Nr. 362
Der Drachenkrieg Computer außer Kontrolle von H. G. Francis
Pthor, der Kontinent des Schreckens, der dank Atl...
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Nr. 362
Der Drachenkrieg Computer außer Kontrolle von H. G. Francis
Pthor, der Kontinent des Schreckens, der dank Atlans und Razamons Eingreifen der Erde nichts anhaben konnte, liegt nach jäh unterbrochenem Hyperflug auf Loors, dem Planeten der Brangeln, in der Galaxis Wolcion fest. Pthors Bruchlandung, die natürlich nicht unbemerkt geblieben war, veranlaßte Sperco, den Tyrannen von Wolcion, seine Diener, die Spercoiden, auszuschicken, damit diese den Eindringling vernichten. Daß es ganz anders kam, als Sperco es sich vorstellte, ist allein Atlans Eingreifen zu verdanken. Denn der Arkonide übernahm beim Auftauchen von Spercos Dienern sofort die Initiative und ging systematisch daran, die Macht des Tyrannen zu unter graben. Inzwischen haben dank Atlans Hilfe die von Sperco Unterdrückten ihre Freiheit wiedererlangt. Der Tyrann von Wolcion ist tot. Er starb in dem Augenblick, als sein Raumschiff bei der Landung auf Loors zerschellte. Während Atlan, der als einziger die Schiffskatastrophe überlebte, sich zusammen mit »Feigling«, seinem mysteriösen neuen Gefährten, auf den mühevollen Rückweg zur FESTUNG macht, wenden wir uns Algonkin-Yatta, dem Kundschafter von Ruo ryc, und Anlytha, seiner Gefährtin, zu. Atlans Spuren beharrlich folgend, haben die beiden so ungleichen Wesen die Ga laxis Wolcion erreicht. Nach einem Zwischenspiel mit den Sklaven des 3. Planeten gelangen sie auf die Welt Pörs-Odon. Dort tobt DER DRACHENKRIEG …
Der Drachenkrieg
3
Die Hautpersonen des Romans:
Algonkin-Yatta und Anlytha - Der Kundschafter und seine Gefährtin beenden einen Krieg.
Trössö und Garkö - Zwei Rivalen.
Samuander und Tarpsa - Trössös Helfer.
Gooron, Quat und Frekson - Goonies vom 3. Planeten.
1. »Wir werden noch einige Zeit auf DoronSölp bleiben«, erklärte Algonkin-Yatta. »Wir werden euch helfen, mit der neuen Freiheit fertig zu werden. Der Inspektor und seine Macht werden für alle Zeiten verges sen sein.« »Ich danke dir«, antwortete Trössö sch licht. Er reichte dem Kundschafter die Hand und verabschiedete sich. Er ging einige Schritte weiter bis zur Straße, wo sein Fahr zeug parkte. Der dunkelhäutige Mathoner stieg in seinen Antigravgleiter, winkte ihm zu und startete. Der Goonie wußte, daß er zu seinem Raumschiff flog, das in einer Schlucht in den Bergen verborgen war. Trössö war der Erste Elektrodiener von Doron-Sölp und damit einer der mächtigsten Männer auf dem Planeten. Ihm unterstanden die wichtigsten Fabriken für elektrische Großmaschinen. Seine Macht hatte er teil weise durch Erbschaft, eigene Leistung und durch staatliche Auszeichnungen erhalten. Er vertraute Algonkin-Yatta und Anlytha. Sie hatten die Macht des Inspektors gebro chen und gleichzeitig verhindert, daß ein so machtlüsterner Mann wie Garkö an seine Stelle trat. Sie hatten das Wissen, das die Macht verlieh, über ganz Doron-Sölp ver breitet. Das hatte bereits ausgereicht, die Pläne Garkös zu zerschlagen. Trössö war überzeugt davon, daß der Er ste Brotdiener sich von nun an ausschließ lich seinen Geschäften widmen würde, die ebenfalls die ganze Welt umspannten. Trössö startete den Motor seines vierräd rigen Fahrzeugs und beschleunigte es bis auf Höchstgeschwindigkeit. Die Sonne stand hoch am Himmel. Warme Luft strich durch das offene Schiebedach herein. Aus dem Ra
dio klang Musik. Trössö war mit sich und der Welt zufrie den. Niemand brauchte sich mehr davor zu fürchten, daß der Inspektor den Planeten in eine Wüste verwandelte. Endlich konnte man darauf verzichten, die Flugsaurier zu manipulieren und in monströse Ungeheuer umzuwandeln. Völlig neue Möglichkeiten eröffneten sich für Doron-Sölp und die Goo nies. Trössö zweifelte jedoch nicht daran, daß die unbekannten Abnehmer der manipulier ten Drachen früher oder später auf das Aus bleiben weiterer Sendungen reagieren wür den. Algonkin-Yatta hatte jedoch verspro chen, auch in diesem Fall Hilfe zu leisten. Trössö fuhr durch eine weitgeschwungene Kurve in einen Paß hinein. Links und rechts von ihm stiegen steile Felswände auf. Nur wenig Licht fiel auf die Straße. Er schaltete die Scheinwerfer ein. In ih rem Licht tauchte plötzlich ein Hindernis aus mehreren Fahrzeugen auf. Trössö brem ste heftig. Mit quietschenden Reifen kam sein Wagen nur wenige Meter von dem Hin dernis zum Stehen. Er stieg aus und ging empört auf einige Männer zu, die in der Nä he standen. In diesem Moment kam Garkö hinter ei nem Felsen hervor. Er trug eine Schußwaffe in den Händen. Bestürzt blieb Trössö stehen. »Was ist los?« fragte er. »Was soll das?« »Das wirst du ganz schnell erfahren«, er widerte Garkö. Er deutete auf einen anderen Wagen. »Steige ein.« »Und wenn ich es nicht tue?« Garkö hob die Waffe und zielte auf seine Stirn. »Dann werde ich dich töten«, sagte er. »Was soll dieser Unsinn?« entfuhr es dem Elektrodiener. »Du hättest keinen Vorteil
4 davon.« »Ich will wissen, wo der schwarzhäutige Fremde ist«, erklärte Garkö. »Wo hält er sich verborgen? Wo ist sein Raumschiff?« »Ah, darum geht es also. Die Jagdzeit ist noch nicht abgelaufen, wie? Hast du denn noch immer nicht begriffen? Der Fremde hat uns geholfen. Er hat uns vom Inspektor be freit, und er kann noch viel mehr für uns tun. Außerdem wäre es sinnlos, ihn anzugreifen. Du kannst nichts gegen ihn ausrichten. Nicht einmal der Inspektor konnte es. Das Flugge rät Algonkin-Yattas ist allem überlegen, was wir aufzubieten haben.« »Wir haben den Fremden schon einmal mit Hilfe des Grünen Impulsators abge schossen«, bemerkte Garkö. »Das hat er mir erzählt«, entgegnete Trös sö. »Er hat mir aber auch gesagt, daß er dar aufhin eine Sicherung bei seinen Antigrav geräten eingebaut hat, so daß sie nicht mehr zerstört werden können.« »Die Informationssendungen im Fernse hen über die Entschärfung der Schalterfallen sind eingestellt worden«, sagte Garkö. »Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß es nicht gut ist, wenn allzu viele Bescheid wis sen. In einigen Wochen und Monaten wer den die meisten wieder vergessen haben, wie man es macht. Und schließlich wird es doch nur einen kleinen Kreis von Wissenden geben. Wir werden dafür sorgen, daß dieser Kreis sehr klein bleibt. Voraussetzung aber ist, daß der Schwarzhäutige von hier ver schwindet, oder daß er stirbt.« »Du wirst mich töten müssen«, erwiderte Trössö. »Von mir wirst du nichts erfahren.« Garkö lächelte selbstsicher. »Ich habe einige Spezialisten dabei«, er klärte er. »Sie werden dafür sorgen, daß du den Mund aufmachst.« Trössö schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht, was für einen Sinn das alles haben soll«, sagte er. »Wir alle können durch Algonkin-Yatta große Vortei le erringen, wenn wir nicht nur an uns selbst, sondern an das ganze Volk denken. Wenn ihr den Kundschafter von Doron-Sölp ver-
H. G. Francis treibt, dann verbaut ihr die Zukunft für alle.« Er blickte Garkö forschend an, und er merkte, daß die Worte wirkungslos an ihm vorbeigingen. Garkö dachte nur an sich und seine Interessen. Trössö senkte den Kopf. Ihm war klar, daß hinter Garkö unzählige andere standen, die ähnlich dachten wie er, und die ebenso konsequent handelten. Der Erste Elektrodiener hatte sich Gedanken dar über gemacht, weshalb die Regierung Intel ligenzen, die aus dem Raum nach DoronSölp kamen, zur Jagd freigaben. Die Ant wort war relativ einfach gewesen. Dahinter steckte jene Macht, die sich auf Doron-Sölp durch das robotische Wesen, den Inspektor, repräsentiert hatte. Diese Macht hatte zu gleich aber verhindert, daß die abgestürzten Spercoiden getötet wurden. Man hatte die Gefangenen in ein Raumschiff gebracht und abgeflogen. Trössö vermutete, daß sie nach Pörs-Odon, dem benachbarten Planeten ge kommen waren. Offenbar hatte jene unbe kannte Macht klar zwischen Algonkin-Yatta mit seinem Raumschiff und den Spercoiden unterschieden. Hatte sie erkannt, daß es ein Fehler gewesen war, den Kundschafter zu jagen? Und versuchte sie nun, einen weite ren Fehler dieser Art dadurch zu vermeiden, daß die Überlebenden des Spercoidenrau mers verschleppt wurden? Oder hatte die unbekannte Macht erkannt, daß die Goonies nicht in der Lage waren, mit fremden Intelligenzen fertig zu werden? Hatte sie es selbst übernommen, dieses Pro blem zu lösen? Fragen über Fragen, auf die Trössö keine Antwort wußte. »Mir ist nur eines klar«, sagte Trössö nie dergeschlagen. »Wenn du deine Pläne ver wirklichst, dann wird es in nicht allzu ferner Zukunft wieder einen Inspektor geben, der die Macht über uns ausübt.« »Mag sein«, antwortete Garkö. »Vielleicht aber auch nicht. Wir werden uns die Waffe besorgen, mit der der dunkelhaa rige Fremde den Inspektor vernichtet hat. Dann kann uns nicht viel passieren.«
Der Drachenkrieg
5
Er lächelte. »Glaube nur nicht, daß ich allein bin. Es ist mir gelungen, die wichtigsten Männer in der Regierung auf meine Seite zu bringen. Sarsan, der Oberkommandierende der Raumstreitkräfte, hat mir volle Unterstüt zung zugesagt. Sobald wir wissen, wo das Raumschiff ist, schlagen wir zu.« »Ihr werdet es nie erfahren.« Garkö lächelte nur.
* Die Gesichtsfühler Samuanders sträubten sich ab, als der Sklave Tarpsa den Raum be trat, in dem er an einem neuen Elektromotor arbeitete. Samuander wußte, daß Tarpsa der Sklave Garkös war, und er glaubte, daß Tarpsa seinem Herrn treu ergeben war. Das entsprach jedoch nicht den Tatsachen. Tarp sa hatte vor einigen Tagen erst gegen seinen Herrn intrigiert, Algonkin-Yatta Trössö in die Hände gespielt und dem Mathoner da durch das Leben gerettet. »Was willst du?« fragte Samuander, der nur der äußerlichen Bezeichnung nach ein Sklave war. Trössö hatte allen seinen Skla ven die Freiheit geschenkt. Sie dienten ihm nun freiwillig und hüteten sich, der Öffent lichkeit etwas zu verraten. »Ich muß mit dir reden«, antwortete Tarp sa. »Es geht um deinen Herrn.« »Was ist mit ihm?« Samuander schob die Motorteile zur Seite und erhob sich. Er führ te Tarpsa in ein Büro, das mit bequemen Sitzmöbeln ausgestattet war. »Was hast du mir zu sagen?« fragte Sa muander ungeduldig, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. »Ich habe von Garkö erfahren, daß Trössö in die Berge gefahren ist. Ich weiß nicht, was er dort will. Garkö ließ jedoch durch blicken, daß er Trössö überfallen und ent führen will. Er will aus ihm herauspressen, wo Algonkin-Yatta mit seiner Gefährtin An lytha ist.« Samuander zuckte zusammen. »Warum sagst du mir das?« fragte er.
»Weil ich deinem Herrn helfen will«, ant wortete der Sklave. »Und ich will nicht, daß die Fremden ermordet werden. Garkö hat den Plan, der Beherrscher von Doron-Sölp zu werden, noch nicht aufgegeben. Er hat nur diese eine Chance. Kann er Algonkin-Yat ta nicht töten, dann ist er verloren. Er hat zu viel für das Jagdrecht auf den Kundschafter bezahlt. Wenn er nun die Trophäe nicht vor zeigen und zu Werbezwecken ausnutzen kann, bleibt er nicht mehr länger Erster Brotdiener. Er muß alles verkaufen, was er hat, wenn er überleben will. Das hat Trössö nicht berücksichtigt.« Samuander musterte den Sklaven nach denklich. Seine Sichtfühler, die wie filigran artige Fächer aussahen und die Augen er setzten, streckten sich ihm tastend entgegen. »Kannst du Trössö erreichen?« fragte Tarpsa. »Er hat doch bestimmt ein Funkge rät in seinem Wagen.« »Ich weiß, wohin er gefahren ist«, erklärte Samuander. Er verschwieg seinem Gegen über, daß Trössö ihm beschrieben hatte, wo das Kundschafterraumschiff verborgen stand. »Du mußt schnell handeln«, beschwor ihn Tarpsa. »Wenn du zu lange wartest, ist es zu spät.« »Ich frage mich, warum Garkö dir verra ten hat, was er vorhat«, entgegnete Samuan der. »Er hat es mir nicht direkt gesagt«, wider sprach der Sklave. »Mir gegenüber hat er nur bemerkt, daß Trössö in die Berge gefah ren ist. Später habe ich dann gehört, wie er mit seiner Frau darüber sprach. Ihr hat er ge sagt, daß er Trössö überfallen wird. Ich bin sofort hierhergekommen, nachdem er aufge brochen ist.« Das Mißtrauen Samuanders erlosch und machte steigender Sorge um Trössö Platz. Ihm war bekannt, daß Trössö die Pläne des Ersten Brotdieners durchkreuzt hatte, und daß Garkö Trössö dafür mit tödlichem Haß verfolgte. Daher war glaubhaft, was ihm Tarpsa eröffnet hatte. Dennoch wollte Sa muander sichergehen und jegliches Risiko
6 ausschalten. »Ich komme gleich wieder«, sagte er. »Ich habe etwas zu besprechen.« Er ging zur Ehefrau Trössös und berichte te ihr, was geschehen war. Die Frau bestä tigte ihm, daß Tarpsa derjenige gewesen war, der gegen Garkö intrigiert hatte. Samu ander kehrte beruhigt zu dem Sklaven zu rück. Er ahnte nicht, daß er sich exakt so ver halten hatte, wie Garkö es geplant hatte. Er konnte jedoch nicht wissen, daß der miß trauisch gewordene Brotdiener seinem Skla ven die Informationen zugespielt hatte. Samuander befragte Tarpsa noch einmal, dann brach er mit ihm zusammen auf. »Ich nehme an, wir fahren dorthin, wo Trössö jetzt ist«, sagte der Sklave, als das Fahrzeug die Stadt mit hoher Geschwindig keit verließ. »Das ist richtig«, bestätigte Samuander. Er griff hinter die Sitze und öffnete ein Fach in der Metallwand, die sich hinter ihnen er hob. Tarpsa sah, daß darin mehrere Gewehre lagen. »Wenn Garkö sich dazu hinreißen läßt, Trössö zu überfallen, werden wir kämpfen.« Er reichte dem Sklaven ein Gewehr. »Dies ist die Chance für dich, Tarpsa. Wenn du auf meiner Seite gegen Garkö kämpfst, wirst du frei sein.« Tarpsa nahm das Gewehr entgegen und lud es durch. »Ich werde gegen Garkö kämpfen«, er klärte er mit fester Stimme. Samuander nickte nur. Er trat das Gaspe dal voll durch. Etwa eine Stunde verstrich, dann mußte Samuander die Geschwindigkeit verringern, weil die Straße nun in Serpenti nen in die Höhe stieg und schließlich in eine Schlucht mündete. Er raste durch sie hin durch. Eine langgestreckte Kurve schloß sich der Schlucht an. »Da vorn – ein Wagen«, schrie Tarpsa. Samuander trat die Bremse. Der Wagen schleuderte und drehte sich zur Seite, stürzte jedoch nicht um. Nur wenige Meter von dem Fahrzeug Trössös blieb er stehen. Samuan-
H. G. Francis der sprang heraus, nachdem er eines der Ge wehre an sich gerissen hatte. Er eilte zum Fahrzeug des Ersten Elektrodieners. Die Tür auf der Fahrerseite stand offen. Auf den Pol stern des Fahrersitzes befanden sich einige Blutspritzer. »Er hat es tatsächlich gewagt«, sagte Sa muander, als Tarpsa zu ihm kam. »Er hat Trössö entführt.« »Und er wird aus ihm herauspressen, wo Algonkin-Yatta mit seinem Raumschiff ist.« »Er wird es ihm nicht verraten«, behaup tete Samuander. »Garkö wird ihn solange quälen, bis Trös sö zerbricht«, entgegnete Tarpsa. »Es gibt nur eine Möglichkeit für uns. Wir müssen zu dem Fremden gehen und ihn warnen. Er muß starten und Doron-Sölp sofort verlas sen. Wenn er das getan hat, dann sind alle Anstrengungen Garkös sinnlos geworden.« Samuander dachte einige Minuten lang nach, dann stimmte er zu. »Komm«, rief er, während er zu dem Fahrzeug zurücklief, mit dem sie die Suche aufgenommen hatten. »Wir fahren weiter.« Tarpsa schloß sich ihm augenblicklich an. Auch er bemerkte nicht, daß sie von einigen Männern beobachtet wurden, die sich in den Felsen versteckt hatten. Samuander fuhr weiter in die Berge. Hin und wieder blickte er an den Felswänden hoch, aber er entdeck te die Posten nicht, die Garkö überall aufge stellt hatte. Als er nach einiger Zeit von der Straße abbog und über einen kaum erkenn baren Pfad bis unter einige Bäume fuhr, war er davon überzeugt, daß niemand sie gese hen hatte. »Der Marsch ist anstrengend«, sagte er. »Trössö hat mir den Weg genau beschrie ben.« Die beiden Männer nahmen ihre Gewehre und marschierten los. Sie schritten schnell aus, weil sie wußten, daß die Zeit drängte. Hin und wieder blieb Samuander stehen und blickte zurück, um sich davon zu über zeugen, daß ihnen niemand folgte. Ihm ent ging aber ebenso wie seinem Begleiter, daß ständig einige Männer hinter ihnen her wa
Der Drachenkrieg ren. Als der schalenförmige Gleiter AlgonkinYattas plötzlich vor ihm auftauchte, war er davon überzeugt, daß nicht die geringste Ge fahr bestand.
7
»Klar«, antwortete sie. »Ich bleibe hier«, ließ Loggy sie denken. »Wir starten ohnehin bald.« Sie stutzte und wollte etwas darauf erwi dern, doch Algonkin-Yatta hatte die Haupt leitzentrale bereits verlassen. Sie folgte ihm. »Wir bleiben noch einige Tage«, rief sie * dann jedoch, als die Zentrale schon weit hin Ein Gedanke erwachte in Anlytha. ter ihr lag. Loggy antwortete nicht. Anlytha »Sie haben ihn hereingelegt. Der Arme. horchte in sich hinein, doch alles blieb still. Er merkt auch jetzt noch nichts.« Algonkin-Yatta startete die Kundschafter Anlytha fuhr aus ihrem Sessel hoch, in kapsel, als Anlytha sich neben ihn gesetzt dem sie träumend gesessen hatte. Algonkin-Yat hatte. Der Gleiter flog durch die Schleuse ta, der am Hauptleitpult des Raumschiffs ar aus dem Raumschiff, stieg an den Wänden beitete, drehte sich erstaunt um. der Schlucht hoch, in der das Schiff verbor »Sie haben ihn hereingelegt, Loggy?« gen stand, und wandte sich nach Westen. fragte Anlytha. »Wenn meinst du?« Der Kundschafter blieb stets dicht bei den »Tarpsa, dem Sklaven, und auch Samuan Felswänden und suchte ihre Deckung, wo der, den Diener und Freund von Trössö.« immer das möglich war. Gleichzeitig beob »Was ist mit den beiden?« achtete er die Ortungsgeräte. Sie zeigten ein »Man hat sie hereingelegt.« hoch fliegendes Flugzeug an. Es war mit »Das hast du mir bereits mitgeteilt«, ent bloßem Auge nicht zu erkennen. Der Matho gegnete sie laut. ner wußte jedoch nicht, ob das Flugzeug mit »So ist es.« Ihr schien, als höre sie ein lei Ortungs- und Beobachtungsgeräten ausge ses Lachen. stattet war, die den Gleiter ausmachen konn »Komm, Loggy, sei lieb«, bat sie. »Was ten. sollen wir tun?« Nach etwa zehn Minuten erreichte er eine »Tarpsa und Samuander sind auf dem bewaldete Schlucht. Auf dem Hauptortungs Weg zu uns. Sie merken nicht, daß sie von schirm zeichneten sich einige Reflexe ab. Garkö und den Soldaten verfolgt werden«, Algonkin-Yatta tippte auf den ovalen ließ Loggy Anlytha denken. »Es wird nicht Bildschirm. mehr lange dauern, bis sie hier sind. Und »Die Metallteile von Waffen«, erläuterte dann …« er. »Hier sind sie.« »Und dann …?« Anlytha blickte Algon Der Gleiter schob sich nun langsam durch kin-Yatta an. »Samuander weiß, wo wir die Büsche. Der Mathoner blieb unter dem sind. Trössö hat es ihm gesagt.« schützenden Dach der Bäume, so daß er von Der Kundschafter kombinierte blitz oben nicht gesehen werden konnte. schnell. Er griff nach einem Waffengürtel »Da«, rief Anlytha plötzlich. Sie zeigte zu und schnallte sich ihn um. »Wenn Samuan einem kleinen Wasserfall hinüber. der hierher kommt, dann braucht er Hilfe. Im gleichen Augenblick entdeckte der Trössö ist entführt worden, weil Garkö seine Kundschafter die beiden Goonies ebenfalls. Machtpläne mit aller Gewalt realisieren Sie kletterten über einige Felsen hinweg. Al will.« gonkin-Yatta sah aber auch zwei Bewaffne »Richtig«, klang es in Anlytha auf. te, die etwa zweihundert Meter von ihnen »Genauso ist es.« entfernt unter einem Baum standen und zu »Wir müssen ihm helfen«, sagte der Ma den beiden Männern hinüberblickten, die er thoner. »Wir fliegen ihm entgegen.« für Tarpsa und Samuander hielt. »Kommst du mit?« Er riß den Gleiter herum und jagte zu den
8 beiden Goonies hinüber. Sie fuhren er schrocken zurück, als er so plötzlich vor ih nen auftauchte. »Eure Namen«, rief der Mathoner. »Schnell.« »Ich bin Tarpsa«, antwortete einer der beiden Goonies. Er war etwas größer als der andere und trug braune Kleider. Er zeigte auf seinen Begleiter, der grün gekleidet war. Algonkin-Yatta glaubte ihn wiederzuerken nen, war sich seiner Sache jedoch nicht si cher. »Und das ist Samuander. Er gehört zum Hause Trössös.« »Schnell, steigt ein«, befahl der Matho ner. »Ihr werdet verfolgt.« Zwei Schüsse krachten. Algonkin-Yatta hörte zwei Kugeln an sich vorbeifliegen. Sie prallten irgendwo in der Nähe gegen die Fel sen und wirbelten als Querschläger davon. Samuander und Tarpsa sprangen in den schalenförmigen Antigravgleiter, und der Kundschafter schaltete den Energieschirm ein, an dem alle weiteren Geschosse wir kungslos abprallten. Fassungslos blickten die beiden Goonies auf die Soldaten, die überall unter Bäumen und Büschen hervor kamen und auf sie schossen. »Das haben wir nicht gewußt«, beteuerte Samuander. »Glaubt mir. Wir haben nicht gemerkt, daß man uns verfolgt hat.« Er fuhr herum und packte Tarpsa an den Schultern. »Du hast mich betrogen«, schrie er. »Du hast gelogen.« »Das ist nicht wahr«, erwiderte Tarpsa verzweifelt. »Glaube mir. Ich wußte es ebensowenig wie du.« Algonkin-Yatta beschleunigte. Er flog dicht an den Soldaten vorbei, die ständig auf ihn feuerten, ohne dabei die geringste Wir kung zu erzielen. »Laß ihn«, sagte der Mathoner. »Tarpsa kann wahrscheinlich wirklich nichts dafür.« »Samuander, du mußt mir glauben«, sagte Tarpsa erneut. Der Diener Trössös ließ den Sklaven los. Er nickte. »Wenn uns so viele Soldaten gefolgt
H. G. Francis sind«, sagte er, »dann sind noch mehr in der Nähe.« Er legte die Hände an den Kopf. Seine Sichtfühler sträubten sich. »Garkö will das Raumschiff«, fuhr er ent setzt fort. »Flugzeuge werden kommen. Raumschiffe werden angreifen.«
2. Zehn Minuten später wußte Algonkin-Yat ta, daß Samuander die Situation richtig er kannt hatte. Er hatte sich etwa zwanzig Kilo meter weit von der Schlucht entfernt, in der er Samuander und Tarpsa aufgenommen hatte. Jetzt befand er sich in der Nähe der Straße, auf der der Wagen Samuanders park te. Er konnte das Fahrzeug durch das Laub werk einiger Bäume hindurch sehen. Es stand mitten zwischen mehr als fünfzig Mili tärfahrzeugen, mit denen die Verfolger ge kommen waren. Der Mathoner zählte zwan zig Wachen, die sich bei den Fahrzeugen aufhielten. »Es ist eure Entscheidung«, sagte er zu den beiden Goonies. »Wenn ihr in die Stadt fahren wollt, dann könnt ihr es tun. Ihr müßt jedoch damit rechnen, verhaftet zu werden.« »Das kannst du auch nicht verhindern«, entgegnete Samuander niedergeschlagen. »Und ich fürchte, daß niemand Trössö hel fen kann.« »Doch. Es gibt eine Möglichkeit«, be merkte Tarpsa. »Du mußt mit deinem Raumschiff starten und Doron-Sölp verlas sen. Wenn du nicht mehr hier bist, dann hat Garkö keinen Grund, Trössö noch länger ge fangenzuhalten. Garkö will ja nicht Trössö, sondern dich, weil du verhindern kannst, daß er einer der Mächtigen wird.« »Mit gefällt nicht, daß ich abziehen soll, ohne Trössö zu helfen«, sagte Algonkin-Yat ta. »Du hilfst ihm dadurch, daß du startest«, wandte Samuander ein. »Vielleicht kannst du nach Pörs-Odon fliegen? Man spricht da von, daß die gefangenen Spercoiden dorthin gebracht worden sind, obwohl natürlich nie
Der Drachenkrieg mand weiß, ob das auch stimmt. Es spricht jedoch viel dafür, daß weder wir noch die anderen Raumschiffe haben, die das Son nensystem verlassen können.« Algonkin-Yatta wechselte einen Blick mit Anlytha. »Er hat recht«, sagte sie. »Hier können wir nichts mehr erreichen, vielleicht aber auf der dritten Welt. Die Bedrohung von dort besteht noch immer. Und wenn dort keine Drachen mehr eintreffen, wird irgend etwas geschehen. Also müssen wir etwas tun.« Der Mathoner nickte. »Einverstanden«, sagte er. »Wir starten. Ihr könnt in die Stadt zurückfahren. Ich werde jedoch dafür sor gen, daß die Soldaten dort euch keine Schwierigkeiten machen.« Er startete den Gleiter. Die Maschine stieg steil auf, schoß über die Wipfel der Bäume hinweg und fiel dann wieder ab. Sie raste auf die Soldaten bei den Militärfahr zeugen zu. Algonkin-Yatta sah, daß die Uni formierten ihre Waffen hochrissen und auf ihn schossen. Doch die Kugeln konnten den Energieschirm nicht durchschlagen. Er drückte eine Taste. Unsichtbare Narko sestrahlen jagten aus den Bugprojektoren der Kapsel. Die Soldaten stürzten zu Boden und blieben bewegungslos liegen. AlgonkinYatta überflog die gesamte Kolonne, so daß er sicher sein konnte, niemanden ausgelas sen zu haben. Dann landete er neben dem Fahrzeug, mit dem Samuander und Tarpsa gekommen waren. Er streckte ihnen die Hand entgegen. »Ich verspreche euch, daß ich zur dritten Welt fliegen werde. Und wenn ich euch hel fen kann, indem ich dort etwas verändere, dann werde ich es tun. Bevor ich starte, wer de ich noch einmal in Zeichnungen beschrei ben, wie die Schaltstationen entschärft wer den müssen. Ich werde diese Zeichnungen in eine Kapsel legen und die Kapsel in der Nä he meines Raumschiffs zwischen den Felsen verstecken. Ihr könnt später irgendwann ein mal, wenn das Wissen verlorengehen sollte, in die Schlucht gehen und die Kapsel holen. Damit habt ihr ein einfaches, aber wirksa
9 mes Mittel in der Hand, Garkös Machtträu me zu zerstören.« »Ich danke dir«, antwortete Samuander und ergriff die Hand des Kundschafters. Tarpsa wollte ebenfalls etwas sagen, war aber so bewegt, daß er keinen Laut über die Lippen brachte. Algonkin-Yatta lächelte ihm zu. Die beiden Goonies verabschiedeten sich auch von Anlytha, die ihre Finger nach einer silbernen Kette ausstreckte, die Tarpsa um den Hals trug. Der Mathoner drückte ihre Hand jedoch zur Seite, bevor sie die Kette abnehmen konnte. Dann eilten Samuander und Tarpsa zu ihrem Wagen. Algonkin-Yatta wartete nicht, bis sie ab fuhren. Er startete sofort und beschleunigte mit Höchstwerten, da die Gefahr bestand, daß die Soldaten das Kundschafterschiff fanden. »Loggy würde uns warnen, wenn es ge fährlich wäre«, bemerkte Anlytha zwit schernd. Sie saß entspannt in ihrem Sessel und machte sich keine Sorgen. Der Mathoner beobachtete die Ortungs schirme. Fünf Reflexe zeichneten sich dar auf ab. Sie bezeichneten große Flugzeuge, die sich ihnen rasch näherten. Wenig später gesellten sich sieben weitere hinzu. Etwa fünfzig Kilometer von ihnen entfernt stiegen nacheinander fünf Raum schiffe auf. »Es wird Zeit«, sagte der Mathoner. »Man scheint sich auf einen Angriff vorzubereiten. Je früher wir starten, desto besser.« Er führte den Gleiter über einen Bergsat tel hinweg. Ein Düsenflugzeug näherte sich ihm, doch es war bei weitem nicht so wen dig wie der Antigravgleiter. Er konnte die sem nicht folgen, als Algonkin-Yatta ihn in die Schlucht lenkte, in der das Kundschaf terschiff verborgen stand. Der Mathoner zweifelte jedoch nicht daran, daß der Pilot dem Führungsstab der militärischen Operati on mitteilte, wohin er sich zurückgezogen hatte. Er fing den Gleiter erst wenige Meter über dem Boden auf und steuerte ihn dann
10 durch die sich öffnende Schleuse in den Hangar. »Es wird Zeit«, klang es in Anlytha auf. »Das ist uns auch klar«, zwitscherte sie. »Dann sage ich überhaupt nichts mehr«, erwiderte Loggy. »Das wäre schade«, antwortete sie, wäh rend sie neben Algonkin-Yatta zur Haupt leitzentrale stürmte. Der Mathoner hatte bereits umfangreiche Vorbereitungen für einen Sofortstart getrof fen, bevor sie aufgebrochen waren, um Sa muander und Tarpsa zu suchen. Jetzt waren nur noch wenige Schaltungen notwendig. Das Triebwerk sprang an. Das Raumschiff löste sich vom Boden und glitt zur Seite un ter dem schützenden Felsdom hervor. »Die Kapsel«, sagte Anlytha. »Längst vorbereitet«, antwortete der Ma thoner. Er legte einen Hebel am Steuerleit pult um. Aus einer Öffnung an der Untersei te des Raumschiffs schoß eine Metallkapsel hervor und bohrte sich in einen Felsspalt. Dann beschleunigte das Schiff und stieg steil in die Höhe. Ein flimmernder Energieschirm umgab es, als es die Schlucht verließ. Auf dem Ortungsschirm zeichneten sich zahlreiche Reflexe ab. Die Goonies bildeten einen Abwehrschirm aus Kampfflugzeugen und Raumschiffen über dem Gebiet, in dem sie das Kundschafterschiff vermutet hatten. Algonkin-Yatta lächelte. Mittlerweile kannte er die Kampfsysteme, mit denen er es zu tun hatte. Die Flugzeuge waren nicht wendig genug. Er konnte sie ausmanövrieren. Die goonischen Piloten rechneten damit, daß er mit dem Raumschiff steil aufsteigen würde, um sich so schnell wie möglich aus dem Schwerefeld von Do ron-Sölp zu lösen. So hätte es jedes gooni sches Raumschiff aus Treibstoffgründen ma chen müssen. Algonkin-Yatta änderte den Kurs jedoch, sobald er eine Höhe von etwa fünftausend Metern gewonnen hatte. Parallel zur Ober fläche des Planeten jagte er dahin und ließ die Kampfflugzeuge augenblicklich weit hinter sich. Die Piloten feuerten mit allen
H. G. Francis Kampfsystemen, doch die Projektile erreich ten das Raumschiff entweder gar nicht, oder sie vergingen im Schutzschirm. Anlytha beobachtete mit Hilfe der Or tungsgeräte, daß die goonischen Raumschif fe sich bemühten, sich der veränderten Si tuation anzupassen. Doch auch sie waren nicht manövrierfähig genug. Als Algonkin-Yatta mit seinem Kund schafterschiff aus der Atmosphäre des Pla neten in den Weltraum aufstieg, befand sich kein gegnerisches Schiff in der Nähe. Der Kundschafter legte zunächst einen Kurs an, der ihn aus dem Sonnensystem her ausführte. Er hatte jedoch nicht vor, sich aus dem System zurückzuziehen. Er fühlte sich moralisch verpflichtet, nicht nur den Goo nies, sondern auch den Drachen zu helfen, zumal er davon überzeugt war, daß die alten Machtverhältnisse früher oder später wieder hergestellt sein würden, wenn er nicht auf dem dritten Planeten ansetzte. Darüber hinaus zweifelte er nicht daran, daß die gefangenen Spercoiden sich auf Pörs-Odon befanden. Von ihnen hoffte er, weitere Angaben über den Planeten Loors zu erhalten, auf dem er Atlan vermutete. Aus der Richtung des dritten Planeten nä herten sich ihm mehrere Pfeilschiffe der Goonies, doch er konnte ihnen leicht aus weichen. Er verließ das System, ohne in Kämpfe verwickelt zu werden. Die silbern schimmernden Raumschiffe der Goonies kehrten bald zu ihren Startbasen zurück, nachdem die Kommandanten erkannt hatten, daß sie das Kundschafterschiff nicht mehr erreichen konnten. Algonkin-Yatta zog sich weit aus dem Sy stem zurück und wartete einige Tage ab, bis er sicher war, daß niemand mehr mit ihm rechnete. Er verfolgte die Bewegungen der pfeilförmigen Raumer im System, und schon bald wußte er, daß einige von ihnen auch zum dritten Planeten flogen. Damit war für ihn klar, daß der geheimnisvolle Inspektor von dort gekommen war und daß man die manipulierten Drachen dorthin brachte. Auch die gefangenen Spercoiden konnten
Der Drachenkrieg nur dort sein. Mit Hilfe der Ortungssysteme und des Bordrechners ermittelte er den günstigsten Zeitpunkt für einen Anflug auf Pörs-Odon, eine Welt, die eine große Ähnlichkeit mit der Erde hatte, jedoch näher zur Sonne stand und höhere Durchschnittstemperaturen hatte. Ein breiter Wüstengürtel umspannte den Planeten. Nördlich und südlich davon dehn ten sich riesige Dschungelgebiete, die bis weit in die gemäßigten Zonen hinaufreich ten. Mehr als die Hälfte der Oberfläche des Planeten wurde von Wasser bedeckt. Algonkin-Yatta entschied sich für einen Landeplatz in einem Gebirge, das sich an der Küste eines Meeres auf der Nordhalbku gel des Planeten entlangzog. Er ließ das Raumschiff mit hoher Geschwindigkeit in die Atmosphäre des Planeten stürzen und führte es auf direktem Kurs in eine enge Schlucht. Sofort nach der Landung schaltete er alle Systeme aus, auf die er verzichten konnte, um die Gefahr einer Ortung mög lichst zu verringern. Danach wartete er ab. »Nichts«, sagte Anlytha, nachdem etwa eine Stunde verstrichen war. »Man scheint uns nicht bemerkt zu haben.« »Offensichtlich ist es so«, bestätigte er und erhob sich. »Wir können uns also etwas näher mit Pörs-Odon befassen.« Er ließ die magnetischen Aufzeichnungen zurücklaufen, die er beim Anflug und bei der Landung gemacht hatte, um sie sich nun in Ruhe anzusehen. Wenig später flimmer ten die ersten Bilder über die Bildschirme. »Da ist eine Stadt«, rief Anlytha und zeig te auf ein helles Gebilde mitten im Dschun gel. Algonkin-Yatta hielt das Band an und veränderte die Bildeinstellung, bis die Stadt formatfüllend auf dem Bildschirm erschien. »Die Stadt liegt in Trümmern«, sagte An lytha. »Der Dschungel hat schon weite Teile überwuchert.« Der Kundschafter wählte einen noch klei neren Ausschnitt und regulierte die Bild schärfe nach, bis er einen Teil der Stadt deutlich sehen konnte. Die meisten Gebäude
11 waren in sich zusammengestürzt. Vereinzelt bewegten sich Tiere durch die Stadt. »Die Häuser sehen so ähnlich aus wie die auf Doron-Sölp«, bemerkte Anlytha. »Sie sind hell und quadratisch. Einige haben In nenhöfe.« Die zerfallene Stadt bot auch jetzt noch ein harmonisches Bild. Kreuzungen gab es nur an wenigen Stellen, sonst existierten nur zusammenführende Straßen, die den Adern eines Blattes ähnelten. »Irgendwo müssen doch Goonies sein«, sagte Anlytha. »Hier jedenfalls nicht«, antwortete er und erhob sich. »Ich schlage vor, daß wir uns ein wenig umsehen. Wahrscheinlich erfahren wir mehr, wenn wir mit dem Gleiter zu einer solchen Stadt fliegen.« »Hast du irgendwo einen Raumhafen ent deckt?« fragte sie. »Nein«, antwortete er. »Bis jetzt nicht.« Er ließ die Aufzeichnung weiter ablaufen, während er sich mit verschiedenen Ausrü stungsgegenständen für die erste Expedition versorgte. Dabei entdeckte er noch einige weitere Städte, untersuchte sie jedoch nicht näher, da er meinte, keine entscheidend wichtige Informationen daraus gewinnen zu können. Anlytha war dagegen noch nicht da von überzeugt, daß eine sorgfältige Untersu chung überflüssig war. Doch nachdem sie sich einige Städte in der Vergrößerung ange sehen hatte, gab auch sie auf. Loggy schwieg sich aus. Auch als sie die Kristallkugel ansprach, erhielt sie keine Ant wort. Sie fand dieses Verhalten befremdlich, ließ Loggy dann jedoch in Ruhe. Als der Mathoner und das Mädchen die Zentrale verlassen wollten, ertönte ein Si gnal vom Ortungsleitpult. Überrascht blickte Algonkin-Yatta auf einen Lichtpunkt, der auf einem der Ortungsschirme aufleuchtete. Er kehrte zum Pult zurück und schaltete die Hauptbildschirme erneut ein, um sich die Aufzeichnung abermals anzusehen. Der Lichtpunkt bezeichnete eine Stadt, die etwa viertausend Kilometer von ihnen entfernt war. Beim Anflug auf Pörs-Odon und der
12 nachfolgenden Landung hatten die Ortungs instrumente nichts Beachtenswertes bei die ser Stadt festgestellt. Jetzt registrierten sie eine relativ hohe Energieausschüttung im Bereich der Stadt. »Sie ist zum Leben erwacht«, bemerkte Anlytha verwundert. »Die Kraftwerke geben Energie ab.« »Da startet sogar ein Raumschiff«, sagte der Kundschafter und zeigte auf einen der Ortungsschirme. »Wir werden uns die Stadt später ansehen. Jetzt nehmen wir uns erst einmal eine Stadt vor, die in der Nähe liegt.« Er tippte gegen den Bildschirm, um Anly tha zu zeigen, welche Stadt er meinte. Sie verließen die Zentrale und starteten mit dem Antigravgleiter. Der Kundschafter führte den Gleiter über die Berge hinweg zu dem sich nördlich da von anschließenden Dschungelgebiet. Nach etwa einer Stunde Flug tauchte eine verfallene Stadt vor ihnen auf, die einen Durchmes ser von etwa vierzig Kilometern hatte. Der Kundschafter schätzte, daß mehr als eine Million Bewohner sie früher bevölkert hatte. Jetzt bot sie ein Bild des totalen Verfalls. Der Dschungel hatte sie fast völlig überwu chert. Die meisten Häuser waren in sich zu sammengestürzt, und nirgendwo zeigten sich Spuren intelligenten Lebens. Algonkin-Yatta ließ die Kundschafterkap sel in niedriger Höhe über die Stadt hinweg gleiten, so daß er alles aus nächster Nähe be trachten konnte. Zunächst umflog er die Stadt und untersuchte die Außenbezirke. Dann aber folgte er einem Flußlauf, der die Stadt in zwei Hälften teilte. »Falls doch noch jemand in dieser Stadt lebt, dann finden wir ihn am ehesten am Fluß«, sagte er. Die Maschine glitt kaum einen Meter über dem Wasser dahin, das so klar und durch sichtig war, daß der Mathoner und seine Ge fährtin bis auf den Grund sehen konnten. Als sie an eine Flußbiegung kamen, schrie Anly tha auf. »Da war etwas«, rief sie erregt und deute te auf einen Turm, der am Ufer des Flusses
H. G. Francis stand. »Da hat sich etwas bewegt.« Algonkin-Yatta zog den Gleiter herum und beschleunigte. Er war so schnell bei dem bezeichneten Turm, daß sich jemand, der sich dort aufgehalten hätte, in dieser kur zen Zeit kaum hätte verstecken können. »Du mußt dich getäuscht haben«, sagte er. »Hier war niemand.« Der Boden war weich und sandig in der Nähe des Turmes. Anlytha seufzte. »Es muß wohl so sein«, erwiderte sie. »Man müßte sonst eine Spur sehen.« Algonkin-Yatta sprang aus dem Gleiter. Seine Füße sanken bis zu den Knöcheln im Sand ein. »Sieh dich ein wenig um«, bat er. »Ich bleibe hier. Vielleicht finde ich etwas, was interessant ist.« Sie zwitscherte unlustig, weil sie wenig Lust verspürte, sich von ihm zu trennen. Doch als sie einige Minuten lang gewartet hatte, während er die Turmtür aufbrach, wurde es ihr zu langweilig. Sie flog davon. Kaum hatte sie sich etwa hundert Meter weit entfernt, als sie einen frischen Fußabdruck an einer sandigen Stelle zwischen Gräsern entdeckte. Der Abdruck wirkte etwas plump und unförmig. Anlytha war sich dessen so fort sicher, daß ein Goonie ihn hinterlassen hatte. Anlytha drehte sich um und blickte zum Turm zurück. Sie wollte Algonkin-Yatta durch einen Zuruf verständigen, doch der Mathoner war schon im Turm verschwun den. Sie griff nach ihrem Armbandfunkge rät, verzichtete dann jedoch darauf, ihn zu informieren. Sie schaltete das Infrarotortungsgerät ein. Auf dem Bildschirm vor ihr zeichnete sich die Spur des Goonies klar und deutlich ab. Mühelos folgte sie ihr.
* Algonkin-Yatta sah sofort, daß es sinnlos war, im Turm nach oben zu steigen. Die Holztreppe, die spiralförmig nach oben führ te, war weitgehend zerstört. Staub und
Der Drachenkrieg Schmutz lagen auf den zerbröckelten Stufen und zeigten deutlich an, daß seit Jahren nie mand mehr die Treppe benutzt hatte. Er verließ den Turm wieder und trat ins Freie hinaus. Anlytha hatte sich bereits so weit entfernt, daß er sie nicht mehr sehen konnte. Er wußte, daß er sich keine Sorgen um sie zu machen brauchte. Sie wußte sich im Gefahrenfall zu helfen. Plötzlich bemerkte er eine Bewegung ne ben einem Haus in der Nähe. Bevor er je doch recht erkennen konnte, was dort war, sah alles wieder ruhig aus. Der Kundschafter rannte los. Er entwickelte die Schnelligkeit eines Rennpferds und war innerhalb weniger Sekunden bei dem Haus, das einen ebenso verfallenen Eindruck machte wie alle ande ren Gebäude in der Nähe. Als er um eine Ecke bog, entdeckte er die Spuren von zwei Goonies im Sand. Er lief etwa fünfzig Meter weit auf ihnen entlang, dann sah er die beiden Männer. Es waren Fi scher, die mit reichlicher Beute vom Fluß zurückkehrten. Sie wandten ihm den Rücken zu und schienen ihn nicht bemerkt zu haben. Der Mathoner pfiff schrill. Die Goonies gingen weiter, als sei nichts geschehen. »He, hört ihr mich nicht?« rief Algonkin-Yat ta und eilte hinter ihnen her. Sie drehten sich um. Ihre Sichtfühler spreizten sich ab, doch wußte der Mathoner diese Reaktion nicht zu deuten. Sie verriet ihm nicht, ob die Fischer Angst hatten, über rascht waren, oder was sie sonst empfanden. Algonkin-Yatta hob die Arme zum Zei chen des Friedens. »Ich möchte mit euch reden«, rief er, nachdem er den positronischen Translator eingeschaltet hatte, so daß seine Worte in goonischer Sprache aus dem Lautsprecher hallten. Die beiden Fischer wirbelten herum und rannten davon. Sie warfen die Fische weg, die sie gefangen hatten, um schneller voran zukommen. Der Kundschafter runzelte är gerlich die Stirn. Er verstand zwar, daß sie erschrocken waren, verspürte aber keine
13 Lust, nach anderen Goonies zu suchen. Da her rannte er hinter ihnen her. Er holte rasch auf. Und als sie hinter ei nem Haus verschwanden, war er nur noch wenige Meter hinter ihnen. Er stürmte um die Ecke des Hauses herum und sah sich plötzlich vor einem großen Loch mit senk recht abfallenden Wänden. Er konnte sich nicht mehr abfangen, rutschte über den Rand des Loches hinaus und stürzte etwa fünf Me ter tief. Er landete in weichem Sand. Ärgerlich über seinen eigenen Leichtsinn richtete er sich wieder auf. Er blickte nach oben und stellte überrascht fest, daß die bei den Fischer nicht mehr allein waren. Fünf andere Goonies hatten sich zu ihnen gesellt. Gemeinsam zogen sie ein weitmaschiges Netz über das Loch und verankerten es mit Pflöcken, die sie in die Erde schlugen. »Ich komme als Freund«, rief Algonkin-Yat ta zu ihnen hinauf. »Ihr habt nichts von mir zu befürchten. Ich möchte euch helfen.« Die fünf Männer standen über ihm. Sie hatten ihr Sicherungswerk vollendet und blickten nun zu ihm herab. »Versteht ihr mich denn nicht?« fragte der Mathoner. »Ich will euch helfen.« Sie diskutierten leise miteinander. »Benehmt euch, Freunde«, sagte er leise. »Wenn ihr nicht spurt, rufe ich Anlytha. Dann bin ich in zwanzig Sekunden aus die sem Loch heraus.« Einer der Goonies trat bis an den Rand des Loches. Er legte sich auf den Boden und gestikulierte mit den Händen, um den Kund schafter auf sich aufmerksam zu machen. »Wir haben lange auf dich gewartet, Schwarzer«, sagte er dann. »Es steht ge schrieben, daß du im Zorn in den Himmel gefahren bist. Seitdem währt das Leben nur eine kurze Spanne. Danach kommt der ewi ge Tod. Es steht aber auch geschrieben, daß du eines Tages zu uns zurückkehren wirst, und daß unser Leben dann ewig währen wird, sofern es uns gelingt, dich zum Blei ben zu bewegen.« Er schnellte sich hoch und begann zu tan zen. Die anderen Goonies stimmten einen
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schwermütig klingenden Gesang an.
3. Anlytha blickte verblüfft auf die Spuren der Goonies, die mitten auf einem Platz in der Stadt endeten. Sie hielt den Antigravgleiter an und über prüfte das Infrarot-Ortungsgerät. Es war in Ordnung. Und es bestätigte, was sie mit blo ßem Auge sehen konnte. Die Spuren ende ten, als hätte sich der Goonie in Luft aufge löst. Sie schüttelte den Kopf und rieb sich un willkürlich die Augen. Ihr fliederfarbenes Gesicht verdunkelte sich. Sie ließ den Glei ter absinken, bis er den Boden berührte, dann stieg sie aus und folgte den Spuren, die sich im Sand randscharf abzeichneten. Sie war nicht besonders geübt im Spurenlesen, glaubte jedoch, erkennen zu können, daß die Spur nicht älter war als eine Stunde. Sie ging bis über das Ende der Spur hin aus, um festzustellen, daß sich ihre Füße im Sand abdrückten. Danach blieb sie stehen und blickte ratlos auf die Spur. Irgendwo mußte der Goonie geblieben sein. Sie glaub te nicht daran, daß es sich bei ihm um einen Teleporter handelte. Parapsychische Talente hatte sie bei Goonies nicht beobachtet. Sie zwitscherte unwillig, da ihr keine Lö sung einfiel. Dann führte sie das Armband funkgerät zu den Lippen, um Algonkin-Yat ta zu verständigen und zu befragen. Dabei blickte sie zufällig zu einem verfallenen Haus in ihrer Nähe hinüber. Vier Goonies standen davor. Sie waren in Leder gekleidet und hielten Waffen in den Händen, die Anlytha augenblicklich als Energiestrahler identifizierte. Sie zielten je doch nicht auf sie, sondern hielten die Waf fen quer vor dem Bauch. Als sie merkten, daß Anlytha sie gesehen hatte, setzten sie sich in Bewegung und schritten auf sie zu. Das Mädchen wollte wieder in den Gleiter steigen, doch damit waren die Goonies nicht einverstanden. Sie rissen die Strahlwaffen hoch und zielten auf
sie. »Bleib, wo du bist«, rief einer von ihnen. Ihr Translator übersetzte seine Worte. Sie lehnte sich an den Gleiter, griff zum Armaturenbrett und schaltete den Energie schirm ein. Sie hätte den Goonies auch ir gendein Trugbild vorgaukeln können, wollte aber verhindern, daß sie schossen. Die vier Humanoiden blieben stehen. Sie flüsterten miteinander. Anlytha war über zeugt davon, daß sie wußten, was ein Ener gieschirm war. »Ich komme in Frieden«, rief sie ihnen zu. »Und ich möchte mit euch reden.« Ein schriller Schrei ertönte. Anlytha fuhr herum und blickte in den Himmel hinauf. Ein riesiger Drache senkte sich mit heftigem Flügelschlag auf sie herab. Einer der Goonies pfiff aus den Fingern. Der Flugsaurier breitete seine Hautflügel aus und segelte über Anlytha und den Gleiter hinweg. Zwei der Goonies rannten davon. Die anderen beiden streckten ihre Arme in die Höhe. Mit beiden Händen hielten sie ihre Strahlwaffen, wobei die eine Hand am Schaft, die andere am Projektor lag. Verblüfft beobachtete Anlytha, daß der Flugdrache seine Krallen um die Waffen schlug und die beiden Männer mit sich riß. Er stieg auf und segelte über einige Ruinen hinweg. Sie sah, daß er hinter einer bewal deten Hügelkuppe verschwand. Jetzt war ihr zumindest klar, weshalb die Spur des Goonies, den sie verfolgt hatte, mitten auf dem Platz endete. Ein Drache hat te den Mann aufgenommen und davongetra gen. Beunruhigt blickte sie sich um. Nie mand hielt sich in ihrer Nähe auf. Die Goo nies waren verschwunden. Sie hatten sich grundlos zurückgezogen, wie Anlytha mein te. Sie stieg in den Gleiter und ließ sich in die Polster sinken. Suchend blickte sie sich um. Der Platz war leer. Zwischen den Häu sern zeigte sich niemand mehr. Es schien, als sei jegliches Leben in ihrer Nähe erstor ben. Sie dachte jedoch nicht daran, so schnell
Der Drachenkrieg aufzugeben. Sie startete den Gleiter und flog dorthin, wo der Drache mit den beiden Goo nies verschwunden war. Sie hoffte, irgendwo auf Spuren zu stoßen, die ihr weiterhal fen, wurde jedoch enttäuscht. Hinter der be waldeten Hügelkuppe dehnte sich ein un übersichtliches Ruinenfeld. Hier stand kein einziges Haus mehr. Sämtliche Gebäude wa ren in sich zusammengefallen. Anlytha ver mutete, daß sie von einem Beben zerstört worden waren. Sie flog etwa fünf Kilometer weit über das Ruinenfeld hinweg und kehrte dann um, da sie nicht die geringste Spur der Goonies entdeckt hatte. Kurz bevor sie die Hügel er reichte, hinter denen der Drache verschwun den war, schaltete sie die Infrarotortung ein. Ein helles Quadrat zeichnete sich auf dem Bildschirm ab. Anlytha hielt den Gleiter an. Sie wußte, daß sie den Eingang zum Versteck der Goo nies gefunden hatte. Sie vermutete, daß sie sich über einem quadratischen Schott be fand, das zur Tarnung mit Trümmern belegt war. Sie schaltete das Funkgerät des Gleiters ein und rief Algonkin-Yatta. Er antwortete augenblicklich. Rasch unterrichtete sie ihn über ihren Fund. »Kommst du hierher?« fragte sie. »Oder steckst du noch immer im Turm?« »Nicht im Turm. In der Grube«, antworte te er. »Das soll wohl ein Witz sein – oder?« fragte sie. »Durchaus nicht«, widersprach er und schilderte ihr seine Situation. »Ich möchte mit den Fischern sprechen. Deshalb bleibe ich vorläufig noch hier unten. Sollte sich al lerdings zeigen, daß sich keine vernünftigen Kontakte anbahnen, habe ich eine kleine Überraschung für sie bereit.« »Ich verstehe«, sagte sie. »Du läßt sie also im Glauben, daß du schwach und hilflos bist.« »So ist es«, antwortete er. »Bis später. Die Goonies werden schon mißtrauisch.« Er brach die Funkverbindung ab. Anlytha
15 zog sich etwa zweihundert Meter weit von dem Schott zurück, nachdem sie sich die Stelle eingeprägt hatte, an dem es sich be fand. Dann setzte sie den Antigravgleiter ab und sicherte ihn unter einem Energieschirm. Danach kehrte sie zum Schott zurück. Sie setzte sich auf einen Stein und wartete. Psionische Impulswellen gingen von ihr aus und vermittelten den Eindruck einer großen Blume von besonderer Schönheit. Sie hoffte, daß die Goonies auf diesen Ein druck reagierten und daß sie ein vergleich bares Schönheitsempfinden hatten wie sie selbst. Etwa eine halbe Stunde verstrich. Mühe los hielt Anlytha das Scheinbild aufrecht. Das Schott senkte sich ab. Eine quadrati sche Öffnung entstand. Jemand legte eine Leiter an, und dann schob sich ein Kopf über den Rand hinweg. Anlytha blickte in das Gesicht eines Goonies. Die Sichtfühler bewegten sich heftig. Anlytha war versucht, den Eindruck der Schönheit der Blume noch durch Ausstrah len von Duftempfindungen zu verstärken, verzichtete jedoch darauf, da sie nichts über die Geruchssinne der Goonies wußte. Das Wesen stieg aus der Öffnung hervor und näherte sich ihr. Andere Goonies folg ten. Sie sahen alle friedlich aus. Nur wenige von ihnen waren bewaffnet. Sie trugen sau bere und gepflegte Kleidung. Behutsam schob Anlytha das Blumenbild zur Seite und ließ ihr eigenes Bild hervortre ten. Die Goonies raunten aufgeregt. Einige von ihnen klatschten in die Hände oder ver suchten, die Blume zu berühren. Anlytha sorgte dafür, daß sie das Gefühl hatten, das auch wirklich zu tun. Als sie spürte, daß eine freundliche Stim mung herrschte, ließ sie das Trugbild lang sam verblassen, bis es schließlich ganz ver schwand. Klein und zierlich stand sie vor den Goonies, die nun erkannten, daß von ihr keine Gefahr ausging. Ein mit einem Gewehr bewaffneter Mann trat auf sie zu. »Wer bist du?« fragte er. Der Translator
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übersetzte seine Worte. »Anlytha«, antwortete sie freundlich. »Ich bin hier, weil ich mit euch reden möchte.« »Kommst du aus dem Norden?« fragte er. »Nein«, erwiderte sie und zeigte zu den Wolken hoch. »Ich komme von einer ande ren Welt, die unendlich weit von hier ent fernt ist. Ich weiß nicht, was im Norden ist.« »Im Norden ist Krieg«, antwortete der Goonie. »Wir wollen nichts damit zu tun ha ben.« »Ich verabscheue Krieg«, erklärte sie wahrheitsgemäß. »Wer bist du?« »Ich bin Gooron«, sagte der Goonie. »Wenn du willst, kannst du zu uns kom men.« »Ich bin nicht allein«, erklärte sie. »Ich habe einen Gefährten. Er war zuletzt beim Turm drüben. Er wird später hierher kom men.« Die Goonies reagierten erregt auf diese Worte. Aus einigen Rufen, die der Transla tor übersetzte, schloß Anlytha, daß diese Goonies mit den Fischern in Feindschaft lebten. Gooron trat noch näher an sie heran. Sie erkannte ihn an einer Narbe, die sein Kinn verunzierte. »Am Turm sind die Fischer«, sagte er. »Sie sind unsere Feinde.« »Mein Gefährte ist in ihrer Hand«, erwi derte sie, »aber er kann sich befreien, wenn er es will.« »Warum tut er es nicht?« »Er möchte mit ihnen sprechen, aber wenn ihr sagt, daß sie eure Feinde sind, wird er es nicht tun, sondern sich befreien und hierher kommen.« »Das ist besser«, erklärte Gooron befrie digt. Er verneigte sich vor ihr. »Du bist schön. Ist er es auch?« »Das werdet ihr sehen.« Sie schaltete ihr Armbandfunkgerät ein und rief Algonkin-Yat ta.
* Der Kundschafter nahm etwas Sand auf
und schleuderte ihn nach oben durch das Netz. Einige kleine Steine trafen einen der beiden tanzenden Fischer, jedoch ohne ihn aufmerksam zu machen. Aus den Trümmern der Häuser kamen weitere Goonies hervor. Sie begannen ebenfalls zu singen und zu tanzen. Einige von ihnen trugen altertümli che Gewehre, die unbrauchbar erschienen. Algonkin-Yatta glaubte, daß sie auseinan derplatzen würden, wenn die Fischer sie be nutzten. Doch solange wollte er nicht warten. Er versuchte abermals, mit den Fischern zu re den, fand jedoch keine Beachtung. Da meldete sich Anlytha. Er schaltete das Funkgerät ein, und sie berichtete, was sich inzwischen ereignet hatte. »Ich komme zu dir«, entschied er. »Hier ist vorläufig nichts zu machen.« Er lief eini ge Meter weit bis zu einem großen Stein, sprang hinauf und schnellte sich ab. Seine Hände krallten sich in das Netz über der Fal le. Es war elastisch, und er sank weit mit ihm nach unten. Mit einem Ruck zerriß er es, und mühelos schwang er sich durch die Öffnung. Die Fischer wurden schlagartig still. Sie blieben stehen und beobachteten ihn. Ein Schrei ertönte, während Algonkin-Yat ta zum Rand des Loches kroch. Aus einer der Ruinen trat ein mit Federn geschmückter Goonie hervor. Die Federn bedeckten nicht nur seinen Kopf, sondern den ganzen Kör per. Dabei waren die Federn an den Armen, Beinen und am Rumpf in unterschiedlichen Farben gehalten, während einheitlich grüne Federn den Kopf umhüllten. Der Goonie kam tanzend näher. Nach je weils drei Tanzschritten erstarrte er mitten in der Bewegung, verharrte für einige Sekun den so, und tanzte danach erneut weiter. Als er den Rand der Grube fast erreicht hatte, stieß er beide Arme in die Höhe. »Es ist der Schwarze, der zurückkehren soll«, schrie er in schrillen Tönen. »Er ist zurückgekehrt, aber er wird uns wieder ver lassen, wenn wir es nicht verhindern.« Die anderen Goonies sangen im Chor die
Der Drachenkrieg Gegenfrage: »Wie sollen wir es verhin dern?« Algonkin-Yatta fuhr es kalt über den Rücken, als er begriff, daß er Mittelpunkt ei nes uralten Rituals war, das in dieser Form vielleicht schon seit Jahrtausenden gefeiert wurde, – aber nie mit einem »Schwarzen« als Zentralfigur. Die Gegenfrage erfolgte in exakter Ab stimmung der Sänger und war klar verständ lich, wie es nur bei einem sorgfältig einstu dierten Wechselgesang der Fall sein konnte. »Er muß den Tod nehmen«, antwortete der Gefiederte, den Algonkin-Yatta für einen Priester hielt. »Er muß den Tod in sich aufnehmen, damit wir frei werden.« »Sollen wir ihn töten?« fragte der Chor. Bevor der Priester die Anweisung geben konnte, ihn umzubringen, ließ Algonkin-Yat ta sich auf den Bauch fallen, so daß er flach im Netz lag. Er zog seinen Kombistrahler hervor, schaltete ihn auf Paralyseimpulse und löste ihn aus. Dabei warf er sich herum, so daß er mit der Waffe alle Goonies in der Nähe erreichen konnte. Der Reihe nach bra chen die Fischer zusammen. Auch der Prie ster stürzte narkotisiert zu Boden. Als keiner der Goonies mehr auf den Bei nen stand, kroch der Kundschafter aus dem Netz heraus. Er blickte sich in der Runde um, um sich davon zu überzeugen, daß kei ner der Goonies nur vortäuschte, gelähmt zu sein. Doch nirgendwo bemerkte er eine ver dächtige Bewegung. Dennoch zog er sich rückwärtsschreitend zurück, um jegliches Risiko auszuschalten. Erst als er sicher war, daß ihn niemand aus einem Hinterhalt her aus beschießen würde, fuhr er herum und rannte in der Richtung davon, in der er An lytha vermutete. Er ließ sich ein Funkpeilsignal geben. Bald entdeckte er die Goonies, die Anlytha umstanden, und eilte zu ihnen. Anlytha winkte ihm zu. Einer der Goonies trat Algonkin-Yatta entgegen, blickte ihn schweigend an, wandte sich dann an Anlytha und sagte: »So schön wie du ist er nicht, aber wir nehmen ihn bei
17 uns auf, weil er zu dir gehört.«
* »Pörs-Odon liegt in Trümmern«, sagte Gooron. »Nirgendwo regt sich noch Leben. Nur hier bei uns. Im Norden ist Krieg. Dort kämpfen die Tarakfanter gegeneinander. Sie werden solange kämpfen, bis es keine Ta rakfanter mehr gibt. Dann erst wird Friede sein, und wir können in den Norden zurück kehren.« Algonkin-Yatta und Anlytha waren ihm und den anderen Goonies in die Anlage un ter der Stadt gefolgt. Dabei erwies sich, daß die einzige technische Anlage, die noch funktionierte, das Schott war, durch das man nach unten kam. In den vielverzweigten Gängen und in den Räumen unter der Rui nenstadt gab es keine Elektrizität. Überall brannten Feuer. Durch ein geschickt ange legtes Entlüftungssystem zog der Rauch ab. Auch die anderen Einrichtungen zeigten, daß die Goonies lediglich hier unten hau sten, aber so gut wie nichts von dem be herrschten, was die Erbauer installiert hat ten. Algonkin-Yatta wechselte einen kurzen Blick mit Anlytha. Er wußte, daß er die Worte Goorons nicht so ernst nehmen durf te, wie sie klangen. Gooron und die anderen Goonies dieser Stadt hatten fraglos gar nicht die Möglichkeit, sich über die Zustände auf dem ganzen Planeten zu informieren. Ver mutlich konnten sie sich noch nicht einmal vorstellen, wie groß Pörs-Odon eigentlich war, und wie viele Goonies auf diesem Pla neten lebten. Sicherlich waren sie nicht al lein. Interessant fand der Mathoner jedoch die Bemerkung, daß im Norden Tarakfanter ge geneinander kämpften. »Tarakfanter sind die Flugdrachen«, sagte er. »Ist das richtig? Anlytha hat gesehen, daß einer dieser Tarakfanter zwei von euren Männern getragen hat.« »Das ist richtig«, bestätigte Gooron. »Wir haben Tarak verletzt vor der Stadt gefunden.
18 Ein anderer Drache hatte ihm fast den Schä del zerschlagen. Wir haben Tarak zu uns ge nommen und ihn gesundgepflegt. Er ist uns dankbar dafür.« »Ich erinnere mich«, sagte Anlytha. »Der Drache hatte eine Narbe am Hinterkopf.« Sie blickte den Mathoner an, und dieser wußte, was sie damit ausdrücken wollte. Sie vermutete, daß bei der Verwundung die Me tallkapsel entfernt worden war, mit denen die Tarakfanter manipuliert wurden. Das würde erklären, weshalb der Drache sich so freundschaftlich gegenüber den Goonies be nahm. Algonkin-Yatta schüttelte kaum merklich den Kopf. Es gab noch eine andere Möglichkeit. Die Goonies von Pörs-Odon konnten auch über ein Steuergerät verfügen, mit dem der Dra che gelenkt wurde. Doch das war weniger wahrscheinlich als die Vermutung von An lytha. Algonkin-Yatta und seine Gefährtin saßen mit Gooron und zwölf weiteren Goonies in einem ovalen Raum, der an seiner weitesten Rundung einen Durchmesser von etwa zwanzig Metern hatte. In der Mitte loderte ein Feuer, über dem sich auf einem Gestell ein Braten drehte. Ein zierliches Mädchen sorgte dafür, daß das Fleisch nicht verbrann te. Die meisten Goonies wälzten gedrehte Blätter zwischen den Lippen hin und her und spuckten hin und wieder einen grünen Saft auf den Boden. Dieser strömte einen unangenehmen Geruch aus. An den Wänden der Halle brannten Fackeln. Sie waren in regelmäßigen Abstän den zwischen aufgestellten Waffen der un terschiedlichsten Art angebracht. Von der Decke hingen präparierte Felle von erlegten Tieren herab. Sie waren teilweise mit roter und grüner Farbe gekennzeichnet. In der Halle war es heiß und stickig. Die Temperaturen lagen weit über den Durch schnittstemperaturen, die auf dem vierten Planeten des Systems geherrscht hatten. Da zu war die Luftfeuchtigkeit außerordentlich hoch. Selbst Anlytha, die sonst gegen derar-
H. G. Francis tige Belastungen weitgehend unempfindlich war, schwitzte. Gooron ließ ein säuerlich schmeckendes Getränk herumreichen. Algonkin-Yatta und Anlytha kosteten nur vorsichtig davon, da sie nicht sicher sein konnten, daß sie es auch vertrugen. »Du sagtest, daß die Tarakfanter im Nor den gegeneinander kämpfen«, bemerkte der Mathoner. »Weißt du, warum sie kämpfen?« Gooron schüttelte die Hände, wobei er dem Kundschafter die Handflächen zuwand te. Damit wollte er Hilflosigkeit ausdrücken. »Das weiß niemand«, entgegnete er. »Wir wissen nicht, woher die Tarakfanter kom men. Irgendwo in den tiefen Wäldern müs sen ihre Brutstätten sein, aus denen sie her vorkommen, um zu kämpfen und zu sterben. Niemand hat das Rätsel bisher gelöst.« »Haben die Drachen die Städte zerstört?« fragte Anlytha. »Das können wir nur vermuten«, erwider te der Goonie. »Es gibt kaum noch jeman den unter uns, der weiß, wie die Städte frü her waren. Viele sollen versucht haben, die Häuser wieder aufzubauen, aber niemandem ist das für eine längere Zeit gelungen.« »Hast du je ein Raumschiff gesehen?« fragte Algonkin-Yatta. Gooron schüttelte hilflos die Hände. Er wußte nicht, was der Mathoner damit mein te. Algonkin-Yatta bemühte sich nun, ihm zu erklären, was ein Raumschiff war, doch das gelang ihm nicht. »Aber irgendwo müssen sie doch landen«, sagte Anlytha. »Das kann doch nicht unbe merkt bleiben.« »Offenbar doch«, entgegnete der Matho ner. »Wenn die Raumer in unbewohnten Ge bieten starten und landen, kann niemand sie beobachten.« Gooron verzehrte eine Frucht, die einer der anderen Männer ihm reichte. Erst als er sie aufgegessen hatte, wandte er sich wieder an seine Gäste. »Wir verstehen nicht, daß die Tarakfanter sich ständig bekämpfen«, erklärte er.
Der Drachenkrieg »Wußtest du, daß sie intelligent sind? Sie stehen zwischen den Tieren und uns.« Damit hatte Algonkin-Yatta nicht gerech net. Die Tarakfanter, die er zusammen mit Anlytha beobachtet hatte, hatten sich wie Tiere verhalten, nicht aber wie Halbintelli genzen. Damit hatte sich die Lage gründlich geän dert. Der Kundschafter war schon vorher ent schlossen gewesen, den Tarakfantern zu hel fen und ihre Manipulation zu beenden. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, ob sie intelligent waren oder nicht. Ihm hatte ge nügt, daß man ihnen Steuergeräte einge pflanzt und sie somit mißbraucht hatte. Nun zeigte sich, daß die Flugsaurier sogar über eine gewisse Intelligenz verfügten und nicht den Tieren zugerechnet werden durf ten. Dadurch fühlte Algonkin-Yatta sich noch mehr als zuvor zum Eingreifen ver pflichtet. »Wir werden nach Norden gehen«, sagte er. »Ich muß wissen, was dort geschieht.« Er verschwieg Gooron, was er über den Norden wußte. Dort gab es wenigstens eine Stadt, in der es Kraftwerke gab, die mit Atomkraft arbeiteten. Die Ortungsergebnisse waren eindeutig gewesen. Daher bestand kein Zweifel für den Mathoner, daß irgendwo im Norden des Planeten Goonies auf ei nem hohen Stand der Technik lebten. Waren sie es, die die Tarakfanter manipulierten? Weshalb nahmen sie keine Verbindung mit den anderen Goonies auf Pörs-Odon auf? Waren es vielleicht gar keine Goonies, son dern die Vertreter eines anderen Sternen volks? Hatten sie die Städte auf diesem Pla neten in Schutt und Asche gelegt? Und sorg ten sie dafür, daß alles, was aufgebaut wur de, auch bald wieder in Trümmer ging? »Es ist noch niemand aus dem Norden zu rückgekehrt«, erklärte Gooron. »Nur Tarak ist von dort gekommen. Im Norden wohnt der Tod. Ich gebe dir einen Rat. Bleib hier bei uns. Im Norden kannst du nur sterben.« »Das wird sich zeigen«, entgegnete der Kundschafter.
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4. Zehn Stunden später raste der Gleiter durch eine Gewitterfront. Regenböen peitschten gegen den Energieschirm, der ihn umhüllte. Algonkin-Yatta überlegte, ob er aufsteigen und die Schlechtwetterfront über fliegen sollte, als es plötzlich aufklarte. Sie flogen über ein ausgedehntes Dschun gelgebiet hinweg, aus dem hin und wieder turmartige Gebilde aus gewachsenem Felsen aufstiegen. Die meisten von ihnen dienten großen Raubvögeln als Nistplatz. »Noch etwa achthundert Kilometer bis zur nächsten bewohnten Stadt«, sagte der Mathoner. »Kein Wunder, daß unsere Freunde davon nichts wußten, wie es dort aussieht. Der Dschungel ist so gut wie un durchdringlich für sie.« »Was ist das?« rief Anlytha und zeigte nach Westen. Eine weiß schimmernde Flä che durchbrach dort das Grün des Urwalds. Einzelheiten waren noch nicht zu erkennen. Algonkin-Yatta lenkte den Gleiter nach We sten. Schweigend näherte er sich dem Gebiet. Anlytha spielte neugierig an den Beobach tungsgeräten herum. Sie wollte die optischen Möglichkeiten der Kundschafterkapsel nut zen, war jedoch nicht schnell genug. Der Mathoner hatte den Antigravgleiter bereits so weit an das weiße Feld herangeführt, daß er etwas erkennen konnte, bevor sie das Ge rät richtig eingestellt hatte. »Das sind Knochen«, rief er. Sie blickte auf. Ihre Augen weiteten sich. Der Gleiter war nun nur noch etwa zweihun dert Meter vom Rand des weiß leuchtenden Gebiets entfernt. Anlytha sah, daß er richtig beobachtet hatte. Eine Fläche von etwa vier Kilometern Breite und zehn Kilometern Länge war mit ausgebleichten Knochen von riesigen Tieren bedeckt. Algonkin-Yatta landete mitten in dem mit Knochen bedeckten Gebiet an einer Stelle, an der die Reste der verendeten Tiere nur et
20 wa zwei Meter hoch lagen. »Das sind Skelette von Tarakfantern«, stellte Anlytha zwitschernd fest, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das sind Knochen von Drachen.« Sie sprang aus dem Gleiter und kletterte über einen Knochenberg hinweg. Sie legte ihre Hand auf den Kopf eines Drachen. Der Schädel wies ein großes Loch auf. Sie zeigte darauf. »Sieh doch«, rief sie. »Da liegt noch die Metallkapsel, mit der der Drache gelenkt worden ist. Und da. In dem Schädel dort ist auch noch eine Kapsel.« Aufgeregt eilte sie durch die Knochenber ge und stürzte sich auf jeden Schädel, den sie finden konnte. Zunächst ging sie behut sam vor, doch dann sah sie ein, daß Zurück haltung fehl am Platz war. Sie nahm einen Knochen und zertrümmerte damit unversehrt gebliebene Drachenschädel, um sich davon zu überzeugen, daß alle mit Steuergeräten versehen waren. »Ein ungeheures Verbrechen«, sagte sie schließlich und blieb auf den Resten einer Wirbelsäule stehen. Empört stemmte sie die Fäuste in die Hüften. »Du hast es doch gewußt«, entgegnete Al gonkin-Yatta, der ihr mit dem Gleiter ge folgt war. »Schon auf Doron-Sölp haben wir es herausgefunden, daß die Drachen miß braucht werden. Wozu regst du dich jetzt noch auf? Das ändert nichts mehr.« »Irgend jemand hetzt die Tarakfanter ge geneinander und amüsiert sich darüber, daß sie sich gegenseitig umbringen«, erwiderte sie heftig. »Verstehst du denn nicht? Die Ta rakfanter werden auf Doron-Sölp mit Kap seln versehen, nur um hier zu Tausenden oder gar zu Millionen ermordet zu werden.« Algonkin-Yatta schüttelte den Kopf. »Keine voreiligen Schlüsse«, bat er. »Daß hier die Skelette von einigen Millionen Dra chen liegen, besagt vorläufig überhaupt noch nichts. Die Tarakfanter sind tot. Na und? Sie werden vielleicht schon seit tausend Jahren oder mehr von Doron-Sölp hierher ge bracht.«
H. G. Francis »Und hier ermordet!« »Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht bilden sie weiter oben im Norden den Teil einer Zivilisation, wie wir sie bisher noch nirgendwo gefunden haben. Vielleicht benötigt man sie für medizinische Experi mente, die den einzigen Weg darstellen, uns noch unbekannte, hochgestellte Intelligen zen vor dem Ende zu retten. Vielleicht nutzt man die Kapseln aber auch, um die Tarak fanter auf diese Weise zu höherer Intelligenz zu bringen.« »Vorher hat man sie bösartig und wild ge macht«, widersprach Anlytha. »Vergiß das nicht. Die Drachen sind aggressiv, solange sie die Kapseln im Gehirn haben. Wenn die Kapseln entfernt werden, sind sie gutmütig, freundlich und hilfsbereit.« »Ich wollte mit meinen Überlegungen nur darstellen, daß es viele Möglichkeiten gibt«, erklärte er ruhig. Sie dachte einige Minuten über seine Worte nach. Trotzig versuchte sie, ihre eige ne Überzeugung durch weitere Argumente zu untermauern, sah aber ein, daß sie das nicht konnte. Daher nickte sie schließlich. »Du könntest recht haben«, sagte sie zö gernd. »Wir werden uns weiter umsehen. Vielleicht finden wir heraus, was mit den Tarakfantern geschieht.« »Ganz meiner Meinung.« Er zeigte einladend auf ihren Sessel im Antigrav, und sie schwang sich hinein. Er zog den Gleiter herum, so daß der Bug wie der nach Westen wies, dann ließ er ihn lang sam weitertreiben. Der Wind kam aus dem Osten. Daher fiel dem Kundschafter und seiner Gefährtin zu nächst gar nicht auf, daß sich in zunehmendem Maße Verwesungsrückstände zwischen den Knochen befanden. Sie wurden erst auf merksam, als weit vor ihnen ein Schwarm von Vögeln aufstieg, der durch sie aufge scheucht worden war. Es waren Vögel mit Flügelspannweiten von mehr als fünf Me tern. Einige von ihnen schleppten Fleisch brocken von erheblichen Ausmaßen in die Höhe.
Der Drachenkrieg Anlytha hielt sich die Nase zu, als der Wind umschlug. Ein intensiver Verwesungs geruch schlug ihnen entgegen. Algonkin-Yat ta zog den Gleiter steil in die Höhe. »Sieh dir das an«, sagte er. »Hier werden die toten Tarakfanter gestapelt.« Er deutete in die Tiefe. Deutlich waren teilweise noch vollständige Drachenkörper zu sehen. Die meisten waren allerdings von den Aasfressern schon zerrissen worden. »Es sind wenigstens tausend Drachen«, bemerkte Anlytha erschüttert. Die Ebene der toten Drachen endete in ei ner sich trichterartig verjüngenden Schneise, die in weitem Bogen zunächst nach Westen und dann nach Norden führte, wo sie sich im Grün des Dschungels verlor. In der trichter artigen Einmündung türmten sich die Kada ver bis zu einer Höhe von fast fünfzig Me tern. Algonkin-Yatta ließ den Antigravglei ter absinken, bis er Einzelheiten erkennen konnte. Zwischen den Tierkörpern wimmel te es von Aasfressern aller Art. »Das ist ein ungeheures Verbrechen«, sagte Anlytha. »Es ist durch nichts zu ent schuldigen. Niemand hat das Recht, so et was zu tun.« Der Mathoner ließ den Gleiter nun mit mäßiger Geschwindigkeit durch die Schnei se treiben. Er flog in der Höhe der Baum wipfel, hielt sich aber in der Mitte des etwa zweihundert Meter breiten Einschnitts. Er sah, daß der Boden unter ihnen rostigbraun war, und er zweifelte nicht daran, daß er die se Färbung durch das vergossene Blut der Drachen erhalten hatte. »Gooron hat also recht gehabt«, stellte er fest. »Die Drachen kämpfen wirklich mitein ander. Sie tun es hier in der Schneise, und die Toten werden am Ende der Schneise auf den Drachenfriedhof gebracht.« Die Spuren wilder Kämpfe waren noch zu sehen. Mächtige Krallen hatten den Boden aufgerissen und umgegraben. Bäume und Büsche waren zerfetzt worden. Und an meh reren Stellen lagen Skelettreste von Tarak fantern auf dem Boden. Technisches Gerät war jedoch nicht zu sehen.
21 »Sie sind aufeinander losgegangen und haben sich mit Krallen und Zähnen be kämpft«, sagte Anlytha. »Oder? Glaubst du, daß etwas anderes geschehen ist?« Er schüttelte den Kopf. »Dies ist ein Kampfplatz«, erwiderte er. »Und es würde mich nicht überraschen, wenn am anderen Ende der Schneise eben falls ein Friedhof liegt.« »Du meinst, irgend jemand setzt die Ta rakfanter hier in der Schneise aus und läßt sie gegeneinander kämpfen, wobei die eine Partei versucht, die andere bis ans Ende der Schneise zu treiben?« »Genau das denke ich.« »Aber wozu?« rief sie. »Daran kann doch niemand seinen Spaß haben. Schon gar nicht über Jahrhunderte hinweg.« Algonkin-Yatta zuckte nur mit den Schul tern. Er wußte keine Antwort darauf. Er bemerkte einen zusammengekauerten Tarakfanter, der etwa vierhundert Meter von ihnen entfernt mitten in der Schneise kauer te. Der Drache schien verletzt zu sein. Der Mathoner machte Anlytha auf ihn aufmerk sam. »Wir wollen mal sehen, was mit ihm ist. Vielleicht gibt er uns ein paar Informatio nen«, sagte er. Dabei dachte er an Gooron und Tarak zurück. Er hatte versucht, einige Auskünfte von dem Drachen zu bekommen, der bei Goorons Leuten lebte, aber Tarak hatte offensichtlich so starke Gehirnschädi gungen erlitten, daß er nicht dazu fähig war, klare Gedanken zu formulieren. Algonkin-Yatta ließ den Gleiter absinken und näherte sich vorsichtig dem Drachen, der in einer Mulde hockte und den Kopf auf einen umgestürzten Baumstamm stützte. Das halbintelligente Wesen zeigte nicht, ob es sie bemerkte. Es hielt die Augen weit ge öffnet. Nur die aus dem Maul heraushängen de Zunge bewegte sich. Algonkin-Yatta landete ungefähr zwanzig Meter von ihm entfernt. Zusammen mit An lytha stieg er aus und ging näher heran. Als er etwa fünf Meter vor ihm war, rutschte der Kopf vom Baumstamm ab und sackte auf
22 den Boden. Das Leben in den schwarzen Augen erlosch. »Wir sind einige Minuten zu spät gekom men«, sagte der Mathoner. Er bemerkte, daß der Drache einen blutigen Riß in der Bauch decke hatte. Dieser war offenbar die Ursa che für den Tod. Ein Schrei ertönte. Algonkin-Yatta blickte nach oben. Ein riesiger Raubvogel zog über sie hinweg. Er hielt den Kopf eines Tarak fanters in seinen Klauen. Als er direkt über ihnen war, ließ er den Kopf fallen. Der Ma thoner warf sich zur Seite. Anlytha rollte sich in den Schutz des Baumstamms. Der Kopf prallte krachend gegen den Baumstamm und platzte auseinander. Der Raubvogel stürzte sich auf ihn, ohne den Kundschafter und Anlytha zu beachten, die aus der Nähe des Stammes flüchtete. Der Vogel grub seinen Schnabel in das Innere des Drachenschädels. Anlytha schrie empört auf. »Tu doch was«, rief sie. Der Mathoner schüttelte den Kopf. »Warum sollten wir in die Natur eingrei fen?« fragte er. »Der Raubvogel hat die Auf gabe, Aas zu beseitigen.« Anlytha lief zum Gleiter, schwang sich hinein und setzte sich auf ihren Sitz. Sie kreuzte die Arme vor der Brust, senkte den Kopf und blickte zornig auf ihre Knie. Algonkin-Yatta wollte zu ihr gehen, als er es hinter sich krachen hörte. Das Laub des Urwalds teilte sich, und ein riesiger Tarak fanter brach aus dem Dickicht hervor. Er stürzte sich mit weit geöffnetem Rachen auf den Kundschafter. Algonkin-Yatta griff nach seinem Kombi strahler, den er auf Narkosewirkung gestellt hatte. Bevor er ihn auslösen konnte, traf ihn ein Prankenschlag. Die Waffe wirbelte da von. Der Mathoner schnellte sich zur Seite und entging auf diese Weise den Reißzähnen des Drachen. Er hörte Anlytha schreien. Sie gaukelte dem Tarakfanter einen Flug saurier vor, der ihn um weit mehr als zwan zig Meter überragte. Doch der Tarakfanter
H. G. Francis reagierte überhaupt nicht auf dieses Trug bild. Er griff blindlings an. Die Krallen fuh ren zentimeternah an Algonkin-Yatta vorbei und rissen den Boden auf. Anlytha versuchte es nun, mit einem be täubend schönen Blumengebilde, hatte aber auch damit keinen Erfolg. Der manipulierte Drache schien keinerlei Schönheitsempfin den zu haben. Dafür hatte er einen gewissen Instinkt dafür, wo sich der Mathoner ver barg. Wiederum verfehlten die Pranken und die Zähne das Opfer nur um wenige Zenti meter. Anlytha raffte sich zur größten Kraftan strengung auf, die ihr möglich war. Sie ver suchte, sich und den Kundschafter unsicht bar erscheinen zu lassen. Eine psionische Impulswellenfront jagte über den Flugsauri er hinweg und beeinflußte seine Sinne. Der Tarakfanter sah weder den Mathoner, noch bemerkte er Anlytha. Für ihn war nur noch der Gleiter da. Dieser interessierte ihn je doch nicht. Er war ein totes Ding für ihn, das ohne jede Ausstrahlung war. Er bewegte sich schwankend hin und her. Sein mächtiger Kopf pendelte einige Male auf und ab. Dann machte Algonkin-Yatta den Fehler, sich zu bewegen. Er wollte den ihm entfallenen Kombistrahler aufheben, und ein Zweig knackte unter seinen Füßen. Sofort griff der Tarakfanter an. Er streckte die vorderen Gliedmaßen vor und schlug mit beiden Pranken zu, als wüßte er genau, daß man ihn mit psionischen Mit teln täuschte. Algonkin-Yatta sprang er schreckt zurück. Eine der Krallen fuhr ihm dicht unter dem Knie ins Hosenbein und riß es auf. Anlytha war so entsetzt, daß sie für Se kundenbruchteile vergaß, das Trugbild auf rechtzuerhalten. Algonkin-Yatta wurde für den Drachen wieder sichtbar. Der Tarakfanter verhielt sich einige Se kunden lang völlig ruhig. Er blickte den dunkelhäutigen Mathoner mit verengten Au gen an, so als werde ihm erst jetzt wirklich bewußt, mit wem er es zu tun hatte.
Der Drachenkrieg Algonkin-Yatta ließ sich vorsichtig in die Hocke sinken. Seine Hände legten sich um einen abgebrochenen Baumstamm, der etwa drei Meter lang war und einen Durchmesser von etwa fünfzehn Zentimetern hatte. Der Tarakfanter begriff. Brüllend warf er sich auf den Mathoner. Dieser schnellte sich hoch, tänzelte leichtfüßig zur Seite, holte weit aus und schlug dem Drachen den Baumstamm wuchtig gegen den Kopf. Der Flugsaurier brach so schnell zusammen, daß es den Anschein hatte, jemand habe ihm die Beine unter dem Leib weggerissen. Seine ausgebreiteten Hautflügel schlugen klat schend auf den Boden. Algonkin-Yatta lief zu seinem Kombi strahler, nahm ihn auf und paralysierte den Tarakfanter. Das halbintelligente Wesen streckte sich seufzend auf dem Boden aus. Der Kopf rollte kraftlos zur Seite. »Das ist unsere Chance«, sagte der Kund schafter. »Nimm ihm das Steuergerät her aus, wenn es möglich ist, das zu tun, ohne ihn umzubringen.« Sie verzog das Gesicht. »Ich würde es nicht tun, wenn ich ihn da bei töten müßte«, erwiderte sie, während sie bereits einige Teile der Medoausrüstung an sich nahm. »Du erinnerst dich daran, wie man es ma chen muß?« Ihr fliederfarbenes Gesicht verdunkelte sich ein wenig. »Ich weiß es«, antwortete sie. »Das muß genügen.« Algonkin-Yatta hatte sie vor längerer Zeit in einem havarierten Raumschiff gefunden. Sie hatte ihr Gedächtnis verloren und wußte nicht mehr, wer sie war, woher sie kam und über welche Fähigkeiten sie verfügte. Mitt lerweile waren Bruchstücke ihrer Erinne rung wieder an die Oberfläche ihres Be wußtseins gekommen, waren dort jedoch nicht lange geblieben. Durch verschiedene Ereignisse in jüngster Vergangenheit hegte der Mathoner gewisse Vermutungen über Anlytha. Er sprach sie je doch nicht aus, weil sie oft empfindlich auf
23 derartige Dinge reagierte. Wortlos holte sie ein Desintegratormesser aus dem Gleiter. Es reichte als chirurgisches Besteck in diesem Fall aus, da es auf beson dere Feinheiten nicht ankam. Der Schädel des Tarakfanters war riesig, und die Metall kapsel haftete nur am Gehirn. Es steckte nicht mitten drin. Da Anlytha sicher sein konnte, daß der Drache nicht während der Operation aus der Paralyse erwachte, brauchte er nicht gefes selt zu werden. Sie kniete sich neben seinem Schädel nieder. »Du mußt mir helfen, die Adern abzu klemmen«, sagte sie. »Im Medokasten sind Klammern. Oder willst du eine Roboteinheit anfordern?« Er winkte ab. »Das dauert viel zu lange«, erwiderte er und nahm die Medobox aus dem Gleiter. Geschickt ging er dem Mädchen zur Hand, als sie die zähe Kopfhaut des Drachen durchtrennte und dabei zwangsläufig auch einige der fingerdicken Adern verletzte. Mü helos öffnete sie die Schädeldecke mit dem Desintegratormesser. Sie hielt die dabei not wendigen Einschnitte so klein wie möglich und hob schließlich eine Knochenplatte her aus, die kaum größer war als die Metallkap sel, die darunter lag. Vorsichtig löste sie sie von den Gehirnfasern ab. Dann nahm sie die Kapsel heraus und reichte sie Algonkin-Yat ta. Danach verklebte sie die Schnittstellen wieder und versiegelte die Adern. Der Spe zialklebstoff härtete so schnell aus, daß der Tarakfanter schon eine Minute nach der Operation hätte aufstehen können, wenn er nicht paralysiert gewesen wäre. So aber ver strich noch etwa eine halbe Stunde, bis sich durch Zuckungen in den verschiedenen Gliedern anzeigte, daß er die Kontrolle über seinen Körper zurückgewann. Algonkin-Yatta und seine Gefährtin saßen auf dem Rand des Gleiters und warteten. Der Mathoner hatte seinen Kombistrahler auf die Oberschenkel gelegt, um ihn für den Notfall bereit zu haben.
24 Der Kundschafter hatte bereits bei Goo rons Leuten Informationen für den Transla tor gesammelt, die die Tarakfanter betrafen. Er ließ das Gerät jetzt eingeschaltet, so daß es bei jedem Laut, den der erwachende Dra che von sich gab, weitere Informationen speichern konnte. »Glaubst du, daß er tobt, wenn er voll da ist?« fragte Anlytha. »Bestimmt nicht«, erwiderte er. »Mit die ser Kapsel werden die Tarakfanter verrückt gemacht. Sie ist heraus. Und damit ist alles in Ordnung.« »Aber was hat dann der Einfluß der kos mischen Strahlung zu bedeuten?« forschte sie weiter. »Sicherlich sind die Drachen auch da durch verändert worden«, erläuterte er. »Vielleicht wird dadurch die Voraussetzung dafür geschaffen, daß man die Kapseln ein setzen kann. Vielleicht werden sie sonst nicht angriffslustig genug.« Der Flugsaurier richtete sich unsicher auf. Er schlug mit den Flügeln und wirbelte da bei Staub auf. Als er merkte, wie sehr dieser Algonkin-Yatta und Anlytha belästigte, zog er die Flügel eng an den Körper und beweg te nur die Beine. Er hatte Schmerzen. Der Mathoner und das Mädchen sahen es ihm an. Doch bald beruhigte sich der Tarakfan ter. Er blickte sie an, und in seinen Augen funkelte ein freundliches Licht. Er gab ein paar krächzende Laute von sich. Anlytha nutzte ihre psionischen Fähigkei ten. Sie gaukelte ihm verschiedene Bilder vor, mit denen sie ihn über das informierte, was geschehen war. Gleichzeitig sprach sie auf ihn ein und veranlaßte ihn, selbst auch etwas zu sagen. Er gehorchte und kommen tierte seine Eindrücke. So kamen sie relativ schnell zu einer Reihe von Begriffen, die als Basis für die Verständigung dienten. Der Tarakfanter wußte jedoch keine Ant wort, als sie ihn nach seinem Namen fragte. »Er hat keinen Namen«, stellte der Kund schafter fest. »Und das ist auch durchaus einleuchtend. Vergiß nicht, daß die Goonies die Dracheneier aus dem Sand ausgraben,
H. G. Francis dann ins All bringen, wo sie weitgehend ausgebrütet werden. Sobald die jungen Dra chen geschlüpft sind, werden sie mit diesen elektronischen Steuergeräten versehen. Von diesem Moment an kann man sie mit Fun kimpulsen lenken wie Roboter. Dazu benö tigt man keine Namen.« »Du hast recht«, bestätigte Anlytha trau rig. »So muß es sein. Ich werde dich Baby nennen.« »Baby?« fragte der Tarakfanter. »Was ist Baby?« »Das Neugeborene.« »Ich bin einverstanden.« Der Flugsaurier breitete in seiner Freude die Hautflügel aus, faltete sie jedoch schnell wieder zusammen, als er sah, daß Anlytha sich fluchtartig in den Gleiter zurückzog. »Es tut mir leid.« Die Laute, die er von sich gab, wurden nur teilweise vom Translator übersetzt. Al gonkin-Yatta vermutete, daß der darin ent haltene Computer die Laute nicht ausrei chend gut trennen und unterscheiden konnte. Doch für eine Verständigung reichte es. »Ich fühle mich wirklich so, als hätte ich vorher noch nicht gelebt«, erklärte Baby un sicher. »Habe ich vorher gelebt?« »Mit absoluter Sicherheit«, erwiderte der Kundschafter. »Erinnerst du dich nicht dar an?« »Kaum.« »Woran erinnerst du dich?« »Da waren Kämpfe. Und Schmerzen. Im Kopf.« Jetzt ging einiges durcheinander, so daß der Mathoner und Anlytha nicht ver standen, was gemeint war. Geduldig wieder holten sie ihre Frage und bemühten sich zu sammen mit Baby, verständliche Antworten zu finden. Nach mehr als vier Stunden mühseliger Arbeit wußten sie, daß Baby tatsächlich von Doron-Sölp gekommen war. Er erinnerte sich noch daran, daß man ihm die Kapsel in den Schädel eingepflanzt hatte. Von da an hatte er ständig Kopfschmerzen gehabt. Da Anlytha bei der Operation keine Anomalie festgestellt hatte, vermutete sie, daß irgend etwas an der Metallkapsel nicht so war, wie
Der Drachenkrieg es von den Konstrukteuren geplant war. Darauf wies auch hin, daß Baby nicht an den Kämpfen teilgenommen, sondern sich von den anderen Tarakfantern abgesetzt hatte. Er wußte nichts von den Kämpfen. Er er innerte sich lediglich daran, das Kampfge brüll der anderen Tarakfanter gehört zu ha ben, während er selbst durch den Dschungel gelaufen war und unter Kopfschmerzen ge litten hatte. »Warum hast du mich angegriffen?« frag te Algonkin-Yatta. »Hattest du einen be stimmten Grund?« Baby verstand nicht. Mühsam setzte ihm der Kundschafter auseinander, daß er ihm nicht den geringsten Anlaß für einen Kampf geboten hatte. Er hatte ihn nicht herausge fordert, sondern hatte sogar versucht, ihm auszuweichen. »Ich mußte es tun«, antwortete der Dra che, als er schließlich erkannt hatte, was der Mathoner wissen wollte. »Irgend etwas war in mir, das mich dazu gezwungen hat.« »Das bedeutet also, daß jene Unbekann ten, die an den Steuerhebeln der Metallkap seln sitzen, wußten, wo wir waren. Sie ha ben uns entdeckt und wollten uns mit Hilfe des Tarakfanters töten«, flüsterte Anlytha dem Kundschafter zu. »Das könnte sein«, erwiderte dieser, »aber es ist nicht sicher. Vielleicht gibt es öfter derartige Ausfälle. Vermutlich liegen Irrläufer nicht im Sinn dieser Unbekannten. Daher kann es eine Art Notschaltung geben, mit der man solche Tarakfanter zum Amok lauf zwingt, die nicht normal auf die Fun kimpulse reagieren.« »Eine Sprengladung wäre sicherer«, wandte Anlytha ein. »Natürlich bin ich froh, daß Baby keine Sprengladung im Schädel hatte. Aus der Sicht der Unbekannten aber wäre so etwas eine absolut sichere Angele genheit.« »Davon bin ich noch nicht überzeugt. Ich glaube, daß man die Überlebenden der Schlacht irgendwohin zurückruft. Das macht man vielleicht auch mit den Versagern. Man versucht es jedenfalls. Tritt nach einer ge
25 wissen Zeit kein Erfolg ein, schaltet man eben auf Amoklauf. Das würde besser zu der Mentalität der Unbekannten passen, so wie ich sie beurteile, als eine Sprengladung.« Anlytha zwitscherte belustigt. »Seit wann entwickelst du so viele Theo rien?« fragte sie. »Das ist doch sonst nicht deine Art.« »Manchmal ist es notwendig, intensiv über gewisse Dinge nachzudenken«, entgeg nete er ruhig. »Was machen wir mit Baby? Schließlich können wir ihn nicht mitnehmen? Er ist noch nicht wieder voll einsatzfähig.« »Du hast recht«, sagte er zustimmend. »Er wäre eine Belastung. Wir müssen uns von ihm trennen. Glaubst du, daß er überlebt, wenn wir ihn allein lassen?« »Bestimmt.« »Sag du es ihm«, bat der Mathoner und zeigte auf den Tarakfanter, der vor ihnen auf dem Boden hockte und sie mit großen, rät selhaften Augen ansah.
5. Die Schneise endete auf dem anderen En de nicht in einem Drachenfriedhof, so wie Algonkin-Yatta und Anlytha es vermutet hatten. Sie führte vielmehr vielfach ge schwungen über Berge hinweg, durch Täler und über Flüsse bis hin zu einer weiten Ebe ne, auf der eine Stadt lag. Es war die gleiche Stadt, in der Algonkin-Yatta mit Hilfe seiner Ortungsgeräte Kraftwerke entdeckt hatte, in der mit nuklearer Energie gearbeitet wurde. Die Ebene lag bereits in der gemäßigten Zone. Auch hier gab es Urwälder: Sie waren jedoch nicht so dicht wie im Süden. Zahlrei che Freiflächen lockerten sie auf. Je weiter sie nach Norden kamen, desto häufiger entdeckten der Mathoner und seine Gefährtin umherstreifende Drachen. Einige jagten antilopenartiges Wild, von dem es in manchen Geländeabschnitten geradezu wim melte. Einige irrten ziellos umher und schie nen dem Hungertod nahe zu sein. Sie schie nen nicht in der Lage zu sein, sich selbst zu
26 versorgen. Anlytha entdeckte mehrere Drachenfried höfe, die jedoch erheblich kleiner waren als der erste, auf den sie gestoßen waren. Dort hin zog es die meisten jener Tarakfanter, bei denen offenbar Fehlsteuerungen vorlagen. Algonkin-Yatta suchte vergeblich nach ei nem Weg, allen Drachen möglichst schnell zu helfen. Es gab keinen. Er konnte nicht von Tarakfanter zu Tarakfanter fliegen, sie paralysieren und ihnen zusammen mit Anly tha die Metallkapseln aus dem Schädel ent fernen. Dafür hätten er und seine Begleiterin Jahre benötigt. Eine Lösung konnte sich nur in der Stadt anbieten, in der noch Reste einer hochste henden Zivilisation existierten. Daher näher te er sich dieser Stadt auf direktem Kurs. Als sie noch etwa fünfzig Kilometer von ihr entfernt waren, beugte sich Anlytha ha stig vor und zeigte auf einen der Ortungs schirme. Algonkin-Yatta reagierte blitz schnell. Er schaltete den Schutzschirm ein, noch bevor die automatische Abwehr aktiv wurde. Der Energieschirm baute sich in Bruchteilen von Sekunden auf. Der Kundschafter sah die Rakete heranra sen. Der schloß die Augen. Anlytha hielt die Hände vor das Gesicht. Der Antigravgleiter erbebte, als das Ge schoß in den Energieschirm schlug. Für einen kurzen Moment schien es, die Kapsel werde umstürzen, dann aber glichen die po sitronischen Sicherungen die Schwankungen aus, während die Rakete krachend explo dierte. Ein Feuersturm tobte über den Gleiter hinweg. Algonkin-Yatta ließ die Maschine bis auf etwa zwei Meter über dem Boden abfallen, lenkte sie nach Osten und verharrte in einer Senke. »Damit hätten wir eigentlich rechnen müssen«, bemerkte er selbstkritisch. »Was machen wir nun?« fragte Anlytha. »Fliegen wir mit dem Gleiter weiter?« Er schüttelte den Kopf. »Wir nehmen Fluggeräte und bleiben dicht über dem Boden, so daß wir nicht ge-
H. G. Francis ortet werden können«, erwiderte er. »Das ist auf jeden Fall sicherer.« Sie stiegen aus und versorgten sich mit den nötigen Ausrüstungsgegenständen. Der Mathoner half seiner Gefährtin dabei, das Fluggerät anzulegen. Als sie fertig waren, programmierte Algonkin-Yatta den Gleiter so, daß dieser in etwa zweihundert Kilome tern Entfernung im Süden auf sie wartete. Die Automatik lenkte die Maschine nach Süden. Der Mathoner blickte ihr kurz nach. Er wußte, daß er sie jederzeit mit einem Funkbefehl zurückrufen konnte. Die positro nischen Einrichtungen würden zugleich da für sorgen, daß niemand den Gleiter zerstö ren konnte. Anlytha flog los. Sie folgte einem Tarak fanter, dessen Rücken mit Wunden bedeckt war. Die Verletzungen, die er im Kampf mit anderen Drachen davongetragen hatte, heil ten bereits ab, so daß sie sich nicht veranlaßt sah, helfend einzugreifen. »Fällt dir etwas auf?« fragte sie, als der Mathoner zu ihr aufgeschlossen hatte. »Ist etwas anders als vorher?« fragte er zurück. »Sieh dich doch um«, forderte sie ihn auf. »Überall sind Drachen, und alle ziehen in Richtung Stadt. Vor zehn Minuten war das noch anders. Da rannte noch alles kreuz und quer durcheinander.« Er blickte sich um, während sie in etwa zehn Metern Höhe über einen Fluß hinweg flogen, und fand bestätigt, was Anlytha be hauptete. Die Drachen verhielten sich jetzt völlig anders als zuvor. Keiner von ihnen jagte noch, keiner irrte umher. Alle beweg ten sich in der gleichen Richtung. In einer hügeligen Landschaft grenzte ei ne der Stadt vorgelagerte Siedlung an einen See. Die Häuser der Stadt waren fast alle zerstört. »Dort sind Bomben eingeschlagen«, rief Anlytha dem Mathoner zu. »Das möchte ich mir mal ansehen.« Algonkin-Yatta ließ sich tiefer absinken, bis er sich kaum noch einen Meter über dem Boden befand.
Der Drachenkrieg »Überall sind Spuren von Goonies«, stell te er fest. »Dort sind Beete, auf denen etwas ge pflanzt ist. Bestimmt leben hier Goonies.« Er sah die Beete auch. Gleichzeitig aber entdeckte er die halbverwesten Kadaver ei niger Drachen, die etwa zweihundert Meter vor der Siedlung zwischen den Hügeln la gen. Er glaubte, daraus schließen zu können, daß hier vor noch nicht allzulanger Zeit hef tige Kämpfe zwischen den verschiedenen Parteien getobt hatten. Er stutzte, als er bei seinen Überlegungen bis an diesen Punkt gekommen war. »Glaubst du, daß es verschiedene Dra chenparteien gibt?« fragte er. Sie landeten neben einem Beet und schalteten die Flugge räte aus. »Das ist ganz sicher«, antwortete sie, während sie an einigen der Pflanzen roch. »Ich glaube nicht, daß alle Drachen gegen alle kämpfen müssen. Es gibt mindestens zwei Parteien, die gegeneinander antreten müssen. Oder glaubst du, daß der Unbe kannte Spaß daran hat, ein wildes Massen morden ohne jede Schlachtordnung zu beob achten? Bestimmt nicht.« »Es ist die Frage, ob es ihm Spaß macht«, antwortete Algonkin-Yatta. Zusammen mit Anlytha ging er zu den zerstörten Häusern. Die Spuren ließen ein deutig erkennen, daß die Gebäude durch die Explosionswirkung von Bomben zum Ein sturz gebracht worden waren. Knarrend öffnete sich eine Tür. Der Mathoner fuhr herum. Er sah einen zerlumpt gekleideten Goonie aus einer der Ruinen hervortreten. Der Mann war mit ei nem Speer bewaffnet, den er drohend auf ihn richtete. Als Algonkin-Yatta und Anlytha sich ru hig verhielten und ihrerseits keinerlei An stalten machten, zu den Waffen zu greifen, senkte er den Speer. Sein Mund öffnete sich zu einem Lächeln. Er hatte weiße, ebenmä ßige Zähne. »Wir haben auf euch gewartet«, erklärte er. »Ihr seid uns willkommen. Wir werden
27 alles für euch tun, was ihr verlangt.« »Du weißt, wer wir sind?« fragte Anlytha überrascht. »Ich weiß es«, erwiderte der Goonie. »Wir haben euch beobachtet. Jetzt möchten wir gern mit euch sprechen. Würdet ihr un ser Haus betreten?« »Gern«, sagte der Kundschafter. »Wir kommen als Freunde. Wenn wir können, werden wir euch helfen.« Der Goonie trat zur Seite und zeigte auf eine Lücke in den Ruinen. »Kommt«, bat er. »Ihr seid unsere Gäste. Ihr sprecht unsere Sprache, wenngleich nur mit Hilfe eines Ge räts. Doch da ihr mich versteht, kann ich da von ausgehen, daß ihr wißt, was es bedeutet, daß ich euch Gäste genannt habe. Gäste ge nießen einen hohen Schutz bei uns. Ihre Rechte sind unverletzbar.« »Wir vertrauen dir«, sagte der Mathoner. Er blickte Anlytha an und stellte fest, daß sie seiner Meinung war. »Mein Name ist Quat«, verkündete der Goonie, während er ihnen den Weg durch die Ruinen zeigte und sie über eine Treppe in einen Keller führte. »Meine Sippe lebt in den Kellern von Tosolon. So heißt diese Stadt.« Ein Holzfeuer brannte auf dem Boden des ersten Raumes, den sie betraten. Elektri sches Licht gab es nicht. Algonkin-Yatta deutete auf das Feuer. »Ich weiß, daß es in Tosolon genügend Energie gibt«, sagte er. »Warum nutzt ihr sie nicht?« »Sie ist uns nicht zugänglich.« Quat führ te seine Gäste durch einen Gang. Er öffnete eine Holztür. Tageslicht flutete in den Gang. Algonkin-Yatta blickte auf einen Innenhof, auf dem sich etwa fünfzig Goonies aufhiel ten. Sie saßen auf dem Boden und verrichte ten verschiedene Arbeiten. Einige stellten Schuhe her, andere webten, und wiederum andere hämmerten auf glühenden Eisen her um. Verblüfft stellte der Kundschafter fest, daß sich ein Gitterwerk aus armdicken Ei senstäben über den Innenhof spannte und vorzüglichen Schutz bot. Quat bemerkte,
28 wie überrascht er war. Er lachte. »Wir leben auf diese Weise völlig si cher«, erklärte er. »Die Tarakfanter errei chen uns nicht. Bisher ist unser Lebensbe reich noch klein, aber er wird täglich größer. Wir schieben uns näher und näher an die Mitte von Tosolon heran, und eines Tages werden wir dort sein.« Die anderen Goonies erhoben sich. Al gonkin-Yatta ließ sich ebenso täuschen wie Anlytha. Er fühlte sich nicht bedroht, als sie näher herankamen und ihn freundlich be grüßten. Plötzlich aber stürzten sich alle Goonies auf ihn und Anlytha. Einige von ih nen hängten sich an sie und hielten Arme und Beine fest, während die anderen mit Zangen die Haltegurte durchtrennten, ihnen die Fluggeräte und Waffen wegrissen und damit flüchteten. »Ihr habt gesagt, daß wir Gäste sind«, rief Algonkin-Yatta protestierend. »Haltet ihr so euer Wort?« Quat lachte ihm ins Gesicht. »Du wärst nicht mit uns gekommen, wenn ich etwas anderes gesagt hätte«, erwiderte er. Algonkin-Yatta stellte fest, daß keiner der Goonies eine Waffe gegen ihn und Anlytha richtete. Offenbar genügte es ihnen, daß sie entwaffnet waren und nicht mehr mit den Fluggeräten flüchten konnten. »Das genügt mir nicht als Erklärung«, versetzte der Mathoner. »Ich habe euch ein Hilfsangebot gemacht. Dazu stehe ich auch jetzt noch, aber ich will wissen, was gespielt wird.« Eines der Felle, die an der Wand hingen, glitt zur Seite. Dahinter öffnete sich eine Tür. Algonkin-Yatta fuhr herum. Er sah, daß ein etwa drei Meter hoher, humanoider Ro boter den Raum betrat. Der Automat hatte eine Schulterbreite von etwa zweieinhalb Metern. An den Seiten des Kopfes ragten Antennen empor. Der Roboter schien ganz aus Metall zu bestehen. Er schimmerte in ei nem eigenartigen Ton, der zwischen Silber und Rot lag und ständig zu wechseln schien. Eine Waffe trug der Roboter nicht, aber
H. G. Francis auch so stellte er eine gefährliche Bedro hung dar. Die Goonies flüchteten aus dem Raum. Nur Quat blieb zurück. »Jetzt weißt du, was hier gespielt wird«, sagte er. »Verräter«, sagte Anlytha. »Verräter? An wem?« fragte Quat zurück. »Wie geht es weiter?« erkundigte sich Al gonkin-Yatta. »Kannst du uns das auch sa gen?« »Ihr werdet mit dem Inspektor gehen«, er klärte Quat. Der Kundschafter zuckte überrascht zu sammen. »Inspektor?« »So nennen wir den Metallenen.« »Wer seid ihr?« fragte der Roboter mit dröhnender Stimme. Er sprach goonisch. Seine Worte wurden vom Translator über setzt. »Woher kommt ihr? Was wollt ihr hier?« »Das sind gleich drei Fragen auf einmal«, entgegnete der Mathoner, der Zeit gewinnen wollte, um nach einem Ausweg zu suchen. »Antwortet«, befahl der Automat. »Ich kann mir vorstellen, daß es einen besseren Ort für Verhandlungen gibt«, erwi derte der Mathoner. Weiter kam er nicht. Der Roboter sprang auf ihn zu und versuch te, ihn mit den Händen zu packen. Algon kin-Yatta wich zur Seite aus, war jedoch nicht schnell genug. Die metallenen Finger trafen ihn an der Schulter und schleuderten ihn zu Boden. Der Roboter fing sich mit einer Hand an der Wand ab, wirbelte herum und stürmte erneut auf Algonkin-Yatta zu, der sich gera de wieder erhob. Dieses Mal konnte der Ma thoner nicht ausweichen. Er warf sich zwar zur Seite, griff aber gleichzeitig mit beiden Händen zu, packte den linken Arm des Ro boters, schwang sich daran herum und geriet auf diese Weise in den Rücken des Automa ten. Er riß den bereits angewinkelten Metall arm nach hinten und stemmte ihn danach mit aller Kraft hoch. Der Roboter versuchte, dem Hebelgriff zu
Der Drachenkrieg entkommen. Er beugte sich nach vorn und schlug gleichzeitig mit dem rechten Bein nach hinten aus. Algonkin-Yatta sah den Schlag kommen und wich ihm aus. Das Bein fuhr wuchtig an ihm vorbei. Der Mathoner erkannt, daß der Roboter ihm die Knochen zerschmettert hätte, wenn er ihn getroffen hätte. Der Inspektor ließ sich vornüber fallen. Algonkin-Yatta ließ ihn los, weil er sonst über ihn gestürzt wäre. Er sprang zurück. Überraschend wendig kam der Roboter wieder hoch. Sein Kopf berührte fast das Gitter über ihm. Er neigte sich nach vorn und streckte die Arme aus. Dann kam er langsam auf Algonkin-Yatta zu. Er hatte er kannte, daß er nicht zu seinem Ziel kam, wenn er versuchte, den Mathoner zu über rumpeln. Jetzt legte er es darauf an, ihn in eine Ecke zu treiben und ihn dort zu über wältigen. Algonkin-Yatta wich vor ihm zurück. Er war sich darüber im klaren, daß er unterlie gen würde, wenn der Roboter seine Absicht verwirklichte. Er bückte sich, nahm etwas Sand auf und schleuderte diesen dem Robo ter über die Facetten, um ihn zu blenden. Der Inspektor bleib stehen und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht, um die Fa cetten zu reinigen. Algonkin-Yatta sprang auf ihn zu, packte die andere Hand, riß sie dem Roboter erneut auf den Rücken herum und versuchte, ihn mit dem Kopf zuerst ge gen die Wand zu stemmen. Der Roboter reagierte dieses Mal besser. Er streckte den Arm und drehte sich wieder Algonkin-Yatta zu. Doch jetzt warf dieser sich herum und riß den Arm in seiner Längsachse herum. Es knirschte vernehm lich. Dann brach der Arm krachend aus dem Schultergelenk. Algonkin-Yatta wich vor dem Roboter zurück. Er hielt den abgebrochenen Metall arm in den Händen. Quat schrie entsetzt auf. Anlytha stand neben dem Eingang. Sie konnte nichts tun. Auf Roboter wirkten ihre psionischen Kräfte nicht.
29 Der Automat stand wie erstarrt mitten im Raum. Seine Facetten funkelten im Licht der Sonne. Langsam schob sich die rechte Hand zur linken Schulter. Sie verharrte am zerbro chenen Gelenk. Es schien, als könne der Ro boter sich nicht mit der Tatsache abfinden, daß ihn ein Gegner, der weit unterlegen zu sein schien, in dieser Weise beschädigt hat te. Algonkin-Yatta erwartete den nächsten Angriff. Er duckte sich und hielt den Robot arm quer vor sich, um sich damit verteidigen zu können. Doch der Roboter warf sich nicht auf ihn, sondern auf Anlytha. Unglaublich schnell stürmte er zu ihr hin, umfing sie mit seinem Arm und legte ihr die Hand um den Hals. »Ich töte sie, wenn du dich nicht auf den Boden legst«, erklärte er. Der Mathoner wußte, daß der Roboter sei ne Drohung augenblicklich wahr machen würde, wenn er nicht gehorchte. Er ließ sich auf den Boden fallen. »Öffne die Tür«, befahl der Roboter. Quat stieß die Tür auf und hielt sie fest, so daß sie nicht wieder zuschwingen konnte. Der Ro boter hob Anlytha hoch und drückte sie an sich. In ihrem fliederfarbenen Gesicht zeich nete sich Angst ab. »Du kannst dich auf mich verlassen«, sag te Algonkin-Yatta, als der Roboter das Mäd chen hinaustrug. Sie blickte ihn an, und er las aus ihren Augen, daß sie ihn verstanden hatte. Sie wußte, daß er ihr folgen würde und die erste sich bietende Gelegenheit nut zen würde, sie zu befreien. Schweigend marschierte der Inspektor aus dem Raum. Die Tür schwang zu. Algonkin-Yat ta sprang auf und lief zur Tür. Quat stellte sich ihm in dem Weg. Er hob abwehrend die Hände. »Das solltest du nicht tun«, bemerkte er. »Der Roboter würde sie töten.« »Der Roboter ist weg.« Quat gab ihm ein Zeichen und deutete auf einen Spalt in der Tür. Der Mathoner beugte sich vor und blickte hindurch. Er sah, daß der Roboter etwa fünf Meter von der Tür
30 entfernt im Gang stand und wartete. »Der Inspektor wartet nur darauf, daß du einen Fehler machst«, erklärte der Goonie. »Du hast mich in diese Falle gelockt«, entgegnete der Kundschafter. »Jetzt solltest du mir wieder heraushelfen.« »Warum?« fragte Quat. »Wir haben es gut. Wir bekommen alles, was wir benöti gen.« »Ihr lebt in einer Stadt, die nur noch ein Trümmerhaufen ist. Alles zerfällt. Die Krie ge zerstören immer mehr, bis schließlich nichts mehr da ist, was noch von Wert für euch wäre. Mit einer solchen Entwicklung könnt ihr nicht zufrieden sein. Früher ist dies einmal eine schöne Welt gewesen. Die Goo nies brauchten sich nicht in den Kellern zu verstecken. Sie konnten oben in ihren Häu sern leben. Irgend etwas muß geschehen sein. Irgend etwas hat euer Leben zerstört und alles zunichte gemacht, was eure Vor fahren und ihr selbst aufgebaut habt. Was war es?« Algonkin-Yatta blickte erneut durch den Spalt. Er sah, daß der Roboter sich entfernte. »Du hast recht«, erwiderte Quat. »Früher war das Leben besser auf Pörs-Odon. Alle wußten, wofür sie leben. Man konnte Pläne machen und über mehr als einen Tag hinaus denken. Das war, bevor die Inspektoren den Krieg gemacht haben.« »Komm mit mir«, bat der Mathoner. »Ich muß den Roboter verfolgen. Gib mir meine Waffe zurück und begleite mich.« »Die Inspektoren werden uns aus unseren Wohnungen vertreiben, wenn ich dir helfe.« »Du hast keine andere Wahl«, erklärte Al gonkin-Yatta. »Die Macht der Inspektoren muß gebrochen werden. Das ist die einzige Lösung, die es für dich und deine Leute gibt. Du weißt, daß es so ist, also hilf mir.« Quat lehnte sich an die Wand und über legte. Ungeduldig öffnete der Mathoner die Tür. Er konnte den Roboter nicht mehr se hen, hörte aber noch seine Schritte, die sich rasch entfernten. »Vielleicht hast du recht«, sagte Quat. »Ich werde es jedenfalls versuchen.«
H. G. Francis Er lief aus dem Raum und kehrte wenig später mit dem Kombistrahler des Kund schafters zurück. »Die anderen Dinge bleiben hier«, eröff nete er dem Mathoner, während er ihm die Waffe reichte. »Das ist alles, was ich für dich tun kann.« »Komm«, sagte Algonkin-Yatta. »Wir dürfen nicht zu lange warten, sonst finden wir den Roboter nicht mehr.« »Ich weiß, wohin er geht.« Das hatte der Mathoner gehofft. Er schob Quat durch die Tür, und nun rannte der Goo nie vor ihm her. Algonkin-Yatta war von Anfang an davon überzeugt gewesen, daß es Goonies auf Pörs-Odon gab, die genügend über die Zustände auf dieser Welt wußten. Von ihnen würde er die Informationen erhal ten, die er benötigte. Er wußte jedoch, daß er behutsam vorgehen mußte, da Quat sein Wissen offenbar sorgsam hütete. Quat fürch tete, daß sich seine Lebensbedingungen noch verschlechtern würden, wenn er sich offen gegen die Herrschaft der Inspektoren stellte. Er suchte nach einem Weg mit mög lichst geringem Risiko und überschaubaren Chancen. Darüber war sich der Kundschaf ter klar, und er wußte auch, daß Quat ihm je derzeit erneut in den Rücken fallen konnte. Quat führte den Mathoner aus dem Gang system heraus in die Trümmer der Vorstadt. Im Staub zeichneten sich die Spuren des Ro boters ab. Er hatte sich in Richtung Stadt zentrum entfernt. »Weshalb hat er sie mitgenommen?« fragte der Kundschafter. »Weißt du es?« »Er will ihr eine Kapsel in den Kopf set zen«, erwiderte Quat. »So eine Kapsel, wie sie die Tarakfanter auch haben.« Algonkin-Yatta blieb entsetzt stehen. »Woher weißt du das?« fragte er. »Es ist die einzig logische Erklärung.« »Hast du auch eine Kapsel im Kopf? Und wie ist es mit deinen Leuten? Haben sie ei ne?« Jetzt war Quat entsetzt. Er fuhr vor Al gonkin-Yatta zurück, als habe ihn dieser mit einem Messer bedroht.
Der Drachenkrieg
31
»Wie kannst du so etwas sagen!« rief er. »Ich verstehe nicht. Wo liegt da der Un terschied? Warum sollte es unvorstellbar sein, daß die Goonies mit Kapseln versehen werden, wenn es selbstverständlich für dich ist, daß Anlytha und die Tarakfanter welche erhalten?« Die Antwort des Goonies steigerte die Verwirrung des Mathoners noch mehr. »Weil die Inspektoren zu unserem Schutz da sind. Sie wären gar nicht in der Lage, uns die Kapseln einzupflanzen. Das würde sie vernichten.«
6. Ein Schrei hallte aus den Trümmern der Stadt. Algonkin-Yatta blieb stehen und drückte sich in den Schatten einer Haus wand. Quat kauerte sich hinter einem Stein zusammen. »Wir müssen zurück«, rief er. »Wir kön nen nicht hier bleiben.« Sie waren etwa eine Stunde lang hinter dem Roboter hergelaufen. Dabei hatten sie sich ständig in Richtung Stadtzentrum be wegt. Algonkin-Yatta wußte jetzt, daß das Ausmaß der Zerstörung in Tosolon noch weitaus größer war, als es aus der Ferne den Anschein gehabt hatte. Er sah kein einziges Haus, das unbeschädigt war. »Tarakfanter«, sagte Quat ängstlich. »Sieh doch.« Er deutete zu einer großen Ruine hinüber. Das Gebäude erinnerte den Mathoner in sei nem Aufbau an ein Sportstadion. Aus ver schiedenen Eingängen kamen Drachen her vor. Sie bewegten sich zielstrebig zu den Resten eines Turmes hinüber. Dorthin eilten auch andere Tarakfanter, die aus anderen Ruinen hervorkrochen. Algonkin-Yatta schätzte, daß über tausend Drachen in der Nähe waren. Hin und wieder schrie einer der Drachen kampfeslustig auf. »Werden sie miteinander kämpfen?« frag te Algonkin-Yatta. »Sie werden kämpfen«, bestätigte der
Goonie mit bebender Stimme. »Überall. In der ganzen Stadt. Und wenn wir dann kein Versteck gefunden haben, werden sie uns tö ten. Das ist sicher.« »Ich gebe nicht auf«, erklärte der Matho ner. »Komm.« Quat richtete sich furchtsam auf. Er zö gerte, sich Algonkin-Yatta anzuschließen, doch dann begriff er, daß er allein völlig schutzlos war. Der Weg zurück bis zur Vor stadt war zu weit. Ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte mit dem Kundschafter ge hen. »Weißt du, wie viele Goonies noch auf Pörs-Odon leben?« fragte der Mathoner. »Nein, aber es sind nicht viele. Es gibt nur noch drei Städte. Tosolon, Waysquath und Dargstyn. Tosolon ist die größte und bedeu tendste.« Das Gebrüll der Flugsaurier übertönte sei ne Worte. Überall erhoben sich Tarakfanter zwischen den Ruinen. Die riesigen Tiere stiegen wild mit den Flügeln schlagend auf, stürzten sich aber sogleich wieder zwischen die Trümmer. Algonkin-Yatta sah, wie zwei Drachen miteinander kämpften. Sie rissen sich mit Zähnen und Krallen tiefe Wunden und ließen jegliche Furcht und Vorsicht ver missen. Erschauernd beobachtete der Ma thoner, wie die halbintelligenten Wesen zur gegenseitigen Vernichtung gezwungen wa ren. Aus dem Süden näherte sich ein Schwarm von mehreren hundert Tarakfantern. Die Drachen flogen in einer Höhe von etwa tau send Metern, bis sie das Ruinenfeld von To solon erreichten. Dann ließen sie sich steil abfallen und stürzten sich brüllend in den Kampf. Algonkin-Yatta und Quat rannten nur we nige Meter an zwei kämpfenden Tarakfan tern vorbei. Blutgeruch schlug ihnen entge gen. »Schneller«, sagte Quat drängend. »Der Roboter hat die ehemaligen Gärten erreicht. Bis hierher habe ich ihn schon öfter verfolgt, aber ich weiß nicht, wohin er dann geht.« Der Roboter hatte einen Vorsprung von
32 etwa zweihundert Metern. Deutlich hob er sich gegen das Grün der Bäume ab, die sich zwischen den Ruinen erhoben. Die Bäume wuchsen am Rand eines parkähnlichen Ge ländes, das einen verwahrlosten Eindruck machte. Auch dort kämpften zahlreiche Dra chen miteinander. Mitten auf einer mit Blu men bedeckten Wiese lagen die Kadaver von vier Tarakfantern. Ein fünfter kroch blu tend in eine Tempelruine. Algonkin-Yatta zweifelte nicht daran, daß er sterben würde. Maßloser Zorn übermannte ihn bei dem Anblick der kämpfenden Drachen. Er war mehr denn je entschlossen, diesem Massenmorden ein Ende zu machen. »Komm«, rief er dem Goonie zu und rannte los. Er kümmerte sich nicht um zwei Tarakfanter, die brüllend hinter einer Ruine hervorkamen. Mittlerweile hatte er längst er kannt, daß die Drachen nur miteinander kämpften, ihn aber nicht angriffen. Die Flugsaurier schienen ihn und den Goonie noch nicht einmal zu bemerken. Quat war sich seiner Sache jedoch nicht so sicher. Er flüchtete erschreckt in die Nähe des Matho ners, als ihn einer der Drachen ansah. Unter den Bäumen hielten die beiden Männer an. Der Roboter hatte nun nur noch einen Vorsprung von etwa fünfzig Metern. Er stand vor einem Kugelbau. Eine Stahltür glitt vor ihm zur Seite. Algonkin-Yatta stürmte los. Er wußte, daß Anlytha verschwunden war, wenn der Roboter erst einmal in der Kuppel ver schwunden war. Mit weiten Sätzen jagte er auf den Automaten zu. Dieser schien nicht mit einer Verfolgung zu rechnen, denn er drehte sich nicht um. Anlytha blickte den Mathoner über die Schulter des Roboters hinweg an. Sie ver hielt sich ruhig und vertraute ihm völlig. Der Roboter trat durch die Öffnung in die Kup pel. Im gleichen Moment erreichte Algon kin-Yatta ihn, packte seinen Kopf und riß ihn zurück. Es krachte vernehmlich. Der Arm, der Anlytha umklammert hatte, fuhr hoch. Das Mädchen ließ sich zu Boden fal len, rollte sich zur Seite weg und flüchtete
H. G. Francis bis zu einem Baum, ohne sich umzusehen. Erst als sie unter dem Baum stand, drehte sie sich um. Der Roboter kroch auf Algonkin-Yatta zu. Sein Kopf baumelte kraftlos von den Schul tern. Der Mathoner erwartete ihn. Der Robo ter hatte Mühe, das Gleichgewicht zu be wahren, da er sich nur mit einer Hand ab stützen konnte. Plötzlich sprang Algonkin-Yatta auf ihn zu und schlug ihm den Arm mit dem Fuß weg. Der Automat stürzte der Länge nach hin. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, packte der Mathoner seinen Kopf erneut. Und dieses Mal gelang es ihm, ihm den Kopf abzureißen. Blaue Blitze schossen kra chend aus der Öffnung zwischen den Schul tern hervor. Der Roboter schlug noch einige Male mit den Beinen um sich. Dann erstarb jede Bewegung. Anlytha und Quat kamen zu dem Matho ner. »Ich dachte schon, du hättest mich ver gessen«, sagte sie. »Du hast dir viel Zeit ge lassen.« Algonkin-Yatta antwortete nicht. Er sah, daß sich die Stahltür schloß. Er sprang zu ihr hin und stemmte sich gegen sie. »Kommt«, rief er Anlytha und Quat zu, doch die beiden zögerten zu lange. Er konn te das Schott nicht halten. Um nicht von An lytha und dem Goonie getrennt zu werden, gab er es frei. Krachend schlug es zu. Quat und Anlytha rannten los. »Zu spät«, sagte der Mathoner enttäuscht. »Ihr hättet euch früher entschließen müs sen.«
* »Hier kommen wir nicht weiter«, sagte Algonkin-Yatta, nachdem er das Schott un tersucht hatte. »Wir haben jetzt zwei Mög lichkeiten. Entweder warten wir, bis sich das Schott wieder öffnet und jemand heraus kommt, oder wir versuchen es an anderer Stelle.« »Wir versuchen es an anderer Stelle«, er
Der Drachenkrieg widerte der Goonie. »Ich kenne jemanden, der uns sagen kann, wo. Er lebt ganz in der Nähe in einem Bunker.« Die Tatsache, daß Algonkin-Yatta den In spektor mit bloßen Händen besiegt hatte, steigerte das Vertrauen des Goonies in seine Fähigkeiten beträchtlich. Quat schien sich nun recht sicher bei dem Mathoner zu füh len. Mit einigem Unbehagen blickte er aller dings zu den Ruinen der Stadt hinüber, wo noch immer wilde Drachenkämpfe tobten. Deutlich erkennbar schälten sich zwei Par teien heraus, während es bisher so ausgese hen hatte, als kämpften die Drachen gegen jeden, der ihnen gerade in die Quere kam. Jetzt zeigte sich, daß Tarakfanter mit hellen Zeichnungen am Kopf ausschließlich gegen andere antraten, die diese Zeichnung nicht hatten. »Du hast dich also entschieden«, bemerk te Algonkin-Yatta. »Du wirst auf unserer Seite sein.« »Ich muß wohl«, antwortete Quat seuf zend. »Mir gefällt auch nicht, was die In spektoren mit uns machen, aber sie haben die Macht, und bisher war es sinnlos, etwas gegen sie zu unternehmen. Jetzt scheint das anders geworden zu sein. Deshalb werde ich euch auch zu Frekson bringen. Er kann euch viel über die Vergangenheit von Pörs-Odon sagen, und er kann euch zeigen, wie ihr nach unten kommt, dorthin, wo die Inspektoren leben.« Er stutzte. »Leben die Inspektoren?« fragte er dann. »Eine gute Frage«, sagte Algonkin-Yatta. »Es scheint zumindest so zu sein, daß die In spektoren das bisherige Leben auf PörsOdon mehr und mehr zurückdrängen und selbst zur bestimmenden Intelligenz auf die sem Planeten werden. Wenn wir ihnen nicht Einhalt gebieten, wird es bald überhaupt kei ne Goonies mehr auf Pörs-Odon geben.« Er wollte noch etwas mehr sagen doch ein fernes Donnern ließ ihn aufhorchen. Anlytha streckte einen Arm aus. »Dort ist es«, rief sie.
33 Aus den Wolken löste sich ein silbern schimmernder Körper und kam rasch näher. Bald erkannten der Mathoner und seine Be gleiter, daß ein pfeilförmiger Raumer heran kam. Er ging mit dem Heck voran in einer Entfernung von etwa fünf Kilometern herun ter und landete in einem Trümmerfeld. Algonkin-Yatta beachtete das Raumschiff nur kurz. Er beobachtete Quat, der aufgeregt auf einen Steinhaufen kletterte, um die Lan dung besser verfolgen zu können. Sein Ver halten machte deutlich, daß der Anblick ei nes Raumschiffs ein ungewöhnliches Ereig nis für ihn war. »Hast du etwas von Gefangenen gehört, die nach Pörs-Odon gebracht worden sind?« fragte der Kundschafter. »Die Gefangenen tragen Raumanzüge, die sie nie ablegen.« Quat schüttelte verneinend die Hände. »Nein«, erwiderte er. »Nichts.« Er deutete zu der Stelle hinüber, an der das Raumschiff gelandet war. »Von dort kommen keine Informationen zu uns«, fügte er hinzu. Algonkin-Yatta blickte nachdenklich zum Stadtzentrum hinüber. Er fragte sich, ob dort auch Goonies lebten, oder ob dieser Bereich der Stadt nur von den Robotern beherrscht wurde. »Du hast von jemandem gesprochen, der hier in der Nähe lebt«, erinnerte Anlytha den Goonie. »Wer ist es? Und wo wohnt er?« »Ich führe euch hin«, erwiderte Quat. »Kommt.« Er lief los. Der Kundschafter und das Mädchen folgten ihm. Quat eilte bis zu den Bäumen am Rand der parkähnlichen Anla gen. Durch die Zweige der Bäume hindurch blickte er ängstlich zu vier Tarakfantern hin über, die sich in einander verbissen hatten und sich mit wütenden Prankenschlägen be dachten. Ihre blutüberströmten Körper glänzten in der Sonne. Algonkin-Yatta sah, wie die Flanken pumpten. Die halbintelli genten Wesen schienen kurz vor dem Ende zu sein. »Tu doch etwas«, schrie Anlytha. »Hilf ihnen.«
34 Algonkin-Yatta hob wortlos seinen Kom bistrahler, stellte ihn auf Paralysewirkung und schoß ihn auf die Tarakfanter ab. Die Drachen erschlafften augenblicklich. Sie stürzten um und rollten über den Boden. Ge lähmt blieben sie liegen. Anlytha lächelte dankbar. Sie wußte, daß es ein sinnloses Un terfangen gewesen wäre, intensiv auf diese Weise in den Drachenkrieg einzugreifen. Damit waren nicht viele Tarakfanter zu ret ten. Es beruhigte sie jedoch, wenigstens die sen Kampf unterbrochen zu haben. Sie hoff te, daß die Funkbefehle ausbleiben würden, wenn die Tarakfanter sich wieder aus ihrer Paralyse lösten. Wurden sie danach erneut zum Kampf gezwungen, war alles umsonst gewesen. Quat schüttelte den Kopf. Er konnte nicht verstehen, daß der Matho ner sich um die Drachen gekümmert hatte. Ihr Schicksal interessierte ihn nicht. Er führte den Mathoner und seine Gefähr tin am Rand der parkähnlichen Anlage ent lang bis zu einem Brunnen, der bis an den Rand mit Wasser gefüllt war. Als Quat je doch einen versteckt angebrachten Ver schluß entfernte, lief das Wasser durch ein Rohr ab. Darunter wurde eine Stahlplatte sichtbar. Quat kletterte in den Brunnen und klappte den Verschluß auf. Grinsend deutete er auf eine Leiter, über die man in den Brun nen klettern konnte. Er ließ den Mathoner und Anlytha vorbei, schloß die Stahlplatte wieder und folgte ihnen, in dem nun stock dunklen Schacht. Doch schon wenig später betätigte er einen Schalter, der noch etwa zehn Meter weiter in die Tiefe führte und dann in einem Raum endete. Quat bat den Kundschafter, auf ihn zu warten. Als er neben ihm auf dem Boden stand zeigte er auf zwei Stahltüren. »Wer die falsche Tür öffnet, ist ein toter Mann«, erklärte er. »Frekson hat eine Falle gebaut.« Er legte einen Hebel um und zog eine der beiden Türen auf. Dahinter lag ein Gang, der etwa fünf Meter lang war und in einer gel ben Tür endete. Die Tür trug fremdartige
H. G. Francis Schriftzeichen. »Wartet hier«, bat Quat. Er eilte zu der Tür hin und öffnete einen Kasten, der sich daneben an der Wand befand. Er rief hinein: »Ich bin es, Quat. Zwei Fremde sind bei mir, die mit dir reden wollen, Frekson.« Er klappte den Kasten wieder zu und war tete. Fast zehn Minuten verstrichen, ohne daß etwas geschah. Dann glitt die Tür knir schend zur Seite. Algonkin-Yatta und Anly tha schlossen zu dem Goonie auf, der sie in einen Raum führte, in dem sich zahllose Bü cher und Zeitschriften stapelten. Eine Wand des Raumes wurde von Monitorschirmen eingenommen. In einem mit Fellen belegten Sessel saß ein alter Goonie. Er hatte schlohweißes Haar, das ihm bis auf die Schultern herab fiel. Sein Körper war aufgedunsen und wirk te unförmig. Tiefe Falten durchzogen das Gesicht. Die Sichtfühler sahen schlaff und grau aus. Algonkin-Yatta konnte nicht er kennen, ob der Goonie sie sehen konnte, oder ob er blind war. Hinter ihm schloß sich die Tür wieder. »Das ist Frekson«, erklärte Quat. »Er ist mehr als hundertfünfzig Jahre alt, und er kennt Pörs-Odon noch so, wie es früher war.« Frekson hob beide Arme und legte die Hände grüßend aneinander. »Woher ihr auch immer kommt, ihr seid mir willkommen«, erklärte er. »Was auch immer euer Plan ist, er ist mir recht, denn schlimmer als es heute ist, kann es nicht mehr werden auf Pörs-Odon.« »Diesen Eindruck habe ich allerdings auch«, entgegnete der Kundschafter. »Erzählt mir von euch«, forderte Frekson. »Ich möchte alles wissen.« »Gern«, erwiderte der Mathoner. Ihm war klar, wer der alte Goonie war. Frekson war ein Wissenschaftler, der sich in einen siche ren Unterschlupf zurückgezogen hatte und der von den anderen Goonies in der Stadt re spektiert, vielleicht sogar verehrt wurde. Von seinem Versteck aus konnte er offenbar bestimmte Bereiche der Stadt beobachten.
Der Drachenkrieg Die Monitorschirme an der Wand waren ein eindeutiger Hinweis darauf. Algonkin-Yatta vermutete, daß es Frekson gelungen war, das Energienetz des Stadtzentrums anzuzapfen und sich so eine gewisse Unabhängigkeit zu verschaffen. Der Mathoner berichtete von sich. Er schilderte seinen Werdegang und begründete seine Suche nach Atlan. Er übernahm es auch, Anlytha vorzustellen und einiges über sie zu sagen. Schließlich beschrieb er, wie sie in dieses Sonnensystem gekommen waren und was sie auf dem benachbarten Planeten DoronSölp erlebt hatten. »Wir vermuten also, daß die Spercoiden hierher nach Pörs-Odon gebracht worden sind, und daß sie sich noch hier aufhalten. Sie sind die einzigen, die uns einen Hinweis darauf geben können, wo der Planet Loors ist. Darüber hinaus kann ich nicht mitanse hen, was mit den Tarakfantern geschieht. Ich muß etwas dagegen unternehmen, um mir selbst in die Augen sehen zu können.« »Das verstehe ich«, sagte der Alte freund lich. Er dankte Algonkin-Yatta für seinen ausführlichen Bericht. »Leider muß ich dir sagen, daß wenig Hoffnung für Pörs-Odon besteht. Ich glaube nicht, daß es dir gelingen wird, die Zustände zu ändern.« »Davon bin ich nicht überzeugt«, erwider te der Mathoner. »Ich werde es erst glauben, wenn ich es versucht habe.« »Du hast es mit gefährlichen Feinden zu tun«, erklärte Frekson. »Es sind Feinde, die mächtiger sind, als wir je für möglich gehal ten haben. Noch vor etwa hundert Jahren lebten über eine Milliarde Goonies auf PörsOdon. Dies ist ihre eigentliche Heimat, wie du sicher schon gemerkt hast. Viele Tiere haben solche Sichtfühler wie wir. Auf Do ron-Sölp hingegen haben die meisten Wesen Augen, so wie ihr sie habt.« »Das ist richtig«, bestätigte der Kund schafter. »Das ist mir aufgefallen.« »Was ist geschehen?« fragte Anlytha. »Warum gibt es jetzt nur noch wenige Goo nies auf Pörs-Odon? Und warum leben sie in
35 Verstecken?« »Krieg«, antwortete der Alte. »Die Goo nies waren in zwei Lager gespalten. Es gab noch weitere Aufgliederungen, aber streng genommen waren es doch nur zwei Lager. Beide Parteien entwickelten Waffen, die im mer gefährlicher wurden. Zu Anfang waren es Waffen, mit denen man nur wenige töten konnte. Dann aber wurden die Waffen im mer tödlicher. Schließlich konnte man Hun derttausende mit einem einzigen Schuß ver nichten. Aber auch als der Fortschritt so weit gediehen war, dachte noch niemand daran, die Entwicklung zu beenden.« »Fortschritt?« fragte Algonkin-Yatta überrascht. »Das war ironisch gemeint«, antwortete Frekson. »Einer der beiden Parteien war es gelungen, den Begriff Fortschritt so eng mit ihrem Namen zu verbinden, daß schließlich niemand mehr darüber nachdachte, was Fortschritt eigentlich ist. Also konnte diese Partei im Namen des Fortschritts so ziemlich alles tun, was sie wollte, und gleichzeitig jegliche Kritik an ihr dadurch verunglimp fen, daß sie von vornherein als fortschritts feindlich abgetan wurde.« »Das kommt mir bekannt vor«, bemerkte der Mathoner. »Im Namen dieses Fortschritts wurden die Waffen weiterentwickelt, und die andere Partei mußte mitziehen, wenn sie nicht un tergehen wollte. Bald war eine Waffenstärke erreicht, die weit über das hinausging, was eigentlich benötigt wurde. Wir hatten Bom ben, mit denen Pörs-Odon zehnmal und noch mehr vernichtet werden konnte. Hinzu kamen Gifte und biologische Waffen, mit denen die Bevölkerung von Pörs-Odon zwanzigmal ausgerottet werden konnte.« »Auch das kommt mir bekannt vor«, sag te Algonkin-Yatta. »Solche Waffen, die mit derartigen Ge fahren verbunden waren, ließen sich nicht mehr allein durch uns kontrollieren«, fuhr Frekson unbeirrt fort. »Computer wurden eingesetzt. Zunächst waren sie recht einfach, aber sie machten die gleiche Entwicklung
36 durch wie die Waffen. Sie wurden immer leistungsfähiger und komplizierter, bis sie schließlich nicht mehr durch Goonies kon trolliert und in ihren Leistungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden konnten. Das hätte zur Folge, daß diese Aufgabe wiederum von Computern übernommen werden mußten. Uns glitt alles aus den Händen. Als wir noch einmal versuchten, die Kontrolle über das Geschehen zurückzugewinnen, kam es zu ei nem Krieg, bei dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung vernichtet wurde. Danach hat es niemand mehr gewagt, sich über die Computer zu erheben. Diese haben nun die volle Kontrolle über Pörs-Odon, und nie mand wird ihrem Spiel ein Ende bereiten.« »Wir haben es also mit zwei Computersy stemen zu tun«, sagte Anlytha überrascht. »Computer sind die wahren Herrscher dieser Welt.« »Dieses Sonnensystems«, verbesserte Frekson. »Aber die Drachenkriege«, entgegnete Anlytha hilflos. »Was haben sie damit zu tun?« »Die Computer gaben sich mit dem einen Krieg nicht zufrieden. Ihnen war einpro grammiert worden, daß sie die Gegenseite zu überwachen und notfalls zu bekämpfen hatte, sobald sich irgendwo ein Ungleichge wicht ergab. Das war praktisch ständig der Fall. Nach dem ersten großen Vernichtungs schlag gab es ständig irgendwo Auseinan dersetzungen und kleinere Gefechte, bei de nen Raketen eingesetzt wurden. Der Krieg gebar immer wieder Krieg, und die Rü stungsmaschinerie lief weiter.« »Irgendwann muß es zu Ende gewesen sein«, sagte Anlytha. »Was ist geschehen?« »Ich habe das Äußerste gewagt und noch einmal eingegriffen«, erklärte Frekson. »Ich wußte, daß früher oder später alle Goonies getötet werden würden, wenn der Krieg nicht beendet wurde. Daher bin ich in eines der beiden Computerzentren gegangen. Es gelang mir, den Rechenzentren ein neues Kriegsspielzeug zu beschaffen. Mein Ver such, die Computer unter Kontrolle zu brin-
H. G. Francis gen, scheiterte. Zu weit waren sie schon fortgeschritten.« »Die Drachen«, rief Anlytha verblüfft. »Du hast die Aufmerksamkeit der Computer auf die Dachen gelenkt, auf die Tarakfan ter.« »Richtig«, erwiderte der Alte, und er hob die Hände, als wolle er um Verzeihung bit ten für das, was er getan hatte. »Ich hatte keine andere Wahl. Nur so konnte ich die letzten Goonies retten. Die Computer nah men mein Angebot an. Sie beschäftigten sich mit den Tarakfantern und hetzten diese aufeinander. Dabei wurden ständig neue Kriegstaktiken entwickelt. Jetzt scheint es den Computern nicht mehr darum zu gehen, die Gegenseite zu besiegen. Es sieht fast so aus, als hätten sie einen Pakt miteinander ge schlossen, der ein Ende des Krieges verhin dert. Die Computer haben bewegliche Au ßenstellen entwickelt, die Inspektoren. Diese sorgen dafür, daß genügend Tarakfanter nachgeliefert werden, so daß der Krieg keine Unterbrechung erfährt.« »Einer der Computer hat Gefangene von Doron-Sölp hierher gebracht«, sagte Algon kin-Yatta. »Es sind Fremde von den Sternen. Spercoiden.« Frekson richtete sich erregt auf. »Wenn das wahr ist, hat die dritte Phase des Krieges begonnen«, sagte er entsetzt. »Der Computer wird versuchen, die Spercoi den in die Drachenkriege einzuschalten. Das könnte die Gegenseite dazu veranlassen, doch wieder die schrecklichen Waffen der Vergangenheit einzusetzen – und das Ende für Pörs-Odon wäre rasch da.« »Du hast recht«, sagte Anlytha nachdenk lich. »Die Spercoiden stören das Gleichge wicht. Die Gegenseite hat nichts dergleichen aufzubieten, wird also nach einem Ersatz su chen.« Frekson ließ den Kopf wieder sinken und brütete dumpf vor sich hin. Algonkin-Yatta sprach ihn an, erhielt jedoch keine Antwort. Quat gab dem Kundschafter ein Zeichen, um ihm zu verstehen zu geben, daß der geduldig sein sollte.
Der Drachenkrieg
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»Kann man denn diese Computer nicht einfach abstellen?« fragte Anlytha flüsternd. »Einfach ist es bestimmt nicht«, antworte te der Mathoner.
7. Die Decke des Raumes erzitterte unter ei nem heftigen Schlag. Staub rieselte herab. »Was ist los?« fragte Anlytha verstört. »Hat man uns gefunden?« Frekson blickte auf. Er schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht«, erwiderte er. »Und wenn es so wäre, würde sich für uns auch nichts ändern. Ich bin vorbereitet.« Er erhob sich und ging schwerfällig zur Monitorwand. Er nahm einige Schaltungen vor. Mehrere Bildschirme erhellten sich. Die zeigten Szenen aus der Stadt über ihnen. Überall kämpften Drachen, die in dichten Schwärmen von Osten und Südwesten her aufzogen und in die Stadt einfielen. Die Ta rakfanter warfen sich mit einer Wildheit auf ihre Gegner, die alles übertraf, was der Ma thoner und Anlytha bis dahin gesehen hat ten. Die halbintelligenten Wesen schienen völlig von Sinnen zu sein. Keines von ihnen dachte bei diesem Kampf an Verteidigung. »Schalte aus«, bat Anlytha mit schwan kender Stimme. »Ich kann das nicht länger mitansehen.« Frekson ließ die Bildschirme erlöschen. Er wandte sich um. Seine Sichtfühler sträub ten sich. »Ich kann das verstehen«, sagte er traurig. »Was aber hätte ich tun sollen? Die Kriegs maschine, die wir geschaffen hatten, hätte uns vollständig vernichtet, wenn ich nicht auf diesen Ausweg gekommen wäre.« »Es muß einen anderen Weg geben«, sag te sie heftig. »Dazu müßte man bis in das Schaltzen trum kommen«, erwiderte der Goonie, »das aber ist so gut wie unmöglich, Goonies, die ebenso mit Steuerkapseln versehen sind wie die Tarakfanter, und Roboter schirmen das Zentrum ab. Wir kämen nicht weit.«
»Wenn wir aber dort wären, könnten wir etwas erreichen?« fragte Algonkin-Yatta. »Das wäre möglich«, bestätigte Frekson. »Wir könnten den Computer abschalten und damit das gesamte Programm löschen. Das aber dürfen wir nicht.« »Was spricht dagegen?« fragte Anlytha. »Der Computer der anderen Seite. Er würde augenblicklich eine Großoffensive einleiten und diesen Teil der Welt dem Erd boden gleich machen. Das ist nun mal sein Programm, das er durchführen muß, wenn die Drachenkriege beendet sind, weil hier kein Computer mehr ist, der diese Seite lei tet.« »Warum gelingt es den zerstörerischen Kräften immer wieder sich durchzusetzen?« fragte Anlytha. »Warum sind es nicht ein mal die anderen, die die Oberhand gewin nen? Warum immer die Militärs? Das Ende ist immer Vernichtung.« »Oh, niemand von uns wollte die Ver nichtung«, entgegnete Frekson. »Die beiden Parteien haben ja nicht mit dem Gedanken aufgerüstet, zu einem bestimmten Zeitpunkt Krieg zu machen. Das wollte niemand. Kei ner hatte die Absicht, die Gegenseite zu zer schlagen. Beide Seiten wollten eine Überle genheit nur dazu nutzen, Forderungen durchzusetzen, die unter anderen Umständen auf entschlossene Ablehnung gestoßen wä ren.« »Also Erpressung«, stellte Algonkin-Yat ta fest. »Unter gewissen Umständen kann man nicht mehr anders miteinander verhandeln«, erklärte Frekson. »Man könnte schon, nur sind eben alle meistens zu sehr auf ihre Vorteile bedacht.« »Das sagst du so, als hättest du alles selbst erlebt«, bemerkte der Goonie über rascht. »Diese Probleme gibt es auf anderen Wel ten auch«, antwortete der Mathoner. »Wir müssen etwas tun. Ich schlage vor, daß wir uns auf die Suche nach den Spercoiden ma chen. Wir müssen sie befreien, damit die Kampfhandlungen nicht eskalieren.«
38 »Warte«, bat Frekson mit schleppender Stimme. »Ich muß zunächst herausfinden, wo sie überhaupt sind. Hoffen wir, daß sie hier in Tosolon sind, weil wir dann eine Chance haben, an sie heranzukommen. Wenn sie in Waysquath oder gar in Dargs tyn sind, brauchen wir es gar nicht erst zu versuchen. Das ist zu weit von hier entfernt, und dort habe ich keine technischen Einrich tungen.« Der alte Wissenschaftler öffnete einen Schrank, der hinter einem schwenkbaren Bücherregal verborgen gewesen war, und legte das Bedienungspult eines Computers frei. Er nahm allerlei Schaltungen daran vor. Wiederum erhellten sich die Monitorschir me. Die Bilder wechselten in schneller Fol ge. Dieses Mal aber zeigten sie nicht Szenen aus der Stadt Tosolon, sondern Räume und Gänge. Verschiedene Male tauchten Roboter oder Goonies auf. Algonkin-Yatta unterhielt sich leise mit Anlytha darüber, was sie sa hen. Sie waren sich darüber einig, daß sich im Zentrum von Tosolon eine Art Festung be fand, die von dem Hauptcomputer be herrscht wurde. Von hier aus wurde ein Teil der Drachenarmeen gelenkt und nach strate gischen Notwendigkeiten eingesetzt. Hier stand einer der außer Kontrolle geratenen Computer und inszenierte seinen Teil des Drachenkriegs. Frekson konnte mit Hilfe seiner techni schen Einrichtungen fast die gesamte Fe stung einsehen, dennoch aber keinen direk ten Einfluß auf das Geschehen nehmen. Der Mathoner sah, daß die meisten Goonies be waffnet waren. Er schloß daraus, daß der Computer nach wie vor einen Angriff der außerhalb der Festung lebenden Goonies auf sich selbst einkalkulierte. Plötzlich zwitscherte Anlytha aufgeregt. Sie zeigte auf einen der Bildschirme, auf dem ein Spercoide in seinem Schutzanzug zu sehen war. »Das ist es«, rief sie. »Du hast die Sper coiden gefunden.« Auf einem zweiten Bildschirm erschienen
H. G. Francis die Bilder von sieben weiteren Spercoiden, die auf einer Bank saßen und sich völlig ru hig verhielten. Durch nichts war zu erken nen, ob in den Schutzanzügen noch lebende Wesen steckten, oder ob die Anzüge nur lee re Hüllen waren. Algonkin-Yatta nahm je doch als selbstverständlich an, daß die Sper coiden noch lebten. »Weißt du, wo sie sind? In welchem Ab schnitt der Festung, und wie wir dorthin kommen können?« fragte er. Frekson schaltete die Monitorschirme aus. »Ich weiß, wo sie sind, aber ich weiß nicht, wie ihr es schaffen wollt, sie dort her auszuholen. Es ist so gut wie unmöglich.« »Hast du einen Plan der Festung?« fragte der Mathoner. Wortlos tippte der Goonie einige Tasten des Steuergeräts. Der größte der Monitor schirme erhellte sich. Der Lageplan der An lagen unter der Stadt erschien. Algonkin-Yat ta sah, daß die Anlagen bis in eine Tiefe von annähernd einhundert Metern hinabreichten und sich dabei in zahlreiche Stockwerke auf gliederten, ohne daß sich dabei erkennbare Ordnung ergab. Die Erbauer schienen jedem spontanen Einfall gefolgt zu sein. Sie hatten ein Gewirr von Gängen und Schächten ge schaffen, die ein chaotisches Durcheinander bildeten. Frekson zeigte auf einen Raum, der etwa fünfzig Meter unter der Oberfläche lag und wie ein Vogelnest in einem Geflecht von Schächten zu hängen schien. »Da sind sie«, erklärte er. Dann deutete er auf einen Punkt am Rande der Festung. »Und hier sind wir.« Algonkin-Yatta blickte ihn überrascht an. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie sich so dicht über der Festung befanden. Wenn die Beschreibung des goonischen Wissen schaftlers stimmte, dann waren sie nur durch eine Wand von der Anlage entfernt, in der sich der Computer befand. Quat erhob sich aus einem Sessel, in dem er sich ausgeruht hatte. Zum ersten Mal zeigte er wieder Interesse für das Geschehen um sich herum. Algonkin-Yatta hatte ihn im
Der Drachenkrieg Verdacht, während der ganzen Zeit ihrer Diskussion geschlafen zu haben. Nach wie vor wußte er nicht, was er von Quat zu hal ten hatte. Konnte er ihm vertrauen, oder würde Quat ihm in den Rücken fallen, so bald er einen Vorteil für sich witterte? »Wir werden in die Festung eindringen«, erklärte der Mathoner. »Ich gehe auf jeden Fall.« »Und ich auch«, fügte Anlytha hinzu. »Ich übernehme die notwendigen Über wachungsaufgaben«, sagte Quat. »Von hier aus.« »Ich habe mir gedacht, daß du nicht mit gehst«, entgegnete der Mathoner. »Ach ja?« Quat hob die Arme und ließ sie wieder fallen. »Nun gut. Ich will ehrlich sein. Wenn ich mitgehe, und der Plan ge lingt nicht, bin ich erledigt wie ihr auch. Wenn ich hierbleibe, kann ich mich immer noch irgendwie arrangieren. Ich muß an mich denken und an meine Leute.« »Wie kannst du erwarten, daß wir als Fremde etwas für dich tun, wenn du selbst nicht bereit bist, etwas für dich zu tun?« herrschte Anlytha ihn an. Der Goonie lächelte matt. »So ist das mit mir«, erwiderte er. »Ich will nur leben. Weiter nichts. Warum sollte ich mein Leben da drinnen in der Festung riskieren, wenn ihr sowieso bereit seid, die Gefangenen herauszuholen. Ich bleibe hier.« »Du bist ehrlich«, stellte Algonkin-Yatta fest, »und das ist mir allemal lieber als ein Messer im Rücken.« Frekson räusperte sich. »Du solltest nicht länger warten«, sagte er. »Je mehr Zeit verstreicht, desto größer wird die Gefahr einer Katastrophe.« Der Mathoner nickte. Er prägte sich die Zeichnung ein, die auf den Bildschirm proji ziert wurde. »Welche Hindernisse gibt es auf dem Weg dorthin?« fragte er. »Wo stehen Wa chen? Gibt es Fallen oder verborgene Kon trollen?« »Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Frekson. »Ich kann die meisten Gänge ein
39 sehen, aber ich weiß nicht, was dort im ein zelnen verborgen ist.« »Es wäre besser gewesen, wenn ihr unse re Ausrüstung nicht weggenommen hättet«, sagte der Kundschafter zu Quat, der diesen Vorwurf ohne ein Zeichen von Reue ein steckte. Algonkin-Yatta wandte sich mit ei nem Schulterzucken ab. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sich über das Verhalten des Goonies zu ärgern. Quat und seine Leute hatten sich angepaßt. Sie akzeptierten, daß andere die Macht hatten. Der Kundschafter stellte dem alten Wis senschaftler noch einige Fragen und ließ sich die Gänge und Schächte mehrmals zei gen, durch die sie vordringen mußten. Nur einmal tauchte ein Goonie auf dem Bild auf. Er war unbewaffnet. Algonkin-Yatta glaub te, daß von den Helfern des Computers nur eine geringe Gefahr ausging. Keiner von ih nen rechnete damit, daß jemand in die Fe stung eindringen würde. »Wir können also davon ausgehen, daß die entscheidende Schwierigkeit darin liegt, überhaupt erst in die Festung zu kommen«, sagte Algonkin-Yatta. »Ich bin anderer Ansicht«, antwortete der alte Wissenschaftler. »Ich weiß, daß es leicht ist, in die Festung zu kommen, aber ich fürchte, es wird schwer, wenn nicht un möglich sein, sich darin zu halten.« Er hob einige Bücher aus einem Regal und legte dabei einen Metallhebel frei. Er umfaßte ihn mit der Hand und schob ihn nach hinten. Die Monitorwand glitt etwa einen Meter zur Seite und gab den Zugang zu einem Schacht frei, der senkrecht in die Tiefe führte. »Der Weg in die Festung ist offen«, sagte Frekson. »Alles weitere liegt bei dir.« Der Mathoner blickte verblüfft auf die Öffnung. Damit hatte er nicht gerechnet. »Wenn es so ist, warum ist dann nicht schon längst jemand in die Festung einge drungen?« fragte er. »Weil niemand dort etwas hätte ausrich ten können«, erwiderte Frekson. »Dir geht es um die Spercoiden. Die kannst du befrei
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H. G. Francis
en. Dadurch stellst du das Waffengleichge wicht wieder her. Mehr kannst du nicht tun.« »Das wird sich zeigen«, entgegnete der Kundschafter, »auf jeden Fall wirst du uns begleiten.« Frekson erschrak. Er wich vor dem Ma thoner zurück und streckte abwehrend die Hände aus. »Ich bin ein alter Mann. Diesen Anstren gungen bin ich nicht mehr gewachsen.« »Du bist der einzige, der weiß, wie der Computer da drinnen aussieht und wie er be dient werden muß«, erwiderte Algonkin-Yat ta. »Wir können auf dich nicht verzichten. Notfalls werde ich dich tragen. Das macht mir nichts aus.« Er erläuterte dem greisen Goonie, wes halb es notwendig war, daß er sie begleitete. Frekson hatte allerlei Einwände, stimmte aber schließlich doch zu. »Ich bin ein alter Mann«, sagte er. »Wer weiß, ob ich noch ein Jahr lebe oder nur noch eine Woche? Für mich spielt es keine Rolle, wenn sich zeigen sollte, daß ich für den Rückweg zu schwach bin. Ich gehe mit.« Er richtete sich stolz auf und ließ den Kopf weit in den Nacken sinken. »Worauf warten wir noch?« fragte er. Algonkin-Yatta lächelte nur. Schweigend stieg er in den Schacht. In das Gestein der Wände waren Eisensprossen eingelassen, an denen sie ohne große Mühe nach unten klet tern konnten. Frekson folgte dem Kund schafter, und Anlytha bildete den Abschluß. Quat setzte sich auf den Rand des Schach tes und ließ die Beine nach unten baumeln. Er sah der Gruppe nach, bis sie im Dunkel unter ihm verschwand.
* Der Goonie fiel aus einer Öffnung in der Decke und landete mit federnden Knien di rekt vor Algonkin-Yatta. Er hielt eine plump aussehende Waffe in den Händen, die mit ei nem Projektor versehen war.
Der Mathoner erkannte, daß es sich um eine einfache Strahlenwaffe handelte, die immerhin gefährlich genug war, sie alle drei auf der Stelle zu töten. Bevor er jedoch rea gieren konnte, überschwemmte Anlytha den Goonie bereits mit einer psionischen Im pulswelle. Sie gaukelte ihm vor, daß eine besonders schöne, goonische Frau vor ihm stand – oder was sie dafür hielt. Der Bewaffnete stutzte und blickte sich unsicher um. Dann schnalzte er mit der Zun ge und trommelte lächelnd mit den Finger spitzen gegen das Kinn. »Hallo«, sagte er. »Ich hatte nicht die lei seste Ahnung davon, daß hier unten so hüb sche Mädchen wachsen.« »Und ich wußte nicht, daß die dummen Jungen hier so leichtsinnig mit ihren Waffen herumspielen«, zwitscherte sie. Seine Sichtfühler spreizten sich ab. Er wollte die Waffe in den Gürtel schieben, doch Algonkin-Yatta griff zu und entriß sie ihm. Gleichzeitig beendete Anlytha die psio nische Beeinflussung. Der Goonie öffnete den Mund zu einem Schrei. Der Mathoner legte ihm jedoch schnell die Hand auf die Lippen, hob ihn hoch und trug ihn zu einem in die Wand eingelassenen Stahlschrank. Er stellte den Goonie in den Schrank und hielt ihm die Faust vor das Gesicht. »Du hast die Wahl«, sagte er. »Du kannst versuchen zu schreien, dann muß ich dir lei der weh tun. Du kannst aber auch still sein und abwarten, was geschieht. Dann wird dir nichts passieren.« »Warum paralysierst du nicht?« fragte Anlytha. »Dann ist er auf jeden Fall ausrei chend lange still.« »Du hast recht«, sagte der Mathoner. Er zog seinen Kombistrahler aus dem Gürtel und richtete ihn auf den Goonie, als ihm Frekson rasch die Hand auf den Arm legte. »Das solltest du nicht tun«, mahnte der Alte. »Ich vermute, daß die Waffe eine be sondere Strahlenart abgibt. Wenn das so ist, dann löst du damit einen Alarm aus, und das willst du sicherlich nicht.« »Allerdings nicht«, erwiderte Algonkin-Yat
Der Drachenkrieg ta und schob die Waffe in den Gürtel zu rück. Er schlug die Schranktür zu und ver riegelte sie. »Er wird schon still sein.« »Das ist die bessere Lösung«, sagte Frek son. Die beiden Männer und das Mädchen eil ten weiter. Der goonische Wissenschaftler führte sie. Er kannte sich noch immer gut in der Festung aus, obwohl er schon so lange nicht mehr hier gewesen war. Nachdem sie etwa zwanzig Minuten gegangen waren, er reichten sie ein Schott, das mit fremdartigen Schriftzeichen versehen war. »Es ist eine Warnung«, erklärte Frekson, bevor Algonkin-Yatta ihn fragen konnte. »Sie besagt, daß die Wachen alle ohne An ruf töten, die diesen Bereich ohne Genehmi gung betreten. Ich weiß aber nicht, ob der Befehl für die Wachen auch heute noch gilt.« »Kannst du das Schott öffnen?« fragte Anlytha. Sie hatten die plumpe Strahlenwaf fe des überrumpelten Goonies an sich ge nommen und spielte nun neugierig daran herum, wobei sie sie stets so hielt, daß sie niemanden verletzen konnte, falls sich unge wollt ein Schuß löste. »Das ist nicht weiter schwer«, entgegnete er und öffnete seitlich neben dem Schott ein verborgenes Fach. Darin befand sich eine Tastatur. Er tippte einige Knöpfe ein, und das Schott schob sich knirschend zur Seite. Algonkin-Yatta blickte auf eine abwärts führende Treppe, die hell erleuchtet war. Die Wände trugen kunstvoll gearbeitete Metall verzierungen, bei denen die geschliffenen Metallstücke so gegeneinander gesetzt wa ren, daß sich verblüffende Lichteffekte erga ben. »Wir befinden uns jetzt in dem eigentlich interessanten Bereich«, sagte der goonische Wissenschaftler. »Hier gibt es viele Räume, die mir völlig unbekannt sind und die ich nicht einsehen kann. Ich weiß daher nicht, ob hier auch noch Goonies leben oder Robo ter verborgen sind.« »Wir haben auch weiterhin Glück«, be hauptete der Mathoner.
41 Er schob sich an dem Wissenschaftler vorbei und ging voran. Lautlos stieg er die Treppe hinab, die sich in weitem Bogen nach unten wand. Er war ständig darauf ge faßt, einen Roboter oder einen Goonie vor sich auftauchen zu sehen, doch er erreichte das Ende der Treppe, ohne auf jemanden zu stoßen. Ein grün flimmernder Energievor hang bildete den Abschluß der Treppe. Algonkin-Yatta drehte sich zu Frekson um. Dieser hob ratlos die Arme. »Ich weiß nicht, was das ist«, sagte er be stürzt. »Laß mich ausprobieren, ob ich hin durchgehen kann.« »Lieber nicht«, wehrte der Mathoner ab. Er nahm ein Papiertaschentuch und warf es in den Energievorhang. Es verfärbte sich und löste sich auf. »Eine Art Desintegratorfeld«, stellte der Mathoner fest. »Wachen sind nicht nötig, wenn man so etwas hat.« »Wie kommen wir jetzt weiter?« fragte Frekson. »Die Spercoiden sind nicht weit von hier. Nur noch diesen Gang dort entlang und dann nach links. Dort sind sie einge sperrt.« »Das sind nicht mehr als hundert Meter«, sagte Algonkin-Yatta. »Dafür benötigen wir noch nicht einmal eine Minute Zeit. Für das Öffnen der Türen brauchen wir noch einmal eine Minute. Wiederum eine Minute, bis wir uns mit den Spercoiden verständigt haben. Dann abermals eine Minute, bis wir hier sind. Das sind vier Minuten. Unter dem schaffen wir es nicht.« »Was soll das?« fragte Anlytha. »Hilft uns das weiter?« »Wieviel Zeit haben wir, wenn wir einen Alarm auslösen?« Der Mathoner wandte sich an Frekson. »Vier Minuten oder mehr?« Frekson hob die Arme. »Das weiß ich nicht«, antwortete er. »Wahrscheinlich sind die Roboter schneller hier.« »Wir müssen es riskieren«, sagte Algon kin-Yatta. Er zog seinen Kombistrahler und stellte ihn auf Energiestrahlwirkung. »Wir zerschießen die Feldprojektoren. Danach se
42 hen wir weiter.« »Das wäre Wahnsinn«, rief der Goonie protestierend, aber es war schon zu spät. Der Mathoner feuerte die Waffe ab. Ein nadel feiner Energiestrahl raste aus dem Projektor hervor und bohrte sich neben dem flimmernden Energievorhang in die Wand. Glutflüssi ges Material spritzte explosionsartig daraus hervor. Der Mathoner strich mit dem Energie strahl am Rand des grünen Energiefelds ent lang und brach dabei die Wand vom Boden bis zur Decke auf. Dann endlich platzte die Wand auseinander. Der Energieschirm er losch. Der Weg war frei. Weit von ihnen entfernt jaulte ein Alarm gerät, und eine dumpf klingende Stimme hallte aus verborgenen Lautsprechern. Al gonkin-Yatta regulierte seinen Translator neu ein, während er vor Anlytha und Frek son über den Gang stürmte, doch das Gerät übersetzte die Worte nicht. »Ich kann nicht mehr«, rief der Goonie schon nach wenigen Metern und blieb keu chend stehen. Der Kundschafter kehrte zu ihm zurück, packte ihn und warf ihn sich über die Schul tern. Dann rannte er hinter Anlytha her, die bereits einen beträchtlichen Vorsprung ge wonnen hatte. »Was sagt diese Stimme?« brüllte er dem Alten zu. »Ich verstehe sie nicht.« »Sie spricht in altgoonischer Sprache«, er widerte Frekson. »Sie verkündet, daß Frem de in die Station eingedrungen sind. Ein Goonie und zwei andere. Damit meint sie euch.« »Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte der Mathoner. Er hatte die Gangecke er reicht und bog nun nach links ab. Mit Anly tha zugleich erreichte er ein Schott. »Laß mich herunter«, bat Frekson. »Ich kann es öffnen. Nicht schießen. Dahinter sind die Gefangenen.« Geschickt hantierte er an drei kleinen, mit Symbolen versehenen Stellrädchen herum. Es knackte vernehmlich, und das Schott ver schwand im Boden. Algonkin-Yatta blickte
H. G. Francis in einen quadratischen Raum, in dem sich neunzehn Spercoiden aufhielten. Alle stan den und wandten sich ihm zu, doch er konn te ihre Gesichter nicht sehen, da die Sichtscheiben ihrer Schutzhelme zu stark spiegelten. Algonkin-Yatta war sich darüber klar, daß sie das Pfeifen des Alarmgeräts ge hört und sich Gedanken darüber gemacht hatten. »Wir kommen, um euch zu befreien«, rief er ihnen zu, nachdem er seinen Translator umgestellt hatte. »Schnell. Wir müssen uns beeilen. Die Wachen werden keine Rück sicht auf diejenigen nehmen, die zu langsam sind.« Einer der Spercoiden trat auf ihn zu. »Wer bist du?« fragte er. »Ich bin ein Freund«, erwiderte der Ma thoner. »Und ich bin auf der Suche nach ei nem anderen Freund. Sein Name ist Atlan. Er ist zusammen mit dem Tyrannen Sperco an Bord des Raumschiffs WAHRHAFTIG KEIT nach Loors aufgebrochen. Sperco hofft, dort doch noch das Fliegen zu erler nen. Nach meinen Informationen war es At lan, der ihn zu diesem Unternehmen ermun tert hat.« »Woher weißt du das?« »Ich habe versucht, einem von euch das Leben zu retten. Sein Name war Veltosc. Er hat mir alles erzählt.« »Du hast versucht, ihn zu retten?« Algonkin-Yatta blickte sich nervös um. Er wußte, daß nur noch Sekunden vergehen konnten, bis die Inspektoren und Goonies kamen, um sie aus der Festung zu vertrei ben. »Veltosc war zu schwer verletzt. Uns blieb schließlich keine andere Wahl mehr. Wir mußten seinen Schutzanzug öffnen. Das war sein Ende.« Der Spercoide drehte sich zu den anderen Gefangenen um. »Er ist ehrlich. Er beschönigt nichts. Wir können ihm glauben«, sagte er. »Wenn er uns täuschen wollte, hätte er sicherlich et was anderes erzählt. Kommt. Wir gehen mit ihm.«
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Die Spercoiden drängten sich nun zur Tür. Algonkin-Yatta wich eilig auf den Gang zurück. Anlytha schrie auf. »Die Roboter kommen«, rief sie. »Schnell. Beeilt euch.«
8. Algonkin-Yatta stand auf dem Gang vor der Tür zu dem Raum, in dem die Spercoi den gefangengehalten worden waren. Die Spercoiden rannten zusammen mit Anlytha zu der nach oben führenden Treppe. Der Mathoner sah vier Roboter auf sich zu kommen. Er hob seinen Kombistrahler und schoß. Die erste Maschine explodierte. Eine Glutwelle raste über den Gang und schleuderte ihn zurück. Während er den Bo den unter den Füßen verlor, schoß er aber mals. Ein sonnenheller Energiestrahl raste mitten in die Explosionswolke herein und durchbohrte die Brust eines Inspektors, der über den berstenden Roboter hinwegsprang. Auch dieser Automat verging in einem Feu erball, der sich rasch ausbreitete und mit sei ner sengenden Hitze das Verkleidungsmate rial des Ganges zum Schmelzen brachte. Algonkin-Yatta rannte hinter den anderen her. Die Glut zwang ihn zu größter Eile. Als er um die Gangecke bog, blieb er ste hen. Zwei weitere Roboter brachen aus der Glut hervor. Ihre Metallkörper hatten sich dunkel verfärbt. Deutlich sah der Mathoner, wie bei einem der beiden Automaten die seitlich am Kopf aufragenden Antennen schmolzen. Er legte den Kombistrahler auf den linken Unterarm, schloß die Augen und feuerte. Er warf sich zur Seite und lehnte sich gegen die Wand. Im nächsten Moment schon brodelte ein Flammensturm an ihm vorbei. Er löste sich von der Wand und rannte bis zur Treppe. Hier standen alle Spercoiden. Anlytha zwitscherte hilflos, und Frekson ru derte mit den Armen in der Luft herum. »Was ist geschehen?« fragte der Kund schafter, der den Grund für die Unterbre chung der Flucht nicht erkannte.
»Sieh doch selbst«, rief Anlytha. Sie schob einen der Spercoiden zur Seite, und jetzt sah Algonkin-Yatta das Stahlschott, das sich vor der Treppe erhoben hatte. Zwei schwärzliche Flecken darauf zeigten ihm an, daß Anlytha bereits versucht hatte, es mit dem Strahlengewehr zu zerschießen. Es war ihr noch nicht einmal gelungen, es ernsthaft zu beschädigen. »Wir sitzen in der Falle«, sagte Frekson klagend. »Ich habe so etwas befürchtet. Der Computer hat uns mit Hilfe von unzerstörba ren Stahlschotten eingeschlossen. Hier kom men wir nicht mehr heraus.« »Und wem hast du mit deinen Gesten et was mitgeteilt?« fragte der Kundschafter. »Quat«, antwortete der Wissenschaftler bereitwillig. »Schließlich wußte ich, daß diese Stahlschotte existieren. Oben gibt es eine Sonderschaltung, mit der man sie wie der verschwinden lassen kann. Quat könnte uns den Weg frei machen, wenn er nur woll te. Aber er will nicht. Er ist ein Verräter.« Algonkin-Yatta lächelte. »Was ist los mit dir?« fragte Anlytha. »Wieso freust du dich? Hast du etwa damit gerechnet, daß Quat so etwas tun würde?« »Genau das«, erwiderte der Mathoner. »Deshalb war ich auch damit einverstanden, daß er oben bleibt. Er sollte das tun, was er jetzt getan hat.« »Du bist wahnsinnig«, rief der Wissen schaftler. »Verräter«, bemerkte einer der Spercoi den. »Du wirst deine gerechte Strafe für das erhalten, was du getan hast.« »Immer langsam«, entgegnete der Matho ner. »Mit geht es um mehr als um die Be freiung einiger Gefangener. Die Zustände auf Pörs-Odon können sich nur ändern, wenn die Computer abschalten und sämtli che Programme gelöscht werden. Das errei chen wir aber nicht dadurch, daß wir aus der Festung fliehen, sondern dadurch, daß wir uns konsequent bis zum Computer durchar beiten.« »Wenn ich gewußt hätte, daß du das willst, dann hätte ich dich nicht begleitet«,
44 rief Frekson empört. »Verzeih mir«, antwortete Algonkin-Yat ta freundlich. »Das war mir natürlich klar. Deshalb habe ich dir auch nicht die volle Wahrheit gesagt. Mir blieb keine andere Wahl. Ich brauche dich als Computerexper ten. Und habe ich nicht schon gesagt, daß du der einzige bist, der weiß, wie der Computer bedient wird? Ich habe dich also nicht völlig im unklaren gelassen.« »Wie konntest du wissen, daß Quat sich so entscheiden würde?« fragte Frekson. »Quat handelt stets konsequent. Er stellt sich auf die Seite dessen, den er für den Sie ger ansieht. Er denkt nur an sich selbst und daran, wie er am besten durchkommt. In dem Augenblick, in dem er annehmen muß te, daß wir verloren haben, mußte er sich ge gen uns stellen. Das war mir von Anfang an klar, und das habe ich einkalkuliert.« Algonkin-Yatta hörte, wie der Gang hin ter ihnen zusammenbrach. Das in tosender Hitze verformte Material kühlte sich ab, zog sich zusammen und zerplatzte unter der da bei entstehenden Spannung. Roboter arbeite ten sich durch die Trümmer vor. »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte der Mathoner. »Zeige uns den Weg zum Haupt computer.« Frekson zögerte noch immer. Er hatte noch nicht bewältigt, was der Kundschafter ihm eröffnet hatte. »Schnell«, bat Anlytha. »Wir haben wirklich keine Zeit mehr.« Der goonische Wissenschaftler schreckte auf. Er schlug die Hände vor das Gesicht. Einer der Spercoiden gab ihm einen Stoß mit der Faust. »Entscheide dich«, forderte er. Der Trans lator Algonkin-Yattas übersetzte seine Wor te, doch nur der Mathoner und seine Gefähr tin verstanden sie. Dennoch drehte Frekson sich plötzlich um und eilte einen seitlich ab zweigenden Gang entlang. »Kommt«, rief er. »Schnell.« Algonkin-Yatta erläuterte den Spercoiden hastig, um was es ging, und welchen Plan er verfolgte, während sie dem Goonie folgten. Er war keineswegs überrascht, als er merkte,
H. G. Francis daß die Spercoiden sich mit seinen Plänen identifizierten. Sie gaben ihm zu verstehen, daß dies die einzige Möglichkeit war, die für sie in Frage kam. Sie dachten viel nüchter ner und klarer als die Goonies, die sich of fenbar nicht vorstellen konnten, daß die Computer besiegbar waren. Einer der Spercoiden schrie auf, als sie ei ne Halle erreichten. Aus einem seitlich ein mündenden Gang strömten etwa dreißig Goonies herein. Sie waren alle bewaffnet, und einige von ihnen schossen sofort. Sie trafen zwei Spercoiden und töteten sie. Anlytha sprang vor. Sie konzentrierte sich und griff die Goo nies mit psionischer Kraft an. Die Kampf gruppe des Computers wähnte sich plötzlich vor einer massiven Wand. Die Goonies glaubten, ihr Ziel in entgegengesetzter Rich tung zu sehen. Sie fuhren herum und schos sen. Sie hatten primitive Waffen, die Projek tile auswarfen. Daher richteten sie nur gerin ge Schäden an einer Tür an. Die Spercoiden begriffen nicht, warum die Goonies so handelten. Immerhin erkann ten sie ihre Chance. Einige von ihnen liefen zu den. Goonies und rissen ihnen die Waffen aus den Händen. Die anderen sahen, wie leicht die Goonies entwaffnet werden konn ten und stürzten sich ebenfalls auf sie. Dabei gerieten sie in den Einflußbereich der psionischen Energie, die Anlytha ab strahlte, und verloren für einige Sekunden die Orientierung. Sie vergaßen jedoch nicht, die Waffen an sich zu reißen. Anlytha stellte ihre Beeinflussung ein. Die Goonies brüllten vor Wut, als sie er kannten, daß sie sich getäuscht hatten. Sie gaben den Kampf auf und flüchteten. Algon kin-Yatta verzichtete darauf, sie zu paraly sieren. »Damit sind wir schon ein bißchen besser ausgerüstet«, stellte der Mathoner gelassen fest. »Energiestrahler wären mir lieber ge wesen, aber diese Donnerbüchsen sind bes ser als gar nichts.« Er ging zu Frekson, der an der Wand lehnte und sich die Hände massierte. Algon
Der Drachenkrieg kin-Yatta hatte dieses Verhalten schon öfter bei ihm beobachtet. Er wußte, daß es der Ausdruck besonders großer innerer Unruhe war. »Warum glaubst du, daß es nicht möglich ist, den Computer umzuprogrammieren?« fragte er. »Kommt diese Frage nicht ein wenig spät?« »Mag sein«, entgegnete der Mathoner lä chelnd. »Immerhin kommt sie noch.« »Wenn einer der beiden Computer um programmiert wird, reagiert der andere au genblicklich darauf«, erwiderte der Wissen schaftler. »Ein Computer würde die Schwä che des anderen sofort ausnutzen. Das mili tärische Gleichgewicht wäre gestört und würde den Gegner zu einem totalen Angriff veranlassen.« »Was heißt totaler Angriff?« fragte der Kundschafter. »Sprichst du von Großraketen und Atomwaffen?« »Genau das.« »Der Computer arbeitet nur dann, wenn er mit Energie versorgt wird«, stellte Algon kin-Yatta fest. »Wenn das Kraftwerk aus fällt, ist auch der Computer erledigt.« »Er ist dreifach abgesichert.« »Dann werden wir eben diese Dreifachsi cherung auch durchbrechen«, erwiderte der Kundschafter. »Du kennst das System. Ich vermute, daß das Hauptkraftwerk sich in un mittelbarer Nähe des Computers befindet. Ist das richtig?« »Das stimmt.« »Führe uns hin.« Frekson hob die Arme und ließ sie resi gnierend fallen. »Hätte ich mich doch nur nicht auf dich und deine Pläne eingelassen«, sagte er ärger lich. »Jetzt muß ich tun, was du willst. Auch wenn es mir nicht gefällt.« »Gut, daß du das einsiehst«, entgegnete der Mathoner. »Roboter kommen«, rief einer der Sper coiden, der etwa zwanzig Meter von Algon kin-Yatta an der Tür zu einem nach oben führenden Gang stand.
45 »Also schnell«, sagte der Mathoner. Frekson überlegte kurz, dann eilte er in der Richtung weiter, in die sie bisher gelau fen waren, bis sie einen Lift erreichten. »Wir müssen weiter nach unten«, erklärte er und drückte einige Knöpfe. Sekunden darauf öffnete sich die Stahltür zum Lift. Der Fahrstuhlkorb war so groß, daß Algon kin-Yatta, Anlytha, Frekson und alle Sper coiden ihn betreten konnten. Der Mathoner trieb sie hinein, während Frekson das Ziel bereits in das Steuergerät tippte. Als sich die Tür schloß, sah der Kundschafter die Robo ter. Er schätzte ihre Zahl auf wenigstens zwanzig. Sie waren alle mit schweren Ener giestrahlern bewaffnet. Die Stahltür verfärbte sich. Ein rot glü hender Fleck entstand, und die Temperatur im Fahrstuhlkorb stieg schlagartig an. Dann aber setzte sich der Lift in Bewegung. Der Fahrstuhlkorb fiel mit solcher Beschleuni gung in die Tiefe, daß der Kundschafter fürchtete, daß die Halteseile gerissen waren. Er hörte die Spercoiden schreien. Anlytha klammerte sich an ihn. »Keine Angst«, brüllte Frekson. »Es ist nichts passiert. Aufpassen. Er hält.« Seine Warnung kam zu spät. Der Fahr stuhlkorb verzögerte ebenso stark, wie er zu vor beschleunigt hatte. Die Spercoiden stürzten zu Boden. Der Goonie, der sich mit der Eigenart der auf Pörs-Odon gebräuchli chen Fahrstühle auskannte, fing sich ge schickt ab. Anlytha klammerte sich an Al gonkin-Yatta, der kräftig genug war, sich abzufangen. Eine Stahltür öffnete sich. Der Kundschafter blickte auf einen Gang hinaus, auf dem sich zahlreiche Goonies be fanden. Sie waren bewaffnet, wußten aber offenbar nicht, wohin sie sich wenden soll ten. Sie rannten nach einem nicht erkennba ren System durcheinander. Anlytha verließ den Lift. Sie gaukelte den Goonies eine Wand vor, die sich zwischen ihnen und ihr erhob. Die Goonies erstarrten. Verwirrt blickten sie auf die Wand, die vor her nicht dagewesen war, und deren plötzli
46 ches Entstehen sie sich nicht erklären konn ten. »Tötet sie«, hallte eine dumpf klingende Stimme aus verborgenen Lautsprechern. »Was immer ihr zu sehen glaubt, kümmert euch nicht darum. Schießt!« Unsicher hoben die Goonies die Waffen. Algonkin-Yatta schaltete seinen Kombi strahler auf Paralysewirkung um und schoß. Ein unsichtbares Energiefeld strahlte aus dem Projektor ab und erfaßte die Goonies. Diese brachen paralysiert zusammen. Aus einigen ihrer Waffen lösten sich Schüsse, doch niemand wurde verletzt. »Ich hätte es nicht geglaubt«, sagte Frek son. »Der Weg zum Kraftwerk ist frei.« Er stieg über die bewegungslos auf dem Boden liegenden Wachen hinweg. Algon kin-Yatta folgte ihm und erklärte ihm, was mit ihnen geschehen war. Es beruhigte den Wissenschaftler sichtlich, daß sie nicht tot waren, sondern nach einigen Stunden wieder aufstehen und nichts mehr spüren würden. Vor einem Panzerschott blieb er stehen. Auch hier diente ein Kombinationsschloß als Sicherung. Er stellte für Frekson jedoch kein entscheidendes Hindernis dar. Mühelos öffnete er es. »Sei vorsichtig«, warnte er. »Im Kraft werk sind bestimmt auch noch Wachen.« »Du hast recht«, stimmte der Mathoner zu. »Ein bißchen Vorsorge kann nicht scha den.« Er richtete den Paralysator gegen das Pan zerschott und löste ihn aus. »Glaubst du, daß du durch die Tür schie ßen kannst?« fragte der goonische Wissen schaftler. Algonkin-Yatta antwortete nicht. Er gab dem Goonie ein Zeichen, die Tür zu öffnen. Frekson drückte auf einen Knopf, und das Panzerschott glitt zur Seite. Frekson zog sich ängstlich zurück, doch dann sah er, daß im Kraftwerk fünf paralysierte Wachen auf dem Boden lagen. Verblüfft massierte er sich die Hände. »Du hast Waffen«, sagte er, »die unseren überlegen sind. Du hast mir von deinem Raumschiff erzählt. Gibt es dort auch Waf-
H. G. Francis fen, die besser sind als beispielsweise unsere Raketen?« »Du verlangst von mir, daß ich das Gleichgewicht der Kräfte störe und den Computern eine Waffe entgegensetze, die allem überlegen ist, was ihr aufzubieten habt?« Der Mathoner schüttelte den Kopf. »Das wollen wir lieber nicht tun. Die Com puter könnten sich einigen und mich ge meinsam angreifen. Darauf würde ich gern verzichten.« Der Mathoner betrat das Kraftwerk. Frek son brauchte ihm nichts zu erklären. Er er kannte augenblicklich, mit welcher Technik hier Energie erzeugt wurde. Zugleich wurde er sich darüber klar, was zerstört werden mußte, wenn er den Computer zwingen wollte, auf andere Versorgungssysteme um zuschalten. »Ich muß mit dem Computer sprechen«, sagte er daher zu dem goonischen Wissen schaftler. »Wie kann ich ihn erreichen?« Er ging zu einem elektronischen Überwa chungs- und Steuergerät, während die Sper coiden ausschwärmten und das gesamte Kraftwerk durchsuchten. Sie fanden noch sieben Goonies, die sich kampflos ergaben. Roboter waren überraschenderweise nicht vorhanden. Nach kurzer Diskussion mit Frekson wußte Algonkin-Yatta, was er tun mußte, wenn er das Kraftwerk zerstören wollte. »Wir können eine Atomexplosion auslö sen, wenn wir wollen«, sagte er. »Und das werden wir auch tun, wenn der Computer sich uns nicht beugt. Danach hilft ihm kein anderes Versorgungssystem mehr.« Frekson massierte sich erregt die Hände. »Ich verstehe dich nicht«, erklärte er. »Bist du hierher gekommen, um uns alle zu vernichten?« »Wenn einer der beiden Computer nicht mehr existiert, dann hat der andere keinen Gegner mehr, dann hat das Kriegsspiel für ihn jeglichen Sinn verloren«, antwortete Al gonkin-Yatta. »Und darauf kommt es an. Nur so läßt sich der Krieg beenden.« Er wandte sich an die Spercoiden und dis
Der Drachenkrieg kutierte seinen Plan mit ihnen. Sie stimmten ihm nach einiger Zeit zu und verteilten sich im Kraftwerk, um die verschiedenen Positio nen zu besetzen. »Ich bin ein alter Mann«, sagte Frekson. »Für mich spielt es keine Rolle mehr, ob ich heute sterben muß oder in einigen Wochen. Ich habe mein Leben gelebt. Aber ihr? Wollt ihr wirklich sterben?« »Wir wollen vor allem nicht mehr darüber reden«, erwiderte der Mathoner. »Gib mir jetzt eine Verbindung zum Computer.« Frekson ließ die Schultern sinken. Er schüttelte den Kopf. Er wußte nicht mehr, was er von Algonkin-Yatta zu halten hatte. Er drückte eine Taste am elektronischen Steuerpult. »Sprich«, forderte er den Mathoner auf. »Wir kommen jetzt zu dir«, verkündete dieser mit lauter Stimme. »Der goonische Wissenschaftler Frekson, meine Gefährtin Anlytha und ich. Du wirst uns zu dir lassen, ohne uns zu behindern. Du wirst deinen Hel fern verbieten, auf uns zu schießen. Wenn sich uns irgend jemand entgegenstellt, wer den die Spercoiden hier im Kraftwerk eine Atomexplosion auslösen und damit auch dich vernichten.« »Ihr könnt zu mir kommen«, antwortete der Computer mit dumpf klingender Stim me, die über Algonkin-Yatta aus einem Lautsprecher hallte. »Ich werde dafür sor gen, daß euch nichts geschieht.« »Du hast es gehört«, sagte der Mathoner zu Frekson. »Führe uns.« Anlytha ließ einen funkelnden Metallstift in einer ihrer vielen Taschen verschwinden. Dann erst schloß sie sich dem Goonie und dem Kundschafter an. Vor dem Eingangsschott zum Kraftwerk hatten sich etwa hundert Goonies versam melt. Sie waren alle bewaffnet. Hinter ihnen standen mehrere Roboter, von denen einige sie um fast zwei Meter überragten. Auch diese Inspektoren waren bewaffnet, keiner von ihnen aber stellte sich Algonkin-Yatta und seinen Begleitern in den Weg. »Der Computer tut, was du ihm befohlen
47 hast«, sagte Frekson mit belegter Stimme. »Er gehorcht dir.« »Ich habe nichts anderes erwartet«, ent gegnete der Mathoner. »Er hat keine andere Wahl. Unser Überfall verlief zu schnell. Be vor er seine Wachmannschaften in die Schlacht werfen konnte, hatten wir diese schon gewonnen. Jetzt muß er sich uns beu gen, oder er vernichtet sich selbst. Ich ver mute aber, daß er so etwas aufgrund seiner Programmierung nicht darf.« »Das ist richtig«, bestätigte der Wissen schaftler. Er führte Algonkin-Yatta und An lytha über einen schräg nach oben steigen den Gang. Überall standen Goonies und Ro boter. Alle waren bewaffnet, und alle ließen sie passieren. »Sind die Goonies mit den Metallkapseln im Gehirn eigentlich noch zu eigenen Ge fühlen fähig?« fragte das Mädchen. »Können sie uns zürnen, oder denken und empfinden sie das, was der Computer ihnen befiehlt?« »Ich kann das nicht beurteilen«, erwiderte der Mathoner. »Wenn sie Augen hätten wie wir, könnte ich es vielleicht.« Frekson erfaßte, was er meinte. »Sie sehen stumpfsinnig und teilnahmslos aus«, erklärte er. »Sie empfinden nichts. Sie sind nicht mehr als biologische Roboter, so lange die Kapsel noch in ihrem Gehirn steckt.« Sie hatten eine etwa zwanzig Meter breite Treppe erreicht, die zu einem offenen Schott führte. Algonkin-Yatta konnte vom Fuß der Treppe in einen Raum sehen, der eine ge wisse Ähnlichkeit mit der Hauptleitzentrale eines Raumschiffes hatte. »Wir sind da«, sagte Anlytha. »Hoffentlich hast du dich nicht geirrt«, bemerkte Frekson. Er blieb stehen und atme te schwer. »Geh allein. Ich komme später nach, wenn ich mich etwas erholt habe.« »Ich trage dich«, entgegnete der Mathoner und nahm den alten Goonie auf die Arme. Mühelos trug er ihn die Treppe hoch. Vor dem Eingang zum Computerraum setzte er ihn ab.
48 Frekson richtete sich auf. Er strich sich die Kleidung glatt. »Verzeih«, sagte er mit belegter Stimme. »Dies ist ein großer Augenblick für mich. Ich hätte nicht geglaubt, daß ich ihn noch einmal erleben darf. Vielleicht rede ich ein wenig viel, aber es geht um zuviel für uns und Pörs-Odon.« »Schon gut. Ich verstehe dich«, erwiderte der Mathoner. Er ließ dem Wissenschaftler den Vortritt. Frekson dankte ihm mit einer bewegten Geste. »Er freut sich zu früh«, flüsterte Anlytha. »Noch haben wir es nicht geschafft. Wer weiß, was der Computer noch auf Lager hat.« Sie folgten dem Alten. Das Schott schloß sich hinter ihnen. Algonkin-Yatta sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befanden, war rund. Kompliziert aussehende Schaltta feln bildeten die Wände. Zahllose Lichter blinkten in einem geheimnisvollen Rhyth mus. »Ihr seit jetzt dort, wohin ihr gehen woll tet«, verkündete die dumpfe Stimme des Computers. »Sprecht. Ich höre.« Algonkin-Yatta tat, als habe er den Com puter nicht gehört. Er wandte sich an Frek son. »Ich bin immer davon ausgegangen, daß der Computer sich selbst so abgesichert hat, daß man ihn nicht mehr umprogrammieren kann, selbst wenn man in diesem Raum ist und praktisch jede Taste drücken kann, die man betätigen will. Ist das richtig?« »Genau das ist der Fall«, erwiderte der Wissenschaftler. »Es wäre sinnlos, es versu chen zu wollen. Damit erreichst du über haupt nichts.« »Also gut. Das wollte ich nur wissen. Es spielt keine Rolle, hätte jedoch einiges ein facher gemacht.« »Sprich«, forderte der Computer. »Ich warte.« »Ich habe die Kriegsanlage auf diesem Planeten analysiert«, antwortete der Matho ner. »Es sind keine Fortschritte erzielt wor den.«
H. G. Francis »Das entspricht den Tatsachen«, erklärte der Computer. »Weder Tosolon noch die Koalition Waysquath-Dargstyn hat Vorteile. Die Fronten sind erstarrt.« »Keine der Parteien wird in Zukunft Vor teile erringen können«, fuhr Algonkin-Yatta fort. »Beide Parteien verfügen über das glei che Waffenarsenal. Neuentwicklungen sind nicht vorhanden. Ein Ende des Krieges ist also nicht abzusehen.« »Das Ende des Krieges wird nicht ange strebt.« »Das Ende des Krieges ist jetzt erreicht«, erklärte der Kundschafter. »Wann das Ende erreicht ist, bestimme al lein ich«, erwiderte der Computer. »Irrtum«, sagte der Mathoner. »Du bist nicht mehr in der Lage, das zu bestimmen. Kräfte, die neu in den Krieg eingetreten sind und die keiner der beiden Parteien angehö ren, werden dich zerstören. Sie können, wie du selbst längst festgestellt hast, alle Ener gie, die im Kraftwerk gespeichert ist, spon tan frei werden lassen. Das würde deine völ lige Auflösung bedeuten.« »Nicht nur meine, auch deine.« »Das spielt keine Rolle. Mein Leben wür de nicht enden, sondern nur unterbrochen werden. Es würde sich auf einer anderen Ebene fortsetzen.« »Du sprichst von der Reinkarnation? In meinen Speichern sind einige Daten darüber vorhanden.« »Davon spreche ich. Für mich und die an deren hier im Raum gibt es eine Wiederge burt. Für dich nicht. Deshalb wirst du dem Computer der Koalition sofort deine Kapitu lation mitteilen.« »Kapitulation?« rief Frekson entsetzt. »Niemals. Wir haben den Krieg nicht be gonnen. Die Koalition war es. Sie muß kapi tulieren.« »Es kommt nicht darauf an, wer kapitu liert, sondern darauf, daß der Krieg beendet wird«, widersprach Algonkin-Yatta. »Daher habe ich entschieden, daß der Computer von Tosolon kapituliert. Ich nehme die Entschei dung nicht zurück.«
Der Drachenkrieg »Ich werde nicht kapitulieren«, verkünde te der Computer. »Wenn ich kapituliere, wird die Koalition sofort mit Atomwaffen angreifen. Für diesen Fall muß ich abwehr bereit bleiben. Frekson hat recht. Die Koali tion muß kapitulieren.« Algonkin-Yatta registrierte, daß der Com puter sogar den Namen des Wissenschaftlers kannte. »Ich befehle dir, sämtliche Programme zu löschen und gleichzeitig deine Kapitulation bekanntzugeben«, sagte der Kundschafter. »Das darf ich nicht tun«, antwortete der Computer. »Die Koalition würde die entste hende Überlegenheit sofort zu einem Ver nichtungsschlag nutzen. Unsere Existenz ist nur dadurch gesichert, daß wir den Krieg mit Tarakfantern auf niederer Auseinanderset zungsebene halten. Eine Eskalation würde sofort gefährliche Ausweitungsentwicklun gen einleiten. Das ist auch der Grund dafür, daß ich die gefangenen Fremdintelligenzen nicht aus der Gefangenschaft entlassen wer de. Sie dürfen nicht in den Krieg eingrei fen.« »Wenn du kapitulierst, hat die Koalition keinen Gegner mehr, gegen den sie kämpfen kann. Der Krieg wäre damit sinnlos gewor den. Diese Information gibst du an den Ge gencomputer weiter. Ich befehle dir, die Richtigkeit dieser Aussage zu überprüfen und die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs zu berechnen, der nach einer Kapitulation erfolgen könnte.« »Das habe ich bereits getan«, erklärte der Computer Sekunden darauf. »Ich will das Ergebnis hören.« »Die Aussage ist richtig. Die Gefahr eines Angriffs der Koalition besteht nicht. Wenn ich meine Programme lösche, wird das der Gegencomputer auch tun.« »Dann kapituliere«, befahl Frekson mit heiserer Stimme. Einige Sekunden verstrichen, dann erlo schen die Lichter des Computers in schneller Folge. »Ich habe kapituliert«, erklärte der Com puter. »Der Krieg ist beendet. Ich betone,
49 daß ich mich zu diesem Schritt gezwungen gesehen habe, weil ich sonst durch die Ex plosion des Kraftwerks vernichtet worden wäre.« Frekson klammerte sich an Algonkin-Yat ta. »Ich kann es nicht glauben«, sagte er mühsam beherrscht. »Wir sind frei. Wir sind wirklich frei. Die Macht der Computer ist gebrochen. Eine neue Zeit beginnt.« Algonkin-Yatta und Anlytha überprüften den Computer. Sie stellten fest, daß es ihnen tatsächlich gelungen war, ihn zu überlisten. Er beugte sich ihrem Befehl und löschte sämtliche Programme. »Ich wußte gar nicht, daß du an eine Wie dergeburt nach dem Tode glaubst«, flüsterte sie ihm zu. »Ich habe eben immer wieder mal eine Überraschung für dich«, antwortete er. Das Schott öffnete sich. Goonies strömten schwatzend und jubelnd herein. Sie begrif fen schnell, daß sie nun wieder frei und un beeinflußt denken konnten. »Gib mir deine Waffe«, bat Frekson. »Ich werde den Computer, dieses Teufelswerk, vernichten.« »Das ist nicht notwendig«, entgegnete der Mathoner. »Der Computer ist unschädlich gemacht. Eure Zukunft hängt nicht von ihm ab, sondern von dem Programm, das ihr ihm eingebt.« Die Spercoiden betraten die Halle. Algon kin-Yatta ging auf sie zu, während sich An lytha neugierig umsah. Sie hoffte, irgend et was zu finden, was sie mitgehen lassen konnte. »Es ist alles in Ordnung«, sagte der Kund schafter. »Der Computer ist auf unseren Trick hereingefallen.« »Wir danken dir«, antwortete einer der Spercoiden. »Wir würden uns gern revan chieren. Nur wissen wir nicht, wie …« »Ganz einfach«, sagte der Mathoner. »Ich benötige Informationen über den Planeten Loors.« »Wir wissen nicht viel«, erwiderte der Spercoide, »aber wir können ungefähr sa
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H. G. Francis
gen, wo der Planet zu finden ist.« »Damit wäre schon fast alles erreicht. Meine Begleiterin und ich werden diesen Planeten verlassen. Für euch kann ich nichts weiter tun.« »Wir werden hier bleiben«, erklärte der Spercoide. »Wir werden unseren Freunden
helfen, diese Welt neu aufzubauen.«
ENDE
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