2117
Der 5-D-Planet Die Messerwerfer von Tradom die Spur führt nach Linckx Horst Hoffmann
Die Hauptpersonen des Romans...
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2117
Der 5-D-Planet Die Messerwerfer von Tradom die Spur führt nach Linckx Horst Hoffmann
Die Hauptpersonen des Romans: Eshmatay Amgen - Der Kapitän der RIGO bricht zu einer unglaublichen Expedition auf. Perry Rhodan - Der Terraner stößt auf die Fünf-D-Welt vor. Ascari da Vivo - Die Admiralin maskiert sich als Xirittin. Benjameen da Jacinta - Der Zeroträumer sucht ein »Gesicht«. Tess Qumisha - Die Hyperphysikerin wird mit einer Pararealität konfrontiert.
1. Eshmatay Amgen Der alte Fährmann wusste: Wenn Cip einmal aufhörte zu pfeifen, würde er, Eshmatay, sterben. Der Letzte Sturm würde aufbrausen und alles hinwegfegen. Jeder Fährmann wusste es, jeder besaß seinen eigenen kleinen Scoothen undtrug ihn in einer der vielen Taschen seiner Montur. Die zehn Zentimeter großen Tierchen pfiffen sogar im Schlaf. Wie sie das machten, war eines der Rätsel, die die Scoothen umgaben. Aber wenn sie plötzlich verstummten... Eshmatay Amgen wollte nicht daran denken. Er strich liebevoll über Gips gelbbraunes Fell und redete beruhigend auf das Maskottchen ein. Cip war ungewöhnlich aufgeregt, das zeigte die helle Färbung des Fells. Normalerweise war es von dunklerem Braun. »Wenn du nur reden könntest«, murmelte der alte Fährmann. »Hat Ailey dich wieder geärgert? Ist es das?« Der Scoothe pfiff erbärmlich. Eshmatay Amgen steckte ihn schließlich in seine rechte Brusttasche zurück. Die Aufregung des Tieres hatte sich auf ihn übertragen. Die zur Schau getragene Ruhe war nicht echt. Selbst Ailey merkte das und ver schonte ihn ausnahmsweise mit seinem Gequassel. Amgen warf ihm einen Blick zu. Der nur 1,50 Meter große, spindeldürre Maschinist mit den vier Armen und dem endlos langen Hals mit dem fast kugelrunden, kleinen Kopf darauf sah schnell weg, als hätte er sich bei etwas Verbotenem ertappt gefühlt. Eshmatay Amgen seufzte tief. Der alte Luftschiffskapitän fühlte an diesem Tag wieder ganz arg das Reißen in seinen müden Gliedern. Es war die Antwort seines Körpers auf den draußen tobenden Sturm, der das Bittermeer aufpeitschte und Wellen von zehn und mehr Metern Höhe entstehen ließ. Das Luftschiff wurde von den Böen hin und her gerissen, nach oben geworfen und nach unten gedrückt. Es schaukelte wie ein welkes Blatt im Wind. Eshmatay Amgen hatte schon viele Unwetter erlebt, aber dies war eines der schlimmsten. War es das, wovor Cip Angst hatte? »Wir sind noch auf Kurs, Ailey«, sagte der alte Fährmann. »Das ist das einzig Gute, das wir bei diesem Teufelswetter behaupten können. Aber ich denke mit Schrecken an die Übernahme.« »Wieso denn mit Schrecken?«, fragte der Maschinist. Er redete schnell und plappernd wie im mer. Seine kleinen kreisrunden Augen leuchteten. »Wir haben es bisher immer geschafft, oder? Also mach dir keine Sorgen! In drei Stunden spätestens sind wir am Ziel, oder etwa nicht? Also siehst du!« Eshmatay bereute schon, dass er ihn angesprochen hatte. Wenn Ailey, der eigentlich Ailedsicoo hieß, einmal anfing zu reden, hörte er nicht mehr auf - es sei denn, man befahl es ihm. So redete er auch jetzt weiter. Der Kapitän stand auf und schleppte seinen schweren Körper zum Backbordfenster der Gondel, die fest unter der flatternden Hülle der RIGO verankert war. Sie war etwa zehn Meter lang und drei Meter breit. Ihre in die Leichtmetallhülle eingesetzten Fenster bestanden aus stabilem, durchsichtigem Plastikmaterial. Die Gondel war sicher, ganz im Gegensatz zu dem mit Wasserstoff gefüllten, zigarrenförmigen Ballon des Luftschiffs. Die RIGO war völlig veraltet, älter hoch als ihr Kapitän.
Eshmatay Amgen fuhr heftig zusammen, als vom düsteren Himmel ein Blitz ins Bittermeer herabzuckte und eine Gischtfontäne in die Höhe schießen ließ. Der Knall war selbst in der Gondel deutlich zu hören. Er übertönte das Geräusch des Propellers, der vor einer Stunde bedenklich gestottert hatte. Aber Ailey wäre nicht Ailey gewesen, wenn er das Problem nicht schnell in den Griff bekommen hätte. Er nannte sich selbst »Doktor«, und tatsächlich bestand seine Haupttätigkeit darin, die überholungsbedürftigen Maschinen des Einkörperluftschiffs in Gang zu halten oder wieder zu bringen. Darin war er ein Meister, und dafür nahm Eshmatay Amgen selbst seine nervtötende Gegenwart in Kauf. Der alte Fährmann griff in eine Tasche und holte einen Brocken Sumbai daraus hervor, ein entsetzlich trockenes Zeug, aber das Einzige, was er für die Dauer d es Fluges an Verpflegung besaß. Er packte es aus und schob es sich in den Mund. Mit seinen abgewetzten Hornplatten kaute er darauf herum. Vermengt mit Speichel, wurde es allmählich weicher, so dass er es schließlich hinunterwürgen konnte. Es rutschte kratzend die Speiseröhre hinunter, wobei Amgen zwei mittelschwere Erstickungsanfälle bekam. Wieder zuckten die Blitze in den Ozean. Der alte Fährmann sah sich in der diffusen, indirekten Beleuchtung der Gondel in dem Backbordfenster wider gespiegelt: ein zwei Meter großes, humanoides Wesen mit zwei stämmigen Beinen und zwei Armen, die den unteren Gliedmaßen in nichts nachstanden. Halslos saß der eckige Kopf auf den Schultern, ein bulliger Schädel mit vier paarweise untereinander angeordneten Augen, von denen jedes einzeln beweglich war. Sie standen ein Stück aus ihren Höhlen hervor. Die »Haare« des Fährmanns waren schwarze Stacheln, fünf Zentimeter lang, die nach allen Seiten starr abstanden. Sie verliehen ihm die Gabe des Strömungssehens, und mit den Strömungen w aren nicht die aus Luft zuverstehen, sondern aus den übergeordneten Energien, die ganz Linckx umgaben. Die Farbe des Overalls, der den voluminösen Leib umspannte, war ein leuchtendes Rot. Die großen Taschen waren gelb abgesetzt. Eine heftige Erschütterung durchlief die RIGO und die Gondel. Eshmatay Amgen wäre fast gestürzt, aber er fiel nur in seinen breiten Sessel zurück. Ailey schnatterte noch immer, bis der alte Fährmann laut »Ruhe!« brüllte. »Still jetzt!« »Ich bin ja schon still, ganz still«, schnatterte der Maschinist weiter. »Du wirst nichts mehr von mir hören, ich verspreche es. Ich werde schweigen wie ein Ooch. Aber dann darfst du dich auch nicht wundern, wenn du ...« »Halt's Maul!«, brüllte Eshmatay Amgen erneut. »Oder du bekommst keine Prozente mehr!« Das wirkte. Ailey hatte keine Gelegenheit, seinen Anteil am Geschäft auszugeben. Er hockte wie eine Glucke auf den CE-Tradicos, die er von seinem Kapitän erhielt, wenn sie eine Lieferung an Land gebracht und ihren Anteil bekommen hatten. Dieser war lächerlich gering im Vergleich zu dem, was das von ihnen transportierte Yddith den Prospektoren einbrachte. Das fünfdimensional strahlende Quintadim - oder kurz Quinta-Erz war das wichtigste Ausfuhrprodukt des unfruchtbaren, an vielen Stellen hochtoxischen Planeten. Eine Stunde verging. Die RIGO schob sich im immer noch schlimmer werdenden Unwetter tapfer voran, wenn gleich sie manchmal von Böen aus dem Kurs gerissen wurde. Die Blitze folgten immer schneller aufeinander, als wollten sie die RIGO stoppen und zur Umkehr zwingen. Aber das Unwetter tobte überall über dem Bittermeer. Eine Rückkehr zum Kontinent Kaza wäre keine Lösung für den alten Fährmann gewesen, der um des Überlebens willen jeden sich bietenden Auftrag annehmen musste. Sein Luftschiff war nicht mehr konkurrenzfähig. Jeder neue Auftrag war ein hochwillkommenes Geschenk Anguelas. Eshmatay Amgen fühlte, wie Cip aus seiner Brusttasche herauskletterte und auf den großen Kartentisch sprang. Die Farbe des Fells war jetzt noch heller geworden. Der alte Fährmann erschrak. Erglaubte fest daran, dass Cip über übernatürliche Gaben verfügte und Dinge spürte, die in der Zukunft lagen. Vielleicht weit in der Zukunft, vielleicht aber auch unmittelbar bevorstehend. Die nächste Stunde verging. Ailey betete leise. Er konnte einfach den Mund nicht halten, doch in diesem Fall hoffte der Kapitän, sein Flehen möge in Erfüllung gehen. Er flehte darum, dass sie die letzte Stunde durchstanden, ohne dass die Blitze die Hülle seines Luftschiffs trafen und die RIGO in lodernden Flammen aufgehen ließen, die selbst der heftig prasselnde Regen nicht löschen konnte. Es musste gehen. Amgens Existenz hing davon ab, das Yddith in Empfang zu nehmen, ebenso die von Ailey. Eshmatay Amgen hatte ihn vor Jahren von einem Sklavenhändler ausgelöst und mit ungeahntem Erfolg zu seinem Helfer ausgebildet. Seitdem fühlte er sich nicht nur für ihn verantwortlich, er war auf ihn ebenso als Maschinisten angewiesen. Der Traum des alten Kapitäns war, eines Tages, bevor er starb und ins Reich Anguelas einging, eines der moderneren Zweikörperluftschiffe zu fliegen. Doch davon war er jetzt meilenweit entfernt. Wieder wurde das Schiff von den Böen durchgerüttelt und vom geraden Kurs abgebracht. Und wieder schaffte es der Kapitän, den Kurs zu korrigieren. Er schwitzte jetzt. Sein Herz schlug schneller. Es schmerzte, fast noch schlimmer als das Gliederreißen. Und Eshmatay Amgen wurde auf diese unangenehme Weise daran erinnert, dass dies sein zweites Leben auf Linckx war...
Da war er sogar dankbar für Aileys Geschnatter, das fast eine Stunde anhielt. Es hielt ihn am Leben, hielt ihn wach. Es gab nur eine Unterbrechung, als der Maschinist wieder hinauf in den Ballon musste, um nach den Antriebseinheiten des Luftschiffs zu sehen. Der einzige Propeller hatte erneut zu stottern angefangen. Das zweite Leben ... Der alte Fährmann wollte auch daran nicht gerne denken. Er zwang sich zur Konzentration auf den Zielpunkt. Und dann, mitten in dem aufgepeitschten, giftigen Bittermeer, sah er etwas aus den Fluten und haushohen Wellen auftauchen. Gleichzeitig lief eine Funkbotschaft in der RIGO ein. »Wir sind da, Ailey, dank Anguela!«, rief er zu seinem Maschinisten hinauf. Dann griff er nach Cip und nahm ihn in seine Hand. »Wir haben es geschafft, Kleiner. Du kannst wieder dunkler wer den.« Aber der Scoothe tat es nicht. Er blieb hell und flüchtete sich in Amgens Brusttasche zurück. Eshmatay Amgen, obwohl er das Ziel der Reise, die auf dem Kontinent Kaza begonnen hatte, erreicht hatte, zog ein ernstes Gesicht. Eine dem Unwetter angepasste Endzeitstimmung erfasste ihn. Zwar pfiff Cip noch, aber der alte Fährmann dachte an eine andere Prophezeiung. Eine alte Muiadehh aus dem tradomschen, nur selten auf einem Planeten anzutreffenden Volk der Muia hatte es ihm vorausgesagt. »Du wirst nur dann über deine Zeit hinaus leben, wenn du bereit bist, neue Wege zu gehen.« Der alte Fährmann biss in einen neuen Brocken Sumbai. Als er ihn, durch Speichel halb verdaut, hinuntergewürgt hatte, ging er auf Sendung. »Hier die RIGO, hier die RIGO«, sagte er. »Wir sind bereit.« 2. Perry Rhodan: das Experiment 1. Dezember 1311 NGZ Der 1800 Meter durchmessende Kugelraumer LEIF ERIKSSON, Perry Rhodans Flaggschiff, senkte sich in seinen subplanetarischen Hangar auf dem Planeten Jankar nieder. Hinter der Besatzung lagen risikoreiche Einsätze in der Großgalaxis Tradom. In die Freude über die glückliche Rückkehr zum Stützpunkt mischte sich die Erleichterung darüber, dass die KARRIBO der arkonidischen Admiralin Ascari da Vivo bereits vorher eingetroffen war. Die beiden Schiffe waren gemeinsam gestartet, aber mit verschiedenen Zielen. Während sich Rhodan auf die Suche nach dem verschollenen Kreuzer LE-KR-01 gemacht hatte, hatte die KARRIBO jenes fünftausend Lichtjahre durchmessende, zwischen Tradom und der Nachbargala xis Teralanya gelegene »Auge Anguelas« angeflogen. »Da wären wir also wieder«, sagte Pearl TenWafer, die epsalische Kommandantin. »Wir haben Gucky und die beiden Katsugos heimgebracht und einen Stützpunkt des Reichs Tradom zerstört. Ich finde, die Mannschaft hat sich ein paar ruhige Tage verdient.« »Pearl, die Wohltäterin«, antwortete Perry Rhodan mit leisem Spott. Aber er lächelte sie an. »Dabei haben unsere Männer und Frauen acht Tage Zeit gehabt, um sich zu erholen.« »Du meinst unsere Schleichfahrt, denke ich.« »Schon. Natürlich war es für viele Besatzungsmitglieder nicht so spannend, durch die Galaxis zu streifen und nur Informationen zu sammeln. Denk aber an die vielen Erkundungsfahrten, die uns langsam einen guten Überblick verschaffen. Wir wissen jetzt besser über das Wirtschaftssystem des Reiches Tradom Bescheid.« »Es ist für mich trotzdem eine Galaxis der Tributkastelle und der Sklaverei.« Rhodan nickte und rief nach einem Servo. Der halbkugelförmige Roboter erschien schwebend vor ihm und nahm seine Bestellung auf. Heißen Kaffee für ihn und für Pearl. Einige andere Anwesende schlossen sich an. Der Servo verschwand und kehrte kurz darauf mit dem Gewünschten zurück. Perry Rhodan nahm seinen Becher und nippte an dem heißen Getränk. Bald spürte er, wie sich wohlige Wärme über seinen Körper ausbreitete. »Ich möchte wissen, was sie erreicht hat«, sagte Pearl, und jeder Zuhörer wußte, wen sie damit meinte. Rock Mozun, der ertrusische Emotionaut mit den zwei Sichelkämmen und dem borstigen Bart, grinste breit. »Die Admiralin? Ich wundere mich darüber, dass sie sich noch nicht bei uns gemeldet hat. Wenn sie keinen Erfolg aufzuweisen hätte, wäre sie noch nicht hier.« Inzwischen waren sämtliche externen Systeme der LEIF ERIKSSON abgeschaltet worden. Das riesige Schiff lag still am Grund des zwei mal zwei mal zwei Kilometer großen Hangars. Und als hätten die Worte des Ertrusers es provoziert, schaltete sich die Funk- und Ortungszentrale zu und gab bekannt, dass Ascari da Vivo sich soeben gemeldet habe. Sie befand sich in ihrem Schiff, nicht etwa in den ihnen von den Jankaron bereitgestellten, oberirdischen Quartieren.
»Dann stell sie uns durch«, sagte Rhodan und stellte seinen Kaffee ab. Wenige Sekunden darauf entstand das lebensgroße Holo der Admiralin mitten in der Zentrale. Die junge Arkonidin sah sich um, dann fand ihr Blick den Perry Rhodans. Sie nickte. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ich stelle zufrieden fest, dass unsere Helden zurück sind«, begann sie. »Ich hatte dich schon vorher zurückerwartet, Rhodan. Aber so kann man sich irren.« »Wir hatten Probleme, aber wir haben sie gelöst«, gab er unterkühlt zurück. »Nichts, was dich aufregen sollte.« »Sei doch bitte dennoch so freundlich und informiere mich«, sagte sie. Ihr Lächeln verschwand. »Schließlich sind wir Verbündete, oder? Die Bedrohung durch das Reich Tradom gilt uns beiden und unseren Völkern.« »Einverstanden. Und deshalb bitte ich dich persönlich an Bord meines Flaggschiffs - sagen wir, in einer Stunde? Ich werde dich von unseren Unternehmungen und Erkenntnissen in Kenntnis setzen und dir außerdem zwei ganz besondere Beutestücke vorführen, die wir mit gebracht haben.« »Beutestücke? Das klingt nach Kampf.« »Und du?«, wich er aus. »Was hast du vorzuweisen? Wie war es bei Anguelas Auge?« »Später, Rhodan, in einer Stunde. Ich nehme deine großzügige Einladung an. Wissen um Wissen, Wort um Wort.« Die Admiralin winkte, dann erlosch ihre dreidimensionale Projektion. »Sie ist neugierig«, sagte Pearl TenWafer. »Verdammt neugierig. Das kann sie nicht überspielen.« »Ich kann sie verstehen«, meinte Perry Rhodan. »Wir alle befinden uns in einer Ausnahmesituation.« Der Terraner wandte sich um und verließ die Zentrale. * Als Ascari da Vivo kam, war ihre Er scheinung ziemlich gewagt. Sie hatte das so genannte Mehinda-Make-up aufgetragen - dezent, aber wirksam. Ihr langes blondes Haar umwallte das hübsche ju gendliche Gesicht. Sie trug eine silberfarbene, wie eine zweite Haut anliegende Kombination. Alles an ihr war Versuchung, Provokation. Ascari da Vivo war per Transmitter an Bord der LEIF ERIKSSON gekommen. Man hatte sie erwartet und in die Zentrale geführt. Die Arkonidin blickte sich erhobenen Hauptes um. Als Perry Rhodan in die Zentrale trat, trug er eine brandneue Bordkombination. Er kam auf Ascari da Vivo zu und führte sie auf die halbkreisförmige Plattform hinauf, wo er ihr einen Platz anbot. »Galant wie ein Ritter aus uralten Tagen«, spottete sie. »Man tut, was man kann, Admiralin.« Ascari da Vivo wurde schlagartig ernst. »Ich bin gekommen, weil du mir von eurer Mission berichten wolltest, Perry Rhodan«, sagte sie. »Ich warte.« »Natürlich«, antwortete er. Und dann berichtete er, unterstützt durch Hologramme und zahlreiche Dokumente. Rhodan begann mit dem empfangenen Notruf der LE-KR-01 und den Kämpfen im Stützpunkt der Messerwerfer, berichtete von der Rettung Guckys und der Aufnahme der beiden Katsugos, die inzwischen von ihren siganesischen Besatzungen vollständig wieder hergerichtet worden waren. Gucky selbst, von einem der geheimnisvollen Messer durchbohrt, war außer Lebensgefahr. An einen Ein satz des Ilts war jedoch noch nicht zu denken. »Und du, Admiralin?«, fragte der Ter raner, nachdem er alles Wissenswerte aufgezählt und ihr einen Datenkristall mit weiteren Informationen überreicht hatte. »Wie war es beim Auge Anguelas?« »Du weißt, dass wir in dem Auge Anguelas einen PULS vermuteten, in dem sich das Zentrum des negativen Thoregons befinden könnte, in dem wir festsitzen.« »Das ist mir bekannt. Und?« Rhodans Stimme klang härter, als es die Menschen in der Zentrale von ihm gewohnt waren. Verwunderte Blicke wurden gewechselt. »Wir flogen mit der KARRIBO dieses heftig strahlende Gebilde an. Das Auge präsentierte sich unserer Ortung als genauso undurchsichtig wie zum Beispiel der PULS von DaGlausch oder die NACHT von Segafrendo. Entsprechende Daten hatten wir ja von dir.« »Weiter«, forderte Rhodan mit drängendem Unterton. »Wir entdeckten, als wir von Katamaren angegriffen wurden, eine gigantische Raumstation im Innern der Glutwolke. Zuerst griff sie die Katamare an, dann uns. Dank der Jankaron mit ihrem Planetenjäger gelang es uns zu überleben. Er wurde von der Station als freundlich eingestuft, danach auch die KARRIBO als sein Mutterschiff.« Die Arkonidin hielt inne, genoss sichtlich die Spannung in der Zentrale. Dann reichte sie ihm langsam einen Datenkristall. »Hier findest du weitere Informationen«, sagte sie mit besonders freundlichem Unterton. »Damit deine Wissenschaftler forschen können ...«
Rhodan legte den Kristall auf ein Pult neben sich. »Was passierte dann?«, fragte er trotzdem. »Diese Station erwies sich als eine der Eltanen, nach denen wir so verzweifelt suchen. Auf der Flucht aus dem Auge verfolgten uns die Katamare, und sie schickten uns eine niemals zuvor geortete Strahlung, die dem KorraVir ziemlich ähnlich wirkt. Wir mussten auf Positronikbetrieb umschalten und entkamen schließlich in den Hyperraum.« Die Arkonidin lehnte sich zurück und lächelte. »Das war alles, Rhodan, mehr gibt es derzeit nicht zu berichten. Und jetzt möchte ich gerne wissen, was es mit den beiden von dir erwähnten Fundsachen auf sich hat.« Rhodan blieb ruhig. Er nickte ihr zu und sagte nur: »Komm!« * Warum verhält sie sich so widersprüchlich? Rhodan dachte wieder ein mal über Ascari da Vivo nach. Einerseits begabte Kommandantin, die gegenüber ihren Leuten fordernd und kameradschaftlich zugleich ist, andererseits jemand, den ich nicht einschätzen kann. Der Terraner war verärgert darüber, dass er sich der Arkonidin gegenüber nicht so verhalten konnte wie bei anderen Menschen in seiner Umgebung. Andererseits aber provozierte sie ihn durch ihr Auftreten und ihre Spitzfindigkeiten. Er ging voraus. Ascari folgte ihm im Abstand von einem Meter. Beide nahmen den Weg über die Rollbänder, durch die Korridore und Antigravschächte der LEIF ERIKSSON, benutzten nicht den schnelleren Transmitter. Beide sprachen auf dem Weg kein Wort. Schließlich erreichten sie einen kleinen Hangar, in der sie von HumphreyBlue Parrot, dem Chefwissenschaftler der ERIKSSON, und seinem Assistenten Sackx Prakma erwartet wurden. »Das wurde auch Zeit«, sagte Parrot. Der über 1,90 Meter große, ausgezehrt wirkende Mann fuhr sich über das kurze, ergraute Haar. »Glaubt ihr, dass wir ewig warten?« »Nehmt es ihm nicht übel«, sagte Sackx Prakma schnell, der rein äußerlich mit seiner korpulenten Statur und seiner Ruhe das Gegenteil seines Chefs darzustellen schien. »Er kann es nun mal nicht abwarten, mit den Experimenten zu beginnen.« »Ich kann für mich selbst reden!«, fauchte Parrot ihn an. Perry Rhodan zeigte ein Lächeln, ganz im Gegensatz zur Admiralin, die für die im Grunde harmlosen Zankereien zwischen den beiden Wissenschaftlern nichts übrig hatte. Dabei handelte es sich bei Parrot und Prakma »nur« um eine rein persönliche »Hassliebe«, wie Rhodan sehr gut wusste. Wenn es um ihre gemeinsame Arbeit ging, wirkten sie als perfektes Team zusammen. »Beruhige dich, Humphrey«, sagte Rhodan. »Wir sind ja da. Wo ist unser Beutestück Nummer eins? Ich meine die Mikromaschinen, die wir im Stützpunkt der Messerwerfer erbeutet haben.« »Hier«, sagte Parrot und zeigte auf einen kleinen Container genau in der Mitte des Hangars. Er war von einer Staffel aus Paratron- und HÜ-Schirmen gesichert. »Zu dem Container gehört eine Steuereinheit. Soweit wir vermuten können, lässt sie sich von unserer Technik beeinflussen und damit die Mikromaschinen. Es ist alles für das Experiment vorbereitet. Wir brauchen nur deinen Befehl.« »Unbekannte Mikromaschinen?«, fragte Ascari da Vivo. »Da würde ich kein Risiko eingehen, Rhodan.« »Du siehst, dass wir den Container abgeriegelt haben«, antwortete er. »Außerdem haben Parrot und Prakma auf der Erde bereits mit solchen Maschinen ihre Erfahrungen gesammelt. Es kann nichts passieren.« »Und wenn doch ...?« Ihre Stimme klang gedehnt. »Du kennst nicht alle Waffen der Tradom-Bewohner.« Der Terraner sah sie überrascht an. Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke, dann verhärtete sich ihre Miene wieder, und sie sah starr auf den Container in der Mitte der Halle, hinter dem flirrenden Blau der Energieschirme. »Fangt an!«, befahl Perry Rhodan in einem Ton, der die zwei Wissenschaftler sichtlich überraschte. * Humphrey Blue Parrot stand an einem Pult und blickte auf verschiedene kleine Holofelder vor sich. Er flüsterte seinem Assistenten etwas zu. Dann rief er laut in die Halle: »Öffne jetzt den Container!« Die Worte wurden ins Anguela-Idiom übersetzt, die Verkehrssprache der Galaxis Tradom. Die Steuereinheit reagierte sofort. Der aus Formenergie bestehende Deckel des Kleincontainers verschwand einfach, wie in Luft aufgelöst. Aus den Augenwinkeln sah Perry Rhodan, wie Ascari da Vivo gebannt auf die Holofelder starrte, die in Vergrößerung übertrugen, was unter den blauen Schirmen geschah. »Die Mikromaschinen«, sagte Parrot mit leiser Stimme, fast andächtig.
Im gleichen Moment stieg eine feine Wolke aus dem Container auf, ein kaum sichtbarer Nebel. Rhodan kniff die Augen zusammen. Dennoch wurde der Nebel schnell diffuser und verschwand dann scheinbar ganz in dem Hangar, ohne eine optische Spur. »Jetzt passt auf!«, sagte der Wissenschaftler. »Konzentriert euch auf das Aggregat, das fünf Meter neben dem Container steht. Es stammt aus unseren Lagerbeständen und ist eine Maschine zur Bearbeitung von metallischen Oberflächen. Entsprechend hart ist das Material.« Einige Sekunden verstrichen ereignislos. Ascari da Vivo fragte: »Was geschieht? Ich sehe nichts. Habt ihr mich hierher geführt, um meine Zeit...?« Sie verstummte, denn in diesem Moment begann es. Die Maschine zerfiel innerhalb weniger Augenblicke in eine Wolke aus Staub - wie von maschinellen Termiten zerfressen, wie es Sackx Prakma mit halblauter Stimme ausdrückte. Und aus der Wolke erhoben sich als wiederum kaum sichtbarer Schleier die Mikromaschinen; sie kehrten in ihren Container zurück, offensichtlich von den beiden Wissenschaftlern durch vom Pult aus kontrollierte Felder gesteuert. Der Deckel materialisierte auf einen Befehl Blue Parrots wieder. »Ich bin beeindruckt«, gab die Admiralin zu. »Ich versuche, mir die Möglichkeiten vorzustellen, wenn wir diese Maschinchen gezielt einsetzen könnten.« »Du meinst, als Waffe?«, vermutete Rhodan. Sie sah ihn nicht an, als sie antwortete: »Als Werkzeuge. Nur als Werkzeuge.« Der Terraner glaubte ihr nicht, und die Arkonidin wusste es. »Aber das war es nicht, was wir wollten!«, rief Parrot leidenschaftlich aus. Als Rhodan sich überrascht zu ihm umdrehte, nickte er heftig. »Unser Ziel war nicht, die Maschine aufzulösen, sondern sie lediglich funktionsunfähig zu machen!« »Das hast du von deiner Ungeduld«, sagte Sackx Prakma kopfschüttelnd. »Ich sagte dir schon, wir müssen zuerst einen Weg finden, die Mikromaschinen zu programmieren! Aber nein, du dachtest ja wohl, die Maschinen würden unsere Absicht aus unseren Gedanken her auslesen.« »Auf einem solchen Niveau diskutiere ich nicht!«, wehrte Parrot ab, fügte je doch hinzu: »Dann nenne mir einen Weg, sie zu programmieren.« »Wir müssen eben daran arbeiten und uns vor allem mit der Steuereinheit eingehender befassen. Darin liegt der Schlüssel!« »Es ist gut«, sagte Perry Rhodan. »Hört auf zu streiten. Tatsache ist, dass wir aus dieser Technik bislang keinen Nutzen ziehen können. Experimentiert weiter, aber tut es im Schutz der Energie schirme. Wenn ihr einen Erfolg aufzuweisen habt, bitte ich um Nachricht.« »In Ordnung«, sagte Parrot und warf seinem Assistenten einen giftigen Blick zu. »Wir werden uns Mühe geben.« »Das war lächerlich«, sagte Ascari da Vivo, als sie mit Rhodan den Hangar ver lassen hatte. »Ich würde nie die Zustimmung zu einem so schlecht vorbereiteten Experiment geben. Die beiden Wissenschaftler sind unfähig.« »Ganz im Gegenteil«, widersprach er. »Ich würde sogar behaupten, dass es der zeit in der ganzen Liga Freier Terraner nur wenige fähigere Wissenschaftler gibt als Humphrey Blue Parrot.« »Was ein bezeichnendes Licht auf die Liga wirft«, spottete die Arkonidin. »Was ist mit dem zweiten Beutestück? Wird das auch so ein Reinfall?« »Du wirst es gleich sehen. Ehrlich gesagt wissen wir überhaupt noch nicht, womit wir es dabei zu tun haben außer dass es eine Art Rucksack ist, den Oberstleutnant Caar Vassquo und seine Wild Cats einem toten Messerwerfer abgenommen haben.« »Sehr vielversprechend«, meinte sie spöttisch. »Und eigentlich haben wir sogar noch einen dritten Fund«, fügte Rhodan hinzu und ignorierte ihren überraschten Blick. * Pearl TenWafer wartete bereits in einem eigens leer geräumten Kreuzerhangar. Schutzschirmstaffeln waren errichtet worden, die ein höchstmögliches Maß an Sicherheit boten. Kampfroboter schwebten in Bereitschaft, die Waffen schussbereit. Bei der epsalischen Kommandantin standen Benjameen da Jacinta, Tess Qumisha, Rock Mozun und eine Hand voll andere Männer und Frauen, die Ascari nicht kannte. Perry Rhodan hatte sie alle für genau 18 Uhr Standardzeit hierher bestellt. Zuletzt erschienen die beiden Wissenschaftler Parrot und Prakma, die ihre weitere Arbeit mit den Mikromaschinen erst einmal hintangestellt hatten, gefolgt von den Katsugos TOMCAT und SHE CAT. Sie alle warteten vor den Hologrammen, die das Geschehen im abgeschirmten Feld vergrößert darstellen sollten.
Die Holos zeigten bisher lediglich den am Boden liegenden Rucksack, dreißig mal dreißig Zentimeter groß und etwa so dick wie eine Hand, aus einem lederartigen Material. Über ihm standen drei Servoroboter reglos in der Luft. »So viel Aufhebens um dieses Ding?«, fragte Ascari da Vivo verwundert. »Ist das auch wieder so ein Experiment, Rhodan?« Sie hatte laut gesprochen. Bevor Perry ihr antworten konnte, drehte die epsalische Kommandantin sich zu der Arkonidin um und sagte: »Wenn es nach mir ginge, dürfte der Versuch überhaupt nicht in der LEIF ERIKSSON stattfinden. Ich sage das noch einmal vor Zeugen. Ich protestiere und lehne jede Verantwortung ab.« »Wir haben es zur Kenntnis genommen, Pearl«, sagte Perry ruhig. »Von welchem Versuch spricht sie?«, fragte die Admiralin. »Rhodan, was geht hier vor?« Der Terraner lächelte kurz. »Es ist die zweite interessante Sache; wie du aus dem Bericht weißt, wurde dieser Rucksack von einem toten Messerwerfer erbeutet. Seither stand er unter Sicherheitsverwahrung, nachdem er sämtlichen Durchleuchtungsversuchen widerstanden hat. Obwohl er sich seit dem 22. Oktober in unserem Besitz befindet, wurde er bislang nicht geöffnet.« Rhodan hob die rechte Hand und wies auf den Gegenstand. »Darum geht es hier und jetzt, Ascari. Wir müssen das Risiko eingehen und werden ihn von den Servorobotern öffnen lassen. Es ist anzunehmen, dass in seinem Innern ein oder mehrere der spezie llen Messer vorhanden sind, die Gucky fast getötet haben.« Die Arkonidin blickte ihn aufmerksam an. »Meine Wissenschaftler haben mich darauf hingewiesen, dass du einen per sönlichen Bezug zu diesen Waffen hast.« »Ich selbst bin dieser Art von Messern vor Jahren auf der Brücke in die Unendlichkeit zum ersten Mal begegnet. Jetzt, hier in Tradom, tauchen sie plötzlich wieder auf. Sie scheinen ein eigenes Leben zu besitzen und durchdringen selbst Paratronschirme. Die Messer sind gegenüber allen konventionellen Waffen unempfindlich.« »Das hört sich alles recht abenteuer lich an«, antwortete die Arkonidin. »Aber interessant genug, um meine Anwesenheit hier zu rechtfertigen.« Perry Rhodan gab das Zeichen. Tete Kramanlocky, der Leiter der Schiffsverteidigung, stand an einem Kontrollpult und hatte die Aufgabe, die drei Servorobots unter den Schirmen zu steuern. Jetzt nickte »Blueboy«, wie ihn manche nannten, Rhodan zu, warf Pearl TenWafer einen fast entschuldigenden Blick zu und gab seine Befehle an die Maschinen. * Perry Rhodan hielt den Atem an. Niemand sprach, alle Augen waren auf die Holos gerichtet, die zeigten, was unter den Schirmen vorging. Kramanlocky sprach mit leiser Stimme in ein vor seinen Lippen schwebendes Mikrofon, das seine Worte durch winzige Strukturlücken in den Schutzschirmen hindurch an die Servos weiterleitete. Die drei kugelförmigen Maschinen ließen sich langsam auf den Rucksack hinabsinken und fuhren ihre Tentakel aus, an deren Enden sich verschiedene Greifwerkzeuge befanden. Eine unheimliche Spannung erfüllte den Hangar. Perry Rhodan spielte unruhig mit den Fingern. Pearl TenWafer schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. Die Messer!, dachte Rhodan. Plötzlich spürte er, wie sich sein und Ascaris Ellbogen berührten. Nur für den winzigen Bruchteil einer Sekunde war er elektrisiert, dann galt seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen unter derEnergieglocke. Jemand stöhnte laut auf, als einer der Servos den Rucksackverschluss berührte und öffnete. Abermals stockte Rhodan der Atem. Ein schneller Blick in die Runde zeigte ihm angespannte, fast entsetzte Gesichter. Die Luft schien zu stehen. Nur das leise Summen der Generatoren war zu hören. Jeden Augenblick konnten die Messer aus dem Rucksack herausschnellen und die Schutzschirme durchdringen, wie lebendig, auf der eigenständigen Suche nach Opfern. Doch dann kam der Moment, in dem die Servos den geöffneten Rucksack in die Höhe zogen, mit der Öffnung nach unten. Nur zwei Dinge rutschten aus ihm heraus, und keines davon war eines der gefürchteten und unberechenbaren Messer. »Ein Tuch«, brach Benjameen da Jacinta flüsternd das Schweigen. »Und ein kleines Paket...!« Das Tuch war fünfzig mal fünfzig Zentimeter groß. Der Roboter, der es unter suchte, gab erste Ergebnisse an Kramanlocky durch. Der Leiter der Schiffsverteidigung sagte nach einer Weile laut, so dass es jedermann hören konnte: »Das Tuch besteht aus einem polymeren Kunststoff. Es ist atmungsaktiv und äußerst wider standsfähig zugleich. Die Unterseite ist mit einem hochwirksamen biologischen Klebstoff beschichtet.« Wie die Oberseite beschaffen war, das sahen sie alle selbst. Sie wies ein Muster aus schwarzen und weißen Flecken
auf, das sich vor den Augen der Beobachter inseltsame Formen und Gestalten aufzulösen schien. »Heiliges Universum!«, kam es von Caar Vassquo. Der Siganese saß auf der linken Schulter »seines« Katsugos. »Die Maske eines Messerwerfers!« »Das zweite Objekt, Tete«, sagte Rhodan. »Ich fürchte, das ist noch profaner«, antwortete Kramanlocky. »Der untersuchende Servoroboter meldet, dass es sich um eine in durchsichtiges Plastik verpackte Substanz handelt, die offenbar eine ... eine Art Nahrungsmittelpaket darstellt. Für ein Wesen wie einen Messerwerfer sicher nicht mehr als eine Zwischenmahlzeit ...« »Da habt ihr eure gefährlichen Waffen«, spottete Ascari da Vivo. »Ihr könnt eure Energieschirme wieder abbauen. Vor so etwas hattet ihr Angst?« »Als ob du nicht auch so einen Aufwand betrieben hättest«, konterte Perry Rhodan. »Ich hätte jedenfalls nicht so einen Zirkus veranstaltet.« »Wartet!«, rief Kramanlocky. »Hier kommen weitere Daten. Auf dem Paket befindet sich eine Aufschrift in den Schriftzeichen des Anguela- Idioms. Sie lautet Sumbai. Und ja, eine erste chemische Analyse durch die Servos hat ergeben, dass der Inhalt des Pakets tatsächlich aus Proteinen und Kohlehydraten besteht - zwar in fremdartiger Zusammensetzung, aber bei entsprechendem Verdauungstrakt eindeutig als Nahrungsmittel verwendbar. Menschen kämen wohl ohne Bauchschmerzen mit der Mischung zurecht.« Perry Rhodan schwieg. Ein enttäuschter Blick von Tess Qumisha traf ihn. Alle schwiegen, jetzt aber nicht mehr aus Angst, sondern bedrückt. Die Spannung hatte sich aufgelöst. Die Enttäuschung war groß. Alle hatten sich Unglaubliches vom Innern des Rucksacks erhofft, ihrem meistversprechenden Beutestück. Und nun das! Eine Maske und eine ... eine Butterstulle für einen Messerwerfer! »Gehen wir«, sagte Perry Rhodan. »Ich erwarte einen ausführlichen Bericht in der Zentrale. Leider hat es sich ...« »Wartet!«, unterbrach ihn Kramanlockys Ruf. »Hier kommt noch etwas von den Servos. Unter der Aufschrift befindet sich ein Hinweis. Er muss der Fabrik gelten, die das Nahrungsmittel erzeugt hat. Die Aufschrift lautet, von den mit Anguela-Idiom gefütterten Robotern so übersetzt: Nahrungs- und Zusatzstoffe für unterschiedliche Metabolismen, Fabrik Shinkasber.« »Müsste uns dieser Begriff bekannt sein, Shinkasber?«, fragte Pearl. »Fragen wir die Syntronik«, antwortete Perry Rhodan. Er benutzte ein Schallfeld, das sich vor ihm aufbaute, um die entsprechende Frage zu stellen. Die Antwort des Bordsyntrons kam sofort. »Der Begriff ist durchaus bekannt. Er taucht einige Male in den noch nicht vollständig geordneten Daten auf, die von der LEIF ERIKSSON, der KARRIBO und den Kreuzerflottillen gesammelt worden sind. Shinkasber ist auf jeden Fall der Name einer Stadt, die sich auf dem Nordkontinent des Planeten Linckx befindet.« »Linckx!«, rief Caar Vassquo. Der Siganese ließ seine Stimme durch einen Lautsprecher verstärken. »Und ob uns das ein Begriff ist!« »Der Begriff ist seit dem Einsatz der LE-KR-01 auf dem Planeten Pombar bekannt«, erläuterte die Syntronik nüchtern. »So heißt der Planet, auf dem der pombarische Landesherr Ikanema Two angeblich das Skelett eines Terraners gefunden haben soll.« »Das Skelett eines Terraners?« Ascari da Vivo drehte sich zu Rhodan um. »Deine Leute haben terranische Knochen in dieser Galaxis gefunden?« »Das ist die dritte Überraschung«, sagte Perry Rhodan trocken. »Nach allen bisherigen Analysen ist dieses Skelett tatsächlich ein terranisches. Kein arkonidisches, kein akonisches, kein tefrodisches, nichts, was auf eine andere Lemurer-Art hindeutet. Einfach ein terranisches.« »Das sind ja doch interessante Neuig keiten.« »Vor allem ist die Querverbindung in teressant«, fügte Rhodan hinzu. »Die Spur des Messerwerfers und die Spur des Skeletts führen tatsächlich an denselben Ort. Und dorthin werden wir morgen mit der LEIF ERIKSSON aufbrechen.« »Das ist gut«, antwortete ihm die Ar konidin. »Wir kommen natürlich mit.« 3. Eshmatay Amgen Die Prospektoren tauchten auf. Dem zehn Meter langen Periskop folgte unter abfließenden Wassern das Obere ihres gewaltigen U-Boots, das immer wieder von hohen Wellen überspült wurde. Die Blitze zischten neben, vor und hinter ihm in die See, so als hätten sie Ziel genommen.
Das U-Boot war über hundert Meter lang. Eshmatay Amgen kannte es. Er kannte auch seine Mannschaft und den Kapitän, den Roxanen Jergewisch Quont. Roxanen, zwei Meter große Geschöpfe mit langen Beinen, einem tonnenförmigen Rumpf und zwei tentakelartigen Armen, waren oft als Prospektoren auf Linckx anzutreffen. Sie liebten das Wasser und die Gefahr - beides Dinge, die sie auf dem Planeten der Meere im Überfluss antrafen. Als Mannschaften dienten ihnen in der Regel die insektenhaften Quintanen, aber auch andere Spezies aus ganz Tradom. Linckx war ein Schmelztiegel der verschiedensten Völker, aber nicht alle wagten sich auf die Meere hinaus. Die Prospektoren waren ein Mischmasch aus den Härtesten der Harten. Die Förderung des Yddith aus dem den Kontinent Kaza umgebenden Bittermeer war jeden Tag aufs Neue ein Kampf ums Überleben. Eshmatay Amgen und Jergewisch Quont waren alte Bekannte. Das Wort »Freund« wäre zu viel des Guten gewesen. Jeder von ihnen arbeitete für sich. Immerhin hatte Amgen Quont kennen gelernt, als dieser als junger Prospektor nach Linckx gekommen war, und seine erste geborgene Ladung des strahlenden Erzes an Land gebracht. Sie waren im Laufe der Jahre ein Gespann geblieben. Jergewisch Quont war vielleicht der Einzige, der Eshmatays Dienste noch in Anspruch nahm. Er allein war, so gesehen, der letzte Garant dafür, dass die RIGO noch existenzfähig war und fliegen konnte. »Eshmatay?«, klang es aus den Lautsprechern neben dem Mikrofon. »Alter Knabe! Könnt ihr unsere Ladung mit eurem alten Kahn aufnehmen?« »Natürlich, Jergewisch!«, antwortete der alte Fährmann. »Wozu, glaubst du, sind wir sonst hier? Wir haben dein Signal empfangen und sind sofort aufgebrochen. Hol's der Teufel, hast du dieses Wetter bestellt?« »Wenn es nach mir ginge, würde das Unwetter endlich aufhören! Wie ist es, Alter - kannst du fünfhundert Kilo Yddith an Bord nehmen? Schafft das deine flügellahme RIGO noch?« »Fünf ... hundert?«, stammelte Amgen. »Du meinst wirklich, eine halbe Tonne?« »Wir hatten unverschämtes Glück«, bekam er zur Antwort. »Du weißt ja, dass keinerlei oberirdische Vorkommen des Minerals existieren. Stattdessen werden tief unter der Oberfläche, am Boden der Meere und vor allem des Bittermeers, durch die zahlreichen Unterwasserbeben ständig neue Fördergebiete hervorgehoben. Und diesmal hat es sich für uns gelohnt.« Eshmatay Amgen schluckte. Fünfhundert Kilo! Er wußte nicht, ob die Tragkraft seines Luftschiffs dafür ausreichen würde - und dann auch noch in diesem Wetter! Aber er hatte keine Wahl. Wenn er diesen Auftrag nicht erfüllte, welchen dann noch? »Wir bringen dein Yddith an Land«, versprach er also. »Du kannst dich auf mich verlassen. Die gute alte RIGO macht das. Bereitet euch auf die Verladung vor ...« Wie ein Echo auf seine Worte zuckten die nächsten Blitze in die sturmgepeitschte See. Da s U-Boot wurde abermals überflutet und tauchte aus der Gischt wieder auf, ein Trotz gegen die entfesselten Naturgewalten. Eshmatay Amgen fühlte wieder die Stiche in seinem Herzen. Cip rollte sich angstvoll in seiner Brusttasche zusammen. Und die Haarstacheln des alten Kapitäns signalisierten ihm, dass ein neuer Hypersturm bevorstand. * Während Ailey das Luftschiff auf Position und in der richtigen Höhe hielt, machte Eshmatay Amgen sich daran, die wertvolle Fracht an Bord zu nehmen. Es war eine gefährliche Angelegenheit, bei der der alte Fährmann jedes Mal sein Leben riskierte. Eshmatay öffnete die Gondel und wurde sofort vom Sturm gepackt. Die wasserdichte Bekleidung, die er angelegt hatte, schützte ihn vor dem peitschenden Regen. Nur sein Gesicht war ungeschützt. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er hinab auf das U-Boot, wo er jetzt zwei Gestalten sah, die sich trotz der schweren, aufgewühlten See an Deck gewagt hatten: Quintanen in langen Lackmänteln mit Kapuzen. Nur die großen Facettenaugen waren frei. Quintanen kamen auf fast allen Planeten Tradoms vor und passten sich ihrer Umgebung an. Es gab solche, die nur anderthalb Meter groß waren, und solche wie diese hier, die über zwei Meter maßen. Ihre Mäntel besaßen vier Ärmel für ihre vier Arme, mit denen sie zur RIGO heraufwinkten. Um ihre schmalen Taillen lagen schwere Leinen, mit denen sie am Turm befestigt waren. Wenn ein Brecher sie vom Deck spülte, waren sie schnell wieder zurück an Ort und Stelle. »Ich lasse jetzt die Seile h inab!«, schrie Eshmatay Amgen, aber im Sturm verstanden sie ihn nicht. Also machte er sich an die Arbeit. Mit einer Hand hielt er sich fest - auch er war zusätzlich mit einem Strick gesichert -, mit der anderen griff er nach den Halteseilen und begann damit, sie in schwerem Wetter an Winden hinunterzulassen. Langsam sanken sie tiefer, vom Sturm geschaukelt. Die beiden Quintanen reckten schon Stangen in die Höhe, um sie zu greifen. Eine Bö trieb Eshmatay Amgen einen Schwall Regenwasser ins Gesicht und in die Gondel. Er hustete und spuckte. Für einige Momente konnte er nichts sehen, dann waren seine Augen wieder klar. Er erkannte, dass die
Quintanen die Seile inzwischen gepackt hatten und damit begannen, sie an den Ösen eines Containers zu verankern, der in einer Dockingbucht im oberen Teil des U-Boots bereits zum Abtransport vorbereitet worden war. Ein Kugelblitz erhellte die Szenerie. Wellen brachen über das Deck des Wasserfahrzeugs, aber die Quintanen widerstanden ihrer Gewalt, als trügen sie Magnetschuhe, die sie an Deck hielten. Schweigend taten sie ihre Arbeit. Es war ihr Job. Sie fürchteten nicht die Gefahr. Was sie erlebten, wenn sie am bisher überhaupt noch nicht kartographierten Meeresgrund tauchten, war viel abenteuerlicher. Ailey rief etwas von oben, was der Kapitän nicht verstand. Amgen wartete darauf, dass ihm die Quintanen das Signal gaben. Dann endlich war es so weit. Der Container war befestigt und konnte gehoben werden. Eshmatay winkte den Insektoiden mit der freien Hand zu und zog sich in die Gondel hinein, wo er aus voller Lunge nach seinem Maschinisten rief. Ailey tauchte auf der Treppe auf, die hoch in sein technisches Reich führte. Sein Gesicht erschien in der Öffnung. »Sind wir so weit, Chef?« »Ja!«, rief Amgen. »Bring das Schiff indie Höhe! Ich hole den Container ein!« »Schon dabei, Chef!« Er stieg wieder hoch. Zwei Minuten später begann die RIGO zu steigen und gleichzeitig Fahrt aufzunehmen, gegen den Wind. An den Halteseilen hing der Container und löste sich vom U-Boot. Eshmatay Amgen konnte gerade noch sehen, wie einer der Quintanen von Deck gespült wurde. Er hielt den Atem an, aber schon zog sich der Prospektor mit allen vier Armen auf das Boot zurück. Sein Kollege half ihm dabei. Dann winkten sie zum letzten Mal und st iegen zurück in den Turm. Das schwere Luk schloss sich. Im nächsten Moment begann das Boot auch schon zu tauchen. Auch Eshmatay Amgen schloss die Gondel und legte den Sweater ab. Cip schaute aus seiner Brusttasche heraus. Der alte Fährmann brauchte nichts mehr zu tun. Die Winden arbeiteten automatisch, die Luken im hinteren Teil der Gondel öffneten sich automatisch und schlossen sich ebenso automatisch wieder, sobald der Container an Bord war. Erst dann begann die Arbeit des Kapitäns und seines Maschinisten wieder: wenn die Fracht so in der Gondel verteilt werden musste, dass möglichst ein Gleichgewicht zustande kam. Jergewisch Quont meldete sich noch einmal über Funk. Der Roxane wünschte viel Glück für den Heimflug und bat inständig darum, sein Quintadim-Erz sicher in die Lagerhallen von Kaza zu bringen. Und er würde sich wieder melden, wenn es eine neue Fracht zur Abholung gab. Der alte Fährmann bestätigte und unterbrach die Verbindung. Das U-Boot mit seinen mehr als fünfzig Seelen Besatzung würde jetzt wieder auf die Jagd nach Schätzen gehen, während der RIGO ein mindestens ebenso gefährliches Abenteuer bevorstand: der Flug nach Kaza. Das Schiff hing schwer in der Luft. Die halbe Tonne an Erzen drückte es nach unten. Ailey und Eshmatay taten, was sie konnten. * Am anderen Tag ließ das Unwetter nach. Der Flug der RIGO hatte sich stabilisiert. Sie flog in einer relativ ruhigen Luftströmung strikt nach Norden. Es gab nur hin und wieder ein dunkelrotes Flackern am Himmel, aber das war das in den Normalraum hineinreichende Abbild der Energien des Hypersturms. Der RIGO kann so etwas nichts anhaben, dachte Amgen. Ailey schnatterte an einem Stück, wenn er nicht gerade nach den Maschinen sehen musste, und selbst dann stand sein Mund nicht still. Eshmatay Amgen ertrug das Gequassel seines Maschinisten tapfer. Manchmal hörte er es gar. nicht mehr. Das war dann, wenn seine Haarstacheln auf das fünfdimensional schwingende Erz reagierten und sich bogen und drehten. Zum Glück war die Strahlung für den Metabolismus nicht schädlich - jeden falls hoffte der Kapitän das. Er transportierte es schließlich nicht zum ersten Mal. Und überhaupt: Das Yddith kam auf Linckx in so hoher Konzentration vor, dass die Bewohner längst von ihm hätten verstrahlt sein müssen. Das einzig wirklich Negative am Yddith war, dass es in dieser hohen Konzentration für jegliche hoch entwickelte Technik auf dem Planeten eine permanente, oft tödliche Fehler- und Gefahrenquelle darstellte. Deshalb gab es auf Linckx keine moderneren Fluggeräte als Luftschiffe oder primitive Propeller oder Jetstrahlflugzeuge. Deshalb schürften die waghalsigen Prospektoren in ihren riesigen, aber altertümlichen UBooten auf dem von tätigen Vulkanen durchsetzten Meeresgrund, eine extrem gefährliche und nur mit viel Erfahrung zu überlebende Tätigkeit. Eshmatay Amgen konnte diese Vergleiche nur ziehen, weil er auf dem Raum- und dem Luftschiffshafen von Kaza in den von ihm bevorzugten Wirtshäusern oft Wesen von fremden Planeten traf, welche die Raumfahrt und jede erdenkliche High Tech kannten. Manche kamen als neugierige Besucher oder Käufer für das Yddith, andere wollten es selbst riskieren und sich als Prospektoren versuchen. Für viele blieb es bei diesem ersten Versuch.
Das Reich Tradom hatte früher das Quinta-Erz in Sklavenarbeit fördern lassen, aber dies hatte sich als unproduktiv erwiesen - angesichts geringer Motivation der Sklaven und ebenso geringer Förderquote. Roboter fielen zu oft aus. Also wurde das System geändert. Heute durfte jeder im Bittermeer schürfen, der es sich zutraute und schnell reich werden wollte. Das mit dem schnellen Reichtum war allerdings eine zweischneidige Angelegenheit. Denn wer Yddith fand und barg, bekam in den Lagerhallen den vollen Betrag abzüglich der Provision für das Luftschiff gutgeschrieben. Wer es aber nach anderen Planeten ausführen wollte, musste auf den Erlös neunzig Prozent Tribut an das Reich zahlen. Dennoch wurden fähige Abenteurer und Spezialisten aller Völker angezogen, die sich von Gesellschaften horrende Löhne zahlen ließen oder gleich auf eigene Rechnung arbeiteten, wie Jergewisch Quont. Die Frachter von allen Planeten, die sich nach Linckx trauten, zahlten Höchstpreise für das hoch begehrte Gut. Durchsetzen konnten sich in dem harten Kampf um die Existenz und das großeGlück nur diejenigen Prospektoren und Fährleute, die einen sechsten Sinn für die Gefahr und die Beschaffenheit ihrer Umgebung besaßen oder entwickelten. An ders war ein Überleben kaum möglich. Der Abtransport der submarin geschürften Erze, welche die Prospektoren förderten, wurde von den Luftschiffen der Fährleute erledigt. Ansonsten nähme allein das Pendeln zwischen dem Hafen am Kontinent Kaza und den permanent wechselnden Abbaugebieten die meiste Zeit und Energie der Prospektoren in Anspruch. Das alles ging Eshmatay Amgen wie der einmal durch den Kopf, trotz Aileys nicht stillstehen wollenden Geplappers. Doch dann, urplötzlich, schrak er furchtbar zusammen und schrie: »Ruhe! Halt's Maul, verdammt noch mal! Hörst du nichts?« Der dürre Maschinist stockte mitten im Satz und sah seinen Kapitän überrascht an. »Nein«, sagte er. »Nichts, Chef.« »Ich auch nicht!«, stieß Amgen hervor. »Ich auch nicht. Verdammt, Ailey, Cip hat zu pfeifen aufgehört!« * Der Hypersturm hatte sich in den letzten Minuten gesteigert, wohl bemerkt von Eshmatay. Jetzt war die Luft von rotem Leuchten erfüllt, und an einigen Stellen riss der Himmel auf. Was aber das Schlimmste war: In der Gondel des Luftschiffs tanzten goldene Schleier, und zwar um die Brocken des Quinta-Erzes, die zwecks Gewichtsverteilung von Eshmatay und Ailey aus dem Container geholt worden waren. »Cip!«, rief der alte Kapitän, dessen Haarstacheln sich drehten, hoben und senkten. Die Stacheln sprachen voll auf die hyperenergetischen Vorgänge in der Gondel an. Eshmatay griff in die Brusttasche und holte vorsichtig den Scoothen hervor. Cip lag wie erstarrt in seiner Hand. Er rührte sich nicht mehr. Die kleinen braunen Au gen blickten ins Leere. Das Fell war fast gelb. Eshmatay hielt ihn an sein Ohr und hörte voller Erleichterung das leise Pfeifen. »Cip, bitte komm zu dir!«, flehte Amgen und begann, den kleinen Körper zu massieren. Der Tanz der Hyperenergien um das Yddith herum warf unheimliche Lichter über die Gondel des Luftschiffs. Ailey schrie und presste sich die Hände gegen die Schläfen. Und der Kapitän fühlte tausend Stiche in seiner Kopfhaut, in seinem Schädel. Er hatte schon viele Ladungen Yddith geborgen, aber noch nie in einem Hypersturm wie diesem. Ganz Linckx lag, wie die Raumfahrer behaupteten, in einer Blase aus 5-D-Energie. Deshalb trauten sie sich, wenn sie kamen, nur in ihren Beibooten hinab, die sie mit konventionellen Antrieben flogen. Die Geschichten von katastrophalen Explosionen und Abstürzen von High-Tech-Raumern waren bekannt. Und jetzt pfiff Cip nur noch so leise, kaum hörbar, in einem todesähnlichen Zustand! Wann würde er ganz aufhören? Eshmatay Amgen griff sich ans Herz. Er glaubte, die tödlichen Krämpfe zu spüren, so wie damals, als er zum ersten Mal gestorben war. Die Umgebung verschwamm für lange Sekunden vor seinen Augen, er schloss die Lider. Doch auch durch sie drang das goldene Leuchten der tanzenden Schemen. Seine Haarstacheln fingen die huschenden Hyperenergien auf und übertrugen sie in sein Gehirn, wo sie zuckende Blitze bildeten. Er hörte sich schreien, aber er erkannte seine Stimme nicht wieder. Er schrie nach Cip, immer wieder nach Cip. Aber er bekam keine Antwort. War dies der Letzte Sturm? Cip war bewusstlos. Wahrscheinlich würde er sterben und ganz zu pfeifen aufhören. Und das bedeutete auch den Tod seines Besitzers. Nie wieder würde Eshmatay Amgen im Fährhafen von Kaza einlaufen. Ailey allein konnte das Luftschiff wahrscheinlich nicht steuern. Es würde abstürzen, wenn nicht ein Wunder geschah. »Ailey ...«, krächzte der alte Kapitän. »Ja, Chef?«, fragte der Maschinist. »Es geht dir schlecht, oder? Soll ich Kaza anfunken und um Hilfe bitten? Oder was soll ich tun? Wir haben deine Medikamente an Bord, weißt du nicht mehr? Warte, ich hole sie. Bleib ruhig
sitzen, Chef. Warte auf mich, ich bin gleich zurück. Du musst dir keine Gedanken machen, du musst nur...« »Halt endlich dein Maul!«, fuhr ihn der Luftschiffer an. »Mir kann keiner mehr helfen. Cip ist wie tot, also werde ich auch sterben!« Er glaubte wirklich fest daran, wie alle Fährleute. Ihnen konnte nichts Schlimmeres passieren. Am Himmel tobte der Hypersturm. Für einen Moment blickte der alte Kapitän in ein gewaltiges blutrotes Loch, das seine gesamte Umgebung aufzufressen drohte. Dann zerplatzte es mit lautem Knall, und die Gondel der RIGO war wieder frei von jeglichem Spuk. Gleichzeitig hörten die Zeichen am Himmel auf. Die Risse schlossen sich. Die tanzenden Schatten erloschen. »Es ist vorbei, Chef!«, rief Ailey. »Wir haben es überstanden!« »Nichts ist vorbei«, sagte Eshmatay tonlos. »Cip wird sterben, zuerst er und dann ich. Du musst allein versuchen, die RIGO nach Kaza zu bringen. Auf mich kannst du jetzt nicht mehr zählen. Ich bin so gut...« Er stockte, denn in diesem Augenblick spürte er eine Bewegung in seiner Hand. 4. Perry Rhodan 2. Dezember 1311 NGZ »Wir haben jenen Sektor von Tradom erreicht, in dem sich der gesuchte Planet Linckx befinden soll«, meldete Rock Mozun, als die LEIF ERIKSSON, synchron zur arkonidischen KARRIBO, aus dem Hyperraum fiel. Ein rund sieben Stunden dauernder Flug mit einem Überlicht-Faktor von 65 Millionen lag hinter ihnen. Die zurückgelegte Entfernung von Jankar betrug exakt 52.116 Lichtjahre, die Distanz zum Sternenfenster 57.622 Lichtjahre und zum Zentrum von Tradom 74.241 Lichtjahre. »Wir sind ein halbes Lichtjahr vom Zielplaneten entfernt ins Einstein-Kontinuum zurückgefallen«, ergänzte die Kommandantin. »Alle Orterdämpfer sind eingeschaltet.« Perry Rhodan nickte. »Wir sollten diesmal besonders vorsichtig vorgehen«, sagte er. »Genaueste Erkundungen vornehmen, bevor wir uns weiter an den Planeten heranwagen. Linckx kann so etwas wie einen Schlüssel zu den Geheimnissen von Tradom bedeuten.« »Ganz bestimmt«, meinte Benjameen da Jacinta, der vor Minuten mit seiner Gefährtin Tess die Zentrale der LEIF ERIKSSON betreten hatte. »Wenn es hilft, bin ich bereit, meine Fähigkeiten zur Erkundung des Planeten einzusetzen.« »Der Zerotraum könnte helfen«, sagte Tess. »Benjameen hätte seine Gabe nicht zum ersten Mal über eine weite Distanz eingesetzt. Er könnte versuchen, auf diese Weise Informationen über die Zustände auf Linckx zu sammeln.« »Einverstanden«, sagte Rhodan spontan. »Also verschwindet ihr beide wieder in eurer Kabine?« »Natürlich, Perry«, antwortete die 38 Jahre alte Hyperphysikerin mit den schwarzen, fingerlangen, struppigen Haaren. »Hier findet er nicht die nötige Ruhe.« Rhodan nickte ihnen zu und wartete, bis das Paar die Zentrale verlassen hatte. Dann wandte er sich wieder der Kommandantin zu. »Gibt's was Neues?« »Einige Daten«, sagte Pearl. »Inzwischen haben wir schon die Ergebnisse der Fernortung. - Syntron!« Der Bordrechner blendete ein Holo gramm ein, Zahlenkolonnen folgten, die von der synthetischen Stimme kommentiert wurden. »Bei Linckx handelt es sich um den zweiten von insgesamt fünf Planeten eines gelben G1V-Sterns. Die Sonnenentfernung beträgt 163,9 Millionen Kilometer, der Durchmesser des Planeten 16.445 Kilometer. Schwerkraft 1,29 Gravo, Umlauf 544,91 Tage zu 15,9 Stunden. Die Achsneigung beträgt vierundzwanzig Grad, die LandWasser-Verteilung neun zu einundneunzig. Es gibt zwei kleine Kontinente, keinen Mond.« »Also nichts Besonderes«, sagte Perry Rhodan. »Wart's ab«, warnte die Kommandantin. »Es kommt etwas nach.« »Der Planet ist von einer fünfdimensionalen Schale umgeben«, fügte die synthetische Stimme des Bordrechners hinzu. »Um ihn herum herrscht reger Funkverkehr. Viele Raumschiffe kreuzen, die genaue Summe wird noch errechnet.« * Tess saß bei ihm und hielt seine Hand. Benjameen da Jacinta, der dem legendären Arkoniden Atlan sehr glich, lag auf seiner Liege und atmete flach. Seine Brust hob und senkte sich, und sein Kopf drehte sich unruhig von einer Seite auf die andere. »Sei ganz ruhig, Ben«, flüsterte Tess ihm ins Öhr. »Entweder hast du Erfolg oder nicht. Niemand kann dich
dazu zwingen, verstehst du?« Benjameen drehte den Kopf weg. Er schwitzte stark. Seine Gliedmaßen zuckten, und er stieß unartikulierte Laute aus. »Ben!«, rief Tess in tiefer Sorge. »Ben, wach auf, wenn es nicht mehr geht!« Aber der Träumer drehte und wand sich im gedämpften Licht der Kabine weiter, die sie zu zweit bewohnten. Seine Adern waren stark angeschwollen. Tess fühlte seinen Puls und erschrak. »Ben, wach auf!«, appellierte sie an ihn. »Komm wieder zu dir!« Seine Augenlider flatterten. Er atmete heftiger. Tess rüttelte an ihm, um ihn wach zu bekommen. Und dann, endlich, öffneten sich seine Lider. Er starrte die Gefährtin an. Schweißperlen bedeckten sein Gesicht. »Tess ...« »Ich bin bei dir, Ben!« »Tess, es war furchtbar.« Er schloss für einen Moment die Augen und holte einige Male tief Luft. »Was, Ben? Was war furchtbar?« Seine Hand krampfte sich in ihre. »Ich konnte nicht zu dem Planeten Linckx vordringen. Ein starkes fünfdimensiona les Feld rings um den Planeten macht es unmöglich. Ich kann es im Zerotraum einfach nicht durchdringen, und ...« »Und was, Ben?« Da Jacinta richtete sich auf seinem Lager auf. Jetzt war sein Blick wieder klar. Er sah Tess in die Augen. »Nichts«, antwortete er leise. Tess Qumisha konnte sich nicht helfen; sie war fest davon überzeugt, dass er ihr etwas verschwieg. Er hatte noch etwas gesehen, dessen war sie sicher. Was war so schlimm, dass er es vor ihr geheim halten musste? »Ich gebe die Nachricht an Perry Rhodan weiter«, sagte Tess. »Du erholst dich noch.« »Tess, warte...!« »Ja?« »Ach, es ist... nichts.« Tess zuckte mit den Achseln und begab sich zum Interkom-Anschluss. Da s kleine Holo leuchtete auf und zeigte Pearl TenWafers Gesicht. Tess verlangte Perry Rhodan zu sprechen. Einen Augenblick danach hatte sie ihn dreidimensional vor sich. »Und?«, fragte der Aktivatorträger. »Ich sehe es dir an, es hat nicht geklappt.« »Nein, Perry, leider. Der Planet ist von einem für Benjameen undurchdringbaren fünfdimensionalen Feld umgeben. Er kommt nicht durch.« »Ich befürchtete es bereits. Wie geht es ihm? Könnte er noch einen Versuch machen?« »Ich sagte dir doch, er kommt nicht durch.« »Ich meinte nicht Linckx, sondern die vielen Raumschiffe, die über dem Planeten im All stehen. Sie befinden sich über dem Feld und müssten für Benjameen er reichbar sein. Vielleicht findet er dort einen Schläfer, in dessen Traum er sich einklinken kann.« Tess zögerte. »Wieso der Aufwand?«, fragte sie. »Im Normalfall wird ein Kommando ausgeschickt, um den Planeten zu erkunden.« »Linckx ist nicht irgendein Planet, Tess«, bekam sie zur Antwort. Benjameen hatte die Unterhaltung verfolgt und war aufgestanden. Jetzt drängte er seine Gefährtin sanft zur Seite und hob eine Hand. »Ich werde es versuchen, Perry«, sagte er. »Wünsche mir Glück! Ich brauche eine Menge davon, wenn ich fündig werden will.« »Natürlich«, antwortete Rhodan, au f dessen Stirn sich beim Anblick des Mutanten Sorgenfalten gebildet hatten. »Nur wenn es geht, Ben.« »Es muss funktionieren«, sagte da Jacinta. »Alles, was ich brauche, ist Zeit.« »Du hast sie«, versprach Perry Rhodan, lächelte ihm aufmunternd zu und unterbrach die Verbindung. * Drei Stunden musste Perry Rhodan in der Zentrale warten, bis Tess und Benjameen endlich erschienen. In der Zwischenzeit waren weitere Hyperfunksprüche aufgefangen worden, die von Schiffen über Linckx in die Weiten von Tradom abgestrahlt worden waren. Einige Begriffe waren darin immer wieder vorgekommen: Yddith, Quinta-Erz und Preise. Es schien so, als holten die Raumfahrer sich von ihren Planetenregierungen An weisungen dafür ein, wie viel sie für dieses geheimnisvolle Yddith bezahlen durften. Die Terraner vermuteten, dass es sich bei Yddith um jenes
Quinta-Erz handelte, das auf dem Planeten Linckx vorkam und gefördert wurde, um zu hohen Preisen in die Galaxis Tradom exportiert zu werden. Der Aufmarsch der Raumschiffe sprach dafür, dass es unendlich kostbar war. »Ich konnte mich in den Traum eines Schlafenden an Bord eines der Raumschiffe einfädeln«, berichtete Benjameen jetzt. »Der Mann träumte davon, bald reich zu werden, sehr reich. Und zwar durch ein fünfdimensional strahlendes Erz namens Yddith, das allein auf Linckx vorkommt und für das in ganz Tradom astronomisch hohe Preise erzielt werden. Der Schlafende träumte von einem Lastengleiter seines Schiffs, der auf Linckx gelandet war und darauf wartete, mit Yddith beladen zu werden.« Rhodan und die Kommandantin war fen sich einen Blick zu. Ascari da Vivo, die seit kurzem zugeschaltet war, nickte. »Das hatten wir erwartet«, sagte sie. »Aber was wärt ihr ohne die Arkoniden.« Sie lächelte Benjameen zu. »Weiter! Was hast du noch geträumt?« »Ich habe versucht, den Traum zu steuern«, antwortete Benjameen etwas irritiert. »Es gelang mir zum Teil. So fand ich heraus, dass der Abbau und der Vertrieb von Yddith früher die alleinige Sache des Reichs Tradom waren, aber danach in private Hand gelegt wurden. In der Folge haben sich ganze Scharen von Schatzsuchern nach Linckx auf den Weg gemacht. Ihr habt sie in der Ortung und hört ihre Funksprüche. Aber auch etliche Polizeischiffe der Valenter umkreisen den Planeten, mindestens genauso viele.« »Valenter!«, entfuhr es Rhodan. »Wir haben es geahnt. Weißt du, welche Aufgabe sie haben?« »Zweierlei. Sie sichern einerseits den Planeten und sorgen dafür, dass niemand auf dem Südkontinent Sikma landen kann.« »Sikma«, wiederholte Rhodan. »Dürfte wahrscheinlich der Verbotene Kontinent sein, den der Landesherr Ikanema Two erwähnte. Dann ist der Nordkontinent jener, auf dem der Schädel und das Skelett des Terraners gefunden wurden - und auf dem sich die Hauptstadt Shinkasber befindet.« »Der Nordkontinent heißt Kaza«, sagte Benjameen. »Er ist nicht weiter als tausend Kilometer von Sikma entfernt und ungehindert zugänglich.« Da Jacinta holte tief Luft und nickte. Niemand sprach. Jeder wartete darauf, dass er mit seinem Bericht fortfuhr. »Welches Geheimnis den Kontinent Sikma umgibt, der von den Valentern so vehement beschützt wird, scheint niemanden zu interessieren, jedenfalls meine Kontaktperson nicht. Denn der Reichtum ist ohnehin nur im so genannten Bittermeer rings um Kaza zu gewinnen. Keines der Raumschiffe, die es wagen und trotz der ungeheuer intensiven fünfdimensionalen Störphänomene die Landung versuchen, wird vorher von den Valentern angehalten oder überprüft. Umgekehrt jedoch wird jedes Schiff, das das Lingar -System zu verlassen versucht, einer rein ortungstechnischen Prüfung unterzogen. Davor hatte mein Träumer die meiste Angst. Jeder Frachter, der Yddith geladen hat, emittiert entsprechend seiner Ladungstonnage Quinta-Erze einen gewissen Wert von Strahlung. Entsprechend diesem Wert muss jedes abfliegende Schiff also Tribute zahlen.« »Die Summe, die dabei für das Reich herauskommt, muss gewaltig sein«, sagte Perry Rhodan staunend. »Die Einkünfte der COLLECT-Stationen am Rand von Tradom dürften dagegen gering ausfallen.« »Keines der an- und abfliegenden Schiffe muss Polizisten an Bord befürchten«, fuhr der Zeroträumer fort. »Den Valentern geht es ausschließlich um die Tribute. Linckx ist für das Reich Tradom nichts anderes als eine gigantische Geldmaschine, die durch privatwirtschaftliche Gier am Leben erhalten wird.« Benjameen hob die Schultern. »Das ist alles. Ich hoffe, ich habe euch ein wenig helfen können.« »Du hast uns sehr geholfen«, lobte die Admiralin erstaunlich freundlich. Sie wandte sich an Perry Rhodan. »Und was schließen wir aus dem Gehörten, Rhodan?« Perry bedankte sich bei dem Mutanten. Erst dann wandte er sich an die Arkonidin. »Erstens«, sagte er, »wäre es für uns kein Problem, Linckx zu erreichen - solange wir uns nicht mit Kugelraumern blicken lassen. Denn Kugelraumer stehen mittlerweile auf der Fahndungsliste der Valenter. Und die Jankaron ...« »... die Vögel sind ja wieder an Bord derLEIF ERIKSSON, aus welchen Gründen auch immer ...« »Egal. Aber die können ebenso wenig auf den Planeten hinunter; das ist zu riskant.« »Das sehe ich genauso, Rhodan.« »Zweitens beschränkt sich die Erreichbarkeit auf den Kontinent Kaza. Der Verbotene Kontinent Sikma kann nicht angeflogen werden, weil die Valenter dies verhindern. Drittens wäre es problemlos möglich, Linckx unüberprüft wieder zu verlassen - solange kein terranisches oder arkonidisches Schiff Quinta-Erze bei sich führt.« »Das sind die Vorteile«, sagte Ascari da Vivo. »Aber es gibt ebenso zahlreiche Nachteile - hier der wichtigste. Weder die LEIF ERIKSSON noch die KARRIBO verfügen über ein Raumschiff, das primitiv genug ist, mit einem Minimum an fünfdimensional arbeitenden Geräten den Boden von Kaza zu erreichen. Lass die anderen Schatzjäger ihren Kopf riskieren, ich bin nicht dazu bereit. Die hyperphysikalischen Zustände lassen, wie wir gehört und geortet haben, im unmittelbaren Bereich der Oberfläche keinen verlässlichen Betrieb von Fünf-D- Aggregaten zu. Und auf
solche sind wir angewiesen, selbst in einer Space-Jet.« »Wir werden trotzdem ein Kommando zusammenstellen und auf Linckx landen«, sagte Perry Rhodan. »Und wie?«, fragte sie. »Wie stellst du dir das vor?« Rock Mozun lachte auf. Der Ertruser streckte die Daumen nach oben. Perry Rhodan drehte sich zu ihm um und lächelte ebenfalls. Der Pilot hatte ihn ver standen. * Per Transmitter wechselte die Mascantin erneut in die Zentrale der LEIF ERIKSSON. Von dort begab sie sich in der Begleitung von Perry Rhodan und Rock Mozun per Bordtransmitter in die Hangarbereiche des Schiffes. »Was soll das werden?«, fragte sie spöttisch. »Noch ein Hangarexperiment? Mein Bedarf daran ist gedeckt.« »Es ist kein Experiment, sondern eine Überraschung«, sagte Rhodan. »Warte nur ab!« Der Terraner hielt vor einem großen Schott an. »Du musst wissen«, sagte Perry Rhodan, » dass das Flaggschiff der LFT seit dem Zeitalter von KorraVir und nach den Erfahrungen mit der Hyperraum-Parese konsequent für den Ausfall wichtiger Schiffssysteme ausgerüstet wurde.« »Das wurden unsere Schiffe auch«, wandte die Arkonidin ein. »Aber nicht so wie die LEIF ERIKSSON. Nicht allein, dass sie bei Ausfall der Syntroniken vollpositronisch weiter arbeiten kann - das meintest du wohl -, nicht allein, dass bei Ausfall des Metagravs ein Transitionstriebwerk zur Verfügung steht. Nein, die LEIF ERIKSSON verfügt darüber hinaus über eine Reihe von primitiv ausgerüsteten Raumfahrzeugen.« Das Schott fuhr zur Seite. Dahinter lag ein Hangar, in dem Technikerteams um sechs walzenförmige Flugkörper von 32 Metern Länge herumschwirrten. Eine ganze Wolke von Montage- und Wartungsrobotern kreiste über ihnen. »Voilà«, sagte Rhodan. »Keine neuen Experimente. LE-SP-null-eins bis -null-sechs werden gerade für einen Einsatz auf Linckx vorbereitet.« »Was bedeutet die Abkürzung?«, fragte die Admiralin. »LEIF ERIKSSON-Spezialschiff«, erklärte Rhodan. »Die Walzen sind mit Impuls- und Transitionstriebwerken ausgestattet und funktionieren positronisch. Praktisch jedes einzelne System kann von Hand gesteuert werden. Für den Notfall stehen sogar Konturliegen zur Verfügung, mit denenbei Ausfall der Andruckneutralisatoren bis etwa zehn Gravos beschleunigt oder gebremst werden kann.« »Und diese äußerlichen Anbauten an den Hüllen, die gerade angebracht werden?«, fragte Ascari. »Das ist das Täuschungsmanöver«, antwortete Perry Rhodan. »Wir verwandeln die sechs Spezialschiffe äußerlich in Raumschiffe der Xiritten. Dabei handelt es sich laut vorliegendem Datenmaterial um ein rückständiges, humanoides Volk aus der äußersten Nordseite von Tradom.« »Diese Daten haben wir ebenfalls«, sagte Ascari. »Xiritten sind humanoide Exoten und werden aufgrund ihrer rückständigen Technik nirgendwo ernst genommen. Sie sind außerdem selten, in diesen Regionen Tradoms praktisch nicht anzutreffen.« »Exakt. Wenn sich unsere sechs Schiffe als Xiritten ausgeben, dann sollte unter den gegebenen Umständen eine Landung auf Linckx problemlos zu schaffen sein.« * Perry Rhodan und Ascari da Vivo stellten aus den Mitgliedern ihrer Mannschaften das Landekommando zusammen. Die LE-SP-01 bis -04 waren für den Anflug auf die Hauptstadt Shinkasber vorgesehen. Die restlichen Einheiten blieben als Reserve zurück. Jedes der vier Spezialschiffe wurde mit acht Personen bemannt. Aufgrund der chaotischen Zustände auf Linckx kamen sowohl die Katsugos TOMCAT und SHECAT als auch der geschwächte Multimutant Gucky als Besatzung nicht in Frage. Dennoch erlebte Perry Rhodan bei der Auswahl der Besatzungen eine Überraschung. Im buchstäblich letzten Moment meldeten sich bei ihm Benjameen da Jacinta und Tess Qumisha. Benjameen behauptete, dass er selbst auf die riesige Entfernung von einem halben Lichtjahr eine seltsame Anziehungskraft verspüre. Weiter wollte der Mutant nichts sagen. Aber diesmal ließ Rhodan nicht locker. Er machte Benjameens Teilnahme an der Expedition davon abhängig, dass er ihm die ganze Wahrheit sagte. Der Arkonide wand sich und bat, ihm die Antwort zu ersparen. Rhodan aber blieb hart, und so brach Benjameen da Jacinta sein Schweigen. »Ich habe ein zweites Mal vergeblich versucht, den Planeten im Zerotraum zu besuchen«, sagte er. »Es hat
wieder nicht funktioniert, aber ich habe erneut ein ... ein riesengroßes Gesicht gesehen ...« »Was für ein Gesicht war es?« Benjameen breitete die Arme zu einer hilflosen Geste aus. »Es war riesig, mehr kann ich nicht sagen. Und es übte einen... gewaltigen Bann aus. Perry, ich muss mit euch fliegen. Vielleicht löst sich das Rätsel dann. Ich weiß, es ist wichtig.« Perry Rhodan gab sich geschlagen. »Also gut, ich werde zwei Mitglieder der Mannschaft wieder an Bord zurückbefördern und euch beide mitnehmen. Allein lässt du Benjameen ohnehin nicht gehen, Tess.« »Ganz bestimmt nicht«, antwortete sie. »Noch etwas, Perry«, sagte der Zeroträumer. »Ich möchte, dass Norman uns begleitet.« »Euer kleiner Elefant?«, fragte Rhodan überrascht. »Weshalb das?« »Auf dem Planeten Linckx werden wir uns, so, wie es aussieht, auf Ortergeräte und Ähnliches nicht verlassen können. Umso wichtiger wird der Spürsinn sein. Und den hat Norman.« »Einverstanden«, sagte Perry Rhodan, wobei er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. »Norman kommt mit und ihr beide auch. Jetzt habe ich nur noch ein Problem.« »Welches?«, fragte Tess. »Ascari da Vivo hat ihren Anspruch darauf angemeldet, mit einigen Arkoniden an der Expedition teilzunehmen. Ich habe ihrem Wunsch stattgegeben, weil wir an einer guten Zusammenarbeit interessiert sind. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie uns einfach nicht über den Weg traut.« Tess lächelte. »Das dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen«, sagte sie. * Linckx bot von »oben« einen eindrucksvollen Anblick. Der Planet war von Stürmen umtost, und aus dem Ozean der Wasserwelt erhoben sich zahllose kleine Inseln, aber nur zwei Kontinente, deren Küsten wie bekannt tausend Kilometer voneinander entfernt waren. Das jedenfalls zeigte die Ortung. Der freie Blick auf die Oberfläche war durch die wirbelnden Wolkenmassen weitestgehend verwehrt. Natürlich hatte Perry Rhodan es sich nicht nehmen lassen, ebenfalls an der Expedition teilzunehmen. Sie hatten Maske machen müssen. Ihre Gesichter waren durch vorgewölbte Stirnen und eine ausgeprägte Kinnpartie dem vorliegenden Bild eines Xiritten angeglichen worden. Dazu trugen sie Perücken mit dunkelviolettem, schulterlangem Haar. Ascari da Vivo hatte ihre eigenen, wesentlich längeren Haare darunter zusammengesteckt. Die vier Walzenschiffe waren nach einer Transition mitten im Lingar-System materialisiert, zwischen den Bahnen des zweiten und des dritten Planeten. Jetzt flogen sie mit Impulskraft weiter. Ihr Ziel war die Hauptstadt Shinkasber am östlichen Rand von Kaza, in Küstennähe. Die LE-SP-01 wurde von Rhodan kommandiert, die drei anderen von Rudo K'Renzer, dem Chef der Kreuzerflottillen, von seiner Stellvertreterin Reca Baretus und von Benjameen da Jacinta. Perry Rhodan funkte den Planeten an und bat offiziell um Landeerlaubnis. Er stellte sich mit einem Phantasienamen vor, und mit exotisch klingenden Bezeichnungen versah er auch seine vier Schiffe. Von einem Bildschirm blickte ihm das kantige Gesicht eines E'Valenters entgegen, mit der typischen großen Sonnenbrille und der Kopfbedeckung. »Was wollt ihr auf Linckx?«, fragte das Wesen. »Na, was schon?«, antwortete Rhodan. »Yddith! Quinta-Erze, wie alle anderen auch.« »Kaufen oder schürfen?« »Das wird sich zeigen«, sagte Rhodan frech. »Am Geld soll's nicht liegen.« »Ihr dürft landen«, sagte der Valenter. »Wenn es nicht bei dem Versuch bleibt und ihr wieder abdrehen müsst, werdet ihr eingewiesen.« »Danke«, sagte Rhodan, und dann war der Schirm schon dunkel. Mittlerweile hatten die vier Walzen das Au fmarschgebiet der fremden Raumer erreicht. Sie bildeten eine Kugelschale um den zweiten Planeten und warteten auf die Boote, die sie hinabgeschickt hatten. »Halb Tradom scheint hier vertreten zu sein«, bemerkte Ascari da Vivo, die in Rhodans Schiff mitflog. Die Mascantin hatte sich ihm einfach angeschlossen, und er war nicht unglücklich darüber. Wenn sie ihm nicht traute, beruhte das auf Gegenseitigkeit, wie Tess gesagt hatte. Wenn er sie in seiner Nähe hatte, konnte sie keine Extratouren unternehmen. Die kleinen Boote passierten die wartenden Schiffe, und Lexan Huiskan, ein unauffälliger Mann von vierzig Jahren, den Rhodan wie alle anderen persönlich ausgesucht hatte, verkündete, dass sie in wenigen Minuten in das fünfdimensionale Feld um Linekx eintauchen würden. Huiskan war für Funk und Ortung zuständig - solange sich noch etwas orten ließ. »Also dann«, sagte Perry Rhodan grimmig. »Packen wir's an.«
* Benjameen da Jacinta, Tess Qumisha und Norman hielten sich in der LE-SP-04 auf. Benjameen saß angeschnallt in seinem Sitz, der sich rasch in eine Konturliege verwandeln konnte, indem das hohe Rückenteil nach hinten sank und die Fußstütze hochklappte. Ein einziger Knopfdruck genügte. Die vier Spezialschiffe drangen in die Atmosphäre ein. Benjameen achtete nicht auf den Funkverkehr zwischen den Einheiten und auf den höchst wackligen Landeanflug. Der Pilot verfügte über die Erfahrung von vielen Jahren in der Flotte. Er tat, was er konnte. Benjameen nahm die tosenden Triebwerke kaum wahr und ebenso wenig die von Aufregung erfüllten Stimmen der Spezialisten. Er fühlte kaum Tess' Hand auf der seinen. In den Ohren pochte das Blut. Der Arkonide war voll und ganz auf die fünf dimensionale, vollst ändig inkonsistente, sich permanent verändernde Blase konzentriert, die den Planeten umgab. Halb unbewusst hatte er die Werte gehört, die beim Anflug gemessen worden waren, bevor die Orter verrückt zu spielen begannen. Demnach strahlte die Blase extrem stark im Bereich von 8,6 mal zehn hoch vierzehn bis 1,4 mal zehn hoch fünfzehn Kalup, mit einem Emissionsmaximum bei rund ein mal zehn hoch fünfzehn Kalup. Das war genau der Teil des Spektrums, in dem Parakräfte angesiedelt waren. Benjameen litt. Er fühlte sich unwohl, schwindlig, selbst wenn er die Augen schloss. Es war, als ob etwas sein Innerstes nach außen kehren wollte. In seinem Kopf war einmal eine furchtbare Leere, und im nächsten Moment schien er zerplatzen zu wollen voller Energien, die sich in ihm aufbauten und nach einem Ventil suchten. Aber ein solches Ventil gab es nicht. Der Arkonide stöhnte laut auf. Tess drückte seine Hand fester. »Ich bin bei dir«, flüsterte sie. Doch Benjameen hörte die Worte seiner Lebensgefährtin kaum. Er kam sich vor wie ein Blinder in einem Raum voller stakkatoartiger Geräusche: die Energien, die in ihm pulsten und die er weder ordnen noch verstehen konnte. Im Gegenteil, das paranormale Chaos schichtete sich rings um ihn mit jedem Kilometer Annäherung an den Planetenboden höher auf. Der Mutant atmete tief, schlug die Augen auf und sah Tess lächeln. Für Sekunden tauchte er aus dem fünfdimensiona len Wirrwarr auf und kam sich vor wie ein schon fast Ertrunkener, der jäh wieder an die Oberfläche kam und nach Luft schnappte. »Geht es, Ben?«, fragte Tess. »Willst duein stabilisierendes Medikament?« »Nein«, brachte er krächzend hervor. Wieder atmen. Tief. Auch er brachte ein Lächeln zustande und sagte tapfer: »Ich weiß nur nicht, ob es wirklich eine so gute Idee war, an diesem Eins atz teilzunehmen.« »Wir überstehen es, Ben«, sagte Tess. »Wir überstehen es gemeinsam.« In diesem Augenblick wurde das Schiff hart durchgeschüttelt. Sitze klappten nach hinten und wurden zu Liegen. Ein unheimliches Dröhnen und Rauschen erfüllte das Raumschiff. Der Pilot rief etwas, das niemand verstand. Benjameen schlug sich die Hände gegen die Schläfen und schrie. Als ob ihm das Schiff antworten wollte, wurden die Erschütterungen noch heftiger. Der Sturm schlug mit aller Gewalt zu. Und Benjameen wusste, dass es kein normaler Sturm war ... 5. Eshmatay Amgen Nach anderthalb Tagen immer noch gefährlichen Flugs hatten sie es doch geschafft. Die RIGO erreichte in ramponiertem Zustand, aber an einem Stück den Luftschiffshafen von Shinkasber, zwischen dem Raumhafen im Landesinneren und dern U-Boot-Hafen an der Küste gelegen. Eshmatay Amgen und Ailey landeten ihre Ladung an. Das Luft schiff wurde in einem Unterstand, einem offenen Shelter, vertäut. Es schwebte gerade noch so hoch über dem Boden, dass seine Ladung gelöscht werden konnte. Eshmatay Amgen lebte nach wie vor, obwohl Cip fast zwei Minuten lang kaum gepfiffen und wie tot in seiner Hand gelegen hatte. Das kleine Tier war vielleicht gerade noch rechtzeitig zu sich gekommen und hatte wieder laut zu pfeifen begonnen. Sonst müsste der alte Fährmann jetzt in Anguelas Reich sein. Aber er fühlte sich älter und sehr müde. Es war keine Müdigkeit, die nach einem Schlaf wieder verflogen wäre, es war anders - so als ob etwas die Kraft aus seinem Leib gesogen hätte. Amgen war benommen. Ihm war ganz einfach elend. »Du siehst schlecht aus, Chef«, sagte auch Ailey, als sie darauf warteten, dass die primitive Gangway an die
Gondel herangeschoben wurde. »Und wenn ich das sage, dann meine ich es genau so. Ich mache mir Sorgen, weißt du das? Nein? Dann sage ich es noch einmal, Chef. Du gefällst mir nicht. Als Cip kaum noch pfiff, da hast du seltsame Sachen gesagt. Das hat mir überhaupt nicht gefallen. Du hast wirklich geglaubt, du müsstest sterben? Für mich ist d as Aberglaube, weißt du? Es mag ja sein, dass einige von deiner Art gestorben sind, nachdem ihr Scoothe nicht mehr pfiff, aber daran darfst du nicht so oft denken. Cip hatte nur eine Pause gemacht, hörst du? Cip war bestimmt nur schwach und ...« »Halt's Maul!«, fuhr der Kapitän ihn an. »Sonst bringst du mich noch um!« Ailey verstummte beleidigt. Eshmatays Magen machte sich bemerkbar. Der alte Fährmann hatte vor lauter Angst und Sorge um sich, sein Schiff und seine Ladung nichts mehr gegessen, seitdem Cip ohnmächtig gewesen war, was Eshmatay auf den Hypersturm und die energetisch aufgeladene Atmosphäre in der Gondel zurückführte. Cip hatte nicht aufgehört zu pfeifen. Aber etwas in Amgen war gestorben. Auch das stand fest. Eshmatay öffnete eine Packung Sumbai und biss ein Stück von dem Brocken ab. Er kaute darauf herum, bis er es mit Hilfe eines Schlucks Kadsan hinunterwürgen konnte. Aluten, so nannte sich Eshmatays Volk, tranken nie viel, es sei denn, sie befanden sich in Gesellschaft. Dann kamen manchmal gewaltige Mengen zusammen, und das Kadsan wirkte berauschend und anregend. Vielleicht genau das, dachte der alte Fährmann, was ich jetzt brauchte ... »Verdammt!«, knurrte er. »Wo bleibensie denn? Sie glauben wohl, uns können sie warten lassen, weil wir ein altes Einkörperluftschiff fliegen und keins der modernen Zweikörperschiffe.« Er wusste genau, dass es so war. Ailey gab zwar keine Antwort, weil er noch schmollte, aber Eshmatay kannte das Abfertigungspersonal des Luftschiffshafens nur zu gut. Einkörperluftschiffe waren nicht mehr gefragt. Die Prospektoren bevorzugten die Doppelrumpfschiffe, weil sie nicht so störanfällig waren wie die Einkörperschiffe und seltener havarierten. Was ein Absturz über dem Bittermeer bedeutete, war klar: Der Kapitän verlor nicht nur sein Leben und das seiner Besatzung, sondern ebenso seine kostbare Fracht. Insofern überlegten es sich die Prospektoren zweimal, ehe sie ein Einkörperluftschiff orderten. Gäbe es den Roxanen nicht, der Eshmatay aus alter Treue sein Yddith anvertraute, es hätte schlimm um die RIGO und ihren Besitzer ausgesehen. Ohne Grund quälte sich Eshmatay Amgen nicht mit dem trockenen Sumbai herum. Er konnte sich schlicht und einfach nichts anderes leisten. »Da kommen sie endlich«, brach Ailey sein Schweigen und zeigte aus dem Backbordfenster. Zwei schwere Wagen näherten sich dem Shelter, und drei Quintanen rollten die Gangway heran. Als sie angedockt hatte, öffnete Eshmatay Amgen die Tür der Gondel und betrat das schwankende Gestell. Er stieg hinab, dicht gefolgt von dem schnatternden Ailey, und erreichte den Boden von Kaza genau in dem Augenblick, als der erste Wagen vor ihm hielt. Heraus sprangen drei Quintanen und ein Suchte. Eshmatay kannte ihn. Er hieß Oxmay Donk und war der Verlademeister des Hafens. Suchten galten als tüchtig und ehrlich. Sie waren um die zwei Meter groß, echsenartig und hatten eine hellblau bis grün schillernde Schuppenhaut. Ihre Bekleidung bestand in der Regel aus Wickelgewändern, die die beiden Arme und die stämmigen, kurzen Beine frei ließen. Oxmay Donk jedoch trug eine weiße Kombination, aus der nur der Kopf und die Hände herausragten. »Sei gegrüßt, Eshmatay«, sagte Donk. »Hattest du einen guten Flug?« »So leidlich«, untertrieb der Kapitän der RIGO. »Es gab bessere.« »Und deine Ladung?«, erkundigte sichder Verlademeister ohne weitere Floskeln. Suchten galten ebenso als gefühlskalt und berechnend, wobei man noch nie einem von ihnen einen Betrug oder eine Übervorteilung hatte nachweisen können. »Fünfhundert Kilo«, sagte Eshmatay Amgen. »Fünfhundert Kilo Yddith.« »Fünf...!« Oxmay Donk schluckte. Seine Haut, eben noch türkisfarben, ver färbte sich leicht. »Fünfhundert Kilo«, sagte er leise, fast ungläubig. »Und das mit diesem Kahn hier?« »Überzeuge dich selbst!«, antwortete Amgen, ohne auf die Anzüglichkeit einzugehen. »Und bitte beeilt euch. Wir brauchen Erholung.« »Ich verstehe«, sagte der Suchte. »Wir fangen schon an.« Er winkte den Quintanen, und sie holten Entladerampen herbei und schoben sie unter die Gondel. Eshmatay gab Ailey in Zeichen, und der Maschinist stieg in die Gondel zurück, um die Schächte zu öffnen. Die Quintanen kletterten hinein und begannen damit, das Yddith zu entladen. Oxmay Donk verfolgte es aus geschlitzten Echsenaugen. Das Quinta-Erz wurde gewogen. Als alles entladen war, erwies sich, dass der alte Fährmann nicht gelogen hatte. Donk gratulierte ihm und stellte eine Bescheinigung aus, die Eshmatay in der Verwaltungshalle vorzulegen hatte. Anhand der Daten wurde Jergewisch Quonts Guthaben aufgestockt, und Eshmatay Amgen bekam seine Provision in CE-Tradicos gutgeschrieben.
Er wusste: Das musste für die nächsten Monate reichen. An der RIGO waren teure Reparaturarbeiten durchzuführen, der Winter stand bevor, die Sheltermiete wurde fällig, und er und Ailey brauchten etwas zum Leben. Und das bedeutete zuerst: eine der Ha fenkneipen aufsuchen und neue Kraft sammeln, vielleicht auch neue Kontakte knüpfen. * Die Provision war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Eshmatay Am gen kannte es nicht anders. Aber als er mit Ailey in der Kneipe saß, am Tresen zwischen mehreren Dutzend anderer Gäste aus allen möglichen Tradom-Völkern, und seinen Kadsan schlürfte, war es ihm egal, wie viele CE-Tradicos er an diesem Abend hier lassen würde. Er spürte, wie ihn das Getränk langsam belebte. Schlafen hätte er jetzt ohnehin noch nicht können, dafür war er, bei aller Schwäche, innerlich noch viel zu aufgewühlt. Im Gegensatz zu ihm hatte Kadsan auf Ailey eine stark beruhigende Wirkung. Das Geplapper des Maschinisten wurde immer knapper, und schließlich sank er mit dem Kopf vornüber auf die Theke und schlief ein. Das war gerade einmal nach seinem dritten Glas. »Einen schönen Maschinisten hast du da«, sagte ein befreundeter Fährmann, ebenfalls aus dem Volk der Aluten. Die beiden hatten sich jahrelang nicht mehr gesehen und prosteten sich zu. Der eine bezahlte diese Runde, der andere jene. So kamen sie allmählich in die richtige Wiedersehensstimmung. »Ailey - ja«, antwortete Eshmatay. »Aber lass dich nicht täuschen. Er ist als Maschinist schon in Ordnung, selbst wenn er sonst ein bisschen schwach im Kopf ist und viel redet, wenn der Tag lang ist.« Sie stießen mit ihren schlanken Gläsern an, in denen es gelblich schimmerte. »Aber sag mir, Axer, was gibt es Neues auf Kaza? Du fliegst eines der neuen Luftschiffe, ich nur meine RIGO. Hättest du nicht einen Tipp für mich?« Im nächsten Moment überkam ihn wieder die Schwäche, trotz des Kadsan-Genusses. Für einen Moment drehte sich alles um ihn, und die Stiche im Herzen kehrten zurück. Eshmatay hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Es war wieder so wie damals, als Cip fast aufgehört hatte zu pfeifen. »Was hast du?«, fragte der andere besorgt. »Geht es dir gut, Esh?« Der alte Fährmann rülpste. Es war für ihn wie eine Befreiung. Niemand nahm es ihm übel, niemand blickte herüber. Er rang nach Luft und fühlte sich wieder besser. Seine rechte Hand griff zur Brusttasche und ertastete Cip, der wie immer pfiff. Nur hörte er es in dem Gemurmel und der Musik kaum, und was er hörte, klang ihm nicht so fröhlich und leicht wie sonst. »Vor anderthalb Tagen hat Cip für zwei Minuten fast aufgehört zu pfeifen«, vertraute er seinem alten Kumpan an. »Wie gesagt, es war nur kurz, aber ichwar zu Tode erschrocken.« »Tatsächlich?«, fragte Axer. »Dann kann ich dich trösten. Mein Scoothe war auch schon einmal so schwach.« Er klatschte leicht gegen seine Brusttasche. »Aber dann kam er wieder zu sich. Ich habe von anderen Fällen gehört. Gefährlich wird es nur, wenn sie für mehr als fünf Minuten still sind - oder für immer.« Axer legte Amgen eine Pranke auf die Schulter. »Esh, du darfst dich nicht selbst verrückt machen. Du warst über vier Tage auf dem Bittermeer. Was du jetzt brauchst, ist Schlaf. Dein Kumpel hat's ja schon eingesehen. Geht in die Quartiere, die ihr am Luftschiffshafen gemie tet habt, oder habt ihr etwa nicht...?« »Doch«, sagte Amgen. »Wir haben. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Hast du einen Tipp für mich? Ich muss meine RIGO über den Winter bringen, und ich weiß nicht, wann der Roxane wieder genug Yddith geschürft hat, um einen Transport zu wagen.« Sein Gegenüber sah ihn lange an. Eshmatay konnte sich kaum noch auf seinem Stuhl halten. Und er musste Ailey noch zur angemieteten Unterkunft schaffen. »Es sind in den letzten Tagen viele Neuankömmlinge eingetroffen«, sagte Axer hinter vorgehaltener Hand. »Darunter, wie man hört, vier Schiffe der Xiritten. Vielleicht wäre das etwas für dich, Eshmatay. Ich denke, dass es sich um Abenteurer handelt...« »Denen ich meine RIGO zur Verfügung stellen könnte?« Der alte Fährmann nickte. Plötzlich sah er alles vierfach, und seine Zunge war schwer. »Danke für den Tipp, Ax. Bei Gelegenheit...« Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, klappte er zusammen. Er bekam nicht mehr mit, wie Axer ihn und Ailey zum Hafenhotel bringen ließ. 6. Perry Rhodan Es war wie ein Wunder, aber die Landung gelang. Keines der vier Schiffe meldete nach dem Aufsetzen im
Raumhafen ernsthafte Schäden. Der Sturm und die Hyperphänomene hatten keine Opfer gefunden. Selbst Benjameen da Jacinta bewegte sich wieder normal, obwohl aus seinen Augen das nackte Grauen sprach. Nur manchmal musste Tess ihn stützen. »Seltsam«, sagte Perry Rhodan, nachdem alle 32 Expeditionsteilnehmer von Bord gegangen waren, Terraner und Arkoniden. Es war Nacht. Nur wenige Hochstrahler erhellten das Gelände. »Niemand kümmert sich um uns. Es gibt kein Empfangskommando.« »Wen hattest du erwartet, Rhodan?«, fragte die Admiralin. »Irgendwelche Va lenter?« »Natürlich«, antwortete er knapp. Der Himmel war grau. Der Sturm trieb die Wolken rasch nach Westen. Es regnete. Die Terraner und die Arkoniden schlossen ihre Kombinationen und unterhielten sich per Helmfunk weiter. »Wohin jetzt, Rhodan?«, fragte Ascari. »Natürlich in die Stadt, nach Süden«, sagte der Terraner. »Aber bis dahin sind es einige Kilometer.« »Du wartest auf ein Taxi?« »Auf ein Fahrzeug, das groß genug ist, um uns alle aufzunehmen. Unsere An kunft muss doch registriert worden sein.« »Anscheinend nicht. Hier scheint sich jeder selbst überlassen zu sein.« Perry lachte auf. Schließlich befahl er, dass alle 32 Teilnehmer des Kommandos sich in Richtung der Hauptstadt in Bewegung setzten. Er hatte schon schlimmere Märsche hinter sich gebracht. Einige Männer murrten, mehr im Spaß, aber sie folgten ihm und der Arkonidin, die an der Spitze des kleinen Trupps neben ihm ging. Die Gravo-Paks setzten sie sicherheitshalber nicht ein. Man wusste nicht, wie die 5-D-Effekte des Planeten auf sie reagieren würden, und man wollte nicht zu viel über die galaktische Technik verraten. Man wusste nie, was geschah. Sie alle trugen einfachste Schutzanzüge. Das Wetter konnte ihnen so nichts ausmachen. Nur das Fortkommen gegen die Böen war beschwerlich. Zu Rhodans Erleichterung hielt Benjameen ja Jacinta gut mit ihnen mit. Schließlich erreichten sie Shinkasber. Stiefel und Beine waren schlammbespritzt, und noch immer goss es in Strömen. Am Himmel hatte Rhodan seltsame Flackererscheinungen feststellen können, ähnlich den Nordlichtern auf der Erde. Sie stammten nicht von landenden Raumschiffen, dessen war er sicher, und ebenso wenig von benachbarten Sternen oder den Planeten des Systems. Die Stadt war eine Ausgeburt an Hässlichkeit. Über ihr leuchtete das »Auge Anguelas«, das wie überall in der Galaxis Tradom von einer gewaltigen Säule auf die Stadt herabstrahlte, Unter ihr, wusste Rhodan, befand sich das Tributkastell. Kein Gebäude glich dem anderen. Es gab nur Beton, kein Grün. Geschwungene Fahrstraßen zogen sich zwischen den wenigen Hochhäusern herauf. Lichtkegel von Scheinwerfern durchschnitten die Dunkelheit. Und überall an den Gebäuden flackerten Leuchtschriften, die für Hotels, aber auch für andere Etablissements warben. Der nasse Betonboden der Straßen reflektierte den bunten Schein. Überall parkten Autos. Es gab hier anscheinend keine Schweber. Die Straßen waren erfüllt von den verschiedensten Wesen aus dem Reich Tradom: Abenteurer, Prospektoren oder auch nur Touristen, die hier trotz der Umstände das große Erlebnis suchten. »Und jetzt, Rhodan?«, fragte Ascari da Vivo. »Ihr habt einige CE-Tradicos. Mieten wir uns irgendwo ein, bis morgen?« »Wir sind noch nicht müde«, entgegnete Perry. »Ich schlage vor, wir besuchen eine der Gaststätten. Sie scheinen rund um die Uhr geöffnet zu sein. Und wir brauchen jede Information, die wir kriegen können.« * Die nächtliche Ankunft hatte den Terranern und Arkoniden keinerlei neue Er kenntnisse gebracht. Zwar hatten sie mehrere Bars und Hafenkneipen be sucht, aber außer vergnügungssüchtigen Tradom-Bewohnern und geschäftstüchtigen Betreibern nichts gefunden. Schließlich hatten sie ein Hotel entdeckt, das ihnen auch zu dieser späten Stunde noch Einlass und 32 mehr oder weniger frische Betten gewährte. Sie hatten für den Rest der Nacht ihre Schutzanzüge abgelegt und sich geduscht. Als sie zum Frühstück gingen, verging ihnen der Appetit. Es gab eine Art Brot, furchtbar trocken, und Meeresfrüchte aus dem Bittermeer. Letztere waren für den menschlichen und arkonidischen Gaumen unverzehrbar, und das Brot hieß nach Anfrage Sumbai! »Sumbai!«, flüsterte Rhodan der Arkonidin zu, die neben ihm am Tisch saß. »Da haben wir den ersten Anhaltspunkt. Genauso stand es auf der Packung im Rucksack des Messerwerfers.« Sie hob die Schultern. »Das habe ich auch bemerkt«, sagte sie. »Es muss aber nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben.«
Die Gruppe beendete das Frühstück. Perry Rhodan ließ sich den Preis für die Übernachtung und die Verpflegung abbuchen, und gemeinsam gingen sie in die Hauptstadt zurück. Jetzt präsentierte sie sich ihnen ganz anders. Die Straßen waren von Wesen aller möglichen Art überfüllt, und von weit her waren helle Rufe zu hören. »Sehen wir u ns das an«, sagte der Terraner. »Wir bleiben zusammen. Als Gruppe von Xiritten sind wir in diesem Gewühl unauffällig. Für den Fall, dass doch der eine oder andere von der Hauptgruppe getrennt wird, haben wir unsere Funkgeräte.« Seine Mannschaft und die Arkonidin folgten ihm. Was Rhodan sich später vorwarf: In diesen Augenblicken achtete er nicht wie sonst auf Benjameen da Jacinta, Tess Qumisha und Norman. Es war nur schwer durchzukommen. Die Gruppe ließ sich mit dem Strom der Wesen aus ganz Tradom treiben, auf einen großen Platz zu. Die Stimmen der Marktschreier übertönten das Gemurmel der Menge und das Heulen des Sturms, der durch die Straßen blies und an den bunten Bekleidungen der verschiedenartigen Wesen zerrte. »Da«, sagte Asqari da Vivo und zeigte auf eine Häuserecke. »Und dort!« Perry Rhodan folgte ihrer ausgestreckten Hand und sah, was sie meinte. Er hatte sie selbst schon entdeckt. Sie standen an jeder Ecke und hatten sich unter das Volk gemischt: E'Valenter, das Fußvolk unter den Polizisten Tradoms. In ihren dunkelgrünen, martialisch wirkenden Rüstungen, auf deren Brustharnischen das TradomSymbol prangte, bildeten sie einen krassen Gegensatz zu den bunt angezogenen Abenteurern, Prospektoren, Glückssuchern, Händlern und Touristen. Sie waren überall mit ihren dunklen Brillen und ihrer schweren Bewaffnung, die hier deplatziert wirkte. Die falschen Xiritten wurden geschubst und mit der Menge mitgerissen, bis sie den Marktplatz erreicht hatten. Dort waren Stände und Bühnen aufgebaut. Händler aus allen möglichen Völkern präsentierten Waren: in erster Linie Erze, aber auch Dinge, die man bei der Suche nach ihnen benötigte. Hierfür kamen die Prospektoren in Frage und solche, die es einmal werden wollten. Ein Prymbo bot sogar ein ganzes U-Boot an, das im U-Boot-Hafen lag und dort besichtigt werden konnte. Er verlangte einen horrenden Preis dafür, aber es hatten sich trotzdem eine Menge Interessenten um ihn geschart. Teilweise nur Neugierige, teils aber auch solche, die vom großen Abenteuer und Reichtum träumten und dazu ein funktionierendes Unterwasserfahrzeug brauchten. Perry Rhodan dirigierte seine Leute weiter. Es war bald ersichtlich, dass die vielen verschiedenen Waren und Rohstoffe nicht auf Linckx allein produziert oder gewonnen werden konnten. Sie stammten von anderen Planeten und waren von jenen Wesen hierher gebracht worden, deren Schiffe über Linckx im Weltraum warteten; von jenen, denen die Landung ebenfalls gelungen war. Kein Frachter war mit leeren Hangars angereist. Sie alle führten Güter für d en Mindestbedarf der Prospektoren, Fährleute und sonstigen Einwohner von Shinkasber mit und verkauften sie auf Plätzen wie diesem. Halsabschneider mischten sich dabei mit Naivlingen, die übers Ohr gehauen wurden. Handwerker, Mediker und Techniker kamen her , um an den Bedürfnissen der Prospektoren zu verdienen. Auf einem Holzpodest standen zwei Wesen mit Tentakeln statt Armen und jeweils zwei Köpfen, die containerweise Yddith-Erz versteigerten. Und die Menge bot. Innerhalb von einer Minute stiegen die Gebote um fast das Fünffache. Und sie würden sich weiter erhöhen. Die falschen Xiritten drängten sich weiter durch die Masse. Wenn sie sich zu ungestüm ihre Gasse schufen, kam es zu kleinen Rempeleien und Beschimpfungen. Nach einer halben Stunde lichtete sich endlich das Gewühl. Die Terraner und Arkoniden konnten wieder freier atmen. »Was nun, Rhodan?«, fragte die Admiralin. »Hier werden wir mit Sicherheit keine Messerwerfer finden.« »Daran glaube ich auch nicht. Wir werden das Hospital aufsuchen, das von Landesherr Ikanema Two besucht wurde und von wo das terranische Skelett stammte. Vorher aber werden wir uns ein wenig Taschengeld beschaffen. Wir werden es brauchen, wenn wir den Verbotenen Kontinent erreichen wollen.« »Und wie? Was haben wir zu bieten?« Der Terraner lächelte. »Ich konnte mir nach Benjameens Bericht ungefähr vorstellen, wie es hier zugehen würde. Deshalb habe ich einen Haufen Waren an Bord der vier Schiffe bringen lassen. Ich denke, wir werden dafür einen guten Preis erzielen. In erster Linie handelt es sich um organische Grundstoffe, die sich leicht in Nahrung umwandeln lassen. Dazu kommen einige Baumaschinen, mit denen man Gebäude errichten oder ausbessern kann.« Ascari legte die Stirn in Falten. »Und die willst du hierher schaffen? Durch dieses Gedränge?« »Natürlich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass es am Stadtrand weitere Handelsplätze gibt, die nicht so frequentiert sind wie hier im Zentrum.« Die junge Arkonidin hob nur die Schultern, sagte aber nichts mehr. Das Gedränge lichtete sich weiter. Wie von Rhodan angekündigt und erhofft, fanden sie weitere Marktplätze mit
Gütern aller Art, von klein bis riesig. Exotische Körner, Krauter und Gewürze wurden angeboten, aber auch Aggregate für U-Boote und Bespannungen für Luftschiffe. Hier herrschte nicht so ein Auflauf. »Da sind wir richtig«, sagte Perry Rhodan. »Wir werden zum Raumhafen gehenund mit den Maschinen hierher zurückkehren. Sie sind fahrbar, und wir können die anderen Waren auf sie laden.« Der Aktivatorträger sah sich um, und in diesem Moment entdeckte er, dass Benjameen, Tess und Norman nicht mehr bei ihnen waren. * Die drei unterschiedlichen Freunde hatten ein Viertel der Stadt erreicht, in dem kaum Betrieb herrschte. Sie waren von der Gruppe abgedrängt worden, nachdem Benjameen einen unerklärlichen Panikanfall bekommen hatte und nicht mehr weitergehen konnte. Tess hatte ihn aus dem Gedränge hinausgeführt. Norman hatte ihnen den nötigen Platz geschaffen, indem er sich wie ein Keil durch die Menge schob. »Ich weiß immer noch nicht, wie mir das passieren konnte«, sagte der Mutant, als sie sich vor einem Häusereingang niederließen, um für einige Minuten zu rasten. Norman stand vor ihnen, als hielte der kleine Elefant Wache. Es waren hier nur wenige Bewohner und Besucher unterwegs. Der Himmel war und blieb grau. Hier schien die Sonne nie durchzukommen. Durch die Straßen blies der Sturm und wehte die falschen Haare der Gefährten durcheinander. »Mir war auf einmal, als bekäme ich keine Luft mehr«, sagte Benjameen leise. »Ich sah nur noch Gesichter und Fratzen um mich herum. Augen, die mich anstarrten. Grimassen, die höhnisch lachten. Und dann dieser Schwindel...« »Jetzt ist es besser, Ben«, sagte Tess und legte den Arm um seine Schultern. »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Wir kehren zum Raumhafen zurück. Dort werden wir auf Rhodan und die anderen treffen. Oder besser noch: Wir versuchen, ihn anzufunken.« Tess legte den Zeigefinger der freien Hand auf den Minikom am anderen Handgelenk, das von Benjameens Schulter baumelte. Sie alle waren nicht nur mitHelmfunk ausgestattet, sondern auch mit diesen Armbandgeräten. Der junge Arkonide sah sie dankbar an. Für einen Moment sah es so aus, als wolle er etwas sagen. Dann verschleierte sich sein Blick und richtete sich in die Ferne. Er schluckte und stand unsicher auf. »Was ist, Ben?«, fragte Tess. »Fängt es schon wieder an?« Er schien die ehemalige Telepathin nicht zu hören. Sein rechter Arm hob sich, und er zeigte nach Westen. »Was willst du mir sagen, Ben?«, fragte Tess. »Was hast du denn?« »Dorthin«, krächzte der Mutant. »Wir müssen ... dorthin.« »Was ist da, Ben?« Er gab keine Antwort, sondern setzte sich in Bewegung. Wie ein Traumwand ler ging er, sicher, aber staksig wie eine Marionette. »Wir müssen ihm folgen, Norman«, sagte Tess schnell. »Komm! Er sieht etwas, das wir beide nicht sehen.« Sie war unzufrieden mit sich selbst und ihrer Hilflosigkeit. Was sollte sie tun? Sich Benjameen blind anvertrauen? Ihm, der infolge der fünf dimensionalen Aufladung des Planeten offenbar jede Orientierung verloren hatte - auch wenn er jetzt den Eindruck machte, er hätte ein konkretes, greifbares Ziel? Tess und Norman folgten dem Zeroträumer. Benjameen da Jacinta ging hölzern bis zur nächsten Straßengabelung. Dann bog er nach links ab und ging ebenso stur weiter. Immer wenn Tess den Versuch machte, ihn einzuholen, beschleunigte er seinen Schritt. Tess wurde er unheimlich. Fast bekam sie Angst vor ihm. Was sah er? Was zog ihn wie magisch an? Sah er etwa ... das Gesicht? »Ben!«, rief sie. Es begann heftig zu regnen. Das Klatschen der Tropfen auf dem Straßenbelag übertönte fast ihre Stimme. Die Bewohner der Stadt, die hier unterwegs waren, störten sich nicht an Wind und Wetter. Sie waren nichts anderes gewohnt. »Ben, bleib stehen! Wir sind wegen der Messerwerfer hier und wegen des Skeletts! Nicht wegen deiner Visionen!« Er blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihr um. Tess erschrak heftig, als sie seinen flackernden Blick sah. Benjameen war bleich geworden. Er hob die rechte Hand und zeigte nach Westen. Dann ging er weiter. Tess und Norman blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Dabei versuchte sie verzweifelt, Perry Rhodan über Minikom zu erreichen. Als das nichts brachte, versuchte sie es sogar per Helmfunk - auch ohne Ergebnis. Ihnen wird doch nichts zugestoßen sein!, dachte sie unsicher. Was konnte sie jetzt noch tun, um Benjameen zu stoppen, der voranschritt wie ein Roboter? Sie hatten keine Waffen mitgenommen, also konnte sie ihn auch nicht paralysieren - ein Gedanke, der ihr tatsächlich kam und der ihr Schmerzen bereitete. Die ungleichen Gefährten hatten die Außenbezirke der Stadt erreicht. Kaum noch begegneten sie Einwohnern oder Besuchern. Selten standen E'Valenter vor den hässlichen Gebäuden. Der Sturm tobte und
peitschte den Regen gegen sie, aber Benjameen schien das nichts auszumachen. Tess hingegen hielt den Raumhelm geschlossen. Und dann, wie vom Blitz getroffen, brach der Zeroträumer zusammen. Er knickte in den Knien und in der Körpermitte ein und fiel vornüber in eine Pfütze. Tess stieß einen entsetzten Schrei aus und war mit vier, fünf schnellen Schritten bei ihm. Sie drehte ihn auf den Rücken und sah in zwei blicklose Augen. * Die Terraner und Arkoniden hatten Glück. Sie brauchten den Weg bis zum Raumhafen nicht noch einmal zu Fuß zurückzulegen. Am Stadtrand stießen sie auf eine Fahrzeugvermietung, die Turbobusse verlieh. Die 29 Personen fanden leicht in einem der Vehikel Platz. Rhodan bezahlte im Voraus. Sie erreichten den Raumhafen im Sturm und im klatschenden Regen. Im Schutz ihrer geschlossenen Anzüge begaben sie sich zu ihren Schiffen und begannen damit, die fahrbaren Baumaschinen über Rampen ins Freie zu bringen. Sie beförderten die leichteren, organischen Waren auf die kleinen Ladeflächenund versiegelten ihre Schiffe wieder. Zwischendurch rief Perry Rhodan in regelmäßigen Abständen über Funk nachBenjameen und Tess - ohne Erfolg. Er konnte es sich nicht erklären, denn die Minikoms arbeiteten nicht auf 5-D-Basis. Der Aktivatorträger machte sich zunehmend Sorgen um die beiden und Norman und hoffte nur, dass sie nicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten waren. »Wir sind so weit«, meldete Lexan Huiskan. »Alle Fahrzeuge sind abfahrbereit.« »Danke. Zwanzig Mann fahren mit dem Bus zurück, wir anderen verteilen uns auf die Baumaschinen. Wir treffen uns dann an dem Handelsplatz wieder, wo wir die Waren versilbern wollen.« »Und Benjameen?«, fragte Ascari da Vivo. »Wir werden ihn und Tess finden«, versprach Per ry Rhodan. * Sie errichteten einen Stand, der mitten zwischen den anderen aufgebaut war. Um ihn herum postierten sie ihre Maschinen und zwischen denen die Kleincontainer mit den anderen Waren. Das Interesse der Planetarier und Besucher hatte trotz des strömenden Regens nicht nachgelassen. Immer noch wälzten sich Scharen vorbei, wenn auch längst nicht so erdrückend wie im Zentrum der Stadt. Lexan Huiskan, der dafür ein ausgesprochenes Talent besaß, pries in der Maske des falschen Xiritten die Waren der Terraner an, die aus den Lagerbe ständen der LEIF ERIKSSON stammten. Verschiedene Interessenten blieben stehen und begutachteten die Maschinen. Die Nahrungsmittelgrundlagen waren am ehesten verkauft, brachten aber kaum CE-Tradicos. Besser entwickelte sich das Geschäft mit den Maschinen. Gebote wurden abgegeben und abgelehnt, weil sie viel zu niedrig waren. Erst als eine einheimische Baugesellschaft eine annehmbar hohe Summe bot, schlug Huiskan mit Rhodans Segen zu. Die Maschinen wurden alle auf einen Schlag verkauft, und auf dem Guthabenkonto der falschen Xiritten erschien eine neue, befriedigende Zahl. »Ich hätte das Doppelte erlöst«, sagte Ascari da Vivo. »Dann führst du das nächste Mal die Verhandlungen«, versetzte Perry Rhodan trocken. Der Terraner war fürs Erste zufrieden, wenngleich seine Sorgen um Benjameen, Tess und Norman nicht geringer geworden waren. »Wir begeben uns jetzt zum Hospital«, verkündete der Terraner. »Vorher bilden wir Gruppen. Wir sind zweiunddreißig. Benjameen, Tess und Norman haben sich bereits abgesetzt, sie sollen eine eigene Gruppe bilden. Die zweite werde ich anführen ...« »... wozu ich gehören werde«, unter brach die Admiralin. »Ich bitte sogar darum«, sagte Perry. »Sie besteht aus zehn Leuten und wird sich zum Hospital begeben und danach versuchen, den Kontinent Sikma zu erreichen. Bleiben neunzehn Mitglieder der Expedition. Rudo K'Renzer wird sie einteilen. Am besten werden drei weitere Gruppen gebildet, die sich in der Hauptstadt und an den Häfen umsehen. Ihr wisst, worum es geht. Wir müssen letzten Endes nach Sikma, auf den Verbotenen Kontinent, wenn wir sein Geheimnis lüften wollen.« »Du kannst dich auf uns verlassen«, sagte K'Renzer. *
»Benjameen!«, rief die junge Wissenschaftlerin. »Ben, bitte komm zu dir! Du darfst uns nicht verlassen, hörst du? Bitte, wach auf!« Tess rüttelte an Benjameens Schultern. Dann versuchte sie es mit Mund-zuMund-Beatmung, wozu sie ihren Helm wieder zurückklappen musste, und schließlich mit Herzmassage. Immer wieder sprach sie auf ihn ein - ohne Erfolg. Er lag in ihren Armen wie tot. Zu allem Überfluss blitzte und donnerte es jetzt auch noch. Der Sturm brauste auf. Er peitschte die Pfützen, jagte den Regen gen Westen. Tess konnte zeitweise nichts mehr sehen, aber als sich ihr Blick wieder klärte, richtete sich Benjameen vor ihr auf. Sie warf sich in die Pfütze, ihm um den Hals. Für einen Moment drückte er ihre Handgelenke. Dann löste er sich wieder und kam in die Höhe. »Bist du jetzt klar?«, fragte Tess, als auch sie sich aufrappelte. »Hörst du mich, Ben?« Wieder zeigte der Arkonide nach Westen. »Dorthin!« »Was ist da, Ben?«, fragte Tess schnell, bevor der Augenblick der geistigen Klarheit wieder vorbei war. »Was siehst du?« »Das ... Gesicht«, antwortete er tonlos. Dann wandte er sich auch schon wieder ab und begann dort weiterzumarschieren, wo er gestürzt war. Befindet er sich mit seinen Sinnen in einer anderen Realität?, fragte sich Tess. Oder hat er am Ende Kontakt? Wie im Zerotraum? So musste es sein. Benjameen war zwar im Wachzustand, aber eben wie ein Schlafwandler. Vielleicht war dies eine neue Qualität seiner Begabung, oder aber die fünfdimensionalen Strömungen waren dafür verantwortlich. Auf jeden Fall war sie davon überzeugt, dass Benjameen einen Kontakt hatte - zu wem oder was auch immer. Und es war stärker als seine Bindung an sie, Norman oder das Landekommando. Ihr Gefährte wurde der ehemaligen Mutantin unheimlich. Aber sie folgte ihm. Norman lief sogar voraus, als ahne er die Richtung und das Ziel. Er schien, genau wie Benjameen, eine völlig andere Stadt zu sehen als sie. Sie kam sich vor wie eine Blinde, kämpfte sich durch das Unwetter vor und folgte Benjameen. Er schien wirklich genau zu wissen, wohin er wollte. War es tatsächlich das Gesicht, von dem er wiederholt gesprochen hatte? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass die Gruppe der falschen Xiritten eigentlich die Aufgabe hatte, nach der Herkunft des terranischen Skeletts zu suchen, nach den Messerwerfern und, das ergab sich von selbst, nach einer Spur des geheimnisvollen Trümmerimperiums und der Eltanen. Hier fanden sie diese Spur nicht, das war ihr klar. Nicht solange Benjameen seinem Phantom nachjagte. Benjameen hatte zu laufen begonnen. Während sie ihm nachrannte, versuchte sie wieder, Funkkontakt zu Perry Rhodan herzustellen. Es wollte einfach nicht gelingen, und sie kannte keinen Grund dafür. Sie fiel, richtete sich wieder auf und rannte, rannte. Sie war völlig außer Atem, als Benjameen vor den Toren der hässlichen Stadt endlich stehen blieb und wieder nach Westen deutete. »Dort!«, sagte er in den Regen und Sturm. »Die Luftschiffswerft. Der Luftschiffshafen.« Seine Stimme klang fremd, und als er sich umdrehte und sie anblickte, erschrak sie. »Wohin willst du, Ben?«, fragte sie. »Du musst es mir sagen, bitte!« »Zu den Luftschiffen. Nach Sikma. Zu dem Gesicht.« Er packte ihr Handgelenk und drückte so fest, dass sie fast aufschrie. »Es lässt mich nicht los, verstehst du? Tess, es ist etwas ... etwas Gewaltiges!« 7. Eshmatay Amgen Er war mit einem Brummschädel er wacht, der sich gewaschen hatte. Der alte Fährmann hatte sich geduscht und gereinigt und ein paar Pillen geschluckt, durch deren Hilfe er sich bald besser fühlte - ein bisschen jedenfalls. Er hatte nicht gewusst, wie er hierher gekommen war. Im Nebenzimmer des Hotels schlief noch immer Ailey, der sich in der Nacht übergeben hatte. Es stank süßlich und war kein erhebender An blick. »Was war das?«, fragte sich Eshmatay. »Eine Kanonenkugel?« Erst allmählich wurde ihm wieder bewusst, wie die Nacht verlaufen war. Er und Ailey waren in mehreren Kneipen gewesen und hatten viel, sehr viel getrunken. Und, ach ja, Axer fiel ihm wieder ein und sein Tipp mit den Xiritten. Viel wirbelte in seiner unvollständigen Erinnerung durcheinander, aber das war hängen geblieben. Der alte Fährmann zwang sich, einen Brocken Sumbai hinunterzuschlingen. Danach weckte er Ailey mit einem Eimer eiskalten Wassers auf und schickte ihn unter die Dusche. Cip pfiff fröhlich, als hätte er nie etwas anderes getan. Das beruhigte den alten Kapitän und ließ ihn für den Augenblick seine Müdigkeit und Schlaffheit vergessen. Als Ailey mit gereinigter und trockener Bekleidung aus der Dusche kam und sein Frühstück zu sich genommen
hatte, sagte Eshmatay Amgen: »Es wird Zeit, dass wir uns wieder um die RIGO kümmern. Nein, sag jetzt nichts. Das Schiff wartet auf uns. Ich will sehen, wie weit die Techniker mit den Ausbesserungsarbeiten sind.« »Ich wollte ja gar nichts sagen«, beklagte sich der dürre Maschinist. »Dann ist es ja gut. Wir bezahlen hier und gehen zum Shelter.« Sie verließen die Absteige und mieteten sich ein Fahrzeug, das. sie zum Luftschiffshafen brachte. Dort löhnte der alte Fährmann wieder und stand vor dem Sheltcr, unter dem seine RIGO untergebracht war. Er sah sofort, dass die Wartungsmannschaften bereits ihre Montageplattformen zurückfuhren. Einen der Quintanen schnappte er sich und fragte, wie weit es mit den Reparaturarbeiten gediehen sei. »Es ist alles in bester Ordnung«, ratterte der Techniker. »Das Luftschiff ist wieder völlig einsatzbereit - wenn man bei einem solchen Kasten von Einsatzbereitschaft noch reden kann. Aber wir haben getan, was wir konnten.« »Das will ich auch hoffen!«, sagte der alte Fährmann und ließ den Quintanen los. »Wir werden es uns ansehen.« »Nachtschicht kostet Zulage!«, rief der Quintane noch, bevor er sich fluchtartig entfernte. »Schreib's mir auf die Rechnung!«, rief Eshmatay Amgen zurück. Dann kletterte er über die immer noch angelegte Gangway an Bord. Er sah sich um. Die Yddith-Barren waren natürlich entfernt worden. Es gab mehr Platz in der Gondel. Alles war wieder übersichtlicher. Der Regen hatte aufgehört. Voller Neid sah der Kapitän auf die in der Nachbarschaft liegenden Zweikörperschiffe. Sie schienen vor Kraft zu strotzen und zeigten noch keine Spuren des Alters und der Verwitterung. Eines wurde gerade beladen, vermutlich mit Proviant für Prospektoren draußen auf dem Bittermeer. Motorengeräusch drang herüber. Ein anderes Luftschiff machte sich bereit zum Start. Auf dem Hafen herrschte rege Betriebsamkeit. Eshmatay Amgen setzte sich an den Kartentisch. Hier war er nun, wieder zurück in seiner ans Herz gewachsenen RIGO. Sie war für ihn wie eine alte Freundin. Aber wie ging es nun weiter? Er besaß kaum noch Geld. Den Großteil der Provision für das Yddith hatten die Reparaturen verschlungen. So kam er nicht über den Winter, nicht einmal über die nächsten Wochen. Cip sprang aus der Brusttasche und auf den Tisch, wo er seltsame Verrenkungen vollführte. Es sah ganz so aus, als wolle er Eshmatay aufmuntern. Der alte Fährmann lächelte und hielt ihm den Finger hin. Cip machte daran Klimmzüge. Sein Fell war längst wieder dunkel geworden. Und er pfiff noch, und zwar weiterhin fröh lich und laut. Das waren eigentlich gute Zeichen. Was Eshmatay Sorge bereitete, waren die Anzeichen für einen neuen Hypersturm. Seine Haarorgane registrierten die fünfdimensionale Aufladung der Atmosphäre, die teilweise in das normale Kontinuum hineinreichte. Es konnte noch schlimmer kommen. Dann fiel in bestimmten Teilen der Welt der Funk aus. Seltsame hyperenergetische Phänomene traten auf. Es kam zum Gespenstertanz. Was hatte Axer gesagt? Xiritten? Eshmatay hatte von diesem Volk gehört. Xiritten waren in diesem Teil Tradoms selten, aber wo sie landeten, brachten sie Reichtum. Eine Passage an Bord der RIGO wäre ein Glücksfall. Aber auch ein Wunder. Wie sollten sie ausgerechnet auf ihn zukommen? An solche Zufälle glaubte er nicht. Oder sollte er sie vielleicht suchen? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für eines der modernen Zweikörperschiffe entschieden, war überwältigend - falls sie überhaupt ein Luftschiff mieten wollten. Aber so oder so, er musste wieder in die Stadt. Er würde um Aufträge betteln müssen. Außer Axer kannte er weitere Fährleute und Händler, die für einen Hinweis immer gut waren. Ailey arbeitete an den Maschinen. Eshmatay hatte Zeit. Und es sollte sich für ihn lohnen, dass er nicht gleich in die Stadt aufbrach. Das Schicksal kam auf ihn zu, ohne dass er es ahnte. Der alte Fährmann war immer noch müde. Deshalb machte er es sich in seinem Sessel bequem und döste leicht einbis er mit einem Schrei aus seinen Träumen erwachte. »Was hast du, Chef?«, rief Ailey herunter. »Ist dir nicht gut?« »Ach, es ist... nichts«, antwortete Amgen. »Es war ... Mir war nur, als hätte mich ein fremder Geist berührt...« 8. Perry Rhodan Sie machten das Hospital relativ schnell aus. Mit einem gemieteten, offenen Wagen erreichten sie es innerhalb kurzer Zeit. Perry Rhodan desaktivierte die Systeme und sprang als Erster hinaus. Der Regen hatte aufgehört, aber die Straße war voller Pfützen. »Wenn das Krankenhaus innen genauso aussieht wie von außen, dann viel Vergnügen«, sagte Ascari da Vivo. »Hier möchte ich nicht zusammengeflickt wer den.«
Sie hatte Recht. Das Hospital war ein hässlicher Klotz, eine Beleidigung für das Auge. Aber das schien den Prospektoren und anderen Patienten nichts auszumachen. Gerade landete ein Hubschrauber und brachte Verwundete. Personal kam herausgelaufen und kümmerte sich um die Neuen. Perry Rhodan gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie marschierten auf den Eingang zu und konnten die Rezeption passieren, ohne aufgehalten zu werden. Niemand fragte nach ihren Namen und dem Zweck ihres Besuches. Niemand hielt sie auf, als sie sich auf Rhodans Wink über die Gänge verteilten, immer zwei Spezialisten zusammen. Ascari da Vivo blieb wie selbstverständlich bei dem Terraner. Sie sahen in verschiedene Krankenzimmer hinein. Fast alle Türen standen offen. Tradomer aller Welten lagen, saßen oder standen in den steril wirkenden Räumen, die einen besseren Eindruck machten als erwartet. Rhodan schätzte, dass die meisten von ihnen Prospektoren waren - Prospektoren mit allen Arten von Verwundungen und Verletzungen, die sie hier behandeln ließen. Am Ende des Ganges führte eine Treppe in tiefer gelegene Geschosse hinunter. Rhodan und die Arkonidin stiegen hinab und gelangten in einen großen Saal voller Skelette, konservierter Leichen und Leichenteile. Es sah aus wie in einem Museum. Die Luft war schlecht. Es roch modrig. Rhodan musterte die Skelette eindringlich. Keines gehörte zu einem Menschen. Und noch immer kümmerte sich niemand um sie. Rhodan wurde ungeduldig. Schließlich entdeckte er ein Wesen, das eines der an der Wand aufgestellten Skelette säuberte. Es war humanoid und gehörte keinem der bisher bekannten Tradom-Völker an. Wären nicht die dunkle, runzlige Haut und die beiden Fühler gewesen, hätte man es für einen Menschen halten können. »Komm«, sagte Perry zu seiner Begleiterin und ging auf das Wesen zu. Natürlich konnte Rhodan nicht wis sen, ob es sich um einen Arzt oder nur umeinen Helfer handelte. Er sprach den Fremden an. »Ja?«, fragte dieser unwirsch. »Kann ich etwas für euch tun?« Rhodan ließ über seinem Handgelenk ein Holo projizieren. »Wir suchen ein solches Skelett. Dieses wurde hier gefunden. Weißt du, woher es stammt?« »Nein«, bekam er zur Antwort, für seine Begriffe etwas zu schnell. Sein Gegenüber war nicht gerade die Freundlichkeit in Person und dazu sehr ungeduldig. »Nein, es ist mir völlig unbekannt.« »Du siehst ja nicht einmal richtig hin!« »Ich habe zu arbeiten, seht ihr das nicht? Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich kenne kein solches Skelett.« Blitzschnell hatte Rhodan ihn mit der freien Hand am Kragenaufschlag seiner Jacke geschnappt. »Freund!«, sagte er drohend. »Auch meine Geduld hat Grenzen!« »Lass mich!«, fauchte das Wesen und begann zu schreien. Plötzlich waren sie überall, wie aus dem Boden gestampft: Wesen in verschiedenen Uniformen, darunter etliche Quintanen. Das Sagen aber schienen die mit Fühlern versehenen Humanoiden zu haben. »Was ist hier los?«, fragte einer von ihnen. »Ich bin Herklo, der Leiter dieser Abteilung. Was wollt ihr von Groh? Lass ihn sofort los.« »Das wollen wir!«, sagte Rhodan und zeigte ihm das Holo. »Wir sind auf der Suche nach diesem Skelett. Es befand sich in diesem Hospital. Was wisst ihr darüber?« Herklo warf einen langen Blick auf die Darstellung. Dann schüttelte er in durchaus menschlicher Manier den Kopf. »Nichts, Fremder. Ein solches Skelett kenne ich nicht. Und ich kenne sie alle.« Rhodan zeigte das Holo auch den anderen Medikern und den Quintanen. Alle mussten sie ihn enttäuschen. Nach einer Stunde verließen der Terraner und die Arkonidin die Klinik, ohne etwas erreicht zu haben. Die meisten der anderen warteten schon beim Wagen. Sie hatten ebenso wenig Glück gehabt. »Weiter nach der Herkunft des Ske letts zu suchen hat keinen Zweck«, fasste Rhodan zusammen, als die Gruppe vollzählig war. »Es sei denn, auf Sikma. Der U-Boot- Hafen ist unser nächstes Ziel.« Seine Gedanken weilten wieder bei Benjameen, Tess und Norman. Warum meldeten sie sich nicht? Warum antworteten sie nicht? * Die Anlage am Rand der Stadt war gewaltig in ihren Ausmaßen. Tess Qumisha wurde an einen Raumhafen erinnert. Nur gab es hier keine Raum-, sondern Luftschiffe zu sehen, so weit der Blick reichte. Bei diesen Luftschiffen handelte es sich in der Regel um solc he mit zwei Flugkörpern, in allen Stadien der Verarbeitung. Es handelte sich also auch um eine Werft. Nur hier und da war ein Einkörperluftschiff zu sehen. Diese Typen wirkten alt und vergammelt. Die Doppelrumpfschiffe dagegen glänzten in ihrer silbrigen Bespannung, selbst hier, wo keine Sonne schien. Benjameen blieb kurz stehen. Es war, als versuche er, sich zu orientieren.
Tess nutzte die Chance und drehte ihn zu sich um. Sein Blick ging durch sie hindurch, wanderte von rechts nach links. Er suchte - nur was? »Ben«, appellierte die ehemalige Telepathin an ihn. »Sag mir, was du siehst!« »Gesicht«, sagte er leise. »Sikma. Luftschiff ...« »Du meinst, ein Luftschiff soll uns auf den Verbotenen Kontinent bringen? Kein Kapitän wird sich darauf einlassen, Ben.« »Wer sagt das?«, fragte er geistesabwesend. »CE-Tradicos ... Passage.« »Aber wir haben nicht genügend CE-Tradicos, Ben!« Dann... Rhodan. Er muss kommen und für uns bezahlen ...« »Ich kann ihn nicht erreichen, Ben!« Da Jacinta machte sich von ihr los und zeigte in eine Richtung. »Dort«, sagte er heiser. »Kontakt...« Der Arkonide marschierte wieder los. Tess blieb nichts anderes übrig, als ihm wieder zu folgen. Norman machte den schwachen Versuch zu trompeten. Es klang verzweifelt. Der Zwergelefant tat Tess Leid. Der Weg führte mitten zwischen den stolzen, riesigen Luftschiffen hindurch. An vielen wurde gearbeitet. Auch hier taten sich wieder Quintanen hervor. Sie waren praktisch überall anzutreffen. Benjameen blieb stehen, drehte den Kopf wie ein Wild, das schnupperte, und wechselte die Richtung, bevor Tess ihn wieder erreichen konnte. Er schritt jetzt noch schneller aus, ein Zeichen dafür, dass er seinem Ziel immer näher kam. Die Gruppe hatte mindestens schon drei Kilometer auf dem Hafen- und Werftgelände hinter sich gebracht, als er Halt machte und auf einen offenen Unterstand zeigte, unter dem Tess ein einzelnes Einkörperluftschiff erkennen konnte - und zwar eines von der vergammeltsten Sorte. »Kontakt«, sagte Benjameen noch einmal. »Dieses Schiff dort.« »Dieser alte Kasten?«, fragte Tess ent setzt. »Er muss hundert Jahre oder mehr auf dem Buckel haben.« »Dieses Schiff«, wiederholte Benjameen, und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. * Sie standen vor der Gangway, die zur Tür der Gondel hinaufführte. Benjameen legte die Hände an den Mund und rief laut: »Hallooo! Ist da jemand?« Die Gondeltür öffnete sich, und ein stachelhaariges Wesen in einem roten Overall mit gelben Taschen kam zum Vorschein. Es war stämmig gebaut und besaß einen kantigen, halslo sen Kopf mit vier Augen, die sich ständig gegeneinander zu drehen schienen. »Ich höre euch!«, rief das Wesen mit dröhnender Stimme. »Ich bin Eshmatay Amgen, der Kapitän dieses stolzen Schiffes, der RIGO. Und ihr? Was wollt ihr von mir?« »Wir sind Xiritten!«, rief Tess hinauf, weil Benjamen schwieg. »Mein Name ist Tess, der Name meines Gefährten Ben, Dies, Norman, ist unser Maskottchen!« So fremd seine Mimik war, so sehr glaubte Tess ein Aufleuchten in seinen Augen zu sehen, als sie sich als Xiritten vorstellte. Der Fährmann trat auf die obere Stufe der Gangway hinaus. »Was wollt ihr von mir, Tess?«, rief er. »Und kann dein Gefährte nicht sprechen?« »Er ist sehr schweigsam, Eshmatay Amgen. Was wir wollen, ist eine Passage, ein Flug.« »Ein Flug? Wohin?« »Das w erden wir dir sagen, wenn wir in der Luft sind!«, rief Benjameen überraschend. »Es geht um einen Rundflug.« »Und was habt ihr mir anzubieten?«, fragte der Fährmann. »Was kostet der Flug?«, gab Tess zurück. Im gleichen Augenblick begriff sie, dass sie die Seite von Benjameen eingenommen hatte. Was immer er vorhatte, sie machte sich zu seiner Komplizin. »Tausend CE-Tradicos«, sagte Amgen. »Zahlbar im Voraus!« Tess hatte keine Ahnung, ob dieser Preis angemessen war oder nicht. Aber erkam ihr vom Gefühl her sehr hoch vor. Dieses Wesen vor ihr sah nicht aus, als ob es reich sei, sondern eher so, als ob es dringend Geld brauchte. »Wir geben dir das Doppelte!«, rief Benjameen. »Dafür bringe ich euch überall hin!«, antwortete Amgen mit rollenden Augen. Anscheinend war er hocherfreut über das sich anbahnende Geschäft. »Ben«, flüsterte Tess dem Mutanten zu. »So viel Geld haben wir überhaupt nicht.« »Dann besorgen wir es uns von Rhodan.« »Aber ich bekomme keinen Kontakt mit ihm!« »Versuche es noch einmal!« Tess tat es. Und diesmal, wie durch ein Wunder, funktionierte es.
* Perry Rhodan reagierte erleichtert, als er den Anruf erhielt. Endlich hatte er wieder Kontakt zu den Verschwundenen. Tess schilderte ihm in knappen Sätzen, wie es um Benjameen stand und dass sie eine Passage nach Sikma in Aussicht hätten - wobei der Luftschiffskapitän von seinem Glück noch gar nichts wusste. Sie durften sich nicht zu früh verraten, wollten sie nicht Gefahr laufen, dass er einen Rückzieher machte. Das Problem war das Geld. Perry Rhodan brauchte nicht lange nachzudenken. Während er selbst nach einer Chance suchte, den Verbotenen Kontinent zu erreichen - Tess und Benjameen hatten sie. Also versprach er, sofort einen seiner Begleiter zum Luftschiffshafen zu schicken, mit den zweitausend CE-Tradicos. Es traf Lexan Huiskan. Lexan fuhr mit dem offenen Wagen zum Luftschiffshafen. Perry Rhodan blieb im Hafen und führte Gespräche mit Prospektoren und Anbietern von Abenteuerreisen, bisher ohne Erfolg. Immer wenn das Wort »Sikma« fiel, war das Gespräch zu Ende. Niemand wollte etwas mit dem Verbotenen Kontinent zu tun haben. Eine kreatürliche Angst war allerorts zu spüren. Und das betraf nicht nur die Valenter, die den Kontinent mit ihren Flugzeugen und Bodenstellungen abriegelten. Es steckte mehr dahinter. Lexan Huiskan erreichte den Luftschiff shafen und ließ sich von Tess Qumisha per Funk zur RIGO dirigieren. Die Verbindung klappte jetzt wieder einwandfrei, als hätte es nie einen Ausfall gegeben. Huiskan brachte den Wagen vor dem offenen Shelter zum Stehen, einem von Hunderten auf dem Hafen- und Werftgelände. Eshmatay Amgen war schon die Gangway herabgestiegen. Sie schüttelten sich die Hände und fuhren zusammen zum Abfertigungsgebäude, wo die zweitausend CE-Tradicos das Konto und die Besitzer wechselten. »Bring uns unsere Leute gesund zurück«, bat der falsche Xiritte, als er Amgen wieder bei der RIGO und bei Benjameen, Tess und Norman absetzte. Er blickte fasziniert auf die sich bewegenden Haarstacheln des Kapitäns. Dann winkte er zum Abschied und fuhr davon, zurück zum U-Boot-Hafen und zu seiner Gruppe. Vorher war mit Tess ausgemacht worden, dass sie Funkkontakt halten sollte. »Es ist alles geregelt«, sagte Eshmatay Amgen zu Tess. »Kommt mit mir an Bord. In wenigen Stunden können wir fliegen.« * Perry Rhodan war der Verzweiflung nahe. Im gewaltigen U-Boot- Hafen, der ebenfalls teilweise als Werft zu betrachten war, lagen Dutzende von langen, groß dimensionierten Booten auf Halde, die von Wartungsmannschaften überholt wurden. Andere waren erst noch im Bau und warteten auf Käufer, zukünftige Prospektoren, und wieder andere standen kurz vor dem Auslaufen. Der Großteil von ihnen aber würde wieder tauchen, am Meeresboden schürfen und keine Passagiere aufnehmen. Es stank fürchterlich. Beißende Gerüche erfüllten die Luft, der Odem des hochgiftigen Bittermeers, in dessen Ausläufern die U-Boote lagen. Von Sikma wollte hier niemand etwas wissen, egal wen sie ansprachen. Die Prospektoren wussten genau, dass die Valenter schon jeden Gedanken an den Verbotenen Kontinent unter Strafe gestellt hatten. Und die Prospektoren und die Wirtschaft in Shinkasber konnten alles Mögliche brauchen - nur keinen Ärger mit den Polizisten. Niemand der von Rhodans Gruppe Befragten zog es auch nur im Entferntesten in Erwägung, jemals nach Sikma zu fahren. Manche ergänzten hinter vorgehaltener Hand, dass starke Kräfte der Valenter Sikma absicherten, dass jeder Versuch der Annäherung ein sicheres Todesurteil sei. Die Terraner und Arkoniden versuchten alles. Niemand wollte das Risiko eingehen. Als Perry Rhodan schon resignierte, ergriff Ascari da Vivo die Initiative. »Ich werde einen Kapitän finden, der uns nach Sikma bringt, Rhodan«, sagte sie. »Lass mich nur machen. Sind unsere Funkgeräte wieder in Ordnung?« »Sie waren es bisher immer, bis auf den Kontakt mit Tess und Benjameen«, antwortete er. »Dann sehen wir uns bald wieder«, sagte die Arkonidin. »Mit einer Passage.« Sie setzte sich auf einen der Stollen zu in Bewegung, die die einzelnen unterirdischen Gewölbe der U-BootBasis mit einander verbanden. Perry Rhodan rief ihr nach: »Admiralin!« Sie blieb im Licht der überall angebrachten Scheinwerfer stehen und drehte sich zu ihm um. »Ja?« »Pass auf dich auf«, sagte er.
Sie lächelte spöttisch. »Und das aus deinem Mund?« * Eine Stunde später war sie zurück, und zwar in Begleitung. Ein tonnenbrüstiger, auf vier Beinen gehender Tradomer kam mit ihr und begann sofort mit der Verhandlung. »Ich bin O'Konee«, stellte er sich vor. »Ein Prymbo, ein Prospektor. Ich habe gehört, ihr sucht eine Unterwasser-Passage zu dem Verbotenen Kontinent.« »Das ist richtig«, antwortete Perry Rhodan und musterte den Prymbo. Bei Wesen seiner Art handelte es sich um bis zu zwei Meter große, formlose und massige Säcke aus Dutzenden Gewebebrocken, die einander überlappten oder ineinander flossen, wobei sie wie ein Patchworkteppich unterschiedlichste Färbungen annehmen konnten. Nicht einmal ihre Form musste einheitlich sein. Lediglich ein Merkmal war ihnen gemeinsam, nämlich die zehn kleinen Augen, die über die fleischigen Köpfe verteilt waren. O'Konee sprach leise, vorsichtig. Sie hatten sich in eine Nische zurückgezogen. Zwei Quintanen aus der Mannschaft des Prymbos wachten darüber, dass keine Valenter auf sie aufmerksam wur den. »Was würdet ihr euch die Fahrt kosten lassen?« »Wie viel würdest du verlangen?«, fragte Perry Rhodan zurück. »Fünftausend CE-Tradicos«, bekam er zur Antwort. »Zweitausend«, entgegnete Rhodan. »Mehr haben wir nicht.« »Zweitausend«, w iederholte der Prymbo gedehnt. Dann winkte er ab. »Schlag's dir aus dem Kopf.« Er wandte sich zum Gehen. »Warte!«, rief Perry Rhodan. »Dreitausend, aber das ist unser letztes Angebot.« Der Prospektor blieb stehen und drehte sich halb zu ihm um. »Dreitausend? Wer dreitausend hat, der hat auch viertausend.« »In Ordnung, dreieinhalbtausend«, sagte Rhodan. »Aber das ist nun wirklich unser letztes Angebot.« O'Konee drehte sich ganz herum. Seine zehn Augen leuchteten im fahlen Licht der Nische. »Wir sind uns einig«, sagte er. »Dreieinhalbtausend CE-Tradicos, am Verwaltungsgebäude auf mein Konto abzubuchen. Danach stechen wir in See. Wo du mein Boot findest, das weiß deine Freundin.« »Sie ist nicht meine Freundin«, wider sprach Rhodan. »Und außerdem traue ich dir nicht über den Weg. Die Hälfte jetzt und die andere Hälfte nach unserer Rückkehr. Ich möchte nicht, dass wir während der Reise im Bittermeer ver schwinden ...« Die plumpe Gestalt des Prymbos straffte sich, wobei er an Höhe gewann. »Das traust du mir zu?« »Ich traue euch Halsabschneidern alles zu«, sagte Rhodan ungerührt. »Also?« »Das Geschäft ist gemacht«, knurrte der Prymbo-Kapitän. »Überweist mir das Geld, und wir können aufbrechen.« * Als das Geschäftliche erledigt war - es hatte Rhodan fast sein gesamtes restliches Guthaben gekostet -, kamen sie zurück in den U-Boot-Hafen. Ascari da Vivo führte sie zum Dock der UMASA, so hieß das U-Boot der Prymbos. Es handelte sich um ein relativ modernes Schiff, das mit dem oberen Teil aus dem Wasser reichte. Perry Rhodan, Ascari da Vivo und ihre acht Begleiter begaben sich an Bord. Im inneren des Unterwasserfahrzeugs herrschten beängstigend beengte Verhältnisse, und das angesichts der beeindruckenden Außenmaße. Doch das Gros der Tonnage war für die Lagerung von Quinta-Erzen bestimmt. Es schien so, als sei die Passage für die vermeintlichen Xiritten nur ein Zusatzgeschäft für die Prymbos. Die Prymbos und Quintanen versuchten, der Gruppe Rhodan einen dieser Lagerräume zuzuweisen, während das Boot schon in See stach. Für eine Umkehr war es jetzt bereits zu spät. Doch Rhodan und Ascari lehnten geschlossen ab. Sie wollten nicht riskieren, dass die Besatzung während der Fahrt eine Luke öffnete und sie auf diese Weise ins giftige Bittermeer hinausspülen ließ - sie einfach »verlor«. Ascari da Vivo scheute sich nicht, O'Konee das ins Gesicht zu sagen, als er persönlich kam, um sich über den Grund ihres Unmuts zu erkundigen. Dabei hatte sie vollkommen Recht: Nicht einmal ihre Schutzanzüge könnten sie bedingungslos schützen, wenn sie aus dem Boot gespültwurden. Mit geschlossenen Helmen hatten sie zwar den sofortigen Tod nicht zu fürchten. Aber die Funktionen ihrer Anzüge erwiesen sich auf Linckx als wenig zuverlässig, so wie alle High-Tech-Produkte. Niemand wusste, ob im Notfall Rechner, Schutzschirm oder Flugaggregat funktionieren würden. Der Kapitän zog sich zurück, um sich mit seiner Mannschaft zu beraten, die zum Hauptteil ebenfalls aus Prymbos bestand. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er zu den neuen Passagieren zurückkam.
»Ihr bekommt Kabinen zugewiesen«, sagte er. »Hoffentlich seid ihr jetzt zufrieden. Folgt mir!« Perry Rhodan hätte aufatmen sollen. Aber er tat es nicht. Etwas warnte ihn; eine Intuition. Er sah die Gefahr förmlich auf sich zuspringen. 9. Eshmatay Amgen Cip turnte und spielte zwar noch immer auf dem Kartentisch, aber er hatte die Farbe gewechselt. Er war jetzt wieder hell und aufgeregt. »Was spürst du, Kleiner?«, fragte der Kapitän. »Du kannst es mir leider nicht sagen.« Er nahm den Scoothen und steckte ihn behutsam in seine Tasche zurück. Dann wandte er sich wieder an seine Passagiere. Tess und Ben saßen schweigend am Kartentisch, im Schein der schwachen Innenbeleuchtung der Gondel, während das vierbeinige Wesen, das sie »Norman« nannten, hinter ihm stand und ihm seinen Rüssel um den Hals legte. Es wollte spielen. Vielleicht war es auch eine Geste der Liebkosung. Jedenfalls war Norman dem alten Fährmann noch der sympathische der drei Passagiere. Tess war kreidebleich. Der Flug schien ihr nicht zu bekommen. Durch die Stürme von Linckx zu taumeln, in einem zerbrechlich wirkenden Gefährt, war allerdings nichts für schwache Nerven. Dazu kam, dass es inzwischen wieder Nacht geworden war. Draußen tobte das Unwetter. Und Ben? Der Größte der Gruppe hatte ein unruhiges Flackern in den Augen, die in andere, ferne Räume zu blicken schienen. Er war Eshmatay unheimlich. Der Fährmann wollte froh sein, wenn dieser Flug vorbei war und sie wieder auf Kaza landeten - obwohl er ihn seiner finanziellen Sorgen enthob. Mit den zweitausend CE-Tradicos kamen er und Ailey gut über den Winter, falls nicht noch ein Unglück passierte. Sie befanden sich über dem Bittermeer und wurden von Böen hin und her gerissen. Der Hypersturm, den Eshmatay kommen fühlte, konnte jeden Moment losbrechen. Seine Haarstacheln drehten und bogen sich wieder. Am dunklen Himmel wetterleuchtete es schon in allen Farben. »Wir könnten umkehren und Kaza überfliegen«, sagte der Kapitän. »Wir sind jetzt die ganze Zeit über den Strömen der Winde gefolgt und nach Süden geflogen. Es ist nicht gut, wenn wir diesen Kurs weiterverfolgen.« Ben sagte, ohne ihn anzusehen: »Nach Süden!« Seine Stimme klang streng und fest. Eshmatay erkannte mit Schrecken, dass der Fremde es ernst meinte und keinen Widerspruch duldete. Er verfügte, auch wenn er nie ganz bei der Sache zu sein schien, über eine ausgesprochene Autorität. Und er fühlte das Wetter und die Hyperphänomene. Er hatte einige Male die Windrichtung, kalte und warme Strömungen richtig vorausgesagt - für ein Luftschiff von hoher Bedeutung. »Wir dürfen nicht weiter!«, versuchte Amgen noch einmal, Ben umzustimmen. »Wenn wir diesen Kurs beibehalten, geraten wir in die Jetströme, die in Richtung des Verbotenen Kontinents Sikma führen! Und das wäre unser Ende!« »Nach Süden!«, sagte Ben nur. Ein Blick von ihm ließ Eshmatay zusammenzucken. Der Xiritte äußerte keinen Wunsch, er gab Befehle. »Nein!«, wehrte der Kapitän ab. »Wir kehren um, wenn es nicht schon zu spät dazu ist. Das ist mein Schiff! Ich ...« »Noch einmal tausend CE-Tradicos«, sagte da Tess. »Bei unserer Rückkehr.« »Noch einmal ...?«, stammelte Eshmatay. Das wären dann insgesamt dreitausend! Er schwieg und musterte seine Passagiere. Was wollten sie? Wer waren sie wirklich? War tatsächlich Sikma ihr Ziel? Dann konnte es sich nur um Selbstmörder handeln. Andererseits: dreitausend CE-Tradicos ... Damit konnte er nicht nur den Winter überleben, sondern zusätzlich die RIGO wirklich generalüberholen lassen. Oder sie verkaufen und sich bei einer der großen Gesellschaften einkaufen, als Kapitän eines modernen Zweikörperschif fes. Die Versuchung war groß. Aber was hatte er als toter Mann davon? Eshmatay Amgen wurde aus diesen Gedanken gerissen, als Ailey von seinem Arbeitsplatz herunterrief: »Chef, welcher Kurs liegt an? Wenn wir so weiterfliegen, sind wir bald über Sikma, und du weißt ja, die Valenter scherzen nicht! Sie werden uns abschießen, bevor wir es uns versehen! Wann kehren wir endlich um?« »Sofort!«, rief ihm Amgen entgegen. »Das heißt...« »Was, Chef? Was wolltest du sagen?« Eshmatay Amgen blickte in die Nacht hinaus, er sah auf seine Instrumente, den Kompass, die Höhenanzeigen. Und er er kannte mit Schrecken, dass er die Orientierung verloren hatte.
10. Tess Qumisha Ihr war hundeelend. Seit zwölf Stunden waren sie jetzt unterwegs. Zwei Stunden nach ihrem Aufbruch war die Nacht über diesem Teil des Planeten her eingebrochen. Zwölf Stunden der Qual, der Hölle. Tess war es nicht gewohnt, so durchgeschüttelt zu werden. Das Luftschiff war ein Spielball der Gewalten. Es war ein Wunder, dass Eshmatay Amgen es einigermaßen auf Kurs hielt. Aber auf was für einem Kurs! Alles in ihr sträubte sich dagegen, Benjameen zu unterstützen, aber sie tat es dennoch. Sie musste es tun. Er war ihr Gefährte, sie musste ihm vertrauen. Auf eine Art und Weise, die sie nicht fassen und nicht nachvollziehen konnte, wusste er, was er tat. Er wollte nach Sikma, zum Verbotenen Kontinent. Er war auf der Suche nach jenem geheimnisvollen Gesicht, das er im Zerotraum gesehen haben wollte. Und hatte nicht Perry Rhodan ihnen seinen Segen gegeben, indem er ihnen das Geld für die Passage bringen ließ? Erhoffte er sich nicht von dem Flug der Dreiergruppe Aufschlüsse über die Messerwerfer und die anderen Geheimnisse von Linckx? Wie abgesprochen hielt Tess Funkkontakt mit den auf Kaza zurückgebliebenen Terranern und Arkoniden. Sie konnte nicht verstehen, dass der Kontakt noch funktionierte, wo er doch noch vor Stun den auf viel kürzere Entfernung versagt hatte. Aber Tess hatte aufgehört, sich zu wundern. Auf Linckx schien alles möglich zu sein. Tess sah, wie der Himmel flackerte. Es waren keine gewöhnlichen Blitze, dazu fehlte der Donner. Es war etwas anderes. Benjameen zuckte jedes Mal zusammen, wenn es w etterleuchtete und tief unter ihnen das aufgewühlte Meer aus der Dunkelheit gerissen wurde. Der Mutant stöhnte. Er warf den Kopf hin und her, als wolle er irgendetwas abschütteln. Auch Tess fühlte das Fremde und hatte zunehmend das Gefühl der Desorientierung. Und dann kamen die Rufe von Ailey, und der alte Kapitän blickte aus dem Fenster und auf seine Instrumente. Er erschrak heftig, so gut kannte Tess inzwischen seine Mimik. »Was ist?«, fragte sie. »Gibt es Probleme?« »Ich ... weiß es nicht«, stammelte Eshmatay. »Ich habe keine Orientierung mehr. Die Instrumente spielen verrückt und meine Sinne auch. Es muss der Hypersturm sein.« Er schrie auf und trat vom Fenster weg. »Der Gespenstertanz! Es hat begonnen! Der Sturm ist so stark wie lange keiner mehr!« Tess sah hinaus und erschrak heftig. Gespenstertanz! Genauso sah es aus. Irrlichter tanzten durch die Nacht, verformten sich, wechselten die Farbe. Sie nahmen alle möglichen Gestalten an, auch menschliche. Flackernd vergingen sie, und flackernd entstanden neue. »Was ist das?«, rief Tess. Sie war aufgestanden. Ihr war schwindlig. Der Kapitän gab keine Antwort. Ailey winselte oben. Nur Benjameen blieb still sitzen und sagte immer wieder monoton: »Nach Süden!« »Nein!«, rief der Fährmann. »Jetzt ist Schluss! Wir kehren um! Das Leben ist mir wichtiger als euer Geld! Hast du gehört, Ailey? Wir befinden uns in einem Jetstrom, der uns nach Süden zieht, auf Sikma zu! Wir müssen ausbrechen! Volle Kraft auf die Maschinen!« »Endlich, Chef! Ich werde zaubern!«, kam es von oben. Tess schwieg und sah zu, wie Eshmatay versuchte, die RIGO aus dem gefährlichen Strom hinauszusteuern. Dabei hatte er doch eben erst gesagt, seine Instrumente und seine Sinne würden versagen. Es gab nur eine Erklärung: Der Mann war völlig verzweifelt, und um nichts in der Welt wollte er nach Sikma gelangen. Er fürchtete den Verbotenen Kontinent wie den Teufel - falls es für ihn einen Teufel gab. Das kleine, possierliche Tierchen in seiner Brusttasche streckte den Kopf heraus. Sein Fell war jetzt ganz hell. Aber es pfiff wie ein Vogel und versteckte sich wieder in der Tasche. »Nach Süden!«, sagte Benjameen. Eshmatay richtete sich ruckhaft auf. Für einen Moment sah es so aus, als wolle er sich auf den Arkoniden stürzen. »Rette uns!«, rief Tess ihm zu. »Bring uns zurück!« In diesem Augenblick war es ihr egal, ob sie Benjameen - und Rhodan - damit in den Rücken fiel. Sie hatte Todesangst. »Wir kommen nicht aus dem Luftstrom heraus!«, sagte Eshmatay und fuhr sich über die Stachelhaare, um sie wie bei einem Igel zu glätten. Sofort richteten sie sich wieder auf, bogen und drehten sich, als handle es sich um ein eigenes Geschöpf, einen Symbionten. Eshmatay stöhnte. »So etwas habe ich noch nie erlebt! Die RIGO lässt sich nicht mehr in eine andere Richtung manövrieren. Wir müssen warten, bis der Strom uns ausspuckt.« »Nach Süden!«, sagte Benjameen mo noton. »Hör endlich auf!«, schrie Tess ihn an. »Hast du nicht schon genug angerichtet?«
Ihr Lebenspartner reagierte nicht dar auf. Er saß starr wie eine Marionette in seinem Sessel und blickte nach vorn, in Flugrichtung. Den Tanz der Irrlichter um das Luftschiff herum registrierte er offensichtlich gar nicht, den Sturm und das Schaukeln auch nicht. Plötzlich, Tess hatte nicht mehr an eine mögliche Steigerung der Phänomene geglaubt, begannen Eshmatays Haare verrückt zu spielen. Der alte Fährmann griff mit beiden Händen hinein, um im nächsten Augenblick wie unter Stromstößen zurückzuzucken. Er schrie aus Leibeskräften und sank in die Knie. Das Luftschiff war jetzt endgültig steuerlos den Naturgewalten überlassen, wurde vom Jetstrom mitgerissen. Tess bekam davon allerdings nicht mehr viel mit. Nackte Todesangst packte sie, als sie bemerkte, wie sich alles um sie herum zu verschieben begann. Oben und unten verloren jegliche Bedeutung. Die Welt verzerrte sich. Tess hatte das Gefühl, sich endlos aufzublähen. Es war wie ein Strangeness-Effekt. Sie platzte auf, verband sich mit den in die Gondel eindrin genden, tanzenden Irrlichtern, sah sich selbst als eine große, sich am Boden wälzende Puppe mit leuchtenden Augen. Dann endlich verlor die ehemalige Mutantin das Bewusstsein. * Als Tess Qumisha wieder zu sich kam, war es heller Tag. Sie lag am Boden der Gondel und schlug die Augen auf. Sie blickte direkt in das vieräugige Gesicht von Eshmatay Amgen, und einen Moment lang glaubte sie, er sei tot, so starr war sein Blick. Das Erste, was sie hörte, war Cips helles Pfeifen. Und dann: »Nach Süden!« Tess richtete sich auf. Alle Knochen taten ihr weh. Ihr wurde kurz schwindlig, doch das verging nach einigen tiefen Atemzügen. Sie sah Benjameen am Steuerkranz stehen, hoch aufgerichtet, eben wie eine Marionette. »Ben!«, rief sie und taumelte auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, blickte sie in ein von übermenschlichen Strapazen gezeichnetes Gesicht. Er musste unendlich viel durchgemacht haben. War er etwa die ganze Zeit - es mussten Stunden gewesen sein - bei Bewusstsein geblieben und hatte das Schiff in der Luft gehalten? »Nach Süden«, sagte er nur. Der Arkonide kam ihr furchtbar fremd vor. Er blickte sie nicht mehr an, nur noch in Flugrichtung. Der Hypersturm hatte aufgehört und damit der Gespenstertanz der Irrlichter. Es regnete nicht mehr, aber der Sturm tobte ununterbrochen wie zuvor. Er riss an der Bespannung des Luftschiffs. Tess sah mit einem schnellen Blick, dass der Kompass wieder funktio nierte. Die RIGO befand sich auf striktem Kurs gen Süden. Sikma musste bald erreicht sein. Tess wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder verzweifeln sollte. Ailey kam die Treppe herunter und kümmerte sich um seinen Kapitän. Er zerbrach ein kleines Fläschchen und hielt es ihm unter die Nase. Nach zwei Minuten begann sich Eshmatay Amgen zu rühren. »Wo ... sind wir?«, fragte er benommen. Tess und Ailey nahmen je einen seiner Arme und richteten ihn auf. Er war schwer, und nur vereint konnten sie ihn in seinen Sessel bugsieren. »In Sicherheit«, sagte Tess. »Wie durchein Wunder befin den wir uns noch in der Luft. Aber ich fürchte ...« »Was?«, fragte Eshmatay. »Was befürchtest du?« »Dass wir bereits ganz nahe an Sikma sind, Kapitän. Und dass es jetzt keine Umkehr mehr gibt.« »Nein!«, brüllte Eshmatay auf. »Das nicht! Nur das nicht!« »Und warum nicht?«, fragte sie genauso laut zurück. »Was wäre daran so schlimm?« »Auf Sikma leben Dämonen! Unechtes Leben! Und bevor wir den Verbotenen Kontinent überhaupt erreichen, sind die Valenter da! Sie werden uns abschießen! Das ist unser Ende!« Der alte Fährmann legte den Kopf in beide Hände und begann hemmungslos zu schluchzen. Ailey plapperte beruhigend auf ihn ein - oder was er für beruhigend hielt. Tess stand hilflos daneben. »Wir sind da!« Tess fuhr herum und starrte Benjameen an, der nach wie vor vor dem Steuerruder stand, als hätte er nie etwas anderes getan. Diesmal drehte er sich zu ihr um, und ein zufriedenes Lächeln umspielte seinen Mund. Der Blick war immer noch rastlos und wirr. Im nächsten Augenblick erfüllte ein brummendes Geräusch die Luft, das schnell lauter wurde. Eshmatay Amgen stieß einen entsetzten Schrei aus: »Das sind Flugzeugmotoren! Das sind die Va lenter! Wir sind vor der Küste des Verbotenen Kontinents!« Und er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da tauchten aus den dichten, wirbelnden Wolkenschichten höchst seltsame, mit Propellermotoren angetriebene Flugzeuge auf. Eshmatay Amgen sprang auf. Er schickte Ailey nach oben, zu den Maschinen. Er selbst wollte Benjameen von den Steueranlagen wegdrängen, doch der junge Arkonide behauptete sich. »Wir müssen das Luftschiff herumreißen und den Valentern entkommen!«, schrie Amgen ihn an. Aber Benjameen schüttelte den Kopf. Tess sah seinen Blick und erkannte, dass er mit einem Mal völlig klar im
Kopf war. Auch als er den Fährmann anfuhr, die Finger von den Kontrollen des Luftschiffs zu lassen. Er stieß Eshmatay Amgen heftig zurück. Der Kapitän stolperte und fiel. Tess war gleich bei ihm. »Das hättest du nicht tun sollen, Ben«, sagte sie vorwurfsvoll. »Er hätte uns retten können.« »Das ist nicht nötig«, sagte Benjameen tonlos. Die anfliegenden Flugzeuge gaben die Antwort. Sie waren nur noch wenige hundert Meter von der RIGO entfernt und kamen genau auf sie zu. Tess sah in Gedanken schon das Mündungsfeuer aus ihren Geschützen, mit denen sie sie abschießen würden. 11. Perry Rhodan Die Ruhe war trügerisch, zu trügerisch. Seit über zehn Stunden befanden sie sich jetzt an Bord des U-Boots, in den ihnen zugewiesenen Kabinen. Die Geräusche der Turbinen waren zu hören, aber sonst nichts. Niemand kümmerte sich um die zehn Passagiere. »Ich komme mir unter dieser Maskerade allmählich lächerlich vor«, beklagte sich Ascari da Vivo. »Wann endlich können wir sie ablegen?« »Wenn wir Sikma erreicht haben«, antwortete Perry Rhodan. Die Admiralin funkelte ihn im gedämpften Licht der Kabine böse an, die sie mit zwei Männern teilten, sagte aber keinen Ton. Sie warteten weiter. Die Terraner und Arkoniden waren auf drei Kabinen ver teilt worden, deren Türen unverschlossen geblieben waren. Darauf hatte Rhodan ausdrücklich bestanden. Eine weitere Stunde verging. Dann riß dem Terraner der Geduldsfaden. »Wir werden jetzt alle zusammen zu O'Konee gehen und uns von dem Prymbo sagen lassen, wie weit es noch bis nach Sikma ist. Dieses Turbin enboot müsste die Strecke längst überwunden haben.« »Der Ansicht bin ich auch«, stimmte die Arkonidin ihm zu. »Ich habe das Gefühl, als sei hier eine große Teufelei im Gange.« »Nicht nur du«, knurrte Rhodan. Er stand auf und winkte den beiden Männern seiner Gruppe zu. Sie öffneten die Tür der Kabine und traten auf einen hohen schwarzen Gang hinaus, der notdürftig erleuchtet war. Die nächsten Türen rissen sie auf. Ihre Gefährten strömten aus den dahinter liegenden Kabinen und schlossen sich ihnen an. Perry Rhodan ging voran, auf eine Stahlgittertreppe zu, die nach oben führte. Er hatte keine Schwierigkeiten mit dem Gehen. Das Boot lag ruhig im Wasser, fast zu ruhig. Es hatte den Anschein, als würde er überhaupt keine Fahrt machen. Das alte Misstrauen erwachte in dem Terraner. Sie konnten die Fahrt nicht kontrollieren. Was, wenn O'Konee im Kreis fuhr oder einfach nur stoppte? Wenn seine Angst vor dem Verbotenen Kontinent größer war als seine Profit sucht? »Er legt uns herein«, sagte Ascari. »Ich fühle es!« Und als wären ihre Worte der Auslöser gewesen, öffneten sich plötzlich die Türen von Kabinen, die noch vor der Treppe lagen und bisher verschlossen gewesen waren, und aus ihnen kamen Besatzungsmitglieder zum Vorschein, von deren Anwesenheit die Gruppe Rhodan bisher keine Ahnung gehabt hatte. »Rishkanische Kara!«, rief Lexan Huiskan. Die Wesen waren zwar nur gut andert halb Meter groß, dafür aber extrem wendig und verfügten über große Körperkräfte. Sie hatten stämmige Beine, vier Arme und sechs Finger und Zehen. Ihr Hinterhaupt war stark ausladend, so dass das Gesicht klein und nach unten verschoben erschien. Statt einer Nase gab es drei übereinander angeordnete Riechöffnungen. Die Ohrmuscheln waren sehr lang und schmal. Das kurze, borstige Haar war feuer rot, die Augen mandelförmig. Die Hautfarbe war ein helles Braun. »Schutzschirme einschalten!«, rief Perry Rhodan instinktiv, noch bevor er die Gefahr richtig erkannte. Da eröffneten die Kara auch schon das Feuer aus versteckt gehaltenen Thermostrahlern. Perry Rhodan sah aus zusammengekniffenen Augen, wie auch Prymbos die Treppe heruntergestürzt kamen und mit Energiewaffen angriffen. Einige von ihnen hatten zusätzlich Schlagwaffen in der Hand. »Wehrt euch!«, rief Rhodan im geschlossenen Schutzanzug. So wie er hatten die anderen Mitglieder seiner Gruppe längst die Helme geschlossen und die Schutzschirme aktiviert. »Sie können uns nichts anhaben!« Er stürmte vor, mit Ascari an seiner Seite. Sie stürzten sich im Thermofeuer auf die Angreifer und schlugen in dem energetischen Chaos blind zu. Die Admiralin war die Erste, die einen Thermostrahler von einem Prymbo erbeutete und gnadenlos von ihm Gebrauch machte. Es zeigte sich, dass die Tradomer selbst über keine Schutzschirme verfügten. Ascari nutzte das skrupellos aus, bevor es den Terranern gelang, ebenfalls ihre Gegner zu entwaffnen und
zurückzuschießen. Sie waren viel schneller. Ein Angreifer nach dem anderen fiel. Noch immer strömten etliche von ihnen nach, und die Situation entwickelte sich zu einer einseitigen Schlacht, an deren Ende die Terraner die Gewinner waren. Die restlichen Prymbos und Rishkanischen Kara flohen die Treppe hinauf. »Ihnen nach!«, rief Ascari da Vivo mit der Thermowaffe in der Hand. »Hinauf zu dem Verräter!« »Warte«, sagte Perry Rhodan. »Was ist denn?«, fragte sie. Perry zeigte auf ein Loch in der Wand, durch das in Strömen Wasser eindrang. »Ein Schuss hat die Außenhülle des U-Boots durchschlagen!«, rief er. »Das lässt sich jetzt nicht mehr reparieren. Die UMASA wird sinken!« »Dann müssen wir erst recht nach oben!« * Sie trafen auf Widerstand. Die überlebenden Prymbos und Kara hatten sich neu formiert und lauerten ihnen hinter jeder sich bietenden Deckung auf, während unter ihnen das Boot voll lief. Die Terraner und die Admiralin nahmen keine Rücksicht. Sie feuerten zurück und paralysierten oder töteten die Angreifer. »Ergebt euch!«, rief Rhodan. »Dann stellen auch wir das Feuer ein! Wir haben nichts zu verlieren! Die UMASA hat ein Leck!« »Niemals geben wir auf!«, schrie es ihm entgegen. Ein Schuss traf den Aktivatorträger und zerfloss an seinem Schutzschirm. Rhodan feuerte sofort zurück. Er hasste es, intelligente Wesen töten zu müssen. Sie mussten zum Kapitän, Ascari hatte Recht. Sie mussten wissen, wo im Bittermeer sie sich befanden, wie weit von Kaza - oder von Sikma - entfernt. Sie kämpften sich vor, einer dem anderen Deckung gebend. Die Gegner fielen zu Dutzenden. Sie gaben den Kampf nicht auf, obwohl sie wussten, dass sie keine Chance hatten. Einige sprangen in einer selbstmörderischen Attacke vor und schwangen ihre Schlagwerkzeuge: Eisenstangen, Schraubenschlüssel und dergleichen mehr. Wo sie einen Terraner erreichten, trafen ihre Hiebe auf dessen Prallschirm. Zu einem zweiten Schlag kamen sie nicht. Unten rauschte das Wasser. Perry Rhodan und Ascari da Vivo schossen sich den Weg frei und stürmten weiter und höher, noch eine Treppe hinauf. Plötzlich gab es keinen Widerstand mehr. Sie standen vor O'Konee, der dem verbliebenen Rest seiner Mannschaft endlich die Kapitulation befohlen hatte. Der Prymbo machte eine Geste der Un terwerfung. »Das Boot wird sinken«, sagte Perry Rhodan. »Du weißt es. Wie weit sind wir vom Festland entfernt, vom Kontinent Kaza?« Der Prymbo zögerte. Rhodan hielt ihm die Waffe an den Kopf. »Rede!« »Gerade einen Kilometer«, antwortete O'Konee leise. Seine Augen funkelten nicht mehr. »Einen ... Kilometer?«, entfuhr es Rhodan. »Dann hattest du nie vor, mit uns ins Bittermeer hinauszufahren, geschweige denn nach Sikma!« »Wenn ihr nicht ausgebrochen wärt, wäre ich nach Kaza zurückgekehrt, wo ich euch gesagt hätte, dass wir vergeblich versucht hätten, in Sikma anzulanden. Ihr habt alles verdorben.« »Wir haben alles verdorben?«, fragte Ascari da Vivo scharf. »Du bist der Betrüger! Ich hätte gute Lust, dich dafür einfach zu erschießen, hier auf der Stelle!« »Lass es!«, sagte Perry Rhodan. »Er wird seine Strafe bekommen. Machen wir uns die Hände nicht schmutzig.« Sie verstand, und sie brauchten nicht lange zu warten. Das leckgeschlagene U-Boot sank schnell, innerhalb einer Stunde. Es lief auf Grund und zerbrach. Als das geschah, war die Flucht der Galaktiker schon in vollem Gange. Sie zerstrahlten das Turmluk, das sich aufgrund des Wasserdrucks nicht normal öffnen ließ, und zwängten sich hinaus ins freie Meer. Geschützt durch ihre Anzüge und Schirme und mit Atemluft versorgt, schalteten sie ihre Gravo-Paks ein und schossen nach oben. In welcher Tiefe die UMASA lag, wussten sie nicht. Aber sie erreichten die Oberfläche des giftigen Ozeans und jagten aus den Fluten hinauf in den Himmel. Die Gravo-Paks stotterten, aber keines der Aggregate versagte. Die Gruppe glitt in zwanzig Metern Höhe durch die Morgendämmerung nach Norden. * Sie erreichten den Kontinent Kaza und die Stadt Shinkasber im Hellen. Keiner von ihnen war verletzt. Als sie zu
ihren zurückgebliebenen Gefährten stießen, die in ihrem Quartier auf sie warteten, wurden sie mit schlechten Neuigkeiten empfangen. Der Funkkontakt zu Tess Qumisha und Benjameen da Jacinta war abgebrochen. Tess meldete sich nicht mehr und antwortete nicht auf Anrufe. Das konnte natürlich an den seltsamen Verhältnissen des Planeten Linckx liegen. Perry Rhodan glaubte nicht daran. Er hatte ein extrem ungutes Gefühl, und er hatte im Lauf seines langen Lebens gelernt, auf seine Gefühle zu hören. Sie hatten Tess, Benjameen und Norman verloren. Zum zweiten Mal. 12. Tess Qumisha Tess Qumisha hielt den Atem an. Die Flugzeuge kamen rasch näher. Eshmatay Amgen stöhnte am Boden der Gondel. Tess sah die Maschinen kommen, insgesamt vier Stück - und dann in weniger als hundert Metern Entfernung an der RIGO vorbeirauschen! Sie reagierten überhaupt nicht auf das Luftschiff. »Sie können uns nichts tun, weil die Valenter uns nicht sehen, wenn wir sie nicht auf uns aufmerksam machen«, sagte Benjameen ruhig. »Woher willst du das wissen, Ben?«, fragte die Hyperphysikerin. »Ich weiß es. Wir befinden uns für sie in einer anderen Welt.« »Du meinst ... eine andere Realität?«, fragte sie. »Eine Pararealität?« Der Zeroträumer gab keine Antwort. Tess sah sich hilflos um. Ailey stand bei Eshmatay Amgen und half ihm in die Höhe. Der alte Fährmann murmelte leise Worte vor sich hin. Es sah aus, als betete er. Tess verstand etwas vom »Reich Anguelas«, das sich im Auge befand. Und dass Amgen nach seinem Tod in dieses Reich eingehen werde. Das schien sein fester Glaube zu sein. Er war davon überzeugt, dass dies endgültig sein letzter Flug sein würde. Aber sein Maskottchen Cip pfiff noch, und soweit Tess verstanden hatte, blieb Amgen am Leben, solange der Scoothe das tat. Amgen hatte offenbar jeden Widerstand gegen Benjameen aufgegeben, der starr am Steuerruder stand. Ailey unternahm schon gar nichts gegen den Mann, der sich zum Kapitän des Luftschiffs aufgeschwungen hatte. Erneut tauchten Flugzeuge aus den Wolken auf und schossen knapp an der RIGO vorbei. Sie drehten nicht um, sondern flogen weiter; wahrscheinlich primitive Abfangjäger. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es die RIGO für sie nicht gab. Plötzlich wurde unter dem Schiff eine steinige Küstenlinie sichtbar. Benjameen hielt es sicher auf Kurs und ließ es etwas an Höhe gewinnen, gerade so viel, dass die Landschaft, über der es jetzt trieb, sichtbar blieb. Binnen weniger Minuten erreichte das Luftschiff ein Gewirr von Tälern und schroffen Höhenzügen. Der Kontinent Sikma schien aus vegetationslosem Vulkangestein zu bestehen - jedenfalls was Tess bisher von ihm gesehen hatte. Tess sah am Boden Geschützstellungen der Valenter, aber auch für die Polizisten des Reichs Tradom schienen sie unsichtbar zu sein. Tess konnte es nicht fassen. Was war mit ihnen geschehen, während sie ohnmächtig gewesen waren? Oder als sie das Strangeness-Gefühl hatte? Unangefochten glitt die RIGO über die Luftabwehrstellungen hinweg. Dabei mussten doch ihre Motoren für die Valenter zu hören sein! Eshmatay Amgen saß inzwischen wie der in seinem Sessel. Alle vier Augen waren mit dicken Häuten verschlossen, ein seltsamer Anblick. Ailey redete schnatternd auf ihn ein und hielt seine Hand. Aber der Kapitän murmelte nur weiter seine Gebete und machte sich zum Sterben bereit. Tess konnte das Elend nicht mehr länger mit ansehen und ging zu ihm, auch wenn es ihr schwer fiel, den Blick von der Landschaft zu lösen, über die sie hinwegfingen, jetzt in südwestlicher Richtung. Benjameen schien ganz genau zu wissen, wo sein Ziel lag. Das Gesicht ... Tess schauderte. Sie setzte sich zu Eshmatay Amgen und nahm seine andere Hand. Ailey verstummte, als sie kam, und blickte sie Hilfe suchend an. Tess war es jetzt, die auf den alten Fährmann einredete. »Du darfst dich nicht aufgeben, Eshmatay«, appellierte sie an ihn. »Es geschieht uns nichts. Die Valenter sehen uns nicht, sie hören uns nicht. Wir sind sicher hierher gekommen, und wir werden auch sicher wieder nach Kaza kommen. Wir ... Du musst Benjameen vertrauen.« Aber vertraute sie ihm selbst? Eshmatay Amgen öffnete ein Auge und sah sie an. »Was weißt du denn?«, fragte er heiser. »Wir sind über dem
Verbotenen Kontinent. Hier lauern größere Gefahren als die Valenter...« Er schloss das Auge wieder und fuhr in seinen Gebeten fort. Tess sah Ailey an, schüttelte den Kopf und stand wieder auf. Sie ging zu Benjameen, der anscheinend wieder einmal eine »Wachphase« hatte. Jedenfalls war sein Blick klar und hell. Seine Pupillen richteten sich sogar auf Tess. Und zum ersten Mal seit vielen Stunden lächelte er sie an. »Das Gesicht«, sagte er mit sanfter Stimme. »Bald sind wir da, Tess.« Sie schüttelte heftig den Kopf, als er wieder geradeaus blickte. »Da«, sagte er und zeigte hinaus. Tess folgte dem ausgestreckten Arm und sah, was er meinte. Auf einem Gebirgszug stand bewegungslos eine mächtige Gestalt von zweieinhalb Metern Größe. Ein Messerwerfer. * Die Gestalt stand da wie eine Statue, doch Tess war instinktiv sicher, dass es sich um einen Wächter handelte. Er sah aus wie eine lebendige Kampfmaschine. Auf mächtigen Muskelsträngen lagerte ein Kugelkopf ohne sichtbare Augen. Stattdessen bedeckte ein Muster aus schwarzen und weißen Flecken den Schädel. Sie ergaben ein geheimnisvoll wirkendes, scheinbar bewegliches Muster, in dem Tess für eine Sekunde Gestalten und Bilder zu sehen glaubte. Der Rest des Körpers war von einer anthrazitfarbenen Kombination bedeckt, selbst die mächtigen Fäuste. Ein tonnenförmiger Brustkorb wurde von breiten Gurten voller kleiner Ausrüstungsgegenstände überkreuzt. Die Arme verfügten über doppelt faustgroße Gelenke, und die Unterarme wirkten besonders seltsam. Tess konnte keinerlei Waffen an dem Wesen entdecken, aber sie wusste, dass es über die tödlich gefährlichen Messer verfügte, die Gucky beinahe das Leben gekostet und selbst die USO-Katsugos handlungsunfähig gemacht hatten. »Ein Messerwerfer«, flüsterte Tess, als könne das Wesen sie hören. »Wir hatten Recht, Ben. Sie stammen von Linckx, von diesem Kontinent.« »Er kann uns ebenso wenig sehen und hören wie die Valenter«, sagte der Arkonide. Und tatsächlich - das Luftschiff zog in lächerlich geringer Entfernung und scheinbar unendlich langsam an dem Messerwerfer vorbei. Das Geschöpf auf der Bergkuppe hätte die RIGO fast mit einem einzigen Sprung erreichen können. Aber dann kam die Schrecksekunde. Der Messerwerfer begann sich zu bewegen. Er lief unruhig einige Male auf und ab, als würde er etwas suchen. Tess wagte nicht zu atmen. Dass sie gegen einen Messerwerfer keine Chance hatten, war ihr bewusst. Doch die RIGO glitt an dem Wächter vorbei, ohne dass er sie registrierte und eine echte Gefährdung eintrat. Tess schwitzte. Sie wischte sich die Stirn trocken. Ihr Herz schlug rasend. Das Luftschiff blieb weiter auf Kurs. Auch hier tobten die Stürme, aber es war kein echtes Unwetter mehr. Benjameen steuerte sicher. Eine halbe Stunde flogen sie noch, und dann öffnete sich unterhalb der RIGO ein weites, steiniges Tal - und Tess Qumisha entdeckte darin ein schier unglaubliches Gebäude ... * Der Gebäudekomplex war dreigeteilt. Der linke Flügel war in viele kleine Häuser und Hallen unterteilt. Das Konglomerat erinnerte in seinem Aufbau an eine Schule oder eine Kaserne. Der rechte Flügel schien noch eher eine Art Militärstützpunkt zu sein. Tess sah selbst aus der Entfernung Valenter in großer Zahl aus und ein gehen. Was ihren Blick jedoch am meisten anzog, war die Mitte des Komplexes. In einer Art Becken von annähernd ovaler, allerdings unregelmäßiger Form, etwa einen halben Kilometer breit, breitete sich eine gallertartige graue Masse aus, die deutliche Höhen und Tiefen aufwies, so wie eine sanfte Hügellandschaft. Überall rings um den Komplex ragten Geschützstellungen aus dem Boden, meist gegen den Weltraum gerichtet. Einige schienen aber auch das Umland unter gezieltes Feuer nehmen zu können. Mit den Fernoptiken ihres Anzugs, dessen Helm sie inzwischen wieder geschlossen hatte, erkannte Tess zwischen den Valentern weitere Messerwerfer. Insbesondere auf dem Gelände der ver meintlichen Schule sammelten sie sich zu kleinen Gruppen. Sie gingen Tätigkeiten nach, in die sich per Augenschein noch kein Sinn interpretieren ließ. Weit im Hintergrund machte Tess einen kleinen Raumhafen aus, auf dem einige Polizeischiffe der Valenter standen, die entweder unter hohem Risiko gelandet waren oder auf die Verhältnisse von Linckx umgerüstet worden waren. Ein Landefeld für die Propeller-Flugzeuge erstreckte sich nicht weit davon entfernt, in direkter
Nachbarschaft dazu diverse Versorgungsgebäude. Besonders auffallend war jedoch ein bauchiges, dreißig Meter langes, in weißer und gelber Farbe angestrichenes Seeschiff, dessen Rumpf in einem Spantengestell lag, als wolle man es für eine Reparatur vorbereiten. Nichts deutete allerdings genau darauf hin. Das Schiff war eindeutig für einen Fluss oder ein Meer konstruiert. Die Teleskop-Funktion in Tess' Helm zeigte zwei Schiffsschrauben, ein Ruder und am oberen Ende der zehn Meter hohen Aufbauten eine Kommandobrücke. Das Tal war jedoch vom Ozean mehr als schätzungsweise fünfzig Kilometer entfernt, und ein Fluss war weit und breit nicht zu entdecken! »Was wollen die Valenter und Messer werfer an diesem Ort mit einem Schiff anfangen?«, fragte Tess. Benjameen gab keine Antwort. Seine Gestalt hatte sich wieder versteift. Seine Miene war angespannt. Er blickte in das Tal, auf den Gebäudekomplex hinab, und ein erschreckendes Leuchten war in seine Augen getreten. Was Tess noch sah, waren Dutzende, vielleicht Hunderte von etwa zehn Meter hohen Säulen, die alle so aussahen, als seien sie mit einer lumineszierenden blauen Flüssigkeit gefüllt. Sie waren ohne ein erkennbares System über den felsigen Untergrund verteilt und in ihm verankert. Das Luftschiff näherte sich dem Gebäudekomplex. Benjameen steuerte genau darauf zu. Und als Tess Qumisha fast sicher war, dass sie spätestens jetzt entdeckt werden würden, da bekam die RIGO Bodenkontakt und blieb auf dem einzigen Gipfel am Rand des Tales hoch über dem Becken mit der gallertartigen grauen Masse hängen. Sie waren gestrandet. Der Weg war zu Ende. * Das Luftschiff war vollständig zum Stillstand gekommen. In der Gondel herrschte betretenes Schweigen. Sie alle warteten darauf, dass jetzt irgendetwas geschah, aber nichts tat sich. Eshmatay Amgen hatte zu beten aufgehört. Aber er atmete kaum noch. »Wir befinden uns in einem Strom von verschobener Realität«, brachte Tess schließlich hervor. »Wir sind vor den Augen sämtlicher Betrachter verborgen.« »Das Gesicht!«, sagte Benjameen plötzlich. Es klang nicht wie Angst, aber es klang auch nicht unbedingt nach Triumph. »Das Gesicht...!« Tess war schnell bei ihm und folgte seinem Blick. Er starrte auf das Becken hinab, und sie sah es ebenfalls. Die graue Gallertmasse spaltete sich farblich auf, in klar erkennbare weiße und schwarze Anteile. »Was ist das, Ben?«, fragte Tess und rüttelte an seinen Schultern. »Was hat das zu bedeuten?« Der Arkonide wiederholte nur: »Das Gesicht...« Tess sah hinab. Die Masse in dem Becken erschien ihr einige Sekunden lang wie ein Fleckenmuster, in dem sich seltsame Gestalten bewegten und die rätselhaftesten Formen bildeten. Dann aber ordneten sich die Muster, wie von Geisterhand bewegt. Tess Qumisha schrie auf, als sie aus den schwarz-weißen Elementen eine Formation entstehen sah, die ganz offensichtlich ihr eigenes Gesicht darstellte. »Nein!«, schrie sie auf. »Ben, was ist das?« Sie hatte keine Antwort erwartet. Aber wie war das möglich? Ausgerechnet ihr Gesicht! Die Masse musste wissen, dass sie in der Nähe war, aber woher? War sie etwa intelligent - oder nur Rezeptor für Mentalimpulse? Erfuhren in diesem Moment die Valenter und Messerwerfer, dass sie hier waren? Handelte es sich um ein Alarmsystem? Tess schwitzte noch mehr. Wenn sie sich selbst wiedererkennen konnte - mussten nicht auch automatisch die Wächter dieser Anlage im selben Moment wissen, dass Fremde in der Nähe waren? »Oh nein!«, hörte sie Eshmatay Amgen sagen, und Ailey stieß einen Laut der Verzweiflung aus. Beide waren zum Fenster gekommen, und Tess ahnte mehr, als dass sie es wußte, was sie sahen: näm lich ihre eigenen Gesichter in der Gallertmasse. »Es ist das Gesicht«, sagte Benjameen gedehnt und bestätigte ihre Gedanken. »Mein Gesicht...« So war es also. Die Masse zeigte jedem, der in sie hineinsah, exakt sein eigenes Gesicht. Das musste auch für die Valenter gelten. Sie sahen nicht die Eindringlinge, sondern sich selbst. Aber was war mit den Messerwerfern? Diese trugen ja über ihren Köpfen die schwarz-weißen Masken, die für Tess jetzt eindeutig dem Riesengesicht in dem Becken nachempfunden waren. Was also hatten die Messerwerfer mit dem Gallertgesicht zu tun? Verehrten sie es auf diese Art und Weise? Wurden sie gar von ihm gelenkt? »Weißt du etwas, Ben?«, fragte sie. Als sie keine Antwort erhielt, drehte sie sich um. »Ben!« Sie sah ihn an der Wandung der Gondel zusammensinken, mit weit geöffneten Augen und einem röchelnden Laut. Als er am Boden lag, sanken seine Lider herab. Tess wollte in einem ersten Impuls zu ihm springen, aber dann besann sie sich gerade noch rechtzeitig. »Was ist mit deinem Freund?«, fragte Eshmatay Amgen. Jetzt konnte er wieder die Kontrolle über sein Schiff übernehmen. Aber das nützte ihm gar nichts, solange sie hier festsaßen. »Lasst ihn!«, sagte Tess leise. »Ich kenne diesen Zustand. Benjameen ist in einen Traum gefallen, einen
Zerotraum. Niemand weiß, mit wem er jetzt Kontakt hat.« »Ich verstehe das alles nicht mehr«, bekannte Amgen. Er drehte sich zu Ailey um. »Ich habe dich noch nie so schweigsam erlebt. Sag doch auch etwas!« Aber der Maschinist schwieg. Er hatte Todesangst wie sein Kapitän. »Wir dürfen Benjameen jetzt nicht stören«, hörte Tess sich sagen. »Wir müssen Vertrauen zu ihm haben. Er hat uns hierher gebracht, und er wusste, warum. Er hat schon vor Tagen das Gesicht gesehen. Es muss eine ganz besondere Bedeutung für ihn haben.« »Und was wird aus uns?«, fragte Eshmatay Amgen. »Jeden Moment können die Valenter und die Messerwerfer uns entdecken.« »Du hast noch Zeit, bevor du in das Reich Anguelas eingehst. Auf Sikma fließen, so, wie ich es mir erkläre, verschiedene Realitäten ineinander. Die Regeln der Kausalität sind nicht mehr verlässlich. Wir dürfen uns keinen Meter von der Bergkuppe fortbewegen, denn nur hier bleiben wir unentdeckt - solange die parareale Strömung anhält, die uns vor den Blicken der Valenter und der Messerwerfer verbirgt.« »Ich verstehe das alles nicht«, sagte der Fährmann. »Du redest für mich in Rätseln.« »Ich bin nicht schlauer als du. Ich reime mir nur meinen Teil zusammen. Habt Vertrauen - ich bitte euch noch einmal darum.« Dabei rang Tess selbst um dieses Ver trauen. Was war mit Benjameen los? Was sah er? Mit wem träumte er? Warum hatte er es nicht angekündigt? Irgendetwas fiel ihr auf. Sie wusste zuerst nicht, was es war. Doch dann drehte sie sich um und sah in die vier schreckgeweiteten Augen Eshmatay Amgens. Cip hatte aufgehört zu pfeifen. Diesmal wirklich. ENDE Benjameen da Jacinta und Tess Qumisha haben den geheimnisvollen Verbotenen Kontinent auf der Welt Linckx erreicht - inmitten einer seltsamen Pararealität schweben sie über dem »Gesicht«, das Benjameen wie magisch angezogen hat. Was sich inmitten dieses Gebildes befindet, können die Menschen und ihre Begleiter nicht feststellen. Mehr über Benjameens Expedition, die ihn an die Grenzen seiner Wahrnehmung führt, berichtet Leo Lukas in seinem PERRY RHODAN-Roman. Dieser erscheint nächste Woche und trägt folgenden Titel: QUINTATHA