MARKEN-ROMAN
GRUSEL-WESTERN
Band 19
Dodge Messer
Der Cowboy aus dem Jenseits Er sah aus wie alle anderen, und er wi...
19 downloads
588 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
MARKEN-ROMAN
GRUSEL-WESTERN
Band 19
Dodge Messer
Der Cowboy aus dem Jenseits Er sah aus wie alle anderen, und er wirkte durchaus harmlos. Aber die ihm begegneten, mußten erfahren, daß er etwas Besonderes war. Denn er verfügte über eine seltsame magische Kraft, die manchen von ihnen das Fürchten lehrte...
Zuerst sah er nur einen ungewöhnlich hellen Stern. Matt Foldan lehnte mit dem Rücken gegen einen Baum und drehte sich gerade eine Zigarette. Er hatte Nachtwache hier draußen auf der Südweide und konnte sich endlich ein paar Minuten Ruhe leisten. Die Rinder waren nämlich außergewöhnlich nervös gewesen und nur sehr schwer zu beruhigen gewesen. Matt, ein Mann von dreißig Jahren, groß, hager, mit einem undurchdringlichen Pokergesicht, hatte sich von den übrigen Cowboys der Nachtwache getrennt und schirmte diesen Canyon ab. Falls die Tiere doch noch durchdrehten und verrückt spielten, war damit zu rechnen, daß sie versuchen würden, sich durch diesen Taleinschnitt zu zwängen. Vor ein paar Wochen hatten sie es schon einmal versucht und sich dabei gegenseitig totgetrampelt. Matt riß ein Streichholz an, doch er vergaß, die Zigarette anzuzünden. Der Stern war noch heller geworden. Und er war nähergekommen! Er hatte seine Größe fast verdoppelt und strahlte ein weißblaues Licht aus, das kalt und unwirklich glitzerte. Matt ließ das Streichholz fallen, als seine Fingerspitzen die Hitze fühlten. Er drückte sich mit dem Rücken vom Baum ab und tat ein paar Schritte vor, um diese Lichterscheinung noch besser beobachten zu können. Sie beunruhigte ihn plötzlich, ließ in ihm eine Angst hochsteigen, die ihm normalerweise fremd war. Einen Stern dieser Größe hatte er bisher hier draußen noch niemals gesehen. Nervös schaute Matt zu der großen Rinderherde hinunter, die in dem weiten Talkessel stand. Das Licht mußte die Tiere hochschrecken und wieder unruhig werden lassen. Eine Stampede war damit so gut wie sicher. Irgendein irreguläres Geräusch oder eine fremde Erscheinung reichte vollkommen
aus, die Herde in eine alles zerstörende Sturmflut aus Fleisch und Muskeln zu verwandeln. Das Licht wurde greller und noch weißlicher. Nein, das konnte kein Stern sein. Niemals! Matt starrte hinüber zu den Hügeln, hinter denen die seltsame und unheimliche Lichterscheinung zu sehen war. Er fragte sich, ob seine Freunde auch schon auf diese Erscheinung aufmerksam geworden waren. Sie mußten sie doch sehen. Wahrscheinlich rätselten auch sie bereits herum, was das wohl sein mochte. Die Rinder wurden tatsächlich schon unruhig. Im schwachen Mondlicht konnte er deutlich sehen, wie sie langsam herumquirlten und in Bewegung kamen. Das dumpfe Muhen wurde lauter. Innerhalb der nächsten fünf Minuten mußte der Ärger losgehen. Die Stampede war nicht mehr zu vermeiden. Und da geschah etwas, was Matt völlig verblüffte. Hatte dieser seltsame Lichtschein eben noch eine normale Kurve am Himmel beschrieben, so änderte sich das jetzt blitzschnell. Der gleißende Stern verließ seine Bahn, beschrieb eine Art Haken und zog wieder steil zum nächtlichen Himmel hoch. Sekunden später fiel er fast senkrecht in Richtung Boden, verschwand kurz hinter einem der Hügel und wischte dann knapp über die Kuppen hinweg genau auf ihn zu. Er hakte wieder zur Seite und... war dann hinter dem Wäldchen verschwunden. Die Rinder waren plötzlich vollkommen ruhig geworden, doch das merkte Matt erst lange Sekunden später. Sie quirlten nicht mehr durcheinander. Sie standen wie betäubt dort unten im weiten Tal und rührten sich nicht. Eine unerklärliche Lähmung schien sie befallen zu haben, für die Matt keine Erklärung fand. Er band sein Pferd vom Gestrüpp los, schwang sich in den Sattel und trabte dann vorsichtig hinunter zu den ersten Tieren
der Herde. Er drehte sich immer wieder um, suchte nach dem gleißend hellen Stern, konnte ihn nicht mehr ausmachen, ritt weiter und erreichte die ersten Rinder. Sie reagierten überhaupt nicht auf ihn. Dumpf und regungslos standen sie dort, hatten die schweren Köpfe gesenkt und bewegten sich auch dann noch nicht, als Matt neben ihnen erschien. Er stieß mit der linken Stiefelspitze nach einem der Tiere, vorsichtig und zweifelnd. Sie mußten sich doch jetzt rühren, er kannte doch diese verrückte Schreckhaftigkeit der Rinder. Sie rührten sich nicht. Matt stieg aus dem Sattel, wollte es jetzt ganz genau wissen. Er ging um eines der Rinder herum und bückte sich. Er wollte in die Augen des Tieres sehen und war auf der Hut. Er wollte nicht plötzlich von zustoßenden Hörnern erwischt werden. Matt wagte sich weiter vor, obwohl das lebensgefährlich war. Er rechnete damit, daß die Rinder in der nächsten Sekunde wieder erwachten und ihn dann unter ihre Hufe nahmen. Doch er traute sich weiter vor, sah sich andere Tiere an, entdeckte keinen Unterschied zum ersten Rind. Sämtliche Tiere, die er aus nächster Nähe untersuchte, waren wie versteinert und stierten ergeben zu Boden, als stünden sie unter einer fremden Macht. Und dann hörte Matt dieses dünne, hohe Sirren, das vom Wäldchen kam, ein Geräusch, wie er es in seinem Leben noch niemals gehört hatte. *** Sie waren seit Tagen unterwegs und kamen aus dem Norden von Texas. Die vier Männer wollten erst bei Anbruch des Tages weiterreiten, denn in einer schlafenden Stadt konnten sie nicht
die Show abziehen, auf die es ihnen ankam. Es waren hartgesottene Burschen, die am Lagerfeuer saßen, Männer, die mit ihren Colts umzugehen wußten. Sie waren fest entschlossen, Lobo-City hier im Norden von Neu-Mexiko auf den Kopf zu stellen. Es ging ihnen dabei um Hale Camarro, der in der Patsche saß. Er hatte sich bei einem Banküberfall erwischen lassen und sollte schon in den nächsten Tagen gehängt werden. Die Behörden von Lobo-City warteten nur darauf, daß er sich von den beiden Schußverletzungen etwas erholte. Die vier Männer hießen Stan Locat, Ricardo Serra, Butch Halbert und Jeff Stoback. Sie lebten von Überfällen, Viehdiebstählen und Erpressungen. In der Wahl ihrer Mittel waren sie noch niemals zimperlich gewesen. Auf ein Menschenleben kam es ihnen überhaupt nicht an. Sie waren Banditen und noch stolz darauf. Sie hatten sich vor dieser Rast ein Kalb eingefangen, das jetzt als Steaks gebraten wurde. Sie tranken Whisky und warteten darauf, daß das Fleisch gar wurde. Und es war ihr Vormann Locat, der den ungewöhnlich hellen Stern entdeckte. Zuerst achtete Locat nicht darauf, doch wenig später, als dieser Stern sich schnell und seltsam am nächtlichen Himmel bewegte, stieß Locat den Mexikaner Serra an und deutete mit der Flasche nach oben. »Irres Ding, wie?« stellte er fest. »Was ist denn das?« Der Mexikaner stand sofort auf und schüttelte ratlos den Kopf. Hilbert und Stoback wurden ebenfalls aufmerksam, wußten mit diesem gleitenden Licht nichts anzufangen. »Wahrscheinlich ‘ne komische Sternschnuppe«, sagte Locat. »Niemals«, zweifelte Halbert, »das Ding kurvt ja am Himmel rum.« »So was gibt’s überhaupt nicht.« Stoback nagte
nachdenklich an seiner Unterlippe. »Es kommt direkt auf uns zu«, stieß Serra hervor, »das kann kein Stern sein.« »Was denn sonst?« Stan Locat, ein gedrungener, stiernackiger Mann von vierzig Jahren, muskulös und aggressiv aussehend, bemühte sich um Spott, obwohl ihm plötzlich danach gar nicht zumute war. Seine rechte Hand fiel automatisch auf den Griff seines Sechsschüssers. »Ein Geist?« Die Stimme des Mexikaners klang heiser, zweifelnd. Er rechnete mit Spott und Lachen, doch seine Partner blieben erstaunlicherweise stumm. Serra, fünfundzwanzig Jahre alt, mittelgroß und schlank, mit dem Gesicht eines Kindes, aber mit den kalten Augen einer Schlange, duckte sich. »Es kurvt wieder weg«, stellte Halbert erleichtert fest. Er war dreißig Jahre alt, groß und mager und sah aus wie ein durchschnittlicher Cowboy, dem man trauen konnte. In seinem Fall war das allerdings so gut wie geplanter Selbstmord. Halbert tötete aus einem inneren Zwang heraus. »Was ist denn das?« fragte Jeff Stoback. Er verzog unwillkürlich sein Gesicht, als ein hohes Sirren zu hören war, das in den Ohren schmerzte. Stoback war der geborene Sadist, obwohl man es ihm nicht ansah. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, klein und rundlich. In seinen Augen flackerte stets ein unheimliches Feuer, dessen Wirkung er kannte und bewußt einsetzte. Töten allein genügte ihm nicht, er wollte dazu noch Schmerz zufügen. Das seltsame Sirren wurde immer schriller, brach dann plötzlich ab. Die Stille, die daraufhin folgte, war fast schmerzend. Die Natur schien den Atem anzuhalten. Selbst das Rauschen der Bäume im nächtlichen Wind war wenigstens für Sekunden erstorben. »Warum hauen wir nicht ab?« fragte Butch Halbert in diese
Stille hinein. »Das Sirren kam ganz aus der Nähe«, stellte Stan Locat sachlich fest. »Möglich«, meinte der Mexikaner Serra nervös, »pfeifen wir auf die Steaks, Stan, reiten wir schleunigst weiter.« »Komisch hat’s schon geklungen«, warf Jeff Stoback ein, »hab’ so was noch nie gehört.« »Und was haltet ihr davon, wenn wir mal nachsehen?« fragte Stan Locat, der die Bande jetzt führte, nachdem Hale Camarro in Lobo-City festgesetzt worden war. »Scharf bin ich nicht drauf«, sagte Ricardo Serra und schüttelte den Kopf. »Wo sollen wir denn nachsehen?« wollte Butch Halbert wissen. »Ich komm’ mit«, sagte Stoback entschlossen, »das Licht ist hinter dem Hügel da runtergegangen. Weit kann’s ja nicht sein.« Stan Locat und Jeff Stoback machten sich auf den Weg, hatten ihre Winchester mitgenommen und trieben ihre Pferde vorsichtig durch das unübersichtliche Gelände. Sie brauchten etwa fünfzehn Minuten, bis sie den Kamm der Hügel erreicht hatten. Von hier aus sahen sie auf ein kleines Wäldchen hinunter, in dem viele kleine Feuer züngelten. »Sieht aus, als hätte einer brennendes Petroleum verschüttet«, meinte Locat kopfschüttelnd. »Riechst du nichts?« fragte Jeff Stoback. »Natürlich, könnte Pulver sein, oder?« »So ähnlich«, meinte Stoback, »reiten wir weiter, Stan?« »Wir gehen weiter«, entschied Stan Locat, »auf den Gäulen würd’ man uns sofort sehen.« Sie ließen ihre Pferde zurück, pirschten sich zu Fuß an das kleine Wäldchen heran und wußten nicht, daß sie sehr genau beobachtet wurden.
* * *
Rose Madden fuhr zusammen, als sie das schwache Pochen an der Tür hörte. Sie griff automatisch nach der doppelläufigen Schrotflinte und näherte sich vorsichtig der Tür. Sie hatte keinen Reiter kommen hören. Und auch der Hund hatte nicht angeschlagen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wer um diese Zeit vor dem Haus stand. »Wer ist da?« fragte sie. »Ein... Fremder«, lautete die Antwort. Die Stimme kam ihr nachdenklich und zweifelnd vor. »Und was wollen Sie?« fragte sie. Natürlich dachte Rose sofort an einen Trick. Rose Madden, fünfundzwanzig Jahre alt, groß, schlank und blond, war auf der Hut. Seit einigen Wochen war der Distrikt, in dem sie wohnte, nicht mehr sicher. Banditen trieben sich herum und schikanierten die Menschen. Rose Madden war zwar nicht allein in dem kleinen Ranchhaus, doch von ihrem Vater war keine Hilfe zu erwarten. Er lag seit einigen Tagen hilflos zu Bett, nachdem er sich eine üble Beinverletzung zugezogen hatte. Rose Madden huschte hinüber zum kleinen Fenster, von dem aus sie auf die überdachte Veranda sehen konnte. Sie entdeckte im Mondlicht einen großen, schlanken Mann, der seltsam gekleidet war. Er trug eine Art Overall, doch das Material, aus dem er bestand, war mehr als eigenartig. Als Frau tippte Rose sofort auf silbrige Seide. Gefährlich sah der Fremde nicht aus, ein Bandit schien er nicht zu sein. Zudem war er ohne Waffen. »Einen Moment«, rief sie und ging zurück zur Tür. Sie schob die beiden schweren Riegel zurück, hob den Querbalken aus den Haltekrampen und trat dann ein paar Schritte zurück.
Sie hob den Lauf der Schrotflinte an, wartete darauf, daß der Fremde eintrat. Er lächelte auf eine seltsam starre Art und Weise. Er kam herein und hob die rechte Hand zum Gruß, eine Geste, die sie noch nie gesehen hatte. »Wer sind Sie?« fragte Rose irritiert. »Ein Fremder«, sagte er mit einer Stimme, die irgendwie gekünstelt wirkte. Das hing wohl damit zusammen, daß er ohne jeden Akzent sprach. Er schien die Sprache erst vor ganz kurzer Zeit einstudiert zu haben, ging noch behutsam mit ihr um. »Ich bin Rose Madden«, stellte sie sich vor, »möchten Sie Kaffee haben?« Er nickte nur zögernd, trat tiefer in den Raum hinein und schaute sich interessiert um. Rose hatte sofort das Gefühl, daß dieser seltsame Fremde solch eine Einrichtung noch nie vorher gesehen hatte. Er näherte sich dem offenen Kamin, in dem ein kleines Feuer glühte, beugte sich über den Kessel, der am Haken hing, lächelte. Der Fremde schien sich zu amüsieren. »Setzen Sie sich«, forderte sie ihn auf. Ihre Unsicherheit steigerte sich noch. Sie konnte den Blick von dem seltsamen Mann nicht abwenden, studierte sein Gesicht. Es war schon fast zu regelmäßig geschnitten, ließ nicht erkennen, wie alt der Mann war. Die Wangenknochen waren leicht gewölbt und betonten die Augen, von denen eine Sanftmut ausging, die im Grunde nicht zu einem Mann paßte. Der Gast hatte sich inzwischen am einfachen Tisch niedergelassen und nickte höflich, als sie ihm eine Tasse Kaffee zuschob. Er kostete vorsichtig, als sei ihm ein Getränk dieser Art vollkommen fremd. »Sie sind nicht allein?« fragte er, nachdem er die Tasse abgesetzt hatte. »Mein Vater liegt nebenan in der Kammer«, antwortete sie.
»Er ist krank, nicht wahr?« Rose Madden sah ihn verblüfft an. Woher wußte der Fremde das? Sie hatte kein Wort davon gesagt. Sie nickte nur. »Ich möchte ihn sehen«, redete der Fremde weiter. Und wieder klang seine Sprache wie einstudiert. Er wartete ihre Erlaubnis nicht ab, stand auf und ging hinüber zur Kammertür, die er behutsam öffnete. Er blieb im Türrahmen stehen und sah zu dem einfachen Bett hinüber, in dem Carl Madden lag. Roses Vater war fünfundfünfzig Jahre alt, groß, hager, und sah abgearbeitet und erschöpft aus. Carl Madden war wach, hellwach sogar. Er hielt einen Colt schußbereit in der rechten Hand. Er hatte mitbekommen, daß seine Tochter einen Fremden ins Haus gelassen hatte. Madden baute vor, er wollte nicht von einem raffinierten Strolch hereingelegt werden. »Ich will Ihr Bein sehen«, sagte der Fremde, der die Waffe ignorierte. Er ging auf Carl Madden zu, der unsicher wurde, der nicht wußte, wie er sich jetzt verhalten sollte. Von diesem seltsam gekleideten Fremden ging eine Kraft aus, die er fast körperlich spürte. Madden und seine Tochter waren verblüfft. Woher wußte der Fremde von dem verletzten Bein? Warum zuckte er nicht vor der schußbereiten Waffe zurück, wie es doch normal gewesen wäre? Der Fremde stand bereits vor dem Bett, schlug die Decke zurück und legte seine Hände auf den Verband, der an einigen Stellen durchblutet war. Carl Madden zuckte unwillkürlich zusammen, obwohl er keinen Schmerz spürte. Ja, er spürte plötzlich keinen Schmerz mehr. Und vor wenigen Sekunden noch hatten ihn die wütenden Schmerzwellen förmlich überflutet und fast verrückt gemacht. »Es ist, wie sagt man, gebrochen«, stellte der Fremde ohne weitere Untersuchung fest, »das läßt sich heilen.« »Vorsicht«, flüsterte Rose, als der Mann den angetrockneten
Verband löste. Carl Madden hatte sich zurück ins Kissen geworfen und schloß die Augen. Er horchte in sich hinein, wartete darauf, daß die Schmerzen sich wieder meldeten. Doch nichts geschah. Rose Madden, die neben dem Fremden stand, bewunderte die sanften und geschickten Hände des Mannes. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der angeklebte Verband neben dem Bein lag, doch Carl Madden wußte das nicht. »Passen Sie auf«, sagte er, sich zusammenreißend, »die Binde ist festgeklebt.« »Ich werde aufpassen«, versprach der Fremde, ohne Carl Madden zu sagen, daß der Verband bereits gelöst worden war. Er sah sich die häßliche Wunde an. Unterhalb des Knies war der Unterschenkel seitlich abgeknickt. Eine behelfsmäßige Schiene hielt die Knochen zusammen, doch der Bruch war nicht gerichtet. Das Gewebe war blauschwarz unterlaufen. Ein paar kleine Quetschungen waren aufgebrochen und hatten stark geblutet. Diese Wunden waren nur leicht verharscht und brachen jetzt wieder auf. »Passen Sie auf«, wiederholte Carl Madden, doch in seiner Stimme war bereits ein erstes, leichtes Erstaunen zu hören. Er hatte mitbekommen, daß der Fremde den Verband inzwischen gelöst hatte. Er wunderte sich, daß ihn die Schmerzen nicht erneut anfielen. Es mußte doch schmerzen! Rose Madden beugte sich vor, um besser sehen zu können. Der Fremde strich mit der flachen Hand über die häßliche Verletzung, tat das fast beiläufig, richtete sich jetzt auf und legte die Decke zurück über das Bein. »Die Wunde muß wieder verbunden werden«, sagte Rose. »Wozu?« fragte der Fremde und schüttelte den Kopf, »sie wird nicht mehr schmerzen und sie wird heilen.« »Wer, zum Henker, sind Sie?« fragte Carl Madden und sah den Fremden prüfend an. »Ein Reisender«, erklärte der seltsame Fremde.
»Und woher kommen Sie?« »Von dorther«, lautete die Antwort des Mannes. Er vollführte eine vage Handbewegung, die überhaupt keine Schlüsse zuließ, »aber fragen Sie jetzt nicht, schlafen Sie.« Carl Madden dachte nicht im Traum daran, die Augen zu schließen. Er fühlte sich überraschend wohl, war neugierig, wollte mehr hören. Warum trug dieser Mann keinen Waffengurt? Woher stammte seine eigenartige Kleidung? Er kam nicht dazu, all die Fragen zu stellen. Eine unerklärliche Müdigkeit erfaßte ihn, die nicht unangenehm war. Er schloß die Augen und ließ sich wieder zurück in das Kissen gleiten. Sekunden später war er bereits eingeschlafen und atmete tief und fest. »Können Sie zaubern?« fragte Rose verblüfft. »Was ist das?« wollte der Fremde lächelnd wissen. »Wie soll ich Ihnen das erklären?« Rose suchte nach einer passenden Antwort. »Was Sie da getan haben, grenzt an ein Wunder.« »Ein Wunder?« Der Fremde konnte auch damit nichts anfangen und schüttelte den Kopf. Er redete nicht weiter. Er schloß plötzlich die Augen und hob lauschend den Kopf. Dann lächelte er unergründlich. Rose Madden hatte nach wie vor keine Angst vor diesem Mann, doch sie spürte instinktiv, daß sie es mit einem Wesen zu tun hatte, das sie mit ihrem Verstand nicht fassen konnte. *** Stan Locat und Jeff Stoback blieben vor den vielen kleinen Flammen stehen und wußten damit nichts anzufangen. Es roch noch intensiver nach Pulver. Die kleinen Flammenbündel fraßen sich erstaunlicherweise nicht weiter, obwohl genügend Nahrung vorhanden war. Sie erloschen langsam und...
hinterließen keine Brandspuren im trockenen Gras. »Sieh dir das an!« murmelte Locat beeindruckt und deutete auf ein kleines, erlöschendes Flammenbündel. Die Flamme war kaum noch zu erkennen, ging in ein Glühen über und hinterließ nicht die Spur von Asche, das trockene Gras zeigte keine Brandspuren, war völlig unversehrt. »Das gibt’s doch überhaupt nicht.« Jeff Stoback beugte sich vor, um besser sehen zu können. Er kniete jetzt nieder, untersuchte die Stelle, wo eben noch das kleine Flammenbündel gewesen war. Nichts! »Das grenzt ja an Zauberei«, meinte er, sich wieder aufrichtend, »was soll man davon halten, Stan?« »Hab’ ich auch noch nie gesehen, Jeff. Besser, wir sagen den anderen nichts davon, klar?« »Ricardo würde nur verrückt spielen und wieder von Geistern faseln«, meinte Stoback und nickte. »Die Flammen sind weg«, stellte Stan Locat fest, der sich umgedreht hatte, »komisch ist das schon.« »Und was sagen wir den anderen?« fragte Stoback. Er fühlte sich unsicher, hatte seine rechte Hand auf den Griff seines Colts gelegt. Mißtrauisch sah er sich immer wieder nach allen Seiten um. »Sagen wir, ‘ne kleine Sternschnuppe wär’ runtergerauscht«, schlug Locat vor, »das muß reichen, Jeff.« »Hast du nicht auch das Gefühl, als würden wir beobachtet, Stan?« »Hab’ ich«, pflichtete Locat ihm sofort bei. »Sehen wir weiter nach?« »Wahnsinnig, was? Wir können doch nichts sehen. Wir setzen uns ab, Jeff.« »Moment mal, nicht umdrehen!« Stobacks Stimme klang leise und wachsam. Er lockerte den Colt im Halfter.
»Was liegt an?« »Drüben im Gestrüpp hat sich was bewegt.« »Halten wir rein?« Stan Locat hielt es mit einem bewährten Rezept. Erst schießen, dann fragen, danach handelte er in fast allen Fällen. Er ließ sich nichts anmerken, tat so, als untersuche er weiter den Boden, doch seine rechte Hand stahl sich zum Colt. »Ich werd’ verrückt!« Stobacks Stimme klang fast andächtig. Locat drehte sich jetzt um und... riß weit die Augen auf. Obwohl es doch dunkel war, konnte er die Frau dort genau erkennen. Es war eine Frau, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Bei ihr war alles am genau richtigen Fleck. Sie war etwas über mittelgroß, schlank und hatte aufregende Linien, die von ihrer seltsamen Kleidung nur noch unterstrichen wurden. Die Frau, ihr Alter war schwer zu erraten, trug eine Art Overall aus einem hellen, etwas silbrig schimmernden Stoff. Ihr Haar war schwarz. Sie bewegte sich mit etwas eckigen Bewegungen auf die beiden Männer zu. Ihre dunklen Augen musterten die beiden Männer prüfend. Angst hatte sie augenscheinlich nicht. »Hallo, Miß«, sagte Locat, der sich inzwischen etwas von seiner Überraschung erholt hatte. »Hallo«, gab sie mit einer dunklen, warmen Stimme zurück. »Verlaufen?« Stoback schluckte vor Aufregung, fühlte so etwas wie Gier in sich aufsteigen. Aufregend war diese Frau. So etwas hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. »Sie sind Cowboys, nicht wahr?« fragte sie und betonte das Wort »Cowboy« in einer Art, als habe sie diese Bezeichnung mühsam einstudiert. »So kann man es sagen, Miß«, antwortete Locat, »darf man mal fragen, ob Sie allein sind?«
»Sie sind ja da«, meinte sie, ohne direkt auf seine Frage einzugehen. Locat merkte es gar nicht, so sehr beschäftigte ihn diese attraktive Frau. »Und woher kommen Sie?« »Von dorther«, gab sie zurück und deutete vage hinter sich. »Wir sind auf dem Weg nach Lobo-City«, sagte Locat hastig, »wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.« »Lobo-City«, wiederholte sie und legte den Kopf dabei ein wenig schief, »klingt nicht schlecht. Ich werde gern mitkommen. Lobo-City ist eine Stadt?« »So ungefähr«, antwortete Locat, »wissen Sie, woher das Feuer hier stammte?« Er deutete auf die Stellen, wo die Flammen gezüngelt hatten. »Sie haben noch Begleiter, nicht wahr?« fragte sie und überging erneut seine Frage. »Ja, stimmt.« Er sah sie überrascht an. »Zwei Männer wie Sie«, stellte sie wie selbstverständlich fest. »Stimmt«, gab Locat zurück und wunderte sich nur noch. *** Der helle, gleißende Stern erschien wieder am Horizont, verharrte einen Moment, um dann mit immer größer werdender Geschwindigkeit steil hinauf zum Himmel zu ziehen. Matt Foldan begriff einfach nicht, worum es sich handelte. Das hatte mit einem Stern überhaupt nichts mehr zu tun. Hier sah er etwas, das über seinen Horizont ging. Ganz nebenbei merkte er, daß das schrille, hohe und nervenzerfetzende Sirren nicht mehr zu vernehmen war. Das sternenähnliche Etwas war jetzt nur noch ein kleiner, heller Punkt am nächtlichen Himmel, der dann zwischen den Sternen verschwand und nicht mehr auszumachen war. Matt
Foldan schüttelte ratlos den Kopf und sah dann zur Herde hinunter. Die Tiere regten sich wieder, schienen aus einer tiefen Betäubung zu erwachen. Sie schüttelten sich, schoben sich aber noch mehr zusammen und schienen nach wie vor Angst zu haben. Kein Gedanke daran, daß sie jetzt verrückt spielen würden. Friedlicher konnte sich keine Rinderherde verhalten. Und das mußte sein Vormann einfach sehen. Matt trabte langsam zum Hauptlager hinüber und brauchte weit über eine halbe Stunde, bis er es erreicht hatte. Sein Vormann, ein kleiner, drahtiger Mann von fünfzig Jahren, der Clint Darrow hieß, sah ihn mehr als erstaunt an. »Wieso verlassen Sie die Herde, Matt?« fragte er scharf. »Weil ich Sie holen wollte, Clint«, antwortete Matt und stieg aus dem Sattel, »haben Sie diesen hellen Stern gesehen?« »Ich sehe eine Menge Sterne, Matt.« »Ich meine einen ganz bestimmten, Clint. Eigentlich war’s gar kein Stern.« »Haben Sie einen zur Brust genommen, Matt?« »Ich bin vollkommen nüchtern, Vormann.« Matt Foldan wurde förmlich. »Und ich mußte Ihnen das mit dem Stern einfach sagen. Und das mit der Herde.« »Was ist mit der Herde?« Clint Darrow wurde sofort mißtrauisch. Er war schließlich für die Tiere verantwortlich. »Sie steht wie betäubt in der Gegend rum«, erklärte Matt, »so was hab’ ich noch nie gesehen. Und Sie sollten es sich auch mal ansehen, Clint. Mein Wort darauf, ich habe keinen einzigen Tropfen getrunken.« »Warten Sie, Matt« Clint Darrow hatte inzwischen gemerkt, daß Foldan wirklich nicht grundlos zum Hauptlager gekommen war. Er mußte tatsächlich etwas beobachtet haben, was ihn aus der Fassung gebracht hatte. Darrow band sein Pferd vom
Küchenwagen los, schwang sich in den Sattel und ritt los. »Erzählen Sie alles der Reihe nach, Matt«, sagte er dann. Matt Foldan bemühte sich um Sachlichkeit, spielte seine Beobachtungen bewußt hinunter, merkte aber selbst, wie verworren sich seine Geschichte anhörte. »Verdammt, ich kann’s einfach nicht beschreiben«, sagte er schließlich fast wütend, »ich bin kein Dichter, Clint. Ich hab’ das alles noch nicht verdaut.« »Ein heller Stern, der keiner ist«, faßte der Vormann zusammen, »ein Stern, der wie ein Vogel abzischt, war’s so?« »Das trifft es etwa«, erwiderte Matt, »aber ich kenne keinen Vogel, der so schnell ist.« »Wer sonst könnte dieses Geräusch verursacht haben, von dem Sie sprachen, Matt?« »Ich hab’ keine Ahnung, Vormann«, gab Foldan zurück, »gleich hinter dem Felsvorsprung steht die Herde. Sehen Sie selbst, wie komisch sich die benimmt.« Matt Foldan hatte plötzlich Angst, die Tiere könnten sich inzwischen restlos erholt haben und wieder einen normalen Eindruck machen. Was sollte Darrow dann von ihm denken? Erleichtert atmete er auf. Nein, die Rinder standen immer noch im Talkessel, hatten sich schutzsuchend noch enger aneinandergeschoben und gaben keinen Laut von sich. Sie waren zwar nicht mehr betäubt, aber die Lethargie war schon unheimlich. »Mann«, sagte Darrow, der aus dem Sattel stieg, »das haut mich um, Matt, so was kenn’ ich überhaupt nicht von diesen Biestern. Die sehen ja wie besoffen aus.« »Es kann kein Stern gewesen sein«, wiederholte Matt Foldan noch einmal, »das war niemals ein Stern. Irgendwas braut sich da zusammen, Vormann, irgendwas Unheimliches!« * * *
Ricardo Serra und Butch Halbert starrten die Frau völlig entgeistert an. Mit diesem nächtlichen Besuch hatten sie wirklich nicht gerechnet. Sie sahen irritiert zu Stan Locat und Jeff Stoback hinüber, die grinsten. Locat half der Frau aus dem Sattel, er hatte sie auf seinem Pferd mitgenommen. »Regt euch wieder ab, Jungens«, meinte er großspurig, »Kaffee für die Lady.« Ricardo Serra, der Bandit mit dem unschuldigen Kindergesicht und den kalten Schlangenaugen, löste sich zuerst aus seiner Verblüffung und zeigte sich von seiner galanten Seite. Er nahm einen Blechbecher und füllte ihn mit Kaffee. Er bemühte sich um ein vertrauliches Lächeln, als er der jungen Frau den Becher reichte. »Wo habt ihr denn die aufgelesen?« wollte Butch Halbert leise von Stoback wissen. »Sie war plötzlich da«, gab Stoback achselzuckend zurück, »klar, daß wir sie mitgenommen haben.« »Die sieht ja sagenhaft gut aus.« »Verstecken tut sie auf jeden Fall nichts«, antwortete Stoback und grinste anzüglich. Seine Bemerkung war vollkommen richtig. Die junge Frau wirkte in dem eng anliegenden Overall fast nackt. Jede Linie ihres Körpers zeichnete sich darunter deutlich ab. Die Spitzen ihrer Brüste waren deutlich zu erkennen. So etwas kannten die Männer selbst aus den wüstesten Saloons nicht. Die Tanzgirls präsentierten dort natürlich auch verwegene Dekolletes, doch mehr nicht. Sie trugen knöchellange Röcke und Korsetts. Keine von ihnen hätte es riskiert, sich in solch einem Aufzug zu zeigen. »Wie ‘n Flittchen sieht sie aber trotzdem nicht aus«, erkannte Halbert richtig.
»Das wird sich zeigen, Junge.« »Habt ihr euch was ausgedacht?« »Klar«, sagte Stoback und grinste, »warten wir mal ab, bis sie mit Whisky vollgepumpt ist. Vielleicht haben wir alle noch ‘ne schöne Nacht vor uns.« »Nicht schlecht, nicht schlecht«, freute sich Halbert, »mißtrauisch scheint sie nicht zu sein.« Nein, das war sie nicht. Sie saß auf einem Sattel knapp vor dem niedrig brennenden Lagerfeuer, nippte an ihrem Kaffee und lächelte versonnen. Stan Locat hatte eine Flasche Whisky aus dem Sattelgepäck geholt und entkorkte sie. Er ging auf die junge Frau zu und reichte sie ihr. Zuerst verstand sie nicht, doch als Locat ihr dann durch eine Geste zu verstehen gab, was sie tun sollte, setzte sie die Flasche an die Lippen und trank. Nein, sie zuckte nicht zusammen, als der billige und scharfe Whisky in ihrem Magen landete. Sie nahm nur die Flasche von den Lippen, sah sie sich interessiert an, schnüffelte an der Öffnung und nahm erneut einen Schluck. »Was ist das?« fragte sie dann, Locat die Flasche zurückreichend. »Whisky«, sagte er und fügte dann hastig hinzu: »Das trinkt man hier draußen im Gelände, ‘ne Art Medizin.« »Hat’s geschmeckt?« wollte Stoback wissen. »Ich weiß nicht«, lautete ihre Antwort, »aber es wärmt.« »Dann wärmen Sie sich doch noch mal auf, Miß!« Locat wußte genau Bescheid. Für eine Frau hatte sie bereits eine gehörige Portion zu sich genommen. Sie mußte bereits einen leichten Schwips haben. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie aus den Schuhen kippte. Schuhe? Erst jetzt fiel ihm auf, was sie an den Füßen trug. Nein, Schuhe waren das auf keinen Fall. Es waren sehr eng anliegende, knöchelhohe Stiefelchen aus einem besonderen Material, wie er es noch nie gesehen hatte. Sie bestanden wohl
aus demselben Stoff wie ihr Overall. Sie hatte die Flasche bereits wieder in Händen, setzte sie an den Mund und trank. Sie lächelte, als sie die Flasche zurückreichte. »Gut?« fragte Locat, während Serras Augen sie belauerten. »Sind Sie aus Texas rübergekommen?« wollte Halbert wissen. »Texas?« Sie wußte damit nichts anzufangen. »Schon gut«, schaltete sich Locat ein, »wollen Sie noch ‘nen kleinen Schluck, Miß?« Man sah es ihr an, daß sie nicht unhöflich sein wollte. Sie nahm die Flasche noch einmal entgegen und trank. Sie schluckte den scharfen Whisky wie Wasser und schüttelte sich auch jetzt nicht. Ricardo Serra hockte etwa einen Meter vor ihr und beobachtete ihre Augen, suchte nach den ersten Anzeichen der Trunkenheit. Selbst ein hartgesottener Trinker hätte jetzt den verräterischen Glanz des Alkohols in den Augen haben müssen. Nicht aber diese junge Frau. Doch der Alkohol tat seine Wirkung. Sie fiel plötzlich steif nach hinten und blieb regungslos liegen. »Die ist geschafft«, stellte Stan Locat zufrieden fest und trank jetzt selbst aus der Flasche. »Und wie soll’s weitergehen?« fragte Stoback unruhig und nervös. »Wie wohl?« Butch Halbert schluckte, »die Nacht ist noch lang, Zeit haben wir genug.« »Ich muß sie haben!« Ricardo Serra beugte sich über sie, sah sie sich aus nächster Nähe an, faßte vorsichtig nach ihrer Brust und... zuckte wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen.
»Was... Was war denn das?« fragte er verdutzt und rieb sich dann die schmerzende Hand. »Was war denn?« Stan Locat grinste abfällig. »Keine Ahnung«, meinte Ricardo Serra beeindruckt. Das schmerzende Kribbeln in seiner Hand ließ nur sehr zögernd nach. »Laßt mal ‘nen Fachmann ran!« Jeff Stoback grinste überlegen und beugte sich über die regungslos am Boden liegende Frau, »in ein paar Minuten hab’ ich die aus dem Futteral geschält, wetten?« Er suchte nach einem Verschluß, um den Overall zu öffnen, fand aber nichts. Das seltsame Kleidungsstück saß wie ein enger Handschuh auf dem Körper der Frau. Er griff jetzt energisch zu, wollte sie umdrehen und... brüllte entsetzt auf. Er sprang auf, tanzte herum und rieb sich die Hände, als habe er ins Feuer gegriffen. Stöhnend ging er auf und ab und hielt die Hände jetzt steif hoch. Sie waren wie taub, ohne jedes Gefühl. »Na, du Fachmann?« fragte Serra anzüglich. »Mann, die ist ja heiß wie ‘n Hufeisen im Feuer«, sagte Stoback, »laßt die Finger von der Frau, Jungens.« »Billiger Trick«, behauptete Halbert und schüttelte den Kopf. »Ihr wollt Locat und mich nur austricksen. Aber ohne mich.« Ricardo Serra und Jeff Stoback widersprachen nicht. Zu sehr steckte ihnen noch der Schrecken in den Knochen. Sie wichen unwillkürlich zurück, als nun auch Butch Halbert sein Glück versuchte. Ein wenig vorsichtig war er allerdings, als er jetzt die Hände nach der wehrlosen jungen Frau ausstreckte. Er hatte sie noch nicht berührt, als nun auch er zusammenfuhr und aufbrüllte. Irgend etwas warf ihn, schleuderte ihn zurück, eine Kraft, die sehr groß sein mußte. Er überschlug sich, krachte gegen einen Felsklotz und rutschte benommen an ihm hinunter.
»Da stimmt doch was nicht.« Stan Locat schüttelte den Kopf, traute sich aber nicht näher an die Frau heran. Er sah zu Halbert hinüber, der von Serra und Stoback auf die Beine gestellt wurde. Halbert stöhnte jetzt, rutschte immer wieder in sich zusammen und krümmte sich vor Schmerz zusammen, als seine beiden Partner ihn vorsichtig auf den Boden setzten. »Was war denn los?« fragte Locat ihn. »Ich halt’s nicht mehr aus«, stöhnte Halbert, »meine Hände sind verbrannt.« Sie zeigten natürlich keine Brandpuren, wie Locat schnell sah. Sie sahen vollkommen normal aus, waren noch nicht einmal gerötet. Aber Halbert bildete sich bestimmt nichts ein. Er war ein harter Bursche, der etwas vertragen konnte. Normalerweise. Und das hier mit der seltsamen Frau war nicht normal! »Du hast sie ja noch nicht mal angerührt«, sagte Locat. »Hat er nicht«, bestätigte Stoback, »ich hab’s genau gesehen, Locat.« »Ich seh’ da nicht durch«, murmelte Locat, »mit ihr stimmt was nicht.« Doch auch er wollte es wissen. Er zog seinen Winchester aus dem abgeschnallten Sattelfutteral und näherte sich vorsichtig der Frau. »Willst du sie...?« Stoback hatte gegen einen Mord grundsätzlich nichts einzuwenden, doch in diesem Fall war das anders. So schnell wollte er nicht aufgeben, was die Frau anbetraf. »Natürlich will ich nicht«, gab Locat zurück und schob die Mündung des Winchesters noch näher an die Frau heran. Etwa einen halben Meter war die Mündung nur noch von ihr entfernt, als Locat plötzlich wie Espenlaub zu zittern begann. Die Winchester fiel aus seinen Händen. Er wurde
durchgeschüttelt wie auf dem Rüttelsieb einer Erzmine. Sein Gesicht war qualvoll verzerrt, er wollte schreien, doch er konnte es nicht. Sekunden später fiel er wie ein nasser Sack zu Boden und rührte sich nicht mehr. *** Sie hatte noch etwas kalten Braten für ihn, frisches Brot und servierte dazu heißen Kaffee. Rose Madden beobachtete ihn genau und merkte, daß er mit diesen Dingen nicht viel anzufangen wußte. Er schien diese Art von Speisen nicht zu kennen. Sie stellte jedoch keine Frage, sondern machte ihm ganz beiläufig vor, wie er sich verhalten sollte. Sie aß ein wenig mit und merkte, daß er sich ihr schnell anpaßte. Schon nach wenigen Sekunden hatte er begriffen und folgte ihrem Beispiel. »Soll ich meinen Vater noch zum Arzt schaffen?« fragte sie. »Das ist nicht notwendig«, erwiderte er höflich, »ein Arzt ist ein Mann, der Verletzungen heilt, nicht wahr?« »Sie kennen diesen Ausdruck nicht?« »Warum brachten Sie ihn nach dem Unfall nicht sofort zu einem Wundheiler?« Er umging ihre Frage. »Wir können unsere Ranch nicht verlassen«, sagte sie. »Sie hängen an diesem Haus?« »Das natürlich, aber wenn wir weg sind, könnte es in Brand gesteckt werden.« »Das verstehe ich nicht.« Er sah sie groß und ernst an. »Man will uns von hier vertreiben.« »Aber das Haus ist doch Ihr Eigentum, nicht wahr?« »Man will es uns abjagen, verstehen Sie? Knapp hinter dem Haus gibt es eine große Quelle. Die möchte man in den Griff bekommen.«
»Sie müssen mir das alles erklären.« Der Fremde hatte nur sehr wenig gegessen und sah sie aufmerksam an. Er rollte sich nicht die übliche Zigarette, schien so etwas auch gar nicht bei sich zu haben. »Hier in dieser Region gibt es noch sehr rauhe Sitten«, meinte Rose aufseufzend. »Das Recht liegt bei denen, die Geld und Macht haben.« »Unvorstellbar.« »Für Sie vielleicht, aber nicht für uns. Wir haben uns daran schon fast gewöhnt.« »Eine schlechte Gewohnheit«, sagte der seltsame Fremde und schüttelte streng den Kopf. »Sie haben gut reden, vielleicht«, meinte Rose Madden, »wie soll man sich gegen Gewalt durchsetzen, wenn man allein ist?« »Man schließt sich zusammen. Viele Tropfen bilden einen reißenden Fluß, der alles hinwegschwemmen kann.« »Kluge Sprüche.« Rose Madden schüttelte den Kopf, »ich weiß nicht, woher Sie kommen, aber Sie scheinen nicht zu wissen, was Gewalt ist. Nein, nein, lassen Sie mich ausreden, sonst werden Sie das nicht begreifen. Meine Welt ist LoboCity und die ganze Region, die dazu gehört. Hier gibt es ein paar reiche Rancher, die praktisch machen können, was sie wollen. Und wer sich das nicht gefallen lassen will, sollte sich das sehr gut überlegen. Es gab da ein paar Leute, die es sich nicht gefallen ließen. Wissen Sie, was mit ihnen passierte? Sie liegen auf dem Friedhof. So sieht es hier bei uns aus. Und wenn mein Vater und ich nicht aufpassen, brauchen auch wir bald einen Sarg.« »Die Angst regiert also!« »Die nackte Angst«, pflichtete Rose ihm bei und nickte nachdrücklich, »wahrscheinlich wird Daddy verkaufen und wegziehen. Hoffentlich tut er das recht bald. Ich versuche
schon seit Monaten, ihn dazu zu überreden. Das mag sich feige anhören, ist vielleicht sogar feige, aber es verlängert das Leben.« Der Fremde hatte aufmerksam und geduldig zugehört, sie dabei mit seinen sanften, dunklen Augen angesehen. Man sah ihm jetzt an, daß er Einwände machen wollte, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf, als habe er eingesehen, daß das sinnlos war. »Wer will Ihnen die Ranch wegnehmen? So heißt dieses Gebäude hier doch, nicht wahr?« »Al Cunway«, sagte sie und senkte den Kopf. Allein die Nennung des Namens schien sie bereits zu entmutigen. *** »Und jetzt?« fragte Ricardo Serra und deutete auf die immer noch regungslos am Boden liegende Frau. Er und seine drei Partner hatten sich inzwischen erholt. Sie waren weggerückt aus der Nähe des Lagerfeuers und trauten sich nicht mehr an die eigenartige Frau heran. Sie hatten ihre Lektion gelernt, aber sie begriffen nicht, was sie da gelernt hatten. Sie standen vor einem unlösbaren Rätsel. »Wir warten, bis sie wieder aufwacht«, sagte Stan Locat. »Warum eigentlich?« wollte Halbert wissen. »Warum eigentlich?« fragte auch Stoback, »warum schmeißen wir uns nicht auf unsere Gäule und hauen ab? Mit der werden wir nichts als Ärger haben.« »Oder sie mit uns!« Stan Locat wollte einfach nicht begreifen und einsehen, daß diese wahrscheinlich schlafende Frau ihnen allen eine Niederlage bereitet hatte. Sein Stolz ließ das nicht zu. »Die is’ uns über«, sagte Serra, »schade, wo sie so schön ist.«
»Sie arbeitet mit irgendwelchen Tricks«, vermutete Locat, »und Tricks lassen sich früher oder später durchschauen.« »Moment mal!« Stoback hob warnend den Arm, richtete sich auf. Er hatte das ängstliche Schnauben der Pferde gehört, stand jetzt auf und verschwand geschmeidig und lautlos in der Dunkelheit. Nach ein paar Sekunden kam er schnell zurück, worauf seine Freunde ihre Waffen senkten. »Wie ich es mir gedacht habe«, sagte Stoback und grinste tückisch, »bei den Pferden muß ‘ne Klapperschlange vorbeigekrochen sein.« »Und?« Serra verstand nicht sofort. »Warte es ab!« Stoback ging in einem ziemlich weiten und sehr respektvollen Bogen um die am Boden liegende Frau herum und riß dann ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer. Halbert, der verstanden hatte, folgte seinem Partner. Sie brauchten nicht lange. Schon nach wenigen Minuten kamen die beiden Männer zurück. Sie hatten die Klapperschlange aufgespürt und eingefangen. Es handelte sich um ein ansehnliches Exemplar, ausgewachsen und gereizt. Die Giftschlange ringelte sich um den Lauf von Stobacks Winchester, wollte sich zu Boden fallen lassen, wurde aber immer wieder geschickt hochgerissen. Stoback fragte Locat erst gar nicht um Erlaubnis. Er visierte die schlafende Frau an und... warf die gereizte Giftschlange auf die Frau. Sie landete genau auf ihrem Leib und blieb einen Moment überrascht liegen. In den Augen Stobacks glitzerte der Sadismus. Er freute sich bereits auf den Schlangenbiß, auf den Aufschrei der Frau, auf die Panik und die Todesangst. Halbert und Serra standen nun neben ihm, Locat machte einen zuerst ärgerlichen Eindruck, grinste dann aber auch. Sie alle beobachteten die Giftschlange, die sich jetzt rührte und ihre neue Umgebung untersuchte. Sie befand sich im
Stadium höchster Erregung, konnte jeden Augenblick zuschnappen und ihre Giftzähne in den geschmeidigen Leib der jungen Frau schlagen. Sie aber rührte sich nicht. Sie schien überhaupt nicht mitbekommen zu haben, in welcher Todesgefahr sie schwebte. Ruhig und gleichmäßig waren ihre Atemzüge. Die Augen waren nach wie vor geschlossen. Die Klapperschlange ringelte sich auf, züngelte und kroch dann genau auf das feingeschnittene, exotisch wirkende Gesicht der fremden Frau zu, erreichte den Hals und... bäumte sich plötzlich gereizt auf, pendelte mit dem Kopf umher, zuckte vor und fuhr blitzschnell wieder zurück. Nein, sie biß nicht zu. Irgend etwas an der Frau hinderte die Schlange daran. Sie schob sich zurück, wurde schneller, glitt zurück zum Bauch der jungen Frau und glitt weiter zu den Schenkeln hinunter. Solch ein faszinierendes Schauspiel hatten die Männer noch nie gesehen. Sie hielten vor Spannung fast den Atem an. Die Klapperschlange rollte sich über den Schenkel der Frau ab und wollte aus dem Bereich des Feuers kriechen. Stobacks Winchester hinderte sie jedoch daran. Er wartete, bis die Klapperschlange genügend weit von der Frau entfernt war, dann schob er den Lauf der Schußwaffe unter die Schlange und beförderte sie zurück auf den Körper der Frau. Das Spiel wiederholte sich. Die Klapperschlange hatte nur das eine Bestreben, so schnell wie möglich wieder vom Körper der Frau herunterzukommen und die Flucht zu ergreifen. Als Stoback sie zum drittenmal auf die Frau zwang, reagierte die Schlange mehr als eigenartig. Diesmal suchte sie ihr Heil nicht in der Dunkelheit. Sie glitt ohne jedes Zögern auf das Lagerfeuer zu, obwohl die Gluthitze sie doch abschrecken mußte. Sie kroch weiter und –
verschwand, sich windend und zischend, in der Glut. Sie bäumte sich auf, schlug mit ihren Giftzähnen in die brennenden Holzscheite und verbrannte. »Nichts wie weg«, sagte Locat nach langen Sekunden des Schweigens, »nichts wie weg, Jungens!« Keiner widersprach. Scheu sahen sie auf die Frau, als sie zu ihren Pferden hinübergingen. Keiner von ihnen kam auf den Gedanken, auf sie zu schießen. Jeder von ihnen fühlte instinktiv, daß das ihren Tod bedeutet hätte. *** Al Cunway wollte es in dieser Nacht wissen. Zusammen mit seinen beiden Vertrauten Clem Lancer und Will Andrews war er unterwegs. Sie wollten die Ranch der Maddens von der Bildfläche verschwinden lassen. Cunway wollte reinen Tisch machen. Er hatte die Geduld verloren und wußte, daß weitere Verkaufsangebote an Carl Madden sinnlos sein würden. Dieser sture Kleinrancher würde niemals verkaufen. Al Cunway war knapp fünfzig, mittelgroß, hatte ein fleischiges Gesicht und einen Stiernacken, der mehr über seinen Charakter aussagte als lange Beschreibungsversuche. Seine beiden Begleiter waren gekaufte Subjekte und stammten aus Colorado. Sie verkauften sich und ihre Waffen gegen gutes Geld. Sie stellten keine Fragen, solange gezahlt wurde. Sie wußten nicht, was Mitleid war, und kannten keine Gefühle. Clem Lancer war dreißig Jahre alt, einsfünfundsiebzig Meter groß, schlank und durchtrainiert. In seinem Beruf mußte man in Form bleiben. Und er hielt sich in Form. Er war fast so etwas wie ein Gesundheitsapostel und trank keinen Tropfen
Alkohol. Frisches Gemüse war seine Leidenschaft. Lancer sah nicht wie ein Berufsmörder aus. Er erinnerte an einen höflichen, subalternen Mann. Will Andrews, mit dem er seit einigen Jahren zusammenarbeitete, war zehn Jahre jünger, einssiebzig Meter groß und wirkte schüchtern wie ein zu streng erzogener, großer Junge. Er soff im Gegensatz zu seinem Partner wie ein Loch und hatte es mit den Frauen. Ein gut aussehendes, weibliches Wesen konnte ihn verrückt machen. Was ihm gefiel, mußte er einfach haben, ob die betreffende Frau nun damit einverstanden war oder nicht. Ihr Aussehen war ihr Kapital. Keiner kam auch nur jemals auf den Gedanken, es könnte sich bei ihnen um erfahrene Killer handeln. Hinzu kam, daß sie einer offenen Schießerei möglichst aus dem Weg gingen. Ihr Trick war der Meuchelmord. Sie liebten die Dunkelheit und die Anonymität. In dieser Nacht also waren die beiden Killer zusammen mit Al Cunway unterwegs. Er hatte ihnen den Auftrag gegeben, mit der miesen, kleinen Ranch endlich Schluß zu machen. Er wollte endlich heran an die Quelle, die er zur Abrundung seines Riesenbesitzes noch brauchte. In Zukunft war es dann nicht mehr nötig, seine Herden in einem weiten Bogen zum Fluß zu führen. Die Tiere konnten jetzt zentral getränkt werden, ohne viel bewegt werden zu müssen. Daß sein Anschlag auf die Madden-Ranch klappen würde, stand für ihn fest. Al Cunway wußte genau, daß Carl Madden hilflos im Bett lag. Und seine Tochter Rose hatte ohnehin gegen die beiden Killer keine Chance. Die drei Männer hatten natürlich auch den gleißenden Stern gesehen, darüber aber weiter kein Wort verloren. Cunway dachte an die Wasserquelle, war ohnehin nicht bei der Sache, Lancer an einen neuen Auftrag drüben in Texas und Andrews beschäftigte sich mit der jungen, blonden Frau, die im
Ranchhaus lebte. »Hinter den Hügeln liegt die Madden-Ranch«, sagte Cunway nach einer Weile und hielt sein Pferd an, »ihr kennt ja den Weg. Ich denke, ich werde jetzt zurückbleiben.« »Klar«, sagte Will Andrews schnell, »Sie brauchen gar nicht dabei zu sein.« »So was erledigen wir lieber allein«, meinte Clem Lancer, »dafür werden wir schließlich bezahlt.« »Macht reinen Tisch«, verlangte Cunway, »ich will später keine Zeugen haben.« »Warten Sie hier auf uns«, erklärte Clem Lancer, »ich denke, daß Sie in einer guten halben Stunde Feuerschein am Himmel sehen werden.« Die beiden Berufsmörder ritten an und verschwanden kurz danach im unübersichtlichen Gelände. *** »Ich möchte mal nach Vater sehen«, sagte Rose Madden und stand auf. Sie war ein wenig verwirrt, wußte nicht, was sie von ihrem Gast halten sollte. So einen Mann hatte sie noch niemals gesehen. Von ihm ging eine Ruhe und Kraft aus, die sie fast körperlich zu spüren glaubte. Rose blieb lauschend vor der Tür zur Schlafkammer stehen, öffnete dann vorsichtig und trat auf Zehenspitzen näher. Im Schein der tief heruntergedrehten Lampe sah das Gesicht ihres Vaters ruhig und entspannt aus. Schmerzen schien er nicht zu haben. Sie nahm die Lampe, drehte den Docht ein wenig höher und schlug dann die Decke zurück. Sie wollte sich die unverbundene Wunde ansehen. Rose wollte ihren Augen nicht trauen. Sie beugte sich noch tiefer, um noch besser sehen zu
können. Dann fuhr sie hoch und holte tief Luft Sie wollte es nicht glauben. Sie war sicher, daß die Augen ihr einen bösen Streich spielten. Das konnte doch unmöglich wahr sein! Das gebrochene Bein war vollkommen in Ordnung! Es schien niemals verletzt worden zu sein. Nicht eine einzige Schramme war zu sehen, keine Narbe. Die Krusten über den offenen Wundstellen hatten sich in nichts aufgelöst. Das Bein war gerichtet und machte einen vollkommen gesunden Eindruck. Der Fremde hatte nur seine Hand über die Wunden gleiten lassen. Mehr war nicht geschehen. Sie hatte doch alles mit eigenen Augen mitverfolgt. Wer war dieser Fremde, der solch ein Wunder bewirken konnte? Über welche geheimen Kräfte mochte er verfügen? Rose Madden bekam es ein klein wenig mit der Angst zu tun. Sie legte die Decken wieder sorgfältig über das Bein und ging zurück zur Tür. Sie hatte jetzt Angst, zurück zu ihrem fremden Gast zu gehen. Der Tisch war leer! Der so fremdartig gekleidete Mann hatte den Tisch verlassen. Sie sah sich nach ihm um, suchte ihn, konnte ihn nicht entdecken. Er schien die Gelegenheit wahrgenommen zu haben, das Haus zu verlassen. Sie bedauerte das, war aber gleichzeitig auch ein wenig erleichtert. Dieses Wesen schien aus einer Welt zu stammen, zu der sie keinen Zugang hatte, die sie nicht kannte. Rose Madden zuckte zusammen, als die Tür sich plötzlich öffnete. Der Fremde kam von draußen herein, lächelte neutral, ging auf die junge Frau zu und nahm ihr die Lampe aus der Hand. Er blies sie aus, und erst jetzt merkte Rose, daß die übrigen Lampen in dem mäßig großen Raum, der als Küche und Wohnraum diente, bereits gelöscht worden waren. »Keine Angst«, hörte sie die ruhige und gelassene Stimme
des Fremden, »ich habe zwei Reiter gesehen, die auf dieses Haus zukommen. Erwarten Sie Besuch?« »Nein, nein«, flüsterte sie unwillkürlich. »Dann ist es gut«, redete der Fremde weiter, »die beiden Männer sind böse. Sie wollen töten.« »Sie haben sie gesehen?« Rose Maddens Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Sie lief zu einem der beiden Fenster und sah nach draußen. Das weiße Mondlicht erhellte das Gelände, doch von zwei Männern war nichts zu sehen. »Sie sind noch drüben in den Hügeln«, sagte der Mann mit normal lauter Stimme und erschien neben Rose, »es ist noch ein dritter Mann da, doch der bleibt zurück und kommt nicht mit.« »Wieso können Sie die drei Männer sehen?« fragte Rose spontan. Sie dachte automatisch an die geheimen Kräfte dieses Fremden, der das gebrochene und zerquetschte Bein ihres Vaters geheut hatte. »Ich sehe sie eben«, meinte der Fremde, »warum, weiß ich auch nicht, das ist eben so.« »Können Sie auch die Gesichter erkennen?« Rose Madden rechnete nicht einen Moment lang mit einem Trick. »Dazu sind sie noch zu weit entfernt«, antwortete der Fremde, »Sie brauchen keine Angst zu haben, Rose Madden.« »Man will sicher die Ranch niederbrennen«, gab sie hastig zurück, »ich habe die ganze Zeit schon damit gerechnet. In dieser Nacht soll es jetzt geschehen.« »Es wird nicht geschehen.« »Sie haben ja gar keine Waffen«, erinnerte Rose sich plötzlich, »nehmen Sie Daddys Winchester und die Colts. Warten Sie, ich werde sie holen.« »Ich brauche keine Waffen.« Es war für ihn eine selbstverständliche Feststellung.
»Sie haben es mit Mördern zu tun.« »Und sie werden es mit mir zu tun haben«, lautete seine lapidare Antwort, »sorgen Sie sich nicht. Geben Sie mir nur Kleidung von ihm. Ich falle sonst so auf...« »Soll ich meinen Vater wecken? Es geht ihm gut, das Bein ist wieder vollkommen in Ordnung. – Und natürlich können Sie von ihm Kleidung bekommen. Soll mein Vater Ihnen helfen?« »Ich brauche keine Hilfe«, sagte er ruhig, »bleiben Sie hier im Haus, Rose Madden, ich werde nach dem Umziehen bald wieder zurück sein.« Rose Madden sah ihm nach, als er zur Tür ging, sie öffnete und dann nach draußen verschwand. Sie blieb am Fenster stehen und wartete, bis er vor dem Haus auftauchen würde. Doch das war nicht der Fall. Der Fremde schien um das Haus gegangen zu sein. Rose Madden lief hinüber in die kleine Küche, schob hier den Vorhang zur Seite und schaute hinaus auf das weite, freie Feld. Hier mußte er doch zu sehen sein. Nichts! Die junge Frau wußte nicht, was sie davon halten sollte. Unruhig nagte sie an ihrer Unterlippe. Wieso hatte der Fremde die drei Männer nur sehen können, obwohl es doch vollkommen dunkel war, wenn man von dem schwachen Mondlicht einmal absah, das jetzt kaum noch zählte. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben und schirmten sein Licht ab. Solche Fähigkeiten waren doch nicht mehr menschlich. Selbst ein Nachttier hätte die drei Männer noch nicht erkennen können. Und jetzt ging der geheimnisvolle Fremde diesen drei Männern sogar noch ohne jede Waffe entgegen. Für Rose war es klar, daß sie es mit Cunway und den beiden Kreaturen zu tun hatte, die sie einige Male in seiner Begleitung gesehen
hatte. Ihre Wege hatten sich in Lobo-City gekreuzt und sie war von den beiden Männern sehr höflich gegrüßt worden. Dennoch hatte sie sofort gewußt, daß sie es mit Mördern zu tun hatte. An diese beiden Berufskiller pirschte der Fremde sich nun waffenlos heran. Jeden Moment mußten die tödlichen Schüsse fallen! *** »Moment mal, Clem«, sagte Will Andrews, als sie die Ranch bereits vage erkennen konnten, »da ist eine Sache, die geklärt werden muß.« »Die Blonde, wie?« Clem Lancer hatte sofort verstanden. »Wie denkst du darüber, Clem?« »Sie gehört dir. Will.« »Dann ist ja alles klar.« Will Andrews grinste zufrieden. »Cunway braucht davon ja nichts zu erfahren«, ließ Clem Lancer sich noch einmal vernehmen, »schaff sie irgendwohin, wo sie keinen Ärger machen kann.« Will Andrews nickte. Für ihn war die Sache bereits gelaufen. Andrews hatte schon einen bestimmten Plan. Er würde die Frau drüben in den alten Indianerpueblos verstecken, bevor man zurück zu Cunway ritt. Dort würde kein Mensch nach der blonden Frau suchen, dort konnte er sich in aller Ruhe mit ihr befassen, bis sie ihn nicht mehr interessierte. Danach konnte man sie vielleicht an einem Schlangenbiß sterben lassen. Für Will Andrews war es noch niemals ein Problem gewesen, einen Menschen umzubringen. Was das anbetraf, hatte er schon immer viel Phantasie bewiesen. Clem Lancer hielt einen runden Kanister in der Hand, der mit Petroleum gefüllt war. Damit wollte er das Ranchhaus
anzünden. Sobald das Haus in Flammen stand, brauchte man nur noch auf Carl und Rose Madden zu warten. Ihr Plan war einfach und zeichnete sich durch brutale Konsequenz aus. Carl Madden sollte mit einem dicken Holzprügel umgebracht werden, falls er es überhaupt noch schaffte, aus dem Haus zu kommen. Nach diesem Niederschlag mußte er zurück ins Feuer. Von der Schußwaffe wollten die beiden Killer keinen Gebrauch machen. Eine spätere Untersuchung würde zeigen, daß Carl Madden von herabstürzenden Balken erschlagen worden war. Rose Madden war ein Fall für Will Andrews. Es konnte nur eine Kleinigkeit sein, sie außer Gefecht zu setzen. Clem Lancer machte sich darüber keine Gedanken. Wenn das Ranchhaus erst einmal brannte, würde sie wie ein aufgescheuchtes Huhn herumrennen. Clem brauchte dann nur noch zuzufassen. Die beiden Killer hatten den letzten mit Büschen bestandenen Geröllhang hinter sich gebracht und legten eine letzte Pause ein. Das Ranchhaus war jetzt nur noch etwa einhundertfünfzig Meter von ihnen entfernt. Im Haus war alles dunkel. Natürlich hatte man dort keinen Verdacht geschöpft, natürlich hielt man dort keine Wache. Das Feuer würde die Schlafenden völlig überraschen. »Dann wollen wir mal.« Clem Lancer nahm den runden Kanister hoch und... ließ ihn dann entsetzt aus der Hand fallen. Eine Stichflamme schoß durch den Schraubverschluß, war meterhoch und verspritzte brennendes Petroleum durch die Gegend. Clem Lancers Kleidung wurde getroffen und setzte sich sofort in Brand. Will Andrews war entsetzt zur Seite gesprungen, starrte fassungslos auf seinen brennenden Partner, der sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen ließ, sich abrollte und die
kleinen Flammenzungen so erstickte. Die Flammensäule war inzwischen in sich zusammengebrochen, war zurück in den Kanister gefallen. Clem Lancer starrte fassungslos auf den Behälter, schüttelte den Kopf, konnte einfach nicht verstehen, wie es zu dieser Zündung gekommen war. Will Andrews erging es nicht anders. Kopfschüttelnd und mißtrauisch musterte er den Behälter, sah dann hinüber zu seinem Partner Lancer. »Das is’ doch unmöglich«, sagte er dann mit heiserer Stimme, »so was gibt’s doch gar nicht.« »Ich pack’ den Kanister nicht wieder an«, gab Lancer zurück. »Ob man uns drüben gesehen hat?« Andrews deutete auf die Ranch, wo sich aber nichts rührte. »Wahrscheinlich nicht«, mutmaßte Lancer, »machen wir’s eben ohne den Stoff, muß auch so gehen.« Er kramte in seiner Tasche herum und holte dann eine Handvoll Streichhölzer hervor. Doch kaum in der Hand, zündeten auch sie. Eine kleine Stichflamme schoß aus seiner flachen Hand hoch. Lancer brüllte unterdrückt auf, warf die brennenden und zischenden Streichhölzer zu Boden und stierte dann auf die Innenseite seiner Hand, auf der sich bereits eine Brandblase bildete. »Hier stimmt was nicht«, sagte Will Andrews. Er fühlte sich plötzlich belauert, wollte sicherheitshalber seinen Colt aus dem Halfter ziehen. Blitzschnell schlossen seine Finger sich um das Griffstück, doch die Schußwaffe rührte sich nicht, saß wie festgeschmiedet im Halfter! »Nein«, flüsterte Andrews, riß und zerrte an der Waffe, bekam sie aber dennoch nicht frei. Er versuchte es mit seinem linken Colt, doch auch der ließ sich nicht bewegen. »Was ist denn?« fragte Clem Lancer leise. Er konnte es vor
Schmerzen kaum noch aushalten. »Die Colts«, murmelte Andrews, »die Colts, Clem! Sie lassen sich nicht bewegen!« »Unsinn!« Clem Lancer versuchte sein Glück, griff mit der intakten linken Hand nach seinem Colt und... schüttelte verblüfft den Kopf. Die Waffe rührte sich nicht! »Was... Was hat das zu bedeuten?« fragte Lancer und vergaß für einen kurzen Moment die Schmerzen in seiner rechten Hand. »Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.« Will Andrews versuchte erneut, eine der beiden Waffen aus dem Halfter zu bekommen. Ohne Erfolg! »Nichts wie weg«, sagte Lancer hastig, »Cunway soll das da drüben selbst erledigen.« »Mann, Clem«, gab Will Andrews gereizt zurück, »aufstecken? Niemals! Jetzt will ich’s wissen.« Er sah nicht mehr aus wie ein gut erzogener, großer Junge. Mordlust und unbezähmbare Wut ließen das Gesicht zu einer Fratze des Bösen werden. Er trat gegen den Kanister, stieg über ihn hinweg und ging dann auf die Ranch zu. Ein Will Andrews ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Er wollte es jetzt wissen. In diesem Moment geschah etwas sehr Seltsames. Er hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr von der Stelle kommen zu können. Unsichtbare, zähe Watte umgab ihn, hemmte seine Schritte und Körperbewegungen. Diese Watte schloß sich immer dichter und enger um ihn, schnürte ihn ein, nahm ihm schon fast die Luft. Will Andrews stöhnte auf, schlug verzweifelt um sich, merkte, daß seine Bewegungen von dieser unsichtbaren Watte erstickt wurden, zog sich hastig zurück und... konnte sich wieder frei und ungehemmt bewegen. »Was war denn?« wollte Clem Lancer wissen. Er hatte die seltsamen Bewegungen seines Partners genau verfolgt. »Da is’ was«, murmelte Andrews, »da hält mich was fest,
Clem. Ich kann es nicht sehen, aber ich hab’s deutlich gespürt.« »Gespürt?« meinte Lancer bestürzt und unsicher. »So was gibt es doch gar nicht!« Will Andrews wollte noch nicht aufgeben. Er holte tief Luft und warf sich in diese unsichtbare Watte hinein. Sie umschloß ihn sofort wieder, war noch zäher, erstickte sofort seinen kräftigen Schwung. Andrews hatte jetzt Mühe, wieder freizukommen. Keuchend und nach Luft schnappend blieb er stehen, schüttelte ratlos den Kopf, spürte die Angst, die in ihm hochkroch, eine Angst, wie er sie bisher noch niemals erlebt hatte. »Weg«, sagte er hastig, »nichts wie weg!« Die beiden Berufskiller stolperten zurück in das Geröllfeld und sahen nicht den großen, schlanken Mann, der plötzlich einfach da war und ihnen ernst nachschaute. *** »Das ist doch Blödsinn«, regte sich Al Cunway auf, nachdem Lancer berichtet hatte, »ihr habt euch was eingebildet.« »Sehen Sie sich mal meine Hand an.« Lancer streckte ihm die Hand unter die Nase, wollte die Brandblase zeigen. In diesem Augenblick erst merkte er, daß die Hand überhaupt nicht mehr schmerzte. Und er wußte gleichzeitig, daß von der Brandblase nichts mehr zu sehen war. Er hatte sich nicht getäuscht. Die Brandblase war verschwunden. »Das versteh’ ich einfach nicht«, murmelte er verwirrt und beeindruckt, »eben war sie doch noch da!« »Was wird hier eigentlich gespielt?« brauste Cunway auf, »wollt ihr den Preis hochtreiben? Warum legt ihr eure Karten
nicht offen auf den Tisch?« »Das ist kein Bluff, Cunway.« Will Andrews’ Stimme klang heiser. »Versuchen Sie mal, meine Colts aus den Halftern zu ziehen, versuchen Sie es!« Al Cunway griff zu und... hielt sie Sekundenbruchteile später in seinen Händen. »Das kann doch nicht wahr sein!« Will Andrews war fassungslos, »eben saßen sie doch noch wie verkeilt fest. Ich begreif das nicht.« Al Cunways Mißtrauen legte sich. Diese Verblüffung, Ratlosigkeit und auch Angst konnten wohl doch nicht gespielt sein. Die beiden Berufsmörder mußten Dinge erlebt haben, die über ihren Horizont gingen. Mit welchen Tricks mochte dieser Carl Madden wohl gearbeitet haben? Clem Lancer und Will Andrews hockten sich auf dem Boden nieder und schwiegen. Sie hatten diese rätselhaften und unheimlichen Erscheinungen noch nicht verarbeitet. Sie waren völlig verwirrt und durcheinander. *** Sheriff Joe Blade saß auf der überdachten Veranda vor seinem Büro und überschaute die Straße von Lobo-City. Blade war ein zäh aussehender, drahtiger Mann von vierzig Jahren, etwa einsfünfundsiebzig Meter groß, schlank und mit einem stets sehr wach wirkenden Gesicht versehen, in dem graue, kühle Augen waren. Der Mann sah nach Energie und Dynamit aus. Auf diese Erscheinung waren die Bewohner von Lobo-City hereingefallen, anders konnte man es nicht bezeichnen. Sie hatten sich von seinem energischen Auftreten und Aussehen bluffen lassen. In Wirklichkeit war Joe Blade ein stets zögernder und sehr vorsichtiger Mann, der jedem Konflikt
möglichst aus dem Weg ging. Er redete gern von Taktik, wenn er wieder einmal nichts unternahm. Und er unternahm nur sehr selten etwas. Er ließ die Dinge treiben und ging von der Hoffnung aus, die Dinge würden sich früher oder später schon von allein zurechtrücken. Sie rückten sich jedoch nicht zurecht! Die Lobo-City-Region befand sich in der Hand von Männern, die nach ihrem eigenen Gesetz lebten und für die nur Gewalt zählte. Sie hielten die kleine Stadt fest in der Hand und lachten unverhohlen über den Sheriff, der nur zu gern beide Augen schloß. Im Augenblick fühlte Joe Blade sich überhaupt nicht wohl in seiner Haut. Hinter ihm im Gefängnistrakt saß schließlich Hale Camarro, ein Banditenanführer, der eigentlich nur durch einen glücklichen Zufall hatte festgenommen werden können. Und diese Festnahme ging noch nicht einmal auf das Konto des Sheriffs. Der Banditenchef war von einem Bankangestellten und von einem zufällig in der Bank anwesenden Cowboy überrascht und überwältigt worden. Das Urteil war gesprochen, und die Vollstreckung sollte in zwei Tagen stattfinden. Joe Blade rechnete fest damit, daß diese Sache noch, nicht überstanden war. Er wartete nervös und unruhig auf das Erscheinen der Freunde des Banditenchefs. Sie würden ihren Boß niemals in der Patsche sitzen lassen. Lobo-City, im Norden von Neu-Mexiko gelegen, nahe der texanischen Grenze, war eine nette, kleine Stadt, was ihr Äußeres anbetraf. Die Holzhäuser waren durchweg in Schuß, ein bescheidener Wohlstand zu erkennen. Es gab einige Saloons und Hotels, zwei Schmieden, einen General-Store und dann die Bank, in der Hale Camarro überwältigt worden war. Sie lag an dem kleinen Platz, an dem auch die Kirche stand.
Als Sheriff Blade die Staubwolke weit hinten am Dorf ausmachte, stand er sofort nervös auf. Anzusehen war ihm diese Nervosität allerdings nicht. Der Sheriff erschien als ein Mann, der kommenden Gefahren gelassen entgegensah. Er nahm seine Winchester in die Arme und schob sich langsam in sein Büro zurück. Vom Fenster aus verfolgte er die näherkommende Staubwolke, aus der dann vier Männer heraustraten, als sie Bendlers Saloon erreicht hatten. Vier Männer, die er nicht kannte, die er aber einzuordnen wußte. Das mußten Camarros Freunde sein. Oder etwa doch nicht? Sie benahmen sich erstaunlich zivilisiert, verzichteten auf jeden Effekt. Sie hatten es sehr eilig, im Saloon zu verschwinden. »He, Sheriff!« Das war Camarro, der sich in seiner Zelle meldete. Joe Blade ging zur geöffneten Tür hinüber, die in den Zellentrakt führte, blieb hier stehen und sah Camarro erwartungsvoll an. Der Banditenboß stand am Gitter seiner Zelle und grinste den Sheriff mokant an. »Haben Sie die vier Jungens gesehen?« fragte er. Camarro war fünfundvierzig Jahre alt, fast einsachtzig Meter groß und hatte ein hartes, brutales Gesicht mit erstaunlich kleinen Augen, die jetzt vor Vergnügen glitzerten. »Was ist mit den vier Männern?« fragte Blade, obwohl er es eigentlich schon wußte. »Vielleicht Freunde von mir«, sagte Camarro. »Vielleicht«, antwortete der Sheriff. »In Lobo-City wird bald die Hölle los sein.« »Machen Sie sich keine unnötigen Hoffnungen, Camarro. Sie sitzen fest« »Aber wie lange noch, Blade? Haben Sie sich meinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen?« »Ich bin nicht zu kaufen, Camarro.«
»Wirklich nicht?« Camarro sah den Sheriff ironisch an. »Sie machen sich vor Angst doch schon fast in die Hosen.« »Man wird mit Ihren Freunden reden müssen«, sagte Sheriff Blade. »Man muß ihnen deutlich machen, daß sie gegen die Stadt keine Chance haben.« »Die Stadt? Das ist doch wohl ‘n Witz, oder? Lobo-City kuscht doch schon seit Monaten. Die Leutchen sind froh, wenn sie in Ruhe gelassen werden.« »Sie stehen wie ein Mann hinter mir«, behauptete Joe Blade. »Sie haben immerhin einen Menschen getötet, Camarro, und Sie haben ein unschuldiges Kind schwer verletzt. Sie kennen doch Ihr Urteil!« »Ich weiß nur, daß ich bald frei sein werde, Blade. Und dann rechnen wir miteinander ab. Ihre einzige Chance besteht darin, mich rauszulassen. Heimlich, versteht sich.« »Niemals«, erklärte der Sheriff ohne viel Nachdruck, »dann wüßte man sofort, daß ich es gewesen bin.« »Ich könnte ja einen Ausbruchsversuch riskieren. Dabei gehen Sie eben zu Boden und wissen später von nichts. Ist das nun ein Angebot oder nicht?« »Ich bin nicht käuflich, Camarro.« »Fünftausend Dollar für Sie, Blade. Ich lasse mich nicht lumpen. Fünftausend Dollar.« »Hören Sie auf, Camarro!« »Oder ich laß Sie zusammenschießen, Blade. Sie brauchen nur zu wählen. In ein paar Stunden ist in Lobo-City die Hölle los. Man wird Ihr Büro und das Gefängnis stürmen.« »Ich bin nicht allein«, behauptete Blade, obwohl er genau wußte, daß von den Bewohnern keine Hilfe zu erwarten war. Sie alle hatten Angst und duckten sich. »Einsamer kann kein Mensch sein«, stellte Camarro jetzt kalt fest. »An Ihrer Stelle hätte ich mich längst abgesetzt. Warum wollen Sie sich für einen Haufen Feiglinge umbringen
lassen? Sind Sie wirklich ein Held?« Nein, er war kein Held, obwohl er ganz so aussah. Joe Blade spürte die Trockenheit der Angst in seinem Mund, wandte sich hastig ab und ging zurück in sein Büro. Er blieb völlig überrascht stehen, als er sich einer Frau gegenübersah, wie er sie noch niemals in seinem Leben gesehen hatte. Er sperrte im wahrsten Sinne des Wortes Mund und Nase auf, schluckte und brachte kein Wort hervor. *** Als sie aufwachte, dachte sie natürlich sofort an den Fremden. Rose Madden stand leise auf und bereitete das Frühstück. Sie hatte nach ihrem Vater gesehen, doch er schlief noch und machte einen erstaunlich gesunden und frischen Eindruck. Als Rose den Kaffee aufbrühte, sah sie zufällig zum Fenster hinaus und schluckte vor Überraschung. Das Dach der Scheune, das Ihr Vater vor dem Unfall hatte reparieren wollen, war neu gedeckt. Sie konnte es im ersten Moment überhaupt nicht glauben. Die Holzschindeln saßen dennoch fest und glatt auf der Dachkonstruktion. Es war eine Arbeit, die normalerweise Tage gedauert hätte. Doch sie war innerhalb des Restes der Nacht getan worden. Und das konnte nur der Fremde getan haben. Eine andere Möglichkeit gab es überhaupt nicht. Er kam um die Scheune herum, schaute zum Dach hoch und ging dann auf das große, schwere Tor zu, das ebenfalls noch nicht montiert war. Rose Madden fühlte, daß sie Dinge zu sehen bekommen würde, die bisher noch kein Mensch hatte sehen dürfen. Unwillkürlich trat sie etwas vom Fenster zurück, um nicht entdeckt zu werden. Vor Aufregung und Erwartung atmete sie
nur noch ganz flach. Der Fremde baute sich vor dem am Boden liegenden Tor auf und streckte nun beide Arme aus. Er spreizte die Finger und schien das schwere Tor damit beschwören zu wollen. Und es hob sich! Zentimeterweise fuhr es hoch, langsam, aber unaufhaltsam. Das Tor bewegte sich wie durch Zauberkraft, schien überhaupt kein Gewicht zu besitzen, mußte von unsichtbaren Kräften mit spielerischer Leichtigkeit bewegt werden. Sekunden später war alles vorüber. Nein, sie mußte sich doch getäuscht haben. Das Tor lag wieder am Boden, und der Fremde kam langsam auf das Ranchhaus zu. Sein Gesicht war undurchdringlich wie immer. Hatte der Fremde gemerkt, daß er beobachtet worden war? Hatte er daraufhin die Arbeit aufgegeben? Wollte er sich nicht in seine Karten sehen lassen? »Guten Morgen«, sagte Rose verlegen, als er durch die Hintertür in die Küche kam. »Guten Morgen, Rose Madden«, antwortete er, »es riecht gut. So sagt man doch, nicht wahr?« »In ein paar Minuten gibt es Kaffee und heiße Pfannkuchen.« »Sie sind schon früh auf?« Er fragte in einem Ton, als benutze er eine einstudierte Floskel, die ihm im Grunde überhaupt nichts sagte. »Ich... ich habe das Dach gesehen«, antwortete Rose, die ihr Erstaunen einfach nicht zurückhalten konnte. »Das Dach?« »Es ist gedeckt, frisch gedeckt. Haben Sie das getan?« »Ich wollte Ihnen eine Freude machen, Rose Madden.« »Sie allein haben das getan?« Sie sah ihn fassungslos an. »Es war nicht schwer«, meinte der Fremde wie selbstverständlich. »Eine recht veraltete Methode, aber recht
nett.« »Sie allein haben das Dach gedeckt?« Sie konnte es einfach nicht begreifen. »Warum wundern Sie sich, Rose Madden?« Er war nun seinerseits erstaunt. »Normalerweise braucht man Tage dazu.« »Nicht wir«, gab er zurück. »Darf ich Sie etwas fragen?« Rose Madden faßte sich ein Herz. Bisher hatte sie ihre Neugier tapfer unterdrückt, doch nun konnte sie sich nicht mehr länger beherrschen. »Sie wollen wissen, woher ich komme?« Er hatte ihre Frage bereits erraten. »Wer sind Sie und woher kommen Sie?« »Ich komme aus der Zeit. Fragen Sie nichts weiter dazu. Sonst muß ich Sie verlassen«, lautete seine unverständliche Antwort, »und mein Name wird Ihnen gar nichts sagen, Rose Madden.« »Aber irgendwie muß ich Sie doch anreden.« »Ich weiß, das ist bei Ihnen so Sitte«, gab er zurück und nickte. »Suchen Sie sich einen Namen aus, der Ihnen gefällt. Ich werde ihn akzeptieren.« »Marty?« Sie hatte eine enge Beziehung zu diesem Namen. »Ihr jüngerer Bruder, der in den Bergen abgestürzt ist, nicht wahr?« »Du lieber Himmel«, sie holte tief Luft, wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Er hatte ihre Gedanken genau erraten. Sie hatte tatsächlich an ihren jüngeren Bruder gedacht. »Ich bin also Marty«, sagte der Fremde und lächelte andeutungsweise, »ein schöner Name, Rose Madden.« »Ich... ich begreife das alles nicht... Marty.« Sie schluchzte vor innerer Erregung auf, fühlte sich matt und völlig verwirrt. »Die Pfannkuchen – so heißt es doch, ja? – brennen an!« Er lenkte sie geschickt ab.
Rose Madden schrie leise auf und stürzte zum Herd. Sie schaffte es gerade noch, die Pfannkuchen vor dem Anbrennen zu bewahren. Sie wandte sich um, als die Tür zur Schlafkammer sich öffnete und ihr Vater vorsichtig und mißtrauisch zugleich in die Küche kam. Er trat ganz behutsam auf, schien dem heilen Bein noch nicht ganz zu trauen. Sein Gesicht spiegelte Überraschung und Ratlosigkeit wider. Er starrte den Fremden an, wollte etwas sagen, schüttelte den Kopf und ließ sich dann auf einem Stuhl nieder. »Ich kann’s einfach nicht glauben.« Er streifte sein Hosenbein hoch und zeigte Rose die glatte und unversehrte Haut. »Das ist ein echtes Wunder. Das nimmt mir kein Mensch ab.« »Das hat er getan, Dad.« Rose deutete auf den Mann, der im Grunde keinen Namen hatte. »Ich weiß.« Carl Madden nickte langsam. »Vielen Dank, Fremder, vielen, vielen Dank. Ich stell’ besser keine Fragen, oder?« »Dad, sieh dir das Dach an!« Rose Madden lief zur Küchentür und riß sie auf. Sie deutete nach draußen. Carl Madden erging es kaum anders als seiner Tochter. Er stutzte, erhob sich dann langsam und ging zur Tür. Ungläubig starrte er auf das große, frisch gedeckte Dach. Sein Gesicht war bleich, als er sich zu dem Fremden umdrehte. »Eigentlich müßte ich Angst vor Ihnen haben, Fremder«, erklärte er offen. »Aber komisch, ich hab’ keine Angst.« »Warum sollten Sie Angst vor mir haben, Sir?« Der Fremde redete ihn sehr förmlich an und wieder klang es wie einstudiert. »Können Sie Wunder tun?« wollte Carl Madden vorsichtig wissen. »Was ist das, Wunder?«
»Na, eben Wunder«, gab Carl Madden zurück, »etwas tun, was Menschen niemals tun könnten.« »Dann ist es ein Wunder«, bestätigte der Fremde und lächelte andeutungsweise. »Ein Wunder für mich sind die Pfannkuchen.« »Kennen Sie so etwas nicht?« fragte Rose. »Es sieht gut aus«, erwiderte der Fremde, »aber leider muß ich jetzt weiter.« »Sie wollen schon gehen, Marty?« »Ist es richtig, daß eine große Anzahl dieser vierbeinigen Tiere auf dieses Haus zugetrieben werden?« erkundigte er sich ruhig. »Eine Rinderherde? Hierher auf das Haus zu?« Carl Madden begriff sofort, was das zu bedeuten hatte. Cunway wollte das kleine Ranchhaus niedertrampeln lassen. »Eine Rinderherde, das ist wohl der richtige Ausdruck.« »Und sie kommt hierher auf die Ranch zu?« Madden geriet in Panik. »Sie wird erst in einiger Zeit hier sein. Sie bewegt sich durch ein schmales Tal.« »Dann haben wir noch eine gute Stunde Zeit. Rose, pack sofort die Sachen! Nimm nur das Notwendigste mit! Wir nehmen den Wagen.« »Sie wollen dieses Haus verlassen?« Der Fremde wunderte sich. »Wahrscheinlich wissen Sie nicht, wie solch eine Herde wirkt«, antwortete Carl Madden, »sie ist ‘ne Dampfwalze, die alles niederwalzt. Mit diesem Trick hab’ ich eigentlich immer schon gerechnet.« »Sie glauben, daß ein Mann namens Cunway die Herde absichtlich hierher auf das Haus zutreibt?« Der Fremde begriff nicht ganz. »Und ob er das absichtlich macht, Fremder.« Carl Madden
nickte nachdrücklich, »jetzt will Cunway es wissen. Dagegen haben wir nicht die Spur einer Chance.« »Ich muß jetzt gehen«, sagte der Fremde, »Sie brauchen das Haus nicht zu verlassen. Sie können bleiben, wenn Sie mir vertrauen.« »Was wollen denn Sie dagegen tun, Fremder? Eine Rinderherde, wissen Sie überhaupt, was das ist, was das bedeutet? Eine riesige Woge aus Knochen, Fleisch und Muskeln.« »Sie können bleiben«, wiederholte der Fremde, »Sie brauchen das Haus nicht zu verlassen.« Er verließ das Ranchhaus durch die hintere Küchentür. Carl und Rose Madden folgten ihm, stutzten und starrten dann völlig entgeistert nuf die Scheune. Das Tor saß korrekt und fachgerecht in den Angeln! »Das... das kann doch nicht sein«, keuchte Carl Madden. »Das hat er getan«, flüsterte Rose und sah sich nach dem Fremden um, doch der war bereits spurlos verschwunden. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. *** Sie kam ihm wie nackt vor, obwohl sie es nicht war. Die hinreißend aussehende Frau trug einen seltsamen Overall aus einem hellen Gewebe, das sich fest um ihren Körper schmiegte. Sie hatte blauschwarzes Haar und dunkle, geheimnisvolle Augen. Sie nickte dem Sheriff freundlich zu. »Miß, äh, ich weiß nicht«, stotterte Joe Blade herum und deutete auf ihren Overall, »sollten Sie sich nicht vielleicht was anziehen? Ich meine nur so.« »Ich weiß, die Frauen hier sehen anders aus.« »Und ob!« Blade nickte konsterniert. »Sie tragen eine unpraktische Kleidung«, meinte die fremde,
seltsame Frau, »sie müssen darin ja ersticken.« »Wahrscheinlich«, stotterte Blade herum, »aber das ist nun mal so hier. Woher kommen Sie? Wer sind Sie, Miß? Mit der Kutsche können Sie unmöglich gekommen sein, die ist erst gegen Mittag fällig.« »Ich möchte den Mann sehen, der drüben im Eisenkäfig ist.« »Hale Camarro? Kennen Sie ihn etwa?« Der Sheriff merkte gar nicht, daß sie seine Fragen überging. »Ich kenne ihn nicht, aber ich weiß, daß er böse ist.« »Er ist ein Bandit und hat gemordet«, antwortete der Sheriff. »Und er weiß, daß Sie Angst haben, nicht wahr?« »Angst?« Blade fühlte sich durchschaut und schluckte. »Ist das nicht das richtige Wort?« »Doch, es stimmt schon.« Ob er wollte oder nicht, er nickte, bestätigte damit, daß er vor Angst fast umkam, »Vier Männer sind in der Stadt, die ihn aus dem Käfig holen wollen.« »Ich habe sie gesehen.« »Warum warten Sie, bis sie kommen?« »Was soll ich denn tun, Miß? Sie ahnen ja nicht, was hier in Lobo-City gespielt wird. Mir wird kein Mensch helfen.« »Ich weiß.« Sie nickte nur. »Und ich bin kein Held«, gestand Blade ehrlich ein, »am liebsten würde ich mich aufs Pferd schwingen und wegreiten. Warum ich bleibe, begreife ich selbst nicht.« »Sie brauchen nicht wegzureiten«, sagte sie. »Ihnen wird nichts passieren.« »Momentchen mal, Miß!« Joe Blade holte tief Luft. »Ist das hier ein Trick? Wer sind Sie eigentlich?« »Wie möchten Sie mich nennen?« »Ich will wissen, wie Sie heißen!« Blade sprach beileibe nicht mit Nachdruck, er bat fast schüchtern.
Sie sah ihn einen kurzen Moment an und nannte ihm dann etwas, was er überhaupt nicht verstand. Sie redete in einer Sprache, die er noch niemals in seinem Leben gehört hatte. Das Wort, das sie genannt hatte, klang aber gut in seinen Ohren. »Stammen Sie aus Neu-Mexiko?« fragte er weiter. »Ich komme aus der Zeit«, sagte sie, »fragen Sie nicht weiter! Ich möchte jetzt den Mann im Eisenkäfig sehen.« Der Sheriff kam überhaupt nicht auf den Gedanken, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Er öffnete die schwere Tür zum Zellentrakt und ließ sie eintreten. Sie blieb vor dem Eisenkäfig stehen und sah sich den Banditenchef aufmerksam an. Hale Camarro hatte die Frau entgeistert angestarrt, stand jetzt langsam auf und trat an die Eisenstäbe. »Hallo«, sagte er, »wen haben wir denn da? So was gibt’s doch nicht.« »Sie haben einen Mann getötet und ein Kind verletzt?« »Halt die Klappe, Süße«, sagte er gereizt, »das geht dich einen Dreck an!« »Jetzt sollen auch Sie getötet werden?« »Dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.« Hale Camarro wurde unter ihrem Blick unsicher, wandte sich zu Blade um. »Was soll das? Wer ist die Fremde? Sie sollte sich lieber was überziehen. Wenn meine Jungens in die Stadt kommen und sie sehen, dürfte was los sein.« »Ihre Jungens sind bereits in der Stadt.« Sie lächelte milde und wissend zugleich. »Sie sind in der Stadt«, räumte Camarro ein. »Sie kennen sie?« »Sie werden Sie nicht hier aus dem Käfig holen«, stellte sie fest. »Sie nehmen den Mund verdammt voll, Miß. Wer, zum Teufel, sind Sie eigentlich?« »Wissen Sie, daß das verletzte Kind Schmerzen hat?« fragte
sie, ohne auf seinen Ärger einzugehen. »Na und?« »Nehmen Sie dem Kind die Schmerzen ab«, sagte sie höflich, »Sie können sie besser ertragen.« Sie hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als Hale Camarro scharf die Luft einzog, sich krümmte und dann zu Boden fiel. Er wand sich, stöhnte und wimmerte dann. »Was... was ist denn das?« Sheriff Blade sah die fremdartige Frau entgeistert an, dann wieder hinüber auf Camarro. Der Gangsterchef schleppte sich gerade zur Pritsche und stöhnte. Als er sich umdrehte, sah Blade, daß das Gesicht von Camarro grau und verfallen war. »Was ist das, Miß?« fragte Blade noch einmal. »Das Kind hat jetzt keine Schmerzen mehr«, sagte sie wie selbstverständlich, »sie sind bei dem, der sie verursachte.« »So was geht doch gar nicht.« »Bringen Sie mich jetzt zu dem Kind, Mr. Blade.« »In Ordnung, sofort, ich muß nur noch abschließen.« »Das brauchen Sie nicht, Mr. Blade. Ich werde das Haus sperren.« »Sperren? Was ist das?« »Ohne meinen Willen wird es kein Mensch betreten, Mr. Blade. Gehen wir jetzt.« »Sofort, sofort.« Blade hatte panische Angst. Sie mußten an dem Saloon vorbei, in dem die vier Camarro-Banditen saßen. Das gab mit Sicherheit Ärger. Sie warteten doch nur darauf, einen Streit vom Zaune zu brechen. »Sie sollten keine Angst haben, Joe Blade«, sagte sie, als habe sie seine Gedanken erraten, »es wird nichts geschehen. Kommen Sie jetzt!« An Widerspruch dachte er erst gar nicht, folgte ihr sofort und vergaß auch, die Tür zu seinem Büro zu schließen. Er blieb
dicht neben ihr. Sie erregte Aufsehen, sorgte für eine Sensation. Die Bewohner des kleinen Städtchens blieben stehen und musterten sie ungeniert. Die Männer waren in der Mehrzahl begeistert, die Frauen bis auf Ausnahmen empört. Sie schritt geschmeidig wie ein Tier durch die breite Hauptstraße der kleinen Stadt und übersah die neugierigen Menschen. Sie sah betörend gut aus in ihrem eng anliegenden Overall. Und sie zuckte mit keiner Wimper, als aus dem Saloon die vier Banditen hervorstürzten. Sie bauten sich quer zur Straße auf, waren offensichtlich betrunken und wollten sie abfangen. Der Alkohol hatte ihre nächtlichen Ängste hinweggeschwemmt. »Dort, die Männer«, sagte Blade und horchte verwundert in sich hinein. Er merkte, daß er überhaupt keine Angst mehr hatte, obwohl er ohne jede Waffe war. *** Es war eine Knochenarbeit, aber sie war dabei sich auszuzahlen. Cunway wollte es wirklich wissen und reinen Tisch machen. Eine seiner großen Viehherden befand sich auf dem Marsch hinüber zur Madden-Ranch. Cunway hatte außer seinen beiden Vertrauten Lancer und Andrews noch ein paar ihm völlig ergebene Männer ausgesucht, die später keine Fragen stellen würden. Zusammen mit ihnen trieb er das Vieh auf den schmalen Canyon zu, hinter dem das Maddental lag. Sein Plan war ganz einfach. Sobald das Tal erreicht war, wollten sie für eine Stampede sorgen und die Tiere derart verwirren und in Panik bringen, daß sie dann die Ranch überrannten und niederwalzten. Mit
etwas Geschick und Gewalt mußte man die Tiere dazu bringen, daß sie genau das taten, was man von ihnen erwartete. Gewiß, diese Stampede würde ihn wertvolles Vieh kosten, doch das spielte keine Rolle. Die Hauptsache war die Madden-Quelle, und die wollte Cunway endlich besitzen. »In ‘ner Viertelstunde haben wir den Canyon erreicht«, sagte Cunway zu seinen beiden Begleitern Lancer und Andrews, »und in einer Stunde haben wir alles hinter uns.« »Wenn Sie sich mal bloß nicht in die Finger schneiden«, meinte Clem Lancer, der gewisse Dinge einfach nicht vergessen konnte. »Ich hab’ ein verdammt flaues Gefühl im Magen«, bekannte Andrews, der sich auch an gewisse Dinge erinnerte, »so glatt, wie Sie sich das denken, wird das nicht gehen.« »Diese Herde kann keiner stoppen«, behauptete Cunway grimmig, »laßt sie mal erst in Schwung kommen.« »Für mich is’ nichts mehr unmöglich«, sagte Lancer. »Sie haben das ja nicht mitbekommen, was wir gesehen haben, Cunway«, fügte Andrews hinzu, »aber das is’ schließlich ja Ihr Spiel.« »Wollt ihr etwa nicht mitmachen?« »Selbst wenn wir es wollten, wir könnten nicht passen«, bekannte Lancer, »so was würd’ sich bei unseren Kunden schnell rumsprechen.« »Und wir bekämen keinen Job mehr«, schloß Andrews, verkniffen lächelnd. »In der vergangenen Nacht waren wir vielleicht alle was durchgedreht.« Cunway suchte nach einer Erklärung, merkte aber, daß seine Worte nicht zogen. »Wieso explodiert ein Kanister?« fragte Lancer, »einfach so, Cunway?« »Wieso haben wir die Colts nicht aus den Halftern
bekommen?« fragte Andrews gereizt, »wir können mit den Dingern schließlich umgehen. Wir haben uns das nicht nur eingebildet.« »Und wieso sin’ wir in der unsichtbaren Watte fast erstickt und hängengeblieben?« Lancer schüttelte den Kopf. »Sie waren ja nicht dabei.« »Die Rinderherde hält kein Mensch auf!« »Das kann schon stimmen, Cunway«, antwortete Clem Lancer langsam, »ein Mensch wird sie bestimmt nicht aufhalten können.« »Worauf wollen Sie raus, Lancer?« »Wer uns in der Nacht reingelegt hat, kann kein Mensch gewesen sein, darauf will ich raus, Cunway.« »Glauben Sie etwa an Geister und Gespenster?« Cunway lachte spöttisch auf, doch er merkte selbst, daß es nicht sehr überzeugend klang. »Wer weiß, vielleicht gibt es die wirklich«, meinte Andrews, »ich laß mich überraschen.« Cunway verzichtete auf eine Antwort. Was sollte er schon sagen? Gab es wirklich Gespenster oder Geister, die über Kräfte verfügten, von denen man noch nicht einmal zu träumen wagte? Sein Verstand sträubte sich, an so etwas zu glauben, doch auf der anderen Seite hatten Lancer und Andrews Dinge erlebt, die man nicht erklären konnte. Cunway war nach wie vor sicher, daß die beiden Killer ihn nicht belogen hatten. Fünf Minuten später. »Da vorn scheint was los zu sein, Cunway«, stellte Lancer fest und stellte sich in den Sattelbügeln hoch, um besser sehen zu können. »Das Vieh scheint nicht weiterzukommen.« Andrews fiel auf, daß die Tiere aufliefen. »Tatsächlich, die stecken fest«, meinte Lancer, »könnte der
Canyon blockiert sein, Cunway?« »Reiten wir auf den Grat!« schlug der Rancher vor. »Hat keinen Sinn, auf die Treiber zu warten. Ich will’s jetzt sofort sehen. Mit meinen eigenen Augen.« Sie brauchten gut zehn Minuten, bis sie den schmalen, aber immer noch gut passierbaren Grat erreicht hatten. Die Pferde bewegten sich über einen alten Saumpfad, der längst nicht mehr benutzt wurde. Von hier oben aus hatten die drei Männer eine gute Sicht hinunter in den Canyon. Das Vieh lief tatsächlich auf, kam nicht weiter. Und das, obwohl kein Hindernis zu erkennen war. Der Canyon, gut und gern fünfzig Meter breit, war völlig in Ordnung. Und doch stauten die Rinder sich vor einer unsichtbaren Wand. Sie stauten sich schon nicht mehr, sie wurden von den nachrückenden Tieren gegen diese unsichtbare Mauer gequetscht und zu Boden getrampelt. Cunway sah deutlich, daß die Tiere in der vordersten Marschreihe sich an dieser unsichtbaren Wand hochschoben, dann unter den nachrückenden Leibern verschwanden. Eine mächtige Woge lief gegen ein gewaltiges Hindernis und brach sich an ihr. »Das begreife ich nicht, das geht nicht rein in meinen Kopf«, murmelte der Rancher und beugte sich weit über den Hals seines Pferdes, um noch besser sehen zu können. Seine Augen stierten auf dieses schreckliche Bild, das sein Verstand nicht zu fassen vermochte. Die immer noch nachrückenden Tiere sorgten für das perfekte Chaos. Sie wurden wie in einer riesigen Falle immer mehr zusammengezwängt, bis es für sie kein Umdrehen mehr gab. Die Tiere brüllten, waren längst in Panik geraten, wollten sich Luft verschaffen und zurückschieben, aber sie kamen nicht gegen die Gewalt der nachdrängenden Woge an. Eine dichte Staubwolke stieg zum Himmel empor, die mehr und mehr diese grausige Szenerie einhüllte und zudeckte.
Lancer und Andrews aber sahen nicht die Tiere. Dafür besaßen sie kaum Sinn. Sie starrten hinunter auf das, was sie nicht sehen konnten, sie starrten auf die unsichtbare Mauer, die dieser Urgewalt der Tierleiber mühelos standhielt! *** »Hau ab, Sheriff, oder es gibt Ärger!« sagte Stan Locat, der stark angetrunken war. Er hielt bereits einen seiner beiden Colts schußbereit in den Händen. »Was wollen Sie, Stan Locat?« fragte die Frau neben Joe Blade. Sie schien die Waffe in der Hand des Mannes überhaupt nicht zu sehen. »Dich wollen wir«, sagte Locat und grinste trunken, »wir haben noch ‘ne kleine Rechnung zu begleichen, oder?« »Sie werden jetzt die Straße räumen«, antwortete die Frau kühl und gelassen. »Den Dreck werd’ ich tun. Jungens, schnappt euch die Kleine! Sie is’ uns noch ein paar nette Stunden schuldig.« Ricardo Serra, Butch Halbert und Jeff Stoback schoben sich zusammen mit Locat auf die junge Frau zu, aber man merkte ihnen plötzlich an, daß ihr Mut in sich zusammengesunken war. Sie fühlten sich plötzlich sehr nüchtern und erinnerten sich gewisser Vorfälle. Sie trauten sich nicht an die Frau heran. »Macht die Straße frei«, sagte Joe Blade, der sich vor der geheimnisvollen Frau nicht blamieren wollte. Er glaubte zwar nicht daran, daß sie diesem Befehl nachkamen und wunderte sich um so mehr, als die vier Männer die Köpfe senkten und deutlich zu erkennen gaben, daß sie nicht wußten, was sie eigentlich gewollt hatten. Sie machten einen völlig irritierten Eindruck, faßten nach ihren Schläfen und trotteten dann mit schleppenden Schritten zurück zur überdachten Veranda des Saloons.
Stan Locat fühlte eine Leere im Kopf, die ihn total verwirrte. Er konnte sich plötzlich an nichts mehr erinnern, hatte sogar seinen Namen vergessen. Er kannte auch nicht mehr seine drei Begleiter, hielt sie für völlig fremde und uninteressante Männer. Ricardo Serra lachte unvermittelt auf, schien über dieses sein Lachen zu erschrecken und setzte sich ratlos auf die Stufen der Treppe. Anschließend zeichnete er mit dem Lauf seines Colts sinnlose Muster in den Staub. Butch Halbert hatte nur Schmerzen im Kopf. Er preßte die Handflächen gegen seine Schläfen und torkelte dann in den Saloon. Hier ließ er sich in einen Sessel fallen und stierte intensiv zur Decke hoch. Was um ihn herum geschah, bekam er überhaupt nicht mehr mit. Jeff Stoback, der kleine, rundliche Sadist, benahm sich vielleicht noch ungewöhnlicher. Er hatte einen Schmetterling entdeckt, jauchzte kindhaft auf und... nahm die Verfolgung des Insekts auf. Er hüpfte und sprang wie ein Kind. »Das Kind wartet auf uns, Joe Blade«, sagte die Frau zum Sheriff, »gehen wir weiter!« »Haben Sie das alles getan?« »Ich bin gegen Gewalt«, antwortete die Frau, »sie entspricht nicht unserem Wesen.« »Sie haben vier ausgemachte Banditen außer Gefecht gesetzt«, sagte Blade und schüttelte fassungslos den Kopf, »das verstehe ich einfach nicht. Wie haben Sie das geschafft, Miß?« »Durch Überredung«, meinte sie und lächelte für einen ganz kurzen Augenblick, »zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, Joe Blade!« »Und was wird nun aus den vier Banditen?« »Nichts«, gab sie zurück. »Wann werden die wieder, ich meine, wann werden die
wieder zu Banditen?« Er konnte sich nicht richtig ausdrücken, stotterte gequält herum. »Dort ist das Haus, nicht wahr?« Statt zu antworten, deutete die seltsame und unheimliche Frau auf ein kleines Holzhaus, vor dem ein kleiner, hübsch gepflegter Garten zu sehen war. »Das ist es«, gab Blade zurück, »woher wissen Sie das, Miß? Haben Sie das nur erraten oder wußten Sie es?« »Bringen Sie mich ins Haus!« sagte die Frau, ohne auf seine Fragen zu antworten. »Sagen Sie den Eltern, daß ich nichts Böses tun will. Die Leute haben Angst, ich spüre es ganz deutlich.« Sie hatten wirklich Angst. Der Mann öffnete die Tür nur spaltbreit und hielt eine Schrotflinte schußbereit in den Händen. Er hörte nervös auf das, was der Sheriff ihm sagte, schüttelte den Kopf, wurde unsicher, wandte sich um und redete dann mit seiner Frau, die hinter der Tür stand und nicht zu sehen war. »Ich werde Ihrem Kind helfen«, sagte die geheimnisvoll gekleidete Frau und erschien neben dem Sheriff, »öffnen Sie die Tür. Der Junge wartet bereits auf mich.« »Wieso wissen Sie, daß es ein Junge ist?« Blade konnte nur staunen. Die Eltern tuschelten nicht mehr miteinander. Der Mann gab die Tür frei, öffnete sie weit, trat scheu zurück und stellte die Waffe dann hastig in eine Flurecke. Die Frau, verhärmt und müde aussehend, sah die Fremde ungläubig an, hielt deren Blick aber nicht stand. Sie senkte die Augen und lief dann voraus in eine kleine Kammer neben der Küche. Der Junge – er mochte etwa zehn Jahre alt sein – saß aufrecht im Bett. Aus großen, fast gläubigen und erwartungsvollen Augen sah er die Fremde an und lächelte. Schmerzen schien er nicht zu haben, obwohl sein Gesicht böse zugerichtet war. Das linke Auge war fast geschlossen und
unterhalb des unteren Lids aufgeplatzt. Um den Kopf war ein dicker Verband gewickelt worden. »Er hat seit zehn Minuten überhaupt keine Schmerzen mehr«, flüsterte die Frau dem Sheriff zu. »Ich weiß«, antwortete Blade wie selbstverständlich. »Er hat sogar Hunger und will was essen.« »Geben Sie ihm, wonach er verlangt«, schaltete die Fremde sich ein, »lassen Sie mich jetzt allein mit dem Jungen. Wir haben uns viel zu erzählen.« Nein, Bedenken hatten die Eltern jetzt nicht mehr. Sie fühlten die starke Ausstrahlung dieser seltsam gekleideten Frau, ihren zwingenden Willen, der alle Zweifel wegschwemmte. Die Tür schloß sich hinter der Fremden. »Wer ist sie?« fragte der Vater des kleinen Jungen leise den Sheriff. »Ich weiß es nicht, sie war einfach da.« »Sie sieht so eigenartig aus«, meinte die Mutter des Kindes. »Ihr Junge lacht! Hören Sie doch!« Blade hob die Hand und nickte den Eltern zu. Er hatte sich nicht getäuscht, das Lachen des kleinen Jungen war deutlich zu vernehmen. Und etwa eine halbe Minute später öffnete sich die Tür. Heraus kam der kleine Junge, strahlte seine Eltern an, hatte keinen Verband mehr um seinen Kopf. Auch die Schlagspuren in seinem Gesicht waren verschwunden, das verletzte Auge vollkommen heil, als sei es niemals geschlossen gewesen. »Das ist ja unheimlich«, sagte der Vater des Jungen, »das ist ja das reinste Teufelswerk.« Der Mann reagierte überraschend. Er riß die Schrotflinte an sich und richtete den Lauf auf die Fremde. »Hinaus aus meinem Haus«, brüllte er aufgebracht, »hinaus, du Hexe! Sei verflucht und geh zurück in die Hölle, woher du gekommen bist. Hinaus!«
Die Fremde lächelte nur ein wenig, begriff wohl nicht, was in dem Mann vorging. Der Vater des kleinen Jungen war ein religiöser Fanatiker, dem es in diesem Moment gar nicht um seinen Jungen ging, sondern nur um die Wahrung dessen, was er seinen Glauben nannte. »Kommen Sie doch zu sich, Mann«, sagte Blade zu ihm, »sie hat Ihren Jungen wieder in Ordnung gebracht! Sie sollten ihr auf den Knien danken!« »Sie ist eine Hexe, die mein Haus besudelt hat! Seht sie euch doch an! Sie läuft nackt und schamlos herum und beleidigt alle, die dem wahren Herrn dienen.« Die Frau des Mannes wollte ihn beschwichtigen, redete auf ihn ein, erreichte aber nur das Gegenteil. Der Mann war wie von Sinnen. Er nahm die Flinte hoch und wollte mit dem Kolben nach der Fremden schlagen. Sie zuckte nicht einen einzigen Millimeter zurück, sah ihn nur aus ihren schwarzen, unergründlichen Augen an und wandte sich dann ab. Der Zorn des Fanatikers kannte keine Grenzen mehr. Hart und brutal stieß er zu und hätte die Schultern der Fremden getroffen. Doch der Kolbenstoß wurde knapp vor der silbrig schimmernden Kleidung der Frau gestoppt. Der Kolben klirrte förmlich gegen eine unsichtbare Wand, glitt an ihr herauf und ließ den zustoßenden Mann gegen das massive Hindernis prallen, das keiner sehen konnte. »Was ist eine Hexe?« fragte die Fremde, sich an Sheriff Blade wendend. »Na ja, irgendeine Frau, die über geheime Kräfte verfügt und mit dem Satan im Bunde steht.« »Dann bin ich keine Hexe«, antwortete die Fremde, »und wer ist dieser Satan? So etwas wie er?« Sie zeigte auf den völlig fassungslosen Mann. »Nein, nein, Miß«, erwiderte Blade verwirrt, »das ist alles
so schwer zu erklären. Haben Sie denn noch niemals vom Satan gehört?« »Es scheint sich um einen Aberglauben zu handeln, nicht wahr?« Sie sah ihn sehr interessiert und fast wißbegierig an. »So ungefähr«, antwortete Blade verlegen, »ich leg’ mich da lieber nicht fest. Manche sagen, daß es ihn gibt, andere wieder glauben nicht daran.« »Ich muß noch viel lernen«, stellte die Fremde fest, »eure Welt kommt mir sehr dunkel vor.« *** »Da steht doch einer«, sagte Lancer plötzlich überrascht und legte seine flache Hand an die Stirn, um von der Morgensonne nicht geblendet zu werden. »Tatsächlich«, bestätigte sein Partner Andrews, »ein Mann, glaube ich, aber verdammt eigenartig angezogen.« Die beiden Killer hatten sich nicht geirrt. Der Mann dort unten im Canyon war jetzt deutlich zu erkennen. Es schien so, als sei er aus der Luft herausgetreten und habe sich erst noch materialisieren müssen. »Er hält die Rinder auf!« Cunway glaubte vollkommen sicher zu sein. Er holte sein altes Fernglas aus der Satteltasche, stellte die Optik ein und hatte den seltsamen Mann dann genau im Bild. Er war groß, schlank und trug einen silbrig schimmernden Overall. Waffen konnte Cunway an diesem Mann nicht entdecken. Der Fremde stand ein paar Meter vor dem hoch aufgetürmten Wall der zerfetzten und zertrampelten Tiere, deren nachschiebende Wucht inzwischen etwas nachgelassen hatte. »Das werden wir gleich haben«, meinte Clem Lancer und riß die Winchester aus dem Sattelfutteral. Er lud die
Schußwaffe durch, zielte kurz nach unten und feuerte den Schuß ab. Grollend brach sich das Echo im Canyon, klang wie grollender Donner. »Nichts«, sagte Andrews erstaunt, denn der Mann hatte sich nicht gerührt, stand dort, wo er gewesen war. »Ich weiß, daß ich getroffen habe«, sagte Lancer verwirrt. »Lassen Sie mich, Lancer!« Cunway riß ihm die Winchester aus den Händen, lud durch und schoß ebenfalls. Er hatte sich mehr Zeit genommen als der Berufskiller, wollte es wissen. Tobender, wilder Haß war in ihm. Dieser Kerl da unten hinderte ihn daran, die Madden-Ranch zertrampeln zu lassen, dieser Fremde hatte dafür gesorgt, daß die Rinder sich gegenseitig nieder- und tottrampelten. »Nichts«, meldete Andrews, »ihr scheint nicht in Form zu sein. Laßt mich jetzt mal!« Cunway gab die Winchester an Lancer zurück, nahm das Fernglas und beobachtete den Fremden dort im Canyon, der auf die beiden Schüsse überhaupt nicht reagiert hatte, der noch nicht einmal den Kopf angehoben hatte, um nach den Schützen zu sehen. Andrews nahm sich noch mehr Zeit als Cunway, setzte die Winchester sogar einmal ab, um sich völlig zu entspannen. Er wollte sich nicht blamieren wie sein Partner Lancer. Der Schuß mußte sitzen. Er zog konzentriert den Abzug durch und wußte genau, daß er die Brust des Mannes getroffen hatte. »Seht doch!« Lancer schrie plötzlich leise auf und deutete in die Luft. Andrews bekam gerade noch mit, daß ein geheimnisvoller Lichtblitz auseinanderplatzte. »Was... Was war denn das?« fragte er verblüfft. »Nichts«, sagte Cunway kopfschüttelnd, »wieder ‘ne Fahrkarte. Das kann ich mir nicht erklären. Wir sind doch alle keine Anfänger mehr.«
»Haben Sie den Lichtblitz mitbekommen?« fragte Lancer aufgeregt. »Lichtblitz?« »Nach Andrews’ Schuß«, fügte Lancer hinzu, »Andrews, schieß noch einmal!« Der Killer löste einen weiteren Schuß. Er hatte die Waffe blitzschnell hochgenommen, nur ganz kurz nach unten visiert und dann abgedrückt. Erneut war er vollkommen sicher, den Fremden dort unten getroffen zu haben. »Tatsächlich, ein Lichtblitz!« Cunway hatte ihn jetzt auch gesehen, schüttelte ratlos den Kopf, spürte die Angst in sich hochkriechen und schaute sich verstohlen um. »Wo ist der Mann?« Andrews war fassungslos und deutete nach unten in den Canyon. »Verschwunden«, murmelte Lancer, »ich begreif’ das nicht. So schnell kann er doch nicht abgehauen sein. Er hatte ja noch nicht mal ein Pferd bei sich.« »Wir reiten zurück«, entschied Cunway, »zum Teufel mit der verdammten Madden-Ranch. Mir ist das alles nicht mehr geheuer. Das ist ja der reinste Spuk.« »Ich möchte nur wissen, wo Madden sich diesen Mann aufgerissen hat«, sagte Lancer nachdenklich, als sie wenig später zurückritten. »Sie glauben, er würde für Madden arbeiten«, sagte Lancer, »das liegt doch auf der Hand, Cunway. Überlegen Sie doch mal, wem nutzt der ganze irrsinnige Spuk? Doch nur Madden!« »Stimmt«, pflichtete Andrews seinem Partner bei. »Denken Sie an die Panne in der vergangenen Nacht, als wir die Ranch anbrennen wollten? Der Bursche aus dem Canyon hat die Madden-Ranch abgeschirmt.« »Das wäre ein Partner«, sagte Cunway unwillkürlich, »Dann könnten Sie ganz Neu-Mexiko in die Tasche
stecken«, meinte Lancer und grinste. »Die Vorstellung gefällt Ihnen, wie?« *** »Was soll mit ihm geschehen?« fragte die Fremde und sah den Bandenchef Camarro an, der bis zur Wand zurückgewichen war und abwehrend seine rechte Hand ausstreckte. Camarro hatte einen Teil der Hölle durchwandert und fast wahnsinnige Schmerzen gehabt. Doch die waren seit etwa zehn Minuten schlagartig von ihm abgefallen. Dennoch war er mißtrauisch und ängstlich zugleich. Er rechnete damit, daß sie jeden Augenblick zurückkehrten. »Er wird gehängt«, sagte Sheriff Blade, »Sie wissen doch, er hat einen Menschen getötet und den kleinen Jungen verletzt.« »Was ist das, hängen?« »Sie wollen mich umbringen«, stieß Camarro anklagend hervor, »sie wollen mir einen Strick um den Hals legen und mir die Luft abschnüren, Miß.« »Ist das wahr?« fragte die Fremde den Sheriff. »Er hat getötet und muß dafür nun mit seinem Leben bezahlen«, erklärte Blade wie selbstverständlich. »Das ist doch absurd«, meinte die Fremde und schüttelte verblüfft den Kopf, »wird der Tote dadurch wieder lebendig?« »Natürlich nicht.« Blade schluckte. »Warum soll dieser Mann dann noch getötet werden! Wer hat davon einen Nutzen?« »Direkt keiner«, räumte der Sheriff verlegen ein. »Aber warum tut man es trotzdem?« »Das ist nun mal so«, antwortete Blade achselzuckend und wußte nicht weiter, »jeder, der tötet, soll wissen, daß auch er getötet wird, wenn man ihn erwischt. Das schreckt ab.«
»Wird durch diese Angst weniger getötet?« wollte die Fremde höflich weiter wissen. »Wahrscheinlich nicht«, sagte Blade. »Dann ist es also absurd«, wiederholte die Fremde noch einmal, »wer war der Mann, der von ihm getötet wurde?« »Ein Bankangestellter, Miß.« »Ein Mann, der mit Geld umgeht, nicht wahr?« Die seltsame Frau schien sich förmlich darüber zu freuen, daß sie die richtige Umschreibung gefunden hatte. »Richtig, Miß. Er war verheiratet und hinterläßt jetzt eine Frau und zwei Kinder.« »Und wer wird für sie sorgen?« »Nun, direkt keiner, wenigstens nicht auf lange Sicht, Miß. Worauf wollen Sie hinaus?« »Er wird für die Frau und die beiden Kinder sorgen«, sagte die Fremde in einem kühlen Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Er wird hängen, Miß. Er ist von einem Gericht verurteilt worden.« »Und was hat das Gericht für die Frau und die beiden Kinder getan?« »Direkt nichts.« Blade begriff dumpf, daß er sich über gewisse Dinge noch nie Gedanken gemacht hatte. »Das Gericht will nur töten«, meinte die Fremde, »aber es sollte dafür sorgen, daß die Frau und ihre beiden Kinder keine Not leiden.« »Ist das bei Ihnen so, Miß?« Blade unterstellte automatisch, daß sie aus einer fremden Welt stammen mußte. »Es war früher einmal so, jetzt nicht mehr«, antwortete die Fremde und lächelte versonnen, »also, dieser Mann wird für die Frau und die beiden Kinder sorgen. Bis an sein Lebensende. Er wird für sie arbeiten, sie ernähren und kleiden.«
»Aber Miß, wie stellen Sie sich das vor? Das geht nicht. Wir haben Gesetze, die eingehalten werden müssen. Und Camarro würde das niemals tun. Der Mann ist ein Bandit, verstehen Sie? Er ist ein Mann, der vom Verbrechen lebt.« »Er wird für sie sorgen bis an sein Lebensende. Und er wird schwer und hart arbeiten«, sagte die Fremde, »und er wird es gern tun.« »Das setzen Sie niemals durch, Miß«, widersprach Blade. Sie antwortete nicht. Sie lächelte nur rätselhaft und sah durch ihn hindurch. *** »Zweihundert Tiere«, murmelte Cunway betroffen und blieb am Fenster seines Wohnraums stehen. Der Vormann seiner Ranch hatte eine erste Bilanz gezogen und ihm gerade die Nachricht überbracht. »Es hätte noch schlimmer kommen können, Mr. Cunway«, sagte der Vormann, »begreifen Sie, was da im Canyon passiert ist?« »Erwarten Sie keine Erklärung von mir«, erwiderte Cunway, »wie reagieren die Jungens darauf?« »Sie wissen doch, wie abergläubisch Cowboys sind«, schickte der Vormann voraus, »es gibt kein anderes Thema als die Sache im Canyon.« »Bringen Sie die Leute auf Trab, damit sie nicht zum Nachdenken kommen«, entschied Cunway, »lassen Sie die Häute der Rinder sichern. Mehr können wir nicht tun.« »Und was wird jetzt aus der Madden-Quelle?« Der Vormann war eingeweiht und wußte Bescheid. »Die Sache verschieben wir erst mal, bis die Lage sich beruhigt hat.« Der Vormann ging, und Cunway hatte Zeit, sich mit der
Situation zu befassen. Er dachte immer wieder an die fast überirdischen Kräfte dieses geheimnisvollen Fremden, der offenbar für Madden arbeitete. Womit konnte man solch einen Mann für sich gewinnen? Wie konnte man ihn Madden ausspannen? Ohne einen raffinierten Trick war da sicher nichts zu machen. Als Cunway sich umwandte, fielen seine Augen auf die Tür, die der Vormann hinter sich geschlossen hatte. Diese Tür öffnete sich gerade, als würde sie von unsichtbarer Hand aufgedrückt. Cunway hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern. Er hörte hinter sich ein höfliches Räuspern, fuhr herum und... starrte auf den fremden Besucher. Es war der Mann aus dem Canyon, der neben dem Arbeitstisch stand. Er trug einen seltsamen Overall, war ohne Waffen und machte dennoch einen respekterheischenden Eindruck. »Wie... wie sind Sie hier reingekommen?« fragte Cunway, nachdem er sich von seiner ersten Überraschung erholt hatte. »Ich bin dort, wo ich sein will«, gab der rätselhafte Besucher gelassen zurück. »Sie spielen mit seltsamen Gedanken, Al Cunway.« »Verdammt, wer sind Sie eigentlich?« »Nennen Sie mich Marty«, antwortete der Fremde ruhig, »warum wollen Sie Carl und Rose Madden töten?« »Töten? Wie kommen Sie denn darauf?« Cunway zermarterte sich den Kopf. Wie konnte er diesen Mann hereinlegen? Wo war seine schwache Stelle? Der Besucher mußte doch irgendwie verwundbar sein. »Ich weiß es«, sagte der Fremde inzwischen, »Sie wollen in den Besitz der Quelle kommen.« »Ich brauche sie für mein Vieh.« »Warum reden Sie nicht mit Carl Madden? Warum versuchen Sie sich nicht zu einigen?«
»Mit einem Madden kann man sich nicht einigen.« »Sie haben es noch nie versucht, Al Cunway.« »Arbeiten Sie für ihn, Fremder?« »Wie soll ich das verstehen?« »Bezahlt Madden Sie? Hören Sie genau zu, ich biete Ihnen das Doppelte. Arbeiten Sie für mich und Sie werden sich eine goldene Nase verdienen.« »Ich arbeite für keinen Menschen«, lautete die Antwort des geheimnisvollen Mannes, »und was ist das, eine goldene Nase?« »Sie können reich werden.« »Was verstehe ich darunter?« Der Fremde spielte ihm nichts vor, das hatte Cunway inzwischen schon begriffen. Er schien aus einer Gegend zu kommen, wo Geld und Reichtum keine Rolle spielten. »Sie brauchen Geld, um sich was leisten zu können«, erklärte Cunway eindringlich, »mit Geld können Sie sich eine Ranch kaufen, Rinder, Einfluß und Macht.« »Das alles haben Sie doch schon.« Der Mann hatte endlich verstanden. »Davon kann man nie genug bekommen«, sagte Cunway, »haben Sie denn kein Gefühl für Macht, Mann? Sie können tun und lassen, was immer Sie wollen.« »Und was hat man davon?« Der Fremde begriff einfach nicht. »Schon gut«, meinte Cunway und wechselte das Thema, »woher kommen Sie eigentlich? Aus Neu-Mexiko stammen Sie bestimmt nicht!« »Ich komme aus der Zeit«, erwiderte der Fremde wie selbstverständlich. »Aus der Zeit?« Cunway kniff die Augen zusammen und fragte sich, ob der Mann ihn auf den Arm nehmen wollte. Er konnte sich unter diesem Begriff überhaupt nichts vorstellen.
»Fragen Sie nicht weiter, Al Cunway, Sie würden es wohl doch nicht verstehen.« »Ich will es aber! Wie sind Sie hierher ins Zimmer gekommen? Können Sie durch Wände gehen?« Die Frage war ein klein wenig ironisch gemeint. Cunway versuchte sich Mut zu machen. »Das kann ich«, kam die überraschende Antwort. »Sie können durch Wände gehen?« Cunway schluckte, aber eigenartigerweise kam er nicht auf den Gedanken, er habe es vielleicht mit einem Verrückten zu tun. »Was ist schon dabei?« fragte der Fremde gelangweilt, »eine Frage der Materie und des Willens.« »Könnten Sie mir das mal vormachen?« »Sehen Sie nach draußen, Al Cunway, was sehen Sie?« Der Rancher gehorchte augenblicklich, getrieben von einer fast unerträglichen Neugierde. Er drehte sich um, sah durch das Fenster und... erkannte seinen ungebetenen Gast, der vor dem Haus stand und ihm zunickte. »Nein...!« Cunway schnappte nach Luft, wirbelte herum, wollte sich vergewissern, ob der Fremde noch da war und sah nichts. Cunway schluckte, faßte sich an die Schläfen, drehte sich erneut um und schüttelte ratlos den Kopf. Der Fremde draußen vor dem Haus war nicht mehr zu sehen. Dafür räusperte er sich jetzt im Wohnraum. Cunway drehte sich jetzt ganz langsam um seine Längsachse und... sah sich wieder dem unheimlichen Fremden gegenüber. »Das glaub’ ich einfach nicht«, sagte er dann mit leiser Stimme, in der die ersten Anzeichen von Hysterie zu erkennen waren, »das glaube ich nicht.« »Sie werden sich mit Carl Madden einigen«, sagte der Fremde höflich, »Sie werden nicht mehr versuchen, ihn umzubringen. Tun Sie es dennoch, werden Sie bald keine Tiere
mehr haben, die Sie so sehr zu schätzen scheinen.« Cunway achtete kaum auf die einstudiert klingende Redeweise des Fremden, der sich Marty nannte. Eine wohlige Wärme füllte seinen Kopf. Er nickte, lächelte versonnen. Das, was dieser Marty da gerade gesagt hatte, klang gut. Warum sollte er sich nicht mit Carl Madden einigen? Er war plötzlich sicher, daß das möglich war. »Er erwartet Sie«, hörte er die Stimme des Fremden wie aus weiter Entfernung, »und auch er will sich mit Ihnen einigen, Al Cunway. Reiten Sie zu ihm!« Es dauerte einige Minuten, bis die wohlige Wärme aus seinem Kopf verschwunden war. Cunway sah sich verwirrt um, wußte vage, daß er sich mit einem seltsam aussehenden Fremden unterhalten hatte. Er wußte aber auch, daß er unbedingt hinaus zu Carl Madden reiten mußte. Es wurde endlich Zeit, daß man sich wegen der Quelle einigte. Der Wunsch nach solch einer Einigung wurde übermächtig in ihm. Er stürzte fast aus seinem Arbeitszimmer, verließ das große, stattliche Ranchhaus und sah sich dann Clem Lancer und Will Andrews gegenüber, die neben ihren gesattelten und bepackten Pferden standen. »Wir hauen ab, Cunway«, sagte Lancer hastig. »Wir verzichten auf jede Bezahlung«, fügte Andrews hinzu, »wir sind quitt, Cunway.« »In Ordnung, ich brauche euch nicht mehr.« »Haben Sie einen neuen Mann gefunden?« fragte Lancer anzüglich und dachte an den Fremden, den sie im Canyon gesehen und beschossen hatten. »Wohin wollt ihr?« Cunway schien die Frage nicht gehört zu haben. »Wir reiten rüber nach Lobo-City«, meinte Lancer, »vielleicht reiten wir auch weiter. Die Gegend paßt uns nicht.« »Er wird überall sein«, murmelte Cunway und dachte an den
geheimnisvollen Fremden. »Und wohin wollen Sie, Cunway?« »Ich werde mich mit Madden einigen«, antwortete der stiernackige Rancher lächelnd. »Er erwartet mich.« Sekunden später hatte Cunway bereits jedes Interesse an den beiden Killern verloren. Er übersah sie förmlich, ging zur Scheune hinüber. »Das ist unsere Chance«, flüsterte Lancer seinem Partner zu. »Wollen wir doch mal sehen, wer besser ist«, sagte Andrews verkniffen, »dieser komische Bursche oder wir! Jetzt will ich’s wissen, Lancer!« *** Sie hielten Abstand, ließen ihn aber nicht aus den Augen. Al Cunway war ahnungslos und merkte nicht, daß er von den beiden Killern verfolgt wurde. Cunway hatte fast den Canyon erreicht und parierte sein Pferd durch, als der Vormann seiner Ranch um eine Felsnase herum erschien und auf ihn zugaloppierte. Der kräftige Mann mit dem hageren Gesicht war schweißüberströmt. »Boß, das müssen Sie sich ansehen«, sagte er hastig, »ich wollte gerade zu Ihnen.« »Was muß ich mir ansehen?« »Die toten Rinder, Boß. Alle verschwunden. Der Canyon ist geräumt. Kein einziges totes Rind mehr zu sehen, keine Spur mehr von Ihnen. Das kann doch nicht sein!« »Ich sehe es mir an, aber ich ahne schon, was passiert ist.« »Was denn, Boß? So was kann doch nur ‘ne kleine Armee in der kurzen Zeit geschafft haben. Mehr als zweihundert tote Rinder. Und jetzt sind sie alle verschwunden. Nicht die kleinste Spur.«
Nein, Cunway wunderte sich nicht. Über dieses Stadium war er längst hinaus. Er nickte nur versonnen, stellte keine Fragen, ritt einfach wieder los. Was er zu sehen bekommen würde, wußte er im vorhinein. Der Fremde schien sich schon wieder einmal eingeschaltet zu haben. Sein Vormann hatte nicht übertrieben. Im Canyon war noch nicht einmal die Spur eines toten Rindes zu sehen. Die Cowboys, die zusammen mit ihrem Vormann hinausgeritten waren, um wenigstens die Häute der Rinder zu bergen, standen zusammen und redeten verstohlen und leise miteinander. Die Männer waren tief betroffen, konnten das alles nicht verstehen. Einige von ihnen hatten immerhin miterlebt, was sich hier in der engen Schlucht abgespielt hatte. Sie waren Augenzeugen gewesen und hatten die zertrampelten und zerfetzten Tiere vor der unsichtbaren Wand gesehen. »Die Jungens sind ziemlich aus dem Häuschen«, meinte der Vormann, »und ich bin es auch, Boß.« »Vergeßt die ganze Geschichte«, sagte Cunway, »irgendein Wunder, was weiß ich? Vergeßt die ganze Geschichte, reitet zurück und kümmert euch um die Herden!« »Und wohin wollen Sie, Boß?« »Rüber zur Madden-Ranch. Nein, ich reite allein. Das geht schon in Ordnung.« »Madden ist nicht gerade gut auf Sie zu sprechen, Boß.« »Das ändert sich.« Cunway winkte seinem Vormann zu und ritt dann weiter. Er ahnte immer noch nicht, daß die beiden Killer ihn verfolgten. *** Die Quelle floß selbst im heißesten Sommer und kam aus
einem tiefen Felsspalt. Der schenkeldicke Wasserstrahl ergoß sich in ein natürliches Felsbecken, dessen Ränder flach und fest waren. Tiere ließen sich hier leicht tränken. Carl Madden und Al Cunway unterhielten sich wie vernünftige Männer. »Begraben wir das Kriegsbeil«, sagte Cunway, »Sie besitzen die Wasserrechte, Madden, nennen Sie mir also einen fairen Preis.« »Was ist Ihnen das Wasser wert, Cunway?« »Offen gesagt, eine ganze Menge.« »Ich weiß, Cunway, aber ich werde Ihnen nicht den Hals zuschnüren.« »Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen monatlich ‘ne pauschale Summe zahle? Sagen wir, so an die zweihundert Dollar?« »Abgemacht, Cunway.« Carl Madden hatte keine Einwände. »Die Sache ist also perfekt?« »Perfekt, Cunway.« Sie brauchten sich nicht die Hand zu reichen. Selbstverständlicher und gültiger konnte kein schriftlicher Vertrag sein. »Noch etwas, Madden«, redete Cunway weiter, »ich könnte in Zukunft Ihr Vieh mit abtreiben und verkaufen. Was halten Sie davon? Sie würden ‘ne Menge Kosten einsparen.« »Gute Idee, Cunway, einverstanden. Sagen Sie, was war eigentlich mit uns los?« »Keine Ahnung, wir müssen verrückt gewesen sein.« »Schwamm drüber, ja?« »Schwamm drüber!« Woher ihre Friedfertigkeit stammte, wußten beide, doch sie redeten nicht weiter darüber. Sie waren froh, daß der Streit aus dem Weg geräumt worden war. Sie fuhren herum, als plötzlich dicht hintereinander zwei Gewehrschüsse zu hören waren. Ganz automatisch wollten sie
ihre Colts aus den Halftern reißen, doch sie rührten sich nicht, bewegten sich nicht um einen einzigen Millimeter. »Was war das?« fragte Madden. »Lancer und Andrews?« murmelte Cunway nachdenklich, »sollten die etwa einen faulen Trick versucht haben?« »Die beiden Killer?« »Nicht mehr meine Leute«, versicherte Cunway, »kommen Sie, Madden, sehen wir nach! Das ist keine Falle!« »Ich weiß.« Carl Madden nickte und deutete auf seinen Colt, der felsenfest im Halfter war. »Der Fremde muß hier sein« meinte Cunway, »kommen Sie Madden, sehen wir nach, wer da geschossen hat.« Die beiden Männer brauchten nicht lange zu suchen. Lancer und Andrews erschienen zwischen den Felsen und schrien. Sie stürzten fast über den steilen Hang nach unten und brüllten vor Schmerzen. Jeder von ihnen hielt seine Winchester in Händen. Und es waren die Waffen, die sie schreien ließen. »Sehen Sie sich das an, Madden.« Cunway deutete auf die beiden Schußwaffen, die rotglühend aussahen. Die Hände der beiden Killer umschlossen das glühende Metall, ließen sich von ihm nicht lösen. Lancer und Andrews hatten Cunway und Madden erreicht. Sie brüllten, fielen auf die Knie und wälzten sich in wilden Schmerzen auf dem Boden herum. »Kann man ihnen helfen?« fragte Madden bestürzt. »Ich trau’ mich nicht ran«, antwortete Cunway und wich unwillkürlich zurück, »ich riskier’s einfach nicht.« »Die Glut geht zurück, Cunway.« Madden deutete auf die beiden Winchester, die wieder eine normale Farbe annahmen. Lancer und Andrews gelang es endlich, ihre Hände von den Waffen zu lösen. Wimmernd starrten sie auf ihre fast verkohlten Handflächen und streckten sie weit von sich. Sie mußten höllische Schmerzen haben.
»Wen wolltet ihr umlegen?« fragte Cunway. »Ihn«, schluchzte Lancer und deutete mit dem Kopf auf Madden. »Und warum?« wollte Carl Madden wissen. »Ich begreife«, sagte Cunway zu Madden, »ich hatte sie engagiert, reinen Tisch mit Ihnen zu machen, Madden, aber dann hab’ ich es mir anders überlegt. Sie wollten den Job aber erledigen. Ich kann sie fast begreifen.« »Wegen dem Fremden, nicht wahr?« Madden nickte langsam. »Schafft uns zum Arzt«, stöhnte Andrews, »ich halte das nicht mehr aus.« Carl Madden bückte sich nach den beiden Winchestern und bewegte seine vorsichtig ausgestreckte Hand über die Läufe. Er zuckte zurück, als er die intensive Hitze spürte. Lancer und Andrews torkelten inzwischen weiter den Hang hinunter, wollten zum Wasserbecken. Sie wimmerten und stöhnten. Madden und Cunway sahen sich betroffen an, hatten Furcht. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, war in diesem Moment eine ihnen bekannte Stimme zu vernehmen, »Angst soll nur der haben, der töten will!« Sie drehten sich herum und sahen sich Marty, dem seltsamen und unheimlichen Fremden, gegenüber. Das Gesicht des Mannes war ernst. »Ich denke, wir alle haben unsere Lektion gelernt«, sagte Cunway und deutete dann hinunter auf Lancer und Andrews, »können Sie nichts gegen die Schmerzen tun, Marty?« »Sie werden sie gleich nicht mehr spüren«, antwortete Marty und lächelte sanft, »sie werden aber auch nie wieder nach Waffen greifen.« Carl Madden und Al Cunway sahen den beiden Killern nach, die endlich das natürliche Wasserbecken unterhalb der
Quelle erreicht hatten. Von Schmerzen getrieben, irrsinnig fast vor Qual, warfen sie sich in das kühle, kristallklare Wasser. Nach wenigen Minuten schritten sie langsam zurück an Land, schauten immer wieder verblüfft auf ihre Handflächen, schüttelten die Köpfe und waren völlig durcheinander. Carl Madden wußte, was sie gerade erlebt hatten. Die fast verkohlten Hände mußten wieder vollkommen heil und glatt sein. Madden hatte so etwas mit seinem Bein erlebt. Scheu sah er zu dem Fremden hinüber, der einen abwesenden Eindruck machte. »Ich werde gebraucht«, sagte er plötzlich, »hier gibt es für mich ja nichts mehr zu tun. Grüßen Sie Rose, Carl Madden. Ich werde ihre Pfannkuchen nie vergessen.« Der Fremde lächelte fast heiter, nickte den beiden Männern zu und ging dann. Schon nach wenigen Schritten verschwammen seine Körperkonturen. Sie lösten sich langsam auf und waren dann verschwunden. Der Fremde hatte sich dematerialisiert und hinterließ nichts als eine Erinnerung. *** Sie waren inzwischen wieder vollkommen nüchtern und hockten im Hinterzimmer des Saloons zusammen: Stan Locat, Ricardo Serra, Butch Halbert und Jeff Stoback. »Wir haben uns bis auf die Knochen blamiert«, sagte Locat, »ihr wißt ja, wie, wir uns benommen haben. Wie die Kleinkinder.« »Wir sollten abhauen«, schlug Serra vor. »Ich bin gleich dafür gewesen. Gegen diese Fremde kommen wir nicht an.’* »Ricardo hat recht«, meinte Halbert, »die macht mit uns doch, was sie will.« »Und das muß man sich von ‘ner Frau gefallen lassen«, seufzte Stoback gereizt auf, »von ‘ner Frau, versteht ihr? Das
werd’ ich nie kapieren.« »Sie muß doch ‘ne schwache Stelle haben«, sagte Locat nachdenklich, »sie kann doch nicht allmächtig sein. Irgendwo hat sie bestimmt ‘nen schwachen Punkt.« »Aber find den mal raus.« Serra schüttelte skeptisch den Kopf. »Wir werden nicht abhauen«, erklärte Locat energisch, »wir werden sie belauern, Jungens. Laßt die Leute ruhig über uns grinsen, das wird sich schnell ändern, wenn wir wieder am Drücker sind. Wir verhalten uns ganz hübsch brav, klar? Keinen Ärger, Jungens, aber wir lassen sie nicht aus den Augen.« »Und in zwei Tagen soll Camarro gehängt werden.« Stoback sagte das mit Nachdruck, »wird die Zeit reichen?« »Sie muß reichen. Zwei Tage können ‘ne ganze Menge ändern.« Sie fuhren hoch, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde. Bendler erschien, der Besitzer des Saloons, ein glatzköpfiger Mann von etwa fünfzig Jahren. »Das solltet ihr euch mal draußen ansehen«, sagte er hastig und animiert, »die Nackte wird durch die Mangel gedreht. Und wie!« »Was soll das heißen?« »Die Leute jagen sie durch die Stadt.« »Ausgeschlossen!« Locat sprang auf und sah seine Freunde dann triumphierend an. »Überzeugt euch doch selbst! Sie wird durch die Stadt getrieben. Und Blade hat sich verdrückt. Er ist nicht mehr zu sehen.« »Los, Jungens«, sagte Locat und grinste, »das ist unser Stichwort! Jetzt sind wir dran!« ***
Die Fremde lehnte sich erschöpft gegen die Tür des Sheriffbüros, die sie im letzten Moment noch hatte zuschlagen können. Sie schob die beiden Riegel vor und keuchte vor Anstrengung. Um die beiden Fenster, die zur Straße hinausführten, brauchte sie sich nicht zu kümmern. Sie waren vergittert und konnten nicht so ohne weiteres gestürmt werden. Vor dem Gebäude war das Schreien und Johlen der aufgebrachten Menge zu hören, die die Fremde durch die Stadt gehetzt hatte. Sie wurde angeführt von dem Vater des Jungen, den die Fremde geheilt hatte. Der religiöse Fanatiker dachte längst nicht mehr an sein Kind, es ging ihm um höhere Dinge: diese Hexe mußte aus der Stadt vertrieben werden, damit Satan sie nicht in seinen Besitz nehmen konnte. Der Fanatiker glaubte an Geister und Dämonen, an Spuk und Zauberei. Für ihn war diese Frau eine Tochter des Satans, das allein sagte ihm schon ihre schamlose Kleidung. Die Fremde schleppte sich müde zum Schreibtisch des Sheriffs, zuckte aber zusammen, als die ersten Steine durch die Scheiben flogen oder gegen die Gitterstäbe klirrten. Sie mühte sich zurück zum Ofen und nahm hinter dem schweren, gußeisernen Ungetüm Platz. Sie sah plötzlich gar nicht mehr fremd und geheimnisvoll aus, war nur noch eine müde, junge Frau. Die Tür erbebte unter den ersten Axtschlägen, die der Fanatiker ausführte. Er wollte um jeden Preis sein Opfer haben, wollte die Teufelsbrut vernichten. Die geheimnisvolle Frau reagierte kaum auf diese Geräusche. Sie ließ tief den Kopf sinken und konzentrierte sich mit letzter Kraft auf ihren Willen. Sie schickte einen verzweifelten Hilferuf nach dem anderen hinaus in die Atmosphäre. Als die Tür endlich zersplittert und aufgebrochen war, lag
die junge Frau regungslos am Boden. Sie merkte schon gar nicht mehr, wie sie hochgerissen und gierig abgetastet wurde. Aufgebrachte Megären versuchten ihr den Overall vom Leib zu reißen, doch der seltsame Stoff erwies sich als unzerreißbar. Die Fremde wurde geschlagen und bespuckt und sollte aus dem Büro des Sheriffs geschleppt werden, als die vier Banditen auf dem Plan erschienen. »Stop, Leute!« Stan Locats Stimme hatte wieder den alten, peitschenden Ton. Als man nicht sofort reagierte, riß er seinen Colt aus dem Halfter und feuerte einige Schüsse in die Decke hinein. In Sekundenbruchteilen herrschte Stille. Auch der Fanatiker, der eben noch den Ton angegeben hatte, zog den Kopf ein, riskierte keinen Widerspruch. »Die Frau gehört uns«, sagte Locat, »jemand dagegen hier?« Nein, man war nicht dagegen. Die Menge stand wie eine Herde verängstigter Schafe herum, schob sich jetzt langsam in eine Ecke, belauert von den Banditen, die eigentlich nur darauf warteten, einen gezielten Schuß abgeben zu können. Locat blieb vor der am Boden liegenden Frau stehen, grinste. Sie hatten es also doch noch geschafft. Jetzt konnten sie ihr diktieren, was sie zu tun hatte. »Was ist mit Camarro?« fragte Halbert und deutete in den Zellentrakt. »Holt den Boß raus!« sagte Locat. Halbert und Stoback schoben sich durch die Tür und winkten ihrem Boß triumphierend zu. »Kann man sich auf uns verlassen oder nicht?« fragte Halbert und zog seinen zweiten Colt, »gehen Sie mal kurz von der Tür weg, Boß, gleich wird’s knallen.« »Was wollt ihr?« fragte Camarro. »Sie rausholen, Boß, is’ doch klar.«
»Ich bleibe hier.« »Was... Was soll denn das heißen, Boß?« »Ich bleibe hier in Lobo-City.« Er war nicht mehr ihr Boß, das hörte Stoback deutlich heraus. Der Mann schien sich vollkommen verwandelt zu haben. »Locat, komm mal rüber!« rief Stoback ungeduldig und deutete auf den Eisenkäfig, als Locat im Zellentrakt erschien. »Hallo, Boß«, begrüßte Locat den Mann in der Zelle, deutlich zurückhaltend übrigens. Locat paßte es nicht sehr, daß er die Führung der Bande nun wieder an Camarro zurückgeben sollte. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, Macht auszuüben. »Der Boß will nicht raus«, sagte Halbert jetzt. »Was soll das heißen, Camarro?« fragte Locat »Ich bleibe hier, Locat«, sagte Camarro wie selbstverständlich, »ich hab’ hier ein paar Dinge gutzumachen.« »Und zwar?« Locat kniff die Augen zusammen. »Da is’ ‘ne Frau mit zwei Kindern, die auf mich wartet« »Er muß verrückt sein«, flüsterte Stoback. »Was für ‘ne Frau, Boß?« Locat schob sich dicht an die daumendicken Gitterstäbe heran. »Die Frau von dem Mann, den ich niedergeschossen habe. Wie soll sie sonst durchkommen?« »Der is’ nich’ mehr«, sagte Halbert entgeistert zu Locat, der sicherheitshalber nun einen Schritt zurückwich. »Boß, erkennst du uns?« fragte Stoback. »Natürlich, aber ich will mit euch nichts mehr zu tun haben. Laßt mich in Ruhe!« Camarro wandte sich ab, drehte seinen einstigen Freunden den Rücken zu. Locat zuckte die Achseln, grinste. »Wenn er nicht anders will, Jungens, lassen wir ihm den
Spaß. Für mich ist Camarro gestorben. Irgendwas dagegen einzuwenden?« »Sie werden ihn hängen«, sagte Stoback. »Sein Pech, er will’s ja nicht anders. Kommt, die Frau is’ wichtiger.« In der Tür zum Zellentrakt blieb Locat noch einmal kurz stehen und sah sich nach Camarro um. Er war mit dieser Entwicklung mehr als zufrieden. Der Boß der Bande war jetzt er. Camarro hatte ihm ungewollt jede Auseinandersetzung erspart. »Stimmt das, was Stoback gesagt hat?« wollte Serra wissen. »Den muß die Angst verrückt gemacht haben«, behauptete Locat und nickte. »Oder die Frau steckt dahinter.« Serra deutete auf die Fremde, die von ihm auf einen Stuhl gesetzt worden war. Sie hielt die Augen geschlossen und hatte ein wachsbleiches Gesicht. »Kann schon sein«, meinte Locat, »sie wird’s uns sagen müssen, Serra, mein Wort drauf.« »Und wo?« »Hier, is’ doch klar. Schaff die Meute raus und bring sie auf Trab!« Serra schaffte das innerhalb weniger Sekunden. Dicht über die Köpfe der jetzt ängstlichen und eingeschüchterten Menschen hinweg feuerte er einige Warnschüsse ab. Daraufhin zwängten sie sich in panischer Angst durch die Tür und rannten quer über den kleinen Platz. Serra hetzte sie mit ein paar weiteren Schüssen in ihre Häuser hinein, wandte sich dann grinsend zu Locat um. »Klemm die Tür fest«, sagte Locat und baute sich vor der Fremden auf, »jetzt werden wir sie mal behandeln, Jungens. Stoback, das ist was für dich. Schlitz ihr die zweite Haut auf!«
*** Blade schluchzte fast vor Scham. Er befand sich im Mietstall und traute sich nicht heraus. Er war wieder einmal nicht gegen seine Angst angekommen. Als die geifernde Meute die fremde Frau durch die Stadt gejagt hatte, wäre es seine Pflicht gewesen, sie unter seinen Schutz zu stellen. Er hatte es jedoch vorgezogen, sich still und heimlich im Mietstall zu verstecken. Er schämte sich, doch er fand einfach nicht den Mut, zumindest jetzt sein Versteck zu verlassen. Natürlich hatte der Sheriff alles mitbekommen. Die Meute hatte das Büro gestürmt, war dann aber von den Banditen in alle Winde zerstreut worden. Diese Banditen waren nun allein mit der Frau. Blade konnte sich leicht vorstellen, was sie mit ihr tun würden. Er begriff nicht, warum die Fremde sich nicht gewehrt hatte. Sie verfügte doch über Kräfte, wie sie kein Mensch kannte. Warum hatte sie sich durch die Stadt hetzen lassen? Warum blieb sie im Büro? Er fragte sich weiter, ob sie ihre Fähigkeiten wohl verloren haben mochte. Ja, so konnte es nur sein! Irgend etwas hatte die Frau erschöpft. Sie war nicht mehr in der Lage, sich gegen die Banditen zu wehren. Blade hätte sich nur zu gern für sie eingesetzt, ihr geholfen, doch da war die Feigheit in ihm, diese grenzenlose Angst, die er nur zu gut kannte. Wenig später wunderte er sich. Wie von unsichtbarer Hand geschoben, verließ er das Versteck hinter den Strohballen, drückte die Tür auf und trat hinaus auf die menschenleere Straße. Er rückte sich den Waffengurt zurecht und prüfte den Sitz seines Colts. Er kam sich wie aufgezogen vor, wunderte sich, daß er überhaupt gehen konnte. Er hielt sein Büro fest im Blick und marschierte
darauf zu. Er wußte, daß viele Augen ihn beobachteten, die Augen der Menschen, die sich in ihre Häuser geflüchtet hatten. Natürlich hatte Blade noch immer Angst, aber da war etwas in ihm, was einfach stärker war, nämlich der Wille, dieser außergewöhnlichen Frau zu helfen. Er wollte sie herausholen, und wenn es auch sein Leben kostete. *** Jeff Stoback zitterte vor Gier. Er hielt das rasiermesserscharfe Messer in der Hand und wollte jetzt den eng ansitzenden Overall auftrennen. Doch das Messer glitt an diesem seltsamen Stoff ab, hinterließ nicht die geringste Spur. Er versuchte es erneut, schüttelte dann wütend den Kopf. »Mit dem Messer klappt’s nicht«, sagte er wütend, »verdammt, wie schälen wir die Frau da raus? Ich will sie nackt sehen!« »Hände hoch!« Es war Sheriff Blade, der in der nur nachlässig geschlossenen und zersplitterten Tür stand. Blade hielt seinen Colt fest in der Hand. »Hauen Sie ab, Sheriff!« sagte Locat verächtlich. »Laßt die Frau in Ruhe!« Blades Stimme klang scharf. »Hauen Sie ab, Sheriff, Sie stören nur!« Locat traute diesem Sheriff nichts zu, zuckte aber zusammen, als Blade schoß. Die Kugel fuhr dicht neben dem neuen Banditenchef in den Fußboden und wirbelte eine kleine Staubwolke hoch. Nein, Blade hatte keine Chance. Serra schoß fast gleichgültig und nebenbei aus der Hüfte heraus auf Blade. Der Sheriff stöhnte auf, taumelte und fiel dann rücklings gegen den Türrahmen. »Blöder Hund«, sagte Serra, »will hier den wilden Helden
spielen. Aber doch nicht mit uns.« »Laßt die Frau in Ruhe!« stöhnte Blade, der plötzlich keine Angst mehr hatte. Die Hüftverletzung mußte das bewirkt haben. Blade spürte starke Schmerzen, doch war er gleichzeitig überrascht, daß er sie ertragen konnte. Er nahm mühsam noch einmal den Colt hoch und rutschte dann endgültig in sich zusammen, als nun Locat schoß. Das Geschoß traf seine Schulter und setzte den Sheriff endgültig außer Gefecht. »Was machen wir mit der Frau, Locat?« Stoback zitterte vor Gier. »Ich will ran an sie. Sie soll winseln.« »Versuchen wir’s mit Feuer«, sagte Serra. Er wartete die Zustimmung seiner Freunde nicht ab, sondern riß ein Streichholz an und hielt die Flamme an das silbrige Gewebe. Es zeigte sich nicht die geringste Spur. Der seltsame Stoff blieb hell und sauber. Keine noch so kleine Brandspur war zu erkennen. »Bringen wir sie erst mal wieder zu sich«, sagte Halbert. »Hier muß doch Schnaps sein, Leute. Seht mal im Schreibtisch nach!« Locat brauchte nicht lange zu suchen, kam mit einer halbgefüllten Whiskyflasche zurück, die er bereits entkorkte. Er spritzte der Frau eine gehörige Portion ins Gesicht und wartete auf eine Reaktion. »Sie bewegt die Augen«, rief Stoback triumphierend aus. »Sie kommt zu sich!« Die Augen der Fremden öffneten sich plötzlich ohne jeden Übergang. Sie sah verwirrt um sich, doch in ihren dunklen Augen war eine grenzenlose Müdigkeit. Sie murmelte ein paar Worte, die keiner der vier Banditen verstand. Sie wollte aufstehen, doch ihre Kräfte reichten dazu nicht aus. Haltlos rutschte sie wieder in sich zusammen. »Leute, seht doch mal nach draußen«, rief in diesem Moment Halbert , der sich in der Nähe des linken Fensters
aufhielt. »Ich glaube, wir bekommen Besuch.« »Wer denn?« fragte Locat unwillig. »Noch so ‘ne komische Type, Locat. Aber der ist normal angezogen. Das müßt ihr sehen, Jungens!« Sie liefen hinüber zum Fenster und sahen draußen auf der Straße, die zum Platz führte, einen Mann, der näher kam. »Den kaufen wir uns«, sagte Locat, »vielleicht weiß der, wie man die Haut runterbekommt.« »Der Bursche sieht ganz schön unheimlich aus«, meinte Halbert zögernd. »Los, raus, Jungens!« Locat hatte keine Angst. Er rückte sich den Waffengurt zurecht und stieg über den regungslos am Boden liegenden Sheriff nach draußen auf die überdachte Veranda. Halbert, Stoback und Serra folgten. Sie formierten sich und gingen langsam auf den Fremden zu, der nicht die Spur von Angst zeigte. Er trug wieder Carl Maddens abgelegte Kleidung über seinem Silber-Overall. »Serra, bleib du zurück und paß auf die Frau auf!« rief Locat. »Das hier schaffen wir allein.« Serra blieb auf der überdachten Veranda und grinste. Natürlich hatte dieser Fremde überhaupt keine Chance gegen seine Freunde. In den nächsten Sekunden würde er sich auf dem Boden herumwälzen, durchsiebt von Geschossen. »Komm, hau ab, Junge!« sagte Locat zu dem näher kommenden Fremden. »Ein paar Schritte weiter, und dir wird’s nicht mehr besonders gutgehen, wetten?« Serra sah alles ganz deutlich. Der Fremde hob seinen linken Arm und spreizte dabei die Finger. Locat, Serra und Stoback zogen ihre Colts, wollten schießen, waren aber nicht schnell genug. Aus den Fingerspitzen des Fremden schossen gleißende Flammenblitze, die selbst Serra noch fast blendeten. Als er wieder etwas sehen konnte, lag Locat bereits am Boden,
während Stoback schon halb in sich zusammengerutscht war. Halbert wollte ziehen, doch er führte diese Bewegung eigenartigerweise nicht aus. Serra brach der Schweiß aus. Er sah, wie der Fremde ihn mit einer knappen Geste zu sich heranbefahl. Automatisch gehorchte er, schritt auf den Geheimnisvollen zu, schluckte vor Angst. »Nimm deine Freunde und verlaß die Stadt!« befahl der Fremde. »Ich will euch nicht mehr sehen. Reitet schnell und weit, damit ich eure Strahlung nicht mehr spüre, sonst könnte ich zornig werden.« Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, schritt der Fremde dann auf das Büro des Sheriffs zu, hob Blade mit spielerischer Leichtigkeit auf und trug ihn ins Haus. Serra kümmerte sich um Locat, Stoback und Halbert, wollte sie untersuchen, merkte, daß sie nur gelähmt waren, daß sie ihn mit weitgeöffneten Augen ansahen, mit Augen, in denen das nackte Entsetzen war. »Ich hol’ ‘nen Wagen«, sagte Serra hastig, »wartet einen Moment, Jungens, ich hol’ ‘nen Wagen!« Sie rührten sich plötzlich, erhoben sich langsam, schüttelten die Köpfe, machten jetzt nur noch einen geistesabwesenden und verwirrten Eindruck und gingen dann mit staksigen Beinen die Straße hinunter. Serra folgte ihnen, stellte keine Fragen. Er schaute sich nur noch einmal zum Büro des Sheriffs um. Er hatte den Eindruck, als ob das Gebäude in einen sanften, milchigen Lichtschimmer getaucht war. Aber das konnte auch nur eine optische Täuschung sein. *** Sheriff Blade erwachte wie aus einem Traum.
Er hatte keine Schmerzen, sah an sich hinunter, suchte nach
Verletzungen und schaute sich verwirrt im Büro um. In Ofennähe unterhielt ein seltsam gekleideter Mann sich mit der Fremden. Sie verwendeten eine Sprache, mit der er nichts anzufangen wußte. Blade stand auf, klopfte sich den Staub von den Hosen, lächelte höflich, als die beiden Fremden sich zu ihm umdrehten. »Ich hab’ da Dinge geträumt, die ich... Woher kommen Sie, Sir?« »Wie meine Begleiterin, Mr. Joe Blade, aus der Zeit. Und dorthin werden wir wieder zurückkehren. Mehr werden wir Ihnen nicht sagen.« »Was war denn eigentlich los?« fragte Blade und massierte sich die pochenden Schläfen, »ich hab’ geträumt, man hätte mich Zusammengeschossen.« »Ein Alptraum, wie Sie sagen wurden«, meinte der Fremde, »alle hier in der Stadt werden ihren Traum gehabt haben.« »Richtig, da war doch was mit Ihnen, Miß.« Er näherte sich respektvoll der Fremden. »Auch ich werde bald nur noch ein Traum sein«, sagte sie und lächelte andeutungsweise. »Sie wollen gehen?« fragte er. »Vielleicht kommen wir eines Tages zurück«, meinte jetzt der Fremde sanft und höflich, »wir sind nur die Späher, Joe Blade.« »Lobo-City brauchte Menschen wie Sie«, sagte Blade. »Sie, Joe Blade, werden ab sofort auf diese Stadt aufpassen«, gab der Fremde zurück, »und wenn Sie Angst haben sollten, dann denken Sie an Ihren Traum, der wird Ihnen neue Kraft und Mut geben.« »Sie sind keine... Menschen?« »Wir kommen aus dem Jenseits Ihrer Zeit. In eurer Sprache heißen wir Silver Stars«, gab der Mann rätselhaft zurück. »Wir
müssen jetzt zurück. Unsere Energie erschöpft sich.« »War das der Grund dafür, daß Sie ohnmächtig wurden?« fragte Blade die Fremde. »Ich hatte meine Energie falsch eingeteilt«, räumte sie lächelnd ein und nickte, »aber das ist jetzt wieder vorüber, Joe Blade. Noch etwas: Vergessen Sie nicht, den Mann aus der Zelle zu lassen. Er hat bis an sein Lebensende noch sehr viel zu tun.« »Ich weiß, ich weiß.« Blade nickte, doch er bekam die Einzelheiten plötzlich nicht mehr richtig zusammen. Wer war der Mann denn noch, der da in der Zelle war? Irgendein Cowboy, den er aus irgendeinem Grund, der ihm entfallen war, eingesperrt hatte. Natürlich würde er diesen Camarro jetzt rauslassen. Joe Blade ging hinüber in den Zellentrakt und öffnete wie selbstverständlich die Tür. Und wie selbstverständlich kam Camarro heraus und grinste den Sheriff an. »Wieder nüchtern?« fragte Blade. »Alles klar«, sagte Camarro, »Mann, muß ich besoffen gewesen sein.« »Und jetzt?« »Die Witwe Vanders wartet auf mich«, sagte Camarro, »ich hab’ ihr versprochen, das Haus zu richten. Bis dann.« Er ging, hatte seine Vergangenheit bereits vergessen. Als Blade ihm folgte, und wieder im Büro war, blieb er stehen, massierte sich den Kopf und versuchte sich zu erinnern. Was war denn da noch gewesen? Hatte er sich eben nicht unterhalten? Er wußte es nicht mehr. Blade trat hinaus auf die überdachte Veranda, schloß die völlig intakte Tür hinter sich und setzte sich in seinen Schaukelstuhl. Er nickte grüßend, als ein fanatisch aussehender Mann vorbeikam, der einen kleinen Jungen an der Hand führte.
Irgend etwas war da gewesen, so erinnerte er sich schwach, irgend etwas Einmaliges und Aufregendes. Was mochte das gewesen sein? Nein, Blade wußte es nicht mehr! *** Matt Foldan war auf der Außenweide und bewachte die Herde. Er hatte sich eine Zigarette gedreht und wollte gerade ein Streichholz anreißen, als er am Himmel einen gleißend hellen Stern ausmachte, der sich sogar noch gegen die Sonne abhob. Matt vergaß darüber das Streichholz zwischen seinen Fingerkuppen. Er zuckte zusammen, als die Flamme sich der Haut näherte, warf das Streichholz zu Boden und beobachtete diese seltsame Erscheinung. Die gleißende Lichtkugel beschrieb einen engen Bogen und näherte sich mit rasender Geschwindigkeit der Erde, kurvte scharf ein und verschwand dann hinter den Bergen. Matt Foldan erinnerte sich vage, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Wann das aber gewesen war, wußte er nicht zu sagen. Er stellte sich in den Steigbügeln hoch, als die gleißende Lichtkugel wenig später wieder auftauchte, spiralförmig kreiste und dann steil hinauf in Richtung Sonne schoß. Matt schüttelte den Kopf, wußte wenig später schon nicht mehr, was er da gerade beobachtet hatte, zündete sich die Zigarette an und winkte seinem Vormann zu. »Alles in Ordnung, Matt?« fragte der Vormann. »Alles in bester Ordnung, Clint«, gab Matt Foldan zurück und hatte nun endgültig die seltsame Erscheinung am Himmel vergessen. Ja, sie werden wiederkommen, die Silver Stars...
ENDE