Nr. 381
Der Dreiäugige Ein Monstrum wird geboren von Horst Hoffmann
Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Dimensionen...
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Nr. 381
Der Dreiäugige Ein Monstrum wird geboren von Horst Hoffmann
Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Dimensionen ist erneut unterbrochen wor den. Der Kontinent, der unbeeinflußbar auf die Schwarze Galaxis zusteuerte, wurde durch den Korsallophur-Stau gestoppt. Pthor ist nun umschlossen von Staub und planetarischen Trümmermassen, die von einem gewaltigen kosmischen Desaster zeugen, das sich in ferner Vergangenheit zugetragen haben muß. Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine ge wisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizu führen. Die angestrebte Einigkeit der Pthorer ist auch bitter nötig, denn Pthor bekommt es mit den Krolocs zu tun, den Beherrschern des Korsallophur-Staus. Während das Auftauchen von krolocischen Spähern auf Pthor Atlan umfassende Vorbereitungen gegen eine drohende Invasion treffen läßt, sind Razamon, der Ber serker, und Balduur, der Odinssohn, im Stau selbst unterwegs, um die Lage zu son dieren. Bei ihrer abenteuerlichen Mission begegnen die beiden Männer den Wesen, deren Vorfahren die kosmische Katastrophe überlebten. Eines dieser Wesen ist DER DREIÄUGIGE …
Der Dreiäugige
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Die Hautpersonen des Romans:
Razamon und Balduur - Die Atlanter werden für Saboteure gehalten.
Heftor - Kommandant einer Raumstation.
Nurcrahn - Ein Lichtfürst.
Pona und Tirsoth - Nurcrahns Enkel.
Gurankor - Regierungschef der Eripäer.
1. Der Fluch der Familie Nurcrahn (I) Der Mann stand allein am Strand des Ozeans und beobachtete das Spiel der Wel len. Sirkh-Prelljaddum stand hoch am Him mel. Es war die Stunde, in der die Eripäer ihre Muuker verließen, um das Licht auf sich einwirken zu lassen. An diesem Tag war das anders. Jedermann wußte, daß die Tochter des Lichtfürsten Nurcrahn ein Kind erwartete. Die Geburt stand unmittelbar bevor. Es galt auf den Welten der Eripäer als un geschriebenes Gesetz, daß alle, die nicht zur Familie der gebärenden Frau gehörten, in ih ren Muukern blieben und warteten. Die Ge burt eines Kindes stellte das größte Tabu ih rer Zivilisation dar. Dies war so, seitdem die ersten Dreiäugi gen zur Welt gekommen waren. Nurcrahns Blick richtete sich in die Ferne. Der Lichtfürst dachte daran, was geschehen mußte, falls sein Enkel ein Monstrum sein würde. Es war das gleiche, das man von jedem Familienoberhaupt erwartete. Auch ein Mann in seiner Position bildete dabei keine Ausnahme. Er versuchte, sich damit zu trösten, daß die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Dreiäugigen verschwindend gering war. Nur jeder fünftausendste neugeborene war eine Fehlentwicklung. Früher war dies anders gewesen. Fast je des zehnte Kind kam mit drei Augen zur Welt. Es fanden regelrechte öffentliche Hin richtungen statt. Kein Dreiäugiger durfte le ben. Zwar wußten die Eripäer kaum noch et was über jene Zeit, in der die Große Kata strophe sich ereignet hatte, doch etwas war
in ihrem kollektiven Gedächtnis hängenge blieben. Jene, die für das furchtbare Unglück in ferner Vergangenheit verantwortlich waren, hatten ein drittes Auge auf der Stirn gehabt. Nurcrahn versuchte, an etwas anderes zu denken. Die Regierung auf Aarl, dem zweiten Pla neten der einzigen Sonne innerhalb der Lichtung, war beunruhigt über die immer häufiger und heftiger werdenden Angriffe der Krolocs. Es mußten weitere Kräfte zur Verteidigung mobilisiert werden, um den neuerlichen Ansturm abzuwehren. Oft ver hielten die Krolocs sich monatelang ruhig, um dann um so vehementer anzugreifen. Sie würden niemals aufgeben. Die Lichtung war der einzige Ort im Korsallophur-Stau, auf den sie ihre Herrschaft bisher noch nicht ausdehnen konnten. Ein kugelförmiger Raum mit der roten Sonne SirkhPrelljaddum, was soviel hieß wie »Lichtquelle«, und ihren drei Planeten Da maukaaner, Aarl und Zaardenfoort. Diese Welten wurden auch »Lichtträger« genannt. Zwei Millionen Eripäer lebten innerhalb dieser von Trümmern freien Zone des Staus auf den Planeten oder an Bord von Welt raumstationen und Raumschiffen. Nurcrahn bemerkte eine Bewegung hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er Pona, seine Enkelin. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sagte das anderthalb Meter große Geschöpf. Pona war wie alle Frauen der Eripäer haar los, großäugig und beinahe durchsichtig. Die rauhe und feste Stimme stand in krassem Widerspruch zu ihrem zarten und empfindli chen Wesen. Die Männer waren etwas grö ßer und weniger grazil.
4 »Das brauchtest du nicht«, erwiderte Nur crahn. »Ich war hier draußen, als deine Mut ter geboren wurde und als sie dich erwarte te.« »Und deine Sorgen waren umsonst«, sag te Pona. »So wird es auch diesmal sein.« Nurcrahn schenkte der Enkelin einen dankbaren Blick. »Wann wird es soweit sein?« »Schon bald. Jacca ist bei ihr und küm mert sich um sie.« Der Lichtfürst schwieg. Pona nahm seine Hand. »Sind die Dreiäugigen wirklich Mon stren?« fragte das Mädchen leise. »Sie sind an unserem Elend schuld.« »Und falls …« »Falls dein Bruder oder deine Schwester zu ihnen gehören wird?« »Ja«, hauchte Pona. »Was wirst du tun, Großvater?« Nurcrahn erkannte, daß Pona längst nicht so zuversichtlich war, wie sie sich gab. Das Gesetz verlangte, daß jeder Dreiäugi ge sofort nach der Geburt getötet wurde. Ge schah dies nicht, kam es zu einer öffentli chen Hinrichtung. Nurcrahn war Mitglied der Regierung. Als solches hätte er keinen Augenblick zö gern dürfen, die einzig richtige Antwort zu geben. Doch der Lichtfürst schwieg. Pona stellte keine weiteren Fragen. Ge meinsam warteten die beiden auf das Zei chen, das jedesmal gegeben wurde, wenn ein neuer Eripäer zum Licht geführt worden war. Nurcrahn vermied es, zum Muuke sei ner Familie zu sehen. Nur Pona drehte sich immer wieder um. Die Behausungen der Eripäer ähnelten riesigen Schwämmen. Sie erschienen starr, doch bis zu einem gewissen Grad waren sie in der Lage, sich nach den Bedürfnissen der Bewohner zu verformen. Vor allem wanderten die oberen Öffnungen mit dem Stand der Sonne, so daß immer Licht in die Hohlräume fiel, in denen die Großfamilien lebten. Nachts brannten Scheinwerfer.
Horst Hoffmann Für die Eripäer war das Licht alles. Ohne Helligkeit gingen sie regelrecht zugrunde. Die Lichtfürsten besaßen besonders große Muuker für sich und ihren Anhang. Es wa ren besonders große Exemplare der Gattung. Bei den Wohnunterkünften der Eripäer auf Zaardenfoort handelte es sich um organi sches Leben, genauer gesagt, um PflanzenTier-Zwitter, die vor langer Zeit eine Zweckgemeinschaft mit den Bewohnern des dritten Lichtträgers, wie die Herren der Lichtung ihre drei Planeten nannten, einge gangen waren. Als Pona endlich den hellblauen Rauch aus einer der Öffnungen strömen sah, zöger te sie, ihren Großvater darauf aufmerksam zu machen. Pona zitterte. Weshalb hatte sie Angst? Es war völlig unwahrscheinlich, daß ausgerechnet ihr Bru der oder ihre Schwester drei Augen haben sollte. So lange hatte sie sich danach gesehnt, nicht mehr allein zu sein. Wieso rannte sie nicht los? »Du brauchst nichts zu sagen«, murmelte Nurcrahn. »Komm. Laß uns gehen, deine Mutter wartet auf uns.« Der Alte nahm Pona bei der Hand und nickte ihr aufmunternd zu. Als sie das Muu ke erreichten, befanden sich bereits Dutzen de von Eripäern vor dem Eingang. Sie machten den Weg frei. So war es immer ge wesen. Sobald der Rauch ausströmte, gaben die Nachbarn ihre Zurückhaltung auf und warteten auf die befreiende Nachricht, die ihnen das Familienoberhaupt traditionsge mäß überbrachte – die Erklärung, daß das Kind normal war. Nurcrahn wußte, was er seinem Ansehen schuldig war. Er begrüßte die Anwesenden der Reihe nach, bevor er das Muuke seiner Familie betrat. Draußen warteten sie, so wie sie bei der Geburt seiner Tochter Irsocca und seiner En kelin Pona gewartet hatten. Doch diesmal erschien es dem Lichtfür sten, als ob er eine hungrige Meute im
Der Dreiäugige
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Rücken hätte.
* Die organischen Behausungen waren bis zu einem gewissen Grad intelligent und schienen sofort zu erkennen, was ihre Be wohner wünschten. Welchen Nutzen sie aus der Zweckgemeinschaft zogen, war aller dings weitgehend unbekannt. Es gab keine Kommunikation zwischen Eripäern und Muukern. Der Lichtfürst ging hinter Pona her, bis sie vor einer ockerfarbenen Wand stehen blieb. Der Gang war zu Ende. Pona dachte daran, daß sie nun zu ihrer Mutter mußte und die Sperre nicht mehr nötig sei. Sekunden später bildete sich eine Öffnung in der Mitte der »Wand« und vergrößerte sich schnell, bis Pona und ihr Großvater in die Schlafkammer Irsoccas treten konnten. Nurcrahns Tochter schlief in ihrem aus weichen Kissen und Decken gebildeten La ger. Der Lichtfürst sah Jacca, sein zweites Kind, fragend an. Als sie sich die Hände vor die Augen schlug und sich umdrehte, wußte er, daß das Glück diesmal nicht mit ihm und seiner Fa milie gewesen war. Nurcrahn beugte sich über Irsocca. Sie war erschöpft, doch offensichtlich nicht so sehr von der Geburt mitgenommen, wie er befürchtet hatte. Zärtlich strich er der Schla fenden über die Wangen. Pona schluchzte, und Nurcrahn hatte Mühe, seine Erschütte rung und den Schmerz zu verbergen. Die Hände zitterten, und seine Stimme war die eines gebrochenen Mannes, als er Jacca fragte: »Weiß sie es?« »Noch nicht«, brachte Jacca kaum hörbar hervor. »Sie verlor das Bewußtsein, noch bevor sie ihr Kind sehen konnte.« »Ihr Kind …«, murmelte der Lichtfürst, und der Klang der eigenen Worte jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Se kundenlang hatte er das Gefühl, daß es um ihn herum dunkel würde.
Draußen warteten die Nachbarn und Freunde der Familie, die ihn mit dem neuen Bürger ihrer Welt aus dem Muuke treten se hen wollten. »Was ist es?« fragte Nurcrahn. »Junge oder Mädchen?« Welchen Sinn hatte die Frage? Er würde das Kind töten müssen. »Ein Junge«, erklärte Jacca. »Wo ist er?« Jacca ging auf die dem Korridor gegen überliegende Wand zu, bis sich eine weitere Öffnung bildete. Nurcrahn schritt an ihr vor bei in den kleinen Raum. Er beugte sich zitternd über das Lager. Das Kind lag unter einer warmen Decke, die es ganz verhüllte. Das Licht SirkhPrelljaddums fiel genau auf die Stelle, wo sich der Kopf befand. »Es ist ein Zeichen«, hauchte Jacca. Nurcrahn gab keine Antwort. Unendlich langsam zog er die Decke zurück. Er versuchte, nicht auf die Stirn des Kin des zu sehen, betrachtete den Mund, die kaum erkennbare Nase, dann die Augen. Sie sahen ihn an. Lächelte der Neugeborene? Nurcrahn zwang sich dazu, in diese großen schim mernden Augen zu sehen – in alle drei. Der Lichtfürst hatte Bilder von Dreiäugi gen gesehen, von Hinrichtungen und Rekon struktionen jener Mutationen, die für die Ka tastrophe vor langer Zeit verantwortlich wa ren. War dies hier ein Ungeheuer? So hatten auch Irsocca, Jacca und später Pona vor ihm gelegen. Das Kind war vom gleichen Blut. Konnte es böse sein? »Was wirst du nun tun, Großvater?« frag te Pona mit tränenerstickter Stimme. »Wartet hier auf mich«, sagte der Licht fürst. Er verschwand auf dem Korridor, der zum Ausgang des Muukes führte. Pona ging ihm trotz des Verbots nach. Sie versteckte sich hinter einer der Verdickun gen, die überall im Muuke wie Adern die Wände überzogen und sich im oberen Teil des Zwitterorganismus vereinigten.
6 Sie hörte, wie ihr Großvater zu den Män nern und Frauen sprach. Nurcrahn erklärte ihnen, das Kind seiner Tochter Irsocca sei wenige Augenblicke nach der Geburt gestorben. Ein normales Kind, versicherte er. Pona weinte. Fast wäre sie vor Glück aus dem Versteck hervorgesprungen, um den Großvater zu umarmen. Alles, was sie als Kind über die Dreiäugigen gehört hatte, war vergessen, seitdem sie ihren Bruder gesehen hatte. Ein junges, unschuldiges Wesen. Was konnte es für all das, was die Dreiäugigen einst an Unheil über die Vorfahren der Eripäer gebracht hatten? Stimmten die Überlieferungen überhaupt? Als der Lichtfürst zurückkehrte, trat sie ihm entgegen. Sie fiel ihm um den Hals. »Es besteht kein Grund zur Freude«, dämpfte der Alte ihre Gefühle. »Ich habe Schuld auf mich und die Familie geladen, als ich die Leute anlog.« Pona sah ihn erschrocken an. »Dann wirst du ihn doch töten?« »Nein, mein Kind. Er wird leben, doch die Gnade sei mit uns, falls eines Tages ir gend jemand von seiner Existenz erfährt. Er wird ein Gefangener sein, Pona, sein Leben lang. Und wir werden geächtet sein, falls man hinter unser Geheimnis kommt.« »Du konntest es nicht tun, nicht wahr?« »Nein. Ich war dazu bereit, als ich das Muuke betrat. Dann geschah etwas mit mir, das ich nicht erklären kann. Laß uns darum beten, daß ich keinen Fehler gemacht habe, Pona. Von nun an wird ein Schatten das Licht unseres Lebens trüben.« »Ich möchte meinem Bruder einen Na men geben, Großvater.« »Welchen Namen?« »Er soll Tirsoth heißen.« »Tirsoth«, murmelte Nurcrahn, »die Hoff nung. Das ist ein guter Name, mein Kind. Hoffnung ist das einzige, was uns bleibt.« Sie gingen zusammen in den kleinen Raum, wo Jacca auf sie wartete. Nurcrahn wußte, daß er richtig gehandelt hatte, als er wieder ins Gesicht des Neuge-
Horst Hoffmann borenen sah, richtig gehandelt vor seinem Gewissen. Doch die Zweifel darüber, ob er dazu be rechtigt gewesen war, blieben. Der Fluch lastete auf ihm und seinen An gehörigen. Nurcrahn dachte daran, als Jacca neun Tage nach Tirsoths Geburt starb.
2. Sieben Jahre später am Rand der Lich tung. »Wir haben es geschafft!« rief Razamon ins Helmmikrophon des Raumanzugs, als die Staubmassen sich teilten und die kleine rote Sonne sichtbar wurde. Bis zum letzten Augenblick hatte der Berserker Zweifel dar an gehegt, daß das Licht voraus tatsächlich bedeutete, daß sie sich der mysteriösen Lichtung, Ponas Heimat, näherten. Razamon und sein Begleiter Balduur ka tapultierten sich durch die Rückstoßkraft ih rer Strahlwaffen durch den Dimensionskor ridor. Die von den Krolocs erbeuteten stab förmigen Waffen waren das einzige, das ih nen geblieben war, nachdem die Piraten ih nen die KEYNAC und damit das einzige re guläre Fortbewegungsmittel genommen hat ten. Wieder gerieten die beiden Männer in einen Staubschleier hinein. Der Übergang von den Trümmermassen des KorsallophurStaus zur Lichtung erfolgte nur langsam. Zwei Stunden später bewegten sie sich durch freien Raum. Einen Augenblick lang fühlte Razamon sich ins »normale« Weltall versetzt. Zwar war das System der roten Sonne nach allen Seiten hin vom purpurnen Schimmer der Staubmassen umgeben, die das Licht reflektierten, doch der Atlanter konnte schon zwei Planeten mit bloßem Au ge ausmachen. Einige helle Punkte konnten Raumstationen sein. Es war so, als ob man nach langem Siech tum endlich wieder frei atmen konnte. Na türlich machte Razamon sich keine großen Illusionen. Die Lichtung war nichts als eine riesige Hohlkugel innerhalb des Staus. Laut
Der Dreiäugige Ponas Aussage würde es kein Bewohner die ser Zone wagen, in den eigentlichen Stau zu fliegen, wo die Eripäer den Krolocs, die mit ihren Flugscheiben die Staubmassen durch pflügten, hoffnungslos unterlegen waren. Razamon und Balduur konnten sich kaum Hoffnungen machen, von hier aus ohne Hil fe von außen aus dem Stau zu gelangen. Doch vorerst war nur wichtig, Freunde zu finden. Beide Männer konnten nicht ahnen, daß Atlan inzwischen durch Ponas RobotNachrichtenschiff informiert worden war und so in groben Zügen wußte, was ihnen bis zu Ponas Flucht zugestoßen war. Mit Ponas Hilfe sollte es ihnen nicht son derlich schwerfallen, sich mit den Eripäern zu verständigen – falls Ponas Flucht gelun gen war. Auch hierüber herrschte bei Razamon und Balduur Unklarheit. Der Odinssohn war un geduldig und gereizt. Razamon wußte, daß er an Fenrir dachte, der in der BERSERKER zurückgeblieben war. »Wir sollten zusehen, daß wir so schnell wie möglich gefunden werden«, sagte Raza mon. »Wir fliegen auf einen der Planeten zu«, schlug Balduur vor. »Und riskieren, daß wir von Abwehrforts oder Raumstationen als unerwünschte Ein dringlinge abgeschossen werden? Die Eripä er leben im Krieg mit den Krolocs. Das Wichtigste ist jetzt, uns zu identifizieren, be vor sie auf dumme Gedanken kommen. Auch falls Pona noch nicht hierher zurück gekehrt sein sollte, wird ihr Name genügen, um …« »Dort vorne«, sagte Balduur. Einer der schon beobachteten hellen Punkte bewegte sich und wurde schnell grö ßer. Nach wenigen Minuten waren Konturen erkennbar. »Das Ding muß riesig sein«, entfuhr es Balduur. Auch Razamon war überrascht. Das Schiff war eiförmig und kam mit rasen der Geschwindigkeit auf sie zu. »Hoffen wir, daß alle Eripäer das gleiche
7 Sprachtalent wie Pona besitzen«, murmelte er. Dann schaltete er das Helmfunkgerät auf volle Sendeleistung und begann zu sprechen. Er nannte seinen Namen und den seines Be gleiters. Razamon erzählte einfach drauflos, erklärte, daß sie in Frieden und als Freunde kämen und daß ihre Welt im KorsallophurStau gestrandet sei. Wichtig war, daß die Raumfahrer so schnell wie möglich die Grundelemente des Pthora begriffen. Razamon begann bereits daran zu zwei feln, als das Raumschiff, das mittlerweile nahe heran war, plötzlich seinen Kurs ver ließ. Es hatte in den letzten Minuten abge bremst, ohne daß Razamon eine Antwort er halten hatte. Nun beschleunigte es wieder und schoß seitlich an den im All Treibenden vorbei. Es flog direkt auf einen Pulk aus den Staubmassen brechender Spaccahs zu. Raza mon reagierte blitzschnell. »Weg hier, Balduur!« Er zielte mit der Stabwaffe genau auf die Angreifer. Die Rückstoßwirkung katapultierte ihn wie ein lebendes Geschoß davon – tiefer in die Lich tung hinein. Balduur wurde zu einem winzi gen Punkt vor der Kulisse der beginnenden Raumschlacht, um wenige Augenblicke spä ter einige hundert Meter entfernt an Raza mon vorbeizuschießen. Sie mußten höllisch aufpassen, damit sie sich nicht verloren. Razamon schoß nicht mehr. Alle Spac cahs warfen sich dem Raumschiff entgegen. Die Szene wirkte grotesk, als ob Mücken einen Elefanten angriffen. Die Krolocs hat ten keine Chance. Dennoch flohen sie nicht. Nach einer halben Stunde war alles vor bei. Es war von Razamons Standort aus nicht zu sehen, ob alle Flugscheiben mitsamt ihrer Piloten vernichtet worden waren oder ob die Eripäer Gefangene gemacht hatten. Immer hin dauerte es schätzungsweise eine weitere Viertelstunde, bis das Schiff sich wieder auf ihn zu bewegte. »Wo steckst du, Balduur?« fragte der Pthorer. »Ich weiß es nicht, verdammt. Ich kann
8 dich hören, aber nicht sehen!« »Das Riesenei kommt genau auf mich zu.« »Dann wird es diesmal halten, um dich aufzufischen. Ich brauche mich nur darauf zu zu katapultieren.« »Aber vorsichtig. Sonst klatschst du mit der Wucht eines aufschlagenden Meteors gegen die Hülle, und alles, was von Odins tapferem Sprößling übrigbleibt, ist ein dun kelroter Fleck.« »Kümmere dich lieber um dich selbst, Berserker!« Das Schiff glitt heran. Razamon funkte wieder, doch auch jetzt erhielt er keine Ant wort. Schließlich ragte eine riesige Wand vor ihm auf. Razamon schätzte die Länge des Raumers auf sechshundert, die Dicke auf dreihundert Meter. Minutenlang geschah nichts. Dann öffnete sich eine Schleuse. Helles Licht drang her aus. Razamon war geblendet. Er konnte nicht erkennen, was sich in der Kammer ver barg. Doch plötzlich spürte er, wie sein Kör per von Fesselfeldern eingefangen wurde und er auf das Licht zuschwebte. »Razamon?« hallte Balduurs Stimme in den Helmlautsprechern. »Was ist das? Ich kann mich nicht mehr bewegen. Irgend et was zieht mich auf das Schiff zu und …« Die Stimme verstummte. In den Empfän gern war nur noch ein leises Knistern zu hö ren. Razamon war innerlich aufgewühlt. Dies war kein Empfang, den man Freun den bereitete. Bei aller verständlichen Vor sicht mußte der Angriff der Krolocs den Eripäern doch die Augen geöffnet haben. Der Pthorer war von Zweifeln erfüllt. Wer saß in dem Schiff? War es ein Fehler gewe sen, blindlings auf die von Pona erhaltenen Informationen zu vertrauen? Razamon spürte, wie etwas in seinen Rücken gedrückt wurde. Er hatte festen Bo den unter sich. Es bedurfte keiner großen Phantasie, um zu wissen, daß mindestens eine Waffe auf
Horst Hoffmann ihn gerichtet war.
* Sie befanden sich in einem mittelgroßen kahlen Raum, dessen Ecken abgerundet wa ren. Das Licht war immer noch so hell, daß die Augen schmerzten, aber es blendete we nigstens nicht mehr. Razamon saß mit dem Rücken an eine Wand gelehnt auf dem Boden, Balduur ihm gegenüber. Ihre Körper waren bis auf die Arme im Griff von Fesselfeldern. Die Detektoren des Raumanzugs zeigten atembare Luft und normale Temperaturen an. Razamon zog den Falthelm ab und legte ihn in den Nacken. Der Odinssohn folgte seinem Beispiel. »Etwas Schönes haben wir uns da einge brockt«, knurrte Balduur. Razamon gab keine Antwort. Er überlegte fieberhaft, was er von den Ereignissen der letzten Stunden zu halten hatte. Weder er noch Balduur hatten einen der unbekannten Raumfahrer sehen können. War es denkbar, daß die Lichtung nicht mehr den Eripäern gehörte? Auf jeden Fall erschien es Razamon bes ser, sich vorläufig nicht auf Pona zu berufen. Er ging davon aus, daß die Besatzung des Schiffes mittlerweile seine Sprache verste hen konnte und in seinem und Balduurs Ge fängnis Abhörgeräte installiert sein könnten. Deshalb machte er den Odinssohn mit al len möglichen Umschreibungen darauf auf merksam, daß er bis auf weiteres Ponas Na men auf keinen Fall erwähnen durfte. »Sollen sie sich zeigen!« rief Balduur. »Nur Feiglinge greifen aus dem Dunkel her aus an! Wenn ihr mich hören könnt, so kommt aus euren Löchern und stellt euch!« Razamon lachte humorlos. »Du bist nicht in deinem Heim an der Straße der Mächtigen«, sagte der Atlanter. »Außerdem habe ich das Gefühl, daß unsere Freunde nicht aus dem Dunkel angreifen, sondern aus dem Licht.« »Welchen Unterschied macht das?« Sie
Der Dreiäugige warteten. Niemand kam. Dann endlich, nach vielleicht einer Stun de, war eine Veränderung im Summen des Antriebs feststellbar. Das helle Singen wur de zu einem Rumoren. Der Boden begann leicht zu zittern. »Was ist das?« wollte Balduur wissen. »Ich nehme an, daß wir irgendwo landen. Wahrscheinlich sind wir so wichtige Persön lichkeiten, daß ein einfacher Raumschiff kommandant sich nicht mit uns unterhalten darf. Bist du niemals an Bord eines Raumers gewesen?« »Du meinst früher?« »Was sonst?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht damals, be vor …« »Wieso sprichst du nicht weiter?« »Vergiß es. Und du?« »Ich war eine Zeitlang Besatzungsmit glied auf einem terranischen Kreuzer, natür lich unter falschem Namen.« Das Rumoren erstarb urplötzlich. Jetzt war nur noch Stille. »Mach keine Dummheiten, Balduur«, warnte Razamon. »Selbst, falls die Fessel felder erlöschen, dürfen wir nichts provozie ren. Nicht, solange wir nicht genau wissen, was hier vorgeht.« »Vielleicht erfahren wir's früher, als uns recht sein kann.« Warten. Nichts rührte sich. Dann neue Erschütterungen. Razamon glaubte, das Kreischen von Metall zu hören. Ein Ruck ging durch das Schiff, der den Pthorer zur Seite kippen ließ. Die Minuten vergingen. Dann plötzlich öffnete sich die Tür der Zelle. Razamon konnte gerade noch eine humanoide Gestalt im Eingang erkennen. Dann wurde er wieder von der einfallenden Helligkeit geblendet. Er fühlte sich gepackt und hörte Balduur fluchen. Wechselnde Geräusche drangen an seine Ohren – Schritte und Stimmen, doch sie waren zu leise, um Rückschlüsse auf die Besatzung des Schiffes ziehen zu können. Dann ein Druck gegen den rechten Ober arm. Razamon wollte Balduur eine Warnung
9 zurufen. Noch bevor er die Sinnlosigkeit er kannte, verlor er das Bewußtsein.
* Er kam in einem großen Raum voller In strumente und fremdartiger Einrichtungsge genstände zu sich. Alles war sachlich gehal ten. Da Razamon annahm, man hätte ihn und Balduur auf einen der Planeten ge bracht, vermutete er, daß sie sich in einem Kontrollgebäude des Raumhafens befanden. Die ersten Worte des Wesens, das im glei chen Augenblick in seinem Blickwinkel auf tauchte, als die Fesselfelder zusammenbra chen, belehrten ihn eines Besseren. »Sie sind in der Weltraumstation Prud nier«, hörte er. »Alle Fluchtversuche sind sinnlos. Die Station kreist im Raum zwi schen den Lichtträgern. Sie haben keine Waffen mehr und damit keine Möglichkeit, mit ihrer Hilfe eine unserer Welten zu errei chen. Nun sagen Sie mir, wer Sie sind.« Razamon wechselte einen schnellen Blick mit Balduur. Der Odinssohn zeigte Anzei chen von Resignation. Es war an Razamon, die Verhandlungen zu führen. »Wir sind Flüchtlinge«, sagte der Atlan ter. »Ich habe schon einmal versucht, dies zu erklären. Unsere Welt …« Der Fremde brachte ihn durch eine Geste zum Schweigen. Er glich Pona, nur war er größer. Razamon wußte vom ersten Augen blick an, daß er es mit einem Eripäer-Wesen zu tun hatte. Das machte seine Verwirrung noch grö ßer. Wenn die Lichtung also nicht von Frem den besetzt worden war, weshalb dann das ganze Theater? Wieder gab der Fremde die Antwort. »Wir wissen, was Sie sagten.« Er zeigte auf ein ovales Gerät auf seiner Brust. »Der Translator hat Ihre Worte gespeichert und nachträglich übersetzt, nachdem wir das Grundmuster Ihrer Sprache kannten. Aller dings lückenhaft. Sie hätten deutlicher reden müssen.«
10 Pona! durchfuhr es Razamon. Eigentlich hätte er nun, da er wußte, daß er Eripäern gegenüberstand, alle Bedenken, sich auf sie zu berufen, fallenlassen können. Doch ir gend etwas warnte ihn. »Wir haben Ihre Geschichte gehört«, fuhr der Eripäer fort. »Und sie ist nicht neu.« »Wie heißen Sie?« fragte Razamon. »Mein Name ist Heftor, und ich bin der Kommandant dieser Raumstation«, erklärte das Wesen. »Doch das tut nichts zur Sache. Ihr Vorhaben ist gescheitert. Die Krolocs sind bis auf wenige Gefangene, die wir ma chen konnten, tot. Es wäre besser für Sie, wenn Sie jetzt reden würden.« Razamon durchlief es eiskalt. Er begriff. »Sie halten uns für Agenten der Krolocs? Machen Sie sich nicht lächerlich! Wir haben eine lange Flucht hinter uns und wollen nichts anderes, als zu unserer Welt zurück kehren und unsere Freunde vor der Gefahr warnen, die die Krolocs für sie darstellen.« »Wie heißt Ihre Welt?« fragte Heftor. »Pthor«, sagte Razamon. »Pthor, Atlantis, vielleicht hat sie weitere Namen von den Völkern erhalten, die sie heimsuchte.« »Wir kennen keine Welt mit diesem Na men.« Razamon lachte rauh. »Wie auch? Pthor bereist die Dimensions korridore seit undenklichen Zeiten! Es ist ein verrückter Zufall, daß wir uns begegnen. Wären wir nicht in den Korsallophur-Stau geraten, den Sie unfreiwillig durch die Kata strophe schufen, die …« Heftor zuckte zusammen. »Sie sprechen von der Großen Katastro phe?« »Wovon sonst? Wir hätten uns niemals …« Razamon glaubte, vom Blick der großen Augen Heftors förmlich verschlungen zu werden, und er wußte, daß er einen unver zeihlichen Fehler gemacht hatte. »Das genügt uns«, vernahm er aus dem Translator. »Niemand, der nicht von den Krolocs geschult wurde, kann etwas über die Katastrophe wissen.«
Horst Hoffmann »Aber wir waren ihre Gefangenen!« schrie der Atlanter. Er sprang auf. Erst jetzt merkte er, daß er in einer Art Sessel gehockt hatte. Balduur schien das Geschehen völlig resigniert zu beobachten. Sofort erschienen einige Eripäer und richteten klobig wirkende Waffen auf Razamon. »So begreifen Sie doch! Die Krolocs haben uns ausgehorcht, und nur dem Umstand, daß wir andere von ihnen versklavte Wesen trafen, ist es zu ver danken, daß wir fliehen konnten. Während unserer Gefangenschaft haben wir einiges über den Stau erfahren, das ist alles!« Heftor zeigte sich nicht beeindruckt. »Wie oft haben wir diese Geschichte schon gehört. Ich bin sogar bereit, Ihnen zu glauben, daß Sie ahnungslos sind, aber die Krolocs verfügen über genügend Mittel, ih ren Gefangenen den Willen zu rauben. Sie werden verstehen, daß ich Ihnen nicht glau ben kann, auch wenn ich wollte. Vorerst werden Sie beide in Sicherheitsverwahrung gebracht, bis die Regierung auf Aarl über Ihr künftiges Schicksal entschieden hat. Wir sind keine Bestien. Die Krolocs sind schuld an Ihrem Los, und eines Tages werden Sie vielleicht wieder frei sein.« »Wieder frei!« entfuhr es dem Pthorer. »Eines Tages, ha! Wir müssen jetzt mit Ihrer Regierung sprechen, Mann! Es geht um mei ne Heimat, und vielleicht sogar um Ihre Welten!« »Das glaube ich gern«, sagte Heftor. »Sind Sie so dumm, oder tun Sie nur so? Sie machen einen großen Fehler. Meine Welt ist genauso bedroht wie Ihre. Wenn wir uns zusammentun …« Der Kommandant der Raumstation drehte sich um und winkte vier Bewaffnete zu sich. »Bringt sie in die ihnen zugewiesenen Zellen.« Razamon war so außer sich vor Wut, daß er kein weiteres Wort hervorbrachte. Vielleicht hätte er nur »Pona« zu sagen brauchen, um die Mauer des Mißtrauens zwischen ihm, Balduur und den Eripäern zu durchbrechen. Heftor handelte aus gutem Glauben und Angst um die Seinen. Dennoch
Der Dreiäugige wirkte sein Verhalten lächerlich. Was hinderte Razamon daran, sich auf Pona zu berufen? Die vier Eripäer nahmen ihn und Balduur in ihre Mitte. Seit dem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit hatte der Odinssohn kein einziges Wort gesprochen. Die Eripäer trieben ihre Gefangenen auf einen Korridor hinaus. Razamon dachte an gestrengt nach, dann stand sein Entschluß fest. »Was würdest du tun, falls jemand ver suchte, dir dein Heim zu stehlen?« fragte der Atlanter. Balduur, der neben ihm ging, schien nicht zu verstehen, was der Gefährte meinte. »Wenn jemand käme, sich vor dich hin stellte und dir auf den Kopf zusagte, daß du ein Feigling wärest«, zischte Razamon. Wie sollte er Balduur klarmachen, daß er mit ihm zugleich losschlagen sollte, ohne daß die mit Translatoren ausgestatteten Wächter Ver dacht schöpften. Sie wurden ohnehin schon unruhig. »Ich würde ihn …« »Das reicht«, sagte Razamon schnell. »Dann tu's jetzt! Achtung!« Der Pthorer fuhr auf dem Stiefelabsatz herum und packte die beiden hinten ihnen gehenden Eripäer, bevor diese überhaupt be griffen, was mit ihnen geschah. Razamon versetzte beiden einen Schlag auf die Stirn, nicht allzu fest, denn er wollte sie nicht tö ten. Und der Erfolg trat ein. Die zerbrechlich wirkenden Geschöpfe brachen zusammen, ohne Gelegenheit zum Benutzen der Waffen gehabt zu haben. Das leichte Pulsieren der durch die fast transparente Haut sichtbaren Schlagadern zeigte, daß sie nur bewußtlos waren. Razamon atmete auf, als er sah, daß auch Balduur seine beiden Gegner nur ins Reich der Träume geschickt hatte. Der Odinssohn hielt eine der gedrungenen Waffen in der Hand und suchte nach einem Auslöser. »Da weiß man nicht mal, wo hinten und vorn ist«, fluchte er. Razamon hob auch die
11 Waffe auf und untersuchte sie mit dem glei chen negativen Ergebnis. Von dort, woher sie gekommen waren, hallten Schritte durch den Gang. »Weg hier«, zischte Razamon. »Steck die Waffe weg. Wir riskieren unser Leben, wenn wir sie benutzen, aber vielleicht lassen die Verrückten sich damit einschüchtern.« Sie rannten weiter in den Korridor hinein, wobei sie nicht einmal wußten, wie die Raumstation beschaffen war und welche Ausmaße sie hatte. Aber irgendwo mußte sich ein Versteck finden, wo die Flüchtlinge erst einmal abwarten konnten. »Geben Sie auf!« hallte die Stimme des Kommandanten durch den Gang, als ob sie aus Dutzenden von verborgenen Lautspre chern käme. »Ich garantiere Ihnen eine faire Verhandlung auf Aarl unter Berücksichti gung dessen, was die Krolocs Ihnen angetan haben, um Sie gefügig zu machen. Sie wer den Ihren Auftrag nie mehr ausführen kön nen, also arbeiten Sie mit uns zusammen.« »Idiot!« brüllte Razamon und rannte wei ter. Sie erreichten eine riesige, flache Halle, in der sechseckige Container aufeinander gestapelt waren. Razamon konnte die Schrift nicht lesen, vermutete aber, daß sie Nahrung für die Besatzung enthielten. Fünf Ausgänge waren zu erkennen. Aus dreien von ihnen kamen Eripäer, jeweils drei Männer in kleinen, sechsrädrigen Wagen. Durch das vierte Tor waren Razamon und Balduur selbst gekommen. Also bleib nur noch eines übrig. »Dort hinein!« rief Razamon. Ein endlos lang erscheinender Korridor, wie alle anderen in unerträglich helles Licht getaucht. Hinter den beiden Männern summten die Motoren der Wagen. »Ihr Verhalten zwingt mich, meine Mei nung über Sie zu revidieren«, drang Heftors Stimme an Razamons Ohren. »Ich muß da von ausgehen, daß Sie aus Überzeugung für den Feind arbeiten und nicht nur als Spione, sondern vielmehr als Saboteure einge schleust werden sollten. Was nun mit Ihnen
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geschieht, ist Ihre eigene Schuld.« »Verfolgungswahn!« knurrte Razamon. »Dem Kerl ist nicht zu helfen. Unsere einzi ge Hoffnung ist, daß sich auf Aarl vernünfti gere Burschen befinden.« »Die Wagen«, sagte Balduur. Er blieb ste hen. »Sie kehren um.« »Verdammt, und wir sind wie Dummköp fe in die Falle gerannt. Wir hätten es wissen müssen, als sie uns in diesen Korridor drängten.« »Was meinst du?« wollte Balduur wissen. Razamon brauchte nicht zu antworten. Wenige Meter hinter ihnen, in Richtung der Halle, fuhr ein Schott aus der Wand und riegelte diesen Teil des Korridors von der übrigen Station ab. Im nächsten Augenblick wurde es dunkel. Dann kreischte Metall wie unter einer Fräse. Razamon lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Plötzlich war alles still. In diese Stille hin ein war nach wenigen Sekunden das Ge räusch von Schritten zu hören, leise und sanft. Es waren nicht die Schritte von Eripäern. Es war nicht völlig dunkel, und als Raza mons Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannte er, was da aus vie len Öffnungen in den Korridorwänden auf ihn und Balduur zukam.
3. Der Fluch der Familie Nurcrahn (II) Zwei Jahre waren vergangen, seit Irsocca den Dreiäugigen geboren hatte. »Draußen« ging das Leben seinen ge wohnten Gang. Nurcrahn, Irsocca, ihr Mann Farthor und Pona hüteten ihr gemeinsames Geheimnis. Das größte Problem war, dem zahlreichen Anhang der Familie und den Be diensteten die Existenz Tirsoths zu verheim lichen. Anfangs war es sehr schwer gewesen. Ir socca war lange Zeit über krank, was nach außen hin mit dem Schock über die »Totgeburt« begründet wurde. Doch sie
liebte ihr Kind, auch wenn es ein drittes Au ge hatte. Nurcrahn, Irsocca, Farthor und Pona waren zu einer verschworenen Gemein schaft zusammengewachsen. Jedesmal, wenn der Lichtfürst von einer Tagung auf Aarl oder den häufigen Sitzungen der Regie rung zurückkehrte, begab er sich als erstes in den abgeschlossenen Raum, in dem der Knabe lebte. Wenn er ihn in den Armen hielt, vergaß er für wertvolle Minuten die Probleme, die von allen Seiten auf ihn einstürzten. Jaccas Tod war nicht vergessen. Nurcrahn hielt sich für einigermaßen aufgeklärt, doch insgeheim war er unsicher. Zuerst war Jacca unter unerklärlichen Umständen gestorben. Man hatte sie tot in ihrem Wohnraum gefunden. Dann mehrten sich die Angriffe der Kro locs. Sie begannen damit, blitzschnell zuzu schlagen und Gefangene zu machen. Hinter alldem mußte ein ganz bestimmter Plan stecken. Und schließlich die sich häufenden my steriösen Todesfälle überall auf Zaarden foort. Man fand Männer und Frauen leblos in ihren Muukern, und alle waren sie er stickt. Es gab niemanden unter ihnen, der vorher krank gewesen war. Auch Jacca war erstickt. Von keinem der beiden anderen Planeten kamen ähnliche Nachrichten. Auf Aarl sprach man schon von einem »Zaardenfoort-Syndrom«. Dort nahm man die Vorfälle inzwischen so ernst, daß eigens eine Regierungssitzung einberufen worden war. Schon morgen wür de Nurcrahn abreisen. Immer wieder, wenn er Tirsoth beim Spielen zusah, dachte er daran. Vor seiner Geburt hatte es keine Todesfälle dieser Art gegeben. Die Eripäer verhielten sich noch ruhig. Sie waren zwar verunsichert, hielten sich je doch unter Kontrolle. Dennoch war Nur crahn sicher, daß sie im stillen nach einem Sündenbock suchten. Wenn nun jemand von Tirsoths Existenz
Der Dreiäugige erfuhr? Wie tief die Angst vor den Dreiäugigen in seinem Volk verwurzelt war, wußte der Lichtfürst, und ihn schauderte. Doch dann kam immer wieder Irsocca und berichtete von den Fortschritten, die ihr Sohn während Nurcrahns Abwesenheit ge macht hatte. Mittlerweile konnte er sprechen und begann sich für seine Umwelt zu inter essieren. Pona unterrichtete ihren Bruder. Und eines Tages, dachte Nurcrahn, wird er Fragen stellen. Er wird wissen wollen, weshalb er eingesperrt ist, und was draußen vor sich geht. Doch vielleicht waren bis dahin die Ursa chen der mysteriösen Todesfälle geklärt. Aber würde er Tirsoth wirklich sein gan zes Leben lang eingesperrt lassen können? Er würde einmal ein junger, tatendurstiger Mann sein und eine Möglichkeit suchen, auszubrechen. Manchmal ertappte der Lichtfürst sich bei dem Gedanken, daß er ihn besser sofort nach der Geburt getötet hätte. Dann kam er sich sofort wieder wie ein Mörder vor … Mörder! Wenn nun Tirsoth tatsächlich etwas mit den Todesfällen zu tun hatte? Nurcrahn ver drängte alle in diese Richtung gehenden Ge danken. Er ging zu Bett und schlief unruhig. Alpträume quälten ihn. Er sah sich nach Aarl fliegen. Doch statt im Regierungsge bäude befand er sich plötzlich vor Gericht. Er war angeklagt. Nurcrahn stand auf und verbrachte den Rest der Nacht vor dem Muuke im Freien. Er wagte sich bis an den Rand des durch die unzähligen Scheinwerfer erhellten Gebietes vor und betrachtete das dunkelrote Glühen des Himmels. Es gab keine Sterne, nur die winzigen Lichtpunkte der Raumstationen im Orbit um den Planeten. Der Lichtfürst fand keine Ruhe. Als die Sonne aufging, kehrte er in die Behausung zurück und verabschiedete sich von seiner Familie und den Bediensteten. Ein Schwebefahrzeug holte ihn ab und brachte ihn zum Raumhafen, wo er das
13 Schiff nach Aarl bestieg.
* Pona spielte gern mit Tirsoth. Manchmal, wenn sie an der Küste entlangging, um sich zu zerstreuen, dachte sie daran, daß sie eines Tages mit ihrem kleinen Bruder hinaus schwimmen und sich in den Wellen austo ben konnte. Doch es war und blieb ein Wunschtraum. Pona galt als eines der sprachgewandte sten Mädchen Zaardenfoorts, und ihre Leh rer sagten ihr eine große Zukunft voraus, wenn sie weiter an sich arbeitete. Doch nicht nur das. Wie kaum ein anderer Eripäer ver suchte sie, jene zu verstehen, die anders als ihre Artgenossen waren und deshalb abge lehnt wurden. Zwei Millionen Eripäer lebten auf den drei Planeten der Lichtung und in den Raumstationen. Dazu kam eine halbe Milli on Flüchtlingsnachkommen verschiedenster Herkunft. Ponas Rasse war im Grunde friedfertig und tolerant. Vielleicht entsprang die Ableh nung Fremden gegenüber der gleichen krea türlichen Angst wie der Haß auf die Dreiäu gigen. Besonders schlimm traf es oft jene Wesen unter den Flüchtlingen, die eine dunkle Hautfarbe hatten. Nichts war den Eripäern so zuwider wie Dunkelheit. Diese war für sie gleichbedeutend mit einem Stau, dem schrecklichen Schicksal ihrer unbe kannten Vorfahren. Pona hatte die Erwachsenen nie verstan den, wenn diese den Andersartigen Aufnah me und Arbeit versagten. Oft mußte von Aarl aus eingegriffen werden, um schwelen de Konflikte im Keim zu ersticken. Pona erschrak, als sie den Verletzten am Strand liegen sah. Die Wellen umspülten seine Beine. Die Kleidung war zerrissen, und am Kopf klaffte eine blutende Wunde. Der Mann sah sie und versuchte, eine Hand zu heben, um sein Gesicht zu schüt zen. Er hatte offensichtlich panische Angst. Bei dem Gedanken, daß Eripäer für seinen
14 Zustand verantwortlich sein könnten, be gann das Mädchen zu zittern. Er hatte dunkle, fast schwarze Haut. Der Körper war gedrungen. Vorsichtig einen Fuß vor den anderen set zend, ging Pona auf ihn zu. Der Fremde stieß einen heiseren Schrei aus, und Blut lief aus seinem Mund. Pona zwang sich zum Weitergehen. Sie sah sich um. Niemand war in der Nähe, der ihr helfen konnte. Der Mann bäumte sich auf und versuchte, wegzukriechen. Dann brach er bewußtlos zusammen. Pona überwand ihre Scheu und drehte ihn so, daß er atmen konnte. Dann lief sie zum Muuke zurück und hol te zwei Bedienstete. Sie befahl ihnen, den Verletzten in ihr Heim zu tragen. Das Mädchen ging hinter ihnen her und hielt den Kopf des Fremden hoch. In diesem Augenblick machte sie sich keine Gedanken über die Folgen ihres Handelns. Ein Wesen brauchte Hilfe – nur das war wichtig. Irsocca und Farthor kamen ihnen auf hal bem Weg entgegen. Ponas Mutter stieß einen Schrei aus. Farthor machte Anstalten, den Bediensteten entgegenzutreten und sie aufzufordern, den Mann am Strand liegenzu lassen, doch Pona trat ihm entgegen. »Denke an Tirsoth«, flüsterte sie so leise, daß nur er und Irsocca es hören konnten. »Was würdet ihr tun, wenn man ihn in die sem Zustand fände und einfach sterben lie ße?« »Du kannst deinen Bruder nicht mit die sem Kerl vergleichen«, entgegnete Farthor heftig. »Sieh dir die Wunden an. Das hat man nicht ohne Grund getan.« »Wer ist ›man‹?« fragte Pona. »Nun, die …«, Farthor schwieg und wechselte einen schnellen Blick mit Irsocca. »Irgend jemand«, sagte er dann ärgerlich. »Wir müssen ihn pflegen«, beharrte Pona. Ihre Mutter sah sie ungläubig an. »Wir sollen ihn aufnehmen? Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten, Kind. Unsere Nachbarn werden uns meiden und
Horst Hoffmann anfangen, über uns zu reden. Du stellst dir das viel zu einfach vor.« »Ich habe Mitleid mit ihm. Wenn er ge sund ist, wird er uns sagen müssen, was vor gefallen ist. Auch er hat irgendwo eine Mut ter …« Wieder eine Anspielung auf Tirsoth. Ir socca sah Farthor hilfesuchend an. »Nur Nurcrahn kann das entscheiden«, sagte dieser. »Und bis dahin pflegen wir ihn.« Etwas in Ponas Stimme ließ keinen Wi derspruch zu. Schließlich nickte Irsocca und wies die Helfer an, den Mann ins Muuke zu tragen. Pona folgte ihnen. Als sie allein waren, sagte Irsocca zu Farthor: »So weit ist es also schon gekommen. Die Angst vor dem Mör der macht sie alle verrückt.« »Du glaubst, daß Eripäer den Kerl so zu gerichtet haben?« »Vielleicht sogar unsere besten Freunde. Sobald es zur Hysterie kommt, ist für sie je der verdächtig, der anders ist.« Ihre Stimme wurde leiser. »Wir müssen jetzt noch besser aufpassen. Wenn Tirsoth entdeckt wird, wird es keine Verhandlung geben. Sie wer den ihn lynchen.« Irsocca begann zu weinen. Farthor zog sie an sich heran und streichelte sie. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Und wenn wir dafür sorgen könnten, daß sie ihren Mörder bekommen?« Irsocca sah ihn entgeistert an. »Du denkst an den Fremden? Nein, Far thor, ich will nicht selbst zum Mörder wer den. Wahrscheinlich werden in diesen Tagen überall auf Zaardenfoort Andersartige über fallen, vielleicht sogar getötet. Er hat be stimmt nichts mit den Todesfällen zu tun.« Doch ihre Stimme verriet Zweifel. »Laß uns gehen«, sagte Farthor. Er sprach kein Wort mehr, aber in Gedanken war er bei dem Verletzten. Bevor Tirsoth in Gefahr geriet, würde er ihn opfern. Je mehr er darüber nachdachte, desto ent schlossener wurde er. Ausgerechnet Pona
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war es, die seine letzten Bedenken ausräum te, als er und Irsocca das Muuke erreichten. Sie kam ihnen weinend entgegengelaufen. »Diese … diese Bestien!« brachte sie un ter Tränen hervor. Es dauerte eine Weile, bis Irsocca sie soweit beruhigt hatte, daß sie zu sammenhängend sprechen konnte. »In Daymoort wurde ein Dreiäugiger ge funden«, schluchzte Pona. »Er war ungefähr so alt wie Tirsoth, und seine Eltern hatten ihn versteckt. Man hat ihn einfach umge bracht! Ohne Prozeß, einfach getötet!« Daymoort war die Hauptstadt des Nach barkontinents Daymoor. »Ich werde deinen Großvater sofort ver ständigen und ihm über die Vorfälle berich ten«, versprach Irsocca. »Der Eripäer wird die Verantwortlichen bestrafen.« Farthor hingegen kannte jetzt nur noch ein Ziel. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.
* Zaardenfoort war eine Welt, die von ihren Bewohnern weitestgehend in ihrem ur sprünglichen Zustand erhalten worden war, ausgenommen die wenigen großen Städte mit den Raum- und Flughäfen. Völlig anders dagegen Aarl. Der mittlere Planet der Lichtung und gleichzeitig die Zentralwelt der Eripäer war von gigantischen Komplexen überzogen. Überall gab es riesige Industrieanlagen, Werften und Verwaltungszentren. Ein dich tes Verkehrsnetz verband die Städte und An lagen miteinander. Es gab keine Muuker wie auf Zaardenfoort. Das Zentrum von Aarl war der Regie rungssitz Gnosier, ein auf einer Anhöhe über der Stadt Yardanso gelegenes stählernes Rundgebäude. Auf einer zweiten Anhöhe in Yardanso befand sich innerhalb einer mächtigen Kup pe Urgan, das zentrale Rechengehirn der eripäischen Zivilisation. Es hieß, daß Urgan uralt sei und noch aus jener im dunkel lie genden Zeit vor der Korsallophur-Katastro
phe stammte. Etwas Genaues wußte jedoch niemand, und auch Urgan selbst gab keine Mitteilungen über sich oder über die Zeit vor Beginn der eripäischen Zivilisation. Nicht jeder hatte Zugang zum Rechenge hirn. Nur jeweils drei Eripäer einer Genera tion wurden von Urgan zu sogenannten »Urgan-Lauschern« bestimmt. Die gegenwärtigen Urgan-Lauscher hie ßen Mursync, Peilan und Quana, wobei Quana das weibliche Geschlecht repräsen tierte. Die Urgan-Lauscher gehörten nicht zur Regierung, nahmen aber regelmäßig an de ren Sitzungen teil, sofern es nicht um neben sächliche Angelegenheiten oder routinemä ßige Beratungen ging. Bei allen auftauchen den Problemen waren sie die wichtigsten Berater der Regierung. Das Kabinett selbst bestand aus sieben Ressortleitern und dem eigentlichen Chef der Regierung, dem Eripäer. Die Vertreter der drei Planeten fungierten als Berater und waren in Fragen, die ihre Welten angingen, ebenso stimmberechtigt wie die Kabinetts mitglieder. Zaardenfoort wurde durch die vier Lichtfürsten repräsentiert. Lichtfürst Nurcrahn applaudierte, als Gu rankor, der Eripäer, seine Rede beendete und das Podest verließ. Gurankor hatte eine knappe Stunde lang über die Lage innerhalb der Lichtung referiert. Zwei Punkte be stimmten den Inhalt der Rede: die Übergrif fe der Krolocs und die mysteriösen Todes fälle auf Zaardenfoort. Das Kabinett und die zahlreichen Vertre ter der Planeten zogen sich für eine Stunde zurück. Dann war es an Nurcrahn, über die Vorfälle auf seiner Welt zu berichten. Nurcrahn dachte sich nichts dabei, als man ihn während der Pause in eine der Kommunikationskabinen rief. Es kam oft vor, daß seine Berater auf Zaardenfoort ihm in letzter Minute noch wichtige Informatio nen übermittelten. Doch er sah Irsoccas Gesicht auf dem Bildschirm. Kurz darauf war er über den verwundeten
16 Fremden und die sich anbahnende Hysterie auf seinem Heimatplaneten informiert. Nurcrahn verließ die Kabine verstört. Er suchte sich einen ruhigen Platz im großen Speisesaal des Regierungszentrums und ver suchte, das Gehörte zu verarbeiten. Hatte nicht alles vor zwei Jahren begon nen? War er schuld an den jüngsten Ereig nissen, weil er Tirsoth hatte leben lassen? Minuten später stand er hinter dem Red nerpult und berichtete über die Verhältnisse auf Zaardenfoort. Täuschte er sich, oder sah er in den Gesichtern der Männer und Frauen Mißtrauen und eine gewisse Ablehnung? Als er die neuesten Nachrichten verkün dete, wurde er heftiger, als man es von ihm gewöhnt war. Seine Rede endete mit einem eindringlichen Appell an die Regierungsmit glieder, all jene zu bestrafen, die den Kopf verloren und Unschuldige für etwas büßen ließen, das bisher nichts weiter war als reine Spekulation. »Und dies so lange, bis erwiesen ist, daß wir es mit einem Mörder zu tun haben«, sag te er. »Die Todesfälle können eine andere Ursache haben. Seit Jahrzehnten hat kein Eripäer einen anderen umgebracht.« Eine Frau sprang auf und rief in den Saal: »Kein Eripäer, Nurcrahn! Sie berichteten selbst von dem versteckten Dreiäugigen! Sie sind schuld an unserem Elend, und sie sind auch schuld an dem Tod unserer Mitbür ger!« »Halten Sie den Mund, Moornya!« schrie der Lichtfürst so unbeherrscht, daß er sich eine Maßregelung einhandelte. »Der Dreiäu gige wurde ermordet, und falls es nur einen einzigen weiteren Toten geben wird, wissen wir, daß er unschuldig war.« »Nein!« rief die Frau. »Dann wissen wir, daß es einen weiteren Verbrecher gibt, der ein Monstrum versteckt! Wieso engagieren Sie als einer der Unseren sich plötzlich der art für diese Ungeheuer?« Es dauerte Sekunden, bis Nurcrahn sich gefaßt hatte. »Ich wende mich gegen das Unrecht, das sollten Sie alle wissen. Wir sind stolz auf
Horst Hoffmann unsere Zivilisation. Sollen wir in die Barba rei zurückfallen?« Damit hatte er einen wunden Punkt ange sprochen. Selbst die fähigsten Geschichts forscher standen vor Rätseln, was die Her kunft der Eripäer betraf. Urgan aber, der ein zige, der hätte Auskunft geben können, schwieg. Die Versammlung löste sich auf, ohne daß eine Entscheidung getroffen worden war. Gurankor nahm Nurcrahn beiseite. »Ich werde die Entscheidung des Kabi netts morgen bekanntgeben«, erklärte der Eripäer. Nurcrahn hatte das Gefühl, daß dies nur eine Ablenkung war und der Eripäer ihn förmlich mit den Augen durchleuchtete. Hatte er Verdacht geschöpft? Wußten al le, daß er etwas verbarg? Nurcrahn zog sich unter einem Vorwand zurück und reiste am gleichen Abend noch nach Zaardenfoort zurück. Nurcrahn begann, an der Berechtigung, Tirsoth zu retten, zu zweifeln. Dann wieder schalt er sich wegen derartiger Gedanken einen Narren.
* Farthor wollte Nurcrahns Rückkehr nicht abwarten. Es war Nacht, als er sich auf den Weg zu jenem Raum machte, in dem der Verletzte untergebracht war. Irsocca und Pona schliefen noch. Bis zum Sonnenaufgang dauerte es noch eine gute Stunde. Farthor bewegte sich vorsichtig durch den Hauptkorridor und erreichte ungesehen die Treppe zum oberen Teil des Muukes. Vor jener Stelle der Wand, hinter der der Raum mit dem Fremden lag, blieb er stehen und dachte konzentriert daran, daß er zu dem Dunkelhäutigen wollte. Die Öffnung entstand auf die für Eripäer längst selbstverständlich gewordene Weise. Im Gegensatz zu allen anderen Teilen des Muukes war es hier fast dunkel. Es hatte sich gezeigt, daß der Verletzte empfindlich auf die Helligkeit reagierte, ganz im Gegen satz zu Farthor. Dieser brauchte eine Weile,
Der Dreiäugige bis er sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Lange würde er nicht hier bleiben können, doch das, was er zu tun hatte, dau erte auch nicht lange. Er holte Luft und betrat den Raum. Der Fremde schlief. Dank Ponas Hilfe hatte er sich erholt, doch er hatte noch Fie ber. Man würde keine Fragen stellen, obwohl die Toten überall auf Zaardenfoort ebenfalls erstickt waren. Dieser Mann war krank. Und er war ein Ausgestoßener. Niemand würde ihm eine Träne nachweinen, dachte Farthor, ganz im Gegenteil. Er trat vorsichtig an das Lager heran. Sei ne Hände näherten sich dem Hals des Schla fenden. Noch einmal zögerte er. Wer immer der geheimnisvolle Mörder war, er hatte sei ne Opfer erstickt. Farthor glaubte nicht an die Schuld dreiäugiger Monstren. Wenn man nun dahinterkam, daß er ihn getötet hatte – würde man ihn nicht auch für die anderen Todesfälle verantwortlich ma chen? Ein Blick auf den Mann und der Gedanke an Tirsoth genügte, um die Zweifel zu ver treiben. Farthors Hände legten sich um den Hals des Dunkelhäutigen. Die Daumen fanden die Atemröhre in der Vertiefung unter dem Kinn. Farthor drückte zu. Der Fremde riß die Augen auf und rang nach Luft. Sein Körper zuckte und bäumte sich auf. Farthor drückte seine Daumen fester in die Kehle und stieß dem Mann ein Knie auf die Brust. Etwas traf ihn mit Wucht von hinten am Kopf. Farthor schrie auf und ließ los. Ein weiterer Schlag ließ ihn zu Boden stürzen. Licht flammte auf. Ungläubig starrte Farthor auf Nurcrahn, der breitbeinig über ihm stand. Pona, die durch den Lärm wach geworden war, erschi en im Eingang. »Verlasse mein Muuke«, preßte der Licht fürst hervor. Er kämpfte sichtlich um seine Beherrschung. »Hier ist kein Platz für Mör der. Wenn du bei Sonnenaufgang noch hier
17 bist, werde ich der Regierung Meldung ma chen.« »Aber ich dachte, du …« »Ich wäre noch auf Aarl? Ich habe das Gefühl, daß ich gut beraten war, vorzeitig zurückzukehren. Pona, ich erwarte von dir eine Erklärung, nachdem dein Vater uns ver lassen hat.« »Du kannst ihn nicht einfach verjagen, Großvater«, flüsterte das Mädchen. »Er hat gegen unsere Gesetze verstoßen und Un recht getan, aber …« »Gesetze!« Nurcrahn lachte rauh. »Es sind Gesetze, die für die gemacht wurden, die das Glück haben, hellhäutig zu sein! Für Eripäer, die nur zwei Augen haben. Farthor, du verläßt uns und begibst dich in das leer stehende Muuke am Rand des Lichtbergs, das unserer Familie gehört. Dort bleibst du, bis ich dich rufen lasse. Geh jetzt.« Farthor kam auf die Beine und verließ den Raum ohne weitere Worte. »Es war nicht klug von dir, den Fremden hierherbringen zu lassen«, sagte der Licht fürst zu Pona. »Was soll nun aus ihm werden?« Nurcrahn betrachtete den Verletzten, der sich den Hals rieb und ihn aus fiebernden Augen ansah. »Er bleibt hier, bis er gesund ist. Dann se hen wir weiter.« Hätte der Alte geahnt, welche Folgen die se Entscheidung für ihn und seine Familie einmal haben würde, wäre sein Entschluß mit Sicherheit anders ausgefallen. Doch so pflegte Pona den Dunkelhäutigen weiter. Nach zwei Wochen war er soweit wieder hergestellt, daß er seine Geschichte erzählen konnte. Nurcrahn glaubte ihm, daß er nach den ersten Todesfällen als Bediensteter einer einflußreichen Familie entlassen und gejagt worden war, bis ihn eine Gruppe fanatisier ter Eripäer am Strand gestellt und halbtot geschlagen hatte. Er gestattete Pona, sich weiter um ihn zu kümmern. Weitere drei Tage später erschien Wool
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sar, einer der engsten Freunde der Familie und Nurcrahns Berater, und überbrachte die Nachricht, daß man Farthor erstickt im Muuke am Lichtberg aufgefunden hatte. Die Familie Nurcrahn hatte ihr zweites Opfer.
4. »Krolocs!« entfuhr es Balduur. »Dutzende von ihnen!« »Vermutlich diejenigen, die die Eripäer gefangennahmen«, knurrte Razamon. Un willkürlich packte er das, was er für den Griff der eripäischen Waffe hielt, fester. Sie glich in ihrer Form einem etwa zwanzig Zentimeter langen und viel zu dicken Bume rang. Beide Enden sahen gleich aus. Es war also auch möglich, daß Razamon nicht den Griff, sondern den Lauf in der Hand hatte. »Sie kommen auf uns zu«, flüsterte Bal duur. Die beiden Männer bewegten sich nicht. Je mehr Türen sich öffneten, desto heller wurde es, bis ein dämmeriges Licht herrschte. Die Krolocs waren nackt. Die Eripäer hat ten ihnen also die klobigen Schutzanzüge genommen, um jeden Ausbruchsversuch von vorneherein unmöglich zu machen. Langsam schoben sich die spinnenähnli chen Körper heran. Razamon hatte im Lauf seines langen Lebens gelernt, nicht nach dem Äußeren zu urteilen. Wenn er sich von den grauen, mit schwarzen Tupfern übersä ten und auf vier dünnen Beinen gehenden Kreaturen abgestoßen fühlte, so würden die se wahrscheinlich das gleiche bei seinem und Balduurs Anblick empfinden. Doch es war nicht das Äußere der Kro locs, das Razamon einen Schauer über den Rücken jagte. Er hatte genug Gelegenheit gehabt, diese Wesen kennenzulernen. Und er wußte auch, daß ihre Vorfahren nichts als Ungeziefer gewesen waren, das sich auf den Welten der alten Eshtoner breitgemacht hat te, um nach deren Untergang den Siegeszug anzutreten. »Laß sie herankommen«, flüsterte Raza-
mon. »Wir scheinen in eine Art Gefängni strakt geraten zu sein, in einen Teil der Raumstation, der von den anderen Sektoren abgeriegelt ist.« »Du hast Nerven!« zischte der Odinssohn. »Sieh sie dir an. Sie kreisen uns ein, wenn wir nichts unternehmen. Sie haben nun ihre Beute vor sich!« »Und was willst du tun?« Razamon lachte rauh. »Sie sind uns überlegen. Selbst zwei Prachtburschen wie du und ich haben keine Chance, wenn es zum Kampf kommt. Nein, hör zu!« Razamon flüsterte Balduur etwas ins Ohr. Seine Idee war nicht gerade genial, aber wenn er Glück hatte, konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit Sicherheit gab es auch hier versteckte Mikrophone. Wahrscheinlich hatte Heftor die beiden vermeintlichen Agenten deshalb zu den Krolocs drängen lassen, weil er hoff te, bei einem Gespräch zwischen ihnen den Beweis für seinen Verdacht zu erhalten. Der Translator um den »Hals« eines der Krolocs, jene Einschnürung zwischen Hauptkörper und Kopf, aus der die beiden vorderen Glieder hervorragten, war Beweis genug. Für eine Verständigung untereinan der brauchten die Spinnenähnlichen ihn nicht, und die Eripäer an den Abhörgeräten verfügten über eigene Translatoren. Allein hatten die Pthorer keine Chance gegen die Krolocs. Mittlerweile war Raza mon nicht mehr so sicher, daß Heftor und seine Besatzung sie nicht opfern würden, falls sie dadurch in den Besitz wertvoller In formationen kamen. Deshalb mußte er ihn zwingen, ihnen zu helfen. Balduur nickte, nachdem Razamon ihm seinen Plan auseinandergesetzt hatte. Die ersten Krolocs waren heran. Razamon trat einem von ihnen, der plötzlich auf ihn zugerannt kam, gegen den Kopf. Das Wesen gab einen kreischenden Laut von sich und sank zu Boden. »Du da!« Der Berserker streckte einen Arm aus und zeigte auf den Kroloc mit dem
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plumpen Übersetzungsgerät. »Sag deinen Freunden, daß sie zurückbleiben sollen. Ich habe euch einen Vorschlag zu machen!« Die acht schwarzen Augen des Wesens schienen einen Moment lang aufzublitzen. Zwei weitere Krolocs schnellten sich auf die Männer zu. Razamon trat wieder gegen den Kopf des ersten, während Balduur den zwei ten an sich vorbeilaufen ließ, indem er ge schickt auswich, und ihm dann einen Schlag mit beiden Händen genau in die Einschnü rung zwischen Kopf und Leib versetzte. Da bei löste sich ein Schuß aus der eripäischen Waffe. Balduur schrie entsetzt auf, als der Lichtblitz nach hinten losging und seinen Körper nur um Zentimeter verfehlte. Dennoch war der unfreiwillig abgegebene Schuß vielleicht die Rettung für ihn und Razamon. Die anstürmenden Krolocs bäumten sich regelrecht auf und wichen zurück. Nur der jenige, der den Translator trug, blieb stehen. »Welchen Vorschlag habt ihr zu ma chen?« hörten die Gefangenen. Razamon atmete auf. Bei dem Gedanken daran, daß Heftor in diesem Augenblick ge bannt an den Abhörgeräten saß, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Na endlich«, sagte er laut. »Wir sitzen ebenso in der Falle wie ihr. Falls ihr also hier herauskommen wollt, dann paßt jetzt gut auf.« »Du bist ein Spion der Eripäer«, sagte der Kroloc. »Du weißt genau, daß mein Freund und ich auf der Flucht vor euch hierherkamen und gefangen wurden. Wie kann ich da ihr Spion sein?« »Sprich!«
* Razamon gab sich keinen falschen Hoff nungen hin. Er war für die Krolocs interes sant, weil er ihnen dabei helfen konnte, aus ihrem Gefängnis zu entfliehen. Sobald sie in Sicherheit waren, würden sie wieder Jagd auf ihn und Balduur machen.
»Also hört zu«, sagte er. Wieder sprach er laut und deutlich. »Wir haben außer unseren beiden Strahlern keine Waffen. Ich nehme an, daß man uns auf einen der Planeten schaffen will. Dann ist keine Flucht mehr möglich. Wir müssen also zuschlagen, so lange wir uns noch an Bord der Weltraum station befinden.« »Das ist lächerlich«, erklärte der KrolocSprecher. »Warte ab. Die Station dürfte von beacht licher Größe sein, das heißt, sie müßte in einzelne Segmente unterteilt sein. Wir müs sen davon ausgehen, daß sich in unserer Nä he eine Funkstelle befindet. Diese müssen wir finden und einen Notruf an eure Spac cahs senden. Ich nehme doch an, daß ihr Streitkräfte am Rand der Lichtung zusam mengezogen habt?« »Natürlich«, gab der Kroloc zu. »Aber schlage dir die Idee aus dem Kopf, daß sie es mit den Schiffen der Eripäer aufnehmen können. Innerhalb der Lichtung sind wir ih nen unterlegen, sonst würden wir sie längst beherrschen.« »Und wenn sie genau wüßten, wo wir ge fangengehalten werden? Wenn sie blitz schnell auftauchen und die Station angrei fen?« Der Kroloc ging auf Razamons Gedan kengänge ein. Bisher hatte der Atlanter dar an gezweifelt, daß er diesen Wesen, die sich für so überlegen hielten, seine haarsträuben de Geschichte weismachen könnte. »Das wäre möglich.« »Dann werden wir uns zur nächsten Funk stelle durchschlagen.« »Du bist verrückt«, flüsterte Balduur. Der Kroloc sagte in etwa das gleiche. Es war, so versicherte er, unmöglich, aus die sem Teil der Weltraumstation auszubrechen. »Das werden wir sehen«, rief Razamon. »Heftor fühlt sich sehr sicher. Das wird sich ändern. Haltet euch bereit. Wie viele seid ihr?« »Vierunddreißig«, antwortete der Kroloc nach einer Weile. Er schien mit Razamon und Balduur nicht allzu viel anfangen zu
20 können, doch die Art und Weise, wie sie aus der Gefangenschaft der Krolocs geflohen waren und sich bis zur Lichtung durchge schlagen hatten, beeindruckte ihn anschei nend so sehr, daß er im stillen wohl doch an eine Erfolgschance glaubte. »Dann postiere deine Freunde am Schott, und zwar so, daß die Eripäer überrascht wer den müssen, sobald sie einzudringen versu chen – trotz ihrer Waffen.« »Weshalb sollten sie …?« »Frage nicht weiter«, sagte Razamon. »Tu, was ich sage. Die Eripäer werden kom men, und schon bald.« Das genügte für Heftor. Der Kroloc schwieg und zog sich zu seinen Artgenossen zurück. Razamon achtete nicht weiter auf sie und gab Balduur ein Zeichen. Die beiden Männer liefen den Korridor bis zu jener Stelle zurück, wo sie eine Nische gesehen hatten, die mit Kabeln, Kontrollinstrumenten und Schaltern ausgefüllt war. Heftor würde noch nicht im Ernst daran glauben, daß die Gefangenen ausbrechen konnten. Aber Razamons Anspielungen mußten ihn vorsichtig werden und Vorkeh rungen treffen lassen. Razamon war sicher, daß in diesen Minu ten Eripäer vor dem Schott Aufstellung nah men. Er würde sie zwingen, es zu öffnen. Sein Plan basierte auf der Abhängigkeit der Eripäer vom Licht. Es mußte gelingen, von hier aus einen Kurzschluß im Beleuch tungssystem der Raumstation herbeizufüh ren. Falls die Station, wie vermutet, aus ein zelnen autarken Segmenten bestand, wurde nur ein Teil davon betroffen, doch das muß te genügen, um die Besatzung auf den Plan zu rufen. Razamon trieb ein Glücksspiel, doch selbst, falls sein Plan nicht aufging, hatte er sich eine Verschnaufpause verschafft. Die Krolocs verzichteten vorläufig darauf, Ra che zu nehmen. Sie bewegten sich auf ihren vier behaarten Beinen an ihm und Balduur vorbei auf das Schott zu. Dies würde sich jedoch schnell ändern,
Horst Hoffmann falls Razamon und Balduur keinen Erfolg hatten. Was war in der Lichtung geschehen? frag te der Pthorer sich immer wieder. Er hatte gehofft, hier Hilfe zu finden. Statt dessen behandelte man ihn wie einen Feind. Sein Ziel war es, im erwarteten Handge menge zwischen Krolocs und Eripäern in die Zentrale einzudringen und Kontakt mit der Regierung aufzunehmen, während Heftor ihn bei den Nebenfunkstellen erwartete. Die Vernunft der Verantwortlichen war seine letzte Hoffnung. Doch wenn Heftor bereits deren Instruk tionen eingeholt hatte und nach ihnen han delte? Wenn er die Zentrale nicht erreichte, hatte er Heftor durch seine Worte den endgültigen »Beweis« für sein angebliches Agententum geliefert. Fluchend machte Razamon sich an die Arbeit. Einige der technischen Einrichtun gen, die er in der Zentrale gesehen hatte, er innerten an das, was er während seiner Zeit auf Terra kennen- und beherrschen gelernt hatte. Er zwängte sich in die Nische und be gann, den Verlauf der Kabelstränge zu über prüfen.
5. Der Fluch der Familie Nurcrahn (III) Talato-Cors aß langsam und ohne Appetit. Er mochte die Speisen der Eripäer nicht – nicht das Zeug, das man ihm brachte, wäh rend die Familie selbst in einem besonderen Raum des Muukes aß. Sie versäumten keine Gelegenheit, ihm zu zeigen, daß er anders und unerwünscht war. Nur Pona bildete eine Ausnahme. Sie küm merte sich um ihn, wann immer es ihre Zeit erlaubte. Das heißt: wenn sie nicht lernen mußte oder im verbotenen Teil der Behau sung verschwand. Der alte Nurcrahn schien selbst nicht zu wissen, was er mit Talato-Cors anstellen sollte. Er lächelte höflich, wenn sie sich über
Der Dreiäugige den Weg liefen, doch dieses Lächeln war Fassade, dachte Talato-Cors. Der Dunkelhäutige hatte gelernt, die Eripäer zu hassen, und sein Haß wuchs mit jedem Tag. Allein für Pona empfand er Sympathie. Die psychologischen Ursachen für die Ablehnung gegenüber allem, was dunkel war, interessierten Talato-Cors nicht. Seine Vorfahren waren vor vielen Jahrhunderten in die Lichtung geflohen, in der Hoffnung, hier Hilfe und freundliche Aufnahme zu fin den und Teil einer Gemeinschaft zu werden, deren einziges Ziel es sein mußte, sich ge gen die Machtgier der Krolocs zur Wehr zu setzen. Die Eripäer hatten sie versklavt und gede mütigt, ja sogar in den Tod getrieben. Und nicht nur den Ubilanen, wie sich TalatoCors' Rasse nannte, war in der Vergangen heit übel mitgespielt worden. Auch jetzt, da die Bedrohung durch die Krolocs immer größer wurde, blieben die Eripäer hochmütig. Sie hielten sich für tole rant und aufgeklärt, doch diese Toleranz galt nur für ihresgleichen. Vielleicht war Pona tatsächlich ein Hoff nungsschimmer für die Unterdrückten. Viel leicht stellte sie die Vertreterin einer neuen, vernünftigeren Generation von Eripäern dar. Dies waren die Gedanken, die TalatoCors Tag und Nacht beschäftigten. Seit knapp vier Jahren lebte er jetzt schon in Nurcrahns Muuke. Er fühlte sich der Familie Nurcrahns nicht zu Dank verpflichtet. Sein Leben verdankte er Pona. Doch ihre Artge nossen waren es gewesen, die ihn fast totge prügelt hätten. Sie mußten wirklich davon überzeugt gewesen sein, daß er tot war, sonst hätten sie nicht von ihm abgelassen. Talato-Cors hatte erlebt, wie andere Dun kelhäutige nach den sich häufenden Todes fällen aus ihren Stellungen verjagt wurden und man ein regelrechtes Kesseltreiben auf sie veranstaltete. Niemand auf Zaardenfoort sprach darüber. Nachts rotteten sich die Eripäer zusammen und schlugen zu. Die Hoffnung, daß die Regierung auf Aarl
21 dagegen einschreiten würde, hatte sich nicht erfüllt. Talato-Cors vermutete, daß der Eripäer gar nicht über die Vorfälle auf dem dritten Planeten unterrichtet war. Seltsamerweise hatte er zu Gurankor, den er nur von Bildern und Übertragungen aus dem Regierungsgebäude her kannte, Ver trauen. Irgend etwas war an dem Mann, das ihn von den übrigen Eripäern unterschied. Doch auch das konnte den Ubilanen nicht von seinem Ziel abbringen. Er sann auf Ra che an den Schuldigen. Natürlich hatte er als einzelner keine Chance, und die Vorstel lung, andere Gejagte um sich zu sammeln, war unter den gegebenen Umständen absurd. Vorerst war er in Sicherheit und konnte sich in aller Ruhe einen Plan zurechtlegen. Nurcrahn hatte ein schlechtes Gewissen. Er würde seinen anderen Freunden nichts über ihn erzählen. Es mußte einen Punkt geben, an dem die Eripäer verletzbar waren. Und Talato-Cors glaubte zu wissen, wo er anzusetzen hatte. Doch ausgerechnet Pona machte es ihm schwer, seine Ideen in die Tat umzusetzen. Ausgerechnet sie war es, die immer wieder in jenem Teil des Muukes verschwand, der für ihn verboten war. Nurcrahn würde ihn davonjagen, falls er das Verbot mißachtete. Dies war in der augenblicklichen Situation gleichbedeutend mit seinem Todesurteil. Also mußte er warten, bis Pona einmal für längere Zeit verschwand. Ihr durfte unter keinen Umständen etwas zustoßen. Dieser Tag kam früher, als der Ubilane es erwartet hatte.
* Pona war aufgeregt, wie immer, wenn sie ihren Bruder besuchte. Seit nunmehr sechs Jahren lebte er isoliert von der Umwelt in seinem kleinen Gefängnis. Außer ihr gingen nur ihre Mutter und ihr Großvater zu ihm, und auch das immer seltener. Sie blickte sich um, als sie vor der leben den Wand stand. Erst als sie völlig sicher
22 war, daß niemand in der Nähe war, konzen trierte sie sich auf den Wunsch, zu Tirsoth zu gelangen. Den Bediensteten gegenüber hatte Nur crahn erklärt, daß sich in dem für sie verbo tenen Teil des Muukes streng geheime Do kumente und Regierungssachen befänden. Die Wand bildete mit einem schmatzen den Geräusch die Öffnung und schloß sich sofort wieder, als Pona hindurch war. Das von oben einströmende Licht der Sonne fiel genau auf Tirsoths Gesicht. Die drei Augen sahen Pona an. Tirsoth sprang auf und stieß dabei die Figuren eines Spieles um, über dem er gerade gesessen hatte. Er umarmte die Schwester stürmisch. Pona lachte befreit auf. Diese Augen blicke waren die schönsten ihres Lebens. Sie liebte Tirsoth fast noch mehr als den Groß vater und genoß die kurzen Stunden, die sie mit ihm zusammen verbringen konnte. Pona brachte Tirsoth sein Essen und un terrichtete ihn. Doch in letzter Zeit hatte sie das Gefühl, daß er immer wieder für wenige Minuten verschlossen wurde. Dann sah er sie traurig an. Manchmal weinte er. Pona wußte, was ihn quälte. Wenn sie ihm nur helfen könnte! Tirsoth aß. Für seine sechs Jahre war er schon au ßergewöhnlich kräftig. Pona tollte mit ihm herum und zeigte ihm, wie er die ihm feh lende Bewegung durch gymnastische Übun gen ausgleichen konnte. Doch das alles konnte ihn auf Dauer nicht befriedigen. »Wie sieht es heute draußen aus?« fragte Tirsoth, nachdem er seine »Schulaufgaben« gemacht und mit Pona gespielt hatte. »Wie immer«, sagte die junge Eripäerin. »Eines Tages wirst du die Welt sehen kön nen und draußen leben.« Sie versuchte zu lächeln. Doch in ihrem Innern bohrten die Zweifel. Hatte sie das Recht, dem Bruder Illusionen zu machen, die sich vielleicht niemals erfüllen würden? »Wann ist es endlich soweit?« wollte Tir soth wissen. »Wieso kann ich nicht jetzt ge hen?« Er sprang auf und klatschte in die
Horst Hoffmann zierlichen Hände. »Laß uns gehen, komm! Wir beide. Ich will sehen, wie die anderen leben.« Pona hatte Mühe, sich zu beherrschen. Sie wollte ihm den Grund nicht sagen, weshalb er eingesperrt bleiben mußte. Noch nicht. Doch heute schien Tirsoth sich nicht ab speisen lassen zu wollen. Zum erstenmal stellte er die Frage, die Pona gefürchtet hat te, seitdem Tirsoth sprechen konnte. »Wieso habt ihr nur zwei Augen und ich drei? Haben alle, die draußen wohnen, nur zwei Augen?« Pona stand auf. Sie drehte sich um und wischte die Tränen aus dem Gesicht. Tirsoth war sofort wieder bei ihr. »Habe ich etwas Falsches gesagt? Habe ich dir weh getan?« »Aber nein«, brachte sie hervor. Nicht du tust uns weh, dachte sie verzweifelt. Nicht du … »Laß uns später darüber reden, ja? Es gibt eben Eripäer mit zwei Augen und andere mit drei Augen. Hör zu, Tirsoth. Du wirst nun einige Tage ohne mich auskommen müssen. Mutter wird sich an meiner Stelle um dich kümmern. Ich muß verreisen, aber ich kom me bald wieder zurück.« Tirsoth wich erschrocken zurück. »Du gehst fort? Das darfst du nicht! Mut ter hat mich nicht so gern wie du. Das weiß ich. Sie sieht mich immer so an, daß ich Angst vor ihr habe! Du mußt bei mir blei ben, Pona!« Tirsoth begann zu schluchzen und preßte den Kopf fest an den Körper der Schwester. In diesem Augenblick war Pona nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. Sie hätte am liebsten laut losschreien mö gen. »Du irrst dich. Sie hat dich genauso gern wie ich und Großvater. Sie kann es nur nicht so zeigen wie ich. Und ich bleibe ja nur ein paar Tage weg.« »Aber warum? Warum mußt du fort?« heulte der Dreiäugige. »Wenn junge Eripäer ein bestimmtes Al ter erreicht haben, müssen sie eine gewisse Zeit im Weltraum verbringen und zeigen,
Der Dreiäugige was sie auf den Planeten gelernt haben. Es ist eine Art Prüfung und Urlaub zugleich. Ich werde mit einem Schiff zu einer unserer Weltraumstationen fliegen und dort drei Ta ge bleiben.« »Du solltest nicht fliegen«, sagte Tirsoth. Pona erschrak beim Klang der kindlichen Stimme. »Es wird dir Unglück bringen. Ich spüre es.« Zum erstenmal fühlte Pona so etwas wie Angst Tirsoth gegenüber. »Wir wollen nicht weiter darüber reden. Komm, laß uns noch etwas spielen, bevor ich wieder gehen muß.« »Nein«, antwortete der junge Dreiäugige. »Wenn du gehst, dann bitte gleich. Du quälst mich.« Redete der Sechsjährige jetzt nicht wie ein Erwachsener? Was war bloß in ihn ge fahren? Pona versuchte sich einzureden, daß er enttäuscht von ihr war und deshalb so seltsam reagierte, und daß sich alles ganz von allein wieder einrenken würde, sobald sie zurück wäre. »Also schön«, sagte sie und nahm Tirsoth bei der Hand. Sie bat ihn, zu seiner Mutter und zu Nurcrahn nett zu sein und zu tun, was sie verlangten. Tirsoth versprach es ihr, doch er war nicht bei der Sache. Als Pona vor dem Ausgang stand, sagte er leise: »Es ist wie Musik. Kannst du es nicht hö ren?« Entgeistert fuhr die Eripäerin herum. »Was meinst du?« »Die Schwingungen, wunderschöne Töne und Gefühle. Du mußt sie doch auch wahr nehmen.« »Ja«, log Pona. »Sie sind schön.« Sie zit terte, als sie auf dem Korridor stand. Tirsoth hatte sich verändert. War dies der Beginn der fatalen Entwicklung, vor der die Eripäer solche Angst hatten? War Tirsoth auf dem Weg, ein Monstrum zu werden? Weinend ging sie zurück in ihren Wohn raum, um die letzten Vorbereitungen zu tref fen, ohne daß sie die Gestalt bemerkte, die
23 sich hinter ihr vorsichtig aus einer Wandnis che schob und in einem Nebengang ver schwand.
* Nurcrahn begleitete Pona nach Luukh, der Hauptstadt des Kontinents. Er brachte sie zum Raumhafen und wünschte ihr alles Gute und viel Glück bei den bevorstehenden Auf gaben. Nurcrahn blieb lange vor dem großen Por tal des Abfertigungsgebäudes stehen, nach dem Pona zum letztenmal gewinkt hatte. Sie war anders als sonst, viel ernster und verschlossener. Wie sehr hatte sie sich auf den Weltraumaufenthalt gefreut, und nun wirkte sie lustlos und apathisch. Sie ver suchte zwar, es vor Nurcrahn zu verbergen, doch der Lichtfürst war so leicht nicht zu täuschen, dazu hatte er im Lauf seines Le bens zu viele Erfahrungen mit seinen Mit menschen sammeln können. Woolsars Stimme riß ihn aus seinen Ge danken. Nurcrahns Freund und Berater war schon zwei Tage früher in die Hauptstadt geflogen, um an den Vorbereitungen der Sit zung teilzunehmen. Nachdem es eine Weile relativ ruhig ge wesen war, häuften sich die mysteriösen To desfälle nun wieder. Die Bevölkerung ließ sich nicht länger mit beruhigenden Erklärun gen abspeisen. Sie verlangte, daß endlich et was getan würde. Deshalb hatten die Lichtfürsten der vier Kontinente Zaardenfoorts zusammen mit ih ren Mitarbeitern und Vertrauten eine Kom mission auf die Beine gestellt, die sich aus schließlich mit den neuen Todesfällen be schäftigte. Zeugen waren angereist, um in der Zen tralhalle Luukhs auszusagen. Die Sitzungen der Kommission wurden über das planeten umspannende Fernsehnetz in alle Muuker übertragen. Am dritten und letzten Tag soll te eine Art Beweisaufnahme erfolgen und über die zu unternehmenden Schritte ent schieden werden.
24 Der Eripäer selbst würde von Aarl aus zu den Bewohnern Zaardenfoorts sprechen. Mehr konnten die Lichtfürsten nicht tun. Seit Jahren versuchten geschulte Agenten, den geheimnisvollen Mörder ausfindig zu machen. Man glaubte immer noch, es mit ei nem einzigen Übeltäter zu tun zu haben, weil es bisher noch nie an zwei Orten gleichzeitig zu den Verbrechen gekommen war. Nurcrahn dachte an die Regierungssitzung zurück, auf der er die Tötung des aufgespür ten Dreiäugigen bekanntgegeben hatte. Er wußte nicht, ob er Stolz empfinden sollte, damals recht gehabt zu haben. Die Worte der Frau, die plötzlich aufgestanden war, gingen ihm nicht auf dem Kopf. Wenn dieser Dreiäugige nicht der Schul dige war, wissen wir, daß es einen weiteren Verbrecher gibt, der ein Monstrum ver steckt! »Gehen wir«, sagte Nurcrahn zu Woolsar. Beide Männer stiegen in einen bereitstehen den offenen Schweber. Der Pilot grüßte und startete die Maschine. Woolsar berichtete über den Stand der Vorbereitungen. Nurcrahn hörte nur mit hal bem Ohr zu. So entgingen ihm gewisse Un tertöne in den Worten seines Beraters. Der Lichtfürst wollte die Aktivitäten der Banden zur Sprache bringen, die immer zahlreicher und brutaler alle Andersartigen verfolgten. Er würde sich Feinde machen, wenn er darüber sprach, während Gurankor zuhörte. Sein schlimmster Feind saß neben ihm. Woolsar war einer der Köpfe des Geheim bundes, der die Unzufriedenen und Veräng stigten um sich sammelte und regelrechte Mordkommandos zusammenstellte. Es gab längst einen Aktionsplan. Noch während der Eripäer am dritten Sitzungstag redete, würden die »Streiter des Lichts« auf allen vier Kontinenten gleichzeitig zuschla gen. Angst, Haß und die kollektive Erinnerung an die furchtbare Katastrophe vor langer Zeit hatten einen Teil der auf Zaardenfoort
Horst Hoffmann lebenden Eripäer alle Tugenden ihrer Zivili sation vergessen lassen und ihre Welt an den Rand des Chaos getrieben. Obwohl Nurcrahn das Ausmaß der bevor stehenden Aktionen nicht einmal erahnen konnte, begann er, sich Fragen zu stellen. Immer wieder dachte er an Tirsoth. War er, Nurcrahn, schuld an allem? Hat ten diejenigen, die den Tod eines jeden neu geborenen Dreiäugigen forderten, doch recht?
* Wie alle Eripäer auf Zaardenfoort saßen auch Irsocca und die Bediensteten ihrer Fa milie vor dem großen Bildschirmgerät im Kommunikationsraum des Muukes, als die erste Sitzung eröffnet wurde. Talato-Cors war nicht bei ihnen. Zwar hatte Irsocca ihm angeboten, sich die Über tragung mit den anderen zusammen anzuse hen, doch unter einem Vorwand hatte er ab gelehnt, und das nicht nur, weil er wußte, daß die Bestandsaufnahme für ihn und sei nesgleichen nicht das geringste erbringen würde. Dies war die Gelegenheit für ihn, sich im Muuke umzusehen. Der Ubilane hatte Pona mehr als einmal heimlich beobachtet, wenn sie in den ihm verbotenen Teil der organischen Behausung ging und nach Stunden wieder zurückkehrte. Er kannte die Stelle der »Wand«, an der sie immer stehenblieb, ganz genau. Allerdings war Pona immer zu schnell im dahinterlie genden Raum verschwunden, so daß er nichts hatte erkennen können. In ihm und den anderen Bediensteten zu gewiesenen Bereich des Muukes konnte Talato-Cors dem Pflanzen-Tier-Zwitter Be fehle geben, so wie es auch die Eripäer ta ten. Die Frage war, ob dies auch an anderer Stelle möglich war. Der Ubilane verließ seine Unterkunft und sah sich noch einmal in den Gängen um. Wie aus weiter Ferne war, durch die leben
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den Wände gedämpft, die Stimme eines Mannes zu hören, der einige letzte Erklärun gen zur Sitzung der Kommission in Luukh abgab. Niemand war zu sehen. Talato-Cors machte sich auf den Weg. Minuten später stand er dort, wo Pona zu warten pflegte, bis sich die Öffnung bildete. Talato-Cors holte tief Luft und konzen trierte sich. Als das schmatzende Geräusch erklang und sich die Wand auseinanderzog, war er selbst überrascht. Einen Augenblick war er versucht, weg zurennen. Dann sah er wieder die schreiende Meute am Strand auf sich zukommen, die Holzscheite in den Händen der Männer, die heranfliegenden Fäuste … Talato-Cors machte zwei Schritte vor wärts. Hinter ihm schloß sich die Wand. Er hatte von ihnen gehört – von den drei äugigen Monstren, die überall gnadenlos ge jagt wurden. Und Talato-Cors kannte die Geschichten, die über die vergessene Zeit vor der Katastrophe kursierten. Seine Vor fahren mußten ebenfalls davon betroffen ge wesen sein. Die Dreiäugigen waren schuld. Talato-Cors hatte etwas zu finden gehofft, mit dem er den Eripäern das heimzahlen konnte, was sie ihm angetan hatten. Das, was er vor sich sah, übertraf seine kühnsten Erwartungen.
* Die vier Lichtfürsten hatten geredet, jeder über eine Stunde lang. Alle hatten sie im Grunde das gleiche gesagt und zugegeben, daß sie hilflos waren. Die Lichtfürsten saßen nebeneinander hinter einem flachen Tisch, neben ihnen die vierundzwanzig Berater, die gleichzeitig Re gionalverwalter der Kontinente waren. Nun war es an den aus allen Teilen Zaar denfoorts zusammengekommenen Zuhörern, ihre Fragen zu stellen. Die Zeugen hatten ausgesagt, doch alles, was sie zu berichten
hatten, war bereits hinlänglich bekannt. »Wie kommt es, daß nur auf Zaardenfoort Eripäer ermordet werden?« fragte jemand. »Die zerstrittenen Stämme auf Damau kaaner haben genug mit sich zu tun!« rief ein anderer höhnisch. »Solange sie nur ihre lächerlichen Spielchen treiben, haben sie keine Zeit, sich umzubringen.« »Kein Eripäer bringt einen anderen um!« Beifall. Jemand schrie, daß man endlich mit den Dunkelhäutigen aufräumen und noch härtere Strafen für diejenigen Eripäer, die Dreiäugige versteckten, einführen sollte. Wieder applaudierte die Menge. Aufgestaute Emotionen verschafften sich Luft. Die Lichtfürsten kamen kaum zu Wort. »Auf Aarl herrscht Ordnung!« rief eine junge Frau. »Dort werden keine Parasiten geduldet.« »Was soll das heißen?« fragte Lichtfürst Craun vom Kontinent Larmodoor. »Auch auf Aarl gibt es Nichteripäer, und dort geht man bekanntlich gerechter mit ihnen um als hier.« Rufe des Mißfallens aus dem Publikum. Die Lichtfürsten sahen sich an. Es wurde immer deutlicher, daß es unter den Zuhörern eine starke Gruppe gab, die mit denjenigen, die für die Ausschreitungen der letzten Jahre verantwortlich waren, sympathisierte. Den Lichtfürsten drohte die Kontrolle über die Sitzung zu entgleiten, was um so schlimmer war, als Hunderttausende von Eripäern vor ihren Bildschirmen saßen und Gurankor von Aarl aus alles mitverfolgen konnte. »Ist es nicht seltsam, daß Eripäer überall auf Zaardenfoort tot aufgefunden wurden, auch wenn keiner der Morde gleichzeitig ge schah?« fragte ein älterer Mann. »Es gibt Mittel und Wege, innerhalb von Stunden an jede Stelle unserer Welt zu ge langen«, sagte Nurcrahn ärgerlich. »Schon. Aber alle Zeugen sagten aus, daß keines der Opfer Spuren von direkter Ge walteinwirkung zeigte.« »Und das heißt?« fragte Woolsar, und die Art, wie er die Frage stellte, die Worte be
26 tonte, ließ Nurcrahn herumfahren. Woolsar sah ihn nicht an. In seinen Augen brannte ein Feuer, das Nurcrahn erschrecken ließ. Woolsar kam ihm vor wie jemand, der ei ne Frage stellte und genau wußte, wie die Antwort ausfallen würde, ja, der ihr regel recht entgegenfieberte. Auch Nurcrahn kannte sie, bevor der Ru fer zu Wort kam. Er fragte sich plötzlich, ob Woolsar, vor dem er selbst den Aufenthalt des Dunkelhäutigen in seinem Muuke ge heimgehalten hatte, etwas über Tirsoth wis sen konnte. »Das heißt, daß es jemanden geben muß, der über größere Entfernungen hinweg und ohne direkten Kontakt zu seinem Opfer tö ten kann«, rief der Alte aus dem Publikum. Die Reaktion der Zuhörer war der endgül tige Beweis dafür, daß etwas im Gange war, das sich der Kenntnis des Lichtfürsten ent zog. »Ein Dreiäugiger!« schrie jemand, und Hunderte von Eripäern schwangen ihre Fäu ste. Nurcrahn hatte das Gefühl, daß sich ihre Blicke auf ihn richteten und ihn zerstören wollten. Er stand auf und verließ die Halle. Nur crahn war so erregt, daß er sein Hotelzim mer aufsuchte, um erst einmal wieder zu sich zu kommen. Nach einigen Minuten kam ihm sein Verdacht lächerlich vor. Als er das Summen des Kommunikations geräts hörte, schrak er zusammen. Plötzlich sah er sich wieder auf Aarl. Auch damals er hielt er in einer Sitzungspause die schlechte Nachricht von Zaardenfoort. Doch diesmal war es mehr als eine schlechte Nachricht – es war eine Hiobsbot schaft. Auf dem kleinen Bildschirm erschien das Symbol der Regierung. Dann blickte Nur crahn in das Gesicht des Eripäers. »Ich habe alles mitverfolgt«, erklärte Gu rankor. »Und ich bin in großer Sorge.« Irgend etwas sagte Nurcrahn, daß Guran kor, der Mann, der in kein Schema zu passen schien, am wahren Problem vorbeiredete. Was war so erschreckend, daß selbst der
Horst Hoffmann Eripäer sich scheute, es offen auszuspre chen? »Ich bitte Sie, offen zu mir zu sein«, sagte Nurcrahn leise. Gurankor sah ihn sekundenlang schwei gend an. »Es hat einen neuen Überfall der Krolocs gegeben«, sagte er dann. »Einen mit bisher nicht gekannter Geschicklichkeit geführten Überraschungsschlag. Ihre Enkelin Pona ist entführt worden, Nurcrahn. Sie befindet sich in der Gewalt der Krolocs außerhalb der Lichtung im Korsallophur-Stau.«
* Nurcrahn und Irsocca standen sich gegen über. Niemand brachte ein Wort hervor. Die Bediensteten schafften erlesene Getränke und gebratenes Wild herbei. Nurcrahn konnte nichts essen. »Nun haben wir auch sie verloren«, sagte er leise. Irsocca ließ sich in ein Sitzmöbel fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Sprich es aus«, flüsterte der Lichtfürst. »Sag, daß wir einen Fehler gemacht haben, daß ein Fluch auf uns lastet.« Doch Irsocca schwieg. Tirsoth war ihr Kind, ebenso wie Pona. Und sie liebte ihn, obwohl sie Scheu vor ihm empfand. Nurcrahn verließ die Muuke und trat hin aus ins Licht der Scheinwerfer. Er war sofort nach Erhalt der Nachricht zu seiner Familie zurückgekehrt. Familie? Was war ihm geblieben? Jacca war tot, Farthor ebenfalls, und Pona befand sich in der Gewalt der Krolocs. Die nächsten beiden Tage verbrachte der Lichtfürst in Abgeschiedenheit. Abends kam Irsocca zu ihm und berichtete über den Fort gang der Sitzung in Luukh. Am dritten und letzten Tag kam sie aufge regt in seinen Privatraum gelaufen und rede te wirres Zeug. Nurcrahn begab sich zum Bildschirmgerät und verfolgte fassungslos die Nachrichten aus allen Teilen Zaarden foorts.
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Männer und Frauen, die, in leuchtendwei ße Gewänder gehüllt, überall dort auftauch ten, wo sich Nichteripäer aufhielten, veran stalteten wahre Gemetzel unter den Anders artigen. Schriftstücke wurden bei den Ermordeten gefunden. Briefe, in denen sich eine Gruppe zu den Massakern bekannte, die sich »Streiter des Lichts« nannte. Erschüttert schaltete Nurcrahn das Gerät aus. »Haben wir dafür gelebt?« fragte er Irsoc ca. »Ist das der Lohn für all die Opfer, die unsere Vorfahren auf sich nahmen, um die Lichtung zu einer Insel der Freiheit und des Friedens zu machen?« Er lachte rauh. »Wir haben denjenigen, die aus dem Stau zu uns flüchteten, ein würdiges Leben inmitten ei ner freien Gemeinschaft vieler Völker ver sprochen. Sie glaubten uns und ernteten Haß. Wir machten sie zu unseren Sklaven, und nun morden unsere Leute sie.« Irsocca gab keine Antwort. Nurcrahn nahm sie in die Arme. Für ihn war es eine Geste des Abschieds. Er hatte an so vieles geglaubt, das nun wie ein brüchig gewordenes Haus in sich zusammenstürzte. Pona hatte ihm so viel bedeutet. In sie hatte er all seine Hoffnungen auf eine bessere Zu kunft gesetzt. Eine Zukunft ohne Streiterei en, ohne Verlogenheit und Dunkelheit. Vielleicht war Ponas Schicksal ein Signal. »Es gibt noch etwas, das ich dir sagen muß«, brachte Irsocca hervor. »Talato-Cors ist seit heute mittag verschwunden.« Er hat keine Chance zu überleben, dachte Nurcrahn bitter. In dieser Nacht verließ er sein Muuke. Er ging zum Strand, um zu sterben. Sein Leben hatte jeden Sinn verloren. Wofür sollte er als alter Mann noch kämpfen, nun, da er allein war?
6. Ein Jahr später an Bord der Weltraum station Prudnier. Heftor hatte dafür gesorgt, daß alle Fun
knebenstellen, die von der Sektion, in der die Gefangenen untergebracht waren, zu er reichen waren, von seinen Männern abgerie gelt wurden. Weitere Raumfahrer und Sol daten waren vor dem Schott des Gefängni strakts postiert worden. Heftor glaubte nicht wirklich an einen Ausbruch. Doch die Selbstsicherheit des schwarzhaarigen Fremden machte ihn stut zig. Vorsichtsmaßnahmen kosteten nichts, und falls den Krolocs und ihren Freunden tatsächlich eine Überraschung gelingen soll te, war er vorbereitet. In der Zentrale der Raumstation befanden sich jetzt außer dem Kommandanten nur die Männer und Frauen, die die wichtigsten Kontrollen zu bedienen hatten. Wie alle an deren Weltraumstationen wurde auch Prud nier aus drei sternförmig angeordneten Zy lindern gebildet. Jeder Zylinder hatte einen ovalen Querschnitt und war tausend Meter lang und einhundert Meter dick. Die Zentra le war im Mittelteil untergebracht, einer ku gelförmigen Zelle von zweihundert Metern Durchmesser, an die die Zylinder angekop pelt waren. Heftor hatte Funkverbindung mit Aarl aufgenommen und vergeblich versucht, mit dem Eripäer selbst zu sprechen. Gurankor befand sich in einer wichtigen Regierungs sitzung und beriet mit den Kabinettsmitglie dern über die jüngsten krolocischen Überfäl le und über eine eventuelle Hilfeleistung für die im Korsallophur-Stau gestrandete Welt. Bisher war relativ wenig über diese Welt an die Öffentlichkeit gedrungen, und auch die Kommandanten der im Weltraum ste henden Stationen und der innerhalb der Lichtung operierenden Raumschiffe wurden nur spärlich mit Informationen versorgt. Doch auch jetzt, da er Gewißheit hatte, kam Heftor nicht auf den Gedanken, daß die beiden Fremden tatsächlich die Wahrheit ge sagt hatten. Die Krolocs waren gerissen. Heftor war sicher, daß sie die neue Situation zu ihren Gunsten ausnützen und daher die beiden Agenten geschickt hatten. Ein hoher Offizier auf Aarl hatte ihn an
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gewiesen, auf das Schiff zu warten, das die Gefangenen abholen würde, sobald die Re gierungssitzung beendet war und Gurankor persönlich entscheiden konnte. Heftor wäre es lieber gewesen, die Gefan genen sofort loszuwerden und der Verant wortung für sie enthoben zu sein. Seit einer halben Stunde hatte er nichts mehr von ihnen gehört. Mit jeder Minute, in der nichts geschah, wuchs seine Unruhe. Er schickte weitere Soldaten zu den Funkstel len, so daß die Kugelzelle so gut wie schutz los war. Dann plötzlich gingen alle Lichter aus. Männer und Frauen schrien in heller Pa nik auf. Die Dunkelheit war schlimmer als körperlicher Schmerz. Ein Eripäer, der ihr längere Zeit über ausgesetzt war, starb. An Bord der Station herrschte völliges Chaos. Die Todesangst lähmte Heftors Ver stand. Mit Ausnahme der Beleuchtung arbei teten alle Systeme der Station normal. Heftor griff sich ein Mikrophon und schrie den Befehl hinein, den Gefängnistrakt zu stürmen, denn dort mußte die Ursache für die Katastrophe liegen. Überall innerhalb Prudniers flammten kleinere batteriegespeiste Lichtspender auf. Eripäer brachen vor Angst gelähmt zusam men. Diejenigen, die sich noch unter Kon trolle hatten, machten sich daran, die Notbe leuchtungssysteme zu aktivieren, die sich normalerweise längst automatisch einge schaltet haben müßten.
* Razamon sprang zurück, als die ersten Funken aus der Verschalung sprühten, hinter der die Kabelstränge zusammenliefen. »Bereit halten!« schrie er den Krolocs beim Schott zu, während er Balduur mit sich zu Boden riß. Die beiden Männer lagen auf dem Bauch, die Hände schützend in den Nacken gelegt, als sie erste Stichflamme aus der Nische fuhr. Sie waren nicht mehr dazu gekommen, die Falthelme der Raumanzüge zu schließen, die man ihnen, im Gegensatz
zu den Krolocs, gelassen hatte. Eine weitere Stichflamme. Funken regne ten auf die Pthorer nieder. Sie schützten sich, so gut es ging, doch außer einem Häuf chen Staub wäre nichts von ihnen übrig ge blieben, wenn es sich bei der Nische nicht lediglich um ein Nebenaggregat gehandelt hätte. Weiter hinten im Korridor, dort, wo sie mit den Krolocs zusammengetroffen waren, erfolgte eine verheerende Explosion. Das Licht drang durch die geschlossenen Augen lider und blendete Razamon und Balduur. Balduur schrie, als die Druckwelle über sie hinwegfuhr. Dann wurde es unerträglich heiß, während die Helligkeit schnell nachließ. Das Kreischen der Krolocs erfüllte den Korridor. Die Spinnenähnlichen waren den auf sie eindringenden Gewalten völlig schutzlos ausgeliefert. Sie warfen sich gegen das Schott und hämmerten mit den Vorder gliedmaßen dagegen. Einige sanken leblos in sich zusammen. Razamon riskierte es, die Augen zu öff nen. Sie schmerzten, und Tränen liefen seine Wangen hinunter, doch nach etwa einer Mi nute konnte, er wieder sehen. Die Wandver kleidung glühte an einigen Stellen. Es war das einzige Licht. Razamon hatte – zumindest in diesem Teil der Station – sein Ziel erreicht. Die Bordbeleuchtung war ausgefallen, doch um welchen Preis! Noch konnte der Pthorer nicht ahnen, daß es in ganz Prudnier kein Licht mehr gab. Die Hitze stieg weiter an. Die Atlanter würden zusammen mit den Krolocs verbren nen, falls das Schott nicht rechtzeitig geöff net wurde. Gab es denn keine entsprechen den Sicherheitssysteme, wenn die Eripäer schon nicht wie erwartet reagierten? Der Schweiß brach Razamon aus allen Poren. Die Luft war so heiß, daß er kaum noch atmen konnte. »Komm mit«, stieß er unter Schmerzen hervor. Er packte Balduur am Arm. »In die Nische.« Als er den überraschten Blick des Odins
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sohns bemerkte, fluchte er und zeigte auf die im blutroten Licht erkennbaren Krolocs. Drei von ihnen kamen auf zitternden Beinen auf sie zu. Die schwarzen Haare waren ver sengt. Razamon schloß endlich den Raum helm. Balduur tat es ihm gleich. »Sie werden glauben, daß wir sie auf dem Gewissen haben, wenn die Eripäer nicht bald das Schott öffnen. Verdammt!« Die drei Krolocs waren heran. Razamon drosch auf sie ein, bis sie leblos am Boden lagen. Noch waren die anderen mit ihren un sinnigen Versuchen beschäftigt, das Schott gewaltsam aufzubrechen. Razamon ver fluchte die Situation, die ihn zwang, wehrlo se Kreaturen zu töten, auch wenn sie seine Gegner waren. »In die Nische, schnell!« Balduur rannte los, doch es war zu spät. Wie auf ein Zeichen, drehten sich alle Krolocs um und kamen auf die Männer zu. War es die Fügung des Schicksals oder reiner Zufall, daß die eripäische Handfeuer waffe genau in diesem Augenblick aufglüh te? Razamon schrie vor Schmerz auf und schleuderte sie fort. Sie landete vor dem Schott – weit hinter den anstürmenden Kro locs, die sahen, daß etwas über sie hinweg flog, und abrupt stehenblieben. Die Waffe explodierte und riß ein Loch von zwei Meter Durchmesser in das Schott – wenige Augenblicke, bevor die dahinter po stierten Eripäer Heftors Befehl nachkommen und es öffnen konnten.
* Für die Eripäer war es ein einziger Alp traum. Nur etwa die Hälfte der ursprünglich zum Schott beorderten Raumfahrer war geblie ben. Die Lichtspender sorgten dafür, daß sie sich gegenseitig und ihre Umgebung sehen konnten – das war alles. Sie gaben ihnen nicht das Licht, das auf die Dauer zum über leben ausreichte. Sie hatten zu lange gezögert, das Schott
zu öffnen. Die Explosion tötete drei Männer auf der Stelle. Alle anderen wurden von der Druck welle zu Boden geworfen. Dank ihren ge schlossenen Schutzanzügen überlebten sie. Doch was nun kam, war für viele schlimmer als der Tod. Riesige dünne Beine wurden sichtbar. Zu erst tasteten sie sich langsam durch das ent standene Loch. Die Eripäer starrten verrückt vor Angst auf die monströsen Köpfe, die sich nachschoben. Einige schrien, andere lachten hysterisch oder wurden bei dem An blick bewußtlos. Konnte die Nähe eines Krolocs einen Eripäer schon unter normalen Umständen den Kopf verlieren lassen, so wirkten die Spinnenartigen jetzt wie schwarze Ungeheu er aus der tiefsten aller Höllen auf die Raumfahrer. Dann schossen wie auf ein Kommando die schwarzgrauen Körper über die schreien den Eripäer hinweg in den Korridor. Heftors Stimme drang beschwörend aus den Laut sprechern. Er wollte wissen, was geschah, doch niemand war in der Lage, ihm zu ant worten. Die Krolocs hielten sich nicht bei den Un glücklichen auf. Sie jagten durch die Raum station. Überall, wo sie auf Eripäer trafen, verbreiteten sie Angst und Schrecken, ohne daß einer von ihnen überhaupt jemanden an zugreifen brauchte. Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausma ßes bahnte sich an. Dreitausend Männer und Frauen bildeten die Besatzung der Weltraumstation Prud nier. Wer nicht durch die Krolocs starb, der würde langsam und qualvoll in der Dunkel heit zugrunde gehen. Doch sobald kein einziger Eripäer an Bord mehr lebte und die Anwesenheit ande rer Wesen registriert wurde, trat die Selbst vernichtungsschaltung in Kraft. Dann gab es keine Rettung mehr für die Station und die in ihr Befindlichen.
*
30 Razamon erlebte das Grauen. Als er be griff, was er ungewollt angerichtet hatte, wurde ihm übel. Dabei kannte er das ganze Ausmaß des Verhängnisses nicht einmal. Langsam einen Fuß vor den anderen set zend, ging er an den überall herumliegenden Eripäern vorbei. Als er sah, daß einer von ihnen sich bewegte, kniete er nieder und ver suchte, den Raumfahrer aufzurichten. Er sah die großen Augen des Mannes, aus denen der Wahnsinn sprach. Die Lippen wa ren aufgerissen. Der Eripäer schrie, doch durch den geschlossenen Helm des Schutz anzugs war kein Laut zu hören. »Laß ihn«, sagte Balduur. Er war schon weitergegangen und winkte energisch. »Wir können ihnen nicht helfen. Inzwischen wer den ihre Freunde die Krolocs eingefangen haben, und es wird Zeit, daß wir zur Zentra le kommen. Sie werden nicht ewig bei den Funkstellen auf uns warten.« Razamon mußte zugeben, daß der Odins sohn recht hatte. Vielleicht bot sich später eine Gelegenheit, den Schaden wiedergutzu machen. Der Anblick weiterer regloser Gestalten in der großen Lagerhalle versetzte ihm einen Schock. Diese Eripäer konnten unmöglich von der Explosion betroffen worden sein. In ihren Händen befanden sich noch die Waf fen. Weshalb hatten sie nicht auf die Krolocs geschossen? »Dort«, sagte Balduur, der die Gedanken des Gefährten erraten zu haben schien. »Die Wand.« Im fahlen Lichtschein der überall aufge stellten leuchtenden Notzylinder sah Raza mon die Einschußstellen. Die Eripäer hatten also von ihren Waffen Gebrauch gemacht. Aber kein einziger toter Kroloc war zu se hen. »Was ist hier los, Balduur?« fragte Raza mon leise. »Das werden wir erfahren, wenn wir in der Zentrale sind. Wir sollten froh sein, daß uns niemand aufhält. Komm schon!« Weiter. Razamon hatte den Gang, durch den sie gekommen waren, noch gut in Erin-
Horst Hoffmann nerung. Der Umstand, daß er und Balduur keine weiteren Eripäer am Boden liegend fanden, bis sie die Zentrale erreichten, schi en der Beweis dafür zu sein, daß die Krolocs einen anderen Weg genommen hatten. Inzwischen würden sie sich irgendwo ge sammelt haben, um über ihr weiteres Vorge hen zu beraten. Sie waren wahrscheinlich mit den Handstrahlern der zusammengebro chenen Eripäer bewaffnet. Razamon sah die Männer und Frauen der Zentralebesatzung regungslos in ihren Ses seln. Heftor lag vor einem großen Bild schirm über einem umgestürzten Tisch. Das war die Gewißheit, daß sich inner halb der Station Dinge taten, die mit den Krolocs nichts zu tun haben konnten. Und Razamon ahnte, was für den erbärmlichen Zustand der Eripäer verantwortlich war. »Das Licht«, zischte er Balduur zu. »Sie hassen das Dunkel und lieben das Licht. Je denfalls dachte ich das bisher. Balduur, es sieht jetzt so aus, als könnten sie ohne Licht überhaupt nicht leben.« »Aber wir können das Beleuchtungssy stem nicht wieder in Ordnung bringen«, knurrte der Odinssohn. »Zerstören war schon immer leichter als aufbauen«, sagte Razamon und fluchte. »Wir und sie haben nur eine Chance. Wenn es noch eine Rettung für sie gibt, kann diese nur von außen kommen. Ich versuche, die Regierung zu erreichen.« Razamon zeigte auf eine Reihe von nebeneinander angeord neter Monitoren in der gegenüberliegenden Wand. Sie zeigten Ausschnitte von Hallen, Schalträumen und Korridoren. »Versuche, damit die Station abzusuchen. Wir müssen wissen, wo die Krolocs stecken. Dreh an allen Knöpfen, bis du Erfolg hast.« »Die Station wird uns um die Ohren flie gen«, argwöhnte der Odinssohn. Razamon winkte ab und wandte sich dem großen Bild schirm zu. Vermutlich hatte Heftor versucht, Kontakt mit seinem Hauptquartier auf einem der Planeten oder direkt mit der Regierung aufzunehmen. Der Bildschirm zeigte ein Symbol. Raza
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mon war unsicher. Was sollte er tun? Mögli cherweise nahm er sich alle Chancen, die unbekannte Frequenz der Regierung zu fin den, wenn er jetzt irgendwelche Schaltungen bediente. Er wartete. Und er hatte Glück. Das Symbol verschwand. Einen Augen blick war der Schirm dunkel, dann erschien das Gesicht eines Eripäers. Der Mann sah nicht direkt in die Aufnahmeoptik, sondern schien etwas zu lesen. »Sie wollten mich sprechen, Heftor«, hör te Razamon. »Es tut mir leid, daß ich nicht früher Zeit für Sie hatte, aber mir liegt der Bericht unseres …« Der Mann blickte auf. Einen Moment lang sah er Razamon direkt in die Augen. Der Atlanter spürte, wie seine Beine zu zit tern begannen. Er hatte inzwischen eine Menge Eripäer kennengelernt, doch dieser Mann strahlte etwas aus, das sich nicht defi nieren ließ. »Sie sind einer der beiden Fremden«, stellte der Eripäer fest. »So ist es«, antwortete Razamon. »Verlangen Sie bitte jetzt keine Erklärun gen. Es hat einen … Zwischenfall gegeben. Die Besatzung scheint zu sterben. Es ist dunkel an Bord der Raumstation. Wir brau chen Hilfe. Bitte veranlassen Sie alles. Da nach stehen wir Ihnen zur Verfügung. Wir sind keine Agenten der Krolocs.« Der Mann auf dem Bildschirm schwieg lange. Dann schüttelte er den Kopf. »Es gibt keine Hilfe«, sagte der Eripäer. Das Feuer in seinen Augen schien plötzlich erloschen. »Keines unserer Schiffe, das die entsprechenden Spezialisten an Bord hat, ist nahe genug bei Prudnier, um noch Rettung bringen zu können.« Wieder eine Pause. Razamon lief es eiskalt den Rücken hinun ter. Woran erinnerte der Mann ihn? »Sie sind Razamon, nicht wahr?« fragte Gurankor.
*
Sie konnten sich kaum noch auf den Bei nen halten. Sechs Eripäer, die von fünfzig übriggeblieben waren. Sie arbeiteten wie be sessen und wußten, daß von ihnen das Leben all ihrer Kameraden an Bord der Weltraum station abhing. Es erschien ihnen wie eine Ewigkeit, bis sie endlich den Fehler im Notbeleuchtungs system fanden. Drei von ihnen brachen ohn mächtig zusammen. Die übrigen arbeiteten weiter. Die Dunkelheit war furchtbar. Jede Minute war kostbar. Nur dem Umstand, daß der Reparaturtrupp ein konkretes Ziel vor Augen hatte und sich dadurch in gewisser Weise ablenken konnte, war es zu verdan ken, daß die Eripäer die Dunkelheit nicht so in sich aufnahmen wie die anderen an Bord der Raumstation und noch bei Bewußtsein waren. Nach zwei Minuten hatten sie es ge schafft. Während sie erschöpft zusammenbrachen, hofften sie, daß ihre Arbeit nicht umsonst gewesen war.
* »Nun verstehe ich vieles«, sagte Guran kor. »Sie haben Heftor nichts von Pona er zählt. Weshalb?« »Ich weiß es nicht«, gab der Pthorer zu. »Vielleicht war es gut so. Lichtfürst Nur crahn …« Der Eripäer sprach nicht zu Ende. »Was ist mit ihm? Was ist mit Pona?« »Wie ich schon sagte, Pona ist wohlbehal ten hierhergelangt, dank Ihrer Hilfe. Sie hat mich davon überzeugen können, daß wir ei ne gewisse Verantwortung Ihrer Welt ge genüber haben. Pona hat eine Nachricht an Ihre Freunde geschickt. Sie werden jetzt wissen, was Ihnen bis zum Zeitpunkt von Ponas Flucht zugestoßen ist und über die von den Krolocs ausgehende Gefahr infor miert sein.« Balduur rief etwas. Razamon drehte sich um und sah auf einem der Bildschirme die Krolocs, wie sie beieinander standen und zu beraten schienen. Viele von ihnen hatten
32 eripäische Handfeuerwaffen in ihren Vor dergliedmaßen. »Was geschieht jetzt?« fragte Razamon. »Schiffe sind unterwegs.« »Was passiert mit den Ohnmächtigen? Was können wir tun, um sie zu retten?« »Nichts«, erklärte der Eripäer. »Ich weiß, daß sie nicht beabsichtigten, sie zu …« Das Licht flammte auf. Wieder war Raza mon geblendet. Als er wieder sehen konnte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Heftor stand vor ihm. Der große Bild schirm war erloschen. »Sie haben geglaubt, besonders schlau zu sein«, sagte Heftor. Die Waffe in seiner Hand war in eine bläuliche Aureole gehüllt. »Nun haben wir Gewißheit.« Razamon sah, wie bewaffnete Eripäer Balduur einkreisten und ihm die Handfeuer waffe abnahmen. Plötzlich kamen die Besat zungsmitglieder in die Zentrale gestürmt. Die Erleichterung darüber, daß sie nicht tot waren, wich der Bestürzung. »Sie sind verrückt, Heftor! Wissen Sie, mit wem ich während Ihrer Ohnmacht ge sprochen habe?« »Bestimmt mit dem Eripäer persönlich«, sagte Heftor sarkastisch. »Mit Gurankor, ja. Er kennt uns, und wird Ihnen …« »Das genügt!« schrie Heftor. »Der Eripä er befindet sich in einer Regierungssitzung. Sie hätten fast die gesamte Besatzung der Station auf dem Gewissen. Die Krolocs sind schlauer, als ich dachte. Und ihre Freunde scheinen noch gefährlicher zu sein.« »Sie tun mir leid«, sagte Razamon. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, sich mit Heftor weiter zu unterhalten. »Nehmt sie fest und bringt sie dorthin, wo sie keinen Schaden anrichten können!« rief der Kommandant der Station seinen Unter gebenen zu. »Meine Geduld ist zu Ende. Mit den beiden wird man sich auf Aarl beschäf tigen. Lähmt die Krolocs!« »Sie sind verrückt!« schrie Razamon. »Die Krolocs haben keine Schuld an dem, was geschehen ist!« Der Atlanter fühlte sich
Horst Hoffmann von ohnmächtigem Zorn gepackt und wollte sich auf den Kommandanten stürzen. Heftors Handwaffe schien zu verschwim men. Razamon brach gelähmt zusammen. Er konnte sehen und hören, aber kein Glied rühren. Balduur fiel wie ein Klotz zu Boden, nachdem seine Bewacher ihre Waf fen auf ihn gerichtet hatten. Razamon sah auf den Monitoren, wie be waffnete Eripäer die überraschten Krolocs einkreisten und niederschossen. Und wenn es nur deine verfluchte Angst ist! dachte der Pthorer außer sich vor ohn mächtigem Zorn. Wenn du nur aus Panik heraus handelst, ich werde dafür sorgen, daß du das bekommst, was dir zusteht, Hef tor! Er hatte geglaubt, in der Lichtung Wesen vorzufinden, die menschlich dachten und ei ne gewisse Reife erreicht hatten. Statt des sen war er Barbaren begegnet. Mit einer Ausnahme. Gurankor, der sich als Regierungschef vorgestellt hatte, strahlte etwas aus, das Raz amon sich nicht erklären konnte. Doch der Atlanter wußte, daß dieser Gurankor meilen weit über denjenigen seiner Artgenossen stand, die er bisher kennengelernt hatte. Gurankor konnte unmöglich mit Heftors Verhaltensweise einverstanden sein. Doch noch entschied der Kommandant der Weltraumstation über sein und Balduurs Schicksal. »Bringt sie weg«, befahl Heftor den Raumsoldaten.
7. Der Fluch der Familie Nurcrahn (IV) Irsocca war verzweifelt. Sie stand lange vor dem verlassenen Lager ihres Vaters. Nurcrahn hatte ihr keine Nachricht zu hin terlassen brauchen. Er war ohne große Wor te gegangen. An seiner Absicht konnte nicht der geringste Zweifel bestehen. Irsocca bekam einen hysterischen Anfall. Als die Bediensteten sie fanden, wand sie
Der Dreiäugige sich am Boden und schlug nach ihnen. Es dauerte Minuten, bis es zwei Männern ge lang, sie zu bändigen, ohne ihr Verletzungen zuzufügen. Irsocca bekam eine Injektion und wurde in ihre Kammer gebracht. »Es ist gut«, sagte sie nach einer Weile, als sie wieder klar denken konnte. Sie schämte sich für ihr Verhalten in Gegenwart der Angestellten. »Geht jetzt und habt Dank.« Die Bediensteten wirkten unsicher. »Was ist denn noch?« fragte Irsocca. »Ich bin in Ordnung und möchte jetzt allein sein.« »Der Herr ist fort?« fragte eine junge Frau. »Ja«, antwortete Irsocca. »Er ist gegan gen.« Als sie endlich allein war, ließ sie sich auf ihr Lager fallen und dachte nach. Die Droge wirkte betäubend auf den Gefühlsbereich, doch Irsocca konnte klar und logisch den ken. Was sollte sie tun? Sie war allein. Jacca, Farthor, Pona und nun auch Nurcrahn – wann würde das grau same Schicksal sie selbst treffen, die letzte der Familie? Irsocca mußte mit jemandem sprechen. Einen Augenblick war sie versucht, zu Tir soth zu gehen, aber dieser würde sie nicht verstehen. Woolsar! Der Berater und Vertraute ihres Vaters. Ihn konnte sie zu sich rufen und um Rat bit ten. Vielleicht war Nurcrahn noch nicht ver loren. Vielleicht irrte er irgendwo umher und wartete auf eine Erleuchtung. Es gab nur wenige Eripäer, die sich gewaltsam das Leben nahmen. Nurcrahn gehörte mit Si cherheit nicht zu ihnen. Er würde auf den Tod warten. Irsocca begab sich zum Kommunikations gerät. Sie erreichte Woolsar, der ja inzwi schen von Luukh zurückgekehrt war, auf Anhieb. »Bleiben Sie in Ihrem Muuke«, sagte der Eripäer. »Ich nehme meinen schnellsten
33 Schweber und bin in einer halben Stunde bei Ihnen, Irsocca. Unternehmen Sie nichts, und vor allen Dingen reden Sie zu niemandem über das Verschwinden des Lichtfürsten.« »Die Bediensteten wissen Bescheid«, er klärte Irsocca. »Natürlich«, sagte Woolsar gedehnt. Un ter anderen Umständen wären Nurcrahns Tochter die merkwürdige Betonung und der Eifer aufgefallen, mit dem Woolsar darauf drängte, daß sie zu allen anderen schwieg. Doch so wartete sie. Nach wenigen Minuten summte das Kom munikationsgerät. Irsocca zögerte, bevor sie eine Taste berührte. Das Gesicht von Lichtfürst Muljhar er schien auf dem Bildschirm. »Seien Sie gegrüßt, Irsocca. Störe ich?« »Nein«, sagte die Eripäerin halblaut. »Sie zittern ja, Irsocca. Fehlt Ihnen et was?« »Es ist nichts«, log sie. Mit Mühe brachte sie ein Lächeln zustande. »Ich war kurz vor Sonnenaufgang draußen am Strand, weil ich nicht schlafen konnte. Die Nachrichten von den Massakern haben mich arg mitgenom men. Einer der Scheinwerfer fiel aus, und ich befand mich einige Minuten lang im Dunkeln.« »Sie sollten vorsichtiger sein. Aber sie ha ben das Thema schon angesprochen, über das ich mit Ihrem Vater reden wollte. Ist er im Muuke?« »Leider nicht.« Irsocca mußte sich zu jedem Wort zwingen. »Er hat einige wichtige Besuche zu machen. Kann ich ihm etwas ausrichten?« »Ich hätte lieber selbst mit ihm gespro chen«, sagte Muljhar. »Aber richten Sie ihm bitte aus, daß es auf meinem Kontinent zu neuen Ausschreitungen gekommen ist. Drei Ubilanen wurden von den Streitern des Lichts heute nacht ermordet. Wir müssen diese Verbrecher unschädlich machen, bevor sie ganz Zaardenfoort in ein Tollhaus ver wandeln können. Sagen Sie Ihrem Vater bit te, daß er mich zurückrufen möchte, wenn er wieder daheim ist. Die anderen beiden
34 Lichtfürsten sind informiert.« Irsoccas Zittern wurde stärker. »Ubilanen, sagten sie?« »Ja, weshalb?« »Ach, nichts.« Die Eripäerin atmete tief durch. »Ich werde meinem Vater alles aus richten, Lichtfürst Muljhar.« »Es ist sehr wichtig. Sie wissen, daß wir bisher darauf bestanden haben, alle Proble me unserer Welt selbst zu lösen, ohne Hilfe von Aarl. Doch diesmal scheint uns nichts anderes übrigzubleiben, als Gurankor um Hilfe zu bitten. Er wird uns Soldaten schicken, falls wir nicht allein mit den Ge heimbündlern fertig werden. Doch dazu brauchen wir Nurcrahns Zustimmung.« »Diese Verbrecher!« entfuhr es Irsocca. Ihre zierlichen Hände waren zu Fäusten ge ballt. »Es sind verängstigte Männer und Frauen, die um das Leben ihrer Angehörigen fürch ten«, beschwichtigte Muljhar. »Die wahren Schuldigen sind jene, die sie aufhetzen. Um sie geht es uns.« »Sie können sich auf mich verlassen, und ich bin sicher, daß mein Vater zustimmen wird.« »Danke, Irsocca.« Sie verabschiedeten sich. Die Eripäerin atmete auf, als der Bildschirm dunkel wurde. Sie gab sich selbst eine weitere Injektion und wurde bald darauf ruhiger. Dann endlich erschien Woolsar. Irsocca berichtete ihm vom Verschwinden Nur crahns und verschwieg auch nicht, wie sehr sich ihr Vater über die Berichte von den Massakern aufgeregt hatte. »Wo könnte er sein?« fragte Woolsar. »Vielleicht am Strand, vielleicht aber auch in den Hügeln.« »Ich werde einen Suchtrupp zusammen stellen. Wenn er noch lebt, finden wir ihn.« Woolsar beschwor die Eripäerin noch ein mal, niemanden einzuweihen, angeblich, weil dies nur Verwirrung stiften und die Su che behindern würde. Als er gehen wollte, rief Irsocca ihn noch einmal zurück. »Ja?«
Horst Hoffmann »Da ist noch etwas. Ich habe Angst.« »Dazu besteht kein Grund. Solange Nur crahn verschwunden ist, werde ich mich um Sie kümmern. Ich bin immer für Sie da, Ir socca, das wissen Sie.« Die Eripäerin schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um mich. Eben hörte ich, daß wieder drei Nichteripäer ermordet wur den. Es waren Ubilanen.« »Ich habe die Nachricht kurz vor meinem Aufbruch erhalten«, erklärte Woolsar. »Vielleicht war es falsch, es zu ver schweigen. Doch jahrelang lebte ebenfalls ein Ubilane bei uns. Wir fanden ihn verletzt am Strand. Nun ist auch er verschwunden.« Woolsar ließ sich seine Erregung nicht anmerken. Er verzichtete darauf, Fragen zu stellen, weil Irsocca dann doch Verdacht schöpfen konnte. Er versprach, sich auch darum zu kümmern. Und das würde er. Nicht nur, weil der Geheimbund, dem er als führendes Mitglied angehörte, Jagd auf alle Dunkelhäutigen machte und dabei die Todesfälle nur als willkommenen Vorwand benutzte, sondern vielmehr deshalb, weil er selbst zu den Männern gehört hatte, die einen Ubilanen in der Nähe von Nurcrahns Muuke gestellt hatten. Die zeitliche Übereinstimmung ließ kei nen Zweifel daran zu, daß es sich bei dem Ubilanen um jenen handelte, den Woolsars Leute für tot gehalten hatten. Er würde Woolsar wiedererkennen, wenn er ihn sah. Und dies mußte unter allen Um ständen verhindert werden. Nurcrahn war plötzlich nebensächlich. Sein Tod paßte gut in Woolsars Pläne. Er hatte gute Aussichten, Nurcrahns Nachfolge als Lichtfürst des Kontinents Luukh anzutreten. Vor Jahren noch wäre das anders gewe sen. Doch die verängstigten Eripäer überall auf Zaardenfoort hatten dem schon lange be stehenden Geheimbund den Rücken ge stärkt, ohne zu wissen, worum es Woolsar und seinen Mitverschwörern eigentlich ging.
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Nützliche Idioten, dachte Woolsar, als er in den Schweber stieg. Sie würden ihm hel fen, an Nurcrahns Stelle zu treten, und wenn es ihm gelang, die mysteriösen Todesfälle aufzubauschen, war auch der Zeitpunkt nicht mehr fern, wo er Aarl und Damaukaaner in die Knie zwingen konnte. Woolsar hoffte nur, daß die Todesfälle nicht abrissen. Denn den oder die dafür Ver antwortlichen kannte auch er nicht. Allein dies bereitete ihm manchmal Kopf zerbrechen. Gab es eine andere Verschwö rergruppe? Woolsar startete den Schweber und jagte davon. Irsocca sah ihm nach. Sie fragte sich, ob sie ihm nicht doch besser auch gleich von Tirsoth hätte erzählen sollen.
* Talato-Cors irrte in der Dunkelheit umher, abseits der Scheinwerferlichter. Es war wie der Nacht, und er konnte sich einigermaßen sicher fühlen. Kein Eripäer würde sich aus dem erhellten Bereich um die Muuker her um hervorwagen. Es war kühl. Talato-Cors hatte seit eini gen Tagen kaum etwas zu sich genommen. Seitdem er den Dreiäugigen gesehen hat te. Zuviel war auf den Ubilanen eingeströmt. Er hatte dem Jungen gegenübergestanden und in die drei großen Augen gesehen. Alle Vorsätze, sich an seinen Peinigern zu rä chen, waren mit einemmal verschwunden gewesen. Ein Blick auf den Dreiäugigen hatte ge nügt, um Talato-Cors erkennen zu lassen, daß er ein Wesen vor sich hatte, das ebenso einsam und ein ebensolcher Außenseiter war wie er selbst. Dieses Kind war kein Monstrum. Talato-Cors war gegangen, ohne ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Eine Welt schien zusammengestürzt zu sein. Der Ubi lane sah Nurcrahn und seine Familie plötz lich mit anderen Augen. Wenn sie Irsoccas
Kind nicht auslieferten, wie es das Gesetz verlangte, konnten sie nicht böse sein. Im Gegenteil. Die Rachegedanken waren wie weggebla sen. Dafür kam die Ohnmacht. Talato-Cors konnte den Dreiäugigen nicht mehr als Waffe gegen diejenigen einsetzen, die ihm so lange das Leben zur Hölle ge macht hatten – und das waren für ihn immer noch alle Eripäer mit Ausnahme von Nur crahns Familie und vielleicht Gurankor auf Aarl. Doch was blieb ihm dann übrig? Als er den Gewissenskonflikt nicht mehr ertrug, schlich er sich nachts aus dem Muuke. Er konnte Nurcrahn und seinen Angehörigen nicht mehr in die Augen sehen. Vielleicht hätte er mit Pona reden können. Sie hätte ihn wahrscheinlich verstanden. Talato-Cors mußte erst einmal zur Ruhe kommen. Vielleicht bot sich dann eine Gele genheit, an anderer Stelle Rache zu nehmen. Zaardenfoort war groß, und Talato-Cors kannte Orte, wo Flüchtlinge wie er in Gettos lebten. Vielleicht fand er dort Hilfe. Hätte er zu diesem Zeitpunkt bereits von den Anschlägen der Geheimbündler gewußt, wäre sein Entschluß bereits gefallen. So jedoch zog er sich in die kleine Fels höhle zurück, in der er schon in der ersten Nacht Unterschlupf gefunden hatte. Der Strand bestand an dieser Stelle aus Klippen und nicht wie in der Nähe von Nurcrahns Muuke aus flachen Sanddünen. Deshalb hat ten die Eripäer darauf verzichtet, in diesem unwirtlichen Gelände ihre Behausungen zu bauen. Falsch! dachte Talato-Cors. Deshalb hat ten die Muuker darauf verzichtet, sich hier auszubreiten. Der Ubilane dachte immer noch in den Maßstäben seines eigenen, einstmals stolzen Volkes. Es war wie so viele andere auch der Großen Katastrophe zum Opfer gefallen. Seine Artgenossen hatten auf ihren Planeten ihre Häuser gebaut, sie waren nicht in lebende Organismen eingezogen. Der Gedanke daran rief Wehmut in Tala to-Cors hervor. Erst jetzt wurde er sich des
36 sen bewußt, daß er sich die ganzen Jahre über im Muuke Nurcrahns beengt, fast sogar bedroht gefühlt hatte. Talato-Cors hatte einige kopfgroße Scha lentiere gefunden. Er brach den Panzer mit einem spitzen Stein auf und verschlang gie rig das zarte Fleisch. Noch in der Nacht wollte er sich auf den Weg machen. Solange er außerhalb der Lichter der Scheinwerfer blieb, war er si cher. Tagsüber mußte er sich verborgen hal ten. Der Ubilane kroch zu dem Lager aus trockenem Tang, das er sich bereitet hatte, um vorher noch ein paar Stunden zu schla fen. Er wußte nicht, wie lange er gelegen hat te, als er durch ein Geräusch geweckt wurde. Es kam von außerhalb der Höhle. Talato-Cors stand vorsichtig, jeden Laut vermeidend, auf. Es gab in dieser Gegend keine größeren Tiere. Wer oder was konnte sich also draußen herumtreiben? Wieder hörte er etwas. Schritte auf dem feinen Gestein zwischen den Klippen. Talato-Cors griff nach dem Stein und sch lich sich zum Ausgang der Höhle. Kein Eripäer konnte im Dunkeln lange leben. Hatten sie eine Möglichkeit gefunden, sich vor der Dunkelheit zu schützen? Waren sie unterwegs, um ihn zu suchen? Wieder sah Talato-Cors die Fäuste auf sich zu fliegen, die vor Haß verzerrten Ge sichter seiner Jäger. Und er schwor sich, daß es keine zweite derartige Demütigung geben würde. Dann sah er die dunkle Gestalt. Sie wank te über das Geröll am Strand, keine zehn Meter vor dem Höhleneingang. Das konnte kein Jäger sein. Ein Eripäer – aber er war schwach und stürzte in dem Augenblick, in dem Talato-Cors den Stein schleudern woll te, zu Boden. Der Ubilane hörte ein leises Röcheln. Der Mann starb. Talato-Cors vergaß seinen Haß. Vorsich tig, immer noch eine Falle witternd, näherte er sich dem Fremden.
Horst Hoffmann Er beugte sich über ihn und erkannte Nur crahn. »Herr!« preßte er hervor. »Bei allen Son nen des Schwarms!« Nurcrahn sah ihn aus trüben Augen an. Das entfernte Licht der Scheinwerfer reichte aus, um Talato-Cors erkennen zu lassen, daß der Lichtfürst überall im Gesicht und an den Händen Schnittwunden hatte. Er mußte schon vorher ein paarmal gestürzt sein. Aber er lebte noch, und die einzige Ret tung für ihn war, ihn so schnell wie möglich ins Licht zu bringen. Alle möglichen Gedan ken schossen dem Ubilanen durch den Kopf. Hatte man den Dreiäugigen in Nurcrahns Muuke gefunden und den alten Mann des halb verbannt? Ohne länger zu zögern, griff er Nurcrahn unter die Arme und legte sich den schlaffen Körper über die Schulter. »Laß mich doch«, hörte er. »Laß mich sterben. Ich will …« Der Lichtfürst verlor das Bewußtsein. Talato-Cors rannte auf die nächsten Schein werfer zu, als ginge es um sein eigenes Le ben. Er wußte, daß er dieses aufs Spiel setz te, doch etwas, wofür er keine Erklärung fand, trieb ihn vorwärts. Wertvolle Minuten vergingen, bevor es allmählich heller wurde. Die Klippen blie ben hinter dem Ubilanen und Nurcrahn zu rück. In der Ferne wurden die ersten Muuker sichtbar. Kein Eripäer war zu sehen. Talato-Cors lief so weit, bis er sich im Lichtkegel eines Scheinwerfers befand. Es war taghell. Zwischen zwei Dünen legte er den Bewußtlosen ab. Hier waren sie nur von Schwebern aus zu sehen. Bange Minuten des Wartens. Talato-Cors wurde unsicher. Weshalb rannte er jetzt nicht fort? Dann endlich begann Nurcrahn sich zu rühren. Talato-Cors lief ein Schauer über den Rücken, als er sich des Umstands be wußt wurde, daß er hier allein mit einem der vier mächtigsten Männer Zaardenfoorts war. Er wagte nicht zu atmen, als Nurcrahn
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sich aufrichtete und ihn aus seinen großen Augen ansah. »Warum hast du das getan?« fragte der Lichtfürst. Bitterkeit lag in seiner Stimme. »Weshalb hast du mich nicht sterben las sen?«
* »Nun weißt du alles«, sagte Nurcrahn, nachdem er stockend über die Nachrichten berichtet hatte, die ihn hatten verzweifeln lassen. »Sieh zu, daß du dich in Sicherheit bringen kannst. Versuche, in die Gettos zu gelangen und diejenigen von euch, die noch am Leben sind, zu sammeln, solange die Fa natiker noch Jagd auf einzelne machen und sich nicht in die Gettos vorwagen. Mach ih nen klar, daß ihr keine Gnade von den Ver brechern zu erwarten habt. Kämpft um euer Leben, wenn es nötig sein sollte!« »Ich werde Sie nicht einfach hier liegen lassen, Herr. Es ist nicht nur sinnlos, sich aufzugeben, sondern auch verantwortungs los.« »Verantwortung?« Nurcrahn lachte rauh. »Ich habe sie kennengelernt, die Verantwor tung meiner sogenannten Freunde. Ich habe nichts mehr, verstehst du?« »Aber wir brauchen Sie, Herr!« Nurcrahn steigerte sich in eine Erregung hinein. Er gestikulierte mit den Armen. »Wer braucht mich noch? Niemand hält den Wahnsinn auf. Niemand bringt mir Pona zurück.« »Irsocca, Ihre Tochter, braucht Sie, wir brauchen Sie. Vielleicht sind Sie der einzige Mann auf Zaardenfoort, der das Unheil noch abwenden kann. Sie haben die Gefahr er kannt, und Sie sind nicht schlecht, sonst hät ten sie den …« »Was hätte ich nicht getan?« fragte Nur crahn, als Talato-Cors abrupt abbrach. »Sie hätten den Dreiäugigen nicht ver schont«, flüsterte der Ubilane. Jetzt erst erfuhr Nurcrahn, daß TalatoCors von Tirsoths Existenz wußte. TalatoCors verschwieg auch nicht die Motive, die
ihn in den ihm verbotenen Teil des Muukes geführt hatten. »Deshalb brauchen wir Sie, Lichtfürst Nurcrahn. Wir, die Außenseiter der eripäi schen Gesellschaft, und die Eripäer selbst. Vielleicht war es ein Zeichen der Vorherse hung, daß Ihre Tochter den Dreiäugigen ge bar. Ich stand ihm gegenüber und weiß, daß er kein Ungeheuer ist. Verhindern Sie, daß aus dem Volk der Eripäer eine Rasse von Verbrechern wird.« »Gurankor würde früh genug eingreifen, um dies zu verhindern«, sagte Nurcrahn. »Weshalb tat er dann bisher nichts?« frag te Talato-Cors. Der Alte stand auf. Minutenlang war sein Blick in die Ferne gerichtet. »Was hast du gesagt, als du mich fan dest?« »Ich verstehe nicht, Herr.« »Du hast von einem Schwarm gespro chen, und von Sonnen.« »Ach das«, sagte Talato-Cors und brachte ein Lächeln zustande. »Eine Redensart mei nes Volkes. Ich weiß selbst nicht, was sie zu bedeuten hat.« »Es ist auch nicht weiter wichtig. Ich fühlte mich nur an irgend etwas erinnert. Ein Gefühl, wie gesagt, nichts weiter. Also gut, ich will versuchen, einen neuen Anfang zu machen. Es war dumm, davonlaufen zu wol len.« Der Ubilane atmete auf. »Gehen wir zurück zu meinem Muuke«, sagte Nurcrahn. »Du kommst mit mir, denn ich werde dich brauchen.« »Ich wollte …« »Ich weiß, was du wolltest, Talato-Cors. Aber wenn wir Erfolg haben wollen, brau che ich jemanden, der zu den Ausgestoße nen sprechen kann.« Talato-Cors ging schweigend hinter Nur crahn her, bis sie wenige hundert Meter vor dem riesigen Muuke des Lichtfürsten die Schweber auf sich zukommen sahen. Nurcrahn winkte den Männern in den schalenförmigen Maschinen zu. Sie landeten wenige Meter vor ihm, und Talato-Cors er
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kannte den Eripäer, der breitbeinig und mit einer Waffe in der Hand neben dem Piloten des ersten Gleiters stand. Er schrie in Panik auf und rannte auf die nächste Düne zu. Doch er kam nicht weit. Der fingerdicke Energiestrahl traf ihn in die Schulter. Halb verrückt vor Schmerz wälzte der Ubilane sich am Boden. Woolsar sprang aus dem Schweber und zielte erneut. Mit einem Satz war Nurcrahn heran und schlug ihm die Waffe aus der Hand. »Er … er hat Sie angegriffen«, stammelte Woolsar. »Ich habe Sie nur schützen wol len.« »Sie sind ein Dummkopf!« brüllte der Lichtfürst außer sich vor Zorn. Mit einer Be hendigkeit, die ihm niemand zugetraut hätte, zerrte er zwei Männer aus dem Schweber und wies sie an, den Verletzten in sein Muu ke zu tragen, wo Irsocca sich um ihn küm mern sollte. »Er hat mir das Leben gerettet!« schrie Nurcrahn seinen Berater an. »Dann bitte ich um Entschuldigung, aber es sah so aus, als ob er auf sie zuspringen wollte und …« »Schon gut«, sagte Nurcrahn. »Sie haben es gut gemeint, aber viel zu überhastet rea giert. Ist denn niemand mehr Herr seiner Sinne?« Nurcrahn ging auf seine Behausung zu. Woolsar blieb zurück und schickte die Män ner des Suchtrupps nach Hause. Der Ubilane hatte ihn erkannt. Nurcrahn vertraute ihm noch, doch was war, falls der Dunkelhäutige überlebte und sprach? Woolsar schwang sich in den Schweber und startete.
* Von nun an wurde Talato-Cors nicht mehr allein gelassen, abgesehen von der Zeit, der er in seiner Kammer verbrachte. Die Wie dersehensfreude Irsoccas und Nurcrahns wurde durch neue Nachrichten von weiteren
Ausschreitungen getrübt. Ganz in der Nähe hatten die »Streiter des Lichts« zugeschla gen. Jedermann wußte nun, daß das Muuke der Familie Nurcrahn einen Dunkelhäutigen beherbergte, und wie der Lichtfürst seine Artgenossen einschätzte, reichte selbst seine Autorität nicht dazu aus, um Talato-Cors zu schützen. Der Ubilane hatte den Schuß überlebt. Ir socca pflegte ihn, bis er wieder aufstehen konnte. Der rechte Arm blieb allerdings ge lähmt. Nurcrahn nahm Verbindung mit den an deren drei Lichtfürsten auf. Gemeinsam ver suchten sie, die Lage auf Zaardenfoort doch noch ohne Hilfe von Aarl unter Kontrolle zu bringen. Sie sprachen zur Bevölkerung. Öf fentliche Diskussionen fanden statt, die inso fern wenig nützten, als sich aus naheliegen den Gründen keine Vertreter des Geheim bundes bereitfanden, Rede und Antwort zu stehen. Doch die Übergriffe hörten nicht auf, zumal es zu weiteren zwei rätselhaften To desfällen kam. Nurcrahn beschwor seine Mitbürger, auf Vergeltungsaktionen an Unschuldigen zu verzichten und statt dessen aktiv an der Auf klärung der Todesfälle mitzuwirken. Er selbst trug die Meinung vor, daß es sich da bei um das Werk der Krolocs handelte – Tests, die einer großangelegten Offensive vorausgingen. Die anderen Lichtfürsten un terstützten ihn, und allmählich setzte sich die Version durch, daß man es mit von den Krolocs ausgestreuten Viren oder Ähnli chem zu tun hatte. Die Kühnheit, mit der krolocische Spaccahs in die Lichtung ein drangen, sprach für sich. Nurcrahns Gegner hielten ihm entgegen, er wolle die Morde nur deshalb den Krolocs in die Schuhe schieben, weil diese seine Enkelin entführt und wahrscheinlich umgebracht hatten. Nurcrahns Popularität war mit der Nach richt, daß er einen Dunkelhäutigen aufge nommen hatte und diesen sogar wie einen Eripäer behandelte, rapide gesunken. Doch die Lichtfürsten hielten noch zu ihm. So kam es, daß für einige Monate relative
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Ruhe auf Zaardenfoort einkehrte. Viele Sympathisanten wandten sich von den »Streitern des Lichts« ab, als es zu kei nen weiteren Todesfällen kam. Woolsar hielt sich bewußt zurück. Er wollte nichts riskie ren, bevor er nicht genau wußte, ob der Ubi lane, der durch eigens angeforderte regie rungstreue Männer derart abgeschirmt wur de, daß kein Meuchelmörder Chancen hatte, ihn zu beseitigen, geredet hatte. Noch hatte Woolsar trotz Nurcrahns Rückkehr Chan cen, die politische Macht zu gewinnen. Noch war es zu früh, sich zu demaskieren und in den Untergrund zu gehen. Eines Abends kam Talato-Cors zu Nur crahn. Er wirkte bedrückt. »Was quält dich?« fragte der Lichtfürst väterlich besorgt. »Sprich. Du kannst mir al les sagen.« »Dieser Mann, Woolsar«, sagte der Ubila ne zögernd. »Was ist mit ihm?« »Er war bei den Männern, die mich vor fünf Jahren überfielen.« »Woolsar?« Nurcrahn stand auf. »Du mußt dich irren!« »Ganz bestimmt nicht. Ich wußte, daß Sie mir nicht glauben würden. Doch ich mußte es Ihnen sagen, Herr. Achten Sie auf Ihren Berater.« Nurcrahn wußte nicht, was er von der Aussage des Ubilanen zu halten hatte. Er er innerte sich an Woolsars Schüsse auf diesen. Andererseits kannte Nurcrahn Woolsar seit Jahren. Talato-Cors mußte sich irren. Nurcrahn vertraute seinem Berater. Viel leicht empfand der Ubilane unbewußt Haß gegen den Mann, dem er den gelähmten Arm zu verdanken hatte, und sah Gespen ster. Der Lichtfürst versprach ihm, daß er Woolsar im Auge behalten würde, um ihn zu beruhigen. Schon Tage später dachte Nurcrahn nicht mehr daran. Er vergaß alles, als er die Nach richt von Ponas Rückkehr erhielt.
*
Zwei Tage, nachdem der Lichtfürst seine Enkelin persönlich vom Raumhafen in Luukh abgeholt und ihren Bericht gehört hatte, ließ er eine Verbindung zum Eripäer herstellen. Gurankor war bereits über die Gescheh nisse, die zu Ponas Flucht geführt hatten, unterrichtet und wußte natürlich auch von der im Stau gestrandeten Welt und den bei den Fremden, die Pona aus der Gewalt der Krolocs befreit hatten. Auch von dem durch Pona nach Pthor ausgesandten Nachrichten schiff wußte er. »Wir können sie nicht im Stich lassen!« sagte Nurcrahn erregt. »Möglicherweise ha ben wir sogar endlich Verbündete im Kampf gegen die Krolocs gefunden. Wir müssen et was unternehmen, bevor diese die neue Welt erobern und in einen Stützpunkt verwandeln können!« Gurankor sah den Lichtfürsten ernst an. »Sie wissen, daß die überwältigende Mehrheit der Eripäer dafür ist, sich nicht in Dinge außerhalb der Lichtung einzumischen und uns statt dessen völlig auf die Verteidi gung unseres Lebensraums zu konzentrie ren. Sie wissen auch, daß Sie an Vertrauen verloren haben, Nurcrahn.« »Natürlich weiß ich das! Aber wir können nicht bis in alle Ewigkeit auf das Wunder warten, das uns von der Bedrohung aus dem Stau befreit, Eripäer! Nur zwei Männer brachten es fertig, die Krolocs zu narren. Ist dies nicht Beweis genug für die Stärke jener Wesen? Sie könnten unsere Freunde wer den!« »Die beiden Männer befinden sich seit kurzem an Bord der Raumstation Prudnier«, erklärte Gurankor nach einer Weile. »Neben einigen Offizieren und Kabinettsmitgliedern sind Sie der einzige, der nun davon weiß.« »Worauf warten Sie dann noch?« fragte Nurcrahn. »Lassen Sie sie abholen.« »Prudnier meldet sich seit Stunden nicht mehr«, erklärte der Eripäer. »Aber ich sprach selbst mit einem der beiden.« Guran kor verschwieg, daß er die Schiffe, die un terwegs gewesen waren, um den Lichtlosen
40 Hilfe zu bringen, zurückbeordert hatte, nachdem er die Beleuchtung wieder auf flackern sah, bevor die Verbindung unter brochen wurde. In der derzeitigen gespannten Situation innerhalb der Lichtung tat es vielleicht gut, wenn die Eripäer von der Existenz der ge strandeten Welt erfuhren. Die Nachricht, daß sich bereits Fremde hier befanden, konnte jedoch zu noch größerer Verwirrung führen. Dementsprechend waren die Besat zungen der in die Kämpfe direkt oder indi rekt verwickelten Wachkreuzer informiert worden. Wichtig war allein, daß Kommandant Heftor keinen Fehler machte. Gurankor war tete ungeduldig auf eine neue Verbindung zur Raumstation. Natürlich hätte er Schiffe in den Weltraum schicken können, doch das hätte nur unerwünschte Aufmerksamkeit er regt. »Ich werde eine Regierungssitzung einbe rufen«, erklärte der Eripäer. »Schon morgen werden sich die Kabinettsmitglieder auf Aarl in Gnosier zusammenfinden. Bringen Sie alles Material mit, das Sie haben.« »Ich werde pünktlich sein«, versicherte Nurcrahn. »Und ich bringe auch Pona mit.« Gurankor nickte, verabschiedete sich von Nurcrahn und blieb stundenlang vor den Kommunikationsgeräten sitzen. Prudnier meldete sich nicht. Der Eripäer mußte sich auf die Sitzung vorbereiten und die Kabinettsmitglieder zu sammenrufen lassen. Er beauftragte einen Offizier damit, die Kommunikationsgeräte zu überwachen. Immer noch sträubte er sich dagegen, Schiffe zur Raumstation zu schicken. Er wußte, daß die Beleuchtung wieder funktionierte und daß keine direkte Gefahr mehr für die Besatzung drohte. Und er ver traute Heftor. Die Kommandanten der in der Nähe Prud niers stationierten Wachkreuzer riegelten den Weltraum ab und waren angewiesen, auf jedes noch so geringe Anzeichen für einen krolocischen Angriff zu achten und
Horst Hoffmann sofort Alarm zu geben, falls auch nur eine einzige Spaccah, eine Sonde oder etwas Ähnliches geortet wurde.
* Noch in der Nacht flogen Lichtfürst Nur crahn und Pona nach Aarl ab. Woolsar, der wie die übrigen Berater informiert worden war und an der Regierungssitzung teilzuneh men hatte, war noch nicht dort, als das Raumschiff startete. Doch er hatte mit einem der verantwortlichen Angestellten des Raumhafens gesprochen und ihn gebeten, Nurcrahn auszurichten, daß er mit dem nächsten Schiff nachkommen würde. Als Begründung für das Nichterscheinen hatte er angegeben, daß die »Streiter des Lichts« die Entführung eines seiner Famili enmitglieder angekündigt hätten, das offen mit den Dunkelhäutigen sympathisierte. Natürlich war dies gelogen. Es kam zwar zu einer Entführung auf Zaardenfoort, nachdem das Schiff nach Aarl gestartet war, doch nicht ein Familienange höriger Woolsars wurde ihr Opfer, sondern Talato-Cors. Die Geheimbündler schlugen blitzschnell zu und überrumpelten die von Nurcrahn zur Bewachung des Ubilanen ein geteilten Männer. Dies war der Augenblick, auf den Woolsar gewartet hatte. Talato-Cors wurde betäubt und in ein ab gelegenes Muuke in den Hügeln ver schleppt. Woolsar triumphierte. Es ging ihm jetzt nicht mehr nur darum, einen gefährli chen Zeugen loszuwerden. Er würde den Dunkelhäutigen regelrecht auspressen, bis er genügend Belastungsma terial gegen Nurcrahn in der Hand hatte. Dann war das Ende der politischen Karriere des Lichtfürsten gekommen, vielleicht schon auf der Regierungssitzung. Wie brisant das war, was Talato-Cors un ter der Folter aussagen würde – das ahnte er allerdings in diesem Augenblick noch nicht.
8.
Der Dreiäugige Zur gleichen Zeit an Bord der Weltraum station Prudnier. Auch Kommandant Heftor beschäftigte sich mit dem Gedanken an Folter. Diese Me thode, Informationen aus Gefangenen her auszupressen, war ihm zwar zuwider, aber es gab Momente, in denen er es für seine Pflicht hielt, die eigenen Gefühle hinter dem Interesse der Gesamtheit zurückzustellen. Heftor legte sich die gleichen Scheinargu mente zurecht, wie es schon andere vor ihm getan hatten. Razamon, dem Heftors Gedan ken in der Hauptsache galten, kannte sie aus zehntausendjähriger Erfahrung auf der Erde. Ihn hielt Heftor für den Anführer der bei den vermeintlichen Kroloc-Agenten. Der Schwarzhaarige war dem Kommandanten schon vom Äußeren her alles andere als sympathisch. Konnten Wesen mit dunkler Haut und tiefschwarzen Augen Verbündete der Eripä er werden? Heftor schüttelte den Kopf. Er stand vor einem Monitor, der die bei den Fremden in ihrer Zelle zeigten. Diesmal war Heftor nicht das geringste Risiko einge gangen. Die Zelle lag in einem durch ener getische Sperren abgeriegelten Bereich des Zentralsegments von Prudnier. Ein anderer Bildschirm leuchtete auf, als Heftor eine Taste berührte. Die Krolocs be fanden sich immer noch dort, wo sie sich nach ihrem Ausbruch gesammelt hatten. Auch sie waren nun von Energiebarrieren umgeben. Sie konnten sich nach Abklingen der Lähmung wieder bewegen und wirkten kopflos, was Heftor um so sicherer machte, daß die beiden Fremden für den Ausbruch verantwortlich waren. Immer noch keine Verbindung zum Hauptquartier auf Aarl. Die Sende- und Empfangsanlagen der gesamten Station funktionierten nicht mehr, seitdem es gelun gen war, das Notbeleuchtungssystem zu ak tivieren. Heftor konnte auch nicht wissen, daß der schwarzhaarige Fremde während seiner Bewußtlosigkeit zu Gurankor gespro chen hatte. Er glaubte Razamon kein Wort.
41 Für Heftor stellte der Sabotageakt der Fremden einen Mordversuch an allen Besat zungsmitgliedern Prudniers dar. Je länger er darüber nachdachte, desto si cherer wurde er, daß sie selbst ihm das Recht dazu gegeben hatten, sie als Verbre cher zu behandeln. Sie waren dermaßen ge rissen, daß man ihnen die Wahrheit, den Zweck ihrer Mission, nur durch psychische Folter entreißen konnte. So hatte Kommandant Heftor ein reines Gewissen, als er drei Soldaten in die Zentra le rief und dazu einen Spezialisten bestellte, der wußte, wie man den Willen eines Men schen brach. Überall in der Zentrale herrschte fieber hafte Aktivität. Man war dabei, das Funksy stem zu reparieren und machte erste Fort schritte. In wenigen Stunden, so wurde Hef tor versichert, konnte wieder Kontakt mit Aarl aufgenommen werden. Achtundachtzig Eripäer hatte der Ausfall der Beleuchtung das Leben gekostet, dachte Heftor verbittert, als er sich mit den vier Männern auf den Weg zur Zelle der Gefan genen machte. Das waren mehr Opfer, als es sie während eines ganzen Jahres in der Aus einandersetzung mit den Krolocs gab. Heftor war entschlossen, alle Informatio nen, die die Fremden über die Pläne der Krolocs seiner Ansicht nach besitzen muß ten, aus ihnen herauszupressen. Dann würde er Gurankor gegenübertreten und ihm wert volle Nachrichten übermitteln können. Es ging ihm nicht um persönlichen Ruhm oder Fortkommen in seiner Karriere. Heftor han delte als Eripäer, dem von frühester Kind heit an klargemacht worden war, daß jeder einzelne seinen Teil dazu beizusteuern hatte, die Kroloc-Gefahr zu bannen. Ein bißchen mehr Umsicht und weniger Borniertheit hätten dem Kommandanten der Weltraumstation allerdings nicht geschadet. Vielleicht hätte er anders gehandelt, wenn er über gewisse Zusammenhänge informiert gewesen wäre, die – von einer Ausnahme abgesehen – nur zwei Wesen innerhalb der Lichtung kannten: die Gefangenen und ver
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meintlichen Spione. Die Ausnahme war der Eripäer selbst – Gurankor. Doch davon wußte niemand etwas. Und das hatte seinen Sinn.
* Razamon fluchte und zerschmetterte in ei nem Anfall grenzenloser Wut und Enttäu schung eine der beiden Liegen an der stäh lernen Wand der Zelle. »Berserker bleibt Berserker«, sagte Bal duur zynisch. »Ha!« schrie Razamon. »Und ein Odins sohn ein Odinssohn. Verdammt, Balduur, ich könnte aus der Haut fahren! Haben wir deshalb Pona gerettet, um uns hier wie Dreck behandeln zu lassen? Die Krolocs ste hen Gewehr bei Fuß, und dieser Idiot von Kommandant hört uns nicht einmal an!« Razamon beruhigte sich. »Dieser Gurankor scheint vernünftiger zu sein. Vielleicht hängt unser Leben davon ab, daß wir zu ihm ge bracht werden oder zumindest noch einmal mit ihm reden können.« »Weshalb hast du nichts von Pona ge sagt?« wollte Balduur wissen. »Das frage ich mich schon die ganze Zeit.« Razamon zuckte die Schultern. Weshalb nicht? Weil er nicht sicher sein konnte, daß das Mädchen wohlbehalten in die Lichtung zurückgekehrt war und man ihn und Balduur am Ende noch für ihr Schicksal verantwort lich machen würde? Vielleicht sollte Razamon darauf beste hen, den Lichtfürsten Nurcrahn, Ponas Großvater, zu sprechen. Doch er hatte das unbestimmte Gefühl, daß mehr hinter seinem Schweigen steckte. Er verstand sich selbst nicht. »Unsinn!« knurrte er. »Also schön. Ich werde Heftor sagen, wie wir mit Pona zu sammenkamen, und was danach geschah. Zu verlieren haben wir jetzt nichts mehr.« »Und ich habe das Gefühl, daß wir nicht mehr lange warten müssen«, sagte der Odinssohn. Er zeigte auf die schmale Zellentür.
Razamon hörte die sich nähernden Schrit te. Kurz darauf schob sich die massive Tür seitlich in die Wand, und der Kommandant der Raumstation erschien, gefolgt von vier weiteren Eripäern. Razamon wollte etwas sagen, doch Heftor ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Packt sie!« befahl er seinen Begleitern. »Ihr wißt, was ihr zu tun habt. Sie dürfen nicht getötet werden.« Balduur, der bisher so zurückhaltend ge wesen war, verlor die Beherrschung. Mit ei nem Schrei stürmte er vorwärts und stürzte sich auf Heftor. Er packte ihn am Hals und machte Anstalten, den Eripäer zu würgen, was bei dessen zerbrechlich wirkendem Körper fatale Folgen haben konnte. Raza mon wollte den Gefährten zurückreißen, doch die Raumsoldaten kamen ihm zuvor. Balduur erhielt einen Schlag mit einer der klobigen Handfeuerwaffen ins Genick. Der Odinssohn fuhr herum und holte mit der Faust aus. Der Eripäer, dessen Kleidung sich von den Uniformen der Soldaten deutlich abhob, zog einen Stab aus seinem Gewand und richtete ihn auf Balduur. Ein gelbliches Flimmern umspielte für Sekunden den Kör per des Atlanters. Dann brach Balduur ge lähmt zusammen. Der Stab wurde auf Razamon gerichtet. »Sie sind verrückt!« schrie dieser. »Alle! Wir sind keine Agenten der Krolocs. Wir wollen nichts anderes, als Sie um Hilfe bit ten. Doch ich habe eingesehen, daß Sie zu dumm dazu sind. Mich wundert es nur, daß die Krolocs Sie nicht längst besiegt haben.« »Das reicht!« zischte Heftor, der sich schnell wieder erholt hatte. »Packt ihn jetzt und nehmt ihn euch vor.« Zwei der Soldaten kamen heran und leg ten Schlingen um Razamons Körper. Der Pthorer wehrte sich nicht. Es war nichts ge wonnen, wenn auch er gelähmt wurde. Noch immer war die Stabwaffe auf ihn gerichtet. Und nun holte der Eripäer im weiten Um hang ein mit Drähten versehenes eiförmiges Gerät hervor.
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»Was soll das?« fragte Razamon barsch. »Da Sie nicht reden wollen, werden wir auf diese Weise die Wahrheit erfahren«, sagte Heftor. »Zuerst sind Sie an der Reihe, dann folgt Ihr Freund.« Razamon war so überrascht, daß er sekun denlang kein Wort hervorbringen und sich nicht rühren konnte. Er war enttäuscht über die Dummheit der Eripäer, die er bisher ken nengelernt hatte – mit Ausnahme von Pona. Es war kaum ein krasserer Gegensatz denk bar als der zwischen dem Mädchen und der Besatzung der Station. Aber bisher hatte der Atlanter sich geweigert, zu glauben, daß die Eripäer ebenso brutal und rücksichtslos wa ren wie die Krolocs. »Wie groß muß Ihr Haß sein«, flüsterte Razamon schließlich und sah Heftor dabei in die Augen. Der Kommandant reagierte völlig uner wartet. Er zuckte zusammen und gab den Soldaten ein Zeichen. Sie traten zur Seite. »Haß?« fragte Heftor. »Ausgerechnet Sie müssen von Haß reden?« Razamon mußte Zeit gewinnen. Über die Absichten der Eripäer konnte kein Zweifel bestehen. Psychoverhör! Man wollte ihm den Willen nehmen und alles aus ihm her auslocken, was er wußte. Doch dann mußte er auch über das berichten, was er während seiner unfreiwilligen Reise in die fernste Vergangenheit erlebt und erfahren hatte. In der augenblicklichen Situation innerhalb der Lichtung konnte das unter Umständen kata strophale Folgen haben, falls man ihm über haupt glauben würde. Razamon konnte nicht wissen, wieviel die Eripäer über ihre Ver gangenheit wußten. Nun blieb ihm keine Wahl mehr. »Ich will mit Lichtfürst Nurcrahn sprechen«, forderte er. »Nurcrahn?« fragte Heftor überrascht. »Woher kennen Sie ihn?« »Ich kenne ihn nur dem Namen nach. Er ist der Großvater des Mädchens, das wir aus der Gefangenschaft der Krolocs befreiten.«
*
Kommandant Heftor glaubte, sich verhört zu haben. Wenn das stimmte, was der Frem de erzählte, hatte er möglicherweise den größten Fehler seiner Laufbahn gemacht. Natürlich war Heftor darüber informiert, daß die seit fast einem Jahr verschollene En kelin des Lichtfürsten von Zaardenfoort an der Peripherie der Lichtung aufgefischt wor den und mit einem Wachkreuzer auf ihre Welt zurückgebracht worden war. Und er kannte in groben Umrissen die Geschichte, die sie dem Kommandanten des Kreuzers er zählt hatte. In ihr war von zwei Fremden die Rede gewesen, die ihr die Flucht ermöglicht hatten, und deren Welt angeblich im Korsal lophur-Stau gestrandet war. Es war nicht die Erwähnung des Namens, die Heftor stutzig machte. Die beiden Frem den hatten sich ja schon bei ihrer Festnahme ihre abenteuerliche Geschichte erzählt, ohne allerdings die Tochter des Lichtfürsten zu erwähnen. Doch dies machte keinen Unter schied und konnte nur ein versuchter Schachzug gewesen sein. Doch wieso beriefen sie sich jetzt auf Po nas Rettung? Und weshalb verlangten sie, Nurcrahn gegenübergestellt zu werden, falls sie tatsächlich Agenten waren? Natürlich hatte auch Heftor längst von der übertriebenen Sympathie Nurcrahns den Nichteripäern gegenüber gehört. Doch es war für ihn undenkbar, daß Nurcrahn mit den Krolocs gemeinsame Sache machte und Ponas Entführung nur ein Vorwand war, um Agenten einzuschleusen. Dagegen bestand immer noch die Mög lichkeit, daß die Krolocs Ponas Entkommen und das Auftauchen der mysteriösen Welt im Stau für ihre Zwecke ausnutzten. Entweder sprach der Schwarzhaarige die Wahrheit, oder die beiden wirklichen Retter Ponas befanden sich tot oder in Gefangen schaft innerhalb des Korsallophur-Staus. Auf jeden Fall hatte die Affäre von einem Augenblick zum anderen an Brisanz gewon nen. Heftor konnte sich keinen Fehler erlau ben. Er wies die Raumsoldaten an, sich zu rückzuziehen, und forderte den Fremden
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auf, in allen Einzelheiten zu berichten. »Das hätten Sie früher haben können!« knurrte Razamon. »Und es hätte Ihnen Ihre Toten erspart.« Dann erzählte er, was sich nach seinem und Balduurs Aufbruch von Pthor ereignet hatte. Heftor hörte gebannt zu, und mit jeder Minute wurde er sicherer, einen furchtbaren Fehler gemacht zu haben. Der Fremde be richtete Einzelheiten über Pona, die diese niemals den Krolocs vermittelt hätte. Als Razamon schwieg, befahl der Kom mandant der Weltraumstation den Soldaten, die Fesseln wieder abzunehmen. »Ich werde Sie für einen Orden vorschla gen«, brummte der Atlanter. »Orden?« fragte Heftor. »Was ist das?« »Gibt's so etwas hier nicht? Dann seien Sie glücklich. Und sehen Sie zu, daß mein Freund wieder zu sich kommt.« »Die Betäubung hält nicht lange an«, er klärte Heftor. Er war völlig verändert, doch Razamons Hoffnung, freigelassen zu wer den, wurde jäh enttäuscht. »Ich kann keine Entscheidung über Ihr Schicksal treffen«, sagte der Kommandant. »Dazu muß ich vorher mit dem Eripäer oder dem Hauptquartier sprechen. Vorerst blei ben Sie in der Zelle. Ich lasse Sie holen, so bald die Verbindung wiederhergestellt ist.«
Pthor war ein Instrument dunkler Mächte aus der Schwarzen Galaxis gewesen, bevor Atlan die Kontrolle über den Dimensions fahrstuhl übernehmen konnte. Nun sollte Pthor das Gegenteil bewirken und dabei nicht nur das wiedergutmachen, was seine Beherrscher in der Vergangenheit anderen Völkern angetan hatten. Der Sturz des Ty rannen Sperco war nur ein Anfang gewesen. Doch war es überhaupt möglich, den Bann des Bösen abzuschütteln, bevor nicht mit den Mächtigen in der Schwarzen Galaxis ab gerechnet war? Würde Pthor nun wieder – wenn auch un freiwillig – Unheil über ein Volk bringen? Razamon, der ehemalige Berserker, ballte beide Fäuste. Endlich kam Balduur zu sich. Razamon erklärte dem Odinssohn, was sich während seiner Bewußtlosigkeit ereig net hatte. »Ich traue den Kerlen nicht«, brummte Balduur. »Wieso lassen sie uns nicht frei, wenn sie uns nicht mehr für Agenten hal ten?« »Sie leben im Krieg«, sagte Razamon. »An ihrer Stelle würden wir vielleicht eben so handeln.« »Welch edle Einstellung«, knurrte Baldu ur. »Aber ich teile deine Zuversicht nicht. Das bittere Ende kommt noch.«
* Razamon sah zu, wie die Eripäer ver schwanden und sich die Zellentür wieder schloß. Er schüttelte den Kopf. »So viel Dummheit auf einem Haufen«, murmelte er, doch trotz allem sah seine Lage nun wesentlich besser aus als vorher. Balduur war noch bewußtlos. Razamon gingen die Toten nicht aus dem Kopf. Er hatte die Eripäer dazu zwingen wollen, das Schott zum Gefängnistrakt zu öffnen. Wie hätte er wissen sollen, welche Folgen sein Handeln hatte. So gesehen, war Heftors Handlungsweise nicht einmal unverständlich. Der Atlanter machte sich immer noch größte Vorwürfe.
* Razamon wußte nicht, wieviel Zeit ver gangen war, als endlich die Zellentür in die Wand fuhr und Heftor im Eingang erschien. »Folgen Sie mir«, forderte der Eripäer die beiden Pthorer auf. »Unsere Funkanlagen funktionieren wieder. Sie können jetzt mit Aarl sprechen.« Heftors Gesicht wirkte versteinert. Raza mon und Balduur hatten mittlerweile ge lernt, im Mienenspiel der Eripäer zu lesen. Hinter dem Kommandanten waren Be waffnete zu erkennen. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Razamon stellte eine entsprechende Fra
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ge. »Sie werden es gleich erfahren«, verkün dete Heftor. Er drehte sich zu den Soldaten um. »Los, schafft sie in die Zentrale, damit sie ihre Geschichte noch einmal erzählen können. Auf Aarl wartet man sehnsüchtig darauf.« »Ich wußte nicht, daß auch Eripäer sarka stisch sein können«, murmelte Razamon. Er stand auf. Allmählich verstand er gar nichts mehr. Eben noch war Heftor anscheinend von ihrer Unschuld überzeugt gewesen, und nun verhielt er sich wie der Mann, als den Balduur und er ihn kennengelernt hatten. »Na schön. Gehen wir.«
9. Der Fluch der Familie Nurcrahn (V) Talato-Cors spürte die Schmerzen längst nicht mehr. Er lag außerhalb des Lichtkegels des nächsten Scheinwerfers, wohin ihn Woolsars Komplizen gebracht hatten, um ei ne zufällige Entdeckung noch während der Nacht zu verhindern. Wenn man ihn am nächsten Tag fand, wa ren Woolsars Pläne nicht mehr in Gefahr. Der Mann, dem Lichtfürst Nurcrahn immer noch vertraute, befand sich bereits auf dem Weg nach Aarl. Das, was er von Talato-Cors erfahren hatte, würde Nurcrahn zerstören. Der Ubilane atmete nur noch schwach. Er konnte die Beine nicht bewegen. TalatoCors spürte nur noch den Oberkörper. Er konnte den Kopf heben, vermied es aber, an sich herabzusehen. Der ganze Körper war von den Wunden übersät, die man ihm bei gebracht hatte. Diese Männer dürfen niemals die Macht auf Zaardenfoort erringen! dachte der Ubi lane. Seine Gedanken waren klar, ein letztes Aufbäumen gegen den nahenden Tod. Tala to-Cors fürchtete ihn nicht mehr, denn er würde ihm die Erlösung bringen. Was aber würde innerhalb der Lichtung geschehen, falls Woolsar Erfolg hatte, wor an kaum zu zweifeln war? Erst jetzt, in der Stunde des Todes, wurde
Talato-Cors bewußt, daß er die Lichtung als seine Heimat ansah. Doch bald würde die gnadenlose Jagd auf seine Artgenossen und alle anderen Wesen, die keine Eripäer wa ren, erst richtig beginnen. Woolsar und seine Anhänger waren Besti en, und Talato-Cors wußte nun, daß Nichte ripäer und Eripäer, die guten Willens waren, zusammenhalten und gemeinsam für die alten Ideale ihrer Rassen kämpfen mußten, wenn ihre Zivilisation nicht untergehen oder in die Barbarei zurücksinken sollte. Doch wer war in der Lage, die Geheim bündler aufzuhalten? Talato-Cors hatte keine Hoffnung mehr. Plötzlich war es ihm, als würde er in hel les Licht getaucht. Wärme durchlief seinen Körper. Alle möglichen Farben wirbelten vor seinem geistigen Auge durcheinander und bildeten Muster, aus denen sich Bilder schälten. Talato-Cors sah sie nicht, er fühlte sie. Eine neue Welt öffnete sich für ihn, um ihn in sich aufzunehmen. Bevor der Tod ihn erlöste, richtete der Ubilane sich mit aller letzter Kraft noch einmal auf. Er sah das angestrahlte Muuke, in dem er unter Höllenqualen das Geheimnis der Fa milie Nurcrahn preisgegeben hatte. Die ver abreichten Drogen hatten ihm alles entlockt, was er wußte. Die farbigen Muster hüllten das Muuke ein. Plötzlich schien es so, als ob es sich be wegte. Talato-Cors mußte sich täuschen. Er ließ sich wieder auf den Rücken sinken und starb, die Augen weit in die Ferne zum Him mel gerichtet – auf jene neue Welt, in die sein Bewußtsein glitt.
* In der großen Halle war es so leise, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören kön nen, als Lichtfürst Nurcrahn das Podest be stieg und zum Rednerpult ging. Die Kabi nettsmitglieder und Vertreter der Planeten waren in groben Zügen über Ponas Rück kehr und ihren Bericht informiert.
46 Nurcrahns Bericht wurde mit Spannung erwartet – von seinen politischen Gegnern und seinen Freunden, deren Zahl im Lauf der letzten Monate erheblich geschrumpft war. Durch sein Engagement für die Nichte ripäer war Nurcrahn zu einer der umstritten sten Persönlichkeiten innerhalb der Lichtung geworden. Lichtfürst Nurcrahn richtete einige Worte an den Regierungschef. Gurankor erhob sich, nickte ihm zu und gab so das Zeichen, daß der Lichtfürst mit seiner Rede beginnen sollte. Es wurde ein flammender Appell an seine Artgenossen, sofort eine großangelegte Ret tungsaktion für die gestrandete Welt zu star ten. Überall auf den drei Planeten verfolgte man die Rede. Zum erstenmal in der be kannten Geschichte der Lichtung machte je mand den Vorschlag, die Lichtung, die al lein Schutz gegen die Krolocs bot, zu verlas sen und mit Raumschiffen in den Stau vor zudringen. In den Augen der meisten Eripäer war dies Selbstmord. Nurcrahn schloß mit der erneuten Auffor derung, die Nichteripäer in Ruhe zu lassen und nach der wirklichen Ursache der Todes fälle auf Zaardenfoort zu suchen, wobei er wieder die Überzeugung aussprach, daß man es mit einer krolocischen Geheimwaffe zu tun hatte. »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksam keit«, sagte der Lichtfürst. »Einen Augenblick!« rief jemand aus der Zuhörerschaft. Die anderen Eripäer sahen den Mann überrascht an, als er aufstand und auf das Podest zuging. Immer noch herrsch te Schweigen. Selbst Nurcrahn war über rascht. Er hatte mit lautstarken Proteststür men gerechnet, mit Beschimpfungen und Rücktrittsforderungen. Die Stille war ihm fast unheimlich. Der Lichtfürst konnte sich des Gefühls nicht er wehren, daß irgend etwas im Gang war. Er sah den jungen Eripäer auf sich zukommen. Er kannte ihn nur flüchtig. Aufgefallen war
Horst Hoffmann er Nurcrahn eigentlich erst dadurch, daß er sonst einer der lautesten Schreier war, wenn er sprach. Gurankor hielt sich zurück. Er saß zwi schen den Kabinettsmitgliedern und beob achtete. Direkt vor dem Podest blieb der Eripäer stehen. Er sah Nurcrahn kurz an, dann dreh te er sich zu den Parlamentariern um. »Ich will nicht von dem Frevel reden, den die Vorschläge des Lichtfürsten Nurcrahn darstellen«, begann er mit schneidender Stimme. »Nicht von dem Bruch mit den hei ligen Traditionen unseres Volkes und nicht von der zweifelhaften Haltung Nurcrahns gegenüber denjenigen, die das Verderben über unsere Welten bringen. Ich bin hier, um Nurcrahn anzuklagen!« Einige Männer und Frauen sprangen auf und applaudierten. Es waren jene, die bei je der Regierungssitzung für Wirbel sorgten und im Lauf der Zeit Zulauf bekommen hat ten, vor allem von den Traditionalisten, für die Dreiäugige der schlimmste Fluch ihres Volkes und alle Dunkelhäutigen Verschwö rer waren, die nur darauf warteten, die Eripäer aus der Lichtung verdrängen zu kön nen. »Ich behaupte«, fuhr der Mann fort, »daß Nurcrahn uns mit Hilfe seiner Enkelin etwas vorspielt und in Wahrheit nichts anderes ist als ein Agent der Krolocs.« Gurankor fuhr auf. Doch es dauerte Se kunden, bis er sich mit Mikrophonen Gehör verschaffen konnte. Die Halle hatte sich in ein Tollhaus verwandelt. Auf der einen Seite feierten die Freunde des »Anklägers« ihren Sprecher, auf der anderen machte sich Em pörung breit, die alles in den Schatten stell te, was jemals an Emotionen auf einer Re gierungssitzung frei geworden war. Nurcrahn erkannte die Chance, die sich ihm hier bot. Er wartete ab, bis Gurankor die tobende Zuhörerschaft zum Schweigen ge bracht hatte. Dann bat er noch einmal ums Wort. »Sie alle, die noch in der Lage sind, klar und ohne blinden Haß zu denken, können
Der Dreiäugige sich nun selbst davon überzeugen, welcher Geist große Teile unserer Mitbürger befallen hat. Und es wird noch schlimmer werden, falls wir nicht früher oder später einen Weg finden, die Lichtung zu verlassen. Das Ein geschlossensein macht uns alle verrückt und immer mehr von uns bösartig. Wer weiß, wann sich uns wieder eine Gelegenheit bie tet, Freunde im Kampf gegen die Krolocs zu gewinnen. Wenn sich die gestrandete Welt erst einmal in der Gewalt der Stau-Be wohner befindet, ist diese Chance vertan, und wir werden weiter in Angst leben. Au ßerdem ist es unsere Pflicht, zu helfen!« »Glaubt ihm nicht!« schrie jemand. »Wir müssen all unsere Kräfte darauf konzentrie ren, unsere Planeten zu schützen! Nieder mit dem Verräter!« »Seien Sie still!« rief eine Frau. »Nurcrahn hat recht. Wir sollten endlich zu uns kommen und den Realitäten ins Auge sehen!« Applaus. Nurcrahns Hoffnung schien sich zu erfüllen. Immer mehr Eripäer erhoben sich und solidarisierten sich mit dem Licht fürsten. Die Radikalen wurden zurückge drängt. Selbst jene, die sich vorher von Nur crahn abgewendet hatten, unterstützten seine Forderung. Die Traditionalisten hatten sich selbst ins Abseits manövriert. Zumindest glaubte Nurcrahn dies, bis Woolsar in der Halle erschien. Nurcrahn winkte ihm zu, als er ihn sah. Als Woolsar neben ihm auf dem Podest stand, bat er diesen, Gurankor eine sofortige Abstimmung vorzuschlagen. »Was ist denn?« fragte der Lichtfürst, als sein Berater sich nicht von der Stelle rührte. Er fuhr zusammen, als er Woolsars Blick be gegnete. Woolsar stieß Nurcrahn zur Seite und griff nach dem Mikrophon. »Ich habe eine Erklärung abzugeben«, sagte er. Gurankor schaltete sich ein. Er tadelte Woolsar für sein Verhalten und verlangte, daß er das Podest verließ.
47 Woolsar schüttelte den Kopf. Er ignorier te die Aufforderung des Regierungschefs. »Gleich werden Sie verstehen, warum ich nicht anders handeln kann«, sagte er.
* Für Nurcrahn brach eine Welt zusammen. Als er Woolsars erste Worte hörte, wußte er, daß alles verloren war. Er sah die triumphierenden Blicke der mi litanten Traditionalistengruppe, als Woolsar seine Geschichte erzählte. Alles war erlogen, dachte Nurcrahn bitter, während er wie versteinert neben dem Po dest stand und Woolsar aussagte, daß er und einige Helfer gerade noch rechtzeitig ge kommen waren, um die Ermordung des Dunkelhäutigen durch die Geheimbündler zu verhindern, die diesen aus Nurcrahns Muuke entführt hatten. Nurcrahn fielen Talato-Cors Worte ein. Hätte er ihm doch nur geglaubt, als der Ubi lane behauptete, Woolsar als einen der Män ner wiedererkannt zu haben, die ihn am Strand überfallen hatten. Nun zweifelte der Lichtfürst nicht mehr daran, daß sein vermeintlicher Freund mit den »Streitern des Lichts« zumindest unter einer Decke steckte. Vielleicht war er sogar ihr Anführer. Nurcrahn hörte nur noch mit halbem Ohr zu: Er wußte, was am Schluß von Woolsars Rede stehen würde. »Es gelang uns, die Verschwörer zu ver treiben«, sagte dieser. »Aber wir konnten nichts mehr für den Ubilanen tun. Sie hatten ihn furchtbar zugerichtet.« Woolsar machte eine Pause. »Doch er konnte uns noch etwas sagen, bevor er starb.« Woolsar drehte sich zu Nurcrahn um und zeigte anklagend auf den Lichtfürsten. Seine Miene drückte Abscheu aus. »Dieser Mann hat unser aller Vertrauen genossen. Und er hat uns alle getäuscht.« »Ich sagte es!« schrie der Eripäer, der Nurcrahn vor Minuten angegriffen hatte. »Er ist ein Verräter und macht gemeinsame Sa
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Horst Hoffmann
che mit den Krolocs!« »Vielleicht das auch«, sagte Woolsar. »Doch das, was er tat, ist noch ungeheuerli cher.« Nurcrahn durchschaute das Spiel. Noch bevor Woolsar eingetroffen war, hatten sei ne Verbündeten die richtige Atmosphäre für seinen Auftritt geschaffen. Alles war perfekt vorbereitet. Woolsar mußte seine Helfer von Zaardenfoort aus verständigt und angewie sen haben. Wieso schritt der Eripäer nicht ein? Gu rankor mußte doch sehen, was hier vorging! »Der Lichtfürst Nurcrahn«, rief Woolsar mit erhobener Faust, »beherbergt seit sieben Jahren einen Dreiäugigen in seinem Muu ke!«
* Gurankor tat das einzig richtige. Er ließ den Sitzungssaal räumen, als der Tumult ausbrach. Schwerbewaffnete Ordnungskräf te erschienen in den Eingängen und trieben die Tobenden hinaus. Andere riegelten das Podest und die Plätze der Kabinettsmitglie der ab, die außer Gurankor, Nurcrahn und Woolsar als einzige geblieben waren. »Es ist eine schwere Anschuldigung, die Sie da vorbringen«, sagte der Eripäer, der sich alle Mühe gab, seine Stimme ruhig klin gen zu lassen. »Ich kann meine Behauptung beweisen«, erwiderte Woolsar. »Sie brauchen nur im Muuke des Lichtfürsten nachzusehen.« »Das ist nicht nötig«, erklärte Nurcrahn. Der alte Mann setzte sich und stützte den Kopf in die Hände. »Es ist wahr. Ich habe einen Dreiäugigen versteckt. Er ist mein En kel.« Nurcrahn sah noch einmal zum Eripä er auf. Seine Augen hatten allen Glanz ver loren. »Ich bitte nicht um Gnade für mich. Doch Pona darf nichts geschehen. Und laßt Tirsoth leben.« »Pona ist in Sicherheit«, sagte Gurankor. »Sie befindet sich jetzt schon in Haft. Stehen Sie auf, Nurcrahn. Sie haben sich ebenfalls als vorläufig festgenommen zu betrachten.«
Woolsar hatte Mühe, seine Genugtuung zu verbergen. In diesen Augenblicken hiel ten seine Anhänger überall auf Aarl und in den großen Städten Zaardenfoorts flammen de Reden, in denen Nurcrahn als Verräter hingestellt wurde. Alles, wovor die Eripäer Angst hatten, wurde in einen Topf geworfen. Nurcrahn, so verbreiteten die Männer und Frauen, die nach außen hin dem Eripäer treu ergeben waren, in ihrer Verkleidung als »Streiter des Lichts« aber Angst und Schrecken verbreiteten, war einer von vielen Verschwörern, die mit den Dreiäugigen, den Dunkelhäutigen und den Krolocs paktierten. Alles verlief für Woolsar nach Plan. Er würde der neue Lichtfürst sein, wenn Nur crahn entehrt wurde. Der Tag des Umsturzes auf ganz Zaardenfoort rückte näher. Auf Zaardenfoort selbst setzten sich Fana tiker aus allen Kontinenten in Bewegung. Ein wahrer Sternmarsch auf Nurcrahns Muuke fand statt. Von skrupellosen Scharf machern angetrieben und immer wieder auf geputscht, näherte sich eine lynchwütige Menge dem Muuke, in dem sich außer Irsoc ca, Tirsoth und einigen treuen Bediensteten niemand mehr befand, der das Heim der Fa milie des Lichtfürsten schützen konnte. Die Leibwächter Talato-Cors' waren verschwun den. Irsocca schickte die Bediensteten weg, be vor sie den Anrückenden in die Hände fallen konnten. Dann begab sie sich zu ihrem Sohn und wartete. Tirsoth würde nicht alleine sterben. Das Gejohle der Aufgehetzten klang in ih ren Ohren. Sie drangen in das Muuke ein.
* An Bord der Raumstation Prudnier. Razamon stand wieder vor dem großen Bildschirm der Zentrale. Gurankor, der Eripäer, blickte ihm entge gen. »Sie sagten, daß Sie und Ihr Freund Pona, der Enkelin des Lichtfürsten Nurcrahn, zur Flucht verholfen haben?« fragte Gurankor.
Der Dreiäugige
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»Ja«, antwortete Razamon. »Das habe ich Kommandant Heftor erklärt.« »Pona und Nurcrahn wurden soeben ver haftet«, erklärte Gurankor mit ausdruckslo ser Miene. »Es handelt sich bei ihnen offen sichtlich um Helfershelfer der Krolocs. Hef tor?« Der Kommandant der Weltraumstation trat vor den Schirm. »Ja, Eripäer?« »Bringen Sie die beiden zurück in ihre
Zelle und treffen Sie alle nur denkbaren Si cherheitsvorkehrungen. Ein Kreuzer wird sie in zwei Stunden abholen und nach Aarl brin gen, wo sie mit Nurcrahn und seiner Enkelin zusammen vor Gericht gestellt werden.«
E N D E
ENDE