KLEINE BIBLIOTHEK DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR -UND
KULTURKUNDLICHE
RUDOLF
HEFTE
EGER
DER EISERNE SEEHUND SCHI...
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KLEINE BIBLIOTHEK DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR -UND
KULTURKUNDLICHE
RUDOLF
HEFTE
EGER
DER EISERNE SEEHUND SCHICKSALE EINES
Manni Hesse
VERLAG
GROSSEN ERFINDERS
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2006.12.23 10:16:04 +01'00'
S E B A S T I A N LUX
MURNAU-MÜNCHEN-INNSBRUCK-
BASEL
Eine Reise, die nicht stattfand -f\nfangs der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts trampte ein junger Mensch kreuz und quer über die deutschen Landstraßen. Er war aus Dillingen gebürtig, einer kleinen bayerischen Stadt an der Donau, hieß Wilhelm Bauer und hatte in München das Drechslerhandwerk erlernt. Nach der Lehre war er in die Welt gezogen, mit dem Runzel auf dem Rücken und dem Knotenstock in der Hand, wie Burschen seines Alters es dazumal taten. Er hatte eine Weile in Bremen, Lübeck und Hamburg zugebracht und sich in den Häfen und auf den Schiffen umgesehen. Als er sich genügend umgetan zu haben glaubte, hatte er sich wieder nach Süden gewandt. Mit dem Empfehlungsschreiben eines Hamburger Oberseekaufmannes in der Tasche, wollte er bis nach Konstantinopel wandern, um dort in einer Sultanswerkstatt zu arbeiten. Die Zukunft schien rosenrot vor ihm zu liegen; von Kindesbeinen an war es sein größter Wunsch, fremde Länder zu sehen, und nun war die Erfüllung dieser Knabenträume in greifbare Nähe gerückt. Aber vorerst war es nur ein Plan. Das Schwierigste stand noch bevor: die Zustimmung des Vaters. Zwar beabsichtigte Wilhelm, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen, aber er war sehr im Zweifel, ob ihm das auch glücken werde. Wachtmeister Bauer hatte schon wiederholt bewiesen, daß er Dinge witterte, die ihm niemand gesagt hatte. Das Schlimmste war, daß Wilhelm München nicht umgehen konnte, die Stadt, in der das Garderegiment lag, bei dem sein Vater Dienst tat; denn nur hier, am Wohnsitz der Eltern, konnte er die Ausstellung des erforderlichen Reisepasses beantragen. Wenn sein Vater Wind davon bekam, dann half ihm der Empfehlungsbrief an den Hofdrechsler seiner Majestät des türkischen Sultans, den er in seiner Rocktasche verwahrte, so gut wie nichts. Und es bestand wenig Hoffnung auf die väterliche Zustimmung. Ihm Widerstand zu leisten, war gänzlich aussichtslos. Was der Wachtmeister Bauer beschlossen hatte, war immer haargenau geschehen. 2
Mit wenig guten Gefühlen langte Wilhelm Bauer in München an. Zunächst ging alles gut. Wilhelms Befürchtungen, daß man die Ausstellung des Reisepasses von der Zustimmung des Vaters abhängig machen würde, bewahrheitete sich nicht. Der Beamte, der darüber zu entscheiden hatte, war ein bequemer Herr, der allem, was Komplikationen verursachen konnte, aus dem Wege ging. ,Wenn das Bürschlein in die Türkei will — warum nicht?' war sein Standpunkt. So durfte der Reiselustige damit rechnen, vor Ablauf einer Woche in den Besitz einer Urkunde zu gelangen, die ihm erlaubte, durch Österreich, Ungarn, Serbien in das Osmanische Reich zu marschieren. Da, in letzter Stunde, trat das ein, was er unbewußt die ganze Zeit befürchtet hatte: Er stieß an einer Straßenecke mit seinem Bruder zusammen. Es hatte also nichts genützt, daß er der Gegend, in der seine Familie wohnte, in weitem Bogen ausgewichen war. Das Schicksal hatte gegen ihn entschieden. Als er sich ertappt sah, stotterte er etwas daher; aber es ließ sich nicht umgehen, daß er mit dem Bruder in die elterliche Wohnung zog. Am folgenden Tage brachte er das Gespräch auf seine beruflichen Aussichten, die er schwarz in schwarz schilderte, sofern er in der Heimat blieb: Drechslergesellen gebe es wie Sand am Meer, erklärte er, und vor allem in deutschen Landen. In anderen Staaten sei dies nicht der Fall, in der Türkei zum Beispiel könne man sogar als Handwerker zu Wohlstand, ja zu Reichtum gelangen. Wilhelm mag gehofft haben, daß der Vater diesen Gedanken aufgreifen und ihm von sich aus empfehlen werde, ins Land des Sultans auszuwandern, doch diese Erwartung erfüllte sich nicht. Für den bayerischen Wachtmeister war jenseits der weiß-blauen Grenzpfähle die Welt sozusagen zu Ende. Er für seine Person hätte das Gebiet des Königreichs Bayern niemals verlassen; er hatte aber nichts dagegen einzuwenden gehabt, daß Wilhelm sich in Preußen und den hanseatischen Städten den Wind um die Nase wehen ließ. Daß aber einer aus Dillingen erwog, sich in Konstantinopel ansässig zu machen — eine so abwegige Idee hatte in seiner Gedankenwelt einfach keinen Platz. So war der Sohn schließlich gezwungen, deutlicher zu werden und zu gestehen, daß er das Gesuch um Ausstellung eines Passes bereits eingereicht habe. 3
„Du bist wohl nicht bei Verstand!" wetterte der Vater. „Zu den Mohren willst du? Schlag dir das aus dem Kopf. Dazu geb' ich nie und nimmer meine Zustimmung. Du bleibst hier — und wenn du als Drechsler keinen Posten findest, so kommst du zum Militär. Da verdienst du ganz gut, und wenn du dich bewährst, kannst du in zwei, drei Jahren Korporal sein." Wilhelms Versuche, den Vater umzustimmen, wurden mit einer schroffen Handbewegung abgetan, und schon am nächsten Tage meldete Herr Bauer seinen Sprößling beim 4. Chevauleger-Regiment an, das in Augsburg im Gebäude des ehemaligen Ulrichsklosters untergebracht war. Mißmutig fügte sich Wilhelm. Der Drill, der Kommißton, alles am Soldatenstand war ihm verhaßt — doch was half es? Gegen den tyrannischen Vater vermochte er sich nicht zu behaupten. Als Ausgleich für die Stunden auf dem Exerzierplatz, in denen er den Kommandos grober Vorgesetzter zu gehorchen hatte, wollte er während der Abendstunden ein wenig basteln und experimentieren. Es gingen ihm allerlei technische Dinge im Kopf herum. Er gab nebenher Fecht- und Reitunterricht, verdiente sich einige Gulden und mietete sich für das Geld einen Kellerraum im Kloster, um ihn als Werkstatt einzurichten. Er war fest entschlossen, einen Wagen zu bauen, der allein durch eine Wassersäule bewegt wurde. Daß es ihm nicht gelang, entmutigte ihn keineswegs. Nach wie vor spürte er die Berufung in sich, als Erfinder zu wirken, wenn er sich auch noch nicht im klaren war, auf welchem Gebiet sich seine Begabung entwickeln sollte. Das wurde ihm erst bewußt, als er 1849 im Verband eines bayerischen Korps am Feldzug zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark teilnahm. Der Schauplatz der Kämpfe war Schleswig-Holstein. Und hier, angesichts des Meeres und als er den Sprung eines Seehundes in die Flut beobachtete, packte ihn der Gedanke, ein dem Seehund ähnliches Fahrzeug zu konstruieren, das sich unterhalb des Wasserspiegels fortbewegen konnte. Mit einem solchen Tauchboot konnte man das Leben unter Wasser beobachten, man konnte unter Wasser Arbeiten verrichten, beim Fischfang Netze schleppen und ihre Wirkung beobachten; man konnte aber auch, und hier sprach der Soldat, sich unbemerkt an eine feindliche Flotte heranmachen und eine Einheit nach der andern zum Sinken bringen.
Bauer schlägt mit dem Schmiedehammer zu Bauer stand in dieser Zeit oft am Meer, um „die natürlichen Grundlagen der Bewegungsfreiheit eines Seehundes, als eines guten. Modells zu einem Eisernen Seehund, zu ergründen". Alles, was er noch an physikalischen, chemischen und mathematischen Kenntnissen von der Schule her gerettet hatte, verwandte er an seinen Plan, „einen Apparat zu konstruieren, der auf und unter der Oberfläche des Wassers nach jeder beliebigen Richtung bewegbar" war. Nach fünf Monaten — er war inzwischen ganz in die schleswig-holsteinsche Armee eingetreten, da es dort genügend Schiffbau- und seekundige Vorgesetzte gab — fühlte er sich seiner Sache so sicher, daß er seine Pläne, Zeichnungen und Berechnungen von einer sachverständigen Kommission prüfen lassen wollte. Das geschah auch. Er bekam von
Eigenhändige Zeichnung des Erfinders für ein kleines, handgetriebenes Tauchboot, von dem aus durch vorn angebrachte Gummihandschuhe Unterwasserarbeiten vorgenommen werden konnten. 5
r der Heeresleitung dreißig Taler zugestanden, die dazu dienen sollten, ein Modell des „Eisernen Seehundes" herzustellen. Kurz darauf hatte eine Kommission Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß Bauer auf dem richtigen Wege war. Das kleine Modell-Boot, das er konstruiert hatte, tauchte ohne alle Schwierigkeiten und fuhr fünf Minuten hindurch im Kieler Hafen umher, wobei es eine ganz beachtliche Schnelligkeit entwickelte. Bauer beschrieb dieses Modell in folgender Weise: „Ich hatte eine äußere Hülle aus Kupfer gebaut, annähernd in Form eines Seehundes. Im Innern waren zwei Zylinder angebracht, in denen sich Kolben von außen bewegen ließen. Durch das Aufoder Abbewegen dieser Kolben wurde Wasser eingenommen oder ausgepreßt, mithin die Schwere des Schiffchens größer oder kleiner. Infolgedessen konnte der Apparat sinken oder steigen, und bei genauer Einhaltung der Belastung konnte der Apparat auch unter dem Wasser verharren, ohne zu sinken, und in horizontaler Richtung bewegt werden. Unter dem eingesetzten Fußboden befand sich ein mit Hilfe einer Spindel im Schiff nach vorn oder hinten verschiebbarer Bleiblock. Dadurch konnte sich das Boot nach oben oder unten neigen. Die Fortbewegung des Modell-Tauchbootes wurde durch ein Uhrwerk, das seine Kraft auf eine kleine Flügelschraube außen ausübte, bewerkstelligt. Steuerung nach rechts oder links wurde durch ein gewöhnliches Steuer am Hinterende des Schiffdiens hergestellt. Fenster waren sowohl oben als seitwärts angebracht." Nach dem günstigen Ergebnis der Probefahrt seines Modellschiffchens hatte Bauer damit gerechnet, nunmehr mit der Ausführung eines lebensgroßen Unterseefahrzeuges beauftragt zu werden. Statt dessen wurde ihm eröffnet, daß die dazu erforderlichen Mittel nicht vorhanden seien. Er wurde aufgefordert, das Modell herauszugeben, da er die Materialien, aus denen es bestehe, mit Hilfe der dreißig Taler erstanden habe. Als Bauer diese Nachricht erhielt, kannte er sich nicht mehr vor Wut. Er verschaffte sich einen Schmiedehammer und schlug damit sein Modellboot platt wie eine Flunder. Dann setzte er sich hin und schrieb an das hochlöbliche Armeekommando einen Brief, in dem es hieß, daß er anbei die verwendeten Materialien befehlsgemäß zurücksende. 6
Bauer macht sein Testament Die Folge war eine Strafversetzung nach Rendsburg, aber gerade dort fand er im Höchstkommandierenden, einem General Willisen, einen eifrigen Förderer seines Projektes. Der weitblickende Offizier stellte sich an die Spitze einer Kommission, die es sich zur Aufgabe machte, das benötigte Geld zu beschaffen. Offiziere und Mannschaften stellten einen Tagessold zur Verfügung; es kam eine ganz ansehnliche Summe zusammen, aber sie blieb immer noch hinter den veranschlagten Kosten zurück. Und nun beging Bauer einen Fehler, der ihm leicht zum Verhängnis hätte werden können — allerdings einen Fehler, den wahrscheinlich die meisten in seiner Lage begangen haben würden. Er beharrte nämlich nicht darauf, daß das Tauchboot genau nach seinen Angaben ausgeführt wurde, sondern gab nach, als man ihm versicherte, die von ihm angegebene Stärke der Schiffswände sei von übergroßer, geradezu lächerlicher Vorsicht diktiert. Man könne das Fahrzeug mit viel weniger Material ebenso haltbar, ebenso sicher, aber um vieles billiger bauen. Nebenher ließ man durchblicken, daß er, ein simpler Unteroffizier, den „Fachkundigen" die Richtigstellung seiner Berechnungen überlassen könne. Bauer war nicht wohl zumute, als er hörte, was sie vorhatten — aber was sollte er tun? Wenn er nicht die Verwirklichung seiner Idee überhaupt in Frage stellen wollte, mußte er sich in das Unvermeidliche fügen. Das Tauchboot wurde nach den abgeänderten Plänen gebaut. Am 18. Dezember 1850, während sich Hunderte am Hafen versammelt hatten, begann das erste Probetauchen im Hafen. Man jubelte dem Erfinder zu; aber Bauer selber war mit alledem nicht zufrieden. Vieles wäre noch zu tun g'ewesen. Das Boot war nach seiner Überzeugung viel zu leicht und nicht stabil genug konstruiert. Bauer ließ Ballast in Form von Eisenklötzen auf dem Boden des Schiffes verteilen und begann vorsichtig seine Versuchsfahrten. Aber den Auftraggebern ging das alles zu bedächtig und langsam. Man drängte ihn zu einer größeren Tauchfahrt. Bauer gab nach und setzte die Fahrt auf den 1. Februar 1851 fest. Vorsorglich machte er sein Testament und riditete Briefe, die für den Fall seines Todes abgeschickt werden sollten, an seine Angehörigen daheim. Er verschwieg ihnen nicht, 7
daß er sich in einer Zwangslage befinde, aber um des großen Zieles willen genötigt sei, sich auf das Wagnis einzulassen. Schon in aller Herrgottsfrühe hatten die ersten Neugierigen sich gute Aussichtsplätze gesichert. Bis acht Uhr waren die Kais dicht mit Menschen bestanden. Der „Eiserne Seehund" lag noch fest vertäut an der Hafenmauer, ein graublaues Schiff, acht Meter lang, zwei Meter breit, mit dreißig Tonnen Wasserverdrängung. Von den drei Meter Schiffshöhe ragte nur ein schmaler Rückenteil und eine kopfartig am Vorderteil vor- und aufragende Haube aus dem Wasser. Wie Augen saßen daran die Kundfenster und im Nacken der Haube die Einstiegluke, die sich mit einem Runddeckel schließen ließ. Wilhelm Bauer prüfte noch einmal alle Anlagen: in der Haube das Steuerrad, mit dem über Züge und Ketten das Steuerruder am Schiffsende bewegt werden konnte; daneben die Kurbel zum Voroder Zurückschicben des „Direktionsgewichtes", des Bleiquaders, der das Gleichgewicht des Schiffes verlagerte und es vorn oder hinten anhob, wenn man tauchen oder aufsteigen wollte. Im Schiffsbauch gab Bauer noch etwas öl auf das Getriebe der beiden zwei Meter hohen Treträder, mit denen die vierflügelige Schiffsschraube angetrieben wurde. Für das Treten hatte er sich zwei Seeleute, Witt und Thomsen, verpflichtet. Mit den gleichen Treträdern konnten auch, wenn das Kommando dazu gegeben wurde, die beiden Pumpen bedient werden, um das Flutwasser aus dem Kielraum wieder hinauszubefördern, wenn das Boot hochsteigen sollte; zum Tauchen wurde nämlich durch zwei Ventile Wasser eingelassen, durch dessen Gewicht das Boot tiefer sank. Bauer hatte dieses offene Einfluten, das die Kommission angeordnet hatte, gar nicht ins Konzept gepaßt. In seinem ursprünglichen Plan waren zur Aufnahme des Ballastwassers eigene Tanks vorgesehen gewesen; aber aus Sparsamkeitsgründen hatte man sie gestrichen. „Wozu Tanks? man kann das Wasser doch einfach in den Kielraum eindringen lassen und es nach Bedarf wieder hinauspumpen", hatten die Herren erklärt. Gegen neun Uhr verschwanden die drei Unterseefahrer mit einem freundlichen Winken zum Ufer hin in der Einstiegluke, die sie von innen fest verschraubten. Witt und Thomsen stemmten sich in die Treträder, die Schiffsschraube warf schäumendes Wasser auf. Der „Seehund" entfernte sich vom Ufer. Bauer wollte gleich in die Tiefe 8
gehen und ließ durch die Ventile Wasser ins Boot, das nach wenigen Augenblicken unter der Hafenoberfläche verschwand, drei Meter, fünf Meter, zehn Meter . . .
Lebendig begraben Schon geschah das Unglück. Die Schiffswände hielten den Wasserdruck nicht aus. Das Spantengerippe der Seiten war zu schwach, wie Bauer es befürchtet hatte; er hatte die doppelte Anzahl von Spanten für erforderlich gehalten. Die linke Schiffswand beulte sich krachend und an allen Nieten zerrend unter der Wasserlast nach innen, preßte gegen das linke Tretrad und sprengte es von den Speichen. Jetzt gab auch die andere Wand nach. Eisenballaststücke rutschten nach hinten, das Boot stellte sich fast senkrecht und sackte langsam 17 Meter hinab auf den Hafengrund. Bauer hatte keinen seiner beiden Helfer beredet, sich an dieser abenteuerlichen Fahrt zu beteiligen. Sie waren sich im klaren gewesen, daß die Möglichkeit bestand, dabei ihr Leben zu lassen; doch in diesem Augenblick der Todesangst beschuldigten sie den Erfinder, ihr Ende auf dem Gewissen zu haben, überschütteten ihn mit Vorwürfen und machten Miene, sich an ihm zu vergreifen. Bauer wußte sie zu beruhigen. Das Boot hatte einen Luftinhalt von über tausend Kubikmetern. Die Luft reichte für drei Menschen etwa sechseinhalb Stunden lang — bis nachmittags vier Uhr! Bis dahin mußten sie freigekommen sein, und zwar aus eigener Kraft. „Ich weiß, auf welchem Wege wir es schaffen", erklärte Bauer. Die beiden Gefährten blickten ihn fragend an. „Auf der Luke, durch die wir heraus müssen, lastet eine Wassermasse, deren Gewicht ich auf etwa fünftausendfünfhundert Pfund schätze", gab Bauer zur Antwort. „Wenn die Luft hier unten durch das einströmende Leckwasser so weit zusammengepreßt ist, daß ihr Druck dem Druck der Wassersäule über der Luke gleichkommt, haben wir Aussicht, den Deckel anzuheben und zum Wasserspiegel emporgerissen zu werden." „Und wie lange wird das dauern?" fragten die beiden. „Vier Stunden etwa. Wenn ich zusätzlich die Ventile öffne, wird es schneller gehen." 9
Das war mehr, als die geängstigten Männer ertragen konnten. Es schien ihnen besser, der grauenhaften Lage gewaltsam ein Ende zu setzen, als dem Erstickungstod ausgesetzt zu sein, der ihnen unausbleiblich schien; denn das, was Wilhelm Bauer vom ,Gegendruck der Luft' und vom ,Emporreißen' gesagt hatte, überstieg ihr Begriffsvermögen. Schon hatte Thomsen sein Messer in der Hand, um sich die Pulsadern zu öffnen, als sie durch das Fenster ein Tau erblickten, das von oben herabgelassen worden war. Sie sahen es so nahe vor sich, daß sie schon aufatmen zu können glaubten. Bald aber wurden sie sich bewußt, daß auf diese Weise keine Hilfe möglich sei, da sie ja außerstande waren, das Seil zu fassen. Das mußten auch die Menschen begriffen haben, die sich an der Rettungsaktion beteiligten, denn sie ließen jetzt eine Kette herab, die sich um das Boot legen sollte. Aber die Aussicht, das Tauchboot auf diese Art hochzuziehen, war gering. Dagegen war die Möglichkeit, daß die Kette sich über die Luke spannte, so daß sie sich nicht mehr öffnen ließ, groß. Geschah das, so mußte die Besatzung elend zugrunde gehen. Zum Glück rutschte die Kette ab und wurde wieder hochgezogen. Kurz hernach ließ man einen Anker in die Tiefe. Diesmal glaubte Bauer schon, es sei alles aus. Der Anker kam einem der Fenster bedenklich nahe. Noch zwanzig, noch zehn Zentimeter, und er hätte die Scheibe zertrümmert. Grauenhafte Minuten folgten. Wenn das Gefürchtete geschah, stand dem Wasser der Weg ungehindert offen. Nach einer Weile erkannte man oben, daß auch dieser Rettungsversuch zum Scheitern verurteilt war. Jetzt probierte man es mit überaus starken und sehr langen Trossen, deren Ende an zwei Pinassen befestigt waren, die zwanzig Meter voneinander lagen. Der Plan bestand darin, die Trossen bis auf den Grund des Hafens sinken und die Pinassen dann vorwärts dampfen zu lassen, mit anderen Worten: die Trossen unter den „Seehund" zu schieben und ihn mit vereinten Kräften ans Ufer zu bringen. Witt und Thomsen stießen Freudenschreie aus, als sie erkannten, was im Gange war. Bauer dagegen hatte nach wie vor die Befürchtung, daß die gutgemeinten Bemühungen nur ein Ergebnis haben würden; das Boot noch mehr zu beschädigen, so daß jede Aussicht schwand. 10
Im nächsten Moment wurde das Schiff wie von einer Gigantenfaust gepackt und in die Höhe gezerrt, aber unmittelbar darauf stürzte es wieder in die Tiefe. Die Trossen mußten gerissen sein. Bauers Gefährten überließen sich haltlos ihrer Verzweiflung. Sie hatten geglaubt, daß alle Gefahr vorüber sei, und weinten nun über das Ende ihrer Hoffnungen. In der ausweglosen Lage, in der sie sich befanden, klammerten sie sich an Bauers Bemerkung über den Gegendruck der Luft: es müsse doch bald so weit sein, drängten sie. Bauer schüttelte den Kopf. Noch war es nicht so weit. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß sie bereits fünf Stunden hier unten zugebracht hatten. Um neun Uhr war das Schiff in die Tiefe gegangen, und jetzt fehlten nur noch wenige Minuten bis zwei Uhr. „Ihr müßt Geduld haben", erklärte er. „Glauben Sie wirklich, daß es eine Rettung gibt?" fragte Witt. „Oder sagen Sie das nur, um uns über die letzten Minuten hinwegzutäuschen?" Was er ihnen gesagt habe, sei wahr, gab Bauer zur Antwort. Sobald der Lukendeckel sich öffnen lasse, werde sie die ausströmende Luft nach oben reißen, aber sie müßten warten, bis der Augenblick gekommen und der Luftdruck genügend groß sei. Und Bauer erklärte ihnen, wie sie sich zu verhalten hätten, sobald die Luke aufgestoßen würde. „Vor allem dürft ihr einander nicht im Weg sein. Laßt euch von der Luft emporwirbeln und haltet den Atem an, bis ihr oben seid. Macht Schwimmbewegungen. Damit beschleunigt ihr das Auftauchen. Im übrigen keine Angst!" Gegen halb vier war der Augenblick gekommen, da die Luke geöffnet werden konnte. Als erster zwängte sich Witt hindurch. Dann folgte Bauer, der den völlig erschöpften Thomsen hinter sich herzog. Das kalte Wasser belebte ihn, so daß die drei Schicksalsgenossen getrennt, nach über sechsstündigem Aufenthalt in der Tiefe des H a fens, den Meeresspiegel erreichten. Als Bauer den frischen Seewind um die Nase wehen fühlte, schlug er die Augen auf. Er sah sich unweit eines kleinen Kriegsschiffes, von dessen Deck Gesang herüberschallte. Es war jedoch kein fröhliches Matrosenlied, wie es die Teerjacken während der Arbeit an 11
Bord zu summen pflegen, sondern ein Choral. Nun verstummten die Stimmen, und jemand hielt eine Ansprache. Bauer hatte sich vor Übermüdung auf den Rücken gelegt und ließ sich treiben. Die Wellen trugen ihn immer näher an das Kanonenboot heran. Jetzt konnte er deutlich verstehen, was der Redner sagte. Er verherrlichte den Mut und die Opfertat der drei heldenhaften Männer und beklagte, daß derjenige, dem man die Idee dieser großartigen Neuheit verdanke, in der großen Zahl der tragischen Erfinderschicksale ein weiteres Opfer geworden sei. Jäh begriff der Mann im Wasser, daß von ihm selbst gesprochen wurde, daß er seiner eigenen Totenfeier beiwohnte und seinen eigenen Nachruf mitanhörte.
Opfer von Intrigen Versuche wurden unternommen, um das gesunkene Tauchboot wieder flottzumachen; doch gelang es zunächst nicht, das Fahrzeug zu bergen. Erst im Jahre 1887 hob man es vom Grunde des Hafens. Man brachte den „Eisernen Seehund" nach Berlin. Heute steht Bauers Tauchboot im Hof des Universitätsinstituts für Schiffbau in Rostock. Nach der Katastrophe des „Eisernen Seehundes" erkannten die zuständigen Stellen, daß nicht Wilhelm Bauer versagt hatte, sondern sie selber. Der gleichen Meinung war auch der Direktor des österreichischen Lloyds, Freiherr von Brück, dem zu Ohren gekommen war, was sich im Kieler Hafen begeben hatte. Eines Tages erhielt Bauer ein Schreiben des Freiherrn, in dem er den Erfinder einlud, sein Modell im Hafen von Triest vorzuführen, das damals noch TU Österreich gehörte. Bauer besaß nicht Geld genug, um die Reisekosten zu bestreiten, doch schämte er sich, dem Baron die armselige Lage, in der er sich befand, zu eröffnen und um Voreinsendung des Betrages zu bitten. Er borgte sich daher gegen Schuldschein eine kleine Summe aus und trat die Fahrt an. In Triest wurden seine Pläne von verschiedenen Stellen in Augenschein genommen und so lobend begutachtet, daß man Bauer dem Kaiser Franz Joseph, der gerade in der Stadt weilte, vorstellte.
Der Eiserne Seehund in seiner äußeren Gestalt, wie er heute im Modell im Deutschen Museum in München gezeigt wird. Auch der Monarch äußerte sich anerkennend und stellte den Ankauf der Erfindung in Aussicht. Der Erfinder war überglücklich, als der Flügeladjutant Franz Josephs ihn beiseite nahm und in seiner wienerischen Redeweise sagte: „Falls eine von den Kommissionen G'schichten macht, so kommen S' nur zu mir. Ich red' dann gleich mit Seiner Majestät, und im Handumdrehn is' alles in Ordnung." Zunächst wagte angesichts des kaiserlichen Interesses niemand, „G'schichten" zu machen. Die Mitglieder der eingesetzten Kommission standen vielmehr dem Erfinder durchweg wohlwollend gegenüber, in der entscheidenden Sitzung wurde bereits die Frage der Finanzierung in allen Punkten erörtert. Es handelte sich um einen Betrag von fünfzigtausend Gulden, von denen die Marine dreißig Prozent bereitzustellen versprach. Je zwanzig Prozent übernahmen Lloyd und Börse. Der Rest sollte vom Handelsministerium getragen werden. Nun stand aber an der Spitze des Handelsministeriums ein Mann, der ein erbitterter Feind des Barons Brück war: Andreas von Baumgartner. Sobald er erfahren hatte, daß Bauers Tauchboot vom Direk13
tor des Lloyd gefördert werde, entzog er dem Unternehmen seine Unterstützung. Herr von Baumgartner war ein viel zu gewiegter Politiker, um seinem Widerstand unverblümt Ausdruck zu geben. Er gebrauchte die Taktik des Verschleppens. Es wurde ein Akt angelegt, der von einem Sachberater zum anderen ging, bei jedem eine Weile liegenblieb und zuletzt in irgendeinem Archiv verschwand. Baumgartner hatte aber nicht mit der Tatkraft Wilhelm Bauers gerechnet, der nicht gesonnen war, sich einem Ministerium zu fügen. Er reiste nach Wien, um Herrn von Baumgartner zur Rede zu stellen. Der aber verstand es meisterhaft, einer Begegnung auszuweichen, und überließ die Abfertigung des Bittstellers seinem Stellvertreter. Bauer wandte sich, wie es verabredet war, an den Flügeladjutanten des Kaisers. In einem erbitterten Schreiben setzte er dem Grafen auseinander, wie man ihn monatelang habe warten lassen und bat, der Kaiser möge ein Machtwort sprechen und den Bau der Tauchboote befehlen. Bauer mochte erwartet haben, daß er in das kaiserliche Schloß nach Schönbrunn geladen werde. Statt dessen erhielt er nur eine Mitteilung, worin ihn der Flügeladjutant wissen ließ, er stehe „der Sache zu entfernt", als daß er „dem Kaiser einen speziellen Vortrag darüber erstatten" könne. Bauer war das Opfer von Intrigen geworden, der leidtragende Dritte im Machtkampf zwischen zwei Rivalen. Das ganze österreichische Abenteuer hatte nur zu einem geführt: zu einem Schuldschein, den er nicht einzulösen vermochte. Trotzdem war Bauer in dieser Zeit eine Persönlichkeit, über den man sich überall unterhielt.
Das Ränkespiel geht weiter Einige Zeit später lernte Wilhelm Bauer einen Herrn von Spessardt kennen, einen Koburger Staatsmann, und erhielt von ihm ein Empfehlungsschreiben an den Prinzgemahl der Königin Victoria von England, Prinz Albert, der dem Hause Suchsen-Koburg entstammte und Spessardt größtes Vertrauen entgegenbrachte. Der Einführungsbrief war in wärmstem Tone abgefaßt und bezeichnete Bauer als einen genialen Kopf, dessen Erfindungen große Beachtung verdienten. Ganz im Gegensatz zu dem Verhalten des österreichischen Ministers gab Prinzgemahl Albert umgehend einen Tag bekannt, an dem
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er Wilhelm Bauer in Osbornhouse, dem Sommersitz des Herrscherpaares auf der Insel Wight, empfangen werde. Er bat Bauer, das Modell des Tauchbootes mitzubringen. Zu Bauers größtem Kummer mißlang die Vorführung. Ein .Seil riß. Das von einem Uhrwerk angetriebene Modell sank auf den Meeresgrund, und der Erfinder befürchtete, daß man ihn achselzuckend entlassen werde. Statt dessen sprach ihm der Prinz sein Mitgefühl aus, ließ es aber nicht bei Worten bewenden, sondern händigte ihm den Betrag aus, der erforderlich war, um nach Deutschland zu fahren und dort ein zweites Modell herzustellen. Im Frühling 1853 brachte Bauer das neue Tauchbootmodell nach England, in der Erwartung, daß der Gatte einer regierenden Königin so gut wie ein König sei und es somit nur eines Wortes von ihm bedürfe, um die Behörde zu veranlassen, das neue Schiff in Auftrag zu geben. In Wirklichkeit mußte Prinz Albert alles vermeiden, was den Anschein erwecken konnte, als versuche er, sich in Staatsgeschäfte einzumischen. Er beschränkte sich daher darauf, Bauer mit einigen empfehlenden Zeilen zu Sir James Graham zu schicken, der im Seewesen etwas zu sagen hatte. Sir James hatte seinerzeit zu denen gehört, die es lieber gesehen hätten, wenn Königin Victoria einem anderen Bewerber die Hand gereicht hätte. Aber alle Bemühungen, ihr den Koburger Prinzen zu verleiden, waren gescheitert. Prinz Albert fühlte jedoch nur zu gut, daß diese Männer ihn zwar notgedrungen in ihrer Mitte duldeten, sich jedoch verschworen hatten, ihm keine Gelegenheit zu geben, sich irgendwie hervorzutun oder etwas zu leisten, das einem Engländer vorbehalten bleiben sollte. Infolgedessen war das Handschreiben Prinz Alberts, das Bauer für ein überaus wertvolles Dokument hielt, durchaus nicht dazu angetan, die Pläne des Erfinders zu fördern. Sir James empfing ihn zwar, nahm auch die Skizzen entgegen, die auf das Unterwasserschiff Bezug hatten, ließ aber dann lange Zeit hindurch nichts von sich hören. Hinter den Kulissen aber ging das Ränkespiel weiter. Die Zuwendungen des Prinzen Albert, die es dem Erfinder bisher ermöglicht hatten, sich in London über Wasser zu halten, wurden eingestellt. Die Unsicherheit seiner Lage beunruhigte Bauer. Niemand gab ihm klare Antwort. Alles blieb in der Schwebe. Er wußte 15
weder, ob er noch bleiben, noch ob er heimreisen sollte. Da bot sich ihm, völlig unerwartet, eine neue Möglichkeit. Ein Franzose, der Wind davon bekommen hatte, zu welchem Zweck der Deutsche sich in England aufhielt, machte dem Erfinder den Vorschlag, nach Paris zu fahren, dort den maßgebenden Leuten sein Modell im Betrieb zu zeigen und über einen Verkauf der Erfindung an Ort und Stelle zu verhandeln. Die Reisespesen übernähmen seine Auftraggeber, sie trügen auch die Kosten der Unterkunft. Achtundvierzig Stunden später befand sich Bauer in der französischen Hauptstadt. Für den folgenden Tag war eine Besprechung angesetzt, die bis in den späten Abend dauerte. Schließlich wurde sie abgebrochen und die Fortsetzung der Verhandlungen auf den nächsten Morgen anberaumt. Als der Erfinder das Modell mit sich nehmen wollte, bedeutete ihm der Dolmetscher, er könne es ruhig da lassen, der Vorsitzende des Prüfungsausschusses hafte ihm dafür, daß er es unberührt am selben Platz wiederfinden werde. Obwohl Bauer sein Werk nur ungern ohne Aufsicht ließ, stimmte er zu, um nicht durch offenkundiges Mißtrauen die Herren, bei denen die Entscheidung lag, zu verstimmen. Als er tags darauf den Saal wieder betrat, sah er sofort, daß man sich an dem Apparat zu schaffen gemacht hatte. Mehrere Bestandteile waren zerbrochen, so daß sich einfach nicht leugnen ließ, daß an dem Modell herumspioniert worden war. Bauers Empörung läßt sich begreifen. Er packte den Apparat zusammen und eilte in den Gasthof zurück, in dem er abgestiegen war, warf die wenigen Dinge, die er besaß, kunterbunt in sein Köfferchen und lief zum Bahnhof, nur von dem Gedanken besessen, dieses Paris, in dem ihm so übel mitgespielt worden war, augenblicklich zu verlassen. Noch war er keine zwei Stunden unterwegs, als ihn ein eisiger Schreck durchfuhr. In der Hast des Aufbruchs hatte er eine Kassette im Hotel vergessen. In der Kassette befanden sich Schriftstücke und Skizzen, die für ihn von allergrößtem Wert waren. Aufgeregt erreichte er gegen Abend wieder Paris. Er fuhr sofort zur Herberge, wo die Kassette mittlerweile gefunden worden war. Aufatmend nahm er sie an sich. Er fand zu seiner Überraschung auch einen Brief vor, der kurz nach seiner überstürzten Abreise eingetroffen war. Der Brief kam aus England vom Sekretär des 16
Prinzen Albert. Es wurde ihm empfohlen, sich bald wieder in London einzufinden. Seine Königliche Hoheit verpflichtete sich, für alle entstehenden Unkosten aufzukommen. Unter diesen Umständen hielt es Bauer für geraten, die Heimreise hinauszuschieben und nochmals den Kanal zu überqueren. Albert empfing den Besucher in einiger Verlegenheit. Er schien nicht gleich die richtigen Worte zu finden und sagte schließlich: „Die Sache ist nicht so einfach durchzusetzen, wie ich dachte. Es gibt viele Widerstände hier gegen Sie als Ausländer. Ihr Unterwasserboot hat nur dann Chancen, sich den Platz zu erobern, der ihm zweifellos gebührt, wenn Sie als Erfinder zurücktreten. Das wird für Sie finanziell eine gewisse Einbuße mit sich bringen. Anderseits können
Der Eiserne Seehund auf dem Grund des Kieler Hafens. Das Ballastelsen ist nach hinten gerutscht, das linke Tretrad zum Antreiben der Schiffsschraube ist herausgesprengt. Die Behörde hatte Bauers Warnungen in den Wind geschlagen und das Tauchboot zu schwach gebaut, so daß die Seitenwände eingedrückt wurden (Abb. rechts). 17
Sie mit ansehnlichen Einkünften rechnen, falls Sie sich mit Engländern zusammentun; auch wenn die Beträge, die den Herstellern zufließen, geteilt werden, dürfte jedem der Partner ein guter Gewinn sicher sein. Eine andere Hoffnung kann ich Ihnen nicht machen, so leid es mir tut." Bauer begriff, daß gewisse Leute darauf ausgingen, ihn in eine abhängige Stellung zu drängen und die Inhaber der Firma, in der er Aufnahme finden sollte, als diejenigen auszugeben, die das Tauchboot ersonnen hatten. Daß der Plan nicht von Prinz Albert stammte, wußte Bauer, da es dem Prinzen offensichtlich schwerfiel, dem Landsmann etwas empfehlen zu müssen, wodurch ihm ein Unrecht zugefügt wurde. Bauer erbat sich Bedenkzeit — aber was gab es da zu bedenken? Er hatte die Wahl, nach Hause zurückzukehren, sich wieder anwerben zu lassen und das ihm so sehr verhaßte Kasernenleben zu führen, oder zu bleiben, wo er war, und mitanzusehen, wie seine Idee in die Tat umgesetzt wurde, sich entwickelte, sich bewährte, wenn auch unter fremder Flagge. Innerlich widerstrebend nahm er den Vorschlag an und trat in das Unternehmen der Herren Rüssel, Fox und Brunei ein. Der Vertrag, der ihn an die Firma band, war in englischer Sprache abgefaßt, die der Erfinder nur mangelhaft beherrschte. Ein Landsmann, der in der Fabrik tätig war, übersetzte ihm den Wortlaut, doch ist die Rolle, die er dabei spielte, undurchsichtig. Es scheint, als hätte er einige, und zwar wesentliche Punkte weggelassen. Jedenfalls war Bauer der Meinung, daß er sich — was die Auswertung seiner Erfindung betraf — als Teilhaber der genannten Herren betrachten dürfe. Er schloß dies aus der Zusage, daß ihm ein Drittel des Nettogewinns garantiert wurde. Er erhielt einen eigenen Arbeitsraum zugewiesen und machte sich sofort daran, die Zeichnungen zu entwerfen, nach denen das Boot gebaut werden sollte. Nach Ablieferung der Skizzen fand er sich täglich auf der zum Betrieb gehörigen Dockanlage ein. Er wollte die Herstellung bis in alle Einzelheiten überwachen. Der Werkmeister hatte aber von der Fabrikleitung keinen Auftrag erhalten, mit der Herstellung des Schiffes zu beginnen. Wenn Bauer Herrn Rüssel oder Sir Charles Fox darüber befragte, wurde er mit Ausreden hingehalten. So verging Monat um Monat, ohne daß etwas geschah. Bauer fühlte 18
sich in der fremden Umgebung, die von seiner Anwesenheit kaum Notiz nahm, ratlos, entmutigt und verletzt. Nachdem mehr als ein halbes Jahr vertrödelt worden war, trat plötzlich ein Ereignis ein, das der Sache neuen Auftrieb gab. Die Regierung entschloß sich, dem Russeischen Unternehmen sofort zehntausend Pfund Sterling zur Verfügung zu stellen und den schnellstmöglichen Bau eines Tauchbootes zu verlangen. Zu seiner Befriedigung bemerkte Bauer kurz darauf, daß die Werft nun tatsächlich mit dem Bau des Schiffes begann. Aber die Werkleitung verständigte ihn nicht. Er ließ sich bei Rüssel melden und erfuhr, daß man ihn zu übergehen plane. „Wir müssen leider auf Ihre Erfindung verzichten!" sagte Rüssel. „Wir werden selbst so ein Unterwasserfahrzeug konstruieren." Bauer hatte in den abgelaufenen Monaten seine Sprachkenntnisse genügend erweitert, um dem Herrn sagen zu können, was er von ihm hielt. Wenige Stunden danach wurde ihm der Entlassungsbrief zugestellt, aber Bauer lehnte es ab, sich auf diese Weise ausschalten zu lassen. Er führte eine Unterredung mit dem anderen Chef der Firma, Sir Charles Fox, herbei. Fox erklärte, Bauer habe verschiedenen Leuten Einblick in seine Erfindung gewährt. Dadurch sei sie sozusagen Allgemeinbesitz geworden. „Ich habe nur solchen Leuten Einblick gewährt, die ich für Ehrenmänner hielt", stieß der Erfinder hervor. Sir Charles zuckte die Achseln und tat, als verstände er nicht, was gemeint war. Da von dieser Seite Unterstützung nicht erwartet werden durfte, wandte sich Bauer an den Prinzen. Albert sah jedoch keine Möglichkeit, in Streitigkeiten zwischen einem Untertanen der Königin und einem Ausländer einzugreifen. Entschlossen, nichts unversucht zu lassen, drang Bauer bis zum Herausgeber einer großen Zeitung vor, um durch eine Flucht in die Öffentlichkeit sein Recht zu erlangen. Der Zeitungsmann erklärte jedoch, daß er mit der Sache nichts zu tun haben wolle, und dieselbe Antwort erteilte man ihm bei einem andern britischen Blatt. Er mußte einsehen, daß niemand sich für ihn verwenden werde. Es blieb ihm .also nur der Rechtsweg. Dazu gehörte aber Geld, und seine finanzielle Lage erlaubte ihm nicht, an die Führung eines Prozesses zu denken. Immerhin wollte er wissen, wie ein Anwalt seine Chancen 19
beurteile. Stand seine Sache gut, so mußte es möglich sein, jemand zu finden, der ihm gegen Beteiligung an dem zu erwartenden Gewinn die nötigen Mittel vorstreckte. Die Auskunft, die er bekam, war enttäuschend. Der Vertrag, durch den er sich gesichert glaubte, enthielt keinerlei Verpflichtungen für die Firma, sondern nur Pflichten für ihn. Man hatte ihm eine unvollständige Übersetzung in die Hände gespielt. • Unter diesen Umständen wäre eine Klage sinnlos gewesen. Die einzige Stelle, die auf Scott Rüssel und seine Partner Einfluß nehmen und ihnen klarmachen konnte, daß es ihrer nicht würdig sei, sich auf diese Weise zu bereichern, war Sir James Graham. So machte sich Bauer also erneut auf den Weg. Achselzucken war alles, was er erntete. Daß Bauer seine Beherrschung verlor, kann man ihm nicht verargen. „Ich weiß, was ich tue!" rief er zuletzt. „Ich fahre nach Rußland und biete den Russen mein Tauchschiff an!" Der Lord erhob sich. „Wenn Sie das tun und wir kriegen Sie zu fassen, hängen wir Sie an die höchste Spitze eines Mastes!" antwortete er mit unbewegtem Gesicht. „Und wenn ich eines eurer Schiffe zu fassen kriege, versenke ich es an die tiefste Stelle des Meeres!" gab Bauer zur Antwort.
Bauer setzt sich von London ab Tatsächlich hatte Bauer gar nicht ernsthaft erwogen, nach Rußland zu gehen. In der Erregung des Augenblicks war ihm die Drohung entschlüpft. Als er aber gewahr wurde, welche Wirkung seine Worte gehabt hatten, nahm der Wunsch, sich trotz aller Widerstände durchzusetzen, völlig von ihm Besitz. Nach längerem Überlegen ließ er in St. Petersburg anfragen, ob man an einem Tauchboot interessiert sei und dem Erfinder eine Reise nach Rußland ermöglichen wolle. Von Petersburg kam eine zusagende Antwort. Die Mittel zur Reise wurden ihm vorgestreckt. Als Bauer im Begriffe war abzureisen, erhielt er den Besuch eines Zollinspektors, der zu seinen Bekannten zählte. „Sie reisen ab?" begann der Inspektor das Gespräch. 20
Ein sechster Sinn warnte Bauer, von seinen Plänen zu erzählen. Er tat verwundert und erkundigte sich, was den Beamten veranlasse, dies anzunehmen. „Eigentlich ist es ein Amtsgeheimnis, aber Sie werden mich, nicht verraten", erwiderte der Zöllner. „Wir haben vom Staatssekretariat des Innern, dem wir unterstellt sind, die Weisung erhalten, bei Ihrer Ausreise Skizzen, die sich in Ihrem Gepäck befinden, insbesondere aber die Nachbildung eines Schiffes, zu beschlagnahmen." „Mit welcher Begründung?" „Die Ausfuhr soll unsere Interessen schädigen." „Sie müssen selbstverständlich tun, was Ihre Pflicht ist", versetzte Bauer, nahm sich aber gleichzeitig vor, den Zollorganen keine Gelegenheit zu geben, dem erhaltenen Befehl zu entsprechen. Er glaubte den Grund für diese Verfügung zu erraten. Scott Rüssel hatte mittlerweile wahrscheinlich erkannt, daß es vorschnell von ihm gewesen war, den Erfinder zu entlassen. Bauer hatte nämlich den Leitern der Firma nicht vollen Einblick in alle Einzelheiten seines Tauchschiffes gegeben und Rüssel mochte das inzwischen erkannt haben. Sobald es finster geworden war, machte er sich auf den Weg zu einem Fischer, der ihm ab und zu sein Boot geliehen hatte. Er überließ es ihm auch an diesem Abend und erklärte sich bereit, bis Blackwall mitzukommen und das Fahrzeug dann wieder zurückzurudern. In Blackwall legten die großen Dampfschiffe an, und der Erfinder hoffte, daß die Weisung des Staatssekretärs noch nicht an alle Zollstationen durchgegeben worden war. Tatsächlich war man in London überzeugt, daß Bauer in Greenwich, wo sich sein Quartier befand, an Bord gehen werde, und hatte deshalb versäumt, auch andere Zollbehörden auf ihn aufmerksam zu machen. So gelang es ihm, die britischen Hoheitsgewässer ohne jede Schwierigkeit zu verlassen. Nahezu drei Jahre war er in England gewesen. Wiederholt hatte er geglaubt, am Ziel zu sein und endlich seinen Lohn ernten zu können. Zuletzt aber hatte sich alles immer wieder in Rauch aufgelöst. Er stand dort, wo er zu Anfang gestanden hatte, war vielleicht noch etwas schlechter dran, denn damals hatte ihm seine Erfindung allein gehört, während sie jetzt — wenigstens teilweise — im Besitz von Leuten war, die alles daran setzen würden, Nutzen daraus zu ziehen. 21
Der Dampfer nahm Kurs auf Hamburg. Als er dort angekommen war, ereignete sich etwas Merkwürdiges: Ein Mann, dessen Äußeres den Engländer verriet, kam an Bord, klopfte an die Kapitänskajüte und ersuchte, ihm zu einer Unterredung mit Wilhelm Bauer zu verhelfen. Der Schiffskommandant sah keinen Grund, die Bitte abzuschlagen, schickte nach dem Fahrgast und ließ die Herren allein. „Sie wünschen?" fragte der Erfinder mißtrauisch. „Ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, unter welchen Bedingungen Sie bereit wären, nochmals nach London zu kommen?" „Unter keiner Bedingung. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, sind nicht derart, daß ich den Wunsch hätte, mich dort nochmals aufzuhalten." „Und wenn ich nun bevollmächtigt wäre, Ihnen eine hochbezahlte Position zuzusichern?" „So würde ich darin nur einen Versuch erblicken, meiner habhaft zu werden, um mich zu hindern, mein Tauchboot anderswo zu bauen." „Ich könnte Ihnen Garantien geben — ", fiel der Unterhändler ein. Bauer lachte. „Ich kann mir denken,' wie die Dinge liegen. Scott Rüssel kann nicht weiter. Es ist ihm klargeworden, daß er sich meiner zu früh entledigt hat. Sagen Sie Ihren Auftraggebern, daß sie es in der Hand hatten, mich anständig zu behandeln — jetzt ist es dazu zu spät." Er wandte dem Unterhändler den Rücken und ging dem Fallreep zu. Es war keine Zeit zu verlieren. Noch am selben Abend wollte er die Fahrt nach Berlin antreten. Dort traf nach einiger Zeit der Bescheid ein, Bauer möge sich über Warschau nach Petersburg begeben. Da von Warschau aus noch keine Zugverbindung nach der russischen Hauptstadt bestand, brachte ihn eine Troika, die von Poststation zu Poststation mit frischen Gäulen bespannt wurde, in fünftägiger Tag- und Nachtreise ans Ziel.
Vom Pech verfolgt Ehe Bauer Zeit fand, sich vom Reisestaub zu säubern, holte ihn eine Karosse ab und brachte ihn ins Ministerium. Der zweite Sohn des Zaren, Konstantin Nikolajewitsch, empfing ihn. Es zeigte sich, daß 22
der Großfürst über die früheren Bemühungen, Unterwasserschiffe zu bauen, genau unterrichtet war. „Sie sind nicht der erste, der sich auf diesem Gebiet versucht", sagte er. „Der Franzose Dcscartes zählt zu Ihren Vorgängern, dann der Amerikaner Robert Fulton, der Erfinder des Dampfschiffs, dann wieder ein Franzose, der Baudouin oder so ähnlich hieß, ferner der Holländer Drebbel und schließlich ein gewisser Jansen, ein Däne, der in England lebte. Sein Apparat war so gut, daß das britische Parlament seine Verwendung untersagte, aus Angst, einen Teil der Zollgebühren einzubüßen; denn daß ein solches Fahrzeug dem Schmuggel Tür und Tor öffnen kann, liegt auf der Hand." „Ich weiß, daß ich Vorgänger habe", gab Bauer zur Antwort. „Sie sind sich aber hoffentlich im klaren, daß Ihre Konstruktion noch große Mängel aufweist?" „Von Mängeln ist mir nichts bekannt. Ich glaube vielmehr bewiesen zu haben, daß mein Tauchboot zu vielerlei Zwecken dienstlich sein kann." „Möglich — aber vorerst hat es einigen Menschen das Leben gekostet." „Das ist ein Irrtum. Wohl waren wir nahe daran zugrunde zu gehen, als das Schiff seinerzeit in Kiel eine Probefahrt unternahm, aber wir sind alle heil davongekommen —" „Davon ist nicht die Rede!" fiel ihm der Großfürst ins Wort. „Ich spreche von dem Untergang des Fahrzeugs, das Sie — wie man mir sagt — für Scott Rüssel in England gebaut haben." Bauer vergaß völlig, wo er war und daß er dem Sohn des Zaren gegenübersaß. Er sprang auf und schrie: „Ich habe für Scott Rüssel nie ein Tauchboot gebaut. Sie haben meine Pläne schlecht kopiert, sonst wäre das Unglück nicht geschehen, von dem ich im übrigen zum erstenmal etwas höre." Bauer sprudelte alles hervor, was ihm in der Russeischen Fabrik widerfahren war. Er schilderte, wie man ihn düpiert, wie man ihn nachher kaltgestellt und ihm schließlich seine Erfindung aus den Händen genommen hatte, in dem Glauben, sich die Idee eines Landesfremden aneignen zu dürfen. „Dann haben die Herren wahrscheinlich erkannt", sagte er, „daß ich doch nicht vollkommen entbehrlich bin; sie schickten Leute hinter mir her. Da ich mich weigerte zurück23
zukehren, blieb der Fabrik nichts übrig, als mit einem unzulänglichen Boot in See zu gehen. Rüssel und Fox werden wohl vorsichtig genug gewesen sein, nicht mitzufahren. Die armen Teufel, die den Apparat bedienten, haben sie auf dem Gewissen." Der Großfürst sah ihm eine Weile in die Augen. „Ich glaube Ihnen", sagte er. „Wir werden es nicht so machen." Trotz aller Enttäuschungen, die hinter ihm lagen, schöpfte Bauer neue Hoffnung. Und dazu hatte er auch guten Grund, denn hier lagen die Dinge ganz anders als in London. Prinzgemahl Albert war gezwungen gewesen, alles zu vermeiden, was den Eindruck erwecken konnte, als maße er sich Rechte an, die nur seiner königlichen Gemahlin zustanden. Großfürst Konstantin dagegen schien selbständig entscheiden zu können. Bauer zog nur eines nicht in Betracht: die im zaristischen Rußland tief eingewurzelte Korruption. Es begann damit, daß er bei der Kontrolle einer dem Ministerium vorgelegten Rechnung 16 700 Rubel verzeichnet fand, die er nie ausgegeben hatte. Er tobte durch die Räume. Die Beamten, die bisher gewohnt gewesen waren, in die eigene Tasche zu arbeiten, sahen sich plötzlich einem starrköpfigen Manne gegenüber, der unnachsichtig alles strich, wofür die Belege fehlten. Und ebenso verfuhr er auch, wenn ohne seine Genehmigung Anschaffungen gemacht wurden, die nur den Zweck hatten, von den Lieferanten Bestechungsgelder zu verlangen. Nach außen hin waren die Maßnahmen, die Bauers Tätigkeit entgegenwirkten, kaum zu erkennen. Der Direktor der Fabrik, in der das Tauchschiff hergestellt wurde, entließ unter irgendeinem Vorwand jene Werkleute, die der Erfinder mit vieler Mühe für die Ausführung von Spezialarbeiten angelernt hatte. Geriet unter solchen Umständen das Ganze ins Stocken, so wurde das zum Anlaß genommen, den Großfürsten gegen Bauer aufzuhetzen. Konstantin hielt zwar nach wie vor zu ihm, erachtete es aber immerhin für nötig, ein Komitee einzusetzen, das den Fortgang der Bauarbeiten überwachen sollte. Zunächst schienen die Aussichten für Bauer günstig zu sein. Sein Tauchboot wurde dazu ausersehen, anläßlich der Krönungsfeierlichkeiten des Zaren Alexander IL, am 7. September 1856, der Schauplatz eines Unterwasserkonzertes zu werden. Es war für Bauer ein großes Ereignis: „Mit dem ersten Signalschuß von Kronstadt her", heißt es in einem zeitgenössischen Bericht, 24
„senkte sich das UnterwasserschifF in die Tiefe, und alle waren von der Größe des Augenblicks ergriffen. Hierauf folgten Toaste und Festmärsche .. . Unstreitig ist diese Musik die erste, die in einem unter dem Meeresspiegel schwimmenden Schiffe stattfand." Die .Musiker waren mit ihren Instrumenten mutig mit hinabgetaucht und hatten im sehr beengten Schiffsraum das Ständchen zu Ehren des Zaren zum besten gegeben. Aber Bauers Glücksgefühle sollten nicht lange anhalten. Auch in Petersburg waren offenbar Kräfte am Werk, die einem Ausländer Erfolge nicht gönnten. Bauer beschäftigte sich deshalb schon mit anderen Plänen. Er hatte einen Motor erfunden, der mit Petroleum angetrieben wurde. Als er darüber nachdachte, was er mit diesem Motor anstellen könne, kam ihm der Gedanke an ein lenkbares Luftschiff. Auf seinem Arbeitstisch entstanden die ersten Pläne: mehrere Luftballons sollten hintereinandergekoppelt und wie beim späteren Zeppelin unter einer einzigen Hülle zu einem langgestreckten Groß-
Wilhelm Bauers Taucherkammer für Fischfang und Unterwasserbauwerke. 25
ballon vereinigt werden. Die Spitze wollte er durch Stäbe versteifen und dort auch die Bedienungsmannschaft unterbringen. Sein Motor sollte einen Luftpropeller antreiben, Steuerflächen sollten das Luftschiff lenkbar machen. Aber aus all diesen Plänen — auch über eine Tauchkammer für Arbeiten unter Wasser sann er nach — wurde er jählings herausgerissen, als sieh etwas ereignete, was nur Schikane sein konnte. An jenem Tage hatte er vertrauensselig die Steuerung seines Tauchbootes einem seeerfahrenen Herrn des Komitees überlassen, während er sich im Maschinenraum zu schaffen machte. Das Boot befand sich noch im seichten Wasser. Der Steuermann ließ plötzlich das Schiff mit voller Geschwindigkeit auf Grund fahren. Im nächsten Augenblick war die Schraube von Tang und anderen Meerespflanzen umwickelt, so daß keine Möglichkeit mehr bestand, vom Fleck zu kommen. Weit über eine Stunde tat Bauer, was in seinen Kräften stand, um das Tauchboot wieder flott zu machen, dann erkannte er, daß alles nutzlos war. Es blieb nur noch eines übrig: das Wasser, das als Ballast diente, aus den Tanks zu pressen. Der Kopf des Bootes erhob sich über die Meeresfläche, während der rückwärtige Teil noch festsaß. Der Steuermann benutzte diesen Augenblick dazu, um die Luke, die bereits zur Hälfte freilag, zu öffnen, sich hinauszuschwingen und einen in der Nähe wartenden Kahn zu erklettern. Im gleichen Augenblick ergossen sich die Wassermassen ins Innere. Minuten später sank das Fahrzeug. Bauer und die Besatzung retteten sich durch Schwimmen. Wenn seine Widersacher gehofft hatten, den Großfürsten auf diese Art endlich davon überzeugen zu können, daß er sein Wohlwollen an einen Stümper verschwendet habe, so täuschten sie sich. Konstantin durchschaute das Spiel, trennte sich von den Herren, die er als Überwachungs-Kommission eingesetzt hatte, und verlieh dem Erfinder den Titel eines Submarine-Ingenieurs, der mit festen Bezügen verknüpft war und ihn einem Major gleichstellte. Zum Zeichen seines Vertrauens beauftragte er ihn auch mit der Herstellung eines Modells für ein größeres Über- und Unterwasserschiff. Bauer ging sofort an die Arbeit. Er glaubte, sich und sein Werk zuletzt doch noch durchsetzen zu können. Das Tauchboot war inzwischen wieder an die Oberfläche befördert worden, und man du rfte 26
annehmen, daß es nach der Reparatur seine Probefahrten w' d aufnehmen könne. Bauers Gegner aber hatten die Absicht ihn seiner Stellung zu verdrängen, noch nicht aufgegeben, und bald sollten sie freie Bahn haben. Der Zufall wollte es, daß Großfürst Konstantin mehrere Monate von Rußland abwesend war. Während" dieser Zeit häuften sich die Schikanen in solchem Maße, daß Bauer wiederholt im Begriffe stand, seine Entlassung als kaiserlich-russischer Offizier zu verlangen, doch er beherrschte sich. Die Gegenseite aber gab nicht nach. Voll Ungeduld wartete Bauer auf die Rückkehr des Großfürsten Konstantin. Doch als Konstantin endlich zurückkam, war sein Verhalten für den Erfinder eine einzige Enttäuschung. Hohe Herren haben ihre Launen. In diesem besonderen Falle mag zu der Mißstimmung des Großfürsten die Tatsache beigetragen haben, daß er es müde geworden war, dauernd zwischen dem Mann mit dem bayerischen Dickschädel, der nie ein Blatt vor den Mund nahm, und den Leuten zu vermitteln, die auf feine Manieren und eine salonfähige Sprache ebenso Gewicht legten wie auf althergebrachte Geschäftspraktiken. Als Bauer die Folgerung aus dem gänzlich veränderten Benehmen des Großfürsten zog und seine Entlassung verlangte, wurde sie nicht gewährt. Konstantin, der erkannt haben mochte, daß er in der Person Bauers einen genialen Menschen vor sich hatte, versuchte einzulenken — aber umsonst. Der Erfinder beharrte bei seinem Entschluß, auch dieses Land, in dem er sich von Intrigen umgeben wußte, zu verlassen. Verärgert über seinen Starrsinn, gab ihn der Großfürst schließlich frei. An Stelle einer noch offenen Zahlung wurde ihm das Recht eingeräumt, das Tauchschiff, das er gebaut hatte, zu veräußern. Ein gewisser Rastarieff trat als Käufer auf, offenbar ein vorgeschobener Zwischenhändler, der das Unterseeboot als Alteisen für ein Spottgeld an sich brachte. Den Wert des Bauerschen Apparates hatte man also anscheinend sehr wohl erfaßt. Da das Fahrzeug bis zu dem Tage, an dem der Erfinder Rußland verließ, hundertvierunddreißig Fahrten unternommen und damit bewiesen hatte, daß es über und unter dem Meeresspiegel gleich zuverlässig funktionierte, war seine Brauchbarkeit auch gar nicht zu bestreiten. 27
Neue Pläne und neue Erfindungen Im Mai 1858 traf Bauer, nach jahrelanger Abwesenheit, wieder in der bayerischen Hauptstadt ein. Er war überzeugt, daß man ihm wenigstens hier einen Wirkungskreis, der seiner Begabung entsprach, übertragen werde. Man wußte ja in München, daß der Landsmann in London vom Prinzgemahl der Königin, in St. Petersburg vom Sohn des Zaren empfohlen und gefördert worden war — was lag also näher, als daß man ihm in der Heimat ein Tätigkeitsfeld anweisen würde, in dem er sich entfalten konnte? Der König selbst verwendete sich für den Heimkehrer. Er schärfte dem zahlenden Minister ein, Wilhelm Bauer nicht zu vergessen, sobald eine Stellung, für die er in Betracht gezogen werden konnte, zur Besetzung frei würde. Während der Erfinder die Wirkung des königlichen Wohlwollens abwartete, trat er an die Akademie der Wissenschaften heran mit der Bitte, seine Konstruktion zu begutachten. Er hoffte, daß ein günstiges Urteil von so maßgebender Seite die Personen, die staatliche Stellungen vergaben, bewegen werde, ihm erhöhte Bezüge zu bewilligen. Im Bericht der Akademie heißt es: „Eine eigentümliche Leistung von Schiff und Taucherglocke, durch welche sich die Erfindung des Herrn Bauer vor Erfindungen, die zu ähnlichen Zwecken dienen sollen, auszeichnet, besteht darin, daß die Luft im Apparat in ungeänderter Pressung bleibt, also unabhängig ist von den Tiefen, die erreicht werden. Zu diesem Zweck wird der Raum, der die Bemannung des Schiffes aufnimmt, Wasser- und luftdicht verschlossen und das Senken und Erheben des Apparates wird durch die im Schiffe befindliche Mannschaft dadurch bewirkt, daß dieselbe einen Kolben in einem nach der Wasserseite offenen Zylinder zurück- oder vorschiebt. Der Pumpapparat verdrängt je nach der Stellung des Kolbens mehr oder weniger Wasser. Indem mit dieser Vorrichtung die Mitfahrenden es in ihrer Gewalt haben, den Auftrieb des Schiffes zu ändern, ist in der Tat Senken, Erheben und Schwebenlassen in beliebigen Tiefen erreichbar. In diesem Teil der Erfindung spricht sich ein sehr anerkennungswertes technisches Talent des Erfinders aus. Die Schwierigkeiten, welche der Ausführung im großen sich entgegensetzten, sind durch eine Reihe sinnreicher Anordnungen und Erfindungen beseitigt, und alles ist auf anerkannt richtige Prinzipien gestützt." 28
Bauer sorgte dafür, daß der Inhalt des Schriftstücks an hoher Stelle bekannt wurde, und sah voll Zuversicht einer Ernennung als Lehrer an einer technischen Anstalt oder als Sachverständiger für Schiffsbauten entgegen. Die Berufung ließ jedoch auf sich warten. Endlich kam das amtliche Schreiben, auf dessen Eintreffen er von Tag zu Tag gehofft hatte. Es enthielt das Angebot, in einer königlichen Fabrik als Werkmeister einzutreten, eine Stellung, die mit einem Gehalt von nicht ganz fünfundzwanzig Gulden im Monat verknüpft war. Daß sich Bauer gekränkt fühlte und ablehnte, ist verständlich. Er begriff, daß die untere Behörde mit diesem Angebot zum Ausdruck bringen wollte, er sei in ihren Augen kein Erfinder, sondern ein ehemaliger Unteroffizier, der sich zu seinem Vergnügen mit technischen Spielereien abgebe. Zum Glück konnte Bauer vorerst von den Ersparnissen zehren, die er aus Rußland mitgebracht hatte, und auf einen würdigeren Wirkungskreis warten, der sich ihm — wie er glaubte — über kurz oder lang bieten würde; aber er hoffte vergebens. Schließlich ging sein Kapital zur Neige. Ehe es völlig aufgezehrt war, mußte etwas geschehen — aber was? Zuletzt beschloß er trotz allem, sein Glück noch einmal in England zu versuchen. Es schien anfangs auch wirklich, als sollte er diesmal hier ein ihm zusagendes Tätigkeitsfeld finden. Aber wieder gab es Zerwürfnisse, und er kehrte enttäuscht zurück. Auch nach Triest, wo man ihm acht Jahre vorher große Hoffnungen gemacht hatte, die dann in nichts zerronnen waren, fuhr er noch einmal, vielleicht in der Erwartung, seinerzeit begangene Fehler wiedergutmachen zu können, doch auch diese Reise erwies sich als ein Fehlschlag. So kehrte er verbittert in seine Heimat zurück. Er überließ sich jedoch nicht lange der düsteren Stimmung, die ihn befallen hatte, sondern stürzte sich wiederum in die Arbeit. Pläne, die ihn schon in St. Petersburg beschäftigt hatten, griff er wieder auf, vor allem Hebegeräte für untergegangene Schiffe und weitere Tauchgeräte für Fischerei und Unterwasserbau. Er entwarf auch — es war im Jahre 1866 — ein Flugzeug in Vogelform und mit Windradpropeller, mit seinem Petroleummotor als Antrieb. Aber keine dieser Ideen oder Erfindungen konnte er in Geld verwandeln, das 29
er so notwendig zum Leben brauchte. Die Zukunft lag grau vor ihm. Das Elend schien unabwendbar, und das um so mehr, als sich Anzeichen eines Leidens zeigten. Einen Lichtblick in seiner enttäuschungsreichen Laufbahn als Ingenieur bildete die berühmtgewordene Hebung des Dampfers „Ludwig" auf dem Bodensee, der durch den Dampfer „Zürich" gerammt worden war. Seine Idee, durch Fässer, die er an dem gesunkenen Schiffe befestigte und die er durch Pumpen mit Luft füllte, das Schiff zu heben, wurde zu einem Mißerfolg. Das Achselzucken der Sachverständigen, laut vorgetragene Zweifel der Praktiker, das Geschwätz jener, die überhaupt nichts davon verstanden, vereinigten sich zu einem einzigen Kesseltreiben gegen Wilhelm Bauer, als beim ersten Versuch die Eichenfässer unter dem Wasserdruck zerbarsten. Aber Wilhelm Bauer ließ sich nicht von seinem Gedanken abbringen und arbeitete unverdrossen an der Anfertigung besserer Hilfsmittel. Er mußte den Sieg über die Besserwisser davontragen! Bauer brachte statt der Fässer Ballone mit kräftiger Hülle an dem Schiff an und ließ sie aufpumpen. Von den luftgefüllten Ballonen gehoben und getragen, wurde der Dampfer ans Schweizer Ufer gebracht. Ein zeitgenössischer Bericht feierte die Hebung des Postdampfers „Ludwig" mit folgenden Worten: „Der ,Ludwig' ist gehoben und mit ihm eine Legion von Zweifeln. Indem er emporstieg, sank das Geschwätz der Kannegießer in die Tiefe. Luft, nichts als Naturkräfte haben den Dampfer gehoben! Die daran glaubten, freuen sich; die nicht wußten, was sie wollten, wissen auch jetzt nicht viel mehr, als daß er gehoben ist, ohne ihr Zutun. Wer es einst unternimmt, die Biographie Bauers zu schreiben, wird die Leidensgeschichte eines Mannes geben müssen, der für seine Erfindungen zwar nicht ohne vereinzelte Anerkennung blieb, dem aber fast alle Gelegenheiten und Unterstützungen verweigert wurden, seine Erfindungen anzuwenden. Erst die Hebung des Dampfers ,Ludwig' ist die erste Probe vor einem größeren Publikum. Die Frage liegt nahe, ob ohne das Unglück Bauers Erfindung bald, ob sie überhaupt zur Geltung oder Anwendung kommen wird." Trotz dieses Erfolges blieb im Bauer-Hause Schmalhans Küchenmeister. Hätten nicht Leute, die an seinem Schicksal Anteil nahmen, 30
den König aufmerksam gemacht, wie es um ihn stand, wäre er binnen kurzem obdachlos geworden. Ludwig IL, der inzwischen seinem Vater auf dem Thron gefolgt war, ließ zahlreichen vergessenen Künstlern und Wissenschaftlern aus seiner Privatschatulle Unterstützungen zukommen. Auch in diesem Falle erwies er sich als freigebig und gewährte dem Erfinder einen Ehrensold von vierhundert Talern, die ihm auf Lebenszeit zugesichert wurden. Bauer konnte sich nicht lange der königlichen Spende erfreuen. Am 18. Juni 1875 starb er im Alter von dreiundfünfzig Jahren.
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