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Der denkende Planet Zukunftsroman von J. E. Wells Terra hat aufgehört zu bestehen. Das Raumschiff Steen Ryhnes streift das Gebiet der früheren Sol, die sich vor langer Zeit in eine Nova verwandelt hat. Rechtzeitig konnte man die Bewohner Terras evakuieren, und auch Steen Ryhne ist ein Nachkomme jener irdischen Menschen. Staunend betrachten die Männer und Frauen der Expedition die in Eis und Kälte erstarrte Terra, die, von keiner Sonne beschienen, in ewigem Dunkel dahindämmert, den freudlosen Seelen der Karand-Menschen vergleichbar. Denn auch die Menschen des Karand dämmern dahin, seit jemand ihnen die Gefühlsimpulse stahl. Steen Ryhne
– Expeditionsleiter
Felke Yern Innsa Broon Tys Terhel
– Männer vom Karand
Lik Weda Hama Unn
– Frauen vom Karand
Ti-eb Lee
– Fürst des Kirh
Ir Man Sei Bi-il-kin
– Bewohner des Kirh
DIE REISE In der Nacht des Alls steht ein einsames Raumschiff. Es hat die Form eines Kreisels. Bläuliches Licht strahlt nach allen Seiten und zeichnet ein breites Band durch die Dunkelheit, ein Band wie von zwei rückwärts strahlenden Scheinwerfern. Die Raumscheibe steht scheinbar bewegungslos im All. Doch jeder weiß, daß die Luftleere des Alls jede Bewegung unsichtbar werden läßt. In Wirklichkeit fliegt dieser Körper mit mehr als tausendfacher Lichtgeschwindigkeit, und der bläuliche Schimmer, den er ausstrahlt und der in unfaßbaren Weiten in dunkelvioletter Färbung verebbt, ist „Kielwasser“, das die beginnende Entmaterialisierung anzeigt. Das Raumschiff besteht aus zwei Scheiben, die durch das runde Mittelschiff miteinander verbunden sind. Dieses Mittelschiff besitzt fensterlose Wände und ist aus einem silbern schimmernden Kunststoff gebaut. Nach irdischen Maßen gerechnet, hat die Scheibe einen Durchmesser von rund 150 Metern und ist daher ein bemerkenswert großer Körper. Das Innere des riesigen Allfahrzeugs besteht zuerst einmal aus einer Halle, die kreisrund ist und einen Durchmesser von 20 Metern hat. Hier liegt auch der Kommandostand, eine Schaltwand mit einer Menge unbekannter Hebel und Knöpfe, die mit Bezeichnungen versehen sind, die ein Mensch unserer heutigen Erde weder lesen noch verstehen könnte. Ein Mensch unserer heutigen Erde … Ja, darüber möchte noch ein Wort gesagt werden. Unsere Geschichte spielt in einer Zeit, die man als „nicht meßbar“ bezeichnen könnte. Die Erde, jener kleine Planet im System Sol, einer unansehnlichen Sonne in einem verhältnismäßig dünn besiedelten Teil der Galaxis, hatte mehrere hunderttausend Jahre lang eine wichtige Rolle in der Welt der Milchstraße gespielt. Dann aber kam jener Tag – 4
von den Experten Terras bereits seit Jahrtausenden vorausberechnet –, an dem sich die von der Gravitation zusammengedrängten Wasserstoffatome so weit verdichtet hatten, daß die Explosion erfolgte. So wurde aus der Sonne Sol eine Nova, und ihr System hatte aufgehört zu existieren. Und ihre Planeten, die Bewohner Terras, die Lebewesen des Mars, der Venus und des Jupiter? Was ist im Laufe der Jahrmillionen aus allen diesen Geschöpfen geworden? Was wurde aus den ungeheuerlichen Erfindungen, aus der überlegenen Technik der Menschen Terras? Jahrmillionen … Wie leicht sich das ausspricht, und wie unendlich doch dieser Zeitraum ist! Welten vergehen, Welten werden geboren, alles fließt, alles ist in Bewegung, alles hat seine Aufgabe, seinen Sinn. Steen Ryhne, der Mensch mit dem kühnen Antlitz, Vertreter der galaktischen Rasse, blond, hochgewachsen, blauäugig, mit ruhigen, bedächtigen Bewegungen und dem Körper eines Athleten – Steen Ryhne, der auf dem Karand geboren wurde, einem Planeten der Riesensonne Beteigeuze im ehemaligen Sternbild des Orion – Steen Kyhne, einer der bekanntesten Forscher und Raumfahrer seiner Zeit – hat in diesem Augenblick nach einem kurzen Blick auf dem Infrarot-Bildschirm einen Hebel bedient, der die Geschwindigkeit des Raumschiffes sprunghaft absinken läßt. Dieses Absinken geschieht mit einer Schnelligkeit, die alle bis jetzt zur Anwendung gebrachten Verzögerungsvorgänge weit in den Schatten stellt. „Warum?“ fragt sein Begleiter in der Universalsprache der galaktischen Menschen. „Wir nähern uns dem Gebiet der Nova Sol“, erwidert Steen Ryhne mit seiner melodischen Stimme. „Dort gibt es dunkle Planeten, die von keiner Sonne ihr Licht erhalten. Kennst du die Geschichte dieses Systems?“ 5
„Nein“, sagt der Gefährte. Auch er ist ein schöner, hochgewachsener Mensch, auch er ist weiß gekleidet. Doch mag es dem oberflächlichen Beschauer scheinen, als strahle er nicht jenes Fluidum aus, das von Steen Ryhne auf alle überspringt, die mit ihm zu tun haben. Dieser Gefährte ist Ork Alfa, und auch er stammt aus dem Sternbild des Orion. Außer diesen beiden sind noch drei Männer und zwei Frauen in dem hallenartigen Kommandoraum. Sie alle sind jung. Sie haben glatte, faltenlose Körper und ebenmäßige Figuren, sie sind allesamt hochgewachsen, blond und blauäugig. Diese Menschen des riesigen galaktischen Raumes haben sich zu einer bildschönen Rasse entwickelt, wobei allerdings erwähnt werden muß, daß diese Schönheit eine gewollte ist, da sie mit unendlicher Geduld und über die Jahrhunderttausende hinweg herangezüchtet wurde. „Freunde!“ ruft Steen Ryhne den Gefährten zu. „Kennt ihr die Geschichte des Systems Sol?“ „Nein!“ klingt es zurück. „So wißt ihr auch nicht, daß ihr die Abkömmlinge des Planeten Terra seid, den einst die Sonne Sol beschien?“ „Nein!“ Die Gefährten drängen sich interessiert näher. Millionen ihrer Mitbürger beneiden sie um die hohe Ehre, mit einem der ganz Großen der Galaxis, mit Steen Ryhne, durch den unendlichen Raum fliegen zu dürfen. Sie selbst sind Auserwählte, die wegen ihrer Leistungen und Kenntnisse an dieser Reise teilnehmen. Doch sie alle neigen in Ehrfurcht die Häupter, wenn der große Meister und Lehrer Steen Ryhne das Wort an sie richtet. Sein Wissen ist unbegrenzt, es erstreckt sich über alle Wissenschaften und Künste, dieser Mann ist einmalig. Sie haben in den weichen Sesseln Platz genommen. Diese Sitzgelegenheiten gehören mit zu den raffiniertesten Erfindungen einer neuen Zeit. Sie bestehen aus einem unbekannten 6
Stoff, der sich jeder Körperbewegung anpaßt. „Es ist das System Sol, dem wir uns jetzt nähern“, beginnt er. „Ihr werdet es nur von den Himmelskarten her kennen – es ist einer jener Punkte im Weltall, an denen man ein Warnzeichen für den Raumflugverkehr angebracht hat. Denn das System Sol ist dunkel, es ist schwarz wie die Nacht des Raumes, und es ist unbarmherzig kalt wie das All selbst. Es ist schon weit über eine Million Jahre her, als sich die Sonne Sol aus einem glühenden Feuerball in eine Nova verwandelte. Diese Sonne war nicht allzu groß, sie hatte nur den vierhundertsten Teil des Durchmessers, den unsere Sonne Beteigeuze hat, und dennoch beschien sie neun Planeten, auf denen sich Leben und Vegetation entwickelten. Terra, einer der Planeten, wurde von vielen Milliarden intelligenter Geschöpfe bewohnt. Im Laufe vieler hunderttausend Jahre waren sie so zivilisiert, technisch so weit fortgeschritten, daß sich ihnen Tausende von Gestirnen freiwillig unterwarfen, weil sie wußten, daß sie unter der Führung der Erdenmenschen nicht untergehen konnten. Diese Menschen waren von überlegenem Geist. Sie wohnten in riesigen Städten, die mit allen Errungenschaften einer hochentwickelten Technik ausgestattet waren, sie fanden als erste Geschöpfe das schwere Antiproton, das ihnen ermöglichte, Straßen durch die Luft zu bauen. Sie waren auch harte Kämpfer, und wer weiß, was aus dem gesamten galaktischen Raum geworden wäre, wenn sie nicht damals die Wuniden besiegt hätten, die aus unbekannten Fernen in die Galaxis eingedrungen waren. Aber das ist schon eine Million Jahre her, und ihr werdet nichts mehr darüber wissen. Nun will ich euch berichten, wie Terra zugrunde ging. Die Astrophysiker der Erde hatten die Katastrophe schon auf Tausende Jahre vorausberechnet. Jedes andere Volk wäre verzweifelt, nicht aber die Bewohner der Erde. Sie hatten nach ihrer Zeitrechnung noch rund zweitausend Jahre Zeit, ehe die Ver7
wandlung der Sonne Sol eintreten sollte. In diesen zweitausend Jahren schlossen sie mit Hunderten der befreundeten Planeten Verträge ab. Jeder dieser Planeten war froh, die hohen Intelligenzen und die schönen Frauen Terras bei sich aufnehmen zu dürfen. Das Volk Terras teilte sich in Tausende Teile, die miteinander in Verbindung blieben. So vermengte sich das Milliardenheer Terras mit den meisten bewohnten Planeten der Galaxis, und es entstand jene Menschenrasse, der wir angehören. Deshalb sagte ich, daß wir im Grunde alle in direkter Linie von Terra abstammen. Überall erwies es sich, daß sich die Rasse Terras durchsetzte, weil sie die überlegene war. Aus den Menschen dieses Planeten entstand die galaktische Rasse. Das, meine Freunde, ist die Geschichte Terras, die vor Millionen Jahren unsere Heimat war.“ In höchster Spannung haben die sechs Männer und Frauen der Erzählung Steen Ryhnes gelauscht. Dieser Mann versteht es wie kein anderer, seine Zuhörer in Bann zu schlagen. Und erst die gelassenen Worte Ork Alfas brechen das Schweigen. „Rechtsseitig dunkler Himmelskörper!“ „Das ist Terra!“ erwidert Steen Ryhne. „Seht sie euch auf dem Bildschirm an, Freunde!“ Die Gefährten drängen sich um den Infrarot-Bildschirm, der die Nacht zum Tage wandelt. Mit einem Schauder sehen sie die in Kälte und Nacht versunkene Erde. Auf ihrer Oberfläche glitzert bläuliches Eis, große Flächen sind durch Nebel und Schneestürme jedem Einblick unzugänglich. „Wer dort leben müßte!“ entringt es sich endlich der blonden Lik Weda, indem sie die schönen Schultern wie unter einem Kälteschauer zusammenzieht. „Es ist die Hölle!“ pflichtet ihr Steen Ryhne bei. „Aber das ist für uns nicht mehr interessant. Wir haben in der Weite des Weltenraumes viele ähnliche Fälle, nur ist der Fall Terra für uns 8
deshalb interessant, weil unsere Vorfahren dort lebten. Und nun frage ich euch, meine Freunde, nach dem Sinn und Ziel unserer Reise. Dieser Sinn hängt eng mit dem zusammen, was ich euch soeben erzählte, er hängt aber auch mit dem zusammen, was uns in unserem Heimatsystem bewegt. Ihr wißt, was ich meine – es ist das Fehlen unserer Impulse, es ist das Nachlassen unserer Begeisterungsfähigkeit, es ist ein Abebben unserer Leidenschaften, es ist – kurz gesagt – der Rückgang unserer Interessen. Eine allgemeine Gefühllosigkeit hat sich unserer bemächtigt, Freude und Leid – die beiden extremen Pole unseres Gefühlslebens – haben sich einander genähert und sich in Gleichgültigkeit gewandelt. Oberflächliche Menschen sehen in diesen Symptomen die Zeichen einer gewissen Übersättigung und lassen es dabei bewenden. Doch wir Wissenschaftler denken anders darüber. Ihr, meine Freunde, wißt, daß es in dieser Welt nichts gibt, was sich nicht wissenschaftlich-physikalisch begründen läßt. Auch menschliche Leidenschaften sind Ausstrahlungen, die nach innen oder außen wirksam werden. Sie sind materiell, sind Materie. Wenn sie aber Materie sind, müssen sie auch faßbar, sichtbar gemacht werden können. Was war es denn anderes mit dem Licht, meine Freunde? Oder mit der Elektrizität? Oder mit den radioaktiven Strahlen? Oder gar mit der Gravitation? Hätte man je gedacht, daß sie alle faßbare, greifbare Materie wären? Oder denkt an unsere Gedanken, die wir in Materie verwandelten! Warum sollte es mit den menschlichen Gefühlen und Leidenschaften anders sein? Auch sie sind Materie, auch sie lassen sich physikalisch einordnen. Wohin sind aber alle jene Impulse verschwunden, die sich einstmals auf Terra befanden? Liegen sie noch unter der Eisdecke begraben – oder sind sie in den Raum entflohen?“ „Es besteht auch die Möglichkeit“, wirft die schöne Hama 9
Lenn ein, „daß diese Impulse von den damaligen Erdenmenschen mitgenommen wurden.“ „Zum Teil – ja“, bestätigt Steen Ryhne diese Ansicht. „Wo aber sind die Impulse der Hoffnung und der Zufriedenheit geblieben? Wohin sind die Impulse der vielen Sorgen entflogen, die durch die erfolgreiche Evakuierung mit einem Schlage ihr Ende hatten? Wo befinden sich die vielen Impulse der Freude über das Dasein, die doch wegen der bevorstehenden Katastrophe gewiß nicht vorhanden waren? Und nehmen wir unseren eigenen Planeten an! Wohin sind die Impulse unserer Leidenschaften entschwunden? Wohin ist die sichtbare Freude am Dasein gekommen? Woher kommt plötzlich die Apathie, die sich der meisten unserer Mitbürger bemächtigt hat? Alle diese Impulse bleiben unauffindbar. Was ist die logische Folgerung daraus? Sie werden irgendwo draußen im All von einem Magnetfeld angezogen, haben sich dort zusammengefunden und stellen somit dort ein eigenes Kraftfeld dar. Dieses Kraftfeld zu finden, ist der Sinn unserer Reise. Ich muß euch deshalb bitten, meine Freunde, vor allem dann, wenn wir das Gebiet der Andromeda erreicht haben, auf eure Gefühle zu achten. Sie werden – falls mich nicht alles täuscht bei allen genau aufeinander abgestimmt sein …“ „Warum glaubst du, daß es gerade das Gebiet der Andromeda ist?“ erkundigte sich Tys Terhel, ein schlanker, sehr jung aussehender Mensch, der wie Ryhne vom Karand stammt. „Nicht ohne Grund habe ich dieses Gebiet als Ziel ausgesucht. Ich habe in den Reiseberichten der vergangenen Menschheit nachgelesen und dort herausgefunden, daß im Gebiet der Andromeda ein Planet liegt, dessen Ausstrahlungen ein ganzes Sonnensystem beherrschen. Dieser Planet wurde von den Eingeborenen des Sonnensystems Golara mit dem Namen Stan-a bezeichnet. Er herrscht über 700 bewohnte Planeten. 10
Keines Menschen Fuß darf ihn betreten, denn es soll sich dort eine ungeheuerliche Maschinerie befinden, die aus Millionen Elektronenhirnen besteht. Ein Planet, der solche Impulse ausstrahlt, fängt sie auch ein, denn ich glaube nicht, daß sie sich von selbst bilden. Wir müssen versuchen, mit dieser ungeheuren maschinellen Anlage in telepathischen Kontakt zu kommen.“ * Nach früherer irdischer Zeit sind elf Tage vergangen, seitdem die Scheibe vom Karand gestartet ist. Steen Ryhne hat alle „Hyperdrives“, die er unterwegs vornahm, unter Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln durchgeführt. Denn trotz aller Vervollkommnung der Technik besteht doch jedesmal die große Gefahr, daß die Atome nach der Entmaterialisierung nicht mehr zueinander zurückfinden. Dies kann dann geschehen, wenn die Strecke des Hyperdrives zu lang gewählt wird. Ein Hyperdrive über 400 000 Lichtjahre ist bodenloser Leichtsinn. Selbst der telepathische Flug benötigt für eine solche Entfernung wenigstens drei bis fünf Sekunden. In dieser Zeit kann es geschehen, daß die Atome zerfliegen. Eine Entfernung von 100 000 Lichtjahren dauert den Bruchteil einer Sekunde. Während dieser Zeit wird die Entmaterialisierung in dem Augenblick wieder rückgängig gemacht, da sie eingetreten ist. Die Menschen, die sich der Führung Steen Ryhnes anvertrauen, können unbesorgt reisen. Er macht keine Experimente mit dem Leben seiner Fahrtgenossen. Er hätte den weiten Flug zur Andromeda bequem in der Hälfte der Zeit zurücklegen können, doch so sehr eilt es ihm nicht. Das Andromeda-System, das von der Galaxis aus den Anblick eines Nebels bot, ist kaum noch 50 Lichtjahre von dem durchs All jagenden Raumschiff entfernt. Von einem Nebel ist nichts mehr zu sehen, dafür steht 11
vor ihnen eine Wand von Sternen, die den ganzen Himmelsraum ausfüllt. Es hat den Anschein, als nähere sich das Raumschiff einer Großstadt mit ihren Millionen Lichtern. Es ist eine Sternenflut, der sie sich nähern. Ja, das ist das System der Andromeda … Die ungeheure Menge der Himmelskörper bildet aus der Ferne nur noch einen Nebel und löst sich beim Näherkommen in einzelne Gestirne auf. Wie viele mögen es sein? Millionen, Milliarden, Billionen? Bei der Entfernung von rund fünfzig Lichtjahren stehen die Sonnen und Planeten so eng beisammen, daß sie sich zu berühren scheinen. Was müssen es für ungeheuerliche Weiten sein, wie unsagbar tief muß dieses System sein, daß es selbst aus einer solchen Entfernung noch scheint, als nähere man sich einer Lichterwand! Aus der geballten Masse der Lichtpunkte strahlen einige größere heraus. Es sind Sonnen von gewaltiger Größe, deren Glanz die Augen blendet. Auf den Bildschirmen zeigt sich fahles Dämmerlicht. Bis hierher leuchtet das ungeheure System, bis hierher strahlt das Lichtermeer. Schweigend starren die sieben Orion-Menschen auf das phantastische Bild, das die Infrarot-Bildschirme einfangen. Steen Ryhne hat die Augen zu kleinen Schlitzen verengt. Er betrachtet intensiv den Bildschirm und gibt dann dem Raumschiff eine kleine Richtungsänderung. Es ist ein Wunder, daß sich Ryhne in diesem Gewirr zurechtfindet, zumal ja jede Bewegung des Raumschiffes das Bild verschiebt. Es sind die Sonnen, nach denen sich Steen Ryhne richtet. Und je näher das Raumschiff dem Lichtermeer kommt, um so weiter werden die Abstände zwischen den einzelnen Sonnen und Planeten. Ryhne hat eine breite Einfahrt gewählt, in der die Sterne mindestens einige Milliarden Kilometer auseinanderliegen. Die Scheibe fliegt nur noch mit halber Lichtgeschwindigkeit. 12
Ork Alfa hat den Mikrofunk-Empfänger eingeschaltet. Das auf feinste Trennschärfe eingestellte Instrument fängt eine ganze Flut von Wellen auf, deren Bedeutung noch völlig unklar ist. Zumeist sind es Pfeifsignale, die in verschiedenen Intervallen erklingen. Aber auch Worte sind zu hören, menschliche Worte. Steen Ryhne und seine Gefährten geraten darüber nicht in Erstaunen. Sie wissen, daß das Weltall von Geschöpfen in millionenfacher Gestalt bewohnt ist. Auch die galaktische Technik ist schon so weit fortgeschritten, daß sie den Sprachumformer geschaffen hat, mit dessen Hilfe man jede Fremdsprache versteht. Da aber erschallt plötzlich ein Ruf, der auch die sieben OrionMenschen aufhorchen läßt. Aus dem Lautsprecher hören sie eine Stimme in ihrer eigenen galaktischen Sprache … „Hallo! Hallo! Fremdes Raumschiff im System der Sonne Lee! Hallo, wir rufen euch! Wer seid ihr? Könnt ihr uns hören?“ Steen Ryhne antwortet sofort. Diese Menschen scheinen ebenfalls mit Sprachumformern zu arbeiten, so daß er auf die Anwendung der eigenen Apparate verzichten kann. „Hallo! Hier Raumschiff vom Karand aus dem Gebiete des Orion aus dem Reich der Galaktischen Union. Führer des Raumschiffes Steen Ryhne. Wer seid ihr?“ „Hier ist das Land Kirh! Fliegt weiter in der jetzigen Richtung, wir leiten euch! Landet bei uns und sagt uns eure Wünsche!“ „Wir danken!“ ruft Steen Ryhne zurück. Einer der jungen Leute zeigt auf den Bildschirm, aufs höchste überrascht. Seine Verblüffung ist nur zu begreiflich, denn auf dem Bildschirm ist plötzlich eine strahlende Linie zu sehen, die sich vom Rande aus bis zu einem kleinen, unscheinbaren Lichtpunkt hinzieht. Diese Linie steht still, daneben aber befindet sich ein grauer Strich in Bewegung, der sich an der strah13
lenden Linie entlangbewegt. Steen Ryhnes Intelligenz hat die Bedeutung sofort erfaßt. „Diese Leute besitzen eine weit fortgeschrittene Technik“, erklärt er. „Was ihr hier seht, grenzt ans Wunderbare. Zuerst hat man durch einen Fernseher unseren Bildschirm fixiert, dann hat man drahtlos jenen strahlenden Strich durchprojiziert, der die Route bis zum Planeten Kirh aufzeichnet. Schließlich hat man uns durch Radar gesichtet, den Radarschirm fotografiert und diesen dann als drahtlosen Film ebenfalls auf unseren Bildschirm gebracht. Dieser kleine, graue Strich, den ihr seht, sind wir selbst. So weit ist unsere Technik noch nicht, daß wir das eigene Flugschiff ins Innere projizieren können. Wir können uns somit selbst leiten und jede falsche Richtung feststellen. Aus dieser ganzen Anordnung ersehe ich die Aufforderung, zuerst den Planeten Kirh anzufliegen, bevor wir weiteres unternehmen. Wir werden dieser Aufforderung folgen.“ „Du tust recht daran, Steen Ryhne“, tönt plötzlich eine klare Männerstimme durch den Kommandoraum, „und du hast unser Ersuchen richtig erkannt. Wir werden uns wieder melden, wenn ihr in den Anziehungsbereich des Planeten Kirh einfliegt.“ Die Gefährten Ryhnes sehen sich entgeistert an. Über mehr als zwanzig Lichtjahre hinweg hören diese Menschen des Kirh die Worte, die in dem Raumschiff gesprochen werden? Über zwanzig Lichtjahre hinweg senden sie ihre Stimme und lassen sie ohne Empfangsanlage und ohne Lautsprecher im Raume erklingen? Das hat mit gewöhnlicher Technik nichts mehr zu tun, das ist schwarze Kunst, das ist … „Das ist Telepathie“, erklärt Steen Ryhne, der sich durch nichts erschüttern läßt. „Wir haben es mit Leuten zu tun, die uns einiges voraus haben. Lassen wir uns überraschen!“ Es ist merkwürdig still in dem Raumschiff geworden. Die Gespräche zwischen den Teilnehmern der kleinen Expedition 14
beschränken sich nur auf das Notwendigste. Sie alle haben das Gefühl, von unsichtbaren Lauschern umgeben zu sein, von Gespenstern, die jedes Wort verstehen können. Vor allem aber vermeiden sie es, den Zweck der Reise zu erwähnen. Wie in einer stillen Übereinkunft hüllen sie sich in Schweigen. Das Sonnensystem, das die Scheibe jetzt durcheilt, ist nicht gänzlich luftleer. Daher kommt es auch, daß es nicht völlig dunkel ist. Das Spektrometer stellt geringe Mengen von Sauerstoff fest, es ist demnach eine – wenn auch sehr geringe – Atmosphäre vorhanden. Sollte das gesamte Andromeda-Gebiet atmosphärisch sein? Ist das die Ursache, daß man diese ungeheure Sternenwelt selbst noch in einer Entfernung von 1,4 Millionen Lichtjahren als blassen Nebel am Firmament erblickt? „Glaubst du, daß man uns feindlich gesinnt ist?“ fragt Ork Alfa den Meister, der das Raumschiff überwacht. „Ich glaube es nicht, denn wir haben es mit Intelligenzen zu tun. Bei primitiven Völkern weiß man nie, woran man ist, hier aber scheint mir doch die Vernunft vorzuherrschen. Wir wollen es auf einen Versuch ankommen lassen. Zur Not haben wir noch unsere Strahlwaffen. Aber die werde ich nur anwenden, wenn man uns bedroht. Wir kommen in friedlicher Absicht, und wir dürfen wohl erwarten, daß man uns so behandelt, wie dies unter kultivierten Geschöpfen Sitte ist.“ Steen Ryhne hat diese Worte mit voller Absicht gesagt. Er weiß, daß man auf dem Planeten Kirh dieses Gespräch mithört, deshalb hält er es nicht für falsch, seinen Standpunkt auf diese Weise zum Ausdruck gebracht zu haben. In dieser Beziehung hat er allerdings die Menschen des Kirh noch unterschätzt. Denn so, wie sie seine Worte hören, lesen sie auch in seinen Gedanken. Es gibt vor ihnen nichts zu verbergen – die Menschen des Kirh haben einen Grad von Vollkommenheit erreicht, den man in der Galaxis noch nicht kennt. 15
Der Wegweiser, den man der orionischen Scheibe auf den Bildschirm gezaubert hat, ist von einer geradezu unheimlichen Präzision. Im hellen Licht einer Sonne taucht der Planet Kirh als dunstverhangene Kugel auf. Als Ryhne die Geschwindigkeit drosseln will, bemerkt er zu seinem größten Erstaunen, daß dies bereits geschehen ist. Man hat durch Fernimpulse die Hebel seines Raumschiffes in Tätigkeit gesetzt. Und wieder erklingt eine Stimme: „Wir lenken euch! Eure Scheibe wird sicher landen.“ Ryhne und die Mädchen sehen sich an. Immer unmöglicher erscheint ihnen die Lösung ihrer Aufgabe. Diese Menschen haben eine Technik, die die galaktische weit in den Schatten stellt. Was sind es für Kräfte, die imstande sind, eine fremde Raumscheibe sicher durchs All zu steuern? Ryhne wird durch einen entzückten Ausruf Liks aus seinem Nachdenken gerissen. Sie hat einen Blick auf den Bildschirm geworfen. Obwohl das Raumschiff noch ungefähr 20 Kilometer über dem Lande kreuzt, hat doch der Bildschirm die Szenerie in vielfacher Vergrößerung eingefangen. Die Scheibe schwebt auf einen viereckigen, mit dunkelroten Kristallplatten bedeckten Platz zu. Um diesen Platz herum stehen Gebäude, auch sie scheinen aus Kristall zu bestehen. An der Seite des Platzes warten einige weißgekleidete Gestalten. Es sind Menschen, Menschen von stattlichem Aussehen, die interessiert die Landung der fremden Scheibe beobachten. Das Raumschiff vom Karand ist wenige Zentimeter über dem dunkelroten Kristallboden in der Schwebe geblieben. „Dürfen wir die Tür öffnen?“ fragt Steen Ryhne in die Luft hinein. Er weiß, daß man ihn hören und verstehen wird. „Steigt ruhig aus“, ertönt die prompte Antwort. „Ihr werdet unsere Atmosphäre gut vertragen.“ Diese Menschen haben an alles gedacht. Doch keiner der 16
Orionmenschen getraut sich, die Lukentür zu öffnen. Hama Lenn nimmt endlich Alfa den Schraubenschlüssel aus der Hand und beginnt, die Verschraubungen zu lösen. Sie öffnet die Tür und tritt nach kurzem Zögern ins Freie. Es dauert lange, ehe Hamas Kopf wieder auftaucht. Sie ist bis an den Rand der Scheibe vorgeschritten, dorthin, wo die Treppe nach unten führt. Ein unbeschreiblicher Duft umweht sie, von einem sanften, warmen Wind getragen. Es riecht nach Rosen, und die laue Luft dringt tief in ihre Lungen. „Kommt!“ fordert Hama Lenn die Gefährten auf. Steen Ryhne betritt als erster die Plattform. Zögernd folgen ihm die anderen. Ryhne klettert die metallische Leiter auf den Boden hinab. Sein Gewicht ist das gleiche wie auf dem Karand, ein Zeichen dafür, daß dieser Planet von der gleichen Größe ist. Einer der Menschen des Kirh ist näher getreten. Er hat ein offenes Antlitz, seine Augen strahlen wie flüssiges Gold. Nach Art der galaktischen Menschen reicht er Steen Ryhne die Hand. „Wir begrüßen dich, Steen Ryhne, auf dem Boden des Kirh im Reiche der Sonne Lee. Es ist selten, daß sich ein Schiff aus der fernen Galaxis in unsere Räume wagt, denn es ist eine weite Reise, die über viele Räume führt. Wir, bitten dich und deine Gefährten, unsere Gäste zu sein. Ich bin Ir Man Sei, der Beauftragte unseres Landes.“ Er drängt sich plötzlich an Ryhne vorbei, um Lik Weda zu helfen, die den Mut gefaßt hat, die Leiter herabzusteigen. Mit einer sanften Bewegung faßt der schlanke, hochgewachsene Mann, der sich Ir Man Sei genannt hat, die herabsteigende Lik am Arm, eine unaufdringliche Geste der Höflichkeit, die Steen Ryhne, der alles scharf beobachtet, ungemein beruhigt. „Wir neigen uns in Ehrfurcht vor der Schönheit, die aus fernen Welten zu uns kommt“, sagt der Beauftragte des Landes 17
Kirh. „Du bist sehr freundlich, Mann einer fremden Sonne!“ antwortet Lik Weda gewandt. „Wir danken dir für das sichere Geleit, das du uns gabst. Wir werden in unserer Heimat von eurem Wohlwollen berichten.“ „Stelle es erst auf die Probe, Lik Weda!“ mahnt Ir Man Sei. „Du kennst meinen Namen?“ fragt sie erstaunt. „Wir kennen alle eure Namen. Ihr selbst habt sie uns gesagt, als wir unsichtbar in eurem Raumschiff weilten.“ Inzwischen sind auch die beiden anderen Männer des Kirh herangetreten. Sie führen die Namen So-kaah und Biil-kin. Sie begrüßen Steen Ryhne mit ausgesuchter Höflichkeit, die beiden Frauen mit galanten Worten, die vier männlichen Begleiter etwas zurückhaltender. Die gleichfalls dabeistehenden Roboter sind für sie nicht vorhanden. Die Besucher schreiten an der Seite der Eingeborenen über den dunkelroten Platz, der in den Strahlen der heißen Sonne wie ein einziger großer Rubin funkelt. Als sie sich noch einmal nach ihrem Raumschiff umsehen, ist es verschwunden. Ir Man Sei hat die fragenden Blicke Ryhnes bemerkt. „Seid unbesorgt!“ sagt er. „Wir haben euer Schiff einstweilen in unsere unterirdischen Hangars gebracht. Sobald ihr es wünscht, könnt ihr zu ihm.“ „Und was werden wir jetzt tun?“ erkundigt sich Ryhne. „Ihr seid Gäste unserer Verwaltung. Wir werden euch ein Haus anweisen, in dem für eure Bequemlichkeit gesorgt ist. Morgen kannst du dann Ti-eb Lee, unserem Fürsten, deine Pläne und Wünsche vortragen.“ „So weißt du bereits, Freund Ir Man Sei, daß wir Pläne und Wünsche haben?“ „Wir wissen es, Mensch aus einer anderen Welt. Darüber magst du dich mit dem Fürsten selbst unterhalten. Solltest du noch irgendwelche persönliche Wünsche haben, so gib den Ro18
botern, die dir zur Verfügung stehen, deine Befehle. Sie werden dich auch begleiten, falls es dich interessieren sollte, unser Land kennenzulernen.“ „So dürfen wir uns hier frei bewegen?“ wundert sich Ryhne. „Fühle dich wie auf deinem Heimatplaneten. Betrachte alles, was du siehst, als dein Eigentum, Steen Ryhne!“ Sie haben den Ausgang des rubinroten Flugfeldes erreicht. Hier sehen sie auch weitere Menschen. Sie werden ohne aufdringliche Neugierde betrachtet und von allen höflich gegrüßt. Sie sind ohne Ausnahme weiß gekleidet. Am Rande des Flugfeldes stehen palmenähnliche Stauden mit leuchtenden gelben und roten Blüten. Die Gebäude bestehen aus Glas, doch ist dieses Glas undurchsichtig. Es gibt keine Türen und keine Fenster. Es ist nur eine kurze Front von Gebäuden, die um den Flugplatz herumstehen. Dann geht der Pfad, auf dem sie gegangen sind, in eine Parklandschaft über. Es gibt keine Straßen und auch keine Fahrzeuge. Schon sehen sich die Orionmenschen fragend an, da es den Anschein hat, als sollten sie zu Fuß diese weite Landschaft durchqueren. Sie haben das letzte Haus hinter sich gelassen. Was dann geschehen ist, können sie nicht mehr sagen. Sie reiben sich die Augen … Ist das möglich? * Sie stehen vor einem Palast aus hellgrün schimmerndem Glas. Im Gegensatz zu den anderen Bauten, die sie bisher gesehen haben, besitzt dieses Gebäude eine grüngläserne Säulenhalle, von der aus viele Türen ins Innere führen. Das obere Stockwerk ist mit einer weit vorgebauten Terrasse versehen. 19
Das Großartigste an dem allen aber ist die Landschaft, in der dieses Wunderwerk der Architektur steht. Nichts ist mehr zu sehen von der Ebene, die sie noch vor Sekunden vor sich sahen. Der grüne Kristallpalast lehnt sich an einen Hang, der dicht mit Blüten und palmenartigen Gewächsen bepflanzt ist. In der Tiefe aber schimmert grenzenlos und in bläulicher Färbung das Meer, das seine weißgischtenden Wogen schäumend ans weiße Gestade wirft. Rosen wuchern in dem weiträumigen Vorgarten, der an einer breiten, jadegrünen Freitreppe endet, die zum Strand hinabführt. Im Hintergrund aber türmen sich schneebedeckte Gebirge. Die Gäste aus der fernen Galaxis starren und staunen. Und selbst Steen Ryhne ist verblüfft. Er wendet sich mit einer Frage an Ir Man Sei. „Wie konnte das geschehen, Freund?“ „Verzeiht, daß wir euch ohne Vorbereitung hierherversetzten“, erwidert der Beauftragte des Landes Kirh. „Dies ist das Gästehaus unserer Regierung. Für jeden von euch stehen zwei Roboter zur Verfügung, mit denen ihr euch in eurer Sprache unterhalten könnt. Für Getränke und Speisen ist gesorgt, ebenso für Schlafräume und Bäder. Erlaubt, daß ich euch das Haus zeige.“ Er geht durch die Säulenhalle zu einem der Eingänge. Durch eine gläserne Schwingtür gelangen sie in einen riesigen Aufenthaltsraum, der von lebenden Hecken in verschiedene Räume unterteilt wird. Überall an den Wänden stehen Apparate. Wenn die Gäste aus der Galaxis gewartet haben, daß nun im Innern dieses großartigen Hauses ihre Gesichter grün sein würden, so werden sie auch jetzt auf das angenehmste enttäuscht. Es herrscht ein wohltuendes, goldgelbes Dämmerlicht. Ir Man Sei, der die Gedanken seiner Gäste liest wie ein aufgeschlagenes Buch, gibt die notwendigen Erläuterungen. 20
„Wir haben das grüne Kristallicht durch grüngefärbte Antiphotonen gehindert, in den Raum einzudringen. Was du hier siehst, sind goldgelb gefärbte Photonen, die in besonderen Kästen aufbewahrt werden. Wenn du den Raum tagsüber zu verdunkeln wünschst, so drücke auf einen der Knöpfe, die du neben den Türen findest. In kürzester Frist werden die Photonen wieder in ihre Behälter zurückfliegen. Unsere Gelehrten haben festgestellt, daß Licht in goldgelber Färbung auf Körper und Geist wohltuend wirkt.“ Steen Ryhne schüttelt den Kopf. „Ich gelte in meiner Heimat als vielwissender Mann“, sagt er. „Aber ich sehe mich auf dem Kirh nur immer als Lernender. Ich beuge mich demütig vor der Größe eures Wissens.“ „Unsere Wissenschaft reicht viele Millionen Jahre zurück – nach eurer Zeitrechnung gerechnet. Und doch glauben wir manches Mal, erst am Anfang der Erkenntnisse zu stehen. Das Weltall enthält auch für uns noch viele ungelöste Rätsel.“ „Ich nehme aber doch an, daß euer Land in weitem Umkreis das herrschende ist“, meinte Ryhne. „Nicht das herrschende, sondern das schützende“, entgegnete Ir Man Sei. „Wir gehören nur zu einer kleinen Sonne, die kaum zweihundert Planeten bescheint. Gehe ins Reich der Sonne Golara, die viele Räume weit von uns entfernt ist. Dort wirst du 700 Planeten finden, die uns turmhoch in der Entwicklung voraus sind. Allerdings regiert dort der Geist von Stan-a, der die Weisheit verkörpert.“ Hat Ryhne jetzt nur ein eigenartiges Gefühl – oder ist es tatsächlich so: Sieht ihn dieser Ir Man Sei jetzt nicht aus golden funkelnden Augen prüfend an? Hat er absichtlich das Gespräch auf den Geist von Stan-a gebracht? Ryhne soll es sogleich erfahren, denn sein Gesprächspartner macht eine abschließende Handbewegung. 21
„Du wirst morgen mehr darüber erfahren“, fährt er fort. „Lasse dir heute nicht die Ruhe rauben, die du nach einer langen Reise nötig haben wirst. Folgt mir ins obere Stockwerk, ich will euch eure Schlafräume zeigen!“ Treppen gibt es nicht in diesem Hause. Sie gelangen an einen Schacht und treten ins Leere. Es sind Antiprotonen, die sie mühelos nach oben tragen. Jeder erhält seinen Raum angewiesen. Neben jedem Bett steht ein Behälter mit Traumkontakten. Zum ersten Male sehen sie auch die Roboter des Landes Kirh. Sie sind alle schwarz gekleidet. Schwarz ist die Farbe der Roboter. Sie stehen wie gutgeölte Maschinen für alle Wünsche zur Verfügung und tragen absolut menschliche Züge. Nur an der Kleidung sind sie von den Bewohnern des Kirh zu unterscheiden. Lik Weda steht sprachlos vor den Wundern, die ihr die Gastlichkeit des Planeten Kirh beschert. Ihr Gästezimmer ist mit allem nur denkbaren Luxus ausgestattet. Sie muß sich erst daran gewöhnen, daß hier sämtliche Betten rund sind. Zu ihrer Bedienung sind zwei weibliche Roboter vorhanden, zwei bildschöne Mädchen. Es fällt schwer, diesen Mädchen mit jener Unpersönlichkeit gegenüberzutreten, die Robotern zukommt. Doch sie sind genauso herz- und seelenlos wie ihre männlichen ‚Kollegen’, und das Reizvolle ihres Aussehens ist nichts weiter als eine Spielerei ihrer Erbauer. „Gefällt es dir, Lik Weda?“ hört sie hinter sich die melodische Stimme eines Mannes. Sie dreht sich rasch um – da steht Ir Man Sei, und obwohl sie bestimmt nicht eine der Kleinsten ist, überragt er sie doch um einen halben Kopf. Aus seinen Augen springt es wie flüssiges Gold auf sie über. Sie lächelt ihr schönstes Lächeln. „Ihr seid ein glückliches Land“, sagt sie leise. „Es tut mir leid, daß ich schon bald wieder in meine Heimat zurückfliegen 22
muß.“ Sie hat plötzlich beide Arme des Mannes ergriffen. „Sag mir eines, Ir Man Sei“, fragt sie. während ihr Atem schneller geht, „sage mir eines: Seid ihr glücklich in eurem Land, auf eurem Planeten? Seid ihr so glücklich, daß ihr keine Wünsche mehr habt, daß ihr es nicht nötig habt, euch mit Sorgen zu belasten? Tragt ihr keine Sehnsucht in euren Herzen? Seid ihr nicht manchmal unzufrieden mit euch selbst und mit euren Mitmenschen?“ Sein Antlitz ist von tiefem Ernst überschattet. Sanft nimmt er eine ihrer beiden Hände von seinem Arm und küßt die Spitzen ihrer Finger. „Mich wundert, daß gerade du mich fragst, Lik Weda. Du bist so schön und begehrenswert wie die Schönsten in unserem Lande. Ein jeder Mann unseres Volkes würde sich glücklich preisen, dein Herz zu besitzen. Du bist nicht glücklich, Lik Weda?“ Sie hält den Blick gesenkt und zögert, zu antworten. Endlich schüttelt sie den Kopf mit dem schimmernden, blonden Haar. „Nein, wir Frauen des Karand sind nicht glücklich“, antwortet sie, und aus ihrer Stimme sind Schmerz und Verzweiflung zu deuten. In ihren Augen liegt ein feuchter Glanz wie von verhaltenen Tränen. „Wir wollen nichts anderes, als was die Frauen deines Planeten auch wollen. Wir sehnen uns nach ein wenig Liebe und Anerkennung – aber eine grausame, unbekannte Macht hat unseren Männern die Empfindungen geraubt, sie hat unsere Männer zur Gleichgültigkeit verdammt, sie hat uns dazu verurteilt, in der Kälte der Gefühllosigkeit zu leben und zu vergehen. Das ist es, Ir Man Sei, und du wirst es nicht verstehen können, weil es dieses Problem für euch nicht gibt. Unser großer Meister Steen Ryhne hat uns zu lehren versucht, daß die menschlichen Gefühle und Leidenschaften in Elektronen verwandelt werden können und deshalb faßbare Materie sind. Er 23
hat uns bewiesen, daß diese Elektronen, von einer übermächtigen Magnetkraft angezogen, unser Sonnensystem verlassen und sich in andere Räume des Alls verflüchtigt haben. Das ist es, Ir Man Sei, was uns zu dieser Reise veranlaßte.“ Er hat ihr zugehört, ohne sie zu unterbrechen. Beinahe scheint es ihr, als betrachte er sie mit mitleidigen Blicken. Sie richtet sich hoch und stolz auf. „Ist nicht das unendliche All für sämtliche Geschöpfe da, die in ihm leben? Oder herrscht auch bei euch das Gesetz des Stärkeren, wie es bei den primitiven Völkern herrscht? Dann müssen wir uns unseren Weg allein suchen, Ir Man Sei.“ Der Beauftragte des Landes Kirh sieht sie aus goldenen Augen an. Es scheint, als wolle er mit seinen Blicken den Grund ihrer Seele erkunden. „Ich danke dir für deine offenen Worte, Lik Weda“, sagt er. „Sie bedürfen ernsten Nachdenkens. Ti-eb Lee, der Fürst unseres Landes, wird euch morgen seinen Entschluß mitteilen, wenn ihr bei ihm seid. Ti-eb Lee hat noch niemals einen Entschluß gefaßt, der anderen Menschen zum Schaden gereichte. Und nun möchte ich dich nicht länger deinen Gefährten vorenthalten. Solltest du mich benötigen, Lik Weda, so rufe mich in deinem Geiste. Ich werde den Ruf hören.“ Mit einer raschen Bewegung hat er beide Hände auf ihre Wangen gelegt. Ehe sie zur Besinnung kommt, hat er sie auf den Mund geküßt. Diese Berührung seines Mundes durchdringt sie wie glühender Stahl. Als er gegangen ist, steht sie noch immer in der Mitte des Raumes. Sie hat das Gefühl, als habe sie soeben ein großes, unverdientes Geschenk erhalten. Bewegungslos stehen die beiden weiblichen Roboter neben der Tür. Lik erschrickt. Haben sie es gesehen, haben sie gesehen, daß sie geküßt wurde, von einem sternenweit fremden Manne geküßt wurde? Sie blickt die beiden heimlich prüfend an. Es ist schwer, 24
diesen entzückenden Geschöpfen die Zugehörigkeit zu den Menschen abzusprechen. In einer plötzlichen Eingebung wendet sie sich an eines der schwarzgekleideten Mädchen. „Du kennst diesen Mann, der soeben hier war?“ fragt sie in der Sprache des Orion. „Ja, Lik Weda, ich kenne ihn“, antwortet sie mit einer sanften, einschmeichelnden Stimme. „Wer ist es, und was hat er für ein Amt?“ fragt Lik Weda. „Es ist Ir Man Sei, einer der engsten Vertrauten des Fürsten Ti-eb Lee. Er gehört zu den einflußreichsten Männern des Landes Kirh.“ „Du hast gesehen“, fährt Lik Weda zögernd fort, „daß mich … daß mich dieser Mann geküßt hat?“ „Ich habe es gesehen.“ „Und was … was hast du dir dabei gedacht?“ „Ich hatte nicht den Auftrag, mir dabei etwas zu denken.“ Lik Weda schweigt. Sie erinnert sich ihres eigenen Robots SAP 19, bei dem sie – wie oft schon – vergeblich versuchte, menschliche Regungen zu entdecken. Trotzdem hält es Lik für nötig, sich noch einmal an den weiblichen Robot zu wenden. „Wirst du über das, was du hier gesehen hast, schweigen?“ „Wenn du mir den Auftrag gibst, zu sprechen, so werde ich es tun.“ „Ich gebe dir den Auftrag, zu schweigen, wer auch immer dich fragen sollte!“ „Ich werde schweigen, Lik Weda.“ Lik Weda ist beruhigt. Das Gedächtnis eines Roboters ist phänomenal, da es mit Elektronen arbeitet. So wird das „Mädchen“ auch diesen Befehl nicht vergessen. „Bist du in der Lage“, fragt sie ihre Dienerin, „mir aus unserer abgestellten Raumscheibe aus meiner Kabine meine persönlichen Sachen zu holen?“ 25
„Ja.“ „Wann wirst du wieder hier sein können?“ „In geringer Zeit.“ „So tue es!“ Beinahe hätte sie sich verleiten lassen, „bitte!“ zu sagen. Doch zur rechten Zeit besinnt sie sich, daß dies nicht nötig ist. Sie spricht mit einer Maschine, und dieses Sprechen ist das gleiche, als bediente sie einen Hebel oder drückte auf einen Knopf. Die Dienerin ist verschwunden. Die andere steht noch an der Tür, mit ausdruckslosem Antlitz, hübsch anzusehen wie eine Puppe. Lik kümmert sich nicht darum, sondern wirft sich wartend auf ihr weiches Bett. Nur wenige Minuten sind vergangen, als der weibliche Robot wieder auftaucht. Er bringt die durch einen Magnetverschluß gesicherte Reisetasche Liks. Lik ist erstaunt über die Schnelligkeit, mit der die Besorgung vonstatten ging. „Wie weit ist es bis zu dem Flugfeld, auf dem sich unsere Raumscheibe befindet?“ „Nach deiner Maßrechnung rund tausend Kilometer“, antwortet das „Mädchen“. Also beherrschen auch die Roboter den telepathischen Flug – denkt Lik bei sich. Was ist das doch für eine Welt der Wunder! Es sind schließlich auch andere Männer, die die Geschicke dieses Planeten lenken … Steen Ryhne, gewiß, dieser Mann verdient allen Respekt – aber die anderen? Sollte es tatsächlich nur an jenem Schwund der Impulse liegen? Der Kamm knistert, als er durch ihr blondes Haar fährt. Sie weiß, daß ihr Haar knistert, aber so laut ist es noch nie gewesen. Ist es jenes prickelnde Gefühl, das wie elektrischer Strom durch ihren ganzen Körper zieht? Sie läßt sich von der Dienerin den Fallschacht zeigen. Sie schwebt nach unten und geht durch den Gang, von dem die 26
grünen Türen in den großen Gesellschaftsraum abzweigen. Goldrotes Licht umfängt sie, als sie eintritt, golden wie die Augen Ir Man Seis. Sie ist die letzte, denn die anderen Teilnehmer der kleinen Expedition sind schon versammelt. Sie hat das Gefühl, als richteten sich forschende Blicke auf sie. Etwas unsicher setzt sie sich in einen der daunenweichen Sessel. So sind die Gefährten also auch nicht schlafen gegangen. Steen Ryhne unterhält sich mit gedämpfter Stimme mit Hama Lenn, die anderen sitzen gelangweilt herum und wissen nicht, was sie mit sich und ihrer Zeit anfangen sollen. „Hat man schon gegessen?“ fragt sie laut in die Stille hinein. „Eine gute Idee!“ ruft Ryhne. „Wollen wir gleich eine Probe aufs Exempel machen?“ „Danke, ich möchte nichts“, sagt Felke Yern. Auch die anderen haben keinen Appetit. Sie begnügen sich mit den Vitamintabletten, die sie vom Karand mitgenommen haben. Steen Ryhne beobachtet mit geheimer Sorge, daß er bei der Wahl der männlichen Teilnehmer offensichtlich einen Fehler begangen hat. Es sind Strohfeuer gewesen, die hell aufflammten und kraftlos in sich zusammensanken. So darf er wenigstens hoffen, daß ihm in den beiden Frauen zwei Helferinnen erwachsen, auf die er sich verlassen kann. Lik Weda ist aufgestanden. Mit schlanken Beinen und wiegenden Hüften schreitet sie durch den Raum, dessen Fußboden einen unbekannten, weichen, nachgiebigen Belag hat. Sie stößt die grüne Glastür auf, die auf die Säulenhalle führt. Lee, die Sonne des Kirh, hat ihre Kreisbahn vollendet und steigt in einem farbenprächtigen Zauberspiel ins Meer hinab. Die Luft ist so warm wie am Mittag, die Rosen duften, und buntgefiederte, kolibriähnliche Vögel schaukeln sich in den Zweigen der exotischen Büsche. Von unten her dringt der Lärm der Brandungs27
wogen herauf, so daß Lik nicht gehört hat, daß hinter ihr ein weiterer Zuschauer in die Pergola getreten ist. Steen Ryhne … Lik Weda dreht sich ruhig um, als sie seinen Schritt vernimmt. „Es ist ein schönes Land“, sagt er versonnen. Sie antwortet nicht, sondern sucht in ihren Taschen nach einer Zigarette. Zuvorkommend bietet er ihr sein elektrisches Feuerzeug an. Sie nickt ihm dankend zu. „Ich zweifle am Gelingen unserer Expedition“, sagt er nach einer langen Pause des Schweigens. Er deutet mit dem Kopf nach hinten. „Obwohl sie wissen, um was es geht, zeigen sie kein Interesse. Und Yern verhetzt mir die anderen mit seinen Zweifeln. So bleiben mir noch Hama und du. Ir Man Sei machte heute eine Bemerkung, als ob er unseren Plan vereiteln möchte.“ Sie sieht ihn rasch an. „Das glaube ich nicht“, sagt sie. „Man müßte wissen, was Ir Man Sei für eine Rolle auf dem Kirh spielt“, fährt Ryhne fort. „Eine sehr bedeutende“, erwidert sie. „Er ist der engste Vertraute des Fürsten Ti-eb Lee.“ „Woher weißt du das, Lik?“ „Ich …?“ fragt sie, und eine brennende Röte bedeckt ihr schönes Antlitz. „Ich … ich habe meine Dienerin gefragt.“ „So hattest du auch das Gefühl, daß uns Ir Man Sei nicht gewogen ist?“ „Nein, im Gegenteil. Er ist ein Mann! Das kann man leider von unseren Mannschaftsmitgliedern nicht behaupten.“ „Du hast mit ihm gesprochen?“ „Ja.“ „Du hast ihm unsere Pläne verraten?“ „Ich weiß nicht, ob man das als Verrat bezeichnen kann. Ich habe mit ihm über unsere Sorgen gesprochen. Er sagte mir, daß 28
Ti-eb Lee, der Fürst dieses Landes, noch niemals einen Entschluß gefaßt habe, der anderen zum Schaden gereicht hätte. Ist das nicht positiv?“ Schweigend betrachtet Steen Ryhne den ins Meer tauchenden Ball der Sonne Lee. Die reizende Dienerin Liks kommt durch die grüne Schwingtür und meldet, daß serviert sei. „Du ißt nichts, Steen?“ fragt Lik den Leiter der Expedition. „Ich werde mir auch etwas bestellen.“ „Und die anderen haben keinen Appetit“, meint Lik Weda spöttisch. „Auf was haben sie überhaupt Appetit?“ * Lik Weda ist langsam die Freitreppe hinabgestiegen, die jadegrüne Treppe, in die der rote Mond Blutflecken zaubert. Unter ihr schäumt die Brandung, und auch der weiße Gischt zeigt rote Flecken, als seien es züngelnde Flammen, die zum Ufer lecken. Es ist so warm, daß Lik Weda ihren weißschimmernden Überwurf ablegt. Sie läßt das Kleidungsstück auf der Balustrade der Jadetreppe, um es bei der Rückkehr wieder mitzunehmen. Lik bereut diesen abendlichen Spaziergang nicht. Es wäre ihr jetzt unmöglich gewesen, ruhig zu schlafen und sich vielleicht durch künstliche Träume eine Scheinwelt vorgaukeln zu lassen. Sie denkt an die letzten beiden Stunden zurück, die sie im Gesellschaftsraum der Gästevilla des Landes Kirh verbrachte. Sie waren alles andere als erfreulich. Eine Auseinandersetzung mit Felke Yern, die offen gezeigte Gegnerschaft der anderen, die stupide Gleichgültigkeit, die in ihren Gesichtern geschrieben stand, das alles wäre unter normalen Umständen geeignet gewesen, ihre Stimmung gründlich zu verderben. Unter normalen Umständen … Aber Lik Weda denkt an Ir Man Sei, jenen prächtigen Menschen einer fremden Welt, mit 29
dem sie mehr als nur eine oberflächliche Bekanntschaft verbindet. Es ist eine Verbindung, die tiefer geht, als sie es wahrhaben möchte. Es ist der Kuß dieses Mannes, der nicht nur auf ihren Lippen brannte, sondern dessen Glut noch tiefer in ihr Herz drang. Es ist der Gedanke an seine letzten Worte. So, wie sie ihre künstliche Dienerin telepathisch herbeirufen kann, so steht es jederzeit in ihrem Belieben, den stillen Ruf nach Ir Man Sei auszusenden. Sie ist überzeugt, daß er sie hören wird. Sie läßt sich in dem warmen Sand nieder und überlegt. Vielleicht werden sie schon morgen wieder abreisen – dann hat sie die einzige Gelegenheit versäumt, noch einmal mit Ir Man Sei zusammen zu sein. Andererseits birgt dieses nächtliche Zusammensein eine unbekannte Gefahr in sich, vor der sie sich ein wenig fürchtet. „Ir Man Sei! Ir Man Sei! Ich rufe dich!“ In einer stillen Ecke ihres Herzens schlummert die Hoffnung, daß die Technik dieses Rufes versage. Sie glaubt noch nicht an eine solche Kunst der Fernhypnose und Gedankenübertragung. Wie eine einschläfernde Musik vernimmt sie das Rauschen der Brandungswogen. „Ir Man Sei!“ ruft es noch einmal in ihrem Innern. Er antwortet nicht. Sie rüstet sich, um den Rückweg zum Gästehaus anzutreten. Und dann erschrickt sie … Über den weißen, vom Licht des Mondes rötlich gefärbten Sand nähert sich die Gestalt eines Menschen. Seine Silhouette hebt sich dunkel von dem rötlich erhellten Firmament ab. Sie ist auf dem Sprung, zu fliehen, doch hält sie eine unerklärliche Macht fest. Mit weitoffenen Augen sieht sie der hochgewachsenen Männergestalt entgegen, die sich ihr Schritt für Schritt nähert. Und dann hat sie ihn erkannt. Es ist Ir Man Sei. Mit Schrecken stellt sie fest, daß ihr stiller Ruf von ihm vernommen wurde. 30
Taktvoll berührt er die Tatsache ihres Wunsches mit keinem Wort. „Ich grüße dich, Lik Weda“, hört sie seine melodische Stimme. „Erlaube, daß ich mich in die Zwiesprache dränge, die du mit Mond und Meer hältst.“ Er hat sich neben sic in den Sand gesetzt, so nahe, daß sein weißer Anzug sie streift. „Ich freue mich über dein Kommen, Ir Man Sei“, sagt sic leise. „Ich werde mit mir und meinem Gewissen nicht fertig. Ich fürchte mich vor dem, was kommen wird. Hier, in deinem Lande, fühle ich mich geborgen und so furchtlos, daß mich die nächtliche Einsamkeit nicht schreckt. Doch heute habe ich erkannt, wie wenig ich mich doch nach einer Heimkehr zum Karand sehne. Die Männer, die meine Gefährten sind, spielen eine Rolle, die mir nicht gefällt.“ „Sie sind krank, Lik Weda“, entschuldigt er ihre Kameraden. Sie hebt die runden Schultern. „Ich weiß, und ich freue mich nicht darauf, in eine kranke Welt zurückzukehren.“ Sie hat sich rückwärts in den Sand fallen lassen und spricht in den nachtroten Himmel hinein. „Ich bin noch gesund, Ir Man Sei, und ich möchte das Leben genießen.“ „Bleibe bei uns, Lik Weda!“ „Es wäre feige, Ir Man Sei. Es ist der Zwiespalt, der mein Gewissen belastet. Und was soll ich bei euch, Ir Man Sei? Ich bin fremd in eurem Lande, ich gehöre zu einem Sonnensystem, das ganz anders ist als das eure. Ich fühle mich euch gegenüber wie eine arme Verwandte, die auf die Almosen angewiesen ist.“ „Du vereinigst die Vorzüge des Geistes mit der Schönheit deines Körpers, Lik Weda. Das sind Reichtümer, mit denen du auf Almosen nicht angewiesen bist. Und du hast mich, der ich mich bemühen würde, dir den Eingang in unsere Welt zu erleichtern.“ 31
„Wie kämst du dazu, Freund? Du hast anderes zu denken und zu tun, als dich einer Fremden anzunehmen, der du aus Höflichkeit ein großzügiges Angebot machtest.“ „Es ist nicht Höflichkeit, Lik. Auch bei uns gibt es das, was ihr Liebe nennt. Ich liebe dich, Lik.“ Lik blickt mit weitoffenen Augen in das fahlrote Firmament. Für einige Augenblicke vernimmt sie das Rauschen der See, die gegen die Küste anrennt in nimmermüdem Rhythmus. Eine Hand tastet sich zu ihrer Schulter, umfaßt sie mit warmem Griff … Sie setzt sich nicht zur Wehr gegen diese unerwartete Berührung. Beinahe scheint es, als könne es gar nicht anders sein. Ein männliches Antlitz beugt sich dicht über das ihre, verklärt vom rötlichen Schimmer eines unwirklichen Mondes … Lik erhebt sich aus dem warmen Sand, streicht ihr blondes Haar zurück, blickt mit schimmernden Augen ins Mondlicht. Ihre Bewegungen sind langsam und von bedächtigem Nachdenken überschattet. Wie eine Träumende begibt sie sich ans Meer, gefolgt von Ir Man Sei, der lächelnd ihr Tun beobachtet … Lik steht am Wasser. Die Ausläufer der Wogen schießen bogenförmig heran und verzischen im Sand. Die Nacht ist hell und färbt die Brandung blutig rot. Ohne den Mann zu beachten, entledigt sich Lik ihrer Kleidung und wirft sie achtlos hinter sich in den Sand. Statue aus Marmor … Schimmernde Haut, von rötlichem Licht übergossen. Das warme Wasser umspült ihre Füße. Sie hebt die Arme hoch in die Luft und wirft sich der anstürmenden Brandung entgegen … Wie ein Pfeil schießt ihr Körper durch die kupferne Höhlung der Wogen – dann schwimmt sie im tiefen Wasser … Einsames Geschöpf im unendlichen Weltmeer … Ir Man Sei hat sich hoch aufgerichtet und verfolgt sie mit schmalen Augen. Regungslos verharrt er an seinem Platze. Nur 32
sein Atem geht schneller, und sein Herz klopft lauter … Er gibt einen raschen, gedanklichen Befehl … Ein Robot … Wieder ein Befehl …, Der Robot ist verschwunden … Eine Minute ist vergangen, da kehrt der Robot zurück … Ir Man Sei nimmt ihm den katzenweichen Mantel ab und schickt ihn zurück in sein Heim … Lik steigt aus dem Wasser, mit schlanken Beinen und schmalen Hüften. Ir Man Sei geht ihr entgegen, legt ihr den Bademantel um die Schultern … Sie blickt erstaunt zu ihm auf … „Danke!“ sagt sie. „Bist du ein Zauberer?“ „Nein, aber du! Du hast mich verzaubert!“ „So soll es sein, Ir Man Sei!“ Seite an Seite schreiten sie über den Strand zur rotgrünen Freitreppe. Sie verzichten darauf, sich telepathisch zu versetzen. Stufe um Stufe steigen sie nach oben. Unterwegs findet Lik ihren Überwurf wieder, den sie auf der Balustrade abgelegt hatte. Dann stehen sie beide im nächtlichen Duft des Rosengartens. Ir Man Sei wartet, bis sich die Gestalt Liks im Schatten der Säulenhalle verliert. Mit einem tiefen Atemzug wendet er sich um, nachdem er sich den weichen Bademantel, noch feucht vom nächtlichen Schwimmen, über die Schulter geworfen hat. In der nächsten Sekunde ist er verschwunden. * Am nächsten Morgen erscheint Ir Man Sei, weiß gekleidet und in strahlender Frische bei den Gästen. Seine Augen sprühen Gold, als er sich über die Hand Lik Wedas neigt und dann Steen Ryhne freundlich begrüßt. Auch Hama Lenn erhält einen Handkuß, während er den anwesenden Männern kurz zunickt und sich gleich darauf wieder mit Steen Ryhne beschäftigt. 33
„Bist du bereit, Steen Ryhne, vor unserem erhabenen Fürsten zu erscheinen?“ fragt er. „Wir sind bereit, Ir Man Sei.“ Im nächsten Augenblick stehen Steen Ryhne, Lik Weda und der Vertraute des Fürsten auf einem weiten Platz, der mit blauen Glaskacheln ausgelegt ist. Um sie herum herrscht reges Leben. Menschen des Landes Kirh, Frauen und Männer, schreiten schweigend über die von Gebäuden umstellte blaue Fläche. Dieses Schweigen, diese absolute Ruhe, diese blauen Kacheln, diese prächtigen, geheimnisvollen Bauten mit ihren Säulenhallen und langen Fensterfronten – das alles hat etwas Feierliches an sich. Und selbst Ir Man Sei hat seine Stimme zum Flüstern gedämpft, als er seinen beiden Gästen die notwendigen Erklärungen gibt. Er zeigt auf das größte Gebäude, einen Palast aus weißem Kristall, das in Farbe und Wucht von den anderen absticht. „Es ist der Palast unseres erhabenen Fürsten“, sagt er. „Im Lande Kirh wird dieser Platz als besonderes Heiligtum angesehen. Kein Bewohner des Kirh wird hier ein lautes Wort sprechen, denn die Ehrfurcht vor dem erhabenen Fürsten ist groß. Ti-eb Lee weiß um unser Kommen – gehen wir hinein!“ Sie haben einen Raum betreten, in dem Ir Man Sei einen kleinen Schalter niederdrückt. Dann klingt eine Stimme, die aus der Wand zu kommen scheint, durch den Raum … „Wir sind bereit, euch zu empfangen!“ Ir Man Sei gibt den beiden anderen einen Wink. Sie folgen ihm durch einen gläsernen Bogengang, der an einer Kristallmauer endet. Wie durch Zauberhand öffnet sich diese Mauer und läßt den Blick frei in einen Saal, dessen Wände mit bunten, unverständlichen Malereien geschmückt sind. Ein Weg, 4er durch rote Kristalle gekennzeichnet ist, führt bis zu einem erhöhten Sessel. Es ist der Thronsessel Ti-eb Lees, des Fürsten des Landes Kirh. 34
Ti-eb Lee ist von ehrfurchtgebietender Größe. Als seine Besucher den Thronsaal betreten, hat er sich aus seinem Sessel erhoben. „Erlaubt, meine Freunde“, sagt er mit tiefer Stimme, „daß wir euch nach den Gebräuchen unserer Heimat begrüßen. Es geschient wohl selten, daß sich ein Flugschiff der Galaxis ins System Ri-in begibt. Ungeheure Räume sind zu überwinden, und diejenigen, denen es gelingt, haben die Weisheit und die Tapferkeit als Begleiter gewählt. Sei gegrüßt, Steen Ryhne, der du in deiner Heimat als einer der Klügsten giltst. Sei gegrüßt, Lik Weda, du Perle aus dem Diadem der Schönsten deiner Heimat! Dort, wo sich Klugheit mit Schönheit vereinigt, spricht der Frieden seine goldenen Worte. Setzt euch, meine Freunde, wie es in eurer Heimat Brauch ist!“ Der silberweiße Bart des Fürsten wirft die eindringenden Sonnenstrahlen, die sich an goldgelbem Kristall brechen, zurück. Wie alt mag dieser ehrwürdige Mann sein? Hundert, fünfhundert oder tausend Jahre? Wer kann es sagen? Als sie ihm die Hand reichen, spüren sie, wie elektrischer Strom durch ihr Blut jagt. Es ist das Fluidum dieses Mannes, das auf sie überspringt. In welche Wunderwelt sind sie hier geraten? Fürst Ti-eb Lee, der den Namen seiner Sonne führt, ist von bewundernswerter Energie. Nichts deutet darauf hin, daß ihn das Alter geschwächt haben könnte. Körper und Geist haben gleichen Schritt gehalten und ihm zu übernormalen Kräften verholfen. Ti-eb Lee ist Telepath, doch auch Steen Ryhne hat es in dieser Wissenschaft zu beachtlicher Größe gebracht. So stehen sich zwei Männer gegenüber, die sich bis in die tiefsten Gründe ihrer Seelen zu erforschen suchen, zwei Männer, die die Fähigkeit besitzen, ihren Körper um des Geistes willen auszuschalten. Dazwischen aber steht Lik Weda, das reizvolle Wesen aus 35
der Sternenwelt der Galaxis, blind vertrauend auf die Klugheit des einen und auf die Güte des anderen. Der Uralte ist in tiefes Nachdenken versunken. Die drei Anwesenden atmen nicht. „Es geschah in einer Zeit, seit der inzwischen mehr als fünfzigtausend Umläufe Lees um den Planeten Kirh vergingen“, vernehmen sie die tiefe, versonnene Stimme Ti-eb Lees. „In eurem System nennt ihr einen solchen Umlauf ein Jahr, doch wir kennen den Zeitbegriff nicht mehr, seitdem wir begriffen haben, daß Anfang und Ende allen Seins der Raum ist. Damals war das Land Kirh in viele Gebiete aufgeteilt, über die jeweils ein eigener Fürst herrschte. Einige dieser Fürsten suchten ihre Macht in weit entfernte Sonnensysteme zu tragen und sich durch Krieg und Kampf die Krone eines zweifelhaften Ruhmes zu erringen. So drangen die kriegerischen Raumscheiben des Fürsten Kori-a auch ins System der Riesensonne Golara ein. Es ist jene Sonne, die mehr als 700 Planeten bescheint. Und schon damals wurden diese Planeten von Stan-a, dem Wunderwerk der Technik, regiert. Seit es Menschen im System Ri-in gibt, haben sie Stan-a verbessert und vergrößert. Mehr als eine Million Umläufe der Golara waren nötig, um aus Stan-a das zu machen, was es auch heute noch ist: das Zentrum des Weltalls. Laßt euch weiter berichtet, Freunde aus der fernen Galaxis! Die Überintelligenz Stan-as arbeitete mit erschreckender Präzision. Die Raumscheiben des Fürsten Kori-a wurden nicht nur geschlagen, sondern restlos vernichtet. Und eines Tages erschienen die rächenden Kugelschiffe des Golara-Systems an unserem Himmel. Die räuberischen Fürsten des Kirh wurden im unendlichen Raume ausgesetzt. Dort schweben sie noch heute als grausiges Mahnmal für alle, die glauben, sich durch Gewalttaten durchsetzen zu müssen. Nur einen einzigen Fürsten ließ Stan-a am Leben. Man brachte ihn als Gefangenen zu jenem 36
furchtbaren Planeten, den man die Verkörperung der Weisheit nannte. Dieser Fürst waren Wir selbst, meine Freunde, Wir, Fürst Ti-eb Lee vom Lande Kirh. Stan-a hatte den Befehl gegeben, Uns zu ihm zu bringen. Und dieser Befehl enthielt die unendliche Weisheit des über Billionen Lebendige regierenden Planeten: nicht Grauen und Furcht, nicht endgültige Zerstörung, nicht kleinliche Rache waren das Motiv Stan-as, sondern die Absicht der Erhaltung des Lebens. Wir vernahmen die Stimme Stan-as, als habe ein Mensch laut zu Uns gesprochen. Stan-a befahl Uns, die fürstenlosen Provinzen Unseres Planeten zu einer einzigen großen Völkergemeinschaft zu vereinen und als Fürst über diese zu gebieten. Er befahl Uns, eine kluge Reform des Lebens durchzuführen und aus einer Gemeinschaft vieler Milliarden nutzloser Elemente eine Edelrasse von wenigen Millionen heranzuzüchten. Er befahl Uns, die Uns übertragenen Aufträge mit Weisheit und Gerechtigkeit durchzuführen und alle Planeten der Sonne Lee unter Unseren starken Schutz zu nehmen. Was Uns am meisten verwirrte, war die Tatsache, daß Stan-a den Krieg, an dem ja die Fürsten Unseres Planeten die Schuld trugen, mit keinem Wort mehr erwähnte. Wir waren darüber so dankbar, daß Wir den Boden küßten, auf der Wir Uns als einsamer Mensch, ausgesetzt von unseren Bezwingern, befanden. Wie sollten Wir jemals die Heimat Wiedersehen? Wie konnten Wir jemals damit rechnen, den gefürchteten Planeten Stan-a verlassen zu können? Wie hatten Wir Uns doch immer in der wirklichen Allmacht des Planeten Stan-a getäuscht! Wie konnten Wir jemals glauben, daß Uns Stan-a einen Befehl erteilen würde, der schon rein technisch unausführbar gewesen wäre? Wir wagten nicht, den Planeten Stan-a zu fragen, wie er sich denn die Verwirklichung seiner Anordnungen denke. Wir befanden Uns in einer Erstar37
rung der Ehrfurcht. Man hatte Uns die Befehle telepathisch übermittelt, jedoch mit einer Deutlichkeit, die Wir niemals für möglich gehalten hätten. Wir hatten auf jede Erwiderung und Frage verzichtet, da die Befehle umfassend waren und jede Unserer eventuellen Zwischenfragen von vornherein ausschalteten. In dem Augenblick, da Wir Uns überlegten, wie Wir wohl die Rückkehr in die Heimat ermöglichen könnten, landete eine Kette von Kugelschiffen des Golara-Systems auf dem Stan-a. Man forderte Uns auf, einzusteigen, und flog mit Uns direkt zum Kirh. Man stellte keine Frage an Uns, man schien einem höheren Befehle zu gehorchen. Kaum hatten Wir heimatlichen Boden betreten, da spürten Wir, daß die Kraft Stan-as von Uns wich. Unsere Strahlwaffe, die der Feind Uns wegen seiner Überlegenheit gelassen hatte, entglitt Unseren kraftlosen Händen. Und ich kann euch schwören, Freunde, Wir haben seit jenem Tage nie wieder eine Waffe angerührt. Jener Augenblick bedeutete die Wandlung. Nachdem man Uns abgesetzt hatte, entfernte man sich ins All. Zur gleichen Zeit erhoben sich sämtliche übrigen Kugelschiffe der Völker des Golara, die Unser Land besetzt hielten, und folgten jener Kugel, die Uns wieder in die Heimat gebracht hatte. Wir waren überzeugt, daß es nichts gab, was jemals in der Lage sei, den Planeten Stan-a zu besiegen. Es gab für Uns nur eine einzige Wahl – es war die, den Befehl Stan-as auszuführen. Wir vereinigten die Völker Unseres Gestirnes und veranlaßten eine Geburtenauslese, so daß Unser Volk nach weiteren zehntausend Sonnenumläufen eine hochentwickelte Bevölkerung von fünf Millionen Menschen aufwies. Was hierbei erstaunlich und beinahe erschreckend war, das war die Wandlung der Mentalität Unserer Menschen. Es mußte etwas geschehen sein, was diese Wandlung in eine bestimmte Richtung lenkte. Wir konn38
ten Uns bis jetzt nicht vorstellen, wie diese Wandlung geschehen konnte, nun aber, da Wir in euren Gedanken lasen, ahnen Wir die Antwort auf Unsere Fragen. Es ist bei Uns das gleiche geschehen, wie ihr es jetzt bei euch schmerzlich empfindet. Und Wir ahnen mit tiefer Besorgnis, daß auch ihr, meine Freunde, den Weg gehen müßt, den Wir gehen mußten. Dabei möchten Wir ausdrücklich bemerken, daß dieser Weg Unserem Volke zum Glück und zur Zufriedenheit gereichte.“ Mit atemloser Spannung haben die Anwesenden den Worten des Fürsten gelauscht. Mit einer fast heiligen Scheu betrachten sie den Mann, dessen Alter nach seiner eigenen Erzählung mehr als 50 000 Jahre betragen müßte. Nur widerstrebend können sich ihre Gedanken mit dieser Tatsache abfinden. Es ist aber noch mehr, was sie erschüttert. Steen Ryhne findet in der Erzählung dieses Uralten die Bestätigung seiner Thesen. Auch auf dem Kirh fand jene Wandlung der Mentalität statt, die darauf schließen ließ, daß sie von außen her beeinflußt war. Der Unterschied gegenüber den Völkern der Galaxis war der Umstand, daß hier die Wandlung zum Positiven, dort aber zum Negativen ausschlug. Steen Ryhne ist nunmehr davon überzeugt, daß sich das Zentrum der magnetischen Anziehung der menschlichen Eigenschaften auf dem Stan-a befindet. Das befriedigt und schreckt ihn gleichzeitig. Seine Aufgabe wächst mit dieser Tatsache ins Überdimensionale, fast ins Unmögliche. Es ist ihm selbst gar nicht gewärtig, daß er in tiefes Grübeln versunken ist. Erst die Blicke Lik Wedas und Ir Man Seis rufen ihn in die Wirklichkeit zurück. „Hab Dank, o Fürst“, sagt er, „für deine interessanten Ausführungen. Erlaubst du, daß ich einige Fragen an dich richte?“ „Frage, Steen Ryhne! Wir wollen alles tun, was in Unseren Kräften steht, um dir zu helfen.“ 39
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„So möchte ich zunächst fragen: Ist seit jener Zeit, da du wieder auf dem Planeten Kirh landetest, noch einmal ein Mensch des Golara-Systems in eurem Lande gewesen?“ „Nein, nie wieder“, erwidert der Fürst. „Wir haben Uns über diese Tatsache gewundert und keine Erklärung hierfür gefunden …“ „So gäbe es nur die eine Erklärung“, fährt Ryhne nachdenklich fort, „daß dein Land, o Fürst, ständig unter der Beobachtung und Kontrolle des Stan-a steht. Da die Überintelligenz des Stan-a der Überzeugung ist, daß ihre Befehle pünktlich ausgeführt wurden, hat sie auf ein weiteres Eingreifen verzichtet.“ „So wird es sein, kluger Freund aus dem Sternennebel der Galaxis. Frage weiter!“ „Ich möchte dich fragen, o Fürst, ob du bei deinem damaligen Besuche auf dem Stan-a feststellen konntest, woher die Befehle kamen, die man dir gab. War es ein Lebewesen, ein Mensch, der zu dir sprach? War es sichtbare Materie? War es Geist?“ „Es tut Uns leid, dir darüber keine Auskunft geben zu können. Die Worte drangen ins Zentrum Unseres Denkvermögens, ohne daß Wir in der Lage waren, ihre Herkunft zu erforschen.“ „So sieht der Planet Stan-a aus wie jeder andere?“ „Er ist unbewohnt und hat eine üppige Vegetation. Es gab nichts, was Uns zu besonderem Nachdenken Anlaß gegeben hätte. Auch eßbare Früchte fanden Wir in großer Menge, das Klima war mild und angenehm, die Atmosphäre mit Sauerstoff ausreichend versehen. Es gab Flüsse mit klarem Wasser, es gab duftende Blüten, es gab Berge und Täler …“ „Und wie kann man den Planeten finden?“ „Aus deiner Frage ersehen Wir, daß du immer noch beabsichtigst, den Stan-a aufzusuchen. Wir müssen dieses Vorhaben deiner eigenen Überlegung überlassen. Vielleicht zeugt es von 41
deinem persönlichen Mut, vielleicht aber auch von der Unterschätzung der Realitäten.“ „Ich unterschätze das Wagnis nicht, o Fürst! Aber es handelt sich um die Zukunft meines ganzen Volkes, um Milliarden unschuldiger Lebewesen. Ich werde den Stan-a allein aufsuchen, um meine Gefährten keiner Gefahr auszusetzen …“ „Ich fliege mit dir, Meister!“ ist die helle Stimme Lik Wedas zu vernehmen. Wie auf ein Kommando fliegen die Köpfe der Männer in die Richtung, aus der die Stimme Liks erklungen ist. Selbst Ti-eb Lee, seit mehr als 50 000 Jahren der Herrscher über Millionen Menschen, zeigt Staunen und Bewunderung, Steen Ryhne schüttelt ablehnend den Kopf, und Ir Man Sei … „Lik!“ Nur diesen einen, kleinen Namen spricht der Vertraute des Fürsten aus. Aber der Ton, mit dem er ihn ausspricht, verrät mehr als ein nur unbeteiligtes Interesse. Ir Man Sei ist ehrlich erschrocken über das Vorhaben jener Frau, die er liebt und die er durch die Zweisamkeit der vergangenen Nacht an sich gebunden zu haben glaubt. Doch gerade deshalb muß er wissen, daß Lik Weda nicht mit den anderen Frauen ihres Alters auf eine Stufe zu stellen ist. Sie zeigt keinerlei Hemmungen oder irgendeine Verlegenheit. „Ich werde mit dir fliegen, Meister!“ wiederholt sie, und aus ihren Worten ist die Unabwendbarkeit ihres Entschlusses herauszuhören. „Wir haben von allem Anfang an gewußt, daß diese Reise mit Gefahren verbunden sein wird. Ich sehe keinen Grund, mich jetzt, da diese Gefahren an mich herantreten, zurückzuziehen. Wir können uns auf unsere Männer nicht verlassen, weil sie ihre positiven Eigenschaften verloren haben. Ich bin überzeugt, daß sich auch Hama bereiterklären wird, mit dir auf den Stan-a zu reisen. So wollen wir den Versuch machen, 42
die Menschen unseres Sonnensystems vor dem Verderben zu bewahren …“ „Es könnte leicht geschehen, Mädchen, daß wir unsere Sonne niemals wiedersehen“, wendet Steen Ryhne ein. „Dann wird sich das Leben dort auch nicht mehr lohnen“, entgegnet Lik. Ir Man Sei richtet auf Lik einen Blick aus goldenen Augen. „Lik“, sagt er mit einem deutlichen Unterton der Resignation, „du hast mir versprochen …“ „Ich erinnere mich meines Versprechens noch sehr gut“, fällt sie ihm ins Wort. „Aber du darfst nicht von mir verlangen, feige zu sein, Ir Man Sei!“ Aufs höchste verblüfft, fliegen die Blicke Steen Ryhnes zwischen Lik Weda und Ir Man Sei hin und her.. Welches Geheimnis schwebt zwischen diesen beiden Menschen? Lik Weda hat Ir Man Sei etwas versprochen – wo und wann ist das geschehen? Woher kommt diese plötzliche Vertrautheit zwischen den beiden? Fürst Ti-eb Lee hat das weißhaarige Haupt gesenkt. Die Anwesenden haben das Gefühl, daß er entscheidende Worte zu sprechen beabsichtigt. Die telepathischen Kräfte des Fürsten sind so groß, daß sein Schweigen einem Befehl gleichkommt. „Wir haben den Entschluß dieses Mädchens bedacht“, sagt er endlich gemessen. „Und Wir billigen ihn. Wir bitten dich, Ir Man Sei, der du Unser besonderes Vertrauen genießest, das Gewissen dieses tapferen Mädchens nicht zu belasten. Auch Wir sind Pflichten unterworfen, denen Wir uns nicht entziehen können. Lik Weda hat einen Entschluß gefaßt, der ihr zur Ehre gereicht und der ihr Unsere höchste Achtung abgewinnt. Als du Lik Weda zur Erwählten deines Herzens erhobest, Ir Man Sei, tatest du dieses nicht ohne Grund. Lik Weda hat Uns durch ihren Entschluß gezeigt, daß sie deiner und Unseres Volkes würdig 43
ist. Solltest du nach erfolgreicher oder auch mißglückter Reise zurückkehren, Lik Weda, so wirst du von Uns wie ein Kind Unseres Landes empfangen und gehalten werden. Das versprechen Wir dir als Fürst des Landes Kirh.“ Die blonde Lik verneigt sich tief vor dem Fürsten. „Ich danke dir, o Fürst! Du hast mich mit deinen Worten beschämt. Ich werde erst dann den Frieden meiner Seele gefunden haben, wenn ich die Gewißheit habe, daß meinem Volke geholfen wurde.“ „So wollen Wir dir, Steen Ryhne, noch einen genauen Plan des Weges mitgeben, auf dem du den Stan-a erreichen kannst. Mein Vertrauter, Ir Man Sei, wird dir dann den Plan aushändigen. Ob und wie du deine Aufgabe erfüllen wirst, ist noch völlig ungewiß. Wir fühlen Uns verpflichtet, dir mitzuteilen, daß es ein todeswürdiges Verbrechen bedeutet, den Planeten Stan-a zu betreten. Keiner der Billionen Menschen des Systems der Riesensonne Golara hat es jemals gewagt. Es besteht sogar die Möglichkeit, daß man euch mit Gewalt daran hindert.“ „Wäre es dann nicht besser, wenn wir einen der anderen Planeten anfliegen und uns mit den dortigen Menschen unterhalten würden? Vielleicht werden sie uns ihre Erlaubnis nicht versagen.“ „Die Menschen, die auf den 700 Planeten leben, die von Stan-a beherrscht werden, sind nicht Herren ihres freien Willens. Alles, was in diesem Raume geschieht, geht von Stan-a aus. Stan-a ist großzügig, tolerant und weise. Ein Planet, der die Impulse von Räumen anzieht, die sich über Millionen Lichtjahre ausdehnen, bedeutet die Verkörperung einer unvorstellbaren Macht. Eine solche Macht versteht oder verwirft. Hier gibt es keine Kompromisse. Wir müssen es deiner Klugheit überlassen, Stan-a dein Anliegen so vorzutragen, daß es verständlich wird. Es wird aber dieses Vortrages gar nicht bedürfen, denn Stan-a 44
ist allwissend und hat in seinen Entscheidungen noch niemals einen Fehler begangen. Möge dich die Sonne Lee auf deiner Reise begleiten!“ „Ich danke dir, Fürst, für das Wohlwollen, das du uns entgegenbringst. So habe ich noch eine letzte Bitte an dich. Erlaubst du, daß ich meine männlichen Gefährten so lange auf dem Planeten Kirh lasse, bis ich zurückkehre, um sie wieder mitzunehmen?“ Ti-eb Lee schüttelt bedächtig das Haupt. „Wir müssen dir deine Bitte abschlagen, Steen Ryhne. Auch Unserer Macht sind gewisse Grenzen gesetzt. Deine männlichen Begleiter gleichen unnützer Materie. Wir haben sie während dieses einen Tages bei Uns geduldet, weil Wir in dir, Steen Ryhne, die Gewähr hatten, einen Menschen mit positiven Impulsen zu beherbergen. Stan-a, dem Wir vor 50 000 Jahren jenes feierliche Versprechen gaben, würde es Uns übel vermerken, sein Gebot übertreten zu haben. Wir müssen dich deshalb auffordern, diese Männer mit dir zu nehmen …“ „Verzeih mir, Fürst“, erwiderte Steen Ryhne. „Ich verstehe deine Beweggründe und werde mich danach verhalten …“ Ir Man Sei begleitet die beiden Orionmenschen wieder nach draußen. Sie verbeugen sich vor der gläsernen Sonne Lee, dem Nationalheiligtum des Landes Kirh, und begeben sich aus dem gläsernen Lichtdom hinaus auf den blaufunkelnden und von Gebäuden umgebenen Platz. * Die Männer des Kirh schütteln den Abschiednehmenden die Hände. Die Roboter der Orionmaschine sind bereits eingestiegen. Sie brauchten während des vergangenen Tages nicht in Aktion zu treten, da man die Roboter des Kirh benutzte. 45
Ir Man Sei steht mit Lik Weda einige Meter von der Gruppe entfernt. „Ihr werdet jetzt ohne Aufenthalt zum Stan-a fliegen?“ will Ir Man Sei wissen. „Ja, Freund. Ich freue mich auf die Rückkehr zum Kirh …“ „Möge sie euch gelingen! Alle meine Wünsche werden dich begleiten! Ich wünschte, ich könnte in dein Herz sehen …“ „Du zweifelst an mir, Ir Man Sei?“ „Ich liebe dich, Lik …“ „Wenn ich dir nicht glaubte, käme ich nicht zu dir zurück.“ „Ich will daran glauben. Und dann habe ich noch eine Bitte, die ich im Namen meines Freundes Bi-il-kin an dich richte …“ „Ich höre, Ir Man sei …“ „Es betrifft deine Gefährtin Hama Lenn. Bi-il-kin ist ein Mann von hohen Qualitäten, doch er wagt es nicht, deine Gefährtin zu fragen …“ „Und was wollte er von ihr wissen?“ fragt Lik lächelnd. „Er wollte sie fragen, ob sie nach eurer Rückkehr zum Kirh bei ihm bleiben möchte …“ Lik lacht laut auf. „Ihr Männer vom Kirh seid tüchtig, das muß man euch lassen! Was werden eure Frauen dazu sagen?“ „Sie werden euch gerne aufnehmen. Wir haben einen bedeutenden Überschuß an Männern. Aber Fürst Ti-eb Lee ist sehr streng, was die Erhaltung unserer Rasse betrifft. Noch nie erhielten wir den Besuch galaktischer Frauen. Sie sind den unseren ebenbürtig, denn auch unsere Frauen sind schön und von hohen geistigen Gaben. Doch unser Land braucht neues Blut …“ „Oh!“ entgegnet Lik Weda etwas enttäuscht. „Und ihr Armen müßt euch opfern?“ „Nein, so ist es nicht!“ lächelt Ir Man Sei. „Niemals würde unser erhabener Fürst ein Opfer von uns verlangen. Aber er 46
freut sich über unsere Wahl, da sie sich gleichzeitig zum Nutzen unseres Volkes auswirkt. Ihr bringt uns den Vorteil der Erneuerung …“ Lik Weda reicht dem Manne die Hand. „Lebe wohl, Ir Man Sei! Ich werde mit Hama sprechen. Du kannst schon jetzt deinem Freunde Bi-il-kin sagen, daß ihm das Glück hold sein wird. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!“ Er hat ihr die Hand geküßt, dann schreitet er neben ihr zum wartenden Raumschiff. Wenige Augenblicke später hebt sich die Scheibe vom Boden und ist bald darauf in der Weite des Alls verschwunden. * Achthundert Lichtjahre beträgt die Entfernung zum Stan-a. Nun sind es nur noch wenige Lichtstunden, die die Orionscheibe zu durchfliegen hat. Wie schnell hatten die Bewohner des Kirh das dahinjagende Raumschiff entdeckt! Sie hatten sich entmaterialisiert und jedes Gespräch mit angehört, das die Expeditionsteilnehmer miteinander führten. Haben sie auch jetzt schon wieder solche ungebetenen Gäste in Bord? Die Antwort auf diese Frage erfolgt nur wenige Minuten später. Die Alarmglocke gellt durch das Schiff. Mit einem Sprunge ist Steen Ryhne vor den Bildschirmen, um dort das Hindernis zu entdecken, das die Glocke anzeigt. Mit bleichen Gesichtern kommen Felke Yern und die anderen, aber auch die beiden Frauen hat es nicht mehr in ihren Kabinen gehalten. Es ist das erste Mal auf dieser Fahrt, daß die Glocke in Tätigkeit getreten ist. 47
Die Radarschirme zeigen nichts. Vielleicht war es ein Meteor, der in nicht allzu großer Entfernung an der Scheibe vorbeiraste? Vielleicht ein verirrter Felstrümmer, der seine unberechenbare Bahn durchs All zieht? Oder ist es ein fremdes Raumschiff, das ihren Weg kreuzt? Rhyne schaltet die Stromstrahler ein. Millionen Volt werden mit ungeheurer Spannung in den Raum geschleudert und bilden einen unbesiegbaren Festungswall um das Raumschiff. Jedes sich nähernde Raumschiff, das in den Stromkreis gerät, würde sofort als glühende Metallmasse zu Asche gerieben werden. Ganz zu schweigen von den Lebewesen, die sich in einem solchen glühenden Sarg befänden. Ebenso plötzlich, wie die Alarmvorrichtung eingesetzt hat, verstummt sie wieder. Doch dann haben sie einen neuen Anlaß, zu erschrecken. Zu ihnen spricht ein Mensch in ihrer eigenen Sprache. Sie verstehen die Worte, die er sagt, aber sie können nicht bestimmen, ob sie diese Worte auch hören. „Fremdes Raumschiff aus der Galaxis!“ vernehmen sie es in ihren Hirnen. „Menschen einer fremden Sonne! Kehret um! Kehret um! Verderben erwartet euch! Stört nicht das heilige Schweigen, das jenen Planeten umgibt, den ihr entweihen wollt! Wir warnen euch! Wir warnen euch!“ War es eine Stimme? War es ein menschlicher Laut? Oder waren es nur Gedanken, die den Weg zu ihnen fanden? „Wer mag das gewesen sein?“ fragt Tys Terhel, der an allen Gliedern zittert. „Hast du es auch gehört, Felke?“ fragt Lik mit bleichem Antlitz. Das ist eine eigenartige Frage. Wäre es wirklich eine laute Stimme gewesen, so hätte sich diese Frage erübrigt. Hat auch Lik das Empfinden, daß hier ein Unterschied besteht zwischen Hören und Verstehen? 48
„Wir wollen umkehren!“ schlägt Felke Yern vor. „Man hat uns eindringlich gewarnt!“ Wie zur Bestätigung seiner Worte setzt der schrille Ton der Alarmglocke wieder ein. Die Männer sind übernervös. Ork Alfa hält sich die Hände an die Ohren und hat das Gesicht verzerrt. Innsa Broon zündet sich mit zitternden Händen eine Zigarette an, Tys Terhel wischt dich den Angstschweiß von der Stirn. „Umkehren!“ schreit Yern, den jetzt die Nerven endgültig verlassen. Die beiden Mädchen sagen nichts. Arm in Arm stehen sie am Kommandostand, und ihre Glieder sind verkrampft in der Anspannung, die ihnen ihre Beherrschung abverlangt. Steen Ryhne reckt sich empor, mit geballten Fäusten und hartem Gesicht. Ein Griff mit der Faust: die Signalanlage ist verstummt. Ryhne hat sie ausgeschaltet. Hintereinander drückt er die beiden Knöpfe in der Schalttafel nieder, die die Öffnungen für die Magnettorpedos frei machen. Mit schmalen Augen überprüft er die Bildschirme, auf denen noch immer nichts zu sehen ist. Das Bollwerk aus Stromstrahlern wird durch eine weitere Sperre verstärkt. Das Raumschiff verlangsamt seine Fahrt. Das Tachometer zeigt halbe Lichtgeschwindigkeit. Mit verschränkten Armen steht Ryhne am Schaltbrett. Sein spöttischer Blick überfliegt die vor ihm stehenden Männer. „Was soll das, Meister? Wir wollen damit nichts zu tun haben!“ Wieder ist es Felke Yern, der ihm diese Worte zuruft. „Wir sind deutlich genug gewarnt worden …“ „… und wir haben den Leuten deutlich genug gezeigt, daß wir uns nichts vorschreiben lassen!“ stellt Ryhne gelassen fest. „Mit welchem Recht befiehlt man uns umzukehren? Mit welchem Recht stößt man Warnungen gegen uns aus? Wir haben die gleiche Daseinsberechtigung wie jene unbekannten Warner. 49
Wir verlangen das zurück, was man uns heimtückisch entwendet hat. Wer den Kampf mit uns aufnehmen will, der kann es ja versuchen! Wir lassen uns nichts befehlen! Jeder Angriff auf unser Raumschiff wird mit der völligen Vernichtung unserer Gegner enden.“ „Wir sind in fremdes Gebiet eingedrungen, Meister!“ wirft Ork Alfa ein. „Wir haben hier keine Rechte!“ „Und was hat man bei uns getan? Man hat aus der Ferne unsere Impulse gestohlen! Wir wollen doch sehen, ob man unseren Waffen gewachsen ist! Ich bin zum Äußersten entschlossen!“ Innsa Broon stößt einen Schrei aus. Mit zitternder Hand weist er auf den Bildschirm, auf dem sich vier graue Schatten in rasender Fahrt von links nähern. „Achtung, Freunde aus einer anderen Welt!“ ruft Steen Ryhne mit harter Stimme. „Achtung! Hier fliegt ein Raumschiff der Galaktischen Union! Freunde, wir warnen euch! Fliegt nicht in unseren Strahlenkreis! Ihr werdet vernichtet!“ Hofft Steen Ryhne, daß seine Worte telepathisch zu den anstürmenden Raumschiffen durchdringen und von diesen mittels Sprachumformer verstanden werden? Auf dem Bildschirm gewahrt er, wie es den vier Flugkörpern gleichzeitig einen Ruck gibt, so daß sie als kaum sichtbare graue Striche im Raume stehen. Dann aber lösen sich von allen vier Raumschiffen kleinere Striche, die Richtung auf Steen Ryhnes Raumscheibe nehmen. „Magnetraketen!“ stößt Ryhne grimmig zwischen den Zähnen hervor. „Jetzt ist alles aus!“ stöhnt Yern. „Unsinn!“ ruft Ryhne, zum ersten Male ungeduldig. „Nichts ist aus! Oder denkt ihr, daß diese lächerlichen Geschosse einen Stromschlag von vier Millionen Volt überstehen?“ Steen Ryhne mißt die Entfernung, die ihn von den anrennenden Magnetraketen trennt. 50
„125 Millionen Kilometer!“ murmelt er. „Sie haben den Sperrkreis noch nicht erreicht …“ „Dürfen wir dir helfen, Meister?“ fragt Lik Weda entschlossen. „Danke, Mädchen!“ erwidert er freundlich. „Schalte den Mikrosprechfunk ein. Ich möchte den Leuten noch etwas sagen!“ Lik Weda weiß Bescheid. Ruhig hantiert sie an den Hebeln. „Hallo! Hallo!“ ruft Steen Ryhne über Mikrofunk. „Wir kommen in friedlicher Absicht! Wir haben nur eine Frage an Stan-a. Unser Volk ist in Not! Wir werden euer Gebiet verlassen, sobald wir unsere Aufgabe gelöst haben! Wir wollen keinen Kampf mit euch, aber wir werden uns wehren müssen, wenn wir angegriffen werden.“ Tief unter ihnen taucht der blaßgraue Ball eines Planeten auf. Ryhne drosselt die Geschwindigkeit und stellt Hama Lenn an die Bildschirme, damit diese die Annäherung weiterer Feinde melden kann. Als er die Alarmanlage wieder einschaltet, beginnen die Glocken abermals zu rasen. Kurzentschlossen stellt Ryhne die Anlage ab. „Dann eben nicht!“ murmelt er mit grimmigem Humor. Er schaltet die tödlichen elektrischen Strahlen aus, um bei der bevorstehenden Landung keine Lebewesen zu töten. Auch weiß er nicht, wie die Atmosphäre dieses Gestirnes auf elektrischen Strom reagiert. Denn diese Atmosphäre ist anders als die anderer Planeten. Wenn es wirklich so ist, wie er glaubt – daß nämlich die magnetischen Kräfte von diesem einen Planeten ausgehen –, dann könnten elektrische Ströme von solcher Intensität geradezu verheerende Wirkungen nach sich ziehen. Eine Zerstörung des Stan-a – nicht auszudenken! 700 Planeten schlagartig ohne Verwaltung, schlagartig ihres Idols beraubt, schlagartig ohne Kopf – es bedeutete vielleicht sogar – den Untergang des Systems.
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3faches UTOPIA-Jubiläum In diesem Monat erscheint der
300. UTOPIA-Band und zwar der
175. UTOPIA-Zukunftsroman
Die Zeitpatrouille von W. W. Shols Ein Unschuldiger, der einen Mord begeht – Tatzeugen, die nicht helfen können – und ein Raumschiff, das sich verdreifacht – das sind einige Stichworte aus dem phantastischen Inhalt.
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100. UTOPIA-Großband
Curium, das Verhängnis der Raumfahrer von Ed Kinson Der erstklassige Zukunftsroman wurde beim Autorenwettbewerb als beste Arbeit beurteilt. Sein Verfasser ist ganz zweifellos einer der kommenden Spitzenautoren der Zukunftsromanliteratur. Und das
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ERICH PABEL VERLAG • RASTATT (BADEN)
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Für Augenblicke gehen Steen Ryhne diese Gedanken durch den Kopf. Wenn er der Überzeugung sein müßte, daß der Planet Stan-a die langsame Vernichtung anderer Welten in seine Planungen aufgenommen hätte – wenn er zu dieser Gewißheit gelangt wäre, gäbe es als einzige Lösung nur die totale Vernichtung des Stan-a. Auch die Menschen der Galaxis verfügen über furchtbare Vernichtungswaffen, wobei das Radium C nur als einzelne unter vielen herausgegriffen sei. Die Zerstörung eines ganzen Gestirnes ist längst kein Problem mehr. „Sphärometer nachsehen!“ befiehlt Steen Ryhne dem untätig dastehenden Ork Alfa. Ork Alfa zuckt erschrocken zusammen, dann setzt er sich in Bewegung. Es ist ein aus der Furcht entstandener Gehorsam, der ihn den Befehl ohne Widerspruch ausführen läßt. „Sauerstoff elf Prozent, Luft noch nicht atembar“, verkündet er. „Bleib dort und melde weiter!“ ordnet Ryhne an. Er läßt das Raumschiff in eine Kreisbahn einschwenken und steuert durch Zusätze von Antiprotonen auf eine Verkürzung des Kreisbogens hin. „Sauerstoff 24 Prozent, chemische Luftbeschaffenheit normal“, verkündet Ork Alfa. Ryhne hat es nicht anders erwartet. Die Scheibe steht rund 200 Kilometer hoch über dem Land. Hier oben ist die Luft noch sehr dünn, immerhin aber muß er sich wundern, daß es überhaupt schon eine Atmosphäre von solcher Dichte gibt. Langsam gleitet das Raumschiff in tiefere Luftschichten. Mit einer Geschwindigkeit von rund 2000 Stundenkilometern dringt es in den Luftmantel des Planeten ein, so daß jede überflüssige und erhitzende Reibung vermieden wird. Der Höhenmesser registriert noch 245 Kilometer, den Sauerstoffgehalt meldet Ork Alfa mit 44 Prozent. 54
Der Infrarotbildschirm zeigt Landmassen, Gebirge, Ströme, Meere und Inseln. Ryhne überträgt Ausschnitte davon auf den Vergrößerungsschirm, um sich ein Bild über die Oberfläche des Planeten zu machen. Wie ein Filmstreifen rollt das Land unter ihm ab. Riesige Urwälder, die sich über Gebiete von vielen tausend Quadratkilometern ausdehnen, wechseln mit Steppen, Hügelland, schneebedeckten Gebirgen und Stein wüsten. Kein Zeichen einer menschlichen Ansiedlung, keine Städte, keine Häuser, keine Umfriedungen, keine bebauten Felder – nicht das geringste ist zu entdecken, was von Menschenhand angelegt sein könnte. Ein unwirtlicher, unbewohnter Planet. Die Beobachtungen auf dem Bildschirm entsprechen im großen und ganzen dem Bild, das sich Steen Ryhne von diesem Planeten gemacht hat. Dieser Stern Stan-a wäre für eine Besiedlung denkbar gut geeignet. Daß er nicht besiedelt wurde, muß seine Gründe haben. Diese Gründe sind bekannt. „Sauerstoff 60 Prozent, atembare Atmosphäre, keine Giftstoffs“, meldet Ork Alfa. „Es ist gut, Ork. Wie ist die Außentemperatur?“ „Elf Grad Kälte“, liest Ork Alfa ab. „Das ist normal in dieser Höhe. Was macht der Mikrowellen-Empfänger, Lik?“ „Keine Funkrufe zu hören. Es rauscht sehr stark.“ „Komisch! Versuch es mit anderen Wellen, Lik.“ Steen Ryhne kurvt mit der Scheibe nach unten. Unter ihm breitet sich das Land aus. Er sucht sich für die Landung eine weite Steppe, die man nach allen Seiten hin gut übersehen kann. „Holt die Handwaffen!“ weist Steen Ryhne seine kleine Besatzung an. „Bewaffnet auch die Roboter! Elektrostrahler, Atomrevolver und Lähmungsstrahler. Die Waffen werden nur auf meinen ausdrücklichen Befehl angewandt!“ 55
Die Männer sind gegangen, um die Waffen zu holen. Auch Lik und Hama müssen sich auf Anweisung Ryhnes bewaffnen. Im Kommandoraum sind sieben Menschen und zehn Roboter versammelt. Steen Ryhne gleitet über eine weite, von hohen Gebirgen umgebene Ebene. In 500 Meter Höhe sucht er einen geeigneten Platz für die Landung. Er hat ihn gefunden, rund einen Kilometer vom Anstieg des Gebirges entfernt, frei auf der Ebene liegend. Langsam schwebt die Raumscheibe zu Boden und bleibt wenige Zentimeter über dem Steppenboden stehen. Noch einmal suchen sie die Umgebung sorgfältig auf den Bildschirmen ab. Es ist nichts zu sehen, was ihnen Veranlassung geben könnte, besondere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Steen Ryhne gibt das Zeichen, die Tür zu öffnen.
STAN-A, der denkende Planet Energie RA 124 und SAP 19, die beiden Roboter Hamas und Liks, haben den Boden Stan-as als erste betreten. Sie kletterten mit jenem Gleichmut, der das äußere Abzeichen der Roboter ist, die Leiter herab und standen unten still, denn es hatte ihnen niemand gesagt, daß sie irgend etwas unternehmen sollten. Steen Ryhne ist auf dem metallenen, aufgerauhten Weg, der von der Tür des Raumschiffes über die untere Scheibe bis zur Leiter verläuft, bis zur Höhe der Leiter geschritten. Er sieht, daß die Roboter ihre Ruhestellung aufgegeben haben und sich nach einigen informierenden Worten nach dem Hang des Gebirges hin in Bewegung setzen. Es kann kein Fehler sein, wenn sie das Gelände erkunden – denkt Ryhne bei sich, ohne sich über diese Eigenmächtigkeit 56
der Roboter Gedanken zu machen. Auch er steigt jetzt die Leiter herab, gefolgt von den andern, die sich freuen, in die warme, sauerstoffreiche Luft hinausgehen zu können. Der Stan-a ist ein ganz gewöhnlicher Planet. Es ist warm, beinahe sehr warm, doch die Luft atmet sich gut und dringt belebend in die Lungen. Über dem Gebirge schweben einige weiße Wolken, die sich beim Weiterflug über die Ebene in Nichts auflösen. Wie soll Ryhne jetzt seinen Leuten begreiflich machen, daß sie sich in Marsch setzen müssen? Wenn marschiert wird, dann marschieren alle ohne jede Ausnahme! Es ist besser, sich nicht zu trennen. Vielleicht gibt es – woran er allerdings immer weniger glaubt – Gefahren zu bestehen. Mit den Robotern sind sie siebzehn Bewaffnete, das ist immerhin eine kleine Streitmacht, mit der man rechnen muß. Das Raumschiff müssen sie allerdings vorläufig stehen lassen – oder soll er es unter die Bewachung zweier Roboter stellen und diesen den Befehl geben, sich jeder Annäherung feindlicher Wesen mit Waffengewalt zu widersetzen? Steen Ryhne war etwas abseits gegangen, zum einen, um vielleicht den erwarteten telepathischen Anruf des Riesengehirnes zu vernehmen, zum anderen, um mit seinen Gedanken allein zu sein und ungestört seine Entschlüsse zu fassen. Die Gefährten stehen in heftiger Debatte vor dem Raumschiff. Man scheint wieder einmal gegensätzlicher Meinung zu sein. Selbst die Roboter sprechen wild durcheinander, eine Handlung, die er von diesen Maschinenmenschen gar nicht gewohnt ist. Einer der Männer löst sich aus dem Haufen und kommt mit schnellen Schritten auf ihn zu. Es ist Felke Yern, und Steen Ryhne macht sich auf einen hitzigen Strauß gefaßt. „Hallo, Meister!“ ruft Yern schon von weitem. „Wir sind der Meinung …“ 57
„Nun?“ fragt Ryhne sehr kurz und reserviert. „Wir sind der Meinung, daß wir sofort losmarschieren“, fährt Felke Yern fort. „Lik Weda hat ja erzählt, daß der Fürst des Landes Kirh auch erst eine Zeitlang umhergeirrt ist, bevor er Kontakt mit der telepathischen Maschinerie aufnehmen konnte. Das gleiche wird auch bei uns der Fall sein. Ich denke, daß wir das Raumschiff einfach hier stehen lassen. Es wird ja höchstwahrscheinlich doch keiner wagen, hier zu landen, und zur Not könnten wir ja auch einige Roboter hier lassen, die das Schiff verteidigen.“ Steen Ryhne glaubt, nicht richtig zu hören. Wo ist denn eigentlich seine Menschenkenntnis geblieben? Wie ist es zu jener Umwandlung der Herzen gekommen? Er starrt Yern fassungslos an. „Natürlich bin ich auch dieser Meinung“, versichert er ihm rasch, um die Stimmung der Teilnehmer seiner Expedition nicht durch langes Zögern zu verderben. „Das ist die einzig richtige Idee. Ich freu mich, Felke, daß du mir diesen Vorschlag machst. Was sagen denn die anderen dazu?“ „Sie sind alle der gleichen Meinung, Meister. Wir können alles kurz besprechen und dann losmarschieren. Die Richtung dürfte wohl gleichgültig sein.“ „In Ordnung, Felke!“ sagt Ryhne erfreut. „Wir werden sofort alles besprechen.“ Männer, Frauen und auch Roboter sehen den beiden erwartungsvoll entgegen. Ihre Aufmerksamkeit wird durch die lauten Rufe Ork Alfas abgelenkt, der die beiden Roboter, die als erste das Raumschiff verlassen und sich zum Gebirge hin in Bewegung gesetzt hatten, zurückbeordert. Zögernd gehorchen die beiden Roboter, doch als sich auch die übrigen acht Roboter an den Rufen beteiligen, kehren sie endlich um. Steen Ryhne hat besorgt um sich geblickt, als die laute Rufe58
rei begann. Seine Leute bewegen und benehmen sich völlig hemmungs- und furchtlos,. Er würde am liebsten durch einen sanften Hinweis auf ihre Lage die Lautstärke ihrer Stimmen etwas dämpfen, doch wieder hält ihn die geheime Sorge davon ab, daß sie ihn als „kleinlich“ und „ängstlich“ ansehen würden und er ihnen vielleicht durch solche Schulmeisterten die ganze Stimmung, die sie ja so bitter notwendig haben, verderben könnte. „Ich bin der Meinung, daß wir uns zuerst noch eine Weile am Fuße des Gebirges halten werden“, meint endlich Ryhne, als sie alle versammelt sind. „Ti-eb Lee, der ja allein auf diesem Planeten war, erzählte uns, daß es genug eßbare Früchte geben würde.“ „Ob er aber auch an dieser Stelle gelandet ist?“ gibt Innsa Broon zu bedenken. Die anderen fallen sofort über ihn her. „Das ist doch gleichgültig! – Planet ist Planet!“ – „Du hast wohl Angst?“ So klingt es durcheinander. „Unsinn!“ ruft Innsa Broon zornig. „Macht, was ihr wollt! Ihr seid nachher die ersten, denen vor Hunger die Zunge aus dem Mund hängt! Mir liegt doch nur daran, daß wir unser Ziel erreichen!“ „Ruhe! Ruhe!“ mahnt Ryhne, der sich über diese plötzlich erwachte Energie nicht weniger wundert. „Innsa hat vollkommen recht! Wir wissen noch nicht, wie es mit Lebensmitteln aussieht. Deshalb werden wir alle eine ordentliche Dosis Tabletten mitnehmen. Außerdem nehmen wir Zelte mit gegen die Nachtkälte, die es ja sicher hier geben wird. Die Waffen nicht vergessen, ebenso ein Funkgerät, damit wir immer die Verbindung mit der Scheibe aufrechterhalten. Bei der Scheibe bleiben zwei Roboter zurück, die den Befehl erhalten, sie gegen jeden Angriff zu verteidigen. Wir werden auch die Wärmeanzüge mit 59
den eingebauten Wärmekapseln mitnehmen. Diese Sachen können alle von den Robotern getragen werden. Es wird eine harte Strapaze werden, da wir alle Strecken zu Fuß gehen müssen.“ „Das spielt keine Rolle“, erklärt Felke Yern. „Das haben wir ja auch gewußt. Und wer sich’s nicht zutraut, der soll lieber hierbleiben. Die Hauptsache ist jetzt, daß alles möglichst schnell geht.“ „Gut, dann werde ich zunächst die beiden Roboter bestimmen, die hierbleiben und die Scheibe zu bewachen haben.“ Er blickt suchend in die Runde. „L 278 und KR 14 – ihr bleibt hier!“ bestimmt er. Die beiden angesprochenen Roboter machen unzufriedene Gesichter. „Warum ausgerechnet ich?“ mault L 278. „Es sind doch noch andere da?“ Wie auf ein gegebenes Kommando drehen sich Männer und Frauen nach ihm um. Es ist in der Geschichte der galaktischen Menschheit das erste Mal, daß ein Robot widerspricht. Ihre Elektronenhirne sind auf das Gehorchen geeicht, und man war es gewöhnt, daß sie gleichgültig und ohne jeden Widerspruch die Befehle ausführen, die ihnen von den Menschen erteilt werden. Ein Robot würde sich unbewegten Antlitzes ins Feuer stellen, wenn es ihm befohlen würde, und er würde einen schmerzlosen Verbrennungstod erleiden, wenn man bei ihm überhaupt den Begriff des „Todes“ anwenden dürfte. Und nun dieser Widerspruch! Steen Ryhne zieht dir Brauen hoch. Hat ihn schon die plötzlich erwachte Energie der menschlichen Expeditionsteilnehmer in Erstaunen versetzt, so gibt ihm jetzt der Widerspruch des Robots L 278 Veranlassung, nachzudenken. Wie kommt ein Robot dazu, das eine oder das andere gegeneinander abzuwägen oder empfehlenswert zu finden? Ist im Gehirn dieses Robots plötzlich etwas geschehen, ein Kurz60
schluß, ein Kontaktfehler – oder hat es ganz andere Gründe? Roboter mit menschlichen Empfindungen – unmöglich! Dann käme es noch so weit, daß sie sich weigerten, das Gepäck zu tragen und daß sie das Bedürfnis hätten, zu essen und zu schlafen? Steen Ryhne beschließt, diese Angelegenheit scharf im Auge zu behalten. „Hast du einen Kurzschluß, Kerl?“ fährt er den Robot nicht eben freundlich an. „Seit wann hat ein Robot das Recht, eigene Wünsche zu äußern? Soll ich dich durch den Strahlenrevolver zu Asche und Staub zerstrahlen? Oder soll ich mal deine Elektronenzellen untersuchen? Es bleibt also dabei: L 278 und KR 14 bleiben hier! Und wehe euch, wenn mit dem Raumschiff auch nur das geringste passiert! Und nun vorwärts, meine Herrschaften! Packt alles zusammen, was wir brauchen, und macht Pakete daraus! In einer Stunde geht die Reise los!“ In seltener Einmütigkeit machen sich die Aufgeforderten an die Arbeit. Es steckt eine Unternehmungslust in Frauen und Männern, die Steen Ryhne immer wieder aufs neue in Erstaunen versetzt. Jetzt ist er selbst es, der Bedenken hat und nicht ohne Sorgen in die Zukunft blickt. Er verbirgt diese Gedanken hinter einer gespielten Fröhlichkeit und läßt sich nichts anmerken. Die beiden zurückbleibenden Roboter schließen die Tür des Raumschiffes und begeben sich an die Bildschirme und an den Funkempfänger. In gewissen Zeitabständen wird sich Ryhne nach dem Stand der Dinge erkundigen. Fünf Männer, zwei Frauen und acht mit Gepäck beladene Roboter setzen sich in Marsch. Sie haben sich vorgenommen, vierzehn Tage lang in westlicher Richtung zu marschieren, dann vierzehn Tage in nördlicher, schließlich weitere vierzehn Tage in östlicher und dann wiederum vierzehn Tage in südlicher Richtung. So werden sie ungefähr wieder an ihren Aus61
gangspunkt zurückgelangen. Wenn sich während dieser vier mal vierzehn Tage nichts Besonderes ereignet, will Steen Ryhne die Expedition abbrechen. Das Anfangstempo ist recht forsch. Den Robotern bereitet es keinerlei Schwierigkeiten, Schritt zu halten, aber Ryhne ist der Meinung, daß man wenigstens auf die beiden Frauen Rücksicht nehmen muß. „Das ist nicht nötig!“ widerspricht Hama Lenn. „Ich habe festgestellt, daß man in dieser Luft sehr gut atmen kann. Wir werden es schon zeitig genug sagen, wenn uns das Tempo zu schnell wird!“ Aus den Unterhaltungen, die die einzelnen miteinander führen, vernimmt Ryhne nur zuversichtliche Worte. Er kann nicht begreifen, daß diese gleichen Männer sich auf dem Kirh und auch unterwegs zum Stan-a einem Pessimismus verschrieben hatten, der das Gelingen der ganzen Expedition in Frage stellte. Jetzt ist es beinahe umgekehrt. Felke Yern und seine Gefährten, ebenso auch die beiden Frauen, glauben fest an ein Gelingen, und er, Steen Ryhne, der Meister und Führer, ist von Zweifeln erfüllt. Der Weg führt am Fuße des Gebirges entlang. Sie haben sich als erstes Ziel ein Vorgebirge ausgewählt. Das Hauptgebirge zur Rechten streckt einen Ausläufer weit ins Land hinein, den sie umgehen müssen. Was dahinter liegt, können sie noch nicht erkennen. Voller Spannung marschieren sie einen sanft ansteigenden Wiesenhang hinauf, der am Ende des Vorgebirges auf einer gratähnlichen Anhöhe seinen Abschluß findet. Und hier oben, wo ein warmer Wind sie umfächelt, bleiben Menschen und Roboter mit entzückten Augen stehen. Zur Linken und geradeaus fallen weite Hänge, die mit duftenden Blumen übersät sind, bis in eine riesige Ebene ab. Tief unter ihnen 62
liegt ein dunkelblauer See in stiller Einsamkeit. Dann dehnen sich endlose Urwälder bis zum Horizont aus. Rechts aber steigt ein Hochgebirge mit schneebedeckten Gipfeln majestätisch bis in weiteste Fernen auf, ein unübersehbares Meer, das zu Schnee und Eis erstarrt ist. „Das ist ein schönes Land“, sagt Lik Weda in ehrlicher Begeisterung. Neben ihr steht ihr Robot SAP 19. „Ja, das ist es wirklich!“ pflichtet ihr der Robot bei. „Es ist schöner als der Karand. Man muß sich wundern, daß hier niemand wohnt.“ „Nanu, Freund?“ fragt ihn das Mädchen erstaunt. „Seit wann kannst du beurteilen, ob eine Landschaft schön ist oder nicht schön?“ „Diese Landschaft ist schön“, erwidert der Robot einfach. Lik Weda macht sich nicht die Mühe, über dieses plötzliche Gemütsphänomen des Robots SAP 19 nachzudenken. Interessiert hört sie der Unterhaltung der Männer zu, die sich mit der einzuschlagenden Route beschäftigen. „Ich schlage vor, daß wir die Höhe, die wir erreicht haben, beibehalten“, sagt Steen Ryhne. „Wir bleiben in halber Höhe zwischen Gebirge und Ebene.“ „Das ist richtig!“ pflichtet ihm Felke, Yern bei. „Laßt uns aufbrechen!“ Vorher nehmen sie die Verbindung mit dem Raumschiff auf. L 278 antwortet sofort. Es ist alles in Ordnung, und man kann nichts Außergewöhnliches melden. Sie beschließen, noch einige Kilometer zu marschieren und dann die Zelte aufzuschlagen. Die Teilnehmer der Expedition haben von ihrer anfänglichen Energie noch nicht das geringste eingebüßt. In bester Stimmung drängen sie vorwärts. Sie sind überzeugt, daß dieser Planet Stan-a ein Geheimnis birgt, das sie ergründen werden. 63
Die Sonne Golara versinkt als feurige Kugel am Horizont. Schlagartig werden sie von der Dunkelheit überfallen. Auf einer weichen Wiese richten sie die Zelte auf.
Mut Sie haben noch eine Weile an einem kleinen Lagerfeuer zusammengesessen und sich unterhalten. Tys Terhel, der Jüngste und Schwächste der Expedition, hat es sich in den Kopf gesetzt, noch eine nächtliche Erkundungstour auf die Höhen des Gebirges zu unternehmen. „Das ist nicht nötig, Tys“, will ihn Ryhne von diesem Plan abbringen. „Du bist genauso müde wie die anderen, es ist besser, wenn du schläfst.“ Aber auch Innso Broon ist der Meinung Tys Terhels. Er will sich dem Ausflug anschließen. „Und wenn etwas passiert?“ fragt Ryhne. „Was soll schon passieren?“ lacht Terhel. „Wir haben unsere Waffen, und vor Geistern fürchten wir uns nicht. Vielleicht haben wir Glück und treffen auf Spuren, die uns zu dem Beherrscher dieses Landes führen.“ Terhel und Broon brechen auf. Sie benötigen keine Lampe, denn ein ungeheures Sternenmeer hüllt die Gegend in ein vages Dämmerlicht. Die beiden Männer nehmen die Richtung auf die Berge und beginnen dann zügig mit dem Anstieg. Die mitgebrachten Zelte sind federleicht. Jeder von den Männern und Frauen besitzt ein eigenes Zelt. Steen Ryhne versucht es mit der Telepathie. Er konzentriert sich auf die Kraft seines Willens und ruft den Geist von Stan-a. Wohl eine Stunde lang verbringt er in diesen Bemühungen, ohne den geringsten Erfolg zu haben. Er überlegt, ob er die bis jetzt eingeschlagene Richtung beibehalten solle, ob er lieber 64
nach links in die Ebene abschwenken soll, oder ob ihm das Gebirge größere Chancen biete. Eine innere Stimme sagt ihm, daß die bisherige Richtung vorzuziehen sei. Ryhne beschließt, den Gefährten von dieser Wahrnehmung nichts zu erzählen, um sie nicht ängstlich zu machen. Vielleicht ist es auch eine fixe Idee von ihm, hervorgerufen durch das Suchen nach dem Unheimlichen, nach dem Geheimnis Stan-as? Lik Weda hat während der Zeit, in der Steen Ryhne seinen geistigen Kampf ausficht, ein anderes interessantes Erlebnis. Sie hat ihr Zelt aufgesucht. Gewohnheitsgemäß steht der Robot an der Tür, als sie sich zu entkleiden beginnt, und gewohnheitsgemäß fängt sie eines jener tiefsinnigen Gespräche mit dem Robot an, die den Zweck haben, ihr die Meinung eines Elektronengehirns zu vermitteln. „Nun, Freund, wie denkst du jetzt über die Impulselektronen?“ fragt sie in der ihr eigenen spöttischen Art, in der sie alle Gespräche mit SAP 19 zu führen pflegt. „Dein Genosse L 278, der ja beim Raumschiff zurückbleiben mußte, hatte dazu ja gar keine Lust. Hatte er mehr Interesse an unserer Forschungsexpedition?“ „Ja, er wollte lieber mit uns gehen. Wir hatten uns vorher darüber unterhalten. Wir wollten uns lieber mit dem schweren Gepäck abschleppen, als uns der Langeweile des Zurückbleibens aussetzen …“ „Seit wann habt ihr eine Empfindung für Langeweile, Freund? Es kann euch doch gleichgültig sein, welche Arbeit ihr zu verrichten habt?“ „Wir haben uns darüber unterhalten, während wir marschierten und die schweren Lasten tragen mußten. Sind wir nicht viel nützlicher zu verwenden, wenn man sich unserer geistigen Fähigkeiten bedient und nicht der körperlichen?“ „Ich bewundere deinen praktischen Sinn, SAP 19“, bemerkt 65
Lik Weda spöttisch. „Leider verträgt er sich nicht mit den Notwendigkeiten …“ „Es ist ungerecht, Lik Weda“, beharrt der Robot mit sanfter Bestimmtheit auf seiner Meinung. „Alle lebendigen Wesen haben die gleiche Berechtigung. Auch wir sind lebendige Wesen …“ „Ihr seid Maschinen, die man künstlich geschaffen hat!“ erklärt Lik Weda. „Fragt man eine Maschine nach ihrer Meinung?“ Lik Weda hat sich während dieses Gespräches entkleidet und ist in ihr hauchzartes, fließendes Nachtgewand geschlüpft. Der Robot hat sie während der ganzen Zeit, in der er sich mit ihr unterhielt, nicht aus den Augen gelassen. Als sie sich jetzt zum Schlafe niederlegt, bleibt er an der Tür stehen, wie er dies immer getan hat. Nach einer kleinen Weile begibt er sich nach draußen, mit behutsamen Schritten, um die Schlafende nicht zu stören. Vor dem Zeltlager wartet eine dunkle Gestalt auf ihn: es ist der Robot Hama Lenns, der die Nummer RA 124 führt. Schon oft haben die beiden Roboter miteinander diskutiert und sich über die Probleme ihrer menschlichen Herren unterhalten. Doch heute ist das anders. In dieser Nacht achten sie darauf, daß keine Zeugen ihres Gespräches vorhanden sind, und begeben sich erst einmal in eine angemessene Entfernung. Gegen Morgengrauen kehren Tys Terhel und Innsa Broon aus dem Gebirge zurück. Steen Ryhne, der nur wenig Schlaf benötigt und schon auf den Beinen ist, empfängt sie mit einem leichten Vorwurf. „Ihr werdet heute so müde sein, daß wir unser Tempo verlangsamen müssen“, sagt er. „Sei unbesorgt, Meister!“ erwidert Tys Terhel. „Wir sind so frisch, als hätten wir die ganze Nacht geschlafen …“ „Und wo seid ihr gewesen?“ „Wir waren hoch oben in den Bergen“, berichtet Innsa 66
Broon. „Um einen besseren Überblick zu bekommen, mußten wir sogar einige Felswände emporsteigen. Wir sind der Meinung, daß es am besten ist, wenn wir die bisherige Richtung beibehalten. Wir haben das bestimmte Gefühl, daß wir auf diesem Wege zum Ziele gelangen können …“ „Ihr habt das bestimmte Gefühl?“ fragt Ryhne rasch. „Wie hat sich dieses Gefühl bemerkbar gemacht?“ „Wie …?“ fragt Broon erstaunt. „Ich kann es nicht sagen. Es ist eben ein Gefühl, wie man manchmal so ein Gefühl hat, als befände man sich auf der richtigen Spur.“ „So würdest du keinesfalls einen anderen Weg nehmen, beispielsweise über die Ebene hinweg durch die Wälder?“ „Nein, nein! Das wäre bestimmt falsch!“ Steen Ryhne fragt nicht mehr weiter.
Haß Wieder sind einige Tage vergangen. War die Stimmung anfänglich von frohem Tatendrang gesättigt gewesen, hatte man sich dann in mutigen Redensarten gegenseitig zu überbieten versucht, so war am heutigen Abend eine deutliche Gereiztheit unter den Teilnehmern der Expedition zu bemerken. Selbst die Roboter marschierten mürrisch und mit unzufriedenen Gesichtern einher. Der erste Zusammenstoß erfolgte zwischen den Robotern XU 98 und SAP 19. Wer daran schuld war, läßt sich jetzt, nachdem sich die Gemüter etwas beruhigt haben, nicht mehr feststellen. XU 98 behauptete, der hinter ihm gehende SAP 19 habe ihn absichtlich auf die Fersen getreten, so daß er – XU 98 – ins Straucheln gekommen sei. SAP 19 setzte sich gegen diese Anschuldigung mit sehr unfreundlichen Worten zur Wehr, benannte seinen Gegner mit Ausdrücken wie „Sklavenseele“ und 67
„Kaltblütler“, und es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die Sache in eine handfeste Schlägerei ausarten würde. Die beiden Roboter warfen ihre Lasten ins Gras und gingen mit erhobenen Fäusten aufeinander los. Als Ork Alfa herbeieilte, um die beiden Kampfhähne zu trennen, wurde er von Felke Yern daran gehindert. „Laß sie doch, Ork! Das ist wenigstens mal eine Abwechslung!“ ruft er ihm zu. „Das ist keine Abwechslung, Felke!“ erklärt Ork Alfa in entschiedenem Tone. „Solche Zustände dürfen wir hier nicht einreißen lassen! Ich werde diesen beiden Kadetten zeigen, was es heißt, sich hier einfach zu schlagen wie die Eckensteher auf dem Pitto.“ Der Pitto ist ein Planet aus dem Gebiet Centauri, der laut uralten, verbrieften Rechten und einer noch älteren Tradition exterritorial ist. Er ist bekannt wegen seiner verkommenen und unmoralischen Bevölkerung, die sich aus Landstreichern, Spitzbuben und Gesetzesbrechern zusammensetzt. Ork Alfa ist trotz der Warnung Yerns zwischen die beiden Kampfhähne gesprungen und hat diese durch einige wohlgezielte Boxhiebe auseinandergetrieben. Damit ist aber wieder Felke Yern nicht einverstanden. „Das ist feig, Ork, sich mit Robotern zu messen!“ ruft Yern aufgebracht. „Kannst es ja mal mit mir versuchen!“ Ehe ihn die andern zu hindern vermögen, hat sich Felke Yern auf Ork Alfa geworfen. Dieser wird von dem angreifenden Yern zu Boden gezwungen, rafft sich aber sogleich wieder auf und geht wütend auf Yern los. Immer mehr steigern sich die beiden Männer in eine unsinnige Wut hinein. Selbst die beiden Roboter haben ihre Auseinandersetzung vergessen und blicken gespannt auf Alfa und Yern, die erbittert aufeinander losschlagen. Felke Yern hat Alfa einen schmetternden Hieb über die 68
Augen versetzt, so daß die Brauen aufgerissen werden und zu bluten beginnen. Aber Alfa bleibt nichts schuldig, denn er antwortet mit einem ganzen Wirbel harter Schläge, die Yern zu Boden gehen lassen. Haßerfüllt greift Felke Yern nach seinem Protonenrevolver. Die anderen schreien laut auf, als sie die Bewegung sehen. Steen Ryhne, der dem Kampf bis jetzt aus sportlichem Interesse zugesehen hat, hat sich wie der Blitz eingeschaltet. „Laß die Waffe stecken, Felke!“ befiehlt er. Die Blicke der beiden Männer kreuzen sich. In den Augen Ryhnes leuchten Härte und das bedingungslose Verlangen nach Gehorsam, bei Felke Yern ist es Haß bis zur Vernichtung. Doch auch mit Ork Alfa ist noch zu rechnen. Er ist nicht gewillt, auf seinen augenblicklichen Vorteil zu verzichten. Yern, der sich mühsam vom Boden aufrafft, greift trotz der Warnung Ryhnes nach dem Revolver. Sem Handgelenk wird von einer eisernen Faust umklammert und zusammengedrückt. Mit einem Stöhnen der Wut läßt Felke Yern die Waffe fallen. Ryhne schleudert die Hand Yerns von sich weg. „Jetzt hört es aber auf, Herrschaften!“ ruft er. „Wer jetzt noch einen Schlag tut, bekommt es mit mir zu tun! Merkt euch das! Vorwärts! Gepäck aufnehmen! Warum hast du dein Gepäck noch nicht auf dem Rücken?“ herrscht er den Robot XU 98 an. Der Robot sieht ihn verdutzt an. Im gleichen Augenblick aber zuckt die Faust Steen Ryhnes vor und erwischt den Robot haargenau unter der Kinnspitze. XU 93 wird durch die Wucht des Schlages ausgehoben und überschlägt sich mehrere Male. Mit gekrümmtem Rücken taumelt er zu seinem Gepäck, während sich die anderen Roboter unwillkürlich zusammendrängen, als befürchteten sie, daß nunmehr auch sie an die Reihe kommen. Steen Ryhne wartet mit hellwachen Augen, bis die ganze 69
Kolonne, künstliche und natürliche Menschen, an ihm vorübergeschritten ist. Als letzter schließt er sich dem Zuge an. Er überlegt. Die Schlägerei zwischen Yern und Alfa ist nicht so schlimm zu bewerten, so etwas kommt in den besten Familien vor. Viel interessanter ist das andere: die Schlägerei zwischen den beiden Robotern. Dabei verstieg sich SAP 19 zu zwei Schimpfwörtern: „Sklavenseele“ und „Kaltblütler“. Wie kam der Robot dazu, diese beiden Begriffe als Schimpfwörter zu verwenden? Wie kam er zu der Erkenntnis, daß die Sklaverei etwas Herabminderndes, etwas Schimpfliches ist? War es nicht die Bestimmung eines Roboters, der maschinelle Sklave der Menschen zu sein? Und wie kam SAP 19 auf den Ausdruck „Kaltblütler“? Betrachtete der Robot die Kälte des Gefühls, mit der man ihn und seinesgleichen ausgestattet hatte, als etwas Unehrenhaftes und Unwürdiges? Was aber das Verwunderlichste an dem allen ist: warum haben sich die beiden Roboter geschlagen? Seit wann hat ein Robot das Gefühl, sich rächen zu müssen? Und wie konnte es dann aus völlig nichtigem Anlaß zu der Schlägerei zwischen Yern und Alfa kommen? Oder war dieser nichtige Grund nur der Vorwand, einen schon seit langer Zeit aufgespeicherten Haß zu entladen? Es gibt selbst für das Absurde eine vernünftig-glaubhafte Erklärung. Steen Ryhne fürchtet sich beinahe vor der kommenden Nacht. Werden sich die Streitigkeiten fortsetzen? Eine innere Stimme sagt ihm, daß er jetzt etwas unternehmen muß, um weitere Zwischenfälle von vornherein auszuschalten. Ja, da ist die innere Stimme wieder. Erschrocken bleibt er stehen … Er lauscht mit hochgeworfenem Kopf in die Luft … Wer ruft ihm diese Worte zu? Ist es der Scherz eines Gefährten? Nichts … Nur das feine Singen und Klingen der reinen, durch nichts verfälschten Luft ist zu hören. 70
Steen Ryhne schaut sich um. Er steht auf einer sandigen Hochfläche. Vor ihm ein winziges Fahrzeug, verlassen und einsam. Einige Meter weiter entdeckt er das Wrack einer uralten Raumrakete. Und ganz im Hintergrund liegt ein zweiter spindelförmiger Raumer auf dem Boden. Aber die Stimme drängt ihn in andere Richtung. Und jetzt erkennt er, wohin ihn Stan-a leiten will. Auf einer kleinen Anhöhe sieht er einen Felsen, der wie ein Sessel geformt ist. Dem Zwang gehorchend, geht Steen Ryhne darauf zu und setzt sich. Und plötzlich verschwimmt alles, was um ihn herum ist … Gläserne Ringe tanzen vor seinen Augen … In seinen Ohren braust es wie in einer Empfangsanlage höchster Frequenz … Sein Wille ist ausgeschaltet. Steen Ryhne wartet … Er weiß, daß er warten muß und warten soll … Er denkt nicht mehr an die Gefährten, die vor ihm ahnungslos den Weg fortsetzen und ihn allein zurücklassen in der Einsamkeit und Weglosigkeit des Stan-a … Und dann kommt die Stimme … Es ist die Stimme, von der Ti-eb Lee, der Fürst des Landes Kirh, erzählte … „Raste heute nicht, Steen Ryhne, Mensch aus galaktischer Ferne, raste heute nicht! Gehe durch die Nacht des Stan-a, die Blitze werden dir den Weg weisen! Noch droht dir Gefahr, doch sie kommt aus eigenen Reihen! Denn du befindest dich in der Zone des Hasses, die du rasch verlassen solltest. Schau dich um. Entdeckst du die gestrandeten Raumer? Ihre Mannschaften landeten versehentlich in dieser Zone. Sie alle mußten sterben. Sie töteten sich gegenseitig. Deiner Mannschaft ist das erspart geblieben, denn ihr landetet in der Zone der Energie.“ Inzwischen haben Yern und Alfa das Fehlen Steen Ryhnes bemerkt. Sie sondern sich von den anderen ab, stülpen ihre Raumhelme über, um mit Steen Funkkontakt aufzunehmen. Aber offenbar hat der Meister seinen Helm nicht aufgesetzt, 71
denn die Rufe bleiben unbeantwortet. Yern und Alfa wenden sich zurück. Als sie die Hochfläche erreichen, sehen sie schon von weitem den Meister auf dem natürlichen Sessel, der aussieht, als habe ihn jemand aus dem Felsen gemeißelt. Jetzt sehen auch die beiden anderen die gestrandeten Raumer und das kleine Fahrzeug. Während Yern den fremdartigen Geländewagen untersucht, wendet sich Alfa dem Meister zu, der in eigenartiger Erstarrung auf dem Felssessel thront. Plötzlich kommt wieder Leben in Steen Ryhne. Er löst den starren Blick aus unendlichen Fernen und kehrt in die Wirklichkeit zurück. Wer hat zu ihm gesprochen? Steen Ryhne wischt sich den Schweiß von der Stirn, langsam erfassen seine Augen wieder die Bilder seiner Umgebung. Wie lange hat er hier gesessen? Er kann es nicht sagen, denn er hat nicht auf das Chronometer geblickt. Ryhne eröffnet den Gefährten, daß man während der nächsten Nacht kein Lager aufschlagen, sondern weitermarschieren wird. „Warum?“ fragte Felke Yern widerspenstig. „Weil ich es so bestimme, Felke!“ entgegnet Ryhne sachlich und bestimmt. Sie haben die Gruppe erreicht. „Hier hat nicht ein einzelner zu bestimmen, sondern die Mehrheit, Steen Ryhne. Ich mache nicht mit!“ widerspricht Yern. „Dann bleibst du allein an dem Platz, den du dir aussuchst. Wer will noch bleiben?“ Unter den Robotern ist eine heftige Diskussion entstanden. Sie sind sich in die Haare geraten. „Ich werde ebenfalls hierbleiben!“ sagt XU 98, der gleiche, der schon am heutigen Tage den Streit mit SAP 19 hatte. Er hat 72
sein Gepäck abgeworfen und stellt sich in trotziger Haltung vor Ryhne. „Du?“ fragt Ryhne höhnisch. „Seit wann hat ein Robot einen eigenen Willen?“ Und jetzt geschieht etwas Unglaubliches: XU 98 widersetzt sich Steen Ryhne, dem Meister, dem selbst die Menschen gehorchen. „Seit heute“, antwortet er patzig. Felke Yern vergißt, daß er eben noch gegen Steen Ryhne rebellierte. Jetzt richtet sich seine ganze Wut gegen den Roboter. Er zieht die Strahlwaffe. „Du wagst es, dem Meister zu widersprechen?“ Drohend stürzt er sich auf den Robot. Aber XU 98 ist schneller. Er reißt Felke Yern den Strahler aus der Hand und schlägt ihm damit über den Kopf. Die anderen stehen in atemlosem Staunen dabei. Yern bricht hinter einem Felsen zusammen, der Robot läuft davon. Aber Steen Ryhne läßt ihn nicht entkommen. Mit einem Satz ist er neben dem bewußtlosen Yern und kauert sich hinter den Felsen. Blitzschnell hat Steen Ryhne seine Strahlenpistole gezogen, sie auf den entsetzt zurückweichenden Robot gerichtet und auf den Abzug gedrückt. Ein blendender Feuerstrahl schießt hervor. Es riecht nach verbrannter synthetischer Haut und nach geschmolzenem Metall. Ein Körper ohne Kopf und Hals liegt auf dem Rasen, der Robot ist zerstört. „Will noch einer hierbleiben?“ fragt Ryhne drohend. Die Roboter fallen auf die Knie. Ihre plötzlich gewonnenen menschlichen Gefühle lassen sie den Anblick ihres zerstrahlten Genossen abstoßend empfinden. Aber auch die Menschen sind erschrocken. Sie fürchten sich vor Ryhne, dem sie eine solche Tat nicht zugetraut hätten. Aus den Blicken der Männer ist Ablehnung zu erkennen. 73
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„Das war Mord!“ sagt Alfa mit haßerfüllter Stimme. „Nenne es, wie du willst, Alfa!“ Er wendet sich an die zitternden Roboter. „Verteilt das Gepäck eures Genossen! Vorwärts! Wer sich noch einmal widersetzt, wird unschädlich gemacht.“ Die Härte Ryhnes hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Auch Felke Yern ist wieder zu sich gekommen, und er schließt sich der Kolonne an.
Trägheit „Steen Ryhne, wache auf! Wache auf oder du schläfst weiter bis in alle Ewigkeiten! Wecke deine Begleiter und zwinge sie, weiterzumarschieren! Die Zone der Trägheit hält euch alle gefangen! Es gibt keine Rettung für euch, wenn du nicht hart gegen dich selbst bist! Steen Ryhne, wache auf! Das rote Licht des Stan-a brennt und wird deinen Weg erhellen!“ Der telepathische Ruf ist verklungen. Wieder hat ihm die geheime Macht des Stan-a eine Warnung zukommen lassen, eine tödliche Warnung! Er schüttelt sich die Müdigkeit aus Kopf und Gliedern. Zur rechten Zeit besinnt er sich, daß er starke Tabletten besitzt. Eine dieser Tabletten würde genügen, ihn tagelang munter und wach zu halten – er nimmt drei Stück. Alles hängt jetzt von ihm ab. Er muß die Gefährten wecken; er wird jedem zwei Tabletten geben, er wird sich jedem Anfall erneuter Müdigkeit mit allen Mitteln widersetzen, er wird zum Aufbruch treiben, er wird Menschen und Roboter mit Gewalt aus dieser furchtbaren Zone herausbringen. Er wird … er wird … er wird – nichts, wenn er sich nicht sofort erhebt! Denn er ertappt sich noch in letzter Sekunde, daß sein Kopf vornüber fällt. Die Tabletten sind noch nicht wirksam, es wird noch einige Minuten dauern … Diese Minuten gilt es jetzt zu überstehen … 75
Er erhebt sich, macht einige heftige Bewegungen mit der Hand und mit den Füßen, beginnt wie ein Irrsinniger im Zelt herumzuspringen … Am Zeltausgang liegt sein Robot. Er rüttelt ihn. Fast erschrickt er über die Lautstärke seiner Stimme. „Los, los! Aufstehen! Hast du’s gehört, verdammter Halunke? Du sollst aufstehen! Packe das Zelt zusammen! Packe alles zusammen!“ Er reißt den Robot hoch. Taumelnd gehorcht der Maschinenmensch. Mit müden Bewegungen macht er sich am Zelt zu schaffen, während Steen Ryhne, bei dem jetzt die Tabletten wirken, ins Freie tritt. Der Horizont ist blutig gerötet, als wüte dort ein Großfeuer. Doch der rote Schein hat sein Gutes: er beleuchtet den Lagerplatz, so daß es kein Durcheinander geben kann, wenn die Zelte abgebrochen werden. Er tritt in ein Zelt – es ist das Zelt Hama Lenns. Auf der Seite liegt der Robot RA 124 wie ein Toter. Im Vorbeigehen versetzt ihm Ryhne einen Tritt, dann schüttelt er die schlafende Hama. „Komm, Hama, aufstehen! Wir müssen fort! Es brennt! Alles brennt! Los, los, Hama!“ Das schöne Mädchen schlägt die Augen auf und gähnt. Hama murmelt einige unverständliche Worte, dann dreht sie sich auf die andere Seite. Steen Ryhne setzt das Schütteln verstärkt fort. „Hama! Rasch, es brennt! Es brennt!“ Sie fährt auf, schlaftrunken und mit blinzelnden Augen. „Ich habe mich doch gerade erst … hingelegt“, sagt sie vorwurfsvoll. „Nein, das war gestern nacht! Du hast vierundzwanzig Stunden lang geschlafen. Hier, nimm diese beiden Tabletten!“ Ryhne drückt ihr die Tabletten in die Hand. Sie hat sich noch immer nicht in die Wirklichkeit zurückgefunden. Er hilft ihr, 76
die Tabletten in den Mund zu stecken. Dann nimmt er sie unter den Armen und hebt sie empor. „Vorwärts, Hama! Hier sind noch zwei Tabletten! Gib sie Lik! Sie muß sofort aufstehen! Wir müssen sofort weiter! Es ist höchste Gefahr, hast du verstanden?“ „Ja … Wo ist denn … ach, Meister, du bist es selber? Was ist denn passiert …?“ Steen Ryhne schiebt sie ins Freie. Doch sie wendet sich erschrocken um, als sie den Feuerschein am Horizont sieht. „Oh! Was ist das?“ „Ich erkläre es euch dann! Jetzt wecke Lik! Gib ihr die Tabletten! Ich hole die anderen! He, du!“ Er gibt dem Robot Hama Lenns einen Fußtritt, mit dem er Tote erwecken könnte. RA 124 stößt einen kleinen Schmerzenslaut aus. „Wirst du endlich wach, Bursche? Nun aber los! Packe das Zelt zusammen! Wenn ich zurückkomme, ist hier alles aufgeräumt!“ Über eine Stunde dauert es, bis das Lager geweckt ist. Die Menschen stehen übernächtigt, verschlafen und frierend zum Abmarsch bereit, die Roboter torkeln wie Betrunkene umher und laden sich gegenseitig das Gepäck auf. Wie ein Löwe streicht Steen Ryhne von einem zum anderen. Mit harten Worten fährt er die Menschen an, die schlappmachen wollen, mit harten Fäusten ruft er die Roboter in die Wirklichkeit zurück. Ängstlich ducken sich die Roboter, wenn sein Blick auf sie fällt. Ryhne gönnt Menschen und Maschinen nicht eine Sekunde der Besinnung. „Vorwärts!“ ruft er, als die letzten Handgriffe getan werden. „Wir müssen schnellstens hier weg! Stan-a hat uns den Weg beleuchtet!“ Und keiner weiß, was das alles zu bedeuten hat. Denn Steen Ryhne schweigt und wahrt das Geheimnis, das er mit den Mächten des Stan-a teilt. 77
Ehrgeiz Wieder ist ein neuer Morgen angebrochen. Die rote Glut im Westen ist verschwunden, strahlend verspricht die Sonne Golara einen neuen, herrlichen Tag. Sind es die Tabletten, die in ihrer Wirkung anhalten, oder hat es einen anderen Grund: die Müdigkeit ist verschwunden. Steen Ryhne weiß es besser. Er weiß, daß sie jene Elektronen-Zone durchschritten haben, in der sich die Impulse der Trägheit gesammelt harten. Nach seinen Beobachtungen ist es mit dieser Zone nun vorbei, denn zusehends gewinnen Menschen und Roboter an Kräften. Mit geheimem Bangen wartet Steen Ryhne auf die neuen Überraschungen, die Stan-a bereithält. Was wird es diesmal sein? Hoffentlich ist es nicht der allgemeine Wahnsinn, der alle befällt. Mit nicht geringer Besorgnis hat er festgestellt, daß auch er nicht immun ist gegen die Kräfte, die sich auf dem Stan-a konzentriert haben. Nur mit größter Energie konnte er sich gegen die Dämonen der Trägheit behaupten und die Müdigkeit von sich abschütteln. Suchend tastet der Blick Ryhnes die lange Reihe der Marschierenden ab. Nanu? Da fehlt doch einer – wer ist es? Es ist Ork Alfa, der nicht mehr dabei ist. „Hallo, Freunde!“ ruft Steen Ryhne. „Wir haben Ork Alfa verloren!“ „Nein, er ist vorausgeeilt“, antwortet Felke Yern, der nach den vergangenen Vorkommnissen wieder recht verträglich geworden ist. „Er hat uns gesagt, daß er das Gelände auskundschaften will …“ „Das ist doch Unsinn! Wir kommen ohnehin an jenen Stellen vorbei, die er jetzt passiert. Er macht sich nur unnötig müde …“ „Das soll seine eigene Sache sein“, winkt Yern ab. „Aber ich 78
muß dir melden, Meister, daß unser Raumschiff keine Antwort mehr gibt!“ „Woher weißt du das?“ „Ich habe die beiden Roboter angepeilt, bekomme aber keine Antwort …“ Das sind unangenehme Neuigkeiten. Und dann kommt gleich noch die dritte Verwunderlichkeit. Tys Terhel, der jüngste und körperlich schwächste der Expedition, erbietet sich freiwillig, zum Raumschiff zurückzugehen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Ryhne sieht ihn erstaunt an. „Du willst durch alle die gefährlichen Gebiete hindurch, die wir hinter uns gebracht haben, Tys?“ fragt er. „Und was wirst du tun, wenn du in der Trägheitszone einschläfst? Nein, Tys, das ist kein Plan! Wir werden trotz allem versuchen, erst einmal unser Ziel zu erreichen. Dann werden wir uns um das Raumschiff kümmern. Vielleicht sind wir in einer Zone, in der die Funkverbindungen nicht klappen. Wir werden es im Laufe des Tages noch einige Male versuchen …“ Felke Yern begibt sich während des Marsches an die Seite Ryhnes. „Wie wäre es, Meister, wenn ich seitlich ins Gebirge abschwenkte?“ schlägt er vor. „Wir müssen doch versuchen, hinter das Geheimnis dieses Planeten zu kommen. Vielleicht finden wir im Gebirge eher eine Lösung …“ „Unser augenblicklicher Weg ist der richtige, Felke“, erwidert Ryhne. „Ich weiß es.“ Yern sieht ihn erstaunt an. „Ja“, nickt Ryhne, „der Stan-a selbst hat es mir gesagt. Er hat uns in der vergangenen Nacht den Weg durch die roten Feuerzeichen gewiesen. Ich bin überzeugt, daß er uns auch weiterhin helfen wird …“ Nun fehlt nur noch Innsa Broon – denkt Ryhne bei sich, dann 79
haben mir sämtliche männlichen Mitglieder der Expedition ihre ehrgeizigen Pläne unterbreitet. Wo aber steckt Innsa Broon? Man kommt aus den Sorgen nicht heraus. Da sieht er ihn … Broon schreitet an der Spitze der Expedition, noch vor den wegbahnenden Robotern. Er hat sich einen langen Bergstock geschnitzt und fungiert als Führer der Kolonne. Im Augenblick hat er eine Auseinandersetzung mit dem vordersten Robot, der ihm diesen Platz streitig machen will. Und wieder einmal weiß Steen Ryhne Bescheid. Sie gehen durch eine Zone, in der der Impuls des Ehrgeizes der herrschende ist. Ryhne hat erwartet, daß sich etwas ereignen würde, er hat sogar an Irrsinn gedacht. Er ist klug genug, sich den Ideen, die diese Zone in den Männern hervorruft, nicht zu widersetzen. Solange sie noch vom Ehrgeiz besessen sind, werden sie wenigstens kein Unheil anrichten. Bei den Frauen scheint dieser Ehrgeiz-Impuls noch nicht in Erscheinung getreten zu sein, was er immerhin mit einer gewissen Erleichterung feststellt. Hat Steen Ryhne – was die Frauen anbetrifft – richtig beobachtet? Lik und Hama unterhalten sich, und das Thema ihrer Unterhaltung läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Wenn ich zum Kirh zurückkomme“, sagt gerade Lik Weda, „wird mich Ir Man Sei wie eine Fürstin empfangen. Er ist ja der Vertraute Ti-eb Lees, des Fürsten von Kirh. Der Fürst hat sich geradezu darum gerissen, mich bei sich zu haben, und ich werde dort bestimmt einen glänzenden Platz einnehmen …“ „Hm, ja“, meint Hama Lenn, „das ist schon möglich …“ „Das ist so, wenn ich es dir sage!“ erklärt Lik in bestimmtem Tone. „Ich werde dann auch versuchen, ob ich für Bi-il-kin etwas tun kann. Er steht ja im Range tief unter Ir Man Sei, aber du wirst verstehen, daß ich in meiner Stellung dann einigen Einfluß haben werde …“ 80
„Es steht aber doch noch nicht fest, Lik, ob Bi-il-kin tatsächlich im Range tiefer steht“, widerspricht nun Hama, die etwas unwillig den Ausführungen Liks gelauscht hat. „Ha, was du denkst, Hama! Ich muß das besser wissen, denn ich bin mit den Leuten viel vertrauter als du! Soll ich dir erzählen, wie und wo Ir Man Sei mich kennenlernte?“ Die beiden Frauen werden unterbrochen, denn Steen Ryhne hält den Augenblick für gekommen, sich einzuschalten. „Wißt ihr eigentlich, wo wir jetzt sind?“ fragt er die beiden Mädchen. „Das ist eine ganz komische Zone, in der EhrgeizImpulse ausgestrahlt werden. Wer in dieser Zone lebt, hat den Wunsch, möglichst viel Aufhebens von sich zu machen. Seht ihr zum Beispiel da vorne Innsa Broon? Der fühlt sich augenblicklich als Kommandant der Expedition. Und Ork Alfa besaß den Ehrgeiz, allein in die Ferne zu rasen, angeblich als Kundschafter. Und wie ist es mit dir, Lik? Hast du auch einen Ehrgeiz bei dir festgestellt?“ Lik Weda hat den schönen Kopf gesenkt und blickt voller Scham zu Boden. Sie weiß sehr gut, was Steen Ryhne mit seiner Bemerkung gemeint hat. Doch dadurch, daß Ryhne das Kind beim Namen nennt, entkleidet er das Geschehen seiner Abnormität. Lik Weda wird an seine Worte denken, wenn sie wieder einmal in Versuchung kommen sollte, „anzugeben“ und den Ehrgeiz zu besitzen, mehr sein zu wollen als die Freundin. Ryhne hat den Erfolg seiner Behandlungsmethode festgestellt. Es lag ihm nicht daran, Lik Weda wegen ihrer großspurigen Reden zu bestrafen, sondern die Krankheit zu heilen, deren Opfer sie beinahe geworden wäre. Er lenkt deshalb das Gespräch in andere Richtung. „Dieses Gebirge will kein Ende nehmen“, sagt er, indem er mit der Hand auf die schneebedeckten Gipfel weist, die horizontweit die Ebene abgrenzen. „Ich denke, daß wir in den näch81
sten Tagen nach rechts abschwenken. Dann wird allerdings unser Marsch bedeutend schwieriger werden …“ „Geh bis zu dem Strom, der aus dem Gebirge kommt und sich in der Ebene verliert! Dort hast du einen Anhaltspunkt für die Richtung!“ Steen Ryhne blickt überrascht auf. „Woher weißt du das, Lik?“ fragt er. Lik Weda sieht ihn erstaunt an. „Was meinst du, Meister?“ „Ich meine – woher weißt du das mit dem Strom?“ „Mit welchem Strom, Meister?“ Steen Ryhne bleibt unwillkürlich stehen, und die beiden Mädchen folgen seinem Beispiel. „Du hast doch gerade von dem Strom gesprochen, der aus dem Gebirge kommt und in die Ebene fließt …?“ „Wer …? Ich …?“ „Warst du es, Hama?“ „Ich …?“ fragt Hama Lenn zurück. „Ich habe gar nichts gesagt …“ Drei Menschen vom Planeten Karand stehen auf dem einsamen Wiesenhang und sehen sich verdutzt an. Sie sprechen in ihrer Sprache miteinander, und dennoch verstehen sie nicht. Und wieder einmal ist eines der Wunder des Stan-a geschehen. Es ist das Wunder der Telepathie. Doch es ist nicht jene Telepathie, die man im landläufigen Sinne kennt, sondern eine Wissenschaft, die man technisch bis zum Wunder gesteigert und verfeinert hat. „Man“ – wer ist das? Sind es Menschen? Sind es einmalige Medien, hat man es hier tatsächlich mit übersinnlichen Erscheinungen zu tun? Oder ist es das Funktionieren einer ungeheuerlichen Apparatur, die geniale Schöpfer vor Millionen Jahren bauten? 82
Lik und Hama haben nichts gehört von den Worten, die Steen Ryhne in deutlicher Sprache – von Lik ausgehend – zu vernehmen glaubte. Wäre Ryhne ein anderer, so stünden ihm jetzt vor Entsetzen über dieses unbegreifliche Phänomen die Haare zu Berge – so aber ist ihm das alles in gewissem Maße erklärlich. Sein Gespräch mit Lik und Hama wurde belauscht und dazu eine sinngemäße Erklärung abgegeben. Das klingt so einfach, daß man sich nur darüber wundern könnte, daß es überhaupt etwas zum Verwundern gibt. Und doch – welches unheimliche Wissen, welche überragende Technik und wie viele Hunderttausende von Jahren der Entwicklung liegen in diesem telepathischen Produkt! „Gehen wir weiter, Mädchen!“ sagt Ryhne beinahe resigniert. „Es war eine akustische Täuschung. Dieser Planet Stan-a gibt uns viele Rätsel zu lösen!“ „Was war es mit dem Strom, Meister?“ will Lik wissen, die die Bemerkung Ryhnes nicht vergessen hat. „Aus dem Gebirge kommt ein Strom, der hinab in die Ebene fließt“, erklärt Rhyne. „Ich nehme an, daß es ein Stromtal sein wird, denn Ströme rasen meiner Ansicht nach nicht die Abhänge hinunter. Dieses Stromtal sollen wir aufwärts gehen.“ „Und das hat man dir so einfach gesagt, Meister?“ „Ja. Es war so deutlich, daß ich zuerst glaubte, du hättest es gesagt …“ „Da bin ich aber nun wirklich gespannt, ob wir tatsächlich auf diesen Strom stoßen …“ In langer Schlange bewegt sich die Expedition am Fuße des Gebirges entlang. Nirgendwo finden sie die Spur eines Menschen. Und dennoch ist dieser Planet nicht mit jenen zu vergleichen, die neu entdeckt werden und die aus Urwäldern und Sümpfen und undurchdringlichem Dickicht bestehen. Irgendwann hat hier einmal eine ordnende Hand eingegriffen. Aber 83
auch diese Feststellung trifft Ryhne mehr intuitiv, als daß er sie mit Beweisen belegen könnte. Mit Beweisen … Nun, da wäre dieser Wiesenhang, auf dem sie sich jetzt schon bald vierzehn Tage lang fortbewegen. Dieser Hang liegt direkt am Fuße der Berge, er müßte demnach im Verlaufe der Jahrtausende unter Steinen und Geröll begraben sein. Das ist nicht der Fall. Es gibt eine scharfe Trennung. Hier ist der Steilabfall des Gebirges – dort ist der Wiesenhang mit dem weichen, blumenbestandenen Hasen. Ein paar Steine liegen herum, gewiß – aber es ist bei weitem nicht die Menge, die man bei der Steilheit dieses Gebirges erwarten müßte.
Vergessen Die Landschaft gleicht einem Paradies; es duftet nach Tausenden unbekannten Blüten, die Luft ist rein und mild, und sie alle fühlen den Wunsch in sich aufsteigen, einfach hierzubleiben und alles zu vergessen, was sie auf diesen Planeten führte. Ihr Weg fällt sanft ab. Als die Sonne glühend aus der östlichen Tiefe steigt, wähnen sie sich in einem wunderbaren Märchenland. Der Boden ist weich wie Sammet, streckenweise wandern sie durch einen Wald von Blütenbüschen, und endlich haben sie jene Stelle erreicht, an der der silbern funkelnde Strom sich ein breites Tal gebahnt hat und zwischen himmelhohen Bergriesen majestätisch in die Ebene eintritt. „Hier müßte man sich ansiedeln“, sagt Lik Weda entzückt. „Ja, hier ist es schön“, pflichtet ihr Steen Ryhne bei. „Schade nur, daß dieser Planet aus begrenzten Zonen besteht. Stelle dir vor, du gerietest versehentlich in die Trägheitszone. Dann schliefest du ungezählte Monate oder Jahre. Wir wollen froh sein, wenn wir wieder in unsere Heimat zurückreisen können …“ Lik Weda greift sich an die Stirn. 84
„In unsere Heimat … ja“, wiederholt sie. „Wo … kommen wir eigentlich her? Ich kann mich im Augenblick gar nicht darauf besinnen …“ Ryhne richtet einen scharf-forschenden Blick auf das Mädchen. „Weißt du eigentlich, wie du heißt?“ fragt er vorsichtig. „Ja, natürlich!“ lacht sie. „Ich heiße … ich heiße …“ „Nun?“ Sie wendet sich plötzlich ab. „Ach, es wird mir schon wieder einfallen“, murmelt sie. Ryhne nickt mehrere Male bedächtig vor sich hin. Sein eiserner Wille läßt sich durch die verschiedenen Zonen nicht so leicht beeinflussen. Er forscht in seinem Gedächtnis nach. Jawohl, er heißt Steen Ryhne, er stammt vom … vom Karand, natürlich, und er ist unterwegs, um … um … um nun, es ist ja vergeudete Zeit, darüber nachzudenken. Er weiß ja schließlich, weshalb er unterwegs ist. Das ist … das war … wegen … wegen … Weiß er es – oder weiß er es nicht? Er winkt im Geiste ab. Was soll er sich jetzt mit solchen Dingen beschäftigen? Dort fließt der Strom durch ein breites, nach beiden Seiten ansteigendes Wiesental. Wie kann die Expedition diesen Strom überschreiten? Müssen sie ihn denn überhaupt überschreiten? Wenn sie nun zum Beispiel einfach auf dem linken Ufer blieben? Beide Seiten sehen absolut gleich aus, es wäre also nicht nötig, erst hinüberzuschwimmen. Um es geradeheraus zu sagen: Steen Ryhne hat alles vergessen, was mit diesem Flusse im Zusammenhang steht. Zufällig wählt er die ihm vom Stan-a angegebene Richtung, zufällig macht er es richtig. Es ist schwer für ihn, unsagbar schwer, sich seiner Haut zu wehren. Wenn nicht doch irgendwo im Verbor85
genen noch die Erinnerung an eine Aufgabe schlummerte, die er sich zu lösen vorgenommen hatte – wer weiß, ob er nicht dem Drängen Felke Yerns nachgegeben hätte. „Laß uns hierbleiben, Meister!“ sagt Yern. „Hier ist es schön, wir könnten hier einige Häuser bauen lassen …“ „Bauen lassen, Felke? Von wem?“ „Nun, es wird doch sicherlich eine Stadt in der Nähe sein, in der es Architekten und Baumeister gibt?“ „Nein“, sagt Ryhne. „Hier gibt es weder eine Stadt noch Architekten und Baumeister. Wir sind allein hier, Felke.“ „Um so besser! Dann bauen wir uns Blockhütten! Wo wollen wir eigentlich hingehen? Sind wir nicht gegangen, uns eine neue Heimat zu suchen?“ „Du hast es vergessen, Felke“, meint Ryhne sanft. Langsam kehrt ihm das Erinnerungsvermögen zurück, doch muß er sich zwingen, es nicht wieder entschwinden zu lassen. „Du hast es vergessen, Felke … Wir sind auf dem Stan-a und kommen aus der Galaxis.“ Felke Yern sieht ihn verständnislos an. Fast hilflos hebt er die Schultern. Er weiß mit den Worten Ryhnes nichts anzufangen. Der Strom führt milchgrünes Gletscherwasser, wie sie beim Näherkommen feststellen. Er ist kalt und reißend. Für einen Schwimmer wäre es wohl ein vergebliches Unterfangen gewesen, ihn zu durchqueren. Das Hochgebirge wird durch den Strom in zwei Teile gespalten. Das Tal, das am Eingang noch eine Breite von fünf Kilometer hatte, wird stromaufwärts schmaler. Nach vier Stunden langsamen Anstieges ist es nur noch zwei Kilometer breit. Der Strom schäumt über ein Steinbett, das mit einer Unzahl von Felsblöcken ausgefüllt ist. Manchmal fließt das Wasser auch über breite Kiesbänke, auf denen es sich in unzählige Rinnen teilt. Auf der rechten Talseite fließen ansehnliche Wildwasser, 86
die man sogar schon als kleine Flüsse bezeichnen kann, in das Strombett, während die Zuflüsse auf der linken Seite, auf der sie aufwärtsstampfen, kleiner und harmloser sind. Das ist ein Glück für die Expedition, denn die Zuflüsse auf der rechten Seite wären nur unter größten Schwierigkeiten zu überqueren. Als die Sonne am höchsten steht, schiebt Steen Ryhne eine Rast ein. Er befiehlt, die Funkverbindung mit der Raumscheibe aufzunehmen. Ork Alfa, der das Funkgerät bedient, sieht ihn verwundert an. „Welche Scheibe, Meister?“ fragt er. „Hast du es wirklich vergessen, Ork?“ „Ich weiß von nichts …“ „Verdammter Planet!“ murmelt Ryhne, während er sich an den Funkapparat setzt. Er schaltet die vereinbarte Welle ein, aber es ist ein Rauschen zu hören, sonst nichts. Wohl zehnmal versucht er es, die Verbindung aufzunehmen – jedesmal mit dem gleichen Mißerfolg. Das ist eine schwere Sorge, die ihn befällt. Wurde das Raumschiff von unbekannten Gegnern angegriffen und vernichtet? Oder sind es harmlose Gründe, die eine Verbindung nicht Zustandekommen lassen? Vielleicht Luftströmungen, atmosphärische Störungen, verschieden geartete Elektronenfelder, magnetische Verschiebungen? Das ist auf diesem Planeten alles möglich, zumal schon genug erstaunliche Dinge geschehen sind, für die er keine Erklärung gefunden hat. Der Strom wird zum Fluß. Zu beiden Seiten rücken die Berge näher heran. Der Weg wird beschwerlich, manchmal müssen sie schon Geröllhalden übersteigen, auf denen es ihnen schwerfällt, das Gleichgewicht zu halten. Einer der Roboter, der vorn an der Spitze geht, erscheint bei Steen Ryhne. „Ich gehe nach Hause, Meister“, erklärt er mit naiver Sachlichkeit. Ryhne bleibt stehen und stemmt die Arme in die Hüften. 87
„So …?“ sagt er. „Du gehst nach Hause? Wohin gehst du denn da, mein Freund?“ „Nach Hause“, wiederholt der Robot trotzig. „Ich wohne in der Ebene, ich brauche nur zurückzugehen …“ „Ja, du brauchst nur zurückzugehen“, nickt ihm Ryhne freundlich zu. „Und was tust du zu Hause?“ „Ich werde meiner Beschäftigung nachgehen. Ich habe dort meine Diener …“ „Äh, Roboter, nicht wahr?“ „Ja. Da brauche ich mich um nichts zu kümmern. Ich brauche mich dort nicht anzustrengen und habe alles, was ich mir wünschen könnte.“ „Was wünschst du dir denn, Freund?“ „Vor allem meine Bequemlichkeit. Ich habe dort mein gutes Bett, ich kann mich in die Sonne legen, ich besitze ein elegantes Heim und kann mir allen Luxus leisten, und vor allem …“ „Was denn – vor allem?“ erkundigt sich Ryhne interessiert. „Frauen!“ stößt der Robot hervor. „Frauen und Mädchen! Ich habe schon einige gesehen, die mich interessieren.“ Da haben wir die Bescherung – denkt Steen Ryhne, der verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Robot-Dilemma sucht. Dieser maschinelle Halunke hat total vergessen, daß er ein Robot ist. Er wähnt sich in der Rolle eines Menschen. Was soll man da tun? Zone des Vergessens … Die Gefährten, Frauen und Männer, haben alles vergessen – und jetzt fangen auch die Roboter an. Ryhne muß offen zugeben, daß diese Zone wohl die gefährlichste ist, die sie durchwandert haben. Aber es ist noch etwas, was ihn zum Nachdenken zwingt. Es ist die verwunderliche Tatsache, daß dieser Robot so gut mit den geheimsten Wünschen und Leidenschaften eines Menschen Bescheid weiß. Diese Feststellung deckt sich mit denen, die er schon einige Male während dieses Marsches machen mußte. Es 88
begann schon mit jenem Widerspruch, als der Robot L 278 nicht mehr als Bewacher beim Raumschiff bleiben wollte. Es waren rein menschliche Impulse, die er als Grund anführte. Und dann folgte ein Fall dem anderen, eine Beobachtung der anderen. Menschen und Roboter fühlten und empfanden das gleiche, hatten die gleichen Interessen, machten die gleichen Einwände und wurden von den verschiedenen Impuls-Zonen gleichermaßen beeinflußt. Das, was man im Laufe der vergangenen Millionen Jahre ängstlich mied – das Verpflanzen menschlicher Gefühle in die künstlichen Herzen der Roboter – trat hier ein. Das ist eine ungeheure Gefahr. Gerade diese Impulse machten die Menschen den Robotern überlegen, jetzt aber schlägt die Waage zum Vorteil der Roboter aus, denn ihr durch Elektronen gelenkter Verstand überflügelt den Menschen. Und nun der Robot, der nach „Hause“ will! Das ist ein außerordentlich schwieriger Fall! Wenn Ryhne nicht fest bleibt, macht der Robot kehrt, läuft zurück und ist für sie verloren. Dann kann es passieren, daß schon nach wenigen Minuten auch die anderen Roboter „nach Hause“ wollen. Wie aber macht er es dieser Maschine begreiflich, daß sie eine Zone durchwandern, die Erinnerungs-Elektronen zum Verlöschen bringt? „Hör mir gut zu, Freund!“ sagt er zu dem Robot. „Du bist kein Mensch, du bist ein Robot! Hast du das kapiert?“ Der Robot lacht. „Ich bin kein Robot!“ widerspricht er. „Aber vielleicht bist du selber einer?“ „Du kannst jetzt nicht nach Hause umkehren“, versucht es Ryhne auf andere Art. „Hinter uns hat man die Straße gesperrt, weil man erst die Minen entfernen will, die in der Erde liegen. In wenigen Tagen ist die Gefahr beseitigt, und wir können alle umkehren. Wir müssen jetzt schnell weitergehen, damit wir nicht von den Explosionen getötet werden.“ 89
Der Robot macht ein erschrockenes Gesicht. „Es ist gut, daß du mir das gesagt hast“, meint er. „Da werde ich lieber noch einige Tage warten …“ Auch den Seelenarzt muß man noch spielen, noch dazu einer Maschine gegenüber, denkt Ryhne resigniert. Wenn der Kerl nicht reagiert hätte, hätte ich ihn auslöschen müssen. „Also weiter!“ ruft er. „Schnell weiter!“ Einmal muß ja auch diese Zone wieder ein Ende haben. Möglichst schnell heraus aus dem Niemandsland, in dem keiner weiß, wer er ist und wozu er da ist! Am Nachmittag schmilzt der Wildfluß zu einem zwischen Felsen und Schründen dahinschäumenden Wildwasser zusammen. Ein schmaler Pfad zwingt die Teilnehmer der Expedition, hintereinander zu gehen. Ist dieser Pfad wirklich auf natürliche Weise entstanden? Steen Ryhne zweifelt daran. Manchmal sehen sie Felsecken, denen man aus der Entfernung ansehen kann, daß sie nicht zu umgehen sind, und daß nunmehr der Marsch sein Ende gefunden hat. Aber immer wieder müssen sie beim Näherkommen feststellen, daß es doch noch eine kleine – wenn auch ganz schmale Lücke gibt, die ein Weiterkommen ermöglicht. Manchmal ist dieser enge Weg durch aufgetürmtes Gestein verschüttet. Und auch an diesen Stellen läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob diese Aufschüttungen durch Menschenhand oder auf natürliche Weise entstanden sind. Zwei an der Spitze schreitende. Roboter, die kein Gepäck tragen, säubern den Weg. Die Felsstücke poltern in die Tiefe und zerkrachen in dem tobenden Wildwasser. Links und rechts, vorn und hinten – überall türmen sich unbesteigbare Wände. Jedes Wort wird erstickt von der Wucht der Gesteinsmassen und klingt fern und undeutlich. Lange, lange sind sie durch den brodelnden Canon gegan90
gen. Und alle atmen befreit auf, als sich die Felsengasse öffnet und ein stilles, von grünen Matten umsäumtes Hochtal sichtbar wird. Und in diesem Augenblick, da die Teilnehmer der Expedition wieder in die Freiheit der Landschaft treten, fällt der Bann des Vergessens von ihnen. Schlagartig setzt ihr Gedächtnis wieder ein. Steen Ryhne spürt es am eigenen Leibe. Er vermag wieder zusammenhängend zu denken und seine Pläne weiter zu entwickeln. Zunächst muß er sich darüber im klaren sein, wie weit er seinen Marsch durchs Gebirge fortsetzt. Sein Verstand arbeitet mit größter Präzision. Solange der Weg gangbar ist, wird er ihn fortsetzen. Er hat das bestimmte Gefühl, daß dieser Weg auch schon von anderen Menschen begangen worden ist, lange vor dieser Zeit.
Liebe Sie haben das von himmelblauen Bergen und Felswänden umschlossene Hochtal hinter sich gelassen. Immer dem Flusse folgend, der hier breit und ruhig durch sein steiniges Bett fließt, gelangen sie zu einem neuen Felsentale. Mit sicherem Instinkt hat Steen die Fortsetzung des schmalen Felsenpfades erkannt. Bald darauf ist die Expedition abermals von allen Seiten durch sich emportürmende Felswände eingeschlossen. Mühsam kämpft sich die Expedition vorwärts. Die beiden Roboter, die ohne Gepäck an der Spitze gehen, haben alle Hände voll zu tun, um den Weg einigermaßen gangbar zu machen. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Ein neues Tal taucht auf. Doch der Anblick, der sich ihnen jetzt bietet, ist geeignet, sie an ihren Plätzen verharren zu lassen. Staunend blicken sie in die Runde. Das Tal hat eine Länge von ungefähr 500 Metern. Gegenüber 91
streckt ein gewaltiger Gletscher seine Eisarme bis in die Geröllregionen und verliert sich in gewaltiger Höhe hinter Bergkuppen, die sich bis in den Vordergrund geschoben haben und den Blick versperren. Dieses Tal scheint ein Endpunkt zu sein. Der Wildbach schäumt milchig aus einem Gletschertor und hat demnach hier seinen Ursprung. So sehr sie sich auch bemühen, eine Fortsetzung ihres bisherigen Weges zu erkennen, will ihnen das nicht gelingen. Überall steigen die Felswände lotrecht empor, und nur neben dem Gletscher läuft ein schmaler Grat, der wie eine Insel aus den Eismassen emporragt. „Ich glaube, wir bleiben am besten hier während der Nacht“, erklärt Steen Ryhne, nachdem er die Gegend eingehend betrachtet hat. „Morgen früh werden wir dann sehen, an welcher Stelle wir weiterkommen. Notfalls müssen wir über die Felsen hinweg.“ Die Roboter reinigen die Almen vom Geröll und beginnen mit der Errichtung der Zelte. „Ich habe den besten und wärmsten Platz für das Zelt ausgesucht“, sagt SAP 19 leise zu Lik Weda. „Du wirst in dieser Nacht gut schlafen.“ „Besten Dank, SAP 19“, erwidert Lik gleichmütig. SAP 19 ist stolz auf diese Tat, und er steht mit strahlendem Gesicht am Eingang, gierig nach einer Anerkennung. Auch dieser Impuls verrät menschliche Züge. Lik Weda beachtet ihn nicht, als sie das Zelt betritt. Sie hat sich der Tatsache, daß die Roboter jetzt menschliche Eigenschaften besitzen, noch völlig verschlossen. Im Zelt verstrahlen einige Photonen ein gedämpftes Licht. Nach Schließung des Photonenkästchens, aus dem die Lichtmoleküle entwichen sind, werden sie sich binnen kurzem von selbst verstrahlen. Wie an jedem Tage, so hat der Robot euch 92
heute das Lager seiner Herrin bereitet. Als sie sich ihrer Kleidung entledigt, um in ihr Nachtgewand zu schlüpfen, kommt der Robot langsam herangeschlendert, um ihr behilflich zu sein. Und plötzlich fühlt sich Lik Weda von hinten umfaßt … Ehe sie sich wehren kann, hat sie ein Unbekannter auf den Rücken geküßt … Sie wendet sich heftig um. Die Arme, die sie umschlungen hielten, lockern sich … Mit einem Schrei des Entsetzens hat sie den Täter erkannt … Es ist SAP 19 … es ist ihr eigener Robot! „Schweig, Lik Weda!“ zischt ihr der Robot zu. Mit einer unerwarteten Bewegung hat er sie unter den Armen gepackt, vom Erdboden aufgehoben und auf ihr Lager geworfen. SAP 19 hat vergessen, daß er nur eine künstliche Schöpfung ist. Er hat jene Impulse in sich auf genommen, die diese Zone bevölkern … „Ich bin die längste Zeit dein Sklave gewesen“, sagt SAP 19 herrisch. Lik Weda stößt einen gellenden Hilferuf aus. In diesem Augenblick wird der Zeltvorhang mit harter Faust beiseite gerissen … Eine hochgewachsene, weißgekleidete Männergestalt … Wie eine Feder wird SAP 19 emporgehoben und krachend zu Boden geschmettert … Der Robot versucht kriechend den Ausgang zu erreichen – da fährt ein dünner Feuerstrahl aus einer blitzenden Strahlenwaffe … Verbranntes, zerschmolzenes Metall … Dort, wo noch vor Sekunden ein Kopf gesessen hat, ist jetzt nichts mehr vorhanden … SAP 19 ist ausgelöscht. Mit weitoffenen Augen hat Lik Weda jede Einzelheit des Geschehens mit angesehen … Der weißgekleidete Eindringling wendet sich um … Lik Weda durchfährt ein Schauer der Freude … „Ir Man Sei!“ flüstert sie. Sie schlägt die Hände vors Gesicht 93
und weint. Die Freude und der Schreck haben sie überwältigt … „Ir Man Sei! Lieber! Ist das ein Traum?“ Der Angesprochene schüttelt lächelnd das Haupt. „Es ist kein Traum, Lik!“ hört sie seine melodische Stimme. „Ich kam zur rechten Zeit, wie mir scheint. Man muß in diesem Lande starke Kräfte besitzen, um nicht den verschiedenen Impulszonen zu erliegen.“ Er hat ihr die Hand gereicht, an der sie sich emporzieht. Nun steht sie vor Ihm, mit lachenden Augen und zerrissenem Gewand. Er nimmt sie in die Arme und küßt sie. „Wir hörten deinen Hilferuf, deinen und den deiner Freundin Hama.“ Sie erschrickt. „Wie, Freund? Auch sie wurde überfallen.“ „Sei unbesorgt! Bi-il-kin ist mit mir gekommen und dürfte die Sache inzwischen erledigt haben.“ „Das ist ja furchtbar, Ir Man Sei.“ „Eure Roboter haben einen Konstruktionsfehler“, erklärt er. „Ich sah es gleich, als ihr bei uns landetet. Die Gefühlselektronen finden einen zu leichten Eingang in ihr Denkzentrum. Dadurch mußte es auf diesem Planeten zur Katastrophe kommen. Gehen wir zu Steen Ryhne, ich habe mit ihm zu sprechen.“ Lik Weda hat sich rasch angekleidet. Mit einem leisen Schauder springt sie am Zeltausgang über den Körper ihres ehemaligen Robots SAP 19. Sie begeben sich zunächst zum Zelt Hamas, in dem sie das gleiche Bild erwartet. Auch RA 124, der Robot Hama Lenns, hat seine Herrin überfallen. Doch im richtigen Augenblick stürmte Bi-il-kin mit seiner Strahlenwaffe ins Zelt. Bi-il-kin, ebenso wie Ir Man Sei ein Riese von Gestalt, machte kurzen Prozeß. Und dem strahlenden Antlitz Hama Lenns ist es anzusehen, daß der Mann aus dem Lande Kirh nicht ohne Gefährtin zu seinem Heimatplaneten zurück94
kehren wird. Stumm umarmen sich die beiden Frauen. Dann gehen sie mit hinüber ins Zelt Steen Ryhnes. Ryhne zeigt über diesen unerwarteten Besuch nicht das erwartete Staunen. „Ich wußte es“, sagt er. „Man hat es mir bereits berichtet.“ „Stan-a?“ fragt Ir Man Sei kurz. „Ja, Freund vom Planeten Kirh. Stan-a sagte mir heute abend, daß ich morgen früh mit dir …“ „Ich weiß es, Steen Ryhne“, winkt Ir Man Sei ab. „Und wie konnte es geschehen, daß du uns fandest?“ „Ich will es dir erzählen, Steen Ryhne“, sagt Ir Man Sei, indem er auf dem weichen Lager im Zelte Platz nimmt. Die anderen folgen diesem Beispiel. Ryhne fragt nicht, wie Lik und Hama in die Gesellschaft dieser beiden prachtvollen Männer des Landes Kirh kommen. Es gibt da noch irgend etwas, über das er noch nicht Bescheid weiß. Er hält es aber für unhöflich, seine Neugierde durch eine direkte Frage offen zu zeigen. „Ich will es dir erzählen … Sofort nach eurem Start kamen mir schwere Bedenken, was euren Plan mit Stan-a anbetraf. Vor allem hatte ich auch Sorge um Lik Weda, meine geliebte Freundin. Ich besprach mit meinem Kameraden Bi-il-kin meine Bedenken, und Bi-il-kin, der sein Herz an Hama Lenn verloren hat, pflichtete mir bei, mit einem schnellen Raumschiff zum Stan-a ins System der Golara zu fliegen. Und nun, meine Freunde, muß ich euch etwas mitteilen, was ihr noch nicht wißt. Als wir uns dem Stan-a näherten, bemerkten wir in der Ferne eure Raumscheibe, die sich mit Lichtgeschwindigkeit vom Stan-a entfernte.“ Steen Ryhne ist erschrocken aufgesprungen. Er denkt daran, wie er in den letzten Tagen versucht hatte, die Verbindung mit dem Raumschiff aufzunehmen. Deshalb also war es nicht möglich gewesen, mit den Robotern zu sprechen? 95
Ryhne ist so bleich geworden wie die Wand seines Zeltes. Das Raumschiff ist fort! Für immer und ewig sind sie nun von der Heimat abgeschnitten. Wie konnte er so leichtsinnig sein, den Robotern die Bewachung der Scheibe anzuvertrauen? „Das ist … das ist … das Ende!“ stöhnt er verzweifelt. Lik und Hama zeigen keine Erschütterung. Was haben sie zu fürchten, wenn Ir Man Sei und Bi-il-kin bei ihnen sind? „Beruhige dich, Steen Ryhne“, fährt Ir Man Sei fort. „Es war gut, daß wir kamen. Und es war noch besser, daß wir das Raumschiff erkannten. Du weißt, wie weit wir es in der Kunst der Entmaterialisierung und des telepathischen Fluges gebracht haben. Wir versetzten uns in eure Raumscheibe und sahen, daß sich nur zwei Roboter darin befanden. Wir befragten sie nach den Angehörigen der Expedition und erhielten von ihnen widersprechende Antworten, die uns sehr verdächtig vorkamen. Endlich erfuhren wir die Wahrheit. Die beiden Roboter wollten sich mit der Scheibe selbständig machen, wollten sich als Menschen ausgeben und einen Raubzug durch die Welt des Ri-in unternehmen. Als wir das erfahren hatten, vernichteten wir sie und lenkten die Raumscheibe in die Nähe der unsrigen, die wir allein im All zurückgelassen hatten. Dann flog ich in unserer eigenen Scheibe weiter und Bi-il-kin lenkte euer Raumschiff hinter mir her …“ Ryhne stößt einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. „Das ist phantastisch!“ sagt er. „Und wo ist die Raumscheibe jetzt?“ „Sie schwebt in einer Höhe von 100 Kilometern über unseren Köpfen. Natürlich war es für uns nicht allzu schwer, euch zu finden. Wir hörten und sahen euch, und so erfuhren wir, was ihr auf diesem Planeten durchmachen mußtet, bevor ihr an euer Ziel gelangen durftet. Es erfüllt uns aber auch mit Bestürzung, 96
daß nicht nur die Menschen den Einflüssen der Konzentrationszonen der Impulselektronen unterworfen waren, sondern auch die Roboter. Es war das, was wir befürchtet hatten, als wir die Roboter eures Planeten zum ersten Male sahen. Die Roboter, die euch verstandesmäßig überlegen waren, wurden durch die Erlangung menschlicher Gefühle überlegene ‚Menschen’. Wenn dies aber in der Zone des Herrschens oder in der Zone der Gewalttaten auftrat, so war euer Schicksal besiegelt. Dazu kam noch, daß wir hier – in der Zone der Liebe und Zuneigung – vor eine Tatsache gestellt wurden, mit der wir – offen gestanden – nicht im entferntesten gerechnet hatten. Wir sahen, wie sich die beiden Roboter unserer Freundinnen auf diesen nächtlichen Gewaltakt vorbereiteten. Um euch von der Richtigkeit unserer Thesen zu überzeugen – es konnte ja immerhin sein, daß ihr uns nicht glauben wolltet –, griffen wir erst ein, als die Roboter ihren Plan verwirklichen wollten. Wir landeten mit unserem Raumschiff auf der Wiese und befreiten Hama Lenn und Lik Weda aus den Händen der Roboter …“ „Was geschah mit den Maschinen?“ erkundigt sich Steen Ryhne mit eiserner Entschlossenheit. Ir Man Sei winkt verächtlich ab. „Sie wurden ausgelöscht“, sagt er. „Du mußt auch die anderen Roboter vernichten, denn sie bedeuten eine dauernde Gefahr für euch. Nun aber zu etwas anderem. Der Herrscher des Stan-a gab mir den Befehl, am morgigen Tage mit dir, Steen Ryhne, sein Zentrum aufzusuchen. Wir werden diesem Befehl Folge leisten.“ „Bist du der Meinung, Ir Man Sei, daß wir Erfolg haben werden?“ „Stan-a ist weise, und alle seine Handlungen werden von der Logik bestimmt. Er kennt weder Rache noch Vorurteile, er kennt weder eine ungerechte Parteilichkeit, noch ist er den Irr97
tümern des menschlichen Geistes unterworfen. Er wird urteilen im Sinne klaren Verstandes und Millionen Jahre alter Erkenntnisse. Dieses Urteil ist unanfechtbar. Er kann euch verwerfen oder euch erheben. Stan-a ist unzerstörbar und unsterblich. Er ist das Meisterwerk einer unbekannten Schöpfung.“ Steen Ryhne erhebt sich unvermittelt und ergreift seine Strahlenwaffe. Ir Man Sei und Bi-il-kin folgen ihm, ohne ihn zu fragen. Als sie ins Freie treten, ist der über ihnen liegende Gletscher von hellen, elektrischen Entladungen beleuchtet, die sich hinter dem vorstehenden Berge zu entwickeln schienen. Ryhne ruft die Roboter nacheinander aus den Zelten. Als sie die Zelte verlassen, blitzt jedesmal die tödliche, zerfressende Strahlenwaffe auf. Die Köpfe der Roboter, der Sitz ihrer VerstandesElektronen, werden zerstrahlt. Steen Ryhne hat mit dieser Aktion eine furchtbare Gefahr für die gesamte Galaxis abgewendet. Mit wenigen Worten hat er die Gefährten aufgeklärt. Diese wundern sich nicht wenig über die Geschehnisse, die sich während ihres Schlafes abgespielt hatten. „Was aber geschieht mit den Millionen Robotern, die noch in der Galaxis existieren?“ fragt Ork Alfa. „Stan-a ist die Verkörperung aller Weisheit und bedenkt jede Möglichkeit“, antwortet Ir Man Sei anstelle Ryhnes. „Stan-a läßt keine Fragen offen.“ Sie müssen sich mit dieser Antwort zufriedengeben. Sie haben auf diesem Planeten eine solche Fülle von Wundern erlebt, daß keine Veranlassung besteht, die Worte Ir Man Seis zu bezweifeln. In weniger als zwei Stunden wird sich der neue Tag ankündigen. Dann werden Steen Ryhne und Ir Man Sei über das Eis des Gletschers gehen. Was dann geschieht, hängt nicht mehr von ihrem Willen ab. 98
Stan-a Die Helligkeit der Blitze, die auf dem Gletscher die Nacht zum Tag wandelte, wird von dem aufziehenden Morgen eingesogen. Die Sonne Golara läßt den Gletscher in grellem Weiß aufleuchten, so daß die Männer geblendet die Augen schließen. Steen Ryhne und Ir Man Sei treten ihren Gang über den Gletscher an. Sie haben sich mit langen Eisenhaken ausgerüstet, die wie Hellebarden aussehen. Außerdem haben sie ihre Schuhe mit Bast umwickelt, was ebenfalls dazu beitragen soll, ihnen auf der glatten Eisfläche einen sicheren Stand zu verleihen. Die zurückbleibenden Männer und Frauen, Bi-il-kin einbegriffen, geben den beiden Davonziehenden das letzte Geleit bis zum Rande des Gletschers. Dort, wo das eisige, milchgrüne Gletscherwasser aus der dunklen Höhlung schäumt, begeben sich Steen Ryhne und Ir Man Sei auf die Eisfläche. Es ist ein beschwerlicher: Marsch. Jedes Schritt verlangt ihre volle Konzentration, und sie können erst dann auf den vor ihnen liegenden Weg und auf ihre Umgebung achten, wenn sie stehengeblieben sind und festen Halt gefunden haben. Wenn sie sich umblicken, sehen sie die Zurückgebliebenen noch immer als winzige Punkte am Rande des Gletschers stehen, vor allem Biil-kin, dessen weiße Kleidung vom Grau des Gerölls absticht. Dann kommt die große Biegung, die sie abermals überrascht stehenbleiben läßt. Das, was bis jetzt durch den davor stehenden Berg verdeckt war, liegt vor ihren Blicken. Der Gletscher setzt sich bis in unendliche Fernen fort. Es ist eher zuwenig geschätzt, wenn sie seinen höchsten Punkt mit einer Höhe von 6000 Metern annehmen. Was dahinter kommt, entzieht sich ihren Blicken. Das kann sie jetzt auch nicht interessieren. Die Worte Stan-as, 99
die ihnen telepathisch übermittelt wurden, enthielten die Angabe, daß sich hinter dem ersten Berge der Eingang zu einer Schlucht befinden solle. Von der Mitte des Gletschers aus haben sie diese Stelle schnell gefunden. Doch als sie die Spalten sehen, die sich auf dem Wege nach dort auftun und die sie wohl oder übel überwältigen müssen, überkommt sie ein gelindes Grausen. Wie sollten sie jemals an den Rand des Gletschers gelangen? Es hat den Anschein, als sei dieser Übergang unmöglich. Sie haben den Rand einer tiefen Spalte erreicht und wandern an dieser entlang. Ir Man Sei hat die Führung übernommen. Dann kommt ein schmaler Übergang, den Ir Man Sei ohne jedes Zaudern überschreite. Der Mann vom Lande Kirh geht auf dem vielfach verschlungenen und gewundenen Pfade voran, als habe er diesen Weg schon hundertmal zurückgelegt. Gehört auch dieser verblüffende Orientierungssinn zu den Wundern des Stan-a? Hat die Beschreibung des Weges, der über das Eis und um die Spalten herumführt, ohne Wissen Ir Man Seis Eingang in sein Gehirn gefunden? Es ist sinnlos, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Der Weg, den Ir Man Sei einschlägt, führt langsam, aber unabwendbar sicher zum Ziele. Die beiden Männer nehmen diese Tatsache mit Verwunderung zur Kenntnis. Für den Uneingeweihten wäre es wohl unmöglich, die Schlucht zu ereichen – vielleicht ist das auch der Gedanke, der die Schöpfer Stan-as bewegte. Sie haben den Eingang der Schlucht gefunden. Ohne sich zu besinnen, setzt Ir Man Sei den Weg fort. Einmal bleibt er stehen und hebt lauschend den Kopf. Die beiden Männer vernehmen ein unterirdisches Grollen, so daß es scheint, als zöge eine kleine Erdbebenwelle unter ihnen hinweg. Nach einer Stunde des Vorwärtstastens sind beide Männer völlig erschöpft. Ihre Hände sind aufgesprungen vom scharf100
kantigen Geröll, das sie beiseite räumen mußten. Sie arbeiten schweigend und mit verbissenem Eifer. Es ist die phantastischste Situation, die Menschen jemals erlebten. Denn sie wissen beide nicht, was sie erwartet, sie wissen beide nicht, ob sie jemals in der Lage sein werden, den Rückweg anzutreten. Und Ir Man Sei, der sich sonst telepathisch leicht über jedes Hindernis hinwegsetzt, hat hier nicht die Kraft dazu. Die Felsen rücken so nahe aneinander, daß sie oben zusammenzustoßen drohen. Ununterbrochen geht es tiefer, ohne daß sie es sonderlich wahrnehmen; Längst befinden sie sich unter der Oberfläche. Sie wundern sich, daß sie noch immer sehen können, denn unter normalen Umständen müßte es jetzt völlig finster sein. Aber es liegt ein eigenartiges, fluoreszierendes Leuchten in der Luft, ein Leuchten, das sich sogar auf die glatten, trockenen Wände der Felsen überträgt. Und dann kommen sie an eine Treppe. Bei Gott – das sind Stufen, von Menschenhand geschaffene Stufen! Es sind die ersten Spuren, die von menschlicher Existenz zeugen. Sie treffen diese Spuren hier, tief im Innern des Hochgebirges. Wie viele Milliarden, wie viele Billionen Tonnen Gestein mögen über ihnen sein? Es ist bedrückend, daran zu denken, daß sie ein tiefes Grab durchwandern und es vielleicht nur eines kleinen, zufälligen Anstoßes bedarf, ihr Leben geräuschlos und spurlos auszulöschen. Ohne ein Wort beginnt Ir Man Sei, die endlose Kette der Stufen hinabzusteigen. Tiefer und tiefer geht es ins Innere des Planeten. Ihre Arme streifen rechts und links die Felsenmauern. Nach ihren Berechnungen müßte es hier unten heiß und stickig sein, aber es ist nicht so. Woher kommt diese Temperatur, woher kommt die Zufuhr frischer Luft? Woher aber – und das ist das Erstaunlichste kommt dieses schwache Leuchten, das ihnen das Weiterkommen ermöglicht? Sie haben ein winziges Rondell erreicht, einen verliesähnli101
chen, runden Raum, der von glattgeschliffenen Felswänden umgrenzt ist. Dieser Raum bildet ein kleines Gewölbe von zwei Metern Höhe. Hier ist es Schluß, endgültig Schluß. Steen Ryhne steht hilflos neben Ir Man Sei und sucht vergebens nach einer Lücke in der Mauer. „Weshalb hat man diese ungeheure Stufenleiter gebaut?“ überlegt Ir Man Sei laut. „Ohne Grund wird man wohl kaum ein Bauwerk errichten, zu dessen Fertigstellung es vieler Generationen bedarf. Diese Gewölbetreppe ist enorm. Und ich bin der Meinung, daß es noch nicht zu Ende ist mit den erstaunlichen Dingen, die wir auf diesem Planeten erleben.“ Mit konzentrierter Bedachtsamkeit tastet er die Wand Zentimeter um Zentimeter ab. Er versäumt auch nicht, in dem losen Geröll zu wühlen, das den Boden bedeckt. Steen Ryhne hilft ihm dabei, ohne von der Zweckmäßigkeit dieser Beschäftigung überzeugt zu sein. „Wie hoch mögen diese Steine aufgeschüttet sein?“ fragt Ir Man Sei. „Und aus welchem Grunde?“ „Vielleicht sind es jene Steine, die übrigblieben, als man das Gewölbe baute?“ meint Steen Ryhne. „Dann hätte man sie hinausgeschafft“, wendet Ir Man Sei ein. „Man hat mit diesen Steinen etwas verbergen wollen. Man hat mit ihnen etwas verdeckt. Machen wir einen Versuch!“ Nach einer halben Stunde schweigender Arbeit zeigt sich in der Felsenmauer, die sie nach unten hin freigelegt haben, ein Loch, das sich bald darauf als Durchgang erweist. Furchtlos steckt Ir Man Sei seinen Kopf hinein. Und wieder ist das schwache Leuchten zu sehen, das die Fortsetzung ihres Weges erhellt. Ein Gang … er endet im Nichts … Ir Man Sei drückt gegen die Steine, als erwarte er, daß sie unter seinen Händen nachgeben … 102
Er hat richtig vermutet. Geräuschlos weicht eine Felsenplatte beiseite, die sich in steinernen Angeln bewegt … Und nach langem, bangem Starren stehen sie noch immer wie angewurzelt am gleichen Platze … Das, was sie sehen, ist so ungeheuerlich, daß es ihnen die Sprache verschlägt. Selbst Ir Man Sei, der Bewohner eines Landes mit extrem entwickelter Technik, wird von heftiger Erregung ergriffen, als er diese Wunderwerke erblickt, die jede Vorstellung übertreffen. Ein strahlend helles Gewölbe von ungefähr 80 Meter Höhe … Die Länge und Breite dieses Gewölbes ist nicht festzustellen, da es hier einen Horizont gibt. Ein Horizont unter der Oberfläche das ist unfaßbar! Das ist keine Höhle mehr, das ist kein Land, kein Bereich mit bestimmten Abmessungen – das ist eine Welt! Was aber das Entsetzenerregende an dem allen ist, das ist die Tatsache, daß dieses unabsehbare, unterirdische, von Gewölben überdachte Land mit Maschinen angefüllt ist, die sämtlich arbeiten. Diese Maschinen bewegen sich mit unheimlicher Langsamkeit, sie greifen ohne Geräusch ineinander über und bilden damit ein einziges, geschlossenes Ganzes, in dem kein Glied fehlt. Es gibt viele von Menschen erfundene, von Menschen gebaute und von Menschen benutzte Maschinen. Sie alle haben ihren Sinn und Zweck, sie sind dazu bestimmt, materielle Güter zu schaffen und zu formen. Die Menschen benutzen die Maschine, um Zeit und Kraft zu gewinnen, um ihre physischen Kräfte zu vervielfachen. Maschinen, die den Geist ersetzen – welche Maschine könnte diese Begriffe formen? Vor Millionen Jahren lebten Geschöpfe, die Geist in Materie verwandelten, die die Ur-Elektronen der Weisheit ins Physikalische übertrugen. Diese Geschöpfe waren die Erbauer Stan-as. Sie wagten sich an eine Aufgabe, die alles menschliche Be103
griffsvermögen überstieg. Sie formten den Geist in Gestalt einer Maschine. Ir Man Sei ist vorsichtig näher getreten, Steen Ryhne folgt nur zögernd, mit blassem Antlitz und mit verhaltener Furcht. Der Abkömmling aus dem Lande der Sonne Lee beugt sich über das gleißende Metall, und jetzt hat es auch Steen Ryhne erkannt: dieses unterirdische Reich ist aus purem Gold! Jeder Einzelteil, jeder Sockel, jede Schraube, jedes Rad, jeder Kolben, jede Welle, jedes Zahnrad – alles besteht aus Gold! Bis zum Horizont, bis dorthin, wo das Auge seine Kraft verliert – alles, alles ist Gold! Und mit einem Male flammt über dieser Wunderwelt ein hellblauer Blitz auf. So hell und so grell ist dieses Licht, daß die beiden menschlichen Eindringlinge entsetzt die Hände vor ihr Antlitz und vor ihre gelähmten Augen schlagen und mit dem Gefühl völliger Hilflosigkeit zu Boden sinken. Sie liegen mit ihren Stirnen auf dem goldenen Boden und haben nichts mehr zu verlieren als ihr winziges Leben, das ihnen Staub dünkt gegenüber der Macht Stan-as. Unauslöschlich gräbt sich eine Stimme in ihre Herzen. „Sterbliches Geschöpf aus der fernen Sternenwelt der Galaxis! Steen Ryhne, der du die weite Reise tatest im Vertrauen auf die Weisheit Stan-as! Vernimm, was Stan-a verkündet! Die Völker der Galaxis sollen weiterleben wie bisher! Doch nur das neue Leben wird solcherart erblühen, denn das alte ist morsch und ohne Wert für das All. Seid weise und rottet aus, was Gefahr birgt. Wehe euch, wenn die von euch geschaffenen Abbilder die Oberhand gewinnen. Stan-a hat diese Gefahr über Weltenfernen hinweg erkannt und abgewendet. Von diesem Augenblick an werden die Impulsmagneten euer Gebiet verschonen. Das ist es, was euch Stan-a, der Inbegriff der Weisheit, zu befolgen aufgibt.“ 104
Die beiden Männer liegen noch auf dem Boden. Wer war es, der zu ihnen gesprochen hat? War es jene ungeheuerliche Maschinerie, die ihre telepathischen Strahlen aussandte, so daß sie den beiden Menschen als Stimme erschienen? Gehört eine solche gigantische, unabsehbare Maschinenwelt dazu, den Geist eines einzigen Menschen zu erzeugen und anzuwenden? Welches Wunderwerk der Schöpfung ist dann der Mensch selbst, der alle diese Kräfte in einem einzigen Körper vereinigt? Das Räderwerk rollt weiter, im gleichen monotonen, durch nichts unterbrochenen Tempo, es rollt Jahrhunderte, Jahrtausende und Jahrmillionen. Es ist unvergänglich wie das All selbst. Nichts vermag dieses Gleichmaß aufzuhalten. Und hellblaue Entladungen zucken durch diese Unterwelt, durchdringen die Tausende von Metern dicken Gesteinsmassen, die mit ihren Milliarden Tonnen darüberliegen, und erscheinen auf der Oberfläche des Planeten als Wetterleuchten. Zum zweiten Male erfüllt Stan-as Stimme den Raum. „Ir Man Sei, Vertrauter Ti-eb Lees aus dem Lande Kirh! 50 107 mal hat der Planet Kirh die Sonne Lee umkreist, seit Ti-eb Lee der Weisheit Stan-as gehorchte. Von diesem Tage an wird das System der Sonne Lee frei sein von aller Kontrolle und Beaufsichtigung. Geh hin und sage Ti-eb Lee, daß er als Würdiger aufgenommen sei in die Zahl der rechtmäßigen Völker Riins.“ Die ungeheure Maschinerie Stan-as rollt mit entnervender Gleichmäßigkeit. Nichts gibt es, was sie aufzuhalten vermag. Sie speist sich selbst aus eigener Kraft – das Märchen vom Perpetuum mobile hat seine Erfüllung gefunden. Die Worte Stan-as sind verklungen. Nur noch das Rauschen und Raunen unsagbar vieler Maschinen ist zu hören, ein Geräusch, das wie das Nachschleifen eines lahmen Fußes klingt. Als die Männer nach einer langen Pause des Wartens die Köpfe heben, liegt die goldene Unendlichkeit der Maschinen in 105
jenem hellen Tageslicht, das sie schon bei Eintritt in diesen Raum in Erstaunen setzte. Aber es wundert sie jetzt nichts mehr. Anlagen von solcher Vollkommenheit enthalten wahrscheinlich auch automatische Photonen-Erzeugsmaschinen – das dürfte wohl das kleinste der Probleme sein. Die hellblauen Elektronenblitze, die während der Aktion Stan-as ihre Augen blendeten, sind verglommen. Langsam erheben sich die beiden Männer und schreiten rückwärts zu jener Felsspalte, die den Zugang zu dieser unterirdischen Welt versperrte. Doch bevor sie sich nach draußen in die Dunkelheit jener Welt begeben, in der sie zu leben gezwungen sind, verbeugen sie sich noch einmal tief und ehrfürchtig vor einer unbekannten, rätselhaften Macht. Sie drängen sich durch den engen Eingang. Und in dem Augenblick, da sie beide den dunklen Gang ereicht haben, bewegt sich die schwere Felsentür wie durch Geisterhand und schließt sich fauchend. Die beiden Männer sehen sich an. Ir Man Sei tastet mit der Hand an die Tür, um zu versuchen, sie zu bewegen. Sie liegt so glatt in ihren Fugen, daß noch nicht einmal eine Messerspitze in diese einzudringen vermag. Und sie ist verschlossen, hermetisch verschlossen. Ein nachträglicher Schauer überfliegt Steen Ryhne, wenn er daran denkt, daß sich diese Tür geschlossen haben könnte, als sie noch im Innern jener unterirdischen Welt waren. Keine Macht der Erde wäre imstande, diese Tür mit Gewalt zu öffnen. Sie hätten inmitten goldener Schätze einen elenden Tod gefunden. Doch dann kommt es ihnen wieder zum Bewußtsein, daß es bei diesem überdimensionalen Mechanismus kein Versagen gibt, keine Irrtümer, kein Versehen. Die genialen Schöpfer Stan-as haben jede Möglichkeit bedacht, sie haben Millionen Jahre gebraucht, um nur den Entwurf fertigzustellen. 106
700 Planeten werden von Stan-a beherrscht. Seit undenkbaren Zeiten erblühen diese Planeten im Wohlstand und beherrschen den ungeheuren Raum Golaras. Doch Stan-as Wissen beschränkt sich nicht nur auf den Raum Golaras, er greift über in die Weiten des Alls und dehnt sich auf Millionen Lichtjahre aus. Ir Man Sei und Steen Ryhne verständigen sich durch einen kurzen Blick. Sie schreiten durch den langen, verwinkelten Gang, der sie zu dem Loch führt, das mit losem Geröll zugeschüttet war. Wieder liegt ein schwaches Leuchten in der Luft und an den Felswänden, so daß sie, ohne anzustoßen, durch die Gänge gehen können. Als sich Steen Ryhne einmal umdreht, liegt alles das, was sie soeben durchschritten haben, in tiefer Dunkelheit. Die Leuchtmoleküle sind in dem Augenblick erloschen, als sie den Männern ihren Dienst getan haben. Wunder über Wunder! Sie kriechen durch das Loch und schütten die Steine wieder auf. Es wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen wegzugehen, ohne Ordnung geschafft zu haben. Dann begeben sie sich auf die steile Stufentreppe. Manchmal müssen sie innehalten, um ihre heftig schlagenden Herzen zu beruhigen, die durch das unendliche Steigen überanstrengt wurden. Erst jetzt kommt es ihnen zum Bewußtsein, wie tief sie nach unten geklettert waren. Keiner der beiden kann sich daran erinnern, daß die in den Fels gehauene Treppe eine solche Länge hatte. Sind Stunden vergangen, Tage, seitdem sie keuchend die Oberwelt zu erreichen versuchen? An jeder Rundung des engen Weges glauben sie erneut, daß es die letzte sei, aber immer wieder türmen sich neue Höhen vor ihnen auf. Endlich haben sie die Schlucht erreicht, die zum Gletscher führt. Und auch hier wundern sie sich über die Länge des Weges. Biegung reiht sich an Biegung, und immer steigt der Weg 107
an. Tausende von Metern steigt er an. Wie hat man die unübersehbaren Maschinenkolosse in diese Tiefe gebracht? Rätsel über Rätsel! Doch auch die Schlucht findet ihr Ende. Als sie den Gletscher vor sich liegen sehen, atmen sie tief und befreit auf. Ir Man Sei zeigt zur Sonne – sie steht am gleichen Punkte, an dem sie stand, als sie die Wunderwelt des Stan-a betraten. So haben sie also einen ganzen Tag und eine ganze Nacht im Felsenlabyrinth des Stan-a zugebracht! Wie schnell ist ihnen doch diese Zeit vergangen! Sie finden den verschlungenen Weg, der durch das Gewirr der Gletscherspalten führt. Auch ihre Eisenhaken stehen am Rande des Gletschers. Sie schreiten hastig aus, um möglichst schnell bei den Gefährten zu sein, ehe diese vielleicht aus Sorge um ihr langes Wegbleiben mit einer Suchaktion beginnen. Wie sehr täuschen sie sich trotz allem Vergangenen doch in der allumfassenden Weisheit Stan-as! Sie sollen es sogleich erfahren. Der Weg führt bergab. Laufend und rutschend bewältigen sie das letzte Stück. Als sie die Biegung des vorstehenden Berges hinter sich gebracht haben, sehen sie das Zeltlager. Einige der Gefährten haben sie erkannt. Sie winken. Dann kommen sie ihnen entgegen. Am Rande des Gletschers treffen sie mit ihnen zusammen. * Da stehen sie alle am Rande des Gletschers mit fragenden Blicken und wißbegierigen Mienen. Da stehen sie: Ork Alfa, Felke Yern, Innsa Broon, Tys Terhel, die beiden Frauen Lik Weda und Hama Lenn – und nicht zuletzt die weißgekleidete Gestalt Bi-il-kins. 108
„Ihr werdet in großer Sorge gewesen sein“, sagt Steen Ryhne. „Aber wir konnten nicht eher kommen.“ Die Angesprochenen weichen zurück, als habe ein Fremder in einer fremden Sprache zu ihnen gesprochen. Felke Yern antwortet als erster. „Soll das ein Witz sein?“ fragt er. „Ihr seid ja vor knapp fünf Minuten erst gegangen.“ Ir Man Sei und Steen Ryhne sehen sich erschüttert an. Dann nickt der hochgewachsene Mann aus dem Lande Kirh einige Male bedächtig mit dem Kopfe. Er wendet sich an Bi-il-kin und richtet einige fragende Worte in der Sprache seines Volkes an ihn. Bi-il-kin antwortet, doch keiner kann die Sprache verstehen. In der Zwischenzeit hat auch Steen Ryhne seine Fassung wiedergefunden. „Was soll ich davon halten, Felke? Was hast du da gesagt?“ Felke Yern zuckt die Schultern. „Was meinst du, Steen Ryhne? Ich sagte, daß ihr ja soeben erst weggegangen seid, denn die fünf oder zehn Minuten kann man ja nicht rechnen … Habt ihr etwas vergessen?“ „Wir haben nichts vergessen“, mengt sich jetzt Ir Man Sei in die Unterhaltung. „Das einzige, was wir vergessen haben, ist die Tatsache, daß Stan-a allmächtig ist. Wir haben unsere Aufgabe erfüllt und gelöst. Und wir haben nach unserem eigenen, kleinen und beschränkten Wissen einen ganzen Tag und eine ganze Nacht damit verbracht. Diese Zeit aber gab uns Stan-a zurück. Stan-a ist zeitlos, Freunde! Stan-a beweist uns, daß es den Begriff der Zeit nicht gibt. Wir glaubten, den Ablauf eines Tages und einer Nacht hinter uns gebracht zu haben, und bei euch vergingen nur fünf Minuten. Vom Zeitpunkt unseres Verschwindens an blieb für uns die Zeit stehen. Die lange Zeit, die wir im Bereiche Stan-as verlebten, sollte für unser Leben unberücksichtigt bleiben.“ 109
„Das ist die einzige mögliche Erklärung“, sagt auch Steen Ryhne. „Wir haben unendlich viel erlebt, so viel, daß es für ein ganzes Leben ausreichen und ein ganzes Leben ausfüllen könnte. Aber wir erlebten es in einer Art Unterbewußtsein, so daß wir jetzt nicht einmal zu sagen vermögen: war alles Materie, was wir sahen – oder war alles Traum?“ Steen Ryhnes Blicke fallen auf die riesige Raumscheibe der Galaktischen Union, neben der sich das Flugschiff aus dem Lande Kirh recht klein ausnimmt. Bi-il-kin hat die Raumscheibe gleich nach dem Weggange der beiden Männer aus den Wolken geholt. Mit atemloser Spannung vernehmen die Zurückgebliebenen, im großen Gesellschaftsraum der Scheibe vom Karand sitzend, die Erzählung Steen Ryhnes. Doch dabei erleben sie ein neues, unfaßbares Wunder … „Wir gingen also von euch weg, den steilen Gletscher hinan, und hatten euch schon nach kurzer Zeit aus den Augen verloren“, beginnt Steen Ryhne. „Wir wußten ja, wohin wir uns zu wenden hatten, denn Stan-a hatte uns telepathisch eine genaue Wegbeschreibung mitgegeben. Der Gletscher war weiter oben voll tückischer Spalten, und es erscheint mir noch jetzt ein Wunder, wie wir dieses schwierige Stück so leicht bewältigen konnten. Ich glaube jetzt sogar daran, daß Ir Man Sei, der vorausging, von Stan-a den Instinkt für die richtige Erfassung dieses komplizierten Weges erhielt. Wir hatten also den Gletscher glücklich überschritten und atmeten erleichtert auf, als wir wieder festen Boden unter den Füßen fühlten. Und dann … und dann …“ Steen Ryhne hat die Stirn nachdenklich in Falten gezogen und bemüht sich krampfhaft um eine Fortsetzung seines Berichtes. Es ist totenstill. Alle sehen erstaunt auf Steen Ryhne, von dem sie eine solche Stockung nicht erwartet hätten. Kleine 110
Schweißperlen sind auf die Stirn Ryhnes getreten, ein Zeichen der geistigen Anstrengung, die ihm das Zurückholen des Erlebten in sein Gedächtnis verursacht. Mit einer fast hilflosen Geste wendet er sich an Ir Man Sei. „Erzähle du es weiter!“ Ir Man Sei setzt an, um zu sprechen, doch irgendein Hindernis hat sich seinen Worten in den Weg gestellt. Die Blicke der Gefährten hängen an seinem Munde, und wenn es nicht die beiden achtunggebietenden Gestalten Ryhnes und Ir Man Seis gewesen wären, hätte in diesen Blicken wohl einiges Mißtrauen gelegen. „Freunde!“ meint endlich Ir Man Sei langsam und betont. „Wir wollen uns keine Mühe mehr geben, das Geschehene in unser Gedächtnis zurückzuholen. Alles, was wir erlebten und was uns widerfuhr, ist in unseren Hirnen ausgelöscht, wie auch Stan-a die Zeit verlöschte, die wir verrinnen zu sehen glaubten. Das einzige, was mein Wissen behielt, sind die Worte Stan-as, die er uns mit auf den Weg gab.“ Steen Ryhne nickt ihm bestätigend zu. „Es ist so, wie du sagst, Ir Man Sei. Stan-a ist der Inbegriff aller Weisheit, ich hätte so etwas niemals für möglich gehalten. Doch die Worte Stan-as kann ich euch sagen, als läse ich sie von einem Schriftstück ab. So will ich euch sagen, Freunde, daß die Völker der Galaxis ihr Leben weiterleben sollen, wie sie es einstmals gewohnt waren. Von diesem Augenblick an werden die Impulsmagneten ausgeschaltet sein. Aber wir werden die alten Impulse, die uns entflohen sind, nicht mehr wiedererhalten. Nur das neue Leben, das in der Galaxis ersteht, wird die alten und gehabten Eigenschaften und Leidenschaften haben. Stan-a ist bedacht auf die Erhaltung einer wertvollen Rasse. Dann aber gab uns Stan-a noch eine Warnung mit auf den Weg: wehe euch, wenn die von euch geschaffenen Abbilder die 111
Oberhand gewinnen! Über diesen Ausspruch muß ich noch nachdenken, Freunde, denn er ist mir noch nicht ganz verständlich …“ „Ich verstehe ihn“, wendet sich Ir Man Sei an Steen Ryhne. „Die von euch geschaffenen Abbilder sind die Roboter. Wenn Stan-a die euch entzogenen Impulse wieder in euer System zurückwandern ließe, so wäre es unvermeidbar, daß diese auch von den Robotern aufgefangen würden. Stan-a hat in seiner Weisheit auch diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Deshalb kann er das Geschehen nicht mehr rückgängig machen, sondern hat sich nur darauf beschränkt, dem neuerstehenden Leben keine Impulselektronen mehr zu entziehen. Ich habe die Gefahr, die ihr euch mit euren Robotern selbst geschaffen habt, sofort erkannt. Wenn du auf dem Rückflug in die Heimat auf dem Kirh landest, werden wir dir zeigen, wie ihr eure Roboter in Zukunft zu bauen habt …“ „Ich danke dir, Ir Man Sei“, entgegnete Steen Ryhne. „So ist jetzt alles geklärt, und wir haben keine Frage mehr zu stellen. Was schlägst du vor, Freund, was soll jetzt geschehen?“ Ir Man Sei und Lik Weda wechselten einen raschen, verstehenden Blick. „So schlage ich vor“, meint Ir Man Sei, „daß wir jetzt, da unsere Mission auf dem Stan-a beendet ist, zum Kirh zurückkehren. Der Stan-a ist ein Planet, der nicht geeignet ist zu langem Aufenthalt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich euch mitteilen, meine Freunde, daß eure ehemalige Gefährtin Lik Weda von diesem Augenblick an eine Tochter des Landes Kirh ist. Sie wird mit der Erlaubnis unseres erhabenen Fürsten Ti-eb Lee an meiner Seite ins Land Kirh zurückkehren.“ Staunend haben die Männer des Karand diese Mitteilung vernommen. Nur Steen Ryhne wundert sich nicht. Er reicht Ir Man Sei und Lik Weda zum Glückwunsch die Hand. 112
„Ich hoffe, daß du auf dem Planeten Kirh eine neue und schöne Heimat findest!“ sagt er zu Lik, in deren Augen Tränen schimmern. „Wir Menschen der Galaktischen Union sind glücklich und fühlen uns geehrt durch diese neue Verwandtschaft.“ „So wird diese Verwandtschaft gleich doppelt gefestigt sein“, erklärt nun auch Bi-il-kin, der eine kleine Verlegenheit nicht ganz verbergen kann, „ich möchte euch mitteilen, liebe Freunde, daß ich mich mit Hama Lenn im gleichen Sinne ausgesprochen habe. Auch Hama Lenn wird mit der Erlaubnis unseres erhabenen Fürsten Ti-eb Lee zu den Töchtern des Kirh gehören.“ Lange Zeit blickt Steen Rhyne sinnend vor sich nieder. Dann hebt er das Haupt und blickt mit seinen strahlenden, blauen Augen in die Runde. „Ihr habt gut und glücklich gewählt, meine Freundinnen“, sagt er endlich mit einem Unterton der Resignation. „Nach allem, was wir von Stan-a erfuhren, hätte sich euer Schicksal trotz des Erfolges unserer Expedition nicht zum Besseren gewandt. Denn unser Erfolg betrifft nur die neue Generation, so daß ihr zu denjenigen unserer Mitmenschen gezählt hättet, die in Zukunft ihr Los mit Würde tragen müssen. So hat unter den heute Lebenden wenigstens euch diese Reise das große Glück gebracht.“ Ohne Hilfe der Roboter bauen sie die Zelte ab. Dank der Fähigkeiten Ir Man Seis und Bi-il-kins haben sie es nicht nötig, den langen Weg noch einmal zu gehen. Schon eine Stunde später steigen die Raumschiffe in den tiefblauen Äther und treten die Fahrt durch den Sternenraum der Golara an. Und diesmal ist es nichts, was sich ihnen in den Weg stellt. Unbehelligt verlassen sie das System der Sonne Golara und des „denkenden“ Planeten Stan-a und erreichen in kurzen Hyperdrives das System der Sonne Lee. 113
* Fürst Ti-eb Lee, der Beherrscher des Landes Kirh und Beschützer des Systems Lee, wartet mit steinerner Ruhe auf das, was ihm Ir Man Sei, sein Freund und Vertrauter, mitzuteilen hat. Der Mann im silberweißen Bart hat sogleich erkannt, daß es wichtige Dinge sind, die die Heimkehrer bewegen. Er kennt Ir Man Sei zu gut, als daß er nicht wüßte, daß sich dieser nicht so leicht aus der Fassung bringen läßt. Hier aber scheint ein besonderer Fall vorzuliegen. „Stan-a hat zu mir gesprochen, erhabener Fürst“, berichtet Ir Man Sei. „Frage mich nicht, wie ich zu Stan-a gelangte, erhabener Fürst! Die allumfassende Weisheit Stan-as ließ mich den Weg vergessen, der zu ihm führte.“ Ti-eb Lee senkt verstehend das ehrwürdige Haupt. „Wir wissen es, Freund“, sagt er mit tiefer Stimme. „Wir wissen es um so mehr, als Wir selbst seit mehr als 50 000 Umläufen unserer Sonne Lee bemüht sind, Unser Gedächtnis zu erforschen. Doch können auch Wir Uns nicht mehr an die damaligen Zusammenhänge und Einzelheiten erinnern. Sprich weiter, Freund Ir Man Sei!“ „50 107 mal hat unser Planet seit damals die Sonne Lee umkreist“, fährt Ir Man Sei fort. „Seit damals habest du, erhabener Fürst, der Weisheit Stan-as gehorcht. Vom heutigen Tage an, erhabener Fürst, wird das System der Sonne Lee frei sein von Kontrolle und Beaufsichtigung. Wörtlich sagte Stan-a zu mir: Geh hin und sage Ti-eb Lee, daß er als Würdiger aufgenommen sei in die Zahl der rechtmäßigen Völker Ri-ins! Das ist es, erhabener Fürst, was ich dir mitzuteilen habe.“ Ti-eb Lee, Fürst des Landes Kirh, hat beide Hände in die Lehnen seines Sessels verkrampft. Schwer atmend, fassungslos 114
die Lippen bewegend – so zieht es den uralten Mann jetzt von seinem Sitze empor. Tränen rollen über das zerfaltete Antlitz, Tränen der Freude, die sein Inneres bewegt. „Es waren die Sorge und der Schmerz Unseres langen Lebens“, sagt er schluchzend. „Die Völker Lees waren die Ausgestoßenen im gewaltigen Reiche Riins. Der unselige Krieg, das grausame Werk Unseres damaligen Angriffs auf die Völker Golaras – das war es, was Uns unverzeihlich und unvergeben schien. Es war die schwere Last, die Wir zu tragen hatten. Das Mädchen, das mit aller seiner Schönheit aus einem fernen System zu uns gelangte, war vom Schicksal auserkoren, dich, mein Sohn Ir Man Sei, zu deiner todesmutigen und entschlossenen Fahrt zum Stan-a zu bewegen. Diesem Mädchen gebührt der Dank eines ganzen Sternensystems. Nun können wir unseren Blick wieder frei erheben zu allen Völkern Ri-ins, als Freie unter Freien, als Geachtete unter Geachteten, als Gleiche unter Gleichen! Dank sei Stan-a, dem Alleswissenden und Allesbedenkenden! Dank sei aber auch dir, mein Sohn Ir Man Sei, der du diesen Tag zum glücklichsten meines langen Lebens machtest! Geh hin, Ir Man Sei, und rüste ein Fest, wie es das Land Kirh noch niemals sah! Rüste dieses Fest zu deiner Hochzeit mit Lik Weda, dem traumschönen Mädchen aus der galaktischen Ferne! Das ganze Volk des Kirh und alle Planeten, die die Sonne Lee bescheint, sollen teilhaben an diesem heutigen Glück! Wir sind frei, endlich frei, Ir Man Sei! Wir haben nicht umsonst gelebt!“
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Den Jubiläumsband, Utopia-Zukunftsroman Nr. 175 dürfen Sie nicht versäumen. Er bringt
Die Zeitpatrouille Dr. Stachwitz stirbt zweimal, von W. W. Shols die spannende Aufklärung eines Spionagefalles. Tatzeugen, die dem Opfer eines Mordanschlages nicht helfen können, ein Unschuldiger, der einen Mord begeht, ein Raumschiff, das sich verdoppelt – ja sogar verdreifacht, obwohl es nur einmal gebaut wurde. All diese Überraschungen hält der Utopia-Jubiläumsband für Sie bereit. Lesen Sie deshalb in der nächsten Woche
UTOPIA-Zukunftsroman 175: Die Zeitpatrouille
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. Mitglied des Remagener Kreises e. V. Einzelpreis 0,60 DM. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 7. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alieinauslieferung für Österreich: Verbik & Pabel KG., Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Scan by Brrazo 12/2011 L: Ge/B: Ge.
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HARRY F. HEIDE
UTOPIASternenatlas Kartenwerk des nördlichen Sternenhimmels
ERICH PABEL VERLAG. RASTATT (BADEN) Mitglied des Remagener Kreises e. V*
ZUR EINLEITUNG Das Kartenwerk des nördlichen Sternenhimmel soll unseren UTOPIA-Lesern ein Helfer in der Astronomie sein. In handlicher Form bietet es eine reiche Fülle aller mit dem unbewaffneten Auge sichtbaren stellaren Objekte und darüber hinaus noch einige interessante Einzelheiten, die nur mit optischen Hilfsmitteln, wie ein starker Feldstecher oder ein kleines Fernrohr, erreichbar sind. Viele Freunde aus der Lesergemeinde utopischer Geschichten sind erst durch UTOPIA zur Astronomie gekommen und haben dieser Wissenschaft ein reges Interesse abgewonnen. Mancher unter uns besitzt sicherlich eine drehbare Sternkarte und einen der verschiedenen, alljährlich erscheinenden Himmelskalender. Oft ist sogar ein Instrument vorhanden. Irgendwann aber kommt einmal der Zeitpunkt, wo sein Interesse über die kleine Sternkarte hinauswächst. Er fragt nach mehr Einzelheiten, die in jenen Karten meist nicht enthalten sind. Hier soll unser Sternenatlas einspringen. Gewiß vermag er in keiner Weise die großen, genauen und ausführlichen Atlanten, wie der Fachmann sie benutzt und zur Verfügung hat, ersetzen. Unser UTOPIA-STERNENATLAS hat sich dies auch gar nicht zum Ziel gesetzt, er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit nach irgendeiner Richtung oder absolute wissenschaftliche Exaktheit. Das durch die kleine Ausführung der Karten gewählte Format – bedingt durch den Satzspiegel unserer Serien – läßt eine völlige Genauigkeit ohnehin nicht zu. Außerdem wäre es unklug, den heranwachsenden Sternfreund durch eine allzugroße Fülle von Einzelheiten und Daten zu verwirren. Das Kartenwerk soll für jedermann zugänglich sein, der auch nur einigermaßen ernsthaftes Interesse an der Sternkunde besitzt. Es soll helfen, die auffälligsten und interessantesten Himmelsob-
jekte zu identifizieren. Anhand der vielen Angaben über Doppelsterne, Veränderliche Sterne, Sternhaufen und Nebel soll der Sternfreund dergestalt geleitet und behutsam geführt werden, daß er vom bloßen „Ansehen“ der Sterne zum mehr oder minder gewissenhaften Beobachter herangebildet wird, der seine verschiedenen Beobachtungen aufzeichnet, vergleicht, ganze Beobachtungsreihen durchführt und – wenn möglich – auswertet, soweit dies in seinen Kräften steht. Wenn das vorliegende Werk dieses Ziel in auch nur einigen Fällen erreichen hilft, dann hat es seinen bescheidenen Zweck vollauf erfüllt. Der Verfasser
Anleitung zum Gebrauch des UTOPIA-STERNENATLAS Das Gesamtwerk gliedert sich in den Kartenteil (15 Einzelkarten) und die Objektliste. Der Kartenteil ist in drei Hauptabschnitte eingeteilt. Der erste Hauptabschnitt – die Karten I – III – zeigt jene Sternbilder, die für einen in Deutschland verhältnismäßig zentral gelegenen Punkt – in 50° nördlicher Breite – niemals untergehen. Auf dem 50. Breitengrad liegt etwa die Stadt Frankfurt a. M. Jene Sterne, die auf ihrer scheinbaren Kreisbahn um den Himmelspol nicht mehr unter den Horizont tauchen, nennt man in der Astronomie die Zone der circumpolaren*) Sternbilder. Zu ihr gehören alle Sterne, die vom Himmelspol nicht weiter entfernt sind als der Nordpunkt des Horizontes, d. h., jener Punkt, den man festlegt, indem man vom Polarstern aus eine Gerade senkrecht herunterzieht. Natürlich sind für den Leser in Schleswig-Holstein weitaus mehr Sterne circumpolar, als für den Beobachter in Oberbayern. Durch die nördlichen Teile Schleswig-Holsteins läuft der 55. Breitengrad, während Oberbayern etwa bei 48° nördlicher Breite liegt. Infolgedessen muß der norddeutsche Leser der Circumpolar-Sphäre 5° hinzurechnen, während der süddeutsche Sternfreund 2° abzuziehen hat. Der zweite Hauptabschnitt der Karten umfaßt die Himmelszone zwischen dem Äquator und der Circumpolar-Sphäre, und der dritte Abschnitt schließlich die Äquatorzone und die südlich davon gelegenen Bilder, welche eigentlich schon zur südlichen Himmelskugel gehören, aber bei uns noch über dem Horizont stehen und somit noch gesehen werden können. Alle Karten sind mit einem Koordinatennetz versehen. Dieses dient zur Ortsbestimmung eines Sternes an der Himmelsku-
gel. Da sind zunächst die Stunden- oder Meridiankreise, jene Linien, die sich senkrecht durch die Karten ziehen und sich alle im Pol zu einem einzigen Punkt vereinigen. Die Zählung dieser Stundenkreise läuft auf dem Äquator, und zwar im entgegengesetzten Sinne des Uhrzeigers. Der volle Kreis des Äquators umspannt den gesamten Himmel und ist in 24 Stunden eingeteilt, beginnend bei 0.00 Uhr. Eine Stunde umfaßt drei Meridiankreise in den Karten ein Meridiankreis entspricht 20 Minuten, und dieser Abschnitt ist – wenigstens in Äquatornähe – wiederum viermal unterteilt, so daß hier die Genauigkeit der Ablesung 5 Minuten beträgt. Je weiter man aber zum Pol kommt, um so grober mußte die Teilung ausfallen, da sich alle Kreise ständig nähern und schließlich ineinanderfließen. Diese Zählung in Stunden nennt man in der Astronomie die Rektaszension abgekürzt AR. Die Rektaszension an der Himmelskugel entspricht auf der Erde den Längengraden.
*) siehe auch UTOPIA-MAGAZIN, Nr. 3, Artikel RUND UM DIE HIMMELSKUGEL