KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N DLJ C H E H E F T E
H E I N R I C ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N DLJ C H E H E F T E
H E I N R I C H DITTMAR
der Meisterdes Hell-Dunkel
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Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.03.12 18:50:26 +01'00'
VERLAG SEBASTIAN LÜX MURNAU • MÜNCHEN• INNSBRUCK.ÖLTEN
I
ch war bei meinem Freund zu Gast. Wir saßen uns nach einem festlichen Opernabend schweigend gegenüber. Die Stille war noch immer vom Nachhall der Chöre und Arien aus Paul von Kienaus „Rembrandt" durchwebt, und die Augen suchten, indem sie dem blauen Tabaksrauch folgten, noch einmal die Bilder und Tänze nachzuzeichnen. Es war schon tief in der Nacht, doch war keiner gewillt, sich zur Ruhe zu begeben. So mußten sich unsere Gedanken noch einmal im Gespräch finden. Da ich wußte, daß mein Gastgeber sich viele Jahre hindurch mit dem großen Niederländer beschäftigt hatte, wollte ich mehr von Rembrandt wissen und lenkte das Gespräch auf sein Werk, das uns an diesem Abend durch die Vermittlung der Musik so nahegebracht worden war. „Er war eigentlich das größte und freieste Malergenie des Nordens", begann mein Freund nach einigem Überlegen, „ich wüßte niemanden vor und neben ihm, der sich so völlig unabhängig von allen Bindungen und Überlieferungen im Reiche der Kunst bewegt hätte wie Rembrandt." „Vielleicht hat man deshalb seine Art auch so lange nicht be- * griffen", bemerkte ich. „Ja, es ist merkwürdig", fuhr mein Freund fort, „wie seine Zeit ihm zugetan war, solange er noch nicht seinen eigenen Stil gefunden hatte. Als er dann aber zu seiner Eigenart gereift war, wandte man sich von ihm ab. So kommt es, daß Rembrandt schon zu Lebzeiten fast vergessen wurde und späterhin lange in Vergessenheit blieb, so daß man von seinen Lebensschicksalen nichts mehr wußte und sich vielerlei Legenden um seine Gestalt rankten. Lange Zeit glaubte die Nachwelt zum Beispiel, Rembrandt habe sein Lebensende als Hofmaler des Königs von Schweden verbracht, während in Wirklichkeit doch der erlösende Tod in einem armseligen Dachstübchen von Amsterdam zu ihm kam. Rembrandt hat überhaupt in seinem Leben nicht, wie es sonst die Art der Künstler
seiner Zeit war, die Gnade und Gunst der Fürsten gesucht. Nur einmal ist ihm ein fürstlicher Auftrag zuteil geworden. Der Statthalter der Niederlande, Prinz Frederik Hendrik von Oranien, bestellte bei dem jungen Meister eine Bilderreihe aus der Leidensgeschichte Christa, den Passionszyklus. Der Vermittler des Auftrages war der Sekretär des Prinzen, Consllantin Huygens. Von diesem Constantin Huygens haben wir das erste schriftliche Zeugnis über Rembrandt. In seinen Lebenserinnerungen berichtet er von einem jungen Maler namens Rembrandt, ,von dem viel Aufhebens •gemacht wurde'. Wir wissen auch, daß der Meister diesem Constantin Huygens das Bild ,Die Blendung Simeons' geschenkt hat, wohl zum Dank für die Vermittlung des großen Auftrags. Er müsse das Bild, so schrieb ihm Rembrandt in seinem Begleitbrief, in starkes Licht hängen und dürfe es nur aus einer guten Entfernung betrachten, wenn er seine volle Schönheit wahrnehmen wolle." „So sind also Briefe und Dokumente aus Rembrandts Leben erhalten?" fragte ich. „Ja, wenn auch nicht in großer Zahl. Was uns erhalten blieb, ist von Hofstede de Groot gesammelt worden und 1906 als Urkundensammlung im Druck erschienen. — Aber laß mich von diesem Auftrag weitererzählen: 1633 hat Rembrandt den Passionszyklus für den Prinzen von Oranien begonnen, er vollendete ihn sechs Jahre später. Die Bilder gehören heute zum kostbarsten Schatz der Münchener Pinakothek. Für die .Himmelfahrt' forderte der Maler 200 Florin, schrieb aber dazu, daß er sich auch mit dem begnügen wolle, was der Prinz ihm freiwillig gebe. Die .Grablegung' und ,Auferstehung' aus diesem Passionszyklus folgten zwei Jahre später. Rembrandt erbat dafür 1000 Florin, mußte aber dreimal die Bezahlung anmahnen, so daß er sich schließlich mit 600 Florin für jedes Bild zufrieden gab, sofern man ihm wenigstens noch den Ebenholzrahmen und die Transportkiste mit 14 Florin ersetzte. Jahre später erst, im Februar 1639, erhielt Rembrandt das Geld. Sicherlich haben diese trüben Erfahrungen, dieses Feilschen und Betteln den Meister nicht ermutigt, weiterhin fürstliche Auftraggeber zu suchen. Rembrandt hatte mit großen Aufträgen überhaupt nicht viel Glück. Die berühmte ,Nachtwache', »von der ich dir noch erzähle, führte zum Zusammenbruch seines Künstlerruhms, die .Anatomie', die er 1656 malte, wurde nach seinem Tode bis auf einen Überrest durch Feuer zerstört. Zeitlebens hatte er sich mit seinen Auftrag-^
gebern herumgeschlagen. Das Kolossalgemälde ,Die Verschwörung der Bataver unter Claudius Civilis' mußte er aus dem Rathaussaal von Amsterdam entfernen, weil man es nicht verstand. Er hat das Bild dann zerschnitten, um es unterbringen und die Teile verkaufen zu können. An die Stelle von Rembrandts Gemälde wurde ein Bild von Jürgens Ovens gehängt, das noch heute im Amsterdamer Rathaus zu sehen ist." „Helldunkel wie seine Werke ist demnach auch Rembrandts Leben!" bemerkte ich, um das Gespräch nicht abbrechen zu lassen, denn ich wollte mehr hören. „Das läßt sich in gewisser Weise sagen, und es besteht eine seit' same Umkehrung von Leben und Werk. Wie ich schon andeutete, wurde Rembrandt, solange er der vom Glück umgaukelte Modemaler der Patrizier war, von seinen Zeitgenossen überschätzt, der , verarmte Titan Rembrandt wurde jedoch völlig verkannt. Man anerkannte nur seinen Jugendstil und war unfähig, seine weitere Kunstentwicklung zu begreifen. So wurde einer seiner ersten Schüler, Gerhard Dou, der Rembrandts Jugendstil der kleinlichen und peinlich genauen Pinselei zeit seines Lebens beibehielt, an des Meisters Statt verwöhnt und umworben. Dou wurde der bestbezahlte Maler seiner Zeit und stellte mit seinen äußeren Erfolgen den Meister weit in den Schatten. Es kam so weit, daß sich ein reicher Bankier das Verkaufsrecht auf alle Douschen Bilder sicherte. Es gefiel dem Publikum, daß man auf diesen Bildern die letzten Einzelheiten mit der Lupe wahrnehmen konnte, so fein \yaren sie l gemalt." . „Dous Bilder stellen also die letzte Überspitzung" Von Rembrandts Jugendstil dar?" fragte ich. „Wenn du das so bezeichnen willst: i'a! Rembrandt hat sich im Alter von dieser Arbeitsweise seiner Jugend weit fortentwickelt. Der Altersstil des Meisters ist ganz großzügig, über Einzelheiten hinwegsehend, flächig und malerisch. Er malt dann oft mit breitem Pinsel, mit Spachtel und Messerrücken, vielleicht gar mit den Händen selbst. Auch im Alter fand Rembrandt einen gelehrigen Schüler: Aart de Gelder hatte den Mut, bei dem Gemiedenen in die Lehre zu gehen. Und wie einst Gerhard Dou den jungen Meister nachahmte, so tat es jetzt Aart de Gelder bei dem alten Meister. Er tat es so vortrefflich, daß seine Bilder mitunter für Werke Rembrandts gehalten wurden, und der Schüler freute sich unbändig, wenn eines seiner Werke als ein ,Rembrandt' seinen Käufer fand. Dieses Durch-
einander hat der Rembrandtforschung bisweilen tüchtig Kopfschmerzen verursacht." Ich unterbrach den Freund: „Du sprachst soeben von dem Stolz des jungen Malers, weil man sein Werk für ein Bild des Meisters Rembrandt hielt. Ich unterhielt mich neulich mit einem Maler, der mir seine Bilder zeigte und natürlich wissen wollte, was ich darüber dachte. Ich sagte ihm, seine Malweise und Auffassung erinnerten midi an den spanischen Maler Francisco Goya. Da lachte der Maler bitter auf: ,Das ist schlimmer, als wenn du mir gesagt hättest, meine Bilder seien grober Unfug.' — ,Warum?' habe ich ihn erstaunt gefragt. — ,Weil es für einen Künstler nichts Enttäuschenderes gibt, als wenn er nicht ganz er selbst ist, wenn er nur als. der »Nachfolger* eines Größeren gilt.'" „Das ist die Originalitätssucht unserer Zeit", sagte mein Freund. „Jeder will heute unbedingt etwas Neues, noch nie Dagewesenes, Einmaliges, Erstmaliges schaffen. Gewiß will ich darüber nicht richten. Zu Rembrandts' Zeiten gab es diese Sucht jedoch noch nicht. Ein jeder Maler wußte ganz genau, was er sich zutrauen konnte, und hielt sich in seinen Grenzen. Stand er vor Aufgaben, in denen er sich nicht sicher fühlte, so wandte er sich yertrauensvolF an seine Zunftgenossen und bat um Hilfe." „Du willst doch nicht sagen, daß e}n Künstler dem ändern in seinen Bildern herumpinselte?" „Doch, genau das will ich sagen! Ein Beispiel mag dir genügen. Jan Wynants malte gern sandige, hügelige, waldbewachsene Land-' schatten, er konnte sie aber nur verkaufen, wenn darauf ein rastender Bauer mit seinem Gespann oder zwei Tippelbrüder oder ein Hirt mit seinen Tieren zu sehen waren. Er hätte natürlich selbst recht und schlecht ein paar Menschen hinmalen können, aber er fühlte sich darin nicht sicher, während er die Landschaft aufs beste beherrschte. Was tat er? Er ging zu Adriaen van de Velde, weil er wußte, daß der die Figuren besser malen konnte." „Und das hat ihm niemand verübelt?" fragte ich erstaunt. „Nein, niemand! So etwas galt damals nicht als Schande; durch ein solches Miteinander-Schaffen erreichte die Kunst allgemein eine Höhe und ein Durchschnittskönnen, hinter dem das unsere wohl zurückstehen muß. Es brachte damals keinen Ruhm ein, aus dem Rahmen zu fallen, ein Einzelgänger zu sein. Nur wer wirklich dazu getrieben wurde, etwas anderes zu malen als seine Zunftgenossen,
nahm das Wagnis auf sich, weil er gar nicht anders konnte, und oft mußte er ein solches Einzelgängertum mit dem Verlust von Wohlstand und Ansehen teuer bezahlen. So erging es den beiden größten Holländern, Frans Hals und Rembrandt. Erst die Nachwelt gab ihrem Werk den verdienten Ruhm. Ein Toter aber hat nichts mehr davon, daß sein Name an erster Stelle in der Kunstgeschichte einer späteren Zeit verzeichnet ist."
Es war inzwischen spät geworden. „Ich mache dir einen Vorschlag", sagte mein Freund, „wir werden morgen Rembrandt persönlich besuchen." Ich verstand diesen Scherz nicht sofort. „Wohnt er denn in der Nähe?" fragte ich lächelnd und war gespannt, was der Freund mir antworten •würde. „Rembrandt wohnt in allen Hauptstädten Europas. Hier im Berliner Kaiser-FnedrichMuseum befinden sich 27 Gemälde von ihm, und das Kupferstichkabinett besitzt eine stattliche Anzahl yon Handzeichnungen und Radierungen." „Wieviel Bilder sind von ihm überhaupt erhalten?" wollte ich wissen. „Etwa 500 Gemälde, 275 Radierungen, 1500 Handzeichnungen, .die über die ganze Welt verstreut sind. Leningrad kann sich rühmen, in seiner Eremitage mit 33 Gemälden —• worunter sich die schönsten befinden — die reichste Rembrandt-Sammlung zeigen zu können Nach Berlin wäre das New Yorker Metropolitan-Museum mit 26 Gemälden, dann die Kasseler Gemäldegalerie mit 18 und die Londoner National-Galerie mit einer gleichen Anzahl zu nennen. Im Pariser Louvre hängen 23, in Dresden 12 und in Kopenhagen und Stockholm je 8, in Glasgow 4 Bilder Rembrandts. Viele private Sammlungen schließen sich an." „Und welcher Privatmann ist so glücklich, einen ,Rembrandt* zu besitzen?" „Manche Leute aus dem englischen Hochadel und mancher Finanzmann der großen Welt." Ich konnte die Frage nicht unterlassen, welchen Wert ein Bild Rembrandts wohl besitze.
„Du sprichst wie die Bankiers, die den Wert seiner Bilder zu Lebzeiten nicht erkannten, sein Leben argwöhnisch beobachteten, Rembrandts Schuldscheine aufkauften und seine halbfertigen Bilder pfändeten. Sie hatten nicht einmal eine so auskömmliche Altersrente für ihn übrig, wie sie dem gänzlich verarmten Frans Hals zuteil wurde, der jährlich 200 Dukaten Ehrensold erhielt. Heute ist Rembrandts Lebenswerk in Geldwerten gar nicht abzuschätzen. Aber viel beglückender ist es, daß Rembrandt uns heute geistig wieder sehr nahesteht und uns in mancher Unsicherheit dem modernen Kunstschaffen gegenüber viel zu geben hat. Sein Werk gehört zu dem tröstlichsten Besitz unter den uns erhalten geblichenen Kunstschätzen der abendländischen Kultur."
Als wir ändern Tags die Stufen zum Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin hinaufstiegen*), hielt mein Freund einen Augenblick inne und wandte sich um: „Der Stadtteil, den wir eben durchquert haben", sagte er, „ist wohl das älteste Viertel der Stadt. Früher gab es hier wenige feste Straßen. Die meisten Straßen waren Wasserwege, die man ,Grachten' nannte. Die Leute fuhren mit Kähnen von Haustür zu Haustür und in ihre Geschäfte." „Das erinnert sehr an Holland", bemerkte ich, „wo es viele solche kanalartigen Straßen gibt. Die Holländer nennen sie ebenfalls Grachten." Im Weitergehen erzählte mein Freund dann von dem gießen Kultureinfluß, den Holland in längst vergangener Zeit gehabt habe und für den dieser Name „Grachten" nur ein Beispiel sei. „Das kleine Holland war einmal sogar der Kulturmittelpunkt von ganz Europa. Sein Staatswesen war vorbildlich demokratisch geleitet, sogar Fürsten scheuten sich nicht, in diesem kleinen, lebensvollen und fortschrittlichen Land lange Lehrjahre zu verbringen. Die Holländer hatten zu Beginn der Neuzeit den neuen Glauben des Lutherfreundes Calvin angenommen und sich nach langen, schweren Kämpfen von Spanien losgesagt, unter dessen Oberhoheit sie bis dahin gestanden hatten. Auch der Blutherzog Alba, den die Spanier zur Unterdrückung des Aufstandes herüberschickten, konnte gegen ihren Freiheitswillen nichts ausrichten. Holland erklärte und be*) Der Krieg hat das berühmte Museum wie auch das Kupferstidikabinett, das die Freunde gemeinsam besuchen, zerstört; die Kunstschätze aber konnten rechtzeitig verlagert werden und sind erhalten geblieben.
hauptete seine Unabhängigkeit und trug fortan den Namen »Vereinigte Niederlande'." Während dieses Gespräches hatten wir die ersten Räume des Museums betreten, und ich strebte den Bildern zu, die ich sofort als holländische Arbeiten erkannte. „Halt", sagte mein Freund und zupfte mich am Ärmel, „es würde zu weit führen, wollten wir uns alle Bilder der Holländer ansehen, obwohl man Rembrandts Werk erst dann richtig einschätzen kamr;» wenn man seine Zeitgenossen und Vorläufer wie auch seine Nachfolger kennt. Nur wenn man weiß, wie bewunderungswürdig hoch und wie vollkommen die Kunst der niederländischen Tagesmaler in damaliger Zeit war, kann man ermessen, was Rembrandt überhaupt für die Kunst bedeutet. Er leuchtet nicht einsam im weiten Raum wie ein verlorener Stern am leeren Himmel; er ist von einer fast unübersehbaren Menge strahlender Sterne umgeben. {So leuchtet er wie eine Zentralsonne, die von glänzenden Planeten umkreist ist." i Wir standen in der herrlichen Halle der „Niederländer". Vor den Bildern, die, von langen farbigen Schnüren gehalten, an den hell getünchten Wänden hingen, verharrten die Besucher in lautloser Betrachtung. Wir traten, um die Kunstfreunde nicht zu stören, in einen stillen Winkel. „Ist es nicht merkwürdig", fuhr mein Freund fort, „daß es im Ablauf der Geschichte immer wieder Zeiten gibt, die an Kunst' Schöpfungen überaus fruchtbar sind, während andere Epochen dürr und leer ausgehen. Rembrandt lebte in einer solch gesegneten Zeit. Die Stadtbücher von Antwerpen berichten, daß dort um das Jahr 1570 gegen 300 Künstler, aber nur 78 Fleischer tätig waren. Bildermalen war damals eine Arbeit wie Fischefangen oder Pferdebeschlar gen; kein Mensch drehte sich nach einem Pinselschwinger um, wenn er nicht gerade als ein Großer im Reiche der Kunst berühmt war. Bilder, die heute der stolze Besitz unserer Museen sind, wurden auf Jahrmärkten feilgeboten, man fand sie auf den Versteigerungen und vor allem auch in den Häusern der großen Kunstkaufherren. Auch damals gab es schon berühmte private Kunstgalerien, in die ihre Besitzer viel Geld hineinsteckten; jeder Bürger, wenn er von .Stande' war, wollte Bilder besitzen, an denen er sich erfreute und an deren Schönheit er auch seine Gäste teilnehmen ließ. Insbesondere war die Porträtkunst begehrt, und der Bildnismaler war so mit Aufträgen überhäuft, wie heute ein guter Photograph.
Die Maler waren daher im allgemeinen sehr von ihren Auftraggebern abhängig, ehrwürdigen und oft gar launischen und eitlen Bürgern. Entzog diese wetterwendische Käuferschaft einem Maler ihre Gunst, dann war oft bittere Armut sein Los. Um sich vor einem solchen Schicksal zu sichern, gingen manche Maler noch einem anderen Erwerbszweig nach. Adriaen van de Velde, von dem ich dir erzählte, daß er Jan Wynants die Figurenstaffage in die Landscharten setzte, besaß einen Leinwandladen. Jan Steen, der durch seine Bilder aus dem Alltag des Lebens (Genrebildei) berühmt ist, führte eine Kneipe, in der er selbst wohl sein liebster Gast war. Sein Schwiegersohn, der Maler Jan van Goyen, handelte in Bildern ebenso wie in Tulpen und Grundstücken. Einer der hervorragendsten Landschaftsmaler, Hobbema, nahm nebenbei das Amt eines Steuereinnehmers ein, und ein anderer, der in hoher Achtung stand, Pieter de Hooch, das Amt eines Verwalters. Nur Jan van de Capelle, ein wohlhabender Färbereibesitzer, war in der glücklichen Lage, lediglich zu seinem Vergnügen malen zu können. Er war einer der besten Marinemaler seiner Zeit und pfiff auf die launische Gunst des Publikums." Wir schritten langsam durch die Räume, an deren Wänden Landschaftsbilder in gold-gelb-braunen Tönen hingen. „Hier hast du die Zeitgenossen Rembrandts", erklärte mein Freund, „sieh dort das Seestück van de Veldes^dort die wildherbe Landschaft des alten Ruisdael." „Und hier ein Frans Hals!" unterbrach ich ihn voller Entzücken. „Ja, ganz recht, der Größte neben Rembrandt!" Frech lachte uns der „Zecher" an, und „Hille Bobbe" schwenkte uns aus dem Bild ihren Bierhumpen zu, daß man ihr am liebsten wieder zugeprostet hätte. „So begann Hollands große Zeit", fuhr mein Freund fort, „übermütig, kräftig und sinnenfroh! Als Frans Hals drei Jahre vor Rembrandts Geburtsjahr" achtzigjährig starb, waren die Geusen, die einstigen Freiheitskämpfer gegen die Spanier, alt, und ihre Söhne genießerische Krämer geworden. Frans Hals hatte zum Ende seines Lebens die so ganz anders gewordene Zeit nicht mehr verstanden, wie man auch ihn nicht mehr verstand. Niemand versagte dem alten Meister zwar die schuldige Achtung, aber seine Bilder kaufte man nicht mehr. Hals hatte seine Bilder mit der Kraft des kämpfenden und siegenden Hollands angefüllt, Rembrandt aber drang in die Tiefe der holländischen Seele vor . . ." So plaudernd waren wir in den ersten der Rembrandt-Säle
getreten. Mein Herz war von einer weihevollen Stimmung ergriffen. Langsam schritt ich von Bild zu Bild. Die meisten waren mir von Kunstblättern her bekannt. Aber die Wirklichkeit war so ganz anders als die Erinnerung an jene Abbildungen. „Fällt dir unter den Bildern etwas auf?" begann mein Begleiter nach einiger Zeit, als ich die Runde gemacht hatte. Nach einigem Suchen blieb ich vor einem kleinen, etwa 30 mal 40 cm messenden Ölbild stehen, das in rötlich-brauner Tönung einen alten Mann darstellte, der — das Augenglas auf der Nase — bei verdecktem Kerzenlicht von dicken Folianten umgeben war. Mein Begleiter schmunzelte: „Du machst mir den Anfang leicht, aber warum fällt dir dieses Bild besonders auf?" „Es ist so zierlich genau gemalt und unterscheidet sich dadurch sehr von den anderen, wie mir scheint." ^ „Du hast ganz recht. Wir stehen vor einem der ältesten Bilder Rembrandts. Es ist der , Geldwechsler'. Rembrandt hat es im Jahre 1627 gemalt. Er war gerade 21 Jahre alt. Aber vielleicht ist es das beste, wenn ich dir erst etwas aus Rembrandts Leben erzähle. Rembrandt Harmenszoon van Rijn, wie sein voller Name lautet, wurde am 15. Juli 1606 in der damals reichen und berühmten Universitätsstadt Leyden geboren als Sohn des wohlbegüterten Müllers Härmen Gerwitszoon van Rijn. Die Mutter war Frau Steeltgen Willemsdochter van Zuytbroock, eine Tochter des Bäckermeisters Willems van Zuytbroock." „Du sprichst wie ein Standesbeamter", scherzte ich. „Standesbeamte gab es damals noch nicht", sagte mein Freund, meinen Scherz erwidernd. „Damals nahmen die Pfarrer, die auch die Ehen zusammengaben, solche Beurkundungen vor. Die Eltern Rembrandts haben übrigens im Jahre 1589 geheiratet — aber das ist nicht sonderlich wichtig. Rembrandt wuchs mit zwei Geschwistern, einer Schwester und dem Bruder Adriaen, auf. Er war unter ihnen wohl der Jüngste und überlebte die Geschwister. Wie das immer der Fall ist, sollte der Sohn es einmal besser haben als die Eltern. Rembrandt sollte studieren: Am 20. Mai 1620, in seinem vierzehnten Lebensjahre, ließ ihn der Vater in die Lateinschule der Universität seiner Vaterstadt einschreiben. Der Vater hatte den Ehrgeiz, aus seinem Jüngsten einen Gelehrten zu machen, vielleicht sogar einen Geistlichen von Rang. Aber dieser Junge liebte weder das Latein noch die trockenen Regeln der Grammatik. Seine jugendliche Sehnsucht stürmte auf anderen Pfaden dahin: Er wollte Maler werden, nichts als Maler! Ob die Eltern gern in diesen 10
SELBSTBILDNIS DES JUNGEN REMBRANDT ' Kein zweiter Künstler hat sich selber so oft gemalt wie Rembrandt, der in mehr als hundert Selbstbildnissen Aufstieg und Niedergang seines Lebens dargestellt hat.
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Berufswunsch einstimmten, ob sie vor dem ,Hungerleben* warnten und sich zunächst widersetzten? Wir wissen es nicht. Jedenfalls erreichte der junge Rembrandt, wozu ihn das Herz trieb. Noch im nämlichen Jahre, 1620, trat er als Lehrbub in die Werkstatt des Jacob Isaakson van Swanenburgh ein. Drei Jahre hindurch lernte er Farben mischen, er lernte Pinsel säubern, Rahmen polieren, den Stichel führen und auch — malen. Nach drei Jahren aber sah sich Rembrandt nach einer anderen Werkstatt um, in der er mehr und gründlicher lernen konnte, und wo ihm Gelegenheit gegeben war, dem Meister die Feinheiten und Geheimnisse hoher Malkunst ablauschen zu dürfen. Und da er gehört hatte, daß Pieter Lastmann zu Amsterdam ein solcher Meister war, wandte er sich also in diese große Stadt. Amsterdam aber war damals gleichsam Brennpunkt der großen Welt. Im Hafen lagen dickbäuchige Kauffahrteischiffe, die Duft und Erlebnis aus fernen Ländern in ihren Planken und Segeln mitbrachten. Da lagen die kanonenbespickten Linienschiffe der Hollandflotte, da sah man Menschen aller Farben und Erdteile. In der Sänfte ließ sich ein Fürst aus dem fernen Indien zum Rathaus tragen, Mohren aus Afrika breiteten bunte Teppiche vor ihm aus. Aus dunklen Kneipen drang das Gröhlen betrunkener Matrosen, Marktweiber rissen ihre Korbe an sich und stoben auseinander, wenn der Statthalter mit seinem Gefolge durch die Marktstände ritt; jammervolle Bettlergestalten kauerten an den Türen der Vornehmen. Invaliden der Geusenzeit boten vergebens ihre Gebrechen feil, und ihre vergessenen Lieder verklangen ungehört. In den Ghettos hatten die Juden ihre Läden geöffnet. Sie hatten im gastlichen Holland eine neue Heimstatt gefunden, als sie aus Spanien und anderen Ländern vertrieben worden waren. Es gab für ein Bubenauge viel zu schauen und für ein gieriges Knabenohr vieles zu erlauschen. Bei Meister Lastmann hörte man viel von dem Wunderland Italien und seiner Kunst. Aber noch lieber ließ sich Rembrandt von dem deutschen Maler Adam Elsheimer erzählen, den Meister Pieter Lastmann in Rom kennengelernt hatte. Der malte nämlich Bilder nach dem Herzen des Knaben: Landsknechte an brennenden Wachtfeuern, Reiter in fackelbeleuchteten Nachtszenen. Ob Meister Lastmann wohl gewußt hat, daß Adam Eis- ; heimer hier einer älteren Malertradition gefolgt ist, die keinem* Geringeren als Meister Matthias Grünewald verpflichtet war, von dem eine lückenlose Schulerfolge über Meister Hans Grimmer und Meister Philipp Uffenbach bis zu Meister Elsheimer führte?" „So glaubt man an eine mittelbare Ausstrahlung Grünewaldscher / i 12'1 - . ^ '
Kunst auch auf die Malkunst Rembrandts?" fragte ich den Freund. „Das hieße zu viel behaupten", entgegnete dieser, „doch soll man die einflußreiche Wirkung des Lehrers auf den Schüler gerade in der damaligen Zeit nicht unterschätzen. Meister Lastmann nannte aber noch andere verehrte Meister, deren Kunst es ihm angetan hatte. Da war der große Italiener Antonio Allegri Correggio, in dessen Tafelbildern das überquellende Gefühl in verklärenden Lichtstromen Ausdruck suchte. Er wußte von Caravaggio zu berichten, der das Licht in die feinsten Abgrunde seiner Bildwerke fluten ließ, gerade so, wie wenn die Sonne sich durch enge Luken in dumpfe Keller verirrt. Und Lastmann zeigte, wie zauberhaft diese Großen der Malkunst das Geheimnis des Lichtes erschlossen hatten, und unter seinen Schülern war keiner gelehriger, prägte sich keiner jedes Wort, jeden Pinselstrich und jede Farbmischung mit gleich erregter Aufmerksamkeit ein wie Rembrandt. Als Rembrandt dann glaubte, daß er genug gesehen und gehört habe, packte er seine Malsachen zusammen, schnürte sein Bündel und kehrte in die Heimat zurück. Er war 19 Jahre alt geworden, als er in seiner Vaterstadt Leyden seinß eigene Werkstatt aurtat. Aus diesen ersten Jahren seiner eigenen Malerwerkstatt stammt jener ,Geldwechsler', der dich eben unter den Bildern Rembrandts durch seine Eigenart so überrascht hat. In diese Zeit des jungen Meisters fällt auch der Augenblick, in dem Rembrandt sich von den Vorbildern löste und die Wirklichkeit des Lebens entdeckte. Vielleicht war es ein Augenblick, da er vor 'dem Spiegel stand, in den er hineinlachte. Da hatte es ihn gepackt: ,Dieser Kerl dort, der keck Dreinschauende, er, Rembrandt selber — das war ein Motiv!' Vor dem Spiegel baute er seine Staffelei auf. Da grinste er hinein, schnitt seinem Gegenbild freche Grimassen, setzte sich die wunderlichsten Hauben auf, verdrehte die Augen und fand so in sich selbst sein dankbarstes Modell. Von 1629 sind seine ersten uns erhaltenen Selbstbildnisse datiert, und von nun an hört er bis an sein Lebensende nicht mehr auf, sich selbst oder die Menschen aus dem Umkreis seines Alltags zu malen. — Vater und Mutter müssen ihm Modell sitzen. Als Sohn wie als Maler liebt er ihr zerfurchtest, vom Leben gezeichnetes Gesicht. Er setzt dem alten Herrn ein Federbarett auf, tauscht es mit einer Offiziersmütze aus, und wenn sich Vater Rembrandt auch in den ihm zugedachten Rollen nicht recht wohl zu fühlen scheint, so erträgt er doch mit Humor die Launen und Einfälle 13
seines Sohnes. Die Mutter wird mit schimmernden Tüchern bekleidet und ist ihm so das Vorbild für seine ,Prophetin Anna'. Eine anregende Fülle von Szenen findet er in der Bibel: ,Wie Jesus die Wechsler aus dem Tempel vertreibt' oder ,Simeon im Tempel'. All das malt er in dieser Zeit. Schon beginnt man von dem Jungen Meister zu sprechen. Schon finden sich die ersten Schüler. Gerhard Dou, von dem ich schon sprach, ist einer der ersten. Schon ist Rembrandts Ruhm über die Mauern" Leydens hinausgedrungen. Aus Amsterdam kommen die ersten Bildaufträge in seine Werkstatt. Als der Vater im Tahre 1630 stirbt, weiß er um die hoffnungsvollen Anfänge seines Sohnes. Zwei Jahre später hält es den Sohn nicht mehr in Leyden. Das größere Amsterdam mit seinen größeren Aufgaben lockt ihn, und die Aussicht auf ein flottes Künstlerleben macht ihm den Abschied leicht. Er kann etwas, dieser Mynheer van Rijn! Wie kein zweiter versteht er zu porträtieren. Seine Hand ist sicher, sein Haar kraus, die verwegenen Augen blitzen im Übermut des Lebens, immer geht dieser Rembrandtf in Samt und bunte Seide gekleidet. Kunsthändler gehen in seiner Werkstatt ein und aus, die Frauen blicken ihm nach, die Herren grüßen ihn voll achtbarer Höflichkeit. ,Hendrik van Uylenburgh gibt sich die Ehre, Mynheer van Rijn zur Tafel zu bitten!', so und ähnlich lauten die Einladungen in die Häuser der Patrizier. Und Rembrandt genießt diese Ehren. Uylenburgh ist Kunsthändler. Aber mehr noch; da ist diese schmucke Deern, die Base des Hausherrn, Saskia, die Zwanzigjährige, die — ist es Zufall oder etwas anderes? — immer gerade anwesend ist, wenn man den lebensflotten Mynheer aus Leyden zu Gast geladen hat. Ihr Vater ist Bürgermeister in Leuwarden, ihre Brüder sind Advokaten, Professoren, Offiziere. Sie soll reich sein, so flüstert man, sehr reich! Sie ist dazu ein hübsches Ding — und das ist viel mehr! 1633 verlobt sich Rembrandt mit dieser Saskia, der Base des reichen Uylenburgh, und ein Jahr später feiern sie Hochzeit und gründen sich das wohleingerichtete Heim. Längst ist Rembrandt kein armer Schlucker mehr. In seiner Werkstatt geht es hoch her mit Aufträgen und lernbegierigen Schülern. Jeder Schüler trägt ihm alljährlich 100 Florin Lehrgeld ein, und auch der Ertrag ihrer Bilder fällt dem Meister zu. Kupferstecher stechen seine Gemälde nach, ein Pariser Kunstverleger übernimmt diese Kupferstiche zum Druck. Rembrandt selbst, der Meister in dieser fleißigen Werk14
statf, malt gegen gutes Geld das leichtlebige Völkchen Amsterdams, mitunter auch einen steifen Herrn aus dem Patriziat der großen Stadt. Wann er denn nun nach Italien reisen wolle? fragt man ihn. Eine solche Reise zu den Kunststätten und Meistern des Südens gehöre doch zur Ausbildung eines Künstlers, der etwas auf sich halte. Zum Reisen sei keine Zeit, erwidert der Vielbeschäftigte, man sehe doch, daß er zu malen habet, — Aber das werde er gewiß einmal bereuen, denn Italien sei die einzige Lehrmeisterin der Kunst. Rembrandt schweigt, er kramt unter seinen Bildmappen und bringt einige angeschleppt und breitet ihren Inhalt vor den gutmeinenden Warnern aus: Da sehen die staunenden Freunde, daß der Meister sich längst mit dieser südlichen Kunst auseinandergesetzt hat; da liegen vergriffen und abgetastet die Stiche und Skizzen der großen Südländer Raffael, Tizian, Michelangelo und anderer. — Er kenne die Italiener, brummt Rembrandt, diese Bilder seien seine Italienreise! Rembrandt ist Sammler geworden. Von nun an wird man ihn auf allen Auktionen des Landes sehen. Kein Preis ist ihm zu hoch, wenn sich Auge und Herz für eine alte Plastik, eine schön geschmiedete Waife, einen fremdländischen Helm, eine seltene Spange entschieden haben. Im Triumph trägt er das begehrte Stück in sein Heim, schmückt Saskia mit dem Zierat oder setzt ihr gar im Übermut den Ritterhelm auf das Kraushaar. Das Heim ist für all den Reichtum längst zu klein geworden. Für 13 000 Florin kauft Rembrandt im gleichen Jahre, in dem er den Passionszyklus beginnt, in der St.-Anthony-Breestraat in Amsterdam ein/ stattliches Haus. Er braucht nur 1200 Florin darauf anzuzahlen. Seine Arbeit ist mannigfach geworden. Er wird indes nicht müde, seine junge Frau zu malen. Er schmückt sie mit farbenreicher Seide, mit dunkel-glühendem Samt, er legt ihr'Perlenketten um den zierlichen Nacken, er rückt ihr den Hut zurecht und gibt ihr Blumen in die Hand. Er hebt sie auf seinen Schoß und läßt sie aus dem Glas perlenden Schaumwein trinken. Und so malt er sie. In diesem Taumel von Farbe und Licht findet er Erholung von den langweiligen Porträtsitzungen, von dem geduldvollen Malen streng gefalteter Halskragen, tüfteliger Spitzenkragen und zierlichster Manschetten. Holland ist ehrbar und streng, seine Kleidung ist nicht anders. 15
SASKIA Bildnis der Verlobten Rembrandts mit dem Rosmarinzweiglein, dem Zeichen der Treue.
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Oder er wandert vor die Tore der Stadt, besucht Müllersleute und Bauern. Er malt die Landschart im Helldunkel jagender Sturmwolken und lacht, wenn die Sonne sieghaft durch die Wolkenknäuel bricht und den Grund übergoldet. Er zeichnet alles, was er um sich herum wahlnimmt: Bettler und Fischer, Schiire und Tiere, den Menschen und das Land." Mein Freund unterbrach seinen Bericht: „Wir wollen nun den Meister selber aufsuchen", sagte er und trat mit mir vor eines der Selbstbildnisse Rembrandts, das in gutem Licht an einer seitlichen Wand hing. Unter modischem Samtbarett blickten zwei muntere scharfe Augen hervor. Das Gesicht war nicht schön, aber es packte und fesselte, es war kraftvoll und edel (siehe das Bild Seite 11). „Das ist eines der schönsten, besser noch tiefsten Jugendbildnisse Rembrandts. Und daneben, das ist Saskias Bild! — Die junge Frau, die er hier gemalt hat, kann sich gewiß nicht an der Schönheit italienischer Frauen messen, und Rembrandt hat solche Schönheit auch nie in ihr gesucht. Der Reiz ihrer Person liegt in der Zartheit, der Einmaligkeit dieses Gesichtes und in ihrer charaktervollen Eigenheit, die über aller herkömmlichen Schönheit steht." Wir verweilten lange vor jedem Bild. Neben Saskias Bild hing das Bildnis eines Rabbiners und eines jungen Juden. „Rembrandt wohnte gern im Ghetto", erklärte mein Freund, „er besuchte Rabbiner und Schriftgelehrte, Krämer und Handwerker, um sie in ihrem malerischen Kopfschmuck zu sehen. Amsterdam war ja ein Stück Orient, dessen farbenprächtige Bilder der junge Rembrandt vornehmlich liebte. Er holte sich Bettler und Hausierer von der Straße in seine Werkstatt oder zeichnete ihre Gestalten aus der Erinnerung nach. In diese Zeit eines von jedem Glück begünstigten Lebens fielen die ersten Schatten. Vier Kinder hatte Saskia ihm geschenkt, drei starben bei der Geburt, nur ein Sohn, der 1641 geboren war, Titus, der Letztgeborene, blieb am Leben. Aber das Kind hatte die Lebenskraft der Mutter äußerst geschwächt. Ein großer Auftrag war dem Meister in dieser Zeit zuteil geworden: Die ,Nachtwache'. Er sollte die Schützenkompanie des Hauptmanns Banningh Cocq malen. Unter dieser Schützengilde muß man sich einen Kriegerverein oder eine Bürgermiliz vorstellen. die das Erbe der niederländischen Freiheitskämpfe weitertrug. Siebzehn Herren hohen Standes waren an ihn herangetreten, die mit vollem Porträt auf diesem Gruppenbild prunkvoll vertreten sein wollten. Allgemein war es üblich, daß sich die Schützen für .U
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den Festsaal ihrer Zusammenkünfte malen ließen, meist standen sie auf diesen Bildern in Reih und Glied mit dem Gewehr bei Fuß und bildeten den Betrachter herausfordernd an. Das war nun höchst langweilig zu malen. Rembrandt machte sich an die Arbeit, spannte die riesige Leinwand und malte (siehe das Bild Seite 20). Als er fertig war und das Gemälde den Blicken darbot, gab es einen Skandal, wie ihn das Amsterdamer Kunstpublikum noch nicht erlebt hatte. Dieser Rembrandt mußte verrückt sein! Man bedenke: Siebzehn Schützen hatten ihr Bild bei ihm bestellt, jeder hatte hundert Gulden darauf gezahlt. Waren hundert Gulden etwa ein Pappenstiel? Durfte man dafür nicht etwas Ordentliches verlangen, ein vernünftiges Konterfei, das man den Freunden mit Anstand vorweisen konnte! Was aber hatte Rembrandt ausi diesem Auftrag gemacht? Es war empörend! Statt siebzehn Schützen hatte er deren mehr als zwanzig gemalt, von denen einer dem ändern vor das Gesicht lief, ihn verdeckte oder sich gar ohne Achtung des Ranges unberechtigt hervordrängte. Andere wieder waren so tief in den Schatten gehüllt, daß man sie kaum noch erkennen konnte. Man war bestürzt und erbittert. Warum er so etwas Abwegiges und allem Herkommen Hohnsprechendes gemalt habe, wollte man wissen. Rembrandt stand im Gewühl und stemmte die Hände in die Seiten. Was hatte er mit diesen eitlen Narren zu schaffen? ,Sollte ich euch wie die Puppen aufbauen?' brach er los. ,Sollte ich eure Sonntagsmienen malen, damit man eure leeren Fassaden nicht sah, aus denen die Langeweile gähnte? Sollte ich . . .' Da sah er ihre verständnislosen Gesichter und schwieg, wendete sich ab und ging zu seiner kranken Frau. Trotz aller ärztlichen Sorge war das Leben Saskias nicht mehr zu retten. Sie starb noch im nämlichen Jahre und ließ den Meister mit dem kleinen Sohn Titus in dem nun viel zu großen Hause zurück. Saskias Erbschaft betrug in den Büchern 40 750 Florin. Aber als Rembrandt das Erbe antreten wollte, erfuhr er, daß das Geld gesperrt war. Die Uylenburghs hatten sich längst von diesem .Verschwender' abgewandt. Nun nach dem Tode Saskias wurden sie seine offenen Feinde. Sie verweigerten die Herausgabe der Mitgift. Der kleine Titus bedurfte der Pflege. Rembrandt konnte nicht daran, denken, wieder zu heiraten. Er wäre des' Erbes völlig verlustig gegangen, da Saskia testamentarisch verfügt hatte, daß ihm das Erbe nur dann zufalle, wenn er unverehelicht blieb. So nahm 18
REMBRANDTS SOHN T1TUS i
er zur Pflege des Sohnes eine Magd, Geerti'e Dirks. Sie war Trompeterswitwe und kam in sein Haus in der Hoffnung auf eine Ehe. Als er ihre Absicht durchschaute, wies er sie hinaus. Da verleumdete sie ihn und brachte ihn ins Gerede. Rembrandts Herz verdüsterte sich. Trost und Ruhe suchend, wanderte er über die Felder und kehrte in den Dorfkneipen ein. Und auf einer dieser Wanderungen begegnete er einem jungen Mädchen. ,Wie heißest Du?' — ,Hendrikje Stoffels, Mynheer!' — ,Du
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DIE NACHTWACHE
Das Bildnis einer Amsterdamer Schutzenailde
gefällst mir!' Sie lächelte und blickte ihm in die Augen. — »Willst Du mit mir gehen und meinen kleinen Sohn pflegen?' -^ ,]a,', Mynheer.' ,'' Da war Rembrandts Herz wieder hell. Hendrikje wurde die Mutter seines Kindes und blieb berihm." Wir standen vor dem Bild Hendrikjesi, das sie im schlichten roten Kleid zeigte. Sie blickte den Beschauer mit warmen, ruhigen Augen an. Den Hals zierte eine Samtschnur, ein Ring hing daran. „Vieles ließe sich über dieses Bild sagen", erklärte mein Begleiter, „und über diesen Ring, und was er bedeuten mag. Das Bild verrät uns auch, daß Rembrandt in seiner Arbeitsweise ruhiger geworden ist. Er verzichtet auf den überladenen Pomp, den er vor Jahren so geliebt hat, um besondere Lichteindrücke zu erreichen. Auch » Hendrikje hätte er schmücken und behängen können—wie er es mitunter auch jetzt noch tut. Aber schon kündet sich der schlichte Altersstil an, mit dem Rembrandt erst seine volle Meisterschaft erreicht. Immer unwichtiger werden ihm nun die Nebensächlichkeiten in seinen Bildern, er blendet das Licht bis zur letzten Sparsamkeit ab, läßt es dann aber in der Spiegelung edler Metalle oder in wohlabgestimmten Farben warm aufleuchten." Wir wandten uns um und standen dem „Mann mit dem Goldhelm" gegenüber. (Siehe Bild Seite 23.) „Kennst du die Geschichte dieses Bildes?" fragte mein Begleiter i — und schon erzählte er mir, ohne meine Antwort abzuwarten, wie ! Rembrandt zu diesem Bildnis kam. „Adriaen van Rij'n, Rembrandts Bruder, betrat eines Tages die Werkstatt. Im abgeblendeten Licht der Fenster blieb er stehen, um den Bruder etwas zu fragen; plötzlich kam Rembrandt die Erkenntnis, wie ernst und alt das Antlitz des Bruders geworden war. Da sprang er auf, nahm den Goldhelm von der Wand und setzte ihn dem Bruder auf; nun wußte er: so müsse er den Bruder malen, alt und müde unter der Last des' Helmes. Und dieses Bild wurde mehr als ein Bruderporträt — es wurde zum Sinnbild des Menschen, der unter der schweren Last des Lebens müde und ernst geworden war." „Geheimnist du nicht et-wasi in das Bild hinein, was der Künstler l" gar nicht beabsichtigt hat?" mußte ich fragen. „Glaubst du, daß Rembrandt solche Gedanken hat ausdrücken wollen? Oder ist das alles nicht vielmehr . . ." „Ich weiß, was du sagen willst", unterbrach mich mein Freund, „.. . oder ist das alles nicht vielmehr unbewußt und vom Künstler 21
nur als die Wiedergabe eines festumrissenen Augeneindrudks gemalt •worden? War es das, was du sagen wolltest? Auf eine solche Frage kann man nicht so antworten, daß die Antwort für jeden Künstler zutreffend ist. Das ist bei den einzelnen Malern verschieden. Zweifellos gibt es Maler, die in ihrem Werk nur die Darstellung eines Gegenstandes', eines Menschen, einer Landschart, so wie sie das Auge sieht, also nur die Oberfläche, nicht die Tiefe und das Hintergründige, das Seelische in ihren Bildern beabsichtigen. Rembrandt gehört nicht zu ihnen. Er besaß ein so tiefes Lebensgefühl und eine so echte Lebensfülle, daß in seiner Hand nichts Zufälliges entstehen konnte. Er war nicht nur mit den Augen, sondern ebensosehr mit dem Herzen bei seinen Bildern. So ließ er in diesem Bildnis des ,Mannes mit dem Goldhelm' die Sonne nicht ohne Absicht hell über das Bildwerk des Helmes gleißen, nur weil die zufällige Beleuchtung seiner Werkstatt es eben so ergab — das werden wir nicht annehmen. Wir spüren vielmehr, wie der Künstler die Helligkeit des Helmes und seine drückende Schwere irgendwie zu dem nachdrücklichen Ernst des Angesichtes und dem Alter dieser Gesichtszüge in Beziehung gebracht hat. Hier ist ein Mensch, so sagen wir uns, der die Last eines vielleicht ehrenvollen, sicher aber schweren Lebens mit sich trägt. Zugleich aber breitet der Goldschimmer auch einen verklärenden Hauch über dieses Bild und tröstet in geheimnisvoller Weise. Das Leben Rembrandts wird in dieser nun kommenden Zeit noch daseinsschwerer. Aus seinem Hause ist die laute Geschäftigkeit der frühen Meisterzeit längst gewichen. Selten nur kommt noch ein größerer Auftrag. Die Gesellschart hat sich zurückgezogen, seit er die nicht standesgemäße Hendrik]'e in sein Haus nahm. In dieser schweren Zeit halten nur wenige Freunde dem Meister die Treue; zu ihnen gehört der Bürgermeister Jan Six, der Rembrandts Größe ganz erfaßt hat und ihn liebt. Er beginnt mit Eifer, die überall zerstreuten Graphiken des Meisters zu sammeln. Rembrandt hat diesen Freund gemalt, wie er in Gedanken versunken die Handschuhe überstreift. Träumend, ziellos schweift sein Blick in die Weite. Wenn du wissen willst, wie einem solchen Menschen zumute ist, dann mußt du dich einmal prüfen, -\^enn du wachend träumst: Du nimmst nichts wahr von der Außenwelt, obwohl du die Augen offen hast, du bist ganz von deinem Innern erfüllt. Diesen Blick malte Rembrandt oft, dieser .traumlose Blick' ist für ihn bezeichnend. Vielleicht dürfen wir annehmen, daß Rembrandt eine 22
DER MANN MIT DEM GOLDHELM ist Adriaen van Ri|n, Rembrandts Bruder — ein Bild.jn dem ein Lebensschicksal zum Ausdruck kommt. ,
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•Eigenart seiner selbst damit darstellte: Er selbsti ist dieser von 'Gesichtern und Ahnungen erfüllte Träumer. So stehen wir wieder vor der Frage: Hat der Meister in seinen Bildern wirklich mehr gewollt als nur die Darstellung der äußeren Wirklichkeit? Dies ist die Antwort: Rembrandt stellt die Welt, Menschen, Tiere und Landscharten echt und naturgetreu dar, aber er versteht es mit hoher künstlerischer und seelischer Kraft, durch die Oberfläche seiner Bilder eine tiefere, wesentlichere Welt hindurchschimmern zu lassen. Sein Werk steht nirgends im Widerspruch zur Natur, wie das oft bei modernen Malern der Fall ist, es gibt aber immer mehr als die reine Natur wieder und erreicht damit den Gipfel der Malerei und der Kunst überhaupt. In gleichem Maße, wie Rembrandt höchste Meisterschaft erTeicht, sinkt seine Lebenshaltung in immer tiefere Armseligkeit hinab. Immer schwieriger ist seine Vermögenslage geworden. Im Jahre 1656 erklärt er den Bankrott. Steuerbeamte durchschnüffeln sein Haus und kehren in diesem Museum das Unterste zu oberst. Die Liste, die sie am 25. Juli jenes Jahres von Rembrandfs Besitztümern aufstellen, ist uns heute noch erhalten. Nur die Malerei hilft ihm über diese Zeit hinweg — und sein Sohn Titus, der nun in dem-Alter steht, in dem Rembrandt einst seine Lehre begann. Er malt ihn, wie er lächelnd in einem Buche liest. Es ist eines seiner besten Bilder geworden (siehe das Bild Seite 19). Als der Winter einbricht, ist Rembrandts geliebte Sammlung versteigert. Kalter Dezembernebel lastet unbeweglich über den Grachten von Amsterdam. Der Meister sitzt vor dem flackernden Herdfeuer, sein großes Haus ist leer geworden. Er denkt an Christi Geburt und Leiden und greift zur Radiernadel und beginnt erneut zu arbeiten. In dieser Zeit schwerster Lebenslast radiert Rembrandt Christi Leiden vor Gethsemane. Im kommenden Jahre wird auch sein Hausrat versteigert, und zwei Jahre danach, 1660, muß er mit seiner Familie das Haus verlassen. Wahrend die Packknechte die letzten Möbel hinaustragen, steht er immer noch in seiner Werkstatt und malt den gegeißelten Heiland. Er hört nicht Geschrei und Gepolter; als sie bei ihm eindringen, um sein Malgerät fortzunehmen, mißt er sie ruhigen Blickes. Verwirrt ziehen sie sich zurück. Eine Dachkammer in der ärmlichen Roozengracht nimmt ihn mit seiner Familie auf. Wieder beginnt der Meister zu malen. Aber auch hierhin, bis unter das Dach, folgen die Eintreiber. Die Tür wird aufgestoßen, ein Herrchen blickt sich frech um. ,Das sind Ihre 24
Bilder, Mynheer?' Er deutet mit der Hand die Wände entlang. — Ja, die meinen!' entgegnet Rembrandt. ,Was wollt ihr?' Jener trägt Stück um Stück zusammen. Erst als er das Bild von der Staffelei herunternimmt und es zu den übrigen stellt, widersetzt sich der Meister: ,Aber doch nicht das Bild auf der Staffelei, das ist ja noch gar nicht vollendet!' — ,Macht nichts, Mynheer, macht nichts. Ihr ' werdet es noch vollenden, denn Gott wird nicht zulassen, daß Eure Gläubiger ohne Geld ausgehen!' Das geht zu weit! Rembrandt findet einen Aus\veg aus seiner Bedrängnis und der Not seiner Familie: er schließt mit Hendrikje und dem Sohn Titus einen Vertrag. Sie werden einen Kunsthandel eröffnen. Er geht zu ihnen in Kost und Logis und bezahlt sein Kost- und Wohngeld mit seinen Bildern. Rembrandt ist jetzt 54 Jahre alt, von untersetzter Gestalt, seine Züge sind krankhaft verändert, aber seine Hände sind feinfühlige? '»und sicherer als je, sein Auge ist unbestechlich. Majestätisch schreitet er durch die Gassen von Amsterdam, und das Geschwätz verstummt, wenn er1 vorübergeht. Trotz vieler Anfeindungen hat sich die scheue Achtung vor diesem Meister nicht verloren. Ein neuer großer Auftrag ergeht an seine Werkstatt: 1661 malt er für das Amsterdamer Rathaus die ,Verschwörung der Bataver'. Aber das Bild findet bei den Herren des Rates kein Verständnis. So nimmt der Meister das Gemälde wieder an sich. Bei einem neuen Auftrag, der 1662 von den reichen Herren der Tuchmeistergilde an ihn ergeht, macht er viele Zugeständnisse. Er versucht den Auftraggebern gerecht zu werden und erinnert sich des Fehlschlages seiner .Schützenkompanie'. Die ,Staalmeesters', wie dieseis Großbild der Tuchmacherherren genannt wurde, ist ein vollendetes Meisterwerk der Porträtkunst geworden, auch wenn es nicht die vollendetste Äußerung Rembrandtschen Schaffens darstellt. Jedenfallsi stellte er seine Auftraggeber zufrieden, und endlich glaubt Rembrandt, aufatmen zu können. Da stirbt im gleichen Jahr, in dem er das große Werk-vollendet, die treue Weg- und Leidensgefährtin, Hendrikje. Noch einsamer wird es um den Meister, als er im Jahre darauf auch den Sohn verliert, mit dem er still zusammengelebt hat. Rembrandt hat die Sechzig überschritten. Immer noch steht er vor der Staffelei. Die Menschen verstehen den Schweigsamen nicht mehr. So schafft er für sich selber, ohne je hoffen zu dürfen, daß seine Arbeit sich noch einmal in einen Notgroschen für den Tag und die Zukunft umsetzen könnte. Alles, was ihn bewegt, vertraut er der Leihwand an. Neben Palette und Farben liegen die kargen Mittel, mit denen er 25
sich aufrecht erhält: ein Stück Brot, ein paar Pökelheringe, eine Flasche Schnaps. Ärmliche Kleider bedecken seinen Leib. Mitunter greift er wie in früherer Zeit zum Spiegel, um sich selbst in seinen Zügen zu begegnen. An Jugend und Ruhm erinnert er sich, da er keck in die Welt hinauszog, sie im Sturm zu erobern, da er um Gunst und Ehre buhlte und sie gleichzeitig verschmähte. Jetzt ist er so arm wie die Bettler, die er einst gegen geringen Lohn gemalt hat. Wie ein verlorener Sohn sucht er eine Heimat. Am 4. Oktober 1669 nimmt der Tod dem Meister den einzig verbliebenen Besitz aus der Hand; den Stift und den Pinsel. In der leeren Werkstatt läßt Rembrandt sein letztes vollendetes Werk zurück, das Bild des ,Verlorenen Sohnes', von dem auf der zweiten Umschlagseite dieses Lesebogens ein Ausschnitt wiedergegeben ist. Vier Tage darauf hat eine Gruft der Westerkerk in Amsterdam Rembrandt zur letzten Ruhe aufgenommen." •»•
Noch einmal gehen wir durch die Räume, in denen die Gemälde des Meisters hängen, dann treten wir in die blendende Sonne des Mittags. „Wolltest du einen vollkommenen Eindruck von seinem Werk bekommen, so müßten wir jetzfc in das Kupferstichkabinett hinubergehen und Rembrandts Handzeichnungen und Radierungen betrachten; denn Rembrandt war nicht nur einer der größten Maler, er darf auch als einer der größten Zeichner und Radierer betrachtet werden. Seine Zeichnungen sind mehr als nur Studien zu den Gemälden, sie atmen ein eigenes Leben." „Tun wir es!" ermutigte ich, „gehen wir in das Kupferstichkabinett; es ist verlockend, ein Blatt in der Hand zu halten, das der große Meister selbst einmal berührt hat!" Der Museumsbeamte schob einen kleinen Wagen vor sich her und machte vor unserem Tische Halt, dann breitete er schwere, dicke Mappen vor uns aus und entfernte sich schweigend. In starke Kartons waren die Zeichnungen eingelassen, nähere Angaben, wie Inhalt der Darstellung, vermutliches Entstehungsjahr, genaue Größe usw., waren angegeben. Wir begannen zu blättern. In leidenschaftlichen, kräftigen Strichen waren Gestalten aufs Papier gesetzt, Bettler, Bauern, Propheten und Frauen. Mit dem Pinsel waren die Zwischen- und Schattentöne eingesetzt, jede Zeichnung malerisch, kraftvoll, packend. „Rembrandt verwendete in seinen Jugendjahren zunächst alle 26
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damals bekannten Zeichenmittel: Kreide, Kohle, Rötel, Feder und Silberstift, Allmählich entschied er sich dann nur noch für Feder und Pinsel. . ." „und diese breiten Striche sind auch mit der Feder gezeichnet?" „Gewiß, mit der Rohrfeder aus Schilf, während die dünnen Linien mit dem Gänsekiel gezogen sind!" „Sieh dir einmal diese Studie zu einem Folterknecht aus der .Geißelung' an! Wenn du Teile der Zeichnung abdeckst, so daß du nur ein Bein oder einen Teil des Körpers sehen kannst, dann erscheint dir dieser Rest sinnlos, verworren, ja fast verschmiert. Betrachtest du nun wieder die ganze Skizze, dann erkennst du, daß doch ein jeder Strich und Schatten an seinem rechten Platz steht und nicht anders aussehen könnte. Während dir vorher der Einzelteil formlos vorkam, erscheint nun das Ganze als vollkommen und ,von großartiger Klarheit. Die Strichführung ist also nicht durch den Zufall, sondern vielmehr durch feste künstlerische Absicht bestimmt. Rembrandt verzichtet fast gänzlich darauf, die äußeren Umrisse eines Körpers nachzuzeichnen, wie e.s etwa Dürer tut, sondern er stellt den Körper in einen größeren Zusammenhang aus Licht und Schatten, also in einen lichtdurchwebten Raum, in dem die Umrisse zugunsten der Licht- und Schattenwirkung verschwimmen. In der Kunstgeschichte nennt man das den malerischen Stil. Das wird besonders deutlich, wenn du dir .seine Radierung .Christus predigt' betrachtest (siehe das Bild Seite 29). Wenn man radieren will, so bestreicht man eine Metallplatte — meist besteht sie aus Kupfer — mit dem Ätzgrund aus Wachs, Harz und Mastix und schwärzt ihn mit Ruß. Sodann ritzt man mit einer Nadel die Zeichnung in den Ätzgrund, taucht die fertig gezeichnete Platte in ein Säurebad, so daß die bloßliegenden Striche in das Metall geätzt werden. Hier haftet später beim Druck die Farbe. Eine Radierung setzt sich demnach aus feinen Linien zusammen, die du sofort erkennen kannst, wenn du die Radierung genau betrachtest. Rembrandts große Kunst besteht nun darin, daß er eine große Mannigfaltigkeit in der Schattengebung und Lichtwirkung zu erzielen versteht. Die Umrisse lösen sich im Raum auf, dadurch stehen die einzelnen Figuren nicht losgelöst nebeneinander, sondern sie verschmelzen zu einer tieferen Einheit. Aus dem Dunkel leuchtet ein Gesicht auf, ein Gewand. Alles andere versinkt im Dunkel. Wo endet Christi Mantel, wo beginnt die freie Luft? Alles ist miteinander verwoben. Es ist also Rembrandt gelungen, gleichsam . -^ '
mit der feinen Nadelspitze zu malen, die Linie zur Fläche zu erweitern. Um diese Wirkung besser erzielen zu können, wendet er sich immer mehr der Kaltnadelarbeit zu, d. h. er ritzt sofort in das Metall und verzichtet auf die Atzung. Da wird das herausgekratzte Metall an den Seiten zu feinen Graten hochgeschoben, so daß die Striche doppelt drucken. Dadurch entstehen feinste Zwischentöne auf den ersten Drucken, bis die Grate abgenutzt sind. Oder Rem-' brandt ätzt eine Platte mehrmalsi, oder er ätzt sie erst vor und arbeitet sie mit der kalten Nadel nach. So beherrscht er die Technik des Radierens wie kein zweiter, und wir dürfen in ihm den größten Radierer aller Zeiten verehren. Das Blatt, das den predigenden Christus darstellt, ist im Jahre •1652 entstanden. Wenige Jahre vorher (1649) hat er das herrlichste Werk, das die graphische, also die Schwarzweißkunst überhaupt aufzuweisen hat, geschaffen: Das sogenannte .Hundertguldenblatt'. Es stellt gleichfalls den Heiland dar, wie er Kranke heilt. Schon zu Lebzeiten Rembrandts war es so bewundert, daß der Meister dafür 100 Gulden verlangen konnte — für die damalige Zeit e,in sehr hoher Preis. Ein Jahr nach dieser Radierung, also 1653, entstehen die .Drei Kreuze', die in mehreren Fassungen erhalten sind. Aber auch eine einfache Landschaftsradierung, wie etwa die .Windmühle', die 1641 in seinen glücklichsten Jahren geschaffen ist, zeigt Rembrandts vollendete Meisterschaft (siehe das Bild Seite 30). Diese Landschaft hat Tiefe, Weite und unmittelbare Nähe zugleich. Auch in diesen Landschaftsradierungen bleibt noch der Mensch in die Welt eingebettet. Du siehst hier am Horizont zwei Menschen stehen, die fast in der Weite verschwinden, aber doch noch deutlich zu erkennen sind. Laß nun einmal deine Augen über das Blatt hingleiten, so daß sie von der Zeichnung selbst, also von den Linien, geführt werden, ohne daß du deinem Blick Gewalt antust, dann wirst du merken, daß sie immer wieder ihre Wanderung über das Blatt an der StelJe beenden, sich dort beruhigen, -wo die hellste Stelle des Himmels mit dem tiefen Horizont und der dunklen 'Hauskante zusammenstoßen. Unmittelbar daneben stehen die beiden Menschen. Rembrandt fügt und sammelt dort auf engstem Raum das hellste Licht des Himmels zum dunkelsten Schatten des niederen Hauses und verbindet sie durch die Gestalt des Menschen. Aber auch diese beiden Figuren stehen nicht im eigentlichen Blickpunkt, sie ^grenzen ihn vielmehr nach rechts ab; der Blickpunkt, in dem unsere Augen endlich Ruhe finden, liegt im Licht. Hier hast 28
CHRISTUS PREDIGT Radierung — Wie Albrecht Durer die Kunst des Kupferstiches, so hat Rembrandt die Kunst der Kodierung zur höchsten Vollendung gebracht Er gab ihr eine gemaldeartige Bildwirkung.
DIE WINDMÜHLE Auch in dieser Radierung ist Rembrandt der Meister des Helldunkel
du die Elemente der Rembrandtschen Kunst überhaupt, sie bestimmen Gemälde, Zeichnung und Radierung Der Mensch steht im Spannungsfeld von Licht und Finsternis, das Licht aber bleibt der Sieger Ich hoffe dir klargernacht zu haben, wie man aus dem Aufbau eines Bildes die letzte Wesensart eines Kunstlers ablesen kann Rembrandts erhabene Große liegt nicht nur in der vollendeten Meisterschaft, mit der er sein Werkzeug zu nutzen versteht, sondern in semer tiefen, reinen Menschlichkeit Immer wieder kreist sein Schaffen um die Gestalt des Menschen, sogar noch, wie du siehst, m einer unscheinbaren Landschaftsdarstellung Der Mensch zwischen Licht und Nacht, zwischen Edlem und Gemeinem, zwischen Gut und Böse Rembrandt entscheidet sich zugleich immer für das Licht, das damit zum flammenden Sinnbild des Guten und des Trostes wird .Furchtet euch nicht1' An dieser Windmuhlenradierung konnte ich dir Rembrandts. Wesensart und Große zeigen Wenn du mich verstanden hast und mit Aufmerksamkeit betrachtest, wirst du seine Art in ^edem Bild 30
wiederentdecken. Ob du seine /Verkündigung an die Hüten' vom Jahre 1634 oder seine ,Landschaft mit den drei Bäumen' vom Jahre 1643 anschaust, ob du dich in seine Gemälde oder Zeichnungen vertiefst: Sein Werk ist wie eine Nachschöpfung des ersten Weltentages, an dem Gott sprach; ,Es werde Licht!' In seinen Notjahren der Vereinsamung entstand auch die Radierung, die uns Deutsche so tief anspricht, seine Darstellung des Dr. Faust. In seinem dunklen Gemach erscheint dem Magier eine Lichtvision, wie sie die Mystiker erlebt haben: Der durch das Kreuz gevierteilte Kreis, ein uraltes menschliches Symbol des Göttlichen, in. das der Name des Christengottes geschrieben ist: ,INRI'. Es ist das Zeichen der Beherrschung der Natur durch das Gute. Rembrandt selbst ist eine faustische Natur. Ihm erfüllte sich die ungestillte Sehnsucht des Goetheschen Faust, denn er wollte nicht mit grübelndem Verstande erkennen, sondern mit liebender, tätiger Hand die Schönheit nachschaffen, die ihn in Gottes Welt umgab."
Bildnachweis. Vorderseite: Bildnis des Nicolaes Bruyningh, 1652, Kassel (Originalaufnahme für die Lux-Lesebogen, Ausschnitt). Rückseite: Rötelstudie für den Philosophen im Louvre. Umschlag Seite 2: Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Vater und Sohn, St. Petersburg, Eremitage.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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