Der Boß der Grenzland Geier Ein neuer mitreißender Roman von JACK MORTON
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Der Boß der Grenzland Geier Ein neuer mitreißender Roman von JACK MORTON
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Leutenant Jim Callan erfaßte blitzschnell die Situation, als er das Aufblitzen am Hügelrand sah. „Achtung!“ schrie Callan. „Ein Hinterhalt!“ Die Zigarette fiel aus seinem Mund und kollerte zu Boden, während Jim sich seitwärts aus dem Sattel fallen ließ, noch im Fallen die Winchester aus dem Scabbard reißend. Schon krachten mehrere Schüsse, und die Abstände waren so kurz, daß es sich wie ein einziger hoher, langer Schuß anhörte. Bevor Jim Callan den Kolben am Schulterblatt hatte, spürte er einen fürchterlichen Schlag gegen die Stirn. Er ließ die Waffe fallen, und gleichzeitig traf ihn ein weiterer dumpfer Schlag gegen die Brust. Leutenant Jim Callan verlor das Bewußtsein. Corporal Banner kam nicht mehr dazu, den Finger krumm zu machen, ganz abgesehen davon, daß er das -1-
Ziel noch nicht erkannt hatte. Ein häßliches rundes Loch stand plötzlich in seiner Stirn. Link Donegans Gesicht verzerrte sich, als er sah, wie sein Nebenmann langsam vom Bock hinunterrutschte, sich mit den Füßen im Wagenrad verfing und von den ausbrechenden Pferden noch ein Stück mitgeschleift wurde. Bevor er jedoch abspringen konnte, überschlug sich der schwere Wagen, mit dem ganzen Gewicht fiel er auf Link Donegan, der völlig eingekeilt wurde. Erst da merkte er, daß eine Kugel ihn ebenfalls getroffen hatte. Auch Billy Towns Hand erreichte das Holster mit der Waffe nicht mehr ganz, auf diese Entfernung hätte sie ihm ohnehin nichts genützt. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seine Schulter, und wieder klang das giftige hohe Peitschen der Schüsse auf. Billy Towns Hände fuhren hoch zu seinem Hals. Mit einem erstickten Schrei fiel er vornüber. Es war unheimlich still. Bis Hufschlag näher kam. Und dann schwirrte etwas durch die Luft. Ein Pfeil. Er zerschnitt die Plane des umgekippten Murphys, zerfetzte den mit Mehl gefüllten Leinensack und fiel dann kraftlos auf den Boden. Ein zweiter Pfeil folgte. Die Spitze bohrte sich in das Holz eines der Träger des Murphy-Wagens. Der Schaft erzitterte. *** Reiter Kid Flush hatte eine Stunde Sonderurlaub bekommen und ritt jetzt hinter den anderen her. Kid Flush lachte fröhlich. -2-
Er fuhr sich mit der Hand über das frisch rasierte Gesicht und über die Haare, und es- dachte an Rosie, die er besucht hatte in der kleinen Stadt. „Yiiipiiihhh!“ schrie er, riß sich den Stetson vom Kopf und schlug ihn auf die Kruppe des Wallachs. Mit trommelnden Hufen preschte das Pferd los, und Kid Flush spürte die Hitze des Tages überhaupt nicht. Dieser Callan, dachte er, ist schon ein feiner Kerl. „Los, Alter!“ schrie Kid Flush. „Wir wollen unseren Leutenant nicht enttäuschen, indem wir zu spät ankommen. Beeil dich ein bißchen!“ Findlinge, Sagegras und hie und da eine einsame Saguarokaktee flogen an ihm vorbei. Spuren konnte Flush keine ausmachen, aber er kannte den Weg genau, den sie immer nahmen. Er führte in einer direkten Linie über die weite Ebene hinein in die Hügel und durch diese hindurch nach Fort Spade. Hoffentlich fällt das Los das nächste Mal wieder auf mich, dachte Flush, und hoffentlich bin ich dann wieder zusammen mit Jim Callan. Kid Flush' gute Stimmung hielt noch an, als er die ersten Hügelkuppen passierte. Die hochstehende, sengende Sonne konnte ihm nichts anhaben. Aus fröhlichen Augen blickte er auf die jetzt dicht mit Sagegras bestandenen Hügel, die sich sanft über das weite Land wellten. Und als er die sanfte Niederung hinunterpreschte, in den Ohren das leise Pochen der Hufe, ahnte er noch nichts von dem Grauen, das sich ihm bald bieten würde. Bis er dann in der gelbgrünen Weite einige Schatten ausmachte, die so gar nicht in das friedliche Bild passen wollten. Brutaler als beabsichtigt, riß Kid Flush den Wallach -3-
zurück. Nervös nestelte er an der Satteltasche, und das Pferd schlug mit dem Schweif nach den Mücken, während der Reiter mit fliegenden Fingern das Fernrohr aus dem Futteral schälte. Da vorn, war das nicht...? Die Linse brachte ihm die Umrisse näher vor Augen. Doch — das war der Murphy-Wagen. Allerdings war er zur Seite gekippt, die Räder standen gen Himmel. Und das Glas brachte ihm noch mehr näher. Kid Flush’ Gesicht wurde kantig. Er stieß das Fernrohr ins Futteral zurück, legte die Schenkel an, und der Wallach machte einige Sätze nach vorn. Mit trommelnden Hufen stob er die Mulde hinunter, und als Kid Flush die Stätte des Grauens erreicht hatte, verhielt er sekundenlang im Sattel und mußte sich beinahe übergeben. Mit der Linken fuhr er sich über die Stirn, während die Rechte zum Colt griff. Aber dann, nach einer langen Minute schweigenden Betrachtens, wußte Kid Flush, daß die Gefahr vorüber sein mußte. Hölzern stieg er aus dem Sattel. Der Proviant, den sie in Great Bunk noch vor erst zwei Stunden geladen hatten, war aus dem Wagen gekollert, zum Teil wohl, auch herausgezerrt worden. Da lagen die Leinensäcke in einem wilden Durcheinander von Mehl, Reis und Zucker, dazwischen in wahlloser Reihenfolge Tomaten- und Bohnenbüchsen. Die Plane des Wagens war aufgeschlitzt worden, das sah Kid Flush sofort. Und dann das andere... Kid Flush' Magen revoltierte. Er stützte sich schwer gegen den Sattelknauf des Wallachs, als er sich übergab. -4-
Die Pferde seiner Kameraden standen herum, als warteten sie auf die Reiter. Die vier Zugpferde hatten sich aus dem Geschirr gerissen, die Zügel schleiften am Boden, als sie näher kamen. Der Pinto Billy Towns wieherte schrill, tänzelte und preschte davon. Billy Town würde ihn nie mehr brauchen. Langsam ging Kid Flush auf ihn zu. Billy lag mit dem Kopf vornüber im Gras, das rechte Bein noch leicht angewinkelt, als wäre er im Begriff gewesen, seine Revolverhand darauf zu stützen. Flush sah sofort, daß jede Hilfe zu spät kam. Etwas weiter vorn lag Corporal Banner, drei Schritte hinter dem umgekippten Wagen. Seine Füße waren gebrochen, aber auch ohne diesen grausigen Umstand wäre Banner tot gewesen. Auf der rechten Seite des Wagens, mit eingedrücktem Brustkasten, befand sich das, was einmal Link Donegan gewesen war. Kid Flush hing mehr in den Zügeln seines Wallachs, als daß er ihn hinter sich herzog. Er war froh, die warmen Nüstern des Pferdes in seinem Rücken zu spüren. Sein Blick war wie tot, als er auf die Vorräte starrte, die verstreut beidseits des Wagens lagen. Die beiden Bierfässer waren geöffnet, eine gelbe Pfütze hatte den Boden darum getränkt, und es roch nach Hopfen und Malz. Die Vorräte mußten zum Teil beim Sturz aus dem Wagen gekollert sein, zum anderen Teil aber waren sie von fremden Händen daraus hervor gezerrt worden. Und plötzlich schrak Kid Flush aus seinen Gedanken empor: Es fehlte etwas. Ja, jetzt wußte er es genau: Es fehlte etwas. Kid Flush ließ die Zügel des Wallachs los und trat -5-
ganz dicht an den umgekippten Wagen heran. Er schlug die bereits zerfetzte Plane ganz zur Seite und blickte ins Wageninnere. „Das Geld“, murmelte Kid Flush. „Die beiden Zahltagskisten. Weg!“ Kid Flush ließ die Plane wieder fallen und drehte sich um. „Und die Bierfässer geöffnet und ausgelaufen“, murmelte er zu sich selbst. „Verdammt, das deutet doch eigentlich darauf hin, daß es In'yuns gewesen sind. Die sind doch scharf auf jeglichen Alkohol. Aber was ist mit den Vorräten? Warum haben sie diese nicht...?“ Noch einmal öffnete Flush die Plane, und dann sah er den Pfeil, der auf der Erde lag. Er nahm ihn auf, betrachtete die Widerhaken und fröstelte. Und als er sich wieder aufrichtete, da gewährte er auch den Pfeil, der im Wagen steckte, „Mein Gott“, entfuhr es Kid Flush, „In'yuns! Das ist doch... Aber ja, ich seh's ja, hier, mit eigenen Augen. Dann hat es also jetzt in Fort Spade auch begonnen!“ Kid Flush langte nach dem Pfeil, der sich drei Zoll tief ins Holz gebohrt hatte. Er versuchte, ihn herauszuziehen, aber dann wußte er, daß das ein sinnloses Unterfangen war. Auch dieser Pfeil besaß zwei Widerhaken, die es unmöglich machten, ihn herauszuziehen. Flush brach den Pfeil ab, drehte ihn zwischen den Fingern und fühlte, wie seine Knie schwach wurden. „In'yuns“, murmelte er immer wieder. „Mein Gott, das wird die Hölle!“ Kid Flush hatte die Comanchen südlich des Red River erlebt, als er einen Rindertrail mitgemacht hatte. Er fröstelte, aber die Bilder, die sich damals tief in ihm eingeprägt hatten, stiegen nicht wieder in ihm auf. Sie -6-
wurden weggewischt von der Gegenwart, die plötzlich über ihn hereingebrochen war und der er sich nicht gewachsen fühlte. Und diese Gegenwart war schlimmer, weil er ein Teil davon war. Eine große Müdigkeit überkam Kid Flush. Er setzte sich auf einen zerplatzten Leinensack, aus dem das Mehl zur Hälfte herausgefallen war. Er konnte es aber nicht lange ertragen, dieses Bild des Grauens vor sich zu sehen. So stand er auf, trat an seinen Wallach heran, entkorkte die Wasserflasche mit den Zähnen und tat einen langen Schluck. Nie wieder also würde er zusammen mit Jim Callan zur Kopfstation reiten können, um Proviant und den Zahltag abzuholen, den sie mit dem Stahlroß von Amarillo herüberschickten. Ein galliger Geschmack trat auf seine Lippen, als er daran dachte, daß er sein Leben nur dem Umstand verdankte, noch in Great Bunk zurückgeblieben zu sein. Beinahe kam er sich als Feigling vor. Jim Callan — der Offizier, mit dem er sich immer am besten verstanden hatte, und nicht nur er allein, der war jetzt also... Aber zum Teufel! Kid Flush preßte den Korken auf die Flasche zurück, hing sie ans Sattelhorn und blickte in die Runde. Jim Callan hatte er ja noch gar nicht erblickt! Kid Flush ging um den Murphy herum, und über die zerbrochene Deichsel hinweg sah er dann den Mann, der dort in einem dunklen, roten vertrockneten Fleck lag. Langsam ging Kid Flush auf den Körper zu. Er blickte an Jim Callan hinunter und sah die Furche auf seiner Stirn, die eine Kugel gerissen hatte und aus der ein Blutfaden rann. Langsam, in dicken Tropfen. -7-
Auch das Hemd des Leutenants war zerfetzt. Kid Flush beugte sich zu Callan hinunter. Plötzlich glaubte er, schwaches Atmen zu vernehmen. Er langte mit einem schnellen Griff an den Hals Callans und hielt den eigenen Atem an. Richtig, da bemerkte er doch etwas. Und dann sah sich Kid Flush die Wunde am Kopf genauer an. Es sah schrecklich aus, aber es mußte ein Streifschuß gewesen sein. Kid Flush' Blick glitt hinunter. Da sah es schon schlimmer aus. Langsam drehte er Callan auf den Rücken, und er sah sofort, daß die Uniformjacke noch vollkommen in Ordnung war. Dann steckte die Kugel also noch. Kid Flush spürte, wie sein Herz pochte. Nein, Jim Callan war nicht tot. Er wußte es jetzt ganz genau. Jim Callan atmete nicht mehr stark, aber er atmete noch. Jim Callan lebte! *** Plötzlich kam Bewegung in Kid Flush. Die Apathie, die ihn angesichts des Todes ergriffen hatte, fiel wie Schuppen von ihm. Kid Flush sprang auf, hetzte zu seinem Wallach, und mit fliegenden Händen öffnete er die Satteltaschen. Wie die anderen Soldaten hatte er immer darüber geflucht, soviel Zeug rumschleppen zu müssen, aber jetzt war er froh, alles bei sich zu haben. Seine Hände förderten weißen Verbandstoff zutage. -8-
Für Kid Flush stand die Zeit still. Er eilte wieder hinüber zu Callan, und er wüßte nicht, wie lange er dafür brauchte, ihm einen sauberen Verband kunstgerecht um den Kopf zu wickeln. Ein leichtes Stöhnen war zu hören, als er Callan auf den Rücken drehte und ihm einen dicken Verband um die Brust legte. Die ganze Faust preßte er in die große klaffende Wunde, die die Winchesterkugel gerissen hatte, dann drückte er einen Gazestreifen darauf und wickelte einen dicken Verband um das Ganze. Schweißperlen standen in Kid Flush' Gesicht. Kameradenhilfe war nie sein Lieblingsfach gewesen, aber jetzt, im entscheidenden Augenblick, war er froh, das Wesentliche begriffen zu haben. Er rollte Callan behutsam wieder auf den Rücken und betrachtete ihn sekundenlang. Kein Zweifel, Jim Callan hatte unwahrscheinliches Glück gehabt. Er mußte sich aus dem Sattel geworfen haben, als die erste Kugel ihn erreichte. Und die zweite wurde von einem Knochen gestoppt und steckte jetzt noch irgendwo da drin in seiner Brust, die sich fast unmerklich, aber doch wahrnehmbar hob und senkte. Er wußte jetzt, daß nur seine Gegenwart Jim Callan retten konnte, die Zeit eilte. Sekundenlang öffneten und schlossen sich die Fäuste Kids, während er überlegte, wie er den Mann am besten transportieren konnte. Zurück nach Great Bunk, das war die einzige Möglichkeit. Dann kam ihm die rettende Idee. Flush fummelte wieder in seinen Satteltaschen, holte die kleine zusammen schraubbare Axt heraus und hieb die bereits halb abgebrochene Deichsel des schweren -9-
Murphys ganz auseinander. Mit einem Krachen zerbarst das Holz. Kid Flush trat an das Pferd heran, das mit hängendem Kopf nicht weit von Jim Callan wartete. Callans Pferd. Nervös spitzte es die Ohren, als Flush sich ihm näherte, die Nüstern blähten sich. Flush stieß beruhigende Worte aus und trat so dicht an das Pferd heran, bis er es greifen konnte. Willig folgte der Hengst. Das Pferd wehrte sich auch nicht, als Kid Flush die Sattelaschen öffnete und nach zwei Lederriemen suchte. Er befestigte damit das eine Teilstück der Deichsel so an Sattelknauf und Satteltasche, daß sie einen waagerechten Balken auf der rechten Seite des Pferdes bildete. Nachdem er das gleiche mit seinem Wallach gemacht und die Pferde nebeneinander aufgestellt hatte, zerschnitt er die Plane des Murphys vollends und legte ein großes Stück doppelt neben Jim Callan. Behutsam rollte er den Mann darauf. Ein schwaches Stöhnen entrang sich Callans Lippen, aber er war noch nicht wieder bei Bewußtsein. Schweißperlen rannen von Kid Flush' Stirn, als er den schweren Mann mitsamt der Plane hochhob und die so verfertigte Bahre beidseitig an den Deichselstücken zwischen den Pferden befestigte, aber schließlich gelang es ihm doch. Behutsam setzte er den Fuß in den Steigbügel seines Wallachs und trieb ihn voran. Plötzlich kam ihm in den Sinn, daß Jim Callan als Kommandeur dieses Trupps als einziger überlebt hatte und was das wohl für Folgen haben dürfte, sollte Jim Callan nicht doch noch sterben. Der Offizier tat ihm leid. - 10 -
Wieder wollte die Übelkeit in ihm hochkommen, als er die toten Körper seiner Kameraden sah, aber er fand keine Zeit, sie zu bedecken. Die Kugel mußte raus, falls Jim Callan noch eine Chance zum Überleben haben sollte. *** Jim Callan befand sich in einem hohen Zimmer mit einem Bett, einem Stuhl daneben, einem Tischchen vor einem weit geöffneten Fenster und einem Spiegel an der Wand gegenüber. Das Pochen in seinem Schädel hatte aufgehört, aber sein Kopf war mit einem Brausen angefüllt, das es unmöglich machte, ihn etwas hören zu lassen. Und dabei war er doch gar nicht allein. Ein Gesicht beugte sich über ihn, und eine Stimme sagte: „Er hat die Augen geöffnet!“ Kid Flush, dachte Jim Callan, und er war froh, den jüngsten seiner Männer in Great Bunk zurückgelassen zu haben. Eine zweite Gestalt trat heran, und eine andere Stimme sagte: „Er blickt ganz starr. Er muß noch unter der Wirkung des Schocks stehen.“ Steve Palmer, dachte Jim Callan, mein Freund. Er hat die Post Station also geschlossen, um zu sehen, wie ich sterbe. Und dann sagte eine dritte Stimme: „Die Kugel sitzt knapp unter der Herzspitze. Mein Gott, der Mann hat Glück gehabt! Noch ist er zwar nicht wieder diesseits des Berges, aber wenn ich sie rausbringe, dann hat er 'ne Chance.“ Der Mann, der gesprochen hatte, trat in den - 11 -
Gesichtskreis Jim Callans. Eine runde Knollennase, ein randloser Zwicker darüber. Doc Sawyer, dachte Jim Callan. Mein Gott, sie haben ihn ausgewählt, um mich fertig zu machen. Sie wollen... Nein! wollte er schreien, als er die Spitze der Klinge an seiner Brust spürte, aber kein Laut kam über seine Lippen. Glühend heiß wallte sein Blut, als die Klinge ins Fleisch schnitt, und Jim Callan wollte sich aufbäumen, als aus dem Schnitt ein kleiner runder Kreis wurde, der sich kegelartig in sein Inneres fortpflanzte. Aber natürlich lag er ganz ruhig auf dem Bett. Schweißperlen traten auf seine Stirn, und wieder fühlte er das dumpfe Summen und Hämmern in seinem Kopf. Sein Traum war nicht angenehmer als die Wirklichkeit. *** Jim Callan wußte nicht, ob er eine oder zwei Nächte geschlafen hatte. Als er erwachte, da waren die Vorhänge vor das Fenster gezogen, aber dahinter war bereits die Helle des Morgens zu erkennen. Jim Callans Blicke glitten über das Mobiliar, und er wußte, daß er in Sam's Hotel in einem einfachen Zweidollarzimmer lag. Der Schmerz in seinem Kopf war verschwunden. Vorsichtig tastete er mit einer Hand nach dem Verband, den sie ihm um den Kopf gebunden hatten. Ein Büschel Haare drängte darunter hervor. Jim Callan wollte sich aufrichten, aber das heftige Ziehen in seiner Brust, das augenblicklich stärker wurde, - 12 -
hinderte ihn daran. Er blickte an sich hinunter und gewährte den dicken Verband, mit der die eine Hälfte seines Oberkörpers versehen war. Langsam traten die Ereignisse der letzten Stunden, die er bei Bewußtsein erlebt hatte, wieder an ihn heran. Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als sich der Messingknopf der Tür zu seiner Rechten leicht bewegte. Es knarrte, als Steve Palmer ins Zimmer trat. Jim Callan wollte etwas sagen, aber es wurde nur ein heiseres Krächzen daraus. „Du hast einen Nachmittag, eine Nacht, einen Tag und nochmals eine Nacht durchgeschlafen, mein Freund“, sagte Steve Palmer. „Und Doc Sawyer war in dieser Zeit sechsmal hier und hat nach dir geschaut, und jetzt meint er, hättest du es geschafft!“ Steve Palmer zog den Stuhl mit der Eisenlehne ans Bett heran und betrachtete Jim Callan. „Ich bin froh, daß du es geschafft hast, mein Junge“, sagte Steve. „Aber es ist schade um Link Donegan, Billy Town und Corporal Banner. Waren gute Burschen, und ihr wart ein feiner Verein.“ „Ja“, sagte Jim Callan, und diesmal war es nicht der Schmerz, der ihn würgte. „Kid Flush hat ja Glück gehabt, daß du ihn für 'nen Moment beurlaubt hast, Jim“, sagte Steve Palmer und rückte seine Mütze zurecht. „Und du auch, denn wenn man dich nur eine Stunde später gefunden hätte, wärst du nicht mehr unter uns.“ „Was vielleicht besser wäre“, murmelte Jim Callan kaum hörbar. „Was?“ Palmer beugte sich vor, dann begriff er. „Vielleicht hast du recht, Jim, und vielleicht solltest du es jetzt so machen wie ich und deinen Dienst quittieren.“ - 13 -
„Dazu wird mein Entschluß gar nicht mal nötig sein“, flüsterte Jim. Steve Palmer blickte zu Boden. „Du warst nicht vorsichtig genug, nicht wahr?“ „Nein.“ „Daß du Kid zurückgelassen hast, zeugt davon.“ „Ja.“ „Du rechnetest gar nicht mit einem Überfall seitens der Roten, nicht wahr?“ „Nein!“ „Und jetzt weißt du, daß deine Ansicht falsch war, Jim!“ „Ja.“ „Was eigentlich komisch ist“, meinte Steve Palmer. „Denn bisher hattest du immer recht, wenn es um Indianerfragen ging. Nur eben... diesmal scheinst du dich geirrt zu haben.“ „Wofür drei Männer sterben mußten“, murmelte Jim Callan. „Nur ich...“ Steve Palmer blickte zur Seite, aber er wußte, was Jim meinte. Drei Männer — Drei gute Männer, die immer zu Callan gehalten hatten. Und jetzt... Jim Callan spürte das Zerren nicht mehr in seiner Brust, als er an das Schicksal seiner Gefährten dachte. „Du hättest es ohnehin nicht verhindern können“, lenkte Palmer ein und kratzte sich am Kopf. „Nach all dem, was wir da draußen gesehen haben, hattet ihr nicht die geringste Chance. Es war ein genau vorbereiteter Hinterhalt, und die ersten Schüsse trafen. Erstaunlich vorbereitet für eine Horde wilder Rothäute, die...“ „Vielleicht waren es keine In'yuns“, murmelte Jim - 14 -
Callan. „Vielleicht waren es...“ „Denk jetzt nicht daran, Jim, zum Teufel!“ unbrach Steve Palmer. „Du hattest 'nen Streifschuß an der Stirn, und das war Glück. Und du hattest 'nen Steckschuß in der Brust, und das war ein noch größeres Glück. Doc Sawyer hat über drei Stunden an dir gearbeitet, bis er die Kugel raus hatte, einen knappen Zoll neben dem Herzen. Du hast viel Blut verloren. Doc Sawyer meint, daß es noch drei Wochen dauern wird, bis die Wunde verheilt ist. Bis dahin bleibst du hier in Sam's Hotel und sollst schlafen, soviel du kannst.“ Eine stumme Frage stand in Callans Blick. „Kid Flush ist noch in der gleichen Nacht zum Fort rausgeritten, aber er hat die Patrouille, die sie ausgeschickt haben, kurz nach der Unglücksstelle getroffen. Sie haben die drei Männer mitgenommen und im Fort beerdigt. Ich habe die Pfeile gesehen, es sind Comanchenpfeile. Es besteht kein Zweifel an den Urhebern. Sie müssen auch vom Bier getrunken haben, das in den Fässern war, und du weißt, wie scharf die Rothäute darauf sind. Versuch jetzt zu schlafen, Jim. Major Garfield wird dich besuchen kommen, sobald es dir besser geht.“ Palmer erhob sich und langte an die Schirmmütze. „Und auf mich wartet das Post Office!“ sagte er und verließ das Zimmer. Lange blickte Callan noch auf die Tür, die hinter Steve Palmer eingerastet war. Wieder sah er sie... Banner, Town und Donegan. ***
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Am zwölften Tag kam Major Patt Garfield. „Hallo, Jim“, sagte er und reichte ihm die Hand. Er legte die Handschuhe auf die Decke und betrachtete Callan, Sein gütiges, aber dennoch hartes Gesicht wurde ernst. „Sie haben Glück gehabt, Jim.“ „Ich weiß, Major!“ sagte Jim bitter. „Aber einige andere haben dieses Glück nicht gehabt. Um genau zu sein, drei Soldaten aus Fort Spade, die unter meinem Kommando ritten.“ Major Garfield beugte sich vor. „Daran können wir nichts mehr andern, Jim. Vergessen wir es also.“ „So leicht kann ich das nicht vergessen“, sagte Callan. „Und ich glaube fast, ich werde noch einige Zeit daran erinnert werden, Major, nicht wahr?“ Auf Garfields Stirn standen Kummerfalten. „Sie waren mein bester Leutenant, Jim, und Sie wissen, daß das kein hohler Spruch ist.“ „Ich war ...“ Garfields Stimme war heiser. „Es fällt mir schwer, Ihnen das mitzuteilen, Jim, und das meine ich ehrlich. Aber wir sind in der Armee, und da gibt es gewisse Regeln, die ich einzuhalten gezwungen bin. Glauben Sie mir, der Ritt hierher mit Sergeant Earp und meinen Männern fiel mir nicht leicht.“ „Danke, Major.“ „Aber das Glück, zu leben ist wohl das wichtigste auf dieser Erde, wichtiger jedenfalls als die militärische Karriere, Jim“, sagte der Major, „Obwohl sie natürlich keinesfalls als abgeschlossen zu betrachten ist. Ich möchte nur sagen, daß sie sich etwas verzögert hat.“ Garfield hustete. „Kurz und gut, Jim, ich muß Sie leider für einige Zeit wieder einen Grad zurückversetzen. Sie - 16 -
wissen, daß Sie vielleicht etwas zu sorglos waren, auch wenn eine größere Umsicht in diesem Fall wohl keineswegs was genützt hätte. Aber Sie haben Soldat Flush erlaubt, noch etwas in Great Bunk zurückzubleiben, und diese Geste verrät doch wohl, daß sie es mit den Vorsichtsmaßnahmen nicht so ernst nahmen, Jim“ „Ja, Major.“ „Und nicht an eine Gefahr zu glauben, dafür gibt es in der Armee überhaupt keine Entschuldigung, Jim. Das wissen Sie auch.“ „Ja.“ Garfield war offensichtlich froh, es gesagt zu haben. Zum erstenmal blickte er Callan wieder direkt in die Augen. „Tut mir leid, Jim. Wenn es nach mir ginge, dann... Aber da ist das Reglement. Und daran habe ich mich zu halten. Zum Teufel, warum haben diese Rothäute jetzt auch in unserem Bereich wieder begonnen, aufsässig zu werden?“ Callan blickte zur Zimmerdecke. Das, was Major Garfield ihm eröffnet hatte, kam nicht überraschend. Er wußte, daß es keine andere Möglichkeit gab. Und irgendwie fand er diese kleine Zurückversetzung lächerlich im Vergleich zum Schicksal seiner Kameraden. Aber was er dann sagte, hatte er sich lange überlegt. „Und wenn es keine Indianer gewesen sind, Major?“ Garfields Augen wurden schmal unter den buschigen Brauen. „Haben Sie dafür irgendwelche Anhaltspunkte, Jim?“ „Kid Flush hat mir einen Pfeil gezeigt, als er hier war vor fünf Tagen. Dies ist ein Pfeil, den ich bisher nur bei den Comanchen südlich des Red River gesehen habe. Aber hier noch nie.“ - 17 -
Müde zuckte Garfield die Schultern. „Das ist noch alles kein Beweis, Jim.“ „Nein — noch nicht.“ Garfield klatschte nervös die Handschuhe gegen einander. „Was wollen Sie damit sagen, Jim?“ Callan richtete sich etwas höher auf. „Ich möchte Sie um etwas bitten, Major!“ „Das wäre?“ „Ich möchte Sie darum bitten, mir eine Chance zu geben, mich zu rehabilitieren. Wenn ich beweisen könnte, daß es sich nicht um Indianer handelte, wäre das dann der Fall?“ Garfield überlegte nicht lange. Er war offenbar froh, einen Punkt gefunden zu haben, wo er Jim Callan helfen konnte. „Dann wäre alles in Ordnung, Jim.“ „Aber mein Wunsch ist etwas unkonventionell“, sagte Callan. „Um das beweisen zu können, brauche ich nämlich Urlaub.“ „Urlaub?“ „Ja.“ Jims Gesicht war ernst. „Ich will mich als Zivilist ausgeben, weil ich nur auf diesem Wege glaube, Erfolg haben zu können.“ Garfield überlegte nur kurz. „Wenn das so sein muß, Jim — nun ja, dann werde ich das akzeptieren. Wenn Sie tatsächlich rausfinden, daß dies keine Indianer waren, dann ersparen sie dadurch uns und der Regierung in Washington viel Ärger. Wenn wir auf Grund falscher Annahmen einen Krieg gegen die Indianer führen, dann sterben viele Unschuldige. Es ist weiß Gott genug Blut geflossen in diesem Land. Jim, Ihr Gesuch ist bewilligt. Und sollte es tatsächlich so sein, - 18 -
wie Sie vermuten, dann sind wir Ihnen sogar zu Dank verpflichtet.“ „Danke“, sagte Jim. „Und noch etwas ...“ „Ja?“ „Ich möchte eigentlich gar nicht mehr erst nach Fort Spade reiten, bevor diese Sache nicht aufgeklärt ist. Sie verstehen, ich...“ Patt Garfield verstand. „Geht in Ordnung, Jim!“ sagte er heiser. „Dann beauftrage ich also Kid Flush, Ihnen Ihre zivilen Habseligkeiten hier nach Great Bunk zu bringen. Nur noch etwas, Jim... Wie bleiben Sie mit uns in Verbindung?“ „Durch meinen Freund Steve Palmer“, sagte Callan. „Er bedient die Telegrafenstation in Great Bunk.“ Major Garfield erhob sich. Etwas linkisch drehte er die Handschuhe zwischen den Fingern. „Ist das alles, Jim?“ „Nein, noch etwas. — Wenn es möglich wäre, daß Kid Flush mir meinen Sold und mein Erspartes bringt?“ Major Garfield war etwas überrascht, aber dann streckte er die Hand aus. „Ich werd's ihm sagen, Jim — ich vertraue Ihnen!“ Callan lauschte noch in die Nacht, als der Hufschlag verklungen war. *** Drei weitere Tage vergingen, dann kam Kid Flush. Jim Callan trug immer noch einen Verband um den Kopf und um den Oberkörper, aber die Stirn hatte vollständig aufgehört zu schmerzen, und das Ziehen in der Brust war leichter geworden. - 19 -
Als Kid Flush ins Zimmer trat, saß Callan aufgerichtet im Bett und blätterte in einem Magazin. Die Uniformjacke, die Hosen und der blaue Hut lagen über der Lehne des Stuhls. „Hallo, Leutenant“, sagte Flush, als er die Tür hinter sich zugestoßen hatte. „Corporal wäre richtiger“, gab Jim trocken zurück. Flush drehte verlegen den Stetson zwischen den Fingern. Den Packen, den er vorhin gehalten hatte, hatte er vor das Fenster gelegt. Er rückte den noch frei stehenden Stuhl vor das Bett und sagte: „Tut mir leid, Jim.“ „Nichts braucht dir leid zu tun, Kid.“ „Doch. Wäre ich dabei gewesen, dann...“ „... wären wir jetzt beide tot. No, Kid, ich bin froh, dich zurückgelassen zu haben.“ Kid Flush legte den Hut auf den Stuhl mit Callans Uniform. „Ich habe Ihre Sachen da, Jim: den Prince-AlbertRock, die Stiefel, Unterwäsche und das Geld.“ Kid langte in die Innenseite der Jacke. „Sind genau viertausend Dollar, Jim.“ „Danke, Kid. Ich werde sie brauchen.“ Flush' Stimme war heiser. „Wie Major Garfield erklärte, sind Sie immer noch nicht überzeugt, daß es In'yuns waren?“ „Nein.“ „Trotz der Comanchenpfeile, den beiden leeren Bierfässern ...“ „... und den nicht angerührten übrigen Vorräten. No, Kid, ich habe das alles Major Garfield erzählt. Und vielleicht bin ich gerade deshalb nicht überzeugt, weil es Comanchenpfeile waren, die ich bisher nur südlich des - 20 -
Red River gesehen habe.“ Flush zuckte die Schultern. „Vielleicht haben Sie recht, Jim. Ich hoffe sogar, daß Sie recht haben. Aber wenn Sie wirklich all das Geld brauchen werden, um das zu beweisen, dann...“ „Drei gute Männer mußten sterben“, murmelte Callan. „Ich will nicht, daß so etwas nochmals geschieht.“ „Ich verstehe.“ „Nein, du verstehst das nicht, Jim. Du kannst es nicht verstehen.“ Flush' Gesicht war ein Fragezeichen. Er langte in die Tasche, zog einen Tabaksbeutel hervor und drehte sich langsam eine Zigarette. „Und warum nicht, Jim?“ Callan blickte ihn ernst an. „Was hast du vorher gemacht, Kid, bevor du in die Armee kamst?“ Flush zuckte die Schultern. „Oh, 'ne ganze Menge. Ich war Cowboy, Herdentreiber, ich bin mit Wells Fargo mitgefahren, und dann hab' ich gedacht, warum versuchst du's nicht mal mit der Army?“ Callan nickte. „Du hast also immer was Nützliches getan, Kid. Das ist genauso, wie ich mir dachte. Wenn du je genug von der Armee hast, dann erneuerst du den Vertrag nicht mehr und findest sofort wieder 'nen guten Job, nicht wahr?“ „Ja, warum nicht?“ „Das ist gar nicht so selbstverständlich, Kid. Wenn ich zum Beispiel die Armee verlasse, dann kann ich nicht sagen, ich hätte das und jenes gemacht, wie du das sagen kannst. Ich habe nichts, was in den Augen anständiger Leute als nützlich betrachtet würde. Ich habe nur meinen - 21 -
Prince-Albert-Rock, den ich vorher getragen habe.“ Flush sog den Rauch in die Lungen. „Sie waren Spieler?“ „Ja — Berufsspieler. Ich war auf den Mississippidampfern, in St. Louis und andern wilden Städten. Mein Leben bestand aus Faro, Blackjack, Roulett und Poker. Es war ein wildes Leben, und ich liebte es — bis zu dem Tag, an dem mein Freund am Spieltisch erschossen wurde und ihm keiner eine einzige Träne nach weinte. Da wußte ich, daß das bei mir der gleiche Fall sein würde. Und warum? Weil ich wirklich nichts tat, was andern was nützen könnte. Da beschloß ich, den Rock an den Nagel zu hängen und was anderes zu beginnen.“ Callan atmete gepreßt. „Ich glaube, mich bewährt zu haben, Kid. Meine Meinung im Fort wurde gehört, man vertraute mir — bis dann dies passierte. Niemand wird mich wieder um Rat fragen, wenn es um Indianerfragen geht — ich hatte unrecht. Und wenn ich die Armee verlasse, dann als degradierter Offizier. Was ist das für ein Start, Kid? Zuerst Spieler und dann degradiert! No, Kid, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Und ich kann es erst akzeptieren, wenn ich weiß, daß ich im Unrecht war.“ Flush drückte die Zigarette aus. „Jetzt verstehe ich, Jim. Ich glaube, ich würde genauso handeln.“ „Jeder Mann wird so handeln müssen, Kid.“ Flush beugte sich vor. „Aber wie wollen Sie's denn versuchen?“ „Ich werde ins Staff County reiten, denn dort sind schon einige Überfälle dieser Art vorgekommen.“ „Und wie wollen Sie die Täter finden, falls es keine Indianer sind?“ - 22 -
„Ich habe darüber nachgedacht. Darum brauche ich das Geld. Ich werde Waffen kaufen.“ „Waffen?“ „Gewehre!“ „Und warum?“ „Ich werde mich als Waffenhändler ausgeben. Männer dieses Schlages, die ich suche, können das immer brauchen.“ „Keine schlechte Idee“, sagte Flush. „Und wo kaufen Sie die Gewehre?“ „Steve Palmer hat Verbindungen. Er wird nach Amarillo telegrafieren, und die Waffen werden vom Stahlroß nach Great Bunk gebracht werden.“ „Hoffen wir, daß es klappt, Jim“, sagte Flush. „Und ich hoffe, Sie kehren heil nach Fort Spade zurück — und Sie haben die Beweise, die sie brauchen. Ich würde mich freuen, wieder mit Ihnen reiten zu können, Jim. Und auch die anderen!“ *** Nachdem Kid Flush wieder nach Fort Spade zurückgekehrt war, hing nicht mehr die Uniform über der Stuhllehne, an ihre Stelle war ein heller Prince-AlbertRock mit dunklen Samtaufschlägen getreten, ein breitkrempiger Carolinahut, eine Weste aus roter Chinaseide und ein weißes Seidenhemd. Darüber lag ein Schulterholster, aus dem der Kolben eines 36er Navy Colts ragte. Jim Callan betrachtete diese Waffe, als er am zwanzigsten Tag aus dem Bett stieg, das Hemd über dem Brustverband zuknöpfte und in den Prince-Albert-Rock stieg. - 23 -
Zuletzt setzte er sich den breitkrempigen Carolinahut auf, blickte in den Spiegel und lächelte innerlich. Nach all den Jahren, die er nun in der US Army verbracht hatte, kam ihm diese Montur lächerlich vor. Den Kopfverband hatte ihm Doc Sawyer abgenommen. Die Streifwunde war unter dem Carolinahut nicht zu erkennen. Der Morgen graute über Great Bunk. Die Sonne war noch nicht über den Horizont hochgekommen, als Jim Callan die knarrende Stiege hinunterstieg und den Speisesaal von Sam's Hotel betrat. Das Klappern von Geschirr tönte aus der Küche. Nur wenige Leute waren um diese Stunde im Saal und verzehrten schweigend Eier mit Speck, Bohnen und Brot. Jim Callan setzte sich an einen Tisch, mit dem Rücken zur Wand, bestellte sein Frühstück und begann schweigend zu essen. Er spürte jetzt beinahe keinen Schmerz mehr in der Brust. Doc Sawyer meinte, daß er den Verband in zwei bis drei Tagen selber abnehmen könnte und die Wunde dann vollständig zugeheilt sein würde. Jim schlürfte seinen Kaffee, als Steve Palmer die Schwingtür aufstieß und in den Speisesaal trat. In seiner Rechten hielt er ein Gewehr. Er kam auf Jim zu und grinste. „Sehr schick siehst du ja plötzlich aus, mein Freund“, meinte er. „Die Leute werden dir deine etwas zwielichtige Rolle als fahrender Händler wohl oder übel abnehmen müssen.“ „Besonders, wenn sie dann noch diese hübschen Gewehre zu sehen kriegen“, sagte Jim und griff nach der Waffe, die Steve Palmer auf den Tisch gelegt hatte. „Insgesamt habe ich fünf davon.“ Es war ein Spencergewehr 1860. Der Kolben war der - 24 -
Länge nach durchbohrt und enthielt ein Magazinrohr, das herausgezogen und mit sieben Patronen, 13,2 Millimeter, gefüllt werden konnte. Als Jim den Ladehebel nach unten und wieder zurück schwenkte, wurde die vorderste Patrone mit einem Scheppern ins Patronenlager transportiert. Jim entlud die Waffe wieder, legte sie auf den Tisch und sagte: „Ein schönes Gewehr.“ Palmer nickte. „Ein Muster. Die vier anderen befinden sich in meiner Wohnung. Sie sind heute mit dem ersten Zug angekommen, der vor dem Morgengrauen eintraf. Zusammen mit je vierhundert Patronen kostet der ganze Spaß zweitausend Dollar. Du hast dich die Sache was kosten lassen, Jim.“ „Sie ist es vielleicht wert.“ Steve Palmer bestellte sich einen Kaffee und nickte. „Ich kenne deinen Grund, Jim. Und ich glaube, ich hätte das gleiche getan. Hoffen wir, daß du recht hattest.“ „Sonst habe ich das Geld umsonst ausgegeben.“ Palmer rührte im Kaffee. „Und hoffen wir, du kommst heil zurück. Wie geht's deiner Wunde?“ „Gut, Steve. Ich reite noch heute früh. Wenn es etwas Nennenswertes zu erzählen gibt, werde ich dir telegrafieren.“ Palmer nickte. „Und wenn du Hilfe brauchen solltest, dann werde ich in den Sattel steigen und dir helfen, Jim. Mein Gott, wenn es tatsächlich Banditen waren, dann müssen diese Schurken unschädlich gemacht werden. Daran sind alle hier zwischen dem Red River und dem Washita River interessiert.“ - 25 -
*** Die Sonne kam als roter Ball über den Horizont gekrochen, als Jim Callan Great Bunk hinter sich ließ. Jim ritt einen drahtigen, starken, weiß und schwarz gescheckten Pinto mit breiter Brust und starken Fesseln. An der Leine zog er das Packpferd hinter sich her, einen Fuchs, den Steve Palmer ihm mitgegeben hatte. Es war mit drei schweren Packen beladen. Den vier Spencergewehren, deren Kolben aus den Tüchern blickten, mit zweitausend Patronen sowie Lebensmitteln für einen Ritt, der mindestens drei Tage dauern und auf dem Jim Callan keine Gelegenheit haben würde, sich zu verpflegen. Das fünfte Spencergewehr trug Jim Callan im Scabbard seines eigenen Pferdes. Das Land war staubig und karg. Monoton trommelten die Hufe der beiden Pferde. Als die Sonne den Zenit überschritten hatte, wuchsen die vereinzelten Busche dichter zusammen und dämpften das Geräusch der Hufe. Am Horizont zog sich eine Kette nicht sehr hoher Hügel entlang. Einmal konnte Jim Callan auf eine halbe Meile Entfernung eine Herde Büffel ausmachen, deren dunkle Leiber nur ungenau zu erkennen waren. Als der Tag sich hinzog, hatte Jim Callan über vier Herden gezählt, die langsam nach Nordosten zogen. Nach dem zweiten Tag wechselte die Landschaft. Sie war jetzt zusehends von Hügeln durchzogen, in deren Windschatten hohes Gras und schattenspendende Bäume wuchsen. - 26 -
Es war noch nicht Mittag, als er den oberen Rand einiger Felsklippen erreicht hatte. Er verhielt kurz die Pferde, langte nach dem Tabaksbeutel, drehte eine Zigarette und betrachtete die Landschaft unter sich. In der linken Hälfte seines Blickwinkels befand sich ein steiler Abhang aus rötlichen Lehmziegeln, dessen Fuß in eine Kette grüner, mit Büschen bestandener Bodenwellen überging. Jim Callan riß ein Streichholz an der Stiefelsohle an und entzündete die Zigarette. Mit einem leichten Schenkeldruck lenkte er den Pinto den Hang hinunter auf den Eingang eines Tales zu. Noch hatte er die Schattenzone nicht erreicht, als er die Zügel jäh zurückriß. Zu seiner Linken, unter dem Hang, dessen Gestein rot in der Sonne gleißte, sprudelte eine Quelle aus dem Fels, deren Wasser sich zu einem schmalen Creek zusammen schloß und ebenfalls in das Schattental hineinlief. Aber hinter dem silbrigen Streif konnte Jim Callan etwas erkennen. Ein Indianerdorf? Aber dazu war es doch ...? Jim ließ die Zigarette fallen und griff mit der Rechten zum Scabbard. Langsam zog er die Spencer aus dem Lederfutteral und hielt sie in der Armbeuge, während er das Pferd mit der Linken weiterlenkte. Der fruchtbare Boden schluckte die Geräusche der Hufe. Als Jim Callan den Creek erreicht hatte, senkte er den Lauf der Waffe wieder. Es war ein totes Dorf. Die bunten Wände der Tipis waren zerfetzt. Zerbrochene Latten lagen herum, und zwischen den - 27 -
einzelnen Überresten ehemaliger Zelte waren überall niedergebrannte Feuerstellen. Jim Callan wußte, was das bedeutete. Sein Blick glitt weiter hoch, und er konnte den Indianerfriedhof erkennen, zu dessen Beginn ein symbolisches Tor — aus Holzlatten gezimmert — stand. Dahinter waren die Stätten vieler, vieler Toter, mit Büffelschädeln und Tüchern behangen und Pfeilen verziert. Callan glitt aus dem Sattel und zog die beiden Pferde hinter sich her, bis er den Friedhof erreicht hatte. Dort ließ er die Zügel los, behielt die Spencer jedoch in der Rechten und machte einige schnelle Schritte auf eine Grabstätte zu. Ein Pfeil war in den querstehenden Holzbalken getrieben. Callan betrachtete ihn, ohne ihn zu berühren, und dann wußte er, daß dieser Pfeil keine Ähnlichkeit mit denen hatte, die auf seinen Konvoi verschossen worden waren. Er wollte sich abwenden, als er ein leichtes Geräusch hinter sich hörte, gleichzeitig schnaubte sein Pinto. Callan erstarrte, als er die Stimme vernahm. *** „Laß fallen, Fremder!“ Callan wußte, daß er einen Fehler gemacht hatte. Das Tal war von Kiefern und Büschen bestanden, die genügend Unterschlupf für jemanden boten, der sich verstecken wollte. Die Stimme tönte etwas zu hell, um ruhig zu wirken, der Rufer war offensichtlich nervös. Das hieß, daß doppelte Vorsicht geboten war. Jim biß sich auf die Lippen, als seine Rechte sich - 28 -
öffnete. Dumpf fiel die Spencer auf den Boden. „Jetzt nimm die Hände hoch, Fremder!“ Die Stimme tönte jetzt schon etwas ruhiger. Jim Callan nahm die Hände hoch, und im Vorbeigehen streiften sie den Kolben des 36er Navy Colts, der vom Prince-Albert-Rock vollständig verdeckt wurde. „So ist's recht“, sagte die Stimme, und bevor Callan ein Geräusch ausmachen konnte, spürte er einen spitzen Gegenstand im Rücken. Eine Klinge! Ein Messer! Fieberhaft jagten sich Callans Gedanken. Der Mann trug offensichtlich keine Stiefel, sonst wäre er nicht so lautlos an ihn herangekommen. Zweitens schien er keine eigenen Waffen zu besitzen, sonst würde er ihm nicht das Messer in den Rücken pressen. Wenn Jim eine Chance haben wollte, dann mußte er verhindern, daß der Mann die Spencer in die Hände bekam. Gedanke und Handlung waren eins. Kaum erblickte Jim Callan die Hand, die nach der Spencer griff, wirbelte er auch schon herum. Er machte einen Halbkreis von rechts nach links, und das Messer rutschte an seinen Muskeln ab. Der linke Ellbogen erwischte den Mann hinter ihm am Kopf, und als Jim die Drehung fertig beschrieben hatte, lag auch schon der Navy Colt in seiner Rechten, und der Lauf stieß gegen die Brust des Mannes. Gleichzeitig folgte Callans rechtes Knie von unten herauf und krachte gegen den Magen des Angreifers. Erst zwei Sekunden waren verstrichen, als Jim Callan zwei schnelle Schritte nach hinten trat und den Colt auf - 29 -
den Mann richtete. Der stöhnte. Er hielt das Messer noch in der Linken, aber er taumelte. Zusammengekrümmt stand er auf den Beinen, den Kopf nach unten gerichtet. Es war mehr ein Junge als ein Mann. Er trug eine Wildlederhose und eine ebensolche Jacke. Langes schwarzes Haar fiel vornüber und verdeckte sein Gesicht vollständig. Jim Callan sah die Nackenhalfter hinter seinem Hals, in dem er das Messer aufbewahrt haben mußte. „Tut mir leid, Junge“, sagte Callan. „Laß fallen!“ Ein Krampf schien den sehnigen Körper zu schütteln, dann öffnete sich die linke Faust. Das Messer fiel ins Gras. Der Junge richtete sich auf. Er besaß ein dunkles sonnenverbranntes Gesicht mit vorstehenden Backenknochen, aber er hatte die Stirn, die Augen und die Nase eines Weißen. Offensichtlich war der Junge ein Halbblut, und Callan gab ihm nicht mehr als achtzehn Lenze. „Du mußt noch viel lernen, mein Junge“, sagte Callan, während er an die Spencer herantrat und sie mit der Linken auffischte, ohne den Colt einen Zoll zu senken. „Eine Feuerwaffe ist einem Messer immer überlegen, wie du ganz gut begriffen hast, aber du hättest mir nicht verraten dürfen, daß du nur ein Messer hast. Du hättest mich noch fünf Schritte von dem Gewehr wegbefehlen müssen und erst dann die Spencer aufnehmen dürfen. Dann hätte ich keine Chance gehabt. Aber so hast du sie selber vertan.“ Das Halbblut blickte Callan aus engen Augen an. „Was ist hier vorgefallen?“ fragte Callan. - 30 -
„Weiße“, sagte der Junge dumpf. „Weiße Männer mit Feuerwaffen, die den Pfeilen der friedlichen Choctaws überlegen waren.“ „Wann?“ „Vor drei Tagen.“ „Und warum?“ Der Junge zuckte die Schultern. „Das wissen die Götter.“ „Kein Racheakt?“ „Die Choctaws sind ein friedlicher Stamm, sonst würden sie nicht unbeschützt in der Nähe weißer Siedlungen leben. Es gab nichts, wofür sich die weißen Männer aus Staff City hätten rächen müssen.“ „Auch keinen Überfall auf einen Armeetransport vor drei Wochen?“ „Auch dafür nicht.“ Jim nickte. „Und was tust du hier?“ „Ich traf hier ein, als alles vorüber war. Ich habe die Toten begraben.“ „Und was suchtest du hier?“ „Ich habe mit ihnen zusammen gelebt.“ „Aber du hattest einen weißen Vater oder eine weiße Squaw als Mutter.“ Haß trat ins Gesicht des Jungen. „Das ist lange her, Fremder. Ich wäre glücklicher, keinen weißen Vater gehabt zu haben — aber was geht Sie das an? Sie gehören auch zu den Feinden der Indianer. Alle Waffenhändler gehören dazu. Und das sind Sie doch, nicht wahr?“ „Ja.“ „Und Sie reiten jetzt also nach Staff City, und dort verkaufen Sie die Waffen jenen Männern, die eines - 31 -
Tages wieder eines der Tipis in den Ausläufern der Pik Mountains anfallen und Männer, Frauen und Kinder wahllos niedermachen werden. So ist es doch, nicht wahr?“ „Vielleicht.“ Der Junge spuckte aus. „Aber vielleicht tu ich das nicht, um Geld zu verdienen“, murmelte Jim Callan. „Vielleicht tu ich das nur, um zu verhindern, daß solche Dinge wie hier weiterhin geschehen.“ „Ich verstehe das nicht.“ Callans Stimme klang hart. „Ich will die Männer finden, die Überfälle begehen und es dabei so anstellen, daß alle Welt annimmt, es seien die Rothäute gewesen.“ „Und warum sollten Sie das tun?“ fragte der Junge mißtrauisch. „Was haben Sie dafür für Gründe?“ „Verschiedene“, sagte Jim Callan. „Aber jetzt geh zwei Schritte zurück, ja, so ist's recht. Und jetzt nimm die Hände hoch, gut. Siehst du, so macht man das.“ Jim Callan hatte das Messer aufgenommen und in den Stiefelschaft gesteckt. „Ich will nicht, daß du nochmals auf die Idee kommst, mir die Waffen wegzunehmen. Denn das wolltest du doch tun, nicht wahr? Nun gut, ich reite jetzt weg, und ich nehme dein Pferd mit. Das Pferd und das Messer deponiere ich dann dort auf dem Hügel. Du kannst es holen, wenn du mich nicht mehr siehst.“ Callan trat an seinen Pinto, steckte die Spencer in den Sattelschuh und zog sich auf das Pferd. Den Colt ließ er wieder unter dem Prince-Albert-Rock verschwinden, griff sich die Zügel seines Packpferdes und der Fuchsstute des Jungen und setzte sich in Bewegung. „Wenn Sie das alles so meinen, Mister, wie Sie es - 32 -
sagen, dann sehen wir uns vielleicht eines Tages wieder“, sagte der Junge heiser. „Und wenn es so ist, wie ich glaube, dann auch.“ „Ja, vielleicht“, entgegnete Jim und trieb den Pinto den Hügel hinauf. *** Oben auf dem Hügel angekommen, von dem er zuerst ins Tal geblickt hatte, band Jim Callan die Fuchsstute des Halbblutes an eine Kiefer, trieb die Klinge des Messers hinein und lenkte den Pinto dann wieder herum. Das Halbblut beobachtete ihn stumm, als er, diesmal etwas weiter entfernt, wieder am ausgebrannten Indianerdorf vorbeiritt und auf die Talsohle zuhielt. Bald hatten ihn die Schatten des Canyons geschluckt. Als die Schlucht breiter wurde und die Sonnenstrahlen den Reiter wieder erreichten, war das Tal noch fruchtbarer. Bald hatte Jim den Ausgang des Canyons erreicht und ritt weiter nach Nordwesten. Es war früher Nachmittag, als er unter sich Staff City sah. Ein schwungvoller Name für eine Ansammlung von einigen Holzhäusern, an deren anderem Ende die Ebene zum Washita River abfiel. Staub wirbelte hoch, als Jim den Anfang der Stadt erreicht hatte. Er ritt durch eine schmale Straße, die beidseits mit freundlichen Häusern gesäumt war. Vor einem etwas kleineren Gebäude mit einem Verandavorbau saß ein Mann in einem Schaukelstuhl, die Beine übereinander geschlagen und die Stiefel auf das Holzgeländer gelegt. Den Stetson hatte er sich tief ins Gesicht gezogen. Er schien zu dösen. - 33 -
„Marshal's Office“ stand in großen Lettern über der Veranda geschrieben. Als Jim an dem Mann vorbeitritt, blinzelte dieser kurz in die Sonne und hob leicht den Kopf. Jim konnte den fünfzackigen Stern auf seiner linken Brustseite bemerken. Der Mann schaukelte weiter mit dem Stuhl, aber Jim war sicher, daß er sich in dieser halben Sekunde ein Bild über den Reiter gemacht hatte, der neu in Staff City eingeritten war. Die kleine Straße mündete in die Main Street. Drei Saloons befanden sich hier und ein Post und Telegraph Office sowie ein Drugstore, ein Mietstall und eine Schmiede. Vor der Buffalo's Inn standen drei Pferde angebunden, die mit den Schweifen die Fliegen und Mücken zu vertreiben suchten. Jim lenkte seinen Pinto vor die Buffalo's Inn und glitt aus dem Sattel. Er schlang gemächlich die Zügel der beiden Pferde um den Holm, tätschelte dem Pinto den Hals und ging dann mit staksigen Schritten die beiden Stufen zur Schwingtür hoch. Bevor er sie auf stieß, klopfte er sich den Staub von der Kleidung. Angenehmes Dämmerlicht, das die Hitze etwas vergessen ließ, erwartete ihn. Jim schob den Carolinastetson aus der Stirn und gewöhnte sich an das Licht. Das Lokal war ein Schlauch, auf dessen einer Seite eine lange Theke, an der anderen die Fenster lagen. Vor jedem Fenster war ein Tisch aufgestellt. „Ein Bier“, sagte Jim Callan und legte den Hut neben sich auf die Theke. An dem Tisch gleich neben dem Eingang saßen drei - 34 -
Männer und blickten in die Karten. Durch das Fenster hinter ihren Gesichtern konnte Jim die Pferde erkennen, die mit hängenden Köpfen am Holm standen. Die drei blickten von den Karten auf, betrachteten den Mann im hellen Prince-Albert-Rock von Kopf bis Fuß und musterten dann die beiden Pferde, die ihm gehörten. Der eine pfiff durch die Zähne. „Waffen!“ sagte er. „Ein ganzes Pferd voll Waffen und Munition. Ich nehme an, Sie führen dieses Arsenal nicht zum Spaß spazieren, Mister?“ Den Schluß des Satzes hatte der Mann in Jims Richtung gesprochen. Er trug eine karierte Mackinaw-Jacke und ein Wollhemd. Über die braunen Kordhosen hatte er schwere lederne Chaps geschnallt. Wirres braunes Haar fiel in sein noch junges Gesicht mit etwas aufgedunsenen Lippen. Jim nahm einen Schluck Bier, wischte sich den Mund ab und sagte: „Ich handle damit!“ „Was für Gewehre?“ „Spencer — Repetier.“„Mit denen man siebenmal schießen kann?“ „Genau.“ Der Mann mit der Mackinaw-Jacke pfiff wieder durch die Zähne. „Wie viel kosten sie denn?“ „Alle?“ „Das Stück!“ „Tausend Dollar“, sagte Jim Callan und stellte das Bier auf die Theke zurück. „Und wie viele haben Sie?“ „Vier zum Verkauf und eines für mich“, antwortete Callan. - 35 -
Der Mann mit der Mackinaw-Jacke stand auf und trat neben Jim an die Bar. „Mein Name ist Brian — Brian Caldwell“, sagte er. Seine Stimme war jung, und Jim fand sie etwas zu hoch. Er hatte den Peacemaker bemerkt, den der Mann in einen tiefgeschnallten Halfter trug, als er aufgestanden war. „Wie wär's mit einem Spiel?“ „Sie wollen um die Waffen pokern?“ „Warum nicht?“ „Ich spiele nicht um meine Gewehre, ich verkaufe sie“, sagte Callan trocken. Brian Caldwell grinste. „Wir haben genügend Geld, sie zu kaufen, Mister. Wir haben so viele Häute verkauft vor einigen Tagen, daß wir fünfzehn Gewehre kaufen könnten. Aber trotzdem könnten wir ein Spielchen machen, Mister.“ „Nicht um die Gewehre.“ „Dann eben um Dollars“, sagte Brian Caldwell. „Na ja, warum nicht“, sagte Jim. „Mein Name ist Callan. — Jim Callan.“ Caldwell grinste. „Und meine Partner heißen Ruarke und Hanley. Edson, bring ein neues Spiel!“ Der Mann, den Brian Caldwell als Ruarke vorgestellt hatte, war der größte der drei. Sein Hemd war bis weit unten geöffnet, und seine Reitstiefel waren bis ganz hinauf mit Dreck bespritzt. Er trug große, mexikanische Radsporen. Er hatte vor sich auf dem Tisch einen flachen Stetson mit breiter Krempe und einem Band aus plattgehämmerten Silbermünzen. Callan schätzte ihn mindestens fünf Jahre älter ein als den Sprecher der drei. Der Mann, den Caldwell mit Hanley bezeichnet hatte, wirkte da etwas schmächtig in seiner Lewis-Reithose, - 36 -
einem zerfetzten Hemd und einer Weste aus Kalbsleder. Altersmäßig mochte er zwischen den beiden liegen. Callan nahm das Glas und stellte es auf den Tisch. Edson, der Keeper, brachte die neuen Karten und gleich damit eine neue Runde Bier. „Wie viel wird in den Pott gelegt?“ fragte Ruarke. „Je hundert“, meinte Brian Caldwell, und obwohl dies etwas hoch gegriffen war, stimmte Jim Callan zu. Diese Büffeljäger hatten eine gute Jagd gehabt, und sie schienen überflüssige Dollars zu haben. „Bestimmte oder unbestimmte Zeit?“ fragte Ruarke. „Der Tag ist noch lang“, meinte Brian Caldwell und hob vier Karten vom neuen Paket, das der Keeper auf den Tisch gelegt hatte. Jeder zog eine Karte. Brian Caldwell, der sie als letzter nahm, besaß die höchste und würde damit als erster spielen. Sie setzten sich im Verhältnis der Stärke der gezogenen Karten um den Tisch. Ruarke, der die schwächste gezogen hatte, kam links neben Brian Caldwell zu sitzen, danach Jim Callan, und Hanley saß gleich neben Brian Caldwell. Jeder legte hundert Dollar in die Tischmitte. „Gib aus, Ernest“, sagte Caldwell und schob das Kartenpaket zu Ruarke hin. Ruarke mischte die Karten, und nachdem Jim sie abgehoben hatte, verteilte er diese. „Hundertfünfzig“, sagte Caldwell, als er in die fünf Karten geblickt hatte und blätterte fünf Scheine auf den Tisch vor sich hin. „Ich passe“, sagte Hanley. „Mach, wie du willst, Nick“, sagte Caldwell und grinste. „Wer hält mit?“ „Ich halte mit“, sagte Callan, obwohl er kein gutes - 37 -
Spiel hielt und der Einsatz ohnehin zu hoch war. „Ich erhöhe sogar“, sagte Ernest Ruarke, „aber ich schließe gleichzeitig.“ Caldwell warf ihm einen giftigen Blick zu, aber Ruarke ging überhaupt nicht darauf ein. Sie wechselten stumm einige Karten aus, und nachdem Ruarke sein Spiel angekündigt hatte, konnte Caldwell die Notenbündel zu sich hinüberziehen. „Sehr gut“, sagte er. „Wenn's so weitergeht, halt' ich's noch lange aus.“ Sie spielten einige Spiele hintereinander, und Jim wechselte beinahe jedes Mal eine, zwei oder drei Karten aus. Er hielt meistens mit, aber im gesamten verlor er doch mehr, als er gewann. Das war der Preis, den er bezahlte, um die Taktik seiner Gegner zu durchschauen. Und die war ganz einfach. Erstens einmal betrachteten sie sich nicht als vier Spieler, sondern als zwei Parteien. Sie spielten zusammen gegen den Fremden, den sie ausnehmen wollten, und es war ihnen egal, wer von ihnen die Scheine einstreichen konnte. Zweitens war Brian Caldwell derjenige, der das Spiel antrieb. Er bluffte beständig und ohne Ausnahme, und in jedem Spiel trieb er die Einsätze nach oben, und zwar unvernünftig hoch. Drittens war Ernest Ruarke der Bremser. Er war nicht ganz einverstanden mit dem gefährlichen Spiel Caldwells, und jedes mal, wenn er die Gelegenheit hatte, zuletzt zu erhöhen, schloß er auch gleich das Spiel. Viertens war Nick Hanley nicht allzu wichtig. Er stieg immer aus, wenn er keine todsicheren Karten hielt, und überließ das Spiel den anderen beiden oder Caldwell - 38 -
allein. Jim Callan hatte dieses Prinzip bald durchschaut und wartete darauf, es gegen seine Gegner selbst auszunützen. Dieser Augenblick schien dazusein, als sie zum fünften Spiel schritten. Jim Callan war in diesem Spiel der letzte Sprecher, es lag also an ihm, falls er wollte, das Spiel zu schließen. Der Reihe nach gab er die Karten aus: Hanley, Ruarke, Caldwell, sich selbst, bis jeder fünf Karten hatte. Sie nahmen sie auf. Hanley startete mit einem Einsatz von fünfzig Dollar, den er vor sich deponierte, und Ruarke hielt mit. Caldwell erhöhte auf hundert Dollar. Jim hielt mit, und Hanley und Ruarke legten je fünfzig Dollar nach. Hanley tauschte eine Karte, Ruarke zwei. Die Strahlen der Sonne waren jetzt etwas flacher und drangen in den Salon und zerschnitten den bläulich hochkräuselnden Rauch der Zigaretten. Caldwell erhöhte auf hundert, ohne eine Karte auszuwechseln. Auch Jim hielt das ursprüngliche Spiel in Händen und ging mit. Hanley zerdrückte einen Fluch auf den Lippen, schmiß das Kartenbündel hin und nahm einen Schluck Bier. Ruarke hielt mit. Da erhöhte Brian Caldwell auf zweihundert Dollar, und Ruarke legte ebenfalls seine Karten hin: Kein Wort kam über seine Lippen. Jim Callan war jetzt mit Brian Caldwell allein im Spiel, wie er es beabsichtigt hatte. Er hatte noch etwas über tausend Dollar in der Tasche, aber das wußte niemand sonst. Er blätterte zwei Scheine auf den Tisch, und Brian Caldwell erhöhte auf dreihundert. - 39 -
Der Keeper stützte die Ellbogen auf die Theke und verfolgte das Spiel aufmerksam. Caldwell hatte einen Stapel Noten vor sich und lächelte zufrieden, und Callan sagte: „Ich erhöhe auf tausend.“ „Dann zahl mit einem Gewehr.“ „Abgemacht.“ „Leg ein Hölzchen vor dich hin.“ „Gut.“ Jim nahm ein Streichholz aus der Tasche und legte es neben sich hin. Brian Caldwell grinste zufrieden. Er blickte auf die Dollars vor sich, zählte sie durch und legte die Hälfte des Bündels etwas weiter nach der Mitte des Tisches. „Ich erhöhe auf zweitausend“, sagte er, legte den Rest ebenfalls auf die Noten und langte in die Tasche. „Mitgehalten“, sagte Callan, griff in die Tasche und nahm zwei Hölzchen hervor. „Und gleichzeitig erhöht auf dreitausend.“ Caldwell lächelte dünn. „Ich halte mit“, sagte er und blickte zu Ruarke hinüber. „Gib mir tausend, Ernest.“ Ruarke schüttelte den Kopf. „Du bist völlig übergeschnappt. Leg die Karten hin und gib auf.“ Brian Caldwells Gesicht wurde blaß. „Ernest!“ bellte er. „Du glaubst doch wohl nicht, daß du...“ „Doch, Brian“, sagte Ruarke, und es tönte kalt und bestimmt und ließ keinen Widerspruch zu. „Du hast von Anfang an zu hoch gegriffen, und jetzt hast du die Grenze erreicht. Wäre dein Bruder hier, hätte er dich längst daran gehindert. Und wenn du weitergehst, macht - 40 -
er mich verantwortlich. Darum hörst du jetzt auf.“ Schweißtropfen perlten auf Caldwells Stirn. „Du kannst doch jetzt nicht...“ „Doch, ich kann“, sagte Ruarke kalt. „Besser zweitausend Dollar zu verspielen als fünftausend. Denn auf fünftausend würde dieser Mister doch hinaufgehen, da er fünf Gewehre hat. Und ich habe ihn beobachtet. Es ist das erste Spiel, wo er keine Karten nimmt, und es ist das erste Spiel, wo er selber hochtreibt. Ich bin sicher, er hat dich. Du bist ein Dummkopf, Brian.“ „Nenn mich nicht so, Ernest“, entgegnete Brian, und seine Augen funkelten gefährlich. „Leg die Karten hin.“ Ernest Ruarke hatte die Rechte wie zufällig auf dem Kolben seiner Waffe liegen, aber Jim wußte längst, daß dieser Mann gefährlich war. Caldwell schluckte. Er legte die Karten hin und sagte: „Dann will ich wenigstens sein Spiel sehen, Ernest.“ Jim schüttelte den Kopf. „Nichts verpflichtet mich dazu, das zu zeigen“, sagte er und strich die zweitausend Dollar ein, die vor Brian Caldwell lagen, nahm auch die Dollars von Ruarke und Hanley an sich, die ausgestiegen waren, und stand auf. „Danke, Gents“, murmelte er und stopfte seine Taschen voll. „Und wie ich schon gesagt habe, bin ich immer daran interessiert, meine Spencergewehre zu verkaufen. Tausend Dollar das Stück.“ Ernest Ruarke nickte. „Vielleicht sind wir interessiert. Wie lange bleiben Sie noch in der Stadt?“ Callan zuckte die Schultern. „Verlassen Sie diese nicht, ohne uns vorher nochmals - 41 -
gefragt zu haben“, sagte Ruarke. „Und falls Sie 'nen anderen Käufer finden, denken sie immer daran, daß wir unsere Vorrechte reserviert halten — mit den vielen Dollar in Ihrer Tasche, die Brian Ihnen geschenkt hat.“ *** „Ich werde es nicht vergessen“, murmelte Jim und verließ die Buffalo's Inn, nachdem er dem verdutzten Keeper eine Hundertdollarnote auf die Theke gelegt hatte. Er band die Zügel seiner beiden Pferde los, und während er, das tat, blickte er über den Holm durch das Fenster in den Saloon zurück. Die Gesichter der drei Büffeljäger waren auf ihn fixiert. Jim nahm sich nicht erst die Mühe, in den Sattel zu steigen. Er zog die beiden Pferde hinter sich her über die Main Street. Schräg gegenüber lag das Town Hotel, vor dem Jim die beiden Pferde wieder anband. Er war damit noch nicht fertig, als er den Buggy gewährte, der an ihm vorbeifuhr und kurz danach anhielt. Ein Schimmel mit mächtigem Schweif zog das leichte Gefährt, aber es war nicht das Pferd, das Jims Aufmerksamkeit erregte, sondern die Frau, die auf dem Bock saß. Sie hatte den Wagen vor dem Drugstore, gleich neben dem Town Hotel, angehalten und sprang leichtfüßig wie ein Reh auf den Stepwalk. Sie trug einen geteilten Reitrock aus weichem Leder und hochhackige Reitstiefel, deren Schäfte bis zum Knie reichten. Langes schwarzes Haar fiel unter dem hellen Stetson hervor. - 42 -
Einen Augenblick betrachtete sie den Mann im PrinceAlbert-Rock und verschwand dann im Drugstore. „Sie gefällt Ihnen, was?“ Die Stimme riß Jim Callan herum, und beinahe reflexartig langte seine Rechte nach dem Kolben des 36er Navy Colts. „Ach, Sie sind das“, sagte er, als er den Marshal gewährte und ließ die Hand wieder sinken. „Sie hat einen eifersüchtigen Vater“, sagte der Marshal unaufgefordert, „und eine Freundin, die einen mächtigen Vater hat. James B. Rand. Merken Sie sich diesen Namen, wenn Sie länger in dieser Stadt bleiben wollen, Stranger.“ Der Marshal war groß und hager. Sein Gesicht wirkte unfreundlich und düster, aber vielleicht lag das auch am Schatten, den die breite Krempe seines Stetsons verbreitete. Er hatte inzwischen Jim eingehend gemustert und sagte: „Und machen Sie keinen Ärger in dieser Stadt — wir lieben keine Spieler und Waffenhändler.“ Dann drehte der Marshal sich auf den Hacken und ging mit staksigen Schritten über den Stepwalk zurück. Jim Callan stieg die beiden Stufen hoch und stieß die Schwingtür zum Hotel auf. Die Rezeptionshalle lag im Licht des versinkenden Nachmittags. Ein Mann döste hinter dem Empfangspult. Jim ging auf ihn zu, klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte: „Guten Abend, Mister.“ Der Mann fuhr sich über die Augen. „Sie wünschen?“ „Ich wünsche ein Zimmer und möchte fragen, ob Sie einen sicheren Safe hier haben, in dem man ungestört vier Repetiergewehre und dreitausend Dollar auf- 43 -
bewahren kann.“ Sofort war der Mann hellwach. „Mein Name ist Casey“, sagte er. „Und ich bin der Besitzer dieses Kastens. Wir haben einen sicheren Safe, und ein Zimmer können Sie auch haben, Mister...“ „... Callan — Jim Callan. Packen Sie gleich mit an.“ Casey kam hinter dem Tresen hervor. Er war untersetzt und wuchtig gebaut und hatte ein sympathisches Gesicht. Sie trugen miteinander die Packen mit den vier Spencergewehren und der Munition in die Hotelhalle. Casey holte unter dem Tresen einen Schlüsselbund hervor und öffnete das Schloß. Jim zählte dreitausend Dollar ab, legte sie in einen Briefumschlag, den ihm Casey entgegenhielt. Sie versorgten alles zusammen in dem Safe und wuchteten die Tür wieder zu. Jim drehte sich um, nahm die Satteltaschen von seinem Pinto, legte sie über die Schulter und hielt das Gewehr in der Hand, während er hinter Casey die knarrende Stiege hochging. Das Hotel hatte sicher bessere Zeiten gekannt, aber es war doch noch gut erhalten und vor allem blitzsauber. Im ersten Stock öffnete Casey eine Tür schräg gegenüber der Stiege, ließ Jim in den Raum treten und sagte: „Das ist das beste Zimmer, Mr. Callan. Machen Sie sich's bequem. Ab neun Uhr abends ist das Restaurant geöffnet, wir wünschen Ihnen guten Appetit.“ Casey verschwand. Jim Callan ließ die Satteltaschen zu Boden gleiten und grinste. Bis neun Uhr war es noch eine lange Zeit, vor allem würde da die Sonne längst untergegangen sein. Callan blickte sich im Zimmer um. - 44 -
Ein ziemlich großes Bett, eine Kommode, ein Nachttischchen und drei Stühle. An der Decke hing ein Kronleuchter, der ebenfalls vor Sauberkeit glänzte. Jim hielt die Spencer noch in der Hand, als er ans Fenster trat. Es lag zur Main Street hin, auf deren anderer Seite die Buffalo's Inn lag. Die drei Büffeljäger hatten den Saloon verlassen und hielten sich bei den Pferden auf. Brian Caldwell stapfte nervös auf und ab, während Nick Hanley auf dem Verandageländer hockte und eine Zigarette drehte und Ernest Ruarke sich mit seinem Sattelgurt beschäftigte. Als Jim Callan näher ans Fenster trat, erblickte er den Buggy vor dem Drugstore. Jim wollte sich vom Fenster abwenden, um hinunter zugehen und seinen Pinto und sein Packpferd im Mietstall unterzubringen, als er die Reiter gewährte, die von Westen in die Stadt einritten. Es waren vier Reiter. Sie stießen wilde Schreie aus, während sie ihre Pferde antrieben. Der eine war etwa zehn Yard vor den anderen. Er ritt einen breitknochigen Wallach mit starken Fesseln und einem geraden Rücken, und über seine Lewis-Hosen waren dunkle Chaparrejos geschnallt. An seinen Stiefeln hingen große blinkende Sporen. Der Stetson war ihm in den Nacken gerutscht, und dichtes schwarzes Haar fiel in seine Stirn. Er zog ein Lasso hinter seinem Pferd nach, und als Jim den Mann erkannte, den er auf diese Art und Weise durch den Staub der Main Street zog, stockte sein Pulsschlag für Sekunden. Das Halbblut! Der Junge, den er noch am Mittag dieses heißen Tages draußen in den Pik Mountains getroffen hatte! - 45 -
Der breitschultrige Reiter, der das Lasso, an dem der Junge hing, am Sattelknopf befestigt hatte, hielt vor der Buffalo's Inn an, sprang aus dem Sattel, band den Jungen los und schrie: „Und laß dich nie wieder auf unseren Weiden blicken, du dreckiges Miststück!“ Als die drei anderen Reiter aufgeschlossen hatten, war er auch schon wieder im Sattel, riß den schweren Wallach herum, und in einer Staubwolke stoben sie in der gleichen Richtung davon, in der sie gekommen waren. Einen Augenblick lag der Junge reglos auf der Main Street. Schließlich bewegte er sich langsam. Als er sich erheben wollte, sah Jim Callan, daß seine Wildlederkleidung zerfetzt und zerschunden war. Blut stand in seinem Gesicht. Sie mußten ihn ein ganzes Stück durch den Staub und Dreck geschleift haben, und ganz am Schluß hatten seine Arme es nicht mehr geschafft, sich hochzustemmen und so das Schlagen und Reißen der Steine wenigstens vom Gürtel an aufwärts zu verhindern. Brian Caldwell war an den Jungen herangetreten. Sein Gesicht war noch immer so weiß wie zu Ende des Spiels, als Ruarke ihm verboten hatte, mitzuhalten und er dadurch gezwungen wurde, das Spiel zu verlieren. Er hätte es auch sonst verloren, denn Jim hatte nicht geblufft. Aber das konnte Caldwell nicht wissen. Jim sah voraus, was kommen würde. Brian Caldwell brauchte irgend etwas, um seine Wut abzureagieren, und dieses Etwas war jetzt das Halbblut. Als der Junge sich hochstemmen wollte, schlug Brian Caldwell mit der Stiefelspitze zu. Sie traf den Jungen am Kinn, warf ihn hintenüber in den Sand, und Caldwell setzte nach. - 46 -
Aber Jim Callan sah auch die blitzschnelle Bewegung, mit der sich der Junge an den Nacken griff, und im nächsten Moment zuckte die Klinge hoch. Auch Nick Hanley hatte diese Bewegung gesehen. Er glitt schnell wie eine Schlange von der Veranda herunter, und seine Rechte bewegte sich. Es war klar, daß er den Jungen erschießen wollte, bevor dieser dazu kam, Brian Caldwell zu treffen. In dieser Situation konnte Jim nicht anders. Er riß die Spencer hoch. Die Scheibe zerklirrte, als er den Lauf ins Freie stieß, gleichzeitig den Ladehebel nach unten riß und den Drücker betätigte. Sekundenbruchteile später bellte ein Schuß unter ihm auf und zerfetzte die Scheibe der Buffalo's Inn. Aber schon vorher hatte seine Kugel Nick Hanley erreicht. Und das Messer des Halbbluts hatte sich in die Brust Brian Caldwells gebohrt. Caldwell schwankte plötzlich. Mit zitternden Händen griff er an das Heft des Messers, aber er brachte es nicht mehr fertig, die Klinge herauszuziehen. Er kippte hintenüber in den Sand. Und das Holz des Verandageländers zersplitterte, als Nick Hanley von der Wucht der Gewehrkugel nach hinten gestoßen wurde. Dann krachte es dumpf auf den Bohlen. *** Jim ließ die Spencer nicht aus der Hand, als er mit schnellen Schritten das Zimmer durchquerte, die Tür aufriß, die Stiege hinunterhetzte und auf die Straße trat. Casey war nicht mehr hinter dem Tresen. Er stand - 47 -
neben dem Eingang zum Hotel, mit gerötetem Gesicht und schwerem Atem. Es war nicht der Augenblick, zu sagen, daß die Scheibe in Jims Zimmer ersetzt werden müßte. Der Marshal stand ebenfalls neben dem Eingang des Town Hotel unter der Veranda, und er war eben im Begriff, die Waffe wegzustecken, als er Callan gewährte. „Sie haben ihm das Leben gerettet“, keuchte er. „Ich habe diesen Nick Hanley verfehlt, weil die Distanz zu groß war.“ Die Stadt war jetzt nicht mehr leblos wie ein Reptil in glühender Sonne. Türen wurden aufgestoßen, Rufe hallten. Die Leute kamen hervor aus dem Post Office, dem Drugstore und den Eingängen der Häuser, sie strömten aus den wenigen Seitengassen auf die Main Street und bildeten ein wirres Durcheinander auf dem Platz zwischen dem Town Hotel und der Buffalo's Inn. Das Mädchen, das Jim vorher noch in den Drugstore hatte gehen sehen, klopfte dem Halbblut den Staub von der Kleidung und rief laut, aber bestimmt nach Wasser. Dann kam Doc Eastern mit dem schwarzen Koffer und stieß den Jungen beiseite, vor sich her auf sein Haus zu und die Stiege hoch, um die Riß- und Schnittwunden zu verbinden, die kantige Steine geschlagen hatten. Das Mädchen kam auf Jim und den Marshal zu, die mitten auf der Main Street stehengeblieben waren. „Sie haben Hanley getötet“, sagte sie leise. „Aber Sie haben dadurch Joaquim das Leben gerettet. Das war gut, Mister...“ „... Callan — Jim Callan“, murmelte er überrascht und drückte die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. „Meine Freundin wird Ihnen ewig dankbar sein“, - 48 -
sagte sie. Sie drehte sich um, nachdem sie Jim ein unsicheres Lächeln geschenkt hatte, und er blickte ihr nach, bis sie auf den leichten Buggy gestiegen war und die Peitsche über dem Schimmel kreisen ließ. Langsam entfernte sich das Gefährt. „Wer ist sie?“ fragte Jim den Marshal. „Julia Watson“, entgegnete der Marshal. „Die Freundin, die sie meint, ist Edith B. Rand, und von deren Vater habe ich Ihnen schon erzählt.“ „Allerdings nicht viel, Marshal“, sagte Jim. „Und ich verstehe dann immer noch nichts von der, Geschichte.“ „Das ist ganz einfach“, sagte der Marshal. „Joaquim, wie sich dieses Halbblut nennt, hat sich in Edith B. Rand verliebt, und genauso ging es James B. Rands Tochter. Erstaunlich, wenn man bedenkt, daß der Junge nur einmal ganz kurz nach Arbeit gefragt hat auf der ZimKreis, aber von Vormann Robert Cleeve zusammengeprügelt und von den Weidegründen James B. Rands verjagt wurde. Liebe auf den ersten Blick, möchte ich sagen. Nur daß diese Liebe von James B. Rand nicht geduldet wird. Ich nehme an, Joaquim hat sich jetzt wieder auf seinen Weiden erwischen lassen — den Rest kennen Sie ja.“ „Allerdings“, sagte Jim Callan. „Dieser breitschultrige schwarze Reiter, der Joaquim nach Staff City geschleppt hat, ist dann wohl Robert Cleeve, der Vormann der ZimKreis?“ „Ich habe ihn nicht gesehen, aber er dürfte es gewesen sein.“ „Ging ja auch verteufelt schnell“, sagte Jim. „Die luden den Jungen einfach vor dem Saloon ab, und dann war es Brian Caldwell, der sich auf ihn stürzte.“ - 49 -
„Yeah — und jetzt ist er tot, und Nick Hanley ebenfalls“, entgegnete der Marshal. Sie blickten auf Ernest Ruarke, der sich mit unbewegtem Gesicht darangemacht hatte, die beiden Partner auf den Rücken ihrer Pferde zu verladen. Erst jetzt wurde Jim bewußt, daß sich keiner der Herumstehenden um die beiden gekümmert hatte. „Sind wohl nicht beliebt, die Burschen?“ „Die Bevölkerung gibt sich im allgemeinen nicht stark mit den Büffeljägern ab“, sagte der Marshal. „Aber Erskine Caldwell und seine Burschen sind tatsächlich nicht beliebt; ein wildes Rudel, vor dem sich jeder hier höllisch in acht nimmt. Sie kennen sie?“ „Ich habe Brian Caldwell dreitausend Dollar beim Poker abgenommen“, sagte Jim. „Ernest Ruarke hat ihn daran gehindert, noch mehr zu verlieren. Weil er das wohl nicht eingesehen hat, ist er innerlich übergekocht, und das Halbblut war zufälligerweise das Objekt, an dem er seine Wut auslassen wollte.“ „Der Junge war unheimlich schnell mit dem Messer“, sagte der Marschal. Ernest Ruarke hatte seine beiden Partner inzwischen auf ihre Pferde gelegt. Langsam stieg er in den Sattel seines knochigen Rappen, und während er das Lasso, an das er die beiden Pferde seiner Partner gebunden hatte, aufnahm, lenkte er das Pferd auf Jim Callan zu. Ohne vom Marshal Notiz zu nehmen, sagte er: „Mein Angebot gilt immer noch, Callan. Denken Sie daran.“ Jim entgegnete nichts. Ihn fröstelte leicht, als er die Gestalt Nick Hanleys sah und als er daran dachte, daß die erste Kugel aus dem Magazin seiner neuen Spencer diesen Mann getötet hatte. - 50 -
Gespenstisch zog der Zug der drei Pferde an ihm vorüber. Die ersten Worte kamen erst wieder auf, als Ernest Ruarke mit seiner traurigen Last verschwunden war. Der Marshal musterte Jim kritisch. „Was für ein Angebot, Callan?“ „Ich verkaufe vier Spencergewehre“, sagte Jim. „Tausend Dollar das Stück. Und Ruarke hat sich eben das Vorkaufsrecht gesichert.“ Der Marshal schüttelte den Kopf. „Ich würde Ihnen den Rat geben, Staff City so schnell zu verlassen, wie Sie gekommen sind. Sie haben sich für den Jungen eingesetzt, und das wird James B. Rand gar nicht gefallen. Zweitens haben Sie Nick Hanley umgelegt und dadurch verhindert, daß Hanley das Halbblut töten konnte, bevor Brian Caldwell starb. Das wird Erskine Caldwell nicht gefallen.“ „Sein Bruder?“ „Ja.“ „Ernest Ruarke scheint sich nicht viel daraus zu machen.“ „Nein. Aber Ruarke mochte Brian Caldwell nie. Brian war ein Großmaul und ein Bluffer, und er brachte die Mannschaft in unnötige Schwierigkeiten. Außerdem war Brian der Bruder Caldwells, und Erskine ist der Boß des Jägercamps. Brian spielte sich entsprechend auf, und das konnte Ruarke nicht leiden, der sich als Führer fühlt. Ruarke ist vielleicht sogar froh, daß Brian tot ist, und vielleicht hat er darum keinen Finger für ihn gerührt — aber Erskine Caldwell wird das anders sehen.“ „Vielleicht auch nicht“, sagte Jim. „Weil er die Waffen will, läßt er mich vielleicht leben. Die Waffen sind meine Lebensversicherung.“ - 51 -
Der Marshal lachte freudlos. „Ausgerechnet. Und glauben Sie, James B. Rand will die Waffen nicht auch?“ „Wofür denn?“ „Er unternimmt oft Ausritte“, murmelte der Marshal. „Mit seiner Mannschaft und mit halb Staff City.“ „Und mit Ihnen?“ „No, Callan. Mit mir nicht.“ „Und auf diesen Ausflügen wird dann so ganz zufällig ein Indianerdorf ausgelöscht, nicht wahr?“ fragte Callan bitter. „Nur, wenn James B. Rand einen Grund hat“, sagte der Marshal. „Und einen solchen sieht er nur, wenn irgendwo 'ne Ranch oder 'ne Kutsche überfallen wurde. Aber dann hat er die Mehrzahl der hiesigen Bevölkerung auf seiner Seite, und es scheint ihnen die natürlichste Sache der Welt zu sein, Rache zu nehmen.“ „Sie können das nicht verhindern?“ „Ich bin Town Marshal.“ „Einen Sheriff gibt es nicht?“ „Ein Sheriff ist nicht notwendig — James B. Rand vertritt das Gesetz in diesem County“, sagte der Marshal bitter. „Ein sehr anrüchiges Gesetz“, gab Jim zur Antwort. „Auf meinem Weg hierher habe ich ein Indianerdorf getroffen, das vollständig vernichtet war. Es waren friedliche Choctaws, die niemandem was zuleide getan haben.“ „Und der Überfall auf den Transport der Armee?“ fragte der Marshal. „Hundert Meilen von hier bei Fort Spade?“ Jim ließ sich nichts anmerken. „Geht das auch in den Bereich James B. Rands?“ - 52 -
„Was soll das, Callan? Sollen wir uns etwa von den Rothäuten ausrotten lassen? Sollen wir einfach hinnehmen, wenn sie Kutschen und Ranches überfallen und unschuldige Farmer niedermachen? Sollen wir ...?“ „Und wenn das die Rothäute gar nicht waren, Marshal?“ unterbrach ihn Jim. „Wenn es gar keine In'yuns waren, die das alles getan haben? Was dann?“ Der Marshal starrte Callan an. „Sie sind verrückt!“ stieß er hervor. „Sie sind vollkommen verrückt. Ich geb Ihnen 'nen guten Rat, und dieser ist zum drittenmal freundschaftlich gemeint: Verlassen Sie dieses Kaff so schnell wie möglich. Mit Ihren Ideen kommen sie hier nicht durch. Man wird Sie einen Spinner nennen, und dann sind Sie vogelfrei!“ Der Marshal drehte sich auf den Hacken und stampfte davon. Callan blickte ihm nach. Die Leute hatten sich jetzt wieder verteilt. Die Frauen waren in ihre Häuser zurückgekehrt, und die Männer füllten die Saloons. Unmerklich war die Sonne untergegangen — die Dunkelheit fiel rasch über die Main Street. Jim ging zu seinem Pferd hinüber und klopfte ihm den Hals. Er wartete, bis die Tür von Doc Easterns Haus sich öffnete und der Junge herauskam. Das Halbblut lief direkt auf Jims Pferd zu, als er es unter dem Holm gesehen hatte. „Sie haben mir das Leben gerettet“, sagte er. „Damit sind wir wohl mehr als quitt.“ Jim grinste. „Nenn mich Jim.“ „Danke, Jim — mein Name ist Joaquim.“ „Ich weiß — Julia Watson hat mir das gesagt. Sie - 53 -
sagte auch, Edith B. Rand wäre froh, dich lebend zu wissen.“ Ein Schatten huschte über Joaquims Gesicht. „Lebend“, murmelte er. „Und was hilft's? Es hilft eben nichts, wenn man ein Bastard ist, nur weil der Vater in der Armee umgekommen ist und die Indianersquaw dann gezwungen war, wieder zu ihrem Stamm zurückzukehren.“ Jim blickte auf. „In welchem Fort war das?“ „Fort Range — unterhalb des Red River.“ „Und wann war das?“ „Vor acht Jahren kam mein Vater um.“ „Wie hieß er denn?“ „Foster — Ben Foster“, sagte der Junge. Jim war auch in Fort Range gewesen, aber er kannte diesen Ben Foster nicht. „Und wohin gingt ihr dann?“ „Zu verschiedenen Stämmen. Wo meine Mutter herstammte, war nichts mehr, deshalb begann die große Wanderschaft. Sie konnte es nicht ertragen und starb. Ich landete zuletzt oben beim Tipi, wo du mich gefunden hast.“ „Und dann suchtest du auf der Zim-Kreis Arbeit, verliebtest dich in Edith B. Rand und wurdest davongejagt. Warum suchst du nicht Arbeit auf 'ner anderen Ranch?“ „Weil James B. Rand mich da holen lassen würde von seinem Vormann und seinen Cowboys, und weil sie mich da auch verjagen würden. Es ist die Hölle, Jim — alle glauben, daß die Überfälle von den Indianern ausgingen, obwohl das alles gar nicht so ist.“ Jim nickte. - 54 -
„Ich bin bemüht, diese Geschichte aufzudecken, Joaquim.“ Dessen Augen leuchteten plötzlich. „Ich könnte dir helfen.“ „Das ist zu gefährlich, Joaquim. Dein Leben zählt hier 'nen Dreck, und wenn es Schwierigkeiten gibt, dann könntest du dich nicht genügend wehren mit deinem Messer.“ „Du könntest mir das Schießen beibringen, Jim.“ Callan schüttelte den Kopf. „Ich bring' es lieber allein hinter mich. Wenn alles vorüber ist, dann kannst du zurückkehren. Edith B. Rand wird es auch lieber sein, einen lebenden Joaquim vorzufinden.“ Er schien enttäuscht. Aber Jim sagte: „Wo ist dein Pferd, Joaquim?“ „Sie haben's vor der Stadt zurückgelassen. Da haben Sie mich auch erwischt.“ „Gut“, antwortete Jim. „Nimm mein Packpferd, wir .werden es miteinander suchen.“ Sie fanden das Pferd zwei Meilen vor Staff City. Es hatte sich abseits des ausgetretenen Saumpfades unter einem Cottonwood verborgen gehalten, aber auf die wiederholten Pfiffe von Joaquim kam es herangetrabt. Das Halbblut glitt aus dem Sattel des Packpferdes und zog sich auf den Rücken seines Fuchses. Er ritt ihn nach Indianerart ohne Sattel, nur auf der farbigen Decke, die auf dem Rücken der Stute lag. „Wann immer du mich brauchst, Joaquim“, sagte Jim. „Ich bin im Town Hotel zu finden.“ Joaquim nickte. „Ich bin im Dorf einiger Choctaws“, sagte er. „Fünfzehn Meilen von hier in den Ausläufern der Pik - 55 -
Mountains. Wo der Salomo Creek eine kleine Wende macht, ist das Dorf gut versteckt in den Felsen. Wann immer etwas im Anzug sein sollte — du warnst mich, Jim, nicht wahr?“ „Selbstredend“, antwortete Callan. Er hob die Hand, als der Junge davonritt. Die Huf schlage seiner Fuchsstute wurden von der Nacht geschluckt. Jim Callan zog sein Pferd herum, griff die Zügel des Packpferdes und ritt wieder zurück nach Staff City. Vor den Holmen der drei Saloons und des Town Hotel waren jetzt einige Pferde angebunden. Cowboys der umliegenden Ranches, Büffeljäger und die Bürger der Stadt standen an den Theken und besprachen die Ereignisse des späten Nachmittags. Callan lenkte seine beiden Pferde zum Mietstall hinüber, verlangte zwei Boxen und begann, die beiden Gäule sorgfältig trockenzureiben, zu striegeln und zu verpflegen. Er zahlte dem Mann mit dem Holzbein, der den Mietstall bewachte, zwei Dollar im voraus und ging dann die Main Street hoch. Im Town Hotel nahm Jim Callan ein großes Steak mit Bratkartoffeln und Bohnen zu sich. Es war eine Wohltat, nach dem dreitägigen Ritt wieder eine gute Mahlzeit zu sich zu nehmen. Die Tür des Speisesaals stand weit offen und gab den Blick frei auf die Theke, der Bar, die sich daran anschloß. Es waren etwa zehn Männer im Restaurant, die das Abendessen verschlangen. An der Theke standen fünf Männer. Das Hotel war zu neuem Leben erwacht. Durch die Tür der Bar, die ebenfalls geöffnet war, konnte Jim Callan auf die Main Street sehen, die von - 56 -
einigen Lichtern erleuchtet war. Ein kühler Nachtwind wehte zwischen den Häusern und machte den Abend angenehmer. Jim Callan hatte eben das Bier an die Lippen gesetzt, um den Geschmack von Bohnen und Bratkartoffeln hinunterzuwischen, als ein Reiter in wahnwitzigem Tempo vor der Tür des Hotels vorbeijagte. Callan glaubte einen Schimmel zu erkennen und schwarze Haare, die im Wind flatterten. War es das Mädchen, das ihm am Nachmittag gedankt hatte? Julia Watson! Wenige Augenblicke später wußte Callan, daß es die Rancherstochter war. Rufe hallten durch die Nacht. Ein Mann hetzte an die Theke und flüsterte irgend etwas. Und der Keeper sagte mit heftiger Stimme: „Die Two-Bread-Ranch ist überfallen worden! Julia Watson hat es eben dem Marshal gemeldet.“ Unruhe bemächtigte sich der Männer an der Theke und im Restaurant. Einer sagte laut: „Verdammt, das kann doch nicht wahr sein! Sollten es etwa schon wieder einige der lustigen In'yuns...?“ „Los, zum Marshal's Office!“ fiel ein anderer ein. „Er wird Leute brauchen können!“ Auch Jim Callan stand auf und ging im Schwarm der Männer in Richtung Marshal's Office. Schon auf halbem Weg stießen sie mit diesem zusammen. Aus den Saloons und den Häusern kamen Männer und Frauen. Stimmen schwirrten erregt durcheinander. Der Marshal sagte: „Wir reiten! Die Two-Bread ist überfallen worden. Julia Watson ist dem Überfall nur - 57 -
entkommen, weil sie nachmittags in Staff City Einkäufe getätigt hat. Die beiden Watsons sind tot, aber das Mädchen ist so erregt, daß wir uns selber vergewissern müssen!“ „Holt die Pferde!“ schrie einer. „Los, in die Sättel!“ Callan blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, dann verließ er die Gruppe und ging weiter bis zum Marshal's Office, dessen Tür weit offenstand. Das Schluchzen hörte er, bevor er den Stepwalk betreten hatte. Julia Watson saß an dem holzgezimmerten Tisch, der mitten im Office stand. Sie hielt den Kopf in beide Hände gestützt, und das lange Haar fiel vornüber auf die rohe Platte des Tisches. . „Sie!“ sagte Jim Callan. Sie hob den Kopf. Ihre dunklen großen Augen waren gerötet. Tränen rollten über die Wangen. „Daddy und Ma!“ stieß sie hervor. „Tot!“ Sie trug noch das gleiche Kostüm wie am Nachmittag — den geteilten Reitrock aus Leder, die hochhackigen, bis zu den Knien geschnürten Stiefel, die gelbe Bluse und die Wildlederweste, die weit offenstand. Sie mußte den Überfall bemerkt haben, als sie auf der Two-Bread angekommen war, den Schimmel vom Buggy ausgespannt haben und sofort zurückgeritten sein. Offensichtlich stand sie noch unter der Wirkung des Schocks. „Es war schon geschehen, als sie zurückkamen, nicht wahr?“ murmelte Jim, mehr zu sich selbst. Aus großen Augen starrte sie durch ihn hindurch. „Ja!“ stieß sie hervor. „Mein Gott, nie hätte ich das gedacht. Beide tot. Die Indianerpfeile...“ - 58 -
„Indianerpfeile?“ murmelte Callan. „Ja! Sie steckten noch in den Sparren des niedergebrannten Ranchgebäudes. Ich — ich habe Stanley und Elizabeth gefunden, mein Gott, ich — ich kann nicht mehr, Callan.“ Sie schluchzte lautlos. Er hob ihren Kopf mit der einen Hand, zog sie mit der anderen vom Stuhl hoch und führte sie aus dem Office. Willenlos ließ sie sich von Callan die Main Street hoch schleppen. Er betrat das Town Hotel und zog Casey einfach hinter sich her. „Kümmern Sie sich um das Mädchen, Casey!“ sagte er zum Hotelier, dessen Gesicht vor Erregung glänzte. „Geben Sie ihr ein Zimmer, wenn sie schlafen kann, und tun Sie alles, was Ihnen richtig erscheint. Ich komme dafür auf.“ „Ja, Mr. Callan!“ sagte Casey und nickte. Callan drehte sich auf den Hacken, ging mit langen Schritten zum Mietstall hinüber und sattelte schweigsam den Pinto. Er zog das Pferd an den Zügeln hinter sich her auf die Gruppe der Männer zu, die teilweise schon in den Sätteln saßen, teilweise daran waren, die Sattelgurte fest zu zurren. „Sie reiten auch mit?“ „Ja“, sagte Callan und blickte zum Marshal auf. „Eigentlich hätte ich gern mal Ihren Namen gewußt, Mister...“ .,...Stuart“, sagte der Marshal. „Delton Stuart. Entschuldigen Sie, Callan.“ Sie zogen sich in die Sättel und verließen Staff City. Rickley, ein Cowboy der Zim-Kreis-Ranch, führte den Trupp an. Er kannte den Weg durch die Nacht genau. - 59 -
Sie waren etwa zehn Meilen geritten, als vor ihnen plötzlich die Umrisse einer Ranch lagen. Sie waren aus einer flachen Bodenmulde hochgekommen, und plötzlich wuchsen die Umrisse vor ihnen in den Himmel. Das Ranchhaus war niedergebrannt. Verkohlte Dachsparren ragten in die schwarze Nacht. Teilweise glimmte noch erstickendes Feuer. Die beiden Schuppen, die hinter dem Korral lagen, waren noch unversehrt. Das Korralgatter war zerbrochen, die Pferde hatten wohl in wilder Panik das Weite gesucht. Sie glitten aus den Sätteln und gingen mit steifen Beinen auf die Umrisse des Ranchhauses zu. Die zwei Körper lagen vor der niedergebrannten Veranda auf der Seite. Julia Watson mußte sie aus dem Haus geschleppt haben, und ihm krampfte sich der Magen zusammen, als er dachte, was dieser Anblick für das Mädchen bedeutet hatte. Stanley Watson dürfte in den Fünfzigern gesteckt haben, Elizabeth Watson, die neben ihm auf dem Rasen lag, schien etwas jünger gewesen zu sein. Aber natürlich konnte das fahle Licht der Nacht täuschen, und zudem waren die beiden übel zugerichtet. Callan beugte sich zu dem Mann und der Frau nieder und sah sofort, daß mehrere Kugeln sie erwischt haben mußten. Die Männer waren einige Minuten schweigsam und nahmen verlegen die Hüte von den Köpfen. Bis einer sagte: „Da ist ein Pfeil!“ Es war einer der Cowboys der Zim-Kreis, der gesprochen hatte. Er versuchte, den Indianerpfeil, der in einem verkohlten Dachsparren steckte, herauszuzerren, aber es gelang ihm nicht. Er brach ihn ab, drehte sich um - 60 -
und zeigte ihn in der Runde. „Die verdammten In'yuns!“ schrie jemand. „Man sollte sie wirklich ausrotten!“ Es war William Clough, der Schmied, der gesprochen hatte. „Yeah!“ antwortete ein anderer. „Langsam haben wir uns genug gefallen lassen!“ Jim Callan entfernte sich etwas und stiefelte im verbrannten Ranchhaus umher. Als er einen weiteren Pfeil fand, der von der Holzwand abgeprallt war und zwischen den verkohlenden Brettern der ehemaligen Veranda lag, nahm er ihn auf und betrachtete ihn aufmerksam. Der Mond stand als fahle Sichel am Himmel, aber auch in diesem schwachen Licht erkannte Jim sofort, daß es sich um den gleichen Pfeil wie beim Überfall auf den Geldkonvoi handelte. Er steckte den Pfeil in die Innentasche seines PrinceAlbert-Rockes und stiefelte wieder zum Aufgebot zurück. „Es ist seltsam“, sagte er zum Cowboy, der den ersten Pfeil gefunden hatte. „Aber dieser Pfeil, den Sie da in Händen halten, ist genau der gleiche wie die Pfeile, die auf den Geldtransport der Armee abgeschossen wurden, unten in Great Bunk.“ „Woher wissen Sie das?“ fragte der Marshal. „Ich war zufällig da unten, als es geschah“, murmelte Jim. „Geschäftlich.“ „Und was wollen Sie damit sagen?“ „Das sind die Pfeile, wie sie die Comanchen südlich des Red River verwenden“, sagte Jim. „Hier sind wir jedoch am Washita River, hunderte von Meilen davon entfernt, und hier sind die Choctaws, Cherookees und - 61 -
andere friedliche Stämme, die...“ „Friedliche Stämme!“ höhnte William Clough dazwischen. „No, Stranger, Sie sind schnell mit der Waffe, wie wir alle gesehen haben, und Sie sind scharf im Kombinieren, wenn es Poker betrifft. Aber Sie wollen das doch nicht friedliche Stämme nennen, nachdem das hier passiert ist.“ „Vielleicht waren es gar keine Indianer!“ sagte Callan. „Wer denn sonst?“ „Was weiß ich schon!“ „Na, eben!“ sagte einer der Cowboys der Zim-Kreis. „Ich habe zwar gehört, daß Sie diesem Indianerbastard, der der Tochter unseres Ranchers nachsteigt, das Leben gerettet haben, aber soweit gehen können Sie doch nicht und glattweg behaupten, das seien keine In'yuns gewesen. Die Pfeile sprechen eine eindeutige Sprache“ „Das wollte ich eben erklären!“ sagte Callan. „Ich bin auf dem Ritt hierher auf ein Dorf der Choctaws getroffen, das niedergemacht worden war. Ich habe dort keinen einzigen Pfeil dieser Art finden können.“ „Es gibt noch andere Stämme“, knurrte der Schmied. „Und Sie werden's noch erleben, wie auch diese in den Boden gestampft werden. J. B. Rand wird sich das schwerlich bieten lassen!“ Die Antwort Cloughs schien den Männern zu genügen. Sie verloren das Interesse an der Unterhaltung. „Laden wir die beiden auf den Wagen!“ sagte einer von ihnen. Sie nahmen die Vorräte vom Buggy und beluden ihn mit den beiden bereits kalten Körpern von Stanley und Elizabeth Watson. Es war ein trauriger Zug, der sich wenig später von der Two-Bread abwandte und nach Nordosten hielt, um - 62 -
den gleichen Weg zurück zu nehmen. Die Cowboys der Zim-Kreis ritten in die andere Richtung weiter, um J. B. Rand zu unterrichten. Sie hatten eine Wolldecke über die beiden Menschen gelegt, die ihr Leben in einem blutigen Überfall lassen mußten und deren Tochter nur durch ein Wunder verschont worden war. Die Lichter in Staff City brannten noch, als das Aufgebot mit dem Buggy die Stadt erreichte. Die wenigen Männer, die nicht in die Sättel gestiegen waren, hielten sich noch in den Saloons auf und besprachen die Ereignisse des vergangenen Tages. Als das Aufgebot angekommen war, traten sie aus den Saloons. Vorhänge wurden zurückgeschoben. Blicke folgten dem Buggy, der vom Marshal weitergelenkt wurde und entschwand. Sie wußten, wohin die Reise ging. In das kleine Lehmhäuschen am Rande des Boothills. Die Männer glitten aus den Sätteln und hobbelten die Pferde an. Die Stimmen waren verhalten. Jim Callan sah Casey vor dem Town Hotel. „Wie geht es ihr?“ fragte er. „Sie ist oben.“. „Auf welchem Zimmer?“. „Links neben dem Ihren.“ „Schläft sie?“ „Nein!“ sagte Casey. „Ich habe ihr Kognak und Tee aufgetischt und ihr gut zugesprochen. Sie ist erst vor zehn Minuten zum Zimmer hochgegangen, als sie anfing zu frösteln. Sie sagte, Sie wollte noch mit Ihnen sprechen.“ „Danke, Casey!“ sagtet Jim und ging die Stiege hoch.
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*** Er klopfte an die Tür neben seinem Zimmer, unter der Licht herausfiel. Nachdem er ein verhaltenes „Herein“ gehört hatte, stieß er diese auf. Julia Watson saß an dem Tisch vor dem Fenster und stellte das Glas Tee, das sie in der Hand hielt, auf die Platte. „Ich habe Sie kommen sehen!“ sagte sie. Ihre Augen waren immer noch gerötet, aber die Stimme tönte nicht mehr so weinerlich, sondern nur noch traurig. Unwillkürlich dachte Jim, daß diese Traurigkeit sie noch begehrenswerter machte, und er schämte sich über seine Gedanken. „Es tut mir leid“, murmelte er. Sie stand auf und hielt ihm ihre Hand hin. „Ich danke Ihnen, Mr. Callan. Sie haben viel für mich getan.“ „Nicht der Rede wert!“ entgegnete er heiser. „Nennen Sie mich Jim.“ „Und ich heiße Julia.“ Sie setzte sich wieder, und Callan schob einen Stuhl auf die andere Seite des Tisches. Ihre Frage klang jetzt ganz natürlich: „Jim, ich möchte wissen, ob Sie wirklich ein Spieler und ein Waffenhändler sind, wie die Leute hier annehmen.“ Er schüttelte den Kopf. „Die Leute sind immer schnell mit einer Meinung zur Hand. Nein, ich bin weder Spieler noch Waffenhändler, Julia. Ich war einmal ein Spieler, aber das ist lange her. Momentan bin ich von Fort Spade beurlaubt, um mich zu rehabilitieren.“ - 64 -
Sie verstand nicht, und Jim fuhr fort: „Ich war der Kommandant, dessen Geldtransport von den Rothäuten überfallen wurde. Vor ungefähr drei Wochen war das. Das Ereignis, das der Bevölkerung dieses Countys als Vorwand diente, um ein friedliches Indianerdorf auszurotten. Aber ich glaube nicht daran, daß es Indianer waren. Ich vermute, daß es weiße Banditen sind, die sich als Indianer ausgeben, weil sie genau wissen, wie schnell die Leute zwischen dem Red und dem Washita River mit einem Urteil zur Hand sind.“ „Dann glauben Sie auch nicht, daß Indianer unsere Ranch...?“ „Nein! Ich habe mit Joaquim gesprochen, und ich glaube nicht, daß er lügt. Er spricht die Wahrheit, und sie lautet, daß die Choctaws, die in den Pik Mountains leben, und die anderen Stämme — friedliche und zivilisierte Indianer sind, die schon lange keine Überfälle mehr veranstaltet haben.“ „Ich kann es auch nicht glauben, Jim!“ sagte das Mädchen. „Mein Gott, wenn es tatsächlich so ist, dann ist das ein furchtbar schmutziges Vorgehen. Denn James B. Rand wird, wie ich ihn kenne, unverzüglich einen Racheritt unternehmen, um die Indianer zu bestrafen. Dann sterben wieder unschuldige Menschen.“ „Das gilt es zu verhindern“, murmelte Jim. Er betrachtete das Mädchen lange und sagte: „Haben Ihre beiden Eltern mit Ihnen die Ranch allein geführt?“ „Ja.“ „Und hat Ihr Vater von irgendwoher einen großen Reichtum gehabt, den er auf der Ranch verborgen hielt?“ „Nein!“ sagte sie heiser. „Das ist es ja, was ich nicht verstehen kann! Die Two-Bread war viel zu klein, um was herzugeben. Wir waren zufrieden, laufend unseren - 65 -
Bedarf decken zu können. Aber das waren eigentlich auch die anderen Rancher, die im Verlaufe der letzten Jahre überfallen wurden.“ „Und was machten diese dann?“ „Sie verkauften die Ranch.“ „An wen?“ „Natürlich an James B. Rand. Er ist der einzige hier, der es sich leisten kann, Land aufzukaufen.“ „Und was wollen Sie tun, Julia?“ „Ich glaube, ich verkaufe die Two-Bread ebenfalls. Was soll ich allein da tun? Nein, ich frage J. B. Rand, was er mir gibt, und dann versuche ich, nach dem Osten zu reisen, um da mein Glück zu versuchen.“ „Sind die anderen denn glücklich geworden, die ihre Ranch verkauften?“ „Nein!“ Sie fröstelte, und ihre Stimme senkte sich. „Die meisten kamen sogar nicht weit. Die Postkutsche, in der sie das Land verlassen wollten, wurde des öfteren überfallen.“ „Interessant“, murmelte Jim. „Dann hat vielleicht der, der Ihnen das Geld gegeben hat, es gleich wieder zurückgeholt.“ Ihre Augen wurden groß. „Das dürfen Sie nicht sagen, Jim!“ „Es scheint aber logisch, und das ist alles schon dagewesen.“ „Aber es kann nicht sein“, sagte sie entschieden. „J. B. Rand kam gut mit meinen Eltern aus, er schickte sogar hin und wieder Cowboys rüber, falls es Pa zuviel wurde. Und Edith ist meine einzige Freundin in diesem Land. Nein — J. B. Rand ist ein Rauhbein der alten Sorte, aber so was... Nie gäbe er sich dafür her!“ „Ich habe ihn noch nicht gesehen“, murmelte Jim. - 66 -
„Aber lassen wir das. Immerhin scheint er die Indianer derart zu hassen, daß er sogar ein Halbblut wie Joaquim...“ „Als er hier in den Anfängen steckte, wurde seine Ranch von Indianern angefallen und niedergemacht. Dabei kamen seine Frau und seine Söhne um. Edith hat als einzige überlebt. Seither haßt er die Indianer und alles, was damit zusammenhängt, so sehr, daß er sich nicht mehr beherrschen kann, wenn er eine Rothaut sieht. Aber er ist nie das, wofür Sie ihn halten.“ „Verkaufen Sie die Two-Bread trotzdem nicht“, entgegnete Jim, und seine Stimme war heiser. „Das ist das einzige, was Sie besitzen, Julia — nachher haben Sie nichts mehr, auf das Sie stolz sein können. Nachher stehen Sie genau gleich da wir ich — ein Spieler, für den niemand 'nen Cent gegeben hätte, wenn er sich mal verschuldet hätte. Einer, der nichts hat und darum nichts ist. Nein, behalten Sie die Ranch!“ Ein warmer Schimmer lag in ihren Augen. „Ich verstehe, Jim — darum nehmen Sie all das auf sich, um zu beweisen, daß es keine Indianer sind, nicht wahr?“ „Ja.“ „Und ganz zufällig ist das auch gut für dieses County“, murmelte sie. „Wenn Sie recht haben, Jim, dann kann in Zukunft viel unnötiges Blutvergießen verhindert werden. Dann wird vielleicht sogar J. B. Rand zur Einsicht kommen.“ „Hoffen wir's, Julia.“ Jim streckte die Hand aus. „Ich habe jetzt gesagt, was es zu sagen gab“, meinte er. „Versuchen Sie jetzt, noch ein paar Stunden zu schlafen.“ - 67 -
„Danke, Jim!“ Das Mädchen blickte dem großen Mann nach, bis er die Tür hinter sich zugezogen hatte. Sie trat ans Fenster und betrachtete ihn, wie er den Pinto vom Holm losband und das Pferd zum Mietstall hinüberzog. Der Morgen graute bald über den Dächern. Die Männer des Aufgebots hatten sich jetzt in die Betten begeben, um doch noch ein wenig zu schlafen. Der Mann mit dem Holzbein, der den Mietstall führte, war auf einem der Strohballen eingeschlafen, eine halbgeleerte Whiskyflasche neben sich. Er schnarchte laut, als Jim den Pinto an ihm vorbeizog. Callan machte sich daran, das Pferd zu pflegen und zu füttern. Der Pinto hatte drei anstrengende Tage hinter sich und war noch nicht zur Ruhe gekommen. Callan nahm sich Zeit mit dem Pferd. Schließlich stellte er es in die Box neben das Packpferd, putzte sich die Hände an den Hosen des hellen Anzugs ab und ging mit langen Schritten durch die Boxen. Als graues Viereck lag der Morgen hinter dem Eingang zum Mietstall. Callan blinzelte, als er nach draußen trat, und rückte den Carolinahut zurecht. Da sah er die Reiter, die von rechts herankamen. Es war zu spät, um wieder in das Dämmerlicht des Mietstalls zurückzutreten. *** Es waren drei Reiter. In der Mitte ritt Ernest Ruarke, der immer noch das offene Wollhemd und die schweren ledernen Chaps vom Vortag trug. Das Band aus plattgehämmerten Silber- 68 -
münzen gleißte, als die ersten Strahlen der Sonne über die Main Street krochen. Callan hielt die Spencer in der Rechten, aber die Stimme Ernest Ruarkes war ruhig, als er den Rappen zügelte und sagte: „Erskine will Sie sprechen, Callan!“ Dabei hatte Ruarke die Rechte wie zufällig auf dem Kolben seiner schweren Waffe. „Und wir dachten, wir könnten den Ritt gleich miteinander unternehmen“, fuhr Ruarke ruhig fort. „Das ist Frank Hackforth, und das ist Gordon Bush!“ Mit einem Kopfnicken bezeichnete Ruarke seine Partner. Frank Hackforth trug eine schafpelzgefütterte Leinenjacke und einen alten Kavalleriestetson. Er hielt die Zügel seines Falben in der Linken. Gordon Bush hatte eine Weste aus geschecktem Kalbsfell über ein dunkles Hemd gezogen. Das Streichholz, das er zwischen den schmalen Lippen hielt, wanderte von der einen auf die andere Seite. Jim Callan fühlte, wie die Müdigkeit von ihm flog. „Gut“, sagte er. „Ich komme mit.“ Er drehte sich auf den Hacken und ging den langen Gang zurück. Strohballen lagen zwischen den Boxen. Der Mann mit dem Holzbein schnarchte noch lauter. Schweigend sattelte Callan das Packpferd, denn seinen Pinto konnte er nicht schon wieder beanspruchen, sonst wäre ihm das Pferd noch unter dem Sattel zusammengebrochen. Er stieß die Spencer in den Scabbard, zog das breitknochige Packpferd aus der Box heraus und führte es vor den Mietstall. „Ich muß das Pferd wechseln, weil das andere erst vor rund 'ner Stunde zur Ruhe kam“, sagte er zu Ernest - 69 -
Ruarke. „Die Two-Bread-Ranch ist diese Nacht überfallen worden!“ „Die Two-Bread-Ranch?“ dehnte Ernest Ruarke. „Die liegt doch fünfzehn Meilen östlich der Stadt, nicht wahr?“ „Genau.“ „Indianer?“ „Die Leute glauben's.“ „Diese gottverdammten Rothäute“, knurrte Ernest Ruarke. „Mein Vater sagte immer, nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer. Na ja, wir haben auch öfters mit ihnen zu tun — als Büffeljäger sind wir in ihren Gefilden nicht immer willkommen.“ Jim Callan zog sich in den Sattel und verließ neben Ruarkes Rappen das Dorf. Wie zufällig ritten Frank Hackforth und Gordon Blish hinter ihnen. Jim wußte, daß es keinen Zweck gehabt hätte, Widerstand zu leisten. Ruarkes Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Und außerdem war er gespannt darauf, wie wohl Erskine Caldwell, ihr Boß, aussah. Die Sonne stieg endgültig hinter den Pik Mountains herauf, als sie Staff City hinter sich ließen. Sie ritten in Richtung Nordosten und sprachen nicht miteinander. Nach gut zwei Stunden durchquerten sie felsiges Gebiet, bis sie die offene Prärie erreichten. Hier waren einige dunkle Punkte zu erkennen, und weiter hinten ein gleißendes Band am Horizont. Der Washita River. Auf der Ebene, die sich endlos weit erstreckte, grasten Büffelherden. Jim vernahm das Dröhnen von einigen Sharps, großkalibrigen Büffelgewehren, und er wußte, daß jeder einzelne Schuß einem Bison das Leben kosten - 70 -
würde. Ernest Ruarke hielt auf den Fluß zu. Weiden und Erlen standen am Ufer. Brackiges braunes Wasser war dahinter zu erkennen, das träge nach Südosten floß. Riesige Mückenschwärme tanzten über den Fluten. Als Callan ein heiseres Krächzen über sich hörte, sah er einige Geier, die in der Bläue des Himmels kreuzten. Hin und wieder stach eines der Tiere mit den breiten Flügeln und dem langen Hals nieder, um sich auf einen Kadaver zu stürzen. Sie lenkten die Pferde einen steil ansteigenden Hang hinauf, und als sie die Kuppe erreicht hatten, sahen sie unter sich eine Mulde, deren anderes Ende vom Washita River abgeschlossen wurde. Sie war eingerahmt von Fichten und Erlen. Eine breite Furche, die schwere Murphy-Wagen gezogen haben mußten, zog sich auf ein rohgezimmertes Blockhaus zu. Ruarke lenkte den Rapphengst hinunter. Hin und wieder lag ein gebleichtes Büffelgerippe am Boden und wehte Jim ein süßlicher Verwesungsgeruch entgegen. Ein Coyote flüchtete von einem der stinkenden Kadaver weg ins nahe Ufergebüsch. Neben der Blockhütte standen vier Murphy-Wagen auf einem festgestampften Platz. Der Wechsel mit den fruchtbaren grünen Weiden des Staff County war eklatant. Hier, am Rande der Ausläufer der Pik Mountains, begann wieder die offene Prärie, die von Büffeln bevölkert war. Sie zog sich ringsherum um die Pik Mountains, die das Staff County einschlossen wie eine friedliche Oase in der Wüste, und sie setzte sich auf der anderen Seite des Washita River fort. Als die vier Reiter ihre Pferde vor der Blockhütte zum - 71 -
Stillstand brachten, wurde die Tür hart nach außen aufgestoßen. Der Mann füllte die Türfüllung beinahe ganz aus. Er war noch etwas größer, breiter und schwerer als Ernest Ruarke, und er trug abgeschabte Nagelhosen und ein offenes Wollhemd. Seine Lippen waren etwas wulstig, und dazwischen hing eine Zigarre. Eine breite leuchtende Narbe zog sich von der Stirn an den rechten Mundwinkel und über die ganze Seite seines grobflächigen Gesichts. Erskine Caldwell nahm die Zigarre aus dem Mund und sagte: „Du bist also dieser Callan, der meinen Bruder Brian auf dem Gewissen hat.“ Jim Callan antwortete nicht sofort. Sein Blick war fixiert auf diesen Mann, der einen 45er Remington-Revolver im Holster auf der rechten Seite trug. Die Waffe wirkte trotzdem beinahe zierlich auf seinem breiten Oberschenkel. „Nicht Brian“, sagte Callan ruhig. „Nick Hanley, der einem anderen in den Rücken kommen wollte.“ Caldwell spuckte aus. „Einem Halbblut, das niemand kennt“, sagte er. „Dadurch haben Sie bewirkt, daß Brian ebenfalls gestorben ist.“ „Er hatte seine Chance!“ Immer noch betrachtete Callan den Mann. Es war ihm, als müßte er Erskine Caldwell von irgendwoher kennen, als hätte er ihn schon mal getroffen. Aber wo? In Fort Spade? In Great Bunk? Callan konnte sich nicht erinnern. Er blickte hinüber - 72 -
zu dem Pferd, das an einem der Murphys angehalftert stand. Es war ein schwerer Wallach, weiß-gelb gescheckt und mit einem weißleuchtenden Schweif, aber auch das Tier brachte ihm nichts Näheres ins Gedächtnis. Die Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. „Weil das so war, tu ich Ihnen nichts, Callan. Und auch, weil Sie fünf schöne Spencergewehre zu verkaufen haben.“ „Vier!“ berichtigte Callan. „Das fünfte gehört mir. Hier!“ Er zog die Spencer aus dem Scabbard und wirbelte das Gewehr durch die Luft. Caldwell fing es lässig mit der Linken auf und drehte es in den Händen. Er nahm das Magazin heraus, ließ die Patronen durch die Hände gleiten, füllte es wieder, stieß es in den Kolben und drückte den Ladehebel hinunter. Dann riß er das Gewehr plötzlich an die Schulter, und noch während das helle Peitschen des Schusses in der Luft lag, überrollte sich der Coyote am Ufer des Washita. River und lag dann regungslos. „Diese vier Gewehre sind also sozusagen meine Lebensversicherung?“ meinte Callan ruhig. Ernest Ruarke, Gordon Blish und Frank Hackforth hockten noch immer in den Sätteln ihrer Pferde in einem Halbkreis hinter Jim Callan. „So ist es!“ sagte Erskine Caldwell. „Wann bringen Sie die Gewehre?“ „Sie kosten viertausend Dollar“, sagte Jim. „Ein schönes bißchen Geld, selbst für einige Büffeljäger, die sich zusammengetan haben.“ „Wir haben genügend Häute nach Climax Town geschafft, um sie kaufen zu können“, entgegnete Caldwell kalt. „Nebst der Anzahlung, die Ihnen mein - 73 -
Bruder, geschenkt hat. Wann bringen Sie die Waffen also?“ „Das kommt drauf an!“ „Worauf kömmt das an?“ fragte Caldwell scharf. „Es kommt drauf an, was J. B. Rand vorhat. Wie ich Ihren Freunden schon sagte, ist die Two-Bread-Ranch überfallen worden. Wie das in solchen Fällen hier immer der Fall zu sein scheint, unternimmt J. B. Rand in solchen Situationen einen Vergeltungsritt nach einem Indianerdorf in den Pik Mountains — wie kürzlich als Rache für den Überfall auf den Armeetransport. Wenn das so sein sollte, dann werde ich die Gewehre anderweitig brauchen — vorübergehend!“ Caldwells Augen waren eng geworden. „Sie wollen den In'yuns helfen?“ „Wenn das notwendig sein sollte!“ „Sie sind verrückt. J. B. Rand wird Sie in Streifen schneiden.“ „Wir werden sehen.“ Caldwells Augen glitzerten. „Aber warum tun Sie das?“ „Weil ich nicht glaube, daß es die Indianer waren.“ „Wer dann?“ „Das wird sich zeigen.“ Caldwell trat zwei Schritte vor und blickte zu Jim hoch, der noch im Sattel saß. Er stützte die Linke auf sein Sattelhorn, die Rechte hielt noch die Spencer. Diesmal warf er die Zigarre ganz zur Seite und drückte sie mit dem Hacken aus. „Machen Sie, was Sie wollen, Callan!“ sagte er. „Aber in vier Tagen will ich diese Waffen hier sehen. Und dieses eine Gewehr behalte ich als Pfand — klar?“ „Abgemacht!“ sagte Jim Callan. - 74 -
„Und noch etwas — lassen Sie sich nur nicht einfallen, die Waffen an J. B. Rand zu verkaufen.“ Callan schüttelte den Kopf. „Das steht außer Frage, Caldwell!“ „Dann können Sie abhauen, Mann“, sagte Caldwell und drehte sich um. *** Ruarke, Hackforth und Bush glitten aus den Sätteln und schlangen die Zügel der Pferde ebenfalls an einen der Murphy-Wagen. Jim zog sein Packpferd herum und trieb es die Kuppe hinauf. Von oben blickte er noch einmal zurück, aber die vier Büffeljäger waren in der Blockhütte verschwunden. Callan wußte, daß er diesen Mann kennen mußte, aber er hatte nicht die geringste Idee, woher. Und er fragte sich deshalb, ob Caldwell ihn ebenfalls kannte. War das vielleicht der Zweck dieses ganzen Rittes gewesen? Hatte Caldwell ihn sehen wollen? Und dann das Pferd... Jim wußte, daß er es schon irgendwo gesehen hatte, aber er konnte den weiß-gelb gescheckten Wallach mit dem auffälligen Schweif nirgends einordnen. Die Erinnerung bot noch keine Hinweise, als Jim wieder das fruchtbare County erreicht hatte, das von den Pik Mountains eingerahmt und geschützt wurde. Er wußte, was er tun würde. Der Augenblick war gekommen, mit Steve Palmer Kontakt aufzunehmen. Immerhin hatte dieser zehn lange Jahre mit ihm zusammen verbracht, und es war wahrscheinlich, daß Caldwell ihm in diesem Zeitabschnitt begegnet sein mußte — dann kannte vielleicht auch Steve die Geschichte, und sein phänomenales Gedächtnis würde - 75 -
ihn schwerlich im Stich lassen. Die Cottonwoods wichen zurück und machten dem festgestampften Weg Platz, der hinunter nach Staff City führte. Als Jim die ersten Häuser hinter sich ließ, fiel ihm die unheimliche Stille auf, die im Dorf herrschte. Keinen Menschen konnte er erblicken. Ein einsamer Hund machte sich in einem Abfallhaufen zu schaffen und sprang kläffend davon, als er den Reiter witterte. Als Jim dann in die Main Street einbog, um zum Post und Telegraph Office zu gelangen, erkannte er den Grund der ungewohnten Stille. Ein stummer Zug von Leuten zog hinter einem dunklen Gefährt her und schnitt ihm den Weg ab. Callan zügelte das Sattelpferd. Hinter dem Gefährt gewährte er Julia Watson. Sie trug ein dunkles einfaches Kleid, unter dem ihre Reitstiefel hervorblickten, und ihr Gesicht war zu Boden gerichtet. In der Hand hielt sie ein Taschentuch, das sie hin und wieder an die Augen führte. Neben ihr schritt ein Mädchen, das ebenso groß war wie sie, ebenfalls in einem schwarzen langen Kleid. Langes blondes Haar fiel ihr in den Nacken und gleißte in der Sonne. Edith B. Rand! Dann war der wuchtige Mann neben ihr sicher James B. Rand, ihr Vater. Er war breitschultrig und untersetzt. Seine kurzen, stämmigen Reiterbeine schien nicht so richtig an das Gehen gewohnt zu sein. Die großen Sporen gruben sich bei jedem Schritt in den Sand. James B. Rand hatte langes schlohweißes Haar. Sein Bart von der gleichen Farbe hing wie ein Eiszapfen an - 76 -
seinem spitzen Kinn. Er trug einen breitrandigen Stetson in der Hand und blickte ebenfalls zu Boden. Auf der anderen Seite der Mädchen, neben Julia Watson, schritt der Vormann der Zim-Kreis, den Jim bereits gesehen hatte. Er überragte die drei um mindestens einen Kopf. Jim bemerkte, wie er Ediths Arm fassen wollte, aber das Mädchen schüttelte seine Hand ab. Leichte Röte schoß ins dunkelgebrannte Gesicht Robert Cleeves. Jim glitt aus dem Sattel seines Packpferdes und nahm den Carolinahut ab, als der stumme Zug an ihm vorüberging. Zwei Särge standen auf dem Gefährt. Hinter dem Mann in der schwarzen Soutane, der den Mädchen und J. B. Rand und seinem Vormann folgte, schritt geschlossen die Bevölkerung von Staff City. Zuerst die Männer und dann die Frauen mit den Kindern. Callan wartete, bis der stumme Zug an ihm vorüber war, dann überquerte er die Main Street, band das Packpferd vor dem Town Saloon fest und folgte dem Trauerzug. Er hörte die Worte, die der Geistliche sprach, als die beiden Särge im Grab versenkt wurden. Er hörte auch das Schluchzen von Julia Watson, aber seine Gedanken waren weit weg. Callan fühlte kaum, wie der Strom der Leute ihn zurücktrieb vor den King's Saloon, bis eine Stimme ihn aus seinen Gedanken schreckte. „Sie sind also dieser Waffenhändler?“ Jim blickte auf. Er blickte direkt ins Gesicht James B. Rands, der einen großen Hengst bestiegen hatte und auf ihn heruntersah. Seine blauen Augen waren glasklar und - 77 -
blickten kalt auf ihn nieder. James B. Rand besaß dünne Lippen, von Wind und Wetter zerrissen wie der Rest seines Gesichts. „Der bin ich“, sagte Jim und setzte den Carolinastetson wieder auf den Kopf. Die Leute der Stadt bildeten einen Halbkreis um die beiden. Die Mädchen standen etwas abseits und blickten ängstlich in die Runde. Über die Schulter konnte Jim Robert Cleeve ausmachen, der im Sattel seines grobknochigen Wallachs hockte. „Ihre Waffen können wir gut gebrauchen!“ sagte James B. Rand. „Wir werden es diesen dreckigen Rothäuten heimzahlen. Mein Gott, das war zuviel!“ Seine Stimme hob sich, als er sich umsah. Den Marshal, der neben seiner Tochter stand, schien er überhaupt nicht zu erblicken. „Der Tod meines Freundes Stanley und seiner Frau wird nicht ungerächt bleiben!“ sagte James B. Rand mit einer Stimme, die gar nicht zu seiner kräftigen Gestalt passen wollte. Er legte die Rechte auf den Kolben des hochgeschnallten Peacemakers, den er demonstrativ auf der Seite trug. „Das Staff County ist ein fruchtbares Land, das wir mit Blut und Tränen erobert haben. Wir lassen uns hier das Leben nicht versauern durch einige Rothäute, die rebellisch geworden sind. In vier Tagen reiten wir, Leute. Bis dahin sind meine Cowboys mit dem Round up zu Ende. Und die Waffen, die dieser Gent verkauft, können wir gut benützen!“ Jim schüttelte den Kopf. „Ich werde sie Ihnen nicht verkaufen, Rand.“ Der Alte zuckte im Sattel zusammen. „Niemand spricht so zu mir, Mister!“ „Ich habe die Waffen schon versprochen“, sagte Callan ruhig. „Und in vier Tagen bin ich nicht mehr im - 78 -
Besitz meiner Spencergewehre!“ „Dann geben Sie mir diese sofort!“ „Ich werde sie Ihnen auch in vier Tagen nicht geben!“ Callan schüttelte den Kopf. „Was sind Sie für ein hirnverbrannter Narr! Ich bin überzeugt, daß dieser Überfall nicht auf das Konto von Indianern geht, genauso wenig wie der Überfall auf den Armeekonvoi vor drei Wochen. Und ich werde meine Waffen an niemanden verkaufen, der damit unschuldige Indianer niederknallen will!“ Das Gesicht J. B. Rands verfärbte sich rot. „Unschuldige In'yuns!“ keuchte er. „Und die beiden Toten, Mister? Und die Pfeile? Wer, glauben Sie, wer sie sind? Das waren Indianer, so wahr ich hier im Sattel hocke, und das wird gerächt. Und Ihnen werde ich 'ne kleine Lehre erteilen, Mister!“ Kaum hatte der Rancher zu Ende gesprochen, fühlte Jim auch schon den Schmerz im Rücken, und dann glaubte er, sein Kopf explodierte. Er hatte das leichte Geräusch von scharrenden Hufen noch vernommen, aber er kam nicht mehr dazu, zu reagieren. Robert Cleeve, der seinen Wallach vorangetrieben hatte, ritt mit voller Wucht an ihm vorüber, stieß ihm die Stiefelspitze in den Rücken und schlug ihm den Lauf seiner Waffe auf den Kopf. Julia Watson stieß einen Schrei aus. Da war Robert Cleeve auch schon vorüber und riß den Wallach auf der Hinterhand herum. Mit Genugtuung blickte er auf den Mann nieder, der taumelte und in den Sand fiel. Jim fühlte den harten Boden unter sich und stützte sich mühsam auf beide Arme. Sein Stetson war heruntergefallen. Er blinzelte in die Sonne, und sein Kopf dröhnte und hämmerte. - 79 -
Die Narbe des Streifschusses, den er vor etwas mehr als drei Wochen erwischt hatte, leuchtete rot, als das Blut rasendschnell zirkulierte. Er glaubte, die Brust zerspringe unter dem Verband. „Das ist für Ihr freches Maul, Mister!“ sagte Robert Cleeve. „Und dafür, daß Sie diesen Bastard vor dem ganzen Dorf verteidigt haben. Und dann noch dafür, daß Sie nicht vergessen, Ihre Waffen auf die Zim-Kreis zu bringen, und nirgend wohin sonst.“ Jim sah den Schatten des breitschultrigen Mannes vor der grellen Sonne und daneben das wallende Haar J. B. Rands. Der Rancher beugte sich vor: „Sie werden es bestimmt nicht vergessen, Mister!“ Jim rappelte sich mühsam hoch, ohne eine Antwort zu geben, aber er ließ seinen Blick nicht von den beiden. Schwankend stand er schließlich wieder, setzte den Stetson auf den Kopf und klopfte mühsam den Staub von der Kleidung. „Ich werde daran denken, Rand!“ sagte Jim. „Aber ich werde trotzdem keinen Finger rühren, Ihnen die Waffen zu bringen, und falls ihr großspuriger Vormann versuchen sollte, diese zu holen, dann wird er sich einen blutigen Kopf einhandeln.“ Cleeves Gesicht verzerrte sich. „Er hat noch nicht genug, James!“ schrie er. „Warte, ich werd's ihm geben, diesem Mistkerl!“ Er legte die Schenkel an, und der Wallach stellte, aber er kam nicht mehr dazu, sein Spiel zu wiederholen. Jims Hand zuckte zum Kolben des Revolvers, aber er hatte ihn noch nicht heraus, als die Stimme des Marshals scharf über den Platz wehte: „Genug, Gents! Wer sich weiter rührt, hat eine Kugel im Kopf“ Stuart hatte den Revolver schon vorher gezogen. Er - 80 -
mußte ihn jetzt nur noch zwischen den beiden Mädchen durchschieben, die mit weit aufgerissenen Augen der Szene gefolgt waren. „Los, Cleeve — verlassen Sie diese Stadt. Und auch Sie, Rand! Sie können niemanden zwingen, ihnen was zu verkaufen, das Ihnen nicht gehört!“ rief Stuart. Jim Callans Körper entspannte sich. Der Wallach war wieder zur Ruhe gekommen, und Robert Cleeve preßte die Lippen zusammen. Die Augen J. B. Rands waren schmal, als er entgegnete: „Sie werden's noch erleben, Marshal. Wenn dieser Mister uns in vier Tagen die Waffen nicht gebracht hat, dann holen wir sie uns!“ Damit riß J. B. Rand den Hengst herum. Robert Cleeve zögerte erst, mit einem Seitenblick auf Edith, aber dann schloß er sich dem Rancher an. Die Cowboys folgten. In einer Staubwolke jagten sie aus der Stadt. Die beiden Mädchen traten an Jim Callan heran, und Edith B. Rand senkte die Augen und sagte: „Tut mir leid, Mr. Callan!“ „Danke“, entgegnete Jim. „Sie können nichts dafür.“ Edith B. Rand hatte klare blaue Augen, und als sie Jim anblickte, wußte er, daß sie die Entschuldigung ehrlich meinte. „Und auch dafür, daß Sie Joaquim geholfen haben“, fuhr Edith B. Rand fort und wurde flammendrot. „Es ist schon schwer genug für ihn. Mein Vater begreift das nicht.“ Jim schätzte sie auf höchstens siebzehn bis achtzehn Jahre. Er nickte. „Er wird wohl früher oder später begreifen müssen, Miß Rand. Sonst dürfte es für Sie schwierig sein, ihn - 81 -
weiterhin zu akzeptieren.“ „Ja“, sagte Edith B. Rand. „Was tun Sie jetzt, Julia?“ fragte Jim und blickte auf das schwarzhaarige Mädchen. „Ich reite mit Edith auf die Zim-Kreis. Ich weiß noch nicht, was ich machen werde. Aber morgen oder übermorgen reiten wir auf die Two-Bread, um zu sehen, was noch Nützliches übriggeblieben ist.“ „Vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe“, murmelte Jim und wandte sich ab. Steifbeinig ging er zum Hotel hinüber. Die Leute hatten sich auf die verschiedenen Saloons aufgeteilt und würden nur allmählich zur Arbeit zurückkehren. Auch Casey saß nicht hinter der Rezeption, als Jim die Stufen hochging und die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Er zuckte zusammen, als er den Schatten am Fenster sah. Aber dann lächelte er. Joaquim! „Was, in Teufels Namen, tust du denn hier?“ entfuhr es Jim. „Ich beobachtete“, sagte Joaquim, „Edith, meine Freundin und zukünftige Frau.“ Jim trat neben ihn an das Fenster, das noch nicht wieder repariert war, und blickte auf die Main Street hinunter, wo die beiden Mädchen sich entfernten. Sie kletterten auf einen leichten Buggy und verließen Staff City. *** „Und was treibst du hier, Joaquim?“ „Ich bin nicht zu - 82 -
meinen roten Brüdern rausgeritten“, erzählte Joaquim. „Als du mich gestern abend verließest, habe ich vor der Stadt campiert und bin noch vor Morgengrauen an das Dorf herangeschlichen. Ich habe gesehen, wie du mit den Büffeljägern wegrittest, und ich dachte, vielleicht brauchst du Hilfe. Ich habe euch unten am Washita River beobachtet, und als die Beerdigung hier war, da habe ich die Gelegenheit benutzt und bin ins Hotel geschlichen. Kein Mensch hat mich bemerkt.“ „Wo ist dein Pferd?“ „Eine Meile von hier, aber keine Angst. Niemand kann es finden.“ „Es ist gefährlich für dich, hier herumzustreichen“, sagte Jim. „Aber ich bin froh, es getan zu haben.“ „Du hast alles gesehen und gehört?“ „Ja.“ „Dann weißt du jetzt, was zu tun ist.“ „Ich werde die Choctaws warnen“, sagte Joaquim. „Sie werden ein Camp suchen, das J. B. Rand nie finden wird.“ Jim nickte. „Vielleicht kommt es nicht mehr dazu“, sagte er. „Und sonst werde ich euch helfen, die Angreifer abzuwehren. Ich habe noch vier Spencergewehre, und es sind die einzigen Repetiergewehre hier im County.“ „In vier Tagen will J. B. Rand sie holen“, sagte Joaquim. „Und auch Erskine Caldwell will sie in vier Tagen haben.“ „Dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit, Jim!“ „Nein. Wir müssen vor vier Tagen herausgefunden haben, wer hinter diesen Überfällen steckt. — Wie willst - 83 -
du aus der Stadt entkommen, Joaquim? Du darfst dich jetzt unmöglich blicken lassen!“ „Ich weiß“, sagte das Halbblut. „Ich muß die Dunkelheit abwarten.“ „Gut“, sagte Jim. „Und ich muß ins Post Office, um ein Telegramm aufzugeben.“ *** Art Whise, der Posthalter von Staff City, der zugleich die Telegraph Station bediente, war ein untersetzter älterer Mann mit einer randlosen Brille und einem eingefallenen Gesicht. Mit Erstaunen tippte er die vier Fragen, die Jim Callan an Steve Palmer absandte, in den Apparat, und er versprach, niemandem etwas davon zu erzählen. Jim Callan war mit dem Mann allein. Er legte einen Hundertdollarschein nebst dem Preis für das Telegramm auf den Tresen und sagte: „Denken Sie daran, Whise — kein Wort zu jemand. Und sollten Sie's dennoch vergessen, dann verlieren Sie mehr als diese hundert Dollar, die ich Ihnen anvertraue.“ Art Whise hatte vor Angst nur ein stummes Nicken zustande gebracht, aber Jim Callan wußte, daß er diesen Mann nur so lange hinhalten konnte, als er von keiner anderen Seite bedroht wurde. Er wußte, daß er wohl drei Tage auf die Antwort warten müsse, um Steve die nötige Zeit zu geben, die Informationen zu sammeln. Mit einem etwas unguten Gefühl dachte er daran, als er das Post Office verließ und wieder zum Town Hotel hinüberging. Casey saß wieder hinter dem Tresen der Rezeption, und Jim sagte: „Ich haue mich jetzt in die Falle, und ich - 84 -
mache Sie dafür verantwortlich, daß ich bis morgen früh nicht geweckt werde.“ Casey nickte. „Das einzig richtige für einen Mann, der zwei Tage und eine Nacht nicht im Bett war, obwohl man's Ihnen gar nicht ansieht, Mr. Callan.“ Als Jim im Zimmer angelangt war und den Waffengurt über die Lehne des Stuhles gehängt hatte, sagte er zu Joaquim: „Ich lege mich jetzt hin, und wenn ich erwache, dann wirst du wohl nicht mehr hier sein.“ „Ich gehe, sobald es dunkel ist.“ Jim nickte. „Wir müssen eventuell miteinander in Verbindung bleiben, aber es ist zu riskant für dich, noch einmal in Staff City aufzukreuzen. Es ist deshalb notwendig für mich, diese Stadt morgen früh zu verlassen. Wenn du mich suchst, so wirst du mich auf der Two-Bread finden, Joaquim.“ Der Junge lächelte. „So ist das also!“ sagte er, aber Jim Callan war bereits eingeschlafen. *** Die Sonne drang bereits durch das offene Fenster in das Zimmer, als Jim Callan am anderen Morgen erwachte. Sein Schädel brummte, eine Nachwirkung der Erschöpfung, die zwei Tage und eine Nacht ohne Schlaf verursacht hatten. Er fühlte ein leichtes Ziehen in der Brust, wohl eine Wirkung des Stiefeltrittes, den ihm Robert Cleeve am Vortag versetzt hatte. Er hockte sich auf das Bett und löste den Verband mit - 85 -
einigen Schwierigkeiten vom Oberkörper. Er stand auf, trat an den Spiegel und betrachtete sich. Eine Narbe stand dort, wo Doc Sawyers Messer zugestochen hatte, um die Kugel rauszuholen. Die Fäden waren noch zu erkennen, mit denen er die Wunde vernäht hatte, aber sie war bereits gut zugewachsen. Jim öffnete die Satteltaschen, und nachdem er sich am Trog gewaschen hatte, legte er sich einen neuen, sauberen Verband an. Casey war überrascht, als Jim in die Halle kam. „Sie gehen bereits?“ „Nach dem Frühstück“, sagte Jim. „Machen Sie schon die Rechnung bereit. Und geben Sie mir eine der vier Waffen aus dem Safe. Ich kann die Satteltaschen wohl hier lassen?“ „Aber sicher“, beeilte Casey sich zu sagen, und ein Hoffnungsschimmer erhellte sein Gesicht. „Sie beabsichtigen wiederzukommen?“ „Vielleicht“, sagte Jim und stieß die Tür zum Speisesaal auf. Es gab Speck mit Spiegeleiern, und das Frühstückessen hatte ihm schon lange nicht mehr so gemundet. Eine Stunde später hatte er seinen Pinto aus dem Mietstall geholt und ihn vor das Hotel geführt. Der Mann mit dem Holzbein, der sich Smoky-Joe nannte, war ebenfalls überrascht, daß Jim sein Packpferd für unbestimmte Zeit in der Box lassen wollte und ihm zwanzig Dollar dafür hinstreckte. Jim beglich die Hotelrechnung und belud sein Pferd. Zuletzt steckte er die Spencer in den Scabbard, nicht ohne sie vorher sorgfältig geladen zu haben. Casey schaute ihm traurig nach. Immerhin verlor er - 86 -
den besten Kunden für einige Zeit. Bald hatte Jim das Dorf hinter sich gelassen. Der Hufschlag des Pferdes wurde vom grünen fruchtbaren Boden gedämpft. Cottonwoods mit breit ausladenden Ästen spendeten Schatten. In der Ferne gleißten rötlich die Pik Mountains, die das fruchtbare Valley abschlössen und gegen den Chubasco — Wind aus dem Süden — schützten. Jim kannte den Weg noch genau, den er zwei Nächte zuvor mit dem Aufgebot geritten war. Als er das Pferd durch die Senke gelenkt hatte, sah er die Trümmer der Two-Bread. Das Haupthaus war fast vollständig niedergebrannt. Verkohlte Dachsparren bedeckten den Boden. Ein Pfeiler dessen, was einmal die Veranda gewesen war, stach gespenstisch in den Himmel. Der wuchtige steinerne Kamin stand noch. Daneben war ein Herd zu erkennen, teilweise sogar noch Küchengeschirr, schwarz angelaufen. Die beiden Bauten daneben waren noch unversehrt. Eines war ein Schuppen, der den Korral auf der einen Seite begrenzte. Jim glitt aus dem Sattel, band die Zügel des Pferdes am Korral fest und stieß die Tür zum Schuppen auf. Gerätschaften lagen herum, Sättel hingen an der Wand, Strohballen lagen auf dem Boden. Eine Axt steckte in einem abgesägten Baumstrunk. Offensichtlich der Arbeitsplatz Stanley Watsons, in dem er Reparaturen aller Art ausgeführt hatte. Jim trat wieder in die Sonne und betrachtete das andere Gebäude. Offensichtlich hatte es vor langer Zeit als Unterkunft für die Cowboys gedient, die dann nach und nach weg- 87 -
gezogen waren, als die Ranch nicht mehr genug abgeworfen hatte. Die Tür führte in einen angenehm breiten Gang, an dessen anderem Ende Sonnenstrahlen durch ein Fenster drangen. Kajütenbetten standen links und rechts. Alles sah relativ sauber und wohnlich aus. Jim trat wieder auf den flachgetretenen Lehmplatz zwischen den beiden Gebäuden und dem abgebrannten Ranchhaus. Er blickte sich um. Nicht weit hinter dem Ranchhaus begann ein Wald. Bäume und Büsche standen dicht beieinander, aber hinter diesem schmalen Gürtel lichtete sich das Gehölz, und die Abstände zwischen den Bäumen boten genügend Platz für Reiter. Jim dachte, daß diese Ranch ein einfaches Angriffsziel bieten mußte. Auf der einen Seite der Wald, auf der anderen die Wegschneise, und von beiden Seiten konnten sich unbemerkt Reiter nähern, die nicht auffallen wollten. Jim ging zu seinem Pinto, nahm ihm die Satteltaschen ab und stellte sie in den Geräteschuppen. Er entnahm der einen Tasche einen Dreifuß, fischte sich Holz aus dem abgebrannten Ranchhaus und entfachte wenig später ein kleines Feuer, um einen Tortillafladen zu braten. Nachdenklich aß er davon. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Schuppenwand, neben sich die Spencer und schlürfte etwas Kaffee, um den trockenen Geschmack runterzuspülen. Diese Ranch müßte an einem anderen Ort wiederaufgebaut werden, dachte er. Sie war zuwenig gegen Angriffe geschützt. j Er wurde in seinen Gedankengängen unterbrochen, als - 88 -
er das Trommeln von Hufen vernahm. Jim griff zur Spencer, aber es waren die beiden Mädchen, die aus der Waldschneise hervortraten. Sie stießen einen überraschten Ruf aus, als sie ihn erblickten, trieben die Pferde weiter voran und zügelten sie vor ihm. „Sie?“ sagte Julia Watson. „Ich bin's wahrhaftig“, grinste Jim. „Aber steigen Sie doch aus dem Sattel. Julia!“ Immer noch trug sie den geschlitzten Reitrock, und für Bruchteile einer Minute spürte Jim ihre warmen Schenkel. „Und was ist mit mir?“ fragte Edith B. Rand und schob eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht. „Ich habe nur zwei Hände!“ lachte Jim. aber da war sie bereits aus dem Sattel. Sie trug abgewetzte Lewisjeans und eine eng anliegende rote Bluse. „Warum sind Sie hier, Jim?“ „Ich habe mir eben überlegt, daß man die Ranch an einer anderen Stelle wiederaufbauen sollte!“ murmelte Jim. „Hier ist es zu ungeschützt. Auf der einen Seite der Kiefernwald, auf der anderen die Schneise.“ Julias dunkle Augen wurden groß. „Sie haben darüber nachgedacht?“ „Yeah — warum nicht? Ich sagte Ihnen doch auch, die Ranch zu behalten, nicht wahr?“ Julia Watson betrachtete ihn aufmerksam. „Aber es dürfte doch schwierig sein für eine Frau allein, diese Ranch zu behalten, Jim.“ „Sie können ja Cowboys anstellen“, sagte er. „Mich zum Beispiel! Ich wäre dann ihr erster.“ Julia Watson wußte nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. - 89 -
„Sie meinen das ernst?“ „Aber sicher“, murmelte Jim. „Ich habe Joaquim gesagt, daß er mich immer hier draußen treffen könnte. Es ist zu gefährlich für ihn, in die Stadt zu reiten. Also braucht er einen Ort, an dem er mich immer finden kann. Warum nicht hier?“ Jim lachte. “Joaquim würde dann gleich Ihr zweiter Cowboy sein, Julia!“ „Er kommt hierher?“ rief Edith B. Rand, und ihr Atem ging rasch. „Ich nehme an, er wird noch heute oder morgen eintreffen, Miß ...“ „Nennen Sie mich Edith!“ „Und ich heiße Jim.“ „Das ist ja prächtig“, sagte Edith B. Rand, und dann flog ein Schatten über ihr Gesicht. „Aber auch gefährlich. Mein Gott, wenn mein Vater das sieht! „Dann wird er. ..Nein, Joaquim darf nicht hier herkommen, er muß ...“ „Lassen Sie das meine Sorge sein!“ sagte Jim ernst. „Es gilt, Joaquims Unschuld zu beweisen. Dazu trägt er seinen Teil bei, und er kann das nicht, indem er das Land verläßt. Und außerdem würde Sie das todunglücklich mache, Edith.“ „Ja“, sagte sie, und sie meinte es so. *** Sie hatten den ganzen Tag über gearbeitet. Die beiden Mädchen waren von dem Plan begeistert, die Ranch an einer anderen Stelle wiederaufzubauen, und sie hatten sich den Platz ausgesucht. Etwas weiter weg von dem Kiefernwäldchen und der Schneise, auf der Kuppe eines sanft ansteigenden Hügels, - 90 -
von dem aus man das Land bis weit hin überblicken konnte. Jim hatte im ehemaligen Bunkhouse eine verwaschene Jeanshose, ein Baumwollhemd und eine Lederweste gefunden, die ihm leidlich paßten. Er hatte seinen PrinceAlbert-Anzug abgelegt, in dem er überhaupt nicht in die Gegend paßte, und dann hatten sie sich gemeinsam an die Arbeit gemacht. Natürlich konnten sie nicht gleich damit beginnen, ein neues Ranchhaus zu erstellen. Es galt zuerst, die Brandstätte aufzuräumen, bis nichts mehr an das furchtbare Ereignis erinnern konnte. Die Arbeit half auch Julia Watson, für Stunden ihren Verlust zu vergessen. Als die Sonne sich zum Horizont geneigt hatte, waren die beiden Mädchen in die Sättel ihrer Pferde gestiegen und hatten die Two-Bread verlassen, sie würden am anderen Morgen wiederkommen. *** Der Pinto stand im Korral. Jim hatte die Satteldecke in einer kleinen Mulde, die den Wind abhielt, ausgebreitet; den 36er Navy Colt trug er noch immer in der Schulterhalfter, und die Spencer lag in seiner Rechten. Er hörte das Schnauben eines Pferdes und war sofort hellwach. Jim blickte zum Korral hinunter, und im Licht des fahlen Mondes sah er, daß sich ein zweites Pferd zu seinem Pinto gesellt hatte. Eine Fuchsstute? Jim fand keine Zeit, sich darüber Gedanken zu - 91 -
machen, die Gestalt in der Wildlederkleidung wuchs plötzlich vor ihm hoch, und weiße Zähne blitzten in der Dunkelheit. „Teufel, Teufel!“ sagte Jim. „Das hast du bei deinen roten Freunden aber wirklich gelernt!“ Es war Joaquim. Er lächelte. „Ich wußte, daß du nicht in dem Bunkhouse schlafen würdest. Männer wie du lieben es, in der Satteldecke auf offener Weide zu liegen.“ Jim rollte sich aus seinen Decken und drehte sich eine Zigarette. Stumm reichte er den Beutel zu Joaquim, der auf den Fersen hockte. „Hast du deine Brüder gewarnt?“ „Weiße Feder befindet sich in Sicherheit“, sagte Joaquim. „Sie haben ihre Tipis abgebrochen und weiter in die Berge verlegt. Dort wird niemand sie finden können. Und außerdem sind sie gewarnt und werden in drei Tagen höllisch auf der Hut sein.“ „Es darf trotzdem nicht soweit kommen!“ sagte Jim und sog an der Zigarette. „Nein!“ „Sonst reiten wir ihnen zu Hilfe. Gegen vier Spencergewehre wird kein Aufgebot eine Chance haben.“ „Hoffen wir's!“ „Aber vielleicht haben wir die Männer vorher entlarvt“, murmelte Jim. „Ich werde übermorgen in die Stadt reiten und die Antwort Steve Palmers abwarten!“ „Was soll denn darin stehen?“ „Ich sag dir's später!“ Joaquim blickte in die Nacht. „Hier ist aufgeräumt worden!“ sagte er. „Ja.“ Jim nickte. „Julia und Edith waren da. Edith hat - 92 -
den ganzen Tag auf dich gewartet, aber sie wird morgen wieder kommen. Julia wird die Ranch behalten. Ich sagte ihr, sie hätte jetzt zwei Cowboys.“ „Zwei?“ „Ja. Dich und mich.“ „Du meinst, ich soll hier bleiben?“ „Du mußt!“ antwortete Jim. „Edith liebt dich.“ „Aber ihr Vater...“ „Wir werden ihm beweisen, daß er im Unrecht ist“, sagte Jim. Joaquim blickte in die Nacht. Unvermittelt sagte er: „Und Julia — du magst sie, nicht wahr?“ „Ja!“ sagte Jim. „Ich mag sie.“ *** Robert Cleeve wuchtete seinem Wallach den schweren Sattel auf den Rücken und zurrte den Sattelgurt fest, bevor er das Pferd aus dem Stall führte. Die Sonne kam eben über den Pik Mountains heraufgekrochen und tauchte die Zim-Kreis in rotes Morgenlicht. Auf dem breiten festgestampften Ranchhof herrschte reges Treiben. Cowboys traten aus dem Bunkhouse, das über fünfzig Betten enthielt, um sich am Brunnentrog zu waschen. Robert Cleeve führte seinen Wallach an dem Bunkhouse und der anschließenden Scheune vorbei und zog ihn die mit Pappeln gesäumte Allee hinauf, die zum großen weißgetünchten Ranchhaus führte. Jeden Morgen nahm er dort mit J. B. Rand allein das Essen ein, das vom chinesischen Koch serviert wurde, und immer sattelte er den Wallach schon vorher, um als - 93 -
erster reitfertig zu sein. Sie hatten die Mannschaft geteilt in diesen Tagen, und Robert Cleeve leitete je zwanzig Mann für das Round up im südlichen Weidegebiet, während James B. Rand selber die restlichen Cowboys im Camp auf der Nordweide beschäftigte. Cleeve war etwas überrascht, die beiden Mädchen bereits um diese Stunde aus dem Ranchhaus treten zu sehen. Sie kamen die Allee hinunter und trugen bereits die vollständige Reitkleidung. Leichte Röte überflog Robert Cleeves Gesicht, als er die Tochter des Ranchers betrachtete und fragte: „Na, wohin denn schon zu dieser frühen Stunde?“ Edith B. Rand trug die gleichen abgewetzten Lewisjeans wie am Tag zuvor, und Cleeves Blick verharrte vielleicht einen Augenblick zu lange auf ihrer Bluse, unter der sich die Umrisse ihres jugendlichen Körpers abzeichneten. „Wir reiten etwas aus“, meinte Edith B. Rand leichthin. „Wohin denn, wenn ich fragen darf?“ „Das geht dich doch nichts an, Robert“, sagte die Rancherstochter schroff und zog ihre Freundin mit sich weiter. Cleeve wollte etwas entgegnen, aber es war schon zu spät. Verdrossen zog er den Wallach hinter sich her, schlang die Zügel um den Holm vor der dunkelgebeizten Veranda und drehte sich um. Die beiden Mädchen waren in einem der Stallgebäude untergetaucht. Robert Cleeve drehte sich eine Zigarette und steckte sie umständlich in Brand. Er hatte sie schon zur Hälfte abgeraucht, als die beiden Mädchen wiederauftauchten, ihre Pferde hinter sich herziehend. - 94 -
Einer der Cowboys half Edith B. Rand in den Sattel, und Robert Cleeve schnippte unwillig die Asche weg. Er blickte ihnen nach, bis er sie beinahe nicht mehr sehen konnte. Mit einer heftigen Gebärde warf, er die Kippe auf den Lehm und schritt die Stufen zur Veranda hoch. Nachdenklich stieß er die Tür zum Ranchhaus auf. *** Die beiden Mädchen kamen angeritten. Joaquim warf die Hacke, die er noch in den Händen hielt, in einem hohen Bogen über den Rest des ausgebrannten Kamins und rannte auf die Ankömmlinge zu. „Edith!“ Die Rancherstochter riß die Stute auf die Hinterhand. „Joaquim!“ Schnell wie der Wind war sie aus dem Sattel und flog dem Jungen in die Arme. Einen Augenblick hielten sich die beiden fest umschlungen, und die Zeit stand still für sie. Schließlich löste sich das Mädchen auf der Umarmung Joaquims, strich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht und sagte: „Gut, daß du wieder da bist, Joaquim.“ Seine weißen Zähne blitzten. „Und ich werde hier bleiben, Edith!“ Joaquim blickte auf Julia Watson und sagte: „Ihr entschuldigt, wenn wir einen kleinen Ausritt unternehmen?“ „Nichts wie los“, entgegnete Jim, griff in das Zaumzeug des Pintos und führte ihn in das Unterholz, um die Fracht abzuladen. Joaquim und das Mädchen verschwanden hinter dem - 95 -
Hügel, auf dem Jim das zukünftige Ranchhaus für die Two-Bread bauen wollte. Schweigsam ritten sie über das Gras, die beiden Pferde dicht nebeneinander. Im Schatten eines Cottonwoods zog Joaquim das Mädchen einfach aus dem Sattel. Sie keuchte leicht. Sie setzten sich in den Schatten der weit ausholenden Äste und blickten schweigend über das Land. Die Sonne stand jetzt als gelber Ball über den Pik Mountains und zeichnete helle Flecke in das Valley. Unter sich konnten sie das Niederhilz erkennen, das bis dicht an die Two-Bread heranführte, aber das Bunkhouse und der Geräteschuppen wurden von dem Hügel verborgen. „Ein schönes Land“, sagte Joaquim und umklammerte das Mädchen. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust. „Aber es ist nicht gut zu uns beiden, Joaquim.“ „Ich werde mich nicht mehr davonjagen lassen“, sagte er, und seine Stimme war heiser. „Mein Gott, seit ich mich erinnern kann, bin ich herumgehetzt worden. Von Tipi zu Tipi habe ich mich durchgeschlagen, aber nirgends wurde ich so schlecht behandelt wie von den Bewohnern dieses Countys. Ich — ein Halbblut, ein Bastard.“ „Sag so was nicht“, flüsterte das Mädchen. „Ich liebe dich.“ „Eine Ranch sollte man haben in diesem Land“, murmelte Joaquim. „Ich will lernen, mit Rindern umzugehen. Ich will endlich die Arbeit verrichten, die mir gefällt. Und abends, wenn ich von der Weide zurückkehre, will ich ein freundliches Lächeln vorfinden und eine Frau, die den ganzen Tag auf mich gewartet hat. - 96 -
Ich will einen Jungen haben und...“ Sie schloß die Augen und lauschte seinen Worten, die wie das leichte Raunen des Windes klangen. Sie dachte, wie alles sein würde. Joaquim würde bei Sonnenuntergang nach Hause kommen, und sie würde auf die Veranda treten und ihm zuwinken und ihm sagen: „Er spricht schon, Joaquim, den ganzen Tag hat er nach dir gerufen und kann es nicht erwarten, dich zu sehen.“ Und Joaquim würde ins Ranchhaus treten, mit seinem Jungen spielen und sie dann in die Arme nehmen. Plötzlich kollerten große, schwere Tränen aus ihren blauen Augen. Es würde nie so sein! Ihr Vater würde nie zulassen, daß Joaquim auf die Zim-Kreis einkehrte. Sie drückte sich fester gegen ihn und versuchte, die schrecklichen Gedanken zu verdrängen und wieder seinen Worten zu lauschen. *** Ein Mann beobachtete die Two-Bread-Ranch. Es war Robert Cleeve, der Vormann. Cleeves Überraschung war groß, als er den Mann erkannte, der mit Julia Watson zusammen arbeitete. Der Fremde! Aber was für 'nen Eindruck er machte, zum Teufel! Er trug nicht mehr den Prince-Albert-Rock, sondern einfache Jeanshosen und ein Baumwollhemd, und er trug Holzlatten, halbverbranntes Mobiliar und anderes Zeugs auf einen Haufen, wohl, um ihn nachher mit der daneben liegenden Axt kurz und klein zu schlagen. - 97 -
Wenn da nicht die Schulterhalfter mit dem 36er Navy Colt gewesen wäre, dann hätte Robert Cleeve seinen Augen nicht getraut. Aber wo war Edith? Cleeve konnte sie nirgends erblicken. Er zuckte die Schultern, wandte sich ab und ging durch das Niederholz zurück zu seinem Pferd. Er zog sich in den Sattel und schlug einen Bogen um das Gehölz, um von der Two-Bread her nicht gesehen zu werden, und die Gedanken bewegten sich etwas zäh in seinem Kopf. Da stimmte doch was nicht! Ein Waffenhändler, der Hand anlegte! Und dann erst noch auf der Two-Bread, wo er doch überhaupt nichts zu suchen hatte. Robert Cleeve beschloß, die Neuigkeiten erst seinem Boß zu berichten, bevor er etwas unternahm. Sein Hengst kam eine leichte Bodenwelle heraufgeprescht, und als Robert Cleeve oben angelangt war, konnte er das Land überblicken. Da zuckte er zusammen. War das da unten nicht...? Doch, der rote Fleck, den er im dichten Gras ausmachen konnte, das war doch die Bluse von Edith! Und Edith B. Rand war nicht allein dort unter dem Cottonwood. Jähe Röte schoß ins Gesicht Robert Cleeves, als er begriff. Seine Hände zitterten. Er fühlte, wie seine Knie schwach wurden. Als müßte er sich schämen, riß er in wildem Impuls den Wallach auf der Hinterhand herum und preschte davon. Wie von Teufeln gehetzt, jagte er über die Weide. Alles in ihm war voller Aufruhr. Haß staute sich in seinem Herzen und machte ihn halb - 98 -
wahnsinnig. Er dachte nur noch an eins: Rache! Das verdammte Halbblut mußte sterben! Und Jim Callan ebenfalls. *** Am Abend saß der Vormann wie üblich mit seinem Boß beim Essen. Nachdem alles abgeräumt war, blickte er James B. Rand an und sagte ernst: „Ich kann Edith nicht heiraten, James!“ Der Rancher hob den wettergegerbten Kopf und warf ihm einen harten Blick aus seinen wasserklaren Augen zu. Sein Bart bewegte sich, als er das spitze Kinn nach vorn schob. „Ich habe es so entschieden, Robert — warum sollst du das also nicht tun?“ „Sie will mich nicht!“ „Niemand hat sie gefragt!“ schnappte der Rancher. „Mein Gott, wenn die Frauen in diesem Land auch noch beginnen, sich ihre Männer selbst auszusuchen, dann können wir gleich alles verschenken! Warum sollte sie nicht wollen, wenn ich es will?“ „Weil sie Joaquim liebt.“ „Joaquim?“ „Das Halbblut.“ „Das Halbblut!“ schnappte James B. Rand, und sein Gesicht wurde weiß. „Was, zum Teufel, muß ich alles erleben! Zuerst morden die Rothäute meine ganze Familie in diesem Land, und Edith überlebt nur, weil ich sie aus dem Pfeilregen mit letzten Kräften gerettet habe und dabei selber fast drauf gegangen bin! Und dann will - 99 -
sie einen halben Indianer heiraten. Mein Gott, ich werde ihr das verbieten, so wahr ich die Ranch nicht einem dieser Mordbrenner abtreten werde!“ „Dazu ist es zu spät“, murmelte Robert Cleeve. „Zu... spät?“ „Ja.“ Der Vormann erzählte in knappen Worten, was er am Morgen dieses Tages auf der Two-Bread gesehen hatte. James B. Rand wurde zusehends aufgeregter. Er kippte den Stuhl hintenüber, als er aufstand, und es kam ihm nicht in den Sinn, ihn wieder aufzustellen. Er durchmaß den langen Raum mit seinen Schritten, blieb stehen, kam wieder zurück und ging von neuem auf und ab. Schließlich stützte er die Fäuste auf die Tischplatte und blickte Robert Cleeve durchdringend an. „Wir werden dieses Problem lösen!“ sagte er. „Wir zwei gemeinsam! Auf die harte Art...“ *** Es war der Morgen des dritten Tages auf der TwoBread. Tauperlen hingen noch an den Gräsern, als Jim Callan und Joaquim sich aus den Decken rollten. Schweigend bereiteten sie Kaffee zu, und der aufsteigende Dampf der schwarzen Brühe zerteilte sich in der Morgenkälte. Die Sonne war noch nicht über den Pik Mountains heraufgekrochen. „Ich reite jetzt“, sagte Jim Callan. „Ja.“ „Ich hoffe. Steve ist es gelungen, mir die notwendigen Informationen zu beschaffen.“ Jim Callan sattelte den schwarz und weiß gefleckten - 100 -
Pinto und stieg auf das Pferd. Joaquim blickte ihm nach, bis er in der Senke verschwunden war, vertrat sich noch ein wenig die. Beine und machte sich dann an die Arbeit. Flach fielen die ersten Strahlen über die rötlich schimmernden Grate der Pik Mountains und fingen den Reiter ein, der nach Norden ritt. Die Cottonwoods warfen lange Schatten. Jim hatte keine Eile. Es war die Unruhe, die ihn so früh aus den Decken getrieben hatte, und nicht absolute Notwendigkeit. Denn vielleicht hatte Art Whise das Post Office noch gar nicht offen um diese Stunde. Still lagen die Häuser von Staff City zwischen den Hügeln des Tales, das von Büschen und Sträuchern eingesäumt war. Jim Callans Pferd bahnte eine Furche in den Sand, als der Reiter das Pferd durch die schmale Seitenstraße am Marshal's Office vorbei auf die Main Street lenkte. Die Sonne reflektierte jetzt rot gleißend in den Scheiben der Häuser. Ein Mann ging über die Straße und stieß die noch geschlossene Tür zum Town Hotel auf. Jim Callan glitt vor dem Post und Telegraph Office aus dem Sattel, schlang die Zügel des Pferdes um den Holm und blickte durch das niedrig stehende Fenster in den Raum. Er hatte Glück. Hinter dem tresenartigen Aufbau stand Art Whise und blätterte in vergilbten Papieren. Der schmächtige Mann mit der randlosen Brille bemerkte den Schatten, sah auf, durchmaß den Raum mit langen Schritten und öffnete die Tür. „Es ist da“, sagte er hastig. „Schon seit gestern abend.“ Jim Callan betrat hinter Art Whise das Telegrafenbüro und zog die Tür hinter sich zu. - 101 -
Art Whise war offensichtlich nervös und froh, daß er sich des Telegramms entledigen konnte. Er gab den Streifen, den die Maschine ausgespuckt hatte, zu Jim Callan hinüber und sagte: „Da, Mister!“ Jim musterte Art Whise. „Und es weiß noch niemand von dem Inhalt?“ „Nein!“ „Gut!“ sagte Callan, lehnte sich an die Wand und betrachtete den Zettel, wo jede der Fragen, die er gestellt hatte, klar und eindeutig beantwortet war. Callans Gesicht wurde hart. Er steckte das Papier in die Innentasche seines PrinceAlbert-Rockes, stieß sich von der Wand ab und sagte: „Es ist auch besser, wenn niemand sonst es erfährt, Art Whise — in Ihrem eigenen Interesse!“ „Ja!“ sagte der Posthalter heiser. Jim Callan öffnete die Tür und trat ins Freie. Schräg gegenüber stand Casey in der Tür des Town Hotel. Jim Callan zog den Pinto über die Straße und band ihn an den Hitchrack vor dem Hotel. Casey sah ihn erwartungsvoll an. „Sie kommen wieder, Mr. Callan?“ Jim schüttelte den Kopf. „Nein, Casey — machen Sie mir doch schon die drei Spencergewehre und die Patronensäcke bereit. Ich hole nur gleich das Packpferd.“ Casey war offensichtlich enttäuscht. Jim Callan ging zum Mietstall hinauf, wo Smoky-Joe natürlich noch pennte. Er stieß ihn sanft ans Holzbein, und Smoky-Joe war augenblicklich wach. „Ich wollte nur noch für mein Packpferd bezahlen“, sagte Jim. - 102 -
Er ging zur Box, wo er das Pferd eingestellt hatte, zäumte es und zog es wieder ins Freie. Er sah sofort, daß der Mann mit dem Holzbein es gut gepflegt hatte. „Macht noch zwei Dollar, Mister“, sagte Smoky-Joe, und Jim gab ihm fünf. Dann führte er das Pferd zum Town Hotel. Wenig später hatte er es beladen mit der Munition, den drei Spencergewehren und den Vorräten, die er noch mitgeführt hatte. Er zog sich in den Sattel seines Pintos und verließ Staff City. Seine Lippen waren schmal geworden, zwei tiefe Kerben standen um seine Mundwinkel. Er wußte, was er tun würde. Er mußte erst Joaquim warnen, und dann wollte er hinausreiten, um es zu erledigen. Joaquim konnte er nicht mitnehmen — es wäre zu schrecklich für den Jungen. *** Sie hatten die Sonne vor sich, als sie in Staff City einritten. Erskine Caldwell hockte auf seinem breitknochigen, weiß und gelb gescheckten Wallach mit dem weißen Schweif, eine Zigarre zwischen den wulstigen Lippen. Ernest Ruarke ritt neben ihm, das Band aus flach gehämmerten Silbermünzen um die Krone seines Stetsons gleißte in der Sonne. Hinter ihnen ritten Frank Hackforth und Gordon Blish, der, wie üblich, ein Streichholz zwischen den Lippen hielt. Vor dem Town Hotel verhielten sie die Pferde und blickten zu Casey hoch, der wieder an der Tür stand. - 103 -
Erskine Caldwell nahm die Zigarre nicht aus dem Mund, als er sich über den mächtigen Hals seines Wallachs beugte und in den Sand spuckte. Dann fragte er: „Ist Callan in seinem Zimmer?“ „Callan ist seit drei Tagen nicht mehr in meinem Hotel!“ antwortete Casey. Die Narbe auf Caldwells rechter Wange begann zu leuchten. „Nein?“ dehnte er, und den Rest der Frage konnte Casey in seinem Gesicht ablesen. „Er war aber heute morgen in der Stadt“, sagte Casey. „Und er hat die drei Spencergewehre geholt, die er noch in meinem Safe hatte.“ Erskine Caldwells Augen wurden schmal. „Was hat er sonst noch getan?“ „Er kam aus dem Telegraph Office.“ „Interessant“, murmelte Erskine Caldwell. „Und tat er das vorher oder nachher, als er die Gewehre holte?“ „Vorher. Er war zuerst im Office, dann kam er ins Hotel, dann ging er zum Mietstall, holte das Packpferd und lud die Waffen mitsamt der Munition auf.“ „Interessant!“ wiederholte Erskine Caldwell. „Und in welche Richtung ist er aus der Stadt geritten?“ „Nordosten.“ Erskine Caldwell zog den Wallach herum, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Er hielt vor dem Post und Telegraph Office, glitt aus dem Sattel und sagte: „Komm mit, Ernest! Frank und Gordon, ihr bleibt da draußen und paßt auf, daß wir nicht gestört werden!“ Ernest Ruarke glitt aus dem Sattel. Die mexikanischen Radsporen ratschten auf den Bohlen, als er hinter Erskine in das Office trat. Art Whise, der hinter dem Tresen stand, blickte auf, - 104 -
und es sollte wohl harmlos und überrascht aussehen, während er doch in Wirklichkeit die vier Männer schon drüben vor dem Town Hotel bemerkt hatte und wußte, daß zwei von ihnen jetzt vor seinem Büro Wache hielten. Die Kalbsfellweste Gordon Bush' war gerade vor dem Fenster zu erkennen, und etwas weiter links davon machte sich Frank Hackforth an seinem Falben zu schaffen. Mit seinem Kavalleriestetson sah er aus wie ein Soldat. „Rück's schon raus!“ sagte Erskine Caldwell kalt, als er am Tresen war. Sie hatten beide sofort gesehen, daß Art Whise Angst hatte, und diese Angst konnte nur davon herrühren, daß er etwas wußte, was sie nicht wußten. „Was meinen Sie da...?“ Erskine Caldwells mächtige Faust schoß vor, umklammerte den schmächtigen Mann vorn am Hemd und riß ihn über den Tisch zu sich heran. Wie eine lächerliche kleine Puppe wirkte Whise in den Pranken des grobschlächtigen Büffeljägers. „Los, Whise!“ Caldwell hatte ihn jetzt auf seine Seite gezogen und stellte ihn auf den Boden. Art Whise schwitzte. „Er hat gesagt, ich darf's nieman...“ Das Knie Erskine Caldwells schoß brutal von unten herauf in den Magen des Posthalters, und der kleine Mann klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Erskine Caldwell riß ihn an den Haaren hoch, zog sein Gesicht ganz dicht heran und sagte: „Wir tun dir nichts, Whise, wenn du's uns sagst. Aber wenn du den sturen Esel spielen willst, dann geht es dir übel. Frank und Gordon schauen dafür, daß wir nicht gestört werden. - 105 -
Verstanden?“ Whise schluckte. Er hielt sich den Magen und stöhnte, als Caldwell ihn wieder losgelassen hatte. „Er erhielt ein Telegramm“, stieß er heraus. „Das heißt, es war die Antwort auf das Telegramm, das er vor drei Tagen absandte.“ „Wohin?“ „Nach Great Bunk.“ „An wen?“ „An Steve Palmer! Er leitet dort das Post Office, deshalb weiß ich das so genau. Er fragte ihn, ob er...“ Die Stimme des Posthalters war ein Stöhnen. „Er fragte, ob er sich an einen bestimmten ... Ob er sich an Sie erinnern könnte.“ „An mich?“ Caldwell zog die Brauen zusammen. „Ja. Er hat Sie beschrieben. Sie hätten 'ne Narbe von der Stirn bis zum Mundwinkel, auf der rechten Seite, und er hat auch Ihr Pferd beschrieben. Und dann hat er noch gefragt, ob Palmer sich nicht telegrafisch in Climax Town erkundigen könnte, wie viele Häute ihr da oben verkauft hättet zuletzt und wann! Ja, das ist alles.“ Die Narbe auf Caldwells rechter Seite glühte. Wieder schoß seine Hand vor, und wieder faßte er Art Whise am Kragen, aber diesmal war der Griff noch fester. „Und die Antwort?“ keuchte er. „Palmer funkte, er hätte ein solches Pferd gesehen, er könne sich erinnern. Und zwar vor ungefähr vier Wochen in Great Bunk. Ja, das schrieb er“, keuchte Art Whise. „Und was telegrafierte er genau?“ stieß Caldwell hervor. Art Whise starrte zu Boden, aber der Griff um seinen Hals wurde fester. „Es wäre... am Tag es Überfalls gewesen“, keuchte Art Whise. „Am Tag, als der - 106 -
Armeetransport da unten überfallen wurde — vor fast vier Wochen.“ Caldwell ließ den Mann los. Die Zigarre fiel auf den Holzboden. „Und weiter?“ fragte er heiser. Schweißtropfen perlten auf der Stirn des Posthalters. Er wußte, daß es für ihn kein Zurück mehr gab. „Er telegrafierte auch, er könnte sich an dieses Gesicht erinnern, aber der Name sei falsch. Ein gewisser Foster hätte so ausgesehen, und das wäre unten in Fort Range gewesen — aber dieser Foster sei nach einem Gemetzel spurlos verschwunden, und der Mann, der Caldwell hieß, sei tot aufgefunden worden, das heißt, nur ein Körper, aber er hätte die Papiere bei sich gehabt! Die Indianer hätten ihn wohl so zugerichtet und ...“ „Das genügt!“ sagte Caldwell scharf. „Und was war mit Climax Town?“ „Es gäbe da oben nur einen Mann, der Büffelhäute aufkauft, und das sei Hadley. Der hätte gesagt, daß ihr die letzten Häute vor sechs Wochen geliefert habt, und zwar nur für rund tausend Dollar.“ Art Whise verstummte, denn er hatte alles gesagt. Sein Gesicht war fahl. Caldwell sah ihn eindringlich an. „Das hast du gelesen, Whise, du hast es uns erzählt. Du wirst es vergessen, sobald wir hier verschwunden sind.“ „Ja“, stieß Whise heraus. „Sonst geht es dir schlecht!“ sagte Caldwell drohend. „Wir suchen jetzt diesen Callan, und wir werden ihn finden. Und wenn wir zurückkommen, dann sind wir und du die einzigen, die das je gehört haben — und wir werden es alle vergessen.“ „Ja“, keuchte Whise. - 107 -
„Und wenn du je wieder daran denken solltest, Whise, dann erschießt du dich am besten gleich selbst“, sagte Caldwell kalt und drehte sich um. Sie verließen das Post Office, und Erskine sagte zu Ruarke, Hackforth und Bush: „In die Sättel!“ Sie trieben ihre Pferde ein Stück weit vom Post Office weg und blieben in der Mitte der Main Street stehen. Caldwell sagte: „Es war eine gute Idee, sofort in die Stadt zu reiten. Wir wissen jetzt, daß Callan im Post Office war, danach im Hotel und dann die Stadt verlassen hat. Er war nicht beim Marshal. Das ist gut so. Whise wird das Maul halten, und sonst lösen wir dieses Problem genauso, wie wir das jetzt mit Callan tun!“ „Wo suchen wir ihn?“ fragte Ruarke. „Er ist nach Nordosten geritten. Da liegt die ZimKreis. Wir wissen, daß J. B. Rand die Waffen auch will — er wird dort zu finden sein.“ *** Joaquim hatte die Feuerstelle aufgeräumt, nachdem Jim Callan weggeritten war. Er wußte, wo Jim das neue Ranchhaus haben wollte, und er betrachtete den Hügel, auf dem einige Cottonwoods standen. Sein Blick war verschleiert, als er von dem Hügel über das weite Land blickte. Ja, dies war ein guter Platz. Er begann, Axt und Werkzeuge aus dem Geräteschuppen zu holen und den Hügel hinanzugehen. Als die beiden Mädchen auftauchten, war er damit beschäftigt, die Bäume zu fällen. Schweigend halfen ihm die beiden Mädchen bei seiner Arbeit. Die Sonne hatte bald den Zenit erreicht. Beinahe - 108 -
senkrecht fielen ihre Strahlen auf die drei jungen Menschen. Edith B. Rand war damit beschäftigt, das Lasso um das Sattelhorn zu knüpfen, und während sie das tat, blickte sie über den Sattel hinweg nach Osten. „Joaquim!“ schrie sie plötzlich auf. Der Junge ließ die Axt fallen und blickte sich um. Er sah die Reiter jetzt ebenfalls. Eine Staubfahne zerfiel über ihnen im Wind. Sie kamen auf dem Weg daher, der von der ZimKreis nach Staff City führte und dazwischen die TwoBread berührte. Joaquim öffnete die Satteltasche des Pferdes und entnahm ihr das Futteral mit dem Fernrohr. Er öffnete es, führte das Glas an die Augen und sagte: „Es ist dein Vater mit einem Reiter.“ Edith' Hände zitterten, als die das Glas aus seinen Fingern nahm. „Vater!“ keuchte sie. „Das sind Robert und mein Vater! Mein Gott, Joaquim, reite! Reite, bevor es zu spät ist!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich werde es mit ihm besprechen!“ Wieder sah Edith B. Rand ein, daß Widerspruch sinnlos war. Sie stützte sich auf Julia Watson, als würde sie dort einen Halt finden, aber das Mädchen zitterte ebenfalls. Die zwei Reiter waren jetzt auch ohne Fernglas deutlich zu erkennen. Sie verließen die Straße, lenkten ihre Pferde in das Grasland und schlugen einen Halbkreis. Schließlich tauchten sie rechts vom Wäldchen auf und lenkten ihre Pferde auf den alten Ranchhof. Unten am Hügel verhielten sie die Pferde und blickten - 109 -
hoch. Joaquim und die beiden Mädchen starrten hinunter. „Komm runter!“ schrie J. B. Rand. „Ich habe mit dir zu sprechen, Tochter!“ Edith B. Rand hatte eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber Joaquim sagte schnell: „Geh, Edith! Gehorche deinem Vater!“ „Aber ich...“ „Ich komme mit. Wir gehen zusammen!“ sagte Joaquim und legte den Arm um ihre Schultern. Langsam schritten sie den Hang hinunter. Julia Watson folgte mit einigem Abstand. Vor den beiden Pferden blieben sie stehen. J. B. Rands Gesicht war weiß geworden. Sein Wallach tänzelte nervös. Der Rancher hatte die Rechte auf den hochgeschnallten Colt gelegt. „So ist das also!“ sagte er tonlos. „Ja, so ist das, Vater!“ entgegnete das Mädchen, und sie bemühte sich, ihre Stimme nicht zu laut werden zu lassen. „So wie ich es Robert gestern gesagt habe und wie er es dir danach mitgeteilt hat!“ „Und was ich dir gesagt habe, das hast du vergessen? Daß du Robert heiraten sollst, weil ich einen Nachfolger für die Zim-Kreis brauche, du Göre!“ schrie J. B. Rand unbeherrscht. Robert Cleeve war es sichtlich unwohl im Sattel. Er blickte zur Seite, als wäre ihm das alles peinlich. Sein Gesicht war gerötet. „Ich habe es nicht vergessen, Vater!“ sagte Edith B. Rand. „Aber ich habe mich anders entschieden.“ „Für ein Halbblut!“ knurrte James B. Rand. „Für einen, der zur Hälfte von jener Rasse stammt, die meine ganze Familie und deine Mutter...“ - 110 -
„Ich kenne die Geschichte“, unterbrach ihn seine Tochter. „Du hast sie mir hundertmal erzählt. Und ich denke, das ist längst vorbei.“ „Längst vorbei!“ keuchte der Rancher. „Und der Überfall auf die Two-Bread? Du solltest dich schämen, so was vor deiner Freundin zu sagen!“ Julia Watsons Stimme war leise: „Das waren keine Indianer, James.“ J. B. Rand schnappte nach Luft. „Und wer hat das gesagt? Wohl dieser Waffenhändler, der...?“ „Ja. Jim Callan hat es gesagt“, sagte Julia Watson bestimmt. „Und ich glaube ihm!“ „Aber niemand sonst!“ schrie J. B. Rand. „Dieser Waffenhändler ist nichts als sein verkappter Indianeragent. Leuten seiner Sorte haben wir zu verdanken, daß die roten Schufte bewaffnet sind.“ Seine Stimme senkte sich. „Los, Tochter, laß dieses — dieses Halbblut los!“ „Nein, Vater:“ „Dann wirst du mit ihm zusammen bestraft werden!“ keuchte J. B. Rand und blickte zu seinem Vormann hinüber. „Los, Robert — nimm das Lasso! Sie brauchen ein paar kräftige Schläge, um zur Vernunft zu kommen!“ Robert Cleeve atmete scharf aus. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er überlegte. Schließlich sagte er heiser: „Ich tu das nicht, James!“ J. B. Rand richtete sich im Sattel auf. „Das erstemal, daß du mir einen Befehl verweigerst?“ sagte er bebend. „Ja.“ Robert Cleeves Gesicht war gerötet. „Ich glaube, vielleicht ist das doch richtig, was Edith sagt. Vielleicht muß man sich so entscheiden, wenn man liebt. Und schließlich. hat noch niemand sie gefragt, ob sie mich - 111 -
auch will. Ich...“ Er blickte hilflos zur Seite. „Danke, Robert!“ sagte Edith B. Rand. Aber schon peitschte die Stimme des Ranchers: „Du Dummkopf! Wir werden später darüber sprechen! Dann mach' ich's eben selbst! Und zwar endgültig!“ J. B. Rand hielt plötzlich seine Waffe in der Hand. „Los, Halbblut!“ keuchte er. „Laß meine Tochter los! Geh! Und komm nie wieder zurück!“ Edith brachte keinen Ton heraus. Auch Julia Watson starrte stumm auf die Waffe. Joaquim war leicht zusammengezuckt, seine Rechte hatte sich etwas bewegt — aber jetzt waren seine Finger wieder ruhig, und er sagte langsam: „Niemand vertreibt mich mehr aus diesem Land, Mister! Auch Sie nicht! Ich bleibe hier, und ich werde Ihre Tochter heiraten. Und Sie werden mich nicht hindern — denn Sie sind kein Mörder.“ „Ich werde... Ich ...“ Ohnmächtiger Zorn verzerrte J. B. Rands Gesicht, aber seine Waffe senkte sich zollweise. Da erklang Huf schlag. Jim Callan kam aus der Senke herauf geprescht, das Packpferd am Lariat mitführend. Er sah die beiden Mädchen, Joaquim und ihnen gegenüber Cleeve und den Rancher, der die Waffe noch in der Hand hielt. Er begriff die Situation sofort, riß den Pinto auf die Hinterhand, sprang aus dem Sattel, ließ das Lariat fallen und rief keuchend: „Laßt den Unsinn, verdammt!“ J. B. Rand hatte die Waffe für einen Augenblick wieder anheben wollen, aber als er sah, daß Callan keine Bewegung zur Waffe machte und die Spencer noch im Sattelschuh steckte, da ließ er den Lauf wieder nach unten sinken. - 112 -
Jim Callan trat an die Reiter heran und sagte hastig: „Ich weiß, wer die Banditen sind!“ „Was heißt hier Banditen?“ keuchte J. B. Rand. „Das sind Rothäute, die...“ „Das waren keine Indianer!“ entgegnete Jim Callan scharf. „Hier, ich kann es Ihnen beweisen!“ Callan griff mit der Rechten nach der Innentasche seines Rockes, aber da kam die Waffe des Ranchers wieder hoch. „Keinen Zoll mehr weiter, Mister!“ sagte der Rancher. „Ich weiß, daß Sie eine Schulterhalfter tragen.“ Callan ließ die Hand heruntersinken. „Ich will Ihnen aber was anderes zeigen!“ sagte er. „Ich habe hier ein Telegramm in der Tasche — ein Telegramm aus Great Bunk —, und darin steht bewiesen, wer hinter den Überfällen steckt.“ „Und wer soll das sein?“ Hohn schwang in der Stimme des Ranchers. „Erskine Caldwell!“, entgegnete Jim. „Caldwell mit seinen Büffeljägern.“ Der Rancher lachte schrill. „Das soll ich glauben? Was hätten die wohl für ein Interesse daran gehabt, die Two-Bread zu überfallen? Da gab's doch überhaupt nichts zu holen! Der alte Watson führte die Ranch allein mit seiner Frau und seiner Tochter, das war vielmehr 'ne Farm — Warum hätten Caldwell und seine Jäger wohl ein Interesse gehabt, diese zu überfallen?“ „Als Ablenkungsmanöver!“ sagte Jim Callan laut. „Erskine rechnete mit Ihnen, J. B. Rand! Genau deshalb hat er das getan. Er wußte, daß Sie hier das Sprachrohr der öffentlichen Meinung sind, und er wußte auch, daß diese Meinung gegen die Indianer gerichtet ist. Darum tarnten die Banditen ihre Überfälle als Indianerüberfälle, - 113 -
und das plump genug. Aber sie rechneten richtig. Die öffentliche Meinung war doch so froh, einen Vorwand zu finden, um die Indianer zu jagen — nicht wahr, Rand? Sie haben doch auf diese Gelegenheiten nur so gewartet, um ihre Rache abzureagieren. Und damit wirklich niemand dahinter kommen sollte, machte Caldwell hin und wieder einen Überfall, hinter dem keine Geldinteressen stecken konnten — der also eindeutig als Indianerangriff taxiert werden mußte.“ „Das kann ich nicht glauben!“ „Und doch ist es so!“ sagte Jim. „Er tat es dennoch nicht umsonst! Denn die meisten der kleinen Rancher, die er überfallen hatte, verkauften nachher an Sie, und dann überfiel er jeweils die Postkutschen, wenn sie das Land verließen. Zuletzt hat er den Armeetransport nach Fort Spade überfallen und dann die Two-Bread. So ist das, Rand.“ Des Ranchers Gesicht zuckte. „Wie sind Sie denn darauf gekommen?“ „Ich habe mit Brian Caldwell gepokert, und er hatte soviel Geld in der Tasche, um fünfzehn meiner Gewehre kaufen zu können — aber sie hatten für nur knapp tausend Dollar Häute verkauft.“ J. B. Rand war bleich geworden. „Ist das alles?“ „Nein — Erskine Caldwell war an dem Tag in Great Bunk, als der Überfall passierte. Er stellte wohl fest, wie viel Geld wir mitnahmen, um dann die Falle zu stellen.“ „Und wer hat Ihnen das gesagt?“ „Ein Freund von mir. Er hat ein gutes Gedächtnis — außerdem habe ich das Pferd selber gesehen. Einen solchen Wallach vergißt man nicht so leicht.“ In J. B. Rands Gesicht arbeitete es. - 114 -
„Callan — was haben Sie überhaupt für ein Interesse an dieser Geschichte?“ „Ich war der Kommandant des überfallenen Armeetransportes“, entgegnete Callan. „Aber das weiß Julia Watson längst.“ „So ist das also!“ sagte der Rancher, und er war unnatürlich blaß geworden. Er dachte an die Rachefeldzüge, die er geführt hatte, an die Männer, Frauen und Kinder, die sie niedergemäht hatten, und er wußte jetzt, daß er eine große, eine nie wiedergutzumachende Schuld auf sich geladen hatte. Edith B. Rand stieß einen Schrei aus, als ihr Vater in einer plötzlichen Impulsbewegung die Waffe hochriß, als wollte er sich selber bestrafen, aber da hallte eine Stimme peitschend über den Ranchplatz: „Laß fallen, alter Mann!“ *** J. B. Rand hielt mitten in der Bewegung inne. Sein Arm sank herunter. Langsam lösten sich die Finger um den Kolben. Die Waffe fiel polternd auf den festgestampften Lehm. Er blickte über die Schulter zurück, und er war grau geworden. Sie kamen aus dem Unterholz. Erskine Caldwell schritt zuvorderst, seine Narbe leuchtete. Er trug den Spencerkarabiner in der Armbeuge, den er sich als Pfand geliehen, hatte, und sein Zeigefinger lag am Abzug. Rechts von ihm kam Ernest Ruarke auf die Gruppe zu. Das Leder seiner schweren Chaps schabte gegeneinander, während er sich bewegte. - 115 -
Links von Caldwell schritt Gordon Bush. Nervös wanderte das Schwefelholz von der einen auf die andere Seite seines Mundes. Neben ihm kam Frank Hackforth. Sie hielten alle ihre Waffen in den Händen. Erskine Caldwell sagte kalt: „Ein unglückliches Zusammentreffen, Gents — wir wollten nur Callan töten, weil er zuviel weiß, aber jetzt wißt ihr es also auch, und wir haben keine andere Wahl. Tut uns leid, Gents! Vor allem um die beiden Mädchen.“ Joaquim preßte seinen Arm fester um Edith, als er die Worte hörte. Sein dunkler Blick bohrte sich fest an der mächtigen Gestalt des Büffeljägers, der etwas Grislyhaftes an sich hatte. Edith fühlte, wie sein Arm plötzlich zu flattern begann. „Wir haben alles gehört!“ sagte Erskine Caldwell. „Uns interessiert nur noch eins, Callan — warum hast du mich verdächtigt? Warum hast du überhaupt Nachforschungen angestellt? Warum sollte ich dich an etwas erinnert haben?“ „Ich habe dein Gesicht schon irgendwo gesehen!“ „Und wo ist das gewesen?“ „In einem Fort!“ sagte Callan, und er begann zu schwitzen. „Inzwischen ist die Sache aufgeklärt! Mein Freund konnte sich erinnern — dank der Statistik, die er führt und über die wir alle immer nur gelacht haben. Du warst in der Armee, Caldwell, aber du bist desertiert! Du hast deine Papiere einem Toten eingesteckt, der keinen Kopf mehr hatte, oder du hast das selber vollbracht. Alle Welt glaubte, die Indianer hätten dich erwischt, aber du hast den Namen des wirklich Toten angenommen und dich dahinter versteckt — so war es doch, Erskine Caldwell?“ - 116 -
„Und wie ist mein Name?“ „Das will ich nicht sagen!“ sagte Callan gepreßt. „Und das ist auch nicht mehr wichtig.“ Aber Jim wußte, daß es zu spät war. Das, was er hatte verhindern wollen, war bereits geschehen. Die Erinnerung war in Joaquim aufgestiegen, als er den Büffeljäger betrachtet hatte. Er sah den Red River vor sich, die weiten Ebenen, Fort Range — und was er sah, war zu ungeheuerlich, um bewältigt zu werden. Sein Arm, der eben noch Edith B. Rand gehalten hatte, fiel herunter, als er vorstürmte und schrie: „Vater! Ben! Ben Fester, mein Vater!“ Jim Callans Herz krampfte sich zusammen. Die vier Banditen bildeten eine Mauer. Ihre Waffen glänzten tödlich in der Sonne, aber die Spencer Erskine Caldwells senkte sich plötzlich, und seine Augen wurden groß und weit und ungläubig. „Joaquim!“ ächzte er. „Mein Gott, du bist es, du bist...?“ „Ich bin es, Vater!“ keuchte Joaquim, und hilflos stand er da, mit hängenden Armen, und das Blut wallte und kochte in seinem Kopf. „Los!“ schrie Erskine Caldwell. „Ich wußte nicht, daß du hier oben bist, zwischen dem Red und dem Washita River. Ich glaubte dich unten in Texas, mein Sohn! Aber... Lauf, Joaquim! Lauf, ich lasse dich gehen! Du als einziger ...“ „Du bist verrückt!“ brüllte Ernest Ruarke. „Dein verfluchter Sohn wird uns jagen und töten! Wenn du's nicht kannst, dann überlaß es mir!“ Und Ernest Ruarke schwenkte den Colt herum, um auf Joaquim anzulegen. - 117 -
„Es ist genug!“ stöhnte J. B. Rand und duckte sich im Sattel. Seine Rechte versuchte, das Gewehr aus dem Scabbard zu reißen, aber Ernest Ruarke hatte das aus den Augenwinkeln erkannt und drückte ab. Eine Feuerlanze grellte auf. J. B. Rand fiel auf den Hals seines Pferdes. Kraftlos sank er zur Seite. Er hatte den Boden noch nicht erreicht, als Erskine Caldwell sich umdrehte und schrie: „Du verdammter ...“ Weiter kam Caldwell nicht. Es war eine zu aufwendige Bewegung, das Spencergewehr herumzuschwenken. Der Colt Ernest Ruarkes war auf diese Distanz viel treffsicherer. Aber bevor er dazu kam, durchzudrücken, flog Joaquims Messer durch die Luft. Schnell wie noch nie im Leben hatte er es aus der Nackenhalfter gerissen. Bis zum Heft bohrte sich die Klinge in Ernest Ruarkes Brust. Der breitschultrige Mann wankte, ächzte und fiel zu Boden. Caldwell schrie wieder: „Lauf, Joaquim, lauf!“ Frank Hackforth und Gordon Bush zögerten den Bruchteil einer Sekunde, aber dann hatten sie ihre Entscheidung gefällt. Dieser Bruchteil genügte für Jim, den 36er Navy Colt herauszureißen. Er riß den Hammer zurück. Gordon Bush ließ die Waffe fallen, taumelte und begrub den Colt unter sich, aber da blitzte es bereits drüben bei Frank Hackforth auf. Jim warf sich zu Boden, rollte sich zur Seite und wußte, daß auch Erskine Caldwell jetzt feuern würde. Sie sahen die Staubwolke nicht, die plötzlich am Himmel stand, und sie hörten den Hufschlag nicht, der - 118 -
erklang. Sie sahen auch die Reiter nicht, die aus der Senke stoben und die Waffen an die Schultern rissen. Ein Marshalstern blinkte in der Sonne. Die erste Kugel Frank Hackforth wetzte über Jim hinweg, und der Bandit kam nicht mehr dazu, ein zweites Mal zu feuern. Eine Kugel erreichte ihn von hinten und warf ihn vornüber. Und auch Joaquims Vater, der sich jetzt ebenfalls entschlossen hatte, weil es für ihn keine andere Wahl mehr gab, kam nicht mehr dazu, die Spencer durchzuziehen. Marshal Delton Stuart war schneller. Der Colt an seiner Hüfte blitzte auf. Die Kugel fuhr Erskine Caldwell in die Seite. Der Bandit wurde herumgewirbelt, fluchte lautlos, riß die Spencer hoch und legte sie auf die Neuankömmlinge an, aber da hatte Robert Cleeve seinen Colt aus der Halfter. Der Schuß bellte. Erskine Caldwell blickte erstaunt an sich hinunter, ließ das Gewehr fallen und sackte zusammen. Joaquim war sofort bei ihm, als er den Boden erreicht hatte. „Vater!“ würgte er hervor. „Ben — ich verstehe das nicht!“ Erskine Caldwell blickte Joaquim aus großen Augen an, als wäre er weit entfernt. „Das Geld“, kam es dumpf über seine Lippen, „ließ mir keine Ruhe. Es liegt draußen, Joaquim — draußen in der Hütte! Hol es und reite weg!“ Joaquim beugte sich tiefer, denn die Stimme war fast unverständlich geworden. „Und die Pfeile, Vater?“ „Die Pfeile!“ stieß Erskine Caldwell hervor. „Auch ... - 119 -
in ... der ... Hütte. Hole sie — Joaquim, du mußt... sie vernichten, sonst...“ Seine Stimme brach ab. Joaquim spürte den Atem Erskine Caldwells, als er sich noch tiefer neigte. „Vater, warum hast du das getan?“ „Tu... es... nicht — mein Sohn“, preßte Caldwell hervor, dann fiel sein Kopf zur Seite. Der Boß der Grenzland-Geier war tot. Joaquim schluchzte hemmungslos, aber er schämte sich nicht und versuchte auch nicht, die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Langsam drückte er Erskine Caldwell, der in Wirklichkeit Ben Foster hieß und sein Vater war, die Augen zu. Er wußte nicht, wie lange er neben ihm gekniet hatte, und er hörte auch die Stimmen des Marshals und der anderen Männer nicht. Er fühlte nur den leichten Druck auf seiner Schulter, und als er sich umblickte, sah er in die Augen Edith B. Rands. „Und dein Vater?“ fragte er heiser. „Tot“, murmelte sie. „Ebenfalls ... Er wollte es wohl so!“ Wortlos stand er auf, legte den Arm um sie und dachte, wie schön es in diesem Valley sein könnte — ohne Krieg und ohne Kämpfe, ohne Blut und Tränen und Haß und Neid. Er blickte hinüber zu Julia Watson, und er sah in ihren Augen, daß sie das gleiche träumte. Ihr Gesicht leuchtete, als Jim Callan an sie herantrat, die Hände auf ihre Schultern legte und heiser sagte: „Ich reite jetzt zurück nach Fort Spade, aber ich werde meine Uniform abgeben, mich von Patt Garfield und Kid Flush - 120 -
und Steve verabschieden und noch in diesem Monat zurückkehren. Ich werde in diesem Tal bleiben, und wir werden die Blockhütte miteinander am vereinbarten Platz erstellen – ich liebe dich, Julia!“ Ihre Augen waren dunkel. „Ich warte auf dich, Jim!“ ENDE
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