Nr. 426
Der Arkonide und der Herrscher Chaos in der Topeya-Wiege von H. G. Francis
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimens...
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Nr. 426
Der Arkonide und der Herrscher Chaos in der Topeya-Wiege von H. G. Francis
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantrone-rRevier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter. Seit Atlans Zellaktivator eindeutig seine Heilkräfte bewiesen hat, ist Chirmor Flog an dem Gerät und seinem Träger ungemein stark interessiert. Von Scuddamoren unter strenger Bewachung gehalten, wird Atlan daher schließ lich nach Säggallo, dem Regierungssitz des Neffen, gebracht. Und dort kommt es auch zur Begegnung: DER ARKONIDE UND DER HERRSCHER …
Der Arkonide und der Herrscher
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide begegnet dem Beherrscher des Marantroner-Reviers.
Chirmor Flog - Ein Krüppel als Herrscher.
Artin und Skaddos - Zwei verfeindete Scuddamoren-Kommandanten.
Gara Tin - Eine Frau, die sich rächen will.
1. Dichter Regen peitschte Atlan ins Ge sicht. Die Tropfen kamen mit außerordentli cher Wucht herab. Sie zeigten ihm an, daß er sich auf einer Welt mit hoher Schwerkraft befand. Das Goldene Vlies reduzierte diese Kräfte auf einen Wert, der ungefähr bei 1 g lag, so daß sie nur indirekt für ihn fühlbar wurden. Die Sicht reichte nur wenige Meter weit. Das Wasser, das in wahren Sturzbä chen vom Himmel fiel, war schlammig braun. Von der Piste, auf der die KYR ge landet war, konnte Atlan nichts sehen! Sie war unter dem Wasser verschwunden, das ihm bis über die Knöchel reichte. Er blickte über die Schulter. Hinter ihm standen vier bewaffnete Scuddamoren in ihren düsteren Schilden. »Wo bin ich hier?« fragte er. »Auf Säggallo«, antwortete einer von ih nen. »Säggallo«, wiederholte er. »Die Welt des Chirmor Flog. Worauf warten wir?« »Jemand wird dich abholen«, erwiderte der gleiche Scuddamore, der zuvor gespro chen hatte. »Er nennt sich Artin.« Etwa zehn Minuten verstrichen, dann schob sich der gewölbte Bug eines Panzer gleiters durch die Regenwand. Die Maschine landete, und ein Scuddamore stieg aus, der in seinem Schild wesentlich größer wirkte als alle Scuddamoren, denen der König von Atlantis zuvor begegnet war. »Komm her«, befahl er mit dröhnender Stimme. Plötzlich tauchte eine dunkle Gestalt aus dem Regen auf. Sie stürmte auf den großen Scuddamoren zu. Atlan hörte, wie der An greifer schrie. Eine Waffe blitzte auf. Der riesige Scuddamore schien von dem Angriff
völlig überrascht zu werden. Wie gelähmt blieb er stehen. Die anderen Scuddamoren aber reagierten. Sie warfen sich dem Atten täter in den Weg, bevor er seinen Anschlag durchführen konnte. Atlan sah, wie er zu sammenbrach. Auch jetzt verharrte der große Scuddamore, der offenbar den Befehl führte, auf der Stelle, als ginge ihn alles gar nichts an. Seine Helfer schleppten den Toten einige Meter weit zur Seite und warfen ihn achtlos zu Boden. »Worauf wartest du?« brüllte der große Scuddamore mit dröhnender Stimme. Atlan zweifelte nicht daran, daß er Artin war. Der Arkonide stieg in den Gleiter, in dem 27 weitere Schattengestalten saßen. Atlan setzte sich auf einen der Sitze im Heck der Maschine. Er war sicher, daß er sich auf der Welt Chirmor Flogs befand und daß er dieser geheimnisumwitterten Persön lichkeit bald begegnen würde. Er wartete. Artin blieb noch draußen. Er schien mit den anderen Scuddamoren zu sprechen. Atlan war auf sich allein gestellt. Thalia lebte nicht mehr, und Verkonder hatte nicht bei ihm bleiben dürfen. Als fast eine halbe Stunde vergangen war, betrat Artin den Gleiter. Er setzte sich nach vorn. Der Arkonide fragte sich, was in ihm vor ging. Sicherlich wußte dieser Scuddamore weshalb er hier war, und wohin er gebracht werden sollte. Überraschend war, daß Chirmor Flog sich eine so unfreundlich erscheinende Welt aus gesucht hatte. Atlan blickte durchs Rückfenster. Er sah eine dunkle Gestalt im Wasser liegen. Er fragte sich, welche Bedeutung der Anschlag hatte. Ein führender Scuddamore war von einem anderen angegriffen worden. Eine manipulierte Persönlichkeit hatte sich gegen
4 eine andere, ebenfalls manipulierte erhoben. Deutete das auf einen Machtkampf in der Schwarzen Galaxis hin? Für einen kurzen Moment hörte es auf zu regnen. Der Arkonide sah den Raumhafen, der einen gigantischen Kreis bildete. In sei nem Zentrum erhob sich ein turmähnliches, vielfach verschachteltes Gebilde, von dem ein pulsierendes Licht ausging. Dann begann es wieder zu regnen, und das Gebäude verschwand. Der Arkonide beugte sich nach vorn. Er sprach einen Scuddamoren an, der in der Nähe saß. »He, du«, sagte er. »Regnet es immer so auf diesem Planeten?« Der andere erwies sich als überraschend auskunftsfreudig. »Natürlich nicht«, antwortete er. »Und der Regen ist auch nicht immer so dreckig. Heute scheint er den ganzen Staub aufgefan gen zu haben, den der Riesenvulkan Tarvion auf dem verlassenen Kontinent Dumork in die Atmosphäre geschleudert hat.« »Weißt du, wohin wir fliegen?« »Sicher, aber ich darf nicht darüber reden. Schweige lieber und bringe mich nicht in Schwierigkeiten.« Atlan lehnte sich zurück. In der Stimme des Scuddamoren hatte Furcht mitgeklun gen. Leise summend raste der Gleiter durch den Regen. Atlan schätzte, daß etwa eine Stunde vergangen war, als es aufhörte zu regnen. Zugleich wurde es heller. Der Glei ter flog in einer Höhe von etwa fünfhundert Metern über einen blutroten Wald, der sich von Horizont zu Horizont erstreckte. Weiße Gebilde ragten aus dem Wald empor. Sie sa hen aus wie ins Riesige vergrößerte Stoß zähne von Elefanten. Der Arkonide fragte den Scuddamoren vor sich, was das für Spit zen waren, aber der reagierte nicht. Ein schwarzes Bauwerk tauchte weit vor ihnen auf. Atlan konnte es für einen kurzen Moment durch die Frontscheibe der Maschi ne sehen, als sich der Gleiter absenkte. Der Flugpanzer landete wenig später auf
H. G. Francis einer Plattform an der schwarzen Burg. Ar tin erhob sich. »Los, komm«, rief er dem Arkoniden zu und öffnete eine Tür. Mit sichtlicher Ungeduld wartete er, bis Atlan ausgestiegen war. Dann folgte er ihm und führte ihn zu einer offenen Tür, durch die sie in einen Kuppelsaal kamen. Sie traten auf eine Brüstung hinaus, die sich dicht un ter dem höchsten Punkt der Kuppel befand. Unter ihnen arbeiteten allerlei maschinelle Einrichtungen, deren Funktion der Aktiva torträger nicht erkannte. Atlan ging über ei ne Treppe nach unten und ließ sich von dem Scuddamoren in einen Raum dirigieren, der geradezu luxuriös eingerichtet war. Über rascht blieb er stehen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß man ihn so komfortabel un terbringen würde. Der Raum enthielt nicht nur allerlei bequeme Sitz und Liegemöbel, sondern auch eine Reihe von anderen Din gen, die das Leben angenehm machten, wie eine Duschkabine, Sport und Spielgeräte, ei ne Videowand mit einem umfangreichen Kassettenteil, eine Musikanlage und eine Wähltafel für Speisen und Getränke. »Solche Räume sind nicht für Gefange ne«, bemerkte der Arkonide, während er ein trat. »Wie komme ich zu der Ehre, so unter gebracht zu werden?« Artin folgte ihm und schloß die Tür hinter ihm. »Ich erwarte Zusammenarbeit«, erklärte er. Der Arkonide ging zu einem der gepol sterten Antigravsessel und setzte sich. »Zusammenarbeit? Wie soll ich das ver stehen?« Der Scuddamore ließ sich ebenfalls in einen Sessel sinken. Seine Gestalt war nur in Umrissen unter dem Schild zu erkennen. At lan wußte, daß Artin ein umgeformtes We sen war, das mit einer synthetischen Persön lichkeit versehen worden war. Diese hatte sich jedoch offensichtlich extrem entwickelt. Sie besaß eine auffallende Ausstrahlung. »Du weißt, warum du hier bist?« fragte der Scuddamore. »Ich vermute es. Chirmor Flog hofft, daß
Der Arkonide und der Herrscher ich ihm helfen kann.« »Was weißt du vom Neffen?« »Nichts. Ich vermute lediglich, daß er Hil fe benötigt.« »Ich bin in großer Sorge«, erklärte Artin. »Vieles hat sich in den letzten Jahren verän dert. Chirmor Flog steht unter dem Einfluß einer anderen Persönlichkeit, die ihn daran hindert, das große Reformwerk zu verwirkli chen.« »Reformwerk? Was ist damit gemeint?« »Chirmor Flog hat sich zur Lebensaufga be gemacht, die bisherigen Zustände in die ser Galaxis grundlegend zu ändern. Damit steht er in Opposition zum Dunklen Oheim.« »Tatsächlich?« Atlan war ebenso überrascht wie skep tisch. Er konnte sich nicht vorstellen, daß diese Worte der Wahrheit entsprachen. Oder war der Anschlag auf Artin ein Anzeichen dafür, daß dieser die Wahrheit gesagt hatte? Entwickelte sich ein Konflikt zwischen dem Neffen und dem Zentrum der Schwarzen Galaxis? »Es ist so, wie ich sagte«, beteuerte die düstere Gestalt, die dem Arkoniden gegen übersaß. »Chirmor Flog ist nicht mehr ein verstanden mit der Politik, die der Dunkle Oheim verfolgt. Er hat den Kampf aufge nommen. Erste Erfolge zeichneten sich ab. Doch jetzt scheint es einen schweren Rück schlag gegeben zu haben. Es scheint, daß Chirmor Flog einen Unfall erlitten hat.« »Du weißt es nicht genau?« »Ich kann es nur vermuten. Ich habe ihn seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Seit jener Zeit.« »Was ist damals geschehen?« Artin ging über diese Frage hinweg, als habe er sie nicht gehört. »Ein anderer versucht, Chirmor Flogs Po litik zu machen. Er hat großen Einfluß auf ihn, und er macht zunichte, was er aufgebaut hat. Er schirmt ihn ab, so daß niemand mehr zu ihm gelangen kann.« »Werde ich zu ihm kommen?« »Das weiß ich nicht. Es wäre möglich.
5 Deshalb bin ich hier.« Atlan kreuzte die Arme vor der Brust. In dieser Geste drückte sich seine Skepsis aus. »Was soll ich tun?« »Chirmor Flog zur Freiheit verhelfen, die Skaddos ihm offensichtlich verwehrt.« »Wer ist Skaddos?« »Ich glaube, daß er derjenige ist, der den negativen Einfluß auf Chirmor Flog ausübt. Er ist der Oberkommandierende der Roten. Du wirst ihm bald begegnen.« Die Erklärung Artins klang verworren. Irgendwo in der Festung explodierte et was. Atlan vernahm das Krachen, und er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen er bebte. Artin sprang auf. »Er wagt es tatsächlich«, sagte er leise. Dann eilte er aus dem Raum, ohne die Tür hinter sich zu verschließen. Atlan erhob sich. Langsam ging er zum Ausgang. Von fern ertönte Kampflärm. Schüsse fielen, und wiederum explodierte etwas. Einige Scuddamoren schrien, und Be fehle hallten von den Wänden wider. Atlan verharrte an der Tür. Er sah eine düstere Schattengestalt zwi schen den Maschinen auftauchen. Es blitzte auf, und ein Energiestrahl raste quer durch die Halle. Er traf ein Panzerplastfenster und sprengte es. Der Arkonide schloß die Tür und zog sich bis zur Videowand auf der gegenüberliegen den Seite des Raumes zurück. Der Lärm steigerte sich. Immer häufiger fielen Schüsse, und immer mehr Explosio nen ließen die Festung erzittern. Atlan konnte sich das Geschehen nicht er klären. Befand er sich tatsächlich auf der Welt Chirmor Flogs? Bisher war er stets von dem Gedanken ausgegangen, daß der geheimnisvolle Neffe sich in einer absolut sicheren Bastion be fand. Jetzt zeigte sich, daß es offenbar starke Kräfte im engsten Machtbereich Chirmor Flogs gab, die sich gegen ihn auflehnten. Das ist die Chance, auf die du gewartet hast, meldete sich der Logiksektor.
6 Ein Energiestrahl traf die Tür. Ein Glut fleck bildete sich, der sich rasch ausweitete. Dann platzte das Material explosionsartig auseinander. Atlan sah zwei Scuddamoren, die hinter einem Maschinenblock Deckung suchten. Sie trugen rötlich schimmernde Energie schilde, die nicht so düster wirkten wie die der anderen Scuddamoren. Zweimal blitzte es auf. Die beiden Scud damoren brachen getroffen zusammen und blieben liegen. Atlan vernahm eilige Schritte. Eine zierli che Gestalt tauchte in der zerstörten Tür auf und flüchtete zu ihm herein. Der Arkonide blickte in die angstvoll ge weiteten Augen einer jungen Frau. »Helfen Sie mir«, bat sie, während sie bis zur Duschkabine zurückwich. »Wie könnte ich das?« fragte der Arkoni de. »Ich bin ein Gefangener und habe keine Waffe.« Es wurde ruhig in der Festung. Nur ver einzelt fielen noch Schüsse. »Skaddos hat versucht, uns alle umzubrin gen«, erklärte sie. »Wir müssen fliehen.« »Wohin?« »Ich weiß nicht. Vielleicht zu Chirmor Flog. Er muß wissen, daß jene, denen er ver traut, seine Freunde umbringen.« Eine düstere Gestalt erschien in der Tür. Atlan erkannte Artin. »Es ist vorbei. Wir haben den Angriff ab geschlagen«, erklärte der Scuddamore. Er kam mit eigenartig gleitender Bewegung nä her. »Was macht sie hier?« »Ich mußte fliehen«, antwortete das Mäd chen. »Sollte ich mich erschießen lassen?« Artin wandte sich schweigend ab und ver ließ den Raum. Das Mädchen eilte zu Atlan und griff nach seinem Arm. »Nehmen Sie mich mit«, bat sie flüsternd. »Ich darf nicht hier bleiben, sonst bringen sie mich um. Ich muß zu Chirmor Flog.« »Ich habe keinen Einfluß darauf.« »Doch. Sie können sich weigern, zu ihm zu gehen, wenn man mir nicht erlaubt, dabei
H. G. Francis zu sein.« »Ich kann mich weigern?« Der Arkonide schüttelte lächelnd den Kopf. »Das ist ein Irrtum.« »Sie müssen irgend etwas haben, was wichtig für Chirmor Flog ist«, sagte sie. »Das können Sie ihm verweigern. Jedenfalls können Sie Artin oder den anderen gegen über behaupten, daß sie das tun werden.« »Wer sind Sie?« »Ich bin Gara Tin.« Sie war etwas kleiner als der Arkonide. Das weißblonde Haar fiel ihr bis auf die Schultern herab. Mit aus drucksvollen Augen blickte sie Atlan an. Er bemerkte, daß ihre Lider mit sternförmigen Öffnungen versehen waren, und in den Au genbrauen verbargen sich zahlreiche Gebil de, die wie Saugnäpfe aussahen. »Woher kommen Sie? Was machen Sie hier auf Säggallo?« »Spielt das eine Rolle? Ich bin eine Ge fangene. Jene Kräfte, die jetzt so starken Einfluß auf Chirmor Flog haben, sind dafür verantwortlich, daß mein Volk in alle Winde verstreut wurde. Alle Bemühungen des Nef fen, eine vernünftige Lösung für unsere Pro bleme zu finden, sind gescheitert, weil jene Wahnsinnigen nur Gewalt und Vernichtung kennen. Von der Würde des Individuums haben sie noch nichts gehört.« »Aber Chirmor Flog weiß, was das ist?« »Ihre Ironie ist unangebracht«, erwidert sie zornig. »Er will die Veränderung, und er hätte sie herbeigeführt, wenn es ihm mög lich gewesen wäre. Die Fortschritte sind ja schon da. Es kommt nur darauf an, den Rückschlag zu überwinden. Sie haben die Chance, ihm zu helfen. Vielleicht ist es die letzte Chance. Nehmen Sie sie wahr. Bitte.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie senkte den Kopf und legte die Stirn an die Brust des Arkoniden. Ihre Schultern bebten. »Sie sind meine letzte Hoffnung.« »Also gut«, sagte er. »Ich will es versu chen.« Sie hob den Kopf und küßte ihn flüchtig auf die Wange. »Ich fühle, daß Sie ein guter Mensch
Der Arkonide und der Herrscher sind«, sagte sie leise. »Ich möchte mehr von Ihnen wissen.« Er nannte seinen Namen. Nicht übertreiben, mahnte der Logiksek tor, als er ihr einige weitere Informationen über sich geben wollte. Noch weißt du nicht, ob du ihr vertrauen kannst. »Und sonst?« fragte sie, sichtlich ent täuscht, daß er schwieg. »Es gibt nicht viel zu berichten«, erwider te er ausweichend. »Außerdem sollten wir uns darauf konzentrieren, was wir jetzt tun. Ich werde Sie mitnehmen, Gara. Alles wei tere liegt dann bei Ihnen.« »Wahrscheinlich wird man uns gleich ho len«, sagte sie. Sie behielt recht. Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als zwei Schattengestalten vor der Tür erschienen. »Kommt heraus«, befahl eine von ihnen in hartem Garva-Guva. »Alle beide.« Atlan und Gara Tin gehorchten. Sie ver ließen den Raum. Der Arkonide sah, daß beim Kampf schwere Zerstörungen in der Halle angerichtet worden waren. Artin hatte die Toten wegbringen lassen. Der Arkonide fragte sich, wer jener Skad dos war, von dem nun schon mehrfach die Rede gewesen war. Er vermutete, daß dieses Wesen über eine andere Festung herrschte, in der sich auch Chirmor Flog befand. Die beiden Scuddamoren führten sie über eine Treppe nach unten und dann zu einer Plattform, auf der ein Panzergleiter stand. Etwa dreißig Schattengestalten warteten da vor. Unter ihnen befand sich Artin, der alle anderen weit überragte. »Steig ein«, befahl er Atlan. Dann zeigte er auf das Mädchen. »Und du gehst durch die Tür da. Wir bringen dich in einem ande ren Teil der Burg unter.« »Sie bleibt bei mir«, erklärte der Arkoni de. »Los doch. Beeile dich«, sagte Artin dro hend. Er ging auf Gara Tin zu. Die Worte Atlans schien er nicht gehört zu haben. »Sie bleibt bei mir«, wiederholte dieser und trat Artin in den Weg.
7 Überrascht blieb der Scuddamore stehen. »Was sagst du da? Sie bleibt bei dir? Wie so?« »Entweder steigt sie mit in den Gleiter, oder du kannst allein zu Chirmor Flog flie gen.« »Hast du vergessen, was ich dir gesagt ha be?« schrie Artin erregt. »Keineswegs«, erwiderte der König von Atlantis. »Eben deshalb bestehe ich darauf, daß sie mich begleitet.« Er war verwirrt, weil er angenommen hat te, daß zwischen Gara Tin und Artin Einig keit herrschte. Beide schienen für den re formwilligen Chirmor Flog zu sein. Beide schienen mit Skaddos verfeindet zu sein, weil dieser die Politik Chirmor Flogs nega tiv beeinflußte, aber dennoch standen sie nicht im gleichen Lager. Das ist ein Widerspruch, stellte der Lo giksektor fest. »Was du willst, interessiert mich nicht«, erklärte Artin ärgerlich. »Fordere ruhig. Mich geht das nichts an.« »Ich denke doch, denn ohne mich wirst du kaum zu Chirmor Flog fliegen.« »Werft ihn in den Gleiter«, befahl Artin seinen Scuddamoren. »Und wenn er sich wehrt, prügelt ihn hinein.« Fünf Schattengestalten kamen auf Atlan zu. Dieser blieb gelassen stehen. »Du hast von Zusammenarbeit gespro chen«, sagte er. »Ist es dies, was du darunter verstehst?« Artin reagierte nicht. »Na schön«, fuhr der Arkonide fort. »Wie du willst. Also wird es keine Zusammenar beit geben.« »Moment«, sagte Artin. »Wartet.« Die Schattengestalten umringten den Kö nig von Atlantis. Trotz ihrer Schilde konnte der Arkonide sehen, daß drei von ihnen plumpe Handfeuerwaffen auf ihn angelegt hatten. Sei kein Narr. Verzichte auf Gara Tin, forderte der Logiksektor. Du machst einen Fehler. Kläre zumindest erst den Wider spruch.
8 »Warum willst du unbedingt, daß sie mit kommt?« fragte der Kommandant der Scud damoren. »Ich will es. Das ist alles.« »Und ich will, daß sie hier bleibt.« »So unterschiedlich können die Meinun gen sein«, sagte Atlan spöttelnd. Artin sprang auf ihn zu. Der Arkonide glaubte, daß er ihn schlagen wollte. Er hob die Arme, um den Angriff abzuwehren, doch der Scuddamore zögerte. »Wenn Sie nicht mitkommt, kannst du deine Pläne begraben«, fuhr Atlan fort. »Chirmor Flog wird weiterhin unter dem Einfluß eines anderen bleiben.« »Willst du damit sagen, daß du Gara Tin brauchst, um den Einfluß von Skaddos zu brechen?« »Und wenn es so wäre?« »Das wäre natürlich etwas anderes.« Artin schien zu überlegen. Atlan glaubte, hören zu können, daß er schwer und erregt atmete. Der Scuddamore trat langsam zu rück. Er gab den Weg für Gara Tin frei. Narr, signalisierte der Logiksektor. Das war ein Fehler. Der Arkonide hörte nicht auf die Warnun gen seines Extrasinns. Dieses hatte nicht im mer recht. Gerade bei kosmopsychologi schen Problemen irrte er sich hin und wie der. Gara Tin wollte zu Chirmor Flog. Das war im Grunde genommen das einzige, was Atlan wußte. Alles andere konnte die Frau vorgebracht haben, um ihn zu täuschen und ihn damit zu veranlassen, sie mitzunehmen. Sie war ein Störfaktor sowohl für ihn, wie auch für den Neffen. Gerade das aber sah Atlan zur Zeit noch als Vorteil an. Ihm stand ein gefährliches Psychoduell bevor, daß er nur überleben konnte, wenn er seine ganze Erfahrung ausspielte und kalt blütig und konzentriert blieb. Er mußte jede sich ihm bietende Chance nutzen, Vorteile für sich herauszuholen. »Gara Tin, gehen Sie in den Gleiter«, sag te Atlan. »Macht ihr Platz.« Die Scuddamoren wichen zur Seite. Gara
H. G. Francis Tin strich sich das Haar in den Nacken zu rück. Dabei entblößte sie ein Ohr. Atlan sah, daß die Ohrmuschel gezackt und mit klei nen, grünen Punkten bedeckt war. Er konnte nicht erkennen, ob sie von Natur aus so war, oder ob die Frau sie sich so hatte präparieren lassen. Ungehindert stieg Gara Tin in den Gleiter. »Warum nicht gleich so?« fragte der Ar konide. »Wir hätten uns Ärger ersparen kön nen.« Er ging an Artin vorbei und folgte der Frau. Als er den Panzergleiter betrat, saß sie bereits auf der Sitzbank im Heck. Er ließ sich neben ihr in die Polster sinken, weil er von hier aus die Kabine am besten überse hen konnte. »Wir starten«, brüllte Artin. Der Kommandant der Scuddamoren schi en ganz und gar nicht mit der Entwicklung der Dinge einverstanden zu sein.
2. Der Gleiter flog über schneebedeckte Gipfel in eine Gebirgslandschaft, die den halben Planeten zu überspannen schien. So weit Atlan sehen konnte, erhoben sich Ber ge. Riesige Vögel schwebten scheinbar schwerelos im Aufwind der Steilwände. Artin erhob sich und ging zur Tür. Wenig später senkte sich der Gleiter steil ab. Er flog in eine Schlucht, die sich allmäh lich verengte. Atlan blickte durch die Fenster hinaus. Er sah, daß überall an den Felswänden Energie kanonen drohten. Hier kam keiner durch, der nicht dazu le gitimiert war. Auch von oben konnte sich niemand nä hern, ohne abgeschossen zu werden. Ein ganzer Zaun von dicht an dicht stehenden Energiestrahlern bildete den Abschluß der rechts von Atlan gelegenen Wand. Wie die linke Wand gesichert war, konnte er nicht erkennen. Er war jedoch überzeugt davon, daß auch sie vor Kanonen starrte.
Der Arkonide und der Herrscher Die Schlucht endete an einer Steilwand, in der sich ein riesiges Schott befand. Davor erhoben sich Gebäude, die von stationären Kampfstationen umgeben wurden. Schirm feldprojektoren boten zusätzliche Sicherheit. Auf Landeplattformen an den Steilwän den parkten einige hundert Panzergleiter und Kleinstraumschiffe mit beeindruckender Kampfkraft. Der Arkonide hatte nicht erwartet, daß Chirmor Flog sich in eine derartige Festung zurückgezogen hatte. »Warum das alles?« fragte er Gara Tin. »Gegen wen muß sich Chirmor Flog weh ren? Wer bedroht ihn in einem Maß, daß derartige Verteidigungsanlagen notwendig sind?« »Muß jemand, der über solche Kampfan lagen verfügt, bedroht sein?« entgegnete sie. »Wozu sollte er sonst einen solchen Auf wand betreiben?« »Um seine Macht und seine Bedeutung zu unterstreichen. Alle großen Persönlichkeiten haben ihre Festung, in der sich ihre Bedeu tung widerspiegelt.« Atlan verzichtete darauf, ihr zu sagen, was er wirklich darüber dachte. Der Gleiter landete zwischen zwei halb schalenförmigen Gebäuden. Atlan erwartete, daß die Scuddamoren sich erheben würden, doch zunächst machte keiner von ihnen An stalten, die Maschine zu verlassen. Abwar tend saßen sie in ihren Sesseln. Dann blitzte es vor der Maschine blau auf. Artin stieg aus. Er entfernte sich einige Schritte vom Gleiter und blieb dann stehen. »Atlan, Gara Tin«, brüllte er. »Kommt endlich heraus.« Der Arkonide ging zu dem Scuddamoren und stellte sich neben ihn. Wenig später kam Gara Tin. »Und wie geht es jetzt weiter?« fragte der Aktivatorträger. »Abwarten«, befahl Artin. »Tu ich ja«, erwiderte Atlan. »Fragt sich nur, wie lange ich dazu noch bereit bin.« »Gib nicht an. Du hast ja keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast. Glaubst, du, du
9 kannst mit Frechheit etwas ausrichten?« »Darüber habe ich noch nicht nachge dacht. Tatsache ist jedoch, daß Chirmor Flog etwas haben will, was nur ich ihm geben kann.« Der Arkonide legte die Hand an den Zel laktivator, der durch eine Brustplatte daran gehindert wurde, wieder in der Brust zu ver sinken. »Woher weißt du, daß er dir das Ding nicht einfach wegnimmt?« »Chirmor Flog ist darüber informiert, daß dieses – hm – Ding nicht mehr so funktio niert, wie es soll, wenn ich es nicht einstelle oder wenn ich gewaltsam von ihm getrennt werde. Du siehst, meine Lage ist gar nicht mal so schlecht, wie du glaubst. Man kann nicht so ohne weiteres mit mir machen, was man will.« Artin fluchte. Der Arkonide sah sich um. Vor ihnen erhob sich eine kahle Wand. Davor stand ein kastenförmiges Gerät auf ei ner Bank. Jemand beobachtet dich mit diesem Ding, stellte der Logiksektor fest. Es ist richtig, daß du dich nicht eingeschüchtert zeigst. Aus einem der Gebäude in der Nähe tra ten vier Scuddamoren in hellrot leuchtenden Schilden. Sie kamen mit fließenden Bewe gungen auf sie zu. Atlan erinnerte sich an den Kampf in der Festung Artins. Dort hatte er bereits Scudda moren in solchen Schilden gesehen, die al lerdings dunkler gewesen waren. Drei der roten Gestalten blieben einige Meter von ihm entfernt stehen. Die vierte trat vor ihn hin. »Seit wann genügt es, sich über Funk an zumelden?« fragte sie. Atlan fiel auf, daß dieser Scuddamore das Garva-Guva nicht so hart sprach wie Artin und die anderen düste ren Scuddamoren. »Was soll dieser Unsinn?« fragte Artin. »Wir wollen zu Chirmor Flog, und das so fort.« »Sofort?« Atlan glaubte, den Roten la chen zu hören.
10 »Allerdings«, betonte Artin. »Wir haben keinerlei Angaben über euch. Wer seid ihr? Was wollt ihr hier? Wißt ihr nicht, daß ihr euch vor wenigstens vier Wo chen hättet anmelden müssen, wenn ihr einen Termin haben wollt?« Jetzt schien Artin zu lachen. »Idiotisch«, sagte er. »Chirmor Flog braucht dringend Hilfe. Der Mann, der ihm helfen kann, ist da, und ihr baut bürokrati sche Sperren auf. Dafür wird der Neffe euch umbringen.« »Wir haben Gesetze, nach denen wir uns richten müssen«, erklärte der Scuddamore im roten Schild. »Also schön. Dann meldet Chirmor Flog, daß wir da waren und wieder abgeflogen sind. Aber vergeßt es nicht, es ihm noch heute zu sagen.« »Der Neffe hat erst morgen wieder einen Termin. Er hat sich zurückgezogen, da er unter einer leichten gesundheitlichen Stö rung leidet. Wir können ihm die Nachricht daher erst morgen übermitteln.« »Einverstanden«, sagte Artin höhnisch. »Erklärt ihm nur, daß ihr den Arzt, der ihm helfen kann, weggeschickt habt.« »Wir haben unsere Vorschriften, und an die halten wir uns. Damit müßt ihr euch ab finden.« »Ihr verdammten Narren«, sagte der Kommandant der düsteren Scuddamoren zornig. »Ihr könnt euch freuen, daß ich hier nicht mehr die Befehlsgewalt habe. Ich wür de euch alle zum Teufel schicken.« »Ich werde fragen«, erklärte der Scudda more in dem roten Schild. »Wartet. Ich glau be jedoch nicht, daß sich etwas ändert.« Er entfernte sie gemächlich und ver schwand in dem Gebäude. Etwa eine halbe Stunde verstrich. Dann kam ein anderer Scuddamore. Auch er verbarg sich unter ei nem rot leuchtenden Schild, doch dieser war auffallend groß, größer sogar noch als jener von Artin. Atlan hörte deutlich, daß Artin erregt schnaufte. Er kennt ihn, und er haßt ihn, stellte der
H. G. Francis Logiksektor fest. »Wer ist das?« fragte der Arkonide. »Skaddos«, antwortete der Düstere neben ihm. »Sieh dich vor. Er ist gefährlich.« Artin hatte sichtlich Mühe sich zu beherr schen. Skaddos könnte ihn aus diesem inneren Bereich der Festung verjagt haben. Er ist der eigentliche Widersacher Artins. »Warum bleibst du nicht im Gleiter, Ar tin?« fragte Skaddos. »Der Befehl lautet, daß du den Fremden hier absetzen sollst. Er besagt nicht, daß du aussteigen darfst.« »Das war notwendig, weil die von dir ge leiteten Trottel sonst einen schriftlichen An trag mit einer Antragsfrist von vier bis sechs Wochen zur Bedingung gemacht hätten. Chirmor Flog hat diesen Fremden zu sich bestellt, und ich werde ihn zu ihm bringen. Das heißt, Gara Tin wird ebenfalls dabei sein.« »Keiner von euch beiden. Nur der Fremde begleitet mich.« »Wer bist du?« fragte Atlan. »Skaddos.« »Also gut, Skaddos. Schreibe dir hinter die Ohren, falls du welche hast, daß Gara Tin mich begleiten wird.« »Wer hier was tut, bestimme ich.« »Mag sein, aber ich habe, was Chirmor Flog will, und ich gebe es ihm nur, wenn du die Bedingungen erfüllst, die ich stelle.« Artin stieß ihn an. »He, du«, sagte er wütend. »Und was ist mit mir? Ich will auch mit. Ich muß mit Chirmor Flog reden.« »Später vielleicht«, erwiderte der Arkoni de kühl. »Zurück in den Gleiter«, befahl Skaddos. »Oder sollen meine Leute auf dich schie ßen?« Artin fluchte lauthals – und gehorchte. In der Tür zum Gleiter blieb er stehen und drehte sich um. Atlan fühlte, daß er ihn an sah. Er gab ihm ein verstohlenes Zeichen mit der Hand, um anzudeuten, daß Artin Ge duld haben sollte. Er wollte dem Scuddamo ren zu verstehen geben, daß er durchaus an
Der Arkonide und der Herrscher ihn dachte, zur Zeit jedoch keine Möglich keit sah, etwas für ihn zu tun. Artin verstand. Er stieg ein. Die Tür schloß sich, und die Maschine startete. »Kommt«, befahl Skaddos. Er führte Atlan und Gara Tin zu dem Ge bäude, aus dem er gekommen war. Als sie es betreten hatten, stellte sich heraus, daß es nicht mehr als der überdachte Abgang zu tiefer gelegenen Anlagen war. Sie glitten über eine Antigravschräge in die Tiefe und gelangten durch ein Panzerschott in einen langen Gang mit transparenten Wänden. Zu beiden Seiten des Ganges lagen riesige Hal len, in denen sich kommunikative Anlagen aller Art befanden. Sie erinnerten den Arko niden an vergleichbare Einrichtungen auf der Erde in Imperium Alpha. Für ihn war klar, daß dies eine Befehlszentrale war, von der aus Chirmor Flog seine Macht ausübte. Sicherlich gab es von hier aus auch eine Verbindung zum Dunklen Oheim. An den Geräten arbeiteten Tausende von Scuddamoren, die alle schwärzliche Schilde trugen. Atlan hatte erwartet, hier nur Scud damoren in roten Schilden zu sehen, doch er hatte sich getäuscht. Skaddos führte ihn und die junge Frau bis zu einem Schott am Ende des Ganges. Hier tippte er einige Daten in eine Programmtastatur an der Wand neben dem Schott. Wenig später glitt die Panzer wand zur Seite. Dahinter wurde die Kabine einer Rohrbahn sichtbar. »Steigt ein«, befahl der Rote. Atlan und Gara Tin gehorchten. Sie setzten sich in die bequemen Polster der Sessel. Skaddos blieb stehen. Die Kabine fuhr ruckfrei an und beschleunigte, ohne daß die Insassen dadurch belastet wurden. Wie schnell sich die Kabine bewegte, wurde für Atlan nur durch die an den Fenstern vorbei rasenden Farbstreifen der Tunnelwand sicht bar. Dennoch war es unmöglich für ihn, die Entfernung abzuschätzen, die sie in der Rohrbahn zurücklegten. Etwa zehn Minuten vergingen. Dann ver zögerte die Kabine. Ein Schott öffnete sich, und das Licht einer künstlichen Sonne flute te herein.
11 Skaddos stieß die Tür auf und gab den Weg in eine künstlich angelegte Landschaft von außerordentlichem Reiz frei. Ein milder Wind wehte Atlan ins Gesicht, als er die Ka bine verließ und eine Halle betrat, deren Dimensionen er nicht abschätzen konnte. Das Licht schien von überall her zu kommen und warf keine Schatten. Einige hundert Meter von ihm entfernt er hob sich eine Säule, die sich nach oben im mer mehr verbreiterte und sich im Blau des Deckengewölbes zu verlieren schien. Am blauen Himmelsgewölbe schwebten drachenähnliche Gebilde, aus denen eine an genehm klingende, exotische Musik ertönte. »Das letzte Stück gehen wir zu Fuß«, er klärte Skaddos. »Der Weg ist nicht be schwerlich.« Atlan und Gara Tin antworteten nicht. Sie schritten neben dem Scuddamoren durch die Parklandschaft, die sanft gewellt war. Der Kiesweg führte nie über die Anhöhen hin weg, so daß sie stets nur einen Teil der Landschaft übersehen konnten. Als sie etwa zehn Minuten lang gegangen waren, erreichten sie ein kleines Tal, in des sen Zentrum eine riesige Blüte wuchs. Herden von antilopenartigen Tieren ästen in ih rer Nähe. Atlan hatte noch nie ein pflanzliches Ge bilde von solcher Größe gesehen. Dieses Mittelding zwischen einer Blüte und einer Frucht könnte der Sitz des Neffen sein, bemerkte der Logiksektor. Das Gebilde sah im unteren Teil wie eine angeschnittene Ananasfrucht, und im oberen wie eine Kreuzung aus einer Tulpe und einer Nelke aus. Zahlreiche Lianen in zarten Far ben sprossen aus seinen Seiten. Es war etwa fünfzig Meter hoch und an seiner breitesten Stelle achtzig Meter breit. Zunächst glaubte der Arkonide, daß es da neben keinerlei technische Einrichtungen gab. Als er näher kam, sah er jedoch, daß es zahlreiche Abgänge zwischen den Büschen und Bäumen gab. Aus einigen kamen Scud damoren in roten Schilden hervor. Sie war teten, bis sie heran waren. Dann begleiteten
12 sie sie eine Treppe hinunter, Atlan blickte zur Riesenpflanze hoch. Er entdeckte, daß sich zwischen den Blütenblättern zahlreiche Antennen erhoben. Er deutete auf das Gebilde. »Was ist das?« fragte er. »Die Topeya-Wiege«, erwiderte Skaddos. Über die Treppe und einen Gang gelangte die Gruppe unter das pflanzliche Gebilde. Dann führte Skaddos den Arkoniden und das Mädchen über eine Wendeltreppe wieder nach oben. Ein betäubender, süßlicher Ge ruch schlug ihnen entgegen, als sie in die Riesenpflanze eindrangen. Er wurde so in tensiv, daß Atlan schwindelte. Gara Tin er bleichte. Sie hielt sich die Hände vor das Gesicht. »Wie kann man das ertragen?« fragte sie. »Wenn es dir nicht gefällt, kannst du ja verschwinden«, erwiderte Skaddos. Über einen gewundenen Gang führte er sie zu einem kleinen Raum, der lediglich ei nige Hocker, eine Liege, einen Tisch und ei nige Regale mit allerlei getrockneten und präparierten Pflanzen enthielt. Aus einem anderen Raum kamen vier weitere Scudda moren. »Zieht euch aus«, befahl Skaddos. »Wozu?« fragte der Arkonide. »Ich will wissen, ob ihr irgend etwas bei euch habt, was ihr als Waffe gegen Chirmor Flog einsetzen könnt«, erwiderte der Scud damore. »Sollte das der Fall sein, wird es schwierig für euch.« Der Arkonide zuckte gelassen mit den Schultern und streifte das Goldene Vlies ab. Die Scuddamoren unter suchten es ebenso gründlich wie die leichte Kombination, die er darunter trug. Dann reichten sie es ihm zurück und wandten sich Gara Tin zu. Diese weigerte sich lange, sich zu entkleiden. Schließlich bot Atlan an, den Raum zu verlassen. Auch das minderte ihren Widerstand nicht. Der Arkonide ging den noch mit einem Scuddamoren hinaus und ließ Gara Tin mit den anderen allein. Er hör te ihre Protestschreie, aber er konnte nichts tun, ihr die demütigende Untersuchung zu ersparen.
H. G. Francis Gara Tin war weiß im Gesicht, als Atlan in den Raum zurückkehrte. Sie trug ihre Kleider wieder. Diese wiesen jedoch Spuren eines Kampfes auf. »Sie hatte ein Messer bei sich«, erklärte Skaddos und verließ mit den anderen den Raum. Das Schloß rastete klickend ein. »Wozu?« fragte Atlan. »Ich hatte vergessen, daß ich es bei mir hatte«, behauptete sie. »Wenn Sie versuchen, Chirmor Flog um zubringen, kommen Sie hier nicht mehr le bend raus«, stellte er fest. »Ist es das, was Sie wollen?« »Natürlich nicht«, erwiderte sie schroff. Sie wandte ihm den Rücken zu und setzte sich auf einen Hocker. Auf seine Fragen ant wortete sie nicht. Sie tat, als sei er nicht vor handen.
3. Etwa zehn Stunden vergingen, ohne daß etwas geschah. Gara Tin schwieg, und von den Scuddamoren ließ sich niemand sehen. Atlan hatte erwartet, daß Chirmor Flog mög lichst schnell in den Genuß der Wirkung des Zellaktivators kommen wollte, aber das war offenbar nicht der Fall. Der Neffe ließ sich Zeit. »Sie benehmen sich nicht besonders klug«, sagte der Arkonide. »Sie sind von mir abhängig und davon, daß ich mich für Sie einsetze. Dabei habe ich genug Probleme. Haben Sie sich schon einmal Gedanken dar über gemacht, wie es um Sie steht, wenn ich mich ausschließlich um mich selbst kümme re?« Seit Stunden hatte Gara Tin regungslos auf dem Hocker gesessen. Jetzt drehte sie sich um und blickte Atlan an. »Es mußte sein«, erwiderte sie. »Ich muß te herausfinden, ob es Abhöreinrichtungen gibt oder gar ein Fernsehauge, über das man uns beobachtet.« »Ach – und jetzt wissen Sie, daß so etwas nicht vorhanden ist?« »Ich bin mir dessen ziemlich sicher.«
Der Arkonide und der Herrscher »Na schön. Dann reden Sie endlich.« »Sie glauben, daß ich Chirmor Flog um bringen will, aber das ist ein Irrtum. Ich ver ehre ihn, und ich bin bereit, alles für ihn zu tun. Mir geht es um etwas ganz anderes.« Atlan wartete ab. Er drängte sie auch nicht, weiterzusprechen, als sie plötzlich verstummte und nachdenklich vor sich hin starrte. »Ich hatte einen Mann, den ich liebte. Ei nes Tages hatte er einen Auftrag zu erfüllen, aber er konnte es nicht, weil ein anderer ihn verriet. Es war nicht seine Schuld, daß er seine Pflicht nicht erfüllt hat. Es war unmög lich für ihn. Doch er wurde dafür bestraft. Man hat ihn weggebracht. Ich habe seine Spur verfolgt. Sie führte nach MogteekenArv, dem fünften Planeten eines blauen Rie sensterns.« Atlan ahnte bereits, was jetzt kommen würde, doch er schwieg auch weiterhin. »Vorher war er noch auf einem anderen Planeten, wo man ihn mehrere Wochen lang gefangenhielt. Ich weiß nicht, welcher Pla net dies war, aber ich weiß ganz sicher, daß er nach Mogteeken-Arv gebracht worden ist. Ich habe Beweise dafür gefunden, daß er da war. Ich konnte mich bis in seine unmittel bare Nähe vorarbeiten, aber es gelang mir nicht, Kontakt mit ihm zu bekommen.« »Ein schwarzer Schild umhüllt ihn«, be merkte der Arkonide. Sie nickte und schien nicht im mindesten überrascht zu sein, daß er das wußte. »Seitdem habe ich ihn nie anders gesehen als in diesem Schild«, erklärte sie. »Man hat ihn über eine lange Brücke zu einer Insel ge führt. Ich konnte ihm nicht dorthin folgen, aber das war auch gar nicht notwendig, denn ich fand ihn später wieder. Zunächst erkann te er mich nicht mehr.« Atlan blickte die junge Frau erschüttert an. Sie tat ihm leid. Sie hatte ihren Mann verfolgt und aus den Augen verloren. Dann glaubte sie, ihn schließlich wieder gefunden zu haben. Aber sie irrte sich. Ihr Mann war tot. Seine orga
13 nische Masse existierte noch, aber seine Per sönlichkeit war vernichtet worden. Auf der Insel, die sie erwähnt hatte, war sein Körper, der einer Metamorphose unterworfen wor den war, mit einer synthetischen Persönlich keit versehen worden. Diese hatte nichts mehr mit der ursprünglichen Persönlichkeit gemein. Ahnte Gara Tin wirklich nicht, was ge schehen war? Wußte sie nicht, wie die Geschöpfe unter den schwarzen Schilden aussahen? Glaubte sie tatsächlich noch daran, daß es eine Um kehr gab? »Und jetzt?« fragte der Arkonide. »Sie wissen, wer mein Mann ist, nicht wahr?« Artin! meldete der Logiksektor. Es ist Ar tin. »Ich glaube, ich verstehe«, entgegnete er. »Sie wollen zu Chirmor Flog, um die Wahr heit zu sagen. Sie wollen ihm erklären, daß Ihr Mann unschuldig ist und nicht hätte be straft werden dürfen. Sie wollen um Gnade bitten. Sie wollen Ihren Mann zurück.« Sie nickte. »Ja. Das will ich. Und ich glaube daran, daß Chirmor Flog meinen Mann freigeben wird.« Atlan hätte ihr am liebsten gesagt, daß Chirmor Flog ihr diesen Wunsch gar nicht erfüllen konnte, weil die Persönlichkeit ihres Mannes nicht mehr existierte. Sie war nicht irgendwo in dem Schattenwesen noch vor handen, sondern sie war völlig ausgelöscht worden. Es war technisch gar nicht möglich, sie wieder entstehen zu lassen. Er brachte es nicht fertig, ihr die grausa me Wahrheit zu sagen. Sie hatte sich aufge opfert. Sie hatte unzählige Gefahren auf sich genommen, um den Mann zu retten, den sie liebte. Atlan konnte sich sehr gut vorstellen, wie schwierig es für sie gewesen war, seiner Spur zu folgen. Jetzt glaubte sie, dicht vor dem Ziel zu sein. Er konnte und durfte ihr die Illusionen nicht rauben, weil dann die Gefahr bestand, daß sie in ihrer Enttäu schung und Verzweiflung die Kontrolle über
14 sich verlor und ihn bekämpfte, obwohl er nicht das geringste mit dem Schicksal ihres Mannes zu tun hatte. »Sie glauben auch, daß der Neffe uns hel fen wird, nicht wahr?« fragte sie. »Er wird tun, was in seiner Macht steht«, antwortete er ausweichend. »Ja. Das wird er. Und er ist mächtig. Er kann alles erreichen, was er will. Er wird mir meinen Mann zurückgeben.« »Wer ist Chirmor Flog?« fragte Atlan. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Ich habe lange darüber nachgedacht, und ich ha be ihn gefragt, aber ich habe es nicht heraus gefunden.« »Wen haben Sie gefragt?« »Meinen Mann. Artin. Er weiß, wer Chirmor Flog ist, denn er war der Komman dant, bis Skaddos ihn mit Intrigen gestürzt hat.« »Dann hat er eine bemerkenswerte Kar riere gemacht. Wie konnte er in so kurzer Zeit zu einem so wichtigen Posten aufstei gen?« Die Zweifel Atlans wurden immer stärker. Die Metamorphosewesen von Mog teekenArv waren Bestrafte. Es waren Ge schöpfe, die auf der untersten Stufe im Machtgefüge um den Neffen standen. Es er schien ausgeschlossen, daß jemand in weni gen Wochen aus der Bedeutungslosigkeit bis zum Kommandanten aufsteigen konnte, der für den Sicherheitsbereich um Chirmor Flog verantwortlich war. Gara Tin hatte diese Zweifel nicht. »Mein Mann war der Herrscher über einen Planeten. Er war ein Genie.« »Haben Sie mit ihm über sich und ihn ge sprochen, seitdem Sie ihn wiedergefunden haben?« »Schon oft«, behauptete sie mit einem kaum merklichen Schwanken in der Stimme, das Atlan nicht entging. Sie lügt, stellte der Logiksektor fest. Sie hat mit Artin gesprochen, aber nicht über sich und ihn. »Er hat Sie erkannt?« »Natürlich – aber er darf sich leider nicht so verhalten, wie er gern möchte. So ist es
H. G. Francis ihm beispielsweise nicht möglich, den Schild auszuschalten und sich mir zu zei gen.« Gara Tin ging einige Schritte im Raum auf und ab, dann löste sie plötzlich eines je ner winzigen Gebilde aus den Augenbrauen, die wie Saugnäpfe aussahen, und heftete es an die Wand. Sie lächelte. »Diese Narren«, sagte sie verächtlich. »Sie haben mir die Kleider vom Leib geris sen und mir das Messer weggenommen. Ich habe es absichtlich eingesteckt, um sie von dem abzulenken, was wirklich wichtig ist. Es ist mir gelungen.« Sie löste ein weiteres Teilchen aus den Augenbrauen und drückte es ebenfalls an die Wand. Atlan fiel auf, daß sie es an eine Stel le heftete, an der die Maserung im Material deutlich erkennbar war. »Ich weiß nicht, ob Chirmor Flog eine Pflanze ist«, sagte sie, »aber ich halte es für nicht ausgeschlossen. Spüren Sie etwas?« Atlan schüttelte den Kopf. »Sollte ich?« »Die Pflanze lebt.« Sie blickte Atlan for schend an, dann erkannte sie, daß er sie nicht verstanden hatte. »Fühlen Sie denn wirklich nichts? Kommen Sie zu mir. Leh nen Sie sich mit dem Rücken an die Wand. So wie ich es tue.« Zögernd folgte der Arkonide ihrer Auffor derung. Er stellte sich an die Wand, wo sie vorher eines jener winzigen Gebilde befe stigt hatte. Etwas Fremdes schien ihn zu durchdringen. Er erfaßte, was Gara Tin ge meint hatte. Er glaubte Kontakt mit einem denkenden Wesen zu haben. Er spürte, daß die Wand pulsierte, daß sie lebte. Fremdarti ge Emotionen strömten zu ihm über, die er als teilweise freudig und teilweise als melan cholisch empfand, die sich aber schon im nächsten Moment wieder änderten. Er glaubte, eine seltsame Melodie zu hören. Er löste sich von der Wand. Gleichzeitig erkannte er, daß der Boden unter seinen Füßen, die ihn umgebenden Wände, die Decke und die Tür aus lebender Materie bestanden, daß sie Teile der riesigen Pflanze waren.
Der Arkonide und der Herrscher »Die Pflanze fühlt«, sagte Gara Tin wis pernd. »Die Wernons machen es für uns deutlich.« Sie legte ihre Fingerspitzen an den Au genbrauen und zeigte damit an, was die Wernons waren. Sie zupfte einige weitere dieser Gebilde aus den Brauen und drückte sie an die Wand. Dabei achtete sie sorgfältig darauf, daß sie auf die Linien der Maserung kamen. Atlan schloß daraus, daß in diesen die Impulse der Empfindungen verliefen. »Wozu tun Sie das?« fragte er. »Wollen Sie noch mehr Gefühle vermitteln?« Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht irre ich mich«, erwiderte sie, »aber ich glaube, daß Chirmor Flog in einer Art Symbiose im weitesten Sinn des Be griffs mit dieser Pflanze lebt. Vielleicht ist er sogar die Pflanze. Auf jeden Fall kann ich mit den Wernons Einfluß auf sie nehmen.« »Woher wissen Sie das?« »Es gibt gewisse Gerüchte in der Schwar zen Galaxis. Vergessen Sie nicht, daß ich die Frau eines Herrschers bin. Mein Mann gehörte zum Kreis der Mächtigen. Da hört man mehr als anderswo.« Gara Tin war nicht so unvorbereitet nach Säggallo gekommen, wie er angenommen hatte. Als man ihren Mann verhaftet hatte, hatte sie schon gewußt, daß sie bis zu Chirmor Flog vordringen mußte, wenn sie ihm helfen wollte. Sie hatte langfristig ge dacht und sich entsprechend ausgerüstet. Die Achtung des Arkoniden vor der Frau stieg. »Und was haben Sie vor?« fragte er. »Ich werde der Pflanze einen kleinen Schock versetzen, um deutlich zu machen, daß ich beachtet werden möchte.« Sie nahm die letzten Wernons aus den Augenbrauen und setzte sie auf die Mase rung in der Wand. Dann tupfte sie einige der Punkte von ihrer Ohrmuschel und drückte sie dazu, so daß sich ein sternförmiges Mu ster ergab. Atlan spürte, daß sich etwas veränderte. Der Boden unter seinen Füßen geriet in Be wegung. Die Wände verfärbten sich. Blaue
15 Linien zuckten wie Blitze von der Decke bis zum Boden. Ein eigenartiges Ächzen ging wie ein Schrei durch die Pflanze. Es berührte ihn seltsam. »Die Topeya-Wiege reagiert«, rief Gara Tin jubelnd. »Das mag sie nicht.« »Was haben Sie getan?« fragte der Arko nide. »Ich habe einige Nervenbahnen kurzge schaltet«, antwortete sie. Die Wand verdunkelte sich. Sie wurde na hezu blau, hellte sich dann jedoch in der Mitte wieder auf. Ein rötliches, ovales Ge bilde entstand, in dem ein dunkler Kreis schwebte. Gara Tin wich erbleichend zu rück. »Das ist ein Auge«, sagte sie erschreckt. »Es sieht uns an.« Die Tür öffnete sich. Fünf Scuddamoren in rot leuchtenden Schilden drängten sich herein und warfen sich wortlos auf den Ar koniden. Sie zerrten ihn aus dem Raum, oh ne Gara Tin zu beachten. Atlan wehrte sich und gab erst nach, als man ihm drohend eine Energiestrahlwaffe entgegenstreckte. Die ro ten Gestalten schleppten ihn über einen Gang in einen mäßig erhellten Raum, der kaum zwei Meter lang und anderthalb Meter breit war. Eine Tür schloß sich hinter ihm. Er versuchte, sie wieder zu öffnen, doch sie hielt seinen Bemühungen stand. Plötzlich legte sich ihm eine Hand auf die Schulter. Atlan fuhr herum. Die Hand kam direkt aus der Wand. Sie schien Bestandteil der Pflanze zu sein. Sie sah grünmarmoriert aus, und sie gab seine Schulter nicht frei. Er fühlte den Druck der Finger durch das schützende Material seines goldenen Anzugs, und er war sich dessen si cher, daß die Hand seine Schulter längst zer quetscht hätte, wenn das Goldene Vlies nicht gewesen wäre. Er schlug mit der Rechten nach der Hand, und es gelang ihm, sich zu befreien. Er wich bis an die Tür zurück. Doch jetzt schoben sich zwei weitere Hände von links
16 nach rechts um seinen Hals und hielten ihn fest. Der Arkonide spürte den Strom der Emotionen, der durch diese Hände floß. Er glaubte, in Verzweiflung und Angst zu ver sinken. Du mußt dem Ding klarmachen, daß du die Nervenbahnen nicht kurzgeschlossen hast, signalisierte der Logiksektor. Du mußt es tun, oder es bringt dich um. Ich kann Gara Tin nicht verraten, dachte er. Das hat mit Verrat nichts zu tun. Gara Tin will ja gar nicht verheimlichen, daß sie das Ding beeinflussen kann. Das steht noch lange nicht fest. Das ist sicher. Sie hätte längst etwas ge sagt, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte. »Hör auf«, rief der Arkonide in höchster Atemnot. Er wußte, daß er sich nicht mehr länger gegen die würgenden Hände behaup ten konnte. »Ich kann nichts daran ändern. Ich habe die Punkte nicht gesetzt.« Der Würgegriff lockerte sich, doch die Hände zogen sich noch nicht zurück. Sie blieben an seinem Hals, so daß sie jederzeit wieder zudrücken konnten. »Gara Tin weiß, wie alles zusammen hängt«, fuhr er keuchend fort. »Aber ich warne dich. Du darfst sie nicht so behandeln wie mich, denn das wäre dein Ende. Nichts könnte dich dann noch retten.« Atlan fühlte körperlich, daß seine Worte Wirkung erzielten. Eine Welle der Angst be rührte ihn. Es schien, als wehe ihm der Ge stank einer verfaulenden Pflanze entgegen. Er erkannte in ganzer Tragweite, wie ge schickt Gara Tin gegen die Topeya-Wiege vorgegangen war, und wie schwer sie sich getroffen hatte. Wenn die Topeya-Wiege mit Chirmor Flog identisch war, oder wenn zwischen bei den auch nur ein Zusammenhang bestand, dann hatte sie auch den Neffen getroffen. Sie hatte ihm gezeigt, daß es eine Macht gab, die auch er zu fürchten hatte – den Tod. Eine Frage drängte sich ihm auf. Zunächst sträubte er sich gegen sie wie gegen eine
H. G. Francis körperliche Bedrohung. Dann schaltete sich der Extrasinn ein. Narr! Warum wehrst du dich? Das Ding will wissen, wieso es Gara Tin gegenüber vorsichtig sein soll. Eine berechtigte Frage. Du mußt ihr mit einer logisch und überzeu gend klingenden Lüge begegnen. »Man kann Gara Tin und die Punkte, die sie gesetzt hat, nicht für eine längere Zeit voneinander trennen«, sagte der Arkonide. »Sie bleiben miteinander verbunden. Leidet Gara Tin, leiden auch die Punkte. Stirbt sie, sterben auch sie – und leiten den Tod weiter. Was du Gara Tin antust, tust du dir selbst an. Versuche es. Du wirst es erleben.« Jetzt wichen die pflanzlichen Hände ganz von ihm zurück. Sie versanken in den Wän den. Diese glätteten sich, und bald wies nichts mehr darauf hin, daß irgend etwas un gewöhnlich an diesem Raum war. Die Tür öffnete sich. Atlan sah zwei Scuddamoren. Sie befahlen ihm, den Raum zu verlassen. Er gehorchte und trat auf den Gang hinaus. Er fühlte sich wie gerädert. Die Räumlichkeiten in der Pflanze kamen ihm eng und er drückend vor. Er sehnte sich danach, ins Freie gehen zu können. Die Scuddamoren führten ihn zu Gara Tin zurück. Sie saß auf dem Fußboden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. »Sie haben mich verraten«, sagte sie an klagend. »Keineswegs«, antwortete er. »Im Gegen teil. Ich habe der Topeya-Wiege klarge macht, daß es tödlich für sie wäre, Ihnen et was anzutun.« Ihre Augen leuchteten auf. Sie begriff. Die Scuddamoren kamen herein, zogen die junge Frau hoch und schleppten sie hin aus. Atlan setzte sich auf den Boden, als sich die Tür geschlossen hatte. Ein schwerer und süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Ihm wurde schwindelig, und er legte den Unterarm vor Mund und Nase, um sich vor dem Duft zu schützen. Doch das half ihm nur wenig. Die Lider san ken ihm herab.
Der Arkonide und der Herrscher Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten. Er ließ sich auf den Rücken sinken und streckte sich aus. Mühsam atmete er. Der Rücken wurde gefühllos, und ihm schien, als schwebe er über dem Boden. Die Topeya-Wiege will dich einschläfern, stellte der Logiksektor fest. Atlan schloß die Augen. Er merkte, daß er dicht davor war, einzuschlafen, daß die Gift stoffe zugleich jedoch nicht ganz so wirk sam waren, wie die Pflanze vermutete. Der Zellaktivator und das Goldene Vlies halfen ihm, sich dagegen zu behaupten. Er tat jedoch so, als sei er unterlegen. Er stellte sich schlafend. Einige Minuten verstrichen. Die Tür öffnete sich, und zwergenhafte, vielfüßige Wesen kamen herein. Sie waren insektoid, wirkten aber nicht bedrohlich auf den Arkoniden, der sie verstohlen beobach tete. Sie näherten sich ihm, öffneten das Goldene Vlies über der Brust und betasteten den Zellaktivator. Die insektoiden Wesen berieten sich wis pernd miteinander. Sie tauschten Meinungen und Untersuchungsergebnisse aus. Der Ar konide verstand nicht, was sie sagten. Er tat so, als liege er in tiefem Schlaf. Die Untersuchung dauerte etwa eine halbe Stunde, dann zogen sich die zwergenhaften Wesen zurück. Die Tür schloß sich klickend hinter ihnen. Atlan wußte nicht, wie die Untersuchung ausgefallen war. Er wartete noch etwa zehn Minuten, dann tat er so, als erwache er all mählich. Der süßliche Duft war abgezogen. Die Luft im Raum war nun frisch und ange nehm. Gara Tin kehrte bald darauf zurück. Schweigend ging sie zu der Stelle an der Wand, an der sie schon vorher gesessen hat te, und ließ sich auf den Boden sinken. Der Arkonide wollte etwas sagen, aber sie gab ihm ein warnendes Zeichen und bedeutete ihm damit, ruhig zu sein. Sie nimmt mehr wahr als du, signalisierte der Logiksektor. Wortlos saßen sie sich gegenüber. Die
17 Frau schien eingeschlafen zu sein. Doch das sah nur so aus. Atlan, der sie genau beob achtete, stellte fest, daß sie wach war. Ihr Gesicht war schmal und blaß. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in den Höhlen. Gara Tin war anzu sehen, daß sie eine Leidenszeit hinter sich hatte. Der Kampf um ihren Mann hatte Spu ren in ihrem Gesicht hinterlassen. Als etwa eine halbe Stunde vergangen war, erhob sich die junge Frau plötzlich. »Ich werde wahnsinnig in diesem Stall«, schrie sie, als sei sie mit ihrer Nervenkraft am Ende. Sie packte einen Hocker, wirbelte ihn um den Kopf und hämmerte ihn gegen die Wand. Es krachte vernehmlich. »Na, also«, sagte sie zufrieden und ließ den Hocker fallen. »Das wär's dann wohl.« Sie zupfte mit spitzen Fingern die Reste eines Videoauges aus der Wand. »Sie haben das Ding gesehen?« fragte der Arkonide. Sie lachte triumphierend. »Natürlich«, erwiderte sie. »Die elektri sche Streuspannung verursacht farbliche Veränderungen im pflanzlichen Gewebe, die in dem Baumaterial, das sonst verwendet wird, nicht auftreten. Diese Veränderungen sind zwar nur minimal, aber doch so groß, daß ich sie sehen kann. Man scheint das nicht bedacht zu haben.« »Was war los? Hat man Sie verhört? Hat man Sie geschlagen, oder sind Sie sonst ge quält worden?« »Sie haben mich verhört. Ganz freundlich und zurückhaltend. Sie waren viel netter als sonst. Auch Skaddos war da. Er ist in großer Sorge um die Topeya-Wiege. Sie haben al les mögliche versucht, mich davon abzuhal ten, mit Chirmor Flog zu sprechen, aber ich habe mich nicht abweisen lassen.« »Sie haben mit ihm gesprochen?« »Noch nicht. Aber bald ist es soweit. Chirmor Flog wird sich die Zeit für eine Au dienz nehmen. Ich werde Gelegenheit ha ben, etwas für meinen Mann zu tun. Viel leicht wird jetzt alles wieder gut.« Sie tat ihm leid. Er wußte, daß nichts wie
18 der gut werden würde. Er vermutete, daß man ihr Versprechungen machen würde, um sie dazu zu veranlassen, die Topeya-Wiege freizugeben. Er war sich dessen sicher, daß man Gara Tin in einen Scuddamoren ver wandeln würde, sobald sie das getan hatte. Sie aber glaubte an ihre Chance. »Sie dürfen die Nervenpunkte nicht frei geben«, erwiderte er. Sie lachte hell. »So dumm bin ich nicht«, sagte sie. »Ich gebe meine Trümpfe erst aus der Hand, wenn ich gewonnen habe.« Ihre Unterlippe zuckte. Der Arkonide durchschaute Gara Tin. Sie gab sich selbst bewußt und überlegen, aber das war sie nicht. Jetzt, da sie sich dicht vor dem Ziel wähnte, bebte sie innerlich vor Angst. Viel leicht war ihr bewußt geworden, daß sie all zu energisch auf Chirmor Flog zugegangen war und ihn dadurch provoziert hatte. Zwei fel waren in ihr erwacht, ob eine Persönlich keit wie er sich so etwas gefallen lassen würde. Sie hatte Angst vor ihrer eigenen Coura ge. »Wenn ich doch nur wüßte, wer Chirmor Flog ist«, sagte sie leise. Sie blickte Atlan haltsuchend an. In die sem Moment machte sie auf ihn den Ein druck eines einsamen und verlorenen Kin des, das nicht wußte, wohin es sich wenden sollte. »Ist er ein Mensch? Ist er ein insektoides Geschöpf? Oder ist er eine intelligente Pflanze? Ich habe keine Vorstellung. Ist das nicht verrückt? Der Neffe ist für mich die wichtigste Persönlichkeit in der Galaxis, wichtiger noch als der Dunkle Oheim, der ir gendwo in der Unendlichkeit existiert. Und ich weiß nicht einmal, wie Chirmor Flog aussieht, oder was er ist. Er könnte ebenso ein Schmetterling wie ein Fisch sein. Aber was auch immer er ist, ich bewundere ihn. Er ist nicht verantwortlich für die vielen bö sen Dinge, die geschehen. Er hat zu viele ne gative Persönlichkeiten neben sich. So wie Skaddos eine ist.«
H. G. Francis Die Tür öffnete sich. Ein Scuddamore im roten Schild trat ein. Er ging zu der Stelle, an der Gara Tin den Hocker gegen die Wand geschmettert hatte. Er berührte die Wand mit einem Meßge rät. Dann wandte er sich Atlan zu. »Komm mit«, befahl er. »Chirmor Flog will dich sprechen.« Die junge Frau sprang auf. Sie eilte zur Tür. Ihre Wangen röteten sich vor Erregung. Sie versuchte, sich auf den Gang hinauszu drängen. »Das wurde aber auch Zeit«, rief sie. »Lange genug haben wir ja gewartet.« Der Scuddamore stieß sie so heftig zu rück, daß sie zu Boden stürzte. »Du bist noch nicht dran«, erklärte er. »Erst er.« Gara Tin sprang wieder auf. Sie wollte er neut durch die Tür gehen. »Atlan, laß mich nicht allein«, rief sie. »Bitte.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der Arkonide erkannte, daß sie ihn brauchte. Sie hatte Angst davor, allein zu bleiben. »Sie soll mitkommen«, sagte er. »Später«, entgegnete der Scuddamore. Die Tür schloß sich hinter Atlan. Die Gestalt in dem rot leuchtenden Schild schob den Ar koniden über den Gang.
4. Konzentriere dich auf Chirmor Flog, for derte der Extrasinn. Um Gara Tin kannst du dich später kümmern. Er sah ein, daß er sich nicht verzetteln durfte. Die Begegnung mit dem Neffen war allzu wichtig. Es ging nicht nur um Gara Tin und ihn. Es ging auch um Pthor und um die zahllosen gequälten Wesen, die in der Schwarzen Galaxis unter nahezu unerträgli chen Umständen lebten. Für sie alle konnte diese Begegnung von entscheidender Bedeu tung sein. Atlan hatte nicht vor, Chirmor Flog zu töten. Er vertraute auf den Zellakti vator. Er hoffte, daß die positiven Impulse
Der Arkonide und der Herrscher des Geräts dem Neffen eine gehörige Lekti on erteilen würden. Was hätte es Schlimme res für ein Wesen wie Chirmor Flog geben können als eine Umstrukturierung seiner Persönlichkeit? Die Scuddamoren führten den Arkoniden in einen Raum, der nahezu zwanzig Meter lang und zehn Meter breit war. Es mußte der größte Raum in dieser riesigen Pflanze sein. Der Raum enthielt nichts. Seine Wände wa ren besonders stark und schön gemasert. »Warte«, befahl einer der Roten und ging mit den anderen hinaus. Der Arkonide blickte sich um. Es war taghell, obwohl der Raum keine Fenster hat te, aber es war nicht zu erkennen, woher das Licht kam. Er vermutete, daß die Pflanze es durch ihr Gewebe hereinleitete. Plötzlich vernahm er eine Reihe von selt samen Geräuschen. Eine Maschine schien sich ihm zu nähern. Es knirschte und quietschte, surrte und pfiff, und die Wände gerieten in Bewegung. Ein Ächzen ging durch die Topeya-Wiege, als sträube sie sich gegen das, was da herankam. Gleichzeitig glaubte der Arkonide, wie derum etwas von den Gefühlen der Pflanze erfassen zu können. Ihm war, als streife ihn eine Aura des Bösen. Dann öffnete sich ein waagerechter Spalt in der Wand, und ein blitzendes Metallge stell schob sich herein. Unwillkürlich wich Atlan davor zurück. Es ist eine Vollprothese, stellte der Logik sektor mit der ihm eigenen Kühle und Di stanziertheit fest. Das Wesen, das darin hängt, ist der Neffe des Dunklen Oheims. Die Apparatur, mit der sich Chirmor Flog bewegte, war eine unglaubliche technische Interpretation von Geh und Greifwerkzeu gen, von Händen und Füßen. In ihr waren vermutlich alle Vorteile der verschiedenen Hände und Füße vereinigt, die die Natur in der Schwarzen Galaxis hervorgebracht hatte, so daß der Neffe zahlreiche Dinge tun konn te, die Atlan und zwanzig andere Arkoniden zugleich mit ihren Händen allein nicht be wältigt hätten. Auch schien er sich nach al
19 len Richtungen bewegen zu können. Der Ar konide glaubte, einen Antigrav ausmachen zu können. Er hielt es für wahrscheinlich, daß Chirmor Flog in seiner Apparatur sogar fliegen konnte. Chirmor Flog selbst war nur noch ein Torso, der inmitten dieser quadratischen Be wegungsmaschine hing. Er ist irgendwann in ein Feuer geraten und dabei weitgehend verbrannt. Im Mittelpunkt der Apparatur saß ein Kopf, der Atlan an einen kindlichen Riesen schädel erinnerte. Zwei riesige Augen präg ten das Gesicht. Sie waren fast so groß wie Untertassen. Sie waren weiß und wurden von roten Adern durchlaufen. Jedes Auge hatte drei Pupillen – eine rote, eine gelbe und eine schwarze. Die rote war rund, die gelbe dreieckig und die schwarze viereckig. Atlan hatte noch niemals derartige Augen gesehen, und er konnte nur darüber rätseln, wie Chirmor Flog seine Umgebung sah, und was er alles wahrnahm. Jede Pupille mußte eine besondere Funktion haben. Vom Kopf führten armdicke organische Gebilde zu den verschiedenen Teilen der Prothese und fügten sich in diese ein. Der Neffe machte einen alten und er schöpften Eindruck auf den Arkoniden. Das Lebenserhaltungssystem, das zu der Prothe se gehörte und sich hinter dem Schädel be fand, schien ihn in nicht ausreichendem Maß zu versorgen. Chirmor Flog drehte den Kopf ein wenig zur Seite, als er vor dem Aktivatorträger ver harrte, so daß dieser eine der blauen Knollen sehen konnte, die an der Seite des Schädels saßen und offenbar Hörorgane waren. Der ganze Apparat wisperte und summte ununterbrochen. Atlan hatte zunächst ange nommen, daß diese Geräusche mit den Be wegungen der Prothese zusammenhingen. Jetzt erkannte er, daß sie aus einem Kommu nikationssystem kamen, das Chirmor Flog mit der Außenwelt verband. Er vermutete, daß der Neffe ständig mit allen Teilen von Säggallo, dem Marantroner-Revier und der Schwarzen Galaxis verbunden war. In einer
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Hinsicht entsprach dieses Wesen der Vor stellung des Arkoniden. Es besaß eine Aus strahlung des Bösen. Ja, Chirmor Flog er schien ihm geradezu als Verkörperung des Bösen. Atlan glaubte, noch niemals einem Geschöpf begegnet zu sein, bei dem er sich schon auf den ersten Blick völlig klar über dessen Charakter war. »Du weißt, warum du hier bist«, bemerkte der Neffe mit leiser, kraftloser Stimme, die mit Hilfe von elektronischen Einrichtungen verstärkt werden mußte, damit sie überhaupt verständlich war. »Also gib mir das Gerät.« Atlan nahm den Zellaktivator ab und trat nä her an das monströse Wesen in dem Metall gerät heran. Er legte es ihm auf den Schädel, wo es in einer kleinen Mulde ausreichend Halt fand. Dann trat er zurück. Er war davon überzeugt, daß Chirmor Flog den Zellaktivator nicht vertrug. Die po sitiven Impulse des Geräts mußten ihre Wir kung auf den Neffen haben. Das bedeutete, daß sie auf die gesamte Schwarze Galaxis ausstrahlen würden. Sie würden die Ent scheidungen beeinflussen, die der Neffe traf, und damit wurden galaxisweite Konsequen zen wahrscheinlich.
* Artin brauchte Stunden, um sich von sei ner Erregung und Enttäuschung zu erholen. Er haßte seinen Rivalen Skaddos wie nie manden sonst. Dieser Haß gegen den Kom mandanten der Festung des Neffen war so etwas wie ein Lebensinhalt für ihn gewor den. In jeder freien Minute dachte er darüber nach, wie er Skaddos von seinem Posten vertreiben konnte. Nahezu ununterbrochen war er damit beschäftigt, Intrigen vorzube reiten und einzuleiten, die das Ziel hatten, Skaddos zu stürzen und ihm selbst wieder einen roten Schild zu beschaffen. Er kehrte mit dem Gleiter zur Festung im roten Wald zurück, ohne ein Wort mit sei nen Untergebenen zu sprechen. Er hatte gehofft, Atlan für seine Pläne ein-
spannen zu können, doch es sah nicht da nach aus, als ob ihm das jetzt noch gelingen würde. Er stieg aus. Durch den strömenden Re gen kam ihm eine düstere Gestalt entgegen. Er erkannte sie sofort. »Elles«, sagte Artin erfreut. »Du bist zu rück?« »Auftrag erledigt«, erwiderte sein Stell vertreter, der ihm zugleich so etwas wie ein Freund war. »Die Sklaven von Canga haben ihren Streik beendet.« »Wie hast du das geschafft?« »Mit eiserner Hand«, antwortete Elles. Er begleitete ihn zum Haus und trat mit ihm ein. »Wir haben die Anführer erschossen. Das genügte.« Elles verzichtete darauf, Artin zu erklä ren, um was es bei diesem Streik eigentlich gegangen war. Das interessierte den Kom mandanten der Scuddamoren mit den düste ren Schilden auch gar nicht. Für ihn war nur wichtig, daß ein Aufstand beigelegt worden war. »Wie bist du hier weitergekommen?« fragte Elles, als die Tür hinter ihnen ins Schloß glitt. »Überhaupt nicht«, erwiderte Artin grol lend. »Ich habe ein Spiel inszeniert, um vor zutäuschen, daß Chirmor Flog in Schwierig keiten ist. Ich habe einige meiner Leute ge geneinander kämpfen lassen. Dabei gab es auch einige Tote. Das war notwendig, um alles überzeugend genug erscheinen zu las sen. Selbst die Frau konnte ich einspannen, die sich einbildet, mit mir irgend etwas zu tun zu haben. Aber auch das half nichts. Ich konnte den Fremden nicht dazu verleiten, gegen Skaddos vorzugehen.« Elles lachte. »Du hast Theater gespielt? Du hast einen regelrechten Kampf inszeniert?« »Sogar ein Attentat auf mich. Aber das al les scheint den weißhaarigen Fremden in dem goldenen Anzug nicht berührt zu ha ben. Er ist jetzt bei Chirmor Flog.« Neben Artin erhellte sich ein Bildschirm. Eine Schrift erschien.
Der Arkonide und der Herrscher »Meuterei in Lexa«, las er und blickte sei nen Stellvertreter überrascht an. »In Lexa? Da arbeiten die Noots.« Weitere Schriftzeichen glitten über den Bildschirm. Sie informierten Artin darüber, daß die Noots aufbegehrten, weil ihrer Nah rung wichtige Grundelemente fehlten. »Sie behaupten, daß sie unter diesen Be dingungen nicht arbeiten können. Als ob das eine Rolle spielt. Sie haben ihre Pflicht zu tun, ob es ihnen nun paßt oder nicht.« »Vielleicht ist es medizinisch notwendig, daß sie diese Elemente bekommen«, wandte Elles ein. »Medizinisch notwendig«, rief Artin är gerlich. »Daß ich nicht lache. Diese Kreatu ren begehren nur auf, weil Skaddos sich ein gemischt hat. Bei ihm fehlt es an der nötigen Härte. Und ohne die kommen wir nicht wei ter. Man muß mit eiserner Hand durchgrei fen und den Widerstand brechen.« Elles, der selbst stets für Härte war, ver suchte, Artin davon zu überzeugen, daß in diesem Fall zumindest nähere Informationen eingeholt werden mußten. »Vielleicht ist es ein Fehler, ihre Forde rungen nicht zu beachten«, sagte er. »Wir müssen Chirmor Flog den Fall zur Entscheidung vorlegen«, stellte Artin fest. »Lexa ist wichtig für uns alle. Die Kontrolle darüber darf auf keinen Fall verlorengehen.« »Das ist eine Chance für dich«, sagte El les, »du kannst dich direkt an Chirmor Flog wenden und ihm den Fall vortragen. Du kannst ihn um eine Entscheidung bitten.« Artin schnaufte verächtlich. »Ich weiß, wie der Neffe sich entscheidet. So, wie er es immer getan hat. Er befiehlt, mit eiserner Hand durchzugreifen und den Widerstand gewaltsam zu brechen.« »Davon bin ich noch nicht überzeugt.« »Dann kennst du den Neffen schlecht. Ich fürchte sogar, daß er Lexa von allen Noots säubern und andere Noots einfliegen läßt, um das Übel mit der Wurzel zu beseitigen.« Elles dachte einige Sekunden lang über das nach, was Artin gesagt hatte. Dann ant wortete er: »Ja, du hast recht. Das ist die
21 Entscheidung, die Chirmor Flog treffen wird. So hat er es immer gehalten.« »Ich werde ihn fragen«, erklärte Artin. »Hoffentlich gelingt es mir, an Skaddos vor beizukommen.« Es gelang ihm nicht. Artin bekam noch nicht einmal eine Verbindung mit Skaddos, und schon gar keine mit dem Neffen. Man wimmelte ihn mit einer Reihe von Argu menten ab, die ihm fadenscheinig erschie nen. »Das verstehe ich nicht«, sagte Elles, als der Kommandant die Bildfunkverbindung abgebrochen hatte. »Aber ich«, antwortete Artin. »Ich spüre, daß da etwas faul ist.« »Was willst du damit sagen?« »Ich fürchte, Skaddos geht zu weit. Ich glaube, Skaddos bildet sich ein, daß er noch mehr Macht ausüben kann.« »Du meinst, er könnte versuchen, alle Macht an sich zu reißen?« »Er sieht Chirmor Flog fast stündlich. Er weiß, wie schwach und anfällig dieser zur Zeit ist, und er könnte in Versuchung kom men, diese Schwäche zu nutzen. Er hat ge gen mich intrigiert. Warum sollte er nicht auch gegen Chirmor Flog intrigieren? Wa rum sollte er nicht versuchen, diesen zu stür zen und die Macht selbst zu übernehmen?« »Das sind gefährliche Spekulationen.« »Ich weiß, aber sie liegen auf der Hand.« Artin schwieg einige Minuten. Dann fuhr er fort: »Wir müssen uns jetzt genau überlegen, was wir tun, Elles. Wir müssen uns entschei den. Wenn wir einfach nur abwarten, könnte es in einigen Tagen zu spät sein. Wenn es Skaddos gelingt, an die Macht zu kommen, wird er als erstes das Todesurteil über uns beide aussprechen. Das ist ganz sicher.« »Was schlägst du vor?« fragte sein Stell vertreter. Artin erhob sich. »Wir treffen alle notwendigen Vorberei tungen, damit wir den Kampf aufnehmen können.«
*
22 Die Alarmmeldungen aus Lexa häuften sich. Artin entschloß sich, Elles zu den Noots zu schicken, untersagte ihm jedoch vorläufig ein hartes Durchgreifen. Zugleich bemühte er sich, Chirmor Flog zu erreichen. Er zö gerte die Entscheidung bewußt heraus, weil er wissen wollte, ob es ihm gelingen würde, an Skaddos vorbeizukommen. Gleichzeitig hoffte er, Hinweise darauf zu bekommen, ob Skaddos ein Attentat auf den Neffen plante. Er versuchte, einen Agenten in die Reihen des Rivalen einzuschleusen. Aber das gelang ihm nicht. Skaddos schickte ihm die Leiche des Agenten kommentarlos zurück. Elles be richtete aus Lexa, einem Kontinent auf der südlichen Halbkugel von Säggallo, daß die Noots sich in einem Bergwerk eingeschlos sen hatten und sich weigerten, mit ihm zu verhandeln. Sie bestanden auf einem Ge spräch mit Chirmor Flog. Artin raste vor Wut. »Wir hätten das Problem längst vom Tisch, wenn dieser Narr von Skaddos nicht wäre. Wenn ich nicht fürchten müßte, daß er ge gen den Neffen vorgeht, hätte ich Lexa aus geräuchert.« »Ist Chirmor Flog immer noch nicht zu sprechen?« fragte der Stellvertreter, mit dem Artin über Funk verbunden war. »Bis jetzt nicht. Ich werde gleich noch einmal anfragen.« Artin besprach noch einige andere Dinge mit Elles, dann schaltete er ab und rief die TopeyaWiege. Er erwartete, daß Skaddos sich melden würde, so wie es in den letzten Tagen stets gewesen war. Doch zu seiner Überraschung ertönte die schwache Stimme des Neffen aus den Lautsprechern. Der Bild schirm blieb jedoch dunkel. »Artin?« fragte Chirmor Flog. »Wie ich höre, bemühst du dich schon seit längerer Zeit, mich zu sprechen. Nun, ich hatte viel zu tun. Was gibt es?« Artin berichtete erregt über die Vorfälle in Lexa und die meuternden Noots. »Ich schlage vor, sie auszuräuchern und durch andere zu ersetzen«, schloß er.
H. G. Francis »Damit wäre das Problem gelöst.« »Warum hast du es noch nicht getan?« »Ich wollte nicht allein entscheiden.« »Das ist gut«, sagte Chirmor Flog lobend. »Es wäre falsch gewesen, die Noots umzu bringen. Du solltest zumindest prüfen, ob sie nicht doch recht haben. Vielleicht benötigen sie tatsächlich, was sie fordern, um existie ren zu können.« Artin glaubte, sich verhört zu haben. Alles hatte er erwartet, nur nicht eine der artige Antwort von Chirmor Flog, der noch niemals daran gedacht hatte, Kompromisse zu schließen. Stets hatte der Neffe Aufleh nung mit gnadenloser Härte erwidert. Er hat lieber eine falsche Entscheidung in Kauf ge nommen, auch wenn diese tödlich für andere war, als irgendwo nachzugeben. Wieso hatte sich das plötzlich geändert? »Sie hätten ihre Wünsche in anderer Form vorbringen müssen«, erklärte Artin. »Wo kommen wir hin, wenn sich alle so verhal ten? Dann haben wir Chaos und Anarchie in der ganzen Galaxis. Wir müssen hart blei ben, oder alle anderen werden ebenfalls auf begehren.« »Vielleicht hatten die Noots keine andere Möglichkeit, uns zu sagen, was sie brau chen, weil wir einfach nicht zugehört ha ben?« Diese Worte waren wie ein Schock für den Scuddamoren, zeigten sie doch, daß Chirmor Flog an sich selbst zweifelte. Artin antwortete mühsam: »Selbstverständlich. So wird es sein. Ich er ledige das Problem in Ihrem Sinn.« Er war froh, daß Chirmor Flog abschalte te. Aufatmend lehnte er sich im Sessel zu rück. Jetzt stand für ihn fest, daß mit dem Neffen etwas nicht in Ordnung war. Chirm or Flog hatte sich grundlegend verändert, und daran konnte nur Skaddos schuld sein. Artin war erschüttert. Er sah tatsächlich chaotische Zustände auf sich zukommen. Er fürchtete sich vor dem nächsten Zwischenfall, der unweigerlich kommen und eine weitere Entscheidung er fordern würde. Bisher hatte er stets gewußt,
Der Arkonide und der Herrscher was er zu tun hatte. Jetzt aber wurde er unsi cher. Härte hatte sich als ein vorzügliches Mittel der Machtausübung erwiesen, selbst dann, wenn sie teilweise Unschuldige traf und damit ungerecht war. Dabei nahm er sich selbst keineswegs aus. Sie hatte aber al len von vornherein deutlich gemacht, daß es sinnlos war, sich gegen den Neffen aufzu lehnen. Damit war es vorbei, sobald sich herum gesprochen hatte, daß die Noots nicht au genblicklich bestraft worden waren. Ein Rufsignal ertönte. Artin schaltete das Videogerät ein und meldete sich. Auf dem Bildschirm erschie nen die schattenhaften Umrisse eines ande ren Scuddamoren. An der unteren Bildleiste wurde eine Zahl und der Name Cosma ein geblendet. Artin wußte, daß er es mit einer Flotte von Raumschiffen aus einem anderen Bereich der Schwarzen Galaxis und ihrem Oberkommandierenden Cosma zu tun hatte. Cosma erbat die Landungserlaubnis für die gesamte Flotte auf Säggallo. »Für die gesamte Flotte?« fragte Artin überrascht. »Das kommt nicht in Frage. Das Flaggschiff erhält Landeerlaubnis. Sonst niemand.« Er schaltete ab und wandte sich anderen Arbeiten zu. Doch schon nach Sekunden meldete sich die Funk und Ortungsleitstation von Säggallo. »Cosma läßt sich nicht abweisen«, teilte ihm einer seiner Untergebenen mit. »Er be steht darauf, mit der gesamten Flotte landen zu dürfen. Er behauptet, einen so hohen Rang zu bekleiden, daß er ein Recht darauf hat, bei einem Besuch bei Chirmor Flog mit allen Einheiten seiner Flotte auf dem Plane ten vertreten zu sein.« Artin tippte einige Daten in die Tastatur seines Computers. Unmittelbar darauf er schien der Name Cosma im Bildfeld. Dar über hinaus lieferte der Computer eine Reihe von Informationen über den Kommandan ten. Dieser war danach keineswegs so be deutend, wie er behauptete. Er galt jedoch als ein Mann mit besonderen Machtansprü
23 chen. Er war eitel und versuchte stets und überall herauszustreichen, wie wichtig er war. Artin erfuhr, daß Chirmor Flog den Kom mandanten Cosma zu wichtigen militäri schen Beratungen eingeladen hatte und auf ihn wartete. Zugleich informierte ihn der Funk und Ortungsleitstand, daß die gesamte Flotte zur Landung angesetzt hatte. Artin ließ sich mit Cosma verbinden. »Gehen Sie sofort auf einen anderen Kurs«, befahl er. »Sie haben sechzig Sekun den Zeit. Danach eröffnen wir das Feuer auf Sie.« Er schaltete ab und rief Chirmor Flog, um sich die Entscheidung absegnen zu lassen. Der Neffe war zu einem Gespräch bereit, schien jedoch etwas unwillig über die Stö rung zu sein. Artin berichtete. »Natürlich haben wir derartige Massen landungen bisher stets abgelehnt«, erwiderte Chirmor Flog mit leiser, kaum verständli cher Stimme. Er schien unendlich müde zu sein. »Lohnt sich deshalb aber ein Konflikt mit einem unserer besten und treuesten Mili tärs?« Artin verschlug es den Atem, obwohl er insgeheim schon mit einer solchen Antwort gerechnet hatte. Noch vor einigen Tagen hätte der Neffe ohne Zögern einen militäri schen Konterschlag befohlen und Cosma seines Amtes enthoben. »Ich habe schon bei dem Aufstand der Noots gewarnt«, sagte Artin besorgt. »Und jetzt warne ich noch einmal. Cosma ist ein Angeber. Er will auffallen um jeden Preis, und er wird die Gelegenheit nutzen, in der gesamten Galaxis damit zu prahlen, daß er seinen Willen dem Neffen gegenüber durch gesetzt hat.« »Du übertreibst«, antwortete Chirmor Flog. »Laß ihn landen. Ich will keinen offe nen Kampf. Cosma wird eine Rüge von mir einstecken, die ihm zu schaffen machen wird.« Mit diesen Worten stürzte er Artin in maßlose Verwirrung. Der ScuddamorenKommandant war ein glühender Verehrer
24 des Neffen. Daran hatte sich auch nichts ge ändert, nachdem er seines Postens in der Zentralfestung enthoben worden war. An Chirmor Flog hatte er die klare Linie seiner Entscheidungen und auch die kompromißlo se Härte geschätzt, mit der er sich durchzu setzen pflegte. Daher war ihm sein jetziges Verhalten vollkommen unerklärlich. Flüchtig dachte er daran, daß es mit dem Fremden im goldenen Anzug zusammenhän gen könne, doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder. Er erschien ihm zu abwe gig. Artin setzte zu einem erneuten Protest an, doch Chirmor Flog ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. Er schaltete ab. In ohnmächtigem Zorn beobachtete Artin, wie die Flotte Cosmas sich auf den Raumha fen herab senkte und dabei keinerlei Rück sicht auf andere Raumschiffe oder auf Ein richtungen des Hafens nahm. Cosma richtete beträchtliche Schäden an. Als das Dröhnen und Heulen der Trieb werke verstummt war, meldete er sich bei Artin. »Wo bleiben die Gleiter?« fragte Cosma hochmütig. »Wir haben es eilig, zum Neffen zu kommen. Haben Sie Ihre Organisation nicht im Griff? Erwarten Sie etwa von uns, daß wir unsere eigenen Gleiter einsetzen?« »Sie können froh sein, daß Sie noch le ben«, erwiderte Artin mühsam beherrscht. »Wir haben uns buchstäblich in letzter Se kunde dafür entschieden, Ihre Flotte nicht abzuknallen.« »Was hat das mit den Gleitern zu tun?« fragte Cosma. »Wo bleiben die?« Artin schaltete zornig ab. Das Verhalten des Flottenkommandanten zeigte ihm an, daß er recht hatte. Milde wal ten zu lassen, war falsch und hatte augen blicklich Disziplinlosigkeiten zur Folge. »Eines garantiere ich dir, Elles«, sagte er zu seinem Stellvertreter, obwohl der gar nicht im Raum war und ihn hören konnte. Er pflegte ihn bei Selbstgesprächen häufiger anzusprechen. »Wenn sich das nicht ganz schnell ändert, und Chirmor Flog nicht zu
H. G. Francis seiner Linie zurückfindet, dann greife ich ein. Skaddos täuscht sich, wenn er meint, sich am Neffen vergreifen zu können. Das dulde ich nicht.« Er tippte einige Tasten an einem anderen Gerät und erteilte den Befehl, Cosma und seine Scuddamoren mit Gleitern abzuholen und zu Chirmor Flog zu fliegen. Danach be gann er mit einem schriftlichen Bericht an den Neffen, in dem er schilderte, was vorge fallen war. Anschließend warnte er vor den Folgen, die sich seiner Ansicht nach aus der Nachgiebigkeit Cosma gegenüber ergeben mußten.
* Atlan beobachtete enttäuscht, daß sich zu nächst gar nichts tat. Chirmor Flog reagierte nicht in der er hofften Weise auf den Zellaktivator. Sein gesundheitlicher Zustand verbesserte sich zwar deutlich schon innerhalb der ersten Stunden, doch an seinem Charakter schien sich nichts zu ändern. Im Gegenteil. Die Impulse des Aktivators schienen für ihn geradezu ein Labsal zu sein. Atlan war enttäuscht vom Zellaktivator und somit auch von ES, von dem er das Ge rät hatte. Sein Schicksal schien besiegelt zu sein. Chirmor Flog erklärte noch einmal, daß er ihn ständig in seiner Nähe haben wollte, da mit der Aktivator immer optimal funktio nierte. Atlan verfolgte viele der Gespräche, die der Torso mit allen Teilen der Schwarzen Galaxis führte. Er verstand zunächst nur we nig. Doch das änderte sich im Verlauf der nächsten Tage. Während dieser Zeit grübelte er ergebnislos darüber nach, wie er sich aus seiner Lage befreien konnte. Er verspürte nicht die geringste Lust, in der Nähe Chirm or Flogs zu bleiben. Als der Neffe einige Entscheidungen traf, die aus der Sicht des Arkoniden an Brutalität nicht zu überbieten waren, schaltete er sich
Der Arkonide und der Herrscher ein. Er versuchte, Chirmor Flogs Überlegun gen in andere Bahnen zu lenken, doch das gelang ihm nicht. Der Krüppel verbat sich jede Einmischung. Dennoch gab der Arkonide nicht eher auf, bis Chirmor Flog ihm wütend schwere Stra fen androhte. Am nächsten Tag versuchte Atlan aber mals, den Neffen zu menschlicheren Ent scheidungen zu bewegen. Wiederum ohne Erfolg. Am Tag darauf aber hörte ihm Chirmor Flog zu und revidierte schließlich einen Be fehl, der einigen seiner Untergebenen das Leben gekostet hätte. Skaddos erschien wenig später bei ihm und protestierte, doch der Neffe schickte ihn hinaus. Ermutigt äußerte der Arkonide seine An sicht zu einem anderen Problem, und wie derum ließ der Neffe ihn nicht nur ausspre chen, sondern befolgte sogar seinen Rat. Abermals meldete sich Skaddos. Er mach te Chirmor Flog Vorhaltungen, scheiterte je doch mit seinen Bemühungen. Atlan bat, Gara Tin vorzulassen. »Die Frau ist eine große Verehrerin von Ihnen«, erklärte er. »Sie hat zahllose Opfer gebracht, um dem Mann zu helfen, den sie liebt. Es kann nicht schaden, sie zu Wort kommen zu lassen.«
5. Gara Tin trat ein. Sie blickte erst Atlan an, dann den Torso in dem blitzenden Metallgerüst. Sie war entsetzt. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß der Neffe so aussah. Sie hatte sich eine ganz an dere Vorstellung von ihm gemacht, und stellte nun ernüchtert fest, daß Chirmor Flog kein verehrungswürdiges und beneidenswer tes Geschöpf war. Sie merkte, daß sie ihre Gefühle allzu deutlich zeigte. Verängstigt senkte sie den Kopf. »Ich bin Gara Tin«, erklärte sie. »Ich bin
25 die Frau des Gara Tin-Torrestak, des Herr schers von Restak, der dir stets ein treuer Diener war und dich niemals hintergangen hat.« »Ich kenne diese Geschichte«, entgegnete Chirmor Flog gelangweilt. »Du brauchst nicht alles zu wiederholen. Ich habe mich bereits mit dem befaßt, was du sagen willst.« »Dann kann ich hoffen, daß du mir helfen wirst?« Der winzige Mund des Neffen verzerrte sich. »Es tut mir leid«, antwortete er. »Bei dei nem Mann ist uns ein Irrtum unterlaufen. Ich weiß heute, daß er unschuldig ist und keine Bestrafung verdient hatte.« Gara Tin hob den Kopf. Ihre Augen leuchteten. Das Geständnis des Neffen überraschte sie. Atlan vermutete, daß Chirmor Flog oder irgendeiner seiner Stellvertreter noch nie mals offen zugegeben hatte, sich geirrt zu haben. »Wenn es so ist«, sagte sie freudig erregt, »gib mir meinen Mann wieder.« Sie blickte Atlan triumphierend an. Ihre Augen verrieten ihm, was sie dachte. Siehst du! Es hat sich gelohnt. Es war richtig, daß ich meinem Mann gefolgt bin. »Das würde ich gern tun«, erklärte Chirmor Flog, »leider kann ich es nicht.« Gara Tin erbleichte. Seine Worte wirkten wie eine kalte Dusche auf sie. »Ich verstehe nicht«, sagte sie stammelnd. »Du kannst alles. Du bist Chirmor Flog, der Neffe des Dunklen Oheims. Was du willst, das wird Wirklichkeit.« »In diesem Fall leider nicht«, antwortete er. »Dein Mann ist tot, und Tote kann selbst ich nicht mehr zum Leben erwecken. Es ist zu spät.« Gara Tins Schultern sanken nach vorn. Atlan glaubte, sehen zu können, daß die Wangen der jungen Frau einfielen. »Das ist nicht wahr«, sagte sie mühsam. »Er ist nicht tot. Er lebt. Ich weiß es. Ich weiß, daß er unter dem Namen Artin als
26 Scuddamore lebt.« Chirmor Flog griff mit einer seiner künst lichen Hände behutsam nach dem Zellakti vator und verlagerte ihn um einige Zentime ter. »Du irrst dich, Gara Tin«, erwiderte er. »Artin ist eine künstliche Persönlichkeit. Sie hat nicht das geringste mit deinem Mann zu tun. Dein Mann ist tot. Ich kann nichts für dich tun, als dir die Wahrheit zu sagen.« Gara Tin stiegen Tränen in die Augen. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie wollte nicht glauben, was sie gehört hatte. Sie wollte nicht wahrhaben, daß ihr Opfergang umsonst gewesen war. »Nein, nein«, rief sie. »Das ist nicht wahr. Du willst Artin nur nicht freigeben. Aber warum? Du hast ihn degradiert, weil Skad dos gegen ihn intrigiert und dich belogen hat. Du duldest ihn nicht mehr in deiner Nä he. Was willst du noch von ihm? Entlasse ihn in seine Heimat!« »Du gehst zu weit«, warnte er sie. »Ich glaube dir nicht eher, bis ich Artin ohne den schwarzen Schild gesehen habe. Zeige ihn mir, und ich weiß, ob er mein Mann Gara Tin-Torrestak ist oder nicht.« »Das Gespräch ist beendet«, erklärte Chirmor Flog, und Atlan spürte, daß so et was wie Mitleid in seiner Stimme mitklang. Das waren für ein Wesen wie den Neffen völlig ungewohnte Töne. Der Arkonide be griff, daß der Zellaktivator doch Wirkung zeigte, wenngleich diese ganz anders war, als er erwartet hatte. Bei einem so durch und durch negativen Geschöpf wie Chirmor Flog war ein sofortiger Erfolg jedoch auch nicht zu erhoffen gewesen. »Ich gehe nicht«, rief sie leidenschaftlich. Die Tür öffnete sich. Zwei Scuddamoren in roten Energieschilden traten ein. »Bringt sie hinaus«, befahl der Neffe. »Gebt ihr etwas, damit sie vergißt. Sie soll nach Restak zurückkehren und dort als mei ne Vertreterin herrschen.« »Niemals«, schrie sie. »Ich werde niemals wieder etwas für dich tun. Mörder. Bestie.« Bevor irgend jemand sie halten konnte,
H. G. Francis stürzte sie sich auf Chirmor Flog. Sie war wie von Sinnen. Die Nachricht vom Tode des Mannes, den sie über alles liebte, war ein Schock für sie. Sie wußte nicht mehr, was sie tat. Mit bloßen Händen griff sie den Neffen an. Sie versuchte, das Lebenserhal tungssystem zu erreichen, das sich hinter seinem Kopf befand. Doch jetzt zeigte Chirmor Flog, was seine Prothese taugte. Blitzschnell konterte er. Sieben Metallhände griffen gleichzeitig nach Gara Tin und schleuderten sie kraftvoll zu rück. Die junge Frau wäre mit gefährlicher Wucht gegen die Wand geprallt, wenn Atlan sie nicht aufgefangen hätte. Er stürzte mit ihr zu Boden. Sie befreite sich, indem sie wild um sich schlug, und sprang auf. Sie wollte sich erneut auf Chirm or Flog werfen. In ihrer blinden Wut erkann te sie nicht, wie aussichtslos ein solcher Ver such war. Atlan hielt sie fest. »Es reicht«, sagte er. »Denken Sie nicht nur an sich. Wenn Sie wirklich so etwas wie eine Herrscherin sind, dann nehmen Sie Rücksicht auf die, für die Sie die Verantwor tung tragen.« »Das kostet dich das Leben, Gara Tin«, rief Chirmor Flog haßerfüllt. »Noch nie hat jemand gewagt, mich anzugreifen.« »Noch nie?« schrie sie höhnisch zurück. »Und warum bist du ein Krüppel? Wer hat dich bis zur Unkenntlichkeit verbrannt?« Der Neffe antwortete nicht. Seine zum Würgegriff erhobenen Metallhände verharr ten jedoch zögernd vor ihr. »Sie ist schwach und klein«, sagte Atlan ruhig. »Du bist groß, mächtig und ihr weit überlegen. Du hast es nicht nötig, sie zu zer treten. Ihre Worte erreichen dich ja noch nicht einmal.« Chirmor Flog wich zurück. Er atmete laut und keuchend. In seinen Augen stand ein ei genartiges Licht, das Atlan nicht zu deuten wußte. »Du hast recht«, entgegnete er. »Sie ist es nicht wert, daß ich sie anfasse.« Einige Scuddamoren kamen in den Raum.
Der Arkonide und der Herrscher Chirmor Flog befahl ihnen, Gara Tin zum Ausgang der Schlucht zu bringen und in Richtung Raumhafen abzuschieben. »Soll sie sich von mir aus Artin noch ein mal ansehen«, sagte er verächtlich. »Sie wird schon sehen, was er von ihr hält.« Der rote Scuddamore zeigte auf einen kleinen, verrosteten Gleiter. »Steige ein und verschwinde«, sagte er zu Gara Tin. Diese blickte ihn unsicher an. »Mit dem Ding?« fragte sie. Die Fensterscheiben des Gleiters waren zerbrochen. Das Verkleidungsmaterial der Maschine wies Risse und Löcher auf. Die junge Frau wagte nicht, einen Blick auf das Antriebsaggregat zu werfen, doch sie ahnte bereits, wie es um dieses stand. »Du kannst auch zu Fuß gehen«, entgeg nete der Scuddamore. »Dann kommst du un gefähr dreihundert Meter weit. Danach erwi schen dich die Felsratten.« Gara Tin öffnete die Tür des Gleiters. Sie fiel ihr aus der Hand und kippte auf den Bo den. Die Frau tat, als habe sie nichts be merkt. Sie setzte sich hinter die Steuerele mente und startete. Ächzend erhob sich die Maschine in der Luft. Sie rüttelte und zitter te, als werde sie gleich wieder abstürzen. »Na schön«, sagte Gara Tin zu dem Scud damoren. »Ich habe es ja nicht anders ge wollt.« Sie lenkte den Gleiter steil nach oben. Er stieg bis in eine Höhe von etwa hundert Me tern an. Dann beschleunigte Gara Tin. Sie sah sich nicht um. Das waffenstarren de Tal, das den Eingang zu der festungsarti gen Zentrale des Neffen bildete, blieb rasch hinter ihr zurück. Gara Tin wußte nicht, wie sie sich orientieren sollte. Sie hatte nicht darauf geachtet, wie Artin mit seinem Glei ter von der schwarzen Burg hierhergeflogen war. Daher versuchte sie nach einiger Zeit, Funkverbindung mit ihm zu bekommen. In der ersten Stunde hatte sie keinen Er folg. Sie war nahe daran, aufzugeben. Dann aber meldete sich ein Scuddamore, der sich als Elles bezeichnete.
27 Gara Tin verlangte, Artin zu sprechen. »Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn«, behauptete sie. »Ich bin sicher, daß er sich für sie interessiert.« »Warte«, erwiderte Elles und gab ihr ein Peilzeichen, nach dem sie sich richten konn te. Sie flog durch eine dichte Regenwand, die ihr eine Sicht von nicht mehr als etwa hundert Metern erlaubte. Der Fahrtwind peitschte ihr das Wasser durch die offenen Scheiben ins Gesicht. Doch das störte sie nicht. Sie hatte nur einen Gedanken. Sie wollte sich rächen. Sie wollte Chirmor Flog für das bestrafen, was seine Leute in seinem Auftrag getan hatten. Sie hatten ihren Mann getötet und sie damit um alles gebracht, was ihr etwas bedeutete. Dafür sollte der Neffe bezahlen. Gara Tin glaubte zu wissen, daß Artin ein Verbündeter war. Hatte er nicht ebenfalls unter den Maßnahmen des Neffen gelitten? War er nicht ein wichtiger und ein flußreicher Kommandant gewesen, bis Skaddos gekommen war und ihn mit Intri gen aus der Festung Chirmor Flogs gehebelt hatte? Etwa eine Stunde verstrich. Hin und wieder setzte das Antriebsaggre gat des Gleiters aus. Immer wieder erschrak Gara Tin bis ins Mark, wenn die Maschine plötzlich in die Tiefe stürzte, doch jedesmal gelang es ihr, sie wieder abzufangen und in die Höhe zu führen. Sie berichtete Elles, wie es um den Gleiter stand. »Wenn nicht bald jemand kommt und mich holt, schaffe ich es nicht bis zu Artin«, sagte sie. »Dann wird er nicht erfahren, was Ungeheuerliches in der Festung des Neffen geschehen ist.« Sie verstand es vorzüglich, die Neugierde Artins anzustacheln. Als er sich über Funk meldete, und ihr Fragen stellte, machte sie einige geheimnisvolle Bemerkungen, die ihn in helle Aufregung versetzten. Sie spürte deutlich, daß er ein Anhänger des Neffen war. Sie schilderte den Zustand des Gleiters. »Ich bin sicher, daß er noch einige Minu
28 ten lang durchhält«, sagte sie, »dann aber ist es aus. Also holt mich endlich.« Artin gab ihr allerlei Ratschläge, die sie genau befolgte. Danach gelang es ihr tat sächlich, den Flug der Maschine zu stabili sieren. »Elles kommt dir entgegen«, erklärte der Kommandant. »Du wirst ihn bald sehen.« Wenige Minuten vergingen, dann tauchte, eine große, schwarze Maschine aus dem Re gen auf. Sie näherte sich ihr, glitt an ihr vor bei und kehrte gleich darauf zu ihr zurück. Sie flogen parallel zueinander weiter. Elles führte seinen Gleiter noch dichter an den Gara Tins heran. Sie sah einige Schattenge stalten in einer offenen Tür neben sich. »Komm herüber zu uns«, rief ihr einer der Scuddamoren zu. Vorsichtig ließ Gara Tin die Steuerele mente ihrer Maschine los und schob sich zur Seite. Die beiden Gleiter flogen so dicht ne beneinander, daß sie sich berührten. Die Frau streckte die Arme aus. Die Scuddamo ren ergriffen sie und zogen sie zu sich her über. Kaum war Gara Tin in dem Panzergleiter, als ihre Maschine plötzlich den Dienst ver sagte und wie ein Stein in die Tiefe stürzte. Betroffen blickte sie ihr nach. Sie sah, daß der Gleiter in den roten Wald fiel und im Gestrüpp verschwand. Ein großer, düsterer Scuddamore kam auf sie zu. »Ich bin Elles«, erklärte er in hartem, schwerfällig klingenden Garva-Guva. »Ich werde dich zu Artin bringen.« Er hielt Wort. Schon bald darauf landete der Gleiter auf einem der Dächer der schwarzen Festung. Elles führte die junge Frau ins Innere des Gebäudes, das sie recht gut kannte, weil sie einige Tage hier ver bracht hatte, bevor es ihr gelungen war, bis zu Chirmor Flog vorzudringen. Bald darauf saß sie Artin in einem mit Kommunikationsgeräten bis unter die Decke gefüllten Raum gegenüber. »Was ist los?« fragte der Düstere. »Warum bist du zurückgekommen?«
H. G. Francis Gara Tin schilderte, was sie erlebt hatte, seit sie die Festung betreten hatte. Sie sagte Artin, wo Chirmor Flog lebte, und wie er aussah. Sie spürte, daß er ihr aufmerksam zuhörte und sie verzichtete darauf, ihren Be richt unnötig auszumalen. Die Tatsachen al lein waren schon erregend genug für Artin. Doch schien ihn nicht zu beeindrucken, daß der Neffe nur noch ein Krüppel war, der oh ne die Hilfe der modernen Medizin und Technik nicht mehr leben konnte. »Das ist unwichtig«, sagte er. »Es kommt allein auf die geistige Leistung an.« »Du hast recht«, erwiderte sie. »Das allein ist entscheidend. Aber Chirmor Flog ist eben nicht mehr derjenige, der er früher einmal war. Ich habe ihn angegriffen. Ich wollte ihn töten. Ich hielt das Lebenserhaltungssystem schon in Händen. Ein einziger Griff hätte genügt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Dann aber packte er mich mit seinen künstli chen Händen und schleuderte mich zur Sei te.« »Du lügst.« »Warum sollte ich lügen?« »Du lügst, denn wenn du das wirklich ge tan hättest, wärest du nicht hier. Chirmor Flog hätte dich umgebracht.« Sie lachte. »Ja, früher. Aber das hat sich geändert. Ich sagte doch, daß der Neffe anders ist als früher. Er ist nicht mehr derjenige, seit …« Sie zögerte. »Seit … wann?« »Seit Skaddos Kommandant bei ihm ist. Skaddos beeinflußt jede seiner Entscheidun gen. Skaddos war auch bei ihm, als ich ver suchte, ihn zu töten. Skaddos hat ihn zurück gehalten, als er mich dafür bestrafen wollte. Skaddos hat Milde gepredigt, und Chirmor Flog hat Milde walten lassen. Ich bin ihm dankbar dafür, denn sonst wäre ich jetzt tot.« Gara Tin hatte nicht die geringste Ahnung davon, was in den letzten Tagen geschehen war. Sie wußte nichts von einem Streik der Noots oder von dem provozierenden Auftre ten des eitlen Flottenkommandanten Cosma.
Der Arkonide und der Herrscher Aber sie spürte mit den feinen Sinnen einer Frau, daß Artin nach Motiven suchte, Skad dos anzugreifen. Sie ahnte, daß er mit dem Gedanken spielte, sich das Oberkommando über die Festung des Neffen mit einem mili tärischen Handstreich zurückzuerobern. Sie fühlte, daß er zögerte, weil er glaubte, noch keinen ausreichenden Grund für eine derarti ge Tat zu haben. Sie wollte ihm diesen Grund liefern, weil sie hoffte, daß ein militärischer Schlag ge gen die Festung das Ende Chirmor Flogs be deutete. Sie wußte jedoch, daß sie vorsichtig sein mußte. Artin war absolut loyal zu Chirmor Flog. Er dachte nicht im entferntesten daran, ge gen den Neffen vorzugehen. Dieser war al les, was er verehrte. Für ihn war er bereit, durchs Feuer zu gehen. Seine Haltung war vergleichbar mit jener, die sie selbst vor dem letzten Gespräch mit dem Neffen eingenom men hatte. Sie haßte nur noch, aber sie wußte, daß Artin keinen derartigen Sinneswandel durch machen würde. Bei ihm fehlten die Voraus setzungen. »Chirmor Flog hat mir klargemacht, daß mein Mann tot ist«, sagte sie. »Lange Zeit habe ich geglaubt, daß du mein Mann bist, Artin. Ich glaubte, daß zwei Persönlichkei ten in dir lebten, und daß eine davon die meines Mannes sei.« »Ich habe so getan, als sei etwas dran an dieser Überlegung«, entgegnete er. »Aber das war nicht richtig. Ich weiß deinen Na men, weil du ihn mir gesagt hast. Ansonsten weiß ich nichts von dir und deiner Welt. Ich habe keine Ahnung, wer dein Mann war. Er ist ein Fremder für mich. Es gibt keine Ver bindung zwischen uns, und es ist gut, wenn du das endlich begreifst.« »Warum hast du so getan, als sei da et was?« »Ich habe dich ausgenutzt. Weiter nichts.« »Würdest du mir einen Gefallen tun?« »Wenn ich kann – ja.«
29 »Schalte den Schild aus. Ich möchte deine wahre Gestalt sehen. Ich möchte wissen, ob da noch eine Ähnlichkeit mit meinem Mann ist.« Artin zögerte. Er schämte sich seiner Gestalt. Er wußte, daß er häßlich und abstoßend aussah. Und ihm war verboten, den Schild abzuschalten und sich einem anderen zu zeigen. In diesem Fall glaubte er jedoch, sich über das Verbot hinwegsetzen zu können. Es ging um Chirmor Flog, der unter den Einfluß des Kommandanten Skaddos geraten war. Er mußte den Neffen retten. Die Ereignisse der letzten Tage hatten gezeigt, daß der Neffe nicht mehr Herr seiner selbst war. Artin be fürchtete, daß einige weitere Entscheidun gen der Art, wie sie Chirmor Flog getroffen hatte, den Zusammenbruch der in Jahrtau senden aufgebauten Macht herbeiführen würden. Er überwand die Scham, und er setzte sich über das Verbot hinweg. Er schaltete den schwarzen Schild ab und zeigte sich in seiner wahren Gestalt. Gara Tin schrie entsetzt auf. Sie fiel auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. In ihr erstarb der letzte Hoffnungsfunke. Jetzt wußte sie, daß Chirmor Flog die Wahrheit gesagt hatte. Ihr Mann war tot. Chirmor Flog war der Mörder. Er hatte auch ihr Le ben zerstört. Als Gara Tin sich wieder er hob, war ihr Gesicht maskenhaft starr. Artin hatte den Schild wieder eingeschaltet. Er saß ihr gegenüber in einem Sessel. »Weiter«, sagte er ungeduldig. »Was ist noch geschehen? Was ist mit dem Fremden im goldenen Anzug?« »Da gibt es nicht viel zu berichten«, log sie. »Er ist ein Gefangener, wie ich es war. Er hat nicht den geringsten Einfluß auf Chirmor Flog.« »Was ist mit dem Gerät, das er bei sich hatte? Es hieß, damit könne jeder Kranke geheilt und jedes Wesen unsterblich ge macht werden.« »Das halte ich für Schwindel«, antwortete
30 Gara Tin. »Ich war die ganze Zeit mit Atlan zusammen. Er hat das Gerät nicht ein einzi ges Mal abgelegt. Und mit dem Neffen hat er auch noch nicht gesprochen.« Artin lehnte sich im Sessel zurück. »Es ist gut«, sagte er. »Ich glaube, ich weiß genug.« »Was wirst du tun?« fragte sie. »Angreifen«, erklärte er. »Ich werde die Festung angreifen und Skaddos in die Hölle schicken.« Er erhob sich und drückte einige Tasten an den Kommunikationsgeräten. Dann eilte er aus dem Raum. Gara Tin folgte ihm. Artin ging zu einer Halle, in der bereits etwa hundert Scuddamoren auf ihn warteten. Weitere kamen durch mehrere Zugänge her ein. Der Kommandant berichtete mit lauter Stimme, was geschehen war. Er schilderte, welche Zustände Gara Tin in der Festung des Neffen vorgefunden hatte, und er ließ die junge Frau erneut erzählen, was passiert war. Gara Tin konzentrierte sich auf das, was sie sagte. Kein Wort kam über ihre Lippen, ohne daß sie vorher genau darüber nachge dacht hatte. Sie wußte, daß Artin ihr auf merksam zuhörte und bei dem geringsten Widerspruch mißtrauisch werden würde. Es gelang ihr, alles so zu wiederholen, wie sie es dem Kommandanten zuvor direkt beschrieben hatte. Ihre Worte versetzten die Scuddamoren in heftige Erregung. Die Reaktionen Chirmor Flogs waren so ungewöhnlich, daß viele Scuddamoren der jungen Frau nicht glauben wollten. Doch Artin kam ihr zu Hilfe. Er er läuterte, was er selbst mit dem Neffen erlebt hatte. Er verstand es, die Scuddamoren ge gen Skaddos aufzuhetzen und ihm alle Schuld zuzuschieben. Er zeigte sich als her vorragender Demagoge. Mit seinen Worten versetzte er seine Leute in einen wahren Rausch. Bald wurden Rufe laut, die einen Sturmangriff auf die Festung forderten. »Einen offenen Angriff können wir uns nicht leisten«, erwiderte der Kommandant. »Wir können die Abwehrbatterien nicht
H. G. Francis überwinden. Skaddos würde uns mit dem größten Vergnügen zusammenschießen, noch bevor wir uns der Festung auf weniger als zwanzig Kilometer genähert haben. Wir müssen einen anderen Weg finden. Wir dür fen unsere wahren Absichten erst zeigen, wenn wir direkt vor der Festung gelandet sind, sonst sind wir gescheitert, bevor wir begonnen haben.« Gara Tin nickte unwillkürlich. Sie dachte an das, was sie gesehen hatte. Artin hatte recht. Nur mit einem Trick waren die waffenstarrenden Anlagen zu überwin den. Elles kam ihm entgegen, als Artin seinen Arbeitsraum betrat. »Cosma hat sich wieder gemeldet«, teilte er ihm mit. »Er will Chirmor Flog noch ein mal sprechen, und der Neffe ist bereit, ihn zu empfangen.« »Na und?« fragte Artin irritiert. Er war es nicht gewohnt, daß Elles soviele Worte machte. »Cosma verlangt eine Ehreneskorte. Für mich ist sicher, daß er dich demütigen will.« »Eine Ehreneskorte«, wiederholte Artin. »Das ist die Chance, auf die wir gewartet haben. Er wird seine Eskorte bekommen, und er soll sich wundern, wie groß sie ist. Soll er glauben, daß ich vor ihm in die Knie gehe.« Artin ließ sich mit Cosma verbinden, der ihm hochmütig seine Forderungen auseinan dersetzte. Der Kommandant der schwarzen Festung tat, als bemerke er nicht, wie Cosma versuchte, ihn zu demütigen. Gelassen ging er über alle Provokationen hinweg und si cherte dem Flottenkommandanten zu, was er verlangte. Geschickt verstand er es, den Ehr geiz Cosmas anzustacheln, so daß dieser sei ne Forderungen höher und höher schraubte. Als Artin die Verbindung abbrach, war er mit sich zufrieden. »Der Narr ist auf mich hereingefallen«, stellte er vergnügt fest. »Er hat sich alles aufdrängen lassen, was ich ihm geben woll te, und glaubt nun noch, daß er mir alles aus der Nase gezogen hat. Ihm werden die Au
Der Arkonide und der Herrscher gen übergehen.« »Und Skaddos auch«, fügte Elles hoff nungsvoll hinzu. Die Vorbereitungen liefen an. Artin brauchte seine Scuddamoren nicht mehr zu motivieren. Sie waren ebenso zurückgestuft worden wie er, als Chirmor Flog ihn aus der Zentralfestung verwiesen hatte. Seitdem ging es ihnen ebenfalls nicht mehr so gut wie vorher. Sie hatten viele Einschränkun gen in Kauf nehmen müssen und sehnten sich nach dem wesentlich bequemeren Le ben zurück, das sie vorher geführt hatten. Zwei Stunden nach dem Gespräch der bei den Kommandanten stiegen zwanzig Pan zergleiter mit über fünfhundert Scuddamo ren auf. Durch die beschichteten Scheiben war von außen nicht zu erkennen, daß die Maschinen voll besetzt waren. Artin raste mit dem Pulk seiner Gleiter zum Raumhafen und wartete geduldig, bis Cosma mit einigen Maschinen seiner Flotte startete. Die Panzergleiter begleiteten diese bis zur Festung Chirmor Flogs in der Schlucht. Sie landeten an der gleichen Stelle, an der Artin auch mit Atlan angekommen war. Wiederum mußte Artin warten, während Cosma bereits über Funk begrüßt wurde. Schließlich aber kamen einige Scuddamo ren in roten Schilden. Artin gab den Befehl zum Angriff.
6. Atlan erkannte Skaddos in seinem hellrot leuchtenden Energieschild sofort, als der Scuddamore eintrat. Keiner der Roten war so groß wie er. Der Arkonide kauerte auf dem Boden. Er war einige Schritte von Chirmor Flog entfernt, der seit Stunden kein Wort zu ihm gesprochen hatte, während er in Funkverbindung mit zahllosen Persön lichkeiten der Schwarzen Galaxis stand. Der Neffe schien den Arkoniden vergessen zu haben. Murmelnd, flüsternd und wispernd gab er Befehle und Empfehlungen. Der Zel laktivator lag auf seinem Schädel. Als Skad
31 dos eintrat, seufzte der Neffe vernehmlich. »Was willst du?« fragte er schroff. Er war sichtlich ungehalten über die Stö rung. »Ich muß mit dir reden, Chirmor Flog«, antwortete der Scuddamore. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.« Der Neffe schaltete alle Funkverbindun gen ab. Das Flüstern, Wispern und Surren erstarb. Es wurde still im Raum. Im gleichen Maß, wie es ruhiger wurde, verstärkten sich die Gefühle der Topeya-Wiege. Atlan glaub te, eng mit ihr verbunden zu sein. Er spürte, wie unsicher die Pflanze war. Sie suchte Hil fe. Es schien, als benötige sie irgendwo An lehnung. Fehlte ihr der enge Kontakt mit Chirmor Flog? Lebte sie in einer Art Sym biose mit dem Neffen? Und war dieses Zu sammenleben durch den Zellaktivator ge stört? Der Verdacht drängte sich dem Arko niden auf, daß Chirmor Flog gar keine so negative Persönlichkeit war, wie es bisher den Anschein gehabt hatte, sondern daß das Böse von der Pflanze kam. Drängten nicht die Impulse des Zellaktivators das Negative zurück? Zwangen sie den Neffen nicht dazu, Kompromisse einzugehen und positive Ent scheidungen zu fällen? Atlan lehnte sich mit dem Rücken so fest gegen die Wand, daß er meinte, sie werde unter dem Druck nachge ben. Er konzentrierte sich zugleich auf das Gespräch zwischen Chirmor Flog und sei nem Festungskommandanten. »Das mußt du mir schon erklären«, erwi derte der Neffe und zeigte sich plötzlich freundlich und entgegenkommend. »Wieso weißt du nicht, was du tun sollst? Du hast klare Anweisungen bekommen, die du nur auszuführen brauchst. Das ist alles.« »Eben nicht«, sagte Skaddos. »Die An weisungen waren nicht klar und eindeutig, sondern widersprüchlich und teilweise ver worren, so daß nunmehr pausenlos Fragen aus allen Teilen Säggallos eingehen, was denn nun zu tun sei.« »Widersprüchlich?« Chirmor Flog schien nicht zu wissen, wovon der Kommandant sprach. »Das mußt du mir schon erklären,
32 wenn ich das akzeptieren soll.« »Ich will ein Beispiel aufführen«, erwi derte Skaddos. »Das Beispiel Cosma. Zu nächst wurde ein zweiter Besuch abgelehnt. Dann wurde ein zweiter Besuch erwünscht, ja, sogar vorgeschlagen, obwohl eigentlich schon alles besprochen ist, was zu bespre chen war. Dann wurde die Konferenz mit Cosma wieder aufgehoben, um zwei Stun den später wieder anberaumt zu werden. Cosma sollte ursprünglich allein in einem Gleiter kommen. Dann durfte er einige Be gleitpersonen, Wissenschaftler und Offizie re, mitbringen. Jetzt hat er eine riesige Es korte gefordert, und sie wurde ihm geneh migt, obwohl er keinen Anspruch auf eine derartige Ehrenbegleitung hat. Vor einigen Tagen noch wäre ein Kommandant, der sich etwas Derartiges herausgenommen hätte, in die Wüste geschickt worden. Heute gibt man ihm nach, und es würde mich nicht überra schen, wenn Sie jetzt alle Befehle widerru fen würden.« Atlan strich sich mit der Hand über den Mund. Er lächelte versteckt. Skaddos wandte sich an die falsche Adresse. Von Chirmor Flog konnte er keine erschöpfende Auskunft erwarten. Der Neffe ahnte nicht, daß der Zellaktivator schuld an seinem veränderten Geisteszustand war. Er sah nur, daß sich seine körperliche Verfas sung verbesserte. Der Arkonide bemerkte, daß die Worte des Scuddamoren Chirmor Flog verunsi cherten. Dieser war sich offensichtlich des sen nicht bewußt gewesen, daß er wider sprüchliche Befehle gegeben hatte. »Jemand muß etwas verfälscht haben«, sagte der Neffe. »Und Cosma werde ich kräftig auf die Finger klopfen. Du hast recht. Derartige Dreistigkeiten hat sich noch kein Kommandant erlaubt. Cosma soll dafür zah len. Schicke ihn zu mir. Wo ist er?« »Er wartet vor dem Tor.« »Schnell. Hole ihn. Ich muß mit ihm spre chen.« Die Augen Chirmor Flogs funkelten. Er schien es nicht erwarten zu können, mit Cos-
H. G. Francis ma abzurechnen. Als sich die Tür hinter Skaddos geschlos sen hatte, wandte er sich dem Arkoniden zu. »Hast du gar nichts dazu zu sagen?« frag te er. »Ich wüßte nicht. Was geht mich das an?« Atlan lächelte. Er dachte nicht daran, sich wegen eines unbedeutenden Kommandanten einzumischen und dabei alles zu riskieren, was er bisher erreicht hatte. Einige Minuten verstrichen. Chirmor Flog schwieg. Dann öffnete sich die Tür, und ein Scuddamore im schwarzen Schild trat ein. »Ich bin Cosma«, sagte er unterwürfig. »Ich danke für die Gnade, mit dir sprechen zu dürfen.« Atlan beobachtete den Scuddamoren belu stigt. Cosma war offenbar ein guter Psycho loge. Er wußte, wie er den Neffen zu neh men hatte. Dabei kam ihm allerdings zugute, daß sich dieser nicht in seiner normalen Ver fassung befand, andernfalls wäre Cosma gar nicht bis in die TopeyaWiege gekommen. Der Boden erzitterte unter Atlan, doch dieses Mal war die Bewegung nicht Aus druck der Gefühle der Pflanze. Das bemerk te auch Chirmor Flog. Er unterbrach Cosma mit einem schrillen Schrei, als der Komman dant seinen Worten noch etwas hinzufügen wollte. Atlan stand auf. Die Wände veränderten ihre Farbe. Bisher waren sie matt blau gewesen. Jetzt wurden sie leuchtend gelb. »Was ist los?« fragte Cosma. »Was ist passiert?« Die Metallhände des Neffen fuhren auf ihn zu, packten ihn und schleuderten ihn quer durch den Raum. Ein Spalt in der Wand öffnete sich. Der Kommandant flog hindurch. Der Spalt schloß sich, und es wur de ruhig im Raum. Doch der Boden bebte weiter. Das Geräusch ferner Explosionen wurde hörbar. »Man kämpft«, sagte Chirmor Flog wis pernd. Seine Augen weiteten sich. »Cosma hat mich gar nicht bedroht.«
Der Arkonide und der Herrscher An verschiedenen Stellen seiner Prothese leuchteten Lampen auf. Eine laute Stimme kam dröhnend aus einem der Lautsprecher. Atlan verstand nicht alles, da sich die Stimme teilweise überschlug. Er erfaßte je doch, daß irgend jemand die Festung des Neffen angegriffen hatte. Die Tür öffnete sich. Skaddos eilte herein. »Es ist Artin«, rief er. »Er ist in die Fe stung eingedrungen. Die Hauptwachen hat er bereits erschossen. Er ist auf dem Weg hierher. Du mußt dich in Sicherheit brin gen.« Chirmor Flog antwortete nicht. Sein Ge sicht verzerrte sich. Der Mund öffnete und schloß sich in schneller Folge, doch kein Laut kam über die Lippen. Der Neffe wurde von der Angriffsaktion völlig überrascht. Eine militärische Gegen bewegung gar war unvorstellbar für ihn ge wesen. Daher war er unfähig, auf die Aktion zu reagieren. Er kam nicht auf den Gedanken, daß die ser Angriff gegen jemand anderen gerichtet sein könnte. Auch Atlan glaubte, daß Chirm or Flog das Ziel der Angreifer war. Skaddos eilte einige Schritte auf den Nef fen zu, drehte sich dann um, lief in entge gengesetzter Richtung, bis er fast mit Atlan zusammenstieß, und blieb stehen. Er war ebenfalls völlig verunsichert. Chirmor Flog fing sich. Er schrie einige Befehle, in denen eine Reihe von Namen vorkamen, die Atlan noch nie gehört hatte. Skaddos flüchtete aus dem Raum. Der Neffe zögerte noch. Seine Blicke richteten sich auf den Arkoniden. »Was soll ich tun?« fragte er. »Du mußt kämpfen«, erwiderte der König von Atlantis. »So wie du es immer getan hast. Auf der anderen Seite ist es natürlich gut, wenn du weißt, warum Artin dich über haupt angreift. Er muß einen Grund haben.« »Ich werde ihn vernichten.« »Das kannst du später immer noch tun.« »Du willst, daß ich mit diesem Verräter verhandle?«
33 »Ich will gar nichts. Ich bin bedeutungs los. Du entscheidest. Wenn du meinst, daß es nicht wichtig ist, seine Gründe zu erfah ren, dann ist es nicht wichtig.« Chirmor Flog schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Nur Sekun den gingen. Dann fand er seine alte Sicher heit zurück. »Du bist ein kluger Kopf, Atlan«, sagte er. »Es würde mir gefallen, dich auch wei terhin als Berater zu haben. Du hast mir be wußt gemacht, daß auch ich nicht frei von Fehlern bin, und daß es besser sein kann, Fehler zuzugeben, als unnachsichtig auf sei nem Standpunkt zu verharren. Wir sprechen uns noch.« Die Vollprothese, die seit Tagen bewe gungslos auf der Stelle gestanden hatte, ge riet in Bewegung. Dabei hatte Chirmor Flog nicht bedacht, daß der Zellaktivator frei auf seinem Schädel lag. Das Gerät rollte über seinen Hinterkopf herab und fiel auf den Bo den. Der Neffe bemerkte es nicht. Er eilte aus dem Raum. Atlan nahm den Zellaktivator auf. Die Brustplatte legte er zur Seite. Damit hatte er bisher verhindert, daß der Aktivator wieder in der Brust verschwand und später herauso periert werden mußte. Er glaubte, daß sich die Lage jetzt entscheidend verändert hatte, und daß er nicht mehr lange in der TopeyaWiege bleiben würde. Er wollte die Gunst der Stunde nutzen und sich zurückziehen, da er hier nichts mehr ausrichten konnte. Wie erwartet, senkte sich der Zellaktiva tor sofort in die Brust und verschwand. Atlan, der auf seine Brust geblickt hatte, hob den Kopf, als er ein leises Sirren ver nahm. Er sah, daß sich ein Auge in der Wand gebildet hatte. Darunter formte sich ein Mund, der jenem Chirmor Flogs verblüffend ähnlich sah. Er zuckte und wogte auf und ab, als wolle er et was sagen. »Ich verstehe dich nicht«, erklärte Atlan. Die Pseudolippen öffneten sich wie zu ei nem Schrei. Gleichzeitig erschütterte eine Explosion die Topeya-Wiege. Der Boden
34 neigte sich so weit zur Seite, daß der Arko nide sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er lief zur Tür. Für einen Moment fürchtete er, die Wiege werde ihm nicht er lauben, den Raum zu verlassen. Doch die Tür ließ sich mühelos öffnen. Atlan rannte einen Gang entlang. Er erinnerte sich daran, daß er bereits hier gewesen war. Er fand die Treppe, die nach unten führte. Ein Scudda more in rot leuchtendem Schild kam ihm entgegen, machte ihm jedoch Platz und ließ ihn passieren. Der Arkonide überwand meh rere Stufen auf einmal. Dann erreichte er den Fuß der Treppe und wollte sich dem Ausgang zuwenden. Ein Energiestrahl raste dicht an ihm vorbei. Er schlug einige Meter von ihm entfernt in die Wand. Diese löste sich augenblicklich auf. Die Topeya-Wiege schrie. Sie gab schrille Töne von sich, die alle Schmerzen widerspiegelten, die sie emp fand. Atlan schnellte sich über einen Tisch und suchte hinter einem Metallkasten Schutz. Vorsichtig spähte er zum Ausgang hinüber. Dort lagen vier Scuddamoren in roten Schilden auf dem Boden. Sie feuerten aus ihren Energiestrahlwaffen zum Ausgang hinauf, der schräg über ihnen lag. Ein dunkler Gegenstand flog herein, prall te zwischen ihnen auf und explodierte. Ein kopfgroßer, violetter Ball entstand zwischen ihnen. Er weitete sich langsam aus, bis er al le vier Scuddamoren umfaßte. Dann ver schwand er wieder. Mit ihm lösten sich die Scuddamoren auf. Mehrere düstere Gestalten stürmten her an. Atlan erkannte, daß er nicht mehr fliehen konnte. Er hatte zu lange gewartet. Vorsichtig richtete er sich auf. In einem der Scuddamoren glaubte er, Artin zu erken nen. »Artin«, rief er. »He, Artin.« Er sah eine Energiestrahlwaffe auf sich gerichtet. Es blitzte sonnenhell auf. Geblen det schloß der Arkonide die Augen. Er fühl te einen leichten Schlag an der Schulter. Er
H. G. Francis drehte sich zur Seite. Das Goldene Vlies hat te den Energiestrahl abgelenkt. »Du hast ihn getroffen, Artin«, rief einer der Scuddamoren. »Ich habe es deutlich ge sehen. Dennoch ist er nicht tot.« »Versuche es noch einmal«, riet ihm einer der anderen. »Laß es lieber bleiben«, sagte Atlan. »Es ist nicht besonders angenehm für mich. Au ßerdem habt ihr keinen Grund, mich zu tö ten. Ich bin auf eurer Seite.« Artin trat auf ihn zu. »Du bist gegen Skaddos?« fragte er. Atlan überlegte. Er zögerte. Du bist gegen Skaddos, stellte der Logik sektor fest. Glaubst du, daß Artin gegen Chirmor Flog kämpft? Narr. Er kämpft für ihn. »Ich bin gegen Skaddos«, antwortete er. »Skaddos ist ein Nichtskönner. Er richtet nur Verwirrung an. Hier herrschen chaoti sche Zustände, seit er Kommandant ist.« »Das will ich meinen«, entgegnete Artin. »Wo ist der Neffe?« fragte einer der ande ren Scuddamoren. »Ich habe ihn zuletzt oben gesehen«, er klärte der Arkonide. »Chirmor Flog wollte mit dir sprechen. Hat er es nicht getan?« »Nein«, antwortete Artin. »Bis jetzt nicht.« »Dann hat Skaddos wahrscheinlich dafür gesorgt, daß er es sich anders überlegt hat. So ist es in den letzten Tagen ständig gewe sen. Was auch immer der Neffe beschlossen hatte, Skaddos hatte etwas dagegen einzu wenden. Das führte zu widersprüchlichen Befehlen, teilweise sogar zu unausführbaren Befehlen. Es ist gut, daß ihr gekommen seid. Räumt auf. Vertreibt Skaddos. Chirmor Flog wird es euch danken.« »Ich muß zu ihm«, sagte Artin energisch. »Das ist der Sinn des ganzen Einsatzes. Ich muß mit dem Neffen reden, sonst ändert sich überhaupt nichts.« »Hat jemand eine Waffe für mich?« fragte der Arkonide. »Du brauchst keine«, entgegnete Artin. »Ich sorge dafür, daß dir nichts passiert. Of
Der Arkonide und der Herrscher fenbar bist du ja ohnehin nicht so leicht zu verletzen.« »Das war Zufall. Du hast vorbeigeschos sen. Es sah nur so aus, als hättest du getrof fen. Wenn es mich erwischt hätte, wäre ich verloren gewesen.« Artin gab das Zeichen, weiterzugehen. Er eilte den Gang entlang. Als er etwa zehn Schritte weit gekommen war, öffnete sich am Ende des Ganges eine Tür. Einige rote Scuddamoren kamen daraus hervor. Artin eröffnete das Feuer. Seine Begleiter schos sen ebenfalls. Glühend heiße Luft fegte durch den Gang und verbrannte die lebenden Wände. Und wiederum schrie die TopeyaWiege. Artin schien es nicht zu hören. Er stürmte durch die offene Tür in einen Raum. Wenig später kehrte er mit einem Scudda moren in rotem Schild zurück. Der rote Schild erlosch. Eine unförmige Gestalt wur de sichtbar. Sie bestand praktisch nur aus zwei Körperklumpen, von denen sechs ten takelartige Extremitäten abgingen. Diese en deten in schlecht ausgebildeten Greifwerk zeugen. An den Körperklumpen hingen Gur te mit verschiedenen Ausrüstungsgegenstän den. Eine Waffe besaß das Wesen nicht mehr. Artin schien das Aussehen des entblö ßten Roten nicht zu erschrecken. Atlan ver spürte körperliches Unbehagen bei diesem Anblick. Er dachte daran, daß von der Natur in Millionen von Jahren währender Evoluti on Wesen geschaffen worden waren, die alle auf ihre Weise schön waren. Sie hatten sich ihrer Umgebung angepaßt, hatten ihre be sonderen Fähigkeiten und Eigenschaften. Sie waren zum Teil hochintelligent. Dann aber waren einige von ihnen den Häschern des Dunklen Oheims und des Nef fen in die Fänge geraten. Der kleinste Ver stoß gegen die von diesen aufgestellte Ord nung hatte genügt. Sie waren zum Scudda morentum verurteilt worden. Sie hatten ihre Eigenständigkeit verloren und waren umge formt worden. »Wo ist Skaddos?« fragte Artin. Das amorphe Wesen schwieg. Artin warf es zur Seite. Es kroch über den
35 Boden und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Einer der dunklen Scuddamoren näherte sich ihm. »Laß es in Ruhe«, bat Atlan. »Paßt lieber auf. Skaddos muß mit seinen Leuten irgendwo in der Nähe sein. Ich rechne damit, daß er angreift.« Artin schien zu lachen. Eigenartige Laute drangen aus seinem dunklen Schild. »Skaddos ist erledigt«, behauptete er. »Wir haben die Festung im Griff. Was jetzt noch kommt, sind kleine Scharmützel. Mehr nicht.« Atlan hörte eilige Schritte. Überrascht drehte er sich um. Gara Tin kam die Treppe herab. Ihr Kleid war zerrissen. Eine Messerklinge hatte eine blutige Spur auf ihrem Arm hinterlassen, doch das schien sie nicht zu stören. »Hast du Skaddos gesehen?« fragte Artin. »Skaddos interessiert mich nicht. Ich su che Chirmor Flog.« Wiederum lachte Artin. »Bildest du dir immer noch ein, Chirmor Flog könnte mich in deinen Mann zurück verwandeln?« Er stieß sie zur Seite und eilte an ihr vor bei. Die anderen Scuddamoren folgten ihm. Auch Gara Tin wollte hinterher laufen, doch Atlan hielt sie fest. Sie wehrte sich. »Machen Sie keinen Fehler«, sagte er ha stig. »Begreifen Sie denn nicht? Artin will nur Skaddos. Er ist hier, weil er glaubt, für den Neffen gegen Skaddos kämpfen zu müs sen.« Sie blickte ihn forschend an. »Woher wissen Sie das?« »Ich weiß es. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Und Sie wissen es auch. In Ih rem Haß gegen den Neffen haben Sie es je doch vergessen.« Sie senkte den Kopf. »Ja, Sie haben recht«, sagte sie. »Sehen Sie sich vor. Wenn Artin merkt, daß Sie Chirmor Flog umbringen wollen, ist es aus mit Ihnen.«
36 »Aber Sie haben nichts dagegen, wie?« In ihren Augen blitzte es spöttisch auf. »Mir ist Chirmor Flog egal. Wenn er ei nem Attentat zum Opfer fällt, finde ich das zwar nicht in Ordnung, aber ich würde auch keinen Finger rühren, um ihn zu retten.« »Vorsicht«, sagte sie wispernd. »Sie kom men zurück.« Atlan drehte sich um. Er sah, daß Artin aus einem der Räume kam, die sich dem Gang anschlossen. Zugleich vernahm er Kampfgeräusche, die sich der Topeya-Wie ge näherten. Ein Scuddamore im dunklen Schild haste te von oben herab. »Skaddos greift an«, rief er erregt. »Er hat Tausende dabei.« »Unmöglich«, erwiderte Artin bestürzt. »Skaddos ist so gut wie geschlagen.« »Sie kommen aus allen Richtungen. Über all in den Felsen sind Tore. Sie spucken Tausende von roten Scuddamoren aus.« »Chirmor Flog scheint doch nicht so ganz unvorbereitet zu sein«, bemerkte Gara Tin. »Chirmor Flog ist unvorbereitet?« rief Ar tin. »Natürlich ist er es nicht. Ein Genie wie er ist niemals unvorbereitet. Mich wundert nur, daß Skaddos es geschafft hat, die Reser ven mobil zu machen.« »Dann hast du also von diesen Reserven gewußt?« fragte Gara Tin. Artin lachte selbstsicher. »Natürlich. Schließlich war ich lange ge nug Kommandant dieser Festung. Überall sind Höhlen. Es sind Unterkünfte. In ihnen leben Zehntausende von Scuddamoren, die im Notfall in den Kampf eingreifen können. Es ist jedoch schwierig, sie zu mobilisieren und ihre Einsätze zu koordinieren. Das ist etwas, was Skaddos niemals schafft.« »Offenbar doch«, sagte sie. »Nein. Chirmor Flog führt das Komman do. Er muß erfahren, daß ich hier bin, um ihn von Skaddos, diesem Narren, zu befrei en. Ich kämpfe nicht gegen ihn, sondern für die Ordnung und für die Macht des Neffen.« »Große Worte«, spöttelte Gara Tin. Artin setzte zu einer Antwort an, doch At-
H. G. Francis lan kam ihm zuvor. »Darüber können wir später reden«, sagte er. »Jetzt kommt es darauf an, entweder einen richtigen Schlachtplan zu entwickeln oder zu fliehen. Oder wollt ihr euch über den Haufen schießen lassen?« »Er hat recht«, stellte Artin ärgerlich fest. »Vorläufig erreichen wir hier nichts. Wir müssen uns zurückziehen.« Der Kampflärm steigerte sich. Ununter brochen fielen Schüsse. Die Schreie der Sterbenden hallten bis zu Atlan, Gara Tin und den Scuddamoren herab. Der Arkonide zweifelte mittlerweile nicht mehr daran, daß es sinnlos geworden war, den Kampf fortzu setzen. Chirmor Flog war von den ersten Aktio nen überrascht worden, aber das hatte nicht ausgereicht, ihn zu besiegen. Er war eine große Persönlichkeit, wenngleich eine nega tive, die es gewohnt war, auch schwierigste Situationen zu meistern. Dies mochte der er ste direkte Anschlag auf ihn sein, aber nicht der erste Kampf, den er durchzustehen hatte. Ihm gelang es daher, alle Kräfte zu mobili sieren, über die er verfügte. Atlan war zudem davon überzeugt, daß der Neffe als Sieger aus diesem Kampf her vorgehen würde. Deshalb kam für ihn nur die Flucht in Frage. Artin stürmte nach draußen. Nach einigen Minuten kehrte er zurück. »Es ist aussichtslos«, erklärte er. »Draußen wimmelt es von Roten. Es ist ge kommen, wie ich befürchtet habe. Der erste Schlag war nicht entscheidend. Und weitere Schläge läßt Chirmor Flog nicht zu.« »Hast du versucht, mit ihm zu sprechen? Ich meine über Funk?« fragte Gara Tin. »Selbstverständlich. Er antwortet nicht.« »Und was jetzt? Du warst hier der Kom mandant. Du kennst dich aus. Können wir von hier fliehen?« »Allerdings«, antwortete der Scuddamore. »Hier beginnt eine stillgelegte Rohrbahn. Früher hatte Flog auch einen Stützpunkt auf dem Kontinent Dumork. Er mußte ihn auf geben, als der Vulkan Tarvion ausbrach.
Der Arkonide und der Herrscher Seitdem ist die Rohrbahn nicht mehr benutzt worden. Damals hat Chirmor Flog übrigens auch seinen Unfall erlitten, bei dem er sich die Verbrennungen zugezogen hat.« »Bei dem Vulkanausbruch?« fragte Gara Tin. »Nicht bei einem Attentat?« Artin lachte dröhnend. »Es hat nie ein Attentat gegen den Neffen gegeben. Wer sollte auch die Hand gegen ihn erheben? Ausgerechnet gegen ihn?« »Ja. Wer?« entgegnete sie vieldeutig. Diese Information war auch für den Arko niden neu. Atlan war ebenso wie Gara Tin der Ansicht gewesen, Chirmor Flog sei im Kampf verletzt worden. Artin erteilte einigen der Scuddamoren, die bei ihm waren, den Befehl, nach oben zu gehen und die Überlebenden seiner Truppe zusammenzurufen. »Wir ziehen uns gemeinsam zurück«, er klärte er. »Wir lassen niemanden im Stich.« Zehn seiner Untergebenen eilten davon. »Ich sehe mich nach Skaddos um«, er klärte der Kommandant. »Er muß noch ir gendwo in der Topeya-Wiege sein.« »Kennst du dich hier wirklich aus?« frag te Gara Tin. »Natürlich.« »Wo könnte Chirmor Flog sein?« »Ich habe keine Ahnung. Sicherlich ist er nicht mehr in der Nähe.« Er stieß eine Tür auf und entfernte sich. »Ich suche nach Chirmor Flog«, sagte die junge Frau mit haßerfüllter Stimme. »Ich werde einen Weg finden, mich an ihm zu rä chen.« »Von mir aus«, erwiderte der Arkonide ruhig. Er wußte, daß er sie nicht an ihrem Vorhaben hindern konnte. »Ich glaube je doch nicht, daß Sie Erfolg haben werden. Ich bin überzeugt davon, daß Chirmor Flog längst geflüchtet ist. Er hat sich in Sicherheit gebracht. Oder glauben Sie ernsthaft, daß ein Geschöpf wie er abwartet, welche Seite gewinnt, zumal er glaubt, daß der Vorstoß gegen ihn gerichtet ist?« »Vermutlich haben Sie recht«, sagte sie. »Dennoch suche ich nach ihm.« Sie ging ei
37 nige Schritte weiter, bückte sich und nahm einen Energiestrahler auf, den einer der Scuddamoren verloren hatte. Dann lief sie die Wendeltreppe hoch. Die Wand neben Atlan verfärbte sich. Die Topeya-Wiege formte einen Mund. Die Lip pen zuckten und bebten wie bei einem Men schen, der unter unerträglichen Schmerzen litt. »Sie wird ihn nicht finden«, erklärte die Pflanze mit kaum verständlicher Stimme. Atlan fuhr sich mit der Hand über die Au gen. Er glaubte, sich verhört zu haben. Als er aufblickte, sah die Wand wieder so glatt aus wie zuvor. Der Arkonide ging die Treppe hoch nach draußen. Die Parklandschaft hatte sich völlig ver ändert. Sie sah nicht mehr lieblich und schön aus. Sie war schwarz verbrannt. Überall la gen die Toten der Schlacht. Aus den dra chenähnlichen Gebilden, die unter dem Dachgewölbe schwebten, ertönte schrilles, enervierendes Geschrei.
7. Gara Tin war besessen von dem Gedan ken, sich an Chirmor Flog zu rächen. Des halb hatte sie alle Energie aufgewendet, die in ihr steckte, um von Artin die Erlaubnis zu erhalten, am Einsatz teilzunehmen. Der Scuddamore war viel zu sehr mit seinen Karrieregedanken beschäftigt, um zu erken nen, was sie plante. Jetzt endlich hatte sie ei ne Waffe. Sie war entschlossen, diese gegen den Neffen einzusetzen und die Kreatur zu vernichten, die ihr Lebensglück zerstört hat te. Sie war froh, daß sie sich von Atlan tren nen konnte. Sie hatte befürchtet, daß er bei ihr bleiben und sie daran hindern würde, den Plan durchzuführen. Daher lief sie so schnell sie konnte, um sich möglichst weit von ihm zu entfernen. Als sie den oberen Bereich der TopeyaWiege erreichte, stellte sie fest, daß sich Risse in der Außenhaut der Pflanze gebildet hatten, durch die sie nach draußen sehen
38 konnte. Offenbar war die auf die Wiege ein wirkende Hitze so groß, daß diese daran zu grunde zu gehen drohte. Das war Gara Tin jedoch egal. Die Pflanze interessierte sie nicht. Ihr ging es nur um den Neffen. Im Ge gensatz zu Atlan und Artin glaubte sie nicht daran, daß dieser aus der Topeya-Wiege ge flüchtet war. Sie war überzeugt davon, daß er sich noch irgendwo in ihr versteckt hielt. Plötzlich schob sich eine Wand vor ihr quer über den Gang. Sie blieb stehen. Unwillig runzelte sie die Stirn. »Was soll das?« rief sie. »Glaubst du wirklich, daß du mich aufhalten kannst?« Sie hob den Energiestrahler und richtete ihn gegen die Wand. »Du bist schon verletzt ge nug«, fuhr sie fort, »wenn es dir jedoch nicht reicht, schieße ich mich durch.« Eine Lücke bildete sich. Gara Tin stieß mit dem Fuß ge gen die Wand. »Das reicht mir nicht«, sagte sie. »Gib den Weg frei.« Die Pflanze hörte und verstand sie. Sie beugte sich der Dro hung. Die Wand bildete sich zurück. »So ist es gut«, sagte die junge Frau lo bend. Sie ging weiter. Sie lauschte mit allen Sinnen. Daß sich keiner der roten Scuddamoren zeigte, verunsicherte sie. Zweifel kamen in ihr auf. Hatte sich der Neffe vielleicht doch zurückgezogen? Plötzlich vernahm sie ein feines Sirren. Es erinnerte sie an das Zirpen einer Insektenart ihrer Heimatwelt. Für einen kurzen Moment ließ sie sich täuschen. Dann zuckte sie zusammen, weil sie plötzlich erkannte, wer das Geräusch verursachte. Chirmor Flog! Der Neffe befand sich in ihrer unmittelba ren Nähe. Das Sirren und Summen stammte von den verschiedenen Kommunikationsge räten seiner Vollprothese. Gara Tin blieb stehen. Sie beugte sich leicht nach vorn und horchte. Es gelang ihr jedoch nicht, die Richtung zu bestimmen, aus der die Geräusche kamen. Verwirrt blickte sie sich um.
H. G. Francis Die Wände in ihrer Umgebung hatten sich verfärbt. Sie schillerten in allen nur denkba ren Farben. Bizarre Vorsprünge und Aus wüchse hatten sich gebildet, die sich mit glatten Flächen abwechselten. Die junge Frau begriff. Die Topeya-Wiege half Chirm or Flog, indem sie akustische Bedingungen schuf, die sie irritieren mußten. »Das nützt dir auch nichts, du Ungeheu er«, sagte sie erregt. »Ich finde dich doch.« Sie eilte zu einer Tür und stieß sie auf. Sie blickte in einen Raum, der allerlei techni sche Geräte enthielt. Von Chirmor Flog war nichts zu sehen. Gara Tin lief weiter. Sie öffnete Tür auf Tür, bis sie das blitzende Gebilde entdeckte, das den Neffen wie ein Gerüst umgab. Chirmor Flog blickte sie mit geweiteten Au gen an. Ihr fiel auf, daß die quadratischen Pupillen sich in rascher Folge verengten und erweiterten, während die anderen Pupillen ihr Aussehen nicht veränderten. »Was willst du von mir?« fragte der Neffe mit elektronisch verstärkter Stimme. »Mußt du mich ausgerechnet jetzt stören?« »Jetzt oder später. Das spielt für mich kei ne Rolle«, antwortete sie triumphierend. »Ich habe vor, dich zur Hölle zu schicken.« Chirmor Flog, der mit seinen Gedanken bei den kämpfenden Scuddamoren und bei anderen Problemen war, die sich weit außer halb von Säggallo ergeben hatten, begriff. »Du willst mich töten?« fragte er erstaunt. »Warum? Dadurch erweckst du deinen Mann auch nicht wieder zum Leben!« »Richtig«, antwortete sie, »aber ich ver hinderte vielleicht, daß andere Frauen das durchmachen müssen, was mir widerfahren ist.« Sie hob den erbeuteten Energiestrahler und richtete ihn auf den riesigen Schädel. Chirmor Flog schrie. »Nein, warte. Laß doch mit dir reden. Ich gebe dir deinen Mann zurück.« Gara Tin stockte der Atem. »Was hast du da gesagt?« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Wie soll ich das verste hen. Eben hast du noch behauptet, mein
Der Arkonide und der Herrscher Mann sei tot, und nichts könne ihn mehr zum Leben erwecken.« »Dein Mann ist nicht tot. Ich habe dich belogen«, erklärte der Neffe. Gara Tin merk te nicht, daß er lediglich Zeit gewinnen wollte. Er hoffte, daß einer der Scuddamo ren ihm zu Hilfe kommen würde. Unbe merkt von Gara Tin gab er fortwährend Alarm. »Dein Mann lebt auf dem Planeten Szey klon«, eröffnete ihr Chirmor Flog. »Er ist dort in geheimer Mission. Das durfte ich dir nicht sagen. Er wird bald zurückkehren.« Gara Tin lehnte sich an die Wand. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Au gen und wischte die Tränen fort. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, du täuschst mich nicht, Chirmor Flog. Selbst wenn es so wäre, würdest du ihn nicht freigeben, und mir würdest du nicht verzeihen, daß ich dich töten wollte. Außerdem glaube ich dir nicht. Ich habe meinen Mann verfolgt. Ich weiß, daß er zum Scuddamoren umgeformt worden ist, und ich weiß auch, was das bedeutet.« Sie hob den Energiestrahler und schoß. Ein gleißend heller Energiestrahl von et wa zehn Millimetern Länge schoß aus dem Projektor der Waffe und raste auf Chirmor Flog zu. Der Neffe reagierte unglaublich schnell. Seine Vollprothese sprang zur Seite. Der blitzende Apparat prallte krachend ge gen eine Wand, weil er nicht genügend Platz zum Ausweichen hatte. Der Energiestrahl traf jedoch den tragenden Rahmen der Kon struktion und zerfetzte ihn. Glutflüssiges Material sprühte durch den Raum und fiel auf den Boden. Wiederum schrie die Tope ya-Wiege gequält auf, und ein Arm bildete sich aus der Wand heraus. Eine pflanzliche Hand umklammerte den Arm der Frau, die die Waffe hielt. Dennoch schoß Gara Tin er neut. Und wiederum traf sie. Doch auch die ses Mal entging der Neffe dem tödlichen Feuer. Der Energiestrahl traf drei seiner künstlichen Füße, die sich in der Schußlinie befanden. Das metallene Laufwerk löste sich in Bruchteilen von Sekunden auf.
39 Chirmor Flog kippte mit seiner Vollpro these nach vorn. Die glühenden Enden der Konstruktion bohrten sich in den Boden, der sich augenblicklich vor ihnen öffnete. Der Neffe saß fest. Gara Tin erkannte es. Sie hätte in diesen Sekunden eine absolute Überlegenheit ge habt, wenn es ihr gelungen wäre, den Arm zu bewegen und die Waffe auf Chirmor Flog zu richten. Doch die Topeya-Wiege hielt sie mit der Pseudohand fest. Chirmor Flog schrie. Er fluchte. Er ver wünschte sie und schwor ihr immer wieder, um sie zu quälen, daß ihr Mann einen ent setzlichen Tod gestorben war. Er wollte ihr weh tun, da er merkte, daß er sich aus eigener Kraft nicht aus seiner Lage befreien konnte, daß sie andererseits aber auch nichts gegen ihn ausrichten konnte. Der Druck der Pseudohand wurde immer stärker, bis Gara Tin die Waffe nicht mehr halten konnte. »Gut so«, sagte der Neffe lobend, als der Energiestrahler auf den Boden fiel. »Und jetzt töte sie.« Eine weitere Pseudohand bildete sich.
* Atlan stand vor der Topeya-Wiege und blickte auf das Land hinaus, das sich in eine schwarzverbrannte Wüste verwandelt hatte. Von allen Seiten näherten sich rote Gestal ten. Sie schienen aus dem Boden emporzu steigen wie Ameisen, die aus ihrem Bau her vorkamen. Ihre Zahl wuchs beängstigend schnell an. Der Arkonide schätzte, daß die roten Scuddamoren der Einheit Artins tausendfach überlegen waren. Er kehrte um und flüchtete in den Unter bau der Pflanze zurück. Artin kam ihm ent gegen. »Wenn du bei uns bleiben willst, dann be eile dich«, sagte er. »Der Weg zur Rohrbahn ist frei.« »Oben sind noch wenigstens dreißig dei ner Leute, die sich hierher zurückziehen«,
40 entgegnete der Arkonide. »Willst du nicht auf sie warten?« Artin zögerte. Es war noch nicht allzu lan ge her, daß er behauptet hatte, er werde nie manden im Stich lassen. »Dafür ist keine Zeit«, sagte er dann. »Sie haben den Befehl, die Roten aufzuhalten. Und das werden sie auch tun, solange es möglich ist.« »Danach haben Sie keine Chance mehr.« »So ist das nun mal«, sagte Artin gelang weilt. Es war ohne jedes Mitgefühl für die Scuddamoren, die er ins Feuer geschickt hatte und bewußt darin umkommen ließ. Er wandte sich um und lief davon, ohne darauf zu achten, ob der Arkonide ihm folg te. Atlan hörte einen Schrei. Er erkannte die Stimme Gara Tins, und er erfaßte, daß sie sich in höchster Gefahr be fand. Er stürmte die Wendeltreppe hoch. Für ihn war selbstverständlich, daß er versuchte, ihr zu helfen. Ihre Schreie wiesen ihm den Weg. Er ha stete einen Gang entlang, während hinter ihm eine Wand der Topeya-Wiege im Ener giefeuer der angreifenden roten Scuddamo ren verging. Als er sich einer Tür näherte, verschwam men deren Umrisse plötzlich. Die Pflanze sog die Tür in sich auf und integrierte sie in der eigenen Körpermasse. Atlan blieb stehen. Er preßte die Hände gegen die Wand. »Öffne dich«, befahl er. Gara Tin schrie voller Angst und Entsetzen. Ihre Stimme kam von jenseits der Wand. Darüber bestand für den Arkoniden kein Zweifel. Er war auch davon überzeugt, daß die Topeya-Wiege ihn hörte. »Wenn ich will, durchbreche ich die Wand«, sagte er. »Doch ich will dich nicht verletzen.« Er spürte die Welle der Erregung, die die Pflanze erfaßte. Die Wand bewegte sich un ter seinen Händen. »Schnell«, rief er.
H. G. Francis Das Goldene Vlies verfehlte seine Wir kung nicht. Je fester Atlan die Hände gegen die Wand stemmte, desto deutlicher spürte er, wie schwach und unsicher die TopeyaWiege war. Schließlich bildete sich eine Lücke. Atlan sah Gara Tin, die von zwei Pseudo händen gehalten wurde. Eine umklammerte ihren rechten Arm, die andere ihren Hals. Die junge Frau blickte den Arkoniden mit vor Angst geweiteten Augen an. »Schluß jetzt«, sagte der Aktivatorträger. »Gib sie frei. Sofort.« Die Pflanze gab nach. Die Lücke vergrö ßerte sich, und die Hände öffneten sich. Ga ra Tin stürzte erschöpft auf den Boden. Sie sah den Energiestrahler an der gegenüberlie genden Wand liegen und kroch auf ihn zu. Doch der Arkonide ließ nicht zu, daß sie den Neffen erneut angriff. Die Waffe war zu weit von Gara Tin entfernt, und sie würde zu nah an ihm vorbeikommen. Er erinnerte sich an das, was Artin gesagt hatte. Er wußte, daß es buchstäblich auf Sekunden ankam, und er war sich darüber klar, daß die Tope ya-Wiege einen weiteren Anschlag auf Chirmor Flog nicht zulassen würde. »Seien Sie vernünftig«, sagte er. »Wenn wir nicht sofort gehen, werden wir diesen Ort nie mehr verlassen.« Er riß sie hoch und zerrte sie durch die Lücke auf den Gang hinaus. Dabei sah er, daß die Vollprothese des Neffen schwer be schädigt war. Er bedauerte, daß Gara Tin nicht besser getroffen hatte. Dieser technische Schaden bedeutete nicht viel. Bei den Möglichkeiten, die der Neffe hatte, war der Schaden sicher lich in ein paar Tagen vollständig behoben. Gara Tin hatte so gut wie nichts erreicht. Er hastete mit ihr die Treppe hinunter und flüchtete über den Gang, über den Artin sich entfernt hatte. »Wohin bringen Sie mich?« fragte die junge Frau. »Zur Rohrbahn.« Sie blieb stehen. Protestierend schüttelte sie den Kopf.
Der Arkonide und der Herrscher »Unsinn. Ich bleibe hier.« »Wenn Sie das tun, sind Sie in ein paar Minuten tot. Hören Sie die Stimmen der ro ten Scuddamoren? Von den Schwarzen lebt keiner mehr. Die Häscher sind gleich hier, und wenn sie uns erwischen, ist es aus mit uns.« »Vielleicht haben Sie recht«, sagte Gara Tin müde. »Ich habe meine Chance verpaßt. Es wäre falsch, die nächste mit Gewalt her beiführen zu wollen. Ich muß Geduld ha ben.« Sie lief mit ihm über den Gang. Als sie ei ne Tür erreichten, blickte Atlan zurück. Rote Scuddamoren strömten von oben herab. Der Arkonide schob die Frau durch die Tür. Ein schmaler Gang führte schräg in die Tiefe. Darin war es zunächst so dunkel, daß der Unsterbliche nichts erkennen konnte. Doch dann griff die Topeya-Wiege ein. Das widersprüchliche Wesen leitete Licht durch die unzähligen Fasern seines Körpers und erhellte den Gang. Hinter Atlan und Ga ra Tin bildete sich eine Wand. »Danke«, sagte der Arkonide laut. »Warum tut sie das?« fragte die Frau ver wirrt. »Wahrscheinlich ist sie froh, daß wir end lich verschwinden«, erwiderte er. »Solange wir hier waren, hat sie gelitten. Wenn wir weg sind, ist auch der Kampf vorbei. Nie mand wird sie mehr verletzen. Sie hat Zeit, ihre Wunden auszuheilen.« »Wenn es so ist, würde das bedeuten, daß sie logisch denken kann.« Atlan nickte nur. Er sah Artin, der in ei nem kleinen Raum stand. Bei ihm standen fünf weitere Scuddamoren. Als der Arkonide ihn erreichte, sah er, daß etwa zwanzig Schattengestalten damit beschäftigt waren, einen zylindrischen Wag gon in einen runden Tunnel zu schieben. Der Wagen der Rohrbahn war mit zahlreichen Rädern an den Außenseiten versehen. »Das wurde aber auch Zeit«, sagte der Scuddamore. »Länger hättest du nicht war ten dürfen.« »Gara Tin hätte Skaddos fast erwischt«, erklärte der Arkonide. »Sie hat
41 auf ihn geschossen, ihn jedoch verfehlt.« »Das werde ich ihr nicht vergessen«, er widerte Artin, der Atlan vorbehaltlos glaub te. »Schade nur, daß Skaddos mit heiler Haut davongekommen ist.« Der Waggon befand sich in der Röhre. Ei ner der Scuddamoren öffnete die Tür am Heck. »Wir müssen einsteigen«, rief er. »Die Roten kommen.« Artin schickte Gara Tin voraus. Dann bat er den Arkoniden, ihr zu folgen. Atlan betrat einen überraschend komfortabel eingerichte ten Wagen, in dem etwa fünfzig gepolsterte Sessel standen. Angenehme Musik ertönte aus verborgenen Lautsprechern. Im vorderen Teil des Wagens befand sich ein Verpfle gungsautomat. Die Scuddamoren um Artin drängten nach. »Wohin fahren wir?« fragte der König von Atlantis. »Zum verlassenen Kontinent Dumork«, antwortete Artin, während er nach vorn ging. Er öffnete einen Kasten und schaltete die Motoren ein. »Hoffentlich ist der Tunnel frei.« »Das weißt du nicht?« fragte Gara Tin. Sie sah blaß und erschöpft aus. Atlan sah ihr an, daß sie dicht vor dem Zusammenbruch stand. Sie hatte keine Reserven mehr. »Wie kannst du es dann wagen, darin zu fahren?« »Wir haben keine andere Möglichkeit.« Der Scuddamore kuppelte das Getriebe ein. Der Wagen rollte an und beschleunigte scharf. Atlan hörte, daß die Räder quiet schend durchdrehten. Gara Tin sprang auf und eilte zur Hecktür. Sie wollte sie öffnen, doch das Schloß war blockiert. Durch ein Fenster blickte sie hin aus. Sie sah nur noch einen hellen Fleck. Im Tunnel blitzte es auf. Ein Energiestrahl raste auf sie zu, erreichte sie jedoch nicht. Ge blendet sank sie auf den Boden. Sie preßte die Hände vor die tränenden Augen. »Vielleicht weißt du jetzt, was passiert, wenn sie uns einholen«, sagte Artin ohne ei ne Spur von Mitleid. Er beschleunigte noch
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H. G. Francis
stärker. Atlan erhob sich nun ebenfalls. Er ging zu Gara Tin, half ihr auf und führte sie zu ih rem Platz. »Das gibt sich gleich«, sagte er tröstend. »Danke«, entgegnete sie. »Es war dumm von mir.« Der Arkonide stellte sich neben Artin. Auch am vorderen Ende des Wagens befand sich ein Fenster. Atlan blickte hinaus, er kannte jedoch nichts. Sie jagten ins Dunkel. »Was ist, wenn der Tunnel irgendwo ein gestürzt ist?« fragte der Arkonide. »Dann halten wir von selbst an«, erklärte der Scuddamore. »Wir brauchen uns um nichts zu kümmern. Das erledigt alles eine Elektronik. Der Wagen ist bestens damit ausgerüstet.« »Wie geht es weiter? Was geschieht, wenn wir auf Dumork sind?« »Wir werden versuchen, ein Raumschiff zu bekommen«, antwortete Artin. »Ich ken ne einige Depots auf Dumork, in denen noch kleinere Einheiten vorhanden sein könnten. Vielleicht können wir ein Beiboot flottma chen und damit starten.« »Und dann?« »Ich gebe nicht auf. Ich habe mir vorge nommen, Skaddos aus der Zentralfestung zu vertreiben, und das werde ich auch tun. Chirmor Flog wird mich verstehen, wenn ich ihm erkläre, weshalb ich gekämpft ha be.« Atlan äußerte sich nicht dazu. Er glaubte nicht, daß der Neffe Verständnis zeigen würde.
8. Chirmor Flog raste vor Wut. Die Wirkung des Zellaktivators ließ nach. Das fühlte er deutlich. Jetzt durchströmten ihn keine aufbauenden Energien mehr. Sein Kreislauf wurde instabil, und der Blutdruck fiel trotz aller Gegenmaßnahmen der Le benserhaltungsanlage. Chirmor Flog empfand seinen verstüm melten Körper als Last. Das war nur selten
zuvor der Fall gewesen, aber noch niemals in diesem Maß wie jetzt. Skaddos betrat den weitgehend zerstörten Raum, in dem der Neffe sich aufhielt. Die Topeya-Wiege blieb unbeteiligt. Sie küm merte sich weder um ihn, noch um den Nef fen. Sie war damit beschäftigt, die Schäden zu beheben und sich zu regenerieren. Die überall klaffenden Lücken in den gewachse nen Wänden schlossen sich allmählich. »Wieso kommst du allein?« schrie Chirm or Flog und drehte den elektronischen Ver stärker voll auf, so daß seine Stimme kraft voll aus den Lautsprechern hallte. »Wo ist Artin? Wo ist der Bursche im goldenen An zug? Wo ist der Aktivator?« »Sie sind entkommen«, erwiderte der Scuddamore. »Sie sind in die alte Rohrbahn geflüchtet und nach Dumork gestartet. Wir konnten sie nicht mehr abschießen.« »Warum verfolgt ihr sie nicht?« fragte der Neffe, während er sich vergeblich bemühte, seine Vollprothese aufzurichten. »Es war nur ein Wagen da«, antwortete Skaddos. »Und eine andere Möglichkeit als in einem Waggon, ihnen zu folgen, gibt es nicht.« Chirmor Flog verlor die Nerven. Er schrie und brüllte und erteilte eine Flut von Befeh len. Skaddos stürzte aus dem Raum. Er kehrte wenig später mit zwanzig Scuddamo ren zurück, die augenblicklich damit began nen, die Prothese des Neffen zu reparieren. Chirmor Flog schwieg erschöpft. Er spürte, daß die Lebenskraft nachließ. Die Lebenser haltungsanlage in seinem Rücken funktio nierte nicht annähernd so gut wie der Zellak tivator. Der Neffe erinnerte sich nicht daran, daß ihm dieser heruntergefallen war. Seit geraumer Zeit suchte er das Gerät. Allmäh lich kam er zu der Überzeugung, daß Atlan es an sich genommen hatte und damit ge flüchtet war. Chirmor Flog zitterte vor Schwäche, als er die vielen ihm angeschlos senen Computer um Rat befragte. Keiner von ihnen konnte ihm sagen, wie er den Ar koniden und den Zellaktivator einholen konnte.
Der Arkonide und der Herrscher »Er ist unwiederbringlich für mich verlo ren«, sagte er keuchend. »Wovon sprichst du?« fragte Skaddos vorsichtig. »Von dem Aktivator des Weißhaarigen«, antwortete der Neffe. »Wir müssen Artin und den Weißhaarigen jagen«, sagte der Scuddamore. »Wir wissen, wo der Tunnel endet. Wenn wir einige tau send Kämpfer nach Dumork bringen, finden wir sie.« Chirmor Flog rief sich einige der Ent scheidungen in Erinnerung, die er getroffen hatte. Er wußte plötzlich nicht mehr, wieso er dazu gekommen war, Richtungen einzu schlagen, die sonst für ihn nicht in Frage ge kommen waren. Vom Dunklen Oheim waren bereits An fragen eingegangen, aus denen hervorging, daß seine Unsicherheit aufgefallen war. Er befand sich in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite sehnte er sich mit na hezu unerträglicher Intensität nach dem Zel laktivator, weil er sich von ihm belebende und lebenserhaltende Impulse versprach. Auf der anderen Seite fürchtete er sich vor ihm, weil ihm aufging, daß er seine geistige Haltung nachhaltig beeinflußt hatte. Zorn übermannte ihn. Derartige Konflikte hatte er vorher nie ge kannt. Deshalb entschied er sich dafür, wei tere Konflikte dieser Art von vornherein un möglich zu machen. »Wir jagen sie nicht«, sagte er, »wir ver nichten sie.« »Was soll ich tun?« fragte Skaddos. »Als wir uns von Dumork zurückgezogen haben, haben wir Bomben am Vulkan Tarvi on zurückgelassen. Die werden gezündet. Der Vulkan wird ausbrechen und alles wei ter für uns erledigen.« Skaddos zögerte. »Los. Verschwinde«, brüllte Chirmor Flog mit ungewohnter Stimmgewalt. »Hinaus mit dir. Führe den Befehl aus.« Skaddos eilte aus dem Raum. Er kehrte nach zwei Minuten zurück und
43 teilte dem Neffen mit, daß er die Bomben gezündet hatte.
* Der Wagen schwankte plötzlich. Gara Tin schrie auf. Sie klammerte sich an Atlan, der neben ihr saß. »Es ist vorbei«, sagte sie erschreckt. »Ich wußte, daß der Neffe uns nicht in Ruhe läßt.« Die Bremsen kreischten. Der Wagen schüttelte sich. Lautes Krachen zeigte an, daß die Tunnelröhre zerbrach. Atlan hielt Gara Tin fest, damit sie nicht aus ihrem Sitz fiel. Doch dann schien der Wagen gegen eine Mauer zu fahren. Er kam schlagartig zum Stehen. Jetzt konnte auch der Arkonide sich nicht mehr halten. Er stürzte zu Boden und prallte gegen einen der anderen Sitze. Das Krachen und Bersten der Tunnelröhre war so laut, daß Artins Stimme nicht mehr durchdrang. Der Scuddamore hatte die vordere Tür geöffnet. Atlan zog Gara Tin hoch. Sie hatte das Bewußtsein verloren. Er nahm sie auf die Arme und trug sie nach vorn. »Schnell«, rief Artin. »Wir müssen raus. Wir befinden uns unter dem Ozean. Wenn die Röhre zerbricht, ertrinken wir.« Er stieß die Tür auf. Im Tunnel war es dunkel. Artin hob seine Waffe und feuerte sie ab. Der Energiestrahl zuckte in die Tunnelröhre und erhellte sie für Bruchteile von Sekunden. Atlan sah, daß die Röhre steil anstieg. Ih re Wände wiesen Risse auf, durch die Was ser hereinspritzte. Große Steinbrocken lagen in der Röhre und versperrten dem Wagen den Weg. »Beeilt euch«, schrie Artin. »Die Röhre platzt.« Schnell, mahnte der Extrasinn. Gleich bricht eine Panik aus. Atlan drängte sich durch die Tür nach draußen. Er sprang aus dem Wagen. Er fühl te, daß Wasser seine Knöchel umspülte, und er dachte daran, wie es geregnet hatte, als er
44 Säggallo betreten hatte. Im herabstürzenden Wasser hatte alles begonnen. Sollte es auch im Wasser enden? Er lief los, kam jedoch nur langsam vor an, weil die Frau in behinderte, die er tragen mußte. Die Stimmen der Scuddamoren rückten bald näher. Die Scuddamoren dürfen dich nicht er reichen. Sie trampeln dich nieder. Gara Tin regte sich in seinen Armen. Er hielt sie fest und beschleunigte seine Schrit te. Über ihm krachte und bebte es. Wasser schoß auf ihn herab. Der Boden war glatt und schlüpfrig, so daß er immer wieder zu fallen drohte. Dabei ging es steil nach oben. Du befindest dich am Rand des Ozeans. Sobald du eine bestimmte Höhe erreicht hast, bist du gerettet. Artin schoß. Die Panik trieb ihn dazu. Der Energiestrahl zuckte knapp an Atlan vorbei und erhellte den Tunnel. Der Arkonide sah, daß sich unmittelbar neben ihm eine Bruch stelle befand, an der das Verkleidungsmate rial des Tunnels zerbröckelte. Es bricht. Es dauert nur noch Sekunden. »Artin – nicht schießen«, rief er dem Scuddamoren zu. Er hatte Glück gehabt, daß der Kommandant der Schattenwesen ihn verfehlt hatte. »Wenn du die Tunnelwand triffst, ist es aus mit uns.« Die letzten Worte gingen in ohrenbetäu bendem Lärm unter. Die Tunnelwand platzte krachend auseinander. Wassermassen schos sen unter ungeheurem Druck in die Röhre. Sie schwemmten einige der Scuddamoren fort. Atlan hörte die Unglücklichen schreien. Das Wasser spülte sie in die Tiefe und warf sie bis zum Waggon zurück. Sie hatten keine Chance mehr. Sie konnten sich nicht gegen die Wassermassen nach oben arbeiten. Artin löste seinen Energiestrahler aber mals aus, um die Dunkelheit zu durchbre chen. Dieses Mal feuerte er schräg nach oben. Der Energiestrahl bohrte sich in die Tunnelwand und zerfetzte sie. Abermals stürzten Wassermassen in den Tunnel. Die Scuddamoren kämpften sich jedoch noch
H. G. Francis früh genug an ihnen vorbei, so daß keiner von ihnen mitgerissen wurde. Kaum waren sie einige Meter weiter, als der Tunnel hinter ihnen einstürzte. Atlan hörte, daß sich jemand neben ihm bewegte. Der Atem des anderen klang laut und keuchend. »Keine Angst. Ich schieße nicht mehr«, sagte der Scuddamore. »Es war dumm von mir.« »Du bringst uns um damit.« Die Tunnelröhre stieg immer steiler an. Bald konnten Atlan und die Scuddamoren nicht mehr laufen. Sie kamen nur noch krie chend voran. Glücklicherweise wachte Gara Tin aus ihrer Ohnmacht auf. Atlan erklärte ihr, was geschehen war, und in welcher La ge sie sich befanden. Die Frau verhielt sich überraschend ruhig und besonnen. Sie kroch vor Atlan her, so daß er ihr gelegentlich hel fen konnte. »Da oben wird es hell«, rief Artin nach ei niger Zeit. »Die Röhre kippt. Es geht nicht mehr so steil hoch.« Er behielt recht. Bald konnten Atlan, Gara Tin und die Scuddamoren sich schneller vor anbewegen und sich schließlich sogar wie der aufrichten. »Die größte Gefahr scheint vorbei zu sein«, sagte der Kommandant der Scudda moren, als sie sich einem rötlich schimmernden Licht näherten. »Jedenfalls brauchen wir hier keine Wassereinbrüche mehr zu be fürchten.« Sie hasteten voran. »Ich kann nicht mehr«, sagte Gara Tin. »Können wir nicht mal eine Pause ma chen?« Der Boden zitterte und schwankte unter ihren Füßen. »Der Vulkan ist ausgebrochen«, bemerkte Artin. »Hört ihr, wie er donnert?« Tatsächlich hatte Atlan schon seit länge rer Zeit ein ständiges Rumoren und Dröhnen vernommen. Jetzt war ihm klar, woher es kam. Er ahnte auch, wodurch das rote Leuchten verursacht wurde. Als sie dem Licht näher kamen, bestätigte sich seine
Der Arkonide und der Herrscher Vermutung. Es wurde immer heißer. Bei ßende Dämpfe schlugen ihnen entgegen. Ga ra Tin preßte hustend den Unterarm vor Mund und Nase. »Ein Schacht zum Vulkan«, erläuterte Ar tin überrascht. »Die Felsen sind auseinan dergebrochen.« Atlan erreicht die Öffnung als erster. Er sah, daß sich in der Seitenwand des Tunnels ein breiter Riß geöffnet hatte. Er reichte mehrere hundert Meter weit in den Fels. Glühende Lava brodelte in ihm. »Wir sollten uns hier nicht lange aufhal ten«, sagte er. »Die Lava könnte sich auch in den Tunnel ergießen.« Er drehte sich um und wartete auf die an deren. Zuerst kam Gara Tin. Ihr folgte Artin. Dann tauchten fünf schattenhafte Gestalten aus dem Dunkel auf. »Sind das alle?« fragte der Arkonide. »Hinter uns war niemand mehr«, antwor tete einer der Scuddamoren. »Die anderen sind umgekommen.« Artin ging einige Meter weit in den Tun nel hinein und rief die anderen, doch keine Stimme antwortete ihm. Er kehrte zu Atlan zurück. »Sie haben Pech gehabt«, sagte er gleich mütig. »Wir wollen uns nicht länger aufhal ten.« Atlan zögerte, doch Artin wartete nicht. Er gab seinen Untergebenen ein Zeichen und marschierte weiter, als sei nichts geschehen. »Wir müssen damit rechnen, daß Chirmor Flog uns seine Meute auf den Hals schickt«, sagte der Arkonide, während er Gara Tin zum Aufbruch drängte. »Er weiß, wo er uns zu erwarten hat.« »Hoffentlich ist Artin sich darüber auch klar«, erwiderte sie. Überall hatten sich Risse und Spalten in den Wänden gebildet. Durch viele von ihnen schimmerte es rot herein. Durch einige sickerte glutflüssige Lava in die Röhre. Als Artin ein Stahlschott erreichte, das den Gang verschloß, drehte er sich zu Atlan um. »Das ist ein böses Zeichen«, sagte er.
45 »Das Schott schließt sich automatisch in Notfällen. Es ist für den Fall eines Vulkan ausbruchs gedacht.« »Du meinst, hinter dem Schott befindet sich Lava?« fragte Gara Tin. »Ich befürchte – ja«, erwiderte der Scud damore. »Wir dürfen es auf keinen Fall öff nen, sonst schießt uns die glühende Masse entgegen und bringt uns um.« »Aber wie geht es weiter?« fragte sie er regt. »Irgendwo muß eine Seitentür sein.« Ar tin schickte seine Scuddamoren aus. Sie suchten die Wände ab, und schon wenig spä ter öffnete einer von ihnen eine kleine Tür. Gelbes Licht flutete ihnen entgegen. Artin eilte in den Gang hinein. Atlan schob Gara Tin vor sich her, als sie zögerte, ihm zu folgen. Wiederum schwankte der Boden unter ihren Füßen. Er wölbte sich teilweise auf, als sei er dicht davor, ausein anderzubrechen. Artin erreichte einen Antigravschacht. »Das Aggregat ist ausgefallen«, rief er dem Arkoniden zu, »aber wir können auf Sprossen nach oben klettern.« »Und oben warten dann Skaddos und sei ne Männer auf uns«, sagte Gara Tin. »Vielen Dank. Auf die Chance verzichte ich lieber.« »Wenn Sie hier unten bleiben, verbrennen Sie«, warnte Atlan. »Wir haben keine Wahl. Wir können nur hoffen, daß wir schneller sind als Skaddos.« Sie sah ein, daß sie keine andere Möglich keit hatte, als nach oben zu flüchten. Sie stieg in den Schacht und kletterte an den Sprossen hoch. Atlan folgte ihr. Als sie etwa fünfzig Meter hoch gestiegen waren, erbebte der Schacht. Atlan fühlte, wie das Eisen der Sprossen unter seinen Händen zitterte. Er blickte nach oben. Artin hatte eine Luke er reicht. Er öffnete sie und schob sich hin durch. Gara Tin folgte ihm. Als der Arkoni de die Hände nach der Kante des Durch stiegs ausstreckte, brach der Schacht mit oh renbetäubendem Krachen zusammen. Atlan hörte die Scuddamoren schreien, die noch
46 unter ihm waren. Er klammerte sich fest und blickte nach unten. Unter ihm war nur noch rot glühende La va. Brodelnd und kochend rückte sie ihm nä her. Gara Tin umklammerte sein Handgelenk. »Kommen Sie doch«, schrie sie in höch ster Angst. Der Arkonide rettete sich durch die Luke. Er befand sich in einem Gebäude, das halb zusammengestürzt war. Die eine Hälfte des Gebäudes stand auf einem Felsen, die ande re war verschwunden. Atlan blickte auf einen riesigen Lavasee, der sich kilometer weit bis zu hoch aufragenden Bergen er streckte. Einige Trümmer von Häusern, Gleitern und Raumschiffen ragten aus der glühenden Masse. Artin zeigte auf ein schmales Felsband, das sich durch die Glut schlängelte. »Kommt«, brüllte er. »Vielleicht können wir uns retten.« Sie rannten los. Kaum hatten sie die Ruine verlassen, als diese zur Seite rutschte und in der Lava ver sank. Die Felsen bewegten sich unter ihren Fü ßen wie ein schwankendes Floß. Atlan hatte das Gefühl, jeden Moment in den Lavastrom gerissen zu werden. Er trieb Artin und Gara Tin zur Eile an. Die junge Frau schrie entsetzt auf, als sie das Ende des Felsbandes fast erreicht hatten. Nur noch etwa hundert Meter trennten sie von sanft aufsteigenden Hügeln, die noch nicht von der Lava überschwemmt wurden. Gara Tin zeigte zu den tiefhängenden Wol ken hinauf. Atlan sah, daß sich ihnen Dut zende von Panzergleitern näherten. Die Ma schinen jagten mit atemberaubender Ge schwindigkeit heran. Es erschien ausgeschlossen, daß sie ihnen noch entkommen konnten. Dennoch rannte der Arkonide weiter. Auch Artin gab noch nicht auf. Er erreichte den sicheren Boden als erster. Die Gleiter waren nun nur noch etwa einen Kilometer von ihnen entfernt. Vor dem
H. G. Francis Scuddamoren erhoben sich verkohlte Bäu me. Ungefähr fünfzig Meter weiter standen die Reste eines Gebäudes. Dahinter öffnete sich eine Schlucht. Atlan sah, daß sich ein Lavastrom in die Schlucht ergoß. Gleißend hell floß die Glut ab. »Weiter, weiter«, brüllte Artin. »Nicht aufgeben. Noch haben wir eine Chance.« Gara Tin und Atlan fragten nicht. Sie wußten nicht, was er meinte, aber sie ver trauten ihm. Sie erreichten die Ruine. Artin jubelte. »In die Kabine dort. Schnell.« Direkt neben der abfließenden Glut lag ein röhrenförmiges Gebilde, das etwa vier Meter lang war und einen Durchmesser von fast zwei Metern hatte. »Das ist doch sinnlos«, schrie Gara Tin. Atlan packte sie und warf sie durch eine Luke in den Container. Artin sprang hinter her. Der Arkonide bemerkte, daß die Glei terbesatzungen sie noch nicht entdeckt hat ten. Die Maschinen flogen suchend hin und her. Er stieg in den Behälter und schloß die Luke hinter sich. Artin warf sich gegen die Wand, und plötzlich kippte die Röhre zur Seite. »Das ist Wahnsinn«, protestierte der Ar konide, doch es war schon zu spät. Der Con tainer stürzte in die Lava und wurde mitge rissen. Er schwamm in die Schlucht. Augenblicklich wurde es heiß im Innern des Behälters. Gara Tin stöhnte gequält. Ar tin gab keinen Laut von sich. Er war fest da von überzeugt, daß dies die einzige Mög lichkeit für sie war, sich zu retten. Etwa fünf Minuten lang glitt der Behälter auf der Lava dahin. Dann stieß er irgendwo an und rollte polternd weiter, bis er auf ein Hindernis traf, das ihn endgültig stoppte. Atlan drückte die Luke auf, weil die Luft im Behälter so knapp geworden war, daß er einer Ohn macht nahe war. Erleichtert stellte er fest, daß sie mehrere Meter weit vom Lavastrom entfernt waren. Er kletterte hinaus und half Gara Tin, ihm zu folgen. Artin schaffte es
Der Arkonide und der Herrscher allein. »Ihr werdet es nicht glauben«, sagte der Scuddamore triumphierend, »aber wir befinden uns in der Nähe eines verlassenen Depots. Wenn wir Glück haben, finden wir sogar ein kleines Raumschiff, mit dem wir starten können.« Atlan sah sich um. Sie befanden sich in einem Talkessel, der einen Durchmesser von etwa zwanzig Kilo metern hatte. Grünende Wälder zogen sich bis zu den steil aufsteigenden Bergen hin, die das Tal begrenzten. Nirgendwo war ein Panzergleiter der Scuddamoren zu sehen. Bedrohlich war allein der Vulkan, der nur etwa dreißig Kilometer von ihnen entfernt war, und der ständig Asche und Glutmassen in die Luft schleuderte. Glücklicherweise flogen die gefährlichen Massen jedoch nicht in ihre Richtung, sondern dorthin, wo der Arkonide die Scuddamoren in den roten Schilden vermutete. »Geht nur«, sagte Gara Tin. »Ich bleibe.« Atlan blickte sie überrascht an. Er glaub te, sich verhört zu haben. »Sie wollen bleiben? Aber das ist wider sinnig. Wie wollen Sie überleben? Sie haben keine Chance.« Artin interessierte sich nicht für das, was sie sagte. Er eilte davon. Atlan erkannte, daß ein gut getarnter Bunker unter den Bäumen sein Ziel war. »Sie wollen bleiben, weil Chirmor Flog noch lebt«, stellte er fest. »Sie haben sich geschworen, Ihren Mann zu rächen. Koste es, was es wolle.« »Genau das«, antwortete sie kühl. »Darüber hinaus bin ich jedoch so erschöpft, daß ich nicht mehr gehen kann. Ich habe nicht die Kraft, die Flucht fortzusetzen. Ich muß bleiben, um mich zu erholen. Es tut mir leid, Atlan, aber hier trennen sich unsere Wege.« Sie lächelte müde. »Vielleicht sehen wir uns später noch ein mal wieder. Sie brauchen sich keine Sorgen um mich zu machen. Wenn hier wirklich ein Depot ist, dann kann ich mich daraus versor
47 gen.« Atlan versuchte noch eine ganze Weile, sie davon zu überzeugen, daß es besser war, den Plan aufzugeben, doch sie schüttelte nur den Kopf. »Sie verstehen das nicht«, erwiderte sie. »Ich bin so schwach, daß ich kaum noch at men kann. Ich bleibe. Und wenn Sie versu chen, mich zu tragen, kratze ich Ihnen die Augen aus. Ich werde Säggallo erst verlas sen, wenn Chirmor Flog tot ist. Und wenn ich darüber hundert Jahre alt werden müß te.« Du mußt es akzeptieren, erklärte der Ex trasinn. Sie wird ihre Meinung nicht ändern. »Ich verstehe Sie, Gara Tin«, sagte er. »Und ich bewundere Sie.« »Warum? Weil ich so starrköpfig bin?« »Sie wissen schon, was ich meine.« Sie lächelte matt. »Mein Mann hätte das gleiche für mich getan«, erklärte sie schlicht. Ihre Augen leuchteten kurz auf. Sie verrieten, daß sie ei ne tiefe Zuneigung zu dem Arkoniden gefaßt hatte. »Und jetzt gehen Sie, bevor die Roten kommen. In Ihrem goldenen Anzug sind Sie kilometerweit zu sehen.« Der Arkonide blickte ihr einige Sekunden lang in die Augen. Dann lächelte er, wandte sich ab und folgte Artin, der mittlerweile in den Bunker gegangen war. Als Atlan ihn er reichte, drehte er sich um und blickte zu rück. Gara Tin war verschwunden. Er war überzeugt davon, daß sie sich ir gendwo in den Wäldern verbarg, um abzu warten, bis sich die Lage auf Säggallo beru higt hatte. Dann würde sie einen zweiten Vorstoß gegen Chirmor Flog unternehmen – und dabei vielleicht erfolgreicher sein als beim ersten Mal. Atlan betrat das Depot. Im Innern des Bunkers brannte Licht. Artin stand neben einer seltsamen Maschine. Sie hatte die Form einer dreiteiligen, unregelmä ßigen Wurst. Es war ein kleines Raumschiff. Der Bug war etwa drei Meter lang und hatte einen Durchmesser von fast einem Meter. Das Mittelstück, in dem sich auf einer Seite
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H. G. Francis
eine runde Schleuse befand, war etwa fünf Meter lang und zwei Meter dick. Das End stück mit den Antriebsaggregaten war mehr als zehn Meter lang und drei Meter dick. Ar tin richtete die Antennen, die zum Teil zu sammengeschoben oder eingeklappt waren. »Einsteigen«, rief er. »Ich kann das Ding fliegen. Damit kommen wir in den Welt raum – und noch weiter. So weit wir wollen, und sei es bis in die Hölle, wo wir Skaddos treffen werden.« Überrascht stellte der Ar konide fest, daß Artin sogar so etwas wie Humor entwickelte. Er folgte der Einladung. Er stieg ein und überließ es dem Scuddamoren, die Maschine zu fliegen. Artin verstand tatsächlich damit umzugehen. Er prüfte die Maschine durch.
Dann startete er sie und lenkte sie durch eine Panzerschleuse ins Freie. Er richtete den Bug gegen die Wolken und beschleunigte mit Höchstwerten. Die Maschine gehorchte. Atlan blickte auf die Ortungsschirme am Steuerleitpult. Einige Minuten verstrichen. Dann stieß das Raumschiff durch die Atmosphäre in den freien Raum vor. Die Ortungsgeräte gaben Alarm. Auf den Schirmen wimmelte es geradezu von Ortungsreflexen.
ENDE
Weiter geht es in Band 427 von König von Atlantis mit: Koordinator der Ewigkeit von Peter Terrid