 f., A640 f./B668 f., A814/B842), eine Theologie (Ethikotheologie) aufgrund der moralischen Prinzipien zu begründen. In der KrV sagt Kant im Hinblick auf den regulativen Gebrauch der transzendentalen Vernunftbegriffe, »daß sie vielleicht von den Naturbegriffen zu den praktischen einen Übergang möglich machen, und den moralischen Ideen selbst auf solche Art Haltung und Zusammenhang mit den
spekulativen Erkenntnissen der Vernunft verschaffen können« (KrV, A329/B386). Diese Erwartung ist aber von vornherein auf den praktischen Gebrauch der Vernunftideen gerichtet (vgl. KrV, 328/B384 f.). Die 30
Zur Thematisierung der Einheit des Vernunftgebrauchs anhand der ersten zwei Kritiken durch die organologische Grundstruktur der Vernunft vgl. vor allem K. Konhardt; – zur Entwickung des Kantischen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur vgl. K. Düsing (1986). 31 Vgl. KU, 420 ff., 432 f., 445 f., 472 f. u.ö.; ferner K. Düsing (1986) S. 48-50, (1971) S. 37 f. – Kant unterscheidet zwar die Physikotheologie von der physischen Teleologie, aber er hält an diesen Unterscheidungen terminologisch nicht konsequent fest. Zweimal (KU, 404, 418) steht z.B. in der ersten Auflage »physische Theologie«, wo später »Teleologie« statt »Theologie« hingesetzt wird; vgl. dazu J. Freudiger S. 433.
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Ideen gewinnen erst in ihrem praktischen Gebrauch die eigentliche Bedeutung (vgl. KrV, A800/B828, BXXI). In diesem Sinne interpretiert Kant bereits bei der Einführung der Idee überhaupt in der KrV die Platonische Idee als das praktische Ideal (vgl. KrV, A317 ff./B374 f.). Erst im Kanon-Kapitel bringt Kant die praktische Bedeutung der Ideen in der Endabsicht der ganzen transzendentalen Dialektik deutlich zum Ausdruck: Der spekulative Gebrauch der Vernunftideen soll unter der Leitung der praktischen Idee vollzogen werden. Denn die Bestrebung der Vernunft nach dem Unbedingten ist »einzig und allein auf ihr praktisches Interesse gegründet« (KrV, A797/B825; vgl. auch A817/B845). Bei der Auflösung der dritten Antinomie, welche auf der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich beruht, kann Kant wenigstens unter theoretischem Gesichtspunkt zeigen, daß Naturnotwendigkeit und Kausalität durch Freiheit in ein und demselben Subjekt einander nicht widerstreiten.32 Die theoretisch widerspruchsfreie Denkbarkeit der transzendentalen Freiheit, als ein übersinnliches Vermögens, »eine Begebenheit von selbst anzufangen« (Prol., A152/IV344 Anm.; vgl. KrV, A446/B474, A533/B561), bildet die Voraussetzung für die reine praktische (moralische) Freiheit (freien Willen) als Vermögen, unabhängig von allem sinnlichen Einfluß bloß aufgrund des Sittengesetzes Selbstbestimmung zu leisten (vgl. KrV, A533 f./B561 f.).33 Letztere darf aber nicht mit der 32
Vgl. KrV, A557 f./B585 f., A536/B564, BXXV-XXX; Prol., A150-157/IV343346; GMS, 113-119/IV455-458; KpV, A9 ff./V6 f.; A72 f./V42 f., A81-87/V4750, A168-175/V94-98, A205 f./V114; KU, XVIII f.; ferner H. Heimsoeth (1970) S. 248-280.– Darum ist es mißlich, daß Marc-Wogau die Unmöglichkeit der Einsicht der Vermittlung zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff als »Unvereinbarkeit« (S. 31) der beiden deutet. Siehe auch oben Anm. 8 (S. 74). 33 Transzendentale Freiheit als »Vermögen absoluter Spontaneität« (KpV, A84/V48) ist eine theoretische Idee. Nur ein heiliger oder göttlicher Wille, als Ideal für uns, kann nach Kant ein solches Vermögen haben. – Zum kosmotheologischen Ursprung der transzendentalen Freiheit vgl. H. Heimsoeth (1970) S. 248-270. Über die Unlauterkeit der menschlichen Natur siehe z. B. Religion, A20/VI30, KrV, A800/B828, GMS, A36 f./V412 f. Zur Gleichsetzung der transzendentalen mit der praktischen Freiheit vgl. KpV, A51/V29; zur Unterscheidung zwischen beiden vgl. KrV, BXXVIII f., A551 ff./B579 ff., A801 ff./B829 ff.; Prol., A152/IV344, A155 ff./IV345 f.; KpV, A83-87/V48-50; A167 f./V93
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empirischen Freiheit verwechselt werden, welche die Fähigkeit bezeichnet, beliebige Zwecke zu setzen. Am Ende der Analytik der KpV vergleicht Kant den unbedingten Prinzipiencharakter der praktischen Vernunft mit dem sinnlich bedingten Gebrauch des Verstandes, der von der Sinnlichkeit die Daten erhalten muß. Die praktische Vernunft geht hingegen allein von dem Sittengesetz aus, wodurch die Vernunft selbst unabhängig von der bestimmenden Naturursache den Zweck als Objekt des Willens setzt. Diese Willensbestimmung »bewirkt« zugleich den Gemütszustand, und erweckt subjektiv ein Interesse an der Verwirklichung dieses Objekts. Das unbedingte Prinzip der Freiheit und das Primat des Praktischen veranlassen die Erwartung, »es vielleicht dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) bringen, und alles aus einem Prinzip ableiten zu können; welches das unvermeidliche Bedürfnis der menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet« (KpV, A162/V91; vgl. auch A218/V121; GMS, AXIV/IV391).
Dies war schon in der KrV im Begriff des höchsten in der Welt möglichen Guts zu finden, wobei Natur und Sittlichkeit in einer zweckmäßigen Proportion zueinander stehen.34 Die Möglichkeit der Realisierung dieses höchsten in der Welt abgeleiteten Guts führt nach Kant in praktischer Rücksicht notwendig35 zu einem »Begriff eines einigen Urwesens als des höchsten Guts« (KrV, A818/B846), da die Verwirklichung der physischen (gemeinen) Glückseligkeit nicht in unserer Gewalt liegt. Wir halten, sagt Kant, den f., A171 ff./V95 ff.; PM158, 204 ff., 286; ferner E. Adickes (1924) S. 51; K. Konhardt S. 129 f.; K. Düsing (1986) S. 214; M. Rischmüller S. 174 f. 34 Vgl. KrV, A814 f./B842 f.; KpV, A204 ff./V113 ff.; KU, 427 ff.; S. i. D. orient., A315 f./VIII139. 35 In der KU sagt Kant ausdrücklich, daß die Annahme eines moralischen Welturhebers nicht so praktisch notwendig wie die Pflicht selbst (der Endzweck) sei, sondern »nur zum Behuf des praktischen Gebrauchs der Vernunft angenommen« werde (KU, 461; vgl. 424 f. Anm.).
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»Begriff vom göttlichen Wesen […] jetzt für den richtigen […], nicht weil uns spekulative Vernunft von dessen Richtigkeit überzeugt, sondern weil er mit den moralischen Vernunftprinzipien vollkommen zusammenstimmt. Und so hat am Ende doch immer nur reine Vernunft, aber nur in ihrem praktischen Gebrauche, das Verdienst, ein Erkenntnis, das die bloße Spekulation nur wähnen, aber nicht geltend machen kann, an unser höchstes Interesse zu knüpfen, und dadurch zwar nicht zu einem demonstrierten Dogma, aber doch zu einer schlechterdings notwendigen Voraussetzung bei ihren wesentlichsten Zwecken zu machen« (ebd.).
Kant stellt am Ende der KrV (sowie der KpV und KU, und zwar in einem wesentlich modifizierten Sinne) aus der moralischen »Zweckbestimmung« des Menschen fest, daß durch die Idee der besten Welt der vernünftigen Wesen unter einem moralischen weisen Welturheber der Schlüssel zur Einheit der Vernunft und somit zur Einheit der Welt zu finden sei. Diese »systematische Einheit der Zwecke in dieser Welt der Intelligenzen, welche, obzwar, als bloße Natur, nur Sinnenwelt, als ein System der Freiheit aber, intelligibele, d.i. moralische Welt (regnum gratiae) genannt werden kann, führt unausbleiblich auch auf die zweckmäßige Einheit aller Dinge, die dieses große Ganze ausmachen, nach allgemeinen Naturgesetzen, so wie die erstere nach allgemeinen und notwendigen Sittengesetzen, und vereinigt die praktische Vernunft mit der spekulativen« (KrV, A815/B843).
Freilich ist diese sittliche »Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens« (KpV, A162/V91) nach Kant keine Erweiterung unserer theoretischen Erkenntnis;36 die Forderung, »alles aus einem Prinzip ableiten zu können« (ebd.), ist auch für das menschliche Vermögen nicht erfüllbar. Was Kant damit meint, ist, die Postulate des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele aus der moralischen Freiheit nach der Idee des höchsten durch Freiheit zu 36
Zur praktischen Anwendung der Kategorie der Kausalität auf Noumena »ohne diesen Begriff theoretisch im mindesten bestimmen und dadurch ein Erkenntnis bewirken zu können« (KpV, A95/V54) vgl. KpV, A87 ff./V50 ff., A245 f./V136.
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bewirkenden Guts in der Welt zu erweisen, um den »letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft« in praktischer Absicht zu befördern (KrV, A797/B825; vgl. A798/B826, A800 f./B828 f., B425 f.). »Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den S c h l u ß s t e i n von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen, Vernunft aus, und alle andere Begriffe […] schließen sich nun an ihn an, und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objektive Realität« (KpV, A4/V3 f.).
Dadurch wird aber die Differenz der Prinzipien der theoretischen und praktischen Vernunft nicht aufgehoben, da es hier eigentlich um das System des Übersinnlichen in praktisch-reflektierender Absicht geht, also um Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, worauf sich die Idee des Endzwecks bezieht (vgl. KU, 467), und die Unerkennbarkeit des Übersinnlichen in theoretischer und praktischer Absicht somit unangetastet bleibt.37 An der moralischen Überzeugung der besten Welt hält Kant in seiner späteren Philosophie fest. In der KpV wird die Auffassung derselben durch die Theorie der moralischen Freiheit und des Primats des Praktischen in Anbetracht der teleologischen Auffassung der Vernunft präzisiert und vertieft.38 37
Vgl. KrV, A800 f./B828 f., A817/B845, B395 Anm., B425 f.; KpV, A238/V132, A249 ff./V138 f.; KU, 465 ff.; vor allem Fortschritte, A149 ff./XX309 ff. 38 K. Düsing (1971, insb. S. 15-42) versucht zu zeigen, daß Kants Konzeption des höchsten abgeleiteten Guts in der KrV von seiner späteren Lehre abweiche. Nach ihm sei das höchste Gut in der KrV, das identisch mit der moralischen (intelligiblen) Welt ist (vgl. KrV, A808 f./B836 f. u.ö.), »Grund a priori für die Ausführung sittlicher Handlungen« (Düsing 1971, S. 15 ff.); dazu vgl. auch Eck. Förster insb. S. 345 f. In der KrV ist von einem moralischen Gefühl (Achtung vor dem Gesetz) noch nicht die Rede. Das moralische Gesetz als unbedingtes Gebot bestimmt zwar a priori den Gebrauch der Freiheit (vgl. A807/B835), aber es fungiert doch nur als Beurteilungsprinzip. Die Maxime der sittlichen Handlung ist hingegen das höchste abgeleitete Gut, weil es den »ganzen« Zweck erfüllt, »der einem jeden vernünftigen Wesen natürlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori
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Die mindeste Bedingung, überhaupt Vernunft zu haben, ist die Übereinstimmung der Vernunft mit sich selbst; d.h. die Prinzipien und Behauptungen derselben können einander nicht widersprechen.39 Denn die Vernunft ist nach Kant ein von aller Erfahrung unabhängiges, autonomes Vermögen (System); sie beschäftigt sich bloß mit sich selbst.40 Darauf gründet sich Kants Grundansatz der Kritik der Vernunft, daß alle aus der Vernunft selbst aufgeworfenen Fragen prinzipiell auflösbar sind, 41 sofern Mißverständnisse der Vernunft mit sich selbst aufgeklärt werden.42 Die Auflösbarkeit der Fragen ist dabei in dem Sinne zu verstehen, daß die Fragen oder die in Fragen enthaltenen Begriffe, der Natur der Vernunft gemäß, »ihrer Gültigkeit oder Richtigkeit nach begriffen werden« können (KrV, A763/B791), weil es hierbei nicht um die »Natur der Dinge«, sondern um die »Natur der Vernunft« geht. Man kann nur die Fragen, sofern sie in bezug auf die menschliche Vernunft gestellt werden, bestimmt und notwendig ist«; es bedarf also der Idee Gottes und der besten Welt als notwendiger Triebfeder sittlichen Handelns (vgl. A812 f./B840 f.). Erst in der GMS (bes. A14 ff./IV400 f.) wird eine theologiefreie, moralische Triebfedertheorie vorgestellt und in der KpV (A126 ff./V71 ff.) dann voll entwickelt (vgl. dazu R. Brandt 1999, S. 342 f.). Die »moralische Triebfeder« ist die reine, intellektuelle Bestimmung des freien Willens durch das Sittengesetz, deren »Wirkung« auf das Gemüt das »Gefühl der Achtung« bewirkt. Das moralische Gefühl ist eigentlich, wie Kant es später in der KU (36) feststellt, mit diesem intellektuellen Gemütszustand der freien Willensbestimmung identisch. Nur als »Wirkung« der Selbstbestimmung des freien Willens ist das Gefühl der Achtung der subjektive Antrieb zu sittlichen Handlungen in der Sinnenwelt. Angemerkt sei, daß die Achtung vor dem moralischen Gesetz selbst schon eine moralische Handlung ist. Sie ist wohl die einzige Handlung in der Welt, welche man sicher als moralisch erkennen kann. 39 Vgl. KpV, A216/V120; KrV, AXIII, A669/B697. Aufgrund dieses Prinzips der Widerspruchsfreiheit der Vernunft mit sich selbst wird z.B. die doppelte Betrachtung der Dinge als Erscheinungen und als Dinge an sich gerechtfertigt (vgl. KrV, BXVIII f. Anm., BXXVII, A38/B55; KpV, A9 f./V6). 40 Vgl. z.B. KrV, AXIII f., AXX, B XXXVII f., B23, B27, A752/B780, A763/B791; Prol., A125/IV327; GMS, A107 f./IV452; KpV, A30 f./V15 f.; S. i. D. orient., A326/VIII145. 41 Vgl. KrV, AXIII f., BXXIII f., A763/B791, A477/B505, A613 f./B641 f., A695/B723. 42 Vgl. KrV, A308 f./B365 f., A669/B697, A701 f./B729 f.; Prol., A162/IV350.
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prinzipiell beantworten. Daß alle Fragen durch die Vernunft erklärt werden können, wäre hingegen vermessen. Die Vernunft muß Selbstkritik üben, ihre apriorische Untersuchungsrichtung zuerst auf sich anwenden, um in transzendentaler Klärung ihre eigenen Erkenntnismöglichkeiten aufzudecken und deren Grenzen zu bestimmen. Nun weist die Antinomie die Vernunft auf eine Paradoxie hin, die mit dem Begriff der Vernunft unverträglich ist. Daß die Vernunft, ihrer Natur gemäß, die unerläßliche Frage nach dem Unbedingten aufwirft, die das menschliche Vermögen übersteigt und deshalb nicht beantwortet werden kann, bedroht die Vernunft mit dem Scheitern ihres ganzen Unternehmens und somit ihrer selbst. Diesen aporetischen Zustand der menschlichen Vernunft beschreibt Kant in der ersten Vorrede zur Kr»Die V:43 menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft« (KrV, AVII).
Die Kantische Auflösung der Antinomie ändert diese paradoxe Lage der Vernunft zwar nicht, weil die Vernunft selbst nach dieser Lösung ihre (innere) Natur, wie die (innere) Natur anderer Dinge, theoretisch nicht erkennen kann, aber die Kritik kann zumindest zeigen, daß der regulative Gebrauch der Vernunftideen mit dem konstitutiven Gebrauch des Verstandes widerspruchsfrei und zugleich nützlich für die systematische Einheit der Verstandeserkenntnisse ist. Wichtig ist dabei, daß die Antinomien der drei Kritiken die Vernunft »nötigen, über das Sinnliche hinaus zu sehen und im Übersinnlichen den Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen; weil kein anderer Ausweg übrigbleibt, die Vernunft mit sich selbst einstimmig zu machen« (KU, 239; vgl. Fortschritte, A152/XX311). 43
Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Denkansatz Kants anhand der ersten Vorrede zur KrV vgl. W. Schrader (1970) S. 156 ff.; ferner R. Bubner S. 9; H. Vaihinger (Bd. 1) S. 82 ff.
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Warum ist der transzendentale Schein der Ideen natürlich und unvermeidlich (vgl. Prol., A128/IV329; KU, 237)? Warum bleibt der Schein immer da, auch wenn er uns nach der transzendentalen Klärung nicht mehr täuscht? Warum kann der Gebrauch der Vernunftideen dialektisch sein, wenn sie »nimmermehr an sich selbst dialektisch sein« können (KrV, A669/B697; vgl. A643/B671)? Wozu sind Ideen da? Warum ist die Natur der menschlichen Vernunft so und nicht anderes? Insbesondere können die letzten zwei Fragen nach der Beschaffenheit unserer Vernunft nicht dogmatisch beantwortet werden, weil die Vernunft dabei bloß als »Naturanlage« (ebd.), ein Gegenstand in der Natur, betrachtet wird (vgl. KrV, A613 f./B641 f.). Höchstens kann man innerhalb der theoretischen Philosophie nur versuchen, eine teleologische Klärung zu geben.44 44
Kant versucht in seiner Geschichtsphilosophie die Vernunftgenese der Gattung Mensch naturteleologisch zu interpretieren. Es ist zu betonen, daß das kritische Prinzip der Naturteleologie dabei keinen erkenntniskonstitutiven Charakter hat, auch wenn manche Ausdrücke Kants die Vermutung des Rückfalls in dogmatische Teleologie nahelegen. Vernunft als Naturanlage ist von der Natur gleichsam im »Keim« angelegt, welcher vollständig entwickelt werden soll (vgl. KrV, A835/B863; Prol., A168 f./IV353). So lautet der »erste Satz« in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte … (1784): »Alle Naturanlagen eines Geschöpfes sind bestimmt, sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln« (Allg. Gesch., A388/VIII18; vgl. KU, 295 f.; Anthr., A328/VII329). Zur Naturanlage des Menschen gehört aber die Vernunft als ein zwecksetzendes Vermögen. Der Mensch soll nicht wie das Tier »durch Instinkt geleitet, oder durch anerschaffene Kenntnis versorgt und unterrichtet sein; er sollte vielmehr alles aus sich selbst herausbringen« (ebd., A390/VIII19; vgl. Anthr., A319/VII323 f.), d.h. die menschliche Fähigkeit kann nicht allein durch die biologische Entfaltung ganz bestimmt werden, sondern muß sich vielmehr durch die vernünftige Handlung vervollkommnen. Der Mensch wird nach Kant dadurch charakterisiert, daß »er vermögend ist, sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfektionieren; wodurch er als mit V e r n u n f t f ä h i g k e i t begabtes Tier (animal rationabile), aus sich selbst ein v e r n ü n f t i g e s Tier (animal rationale) machen kann« (Anthr., A315/VII321, vgl. Prol., A183 ff./IV362 ff., A125 f./IV327 f. Anm.). Dementsprechend lautet die Definition der Metaphysik in der Preisschrift von 1791: »sie ist die Wissenschaft, von der Erkenntnis des Sinnlichen zu der des Übersinnlichen durch die Vernunft fortzuschreiten« (Fortschritte, A10 f./XX260). – Zur teleologischen Interpretation der Geschichte der menschlichen Vernunft bei Kant vgl. L. Landgrebe; zum Beitrag der Kantischen Geschichtsphilosophie für die Ausbildung seiner Teleologiekonzeption und für
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Die Ideen haben, so sagt Kant, vermutlich »ihre gute und zweckmäßige Bestimmung in der Naturanlage unserer Vernunft« (KrV, A669/B697), weil die natürliche Vernunft in einer Analogie mit der praktischen Zweckmäßigkeit als ein teleologisches System (teleologia rationis humanae) betrachtet werden kann. 45 Diese naturteleologische Selbstbetrachtung der Vernunft, welche in der KrV bloß im Hintergrund steht (vgl. KrV, B128, B425 f., A816 f./B844 f.), wird erst in der KU zum heautonomen Prinzip der Urteilskraft als subjektiver Bedingung des zweckmäßigen Gebrauchs der gesamten Erkenntniskräfte erhoben, aufgrund dessen man Grund hat, die zweckmäßige Einheit der Natur zu erwarten. »Alles, was in der Natur unserer Kräfte gegründet ist, muß zweckmäßig und mit dem richtigen Gebrauche derselben einstimmig sein, wenn wir nur einen gewissen Mißverstand verhüten und die eigentliche Richtung derselben ausfindig machen können« (KrV, A642 f./B670 f.; vgl. B425 f., A128; A669/B697).
Die Kritik der Vernunft fordert eine Umwandlung der traditionellen metaphysischen Fragestellung. Auf Begriffe wie Seele, Welt (Freiheit, Endzweck der Natur) und Gott kann man, der Natur der menschlichen Vernunft gemäß, nur in praktischer Rücksicht angemessen eingehen, welche in der KU durch die Unterscheidung zwischen der technisch- und der moralisch-praktischen Rücksicht weiter differenziert wird (vgl. KU, VII f.). Denn nur die praktische Vernunft ist nach Kant rein selbsttätig und hat das unbedingte Prinzip.
die Ausbildung seiner Teleologiekonzeption und für den Brückenschlag von der Natur zur Freiheit vgl. K. Düsing (1986, S. 206 ff.), M. Pauen. – Vgl. unten Anm. 62 (S. 111). 45 Vgl. KrV, A839/B867; zu Kants organologischen Auffassung der Vernunft vgl. KrV, A833 ff./B861 ff., B425 f., AXIII, BXXII f., BXLIV, A642 f./B670 f., A742/B770 u. ö.; Prol., A19 f./IV263, A168/IV353, A183 ff./IV362 ff.; Gebrauch, A129 ff./VIII181 f.; KU, XXIV Anm.; dazu auch H. Heimsoeth (1966) S.190 f.; Fr. Kaulbach (1969) S. 265 ff.; G. Lehmann (1969) S. 91 f.; H. Mertens S. 22 ff.; Cl. Bickmann S. 322 ff.
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Die metaphysischen Fragen sind aus der Natur der Vernunft selbst aufgegeben. Die Maxime der Vernunft lautet, zu allen Bedingten das Unbedingte zu suchen und zugrunde zu legen. Dieser subjektive Grundsatz ist »nicht von der Beschaffenheit des Objekts, sondern dem Interesse der Vernunft, in Ansehung einer gewissen möglichen Vollkommenheit der Erkenntnis dieses Objekts, hergenommen« (KrV, A666/B694). Denn die Vernunft ist ein Vermögen der Prinzipien (vgl. KrV, A299/B356, A405; KU, 339). Sie hat »nur ein einiges Interesse« (KrV, A666/B694), worauf die Totalitätsforderung der Vernunft sich gründet. »Einem jeden Vermögen des Gemüts kann man ein I n t e r e s s e beilegen, d.i. ein Prinzip, welches die Bedingung enthält, unter welcher allein die Ausübung desselben befördert wird. Die Vernunft, als das Vermögen der Prinzipien, bestimmt das Interesse aller Gemütskräfte, das ihrige aber sich selbst. Das Interesse ihres spekulativen Gebrauchs besteht in der E r k e n n t n i s des Objekts bis zu den höchsten Prinzipien a priori, das des praktischen Gebrauchs in der Bestimmung des W i l l e n s , in Ansehung des letzten und vollständigen Zwecks« (KpV, A216/V119 f.).
So führt Kant den Widerstreit der Maximen der Vernunft auf die widerstreitenden Interessen derselben zurück (vgl. auch KrV, A666/B694). In der Verbindung der spekulativen Vernunft mit der praktischen zu einer Erkenntnis besitzt die letztere insofern das Primat, als diese Verbindung auf der Vernunft selbst gegründet ist, weil ohne diese Unterordnung ein Widerstreit der Vernunft mit sich selbst entstehen würde, und »weil alles Interesse zuletzt praktisch ist, und selbst das der spekulativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig ist« (KpV, A219/V121).46 Das Primat des Praktischen besagt also nicht den Vorzug der Gesetzgebung der praktischen Vernunft vor der der theoretischen, sondern die Unterordnung des theoretischen Interesses (Zwecks) unter das praktische in der apriorischen Verbindung der beiden zu einer 46
Vgl. auch KpV, A263 ff./V146 ff.; KrV, B423 ff., A742/B770, A744 f./B772 f., A797 f./B825 f., A800 f./B828, A805/B833, A815 ff./B843 ff., A840/B868; Prol., A183 ff./IV362 ff.; Metaphysik-Mrongovius, XXIX937.
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Erkenntnis. Also widerstreiten sich die Prinzipien der Vernunft nicht, sondern nur ihre Erweiterungen können in einen Widerstreit geraten. Das »h ö c h s t e durch Freiheit zu bewirkende G u t in der Welt« (KU, 457) als Endzweck der praktischen Vernunft, den zu befördern das moralische Gesetz auferlegt, ist zwar das höchste Objekt der Pflicht, aber nicht der Grund derselben; »denn dieser liegt im moralischen Gesetze, welches als formales praktisches Prinzip kategorisch leitet, unangesehen der Objekte des Begehrungsvermögens (der Materie des Wollens), mithin irgend eines Zweckes« (KU, 461 Anm.). 47 »Diese Ordnung der Begriffe der Willensbestimmung«, betont Kant, »darf nicht aus den Augen gelassen werden; weil man sonst sich selbst mißversteht und sich zu widersprechen glaubt, wo doch alles in der vollkommensten Harmonie neben einander steht« (KpV, A197/V110; vgl. auch A110 ff./V62 ff., A209 f./V116 f.). Ein Objekt oder eine Handlung ist gut, nicht weil es uns gefällt, sondern weil es uns durch moralische Gesetz geboten ist. Umgekehrt findet eine moralisch-gute Handlung notwendig allgemeinen Beifall. Die moralische Ordnung der Willensbestimmung wird von Kant durch einen Vernunftschluß dargestellt, »nämlich vom Allgemeinen im O b e r s a t z e (dem moralischen Prinzip), durch eine im U n t e r s a t z e vorgenommene Subsumtion möglicher Handlungen (als guter oder böser) unter jenen, zu dem S c h l u ß s a t z e , nämlich der subjektiven Willensbestimmung (einem Interesse an dem praktisch möglichen Guten und der darauf gegründeten Maxime) fortgehend« (KpV, A162/V90).
Das höchste durch Freiheit zu bewirkende Gut in der Welt zu befördern und zu befolgen, ist für uns Pflicht, weil es aus der inneren Zweckbestimmung der endlichen Vernunft unter dem kategorischen Imperativ unbedingt geboten ist. Auf Kants synthetische Begründung dieser höchsten moralischen Pflicht in der Struktur des sittli47
Vgl. KU, 423; KpV, A196 f./V109 f., A165 ff./V92 f., A60/V34, A63 f./V36, A112 f./V64 f., A214 f./V119, A233 f./V129f.
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chen, aber zugleich endlichen Willens als eines zwecksetzenden Vermögens möchte ich hier kurz nach jener Ordnung der Willensbestimmung eingehen.48 Die Autonomie des Willens besagt nur, daß das moralische Gesetz der alleinige Bestimmungsgrund des reinen Willens ist (vgl. KpV, A196 f./V109, A58 ff./V33 ff.). Dieser Bestimmungsgrund ist für das endliche Vernunftwesen bloß formal, d.h. das moralische Gesetz kann nur als Form der Maxime allgemein gesetzgebend sein. Für das endliche Vernunftwesen ist notwendig zwischen dem Sittengesetz als formalem objektivem Prinzip der Beurteilung seiner Handlung und der Maxime als subjektivem materialem Prinzip der Durchführung (oder Befolgung) derselben zu differenzieren. Eine sittliche Handlung besteht lediglich darin, daß ihre Maxime sich nach nichts anderem als nach den moralischen Gesetzen bemißt. Ebendies bringt Kant der Sache nach in der berühmten Formel des kategorischen Imperatives zum Ausdruck: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne« (KpV, A54/V30). Eine Handlung ist moralisch, wenn ihr subjektiver Grund der Zweckvorstellung nicht eigennützig, sondern allgemeingültig für alle Handelnden ist. In diesem strengen Sinne der moralischen Beurteilung einer Handlung wird die mögliche Folge derselben in der Welt nicht in Betracht gezogen. Das bedeutet aber nicht, daß die subjektive Erwartung eines möglichen Erfolgs der Handlung keinen Einfluß auf die Willensbestimmung hat. Das moralische Gesetz macht in seiner negativen Bedeutung nur »die oberste einschränkende Bedingung aller subjektiven Zwecke« aus (GMS, A70/IV431), welche dadurch zugleich objektiv gemacht werden sollen. Die reine Vernunft erfährt die Freiheit erst in dieser gesetzgebenden Selbsteinschränkung des Willens durch das moralische Gesetz. Die Sittlichkeit des Menschen ist damit beschrieben, daß das moralische Gesetz das einzige ist, was der Mensch zu realisieren hat. Zutreffend faßt Kant die Autonomie des Willens und die praktische Vernunft als Zweck an sich in der Vorrede zur Religion 48
Vgl. dazu D. Lenfers S. 99 ff.; K. Düsing (1971) S. 29 ff.; K. Konhardt S. 200 ff., 257 f.; H.-J. Engfer S. 123 ff., 146 f.; B. Grünewald.
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innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft im Kontext der Abgrenzung der Moral von der Religion folgendermaßen zusammen: »Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen, als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens, gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten« (Religion, AIII/VI3; vgl. ebd., AXI f./VI7 Anm., KrV, A819/B847; KU, 426).49
Aus den »Natureigenschaften des Menschen« (Religion, AXII/VI7 Anm.) muß ein endlicher und vernünftiger Wille nach Maxime der Zwecke in der Welt handeln, da »ohne allen Zweck kein Wi l l e sein kann«50. Einen Zweck zu setzen und zugleich kein Interesse an einer Verwirklichung dieses Zwecks zu haben, ist für uns ein wahrer Widerspruch (vgl. MAT, A30/VI395). Denn »Z w e c k ist ein G e g e n s t a n d der freien Willkür, dessen Vorstellung diese zu einer Handlung bestimmt, wodurch jener hervorgebracht wird« (MAT, A11/VI384). Oder anders gesprochen: »Z w e c k ist jederzeit der Gegenstand einer Z u n e i g u n g , das ist, einer unmittelbaren Begierde zum Besitz einer Sache, vermittelst seiner Handlung; so wie das G e s e t z (das praktisch gebietet) ein Gegenstand der A c ht un g ist« (Religion, AX/VI6 Anm.). Sowenig 49
Zum Verhältnis von Theologie, Religion und Moral vgl. Kants Bemerkung im Streit der Fakultäten: »Nicht der Inbegriff gewisser Lehren als göttlicher Offenbarungen (denn der heißt Theologie), sondern der aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher G e b o t e (und subjektiv der Maxime, sie als solche zu befolgen) ist Religion. Religion unterscheidet sich nicht der Materie, d.i. dem Objekt nach in irgend einem Stücke von der Moral, denn sie geht auf Pflichten überhaupt, sondern ihr Unterschied von dieser ist bloß formal, d.i. eine Gesetzgebung der Vernunft, um der Moral durch die aus dieser selbst erzeugten Idee von Gott auf den menschlichen Willen zu Erfüllung aller seiner Pflichten Einfluß zu geben. Darum ist sie aber auch nur eine einzige und es gibt nicht verschiedene Religionen, aber wohl verschiedene Glaubensarten an göttliche Offenbarung« (Streit, A44 f./VII36). 50 Gemeinspruch, A211/VIII279 Anm.; vgl. auch Religion, AVI/VI4; MAT, A11//VI385, A19/VI389. – Die Begriffe wie Triebfeder, Interesse und Maxime, können nur auf endliche Wesen angewendet werden (vgl. KpV, A141/V79).
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der mögliche Erfolg der Handlung einem endlichen Willen gleichgültig sein kann, genauso wenig kann ihm der Zustand der Welt, in der er lebt, egal sein. Die Handlung hat ja selbst zur Folge, daß sich die Bedingungen der Realisierung der Moralität dadurch verbessern oder verschlechtern können. Unsere Vernunft hat demnach auch ein subjektives unaufgebbares Bedürfnis, die Möglichkeit des zu realisierenden Zwecks einzusehen (vgl. Religion, AV ff./VI4 f.). Nun ist die Glückseligkeit nach Kant der »Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt, dem es, im Ganzen seiner Existenz, a l l e s n a c h Wu n s c h u n d Wi l l e n g e h t , und beruht also auf der Übereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens« (KpV, A224/V124). Das Glückseligkeitsstreben ist mit der Struktur der Zwecksetzung unzertrennlich verbunden.51 Dieses Streben hat seine naturale Herkunft im menschlichen Bedürfnis in doppelter Hinsicht. Bei der konkreten Zwecksetzung ist die menschliche Vernunft zum einen an dem Erfolg ihrer Handlung orientiert.52 Sie verlangt zum anderen jederzeit ein Maximum. Ein Tier hat nach Kant kein solches Bedürfnis, nicht nur, weil es kein zwecksetzendes Vermögen hat, sondern vielmehr auch, weil Glück in Wahrheit ein Totalitätsbegriff ist.53 Zur »Idee der Glückseligkeit« ist »ein absolutes Ganze, ein Maximum des Wohlbefin51
»Glücklich zu sein, ist notwendig das Verlangen jedes vernünftigen aber endlichen Wesens, und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens« (KpV, A45/V25). 52 »Nun ist’s aber eine von den unvermeidlichen Einschränkungen des Menschen und seines (vielleicht auch aller andern Weltwesen) praktischen Vernunftvermögens, sich bei allen Handlungen nach dem Erfolg aus denselben umzusehen, um in diesem etwas aufzufinden, was zum Zweck für ihn dienen und auch die Reinigkeit der Absicht beweisen könnte, welcher in der Ausübung (nexu effectivo) zwar das letzte, in der Vorstellung aber und der Absicht (nexu finali) das erste ist« (Religion, AXII/VI7 Anm.). 53 »Glükseeligkeit, wovon die Thiere gar nichts wissen, entspringt nicht aus dem Hange der Sinnlichkeit, sondern aus Grundsätzen der Vernunft« (R1515, XV859). »Das Glük und Unglük sind mit dem moralischen Eigenschaften in natürlichem Zusammenhange« (R1718, XVI92). – Zum historischen Hintergrund der These des Glücksverlangens als Wesensbestimmung des Menschen vgl. N. Hinske (1995) S. 82 ff.
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dens, in meinem gegenwärtigen und jedem zukünftigen Zustande erforderlich« (GMS, A46/IV418). Glückseligkeit als solche ist in der Tat »nicht ein Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft«, weil das Wohlbefinden »bloß auf empirischen Gründen beruht, von denen man vergeblich erwartet, daß sie eine Handlung bestimmen sollten, dadurch die Totalität einer in der Tat unendlichen Reihe von Folgen erreicht würde« (vgl. GMS, A47 f./IV418 f.). Der Begriff der Glückseligkeit ist also »nicht ein solcher, den der Mensch etwa von seinen Instinkten abstrahiert und so aus der Tierheit in ihm selbst hernimmt; sondern ist eine bloße I d e e eines Zustandes, welcher er den letzteren unter bloß empirischen Bedingungen (welches unmöglich ist) adäquat machen will« (KU, 388 f.). Der Begriff der Glückseligkeit ist in Wahrheit ein unbestimmter und schwankender Begriff, den jeder Mensch je nach seinem Wunsch beliebig bestimmen kann:54 »Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in einem und demselben Subjekt auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses, nach den Abänderungen dieses Gefühls, und ein s u b j e k t i v n o t w e n d i g e s Gesetz (als Naturgesetz) ist also o b j e k t i v ein gar sehr zufälliges praktisches Prinzip, das in verschiedenen Subjekten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann« (KpV, A46/V25).
Trotz aller Schwierigkeit der Definition der Glückseligkeit stellt Kant fest, daß die Glückseligkeit nicht schlicht die Summe der Befriedigung sinnlicher Begierden, sondern ein Maximum des Wohlbefindens des vernünftigen Naturwesens ist. Ein vernünftiges Wesen kann nicht mit der bloßen »Annehmlichkeit des Lebens« zufrie54
Glückseligkeit wird daher von Kant je nach Kontext unterschiedlich bestimmt. Ihre Bedeutung schwingt zwischen individuellem und gemeinem Wohl, zwischen Schattierungen im Sinne der »Befriedigung aller unserer Neigungen« (KrV, A806/B834) oder der Idee eines Zustandes »des größten Wohls der vernünftigen Weltwesen « (KU, 429). Letztere weist bereits auf eine wesentliche Verbindung der (wahren) Glückseligkeit mit dem Willen und der Sittlichkeit hin.
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den sein (vgl. KpV, A40/V22; KU, 12 f.), welche zwar eine Bedingung, aber kein eigentlicher Gegenstand der Glückseligkeit ist, sondern es kann als vernünftiges Wesen nur unter der Bedingung der geistigen Zufriedenheit seine Seelenruhe finden (vgl. KpV, A287 f./V161). Diese Bestimmung der wahren Glückseligkeit wird bereits im oben angeführten Zitat mitformuliert (KpV, A224/V124), wobei der glückliche Zustand eines vernünftigen Wesens »auf der Übereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens« beruhen soll (ebd.). In diesem Sinne legt die (allgemeine) Glückseligkeit die Bestimmung des höchsten durch Freiheit möglichen Guts in der Welt schon nahe. Wenn die Glückseligkeit als ein Moment im höchsten abgeleiteten Gut notwendig enthalten sein soll, muß sie durch eine Einschränkung der ursprünglich in ihr enthaltenen Selbstliebe umgeformt, auf fremde Glückseligkeit ausgedehnt und dadurch moralisch notwendig gemacht werden (vgl. KpV, A129 f./V73). Weil alle Menschen natürlicherweise Glück wollen, ist nicht jedes Glückseligkeitsstreben zugleich Pflicht, sondern nur dasjenige, was nicht bloß auf eigene Glückseligkeit eingeschränkt, sondern zugleich auch auf fremde Glückseligkeit (das Gemeinwohl) erweitert wird, kann Pflicht sein.55 Also kann die Glückseligkeit nur unter der Bedingung der Sittengesetze als ihre Folge ein Objekt der Pflicht und folglich mittelbar der (materiale) Bestimmungsgrund des freien Willens sein. Kant lehnt die Theorie des analytischen Verhältnisses zwischen Tugend und Glückseligkeit bei Epikureern 55
Zur fremden Glückseligkeit als Tugendpflicht vgl. MAT, A23-34/VI391-398; Gemeinspruch, A211 ff./VIII279 f.; Religion, AIV/VI3 Anm. In diesem Zusammenhang sei noch anzumerken, daß zur eigenen Vollkommenheit als Tugendpflicht auch die Sorge für den Anderen gehört, weil die Selbstbestimmung des Menschen als Person, als Glied im Reich der Zwecke, im sittlichen Bewußtsein der Freiheit notwendig die Anerkennung der Anderen als Mitglieder in sich einschließt (vgl. GMS, A66 f./IV428 f., A80 ff./IV436 f.; KrV, A60 f./V34; MAT, A93 f./VI434 f., A126 f./VI450). Die »moralische Welt«, die aus dem sittlichem Bewußtsein notwendig folgt, enthält die Aufforderung an die Handelnden, »sowohl mit sich selbst, als mit jedes anderen Freiheit durchgängige systematische Einheit« zustande zu bringen (KrV, A808/B836).
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und Stoikern ab. Denn Glückseligkeit ist keine notwendige Konsequenz des sittlichen Handelns, obwohl es bedingterweise wahr sein kann, daß die Tugend, sofern es in unserer Gewalt steht, die Glückseligkeit bewirke. Es ist umgekehrt nach der Autonomie des Willens schlechterdings unmöglich, daß die Tugend durch das Streben nach Glückseligkeit hervorgebracht werden kann. Die Verbindung der Glückseligkeit mit der Tugend kann also nur synthetisch sein. Die notwendige Verbindung der beiden im Begriff des höchsten (abgeleiteten) Guts56 besteht nach Kant im Bewußtsein der Gerechtigkeit des Menschen (vgl. KpV, A65 ff./V37 f.; KU, 438), welches unzertrennlich mit der Sittlichkeit verbunden ist. Wenn der Mensch alle Pflichten erfüllte, wäre er, so meint der gemeine Menschenverstand, auch würdig glücklich zu sein. Die Sittlichkeit ist nach Kant immer die oberste Bedingung des höchsten (abgeleiteten) Guts, während »Glückseligkeit immer etwas, was dem, der sie besitzt, zwar angenehm, aber nicht für sich allein schlechterdings und in aller Rücksicht gut ist, sondern jederzeit das moralische gesetzmäßige Verhalten als Bedingung voraussetzt« (KpV, A199/V111). Die Idee der besten Welt der vernünftigen Wesen als Endzweck dient nur dem übersinnlichen Ziel der praktischen Vernunft (vgl. Fortschritte, A140/XX307), um »einen besonderen Beziehungspunkt der Vereinigung aller Zwecke« zu verschaffen (Religion, AVIII/VI5). Das höchste abgeleitete Gut zu befördern, ist nicht diese oder jene Pflicht, sondern als das Ganze aller Zwecke unter einem Prinzip eine Pflicht der zweiten Ordnung. »Dieses ist eine Willensbestimmung von besonderer Art« (Gemeinspruch, A212/VIII280 Anm.). Dadurch wird kein konkreter Zweck gegeben und die Zahl der Pflichten wird auch nicht vermehrt (vgl. Religion, AVIII/VI5).
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Das höchste Gut wird von Kant in der KpV (A198 f./V110 f., A226/V125) folgendermaßen differenziert: das oberste Gut (die Sittlichkeit) als die Grundbedingung der Glückseligkeit, das höchste abgeleitete Gut (die beste Welt) als das vollendete Gut (die größte Erweiterung der Sittlichkeit) und das höchste ursprüngliche Gut (Gott) als Garant des höchsten abgeleiteten Guts. Dazu vgl. auch Fortschritte, A123/XX301.
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Die Sittlichkeit vollendet sich im höchsten durch Freiheit zu bewirkenden Gut in der Welt als ihrem Endzweck, der die größte Erweiterung des praktischen Vernunftgebrauchs mittels des theoretischen ist, soweit diese Erweiterung in unserer Hand liegt. Kant will in der Moralphilosophie keine Theorie der reinen Heiligkeit, sondern eine Theorie der endlichen praktischen Vernunft vertreten, die faktisch letztendlich nach Glück strebt. Eine praktische Theorie der menschlichen Handlung soll das Element des Glückseligkeitsstrebens als materialer Bedingung derselben nicht ausschließen.57 »[Die] U n t e r s c h e i d u n g des Glückseligkeitsprinzips von dem der Sittlichkeit ist darum nicht sofort E n t g e g e n s e t z u n g beider, und die reine praktische Vernunft will nicht, man solle die Ansprüche auf Glückseligkeit a u f g e b e n , sondern nur, so bald von Pflicht die Rede ist, darauf gar n i c h t R ü c k s i c h t nehmen« (KpV, A166/V93, vgl. auch A60 f./V34 f., A196 f./V109 f.).
2.1.2 Von der physischen zur moralischen Teleologie in der KU Ist die Freiheit keine Chimäre, dann soll die Verwirklichung der sittlichen Zwecke in der Sinnenwelt möglich sein, »und die Natur muß folglich auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen zusammenstimme« (KU, XIX f.; vgl. KpV, A205/V114). Diese notwendige Übereinstimmung von Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft ist jedoch nur eine Forderung der reinen praktischen Vernunft. Weder von der Gesetzgebung der Vernunft noch von der des Verstandes her kann diese Übereinstimmung »eingesehen« werden (vgl. KpV, A214 57
Es ist ein Mißverständnis, daß Kant, wie z.B. Heinekamp (S. 392 f.) meint, den Glücksgedanken aus der Ethik verbannte. Die Moral unterdrückt nach Kant das subjektive Interesse des Menschen nicht, sondern sie fordert unbedingt dessen Entfaltung, allerdings geleitet vom Prinzip der Moral.
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f./V119; KU, 461 f. Anm.). Um sie uns wenigstens verständlich machen zu können, muß es einen Begriff geben, der weder ein Naturbegriff des Verstandes noch ein Freiheitsbegriff der Vernunft ist, und dennoch notwendig der Naturbetrachtung angehört, wobei die Natur so beurteilt werden muß, daß sie »mit unserer, aber nur auf Erkenntnis gerichteten Absicht, übereinstimmt« (KU, XXXVIII). Wir haben dann einen Grund a priori aus unserem Erkenntnisvermögen, näherhin der reflektierenden Urteilskraft, eine vernunftähnliche Natur ohne Rücksicht auf die Forderung der praktischen Vernunft anzunehmen und zu postulieren 58 , welche der Verstand nach seiner Gesetzgebung für die Erscheinung unbestimmt läßt, und welche die Vernunft nach ihrem Freiheitsgesetz für die Sitten notwendig postuliert, aber nicht einzusehen vermag. Dies ist genau der Knotenpunkt der Übergangsproblematik der KU, ein Prinzip zu finden, welches, unabhängig von der Gesetzgebung des Verstandes, dennoch für die Naturerkenntnis unentbehrlich ist, und zugleich nicht auf die Sinnenwelt eingeschränkt bleibt, sondern, unabhängig vom moralischen Interesse, zwar wohl mit ihm verbunden (vgl. KU, 439), subjektiv-notwendig eine Naturordnung eröffnet, die für den menschlichen Verstand nur in bezug auf das Übersinnliche verständlich gemacht werden kann.59 Im Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur als subjektiv transzendentales Prinzip für die theoretisch-reflektierende Urteilskraft liegt nun nach Kant der Schlüssel zum Übergang vom Sinnlichen zum Übersinnlichen. Die Naturteleologie soll das Hindernis des dogmatisch mißverstandenen Verstandes, eine teleologische Naturordnung anzuneh-
58
Das transzendentale, formale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen ist keine Hypothese im eigentlichen Sinne, sondern die subjektive, notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung. Die Zwecke der Natur kritisch so zu betrachten, als ob sie absichtlich von einem »verständigen Wesen« sei, ist hingegen eine erlaubte hypothetische Erklärungsart der reflektierenden Urteilskraft (vgl. KU, 307, 318, 361; EE, XX235, XX251). 59 In diesem Sinne kann man, ähnlich wie Brandt (1989, S. 189 f.), sagen, daß das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur nichts mit der Lösung der Antinomie im Begriff des höchsten Guts in der Dialektik der KpV zu tun hat. Jene gehört zur Naturteleologie, diese zur moralischen Teleologie.
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men, wegräumen, und bereitet den kritischen Verstand auf den Weg zur moralischen Teleologie vor (vgl. KU, 434). Das Übergangsproblem ist das system-abschließende Hintergrundsproblem der KU, welches die ganze KU durchzieht und die einzelnen Fragen daraufhin leitet. Die Auflösung dieses Problems wird von Kant durch den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur unter vier Perspektiven betrachtet, nämlich subjektiv transzendental, ästhetisch, physisch- und moralisch-teleologisch. Die moralische Teleologie kann zwar unmittelbar zur Kantischen Auflösung des Übergangs von der Natur zur Freiheit in der KU nicht beitragen, aber die Naturteleologie vollendet sich erst in der Verbindung mit ihr. Sie ist nach Kant die einzige Art für uns, die zu einer transzendentalphilosophisch fundierten Theologie führen kann. Die subjektiv transzendentale Fundierung des Übergangs vom Sinnlichen zum Übersinnlichen werden wir nun kurz erörtern, um Aufschluß über die Heautonomie der Urteilskraft und den systematischen Ort des Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur zu geben. Auf dieses Problem wird später noch näher eingegangen. Durch den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur kann die Natur in Analogie mit der Gesetzgebung des Verstandes so vorgestellt werden, »als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte« (KU, XXVIII; vgl. XXVI f., § 75). Der intuitive Verstand bekommt erst als Idee der reflektierenden Urteilskraft und nicht als theoretische Vernunftidee (das transzendentale Ideal) seine angemessene Stelle im Kantischen System, wobei sein dialektischer Mißbrauch von vornherein durch die Heautonomie der Urteilskraft verhütet wird. Das besagt aber nicht, daß die regulative Funktion der theoretischen Vernunftideen für die Vollständigkeit des Verstandesgebrauchs von Kant aufgegeben wird. An der Leit- und Grenzfunktion der Vernunftidee für den Verstand hält Kant in der KU noch fest, welche als »quantitative Vollkommenheit« (KU, 45) der Urteilskraft sich selbst zur Orientierung dient.60 60
In der Vorrede der KU (vgl. § 1 – § 3 der zweiten Einleitung) sichert Kant zuerst die Autonomie des Verstandes (der KrV) und der Vernunft (der KpV); demzufolge werden zwei Gebiete der »r e i n e n V e r n u n f t « als »Vermögen der
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Die eigentliche Bedeutung der Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Fassungskraft als transzendentales Prinzips der Urteilskraft liegt aber in der kognitiven Funktion derselben für die Möglichkeit der Erfahrung. Es bleibt anzumerken, daß in Kants Formulierung der Zweckmäßigkeit der Natur unterschieden werden muß zwischen subjektiv transzendentalem Status des Prinzips selbst für die Möglichkeit der Erfahrung, dessen heuristischer Anwendung auf die Naturforschung, sowie dessen unbestimmtem, normativem Charakter für die Beurteilung der Natur als System nach Regeln der Zwecke und schließlich dessen idealer Verweisung auf den übersinnlichen Grund (und Urgrund) der Natur.61 »Dieser transzendentale Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegriff noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objekte (der Natur) beilegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjektives Prinzip (Maxime) der Urteilskraft« (KU, XXXIV).
Erkenntnis aus Prinzipien a priori« (KU, III), Natur und Freiheit, gegründet. Die Ideen oder Vernunftbegriffe dienen als regulative Prinzipien: »teils die besorglichen Anmaßungen des Verstandes, als ob er (indem er a priori die Bedingungen der Möglichkeit aller Dinge, die er erkennen kann, anzugeben vermag) dadurch auch die Möglichkeit aller Dinge überhaupt in diesen Grenzen beschlossen habe, zurückzuhalten, teils um ihn selbst in der Betrachtung der Natur nach einem Prinzip der Vollständigkeit, wiewohl er sie nie erreichen kann, zu leiten und dadurch die Endabsicht alles Erkenntnisses zu befördern« (KU, IV f.; vgl. Jäsche Logik, A141 f./IX92 f.; KrV, A562/B590; Prol., A132/IV331 f.; KpV, A244/V135). 61 P. Bommersheim (1927, S. 294 ff.) unterscheidet vier Bedeutungen des Kantischen Begriffs ›innere Zweckmäßigkeit der Natur‹ (Teleologie i.e.S.): 1. Prinzip der Beurteilung (Betrachtung, Beschreibung) der Natur, welches als Prinzip der Urteilskraft nichts über das konkrete Naturobjekt aussagt; 2. Prinzip der Einheit des Besonderen (Gesetze, Dinge oder Erfahrung); 3. Prinzip der Heuristik, »ohne über die Natur hinaus den Grund der Möglichkeit« der inneren Zweckmäßigkeit zu suchen (KU, 355); und 4. Prinzip der Endursache als »teleologisches Prinzip der Erzeugung« (KU, 375; vgl. 359).
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Dieser subjektiv transzendentale Begriff ist zweifelsohne kein Freiheitsbegriff, weil er »a priori und ohne Rücksicht auf das Praktische« (KU, LV; vgl. XXXIX) von unserer Urteilskraft in Anbetracht der Möglichkeit der besonderen Naturerkenntnis angenommen wird. Er ist zwar kein Naturbegriff des Verstandes, sowohl in formaler als auch in materialer Hinsicht, da die Natur als Inbegriff aller gesetzmäßigen Erscheinungen bloß ein Aggregat (Mechanismus) und kein System ist (obwohl sie als Natur überhaupt ein System nach transzendentalem Gesetze ist), aber er ist dennoch »zu den Naturbegriffen gehörig« (KU, LVII; vgl. Fortschritte, A101 f./XX293), weil die Natur dadurch nicht mehr »bloß als Natur« (KU, 248), sondern als ein System der besonderen Gesetze betrachtet wird. Der Anwendungsbereich des allgemeinen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur besteht in der (ästhetischen oder logischen) Beurteilung von Dingen in Raum und Zeit und von ihrer empirischen Gesetzlichkeit samt einer Reflexion über den übersinnlichen Grund der erscheinenden Natur (in uns und außer uns). Das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur liegt der kritisch teleologischen Naturbetrachtung zugrunde, indem es »schon, den Begriff eines Zweckes (wenigstens der Form nach) auf die Natur anzuwenden, den Verstand vorbereitet hat« (KU, LI; vgl. 267 f.). Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur verschafft der Urteilskraft die Möglichkeit des kompatiblen Gebrauchs des Verstandes und der Vernunft. Wie dies möglich ist, sucht Kant, und zwar nicht immer deutlich, im Haupttext der KU auf zwei unterschiedlichen Wegen zu zeigen (vgl. z.B. EE, XX246 f.): Auf der einen Seite handelt es sich um die ästhetische Naturbetrachtung des Schönen durch das Gefühl der Lust aufgrund der inneren Kausalität der Wechselbeziehung der Erkenntnisvermögen in ihrem freien Spiel, und auf der anderen um die logische (bzw. teleologische) Beurteilung der Naturdinge als Naturzwecke und die Ausweitung der teleologischen Beurteilung auf das »Naturganze (die Welt)« (KU, 361) als System nach (theoretischen oder praktischen) Zwecken. Die uninteressierte und freie Lust befördert »die Empfänglichkeit des Gemüts für das moralische Gefühl« (KU, LVII), indem das reine Geschmacksurteil (als Hand108
lung der Urteilskraft) a priori aufgrund des allgemeinen Verfahrens der reflektierenden Urteilskraft Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit seines Urteils erhebt. Dieser Anspruch setzt die Idee einer allgemeinen Stimme voraus (vgl. KU, § 8), welche auf »das übersinnliche Substrat der Menschheit« hinweist (KU, 237). Aufgrund des analogen Verhältnisses von ästhetischer und moralischer Freiheit und ihrer analogen »Wirkung« auf den Gemütszustand macht der Geschmack durch seine Reflexion »gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen moralischen Interesse ohne einen zu gewaltsamen Sprung möglich« (KU, 260). »Nun sage ich: das Schöne ist das Symbol des Sittlich-guten; und auch nur in dieser Rücksicht (einer Beziehung, die jedermann natürlich ist, und die auch jedermann anderen als
Pflicht zumutet) gefällt es mit einem Anspruche auf jedes anderen Beistimmung, wobei sich das Gemüt zugleich einer gewissen Veredlung und Erhebung über die bloße Empfänglichkeit einer Lust durch Sinneneindrücke bewußt ist und anderer Wert auch nach einer ähnlichen Maxime ihrer Urteilskraft schätzt« (KU, 258).
Die teleologische Weltverfassung macht die Produktivität in der Selbstorganisation der Natur deutlich und insbesondere die Möglichkeit der Verwirklichung der Idee des Endzwecks in der Natur begreiflich, indem die Natur die Möglichkeit der Entwicklung der Kultur des Menschen zeigt, welche die Moralität desselben befördern kann. Die Kultur macht den Menschen zwar nicht sittlich besser, aber wohl gesittet (vgl. KU, 395). Nicht das moralisch-teleologische Prinzip des Endzwecks, sondern das physisch-teleologische der Zweckmäßigkeit der Natur leistet eigentlich die Aufgabe des Übergangs, weil das Prinzip des Endzwecks, unabhängig von den Zwecken der Natur, subjektiv praktisch notwendig ist, d.h. wenn auch die Schöpfung oder das Dasein der Welt überhaupt keinen Zweck hat, ist die Idee des Endzwecks durch das moralische Gesetz als Pflicht geboten (vgl. KU, 461 f. Anm., 424 f. Anm.). Der moralische Gottesbeweis ist »ein besonderer Beweis« (KU, 473), allein aus der moralischen Zweckbestim-
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mung des Menschen ohne Beimischung der empirischen Beweisgründe. »Der moralische Beweis […] würde daher noch immer in seiner Kraft bleiben, wenn wir in der Welt gar keinen oder nur zweideutigen Stoff zur physischen Teleologie anträfen« (ebd.).
Die Annahme eines moralischen Welturhebers als Urgrunde der Natur ist zwar subjektiv überzeugend für die moralisch-reflektierende Urteilskraft, aber nicht praktisch notwendig wie die Pflicht selbst für die moralisch-bestimmende, weil sie nur zum Zweck des praktischen Gebrauchs der Vernunft hinreichend dargetan ist, »ohne in Ansehung des Daseins desselben etwas theoretisch zu bestimmen« (KU, 434). Die moralisch-theologische Vereinigung der Gebiete der Natur und Freiheit in Gott als moralischem Welturheber wird von Kant bloß in praktischer Rücksicht als »Glaubenssache« (res fidei) bestimmt, und dient nur zum zweckmäßigen Gebrauch der praktischen Vernunft, aber nicht zum theoretischen Erklärungsgrunde der Natur (vgl. KU, 453 f., 458 ff.). Zum letzteren ist nur die hypothetische Erklärungsart des physisch-teleologischen Prinzips imstande (vgl. KU, 460). D.h. der Vollzug des Übergangs soll nicht im Endpunkt desselben, sondern in seinem Wendepunkt, in dem die Naturteleologie sich vollendet, und von dem die moralische Teleologie ausgeht, gesucht werden. Denn das System des Übersinnlichen wird in praktischer Absicht bereits durch das moralisch-teleologische Prinzip des Endzwecks in der Idee eines moralischen Welturhebers für die moralisch-reflektierende Urteilskraft hinreichend dargetan. Der Ausgangspunkt der Ethikotheologie ist die Idee des höchsten durch uns möglichen Guts in der Welt, oder der »Endzweck der Schöpfung«, nämlich eine Welt, in der die sittlichen Zwecke mit den Zwecken der Natur übereinstimmen (vgl. KU, 432). Nun führt die Naturteleologie nach Kant auf den Weg der Zwecke der Natur zum Endzweck der Schöpfung mittels der Selbstbetrachtung des Men-
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schen als Subjekt unter moralischen Gesetzen (vgl. KU, § 84 ff.).62 Der Mensch als Sinnenwesen kann als ein Zweck der Natur betrachtet werden, aber er muß als Vernunftwesen nach den moralischen Gesetzen ein Endzweck (Zweck an sich) sein. Wenn die Existenz der Welt überhaupt einen Endzweck hat, dann kann er nach unseren Begriffen nicht anders als im Menschen als moralischem Subjekt liegen (vgl. KU, 421 f., 384). Denn ohne diesen Endzweck hat das Dasein der Natur entweder überhaupt keinen Zweck, oder nur bedingte Zwecke, wenn es Zwecke der Natur gibt. Ein bedingter Zweck ohne Endzweck ist aber nach unserem Verständnis soviel wie zwecklos (vgl. KU, 398 f., 423).63 Denn die Vernunft fordert 62
Der Mensch ist ein endliches Vernunftwesen unter moralischen Gesetzen. Kant unterscheidet in § 11 (A93 ff./VI434 ff.) der metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre zwischen »homo phaenomenon« und »homo noumenon«. »Allein der Mensch als P e r s o n betrachtet, d.i. als Subjekt einer moralischpraktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d.i. er besitzt eine W ü r d e (einen absoluten innern Wert), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen A c h t u n g für ihn abnötigt« (MAT, A93/VI434 f.; vgl. KU, 208 f., 398; GMS, A64 ff./IV428 ff., A82 ff./IV437 ff.). Der Mensch als »Subjekte der Moralität« (KU, 399) markiert seinen Wesensunterschied von allen anderen Tieren, aber er als »homo phaenomenon, animal rationale« (MAT, A93/VI434) hat, wie jedes andere Tier, nur einen Marktwert. Daß der Mensch ein empirisches zwecksetzendes Vermögen hat, reicht nicht aus, das Wesen des Menschen von Tieren qualitativ zu trennen (vgl. KU, 382 f.). Die reine praktische Vernunft ist von allen Naturursachen losgelöst und sie ist, als Vernunftwesen rein betrachtet, der alleinige Grund der Moral. Der Mensch ist aber kein reines Vernunftwesen, das dem Menschen bloß zum Ideal dient. Er ist auf der anderen Seite ein Produkt der Natur. Er ist von Natur ein »ungesellig geselliges« Wesen (vgl. Allg. Gesch., A392 ff./VIII20 ff.). Die Aufgabe besteht dann für Menschen »in pragmatischer Hinsicht« darin, daß »er, als mit V e r n u n f t f ä h i g k e i t begabtes Tier (animal rationabile) aus sich selbst ein v e r n ü n f t i g e s Tier (animal rationale)« (Anthr., A315/VII321) durch die Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung in der Gesellschaft mit Menschen machen soll und muß (vgl. Anthr., A321/VII324). – Vgl. oben Anm. 44 (S. 94 f.) 63 So fragt sich Kant in der Idee zu einer allgemeinen Geschichte …: »ob es wohl vernünftig sei, Z w e c k m ä ß i g k e i t der Naturanstalt in Teilen und doch Z w e c k l o s i g k e i t im Ganzen anzunehmen?« (Allg. Gesch., A401/VIII25). Bei der Frage nach der äußeren »Anordnung zu einem zweckmäßigen Ganzen
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ihrer Natur gemäß unvermeidlich, »die Zwecke, die […] nur bedingt sind, einem unbedingten obersten, d.i. einem Endzwecke« unterzuordnen (KU, 412 f.). Dieser Schluß von der Natur im Ganzen als Zweckzusammenhang auf den Endzweck der Schöpfung ist nicht unproblematisch, weil der Endzweck der Schöpfung hierbei mit der Ambiquität behaftet bleibt.64 Er bezieht sich zum einen auf die Existenz der Welt, und zum anderen auf die Existenz einer besonderen Gattung Mensch und drittens auf die Existenz des höchsten durch Freiheit zu bewirkenden Guts in der Welt. Die drei hängen nach der praktischen Vernunft insofern notwendig zusammen, wenn überhaupt ein Endzweck der Schöpfung angenommen wird. Denn das Dasein der Welt kann nach unseren Begriffen nur in Beziehung auf moralische Subjekte einen absoluten Wert haben (vgl. KU, 411 f.), weil der Mensch unter moralischen Gesetzen der einzige Endzweck ist, der »a priori für uns als gewiß gelten« kann (KU, 416). Mit dem Prinzip des Endzwecks will Kant nur soviel sagen: Wenn Naturprodukte (einschließlich des Menschen selbst) und die Welt überhaupt einen Endzweck haben sollen, dann können wir nach unseren Begriffen nicht umhin, so zu denken, daß der gedachte Endzweck der Schöpfung mit dem durch moralische Gesetze auferlegten Endzweck übereinstimmen muß. Die Naturteleologie ist allein ohne Hilfe der moralischen Zweckbestimmung des Menschen zum Endzweck der Schöpfung unzureichend, weil sie bloß mit bedingten Zwecken der Natur zu tun hat (vgl. KU, 299 f., 401 f.). In der bloßen Naturbetrachtung sind wir berechtigt, Naturprodukte ihrer Form wegen als Zwecke der Natur zu beurteilen, ohne zu entscheiden, ob die Zwecke absichtlich oder absichtslos seien (vgl. KU, 307). Wenn wir schon einen Grund haben, Naturdingen verständige Ursachen unterzulegen, dann können wir auch nach der Naturwesen« ist Kant nicht blind für das Phänomen der Verwüstungen der Natur: »Allein eine genauere Kenntnis der Beschaffenheit dieser Grundlage aller organischen Erzeugung gibt auf keine anderen als ganz unabsichtlich wirkende, ja eher noch verwüstende als Erzeugung, Ordnung und Zwecke begünstigende Ursachen Anzeige« (KU, 384). 64 Zur Ambiquität des Begriffs Endzweck bei Kant vgl. unten S. 124 f.
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dem Zweck ihrer Existenz fragen. Wenn der Zweck bedingt ist, dann kann weiter gefragt werden, wozu er da ist. Wir finden dann eine befriedigende Antwort, bis ein unbedingter Zweck gefunden wird, auf dem die ganzen ihm untergeordneten Zwecke gestützt werden können. Erst in dem Endzweck der Schöpfung vollendet sich die Naturteleologie. Der Endzweck der Schöpfung kann zwar »nicht apodiktisch für die bestimmende, doch hinreichend für die Maximen der theoretisch-reflektierenden Urteilskraft« (KU, 431) dargetan werden. Die teleologische Weltverfassung kann gut zur heuristischen Maxime der Naturforschung dienen, indem die Idee des Naturganzen als System nach Zwecken die Erforschung der mechanischen Gesetze leitet, welche wahrscheinlich nie entdeckt würden, wenn die Untersuchung allein nach der Maxime des bloßen Mechanismus geleitet wird (vgl. KU, 334; KrV, A826/B854). Diese Idee des Endzwecks der Natur kommt im gemeinen und metaphysischen Weltbegriff folgendermaßen zum Ausdruck: »Alles in der Welt ist irgend wozu gut, nichts ist in ihr umsonst« (KU, 300 f.; vgl. 296, 402; EE, XX210). Die physische Teleologie führt zwar zu keinem Begriff von einem Gott, weil Zwecke der Natur nur durch Erfahrung gegeben werden können, und der empirische Beweisgrund »keinen […] hinreichend bestimmten Begriff von dem Urwesen gibt, noch geben kann« (KU, 475); aber sie »dient dem moralischen Argument zu erwünschter Bestätigung, soweit Natur etwas den Vernunftideen (den moralischen) Analoges aufzustellen vermag« (KU, 474). Sie macht »das Bedürfnis einer Theologie […] fühlbar« (KU, 482) und »des moralischen Beweises empfänglicher« (KU, 473), »indem sie durch die Betrachtung der Naturzwecke, von denen sie reichen Stoff darbietet, zur Idee eines Endzweckes, den die Natur nicht aufstellen kann, Anlaß gibt« (KU, 482). Dieses Argument hat Ähnlichkeit mit der Beziehung des freien und interesselosen Wohlgefallens am Schönen auf das moralische Gefühl, aber mit dem Unterschied, daß die teleologische Beurteilung der Natur nichts direkt mit dem Gefühl zu tun hat. Die Rührung der mannigfaltigen Zwecke der Natur kann nach Kant zustande kommen, nur wenn die Beurteilung derselben in Verbindung mit der jedem Menschen beiwohnenden und 113
ihn innigst bewegenden moralischen Bestimmung steht (vgl. KU, 472, 439; MAT, A107 f./VI443). Der Übergang der KU vollzieht sich nach Kant nicht nur in den Erkenntnisvermögen (i.w.S.), sondern auch in dem durch die reflektierende Beurteilung der Natur resultierenden Gefühl des Gemüts. Die Bewunderung der Naturschönheit und die Rührung durch die mannigfaltigen Zwecken der Natur zeigen eine Ähnlichkeit zum religiösen Gefühl. »Sie scheinen daher zuerst durch eine der moralischen analoge Beurteilungsart derselben auf das moralische Gefühl (der Dankbarkeit und der Verehrung gegen die uns unbe-
kannte Ursache) und also durch Erregung moralischer Ideen auf das Gemüt zu wirken, wenn sie diejenige Bewunderung einflößen, die mit weit mehrerem Interesse verbunden ist, als bloße theoretische Betrachtung wirken kann« (KU, 478 Anm.; vgl. 439, 170, 172, 416 f., 471 f.; KpV, A285 f./V160).
Wenn Verstand und Vernunft mit dem Brückenschlag der reflektierenden Urteilskraft auch unzufrieden sind, bleibt die Bewirkung der Betätigung derselben auf das Gemüt bedeutsam für die Vermittlung zwischen dem Erkenntnisvermögen (i.e.S.) und Begehrungsvermögen. Dies könnte ein anderer Grund dafür sein, daß der ästhetische Übergang durch die freie Lust für Kant vielversprechender ist, als die »Beurteilung durch die kalte Vernunft« (KU, 471). Soll der Übergang von der Natur zur Freiheit möglich sein, dann muß die Natur im Sinnlichen wenigstens eine Spur zeigen, oder einen Wink geben (vgl. KU, 169, 171, 320), daß sie die Realisierung des sittlichen Zwecks zumindest zuläßt. Nach der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur muß die Natur in ihren besonderen Gesetzen als System für die Urteilskraft zu ihrem empirischen Gebrauch angesehen werden. Die Naturschönheit zeigt nun die Tauglichkeit der menschlichen Natur als Sinnenwesen zur Kulturentwicklung und zur Empfänglichkeit ihrer moralischen Bestimmung.65 Die Erfahrung des Organismus als Naturzweck veranlaßt 65
Dazu vgl. Kants klassische Formulierung: »Annehmlichkeit gilt auch für vernunftlose Tiere; Schönheit nur für Menschen, d.i. tierische, aber doch vernünf-
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uns eine natürliche Kausalität nach Zwecken in die Naturwissenschaft einzuführen. »Der Begriff eines Dinges, als an sich Naturzwecks, ist also kein konstitutiver Begriff des Verstandes oder der Vernunft, kann aber doch ein regulativer Begriff für die reflektierende Urteilskraft sein, nach einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken überhaupt die Nachforschung über Gegenstände dieser Art zu leiten und über ihren obersten Grund nachzudenken; das letztere zwar nicht zum Behuf der Kenntnis der Natur oder jenes Urgrundes derselben, sondern vielmehr eben desselben praktischen Vernunftvermögens in uns, mit welchem wir die Ursache jener Zweckmäßigkeit in Analogie betrachteten« (KU, 294 f.).
Nach methodischen und moralischen Gründen muß das naturteleologische Prinzip auch auf alle Naturdinge und das Naturganze selbst erweitert werden, obwohl diese (subjektive) Notwendigkeit nach Kant durch die Denkungsart des Subjekts bedingt ist (vgl. KU, 301). Wenn also Zwecke der Natur ein System sind, dann müssen sie sich nach Kant in eine Zweck-Mittel-Kette einordnen, welche ein letztes Glied haben muß, das einerseits ein Naturzweck (sinnlich bedingt) und zugleich auch ein Endzweck (unbedingt) ist, weil eine unendliche Zweck-Mittel-Kette für uns nichts anders als zwecklos ist. Der letzte Zweck der Natur ist nach Kant die Kultur des Menschen, weil der Mensch ein zwecksetzendes Vermögen hat und als ein moralisches Subjekt ein Endzweck (Zweck an sich selbst) ist. Wenn das Naturganze (die Welt) existieren soll, muß sein Endzweck in der Moralität des Menschen liegen und alles, was die Mo-
tige Wesen, aber auch nicht bloß als solche (z.B. Geister), sondern zugleich als tierische; das Gute aber für jedes vernünftige Wesen überhaupt« (KU, 15); und ferner die viel zitierte teleologische Implikation der Naturschönheit in R1820a: »Die [s]chöne[n] Dinge zeigen an, daß der Mensch in die Welt passe und selbst seine Anschauung der Dinge mit den Gesetzen seiner Anschauung stimme« (XVI127). Angemerkt sei, daß Kant in den 70er Jahren noch versuchte, die komparative Allgemeinheit und Objektivität des Geschmacksurteils auf die Formen der sinnlichen Anschauung und das Objekt zurückzuführen (vgl. R648, XV284; R672, XV298; R702, XV311; R856, XV378; Logik-Philippi, § 22 u.ö.).
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ralisierung des Menschen befördert, kann als letzter Zweck der Natur angesehen werden (vgl. KU, 391). Das Subjekt des Übergangs ist nach Kant keineswegs Gott, sondern der Mensch als sinnliches und zugleich moralisches Wesen. Gott darf zwar aus moralisch-teleologischem Grunde als moralischer Welturheber und Urgrund der Natur angesehen und postuliert werden, aber er ist nur ein Ideal, und kann die Einheit der Welt nicht dogmatisch garantieren (vgl. KU, 426 f.). Weil am Ende immer die Aufgabe des Menschen bestehen bleibt, sich selbst vom Sinnlichen zum Übersinnlichen zu erheben, d.h. die theoretische Zwecksetzung der moralischen unterzuordnen. Der Mensch als erkennendes, fühlendes und handelndes Wesen paßt nach Kant nicht nur in die natürliche Welt, sondern letztere soll auch in die sittliche Welt passen. Die innere Teleologie des menschlichen Vermögens veranlaßt Kant in beiden Einleitungen zur KU (vgl. z.B. KU, XXIV f.; EE, XX246 f.) zur Betonung des ästhetischen Übergangs von der Natur zur Freiheit. Im Abschnitt IX der zweiten Einleitung zur KU, wo der Übergang thematisiert wird, hebt Kant den Geschmack (ästhetische Freiheit) als »intellektuelles Vermögen« (vgl. KU, LVI), das auf »das Intelligible« (KU, 258), also das Übersinnliche der Natur in uns verweist, und die Rolle der Zweckmäßigkeit der sinnlichen Natur des Menschen für den Übergang hervor. In diesem Zusammenhang ist auch die klassische Formulierung Kants zu verstehen: Schönheit gilt nur für Menschen (vgl. KU, 15).66 Zum Beleg werden zwei bedeutsame Stellen im Abschnitt IX der zweiten Einleitung zusammengestellt: »Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe ist der Endzweck, der (oder dessen Erscheinung in der Sinnenwelt) existieren soll, wozu die Bedingung der Möglichkeit desselben in der Natur (des Subjekts als Sinnenwesen, nämlich als Mensch) vorausgesetzt wird« (KU, LIV f.).
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Zur Gewichtigkeit der Rolle des Menschen im Übergang der KU vgl. K. Düsing (1990) S. 88 ff.; J. Kulenkampff (1994) S. 172; B. Raymaekers (1998) S. 87.
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»Die Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen, deren Zusammenstimmung den Grund dieser [sc. ästhetischen] Lust enthält, macht den gedachten Begriff [sc. Zweckmäßigkeit der Natur] zur Vermittlung der Verknüpfung der Gebiete des Naturbegriffs mit dem Freiheitsbegriffe in ihren Folgen
tauglich, indem diese zugleich die Empfänglichkeit des Gemüts für das moralische Gefühl befördert« (KU, LVII).
2.1.2.1 Bestimmbarkeit des Übersinnlichen durch die Zweckmäßigkeit der Natur Nun können wir die schwierige Passage im Abschnitt IX aufschlüsseln: »Die Urteilskraft verschafft durch ihr Prinzip a priori der Beurteilung der Natur, nach möglichen besonderen Gesetzen derselben, ihrem übersinnlichen Substrat (in uns sowohl als außer uns) B e s t i m m b a r k e i t d u r c h d a s i n t e l l e k t u e l l e V e r m ö g e n « (KU, LVI).
Mit dem intellektuellen Vermögen meint Kant im allgemeinen das Vermögen der Spontaneität des Denkens im Gegensatz zur Rezeptivität der Sinnlichkeit.67 Das Charakteristische des intellektuellen Vermögens ist nach Kant die Reflexion.68 Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die »Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen« (KU, LVII) bei der ästhetischen Reflexion angesprochen.69 Zum einen unterscheidet Kant den ästhetischen Übergang als Bestimmbarkeit des Übersinnlichen in uns vom teleologischen (i.e.S.) als Bestimmbarkeit des Übersinnlichen außer uns,70 zum anderen besteht der Grundgedanke der Zweckmäßigkeit der Natur für unser 67
Vgl. Anthr., A117 ff./VII198 f.; KrV, B423 Anm.; ferner K. Düsing (1986) S. 111 ff., 232 f. 68 Vgl. Anthr., A14/VII134, A21/138, A27/VII141f.; Prol. A62/IV288; und siehe ferner § 3. 69 Vgl. auch KU, 258 f., XXIV f., 236 ff., 239, 242 f., 245; EE, XX246 f. 70 Vgl. z.B. KU, 237 ff.; ferner K. Düsing (1986) S. 111 ff.
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Erkenntnisvermögen darin, daß man sich immer des zufälligen Entgegenkommens der Natur in bezug auf das beurteilende Subjekt bewußt ist (vgl. KU, 35, 167, 236 ff., 258 f.). Dies ist grundlegend sowohl für die ästhetische Zweckmäßigkeit als auch für die teleologische. Man soll daher in diesem Zusammenhang die Unterscheidung der Natur in uns von der außer uns nicht zu stark gewichten. Weil Kant das freie Spiel der Erkenntnisvermögen auf dem allgemeinen Verfahren der Urteilskraft in ihrem empirischen Gebrauch zurückführt (vgl. z.B. KU, § 9, § 35), und weil hierbei von der Verknüpfung der Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft durch den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur die Rede ist (vgl. KU, LV), kann die teleologische Urteilskraft auch als zum intellektuellen Vermögen gehörig in Betracht gezogen werden, da sie »nur die reflektierende Urteilskraft überhaupt« ist (KU, LII; vgl. EE, XX221, XX234), obwohl die teleologische Beurteilung der Natur direkt »nichts mit einem Gefühle der Lust an den Dingen, sondern mit dem Verstande in Beurteilung derselben« mit Hilfe des Vernunftprinzips der Zwecke zu tun hat (KU, XLIX; vgl. KU, VIII; EE, XX228, XX250 f.). Ein anderer Grund besteht darin, daß die ästhetische Reflexion den Übergang von der Natur zur Freiheit nur möglich machen kann, indem sie in einen teleologischen (i.w.S.) Denkhorizont mit einbezogen wird. So sagt Kant in § 42 der KU vom unmittelbaren intellektuellen Interesse am Naturschönen: »Daß die Natur jene Schönheit hervorgebracht hat: dieser Gedanke muß die Anschauung und Reflexion begleiten« (KU, 167)71, und führt er in § 67 im Hinblick 71
Die teleologische Interpretation der Naturschönheit mit moralischem Interesse kommt zum Ausdruck in den klassischen, implizit theologischen Metaphern, wie »Buch der Natur«, »Sprache der Natur«. In Nähe zur Naturvorstellung von Jacob Böhme gibt Kant in § 42 der KU im Kontext des intellektuellen Interesses am Schönen eine teleologische »Deutung ästhetischer Urteile auf Verwandtschaft mit dem moralischen Gefühl« als »die wahre Auslegung der Chiffreschrift […], wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht« (KU, 170; vgl. 172). – Zum historischen Hintergrund dieser Metaphern vgl. G. Böhme (1999) S. 44-53. In der transzendentalen Betrachtung ist das Geschmacksurteil ohne alles Interesse. Das besagt aber nicht, daß es nicht mit dem Interesse verbunden sein
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auf die »Gunst der Natur« zur Beförderung der Kultur des Menschen mittels der Naturschönheit denselben Gedanken fort: »Schönheit der Natur, d.i. ihre Zusammenstimmung mit dem freien Spiele unserer Erkenntnisvermögen in der Auffassung und Beurteilung ihrer Erscheinung kann auf die Art als objektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihrem Ganzen als System, worin der Mensch ein Glied ist, betrachtet werden, wenn einmal die teleologische Beurteilung derselben durch die
Naturzwecke, welche uns die organisierten Wesen an die Hand geben, zu der Idee eines großen Systems der Zwecke der Natur uns berechtigt hat. Wir können es als eine Gunst, die die Natur für uns gehabt hat, betrachten, daß sie über das Nützliche noch Schönheit und Reize so reichlich austeilte, und sie deshalb lieben, sowie ihrer Unermeßlichkeit wegen mit Achtung betrachten und uns selbst in dieser Betrachtung veredelt fühlen: gerade als ob die Natur ganz eigentlich in dieser Absicht ihre herrliche Bühne aufgeschlagen und ausgeschmückt habe« (KU, 303 f.).
Ohne Bezug auf die teleologische Weltbetrachtung wäre der ästhetische Brückenschlag vom Sinnlichen zum Übersinnlichen wenig verständlich. Dies schadet der Eigentümlichkeit der ästhetischen Zweckmäßigkeit dennoch nicht. Die ästhetische Reflexion vollendet sich vielmehr erst in der teleologischen Deutung der Naturschönheit. Der Übergang von der Natur zur Freiheit kann zwar durch die Zweckmäßigkeit der Natur verständlich gemacht werden, indem ein neuer Begriff von der freien und verständigen Natur hypothetisch angenommen werden darf. Dies gilt aber nur für die reflektierende Urteilskraft. Der Übergang und die Einheit der Vernunft bleibt aufgrund der Eingeschränktheit der menschlichen Natur dunkel. kann (vgl. KU, 7 Anm., 303 Anm.). Dieses Interesse ist empirisch, sofern das Schöne die Geselligkeit befördert (vgl. KU, § 41); es ist hingegen intellektuell, sofern das Schöne ein unmittelbares Bewußtsein seiner Verwandtschaft mit dem moralischen Gefühl erweckt. Auf diesem intellektuellen Interesse am Naturschöne beruht auch der Vorzug der Naturschönheit vor der Kunstschönheit, insbesondere im Hinblick auf den Übergang vom Schönen zum Sittlich-guten.
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»In diesem Vermögen [sc. dem Geschmack] sieht sich die Urteilskraft nicht, wie sonst in empirischer Beurteilung, ei-
ner Heteronomie der Erfahrungsgesetze unterworfen: sie gibt in Ansehung der Gegenstände eines so reinen Wohlgefallens ihr selbst das Gesetz, so wie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut; und sieht sich, sowohl wegen dieser innern Möglichkeit im Subjekte, als wegen der äußern Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur, auf etwas im Subjekte selbst und außer ihm, was nicht Natur, auch nicht Freiheit, doch aber mit dem Grunde der letzteren, nämlich dem Übersinnlichen, verknüpft ist, bezogen, in welchem das theoretische Vermögen mit dem praktischen auf gemeinschaftliche und unbekannte Art zur Einheit verbunden wird« (KU, 258 f.).
Urteilskraft macht das Übersinnliche der Natur (sowohl in uns als außer uns), welches der Verstand bloß als Idee des Noumenon in negativer Bedeutung gänzlich unbestimmt läßt (vgl. KrV, B307 ff.), durch die Idee der Zweckmäßigkeit der Natur in der ästhetischen und teleologischen Reflexion derselben bestimmbar; eben demselben Übersinnlichen gibt die Vernunft »durch ihr praktisches Gesetz a priori die B e s t i m m u n g « (KU, LVI), nämlich die praktische Freiheit, das moralische Wesen als Person, Endzweck usw. Denselben Gedanken führt Kant bei der Zusammenfassung der Antinomien der drei Erkenntnisvermögen in der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft an, indem Verstand, Urteilskraft und Vernunft je aus eigener Perspektive drei Ideen bildet: »e r s t l i c h des Übersinnlichen überhaupt, ohne weitere Bestimmung, als Substrats der Natur; z w e i t e n s eben desselben, als Prinzips der subjektiven Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen; d r i t t e ns eben desselben, als Prinzips der Zwecke der Freiheit und Prinzips der Übereinstimmung derselben mit jener im Sittlichen« (KU, 245).
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2.1.2.2 Struktur des moralischen Gottesbeweises Über das Prinzip des Endzwecks der moralischen Teleologie, der moralischen Weltvollkommenheit, in der die sittlichen Zwecke mit den Zwecken der Natur übereinstimmen sollen, wird in der KU nichts wesentlich Neues im Vergleich zur KpV gesagt. Einen Fortschritt macht Kant jedoch im Hinblick auf die Ethikotheologie durch die klare Strukturierung der Beweisgründe (vgl. KU, 432 f.), indem die physische und moralische Teleologie einerseits voneinander streng unterschieden, und sie andererseits zum Zweck des Übergangs von der Natur zur Freiheit wiederum in einer Verbindung durch die Bestimmung des Menschen gesetzt werden. Diese Verbindung wird vor allem unter moralischem Aspekt entwickelt. Die Kultur des Menschen kann als letzter Zweck der Natur angesehen werden, nur weil sie die Realisierung der Moralität befördern kann. Kant gliedert den moralischen Gottesbeweis in § 88 (431 ff., 2. bis 5. Abs.) der KU in zwei Schlußschritte: Der erste Schritt ist bloß eine Begriffsanalyse des Endzwecks der Natur (oder Schöpfung) mittels der moralischen Teleologie. Dieser Schritt ist »noch nicht der Schluß von der moralischen Teleologie auf eine Theologie, d.i. auf das Dasein eines moralischen Welturhebers, sondern nur auf einen Endzweck der Schöpfung, der auf diese Art bestimmt wird« (KU, 433). Der moralische Gottesbeweis vollzieht sich erst im zweiten als dem einzigen Schluß der praktisch-reflektierenden Urteilskraft. Die Klärung des Endzwecks der Natur wird hier durch die Frage geleitet: »ob die objektive Realität des Begriffs von einem Endzweck der Schöpfung nicht auch für die theoretischen Forderungen der reinen Vernunft hinreichend, wenn gleich nicht apodiktisch für die bestimmende, doch hinreichend für die Maximen der theoretisch-reflektierenden Urteilskraft könne dargetan werden« (KU, 431). Damit meint Kant, daß die Verbindung der sittlichen Zwecke mit den Naturzwecken, vermittels des Endzwecks der Schöpfung, von Seiten der spekulativen Philosophie, zumindest durch die Idee des Naturganzen als System der Zwecke begreiflich gemacht werden kann. Denn dieser teleologischen Weltverfassung gemäß den121
ken wir die Natur nicht nur bloß als zweckmäßiges System ihrer empirischen Gesetze, sondern auch die Welt (das Naturganze) »als ein nach Zwecken zusammenhängendes Ganze und als S y s t e m von Endursachen« (KU, 413). In der teleologischen Weltverfassung ist die Idee der Welt als System der Zwecke zwar nur durch eine Analogie mit der praktischen Zweckmäßigkeit möglich, aber dadurch wird diese Idee noch nicht bestimmt, sondern sie wird lediglich subjektiv zum Zweck des Verständnisses der Natur, dem Grund ihrer Ursache gemäß, gebraucht. Der Endzweck der Natur wird erst auf diese Weise durch das höchste durch Freiheit zu bewirkende Gut in der Welt als Endzweck des praktischen Gebrauchs unserer Vernunft moralisch-teleologisch bestimmt. Es gibt gewisse Unklarheiten, wie schon erwähnt, in der Wende von der physischen zur moralischen Teleologie, wie hier in § 88 (3. und 4. Abs.).72 Diese Unklarheiten sollen nun verdeutlicht werden: (1) Die Vollendung der teleologischen Weltverfassung in der Idee des Endzwecks der Natur für die theoretisch-reflektierende Urteilskraft (KU, 431 f., § 88, 3. Abs.; vgl. 420 ff.): Wenn wir Grund haben, bei der bloß formalen Beurteilung der zweckmäßigen Anordnung der Naturprodukte eine verständige Naturursache, die nicht nur ein blinder Naturmechanismus ist, notwendig zu postulieren, dann können wir in einer entfernten Analogie mit unserer technisch-praktischen Vernunft einen intuitiven Verstand als oberste verständige Weltursache annehmen. Wir können dann nach dem regulativen Prinzip der teleologischen Weltverfassung auch so denken, als ob der oberste Verstand nicht nur überall der Existenz der Naturdinge Zwecke, sondern auch der Existenz der Natur im Ganzen einen Endzweck unterlegte (vgl. KU, 431 f.). Wenn wir aber so denken, dann sind wir schon über den Denkhorizont der physischen Teleologie hinaus ins Reich der Zwecke, weil der Endzweck nicht zum Reich der Natur gehört. Man setzt hierbei den obersten Verstand als Urgrund der Natur bloß in eine Analogie 72
W. Frost (1906, 306) bemerkt zu Recht, daß Kants Darstellung hier in gewisser Weise unklar ist.
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zur moralisch-praktischen Vernunft, um die Natur im Ganzen als einen systematischen Zweckzusammenhang zu betrachten, damit wir die äußerste Verbindung der Zwecke in der Natur uns begreiflich machen können. Der intuitive Verstand als Grenzbegriff dient hierbei bloß zur Reflexion der Urteilskraft. Dies nötigt uns noch nicht, die Existenz eines solchen Verstandes anzunehmen, noch viel weniger sind wir berechtigt, die Erkenntnis der bestimmten Eigenschaft desselben dadurch als erkannt anzunehmen. Die teleologische Weltverfassung dient nur zur Orientierung des Menschen in bezug auf die mannigfaltigen Zweckanordnungen der Natur. Wir unterstellen hierbei der Natur, daß sie sich nach einer Idee des Ganzen organisiere. Was diese Idee sein mag, bleibt innerhalb der naturteleologischen Betrachtung gänzlich unbestimmt. Die Bestimmung des Endzwecks der Natur gewinnt man erst in praktischer Absicht mit Hilfe der moralischen Teleologie (vgl. KU, 413 f.). Bei der Zweckmäßigkeit der Natur ist »völlig einerlei […] zu sagen: Gott hat es weislich so gewollt, oder die Natur hat es also weislich geordnet« (KrV, A699/B727; vgl. A701/B729). Dennoch hat die Idee der »Technik der Natur«73 innerhalb der Naturforschung den Vorteil, einen solchen Begriff, wie den einer unabsichtlichen Naturtechnik (technica naturalis) einzuschließen, die »mit dem Mechanism der Natur im Grunde ganz einerlei sei« (KU, 321). Auf der anderen Seite ist die Idee der weisen Vorsehung und Vorsorge Gottes für die Vernunft zwar leicht »überschwenglich«,74 aber die Reflexion über den »Urgrund der Dinge« (KU, 373) oder die »Weltursache« (KU, 329) enthält »ein Beurteilungsprinzip, wodurch wir in der Erklärung der Naturdinge und ihres Ursprungs zwar um nichts weiter gebracht werden, das uns aber doch über die Natur hinaus einige Aussicht eröffnet, um den sonst so unfruchtbaren Be-
73
Die Idee der »Technik der Natur« wird bei Kant bis zum Opus postumum weiter entwickelt. Über diese Gedankenentwicklung vgl. G. Lehmann (1969) S. 289-294, 342 ff.; über die Weltseele, das organische Weltganze und Weltorganisation im Opus postumum vgl. K. Düsing (1986) S. 143 ff.; G. Lehmann (1969) S. 308, 325 ff, 293 f. 74 Vgl. EE, XX235; XX241; KU, 318, 331, 339 ff., 435 f.
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griff eines Urwesens vielleicht näher bestimmen zu können« (KU, 401). (2) Bestimmung des Endzwecks der Natur (oder der Schöpfung) durch die moralische Teleologie (KU, 432, § 88, 4. Abs.): Nun fragt Kant, wenn überhaupt das Dasein der Welt einen Endzweck hat, auf welche Art er dann bestimmt wird. Was heißt also Endzweck der Natur? Endzweck ist allgemein »derjenige Zweck, der keines anderen als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf« (KU, 396), weil in ihm die Mittel-Zweck-Kette absolut vollendet ist. Der Endzweck ist selbst, im Unterschied zum letzten Zweck der Natur, nicht in einer solchen Kette, sondern alle in dieser Kette liegenden Zwecke sind ihm untergeordnet. Endzweck heißt dann nichts anderes als derjenige Zweck, »welcher die unumgängliche und zugleich zureichende Bedingung aller übrigen Zwecke enthält« (Religion, AX f./VI6 Anm.). Endzweck ist ein unbedingter Zweck, von dem nicht weiter gefragt werden kann, wozu er existiere. Denn er ist laut der Definition keinem anderen Zweck untergeordnet. Die Bestimmung des Endzwecks in der KU ist eine allgemeine Umschreibung vom Zweck an sich, »d e s s e n D a s e i n a n s i c h s e l b s t einen absoluten Wert hat« (GMS, A64/IV428; vgl. MAT, A93/VI434 f.). Diese Bestimmung stimmt gerade mit demjenigen überein, was als »Zweck ohne Bedingung« das moralische Gesetz für die Vernunft vorschreibt (vgl. KU, 423). Mit dem Zweck an sich selbst ist ursprünglich in Kants Moralphilosophie nur das moralische Subjekt als Person gemeint, welches in der KU auch als Endzweck bezeichnet wird.75 Kant nennt das höchste durch uns in der Welt mögliche Gut auch Zweck an sich selbst (vgl. Gemeinspruch, A213/VIII279 Anm.). – Der Endzweck und der Zweck an sich sind folglich Wechselbegriffe, weil sie wechselweise aus ihren Bestimmungen abgeleitet werden können. Der Begriff ›Endzweck‹ wird in der KU vor allem im Sinne vom höchsten durch Freiheit zu bewirkenden Gut in der Welt gebraucht, und dann auch im Sinne vom Endzweck der Schöpfung. Beide haben ihre Wurzel in der Zweckbestimmung des 75
Vgl. KU, 381 f.; auch die Andeutungen in der KrV, A840/B868 und GMS, A63 f./IV427 f., A82 f./IV437 f.
124
Menschen. Der Mensch unter moralischen Gesetzen ist Endzweck, weil er als moralische Person Zweck an sich selbst ist, welcher uns durch das moralische Gesetz a priori gewiß ist. Das höchste abgeleitete Gut in der Welt zum Endzweck zu machen, ist zwar nicht analytisch aus dem moralischen Gesetz abgeleitet, aber es ist die notwendige Erweiterung des moralischen Gesetzes, sofern man moralisch-praktisch konsequent denkt und handelt. Der Begriff des höchsten abgeleiteten Guts als Endzweck hat, anders als das moralische Subjekt, nur subjektiv-praktische Notwendigkeit. Wie steht es aber mit dem Endzweck der Natur? Endzweck ist ursprünglich »bloß ein Begriff unserer praktischen Vernunft und kann aus keinen Datis der Erfahrung zu theoretischer Beurteilung der Natur gefolgert noch auf Erkenntnis derselben bezogen werden. Es ist kein Gebrauch von diesem Begriffe möglich, als lediglich für die praktische Vernunft nach moralischen Gesetzen« (KU, 432). Daher ist der Endzweck der Natur nichts anderes als »diejenige Beschaffenheit der Welt, die zu dem, was wir allein nach Gesetzen bestimmt angeben können, nämlich dem Endzwecke unserer reinen praktischen Vernunft, und zwar so fern sie praktisch sein soll, übereinstimmt« (ebd.). Kant führt von dort aus weiter zu der Frage, ob diese praktische Bestimmung des Endzwecks der Natur auch objektive Realität besitzt. Das Sollen der praktischen Vernunft muß das Können der Natur implizieren, wenn die Vernunft nicht in reine Sinnlosigkeit geraten soll, wie bei Sisyphus, der in Ewigkeit seinen Stein weiterrollen muß.76 Die Vernunft darf nicht das Unmögliche zur Pflicht machen, um nicht in Unvernunft umzuschlagen. Nun macht die praktische Vernunft durch das moralische Gesetz das höchste in der Welt mögliche Gut zu ihrem Endzweck. So muß die Realisierung dieses Endzwecks in praktischer Absicht auch möglich sein. Wir haben daher »einen Grund, die Möglichkeit (Ausführbarkeit) desselben, mithin auch (weil ohne Beitritt der Natur zu einer in unserer Gewalt nicht stehenden Bedingung derselben die Bewirkung desselben unmöglich sein würde) eine Natur der Dinge, die dazu übereinstimmt, an76
Vgl. Fortschritte, A9/XX259 f.; Streit, A137/VII82; Gemeinspruch, A273 ff./VIII308 f.; De mundi, A29/II411.
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zunehmen. Also haben wir einen moralischen Grund, uns an einer Welt auch einen Endzweck der Schöpfung zu denken« (KU, 432), d.h. die Möglichkeit des Endzwecks der Natur als Bedingung zur Verwirklichung des Endzwecks der praktischen Vernunft muß auch angenommen werden. Es ist nochmals zu betonen, daß die Sittlichkeit die oberste Bedingung des höchsten Guts ist. Die Unmöglichkeit des letzteren beeinträchtigt die Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes überhaupt nicht. »Die Erfüllung der Pflicht besteht in der Form des ernstlichen Willens, nicht in den Mittelursachen des Gelingens« (KU, 426). Weil wir die Möglichkeit des Endzwecks der Natur nach der Beschaffenheit unseres Vermögens nicht einsehen können, sei es eher vernünftig, sie anzunehmen als abzulehnen, weil die endliche Vernunft sich im letzteren unvermeidlich entzweit. Es ist durchaus die Meinung Kants, daß der kritische Optimismus in jeder Hinsicht besser ist als Pessimismus. Die Annahme einer immer besseren Welt kann die Gesinnung zwar nicht begründen, aber wohl aufrichten und bestärken. (3) Schluß der moralischen Teleologie auf die Theologie (KU, 433 f., § 88, 5. Abs.; vgl. § 87): Zu den Dingen als Zwecken der Natur wird ein intuitiver Verstand als die oberste verständige Weltursache angenommen, damit wir den Grund ihrer Möglichkeit uns verständlich machen können (vgl. KU, 413, 434 f.). Zum Endzweck der Natur muß aber ein moralischer Welturheber, der die Natur nach moralischen Gesetzen regiert, angenommen werden, wenn das Weltbeste realisiert werden kann. Der moralische Gottesbeweis hat nur bedingte Notwendigkeit, und zwar bloß in subjektiv-praktischer Absicht als Bedingung der Möglichkeit des Endzwecks der Natur. Wenn die Natur auch keinen Zweck oder keinen Endzweck hätte, bleibt die Beförderung des Endzwecks des höchsten durch uns möglichen Guts in der Welt als Pflicht unantastbar, weil letztere nach der Beschaffenheit der menschlichen Vernunft durch moralische Gesetze unbedingt geboten ist.
126
Zusammenfassend gesagt, bewahrt die Urteilskraft bei ihrer systematischen Aufgabe des Übergangs von der Natur zur Freiheit zwar die Differenzierung von Verstand und Vernunft, aber um diese Aufgabe bewältigen zu können, muß die Einheit der beiden dennoch wenigstens von der Urteilskraft selbst her so gedacht werden können, daß die Natur der Forderung unserer Vernunft (i.w.S.) entgegenkommen kann, und der Grund dieser Einheit im Übersinnlichen gesucht werden muß. Obwohl die Urteilskraft das Übersinnliche der Natur durch sein Prinzip subjektiv nach unseren Begriffen bestimmbar zu machen vermag, und die Vernunft selbst die »Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens« (KpV, A162/V91) durch praktische Freiheit bestimmen muß, bleibt die Art der Einheit der Verbindung des theoretischen Vermögens mit dem praktischen im Übersinnlichen für die endliche Vernunft dennoch unbekannt (vgl. KU, 259). Die Teleologie der Natur gibt uns »wenigstens e i n P r i nz i p m e h r , die Erscheinungen derselben unter Regeln zu bringen, wo die Gesetze der Kausalität nach dem bloßen Mechanism derselben nicht zulangen« (KU, 269). Sie eröffnet bloß eine subjektive Einsicht in eine Naturordnung, in der die Unterordnung der Naturnotwendigkeit unter die Freiheit in der Welt denkmöglich ist.
2.2 Pragmatischer Übergang in der Weltgestaltung unter moralischem Gesetz Die Einheit der Welt zu befördern, ist die unumgängliche Forderung der Vernunft. Der Mensch als ein sinnliches und zugleich vernünftiges Wesen ist verpflichtet, die Welt aus dieser Idee der Einheit nach dem Prinzip des Endzwecks mittels der Naturteleologie, also nach der Idee des Naturganzen als Systems der Zwecke konkret zu gestalten, sofern es in seiner Gewalt steht (vgl. KU, 396 ff., 432 f.). Aufgrund der moralischen Überzeugung der Idee des Endzwecks und der subjektiv notwendigen Annahme des naturteleologischen Prinzips sind wir berechtigt, die Welt so zu interpretieren, ihre Einheit auf dieser Weise zu erwarten und eine immer bessere Welt zu erhoffen, aber nicht weil wir dies erkennen und einsehen 127
können, sondern weil es im Einklang (Analogie) mit den Gesetzgebungen des Verstandes und der Vernunft steht, und weil das höchste Interesse unserer Vernunft nur durch die Idee der Freiheit in einer einzigen Idee des Endzwecks erfüllbar sein kann. »Daß die Welt im Ganzen immer zum Bessern fortschreite, dies anzunehmen berechtiget ihn keine Theorie, aber wohl die reine praktische Vernunft, welche nach einer solchen Hypothese zu handeln dogmatisch gebietet, und so nach
diesem Prinzip sich eine Theorie macht, der er zwar in dieser Absicht nichts weiter, als die Denkbarkeit unterlegen kann, welches in theoretischer Rücksicht, die objektive Realität dieses Ideales darzutun, bei weitem nicht hinreichend ist, in moralisch-praktischer aber der Vernunft völlig Gnüge tut« (Fortschritte, A140/XX307). Das moralisch- und physisch-teleologische Prinzip sind in Hinsicht ihrer Gesetzgebungen zwar unabhängig, aber sie ergänzen sich, indem die moralische Teleologie nach der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen die einzige ist, die eine (ethische) Theologie berechtigtermaßen begründen kann, welche die Physikotheologie, »eine mißverstandene physische Teleologie« (KU, 410), zu gründen sucht, aber dazu nicht berechtigt ist, weil ihre Beweisgründe insgesamt empirisch sind; und andererseits die physische Teleologie eine verstandsgemäße, teleologische Weltordnung eröffnet, welche die wissenschaftliche Naturerklärung leitet, und zugleich mit der moralischen Weltordnung im Einklang stehen kann. Diese Idee ist in der heutigen Diskussion über die Verantwortung der wissenschaftlichen Forschung für die Gesellschaft, Kultur, Geschichte und Umwelt immer noch aktuell. Die Grundfrage könnte so lauten: Wie kann, soll und muß die wissenschaftliche Forschung unbeschadet ihrer Autonomie dennoch ethische Forderungen erfüllen? Die durch die Urteilskraft so interpretierte und zu-befördernde Einheit der Welt ist weder theoretisch noch praktisch begründbar, weil die Urteilskraft sonst bloß bestimmend wäre, sondern stellt lediglich ein subjektives, regulatives Prinzip für die Reflexion der Urteilskraft über einen neuartigen Begriff der Natur dar, wodurch die objektive mechanische Naturauffassung in die subjektive teleo128
logische Weltverfassung (Technik der Natur) wenigstens widerspruchsfrei (als Mittel zum Zweck) integriert werden kann. Die Ausweitung des Prinzips der Teleologie von den Naturzwecken auf das Naturganze als System nach Zwecken ist nach Kant aus methodischen und moralischen Gründen sogar notwendig: »Denn wenn wir einmal dergleichen Wirkung i m G a n z e n auf einen übersinnlichen Bestimmungsgrund über den blinden Mechanism der Natur hinaus beziehen, müssen wir sie auch ganz nach diesem Prinzip beurteilen; und es ist kein Grund da, die Form eines solchen Dinges noch zum Teil vom letzteren als abhängig anzunehmen, da alsdann bei der Vermischung ungleichartiger Prinzipien gar keine sichere Regel der Beurteilung übrig bleiben würde« (KU, 297; vgl. 304, 300 f., 334, 360 f., 381).
Kant schränkt zugleich diese methodische Notwendigkeit nach der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen ein. Die Idee des Naturganzen als System der Zwecke ist als heuristische Maxime für die mechanische Naturforschung zwar nützlich, aber nicht unentbehrlich, »weil uns die Natur im Ganzen als organisiert […] nicht gegeben ist« (KU, 334). Wir sind »durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten« (KU, 301), und wir bekommen »dadurch nur einen Leitfaden […], die Naturdinge in Beziehung auf einen Bestimmungsgrund, der schon gegeben ist, nach einer neuen gesetzlichen Ordnung zu betrachten und die Naturkunde nach einem anderen Prinzip, nämlich dem der Endursachen, doch u n beschadet dem des Mechanisms ihrer Kausalität, zu erweitern« (ebd.). Die teleologische Weltverfassung ist letztlich eine »erlaubte Hypothese« (KU, 361).
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2.2.1 Notwendigkeit der Annahme einer Naturteleologie in der Naturforschung durch den Organismus als Naturzweck Die Möglichkeit einer objektiven, inneren Zweckmäßigkeit der Naturdinge als Naturzwecke ist nach der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur a priori gar nicht einsehbar, obwohl letztere unseren Verstand für die Anwendung des Zweckbegriffs auf die Natur schon vorbereitet. Nun zeigt uns die Erfahrung an einigen Naturdingen, deren formale »Beschaffenheiten« in der inneren Selbstorganisation durch »blinden Naturmechanism« (KU, 296) uns nicht zugänglich sind, daß wir eine formale Technik der Natur annehmen müssen, ohne jedoch die Wirklichkeit einer absichtlichen Erzeugung als Zweck eines anderen (höheren) Verstandes als des menschlichen notwendig zu postulieren.77 »Die Erfahrung leitet unsere Urteilskraft auf den Begriff einer objektiven und materialen Zweckmäßigkeit, d.i. auf den Begriff eines Zwecks der Natur nur alsdann, wenn ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu beurteilen ist, welches wir als gesetzlich einzusehen uns nur dadurch vermögend finden, daß wir die Idee der Wirkung der Kausalität ihrer Ursache, als die dieser selbst zum Grunde liegende Bedingung der Möglichkeit der ersteren unterlegen« (KU, 279; vgl. 296).
Selbst das Phänomen der inneren Selbstorganisation oder Selbstregulation kann ohne Begriff der verständigen Kausalität nicht einmal beobachtet werden, weil der Gedanke der Selbstorganisation oder der Begriff des Organismus die Idee eines »Ganzen als Zweck« (wenigstens der Form nach) bereits enthält (vgl. KU, 284 f., 334 f., 381). Ganzheit ist eine Idee unserer Vernunft, und nicht das reale Ganze in Raum und Zeit. Sie charakterisiert nicht nur die Selbstorganisation des Organismus, sondern auch die Organisation 77
Vgl. KU, 286, 295, 300, 317 f., 319, 334, 346, 348, 351, 353, 359, 360, 366, 381, 387 u.ö. – Daß es für uns keinen »Newton des Grashalms« geben kann, die Erzeugung desselben nach bloßen mechanischen Gesetzen zu erklären, gehört bereits zur festen Überzeugung des jungen Kants; dazu vgl. z.B. Beweisgrund, A97/II114; Gebrauch, A126 f./VIII179; KU, 337 f., 353, 362 f.
130
der Kunstprodukte (vgl. KU, 291 f.). Sie ist mehr als die Summe aller ihrer Teile, genauer, überhaupt nicht summativ, d.h. nicht »mechanisch«. »Wenn wir nun ein Ganzes der Materie seiner Form nach als ein Produkt der Teile und ihrer Kräfte und Vermögen, sich von selbst zu verbinden (andere Materien, die diese einander zuführen, hinzugedacht) betrachten, so stellen wir uns eine mechanische Erzeugungsart desselben vor. Aber es kommt auf solche Art kein Begriff von einem Ganzen als Zweck heraus, dessen innere Möglichkeit durchaus die Idee von einem Ganzen voraussetzt, von der selbst die Beschaffenheit und Wirkungsart der Teile abhängt, wie wir uns doch einen organisierten Körper vorstellen müssen« (KU, 351).
Der Begriff des Naturzwecks ist also einerseits empirisch bedingt und andererseits apriorisch (vgl. z.B. KU, 296). Das Prinzip der formalen Technik der Natur ist nach Kant deshalb kein »transzendentales«, sondern ein »metaphysisches« Prinzip (vgl. KU, XXIX). Es geht im Begriff des Naturzwecks um ein Naturprodukt, das nur a posteriori gegeben sein kann; dessen Beurteilung setzt aber ein apriorisches Prinzip der Urteilskraft voraus. Organismus heißt eben ein Ding als Naturzweck. Diese Art des Apriori zeigt Ähnlichkeiten mit der Beurteilung des Schönen nach dem Prinzip des Geschmacks, aber mit dem Unterschied, daß das Prinzip der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur eine reine Anwendung des allgemeinen Prinzips der Urteilskraft ist.78 Kant selbst sieht die Schwierigkeit in der Klärung des Naturzwecks durch die Analogie mit dem Kunstprodukt sehr deutlich: Es ist gewiß, daß ein Kunstprodukt durch eine absichtliche Hervorbringung bestimmt wird. »Um aber etwas, das man als Naturprodukt erkennt, gleichwohl doch auch als Zweck, mithin als N a t u r z w e c k zu beurteilen, dazu, wenn nicht etwa hierin gar ein Widerspruch liegt, wird schon mehr erfordert« (KU, 286; vgl. 331). Zuerst muß man besonders darauf achten, daß der Organismus als Phänomen und eben derselbe als Naturzweck bei Kant nicht einerlei ist, ob78
Vgl. § 4.3, S. 285 ff.
131
wohl diese Unterscheidung bei ihm nicht immer konsequent durchgehalten wird. 79 Denn der Organismus kann nach Kant für den Menschen nur versuchsweise durch die Vernunftkausalität nach Zwecken charakterisiert werden, wobei Organismus ein Ding als Naturzweck heißt. Die innere Zweckmäßigkeit der Natur wird von Kant in der KU, nach Paul Bommersheim80, unter vier Aspekten betrachtet, welche auch die unterschiedlichen Definitionen vom Organismus prägen. Die vielfältigen Definitionsversuche Kants kann man hier umgehen.81 Wir konzentrieren uns auf die kritisch erkenntnistheoretische Grundlage des Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit der Natur. Kant unterscheidet auf der einen Seite zwischen Beschreibung und Erklärung (oder Deutung) der Phänomene; er läßt beide auf der anderen Seite seinem transzendentalen Denkansatz zufolge nicht isoliert voneinander stehen. 82 Die Möglichkeit der Beschreibung setzt die transzendentalen Bedingungen der Erkenntnis voraus. Dies gilt insbesondere im Fall des Organismus, dessen Begriff uns ohne Begriff der Zweckkausalität unverständlich bleibt. Der Begriff der Zwecke (der Natur) ist zwar keine Kategorie (vgl. KU, XXVIII; EE, XX220), aber er ist auch kein von der Erfahrung »zu abstrahierender« Begriff (vgl. KU, 330), sondern wir legen ihn in die Natur selbst hinein, indem die Erfahrung der Unzulänglichkeit des Mechanismus bei der Naturerklärung für den Menschen uns dazu veranlaßt hat (vgl. Fortschritte, A103/XX293 f.; EE, XX220 Anm.). Wir beobachten den Naturzweck eigentlich nicht, sondern denken ihn hinzu (vgl. KU, 336). Die Notwendigkeit der teleologischen Beurteilungsart führt Kant auf die Diskursivität des menschlichen Verstandes zurück: »[G]ewisse Naturprodukte m ü s s e n , nach der besondern Beschaffenheit unseres Verstandes, v o n u n s , ihrer Möglichkeit nach absichtlich und als Zwecke erzeugt, b e t r a c h t e t 79
Vgl. P. Baumanns (1965) S. 102 ff.; K. Düsing (1986) S. 89 f., 261 ff.; P. McLaughlin S. 43 f.; M. Frank/V. Zanetti S. 1268 ff., insb. S. 1279. 80 Vgl. oben Anm. 61 (S. 107), ferner M. Frank/V. Zanetti S. 1269 f. 81 Vgl. insb. R. Löw (1980) S. 138-153; M. Frank/V. Zanetti S. 1268 ff. 82 Vgl. P. Baumanns (1965) S. 102 f.
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w e r d e n , ohne doch darum zu verlangen, daß es wirklich eine besondere Ursache, welche die Vorstellung eines Zwecks zu ihrem Bestimmungsgrunde hat, gebe« (KU, 346; nach Weischedel-Ausgabe).
Das bedeutet zugleich, »daß respektiv auf unser Erkenntnisvermögen der bloße Mechanism der Natur für die Erzeugung organisierter Wesen auch keinen Erklärungsgrund abgeben« kann (KU, 317 f.). Hieraus folgt andererseits nicht, »daß die mechanische Erzeugung eines solchen Körpers unmöglich sei; denn das würde so viel sagen als: es sei eine solche Einheit in der Verknüpfung des Mannigfaltigen f ü r j e d e n V e r s t a n d unmöglich (d.i. widersprechend) sich vorzustellen, ohne daß die Idee derselben zugleich die erzeugende Ursache derselben sei, d.i. ohne absichtliche Hervorbringung« (KU, 351; vgl. 359, 362, 367, 374 f.). Der Grund liegt darin, daß wir weder die Unendlichkeit der besonderen Naturgesetze überschauen können noch den ersten inneren Grund des Mechanismus selbst einsehen (vgl. KU, 317, 328 f., 338). Letzterer »liegt im übersinnlichen Substrat der Natur, wovon wir nichts bejahend bestimmen können, als daß es das Wesen an sich sei, von welchem wir bloß die Erscheinung kennen« (KU, 374). Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit einer objektiven Begrenzung des Mechanismus für uns, selbst wenn wir auch alle besonderen Naturgesetzen erkennen könnten: »Daß dann aber auch in der Natur, wenn wir bis zum Prinzip derselben in der Spezifikation ihrer allgemeinen uns bekannten Gesetze durchdringen könnten, ein hinreichender Grund der Möglichkeit organisierter Wesen, ohne ihrer Erzeugung eine Absicht unterzulegen (also im bloßen Mechanismus derselben), gar nicht verborgen liegen k ö n n e ; das wäre wiederum von uns zu vermessen geurteilt; denn woher wollen wir das wissen?« (KU, 338).
Unser Verstand muß in seiner Erkenntnis »vom Allgemeinen zum Besonderen und so zum Einzelnen (durch Begriffe)« (KU, 347), genauer, »von den Teilen als allgemein gedachten Gründen zu verschiedenen darunter zu subsumierenden möglichen Formen als Folgen fortgehen« (KU, 349), wobei der Verstand in Hinsicht der 133
Mannigfaltigkeit des Besonderen a priori nichts bestimmt, und insbesondere seine »Vorstellung des Ganzen die Z u f ä l l i g k e i t der Verbindung der Teile […] in sich enthält, um eine bestimmte Form des Ganzen möglich zu machen« (ebd.). Die Vernunft hat ihrer Natur gemäß ein unumgängliches Bedürfnis (Interesse), die Gesetzlichkeit in der Zufälligkeit der Form des Besonderen zu erkennen. Dies ist der subjektive Grund dafür, daß die Urteilskraft, wenn sie die besondere Naturgesetzlichkeit der Dinge erkennen oder auch die Möglichkeit der Hervorbringung derselben begreifen will, ein subjektives Prinzip der natürlichen Kausalität nach Zwecken (Technik der Natur) annehmen muß.83 Daher heißt Zweckmäßigkeit der Natur »Gesetzlichkeit des Zufälligen« (KU, 344) oder »Gesetzmäßigkeit des Zufälligen als eines solchen« (EE, XX217 f.).84 Dadurch wird das Besondere der Natur unbeschadet des regulativen Prinzips der Zufälligkeit rationalisiert (vgl. KrV, A616/B644), wenn man eine solche Naturtheorie, die auf so etwas wie Zufall rekurriert, nicht akzeptieren will. »Diese Z u f ä l l i g k e i t seiner Form bei allen empirischen Naturgesetzen in Beziehung auf die Vernunft, da die Vernunft, welche an einer jeden Form eines Naturprodukts auch die Notwendigkeit derselben erkennen muß, wenn sie auch nur die mit seiner Erzeugung verknüpften Bedingungen einsehen will, gleichwohl aber an jener gegebenen Form diese Notwendigkeit nicht annehmen kann, ist selbst ein Grund, die Kausalität desselben so anzunehmen, als ob sie eben darum nur durch Vernunft möglich sei; diese aber ist alsdann das Vermögen, nach Zwecken zu handeln (ein Wille); und das Objekt, welches nur als aus diesem möglich vorgestellt wird, würde nur als Zweck für möglich vorgestellt werden« (KU, 285; vgl. 344, 345 f.; EE, XX234 f.). 83
Ganz in diesem Sinne betont Düsing die Wichtigkeit des Begriffs der Technik der Natur für den teleologischen Weltbegriff: »Wichtiger als der regulative Sinn dieses Prinzips für die Gewinnung besonderer Naturerkenntnisse ist jedoch die Bedeutung dieser Idee für den Weltbegriff selbst, in deren Licht wir nun überhaupt die Gesetzlichkeit des Besonderen in der Natur sehen« (K. Düsing 1986, S. 126). 84 Vgl. auch EE, XX228, XX240 f., XX243; KU, XXXIII f., 361, 268 f.
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Wir können ein reales Ganzes der Natur »nur als Wirkung der konkurrierenden bewegenden Kräfte der Teile« (KU, 349), d.h. mechanisch begreifen. Daß ein reales Ganzes seinen Teilen vorhergeht und sie möglich macht, ist nach der Beschaffenheit unseres Verstandes unmöglich. Das bedeutet aber nicht, daß es für einen intuitiven, »architektonischen« (vgl. KU, 317) Verstand auch unmöglich sei. Die Idee eines intuitiven Verstandes dient hier bloß als ein Vergleichsbegriff, an dem unser Verstand gemessen und in seiner Beschaffenheit und Begrenztheit charakterisiert wird.85 Wie aber ein intuitiver Verstand einen Organismus möglich macht, kann unser diskursiver Verstand gar nicht einsehen. Der Grund »der Unmöglichkeit, den Begriff einer Technik der Natur dogmatisch zu behandeln, ist die Unerklärlichkeit eines Naturzwecks« (KU, § 74). Ein reales Ganzes als Ursache seiner Teile und der Verbindung derselben ist für uns unmöglich. Wir können uns die Möglichkeit der inneren Organisation des Organismus nur durch eine Analogie mit der Zweckkausalität in der technisch-praktischen Herstellung widerspruchsfrei denken, ohne jedoch Anspruch auf die objektive Realität der Idee des Naturzwecks zu machen, indem »die V o r s t e l l u n g eines Ganzen den Grund der Möglichkeit der Form desselben und der dazu gehörigen Verknüpfung der Teile enthalte. Da das Ganze nun aber alsdann eine Wirkung (P r o d u k t ) sein würde, dessen V o r s t e l l u n g als die U r s a c h e seiner Möglichkeit angesehen wird, das Produkt aber einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung ihrer Wirkung ist, ein Zweck heißt: so folgt daraus, daß es bloß eine Folge aus der besonderen Beschaffenheit unseres Verstandes sei, wenn wir Produkte der Natur nach einer anderen Art der Kausalität, als der der Naturgesetze der Materie, nämlich nur nach der der Zwecke und Endursachen,
85
»Es ist hierbei auch gar nicht nötig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, sondern nur, daß wir in der Dagegenhaltung unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee (eines intellectus archetypus) geführt werden, diese auch keinen Widerspruch enthalte« (KU, 350 f.; vgl. auch KU, XXVII f.; KrV, A577 f./B605 f., A579/B607).
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uns als möglich vorstellen, und daß dieses Prinzip nicht die Möglichkeit solcher Dinge selbst (selbst als Phänomene betrachtet) nach dieser Erzeugungsart, sondern nur die unserem Verstande mögliche Beurteilung derselben angehe« (KU, 349 f.; vgl. 269 f., 295, 330 f.).
Dieses komplexe Gedankenkonstrukt der organischen Zweckmäßigkeit ohne Rücksicht auf irgendeinen realen (objektbestimmenden) Zweck enthält vier grundlegende Unterscheidungen Kants, die auf der Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes beruhen: Es ist dem Menschen unumgänglich notwendig, erstens Möglichkeit86 und Wirklichkeit der Dinge sowie zweitens Zufälligkeit und Notwendigkeit derselben 87 , und drittens Natur- und Vernunftkausalität (vgl. KU, 343 f., 424) zu unterscheiden. Daß wir nur zwei Typen der Kausalität kennen, ist eine der Grundvoraussetzungen der kritischen Philosophie. Die Urteilskraft verbindet beide in einem heautonomen Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur durch eine doppelte Analogie mit der technisch- und moralisch-praktischen Zweckmäßigkeit. Viertens müssen die Teile eines Realen ihrem zusammengesetzten Ganzen vorhergehen. Wir sehen die Notwendigkeit der Zusammensetzung der Teile zu einem Ganzen nur ein, wenn wir die Vorstellung des Ganzen vor seiner Zusammensetzung als Grund der Verknüpfung der Teile begreifen können. Ohne hier auf die Doppelstruktur 88 des Kantischen Zweckbegriffs einzugehen, will ich kurz anhand der Struktur der technischen Herstellung die Rechtfertigung der Anwendung des Zweckbegriffs auf die Beurteilung des Organismus als Naturzweck darlegen. Kant gebraucht hierbei den Zweckbegriff ganz im Sinne der transzendentalen Erklärung desselben in § 10 der KU. Dort heißt Zweck der 86
Zur Unterscheidung zwischen der logischen Möglichkeit (der Begriffe) und realen Möglichkeit (der Dinge), oder zwischen Denken und Erkennen vgl. KrV, BXXVI Anm.; A596/B624 Anm., A244/B302. Zur letzteren siehe § 3, S. 152 f. 87 Vgl. KU, 340 ff., 331. Siehe auch die regulativen Prinzipien der Notwendigkeit und Zufälligkeit in der KrV, A616-20/B644-48. 88 Zweck (Ziel) wird einmal als realisierter Gegenstand (Wirkung) angesehen, ein andermal als Vorstellung oder Begriff (Endursache) des zu-realisierenden Gegenstandes, d.h. als Grund der Wirklichkeit desselben (vgl. z.B. KU, XXVIII). – Zur Doppelstruktur des Zweckbegriffs vgl. § 4, S. 265 f.
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Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser der reale Grund der Möglichkeit seines Gegenstandes ist. Die Kausalität eines Begriffs in Ansehung seines Gegenstandes ist die Zweckmäßigkeit (forma finalis). Dabei ist die Vorstellung der Wirkung (Gegenstand) der Bestimmungsgrund ihrer (wirkenden) Ursache und geht der letzteren vorher (vgl. KU, 32 f.). Die Wirkursache wird hier als Mittelursache unter der Leitung der Endursache (Vorstellung des Ganzen) auf die Wirkung (das Ganze) gerichtet (vgl. KU, 291, 319, 361 f., 374). »Zweckmäßig […] heißt ein Objekt oder Gemütszustand oder eine Handlung auch, wenngleich ihre Möglichkeit die Vorstellung eines Zwecks nicht notwendig voraussetzt, bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und beg-
riffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken, d. i. einen Willen, der sie nach der Vorstellung einer gewissen Regel so angeordnet hätte, zum Grunde derselben annehmen« (KU, 33).
Diese allgemeine Bestimmung der subjektiven formalen Zweckmäßigkeit der Natur ohne dogmatische Behauptung der objektiven Realität des Zweckbegriffs ist grundlegend für alle Arten der Zweckmäßigkeit der Natur in der KU. Die bloß formale, innere Betrachtung des Organismus als Naturzweck wird von der Frage nach dem Zweck seiner Existenz abstrahiert, welcher entweder relativ (äußerlich) von anderen Naturzwecken abhängig ist oder selbst als Endzweck angesehen werden muß (vgl. KU, 300). Durch die teleologische Beurteilung »der inneren Möglichkeit gewisser Naturformen wird unbestimmt gelassen, ob die Zweckmäßigkeit derselben absichtlich, oder unabsichtlich sei« (EE, XX236; vgl. KU, 307 f.). Der wesentliche Unterschied zwischen Artefakten und zweckmäßigen Naturprodukten besteht darin, daß die »hervorbringende Ursache« der Kunstprodukte »und ihrer Form nicht in der Natur (dieser Materie), sondern außer ihr in einem Wesen, welches nach Ideen eines durch seine Kausalität möglichen Ganzen wirken kann, enthalten« ist (KU, 292; vgl. 290). Das Charakteristische in der inneren Selbstorganisation des Organismus ist das Phänomen der Produktivität, die durch Begriffe der Ganzheit und Selbsterzeugung beschrieben werden kann. Beide Begriffe vereinigen sich in dem der 137
Hervorbringung des »Ganzen aus eigener Kausalität« (KU, 291).89 Die Selbsterzeugung, nämlich Fortpflanzung (gattungsmäßig), Wachstum (Sich-Fortbilden), Sich-Erhalten und Sich-Erneuern, macht den wesentlichen Unterschied eines organischen vom einem anorganischen Gebilde (System) aus, welcher allein durch den Begriff der Ganzheit unzureichend charakterisiert wird. Beim Organismus wird die Idee des Ganzen »nicht als Ursache – denn da wäre es ein Kunstprodukt –, sondern als Erkenntnisgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist, für den, der es beurteilt«, betrachtet (KU, 291). Die erste Beurteilungsart wäre für einen architektonischen Verstand als Weltursache möglich. Kant wechselt die Gesichtspunkte hin und her in ein und demselben Kontext, ohne es zu erwähnen, wie der anschließende Text des Zitats sich zeigt: »Zu einem Körper also, der an sich und seiner inneren Möglichkeit nach als Naturzweck beurteilt werden soll, wird erfordert, daß die Teile desselben einander insgesamt, ihrer Form sowohl als Verbindung nach, wechselseitig und so ein Ganzes aus eigener Kausalität hervorbringen, dessen Begriff wiederum umgekehrt (in einem Wesen, welches die einem solchen Produkt angemessene Kausalität nach Begriffen besäße) Ursache von demselben nach einem Prinzip sein, folglich die Verknüpfung der w i r k e n d e n U r s a c h e n zugleich als W i r k u n g d u r c h E n d u r s a c h e n beurteilt werden könnte« (KU, 291; vgl. 319, 361 f., 374).
Obwohl der Naturzweck »nach einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken überhaupt« (KU, 295) konzipiert wird, kann er eigentlich durch keine Analogie mit irgendeiner Kausalität, die wir kennen, adäquat erfaßt werden (vgl. KU, 293 f., 309 f., 329 f., 337 f.). Der Begriff des Naturzwecks ist zwar für uns eine bloße Idee, welche nur in bezug auf einen intuitiven Verstand als Weltursache (Urgrund der Natur) uns verständlich wird, »aber die ihr gemäße Folge (das Produkt selbst) ist doch in der Natur gegeben, und der Begriff einer Kausalität der letzteren, als eines nach Zwe89
Vgl. P. Bommersheim (1927) S. 292.
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cken handelnden Wesens, scheint die Idee eines Naturzwecks zu einem konstitutiven Prinzip desselben zu machen, und darin hat sie etwas von allen anderen Ideen Unterscheidendes« (KU, 345). Der Begriff des Organismus ist nach Kant zwar nicht identisch mit dem des Naturzwecks, aber mit ihm jedoch unzertrennlich verbunden. Dieser Begriff hat »objektive Realität« (KU, 295), weil der mit ihm korrespondierende Gegenstand in der Natur gegeben ist. Das Urteil über ihn als Naturzweck kann aber nicht bestimmend sein, sondern reflektierend, weil »der Gegenstand zwar in der Erfahrung gegeben, aber darüber der Idee gemäß gar nicht einmal b e s t i m m t (geschweige völlig angemessen) ge u r t e i l t , sondern nur über ihn reflektiert werden kann« (KU, 345; vgl. 331, 342). Irreführend sagt Kant am Ende von § 65 der KU, daß der Organismus als Naturprodukt dem Begriff des Zwecks der Natur »objektive Realität« verleiht, und »dadurch für die Naturwissenschaft den Grund zu einer Teleologie« verschafft (KU, 295). Außer dieser Stelle unterscheidet Kant sonst Organismus als Phänomen deutlich von demselben als Naturzweck, d.h. als regulativer Idee der reflektierenden Urteilskraft, welche im allgemeinen, einschließlich des Begriffs der Schönheit und der ästhetischen Idee (vgl. KU, 193), nur Quasi-Objektivität hat. Nach Eigentümlichkeiten unseres Erkenntnisvermögens werden wir leicht verleitet, das Subjektive von uns selbst »als objektive Prädikate auf die Sachen selbst« zu übertragen (KU, 344; vgl. KrV, A297 f./B353 f.). Das kritische Prinzip der Naturteleologie ist eine »bloße Maxime der Urteilskraft, wobei der Begriff jener Kausalität eine bloße Idee ist, der man keineswegs Realität zuzugestehen unternimmt, sondern sie nur zum Leitfaden der Reflexion braucht, die dabei für alle mechanische Erklärungsgründe immer offen bleibt und sich nicht aus der Sinnenwelt verliert« (KU, 318). Der Begriff des Naturzwecks ist daher kein Begriff von einem Objekt, sondern er kann nur kritisch gebraucht werden.90 Er dient eigentlich für die reflektierende Urteilskraft zur »Naturbeschreibung«, nicht für die bestimmende zur »Naturerklärung«, welche für uns nur durch Naturmechanismus möglich ist (vgl. KU, 365 f.). Oh90
Vgl. EE, XX234 f.; KU, 269 f., 294, 315, 330 f., 332, 341, 356, 368 u.ö.
139
ne Prinzip der Naturkausalität »kann keine Einsicht in die Natur der Dinge erlangt werden« (KU, 354), kann »es überhaupt keine Naturwissenschaft geben« (KU, 368). Dies ergibt sich nach dem neuzeitlichen verum-factum-Prinzip, das etwa so lautet: »nur so viel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst machen und zu Stande bringen kann« (KU, 309).91 Also müssen wir beim »Studium der Natur nach ihrem Mechanism an demjenigen festhalten, was wir unserer Beobachtung oder den Experimenten so unterwerfen können, daß wir es gleich der Natur, wenigstens der Ähnlichkeit der Gesetze nach, selbst hervorbringen könnten« (ebd.). Der Grundsatz der Kantischen Teleologie (i.w.S.) lautet also: »alle Produkte und Ereignisse der Natur, selbst die zweckmäßigsten, so weit mechanisch zu erklären, als es immer in unserem Vermögen (dessen Schranken wir innerhalb dieser Untersuchungsart nicht angeben können) steht, dabei aber niemals aus den Augen zu verlieren, daß wir die, welche wir allein unter dem Begriffe vom Zwecke der Vernunft zur Untersuchung selbst auch nur aufstellen können, der wesentlichen Beschaffenheit unserer Vernunft gemäß, jene mechanischen Ursachen ungeachtet, doch zuletzt der Kausalität nach Zwecken unterordnen müssen« (KU, 363; vgl. XXXIV, XXXVIII, 315 f., 318, 360, 367, 374 f. u.ö.).
91
Vgl. die berühmte Stelle in Kants Brief an J. S. Beck vom 01.07.1794, 676: »Wir können aber nur das verstehen und anderen mitteilen, was wir selbst m a c h e n können, vorausgesetzt, daß die Art, wie wir etwas a n s c h a u e n , um dies oder jenes in eine Vorstellung zu bringen, bei allen als einerlei angenommen werden kann. Jenes ist nun allein die Vorstellung eines Zusammengesetzten. Denn: […] Die Zusammensetzung können wir nicht als gegeben wahrnehmen, sondern wir müssen sie selbst machen: wir müssen z u s a m m e n s e t z e n , wenn wir uns etwas als zusammengesetzt vorstellen sollen […]. In Ansehung dieser Zusammensetzung nun können wir uns einander mitteilen«. – Vgl. dazu auch KrV, BXIII; Anthr., A117/VII197; Ton, A414 f./VIII401 Anm.; Fortschritte, A40 f./XX271 f., A203 f./XX332; Brief an J. Plückner am 26.01.1796, 714; Logik-Pölitz, XXIV540; Logik-Dohna, XXIV731; Wiener Logik, XXIV846 f.; R2394, XVI344 und R2398, XVI345; ferner J. Simon S. 380, 382; M. Baum (1984) S. 161 ff. – Zum historischen Hintergrund des verum-factum-Prinzips mit kritischer Bemerkung vgl. R. Brandt (1999) S. 177 f.
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2.2.2 Pragmatische Aufgabe der Urteilskraft »Alles in der Welt ist irgend wozu gut, nichts ist in ihr umsonst« (KU, 300 f.). Diese ausgeweitete naturteleologische Weltbetrachtung, nämlich »die Welt, als ein nach Zwecken zusammenhängendes Ganze und als S y s t e m von Endursachen anzusehen« (KU, 413) setzt nach Kant eine Selbstbetrachtung des Menschen voraus, wodurch wir den Menschen »als moralisches Wesen für den Zweck der Schöpfung anerkennen« (ebd.), da der Begriff des Endzwecks der Natur allein aus dem des Zwecks derselben nicht abgeleitet werden kann. Die Erfahrung berechtigt uns in der bloß formalen Betrachtung der inneren Selbstorganisation der Naturdinge als Naturzwecke, nur eine idealistische absichtslose Naturtechnik (technica naturalis) anzunehmen. Der Mensch als vernünftiges Naturwesen ist verpflichtet, die Welt aus seiner inneren Zweckbestimmung von sich aus zu gestalten, und ist dazu auch vermögend, »sich nach seinen von ihm selbst genommenen Zwecken zu perfektionieren« (Anthr., A315/VII321). 92 Daher erhält das Prinzip der Urteilskraft eine »pragmatische« Bedeutung im Kantischen Sinne. »Die physiologische Menschenkenntnis geht auf die Erforschung dessen, was die N a t u r aus dem Menschen macht, die pragmatische auf das, was e r , als freihandelndes Wesen, aus sich selber macht, oder machen kann und soll« (Anthr., AIV/VII119).
In »pragmatischer« Hinsicht betrachten sich Menschen selbst nicht mehr bloß als Weltzuschauer, sondern vielmehr als »Weltbürger« (Anthr., AVI/VII120) oder »Weltbewohner« (Op. post., XXI31, 93).93 In diesem Sinne könnte die Welt als »Lebensraum« betrachtet werden, in dem Menschen ihre Geschicklichkeit entfalten und Kultur entwickeln können. 92 93
Vgl. oben Anm. 44 (S. 94 f.) und Anm. 62 (S. 111). Vgl. Kants Unterscheidung von »Welt kennen« und »Welt haben« in der Anthropologie (AVII/VII120): »Noch sind die Ausdrücke: die Welt k e n n e n und Welt h a b e n in ihrer Bedeutung ziemlich weit auseinander; indem der eine nur das Spiel v e r s t e h t , dem er zugesehen hat, der andere aber m i t g e s p i e l t hat«.
141
Dementsprechend muß die ursprüngliche Bestimmung der Urteilskraft erweitert bzw. vertieft werden, um das neuentdeckte reflektierende Moment derselben zu umfassen. Das kritische Bewußtsein der Heautonomie (Selbstgesetzlichkeit) der reflektierenden Urteilskraft verweist schon darauf, daß die vertiefende Auffassung der Urteilskraft ins Zentrum der Spontaneität des Verstandes überhaupt gerückt werden muß, um von dort her die Urteilskraft, als Instanz der Ausführung der von Verstand und Vernunft gegebenen objektiven Gesetze, und ihre heautonome Funktion aufzuklären, indem die Urteilskraft sich in einer von der Vernunft überhaupt selbstobjektivierenden Welt nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur orientiert. R. A. Makkreel (1997, S. 211 ff.) verbindet die Funktion der Reflexion und Orientierung in der reflektierenden Urteilskraft (bzw. dem reflektierenden Gebrauch der Einbildungskraft), wodurch die reflektierende Urteilskraft interpretierende Funktion für die Wissenschaft und Lebenswelt besitzt. – K. Düsing (1986, 1981) sieht im Prinzip der reflektierenden Urteilskraft einen teleologischen Weltbegriff als Orientierungsprinzip für den Menschen in der konkreten Lebenswelt. Der teleologische Weltbegriff stiftet nicht nur die Einheit der Welt, sondern zeigt zugleich die Möglichkeit des Übergangs von der Natur zur Freiheit durch die Kultur des Menschen als letzten Zweck der Natur (vgl. insb. 1986, S. 206 ff.). – M. Brumlik verbindet Urteilskraft und Gemeinsinn (Intersubjektivität) und sucht von daher den »Zusammenhang der drei Kritiken als System« (S. 5, vgl. 202 ff.) durch das heautonome Prinzip der reflektierenden Urteilskraft zu erklären. – K. W. Zeidler (S. 195 ff., insb. S. 204 ff.) sucht die Einheit des Vernunftgebrauchs in der Selbstobjektivierung der Vernunft darzulegen, wodurch die Einheit derselben nicht nachträglich hinzukommt, indem das Denken sich in seiner reflexiven Struktur positiv (ostensiv) äußert. Als Nachweis seiner Interpretation verweist er auf die neu entworfene Ideenlehre im Opus postumum. »›Tr[anszendental] Philosophie] als das Bewußtseyn des Vermögens vom System seiner Ideen in theoretischer so wohl als praktischer Hinsicht Urheber zu seyn‹ (Op. post., AA XXI, S. 93), mithin als ›das System des reinen Idealismus der Selbstbestimmung 142
des denkenden Subjects‹ (ibid., S. 92) zu begreifen, welches die Kausalität aus Freiheit nicht der vorweg bestimmten Naturnotwendigkeit erst entgegensetzt, sondern beide vermittelt weiß im ›Cosmotheoros der die Elemente der Welterkenntnis a priori selbst schafft aus welchen er die Weltbeschauung als zugleich Weltbewohner zim[m]ert in der Idee‹ (ibid., S. 31)« (Zeidler, S. 209). Die Urteilskraft soll und muß in einem »Labyrinth« (EE, XX214) des Mannigfaltigen der Erscheinungen eine vernunftgemäße Welt nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Fassungskraft gestalten. Die »gereifte Urteilskraft« (KrV, AXI) urteilt nicht aus einem privaten, sondern aus einem allgemeinen Standpunkt. In diesem Sinne läßt sich die Urteilskraft in der KU als Spontaneität der Subjektivität des konkreten Subjekts überhaupt interpretieren, die sich im Denken, Handeln und Fühlen äußert. In der Vorrede zur KU (VII; vgl. 111 f., 155, 156 ff.) heißt es, daß der richtige Gebrauch der Urteilskraft so notwendig und allgemein erforderlich für den Gebrauch des Verstandes ist, daß man Urteilskraft auch als gesunden Verstand94 bezeichnen kann, der als Gemeinsinn (sensus 94
»Um die Menschen nach ihrem Erkenntnisvermögen (dem Verstande überhaupt) zu beurteilen, teilt man sie in diejenigen ein, denen G e m e i n s i n n (sensus communis), der freilich nicht g e m e i n (sensus vulgaris) ist, zugestanden werden muß, und in Leute von W i s s e n s c h a f t . Die erstern sind der Regeln Kundige in Fällen der Anwendung (in concreto), die andern für sich selbst und vor ihrer Anwendung (in abstracto). — Man nennt den Verstand, der zu dem ersteren Erkenntnisvermögen gehört, den g e s u n d e n Menschenverstand (bon sens), den zum zweiten den h e l l e n K o p f (ingenium perspicax)« (Anthr., A23/VII139; vgl. KU, 156 f.; R430, XV173). – »Der gesunde Verstand aber kann diese seine Vorzüglichkeit nur in Ansehung eines Gegenstandes der Erfahrung beweisen; nicht allein d u r c h diese an Erkenntnis zu wachsen, sondern sie (die Erfahrung) selbst zu erweitern, aber nicht in spekulativer, sondern bloß in empirisch-praktischer Rücksicht. Denn in jener bedarf es wissenschaftlicher Prinzipien a priori; in dieser aber können es auch Erfahrungen, d.i. Urteile sein, die durch Versuch und Erfolg kontinuierlich bewährt werden« (Anthr., A24/VII140). Zur Gleichsetzung der Urteilskraft mit dem gesunden Verstand vgl. noch KrV, A132 f./B171 f.; R1861, XVI139, R1575, XVI14 f.; Briefe an Alexander Fürst von Beloselsky 1792, 575 u. 944 (vgl. A. Gulyga S. 330, 333 f.); ferner A. Baeumler S. 186 ff, 281 ff., 292 ff. – Zur Unterscheidung von gesundem und spekulativem Gebrauch des Erkenntnisvermögens vgl. Prol., A196 f./IV369 f.;
143
communis) eine wesentliche Rolle in der KU für die Mitteilbarkeit (oder Allgemeingültigkeit) des Urteils spielt. Obwohl Kant den Gemeinsinn aufgrund der praktischen Überlegung, insbesondere der moralisch-praktischen Beurteilung unserer Handlung zunehmend positiv bewertet,95 ist das kritische Verfahren der Vernunft überhaupt mit der Heautonomie der Urteilskraft nicht einfach gleichzusetzen. Denn die »Kritik« hat nicht nur einen negativen, sondern auch einen positiven Nutzen, nämlich eine Metaphysik als Wissenschaft auf dem Boden der »Kritik« zu gründen (vgl. z.B. KrV, AXII). Dies wird im Titel der populären Schrift der Prolegomena zur Erläuterung der ersten Kritik unmißverständlich ausgedrückt: »Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können«. Die Funktion der Urteilskraft sollte nicht überinterpretiert werden,96 auch wenn sie in der KU als »Vermögen zu urteilen selbst« PM163 f.; Jäsche Logik, A29/IX27; Logik-Pölitz, XXIV503 f.; Logik-Dohna, XXIV696 f. 95 Zur positiven Bewertung und zugleich kritischen Einschränkung des Gemeinsinns vgl. obige Anm. 94 (Anthr., A23 f./VII139 f.) – Kant bewertet in den Prolegomena (A197 f./IV 369 f.; dazu Logik-Pölitz, XXIV503 f.) den gemeinen Verstand (Verstandesgebrauch in concreto) in Gegenüberstellung zum spekulativen Verstand (Verstandesgebrauch in abstracto) noch verhältnismäßig negativ. In der Logik-Dohna drückt sich Kant wie folgt aus: »Der gemeine Verstand ist das Vermögen nach Regeln in concreto urteilen zu können. (Nicht der schlichte. Dies Wort ist absurd.) Der gemeine Verstand heißt der gesunde, wenn er richtig ist. Die Moral muß ganz in concreto erkannt werden, aber Physik hat auch abstracta« (XXIV696 f.). – Zum Einfluß Rousseaus auf Kants Wertschätzung der Menschheit und ihrer Würde vgl. die Stelle auf Seite XX44 der Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, dazu E. Cassirer S. 251, 94 und M. Rischmüller S. 38, 188 f., 154 f., 174 f., 181 f., 192 f. Was Kant fremd gewesen ist, bis Rousseau ihn »zurechtgebracht« hat, ist das »Gefühl für die Würde des Menschen« (M. Rischmüller S. 188). – Zur Orientierung des Denkens im Feld des Übersinnlichen an »(moralisch) gesunder Vernunft« (S. i. D. orient., A320/VIII142) siehe oben Anm. 10 (S. 75). – Ferner vgl. das intellektuelle Interesse der Vernunft an der Verwirklichung ihrer Ideen in der KU (§ 42) und R1578, XVI16 f. 96 R. Zocher (1959, S. 103 f.) hebt die Heautonomie (Selbstgesetzlichkeit) der Urteilskraft als »Intrafundierung« der Sachphilosophie (Metaphysik) in Gegenüberstellung zur Autonomie des Verstandes und der Vernunft als »Extrafun-
144
(145) bezeichnet und ihr eine systematische Funktion für den »Übergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der Natur zu der nach Prinzipien der Freiheit« (KU, XX) zugesprochen wird. Im Begriff der Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft sammeln sich zwar wesentliche Momente (Kritik, Urteilen und Reflexion) der »Kritik« der Vernunft überhaupt, aber sie alle bedeuten bei der Urteilskraft etwas ganz anderes als bei Verstand und bei Vernunft. Der Begriff der Kritik wird bei der Urteilskraft seine ursprüngliche Bedeutung als Sammlung und Vereinigung von empirischen Prinzipien noch beibehalten, während er bei Verstand und Vernunft gänzlich auf apriorische Prinzipien geht.97 Die Urteilskraft leistet von sich aus keinen Begriff für die Bestimmung des Objekts. Sie verwendet Verstandesbegriffe und Vernunftideen, verbindet sie und gibt sich die durch sie selbst von Verstand und Vernunft vermittelnden Begriffe als Prinzipien, um über Naturdinge oder unsere Handlungen zu reflektieren (vergleichen), um sie nach dem systematischen Zusammenhang zu beurteilen, und schließlich um sie in Beziehung auf ihren von uns unbekannten Grund zu begreifen (interpretieren) (vgl. KU, 387). Die Urteilskraft als Vermögen zu vergleichen, etwas Passendes auszuwählen, zu unterscheiden, anzuwenden ist die Instanz der Ausübung unseres gesamten Vermögens. Sie ist nicht frei von fremdem Einfluß (besonders durch die Einbildungskraft), und ein von sich aus subjektives und fehlbares Vermögen. Für sich irrt Sinnlichkeit dierung« derselben hervor und verbindet sie mit dem Gedanken einer »Letztfundierung« der kritischen Philosophie. Er sieht im Begriff der Heautonomie ein ursprüngliches Konzept der Kantischen Transzendentalität, das von Kant aber nicht zu Ende gebracht werde: »Das Sich-selbst-Gesetz-Sein, zunächst mit den Ausdrücken Freiheit und Absolutheit paraphrasierbar, kann auch als Insich-selbst-gegründet-sein gefaßt werden« (S. 104). Diese Betrachtung gerät aber dadurch in Gefahr, daß die Sinnlichkeit (das Besondere) als solche, die sich auf ein dem Subjekt fremdes Moment bezieht, zugunsten des Verstandes vernachlässigt wird. – Die Autonomie der menschlichen Vernunft ist im Hinblick auf die Endlichkeit derselben mit Rücksicht auf die Unerkennbarkeit des Übersinnlichen im Grunde nichts anderes als Heautonomie, aber in einem übergreifenden Sinne. – Zur Kritik an Zochers Auffassung vgl. auch W. Bartuschat (1972) S. 90 f. 97 Vgl. KU, 144; ferner A. Baeumler S. 283 f., 299 f., 289 f., 271 f.
145
nicht, weil sie nicht urteilt, sondern uns nur den Stoff zu urteilen liefert (vgl. Anthr., A30 ff./VII143 ff.). Verstand allein irrt nicht, »weil, wenn er bloß nach seinen Gesetzen handelt, die Wirkung (das Urteil) mit diesen Gesetzen notwendig übereinstimmen muß« (KrV, A294/B350). Verstand und Vernunft sind autonom (selbstgesetzgebend für andere). Urteilskraft ist einerseits heautonom (selbstgesetzgebend für sich selbst) und andererseits heteronom, wenn sie objektive Erkenntnis liefern will. »[A]lle Fehler der Subreption sind jederzeit einem Mangel der Urteilskraft, niemals aber dem Verstande oder der Vernunft zuzuschreiben« (KrV, A643/B671).
Begriffe und Ideen sind »nimmermehr an sich selbst dialektisch« (KrV, A669/B697), sondern bloß ihr Gebrauch kann dialektisch sein. Eine der Hauptaufgaben der Kritik der reinen Vernunft sieht Kant darin, »die Urteilskraft im Gebrauch des reinen Verstandes, durch bestimmte Regeln zu berichtigen und zu sichern, […] die Fehltritte der Urteilskraft […] zu verhüten« (KrV, A135/B174).
Die Kritik als »Selbsterkenntnis« ist nach Kant die Wirkung der »reifen Urteilskraft« (KrV, AXI). »Die Antinomie, die sich in der Anwendung der Gesetze offenbart, ist bei unserer eingeschränkten Weisheit der beste Prüfungsversuch der Nomothetik, um die Vernunft, die in abstrakter Spekulation ihre Fehltritte nicht leicht gewahr wird, dadurch auf die Momente in Bestimmung ihrer Grundsätze aufmerksam zu machen« (KrV, A424/B452; vgl. A464 f./B492 f., A471/B499). Die kritische Prüfung der Gesetzgebung der Vernunft benötigt zuerst eine »skeptische Methode« (ebd.; vgl. A485 ff./B513 ff., A738 ff./B766 ff:), die beweistechnisch indirekt apagogisch ist, und lediglich »auf Gewißheit geht« (KrV, A424/B451; vgl. A758 f./B786 f.), um die Grenzlinie unserer Erkenntnis zu sichern. Dementsprechend ist die Kritik nur ein »Traktat von der Methode« (KrV, BXXII), keine Doktrin, sondern die »P r o p ä d e u t i k zum System der reinen Vernunft« (KrV, A11/B25;
146
vgl. A841/B869, A850/B878).98 Das gibt Anlaß zu fragen, ob der Titel »Kritik der Urteilskraft« nicht treffender als »Kritik der reinen Vernunft« das ursprüngliche Konzept der Kritik wiedergebe.99 Dies kommt auch in Kants eigene Worte zum Ausdruck: »Die Kritik der Erkenntnisvermögen in Ansehung dessen, was sie a priori leisten können, hat eigentlich kein Gebiet in Ansehung der Objekte: weil sie keine Doktrin ist, sondern nur, ob und wie, nach der Bewandtnis, die es mit unseren Vermögen hat, eine Doktrin durch sie möglich sei, zu untersuchen hat. Ihr Feld erstreckt sich auf alle Anmaßungen derselben, um sie in die Grenzen ihrer Rechtmäßigkeit zu setzen. Was aber nicht in die Einteilung der Philosophie kommen kann, das kann doch, als ein Hauptteil, in die Kritik des reinen Erkenntnisvermögens überhaupt kommen, wenn es nämlich Prinzipien enthält, die für sich weder zum theoretischen noch praktischen Gebrauche tauglich sind« (KU, XX f.).
2.3 Vermittlung der Urteilskraft Solange das Wesen und die Funktion der Urteilskraft von Kant jedoch am Modell des dreigliedrigen Vernunftschlusses als Mittelglied von Verstand und Vernunft betrachtet wird, bleibt die Heautonomie der Urteilskraft der Autonomie des Verstandes und der Vernunft in der Weise untergeordnet, daß Urteilskraft sich immer in 98
Vgl. dazu noch De mundi, A29/II411; KrV, A761/B789, A293 ff/B349 ff., A642 f./B670 f., A709 ff./B737 ff., A738/B766, A786 f./B814 f., A795 f./B823 f.; KpV, A28/V14; EE, XX195, 201, 205, 242; KU, VI, XX f.; Wiener Logik, XXIV832 f., 859 ff.; Logik-Pölitz, XXIV545 f. – Zum Problem der Abgrenzung zwischen »Kritik« und »System« vgl. V. Gerhardt/Fr. Kaulbach (1989) S. 103 ff.; H. Mertens S. 47 f., 220 f.; N. Hinske (1970) S. 138, 33 f.; G. Lehmann (1969) S. 93 ff., 122 ff.; R. Zocher (1959) S. 71-75; M. Horkheimer, S. 80 ff.; H. Vaihinger (Bd. 1) S. 459 ff., 464 ff. 99 Vgl. G. Lehmann (1969) S. 298 f., 302, 294, 355.; A. Model (1987) S. 52; M. Riedel (1989) S. 7 ff, 13, 16, 23; M. Brumlik S. 164; ferner V. Gerhardt/Fr. Kaulbach (1989) S. 110 f.; K. Konhardt S. 316 f.; W. Bartuschat (1972) 250 ff.; A. Baeumler S. 300, 7 f., 13 f., 283 f.; R. Zocher (1959) S. 102-106.
147
bezug auf Prinzipien des Verstandes oder der Vernunft vollzieht. Bei heautonomen Prinzipien der Urteilskraft wird die Gültigkeit der Verstandesgesetze und Vernunftprinzipien im allgemeinen schon vorausgesetzt. In der KU wird nur die Rolle der Urteilskraft als Instanz der Ausführung der apriorischen Prinzipien der Vernunft überhaupt hervorgehoben; die Heautonomie bringt gerade die subjektiven apriorischen Bedingungen des Gebrauchs derselben zum Ausdruck (vgl. z.B. KU, 342). Kant betrachtet die Urteilskraft immer als Mittelglied und »Verband« von Verstand und Vernunft. Die Definition der (bestimmenden) Urteilskraft überhaupt in der KrV (A132/B171) ist auf die Funktion der Urteilskraft im Vernunftschluß (A304 f./B360 f.) zugeschnitten. Diese Orientierung hat eine erkenntnistheoretische Bedeutung. Alle Urteile müssen nach Regeln (Begriffen, Gesetzen oder Prinzipien) gefällt werden. Um über Wahrheit oder Irrtum der Urteile entscheiden zu können, müssen sie auf ihre Bedingungen zurückgeführt werden. Daher haben Urteile Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit. Kant rechtfertigt die Notwendigkeit der Trichotomie einer Einteilung »aus B e g r i f f e n a priori« (KU, LVII Anm.) durch die triadische Struktur des Begriffs der Synthesis, die zugleich als Syllogismus dargestellt werden kann. Eine philosophische, synthetische Einteilung a priori »muß nach demjenigen, was zu der synthetischen Einheit überhaupt erforderlich ist, nämlich 1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt, […] notwendig Trichotomie sein« (ebd.).100 Die nachstehende Übersicht, die ohne weitere Kommentierung zusammengestellt ist, kann neben den »Tafeln« der Dreiteilung der Vermögen in beiden Einleitungen in die KU (EE, XX246; KU, LVII) Aufschluß über den systematischen Zusammenhang der drei Erkenntnisvermögen geben. Es ist zu beachten, obwohl die Dreiteilung bei Kant sich an der formal-logischen orientiert, sie dennoch 100
Vgl. Jäsche Logik, A227 f./IX147; KrV, B111, A138/B177; Brief an Schultz vom 17.02.1784, 247 f.; R5854, XVIII370.
148
von vornherein unter transzendentallogischem Gesichtspunkt durch den Begriff der Synthesis geleitet und vorstrukturiert wird.101 Verstand
Urteilskraft
Vernunft
Begriff
Urteil
Schluß
transzendentallogisch 103
Regel (Gesetz)
Subsumtion (Anwendung, Unterscheidung)
Prinzip (Orientierung, Systematisierung)
logische Art der Vorstellung 104
reflektiert (diskursiv, allgemein, klar)
deutlich
Geschlossen
logische Kriterien aller Erkenntnis 105
Einheit (qualitative Einheit)
formal-logisch
Modal 106
102
Möglichkeit
101
Wahrheit Vollkommenheit (qualitative Viel- (qualitative Vollheit) ständigkeit) Wirklichkeit
Notwendigkeit
Vgl. z. B. KrV, A70/B95-A76/B101, A239/B298; Prol., A122 f./IV325 f. Anm.; Wiener Logik XXIV930; ferner J. Vuillemin S. 310 ff.; B. Longuenesse S. 132 ff.; M. Steckelmacher S. 10, 27 ff., 85 ff. 102 Vgl. KrV, B169, Logik- Dohna, XXIV703 f. 103 Vgl. KrV, B93 f., B171 f., B359-363, B383 f., B671 ff.; EE, XX201. 104 Vgl. KrV, B366 f.; Anthr., A20 f./VII137 f.; Logik-Dohna (XXIV762); Wiener Logik (XXIV937). 105 Vgl. KrV, B114 ff.; PM42 ff.; R4806, R4807, R4734, R5562, R5735, R5745. 106 Vgl. KrV, B266, B100 Anm; R6361, R1745.
149
Verstand
Urteilskraft
Vernunft
Anthropologisch 107
Was will ich?
Worauf kommt’s an?
Was kommt heraus?
Maxime 108
Selbst denken
Sich in die Stelle Jederzeit mit sich jedes anderen zu selbst einstimmig denken zu denken
Denkungsart 109
zwangfrei (vorurteilsfrei)
Spontaneität 110
liberal (erweitert)
konsequent
Vermögen zu denken, zu urteilen, zu reflektieren
Die Urteilskraft als Vermögen der Anwendung, »welches nur auf das geht, was tunlich ist, was sich schickt, und was sich geziemt (für technische, ästhetische und praktische Urteilskraft), ist nicht so schimmernd, als dasjenige, welches erweiternd ist; denn es geht bloß dem gesunden Verstande zur Seite und macht den Verband zwischen diesem und der Vernunft« (Anthr., A120/VII199; vgl. dazu A24/VII140, R1861, XVI139).
Darum ist es auch nicht befremdlich, wenn Kant in der EE im Kontext der Auffindung eines eigentümlichen apriorischen Prinzips der Urteilskraft ausdrücklich betont, daß »Urteilskraft […] ein so besonderes, gar nicht selbständiges Erkenntnisvermögen [ist], daß es weder, wie der Verstand, Begriffe, noch, wie die Vernunft, Ideen von irgend einem Gegenstande gibt, weil es ein Vermögen ist, bloß unter anderweitig gegebene Begriffe zu subsumieren« (EE, XX202; vgl. 208). 107
Vgl. Anthr., A165/VII227. Vgl. Anthr., A167/VII228, A122/VII200; KU, 158 ff.; R455, R456, R1486 (XV715 f.), R1508 (XV820); R2273; Jäsche Logik, A84/IX57. 109 Siehe Anm. 108. 110 Vgl. Spitzf., A30 ff./II59 f.; KrV, B94, B106, B366 f.; KU, 145; EE, XX201, 222, Prol., A62/IV288; PM156 ff.; Anthr., A14/VII134 Anm.; R409, XV165 f.; R425, XV171. 108
150
Urteilskraft ist kein Vermögen, »Begriffe von Objekten hervorzubringen, sondern nur mit denen, die ihr anderweitig gegeben sind, vorkommende Fälle zu vergleichen und die subjektive Bedingungen der Möglichkeit dieser Verbindung a priori anzugeben« (EE, XX225). So bleibt die KU bloß die »Kritik eines Vermögens […], welches nur zum Verknüpfen dient und daher für sich […] kein Erkenntnis verschaffen oder zur Doktrin irgend einen Beitrag liefern kann« (EE, XX246; vgl. KU, VI f., X, XXI f., XXIV f.).
Die Urteilskraft ist von sich aus nicht objektiv gesetzgebend, obwohl sie für sich selbst Gesetz geben kann und muß. Diese Bestimmung der Urteilskraft muß festgehalten werden. Entspringt ein Begriff (z.B. Zweckmäßigkeit der Natur) aus der Urteilskraft durch die Synthesis von dem Verstandesbegriff und der Vernunftidee, dann kann die Urteilskraft ihn nur zum Reflektieren, nicht zum Bestimmen gebrauchen. Wenn ein Begriff, z.B. der Naturzweck bloß in Beziehung auf Urteilskraft durch das Vergleichen mit dem Verstandesbegriff (Mechanismus der Natur) und der Vernunftidee (Idee des Systems) Dingen zwar objektiv beigelegt wird, – wenn diese Form an den Dingen angetroffen wird –, dient der Begriff jedoch nicht zum Bestimmen, sondern zum Beurteilen (vgl. z.B. EE, XX221).
151
§ 3 Reflexion und Darstellung der Urteilskraft Wir wenden uns nun der umfassenden Definition der Urteilskraft zu: »Urteilskraft überhaupt ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken« (KU, XXV). Die Betonung liegt auf dem »als … denken«, nicht auf »enthalten unter«.1 Kant verwendet nicht Worte wie ›erkennen‹ oder ›bestimmen‹, sonst wäre die Urteilskraft im allgemeinen nichts anderes als bestimmende. Andererseits ist zwischen Denken und Erkennen bei ihm strikt zu unterscheiden. »Etwas sich durch Begriffe, d.i. im allgemeinen vorstellen, heißt d e n k e n « (Fortschritte, A182/XX325). 2 Erkennen heißt aber etwas durch bestimmte Begriffe in concreto darstellen (vgl. Prol., A133/IV332), also synthetisch urteilen, folglich Objekte bestimmen (vgl. Fortschritte, A30/XX268; KrV, B166 Anm.). Erkennen setzt mithin das Denken voraus, umgekehrt gilt es aber nicht. Die Unterscheidung zwischen dem Erkennen durch bestimmte Begriffe und bloßem Denken in reinen (unschematisierten) Kategorien ist von großer Bedeutung für die Kantische Fundierung der Metaphysik durch die Kritik der reinen Vernunft.3 Adickes betont mit Recht die Wichtigkeit dieser Unterscheidung für die praktische Philosophie und die Einheit des Systems. 4 Darüber hinaus bemerkt Heimsoeth, daß diese Unterscheidung selbst für Kants Transzendentalphilosophie höchst bedeutsam ist, und er diese erst in der 2. Auflage besonders hervorgehoben hat.5
1
2
3 4
5
»Urtheilen ist: sich einen Begrif als unter dem andern enthalten (oder von ihm ausgeschlossen) vorstellen: 1. subiect unter Prädicat. 2. Folge unter dem Grunde. 3. Theil der Sphaere unter der Ganzen« (R3045, 90er, XVI631, vgl. auch KrV, A73/B98). Vgl. dazu Anthr., A115/VII196; Logik-Dohna, XXIV695; Logik-Mrongovius, XXIX1047; Jäsche Logik, A139/IX91. Vgl. E. Adickes (1924) S. 63 f. Vgl. E. Adickes (1924) S. 49 ff., insb. S. 52 ff. – Siehe dazu auch H. Heimsoeth (1970) S. 113. Vgl. H. Heimsoeth (1966) S.165.
»Einen Gegenstand e r k e n n e n , dazu wird erfordert, daß ich seine Möglichkeit, (es sei nach dem Zeugnis der Erfahrung aus seiner Wirklichkeit, oder a priori durch Vernunft) beweisen könne. Aber d e n k e n kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d. i. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist, ob ich zwar dafür nicht stehen kann, ob im Inbegriffe aller Möglichkeiten diesem auch ein Objekt korrespondiere oder nicht. Um einem solchen Begriffe aber objektive Gültigkeit (reale Möglichkeit, denn die erstere war bloß die logische) beizulegen, dazu wird etwas mehr erfordert. Dieses Mehrere aber braucht eben nicht in theoretischen Erkenntnisquellen gesucht zu werden, es kann auch in praktischen liegen« (KrV, BXXVI Anm.; vgl. B146 f.; B158; B166 Anm., B406, B428 ff., A596/B624 Anm. u.ö.).
Die allgemeine Bestimmung der Urteilskraft als denkende Subsumtion ist insofern geeigneter als die schlichte, gekürzte Bestimmung derselben als das »Vermögen der S u b s u mt i o n d e s B e s o n d e r n unter das Allgemeine« (EE, XX201), weil in jener der zugrundeliegende Reflexionsakt der Urteilskraft im Akt des Subsumierens hervorgehoben wird, und weil man unter ›Subsumieren‹ gewöhnlich das Bestimmen versteht.6 Die denkende Subsumtion ist zwar am logisch-gnoseologischen Gebrauch der Urteilskraft orientiert, aber sie ist dennoch durchaus kompatibel mit der ästhetischen Reflexion, die sich durch die Darstellung eines unbestimmten Begriffs charakterisieren läßt, obwohl sie nichts mit irgendeinem bestimmten Begriff zu tun hat.7 In der ästhetischen Reflexion bezieht die Urteilskraft eine bestimmte Gegenstandsanschauung auf Begriffe überhaupt, ohne dadurch eine Objekterkenntnis zu geben (vgl. KU, § 9). Die Urteilskraft paßt die sinnliche Formauffassung der Einbildungskraft ohne Leitung eines bestimmten Begriffs dennoch der Gesetzmäßigkeit des Verstandes spontan an, wodurch ein freies, wechselseitiges Spiel von der Einbildungskraft und dem Verstand in der gegebenen einzelnen Vorstellung stattfinden kann. Das Mannigfaltige in der Gegenstandsvorstellung wird dabei zusammengesetzt 6 7
Vgl. § 1, S. 55 f. Vgl. EE, XX221, 223, 232; KU, 11, 28 f., 45 f., 74 f., 70.
153
und gegliedert; diese Ordnung (Regelmäßigkeit) ist anschaulich, und bleibt stets in der Bewegung ohne gefesselt zu sein durch irgendeinen bestimmten Begriff, d.h. die ästhetische Formanschauung wird zwar auf Begriffe überhaupt, aber nicht unter einen bestimmten Begriff gebracht.8 Die anschauliche Form wird dabei nicht durch Begriffe gedacht, nämlich nicht als eine im Begriff mitgedachte Form. Die ästhetische Reflexion ist gleichsam ein anschauliches »Denken«. Der Begriff der Darstellung ist demnach umfassender und passender als der Begriff der Subsumtion, um das Wesen und die Funktion der Urteilskraft zu charakterisieren. Aber Kant gibt das logischgnoseologische Modell nicht auf, weil es nach ihm das einzige ist, was objektiv zu einem »allgemeinen Beziehungspunkt« (KU, 28) dienen kann. Er verwendet es als Orientierung, um die Struktur des Urteils oder der Beurteilung zu erklären, insbesondere dort, wo Urteile sich nicht auf das Objekt, sondern lediglich auf das Subjekt und dessen Zustand beziehen, denn alle Urteile, sofern sie Urteile sind, enthalten »immer noch eine Beziehung auf den Verstand« (KU, 4 Anm.), wobei »Verstand« hier im weiteren Sinne gebraucht wird. In der Kritik der ästhetischen Urteilskraft dient der Begriff der Subsumtion analog sogar zur Erklärung der freien und harmonischen Beziehung der Einbildungskraft zum Verstand im reinen Geschmacksurteil. Der »Geschmack, als subjektive Urteilskraft, enthält ein Prinzip der Subsumtion, aber nicht der Anschauungen unter B e g r i f f e , sondern des V e r mö g e n s der Anschauungen oder Darstellungen (d.i. der Einbildungskraft) unter das V e r mö g e n der Begriffe (d.i. den Verstand)« (KU, 146). Was das eigentlich bedeutet, erläutert Kant anhand der logischen Struktur des Urteils. Im Geschmacksurteil kennzeichnet das Prädikat ›schön‹ ein Gefühl der freien Lust des Subjekts. In der logischen Urteilskraft subsumiert man also »unter Begriffe, in der ästhetischen aber unter ein bloß empfindbares Verhältnis der an der vorgestellten Form des Objekts
8
Zum Unterschied der Beziehung der Anschauungen mit Begriffen in »Anschauungen auf Begriffe zu bringen« (Koordination) und »Anschauungen unter Begriffe zu bringen« (Subordination) vgl. unten Anm. 79 (S. 201 f.).
154
wechselseitig unter einander stimmenden Einbildungskraft und des Verstandes« (KU, 152). Trotz dieses Sachverhaltes könnte die kognitive Reflexion in Erkenntnisurteilen durch die denkende Subsumtion ohne große Schwierigkeit aufgeklärt werden. Das Unterordnen ist ein Moment in der »Funktion« des Urteilens. Die Urteilskraft, sofern sie in der Objektbestimmung aufgeht, dient dem Verstand oder der Vernunft. Aus dem Gesichtspunkt der Urteilskraft wird aber das Urteilen durch den Akt des Unterordnens betätigt. Insbesondere wenn von der empirischen Urteilskraft die Rede ist, schließt die Urteilshandlung in sich die einheitstiftende Funktion der Kategorien und die Orientierungsfunktion der Vernunftideen ein. Urteilen ist dann als Denkhandlung der Urteilskraft zu verstehen. Das mittelbare Verhältnis in der Subsumtion eines Urteils wird im allgemeinen zuerst nur »vorläufig« im Bewußtsein durch eine »Überlegung« in Gedanken gefaßt, wobei die Art der Gültigkeit der Beziehung und das Was der bezogenen Relata unbestimmt bleiben. Unter diesem Aspekt lassen sich unterschiedliche Arten des Urteils durch die Denkhandlung der Urteilskraft verständlich machen, wobei die subjektive und objektive Bedingung des Urteils umfaßt wird. Die objektive Bedingung wird unter dem Aspekt der Bestimmtheit der Subsumtion im Urteil betrachtet. Die Äquivokation des empirischen Bestimmens macht die Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft notwendig, weil unser Verstand nicht anschauend, sondern diskursiv ist. Der sogenannten »Kopernikanischen Wende« zufolge ist unser Verstand gesetzgebend für die Gegenständlichkeit der möglichen Erfahrung in objektiv-formaler Hinsicht. Die empirische Bestimmung von Dingen und ihre gesetzliche Verbindung bleibt aber auf spezifische Gegebenheiten des Empirischen angewiesen. Die empirische Urteilskraft muß bei ihrer kognitiven Aufgabe des Bestimmens einerseits Schemata und Grundsätze des Verstandes gebrauchen, um die Erfahrungsurteile objektiv gültig zu machen; sie muß sich anderseits auch auf die für uns zufälligen Naturgegebenheiten richten, um sie wahr (empirisch erfüllt) zu machen. Die empirische Urteilskraft bedarf eines systematischen Verfahrens, wodurch das im Denken »gemachte« 155
(Jäsche Logik, § 4) Allgemeine (empirische Begriffe, Regeln) und das in der Wahrnehmung gegebene Besondere (empirische Anschauungen) durchgängig passen. Das systematische Verfahren der empirischen Urteilskraft, wie sich noch zeigen wird, setzt ein heautonomes »G e s e t z d e r S p e z i f i k a t i o n d e r N a t u r in Ansehung ihrer empirischen Gesetze« (KU, XXXVII) voraus, d.h. »die Natur spezifiziert ihre allgemeinen Gesetze nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen« (ebd.). Die subjektive und zugleich objektiv gültige Bedingung der Möglichkeit des apophantischen Urteils wird von Kant in der transzendentalen Deduktion der Kategorien durch die Einheit des Bewußtseins begründet (vgl. KrV, § 17, § 27). Kant ist unzufrieden mit der formallogischen Urteilsdefinition, weil sie, modern ausgedrückt, bloß die syntaktische Reglementierung des Satzbaus beschreibt. Das Wesentliche in einer Urteilserklärung, nämlich die Bedingung der Möglichkeit der Subsumtion im Urteil wird aber dadurch nicht angegeben. Das Konzept der Einheit der transzendentalen Apperzeption ist in der KrV von vornherein auf die Objektivität der Erkenntnisurteile zugeschnitten. Dies wird durch die Urteilsdefinition in § 19 der transzendentalen Deduktion der Kategorien ausgedrückt als die »Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen« (B141 f.; vgl. B143).9 Daß die Vorstellungen zur objektiven Einheit des Bewußtseins gehören, bedeutet lediglich, daß sie nicht nach »Gesetzen der Einbildungskraft«, nämlich Regeln der Assoziation, sondern nach den Gesetzen des Verstandes zueinander gehören, d.h. sie sind »objektiv gültig vor [sc. für] jedes Wesen, das Verstand hat« (R3051, XVI633).10
9
Ähnlich gibt Kant in einer langen Anmerkung in der Vorrede zur MAN die transzendentale Definition des Urteilens als »Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objekts werden« (AXIX/IV475) an. – Zu Kants Urteilserklärung vgl. R. Stuhlmann-Laeisz S. 56, 58, 115; K. Reich S.40-46, D. Henrich (1976) S. 23-31. Daß Reich (S. 32, 42 f.) die Einheit der transzendentalen Apperzeption »in sensu logico« versteht und die Urteilsdefinition in § 19 der KrV folglich zur formalen Logik gehört, ist nicht treffend. 10 Vgl. dazu KrV, B134 f.; Prol., A88/IV304; R3045, XVI630; R5927, XVIII388 f.; R5930, XVIII390; ferner Wolfgang Becker S. 79. – Zur subjektiven und ob-
156
Die transzendentale Apperzeption ist kein individuelles Subjekt an einer bestimmten Raum-Zeitstelle, sondern gleichsam ein allgemeiner Bezugspunkt (Standpunkt) aller Urteilenden.11 Sie ist etwas ganz anderes als der Gemeinsinn (sensus communis) in der KU (vgl. § 20 ff., § 40), welcher als das konkrete urteilende Subjekt überhaupt bezeichnet werden könnte. »Unter dem sensus c o m m u n i s […] muß man die Idee eines g e m e i n s c h a f t l i c h e n Sinnes, d.i. eines Beurteilungsvermögens verstehen, welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes anderen in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um g l e i c h s a m an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, daß man sein Urteil an anderer nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält und sich in die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert; welches wiederum dadurch bewirkt wird, daß man das, was in dem Vorstellungszustande Materie, d.i. Empfindung ist, soviel möglich wegläßt und lediglich auf die formalen Eigentümlichkeiten seiner Vorstellung oder seines Vorstellungszustandes achthat« (KU, 157).
Der gemeine Menschenverstand (sensus communis logicus) ist zwar an eine bestimmte Gemeinschaft oder einen Kulturkreis gebunden und dennoch kaum raumzeitlich lokalisierbar. Er ist der transzendentalen Apperzeption ähnlich, hat aber nur relative (empirische) Objektivität. Der ästhetische Gemeinsinn (sensus communis aestheticus) – als Geschmack im Sinne von »Beurteilungsvermögen desjenigen, was unser Gefühl an einer gegebenen Vorstellung ohne Vermittlung eines Begriffs a l l g e m e i n mi t t e i l b a r macht« (KU, 160) – beansprucht zwar keine Objektivität wie in Erkenntnisurteijektiven Einheit des Bewußtseins vgl. KrV, § 18, B139 f., dazu auch H.F. Klemme (1996) S. 180 ff., 203. 11 Vgl. z.B. Prol., A136/IV334 Anm.; KrV, B421 f.; ferner R. Brandt (1991) S. 64 Anm. 30, H. Schnädelbach S. 101 f., 131 ff.
157
len, könnte aber »eher als die intellektuelle den Namen eines gemeinschaftlichen Sinnes führen […], wenn man ja das Wort Sinn von einer Wirkung der bloßen Reflexion auf das Gemüt brauchen will; denn da versteht man unter Sinn das Gefühl der Lust« (ebd.; vgl. 156). Das ästhetische Gefühl der freien Lust bezeichnet die Harmonie des gesamten Gemütszustandes des urteilenden Subjekts in bezug auf seinen ganzen Körper, welche allgemein mitteilbar ist (vgl. KU, 4 f., 129). Als solche ist dieses Gefühl allgemein gültig für jedes Urteilende, das Lebensgefühl hat. Das ästhetische Gefühl macht nach der innerlich »zweckmäßigen Stimmung« der Erkenntniskräfte das »übersinnliche Substrat« aller Vermögen des urteilenden Subjekts fühlbar (vgl. KU, 242, 268). Letzteres kann als das transzendentale Ich (Ich der Apperzeption), nämlich das intellektuelle Vermögen der Menschheit interpretiert werden. Der ästhetische Gemeinsinn kann daher als subjektives Gegenstück der transzendentalen Apperzeption im Modus des Lebensgefühls betrachtet werden.12 Kant nimmt diesen Interpretationsansatz in der KrV und in den Prolegomena bereits vorweg. Zum transzendentalen Status des »Ich« im empirischen Satz »Ich denke«, das den Satz »Ich existiere« in sich enthält, merkt er an, daß die Vorstellung des Ich hierzu rein intellektuell ist, »weil sie zum Denken überhaupt gehört« (vgl. KrV, B422 f. Anm.). Überhaupt bedarf der diskursive Verstand irgendeiner empirischen Vorstellung, »die den Stoff zum denken abgibt« (ebd.), indem der Akt, Ich denke, stattfinden kann. Die »Existenz«, die im »Ich denke« enthalten ist, ist noch keine Kategorie, sondern drückt »eine unbestimmte empirische Anschauung, d.i. Wahrnehmung, aus« (ebd.). »Eine unbestimmte Wahrnehmung bedeutet hier nur etwas Reales, das gegeben worden, und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung, auch nicht als Sache an sich selbst (Noumenon), sondern als Etwas, was in der Tat existiert, und in dem Satze, Ich denke, als ein solches bezeichnet wird« (ebd.; vgl. KrV, B157 f. Anm.). Diese unbestimmte Wahrnehmung des intellektuellen Ich wird in den Prolegomena durch ein 12
Vgl. R. A. Makkreel (1997) S. 138 f.
158
»Gefühl eines Daseins« umschrieben. Die Vorstellung der Apperzeption, das Ich, ist »nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht« (Prol., A136/IV334 Anm.; vgl. KU, 129). Die transzendentallogische Urteilserklärung gilt als zu eng gefaßt, um die anderen Arten des Urteils zu umgreifen, weil sie von vornherein auf die Objektivität der Erkenntnisurteile gerichtet ist. Nach ihr wird der Urteilsstatus der bloß subjektiv-gültigen Urteile sogar fraglich, wie z.B. Wahrnehmungsurteile in den Prolegomena (§18 §20) oder die »Sinnenurteile« in der KU. Dieser Mangel sollte durch die Betrachtung der Urteilskraft als Vermögen der Reflexion oder Darstellung berichtigt (oder erweitert) werden können, indem die objektive (logische) Struktur der Erkenntnis der Urteilskraft zwar immer als Richtmaß, aber nicht immer als Grund des Urteils oder der Beurteilung dient (vgl. KU, § 9; EE, XX223 f.). Vorläufig könnte das allgemeine Verfahren der Urteilskraft als Darstellung des Begriffs charakterisiert werden. Als solche schließt die Urteilskraft in sich die Einheitsfunktion des Verstandes als »Darstellung eines Begriffs überhaupt« (EE, XX223) ein. Letztere darf nicht mit der Darstellung eines unbestimmten Begriffs in der ästhetischen Reflexion verwechselt werden. Die Darstellung der Urteilskraft differenziert sich je nach der Art der Darstellung oder nach der Beschaffenheit des darzustellenden Begriffs. Vor der Betrachtung der Funktion der Urteilskraft durch den Begriff ›Darstellung‹, dem Kant sich vor allem in der Kritik der ästhetischen Urteilskraft widmet, soll noch, wie bereits erwähnt, eine Klärung des Begriffs ›Reflexion‹ bei Kant vorangeschickt werden. Diese Klärung zielt darauf, die Schwierigkeit des Verständnisses der reflektierenden Urteilskraft in der KU zu erläutern. Es geht vornehmlich um drei Behauptungen Kants in der EE und KU, die gewisse Unklarheit in der Kantischen Konzeption des Begriffs der »reflektierenden Urteilskraft« hervorrufen können. 13 Man sollte Kants flexible begriffliche Unterscheidungen berücksichtigen, wo13
Vgl. K. Marc-Wogau S. 12; siehe auch § 1, S. 55 f. u. 36.
159
bei die Unterscheidungskriterien abhängig vom Kontext sind und nicht durchgängig benutzt werden. Auffällig ist darüber hinaus noch die Verschiebung und Überlagerung der Perspektiven.14 (1) »Die subjektive Bedingung aller Urteile ist das Vermögen zu urteilen selbst, oder die Urteilskraft« (KU, 145). Im allgemeinen bestimmt Kant aber den Verstand als »Vermögen zu urteilen« (vgl. KrV A69/B94, A81/B106). Ganz in diesem Sinne sagt Kant auch in der EE: »U r t e i l e n gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu, und ästhetisch oder sinnlich u r t e i l e n , so fern dieses E r k e n n t n i s eines Gegenstandes sein soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch […]; das o bj e kt i v e Urteil wird vielmehr immer nur durch den Verstand gefällt, und kann so fern nicht ästhetisch heißen« (XX222). Ein ästhetisches Urteil über ein Objekt kann nur aufgrund einer subjektiv anschauenden Denkhandlung der Urteilskraft zustande kommen, wobei »eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde« (EE, XX223). Im reinen Geschmacksurteil ist die »Urteilskraft in Ansehung der formalen Regeln der Beurteilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch Begriff), nur auf die subjektiven Bedingungen des Gebrauchs der Urteilskraft überhaupt (die weder auf die besondere Sinnesart, noch einen besonderen Verstandesbegriff eingeschränkt ist) gerichtet« (KU, 150 f.; vgl. 134 f., 180). Wenn also von der Urteilskraft als »Vermögen zu urteilen« die Rede ist, wird die Perspektive von dem bloß objektiv gesetzgebenden Verstand durch kategoriale Synthesis zur subjektiven Bedingung eines Urteils oder einer Erkenntnis überhaupt gewechselt, d.h. das Bewußtsein des Verhältnisses der Vorstellungen mit den Erkenntnisvermögen, und zwar insbesondere seitens der Erkenntnisvermögen betrachtet. Dies ist die Übereinstimmung (Harmonie, Zusammenstimmung oder proportionierte Stimmung) von Einbildungskraft und Verstand. 15 Diese Übereinstimmung kann wiederum objektiv oder subjektiv betrachtet werden. Ein teleologisches Urteil ist beispielsweise zwar ein Erkenntnisur14
Zur methodischen Überlegung der systematischen Mehrdeutigkeit der Grundbegriffe bei Kant vgl. W. Strube (2000) S. 75, 83 f. und 86. 15 Vgl. dazu § 1, S. 64 ff. und § 4, insb. S. 285 ff.
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sches Urteil ist beispielsweise zwar ein Erkenntnisurteil, weil es sich lediglich auf das Objekt der Vorstellung bezieht, aber es ist dennoch ein Reflexionsurteil, weil der Begriff des Zwecks dabei als Reflexionsbegriff (Vergleichungsbegriff) 16 bloß analog gebraucht wird und mithin keine konstitutive Funktion hat. Ein teleologisches Urteil ist die Darstellung der Selbstorganisation der Natur durch den bloß reflektierenden Gebrauch des Zweckbegriffs. Die Beurteilung gewisser Naturdinge (z.B. Organismus) als Naturzwecke dient, der Eingeschränktheit unseres Verstandes gemäß, zum Zweck des Verstehens und der Beschreibung solcher Phänomene. Die Urteilskraft ist also das Vermögen der Vermittlung oder des zweckmäßigen Gebrauchs der Erkenntniskräfte.17 In ihr werden Einbildungskraft und Verstand (oder auch Vernunft) auf einander bezogen und zusammengehalten. (2) »Das Re f l e k t i e r e n […] bedarf für uns eben so wohl eines Prinzips, als das Bestimmen, in welchem der zum Grunde gelegte Begriff vom Objekte, der Urteilskraft die Regel vorschreibt und also die Stelle des Prinzips vertritt« (EE, XX211). Denn ohne Prinzip »würde alles Reflektieren bloß aufs Geratewohl und blind, mithin ohne gegründete Erwartung ihrer Zusammenstimmung mit der Natur, angestellt werden« (EE, XX212; vgl. XX203). Die Urteilskraft ist in bezug auf die allgemeinen Naturbegriffe »in ihrer Reflexion zugleich bestimmend« (EE, XX212). Das »Reflektieren« ist daher nach Kant umfassender als das »Bestimmen«. Die Differenzierung (bloß) Reflektieren und (bloß) Bestimmen ist also keine logische Entgegensetzung, weil beide auf unterschiedlicher Ebene fungieren, sondern eine methodische Trennung, um die objektive Notwendigkeit der kategorialen Gesetzgebung des Verstandes zu sichern. So wie das Denken das Erkennen umgreift, genauso umgreift das Re16
In der Naturteleologie wird der Begriff ›Zweck‹ (der Natur) von Kant nicht als Bestimmungsbegriff des Objekts, sondern als Reflexionsbegriff verwendet: »Hinaufsteigen vom Sinnlichen der Anschauung durch Reflexionsbegriffe (des Zweks) zum Übersinnlichen« (R6361, 1796-8, XVIII690; vgl. KrV, A316/B374 f.). – Begriff wie ›Groß‹ (nicht ›Größe‹) ist nach Kant ein »Vergleichungsbegriff«, der zur Urteilskraft gehört (vgl. KU, 80 f.). 17 Vgl. § 2, S. 95 u. 143 ff.
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flektieren das Bestimmen. In diesem weiteren Sinne umgreift die reflektierende Urteilskraft die bestimmende.18 Somit ist nachvollziehbar, wenn Kant in diesem Zusammenhang sagt: (3) »R e f l e k t i e r e n (Überlegen) aber ist: gegebene Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnisvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammen zu halten. Die reflektierende Urteilskraft ist diejenige, welche man auch das Beurteilungsvermögen (facultas dijudicandi) nennt« (EE, XX212). Daß diese Sätze aber direkt nach der Unterscheidung zwischen reflektierender und bestimmender Urteilskraft folgen, ist irreführend in dem Sinne, daß der Begriff »reflektierende Urteilskraft« einerseits Unterbegriff und zugleich Oberbegriff der Einteilung ist. Diese Schwierigkeit besteht in der Konfrontation der eigenen Wortschöpfung Kants mit dem gängigen Gebrauch des Begriffs. Die reflektierende und die transzendentale (bloß bestimmende) Urteilskraft sind Kantisch. Letztere paßt nicht zum sogenannten »Beurteilungsvermögen (facultas dijudicandi)«, das nach Kant die empirische Urteilskraft heißen sollte.19 Man sieht, daß zwei Einteilungskriterien: reflektierend/bestimmend und empirisch/transzendental sich hier überlagern.20 Die reflektierende Urteilskraft als subjektives Beurteilungsvermögen soll nun nach Kant 18
Vgl. M. Liedtke (1964) S. 82, 150, 155 f.; ferner oben § 1, Anm. 24 (S. 43). – S. Takeda geht einen Schritt zu weit, wenn er vom Standpunkt der reflektierenden Urteilskraft aus, die Transzendentalphilosophie Kants teleologisch (i.w.S.) zu interpretieren versucht. Diese Interpretation bringt die Nomothetik der Kantischen Kategorien in Gefahr. Die objektive Notwendigkeit der Einstimmung der Erscheinungen zu Kategorien in einem Urteil läßt sich nicht auf die zufällige Organisation der Erkenntniskräfte im Subjekt oder auf irgendeine Art von Präformationssystem zurückführen (vgl. KrV, B167 f.; MAN, AXIX f./IV476 Anm.; Brief an Herz vom 21.02.1772, 101 f.). 19 »Das Vermögen zu wählen, was dem Sinne von jedermann gefällt. Facultas diiudicandi per sensum communem. Das Vermögen, sinnlich und allgemeingültig zu wählen, ist Geschmack. Dieser betrifft mehr die Form als materie der Sinnlichkeit« (R1872, XVI145). – Vgl. dazu Baumgartens Metaphysica § 606609. 20 »Transzendental reflektierend« wäre die Urteilskraft in ihrer bloßen Reflexion über die Natur in ihren empirischen Gesetzen als zweckmäßiges System für unser Erkenntnisvermögen.
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die empirische Urteilskraft, oder die Urteilskraft im Sinne des »Mutterwitzes« (KrV, A133/B172) sein, die sich reflektierend und/oder bestimmend betätigen kann.21 Die transzendentale Urteilskraft zählt dann nach der Auffassung der KU zur Leistung des kategorialen Verstandes. Die ästhetische und die teleologische Urteilskraft sind die Urteilskraft, die bloß reflektierend ist. Weil Kant ›Reflexion‹ und ›Beurteilung‹ in der KU de facto synonym gebraucht, ist die reflektierende Urteilskraft zugleich das Reflexionsvermögen überhaupt. 22 Die reflektierende Urteilskraft ist also in diesem umgreifenden Sinne, wie bereits unter (1) gesagt, das »Vermögen zu urteilen selbst, oder die Urteilskraft« (KU, 145). In der KU wird die Urteilskraft nach der subjektiven Seite des Urteils untersucht, und zwar insbesondere unter dem Aspekt der bloßen Reflexion oder Beurteilung der Natur im Unterschied zur bloßen Determination derselben in der KrV.
3.1 Reflexion bei Kant Die Schwierigkeit, die Urteilskraft durch den Begriff ›Reflexion‹ zu erhellen, besteht darin, daß Kant diesen Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen in je differenter Bedeutung gebraucht.23 Außer der Thematisierung der Reflexion (Überlegung) in der KU wird dieser Begriff in den Logikvorlesungen24 bei der Erklärung des logischen Ursprungs der Begriffe verwendet, und in der Anthropolo-
21
Zur geschichtlichen Herkunft der Unterscheidung zwischen dem »Schulwitz« und »Mutterwitz« vgl. M. Liedtke (1964) S. 82 ff. 22 Vgl. z.B. KU, 149, 134 f., 180, 269 f., 295; dazu siehe auch M. Kugelstadt S. 25. 23 Zum historischen Ursprung Kantischer Auffassung der Reflexion vgl. M. Liedtke (1966) und (1964) S. 79 f., 140-149; A. Baeumler S. 202 f., 332-346 sowie R. Malter (1981a) S. 288, (1982) 134 f. 24 Vgl. Logik-Pölitz, XXIV566-568; Logik-Busolt, XXIV654-656; Logik-Dohna, XXIV753 f.; Wiener Logik, XXIV907-910; Jäsche Logik, § 5 f.; R2389, XVI340 f.; R2851, XVI546; R2854, XVI547; R2865, XVI552; R2868, XVI553; R2876, XVI555 f.; R2878, XVI556 f.
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gie 25 bei der Charakterisierung des Verstandes im Gegensatz zur Sinnlichkeit und bei der Gegenüberstellung des Schönen mit dem Angenehmen und Guten behandelt, und schließlich im AmphibolieKapitel (KrV, A260 ff./B316 ff.) bei der Darlegung der subjektiven Bedingungen der Urteilsbildung im Zusammenhang mit der Leibniz- und Locke-Kritik kurz erläutert. Zwei Aspekte des Kantischen Begriffs der Reflexion sind in unserem Zusammenhang von Bedeutung: zum einen ist die Reflexion in allgemein-unspezifischem Sinne die spontane Tätigkeit des Gemüts (Verstandestätigkeit), Vorstellungen »zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen« (KrV, B1; vgl. Anthr., A25/VII140), zum anderen wird die Reflexion spezifisch als der bloß vergleichende und/oder unterscheidende Akt des Denkens betrachtet. Wichtig ist dabei, die Kantischen Unterscheidungen von Reflexionsbegriffen (Vergleichungsbegriffen) und Kategorien einerseits, und von der Überlegung (reflexio) und Untersuchung (examinatio) anderseits zu berücksichtigen. Das Ziel dieser Betrachtung besteht darin, die Zusammengehörigkeit der reflektierenden und bestimmenden Urteilskraft wenigstens unter dem Gesichtspunkt des Reflexionsaktes der Urteilskraft verständlich zu machen, auch wenn der Begriff ›Reflexion‹ bei Kant uneinheitlich und schwankend ist.
3.1.1 Transzendentale Apperzeption als konstituierendes Reflexionsbewußtsein Das Bewußtsein (Apperzeption) wird im allgemeinen von Kant durch die Intentionalität (Gegenstands- und Weltbezogenheit) und Reflexivität (Selbstbezogenheit) beschrieben. Die beiden Momente des Bewußtseins charakterisiert die synthetische Einheit der Apperzeption, welche der Angelpunkt der B-Deduktion der Kategorien ist. Im folgenden soll lediglich die Art betrachtet werden, wie Kant ›Reflexion‹ als diejenige spontane reine Verstandeshandlung be25
Vgl. Anthr., A14/VII134, A21/VII138, A27/VII141 f.; Prol., A62/IV288; R409, XV165; R831, XV371; R878, XV385; R989, XV434.
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zeichnet, die zu allererst Verstandesbegriffe und somit Begriffe vom Objekt möglich macht (vgl. Anthr., A28/VII142). Terminologisch unterscheidet Kant nicht deutlich zwischen dem Bewußtseinsakt, Bewußtseinsinhalt und dem agierenden Subjekt. »Eigentlich ist das Bewußtsein eine Vorstellung, daß eine andre Vorstellung in mir ist« (Jäsche Logik, A40/IX33), »ein Wissen dessen, was mir zukommt« (PM135) oder »eine Vorstellung von meinen Vorstellungen« (ebd.). Bewußtsein heißt also soviel wie »Selbstbewußtsein« in unspezifischem Sinne, welches bloß die Reflexivität des Bewußt-seins bezeichnet. Daß Vorstellungen zu einem möglichen Selbstbewußtsein (Apperzeption) gehören müssen, ist trivial (vgl. KrV, B132 f.). Aus diesem analytischen Zusammenhang kann weder die Erkenntnis (oder Existenz) meiner selbst noch die einer Sache geschlossen werden, weil es dazu noch einer Anschauung bedarf (vgl. KrV, B157 f.). Das Bewußtsein als Selbstbewußtsein (Ich bin mir Etwas bewußt) darf nicht mit dem Selbstbewußtsein in sensu strico (Ich bin mir meiner selbst bewußt) verwechselt werden. Die Selbstthematisierung des Bewußtseins ist eine spezifische, inwendige Selbstanschauung oder Selbstwahrnehmung. Das Selbstbewußtsein als Selbstanschauung »ist ein auf sich selbst gekehrtes Beobachten; es ist nicht discursiv, sondern intuitiv« (PM135). Die Selbstanschauung gehört zum inneren Sinn, der in der KrV als die empirische Apperzeption im Unterschied zur reinen (Verstand überhaupt) bezeichnet wird.26 Die reine Apperzeption ist das Bewußtsein der Reflexion, während die empirische das Bewußtsein der Apprehension ist (vgl. Anthr., A14 f./VII134 Anm., A25 ff./VII140 ff.). Diese ist ein Gegenstand der empirischen Psychologie. Jene ist das »bloß reflektierende Ich« (ebd.) oder das »logische Ich« (vgl. Fortschritte, A36 ff./XX270 f.), das nie empirisch sein kann, sondern rein intellektuell ist. Daß das Selbstbewußtsein (Subjektivität) der höchste Punkt der theoretischen Philosophie ist, beruht auf seiner ursprünglichen synthetischen Einigung: Die analytische Einheit des Selbstbewußtseins setzt immer irgendeine synthetische voraus, oder der Akt der Analy26
Diese Differenz wird erst in der KrV endgültig erreicht. – Vgl. z.B. KrV, A106 f., A115 ff., B67 f., B132 f., B152 ff.; dazu H.F. Klemme (1996) S. 136-138.
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sis ist nur aufgrund eines vorausgegangen Aktes der Synthesis möglich (vgl. KrV, B133 ff., A199 f./B244 f.). Denn der menschliche Verstand ist nicht schöpferisch (anschauend), sondern nichts weiter als »das Vermögen, a priori zu verbinden, und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen« (KrV, B135; vgl. B130, B164). Etwas Mannigfaltiges muß unserem diskursiven Denken (wenigstens im Begriff) vor der Aktualisierung seines Vermögens gegeben werden, indem der Verstand Stoff zur Verbindung überhaupt haben kann (vgl. KrV, A267/B322 f., B145). »So fängt denn alle menschliche Erkenntnis mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen, und endigt mit Ideen« (KrV, A702/B730; vgl. B1, A298 f./B355). Dasselbe meint Kant in der KU mit der Belebung der Gemütskräfte: Ein gegebener Gegenstand bringt »vermittelst der Sinne die Einbildungskraft zur Zusammensetzung des Mannigfaltigen, diese aber den Verstand zur Einheit desselben in Begriffen in Tätigkeit« (KU, 65). Alle Vorstellungen beziehen sich notwendig auf ein mögliches empirisches Bewußtsein. Alles empirische Bewußtsein setzt aber notwendig ein transzendentales voraus (vgl. KrV, A118 Anm.). Die Gegenstandskonstitution beruht letztlich auf der kategorialen Einheit der transzendentalen Apperzeption (vgl. KrV, A158/B197). Denn unsere Erkenntnis hat zwar bloß mit der Erscheinung, d.h. dem Inbegriff der Vorstellungen zu tun, aber die »Erscheinung, im Gegenverhältnis mit den Vorstellungen der Apprehension, [könne] nur dadurch als das davon unterschiedene Objekt derselben […] vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen notwendig macht. Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Objekt«27. 27
KrV, A191/B236, A104 f.; vgl. Brief an Herz vom 26.05.1789, 397 ff. – Zur Doppeldeutigkeit des Begriffs ›Erscheinung‹ bei Kant einmal als bloß anschauliche Vorstellung (z.B. KrV, A20/B34), einmal als Phänomen (z.B. KrV, A248 f.), vgl. Fortschritte, A30-33/XX268 f.; dazu G. Prauss (1971) S. 19 f., 23 f., 33 f., 51 ff., 127 ff. und § 4, Anm. 47 (S. 279 f.).
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Objekt »ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung v e r e i ni gt ist«28. Das »Objekt« oder besser: der Begriff des Objekts überhaupt bedeutet hier soviel wie Gegenständlichkeit und somit Objektivität: »Die categorien stellen jene obiective Einheit des Bewustseyns als Begriffe von Dingen überhaupt vor, weil wirklich dadurch allein Dinge als unsern Vorstellungen correspondirende obiecte gedacht werden« (R3054, XVI633 f.).
›Objekt‹ und ›Gegenstand‹ (gelegentlich auch ›Ding‹) sind praktisch für Kant synonym: Ein Gegenstand ist das, von dem wir etwas anschaulich kennen und durch Begriffe (als Merkmale) wieder erkennen können (vgl. R2281, XVI298). Er wird als dasjenige angesehen, »was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl, oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt sein, weil, indem sie sich auf einen Gegenstand beziehen sollen, sie auch notwendiger Weise in Beziehung auf diesen untereinander übereinstimmen, d. i. diejenige Einheit haben müssen, welche den Begriff von einem Gegenstande ausmacht« (KrV, A104 f.; vgl. A197/B242 f.).
3.1.2 Reflexionsbegriffe Obwohl Reflexion die Spontaneität des Denkens im Unterschied zur Rezeptivität der Sinnlichkeit kennzeichnet, wird der Terminus ›Reflexion‹ in der KrV – abgesehen vom Amphibolie-Kapitel, wobei die Reflexion thematisch ist – nur am Rande gebraucht.29 Dieses allgemeine Charakteristikum des Verstandes kommt hingegen in den Prolegomena explizit zum Ausdruck: »Alles, was uns als Gegenstand gegeben werden soll, muß uns in der Anschauung gegeben werden. Alle unsere An28
KrV, B137; vgl. KrV, B139, B158; R6350, XVIII676 f.; ferner D. Henrich (1976) S. 17-20, 43-47; S. Takeda S. 74 f.; K. Gloy (1995) S. 202-208. 29 Statt ›Reflexion‹ gebraucht Kant die Leibniz-Wolffsche ›Apperzeption‹.
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schauung geschieht aber nur vermittelst der Sinne; der Verstand schaut nichts an, sondern reflektiert nur« (A62/IV288).30
Dementsprechend wird der Begriff von der Anschauung unterschieden: »Die Anschauung ist eine e i n z e l n e Vorstellung (repraesentatio singularis), der Begriff eine a l l g e m e i n e (repraesentatio per notas communes) oder r e f l e k t i e r t e Vorstellung (repraesentatio discursiva)« (Jäsche Logik, A139/IX91).
In der KrV gebraucht Kant den Begriff ›Reflexion‹ gelegentlich auch im Sinne der empirischen Reflexion (z.B. KrV, A85/B117). Die Reflexion in jenem allgemeinen Sinne kommt nur implizit in der Absetzung der Verstandesbegriffe gegen die Vernunftideen zum Ausdruck: »Was es auch mit der Möglichkeit der Begriffe aus reiner Vernunft für eine Bewandtnis haben mag: so sind sie doch nicht bloß reflektierte, sondern geschlossene Begriffe. Verstandesbegriffe werden auch a priori, vor der Erfahrung und zum Behuf derselben gedacht; aber sie enthalten nichts weiter, als die Einheit der Reflexion über die Erscheinungen, insofern sie notwendig zu einem möglichen empirischen Bewußtsein gehören sollen. Durch sie allein wird Erkenntnis und Bestimmung eines Gegenstandes möglich. Sie geben also zuerst Stoff zum Schließen, und vor ihnen gehen keine Begriffe a priori von Gegenständen vorher, aus denen sie könnten geschlossen werden. Dagegen gründet sich ihre objektive Realität doch lediglich darauf: daß, weil sie die intellektuelle Form aller Erfahrung ausmachen, ihre Anwendung jederzeit in der Erfahrung muß gezeigt werden können« (KrV, A310/B366 f.; vgl. A567 f./B595 f.; PM273 f.).
Der Grund dieser Zurückhaltung läßt sich wohl auf das kritisch methodische Bewußtsein der Kritik der reinen Vernunft zurückführen. Den Grundfehler in der empiristischen und rationalistischen 30
Vgl. PM102, 156, 158; R409, XV165 f.; R230, XV88; R425, XV171; R2834, XVI536; R3957 f., XVII365 f.; R4072 f., XVII404; R5051, XVIII73.
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Auffassung der Reflexion sieht Kant darin, daß dabei der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand, und somit zwischen Erscheinung und Ding an sich bloß graduell verstanden wird. Locke führt – nach Kants Auffassung – den Akt des Bewußtseins auf die empirische Reflexion zurück, Leibniz hingegen auf die logische Reflexion. Letztere ist nach Kant eine bloße Vergleichung der gegeben Vorstellungen ohne Rücksicht auf ihren Objektbezug. Sie wird aber bei Leibniz – nach Kants Auffassung – fälschlicherweise als »transzendentaler Verstandesgebrauch« (nämlich die bloße Vergleichung der Dingvorstellungen untereinander im Verstand unter Absehen der Sinnlichkeitsbedingtheit der menschlichen Erkenntnis) verstanden, wonach die synthetischen Urteile a priori von Dinge selbst aus bloßen Begriffen möglich seien (vgl. KrV, A269 f./B325 f.). Eigentlich ist diese Art der Reflexion keine logische Reflexion im strengen Sinne, sondern die vermeintliche »objektive Komparation« ohne die sogenannte »transzendentale Reflexion«, die im Amphibolie-Kapitel spezifisch als Akt der transzendentalen Ortsbestimmung der gegebenen Vorstellungen, ob sie zur Sinnlichkeit und/oder zum Verstand gehören, bestimmt wird (vgl. KrV, A269/B325). Der Mangel an der transzendentalen Reflexion führt nach Kant zur »Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen« (KrV, A260/B316) und somit zur »Verwechslung des reinen Verstandesobjekts mit der Erscheinung« (KrV, A270/B326)31: »Mit einem Worte: Leibniz i n t e l l e k t u i e r t e die Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe […] insgesamt s e n s i f i z i e r t , d.i. für nichts, als empirische, oder abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im Verstande und der Sinnlichkeit zwei ganz verschiedene Quellen von Vorstellungen zu suchen, die aber nur in V e r k n ü p f u n g objektiv gültig von Dingen urteilen könnten, hielt sich ein jeder dieser großen Männer nur an eine von beiden, die 31
Unmittelbar im Zusammenhang mit der Kantischen Kritik an der traditionellen Auffassung der Reflexion stehen übrigens in der KrV noch die »Widerlegung des Idealismus« (KrV, B274; vgl. BXXXIX ff. Anm., A367 ff. und ferner MAN, AXXII f./IV478) und die »Paralogismen« (KrV, A341 ff./B399 ff.).
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sich ihrer Meinung nach unmittelbar auf Dinge an sich selbst bezöge, indessen daß die andere nichts tat, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu ordnen« (KrV, A271/B327).
›Reflexionsbegriffe‹ werden an dieser Stelle im Sinne von Lockes »ideas of reflection«32 gebraucht. Sie bezeichnen alle empirischen oder abgesonderten Begriffe, die bei Gelegenheit der Erfahrung »von der Reflexion über die Sinne abgezogen sind« (PM146; vgl. KrV, A85/B117). Sie sind etwas ganz anderes als die vier Paare Reflexionsbegriffe (Vergleichungsbegriffe) im Amphibolie-Kapitel. Darüber hinaus bezeichnet Kant auch alle Begriffe, sofern sie »reflektierte Vorstellung« sind, als Reflexionsbegriffe. Ganz in diesem Sinne nennt Kant Kategorien in der vorkritischen Zeit – im Gegensatz zu seiner Abgrenzung von Reflexionsbegriffen als bloßen Vergleichungsbegriffen im Amphibolie-Kapitel – auch Reflexionsbegriffe. So schreibt Kant beispielsweise in einer Notiz womöglich aus den 70er Jahren: »Unser Verstand ist das Vermögen zu reflectiren, und reine Verstandesbegriffe […] sind bloße abstracte[…] reflexionsbegriffe« (R409, XV165 f.). Reine Verstandesbegriffe können, wegen ihrer objektiven (inhaltsbezogenen) Anwendung auf Anschauung (bzw. Erscheinung) im Gegensatz zu »geschlossenen« (erschlossenen) Vernunftideen, auch Reflexionsbegriffe genannt werden. Sie werden im Unterschied zu empirischen Begriffen ursprünglich nicht von der Erfahrung abstrahiert, sondern sie haben – als Erfahrung ermöglichende Grundregeln – »a priori im reinen Verstande ihren Sitz und Quelle« (KpV, A254/V141). Als bloße Formen der Verknüpfung des Mannigfaltigen in einer Anschauung sind Verstandesbegriffe in aller Erfahrungserkenntnis enthalten (vgl. Prol., A118/IV322 f.). Kant unterscheidet in der Dissertation von 1770 zwischen reinen Verstandesbegriffen (conceptus abstrahens) und empirischen Begriffen (conceptus abstrctus): Der Verstandesbegriff abstrahiert »von allem Sinnlichen« und wird nicht vom Sinnlichen abstrahiert (vgl. De mundi, A10/II394; Jäsche Logik, A146 f./IX95). Dementsprechend 32
Vgl. J. Locke, Essay II, vi; hier zitiert nach M. Willaschek S. 342.
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wird zwischen reflektierenden (reinen) und reflektierten (empirischen) Begriffen unterschieden. »Alle Begriffe überhaupt, von woher sie auch ihren Stoff nehmen mögen, sind reflectirte, d. i. in das logische Verhältnis der Vielgültigkeit [g]ebrachte Vorstellungen. Allein es giebt Begriffe, deren ganzer Sinn nichts anders ist als eine oder andre reflexion, welcher vorkommende Vorstellungen können unterworfen werden; sie können reflexionsbegriffe (conceptus reflectentes) heißen, und, weil alle Art der reflexion im Urtheile vorkommt, so werden sie die blosse Verstandeshandlung, die im Urtheile auf das Verhaltnis angewandt wird, absolute in sich fassen als Gründe der Moglichkeit zu urtheilen« (R5051, XVIII73).33 Hier liegt kein Zirkelproblem vor.34 Ein solches Problem kommt in diesem Zusammenhang nur zustande, wenn man fordert, daß alles aus einem Prinzip abgeleitet und selbst dieses Grundprinzip erklärt werden muß. Man stößt nach Kant an die Grenzen der menschlichen Vernunft, sofern man die Möglichkeit der Grundkräfte oder Grundvermögen begreiflich machen will, »denn sie heißen eben darum Grundkräfte, weil sie von keiner anderen abgeleitet, d.i. gar nicht begriffen werden können« (MAN, A61/IV513). 35 »Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mi t der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle a u s der Erfahrung« (KrV, B1). »Denn wo wollte selbst Erfahrung ihre Gewißheit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirisch, mithin zufällig wären; daher man diese schwerlich für erste Grundsätze gelten lassen kann. Allein hier können wir uns damit begnügen, den reinen Gebrauch unseres Erkenntnisvermögens als Tatsache samt den Kennzeichen desselben dargelegt zu
33
»Durch abstraction werden keine Begriffe, sondern durch reflexion: entweder, wenn der Begrif gegeben ist, [wird] nur die Form [von uns gemacht] und heißt reflectirter [Begriff], oder selbst der Begrif: reflectirender« (R2865, XVI552). – Vgl. dazu Jäsche Logik, § 3 ff.; P. Reuter S. 80 f., 229 ff. und A. Baeumler S. 334 f. 34 Vgl. z.B. KrV, A737/B765; MAN, AXVI ff./IV474 ff. Anm., A113 f./IV540. 35 Vgl. MAN, A104/IV534; De mundi, A35/II416 f.; KpV, A81/V46 f.; Gebrauch, A129 ff./VIII180 ff.
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haben« (KrV, B5).36 – Alle Begriffe sind nach Kant »nicht angeboren, sondern erworben« (Entdeckung, A70/VIII223). Die Kategorien sind »nicht in den Sinnen zu suchen, sondern in der Natur selber des reinen Verstandes, nicht als a n g e b o r e n e Begriffe, sondern als solche, die aus den der Erkenntniskraft eingepflanzten Gesetzen (dadurch, daß man auf ihre Handlungen bei Gelegenheit der Erfahrung achtet) abgezogen und folglich e r w o r b e n sind« (De mundi, A11/II395).37 Kants Unterscheidung zwischen Anschauung, Verstandes- und Vernunftbegriff (Idee) wird in diesem Zusammenhang – wie die Stufenleiter der Vorstellung (repraesentatio) in der KrV (A320/B376 f.) – unter dem inhaltlichen Aspekt zum Zweck der Klarstellung des Begriffs der Idee getroffen. 38 Anschauung und Begriff sind objektive Perzeption, nämlich Erkenntnis (cognition). Erkenntnisse sind »alle mit Bewußtsein auf ein Objekt bezogene Vorstellungen« (Jäsche Logik, A139/IX91). Ein Begriff aus reinen Verstandesbegriffen, »der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die I d e e oder der Vernunftbegriff« (KrV, A320/B377). Kategorien als reine (unschematisierte) Verstandesbegriffe sind zwar – im Unterschied zu logischen Urteilsformen – als objektiv inhaltsbezogene »Gedankenformen« zu verstehen, die sich auf Gegenstände der Anschauung überhaupt beziehen (vgl. KrV, B148 ff.), aber als solche verschaffen sie ohne Hilfe des Schematismus keine unmittelbar sacherschließende Bedeutung (objektive Realität), sondern enthalten lediglich die Bedingungen a priori der Möglichkeit eines 36
Vgl. KrV, B145 f., A773 f./B801 f., A613 f./B641 f.; Entdeckung, A124/VIII249 f.; Brief an Herz vom 26.05.1789, 397 ff. 37 Vgl. De mundi, A23/II406; KrV, A1 f., B1 f., A239 ff./B298 ff.; Prol., A129/IV330; KpV, A254/V141; Entdeckung, A68 ff./VIII221 ff.; PM20; LogikPhilippi, XXIV452; R4172, XVII443. 38 Vgl. R. Malter (1982) S. 129 f.; H. Heimsoeth (1966) S. 27 f. – Das Gefühl und die Willensbestimmung (Begierde oder Pflicht) werden ebenfalls unter diesem inhaltsbezogenen Aspekt ausgeschlossen. Die »Empfindung (sensatio)« als subjektive »Perzeption« gehört hingegen zur subjektiv inhaltsbezogenen Vorstellung (vgl. KrV, A320/B376), die in der KU als »eine objektive Vorstellung der Sinne« im Unterschied zum bloß subjektiven »Gefühl« näher bestimmt wird (KU, 9; vgl. KU, XLII f.; EE, XX224).
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Gegenstandes der Erfahrung, unter denen etwas erst als Objekt unseres Erkennens gedacht werden kann (vgl. KrV, A93/B125 f.). Reine Kategorien sind also nach Kant »Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der l o g i s c h e n F u n k t i o n e n z u U r t e i l e n als b e s t i m mt angesehen wird« (KrV, B128 f.). Ihr Sinn besteht darin, Begriffe von der »bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen i n e i ne r A n s c h a u u n g « darzustellen (vgl. KrV, A79/B105). Kant nennt den begrifflichen Gehalt der Kategorien, der unabhängig von der Erfahrung ist und dennoch die Erfahrung ermöglicht, »transzendentalen Inhalt« (ebd.)39, durch den das Mannigfaltige der Anschauung als eine Einheit synthetisiert ist und somit ein »Objekt« für uns werden kann. Dadurch wird aber »noch kein bestimmter Gegenstand erkannt« (KrV, B150), wenn die synthetische Einheit der Apperzeption nicht auf »Erscheinungen, d. i. Gegenstände einer möglichen E r f a h r u n g « angewandt wird (KrV, A238 f./B298; vgl. A56/B81). Die reinen (unschematisierten) Kategorien beziehen sich nicht auf den Begriff von einem bestimmten Gegenstand (der Sinne), sondern auf die allgemeine logische Struktur von Gegens39
Kant nennt den begrifflichen Gehalt der Kategorien an einer anderen Stelle auch »transzendentale Bedeutung« (KrV, A248/B305) oder »transzendentalen Gegenstand«, der kein Noumenon im positiven, sondern im negativen Sinne ist (vgl. KrV, A250-253, B305-309). »Das Denken ist die Handlung, gegebene Anschauung auf einen Gegenstand zu beziehen. Ist die Art dieser Anschauung auf keinerlei Weise gegeben, so ist der Gegenstand bloß transzendental, und der Verstandesbegriff hat keinen anderen, als transzendentalen Gebrauch, nämlich die Einheit des Denkens eines Mannigfaltigen überhaupt« (KrV, A247/B304; vgl. A248/B305). Es gibt also bei Kant, vereinfacht gesagt, drei Arten der Gegenstände: (1) Erscheinungen (Phänomene), d.h. Gegenstände einer möglichen Erfahrung (Objekte der Synthesis von sinnlicher Anschauung und diskursivem Begriff), (2) »transzendentale« Gegenstände (Sie sind wiederum dreierlei: erstens Objekte überhaupt der unschematisierten Kategorien; zweitens das durch Verstand auf Erscheinungen bezogene »Etwas = x«, das selbst keine Erscheinung ist; und schließlich der »uns unbekannte Grund der Erscheinungen«, der auf die Vernunftidee geht) und (3) »transzendente« Gegenstände (Objekte der Ideen, Noumena im positiven Sinne). – Zu verschiedenen Gegenstandsbegriffen bei Kant vgl. M. Willaschek S. 333 ff.
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tänden überhaupt oder Gegenständlichkeit (vgl. KrV, A247/B304). »In der Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedingung, eine, aber nur logische Bedeutung der bloßen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Objekt abgeben könnte« (KrV, A147/B186; vgl. B145 f., A289/B346). Unsere empirische Anschauung kann Kategorien allein »Sinn und Bedeutung verschaffen« (KrV, B149; vgl. B288, A239 ff./B298 ff.). »Also sind die Kategorien, ohne Schemate, nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert« (KrV, A147/B187). Etwas ganz anderes als reine Verstandesbegriffe sind die Vernunftbegriffe (Ideen). Die Vernunftbegriffe, die, als reine Begriffe des Unbedingten und der Totalität der Bedingungen, losgelöst von aller Bindung der Sinnlichkeit sind, bringen keinen »transzendentalen Inhalt« bei, d.h. sie haben keine konstituierende Funktion für die Gegenstände der möglichen Erfahrung. Die Ideen haben deshalb auch keinen korrespondierenden Gegenstand in der Anschauung. Sie sind aber dem Verstand dienlich zur regulativen Vereinheitlichung der mannigfaltigen Naturerkenntnisse. Die Ideen haben also in theoretischer Hinsicht keine »objektive Realität« und können folglich nicht wie die Verstandesbegriffe notwendig in der Erfahrung enthalten sein. Sie sind nach Kant, in Analogie zur metaphysischen Deduktion der Kategorien, in den logischen Funktionen der Vernunftschlüsse zu suchen, 40 und somit bloß mittelbar »geschlossene« Vorstellungen, deren korrespondierende »Gegenstände« zwar in theoretischer Hinsicht für uns problematisch bleiben, aber dennoch als notwendige Produkte der Vernunft a priori anzuerkennen sind. Kant verleiht den ›Reflexionsbegriffen‹ im Amphibolie-Kapitel noch eine ganz andere Bedeutung. Dort heißen Reflexionsbegriffe Vergleichungsbegriffe (conceptus comparationis), weil, vor allen 40
Vgl. KrV, A321 ff./B377 ff., Prol., A126/IV328, A129/IV330.
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objektiven Urteilen, die gegebenen Vorstellungen (bzw. Begriffe) am Leitfaden dieser Reflexionsbegriffe bloß miteinander verglichen werden (vgl. KrV, A262/B317 f.). Von solchen Begriffen nennt Kant vier Paare, die nach vier Klassen der Kategorien (bzw. Urteilsformen) geordnet sind (vgl. Prol., A123/IV326): Einerleiheit/Verschiedenheit, Einstimmung/Widerstreit, Inneres/Äußeres und Bestimmbares (Materie)/Bestimmung (Form). Ihre Funktion besteht darin, das Verhältnis der Vorstellungen in einem Gemütszustande zueinander unter vier möglichen Leitgesichtspunkten zu bestimmen. Als Leitgesichtspunkte des Vergleichs der gegebenen Vorstellungen sagen die »Reflexionsbegriffe« nichts über den Objektbezug derselben. Sie »haben keine Funktion hinsichtlich der inhaltsbezogenen Vorstellungen – weder einen direkten (dergestalt, daß durch sie ein Wissensinhalt dargeboten werden würde) noch einen indirekten (dergestalt, daß sie objektive synthetische Urteile a priori in ihrer Objektivität ermöglichten oder, wie dies bei den Ideen der Fall ist, daß sie zu den die Einheit der Erfahrung leistenden Elementen apriorischer Erkenntnis gehörten)« 41 . Gerade weil die Reflexionsbegriffe keine inhaltsbezogene Vorstellungen sind, geben sie von sich aus auch keine Auskunft über ihre richtige Anwendung. Ihr Gebrauch bei der gegenständlichen (objektiven) Vergleichung der gegebenen Vorstellungen kann deswegen zweideutig sein. Es ist daher völlig offen, ob die gegebenen Vorstellungen Dinge an sich oder Erscheinungen sind. Im folgenden werden ›Reflexionsbegriffe‹ ohne spezielles Kennzeichen nur im Sinne von »Vergleichungsbegriffen« gemäß dem Amphibolie-Kapitel gebraucht. Das Amphibolie-Kapitel gehört zu einem der dunkelsten Kapitel der KrV, nicht weil der Inhalt des Thematischen – wie der des Schematismus – schwierig ist, sondern weil die Hauptbegriffe von Kant nur andeutungsweise, und zwar unscharf angegeben sind. Es ist z.B. unklar, wie und aus welchem Prinzip Kant Reflexionsbegriffe »nach dem Leitfaden der Kategorien in eine Tafel gebracht« hat 41
R. Malter (1982) S. 130 f.; vgl. ebd. S. 141. – Kant schreibt Anfang der 70er Jahre in einer Notiz zu dem § 572 der Metaphysica Baumgartens: »Die Einerleyheit und Verschiedenheit nehmen wir eigentlich nicht wahr, sondern bemerken sie bey der Vergleichung« (R461, XV190).
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(Prol., A123/IV326), ob die Tafel der Reflexionsbegriffe vollständig ist, was die Funktion derselben und ihr Zusammenhang mit Kategorien und Urteilsformen ist, ob Reflexionsbegriffe nicht vielmehr zur reflektierenden Urteilskraft gehören u.s.w.42 Malter (1982, S. 131 ff.) weist nach, daß das Amphibolie-Kapitel zurecht ein Anhang zur transzendentalen Analytik und nicht einer zur transzendentalen Dialektik ist. Denn bei der »transzendentalen Amphibolie«, nämlich der »Verwechslung des reinen Verstandesobjekts mit der Erscheinung« (KrV, A270/B326) handelt es sich um einen vermeidlichen Fehler bei der Bildung der synthetischen Urteile a priori im Gegensatz zum natürlichen, unvermeidlichen, transzendentalen Schein der Ideen, sofern man Kategorien (Verstand) von Ideen (Vernunft) scharf abgrenzt. »Der transzendentale Schein […] hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die transzendentale Kritik deutlich eingesehen hat. (z.B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der Zeit nach einen Anfang haben.) Die Ursache hiervon ist diese, daß in unserer Vernunft […] Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich das Ansehen objektiver Grundsätze haben, und wodurch es geschieht, daß die subjektive Notwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer Begriffe, zugunsten des Verstandes, für eine objektive Notwendigkeit der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird« (KrV, A297/B353).
Die Reflexionsbegriffe sind keine Kategorien und haben somit keine objektiv konstituierende Funktion. Sie können dem Verstand nicht zum Organon der Gegenstandserkenntnis dienen. Unser Verstand hat keinen transzendentalen, sondern nur empirischen Gebrauch. Dies bringt Kant im Kapitel »Phaenomena und Noumena« bereits als Fazit der transzendentalen Ästhetik und Analytik zum Ausdruck (vgl. KrV, A248/B305). Das Amphibolie-Kapitel ist eine nachträgliche Reflexion der kritischen Methode selbst und hat eine denkbiographische Funktion 42
Zur Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur vgl. P. Reuter und R. Malter (1982).
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der Selbstkritik. Kants Kritik am transzendentalen Verstandesgebrauch trifft auch seine frühe Auffassung von »usus realis« des Verstandes in der Dissertation von 1770 (vgl. A8/II393, A28 f./II410 f.). »[D]ie reinen Kategorien, ohne formale Bedingungen der Sinnlichkeit, haben bloß transzendentale Bedeutung, sind aber von keinem transzendentalen Gebrauch, weil dieser an sich selbst unmöglich ist, indem ihnen alle Bedingungen irgend eines Gebrauchs (in Urteilen) abgehen, nämlich die formalen Bedingungen der Subsumtion irgendeines angeblichen Gegenstandes unter diese Begriffe« (KrV, A248/B305).
Kants Zusammenstellung der vier Paare von Reflexionsbegriffen hat wohl nicht nur mit der Leibniz-Kritik, sondern auch mit der Entstehung der Kategorientafel zu tun. 43 Erstere ist vielleicht entscheidend (vgl. KrV, A270/B326). Es wird dadurch auch verständlich, daß der Sprachgebrauch in diesem Kapitel stark an den der vorkritischen Zeit erinnert.44 Von einer systematischen Ableitung oder Deduktion der Reflexionsbegriffe ist bei Kant nirgendwo die Rede. Die vier Titel der Tafel der Kategorien oder Urteilsformen dienen dabei nicht zur Ableitung der Reflexionsbegriffe, sondern bloß als Ordnungsprinzip des Denkens, um die bereits vorliegenden Reflexionsbegriffe systematisch anzuordnen. Daraus folgt deshalb nicht, daß zwischen den drei Tafeln irgendein Begründungsverhält43
Die Hauptaufgabe der Kategorienlehre ist zuerst, wie A. Baeumler (S. 333 f.) bereits erwähnt, aus der »Sphäre der bloßen Reflexionsbegriffe« im Sinne der reflektierten Vorstellung innerhalb der Abstraktionstheorie des Begriffs herauszukommen. H. Heimsoeth (1970, S. 113 ff.) nennt anhand des Inhalts der KrV fünf Gesichtspunkte der Auswahl der Kategorien, nach denen Kant die vor ihm liegenden »termini ontologici«, die nicht Kategorien sind, wegläßt. Herausgenommen werden 1. Formen der Sinnlichkeit, 2. Prädikabilien, 3. Reflexionsbegriffe, 4. Transzendentalien und 5. Vernunftideen. – Vgl. dazu Prol., A123/IV326. Unbehandelt bleibt hier die Frage: In welchem Verhältnis stehen die Reflexionsbegriffe zu den drei Transzendentalien »als logische Erfordernisse und Kriterien aller E r k e n n t n i s der D i n g e überhaupt« (KrV, B114)? 44 E. Zilsel benutzt dagegen dieses Argument als Nachweis der vorkritischen Relikte des Anhangs.
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nis besteht. Die Stelle in A262/B317 f. (auch in A279/B335) dient bloß zur Beschreibung und Erläuterung der Reflexionsbegriffe als Vergleichungsbegriffe, die als subjektive Bedingungen der Urteilsbildung fungieren, und nicht zur Ableitung der Urteilsformen aus Reflexionsbegriffen, weil die Urteilsformen, vor der Vergleichung der Vorstellungen am Leitfaden der Reflexionsbegriffe, bereits im Verstand, als formale Prinzipien, vorliegen. 45 Daher beansprucht Kant auch keine Vollständigkeit der Tafel der Reflexionsbegriffe. Er könnte z.B. die Verhältnisbegriffe ›klein/groß‹ zur Tafel zählen. 46 Die Verhältnisbegriffe ›Absolutum‹ und ›Relativum‹ (vgl. R5099, XVIII87) werden ersetzt durch das ›Innere‹ und ›Äußere‹, vielleicht aufgrund der Herkunft des Begriffs ›Absolutum‹ aus der Vernunft.47 Die Leibniz-Kritik, nämlich die Kritik an dem Mißbrauch der Reflexionsbegriffe, dient nach Kant auch positiv zur Begrenzung und Sicherung des Verstandesgebrauchs selbst, welche eine der Hauptaufgaben der transzendentalen Analytik ist: »Die Begriffe der Reflexion haben […] durch eine gewisse Mißdeutung einen solchen Einfluß auf den Verstandesgebrauch, daß sie sogar einen der scharfsichtigsten unter allen Philosophen zu einem vermeinten System Intellektueller Erkenntnis, welches seine Gegenstände ohne Dazukunft der Sinne zu bestimmen unternimmt, zu verleiten im Stande gewesen. Eben um deswillen ist die Entwicklung der täuschenden Ursache der Amphibolie dieser Begriffe, in Veranlassung falscher Grundsätze, von großem Nutzen, die Grenzen des Verstandes zuverlässig zu bestimmen und zu sichern« (KrV, A280/B336; vgl. A269 f./B325 f.).
45
Vgl. R. Malter (1982) S. 137 f. insb. Anm. 33. Vgl. KU, 80 f. – Siehe dazu obige Anm. 16 (S. 161) und ferner R. Malter (1982) S. 148 Anm. 54. 47 Vgl. KrV, A324 f./B381, ferner A232/B285: »In der Tat ist aber die absolute Möglichkeit (die in aller Absicht gültig ist) kein bloßer Verstandesbegriff und kann auf keinerlei Weise von empirischem Gebrauche sein, sondern er gehört allein der Vernunft zu, die über allen möglichen empirischen Verstandesgebrauch hinausgeht«. 46
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Kant hat die Funktion der vier Paare von Reflexionsbegriffen als Leitgesichtspunkt »aller Vergleichung und Unterscheidung« (KrV, A269/B325) der gegebenen Vorstellungen bei der Urteilsbildung im Amphibolie-Kapitel aber nur angedeutet, weil die Untersuchung der bloß subjektiven Bedingung der Möglichkeit des Urteils nicht zur Hauptaufgabe der KrV gehört, welche die subjektive aber zugleich objektiv-gültige Bedingung derselben untersucht. Die Reflexionsbegriffe fungieren als Vorbedingung der Urteilsbildung, denn das Vergleichen und Unterscheiden der Vorstellungen gehen aller Urteilsbildung insofern vorher, als alles Urteilen im Verbinden und Trennen derselben besteht. Sie sind die subjektiven Bedingungen der Anwendung der Urteilsformen und Kategorien auf gegebene Vorstellungen. »Die Reflexionsbegriffe konstituieren zwar weder die vier Klassen der Urteilsformen, noch haben sie es mit dem Objektivwerden des Urteils zu tun (was Aufgabe der Kategorien ist); aber so wie durch sie in der logischen Reflexion entschieden wird, welchen Urteilsformen gegebene Vorstellungen unterzuordnen sind, so entscheiden sie auch darüber, wie die unter materialem Gesichtspunkt thematischen Vorstellungen zueinander im Verhältnis stehen«48. Letztere bringt Kant insbesondere im Hinblick auf die Bildung des »gültigen« synthetischen Urteils a priori zum Ausdruck: Die Reflexionsbegriffe unterscheiden sich dadurch von Kategorien, »daß durch jene nicht der Gegenstand, nach demjenigen, was seinen Begriff ausmacht (Größe, Realität), sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese Vergleichung aber bedarf zuvörderst einer Überlegung, d.i. einer Bestimmung desjenigen Orts, wo die Vorstellungen der Dinge, die verglichen werden, hingehören, ob sie der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit in der Erscheinung gibt« (KrV, A269/B325).
Letztere »Überlegung« nennt Kant die transzendentale Reflexion. Die Reflexion als »Vergleichung der Vorstellungen« geht vor allen 48
R. Malter (1982) S. 139. – Zur Funktion der Reflexionsbegriffe in der logischen Reflexion vgl. KrV, A262/B317, A279/B335.
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objektiven Urteilen, und folglich auch »vor dem Begriffe von Dingen«, der erst durch den inhaltsbezogenen Urteilsvollzug bestimmt wird. Um dies begreiflich zu machen, sollen drei im AmphibolieKapitel thematische Typen der Reflexion: logische, objektive und transzendentale klar dargestellt werden.
3.1.3 Logische und transzendentale Reflexion Im Amphibolie-Kapitel hebt Kant die heuristische Funktion der Reflexion als subjektive Bedingung der Urteilsbildung hervor. Hier läßt Kant die eigene Stellungnahme seiner transzendentalen Methode innerhalb des neuzeitlichen Paradigmas der Bewußtseinstheorie zum Vorschein kommen, auch wenn der Begriff ›Reflexion‹ unscharf gefaßt ist und die Charakterisierung der transzendentalphilosophischen Methode durch die »transzendentale Reflexion« im Vorfeld der Leibniz-Kritik unterbestimmt bleibt.49 Das zeigt sich deutlich im ersten Absatz des Anhangs. Wo Kant die »Reflexion« allgemein zu klären scheint, bestimmt er aber in Wahrheit dadurch bloß seinen eigenen Kritizismus – den er als eine »Umänderung der 49
Die Leibnizsche Metaphysik wird im Amphibolie-Kapitel von Kant als Prototyp des Dogmatismus betrachtet, und die Leibniz-Kritik dient daher, wie Hess (S. 222 f.) richtig bemerkt, als Negativ-Beispiel oder Kontraposition, »um an ihr die eigene philosophische Position um so deutlicher hervortreten zu lassen« (S. 222). Darum unternimmt Kant hier keine systematische und vollständige Leibniz-Kritik. Es wird hier nicht geprüft, ob und inwiefern Kants Leibniz-Kritik treffend ist. Beide Systeme haben je verschiedene Voraussetzungen. Die Leibnizsche Metaphysik geht von der unendlichen Vernunft Gottes als höchstem Grund (Ultima Ratio) alles Möglichen und Wirklichen aus, während Kant die Möglichkeit und Grenzen des menschlichen Erkennens qua der endlichen Vernunft selbst prüft. Der Substanzbegriff Leibnizens beruht auf seiner Begriffstheorie des »vollständigen Begriffs«. Ein Begriff ist für Kant hingegen allgemein und diskursiv. Der »conceptus infimus läst sich nicht bestimmen« (Logik-Pölitz, XXIV569). Die Kantischen Ideen sind nicht die Ideen Gottes, sondern die notwendigen Vorstellungen a priori der endlichen menschlichen Vernunft. – Zur Kants Leibniz-Kritik siehe z.B. K. Er. Kaehler, H. Herring, G. H. R. Parkinson, H.-J. Hess und R. Malter (1981a).
180
Denkart« (KrV, BXVI) oder eine »veränderte Methode der Denkungsart« (KrV, BXVIII) charakterisiert – selbst als eine Art der »transzendentalen Reflexion«, die aber im Amphibolie-Kapitel nur unter einem speziellen Aspekt aufgefaßt wird. »Die Ü b e r l e g u n g (reflexio) hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis untereinander richtig bestimmt werden kann. […] Die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob sie als zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung gehörend untereinander verglichen werden, nenne ich die t r a n s z e n d e n t a l e Ü b e r l e g u n g « (KrV, A260/B316).
Die transzendentale Reflexion selbst ist kein Verfahren der gegenstandsbezogenen Urteilsbildung, sondern ein besonderer Akt des Bewußtseins, die Aufmerksamkeit auf die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis hinzulenken. Sie hat also die Aufgabe, die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit der materialen Urteilsbildung zu klären. Die gegenstandsbezogene Urteilsbildung ist – wie die transzendentale Analytik zeigt, die die transzendentale Ästhetik voraussetzt – ein Handlungsvorzug des Verstandes durch das konstituierende Verfahren der kategorialen Synthesis unter den Bedingungen der Sinnlichkeit. Kant scheint bereits im ersten eben zitierten Satz unter dem Aspekt seiner Transzendentalphilosophie eine Kritik an der Abstraktionstheorie der Schulphilosophie zu üben. 50 Die Reflexion hat im allgemeinen nicht die Funktion, die »Gegenstände selbst« abzubil50
Zu Kants Kritik an § 254, 259 von Meiers Auszug aus der Vernunftlehre vgl. z.B. Logik-Blomberg, XXIV255; Logik-Philippi, XXIV452 f.; Logik-Dohna, XXIV753 f.; R2865, XVI552.
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den, und »geradezu von ihnen Begriffe« durch die Abstraktion zu erhalten. Die Reflexion charakterisiert nur die spontane Tätigkeit des Bewußtseins, die keine Materie hervorbringt, sondern das gegebene Mannigfaltige miteinander vergleicht und ordnet. Sie ist die subjektive Bedingung der Möglichkeit aller Erkenntnis, die nur in bezug auf die Tätigkeit des Bewußtseins Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit haben kann. Die Reflexion spielt somit in Kants Begriffs- und Urteilsbildungslehre eine positiv-bildende Rolle. In bezug auf die formallogische Begriffsbildung bringt Kant die Abgrenzung der Reflexion von der Abstraktion zum Ausdruck: »Begriffe entstehen per comparationem, reflexionem et abstractionem. In einem Bewußtseyn fasse ich viele Vorstellungen, in denen ich vergleiche, was nur eine Wiederholung des Andern ist. Aus der reflexion erkennt man also das, was viele Dinge gemein haben, hernach nimmt man die abstraction weg, worin sie nicht überein kommen, und denn bleibt repraesentatio communis übrig. Kein Begriff wird also ohne Vergleichung, ohne Wahrnehmung einer Einstimmung und ohne abstraction […] Z. B. Wenn Jemanden beym Ausdruck H a u s nur immer der K r u g , den er gesehen, in den Sinn käme, der behielt immer einen intuitus. Man sieht wohl durch Weglassen und abstrahiren wird kein Begriff, aber es vollendet ihn, und macht, daß er kein singularis bleibt. Das p o s i t i v e beym Entstehen eines Begriffes ist compariren und reflectiren, das n e g a t i v e abstrahiren« (Wiener Logik, XXIV909).
Die transzendentale Reflexion wird deshalb transzendental genannt, weil sie genau die Charakteristik der transzendentalen Erkenntnis erfüllt: »Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt« (KrV, B25). Nicht eine jede Erkenntnis a priori heißt nach Kant transzendental, »sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sind« (KrV, A56/B80). Die transzendentale Erkenntnis ist selbst keine gegenstandskonstituierende Erkenntnis, sondern die apriorische 182
Klärung der Bedingung der Möglichkeit dieser Erkenntnis von Gegenständen, mithin die Darlegung der Möglichkeit der Erkenntnis oder des Gebrauchs derselben a priori im Rekurs auf die Möglichkeit unserer Erkenntnisvermögen. In diesem Sinne bedeutet das Wort ›transzendental‹ nach Kants Auffassung »nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern, was vor ihr (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen« (Prol., Anm. A204/IV373).51 Dementsprechend und auf den praktischen Bereich erweiternd faßt Kant in § 91 der KU die ontologische Dimension der transzendentalen Fragestellung zusammen: »Wenn wir bloß auf die Art sehen, wie etwas f ü r u n s (nach der subjektiven Beschaffenheit unserer Vorstellungskräfte) Objekt der Erkenntnis (res cognoscibilis) sein kann, so werden alsdann die Begriffe nicht mit den Objekten, sondern bloß mit unseren Erkenntnisvermögen und dem Gebrauche, den diese von der gegebenen Vorstellung (in theoretischer oder praktischer Absicht) machen können, zusammengehalten; und die Frage, ob etwas ein erkennbares Wesen sei oder nicht, ist keine Frage, die die Möglichkeit der Dinge selbst, sondern unserer Erkenntnis derselben angeht« (KU, 454).
Kant bestimmt aber die »transzendentale Reflexion« im Amphibolie-Kapitel, wie der erste Absatz des Anhangs zeigt, spezifisch als diejenige Handlung, die gegebene Vorstellungen mit unseren Erkenntniskräften vergleicht, um den Ursprungsort der Vorstellungen auszumachen, d.h. zu entscheiden, ob sie zur Sinnlichkeit und/oder zum Verstand gehören (vgl. KrV, A269/B325). Diese Bestimmung der transzendentalen Reflexion steht in engem Zusammenhang mit dem negativen Nutzen der Kritik als Begrenzung und Sicherung des Verstandesgebrauchs. Der positive Nutzen besteht in ihrer heuristischen Funktion bei der konkreten Bildung des »bestimmenden« Urteils, dem immer ein »vorläufiges« Urteil vorhergeht. 51
Vgl. auch KrV, A720 f./B748 f., A342 ff./B400 f., A143/B182, A167/B209. – Die Mehrdeutigkeit von ›transzendental‹ bei Kant hängt mit der Mehrdeutigkeit von ›Gegenstand‹ zusammen. – Zu Kants Begriff des Gegenstandes vgl. S. 166 f. und Anm. 39 (S. 173).
183
Die Bestimmung der Reflexion ist im Amphibolie-Kapitel von vornherein auf die Funktion dieser in engem Sinne gefaßten transzendentalen Reflexion zugeschnitten. Eine umgreifende Beschreibung des Verfahrens der Reflexion findet man erst in der EE: Das Reflektieren (Überlegen) ist eine Handlung des Bewußtseins, »gegebene Vorstellungen entweder mit andern, oder mit seinem Erkenntnisvermögen, in Beziehung auf einen dadurch möglichen Begriff, zu vergleichen und zusammen zu halten« (EE, XX211). Die Vergleichung der Vorstellungen untereinander ist zweifach: Man vergleicht entweder bloß die gegebenen Vorstellungen (bzw. Begriffe) miteinander ohne Rücksicht auf ihre referentielle Bedeutung – mit Kants Worten, ihren Inhalt –, um einen Begriff oder ein Urteil der Form nach analytisch zu bilden. Diese bloß formale Vergleichung der Vorstellungen untereinander nennt Kant ›logische Reflexion‹. Oder aber man vergleicht die gegebenen Vorstellungen mit Rücksicht auf ihren Inhalt, d. h. man vergleicht hier nicht die bloßen Vorstellungen (bzw. Begriffe), sondern die Gegenstände oder Dinge dieser Vorstellungen. Diese Vergleichung der Dinge am Leitfaden der Reflexionsbegriffe nennt Kant ›objektive Komparation‹, die synthetisch ist. »Weil aber […] die Dinge ein zwiefaches Verhältnis zu unserer Erkenntniskraft, nämlich zur Sinnlichkeit und zum Verstande haben können […]: so wird die transzendentale Reflexion, d.i. das Verhältnis gegebener Vorstellungen zu einer oder der anderen Erkenntnisart, ihr Verhältnis untereinander allein bestimmen können; und ob die Dinge einerlei oder verschieden, einstimmig oder widerstreitend sind usw., wird nicht sofort aus den Begriffen selbst durch bloße Vergleichung (comparatio), sondern allererst durch die Unterscheidung der Erkenntnisart, wozu sie gehören, vermittelst einer transzendentalen Überlegung (reflexio) ausgemacht werden können. Man könnte also zwar sagen: daß die l o g i s c h e R e f l e x i o n eine bloße Komparation sei, denn bei ihr wird von der Erkenntniskraft, wozu die gegebenen Vorstellungen gehören, gänzlich abstrahiert, und sie sind also so fern ihrem Sitze nach, im Gemüte, als gleichartig zu behandeln, die t r a n s z e n d e n t a l e R e f l e x i o n aber (welche auf die Ge-
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genstände selbst geht) enthält den Grund der Möglichkeit der objektiven Komparation der Vorstellungen untereinander, und ist also von der letzteren52 gar sehr verschieden, weil die Erkenntniskraft, dazu sie gehören, nicht eben dieselbe ist« (KrV, A262 f./B318 f.; vgl. A269 f./B325 f., A279 f./B335 f.).
Die transzendentale Reflexion als »Grund der Möglichkeit der objektiven Komparation« geht »auf die Gegenstände selbst«. Dies steht nicht im Widerspruch zu Kants Feststellung in A260/B316, daß die transzendentale Reflexion nichts »mit den Gegenstände selbst zu tun« hat. Denn Kant will hier nur sagen, daß die sich richtig vollziehende objektive Komparation keine »bloße Komparation«, wie die logische Reflexion, sondern eine Vergleichung der Gegenstände selbst als Erscheinungen ist. Die transzendentale Reflexion ist daher die subjektive Bedingung der Möglichkeit der materialen Urteilsbildung, und zwar insbesondere die der Bildung der »richtigen« synthetischen Urteile a priori. Sie fällt beim empirischen Urteil über Dinge nicht auf, da sich die objektive Komparation der Gegenstände der Erfahrung spontan »unter Bedingungen der sinnlichen Anschauung« (KrV, A279/B335) vollzieht. Man begeht dann den amphibolischen Fehler des Gebrauchs der Reflexionsbegriffe, besonders wenn man, ohne die transzendentale Reflexion, »a priori etwas über Dinge urteilen will« (KrV, A263/B319). Ohne diese transzendentale Reflexion »entspringen vermeinte synthetische Grundsätze, welche die kritische Vernunft nicht anerkennen kann, und die sich lediglich auf einer transzendentalen Amphibolie, d.i. einer Verwechslung des reinen Verstandesobjekts mit der Erscheinung, gründen« (KrV, A269 f./B325 f.). »Das Urtheil nach Reflexionsbegriffen ist in Ansehung der Dinge an sich selbst analytisch, blos das Bewustseyn zu bestimmen, in Erscheinungen synthetisch« (Nachträge zur
52
Sc. objektive Komparation. Statt »letzteren« sollte nach Vaihinger »ersteren« stehen und sich somit auf die logische Reflexion beziehen. An dieser Stelle ist die Beziehung zwischen der transzendentalen Reflexion und der objektiven Komparation nicht ganz klar. Es klingt hier so, als umfasse die transzendentale Reflexion auch die objektive Komparation. Vgl. dazu M. Willaschek S. 340 f.
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KrV, A261/B316, XXIII37; vgl. KrV, A77 f./B103, R5554, XVIII229 f.). »Wenn man von einem Begriffe synthetisch urteilen soll, so muß man aus diesem Begriffe hinausgehen, und zwar zur Anschauung, in welcher er gegeben ist. Denn, bliebe man bei dem stehen, was im Begriffe enthalten ist, so wäre das Urteil bloß analytisch, und eine Erklärung des Gedanken, nach demjenigen, was wirklich in ihm enthalten ist« (KrV, A721/B749).
Die transzendentale Reflexion ist hierbei erforderlich, weil die Reflexionsbegriffe zweideutig gebraucht werden können: (1) Was für den Verstand einerlei ist, kann für die Sinnlichkeit dennoch verschieden sein. Zwei Tropfen Wasser sind, rein begrifflich betrachtet, immer identisch (innerlich ununterscheidbar), aber in den verschiedenen Raum-Zeit-Stellen jedoch numerisch verschieden. (2) Realitäten, wenn sie nur durch Verstand vorgestellt werden (lautere Bejahungen), können einander niemals logisch widerstreiten. Ein »realer Widerstreit« ist für Reales in der Erscheinung wohl möglich, wenn dessen Wirkungen sich aufheben. (3) Nur ein Gegenstand des Verstandes kann innere Bestimmungen haben, die »substantia phaenomenon« im Raum läßt sich hingegen nur äußerlich durch Relationen bestimmen. Der Gegenstand der Erscheinung ist demnach nichts anderes als »Inbegriff von lauter Relationen« (KrV, A265/B321), weil wir ihn »nur durch Kräfte« (ebd.), die im Raum wirksam sind, kennen. Seine innere Bestimmung ist für uns unerkennbar. (4) Im Begriff des reinen Verstandes geht die Materie der Form vor, weil unser Verstand nichts bestimmen kann, wenn etwas (wenigstens im Begriff) uns nicht vorher gegeben ist. In sinnlichen Anschauungen geht aber die Form (Raum und Zeit) vor der Materie (Empfindung), weil uns ohne Formen der Sinnlichkeit nichts gegeben sein kann.53 Die transzendentale Reflexion soll die Bildung der synthetischen Urteile a priori aus bloßen Begriffen verhindern, die lediglich im Verstand verglichen werden. Die Möglichkeit der Bildung der syn53
Vgl. KrV, A263 ff./B319 ff., A271 ff./B327 ff., A281 ff./B337 ff.
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thetischen Urteile a priori aus Vernunftideen läßt sich hierbei nicht in Betracht ziehen. Sie wird erst in der transzendentalen Dialektik untersucht und aufgrund der »i n d e mo n s t r a b e l e n « Begriffe der Vernunft (KU, 240) negativ beantwortet. Nach dem Resultat der transzendentalen Ästhetik und Analytik können wir nur Urteile über Dinge als Erscheinungen bilden, d.h. unsere Begriffe auf sinnliche Anschauungen anwenden. Die transzendentalen Grundsätze des reinen Verstandes »enthalten bloß die Regel, nach der eine gewisse synthetische Einheit desjenigen, was nicht a priori anschaulich vorgestellt werden kann (der Wahrnehmungen), empirisch gesucht werden soll« (KrV, A720 f./B748 f.). Daß unsere Begriffe sich nur empirisch gebrauchen lassen, wenn sie überhaupt »Sinn und Bedeutung« haben können, ist keine Entscheidung der im AmphibolieKapitel eng gefaßten transzendentalen Reflexion, sondern das Resultat der transzendentalen Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit unserer Erkenntnis mit Hilfe der am Leitfaden der Reflexionsbegriffe operierenden kritischen Reflexion, die von vornherein jene transzendentale Reflexion immer schon vollzieht: »Wenn wir aber auch v o n D i n g e n a n s i c h s e l b s t etwas durch den reinen Verstand synthetisch sagen könnten (welches gleichwohl unmöglich ist), so würde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht Dinge an sich selbst vorstellen, gezogen werden können. Ich werde also in diesem letzteren Falle in der transzendentalen Überlegung meine Begriffe jederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit vergleichen müssen, und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern der Erscheinungen sein; was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung vorkommen kann« (KrV, A276 f./B332 f.).
Die kritische Methode der Kantischen Transzendentalphilosophie geht nicht nur von der transzendentalen Tatsache der zwei Quellen des menschlichen Erkennens aus, sondern besagt auch von vornherein die wechselseitige Bedingtheit von Sinnlichkeit und Verstand, wenn die menschliche Erkenntnis möglich sein soll. Sie
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kann nichts anderes als die Synthesis der sinnlichen Anschauung und des diskursiven Begriffs sein. Dieses Resultat der transzendentalen Ästhetik und Analytik faßt Kant am Ende des AmphibolieKapitels noch einmal zusammen (KrV, A286 ff./B342 ff.). »Der Verstand begrenzt […] die Sinnlichkeit, ohne darum sein eigenes Feld zu erweitern, und, indem er jene warnt, daß sie sich nicht anmaße, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz usw. gedacht werden kann« (KrV, A288/B344). Umgekehrt bekommen die Begriffe des Verstandes ihre Bedeutung nur »von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert« (KrV, A147/B187). Der Grundfehler des transzendentalen Gebrauchs des Verstandes liegt nach Kant letztendlich in der fehlenden transzendentalen Reflexion nach den modalen Reflexionsbegriffen ›Materie und Form‹. Der Verstand kann seinen Gebrauch transzendental machen, indem er, wider seine Bestimmung, die Gegenstände der Begriffe ohne die sinnlichen Bestimmungen durch bloße Begriffe ausmacht. Anstatt daß »Begriffe sich nach möglichen Anschauungen (als auf denen allein ihre objektive Gültigkeit beruht) richten müssen«, richten »die Gegenstände, d.i. mögliche Anschauungen, sich nach Begriffen« (KrV, A289/B345). Im transzendentalen Verstandesgebrauch geht fälschlicherweise die Form (Begriff) der Materie (Anschauung) vorher, indem man meint, daß der Begriff selbst durch seine Begrifflichkeit ohne die Sinnlichkeit schon bestimmt sei. »Die Ursache hiervon aber ist wiederum: daß die Apperzeption, und, mit ihr, das Denken vor aller möglichen bestimmten Anordnung der Vorstellungen vorhergeht. Wir denken also Etwas überhaupt, und bestimmen es einerseits sinnlich, allein unterscheiden doch den allgemeinen und in abstracto vorgestellten Gegenstand von dieser Art ihn anzuschauen; da bleibt uns nun eine Art, ihn bloß durch Denken zu bestimmen, übrig, welche zwar eine bloße logische Form ohne Inhalt ist, uns aber dennoch eine Art zu sein scheint, wie das Objekt an sich existiere (Noumenon), ohne auf die Anschauung zu se-
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hen, welche auf unsere Sinne eingeschränkt ist« (KrV, A289/B345 f.).
Die »Kopernikanische Wende« der kritischen Methode wäre zu eng gefaßt, wenn man den Gegenstandsbezug der Vorstellungen einseitig durch Abstraktion bloß auf die sinnliche Gegebenheit oder auf die begriffliche Bestimmtheit zurückführte.54 Kants Antwort auf die transzendentale Frage: »Wie lassen sich unsere Vorstellungen a priori auf Gegenstände beziehen?«, lautet, daß die Gegenstände sich nach unseren Vorstellungen richten müssen, wenn die synthetischen Urteile a priori möglich sein sollen. Die objektiv gegenstandsbezogenen Vorstellungen sind für uns aber zweierlei: Anschauungen und Begriffe. Die allgemeine Bestimmung der »Kopernikanischen Wende« bedeutet nichts anderes als die Rückwendung der Bedingungen der Möglichkeit des Erkennens auf die Subjektivität des erkennenden Subjekts. Von diesem Standpunkt aus ist der ontologische Schluß von der logischen Möglichkeit der subjektiven Vorstellung auf die reale Möglichkeit und Wirklichkeit derselben unzulässig. Es gibt nach Kant keinen wissensinhaltlichen Analogieschluß zwischen Erscheinungen und Dingen an sich, weil sie wesentlich unterschieden sind.55 Es ist also, unserem Erkenntnisvermögen gemäß, nicht erlaubt von der subjektiven Vorstellung eines Gegenstandes auf die Ansich-Beschaffenheit dieses Gegenstandes selbst zu schließen. Die kritische Reflexion ist im Grund eine modale Reflexion, die die inhaltlich-gegenstandsbezogene Reflexion im Rückgriff derselben auf die Erkenntniskraft, worin der Begriff eines Dinges entspringt und seinen Sitz hat, prüft (vgl. KrV, A233 f./B286). Die modale Reflexion ist nicht »objektiv synthetisch«, weil sie dem transzendentalen Gegenstandsbegriff kein weiteres objektives Bestimmungsmoment hinzusetzt. Sie setzt vielmehr dem Gegenstandsbegriff, subjektiv in Rückbeziehung desselben auf die Erkenntniskraft, die Prädikate der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit 54 55
Zur Kopernikanischen Wende vgl. § 4, Anm. 52 (S. 283). Vgl. KU, 449 Anm. Zur Unterscheidung der Analogie als »Schlußart« und als »Denkart« siehe § 4, S. 284.
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synthetisch hinzu. Die modalen Prädikate drücken nur das »Verhältnis zum Erkenntnisvermögen« aus (vgl. KrV, A219/B266). »Die Grundsätze der Modalität also sagen von einem Begriffe nichts anderes, als die Handlung des Erkenntnisvermögens, dadurch er erzeugt wird« (KrV, A234/B287). Diese Handlung vollzieht sich nach den modalen Reflexionsbegriffen, welche die Prototypen aller Reflexionsbegriffe sind. Materie und Form sind zwei Begriffe, die »mit jedem Gebrauch des Verstandes unzertrennlich verbunden« sind, so, daß sie »aller anderen Reflexion zum Grunde gelegt werden« (KrV, A266/B322). Ganz in diesem Sinne drücken die Reflexionsbegriffe nichts anderes als Verstandesgebrauch selbst in Rückbeziehung desselben auf seinen Handlungsvollzug aus. Man könnte sagen, daß der operative Charakter der vier Titel der Kategorien- und Urteilstafel durch die vier Paare der Reflexionsbegriffe als »vier Titel aller Vergleichung und Unterscheidung« (KrV, A269/B325) ursprünglich zum Ausdruck kommt. Die vier Paare der Reflexionsbegriffe sind sozusagen die Reflexion der zweiten Stufe, und unter diesem Aspekt umgreifender als die 12 Kategorien und Urteilsformen. Sie sind Leitgesichtspunkte der Reflexion (Vergleichung) und somit die subjektiven Bedingungen des Verstandesgebrauchs. Kant behandelt den Akt der Reflexion in der KrV vorwiegend unter dem transzendentalen Aspekt, nämlich im Zusammenhang mit der Klärung der Art, wie die Vorstellungen bzw. Begriffe sich a priori auf Gegenstände, und zwar auf Gegenstände der Anschauung beziehen können, »welches die allgemeine Logik nicht leisten kann« (KrV, A79/B105). Unter diesem transzendentallogischen Aspekt werden die Kategorien als Ausdrücke der objektiv gegenstandskonstitutiven Reflexion (Synthesis) am Leitfaden der »logischen Funktionen zu Urteilen« abgeleitet (vgl. KrV, B128 f.). Denn Begriffe sind nur mögliche Erkenntnisse, nämlich mögliche Prädikate (Merkmale) der Urteile. Erkenntnisse im eigentlichen Sinne sind die objektiven Urteile, in denen sinnliche Anschauungen und Begriffe sich vereinigen. Der Gebrauch des Verstandes, d.h. seine unterschiedlichen Stufen der Reflexion, wird folglich in der KrV vornehmlich in bezug auf den Akt des Urteilens betrachtet. 190
Die »logische« und »objektive« Reflexion (Komparation) haben den Zweck, die Vorstellungen anhand der vier Paare der Reflexionsbegriffe miteinander zu vergleichen, um sie danach untereinander zu ordnen. Der Begriff der Reflexion wird im Kontext des Amphibolie-Kapitels zwar als die subjektive Bedingung der konkreten Urteilsbildung dargestellt, aber diese Bedingung gilt auch für die Begriffsbildung.56 Weil Begriffe »Prädikate möglicher Urteile« sind (KrV, A69/B94), ist die Begriffsbildung bereits durch den Akt des Urteilens bedingt, auch wenn dabei das Urteilen sich nur unvollkommen und stillschweigend vollzieht. 57 Durch die materiale Urteilsbildung entspringen die Erfahrungsbegriffe. »Einen deutlichen Begriff machen[,] ist die synthetische Methode, einen Begriff deutlich machen, ist die analytische« (Wiener Logik, XXIV844). Die »Deutlichmachung der Objecte geschiehet synthetisch, die Deutlichmachung der Begriffe analytisch« (ebd., XXIV845).58 Etwas anders als im Amphibolie-Kapitel wird die »Reflexion« bei der formalen Begriffsbildung betrachtet, die Kant in seinen Vorlesungen über Logik anhand der Begriffstheorie der Wolffschen Schule behandelt. Es geht um die drei logischen Operationen des Verstandes: komparieren, reflektieren und abstrahieren. Thematisch ist hierbei der »l o gi s c h e Ursprung der Begriffe – der Ursprung ihrer bloßen Form nach« (Jäsche Logik, A144 f./IX94). Denn die »allgemeine Logik hat […] nicht die Q u e l l e der Begriffe zu unter56
Vgl. KrV, A260/B316, EE, XX211 und Logik-Dohna, XXIV753 (siehe folgende Anm. 61). – Richtig deutet R. Malter (1981a, S. 288; ferner 1982, S. 131 ff.) die systematische Funktion der »Reflexion« im Amphibolie-Kapitel als die subjektive Bedingung der konkreten Urteilsbildung, insbesondere die der Bildung der synthetischen Urteile a priori. Darüber hinaus meint er aber, daß die Reflexion, bzw. die Reflexionsbegriffe dort nichts mit der Begriffsbildung zu tun haben. »So wenig das Amphiboliekapitel etwas über die begriffsbildende Funktion aussagt, so wenig sagt es etwas über die Mitwirkung der Reflexionsbegriffe bei der logischen Begriffsbildung aus« (S. 135). Malter schließt andererseits die mögliche Beteiligung der Reflexionsbegriffe bei der Begriffsbildung nicht aus (ebd., Anm. 24, S. 135). 57 Die Begriffsbildung bedarf nach Kant der Reflexion der Urteilskraft, die Anschauungen auf Begriffe bezieht (vgl. z.B. EE, XX211; KU, XLIII). – Vgl. dazu M. Steckelmacher S. 20 ff., insb. S. 22. 58 Vgl. Logik-Busolt, XXIV636; KrV, A199/B244, A92/B125.
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suchen; nicht wie Begriffe a l s Vo r s t e l l un ge n e nt s pr i n g e n , sondern lediglich, w i e g e g e b e n e V o r s t e l l u n g e n i m D e n k e n z u B e g r i ff e n w e r d e n ; diese Begriffe mögen übrigens etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes, oder von der Natur des Verstandes Entlehntes« (ebd., A144/IX94). Die Klärung der Entstehung der Begriffe, ihrem Inhalt nach, gehört nach Kant entweder zur Aufgabe der Metaphysik, wenn die Begriffe a priori gegeben sind, oder zur Aufgabe der empirischen Psychologie, wenn sie a posteriori gegeben sind. Die formallogische Begriffsbildung ist analytisch. »Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff gebracht, (ein Geschäft, wovon die allgemeine Logik handelt)« (KrV, A78/B104; vgl. A76/B102). Die Vorstellungen werden bereits durch die (objektiv oder subjektiv) synthetische Reflexion gegeben. Bei der logischen Begriffsbildung vergleicht man die gegebenen Vorstellungen bloß nach den Reflexionsbegriffen Einerleiheit und Verschiedenheit miteinander, und kann sich dadurch einen Begriff machen, »daß man dasjenige, was sie mit verschiedenen gemein hat, als ein Merkmal zum allgemeinen Gebrauch herauszieht« (EE, XX211 Anm.). Kant verdeutlicht den logischen Akt der Reflexion meistens anhand der empirischen Begriffsbildung: »Ich vergleiche Dinge, und attendire auf das, was sie gemein haben, und abstrahire von allen übrigen Dingen: so ist dieses ein conceptus, wodurch alle diese Dinge können gedacht werden« (Wiener Logik, XXIV907). Die drei logischen Operationen des Verstandes werden in der Wolffschen Schule in einer anderen Reihenfolge angeordnet: reflektieren, komparieren und abstrahieren.59 Kant gibt in seinen Vorle59
Vgl. dazu M. Liedtke (1966). Nach Liedtke wird die Komparation vor die Reflexion in R2876 »aus transzendentalen Gründen« gezogen, aber die logischen Betrachtungen spielen dabei zugleich eine Rolle (vgl. S. 212 ff.). Diese Änderung hat meines Erachtens vielmehr formallogische Gründe (obwohl Kants Logik transzendental orientiert ist), weil hier der logische Akt des Analysierens thematisch ist. Der psychologische und transzendentale Aspekt sind dabei nicht relevant. Beim Analysieren achtet man zuerst auf die Ähnlichkeit zum Zweck der Subordination, die Verschiedenheit bleibt im Hintergrund. Ohne Ahnung des zu bildenden Begriffs weiß man nicht, was und wie man analysieren soll. »In der Vergleichung gehen wir erst auf die Einerleyheit, denn [sc. dann] die
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sungen über Logik meistens 60 auch diese Reihenfolge wieder. Er schreibt z.B. in der Logik-Pölitz: »Ich reflectire über Dinge d.h. ich werde mir nach und nach verschiedener Vorstellungen bewust, oder ich vergleiche verschiedene Vorstellungen mit meinem Bewustseyn; ist das, so vergleiche ich sie untereinander, das ist comparation; wo ich Identitaet des Bewustseins finde, das separire ich oder abstrahire vom übrigen; so habe ich einen Begrif« (XXIV566).61 Wie der Vergleich der Erläuterungen der »reflexion« und »comparation« in R2876 (XVI555 f.) und R2878 (XVI556 f.) zeigt, läßt sich aber kein deutlicher Unterschied zwischen »reflektieren« und »komparieren« bei Kant erkennen. Der Grund liegt darin, daß die logische Reflexion (Begriffsbildung) eine bloße Komparation ist. Die Komparation ist nicht auf die Vergleichung der Ähnlichkeit zu beschränken. Sie schließt den Akt der Unterscheidung in sich ein. Denn das »komparieren« und »reflektieren« sind im Grunde nur zwei Aspekte ein und derselben Operation. Man kann keine Vorstellungen miteinander vergleichen, wenn man sich dabei nur der Ähnlichkeit der Vorstellungen bewußt ist, ohne zugleich ihren Unterschied zu bemerken. So heißt in der Logik-Busolt »Comparation« die »Vergleichung der Verschiedenheit und der identitaet« (XXIV654). Die »Reflexion« wird dort dann im Sinne von dem ersten Akt der
Unterschiede. Je mehr wir Dinge, die wir vor [sc. für] einerley hielten, kennen lernen, desto mehr verschiedenheiten werden wir gewahr« (R460, XV190; vgl. folgende Anm. 61). Das »komparieren« und »reflektieren« sind daher im Grunde nur zwei Aspekte ein und derselben Operation. Vgl. dazu M. Steckelmacher S. 17 ff. 60 Außer Wiener, Jäsche Logik (R2876) und Logik Dohna-Wundlacken. 61 Etwas anders betrachtet Kant die logische Begriffsbildung in der Logik DohnaWundlacken (vgl. auch R2854, XVI547) unter urteilslogischem Aspekt. Sie »geschieht 1. dadurch, daß etwas als Teilvorstellung betrachtet wird, die mehrern gemein sein kann, z.B. die rote Farbe. 2. wenn ich die Teilvorstellung als notam, als Erkenntnisgrund einer Sache betrachte, z.B. durch r o t Blut, Rose usw. erkenne. Die 3te Handlung ist die Abstraktion, diese Teilvorstellung als Erkenntnisgrund, insofern ich von allen übrigen Teilvorstellungen absehe. Der Begriff ist also eine Teilvorstellung, sofern ich von allen übrigen dabei abstrahiere« (XXIV753).
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Wolffschen »attentio« als »Aufmerksamkeit auf das Mannigfaltige[,] was in der Anschauung gedacht wird« (ebd.), genommen.62 Zusammenfassend betrachtet, läßt sich die Kantische Charakterisierung der Spontaneität des Denkens durch das Reflektieren am besten in Verbindung mit der teleologischen Auffassung der Vernunft verständlich machen, welche als subjektive Bedingung des Erkennens der Vernunftkritik zugrunde legt.63 Die menschliche Vernunft, als ein teleologisches System betrachtet, enthält »einen wahren Gliederbau […], worin alles Organ ist, nämlich alles um eines willen und ein jedes einzelne um aller willen« (KrV, BXXXVII f.). Die Vernunft ist so mit pluralen Gemütskräften ausgestattet, die jede nach ihren eigentümlichen Regeln spontan fungieren und somit je eigene von einander abgegrenzte Sphäre besitzen. 64 Die Gemütskräfte können nach Kant für uns nicht auf eine einzige Grundkraft reduziert werden, weil wir diese Möglichkeit nicht einsehen können. Denn Kraft, die abgeleitet von der Kategorie der Kausalität wird, ist »bloß das V e r h ä l t n i s der Substanz zu den Akzidenzen, s o f e r n e sie den Grund ihrer Wirklichkeit enthält« (Gebrauch, A130/VIII181 Anm.). 65 »Von einer Grundkraft aber (da wir sie nicht anders als durch die Beziehung einer Ursache auf eine Wirkung kennen) können wir keinen andern Begriff geben und keinen Namen dafür ausfinden, als der von der 62
Vgl. Chr. Wolff, Psychologia empirica § 257; dazu auch A. Baeumler S. 203, M. Liedtke (1964) S. 79, 99, 141 ff. – Reflektieren heißt dementsprechend das sukzessive Richten der Aufmerksamkeit (attentio) auf das Mannigfaltige der Vorstellung, d.h. »sich nach und nach der Vorstellungen bewust werden, d.i. sie mit einem Bewustseyn zusammen halten« (R2878, XVI556), oder darauf aufmerken, »wie sie sich zu einander in einem Bewustseyn verhalten« (R2876, XVI555). 63 Zur teleologischen Auffassung der Vernunft siehe § 2, S. 94 f. 64 Vgl. KU, VII, XVI ff.; insb. Logik-Mrongovius, XXIX1045-1047. »Alles geschieht nach Regeln sowol in der Körperwelt als auch in der Natur« (XXIX1045). Vernunft und Natur haben ihr Gemeinsames in der Regelhaftigkeit. »Regellosigkeit ist zugleich unvernunft« (R3323, XVI780; auch Jäsche Logik, A215/IX139). 65 Vgl. dazu PM56, 193 und KrV, A204/B249: »Kausalität führt auf den Begriff der Handlung, diese auf den Begriff der Kraft, und dadurch auf den Begriff der Substanz«.
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Wirkung hergenommen ist und gerade nur diese Beziehung ausdrückt« (ebd., A129 f./VIII180; vgl. MAN, A104/IV534). Einbildungen, Gefühle, Objekts- und Willensbestimmungen sind nach Kant unterschiedliche Wirkungen unserer Gemütskräfte, welche nicht auf eine einzige Grundkraft, wie z.B. die Vorstellungskraft zurückgeführt werden können (vgl. EE, XX206; KU, XXII). Weil Vernunft ein System sein soll, müssen die Gemütskräfte in einer zweckmäßigen Verbindung stehen, worin »a l l e s Z w e c k u n d w e c h s e l s e i t i g a u c h M i t t e l i s t « (KU, 296). Sie operieren nicht nur spontan nach eigenen Gesetzen, sondern kooperieren auch miteinander und regulieren sich nach einem gemeinsamen Ziel (vgl. Wiener Logik, XXIV863). Diese spontane Tätigkeit des Gemüts nach bestimmten Regeln, auch ohne sich ihrer explizit (unmittelbar) bewußt zu werden, nennt Kant Reflexion. 66 Die Reflexion ist in diesem grundlegenden Sinne kein besonderer Akt des Bewußtseins, wodurch die internen Operationen der Vernunft bewußt ausgeführt und festgestellt werden, sondern ein permanenter Akt, der die Selbsttätigkeit des reinen Bewußtseins zum Ausdruck bringt.67 Das 66
Vgl. KrV, B130, A117 Anm., A97, A77/B102 f.; Anthr., A14 f./VII134 Anm.; M. Steckelmacher S. 25 f. 67 Kant hält die unbewußte Tätigkeit des Verstandes, unter dem Einfluß von Leibniz, im Gegensatz zu Lockes Auffassung, für möglich. »Allein wir können uns doch m i t t e l b a r bewußt sein, eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns ihrer nicht bewußt sind« (Anthr., A15 f./VII135). Die dunkle oder unbewußte Vorstellung ist für den Menschen von großer Bedeutung. Kant schreibt in der Metaphysik-Pölitz: »[…] L e i b n i z sagte: der größte Schatz der Seele besteht in dunklen Vorstellungen, welche nur durch das Bewußtseyn der Seele deutlich werden [...] Ferner, alles was in der Metaphysik und Moral gelehrt wird, das weiß schon ein jeder Mensch; nur war er sich dessen nicht bewußt« (PM135 f.). Zur Leibnizsche Auffassung der unbewußten Tätigkeit des Verstandes in den Nouveaux Essais vgl. B. Tuschling (2002) insb. S. 113 ff. – Schon in einer frühen Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze in den 60er Jahren äußert sich Kant über »ein vermutlich großes Geheimnis der Natur […]: nämlich, daß vielleicht im tiefsten Schlafe die größte Fertigkeit der Seele im vernünftigen Denken möge ausgeübt werden« (Deutl., A87/II290). In der KU und Anthropologie werden Träume als eine »weise Veranstaltung der Natur zur Erregung der Lebenskräfte« (Anthr., A81/VII175) angesehen: »Das Träumen scheint zum Schlafen so notwendig zu gehören, daß Schlafen und Sterben einerlei sein würde, wenn der Traum nicht als eine natürliche, obzwar
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Denken kann sich auch auf sich selbst richten und sich seine Tätigkeit und Prinzipien mittelbar bewußt machen, d.h. die Regeln des Denkens können wir prinzipiell durch einen reflexiven Akt des Denkens »untersuchen«. Dies ist die Reflexion zweiter Stufe, welche dennoch von der Introspektion streng unterschieden werden muß.68 Reflexion als Akt des Bewußtseins selbst ist also die Quelle. Sie ist somit die Vorbedingung der Rationalität. Denken ohne Reflektieren ist ein wahrer Widerspruch. Daher sagt Kant in einer Logikvorlesung aus den 70er Jahren auch: »Ohne Ueberlegung reden wir leere Worte« (Logik-Philippi, XXIV424).69 Das Reflektieren ist seinem Verfahren nach ein vergleichender Akt, der allem Urteilen vorhergeht. Alle Vergleichungen bedürfen aber einer »Überlegung«. Wir lassen nun die formale Begriffs- und Urteilsbildung außer Betracht und achten auf die Funktion der Reflexion bei der materialen Begriffs- und Urteilsbildung. Es ist methodologisch zwischen »Überlegung« (reflexio) und »Untersuchung« (examinatio) in bezug auf das Problem des Irrtums und der Wahrheit, bzw. der Gewißheit eines Urteils zu unterscheiden.70 Hier werden die Gründe des Urteilens thematisiert, wobei die Fragen – die nicht zur formalen Logik, sondern zur transzendentalen Logik oder zur Logik der Forschung und Erfindung gehören – in Betracht gezogen werden.71 Man unterscheidet hierbei drei Arten des »Fürwahrhaltens«, nämlich Meinen (Vermuten), Glauben (Annehmen)
unwillkürliche Agitation der inneren Lebensorgane durch die Einbildungskraft hinzukäme« (Anthr., A104 f./VII190; vgl. KU, 302 f.). 68 Vgl. Anthr., A14 ff./VII134 Anm., A27/VII141f., A50 f./VII156. 69 Vgl. D. Henrich (1989) S. 42. Henrich verbindet die Kantische Unterscheidung von »Reflexion« und »Untersuchung« mit dem Gedanken der »Deduktion«. Deduktion ist eine Untersuchung (examinatio), deren Quelle die Reflexion ist. 70 Vgl. Logik-Blomberg, XXIV161; Logik-Philippi, XXIV424 ff.; Logik-Pölitz, XXIV545-547; Logik-Busolt, XXIV641; Logik-Dohna, XXIV737 f.; Wiener Logik, XXIV862 f.; Enzykl., XXIX22-24; Jäsche Logik, A111 ff./IX73 ff.; MAT, A165/VI478; KrV, A260 f./B316 f., A786 f./B814 f. 71 Die Logik der Forschung und Erfindung wäre nach Kant eine Lehre, die »auch Regeln an die Hand gebe, wie man zweckmäßig s u c h e n solle, d.i. nicht immer bloß für b e s t i m m e n d e , sondern auch für v o r l ä u f i g e Urteile (iudicia praevia), durch die man auf Gedanken gebracht wird« (MAT, A165/VI478).
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und Wissen (Behaupten).72 Diese Unterscheidung »betrifft nur die U r t e i l s k r a f t in Ansehung der subjektiven Kriterien der Subsumtion eines Urteils unter objektive Regeln« (Jäsche Logik, A99/IX66). In bezug auf die Reflexion der Urteilskraft ist die Frage von Bedeutung: »Wie können die vorläufigen zu bestimmten Urteilen gemacht werden?« (vgl. Wiener Logik, XXIV861). Man kann aber »von der Natur[,] Nutzen, Gränzen, Requisiten und Bedingung der vorläufigen Erkenntniß nicht hinreichend reden«, weil »dazu die genaueste Kenntniß der Gegenstände selbst« erfordert wird (ebd.). Diese liegt nach Kant tief in der Natur der Urteilskraft verborgen73, welche in ihrer Reflexion unsere ganzen Erkenntnisvermögen, bei Gelegenheit der Erfahrung, nach Prinzipien a priori organisieren soll. Um von dem bloßen Meinen (Überredung) zum Wissen (Überzeugung, Gewißheit) gelangen zu können, müssen wir »zuvörderst ü b e r l e g e n , d.h. sehen, zu welcher Erkenntniskraft ein Erkenntnis gehöre, und sodann u n t e r s u c h e n , d.i. prüfen, ob die Gründe in Ansehung des Objekts zureichend oder unzureichend sind« (Jäsche Logik, A111/IX73). »Untersuchen« heißt folglich mittelbares Überlegen, oder genauer, »mittelbar oder vermittelst anderer Instrumente der Wahrheit die Ueberlegung« anzustellen (Logik-Philippi, XXIV424). Bei allen »Urteilen« geht die »Überlegung« der »Untersuchung« voraus. Alle Urteile bedürfen einer Überlegung, aber nicht einer Untersuchung. Zum Beispiel: Die mathematischen Sätze sind intuitiv gewiß durch die Konstruktion der Begriffe in der Anschauung.
72
Vgl. R2450, XVI373; KrV, A820 ff./B848 ff.; KpV, A255 f./V142; KU, § 90 f. u.ö. 73 Siehe z.B. Kants Bestimmung des »Schematismus der Urteilskraft« (vgl. Brief an Tieftrunk vom 11.12.1797, 758) in der KrV, A141/B180 f.: »Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden«. – Vgl. dazu KU, IX f., 56 f.; MAN, AXIX f./IV476 Anm.; Anthr., A23 f./VII139 f.
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Nur die diskursiven Urteile bedürfen einer Untersuchung.74 Jedes Urteil wird zuerst durch die Überlegung probeweise (kritisch) auf Gedanken gebracht. »Z.E. wenn jemand sagt: zwischen 2 Puncten ist nur eine gerade Linie möglich; so entsteht eine Operation in meinem Gemüt, wodurch ich dieses mit der Anschauung (d.h. hier mit der Erkenntnißkraft) vergleiche und zusammenhalte, ich probiere es also gleichsam in Gedanken, und dies geschieht immer[,] wenn wir auch das Erkenntniß nicht untersuchen« (Logik-Pölitz, XXIV547). »Judicium reflectens, wo man ein Urteil gleich als ein Problem setzt, um die Wahrheit zu untersuchen. Auch zum Suchen muß man ein besondres Prinzip haben. Dies aufzusuchen, gehört Urteilskraft. […] Judicia reflectentia sind diejenigen, die die Untersuchung einleiten, die da zeigen 1. ob eine Sache einer Untersuchung bedarf, 2. wie ich eine Sache untersuchen soll« (Logik-Dohna, XXIV737; vgl. Jäsche Logik, A115 f./IX75 u.ö.). »Es ist wunderbar, wie einem jeden bestimmenden Urteil ein vorläufiges vorhergeht. Wenn wir lesen, so buchstabiren wir zuerst. Und so handeln wir überall. Niemals urtheilen wir sogleich bestimmend, denn dazu gehört ein vollständiger Begrif von dem Gegenstande[,] wie er ist. Diesen aber haben wir nicht bey dem ersten Anblick. Ehe wir den erlangen, müssen wir zuerst den Gegenstand aus allen Gesichts[p]unkten betrachten und dasjenige aussuchen, was für alle Erscheinungen paßt. […] Vorläufige Urtheile gehören zu allen unsern Erkenntnißen und sie geschehen auch beständig. Wenn man sie aber für wahre Gründe eines bestimmenden 74
Vgl. KrV, A732 f./B760 f. – Die philosophische Erkenntnis gründet sich nach Kant auf den »diskursiven Vernunftgebrauch nach Begriffen«, die mathematische auf den »intuitiven durch die Konstruktion der Begriffe« (KrV, A719/B747). »Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Besondere nur im Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen, ja gar im Einzelnen, gleichwohl doch a priori und vermittelst der Vernunft, so daß, wie dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen der Konstruktion bestimmt ist, ebenso der Gegenstand des Begriffs, dem dieses Einzelne nur als sein Schema korrespondiert, allgemein bestimmt gedacht werden muß« (KrV, A714/B742).
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Urtheils hält, so entsteht daraus eine Illusion und das ist der Irrthum« (Enzykl., XXIX24).
Die Heuristik des vorläufigen Urteilens bei der konkreten Bildung des bestimmenden Urteils gehört zur Teilfunktion der reflektierenden Urteilskraft. Das bestimmende Urteil ist ein Urteil mit empirischer oder rationaler Gewißheit. Ein solches Urteil wird von der Urteilskraft so gesetzt, daß sein Gegenteil aus dem Erfahrungsoder Vernunftgrund ausgeschlossen ist. »Ein vorläufiges Urteil [hingegen] ist ein solches, wodurch ich mir vorstelle, daß zwar mehr Gründe f ü r die Wahrheit einer Sache, als w i d e r dieselbe da sind, daß aber diese Gründe noch nicht zureichen zu einem b e s t i m me n d e n oder d e fi n i t i v e n Urteile, dadurch ich geradezu für die Wahrheit entscheide. Das vorläufige Urteilen ist also ein mit Bewußtsein bloß problematisches Urteilen« (Jäsche Logik, A114/IX74). Dieses Bewußtsein, »daß mein Urteil problematisch sey, ist suspensio judicii« (Logik-Pölitz, XXIV545). Wir halten unser Urteil zurück, sofern es problematisch ist, »um die Gründe des bestimmenden Urteils aufzusuchen«. Diese kritische »Aufschiebung« oder »Zurückhaltung« des Urteils ist die Maxime der »geübten Urteilskraft«, die sich nur bei zunehmendem Alter findet (vgl. ebd., XXIV546). Die Urteilskraft soll nach dieser Maxime »ein bloß v o r l ä u f i g e s Urteil nicht zu einem b e s t i mme n d e n werden« lassen (Jäsche Logik, A113/IX74), subjektive Gründe des Urteils nicht fälschlich für objektiv halten oder die Sache vorurteilsfrei beurteilen. Ein vorläufiges Urteil setzt aber schon Wissen voraus, das Wissen aber erfordert Gesetze des Verstandes. Die Urteilskraft steht somit in ihrer kognitiven Reflexion zugleich unter bestimmten Gesetzen des Verstandes. Die Urteilskraft als Vermögen des Verstandesgebrauchs ist immer reflektierend. Die kognitive Reflexion richtet sich auf das bestimmende Urteil. Die Urteilskraft wird meistens auch von Kant unter diesem erkenntnistheoretischen Aspekt heuristisch als ein vergleichendes, untersuchendes und unterscheidendes Vermögen betrachtet, welches dazu eine Übersicht der ganzen Erkenntnis in bezug auf den zweckmäßigen Gebrauch unserer Erkenntnisvermögen erfordert. Die kritische Zurückhaltung des Urteils ist ein spezifi199
scher Aspekt der allgemeinen Maxime der Urteilskraft, nämlich »sich in die Stelle jedes anderen zu denken« (vgl. KU, 157). Bei der Bildung des bestimmenden Urteils verfährt die Urteilskraft zwar systematisch, aber nicht bloß reflektierend. Eine bloß reflektierende Urteilskraft, und zwar aus Prinzipien a priori, ist das Neue der KU. Die Reflexion der Urteilskraft wird hierbei bloß unter subjektivem Aspekt betrachtet. Sie strebt »von empirischen Anschauungen zu Begriffen überhaupt« (EE, XX249). Dieses Streben ist im allgemeinen nicht von vornherein ein Richten auf das Bestimmende, sondern charakterisiert vielmehr die eigentümliche Handlung der Urteilskraft, die Sache sowenig wie möglich vom privaten, sondern vom allgemeingültigen Standpunkt aus zu betrachten. Letztere kann bloß subjektiv oder objektiv sein. Das reine Geschmacksurteil oder das ästhetische Reflexionsurteil ist z.B. ein bloß subjektiv allgemeingültiges Urteil. Das teleologische Urteil ist zwar auch ein bloßes Reflexionsurteil, aber es kann zur Leitung der Naturforschung dienen, die die bestimmenden Urteile bezweckt. Das ästhetische und teleologische Urteil können niemals ein bestimmendes Urteil werden. Sie sind daher keine »vorläufigen Urteile« (Reflexionsurteile) in dem Sinne, daß sie durch Untersuchung »nach und nach eine größere Annäherung zu bestimmten Urtheilen haben« (Wiener Logik, XXIV861) oder solche werden können. Die kritische Reflexion ist die Reflexion der Urteilskraft. Diese Interpretation kann dadurch gerechtfertigt werden, daß Kant der Urteilskraft die heuristische Funktion der »Überlegung (reflexio)« zuspricht, die allen Begriffen der Objekte und Urteilen vorangeht. Die Reflexion der Urteilskraft ist immer mit dem Bewußtsein der Gründe der Beurteilung verbunden, ob sie zureichend oder unzureichend sind. Die modale Reflexion ist die eigentümliche Handlung der Urteilskraft, welche nicht auf die gegenstandsbezogene Begriffsbestimmung geht. Die Reflexion (Überlegung) wird hierbei bloß unter subjektivem Aspekt betrachtet. Wir fassen nun Kants Bestimmung der Reflexion als subjektive Bedingung der Erkenntnis überhaupt zusammen. »Ueberlegung ist eine Zusammenhaltung des Erkenntnißes mit der Erkenntnißkraft, woraus sie entspringen soll« (Logik-Pölitz, XXIV547), d.h. »den Zusammenhang einer Erkennt200
niß mit unserer Erkenntnißkraft, aus der sie entspringen soll, aufzusuchen« (Wiener Logik, XXIV863). Oder sie »ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis untereinander richtig bestimmt werden kann« (KrV, A260/B316). Diese Art der Reflexion nennt Kant im Amphibolie-Kapitel die transzendentale Reflexion.75
3.2 Urteilskraft als Vermögen der Darstellung Kant bestimmt die Urteilskraft in der KU nicht nur als Vermögen des Urteils oder der Reflexion, sondern auch als »Vermögen der Darstellung« 76 . Das Vermögen der Darstellung bezeichnet Kant darüber hinaus auch noch als Einbildungskraft 77 und sogar als Verstand78. Das kann dadurch erklärt werden, daß Kant unter ›Urteilskraft‹ das Vermögen der Reflexion und zugleich das Vermögen des Urteilens versteht. 79 Anschauungen auf Begriffe zu bringen, 75
In manchen Vorlesungsnachschriften heißt »Überlegung« nur das Vergleichen der Vorstellungen mit den »Gesetzen des Verstandes und der Vernunft« (LogikPhilippi, XXIV424; ferner Logik-Blomberg, XXIV161; Logik-Busolt, XXIV641; Logik-Dohna, XXIV737). Hier ist die »Überlegung« nichts anderes als kognitive Reflexion. 76 Vgl. EE, XX220, 233; KU, XLIX. – »Zu jedem empirischen Begriffe gehören nämlich drei Handlungen des selbsttätigen Erkenntnisvermögens: 1. die A u f f a s s u n g (apprehensio) des Mannigfaltigen der Anschauung 2. die Z u s a m m e n f a s s u n g d.i. die synthetische Einheit des Bewußtseins dieses Mannigfaltigen in dem Begriffe eines Objekts (apperceptio comprehensiva) 3. die D a r s t e l l u n g (exhibitio) des diesem Begriff korrespondierenden Gegenstandes in der Anschauung. Zu der ersten Handlung wird Einbildungskraft, zur zweiten Verstand, zur dritten Urteilskraft erfordert, welche, wenn es um einen empirischen Begriff zu tun ist, bestimmende Urteilskraft sein würde« (EE, XX220). 77 Vgl. KU, 131 f., 55, 74, 146, 278, 192. 78 Vgl. EE, XX223, 224, 221. 79 Mit Reflexion meint Kant in diesem Fall vornehmlich »Anschauungen auf Begriffe zu bringen« (synthetisch), mit Urteil »Anschauungen unter Begriffe zu bringen« (analytisch). – Vgl. KrV, A51 f./B75 f., A78 f./B103 ff., B135, B143;
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bedarf des Aktes der Synthesis der Einbildungskraft mittels der Einheit der Apperzeption; Anschauungen unter Begriffe zu bringen, also die Subsumtion, ist nach Kant ein Akt der Analysis, der eine Synthesis vorausgeht.80 Die Synthesis zählt zur Hauptfunktion der Reflexion, die Analysis zur Hauptfunktion des Urteils; beide kommen bei der Begriffs- und Urteilsbildung gemeinsam vor. Wichtig ist, daß bei Kant generell zwischen dem Gegenstands- und Urteilsbezug, also zwischen Formen der Anschauungen der Gegenstände und Gesetzen ihrer Verbindung unterschieden werden muß (vgl. KrV, § 26). Dies entspricht der Unterscheidung zwischen der Anschauung (Einbildungskraft) und dem Begriff (Verstand). Bekanntlich wird die Beziehung der Urteilskraft zur Einbildungskraft einerseits und zum Verstand (bzw. Apperzeption) andererseits von Kant nicht recht erklärt. Es sei an dieser Stelle nur darauf verwiesen, daß Urteilskraft, in Kants Erkenntnislehre der Synthesis von Anschauung und Begriff, die Vermittlung zwischen Einbildungskraft (als Vermögen der Anschauung) und Verstand (als Vermögen des Begriffs) leistet.81 Als das vermittelnde Dritte hat Prol., A89 f./IV305 f.; S. i.D. orient., A309 ff./VIII136 f.; KU, XLIV, 113, 233, 242; dazu ferner M. Steckelmacher S. 1 ff., 11 ff. 80 Vgl. KrV, A77 ff./ B102 ff., B130, B133 f. 81 Transzendentale (oder produktive) Einbildungskraft in der KrV sollte eigentlich Urteilskraft heißen; zumindest beinhaltet die »Doktrin der Urteilskraft« (KrV, A132/B171) den Schematismus der Einbildungskraft. – Zur Erläuterung dient die Betrachtung der Zusammengehörigkeit der Erkenntniskräfte in der objektiven Synthesis: Laut der KrV beruht der objektive uns erweisbare Grund der Übereinstimmung von Sinnlichkeit und Verstand auf der Spontaneität des Denkens, genauer auf der Einheit der transzendentalen Apperzeption in (nicht mit) der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft (vgl. KrV, B136). Der Verstand selbst als Handlung vollzieht sich nur durch das Einigen der Apperzeption, welches wiederum nur im Zusammensetzen der Einbildungskraft ihren zweckmäßigen Gebrauch haben kann (vgl. KrV, A147/B187). »D i e E i n h e i t der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbild u n g s k r a f t ist der V e r s t a n d , und eben dieselbe Einheit, beziehungsweise auf die t r a n s z e n d e n t a l e S y n t h e s i s der Einbildungskraft, der r e i n e V e r s t a n d « (KrV, A119; vgl. B151 f.). Zum gegenseitigen Verhältnis zwischen Einbildungskraft und Apperzeption (vgl. KrV, A118) und ihre Beziehung zum Verstand sagt Biemel (S. 91) treffend: »Aus dem Zusammen von transzendentaler Apperzeption und transzendentaler Einbildungskraft – aus ihrer ge-
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Urteilskraft jeweils Gemeinsames (Übereinstimmung, aber nicht Identität) mit Einbildungskraft und Verstand.82 Die Urteilskraft, »in Ansehung einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, gebraucht, erfordert zweier Vorstellungskräfte Zusammenstimmung: nämlich der Einbildungskraft (für die Anschauung und die Zusammensetzung des Mannigfaltigen derselben) und des Verstandes (für den Begriff der Vorstellung der Einheit dieser Zusammensetzung)« (KU, 145; vgl. EE, XX223 f.).
Die Urteilskraft hält also im allgemeinen die Einbildungskraft (als Vermögen der Auffassung) mit dem Verstand (als Vermögen der Zusammenfassung) in einem Urteil (als Ergebnis der Darstellung) zusammen (vgl. EE, XX223 f.). Zur Erläuterung dient die »Verbindung des Geschmacks mit Genie in Produkten der schönen Kunst« (KU, § 50). Auf die Frage, ob es in der schönen Kunst mehr auf Einbildung (Genie) als auf Urteilskraft (Geschmack) ankomme, antwortet Kant: »Reich und original an [ästhetischen] Ideen zu sein bedarf es nicht so notwendig zum Behuf der Schönheit, aber wohl der Angemessenheit jener Einbildungskraft in ihrer Freiheit zu der Gesetzmäßigkeit des Verstandes. Denn aller Reichtum der ersteren bringt in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor; die Urteilskraft ist aber das Vermögen, sie dem Verstande anzupassen. Der Geschmack ist, so wie die Urteilskraft überhaupt, die Disziplin (oder Zucht) des Genies, beschneidet diesem sehr die Flügel und macht es gesittet oder geschliffen; zugleich aber gibt er diesem eine Leitung, worüber und bis wie weit es sich verbreiten soll, um zweckmäßig zu bleiben; und indem er Klarheit und Ordnung in die Gedankenfülle hineinbringt, macht er die [ästhetischen] Ideen haltbar, eines dauernden, genseitigen Implikation [vgl. ebd., S. 90] – entspringt ursprünglich der reine Verstand«. – Dies ist wiederum ein Beleg für Kants Anwendung der methodischen Absonderung in der transzendentalen Untersuchung. 82 Ibañez’ Kritik an Mörchens Auffassung der Synonymität von Einbildungskraft und Urteilskraft ist m.E. treffend (vgl. J. Ibañez S. 125 f.; H. Mörchen S. 173 f.).
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zugleich auch allgemeinen Beifalls, der Nachfolge anderer und einer immer fortschreitenden Kultur fähig« (KU, 202 f.).
Aufschlußreich ist Kants Anmerkung zum Verhältnis der vier zur schönen Kunst erforderlichen Vermögen, Einbildungskraft, Verstand, Geist und Geschmack: »Die drei ersteren Vermögen bekommen durch das vierte allererst ihre V e r e i n i g u n g « (KU, 203 Anm.). In diesem Kontext werden sowohl die Einbildungskraft als auch der Verstand »Erkenntnisvermögen der Urteilskraft« (EE, XX224) genannt. Urteilen wäre überhaupt nicht möglich, wenn die dazu gebrauchten Erkenntniskräfte sich nicht in einer Harmonie befänden. Das Verhältnis der Harmonie »kann zwar erstlich objektiv, als zum Erkenntnis gehörig, in Betracht gezogen werden (wie in dem transzendentalen Schematism der Urteilskraft geschah); aber man kann eben dieses Verhältnis zweier Erkenntnisvermögen doch auch bloß subjektiv betrachten, so fern eins das andere in eben derselben Vorstellung befördert oder hindert und dadurch den G e m ü t s z u s t a n d affiziert und also als ein Verhältnis, welches e m p f i n d b a r ist (ein Fall, der bei dem abgesonderten Gebrauch keines andern Erkenntnisvermögens statt findet)« (EE, XX223).
Es ist umstritten, ob Kant hierbei die Struktur der Harmonie der Erkenntnisvermögen in der Reflexion der Urteilskraft bloß topologisch betrachtet, d.h. ohne auf den Unterschied der subjektiven Einstellungen in der ästhetischen und kognitiven Reflexion zu achten. Oder betrachtet Kant das freie Spiel der Erkenntniskräfte in der ästhetischen Reflexion nicht vielmehr bloß als eine Art der kognitiven Reflexion, wie die Formulierungen in § 9, 21, 35 und 38 der KU und in der oben zitierten Textstelle der EE anzudeuten scheinen? Es ist ratsam vorläufig nur die erste Interpretation zu berücksichtigen. Bei der zweiten müßte man zusätzlich zwischen dem allgemeinen Verfahren der reflektierenden Urteilskraft und dem spezifischen der Begriffs- und Urteilsbildung derselben unterscheiden. Die ästhetische sowie (logisch-)kognitive Reflexion ist eine Spezifikation des allgemeinen Verfahrens der reflektierenden Urteilskraft. Ob dieses 204
Verfahren im allgemeinen auch kognitive Reflexion genannt werden darf, spielt dabei keine Rolle. Bei der topologischen Betrachtung wird der Unterschied zwischen Geschmacksurteil und Erkenntnisurteil nicht verwischt. Eine solche Betrachtungsweise ist bei Kant in der sogenannten »transzendentalen Definition« zu finden, die seiner transzendentalen Methode entspricht. 83 Diese Methode besteht »aus der Entfernung aller empirischen Bedingungen […] und der bloßen Rücksicht auf die Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit« (Frieden, A104/VIII386; vgl. KrV, B5 f.; KU, 135, 146). Wichtig dabei ist die Anwendung der Analogie in der Formbetrachtung. Die Anwendung der transzendentalen Methode auf die Analyse des Geschmacksurteils ist aber insofern problematisch, weil das Charakteristische der Apriorität des Geschmacksurteils gegenüber der Apriorität des objektiven Erkenntnisurteils und des moralischen Urteils gerade in seiner empirischen Situationsbedingtheit liegt. Das Geschmacksurteil ist einzeln und empirisch; es ist a priori unmöglich zu entscheiden, ob eine gegebene Gegenstandsvorstellung schön ist oder nicht. Dies folgt unmittelbar aus der Begriffslosigkeit des Gefühls der Lust und Unlust, genauer aus der begrifflichen Unbestimmtheit der ästhetischen Lust und Unlust (vgl. z.B. EE, XX229 f.). Wie könnte es dann ein apriorisches Prinzip des Geschmacksurteils geben? Den Ausweg findet Kant durch die zweifa83
Vgl. EE, XX230 f.; KU, XXII Anm., 32 f., 135 f., 146.; ferner KrV, A266/B322. Die Kantische transzendentale Methode, beschreibt Fr. Kaulbach (1969, S. 320 f.), »kann man grob so charakterisieren: zunächst ›isoliert‹ Kant die reine Vernunft in verschiedenen Richtungen: als theoretische und als praktische Vernunft. Er stellt sie auf den Stand ihrer eigenen Spontaneität und reinigt sie von allen empirischen Beimischungen. Ist dieser Schritt geschehen, welcher etwa der traditionellen ›analytische Methode‹ entspricht, dann folgt eine Umwendung des philosophischen Gedankens: die reine Vernunft muß ihren Weg wieder zur Unmittelbarkeit der Empfindung des Wahrnehmens und sinnlichen Anschauens zurückfinden. Das ist dem Verfahren der ›synthetischen Methode‹ analog. Auf diesem Wege begegnet das Denken Problemen der ›Anwendung‹ und der Durchdringung von empirischer Mannigfaltigkeit durch Vernunftsystematik«. – Zur transzendentalen Analyse des Geschmacksurteils vgl. auch unten Anm. 102 (S. 219).
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che Analogie des Geschmacksurteils zum einen mit dem einzelnen Erfahrungsurteil84 und zum anderen mit dem moralischen Gefühl85.
3.2.1 Schematische Darstellung Der Begriff der Darstellung gehört zur Begriffsfamilie der Synthesis. Mittels dieses Begriffs wird das Kardinalproblem des Schematismus verallgemeinert. Durch ihn können der transzendentale und empirische Schematismus der KrV, die »Typik der reinen praktischen Urteilskraft« der KpV und die Symbol- und Zweckmäßigkeitslehre der KU systematisch in einer Analogie betrachtet werden.86 Der Schematismus der KrV gehört zur Aufgabe der theoretisch-bestimmenden Urteilskraft. Der Typus des moralischen Gesetzes wird in einer Analogie mit dem Schema der Kategorien gefaßt, die Form der Naturgesetze, nämlich die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit derselben dient dabei der praktisch-bestimmenden Urteilskraft als Norm der Maxime ihrer Handlung (vgl. KpV, A122/V69). Die Gesetzmäßigkeit der Naturgesetze ist demnach die analoge Darstellung der Gesetzmäßigkeit des moralischen Gesetzes (vgl. KpV, A124/V70). In der KU ist hauptsächlich von der Darstel84
Vgl. z.B. KU, XLVI, 3 f. Anm., 155 f. Die Analogie zwischen Geschmacksurteil und Erkenntnisurteil durchzieht die ganze Analytik der ästhetischen Urteilskraft. 85 Vgl. KU, § 12 (35 f.), § 16 (51 f.), § 18 (62 f.), § 21 (65 f.), § 29 (114, 120), § 39 (154 f.), § 41 (164), § 42 (168 f.). 86 Darauf gehen G. Lehmann (1969, S. 162 ff., 190 f.) und J. Ibañez ausführlich ein. – G. Böhme (1999, S. 73-77) äußert sich in der Auseinandersetzung mit Lyotards Interpretation des Kantischen Erhabenen treffend über Wesen und Funktion der Darstellung: »D a r s t e l l u n g ist in der Tat ein Brückenprinzip. Durch Darstellung wird eine Vorstellung, die in einem bestimmten Erkenntnisvermögen ihren Ursprung hat, in einem anderen präsent. Erkenntnis im eigentlichen Sinne vollzieht sich durch Verbindung verschiedener Erkenntnisvermögen auf dem Wege der Darstellung« (G. Böhme, 1999, S. 74). – Völlig unabhängig von der Formulierung der »Typik« der praktisch-bestimmenden Urteilskraft (vgl. KpV, A119 ff./V67 ff.) entwickelt Kant seine Theorie der symbolischen Darstellung in der KU, welche auch von ihm als »Schematismus nach der Analogie (symbolisch)« (Fortschritte, A204/XX332) genannt wird.
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lung der bloß reflektierenden Urteilskraft die Rede. Die Darstellung eines gegebenen Begriffs durch einen ganz anderen Gegenstand der sinnlichen Anschauung nennt Kant im allgemeinen symbolisch (indirekt) oder analogisch87 (vgl. KU, 256). Das allgemeine Verfahren der bloß reflektierenden Urteilskraft ist also die Darstellung eines unbestimmten Begriffs, welche sich in der ästhetischen und kognitiven (logischen) Reflexion spezifiziert. Die Darstellung des Begriffs differenziert sich entweder nach der Art der Darstellung oder nach der Beschaffenheit des darzustellenden Begriffs. Die Darstellung des Verstandesbegriffs a priori nennt Kant Schema, das aber keine bestimmte empirische Anschauung, sondern ein allgemeines Verfahren ist, einem Begriff seine korrespondierende Anschauung (Bild) zu verschaffen; das Beispiel als Darstellung des empirischen Begriffs ist die »Vorzeigung« desselben in einer empirischen Anschauung (vgl. KU, 241). Das Beispiel als Beispiel des gegebenen Begriffs muß schon das Schema desselben voraussetzen, weil man sonst nicht unterscheiden kann, ob die empirische Anschauung ein Beispiel desselben ist. Diese Art, dem (empirischen oder apriorischen) Begriff des Verstandes eine korrespondierende Anschauung direkt zu unterlegen, nennt Kant schematische Darstellung, wodurch Erkenntnisurteile entstehen. Darstellung wird von Kant zuerst anhand der bestimmenden Urteilskraft, als Veranschaulichung oder Versinnlichung eines gegebenen Begriffes aufgefaßt:88 »Wenn der Begriff von einem Gegenstande gegeben ist, so besteht das Geschäft der Urteilskraft im Gebrauche desselben zum Erkenntnis in der D a r s t e l l u n g (exhibitio), d. i. darin, dem Begriffe eine korrespondierende Anschauung zur Seite zu stellen« (KU, XLIX).
Die epistemische Funktion der Darstellung charakterisiert Kant zusammenfassend im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie folgendermaßen: 87
Die analogische und symbolische Darstellung decken sich nicht; die symbolische ist ihrer Bedeutung nach spezifischer als die analogische. 88 Vgl. die in Anm. 76 (S. 201) schon zitierte Stelle (EE, XX220).
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»Durch die Anschauung, die einem Begriffe gemäß ist, wird der Gegenstand g e g e b e n , ohne dieselbe wird er bloß g e d a c h t . Durch diese bloße Anschauung ohne Begriff wird der Gegenstand zwar gegeben, aber nicht gedacht, durch den Begriff ohne korrespondierende Anschauung wird er gedacht, aber keiner gegeben, in beiden Fällen wird also nicht erkannt. Wenn einem Begriffe die korrespondierende Anschauung a priori beigegeben werden kann, so sagt man: dieser Begriff werde k o n s t r u i e r t ; ist es nur eine empirische Anschauung, so nennt man das ein bloßes Beispiel zu dem Begriffe; die Handlung der Hinzufügung der Anschauung zum Begriffe heißt in beiden Fällen Darstellung (exhibitio) des Objekts, ohne welche (sie mag nun mittelbar, oder unmittelbar geschehen) es gar kein Erkenntnis geben kann« (Fortschritte, A183/XX325; vgl. A62/XX279, A204/XX332; KU, 240 f., 254 ff.; KrV, A139 f./B178 ff., A713 f./B741 f.; Entdeckung, A12 f./VIII191 f. Anm.).
Die ersten beiden Sätze sind fundamental für die Kantische Erkenntnistheorie, die auf der transzendentalen Lehre von den »zwei Grundquellen des Gemüts« (KrV, A50/B74), nämlich der sinnlichen Anschauung und dem diskursiven Begriff, beruht.89 Dabei muß man auf den Unterschied von dem Erkennen durch bestimmte Begriffe und bloßem Denken in unschematisierten Kategorien achten. Dazwischen liegt nach Kant noch die mathematische Erkenntnis, die – im Unterschied zur philosophischen – die Vernunfterkenntnis durch Konstruktion der Begriffe in der reinen Anschauung heißt.90 Sie ist eine bloß formale Erkenntnis der möglichen Gegenstände als Erscheinungen, aber keine reale (empirische) Erkenntnis der Naturdinge, welche nach Kant die Darstellung der Begriffe in empiri89
Diese Unterscheidung ist nach Kant nicht logisch, sondern transzendental. Nach Kant ist der Grund für uns unbekannt, also gleichsam eine transzendentale Tatsache (vgl. KrV, B5, B145 f.; Entdeckung, A123 f./VIII249 f.; Brief an Herz vom 26.05.1789, 397 ff.). – Vgl. dazu De mundi, A10/II394 f.; KrV, A19/B33, A43 ff./B60 ff., A90 f./B122 f.; Prol., A64 ff./IV290 f.; Anthr., A20 ff./VII137 ff.; EE, XX226 f. Anm.; Jäsche Logik, A45/IX35 f.; Brief an Lambert vom 02.09.1770, 71; Brief an Bernoulli vom 16.11.1781, 202 f.; Brief an Beck vom 20.01.1792, 548 f. u.ö. 90 Vgl. KrV, A723 f./B751 f.; MAN, AVIII f./IV470.
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schen Anschauungen oder die Darstellung der wahrgenommenen Anschauungsgegenstände durch Begriffe ist. Diesen Unterschied hebt Kant in § 22 der KrV besonders hervor, um die Sinnlichkeitsbedingtheit des menschlichen Erkennens und die Grenzen des Gebrauchs der reinen Verstandesbegriffe zu bestimmen (vgl. KrV, B147 f.). Die Erkenntnis im eigentlichen Sinne ist nach Kant die Anwendung der Verstandesbegriffe auf empirische Anschauungen. »Durch Bestimmung der ersteren [sc. reinen Anschauung] können wir Erkenntnisse a priori von Gegenständen (in der Mathematik) bekommen, aber nur ihrer Form nach, als Erscheinungen; ob es Dinge geben könne, die in dieser Form angeschaut werden müssen, bleibt doch dabei noch unausgemacht. Folglich sind alle mathematische Begriffe für sich nicht Erkenntnisse; außer, sofern man voraussetzt, daß es Dinge gibt, die sich nur der Form jener reinen sinnlichen Anschauung gemäß uns darstellen lassen. D i n g e im R a u m und der Z e i t werden aber nur gegeben, sofern sie Wahrnehmungen (mit Empfindung begleitete Vorstellungen) sind, mithin durch empirische Vorstellung. Folglich verschaffen die reinen Verstandesbegriffe, selbst wenn sie auf Anschauungen a priori (wie in der Mathematik) angewandt werden, nur sofern Erkenntnis, als diese, mithin auch die Verstandesbegriffe vermittelst ihrer, auf empirische Anschauungen angewandt werden können« (KrV, B147).
Ein (realer) Gegenstand (der Sinne) kann uns nur durch die »Anschauung, die einem Begriffe gemäß ist«, gegeben werden, während ein (logischer) Gegenstand ohne Anschauung uns zwar nicht gegeben, aber bloß gedacht werden kann, weil »die Kategorien im D e n k e n durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben, und nur das E r k e nn e n dessen, was wir uns denken, das Bestimmen des Objekts, Anschauung bedürfe«91. Mit einem Begriff ist also in diesem Zusammenhang nicht irgendein bestimmter Begriff gemeint, sondern vielmehr der Begriff überhaupt als allgemeine Form eines jeden bestimmten Begriffs oder Gesetzmäßigkeit der »Gegenstände 91
KrV, B166 Anm.; vgl. B148, B428 f., A287/B343; Prol., A177/ IV358.
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der Anschauung überhaupt« (KrV, B148), also Kategorien, »welche das Denken eines O b j e k t s ü b e r h a u p t durch Verbindung des Mannigfaltigen in einer Apperzeption ausmachen« (KrV, B158; vgl. A51/B75). Die Anschauung kann also nicht chaotisch sein, wenn sie überhaupt einen Gegenstand (als konstante Größe in Raum und Zeit) repräsentiert, sondern sie muß der Form eines Begriffs überhaupt entsprechen, abgesehen davon, ob es absichtlich oder absichtslos intendiert geschieht. Dies steht aber nicht in Widerspruch zu Kants These der zwei Stämme der Verstandeserkenntnis. Unbegriffene Anschauungen (oder Erscheinungen) gibt es nach Kant ebenso wie leere Gedanken; »ohne Funktion des Verstandes können allerdings Erscheinungen in der Anschauung gegeben werden« (KrV, A90/B122; vgl. KU, 340). Ohne Kategorien kann uns zwar etwas Diffuses in der zerstreuten Wahrnehmung gegeben werden, aber nicht als ein Gegenstand.92 Gegenstände werden uns als Gegenstände gegeben, nur wenn sie überhaupt dargestellt werden können. »Das sinnliche Anschauungsvermögen ist eigentlich nur eine Rezeptivität, auf gewisse Weise mit Vorstellungen affiziert zu werden, deren Verhältnis zueinander eine reine Anschauung des Raumes und der Zeit ist, (lauter Formen unserer Sinnlichkeit,) und welche, sofern sie in diesem Verhältnisse (dem Raume und der Zeit) nach Gesetzen der Einheit der Erfahrung verknüpft und bestimmbar sind, G e g e n s t ä n d e heißen« (KrV, A494/B522).
Wir können eigentlich nur das erkennen, was wir anschaulich schon kannten. Denselben Gedanken bringt Kant in § 27 der KrV (Resultat der transzendentalen Deduktion der Kategorien) prägnant zum Ausdruck: »Wir können uns keinen Gegenstand denken, ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand e r k e n n e n , ohne durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen« (KrV, B165). 92
Vgl. z.B. KrV, A120, B133, A89 ff./B121 ff. – Zu Kants Begriff des Gegenstandes siehe oben S. 166 f. und Anm. 39 (S. 173).
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Die Darstellbarkeit der gegebenen Gegenstände durch Begriffe oder die empirische Anwendbarkeit der Kategorien ist die notwendige Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis überhaupt, wobei sich die Urteilskraft durch die Veranlassung einer Anschauung der Einbildungskraft dem Verstand spontan anpaßt. Dies zeigt sich in der formalen Anschauung durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, insbesondere nach Kategorien der Größe. 93 Die innere Teleologie in der Spontaneität des Denkens bildet gleichsam eine gemeinsame epistemische Grundlage der KrV und KU. Dabei liegt der Unterschied nur darin, daß in der KrV die Leistung der transzendentalen produktiven Einbildungskraft hervorgehoben wird, während in der KU die Leistung der empirischen produktiven Einbildungskraft betont wird (vgl. KU, 69, 71). Man braucht sich hierbei nicht durch Kants Behauptung der Blindheit der Einbildungskraft in der KrV gestört zu fühlen, weil die transzendentale Apperzeption oder die reflektierende Urteilskraft ihr gerne als leitender »Schäferhund« dienen (vgl. KrV, A78/B103, B151, A124). Urteilskraft als Vermögen der Darstellung »strebt« spontan »von empirischen Anschauungen zu Begriffen überhaupt« (EE, XX249). Dies kann die Urteilskraft leisten, weil sie in sich die Funktion der transzendentalen Apperzeption immer schon einschließt. Der durch die Anschauung – die einem Begriffe gemäß ist – gegebene Gegenstand ist als bloße Erscheinung jedenfalls noch unbestimmt, wenn er nicht durch einen bestimmten Begriff unterlegt wird.94 Darum sagt Kant auch: »Durch diese bloße Anschauung ohne Begriff wird der Gegenstand zwar gegeben, aber nicht gedacht«, mithin noch nicht 93
Vgl. KrV, B160 ff., A268/B324; Brief an Beck vom 01.07.1794, 676 f.; Brief an Tieftrunk vom 11.12.1797, 758 ff. – Noch allgemeiner ist Kants Behauptung in § 20 f. der KrV, daß alle sinnlichen Anschauungen notwendig unter der Einheit der transzendentalen Apperzeption stehen, weil alle Vorstellungen meine Vorstellungen sind: »Der Beweisgrund beruht auf der vorgestellten E i n h e i t d e r A n s c h a u u n g , dadurch ein Gegenstand gegeben wird, welche jederzeit eine Synthesis des mannigfaltigen zu einer Anschauung Gegebenen in sich schließt, und schon die Beziehung dieses letzteren auf Einheit der Apperzeption enthält« (KrV, B144 Anm.). 94 »Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt E r s c h e i n u n g « (KrV, A20/B34).
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erkannt. Ohne durch einen bestimmten Begriff wird der Gegenstand bloß angeschaut; Denken kann man auch ohne sich auf irgendeine bestimmte Anschauung zu beziehen (vgl. KrV, A253 f./B309). Erkenntnis entsteht allerdings nur dann, wenn dem Begriff eine ihm korrespondierende Anschauung unterlegt wird; dies geschieht entweder durch die mathematische Konstruktion des Begriffs mittels der Anschauung a priori oder durch das Anführen eines Beispiels per empirischer Anschauung.95
3.2.2 Symbolische Darstellung Eine andere Art, einem gegebenen Begriff (Verstandes- oder Vernunftbegriff) eine Anschauung durch eine Analogie indirekt beizulegen, nennt Kant die symbolische Darstellung. Beispielsweise wird eine Vernunftidee, der »keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt […], mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch ist, d. i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach übereinkommt« (KU, 255).
Die symbolische Darstellung und der symbolische Ausdruck für Begriffe erfolgt »nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben, d.i. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz anderen Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann« (KU, 257). Sehr anschaulich erläutert die folgende Stelle die Symbolisierung eines gegebenen Begriffs durch einem ganz anderen Gegenstand der sinnlichen Anschauung: »Alle Anschauungen, die man Begriffen a priori unterlegt, sind also entweder S c h e m a t e oder S y m b o l e , wovon die 95
Vgl. KrV, A712 ff./B740 ff., A837/B865.
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ersteren direkte, die zweiten indirekte Darstellungen des Begriffs enthalten. Die ersteren tun dieses demonstrativ, die zweiten vermittelst einer Analogie (zu welcher man sich auch empirischer Anschauungen bedient), in welcher die Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden. So wird ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber (wie etwa eine Handmühle), wenn er durch einen einzelnen absoluten Willen beherrscht wird, in beiden Fällen aber nur s y m b o l i s c h vorgestellt. Denn zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen den Regeln, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren« (KU, 256).
Es sei angemerkt, daß die Symbolisierung eines gegebenen Begriffs ein weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft gibt. Mit der symbolischen Darstellung bezweckt Kant Schönheit als Symbol der Sittlichkeit zu interpretieren. Mittels des analogen Verhältnisses des ästhetischen Gefühls mit dem moralischen entsteht eine wechselseitige Beförderung beider ungleichartiger Gemütszustände. Durch die ästhetische Symbolisierung des sittlich Guten wird das sittliche Bewußtsein belebt, und das Gemüt ist sich »zugleich einer gewissen Veredlung und Erhebung über bloße Empfänglichkeit einer Lust durch Sinneneindrücke bewußt« (KU, 258; vgl. 194 ff.). Nur wenn die Sinnlichkeit mit dem moralischen Gefühl in Einstimmung gebracht wird, kann das ästhetische Gefühl das Gemüt für die sittliche Idee einerseits empfänglich machen, und der Geschmack andererseits eine bestimmte unveränderliche Form annehmen (vgl. KU, 264, 242 f.). Denn es handelt sich in der ästhetischen Reflexion um die Darstellung eines unbestimmten Begriffs. Die Einbildungskraft »schematisiert« dabei »ohne Begriff« (KU, 146). Sie kann mit bestimmten Begriffen (Vorstellungsinhalten) in der Anschauung spielen, ohne selbst dadurch fixiert zu werden; 213
oder sie kann die unbestimmte Vernunftidee als Richtmaß nehmen, um ein Ideal des Geschmacks zu schaffen. Bei letzterem handelt es sich nicht mehr um das reine Geschmacksurteil der freien Schönheit, sondern um ein »angewandtes Geschmacksurteil« der anhängenden Schönheit (vgl. KU, 51 f., 54 ff.). Es ist im Fall des Geschmacksurteils unvermeidlich, Begriffe oder Vernunftideen mitspielen zu lassen. Die »Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellektuellen« (KU, 51) kann dem Geschmack insofern nicht schaden, als man ihm dadurch keine objektiven Regeln vorschreiben will. Diese Verbindung zeigt bloß die »Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft« (ebd.). »Eigentlich aber gewinnt weder die Vollkommenheit durch die Schönheit, noch die Schönheit durch die Vollkommenheit; sondern weil es nicht vermieden werden kann, wenn wir die Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand gegeben wird, mit dem Objekte (in Ansehung dessen, was es sein soll) durch einen Begriff vergleichen, sie zugleich mit der Empfindung im Subjekte zusammen zu halten, so gewinnt das g e s a m t e V e r m ö g e n der Vorstellungskraft, wenn beide Gemütszustände zusammenstimmen« (KU, 51 f.).
Mit der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit steht die Kantische ästhetische Theorie nicht nur jenseits der Alternative von Naturalismus und Moralismus in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts, sondern leistet dadurch auch eine Vermittlung zwischen beiden. Bereits in der Schönheit als »Ausdruck der ästhetischen Idee« (KU, 204) verweist Kant auf ihre Wesensverwandtschaft mit der Vernunftidee. Die ästhetische Idee ist eine Anschauung ohne passenden Begriff, die Vernunftidee, ein Begriff ohne korrespondierende Anschauung (vgl. KU, 239 ff.). Die ästhetische Idee ist eine sinnreiche Anschauung der Einbildungskraft, »die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d.i. B e g r i f f , adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann« (KU, 192 f.; vgl. 242).
Man nennt die ästhetischen Ideen gerade deshalb Ideen,
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»einesteils darum, weil sie zu etwas über die Erfahrungsgrenze hinaus Liegendem wenigstens streben und so einer Darstellung der Vernunftbegriffe (der intellektuellen Ideen) nahe zu kommen suchen, welches ihnen den Anschein einer objektiven Realität gibt; andrerseits und zwar hauptsächlich, weil ihnen als inneren Anschauungen kein Begriff völlig adäquat sein kann« (KU, 193).
Kant macht offensichtlich hierbei eine Anspielung auf die sensualistische Auffassung der Idee, etwa die »Vorstellung der roten Farbe« (KrV, A320/B377), an der er in der KrV bei der Einführung der Vernunftidee schon Kritik übte. Kant beabsichtigt mit dem Konzept der Schönheit als Ausdruck der ästhetischen Idee zweierlei: erstens will er auf die Verwandtschaft der Schönheit mit der Sittlichkeit verweisen; zweitens will er die Natur- und Kunstschönheit, abgesehen von all ihrer Unterschiedenheit, auf eine gemeinsame Basis bringen, nämlich auf die ästhetische Darstellung eines unbestimmten Begriffs aufgrund der »ungesuchte[n], unabsichtliche[n], subjektive[n] Zweckmäßigkeit in der freien Übereinstimmung der Einbildungskraft zur Gesetzlichkeit des Verstandes« (KU, 200). »Man kann überhaupt Schönheit (sie mag Natur- oder Kunstschönheit sein) den A u s d r u c k ästhetischer Ideen nennen« (KU, 204). Dabei liegt der Unterschied nur darin, daß die ästhetische Idee in der schönen Natur durch eine Anschauung ohne einen Begriff von dem, was der Gegenstand sein soll, erweckt wird, während sie in der schönen Kunst durch einen Begriff vom Objekt, oder Vorstellungsinhalt veranlaßt wird (vgl. KU, 204, 199 f.). Die Naturschönheit ist darum »ein s c h ö n e s D i n g ; die Kunstschönheit ist eine s c h ö n e V o r s t e l l u n g von einem Dinge« (KU, 188). Das »Kunsttalent« (KU, 199), eine ästhetische Idee hervorzubringen, ist, für sich betrachtet, eigentlich das Vermögen der empirischen produktiven Einbildungskraft, die der Materie eine neue Form verleihe und sie dadurch gleichsam belebe. Dadurch ist das Gemüt selbst belebt und das Gefühl der Lust läßt sich gleichsam durch die Einfühlung des Subjekts auf den Gegenstand selbst übertragen. Der Gegenstand wird dann schön genannt, wenn die bloße Betrachtung seiner Form die freie und dauernde Lust erweckt. Im
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Fall der ästhetischen Darstellung der Vernunftidee verleiht die ästhetische Idee der ansonsten blassen begrifflichen Zergliederung derselben eine lebhafte Gestalt.96 Die Belebung der Vernunft durch die ästhetische Idee bringt Kant folgendermaßen zum Ausdruck: »Wenn nun einem Begriffe eine Vorstellung der Einbildungskraft untergelegt wird, die zu seiner Darstellung gehört, aber für sich allein so viel zu denken veranlaßt, als sich niemals in einem bestimmten Begriff zusammenfassen läßt, mithin den Begriff selbst auf unbegrenzte Art ästhetisch erweitert, so ist die Einbildungskraft hierbei schöpferisch und bringt das Vermögen intellektueller Ideen (die Vernunft) in Bewegung, mehr nämlich bei Veranlassung einer Vorstellung zu denken (was zwar zu dem Begriffe des Gegenstandes gehört), als in ihr aufgefaßt und deutlich gemacht werden kann« (KU, 194 f.).
Die transzendentale Begründung des reinen Geschmacksurteils wertet nicht zwischen Natur- und Kunstschönheit.97 Der Vorrang der Naturschönheit vor der Kunstschönheit ist lediglich durch die mit dem moralischen Interesse verbundene ästhetisch-teleologische Naturdeutung begründet.98 Daß die Naturschönheit »allein ein unmittelbares Interesse« erweckt, »stimmt mit der […] Denkungsart aller Menschen überein, die ihr sittliches Gefühl kultiviert haben« (KU, 168). Die unmittelbare Verwandtschaft der Liebe und Bewunderung der Natur mit dem Respekt (Achtung) vor der Natur kulminiert in der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit, als ästhetischtranszendentaler Übergang von der Natur zur Freiheit (vgl. KU, 115, § 42, § 57, § 59), während der ästhetisch-pragmatische Übergang, der mittelbar durch den Geschmack in seiner gemeinschaftlichen Bedeutung als Beförderung der Kultur zum Ausdruck kommt, von Kant nur angedeutet wird. Denn das empirische Interesse am Schö96
Beim Schönen handelt es sich um die positive Darstellung der Vernunftidee; beim Erhabenen, aber um die »negative Darstellung« derselben (KU, 124; vgl. 75 f.). 97 Vgl. KU, 168 f., dazu auch § 48, § 58; ferner K. Kuypers S. 130 f., 31, 125, 145 f. und vor allem J. Kulenkampff (1994) S. 161 ff. 98 Vgl. KU, § 17, 22, 42, 67, 83; ferner § 2, Anm. 71 (S. 118 f.).
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nen ist für die transzendentale Untersuchung »von keiner Wichtigkeit« (KU, 164; vgl. 30), und zwar hauptsächlich, weil das Interesse am Schönen, wenn es auf Neigungen und Leidenschaften gegründet ist, »einen nur sehr zweideutigen Übergang vom Angenehmen zum Guten abgeben könne« (KU, 165; vgl. § 60, § 83). Wir finden einen Gegenstand schön, wenn wir bei der bloßen Auffassung der Form desselben eine »unmittelbare« Lust an ihm wahrnehmen. Die Analogie der Natur mit der Kunst in der Schönheitserfahrung bietet Kant eine phänomenale Basis für die transzendentale Untersuchung des Schönen (vgl. KU, 77 f., 267, 293 f.). Wir finden einen Gegenstand der Natur schön, wenn er uns kunstvoll erscheint; ein Kunstwerk empfinden wir dann als schön, wenn es natürlich aussieht. Mit Kants Worten: »Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah; und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewußt sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht« (KU, 179).
In diesem Zusammenhang ist es für das Verständnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit in der Organisation des schönen Gegenstandes aufschlußreich, die Naturschönheit im Vergleich mit dem Naturzweck zu betrachten.99 Die Selbstorganisiertheit des lebendigen Organismus ist ausgezeichnet gegenüber allen Arten der äußerlichen (relativen) Organisation der Natur, z.B. die Nutzbarkeit oder Zuträglichkeit, welche in einer Analogie mit der technischpraktischen Herstellung des Menschen begreiflich gemacht werden kann. Man könnte diese formale Eigenschaft des Organismus analog zur menschlichen Intelligenz sehen, also als »A n a l o go n d e s L e b e n s « (KU, 293). Allerdings muß man sich dabei bewußt sein, daß die Selbstorganisation der Materie oder im allgemeinen die »Organisation der Natur nichts Analogisches mit irgend einer Kausalität, die wir kennen«, hat (KU, 294), weil »Materie« und »Seele« nach Kant schlechthin »fremdartig« (KU, 293) sind. Dabei stößt man an die Grenzen der Begreiflichkeit der »inneren Naturvollkommenheit« (vgl. KU, 294). Bei den schönen Naturformen verhält sich 99
Vgl. z.B. EE, XX232 f., 249 f., KU, 267 ff., 293 f., 303 f.
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die Sache ganz anderes, weil es ihnen nicht um die innere Eigenschaft der Dinge geht. »Schönheit der Natur, weil sie den Gegenständen nur in Beziehung auf die Reflexion über die ä u ß e r e Anschauung derselben, mithin nur der Form der Oberfläche wegen beigelegt wird, kann mit Recht ein Analogon der Kunst genannt werden« (KU, 294).
Damit will Kant sagen, daß es bei der bloßen Beurteilung des Schönen keine Rolle spielt, ob der Gegenstand ein Naturprodukt oder Artefakt ist. Wichtig ist, daß die anschauliche Gegenstandsvorstellung uns in die ästhetische Reflexion versetzt. Schönheit überhaupt soll natürlich und zugleich kunstvoll sein. Natürlich sei sie, da ihre Form nicht nach einer bestimmten Regel aufgefaßt werden kann, weil ihre Lebhaftigkeit und Leichtigkeit sich durch keine Begriffe umfassen lassen;100 kunstvoll sei sie, weil die Zusammensetzung ihrer Form so angemessen erscheint, als ob die Form absichtlich erzeugt worden wäre. Schönheitserfahrung besteht nicht einfach in der alltäglichen, gewöhnlichen oder wissenschaftlichen Betrachtung der Dinge. Die Erfahrung des Schönen enthält immer eine überraschende Anmutung, die mit keiner Sprache adäquat beschrieben werden kann, also ein »je ne sais quoi«101. Nicht konditioniert zu sein, ist gerade eine unentbehrliche Bedingung für die ästhetische Einstellung zum (schönen) Gegenstand. Kant betreibt in der KU keine psychologisch-phänomenale, sondern eine transzendentale Analyse des Schönen bzw. des Geschmacks, und zwar in einer lockeren Anlehnung an die urteilslogi100
»Als Natur aber erscheint ein Produkt der Kunst dadurch, daß zwar alle P ü n k t l i c h k e i t in der Übereinkunft mit Regeln, nach denen allein das Produkt das werden kann, was es sein soll, angetroffen wird; aber ohne P e i n l i c h k e i t , ohne daß die Schulform durchblickt, d.i. ohne eine Spur zu zeigen, daß die Regel dem Künstler vor Augen geschwebt und seinen Gemütskräften Fesseln angelegt habe« (KU, 180). 101 Zum historischen Hintergrund dieser Formel der Empfindsamkeit (des Angerührtseins) vgl. A. Baeumler S. 20 ff., 192; G. Böhme (1999) S. 28 f.; R. Brandt (1999) S. 327 ff.; Ch. Fricke (2000) S. 55. – Dazu vgl. auch Kants Charakterisierung der ästhetischen Idee (KU, 192 f., 242).
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sche Analyse des Geschmacksurteils, wobei die in der KrV entwickelte Urteilstafel bloß zur Orientierung dient.102 ›Schön‹ ist kein Prädikat des Objekts, sondern kennzeichnet vielmehr ein interesseloses, freies und zugleich sich selbst stärkendes und reproduzierendes, also dauerndes Wohlgefallen am Gegenstand (vgl. KU, 37), dessen transzendentaler Bestimmungsgrund auf dem freien Spiel der Erkenntniskräfte in der bloßen Beurteilung (Reflexion) der Form des Anschauungsgegenstandes beruht. Die innere zweckmäßige Zusammenstimmung der Erkenntnisvermögen in ihrem Spiel, das durch die bloße Vorstellung der Gegenstandsform erweckt wird, ist der Grund a priori für das Schönheitsgefühl, während der Gegenstand oder seine Form (Gestalt), transzendental betrachtet, bloß eine äußerliche empirische Veranlassung ist. Der Gegenstand ist schön nur durch eine ästhetische Subreption, wobei das Schöne eigentlich eine Darstellung der »Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen« ist (KU, 29; vgl. 30, 18). Damit will Kant sagen, daß Schönheit »kein Begriff vom Objekt« (KU, 152) oder keine Eigenschaft des Gegenstandes ist, und ›schön‹ kein objektives Prädikat ist. Das Geschmacksurteil betrifft also, transzendental betrachtet, »bloß das Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden« (KU, 34). Der einschränkende Nachsatz ›sofern …‹ ist insoweit wichtig, als er einen gewissen Gegenstandsbezug im Geschmacksurteil als eine Art der Gegenstandsbeurteilung zum Ausdruck bringt. Das Spiel der Erkenntniskräfte im Geschmacksurteil ist daher keine bloße Phantasie (vgl. KU, 73). Das Verhältnis der Vorstellungskräfte, auf denen das Schönheitsgefühl beruht, wird weder durch die »Eindrücke der Sinne« noch durch »Grundsätze der Vernunft«, sondern durch »bloße reflektierte Formen der Anschauung« bestimmt (KU, 8), »wodurch der Gegenstand gegeben (nicht wodurch er gedacht) wird« (KU, 51). Kants transzendentale Begründung des Geschmacksurteils ist weder subjektivistisch noch objektivistisch, sondern »kritisch« in dem Sinne, daß die Urteilskraft im reinen Urteil des Geschmacks, wenn es denn ein solches Urteil gibt, »sich selbst, subjektiv, Gegen102
Vgl. z.B. EE, XX237 ff.; KU, IX, XXXI, 66, 112 f., 128 ff., 144, 146. – Zur transzendentalen Methode vgl. auch oben Anm. 83 (S. 205).
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stand sowohl als Gesetz ist« (KU, 148). Das Urteil des Geschmacks ist ein Urteil über den (schönen) Gegenstand durch Geschmack (genetivus subjectivus)103 und zugleich ein Urteil über Geschmack selbst (genetivus objectivus)104. Die reflexive Urteilsstruktur macht das Geschmacksurteil als eine besondere Art des Reflexionsurteils und den Geschmack des Schönen als Reflexionsgeschmack aus, d.h. das reine Geschmacksurteil als mentale Operation der Reflexion ist weder eine bloße Aussage über die Schönheit des Gegenstandes noch ein bloßes »Urteil über die Einstimmung oder den Widerstreit der Freiheit im Spiele der Einbildungskraft und der Gesetzmäßigkeit des Verstandes« (Anthr., A187/VII241), sondern beide spielen als zwei Pole der Reflexion im reinen Geschmacksurteil einander zu. Das Resultat des ganzen Reflexionsvorgangs ist die Feststellung, ob der Gegenstand schön ist oder nicht. Die reinen Geschmacksurteile sagen nichts über die Annehmlichkeit (das Privatgefühl) des Beurteilenden aus, wie in ästhetischen Sinnenurteilen, sondern geben Auskunft über die »Schönheit von einem Gegenstand oder von der Vorstellungsart desselben« (KU, 39); sie haben die logische Aussageform: ›Dies x ist schön‹, ›Dies ist schön‹105 oder ›Dies da ist schön‹106. Die erste Form beschreibt die oberflächliche (objektsprachliche) Struktur des Geschmacksurteils. Die beiden anderen charakterisieren die (metasprachliche) Tiefenstruktur desselben. Sie geben den normativen Charakter des reinen Geschmacksurteils wieder. Es ist ausreichend für das reine Geschmacksurteil durch ›Dies‹ oder ›Dies da‹, auf die Situations- und Anschauungsbedingtheit desselben zu verweisen. Dabei ist der Gehalt des Gegebenen unwesentlich (aber nicht ausgeschlossen).107 Ob das Schöne eine Tulpe oder eine Kirche ist, spielt hierbei keine Rolle. Entscheidend ist die Tatsache, daß die anschauliche Vorstellung des Gegenstandes vorkommt, deren Beurteilung die Erkenntniskräfte in ein freies Spiel versetzt. Der begriffliche 103
Vgl. z.B. EE, 223; KU, L, LII, 49, 54, 69; Anthr., A186 f./VII241. Vgl. z.B. EE, XX220 f.; KU, 54; Anthr., A186 f./VII241. 105 Vgl. Chr. Fricke S. 7; Ev. Schaper S. 16.; R. Brandt (1998) S. 229. 106 Vgl. J. Kulenkampff (2000) S. 29 f. 107 Vgl. ebd. 104
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Gehalt des Gegenstandes, welcher durch Kennzeichnung des Gegenstandes in der ersten Form bei der Beurteilung leicht ins Spiel kommt, tut »dem Geschmacksurteil Abbruch« (KU, 41). Man darf keinesfalls die Struktur eines (reinen) Geschmacksurteils wie z.B. ›Diese Tulpe ist schön‹ in Analogie mit der Struktur des Erkenntnisurteils wie ›Diese Tulpe ist rot‹ als ›Dies ist eine Tulpe und ist schön‹ analysieren, wie Prauss es unternimmt und dadurch behauptet, daß das Geschmacksurteil immer schon ein Erkenntnisurteil wie ›Dies ist eine Tulpe‹ enthält, um den Objektbezug des Geschmacksurteils aufzuklären.108 Das so verstandene Geschmacksurteil ist nicht mehr rein, es kann nach Kant höchstens als ein Urteil über die anhängende Schönheit angesehen werden. Prauss will aber damit eigentlich das Gegenteil erreichen, indem er zu zeigen sucht, daß das Wesentliche in Kants Theorie der ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand gerade darin besteht, diese Position zu überwinden und zu überbieten, und zwar durch die ästhetische »Freiheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machen« (KU, 15).109 Die folgende Analyse beschränkt sich auf das positive, reine und freie Geschmacksurteil, so wie Kant dies in der KU hauptsächlich unternimmt. Nach Kant gilt das apriorische Prinzip des Geschmacksurteils nicht nur für das positive, sondern auch für das 108
Vgl. Prauss (1981) S. 275, ferner H. F. Klemme (2001) S. XL f. – In der Anthropologie sagt Kant, daß das Geschmacksurteil ein Urteil durch das Gefühl mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit ist. »Also ist das Geschmacksurteil so wohl ein ästhetisches, als ein Verstandesurteil, aber in beider Vereinigung (mithin das letztere nicht als rein) gedacht« (Anthr., A187/VII241). Damit meint Kant nicht, daß im Geschmacksurteil ein Erkenntnisurteil enthalten ist, sondern er betont dort lediglich die Abgrenzung des Geschmacksurteils vom Sinnenurteil. Mit anderen Worten ist das Geschmacksurteil zwar ein Urteil »durch Verstand und Sinne« (KU, 32), aber es ist weder ein Erkenntnisurteil noch ein Sinnenurteil. In einem Geschmacksurteil wie ›Diese Tulpe ist schön‹ ist das Urteilssubjekt ›diese Tulpe‹ eine einzelne Anschauung, die sich lediglich auf ein Individuum bezieht, das zufällig Tulpe heißt. In einem Erkenntnisurteil ›Dies ist eine Tulpe‹ bezeichnet hingegen das Prädikat ›Tulpe‹ einen Begriff, der die Beschaffenheit dieses Dinges darstellt. ›Diese Tulpe‹ und ›Dies ist eine Tulpe‹ sind folglich nicht dasselbe. 109 Vgl. Prauss (1981), S. 276 ff.
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negative Geschmacksurteil (›Dies ist nicht schön‹).110 Ein Gegenstand oder seine Vorstellungsart ist für uns nicht schön, wenn die bloße Vorstellung des Gegenstandes das freie, harmonische Spiel der Erkenntniskräfte nicht erleichtert und fördert, sondern vielmehr hindert, was ein Mißfallen am Gegenstand ohne Vermittlung des Begriffs unmittelbar zur Folge hat. Das interesselose Mißfallen am Gegenstand soll auch für alle Urteilenden gelten, sofern die Beurteilung rein ist. Das freie Spiel der Erkenntniskräfte in der Vorstellung eines Gegenstandes kann insofern das epistemische Fundament der negativen Geschmacksurteile bilden, als das Hindernis oder die Disharmonie der Erkenntniskräfte in ihrem Spiel am Nichtschönen selbst ein »freies Spiel« ist. In letzterem Sinne ist das freie Spiel der Erkenntniskräfte etwas anderes als das am Schönen. Dies mag dialektisch klingen, weil beide Begriffe des freien Spiels hierbei auf unterschiedlicher Ebene fungieren. Auf der metasprachlichen Ebene bedeutet das freie Spiel der Erkenntniskräfte nicht die Harmonie derselben, sondern deren Spontaneität, auf die sich letztendlich die allgemeine Mitteilbarkeit der Geschmacksurteile gründet. Kant hebt den Unterschied von der subjektiven Allgemeingültigkeit des Urteils oder des Gefühls für alle Urteilenden von der allgemeinen Mitteilbarkeit (Kommunizierbarkeit oder Geselligkeit) desselben nicht deutlich hervor (vgl. z.B. KU, § 9).111 Bei der Beurteilung über die Köstlichkeit eines roten Weins machen wir zwar keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit derselben, aber wir teilen diese Erfahrung anderen gerne mit. Das Schöne und das Nicht-Schöne gründen sich zwar auf das allgemeine Prinzip des Geschmacks, aber sie haben sehr unterschiedliche Bedeutung unter dem gesellschaftlichen und anthropologischen Aspekt. »Wir w e i l e n bei der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrach110
R. Brandt hingegen vertritt die These, »daß nur die Lust in die ästhetische Urteilsbildung eingehen kann, nicht aber die Unlust – einem negativen ästhetischen Urteil fehlt das epistemische Fundament und damit die Mitteilbarkeit« (1998, S. 231, vgl. S. 237 ff.). Diese These betrifft – allgemeiner betrachtet – das elementare Problem der logischen Grundlage der negativen Urteile. – Siehe dazu D. Lohmar S. 505 ff. 111 Siehe auch § 4, S. 241 f.
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tung sich selbst stärkt und reproduziert« (KU, 37); wir teilen anderen diesen selbsterhaltenden Zustand der Lust gerne mit und wollen die anderen auch gerne teilnehmen lassen. Ganz anders ist das bei der Betrachtung des Nicht-Schönen: wir wollen dabei den Blick einfach abwenden und den Zustand der Unlust wegschaffen. Wir sprechen in der Regel nicht gerne darüber, geschweige denn das wir jemand daran teilnehmen lassen wollen. Das besagt aber nicht, daß wir dabei keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit haben. Beim negativen wie beim positiven Geschmacksurteil lassen wir kein anderes Urteil als unser eigenes zu. Wir würden sogar wütend werden, wenn jemand uns mitteilte, daß der Gegenstand, den wir nicht schön nennen, schön sei. Wir tadeln ihn, und sprechen ihm den Geschmack ab (vgl. KU, 20). In der Tat gibt es einen unendlichen Grad oder eine unterschiedliche Intensität des Gefühls der Lust beim Geschmacksurteil. Zwischen dem negativen und positiven Gemütszustand gibt es z.B. noch einen Zustand der Gleichgültigkeit, in dem man nicht sagen kann, ob der Gegenstand schön oder nicht schön ist. Es sei nochmals betont, daß Kant in der KU keine psychologische Erklärung, sondern den Grund für das Geschmacksurteil in transzendentaler Absicht sucht. Ob dieser Grund dem Beurteilenden bei der Beurteilung tatsächlich bewußt ist, spielt in der transzendentalen Klärung keine Rolle. Der Grundansatz der transzendentalen Begründung der apriorischen Prinzipien des Urteilens besteht in der Einsicht, daß jeder Urteilende prinzipiell den Grund a priori so zu urteilen wissen kann, auch wenn er dem Urteilenden meistens unbewußt oder nur dunkel (halb bewußt) bleibt.112 Das Prädikat ›häßlich‹ gehört zu einer anderen ästhetischen »Kategorie« und nicht zu derselben »Kategorie« wie ›schön‹ oder ›nicht-schön‹, obwohl es, logisch sprachlich betrachtet, konträr zum Prädikat ›schön‹ steht. Das Nicht-Schöne darf nicht mit dem Häßlichen gleichgesetzt werden. Die ästhetische Beurteilung des Häßlichen ist nicht rein und frei wie die Beurteilung des Schönen und Nicht-Schönen im reinen Geschmacksurteil, weil sie nicht unmittel112
Zum mittelbaren Bewußtsein einer dunklen Vorstellung vgl. oben Anm. 67 (S. 195 f.).
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bar von der Formauffassung in der Gegenstandsvorstellung bestimmt wird, sondern vielmehr von der Nebenvorstellung (Zweck oder Sinnenempfindung) bestimmt wird, die z.B. von der Neigung oder von der moralischen Vorstellung beeinflußt wird. Das Prinzip des Geschmacks kann also nicht unmittelbar auf das Phänomen des Häßlichen, sondern nur vermittels der Kunst angewendet werden. Durch die künstlerische Darstellung kann z.B. das Häßliche interessant und schön sein, wenn seine Vorstellung in der Darstellung nicht Ekel bewirkt. »Die schöne Kunst zeigt darin eben ihre Vorzüglichkeit, daß sie Dinge, die in der Natur häßlich oder mißfällig sein würden, schön beschreibt. Die Furien, Krankheiten, Verwüstungen des Krieges u. dgl. Können, als Schädlichkeiten, sehr schön beschrieben, ja sogar im Gemälde vorgestellt werden; nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit zugrunde zu richten: nämlich diejenige, welche E k e l erweckt« (KU, 189; vgl. Anthr., A187 f./VII241).
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§ 4 Ästhetische Darstellung der Zweckmäßigkeit der Natur Im Vorangegangenen wurde die Funktion der Urteilskraft anhand des Begriffs der Darstellung erläutert. Die Darlegung ging von der Darstellung eines gegebenen Begriffs aus, führte dann über die symbolische Darstellung desselben, speziell über die künstlerische Darstellung der ästhetischen Idee, zur ästhetischen Darstellung eines unbestimmten Begriffs. Letztere charakterisiert das allgemeine Verfahren der ästhetischen Reflexion. Subjektiv betrachtet, hält die Urteilskraft in ihrer Reflexion über gegebene Vorstellungen zu empirisch möglichen Erkenntnissen die Einbildungskraft mit dem Verstand zusammen und nimmt »ein Verhältnis beider Erkenntnisvermögen« wahr (EE, XX223). Sie bezieht, objektiv betrachtet, »Anschauungen auf Begriffe« (KU, XLIV), um daraus Erkenntnis zu gewinnen. Die »geübte« Urteilskraft soll sich »vorurteilsfrei« und »liberal« vollziehen, sie strebt ihrer allgemeinen Maxime gemäß von den Privaturteilen zu den allgemeingültigen Urteilen. In der symbolischen Darstellung eines gegebenen Begriffs verfährt die Urteilskraft in Absicht der Erweckung einer ästhetischen Idee sowohl bestimmend als auch reflektierend, also bloß analogisch, d.h. die bestimmende Funktion des gegebenen Begriffs wird dabei nicht in ihrem vollen Sinn gebraucht, sondern sie fungiert als Bezugspunkt zur Vergleichung und Sinngebung der Vorstellung unter der Leitung der bloß reflektierenden Urteilskraft (vgl. KU, 256). Die künstlerische Darstellung ist eine Art der symbolischen Darstellung. Man könnte sie als Spiel mit dem Begriff (Vorstellungsinhalt) bezeichnen, der gewöhnlich mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes mitgedacht wird, oder auch als Spiel mit der Gestalt im Raum oder mit der Empfindung in der Zeit, wobei ein Sinnganzes anschaulich präsentiert ist (vgl. KU, 42 f., 211 f., 223 ff.). Allgemeiner betrachtet ist die künstlerische Darstellung ein Spiel mit der Vorstellung (Anschauung oder/und Begriff), wobei das Motiv oder
das Thema bedeutend aber nicht notwendig ist, welches durch einen Begriff (Vorstellungsinhalt), der bloß zur Orientierung dient, vorgezeichnet werden kann. Nur in der Kunstschönheit wird der Begriff nicht schematisch dargestellt, sondern er spielt vielmehr eine symbolische Rolle in der ästhetischen Idee. Der so in der Anschauung mitspielende Begriff kennzeichnet eine spezifische, ästhetische Art des nicht gegenstandsbestimmenden Begriffsgebrauchs, wodurch die Gegenstandsvorstellung sich sinnreich machen läßt. Auf solche Weise ist die Kunstschönheit eine Anwendung des Prinzips des reinen Geschmacks, auf welchem sowohl das Hervorbringen der Kunstschönheit als auch deren Beurteilen beruhen müssen, da »die aufbrausende Lebhaftigkeit« des Genies der Mäßigung und Einschränkung »durch die Sittsamkeit des Geschmacks« bedarf (Anthr., A187/VII241; vgl. KU, 203). So wird Kants Rede von der Kunstschönheit als Zusammenarbeit der bestimmenden und reflektierenden Urteilskraft verständlich: Die bestimmende Urteilskraft liegt »allen menschlichen Kunstwerken zum Grunde« (EE, XX251), »weil Kunst immer einen Zweck in der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt« (KU, 188). Aber die Beurteilung der Kunstschönheit muß dennoch zugleich »als bloße Folgerung aus denselbigen Prinzipien, welche dem Urteile über Naturschönheit zum Grunde liegen, betrachtet werden« (EE, XX251), sofern ein Gegenstand für schön erklärt werden soll. Die Kunstschönheit ist nach Kant keine reine Schönheit, weil in der Beurteilung der Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges als dessen Zweck in Anschlag gebracht werden muß, bloß darum, weil der Gegenstand dabei als ein Produkt der Kunst gegeben ist (vgl. KU, 188 f., 61 Anm.). Wenn man die ästhetischen Urteile über die »anhängende Schönheit« (KU, § 16), über das »Ideal der Schönheit« (KU, §17) oder über die Kunstschönheit (vgl. KU, § 43-§ 54) richtig als die Anwendung des apriorischen Geschmacksprinzips versteht, – sofern sie alle eine Art der ästhetischen Urteile über die Schönheit sind –, dann kann man ohne Mißverständnis auf Kants transzendentale Begründung des (reinen) Geschmacksurteils selbst eingehen. Diese Bemerkung ist nicht trivial, weil immer wieder versucht wird, Kants Theorie des Geschmacks oder Geschmacksurteils aus dem Ge226
sichtspunkt der Kunstschönheit zu kritisieren, und sie als Kunsttheorie umzudeuten. Freilich ist in Kants Theorie des Geschmacks eine Kunsttheorie enthalten, und zwar so, daß der Begriff der ästhetischen Idee, aufgrund der subjektiven Zweckmäßigkeit des Erkenntnisvermögens in einer gegebenen Vorstellung, zwischen der bloßen Beurteilung (Geschmack) und der künstlerischen Hervorbringung (Genie) vermittelt. Der Ausgangspunkt der transzendentalen Analyse des Geschmacksurteils sind die zwei aus seinem faktischen Gebrauch resultierenden Eigentümlichkeiten, deren Verbindung ein Dilemma bildet, dessen Auflösung sich die Kritik der ästhetischen Urteilskraft zur Aufgabe macht (vgl. KU, § 34): Zum einen erhebt man mit dem Geschmacksurteil, aufgrund seiner urteilslogischen Struktur, Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, »als ob es objektiv wäre« (KU, § 32), nämlich als ob sein Bestimmungsgrund auf bestimmten Begriffen als Eigenschaften des Gegenstandes beruhte (vgl. KU, § 56). Zum anderen wird das Geschmacksurteil durch Gefühl der Lust oder Unlust bestimmt, und »ist gar nicht durch Beweisgründe bestimmbar, gleich als ob es bloß s u b j e k t i v wäre« (KU, § 33). Durch die Anwendung der transzendentalen Methode auf das Gefühl der Lust und Unlust findet Kant einen Ausweg aus diesem Dilemma und dadurch wird zugleich auch ein apriorisches Prinzip des Geschmacks gerechtfertigt, welches sich auf das allgemeine Prinzip der Urteilskraft gründet. Das Prinzip des Geschmacks ist nicht objektiv, d.h. keine Eigenschaft des Gegenstandes wird daraus abgeleitet, und die Schönheit desselben läßt sich durch keinen Schluß herausbringen (vgl. KU, 143), sondern es ist bloß subjektiv und formal. Subjektiv ist es, weil dadurch nur der Gemütszustand des Subjekts im Modus einer »kontemplativen« Lust bestimmt wird. Formal ist es deshalb – wie alle anderen Prinzipien a priori –, weil in ihm nur die allgemeinen und notwendigen Bedingungen a priori enthalten sind, unter denen die kontemplative Lust den Bestimmungsgrund des Urteils über die Schönheit eines gegebenen Gegenstandes ausmachen kann, und nur
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unter diesen Bedingungen sein Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit gerechtfertigt wird. Es ist von großer Bedeutung, die transzendentale Begründung des Prinzips selbst von dessen empirischen zufälligen Anwendungsbedingungen (dem tatsächlichen Vorgang) zu unterscheiden. Sowenig wie die Beschreibung der logischen Begriffsbildung dem tatsächlichen Vorgang der Begriffsbildung entspricht, genauso wenig entspricht die transzendentale Klärung des Geschmacksurteils dem tatsächlichen Urteilen des Geschmacks über die Schönheit. Freilich ist nach Kant das ästhetische Wohlgefallen am Gegenstand – ein äußerst komplexes Phänomen – die »Empfindung der Wirkung« des freien Spiels der Erkenntniskräfte in der bloßen Reflexion (Beurteilung) über anschauliche Form des Gegenstandes. 1 Die Übereinstimmung der Erkenntniskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt »geschieht auch wirklich jederzeit« (KU, 65), wenn die Erkenntnis sich vollzieht, »weil ohne diese, als subjektive Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis als Wirkung nicht entspringen könnte« (ebd.). Es geht aber bei der transzendentalen Begründung nicht um eine empirische psychologische Erklärung. Wenn Kant in der KU den Reflexionsprozeß der ästhetischen Beurteilung beschreibt, betrachtet er diesen Prozeß zugleich auch unter dem transzendentalen Aspekt, d.h. die Beschreibung dient als ideales Modell für die Klärung der Gesetzlichkeit des tatsächlichen Urteilsvorgangs. Diese transzendentale Methode steht in Analogie zur wissenschaftlichen Erklärung des Phänomens. »Man gesteht: daß sich schwerlich r e i ne E r d e , r e i ne s Wa s s e r , r e i n e L uf t usw. finde« (KrV, A646/B674); sie dienen dennoch, »nach der Idee eines Mechanismus die chemischen Wirkungen der Materien untereinander zu erklären« (ebd.). Oder beim physikalischen Fallgesetz wird die Existenz der Luft im Raum von der Gesetzgebung abstrahiert. Es ist aber schwierig bei der transzendentalen Analyse des Geschmacksurteils, wegen seines begriffs- und kriterienlosen Gefühlsmoments, die psychologisch-phänomenale und die transzendentale Ebene voneinander abzusondern.2 Das Geschmacksurteil ist auf der 1 2
Vgl. KU, 31, 37, 64; EE, XX223 f. Vgl. Th. Baumeister S. 158 ff.
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einen Seite insofern ein einzelnes und empirisches Urteil, als man a priori nicht bestimmen kann, welcher gegebene Gegenstand schön sei, weil die Lust am Schönen durch keinen Begriff des Objekts bestimmt wird. Man muß aber auf der anderen Seite, aufgrund der Heautonomie des Geschmacks, den gegebenen Gegenstand jederzeit a priori, nämlich »ohne fremde Beistimmung abwarten zu dürfen« (KU, 148), beurteilen, um ihn schön nennen zu können und zu dürfen. Kant bringt die Konfrontation der empirischen Situationsbedingtheit der Lust am Schönen mit deren apriorischen Bestimmungsgrund folgendermaßen klar zum Ausdruck: »Die Lust ist also im Geschmacksurteile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig, und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden (man kann a priori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde oder nicht, man muß ihn versuchen); aber sie ist doch der Bestimmungsgrund dieses Urteils nur dadurch, daß man sich bewußt ist, sie beruhe bloß auf der Reflexion und den allgemeinen, obwohl nur subjektiven Bedingungen der Übereinstimmung derselben zum Erkenntnis der Objekte überhaupt, für welche die Form des Objekts zweckmäßig ist« (KU, XLVII; vgl. KU, 29, 35 ff., 150; EE, XX225, 248 f.).
Man sollte sich von Kants psychologisierender Redeweise bei der transzendentalen Begründung nicht beirren lassen, weil man sich, wie gesagt, bei der ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes, der apriorischen Gründe der Lust nur selten oder dunkel bewußt ist. Selbst Kant hielt vor seiner Entdeckung der ästhetischen Zweckmäßigkeit die Möglichkeit eines apriorischen Prinzips des Geschmacksurteils für unmöglich.3 Das bedeutet freilich nicht, daß 3
Vgl. Brief an Reinhold vom 28.12.1787, 335 und die viel zitierte Stelle in der KrV, A21/B35 f. Anm. Die wesentlichen Momente des Geschmacksurteils wurden bei Kant in der zweiten Hälfte der 70er Jahre schon entwickelt. Das Entscheidende in der KU ist die Anwendung der transzendentalen Methode auf das Phänomen des Geschmacks und die dadurch entdeckte neue Art der Prinzipien a priori. Die drei Veränderungen in der B-Auflage der KrV (B35 Anm.) zeigen, daß Kants Auffassung sich durch die erweiterte Anwendung der transzendentalen Methode auf andere Bereiche (insb. die Moralphilosophie) allmählich verändert hat. Man vergleiche nur die Stelle über die interesselose Betrachtung der
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Kant zuvor unfähig war, das Schöne zu beurteilen. Die Aufklärung dieser Gründe a priori ist die Aufgabe der transzendentalen Untersuchung. Was Kant hierbei mit dem Bewußtsein des Urteilsprinzips im Geschmacksurteil eigentlich meint, ist wohl das Begründungsverhältnis zwischen der Lust am Schönen und deren apriorischem Bestimmungsgrund. Eine transzendental aufgeklärte und geübte Urteilskraft sollte sich nach Kant im reinen Geschmacksurteil folgendermaßen bewußt sein: Bewußt sind wir uns beim Geschmacksurteil erstens des Vorliegens der interesselosen und freien Lust, die uns phänomenal unmittelbar zugänglich ist. Bewußt sind wir uns dabei auch, daß die Sache nicht für das Beurteilende allein schön ist, sondern die Beurteilung des Schönen für alle Urteilenden, die fähig sind, ästhetisch rein (formal) zu urteilen, gelten soll. Bewußt sind wir uns drittens, daß wir Freude an unserem harmonischen Gemütszustand in der bloßen Betrachtung eines gegebenen Gegenstandes und weiterhin auch Freude an der zufälligen Übereinstimmung dessen Form mit unseren Auffassungskräften haben, »wodurch der Gegenstand für unsere Urteilskraft gleichsam vorherbestimmt zu sein scheint« (KU, 76). Bewußt sind wir uns schließlich der Überzeugung, die das Geschmacksurteil innerlich begleitet, daß das Urteil subjektiv notwendig gelten soll, wenn wir nur sicher sind, daß es allein aus dem Geschmacksprinzip ohne Beimischung von Reiz und Rührung a priori gefällt wird. Diese vier Momente des Geschmacksurteils sind vier Perspektiven ein und derselben komplexen Beurteilung eines Anschauungsgegenstandes durch die ästhetisch reflektierende Urteilskraft. Sie Naturschönheit als Propädeutik der moralischen Erziehung in der KpV, A285 f./V160, wobei die allgemeine Mitteilbarkeit des Schönheitsgefühls durch das harmonische Spiel der Erkenntniskräfte aufgeklärt wird. »Es muss also ein, wenn auch nur äusserst geringes Maass von Apriorität in dem ästhetischen Verhalten zu dieser Zeit von Kant wenigstens nicht mehr ganz für unmöglich gehalten worden sein« (W. Windelband S. 515; vgl. A. Tumarkin S. 351 f.; Frank/Zanetti S. 1213). P. Giordanetti glaubt sogar, die Entdeckung der Möglichkeit einer apriorischen Begründung des Geschmacksurteils um 1783-1784 datieren zu können, indem er das entscheidende Dokument in R988 (XV432 f.) sieht, in der die Argumentation von § 9 der KU im Rohbau vorliegt.
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sind zwar in der Sache zugleich gesetzt, aber sie werden in der Untersuchung (Analyse) erst nacheinander entfaltet. 4 Das Charakteristische der ästhetischen Einstellung zu einem Gegenstand ist nach Kant die »freie und unbestimmt-zweckmäßige Unterhaltung der Gemütskräfte mit dem, was wir schön nennen« (KU, 71). Dieser uninteressierte, freie Zustand des Subjekts in der bloßen Betrachtung eines Gegenstandes bezeichnet Kant auch als »Gefühl der Beförderung des Lebens«, welches ein Gefühl des Menschen selbst in der harmonischen Verbindung des Geistes mit dem ganzen Körper ist.5 Das Wohlgefallen am Schönen als Lust der »bloßen Reflexion« (KU, 155; vgl. EE, XX249) scheint – ähnlich wie Kant zu dem Geschmack als ästhetischem Gemeinsinn sagt – »vielleicht allzu künstlich zu sein […]; allein sie sieht auch nur so aus, wenn man sie in abstrakten Formeln ausdrückt; an sich ist nichts natürlicher, als von Reiz und Rührung zu abstrahieren, wenn man ein Urteil sucht, welches zur allgemeinen Regel dienen soll« (KU, 157). Wenn also die Lust am Schönen von anderen Arten der Lust unterschieden werden soll, sowie wenn das Geschmacksurteil nicht als bloße Äußerung des eigenen Gemütszustandes, sondern als ästhetische Beurteilung eines einzelnen gegebenen Gegenstandes oder seiner Vorstellungsart mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit angesehen werden soll, und schließlich wenn ein apriorisches Beurteilungsprinzip der Geschmacksurteile gerechtfertigt werden soll, dann müssen die apriorischen Gründe der Lust am Schönen auf das allgemeine »Verfahren der Urteilskraft« (KU, 155) zurückgeführt werden. Zu diesem Zweck muß das reine Geschmacksurteil zum idealen Modell der transzendentalen Analyse des Geschmacksurteils dienen. Kants Strategie der Deduktion der reinen Geschmacksurteile kann man daher so skizzieren: Unter der Voraussetzung, daß es 4
5
Vgl. W. Henckmann S. 342. J. Kulenkampff (1994) bezeichnet Kants transzendentale Exposition des Geschmacksurteils als »entdeckende Analyse«; man kann diese Exposition auch als eine Art der »fortschreitenden Präzisierung« (G. Wolters, S. 215) des Geschmacks- und Schönheitsbegriffs charakterisieren. Vgl. KU, 4, 75, 129. Zum Lebensgefühl vgl. § 1, S. 65 f.
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reine Geschmacksurteile gibt, werden die Bedingungen der Möglichkeit derselben im Rekurs auf das allgemeine Verfahren der Urteilskraft analysiert, welches die subjektive Bedingung des Erkennens ist. Die Deduktion »behauptet nur, daß wir berechtigt sind, dieselben subjektiven Bedingungen der Urteilskraft allgemein bei jedem Menschen vorauszusetzen, die wir in uns antreffen; und nur noch, daß wir unter diese Bedingungen das gegebene Objekt richtig subsumiert haben« 6 . Der Nachweis der Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen hat Ähnlichkeit mit der regressiven Klärung des moralischen Gefühls, als Bewußtsein der Willensbestimmung durch das moralische Gesetz. Die Lust am Schönen ist das Bewußtsein des freien und unbestimmt-zweckmäßigen Spiels der Erkenntniskräfte an einer einzelnen gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt. In dieser Vergleichung betont Kant zugleich auch die Unableitbarkeit (Irrationalität) der Lust. Die Lust als Gemütszustand des Subjekts kann eigentlich nicht gesucht werden, sondern man findet sie, wenn sie bei einer Tätigkeit des Subjekts da ist. Das moralische Gefühl wird in Wirklichkeit nicht vom Gesetz der Freiheit abgeleitet, sondern die Willensbestimmung wird dadurch bestimmt. Dieser intellektuelle Gemütszustand »ist an sich schon ein Gefühl der Lust und mit ihm identisch« (KU, 36; vgl. EE, XX229 f.). Auf ähnliche Weise sind die Lust am Schönen und der Gemütszustand der zuträglichsten Proportion der Erkenntniskräfte in ihrem freien Spiel einerlei, sofern dieser dem Beurteilenden bewußt ist. Etwas anderes ist die sinnliche Lustempfindung durch die Sinnesorgane. Hier wird die unmittelbare Wirkung der Sinnesempfindung auf den Gemütszustand betont. Die Lust am Schönen wird im Vergleich zu der sinnlichen Lustempfindung mittelbar durch die Reflexion, im Vergleich zu dem moralischen Gefühl aber unmittelbar bestimmt, nämlich nicht auf Grund der Vernunftprinzipien, sondern vor allen Begriffen unmittelbar an der bloßen Betrachtung der Form. Hierbei ist von dem Unterschied der Veranlassung (oder der Bestimmungsgründe) des Gemütszustandes, folglich der Lust die Rede, aber nicht von dem der Verknüpfung der Lust mit dem Ge6
KU, 152; vgl. auch 151, 134, 67, 63 f., 23, XLIV.
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mütszustand. Die Rede von der Mittelbar- oder Unmittelbarkeit der Verknüpfung beider ist sinnlos, weil Lust an sich ein Gemütszustand ist, sofern wir uns seiner bewußt sind. Die transzendentale Exposition des Geschmacksurteils ist eine »kritische« Analyse der ästhetischen Erfahrung, welche aber von vornherein auf die transzendentale Deduktion gerichtet ist. Diese Methode hat wiederum Ähnlichkeit mit der metaphysischen und der transzendentalen Deduktion der Kategorien, aber mit dem Unterschied, daß die Deduktion der Geschmacksurteile »darum so leicht [ist], weil sie keine objektive Realität eines Begriffs zu rechtfertigen nötig hat« (KU, 152). – Daher unternimmt Kant hierbei auch nicht, die »Objektivität« des Geschmacksurteils zu »deduzieren«, welche unter Voraussetzung eines Gemeinsinns nur bedingt vorgestellt werden kann (vgl. KU, § 21 f.). Ob Kant in der Dialektik vorhat, dies in bezug auf »das übersinnliche Substrat der Menschheit« (KU, 237) und auf die Schönheit als Symbol des Sittlichen zu unternehmen, ist eine Frage der Interpretation.7 Die Interpretation hängt davon ab, was man unter ›Deduktion der Geschmacksurteile‹ versteht. Die Analytik hat nach Kant bloß die Aufgabe, das apriorische Prinzip des Geschmacks allein aus diesem Vermögen selbst zu rechtfertigen, und zwar als ein natürliches, mithin sinnliches Vermögen ohne Rücksicht auf dessen notwendige Beziehung auf die Vernunft und auf das moralische Gefühl. Allerdings kann ein Geschmacksurteil berechtigterweise nur Quasi-Objektivität haben, und es kann auch nur in Verbindung mit der moralischen Idee die ideale Norm 7
Kant schreibt im Brief an Reichardt vom 15.10.1790 (490), daß der Geschmack ein »so schwer« zu erforschendes Vermögen ist. Er hat sich »damit begnügt, zu zeigen, daß ohne sittliches Gefühl es für uns nichts Schönes oder Erhabenes geben würde, daß sich eben darauf der gleichsam gesetzmäßige Anspruch auf Beifall bei allem, was diesen Namen führen soll, gründe und daß das Subjektive der Moralität in unserem Wesen, welches unter dem Namen des sittlichen Gefühls unerforschlich ist, dasjenige sei, worauf, mithin nicht auf objektive Vernunftbegriffe, dergleichen die Beurteilung nach moralischen Gesetzen erfordert, in Beziehung, urteilen zu können, Geschmack sei, der also keinesweges das Zufällige der Empfindung, sondern ein (obzwar nicht diskursives, sondern intuitives) Prinzip a priori zum Grunde hat«. – Siehe auch unten S. 259 f., insb. Anm. 28 (S. 260).
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erhalten. Der »ideale Geschmack« hat zwar »eine Tendenz zur äußeren Beförderung der Moralität« (Anthr., A191/VII244), aber er ist nach Kant kein reiner, formaler Geschmack. – Das bedeutet aber nicht, daß die Deduktion der Geschmacksurteile selbst leicht ist. Umgekehrt wird die Deduktion durch eine komplizierte Theorie der ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes bewerkstelligt, und zwar schon in der Exposition der Geschmacksurteile. Darum wird in der Deduktion das wiederholt, was eigentlich in der Exposition bereits gesagt wurde. Umgekehrt ist aber auch möglich, daß die Exposition (insbes. § 9) etwas enthielt, was zur Deduktion gehören sollte.
4.1 Das freie Spiel der Erkenntniskräfte in § 9 der KU In § 9 der KU sagt Kant, daß die Auflösung der Aufgabe, nämlich »Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurteile das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe«, »der Schlüssel zur Kritik des Geschmacks und daher aller Aufmerksamkeit würdig« ist (KU, 27). Inwiefern sie der Schlüssel ist, verrät Kant nicht. Dies ist erst noch aufzuschlüsseln. Dazu sollte gezeigt werden: (1) Auf welche Weise schließt § 9 die vorangehenden Paragraphen ab? (2) Worin besteht sein eigenes Ziel? (3) Worauf will § 9 hinaus? Das Ganze dreht sich um einen der wichtigsten Begriffe der Kritik der ästhetischen Urteilskraft, nämlich um den Begriff des freien Spiels der Erkenntniskräfte, das dem Geschmacksurteil »transzendental« zugrunde liegt. Zuerst sei daran erinnert, daß das Wort ›Urteil‹ von Kant mehrdeutig gebraucht wird. Es kann damit eine Proposition oder der Satz gemeint sein. Oder es bezeichnet einen Akt der Urteilskraft, in dem die bestimmten mentalen Operationen durchgeführt werden. Im letzteren Sinne wird auch das Wort ›Geschmacksurteil‹ in jener Schlüsselfrage gebraucht.8 Dementsprechend ist das Geschmacksur-
8
Vgl. W. Henckmann S. 330 f., D. Teichert S. 28 f., J. Kulenkampff (2000) S. 29 f., H. F. Klemme (2001) S. XXXIX.
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teil ein ästhetisches Urteilen über einen Anschauungsgegenstand durch die »reflektierte Wahrnehmung« von dessen Form.9 Was ein ästhetisches Urteilen sei, erfährt man am klarsten bei Kants Klärung der Zweideutigkeit des Ausdrucks ›ästhetisch‹. Im Fall des ästhetischen Urteils wird der »Ausdruck ästhetisch weder von der Anschauung, noch weniger aber von Vorstellungen des Verstandes, sondern allein von den Handlungen der Ur t e i l s k r a f t « gebraucht (EE, XX222). Das ästhetische Urteilen 10 , oder hierbei das Urteilen des Geschmacks ist ein besonderer Akt der Urteilskraft, die Sache, genauer ihre Form durch das Gefühl der Lust zwar »nach einer Regel, aber nicht nach Begriffen, zu beurteilen« (KU, LII). »Durch die Benennung eines ästhetischen Urteils über ein Objekt wird also sofort angezeigt, daß eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde« (EE, XX223). Dementsprechend wird die Urteilskraft ästhetisch genannt, »weil sie die Vorstellung eines Objekts nicht auf Begriffe und das Urteil also nicht aufs Erkenntnis bezieht (garnicht bestimmend, sondern nur reflektierend ist), das läßt keine Mißdeutung besorgen; denn für die logische Urteilskraft müssen Anschauungen, ob sie gleich sinnlich (ästhetisch) sind, dennoch zuvor zu Begriffen erhoben werden, um zum Erkenntnisse des Objekts zu dienen, welches bei der ästhetischen Urteilskraft nicht der Fall ist« (EE, XX247). 9
Zur reflektierten Wahrnehmung (Anschauung oder Empfindung) der ästhetischen Beurteilung vgl. KU, XLVI, 8, 31, 40, 259; Anthr., A184/VII239; R282, XV106. 10 Das Geschmacksurteil und das ästhetische Urteil sind nicht bedeutungsgleich. Letzteres umfaßt jedes Urteil durch das Gefühl der Lust oder Unlust, z.B. die Beurteilung des Erhabenen (durch die Vernunft), die der Sinnenempfindung (durch den Sinn) und die des Schönen (durch die Urteilskraft). In der EE will Kant aber das ›ästhetische Urteil‹ nur für das ›ästhetische Reflexionsurteil‹ gebrauchen (vgl. EE, XX225). – Der Geschmacksbegriff ist enger als der Begriff der ästhetischen Urteilskraft. Letzterer ist wiederum enger als der Begriff der reflektierenden Urteilskraft. – Es sei anzumerken, daß die Terminologien in der KU uneinheitlich sind. Siehe dazu G. Tonelli und ferner W. Henckmann S. 329.
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Die folgenden Zitate zeigen, daß der Begriff des freien Spiels der Erkenntniskräfte bereits im Begriff des Geschmacksurteils enthalten ist, wenngleich er vor § 9 noch nicht explizit zum Ausdruck kommt. Im Geschmacksurteil »beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben« (KU, § 1, 3 f.). Wir halten im Geschmacksurteil »die gegebene Vorstellung im Subjekte gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen […], dessen sich das Gemüt im Gefühl seines Zustandes bewußt wird« (KU, § 1, 5). 11 Das Geschmacksurteil ist »einig in seiner Art« und gibt »schlechterdings kein Erkenntnis […] vom Objekt«, weil es »die Vorstellung, wodurch ein Objekt gegeben wird, lediglich auf das Subjekt bezieht und keine Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern nur die zweckmäßige Form in der Bestimmung der Vorstellungskräfte, die sich mit jenem beschäftigen, zu bemerken gibt« (KU, § 15, 47). Das Wohlgefallen am Schönen muß alsdann – im Gegensatz zum Angenehmen – »von der Reflexion über einen Gegenstand, die zu irgend einem Begriffe (unbestimmt welchem) führt, anhängen« (KU, § 4, 11, vgl. § 23, 74).
11
Die Formulierungen in den beiden Zitaten aus § 1 zeigen schon Kants Unsicherheit. Bei ihm gibt es zwei Tendenzen im Hinblick auf die Beziehung der Einbildungskraft auf den Verstand im Geschmacksurteil. Zum einen wird die apperzeptive Formauffassung des Gegenstandes allein durch »Einbildungskraft« (in welchem Sinne?) geleistet, dann wird sie mit den allgemeinen Gesetzen des Verstandes (?) verglichen (vgl. KU, XLIV, 31; EE, XX220). Wenn in dieser Vergleichung eine freie, harmonische Zusammenstimmung stattfindet, wird die freie Lust wahrgenommen. Diese Tendenz beherrscht die »Kritik des Geschmacks«. Oder das freie Spiel der Erkenntniskräfte wird von vornherein unter dem Aspekt der reflektierenden Urteilskraft (bzw. des Geschmacks) betrachtet. Ohne die Reflexion der Urteilskraft wäre die Zusammenfassung der schönen Form durch die Einbildungskraft (?) allein unmöglich. – Siehe unten S. 250 ff.
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4.1.1 Die methodische Wende der transzendentalen Exposition des Geschmacksurteils in § 9 In den Paragraphen 1 bis 8 werden zwei Momente im Geschmacksurteil analysiert, nämlich die Interesselosigkeit des Wohlgefallens am Schönen und seine subjektive Allgemeingültigkeit (oder ästhetische Allgemeinheit), wodurch die zwei Eigentümlichkeiten des Geschmacksurteils exponiert werden. Dabei wird die Exposition noch auf die phänomenale Analyse des Schönen anhand der urteilslogischen Struktur des Geschmacksurteils beschränkt, obwohl diese phänomenale Analyse von vornherein unter dem transzendentalen Aspekt geleitet wird. Das Geschmacksurteil ist ästhetisch, d.h. die Beurteilung eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart desselben nicht durch Begriffe, sondern durch ein Wohlgefallen am Gegenstand. Rein ist ein ästhetisches Urteil, wenn das Wohlgefallen am Gegenstand ohne alles Interesse empfunden wird (vgl. KU, 3, 16, 39). Das Geschmacksurteil ist nach Kant also streng vom Erkenntnisurteil zu unterscheiden, obwohl beide auch Ähnlichkeit haben, nämlich ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit. 12 Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen der »subjektiven Allgemeingültigkeit« des ästhetischen Urteils und der subjektiven Allgemeingültigkeit (Überzeugung) des Erkenntnisurteils (vgl. KU, 23 f.). Beim letzteren wird seine subjektive Allgemeingültigkeit für alle Urteilenden unmittelbar aus seiner objektiven »Allgemeinheit« (bzw. Allgemeingültigkeit) abgeleitet und wird so ein »äußerliches« Begleitphänomen desselben (vgl. KrV, A820/B848), während beim ästhetischen Urteil seine »Gemeingültigkeit« kein Begleitphänomen, sondern konstitutiv für das Wohlgefallen und mithin für das Urteil selbst ist.
12
Vgl. KU, 18, 135, 145 – Kant unterscheidet in der KU terminologisch zwischen »Allgemeingültigkeit« und »Allgemeinheit« nicht, obwohl ihm diese Unterscheidung bewußt ist. »Allgemeingültige Gesetze sind nicht allgemein, sondern es wird gefragt, wie sie gelten. Der Verstand urteilt nach allgemeinen Gesetzen, d. i. nach Begriffen« (R1872, XVI145).
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Die Interesselosigkeit des Wohlgefallens macht den Unterschied des Geschmacksurteils vom ästhetischen Sinnenurteil (als bloß subjektbezogenem Empfindungsurteil) deutlich, das lediglich auf den »Privatbedingungen« beruht (KU, 17). Sie besagt zwar zuerst nur etwas Negatives, nämlich von allem (subjektiven oder objektiven) Interesse (Zweck) abgesondert zu urteilen. Sie bedeutet aber zugleich auch etwas Positives, und zwar zuvörderst in dem Sinne, daß »gemeingültige (publike)« (KU, 22) Urteile gefällt werden können, wenn keine Privatbedingungen als Gründe der Urteile vorhanden sind. Das eigentliche Positive der Interesselosigkeit der Lust am Schönen besteht in der Freiheit (Heautonomie) der Vorstellungstätigkeit des Geschmacks. »Man sieht leicht, daß es auf das, was ich aus dieser Vorstellung in mir selbst mache, nicht auf das, worin ich von der Existenz des Gegenstandes abhänge, ankomme, um zu sagen, er sei s c h ö n , und zu beweisen, ich habe Geschmack« (KU, 6; vgl. 15, 53, 137).
Daraus wird das Schöne in § 6 unmittelbar abgeleitet als dasjenige, »was ohne Begriffe als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird« (KU, 17), d.h. das Schöne kann als ein solches angesehen werden, ohne jedoch dadurch schon transzendental nachgewiesen zu werden. Vom Schönen spricht man nicht, daß es für mich schön ist, sondern daß, es schön ist. Der Urteilende »wird daher vom Schönen so sprechen, als ob Schönheit eine Beschaffenheit des Gegenstandes und das Urteil logisch (durch Begriffe vom Objekte eine Erkenntnis desselben ausmachend) wäre; ob es gleich nur ästhetisch ist und bloß eine Beziehung der Vorstellung des Gegenstandes auf das Subjekt enthält« (KU, 17 f.; vgl. 19 f., 30). In § 9 wird die Allgemeingültigkeit der Lust, worauf man im Geschmacksurteil Anspruch erhebt, im Rekurs auf die subjektive Bedingung einer Erkenntnis überhaupt »transzendental« gerechtfertigt. Die interesselose und mithin allgemeingültige Lust am Schönen ist die Folge des freien Spiels der Erkenntniskräfte, welches der allgemeinen Mitteilbarkeit des Gemütszustandes in einer subjektiven formalen Gegenstandsvorstellung zugrunde liegt. Schön ist dem238
nach das, »was ohne Begriff allgemein gefällt« (KU, 32). Im Geschmacksurteil wird die »Allgemeinheit« der Beurteilung nicht objektiv auf den Gegenstandsbereich bezogen, sondern subjektiv auf die »ganze Sphäre d e r U r t e i l e n de n « (KU, 24; vgl. 142). Der § 9 kennzeichnet eine methodische Wende in der Analytik der ästhetischen Urteilskraft, nämlich den Übergang von der phänomenalen Exposition des Schönen zur transzendentalen Erörterung der ästhetischen Beurteilung des Gegenstandes durch den Reflexionsgeschmack. Obwohl das Wesentliche der phänomenalen Erklärung des Schönen aus der Interesselosigkeit des Wohlgefallens abgeleitet werden kann, bleiben die folgenden Fragen jedoch noch unklar: Was heißt eigentlich die (reine) Lust am Schönen? Wie vollzieht sich diese Lust? Wie fungiert der Reflexionsgeschmack? Gibt es ein apriorisches Prinzip des Geschmacksurteils? usw. Dies thematisiert Kant nun in § 9, betitelt mit der eben zitierten Schlüsselfrage: Untersuchung der Frage: ob im Geschmacksurteile das Gefühl der Lust vor der Beurteilung des Gegenstandes, oder diese vor jener vorhergehe.
4.1.2 Die transzendentale Erörterung der ästhetischen Beurteilung in § 9 Kants Antwort auf diese Schlüsselfrage ist wegen der komprimierten Argumentation nicht leicht nachvollziehbar. Dies liegt womöglich daran, daß die endgültige Beantwortung, der Architektonik der Kritik gemäß, nicht zur Exposition, sondern zur Deduktion der ästhetischen Urteile a priori, nämlich zur Deduktion der reinen Geschmacksurteile gehört (vgl. KU, 30), welche »die Möglichkeit einer solchen Beurteilung von der Natur dieser Vermögen [nämlich des Verstandes und der Einbildungskraft] als Erkenntnisvermögen überhaupt ableitet« (KU, 144). In § 9 wird der Plan dieser Deduktion (§ 30 bis § 40) vorgezeichnet und die weiteren Untersuchungen von § 10 bis § 22 werden dadurch geleitet. Wichtig ist dann zu erfahren, wie die innere Zweckmäßigkeit der Erkenntniskräfte in ih239
rem freien Spiel an einer anschaulich gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt – »eine Eigenschaft unseres Erkenntnisvermögens« (KU, 21) – die Schlüsselfunktion zur ästhetischen Zweckmäßigkeit der schönen Form leistet, wodurch der systematische Ort der ästhetischen Beurteilung erhellt wird. Der § 9 besteht aus 9 Absätzen, die in zwei Gruppen eingeteilt werden. Zum einen wird der Begriff des freien Spiels der Erkenntniskräfte als transzendentaler Grund der allgemeingültigen Lust am Schönen eingeführt (vom 2. bis 6. Absatz). Zum anderen wird die Art der »reflektierten Wahrnehmung« in der ästhetischen Beurteilung erörtert (vom 8. bis 9. Absatz). Hierdurch geht die innere Zweckmäßigkeit der Erkenntniskräfte in der ästhetischen Formbetrachtung zur subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur über. In der ersten Gruppe sucht Kant die Schlüsselfrage zu beantworten. Die Beantwortung dieser Frage ist aber nicht das eigentliche Ziel von § 9, welches sich erst in der Deduktion der reinen ästhetischen Urteile vollendet (7. Absatz). Denn diese Schlüsselfrage läßt sich unmittelbar aus dem Ergebnis von § 1 bis § 8 beantworten (vgl. insb. § 6), auch ohne Rekurs auf eine Erkenntnis überhaupt und auf die Harmonie im freien Spiel der Erkenntniskräfte. Im 2. Absatz könnte Kant diese Frage schon direkt beantworten, und zwar so: Daß die Lust am Gegenstand im Geschmacksurteil nicht der »Beurteilung« des Gegenstandes vorgehen kann, wird unmittelbar aus der Definition des Geschmacksurteils abgeleitet (vgl. KU, § 1 ff.). Ginge die Lust der Beurteilung des Gegenstandes vorher, dann wäre sie nicht die Lust durch Reflexions-, sondern durch »Sinnengeschmack« (vgl. KU, § 8). Denn nicht die ästhetisch reflektierende Lust, sondern die Annehmlichkeit in der (subjektbezogenen) Sinnenempfindung hängt unmittelbar von der Gegenstandsvorstellung ohne Bezug auf die Urteilskraft ab (vgl. KU, 27, 6 f.; EE, XX224 f.). Die Lust am Schönen ist subjektiv allgemeingültig, während die Lust am Angenehmen bloß privatgültig ist. Mit der Privatgültigkeit, mithin der nicht allgemeinen Mitteilbarkeit einer subjektbezogenen Empfindung meint Kant zweierlei: Erstens beabsichtigt der Urteilende selbst nicht, die eigene Empfindung als allgemein gültig an240
zusehen; zweitens erhebt der Urteilende deswegen keinen Anspruch auf ihre Allgemeingültigkeit, weil sicher zu vermuten ist, »daß jemand etwas nicht so wie ein anderer empfindet«, und weil es ungewiß ist, »ob wir einerley Empfindung haben« (Anthr.-Pillau 68/XXV785). Die interesselose und freie Lust kann nichts anderes sein als die Folge der Beurteilung der Gegenstandsvorstellung, wenn das Geschmacksurteil vom ästhetischen Sinnenurteil unterschieden werden muß. Dadurch erfährt man aber den transzendentalen Grund der Lust noch nicht, der aufklären soll, daß die subjektive Allgemeingültigkeit des Wohlgefallens sich allein auf die »Allgemeinheit« der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet. Die Aufgabe von § 9 besteht folglich genau darin, die Lust am Schönen als »Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen« (6. Absatz) zu identifizieren. Die ästhetische Beurteilung der Gegenstandsvorstellung wird somit als Darstellung eines unbestimmten Begriffs im Modus eines Gefühls der Lust am freien Spiel der Erkenntniskräfte präzisiert. Diese Überlegung bestätigt sich im 6. Absatz, wo das Resultat der Deduktion der subjektiven Allgemeingültigkeit der Lust am Schönen zum Ausdruck kommt: »[Die] bloß subjektive (ästhetische) Beurteilung des Gegenstandes […] geht […] vor der Lust an demselben vorher und ist der Grund dieser Lust an der Harmonie der Erkenntnisvermögen; auf jener Allgemeinheit […] der subjektiven Bedingungen der Beurteilung der Gegenstände gründet sich allein diese allgemeine subjektive Gültigkeit des Wohlgefallens, welches wir mit der Vorstellung des Gegenstandes, den wir schön nennen, verbinden« (6. Absatz).
Kant gelangt zu diesem Resultat anhand von zwei Hilfsbegriffen, nämlich der allgemeinen »Mitteilungsfähigkeit des Gemütszustandes in der gegebenen Vorstellung« und der »Erkenntnis überhaupt« (3. Absatz).13 Die »allgemeine Mitteilbarkeit der Lust« am Gegen13
Von dem Unterschied zwischen der Mitteilbarkeit (bzw. Kommunizierbarkeit) und Allgemeingültigkeit (bzw. Allgemeinheit) sehen wir hierbei ab. Die privatgültige Gefühlsäußerung läßt sich anderen, trotz ihrer Kriterienlosigkeit, auf der
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stand ist konstitutiv für die Lust am Schönen, da die Lust am Schönen nach der Definition des Geschmacksurteils allgemeingültig sein muß (2. Absatz). Nun fragt sich, wie ein bloß subjektiver Gemütszustand ohne Bezug auf irgendeinen bestimmten Begriff vom Gegenstand »mitteilungsfähig« sein kann. Also muß dieser Gemütszustand – wenn er allgemein mitteilbar sein kann – irgend etwas Objektives enthalten. »Es kann aber nichts allgemein mitgeteilt werden als Erkenntnis und Vorstellung, sofern sie zum Erkenntnis gehört. […] Soll nun der Bestimmungsgrund des Urteils über diese allgemeine Mitteilbarkeit der Vorstellung bloß subjektiv, nämlich ohne einen Begriff vom Gegenstande gedacht werden, so kann er kein anderer als der Gemütszustand sein, der im Verhältnisse der Vorstellungskräfte zu einander angetroffen wird, sofern sie eine gegebene Vorstellung auf E r k e n n t n i s ü b e r h a u p t beziehen« (3. Absatz).
Die in der ästhetischen Beurteilung beteiligten Erkenntniskräfte sind nun in einem freien, harmonischen Spiel, »weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt« (4. Absatz) und weil sie nicht »auf die besondere Sinnesart […] eingerichtet ist« (KU, § 38). »Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühls des freien Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einem Erkenntnisse überhaupt sein« (4. Absatz).
Wie ein freies Spiel der Erkenntniskräfte bei einer anschaulich gegebenen Vorstellung stattfinden kann, erfährt man an dieser Stelle noch nicht. Hierbei bleibt die Argumentation bloß auf der transzendentalen Ebene. Nun ist die subjektive Bedingung einer Erkenntnis überhaupt das freie (spontane) Spiel von Einbildungskraft und Verstand, »sofern sie unter einander, wie es zu einem E r k e n n t n i s ü b e r h a u p t erforderlich ist, zusammenstimmen« (5. sprachlichen Ebene mitteilen. Wir können verstehen, wenn jemand sagt, daß er Schmerzen habe, obwohl wir nicht feststellen können, ob er wirklich Schmerzen hat. – Vgl. dazu R. Brandt (1998) S. 234.
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Absatz). Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntniskräfte muß sich somit allgemein mitteilen lassen, »weil Erkenntnis als Bestimmung des Objekts, womit gegebene Vorstellungen […] zusammenstimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für jedermann gilt« (4. Absatz), sofern man keinen Skeptizismus vertreten will, wonach alle Erkenntnisse nichts anderes als »ein bloß subjektives Spiel der Vorstellungskräfte« seien (vgl. KU, § 21). D.h. wir dürfen annehmen, daß unsere Vorstellungstätigkeit bei einer formalen Gegenstandsanschauung kein bloßes Dichten sei. So wird die subjektiv allgemeine Mitteilbarkeit der Lust am Schönen auf die Allgemeinheit der subjektiven Bedingung der ästhetischen Beurteilung des Gegenstandes zurückgeführt. Diese Allgemeinheit der subjektiven Bedingung der ästhetischen Reflexion wird letztendlich im Rekurs auf das allgemeine Verfahren der reflektierenden Urteilskraft als subjektiv formale Bedingung einer Erkenntnis überhaupt gerechtfertigt. Dies bringt Kant in § 9 (4. und 5. Absatz) nur implizit und erst in § 21, § 35 und § 38 explizit zum Ausdruck. Die Quasi-Objektivität des Geschmacksurteils wird dadurch geklärt, und auch das Etappenziel von § 9 wird erreicht. In § 22 der KU sagt Kant, daß die subjektive Notwendigkeit der allgemeinen »Beistimmung«, die in einem Geschmacksurteil gedacht wird, unter der Voraussetzung eines Gemeinsinns als objektiv vorgestellt wird. Die subjektive Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der freien Lust ist nach Kant also nur bedingt (KU, § 19). D.h. das ästhetische Sollen ist heautonom. Darauf erhebt man deshalb auch nur Anspruch, weil man in der ästhetischen Beurteilung nicht immer sicher ist, ob das Geschmacksurteil rein ist. Man kann sich leicht täuschen, ein ästhetisches Sinnenurteil oder ein nicht reines Geschmacksurteil als ein reines anzugeben. Die transzendentale Argumentation des freien Spiels der Erkenntniskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt wird erst in der Deduktion der reinen Geschmacksurteile ersichtlich. In der Deduktion soll die apriorische Gesetzmäßigkeit der Geschmacksurteile gerechtfertigt werden, welche in deren Allgemeingültigkeits- und Notwendigkeitsanspruch besteht. Zum Leitfaden dieser Deduktion dient zuerst die Abstraktion von allem In243
halte der Geschmacksurteile, »nämlich dem Gefühle der Lust« (KU, 135), um »an ihnen bloß die logische Form« zu betrachten (KU, 146). Die Leitfrage lautet demnach: Auf welche Weise wird das Prädikat ›schön‹ mit der Vorstellung des Gegenstandes in Geschmacksurteilen verbunden? Aus dieser formalen Betrachtung, aufgrund der Heautonomie des Geschmacks, ergibt sich, daß in Geschmacksurteilen eigentlich nicht die Wirklichkeit der eigenen, bestimmten Lust, sondern die Allgemeingültigkeit dieser Lust a priori behauptet wird (vgl. KU, 149 f., 26, 67). Die allgemeingültige, nämlich interesselose und freie Lust dient in Geschmacksurteilen gleichsam als apriorisches Prädikat wie die Kategorien in Erfahrungsurteilen (vgl. KU, XLVI, § 36). In der logischen Urteilskraft subsumiert man unter Begriffe, in der ästhetischen aber unter eine allgemeingültige Lust (vgl. KU, 152).14 Durch die Autonomie (eigentlich Heautonomie genannt) des Geschmacks, darauf der Geschmack Anspruch macht, vollzieht sich eine Art »Kopernikanischer Wende« im ästhetischen Urteilen. Das Geschmacksurteil besteht darin, »daß es eine Sache nur nach derjenigen Beschaffenheit schön nennt, in welcher sie sich nach unserer Art sie aufzunehmen richtet« (KU, 136; vgl. 252). D.h. es ist kein objektives Prinzip des Geschmacks möglich, weil ich selbst an der Vorstellung des Gegenstandes die Lust empfinden muß, »und sie kann mir durch keine Beweisgründe angeschwatzt werden« (KU, 143). »Man will das Objekt seinen eignen Augen unterwerfen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge; und dennoch, wenn man den Gegenstand alsdann schön nennt, glaubt man eine allgemeine Stimme für sich zu haben, und macht Anspruch auf den Beitritt von jedermann« (KU, 25).
Die Schönheit ist also eine besondere Art der Selbsterfahrung, und das reine Geschmacksurteil gestattet keine Fremderfahrung, die freilich als »Exemplar« (Beispiel) nicht für die Nachahmung, sondern für das Schärfen der noch ungeübten Urteilskraft dienen kann 14
Siehe dazu § 3, S. 154 f.
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(vgl. KU, 53 f., 137 ff.). Auf die Heautonomie des Geschmacks gründet sich die Apriorität der reinen Geschmacksurteile. Das ästhetische Apriori bedeutet »ohne fremde Beistimmung abwarten zu dürfen« (KU, 148; vgl. 137; EE, XX225). Der Geschmack muß ein »selbsteigenes« Vermögen sein (KU, 53). Man muß folglich das Richtmaß der Schönheit überhaupt a priori in uns selbst suchen (vgl. KU, 252). »Der Geschmack ist also das Vermögen, die Mitteilbarkeit der Gefühle, welche mit gegebener Vorstellung (ohne Vermittlung eines Begriffs) verbunden sind, a priori zu beurteilen« (KU, 161; vgl. Anthr., A186/VII241).
Das apriorische Moment in der ästhetischen Beurteilung ist keine nachträgliche Reflexion (Beurteilung) über die allgemeine Gültigkeit der Lust, sondern konstitutiv für die ästhetische Beurteilung (Reflexion) und folglich für die Lust am Schönen selbst (vgl. z.B. KU, 21 f., 26).15 In der ästhetischen Beurteilung kann keine allge15
P. Guyer (1997, S. 7 f., 97 ff.; ähnlich bereits A. Tumarkin, S. 373 ff., 377) und daran anschließend G. Seel (S. 327 f., 334 f., 342 f., 350) sind der Meinung, daß Kant zwei Stufen (Akte) der Beurteilung oder Reflexion im Geschmacksurteil unterscheide, nämlich die Beurteilung der Lust am Schönen und demnach die Beurteilung der Mitteilbarkeit dieser Lust. Guyer sucht die Beziehung beider Akte kausal zu erklären und glaubt, daß ein Widerspruch oder ein Zirkel in Kants Argumentation aufgedeckt werden kann. Die Lust am Gegenstand sei nach ihm die kausale Wirkung des freien Spiels der Erkenntniskräfte in der Reflexion (Beurteilung) über den Gegenstand. Die Beurteilung der allgemeinen Mitteilbarkeit der Lust sei die nachträgliche Reflexion (Feststellung) über diese bereits schon vorhandene Lust. Also gehe die Beurteilung des Gegenstandes zwar vor der Lust am Schönen, diese Lust jedoch gehe dem Urteil über ihre Mitteilbarkeit voraus. – Zur Kritik an Guyers Auffassung vgl. z.B. Chr. H. Wenzel S. 33 ff., 176 ff. und M. Baum (1991) S. 277 ff. Guyers Argumentation ist nur scheinbar plausibel. Zwar leistet Kant selbst dieser Interpretation durch eine unscharfe Terminologie der Lust Vorschub, wenn er an manchen Stellen (z.B. EE, XX229) ›Lust‹ ohne Unterschied ihrer Typen schlicht im Sinne einer subjektiven »Empfindung« gebraucht, aber die Lust am Schönen und die notwendige Allgemeingültigkeit dieser Lust werden, nur zum Zweck der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile, abgesondert dargestellt, um zu zeigen, daß die Lust am Schönen die einzige, freie und allgemeingültige Lust ist. Diese Überlegung bestätigt sich an folgender Stelle der EE, XX229: »Das ästhetische Reflexionsvermögen urteilt […] nur über subjek-
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meingültige Lust stattfinden, wenn die Erkenntniskräfte nicht in einem freien Spiel bestehen und diese Harmonie empfunden wird (vgl. KU, 35). Eine Lust am Gegenstand kann eine Lust am Schönen genannt werden, nur wenn sie als allgemeingültig angesehen wird. Wird ein ästhetisches Urteil bloß aus der Wirklichkeit der eigenen Wahrnehmung gefällt, so ist es ein Urteil a posteriori. Dadurch gibt es auch keinen wesentlichen Unterschied mehr zwischen Geschmacks- und Sinnenurteil. Das ist beim Geschmacksurteil aber nicht der Fall, weil es nach dem allgemeinen Reflexionsprinzip der Urteilskraft a priori gefällt wird. Das reine Geschmacksurteil ist daher ein nicht-reines synthetisches Urteil a priori, das zugleich auf empirische Vorstellung bezogen und folglich kontingent ist (vgl. KU, 148 f.).16 Ohne Anspruch tive Zweckmäßigkeit […] des Gegenstandes: und es frägt sich da, ob nur v e r m i t t e l s t der dabei empfundenen Lust oder Unlust, oder so gar ü b e r dieselbe, so daß das Urteil zugleich bestimme, daß mit der Vorstellung des Gegenstandes Lust oder Unlust verbunden sein m ü s s e « (EE, XX229). Im Fall des Geschmacksurteils – führt Kant weiter – bestimmt »das Urteil zwar vermittelst der Empfindung der Lust oder Unlust, aber doch auch zugleich über die Allgemeinheit der Regel, sie mit einer gegebenen Vorstellung zu verbinden, durch das Erkenntnisvermögen (namentlich die Urteilskraft) a priori etwas« (ebd.; vgl. KU, § 12, § 35). 16 J. Kulenkampff (1994, S. 113 f.) und L. Wh. Beck (1975, S. 370 f.) halten z.B. die Apriorität des ästhetischen Urteils für einen Irrtum; M. Baum (1991, 282 f.) sucht hingegen Becks Vorwurf gegen Kant zu entkräften. Kulenkampffs Hauptargument besteht darin, daß Kant in der urteilslogischen Analyse des reinen Geschmacksurteils zwei logische (objekt- und metasprachliche) Ebenen verwechsele (S. 117 ff.; vgl. auch A. Tumarkin, S. 373 ff., 377). Kulenkampff übersieht den eigentümlichen Charakter der Kantisch transzendentalen Reflexion, die weder zur objektsprachlichen Ebene noch zur metasprachlichen gehört. Die transzendentale Untersuchung zielt auf die apriorische Gesetzlichkeit des Objektbezugs im Rekurs auf die Denkleistung des Subjekts. – Man geriete wegen des Sonderstatus des (reinen) Geschmacksurteils in eine Aporie, wenn man die ästhetische Reflexion empirisch kausal auffaßte. Das Geschmacksurteil ist zwar empirisch bedingt (anläßlich einer Gegenstandsvorstellung), aber das Geschmacksurteil selbst ist nicht kausal bestimmbar durch bestimmte »Eigenschaften« des Gegenstandes, wenngleich zwischen dem schönen Gegenstand und dessen Vorstellung ein bestimmtes Kausalverhältnis besteht. Dieser Gegenstandsbezug läßt sich jedoch nicht durch bestimmte Begriffen (Regeln) fixieren. Das Geschmacksurteil besteht nach Kant in einer »inneren zweckmä-
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auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der Lust fällt das Charakteristische des Geschmacksurteils vom ästhetischen Sinnenurteil weg (vgl. EE, XX229). Dies »besteht in dem Anspruche des Urteils auf allgemeine Gültigkeit und Notwendigkeit; denn wenn das ästhetische Urteil dergleichen bei sich führt, so macht es auch Anspruch darauf, daß sein Bestimmungsgrund n i c h t b l o ß i m G e f ü h l e der Lust und Unlust für sich allein, sondern z u g l e i c h i n e i n e r R e g e l der oberen Erkenntnisvermögen, und namentlich hier in der der Urteilskraft, liegen müsse, die also in Ansehung der Bedingungen der Reflexion a priori gesetzgebend ist und A u t o n o m i e beweiset« (EE, XX225).
Bei der transzendentalen Untersuchung des Geschmacksurteils erfährt man wenig Konkretes über den Vorgang der ästhetischen Beurteilung. Am Ende von § 9 stellt Kant noch die Frage nach der Vorgehensweise der ästhetisch reflektierten Wahrnehmung, nämlich »auf welche Art wir uns einer wechselseitigen subjektiven Übereinstimmung der Erkenntniskräfte unter einander im Geschmacksurteile bewußt werden« (KU, 30, § 9, 8. Absatz). Diese Frage hält Kant im Vergleich zu der Deduktion der Geschmacksurteile für minder wichtig. Die Antwort auf dieser Frage kann nur so lauten, daß das freie Spiel der Erkenntniskräfte allein durch die »reflektierte Wahrnehmung« anläßlich der Vorstellung der Form eines einzelnen gegebenen Gegenstandes empfunden wird. Diese Sonderart der »Lustempfindung« beruht auf einem allgemeinen Verfahren der Urteilskraft, nämlich der (subjektiven) Darstellung eines Begriffs überhaupt, der die Vorstellung vereinigt und somit die Regelmäßigkeit der Anschauung leistet. Die Lust am Schönen ist eine Lust der bloßen Reflexion über die Form eines einzelnen Gegenstandes.
ßigen Kausalität« in der Tätigkeit der Vorstellungskräfte (vgl. KU, 37). Das Urteilen des Geschmacks muß sich allein nach dem Prinzip der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit vollziehen, um ein Geschmacksurteil sein zu können (vgl. z.B. KU, 21 f.). Die kausale Erklärung des Schönen ist allerdings irrelevant im Hinblick auf die ästhetische Beurteilung.
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Die Antwort auf diese »mindere« Frage führt zu einer konkreten Darlegung der ästhetischen Beurteilung, wenngleich diese Beschreibung in transzendentaler Absicht durchgeführt wird. D.h. sie macht nur die wesentlichen formalen Bedingungen der ästhetischen Beurteilung deutlich, unter denen eine Vorstellung die Erkenntnisvermögen in ein freies Spiel bringen kann. Diese transzendental orientierte Beschreibung der ästhetischen Wahrnehmung führt zugleich zu Kants Theorie der schönen Form, die sich auf das Prinzip der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur gründet. Man erfährt dadurch zugleich auch, daß das ästhetisch freie Spiel der Erkenntniskräfte nur eine spezifische Art jenes allgemeinen Verfahrens der Urteilskraft ist. Nicht alle empirisch möglich faßbaren Formen sind nach Kant »schön«, sondern nur diejenige, die die Erkenntniskräfte in ein »wechselseitiges«, »belebendes«, »förderndes« und zugleich »erleichtertes« Spiel versetzen (vgl. KU, 31, § 9, 9. Absatz). Die »zuträglichste« Proportion der Erkenntniskräfte an einer Gegenstandsvorstellung hat die ästhetisch reflektierende Lust zur Folge (vgl. KU, § 21, 65 f.). Man nennt diesen Gegenstand alsdann schön, sofern jene Harmonie empfunden wird.
4.1.3 Ästhetische Wahrnehmung Wie ist die Lust am Schönen möglich, nämlich die »Empfindung der Wirkung, die im erleichterten Spiele beider durch wechselseitige Zusammenstimmung belebten Gemütskräfte (der Einbildungskraft und des Verstandes) besteht« (KU, 31, § 9, 9. Abs.)? Wie kann also ein ohne auf eine bestimmte (objekt- oder subjektbezogene) Sinnenempfindung eingerichtetes, ganzheitliches Gefühl, »vor allem Begriffe« (KU, 149), unmittelbar wahrgenommen werden? Die Frage nach der Möglichkeit der ästhetischen Wahrnehmung führt direkt zur Frage, ob es überhaupt eine ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur gebe (vgl. KU, XLIV; EE, XX219 ff.). Hier kommt die reflektierende Urteilskraft ins Spiel. In der bloßen Betrachtung (Anschauung oder Reflexion) eines einzelnen gegebenen Gegenstandes vergleicht die reflektierende 248
Urteilskraft die Vorstellung desselben nicht mit Vorstellungen anderer Gegenstände, um sie zu Begriffen zu erheben,17 sondern »mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen […]. Wenn nun in dieser Vergleichung die Einbildungskraft […] zum Verstande […] durch eine gegebene Vorstellung unabsichtlich in Einstimmung versetzt und dadurch ein Gefühl der Lust erweckt wird, so muß der Gegenstand alsdann als zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft angesehen werden« (KU, XLIV; vgl. XLVII, XLVIII).
Was dabei verglichen wird, erläutert Kant an einer anderen Stelle derart, »daß in einem bloß reflektierenden Urteile Einbildungskraft und Verstand in dem Verhältnisse, in welchem sie in der Urteilskraft überhaupt gegen einander stehen müssen, mit dem Verhältnisse, in welchem sie bei einer gegebenen Wahrnehmung wirklich stehen, verglichen, betrachtet werden« (EE, XX220).
Diese Vergleichung vollzieht sich nach Kant »unabsichtlich«, nämlich spontan und unbewußt (vgl. KU, 200). An der Auffassung der schönen Form stimmen »Einbildungskraft und Verstand wechselseitig miteinander zur Möglichkeit eines Begriffs von selbst« (EE, XX232) zusammen. Was diese Vergleichung bedeutet, wird später bei der Erörterung des Zusammenspiels von der Freiheit der Einbildungskraft und der Gesetzmäßigkeit des Verstandes im Geschmacksurteil ersichtlich. Die Selbsttätigkeit der Erkenntnisvermögen in der ästhetischen Wahrnehmung hat nichts mit der Willenstätigkeit zu tun, geschweige denn, daß die ästhetische Kontemplation als Willenlosigkeit betrachtet werden darf. Denn die Vorstellung eines einzelnen gegebenen Gegenstandes ist ohne irgendein anderes Zutun des Subjekts mit dem Gefühl der Lust verbunden, sofern sie die Erkenntniskräfte in ein freies, harmonisches Spiel bringt. Diesen Sachverhalt bringt Kant deutlich in der Erklärung des Schönen als »Zweck17
Vgl. EE, XX220 f., 223, 247; KU, XLIII, 24 (§ 8), 31 (§ 9), 71 (Allgemeine Anm.), 142 (§ 33), 145 f. (§ 35), 149 (§ 37), 160 f. (§ 40), 235 (§ 57).
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mäßigkeit ohne Zweck« (KU, 69) zum Ausdruck: »S c hö nh e i t ist F o r m d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t eines Gegenstandes, sofern sie o h n e V o r s t e l l u n g e i n e s Z we c k s an ihm wahrgenommen wird« (KU, 61). Überhaupt liegt der ästhetischen Wahrnehmung kein Begriff zugrunde. Reine Schönheit hat folglich gar nichts mit dem Begriff der Vollkommenheit zu tun, und somit nicht das Mindeste mit der (theoretischen oder praktischen) Zwecksetzung des Menschen (vgl. EE, XX226 ff; KU, § 15). »Die Zweckmäßigkeit also, die vor dem Erkenntnisse eines Objekts vorhergeht, ja sogar, ohne die Vorstellung desselben zu einem Erkenntnis brauchen zu wollen, gleichwohl mit ihr unmittelbar verbunden wird, ist das Subjektive derselben, was gar kein Erkenntnisstück werden kann« (KU, XLIII; vgl. XLIX).
Nun betrachten wir die Wechselwirkung der Erkenntnisvermögen in ihrem freien Spiel, bevor wir auf die subjektive, formale Zweckmäßigkeit eingehen. Zunächst sei anzumerken, daß der Akzent im Begriff des freien Spiels der Erkenntniskräfte in § 9 der KU auf den Begriff ihres selbsttätigen Zusammenspiels in der Formauffassung des Gegenstandes gesetzt ist.18 An vielen anderen Stellen in der KU und auch in der Anthropologie werden hingegen die »Freiheit im Spiele der Einbildungskraft« und die »Gesetzmäßigkeit des Verstandes« getrennt dargestellt, und sie sollen sich dann im Geschmacksurteil vereinigen, und zwar derart, daß »die ästhetische Urteilskraft in Beurteilung des Schönen die Einbildungskraft in ihrem freien Spiele auf den V e r s t a n d bezieht, um mit dessen B e g r i f f e n überhaupt (ohne Bestimmung derselben) zusammenzustimmen« (KU, 94), wodurch »Einbildungskraft in ihrer Freiheit den Verstand erweckt, und dieser ohne Begriffe die Einbildungskraft in ein regelmäßiges Spiel versetzt« (KU, 161).19 Ganz in diesem Sinne wird das freie Spiel der Erkenntniskräfte in der ästhetischen Beurteilung in der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der 18 19
Vgl. z.B. auch KU, 64 f., 116, 119, 155, 179; EE, XX223. Vgl. Anthr., A187/VII241; KU, 50, 69, 71, 73, 116 f., 146, 198, 200, 202 f., 205 f., 252, 259; und ferner R1923, XVI158; R1935, XVI161 f.
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Analytik als »Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz« oder »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« (KU, 69) bezeichnet. Diese scheinbar paradoxen Formulierungen dienen nach Kant in einer doppelten Absicht zur Abgrenzung der Eigentümlichkeit der ästhetischen Freiheit von der Spontaneität der Erkenntnisvermögen in anderen Urteilstypen. Das Geschmacksurteil ist einerseits streng von dem Erkenntnisurteil (einschließlich des objektbezogenen Empfindungsurteils, nämlich Wahrnehmungsurteils) und dem bloß subjektbezogenen Sinnenurteil zu unterscheiden. Die Lust am Schönen hat somit nicht das Mindeste mit der Lust am Angenehmen, am Guten und am Wahren zu tun. Die ästhetische Freiheit im wechselseitigen Zusammenspiel der Erkenntniskräfte gründet sich andererseits allein auf den heautonomen Akt der reflektierenden Urteilskraft, die im Geschmacksurteil die Einbildungskraft (Anschauung) – ohne Rücksicht auf alles Interesse (den Zweck), das jederzeit mit dem Begehrungsvermögen verbunden ist, sowie ohne Rücksicht auf jeglichen empirisch bestimmten Begriff (Regel, Gesetz), worunter die Vorstellungen subsumiert werden – mit dem Verstand (Regelmäßigkeit) zusammenhält. Denn die Auffassung der schönen Form »in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflektierende Urteilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche« (KU, XLIV). Ohne diese Vergleichung kann die freie und allgemeingültige Lust am Schönen nicht stattfinden. Dieser Sachverhalt veranlaßt Kant, die Freiheit der Einbildungskraft und die Gesetzmäßigkeit des Verstandes zwar abgesondert, aber doch zugleich unter Berücksichtigung ihres Zusammenspiels im Geschmacksurteil darzustellen, um den Begriff des Geschmacks klarzumachen. Laut der ästhetischen Erfahrung des 18. Jahrhunderts soll eine schöne Form (Gestalt) frei vom Zwang, reich an Varietäten und doch zugleich regelmäßig sein. Mannigfaltigkeit und Abwechslung auf der einen Seite und Durchsichtigkeit und Verständlichkeit auf der anderen Seite sind zwei Momente, die sich in der ästhetischen
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Wahrnehmung irgendwie vereinigen sollen.20 Das ist die ästhetische Variante des Einigungsproblems der Sinnlichkeit mit dem Verstand. Dementsprechend ist nach Kant nur der Mensch der ästhetischen Beurteilung eines Gegenstandes fähig, weil nur der Mensch allein über beide Vermögen verfügt. Diese Vereinigung wird von Kant »transzendental« durch das freie Spiel von Einbildungskraft und Verstand im Geschmacksurteil beschrieben. »Alles Steif-regelmäßige […] hat das Geschmackswidrige an sich: daß es keine lange Unterhaltung mit der Betrachtung desselben gewährt, sondern […] lange Weile macht. Dagegen ist das, womit Einbildungskraft ungesucht und zweckmäßig spielen kann, uns jederzeit neu, und man wird seines Anblicks nicht überdrüssig« (KU, 72; vgl. R1855, XVI138). Andererseits bringt aller Reichtum der ästhetischen Ideen der Einbildungskraft »in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor« (KU, 203). In bezug auf die Darstellung des freien Spiels der Einbildungskraft und des Verstandes gibt es gewisse Unklarheiten und Schwierigkeiten im ersten Absatz der Allgemeinen Anmerkung zum ersten Abschnitte der Analytik (KU, 68 f.), in dem die Funktion der Einbildungskraft im Geschmacksurteil und deren notwendigen Bezug auf den Verstand geklärt werden sollen. Eine von den Schwierigkeiten könnte in der konzeptuellen Verschiebung der KU liegen.21 Von der 20 21
Vgl. J. Kulenkampff (2000) S. 41; Th. Baumeister S. 158 f. Kant wollte ursprünglich eine »Grundlegung zur Kritik des Geschmacks« (Brief von Bering vom 28.05.1787, 318) oder »Grundlage der Kritik des Geschmacks« (Brief an Schütz vom 25.06.1787, 320) schreiben, und zwar in transzendentaler Absicht. Sie sollte eine »Wissenschaft« sein, d.h. sie sollte die Möglichkeit der ästhetisch reflektierenden Beurteilung von der Natur der Erkenntnisvermögen ableiten. Sie ist daher keine empirische Kritik, nämlich eine »Kunst« in dem Sinne, daß sie die Regeln des Geschmacks »nur an Beispiel zeigt« (vgl. KU, § 34, 144). Erst im Brief an Reinhold vom 12.05.1789, 385 nennt Kant zum ersten Mal die geplante dritte Kritik die ›Kritik der Urteilskraft‹, von der die ursprüngliche »Kritik des Geschmacks« nur ein Teil ist. Die Änderung der systematischen Begriffe beeinträchtigt auch das Verständnis der KU. Der spät entwickelte Begriff der reflektierenden Urteilskraft, der zwar schon im Begriff des Reflexionsgeschmacks enthalten ist, wird erst in der Deduktion, Analytik des Erhabenen und vor allem in den beiden Einleitungen eingefügt. Die Wechselwirkung im erleichterten Spiel der Erkenntniskräfte unter-
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(reflektierenden) Urteilskraft ist in der Allgemeinen Anmerkung noch nicht die Rede.22 Als Instanz des Zusammenspiels von Einbildungskraft und Verstand spielt die reflektierende Urteilskraft insbesondere in beiden Einleitungen, in der Analytik des Erhabenen und in der Deduktion eine wichtige Rolle. Kant scheint in der Allgemeinen Anmerkung, wie in der Analytik des Schönen, zumindest dem Verstand die Teilfunktion der Urteilskraft im freien Spiel der Erkenntniskräfte zuzuweisen. Zuerst wurde der Geschmack dort vorläufig als »Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes in Beziehung auf die f r e i e G e s e t z mä ß i g k e i t der Einbildungskraft« bezeichnet (KU, 68 f.). Die »freie Gesetzmäßigkeit« kommt nach Kant aber besser dem Verstand als der Einbildungskraft zu, nachdem die Freiheit der Einbildungskraft im Geschmacksurteil geklärt wurde. Nun wird die »freie Gesetzmäßigkeit des Verstandes […] auch Zweckmäßigkeit ohne Zweck« genannt (vgl. KU, 69), die jedoch zur reflektierenden Urteilskraft gehören soll (vgl. z.B. KU, 247). Dementsprechend bestimmt Kant die Funktion des Verstandes im Geschmacksurteil in § 15 folgendermaßen: »Das Vermögen der Begriffe, sie mögen verworren oder deutlich sein, ist der Verstand; und obgleich zum Geschmacksurteil, als ästhetischem Urteile, auch (wie zu allen Urteilen) Verstand gehört, so gehört er zu demselben doch nicht als Vermögen der Erkenntnis eines Gegenstandes, soneinander bei der bloßen Reflexion über eine einzelne Anschauungsform ist ein Werk der reflektierenden Urteilskraft, oder genauer der ästhetischen Urteilskraft, oder noch genauer des Reflexionsgeschmacks. 22 Nach G. Tonelli (S. 155) sind die Textteile der KU in folgender Reihenfolge entstanden: 1. Analytik des Schönen; 2. Deduktion der reinen ästhetischen Urteile; 3. Dialektik der ästhetischen Urteilskraft; 4. Erste Einleitung; 5. Analytik des Erhabenen; 6. Kritik der teleologischen Urteilskraft; 7. [Zweite] Einleitung und Vorrede. – Siehe dazu H. Mertens S. 237 ff., und ferner G. Tonelli: La formazione del testo della Kritik der Urteilskraft, in: Revue internationale de philosophie 8, 1954, S. 423-448. Nach W. Henckmann ist die Allgemeine Anmerkung eine »nachträgliche Ergänzung«, »die die Ergebnisse der Dialektik bereits als Resultate der Analytik herausstellen sollte« (S. 356). Daher müßte die Allgemeine Anmerkung nach der Dialektik und vor der EE aufgefaßt werden (vgl. ebd., Anm. 60). Diese Meinung ist m.E. nicht richtig.
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dern als Vermögen der Bestimmung des Urteils und seiner Vorstellung (ohne Begriff) nach dem Verhältnis derselben auf das Subjekt und dessen inneres Gefühl, und zwar sofern dieses Urteil nach einer allgemeinen Regel möglich ist« (KU, 48).
Diese Regel ist das objektiv unbestimmte Prinzip der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur. Was der Verstand im Geschmacksurteil positiv leistet, ist seine allgemeinen Funktionen zu Urteilen. Dem Verstand allein kommt nach Kant die (objektive) Gesetzmäßigkeit zu. Die anschauliche Einheit der schönen Form läßt sich in der Strukturierung des Mannigfaltigen im Wahrnehmungsfeld ohne Funktion des Urteilens nicht stattfinden, und zwar hierbei vermittels der bloßen Reflexion (Betrachtung, Beurteilung) der Urteilskraft. Denn jede Strukturierung des Mannigfaltigen zu einer anschaulichen Einheit ist an sich schon »urteilhaft«. Nach der Einfügung des Begriffs der Urteilskraft in die »Kritik des Geschmacks« gehört der Urteilskraft allein die »freie Gesetzmäßigkeit« (oder auch die »Gesetzmäßigkeit des Zufälligen«) zu. Dies bringt Kant in der Allgemeinen Anmerkung zur Exposition der ästhetischen reflektierenden Urteile folgendermaßen zum Ausdruck: »Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist die Gesetzmäßigkeit der Urteilskraft in ihrer F r e i h e i t . Das Wohlgefallen an dem Gegenstande hängt von der Beziehung ab, in welcher wir die Einbildungskraft setzen wollen; nur daß sie für sich selbst das Gemüt in freier Beschäftigung unterhalte. Wenn dagegen etwas anderes, es sei Sinnenempfindung oder Verstandesbegriff, das Urteil bestimmt, so ist es zwar gesetzmäßig, aber nicht das Urteil einer f r e i e n Urteilskraft« (KU, 119).
Die Einbildungskraft hat die Funktion, das Mannigfaltige der Anschauung zu strukturieren. Weil die Einbildungskraft im Geschmacksurteil das Mannigfaltige ohne jeglichen Begriff in ein Bild auffaßt, ist sie frei von allen empirisch möglichen Begriffen (Regeln oder Gesetzen). Diese Freiheit der Einbildungskraft bedarf aber der Erläuterung. Zunächst kann die Einbildungskraft hier nicht transzendental sein, weil die transzendentale Einbildungskraft notwendig nach Verstandesgesetzen verfährt und folglich »unfrei« ist. Ande254
rerseits spielt die transzendentale Einbildungskraft im Geschmacksurteil keine Rolle, weil das Geschmacksurteil nichts mit der Erkenntnis des Gegenstandes zu tun hat, und weil hierbei »die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht« (KU, 146). Zweitens kann die Einbildungskraft auch nicht reproduktiv sein, da die reproduktive Einbildungskraft »den Assoziationsgesetzen unterworfen ist« (KU, 69; vgl. KrV, B152). Also muß die Einbildungskraft im Geschmacksurteil nur als empirisch »produktiv und selbsttätig (als Urheberin willkürlicher Formen möglicher Anschauungen) angenommen« (ebd.) werden, wenn hierbei die Einbildungskraft in ihrer Freiheit betrachtet werden muß.23 Das Wort ›willkürlich‹ hat in diesem Zusammenhang nichts mit der willensmäßigen Handlung zu tun, sondern bloß mit der freien Bildung (Organisation) der Sache und folglich mit der Vorstellungstätigkeit des Verstandes (i.w.S.). ›Willkürlich‹ bedeutet demnach ›frei vom Zwang‹, ›nach freier Selbstbestimmung tätigend‹ oder ›natürlich‹.24 In diesem Sinne legt die Einbildungskraft die »Abbildungskraft« (PM149 f.) der gegenwärtigen Anschauung, oder das »sinnliche Dichtungsvermögen« (Anthr., A79 ff./VII174 ff.) schon nahe. Was bedeutet dann die Freiheit im Spiele der Einbildungskraft? Auch wenn Kants Rede davon nicht in allen Stücken verständlich ist, ist es jedoch ganz klar, daß die Einbildungskraft allein ohne Bezug auf den Verstand die »freie Gesetzmäßigkeit« oder »Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz« im Geschmacksurteil nicht leisten kann. »Allein daß die E i n b i l d u n g s k r a ft f r e i und doch v o n s e l b s t 23 24
Vgl. H. W. Cassirer S. 216 ff. In der Metaphysik-Pölitz unterscheidet Kant zwischen »willkürlich« und »unwillkürlich« nach dem Kriterium der Spontaneität/Rezeptivität: »Alle […] Actus der bildenden Kraft können w i l l k ü h r l i c h und auch u n w i l l k ü h r l i c h geschehen. Sofern sie u n w i l l k ü h r l i c h geschehen, gehören sie gänzlich zur Sinnlichkeit: so fern sie aber w i l l k ü h r l i c h geschehen, gehören sie zum obern Erkenntnißvermögen« (PM153). – Die »willkürlichen Formen möglicher Anschauungen« sollten in diesem Zusammenhang von der »unwillkürliche« Phantasie des sinnlichen Dichtungsvermögens (wie etwa im Traum) zum einen und von der »willkürlichen« Komposition, Erfindung desselben zum anderen unterschieden werden (Anthr., A80/VII175).
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g e s e t z mä ß i g sei, d. i. daß sie eine Autonomie bei sich führe, ist ein Widerspruch« (KU, 69). Die Einbildungskraft ist im Geschmacksurteil zwar frei von allen empirisch möglichen Gesetzen, aber das bedeutet nicht, daß sie gesetzlos (regellos) oder frei von empirischen Bedingungen ist. Die »Freiheit« der Einbildungskraft ist hierbei nicht schlechthin. Die Einbildungskraft ist einerseits »bei der Auffassung eines gegebenen Gegenstandes der Sinne an eine bestimmte Form dieses Objekts gebunden« und hat insofern »kein freies Spiel (wie im Dichten)« (ebd.; vgl. KU, 73). Anderseits bezieht die Urteilskraft im Geschmacksurteil die Einbildungskraft auf den Verstand. Die Einbildungskraft muß dem Verstand in seiner Gesetzmäßigkeit angepaßt werden, und zwar in einer derartigen Beziehung, »daß sie für sich selbst das Gemüt in freier Beschäftigung unterhalte« (KU, 119), sofern das Geschmacksurteil möglich sein soll. Wenn die »Freiheit« der Einbildungskraft vom freien und unbestimmt-zweckmäßigen Zusammenspiel der Erkenntniskräfte am Schönen aus betrachtet wird, »so läßt sich doch noch wohl begreifen, daß der Gegenstand ihr gerade eine solche Form an die Hand geben könne, die eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frei überlassen wäre, in Einstimmung mit der V e r s t a n d e s g e s e t z mä ß i g k e i t überhaupt entwerfen würde« (KU, 69; vgl. 76). Diese »Als-Ob«-Betrachtung der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur ist eine transzendentale Interpretation des Gefühls der ästhetischen Freiheit an einem einzelnen gegebenen Gegenstand in der bloßen Reflexion über dessen Form. Diese Interpretation ist in Wahrheit eine Umschreibung der inneren Harmonie der Erkenntnisvermögen in ihrer Vorstellungstätigkeit. Durch den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur erhält der Begriff des freien Spiels der Erkenntniskräfte im Geschmacksurteil eine höchst systematische Bedeutung. Diese systematische Deutung der Schönheit hat doch ihre phänomenale Basis in der ästhetischen Betrachtung der Natur als Kunst (»Technik«) und in der ästhetischen Erfahrung vom »je ne sais quoi«. Die schönen Formen der Natur erwecken den Anschein
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eines Kunstwerks.25 Außer der teleologischen Implikation der Naturschönheit lassen sich reiche Folgerungen des Geschmacksurteils aus dem Begriff der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit ziehen. Das Geschmacksprinzip ist durch diesen beziehungsreichen Begriff der Zweckmäßigkeit zugleich auch anwendbar auf weitere Bereiche. Entscheidend ist, daß im Geschmacksurteil die Erkenntniskräfte ihre eigene Freiheit (Spontaneität) erhalten und zugleich auch wechselseitig befördern können. Alle beteiligten Erkenntniskräfte tragen zum freien Spiel im Geschmacksurteil je auf ihre eigne Art bei, aber ihre Mitwirkung ist nicht von der gleichen Bedeutung. Die Einbildungskraft spielt hierbei eine größere Rolle als der Verstand, da im Geschmacksurteil der Verstand nicht in seinem eigentümlichen Sinne als objektbestimmend fungiert. Wenngleich die gesetzlose, unkontrollierte Phantasie wie das Steif-regelmäßige an sich geschmackswidrig sind, so werden Mannigfaltigkeit und Abwechslung in der Vorstellung für Kant vor deren Durchsichtigkeit und Verständlichkeit bevorzugt. »[W]o nur ein freies Spiel der Vorstellungskräfte (doch unter der Bedingung, daß der Verstand dabei keinen Anstoß leide) unterhalten werden soll, in Lustgärten, Stubenverzierung, allerlei geschmackvollem Geräte u. dergl., wird die Regelmäßigkeit, die sich als Zwang ankündigt, so viel möglich vermieden; daher der englische Geschmack in Gärten, der Barockgeschmack an Möbeln die Freiheit der Einbildungskraft wohl eher bis zur Annäherung zum Grotesken treibt, und in dieser Absonderung von allem Zwange der Regel eben den Fall setzt, wo der Geschmack in Entwürfen der Einbildungskraft seine größte Vollkommenheit zeigen kann« (KU, 71 f.).
Die Freiheit der Einbildungskraft ist daher im Geschmacksurteil mehr oder minder gewichtiger als die Gesetzmäßigkeit des Verstandes, sofern beide Momente in ihrem harmonischen Zusammenspiel abgesondert betrachtet werden, da die ästhetische Beurteilung eines gegebenen Gegenstandes letztlich eine nicht auf bestimmten Begrif25
Vgl. § 3, S. 217 f.
257
fen erhobene, mithin bloß anschauliche Zusammenfassung des Mannigfaltigen in ein individuelles, strukturiertes Ganzes betrifft, das der unvoreingenommene Beurteilende immer wieder auf eine unerklärliche, neue und unerwartete Weise beeindrucken kann. In diesem Zusammenhang sollte aber die Funktion des Verstandes (oder auch der Vernunft) in der ästhetischen Idee nicht vernachlässigt werden, die hierbei zwar außer Acht bleibt, aber in einer konkreten ästhetischen Beurteilung eine zentrale Rolle spielt. Ohne den mit der Anschauung assoziierten, unbestimmten Gebrauch der Begriffe (Ausdrücke) kann der expressive Eindruck der Bereicherung des anschaulichen Ganzen nicht entspringen. Das Wohlgefallen des Geschmacks am Schönen ist »einzig und allein ein uninteressiertes und f r e i e s Wohlgefallen« (KU, 15), das »durch das Geschmacksurteil zugleich als für jedermann gültig erklärt wird« (KU, § 11, 35). Dieser im Geschmacksurteil mitgedachte Anspruch kann sich nur »transzendental« auf das freie Spiel der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt in der bloßen Beurteilung eines gegebenen Gegenstandes gründen. Allein auf diesem Grund können wir das Wohlgefallen am Schönen mit Recht, »ohne Begriff, als allgemein mitteilbar beurteilen« (KU, § 11, 35), und mithin kann dieses als für jedermann gültig gehaltene Wohlgefallen den Bestimmungsgrund des Urteils über die Schönheit ausmachen. Diese Deduktion setzt aber voraus, daß es einen ästhetischen Gemeinsinn gebe, der nichts anderes als die unmittelbare Wirkung des freien Spiels der Erkenntniskräfte auf unser Gemüt ist, die bei allen Menschen einerlei sei (vgl. KU, § 20, 64 f.). Die Deduktion hat bloß gezeigt, daß wir einen solchen Gemeinsinn mit guten Gründen annehmen dürfen und müssen, wenn wir keinen Skeptizismus akzeptieren wollen. Bei der Betrachtung des Geschmacksurteils unter dem Aspekt eines Gemeinsinns wird eigentlich nichts Neues gewonnen gegenüber dem Ergebnis des freien Spiels der Erkenntniskräfte. Bedeutsam ist, daß der Begriff des Gemeinsinns auf die Verwandtschaft zwischen dem ästhetischen Sollen und der moralischen Verbindlichkeit verweist. In der notwendigen Verbindung des Geschmacks mit dem
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moralischen Gefühl vollzieht sich der ästhetische Übergang von der Natur zur Freiheit.26 »Wenn man annehmen dürfte, daß die bloße allgemeine Mitteilbarkeit seines Gefühls an sich schon ein Interesse für uns bei sich führen müsse (welches man aber aus der Beschaffenheit einer bloß reflektierenden Urteilskraft zu schließen nicht berechtigt ist), so würde man sich erklären können, woher das Gefühl im Geschmacksurteile gleichsam als Pflicht jedermann zugemutet werde« (KU, § 40, 161).27
In der Logik der (reinen) Geschmacksurteile wird der Geschmack allein in seinem Verhältnis zum Verstand und zur sinnlichen Natur (als Erscheinung), zumindest in der Analytik ohne Rücksicht auf die Vernunft und das übersinnliche Substrat der Natur (in uns und außer uns) betrachtet, obwohl die Beziehung des Geschmacks zur Vernunft schon in der ästhetischen Darstellung eines unbestimmten Begriffs (auch in dem Ideal der Schönheit und in der Idee eines Gemeinsinns) mitformuliert ist (vgl. z.B. KU, 11, 26). D.h. die ästhetische Darstellung der Naturbegriffe läßt immer schon freien Raum für die symbolische Darstellung der Vernunftidee. Der (reine) Geschmack wird als ein »ursprüngliches und natürliches« (KU, 68) Vermögen bestimmt. Sein Prinzip der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur ist a priori gesetzgebend für das Vermögen des Gefühls der Lust und Unlust. Später in der Dialektik (KU, § 57, § 59) und Methodenlehre wird der (ideale) Geschmack im Hinblick auf »das Intelligible unserer Natur« (KU, 242; vgl. 258) als »Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen« (KU, 263) vorgestellt. Als solches ist der (ideale) Geschmack im Grunde doch »nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen« (KU, 68), und das Geschmacksurteil sollte aus der Anwendung dieses Vermögens das Beispiel für die objektiven, notwendigen Normen aufstellen (vgl.
26 27
Siehe auch § 2, S. 108 f. und S. 117 ff. Vgl. KU, 26 (§ 8), 68 (§ 22), 258 (§ 59); Anthr., A191/VII244; Brief an Reichardt vom 15.10.1790, 490.
259
KU, 161, 253, 264).28 Kant unterscheidet einerseits den reinen Geschmack von dem idealen, und allein im reinen Geschmack ist ein apriorisches Prinzip der ästhetischen Urteilskraft enthalten. Er neigt andererseits zu der Ansicht, daß der Geschmack sich erst im idealen Geschmack vollendet. Wenn es nur um die Deduktion der Geschmacksurteile ginge, könnte man ohne den Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur allein mit dem freien Spiel der Erkenntniskräfte auskommen. Das bedeutet freilich nicht, daß im Geschmacksurteil der Begriff der Zweckmäßigkeit, der Sache nach, redundant ist. Ganz im Gegenteil vollendet sich die transzendentale Exposition des Geschmacksurteils erst in der erweiternden Umschreibung des freien Spiels der Erkenntniskräfte in der bloßen Betrachtung des Gegenstandes als subjektive, bloß formale Zweckmäßigkeit des Gegenstandes oder29 dessen Vorstellungsart für die Urteilskraft. Wenn Kants transzendentale Fundierung der allgemeingültigen Lust durch das freie Spiel der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis überhaupt auch unplausibel und irrelevant zu sein scheint, dann scheint der Begriff der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur ästhetisch noch unzutreffender und an sich widerspruchsvoller zu sein. 28
Man spricht deswegen von der »zweiten Deduktion« des Prinzips des Geschmacks in der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft und sieht erst darin die Vollendung der Deduktion desselben. Das Prinzip des Geschmacks ist bei Kant allerdings zweideutig. Zum einen bedeutet es die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur, zum anderen kann der ästhetische Gemeinsinn gemeint sein. Wenn aber von der Deduktion der reinen Geschmacksurteile die Rede ist, endet die Deduktion bereits in § 38, weil das Ideal der Schönheit keine reine Schönheit ist. In der Dialektik wird der ästhetische Gemeinsinn in bezug auf das Intelligible in uns, und das Ideal des Geschmacks wird in bezug auf die Vernunft »deduziert«, aber nicht die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur wird dadurch gerechtfertigt. Im Fall der letzteren wäre das Geschmacksurteil nichts anderes als ein verstecktes teleologisches Urteil. – Dazu vgl. z.B. R. Brandt (1989) S. 188 f., (1989a) S. 179 ff., 189 ff., (1998) S. 241 ff.; W. Henckmann S. 355 f.; H. F. Klemme (2001) S. LIV; Cl. MacMillan. – Siehe oben Anm. 7 (S. 233). 29 J. Stolzenberg (S. 17) sieht richtig, daß das Wort ›oder‹ in diesem Zusammenhang bei Kant nicht in einem alternativen, sondern explikativen Sinne gebraucht wird. – Vgl. dazu folgende Anm. 47 (S. 279 f.) und ferner W. Henckmann S. 328 Anm. 18.
260
Daher werden wir jetzt Kants Argumentation dieses mißverständlichen Begriffs einer »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« rekonstruieren, welcher auch für die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur gilt (vgl. KU, § 10).
4.2 Form der Zweckmäßigkeit Kant betrachtet das dritte Moment der Geschmacksurteile, »nach der Relation der Zwecke, welche in ihnen in Betrachtung gezogen wird« (KU, 32). Diese Formulierung ist irreführend und scheint im Widerspruch zu stehen mit der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur als »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«. Man stellt sich natürlich die Frage: Was haben die Geschmacksurteile mit »Zwecken« zu tun? Ist im Begriff einer »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« nicht ein Widerspruch enthalten, weil selbst der Begriff der Zweckmäßigkeit von dem Begriff des Zwecks abgeleitet ist? Auch wenn man annimmt, daß der Begriff der »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« kein Widerspruch sei, muß man dennoch zwischen folgenden Denkebenen unterscheiden, um Mißverständnisse zu vermeiden. Dem Urteilen des Geschmacks über die Schönheit eines Gegenstandes liegt zwar keine Vorstellung irgendeines »bestimmten Zwecks« des Subjekts zugrunde, aber das schließt zum einen nicht aus, daß das Geschmacksurteil mit einem »unbestimmten Zweck« des Subjekts oder mit einem uns »unbekannten Zweck« einer höheren Vernunft verbunden sein könnte, sowie das zum anderen auch nicht ausschließt, daß man die Relation der Elemente im Geschmacksurteil nach dem begrifflichen Schema des Zwecks oder dessen derivativen Zweckmäßigkeit analysieren kann. Zwischen beiden Ebenen scheint Kant selbst aber nicht deutlich zu unterscheiden. Dies liegt wohl an seinem Grundansatz der transzendentalen Begründung der apriorischen Gesetzlichkeit der empirischen Urteile. Der scheinbar widerspruchsvolle Begriff einer »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« ist ein begriffliches Konstrukt, das die teleologische (i.w.S.) Deutung der Naturschönheit mit der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile verbindet. Der 261
Grundlage dieser Betrachtung besteht in der inneren, formalen Zweckmäßigkeit des Erkenntnisvermögens des Subjekts. Es gibt nach Kant, wie gesagt, sachliche und systematische Gründe für die Betrachtung der Geschmacksurteile unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit der Natur. Beide Gründe hebt Kant aber niemals deutlich hervor. Das liegt möglicherweise in Kants Selbstverständlichkeit der teleologischen Deutung der Schönheit, welche der ästhetischen Erfahrung des 18. Jahrhunderts vertraut ist. Das Schöne wird z.B. als sinnliche Darstellung der Idee oder Vollkommenheit in der Erscheinung angesehen. Die Architektonik der KU erschwert auch das Verständnis der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur. Die sachlichen Gründe erfährt man einerseits erst später in der Unterscheidung zwischen Natur- und Kunstschönheit und in der symbolischen Darstellung des Gegenstandes. In beiden Einleitungen und in § 10 - § 17 der KU, in denen der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur eingeführt wird, scheint andererseits der Akzent auf der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile und deren systematischen Zusammenhang gesetzt zu sein. Noch mehr erschwert Kant das Verständnis der ästhetischen Zweckmäßigkeit durch unklare Klassifizierung der Typen der Zweckmäßigkeit der Natur. Die Einbettung der ästhetischen Beurteilung in einen teleologischen Denkhorizont wirkt gelegentlich angestrengt und scheint somit der Sache nach erzwungen zu sein. Kants Argumentation im dritten Moment der Geschmacksurteile ist im großen und ganzen klar. Ihre Struktur spiegelt auch die Architektonik der Kritik der ästhetischen Urteilskraft. Die Argumentation läßt sich leicht folgendermaßen skizzieren: 1. Einführung des Begriffs einer allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur und Lust überhaupt als Bewußtsein der Selbsterhaltung des Gemütszustandes in einer Vorstellung (§ 10); 2. Bestimmung der ästhetischen Zweckmäßigkeit als Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes oder dessen Vorstellungsart und Lust am Schönen als Bewußtsein dieser subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit (§ 11); 3. Transzendentale Fundierung der Geschmacksurteile durch das Prinzip der ästhetischen Zweckmäßigkeit und Präzisierung der Lust am Schönen als Bewußtsein der dynamischen Selbsterhaltung des Gemütszustandes 262
in der freien harmonischen Vorstellungstätigkeit des Subjekts, folglich Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung irgendeines bestimmten Zwecks als ästhetischer »Selbstzweck« (§ 12); 4. Theorie der schönen Form als Folgerung der ästhetischen Zweckmäßigkeit (§ 13 - § 14); 5. Abgrenzung der ästhetischen von der objektiven Zweckmäßigkeit, nämlich Nützlichkeit oder Vollkommenheit (§ 15); 6. Unterscheidung zwischen freier und anhängender Schönheit (§ 16); 7. Vom Ideale der Schönheit (§ 17). Im folgenden beschränken wir uns auf die ersten drei Themen, die mit der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile unmittelbar zusammenhängen. In § 10 bezweckt Kant zweierlei: erstens eine »transzendentale Definition« des Zwecks und der Zweckmäßigkeit und zweitens eine allgemeine Betrachtung der Zweckmäßigkeit ohne realen Zweck, welche der kritischen Teleologie zugrunde liegt. Die Begriffe ›Zweck‹ und ›Zweckmäßigkeit‹ haben ihre Herkunft in der Lebenspraxis. »Z w e c k e haben eine gerade Beziehung auf die V e r n u n f t , sie mag nun fremde, oder unsere eigene sein«30. An »P r o d u k t e n d e r K u n s t können wir uns der Kausalität der Vernunft von Objekten, die darum zweckmäßig oder Zwecke heißen, bewußt werden« (EE, XX234).31 Dementsprechend heißt Zweck in Kants praktischer Philosophie auch »Objekt des Willens«32. Zweck als ein gesetztes, vorstellungshaftes Handlungsobjekt läßt sich im heutigen Sprachgebrauch durch die äußere Mittel-Zweck-Beziehung leicht verständlich machen. Es ist aber verfehlt, wenn man den vollen Sinn der Kantischen Bestimmung des Zwecks allein von der Mittel-Zweck-Beziehung aufzufassen versucht, welche zur Realisierung des Zwecks, aber nicht zu dessen objektivem Bestimmungsgrund gehört. Denn der Grundgedanke der Kantischen Moralphilosophie liegt im Begriff vom Zweck an sich (Selbstzweck), der 30
Gebrauch, A132/VIII182; vgl. EE, XX234 (§ IX), KU, 285 (§ 64), 289 f. (§ 65). – Vgl. § 2, S. 99 f. 31 Unter ›Kunst‹ versteht Kant hierbei »Technik« (WHYFQK, ars) in einem allgemeinen Sinne, und zwar bloß im Gegensatz zur »Natur« (IXYVL). Zur Herkunft und geschichtlichen Entwicklung dieses Begriffs vgl. K. Kuypers S. 22 ff.; K. Gloy (1995) S. 226, S. 23 ff.; Br. Scheer S. 20 ff. 32 Vgl. z. B. KpV, A241/V134; MAT, A4/VI381; A67/VI419; Religion, X f./VI6 Anm.; Frieden, B88/VIII377.
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selbst nicht in der Mittel-Zweck-Beziehung steht und folglich unbedingt ist.33 Der Zweck an sich ist nichts anderes als der reine Wille, die praktische Vernunft, die moralische Person, weil er von Kant ganz formal als Akt der Freiheit selbst gefaßt wird (vgl. GMS, A80/IV436; A82/IV437), und folglich gehört er wesentlich zur Spontaneität der praktischen Vernunft selbst als zwecksetzendes Vermögen. Ganz in diesem Sinne deutet Kant in der EE die objektive, bloß formale praktische Zweckmäßigkeit der Vernunft als »Form der Z w e c k m ä ß i g k e i t , die sich zum allgemeinen Gesetze qualifiziert, als einem Bestimmungsgrunde der V e r n u n f t in Ansehung des B e g e h r u n g s v e r mö g e n s « (EE, XX246). Dementsprechend könnte man die These aufstellen, daß deren subjektives Gegenstück die »Form der Zweckmäßigkeit« der reflektierenden Urteilskraft in der Darstellung eines unbestimmten Begriffs als subjektive, bloß formale Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes oder dessen Vorstellungsart sei (vgl. KU, § 11). Letztere ist nach Kant a priori gesetzgebend für das Gefühl der Lust und Unlust. Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist zwar nicht identisch mit der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur, ist aber doch eine reine Anwendung dieses Prinzips selbst im Modus des Lebensgefühls.34 Der Begriff des Selbstzwecks wird von Kant bei der »transzendentalen« Erörterung des Begriffs des Zwecks und der Zweckmäßigkeit in § 10 der KU außer Acht gelassen. Durch die abstrahierende Analyse der formalen Zweckmäßigkeit gelangt Kant aber zu dem Ergebnis einer Zweckmäßigkeit ohne realen Zweck, welche sich allein auf die Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft gründet. Die finale Struktur der Zwecktätigkeit der Vernunft läßt sich, abgesehen von dem »Selbstzweck«, generell durch die Mittel-ZweckBeziehung verständlich machen. Man kann dadurch die Kausalverbindung der wirkenden Ursachen als Mittelursachen in einen teleologischen Verstehenshorizont des erkennenden und handelnden Subjekts einordnen.35 Die praktische, herstellende Handlung kann 33
Siehe § 2, S. 124 f. Siehe unten S. 288 ff. 35 § 2, S. 136 f. 34
264
daher durch drei Teilhandlungen charakterisiert werden, nämlich die Zwecksetzung, die Auswahl der geeigneten Mittel zum Erreichen des vorgestellten Zwecks und schließlich den Realisationsprozeß, wobei die Mittel in Ansehung des Erfolgs der Handlung gelegentlich auch der Korrektur bedürfen.36 Der Zweck als intendierter vorstellungshafter Gegenstand ist unabhängig von Erfolg oder Mißerfolg der Handlung. Denn der gesetzte Zweck bleibt immer Zweck der Handlung – sofern er gewollt wird –, auch wenn die Handlung mißglückt ist. Im Fall des Erfolgs der Handlung kann ihre Wirkung (oder Produkt) insofern Zweck genannt werden, als der Vorstellungsinhalt dieser Wirkung mit dem Vorstellungsinhalt des gesetzten Zwecks übereinkommt und diese Wirkung intendiert wird. Kant bezeichnet den Zweck einmal als Gegenstand einer Vorstellung, ein andermal als Vorstellung (oder Begriff) des Gegenstandes.37 Diese doppelte Bestimmung des Zwecks läßt sich auf zweierlei Perspektiven einer Handlung zurückführen. Vom Endpunkt der Handlung rückblickend ist Zweck »der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird« (KU, § 10, 32)38, und zwar unter der Voraussetzung, daß die Handlung erfolgreich ist. Der Begriff des Gegenstandes, oder dessen Vorstellungsinhalt, sofern er gewollt wird, ist der Bestimmungsgrund der »verständigenden wirkenden Ursache« (KU, 381), den Gegenstand als Wirkung hervorzubringen. – Wenn man nun vom Anfangspunkt der Handlung ausgeht, dann ist Zweck »der Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält« (KU, XXVIII)39. Also ist Zweck nun der Begriff von einem Objekt, der bestimmt, was es sein soll, folglich der »Vorstellungsinhalt, der eine Ursache 36
Vgl. N. Hartmann S. 69; R. Spaemann/R. Löw (1985) S. 261; K. Düsing (1981) S. 33 f. 37 Die doppelte Bestimmung des Zwecks ist nach H. Mertens (S. 157 f.) uneinheitlich und sie ist nach K. Marc-Wogau (S. 56 f., 222 ff.) inkompatibel. K. Düsing (1986, S. 95 ff.; 1981, S. 33 f.) hält sie hingegen für vereinbar. Die folgende Darlegung verdankt sich Düsings Analyse. 38 Vgl. KU, 45 (§ 15), 285 (§ 64), 289 f. (§ 65), 346 (§ 77), 349 f. (§ 77); EE, XX234 f. – Vgl. Religion, AXII/VI7 Anm., dazu auch § 2, Anm. 52 (S. 100). 39 Vgl. KU, 173 f. (§ 43), 381 (§ 82); EE, XX232; XX235 f.
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veranlaßt, den ihm entsprechenden Gegenstand oder auch Zustand zu erwirken«40. Diese Definition entspricht dem natürlichen Handlungsablauf. Sie setzt keinen Erfolg der Handlung voraus. Ihr Anwendungsbereich ist somit breiter als die Betrachtung des Zwecks als Gegenstand (Wirkung). Letztere ist aber geeignet für die Betrachtung der Fremdhandlung oder des handlungsanalogen Vorgangs. Denn wir können dabei nur von der »zweckhaften« Wirkung durch eine Analogie zu unserer Kausalität nach Zwecken auf die verständige wirkende Ursache schließen (vgl. Gebrauch, A129/VIII180). In diesem Fall nennen wir dasjenige »zweckmäßig«, »dessen Dasein eine Vorstellung desselben Dinges vorauszusetzen scheint« (EE, XX216). Man sieht nun, daß es zwischen beiden Definitionen keinen erheblichen Unterschied gibt. Ihre Struktur ist auch dieselbe. Zweck ist in der praktischen, herstellenden Handlung eigentlich nichts anderes als ein intendiertes, vorstellungshaftes Handlungsobjekt, das realisiert werden soll. Der Gegenstand, der seinem vorweggenommenen Vorstellungsinhalt entspricht, heißt dann in diesem Zusammenhang »zweckmäßig«. Oder diese erfolgreiche Handlung kann auch »zweckmäßig« heißen. Daher nennt Kant die Zweckmäßigkeit im allgemeinen die »Kausalität eines B e g r i f f s in Ansehung seines O b j e k t s « (KU, § 10, 32), oder genauer die Kausalität einer Vorstellung (Empfindung, Anschauung oder Begriff) in Ansehung ihrer Wirkung (Gegenstand oder Gemütszustand). Weil diese »zielgerichtete« Kausalität nicht immer erfolgreich ist, ist die Zufälligkeit im Begriff der Zweckmäßigkeit wesentlich enthalten. Zweckmäßigkeit der Natur heißt deshalb nach Kant »Gesetzlichkeit des Zufälligen« (KU, 344). Weil die zufällige Erreichung jeder Absicht »mit dem Gefühle der Lust« verbunden ist (vgl. KU, XXXIX), kann der Gemütszustand des Subjekts bei seiner »zweckmäßigen« Vorstellungstätigkeit in einem übertragenden Sinne auch »zweckmäßig« genannt werden. Die Lust als Begleitphänomen der Erfüllung einer »Absicht« ist etwas anderes als Bewußtsein der Selbsterhaltung eines Gemütszu40
K. Düsing (1981) S. 34.
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standes des Subjekts in § 10 der KU, weil sie noch unmittelbar an das Schema der praktischen Zweckmäßigkeit anschließt. In § 10 wird die Lust von vornherein durch eine innere Dynamik des Gleichgewichtes des Gemütszustandes selbst charakterisiert. Hierbei wird das Bewußtsein der inneren Kausalität des stimmigen Zustandes, nämlich die Lust in einer Analogie zu der Selbstorganisation des Organismus betrachtet. In diesem Sinne bezeichnet Kant Lust auch im allgemeinen als »Bewußtsein der Kausalität einer Vorstellung in Absicht auf den Zustand des Subjekts, es in demselben z u e r h a l t e n « (KU, § 10, 33). Eine andere Erklärung des Gefühls der Lust findet man in § VIII der EE. Dort gibt Kant der Lust eine »transzendentale Definition«, nämlich eine Klärung der Lust abgesehen von dem Unterschied ihrer Herkunft, ob sie die Sinnenempfindung, oder die Reflexion, oder die Willensbestimmung begleitet. »L u s t ist ein Z u s t a n d des Gemüts, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, entweder diesen bloß selbst zu erhalten […], oder ihr Objekt hervorzubringen« (EE, XX230 f.).
Hier wird die Lust im allgemeinen schlicht durch einen harmonischen Zustand des Subjekts beschrieben. Diese Lustdefinition ist im Vergleich zu derjenigen in § 10 bloß statisch. Der Unterschied der Lusttypen besteht hierbei lediglich in ihrem Beweggrund. Die sinnliche Lustempfindung wird durch die Befriedigung der Sinnesorgane veranlaßt. Die praktische Lust findet durch die Hervorbringung des gewollten Gegenstandes statt. Die freie Lust der »vagen« Schönheit besteht allein in der freien und unbestimmt-zweckmäßigen Unterhaltung der Gemütskräfte mit dem Schönen (vgl. KU, 71). Sie enthält im Gegensatz zu anderen eine Kausalität in sich, diesen Zustand bloß sich selbst zu erhalten, »denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst« (EE, XX230 f.; vgl. KU, § 12, 37). Diese ästhetische Selbstgenügsamkeit am Schönen bezeichnet Kant deshalb als »Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zwecks«. Die kognitive Lust als Begleitphänomen der Erfüllung einer Erkenntnisabsicht dient Kant in § VI der zweiten Einleitung explizit zur Klärung der 267
notwendigen Verbindung der (kognitiven) Lust mit der (transzendentalen) Zweckmäßigkeit der Natur, welche auch eine Art der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur ist. Die Erläuterung der »transzendentalen Definition« des Zwecks und der Zweckmäßigkeit durch technisch praktische Handlung dient hierbei bloß zur Klärung der Doppelstruktur des Zwecks und zur begrifflichen Orientierung der Zweckmäßigkeit der Natur. Denn die Kantische Lehre der Zweckmäßigkeit der Natur wird nur in einer entfernten Analogie zur Zwecktätigkeit der Vernunft konzipiert.41 Von der Intentionalität eines zwecksetzenden Bewußtseins der praktischen Zweckmäßigkeit wird dabei im allgemeinen abgesehen, und folglich auch von der objektiven Realität des Zwecks. Übrig bleibt hierbei nur die Form (Struktur) der kausalen Verknüpfung des Gegenstandes oder dessen Vorstellungsart. Die Bedeutung dieser »Form« ist aber abhängig von ihrem Kontext und somit ändert sich auch die Bedeutung der Zweckmäßigkeit. Man muß innewerden, daß es in der KU kein einheitliches Einteilungsschema für den bedeutungsreichen Begriff der Zweckmäßigkeit geben kann. Die Unterscheidungskriterien, subjektiv/objektiv, formal/material, innere/äußere werden von Kant auch nicht einheitlich gebraucht. Man muß vielfältige Bedeutungen der ›Zweckmäßigkeit‹ kontextuell unterscheiden. Sie weichen mehr oder minder vom Schema der technisch praktischen Zweckmäßigkeit ab. Im extremen Falle ist die ästhetische Freiheit ein Analogon der moralischen Freiheit; der Organismus ein »Analogon des Lebens«. Die Zweckmäßigkeit betrifft hierbei in erster Linie nur die »zielgerichtete« Wechselwirkung der inneren Kausalität abgesehen von ihrem äußeren Verhältnis. Freilich werden alle Arten der Zweckmäßigkeit der Natur bloß in bezug auf die reflektierende Urteilskraft betrachtet. Also kann ein »Objekt oder Gemütszustand oder eine Handlung« (KU, § 10, 33) nach Kant in bezug auf die reflektierende Urteils41
Die begriffliche Schwierigkeit des Konzepts einer Zweckmäßigkeit der Natur besteht gerade in der Analogie zur praktischen Zweckmäßigkeit. Es ist in der KU nicht immer klar, ob das Wort ›Zweckmäßigkeit‹ in allgemeinem oder in praktischem Sinne oder nur im Sinne der »Zweckmäßigkeit der Natur« gebraucht wird.
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kraft »zweckmäßig«, »stimmig«, »harmonisch«, »passend«, »tauglich«, »angemessen« und wie auch immer genannt werden, wenn gleich ihre Möglichkeit die Zweck- oder Endursache nicht notwendig voraussetzt, »bloß darum, weil ihre Möglichkeit von uns nur erklärt und begriffen werden kann, sofern wir eine Kausalität nach Zwecken […] zum Grunde derselben annehmen« (ebd.). Daraus folgt unmittelbar die allgemeine Definition der »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«. »Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursachen dieser Form nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit nur, indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können. Nun haben wir das, was wir beobachten, nicht immer nötig durch Vernunft (seiner Möglichkeit nach) einzusehen. Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck (als die Materie des nexus finalis) zum Grunde legen, wenigstens beobachten und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken« (KU, § 10, 33 f.; vgl. XLIX f.).
Die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur ist die Zweckmäßigkeit ohne realen Zweck. Nach diesem Prinzip können wir die innere Organisation der Natur am Phänomen der Produktivität des Organismus (wenigstens der Form nach) beobachten, ohne ihm einen realen Zweck zu unterlegen. Diese Beobachtung selbst setzt jedoch schon, im Gegensatz zur ästhetischen Zweckmäßigkeit, einen bestimmten Begriff von dem Gegenstand voraus, um dessen zweckmäßige Einheit beschreiben zu können. Die Beurteilung des Organismus als Naturzweck ist weiterhin nicht mehr die reine Anwendung der allgemeinen unbestimmten Zweckmäßigkeit der Natur, sondern sie steht notwendig mit dem Vernunftprinzip der Kausalität nach Zwecken in Verbindung, um uns die Möglichkeit des Organismus verständlich zu machen.42 Nun fragt sich: Inwiefern kann eine schöne Form »zweckmäßig« für die ästhetische Urteilskraft genannt
42
Siehe § 2.2.1, S. 130 ff.
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werden? Was haben Geschmacksurteile mit der »Zweckmäßigkeit der Natur« zu tun? An dieser Stelle sei angemerkt, daß Kant in § 10 - § 12 zwischen der allgemeinen und der ästhetischen Zweckmäßigkeit der Natur nicht deutlich differenziert. Hierbei scheint bloß von der ästhetischen Zweckmäßigkeit die Rede zu sein. In Wahrheit ist die ästhetische Zweckmäßigkeit nur eine, und zwar reine Anwendung der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur auf die anschauliche Formauffassung eines einzelnen gegebenen Gegenstandes. Zuvor sollten noch einige begriffliche Schwierigkeiten in bezug auf den Begriff der Zweckmäßigkeit geklärt werden. Ausdrücke wie ›Zweckmäßigkeit der Form nach‹, ›Form der Zweckmäßigkeit‹, ›Zweckmäßigkeit der Form‹ und ›formale Zweckmäßigkeit‹ sind nicht bedeutungsgleich. Es sei nochmals betont, daß ihre Bedeutung abhängig vom Kontext ist. Die ›Zweckmäßigkeit der Form nach‹ kennzeichnet einen allgemeinen Aspekt der »zweckmäßigen« Verknüpfung, welcher im Gegensatz zur »Zweckmäßigkeit der Materie nach« steht. Letztere bedeutet die Kausalität nach Zwecken, nämlich die praktische Zweckmäßigkeit. Sie ist konstitutiv für das Artefakt. Oder der Organismus wird in einer entfernten Analogie mit ihr als Naturzweck betrachtet. Die »materiale Zweckmäßigkeit« ist nach Kant nichts anderes als »Zweck« (vgl. KU, 188, 275). In dieser Unterscheidung besteht die generelle begriffliche Schwierigkeit des Kantischen Konzepts einer subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur. Der Begriff der Zweckmäßigkeit wird im allgemeinen von dem des Zwecks (also der praktischen Zweckmäßigkeit oder der Kausalität nach Zwecken) abgeleitet. Darüber hinaus betrachtet Kant diesen Begriff selbst in gewissem Sinne aber wiederum unabhängig vom Begriff des Zwecks, der hierbei mit der materialen Zweckmäßigkeit gleichgesetzt ist. D.h. der Begriff der Zweckmäßigkeit ist nun der Oberbegriff. Beide Perspektiven vereinigen sich im Begriff der »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«. Der Begriff einer »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« bedeutet im allgemeinen die Zweckmäßigkeit ohne dogmatische Behauptung der Realität des Zwecks. Der Ausdruck ›ohne Zweck‹ kann hier generell unter zwei Aspekten betrachtet werden: Zum einen bedeu270
tet das Wort ›ohne‹ die kritische »Abgrenzung« oder »Ausschließung« von der objektiven Teleologie, unter der die Natur als wirkliches Produkt eines Schöpfers verstanden wird. Die Zweckmäßigkeit der Natur oder »Technik der Natur« wird hierbei noch unmittelbar durch das Schema der praktischen Zweckmäßigkeit betrachtet. Zum anderen bedeutet das Wort ›ohne‹ nur die »Absonderung« von der materialen Zweckmäßigkeit der Natur, folglich Zweck der Natur, oder »Absehen« von allen möglichen (äußeren) Zwecken des Subjekts. In diesem Sinne wird die Zweckmäßigkeit der Natur bloß formal und »subjektiv« betrachtet (z.B. Naturschönheit). Im Fall der Naturschönheit wird die Perspektive gewechselt und zwar in die innere Sphäre des Subjekts selbst. Diese Schwerpunktverschiebung geschieht insbesondere in der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile. Hier betont Kant in der EE die »Technik der Urteilskraft«, auf die sich die »Technik der Natur« gründet. 43 Das 43
Obwohl ›Technik der Urteilskraft‹ nur als Titel von § VII der EE und ›technische Urteilskraft‹ als Titel von § X der EE gebraucht wird, spiegeln diesen wichtigen Gedanken das »technische« Verfahren der reflektierenden Urteilskraft und deren Heautonomie wieder. Die reflektierende Urteilskraft ist »technisch« (vgl. EE, XX220). In der Anthropologie (A120/VII199) ist mit der »technischen« Urteilskraft im Unterschied zu der ästhetischen und der praktischen die »theoretische« Urteilskraft gemeint. Ganz in diesem Sinne hat Kant die »technische« Urteilskraft in beiden Einleitungen bei der Einführung der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur vor Augen. Diese begriffliche Verschiebung entspricht der generellen, undeutlichen Differenzierung Kants zwischen der allgemeinen, der transzendentalen und der ästhetischen Zweckmäßigkeit in der EE und KU. Im Konzept der reflektierenden Urteilskraft orientiert sich Kant in erster Linie an dem objektiven Gebrauch der Urteilskraft, nämlich an der »Technik« derselben. Das Geschmacksurteil betrifft nur »die subjektive bloß empfindbare Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft (nämlich die Zusammenstimmung jener beiden Vermögen unter einander) überhaupt« (EE, XX223 f.). Statt der »Technik der Natur« in der EE (XX214) bezeichnet Kant in der KU ausschließlich die »Zweckmäßigkeit der Natur« als allgemeines Prinzip der Urteilskraft. Die »Technik der Natur« bleibt in der KU nur noch für die »objektive« Zweckmäßigkeit der Natur reserviert, welche in Wahrheit ein »kritisches Prinzip der Vernunft für die reflektierende Urteilskraft« ist (KU, § 75). Im Begriff der »Zweckmäßigkeit der Natur« wird der Bezug der Natur auf die Urteilskraft betont, während der Ausdruck ›Technik der Natur‹ suggeriert, daß die
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schließt freilich nicht aus, daß durch die ästhetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes auch zugleich ein zweckmäßiges Verhältnis von dessen Form zum Erkenntnisvermögen mitformuliert ist, weil der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur immer das Bewußtsein einer zufälligen Übereinstimmung von Natur und Subjekt impliziert. Der Wechsel zwischen der inneren und der äußeren Perspektive ist in Kants Theorie der schönen Form äußerst umstritten. Die »Zweckmäßigkeit der Form nach« kann daher gleichsam als ein Synonym für die »formale Zweckmäßigkeit« gelten. Die Schwierigkeit besteht nun darin, daß die organische Zweckmäßigkeit (Naturzweck) keine bloß formale Zweckmäßigkeit, sondern eine analoge materiale Zweckmäßigkeit ist. Aber wenn hierbei noch von der Zweckmäßigkeit der Natur für die Urteilskraft die Rede ist, ist der »Naturzweck« immerhin »formal«. – Die »Zweckmäßigkeit der Form« ist etwas anderes als »Zweckmäßigkeit der Form nach«. Hierbei wird die Zweckmäßigkeit einer bestimmten Form des Gegenstandes in Betracht gezogen. Dies besagt noch nicht, daß diese Zweckmäßigkeit »formal« oder »material« ist. Die Naturschönheit ist z.B. nach Kant »formal«; der Naturzweck »material«. – Die (bloße) »Form der Zweckmäßigkeit« ist im Zusammenhang mit der ästhetischen Zweckmäßigkeit nichts anderes als bloß formale Zweckmäßigkeit, folglich nicht identisch mit der »Zweckmäßigkeit der Form nach«. Kurzum ist die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur eine reine Anwendung der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur auf eine bestimmte gegebene Anschauungsform der Natur.44 Natur aus sich selbst »technisch« sei, mithin Intelligenz habe (vgl. KU, 56 f., 77, 270). Diese Konnotation will Kant gerade in seinem kritischen Konzept der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur vermeiden (vgl. EE, XX241, dazu KU, § 58 und § 72 - § 74). 44 Schöne Kunstwerke können nach Kant zur Zweckmäßigkeit der Natur gehören nur durch das besondere Argument, daß schöne Kunst Kunst des Genies ist und »G e n i e […] das Talent (Naturgabe) [ist], welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angeborenes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: G e n i e ist die angeborene Gemütsanlage (ingenium), d u r c h w e l c h e die Natur der Kunst die Regel gibt« (KU, § 46, 181; vgl. § 49, 200). In Produkten des Genies gibt also
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Ganz in diesem Sinne stellt Kant seine These in § 11 auf: »Das Geschmacksurteil hat nichts als die F o r m d e r Z w e c k mä ß i g k e i t eines Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben) zum Grunde«. Der Nachweis dieser These ist in § 11 apagogisch und folglich überflüssig nach der Untersuchung von § 9. Kant hätte hier direkt am Konzept des freien Spiels der Erkenntniskräfte als apriorische Gründe der Lust am Schönen anschließen und die ästhetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstand für die Urteilskraft verständlich machen können. Letzteres unternimmt Kant in der zweiten Einleitung. Ersteres wird erst in § 12 thematisiert. Stattdessen greift Kant in § 11 zuerst auf die strikte Unterscheidung zwischen Geschmacksurteilen, Sinnenurteilen und (theoretischen, praktischen) Erkenntnisurteilen zurück, um die »subjektive Zweckmäßigkeit«, »bloße Form der Zweckmäßigkeit« oder kurzum die ästhetische Zweckmäßigkeit als »Zweckmäßigkeit ohne allen […] Zweck« einzuführen. Der § 11 ist sozusagen eine terminologische Erklärung, die an § 10 anschließt. Weil die Lust am Schönen interesselose ist, kann deren Bestimmungsgrund kein Zweck sein, weder subjektiver wie ein Gegenstand des Genusses noch objektiver wie das Gute. Denn aller »Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird, führt immer ein Interesse als Bestimmungsgrund des Urteils über den Gegenstand der Lust bei sich« (KU, § 11, 34). Mit anderen Worten ist Zweck »jederzeit der Gegenstand einer Z u n e i g u n g , das ist, einer unmittelbaren Begierde zum Besitz einer Sache vermittelst seiner Handlung« (Religion, AX/VI6 Anm.). Das Geschmacksurteil ist nicht logisch, sondern ästhetisch. D.h. es betrifft »keinen B e g r i f f von der Beschaffenheit und inneren oder äußeren Möglichkeit des Gegenstandes durch diese oder jene Ursache, sondern bloß das Verhältnis der Vorstellungskräfte zueinander, sofern sie durch eine Vorstellung bestimmt werden« (KU, § 11, 34). Kürzer gesagt, im Geschmacksurteil spielt der Begriff des Gegenstandes überhaupt keine Rolle, und das Dasein des Gegenstandes selbst ist folglich irrelevant. Mithin bleibt – laut der Definition des »die Natur (des Subjekts), nicht ein überlegter Zweck der Kunst (der Hervorbringung des Schönen) die Regel« (KU, § 57, 242).
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Zwecks – der »Zweck« oder die »materiale Zweckmäßigkeit« im Geschmacksurteil außer Acht. Der apriorische Bestimmungsgrund der Lust am Schönen ist nach § 9 allein das harmonische Spiel der Erkenntniskräfte. Nun zieht Kant daraus in § 11 ohne weiteres folgende Schlußfolgerung: »Also kann nichts anders als die subjektive Zweckmäßigkeit in der Vorstellung eines Gegenstandes, ohne allen (weder objektiven noch subjektiven) Zweck, folglich die bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand g e g e b e n wird, sofern wir uns ihrer bewußt sind, das Wohlgefallen […] ausmachen« (KU, § 11, 35; vgl. 52).
Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist »subjektiv«, weil das reine Geschmacksurteil bloß das freie Spiel der Erkenntniskräfte betrifft. Weil in der Beurteilung des Geschmacks über den Gegenstand der Lust keine Vorstellung irgendeines (bestimmten) Zwecks als Bestimmungsgrund enthalten ist, ist die ästhetische Zweckmäßigkeit die Zweckmäßigkeit »ohne allen Zweck«. Dieser Ausdruck sollte aber immer mit Rücksicht auf seinen Kontext gebraucht werden. Das Geschmacksurteil schließt zumindest eine innere, subjektive, spontane »Absicht« des Erkenntnisvermögens nicht aus. Nur wird diese Absicht in der Beurteilung des Geschmacks über einen Gegenstand der Lust nicht berücksichtigt, weil dabei die Erkenntniskräfte sich spontan, unabsichtlich (»ohne Rücksicht auf den Gebrauch oder einen Zweck«) vollziehen (vgl. KU, XLIII, XLIX, 70 ff., 200). Im freien, harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte am Schönen wird zwar eine allgemeine unbestimmte »Absicht« der reflektierenden Urteilskraft »auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt« (KU, 66) erreicht, und die schöne Form kann auch darum zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft genannt werden (vgl. KU, XLIV, XLVII, XLVIII; EE, XX220 f.). Es fragt sich aber, ob eine unabsichtliche, unbestimmte, ungesuchte »Absicht« (Intention)45 nach Kants Definition in § 10 noch »Zweck« genannt werden darf. 45
Kant unterscheidet, dem landläufigen Sprachgebrauch seiner Zeit gemäß, zwischen dem »Zweck« und der »Absicht« nicht deutlich. Vgl. dazu Religion,
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Die ästhetische Zweckmäßigkeit kann daher nichts anderes sein als »bloße Form der Zweckmäßigkeit in der Vorstellung, wodurch uns ein Gegenstand g e g e b e n wird«. Was heißt aber diese »Form der Zweckmäßigkeit« der »Vorstellungsart des Gegenstandes«? Um dies zu klären, greift Kant in § 12 auf die Harmonie oder Übereinstimmung der Erkenntniskräfte in der bloßen Reflexion über einen gegebenen Anschauungsgegenstand zurück. Die »Form« betrifft hierbei in erster Linie die »proportionierte Stimmung« der Erkenntniskräfte in ihrem freien Spiel, denn es geht in § 12 um die transzendentale Fundierung der Lust am Schönen. Die (schöne) Form des Gegenstandes bleibt hierbei als äußerliche Veranlassung außer Acht. Daher schreibt Kant in § 15, daß das Geschmacksurteil »keine Beschaffenheit des Gegenstandes, sondern nur die zweckmäßige Form in der Bestimmung der Vorstellungskräfte, die sich mit jenem [Gegenstand] beschäftigen, zu bemerken gibt« (KU, 47). Aber die Bedeutung der ästhetischen Zweckmäßigkeit erschöpft sich nicht in der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile, sondern in der konkreten Beurteilung eines schönen Gegenstandes, der vor uns liegt in Raum und Zeit. Die ästhetische Wahrnehmung ist keine bloße Phantasie, sondern eine bloße Formbetrachtung eines bestimmten, gegebenen Gegenstandes, dessen »Form« die Erkenntniskräfte in jene proportionierte Stimmung bringt. Was diese »Form« bedeuten mag, ist umstritten. Die ästhetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes für die Urteilskraft besteht in der zufälligen Zusammenstimmung beider »Formen«, und zwar in einer bloß subjektiven Absicht. Die ästhetische Zweckmäßigkeit betrifft auch die »Form« des Gegenstandes, aber nicht um sie zu erkennen, sondern um sie zu fühlen. Die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur kann daher als »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« interpretiert werden, und zwar in einem weiteren Sinne der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur, wodurch sie nicht
AXII/VI7 Anm.; Gebrauch, A131/VIII181 f.; KU, 61 Anm. (§ 17); GMS, A13 f./IV399 f.; KrV, A698 ff./B726 ff. – Zur Unterscheidung zwischen beiden vgl. z.B. EE, XX234 ff.
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»als wirklicher (absichtlicher) Z w e c k der Natur (oder der Kunst) mit unserer Urteilskraft übereinzustimmen, [sondern …] nur als eine, ohne Zweck, von selbst und zufälliger Weise sich hervortuende zweckmäßige Übereinstimmung zu dem Bedürfnis der Urteilskraft, in Ansehung der Natur und ihrer nach besonderen Gesetzen erzeugten Formen angenommen werde« (KU, 247; vgl. 236 f., 242).
Vergegenwärtigen wir uns nochmals, was ein Geschmacksurteil nach Kant heißt. »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben« (KU, 3 f.). Wir halten im Geschmacksurteil »die gegebene Vorstellung im Subjekte gegen das ganze Vermögen der Vorstellungen […], dessen sich das Gemüt im Gefühl seines Zustandes bewußt wird« (KU, 5). Im Geschmacksurteil wird eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, aber in dem Urteil selbst bezieht sie sich im Unterschied zum Wahrnehmungs- oder Erkenntnisurteil nicht auf die Bestimmung des Objekts, sondern auf die des Subjekts und seines Gefühls (vgl. EE, XX223). Ein Geschmacksurteil ist daher ein Urteil des Geschmacks über einen Gegenstand der Lust, die nichts anderes als das freie, harmonische Spiel der Erkenntniskräfte in einer gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt zum Bestimmungsgrund hat, sofern wir uns des Gemütszustandes dieses freien Spiels bewußt sind. Kant betont deshalb wiederholend, daß das Bewußtsein dieses freien, harmonischen Gemütszustandes mit der Lust am Schönen im Grunde einerlei ist.46 Es sei betont, daß die ästhetische Formauffassung eines Gegenstandes nicht abstrakt (begrifflich), sondern konkret (anschaulich) und höchst individuell ist, obwohl die Vorstellung im Geschmacksurteil auf ein unbestimmtes Objekt (Begriff überhaupt) bezogen wird. D.h. die ästhetische Formauffassung gründet sich zwar auf eine allgemeine Regel der Wahrneh-
46
Vgl. KU, XLIV, 35 (§ 11), 36 f. (§ 12), 47 f. (§ 15), 150, 151, (beide in § 38), 155 f. (§ 39); EE, XX228, 230, 249.
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mung (oder Anschauung), aber sie läßt sich nicht durch eine bestimmte Regel derselben fixieren. Daher lassen sich die Beziehungsgefüge im Geschmacksurteil folgendermaßen zerlegen: Verbunden ist ein gegebener Gegenstand mit dem Beurteilenden oder genauer die Vorstellung des Gegenstandes mit dem Gemütszustand des Subjekts (Lust) mittels der inneren Kausalität der Vorstellungstätigkeit zu einer Erkenntnis überhaupt. Welche Beziehung ist nun nach Kant ästhetisch zweckmäßig? Wofür ist sie zweckmäßig? Wir betrachten zuerst Kants Argumentation in § 12 und dann die in der zweiten Einleitung (KU, XLIV ff.), in der gegenüber dem Resultat von § 12 die »Form des Gegenstandes für die Reflexion überhaupt« als Grund der Lust am Schönen betont wird (vgl. KU, XLV). Nach § 11 kann man in Anlehnung an das Ergebnis von § 9 erwarten, daß der Gegenstand für die ästhetische Urteilskraft darum zweckmäßig ist, weil dessen Vorstellung die Erkenntniskräfte in ein freies, harmonisches Spiel bringt und das Bewußtsein dieser wechselseitigen, belebenden Zusammenstimmung der Erkenntniskräfte das »Gefühl des Lebens« erweckt. Hier findet man einen anderen Aspekt der inneren Verbindung der beiden Teile der KU. Dieser besteht darin, die Lebendigkeit der Natur (in uns und außer uns) auf ästhetische und teleologische (i.e.S.) Weise zu betrachten. Das Argument in § 12 ist wie das im ersten Teil von § 9 bloß »transzendental« in dem Sinne, daß die Lust am Schönen sich »a priori« auf das allgemeine Verfahren der reflektierenden Urteilskraft gründet. Die empirische Bedingtheit dieser Lust, folglich die äußere »Veranlassung« einer bestimmten Form des Gegenstandes bleibt dabei außer Acht (vgl. KpV, A286/V160). Von dieser empirischen Bedingtheit bleibt folglich nur ein allgemeines, vages Bewußtsein der Tauglichkeit des Erkenntnisvermögens des Subjekts für die Anschauung des Gegenstandes übrig. Der Betrachtungsgegenstand von § 12 ist die Lust am Schönen selbst. Diese Sonderart der Lust wird nicht durch eine bestimmte Sinnesempfindung und einen bestimmten Begriff des Gegenstandes ausgemacht. Das äußerliche Kausalverhältnis einer Vorstellung (Empfindung oder Begriff) ist nicht der Bestimmungsgrund der Lust am Schönen, d.h. die 277
freie Lust ist keine Wirkung von etwas, sondern sie wird lediglich durch eine bestimmte Harmonie der Erkenntniskräfte ausgemacht. Dieser Bestimmungsgrund der Lust ist darum »a priori«, weil er ein bloß formales Verhältnis der inneren Kausalität des Erkenntnisvermögens betrifft. In Analogie zum apriorischen Bestimmungsgrund des moralischen Gefühls durch das moralische Gesetz ist nun die Lust am Schönen identisch mit dem »Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntniskräfte des Subjekts bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird« (KU, § 12, 36 f.). Dies wird von Kant durch eine dreifache Begründung, die dem dreifachen Verhältnis im Geschmacksurteil entspricht, gerechtfertigt, nämlich »weil es [1.] einen Bestimmungsgrund der Tätigkeit des Subjekts in Ansehung der Belebung der Erkenntniskräfte desselben, [2.] also eine innere Kausalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntnis überhaupt, aber ohne auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt zu sein, [3.] mithin eine bloße Form der subjektiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung, in einem ästhetischen Urteile enthält« (KU, § 12, 37).
Erstens ist die Lust am Schönen nichts anderes als die unmittelbare Folge des freien Spiels der Erkenntniskräfte, das die Erkenntniskräfte des Subjekts wechselseitig belebt und folglich ein Lebensgefühl erweckt. Zweitens ist die innere Kausalität der Erkenntniskräfte in ihrem freien Spiel darum »zweckmäßig«, weil sie die notwendige Aufgabe der reflektierenden Urteilskraft spontan ohne Leitung eines bestimmten Begriffs, ohne Vorstellung eines bestimmten Zwecks auf eine wunderbare Weise erfüllt. Daraus folgt unmittelbar die dritte Klärung der ästhetischen Zweckmäßigkeit als die bloße Form der subjektiven Zweckmäßigkeit der Vorstellungsart eines Gegenstandes. Diese dreifache Begründung der ästhetischen Zweckmäßigkeit wiederholt eigentlich nur die Argumente in § 11, die im Vergleich zu dem Ergebnis von § 9 nichts Neues außer der Umschreibung der inneren Kausalität im freien Spiel der Erkenntniskräfte durch die »Form der subjektiven Zweckmäßigkeit einer Vorstellung« bringen.
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Soweit scheint die transzendentale Klärung der Geschmacksurteile rein subjektivistisch zu sein. Das Geschmacksurteil beträfe demnach lediglich die innere Sphäre der Erkenntnistätigkeit des Subjekts. Das will Kant aber nicht behaupten, weil es sich beim Geschmacksurteil immerhin um eine »bestimmte« anschauliche Formauffassung eines gegebenen einzelnen Gegenstandes handelt. Wir sind uns dabei von vornherein bewußt, daß die Einbildungskraft »bei der Auffassung eines gegebenen Gegenstandes der Sinne an eine bestimmte Form dieses Objekts gebunden ist und sofern kein freies Spiel (wie im Dichten) hat« (KU, 69). Aber die Form des Gegenstandes, nämlich seine bestimmte raumzeitliche Konfiguration kann die Lust am Schönen nicht unmittelbar bewirken, weil sonst die letztere eine »Empfindung« wäre, die ein »E r ke nn t ni s s t ü c k w e r d e n k a n n « (KU, XLIII). Das Geschmacksurteil wäre dann ein verstecktes Erkenntnis- oder Wahrnehmungsurteil. Die Form des Gegenstandes wird im Geschmacksurteil durch die Reflexion über sie auf das Subjekt und dessen Gemütszustand bezogen. Die ästhetische Zweckmäßigkeit betrifft also ein äußeres, zweckmäßiges Verhältnis des Gegenstandes zu dem Erkenntnisvermögen des Subjekts, welches sich »transzendental« auf die innere, zweckmäßige Kausalität der Erkenntniskräfte gründet.47 Der Gegenstand 47
Der Ausdruck ›äußere‹ wird hier Kant zufolge im empirischen Sinne gebraucht, nämlich »von empirischen Subjekten unterschieden«. Der Ausdruck ›außer uns‹ ist nach Kant unvermeidlich mit einer Äquivokation behaftet, die das Verstehen seines transzendentalen Idealismus auch erschwert (vgl. Brief von Jakob vom 28.7.1787, 323). Er bedeutet bald etwas, »was als Ding an sich selbst von uns unterschieden existiert, bald was bloß zur äußeren Erscheinung gehört« (KrV, A373; vgl. A22 f./B37 f., A27/B43). Grundsätzlich bedeutet ›außer mir‹ entweder etwas von mir räumlich Verschiedenes (extra me), oder etwas vom Subjekt Gedachtes von mir Unterschiedenes, aber nicht schon räumlich Verschiedenes (praeter me). Die Unterscheidung zwischen transzendentalem und empirischem Subjekt, und somit die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung komplizieren noch die ganze Sache. Das Ding an sich ist gedacht von der allgemeinen Subjektivität schlechthin unabhängig (transzendent äußerlich). Die äußere Erscheinung ist, transzendental betrachtet, bloß in uns (als bloße Erscheinung, also praeter me); sie kann auch ein vom empirischen Subjekt verschiedenes Phänomen im Raum (extra me) sein, welches Kant als substantia phaenomenon (das beharrliche Reale in Raum und Zeit, als die Materie)
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wird also darum ästhetisch zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft genannt, weil die Reflexion über dessen Form die Einbildungskraft und den Verstand in eine freie, harmonische Übereinstimmung bringt und ein Gefühl der Lust dadurch erweckt wird. Kant betont in der zweiten Einleitung die Rolle der bestimmten Form des Gegenstandes und die Zufälligkeit der Übereinstimmung der Erkenntnisvermögen in der bloßen Reflexion über diese Form für die ästhetische Vorstellung der Zweckmäßigkeit der Natur gegenüber der Argumentation in § 12, die sich hauptsächlich auf der transzendentalen Ebene bewegt. »Denn da der Grund der Lust bloß in der Form des Gegenstandes für die Reflexion überhaupt, mithin in keiner Empfindung des Gegenstandes und auch ohne Beziehung auf einen Begriff, der irgend eine Absicht enthielte, gesetzt wird: so ist es allein die Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urteilskraft überhaupt (Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstande) in dem Subjekte, mit der die Vorstellung des Objekts in der Reflexion, deren Bedingungen a priori allgemein gelten, zusammenstimmt; und da diese Zusammenstimmung des Gegenstandes mit den Vermögen des Subjekts zufällig ist, so bewirkt sie die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit desselben in Ansehung der Erkenntnisvermögen des Subjekts« (KU, XLV).
Kants Theorie der schönen Form ist eine Folgerung der transzendentalen Fundierung der Geschmacksurteile, weil die bloße Betrachtung der Form des Gegenstandes die einzige Art der Beurteilung desselben ist, welche die Erkenntniskräfte in ein freies, harmonisches Spiel bringen kann. Nicht alle faßbaren Formen der Gegenstände sind nach Kant schön, und auch nicht alle proportionierten Gemütsstimmungen zur Belebung der Gemütskräfte werden als Lust am Schönen angesehen. Schön ist nur diejenige Form des Gegenstandes, welche die Erkenntniskräfte in eine »zuträglichste« bezeichnet (vgl. MAN, A42 f./IV502 f.; KrV, A168/B209, A188/B231, A204 ff./B249 ff., A211 ff./B256 ff., A265/B321; Fortschritte, A54 f./XX276 f.). Das empirisch Äußere kann also praeter me oder extra me sein. – Vgl. dazu H. Graubner S. 105 ff.; P. Baumanns (1997) 176 ff.; R. Brandt (1998a) S. 87, 92 ff.
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Proportion bringt, in der der Gemütszustand »sich selbst stärkt und reproduziert« (KU, 37). »[Die] Stimmung der Erkenntniskräfte hat, nach Verschiedenheit der Objekte, die gegeben werden, eine verschiedene Proportion. Gleichwohl aber muß es eine geben, in welcher dieses innere Verhältnis zur Belebung (einer durch die andere) die zuträglichste für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt ist« (KU, 65 f.; vgl. 267).
Die Harmonie der Erkenntniskräfte in der Vorstellung eines Gegenstandes hat nach Kant doch einen Grad. Nicht jede Form des Gegenstandes, welche sich als solche dem transzendentalen Ansatz gemäß schon der Harmonie der Erkenntniskräfte verdankt, ist für uns schön, sondern jene zuträglichste Form, die die optimale Proportion derselben bestimmt. Kant selbst hebt diesen Gedanke aber nicht deutlich hervor. Seine wiederholende Formulierung, daß die Lust am Schönen auf der Harmonie der Erkenntniskräfte in der bloßen Reflexion über die Form des Gegenstandes beruht, verleitet zu dem Scheinproblem, als ob alle Dinge, die wir auffassen und darstellen können, schön wären.48 Das Geschmacksurteil betrifft also ein »Wohlgefallen oder Mißfallen an der F o r m d e s O b j e kt s « (KU, 131), während das ästhetische Urteil über das Erhabene am Formlosen der Natur bloß auf der Natur des Subjekts im zweckmäßigen Gebrauch seiner Erkenntnisvermögen beruht (vgl. KU, XLVIII, 78, 115, 132 f.). Die ästhetische Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes hat »alsdann doch im Objekte und seiner Gestalt ihren Grund, wenn sie gleich […] bloß die Auffassung dieser Form, sofern sie dem Vermögen […] im Gemüt sich gemäß zeigt, überhaupt betrifft« (KU, 131). »Zum Schönen der Natur müssen wir einen Grund außer uns suchen, zum Erhabenen aber bloß in uns und der Denkungsart, die in die Vorstellung der ersteren Erhabenheit hineinbringt« (KU, 78). Man kann sich daher im Hinblick auf die schönen Formen der Natur auch die 48
Vgl. H.E. Allison (1998) S. 478; K. Ameriks S. 442 f.; M. Baum (1991) S. 273 ff.
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Fragen nach der Ursache (oder dem Grund) ihrer zweckmäßigen Formen stellen: wie z.B. »Wozu sind die schönen Formen der Natur da?«, oder »Welche Eigenschaften der Formen sind im Verhältnis zu uns schön?« usw. Solche Fragen haben aber nichts mit dem Geschmacksurteil zu tun, sondern sie sind entweder teleologischreflektierend (vgl. z.B. KU, 152 f.), oder empirisch-bestimmend (vgl. z.B. KU, 142, 24, 35 f.). Das reine Geschmacksurteil hat zwar seinen Grund in der Form des Gegenstandes, aber es gibt nach Kant keine bestimmten Regeln, die die schönen Formen bestimmen können. Kants Theorie der Geschmacksurteile ist weder Regel- noch Gefühlsästhetik, sondern eine subjektive Formästhetik, die sich »transzendental«, epistemisch auf subjektive Bedingungen der Reflexion überhaupt gründet. Das Schön-sein ist keine objektive Eigenschaft der Form eines Gegenstandes, sondern gründet sich auf die aktive (reflektierende) Reaktion des Betrachters. 49 Das Geschmacksurteil ist »ein Urteil, welches, indifferent in Ansehung des Daseins eines Gegenstandes, nur seine Beschaffenheit mit dem Gefühl der Lust und Unlust zusammenhält« (KU, 14; vgl. 36 f., 47 f.). Zum Schluß sei noch erwähnt, daß Form des Gegenstandes, Form der Vorstellung, Form der Erkenntniskräfte oder Form des Gemütszustandes nach Kant im Geschmacksurteil strukturell einerlei sind. Dies könnte als notwendige Folge seiner transzendentalen Erkenntnistheorie angesehen werden, nach der die Auf- und Zusammenfassung der »Form« die transzendentale Leistung des Subjekts unter den empirischen Bedingungen der gegeben Materie ist. Grundsätzlich bedeutet die »Form« nach Kant, im Gegensatz zur »Materie«, die Art der Ordnung oder der Verknüpfung des mannigfaltigen Gegebenen. 50 Nach Kant kann die »Form« uns nicht »affizieren«, sondern sie muß jederzeit vom Subjekt »gemacht« werden.51 Das bedeutet nicht, daß die »Form« bloß subjektiv ist, da
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Vgl. R. Brandt (1998) S. 233. Vgl. z.B. KrV, A20/B34, B151 f., B160 f. Anm.; Prol., A52/IV282; Anthr., A27/VII141. 51 Zu Kants Formbegriff vgl. R. Odebrecht (bes. S. 95 ff.), K. Marc-Wogau (S. 106 ff., 119 ff.), W. Biemel (S. 55 ff.), H. Mörchen (S. 161 ff.), H. Graubner, 50
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Kants transzendentaler Idealismus zugleich empirischer Realismus ist. Die empirischen »Formen« der Natur müssen aber in gewissem Sinne vor uns in der Natur liegen, weil sie a priori durch Verstand nicht bestimmt sind, und weil sie nicht beliebig von uns gedichtet sind. Also müssen die empirischen »Formen« uns doch irgendwie »gegeben« sein. Die Auffassung der empirischen »Formen« vollzieht sich schon in der anschaulichen Gestaltwahrnehmung. Hier sollte die reflektierende Urteilskraft ins Spiel kommen. Ohne auf die Schwierigkeit der Kantischen Affektionstheorie einzugehen, sei hier nur angemerkt, daß Kant hierbei weder die Korrespondenznoch die Kohärenztheorie vertritt. Kant selbst hat das Problem der Gestaltwahrnehmung nicht zu Ende geführt. Man könnte hinzufügen, daß in der Gestaltwahrnehmung eine strukturelle Entsprechung von Natur (als Erscheinung) und Vernunft mittels einer (subjektiven und objektiven) transzendentalen Analogie besteht.52 Diese zufällige, gesetzmäßige Übereinstimmung bringt Kant durch das subjektiv transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für die K.-H. Schwabe (S. 52 ff.), J. Kulenkampff (1994, S. 127 ff.), R. Brandt (1998, S. 236 ff.; 1998a, S. 89; 1999, S. 357). 52 Die Kantische sogenannte »Kopernikanische Wende«, ein Perspektivenwechsel der apriorischen Begründung der objektiven Erkenntnis ist insgesamt eine transzendentale Anwendung der Analogie auf das Verhältnis der Erfahrung zur Natur als Erscheinung. Die einzige mögliche Art für uns, die apriorischen Prinzipien der Erkenntnis nachzuweisen, »bedingt die Annahme, daß alle zwischen den Dingen aufgefundenen Beziehungen Konstrukte eines Bewußtseins und als solche Entsprechungen – Analoga – von Denkverhältnissen sind« (A. Pieper, S. 96; vgl. dazu KrV, BXVI-XX, A179 f./B221 ff; Prol., A94 f./IV310, A176/IV357 f.). Der Schematismus konkretisiert nichts anderes als diese transzendentale Analogie, indem die transzendentalen Schemata das allgemeine Verfahren der Strukturierung des durch die Anschauung gegebenen sinnlichen Materials durch kategoriale Begriffe herstellen. Die Rechtfertigung dieser Analogie besteht in der kritischen Restriktion der Anwendung der Kategorien auf die Erscheinung, deren Form der Gesetzmäßigkeit, also die schematisierte Kategorie, das Gemeinsame (Analogon) von Anschauung und Begriff bildet. Durch Schemata wird das Anschaungsmaterial zum einen begriffsähnlich (bestimmt) und der kategoriale Begriff zum anderen veranschaulicht (dargestellt). – Zur systematischen Stelle der Analogie in Kantischer Transzendentalphilosophie vgl. S. Takeda S. 175 ff., A. Pieper S. 95 ff., H. Heimsoeth (1970) S. 21, 41, 101. – Zur Kopernikanischen Wende vgl. auch § 3, S. 189.
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Urteilskraft zum Ausdruck. Das Problem der ästhetischen Reflexion über die Form des Gegenstandes läßt sich aber nicht einfach auf die Gestaltwahrnehmung zurückführen, insofern als letztere ein Wahrnehmungsurteil (ein objektbezogenes Empfindungsurteil) und kein ästhetisches Urteil betrifft. Zusammenfassend ist die schematische Darstellung objektiv unter der diktierenden Leitung des Verstandes, während in der symbolischen (oder analogischen) Darstellung die kreative Leistung der Einbildungskraft unter der reflektierenden Leitung der Urteilskraft betont wird. Die Analogie als eine »Denkart«, also die Symbolisierung, ist nicht nur wirksam für die ästhetische und teleologische Reflexion, sondern als eine »Schlußart« der reflektierenden Urteilskraft, welche oft mit der Induktion zusammenarbeitet, erweist sie sich auch als unentbehrlich zum Zweck der Erweiterung unserer Erfahrungserkenntnis (vgl. Jäsche Logik, § 84).53 Die (qualitative) Analogie bedeutet im allgemeinen »eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen« (Prol., A176/IV357; vgl. KU, 256 f., 448 ff.) Die Anwendung der Analogie – als eine wissenschaftliche Methode – hat einen Erkenntniswert nur unter der Voraussetzung, daß die im Verhältnis stehenden Dinge zu einerlei Gattung zählen (vgl. KU, 449 Anm.).
53
Die Analogie als »Schlußart« der reflektierenden Urteilskraft vollzieht sich nach dem Prinzip der Spezifikation, während die Induktion sich nach dem Prinzip der Generalisierung vollzieht. »Die A n a l o g i e schließt von p a r t i k u l a r e r [sc. partialer, vgl. R3282, XVI757] Ähnlichkeit zweier Dinge auf t o t a l e , nach dem Prinzip der S p e z i f i k a t i o n : Dinge von einer Gattung, von denen man vieles Übereinstimmende kennt, stimmen auch in dem Übrigen überein, was wir in einigen dieser Gattung kennen, an andern aber nicht wahrnehmen« (Jäsche Logik, § 84). Die Induktion hingegen schließt von einem Merkmal in vielen Dingen einer Gattung auf das Merkmal in allen Dingen derselben. – Vgl. dazu KrV, A179 f./B 222 f. und R3276-R3294, XVI753-761.
284
4.3 Systematische Bedeutung der ästhetischen Zweckmäßigkeit Die Zweckmäßigkeit der Form eines singulären Gegenstandes für die ästhetisch reflektierende Urteilskraft, die absichtslos zur Darstellung eines Begriffs überhaupt führt, gewinnt erst ihre systematische Bedeutung, wenn sie im Verhältnis zur allgemeinen bzw. transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur betrachtet wird. Im folgenden werden zwei systematische Thesen in bezug auf das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen angeschnitten, welche insbesondere in den beiden Einleitungen und in § 61 der KU thematisiert werden: Erstens ist die ästhetische Zweckmäßigkeit eine reine Anwendung der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur, und dadurch wird auch ihr systematischer Vorrang vor der organischen Zweckmäßigkeit (dem Naturzweck) begründet. Zweitens sollte die transzendentale Deduktion des subjektiven, bloß formalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur kurz erörtert werden. Es ist zuerst zwischen der allgemeinen und der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur zu unterscheiden, obwohl Kant diese Unterscheidung im Hinblick auf ihre epistemische Bedeutung nicht deutlich hervorhebt. Die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur besagt nur, daß die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit angemessen zu unserem Erkenntnisvermögen zum Zweck des empirischen Gebrauchs unserer Urteilskraft sei. Die transzendentale Zweckmäßigkeit hingegen bedeutet bereits eine spezifische erkenntnistheoretische Bestimmung der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur, nämlich daß die Natur in ihren empirisch besonderen Gesetzen ein zweckmäßiges System für die Urteilskraft in ihrem logischen Gebrauch sei. Diese Unterscheidung ist deshalb notwendig, weil dadurch die Einheit und Differenzierung der unterschiedenen Arten der Zweckmäßigkeit der Natur als Spezifikation der allgemeinen Zweckmäßigkeit derselben verständlich werden. Die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur liegt in der KU zugleich auch einem transzendentalphilosophisch fundierten, teleologischen Weltbegriff zugrunde, nach dem die Welt von der reflektierenden Urteilskraft 285
aus »als ein nach Zwecken zusammenhängendes Ganze und als S y s t e m von Endursachen« (KU, 413) betrachtet werden kann.54 Kant hebt diese Unterscheidung nicht deutlich hervor, weil das Konzept der reflektierenden Urteilskraft von vornherein auf ihren logischen (kognitiven) Gebrauch gerichtet ist, und weil Kant hierbei unter ›Natur‹ »Form der Dinge der Natur unter empirischen Gesetzen überhaupt« (KU, XXVIII) versteht. Die Natur in ihren mannigfaltigen Formen ist für die Urteilskraft insofern faßbar, als ihre empirisch besonderen Gesetze, unter denen jene Formen auch stehen müssen, ein logisches System bilden. Denn die systematische Einheit gilt als das einzige für uns sichere Kriterium der »empirischen Gesetzmäßigkeit überhaupt« (EE, XX243), ohne welches wir zwischen dem Wissen von der Welt und einem bloßen Traum nicht deutlich unterscheiden können. Das allgemeine Prinzip der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur ist nach Kant ein transzendentales Prinzip der Urteilskraft (z.B. KU, § V), da dieses Prinzip in seiner Einführung (z.B. KU, § IV) dem Inhalt nach zugleich erkenntnistheoretisch bestimmt wird. Die allgemeine Zweckmäßigkeit wird dann auch als »transzendentale Zweckmäßigkeit« (KU, XXXVI) bezeichnet. Beinahe nennt Kant die transzendentale Zweckmäßigkeit in der EE »logische Zweckmäßigkeit« (EE, XX216; vgl. 217, 214) im Gegensatz zur »absoluten Zweckmäßigkeit« (EE, XX217 f.), die wirklich an den Formen der Naturdinge selbst beobachtet werden (z.B. Organismen als Naturzwecke). Mit der letzteren ist die »objektive«, »reale« Zweckmäßigkeit einzelner Gegenstände gemeint, welche nur durch Erfahrung festgestellt werden kann. Die transzendentale Zweckmäßigkeit ist ihrem Inhalt nach zwar »logisch« oder »begrifflich«55, ihrem Ursprung nach jedoch »transzendental«, weil sie sich nicht von der Erfahrung ableiten läßt und somit a priori ist, und weil 54 55
Vgl. insb. K. Düsing (1986) S. 10 ff., 27, 59 f., 84 f., 100 f., und (1981) S. 35 ff. »Logisch« darf in diesem Zusammenhang, ähnlich wie bei der »logischen« Begriffsbildung, nicht schlicht mit »formallogisch« im Kantischen Sinne gleichgesetzt werden. Die »objektive Komparation« ist z.B. nicht »formallogisch«. Zu Kants Unterscheidung zwischen »logisch« und »ästhetisch« in der KU siehe § 1, Anm. 69 (S.67 f.).
286
jede empirische Erkenntnis als solche ohne sie unmöglich ist (vgl. EE, XX214). Die transzendentale Zweckmäßigkeit kann deshalb auch »logisch«, wohl besser »epistemisch« genannt werden, weil sie nur die subjektiv notwendige, formale Voraussetzung der Möglichkeit des Wissens ist; und andererseits und zwar hauptsächlich, weil wir nicht wissen können, ob die empirisch besonderen Naturgesetze im Ganzen wirklich ein logisches System bilden, da wir nicht alle Naturgesetze erkennen können. Darum ist dieses transzendentale Prinzip auch nur regulativ für seine konkrete Anwendung auf die Natur und ihre besonderen Gesetze. Epistemisch beruhen ästhetische und transzendentale Zweckmäßigkeit gemeinsam auf dem allgemeinen Verfahren der Urteilskraft in der Darstellung eines Begriffs. Dabei sind zwei Unterschiede, wie schon erwähnt, zu beachten: Erstens ist die subjektive Einstellung des Urteilenden zu einem Gegenstand nicht einerlei. Die ästhetisch-reflektierende Urteilskraft ist kontemplativ, während die logisch-reflektierende kognitiv ist. Zweitens sind die ästhetische, die kognitive Lust (z.B. Entdeckerfreude) an zufälligem Erwerb von Wissen sowie die »Bewunderung der logischen Zweckmäßigkeit der Natur« (vgl. EE, XX216; KU, XL) mehr oder weniger von einander zu unterscheiden, obwohl sie alle »die Wirkung irgend einer Erkenntnis« sein mögen (KU, XLIII). Also sind sie, für sich betrachtet, die innersubjektive Wirkung des zufälligen Zusammenspiels der Erkenntniskräfte in der Vorstellung des Gegenstandes auf den Gemütszustand, folglich ein allgemeingültiges Wohlgefallen, kein Genuß, der unmittelbar durch die Sinnenempfindung bestimmt wird.56 Die ästhetisch-reflektierende Lust an der zuträglichsten Harmonie der Erkenntniskräfte »in Absicht auf Erkenntnis (gegebener Gegenstände) überhaupt« (KU, 66) ist der unmittelbare Bestim56
Der Ausdruck ›Lust‹ wird in der KU von Kant meistens im ästhetisch-reflektierenden Sinne gebraucht. In der Anthropologie teilt Kant die Lust folgendermaßen ein: »1) Die s i n n l i c h e , 2) die i n t e l l e k t u e l l e Lust. Die e r s t e r e [wird] entweder A) durch den S i n n (das Vergnügen), oder B) durch die E i n b i l d u n g s k r a f t (der Geschmack) [vorgestellt]; die zweite (nämlich intellektuelle) entweder a) durch darstellbare B e g r i f f e oder b) durch I d e e n « « (Anthr., A168/VII230).
287
mungsgrund der Geschmacksurteile. Sie ist zwar das empirische Indiz derselben, weil das freie Spiel wirklich geschehen muß, aber sie selbst hat ihre Gründe a priori im subjektiven Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, weil sie notwendig allgemeingültig sein soll. Im Geschmacksurteil wird nicht nur die Wirklichkeit der freien, harmonischen Lust, sondern vielmehr auch ihre notwendige Verbindung mit der Vorstellung behauptet. Die anderen zwei kognitiven Lüste haben dieses Spezifikum aber nicht. Sie werden bei der »logischen Beurteilung« der Natur nicht berücksichtigt, weil sie zwar mit der Beurteilung notwendig verbunden sind, aber nicht als deren Bestimmungsgrund gelten. Kant selbst sind diese Unterschiede bewußt.57 Seine Ausführung der »Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur« in § VI der zweiten Einleitung ist aber beispielsweise irreführend, als ob die Unterschiede sich doch verwischen würden. In Wirklichkeit ist dort von der Verbindung der kognitiven Lust mit dem Begriff der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur die Rede. Dies samt unklarer Klassifikation von der allgemeinen, der transzendentalen und der ästhetischen Zweckmäßigkeit erweckt den Eindruck, als ob Kant das apriorische Prinzip der Geschmacksurteile mit dem der Erkenntnisurteile vermischen würde.58 In Wahrheit beruhen beide Prinzipien auf dem subjektiven Prinzip des Urteilens selbst (vgl. KU, § 35, § 38) und auf dem Begriff der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen (vgl. z.B. KU, L f., EE, XX232 f.). Der Unterschied besteht aber darin, daß die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur »auf der unmittelbaren Lust an der Form des Gegenstandes in der bloßen Reflexion über sie« beruht (KU, XLIX), während die transzendentale sich bloß auf den Verstand (i.w.S.) und dessen Aufgabe bezieht, nämlich die »Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen« aufzufinden und »Einheit der Prinzipien in sie hineinzubringen« 57 58
Vgl. z.B. KU, XLIII, LI f., 3 ff., 14, 71 ff., 113, 152, 155, 160 f., 198, 258. Das hat z.B. A. Stadler (S. 29, 112 f.) Kant vorgeworfen. E. Ungerer (S. 46 ff.) und vor allem K. Düsing (1986, S. 80 ff.; 1981, S. 35 ff.) bieten eine zuverlässige Darstellung der Grundarten der Zweckmäßigkeit der Natur in der KU.
288
(KU, XXXIX). Weil die transzendentale Zweckmäßigkeit nach Kant nichts anderes als die allgemeine Zweckmäßigkeit der Natur mit einem allgemein unbestimmten, erkenntnistheoretischen Inhalt ist, ist sie auch – wie die allgemeine und die ästhetische Zweckmäßigkeit – subjektiv und bloß formal. Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist immer mit einer bestimmten Form des Gegenstandes verbunden. Die transzendentale hingegen besagt nur, daß die besondere Naturordnung ein System für unsere Fassungskraft sei. Sie gibt uns keine bestimmte Information, zu entscheiden, welche besonderen Naturen Systeme für uns sind. Aus ihr läßt sich auch nicht dogmatisch schließen, daß die Naturordnung an sich ein System ist. Unter solchen Umständen könnte man auch (wie Kant selbst) sagen, daß die ästhetische Zweckmäßigkeit eine reine Anwendung der transzendentalen Zweckmäßigkeit ist, weil selbst die schönen Formen (der Natur oder Kunst) auch unter den empirisch besonderen Gesetzen stehen (vgl. KU, 247), obwohl sie im Geschmacksurteil nicht durch empirische Gesetze, sondern durch das Gefühl der Lust bestimmt werden. Beide Arten der Zweckmäßigkeit haben, im Gegensatz zur organischen Zweckmäßigkeit, nichts mit der »Möglichkeit des Dinges selbst« zu tun (vgl. KU, XLVIII f.; EE, XX217 f.), und setzen auch keinen bestimmten Begriff von ihm voraus, der uns nur in Analogie zur praktischen Zweckidee als Naturzweck verständlich werden kann. Kant gesteht selbst, daß die Deduktion der Geschmacksurteile wegen ihres Gefühlscharakters mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.59 Das apriorische Prinzip des Geschmacks epistemisch auf das subjektive Prinzip der Harmonie der Erkenntniskräfte zurückzuführen, ist genial. Diese Deduktion steht aber unter Verdacht, ein bloßes Konstrukt zu sein. Aus diesem Prinzip lassen sich auch keine objektiven Regeln ableiten. Oft behauptet Kant in der EE (z.B. § VII f.) und KU (§ VII, bes. § 9), daß im reinen Geschmacksurteil die subjektive formale Bedingung »eines Urteils überhaupt« (KU, 145) oder die subjektive Bedingung der Möglichkeit »einer Erkenntnis überhaupt« (KU, 155) enthalten ist. Diese oft mißverstan59
Vgl. KU, IX f.; Brief an Reichardt vom 15.10.1790, 490.
289
dene subjektive Bedingung ist eigentlich trivial und besagt nichts mehr als die subjektive, bloß formale Bedingung des »Gebrauchs der Urteilskraft überhaupt (die weder auf die besondere Sinnesart noch einen besonderen Verstandesbegriff eingerichtet ist)« (KU, 150) oder als die »Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urteilskraft überhaupt (Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstande) in dem Subjekte« (KU, XLV). Die harmonische Proportion der Erkenntnisvermögen wird »zum Geschmack erfordert«, und als solche ist sie zugleich »auch zum gemeinen und gesunden Verstande erforderlich« (KU, 155). Die Harmonie der Erkenntniskräfte als innersubjektive zweckmäßige Kausalität derselben ist demnach das subjektive Prinzip des Urteilens selbst (KU, § 35). Eher unauffällig hebt Kant erst in § 21 der KU hervor, daß die Harmonie der Erkenntniskräfte in ihrem freien Spiel an der Vorstellung einer schönen Form die »zuträglichste« Proportion für beide Gemütskräfte in Absicht auf Erkenntnis überhaupt ist. Sie ist daher nur eine Sonderart der Harmonie der Erkenntniskräfte in der Vorstellung eines Gegenstandes. Der Geschmack als ästhetisch reflektierende Urteilskraft ist ein »besonderes Vermögen« (KU, LII; vgl. KU, 4; EE, XX249), den Anschauungsgegenstand nicht nach Begriffen, sondern durch Gefühl der Lust oder Unlust als Folge des freien Spiels der Erkenntniskräfte in der bloßen Reflexion über seine Form zu beurteilen. Geschmack ist daher nicht identisch mit der reflektierenden Urteilskraft überhaupt, die von Kant spezifisch im Hinblick auf den logischen (objektiven) Gebrauch der Urteilskraft im Gegensatz zur bestimmenden Urteilskraft entworfen wird, sondern eine Sonderart der reflektierenden, weil die Lust auf dem allgemeinen Verfahren der bloß reflektierenden Urteilskraft beruht, nämlich der Darstellung eines unbestimmten Begriffs. Die teleologisch reflektierende Urteilskraft hingegen ist »kein besonderes Vermögen, sondern nur die reflektierende Urteilskraft überhaupt; sofern sie, wie überall im theoretischen Erkenntnisse, nach Begriffen, aber in Ansehung gewisser Gegenstände der Natur nach besonderen Prinzipien, nämlich einer bloß reflektierenden, nicht Objekte bestimmenden Urteilskraft, verfährt« (KU, LII). 290
Die ästhetische Zweckmäßigkeit der Natur hat deshalb eine tiefere Beziehung zur allgemeinen bzw. transzendentalen Zweckmäßigkeit, weil sie ja die einzige ist, die das Prinzip der allgemeinen Zweckmäßigkeit rein verwendet.60 Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist konstitutiv für das Gefühl der Lust und Unlust, während die kognitive Anwendung der transzendentalen Zweckmäßigkeit nur regulativ für die Erkenntnis der Dinge ist. Letztere ist aber keine reine Anwendung derselben, weil die logisch-reflektierende Urteilskraft mit der bestimmenden zusammenarbeiten muß, um zur empirisch bestimmten Erkenntnis der Dinge gelangen zu können. Wenn die Urteilskraft in ihrem empirischen Gebrauch bloß reflektierend bleibt, dann kann daraus keine bestimmte Erkenntnis entspringen. Dasselbe gilt auch für die teleologische Urteilskraft. Der reine Geschmack ist aber immer bloß reflektierend ohne Rücksicht auf den Gebrauch oder einen Zweck. »In einer Kritik der Urteilskraft ist der Teil, welcher die ästhetische Urteilskraft enthält, ihr wesentlich angehörig, weil diese allein ein Prinzip enthält, welches die Urteilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnisvermögen, ohne welche sich der Verstand in sie nicht finden könnte« (KU, L f.).
Darum sagt Kant in § 35, daß das Prinzip des Geschmacks das subjektive Prinzip der Urteilskraft überhaupt sei. Die Naturschönheit könnte demnach als Darstellung des Begriffs der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur angesehen werden. Nach diesem Prinzip kann man a priori mit guten Gründen erwarten und annehmen, daß es in der Natur schöne Formen gebe, aber nicht, daß es solche Naturdinge, wie z.B. Organismen gebe, weil, um uns den Grund der Möglichkeit solcher Formen verständlich zu machen, wir eine andere Art der Kausalität als den Naturmechanismus, nämlich Kausalität nach Zwecken annehmen müssen. Solchen Zweck können wir a 60
Vgl. EE, XX243 f.; KU, XXV, L f. – Siehe auch E. Ungerer S. 49, Cl. MacMillan S. 48, 50.
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priori nicht einsehen, weil der Grund des Naturzwecks sich auf die Möglichkeit der Dinge selbst bezieht, welche sich nur empirisch einsehen läßt. Im Fall der Naturschönheit kann »die Vorstellung der Dinge, weil sie etwas in uns ist, als zu der innerlich zweckmäßigen Stimmung unserer Erkenntnisvermögen geschickt und tauglich ganz wohl auch a priori gedacht werden« (KU, 268). Diesen Sachverhalt bringt Kant in § 61 der KU klar zum Ausdruck, welcher als Übergang von der ästhetischen zur teleologischen Urteilskraft angesehen werden kann: »Man hat nach transzendentalen Prinzipien [sc. Verstandesgesetzen] guten Grund, eine subjektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besondern Gesetzen zu der Faßlichkeit für die menschliche Urteilskraft und der Möglichkeit der Verknüpfung der besonderen Erfahrungen in ein System derselben anzunehmen; wo dann unter den vielen Produkten derselben auch solche als möglich erwartet werden können, die, als ob sie ganz eigentlich für unsere Urteilskraft angelegt wären, solche spezifische ihr angemessene Formen enthalten, welche durch ihre Mannigfaltigkeit und Einheit die Gemütskräfte (die im Gebrauche dieses Vermögens im Spiele sind) gleichsam zu stärken und zu unterhalten dienen, und denen man daher den Namen s c h ö n e r Formen beilegt« (KU, 267; vgl. KU, L ff.; EE, XX232 f.).
Kant bezweckt in § VI der zweiten Einleitung zweierlei: nämlich den Übergang von der transzendentalen zur ästhetischen Zweckmäßigkeit, und die Vermittlung vom Erkenntnisvermögen (Verstand) mit dem Begehrungsvermögen (Vernunft) durch das Gefühl der Lust und Unlust (Urteilskraft) (vgl. KU, § III). Es sei an die zweifache Vermittlung der zweigleisigen Trichotomie der Gemüts- und Erkenntnisvermögen zu einem System durch die ästhetisch- und logisch-reflektierende Urteilskraft erinnert. Die ästhetisch-reflektierende Urteilskraft bestimmt das Vermögen des Gefühls der Lust durch die subjektive, bloß formale Zweckmäßigkeit der Form des Anschauungsgegenstandes. Dabei ist die Lust (am Schönen) nach Kant sogar mit dem Bewußtsein dieser Zweckmäßigkeit einerlei. Nun fragt sich, ob es auch eine unmittelbare Verbindung des Gefühls der Lust mit dem logischen Gebrauch der reflektierenden Ur292
teilskraft gibt. Dies sucht Kant in § VI der zweiten Einleitung, betitelt mit »Von der Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur«, zu beantworten. Inhaltlich ist hierbei von der ästhetischen Lust keinesfalls die Rede, sondern von der kognitiven. Das § VI läßt sich als die thematische Weiterführung der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur (§ IV f.) ansehen. Diese thematische Weiterführung hängt aber mit der systematischen Aufgabe der KU zusammen, weil in § VI zugleich auch der Übergang vom Gebiet der Naturbegriffe zum Gebiet des Freiheitsbegriffs durch das Gefühl der Lust mitformuliert ist, welcher in § III der zweiten Einleitung bereits dargestellt wird. Nach der systematischen Dreiteilung der gesamten Vermögen sollte die Urteilskraft in Analogie zu den Prinzipien des Verstandes und der Vernunft auch ein eigentümliches Prinzip a priori enthalten, und die ästhetische Vorstellung dieses Prinzips sollte für das Gefühl der Lust und Unlust gesetzgebend sein (vgl. KU, § III, XXI ff.). Nun »da mit dem Begehrungsvermögen notwendig Lust oder Unlust verbunden ist« (KU, XXIV), und wenn mit dem Erkenntnisvermögen notwendig auch Lust oder Unlust verbunden wäre, dann würde die Urteilskraft einen Übergang von der Natur zur Freiheit durch das Gefühl der Lust bewirken, »als sie im logischen Gebrauche den Übergang vom Verstand zur Vernunft möglich macht« (XXV). Von § IV bis § VII wird dann dieses systematische Programm durchgeführt. In § IV und § V wird die allgemeine, bzw. transzendentale Zweckmäßigkeit der Natur als Prinzip a priori der Urteilskraft erwiesen. In § VII wird die ästhetische Vorstellung der allgemeinen Zweckmäßigkeit mit der ästhetisch-reflektierenden Lust gleichgesetzt. Die Lust am Schönen ist kein Begleitphänomen der Erkenntnis, sondern der Bestimmungsgrund des Geschmacksurteils selbst. Um die notwendige Verbindung der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur mit dem Gefühl der Lust zu klären, kann Kant deswegen nicht ohne weiteres auf die ästhetisch-reflektierende Lust zurückgreifen, weil im Geschmacksurteil die Erkenntniskräfte sich nicht absichtlich vollziehen, obwohl die freie Lust auf einer Erkenntnis überhaupt beruht. Der Erwerb von Wissen ist eine absichtliche Tätigkeit unse293
res Erkenntnisvermögens. Die zufällige Erreichung jeder Absicht ist notwendig mit dem Gefühl der Lust verbunden. Die kognitive Lust ist in diesem Sinne nichts anderes als ein Erfolgserlebnis. Es geht in § VI und VII um das Gefühl der Lust und Unlust als eigenständiges Vermögen mit Prinzipien a priori. Das Gefühl der Bewunderung der Natur ergänzt folglich eines der systematischen Programme der KU, das die gesamten Gemütsvermögen durch das Gefühl der Lust und Unlust auf die ästhetische und die logische (teleologische) Weise als ein System darstellen sollte. Denn nach Kant hat die teleologische (i.e.S.) Beurteilung der Dinge als Naturzwecke nichts mit dem Gefühl der Lust oder Unlust zu tun. Sie ist kein Erkenntnisurteil im eigentlichen Sinne, sondern ein objektbezogenes Reflexionsurteil. Nur die Betrachtung der Natur im Ganzen als System nach Zwecken bewirkt ein Gefühl der Bewunderung und die Liebe der Natur. Beide Gemütszustände sind mit dem religiösen Gefühl verwandt. Auf solche Weise vollzieht sich der komplett gefühlsmäßige Übergang von der Natur zur Freiheit durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur.
4.4 Transzendentale Deduktion der Zweckmäßigkeit der Natur Systematisch betrachtet gehört der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Fassungskraft mit dem der reflektierenden Urteilskraft zu den wichtigsten Begriffen der KU. Der Zusammenhang von beiden Begriffen ist leicht einzusehen. Die Zweckmäßigkeit der Natur als transzendentales Prinzip wird im Rekurs auf das allgemeine Verfahren der reflektierenden Urteilskraft gerechtfertigt. 61 Kants kritische Auffassung der Zweckmäßigkeit der Natur stimmt mit seiner »transzendentalen Reflexion« (KrV, A262/B318) überein, die die Art kennzeichnet, etwas in bezug auf das menschliche Erkenntnisvermögen zu vergleichen und zu betrachten. Die subjektiv61
Zur reflektierenden Urteilskraft vgl. § 1.2 f. (S. 53 ff.); zur transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur vgl. § 2, S. 107 f.
294
notwendige Annahme der Erfahrung als System für die Urteilskraft hat ihren Grund in der Diskursivität unseres Verstandes. Ein anschauender Verstand als übersinnlicher Grund der Systematizität der Erfahrung dient nach Kant nicht zum Erkennen der Natur als solche, sondern lediglich für uns zum Begreifen der Einheit der phänomenalen Welt. Die Zweckmäßigkeit der Natur läßt sich nach Kant in dreifacher Hinsicht betrachten, nämlich die transzendentale Zweckmäßigkeit der Natur, die Technik der Natur und die Welt als Schöpfung. Dabei beziehen sich menschlicher Verstand, Natur und Gott in einem Gedankenkomplex aufeinander. Die Technik der Natur und die Welt als Schöpfung können dogmatisch aufgefaßt werden, oder kritisch in dem Sinne, daß sie lediglich in bezug auf die »Technik der Urteilskraft« interpretiert werden, als ob die Natur selbst produktiv wäre, und die Welt von einem anschauenden Verstand hervorgebracht würde. Im folgenden konzentrieren wir uns auf die transzendentale Zweckmäßigkeit, und zwar nur auf ihre Darstellungen in beiden Einleitungen. Die Differenz in beiden Einleitungen und das Verhältnis der transzendentalen Zweckmäßigkeit zu Vernunftideen der systematischen Einheit in der KrV werden nicht berücksichtigt.62 Das Kantische System der Kritik der menschlichen Vernunft gerät durch die ursprünglich nicht geplante KU in eine konzeptuelle Verschiebung. Die erkenntnistheoretische Funktion der systematischen Einheit gehört in der KU zur Aufgabe des Verstandes (i.w.S.), der nun für alle Naturerkenntnisse zuständig ist (vgl. z.B. KU, XXV, XXXIX). Aus der Sicht der KU wird dem Verstand die logische Funktion der Vernunft zugeteilt, welche ursprünglich in der KrV zur transzendentalen Dialektik und Methodenlehre gehört. Die Prinzipien der systematischen Einheit lassen sich im begrifflichen Rahmen der KrV nur schwer einordnen. Ihnen fehlt eine angemessene 62
Vgl. EE, § II, IV, V; KU, § IV, V, VI. – Zum Problem des Verhältnisses zwischen der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur und der Vernunfteinheit vgl. z.B. B. Thöle; R.-P. Horstmann (1997) S. 109-180; Gr. Schiemann (1992); J. Peter; P. Guyer (1990); R. Brandt (1989), G. Buchdahl (1981); Th. E. Wartenberg; H. Mertens; G. Lehmann (1971); R. Zocher.
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Stelle im System der Erkenntnisvermögen. Die Ideen der Vernunfteinheit sollten einerseits als objektbezogene Vorstellungen nach der KrV keine »bloß logischen«, sondern »transzendentale« Prinzipien sein.63 Die »transzendentalen« Prinzipien dürfen anderseits nach der transzendentalen Analytik nur die Verstandesgesetze sein, da die »transzendentalen« Prinzipien der Vernunft für uns »transzendent« sind. Durch das neue Konzept der Heautonomie der Urteilskraft wird die Aporie der Vernunftideen der systematischen Einheit in gewissem Sinne gelöst. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur gehört nun allein zur reflektierenden Urteilskraft. Die epistemische Leitfunktion der Vernunftideen bleibt als Ideal der Erkenntnis in der KU jedoch erhalten.64 Im großen und ganzen ist die KU mit den zentralen Thesen der KrV nicht unverträglich, und das transzendentale Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ist sozusagen eine Ausarbeitung dieser Prinzipien. Diese These läßt sich im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich erörtern, weil sie ohne eine detaillierte Analyse der KrV nicht begründet werden kann. Die Paragraphen IV und V der zweiten Einleitung werden in Analogie zu der metaphysischen und der transzendentalen Deduktion der Kategorien konzipiert. Die transzendentale Zweckmäßigkeit der Natur bezieht sich lediglich auf die Gesetzgebung des Verstandes und dessen notwendige Aufgabe der Auffindung der Naturgesetze (vgl. KU, § VI, XXXVIII f.). Die Urteilskraft als Instanz der Ausführung der Grundsätze des Verstandes legt der Natur in Ansehung dessen Erkenntnisabsicht die Zweckmäßigkeit oder den Zweck bei, nicht weil die Natur an sich zweckmäßig ist, oder ihre besonderen Gesetze selbst systematisch sind, sondern weil unser Verstand ohne diese Voraussetzung die Naturerkenntnis als solche nicht einzusehen vermag. Wir können freilich beliebig dichten. Wenn aber Begriffe als Begriffe von Objekten, Erkenntnisse als Erkenntnisse der Natur gelten können, kann unser Verstand nicht umhin, auf die sys63
Die systematische oder zweckmäßige Einheit der Natur läßt sich im Anhang zur transzendentalen Dialektik der KrV entweder als transzendentales Prinzip der Vernunft oder als logisches Prinzip mit der transzendentalen Voraussetzung betrachten. 64 Siehe § 2, Anm. 60 (S. 106 f.).
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tematische Einheit als einzig sicheres Kriterium der Wahrheit zurückzugreifen, weil unser Verstand (i.w.S.) selbst systematisch ist. »Das Gemüth sucht alles in ein System zu bringen« (R462, 70er, XV190) – schreibt Kant in einer Notiz zu § 572 (über »ingenium«, »Witz«) der Metaphysica Baumgartens. Die systematische Einheit ist kein Begriff der Urteilskraft, sondern sie gehört ursprünglich zu Verstand oder/und Vernunft. Der eigentümliche Begriff der Urteilskraft ist die Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen. »Allein daß die Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen, bei aller unsere Fassungskraft übersteigenden, wenigstens möglichen Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit, doch dieser wirklich angemessen sei, ist, soviel wir einsehen können, zufällig; und die Auffindung derselben ist ein Geschäft des Verstandes, welches mit Absicht zu einem notwendigen Zwecke desselben, nämlich Einheit der Prinzipien in sie hineinzubringen, geführt wird; welchen Zweck dann die Urteilskraft der Natur beilegen muß, weil der Verstand ihr hierüber kein Gesetz vorschreiben kann« (KU, § VI, XXXIX).
Weil der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur keine Bestimmung des Objekts betrifft, sondern bloß subjektive Gültigkeit hat, gehören die metaphysische und die transzendentale Deduktion derselben eng zusammen. Der § V wiederholt eigentlich die Argumentation aus § IV, in dem die Notwendigkeit der Annahme eines eigenen Prinzips der Urteilskraft im Rekurs auf den objektiven Gebrauch der Urteilskraft beim empirischen Erkennen erwiesen wird. Kants Darstellung und Deutung der Zweckmäßigkeit der Natur ist in beiden Einleitungen sehr verwirrend. Das Strittige ist die Interpretation des transzendentalen Status des Prinzips der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur. Es fragt sich, ob das neue Konzept eines bloß subjektiv transzendentalen Prinzips mit der ursprünglichen Idee der objektiv transzendentalen Prinzipien der KrV verträglich ist. Das subjektiv Transzendentale ist meines Erachtens verträglich mit dem zentralen Gedanken der »transzendentalen« 297
Prinzipien der KrV als Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung, insofern als man unter ›transzendentalen Prinzipien‹ nicht in ihrem engsten Sinne Verstandesgesetze a priori verstehen muß. Im letzteren Sinne ist ein bloß subjektiv transzendentales Prinzip unmöglich. Die transzendentalen Verstandesgesetze sind auch subjektiv gegenüber der Natur an sich, aber zugleich doch objektiv für die Gegenstände der Erfahrung. Die transzendentale Zweckmäßigkeit selbst ist bloß subjektiv gültig, nämlich nur für Menschen, die nicht skeptisch sind. Ihr Gebrauch ist aber mit den Objekten der Erfahrung verbunden. Sie ist eigentlich die subjektiv notwendige Voraussetzung der Anwendung der Verstandesgesetze auf die Erscheinung. Ohne sie entspringt keine empirische Objektivität. Folgende Definition umfaßt die subjektiv und die objektiv transzendentalen Prinzipien. Sie ist verträglich mit der Definition der »transzendentalen« Erkenntnis in der KrV (B25). »Ein transzendentales Prinzip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können« (KU, XXIX).
Wir fassen nun die Bestimmung der transzendentalen Zweckmäßigkeit zusammen: 1. Dieses Prinzip ist seinem Ursprung nach nicht empirisch, nicht metaphysisch, sondern transzendental65, weil es sich lediglich auf die Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft in Ansehung der Möglichkeit der Erfahrung gründet. »Denn der Begriff von den Objekten, sofern sie als unter diesem Prinzip stehend gedacht werden, ist nur der reine Begriff von Gegenständen des möglichen Erfahrungserkenntnisses überhaupt und enthält nichts Empirisches« (KU, XXX). 2. Es ist mithin bloß subjektiv 66 (im Gegensatz zur autonomen Gesetzgebung des Verstandes und der Vernunft), weil das Prinzip nur eine Maxime, eine subjektiv notwendige Voraussetzung 65 66
Vgl. KU, XXVII; EE, XX209 f., 211 Anm., 214, 242 f. Vgl. KU, XXI, XXVII; EE, XX204, 209, 215, 221, 248.
298
der Urteilskraft ist, die Naturerkenntnis zu erwerben und die Erfahrung zu organisieren, obwohl wir den objektiven Grund (die objektive Notwendigkeit) dieser Voraussetzung nicht einzusehen und zu beweisen vermögen.67 3. Es ist ferner bloß formal und unbestimmt68, weil die Natur hier als Gegenstand der Sinne nur im allgemeinen in bezug auf die Urteilskraft als faßlich gedacht wird. 4. Es ist seinem Gebrauch nach nicht konstitutiv (objektbestimmend), sondern regulativ69, weil die Zweckmäßigkeit der Natur keine Kategorie, sondern ein Reflexionsbegriff der Urteilskraft ist,70 der zur Beobachtung und Erforschung der Natur dienen kann. Es ist mithin heuristisch.71 Ihm zufolge läßt sich die Methode der Naturforschung entwickeln. 5. Schließlich gibt Kant dem Prinzip eine systematische Bedeutung. Nach ihm läßt sich die Natur im Ganzen als ein System nach Zwecken deuten. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur macht den Übergang von der Natur zur Freiheit möglich.72 Der Nachweis der subjektiven Notwendigkeit der Annahme der transzendentalen Zweckmäßigkeit vollzieht sich nach Kant in Ansehung der Möglichkeit der Erkenntnis als System in drei Schritten: 1. Die Möglichkeit der Erfahrung hat ihren objektiven Grund in unserem Verstand, insofern als dieser Grund sich a priori von uns einsehen läßt (vgl. KrV, A114, B163 ff.). Die allgemeinen Naturgesetze beruhen auf dem System der Kategorien und der Grundsätze des Verstandes, wodurch die Natur überhaupt (als Gegenstand möglicher Erfahrung) a priori bestimmt ist, und 67
Vgl. KU, XXXII ff.; Entdeckung, A124/VIII250. Vgl. KU, XLI, LI f.; EE, XX214, 216, 218, 221, 243. 69 Vgl. KU, LVII, 270, 294 f., 331, 344; EE, XX251. 70 Vgl. KU, XXVII f.; EE, XX219 f., 234 f.; R6361, XVIII 690; ferner M. Steckelmacher S. 77 ff. 71 Die heuristische Funktion des Zweckmäßigkeitsprinzips steht in engem Zusammenhang mit der Lösung der teleologischen Antinomie (vgl. EE, § VI, § IX). – Siehe dazu § 2, S. 130 ff. 72 Vgl. KU, LV f., XIX f.; EE, XX246 f. 68
299
wodurch die Naturdinge überhaupt in einem durchgängigen Zusammenhang untereinander stehen (vgl. KU, XXXIII). Zugleich werden aber die Zufälligkeit der empirischen Bestimmung der Gegenstände der Erfahrung und die Möglichkeit der Heterogenität der mannigfaltigen Formen (Arten) der empirisch besonderen Gesetze von unserem Verstand a priori erkannt, weil die besonderen Naturformen außer ihren apriorischen Bestimmungen noch mannigfaltig bestimmbar sind, soweit unser Verstand sie a priori ausmachen kann (vgl. KU, XXXII). Die besondere Natur ist in dreifacher Hinsicht 73 zufällig, d.h. sie kann nicht a priori erkannt werden: Die einzelnen Wahrnehmungen können sich zu einem empirischen Gesetz qualifizieren, die empirisch besonderen Gesetze lassen sich unter höheren subsumieren, und die empirischen Gesetze können in ihrem durchgängigen Zusammenhang eine systematische Einheit ausmachen (vgl. EE, XX210). 2. Nach dem Begriff der Natur und der Einheit der Erfahrung im transzendentalphilosophischen Sinne muß aber die systematische Einheit der Natur bzw. der Erfahrung74 nach empirischen Gesetzen angenommen werden, ohne daß wir ihre (objektive) Notwendigkeit jemals einzusehen und zu ergründen vermögen. Denn ohne diese subjektive Voraussetzung wären keine empirischen Gesetze möglich, weil das rein Zufällige sich nicht zum Gesetzlichen qualifizieren darf, und mithin gäbe es keine empirischen Erkenntnisse, die aufgrund ihrer »objektiven« Notwendigkeit von der Meinung und dem Glaube unterschieden 73
I. Bauer-Drevermann stellt die Zufälligkeit im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeit der Natur unter einem anderen Aspekt dar: »In der Einleitung wird Zufälligkeit vor allem für drei Bereiche ausgesagt: für die empirischen Gesetze (XXVI, XXXIII), für die Natureinheit nach empirischen Gesetzen (XXXIII, XXXV) und für die Zusammenstimmung der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit mit unserem Erkenntnisvermögen (XXXVI, XXXVIII, XLV)« (S. 497). 74 Vgl. EE, § IV und § II, XX203. Kant betrachtet in beiden Einleitungen »die Natureinheit nach empirischen Gesetzen und die Möglichkeit der Einheit der Erfahrung (als System nach empirischen Gesetzen)« (KU, XXXIII) als Wechselbegriffe.
300
sind, und folglich wäre Erfahrung unmöglich. Dies widerspricht aber den Grundsätzen des Verstandes, weil Erfahrung gerade dadurch möglich gemacht werden muß (vgl. EE, XX203 f.). »[Al]so muß die Urteilskraft für ihren eigenen Gebrauch es als Prinzip a priori annehmen, daß das für die menschliche Einsicht Zufällige in den besonderen (empirischen) Naturgesetzen dennoch eine für uns zwar nicht zu ergründende, aber doch denkbare, gesetzliche Einheit in der Verbindung ihres Mannigfaltigen zu einer an sich möglichen Erfahrung enthalte« (KU, § V, XXXIII; vgl. EE, XX209 f., 213 f.).
3. Auch wenn die Natur in ihren empirischen Gesetzen wirklich eine systematische Einheit ausmachen würde, bedeutet dies noch nicht, daß sie für uns faßlich sein könnte. Denn es ist möglich, daß die Natur eine systematische Ordnung hat, die aber für uns unfaßbar ist. Es ist subjektiv notwendig anzunehmen, daß die Natur nicht nur systematisch verfaßt ist, sondern auch ihre Ordnung für uns faßlich ist. Die Urteilskraft hat also für die Möglichkeit der Erfahrung ein Prinzip a priori, daß die Natur unserem Erkenntnisvermögen angemessen ist, wodurch es ihre Ordnung zu erkennen vermag.75 Denn ohne diese Voraussetzung wäre die Anwendung der Grundsätze des Verstandes auf die Natur in Ansehung ihrer empirischen Gesetze unmöglich, folglich auch keine Erfahrung möglich.76 Würde die Natur unserer subjektiven Erkenntnisabsicht nicht entgegenkommen, wäre unsere Welt (Erfahrung) zerstreut wie ein bloßer Traum (vgl. KrV, A112, A201 f./B247 f.) ohne Objektivität und wie ein »Gewühle von Erscheinungen« (KrV, A111) ohne Ordnung. Der erste Schritt gründet sich auf die Diskursivität unseres Verstandes.77 Er ist problemlos, wenn man Kants Lehre der transzendentalen Grundsätze akzeptiert. Der zweite ist strittig, weil die 75
Vgl. EE, XX202 f.; XX209; KU, XLI f.; dazu B. Thöle S. 130. Vgl. KU, XXXV; EE, XX203, XX211 Anm.; KrV, A110 ff., A121 ff., B147 f. 77 Vgl. § 1, S. 48 ff. und § 2, S. 133 ff. 76
301
»Einheit« der Erfahrung bei Kant vieldeutig ist. Sie kann die Verstandeseinheit oder Vernunfteinheit im Sinne der KrV bedeuten. Oder es kann nach der EE und der KU auch die analytische oder synthetische Einheit der Erfahrung gemeint sein (vgl. EE, XX203 Anm.). Analytisch ist die Einheit der Verstandesgesetze, synthetisch die »Einheit der Erfahrung (als Systems nach empirischen Gesetzen)« (KU, XXXIII). In der KU ist eine stillschweigende Korrektur vorgenommen worden. Die »systematische Einheit« der Erfahrung ist hierbei sozusagen eine Synthesis von transzendentaler Verstandeseinheit und logischer Vernunfteinheit. Die logische Funktion der Vernunft ist notwendig für den Erwerb von Wissen. Sie muß deswegen zur »Logik der Wahrheit« (KrV, A62/B87, A131/B170) gehören. Die systematische Einheit der Erfahrung oder das System der Natureinheit nach empirischen Gesetzen ist objektbezogen, obwohl sie wegen der Natur unseres Verstandes subjektiv gültig ist.78 Der dritte Schritt gehört zur Urteilskraft. Er beruht auf der allgemeinen Zweckmäßigkeit der Natur. Das Prinzip der subjektiven, bloß formalen Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen besteht also aus zwei Komponenten: nämlich der Systematizität der Natur und der Faßlichkeit der Natur für uns. Erstere betrifft Sachliches. Die Natur in Ansehung ihrer besonderen Gesetze als System ist eine Forderung aus unserem »Verstandesbedürfnis«79. Denn unsere Erfahrung ist durch die synthetische Einheit des Selbstbewußtseins notwendigerweise systematisch. 80 Die Voraussetzung der Faßlichkeit der Natur ist nicht überflüssig, sondern notwendig für die vernünftige Naturbetrachtung. Die Zweckmäßigkeit der Natur als »Gesetzlichkeit des Zufälligen« ist eine Art der Rationalisierung (Organisierung) der Naturphänomene. Beide Momente werden durch den Begriff der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur verknüpft. Das Prinzip der transzendentalen Zweckmäßigkeit stellt »nur die einzige Art [vor], wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung ver78
Vgl. § 1, S. 60 f.; § 2, S. 108 und § 3, S. 155 f., 195 ff. KU, XXXVIII; vgl. XXXIII; EE, XX205, 208. 80 Vgl. EE, XX209; KrV, A216/B263. 79
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fahren müssen« (KU, XXXIV). Die Systematizität ist das einzige sichere Kriterium unserer Erfahrung für die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Schein, bzw. zwischen empirischen Gesetzen und akzidentellen Regularitäten.81 Die »systematische Einheit der Verstandeserkenntnisse […] ist der Probierstein der Wahrheit der Regeln«82. Allerdings ist der Realgrund der empirischen Übereinstimmung von Natur und Verstand nach Kant theoretisch unerkennbar, weil dazu außer der Gesetzgebung des Verstandes für eine Natur überhaupt noch ein uns unbekanntes Prinzip von seiten der von uns unabhängigen Gegebenheit des Materials erfordert (vgl. KU, XXVI). Aber wir könnten mindestens unserer Natur nach durch die Idee der Zweckmäßigkeit der Natur eine Idee des Übersinnlichen als Grund der Möglichkeit der Übereinstimmung denken, und wenn die Natur im Laufe unserer Erforschung und Beobachtung trotz ihrer Mannigfaltigkeit der Formen sich dennoch als ein faßliches System für unser Erkenntnisvermögen zeigt, wird das Prinzip der Urteilskraft dadurch (zumindest in Bewährung) nicht nur bestätigt, sondern es wird auch eine Bewunderung in unserem Gemüt erweckt. Denn obwohl das Prinzip notwendig ist und es »ein Geheiß unserer Urteilskraft [ist], nach dem Prinzip der Angemessenheit der Natur zu unserem Erkenntnisvermögen zu verfahren« (KU, XLI), ist dennoch das Prinzip nur subjektiv und im Grunde eine Hoffnung (Erwartung), daß die Natur unserer Absicht entgegenkomme (vgl. KrV, A691 f./B719 f.). Die Urteilskraft kann ihrer Natur nach nicht wie die Vernunft (i.e.S.) »gebieten«, sondern nur mit Hilfe eines vernünftigen, ihrer Natur angemessenen Prinzips »betteln« (vgl. KrV, A653/B681). In der KU kommen zwei verschiedene Naturauffassungen (Mechanismus und Teleologie) in Betracht, in der KrV steht die Teleologie dagegen nur im Hintergrund. In der mechanistischen Naturauffassung steht die Natur (als Objekt) der Vernunft (als Subjekt) gegenüber, in der teleologischen Weltauffassung bilden sie eine Partnerschaft. Durch die Betrachtung des Organismus als »A81 82
Vgl. B. Thöle S. 126 ff. KrV, A647/B675; vgl. A651/B678, A492/B520 f., A425/B453, A293 f./B350, A671/B699 u. A64 f./B89 f.
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nalogon des Lebens« und der gesamten Natur als System nach Zwecken wird die Natur in gewissem Sinne als Subjekt (zumindest nicht mehr als bloßes Objekt) anerkannt, und die Macht des Menschen über die Natur wird entsprechend als die Verantwortung des Menschen für die Geschichte und die Entwicklung der Natur neu interpretiert, in der der Mensch selbst ein Glied ist (vgl. KU, 303).
304
Bibliographie Abkürzungen Th. d. Himmels
Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755)
Nova Dilucidatio
Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis (1755)
Spitzf.
Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762)
Beweisgrund
Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (11763; 2 1770; 31783)
Deutl.
Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. Zur Beantwortung der Frage, welche die Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf das Jahr 1763 aufgegeben hat (1764)
De mundi
De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen (1770)
KrV
Kritik der reinen Vernunft (11781; 21787; 1790)
3
Prol.
Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783)
Allg. Gesch.
Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)
GMS
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (11785; 21786)
MAN
Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (11786; 21787; 31800)
S. i. D. orient.
Was heißt: Sich im Denken orientieren? (1786)
Gebrauch
Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788)
KpV
Kritik der praktischen Vernunft (1788)
EE
Erste Einleitung in die „Kritik der Urteilskraft“ (1789/90; 11914)
KU
Kritik der Urteilskraft (11790; 21793; 31799)
Entdeckung
Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll (11790; 2 1791)
Theodizee
Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee (1791)
Religion
Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (11793; 21794)
Gemeinspruch
Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793)
Frieden
Zum ewigen Frieden (11795; 21796)
Ton
Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (1796)
306
Fried. i. d. Ph.
MAR MAT
Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie (1796) Die Metaphysik der Sitten (11797; 21798) I. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre II. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
Streit
Der Streit der Fakultäten (1798)
Anthr.
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (11798; 21800)
Fortschritte
Über die von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? (Rink, 1804)
PM
Kants Vorlesungen über die Metaphysik (Pölitz, 1821)
Op. post.
Opus postumum
Enzykl.
Philosophische Enzyklopädie (1775, vgl. XXIX664 ff.)
R
Reflexion (mit Angabe der Nummer)
W
Weischedel-Ausgabe (mit Band- und Seitenzahl)
307
Angabe
der
Zitierweise Die Schriften Kants werden mit der Original-Paginierung nach der Weischedel-Ausgabe zitiert, die Band- und Seitenzahl der Akademie-Ausgabe wird an zweiter Stelle angegeben. Für die Nachlaßtexte wird die Akademie-Ausgabe mit der Band- und Seitenzahl herangezogen, ausgenommen: 1). KrV nach der Meiner-Ausgabe (phil. Bibl. Bd. 37a); 2). KU nach der Meiner-Ausgabe mit der Original-Paginierung nach B (phil. Bibl. Bd. 507); 3). EE nach der Frank/Zanetti-Ausgabe mit der Band- und Seitenzahl der Akademie-Ausgabe; 4). Kants Briefwechsel nach der Meiner-Ausgabe (phil. Bibl. Bd. 52a/b); 5). Metaphysik-Pölitz mit der Original-Paginierung nach der Darmstadt-Ausgabe. Auf die Sekundärliteratur wird durch Verfassername (sofern nötig: zusätzlich mit Erscheinungsjahr) und Seitenzahl Bezug genommen. Die von den Verfassern hervorgehobenen Ausdrücke werden durch die Sperrung wiedergegeben. Alle in Zitaten kursiv gedruckten, und in eckigen Klammern eingefügten Wörter stammen von mir selbst.
308
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