Atlan Der Held von Arkon
Nr. 126 (Exclusiv-Band 12) Der Bio-Parasit von Dirk Hess Im Großen Imperium der Arkoniden schr...
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Atlan Der Held von Arkon
Nr. 126 (Exclusiv-Band 12) Der Bio-Parasit von Dirk Hess Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man das Jahr 10.497 v. A. eine Zelt, die dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, eine Zeit also, da die Erdbewohner in Barbarei und Primitivität verharren und nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen. Arkon hingegen - obzwar im Krieg gegen die Maahks befindlich - steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat - einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben, der kurz nach Gonozals Ende zusammen mit Fartuloon, dessen Leibarzt, spurlos verschwand und bei der Allgemeinheit längst als verschollen oder tot gilt. Doch der junge Kristallprinz ist lebendiger und aktiver denn je! Nachdem man ihn über seine wahre Herkunft informiert und sein Extrahirn aktiviert hat, strebt er den Sturz des Usurpators an. Doch von diesem Ziel ist Atlan noch weit entfernt. Gegenwärtig ist er halb Gefangener, halb Gast bei den Piraten von Richmonds Schloß. Atlan rechnet damit, seinen väterlichen Freund Fartuloon zu treffen und sofort wieder den Kampf gegen den Usurpator fortzusetzen. Mit einem rechnet er jedoch nicht Dieses eine ist DER BIO PARASIT………
Gefühl, Farnathia war reifer geworden. Sie hatte mit ansehen müssen, wie Sofgart seine Gefangenen folterte. Das alles hatte nachhaltige Spu ren in ihrer Psyche hinterlassen. Sie hatte gelitten, wie nur ein Wesen leiden konnte. Doch ihre Liebe zu mir hatte sie aufrechtgehalten. Ein Blick von ihr hatte genügt in ihren Augen hatte soviel Traurigkeit gelegen, daß ich kaum zu einer Entgegnung fähig gewesen war. Ich kannte ihre Angst vor einer erneuten Trennung. Doch sie war zu schwach gewesen, um darüber zu sprechen. Ein Schlafmittel hatte ihre Sorgen fürs erste beendet.
Vor meiner Kabinentür liefen die Energiekontrolleure des Wohntraktes vorbei. Ihre Magnetschuhe erzeugten einen metallischen Klang. Der Trupp bestand aus etwa zehn Spezialisten, die regelmäßig alle Lebenserhaltungssysteme in Sheerons Etagen kontrollierten. Sie waren unter anderem dafür verantwortlich, daß die Frischluftzufuhr konstant blieb. Sie warnten uns auch vor hyperenergetischen Beben, die alle positronischen Geräte beeinflussten. Der Asteroid, den die Piraten Richmonds Schloß nannten, besaß gute Sicherheitsanlagen. Aber gegen die Einflüsse aus dem Hyperraum war sogar die arkonidi sche Technik hilflos. Hanwigurt Sheerons Piraten lebten mit dem Risiko. Jeder Beutezug mit ihren Staubeiern war ein Spiel auf Leben und Tod. Es spielte keine Rolle, ob sie gegen fremdrassige Intelligenzen kämpfen mußten, oder ob sie mit geheimnisvollen Naturerscheinungen der Sogmanton-Barriere konfrontiert wurden. Alles innerhalb der kosmischen Staubballung war gefährlich. Hier jagte der Hyperraum seine energetischen Überladungen in den Normalraum und ließ organisches Leben zu unfaßbaren Entartungen mutieren. Was wußten wir denn schon vom Hyperraum? Ich drehte mich um. Die Ruheperiode war bald zu Ende. Dann würde ich sofort zu Farnathia gehen. Sie würde ausgeruht sein, und wir konnten über alles sprechen. Plötzlich erstarrte ich. Kein Gedanke mehr an Farnathia. Jetzt wußte ich auch, was mich seit einigen Augenblicken gestört hatte. In meiner Kommandokabine stand etwas, was vorhin noch nicht dagewesen war. Dabei war ich mir ganz sicher, die elektronische Verriegelung der Tür aktiviert zu haben. „Du bist mißtrauisch geworden!" meldete sich mein Extrasinn. Ich richtete mich vorsichtig auf. Das matte Glühen der Wärmepolster erlosch, und die Rückenlehne der pneumatischen Liege kippte in ihre Normallage zurück. Aus der elektrostatischen Luftreinigungsanlage wehte mir ein erfrischender Luftstrom entgegen. „Die Schrankablage aus Gußplastik!" Daß ich nicht von selbst darauf gekommen war, wunderte mich. Meine Hand wischte automatisch über den Berührungssensor der Be leuchtungseinrichtung. Zwei Leuchtstoffröhren flammten auf. Der hüfthohe Schrank glänzte mattschwarz. Die Modefarbe des ar konidischen Hofdesigners Interschonalbal, dachte ich bei mir, Eigentlich war nichts Außergewöhnliches an dem zierlichen Möbelstück. Mit der einzigen Ausnahme, daß es vor wenigen Augenblicken, noch nicht im Raum gestanden hate. Ich trat nachdenklich an das Ding heran. Es war leer. Nicht einmal eine Videokassette lag auf seiner matten Ablage.
Ich berührte den Schrank. Plötzlich durchfuhr mich ein Frösteln. Das Material kam in Bewegung, zuckte und vibrierte. Winzige Poren durchbrachen seine vorher makellose Oberfläche. Dann war es wieder vorbei. Der Schrank stand unverändert an seinem Platz. Ich mußte an den Piratenführer Sheeron denken. Die Undurchschaubarkeit dieses kleinen, fetten Arko niden hatte mich von Anfang an verunsichert. Es war kein besonders an genehmes Gefühl gewesen, auf das Wohlwollen dieses Mannes angewiesen zu sein. Das hatte sich nicht besonders günstig auf meine psychische Verfassung ausgewirkt. Die Zweifel waren nicht geringer geworden, nachdem ich von seinen Telepathiefähigkeiten erfahren hatte. Ob er mich an Sofgart ausliefern würde? Vielleicht hatte er den Schrank in mein Zimmer geschmuggelt, als ich schlief. Ein Abhörmechanismus unbekannter Bauart. Ein Gerät, mit dem er meine Gefühlsregungen sondieren konnte. „Narr!" wisperte mein Extrasinn. „Dazu braucht er keine Schränke! Es genügen Mikrodetektoren, die du im Nahrungsbrei verschluckst!" Also kein Psychospion. Was dann? Ich zog mein Allzweckortungsgerät aus dem Gürtel. Auf Daumendruck erwachte es zu summendem Leben. Seine Magnetströme würden jeden metallischen Gegenstand bis hin zu mikroskopischen Größen orten und unschädlich machen. Der erwartete Summton blieb aus. Die Situation war völlig unlogisch. Ich konnte die schmalen Stahlgriffe auf der Vorderseite des seltsamen Möbelstücks deutlich sehen. Oder spielte mir die Phantasie einen Streich? Ich wollte schon die Bild-SprechVerbindung zu Sheerons Zentrale herstellen, als mich ein Rascheln zusammenzucken ließ. Vor meinen Augen löste sich der schwarze Schrank auf. Seine Konturen verschwammen und machten einer klebrigen, zähflüssigen Masse Platz. Das Ding schillerte in allen Farben des Spektrums und verströmte dabei einen intensiv nach Schwefel riechenden Dampf. Wenige Augenblicke später war nur noch ein großer Klumpen organisch zuckender Materie übrig, deren Oberfläche sich in ständiger Bewegung befand. Ich wußte jetzt auch, wer da zu mir hereingekommen war. Morgus, Hanwigurt Sheerons Hofnarr. Das veränderliche Wesen war mir gleich zu Beginn meines Aufenthalts in der Sogmanton-Barriere aufgefallen. Es konnte sich in alles und nichts verwandeln. Seine Körperzellen besaßen die erstaunliche Fähig keit, sich durch Gedankenimpulse zu jeder beliebigen Gestalt aneinanderzureihen. Morgus konnte auch meine Gestalt annehmen. Es konnte Sheeron oder sonst irgendeinen Piraten nachahmen. Es fiel erst dann auf, wenn man `
mit dem Wesen reden wollte. Es konnte akustische Signale aufnehmen, aber nicht weitergeben. Die rasch nachgebildeten Sprechwerkzeuge brachten nur gurgelnde Gerausche zustapde. Ich hatte gesehen, wie Sheeron mit dem Wesen telepathisch konsmmunizierte. Sie stellten Körperkontakt her und tauschen ihre gedanklichen Ströme aus. Ein gallertartiger Pseudoarm zuckte auf mich zu. Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück, obwohl ich wußte, daß an diesem Wesen nichts Gefährliches war, empfand ich einen undefinierbaren Ekel Morgus mußte das sofort bemerkt haben, denn es stabilisierte seine Körperoberfläche. Aus der' gallertartig schimmernden Zellfläche wurde ein glänzender Kristall. Das Licht der Deckenbeleuchtung ließ das Ding aufblitzen. „Du bist mißtrauisch und arrogant wie alle Arkoniden!" Meine Hand lag auf den Kristallkörper, den Morgus jetzt darstellte. Die Gedanken kamen zuerst zögernd. Jetzt konnte Ich ihn besser verstehen. „Warum bist du hergekommen ? fragte ich den Veränderlichen. Mein Extrasinn sorgte gleichzeitig dafür, daß nichts von meinen wahren Ge fühlen in die telepathische Verbindung zu Morgus einfloß. „Vielleicht bist du mir sympathisch! Ich mußte lachen. Die Vorstellung, zu diesem Wesen eine Beziehung aufzunehmen, erheiterte mich. Außerdem würde Sheeron seinen Clown nur unfreiwillig herausrücken. Er hatte auch nie verlauten lassen, woher er den seltsamen Veränderlichen bekommen hatte. Stammte er aus einem Beutezug, oder hatte Sheeron ihn bei einem Ausflug auf einen arkonidischen Kolonialplaneten erworben? „Nein!" kam der bestimmte Telepathieimpuls. „Ich gehörte einst einem Mann, den du sehr gut kennst!" Morgus vermittelte mir ein Gefühlsbild, das mich auf eine ganz be stimmte Person brachte. Ich mußte plötzlich an Corpkor denken. Das Zusammentreffen mit diesem galaktischen Kopfjäger lag schon einige Zeit zurück. Doch ich konnte mich deutlich an seine Tierarmee erinnern, mit der er uns das Leben schwergemacht hatte. Sollte Morgus diesem Corpkor gehört haben? Der Veränderliche bestätigte meine Vermutung in keiner Weise. Im Gegenteil. Für wenige Augenblicke zog er seine telepathischen Fühler zurück und überließ mich meinem Zweifel. Wenn er tatsächlich einmal zu Corpkors Tierarmee gehört hatte, dann waren Sheeron und der Kopfjäger Freunde. Oder Feinde. Ich tappte im dunkeln und würde diese Verbindung wahrscheinlich niemals ganz erklären können. Zurück in die Gegenwart. „Ich war bei Farnathia!" Morgus wollte mir etwas Wichtiges mitteilen. „Was hast du bei ihr gesucht?" „Nichts! Morgus ist neugierig, Atlan!"
Natürlich konnte ich keine detaillierten Angaben von diesem halbin telligenten Mimikrywesen erwarten. Doch meine einmal geweckte Neu gier ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Vielleicht konnte mir dieses Wesen mehr verraten, als Hanwigurt Sheeron jemals zulassen würde. Ich spielte den Gelassenen. „Also... was willst du mir berichten, Morgus?" Ich hatte es wie beiläufig gesagt, wußte ich doch, daß der Veränderliche keine akustischen Signale verstehen konnte. Meine Gedanken jedenfalls erfaßte er in voller Stärke. Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Farnathia hat sich verändert!" Morgus überschwemmte mein Be wußtsein mit zum Teil gegensätzlichen Eindrücken. Es entstanden Bilder, die Farnathia so zeigten, wie ich sie in der Erinnerung hatte. Dann ihre Gestalt, kurz nachdem sie aus der Sogmanton-Barriere geholt worden war. Sie wirkte müde und abgekämpft. Doch ihre Augen ver rieten die Wiedersehensfreude mit mir. Das war vor der Ruheperiode gewesen. Das Gedankenbild, das Morgus jetzt in mein Bewußtsein projizierte, ließ mich erschauern. Ich war entsetzt. Das konnte doch niemals meine geliebte Farnathia sein. Das war ein Wrack. Eine sterbenskranke Arko nidin, der selbst ein Ara kaum mehr als ein halbes Arkonjahr gegeben hätte. Das Bild verblaßte und verschwand aus meinem Bewußtsein. Morgus hatte die telepathische Verbindung unterbrochen. Er schien mein Entsetzen und die damit verbundenen Gefühlsregungen nicht auf sich einwirken lassen zu wollen. Doch das einmal Gesehene hatte sich mir tief ins Bewußtsein eingebrannt. „Farnathia!" stöhnte ich leise. Das mußte ein Alptraum sein. Dieser verdammte Metabolische hatte mit meinem Entsetzen Scherz getrieben. Ich stieß die schillernde Kristallkugel beiseite. Morgus verwandelte sich abrupt in einen zähen Schleimbrei, der durch die Ritzen der Klimaanlage sickerte. Wenig später war von ihm nichts mehr zu sehen. Nur ein schwacher Schwefelgeruch erinnerte noch an seine Anwesenheit. Das Bild der veränderten Farnathia ließ sich nicht aus meinem Be wußtsein verdrängen. Ich wischte mir durch die schulterlangen Haare. Meine Augen tränten leicht; ich zitterte. Ich rannte kurz entschlossen aus der Kabine. Draußen wäre ich beinahe mit einem Piraten zusammengestoßen, der neben der Tür stand. „Halt! Gehen Sie sofort in Ihren Aufenthaltsraum zurück!" befahl der Bursche in einwandfreiem Arkonidisch. Seine blaßblaue Hautfarbe verriet mir, daß ich es mit einem Zarltoner zu tun hatte. Zarltoner waren als harte Kämpfer bekannt. Kein Wunder, daß Sheeron sich einige von ihnen neulich als Leibgardisten verpflichtet hatte.
„Sie dürfen jetzt nicht herauskommen!" Die flimmernde Mündung seines Strahlers zeigte auf meine Brust. Der schwere Strahlenkarabiner polterte auf den Boden. Lord Correson hatte den Zarltoner mit einem Handkantenschlag ins Reich der Träume geschickt. Lachend rieb er sich den Handrücken. „Sieh mich nicht so überrascht an, Atlan! Ich bin kein Geist!" Ich mußte lächeln. Ja, das war Lord Correson, der schlanke, hoch gewachsene Adlige. Es paßte eigentlich gar nicht zu ihm, einen Gegner durch brutale Kraft kampfunfähig zu machen. Seine Stärke lag in der Beweglichkeit seiner Intelligenz. Er konnte durch allerlei Psychotricks jeden Gegner verblüffen und außer Gefecht setzen. Es mußten Dinge geschehen sein, die Correson die sonst übliche Zurückhaltung vergessen ließen. „Hast du nichts von dem Generalalarm gehört, Atlan?" Ich schüttelte den Kopf. „Anscheinend will Sheeron nicht, daß ich ihm bei irgend etwas dazwischenfunke!" „Das glaube ich nicht!" entgegnete Lord Correson. „Im oberen Stockwerk ist der Teufel los. Ich wollte meine Kabine verlassen, als ein verrücktgewordener Roboter durch den Gang raste. Die Piraten haben das Ding sofort zusammengeschmolzen!" Ich versuchte mir die Lage der einzelnen Stockwerke des Zentralteils von Richmonds Schloß vorzustellen. Im obersten Geschoß waren Shee rons Kommandoeinheiten angesiedelt. Der persönliche Stab des Pira tenführers hatte mehrere Säle für sich in Beschlag genommen. Außer einigen Maschinenräumen, deren Funktion ich nur erahnen konnte, gab es dort oben kaum etwas Geheimnisvolles. Anders war es mit den tiefergelegenen Stockwerken, die in die Kruste des Asteroiden hineinge brannt worden waren. Da gab es Gänge und Schächte, die seit wenig stens zehn Arkonjahren von keinem Piraten mehr betreten worden wa ren. Längst vergessene Materiallager, unbrauchbare Beutestücke und auch Raumschiffe waren hier deponiert worden. Ich fragte mich, ob Sheeron tatsächlich den Überblick über diesen riesigen Irrgarten besaß. Etwa zehntausend Arkoniden hatten es sich hier wohnlich eingerichtet. Auch wenn Hanwigurt Sheeron vorgab, Anführer dieser kosmischen Piraten zu sein, so mußte er doch zugeben, daß hier mehrere rivalisie rende Gruppen lebten. Sollte sich eine dieser Cliquen seinen Befehlen widersetzt haben? Ich konnte diese Möglichkeit nicht außer acht lassen. „Weißt du etwas Näheres?" fragte ich Correson. „Vielleicht proben ein paar Piraten den Aufstand!" „Das glaube ich nicht. Als ich meinen Raum verlassen wollte, tauchte ein Bewaffneter auf, der mich daran hindern wollte, zu dir zu kommen. Dem Kerl ist es natürlich schlecht bekommen!" Correson lachte leise. „Der wird eine Zeitlang Kopf-
schmerzen haben!" „Gut gemacht! Aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was das bedeuten soll. Sheeron kann uns doch hier nicht einsperren lassen! Dazu hätte er vorher mehr Gelegenheit gehabt!" Wir waren genauso schlau wie vorher. Ich berichtete Correson von meinem Zusammentreffen mit Morgus. Er kannte bereits den Metaboli schen und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Jetzt, da du es mir sagst, erscheint mir das Ganze nicht mehr rein zufäl lig. Irgend etwas stimmt mit Farnathia nicht. Während unserer Reise war sie müde, niedergeschlagen und irgendwie anders. Ich kann es dir auch nicht genau erklären ... " „Doch! Versuche dich genau daran zu erinnern, Correson!" Der Arkonide zuckte mit den Schultern. „Sie klagte über Alpträume ... aber etwas Genaueres konnte sie mir da mals nicht sagen. Ich habe mir natürlich auch keine weiteren Gedanken gemacht. Wer einmal auf der Folterwelt war, ist nie mehr derselbe, der er einmal war!" Das stimmte. Also litt Farnathia unter einem Trauma, dessen Ursprung in den Erlebnissen auf Ganberaan zu suchen war. Weshalb aber hatte Morgus mir das Bild einer schrecklich veränderten Farnathia vermittelt? Ich wußte, daß mir nur Farnathia selber darüber Auskunft geben konnte. „Komm!" forderte ich Correson auf. „Wir gehen zu Farnathia. Kein Pirat wird mich daran hindern können. Egal, ob die Burschen hier Ge neralalarm gegeben haben. Ich werde diesem fettbäuchigen Piraten zei gen, mit wem er es zu tun hat!" Lord Correson machte eine scherzende Bemerkung und führte mich zum Antigrav, der die Stockwerke miteinander verband. Wir blickten nicht zurück. Und so sahen wir nicht, daß hinter uns ein Schatten aufge taucht war. Unsere Gedanken weilten bereits bei Farnathia, zu der wir beide enge, aber doch grundverschiedene Beziehungen unterhielten. Ich liebte Far nathia. Lord Correson war wie ein Bruder zu ihr. Er hatte sie beschützt, als die Träume von der Folterwelt ihre sensible Psyche gequält hatten. Er hatte sie beschützt, als ich nicht bei ihr sein konnte. Er hatte ihr Mut zugesprochen, als sie mit ihrem Schicksal haderte. Während der Antigrav uns in das darüberliegende Stockwerk brachte, endete vor meiner Kabinentür der Zarltoner in den Klauen eines Unge heuers. Der Körper blutete an mehreren Stellen. Er hätte eigentlich längst tot sein müssen, doch eine geheimnisvolle Kraft hielt ihn auf den Beinen. Die schmierig glänzenden Klauen packten den unglücklichen Zarltoner und brachen ihm das Genick. Sein Schrei erstickte in einem Gurgeln. Dann wurde es still. Das Ungeheuer zerrte den Toten durch
den Gang. Eine blutige Spur blieb auf den Plastikfliesen zurück. Sonst nichts. Der Zarltoner wurde nie wieder gesehen. 3. Aufgeregte Stimmen empfingen uns in der Kommandoetage von Richmonds Schloß. Bewaffnete Piraten liefen an uns vorbei. Sie stürm ten aus den angrenzenden Antigravschächten. Einige von ihnen trugen rußgeschwärzte Kombinationen. „Was ist hier los?" Ich packte eine junge Arkonidin am Arm. Sie sah mich nur kurz an. In ihren Augen stand nacktes Entsetzen. Ein blutiger Riß zog sich über ihre Wange. „Die... Ungeheuer sind ausgebrochen." brachte sie stammelnd hervor. „Welche Ungeheuer?" Sie entwand sich meinem Griff und lief den anderen nach. Lord Correson hatte die Szene miterlebt und machte ein nachdenkliches Gesicht. Was mochte die Piraten so aufgeschreckt haben? „Dem Durcheinander nach zu urteilen, könnte Orbanaschols Flotte die Sogmanton-Barriere besetzt haben!" vermutete ich halb scherzhaft. „Damit sollte man keine Witze machen!"' Lord Correson machte einen stark aufgeregten Eindruck auf mich. Er mußte mehr wissen als ich. „Los, sag schon was!" „Ich weiß nicht, ob diese Sache etwas mit dem Generalalarm zu tun hat ... aber wir müssen mit allem rechnen!" Correson schwieg. Er deutete auf die verlassene Kommandozentrale, die vor uns lag. Hinter halbtransparenten Stahlplastikscheiben waren Positroniken, Bild schirmreihen und lange Sitzreihen erkennbar. „Als du noch in deiner Kabine warst, haben sie hier einen Toten ge funden. Er war gräßlich zugerichtet!" Das war es also. Ein Unfall ... oder vielleicht ein Pirat, der zu lange der Hyperstrahlung ausgesetzt war und demzufolge irgendwelche Hirnde formationen erlitten hatte. „Trotzdem . . . ", meldete ich Zweifel an, „trotzdem verstehe ich nicht, daß Sheeron einen solchen Zirkus veranstaltet. Was ist schon ein Toter für die Piraten. Bei einem Beutezug muß man mit dem Verlust ganzer Schiffsmannschaften rechnen!" Ich wußte, daß ich recht hatte. Mein Extrasinn gab einen zustimmenden Impuls. Hier war etwas weit Schwerwiegenderes geschehen. So leicht ließen sich die Piraten nicht beeindrucken. Auf einmal bekam ich Angst um Farnathia. Sie mußte noch in ihrer Kabine auf der anderen Seite der Kommandozentrale stecken. „Farnathia . . . ", murmelte Correson. Ich nickte ihm zu. Wir verstanden uns. Dem Mädchen durfte nichts ge schehen. Egal, was die Piraten unter sich auszumachen hatten.
Wir liefen an den verlassenen Kontrollzentren von Schloß Richmond
vorbei. Sheeron hatte anscheinend alle Wachmannschaften abgezogen.
Irgendwie war das Ganze unheimlich. Wir standen vor einem Rätsel.
Denn wir hatten die Piraten als harte Kämpfer kennengelernt, die sich
weder vor Erscheinungen aus dem Hyperraum noch vor fremdrassigen
Wesen fürchteten.
Plötzlich blieb Correson stehen. Ich streifte ihn mit einem Blick und
bemerkte, daß seine Augen leicht tränten. Dann folgte ich seiner Hand.
Was ich erblickte, ließ mich erstarren.
Die glatten Bodenfliesen des Verbindungsganges waren blutver
schmiert. Kombinationsfetzen lagen überall verstreut. An der Wand hat
ten Krallen ihre Kratzspuren hinterlassen. Und überall Blut.
Mich fröstelte plötzlich.
Hier mußten sich grauenhafte Szenen abgespielt haben. Ich wußte jetzt
auch, weshalb Sheeron seine Leute aus diesem Trakt abgezogen hatte.
Irgend etwas Unheimliches trieb hier sein Unwesen. Und Farnathia war
womöglich schon tot. Ich konnte den Gedanken daran nicht ertragen,
Die Stille, die nur vom Rauschen der Luftumwälzanlage unterbrochen
wurde, schmerzte plötzlich.
„Los ... wir haben schon zuviel Zeit verloren!" Ich riß Correson aus sei,
ner Erstarrung.
„Das . . das kann doch kein Menschliches Wesen angerichtet haben!"
stieß er würgend hervor. Wer sollte solch ein Blutbad anrichten? Und zu
welchem zweck?"
„Das werden wir später wohl oder übel erfahren! Jetzt ist mir Farnathia
wichtiger. Komm schon!"
Wir liefen durch die verlassenen Gänge. Automatisch waren wir
wachsamer geworden. Aus zusammengekniffenen Augenlidern beob
achtete ich das halbdunkle Oval vor uns. Zwei Gänge zweigten ab. Nach
links und nach rechts. Farnathia
mußte rechts, im zweiten oder dritten Raum sein. Wenn sie noch da
war.
Doch außer uns schien niemand in der Nähe zu sein.
Ein Summen ließ uns zusammenschrecken.
Über uns hatte sich eine Videokamera gedreht. Ihr Objektiv zeigte jetzt
genau auf uns.
„Sheeron beobachtet uns!" stieß Correson hervor.
In der gleichen Sekunde erfüllte die Stimme des Piratenführers den
Verteilerraum.
„Seid ihr denn völlig wahnsinnig geworden? Ihr könnt jetzt nicht dort
draußen herumlaufen!"
Ich machte ein unbeteiligt wirkendes Gesicht.
„Gilt der Alarm auch für Gäste des Piraten?" murmelte ich.
„Macht keinen Unsinn!" kam es aus den versteckt angebrachten Lautsprechern. Sheeron hatte echte Besorgnis in seine Stimme gelegt. „Ihr wißt ja gar nicht, was hier los ist!" „Dann erklären Sie's uns doch!" „Ich habe jetzt keine Zeit für lange Erklärungen! Verschwindet in der erstbesten Kabine und schließt euch ein. Wir holen euch nachher raus!" Ich wollte es hier und jetzt wissen! „Heraus mit der Sprache, Sheeron! Haben Sie Ärger mit ihren Leuten, oder sind Ihnen die Gantries bis ins eigene Nest gefolgt?" „Wenn es das nur wäre..." Sheeron machte eine Pause. Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. Anscheinend wußte er selbst nicht genau Bescheid. „Ihr habt doch die Blutspuren gesehen! Man hat eine Wachmannschaft überfallen ... und mehrere von ihnen völlig zerrissen. Kein einziger kam mit dem Leben davon. Unseren Untersuchungen zufolge haben wir's mit einem Fall von Kannibalismus zu tun!" Es traf mich wie ein Hammerschlag. „Wo steckt Farnathia? Haben Sie das Mädchen gesehen? Antworten Sie, Sheeron!" Aus den Lautsprechern kam das typische Schnaufen des dickleibigen Piratenführers. „Ich habe hier kein Hotel für gestrandete Abenteurer. Aber wenn Sie's beruhigt ... ich habe die Kleine seit Beginn der Ruheperiode nicht mehr gesehen. Sie war ja ganz fertig. Richtig verfärbte Lippen. Hat wohl die Hyperstrahlung nicht vertragen!" „Sonst nichts?" „Nein!" Sheeron wurde ungeduldig. „Seid jetzt vernünftig und geht in Deckung. Wir werden gleich ein Kommando durch die Etage schicken und mit dem Spuk aufräumen!" Es knackte leicht. Sheeron hatte die Bild-Sprechverbindung abge schaltet. Im gleichen Augenblick schrillte ein spitzer Schrei durch den Gang. Wir starrten erschrocken in das Halbdunkel des Ganges. Die Türen waren verschlossen. Nirgendwo eine Bewegung. Nichts. „Das war Farnathia!" Wir rannten wie von allen Teufeln der Sogmanton-Barriere gehetzt durch den Gang. „Farnathia!" sagte ich leise. Sie hatte gehört, daß jemand die Tür geöffnet hatte. Doch sie drehte sich nicht um. Rechts kauerte Morgus, das Mimikrywesen. Es hatte die Form einer großen Spielpuppe angenommen. Arkonidische Kinder pflegten damit zu spielen. Wollte Morgus meine Farnathia etwa trösten? Ich konnte es mir nicht vorstellen. „Farnathia!"
Lord Correson zupfte mich am Ärmel. Er deutete auf die Glassplitter mehrerer zerplatzter Leuchtstoffröhren. Jemand hatte sie mit einem schweren Gegenstand zerstört. Auch der Spiegel befand sich nicht mehr in seiner Halterung. „Farnathia ... ich bin's, Atlan!" Farnathia weinte. Sie wollte sich noch immer nicht zu uns umdrehen. Morgus rollte von der Liege und streifte mein Bein. Er bildete einen Tentakel aus und suchte die telepathische Verbindung zu mir herzustel len. Correson sagte jetzt: „Laß sie zufrieden ... sie ist sehr krank!" Er wollte mich aus der Kabine zerren, doch ich gab seinem Drängen nicht nach. Waren denn hier alle verrückt geworden? Ich begann plötzlich zu transpirieren. Eine unerklärbare Unruhe hatte von mir Besitz ergriffen. Ich wollte meine Hand auf Farnathias Schulter legen. Das hätte ich nicht tun sollen. Sie sprang auf und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Es war noch zu dunkel. Ich konnte nichts Genaues sehen. Doch irgendwie war ihr Körper ungelenkig und steif. Sie wäre beinahe ge stolpert. Ihr Schluchzen wollte nicht aufhören. Morgus berührte mich immer noch. Seine Empfindungen waren ungeordnet und chaotisch. Die telepathischen Symbole ergaben keinen Sinn. Das veränderliche Wesen war anscheinend ebenso erschüttert wie wir alle. „Sieh mich bitte an, Farnathia!" Sie antwortete schleppend, als hätte sie Mühe, überhaupt einen Ton über die Lippen zu bringen: „Geh fort ... Atlan! Bitte" Ich wollte sie aufrichten, doch sie entwand sich meinem Griff. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Haut fühlte sich fiebrig an. Es ließ mir keine Ruhe. Es war so eigenartig, daß ich mir Klarheit darüber Verschaffen mußte. „Sieh mich nicht an! Bitte ... Atlan! Ich bin nicht mehr die Farnathia, die du geliebt hast!" Sie versuchte verzweifelt, ihr Gesicht vor mir zu verbergen. Doch es gelang ihr nicht. Die Leuchtstoffröhren des Ganges waren erbarmungs los. Das kalte Licht zeigte mehr, als mir lieb war. Farnathias Haut war von blaugeäderten Linien durchzogen. Die Gelenke zeigten dicke Schwellungen, Muskelstränge schoben sich pulsierend heraus und hatten die Haut an mehreren Stellen aufplatzen lassen. Von ihrer wohlgeformten Figur war nichts mehr zu erkennen. Und die Augen waren auch nicht mehr rötlich, sondern tintenblau. Sogar das Weiße der Augäpfel war verschwunden und hatte diesem glasigen Blau Platz gemacht. Die zuckenden Lippen waren dick angeschwollen. Ich war wie geschockt. Ich wollte ihr helfen, war aber doch völlig hilflos.
Ihr unförmiger Mund wollte Sätze formen, doch es kamen nur blub bernde Geräusche aus ihrer Kehle. Lord Correson atmete schwer. „Wir ... brauchen einen Bauchauf schneider!" stieß er hervor. Natürlich, der Gedanke, einen Arzt zu konsultieren, lag nahe. Aber es fragte sich, ob es hier einen Spezialisten gab, der Farnathia hätte helfen können. Ich vermutete, daß ihre Veränderung durch die intensive Hyperstrahlung der Sogmanton-Barriere hervorgerufen worden war. Und gegen die Hyperstrahlung gab es noch kein Patentmittel. Vielleicht würde hier eine Ortsveränderung helfen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hätte jedes Risiko in Kauf genommen, nur um diesem unglücklichen Mädchen zu helfen. Weil ich damit auch mir geholfen hätte! Hinter uns wurden schwere Schritte laut. „Was sucht ihr hier noch? Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt in eure Kabinen zurückgehen?" Hanwigurt Sheeron höchstpersönlich war mit seiner Leibgarde aufge taucht. Die beiden Wissenschaftler hatten Farnathia zu den Meßinstrumenten ihres Labors geführt. Das grelle Licht der Deckenbeleuchtung be schönigte nicht, und verbarg nichts. Farnathia sah bedauernswert aus. Irgendeine geheimnisvolle Kraft herrschte in ihrem Körper und gab die Befehle zu langsamer Metamorphose. Auf den Bildschirmen der Meßinstrumente bildeten sich gezackte Linien ab. Farnathias Zellstrahlung zeigte abnorme Werte. Das Schlimme dabei war, daß sich kein Krankheitsherd lokalisieren ließ. Ihr gesamter Stoffwechsel verlief in völlig unlogischen Bahnen. „Es läßt sich nicht mit einiger Sicherheit sagen, woran sie leidet . . . " Der Wissenschaftler schwieg. Auf dem Schirm hatten sich steil gezackte Linien über die regelmäßig pulsierende Kurve der Zellstrahlung ge schoben. „Da, sehen Sie doch! Das haben wir eben auch schon einmal gemessen. Es kommt in regelmässigen Abständen wieder. Und jedes mal wird sie schwächer " Ich sah Farnathia in die Augen. Sie senkte den Kopf und wich meinem Blick aus. „Farnathia... ", sagte ich leise. „Du weißt doch etwas! Bitte, sag uns al les!" Sie schwieg. Die beiden Ärzte waren mit ihrem Latein am Ende. Sie lösten die Meß sonden und schalteten die Geräte aus. „Wir sind keine Spezialisten!" versuchten sie sich zu entschuldigen. „Was seid ihr denn? Kretins?" Mein Ausbruch war plötzlich und unvermutet gekommen. Sogar mein Extrasinn gab beruhigende Impuls
stimuli. Das hatten die beiden Männer nicht verdient. Sie hatten getan,
was in ihren Kräften stand.
„Tut mir leid!" Meine Stimme klang rauh.
„Schon gut! Sie müssen uns glauben, daß uns die Sache selber leid tut.
Wenn es einen Weg gäbe, ihr zu helfen... glauben Sie uns, wir hätten es
versucht!"
Ich wendete mich zu Sheeron um, der über Minikom zu seinen Einsatz
gruppen sprach. Irgendwo im Labyrinth der Gänge hatte es wieder Opfer
gegeben. Eine Wachmannschaft hatte grausam verstümmelte Leichen
gefunden:
Sheeron reagierte wütend. Seine Hilflosigkeit war offensichtlich. Er war
jetzt der letzte, der mir einen Tip geben konnte. Er hatte ganz andere
Sorgen.
4. Vor nicht allzulanger Zeit. Ein kleines Raumschiff in der SogmantonBarriere. Ein Metallkörper im Chaos der Magnetstürme. Gejagt von hyperdimensionalen Leuchtwesen. Gantries. Weit weg von Ganberaan, der Folterwelt des Blinden Sofgart. Und doch in Verbindung mit dem haßerfüllten Folterer. Lichtjahre zwischen der Haßaura von Ganberaan. Doch das Grauen ließ sich nicht mehr aufhalten. Es war hungrig, Hunger war sein einziger Lebensinhalt und machte es rasend. Hunger. Seine psionischen Tastversuche wurden heftiger,bruta ler. Doch jeder Versuch wurde sofort im Keim erstickt. Es war noch nicht soweit. Die hypnotische Sperre wies alle Anstrengungen zurück. Aber es konnte nicht mehr lange dauern. Das Ding spürte instinktiv, daß die Blokkierung langsam nachließ. Warmes Blut umspülte seinen kleinen Körper. Trotz des brennenden Hungergefühls fühlte es sich irgendwie geborgen. Die fremde Zellstrah lung, auf die es programmiert worden war, gab ihm die Gewißheit, daß sein Opfer nicht entkommen konnte. Sein plötzlicher Tod hätte ihm jede Existenzgrundlage geraubt. Das durfte niemals passieren. Es hatte Angst vor dem großen Hunger, den der Tod des Wirtskörpers mit sich bringen würde. Und Angst vordem großen Hunger war das einzige Trauma dieses künstlich geschaffenen Wesens. Diese Angst war ihm bei seiner Erschaffung mitgegeben worden. Sie gehörte sozusagen zu seinem Wesen. Die Angst vor dem Nahrungsentzug motivierte seine Aktivität. Sonst gab es nichts, was ihm irgendeinen Ansporn gegeben hätte. Es besaß keine Arme, keine Hände, keine Beine, keinen Kopf Die ungezügelte Gier hatte es alle körpereigenen Nahrungsreserven as similieren lassen. Mit ihrem Verbrauch wuchs die Angst. Auch das war von seinen Schöpfern vorausbestimmt worden. Es sollte im richtigen Augenblick wie ein Säurestoß durch den Körper seines Opfers rasen. Es sollte seine ganze aufgestaute Angst in einer einzigen Entladung freiset
zen. Dieser Augenblick wurde sonst in gieriger Erwartung verfolgt. Vom Blinden Sofgart. Doch der war weit weg. Ihm war die Vorstellung von dem Schrecklichen Befriedigung genug. Und er konnte sich auf seine Folterknechte verlassen. Es konnte die unregelmäßig erfolgenden Stöße harter Hyperstrahlung selber wahrnehmen. Dazu benötigte es die Empfindungen seines Wirts körpers. Es wußte auch nicht, was der Weltraum oder gar der Hyperraum waren. Es kannte außer seiner eigenen Körpersphäre nur die umhüllende Substanz des Opfers. Und noch war es nicht soweit, daß es durch die Augen seines Opfers hätte sehen können. Das verhinderte der hypnotische Block Sofgarts. Draußen mußten sich die Ereignisse zugespitzt haben. Denn .plötzlich empfand das Opfer Angst. Die Gefühlsregungen wurden stärker und steigerten sich bis zum Äußersten. Im gleichen Augenblick empfand auch das Ding Angst. Die Lebensangst seines Opfers ließ es, um die langersehnte Nahrung bangen. Sein kleiner Körper zuckte unkon trolliert. Das rascher pulsierende Blut seines Opfers enthielt Adrenalin anteile. Es wußte zwar nicht, was diese Substanz darstelle, es konnte lediglich seine Wirkung nachvollziehen. Und die war nicht beruhigend. Im Gegenteil. Die hypnotische Sperre ließ langsam nach. Blut drang durch seine Po ren und wurde sofort umgewandelt. Dadurch konnte der Hunger ein we nig gestillt werden. Die kurzfristig gewährte Nahrungsaufnahme vertrieb auch die Todesangst. Die Erwartung auf das endgültige Freiwerden der aggressiven Energie konnte für wenige Augenblicke gebändigt werden. Aber wie lange noch? Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart sollte bald detonieren! 5. Ich war mit Farnathia allein. Lord Correson stand vor der Tür und paßte auf, daß uns Sheerons Männer nicht störten. Ich barg Farnathias entstelltes Gesicht in meinen Händen. Sie konnte nur noch lallen. Mit einmal wurde mir klar, wie unendlich viel zwischen uns ungesagt geblieben war. Und jetzt war es dafür zu spät. Ich konnte das Versäumte nicht nachholen. Das war es, was mich rasend machte. Farnathia rückte in den Schatten. Sie schämte sich. „Wenn ich dir helfen soll, Farnathia", begann ich leise, „dann mußt du mir alles erzählen. Was ist in eurem Raumschiff passiert? Wart ihr län gere Zeit der Hyperstrahlung ausgesetzt?" Ich suchte verzweifelt nach einer Erklärung für ihre Veränderung. Ich konnte mir nichts anderes als die Nachwirkungen jener unbekannten Strahlung vorstellen, die ihre Körpersubstanz nachhaltig beeinflusst
hatten. Ich selbst hatte gesehen, wie mehrere Piraten mit einem Gantrie zusammengetroffen waren. Von den Männern waren nur ausgebrannte, wild wuchernde Zellklumpen übriggeblieben. „Wenn du mich verstehst, dann nicke bitte mit dem Kopf!" Ich hatte es laut und eindringlich gesagt. Farnathia blickte mich traurig an. Ihre blauverfärbten Augen waren glanzlos und bleiern. Der Tod lag in ihnen. Oder die Anzeichen einer Verwandlung. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Mir war auf einmal gleichgültig, ob mich Sheeron an den Blinden Sofgart ausliefern würde. Ich wollte Farnathias Leiden beenden. Ich wollte Farnathia wieder zu dem ma chen, was sie einst gewesen war: das Mädchen, das ich liebte. Sie nickte langsam mit dem Kopf. Also verstand sie mich. „Hat deine Verwandlung etwas mit den hyperdimensionalen Einflüssen in der Sogmanton-Barriere zutun?" Sie reagierte nicht. Ich präzisierte meine Frage. „Hast du diese Veränderung erst bemerkt, nachdem du schon in Rich monds Schloß warst?" Farnathia schüttelte den Kopf. Also hatte sie schon früher gewußt, daß etwas mit ihrem Körper nicht in Ordnung war. „Dann war es also nicht die Hyperstrahlung?" Meine Frage klang fast wie eine Feststellung. „Was in aller Welt sollte dann daran schuld sein?" Farnathia saß vorgebeugt auf dem Schalensessel. Ihr Oberkörper sah grotesk aus. Da war nichtsmehr von der reizvollen Figur des hübschen Arkonidenmädchens zu sehen. Da saß jetzt eine Mischung aus aufge quollenem Zellplasma. „Ist dir etwas während der Flucht von Ganberaan zugestoßen?" Farnathia schüttelte erneut mit dem Kopf. Sie machte eine Geste. die mir Ruhe abverlangte. Es schien sie zu quälen, daß ich die Hoffnung auf ihre Rettung nicht aufgeben wollte. Solange sie noch lebte, würde ich diese Hoffnung nicht aufgeben. Da kannte sie mich schlecht. Ich war durch Fartuloons harte Schule gegangen. Das hatte mich unnachgiebig und streng gemacht. Ich würde mich sogar über die Gefühle dieser gequälten Kreatur hinwegsetzen, wenn es sein mußte. Ich würde sogar den letzten Schritt wagen. Ich tastete nach den Taschen meines Allzweckgürtels. Es geschah ganz automatisch, denn ich wußte, daß es nur einen Weg gab, um mehr über Farnathias Veränderung zu erfahren. Nur sie konnte wissen, was den Anstoß dazu gegeben hatte. Ich wußte genau, was ich tat. Unter normalen Umständen hätte ich das Wagnis, Farnathias Zuneigung zu verlieren, einkalkulieren müssen. Aber die Umstände waren alles andere als normal. Nun gut, dann verstieß ich
eben gegen die arkonidischen Sitten. Ich war entschlossen, es
durchzustehen. Egal, was Farnathia von mir denken mochte.
Lord Correson schaute gerade herein. Es war still geworden, und seine
Sorge um das Mädchen hatte ihn nicht untätig verharren lassen. Als er
die kleinen fluoreszierenden Pillen in meiner Hand sah, stürzte er mit
einer Heftigkeit näher, die ich von ihm nicht gewöhnt war.
„Nein, Atlan ... das darfst du nicht tun!"
Er war wie von Sinnen.
„Es ist die einzige Möglichkeit, aus ihr herauszubekommen, wer oder
was an der Verwandlung schuld ist!"
Er schien meine Worte nicht verstanden zu haben. Vielleicht wollte er
sie auch nicht verstehen. Er packte mich und versuchte, mich von Far
nathia fortzureißen.
Ich stolperte. Die kleinen grünlich schimmernden Pillen lagen am Boden.
Correson wollte sie zertreten.
„Ich will doch nur wissen, was an
ihrer Verwandlung schuld ist!" schrie ich.
„Das soll ich dir glauben?" Correson schlug mit der Handkante zu. Ich
wich ihm geschickt aus, so daß er abrutschte und mit voller Wucht auf
die Tischkante schlug. Er stieß einen Schmerzensschrei aus und
umklammerte seine anschwellende Hand.
Farnathia verfolgte das Geschehen mit beängstigender Teilnahms
losigkeit.
„Du täuschst dich, Correson", versuchte ich ihn zu beruhigen.
Nein ... du willst nachholen, was du in der letzten Zeit vermißt hast! Du
willst ihren Körper besitzen ... du willst sie für deine Lust mißbrauchen!"
Er trommelte mir mit beiden Fäusten auf die Brust und schrie.
„Er ist eifersüchtig auf dich!" wisperte mein Extrasinn.
Ich hatte es schon vorher geahnt. Lord Correson war nicht der Mann,
der einem schönen Mädchen gegenüber gleichgültig war. Er hatte seine
Zuneigung zu Farnathia durch übertriebene Verantwortung ausgedrückt.
Und jetzt sah er seinen Schützling in höchstem Maße gefährdet. Ich war
derjenige, der in seinen Augen die Schwäche des Mädchens für ein
zweifelhaftes Experiment ausnutzen wollte.
Trotzdem mußte ich mich durchsetzen.
„Correson", begann ich, „wir beide wollen Farnathia helfen! Noch ist es
nicht zu spät. Wenn ich weiß, was sie zu diesem Vorfall gebracht hat,
finden wir vielleicht eine Möglichkeit, den Vorgang aufzuhalten!"
Er sah mich z%eifelnd an. Natürlich hatte auch ich Zweifel, daß wir dem
Mädchen helfen konnten. Aber war es nicht vermessen, ihren Tod schon
als beschlossene Sache anzusehen?
Correson resignierte. Er wußte, daß ich der Stärkere von uns beiden
war. Vielleicht aber ahnte er auch, daß mein Plan Erfolg haben könnte.
„Ich warte draußen, Atlan!"
Farnathia schluckte das Zeug ohne einen Ton. Sie tat es mechanisch. Unter anderen Umständen wäre ich beleidigt gewesen. Doch in dieser Situation mußte ich auf Gefühle verzichten. Die grünen Pillen wirkten nicht sofort. Klingors nannte man sie auf Arkon. Sie enthielten eine Substanz, die Hemmungen beseitigte oder jedenfalls auf ein Minimum herunter schraubte und Gefühle in höchstem Maße steigerte. Klingors kamen in den letzten Arkonjahren besonders bei jungen Leuten in Mode. Sie besaßen durch dieses Medikament die Möglichkeit, mit einem Partner auch ohne körperliche Vereinigung Gefühle und Rauschzustände zu teilen. Ich streckte meine Hand aus. Farnathia spreizte ihre Finger. Sie wollte meine Hand ergreifen. Doch die geschwollenen Armgelenke versagten ihr den Dienst. Ich beugte mich vor und versuchte, ihre Fin gerspitzen zu berühren. Sie fühlten sich kalt und fremd an. Hätte ich nicht gesehen, daß sie atmete, ich hätte sie für einen Leichnam halten können. Sie schloß die Augen. Dumpfe Laute verließen die geschwollenen Lip pen. Sie wollte mir etwas sagen. Doch ich konnte sie nicht verstehen. So sehr sie sich auch anstrengte. Die Verwandlung war schon zu weit vorangeschritten. Ich wollte jedenfalls nicht annehmen, daß sie sich gegen die Weitergabe ihrer Gefühlsströme sperrte. Ich entspannte mich und übertrug meine Reizstimuli durch unseren Handkontakt auf ihre Psyche. Ich legte meine ganze Willenskraft in den Versuch, sie ebenfalls zur Reaktion zu bringen. Sie konnte nicht mehr sprechen. Sie konnte mir nur noch ihre Gefühle vermitteln. Dann war es meine Sache, daraus die geeigneten Rückschlüsse zu ziehen. Die Empfindungen kamen ruckweise. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß noch jemand mit uns im Raum war. Ich wollte mich umdrehen, doch die Wirkung des Medikaments war zu stark. Ich war in einem seltsamen Rauschzustand gefangen, der mich immer näher an Farnathia heran schweben ließ. Unsere Emotionen durchpulsten einander wechselseitig.. Es fing ganz langsam an. Ich stammelte Worte, deren Sinn mir erst später klarwerden sollte. „Farnathia. ",flüsterte ich. Sie blieb stumm, und doch besaß sie noch genug Gefühlskraft, um mir ihre Zuneigung zu beweisen. Es gab etwas in ihr, was sich dagegen sperrte. Ich versuchte herauszubekommen, was es war, doch die Verbindung zwischen uns war nicht intensiv genug. Zurück blieb nur das Gefühl einer unheimlichen Kraft, die Farnathia beherrschte. Eine Kraft, die böse und hemmungslos war. Wer oder was war das Fremde? Farnathias Gefühle halfen mir jetzt auch nicht weiter. Ich spürte deutlich, daß sie mir etwas über das unbekannte Wesen mitteilen wollte. Sie schien selbst nicht zu wissen, was es war.
Das Fremde war mit so urhaften Empfindungen ausgestattet, daß ich mich instinktiv zurückzog. Ich begann plötzlich Angst vor dem Unbe kannten zu haben. Ich hatte es ganz deutlich gespürt. Da war nur gren zenloser Hunger gewesen. Hunger nach allem Organischen. Unsere Gefühlsverbindung riß augenblicklich ab. Ich ließ ihre Hand los. Farnathia blieb reglos. Ihr Mund zuckte und wollte Worte formen. Es war eine schreckliche Situation. Ich war zu allem entschlossen, hätte es Farnathia nur genützt. Aber meine Kräfte reichten anscheinend nicht aus, um eine Besserung ihres Zustands zu erreichen. Diese Hilflosigkeit machte mich rasend. Eins hatte dieses zweifelhafte Experiment jedoch gezeigt: in Farnathia wirkte eine Kraft, die diese unheimliche Verwandlung in Gang hielt. Und das Fremde war kein Teil Farnathias, es mußte vor kurzer Zeit in sie hineingepflanzt worden sein. Der Gedanke, daß der Blinde Sofgart etwas damit zu tun haben könnte, ließ mich nicht mehr los. Ich wußte, daß diese Bestie zu allem fähig war. Der galaktische Folterer kannte Grausamkeiten, die ich mir nicht einmal in den kühnsten Träumen vorstellen konnte. Sollte Farnathias Zustand tatsächlich auf Sofgarts Einwirkungen zurückzuführen sein, so gab es bestimmt keine Rettung mehr für sie. Ich ahnte zumindest, daß hier der Schlüssel zu den schrecklichen Vorfällen lag. „Warte hier auf mich, Farnathia! Geh nicht hinaus und laß niemanden herein. Ich hole einen Mediziner. Du darfst nicht verzweifeln!" Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht zuerst die Nerven verlieren würde. Wenn Farnathias Metamorphose nicht bald zum Stillstand kam, würde ich noch den Verstand verlieren. Sie bedeutete mir einfach zuviel, als daß ich kaltschnäuzig darüber hinweggehen konnte. Ich sah sie noch einmal kurz an, dann verließ ich den Raum. Lord Correson merkte sofort, daß ich nicht allzuviel aus Farnathia herausbekommen haben konnte. „Das hättest du uns ersparen können!" meinte er mit zusammenge preßten Zähnen. „Du hättest vorhin auf einer intensiveren Untersuchung bestehen sollen. Die Kerle haben nur ihre Zellströme gemessen und sonst nichts. Meinst du, das würde ausreichen? Die hatten doch was ganz anderes im Kopf!" Correson wechselte abrupt das Thema: „In den unteren Etagen wird gekämpft!" Ich schaute in den Hintergrund; wo sich mehrere Gänge trafen. Die Öffnungen mehrerer Antigravschächte waren umlagert. „Sheeron wollte uns ja nicht verraten, was hier auf einmal los ist! Der fettbäuchige Pirat tat sehr geheimnisvoll!" Ich machte eine wegwerfende Geste. Sheeron war mir nicht sonderlich sympathisch. Das mochte daran liegen,, daß mir sein chamäleonhaftes Wesen noch immer ein
Rätsel war. Ihm war es tatsächlich gelungen, mich bis jetzt im unklaren darüber zu lassen, ob er' mich nun den Häschern des Orbanaschol aus liefern würde, oder ob er meine Freunde durch einen Hyperfunkspruch informiert hatte. Ich nahm an, daß er noch nicht wußte, welche Entscheidung ihm die meisten Vorteile bringen würde. Eben trugen sie Verwundete auf Schwebebahren aus den Schächten. Die Männer waren von Desintegratorschüssen scheußlich zugerichtet worden. Punktförmige Einschüsse, handtellergroße Ausschußwunden. Die Gegner der Sheeron-Gruppe hatten anscheinend nichts zu verlieren. „Ich dachte bisher immer, Sheeron würde ganz Richmond samt der Sog manton-Barriere kontrollieren!" Correson räusperte sich. „Dachte ich auch. Aber unter der Komman doetage soll es Piratennester geben, die auf Sheerons Anordnungen pfeifen. Ganz zu schweigen von den Kraternestern, die weit draußen auf der Oberfläche des Asteroiden verstreut sind!" Mir war egal, was Sheeron mit seinen Piraten auszutragen hatte. Mir war es jetzt bedeutend wichtiger, einen Arzt für das Mädchen zu bekom men. „Wo Verwundete liegen, muß auch ein Arzt aufzutreiben sein", bemerkte ich. Wir liefen an den Zarltonern vorbei, die mit schußbereiten Strahlen karabinern den Zugang der Antigravschächte bewachten. Aus einem Schacht stiegen beständig beißende Qualmwolken. Das Zischen der Schußbahnen war nicht zu überhören. Eben versagte eine Luftumwälzanlage. „Wo steckt Sheeron?" fragte ich einen Zarltoner. Der baumlange Kerl zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht war ruß geschwärzt und ließ keine Gefühlsregung erkennen. „Hier!" meldete sich Correson: Er stand neben einem bärtigen Piraten, dessen weiße Kombination blutverschmiert war. Der Arkonide sprühte gerade eine gelatineartige Flüssigkeit auf die verbrannte Schulter eines Bewaffneten. Ohne Zweifel, wir hatten einen Bauchaufschneider gefunden. Der Mann schien sein Handwerk zu verstehen. Ich sah, wie sich die Wunde des Uniformierten mit Kunsthaut überzog. In einigen Stunden würde der Mann wieder einsatzbereit sein. Um zu sterben? Ich wollte den Gedanken nicht weiterspinnen. Correson sprach den Mediziner an. ;,Wir brauchen Sie! Ein schwieriger Fall ... Ihre Kollegen haben vorhin schon einmal nachgeschaut!" Der Bauchaufschneider sah uns kurz an. Er stellte sich als Ferkon Stannton vor. „Es geht um das Mädchen, nicht wahr?" Ich nickte.
„Da kommt jede Hilfe zu spät. Zellwucherung ... anscheinend ausgelöst durch diese verdammten Gantries. Da ist wirklich nichts mehr zu machen. Außerdem werde ich hier nötiger gebraucht." Er deutete auf die Schwebebahren, die herangeschoben wurden. Die Verwundeten wimmerten. Die meisten von ihnen waren betäubt worden. Viele würden nicht mehr lange leben. „Verlange ich denn etwas gänzlich Unmögliches von Ihnen, Stannton?" Ich hatte laut geschrien. Zumindest hatte ich den Bauchaufschneider verunsichert. Er sollte ruhig merken, daß er nichts Gutes von mir zu erwarten hatte, wenn er meinem Wunsch nicht nachkam. Er wollte sich der nächsten Schwebebahre zuwenden, als ich ihn her umriß. Ich funkelte ihn wütend an. „Wenn ich sage, daß Sie sich um Farnathia kümmern sollen, Stannton, dann meine ich das auch so!" „Sicher, Atlan ... aber soll ich diese Männer sterben lassen?" Ich wußte, daß mir für eine Grundsatzdiskussion keine Zeit blieb. Nie mand hatte eine Ahnung davon, wie schnell oder wie langsam Farnathias Metamorphose voranschreiten würde. Außerdem wollte ich den Mediziner nicht verärgern. „Gut, Stannton ...... begann ich, „versorgen Sie Ihre dringenden Fälle! Anschließend kommen Sie mit zu Farnathia!" Er nickte nur. Ich beobachtete ihn bei der Arbeit. Man sah ihm an, daß er eine große praktische Erfahrung besaß. Er zögerte bei keinem Patienten und tat genau das Richtige im richtigen Augenblick. Ich war sicher, daß Sheeron ohne diesen geschickten Bauchaufschneider schlecht dagestanden hätte. Es gab mehr Verwundete, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. Ich mußte mich immer wieder fragen, was zu diesen Kampfhandlungen geführt haben konnte. Ich hatte immer geglaubt, die Piraten wären untereinander loyal und würden in schwierigen Situationen brüderlich zusammenhalten. Doch ich mußte reich geirrt haben. „Sheeron hat dir den wahren Grund der Auseinandersetzung nicht mitgeteilt!" korrigierte mich mein Extrasinn. Ja und nein, dachte ich bei mir. Wenn es sich um regelmäßig wieder kehrende Streitigkeiten handelte, so hätte er mich nicht zu informieren brauchen. Standen die Kämpfe jedoch in irgendeinem Zusammenhang mit Farnathias Veränderung, so mußte er mit mir reden. Der Pira tenführer wußte genau, wie ich zu Farnathia stand. Ich hätte sie bis zum letzten Atemzug verteidigt. Stannton drehte sich kurz um und machte mit dem Kopf eine deutende Bewegung. Ich sollte mir einen Verwundeten anschauen, der apathisch auf seiner Schwebebahre lag.
„Sehen Sie sich seine Wunden an, Atlan!" Der Mann lag mit weit aufgerissenen Augen da. Seine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Ohne Zweifel, der Arkonide stand unter Schockeinwirkung. „Haben Sie ihn mit einem Medikament behandelt?" fragte ich den Bauchaufschneider. „Nein, er wurde gerade erst hergeschafft!" Stannton öffnete die angesengte Kombination des Mannes. Was ich da zu sehen bekam, verschlug mir den Atem. Die Brust des Unglücklichen war völlig zerfetzt. Tief eingekerbte Krallenspuren zogen sich durch sein Fleisch. Das waren keine Strahlenverletzungen. So sahen die Verletzungen galaktischer Tierfänger aus. Ich erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich in frühester Jugend hatte. Wir waren zur Aus stellung eines Tierfängers gegangen. Fartuloon und ich. Ich sah die tobende Bestie von Zingulon-III noch genau vor mir. Mit ihren messerscharfen Krallen hatte sie den Körper des Tierfängers übel zugerichtet. Fartuloon hatte Mühe gehabt, die Wunden durch Transplantate zu beseitigen. „Habt ihr denn wilde Tiere in euren Beutenestern?" fragte ich erstaunt. „Soviel ich weiß, nein!" erwiderte Stannton. „Tiere bringen nicht genü gend Gewinn." „Aber irgend etwas muß den armen Kerl doch so zugerichtet haben! Kein humanoides Wesen ist zu solchen Grausamkeiten fähig!" Ich hielt inne. Natürlich war ein normales Wesen nicht zu solchen Handlungen fähig. Aber gesetzt den Fall, daß sich normale Menschen in etwas Abnormes, Unbegreifliches verwandeln, so dürften solche Handlungen nicht auszuschließen sein. „Du denkst an Farnathia!" meldete sich mein Extrasinn. In eben diesem Augenblick war mir die kritische Stimme in meinem Innersten zuwider. Vielleicht deshalb, weil sie meine geheimsten Be fürchtungen bewußt gemacht hatte. Ich wischte den Gedanken wieder beiseite. Nein, Farnathia durfte ich mit dem Geschehen in den Piraten nestern nicht in Verbindung bringen. Sie mochte sich verändert haben. Sie mochte sehr krank geworden sein. Doch sie war noch lange keine Wahnsinnige, die in geistiger Umnachtung mordete. Ein absurder Gedanke, wie ich mir selber bestätigte. Stannton war entweder Telepath, oder aber, was wahrscheinlicher war, ein sehr feinsinniger Kenner der arkonidischen Mentalität. „Sie dürfen die Veränderung ihrer Begleiterin nicht überbewerten, Atlan! Ich habe ähnliche Fälle kennengelernt. Männer, die im Strahlensturm der Sogmanton-Barriere mutierten. Die meisten Fälle konnten durch unsere ärztliche Kunst normalisiert werden." Er wollte mich beruhigen.
„Ich wollte, Sie hätten recht, Stannton!" erwiderte ich. „Wir werden ja sehen, was Sie bei Farnathia erreichen!" Im gleichen Augenblick regte sich der Verwundete, dessen Kratzwunden mit einem Heilfilm überzogen worden waren. Er stieß Angstlaute aus und schien irgend etwas Imaginäres abwehren zu wollen. Dabei hob er beständig die Arme vor sein Gesicht. Stannton jagte ihm ein Beruhigungsmittel in die Vene. Der Mann wurde augenblicklich ruhig. Doch seine Haut hatte eine rotfleckige Färbung angenommen. Er stammelte unzusammenhängende Sätze: „Die Veränderten ... sie kommen.. . nein, Sheeron ... nicht schießen ... die Veränderten!" Immer wieder dasselbe. Ich konnte deutlich hören, wie er von den „Ver änderten" sprach. „Was halten Sie davon, Stannton?" fragte ich. „Wen kann er mit den ,Veränderten` meinen?" „Vermutlich eine Verwechslung, die durch seinen Schockzustand her vorgerufen wurde. In besonders gefährlichen Situationen neigt man bekanntlich dazu, die Gefahr zu versymbolisieren. Sie kennen diesen Mechanismus aus ihren Träumen. Alles Bedrohliche wird durch ein Symbol ausgedrückt. Vielleicht meint dieser Kranke mit den,Veränderten die Männer des anderen Nestes. Immerhin haben wir mit ihnen bisher in gutem Einvernehmen zu sammengelebt. Irgend etwas hat sie tatsächlich verändert!" Ich wollte Stanntons Erklärung nicht so recht akzeptieren. Er ließ dabei völlig außer acht, daß der Mann von einem unbekannten Wesen übel zugerichtet worden war. Er schien meine Zweifel zu bemerken. „Natürlich kann ich mir auch nicht erklären", sagte er, „wie der arme Kerl zu diesen scheußlichen Wunden gekommen ist. Aber ich bin mir ganz sicher, daß die anderen es uns bald berichten werden." Stannton versorgte rasch die Notfälle, dann packte er sein Instrumen tarium ein. Zwei junge Piraten kümmerten sich um die anderen Verletz ten. „Können wir gehen, Stannton?" fragte ich drängend. „Ich bin bereit!" Correson lief voraus. Er war deutlich erleichtert, daß endlich entschei dende Schritte unternommen wurden, um Farnathias entwürdigenden Zustand zu ändern. Ich wurde immer unruhiger. Irgendwie hatte ich ein unangenehmes Gefühl. Wer wußte denn schon, was in der Zwischenzeit mit dem Mädchen geschehen war. Insgeheim fürchtete ich mich davor, ihr wieder in die Augen sehen zu müssen. Was sollte geschehen, wenn sie sich noch stärker verändert hatte?
Als wir vor ihrer Kabine standen, wußte ich, daß ich zumindest eine Sorge los war: ich brauchte ihr in diesem verzweifelten Zustand keine tröstenden Versprechungen zu machen, denn sie war verschwunden! „Wollen Sie mich zum Narren halten!" stieß Stannton ärgerlich hervor. „Wo steckt denn nun Ihre Patientin? Wenn sie noch so gut auf den Beinen ist, hätten Sie mich wirklich nicht zu bemühen brauchen!" Ich versuchte, ihn zu beschwichtigen. „Als wir sie verließen, lag sie auf der Pneumoliege. Sie war viel zu schwach, um sich noch zu bewegen." „Ja, wo soll ich sie dann suchen?" Ich war ratlos. Unruhig sah ich mich in dem schmucklos eingerichteten Schlafraum um. Die Luftreini gungsanlage summte. Die Decken auf der Liege lagen ungeordnet her um. Ein Reinigungsroboter hatte sogar ,die Scherben des zerbrochenen Spiegels beseitigt. Auch die Leuchtstoffröhren, die Farnathia in ihrer Verzweiflung zertrümmert hatte, waren inzwischen ersetzt worden. Doch plötzlich durchzuckte mich eiskalter Schrecken. Quer durch das Zimmer zog sich eine Schleifspur. Kleine Schleim bröckchen lagen daneben und lösten sich teilweise unter üblen Gerüchen auf. Lord Correson bückte sich, um die seltsame Spur besser betrachten zu können. „Irgend etwas hat Farnathia entführt!" stieß er würgend hervor. Es klang nicht sehr überzeugend. Aber eine Möglichkeit, mit der wir rechnen mußten. „Schließen Sie das aus dem Schleim, Correson?" fragte der Bauchaufschneider. „Weshalb denn nicht!" warf ich ein. „Ich würde die Worte jenes Verwun deten ernster nehmen . . . vielleicht treibt hier tatsächlich ein Veränderter sein Unwesen!" ;,Glauben Sie doch nicht an die Wahnvorstellungen eines Schwer kranken. Das' dürfen Sie einfach nicht wörtlich nehmen. Ich habe Sie für aufgeklärter gehalten, Atlan!" Stannton schien gekränkt zu sein. Für ihn zählten nur Tatsachen. Und wer seine Analysen anzweifelte, ver unsicherte ihn. Das war der Bauchaufschneider Sheerons nicht ge wöhnt. Trotzdem schien er sich für die Schleimspur zu interessieren. Er kratzte einige Brocken von den Fliesen ab und schob sie in eines der Röhrchen, die in der Seitentasche seiner Instrumententasche steckten. „Ich lasse das Zeug auf alle Fälle im Labor untersuchen!" Er sah mich ernst an. „Warum stehen wir hier noch herum!" rief ich und schob Correson zur Tür hinaus.
Stannton ging in die andere Richtung davon. Er rief noch einmal: „Ihr wißt ja wo ihr mich finden könnt!" Dann war er hinter der Gangbiegung verschwunden. Ich deutete auf den Boden. „Wir brauchen nur dieser Spur zu folgen, Correson!" Die unregelmäßig auf dem Boden verteilt liegenden Schleimreste zogen sich schräg zu den Antigravschächten hinüber. Farnathias Entführer mußte wahnsinnig oder einfach nur unvorsichtig sein. Wer machte seine Verfolger schon durch eine so deutliche Spur auf sich aufmerksam? Auf die Idee, daß die Se kretspur von Farnathia stammen könnte, kam ich nicht. Vielleicht wollte ich die Möglichkeit auch nicht wahrhaben. Ich rechnete noch immer fest damit, daß wir Farnathia retten konnten. „Ob Morgus etwas damit zu tun hat?" fragte Correson. Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung! Soviel ich vorhin gesehen habe, sondert der Veränderliche keine Sekrete ab. Aber ich will natürlich nicht ausschließen, daß er Farnathia fortgeschafft hat. Wer kennt schon die Mentalität eines veränderlichen Wesens?" Wir hatten den Verteilerraum erreicht, von dem die Antigravschächte zu den unteren Stockwerken abzweigten. Ich sah mich um. Als meine Augen der feuchten Schleifspur folgten, sah ich die beiden Zarltoner. Sie lagen dicht vor dem mittleren Schacht. Ihre Haltung war merkwürdig verkrümmt. Die Strahlenkarabiner lagen dicht neben ihnen. Die Waffe des einen mußte sich im Fallen ausgelöst haben. Eine Glutspur zog sich schräg bis zur Wand hinüber, wo ein blasig aufgeworfenes Loch gähnte. „Sie sind tot!" flüsterte Correson, als fürchtete er, von dem Unbekannten gehört zu werden. Ich bückte mich, um die Leichen der beiden Männer zu untersuchen. Sie waren zweifelsohne eines gewaltsamen Todes gestorben. Dessen konnte ich ganz sicher sein. Der Unbekannte - ich korrigierte mich vielleicht waren es mehrere Angreifer gewesen, die Unbekannten hatten sie an den Kombinationen gepackt, sie zerfetzt und scharfkantige Gegenstände in ihre Körper getrieben. „Sie haben keinen Tropfen Blut mehr in ihren Adern!" stellte mein Extrasinn fest. Ich nickte unwillkürlich mit dem Kopf. Tatsächlich! Sogar die Wunden waren ohne Blut. Die Gesichter der Unglücklichen schimmerten weißlich. Das Rot der Augen war einem ekligen Grau gewichen. Ich berührte die Haut der Zarltoner und zuckte zurück. „Sie ... sind ganz heiß!" rief ich entsetzt. Correson trat ungläubig näher. Er berührte einen der beiden Toten und machte dieselbe Entdeckung wie ich.
„Wie ist das nur möglich? Ich kenne keine Waffe, die einem Arkoniden das Blut aus den Adern saugt und seinen Körper gleichzeitig aufheizt!" Ich erschauerte. Der Anblick der beiden wachsbleichen Körper war schlimm genug, doch die Kenntnis, daß hier irgendeine unheimliche Kraft gewirkt hatte, war viel entsetzlicher. Denn das Grauen konnte jeden Augenblick erneut zuschlagen. Corresons Augen hatten einen fiebrigen Glanz bekommen. Ich ahnte, daß er den Belastungen nicht mehr gewachsen war. Es konnte sich nur noch um wenige Augenblicke handeln, dann würde er die Nerven verlieren. „Wir dürfen uns jetzt keine Schwäche leisten, Correson! Ohne uns ist Farnathia verloren!" „Die Bestie hat sie bestimmt schon getötet . . . genauso, wie sie diese Männer umgebracht hat!" Correson machte ein unglückliches Gesicht. Er wirkte auf einmal schwach und hilflos wie ein kleines Kind. Er war ein fach überfordert. Er könnte die schrecklichen Vorkommnisse in kein Schema bringen. Plötzlich verstärkte sich das Summgeräusch des mittleren Antigravs. Ich wurde augenblicklich ruhig. Das konnte nur bedeuten, daß sich jemand an den Bedienungselementen des Schachtes zu schaffen gemacht hatte. Die Richtung war jetzt nämlich nicht mehr abwärts gepolt, sondern aufwärts gerichtet. Man konnte nicht mehr in die Barunterliegenden Etagen gelangen. Ich ergriff die Strahlenwaffe eines Zarltoners. Die Feueranzeige gab Rotwert. Wer jetzt zu uns heraufkommen würde, sollte keine unvor bereiteten Gegner antreffen. Ich rechnete mit allem. Sollte Farnathias Entführer erscheinen, so würde ich keine Sekunde zögern, ihn zu töten. Vorher mußte er mir aber noch verraten, wohin er das kranke Mädchen verschleppt hatte. Correson zitterte. Er starrte aus weit aufgerissenen Augen zu den Antigravschächten hinüber. Ein Rumpeln der Anlage bestätigte uns, daß jemand heraufgeschwebt kam. „Waffe runter!" schrie Hanwigurt Sheeron cholerisch. Sein feistes Ge sicht erbebte und war schweißüberströmt. „Waffen runter, sonst lasse ich euch zusammenschmelzen!" Der dicke Piratenführer war von mehreren jungen Zarltonern umgeben, die ihre Waffenmündungen unmißverständlich auf unsere Köpfe richteten. Ich konnte die flimmernden Abstrahlmündungen aus hochverdichtetem Arkonstahl sehen, die mich wie Katzenaugen anstarrten. Sheeron würde keinen Augenblick zögern, uns ins Jenseits zu befördern. Hier verkörperte er die Macht. Und er hatte uns schon vorher gezeigt, daß er sich von niemandem Vorschriften machen ließ.
„Wer hat diese Männer getötet?" Seine Stimme war schneidend ge worden, und ich spürte, wie er mich telepathisch sondieren wollte. Doch mein Extrasinn vereitelte den Versuch. Dafür schien Sheeron bei Lord Correson mehr Erfolg zu haben. „Ihr wart es also nicht!" Sheeron mußte aus Corresons Gedankeninhalt erfahren haben, daß hier ein Unheimlicher sein Unwesen trieb. Er folgte jedenfalls mit den Augen der langsam eintrocknenden Schleimspur, die sich im Gang zu den Schlafkabinen verlor. „Habt ihr das Ding gesehen?" frag te er. Correson und ich schüttelten fast gleichzeitig die Köpfe. „Wir wollten einen Bauchaufschneider zu Farnathia bringen, als wir diese seltsame Spur entdeckten. Farnathia war jedoch verschwunden", erklärte ich. Sheeron dachte nach. Er sah uns aus zusammengekniffenen Augen an. Anscheinend war er sich noch nicht sicher, ob er uns über die Ereig nisse in den unteren Etagen aufklären sollte, oder ob er uns weiterhin im ungewissen lassen sollte. Jetzt, da Farnathia verschwunden war, konnten wir eine plausible Erklärung für die Ereignisse in Richmonds Schloß erwarten. „Wollen Sie uns nicht sagen, was hier los, war, Sheeron?" drängte ich ihn. „Ich bin verrückt vor Sorge um Farnathia, und Sie verschanzen sich hinter Ihren fragwürdig gewordenen Sicherheitsbestimmungen!" Correson war die ganze Zeit über still geblieben. Doch jetzt wurde er munter. Er trat fordernd vor den Piratenführer und sagte: „Sie tun gerade so, als wären wir nur darauf aus, Ihnen Bomben ins Nest zu legen, Sheeron! Sie als Telepath hätten längst wissen müssen, daß wir nichts gegen Sie im Sinn haben!" Ich ergänzte: „Sie haben uns völlig in der Hand! Ein Hyperfunkspruch an den Blinden Sofgart würde das Problem lösen. Dann wären Sie mich garantiert los!" Sheeron machte eine wütende Geste. Es war ihm nicht recht, daß wir vor seinen Leuten in diesem Ton mit ihm redeten. „Ruhe!" Die Zarltoner blickten verlegen zu Boden. Sie kannten die Zornesaus brüche des dicken Piraten und ahnten, was nun kam. Doch Sheeron war auf einmal sehr sachlich. Er deutete auf den Boden und sagte: „Die Narren im unteren Stockwerk behaupten, wir hätten ihre Leute massakriert. Das ist natürlich völliger Unsinn. Die haben nur nach einer Entschuldigung für ihre sinnlos angezettelte Schießerei gesucht. Die haben bestimmt erfahren, daß sich ein Schiff der Sogmanton-Barriere nähert. Wie schon früher wollten sie allein an die Beute heran!"
Sheeron wußte also auch nicht, wer die beiden Piratengruppen gegen einandergehetzt hatte. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, die Kampfhandlungen eröffnet zu haben. „Es muß aber noch einen Dritten geben, der daran interessiert ist, daß hier Streit herrscht", meinte ich nachdenklich. „Und dieser Unbekannte hat die beiden Zarltoner auf dem Gewissen ... und er hat auch Farnathia entführt!" „Es gibt hier nichts, was ich nicht kennen würde!" konterte Sheeron selbstherrlich. „Wirklich nicht?" Er sah mich lange an und mußte schließlich zugeben: „Nun, ja ... es kommt vor, daß einige Nester sich ein Raumschiff beiseite schaffen, ohne daß ich davon Kenntnis erhalte. Unsere Überwachungsanlagen sind zwar in Ordnung, aber ich möchte nicht für ihre absolute Zuverlässigkeit garantieren!" „Das können Sie auch nicht, Sheeron. Die Hyperemissionen haben schon oft falsche Meßergebnisse geliefert. Ich bin sicher, daß ihre Leute hin und wieder eine Raumschiffsladung heimlich beiseiteschaffen. Vielleicht sind sogar Fremdintelligenzen auf Richmond gelandet, und Sie wissen nichts davon!" Das war natürlich nur eine phantastischeVermutung,aber so abwegig konnte sie nicht sein. Ich hatte selbst die Wasserstoff atmer gesehen, die in die Barriere verschlagen worden waren. Ich sah die eingetrocknete Schleimspur an. Ein Gedanke ließ mich nicht mehr los: waren etwa Maahks in die Kommandoetage von Richmonds Schloß eingedrungen? Das würde vieles erklären. Ich versuchte mir vorzustellen, wie mehrere Maahks in die Piratenstation eingedrungen waren. Einer von ihnen hatte womöglich einen defekten Raumanzug getragen. Das konnte die Schleimspur verursacht haben. Vielleicht besaßen die Wasserstoffatmer neue Waffen, von denen wir keine Ahnung hatten. Waffen, die in Sekundenschnelle das Blut von Sauerstoffatmern verkochen ließen. Sheeron hatte seine telepathischen Fühler nach meinem Bewußtsein ausgestreckt. Ich merkte es sofort, sagte aber nichts. Sollte er ruhig ein bißchen Gedankenspionage treiben. Das würde uns lange Diskussionen ersparen. „Maahks . . . ", murmelte er gedankenverloren. „Nein! Die wären uns auf keinen Fall entgangen. Es muß etwas anderes sein!" Ich wollte diesen sinnlosen Vermutungen ein Ende bereiten. „Ich werde Farnathia suchen, egal wer oder was sie entführt hat! Ich verlange von Ihnen Vollmachten, die mir zu jedem Bereich von Rich monds Schloß Zutritt verschaffen."
Das war deutlich gewesen. Sheeron verzog seinen Mund, als hätte er auf eine saure Frucht gebissen. „Nach allem, was jetzt geschehen ist?" fragte er, als wollte er sich rück versichern, er habe sich' auch nicht verhört. „Gerade deshalb! Jede Sekunde ist kostbar. Vielleicht will der oder wol len die Unbekannten Farnathia als Geisel benutzen. Ich weiß zwar auch nicht, aus welchem Grund, aber der Fall wäre durchaus denkbar. Ich will jedenfalls nichts außer acht lassen." Sheeron schwitzte. Die massige Haut seines Nackens glänzte vor Feuchtigkeit. Er konnte seinen Unmut nicht verbergen. Es war ihre auf alle Fälle nicht recht, daß ich hier unbewacht schalten und walten konnte, wie es mir in den Sinn kam. Sheeron hatte wohl Angst, daß ich einem seiner sorgfältig versteckten Geheimnisse auf die Spur kam. Aber ich wollte nicht lockerlassen. Er mußte mir die Erlaubnis geben. „Oder wollen Sie Farnathia selber suchen? Ich mache Ihnen ein faires Angebot, Sheeron. . . ", lenkte ich ein. „Geben Sie mir und Lord Correson einen Aufpasser Ihrer Wahl mit. Wir, bleiben in Sprechfunkkontakt. Dann können Sie sicher sein, daß wir keine Seitensprünge machen!" Sheeron dachte nicht lange nach. Meine Argumente hatten ihr Ziel nicht verfehlt. „Gut! Ich erkläre Ihnen die Lage der einzelnen Etagen! Kommen Sie, Atlan !" „Halt! Stehenbleiben!" schrie Sheeron und schwang sich mit seinem Kontursessel herum. Dicht neben ihm, auf dem leicht abgeschrägten Kontrollpult, flackerten mehrere Digitalanzeiger auf. „Wenn Sie schon jetzt eingeäschert werden wollen, Atlan. . . ", er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen, „dann treten Sie bitte näher. Ich glaubet wir würden uns viel gemeinsamen Ärger ersparen." Ich ahnte, daß sein Kommandobereich von energetischen Sicherheits systemen abgeschirmt wurde. Die Zarltoner-Garde am Ausgang konnte nur als Blickfang für ungebetene Gäste dienen. Jeder Impulsstrahler hätte diese Männer erledigt. Da waren automatische Schirmfeldprojek toren und Strahlendüsen weitaus wirksamer. Ich verschränkte die Arme über der Brust und verbarg meine Gefühle hinter einem gleichgültigen Gesichtsausdruck. Sheeron schob eine Programmkarte in den Eingabeschlitz der Bild schirmautomatik. Sekunden später erschien die dreidimensionale Riß zeichnung von Schloß Richmond auf dem Schirm. Verschiedene Rottöne symbolisierten Sheerons Einflußbereich. Die anderen Piratennester waren nur teilweise bekannt. Es gab Gänge und Schachtsysteme, von denen nicht einmal Hanwigurt Sheeron eine Ah nung hatte. Die völlig ausgehöhlte Mondwelt glich einem chaotischen
Labyrinth. Ich hatte davon erst einen winzigen Teilbereich kennenge lernt. Die kraterübersäte Oberfläche glich einem gigantischen Raum schiffsfriedhof. An vielen Stellen hatten die Piraten eine Menge Raumschiffe zu Stahlburgen zusammengeschweißt. Die Form jener skurrilen Gebilde ließ sich nur annähernd beschreiben. Manchmal waren es kugelförmige Erhebungen, dann wieder zierliche Filigrangebilde, die durch schmale Schleusengänge miteinander verbunden worden waren. Einige der Piratennester besaßen sogar weitgeschwungene Brücken, die weit über die großen Krater hinwegreichten. Von den Oberflächengebilden der verschiedenen Piratennester führten zumeist Antigravschächte ins Innere des Asteroiden. Dort verzweigten sie sich zu einem scheinbar planlos konstruierten Labyrinth. Die Keimzelle von Richmonds Schloß war Sheerons Kommando zentrale. Sie war vor langer Zeit das Zentrum jener Forschungsstation gewesen, von der aus arkonidische Wissenschaftler die SogmantonBallung erforschen wollten. Sheeron deutete auf die rote Markierung dicht unter der Oberfläche der Asteroidendarstellung. „Wir befinden uns jetzt hier! Die darunterliegenden Stockwerke werden nach der soeben beendeten Säuberungsaktion wieder von mir kon trolliert. Wir können sowohl in Video- als in Sprechverbindung bleiben." Ich bemerkte, daß Sheeron die Tatsache von der Niederwerfung eines Piratenaufstandes voller Genugtuung erwähnt hatte. Eitel ist der Kerl also auch noch, dachte ich bei mir. „Und hier enden unsere Antigravschächte!" erklärte Sheeron und ließ den elektronischen Anzeiger auf einen Punkt des unteren SheeronStockwerks wandern. „Von hier aus werden Sie auf sich allein gestellt sein. Sie finden dort Gleiterfahrzeuge, die Sie weiterbringen werden. Alles andere muß ich Ihrer Geschick lichkeit überlassen!" „Wir können uns schon helfen, Sheeron!" entgegnete ich. „Dann komm endlich, Atlan!" drängte Correson. Die Sorge um Far nathias Verschwinden hatte ihn sichtlich nervös gemacht. Auch wenn uns Sheerons Erklärungen kurzfristig vom Wesentlichen abgelenkt hatten, so waren wir doch wieder in der gereizten Stimmung, die von der bohrenden Ungewißheit um Farnathias Schicksal erzeugt wurde. „Nehmen Sie diese Sender!" Sheeron gab uns kleine Armbandsender. Dann deutete er auf einen hochgewachsenen Zarltoner, in dessen Händen der schwere Strahlenkarabiner wie ein Spielzeug wirkte. „Das ist Costa! Er wird Sie begleiten." „Wir brauchen kein Kindermädchen, Sheeron ... aber ich habe ja selbst den Vorschlag gemacht. Aber schärfen Sie Ihrem Mann ein, daß ich
unterwegs die Befehle gebe. Er mag sich besser hier auskennen, aber diesmal geht es um meine Belange." Sheeron willigte seltsamerweise sofort ein. Ich hätte viel darum gege ben, zu wissen, was jetzt in dem Kopf dieses fettleibigen Piraten vor sich ging. Leider war ich kein Telepath. „Und wie steht's mit Waffen, Sheeron?" Ich streckte meine Rechte for dernd aus. Sheeron ging wortlos zu einem Wandschrank hinüber, berührte einen Kontakt und ließ die Schiebetür beiseitegleiten. ich sah eine der best ausgerüsteten Waffenkammern. Vom Mikronadler bis hin zum großkalibrigen Strahlenkarabiner war hier alles vertreten. Sogar Gasfanggeräte hingen in den Halterungen. Ich entdeckte auch eine alte Maahk Impulsschleuder. Sheeron lächelte. Er hatte meine Verblüffung über dieses Waffenarsenal zur Kenntnis genommen. Es schien ihm zu schmeicheln, daß ein Kristallprinz überrascht war. „Nehmen Sie die Sensor-Strahler! Die Energiemagazine reichen für zirka fünfzig Strahlschüsse bei durchschnittlicher Energieabgabe." Er deutete auf die leicht vorgewölbten Daumenmulden der kurzläufigen Waffen. „Hier finden Sie den elektronischen Auslöser. Ein leichter Daumendruck genügt. Die Stärke der Druckkraft reguliert auch die Strahlungsintensität des Schusses! Seien Sie also vorsichtig." Wir steckten die Waffen wortlos in unsere Kombigürtel. „Und vergessen Sie nicht, in regelmäßigen Zeitabständen Meldung zu machen!" verlangte Sheeron. „Wie der Herr belieben", entgegnete ich rauh. Ich wußte jetzt auch, weshalb er uns so rasch erlaubt hatte, nach Far nathia zu suchen. Sheeron - wollte herausbekommen, wie die Stim mung in den anderen Piratennestern war. Wir würden bei unserer Suche nach Farnathia mehrere Nester durchqueren. Dabei würden unsere Routinemeldungen einen perfekten Lagebericht von Richmonds Schloß geben. Ich mußte zugeben, daß Sheeron ein gerissener Pragmatiker war. „Denken Sie an die Meldungen!" schrie uns der dicke Piratenführer nach. Doch wir hörten es nicht mehr. Die Zarltoner hatten uns passieren lassen, und wir waren in den ersten abwärts gepolten Antigravschacht gesprungen. Unsere Suche nach Farnathia hatte begonnen. Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart war explodiert. Man konnte den Vorgang zwar nicht direkt mit einer energetischen Explosion vergleichen, doch die Auswirkungen waren auf alle Fälle die gleichen. Sie waren sogar noch viel schrecklicher. Eine thermische „Explosion" hätte sein Opfer sofort zerrissen und lange Leiden erspart. Die Bombe Sofgarts hingegen arbeitete langsam. Zuerst ein Aufblähen, dann ein
langsamer Verfall, der von seinem Opfer bewußt wahrgenommen werden konnte. Dem Gefühl der Ausgelassenheit folgten die ersten planenden Schritte. Der erste Nahrungsschub hatte den brennenden Hunger vorerst gestillt. Jetzt konnte sich das Opfer erholen. Das hatte es auch bitter nötig. Der gierige Instinkt des Wesens hatte ungestüm zugeschlagen und seinen Wirtskörper in höchste Bedrängnis gebracht. Jetzt begann sich das Gleichgewicht langsam wieder einzupendeln. Die Folge des parasitären Angriffs war eine rasche Verwandlung des Wirtskörpers gewesen. Es bereute seinen Fehler. Doch der Zwang zur ungehemmten Nahrungsaufnahme war immer wieder stärker gewesen. So würde es auch bleiben. Es würde das Ende des Opfers hinauszuzögern wissen. Wie lange das gutgehen mochte, wußte es selbst nicht. Es hoffte aber auf eine lange Symbiose. Um den Wirtskörper nicht zu stark zu schwächen, hatte es einen grauenhaften Ausweg gefunden. Es mußte die Nahrungsreserven von außen her ergänzen. Das war nicht ganz leicht. Es waren mehrere Versuche notwendig gewesen, um es endlich zu schaffen. Dann war alles wie von selbst gelaufen. Die anderen Wesenseinheiten waren unter heftigen Schlägen zu Boden gegangen. Es brauchte nur noch mehrere Nahrungstentakel durch die Haut seines Opfers zu schieben und das warme Blut der Sterbenden aufzusaugen. Er lernte rasch hinzu und schaffte diesen Vorgang in kürzester Zeit. Seine Kräfte wuchsen, und es fühlte sich allmächtig. Es wußte, daß es noch unglaub lich viel Nahrung in sich aufnehmen konnte, bevor es zu Ende gehen würde. Es verdrängte den Gedanken ans Ende. Neue Nahrung zu suchen, war wichtiger. Und es würde neue Opfer finden. Es konnte seinen Wirtskörper zwar nicht verlassen, aber das ließ sich durch allerlei Tricks glänzend überspielen. Es konnte nicht durch die Augen des Wirtskörpers sehen. Dafür wurde sein ewig hungriger Instinkt von den Gefühlsregungen des anderen überschwemmt. Es spürte die Angst des gepeinigten Körpers, und es spürte den Haß auf den Blinden Sofgart. Die Hilflosigkeit des anderen war manchmal so stark, daß es sich sekundenlang abkapseln mußte. Dann streckte es vorsichtig seine Sensitiv Tentakel durch die umgebenden Gewebewände, um mehr über die Welt draußen zu erfahren. Auf diese Weise wurde es auch geweckt, wenn sich andere Wesenseinheiten näherten. Dann war der Augenblick gekommen, um neue Nahrung zu erkämpfen. Die anderen hatten überhaupt keine Chance. Durch den gräßlichen Anblick des deformierten Wirtskörpers gebannt, wichen sie schreiend zurück. Dann zuckten ihnen die pfeilspitzen Tentakel entgegen, um in Sekundenschnelle das Blut auszusaugen. Dabei wurde von den Tenta keln eine Chemikalie übertragen, die den Fremdkreislauf um ein Mehrfa
ches beschleunigte. Eine starke Erhöhung der Körpertemperatur war die Folge davon. Das erfüllte einzig und allein den Zweck, die Blutentnahme zu beschleunigen. Es befand sich in einer Art Rauschzustand. Die Überschwemmung mit Nahrung machte es unweigerlich unvorsichtig. Es suchte nach weiteren Opfern. Das sollte nicht lange dauern. Die Empfindungen seines Wirts körpers zeigten ihm deutlich an, wann es soweit war. Drei fremde Wesenseinheiten kamen näher! Zwei davon waren dem Wirtskörper bekannt. Es fühlte, wie seine Ab wehrbereitschaft stieg. Plötzliche Erregungswellen ließen es seine Tentakel zurückziehen. Es mußte alle Kräfte aufbieten, um den Gefühlsansturm des Wirtskörpers nicht zu erliegen. Langsam gewann es die Kontrolle über sein Opfer zurück. Die biologische Zeitbombe des Blinden Sofgart würde auch diese Wesenseinheiten angreifen, um ihnen das Blut auszusaugen! 7. Wir waren längst in den Bereich eines fremden Piratennestes einge drungen. Costa, unser zarltonischer Begleiter, ging mit schußbereiter Waffe voran. Nachdem wir den Antigravschacht verlassen hatten, hatte sich auch die Umgebung verändert. An vielen Stellen hatte sich die metallisch schimmernde Wandverkleidung gelöst und ließ die porösen Felsschich ten des Asteroiden sichtbar werden. Vor uns erstreckte sich ein riesiger Hohlraum, der von mehreren Leuchtstoffröhren beleuchtet wurde. In seiner Mitte standen kleine Gleiter, die von bewaffneten Zarltonern bewacht wurden. Im Hintergrund sahen wir Tunnelstraßen, die zu den einzelnen Nestern führten. Costa ging auf die Wachtposten zu. Er legte die Rechte grüßend an den weißen Funkhelm. „Lang lebe Sheeron!" „Lang lebe Sheeron!" Die Begrüßungszeremonie der Uniformierten hatte etwas Mechanisches an sich. Doch das schien ihnen nicht bewußt zu sein. Dafür hatten sie sich schon viel zu sehr mit ihrer Arbeit abgefunden. „Wir suchen eine junge Arkonidin. . .", begann Costa. Ich mischte mich sofort ein und sagte: „Sie ist krank. Als ich sie das letzte Mal sah, waren ihre Muskeln angeschwollen. Außerdem ist eine starke Pigmentstörung aufgetreten. Ihre Haut hat einen bläulichen Ton bekommen." „Hier ist niemand vorbeigekommen, auf den Ihre Beschreibung paßt!" „Wir vermuten, daß sie von einem Fremdrassigen entführt wurde!" Die Zarltoner machten ungläubige Gesichter. „Fremdrassiger?"
Ich berichtete ihnen von den beiden Wachtposten, die wir vor den Antigravschächten gefunden hatten. Auch, daß etwas Fremdes ihnen das Blut ausgesaugt hatte. „Davon hat doch vorhin einer von Manifolds Leuten gefaselt", murmelte ein Uniformierter, der unser Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. Ich wurde sofort hellhörig. „Hat es hier unten etwa auch Tote gegeben, die solche Wunden aufwie sen?" „Das behaupten sie in Manifolds Nest", kam die Antwort. „Führen Sie uns sofort dorthin!" verlangte ich. Die Zarltoner machten betretene Gesichter. „Das ist nicht so einfach. Wir haben gerade erst mit Manifold einen Waf fenstillstand ausgehandelt. Er hat uns nämlich beschuldigt, seine Leute getötet zu haben. Dabei erwähnte er auch etwas von einer neuen Waffe, die das Blut aus den Körpern verschwinden läßt!" „Was natürlich völliger Unsinn ist!" beeilte sich ein anderer hinzuzu fügen. Ich schüttelte den Kopf. „So unsinnig ist das nun auch wieder nicht! Ich selbst habe solche Opfer bei Sheeron oben gesehen!" „Was? Bei Sheeron auch ... aber dann hätten wir Manifolds Leute ja umsonst angegriffen! Da treibt hier tatsächlich ein Fremder sein Unwe sen!" Die Uniformierten hatten mit einmal bleiche Gesichter bekommen. Ich begann die Zusammenhänge zu kombinieren. Die Piraten hatten einander bekämpft. Und Sheeron wollte mir gegenüber nicht so recht zugeben, weshalb die Auseinander setzung eigentlich stattgefunden hatte. Das war bisher alles sehr ge heimnisvoll gewesen. Ich hatte einfach keinen Sinn darin erkennen können. Jetzt kam Licht in das Dunkel jener tragischen Ereignisse, die uns soviel Rätsel aufgegeben hatten. Sowohl bei Sheeron als auch bei den anderen Piratenführern hatte es Tote gegeben. Da sich kein Schuldiger für diese Morde finden ließ, hat ten sie sich gegenseitig beschuldigt. Einer hatte dem anderen Beutegier und Machtstreben in die Schuhe geschoben. Der Rest war eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung gewesen. Den wahren Schuldigen hatte bisher niemand entlarven können. Und das Schlimme an der ganzen Sache war, daß Farnathia höchstwahr scheinlich von ihm entführt worden war. „Ich schlage vor, daß wir uns in Manifolds Nest umsehen! Wenn er den Grund unserer Mission erfährt, wird er uns keine Schwierigkeiten machen", vermutete ich.
„Du warst schon immer sehr optimistisch", meinte Correson, der bis jetzt still neben mir gestanden hatte. „Ohne Optimismus kämen wir hier nicht weiter. Wäre ich pessimistisch, dann könnten wir gleich aufgeben. Die Chancen, Farnathia lebend wie derzufinden, stehen nämlich verdammt schlecht." Costa, Lord Correson und ich gingen an den Zarltonern vorbei. Eine knappe Rückfrage bei Sheeron hatte uns den Weg freigemacht. Wir stie gen in einen mittelgroßen Gleiter. Das Fahrzeug war in einwandfreiem Zustand. Es schoß sofort in die Höhe, als ich die Kontrollen betätigte. Manifolds Nest bestand aus drei wabenförmigen Höhlenräumen, von denen einer mit der Asteroidenober fläche verbunden war. Die Gleiterstraße durchschnitt seine Komman dowabe und setzte sich bis zum nächsten Nest fort. Dabei ging es weiter ins Innere des Asteroiden. Die Luft hier unten war nicht mehr so gut gereinigt wie oben in Sheerons Etagen. Ob das eine Folge der Kämpfe war, ließ sich jetzt nicht feststellen. Wir hatten andere Sorgen. Die Piraten betrachteten uns mißtrauisch. Einige hoben wütend die Fäuste, als wir den Gleiter verließen. „Führt uns zu Manifold!" verlangte Costa herrisch. „Sucht ihn doch selber!" kamen die Stimmen aus der Menge. Die Erinnerung an Sheerons Strafaktion war allen noch in zu frischer Erinnerung. Und wir kamen von Sheeron. Also waren wir ungebetene Gäste. Die Piraten dieses Nestes trugen abenteuerlich anmutende Klei dungsstücke. Manche hatten sich bunte Umhänge über die Schultern geworfen, andere wiederum trugen abgeschweißte Teile schwerer Raumanzüge. Es waren durchwegs Arkoniden. Sie hatten ihre schulterlan-: gen Haare zu kunstvollen Frisuren verarbeitet. Bei einigen konnte man nicht sicher sein, ob es sich um Frauen oder um Männer handelte. Ich versuchte, das Vertrauen dieser rauhen Burschen zu gewinnen. „Ich suche mein Mädchen! Sie wurde von einem Unbekannten entführt, der aller Wahrscheinlichkeit nach für die -unheimlichen Morde verantwortlich ist!" Unwilliges Murren wurde laut. „Alles Ausreden,, mit denen ihr Sheerons feigen Überfall zu entschuldigen versucht!" „Nein! Hört mich doch an!" rief ich. „Bei Sheeron sind tatsächlich meh rere Männer gefunden worden, denen ein Unbekannter alles Blut aus dem Körper gesaugt hatte!" Ein breitschultriger Pirat war vorgetreten. Sein mächtiger Brustkorb war mit dem Oberteil eines Raumanzugs bedeckt. Der mattpolierte Harnisch aus Arkonstahl glänzte. Ich sah, wie der Mann eine schwere, gezackte Eisenstange zwischen den Fingern drehte.
„Du machst dich wohl lustig über uns!" kam es über die Lippen des Hü nen. „Als ihr hörtet, daß bei uns einige in diesem bedauernswerten Zu stand gefunden worden sind, habt ihr schnell geschaltet. Jetzt hat es bei euch natürlich dieselben Morde gegeben!" Der Pirat stieß ein kehliges Lachen aus. „Aber so was läßt Manifold kalt!" Das war also Manifold, der Anführer dieses Piratennestes. Er hatte uns die ganze Zeit beobachtet, ohne sich zu erkennen zu geben. Auch Costa schien ihn nicht gekannt zu haben. Im gleichen Augenblick schlug der Hüne mit seiner schweren Eisen stange zu. Hätte ich das Aufblitzen seiner Augen nicht wahrgenommen, mein Schädel wäre unter diesem Schlag zerschmettert worden. Ich ließ mich blitzschnell fallen. Manifold wurde von seinem Schlag vorwärtsgerissen und kam dicht neben mir zu Fall. Ich wollte ihn mit ei ner Handkante niederschlagen, doch sein Ausweichmanöver war schneller, als ich ihm bei seiner Körperfülle zugetraut hatte. Costa zog seine Waffe. Auch Lord Correson hantierte an seinem Strah ler. „Steckt eure Waffen weg!" schrie ich den beiden zu. Manifold ließ mir nicht viel Zeit zum Überlegen. Er wollte anscheinend sein angekratztes Selbstbewußtsein durch diesen Kampf aufwerten. Da wir von Sheeron kamen, rechnete er uns natürlich zu den Leuten, die ihm vor wenigen Zeiteinheiten eine Niederlage zugefügt hatten. Ich spürte den Luftzug, den die Eisenstange dicht über meinem Kopf verursachte, als Manifold sie vorbei wirbeln ließ. Dann packte ich zu. Eine blitzschnelle Armdrehung, und der kräftige Pirat heulte vor Wut und Schmerz auf. Es knackte, und sein Arm erschlaffte. Die Eisenstange polterte auf den Boden. Ich sah, wie er eine kleine Strahlenwaffe aus dem Gürtel zerrte. Doch damit kam er nicht weit, denn seine Linke war im Waffenziehen weitaus ungeübter als die schmerzende Rechte. Ich stand vor ihm und wartete, bis er den Waffenkontakt drücken wollte. Correson stieß einen Schrei aus: „Er wird dich töten, Atlan!" Im selben Augenblick trat ich ihm die Waffe aus der Hand. Manifold bückte sich und robbte fluchend über den Boden. Seine Rechte verkrallte sich über dem Kolben des Strahlers. Ich brauchte nur ein paar Schritte zu machen, dann trat ich die Waffe mit der Schuhspitze beiseite. „Und jetzt werden wir uns einmal vernünftig unterhalten, Manifold!" Er starrte mich schweratmend an. „Wer bist du? So hat mich noch keiner behandelt!" „Man nennt mich Atlan! Das sollte dir genügen. Aber merke dir eins ... ich bin nicht hierhergekommen, um mich deinen Launen zu beugen. Ich suche ein Mädchen. Und ich werde es finden!"
Ich ließ den Piraten langsam aufstehen. Auf einen neuen Angriff
wartend, stand ich mit leicht vorgebeugtem Oberkörper da. Manifold
stand wenige. Augenblicke regungslos da, dann brach er in homerisches
Gelächter aus. Er lachte, wie ich zuvor noch keinen Mann hatte lachen
hören.
Es dauerte nicht lange, dann fielen die anderen Piraten in sein Gelächter
ein.
Costa und Lord Correson machten verständnislose Gesichter.
Ich hingegen ahnte, was in dem Piratenführer vor sich gegangen war.
Der Mann wollte nicht vor seinen Leuten das Gesicht verlieren. Also
versuchte er, das Vorgefallene ins Lächerliche zu ziehen. Das war für
den rauhen Gesellen typisch, und er hatte Erfolg damit. Es fehlte nur
noch, daß ich ebenfalls zu lachen anfangen würde. Eins stand jedoch
fest: ich fühlte mich hier unten wesentlich wohler als in Sheerons Etage.
Manifold symbolisierte jene Männer, die das Große Imperium stark
gemacht hatten. Er war einer jener Kämpfer, Kolonisatoren und
Abenteurer, deren Blut auch in meinen Adern floß. Hanwigurt Sheeron
gehörte zu jenen Männern - zumindest dem Wesen nach , die einst mei
nen Vater beseitigt hätten.
Manifold schlug mir derb auf die Schulter.
„Das war ein Spaß, was?"
Er lachte wieder. Sein breites Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
Ich konnte mir kaum noch vorstellen, daß mich dieser Mann noch vor
wenigen Augenblicke töten wollte.
„Können wir wieder vernünftig reden?" unterbrach ieh seine Lachsalven.
Ich wurde langsam unruhig. Die Zeit verstrich, und wir hatten noch
immer keine Spur von Farnathia gefunden.
„Das Mädchen, das ich suche, ist schwerkrank. Wenn ich jetzt nichts
unternehme, ehe ich sie vielleicht niemals wieder!"
Manifold schaute mich nachdenklich an.
„Das ist ein Argument, Atlan! Was kann ich dabei tun?"
Ich brauchte nicht lange zu überlegen und sagte: „Zeige mir die Stellen,
an denen ihr eure Toten gefunden habtl Ich kenne die Spur des unbe
kannten Entführers"
Manifold hustete.
„Es stimmt also, daß bei euch oben die gleichen Morde vorgekommen
sind!"
Ich nickte nur. Der Pirat würde es ohnehin bald erfahren. Wenn sich die
Wogen der Erregung geglättet hatten, würde der Informations
austausch zwischen den einzelnen Nestern wieder funktionieren.
„Komm!" sagte Manifold. „Ich will dir zeigen, wo wir unsere Brüder
fanden!"
Die eingetrocknete Schleimspur war nicht zu übersehen.
„Der Unbekannte, der Farnathia entführt hat, war also hier unten!" stieß ich zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor. Ich griff unwillkürlich nach meinem Strahler. Das Wesen sollte mir nur vor die Waffe kommen. Es würde Farnathias Entführung bereuen. Dafür würde ich schon sorgen. Manifold betrachtete die Schleimbröckchen mit einer Mischung aus Abscheu und Neugier. „Ich kann mir kein Wesen vorstellen, das solche Sekrete absondert. Ich habe schon gegen Maahks gekämpft ... ich habe diese Methans sterben sehen, aber ich habe noch nie so was Ekliges gesehen!" Ich sah den Piraten an. hinter der schweren Stirn arbeitete es. Ich konnte erkennen, daß Manifold die gleiche Frage wie uns beschäftigte: wer war hier eingedrungen und hatte die Piraten getötet? „Ich weiß nicht recht", begann Correson, „vielleicht war der Unbekannte krank oder in einer Notlage. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Lebewesen unter normalen Umständen solche Sekretmengen verliert!" „Du meinst also, der Fremde Mist sich auf!" vermutete ich. „Stimmt haargenau!" Correson deutete nach oben und meinte: „zwischen Manifolds Nest und Sheerons Kommandoetage liegt eine ganz hübsche Strecke. Der Un bekannte hat sie zusammen mit Farnathia zurückgelegt und dabei stän dig diese Schleimspur erzeugt. Er muß also kontinuierlich an Substanz verloren haben. Das hält kein normales Wesen auf die Dauer aus!" Ich zog die Stirn kraus. „Ohne Nahrung hält das niemand aus!" meldete sich mein Extrasinn. „Aber bei ständiger Nahrungszufüh rung könnte es das geschafft haben." „Das ist es!" rief ich. „Das Wesen saugt seinen Opfern das Blut aus. Deshalb kann es diese gewaltigen Strecken zurücklegen. Trotz seines dauernden Verlustes an Körpersubstanz!" Die Piraten zeigten sich angeekelt. Ich versuchte, Ordnung in das Ge schehene zu bringen. „Fangen wir noch einmal ganz von vorn an ... bei euch werden ein paar Männer umgebracht. Ihr haltet Sheerons Wachtposten für die Täter. Während der Kampfhandlungen wird in Sheerons Etage Farnathia entführt. Dabei kommen auch zwei von Sheerons Leuten um. Wir verfol gen die Spur des Entführers und landen bei euch, Manifold!" Mein Extrasinn brauchte mich nicht darauf hinzuweisen, daß eine Lücke in meiner Konstruktion klaffte. Correson hatte den wunden Punkt meiner Erklärung auch entdeckt. . „Wenn hier unten ein Fremder sein Unwesen treibt, kann er nicht gleichzeitig in Sheerons Etage Farnathia aus ihrem Zimmer holen und sie hierher verschleppen!" „So ist es!" bestätigte ich.
Costa hatte uns zugehört und an seinem Armbandsender hantiert. Er wollte Sheeron mithören lassen. Als Manifold sah, daß Costa die Verbindung zur oberen Etage herge stellt hatte, kannte er sich nicht verkneifen, Sheeron mit den übelsten Flüchen zu überschütten. Sheeron ging darauf nicht ein. Er wollte nur mich kurz sprechen. j„Hören Sie Atlan, Ihre Vermutung, daß wir es mit zwei Fremden zu tun haben, scheint sich bewahrheitet zu haben." „Habe ich das vermutet, Sheeron? Noch fehlen mir die Beweise dazu. Vielleicht sind es sogar noch mehr. Eine ganze Schar blutrünstiger Fremder!" Der Mikrolautsprecher an Costas Handgelenk wurde überbeansprucht, als Sheeron seine Antwort brüllte: „Wir vermissen den Zarltoner, der vor Ihrer Kabine stand, Atlan!" „Na, und?" „Blutspuren lassen auf einen heftigen Kampf schließen. Sonst fanden wir nichts. Ich dachte, Sie hätten etwas dazu zu sagen!" „Tut mir leid, Sheeron. Wir wissen selbst nicht weiter. Noch eine Frage, bevor Sie abschalten. Haben Sie meine Freunde auf Kraumon benach richtigt? Ich will endlich von diesem verdammten Asteroiden verschwin den!" Statt einer Antwort knackte es. Costa sah mich grinsend an. Er kannte seinen Chef. Sheeron wollte mich also weiterhin zappeln lassen. Was versprach sich der brat eigentlich davon? Wollte er mich gefügig machen? Da hatte er sich aber geirrt. Eher würde ich ihm seine ganze Kommandozentrale zusammenschweißen, bevor ich mich ihm unterordnete. Ich wandte mich wieder Manifolds Leuten zu und fragte sie: „Was habt ihr mit den Opfern des Unbekannten gemacht? Habt ihr sie in den Kon verter gesteckt?" Sie verneinten das. „Wo denken Sie hin!" rief ein mittelgroßer pirat, dessen schulterlange Haare zu kleinen Zöpfen gedreht worden waren, die ihm fettstarrend vorn Kopf abstanden. „Wir brauchen die armen Kerle als Beweis gegen Sheeron. Jetzt wohl nicht mehr, aber vorhin, als wir Sheeron für den Ag gressor hielten!" plötzlich war ich unruhig. Es überlief mich siedendheiß. Wenn die Körper der Opfer noch existierten, war der Mörder bestimmt nicht weit. Und bei ihm hoffte ich Farnathia zu finden. Manifold deutete auf eine schwere Stahltür. ,
Außer dem Summen schwerer Aggregate war nichts zu hören. Links und rechts mündeten Lastenbänder, auf denen die Piraten ihre Beute stücke herabtransportierten. „Dort . .. hinter der Tür liegen unsere Brüder. Ich selbst habe es so an geordnet. Ihre Körper sollten der Untersuchungskommission als Be weismittel dienen!" „Wer besitzt Schlüssel zum Kühlraum?" fragte ich. „Er ist offen! Dort kann jeder reingehen." Ich drehte mich um. Correson zuckte mit den Schultern. „Der Mörder kann also jederzeit dort eindringen?" fragte er. Manifold antwortete ihm: „Ja ... aber weshalb die Fragerei?" Ich kniff die Augen zusammen und ging auf die Stahltür zu. „Weil unser Mörder sehr hungrig sein könnte. Es ist nur eine Vermutung, aber ich nehme an, daß er sich die Toten holen wird!" Unser Atem kondensierte zu kleinen Wölkchen. Die kalte Luft des Kühlhauses stach wie Nadeln in unsere Lungen. Costa hielt eine schwe re Lampe in der Hand und leuchtete die Wände neben uns ab. In breiten Nischen lagen tiefgefrorene Kostbarkeiten. Muscheln von Zalak-II. Seesterne und Meeresfrüchte von Karnak. Spezialitäten aus allen Teilen des Großen Imperiums. „Das war sicher für Orbanaschols Hofschranzen bestimmt!" meinte Manifold und schlug sich lachend auf den Brustpanzer aus Arkonstahl. Eine weißliche Atemfahne verwehte vor seinem Gesicht. Dann standen wir vor einem Verteilerband. Hier konnten die Waren in mehreren Etagen übereinander gestapelt werden. Viele der Pakete trugen keine Aufschrift. Ich vermutete, daß Manifold die Waren vor Sheeron versteckte. Aber das sollte mir egal sein. Die internen Streitigkeiten der Piraten gingen mich nichts an. Mir wurde langsam kalt. Hier war es mindestens dreißig Grad unter dem Gefrierpunkt. Kein sehr angenehmes Gefühl. „Wo habt ihr die Toten versteckt?" fragte ich. „Dort oben!" 'Manifold deutete auf eine Leichtmetallplattform, die über eine schmale Treppe zu erreichen war. Paketballen versperrten uns den Blick. Wir konnten nicht sehen, was dort alles aufbewahrt wurde. Außerdem war es stockdunkel. Nur Costas Lampe verbreitete schwaches Licht. „Warum habt ihr die Beleuchtung nicht eingeschaltet? Man sieht ja nicht einmal die Hand vor Augen!" Manifold räusperte sich unwillig. „Die Schaltanlage hat einen Knacks abbekommen. Einer von Sheerons Leuten hat hier unten wie ein Wilder herumgeschossen. Der Schaden wird gerade behoben."
Ich wußte, daß Manifold mich eben angelogen hatte. Er wollte nur ver hindern, daß ich zuviel von den versteckten Waren sehen würde. Trotz unserer Zusammenarbeit traute er mir nur bis zu einem ganz gewissen Punkt. Ich konnte es mir nicht verkneifen und sagte: „Wie kommt es dann eigentlich, daß die Kühlaggregate noch arbeiten?" „Das ist meine Sache!" kam es aus dem Dunkeln. Ich wollte nicht weiterbohren. Die gute Laune des Piraten war mir mehr wert als jede Rechthaberei. Ich war auf Manifolds guten Willen an gewiesen, wenn ich Farnathia wiederfinden wollte. Plötzlich packte ich den Piraten am Arm. „Leise!" zischte ich. Auf einmal konnten wir nur unseren angehaltenen Atem vernehmen. Das Summen der Kühlaggregate schien aus weiter Ferne zu kommen. Die eisige Finsternis schien uns verschlucken zu wollen. Dann hörten wir alle das seltsame Geräusch. Etwas tröpfelte in regelmäßigem Rhythmus auf den Metallboden. Ich blickte mich um. „Das dürfte es hier doch gar nicht geben? Jeder Wassertropfen gefriert in kurzer Zeit. Was kann das sein?" Statt einer Antwort stieg Manifold die schmale Leiter hoch. Wir folgten ihm. Costa leuchtete vor uns den Boden aus. Er hielt inne, als der Licht kegel einen unförmigen Ballen streifte, der mitten auf dem gerasterten Metallboden lag. Links und rechts erhoben sich die großen Lagerregale. „Da liegt etwas!" Manifold stieß das Bündel mit dem Fuß beiseite. „Die Sachen gehörten einem meiner Männer!" Jetzt konnte ich auch die rostroten Flecke auf dem Material erkennen. Blut, durchzuckte es mich. Kein Zweifel, das konnten nur die Kleider der Toten sein. Ich spürte plötzlich einen kalten Hauch, der bestimmt nicht von der Kühlhausluft entfacht worden war. Das Tröpfeln hatte un verändert angehalten. „Dort rüberleuchten!" rief ich. Costa kam meinem Wunsch sofort nach. Seine Lampe leuchtete den Hintergrund aus, streifte blitzende Eiszapfen und mattschimmernde Metallverstrebungen. Doch außer den unzähligen Kästen, Ballen und Truhen war nichts zu sehen. „Glaubst du etwa, die Toten hätten sich selbständig gemacht?" versuch te Correson zu scherzen. Doch es klang eher, als wollte sich der junge Arkonide von einer ungewissen Angst befreien. Jeder hatte das Gefühl, daß gleich etwas Schreckliches geschehen mußte. „Die Körper sind verschwunden!" stieß Manifold hervor. Er zerrte einen Stoffetzen vom Regal und hielt ihn in den Lampenstrahl. „Hier war vor uns jemand drin und hat die Toten fortgeschafft!"
Hinter uns tropfte es weiter. Immer wieder Patsch ...Pause Patsch ... Pause ... „Aber wer sollte außer dem Mörder ein Interesse an den Leichen gehabt haben?" „Fragen wir ihn doch selbst! Ich glaube, daß sich der Unbekannte noch im Kühlhaus aufhält!" sagte ich langsam. Alle starrten mich entsetzt an. „Das ... kann doch nicht dein Ernst sein, Atlan!" Lord Correson konnte seine Angst kaum verbergen. „Helfen Sie mir mal, Costa! Ich will sehen, was da oben auf dem Regal liegt!" Der Zarltoner faltete die Hände und beugte sich leicht vor. Ich setzte meinen Fuß darauf und schwang mich am Regal empor. Noch ein Klimmzug, und ich hatte die obere Lagerfläche erreicht. Es war stock finster. Ein schlechter Geruch kam aus dem Dunkel. Ich konnte nichts sehen. Nur das Tröpfeln wurde stärker. Ich streckte meine Hand aus. Eine klebrige Flüssigkeit lief über das vereiste Regal und tröpfelte zwi schen den ausgestanzten Löchern der Metallfläche in die Tiefe. „Mehr Licht, Costa!" Als der schwache Lichtschein von der Decke reflektiert wurde, sah ich etwas so Schreckliches, daß ich unwillkürlich die Augen schloß und unterdrückt stöhnte. Das Ding hatte sich in Kleidungsfetzen eingehüllt. Es konnte jedoch nicht verhindern, daß seine gallertartigen Körpermassen darüber hin wegquollen. Das Tröpfeln war stärker geworden. Fast schien es so, als wäre das Gebilde in höchstem Maße erregt. Etwas Dunkles schob sich wie eine Trennwand zwischen mich und das Ungeheuer. Es war Morgus, der Veränderliche von Sheeron. Die Trenn wand strahlte einen fluoreszierenden Schimmer aus, der beruhigend auf mich wirkte. Morgus hatte meine beginnende Panik aufgefangen und begann, mich telepathisch zu bearbeiten. „Was ist da oben los?" Manifolds rauhe Stimme riß mich in die Wirklichkeit zurück. „Ein... ein Gallertwesen!" „Was?" Costa reckte den Arm mit der Lampe hoch, doch das leicht überste hende Regal versperrte ihm die Sicht. Manifold zog seinen Strahler und justierte die Abstrahlmündung. „Aus dem Weg, Atlan! Ich werde das Ding schon zusammenschmoren !" „Nein!" rief ich, „da ist noch jemand bei ihm!" Ich war mir nicht sicher, ob der Pirat Morgus schonen würde. Im glei chen Augenblick fragte ich mich, was Morgus hier unten zu suchen hatte. Ein schrecklicher Verdacht stieg in mir auf. Doch ich wollte zuerst sichergehen.
Morgus hatte ein zierliches Tentakel ausgebildet und berührte meine Hand. Bilder kamen und gingen. Die telepathischen Ströme wirkten be ruhigend. Doch als das Wesen Bilder von Farnathia abstrahlte, begann ich zu schreien. Ich wußte auf einmal, was dieses Gallertwesen auf dem Regal des Kühlraums war! Neben mir atmete ein Arkonide. Lord Correson. Er hatte mich gepackt und versuchte, mich zu beruhigen. Es gelang ihm nicht. Ich starrte mit tränennassen Augen auf das zuckende Plasmabündel. Ich schrie, wie ich nie zuvor in meinem Leben geschrien hatte. Das Ding war Farnathia! Voller Haß auf alles Normale, das meine Farnathia in diesem Zustand hassen mußte, schlug ich auf Correson ein. Der junge Arkonide rutschte auf der schleimigen Flüssigkeit aus und stürzte mit einem Wehlaut vom Regal. Hätte Manifold ihn nicht aufgefangen, mein Begleiter hätte sich zumindest einen Arm gebrochen. Ich vernahm die Stimmen wie durch einen dämpfenden Schleier. „Hat Atlan den Verstand verloren?" „Wer ist Morgus?" Das konnte nur Manifold gesagt haben. „Er redet von Farnathia!" „Hat sich sein Mädchen hier versteckt?" „Was hat sie mit den Leichen zu tun?" „Atlan!" Mein Extrasinn hatte einen überstarken Reizimpuls abgegeben. Ich zuckte zusammen. Mit einmal konnte ich die Umgebung wieder klarer wahrnehmen. Ich konnte mich selbst wie aus einer stark überhöhten Position beobachten. Ich sah, wie ich am Regal herunterkletterte. Ich sah, wie mir Manifold und Costa halfen. Ich sah auch, wie Lord Correson an mich herantrat und mich etwas fragte. Dann war das seltsame Gefühl verschwunden. Später würde ich er fahren, daß mein Extrasinn die psychische Schockwirkung durch eine verhaltenspsychologische Akutübung beseitigt hatte. „Was hat dich so erschreckt, Atlan? fragte Correson. Seine Stimme klang besorgt. Er nahm mir nicht übel, daß ich ihn vom Regal gestoßen hatte. „Dort oben liegt ... Farnathia!" Correson starrte mich entsetzt an. Er war der einzige von den Anwesenden, der die Tragweite meiner Worte erfassen konnte. Ich mußte ihn gewaltsam daran hindern, auf das Regal zu klettern. „Sie ist anders ... ihr Körper ist nicht mehr menschlich! Die Meta morphose ist schon zu weit vorangeschritten!" Correson bedeckte das Gesicht mit den Händen.
„Warum ... warum mußte das gerade Farnathia passieren? Warum?" Eine Frage, die ich mir schon oft gestellt hatte, seit ich das erste Mal von ihrer Veränderung erfahren hatte. Wollte der Blinde Sofgart mich auf diese Weise über Lichtjahre hinweg zum Wahnsinn treiben? Es wäre ihm beinahe gelungen - wenn er. für Farnathias Verwandlung verant wortlich war. Ich schwor mir, bei allem was mir heilig war, daß ich diese teufliche Kreatur dafür zur Rechenschaft ziehen würde. Sollte Sofgart Farnathia auf dem Gewissen haben, so würde ich nicht zögern, diesen Folterer zu töten! Manifold schaute hoch. Das Tröpfeln hatte aufgehört. Ich sah, wie sich der unförmige Klumpen dicht unter der Decke vor wärtsschob, Morgus kroch nebenher. Das Mimikrywesen versuchte noch immer, das Farnathiagebilde vor unseren Augen zu schützen. Es kroch in den Hintergrund. Bald mußte es die Betonwand erreicht ha ben. Dort war sein Weg zu Ende. Dann müßte es zu uns herabkriechen, wollte es nicht ewig im Kühlraum verharren. Wir gingen langsam an den Regalen vorbei. Obwohl ich jetzt schon längere Zeit im Kühlraum war, machte mir die strenge Kälte nichts aus. Eine Erkältung würde ich mir trotzdem ein handeln. Doch daran dachte ich jetzt nicht. Nur der Gedanke an Farnathias Schicksal beherrschte mein Bewußtsein. Es war eigentümlich, daß ich immer noch auf eine positive Wendung hoffte. War ich schon so wirklichkeitsfremd geworden, daß ich nicht mehr zwischen Wunschdenken und Realität unterscheiden konnte? Irgend etwas klatschte auf den Boden. Manifold wollte schießen. Ich fiel ihm blitzschnell in den Arm und drückte seine Hand mitsamt der Waffe hoch. Ein Glutstrahl zuckte in die Decke und ließ aufgetaute Flüssigkeit auf uns herabnieseln. „Aus dem Weg, Atlan! Ich will dich nicht auch noch erledigen!" „Du darfst das Ding nicht töten... das ist Farnathia!" Manifold erkannte meinen Gemütszustand und verzichtete auf eine barsche Entgegnung. Er schaute abwechselnd auf mich, dann auf das pulsierende Ungeheuer, das nur noch entfernt an ein arkonidisches Mädchen erinnerte. „Was ist das für eine Krankheit?" wollte er wissen. Ich konnte es ihm auch nicht sagen. „Ich habe sie aus den Klauen des Blinden Sofgart befreit. Vielleicht hat er ihr Krankheitskeime eingepflanzt ... ich weiß es nicht!" „Du warst auf Ganberaan?" fragte Manifold ungläubig. „Ja!" Plötzlich sah mich der Pirat mit anderen Augen an. Er kannte natürlich die Folterkammer des Großen Imperiums. Er kannte die Schrekkenswelt Ganberaan, über die man sich auf den Handelsplaneten der Galaxis nur hinter der vorgehaltenen Hand unterhielt.
Ich erzählte dem Piraten in kurzen Zügen, was sich auf der Folterwelt zugetragen hatte. Manifold glaubte mir. Auch wenn die Geschichte ziemlich phantastisch klang. „Und wie stellst du dir die Hilfe für dieses ... Ding vor?" Ich zuckte mit den Schultern. „Die Metamorphose ist schon so weit vorangeschritten, daß ein Bauchaufschneider wohl kaum etwas dagegen unternehmen kann. Kennst du niemanden, der einen unkonventionellen Eingriff wagen würde?" Ich konnte sehen, wie Manifold sich an der Stirn kratzte. „Ihr Körper ist verloren! Damit mußt du dich abfinden!" erklärte Manifold. „Aber ihr Geist lebt noch. Es könnte da eine Chance geben, ihn zu retten." Ich starrte Manifold entgeistert an. Auch Lord Correson war aus seiner Erstarrung erwacht und zeigte reges Interesse. „Wie könnten wir das anstellen ... wie können wir einen Geist trans plantieren?" Allein der Gedanke daran war ungeheuerlich. Ich versuchte mir vor zustellen, wie man ein solches Experiment durchführen würde. Doch ich war weder Spezialist auf diesem Gebiet, noch Fachmann genug, um die Konsequenzen abwägen zu können. „Ich kenne da jemanden, der es vielleicht schaffen könnte!" Manifold tat sehr geheimnisvoll. Als wir den Kühlraum verließen, folgten uns Morgus und das Plasmawesen. Ich war froh, daß Manifold nicht mehr nach dem Verbleib der Leichen forschte. Nach allem, was geschehen war, mußte ich annehmen, daß sich Farnathia von ihrem Fleisch ernährt hatte. Ich wußte jetzt auch, daß sie nicht entführt worden war. Sie hatte während der beginnenden Metamorphose das Weite gesucht und war hier unten gelandet. Die Tür zum Kühlraum fiel dumpf in die Verriegelung. Manifold versuchte vergeblich, Sprechverbindung zu einem anderen, noch tiefergelegenen Piratennest, zu bekommen. Wütend schlug er auf die Aktivierungstaste des Senders. „Schlafen denn diese Idioten?" Er versuchte es noch einmal. Rechts von mir stand Farnathia. Ihre Körperoberfläche schillerte wie ein fingerdicker Ölfilm. Ihr ganzer Körper war von der Schleimschicht bedeckt. So konnte ich auch nicht erkennen, wie weit ihr Körper nun wirklich verändert worden war. Es waren weder Augen noch Mundöffnung erkennbar. Über, allem lag die zuckende Schleimschicht. Morgus war nicht von ihrer Seite gewichen. „Ich komme einfach nicht durch!" polterte Manifold. „Entweder schlafen die Kerle, oder sie haben was von unserem Kampf mit Sheeron mitge kriegt!" Das konnte natürlich der Fall sein. Jeder Pirat hatte Angst vor dem
Verlust seiner autarken Stellung, denn jeder wirtschaftete noch immer in die eigene Tasche. '„Wie kann mir dieser Pirat helfen?" wollte ich wissen. Manifold legte sich quer über das Instrumentenpult. Der Bildschirm zeigte noch immer kein Verbindungssymbol. Die Lautsprecher blieben stumm. „Ich wollte Hopka Tarugga um Hilfe bitten. Er ist der Bruder einer meiner fünf Frauen." „Was kann dieser Tarugga schon gegen Farnathias Metamorphose unternehmen?" fragte ich. Manifold zögerte noch. Mit der Beantwortung meiner Frage war die Auskunft über Taruggas Beute verbunden. Dieser Pirat mußte etwas geraubt haben, was Sheeron nicht kannte. Etwas, mit dem Farnathia geholfen werden konnte. „Tarugga hat eine Schiffsladung Androiden erbeutet!" Jetzt war es heraus. Manifold wollte Farnathias Geistesanteil auf einen Androidenkörper übertragen lassen. Soviel ich über die Technik dieses Verfahrens wußte, bestand eine geringe Erfolgschance. Allem Vernehmen nach befand sich die Wissenschaft von der Geistestrans plantation auf Kunstkörper noch im Anfangsstadium. „Ich behalte Taruggas Geheimnis natürlich für mich!" „Das hoffe ich auch", entgegnete Manifold kühl. Der Pirat wählte immer wieder den Kode des Kollegen an. Doch die Verbindung kam nicht zustande. Ich machte schließlich den Vorschlag, auf eigene Faust in das andere Nest vorzustoßen. „Das geht schneller, als wenn wir hier darauf warten, daß Tarugga sich meldet!" Manifold stimmte mir zu. „Aber was geschieht inzwischen mit dem Ding?" Er deutete auf Farnathia. „Ich passe auf sie auf!" sagte Lord Correson. „Morgus und ich werden Farnathia schon beschützen!" „Dann wird Costa zu Sheeron zurückgeschickt, oder?" Wir hatten den Zarltoner draußen gelassen. Manifold hatte darauf be standen. Er wollte Sheerons Leute nicht in seiner Kommandozentrale haben. „Aber du kennst den Weg zu Tarugga nicht. Ich werde mit dir gehen. Meine Leute kommen auch ohne mich zurecht", sagte Manifold. Mir sollte es recht sein, wenn der athletische Pirat dafür sorgte, daß wir möglichst rasch zu einem Androiden kamen. „Ihr könnt nebenan bleiben!" Manifold führte Correson, Morgus und das Plasmawesen in den angrenzenden Raum. Dabei hielt er deutlich Abstand zu Farnathia. Ich wußte, daß er sich nicht vor ihr ekelte, son dern Angst hatte. Wir alle mußten nun annehmen, daß die veränderte
Farnathia den unglücklichen Posten das Blut aus den Adern gesaugt hatte. „Viel Erfolg!" rief uns Lord Correson nach. „Beeilt euch! Ich will endlich wieder mit Farnathia reden können!" Dann schlug die Tür zu. Ich wußte noch nicht, daß es das letzte war, was ich in meinem Leben von Lord Correson hören sollte. Auf Ganberaan betrachtete man die Auslösung einer biologischen Zeitbombe als Vollstreckung des allmächtigen Willens. Dieser Wille wurde vom Blinden Sofgart repräsentiert. Eine Auflehnung gegen ihn gab es nicht. Die automatischen Zeitgeber setzten den Blinden Sofgart davon in Kenntnis, daß die Wirkung des Bioparasiten eingesetzt haben mußte. Irgendwo in der Galaxis würde das Opfer Angst und Schrecken verbrei ten, um dann elend zugrunde zu gehen. Es hatte für kurze Zeit die Beherrschung über den Wirtskörper verloren. Aus lauter Angst vor dem Nahrungsentzug war es in Panik geraten und hatte sein Opfer an vielen Stellen mit den dolchartigen Tentakeln durchbohrt. Doch der gepeinigte Körper hatte keinen Schmerz mehr empfunden. Er hatte sich vielmehr zusammengekauert und auf das un abänderliche Ende gewartet. Dann waren da noch drei Körper gewesen. Starre, regungslose Körper, die sich der eiskalten Umgebung angepaßt hatten. Seine Gier verlangte nach dem kalten Fleisch. Immer wieder schickte es Hungerimpulse in seinen Wirtskörper, assimilierte dessen Kraftreserven und brachte ihn in kurzer Zeit an den Rand des Zusammenbruchs. Es konnte nicht mehr lange dauern, und das Wesen würde sterben. In dieser Situation gewann es wieder Macht über den Wirtskörper zurück. Die grausame Kälte hatte endlich den Ausschlag dazu gegeben. Obwohl es selbst nicht viel davon spürte, mußte das Wesen schreckliche Qualen erleiden. Auch die isolierende Schleimschicht auf der Körperoberfläche konnte auf die Dauer nichts nützen. Doch noch besaß es genügend Kalorien, um seine Umgebung zu erwärmen. Es ging ihm nicht schnell. genug. Immer neue Hungerimpulse zwangen den Wirtskörper dazu, die erstarrten Gebilde zu zerreißen. Es selbst sah nichts, hörte nichts und empfand dabei nichts. Es konnte nur die chaotischen Empfindungen des Wirtskörpers aufnehmen, die ihm den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ankündigten. Und wieder wurde artfremdes Eiweiß aufgenommen und in arteigenes umgewandelt. Seine Kraft steigerte sich. Es machte erst Schluß, nachdem von den fremden Körpern nichts mehr übrig geblieben war. Dann tauchten jene Fremden auf. Der Wirtskörper reagierte in ungeahnt heftiger Weise. Es entspann sich ein langer Kampf zwischen dem ver änderten Körper und ihm, den Parasiten. Eine Entscheidung konnte nicht herbeigeführt werden. Deshalb beschloß er, das Weitere
abzuwarten. Nur wenn die Todeswünsche des Wirtskörpers übermächtig wurden, schickte er seine neutralisierenden Impulse aus. Die Fremden und der ihn umschließende Körper kannten sich an scheinend gut. Vertraute Empfindungen strömten auf den Parasiten ein. Doch solche Gefühlsregungen waren ihm fremd. Er sondierte die Eindrücke, die auf seinen ewig hungrigen Instinkt ein strömten und wartete. Er wartete auf das nächste Opfer. Er wußte bereits, daß es für längere Zeit in seiner Nähe bleiben sollte. Sein Wirtskörper stand in starker Gefühlsabhängigkeit zu diesem Opfer. Das würde ihn jedoch nicht daran hindern, ihm das Blut auszusaugen. Das war die bequemste und angenehmste Art seiner Nahrungsaufnahme. Dann gingen die anderen Wesenseinheiten. Er konnte mit seiner At tacke beginnen. Die spitzen Tentakel schoben sich langsam durch die Schleimschicht ins Freie. Sie würden den anderen blitzschnell treffen. Er zitterte vor Gier. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. 9. Manifold donnerte mit beiden Fäusten gegen das schwere Tor. Seine Faustschläge hallten wie die Tritte eines urzeitlichen Tieres durch das Gewölbe. Nichts rührte sich. Wir hatten eine Abkürzung durch die Entlüftungsschächte genommen und waren in kurzer Zelt zu Taruggas Nest gelangt. Unterwegs war uns niemand begegnet. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Jedes Piratennest war durchschnittlich mit fünfhundert Arkoniden besetzt. Nach allem, was ich von Sheeron gehört hatte, lebten hier un gefähr zehntausend Arkoniden. Es war also verwunderlich, daß sich in Taruggas Nest niemand rührte. „Wenn ich den verdammten Bruder meiner triefäugigen Frau erwische ich breche ihm sämtliche Knochen!" „Das würde ich lieber nicht tun, Manifold! Wie kämen wir sonst zu einem funktionierenden Androiden, und vor allem ... wie sollen wir die Geistestransplantation vornehmen?" Das ernüchterte den Piraten sofort. Schließlich machte er sich auch Sorgen, was mit Tarugga passiert sein mochte. „Wir kennen uns viel zu gut. Die Androiden würde er vor mir niemals verstecken wollen. Es muß also etwas Unvorhergesehenes eingetroffen sein!" „Er denkt an Sheerons Eroberungsgelüste!" vermutete mein Extrasinn. Manifold sagte nichts mehr. Er hantierte am Schloß des schweren Zugangstors herum. Doch die elektronische Verriegelung ließ sich von außen nicht beseitigen. Es sei denn, man wendete Gewalt an. Ich mußte ihn unbedingt beruhigen.
„Ich kenne Sheeron gut genug, Manifold ... er würde seine Macht nie mals auf Kosten der anderen Nester ausdehnen. Dazu braucht er euch alle viel zu sehr!" Manifold wischte sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Die Arbeit an der Verriegelung hatte ihn mehr aufgeregt als körperlich angestrengt. „Tarugga hat noch nie sein Nest verriegelt!" „Dann müssen wir die Tür aufbrechen", schlug ich vor. Es war die einzige Möglichkeit. Wir zogen unsere Strahler und justierten die Abstrahlmündungen auf feinste Bündelung. Manifold atmete schwer aus und nickte mit dem Kopf. Wir schossen fast gleichzeitig. Die nadelfeinen Energiestrahlen bohrten sich blitzschnell in das Tor aus Arkonstahl. Ich mußte die Linke vor meine Augen heben, um nicht geblendet zu werden. Glutflüssiges Material quoll aus der gezackten Rille, die sich um das elektronische Schloß fraß. Wir nahmen die Daumen erst dann von den Waffenkon takten, als das Schloß aus der Füllung brach. Ein Drittel der Tür glühte hellrot. Die Luft war plötzlich drückend heiß geworden. „Entweder lebt dort drinnen keiner mehr, oder die liegen tatsächlich auf ihren Ohren", knurrte Manifold. Wir sahen uns um. Rechts lagen die Bruchstücke eines alten Waren containers. Manifold packte eine Stange und stieß sie in das glühende Torloch. Ein schwerer Stahlbrocken polterte nach innen. Wenig später konnten wir eintreten. Feuchtwarme Luft kam uns entgegen. Manifold schluckte. „Die haben aber lange nicht mehr gelüftet!" Rauchschwaden hingen bis zur Decke des riesigen Saales empor. Die vielen Zugänge zu den einzelnen Kabinen zweigten düster und unheil verkündend nach allen Seiten ab. Vor uns stand ein zerschossener Gleiter. Der verbrannte Fahrer hing noch über den verschmorten Kontrollinstrumenten. Das Fahrzeug hatte offenbar durch das Tor rasen wollen. Seine Front war völlig platt= gedrückt. Die Flügel des Ausgangs mußten sich blitzschnell geschlossen haben, so daß er gegen eine Stahlwand geprallt war. Ringsum schwelende Trümmer. Wir gingen schweigend weiter. Unseren Augen entging nichts. In den Händen die schußbereiten Strahler. Unter unseren Füßen knirschten Glassplitter. Irgendwo knarrte eine Tür. Die Zeichen eines erbarmungslosen Kampfes waren nicht zu über sehen. Ich kniff die Augen zusammen, Die Rauchfahnen krochen teilweise wie Nebel über den Boden. Sie hingen über den Körpern vieler toter Piraten,
deren Hände sich um die Kolben schwerer Strahlenwaffen verkrampft hatten. Ich zuckte herum und streckte den Strahler aus. Doch da war nichts, was uns hätte gefährlich werden können. Ich hoffte es jedenfalls. „Die Toten können uns nichts mehr tun!" stieß Manifold hervor. Er war sichtlich erschüttert. Dieses Chaos hätte er sich nicht träumen lassen. Wir hatten zu Anfang die Zahl der Opfer gezählt. Jetzt gaben wir es auf. Keiner von Taruggas Leuten schien überlebt zu haben. „Wo mag der Gegner stecken!" flüsterte ich. Ich hatte das Gefühl, daß wir seit unserer Ankunft beobachtet wurden. Doch nirgendwo regte sich etwas. Die Toten lagen starr und seltsam verkrampft zwischen den Trümmern. „Es fehlte nur noch, daß diese Unglücklichen zum Leben erwachen würden", meinte ich in einem Anflug von Galgenhumor. Unwillkürlich hatte ich das Gefühl, daß hier alles möglich war. Wir waren hergekom men, um eine Geistestransplantation vorzunehmen. Doch wir hatten nur Chaos vorgefunden. Wie sollte es weitergehen? Wieder ertönte ein seltsam knarrendes Geräusch. Es hörte sich an, als würde jemand etwas Schweres, Sperriges beiseiteschieben. Manifold blickte mich aufgeregt an. Auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. „Was war das?" Ich streckte die Hand aus. Zwischen den Rauchfahnen war ein dunkles Schemen aufgetaucht. Es bewegte sich langsam vorwärts. Es schwankte. Dann wurden seine Konturen schärfer. Zwei Arme, die wie die eines Betrunkenen haltlos durch die rauchgeschwängerte Luft griffen. Der Unbekannte hatte seinen Kopf gesenkt. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Sein Körper war mit der Einheitskombination eines An droiden bedeckt. An vielen Stellen klafften blutverschmierte Risse in dem zähen Plastikstoff. Ein tierhaftes Keuchen wurde laut. Es dauerte mehrere Sekunden, bis wir sicher waren, daß der Näher torkelnde diese Laute ausstieß. „Ein Verwundeter!" schrie Manifold und stürzte auf den Fremden zu. Ich konnte ihn nicht mehr zurückhalten. Kaum war der Pirat bei dem Taumelnden angelangt, als dieser seine verkrallte Rechte hochriß und mit aller Kraft auf Manifold einschlug. Der athletische Pirat war so überrascht, daß er kaum zu einer Reaktion fähig war. Der vermeintliche Verwundete entpuppte sich als reißende Bestie. „Atlan!" Manifolds Stimme klang entsetzt. Ich stürzte auf die beiden zu und versuchte, sie zu trennen.
Plötzlich wurde es um uns herum lebendig. Aus allen Richtungen tauchten diese schwankenden Schemen auf. Sie kamen langsam, aber zielstrebig auf uns zu. „Die Toten ... die Toten wollen uns vernichten!" schrie Manifold. Er wehrte die Angriffe des Stummen verzweifelt ab. Ich wurde von dem Kerl mit einer einzigen Handbewegung zu Boden geschleudert. Der Bursche ist verdammt zäh, dachte ich bei mit. Doch als ich ihn näher betrachten konnte, sah ich, daß sein Körper von einem Desinte gratorschuß durchbohrt worden war. Wie kann dieser Arkonide noch leben, durchzuckte es mich. Die Finger des Mannes schrammten über Manifolds Brustpanzer. Es klang, als würde eine Drahtbürste über blanken Stahl schrammen. „Das ist kein Wesen aus Fleisch und Blut!" Manifold hatte recht. Wer oder was diese Kreatur auch sein mochte: ein Arkonide war es ganz bestimmt nicht. Auch wenn eine gewisse Ähn lichkeit vorhanden war. Ich hob meinen Strahler. Mein rechter Daumen lag auf dem Auslö semechanismus. „Auf den Boden, Manifold!" Im gleichen Augenblick drückte ich ab. Der Glutstrahl teilte das tobende Wesen in zwei Hälften. Ich sprang näher und zog Manifold aus der Reichweite der vergasenden Gewebeteile. Der Pirat zitterte am ganzen Körper. Doch das Schlimmste stand uns noch bevor. Ich wußte gleich, daß das dies nur ein Vorspiel zu etwas viel Schrecklicherem gewesen sein konnte. Rhythmisch wiederkehrendes Scharren wurde hörbar. Der ätzende Geruch verbrannter Materie legte sich schwer auf unsere Lungen. Vor uns wallten Dämpfe. Kleine Flämmchen züngelten über den Körperfragmenten des getöteten Gegners. „Er lebt noch!" schrie Manifold. Ich konnte es auch sehen. Die abgetrennte Hand zuckte konvulsivisch auf und ab. Dabei krallte sie sich in den Boden und bewegte sich vorwärts. Manifold stotterte wie ein kleines Kind. Das eben Gesehene ging über seinen Verstand. Ich versuchte, das grauenhafte Gebilde mit dem Fuß wegzustoßen, doch es gelang mir nicht. Bevor ich reagieren konnte, hatten sich die Finger in mein Bein verkrallt. Ich spürte die messerscharfen Nägel. Meine Angst entlud sich in einem verzweifelten Schrei. Kurz entschlossen riß ich den Vibratordolch aus dem Gürtel und stach zu. Die vibrierende Schneide fraß knirschend in das organische
Gewächs. Es vergingen mehrere Augenblicke, bevor sich das Ding von
meinem Bein löste. Die Schmerzen machten mich fast verrückt.
Manifold schoß seinen Strahler auf die blutverschmierte Hand ab und
vergaste sie in Sekundenschnelle.
Ich legte ein Pflaster auf die stark blutende Beinwunde. Die unheimliche
Klaue hatte sich tief in mein Fleisch gekrallt. Als ich ruckhaft aufstand,
ging ein schneidender Schmerz durch mein rechtes Bein. Ich biß die
Zähne zusammen und humpelte vorwärts.
Die Unheimlichen hatten den Kreis um uns geschlossen. Schweigend
kamen sie näher. Sie hatten es nicht besonders eilig. Sie wußten also,
daß wir ihnen nicht entwischen würden.
Manifolds Stimme hatte einen rauhen Klang bekommen: „Das sind noch
mehr von dieser Sorte! Mit denen werden wir bestimmt nicht fertig. Die
haben anscheinend auch Taruggas Leute auf dem Gewissen!"
Es war unbeschreiblich, was da auf uns zukam!
Die skurrilsten Gestalten, die man sich vorstellen kann, zogen den Kreis
um uns enger. Einige besaßen keine Arme mehr. Ihre Kiefer bewegten
sich rhythmisch aufeinander und erzeugten ein abgehackt klingendes
Geräusch.
Ich konnte mir vorstellen, was diese Schreckensgestalten mit uns an
stellen würden.
„Wir müssen durchbrechen!" schlug ich vor.
„Aber was kommt dann?" Manifold hatte recht. Wir konnten nicht ewig
vor diesen lebenden Toten davonlaufen.
„Vielleicht haben sich einige der Piraten in den Gängen verbarrikadiert",
vermutete ich.
Manifold knirschte mit den Zähnen. „Ich glaube nicht, daß, noch jemand
am Leben ist. Ich habe es am eigenen Körper erlebt, wie stark diese
Bestien sind ... nein, da ist keiner lebend davongekommen!"
Die Reihe der Näher kommenden
war höchstens zehn Schritt von mir entfernt. Ich beschloß, zum Fronta
langriff überzugehen. Manifold wollte sich hinter einem Gleiter ver
stecken. Ich packte ihn und zog ihn näher.
Unsere Gesichter waren kaum zwei Handbreit voneinander entfernt. Wir
starrten uns in die Augen. Manifolds rechtes Lid zuckte.
„Wir rennen jetzt auf diese Biester zu! Wenn wir kurz vor ihnen stehen,
schießen wir! Verstanden?" Manifold nickte.
Ich stand auf und nahm den Strahler in die Rechte. Ich hatte auf maxi
male Energieabgabe geschaltet. „Jetzt!"
Wir rannten blitzschnell los. Ich konnte mit dem rechten Bein nur
humpeln, kam aber dennoch ganz passabel voran.
„Schießen!"
Glutende Impulsbündel wirbelten die Gestalten vor uns durcheinander.
Zwei von ihnen wurden wie welke Blätter hochgerissen und sofort zu
Asche verbrannt. Die anderen machten nicht einmal den Versuch, vor uns davonzulaufen. Sie starben wie Wesen, die noch nie richtig gelebt hatten. Stumm und ohne jede Gefühlsregung. „Dort drüben ... sie wollen uns den Weg zum Gang abschneiden!" Ich schoß zuerst. Der Geruch verbrannten Fleisches stieg uns in die Nasen. Manifold würgte. Doch er gewann rasch die Beherrschung zurück und folgte mir. Vor uns gähnte ein dunkler Gang, der zu den Kabinen einer Piratenfa milie führte. Im Hintergrund sahen wir eine kantige Barriere. Dort hatten sich bestimmt mehrere von Taruggas Männern verschanzt, bevor sie von den Unheimlichen überrannt worden waren. Ich stand links, Manifold rechts. Wir starrten auf die näher schwan kenden Gestalten, die eine breite Phalanx gebildet hatten. Diesmal würden sie uns nicht so leicht durchbrechen lassen. Irgendeine unbegreifliche Kraft hielt sie zusammen. Sie bewegten sich mechanisch wie Puppen, die man irrtümlich belebt hatte. „Das sind Androiden!" stieß Manifold rauh hervor. „Meinst du?" Ich sah ihn an. „Aber weshalb bekämpfen sie uns dann? Ich denke, Kunstwesen unterliegen der strikten Einhaltung des Roboter gesetzes. Normalerweise dürfen sie sich nicht gegen ihre Schöpfer auf lehnen!" Manifold lachte kurz. „Was heißt hier schon normalerweise? In der Sogmanton-Barriere ist nichts normal!" Die schwankenden Gestalten waren höchstens noch fünfzig Schritte von uns entfernt. Alle trugen, die zerfetzten Einheitskombinationen der Androiden. „Vielleicht wurden sie gar nicht belebt!" meinte Manifold. „Ein ener getischer Schock, und ihre Körper wurden in Bewegung gesetzt!" Ich mußte ihm recht geben. Das war durchaus möglich. Ich wußte, wie kompliziert diese Androidenkörper waren. Die letzten Serientypen sollten besonders robust ausgefallen sein. Das war natürlich kein Trost. Aber wenigstens würden wir wissen, wer, oder besser was uns erledigen würde. Die ersten Angreifer waren beängstigend nahe herangekommen. „Wir schießen noch einmal ... aber mit geringer Energieleistung!" Ich wußte, daß meine Energiebatterie nicht ewig reichen würde. Sheeron hatte mir nur ein Magazin mit fünfzig Schuß mittlerer Leistung gegeben. Das konnte mir jetzt das Leben kosten. Das Zischen der Energiestrahlen mußte weithin hörbar sein. Die Glut bahnen kreuzten sich mehrmals und lösten die Körper der Angreifer in einem Atemzug auf. Aber es kam immer wieder Nachschub. Es wurden immer mehr. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie uns erreicht hatten. Dann versagte meine Waffe.
Die Energiebatterie war leergeschossen, und ich besaß keine Ersatz kapsel. Wütend schleuderte ich die nutzlos gewordene Waffe in die Menge der Angreifer. Einer von ihnen fing den Strahler geschickt auf. Mit einer einzigen Handbewegung verbog er den hochverdichteten Stahllauf des Strahlers. Manifold atmete schwer. So was hatte er noch nicht erlebt. „Wir sind verloren! Es hat keinen Sinn mehr ... lieber sterbe ich durch meine eigene Waffe!" Er richtete den Lauf seines Strahlers gegen die Schläfe und wollte ab drücken. „Nein!" schrie ich und riß seine Hand beiseite. Mainfold ließ den Strahler los und wollte seitwärts ausweichen. Durch den Schwung vorwärtsgerissen, stolperte er genau auf die näherkommenden Androi den zu. Er schrie entsetzt auf, als die erste Klaue nach ihm griff. Doch der künstliche Arkonide rutschte an Manifolds Brustpanzer ab. Diese Unter brechung genügte mir, um den Piraten unter dem sinnlos zuschlagenden Androiden hervorzuzerren. Ich packte ihn und schleifte ihn in den Gang zurück. Mir wurde plötzlich bewußt, daß wir jetzt keine Waffe mehr besaßen. Mein rechtes Bein hatte wieder zu bluten angefangen. Der Schmerz kam in regelmäßigen Intervallen. Es war durchaus möglich, daß die ver gifteten Sekrete des Androiden in meinen Kreislauf eingedrungen waren und ihr Zerstörungswerk begonnen hatten. Manifold war wieder auf die Beine gekommen. Wir liefen weiter in den finsteren Gang. Hinter uns die mordgierige Heerschar der Androiden, vor uns der unbekannte Gang. Plötzlich prallte ich mit voller Wucht gegen eine niederhängende Stahlverstrebung. Ich verlor sofort das Bewußtsein. Ich merkte nicht mehr, wie Manifold sich über mich beugte, und wie der Gang von einer heftigen Detonation taghell ausge leuchtet wurde. „Alter Asteroidenjäger!" rief eine mir unbekannte Stimme. Ich lag auf einer harten Unterlage. Um mich herum war alles wie in Watte gebettet. Irgend jemand hätte mir ein Beruhigungsmittel injiziert. Mein verletztes Bein schmerzte nicht mehr. Ein eigenartig taubes Gefühl hatte dem Pochen der Wunde Platz gemacht. „Wo ... bin ich? Was ist ... mit den Androiden los?" Ich hatte Mühe, richtig zu sprechen. „Er kommt wieder zu sich'." sagte die fremde Stimme. Ein dunkelhäutiges Gesicht beugte sich über mich. Ich hatte den Mann nie zuvor in meinem Leben gesehen. Seine Augen strahlten in dem hell sten Blau, das ich jemals gesehen hatte. Sein Bart war zerzaust und
ungepflegt. Trotzdem machte der Mann keinen unsympathischen Ein
druck.
Ich hörte Manifolds sonore Stimme. Nicht schlappmachen, Atlan!" Der
Fremde richtete mich vorsichtig auf. Jetzt konnte ich auch sehen, wo wir
uns befanden. Die' runden Schotte, die oval geschnittenen Gänge ... das
konnte nur ein Raumschiff sein.
Jetzt begann ich auch klarer zu sehen.
Manifold reichte mir einen dunkelbraunen Brocken.
„iß das ... und dir geht es gleich w ieder besser!"
Ich befolgte seinen Rat. Das Zeug schmeckte nach faulenden Pflanzen
und roch süßlich. Mit meinem Speichel vermengt ergab es einen zähen
Saft, dessen ölige Bestandteile belebend wirkten.
„Das ist Tarugga!" stellte mir Manifold den anderen Mann vor.
„Außer ihm sind nur noch fünf andere seines Nestes übriggeblieben.
Einer ist schwerverletzt!"
Das war in knappen Zügen die Lage, in der wir uns befanden. Tarugga
deutete auf die Einrichtung. „Das ist das Raumschiff, mit dem die
Androiden hierhertransportiert wurden."
„Was brachte die Kunstwesen dazu, plötzlich Amok zu laufen? wollte ich
wissen.
„Das ist mir auch ein Rätsel ... ich kann mir nur vorstellen, daß wir
längere Zeit extrem harter Hyperstrahlung ausgesetzt waren. Denn kurz
nach der Einschleusung begann der Teufelstanz!"
„Haben Sie das Tor Ihres Nestes verriegelt?"
„Ja ... es waren einige dieser tollwütigen Burschen nach draußen
verschwunden. Ich wollte verhindern, daß noch mehr in die oberen
Etagen verschwinden. Sheeron hätte uns zur Rechenschaft gezogen!"
Tarugga machte eine Pause und fuhr fort: „Jetzt bereue ich meine Starr
köpfigkeit. Gemeinsam hätten wir die Androiden rasch beseitigen kön
nen. Doch jetzt ist es zu spät. Mein Clan existiert nicht mehr, und uns
wird es auch bald erwischen!"
Manifold legte dem Piraten die Hand auf die Schulter. Das Schicksal
hatte dem dunkelhäutigen Arkoniden einen schweren Schlag versetzt.
„Warum habt ihr Sheeron nicht über Funk alarmiert?"
„Weil die verdammten Androiden jedes Gerät zertrümmert haben. Sogar
die Minikome sind unerreichbar, weil sie die Gerätekammer belagern.
Und der Schiffssender . . . ", Tarugga deutete auf die verwüstete
Zentrale, „hat seinen Geist schon lange aufgegeben!"
Wir waren also eingeschlossen. „Du vergißt deinen Armbandsender!"
Mein Extrasinn erinnerte mich an Sheerons Abschiedsgeschenk.
Blitzschnell riß ich den linken Arm hoch, doch der kleine Sender war
verschwunden. Ein Heilpflaster um-
schloß das Handgelenk.
Tarugga hatte meine Geste bemerkt und sagte:
„Ein Bombensplitter hat Ihre Hand getroffen, Atlan! Dabei muß der Mi
nisender verlorengegangen sein. Manifold hat mich schon darauf auf
merksam gemacht, als Sie noch bewußtlos waren!"
Das war also auch nichts gewesen. Ich biß die Zähne zusammen.
Von draußen drangen Kratzgeräusche herein. Ich drehte mich um und
sah die beiden Piraten fragend an. Bevor Tarugga mir das Nähere er
klären konnte, stürzte eine dicke Arkonidin herein. Sie sah mich kurz an
und sagte mit schriller Stimme: „Die Androiden werden die Schleuse
bald aufgebrochen haben! Wie ich sehe, ist unser Gast wieder bei
Besinnung ... dann kann er wenigstens bei vollem Bewußtsein sterben.
Das ist auch etwas wert!"
„Meine Frau!" meinte Tarugga entschuldigend. „Die letzte ... alle
anderen sind umgekommen!"
„Wenn ihr Waffen habt, werde ich mich zu wehren wissen!"
„Hört, hört!" keifte die Dicke. „Da haben wir uns ja einen ganz harten
Brocken eingehandelt!"
Manifold reichte mir drei eiförmige Metallkörper.
„Was ist das?"
„Sprengbomben auf chemischthermischer Basis! Atomar wirksame
Bomben können innerhalb der Nester nicht angewendet werden!"
Manifold hatte recht. Wenn wir nicht ganz Richmond ins All pusten
wollten, durften wir nur Waffen geringen Kalibers anwenden.
Plötzlich ertönte aus dem Schleusengang wildes Schreien.
Wir ruckten herum. Manifold war der erste; der den Grund für den Lärm
erkannt hatte. „Die Androiden haben die Schleuse geknackt!"
Kaltes Entsetzen begann mich zu lähmen. Wenn diese mordgierigen
Amokläufer hier eindrangen, würde keiner von uns überleben.
Ich packte die Bomben und stand
auf. Ein plötzlich einsetzendes Schwindelgefühl ließ mich schwanken.
Die Platzwunde an der Stirn schmerzte. Ich schloß sekundenlang die
Augen. Das Schreien der kämpfenden Piraten schien wie aus weiter
Ferne zu kommen. Dann hatte ich das Schwächegefühl überwunden.
Manifold ergriff eine schwere Eisenstange und stürzte in den Gang.
Wenig später ertönte sein lautes Fluchen. Metall schrammte über Metall.
Ich konnte mir vorstellen, wie der Hüne in dem engen Schleusenraum
wütete.
Die Androiden kamen nicht weit. Manifold konnte die erste Angriffswelle
zurückwerfen. Tarugga schoß mit dem Strahler breite Breschen in die
anbrandende Menge.
Als ich eine Bombe aktivieren wollte, fiel mir Tarugga in den Arm. „Nein
... wir brauchen die Dinger, wenn es wirklich ernst wird!"
Was verstand der Pirat unter „ernst"? War die Lage nicht schon
verzweifelt genug?
„Helft mir! Wir verschweißen das Schleusentor!" schrie Tarugga.
Wir mußten die Atempause nutzen. Die nächste Reihe der Angreifer mußte erst den Wall der Gefallenen überwinden. Wir schlossen das Tor. Manifold zerrte die Brechstange, mit der die Androiden das Schloß geöffnet hatten, aus dem Scharnier. Dann verriegelten wir die Tür von innen. Tarugga zerschmolz den defekten Riegel mit dem Strahler und ließ die Metallschmelze in die Ritzen tropfen. Anschließend legten wir eine Stahlplatte über das Tor und verschweißten deren Enden fest mit der Schleusenwandung. Von draußen drang wieder das Schaben und Kratzen der angreifenden Androiden herein. Es klang, als würden unzählige Insekten an der Stahlhaut des Raumschiffs kleben. Die Kraft der künstlich geschaffenen Wesen mußte unerschöpflich sein. „Jetzt sitzen wir in der Falle!" stellte Tarugga resignierend fest. „Das kommt darauf an!" Ich hatte plötzlich eine Idee. Doch zuerst mußte ich wissen, in welchem Raumschifftyp wir uns befanden. Nach allem, was ich bis jetzt gesehen hatte, konnte mein Plan Erfolg haben. Wir befanden uns in einem kleinen Frachter zylindrischer Bauart. Ich wußte, daß dieser Raumschiffstyp vier Schleusen besaß: zwei zum Beoder Entladen der großen Warencontainer, eine Mannschaftsschleuse und ein Ausgang für die Beiboote, in diesem Fall für die Gleiterfahrzeuge. „Sind die Frachtschleusen passierbar?" erkundigte ich mich. „Nein!" der dunkelhäutige Pirat schüttelte bedauernd den Kopf. „Die Androiden haben sich gewaltsam den Weg ins Freie gebahnt. Sie kön nen sich vorstellen, wie es dabei zugegangen ist. Es hat mich allerhand Arbeit gekostet, wenigsten die Kommandokapsel zu isolieren. Es hätte nicht viel gefehlt; und die Bande wäre auch hier eingedrungen. Die letzte Attacke haben Sie ja selbst miterlebt!" „Und wie steht's mit der Gleiterschleuse ... existieren die Fahrzeuge noch?" Tarugga machte eine wegwerfende Handbewegung. Er hatte selbst schon an diese Möglichkeit gedacht. „Selbst wenn die Fahrzeuge noch manövrierfähig sind, und gesetzt den Fall, wir erreichen sie lebend ... wie sollen wir denn mein Nest verlassen? Ich selbst habe das Grenztor verriegelt!" „Haben Sie nicht daran gedacht, wie wir hierhergelangen konnten?" Das Gesicht des Piraten entspannte sich plötzlich. „Natürlich, Atlan! Ihr mußtet das Tor aufbrechen. Aber ... das bedeutet auch, daß diese Be stien jetzt ausbrechen können. Sie werden andere Nester angreifen!" Tarugga schwankte zwischen Entsetzen und neuer Hoffnung. Er wollte die Hölle seines Nestes verlassen, doch niemals auf Kosten der anderen Piratenclans. „Deshalb müssen wir so schnell wie
möglich hier ausbrechen!" beschwor ich den Piraten. „Nur wir können die anderen vor der drohenden Gefahr warnen!" Das überzeugte sogar Manifold. „Wir versuchen es, und wenn es das letzte ist, was wir in unserem Leben wagen!" Ich nahm die Bomben und ging voran. Manifold stützte den verwundeten Piraten, während Tarugga mit den drei übrig gebliebenen Männern die Flanke sicherte. Die Frau blieb neben mir und Manifold. Sie hielt einen kleinen Strahler krampfhaft fest. Wenig später standen wir vor dem Verbindungsschott. Der Androide mußte auf uns gewartet haben. Als ich durch das geöffnete Schott trat und angespannt in den düsteren Hangar starrte, griff er mich überraschend von der Seite an. Seine messerscharfen Krallen schrammten mir über die Schulter, glitten ab und rutschten über den Stahl des weit geöffneten Tores. Ich ließ mich fallen, rollte ab und kam neben der Bestie wieder hoch. Noch während ich wieder aufstand, riß ich den Zünder der faustgroßen Bombe los. In wenigen Augenblicken würde das Ding explodieren. „Köpfe runter, Leute . . . gleich knallt's!" Ich brauchte nicht auf den nächsten Angriff des Androiden zu warten. Er ruckte herum und starrte mich an. Sein häßliches Maul war weit geöffnet und entblößte angeschmolzene Plastikzähne. Wie das Zerrbild eines Arkoniden, durchzuckte es mich. Plötzlich wurde es im Hintergrund des düsteren Hangars lebendig. Die Biester hatten uns gewittert und kamen rasch näher. Die Bombe mußte jeden Augenblick hochgehen. Ich stemmte sie dem Androiden blitzschnell in den weitaufgerissenen Rachen und versetzte ihm einen Tritt. Das künstliche Wesen stolperte genau zwischen seine näher kom menden Genossen. Ich barg den Kopf zwischen meinen Händen. Im gleichen Augenblick dröhnte die Explosion der Bombe durch den Hangar. Ich konnte sekundenlang nichts hören. Der Geruch verbrannter Chemikalien machte sich breit. Gelbliche Dämpfe erfüllten den Raum. Bis auf das Knistern der Flammen und unser aufgeregtes Atmen war es still. „Kommt ... wir dürfen keine Zeit verlieren!" Manifold schüttelte sich. Eine Staubwolke wurde aufgewirbelt. „Das war eine reife Leistung, Atlan!" gab er anerkennend zu. „Wir haben keine Zeit für Lobhudeleien, Manifold ... dieser Knall hat die anderen Androiden sicherlich munter gemacht!" Manifold schleppte den Verwundeten mit sich. „Jetzt weiß ich auch, wie du von Ganberaan fliehen konntest, Atlan!" Anerkennung schwang in der Stimme des Piraten mit.
Dann sahen wir die Gleiter, Die meisten Fahrzeuge waren unbrauchbar.
Die tobenden Androiden hatten sie einfach beiseitegeschoben, die
Sichtkuppel eingedrückt oder ihre Armaturenbretter demoliert.
Wir sahen uns rasch um. Uns blieb nicht mehr viel Zeit, denn durch die
geöffnete Gleiterschleuse konnten wir die Menge der Androiden sehen.
Sie paßten auf, daß niemand aus dem Schiff kam. Einige kletterten
sogar über die Stabilisatorflächen zu uns herein.
„Hier ... der Gleiter sieht noch wie neu aus!" schrie Taruggas Frau. Sie
winkte mit dem Strahler.
Das Fahrzeug schien tatsächlich unbeschädigt zu sein. Ich drückte den
Energieverteiler. Die Kontrollen gaben Grünwert. Leider war der Gleiter
nur für vier Personen be
stimmt. Wir waren genau doppelt soviel. Doch es mußte auch so gehen.
Die angreifenden Androiden nahmen uns das weitere Herumsuchen ab.
„Drei Mann auf die hintere Sitzbank!" rief ich. „Ihr nehmt den Ver
wundeten quer vor euch. Paßt auf, daß er nicht stürzt!"
Manifold setzte sich ans Steuer. Der restliche Platz war reichlich eng für
Tarugga, dessen Frau und mich. Ich mußte die Luft anhalten, doch dann
hatten wir die transparente Sichtkuppel über uns geschlossen.
Keinen Augenblick zu früh, denn zwei Androiden waren herangestürmt
und schlugen gegen die Sichtscheite. Ich konnte ihre verzerrten
Gesichter sehen, die weder Gefühle noch echten Haß ausdrücken konn
ten. Nur blinde, instinkthafte Aggression.
„Warum zum Teufel heben wir nicht ab?"
Manifold ließ seine Rechte über die Sensorschalter gleiten. Doch es
rührte sich nichts.
„Haben wir genügend Energie drauf?"
,ja... es muß etwas anderes nicht in Ordnung sein!"
Inzwischen waren zehn Androiden aufgetaucht, die sofort damit begon
nen hatten, unseren Gleiter umzukippen. Das kleine Fahrzeug
schwankte gefährlich.
„Verdammt ... daß ich daran nicht gedacht habe!"
Plötzlich schwebten wir dicht unter der Hangardecke.
„Was war los?"
Manifold grinste entschuldigend. „Der automatische Riegel! Ich habe
vergessen, daß diese kleinen Fahrzeuge eine Diebstahlssicherung be
sitzen. Normalerweise kann niemand die Gleiter starten, der nicht zu
Taruggas Clan gehört!"
Tarugga wurde sofort hellhörig. „Und woher kennst du meinen Kode?"
„Geheimnis, Bruder!"
Der Wortwechsel ging mir auf die
Nerven. Hatten die beiden Piraten nichts anderes im Sinn, als in dieser
Situation über ihre kleinkarierten Sicherheitsmaßnahmen zu streiten?
„Seht euch lieber die Gegend da unten an!" riet ich ihnen.
Nach unserer geglückten Flucht aus dem Frachter hatten sich die An droiden gesammelt und stürmten in geschlossener Front auf das Grenz tor zu. Irgendwie schienen diese Kreaturen zu ahnen, daß wir nur dort hinaus konnten. Manifold steuerte den Gleiter geschickt durch einen dunklen Gang. Er vermied es, den Wänden zu nahe zu kommen. Ich mußte zugeben, daß der Pirat ein ausgezeichneter Pilot war. Für wenige Augenblicke blendete uns das Licht der großen Verteiler halle. Der trümmerübersäte Boden war mir und Manifold noch in bester Erinnerung. „Dort ... sie haben das Grenztor noch nicht erreicht!" Und tatsächlich kamen die Androiden nicht so schnell vorwärts. Wir hatten also eine reelle Chance, vor ihnen hinauszukommen. Dicht vor dem geöffneten Tor ging Manifold zu Boden. Es ruckte, dann standen wir. „Du mußt den rechten Torflügel aufstoßen, Atlan ... sonst kommen wir nicht durch!" Ich schwang mich aus dem Gleiter. Die Angreifer waren höchstens fünfzig Schritt entfernt. Ich spürte den kalten Stahlmantel der beiden letzten Bomben an meiner Brust. Diese Dinger würden uns schon den nötigen Vorsprung verschaffen. Wenig später hatte ich das Tor weit genug geöffnet, so daß Manifold den Gleiter hinaussteuern konnte. „Spring rein, Atlan!" Das schlanke Fahrzeug schwebte wenige Handbreit über dem Boden. Ich lief nebenher, aktivierte eine Bombe und schleuderte sie zwischen die Androiden. Noch im gleichen Augenblick sprang ich zwischen Tarug ga und dessen Frau. Manifold zog den Gleiter in derselben Sekunde hoch. Da die Kuppel noch nicht geschlossen war, drohte mir der Fahrtwind den Atem zu neh men. Dann explodierte die Bombe. Die Druckwelle schüttelte uns gehörig durcheinander. Doch ich vergaß nicht, auch noch die zweite Bombe auszulösen. Sie explodierte genau zwischen den Türflügeln und riß eine breite Bresche in die ausbrechenden Androidenreihen. „Es wird einige Zeit dauern, bis sie ein anderes Nest erreicht haben!" meinte Tarugga zufrieden. „Bis dahin haben wir Manifolds Sender er reicht und können die Leute warnen!" Wir beeilten uns. Meine Sorge um Farnathia hatte ihren Höhepunkt erreicht. Sheerons Leibgarde nahm uns in Empfang. „Waffen abliefern!" Wir hatten kaum den Gleiter verlassen, als wenigstens zwanzig Im pulsstrahler auf uns gerichtet wurden.
„Was sucht ihr in meinem Nest? Habt ihr vorhin nicht genug Unheil angerichtet!" Manifold stand kurz vor einem heftigen Gefühlsausbruch. Ich sah seine Schläfen anschwellen. Einmal in Wut geraten, konnte wohl kaum einer den kräftigen Piratenführer überwältigen. Es sei denn, man wollte keine Gefangenen machen. Die Strahler ließen nichts Gutes vermuten. „Wenn ihr für einen winzigen Augenblick zuhören könnt, wäre euer Leben vielleicht noch zu retten!" Die Zarltoner sahen mich überrascht an. Was mochte das nun schon wieder heißen. Ich nahm ihre, Überraschung befriedigt zur Kenntnis. „Sheeron hat uns verboten, mit euch zu verhandeln!" meinte der Ranghöchste unserer Bewacher. „Das entbindet euch aber nicht von der Pflicht, eurem Anführer einen Lagebericht zu geben, oder?" Ich mußte Sheeron unbedingt von den Ereignissen in Taruggas Nest berichten. Die Androiden waren immerhin zu anderen Nestern unter wegs. „Was habt ihr uns zu sagen?" „Das gebe ich Sheeron ab besten selber durch!" verlangte ich. Die Zarltoner willigten ein, und ich wurde an das tragbare Visiphongerät gelassen. Sekunden später erschien das feiste Gesicht Sheerons auf dem kleinen Bildschirm. „Wo in aller Welt haben Sie gesteckt, Atlan? Costa kam allein zurück und sagte, sie wären mit diesem Manifold weggefahren!" „Immer der Reihe nach, Sheeron ... wir haben einen Ausflug in Taruggas Nest gemacht. Ich wollte für Farnathia einen Androiden holen. Das ist leider völlig mißlungen. Die Kunstwesen haben Taruggas Nest vernichtet!" „Was?" Sheeron verzog ungläubig sein Gesicht. „Deshalb bekamen wir also keine Sprechverbindung nach unten!" Ich wollte den Piraten nicht im Ungewissen lassen und erzählte ihm alles. Tarugga stand mit gesenktem Kopf daneben. Der Verwundete stöhnte leise. Wir befanden uns in einer unangenehmen Lage. Die An droideninvasion fiel ohne Zweifel zu Lasten Taruggas. Er würde die Fol gen für die entstandenen Schäden zu tragen haben. Als ich meinen Bericht beendet hatte, meinte Sheeron: „So war das also!" Sonst sagte er nichts. Die Verbindung wurde von ihm aus unter brochen. Damit hatte Sheerons Angriff auf Manifolds Nest einen ganz anderen Aspekt bekommen. Die Piraten würden sich nachher gemeinsam an einen Tisch setzen müssen, um die gegenseitigen Ansprüche zu klären. Fest stand, daß Sheeron voreilig ein Nachbarnest angegriffen hatte. Feststand aber auch, daß Tarugga fahrlässig gehandelt hatte. Man hätte
durch frühzeitige Kontrollen den drohenden Androidenausbruch ver hindern können. Doch das einmal Geschehene ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Ich beobachtete eine Kompanie Zarltoner, die schwere Energiewaffen vorbeitransportierte. Sie waren auf dem Weg in Taruggas verwüstetes Nest, um die Androidengefahr ein für allemal zu bannen. Einige dieser seelenlosen Wesen hatten sich in die oberen Etagen ver irrt. Es war nicht auszuschließen, daß wir ihnen noch einmal begegnen würden. „Ich gehe jetzt zu Farnathia!" rief ich Manifold zu. Der Pirat stritt sich gerade mit einem Zarltoner und hatte keine Zeit mehr für meine Proble me. Solange ich ihn nicht mit hineinzog, war ihm alles egal. Er hatte jetzt andere Sorgen. Es konnte noch lange Zeit dauern, bis sich das Leben auf Richmonds Schloß normalisiert haben würde. Niemand hinderte mich daran, Farnathias Kabine aufzusuchen. Da ich mich in Manifolds Nest einigermaßen auskannte, hatte ich den Wohntrakt bald erreicht. Ich zögerte einen Augenblick, die Tür zu öffnen. Was würde Lord Correson sagen, nachdem mein Plan fehlgeschlagen war? Die Androiden von Tarugga waren für eine Geistestransplantation ungeeignet. Es gab keine Rettung mehr für das Mädchen. Kein Bauchaufschneider konnte ihr mehr helfen. Aber vielleicht war Farnathia schon tot! Vielleicht machte Ich mir unnötige Gedanken. Kurz entschlossen legte ich die Hand auf den Öffnungssensor. Die Tür glitt lautlos beiseite. Innen war es völlig dunkel. Die Leuchtröh ren lagen zersplittert am Boden. Doch der von außen kommende Lichtschein genügte völlig, um das Schreckliche zu erkennen: Lord Correson lag seltsam verkrampft am Boden. Er war tot. Der Zeitpunkt war gekommen, an dem der Bioparasit des Blinden Sof gart sterben sollte. Mit ihm zusammen würde auch das Leben des Op fers enden. Das Ende der beiden Körper war fest im genetischen Kode des Parasiten verankert. Der Blinde Sofgart bedauerte es, die Verwandlung des Opfers nicht miterleben zu können. In seiner abnormen Persönlichkeit entstanden Bilder des Grauens, die der Wirklichkeit in nichts nachstanden. Er hoffte, eines Tages Berichte über das Wirken des Bioparasiten zu bekommen. Doch mit einem hatte Sofgart nicht gerechnet: mit Morgus, dem Mimikrywesen des Piratenführers Hanwigurt Sheeron! Es kam nicht mehr aus dem engen Raum hinaus. Sein Wirtskörper war apathisch in sich zusammengesunken. Nach dem Überfall auf das ein zelne Wesen war längere Zeit nichts passiert. Es fühlte, wie sich sein Hungergefühl steigerte. Doch sein Opfer konnte die Tür nicht mehr öffnen und nach draußen entweichen. Dazu war es schon zu stark verändert.
Sein Instinkt ahnte, daß es bald zu Ende gehen würde. Dagegen konnte es sich nicht wehren. Es besaß keinen Verstand. Es besaß nichts außer seinem vorprogrammierten Instinkt. Und der war unfähig, etwas anderes als Zerstörung und Nahrungsaufnahme zu befehlen. Es war sich nicht einmal seiner Grenzen bewußt denn sonst hätte es vielleicht eine Ände rung dieses unwürdigen Zustandsherbeiführen können. Da war noch ein anderes, ihm gänzlich fremdartiges Wesen in der Nähe. Es wich reicht von der Seite des entstellten Opfers. Als Nahrung konnte es nicht verwertet werden. Die Nahrungstentakel waren an seinem plötzlich steinhart werdenden Körper abgeglitten. Die Entdeckung war so niederschmetternd gewesen, daß der Hungerinstinkt für kurze Augenblicke völlig gelähmt wurde. Dennoch blieb das Wesen in seiner Reichweite. Es hatte keine Angst. Seine besonderen Fähigkeiten schützten es vor jedem Angriff. Es brauchte nicht zu befürchten, daß ihm das Blut ausgesaugt wurde. Die Zeit verstrich quälend langsam. Mit dem Wunsch nach neuer Nahrungsaufnahme wuchs auch das Gefühl des nahen Endes. Dem Wirtskörper schien dies gleichgültig zu sein. Im Gegenteil, er sehnte sich nach einem raschen Tod. Diese Gefühle beherrschten den Parasiten und sein Opfer, als die fremde und doch seltsam vertraute Wesenseinheit näher kam. Ein Gefühlssturm ohnegleichen brach über den Parasiten herein. Der Wirtskörper wehrte sich mit allen ihm noch verbliebenen Kraftreserven dagegen, daß dem anderen Wesen das Blut ausgesaugt wurde. Und er siegte. Vorläufig jedenfalls. Der Parasit mußte die Nahrungstentakel zurückziehen, konnte sein Opfer jedoch bald. wieder unter Kontrolle bringen: Dann begann sein Ende. Beide sollten sterben: Parasit und Wirtskörper. In einer letzten Steigerung seiner instinkthaften Gier fiel er über die an dere Wesenseinheit her. Plötzlich waren viele andere Wesenseinheiten da. Sie umringten seinen Wirtskörper. Todesempfindungen wurden wach. Angst. Kreatürliche Angst, die noch gesteigert wurde, als das Mimikrywesen aktiv wurde. Er wußte nicht mehr, wie es sich verhalten sollte. Er konnte nur der Genprogrammierung folgen, die Sofgart vorgenommen hatte. Diese Programmierung besagte: Töte Farnathia! Das war nicht leicht, denn auf einmal gab es zwei Farnathias. Farnathia hatte ihm das Blut ausgesaugt! Ich erschauerte, als ich das bleiche, eingefallene Gesicht von Lord Correson sah. Er mußte bei vollem Bewußtsein gestorben sein. Seine Augen waren weit geöffnet, sein Mund verzerrt. Im Gürtel steckte der Strahler. Er hatte ihn nicht be nutzt, weil er Farnathia nicht töten konnte.
Hättest du es doch getan, dachte ich verzweifelt. Dann wären ihr weitere Leiden erspart geblieben. Doch ich hätte sie auch nicht erschießen können. Es raschelte. Ich hob meinen Kopf und erblickte das Ungeheuer. „Farnathia!" schrie ich. Die teuflische Verwandlung war perfekt. Die graue Schleimschicht war an einigen Stellen pilzförmig herausgewuchert. Porenähnliche Vertiefungen kamen und schlossen sich wieder. Es schien, als würde die gesamte Schleimschicht atmen. Doch das Grauenvolle waren Farnathias Augen. Im Kopfwulst waren zwei Vertiefungen geblieben, in denen ihre Augen lagen. Wenn das Ungeheuer, das einmal Farnathia gewesen war, auch keine Gefühle mehr ausdrücken konnte, so genügte ein Blick in ihre Augen. Alles Leid eines ganzen Universums spiegelte sich in ihnen. Schmerz, Erniedrigung und Todessehnsucht. Ich erschauerte. „Farnathia ... ich wollte dir helfen! Ich habe versagt. Bitte verzeih mir!" Konnte sie mich überhaupt verstehen? Ich bezweifelte es. Doch ihre Augen überzogen sich plötzlich mit einem Feuchtigkeitsfilm. Weinte sie? „Das, was zwischen uns war, wird niemals sterben, Farnathia! Die Erinnerung kann mir niemand nehmen. Auch die Zeit wird sie nicht auslöschen können. Du wirst für mich weiterleben!" Das Ding senkte seinen Kopfwulst. Es kam langsam auf mich zu. Der Verwesungsgeruch wurde stärker. Ein unrhythmisches Pochen ließ die gesamte Schleimschicht erbeben. Plötzlich hob sie den Kopf. Die tiefliegenden Augen hatten einen roten Schimmer bekommen. Sie leuchteten wie Glutpunkte und starrten mich mit unverhohlener Gier an. Nein, das waren nicht mehr Farnathias Augen. Das war etwas Fremdes, Unbegreifliches in ihrem veränderten Körper. „Gib mir doch ein Zeichen ... bitte..." Ich kam nicht weiter. Plötzlich schossen winzige Tentakel auf mich zu. Sie hatten sich durch die körperumspannende Schleimschicht gebohrt und wollten mich umklammern. Ich ließ mich blitzschnell fallen und drehte mich um. „Sie will dir das Blut aussaugen!" signalisierte mein Extrasinn. Durch einen Sprung in den angrenzenden Gang konnte ich dem Ungeheuer entgehen. Jetzt schmerzte auch mein Bein wieder, das ich mir in Taruggas Etage verletzt hatte. Das Ding verharrte regungslos. Der rötliche Glanz war wieder aus den Augen gewichen. Bevor ich etwas unternehmen konnte, hatte es sich abrupt umgedreht und hetzte den Gang hinunter. Auf den Fliesen blieb eine breite Schleimspur zurück.
Ich wollte hinterherlaufen, doch Morgus berührte vorsichtig meinen Arm. Das Mimikrywesen suchte telepathischen Kontakt mit mir. Es war die ganze Zeit über mit Farnathia allein gewesen. Vielleicht hatte es etwas Wichtiges erfahren können. Morgus entschuldigte sich für sein Drängen. Anscheinend mußte er sich erst konzentrieren, denn die telepathischen Empfindungen waren konfus und erregt. Doch dann erschien vor meinem geistigen Auge das Bild des Blinden Sofgart. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Wie konnte Morgus überhaupt etwas von diesem wahnsinnigen Folterer wissen? Die Erklärung kam sofort. Eine lange Bildreihe spulte sich vor meinem Bewußtsein ab. Es war wie ein Film. Ich erkannte bald, daß es Farnathias Erinnerungen waren, die Morgus in mein Bewußtsein pro jizierte. Das unglückliche Mädchen hatte einen Hypnoblock besessen, der sich erst vor kurzem aufgelöst haben konnte. Jedenfalls hatte Mor gus während meiner Abwesenheit Telepathiekontakt mit ihr gehabt. Da sie keinen anderen Kommunikationspartner besessen hatte, war Morgus ihr sehr willkommen gewesen. Sie hatte ihm alles vermittelt, was sich auf Ganberaan zugetragen hatte. Jetzt wußte ich auch, was Farnathias Metamorphose bewirkt hatte, und wer schuld daran war. Sofgart hatte dem Mädchen einen Bioparasiten eingepflanzt. Das ge hörte zu den besonders heimtückischen Foltermethoden. Der Parasit wirkte wie eine biologische Zeitbombe. Eine spezielle Genprogrammie rung hatte das Wesen erst dann aktiv werden lassen, als sich sein Wirts körper in Sicherheit gefühlt hatte. Farnathia war rettungslos verloren. Kein Bauchaufschneider konnte den Parasiten isolieren. Selbst wenn ihm das gelungen wäre, hätte er die Todesprogrammierung nicht rück gängig machen können. Sofgart hatte den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmt. Und das mußte jetzt sein. Morgus zog seine telepathischen Fühler abrupt zurück. Ich hatte zu schreien begonnen. Mein tiefempfundener Schmerz war zu stark für das empfindliche Mimikrywesen gewesen. Es besaß zwar keinen logischen Verstand wie ich, konnte die Empfindungen aber auch ordnen und deren Zusammenhänge ahnen. Ich war zusammengesunken und kniete am Boden. Ich preßte beide Fäuste gegen die Augen. Mein Körper zuckte unkontrolliert. Das Grauen hatte mich völlig aus der Fassung gebracht. Eine Steigerung konnte es nicht mehr geben. „Du mußt die anderen vor Farnat hia warnen!" Mein Extrasinn riß mich in die Wirklichkeit zurück.
In manchen Augenblicken war mir die analysierende und kritische Stimme in meinem Bewußtsein zuwider gewesen. Jetzt rettete sie mich vor dem Wahnsinn. Ich mußte unwillkürlich an den Kampf um die Er ringung der ARK SUMMIA denken. Mit dieser Auszeichnung war auch der Hirnteil aktiviert worden, der mich jetzt an die Wirklichkeit erinnerte. Kommandoschreie gellten durch den Verbindungsgang. Hanwigurt Sheeron hatte den gesamten Bezirk absperren lassen. Seine Leibgardisten standen mit schußbereiten Kombistrahlern in den Gängen. Sie warteten nur noch auf den Befehl zum Ausschwärmen. Dann würden sie alles, was nicht der Norm entsprach, töten. Ich verfolgte das Geschehen über die Bildschirme in Sheerons Kom mandozentrale. Die Suche nach dem Ungeheuer, das einmal Farnathia gewesen war, hatte keinen Erfolg gehabt. Inzwischen waren die meisten Gänge von jener übelriechenden Schleimspur durchzogen, daß man nicht mehr wußte, wohin das Monstrum verschwunden war. „Zentrale an Gruppe fünf!" Die Angesprochenen meldeten sich sofort. „Hier Gruppe fünf!" „Habt ihr die Bestie lokalisiert?" „Nein!" Sheeron unterbrach schnaufend die Verbindung. „Ende!" So ging das nun schon eine ganze Weile. Ich zitterte innerlich vor dem Augenblick, an dem die Bewaffneten Farnathia aufgespürt haben wür den. Dann gab es keine Schonung mehr für die Unglückliche. Die mei sten glaubten an das Gerücht, ihre Verwandlung sei das Produkt ansteckender Viren. Jeder fürchtete um seine eigene Gesundheit. Soeben hatte die dritte Einsatzgruppe ein neues Opfer des Bioparasiten gefunden, der in Farnathia wirkte. Der Arkonide lag verkrümmt am Boden. In seinen Adern befand sich kein einziger Blutstropfen mehr. Ein Mediziner versuchte es mit einer Durchspülung, indem er Blutersatz einspritzte. Doch es war umsonst. Ich bat Sheeron, im Falle, daß die Bewaffneten Farnathia gefangen nehmen konnten, mich ihrer annehmen zu dürfen. Der Parasit konnte das Mädchen nicht dauernd kontrollieren. In solchen Augenblicken mochte das Mädchen mich vielleicht erkennen. „Morgus hat mich über alles informiert!" sagte ich leise. „Farnathia kämpft gegen die Herrschaft des Parasiten!" Sheeron transpirierte stärker. Sein fettleibiger Körper füllte den Kon tursessel völlig aus. Ich sah, daß die seitlichen Stützlehnen fettver schmiert waren. „Wie können Sie so etwas von mir verlangen, Atlan? Wollen Sie etwa, daß meine Leute meutern? Ich habe Sie für vernünftiger gehalten. Aber anscheinend reagieren Sie in diesem Fall rein emotional. Verständlich, aber keineswegs vertretbar!"
Ich wußte, daß Sheeron recht hatte. Nach den Androidenkämpfen waren seine Leute gereizt. Die geringste Kleinigkeit würde das Pulverfaß zur Explosion bringen. Es hatte schon zu viele Tote gegeben. Hinzu kam, daß die Piraten nur ungenügend über die Zusammenhänge informiert worden waren. Sie würden also ihren aufgestauten Haß auf das Ungeheuer entladen, das einmal Farnathia gewesen war. ' „Zugegeben . . . ", meinte Sheeron, „mich interessiert die Sache mit dem Bioparasiten sehr. Endlich einmal eine Möglichkeit, mehr über die Teu feleien des Blinden Sofgart zu erfah ren. Aber ich kann mich nicht über meine Leute hinwegsetzen. Das Un geheur muß getötet werden. Ich hoffe für uns alle, daß nicht noch mehr Männer sterben müssen!" Auf dem Schaltpult flackerte ein Lämpchen. Sheeron drückte die Taste der Bild-Sprechverbindung, und wenig später erschien das Bild eines jungen Zarltoners auf dem Bildschirm. „Was gibt es, Tascar?" Die Stimme des Uniformierten klang nervös und abgehackt. „Wir ... haben das Ungeheuer gesehen! Es ... ist auf dem Weg in die Zentrale!" „Unglaublich!" schrie der Piratenführer. „Wie ist das möglich? Habt ihr denn nicht alle Gänge abgesperrt?" Der Lautsprecher übertrug ein krampfhaftes Schlucken. „Doch ... aber das Ding kam so plötzlich ... und hat einen von uns erledigt. Wir haben geschossen, aber dabei ist nur die Schleimschicht des Wesens vergast worden!" „Ihr elenden Stümper! Ich verlange, daß ihr sofort herkommt! Ich kann die Bestie hier drinnen nicht gebrauchen! Ende!" Sheeron schwang sich in seinem Sessel herum und stand mit einer Schnelligkeit auf, die ich dem korpulenten Piraten nicht zugetraut hatte. Er eilte zum Waffenschrank hinüber und riß die Schiebetüren beiseite. Die Türposten hatten uns unruhig beobachtet. Sie fühlten sich anschei nend genauso unwohl in ihrer Haut, wie wir auch. Morgus rutschte von der Instrumentenkonsole. Er hatte wieder die mannshohe, seltsam irisierende Ellipse angenommen, die anscheinend seine ursprüngliche Gestalt darstellte. Sheeron schob ein Energiemagazin in den Griff des schweren Desinte grators. Es knackte leicht. Im gleichen Augenblick kam draußen vor der Zentrale Geschrei auf. Das Zischen mehrerer Strahlenschüsse war nicht zu überhören. Es klang wie das Fauchen einer Wild katze, Ein Treffer donnerte gegen das breite Mitteltor, denn plötzlich erschien mitten auf der mattschimmernden Fläche aus Arkonstahl ein rotglühender Fleck. Geschmolzenes Metall tropfte auf den Boden.
Morgus schien meine Erregung zu spüren. Er näherte sich langsam und
veränderte dabei die Form. Zuerst war es nur ein geheimnisvolles Wo
gen und Miteinander-Verschmelzen, das allein durch die Geisteskräfte
seines Mimikrymetabolismus bewirkt wurde. Dann straffte sich sein
Körper und erreichte fast meine Größe. Zwei Arme bildeten sich aus.
Wenig später zwei Beine. Die Umrisse vervollkommneten sich zuse
hends. Die Haut wurde blaß, straffte sich und verschmolz mit dem üb
rigen Teil des Ganzen. Morgus war Farnathia geworden!
„Hör auf damit, Morgus ... das ist verdammt geschmacklos!" rief Shee
ron.
Ich stöhnte unterdrückt.
„Der Veränderliche will dich trösten!« wisperte mein Extrasinn. Möglich,
daß dieses eigenartige Tier Mitleid mit mir hatte und mich trösten wollte.
Es erreichte jedoch genau das Gegenteil damit. Meine Augen tränten
vor Erregung. Ich konnte den Blick von der stummen Farnathia nicht
abwenden. Ich vergaß sogar den höllischen Lärm, der vor der Zentrale
erscholl. In diesem Augenblick wurde mir schmerzhaft deutlich, was der
Verlust Farnathias für mich bedeutete. Ich würde nie wieder derselbe
sein, der ich noch vor ihrem Tod gewesen war.
Doch noch lebte das Ungeheuer. Ich sah es, als die Torflügel beiseite
glitten. In einer Qualmwolke torkelte das Schleimmonstrum näher,
Mehrere Stellen seiner schillernden Körperoberfläche waren von Strah
lentreffern glasig überzogen. Sie hatten das Wesen nicht töten können.
„Bleib ... bleib doch stehen!"
Keine Antwort. Es schwankte, als hätte es große Mühe, die Balance zu
halten. Fauliger Geruch umgab den unförmigen Körper.
„Farnathia ... bitte ... bleib doch stehen!"
Keine Reaktion.
Die Zarltoner hoben ihre Strahlenwaffen. Ich stand genau zwischen
ihnen und dem Ungeheuer. Ich sah, wie die Abstrahlmündungen flim
merten. Ein Daumendruck, und die volle Energieladung würde uns beide
zusammenschmelzen, bis nur noch ein Häufchen Asche übrig war.
„Aus dem Weg, Atlan!"
Sheeron war rot angelaufen. Der kleine, fettbäuchige Pirat zitterte vor
Erregung.
„Aus der Schußlinie,.. . !"
Ich blieb starr stehen, Das Wesen war noch fünf Schritte von mir ent
fernt. Ich konnte seine tiefliegenden Augen sehen. Sie funkelten wie glü
hende Kohlen. Aus der gallertartigen Brustpartie schoben sich spitze,
grünlich irisierende Tentakel.
„Damit wird sie dir das Blut aussaugen!" Mein Extrasinn stellte nur fest,
Ohne etwas zu beschönigen. Die nackten Tatsachen, sonst nichts.
„Farnathia...!"
Ich streckte meine Rechte aus, machte eine beruhigende Geste. Meine Stimme hatte den Klang eines besorgten Vaters angenommen. Keine Spur von Erregung. Ich war plötzlich ganz ruhig. So ausgeglichen, wie nie zuvor in meinem Leben. „Farnathia!" Die rotleuchtenden Augen flackerten. Für wenige Augenblicke nahmen sie wieder den Glanz der verschreckten Mädchenaugen Farnathias an. Das Ungeheuer verharrte regungslos. Die Tentakel verschwanden in seiner Brust. „Du verstehst mich, Farnathia . . . du verstehst mich! Du weißt, wer ich bin!" Doch dann kam das rötliche Flakkern wieder. Der stinkende Körper wälzte sich vorwärts und wollte mich packen. „Ziel erfassen!" schrie Sheeran. „Auf Kommando Punktfeuer..." Ich wollte mit Farnathia sterben. Vielleicht waren wir dann endlich miteinander vereint, Sollte der teuflische Bioparasit mein Blut bekom men. Ich würde Farnathias letzte Gedanken spüren. Dann würde es rasch zu Ende gehen. Ich schloß die Augen. Ein Tentakel zuckte gierig an meinem Hals vorbei. Ich spürte einen heißen Lufthauch. Doch es geschah nichts. Als ich die Augen öffnete, sah ich etwas Seltsames. Morgus in seiner Farnathia-Gestalt. stand vor dem Schleimungeheuer. Beide waren etwa gleichgroß, nur daß die echte Farnathia durch die körperumspannende Schleimschicht etwas größer wirkte. Das Ungeheuer stand wie gebannt vor der berückend schönen Morgus-Far nathia. Ein Anblick, den ich in meinem ganzen Leben nie wieder ver gessen würde. Sheeron wollte den Schießbefehl erteilen. „Nein ... wartet bitte!" stieß ich atemlos hervor. Die Situation war grotesk. Aber der Anblick einer unversehrten Farnathia hatte das Ungeheuer völlig aus der Fassung geraten lassen, Ich ahnte, daß der Bioparasit des Blinden Sofgart vor einem Rätselstand. Auch Sheeron schien von der veränderten Lage fasziniert' zu sein. „Nicht schießen!" rief er und beugte sich vor, um das Geschehen besser verfolgen zu können. Das Schleimungeheuer begann plötzlich zu zucken. Seine Gallerthaut produzierte konvulsivische Schauer. Kleine Schleimbröckchen lösten sich und fielen auf den Boden. Die Bewaffneten verzogen angewidert die Mundwinkel, sagten jedoch nichts. Dann würgte das Ungeheuer eine faustgroße Kugel hervor, die auf den Boden prallte und langsam auf Farnathia-Morgus zurollte. Winzige Tentakel zuckten aus ihrer Oberfläche und bohrten sich in den Boden. Das beschleunigte ihren Kurs auf Morgus. Sie war nur noch wenige
Schritte von dem Mimikrywesen entfernt, das unverändert Farnathias Gestalt besaß. Die Schleimkreatur sank langsam zu Boden. „Der Bioparasit ist auf Farnathia programmiert!" teilte mir mein Extrasinn mit. „Er hält Morgus für eine weitere Farnathia, die er verändern muß." Im Bruchteil einer Sekunde riß ich dem verblüfften Sheeran den Strahler aus der Hand, zielte auf die Kugel und drückte ab. Im Wetterleuchten der Desintegratorenergie löste sich die Zeitbombe des Blinden Sofgart auf. Dann war nicht einmal mehr ein Stäubchen von ihr zu sehen. Nur ein verbrannter Fleck auf dem sonst makellos glatten Bodenbelag erin nerte an das grauenhafte Wesen. Ich wischte mir über die Stirn. „Es ist zu Ende!" Mit einmal fühlte ich mich kraftlos und müde. Vor mir lag ein toter Schleimhaufen, dessen Umrisse entfernte Ähnlichkeit mit einem arko nidischen Mädchen hatten. Farnathia war für mich verloren. „Erledigen Sie das, Sheeron!" Ich gab dem Piraten die Waffe zurück. Plötzlich packte mich Sheeron am Arm. Er deutete auf das Ungeheuer. Wir alle wurden Zeugen einer außergewöhnlichen Verwandlung: Die häßliche Schleimschicht verflüssigte sich in kurzer Zeit und tropfte von Farnathias Körper herab. Wenig später bedeckte nur noch ein dünner Hautfilm die Regungslose. Diese Schicht trocknete sofort ein und bildete einen Kokon um Farnathia. Sie schien unverletzt zu sein. Äußerlich jedenfalls. Die blaßblaue Färbung ihrer Haut, und die sich darauf ab zeichnenden Adern waren deutlich zu erkennen. Ich bückte mich und ließ meine Finger vorsichtig über die perga mentartige Schicht gleiten. Sie fühlte sich warm an. Mit einer einzigen Handbewegung zerriß ich die Hülle. Darunter kam Farnathia zum Vor schein. „Verdammt ... wo bleibt denn der Bauchaufschneider?" rief ich unbe herrscht. Ferkon Stannton stand schon neben mir und öffnete gerade seine In strumententasche. Ich legte mein Ohr auf Farnathias Brust. Sie atmete ganz schwach. Es war kaum vernehmbar, aber sie atmete. Ich hätte es am liebsten laut geschrien, aber Stannton bedeutete mir durch ein Handzeichen, jetzt zu schweigen. „Das Mädchen braucht jetzt sehr viel Ruhe! Ich kümmere mich um sie vertrauen Sie mir Farnathia an! Ich werde alles für sie tun, was in mei nen Kräften steht!" Sheeron nickte mir zu. „Gut . . Stannton!" stieß ich schweratmend hervor. Ich sah stumm zu, wie sie Farnathia auf einer Schwebebahre hinaus
schoben. Sie war noch bewußtlos. Sheeron saß schon wieder am Kommandopult und sprach gerade mit seinen Außenposten. Der Betrieb in Richmonds Schloß ging weiter, als wäre nichts geschehen. Plötzlich wurde ich aufmerksam. Sheeron hatte den Generalalarm ab geblasen. Ein wartendes Raumschiff wurde von mehreren Staubeiern auf die Oberfläche von Schloß Richmond geschleust. „Ihr könnt das Schiff landen lassen!" bestimmte Sheeron. „Die Mannschaft soll sofort zu mir gebracht werden!" War mein Aufenthalt bei den kosmischen Piraten zu Ende? Oder hatte Sheeron mich an den Blinden Sofgart verraten? Als der feiste Pirat mich spöttisch anschaute, wußte ich, daß er meine Freunde auf Kraumon benachrichtigt hatte. Wenig später saßen wir wieder vereint beisammen. Wir, das waren Hanwigurt Sheeron, Manifold, Tarugga und der Bauchaufschneider Ferkon Stannton. Neben mir die Getreuen von Kraumon. Sheeron hatte sie gerufen und sich damit eindeutig auf unsere Seite gestellt. Hinter einer gläsernen Trennwand lag Farnathia. Sie hatte ihre Liege so drehen lassen, daß sie uns sehen konnte. Sie lächelte matt. Ihr Körper würde bis zur endgültigen Gesundung noch einige Zeit brauchen. Aber sie würde leben, und das war die Hauptsache. Fartuloon, mein väterlicher Freund, der mich einst vor Orbanaschols Häschern gerettet hatte. Sein Schwert „Skarg" lag quer über seinen Oberschenkeln. Er lachte. Eiskralle, der Chretkor. Ich konnte das Blut in seinen durchsichtigen Organen pulsieren sehen. Eiskralle hatte mal wieder Angst, vor unseren Augen zu zerschmelzen und beklagte sich fortwährend über die Temperatur. Morvoner Sprangk, ein harter Kämpfer, der einst meinem Vater gedient hatte und dann zwischen den Dimensionen verschollen war. Sein narbiges Gesicht verzog sich zu einem anerkennenden Grinsen, als er von meinen Kämpfen gegen die mutierten Androiden erfuhr. Corpkor, der Kopfjäger. Einst Häscher des Orbanschol, jetzt mein treuer' Verbündeter. Ein typischer Einzelgänger. Unschlagbar, wenn er seine Tierarmee einsetzte. „Wir haben starke Freunde gewonnen", begann ich und sah die Piraten an. „Gemeinsam können wir Orbanaschols Macht erschüttern. Ich glaube, ihr könnt diesen Emporkömmling genausowenig leiden wie ich!" Fartuloon lachte dröhnend. „Und wann soll's denn wieder losgehen, Atlan?" „Das können dir unsere Piraten besser sagen, Fartuloon!" Sheeron räusperte sich. „Von Zeit zu Zeit beliefern wir mehrere Frei handelswelten. Demnächst wäre wieder ein Transport fällig. Wenn es in eure Pläne paßt, könnt ihr dabei sein!"
Ich sah meine Freunde nachdenklich an und sagte: „Vielleicht werden wir dann ganz spezielle Waren dabeihaben; mit denen wir Orbanaschols Genossen beglücken können!" Ich zwinkerte mit den Augen, und meine Freunde riefen: „Für Atlan und Arkon auf Leben und Tod!" Ende