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IN JEDES HAUS GEHÖRT DIESES WERK das ist das überzeugende Urteil von Presse und Rundfunk über die große, spannend geschriebene Weltgeschichte „Bild der Jahrhunderte" des Münchner Historikers Otto Zierer. Von ungeheurer Dramatik sind die Bände dieses neuartigen, erregenden Geschichtswerkes erfüllt. Hier sind nicht, wie in Lehrbüchern alter Art, die historischen Ereignisse mit trockener Sachlichkeit aneinandergereiht: die Vergangenheit wird vor dem Auge des Lesers in kulturgeschichtlichen Bildern zu neuem Leben erweckt. Menschen wie Du und ich schreiten über die wechselnde Bühne der Geschichte und lassen den Ablauf der Jahrhunderte, das Schauspiel vom Schicksal der Menschheit, ergriffen miterleben. Zierers „Bild der Jahrhunderte" ist ein Werk für die Menschen unserer Zeit, für die Erwachsenen wie für die Jugend. DER
KAUF
LEICHT
G E M A C H T . . .
„Schüler, deren Eltern das Bild der Jahrhunderte zu Hause haben, sind die besten Geschichtskenner in meinen Klassen", schreibt ein bekannter Erzieher. Der Verlag hat die Beschaffung der Bücherreihe leicht gemacht. Um jeder Familie den Kauf dieses prächtig ausgestatteten Standardwerkes zu ermöglichen, werden günstige Zahlungserleichterungen eingeräumt. Das „Bild der Jahrhunderte" kann auf Wunsch bei sofortiger Lieferung ohne Anzahlung gegen zwanzig Monatsraten erworben werden: DM10,90 für die RotleinenAusgabe, DM 1375 für die Lux-Luxus-Ausgabe. Das Werk besteht aus zwanzig Doppelbänden, dem Band 41/44 und dem Historischen Lexikon; es umfaßt rund 8000 Seiten. 189 ausgewählte Kunstdrucktafeln, 500 Lexikonbilder und 124 historische Karten ergänzen den Text. Jeder Band enthält Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen und Zeittafeln.
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UND
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HANS WILHELM SMOLIK
Tiere im Dienste der Pflanzen scanned by Manni Hesse
VERLAG S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Pflanze und Tier X_j s war kurz vor der ersten Mahd. Die Wiesen prangten im vollen Blumenschmuck, seidig schimmerten die wogenden Getreidefelder. Der Mohn und die Kornblume webten bunte Säume um das Meer der Halme. Schmetterlinge schaukelten wie fliegende Blüten, Hummeln brummelten, Bienen summten, Libellen schössen knisternd und raschelnd vorüber und wie funkelnde Edelsteine standen Schwebfliegen und Raubwespen in der Luft. Auf einer kobaltblauen Kornblume am Feldrain im Talgrunde landet ein Perlmutterfalter. Es m u ß ein Anfänger sein; sonst steckte er seinen Rüssel nicht in die großen Randblüten der Kornblume. Die tiefausgezackten und besonders auffälligen Randblüten sind nämlidi nichts als Schauapparate der Blume, Reklameplakate, weithin leuditende Lockmittel für die umherschwirrenden Insekten. Sie enthalten weder Nektar nodi Pollen. Aber der Perlmutterfalter hat seinen Irrtum schon eingesehen; enttäuscht rollt er seinen Rüssel wieder auf und trippelt nun in die Mitte des Blütenkörbchens, das aus vielen kleinen Einzelblüten zusammengesetzt ist. Auch diese Vereinigung von vielen kleinen Blüten zu einem ansehnlichen Körbchen ist ein besonderer Werbetrick der Blumen; aber diesmal enttäuscht die Lockung nidit. Der Falter versucht es mit einer dieser kleinen Blüten. Und jetzt hat er Glück. Er findet im Grunde des schmalen Kelches reidilidi Nektar und stillt seinen Durst. Plötzlidi aber zuckt er überrascht zurück. Ziemlich jäh quillt goldener Blütenstaub empor. Rüssel und Kopf des Falters sind dick bepudert. Ein wenig benommen hebt sich der bunte Gast auf und fliegt zur nächsten Blüte. Was ist geschehen? Der in die Tiefe des Kelches dringende Falterrüssel hat die leicht reizbaren Fühlhaare der Staubgefäße berührt, jäh zogen sie sich zu2
sammen. Durch diese Verkürzung der Staubgefäße wurde die ganze Staubbeutelröhre zusammengezogen und wirbelte den in ihr lagernden Blütenstaub heraus. Der Griffel am Grunde der Röhre wirkte dabei wie der Kolben einer Pumpe; oder, da er mit einem Haarkranz versehen ist, wie eine Zylinderbürste, die den Pollen hinauskehrte. Der Griffel selbst ist zu dieser Zeit noch geschlossen, also nicht empfängnisbereit und kann deshalb auch nicht vom eigenen Pollen bestäubt werden. Erst viel später spreizen sich seine Narben auf. Dann aber ragt er bereits hoch aus dem kleinen Blütenkelch und kann nur noch von dem Blütenstaub, den die besuchenden Insekten von anderen Blumen mitbringen, befruchtet werden. Die Kornblume ist wie viele andere Pflanzen erst männlich und dann weiblich, um die Selbstbestäubung zu vermeiden. Was hat uns dieser kleine Vorgang nun alles gelehrt? Er hat uns vor allen Dingen bewiesen, daß es die Pflanze versteht, die Insekten anzulocken. Als Lockmittel dienen die leuchtenden Farben, die vergrößerten Randblüten und die Vereinigung vieler kleiner Blüten zu einem großen und weithin sichtbaren Blütenkorb. Damit das herangelockte Insekt den gewünschten Bestäubungsdienst durchführt, werden ihm Nektar und Pollen angeboten. Um den Bestäubungsvorgang zu sichern, werden komplizierte Mechanismen in die Blüte hineingebaut, die sich durch die leiseste Berührung auslösen und rasche und zweckgerichtete Bewegungen ausführen. Die Gier und der Hunger des Insekts werden ausgenützt und das Tier selbst durch Überlistung in den Bestäubungsdienst gespannt. Denn auf die Bestäubung mit dem Blütenstaub anderer Blüten durch das Insekt kommt es an. Nur zu diesem Zweck entwickelt die Pflanze Blüten. Nur deswegen stellt sie Staubgefäße auf. Nur deshalb lockt sie das Insekt zu sich. Der Blütenstaub soll vom Staubgefäß der einen Blüte zum Stempel der anderen Blüte verfrachtet werden. Dadurch kreuzen sich die Anlagen und Kräfte der Pflanzen, dadurch wird sozusagen immer wieder frisches Blut in die einzelnen Pflanzenfamilien getragen. Der Stempel der Pflanze, das ist der mütterliche Schoß. Das Blütenstaubkörnchen, das ist der befruchtende Samen. Und das Staubgefäß, das ist der männliche Teil der Pflanze. Das Insekt, das nun die Blüten wegen des dargebotenen Nektars besucht, trägt also den Samen von dem männlichen Teil der einen Blüte zum weiblichen Teil der anderen Blüte. Und dieser weibliche Teil, also der Stempel, nimmt nun den Samen, also den Blütenstaub, auf, der aus den Staubgefäßen, also von den männlichen Teilen der gleichen Pflanzenart stammt. Dieses Blütenstaüb3
körndien bleibt dann auf dem Stempel haften und Wächst wie eine kleine Wurzel bis zum Fruchtknoten- oder zur Samenknospe im Innern des Stempels hinab. Dort erfolgt dann die Befruchtung. Die Pflanze tritt uns also als ein Lebewesen gegenüber, das Mittel und Wege findet, das Tier an sich zu ziehen, zu verlocken und durch Geschenke zu überlisten. Sie erscheint uns plötzlich als ein Geschöpf, das von einem starken Lebenswillen erfüllt ist, das zweck- und zielgerichtet handelt, das plant und vorausbedenkt, das sich hier in seiner „Intelligenz" dem Tier sogar als überlegen erweist. Es fällt uns schwer, die Pflanze als ein solches Geschöpf anzusehen, sie überhaupt als ein empfindendes Lebewesen anzusprechen. Es fällt uns darum besonders schwer, weil die Pflanze so ganz anders als wir Menschen und die uns mehr oder weniger vertrauten Tiere ist. Fest an den Ort gebunden, den ihr der Zufall zuwies, stumm und in allen ihren Lebensäußerungen verhüllt, steht uns die Pflanze fremd gegenüber und beantwortet nur widerwillig und unzureichend unsere dringenden Fragen. Schon ihre Nahrungsaufnahme, die Fähigkeit, aus Licht und Wasser und Kohlenstoff wie eine Wundermaschine Kohlenhydrate, Fette und Öle, Eiweißstoffe, Harze, organische Säuren und Farbstoffe zu produzieren, ist uns im Grunde etwas durchaus Unbegreifliches und Fremdes. Auch die anerkannte Tatsache, daß alle anderen Lebewesen, vom allereinfachsten Tier bis zu uns Menschen, von der Pflanze leben, daß die Pflanze überhaupt die elementarste Voraussetzung für jegliches tierische Leben darstellt, bringt sie uns nicht näher. Und doch hat die Pflanze von dem Tage an, da sie aus ihrem Urlebensraum, dem Wasser, an Land ging und sich den neuen Lebensbereich in der Breite und Höhe eroberte, Wunder über Wunder vollbracht, hat sich in genialer Weise allen Wandlungen der Erdoberfläche und allen klimatischen Revolutionen angepaßt. Es ist wirklich ein langer und schwerer Weg gewesen, den die Pflanze bis zu ihrer heutigen Vervollkommnung gegangen ist. Denn es war ja nicht immer so, daß die Pflanze um das Tier warb und das Tier in ihre Dienste spannte. Das Tier war vielmehr zunächst der ausgesprochene Feind der Pflanze, der sie lediglich als Weide betrachtete. In unzähligen schweren Kämpfen hat sich die Pflanze dem Tier gegenüber behaupten müssen und ist erst ziemlich spät auf den Einfall gekommen, sich die Beweglichkeit des Tieres in diesem Existenzkampf zunutze zu machen. Seit dem T a S e aber, da sich die Pflanze der Flügel und der Beweglichkeit der Tierwelt bedienen lernte, da sie den Wind als einen unzuverlässigen Burschen erkannte und ihm das Bestäubungs4
monopol entzog, da sie den ersten Blütenkelch baute, haben sich die nutzbringenden Beziehungen zwischen Pflanze und Tier derartig vertieft und derartig innig verzahnt, daß sie heute wahrhaftig auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind. Natürlich hat im Verfolg dieser Entwicklung auch das Tier wieder anreizend und bestimmend auf die Pflanze eingewirkt, haben sich dadurch bestimmte Pflanzengattungen und bestimmte Tierarten aufeinander eingespielt und sozusagen einen geschlossenen Interessenkreis herausgebildet. Aber nicht zu vergessen ist, daß alle Anregungen eben doch von der Pflanze ausgingen, daß alle Erfindungen aus ihr heraus geboren wurden. Vielleicht gelingt es uns, durch die Betrachtung eben dieser Mittel und Wege, mit deren Hilfe die Pflanze das Tier an sich zieht, eine zweckmäßige Auswahl unter diesen Tieren trifft, sich den Auserwählten zuliebe zu den weitgehendsten Anpassungen an deren körperliche Eigenart und die Bedürfnisse bequemt, sich der Zurückgewiesenen mit Erfolg erwehrt, — vielleicht gelingt es uns durch solche Beobachtungen in ein neues und verständnisvolles Verhältnis zur Pflanze und zum Tier zu kommen. Um uns nun im folgenden klar und deutlich aussprechen zu können, werden wir oft von den Pflanzen und Tieren als wie von denkenden, planenden und empfindenden Geschöpfen sprechen. In Wirklichkeit aber ist uns besonders die Pflanze — wir sagten es schon — noch immer ein Buch mit sieben Siegeln, ein Buch, das dazu noch in einer Sprache geschrieben ist, die wir Menschen bisher nicht zu entziffern vermochten. Wenn wir aber diesen und jenen Vorgang schildern wollen, bleibt uns eben nichts anderes übrig, als in unserer menschlichen Sprache zu reden und oft auch menschliche Begriffe zu gebrauchen. Daran wollen wir immer denken, wenn wir im folgenden lesen: „Die Pflanze erfand oder dachte nach oder handelte so und so."
Verlockt und verführt Wir kehren zurück zu dem Tage, da die Pflanze dem unzuverlässigen Wind das Bestäubungsmonopol entzog. Bis zu jenem Tage, der einige Jahrmillionen zurückliegt, waren die meisten Pflanzen unserer Erde Windblütler, wie das noch heute alle Gräser, Nadelbäume und auch der Haselbusch sind. Insekten gab es 5
nachweisbar auch schon in jenen Urtagen 1 ). Nur waren sie damals noch keine Rüsselträger und Nektarschlemmer, weil es eben noch keine Blüten gab, die auf Insekten angewiesen waren. Aber der nahrhafte Staub der Windblütler hat den hungrigen Insekten sicherlich schon damals geschmeckt und es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß sie beispielsweise den goldenen Blütenstaubwürsten des Haselstrauches mit genau demselben Appetit wie heute zugesprochen haben. Die winzigen weiblichen Blüten des Haselstrauches aber, die einer kleinen Knospe ähnlich sehen und sich durch kaum sichtbare rote Fähnchen bemerkbar machen, haben die Insekten wohl nur zufällig einmal angeflogen und dabei ungewollt auch die Befruchtung vollzogen. Aber der Gedanke liegt nahe, daß die Pflanze dadurch angeregt wurde, ihre weibliche Blüte auffälliger und verlockender zu gestalten und so die Insekten auf sie hinzuweisen. Das Mehr an Stoffen und Kräften, das dieser Ausbau der Blüten erforderte, wurde zweifellos dadurch gerechtfertigt, daß nun die Befruchtung mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgte und der Wind nun nicht mehr soviel Samenstaubmassen wahllos irgendwohin vergeudete. Der Wind selbst war einfach dadurch auszuschalten, daß der Blütenstaub von der Pflanze nicht mehr in trockener Pulverform, sondern in klebriger Pollenform hergestellt wurde. Es kam nun nur noch darauf an, das Insekt von den männlichen Kätzchen zu den weiblichen Schößen hinüberzulocken, oder noch besser, beide Geschlechter in einer Blüte zu vereinigen. Das ist sehr schnell hingesprochen und stellt doch einen gewaltigen Entwicklungsschritt dar, dessen bewegende Kraft wir nicht kennen. Schauen wir uns doch einmal die einfachen und anspruchslosen und durchweg nur grüngefärbten Windblütler, die Gräser auf den Wiesen an, und vergleichen wir ihre zarten Blütenrispen mit den prächtigen Blütenkelchen der Insektenpflanzen! Welch eine Entwicklung! Welche Fülle von Formen und Gestalten! Welche Farbenpracht! Welch unübertreffliche Organisation des Gebildes! Welch architektonische Leistung! Welch vorbildhafte Technik! Und immer wieder, welches Farbenwunder! Es erweckt unsere tiefe Bewunderung, wenn wir beobachten, mit welcher Virtuosität die Blütenpflanzen die Farbe in den Dienst der Werbung gestellt haben. Vom zartesten Farbenhauch bis zur flam') Vgl. Lux-Lesebogen 41 „Der brennende Stein".
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menden und brennenden Farbenfackel, von der vornehmsten Zurückhaltung bis zur knalligen Protzerei, von der einfachsten Tönung bis zur raffiniertesten Effekthascherei, von der simpelsten Eintönigkeit bis zu den gewagtesten Farbzusammenstellungen, bis zu wahren Farborgeln werden alle Möglidikeiten durchgespielt. Und wo die einzelne Pflanze nicht in der Lage ist, die Blüte auffällig genug zu gestalten, da werden die kleinen blassen Blüten zu Trauben und Dolden, Ähren und Köpfchen, Körben und Schirmen vereinigt und wirken nun in ihrer Vereinigung so großartig, daß die Insekten immer wieder dieser Lockung verfallen. Doch die Farbe allein bietet noch nicht die Gewähr, daß das Insekt sich in einen zuverlässigen Bestäubungsdienst spannen läßt. Denn die meisten Insekten sind schwadisichtig und orientieren sich hauptsächlich durch den Gerudi. Die Blutenpflanzen verwandelten sich darum oft zugleich auch in Parfümfabriken und verströmten die herrlichsten und auserlesensten Düfte und — für besondere Liebhaber — auch die für menschliche Sinne widerwärtigsten Gerüche. Duft und Gestank erwiesen sich als zusätzliche Lockmittel, die die Insekten auch noch zu den verborgensten und unscheinbarsten Blüten führten. Farbe und Duft, das sind die Ausschreier der nach Fremdbestäubung verlangenden Pflanzen, sind die Anreißer, auf die Schmetterlinge und Käfer, Hummeln und Bienen, Fliegen und Wespen unwiderstehlich hereinfallen. Wer aber anspreist, wer verlockt und verspricht, der muß auch etwas zu bieten haben, sonst kann er nicht auf eine Stammkundschaft von Dauer rechnen. Die mit Erfolg durch Farbe und Duft auf die Blüten hingelenkten Insekten mußten nun sozusagen bei der Stange gehalten werden. Es galt, sich ihre Dienstwilligkeit zu sichern und ihren Bedürfnissen entgegenzukommen. Ohne lange zu zögern oder zu feilschen, übernahmen darum die Blütenpflanzen auch die Ernährung ihrer Bestäuber. Wer sich für den Bestäubungsdienst entschloß, hatte ausgesorgt. Mit süßen und konzentrierten Säften und mit nahrhaften Pollenbroten werden alle leiblichen Bedürfnisse der diensttuenden Insekten gestillt. Von der Bedeutung der tierischen Hilfe tief durchdrungen, bietet die Pflanze dem Tier nicht mehr und nicht weniger als ein vollkommen sorgenfreies Dasein an, sobald es sich in der Bestäubungsarbeit verdienstlich macht. Und mit diesem Angebot gewann sie sich die ganze in Frage kommende Insektenwelt. Aus den ehemaligen Feinden wurden so Verbündete und Freunde. Die kleinen Schlemmer und Zecher an den Freitischen der Blütenpflanzen haben allerdings keine Ahnung davon, warum die Pflanze
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so freigebig ist, sie wissen nicht, daß sie mit demselben Eifer, mit dem sie diese Freitische belagern, auch das Geschäft der Fremdbestäubung für die Pflanze vollziehen. Sie lachen sich sozusagen eins ins Fäustchen und ahnen nicht, daß sie in Wirklichkeit die Verlockten u n d Überlisteten sind. Doch nicht nur die Insekten hat die Pflanze in ihren Dienst gespannt. Im Dienste der Samenverbreitung wirken auch die Vögel mit. Auch diese Aufgabe wurde zu einer Magenfrage erhoben. Auch hier spielen Duft und Farbe mit. Die Pflanze „erfand", um auch die Vögel herbeizulocken, die bunte und aromatische Samenbeere. Sie begann, süße und saftige Kugeln zu bauen, die einen außerordentlichen Wohlgeschmack hatten und von den Vögeln mit wohligem Appetit aufgepickt wurden. In diese Beeren verpackte die kluge Pflanze gutgepanzerte feste Samenkörner, die unversehrt durch den Vogelmagen wandern können. Die Beerenfresserei wurde auch bald bei den Säugetieren beliebt. Ganz gleich, ob sie Fuchs, Dachs oder Bär hießen. Sie alle fielen auf diesen großartigen Trick der Pflanze herein und verbreiteten brav deren Samen, so gut sie es vermochten. Auch de» Mensch nahm an dieser Dienstleistung teil. Selbst solch langsame Außenseiter wie die Schnecken bekommen heute ihre Beerenfrucht vorgesetzt: Sie naschen die Erdbeere. In diesem besonderen Falle werden die Samenkörner ausnahmsweise einmal nicht in die Samenfrucht versteckt, sondern auf ihren roten Leib gesetzt. Das Heer der Ameisen aber begann die Samenkörner der benachteiligten Frühblüher zu verschleppen und damit für die Verbreitung von Veilchen, Lerchensporn, Märzglöckchen, Bärenlauch, Himmelsschlüsseln und Goldstern zu sorgen. Die Pflanze bot ihnen als Entgelt ihre angebackenen Ölbrote. Überhaupt „erkannte" die Pflanze sehr schnell die hohe Verwendungsmöglichkeit der emsigen Ameise und übertrug ihr außerdem, um nur einige Pflanzen zu nennen, den Schutz der Wiesenflockenblume, der Balsamine, der Wicke, des Holunders, der Espe, des Baumwollstrauches, der Orange und der Imbauba-Bäume. Diese sogenannten Ameisenpflanzen schwitzen zwischen ihren Knospenhüllblättern oder Laubblättern reichlich Nektar aus. Selbstverständlich versuchen die Ameisen, sich diese Gratisgaben zu sichern, und wachen deshalb eifersüchtig darüber, daß keine anderen Insekten die genannten Pflanzen besuchen. Sie bilden also eine Art Schutztruppe für die Ameisenpflanzen, die nun vortrefflich vor allen ande-1 ren tierischen Schädlingen bewahrt sind. Die amerikanischen Amei-"
senbäume entgelten die dortigen Aztekenameisen für diesen Schutzdienst sogar noch mit kleinen Nährbroten, die zwischen der Behaarung der Blätter wachsen. Wir sehen also, die Pflanze „versteht" es, fast die gesamte Tierwelt für sich zu gewinnen und zu überlisten. Scharf kalkulierend weiß sie die Werbekosten dem jeweiligen Aufgabenkreis anzupassen. Farbe und Duft sind ihre wirksamsten Anlockmittel. Süße Säfte, Pollen, Ölbrote und Beeren sind ihre Zahlungsmittel. Selbst freies Wohnen wird in besonderen Fällen gewährt. Und der Erfolg? Unzählige intelligente Geschöpfe stehen im Dienst der Pflanze. Alle müssen ihr helfen. Ob Ameise oder Bär, Schmetterling oder Amsel, Blumenkäfer oder Schnecke, Fliege oder Mensch, sie werden alle mit eingespannt. Und selbst die notorischen Fleischfresser, die mit keiner Pflanzengabe zu verlocken sind, werden erfaßt und bekommen den Samen der Kletten und Labkräuter mit feinen Widerhaken an ihren Pelz gehängt.
U m w o r b e n und verzaubert Das zunächst lockere Verhältnis zu den mit Farbe und Duft verleiteten und durch Geschenke bei der Stange gehaltenen Bestäubern vertiefte sich bald durch ein vielseitiges und weitgehendes Eingehen der Pflanzen auf die körperlichen und seelischen Eigenschaften der Tiere. Es bildeten sich innerhalb des großen Reigens intime erstaunliche Beziehungen zwischen den einzelnen Pflanzen und bestimmten Tierarten heraus. So können wir heute beobachten, daß diejenigen Pflanzen, die sich für Schmetterlinge als Bestäuber entschieden haben, ihre Blüten rot färben, weil das Schmetterlingsauge auf die rote Farbe ganz besonders lebhaft reagiert. Die leuchtend rote Steinnelke auf unseren Matten, die Lichtnelke im Wald und die meisten Nelken in unseren Gärten sind Schmetterlingsfreunde. Die Bienenfreunde dagegen vermeiden wieder das grelle und brennende Rot, bevorzugen eine violette oder gelbliche Farbmode. Salbeipflanzen sind solche Bienenpflanzen sowie die meisten der goldenen Frühlungsblumen. Audi mit dem weißen Brautkleid sind die Bienen zur Not noch anzulocken. Im allgemeinen jedoch haben die Freunde der Nachtfalter, nämlich 9
die Nachtblumen Zaunwinde, Jasmin, Jelängerjelieber und Stechapfel das durch die Dunkelheit schimmernde und leuchtende Weiß zu ihrer Leibfarbe erhoben. Die Hummelfreunde unter den Pflanzen fanden heraus, daß ganz besonders ein dunkles und bräunliches Gelb, wie es die Blüten der Waldschlüsselblumen, des Bilsenkrautes und der Tollkirsche aufweisen, das Hummelauge entzückt. Darüber hinaus „erkannten" die einzelnen Pflanzen bald, daß die Augen aller ihrer Bestäuber aus dem Insektenreich durchschnittlich recht schlecht waren und daß sie die Farben möglichst dick, knallig und grell auftragen mußten, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Auch recht effektvolle Farbzusammenstellungen erwiesen sich als erfolgreich. So hat der Wachtelweizen, der neben knallig blaue und purpurn violette Blüten auffällig gelbe Blütengebilde stellt, seine weite Verbreitung sicher nicht zuletzt diesem, dem stumpfen Insektenauge angepaßten Werbetrick zu verdanken. Den kleinen Fliegen, den ruhelosen Wespen und den tapsigen Blumenkäfern müssen die Pflanzen aber mit Riesenplakaten und großen Schauapparaten kommen, mit weithinleuchtenden und hochgestellten, zu einem Riesenschirm vereinigten Blütengesellschaften, die Pollen wie Honig in flachen Schüsseln bieten. Auch auf die eigenartige Geruchsempfindlichkeit der meisten Fliegen und Käfer, die sich durchaus nicht durch aromatische Düfte, sondern viel eher durch scharfe und aufdringliche Gerüche herbeilocken lassen, gingen die Blütenpflanzen ein. Wie fauliger Urin riechen die Blüten des Rainfarns und des Efeus, wie faules Fleisch der Blütenkolben des Aronstabes und wie Aas die Stinkmorchel und die Schwalbenwurz. Die Nachtblumen aber verströmen ihren Duft in betäubender Dichte, der sogar unsere Sinne benebelt. Am Tage, den diese Blüten verschlafen, bleiben sie dagegen geruchlos. Diese Anpassungsfähigkeit der Blütenpflanzen erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Lockmittel Farbe und Duft, sondern kennzeichnet sich in erhöhtem und überraschendem Maße im Bauplan der Blüten, die oft wie ein Futteral auf den Insektenkörper zugeschnitten sind. Der etwas schwerfälligen Hummel bieten die Hummelfreunde, wie das Löwenmaul, die Taubnessel, der blaue Gundermann, der Wiesensalbei und das Leinkraut, einen hübschen kleinen Landeplatz in Gestalt einer vorgewölbten Unterlippe. Hier kann der behäbige Brummer gemächlich landen, fühlt sich geradezu dazu eingeladen. Und um ganz gewiß zu sein, daß wirklich auch nur Hummeln die Bestäubung übernehmen, haben das Löwenmaul und das Leinkraut ihre Blüten mit einer Windfangtür verschlossen, die einzig u n d ! 10
A b b . 1: Saftmale beim Stiefmütterchen. Nicht leicht ist hier der Eingang zur Nektarquelle zu finden. So hat das Stiefmütterchen für die suchende Biene einen Wegweiser geschaffen, den sie nicht übersehen kann. Es sind die merkwürdigen farbigen Kleckse, die sich auf den Blütenblättern finden und sich auffällig von der übrigen Blütenfarbe abheben. Die farbigen Flecke weisen alle zu der Stelle, an der sich der Eingang zum Nektar öffnet. Auch and«re Blüten zeigen solche Saftmale.
allein die kräftige Hummel aufzudrücken vermag. Damit aber Freund Hummel nicht etwa stutzig wird, weil er sich vor verschlossener Tür stehen sieht, haben das Löwenmaul, das Leinkraut und viele andere Pflanzen auf dem Hummellandeplatz noch farbige Wegweiser, sogenannte Saftmale, angebracht (Abb. 1), die ihm deutlich zeigen, wohin er sich zu wenden hat. Außerdem helfen diese Pflanzen der etwaigen Begriffsstutzigkeit des Insektenbesuchers dadurch etwas nach, daß dieser Landeplatz unter dem Gewicht des Hummelkörpers wie ein Hebel auf den Blütenverschluß wirkt und die Windfangtür um ein weniges lüpft. Aha! Jetzt muß auch der schwerfälligste Anfänger erfassen, daß sich hinter dieser Tür etwas verbirgt. Jetzt braucht er nur noch mit seinem dicken Kopf gegen die Tür zu rennen und befindet sich plötzlich in einem Weinstübchen, das in allen Einzelheiten völlig auf seine Leiblichkeit und seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Kühl und weich schmiegen sich die Wände dieses Lokals um den Hummelkörper und nicht allzutief verborgen winkt ein stattlicher Humpen, den selbst eine Hummel nicht in einem Zuge zu leeren vermag. Die Staubbeutel, die sich an die ausgewölbte Decke der kleinen Weinklause schmiegen, pudern die trinkende Hummel unmerklich und gründlich ein und vergolden A b b . 2: Das Schlagwerk des Salbeis: Im Schlund der Blüte ist der Nektar verborgen. Der nektarsuchende Gast muß, um an den Leckerbissen zu kommen, einen kleinen Hebel beiseite schieben, der im W e g e steht. Dieser Hebel ist durch ein Gelenk mit einem langen Staubbeutelstiel verbunden. So fällt der Staubbeutel wie ein Schlagwerk auf den Rücken des nektarnaschenden Gastes nieder und entleert seinen Blumenstaubbecher auf dessen Pelz. Das davonfliegende Insekt trägt den Staub zur nächsten Blüte weiter. Das Schlagwerk aber verwelkt, die N a r b e wächst zungenartig hervor und kann nun von eingestäubten Insekten befruchtet werden.
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ihren haarigen Rücken. Damit sie diese Aufgabe unter allen Umständen durchführen, stehen diese Staubgefäße zum Beispiel beim Wiesensalbei mit einem raffinierten Hebelapparat in Verbindung, der geschickt und praktisch in die Diele der Weinstube eingebaut ist (s. Abb. 2) und genau so sicher wie ein Schlageisen funktioniert. Bei älteren Blüten, die ihre Pollen schon verausgabt haben, tritt dann an die Stelle der Staubgefäße die empfängnisbereite Narbengabel und nimmt den befruchteten Blütenstaub vom Rücken der Hummel wieder ab. Es verlohnt sich, einige Augenblicke bei diesen Konstruktionswundern der Blüten zu verweilen und sich den Mechanismus durch die bildhafte Darstellung klar vor Augen zu führen. Denn es ist wirklich bewundernswert, was die Pflanzen hier „ersonnen" haben. Neben das Beispiel der Wiesensalbeiblüte wollen wir darum noch die Blüte des gefleckten Knabenkrautes, des Sauerdorns und des Ginsters stellen. Auch die Knabenkrautblüte wird vorwiegend von Hummeln bestäubt. Die große und farbenprächtige Unterlippe kennzeichnet sie ja schon als Hummetfreundin. Auch die wegweisenden Saftmale fehlen nicht. Nur findet die Hummel nicht wie beim Löwenmaul eine verschlossene Tür, sondern eine kleine dämmernde Grotte, die im Hintergrund der Blüte lockt und den Eingang des Blütensporns darstellt. Das stattliche Weinfaß allerdings fehlt. Dafür aber sprudeln die Wände dieses Sporns auf Anstich reichlich süßen Saft aus. Gierig rückt die Hummel vor, senkt Bussel und Kopf tiefer in das Zaubergemach und stößt dabei an ein kleines Beutelchen, das über dem Grotteneingang hängt. Durch den Stoß platzt das Beutelchen auf und der darin befindliche klebrige Pollen heftet sich an den Kopf der trinkenden Hummel. Beim Verlassen der gastlichen Stätte zieht die Hummel den Pollen vollends aus dem Beutel und trägt ihn jetzt wie ein lustiges kleines Hörnerpaar auf der Stirn. Um nun aber bei der nächsten empfängnisbereiten Knabenkrautblüte die Narbe erreichen zu können, drehen sich diese Pollenhörner auf der Hummelstirn nach vorn. Das Knabenkraut setzt also wortwörtlich dem ahnungslosen Insekt Hörner auf, wie es das Sprichwort von dem sagt, der übertölpelt und hinters Licht geführt wird. Doch wandern wir jetzt zum Sauerdorn, der auch Berberitze genannt wird und sich ebenfalls im Mai mit wunderhübschen gelben u n d stark duftenden Blütentrauben schmückt. Ein buntes Tagpfauenauge umflügelt den Busch und läßt sich endlich bedachtsam auf einer der Blüten nieder. 12
A b b . 3: Der Kniff der S a u e r d o r n blüte (Berberitze): Rings um d e n Stempel, der inmitten d e r Blüte w i e ein kleiner Pilz hervorschaut, l i e g e n an d i e Blütenblätter geschmiegt sechs Staubfäden (die A b b i l d u n g zeigt nur einen der sechs Fäden). Rechts und links tragen sie Beutelchen, a n g e f ü l l t mit Blütenstaub. Der Honig sitzt dicht um den Fuß des Stempels. Berührt das T a g p f a u e n a u g e d i e Blüte, so schnellen d i e Staubfäden w i e eine Feder aus ihrer Ruhelage und b e p u d e r n den h a a r i g e n Kopf der Besucherin hinterrücks mit g e l b e m Staub. Dann kehren d i e Staubfäden langsam w i e d e r in ihre Ausgangsstellung zurück. Die empfindliche Blüte r e a g i e r t schon auf d i e leisteste Berührung mit einer N a d e l s p i t z e .
Jetzt heißt es aufpassen! An jedes der sechs rosenartig aufgewölbten Blütenblättchen schmiegt sich im Innern ein feingeflügeltes Staubgefäß. Der Stempel ragt dick und kräftig wie ein grünes Pilzlein vom Grund der Blütenkrone empor und trägt statt eines Hütleins eine ringförmige Narbe. Das Tagpfauenauge entrollt seinen Rüssel und senkt ihn zu den am Grunde der Kronblätter aufgestellten Honigdrüsen hinab. Dabei berührt der Rüssel die Innenseite eines der Staubgefäße und — erschrocken flattert der Schmetterling auf! Was war geschehen? (S. Abb. 3.) Das Staubgefäß hatte sich auf die leise Berührung des Rüssels hin plötzlich vom Blütenblatt zum Stempel hin bewegt und den Kopf des Falters mit goldenem Blütenstaub überschüttet! Das Tagpfauenauge aber erholt sich schnell von seinem kleinen Schreck und versucht sein Glück jetzt bei der nächsten Blüte. Diesmal berührt sein schwarzweißer Fühler eines der Staubgefäße und das höchst merkwürdige Geschehen wiederholt sich. Der Sauerdorn verläßt sich also nicht darauf, daß das Insekt sich sozusagen rein zufällig mit dem Blütenstaub bepudert, sondern sorgt dafür, daß kein geflügelter Gast uneingestäubt die Blüte wieder verläßt. Mit dieser schnellen und erstaunlichen Beweglichkeit seiner empfindlichen Staubgefäße ist sozusagen das „Tier in der ruhenden Pflanze" lebendig geworden und hat aktiv handelnd eingegriffen. Es wird kein Mechanismus ausgelöst, wie beim Salbei, es wird auch keine „scharfe Berechnung" angestellt, wie beim Knabenkraut, sondern es wird schnell und zielgerichtet „gehandelt"! Damit stellt der Sauerdorn selbst die raffinierte Schnellvorrichtung des Besenginsters in den Schatten. 13
A b b . 4: Die springende Feder in der Btüte des Besenginsters : In dem von den Flügelblättern b und dem Blütenlöffel d g e b i l d e t e n Schiffchen liegen d i e Staubgefäße und der G r i f f e l v e r b o r g e n . W i e Federn sind sie in ihrem G e häuse gespannt. Betritt ein Insekt d i e Flügelblätter (b), so schnellen zuerst d i e Staubgefäßfedern hoch und bestäuben d i e Biene von unten, d a n n schlägt der Griffel über ihren Rücken und entnimmt d o r t den Blütenstaub, den d i e Biene von e i n e r a n d e r n Blüte mitgebracht hat. Zuletzt schlagen auch von o b e n Staubgefäße n i e d e r und setzen auch ihren Pollen auf das Tierchen a b .
Den Besenginster am sonnigen und sandigen Hang können wir gleich noch besuchen. Honigbienen umsummen die helleuchtenden I goldgelben Schmetterlingsblüten, die aus einem luftschaukelähnlichen Schiffchen, zwei darüber geneigten Flügeln und einer aufgestellten Haube bestehen. In dem noch geschlossenen Schiffchen ruhen gleich gespannten Federn sechs untere und vier obere Staubgefäße und ein keulenförmiger Griffel. (S. Abb. 4.) Eine der Honigbienen läßt sich jetzt auf den Flügeln der Blüte nieder. Unter ihrem Gewicht platzt das Schiffchen auf, die sechs unteren Staubgefäßfedern schnellen empor und hüllen die Biene von unter her in eine Wolke von Blütenstaub. Doch die kennt den Betrieb, läßt sich nicht beirren und dringt weiter vor. Jetzt reißt das Schiffchen vollends auf! Wie der Hammer eines Schlagwerkes saust der Stempel auf den Rücken der Biene nieder und nimmt den Blütenstaub auf, den sie von anderen Blüten mitgebracht hat. Kurz darauf schnellen auch die vier oberen Staubgefäße aus ihren Spannungen und pudern die Biene gründlich von oben ein. Wie in einer Zange von Staubgefäßen sitzend, belädt sich die Biene mit dem reichlichen Blütenstaub und fliegt zur nächsten Blüte. Diese wenigen Beispiele, die uns zeigen, bis zu welcher Verfei- i nerung der Blütenbau im Laufe der Freundschaft zwischen Pflanze j und Insekt gediehen ist, könnten wir mühelos vermehren und würden noch verwickeitere und noch kompliziertere Blütenapparate kennenlernen. So verwickelt und so ausgeklügelt, daß sie kaum anschaulich genug geschildert werden können. Die „Erfindungsgabe" der Pflanze ist wirklich unbegrenzt. Aber schon diese wenigen Hinweise versetzen uns in die Lage, schon auf den ersten Blick die Hummel- und Bienenetuis, die Schmetterlingskelche und Faltertrichter, die Käferweiden und Fliegenschankstuben unter den zierlichen Glocken und bunten Röschen, 14
unter den schwankenden Füllhörnern und klaffenden Mäulern, unter den leuchtenden Sonnen und Sternen herauszufinden. Eine starke Sortierung der Bestäuber wird auch durch die zweckmäßige Gestaltung der Nektarienbehälter innerhalb der Blüte erzielt. Wer von den Pflanzen nichts von Fliegen und Wespen wissen will, braucht nur das begehrte Weinfaß in einen solch tiefen Blütensporn, wie ihn zum Beispiel der Lerchensporn, der Feldrittersporn und die Akelei aufweisen, zu bergen, in den diese kurzrüssligen Gesellen nicht hinunterzulangen vermögen. Aber die Schmetterlingsund Nachtfalterblumen passen sich den langen Rüsseln ihrer Bestäuber durch besonders tiefgelagerte Nektarquellen und tiefe trichterförmige Blütenkronen an. Sogar darauf, daß das Insekt den Bestäubungsdienst ohne den geringsten Zeitverlust durchzuführen vermag, hat die Blütenpflanze Rücksicht genommen. Vor allen Dingen sind es die nur kurze Zeit blühenden Frühlingsblumen, die in knapp vierzehn Tagen die Erfüllung ihres Lebens finden müssen und die außerdem noch durch häufige Wetterrückfälle um den Besuch ihrer Bestäuber kommen. Diese Blumen haben ein großes Interesse daran, daß die Insekten die zur Verfügung stehende Zeit voll ausnützen und erfanden deshalb den Blütenfarbenwechsel. Um den Bestäubern alle vergeblichen Wege zu schon bestäubten Blüten zu ersparen, zeigen diese Pflanzen, wie das Lungenkraut und die Frühlingsplatterbse, den Insekten durch die rote Farbe der noch jungfräulichen und die blaue Farbe der schon vermählten Blüten an, wo sich der Besuch noch verlohnt, wo es noch Honig zu schlecken gibt und wo sie sich den Besuch sparen können.
Gemaßregelt und bevormundet Mit der gleichen Listigkeit, mit der die Pflanzen die Insekten zu sich locken und übertölpeln, wissen sie auch alle Tiere abzuführen, die ihre Blüten gefährden oder sich, ohne einen Dienst zu leisten, an Pollen und Nektar gütlich tun wollen. Sie greifen dabei in den meisten Fällen zu milden Mitteln, stellen Warntafeln in der Form widerlicher Gerüche auf, umziehen ihre bedrohten Teile mit einem Stacheldrahtzaun, legen hemmende Wassergräben an oder errichten Gitter und Verhaue. 15
So schützen sich die Nachtschattengewächse, wie der Stechapfel, das Bilsenkraut, der schwarze Nachtschatten, der bittersüße Nachtschatten und der gefleckte Schierling zuerst einmal durch einen widerlichen und abstoßenden Geruch. Erst wenn die weidenden Tiere diese Warnung nicht beachten, werden sie mit der stärkeren Giftwaffe bekämpft und in manchen Fällen dann auch vernichtet. Blätter und Blüten fressende Weidetiere lassen sich aber schon sehr häufig durch besonders auffällige Düfte zurückhalten, die durchaus nichts Widerliches an sich haben, aber doch als Warnungszeichen empfunden werden. Weidende Rinder verschmähen so die wohlriechenden Blüten des Veilchens, des Maiglöckchens, des Wintergrüns, des Knabenkrautes, des Studentenrösleins und des Augentrostes. Wo Duftwarnungen ihre Wirkung verfehlen, werden die Blüten wie in einem Drahtverhau mit einem dichten Stachelkranz umgeben. Schauen wir uns auf einer Wiese um, so stellen wir fest, daß die einzigen Blumen, die sich auf der Viehweide ungestört ihrer Blüte erfreuen, die Hauhecheln, die Stechginster, die Spitzkletten, die Disteln und am Wiesenrand die Akazien, die Brennesseln und die Stechäpfel sind. Das Vieh kennt sich aus und weidet instinktmäßig an diesen wenig angenehmen Gewächsen vorbei. Manche Pflanzen, wie der Stechapfel, überbieten sich geradezu in solchen Schutzvorrichtungen. Sie strömen einen unangenehmen Geruch aus, sie schrecken mit Stacheln und kämpfen mit betäubenden Giften. Doch derartig „rabiat" sind wirklich nur wenige Blütenpflanzen. Die schwärze Johannisbeere zum Beispiel verläßt sich lediglich auf ihren Wanzengerudi, die Gänsefüße auf ihren Heringsgestank, und sie kommen auch so gut durch. Sehr beliebt ist der Schutz durch kleine Nadeln aus oxalsaurem Kalk. Sie sind an manchen Laub- und Blütenblättern zu finden. Tückisch ist an ihnen, daß sie ein starkes Brennen im Gaumen und Rachen verursachen. Derartig „gepfefferte" Blätter bewähren sich vor allen Dingen gegen die ewig hungrigen Schnecken und werden von den Narzissen, den Hyazinthen, dem Aronstab, dem wilden und edlen Wein und der sonst so lieblichen Szilla eingesetzt. Als besonders wirksames Mittel erweisen sich auch die Brennhaare, wie sie die Brennessel entwickelt. Es sind äußerst dünnwandige und glasspröde spitze Röhrchen, die sich leicht einbohren, noch leichter abbrechen und eine brennende Säure in die W u n d e ergießen. 16
Einen ständigen Abwehrkampf führen die Blütenpflanzen gegen das niedere Insektenvölklein: die pflanzensaugenden Blattläuse und Blattwanzen, die nektardurstigen Ameisen und die genäschigen Feldheuschrecken. Die Pflanzen sind darauf bedacht, sich diese ungebetenen Gäste weit vom Stengel und Stiel, Laub- und Blütenblatt, Nektarien und Staubgefäßen zu halten. Doch auch diesen unnützen Näschern und Fressern gegenüber werden vorwiegend milde Verteidigungs- und Abwehrmaßnahmen getroffen. Die Stiele und Stengel werden mit abwärtsgerichteten Borsten und Haaren versehen, die wie kleine Verhaue eine Ersteigung geschickt erschweren. Auch der Eingang zur Blüte wird durch solche Verhaue verbaut, wie wir das besonders schön an der Kapuzinerkresse, an der nesselblättrigen Glockenblume, am Fingerhut, an der Taubnessel, an der Bärentraube und am Bitterklee beobachten können. (S. Abb. 5 rechts.) Allzu aufdringliche Blütenbesucher, die nicht leicht abzuwehren sind, wie die sehr wendigen Ameisen, müssen allerdings oft mit stärkeren Mitteln überlistet werden. Denn nicht jede Pflanze ist, wie z. B. die Weide, imstande, ihre kätzchentragenden Zweige mit einem derartig glatten Wachsüberzug zu versehen, daß eine Ameise oder ein Ohrwurm ins Schusseln kommt und unweigerlich abstürzt, wenn er sich auf diese Rutschbahn begibt. Darum mußten verschiedene Pflanzen zu einem neuen und für den ungebetenen Blütenbesucher sehr bedenklichen Mittel greifen, nämlich zur tückischen Leimrute. Stengel und Blütenstiele werden mit klebrigen Drüsen versehen, die jeden kühnen Kletterer, wenn er nicht sofort zurückweicht, bis zum qualvollen Erstickungstod festhalten. Dieser Klebstoff ist so stark, daß sich das Insekt in wenigen Sekunden völlig damit besudelt und sich rettungslos in den Klebfäden verstrickt hat. (S. Abb. 5 links.) Zu solchen Mitteln greifen unter anderen viele Steinbreche und Nelken sowie die jetzt in allen Gärten zu findenden Tabakspflanzen. Zur Zeit der Blüte soll man sich das einmal ansehen. Noch gefährlicher wird die Geschichte dadurch, daß manche dieser Pflanzen äußerlich völlig harmlos erscheinen und ihre Klebstoff drüsen A b b . 5: Schutzmittel der Blumen gegen ungebetene Besucher. Links: Blüte der Bleiwurz. Der Blütenkelch ist mit schützenden Drüsen besetzt, die einen klebrigen Saft ausscheiden. Rechts: Blüte, die am Saume mit widerhakigen Borsten dicht besetzt ist. Sie erwehren dem unberufenen Gast den Zugang.
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A b b . 6: Abwehr ungebetener Besucher durch einen Wassergraben. Die Kardendistel hat sich dieses Hindernis „ausgedacht". Ihre Blätter sind im Grunde zu einer Mulde rings um den Stengel zusammengewachsen. In diesem Blattbecken sammeln sich Regen und Tau. Das überklettern ist für die meisten Insekten unmöglich. Das Becken wird auch Venuswaschbecken genannt.
gar nicht offen vorzeigen. Diese Pflanzen haben ihre Stengel mit derart zarten und feinen Häuten versehen, daß schon der leise Ritz, den ein Ameisenfuß verursacht, den gefährlichen Klebesaft hervorquellen läßt und das ahnungslose Insekt festleimt. Die Stengel des Leimkrautes, der Pechnelke und des Giftlattichs sind solche Leimruten. Klettert ein Tierchen da hinauf, so sind die ersten herausquellenden Leimtröpfchen Warnungen. Der Leimausfluß wird um so stärker, je mehr sich das Insekt der Blüte nähert, und knapp unterhalb der Blüte ist er am heftigsten. Haben die Pflanzen abgeblüht, so hört die Leimfabrikation sofort auf. Bei den Wolfsmilchgewächsen quillt aus den verletzten Stielen ein ätzender Milchsaft. Wir dürfen wohl sagen, daß die Pflanzen hier plötzlich einen heimtückischen Charakterzug enthüllen, der uns einen fast erschreckenden Einblick in ihre wilde Entschlossenheit und ihren zähen und rücksichtslosen Lebenswillen vermittelt. Die stechende Wespe, Hornisse und Biene erscheinen fast harmlos dagegen. Harmlos ist auch wieder der Einfall der Kardendistel, die durch die Anlage von Stengelblättern bei den Blattgabeln kleine Becken bildet, in denen sich das Regenwasser sammelt. Das den Stengel erkletternde Insekt sieht sich also plötzlich einem kleinen See gegenüber, der
A b b . 7: Der Fingerhut senkt seine aufrechtstehenden und verschlossenen Blütenknospen, sobald die Blüte sich entfaltet. So schützt sie den Blütenstaub sowohl vor Regen als auch vor Eindringlingen.
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seinen Vormarsch auf die Blüte genau so wie der Wassergraben vor den Mauern einer Burg oder Stadt aufhält. (S. Abb. 6.) Ein noch einfacheres Mittel, unliebsame Gäste von der Blüte fernzuhalten, ist ihre nickende Stellung. Wir sehen sie beim Schneeglöckchen, Maiglöckchen, Salomonsiegel, der Glockenblume und dem Fingerhut. Wenn die Blütenblätter dieser Blumen dazu noch halbwegs glatt und eingewachst sind, wird jede Ameise, jeder Ohrwurm und jeder räuberische Käfer herunterpurzeln. (S. Abb. 7.) Getäuscht und genarrt Das listige Lächeln, mit dem die Pflanze allerlei harmlosen und, wie wir gesehen haben, manchmal auch gefährlichen Schabernack mit den gierigen und harmlosen Tieren treibt, verstärkt sich oft auch zu einem vorstechenden Wesenszug. Die Pflanze scheut sich dann nicht, ihre kühle und bedachtsame Überlegenheit zu bewußten Täuschungen auszunutzen. Sehr auffällig tritt dieser Zug besonders bei dem sogenannten Studentenröslein, dem Sumpfherzblatt, hervor. Diese Blume blüht sehr spät und gesellt sich meist zu den lilaKeldien der Herbstzeitlose auf den nassen und sauren Wiesen. In den kurzen und oft schon recht unfreundlichen Tagen dieser Jahreszeit ist der Besuch der bestäubenden Insekten natürlich besonders willkommen. Das Studentenröslein bemüht sich darum sehr, die Insekten anzulocken. Das makellose und leuchtende Weiß der auf hohem und schlanken Stengel schwebenden Blütenkrone und fünf dick mit goldenen Pollen bepackte Staubgefäße sind ihre Lockmittel. Aber sie begnügt sich nicht damit. Sie streckt zwischen Stempel und Blütenblatt außerdem noch fünf winkende Hände aus, die auf schlanken Stäbchen goldgelb schimmernde Knöpfchen tragen, die wie eitel Honigwein glänzen und die weiße Blüte in eine zauberhaft schöne goldene Krone verwandeln. Wie hypnotisiert stürzen sich denn auch alle vorbeikommenden Summer und Brummer, Flieger und Flatterer auf diese derartig reichlich aufgeputzte und mit sdieinbar so vielem Nektar und viel Pollen versehene, vielversprechende Blüte. Bei näherem Zusehen aber müssen sie dann erkennen, daß diese goldenen Gebilde der winkenden Hände keine Nektartröpfchen, sondern eben nur auf Täuschung ausgerichtete Lockgebilde sind. Nektar wird nur in sehr bescheidenem Umfang am Grunde dieser winkenden Hände geboten. 19
Dieses Täuschungsmanöver des Studentenrösleins mit den vorgespiegelten Nektartropfen ist aber immerhin noch eine verhältnismäßig harmlose Listigkeit. Einen kecken Schritt weiter gehen die Pflanzen, die das Insekt in eine Falle locken, es vorübergehend seiner Freiheit berauben und den Bestäubungsdienst mit sanfter Gewalt erzwingen. Da blüht am sonnigen Waldrand hochaufragend die Schwalbenwurz. In die Nektargrübchen ihrer kleinen gelblich weißen Blüten hat sie eine Klemmvorrichtung eingebaut, die den saugenden Insektenrüssel festhält und ihm zugleich ein Pollenpäckchen anklebt. W e n n sich dann die erschrockene Fliege mit einem verzweifelten Ruck zu befreien sucht, reißt sie diese Klemmvorrichtung und den angehefteten Pollen ab; sie ist sozusagen noch einmal mit einem dicken Rüssel davongekommen. Diese kurze Freiheitsberaubung steigert der Aronstab zu einem mehrtägigen Zwangsaufenthalt innerhalb seiner Blüte. Er bietet ein ganzes Arsenal von Verführungs- u n d Überlistungskünsten und technischen Erfindungen auf, um die Bestäuber, meistens kleine Fliegen und Mücken, in seine Blütenfalle hineinzubringen. Als Werbeschild stellt er zunächst ein sehr großes und tütenartig gedrehtes Blütenhüllblatt auf, das hell durch den Vorfrühlingswald schimmert. Vor den Hintergrund dieses weißlichen Hüllblattes baut er weiterhin einen nach Aas riechenden und wie faulendes Fleisch aussehenden Blütenkolben von violetter Farbe. Außerdem aber wartet der Aronstab noch mit einem ganz neuen Lockmittel auf: er bietet den kleinen Insekten — eine Wärmestube an. Richtige warme Dunstwolken steigen aus der Tiefe seines Blütenkelches und umschmeicheln die in der Frische der Frühlingsluft zitternden Fliegen und Mücken, die den stinkenden Kolben angeflogen haben und nunmehr dieser Wärme entgegenstreben. Der kleine Kranz von Haaren, der den Blüteneingang versperrt, ist ein mühelos zu überwindendes Hindernis, da die Härchen nach abwärts gerichtet sind und sich leicht niederdrücken lassen. Nunmehr rutscht das Insekt in eine geräumige und mollige Wärmekammer, deren Wände wohl sehr glatt, aber eßbar sind, da sie reichlich Säfte absondern. Die Mitte der Wärmestube nimmt an Stelle des Ofens ein Kranz von weiblichen Blüten ein, die als Dank für die erfolgte Befruchtung ebenfalls Nektar ausscheiden. Über den weiblichen Blüten sitzen die noch geschlossenen männlichen Blüten, (Siehe Abbildung 8.) Die kleinen Gefangenen des Aronstabes. — ein Entweichen aus dieser Stube verhindern die jetzt starr in den 20
A b b . 8: A r o n s t a b und Osterluzei als Kesselfallen: 1. Geöffnete Blüte des A r o n stabes. Die Blüte ist unten w i e eine Tüte aufgebauscht und d a r ü b e r t a i l l e n a r t i g eingeschnürt. Der Kolben r a g t d a r ü b e r hinaus. Vom Duft angelockt stürzt d i e Fliege am glatten Trichter des Hüllblattes ab in den gemütlich warmen H o h l raum. Die W i d e r b o r s t e n an der T a i l l e verhindern eine Flucht. Die v e r ä n g s t i g t e , umherschwirrende Fliege streift den mitgebrachten Pollenstaub an den N a r b e n a b . Die N a r b e n schwitzen Nektartröpfchen aus, d i e dem G e f a n g e n e n als N a h rung d i e n e n . Die Gefangenschaft d a u e r t so l a n g e , bis d i e Staubbeutel o b e n g a n z reif g e w o r d e n sind und das eingeschlossene Tier dicht mit Blütenstaub überschütten. Die Blüte w e l k t , d i e W i d e r b o r s t e n erschlaffen, und nun ist der A u s g a n g f r e i . — 2, 3 und 4 Blüte der O s t e r l u z e i . 2 zeigt d i e Blüte im Schnitt. O b e n d i e breit auslaufende Blütenhülle, d i e als A n f l u g p l a t z für Insekten d i e n t . Die Hülle verengt sich zu einer schmalen Röhre, deren W ä n d e nach unten g e richtete elastische Haarborsten t r a g e n , d i e nach dem Durchschlupf des O p f e r s w i e d e r emporschnellen. Der Besucher kann nicht mehr zurück. Das Insekt ist im Kessel g e f a n g e n . Das mit Pollen einer fremden Blüte befrachtete Tierchen v o l l zieht auf der k n o p f a r t i g e n N a r b e d i e Befruchtung. Da öffnen sich d i e Staubblätter und bedecken d i e Fliege mit Blütenstaub. Die W i d e r b o r s t e n des Röhreneingangs w e l k e n , d i e Fliege nimmt als N a h r u n g ein Nektartröpfchen mit und fliegt nun d a v o n , zur nächsten Blüte. 3. Die aufrechtstehende Osterluzeiblüte von a u ß e n . 4. Nach der Befruchtung senkt sich d i e Blüte, das speerspitzenförmige H ü l l b l a t t schrumpft zusammen und legt sich als Verschluß vor den Blütene i n g a n g . Die Fliege „ w e i ß " nun, daß ein Besuch hier zwecklos g e w o r d e n ist.
Raum hineinragenden Haare des Blüteneingangs — fühlen sich verhältnismäßig wohl. Oft zu Hunderten vereinigt toben sie vergnügt umher und schlemmen nach Herzenslust. Und wie bei den römischen Gastmahlen, wenn sie den Höhepunkt erreichten, sich plötzlich die
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Decke öffnete und Blüten herniederschneiten, so öffnen sich nach geraumer Zeit plötzlich die purpurnen Staubbeutel der männlichen Blüten und überschütten die Gäste mit goldenem Blütenstaub. Gleichzeitig schrumpfen die Haare am Blüteneingang ein und geben die Türe frei. Die gefangenen Gäste stürzen unverzüglich ins Freie und haben nichts Eiligeres zu tun, als das nächste fidele Aronstabgefängnis aufzusuchen. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so vergnügt, geht es in den Wirtshäusern der Osterluzei und vieler unserer heimischen Orchideen zu. Auch die Osterluzei lockt mit üblem Geruch und Fäulnisfarben die Fliegen an. Nur daß bei ihr die Fliege durch einen sehr langen und dicht behaarten Blütenkelch wandern muß, ehe sie ganz im Grunde desselben wieder auf eßbare und saftabsondernde Wände und die empfängnisbereite Narbe stößt. Nach der Befruchtung der Narbe öffnen sich wieder geheimnisvolle Türen und überschütten den Gast mit Blütenstaub. Daraufhin trocknen die Haare des langen und schmalen Kelches ein und das gefangene Insekt kann wieder nach außen gelangen. Die Blüte selbst, die vor der Befruchtung aufrecht am Stengel saß, neigt sich nunmehr abwärts und verschließt sich selbst mit dem Zipfel des Blütenkelches. (S. Abb. 8.) Eine Kesselfalle ist auch die Blüte des Frauenschuhs. Sie wirbt mit langen rotbraunen bis purpurroten Zipfelblättern und einer ungewöhnlich großen gelben pantoffelähnlichen Unterlippe. Diese leuchtende und glänzend gewachste Unterlippe ist im wahrsten Sinne eine Insektenrutschbahn, denn alle, die auf ihr landen, kommen unweigerlich ins Gleiten, torkeln in die kleine eirunde Öffnung des goldenen Blütenschuhs und stürzen in die geräumige Kesselfalle.
A b b . 9 : Orchideenblüte in gereiztem und ungereiztem Zustand. Kriecht ein Insekt in die Blüte, so schlägt die untere Lippe gegen den „Helm" und das Tier ist gefangen. Es gibt nur einen Ausweg, er fuhrt zwischen den beiden Helmflügeln ins Freie. An diesem Ausschlupf streift das Insekt die N a r b e (oben in der Blütenwölbung) und gibt dort den ihm anhaftenden Blütenstaub a b . Beim Hinauskriechen setzt sich dann neuer Blütenstaub am Insektenkörper fest. Der Staub sitzt vorn am Helm an den Staubbeuteln.
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Aber auch der Frauenschuh meint es nicht bös, sondern hat eben nur die Überlistung des Insektes im Sinne. Tief im Grunde des Schuhes bietet er seinen Gefangenen besten Nektar. Von feinen Haaren wird er ausgeschieden. Das Insekt hat ja auch bereits seine Schuldigkeit getan; denn dicht hinter der kleinen Öffnung des Schuhes wartete die Narbe auf das herabrutschende Tierchen und bürstet wie ein Schuhabstreifer den von anderen Blüten mitgebrachten Pollen ab. Und wenn dann der Gast nach vielem Mühen die Tür ins Freie wieder gefunden hat, wird er schnell noch gründlich mit dem eigenen Pollen eingepudert. Die Orchideen sind überhaupt sehr erfindungsreiche Pflanzen und kommen auf immer neue Überlistungstricks. Eine südamerikanische Orchidee zum Beispiel bietet den Insekten auf ihrer feuerroten Unterlippe ein Saftgewebe, dessen Genuß die Bienen berauscht und sie unweigerlich in die Kannenblüte torkeln läßt. Die Kanne selbst ist mit einer wäßrigen Flüssigkeit angefüllt. Das Abenteuer der berauschten Biene scheint also einen recht bedenklichen Ausgang nehmen zu wollen. Doch auch diese Orchidee hat nichts Übles „im Sinn". Denn aus diesem Bad führt ein kleines und rettendes Pförtlein, das von den Staubgefäßen und dem Stempel umlagert wird. Todsicher wird das verzweifelt im Wasser strampelnde Insekt dieses Pförtlein ansteuern und todsicher daselbst abgebürstet und eingepudert. Eine nach innen schnellende Unterlippe, die wie die Zunge eines milchschlappernden Kätzchens wirkt, besitzt eine australische Orchidee. Setzt sich ein Insekt auf diese Unterlippe, dann wird es mit der gleichen Schleuderbewegung in das Blütenmäulchen geworfen, mit der das Kätzchen sich die Milch ins Maul bringt. Auch bei dieser Orchidee ist der einzige Ausgang aus dem Gefängnis derartig von den Staubgefäßen und dem Stempel verengt, daß das Insekt beim Hinausstreben den Bestäubungsdienst leisten muß. Die einfache Falltüre, die wir Menschen erfanden, wurde also von den Pflanzen schon lange voraus erfunden und sogar noch überboten. (S. Abb. 9.) Auf der anderen Seite aber zeigen uns diese Überlistungsbeispiele, wie sehr sich die Pflanze anstrengen muß, um die Insekten überhaupt an sich heranzubringen. Denn je raffinierter und ausgeklügelter die Mittel sind, mit denen irgendwer hereingelegt werden soll, um so beachtlicher scheint doch dessen eigene Intelligenz zu sein oder wenigstens eingeschätzt zu werden. 23
Überlistet und überwältigt Mitten im Torfmoor schimmern rötliche Flecken. Schauen wir näher zu, so lösen sich diese Flecken in zarte kleine Pflanzen auf, die mit rundlichen Laubblättern dicht nebeneinander sitzen. Aus der Mitte der zu einer Rosette vereinigten Blätter, die sich an die Moosdecke schmiegen und noch am hohen Mittag von Tauperlen überglitzert sind, erhebt sich ein schlanker Stil mit kleinen weißen und unansehnlichen Blüten. Den rötlichen Schimmer verbreiten zahlreiche weinrote Wimpern. Sie sitzen in der Gestalt von Schneckenfühlhörnern auf der Blattspreite und sind mit einem glitzernden Tropfen gekrönt. Sehr verlockend sieht die kleine Pflanze aus, und wir können es der Mücke nicht verdenken, die da eben heranschwebt, daß sie begeistert aufsummt und sich auf einem der bewimperten Blätter niederläßt. Denn wo bietet sich hier in der blütenarmen Moorlandschaft eine Blume dar, die soviel Nektar verspricht? Schon entrollt die Mücke ihren Rüssel und versucht, den vermeintlichen Nektartropfen von einer der rötlichen Wimpern aufzusaugen. Damit nimmt das Drama seinen Anfang! Der Mückenrüssel bleibt am Nektartropfen kleben u n d die rötliche Wimper scheidet immer mehr von der tückischen Flüssigkeit aus. Schon ist der Kopf, schon sind die Beine des verzweifelt zappelnden Insekts verschmiert. Die anderen Wimpern ringsum aber neigen sich plötzlich über die arme Mücke und betupfen sie nun ihrerseits mit ihren klebrigen Köpfen. Gleichzeitig drücken sie den kleinen Körper der Mücke fest auf den Blattgrund. In wenigen Sekunden ist das Insekt von Dutzenden von Wimperhaaren bedeckt und vollkommen in die klebrige Flüssigkeit getaucht. Es ist erstickt! (S. Abb. 10.) Nunmehr beginnen sich die Blattränder zu wölben und die Gestalt einer hohlen Hand anzunehmen. Der von den Wimperhaaren ausgeschiedene Klebsaft beginnt die Mücke zu zersetzen. Nach einigen Tagen öffnet sich das Blatt wieder, die Wimperhaare richten sich auf und von der Mücke ist außer einigen unverdaulichen Resten nichts mehr zu sehen. Sie wurde von dieser kleinen Pflanze verschlungen! Das klingt wie ein Märchen und wurde auch lange nicht geglaubt, obwohl der Bremer Arzt Dr. Roth diese Beobachtung schon im Jahre 1779 veröffentlicht hatte. Erst hundert Jahre später hat Charles Darwin in seinem 1875 erschienenen Werk über die insektenfressenden Pflanzen das Geheimnis des Sonnentaus enthüllt und darüber 24
A b b . 10: Sonnentaublatt mit eingefangenem Insekt: Auf der Oberfläche trägt es langstielige Drüsenhaare, die in kleinen Kolben enden. Ständig sitzen kleine Tröpfchen d a r a n , die von den Drüsen ausgeschieden werden. Setzt sich ein Insekt auf das Sonnentaublättchen, so hält der klebrige Saft es fest und alle Drüsenhaare beginnen, sich um seinen Körper herumzulegen. Das Tier wird nach und nach vollständig gefesselt und dann restlos ausgesaugt. N u r der Panzer bleibt zurück. Nach der Verdauungsarbeit richten sich die Haare wieder auf und das Spiel beginnt von vorn. Tierchen, die sich am Blattrande festgeleimt haben, werden von den Kolbenhärchen zur Mitte gedrängt. Selbst Libellen und Schmetterlinge werden eingefangen, können aber kaum verdaut werden.
hinaus durch viele praktische Experimente bewiesen, daß es auch noch andere fleischverzehrende Pflanzen gibt. Sie alle beweisen, daß die Pflanze auch zu einem Räuber werden kann. Dieser Vorgang gewährt uns einen tiefen Einblick in das geheimnisvolle Wesen der Pflanze und stellt uns vor viele neue Rätsel. Den Übergang zu diesem Räuberhandwerk finden wir schon hier und da bei anderen Pflanzen angezeigt. Nachdem dieser befremdliche Gedanke, daß die Pflanze also auch Fleischnahrung aufzunehmen vermag, einmal Eingang in die Köpfe gefunden hatte, haben sich die Augen der Forscher geschärft und viele neue Erkenntnisse gewonnen. So vermutet man heute, daß schon die auf Seite 18 erwähnte Kardendistel die in ihren Wassergräben ertrunkenen Insekten zersetzt und aufsaugt. Über 500 verschiedene Pflanzen wurden bisher festgestellt, die durch geradezu teuflisch erscheinende Überlistungskünste Insekten aller Art einfangen, überwältigen und verzehren. Ob Mücke oder Fliege, Blumenkäfer oder Schmetterling, Libelle oder Ameise, Tausendfüßler oder Tauwurm, Süßwasserkrebs oder Ohrwurm, Spinne oder Assel, sie alle sind vor diesen fleischfressenden Pflanzen nicht sicher. In unmittelbarer Nachbarschaft des Sonnentaus finden wir in der gleichen Moorlandschaft oft auch das gemeine Fettkraut, ein harmlos erscheinendes Pflänzchen mit violetter Blüte und ebenfalls rosettenartig angeordneten Blättern. Auch beim Fettkraut sind die Blätter die Insektenfänger und sondern einen klebrigen und verlockend in der Sonne glitzernden Schleim ab. Seine Blätter sind schon im Ruhezustand leicht eingerollt, vermögen sich aber noch stärker zu krümmen, wenn sich reichliche Beute auf dem Schleim festgeleimt hat. 25
Auch im naheliegenden Moortümpel betreibt ein fleischfressender Pflanzenräuber sein Handwerk. Er ist ein Verwandter des Fettkrautes, schwebt frei im Wasser, hebt einen Blütenschaft mit zweilippigen gelben Blüten empor und ist die Zierlichkeit selbst. An Stelle der Wurzeln entwickelt er vielfach zerschlitzte schwimmende Blättchen. Und an diesen überaus feinen und gefiederten, im Wasser treibenden Blättern befinden sich zahllose Bläschen, die in Wirklichkeit raffiniert konstruierte Fangschläuche sind. Diese Fangblasen oder Fangschläuche des Wasserschlauchs oder Blasenkrauts haben eine von steifen Haaren umgebene Mundöffnung, die von kleinen Wassertieren leicht passiert werden kann. Angelockt werden die Beutetiere durch Schleimabsonderungen der Mundhaare. Dann aber geraten sie in den Saugstrudel des geöffneten Mundes und werden in das Innere der Fangblase gerissen. Die Klappe der Blasenöffnung hat sich inzwischen fest angelegt und ist von innen her nicht wieder aufzudrücken. Die Mückenlarve oder der Wasserfloh, die sich in die Nähe des Räubers gewagt haben, sind verloren. Sie werden in der Fangblase von Säuren zerfressen, aufgelöst und von den stickstoffhungrigen Blasenwänden aufgesogen. Von vielen fleischfressenden Pflanzen wird die beim Aronstab, bei der Osterluzei und dem Frauenschuh schon erprobte Kannen- und Kesselfalle eingesetzt. Es gibt nicht weniger als sechsunddreißig verschiedene Kannenpflanzen an den Küsten und auf den Inseln des Indischen Ozeans, die auf Insektenfang ausgehen und an ihren Blättern die bizarrsten und farbenprächtigsten Kannengebilde entwickeln. Die Kannenränder sind rosenrot oder violett überlaufen, die Kannen selbst mit purpurroten Flecken und Malen geschmückt. Sie besitzen fast alle einen weit zurückgeschlagenen kleinen Deckel, der als Anflugs- und Landeplatz dient. An den Kannenrändern und der Abb. 1 1 : Das Rätsel der „Venusfliegenfalle" (Dionea). Die Blattränder sind mit starr abstehenden spitzen Zähnen besetzt. Auf den Blättern sitzen kleine Drüsen und auf jeder Blatthälfte drei Fühlborsten. Berührt ein Insekt diese Borsten, dann klappt das Blatt wie ein Buch plötzlich zu. Die Zähne greifen dabei fest ineinander. Das Opfer wird nun von den Blattsäften in drei bis vier Tagen verdaut und der Pflanze als Nahrung einverleibt. Auf ganz kleine Insekten, die das Zugreifen nicht lohnen, spricht die Falle nicht a n .
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Innenseite des Deckels wird reichlich Nektar ausgeschieden. Da nun die Innenseiten der Kanne und des Deckels mit bläulichem Wachs überzogen sind und ein spiegelglattes Parkett darstellen, stürzen die meisten der naschenden Insekten in die Kanne hinein und müssen die wenigen Tropfen Nektar mit ihrem Leben bezahlen. Eine saure Flüssigkeit, die die Kanne oft bis zur Hälfte anfüllt, zersetzt die zarten Körper schnell und verwandelt sie in einen nahrhaften Speisebrei. (S. das Bild auf der letzten Umschlagseite.) Noch der große Linne hat geglaubt, die in den Kannen befindliche Flüssigkeit sei für dürstende Vögel bereitgestellt. Manche Forscher behaupteten sogar, daß diese schmackhafte Flüssigkeit von der Natur eigens für den Menschen dargeboten werde. Erst Darwin war es beschieden, auch die Kannenpflanzen als Insektenfänger zu entlarven. Zu sehr ähnlichen Fangmethoden greifen die in Nordamerika beheimateten Sarracenien, die neben ihren schwertlilienartigen Laubblättern sehr lange Trichtergebilde entwickeln. Auch diese Trichter tragen wie die Kannenpflanzen einen Deckel. Sie sind blütenähnlich gefärbt und gehen den Rändern zu in ein blendendes Weiß über, das von dunkelroten Flecken und Adern sehr wirkungsvoll überlaufen wird. Der Nektar wird in großen glänzenden Tropfen an den Rändern der Trichter und der Innenseite der Deckel ausgeschieden. Audi bei den Sarracenien, die in vielen schönen Arten auftreten, werden also die Insekten durch leuchtende Farben und Nektarspenden verführt und durch sehr glatte Innenwände zum Absturz in den mit Verdauungssäften gefüllten Trichter gebracht. Die berühmteste und schon am längsten bekannte Tierfängerin aber ist die Venusfliegenfalle, die von dem Engländer Ellis bereits zwischen 1766—68 beobachtet und beschrieben wurde. Aber auch Ellis wurde von der damaligen Gelehrtenwelt ausgelacht und von Linne verspottet. Die Venusfliegenfalle ist ein kleines Pflänzchen, das in den Waldsümpfen Nordkarolinas entdeckt wurde. Seine rosettenartig ausstrahlenden runden Blättchen schmiegen sich dicht an den Boden. Die Oberseite der Blattspreite ist mit vielen kurzgestielten purpurroten Drüsen versehen; sie sind jedoch im Gegensatz zu den Drüsenhaaren des Sonnentaus im ungereizten Zustand vollständig trocken. Die Blätter werden aber durch die Mittelrippe in zwei halbkreisförmige Hälften geteilt und am Rande zu langen und spitzen Stacheln 27
ausgezogen. Auf der Mitte jeder Blatthälfte erheben sich außerdem noch drei steife Stachelhaare. (S. Abb. 11.) Berührt nun ein zufällig landendes Insekt diese Stachelhaare auf der Mitte des Blattes, so schlagen die zwei Blatthälften blitzschnell zusammen und die Randstacheln greifen fest wie Finger ineinander. Diese Bewegung geht so rasch und so fest vor sich, daß das flinke Insekt fast immer gefangen und oft sogar zerquetscht wird. Und jetzt erst scheiden die purpurroten Drüsen den Verdauungssaft aus und zersetzen den Tierkörper. Es mag manchen Leser überraschen, daß wir auch in Südeuropa, ja sogar in Deutschland eine schnappende Insektenfängerin haben, die als zartes Wasserpflänzchen in seichten Gräben und Tümpeln lebt und deren winzige und runde Blatthälften genau so wie die der Venusfliegenfalle bei der geringsten Berührung fest zusammenschlagen. Zu Ehren ihres Entdeckers, eines italienischen Naturforschers, wurde sie Aldrovandia getauft. Die Überlistung des Tieres durch die Pflanze feiert in diesen Fleischfressern die höchsten Triumphe und zeigt uns die Pflanze als sogar in der Beweglichkeit dem Insekt weit überlegen. Immerhin sind diese Fleischfresser in unseren Gauen solch seltene Gäste, daß es notwendig wurde, sie alle unter Naturschutz zu stellen.
Kampf der Intelligenzen Wir würden uns aber zu wohlwollend auf die Seite der Pflanze stellen und der Intelligenz des Tieres nicht gerecht werden, wenn wir die Tatsache verschwiegen, daß das Tier in einigen Fällen doch aus seiner passiven Rolle tritt. Im großen ganzen erreicht die Pflanze zwar, was sie „will". Ihre Lockmittel Farbe und Duft ziehen die Insekten an, ihre mit geheimen Absichten dargebotenen Nektarspenden, Pollenbrote und Samenbeeren werden liebend gern angenommen, ihre Schutzmittel werden respektiert und ihre geschickt aufgestellten Fallen füllen sich immer wieder. Auch die Anpassungen an die körperlichen Eigenheiten der Insektenvertreter werden von diesen fast dankbar und mit großer Einfühlungsgabe beachtet. Aber das überlistete Insekt hat auch seine Erfahrungen gesammelt, die es befähigen, die Pflanze hinwiederum von sich aus zu überlisten. 28
A b b . 12: Die Yukkamotte beginnt ihre Flugzeit, sobald die Palmlilie ihre Blüten entwickelt hat. Die Weibchen fliegen heran, schaben von den Staubbeuteln den Blütenstaub und formen ihn zu einem Kügelchen, das sie wie einen Kropf gegen den Hals drücken. Nun geht es zur nächsten Blüte. Das Staubkugelchen wird hier in die Öffnung der befruchtungsreifen N a r b e gestopft. Hier wird der Samen befruchtet. Der entwickelte Samen dient den ausschlüpfenden Räupchen der Motte als erste Nahrung; die Motte legt nämlich ihre Eier in den Fruchtknoten der Blüte. Die Räupchen lassen aber immer soviel Samen übrig, daß die Yukkapflanze nicht aussterben kann.
So wurde z. B. in den Kannen der fleischfressenden Pflanzen eine Insektenlarve beobachtet, die sich in die Kanne hineingeschleift und sich dort gemütlich an den mit so viel List und Tücke gefangenen Tieren mästet. Die scharfen Verdauungssäfte der Pflanzen können den Larven nichts anhaben. Aber auch einige insektenfressende Vögel haben herausbekommen, daß in diesen Kannen und Trichtern etwas zu holen ist und plündern sie regelmäßig aus. Wenn das Löwenmaul und das Leinkraut ihre Blüten hermetisch verschließen, so müssen sie erleben, daß diese Blüten durch kleine Bienen von außen aufgeknappert werden. Ebenso werden die Blüten des Lerchensporns, des Beinwells und des Feldrittersporns, um nur einige zu nennen, fast regelmäßig von kurzrüssligen Hummeln aufgebissen, die also durch Einbruch zu dem in einem besonders langen Sporn verborgenen Weinfaß gelangen. Es ist erstaunlich, wie haargenau diese Hummeln die Stelle kennen, an der sich der Einbruch lohnt. Selbst den komplizierten Mechanismus des Hebelapparates beim Wiesensalbei haben die Honigbienen durchschaut und verstehen es, die noch nicht eröffneten Blüten aufzureißen, die Staubgefäße herauszuziehen und den Pollen zu räubern. Wer sich nur einmal zehn Minuten Zeit läßt, kann dieses überraschende Manöver der Bienen auf jeder Sommerwiese viele Male beobachten. Auch in die Blüten der Kapuzinerkresse, die durch Wimperhaare versperrt sind und nur die Falter hereinlassen, brechen Bienen und Hummeln ein, indem sie den langen Blütensporn von außen aufbeißen. Und genau so wie dieses Wimpergitter der Kapuzinerkresse werden noch verschiedene andere Schutzmittel der Pflanzen durch weitgehende Anpassungen der Insekten überwunden. Vollkommen 29
unempfindlich gegen die gefährlichen Haare der Brennessel krauchen die schwarzen Raupen des Pfauenauges auf dieser Pflanze umher und verzehren ihre bewehrten Blätter mit dem größten Behagen. Auch die Raupe des Distelfalters schmaust vergnügt zwischen den spitzen Stacheln der Distel. Selbst auf den überaus stachligen Ranken und Dornen der Brombeere und Himbeere spazieren Raupen umher. Immerhin stellen diese Erscheinungen doch Ausnahmen dar, die weder die große Bedeutung der pflanzlichen Erfindungen noch den Wert ihrer Schutzmittel in Frage stellen können. Und selbst diese Ausnahmen, die wir zweifellos auf die Habenseite der Insektenintelligenz verbuchen müssen, zeigen uns das Insekt doch in seiner passiven Rolle; denn es ist ja auch hier wieder die Pflanze, die den Ton angibt. Es ist uns eigentlich nur ein Fall bekannt, in dem das Tier die führende Rolle übernimmt und den Ablauf der Geschehnisse von sich aus bestimmt. Und zwar ist es die in Mexiko beheimatete silberweiße Yukkamotte, die diese erstaunliche Leistung vollbringt. Diese kleine Motte schlüpft in die elfenbeinweißen oder rosenrot angehauchten Glockenblüten der Palmlilie, schabt den Blütenstaub von den Staubgefäßen ab und knetet die klebrige Masse zu einem stattlichen Klümpchen zusammen. Mit diesem Diebesgut fliegt sie zu einer anderen Blüte, bohrt dort mit ihrem spitzen Legestachel den Stempel an und versenkt einige ihrer Eierehen in den Fruchtknoten. Ist das getan, so klettert sie zur Narbe des Stempels empor und stopft das mitgebrachte Pollenklümpchen in den Narbentrichter, der befruchtungsbereit ist (s. Abb. 12). Durch die Vereinigung bildet sich Samen in dem Trichter. Wenn dann nach vier Tagen die Räupchen der Yukkamotte aus den Eiern schlüpfen, finden sie gleich den Tisch mit diesem Samen gedeckt. So können sie bald wohlgenährt das Schlaraffenland verlassen und sich an einem Schwebeseil zur Erde herunterlassen, wo sie sich im Boden verpuppen. Die Yukkamotte bestimmt also von sich aus die Palmlilie zur Kinderstube ihrer Räupchen und sorgt durch die von ihr durchgeführte Befruchtung dafür, daß in dieser Kinderstube auch genügend Nahrung, nämlich der sich durch die Befruchtung bildende Same, vorhanden ist. Da die Räupchen nur einen geringen Teil der Samenanlage verzehren, wird die Palmlilie durch diese Einquartierung nicht wesentlich geschädigt und hat sich vollkommen auf 30
diesen kleinen gewissenhaften und egoistischen Befruchter eingestellt. Beide, Pflanze und Insekt, sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Ganz zweifellos aber spielt in diesem Falle einmal die Pflanze die passive Rolle und folgt einer Anregung des Insekts. Damit müssen wir leider unseren Streifzug durch das wahrhaftig wunderbare Reich der innigen Beziehungen zwischen Pflanze und Tier beenden, in dem, wie wir gesehen haben, das Tier eine etwas untergeordnete Rolle spielt und den uberlistungskünsten der Pflanze in den allermeisten Fällen erliegt. Das Ergebnis unserer Betrachtungen heißt zweifellos: 1 : 0 für die Pflanze!
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