OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 1» DOPPELBÄNDEN
ZWISCHEN DEN ZEI...
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OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 1» DOPPELBÄNDEN
ZWISCHEN DEN ZEITEN
Unter diesem Titel ist der Doppelband 37/38 der neuen Weltgeschichte erschienen. Der Doppelband behandelt den 2. Teil des 19. Jahrhunderts ,-.
Der Kaiser Europas, der Bannerträger der Revolutionsideen, ist besiegt und gestürzt. Die Hoffnungen der Freiheitskämpfer aber erfüllen sich nicht. Die Reaktion ringt mit dem Selbstbewußtsein der erwachenden Volker. Die Forderung der Unterdrückten nach neuer sozialer Ordnung, der Aufstieg der Technik, Industrialisierung, Beschleunigung des Weltverkehrs und endlich die Veränderung des Weltbildes durch neue Entdeckungen, Theorien und gelehrte Systeme — all das stellt diese Jahre von 1815— 1850 zwischen die Zeit von gestern und heute
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktäfeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom VERLAG SEBASTIAN L U I • MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK
KLEINE
B I B L I O T H E K DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEINRICH
DITTMAR
Kunsffälscher arbeiten nach den Rezepten alter Meister
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU-MÜNCHEN-INNSBRUCK
HEFTE
Ein achter Spitzweg in Privatbesitz: „Flötenkonzert"
Spitzweg und das Okume-Holz In den ersten Jahren nach dem Kriege besuchte ich einen alten Maler, den seine Freunde einen „zweiten Spitzweg" nannten. Der Alte hörte es nicht ungern, lebte er doch idyllisch genug in einem bayerischen Städtchen, hoch oben unter dem schweren Gebälk eines jener alten Häuser, unter deren Giebel Spitzweg als junger Apothekergehilfe manches Mal vorübergegangen sein mochte. Und die Bilder des Alten zeigten, wie sehr er die beschauliche Malerei des liebenswürdigen Malerpoeten schätzte. Als ich ihn eines Abends wie so oft zu einem Plauderstündchen besuchte, fand ich ihn ungewöhnlich erregt, er schimpfte auf gut
bayerisch: „So ein Haderlump, bringt, mir doch der Kerl eine alte Leinwand daher .. . aber rausgeschmissen hab' ich ihn!" „Rausgeschmissen?", fragte ich, „warum das? Was hat er denn mit der Leinwand gewollt?" „Malen haib' ich sollen, verstehn's?" Nichts verstand ich. „Seien Sie doch froh, daß Sie endlich einmal einen Auftrag haben!" „Froh? Wie Spitzweg hab' ich malen sollen, verstehen Sie denn immer noch nichts?" — Jetzt hatte ich begriffen: Eine alte Leinwand . . ., eine Spitzwegkopie . . . „Dann hat er also eine Fälschung von Ihnen verlangt?" „Natürlich, und dabei sollte der Kerl doch wissen, daß Spitzweg meistens auf Holz gemalt hat, sogar die Deckel seiner Zigarrenkisten hat er bemalt — das war noch recht gutes Holz damals!" „Wissen's", fuhr er fort, „die Zeiten sind schlecht für uns Maler, die Leute, die Geld haben, kaufen entweder ein ganz modernes Bild oder sie suchen nach alten Meistern, die hoch im Kurs stehen. Kein Wunder, daß der Weizen der Fälscher blüht! Aber ich möchte nicht, daß es mir wie meinem Freund Toni geht " Und er begann, mir die Geschichte der falschen „Spitzwegs" zu erzählen . . . Eigentlich ist eine Dampfheizung daran schuld gewesen, daß die ganze Sache ans Tageslicht gekommen ist. Einer wohlhabenden Dame aus dem Rheinland waren im Jahre 1936 Spitzwegbilder angeboten worden, die angeblich aus Familienbesitz stammten. Man verlangte 132 000 Mark dafür. Das war damals wie heute keine Kleinigkeit. Aber der Dame schien dieser Preis nicht zu hoch für Originale des von ihr verehrten Meisters. Sie kaufte die Bilder. Wie das in den engen, modernen Wohnungen nun mal passiert — eines der Bilder hing unmittelbar neben der Dampfheizung. Bald darauf begann sich das Bild zu werfen. Entsetzt fragte die Dame einen Experten um Rat. Es stellte sich heraus, daß die Farbe auf ein dünnes Holzplättchen aufgetragen war. das man auf eine andere Holzplatte geklebt hatte, von der es sich jetzt zu lösen begann. Das war verdächtig für ein Spitzwegbild, sollte es eine Fälsdiung sein? Die Unterlage bestand aus afrikanischem Okumehoiz. Da der Fachmann wußte, daß Spitzweg auf Zcdernholz. Pappe oder Leinwand gemalt hatte, bestärkte sich der Verdacht, es hier mit einer Fälschung zu tun zu haben. 3
Man sagte sich: Es ist unwahrscheinlich, daß Spitzweg diese seltene Holzart gekannt hat. Versuchen wir also zuerst herauszubekommen, ob es zu seinen Lebzeiten überhaupt schon Okumeholz in Deutschland gegeben hat. Man stöberte in alten Hafenlisten herum und fand im Hamburger Staatsarchiv für angewandte Botanik, daß die ersten drei Tonnen Okumeholz im Jahre 1891 eingeführt worden waren; Spitzweg aber ist 1885 gestorben. Bald war man den Fälschern auf der Spur. Die Bilder stammten von einem elsässischen Kaufmann, der hatte sie auf Umwegen von einem süddeutschen Kunsthändler erworben, und der Händler bezog sie von dem Maler Toni, der in bescheidenen Verhältnissen in Traunstein lebte. Toni war bestürzt, als die Kriminalpolizei bei ihm auftauchte, und diese Bestürzung war echt. Seine Beteuerungen, Kopien nach Spitzweg und nichts als diese angefertigt zu haben, wurden durch die Untersuchungen der Bilder bestätigt. Tatsächlich hatte er die Gemälde mit seinem Namen signiert und, wie es Kunstbrauch ist, daneben geschrieben: „Kopie nach Spitzweg". Die Zwischenhändler aber, die eigentlichen Fälscher, hatten alles mit Ausnahme des Wortes „Spitzweg" übermalt und sich auch sonst typischer Fälschermethoden bedient, um die frischen Kopien in „alte Originale" zu verwandeln. So hatten sie unter anderem von den Sperrholzplatten, auf die Toni seine Kopien gemalt hatte, die unteren Schichten abgelöst und statt ihrer alte Hölzer, wie das Okumeholz, aufgeklebt. Kurz vor Kriegsausbruch standen sie vor der Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, und was in der Verhandlung zutage kam, war in mehrfacher Hinsicht peinlich. Zunächst: Daß für mehr als eine Million Mark insgesamt 54 Spitzweg-Kopien in den Handel gekommen waren; manches dieser Bilder hatte den Fälschern 40 000 Reichsmark eingebracht, während der Maler," der kaum jemals seinen Wohnort verlassen hatte und der sieh freute, immer neue Aufträge zu bekommen, 300 Mark für ein Bild erhalten hatte. Peinlich war ferner, daß einige „Spitzweg-Experten" auf den Schwindel hereingefallen waren und daß sie Echtheitsbescheinigungen, sogenannte „Expertisen", mit ihrer Unterschrift ausgestellt hatten. Die Fälscher wurden zu Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt. Der Maler Toni aber, der die Fünfzig längst überschritten hatte, konnte mit Recht behaupten, daß seine Studien in der Münchner I
Pinakothek und der Schack-Galerie nicht vergeblich gewesen waren: Er war zum besten Spitzweg-Kopisten seiner Zeit geworden und ist dies wohl bis zu seinem Tode im Jahre 1950 geblieben.
500 000 falsche „Dürer" „Von den 2500 Bildern, die Corot, der französische Landschaftsmaler des 19. Jh. und Vorläufer der Impressionisten, in seinem Leben gemalt hat, befinden sich 7800 in Amerika!", so erzählt man sich sarkastisch in Kunstkreisen. Mag das auch ein wenig übertrieben sein, so ist doch das Ausmaß der Bildfälschungen tatsächlich erschreckend groß. Dafür nur einige Beispiele: Im August 1948 legte man dem Direktor des Städtischen Museums in Amsterdam mehrere hundert Zeichnungen und achtzig Ölgemälde zur Begutachtung vor, die von van Gogh angefertigt sein sollten. Alle Bilder erwiesen sich als Fälschungen, so daß Klage bei der Staatsanwaltschaft gegen „Unbekannt" erhoben wurde, um van Goghs Werk zu schützen. Oder: Die Genfer Polizei beschlagnahmte im Dezember 1951 in einer armseligen Dachkammer bei einem alten Mann dreißig gefälschte Gemälde, meist nach französischen Impressionisten. Der Greis, weißhaarig, mit dem prächtigen Kopf eines Rembrandtbildnisses, gestand schließlich, in den letzten beiden Jahren allein in der Schweiz sechshundert falsche Gemälde verkauft zu haben. Er war Mittelsmann einer Fälscherbande, die ihre Bilder aus Lyon in die Schweiz schmuggelte und bereits Hunderte von Fälschungen auch in Belgien und Großbritannien abgesetzt hatte. Oder: Im Juni dieses Jahres machte man einen italienischen Maler dingfest. Ihm wurden zahlreiche Fälschungen französischer Impressionisten zur Last gelegt, die auf abenteuerliche Weise in Koffern mit doppelten Böden nach Frankreich, der Schweiz, Schweden und den USA geschmuggelt worden waren. Ebenso steht es um die Graphik. Von Dürers Kupferstichen und Holzschnitten sollen nicht weniger als 500 000 Fälschungen im Umlauf sein. 5
Alles wird gefälscht, was überhaupt Sammelwert besitzt: Gemälde, Zeichnungen, Graphiken aller Art, Holz- und Steinplastiken, Schmucksachen, vorgeschichtliche Geräte, angebliche Steinsplitter aus der Frühzeit der Menschheit, ja, sogar Knochen! Aus der neuesten Zeit ist die Affäre um den englischen Rechtsanwalt Dawson bekanntgeworden, der angeblich den Schädel des „ältesten Engländers" ausgegraben hatte und diesen „Eothrantopus" („Morgenröte-Mensch") dem Britischen Museum vermacht hatte. Der Unterkiefer zeigte typische Merkmale eines Menschenaffen. Im Jahre 1953 stellte es sich heraus, daß wohl der Schädel echt, daß aber der Unterkiefer „auf alt" zurechtgemacht war und in Wirklichkeit zu dem Schädelskelett eines neuzeitlichen Schimpansen gehört hatte.
Die „gotischen" Fresken in St. Marien Kurze Zeit vorher hatte der Skandal um die angeblichen Fälschungen mittelalterlicher Fresken in der Lübecker Marienkirche größtes Aufsehen in aller Welt erregt. In der Nacht zum Sonntag Palmarum 1942 wurde Lübeck von einem schweren Luftangriff heimgesucht. Gegen 1 Uhr 30 gellte der Ruf durch die Stadt: St. Marien brennt! Eine Brandbombe hatte den Dachstuhl der Marien-Tiden-Kapelle getroffen. Das Wasser in den bereitgestellten Kupferwannen war gefroren, herabfallende Trümmer klemmten die Schlauchleitungen der Feuerwehr ab. Es war unmöglich, zu helfen. Gegen 5 Uhr morgens stürzte der stolze Helm des Südturmes ein, bald danach folgte der Nordturm. Dann brachen die Gewölbe ein. Am nächsten Morgen war der herrliche Bau, einst Vorbild für die Backsteinkirchen im deutschen Ostseeraum, nur noch eine ausgebrannte Ruine. Als man die Kirche untersuchte, wußte man, daß bald etwas geschehen mußte, wenn man sie retten wollte, denn durch den Einsturz der Gewölbe war das gesamte, bei gotischen Bauten besonders komplizierte statische System aufs äußerste gefährdet. Die Kirche drohte in sich zusammenzubrechen. Aber noch etwas anderes hatte man festgestellt: Die obersten Schichten der Wände waren, vom Feuer durchglüht, aufgesprungen und abgeblättert, und unter ihnen traten Reste von Wandmalereien zutage, von deren Existenz 6
man bisher nichts gewußt hatte. St. Marien, seines Schmuckes und seiner Kunstwerke beraubt, schien im unerschöpflichen Reichtum Älteres, Schöneres in seinen Mauern zu bergen. Man brauchte es nur von den alten Übermalungsschichten zu befreien. Im Jahre 1948 beauftragte das Kirchenbauamt in Lübeck einen Restaurator, die gefährdeten Malereien freizulegen und zu sichern. Eines Tages, so hoffte man, würde St. Marien wieder in alter Schönheit dastehen, vielleicht nicht mehr mit seiner stolzen Helmspitze, dafür aber geschmückt mit den größten und ehrwürdigsten Fresken, die je in einer norddeutschen Kirche freigelegt worden waren. Am 2. September 1951, dem Tag der 700-Jahrfeier der Kirche, war das Werk getan. Hoch oben im Chor leuchtete ein Zyklus großartiger gotischer Fresken, insgesamt 57 überlebensgroße Heiligenfiguren. Sankt Marien hatte, so schien es, ein jahrhundertelang gehütetes Geheimnis freigegeben. „Zweifellos", so hieß es in einem zu dieser Zeit erschienenen Buch, „entstand die Malerei im engen Zusammenhang mit dem Bauvorgang (etwa 1320 bis 1340), ja, man möchte annehmen, daß der Leiter der Werkstätte mit der Bauhütte selbst zusammengearbeitet hat, da jedes Motiv an seinem Platz so genau den Sinn der Bauform erfüllt und unterstreicht." Und dann folgt ein Satz, dessen ungewollter Doppelsinn weder dem Schreiber noch den Lesern aufgefallen war: „In schnellem Tempo muß die Malerwerkstatt gearbeitet haben, man sieht es der kühn zusammenfassenden, oft geradezu stürmischen und doch erstaunlich sicheren Handschrift des Pinsels an. Darin liegt der so überraschend ,moderne' Zug der Malerei." Es war noch kein Jahr seit jener 700-Jahrfeier vergangen, da schrien es die Zeitungen in alle Welt hinaus: „Die Fresken von Sankt Marien sind gefälscht!" — „Kunstskandal in Lübeck!" Eine Gutachterkommission wurde einberufen, der namhafte Kunsthistoriker und Museumsdirektoren angehörten. Vor ihr und vor der gesamten Öffentlichkeit erklärte einer der bei den Restaurationsarbeiten beschäftigten Kunstmaler: „Sämtliche Figuralen in der Marienkirche Lübeck, die bisher als mittelalterliche Entdeckungen ausgegeben wurden, sind entweder neu koloriert oder vollständig neu entworfen und gemalt. Im Chor Obergaden waren nur noch drei Prozent der Originale vorhanden. Bei der Vorbereitungsarbeit gingen auch diese drei Prozent vollständig verloren. Die Figuralen entstanden nach Skizzen aus Prof. Bernaths Buch ,Materien des Mittelalters'. Ich bin in der Lage, hierzu jederzeit Beweis7
Nach'modernen Vorlagen „restauriertes", angeblich gotisches'Fresko
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material und Photographien zu erbringen, die ich vor, während und nach der Arbeit gemacht habe . . ." Im Oktober 1952 hatten die Fachleute ihre sorgfältigen Stil- und Materialprüfungen beendet, sie erklärten: „In den oberen Partien des Chors Obergaden sind die Freilegungen durch die Restauratoren an keiner Stelle bis zur mittelalterlichen Kalkmörtelschicht vorgedrungen. Erst diese unterste mittelalterliche Kalkmörtelschicht trägt einen einheitlich grauschwarzen Farbanstrich mit kleinen Farbeinsprengungen. Rückschlüsse darauf, ob es sich bei dieser zweifelsfrei mittelalterlichen Bemalung um eine ornamentale handelt, sind nicht möglich. Auf jeden Fall kann aber gesagt werden, daß keine Spuren von Figurenmalerei auf dieser mittelalterlichen Schicht gefunden werden konnten, die einer angeblichen Wiederherstellung Richtung gewiesen hätten. Die als alt bezeichnete figurale Bemalung befindet sich also gar nicht auf der mittelalterlichen untersten, sondern auf einer oberen nachmittelalterlichen Schicht und kann schon aus diesem Grunde nicht original sein . . . Die äußerst schwierigen Queruntersuchungen der Schichten erfahren durch die chemische und mikroskopische Untersuchung eine wesentliche Unterstützung. Hierbei ergibt sich einwandfrei, daß es sich bei den nach der Abwaschung durch die Gutachter verbliebenen grauschwarzen Konturlinien der umstrittenen Figuren um Eisenoxydulschwarz handelt, also um eine Farbe unserer Zeit, während erst der zwischen den beiden Schichten liegende schwarz-graue Ton aus Kohleschwarz besteht, also einem Farbpigment, das im Mittelalter ausschließlich benutzt worden ist. Auch alle sonst als alt bezeichneten Farbteile Gelb, Grün und Rot sind moderne, mit einem Bindemittel unserer Zeit (Leim) gebundene Farben. Dagegen sind die auf der mittelalterlichen Putzschicht gefundenen Farben ausnahmslos mit Kalk-Kasein gebunden und bestehen aus einem im Mittelalter ausschließlich gebräuchlichen Farbpigment. Diese einwandfreie chemisch-physikalische Untersuchung bestätigt, was von der Kommission schon seit längerer Zeit auf stilkritischem Gebiet erarbeitet worden ist. Die Gutachter haben durch Gegenüberstellung von Vorlagen, die nach eigener Aussage des Malers von. ihm benutzt wurden, mit den ausgeführten Malereien den Nachweis erbringen können, daß Motive verschiedenster Zeiträume aus verschiedenen Herkunftsländern mit Formeinzelheiten aus dem Langhaus zusammengestellt worden sind. Nach objektiven kunstwissenschaftlichen Erfahrungen schließen derart widerspruchsvolle Zusammenstellungen einen mittelalterlichen Originalbefund 9
aus, der als Ausgang für eine Restaurierung angegeben werden könnte. Es sind also die Figuren als freie Kompositionen unter Benutzung von Vorlagen neu geschaffen worden." Damit hatten die Experten ihr Urteil gesprochen. Offen aber bleibt die Frage, aus welchem Grunde die großangelegte Fälschung durchgeführt wurde und welche Motive den „restaurierenden" Maler zu seiner Tat geführt haben. Vielleicht war es, wie bei vielen Fälschern, der Wunsch, „berühmt" zu werden unid die eigene Arbeit — wenn auch unter falscher Flagge — anerkannt zu sehen.
Wer ist der fremde Herr? Die Fälscher beschränken sich nicht nur auf die Vergangenheit und auf die Nachahmung alter Meister, die längst gestorben sind, sie fälschen mit derselben Gewissenlosigkeit das Namenszeichen lebender Künstler. In einer italienischen Stadt war ein bekannter Kunstkenner gestorben. Man war gerade dabei, aus dem Nachlaß Karikaturen von Gavarni, dem großen französischen Karikaturisten, zu versteigern. Es war in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als Gavarni noch lebte. Ein Fremder, offenbar ebenfalls ein Sammler, hatte den Auktionssaal betreten und ließ sich die Blätter zeigen. „Das sind Fälschungen", erklärte er. Der Auktionator wies empört darauf hin. daß die Blätter vom Küns f ler ordnungsgemäß signiert seien. Der Fremde beharrte auf seiner Meinung. „Aber sie stammen doch aus dem Nachlaß des berühmten Herrn X.", erwiderte der Auktionator. „Dennoch!", entsegnete der Fremde. Dicht gedrängt und neugierig umstanden die Käufer die beiden Streithähne. „Aber der Verstorbene war ein persönlicher Freund von Gavarni!" „Unmöglich!", bestritt der Fremde. „Herr", schäumte der Auktionator, „wie können Sie etwas so Ungeheuerliches behaupten?" „Weil", entgegnete seelenruhig der fremde Herr, „weil ich selbst Gavarni bin!" Zornige Zurufe wurden ringsum laut: „Schwindler!", „Betrüger!" 10
Der Auktionator fühlte, daß er Oberwasser hatte, er ordnete an, der Störenfried hätte sich unverzüglich zu entfernen. Die Auktion wurde fortgesetzt. Während der Fremde durch die Tür hörte, wie sich die Angebote überstürzten, seufzte er: „Wenn die Zeichnungen wenigstens gut wären!" Es war tatsächlich Gavarni; aber wenn er nicht Gefahr laufen wollte, von seiden temperamentvollen Verehrern zur Polizei geschleppt zu werden, konnte er nichts besseres tun als schweigen.
Die gefälschten Rembrandt-Bilder Je bekannter der Name eines Künstlers, desto begehrter seine Bilder. Und gar erst, wenn es sich um die leuchtenden Sterne am Himmel der abendländischen Kunst handelt: Um einen Rembrandt, Rubens oder van Dyck! Man weiß aus überlieferten Nachrichten, daß von Rembrandt noch etwa 350 Bilder existieren müßten, die bisher noch nicht aufgefunden worden sind. Vielleicht wurden sie im Laufe der drei Jahrhunderte zerstört, vielleicht harren sie aber auch noch in irgendeinem Winkel darauf, aus ihrem Dornröschenschlaf befreit zu werden. Was Wunder, daß so oft „unbekannte" Rembrandts „entdeckt" werden. Dr. de Wild, der bekannte holländische Restaurator, hat 130 echte Rembrandt-Gemälde untersucht, aber unverhältnismäßig mehr falsche sind ihm schon unter die Finger gekommen. Van Dyck kann kaum mehr als 70 Biider wirklich zu Ende gemalt haben. Wenn man jedoch alle Bilder zusammentrüge, die ihm zugeschrieben werden, würden an die 2000 Gemälde beieinander stehen. Dafür ist folgende Geschichte bezeichnend: Mr. D., ein australischer Sammler, besitzt das Porträt des flämischen Edelmannes Cornelius van der Geest, gemalt von Anthonis van Dyck, dem großen niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts. Duich Zufall erfährt er, daß genau das gleiche Bild in der INationalgalerie in London hängt. Er fragt in London an. Man untersucht das dortige Bild und stellt fest, daß nur das Mittelstück des Bildes von van Dyck stammt. Die restlichen Teile wurden von einem anderen Maler frei zugefügt. Die Frage, ob vielleicht das australische Bild das echte sei, ist zu dringlich, als daß man darauf verzichten könnte, es zu untersuchen; man fährt also nach Sidney. 11
Aber dort mangelt es an geeigneten Untersuchungsapparaten. Mao schlägt vor, das Bild nach London mitzunehmen. Zum größten Erstaunen aller Beteiligten meldet sich nun obendrein ein anderer australischer Sammler, der als Dritter das gleiche Bild besitzt. Er hat es nach Kriegsende von einem amerikanischen Soldaten, für 600 französische Francs gekauft. Es ist nicht bekannt geworden, welches der drei Bilder das echte ist. Vielleicht wird sich zeigen, daß nur der Mittelteil des Londoner Bildes von van Dyck stammt.
Das Genie als Fälscher Die neue Welt jenseits des Ozeans mit ihrem Reichtum und ihrer künstlerischen Traditionsarmut ist ein Territorium, das besonders gern von Fälschern und betrügerischen Händlern heimgesucht wird. Miß Ellen F., der millionenschweren Erbin eines Stahlfabrikanten, sind voo einem italienischen Händler wunderschöne Plastiken von Donatello verkauft worden. Um sicher zu gehen, verlangt sie Dokumente über die Vorgeschichte dieser Werke. Der Händler tut sehr geheimnisvoll, aber schließlich bedeutet er ihr, seine Freunde in Italien hätten Ein von Dossena nach Vorbildern der diese Plastiken nachts auf dem italienischen Renaissance gefälschtes Relief. Die Arbeit zeugt von der ge- Monte Amiata aus den dornenübernialen Kunstfertigkeit des Fälschers. wucherten Ruinen einer alten Abtei ausgegraben. Ein Priester namens Don Mario habe aus alten Dokumenten ersehen, daß die Skulpturen ursprünglich aus dem Dom von Siena stammen. Es sei ihm aber streng verboten zu sagen, wem die Skulp12
turen eigentlich gehören, denn man lebe in Italien (es sind die zwanziger Jahre) unter einer kirchenfeindlichen Regierung, die die Ausfuhr von Kunstwerken aus Kircheneigentum verboten habe. Tief beeindruckt von der romantischen Vergangenheit ihrer Plastiken, sendet die kunstbegeisterte Dame einen ganzen Stab von Experten zu diesem sagenhaften Monte Amiata. Italien ist ja so überreich an Kunstwerken, es könnte doch sein, daß man einiges übersehen hat! Die Expedition beginnt ihre Arbeit auf dem Monte Amiata. So sehr man aber auf dem Berg nach den Ruinen der Abtei sucht, man kann nichts finden. Man forscht in den Urkunden der benachbarten Archive nach: Nichts! Man hofft, wenigstens den Pater Don Mario ausfindig zu machen; aber niemand kennt diesen Priester. Es sieht ganz so aus, als habe sich der italienische Kunsthändler die ganze Geschichte von den nächtlichen Grabungen aus den Fingern gesogen. Sicherlich sind die Plastiken gefälscht. Die empörte Amerikanerin verlangt und erhält von dem Händler ihr Geld zurück, und die Kunstwerke werden auf schnellstem Wege wieder den Erstverkäufern in Italien gegen Erstattung der Unkosten zugestellt. Der Zwischenhändler in Amerika, der sich um seinen Verdienst geprellt sieht, will sich nun selbst vergewissern, denn er hatte die Geschichte guten Glaubens weitererzählt. Im Verlauf seiner Nachforschungen gerät er schließlich an einen römischen Bildhauer namens Dossena, von dem es heißt, daß er Kunstsammler oft und erfolgreich berate. Ihm zeigt er die Photographien der fraglichen Plastiken, und der hagere, fünfzigjährige Mann antwortet zum größten Erstaunen des Amerikaners: „Diese Plastiken? Ja, die kenne ich, die habe ich selbst gemacht!" „Jawohl, ich war's, ich bin's, ich habe diese vielbestaunten, bewunderten Plastiken geschaffen, all die Sarkophage, Madonnen, Reliefs . . . aber ich bin kein Fälscher, kein Betrüger!" Solche Worte —• Geständnis und Entschuldigung zugleich —• hat Dossena noch oft gesprochen, in den ersten Tagen des großen Skandals, der gegen Ende der zwanziger Jahre die Welt bewegte. In Dossenas Arbeitsraum am Lungotevere in Rom drängten sich Kritiker, Sachverständige, Journalisten und Photographen aus aller Herren Länder. Plötzlich war er berühmt geworden, und die Nachbarn riefen ihm nur noch „Guten Tag, Herr Professor!" zu. Von seiner Hand waren diese Werke, die als kostbare Antiquitäten in aller Welt ihre Käufer gefunden hatten, und das gab er auch ohne Zögern den Kunstwissenschaftlern zu, die ihn ins Verhör nahmen. 13
Verdächtige Kostbarkeiten Die Gelehrten interessierten sich nämlich für jene schönen, zuweilen etwas merkwürdigen Plastiken, deren Herkunft sich immer irgendwo im Dunkel verlor, und die fast alle von den Kunsthändlern Fasoli und Palesi angeboten wurden. Da waren Marmorstatuetten aus frühgriechischer Zeit. Eine von ihnen, eine Athene, sollte vom Museum in Cleveland erworben werden, der Museumsdirektor verweigerte jedoch die Annahme und schickte das Werk nach Europa zurück. Oder da war eine überlebensgroße, vergoldete Holzfigur im Stile Vecchiettas. Direktor Holmes in Boston kaufte sie an, stellte sie aber niemals auf. Berlin wies drei toskanische Marmorengel als „verVon Dossena gefertigte und künstlich alt gemachte^Madonnenskulptur dächtig" zurück, und schließlich erkannte man in Wien in einem Marmorrelief, das einem Wiener Museum angeboten wurde, eine Fälschung. Es gab keinen Zweifel mehr: Irgendwo in Italien war eine geschickt arbeitende Fälscherbande am Werk! Und nun stand hier ein kleiner, unbekannter, römischer Bildhauer mit der Behauptung, er allein habe all diese Plastiken geschaffen. Wer ist Dossena? In Cremona geboren, auf einer Kunstgewerbeschule ausgebildet, schlägt er sich in seiner Heimatstadt schlecht und recht durch. Parma, Bologna, überall ist es das gleiche: es langt knapp zum Leben für sich und die Kinder. 1914, im Alter von fast 40 Jahren, wird er zum Bodenpersonal der Fliegertruppe eingezogen und „im Januar 1919", so erzählt er erregt, „stand ich, noch in der zerknitterten, schmierigen Uniform, dem Nichts gegenüber". 14
Mit dem Besuch des Kunsthändlers Palesi kommt das Glück ins Haus, er wird mit Aufträgen überschüttet. Unermüdlich arbeitet er, wenn es gar dicht mehr vorangehen will, stellt ihm sein Auftraggeber einen Korb mit Champagner und den feinsten Delikatessen auf den Arbeitstisch. Als man ihm jetzt erzählt, daß seine Arbeiten für Werke Donatellos, Verrocchios, für ehrwürdige gotische oder griechische Plastiken ausgegeben worden sind, daß sie zu Phantasiepreisen gehandelt werden und so manche von ihnen längst in einem Museum aufgestellt ist, bricht er in Tränen aus: „ 0 , Madonna, Tag um Tag, Woche um Woche arbeite ich vom Morgengrauen bis in die sinkende Nacht für diese Verruchten . . . Sehen Sie da: 10 000 Lire bekam ich für diese Madonna, an der ich drei Monate mit meinen Gesellen geschafft habe. Und dieselbe Madonna verkauften die Schufte für eine Million!" Eine gut gespielte Szene? Ein echter Zornesausbruch des Geprellten? Fast schien es so, denn betrogen war, gleich den Käufern, Dossena selbst: Man hatte ihm die vereinbarten Honorare nur zu einem kleinen Teil ausbezahlt, enttäuscht verklagte er seinen Auftraggeber. Wichtiger aber als diese internen Streitigkeiten war die Frage, ob Dossena überhaupt alle diese prachtvollen Plastiken der verschiedensten Kunstepochen selbst angefertigt haben konnte. Schon hatte ein Münchener Kunstgelehrter die in München aufgestellte archaische Gruppenplastik für echt erklärt, Dossena rühme sich zu Unrecht der Urheberschaft. Den Beweis konnte nur Dossena selbst bringen, und so ließ man ihn unter Zeugen arbeiten; und da man fürchtete, man könnte das Ergebnis später anzweifeln und behaupten, der Fälscher Dossena sei nur eine Erfindung der Kunstgelehrten, beschloß man, Dossena bei der Arbeit zu filmen. So entstand der Film „Schaffende Hände". Überraschend, wie leicht und mühelos die Arbeit voostatten ging! „Eine frühgriechische, archaische Göttin soll ich modellieren? Gut. — Soll sie sitzen oder stehen?" — „Stehen!" Kaum, daß der Wunsch ausgesprochen ist, hat Dossena schon das halbmeterhohe Holzgerüst errichtet, das er mit Ton zu bedecken beginnt. Zuerst entsteht die Figur als Akt, dann wird sie umkleidet, und „ganz plötzlich", so erzählen die Filmleute, „stand das Lächeln im Gesicht dieser Frau, zu der die Griechen vor 2500 Jahren gebetet hätten . . . Alles ging so schnell und war immer so unerwartet, daß wir mit den Einstellungen der Filmapparate kaum folgen konnten". Dossena arbeitet ohne Pose, 15
ohne romantisches Drum und Dran, gelegentlich trällert er eine Opernarie. Und dennoch geschieht hier etwas, das gar nicht so selbstverständlich ist, wie es aussieht. Dieser Mann versteht es, sich in allen Spielarten der plastischen Kunst auszudrücken.
Zeitgenosse vieler Zeiten Er folgt nicht etwa ängstlich seinen Vorbildern, sondern erfindet seine Arbeiten frei, als käme er geradewegs aus einer frühgriechischen Werkstatt in Attika, einer mittelalterlichen Schnitzerstube in Antwerpen oder aus dem Atelier Donatellos. Und damit bekommt seine Person etwas Geheimnisvolles, fast Dämonisches. Dieses Übermaß an handwerklicher Beherrschung ist beinahe unfaßlich. „Ich verabscheue die Moderne", erklärt Dossena temperamentvoll, „die neuzeitlichen Bauten irretieren mich, so daß ich es tunlichst vermeide, die modernen Stadtteile von Rom zu betreten . . . Ich bin in unserer Zeit geboren, jedoch mit der Seele, dem Geschmack und dem Empfinden eines anderen Zeitalters." Sind diese Worte nur ein Versuch, bewußte Täuschungsmanöver hinter einer geistigen Fassade zu verbergen? Dossenas Werke sind ohne eigene Sprache, sie sind das Echo fremder Stimmen aus vielen Kunstepochen, und was zunächst wie die tragische Heimatlosigkeit eines zu spät Geborenen erscheint, dieses Umherirren zwischen den einzelnen Stilarten, ist im Grunde doch wohl nichts anderes als Mangel an eigener Persönlichkeit. Das „Phänomen Dossena" erklärt sich vielleicht am ehesten aus dem Zusammentreffen zweier verhältnismäßig seltener Fähigkeiten: eines starken Erinnerungsvermögens für Formen und eines ebenso starken, formbildenden Talents. Ebenso schnell wie Dossenas Name bekannt wurde, ist er auch wieder vergessen worden. Seine Plastiken, die um die halbe Erde versandt, bewundert, ausgestellt und hochbezahlt worden waren (40 Millionen Lire hatten sie den Kunsthändlern eingebracht), wurden in die Keller der Museen, die Raritätenkammern verbannt und vergessen. Noch einmal, zu einer Sonderschau vereinigt, wanderten einige von ihnen in den dreißiger Jahren durch die großen Städte Europas, jetzt 16
nicht mehr berühmt, sondern berüchtigt. Heute sind sie verschollen, ins Dunkel zurückgekehrt, dem sie entstammten. Auch ihrem Urheber gelang es nicht, sieh durch neue Arbeiten einen ehrenvollen Platz in der Kunstwelt zu erobern. Zwar hat es an Auftraggebern nicht gefehlt, aber kein „echter Dossena" hat je von sich reden gemacht — der Bildhauer selbst ist vergessen, es ist nicht einmal bekannt geworden, ob er verstorben ist oder hochbetagt vielleicht noch lebt. Sein Name ist nicht in den Annalen der Kunst, sondern in denen des Verbrechens verzeichnet. Man könnte einwenden, dies sei vielleicht nur die Rache der Getäuschten, die es Dossena nicht vergeben wollten, in ihrer Urteilsfähigkeit bloßgestellt worden zu sein. So naheliegend aber der Gedanke ist, so trifft er doch kaum zu. Es gibt ein Gegenbeispiel, das beweist, wie es auch einem Fälscher von echter eigener Begabung möglich ist, sich zu rehabilitieren und dem eigenen Namen die verdiente Anerkennung zu verschaffen.
Ein Fälscher wird wieder „ehrlich" Der Bildhauer Bastiani aus Fiesole hatte in seiner Jugend zahlreiche Kopien nach Marmorreliefs der italienischen Frührenaissance geschaffen. Mit dem Stil jener Zeit vertraut, hatte er eine Porträtbüste angefertigt, zu der ihm ein Arbeiter aus einer Tabakmanufaktur Modell gesessen hatte. An Stelle des modischen Haarschnitts oder einer zeitgenössischen Kopfbedeckung hatte er dem Kopf eine Kappe aufgesetzt, wie sie in der Renaissance üblich war; für diese Arbeit erhielt er von dem Käufer 350 Lire. Zwischenhändler behaupteten nun, es handele sich um eine Renaissancebüste, die im Auftrage des Lorenzo di Credi hergestellt worden sei und den Dichter Benivieni darstelle. Das Werk erregte Aufsehen, wechselte mehrfach den Besitzer und wurde schließlich im Jahre 1867 für 13 600 Francs vom Louvre angekauft, wo es einen Ehrenplatz erhielt. Man stellte es in unmittelbarer Nähe der berühmten Sklaven Michelangelos auf. Durch einen Zufall wurde später bekannt, daß es sich um eine Fälschung handelte. Für Bastiani hatte das zunächst unangenehme Folgen. Dennoch gelang es ihm, mit seinen anderen Arbeiten künst17
lerische Anerkennung zu erringen. Seine „Büste des Savonarola" und ein Madonnenrelief von seiner Hand blieben unter seinem richtigen Namen im Victoria- und im Albert-Museum in London ausgestellt, weil es Arbeiten waren, die auch ohne die Patina des Alters hohen künstlerischen Eigenwert besaßen. p
Werkstattgeheimnisse alter Meister Von allen Bildfälschern der Gegenwart hat der Holländer van Meegeren das größte Aufsehen erregt, weil er es verstanden hat, die Ateliergeheimnisse alter Meister des 17. Jahrhunderts für seine Zwecke zu verwenden. Er kannte die Tricks, selbst erfahrene Kunstkenner hinters Licht zu führen, wie kein zweiter. Von seiner Hand stammt das berühmte Bild „Die Emmaus-Jünger". Es wurde von allen Sachkennern dem Holländer Vermeer van Delft zugeschrieben. Vermeer (1632—1675) war einer der bedeutendsten Maler des 17. Jahrhunderts, dessen Farben eine unerhörte Leuchtkraft ausstrahlen. Die „Emmaus-Jünger" waren vom Rotterdamer Baymanns-Museum für die ungeheure Summe von 550 000 Gulden angekauft worden. Acht Jahre hing das Bild dort, bewundert von den Besuchern, bis es gelang, die Fälschung zu entlarven. Van Meegeren gab bei seiner Vernehmung zu Protokoll: „Ich verwendete die Farben des 17. Jahrhunderts." Der Fälscher war mit der leidenschaftlichen Gründlichkeit eines Wissenschaftlers und mit der nüchternen Sachlichkeit eines Forschers an seine Aufgabe herangegangen. Die Arbeit, die er geleistet hat, wäre einer besseren Sache würdig gewesen. Vor etwa einem halben Jahrhundert hätte van Meegeren sich nicht so zu mühen brauchen. Damals, ab man sich viel von den Werkstattgeheimnissen der großen Maler früherer Zeiten zu erzählen wußte, als es hieß, die alten Meister hätten ihre Farbrezepte streng gehütet, sie mit ins Grab genommen, oder nur ihren Lieblingsschülern anvertraut, war das Fälschen noch verhältnismäßig einfach; gutes Einfühlungsvermögen, eine geschickte Hand, die erforderliche SkrupelIosigkeit und eine alte Leinwand genügten eigentlich schon, die Experten zu täuschen, und es waren fast immer die gleichen, alt18
Die „Emmaus-Jünger" — eine Arbeit des Meisterfälschers Van Meegeren — hing als echter Vermeer acht Jahre in einem Rotterdamer Museum, bevor die Fälschung erkannt wurde
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erprobten Tricks, deren man sich bediente, um einem Bild die Spuren der Jahrhunderte aufzuprägen. „Die Bilderhändler lassen neue Gemälde oft beschmauchen, um ihnen in kurzer Zeit das Alter beyzubringen", so heißt es in einem Malerbuch von 1782. Wie Schinken hängte man die Bilder in die Esse, und die noch warmen Gemälde rieb man mit einem Gebräu aus Milch, Asche, Ruß und Süßholzextrakt ab. Von der Fälschung der Craqueluren, der feinen Risse auf gealterten Bildern, heißt es 1830: „Man tut am besten, wenn man sie wirklich einritzt und ihnen durch die Einreibung einer Farbe ihre Dunkelheit verleiht."
Unter der großen Lichtsammellupe prüft der Experte, ob die Zeichen des Alters eines Kunstwerkes echt und nicht etwa künstlich hergestellt sind 20
Die Zeiten des gleichsam naiven Bilderfälschens aber sind vorbei — die Zeiten, da mau noch nicht die Werkstattgeheimnisse alter Meister kannte. Heute weiß man, daß van Eyck nicht in reiner öltechnik gemalt hat, wie die Legende fälschlicherweise jahrhundertelang behauptete, sondern daß er mit Tempera, einem öl- und Eigelbgemiseh, untermalte und dann mit öllasuren darüberging. Man weiß, daß Dürer seine Bilder hell, Tizian hingegen die seinen schwarzrot grundierte (Bolusgrund). Man kennt die Stoffe, aus denen die Farben gerieben wurden, die Zusammensetzung der Harze und Firnisse. Diese Kenntnisse verdanken wir nicht nur alten Malerbüchern oder beglaubigten Überlieferungen, sondern vor allem den Forschungsmethoden der modernen Wissenschaft. Und weil man heute in die Bilder im wahrsten Sinne des Wortes hineinsehen kann, darf ein Fälscher, der sichergehen will, nicht entdeckt zu werden, sein Bild nicht nur „auf alt" frisieren, sondern er muß es tatsächlich wie ein alter Meister malen.
Die fünf Proben Fünf Proben muß ein Bild des 17. Jahrhunderts bestehen, um als echt gelten zu können; allen fünf Proben hatten van Meegerens Fälschungen standgehalten. Da war als erste die Alkoholprobe. Während frische Farben, deren chemische Umsetzung noch nicht abgeschlossen ist, sich unter Alkohol auflösen, bleiben trockene, alte Farben, die nicht mehr „arbeiten", unverändert. Freilich ist diese Prüfung nicht ungefährlich, und sie läßt sich nicht bei allen Bildern des 17. Jahrhunderts anwenden; vor allem nicht bei Gemälden Rembrandts und seiner Schule. Welche Folgen aus einer unvorsichtig angesetzten Alkoholprobe erwachsen können, mußte ein leichtsinniger Restaurator erfahren, dem man ein Porträt zur Prüfung vorlegte, von dem nicht feststand, ob es von Rembrandt oder aus einer späteren Zeit stammte. „Wenn's die Farbe aushält, ist es echt!" Sprachs und schüttete den Alkohol mitten auf das Bild. Kurz danach begannen sich die Schattenpartien zu lösen. Hatte die Probe Gewißheit erbracht? Keineswegs, ein wertvolles Bild war zerstört, denn man hatte im Übereifer nicht 21
bedacht, daß Rembrandt manchmal Harze und Balsame verwendete, die durch Alkohol zersetzt werden. Anders bei Vermeer van Delft: F ü r seine Bilder ist die Alkoholprobe stichhaltig, und deshalb mußte van Meegeren seinen Farben bestimmte Stoffe beimischen, die sie dem Alkohol gegenüber widerstandsfähig machten. Früher benutzte man zu diesem Zweck Wasserglas, aber das durfte der Fälscher nicht verwenden, deon es läßt sich nicht mit Bleiweiß mischen, und gerade auf die Verwendung von Bleiweiß konnte er auf keinen Fall verzichten. So fand er nach langem Suchen schließlich besondere Harze, die allen Proben standhielten. Als zweites mußte sein Bild die Bleiweiß-Probe über sich ergehen lassen. Weiß, eine wichtige F a ' b e auf der Palette, wird heute hauptsächlich als Zinkweiß auf den Markt gebracht. „Dieses Zinkweiß ist ein wenig schuld, daß das Zeug so langsam trocknet, aber es zu mischen, hat seine Vorteile", schreibt van Gogh einmal. Und wegen dieser leichten Mischbarkeit hat das Zinkweiß das äußerst giftige Bleiweiß verdrängt. Bis ins 17. Jahrhundert wurde jedoch nur Bleiweiß verarbeitet. Es gibt verschiedpne Methoden, das Vorhandensein von Bleiweiß nachzuweisen: in Salpetersäure löst sich die Bleifarbe unter Brausen auf, Schwefelwasserstoff färbt es schwarz, durch Erhitzen wird es gelb, unter der Quarzlampe färbt es sich biaun.
Zerriebene Edelsteine als Farbe Van Meegeren konnte sich Bleiweiß verhältnismäßig leicht verschaffen, notfalls sogar selbst herstellen Es genügt schon, etwas Essig in einen Topf zu gießen und eine Bleiplatte so darüber zu befestigen, daß der Essig das Blei nirgendwo berührt. Wenn der Topf gut verschlossen ist, bildet sich die giftige Farbe als weißer Belag auf dem Blei. Die alten Meister bereiteten sich auf ähnliche Weise ihr Bleiweiß, oft setzten sie das Pulver in Beuteln ein Jahr lang der Luft aus, bevor sie es verwendeten. Auch die anderen Farben mußten bedächtig ausgewählt sein. Van Meegeren wußte, daß es Klassifizierungstabellen der einzelnen Farben gibt, in denen verzeichnet steht, wann und von wem besHmmte Farben erstmals verwendet wurden. Während heute allgemein künstliches Ultramarinblau durch Erhitzen aus Porzellanerde mit Schwefel. 22
Ein editer Vermeer van Delft .Christus bei Maria und Martha" (Ausschnitt)
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Soda, Kohle, Glaubersalz gewonnen wird, kannte man bis zum 17. Jahrhundert nur das Ultramarinblau des Lapislazuli. Dieser sehr harte Halbedelstein wurde mühsam in Mörsern zerstoßen, oftmals geschlämmt und war so kostbar, daß man die Farbe nur als hauchdünne Lasur über hellen, durchleuchtenden Unterlagen auftrug. Van Meegeren blieb nichts weiter übrig, als sich für mehrere tausend Gulden echtes Lapislazuli-Blau aus England kommen zn lassen. Vermeer hatte harzige, balsamhaltige Farben und an der Sonne eingedickte öle verwendet. Diese Malmittel wußte sich van Meegeren ebenfalls herzustellen, eine Arbeit, die zweifellos große Kenntnisse der alten Meisterrezepte erforderte. Nun fehlte ihm noch die Leinwand: er kaufte ein minderwertiges Bild aus dem 17. Jahrhundert, das für seine Zwecke geeignet war. Dieses Bild einfach zu übermalen, war nicht ratsam, denn die Fälschung mußte auch den alles durchdringenden Röntgenstrahlen standhalten —• der vierten Probe. Mit ihrer Hilfe lassen sich alle Untermalungen feststellen. Luminiszenzaufnahmen mit ultraviolettem Lieht und Quarzlicht legen alle späteren Retuschen, Infrarotaufnahmen den Bildaufbau in seinen einzelnen Schichten bloß.
Der verräterische Nagel Van Meegeren löste die Farbschichten von der Leinwand ab und begann in der Art des großen Vermeer das Leinen zu grundieren. Der geringste Fehler würde ihn verraten können, das wußte er: das festgeklebte Haar eines Pinsels, den Vermeer nicht benutzt haben konnte, ja, sogar sein eigener Fingerabdruck auf einer Firnisschicht —• denn auch schon mit Hilfe dieser modereien kriminalistischen Methode waren Fälschungen entdeckt und Echtheitsbeweise geführt worden. Van Meegeren erinnerte sich jener Geschichte des gefälschten „Lachenden Kavaliers", der angeblich von Franz Hals stammen sollte und unter dessen „alten" Farbschichten mit Hilfe der Röntgenaufnahme ein sehr moderner Fabriknagel entdeckt worden war. Nach monatelangen Vorbereitungen und Experimenten konnte die eigentliche, wiederum Monate dauernde Arbeit, das Malen, beginnen. Und schließlich stand im Anfang des Jahres 1937 das fertige Bild auf der Staffelei. 24
Noch hätte van Meegeren die Chance gehabt, das Bild als sein eigenes Werk auszugeben, zweifellos ein hoher Beweis von technischer Meisterschaft; aber der Entschluß jenes „unglückseligen Tages", wie er sich später einmal ausdrückte, stand fest; es sollte eine Fälschung werden. Frisch gefirnist, glänzend, hätte es ihm jedoch niemand als ein altes Werk abgenommen. Die eigentliche Fälscherarbeit stand ihm noch bevor; die frischen Farben mußten künstlich gehärtet werden. Stach man mit einer Nadel hinein, so mußten Färb- und Firnisschicht splittern, es durfte kein rundes Loch geben, wie in einer frischen Farbe.
Geschminkte Jahrhunderte Van Meegeren bediente sich genau der gleichen Fälschertricks wie seine Kollegen in früheren Jahrhunderten; er dörrte das Bild bei 100 bis 120 Grad Hitze und zog es über eine scharfe Kante, wodurch die Craqueluren, die Risse, entstanden. Jetzt glänzten die Farben wie Emaille. Kam nun noch die Staub- und Schmutzschicht dazu, schien das Bild um Jahrhunderte gealtert. Zum Schluß setzte van Meegeren zahllose kleine Pünktchen aus chinesischer Tusche darauf: den unvermeidlichen Fliegenschmutz. Was aber fängt man nun mit einem solchen Bilde an? Einen echten Vermeer findet man nicht plötzlich auf einem Dachboden oder in einer Kammer. Bilder sind wie Menschen, sie haben ihre Vergangenheit. So mußte van Meegeren als letztes eine glaubhafte Vorgeschichte des Bildes erfinden. Trotz aller Berühmtheit ist über Vermeers Leben nur wenig bekannt. Die Daten seiner Taufe, Eheschließung und seines Begräbnisses sind zwar überliefert, auch die genauen Entstehungszeiten einzelner Bilder, aber die Lebensumstände selbst verlieren sich im Dunkeln. Der Fälscher studierte die Biographie des großen Malers, und bald hatte er den Ansatzpunkt für seine Lüge gefunden: Am 23. Mai 1672 wird Vermeer von einem Haager Notar als Begutachter italienischer Bilder erwähnt. Offenbar unterhielt Vermeer, der in seiner Kunst den damals modernen Stilrichtungen aufgeschlossen war, irgend25
welche Beziehungen zu italienischen Malern oder zu Sammlern italienischer Kunst — warum also sollte nicht auch eines seiner Bilder nach Italien gelangt sein? Es war eine ganz einfache Geschichte, die van Meegeren dem Händler erzählte: „Ich habe das Bild, die Emmaus-Jünger von Vermeer, von verarmten italienischen Sammlern erworben." Nun. man kannte genug solcher Märchen, besonders von italienischen Schlössern, aus deren Sälen und Kellern zehnmal mehr Kunstwerke verkauft wurden, als sie jemals beherbergt haben konnten, aber dieses Bild war offensichtlich echt. Man prüfte es, und niemand fand einen Makel. Von Meegeren steckte 375 000 Gulden ein. Einmal nur, im Jahre 1938, hatten mißtrauische Experten in Paris zu behaupten gewagt, dieser neuentdeckte Vermeer sei eine Fälschung; da aber der bekannte holländische Kunstgelehrte Bredius das Bild als „Meisterwerk" des großen Vermeer gefeiert hatte, verstummten bald alle Einsprüche.
Sind Fälschungen wirklich wortlos? „Die Meister der Malerei sind in Holland nicht ausgestorben. Ich beispielsweise, Han van Meegeren, geboren 1889, bin ebenso groß, wie einst Rembrandt und Vermeer gewesen sind!" So hatte der Fälscher stolz vor Gericht erklärt, und es hatte nicht an Stimmen gefehlt, die ihm beipflichteten. „Wir haben einen ,Vermeer' verloren, dafür aber einen ,van Meegeren' entdeckt!", sehrieb ein Kunstkritiker, und am 8. November 1947, wenige Tage vor der Urteilsverkündung gegen van Meegeren, erklärte ein angesehener Maler im Franz-Hals-Museum zu Haarlem: „Van Meegeren hat ein Recht auf unsere Bewunderung, und ich weiß mich hierin mit vielen Künstlern einig". Viele schlössen sich solchen Meinungen an, andere bekämpften sie erbittert. Ein heftiger Streit war in der gesamten Kunstwelt entbrannt, ging es doch längst nicht mehr allein um die Person des holländischen Fälschers, sondern um prinzipielle Fragen der Kunstkritik, der Wissenschaft, des Kunsthandels, ja, der Kunstauffassung überhaupt. Das Vertrauen in das Urteilsvermögen und die Forschungsmethoden der Experten war erschüttert. Es wurde offensichtlich, was alle 26
Fachleute längst wußten: der Zwist unter den Experten, wer von ihnen bei der Prüfung eines Kunstwerkes das letzte Wort zu sprechen habe. Die Kunsthistoriker alter Schule verließen sich auf die bewährten Methoden der Stilkritik, während die anderen, die „Modernen", die naturwissenschaftlichen Methoden der Röntgenaufnahme, chemischen Analysen usw. bevorzugten. Van Meegerenr Erfolg konnte als Niederlage der technischen Gruppe gewertet werden, und es bedeutete sehr wenig, daß ihm in der Gerichtsverhandlung einige Fehler in der Farbtechnik nachgewiesen werden konnten. Seine Bilder hatten acht Jahre hindurch trotz genauester Analysen für echt gegolten. Heute, fünf Jahre nach dem Tode des Fälschers, ist der Streit um die wirkliche Urheberschaft einiger seiner Bilder noch immer nicht entschieden. Der unglückliche Besitzer des „Abendmahls", der 1 600 000 Gulden für eine Fälschung bezahlt hatte, kann sich offenbar noch immer nicht damit abfinden, betrogen worden zu sein. Er erklärte: „Ich bin nicht überzeugt, daß van Meegeren dieses Bild gemalt hat." Ein belgischer Kunstsachverständiger behauptet, nicht alle Bilder seien von van Meegeren gefälscht, die „Emmausjünger" und das „Abendmahl", seien echt, der Maler habe sich die Urheberschaft über diese Bilder unrechtmäßig angemaßt. Im Gegensatz hierzu erklärte der Sohn des Fälschers vor der Pariser Presse, sein Vater habe noch weitere Fälschungen begangen: „Der im Frans-Hals-Museum zu Groningen befindliche ,Jüngling mit der Pfeife' ist das Werk meines Vaters. Das gleiche gilt von dem ,Lachenden Kavalier', der 1926 — als er entdeckt wurde •—• größtes Aufsehen erregte. Fälschungen sind weiter ,Die Dame mit dem blauen Hut' von Vermeer und ein Bild, das ein Gegenstück zu dem berühmten ,Kopf eines jungen Mädchens' darstellt." Einige dieser Bilder hatte man schon seit langem als Fälschungen erkannt oder ihre Echtheit zumindest angezweifelt. Viel Aufsehen erregten die erneuten Ausführungen des Experten Deeoen. der in seinem Buch „Zurück zur Wahrheit" Doch einmal van Meegerens Maltechnik untersucht und seinem Kollegen, der als Sachverständiger im Prozeß die Fälschungen bestätigt hatte, eine fehlerhafte Beweisführung vorgeworfen hatte. Wie dieser Streit, der längst auf die Ebene der Fachdiskussion abgedrängt wurde, ausgehen wird, ist nicht vorherzusagen: eines ist jedoch sicher: die Bemühungen Decoens, die beiden bedeutendsten 27
der fraglichen Bilder, die „Emmausjünger" und das „Abendmahl" doch als echte Vermeer hinzustellen, ist der Versuch eines Kunstwissenschaftlers, das Ansehen derjenigen Experten, die die angeblichen Fälschungen nicht erkantil hatten, wieder herzustellen. Aber was konnte man den Fachgelehrten überhaupt vorwerfen? Hatte man ihnen in den zwanziger Jahren vorgehalten, sie hätten sich von Dossena täuschen lassen, weil sie sich nur auf ihre gefühlsmäßige Stilkritik verlassen hätten und weil sie zu wenig vom Handwerk des Bildhauers verstünde«, so konnte man nun die Experten im Falle van Meegerens anklagen, daß sie sich von der technischen Vollendung der Bilder hatten irreführen lassen, daß sie zu wenig ihrem stilkritischen Gefühl getraut hatten. An Warnungen hatte es nicht gefehlt; mehrfach war darauf hingewiesen worden, daß die neu entdeckten, angeblichen Vermeers weniger überzeugten als die bereits längst bekannten. Man hatte es versäumt, alle fraglichen Bilder einmal an einem Ort zusammenzutragen, um sie zu vergleichen. Diese Maßnahme hatte der Krieg verhindert. Wahrscheinlich wäre sie allerdings ohnehin am Widerstand der verschiedenen Besitzer gescheitert. Seit dem Van-Meegeren-Skandal haben jene Methoden der Kunstkritik wieder Oberwasser bekommen, die sich mehr auf das geschulte Stilgefühl als auf naturwissenschaftliche Analysen verlassen, wobei sie auf den Wert der modernen technischen Hilfsmittel natürlich nicht verzichten. Eiu bekannter holländischer Experte erklärte erst kürzlich: „Vom Standpunkt eines Pictologen kommt die chemischphysikalische Wissenschaft doch erst an zweiter Stelle." Was ist Pictologie? Jeder echte Künstler besitzt, wie man längst weiß, eine nur ihm zugehörige Handschrift, den sogenannten „Ductus", die Art, Pinsel, Meißel oder Zeichenstift zu führen. Jeder, der etwa ein Gemälde von Slevogt und Corinth genau vergleicht, kann sich davon selbst überzeugen. Da bei den älteren Meistern die Pinselstriche aber so fein sind, daß sie kaum noch mit bloßem Auge erkannt werden können, ist die Mikro-Photographie als vergrößerndes, unbestechliches Auge herangezogen worden. Man projiziert die echten Bildproben auf einen Wandschirm und vergleicht sie mit der Pinselführung des zu prüfenden Bildes.
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Bei den alten Meistern ist der Pinselstridi so fein, daß auch der Biidrestaurator nur mit äußerster Vorsicht und mit Verwendung schart er Sammeilupen arbeiten kann (Restaurierung des berühmten Lutherbildes von Lukas Cranach d. Ä.) 29
Alle Fälscher lügen Ausgehend von solchen und ähnlichen Erkenntnissen hat der Holländer M. van Dantzig die Pictologie, eine eigene Methode, entwikkelt, die mit Hilfe der Psychologie, der Seelenkunde, und der Graphologie, der Handschriftenkunde, arbeitet. Der Pictologe versucht, sich völlig in den einzelnen Maler einzuleben, um dessen individuelle Form, Kraft und Vorstellungswelt zu erkennen. Weil alle Fälscher lügen, so behauptet van Dantzig, seien sie im Grunde alle einander gleich. Ein editer Künstler bleibt hingegen, selbst wenn er in seinen Lehrjahren stark unter dem Einfluß seines Meisters stand, stets sich selbst treu. Weil der echte Künstler nach einer klaren, inneren Vorstellung arbeitet, hat er es nicht nötig, genau die „Grammatik der Kunst" zu beachten, so daß manches flüchtig oder nicht zu Ende geführt zu sein scheint, wie es in einer lebendigen Sprache üblich ist. Der Fälscher hingegen, der ja dieses innere Leitbild nicht besitzt, sich also nicht spontan ausdrücken kann, muß fortwährend auf sein Vorbild schielen, so daß sein Werk pedantisch nach den formalen Regeln seiner Vorbilder geschaffen ist und gerade dadurch verdächtig wird. Weil die Kunstbetrachtung unserer Zeit sich zu sehr mit technischen Anliegen beschäftige, weil sie die artistische, rein formale Vollkommenheit zu hoch einschätze, so sagte van Dantzig, beobachte sie nicht genug die innere Vorstellung des Malers und sei deshalb nicht immer in der Lage, die Arbeitsweise des wirklichen Künstlers von der des Fälschers zu unterscheiden — eine Behauptung, die auf den Fall van Meegeren zweifellos zutrifft. Damit ist die Hauptfrage zum Thema der Knnstfälschungen gestellt, eine Frage, die zur Zeit des Prozesses gegen van Meegeren im Mittelpunkt stand und die hartnäckig immer wieder aufgeworfen wird: zugegeben, van Meegeren hat die Bilder gefälscht, zugegeben, daß dies im Sinne des Gesetzes eine rechtswidrige Handlung ist — das mag gegen den Charakter van Meegerens sprechen, spricht es aber gegen ihn als Maler? Hat er nicht recht, wenn er behauptet, ebenso groß wie Vermeer oder Rembrandt zu sein? Und strafen nicht jene ihre eigene Urteilskraft Lügen, die auf der Nachlaßauktion in Amsterdam für das Bild „Jesus und die Schriftgelehrten im Tempel", das der Fälscher unter Polizeiaufsicht angefertigt hatte, um seine früheren Fälschungen zu beweisen, nur 3000 30
Gulden bezahlten, während sie sicherlich das Zehn-, Zwanzigfache bezahlt haben würden, wenn das Bild mit dem Namen des Vermeer signiert gewesen wäre? Eine schwierige Frage, die, anders formuliert, so lautet: Sind gefälschte Bilder wirklich wertlos? Darauf gibt es eine sehr einfache Antwort: Fälschungen sind Lügen, sie sind deshalb genau so viel oder so wenig wert wie eine Lüge. Der Fälscher gestaltet nicht das, was er selbst der Welt zu sagen hat, sondern entlehnt alles einem asideren, ohne aber ehrlich genug zu sein, es zu bekennen. Nach dem Tode van Meegcrens wurde das sehr deutlich, als s-ine modernen Bilder, die auf die antike Schminke verzichteten, zum Vorschein kamen. Sie zeigen, wie hohl und nichtssagend der seihst schaffende Künstler van Meegeren in Wahrheit gewesen ist. Mit ihnen muß man die Fälschungen vergleichen und nicht mit den Meisterwerken Vermeers. Schlagartig wurde klar, daß jene recht behalten hatten, die voller Entrüstung die Lobeshymnen auf das Können van Meegerens kritisiert hatten. Mag eine Fälschung artistisch noch so vollendet sein, sie bleibt Stückwerk, denn der Fälscher kann wohl Pinselführung und MeißelSchlag, Farbmischung und Thema nachahmen — aber niemals wird man in seinen Plagiaten den Geist spüren, der dem wahren Kunstwerk den Schimmer des Göttlichen verleiht.
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