u
Buch: In der Drachenschlucht, in der Nähe des Finsterforstes, lebte dereinst das Geschlecht der Drachen. Stark und b...
84 downloads
1186 Views
5MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
u
Buch: In der Drachenschlucht, in der Nähe des Finsterforstes, lebte dereinst das Geschlecht der Drachen. Stark und böse, machten sie der Hexe Gingema ihre Macht streitig. Doch Gingema besiegte die Drachen und vernichtete sie. Die Zauberkugel sagt ihr jedoch ihren baldigen Tod durch das Mädchen Elli voraus. So raubt Gingema ein Drachenei, denn nach ihrem Willen soll es ein Drachenkönig sein, der dereinst ihre Nachfolge antritt. Die Wärme eines Feuers macht Jahrhunderte später das Ei lebendig und der Drachenkönig Raubald wird geboren. Seine Gewalt und Bosheit versetzen das Zauberland in Angst und Schrecken. Raubald versichert Frieden, wenn man ihm die Nichte Din Giors, Telwina Wunderschön, zur Frau gibt. Aber das lassen der Scheuch und seine Freunde nicht zu. Gemeinsam ziehen sie in den Kampf, der Telwina befreien und dem Zauberland den Frieden bringen soll.
Nikolai Bachnow
Der Fluch des Drachenkönigs
Aus dem Russischen von Aljonna und Klaus Möckel Einbandgestaltung und Illustrationen von Hans-Eberhard Ernst
© LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH 1. Auflage 1999 Leipzig Satz und Repro: XYZ-Satzstudio, Naumburg Druck und Binden: Wiener Verlag Ges. mbH Printed in Austria ISBN 3-89603-036-1
Erster Teil Gingemas Erbe
DIE UNHEIMLICHE SCHLUCHT Raubald, der Drachenkönig, erhob sich in die Lüfte. Er war riesengroß, hatte einen Schuppenschwanz und mächtige Schwingen. Menschen hätten ihn mit seiner breiten verschrumpelten Schnauze und den vorstehenden Augen hässlich genannt, aber davon ahnte er nichts. Äußerlich glich er Oicho, dem guten Drachen, der aus dem Reich der sieben unterirdischen Könige stammte und vielen Leuten geholfen hatte. Doch Raubald war böse. Missmutig schaute er auf die friedlich grasenden Herden unter sich, auf die blühenden Wiesen und Felder, auf die Städte des Zauberlandes mit ihren fröhlichen Menschen. Es geht ihnen gut, dachte er, sie haben sich ausgebreitet und lassen unsereinem keinen Platz mehr. Er stieß einen zornigen Schrei aus und schwang seine Flügel so heftig, dass sich pfeifender Wind erhob. Raubald wohnte in der Drachenschlucht unweit des großen Finsterforstes und war der Einzige seiner Art. Schon möglich, dass es in den ehemaligen unterirdischen Reichen noch Echsen wie ihn gab – in der Schlucht waren sie ausgestorben. Sie hatten dort viele tausend Jahre gelebt und die Tiere der angrenzenden Wälder tyrannisiert, aber eines Tages waren sie ausgelöscht worden. Ihre Sippe war so mächtig und über-
heblich gewesen, dass sie sich mit der schrecklichen Hexe Gingema angelegt hatte. Mit Schwefel und Feuer hatte die Zauberin ihre Widersacher besiegt, denn sie wollte ihre Macht mit niemandem teilen. Doch Gingema war schlau und vorausschauend. In ihrer magisch flimmernden Glaskugel sah sie, dass es auch für sie irgendwann ein Ende geben würde. Sie wusste nicht, dass sie durch ein Mädchen namens Elli aus Kansas, später die Fee des Tötenden Häuschens genannt, ums Leben kommen sollte, aber sie machte sich Sorgen. Deshalb wählte sie eins der kürbisgroßen Eier aus, die in den Drachenhöhlen lagen, schleppte es in ihr Haus und unterwarf es einem Zauber.
»Einst, wenn ich nicht mehr auf dieser Erde weile«, murmelte sie und spritzte dampfendes Krötenblut, gemischt mit gärendem Schlangengift auf die Eierschale, »sollst du durch ein prasselndes Feuer ausgebrütet werden. Ich verleihe dir die Fähigkeit, Sturm und Unwetter zu gebären, Rauch und Flammen über das Zauberland zu bringen, damit du an meiner Stelle herrschen kannst. Sei hinterhältig in dem, was du ersinnst, fürchterlich in deinem Zorn, stolz und unbarmherzig. Auch wenn es neben dir keine geflügelten Ungeheuer mehr geben wird, nenne ich dich Drachenkönig, denn du sollst die Welt regieren. Da mir selbst keine Kinder vergönnt sind, wirst du mein würdiger Nachfolger sein.« Nach dieser langen Rede und einem Zauberspruch, der aus den Verwünschungen: »Krobisi Rattenohr, Krax Krobisi Froschhaut, Krax Korax Krobisi Blutwurzel des Zeitenbaums« bestand, schleppte die Alte das Ei wieder in die Schlucht und versteckte es in einem Felsspalt, den sie mit Erde verschloss. Dann kehrte sie beruhigt an ihr Tagwerk zurück. Gingema regierte noch hundert Jahre, bevor sie jenen gewaltigen Sturm gegen die Menschen entfesselte, der ihr selbst zum Verhängnis wurde. Nach ihrem Tod verging wiederum geraume Zeit, in welcher der Weise Scheuch und seine Freunde ihre Abenteuer erlebten, verschiedene Reiche regierten, gemeinsam mit Elli, ihrer Schwester Ann, Tim O’Kelli, Fred Cunning, dem Seemann Charlie Black, Chris Tall und zuletzt Jessica, der Enkelin des Großen Goodwin, schreckliche Gefahren abwehrten. In all diesen Jahren hatte das behexte Ei unberührt in seinem Felsspalt geruht. Eines Abends aber verirrte sich ein Hirt in die Drachenschlucht. Auf der Suche nach einem entlaufenen Schaf schlug er sein Nachtlager gerade vor jener Steinwand auf. Da es kalt war, entfachte er ein großes Feuer, wärmte sich daran und bereitete sich ein Mahl aus Käse, Brot und frischem Quellwasser. Dann legte er noch tüchtig Holz auf, trug ein Lager aus Blättern zusammen und streckte sich mit einer Wolldecke darauf aus. Gegen Morgen erwachte der Hirt von einem lauten Knacken. Es schien direkt aus dem Felsen hinter ihm zu kommen, und nachdem er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, begann er die Steinwand zu untersuchen. Das Feuer, obwohl niedergebrannt, strömte noch Wärme aus und der Felsen war ganz heiß. Der Hirt bemerkte, dass aus einem
breiten Spalt Erde bröckelte, und als es gleich darauf erneut gewaltig knackte, wich er zwei Schritte zurück. Ein Ächzen ertönte, die Felswand und der Boden unter seinen Füßen begannen zu beben. Ein Erdrutsch, dachte der Hirt, ergriff Decke und Wanderstock und machte sich eilig davon. Im Zurückblicken schien es ihm zwar noch, als würden sich eine grünliche Schnauze und eine krallenbewehrte Pfote zwischen den Steinen hervorschieben, aber was das bedeutete, verstand er erst viel später.
Es war die Geburtsstunde Raubalds, der gleich darauf den Kopf aus dem Spalt steckte und sich mit ungelenken Bewegungen von Eierschalen und Erde befreite. Ein Krokodilskopf, ein nackter, von wenigen Schuppen bedeckter Leib, Flügel aus Haut und Knochen! Wäre der Hirt umgekehrt und hätte das Drachenjunge mit seinem Stock angegriffen, es wäre trotz der Kräfte, die es bereits besaß, eine leichte Beute gewesen. Doch der Mann hatte nichts Eiligeres zu tun, als diese unheimliche Schlucht zu verlassen. Das Schaf, das er gesucht hatte, schien ohnehin verloren. So geschah es, dass der Drachenkönig in drei Tagen zu seiner vollen Größe heranwuchs. Mit ihrem Zauberspruch hatte ihm Gingema zwar das Wissen um seine Fähigkeiten und seine Macht eingeimpft, dennoch
beherrschte ihn ein Gefühl der Einsamkeit, das ihm sehr zu schaffen machte.
DIE BEGEGNUNG MIT DICKHAUT Zunächst suchte sich Raubald, genau wie seine Vorfahren, eine Höhle, in der er schlafen und seine Beute verzehren konnte. Er wählte die finsterste und tiefste aus, die zu finden war, einerseits, um Vorräte anzulegen, andererseits, weil er sich im Dunkeln wohlfühlte. Nahrung brauchte er eine ganze Menge, er fraß Gras und Zweige, aber auch Fleisch. Da es in der Schlucht jedoch höchstens Mäuse und Kaninchen gab, kam er nicht auf seine Kosten. Abgesehen davon, dass die Tiere sehr klein waren und kaum sättigten, sahen sie seinen Riesenschatten schon von weitem und verschwanden beim ersten Anzeichen von Gefahr unter der Erde. Im angrenzenden Finsterforst gab es Rehe, Füchse und sogar Bären. Manchmal erwischte der Drachenkönig ein Stück Wild, schleppte es in seine Höhle und verschlang es mit Haut und Haaren. Doch auch hier war das Jagen beschwerlich. Dichter Baumwuchs und noch dichteres Unterholz boten den Tieren Schutz und die Bären, wenngleich sie letztendlich nichts gegen den großen Räuber ausrichten konnten, brachten ihm schmerzhafte Wunden bei.
Außerdem waren in diesem Wald jene Schattenraben zu Hause, die einst schon Bill und Joe, die hinterlistigen Großohr-Brüder, bedrängt hatten. Sobald der Drache nahte, stiegen sie in Scharen auf, krächzten ohrenbetäubend und warnten so das Wild. Raubald lernte schnell. Er mied die dichten Wälder und hielt sich am Vieh schadlos, das in den Ebenen weidete. Eine Kuh, ein Schaf oder eine Ziege aus der Herde zu holen, war einfach. Die zu Tode erschrockenen Hirten liefen davon, wenn er auftauchte, und waren froh, nicht selbst von seinen mächtigen Krallen gepackt zu werden. Doch der Drachenkönig gab sich nicht mit einem fetten Mahl zufrieden. Seine finsteren Gedanken waren darauf gerichtet, Schaden anzurichten, wo immer es ging. Deshalb riss er mit heftigem Flügelschlag Zäune und Schuppen nieder, fackelte mit heißem Atem Felder und Obstplantagen ab, jagte ganze Herden auseinander. Die Hirten brauchten Tage, sie wieder einzufangen. Gegen diese Willkür waren die Bauern machtlos. Mit Knüppeln, Mistgabeln und Dreschflegeln kamen die Käuer, im Grunde friedliche und ängstliche Wesen, nicht gegen das Untier an. So versuchten sie wenigstens, große steinerne Ställe zu errichten, in die sie das Vieh bei Gefahr treiben konnten, und stellten überall Beobachtungsposten auf, um einander bei Gefahr durch Hornsignale zu warnen. Dennoch mussten sie immer wieder Verluste hinnehmen. Die Nachricht von dem schrecklichen Räuber verbreitete sich im ganzen Land. Noch hatte er sich nicht in der Nähe der Smaragdenstadt gezeigt, aber im Tierreich, wo der Tapfere Löwe regierte, war er schon aufgetaucht. Zufällig war er dort sogar dem Elefanten Dickhaut begegnet, dem Stellvertreter des Löwen, der mit seiner Familie gerade ein Bad im Seerosenteich nehmen wollte. In der Nähe sprangen ein paar Antilopen herum und das schien Raubald Grund genug, zum Sturzflug anzusetzen. Wie der Sturmwind fuhr er zwischen die Tiere. Doch die Antilopen waren schnell. Einige sprangen ins Unterholz, die anderen versteckten sich hinter dem Elefanten. Wütend und mit leeren Fängen sah sich Raubald plötzlich Dickhaut gegenüber, der fast ebenso groß und mächtig war wie er. Raubald stieß ein Gebrüll aus, das in ein gefährliches Zischen überging.
»Aus dem Weg, du Fleischkloß«, schrie er, »gib mir meine Beute heraus, sonst wird es dir übel ergehen!« Dickhaut ließ sich keineswegs einschüchtern. »Du solltest nicht so angeben, sondern dich dorthin scheren, wo du herkommst«, sagte er ruhig. »Wir haben von dir und deinen Untaten gehört, aber hier bist du im Reich des Tapferen Löwen und hast kein Recht zu jagen.« »Du wagst es, dich zu widersetzen?«, brüllte Raubald. »Weißt du nicht, wer vor dir steht? Ich bin es, der Drachenkönig, Herrscher über Luft und Erde, von Gingema zu ihrem Nachfolger erwählt.« Die Antilopen zitterten vor Angst und auch zwei kleinere Elefanten wichen erschrocken zurück, aber Dickhaut erwiderte: »Gingema? Was hat diese alte hinterhältige Hexe, die zum Glück längst tot und verwest ist, mit dir und uns zu schaffen?« »Das wirst du gleich sehen«, rief Raubald, »denn von ihr habe ich meine Kraft.« Und er begann mit seinen Flügeln einen solchen Sturm zu entfachen, dass sich die Bäume bis zum Boden bogen. Die Elefanten jedoch standen fest auf ihren vier starken Beinen, rührten sich nicht vom Fleck. Der Drachenkönig lief vor Zorn rot an. Er sperrte den Rachen auf und eine Feuerlohe schoss aus seinem Maul. Hätte Dickhaut nicht den Kopf zur Seite gedreht, er hätte sich Rüssel und Augen verbrannt. So versengte es ihm nur die lederne Haut. Trotzdem tat es weh und der Elefant wurde nun gleichfalls ärgerlich. Bevor Raubald erneut Feuer spucken konnte, schleuderte er ihm einen Rüssel voll Teichwasser entgegen. Die anderen Elefanten begriffen sofort und taten es ihm gleich. Wie ein begossener Pudel stand der Drache da und brachte nur noch ein paar Dampfwolken hervor. »Das soll dich lehren, hier so herumzuprahlen und den Tieren Angst einzujagen«, sagte Dickhaut. »Verschwinde oder du kriegst meine Stoßzähne zu spüren. Wenn du es dir überlegt hast und in friedlicher Absicht kommst, können wir weiterreden. Die schmackhaften Früchte, Zweige und Gräser in unseren Wäldern reichen auch für dich.«
Gedemütigt zog sich der Drachenkönig zurück. Durchnässt, wie er war, hatte er Mühe, sich wieder in die Lüfte zu erheben, der Heimflug dauerte viel länger nach Hause als sonst. In seiner Höhle lag er dann, auf Rache sinnend, tagelang untätig herum. Es war das erste Mal, dass er eine Niederlage erlitten hatte, und das nagte gewaltig an ihm. Erst nach einiger Zeit kehrte seine Tatkraft zurück. Doch er mied fortan das Tierreich, hielt sich lieber an die Herden der Käuer, Zwinkerer und Springer.
TELWINA WUNDERSCHÖN In der Smaragdenstadt selbst wurde die Kunde von dem räuberischen Ungeheuer anfangs nicht so ernst genommen. Die Leute gingen ihrer Arbeit nach, sie hatten ihre eigenen Sorgen und hielten die Berichte aus jenen fernen Regionen für übertrieben. Ein Feuer speiender Drachen, der ganze Felder in Brand setzte und Herden auseinander trieb – das hatte es seit mindestens hundert Jahren nicht mehr gegeben. Dann mehrten sich allerdings die Schreckensnachrichten und der Weise Scheuch beschloss, den Obersten Rat einzuberufen, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Vielleicht konnte man Karfax und die Riesenadler gewinnen, um diesen Raubald in die Schranken zu weisen. Bevor es jedoch zur entscheidenden Beratung kam, trat ein Ereignis ein, das die Lage sehr verschlimmerte. In der Smaragdenstadt lebte ein
junges Mädchen mit Namen Telwina. Sie war eine Nichte des Ersten Ministers im Land, Din Gior, und so hübsch, dass man sie Telwina Wunderschön nannte. Alle Burschen wollten sie zur Frau, doch sie hatte sich in den Bildhauer Anto verliebt, dessen Werkstatt vor den Toren der Stadt lag. Wann immer es ging, trafen sie sich und schon bald sollte Hochzeit gefeiert werden. Manchmal, wenn Anto beschäftigt war, ging Telwina auf den Wiesen in der Nähe seiner Werkstatt spazieren. Gern lief sie auch über den Gelben Backsteinweg hinunter zum Fluss. Dort lag sie im Gras und träumte oder unterhielt sich mit dem alten Fischer Pet Riva, der ein wenig von Zauberei verstand, weil er einst Lehrling bei der guten Fee Stella gewesen war. Jeder wusste aber auch, dass man seinen Künsten nicht ganz trauen konnte, weil er so manches durcheinander brachte.
Raubald, der seine Flüge nach und nach weiter ausdehnte und sich seine Beute jetzt mitunter schon in der Nähe des Flusses holte, sah Telwina zum ersten Mal auf Pet Rivas altem Schiff. Es lag im Schilf, der Alte hatte seine Angel ausgeworfen und die beiden waren so ins Gespräch vertieft, dass sie den Schatten des Drachen für eine Wolke hielten. Raubald flog weit oben, hatte aber sehr scharfe Augen. Die Schönheit Telwinas überwältigte ihn und auf einmal empfand er seine Einsamkeit doppelt stark. Noch begriff er nicht, was geschehen war, doch zu Hause, in seiner Höhle, quälte ihn das Verlangen, das Mädchen wiederzusehen. Kaum zwei Tage waren vergangen, da zog es ihn erneut zu dem Fluss in der Nähe der Smaragdenstadt. Diesmal bemerkte ihn der Storch Klapp, der ebenfalls am Fluss wohnte und nicht der Mutigste war. Aber zugegeben, bei so einem Ungeheuer konnte man schon einen Schreck bekommen. Er verkroch sich unters Scheunendach, auf dem er sein Nest hatte, machte sich so klein wie möglich und forderte seine Frau auf, es ihm gleichzutun. »Meine Federn sind mir zu schade«, klapperte er, »als dass ich sie diesem Unhold überlassen möchte, damit er vielleicht morgen seinen Kopf darauf bettet.« Der Drache beachtete die Störche nicht, er hielt nach Telwina Wunderschön Ausschau. Als er sie endlich auf einem Feldweg entdeckt hatte, ließ er sich wie ein Stein fallen und plumpste, den Weizen rechts und links zu Boden drückend, vor ihr nieder. Telwina war mächtig erschrocken. Sie wollte davonlaufen, doch ihre Füße versagten den Dienst und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Für einen Moment hatte der Drache seine Bosheit vergessen. »Bleib hier und hab keine Furcht«, sagte er mit einer Stimme, in die er alle ihm zur Verfügung stehende Sanftheit legte, die aber dennoch zischte und krächzte wie ein geplatztes Dampfrohr. »Ich will dich nicht fressen oder dir ein anderes Leid antun. Du bist das schönste Wesen, das ich je gesehen habe, und ich muss mit dir reden.« »Mit mir re…reden? Warum? We…wer bist du?«
»Ich bin der Drachenkönig«, erwiderte Raubald, »hat dir noch niemand von mir erzählt? Ich bin von Gingema auserwählt, über das Zauberland zu herrschen.« Damit wusste Telwina nichts anzufangen. Sie wollte das Tier nicht erzürnen, wandte aber ein: »Im Zauberland gibt es doch schon alle möglichen Herrscher. Den Eisernen Holzfäller, den Tapferen Löwen, Stella, die gute Fee, und in der Smaragdenstadt den Weisen Scheuch.« Der Drache stieß ein unzufriedenes Zischen aus. »Smaragdenstadt? Sind das die Häuser und Türme da hinten mit den grünen Steinen an der Spitze? Ich werde die Leute dort töten oder versklaven. Ich werde dir diese Stadt mit all ihren Bewohnern zum Geschenk machen.« »Aber weshalb denn?«, rief Telwina entsetzt. »Dort leben alle meine Freunde und Bekannten, sie haben dir nichts getan. Und was soll ich mit einer ganzen Stadt? Mir genügt das Zimmer im Haus meiner Eltern.« Der Drache schüttelte verwundert den Kopf. »Ein Zimmer? Nein, du hast etwas viel Besseres verdient. Sofort als ich dich sah, habe ich mich in dich verliebt und bin bereit, dich zu meiner Frau zu nehmen. Ich wohne in einer großen Höhle, die Platz für Reichtümer und Annehmlichkeiten aller Art bietet. Du kannst sie wohnlich machen, denn wir werden von dort aus das Land beherrschen.« »Ich will kein Land beherrschen«, rief Telwina verzweifelt. »Und was soll ich in einer Höhle? Ich brauche Leben um mich, Luft und Sonne.« Raubald wurde ärgerlich.
»Dann lasse ich dir eben ein Schloss bauen oder wir nehmen uns ein Haus in dieser Smaragdenstadt. Am besten den Palast des Weisen Scheuch, von dem du gesprochen hast. Was für ein Fürst ist das überhaupt? Glaubst du, dass er sich widersetzt?« »Er ist kein Fürst«, sagte Telwina, »das Volk hat ihn einst zum König gewählt, weil er gut, klug und tapfer ist. Mit seinen Freunden hat er große Taten vollbracht. Es ist nicht recht, wenn du ihm seinen Palast wegnimmst, und bestimmt werden sich alle Bewohner der Stadt zur Wehr setzen.« »Ich werde sie vernichten«, fauchte der Drache und stieß eine Wolke aus Rauch und Feuer aus. Freilich wandte er den Kopf dabei leicht zur Seite, um Telwina Wunderschön nicht zu verletzen. Das Mädchen hatte sich etwas gefasst. Sie fragte: »Warum willst du unbedingt mich zur Frau, du kennst mich doch gar nicht? Ein Drache wie du sollte mit einem Drachenweib zusammenleben.« »Es gibt kein Drachenweib weit und breit«, erklärte Raubald düster, »und zu kennen brauche ich dich nicht. Mir genügt deine Schönheit.« »Aber ich liebe dich nicht, ich liebe einen anderen. Er ist mein Bräutigam!« Das mochte der Drachenkönig nun gar nicht hören. Wütend blähte er die Nüstern und es sah aus, als wollte er sich auf das Mädchen stürzen. Doch er riss sich zusammen. »Ich könnte dich ergreifen und in meine Höhle schleppen, damit du mir dort zu Willen bist«, rief er. »Du sollst keinen Bräutigam außer mir haben. Begreifst du das nicht? Aber da meine Werbung vielleicht ein wenig plötzlich für dich kommt, will ich dir Zeit geben. In drei Tagen werde ich zur gleichen Zeit wieder an diesem Ort sein. Dann erwarte ich, dass du mir antwortest. Überlege gut, denn es ist eine große Ehre, die Frau des Drachenkönigs zu werden. Und vergiss nicht, dass ich in meinem Zorn schrecklich bin.« Nach dieser Drohung erhob er sich in die Lüfte und war kurz darauf am Horizont verschwunden.
PET RIVA GREIFT EIN Telwina rannte völlig verängstigt in Antos Haus zurück und berichtete ihm von dieser schrecklichen Begegnung. »Ich liebe dich von ganzem Herzen und werde nichts von dem tun, was dieser Drache wünscht«, schloss sie. Der Bildhauer nahm sie in die Arme, tröstete sie und schwor, sie mit all seiner Kraft gegen das Untier zu verteidigen. Doch das war leichter gesagt als getan. Sie wussten ja beide, dass sie gegen Raubald nicht viel ausrichten konnten. »Du musst dich verstecken«, sagte Anto, »am besten fragen wir deinen Onkel Din Gior um Rat. Er kann uns sicherlich helfen.« Die beiden eilten in die Smaragdenstadt, um Din Gior aufzusuchen. Der Onkel las gerade einen Brief, der ihm durch die Vogelpost aus dem Tierreich überbracht worden war. Als ihm Telwina ihr Zusammentreffen mit dem Drachen geschildert hatte, beruhigte er sie. »Keine Angst«, sagte er, »dieser Raubald spielt sich bestimmt nur auf. Soeben teilt uns der Tapfere Löwe mit, dass er auch bei ihnen Unruhe stiften wollte. Aber die Elefanten haben ihn in die Flucht gejagt. Dickhaut meint, man müsse ihm nur mutig genug entgegentreten.« »Dickhaut ist groß und stark«, erwiderte Telwina. »Aber hier in der Smaragdenstadt gibt es keine Elefanten.« Das sah Din Gior natürlich ein. Gedankenvoll strich er sich seinen langen weißen Bart.
»Du hast Recht«, gab er zu, »wir sollten auf jeden Fall vorsichtig sein. Am besten, du ziehst in der nächsten Zeit zu uns in den Palast. Ich werde mit dem Weisen Scheuch sprechen, damit er dir ein Zimmer zur Verfügung stellt. Im Übrigen haben wir wegen des Drachens fürs Wochenende eine Beratung einberufen. Unsere besten Freunde haben ihr Kommen zugesagt – der Eiserne Holzfäller, der Tapfere Löwe und sogar Jessica, die mit dem Zaubertrog die Weltumspannenden Berge überqueren will. Du hast vielleicht von dem Trog gehört. Die Hexe Gingema hat dieses Fluggerät einst geschaffen.« Telwina nickte, war allerdings nur zum Teil beruhigt. Auch ihr Bräutigam machte sich Sorgen. »Bis zum Wochenende sind es noch vier Tage«, wandte er ein. »Dieses Scheusal will aber schon in drei Tagen eine Antwort.« »Er wird Telwina nicht mehr zu Gesicht bekommen«, erwiderte Din Gior entschieden. »Wir werden ihm friedlich, aber bestimmt entgegentreten und klarmachen, dass er sich bei seinesgleichen eine Frau suchen soll.« »Das habe ich ihm schon gesagt«, seufzte Telwina, »doch er will es nicht einsehen. Wer immer ihm diese Botschaft überbringt – er muss aufs Schlimmste gefasst sein.« »Wir finden schon jemanden, der mit dem Untier spricht«, entgegnete Din Gior. »Wenn es nicht anders geht, werde eben ich der Bote sein.« Telwina und ihr Freund widersprachen dem Onkel heftig, wussten aber keine bessere Lösung. Dass der Bildhauer selbst dem Drachenkönig antworten sollte, lehnte Din Gior entschieden ab.
Die folgenden Tage nutzte Telwina, um ihr Zimmer im Palast zu beziehen und sich einzurichten. Sie fühlte sich dort sicher, denn die Mauern, die einst der Große Goodwin hatte errichten lassen, waren zu dick, die Fenster und Türen zu eng, als dass der Drache hätte eindringen können. Außerdem kümmerten sich Din Gior, der Scheuch selbst und besonders seine Frau Betty Strubbelhaar um sie, halfen und sprachen ihr Mut zu. Die drei überlegten auch, ob Anto nicht gleichfalls Schutz im Palast suchen sollte. Doch er wollte das nicht. »Zwar liegt mein Haus draußen vor der Stadt«, sagte er, »aber der Drache weiß ja nicht, wer ich bin und dass ich dort wohne. Ich kann meine Arbeit nur in der Werkstatt tun und will meine Skulpturen nicht im Stich lassen.« Eine Weile berieten sie noch, ob sie überhaupt einen Boten zur Verabredung mit dem Drachen schicken sollten. Schließlich würde er auch ohne Antwort begreifen, dass er Telwina nicht zur Frau bekommen konnte. Aber die Nachrichten, die aus den verschiedenen Regionen des Zauberlandes eintrafen, waren so bestürzend, dass es doch angebracht schien, Raubald nicht zusätzlich zu erzürnen. »Ich bin ein alter Mann«, sagte Din Gior, »und gewiss keine Beute mehr für ihn. Was kann er mir schon tun? Außerdem kenne ich mich mit Drachen etwas aus. Schließlich war ich bereits vor Jahren mit Oicho im Menschenland.« Der Scheuch widersprach ihm: »Wie kannst du Oicho mit diesem Unhold vergleichen? Raubald scheint ihm zwar äußerlich zu ähneln, wird aber als wild und bösartig geschildert. Wenn schon, dann sollte ein junger kräftiger Krieger vor ihn hintreten, der mit Säbel und Lanze umgehen kann.« »Mit Säbel und Lanze kann man gegen ein solches Riesentier bestimmt nichts ausrichten«, erwiderte Din Gior, »da helfen eher bedachtsam gewählte Worte.« Sie stritten noch ein wenig und am Ende lief es darauf hinaus, dass der Weise Scheuch seinen Minister begleiten wollte. »Wenn schon, dann wir beide«, sagte er. »Ich will diesem Drachen gleichfalls ins Auge schaun.«
Betty Strubbelhaar fand dieses Vorhaben viel zu gefährlich und widersprach den beiden entschieden. Doch sie wurde überstimmt. Am alles entscheidenden Tag zog Din Gior seinen besten Gehrock an und auch der Scheuch bürstete seine Jacke ab, brachte die Stiefel auf Hochglanz. Gemächlich machten sie sich auf den Weg, doch sie waren keineswegs so ruhig, wie sie sich gaben. Im Gegenteil, das Herz schlug ihnen bis zum Hals. Sie trafen lange vor der vereinbarten Zeit am besagten Feldweg ein, aber dort erwartete sie eine Überraschung. Schon von weitem sahen sie auf einem Klappstühlchen einen Mann mit tief in die Stirn gezogenem Filzhut sitzen, der quer über den Knien eine Angel liegen hatte. Das war umso ungewöhnlicher, als es weit und breit weder Bach noch Tümpel gab. »Wer hat sich denn da eingefunden?«, fragte Din Gior erstaunt. Seine Augen waren nicht mehr die besten. »Sieht aus wie unser alter Freund Pet Riva«, erwiderte der Scheuch. »Man findet ihn sonst nur in seiner Hütte oder am Fluss. Sollte mich wundern, wenn er zufällig hier wäre.« Sie näherten sich dem Alten und begrüßten ihn. »Nimm es mir nicht übel«, sagte der Scheuch, »aber du bist hier zu einem ganz falschen Zeitpunkt am falschen Platz. Noch nie habe ich gehört, dass einer am Nachmittag in einem Weizenfeld einen Barsch geangelt hätte.« »Einen Barsch nicht«, gab Pet Riva zur Antwort. »Vielleicht aber einen kleinen Drachen.«
Die beiden begriffen, dass der alte Fischer Bescheid wusste. Sie fragten sich bloß, durch wen. »Hör zu, mein Freund«, begann würdevoll Din Gior, »ich habe zwar keine Ahnung, wer dir von unserer Geschichte erzählt hat, doch das hier ist kein Spaß. Die Sache ist im Gegenteil höchst gefährlich, und wenn der Scheuch und ich es als eine Pflicht betrachten, dem Drachen entgegenzutreten, so haben wir unsere Gründe. Sei so gut und verlasse diesen Ort, solange noch Zeit dazu ist.« »Das werde ich nicht tun.« Der Alte schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe gleichfalls meine Gründe, denn man hat mich um Hilfe gebeten.« Der Scheuch fragte verblüfft: »Um Hilfe? Etwa für uns? Wer soll das gewesen sein?« »Das wird nicht verraten.« Pet Riva schmunzelte. Der Scheuch dachte, dass Telwina Wunderschön geplaudert haben könnte oder auch ihr Bräutigam, denn beide kannten den Fischer gut. Darin irrte er allerdings. In Wirklichkeit hatte Betty Strubbelhaar mit Pet Riva gesprochen. Als sie begriffen hatte, dass Din Gior und ihr Mann nicht zurückzuhalten waren, überlegte sie verzweifelt, was sie zur Unterstützung der beiden tun konnte. Den Torwächter Faramant an der Spitze einer Schar Freiwilliger ins Feld schicken? Nein, das brachte nichts außer zusätzlichen Opfern. Der Drache war viel zu stark. Da konnten schon eher Karfax und die anderen Riesenadler diesem Raubald zusetzen, aber die Zeit, sie zu benachrichtigen und für den Kampf zu gewinnen, war zu knapp. Sie hausten ja auf den unzugänglichen Höhen der Weltumspannenden Berge. Auch Dickhaut und seine Elefanten konnten den Weg zur Smaragdenstadt leider nicht so schnell zurücklegen. Doch als Betty schon keine Möglichkeit mehr sah, fiel ihr in letzter Not der alte Fischer ein. Einst hatte er den Tapferen Löwen in ein Schmusekätzchen verwandelt, und wenn er in der Zauberei auch vieles verdrehte – den Trick der Verkleinerung beherrschte er. Für den Scheuch und Din Gior konnte seine Kunst von großem Nutzen sein.
So kam es, dass Pet Riva an der Seite der beiden auf Raubald wartete. Sie stritten noch miteinander, als er plötzlich über ihnen auftauchte. »Was wollt ihr drei Wichte hier?«, fauchte der Drache und ließ sich neben ihnen auf dem Feld nieder. »Ich bin nicht mit euch, sondern mit dem schönsten Mädchen verabredet, das es im ganzen Zauberland gibt.« Beim Erscheinen des Ungeheuers, seiner lauten Stimme und dem Wind, den es verursachte, verließ die drei Helden auf dem Feldweg jeglicher Mut. Din Gior zitterten die Beine, Pet Riva die Hände und der Scheuch krallte sich gar an Büscheln von Getreidehalmen fest, um nicht weggeweht zu werden. Gegen den Drachen waren sie in der Tat winzig. Der Minister fasste sich zuerst und sagte: »Du musst schon mit uns vorlieb nehmen, denn Telwina kann nicht kommen. Sie hat uns als Boten gesandt.« »Als Boten?«, brüllte der Drache. »Warum kann sie nicht kommen? Mein Herz verzehrt sich nach ihr.« »Du musst begreifen, dass man Liebe nicht erzwingen kann«, rief nun der Scheuch. »Lass uns vernünftig miteinander reden. Telwina hat dir schon erklärt, dass sie einen anderen heiraten wird. Sie hat uns hergeschickt, damit wir dir das nochmals ausrichten. Es tut ihr Leid, aber sie kann und will nicht deine Frau werden.« Der Drache stieß ein Gebrüll aus, das bis in die Smaragdenstadt zu hören war. Aus seinen Nüstern schoss Dampf und sein Schwanz peitschte die Erde. »Wer seid ihr, dass ihr es wagt, so mit mir zu sprechen!«, schrie er. »Wo ist Telwina, ich will sie auf der Stelle sehen, sonst fresse ich euch auf und trample eure Häuser nieder.« Er sperrte weit seinen Rachen mit den scharfen Zähnen auf. Din Gior und der Weise Scheuch sahen ihr letztes Stündlein gekommen. Verzweifelt duckten sie sich, suchten nach einem Versteck, das es hier freilich nicht gab. Aber da war ja noch Pet Riva. Der Alte nahm all seinen Mut zusammen, schwang seine Angel und rief: »Racki, nacki, Wunderbaum, Racki, nacki, Zaubertraum,
Eichenwurz und Eisenkeil, Wandle dich ins Gegenteil!« Er hatte zu Hause und am Fluss lange geübt, um diesen Spruch ja nicht zu vergessen, und die Angel, wie es notwendig war, dick mit Hexenkraut eingerieben. Jetzt war er überglücklich, es geschafft zu haben, denn ein gewaltiger Donnerschlag ertönte und ein greller Blitz zuckte auf. Der Drache schloss auch verblüfft sein Maul und wich einige Schritte zurück. Die erhoffte Wirkung trat jedoch nicht ein. Er wurde um keinen Deut kleiner. Stattdessen geschah etwas, womit keiner hatte rechnen können. Pet Riva war nämlich viel zu klein, um seine Angel über dem Kopf des Drachen zu schwingen, er hatte das vielmehr – aufgeregt, wie er war – über Din Gior und dem Scheuch getan. Deshalb spürten die beiden auf einmal auch ein Zerren und Reißen in den Gliedern, das ihnen fast die Sinne raubte. Und ehe sie sich’s versahen, schossen sie in die Höhe, wuchsen zu Riesengestalten empor, die den Drachen noch um Haupteslänge überragten. Es war schwer zu sagen, wen diese Verwandlung am meisten überraschte, den Drachenkönig, den Zauberer mit der Angel oder seine unfreiwilligen Opfer. Raubald jedenfalls wich spuckend und zischend weiter zurück, Pet Riva setzte sich vor Schreck auf den Hintern und die beiden Riesen blickten einander verdattert an. »Wa…was ist geschehen?«, stammelte der Scheuch. »Mi…mir scheint, wir sind gewa…wachsen«, erwiderte Din Gior. »A…aber wieso?« »Da…das weiß ich nicht.« »Und wo ist der Drache?«, fragte der Scheuch wieder. »Da steht er vor uns, er ist kleiner als wir.« Raubald war die Sache unheimlich, für den Augenblick hatte er Telwina und seine Sehnsucht nach ihr vergessen. Mehr aus Angst als aus Angriffslust stieß er eine Feuerlohe aus, die den Minister am Oberarm traf und ein Loch in seinen Ärmel brannte. Din Gior ließ einen Schmerzensschrei hören und erstickte die Flammen mit seinem Bart. Er nahm auch den anderen Ärmel zu Hilfe, denn zum Glück war die Kleidung der beiden mitgewachsen.
Der Drache wollte erneut Feuer speien, aber der Scheuch kam ihm zuvor. Er trat ihm mit dem Stiefel gegen den Unterkiefer. Ein regelrechter K.o.-Schlag! Raubald sah die Sterne tanzen und sank seufzend ins Getreidefeld. »Wo ist Pet Riva hin?«, fragte der Minister. »Hier bin ich! Bleibt bitte ruhig stehen, sonst trampelt ihr mich noch tot. Und schreit nicht so laut, mir platzt ja das Trommelfell.« Die beiden Riesen schauten nach unten. Da stand der kleine Pet mit seiner Zauberangel und hob entschuldigend die Arme. »Ihm ist wieder mal was schief gegangen«, murmelte der Scheuch, »das hätte ich mir gleich denken können.« »Ich wollte den Drachen verkleinern, wie damals den Löwen«, sagte Pet Riva. »Alles war richtig, aber ihr seid mir unter die Angel gelaufen.« »Wir und gelaufen?«, entrüstete sich Din Gior. »Ich habe mich nicht vom Fleck gerührt.« »Ich auch nicht«, ergänzte der Scheuch. »Möglicherweise habt ihr ja Recht und es war meine Schuld«, gab der Fischer zu. »Immerhin hab ich uns auf diese Weise vor dem Drachen gerettet. Er ist erschrocken. Oder etwa nicht?« Das mussten die beiden zugeben. »Stimmt, ich glaube, der hat jetzt Respekt vor uns«, sagte der Scheuch. »Ich hab ihm einen ordentlichen Tritt verpasst. Vielleicht nimmt er Vernunft an.« Raubald kam zu sich und stieß ein wütendes Gebrüll aus. Er dachte gar nicht daran, vernünftig zu sein. Er war nach wie vor gefährlich. Der Scheuch nahm Boxerstellung ein. »Sieh dich vor«, sagte er, »du hast ja gemerkt, dass wir uns wehren können.« »Auch wenn ihr Zauberer seid, Telwina gehört mir.« Der Drache wusste wieder, weshalb er hier war. »Telwina gehört niemandem außer sich selbst, begreif das endlich«, verlangte Din Gior. Langsam wurde er ungeduldig, denn sein Arm
schmerzte und er wollte nach Hause. Deshalb fügte er hinzu: »Nun aber flieg in deine Höhle zurück. Alles, was zu sagen war, ist gesagt.« Er machte eine Bewegung, als wollte er Tauben verscheuchen, und der Drachenkönig, der vielleicht eine neue Hexerei befürchtete, begann abwehrend mit den Flügeln zu schlagen. Nach kurzem Zögern erhob er sich dann in die Luft. Ein letztes wütendes Gekrächze ausstoßend, flog er davon.
ZWEI TRAURIGE RIESEN Nachdem der Drache verschwunden war, sagte Din Gior: »Gehen wir, die Angelegenheit hier ist erledigt und ich muss meinen Arm versorgen.«
»Ja, gehen wir«, stimmte der Scheuch zu, »im Palast werden sie schon gespannt auf unsere Rückkehr warten.« »Moment«, rief Pet Riva von unten, »nicht so schnell. Vergesst nicht, dass ihr jetzt riesengroß seid. Die Leute werden furchtbar erschrecken, wenn sie euch sehen.« Daran hatten die beiden für den Moment gar nicht gedacht. Sie schauten sich bestürzt an und der Minister murmelte: »Richtig, wir sind ja viel größer als früher. Am Ende passen wir nicht einmal mehr durch die Palasttür.« »Auf keinen Fall passt ihr durch diese oder andere Türen«, erwiderte Pet Riva, »und die Zimmer sind auch viel zu niedrig für euch.« »Das ist sehr unangenehm«, sagte der Scheuch. »Ich kann nur hoffen, dass du uns unsere normale Gestalt zurückgibst. Weshalb sind wir überhaupt größer geworden? Du wolltest doch den Drachen verkleinern.« »Der Zauberspruch lautet: Wandle dich ins Gegenteil«, erklärte Pet kleinlaut. »Große werden klein, Kleine groß, und da ihr dem Drachen gegenüber gewissermaßen Zwerge wart…« Er legte eine Pause ein. »Aber stellt euch mal vor, ihr wärt bei meiner Beschwörung noch kleiner geworden. Dann hätte uns dieser Raubald sofort erledigt.« »Na gut, da magst du Recht haben«, pflichtete der Scheuch missmutig bei. »Trotzdem, so können wir nicht bleiben. Gib uns jetzt die alte Größe wieder.« Pet Riva nahm seine Angel an der Schnur, denn nach seinem Experiment mit dem Tapferen Löwen vor einiger Zeit wusste er, dass es nur auf diese Art klappen würde. Doch sofort ließ er wieder mutlos den Arm sinken. »Wie soll ich von hier unten aus die Angel über eure Köpfe schwingen?«, fragte er. Din Gior überlegte. »Ich hebe dich hoch, dann wird es gelingen.« »Aber wenn ihr wieder klein werdet, falle ich herunter und breche mir sämtliche Knochen«, wandte der Fischer ein.
»Dann legen wir uns eben auf den Boden«, schlug der Scheuch vor. »Oder du kletterst auf den Baum dort drüben. Der hat ungefähr unsere Größe.« Der Alte blickte zu der hohen Buche hinüber. »Klettern ist nicht gerade meine Stärke«, erwiderte er, »dann legt euch lieber hin.« Als Erster streckte sich der Scheuch mitten im Feld aus, was dem Weizen schlecht bekam. Aber was sollten sie machen. Din Gior wollte es ihm ächzend gleichtun, doch da passierte ein Missgeschick. Als er sich beim Niederknien mit der Hand aufstützte, berührte er versehentlich die Angelrute, die Pet Riva noch an der Schnur fest hielt. Knackend zerbrach sie in drei Teile. »Himmel, was hast du gemacht«, rief der Alte, »du hast die Zauberangel zerbrochen! Nun geht gar nichts mehr.« »Kannst du uns jetzt etwa nicht mehr zurückverwandeln?«, fragte Din Gior erschrocken. »So ist es. Genau das wollte ich sagen.« »Aber du kannst es mit dem Stück Angelrute versuchen, das noch an der Schnur hängt.« »Glaubt mir, das hat überhaupt keinen Zweck.« Pet Riva schüttelte entschieden den Kopf. Der Scheuch setzte sich auf. Auch so überragte er den Fischer um drei Körperlängen. »Und was soll nun geschehen? Hast du keine zweite Angel?« »Keine aus Schlangenbambus, den man mit Hexenkraut einreiben kann«, erwiderte bedrückt Pet Riva. So schwer es Din Gior und dem Scheuch fiel, sie mussten sich fürs Erste mit ihrer Lage abfinden. Der Fischer versprach zwar, nach Schlangenbambus Ausschau zu halten, der in mondhellen Nächten hier und da am Fluss wuchs, aber er gab auch zu, seit Jahren keinen mehr gefunden zu haben. »Ich werde mit dem Biber Brix sprechen«, sagte er. »Seine Frau und er kennen Stellen in den Niederungen, zu denen sonst keiner gelangt.«
Inzwischen war es spät geworden – bestimmt würden sich Betty, Telwina und die anderen schon Sorgen machen. Pet meinte, dass es gut wäre, die Leute in der Smaragdenstadt von den Geschehnissen zu unterrichten, bevor Din Gior und der Scheuch auftauchten. Sonst käme es zu einer Panik. Er wollte bereits in die Stadt aufbrechen, als der Storch Klapp vorbeiflog. Er sah die Riesen von weitem, erkannte sie aber nicht. Da er sehr neugierig war, setzte er sich trotz seiner Furcht vor den gigantischen Männern in der Nähe auf einen Baum. Beim ersten Anzeichen von Gefahr würde er sich in die Lüfte erheben. Die beiden beachteten den winzigen Vogel nicht, aber Pet Riva hatte Klapp entdeckt und rief: »He, alter Freund, komm her. Wir brauchen deine Hilfe.« »Meinst du mich, Pet?«, fragte der Storch. »Was hast du mit diesen gewaltigen Kerlen zu schaffen? Wo kommen die so plötzlich her? Fürchtest du dich nicht vor ihnen?« »Ganz und gar nicht«, erwiderte der Fischer. »Schau sie dir nur mal genauer an. Erkennst du unseren Herrscher, den Weisen Scheuch, und seinen Minister Din Gior nicht wieder?« Klapp riss die Augen auf und fiel vor Verblüffung fast vom Baum. »Tatsächlich, wenn die Größe nicht wäre, könnte man glauben, sie sind’s«, klapperte er. »Natürlich sind wir’s«, mischte sich nun der Scheuch ein. »Komm ruhig näher, du brauchst keine Angst zu haben. Hier, sieh dir die Stecknadelköpfe unter meinem Hut an. Du weißt doch, sie sind wichtig für meinen Verstand.« Er hob den Hut und zeigte die Nadelköpfe, die allerdings die Größe von Billardkugeln angenommen hatten. Vorsichtig flatterte Klapp näher, immer noch auf eine böse Überraschung gefasst. Pet Riva erzählte ihm, was vorgefallen war, dennoch dauerte es eine ganze Weile, bis er die Geschichte glaubte.
Dann freilich rief er: »Das ist fantastisch. Da brauchen wir endlich keine Angst mehr vor dem scheußlichen Drachen zu haben, der es vor allem auf uns Störche abgesehen hat.« »Auf euch Störche?«, fragte Din Gior erstaunt. »Was glaubt ihr denn? Wenn wir uns nicht ständig unter dem Scheunendach verstecken würden, hätte er uns längst aufgefressen.« Din Gior zog es vor, nicht weiter auf seine Wichtigtuerei einzugehen, sondern erklärte kurz, was Klapp tun sollte. »Flieg schnell zu Betty und Telwina«, bat er. »Berichte ihnen, was geschehen ist. Sie sollen es allen mitteilen, damit niemand erschrickt, wenn wir zurückkehren.« Der Storch nahm diesen Auftrag höchst beglückt entgegen. Wieder einmal war er der Erste, der mit nahezu unglaublichen Neuigkeiten in die Smaragdenstadt kam. Während er davonflog, kam Din Gior auf die Idee, inzwischen seinen verletzten Arm im Fluss zu kühlen. »Wir müssen Betty und Telwina ohnehin Zeit lassen, die Nachrichten zu verdauen«, sagte er, »da sollten wir die Tatsache nutzen, dass wir jetzt lange Beine haben.« Der Scheuch war einverstanden. Immerhin konnten sie die Strecke, für die sie sonst eine Stunde gebraucht hätten, in wenigen Minuten zurücklegen. Aus ihrer Höhe sah die Welt ganz anders aus. »Das ist ja, als wenn man im Ballon sitzt«, wunderte sich der Scheuch. »Bloß dass man keine Angst haben muss, herunterzufallen.« Vor einiger Zeit hatte er zusammen mit Betty eine Ballonfahrt gewagt, um einem gefährdeten Bienenvolk zu helfen. Leider waren sie abgestürzt und dabei fast ums Leben gekommen. »Es ist schon erstaunlich, wie klein die Hügel hinterm Fluss geworden sind und wie weit man sehen kann«, ergänzte Din Gior. »Wir müssen nur aufpassen, dass wir kein Tier treten, keinen Hasen oder Fuchs.«
Am Fluss zog der Minister seine Jacke aus und kühlte den mittlerweile geschwollenen Oberarm. Er nahm die andere Hand dazu und es war, als würde er ganze Wasserkübel über die verbrannte Haut gießen. Der Scheuch betrachtete das Loch im Ärmel und seufzte. »Um das zu flicken, nehmen wir am besten eine Wolldecke. Hast du eigentlich schon daran gedacht, dass wir ab heute kaum noch Kleidung besitzen? Wir haben nur das, was wir auf dem Leib tragen.« »Stimmt«, erwiderte Din Gior, »Hosen, Hemden und Schuhe in unserer Größe gibt es bestimmt nirgendwo im Zauberland.« »Auch keine Jacken und Strümpfe«, ergänzte der Scheuch. »Wir finden kein Dach mehr überm Kopf und kein Bett, in das wir passen«, murmelte der Minister. »Du kannst dich wenigstens mit deinem Bart zudecken«, sagte der Scheuch, »aber was nehme ich?« »Wie soll ich bloß satt werden?«, klagte Din Gior. »Ich brauche ja einen ganzen Ochsen zum Abendbrot.« Zumindest diese Sorge hatte der Scheuch nicht. Da er hauptsächlich aus Stroh und Holz bestand, brauchte er nichts zu essen. Trotzdem sagte er bekümmert: »Ja, es ist schlimm. Wenn Pet Riva nicht bald diesen Schlangenbambus findet, wird sich unser ganzes Leben ändern.« Mittlerweile ging es Din Gior etwas besser. Er hörte auf, den Arm zu kühlen, und der Scheuch legte ihm sein Halstuch als Verband an. Dann erhoben sie sich, um in die Smaragdenstadt zurückzukehren. Sie schritten langsam aus, kamen aber trotzdem schnell voran. Keine halbe Stunde und sie würden zu Hause sein. Doch war das dann noch ihr Zuhause?
BETTY WEISS RAT Klapp flog zum Palast und hielt nach Prinzessin Betty Ausschau. Sie stand mit Telwina am Tor. Die beiden hatten vor einiger Zeit das Gebrüll des Drachen gehört und es nicht mehr in ihren Zimmern ausgehalten. Sie waren sehr beunruhigt. »Ich komme mit Neuigkeiten«, klapperte der Storch aufgeregt, »mit unerhörten Neuigkeiten!« Er ließ sich vor ihnen auf dem Pflaster nieder. »Hast du meinen Mann und Din Gior getroffen?«, fragte Betty. »Weißt du etwas über den Drachen?« »Und ob ich etwas weiß. Wir haben ihn in die Flucht geschlagen. Er hat den Schwanz eingezogen und ist in seine Schlucht zurückgeflattert«, prahlte Klapp. »Wir?«, fragte Telwina. »Du meinst doch nicht etwa dich?« »Er meint Pet Riva«, sagte Betty. »Falls der Drache wirklich geflohen ist, haben wir es bestimmt seiner Zauberei zu verdanken. Auch wenn nicht alles bei ihm klappt – ich habe meine ganze Hoffnung auf ihn gesetzt!« »Stimmt, der Fischer hat diesen Raubald durch seine Hexerei vertrieben«, gab Klapp zu. »Aber nicht so, wie ihr vielleicht denkt.« »Hat er ihn nicht verkleinert, wie vorgesehen? Na los, lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.« Die Prinzessin wurde ungeduldig.
Der Storch brachte es nicht fertig, länger mit seinen Nachrichten hinterm Berg zu halten, und erzählte, was passiert war. Er schmückte alles gehörig aus. Betty und Telwina mochten die Geschichte kaum glauben. Sie waren über die Vertreibung des Drachen erleichtert, konnten sich aber die Verwandlung der beiden in Riesen einfach nicht vorstellen. »Wie soll ich meinen lieben Scheuch jetzt bloß in die Arme nehmen?«, klagte Betty und Telwina rief: »Onkel Din Gior zehnmal größer als ich? Dann kann er uns ja gar nicht mehr in unserem Haus besuchen. Nicht mal zu unserer Hochzeit.« Während der Storch weiterflog, um die Neuigkeit allen zu erzählen, die er traf, überlegte Betty fieberhaft, was sie für den Scheuch und den Minister tun konnte. Zunächst muss ich in Ruhe mit ihnen und Pet Riva reden, dachte sie, am besten, ich gehe ihnen entgegen. Sie bat Telwina, im Schloss Bescheid zu sagen, und machte sich sofort auf den Weg. Doch sie irrte, wenn sie glaubte, die Einzige zu sein. Die von Klapp verkündete Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und die Neugierigen zogen in Scharen zum Stadttor, um sich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. So kam es, dass sich der Herrscher der Smaragdenstadt und sein Minister in der Nähe des Gelben Backsteinweges plötzlich einer quirligen Menge von Zwergen gegenübersahen, von denen viele beim Anblick der Riesenkerle wieder Reißaus nahmen. »Behaltet einen kühlen Kopf«, rief ihnen der Scheuch hinterher, »wir sind es bloß!« Doch das nützte nicht viel, bei seiner lauten Stimme rannten sie umso schneller. Erst als sich die beiden Riesen ruhig auf einer Erhebung niederließen, blieb ein Teil der Leute stehen. Betty Strubbelhaar aber nutzte die Gelegenheit. Sie trat vor die Menge und sagte: »Nachdem ihr nun gesehen habt, was ihr sehen wolltet, liebe Leute, geht wieder nach Hause und in Ruhe an eure Arbeit. Es ist ja nicht gerade ein Unglück, dass jemand sehr groß und kräftig ist, denn so kann er uns vor manchem Ungeheuer beschützen. Lasst mich mit meinem Mann und Din Gior sprechen. Wir werden entscheiden, wie in der nächsten Zeit zu verfahren ist, und es euch dann mitteilen.«
Die Bewohner der Smaragdenstadt tuschelten miteinander, nickten zustimmend und zogen sich dann langsam zurück. Betty wandte sich ihrem Mann zu. »Nimm mich vorsichtig hoch«, bat sie, »damit ich nicht so laut schreien muss. Ich bin froh, euch zwei lebend und gesund wiederzusehen. Alles andere wird sich finden.« »Wer hätte gedacht, dass wir einmal in eine so vertrackte Lage kommen würden«, seufzte der Scheuch. »Nur Mut, Pet Riva wird seinen Zauber rückgängig machen. Notfalls helfen uns auch die gute Fee Stella oder die Königin vom Muschelmeer, die seinerzeit den Tapferen Löwen aus seiner misslichen Lage befreit hat.« Bettys Zuversicht richtete die beiden traurigen Riesen etwas auf und sie begannen die nächsten Schritte zu überdenken. »Ein paar Nächte müsst ihr im Freien zubringen«, fügte die Prinzessin hinzu. »Es ist ja schönes Wetter und ihr könnt ein Feuer machen. Ihr müsst nur genügend große Steine drum herum aufschichten, damit ihr keinen Brand auslöst.« »Es werden leider mehr als ein paar Nächte«, wandte Din Gior ein. »Nicht unbedingt. Wir bitten die Bauern, vor der Stadt Heu für ein Lager aufzuschütten, und die Segeltuchmacher, einige Ballen Leinen zu liefern. Ihr baut euch daraus ein großes Zelt. Das könnt ihr nutzen, bis ihr wieder normale Größe habt.« »Kein schlechter Gedanke«, brummte Din Gior, »aber es wird nicht leicht, die Arbeiter zu bezahlen. Wir haben nicht gerade Reichtümer in der Schatzkammer.« »Ich glaube nicht, dass die Leute unbedingt dafür bezahlt werden wollen. Da ihr beiden jetzt so stark seid, könnt ihr die Dienste anders entgelten. Ihr könnt Transporte übernehmen und beim Bau von Häusern helfen. Außerdem bietet ihr den besten Schutz vor dem Drachenkönig.« Das gefiel dem Scheuch. »So wie du es schilderst, könnte man direkt Lust bekommen, eine Weile groß zu bleiben«, erklärte er.
»Nur solange es unbedingt notwendig ist«, erwiderte Betty verschmitzt. »Schließlich möchte ich dich irgendwann mal wieder umarmen.« Dann kehrte die Prinzessin in den Palast zurück, denn bei alldem durfte nicht vergessen werden, dass am nächsten Tag Freunde zu Besuch kamen. Der Eiserne Holzfäller, der Tapfere Löwe und Jessica waren ja zu einer Beratung über die Gefahren eingeladen worden, die von dem Drachenkönig ausgingen. Dass sich die Ereignisse inzwischen überstürzt hatten, konnten die drei nicht wissen. Außerdem musste Betty die Stadtbewohner über die Pläne unterrichten. Auch die Bauern in den Dörfern mussten Bescheid wissen, wenn sie Heu heranschaffen sollten. »Na, dann wollen wir mal«, sagte der Scheuch, als Betty gegangen war und sich die letzten Schaulustigen verzogen hatten. Er stand auf und setzte sich in Richtung Fluss in Bewegung. »Wo willst du hin?«, fragte Din Gior. »Ich denke, wir sollten uns jetzt ein Nachtlager bereiten. Am besten holen wir uns einige Arme voll Schilf.« »Ja, das könnte gehen«, erwiderte der Minister. »Wir müssen nur aufpassen, dass wir dabei keine Nester von Schwänen, Enten oder anderen Vögeln zerstören.«
GINGEMAS STIMME Indessen flog der Drache in seine Schlucht zurück und verkroch sich, verstört und durcheinander, im hintersten Winkel seiner Höhle. Er, der sonst alle in Angst und Schrecken versetzte, war schon zum zweiten Mal gedemütigt worden. Kürzlich die Elefanten und nun diese Riesen! Es verlangte ihn nach wie vor, Telwina zu besitzen, doch was vermochte er gegen Zauberei? Ich nenne mich zwar Drachenkönig, dachte er, aber zum Herrscher über das Zauberland fehlt noch viel. Plötzlich hörte er ein geheimnisvolles Wispern und Krächzen. Seine glühenden und im Dunkeln geweiteten Augen suchten die Höhle ab, doch er konnte niemanden entdecken.
»Ich bin’s, Gingema, die Mutter all deiner Fähigkeiten«, zischelte eine Stimme. »Du brauchst mich nicht in der Höhle zu suchen, denn dort bin ich nicht.« »Und wo steckst du?« »Spürst du das nicht? Ich bin in dir.« »Du bist…in mir?« Obwohl Raubald mit einem Mal feststellte, dass die Stimme tatsächlich aus seinem Kopf kam, wollte er es nicht glauben. »Ja, nur so konnte ich die Jahre überdauern. Leider reicht meine Kraft nicht so weit, wie ich hoffte. Wir können uns lediglich kurz unterhalten. Nur wenn du meine Hilfe unbedingt brauchst, werden wir miteinander sprechen.« Der Drachenkönig seufzte. »Wenn du die Hexe bist, die mich geschaffen hat, dann ist heute wirklich der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch. Sag mir eins: Wie soll ich Telwina erobern und nach deinem Wunsch Herrscher über die Welt werden? Ungetüme und Zauberer stellen sich mir in den Weg, gegen deren Macht ich nichts ausrichten kann.« Die Stimme gab ein Kichern von sich. »Ungetüme und Zauberer? Ein paar Elefanten und ein alter Mann, der lächerlich wenig von Hexerei versteht! Die größte Zauberin der letzten tausend Jahre bin ich. Wer kann sich schon gegen meine bösen Kräfte zur Wehr setzen?« »Es geht nicht um dich, sondern um mich«, muckte der Drache auf. »Es mag schon sein, dass du die größte Zauberin warst, doch was nützt mir das.« »Du bist ein Narr«, murmelte die Stimme. »Du kennst deine eigene Stärke nicht.« »Meine Stärke? Ich kann Feuer speien und mit meinem Gebiss einen Ochsen zermalmen. Ich kann mit den Flügeln einen kurzen Sturm entfachen und mit meinem Gebrüll hundert Hirten in die Flucht jagen. Aber wenn du in mir bist, wirst du ja gesehen haben, wie diese kleinen Wichte zu Riesen emporwuchsen, von denen der eine die Flammen mit seinem Bart löschte und der andere mich mit dem Stiefel gegen den Kiefer trat. Soll einem davon nicht Angst werden?«
»Ach was, das sind Kindereien«, zischte die Stimme. »Ich wiederhole, du kennst deine eigene Stärke nicht. Weißt du nicht, dass du gegen deine Feinde den Fluch schleudern kannst? Du kannst sie mit Gingemas Bannspruch belegen.« Die Stimme war zum Schluss sehr leise geworden, sodass Raubald Mühe hatte, den Worten zu folgen. Er fragte: »Kannst du nicht lauter sprechen? Ich höre dich kaum noch.« »Kann…ich nicht«, murmelte Gingema. »Meine Kraft… Wir reden schon zu lange…miteinander.« »Dann beantworte wenigstens eins«, sagte der Drache hastig. »Wie lautet dieser Fluch und was bewirkt er?« Für einen Augenblick wurde es ganz still, dann aber flüsterte die Stimme doch noch: »Sturm über euch, Blitz und Gewitter! Wasserfluten, solange ihr mir nicht gehorcht! Hagel über das Land, Tod und Verwüstung! Nacht über euch in Gingemas Namen.« Der Drachenkönig musste sich ungeheuer anstrengen, um diese Sätze zu verstehen, und wurde zugleich von einer großen Erschöpfung erfasst. Als würde ihm mit dem Verstummen der Hexe ein Teil seiner Lebenskraft genommen.
Raubald fiel für drei Tage und drei Nächte in einen tiefen traumlosen Schlaf und erwachte mit einem so gewaltigen Hunger, dass er sich von der nächsten Weide zwei Schafe und eine Kuh holte. Er verschlang sie vor seiner Höhle und soff dazu große Mengen Quellwasser. Danach fühlte er sich ausgeruht und stark. Der Bannspruch der wispernden Stimme aber hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt. Ich werde zu dieser Smaragdenstadt fliegen und mir Telwina holen, dachte der Drachenkönig, die Riesen sollen es nur wagen, sich mir in den Weg zu stellen. Raubald hätte die Hexe gern noch länger ausgefragt, doch es gelang ihm nicht, ihre Stimme herbeizurufen. Sie meldete sich einfach nicht. So startete er ohne ihren weiteren Rat, überflog den Finsterforst, den Urwald, das Tal der Fragen und das Tierreich. Der Hase Mümmel, der in Abwesenheit des Tapferen Löwen gemeinsam mit Dickhaut das Regieren ausübte, studierte gerade eine Botschaft auf Baumrinde. Es war die Beschwerde einer Ziegenmutter, die ihre Zicklein an ein Wolfsrudel verloren hatte. Er sah den gewaltigen Schatten des Drachen und versteckte sich mitsamt dem Schreiben in seinem Bau. Der Elefant, der ihn beobachtete, lachte ihn aus. »Vor dem brauchst du keine Angst zu haben«, trompetete er, »dem haben wir bereits gezeigt, dass er hier nichts zu melden hat.« Doch so einfach war es keineswegs. Der Drache allerdings beachtete die Tiere unten nicht. Er flog längst am leise sirrenden Kupferwald vorbei, über das Mohnfeld, in dem der Tapfere Löwe einst beinahe für immer eingeschlafen wäre, zum Fluss. Dort stakste Klapp auf der Suche nach fetten Würmern und Schnecken über die Wiese. Auch er entdeckte Raubald, unterdrückte ein erschrockenes Klappern und verkroch sich im Schilf. Wie gut, dass Din Gior und der Scheuch jetzt so groß sind, dachte er. Hoffentlich erteilen sie dieser fliegenden Missgeburt noch mal eine Abfuhr. Der Drachenkönig flatterte weiter auf die Smaragdenstadt zu und sah unter sich plötzlich eine große graue und spitze Pyramide. Es war das Zelt, das Betty Strubbelhaar in Auftrag gegeben hatte. Hunderte von Schneidern und Tuchmachern hatten es inzwischen fertiggestellt und der Scheuch hatte es mit Din Giors Hilfe aufgebaut. Im Augenblick hielt der
Minister darin sein Mittagsschläfchen, während die Strohpuppe in die Stadt gegangen war, um sich im Park des Regierungspalastes etwas zu erholen. Zu seinen Füßen lagerten seine Gäste: der Tapfere Löwe, der Eiserne Holzfäller und das Mädchen Jessica aus dem Menschenland. Die drei waren noch immer verblüfft über die Verwandlung ihrer Freunde, wenngleich zumindest Jessica es toll fand, vom Scheuch hochgehoben und in schwindelnder Höhe herumgetragen zu werden. Raubald wusste nicht, was ein Zelt war, er hielt das graue Ding für einen spitzen Felsen und wunderte sich nur, wie er hierher kam. Auf die Stadt zusegelnd, rief er laut den Namen Telwinas, denn er dachte sich schon, dass sie dort zu finden war. Telwina hörte seinen Ruf und schloss schnell alle Fenster. Sie wollte nicht mehr mit dem Ungeheuer sprechen. Auch der Scheuch und seine Gäste vernahmen die laute krächzende Stimme. Sie sahen den Drachen heranschweben und sprangen auf. Doch selbst der Herrscher der Smaragdenstadt, der fast die Höhe seines Palastes erreichte, musste den Kopf in den Nacken legen. Raubald dachte nämlich an den Tritt gegen seinen Unterkiefer und hütete sich, tiefer herabzukommen. »Lass Telwina in Ruhe«, rief der Scheuch. »Sie feiert nächste Woche Hochzeit. Was willst du noch von ihr?« Der Drachenkönig schrie wütend:
»Halte du dich da raus, Riese. Es gibt keine Hochzeit. Komm aus deiner Höhle, Telwina, damit ich dich mitnehmen kann.« »Was Telwina tut, entscheidet allein sie. Scher dich fort aus unserem Land, sonst müssen wir dich mit Gewalt vertreiben.« Der Scheuch wurde langsam ärgerlich. »Mit Gewalt? Was kannst du mit deinem am Boden kriechenden Zwergenvolk schon gegen einen wie mich ausrichten?« Der Tapfere Löwe mischte sich ein. Er brüllte, so laut er konnte: »Zwergenvolk? Komm herunter, du Angeber, und stell dich, damit ich dir meine Zähne in die Kehle schlage.« Der Eiserne Holzfäller trat neben den Löwen und zog seine Axt aus dem Gürtel. »Du solltest dich schämen, so mit uns zu sprechen«, erklärte er. »Jeder, der ein bisschen Herz hat, weiß, dass Liebe nicht zu erzwingen ist. Ob nun Zwerg oder Riese, das trifft auf alle zu.« Doch die Worte der beiden beeindruckten den Drachen wenig. Erst als sich der Scheuch nach einem Findling bückte, der im Park zu einer Grottenlandschaft gehörte, fauchte er wütend: »Ich sehe schon, ihr wollt nicht gehorchen. Dann wisst, dass ich einen Fluch über eure Stadt bringen kann, der euch in Not und Verzweiflung stürzt. Auf Knien werdet ihr zu meiner königlichen Höhle gekrochen kommen und mich unterwürfig um Vergebung bitten.« Der Scheuch konnte nicht mehr an sich halten. Er nahm den Stein und warf ihn nach dem Drachen. Besonders geschickt stellte er sich dabei freilich nicht an. Nicht nur, dass er sein Ziel um Längen verfehlte – der herabfallende Findling hätte beinahe noch die Stadtmauer beschädigt. Trotzdem schrie Raubald: »Das wirst du mir büßen, Riese, alles werdet ihr mir büßen. Ihr sollt zum Leiden verdammt sein, bis ihr euch meinem Willen unterwerft!« Und er fügte, heftig mit den Flügeln schlagend, den Bannspruch hinzu, der sich ihm eingeprägt hatte: »Fluch über euch, Blitz und Gewitter! Wasserfluten, solange ihr mir nicht gehorcht! Hagel über das Land, Tod und Verwüstung! Nacht über euch in Gingemas Namen.«
Der Scheuch zuckte die Achseln, der Löwe brüllte noch einmal, der Eiserne Holzfäller schüttelte nur mitleidig den Kopf. Jessica, die der Auseinandersetzung ängstlich und mit Verwunderung gefolgt war, nahm die Worte des Drachen genauso wenig ernst. Zumal er, offenbar selbst nicht ganz von der Wirkung seines Spruchs überzeugt, noch höher stieg und sich langsam von der Stadt entfernte. Wie hätten die vier aber auch Hagelschlag und Wasserfluten, Blitz und Verwüstung erwarten sollen, wenn eine leuchtend goldene Sonne vom Himmel strahlte, wie fast immer im Zauberland, und nur ganz fern am Horizont ein winziges rotes Wölkchen auftauchte, das keinerlei Gefahr auszustrahlen schien.
Zweiter Teil Die Smaragdenstadt in Not
DER STURM Din Gior erwachte von einem pfeifenden Geräusch, das in sein Hirn drang. Er konnte es sich zunächst nicht erklären, denn nach den Überraschungen und Anstrengungen der letzten Tage hatte er tief geschlafen und glaubte in seiner Wohnung im Palast zu sein. Dann fiel ihm aber ein, dass er zum Riesen geworden war, der sein kärgliches Zuhause in einem Zelt hatte. Und auch das erst seit dem vorigen Tag! Das Pfeifen ging in ein Heulen über und die Zeltwand über ihm blähte sich nach innen. Ein Rütteln und Zerren an den Planen setzte ein, die so viele Arbeiter aus unterschiedlich großen Stücken zusammengenäht hatten. Außerdem bogen sich die Zeltstangen durch, zwei Baumstämme, vom Scheuch und ihm selbst in die Erde gerammt. Da ist Wind aufgekommen, ein kräftiger Wind, dachte der Minister, das gibt es nicht. Sturm war im Zauberland so selten wie Schnee in Afrika. Din Gior hatte nichts von dem Streit mit dem Drachen mitbekommen, er hatte weder Raubalds Gebrüll in der Ferne noch des Scheuchs laute Antworten gehört. Von den Worten des Löwen oder des Holzfällers ganz zu schweigen! Nun erhob er sich auf die Knie, kroch zum Zelteingang und blickte nach draußen. Er sah, dass die Sonne wie eh und je vom Himmel lachte. Aber seitlich war eine violette Wolkenwand aufgezogen und der Wind pfiff schon nicht mehr – er brauste in Böen von den Wäldern hinter dem Fluss herüber. Der Minister richtete sich auf und ließ seinen Bart im Wind flattern. Das war ganz lustig, er trug ihn wie eine weiße Fahne vor sich her. Hoffentlich weht es nicht noch heftiger, sonst leidet womöglich das Zelt, das wir gerade erst aufgebaut haben, sagte er sich und versuchte, die Seile am Rand fester zu zurren. Aber das war kaum möglich, sie hatten bereits alles Nötige getan. Din Gior schaute hinüber zur Smaragdenstadt, deren Türme noch im Sonnenschein lagen, während sich hier allmählich Schatten ausbreitete. Ein Blitz zuckte auf, zog quer über den Himmel eine gelbe Zickzack-
Spur. Es scheint tatsächlich ein Gewitter zu geben, dachte der Riese und schüttelte ungläubig den Kopf. Freilich, die Bauern würden über einen kleinen Regenschauer gewiss nicht böse sein. Wieder fegte eine Böe heran und Din Gior beschloss, den Rand des Zeltes zusätzlich mit Steinen zu befestigen. Er nahm zwei Findlinge vom Feld und legte sie unten auf die Plane. Als er sich wieder aufrichtete, sah er von der Stadt her den Scheuch herankommen. »Was für ein Sturm«, rief der Minister, »beeil dich, wir müssen das Zelt sichern.« Der Scheuch hatte erst einmal damit zu tun, seinen Hut festzuhalten. Außerdem war er nicht allein. Aus der Brusttasche seiner Jacke schaute Jessica. Betty hatte ihm die Tasche vor ein paar Tagen eigens zu diesem Zweck angenäht. »Leg deinen Hut ins Zelt«, fügte Din Gior hinzu. »Jessica soll gleichfalls dort Schutz suchen. Warum hast du sie überhaupt mitgebracht? Bei dem Wetter wäre sie im Palast besser aufgehoben.« Jessica protestierte: »Das bisschen Wind macht mir nichts aus. Ich bin nicht ins Zauberland gekommen, um im Zimmer zu hocken. Hier draußen erlebt man wenigstens was.«
Sie fühlte sich in der Obhut ihres riesigen Freundes pudelwohl. Schon die Art, spazieren getragen zu werden und den Weitblick zu genießen, den man von seiner Höhe aus hatte, waren ein Abenteuer. Gleich als er sie vor drei Tagen vom Muschelmeer abgeholt hatte, war sie auf den Geschmack gekommen. Anfangs war sie – wie alle – erschrocken gewesen, aber er hatte ihr die Sache erklärt und sie wusste ja, dass im Zauberland andere Regeln herrschten. Wie man sah, hatte das Nach-, doch auch Vorteile. Jessica war mit dem Zaubertrog von Colorado aus über die Weltumspannenden Berge geflogen. Einst hatten der Tapfere Löwe und sie dieses sonderbare Beförderungsmittel durch einen Zufall entdeckt. Es stammte gleichfalls noch von der Hexe Gingema und war fünfzig Jahre lang völlig in Vergessenheit geraten. Jessica fand den alten Trog so wunderbar, dass sie ihn ohne Furcht auch diesmal benutzte. Leider flog er nur eine Route: über das Gebirge zum Muschelmeer und zurück. Vom Meer aus hätte sie eine Reise mit den Delfinen machen können, aber weil der Scheuch inzwischen so gewaltig gewachsen war, sagte seine Frau zu ihm: »Wie wär’s, wenn du dir etwas die Beine vertrittst und das Mädchen selber abholst? Bei deiner jetzigen Größe brauchst du nicht mal einen Tag für diese Strecke.« Der Scheuch stimmte zu, doch sie nähten erst noch die Brusttasche an. Dabei halfen zwei Schneider und Telwina Wunderschön. Dann machte sich der Scheuch auf den Weg, schritt, immer am Fluss entlang, kräftig aus. Als er den Strand erreicht hatte, ging er vorsichtig weiter und fand das Mädchen bald darauf schlafend in einer warmen Sandkuhle. So kam es, dass Jessica die Brusttasche gleich nach der Ankunft im Zauberland schätzen lernte und sich dort inzwischen schon richtig heimisch fühlte. Sie hatte sie, um es ganz bequem zu haben, auch noch mit Watte und weichem Stoff ausgepolstert. Geschützt von ihrem großen Freund, würde sie darin jeder Gefahr trotzen. Dennoch gab der Scheuch Din Gior jetzt Recht.
»Es stimmt schon, du hättest lieber zu Hause bleiben sollen, Jessica«, sagte er. »Die Böen werden immer heftiger.« »Wo mag der Sturm plötzlich herkommen?«, fragte der Minister. »Na ja, der Drachenkönig hat so komisch herumgeredet. Wir hielten das alle für Prahlerei, aber vielleicht beherrscht er trotzdem einige Zaubertricks.« »Der Drachenkönig war wieder da?« »Ja doch«, entgegnete der Scheuch, »hast du nicht sein Gebrüll gehört?« »Nein, ich habe fest geschlafen«, entgegnete Din Gior. Der Scheuch erzählte, was geschehen war. »Ich kann nicht glauben, dass so ein Fluch in Erfüllung geht«, sagte er zum Schluss. »Dessen ungeachtet sollten wir uns gegen eventuelle Schwierigkeiten wappnen.« Er ließ für einen Augenblick seinen Hut los, um Jessica auf dem Boden abzusetzen, aber das war ein Fehler. Ein neuerlicher Windstoß riss ihm die Kopfbedeckung sofort herunter und wehte sie über die Wiese davon. »Mein Hut!«, schrie der Scheuch, ließ das Mädchen fallen und rannte hinter seinem spitzen Zylinder her. Zum Glück plumpste Jessica ins weiche Heu direkt am Zelteingang und tat sich nicht weiter weh. Obwohl der Scheuch in langen Sätzen über die Wiese jagte, war er nicht schnell genug. Der Hut, wie eine große Zuckertüte um die eigene Achse wirbelnd, sauste durch die Luft, blieb hier an einem Stein, dort an einem Busch hängen, riss sich aber jedes Mal wieder los, bevor der Riese zupacken konnte. Jessica musste bei diesem Schauspiel laut lachen und selbst Din Gior konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Schließlich hob sich der Hut hoch in die Luft und entschwand ihren Blicken. Der Scheuch stampfte verärgert mit dem Fuß auf, doch das nützte nichts mehr. In diesem Moment setzte der Regen ein. Die Sonne war nun verschwunden – die violette Wolke hatte sich zum Monster aufgeplustert und bedeckte den ganzen Himmel. Blitze zuckten herab, bläulich, rötlich, gelb, und fast gleichzeitig krachte der Donner los.
»Das Gewitter ist direkt über uns«, sagte Jessica, die solche Unwetter von zu Hause kannte. »Ihr müsst euch ducken, sonst trifft euch womöglich noch ein Blitz.« Tatsächlich forderten die beiden Riesen, hoch aufgerichtet, wie sie waren, solche Einschläge geradezu heraus. Bald goss es wie aus Kübeln, sodass Jessica und Din Gior schnell ins Zelt krochen. Auch der Scheuch, bereits halb durchnässt, kam angerannt. Der Sturm indes ließ nicht nach und sie konnten von Glück reden, dass die Unterkunft standhielt. Erste kleine Risse bildeten sich allerdings schon. Das Zelt war ja aus lauter Stücken zusammengesetzt und nicht auf Gewitter eingerichtet. »Und wenn der Blitz nun in die Zeltmasten einschlägt?«, fragte Din Gior plötzlich. Daran hatte Jessica überhaupt nicht gedacht. »Das wäre schlimm«, erwiderte sie zögernd, »ich glaube, dann könnten wir alle sterben.« »Das heißt, wir sind hier drin genauso gefährdet wie draußen«, stellte der Minister fest. »Das Beste wäre, wir würden uns flach auf die Wiese legen, bis das Unwetter abgezogen ist«, erklärte Jessica. »Aber dann werden wir pitschnass«, wandte der Scheuch ein. »Für mich ist das gefährlich, weil es mir Augen und Mund wegwaschen könnte, sie sind ja nur angemalt. Und ihr würdet euch bestimmt schrecklich erkälten.« Sie wussten nicht, was sie machen sollten, wurden jedoch bald darauf einer Antwort enthoben. Während neue Donnerschläge ertönten und ein Blitz nicht weit entfernt eine Pappel in Brand setzte, platzte das Zelt an
zwei Stellen auseinander. Ein Wasserschwall überschüttete die drei und dem Minister klatschte die Zeltbahn wie ein riesiges Segel um die Ohren. »Es hilft nichts, du musst hier weg«, sagte der Scheuch zu Jessica, »ich bringe dich in den Palast zurück.« Er hob sie hoch und setzte sie wieder in seine Tasche. Dann fügte er noch hinzu: »Aber wenn das Zelt nun schon auseinander bricht, nehme ich mir wenigstens ein Stück als Mantel.« Er riss mit einiger Mühe einen Teil der Plane ab und legte sich ihn um Kopf und Schultern. »Ich komme mit. Hier können wir sowieso nicht bleiben.« Din Gior griff sich die andere Hälfte des Segeltuchs. Kurz darauf stapften sie der Smaragdenstadt entgegen. Die große violette Wolke über ihnen war zu einer einzigen schwarzen Masse verquollen.
DAS ERSTE OPFER Auch Prinzessin Betty und ihre Freunde waren erstaunt über den. plötzlich aufkommenden Wind. Beunruhigt schauten sie nach der violetten Wolke. Sollte der Fluch des Drachenkönigs tatsächlich Wirkung zeigen? »Er soll es nicht wagen, mit miesem Hexenspuk Schaden anzurichten«, knurrte der Löwe. »Ich lauf in seine Höhle und reiße ihm den Kopf ab.« »Das ist nur die Natur«, beruhigte ihn der Eiserne Holzfäller.
Während Betty in den Palast zurückging, um Fenster und Türen zu schließen, blieben die beiden noch im Park. Der Holzfäller setzte sich auf eine Bank und sagte: »Ich werde die Zeit nutzen und meine Gelenke ölen. Damit ich gewappnet bin, falls es regnet.« Der Löwe dagegen lief unruhig hin und her. »Ich frage mich, wo dieser Drache so plötzlich herkommt«, maulte er. »Von Oicho abgesehen, ist doch hundert Jahre lang keiner mehr hier aufgetaucht. Und der will auch noch zaubern können!« »Wenn wir nur zusammenhalten, nützt ihm seine ganze Zauberei nichts«, erwiderte der Holzfäller. Unvermutet zuckten Blitze auf und der Donner krachte. Eine Entenschar flog kreischend vom Teich hoch, an dem der Scheuch so gern Kraft für neue Aufgaben schöpfte, und die Amsel Tütü, oft als Bote des Herrschers unterwegs, kroch tiefer ins Gebüsch. »Geht lieber ins Haus, es scheint unangenehm stürmisch und feucht zu werden«, zwitscherte sie. »Ich gehe nicht ins Haus«, brüllte der Löwe trotzig. »Dieser Drachenkönig soll nicht glauben, dass ich mich vor seinen Feuerschlangen fürchte.« Kaum hatte er das gesagt, flogen einige Schindeln durch die Luft. Der Sturm deckte das Dach eines nahe gelegenen Hauses ab. Der Eiserne Holzfäller bekam einen der Ziegel gegen den Kopf, war aber zum Glück durch seinen Hut, den großen Blechtrichter, gut geschützt. Dennoch schaute er sekundenlang benommen drein. Ein Stück Holz sauste heran und traf den Löwen am Rücken. Aufheulend stellte er sich auf die Hinterbeine, riss das Maul auf und reckte die Vordertatzen, als wollte er dem Sturm drohen. Plötzlich schoss ein blau-gelber Blitz vom Himmel direkt auf die beiden herab. Ein erneuter Donnerschlag ertönte und hallte so laut in den Ohren des Löwen wider, dass der sekundenlang taub war. Während ihm aber sonst nichts passierte, wurde der Holzfäller voll getroffen. Er gab keinen Ton von sich, doch sein Körper leuchtete von Kopf bis Fuß erst blau und danach glühend rot auf.
Dann rutschte er mit einem Scheppern von der Bank auf den Boden. Der Löwe war vor Schreck total erstarrt, aber das Scheppern riss ihn aus seiner Betäubung. Mit einem Satz war er bei dem Holzfäller und rief: »Was ist mit dir los, um Himmels willen! Bist du in Ordnung?« Der Holzfäller rührte sich nicht, gab auch keine Antwort. Der Trichter fiel ihm vom Kopf und rollte zur Seite.
Tütü kam trotz der Regenschauer aus ihrem Versteck und jammerte: »Mein Gott, was macht ihr bloß für Geschichten! Wisst ihr denn nicht, dass Eisen die Blitze anzieht?« »Eisen? Die Blitze?« Der Löwe verstand nichts. »Ja. Ihr hättet längst Schutz unter einem festen Dach suchen sollen. Aber im Zauberland macht sich ja keiner Gedanken über solche Sachen, weil immer schönes Wetter ist.« Die Amsel, die weit herumgekommen und schon oft jenseits der Weltumspannenden Berge gewesen war, wusste Bescheid. »Wenn du so klug bist, hättest du uns vorher warnen sollen«, tadelte der Löwe. Dann fügte er aber zerknirscht hinzu: »Er ist so still. Ob ihm ernstlich was passiert ist?«
»Wir müssen feststellen, ob sein Herz noch schlägt«, sagte die Amsel. »Leg das Ohr auf seine Brust, dann wirst du es hören.« Der Löwe streckte sich neben seinem Freund auf der nassen Erde aus und presste ihm das Ohr rechts auf den Oberkörper. »Ich höre nichts«, rief er verzweifelt. Die Amsel schlug die Flügel über dem Kopf zusammen. »Hat man schon so was gesehen? Das Herz ist doch auf der linken Seite!« »Entschuldige, ich bin völlig durcheinander.« Der Löwe bemühte sich nun, es richtig zu machen. Als er dennoch nichts vernahm, murmelte er: »Ich glaube… der Holzfäller ist tot.« »Ach Unsinn, dein Freund verträgt ganz andere Schläge.« Die Amsel war energisch und nicht bereit, gleich aufzugeben. »Los, drück ihm kräftig deine Pranken auf die Brust. So…« Sie machte es ihm vor, indem sie ein paar Mal hintereinander ihren kleinen Fuß nach unten streckte. Der Löwe stellte beide Vorderpfoten auf den Oberkörper des Holzfällers und drückte mit aller Kraft. Der Blechmann gab einen Pfeifton von sich. »Na siehst du, er atmet«, rief die Amsel. »Soll ich weitermachen?« »Ja, aber rhythmisch. Und nicht so stark. Du dellst ihm sonst die Brust ein.« Der Löwe war überglücklich, dass sein Freund lebte, und folgte den Anweisungen des kleinen Vogels ohne Murren. Dennoch gelang es ihnen nicht, den Holzfäller aus einer Ohnmacht zu erwecken, die ihn offenbar fest im Griff hatte. Schließlich sagte Tütü: »So kommen wir nicht weiter, der Patient braucht ärztliche Hilfe. Außerdem könnte ihn hier draußen ein zweiter Blitz treffen und das wäre vielleicht sein Ende. Bringen wir ihn in den Palast.« »Aber wie?«, fragte der Löwe. »Da er aus Eisen ist, kann ich ihn nirgendwo richtig mit den Zähnen packen.« »Das Problem werden wir gleich gelöst haben«, erwiderte die Amsel, »unsere beiden Riesen kommen zurück.«
In der Tat stieg der Scheuch gerade über die Stadtmauer und Din Gior folgte ihm. Als die beiden hörten, was geschehen war, zeigten sie sich sehr besorgt. Sie zögerten aber nicht lange. Der Minister hob den Holzfäller vorsichtig hoch und trug ihn zum Palast. Für ihn waren das nur wenige Schritte. Während er und der Scheuch im Park warteten, lief Jessica nach dem Arzt. Der Löwe und Prinzessin Betty, die inzwischen herbeigeeilt war, legten den Holzfäller auf ein Bett. Tütü wollte sehen, wie die Sache weiterging, und beobachtete alles vom Kleiderschrank aus. Der Arzt hätte dem Patienten gern eine Spritze verabreicht, aber das war bei dem Eisenmann nicht möglich. Da der Holzfäller im Moment auch keine Medizin einnehmen konnte, rieb ihm der Doktor die Brust mit einem Balsam ein und ließ ihn in warme Decken hüllen. »Das macht seinen Körper insgesamt geschmeidig und weitet die Atemwege«, sagte er. »Wir werden ihn gesund pflegen wie seinerzeit Din Gior, als er von den Smaragdenbienen gestochen wurde«, tröstete sich Betty. Der Löwe legte sich am Kopfende des Bettes nieder. Er wollte unbedingt dabei sein, wenn der Holzfäller wieder zu sich kam. Jessica aber rannte zu Telwina Wunderschön und erzählte ihr, was vorgefallen war.
»So ein Unwetter habe ich sogar bei uns in Colorado noch nicht erlebt«, sagte sie. »Wenn da mal nicht doch der Drachenkönig dahinter steckt. Er scheint über sehr starke und böse Kräfte zu verfügen.«
DAS SONDERBARE SCHUTZDACH Pet Riva suchte den Biber Brix auf, der mit Frau und Kindern weiter oben am Fluss wohnte. Er war erst kürzlich hierher umgezogen, hatte sich in einem Sumpfgebiet aus Baumstämmen und Zweigen eine neue Burg gebaut. Voller Stolz auf sein Werk erklärte er dem alten Fischer ausführlich, welche Mühe das Fällen bestimmter Bäume gemacht hatte. Am liebsten hätte er seine Handwerkskunst an dem Teil des Dammes erläutert, der unter Wasser lag, aber dorthin konnte ihm Pet ja nicht folgen. Brix wusste, was der Fischer von ihm wollte. Klapp hatte ihm bereits von den Riesen und der zerbrochenen Angel erzählt. Nachdem er eine Weile von seiner Burg geredet hatte, kam er daher von selbst auf das Thema zu sprechen. »Du suchst nach Schlangenbambus«, sagte er, »aber es wird schwer werden, welchen zu finden. Den Letzten habe ich vor vier oder fünf Jahren im Froschdelta gesehen. Ich hatte mir sogar ein paar Stängel zurückgelegt, doch beim Winterhochwasser sind sie davongeschwommen.« »Im Froschdelta war ich schon«, erwiderte Pet Riva, »habe das ganze Bambusgesträuch durchforstet und sogar das Schilf in der Nähe. Ein paar Schlangen habe ich gesehen, aber kein einziges brauchbares Rohr.« »Sag ich doch«, murmelte Brix. »Du wirst große Mühe haben, eine neue Zauberangel zu bekommen.« Wind kam auf und erste Regentropfen fielen. In ihr Gespräch vertieft, hatten die beiden gar nicht bemerkt, dass sich der Himmel mit dunklen Wolken bezog. »Meine Großmutter hat uns immer vom Schlangenbambus am Braunen Moor erzählt«, mischte sich die Biberfrau ein. »Das Mark und die Sprossen sollen besondere Delikatessen sein.«
»Ich habe nie von einem Braunen Moor gehört«, wunderte sich der Fischer. »Wo ist das?« »Irgendwo flussaufwärts«, sagte die Biberin. »Genau weiß ich’s auch nicht. Selbst war ich nie dort.« »Das Braune Moor ist wahrscheinlich bloß eine Legende«, erklärte Brix. »Wir Biber sind Delikatessen bestimmt nicht abgeneigt, doch keiner meiner Bekannten hat es je gesehen. Aber ich kann mich ja noch mal umhören.« »Tu das bitte!« Pet Riva schaute besorgt zu den Baumwipfeln, die sich unterm Sturm bogen. Erste Blitze zerteilten den Himmel und der Regen wurde stärker.
»Das sieht ganz nach einem Gewitter aus.« Brix war erstaunt. »So was hatten wir hier eine Ewigkeit nicht. Oder kannst du dich erinnern?« Er wandte sich an seine Frau. Die Biberin schüttelte den Kopf. »Nein. Auch der Wind war seit langem nicht so stark. Los, Kinder, ab in die Burg.« Sie gab ihrem Jüngsten, der dabei war, seine Zähne an einem dünnen Baum auszuprobieren, einen freundlichen Klaps. »Ja, ziehn wir uns in die Burg zurück«, stimmte Brix zu. Und zum Fischer: »Leider ist unsere Unterkunft nichts für dich. Trotzdem solltest du dir schnell ein Dach überm Kopf suchen.« Pet Riva nickte. »Ich gehe am besten zu meinem Kahn zurück. In der Kajüte kann ich abwarten, bis das Gewitter vorbei ist. Bitte lass mich’s wissen, wenn du etwas über das Braune Moor erfährst.«
»Klar«, erwiderte der Biber, »ich möchte ja auch, dass dem Scheuch und seinem Freund geholfen wird. Schließlich hat er meiner Frau seinerzeit das Leben gerettet.« Brix vergaß nie, dass die Biberin vor einigen Jahren einmal beinahe an einer Plastiktüte erstickt wäre. Der Seemann Charlie Black, ein Freund des Scheuchs, hatte sie ihr in letzter Minute aus dem Schlund gezogen. Der alte Fischer drückte seinen Filzhut tiefer in die Stirn und stapfte davon. Er hatte es nun eilig, zu seinem Kahn zu kommen, denn es goss wie aus Kübeln und das Laubdach über ihm schützte kaum noch. Auch das Wasser in den Tümpeln und Bächen ringsum stieg zusehends. Pet Riva hatte keine Ahnung vom Fluch des Drachenkönigs und konnte sich nicht erklären, woher das Gewitter so unvermutet kam. Er merkte aber, dass er trotz Wetterjacke, Stiefeln und Hut völlig durchweicht sein würde, bevor er seine Schaluppe erreichte. Deshalb hielt er nach einer anderen Unterkunft Ausschau. Leider waren weit und breit weder Haus noch Hütte zu erblicken. Plötzlich entdeckte er auf einem Hügel seitlich ein spitzes Dach, das hinter einem Gebüsch emporragte. Es war nicht allzu hoch, kegelförmig und grün. Pet Riva konnte sich nicht erinnern, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Ob das eine neue Art war, Futter für die Waldtiere bereitzustellen? Er beschloss, sich das Ding anzuschauen, und kletterte den Hang hinauf. Dort oben blieben wenigstens die Füße trocken.
Von der Hügelkuppe aus hatte man einen gewissen Überblick, konnte in der Ferne sogar verschwommen die Türme der Smaragdenstadt erkennen. Dort schien auch das Zentrum des Gewitters zu liegen, denn grelle Blitze zuckten ununterbrochen auf den Palast und die anderen Gebäude herab. Der Fischer nahm sich allerdings nicht die Zeit, das Schauspiel länger zu beobachten. Er schritt hastig auf das Gebüsch mit dem spitzen Dach zu. Vielleicht bot es ihm Schutz. Pet Riva hatte einen Rundbau aus Baumstämmen erwartet, irgendeine kleine Hütte mit Kegeldach, aber als er um das Strauchwerk herumgegangen war, bemerkte er seinen Irrtum. Die Spitze, die übrigens leicht im Wind schwankte, reichte bis zur Erde herab und hatte unten einen breiten Rand. Sie war auch nicht aus Holz oder einem ähnlichen Material, sondern bestand aus dickem festen Stoff. Das ist nichts anderes als Filz, steif und stark wie eine Wand, dachte der Fischer.
Das Dach war nicht in der Erde verankert und hielt dem Ansturm des Windes nur stand, weil es im Gebüsch steckte. Dornenzweige, in den Filz gekrallt, hielten es fest. Immerhin kann ich drunterkriechen und warten, bis das Schlimmste vorüber ist, sagte sich Pet Riva. Schade, dass diese komische Zuckertüte keine Fenster hat. Es gelang dem alten Fischer, den Kegel vorn hochzuziehen und schräg nach hinten ins Gebüsch zu kippen. Mit einer Astgabel, die er zwischen den Rand der Zuckertüte und den Boden klemmte, befestigte er ihn in seiner neuen Lage. Der Platz darunter war trocken und warm. Pet zog seine Jacke aus, warf sie auf den Boden und setzte sich hin. Unterm Schutz dieses Daches würde er es eine Weile aushalten.
EINE BEGEGNUNG IM REGEN »Wenn ich wenigstens noch meinen Hut hätte«, brummte der Scheuch und zog sich die Zeltplane fester um die Ohren. »Wer es nicht gewohnt ist, ein Riese zu sein, ist bei solch einem Wetter einfach verloren. Nicht mal im Ballsaal des Palastes, im großen Versammlungsraum der Schule oder in der Turnhalle können wir uns verkriechen. Wir müssten eine Wand herausbrechen, um dort reinzukommen, und womöglich würden dann die Gebäude einstürzen.« »Wenigstens sind wir nicht aus Eisen wie der arme Holzfäller«, tröstete ihn Din Gior. »Schon richtig, aber der Blitz kann uns trotzdem treffen. Und uns auf den nassen Boden zu legen, wie es Jessica empfohlen hat, ist auch keine Lösung.« »Nein, das geht nicht«, stimmte der Minister zu. »Zumal uns das Wasser hier im Park schon bis zu den Knöcheln reicht. Ich weiß nicht, wo das noch hinführen soll.« »Am besten, wir verlassen die Stadt wieder und bauen uns eine Hütte auf der Wiese«, sagte der Scheuch.
»Bei diesem Wetter? Wo sollen wir denn einen trockenen Platz finden? Da käme schon eher eine große Höhle in Frage.« Daran hatte der Scheuch noch nicht gedacht. Er schöpfte etwas Hoffnung. »Natürlich, du hast Recht«, sagte er. »Dort können wir auch Feuer machen. Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin! Aber wo finden wir so etwas?« »In der Nähe kaum«, erwiderte Din Gior. »Jedenfalls ist mir hier nichts dergleichen bekannt. Aber jenseits des Flusses gibt es das Tropfsteingewölbe und weiter im Westen die riesigen Höhlen, in denen einst die Unterirdischen Könige regierten.« »Das Tropfsteingewölbe ist besser«, gab der Scheuch zur Antwort. »Es liegt über der Erde, sodass der Regen nicht hineinlaufen kann. Außerdem haben wir die Zugänge zum Unterirdischen Reich alle verschlossen. Dort lebt ja keiner mehr.« »Worauf warten wir dann noch, machen wir uns auf den Weg«, stimmte Din Gior zu. Sie sagten Prinzessin Betty Bescheid, die ihren Mann nicht gern ziehen ließ, aber einsah, dass es so am besten war. Sie selbst war in der Stadt unabkömmlich. Wer hätte sonst in dieser schwierigen Lage die Regierungsgeschäfte erledigen sollen. »Nehmt auf jeden Fall Pinsel und Farbe mit«, empfahl sie. »Falls deine Augen oder dein Mund vom Regen abgewaschen werden, kann dir Din Gior ein neues Gesicht malen.« Din Gior packte Pinsel und Farben in die rechte, zwei Dutzend Brote in die linke Jackentasche. In die größte Pferdedecke, die sie finden konnten, wickelte er weiteren Proviant: fünf gebratene Ferkel und zwei Fässchen Wein. Er warf sich die Decke wie einen Sack über die Schulter. Für eine Weile musste er mit diesen Lebensmitteln auskommen. Der Scheuch steckte ein Feuerzeug, das größte Messer, das er finden konnte, und ein paar feste Stricke ein, klemmte außerdem einen Packen Wolldecken unter den Arm, mit denen sie sich wenigstens teilweise zudecken oder ihr Lager polstern konnten. Dann verabschiedeten sie sich und brachen auf. Sie machten sich Sorgen um die Stadt, weil der Sturm
bereits einige Dächer abgedeckt, Bäume gefällt und Zäune niedergerissen hatte. Aber sie wussten auch, dass die Bewohner die Hände nicht in den Schoß legen würden. Wenn das Unwetter vorüber ist, kommen wir zurück und helfen beim Aufräumen, dachten sie. Sie liefen über die Wiesen zum Fluss, vermieden es jedoch, den Gelben Backsteinweg zu betreten, um ihn nicht mit ihren schweren Stiefeln zu beschädigen. Sie waren bedrückt, weil Wolken und Sturm nicht abnahmen. Allerdings wären sie noch viel unruhiger gewesen, wenn sie gewusst hätten, was sich jenseits der Smaragdenstadt abspielte. Dort wurden nämlich winzige, von den Bergen kommende Bäche zu reißenden Strömen. Sie schossen auf die hinteren Tore zu und hatten schon die Vororte erreicht. Wenn es so weiterging, drohte der Stadt eine Überschwemmung. Um zum Tropfsteingewölbe zu gelangen, mussten die beiden flussaufwärts. Auch hier stieg das Wasser an, überflutete die Ufer, bildete in den nahe gelegenen Wäldern und auf den Feldern bereits Seen. Mit einem Mal blieb der Scheuch stehen und sagte: »Wir sprechen von der Höhle und haben noch gar nicht überlegt, wie wir den Fluss überqueren wollen. Wir brauchten eins der großen Handelsschiffe, die wir vor einiger Zeit gebaut haben.«
»Keine Chance«, erwiderte Din Gior. »Du weißt selbst, dass sie zum Muschelmeer oder ins Rosa Land unterwegs sind. Uns bleibt nichts, als hinüberzuwaten.« »Aber das geht nicht. Der Pegel steigt ständig. Wir werden bis zum Bauch nass und meiner ist aus Stroh«, wandte der Scheuch ein. Diese Schwierigkeit hatte Din Gior nicht bedacht. Für ihn war es einfach, die Wellen zu durchqueren, indem er Stiefel und Hose ablegte. »Du könntest dir aus zwei Bäumen Stelzen machen«, schlug er vor. »Du kennst dich doch damit aus, hast früher selber auf einem Pfahl gesessen.« »Ein Pfahl ist etwas ganz anderes«, brummte der Scheuch, der sich nicht gern an diese Zeit erinnerte. »Man sitzt ruhig drauf und hält sich fest. Man muss nicht laufen.« Din Gior warf seinen Sack von einer Schulter auf die andere. »Außer den Stelzen fällt mir nichts ein«, sagte er. »Eine Brücke, die unser Gewicht aushält, gibt es nicht.« »Eine Furt müssen wir finden«, murmelte der Scheuch, »eine Stelle, wo der Fluss nicht so tief ist.« Er brach einen starken Ast ab und stocherte damit im Wasser herum. Aber natürlich war es nicht so leicht, eine Furt zu entdecken. Die vermochte einem nur jemand zu zeigen, der den Fluss genau kannte. Din Gior hatte offenbar den gleichen Gedanken: »Pet Riva könnte uns sagen, wo man am besten rüberkommt«, begann er. »Richtig, vielleicht hat er auch schon den Schlangenbambus gefunden.« Der Scheuch war gleich wieder zuversichtlich. Sie wollten gerade umkehren und zum Kahn des Fischers gehen, als Din Gior etwas auffiel. »Was ist denn das dort auf dem Hügel?« »Was meinst du? Ich sehe nichts.« »Na, der grüne Kegel hinter dem Gebüsch.« Der Scheuch hielt die Hand an die Stirn, um bessere Sicht zu haben, und stieß einen Freudenruf aus. »Mein Hut! Wenn mich nicht alles täuscht, ist das mein Hut!«
»Du meinst, der Sturm hat ihn bis hierher geweht?«, fragte Din Gior. Der Scheuch verzichtete auf eine Antwort. Er war schon zu dem Hügel unterwegs. Mit einigen großen Schritten hatte er ihn erreicht. Er bog das Gebüsch auseinander und löste die Dornenranken vom Filz. Die kleinen Stacheln machten seinen Händen nichts aus. Plötzlich piepste eine Stimme unter dem Hut: »He, welches Trampeltier rüttelt da an meinem Regendach?« Der Scheuch hob den Hut hoch und erblickte zu seiner Überraschung Pet Riva. Ohne seine Angel hätte er ihn beinahe nicht erkannt. »Das gibt es nicht«, sagte er. »Statt auf deinem Schiff sitzt du unter meinem Hut. Ich suche ihn überall.« Der Fischer war noch viel erstaunter als die beiden Riesen. Wie hätte er auch in dieser großen Zuckertüte die Kopfbedeckung seines weisen Herrschers wiedererkennen sollen. Er erzählte, wie er an diesen Ort gekommen war. Letztendlich war er sehr froh, dass die zwei ihn entdeckt hatten.
Der Scheuch wollte seinen Hut aufsetzen, aber der troff vor Nässe und wenn man ihn auswrang, würde er seine Form verlieren. Trotzdem freute er sich, ihn wiedergefunden zu haben. In ihrer schwierigen Lage war jedes Kleidungsstück Gold wert. »Es trifft sich gut, dass wir uns getroffen haben«, sagte er und setzte den Fischer in seine Brusttasche, wo er, genau wie vorher Jessica, vor dem Regen sicher war. »Du musst uns eine Furt durch den Fluss zeigen.« Und er erklärte ihm, weshalb. »In Ordnung, ich weiß eine günstige Stelle«, erwiderte Pet Riva. »Der Fluss schwillt zwar ständig an, aber mit euren hohen Stiefeln müsstet ihr einigermaßen trocken ans andere Ufer gelangen.« Die Furt war nicht weit von seinem Kahn entfernt und nachdem er sie den beiden gezeigt hatte, brachten sie ihn zu seinem Schiff. Unterwegs sprachen sie noch über den Schlangenbambus und das Braune Moor. Din Gior hatte schon einmal davon gehört. Er sagte: »Ja, so ein Moor soll es geben. Es soll allerdings in einem unzugänglichen Tal liegen. Wo, weiß ich nicht.« »Ich werde es schon herausbekommen«, entgegnete Pet Riva. Es war höchste Zeit, sich zu trennen. Der Fischer steuerte seine Schaluppe in einen noch ruhigen Seitenarm des Flusses, Din Gior und der Scheuch kehrten zur Furt zurück. Wie es Pet vermutet hatte, reichte ihnen das Wasser dort nur bis zu den Knien. Zwar bekamen sie nasse Füße, doch bei all der Feuchtigkeit ringsum war das nichts Besonderes.
DER ANGRIFF DER RAUPEN Die beiden Riesen hatten das andere Ufer erreicht und stiegen hügelan. »Es ist kalt geworden«, stellte Din Gior fest. »Wenn wir das Tropfsteingewölbe nicht bald erreichen, bekomme ich einen mörderischen Schnupfen.« Dieses Problem hatte der Scheuch nicht, dennoch war seine Lage kaum besser. Falls es so weiterging, würde noch sein Stroh zu faulen anfangen.
»Du hast Recht, beeilen wir uns«, sagte er. »In einer Stunde können wir es schaffen.« Sie überwanden die Anhöhe, durchquerten ein Tal und gelangten zu einem weiteren Hügel. Plötzlich rief Din Gior: »Es hört auf zu regnen!« Der Scheuch war ein paar Schritte zurückgeblieben und erwiderte: »Wie kommst du denn darauf? Im Gegenteil, es gießt weiter wie aus Kübeln.« »Nein, nein«, behauptete der Minister, »es regnet nicht mehr. Streck doch mal die Hand aus, dann wirst du es merken.« »Da brauche ich keine Hand auszustrecken…«, begann der Scheuch ungeduldig, unterbrach sich aber. Er hatte seinen Gefährten erreicht und stand tatsächlich im Trockenen. Und was genauso verwunderlich war: Auch der Sturm hatte sich überraschend gelegt. »Das Gewitter geht zu Ende«, erklärte Din Gior, »es blitzt und donnert nur noch jenseits des Flusses.« Der Scheuch trat einen Schritt zurück und wieder prasselte der Regen auf seine schützende Zeltplane. Stellte er sich allerdings neben Din Gior, veränderte sich die Lage total. Beide wurden von lauer Luft umfächelt und von der Sonne beschienen. »Was ist denn hier los«, murmelte der Strohriese, »ist das ein Traum? Kann ich etwa nicht mehr zwischen nass und trocken unterscheiden?« Nun merkte auch der Minister, dass etwas nicht stimmte. Das Gewitter war offenbar gar nicht weitergezogen, sondern verharrte an der gleichen Stelle. Schönes Wetter über der Landschaft vor ihnen, drei Schritte zurück aber die reinste Hölle aus Blitz und Hagel. »Das begreife, wer will«, sagte er. »Dort, wo wir herkommen, ist alles überschwemmt und hier hat es überhaupt nicht geregnet. Keinen Tropfen – darauf möchte ich meinen Kopf mitsamt meinem nassen Bart verwetten.« »Stimmt«, erwiderte der Scheuch, noch immer verblüfft. »Wind und Gewitter sind wie durch eine unsichtbare Wand von der Gegend hier abgeschnitten.«
»Der Himmel ist übrigens gleichfalls geteilt«, ergänzte Din Gior. »Die eine Hälfte ist voller schwarzer Wolken, die andere blankgefegt und blau.« »Jedenfalls tut es außerordentlich gut, gewärmt zu werden.« Der Scheuch blinzelte in die Sonne. »Nutzen wir den Augenblick.« Da sie der Sache nicht trauten, ließen sie das Unwetter noch ein Stück hinter sich, bevor sie richtig Halt machten. Dann aber nahmen sie aufatmend ihre Zeltplanen ab, entledigten sich schnell ihrer Jacken, Hosen und Stiefel. Sie breiteten alles im Gras aus, auch ihre Decken und Vorräte. Auf zwei Felsblöcken sitzend, genossen sie die herrliche Sonnenwärme. Die Kleidung trocknete zusehends; der Hut des Scheuchs zum Beispiel dampfte wie ein Schornstein. Auf einem Baum über ihnen saß eine Schar Krähen und in den Büschen ringsum tummelten sich Singvögel. Sie hüpften in den Zweigen herum oder trippelten über die Wiese. Es wurden ständig mehr. »Schau mal«, sagte der Scheuch, »sie kommen aus dem Regen und versammeln sich bei uns. Anscheinend spricht es sich bei ihnen herum, dass hier schönes Wetter ist.« Eine Krähe hatte die Worte gehört und erwiderte: »Was heißt ›hier‹? Überall im Zauberland ist schönes Wetter, außer in der Smaragdenstadt und ihrer Umgebung.« »Woher willst du das wissen?«, fragte der Scheuch. »Weil ein paar meiner Freundinnen von weit her kommen. Sie wollten ihre Verwandten in dieser Gegend besuchen und mussten das Gewitter umfliegen. Sie sagen, dass es nur bei den Käuern stürmt und regnet und dass sich das Unwetter über der Stadt nicht vom Fleck bewegt.« Der Scheuch schaute den Minister an, Din Gior seinen Herrscher. Beide dachten in diesem Augenblick das Gleiche: Dass diese Dinge nicht normal sein konnten und ein Zauber dahinter steckte. »Der Drachenkönig!«, murmelte der Scheuch. »Vielleicht haben wir seinen Fluch nicht ernst genug genommen.« »Hat er nicht etwas von Gingema erzählt?«, erinnerte sich Din Gior. »Wenn er auch nur einen Teil ihrer Kräfte besitzt, ist nicht bloß Telwina in Gefahr.«
»Aber wieso sollte er Gingemas Kräfte besitzen?«, fragte zweifelnd der Scheuch. Das wusste Din Gior genauso wenig. Er zuckte nur die Achseln und beide hingen eine Weile ihren Gedanken nach. Als ihre Sachen einigermaßen getrocknet waren, erhoben sie sich wieder und marschierten weiter zum Tropfsteingewölbe. Was auch geschehen mochte, sie sehnten sich nach einem Dach über dem Kopf. Endlich hatten sie die Höhle erreicht und konnten sich ein Nachtlager bereiten. Unmerklich war es Abend geworden, die Dunkelheit brach herein, aber Mond und Sterne gaben genügend Licht, um sich zurechtzufinden. Das Gewölbe führte tief in den Berg hinein, doch sie hatten weder Lust noch die Möglichkeit, die hinteren Räume zu ergründen. Die steinernen Gänge und Decken waren viel zu niedrig. Was sie in Menschengröße hätten erkunden können, war ihnen als Riesen versagt! So begnügten sie sich mit dem vorderen Raum, der nach vorn offen war und immerhin bedeutend mehr Platz bot als vorher ihr Zelt. Hunderte von Steinzapfen, weiß, gelb, rötlich, hingen von der Decke oder wuchsen am Boden empor. Sie hatten sich im Laufe von Jahrtausenden durch herabtropfendes Wasser gebildet und schimmerten im Mondlicht. Die beiden genossen den Anblick freilich nur kurz. Nach den Anstrengungen des Tages waren sie auch zu erschöpft, um erst Holz zu sammeln und ein Feuer zu machen. Sie schafften es aber noch, sich aus ihren Zeltplanen Hängematten zu bauen, die sie mit den Stricken, die der Scheuch eingesteckt hatte, an Steinvorsprüngen befestigten. So brauchten sie nicht auf dem harten Boden zu schlafen. Din Gior nahm vor der Höhle ein bescheidenes Mahl zu sich: zwei Brote, ein Spanferkel, ein halbes Fässchen Wein, denn sein knurrender Magen hätte ihn sonst nicht zur Ruhe kommen lassen. Dann legten sie sich hin. Um Mitternacht wachte der Scheuch, der auf Grund seiner Beschaffenheit ohnehin nicht richtig schlief, sondern traumlos dahindämmerte, durch das Gefühl auf, es würde sich jemand an ihm zu schaffen machen. Man zog an seinen Stiefeln, biss ihn sogar ins Bein. Mit einem Schrei richtete er sich auf, fasste nach unten. Seine Hand griff in ein stachliges
Fell, das sich ihm aber sofort entwand. Ein Knurren und Rascheln ertönte, dann wurde es wieder still. Was ist das?, dachte der Scheuch erschrocken und schwang die Beine aus der Hängematte. Ein Wildschwein, ein Bär? Er bemühte sich, mit seinen Blicken das Dunkel zu durchdringen. Zunächst erkannte er nichts, denn das Mondlicht drang nur spärlich ins Innere der Höhle. Plötzlich aber entdeckte er im Hintergrund des Gewölbes zwei glühende Augen. Sie gehörten zu einem Tier, dessen Umrisse er nur ungefähr ausmachen konnte. Es glich einer Raupe von der Größe eines Wolfes, mit vielen Beinen und dichter Behaarung. Die Augen krochen auf ihn zu und nun sah er noch weitere vier, acht, sechzehn, fünfzig rote Leuchtpunkte. In der Höhle wimmelte es von diesem Gewürm!
Der Scheuch wollte aufspringen, stieß jedoch mit dem Kopf an die Decke und setzte sich jäh wieder in die Hängematte. Sie geriet ins Schwingen und beförderte ihn unversehens auf den Steinboden. Die Raupen zogen sich raschelnd, aber ohne große Hast ein paar Schritte zurück. »Din Gior«, rief der Scheuch, »hörst du mich? Wach auf!« Er wandte dem Minister den Kopf zu und bekam einen weiteren Schreck. Die Gestalt in der Hängematte neben ihm lag völlig reglos da, schien von dem ganzen Trubel nichts mitgekriegt zu haben. Sie gab keine Antwort und
was schlimmer war, sie ließ keinerlei Atemzüge hören. Din Gior hatte das Bewusstsein verloren oder war womöglich gar tot. In diesem Augenblick spürte der Scheuch ein Kribbeln im Arm, das bei einem Menschen wahrscheinlich Schmerz gewesen wäre. Eine Raupe hatte sich ihm genähert und ihn gebissen. Er schlug wütend nach dem frechen Biest, erwischte es aber nicht. Mit einem grellen Pfeifen robbte es blitzschnell zur Seite. »Ihr Gesindel«, brüllte der Scheuch, »was habt ihr mit meinem Freund gemacht? Ihr habt ihn betäubt oder schon getötet, damit ihr ihn in Ruhe auffressen könnt. Und mit mir wolltet ihr es genauso machen. Aber daraus wird nichts, ich versalze euch die Suppe.« Er brach einige Zapfen von der Decke und warf damit nach den Raupen. In wilder Flucht wichen sie nun in die Winkel und Gänge zurück, aus denen sie offenbar hervorgekrochen waren. Nur aus der Tiefe der Höhle leuchteten noch einige Augenpaare. Wenn ich aus Fleisch und Blut wäre, hätten sie auch mich mit ihren Bissen betäubt oder bereits umgebracht, dachte der Scheuch. Es hat seinen Vorteil, hauptsächlich aus Stroh zu bestehen. Er holte sein Messer aus der Rocktasche und zersäbelte die Stricke, mit denen Din Giors Hängematte – die einstige Zeltplane – befestigt war. Vorsichtig nahm er den Freund mitsamt dem Segeltuch herunter und legte ihn auf den Boden. Als er das Ohr an seine Brust presste, merkte er zu seiner Erleichterung, dass der Minister noch atmete. Nur ruhig Blut, sagte er sich, das kriegen wir wieder hin. Der Scheuch schleppte Din Gior zum Eingang der Höhle. Die Raupen kamen erneut aus den Gängen gekrochen, hielten aber respektvoll Abstand. Sie winselten leise, was wohl ihre Enttäuschung über die entgangene Riesenbeute ausdrückte. Ihre Augen leuchteten jetzt nicht mehr glutrot, sondern blau. »An mir hättet ihr sowieso nicht viel Freude gehabt, ihr Dummköpfe«, knurrte der Scheuch, der nicht mehr ganz so zornig war. Er versuchte Din Gior aufzuwecken, doch vergeblich. Das Gift, das ihm die Raupen eingespritzt hatten, wirkte stark und anhaltend. Weder Rufe, noch Schütteln, noch leichte Klapse auf die Wangen brachten den Betäubten zu sich.
Der Scheuch holte Wasser von einer nahen Quelle, er rieb dem Minister damit die Stirn ein – nichts half. Selbst ein Schluck des von gestern übrig gebliebenen Weines brachte keine Besserung. Als der Morgen dämmerte und die Sonne, wie stets golden leuchtend, am Horizont emporstieg, regte sich Din Gior noch immer nicht. Der Scheuch aber wusste schon nicht mehr, was er tun sollte. Er strengte sein Gehirn aus Kleie so sehr an, dass die Nadelköpfe auf seinem Kopf ganz heiß wurden. Trotzdem wollte ihm keine Lösung einfallen.
DIE FLUT Indessen tobte in der Smaragdenstadt das Unwetter weiter. Während sich Betty Strubbelhaar noch um den Eisernen Holzfäller kümmerte und der Löwe seinem Freund ab und zu das Gesicht leckte, in der Hoffnung, das würde ihn zu sich bringen, saß Jessica am Turmfenster und schaute in den Sturm hinaus. Im Palast trafen die ersten Hiobsbotschaften ein, aber sie konnte kaum helfen. In ein Haus hatte der Blitz eingeschlagen und zwei Frauen schwer verletzt, auf ein anderes war ein Baum gestürzt, hatte das Dach völlig zerstört. Ziegel flogen durch die Luft und zerschlugen Fensterscheiben, herabfallende Äste versperrten die Straßen oder warfen Passanten nieder, die nicht schnell genug Schutz gesucht
hatten. Die Bewohner der Stadt waren auf ein solches Unwetter nicht eingerichtet und die Feuerwehr wusste nicht, wo sie zuerst eingreifen sollte. Das einzig Gute an dieser schlimmen Situation war die Tatsache, dass der Regen tüchtig beim Löschen der vom Blitz verursachten Brände half. Wieder flog ein Feuerpfeil herab und der Donner krachte so laut, dass man glauben konnte, der Palast würde einstürzen. Jessica blickte hinter der Scheibe hervor auf die Straße, wo das Wasser längst knöchelhoch stand, und entdeckte plötzlich auf einer Mauer einen kleinen Hund. Wie er dort hingekommen war, konnte sie nur vermuten: Wahrscheinlich war er von einer Gartentreppe weiter hinten herabgesprungen. Jedenfalls schien er aufs höchste verängstigt und ratlos. Er saß triefend im Regen, kläffte und winselte. Man sah, dass er das Wasser fürchtete und sich nicht weiter traute. Niemand kümmerte sich um den Hund und Jessica zerfloss vor Mitleid. Ich muss ihn retten, dachte sie, er kommt sonst vor Kälte und Nässe um. Sie lief die Wendeltreppe hinunter und zu einer schmalen Seitentür. Die Pforte war verschlossen, aber Jessica wusste Bescheid. Sie betätigte einen seitlich verborgenen Knopf, den ihr der Torwächter Faramant gezeigt hatte. Der Alte, der schon gegen Urfin und seine Holzsoldaten gekämpft hatte, kannte alle geheimen Türen der Stadt und des Palastes.
Die Pforte öffnete sich knarrend und Jessica stand einer Regenwand gegenüber. Es hagelte sogar. Eiskörner, wie sie hier noch nie jemand gesehen hatte, schlugen gegen die Fenster und Häuserwände. Um den Hund zu retten, musste das Mädchen um den Turm herum zu der Mauer. Sie hatte weder Schirm noch Regenumhang, denn so etwas gab es hier nicht. Deshalb zog sie die Jacke über den Kopf und stürzte los. Sie hatte Angst vor Blitz und Donner, doch ihr Mitleid war größer. Hoffentlich war der Kleine noch da. Nach ein paar Schritten war Jessica pitschnass, die Jacke schützte nur wenig und in ihre Schuhe schwappte das Wasser. Trotzdem rannte sie weiter und erreichte die Mauer. Der Hund saß noch am alten Fleck, ein triefendes Häufchen Elend. Er schaute sie mit großen, dunklen Augen hilfeheischend an und winselte herzzerreißend. Es war eine Promenadenmischung, schwarz-braun gefleckt, mit Riesenschlappohren, kurzen Beinen und zottligem Fell. »Was treibt dich denn auf diese Mauer?«, rief Jessica. »Bei dem Wetter erkältest du dich auf den Tod. Komm her, ich nehm’ dich mit ins Haus.« Dem Hund war das mehr als recht, er ließ sich von Jessica ohne weiteres in den Arm nehmen und drückte sein nasses Fell an ihre Brust. Aber das war ihr inzwischen egal. »Wie heißt du und wo kommst du her?«, fragte Jessica. Sie machte sich umgehend auf den Rückweg. »Ich bin Knacks, ich hab mich in der Stadt verirrt.« Wie alle Tiere im Zauberland, kannte auch er die Menschensprache. »Du hast dich verirrt? Wohnt dein Herr nicht hier?« »Nein, das ist es ja. Wir wohnen in einem Dorf am Wald und wollten zum Markt. Als das Gewitter anfing, war er mit einem Mal weg.« Der Kleine war kaum zu verstehen, so schluchzte er. Sie waren fast schon wieder an der Turmpforte, da geschah etwas Unvorhergesehenes. Aus einer engen Nebenstraße schoss jäh eine Flutwelle, als wäre ein Wehr geöffnet worden. Es war ein wilder Strom, aus schmalen Bächen in den Bergen jenseits der Stadt entstanden. Er war durchs hintere Tor hereingebrochen und riss alles mit, was nicht niet- und nagelfest war: Bretter, Äste, einen Stuhl, der vor einem Haus gestanden hatte,
Grasbüschel, ein Wagenrad. Er setzte Keller unter Wasser, floss in niedrig gelegene Wohnstuben und wurde immer stärker. Die Flut schoss auf das überraschte Mädchen zu, warf es zu Boden und zog es mit sich fort. Jessica hielt mit einer Hand den kleinen Hund fest, der vor Schreck auf jaulte, und versuchte sich mit der anderen irgendwo anzuklammern. Doch das gelang nicht. Sie geriet mit dem Kopf unter Wasser, prustete und spuckte, hatte Mühe, wieder aufzutauchen. Dann stieß sie mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand, wurde herumgewirbelt und ließ Knacks los. Als sie endlich wieder hochkam, begann sie zu schwimmen. Die Pforte, durch die sie auf die Straße gelangt war, lag längst hinter ihr. Einen Moment lang hielt sie sich an einem Fenstersims fest, bemüht, mit den Füßen Grund zu finden. Aber sie konnte sich nicht halten, wurde erneut fortgerissen. Der Hund war verschwunden. Hoffentlich ist er nicht ertrunken, dachte sie. Das Wasser sprudelte aus Schleusen und Rohren, es kam in reißender Woge vor allem aus den hinteren schmalen Gassen und bildete im Park des Palastes einen riesigen See. Die halbe Stadt war bereits überschwemmt und die Flut stieg weiter. Die Vögel flatterten erschrocken aus den Büschen empor auf die Bäume, auch ein paar Katzen hatten sich dorthin gerettet und auf einem hohen Stein saß sogar ein Kaninchen. Jessica hielt nach Knacks Ausschau und hörte plötzlich hinter sich seine Stimme: »Wuff, wuff! Komm hierher, hier bin ich!«
Sie klammerte sich an den Zweigen eines Busches fest, die ihr zwischen die Finger kamen, und drehte den Kopf. Der Hund war erneut auf eine Mauer gekrochen, die diesmal freilich nur knapp aus dem Wasser ragte. Es gelang ihr, gegen den Strom dorthin zu schwimmen. Sie freute sich sehr, dass Knacks noch lebte. »Ich hatte schon Angst, du wärst ertrunken«, sagte sie. »Unsereins kann ja schwimmen«, erwiderte der Hund ein wenig stolz. »Ich bin aber froh, dass dir nichts passiert ist.« »Das ist eine richtige Überschwemmung und die Flut steigt weiter. Ich muss unbedingt zum Palast zurück«, erklärte Jessica. »Gegen den Strom werden wir es nicht schaffen. Wir müssen eins der Häuser weiter vorn erreichen.« So jung Knacks auch war, er schien schon sehr verständig zu sein. »Na gut, du hast Recht«, seufzte Jessica. »Am besten, wir schwimmen dort rüber zu dem roten Backsteingebäude. Das ist am nächsten und steht etwas erhöht. Ich ruh mich nur noch eine Minute aus.« Sie kroch neben den Hund auf die Mauer. Gern hätte sie ihre nassen Sachen ausgezogen, denn sie behinderten sie beim Schwimmen, doch wohin damit? Sie konnte sie ja nicht einfach der Flut überlassen. Gerade wollten sie ins Wasser zurück, da rief Knacks: »Schau mal, dort treibt ein Boot!« Tatsächlich kam mit der Strömung ein kleiner Kahn auf sie zu. Das Mädchen war verblüfft, aber dann fiel ihr ein, dass er zu dem Teich im Schlosspark gehörte, der jetzt gleichfalls überschwemmt war. Sie hatte sogar schon in dem Boot gesessen, mit Prinzessin Betty und dem Scheuch, als der noch seine normale Größe gehabt hatte. »Ich weiß nicht, ob ich das Boot erwische«, sagte Jessica, »aber ich werd’s versuchen.« Sie stürzte sich wieder in die Flut, während der Hund aufgeregt auf der Mauer herumzappelte. Ein Blitz zerteilte den Regen, der Donner krachte und Knacks kroch in sich zusammen. »Lass mich nicht allein zurück«, jammerte er, »ich fürchte mich so vor dem Gewitter.«
Jessica fühlte sich selbst allein und verloren. Die Nässe war überall; die Kleider, vollgesogen, hingen schwer an ihr herab und das Boot trieb eilig dahin – sie würde es nie erreichen. Sie kraulte, so schnell sie konnte, kam aber nicht ganz heran. Vor Enttäuschung begann sie zu heulen und schluckte Wasser. »Der Strick«, rief Knacks, »du musst den Strick fassen!« Nun sah sie es auch. Der Kahn zog einen langen Strick hinter sich her und es war noch nicht zu spät, ihn zu ergreifen. Mit einer letzten Anstrengung warf sich Jessica nach vorn und erwischte ihn. Sie wickelte ihn gleich zweimal um die Hand. »Hurra, wir haben ihn!«, rief Knacks und vergaß für einen Moment sogar seine Furcht vor dem Gewitter. So einfach war es allerdings nicht. Jessica hatte große Mühe, das Boot aus der starken Strömung heraus auf die Seite zu ziehen und mit ihm zurück zur Mauer zu schwimmen. Sie schaffte es nur, weil sie sich zwischendurch an einigen aus dem Wasser ragenden Büschen festhalten konnte. Das Boot war knöchelhoch voller Regenwasser, aber die Ruder lagen darin und das war die Hauptsache. Der Hund sprang auf die vordere Bank, das Mädchen setzte sich auf das Brett in der Mitte, dann stießen sie von der Mauer ab. Nun konnten sie doch zum Palast rudern. Sie kamen langsam voran, aber wenigstens arbeitete Jessica sich warm. Einmal, als der Blitz in einen Baum in unmittelbarer Nähe einschlug, wären sie vor Schreck fast in die Fluten gestürzt. Knacks verkroch sich trotz der Nässe im Boot unter dem Sitz des Mädchens. Auf dem Baum aber hatte ein Kätzchen gehockt. Zum Erstaunen der beiden war ihm nichts passiert, es war bloß ins Wasser gefallen. Dort schlug es freilich in Todesangst wild um sich und miaute erbärmlich. »Wir müssen es retten«, sagte Jessica, »sonst wird es ertrinken. Mit dem Boot komme ich allerdings nicht ran. Zu viele Äste sind dazwischen.« »Willst du etwa noch mal ins Wasser springen?«, fragte Knacks ängstlich. »Lass mich ja nicht allein hier.«
»Ich dachte eher, du holst das Kätzchen raus«, sagte Jessica. »Du hast doch vorhin bewiesen, dass du ausgezeichnet schwimmen kannst. Du packst es vorsichtig beim Genick.« »Nein, nein«, rief der Hund, »ich kann Katzen auf den Tod nicht leiden.« »Schämst du dich nicht? Die Mieze wird sterben!« Knacks hatte den Schwanz eingezogen. Dennoch sprang er auf die Bank und schaute nach dem zappelnden Fellbündel. »Mach schnell«, sagte Jessica, »sonst ist es zu spät. Du bist doch nicht wirklich feige.« Knacks überwand seine Angst und stürzte sich ins Wasser. Zwischen den Zweigen hindurch, die nach ihm zu greifen schienen, paddelte er auf das Kätzchen zu und schnappte genau in dem Augenblick nach seinem Genick, als es unterzugehen drohte. Er hatte große Mühe, mit ihm zurückzukehren, geriet mitsamt seiner Last ein paar Mal unter Wasser. Doch er schaffte es. Jessica holte die beiden ins Boot. Knacks atmete schwer und aufgeregt, war aber sehr stolz. Er schlug vor, noch weitere Katzen zu retten. »Das schaffen wir nicht«, erwiderte Jessica, »wir rudern lieber in den Palast und holen Hilfe.« Es gelang ihnen noch, das Kaninchen an Bord zu nehmen, das Jessica vorhin gesehen hatte – die Wellen umspülten schon seinen Bauch. Zu viert langten sie am Palast an, dessen Tore bereits halb überflutet waren. Sie fanden durch ein Fenster im ersten Stock Einlass, Faramant ließ ihnen eine Strickleiter herunter. Die Bewohner des Schlosses waren gerade dabei, alles nach oben zu räumen.
AUFREGUNG IM PALAST In der Zwischenzeit waren die Bewohner des Palastes von einer Aufregung in die andere gefallen. Die Verwandlung Din Giors und des Scheuchs in Riesen war noch nicht verwunden, der Eiserne Holzfäller lag noch immer reglos auf seinem Bett, da brauste auf einmal die Flut
heran, drang in Keller und niedrig gelegene Wohnräume ein. Prinzessin Betty musste dafür sorgen, dass verderbliche Lebensmittel, aber auch Teppiche und wertvolle Möbel schnellstens in die oberen Stockwerke gebracht wurden, denn Sandsäcke zum Abdichten waren nicht vorhanden. Dabei gab es zunächst ein heilloses Durcheinander. Zwar taten der Torwächter Faramant und der Tapfere Löwe alles, um Betty zu unterstützen, doch die Dienerschaft hastete kopflos hin und her. Dem Löwen fiel als Erstem auf, dass Jessica fehlte. Sie war für ein Weilchen auf ihr Zimmer gegangen, wäre aber bei dem Getöse im Haus, den Rufen und dem Wassergeplätscher draußen bestimmt heruntergekommen. Er rannte nach oben, um nachzusehen. Bei Kindern ist alles möglich, sagte er sich, sogar dass sie mitten am Tag einschlafen. Doch das Zimmer war leer. Da sie auch von den Dienern nirgendwo gesehen worden war, begann er sich ernstlich Sorgen zu machen. Dieses Mädchen kam auf die abenteuerlichsten Ideen, das wusste er nur zu gut. Sie konnte durchaus hinaus in den Sturm gelaufen sein, Gründe gab es für sie immer. Zum Glück wurde der Löwe durch den Holzfäller abgelenkt, der in diesem Augenblick zu sich kam. Um ihn ins obere Stockwerk bringen zu können, hatten Betty und der Torwächter ihn kurz auf die Füße gestellt. Während sie ihn noch stützten, sagte er unvermutet:
»Erst glühende Hitze und eine Explosion in meinem Kopf, dann Kälte und Stille. Was ist mit mir geschehen?« Betty war sehr froh, den Eisenmann sprechen zu hören, und umarmte ihn stürmisch. Da er mehr als wacklig auf den Beinen stand, wäre er fast hingefallen. Aber sie hielt ihn fest. »Du redest wieder, du erinnerst dich«, rief sie. »Das ist wunderbar!« »Mit der Erinnerung hapert’s noch, doch weshalb sollte ich nicht sprechen?« »Weil du ziemlich krank warst«, gab Betty zur Antwort. »Wir glaubten schon, dass du… na ja, ich meine… es hätte länger dauern können, bis du zu dir kommst.« Betty wollte dem Holzfäller ganz vorsichtig beibringen, was ihm zugestoßen war, aber er hatte es schon erraten. »Ach ja, das Unwetter«, murmelte er, »wir waren im Regen. Dann kam dieser mächtige Blitzschlag. Hat er mich etwa niedergeworfen?« »Genauso ist es«, mischte sich der Löwe ein. »Der Blitz hat dich getroffen, weil du aus Eisen bist. Erst warst du glühend rot, dann blau. Ich hab dir das Gesicht geleckt, aber du kamst nicht zu dir. Du weißt gar nicht, wie glücklich wir sind, dass du endlich wieder bei Bewusstsein bist.« Der Holzfäller setzte sich aufs Bett und tastete sein Herz ab. »Ich fühle ebenfalls große Freude, euch zu sehen. Mein Herz scheint noch in Ordnung zu sein.« Für ihn, der sein Herz einst von Jessicas Großvater Goodwin erhalten hatte, dem früheren Herrscher der Smaragdenstadt, war das am wichtigsten. Sie brachten den Eisenmann nach oben und schilderten ihm die Lage. Der Löwe erzählte, dass Jessica nirgendwo zu finden sei. »Vielleicht ist sie bei Telwina«, vermutete der Holzfäller. Doch Telwina war gleichfalls nicht da. Trotz des schlechten Wetters war sie zu ihrem Bräutigam gelaufen, denn sie dachte, dass er draußen vor der Stadt vielleicht Hilfe brauchte. »Hoffentlich ist Jessica nichts passiert«, seufzte der Löwe. »Wie sollen wir sonst vor ihre Eltern hintreten? Sie haben uns das Mädchen anvertraut.«
Der Holzfäller hatte sich bereits gut erholt und schlug vor, einen Suchtrupp zusammenzustellen… »Faramant, der Löwe und ich könnten das machen«, sagte er. Der Torwächter schüttelte entschieden den Kopf. »Schau aus dem Fenster«, erwiderte er, »dann siehst du, wie hoch das Wasser steht. Wir brauchten ein Boot, aber woher sollen wir es nehmen?« »Du bist sowieso nicht der richtige Mann für diese Aufgabe«, gab Betty Strubbelhaar zu bedenken. »Deine Gelenke und dein ganzer Körper würden einrosten.« Der Holzfäller hätte sich dadurch nicht abhalten lassen, doch als er auf die Straße hinabblickte, begriff er, dass die Freunde Recht hatten. Er tröstete sich mit dem Gedanken, Jessica würde klug genug sein, in einem Haus Zuflucht zu suchen. Aber genau wie der Löwe und Betty, lief auch er von da an immer wieder zu einem der Fenster, um Ausschau nach dem Mädchen zu halten. Die Amsel Tütü war ebenfalls unruhig. Sie entschloss sich, in den Sturm hinauszuflattern und nach Jessica zu suchen. Leider flog sie in die falsche Richtung und verlor, von einem Hagelkorn am Kopf getroffen,
sogar vorübergehend die Orientierung. Sie rettete sich in ein leeres Vogelhäuschen, das an einem Baum angebracht war. Am Ende kehrte sie zerzaust und unverrichteter Dinge wieder in den Palast zurück. Schließlich war es die Prinzessin, die aus dem Fenster der Bibliothek schaute und Jessica heranrudern sah. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen – im Boot befanden sich außer dem Mädchen ein Hund, eine Katze und ein Kaninchen. Aber wo hatte die Kleine überhaupt den Kahn her? Betty rief sofort den Torhüter, der mit einer Strickleiter herbeieilte. Jessica band das Boot an einem Haken in der Mauer fest und die gesamte Mannschaft kletterte triefend nach oben. »Wir müssen sofort wieder starten«, verkündete der Hund Knacks, nachdem Jessica ihn vorgestellt hatte. »Es sind noch mehrere Katzen von den Parkbäumen zu retten.« »Zunächst trocknet ihr euch mal ab und wärmt euch tüchtig auf«, erwiderte Betty, »dann sehen wir weiter.« Die Prinzessin ließ nicht zu, dass Jessica sich ein zweites Mal in Gefahr brachte.
Auch Knacks musste im Palast bleiben. Wie sich schnell herausstellte, war er bereits ziemlich erkältet, hustete und bekam Fieber, sodass sich der Doktor seiner annahm. An Stelle der beiden fuhr Faramant mit einem Bediensteten los. Sie retteten nicht nur Katzen, eine Ziege und einen weiteren Hund, sondern auch zwei Männer und einen Jungen mit seiner Mutter, die sich vor der Flut auf ein Schuppendach geflüchtet hatten.
TELWINAS ENTSCHLUSS Telwina Wunderschön hatte die Stadt noch vor der Überschwemmung verlassen, doch auch vom Fluss her stieg die Flut, setzte Wiesen und Felder unter Wasser. Sie erreichte Antos Haus mit nassen Füßen, war aber glücklich, ihn gesund und bei bester Laune vorzufinden. Regen und Sturm hatten dem Gebäude, das etwas erhöht stand, bisher nichts anhaben können. Er selbst aber hatte soeben ein neues Werk fertig gestellt, eine aus Lindenholz geschnitzte kleine Statue, in der sie sich sofort wiedererkannte. »Das soll mein Hochzeitsgeschenk sein«, sagte er. Telwina bedankte sich. Sie umarmte und küsste Anto und bestimmt hätten sie sich noch lange ihrer Freude hingegeben, wären nicht an der Tür ein paar Bauern aufgetaucht. Sie säuberten ihre schmutzigen Stiefel, nahmen ihre spitzen Hüte ab, deren Glöckchen leise klingelten, und traten schweigend über die Schwelle. »Was wünscht ihr, liebe Nachbarn, weshalb seid ihr gekommen?«, fragte der Bildhauer. »Wir, nun ja«, begann der eine, der mit seinem grauen Haar wahrscheinlich der älteste war, »wir freuen uns, dass es euch trotz des schlimmen Wetters gut geht.« »So ist es, wir freuen uns wirklich«, unterstützte ihn ein Zweiter. »Danke, aber das ist gewiss nicht der Grand eures Besuchs«, erwiderte Anto erstaunt. »Wir wussten ja nicht, dass deine Braut hier ist«, sagte der dritte Bauer.
Telwina lächelte. »Kein Problem, ich kann nach nebenan gehen, wenn ihr mit meinem Bräutigam allein sprechen wollt.« »Nein, nein, es ist vielleicht sogar gut, wenn du dabei bist«, erklärte verlegen der Grauhaarige. »Die Sache geht dich ganz besonders an.« »Na, dann schießt mal los«, forderte Anto sie auf. Der Grauhaarige drehte seinen Hut in den Händen. »Ja, wie soll ich beginnen? Es ist das schlechte Wetter, das uns herführt. Wind, Regen, Blitz, Donner, und es sieht so aus, als wollte es nie mehr aufhören.« »Jedes Gewitter geht vorüber«, erwiderte Telwinas Bräutigam abwartend. »Das sagst du!«, rief der älteste Bauer. »Du hältst es ja auch gut hier aus. Dein Haus ist neu und steht auf einer kleinen Anhöhe. Aber bei uns läuft das Wasser in die Ställe und der Sturm deckt die Dächer ab. Mein Freund Bobu hat schon zwei Schafe durch Blitzschlag verloren und bei Knork hat es gebrannt. Noch schlimmer sind die Höfe am Fluss dran. Sie sind bereits halb überschwemmt. Das Vieh ertrinkt und die Menschen wissen nicht mehr, wohin.« »Du hast Recht, das ist furchtbar«, erwiderte Anto und Telwina ergänzte: »Wenn wir helfen können, zählt auf uns. Wir brauchen nur feste Schuhe anzuziehen.« Der alte Bauer sah sie prüfend an und murmelte: »Um solche Hilfe geht es nicht. Zwei, drei oder vier Hände mehr richten kaum etwas aus.« »Aber was wollt ihr dann?«, fragte Anto. »Die Leute sagen, das Unheil kommt vom Drachenkönig«, gab nun der zweite Bauer zur Antwort. »Man muss den Drachen besänftigen.« Telwina begriff sofort, was die Bauern wollten. Schon Jessica hatte ja den Verdacht geäußert, dass der Fluch dieses Ungeheuers die Ursache des Unwetters sein könnte. Anto hatte gleichfalls verstanden. Trotzdem fragte er mit rotem Kopf: »Was soll das heißen, den Drachen besänftigen?«
»Jedermann kennt die Neigung des Drachenkönigs zu deiner Braut«, entgegnete der erste Bauer wieder. »Er will sie zur Frau nehmen. Ich weiß, es ist nicht leicht für dich und vor allem für Telwina, dem nachzugeben. Aber das Schicksal des ganzen Landes hängt vom Willen dieses Ungeheuers ab.« »Der Drache behauptet ja, dass er sie liebt«, fügte der dritte Bauer hinzu. »Es besteht also keine Gefahr, dass er ihr Leid zufügt oder sie gar auffrisst.« Der Bildhauer wurde vor Zorn ganz rot im Gesicht. »Deshalb seid ihr also gekommen«, rief er, »ihr wollt Telwina diesem Unhold ausliefern! Glaubt ihr denn, dass sich der Drache damit zufrieden gibt? Schlagt euch das aus dem Kopf, er wird meine Braut nicht anrühren. Sie bleibt hier unter meinem Schutz oder im Palast, wo er ihrer nicht habhaft werden kann. Und ihr kehrt zu euren Höfen zurück. Wenn ihr meine beiden Hände braucht, könnt ihr wieder an die Tür klopfen, sonst nicht!« Die Bauern machten finstere Gesichter, drängten aber nicht weiter. Ohne ein Wort des Abschieds stiefelten sie davon. Als sie weg waren, konnte sich Anto lange Zeit nicht beruhigen. Er schimpfte auf das egoistische Volk der Käuer. Telwina dagegen wurde immer stiller. Schließlich murmelte sie: »Bitte reg dich nicht länger auf. Ich glaube, die Bauern haben Recht.«
»Was«, rief ihr Bräutigam, »du verteidigst diese Feiglinge noch? Nur weil ein bisschen Wasser in ihre Ställe läuft, wollen sie dich diesem Untier opfern! Anstatt sich zusammenzuschließen und etwas gegen den Drachen zu unternehmen.« »Du gibst also zu, dass das Unheil von dem Drachenkönig ausgeht?« »Was weiß ich«, erwiderte ihr Bräutigam. »Ich verstehe nichts von Zauberei.« »Und was sollen die Bauern unternehmen?«, fragte Telwina. Das konnte Anto auch nicht sagen. »Wir sollten mit Pet Riva sprechen«, schlug er vor. »Din Gior und unser Herrscher könnten den Drachen ebenfalls zur Vernunft bringen, solange sie noch Riesen sind. Sie haben es ja schon einmal getan.« Doch Telwina blieb skeptisch. Zumal am nächsten Tag Klapp mit Nachrichten vorbeikam, die wenig hoffnungsvoll klangen. Trotz Regen und Sturm hatte er sich aufgemacht, allen das Neueste mitzuteilen. »Ihr werdet es nicht glauben«, klapperte er, kaum dass er im Trockenen war, »aber ein Stück jenseits des Flusses herrscht bestes Sonnenwetter.« Telwina sah traurig auf die steigende Flut, die inzwischen fast die Schwelle des Hauses erreicht hatte, und fragte: »Woher willst du das wissen?« »Die Singvögel haben es erzählt. Da bin ich hingeflogen und hab mich mit eigenen Augen davon überzeugt.« »Na also«, rief Anto, »dann wird das Gewitter auch hier bald vorbei sein.« Er schaute prüfend zum Himmel, ob bereits ein blauer Streifen zu entdecken war. »Nein, das stimmt nicht«, klapperte der Storch. »Dort hat es nie ein Gewitter gegeben. Es beginnt erst am Fluss und bewegt sich nicht vom Fleck.« Telwina, die für einen Augenblick Hoffnung geschöpft hatte, ließ den Kopf hängen. »Ich habe mit Pet Riva gesprochen«, fuhr Klapp fort, »er hält das für einen gewaltigen Zauber, gegen den er kein Mittel kennt. Wenn die Sache nicht bald ein Ende hat, muss ich mit meiner Familie auswandern.«
»Wir können nicht alle das Land verlassen«, murmelte Telwina. Der Storch flog weiter in die Smaragdenstadt. Sein Verlangen, allen vom schönen Wetter jenseits des Flusses zu erzählen, war größer als seine Furcht vor Donner und Blitz. Die neuen Nachrichten beunruhigten nun sogar den Bildhauer. Dessen ungeachtet versuchte er Telwina aufzurichten. »Wir müssen das gemeinsam durchstehen«, beschwor er sie. »Denk doch daran, dass wir in ein paar Tagen heiraten wollen. Was soll ohne dich aus mir werden?« »Du bist ein begabter Künstler und viele Mädchen würden gern deine Frau werden«, erwiderte Telwina. »Ich liebe dich über alles in der Welt und wünsche mir niemanden sonst zum Mann, aber offenbar will das Schicksal es anders.« Sie zog sich in ihr Zimmer zurück und war durch nichts aufzuheitern. Ihr Bräutigam, der sich große Sorgen um sie machte, wusste nicht mehr weiter und beschloss, in die Stadt zu gehen, um Prinzessin Betty zu benachrichtigen. Sie und der Scheuch waren die Einzigen, die noch helfen konnten. Er zog die hohen Stiefel an, die er sonst beim Angeln trug. »Bestimmt kann ich mich zum Palast durchschlagen«, sagte er, »und Rat einholen. Bitte unternimm nichts bis zu meiner Rückkehr. Ich werde bald wieder hier sein.« Doch kaum war er gegangen, verließ Telwina das Haus in entgegengesetzter Richtung. Sie glaubte nicht an eine Lösung und begab sich zur höchsten Erhebung diesseits des Flusses. Trotz des Sturmes stieg sie bis zur Hügelkuppe empor und stellte sich mit dem Rücken zu einem großen Stein auf, sodass sie nach Nordwesten schaute. Von dort war der Drache bei ihrer ersten Begegnung gekommen. Telwina legte die Hände als Schalltrichter an den Mund und rief, so laut sie es vermochte, in den Wind hinein: »Drachenkönig, hörst du mich? Drachenkönig, ich muss mit dir reden!« Der Sturm übertönte sie mit seinem Geheul, trug ihre Worte sonstwohin. Eine Antwort kam nicht.
Telwina rief ein zweites und drittes Mal, dann suchte sie sich eine geschützte Stelle unter einem Felsvorsprung. Wenn er ein Zauberer ist, wird er mich trotzdem hören, dachte sie, ich muss nur lange genug ausharren.
DIN GIOR WIRD GEHEILT Als gar nichts half, Din Gior einfach nicht aus seiner Ohnmacht. erwachen wollte, legte sich der Scheuch auf die Lauer. Er tat, als würde er keinen Blick mehr auf den Eingang des Gewölbes werfen, beobachtete aber genau die Bewegungen der Raupen. Nachdem sie zunächst in die Tiefen der Höhle zurückgekrochen waren, kam die eine und andere jetzt wieder ans Licht. Sie schauten zu ihm herüber, hofften vielleicht, dass er ihnen den Minister doch noch als Beute überlassen würde. Möglicherweise wirkte ihr Gift nach und war stark genug, das Opfer später zu töten. Die Raupen glaubten in sicherer Entfernung auszuharren, doch eine war inzwischen so nahe, dass der Scheuch sie überrumpeln konnte. Mit schnellem Griff schnappte er das Tier und zog es zu sich heran. Es biss und kratzte und hätte ihn bestimmt ernstlich verletzt, wäre er nicht ein Riese gewesen. So aber kostete es ihn wenig Mühe, die Angriffe abzuwehren. Er packte die Raupe fest im Genick und schüttelte sie, bis sie Ruhe gab. »Hör zu, du Biest«, sagte er, »wenn du nicht willst, dass ich dich zerquetsche, erzähl mir, wie ich meinen Freund wieder zum Leben erwek-
ken kann. Nenn mir das Gegengift.« Die Antwort war ein Gebell, das an einen heiseren Hund erinnerte: »Kein Gegengift, chwoff, chwoff…tot.« »Ich glaube dir nicht«, erklärte der Scheuch. »Irgendein Mittel gibt es immer. Du wirst dich darauf besinnen!« »Weiß nicht, chwoff«, röchelte die Raupe. Der Scheuch schüttelte sie erneut heftig. Als sie sich etwas erholt hatte, verlangte er: »Hör auf zu lügen und sei gewiss, das ich nicht endlos warte. Bestien wie du vertragen sich auch untereinander nicht, bestimmt streitet ihr euch um die Beute und verletzt euch gegenseitig mit euren scharfen Zähnen. Wie heilt ihr eure Wunden aus? Sag es oder ich erledige dich.« »Dann frei, chwoff?«, fragte die Raupe. »Ja, danach lasse ich dich frei«, erwiderte der Scheuch. »Ihr habt uns zwar überfallen und hättet uns aufgefressen, aber das ist wohl eure Art, Beute zu machen. Da seid ihr nicht schlimmer als die anderen Raubtiere.« »Milchbeeren«, bellte die Raupe. »Milchbeeren? Wo wachsen die?« Die Raupe drehte den Kopf nach rechts und links und der Scheuch begriff, dass die Büsche ringsum gemeint waren. Weiße Beeren, groß wie Kirschen, hingen daran. Das Tier festhaltend, ging er zu einem der Büsche, pflückte ein paar Beeren und zerdrückte sie. Sie enthielten einen süßlich riechenden Saft. »Frei, chwoff!«, knurrte die Raupe.
»Einen Augenblick noch. Zuerst probieren wir das Rezept aus.« Der Scheuch nahm die Beeren und tröpfelte etwas von dem Saft in Din Giors Mund. Zunächst geschah nichts und der Scheuch packte die Raupe schon wieder fester im Genick. Aber dann murmelte der Minister plötzlich, ohne die Augen zu öffnen: »Durst.« Dem Scheuch fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Er gab Din Gior aus einem Fass Wasser zu trinken und rief: »Endlich kommst du zu dir, endlich sagst du etwas! Keine Angst, Wasser ist genug da!« Din Gior begann zu blinzeln. »Es krabbelt und juckt überall«, stellte er fest. Sein Freund ließ die Raupe los, die aus mehreren Metern Höhe auf den Boden plumpste, aber trotzdem schnell davonkroch. »Das ist das Gift der Raupen«, sagte er, »es wirkt bestimmt nicht mehr lange nach. Bleib ganz ruhig liegen und versuche dich wach zu halten.« Er raffte zwei Hände voll Milchbeeren von dem Busch und stopfte sie Din Gior in den Mund. »Hier, zerkau das!« Der Minister kaute, schluckte, hustete und richtete sich schließlich halb auf. »Wo sind wir?«, fragte er. »Vor dem Tropfsteingewölbe.« Und der Scheuch berichtete ihm, was vorgefallen war. »Nun wird es wohl wieder nichts mit einem Dach über dem Kopf«, seufzte Din Gior. »Ich dachte, wir hätten wenigstens das geschafft.« »Wir können die Durchgänge zu den hinteren Höhlen mit Steinen verstopfen«, sagte der Scheuch, »dann sind wir vor ihnen sicher.« »Vielleicht später«, wehrte der Minister ab, »im Augenblick ist mir der Ort nicht geheuer. Ich schlafe nächste Nacht lieber im Freien.« »Du hast Recht, mir geht es ähnlich«, gab sein Freund zu. Din Gior erhob sich ächzend. Mit einem Mal verspürte er mächtigen Hunger. Er hätte sich gern etwas gestärkt, doch es fanden sich nur noch
ein Fässchen Wein, ein angenagtes Ferkel und ein letztes Brot. Das andere hatten die Raupen in der Nacht weggeschleppt oder aufgefressen. Ihm blieb nichts weiter übrig, als sich mit diesen Happen zu begnügen. Ein karges Frühstück für einen Riesen. »Immerhin konnten wir unsere Sachen trocknen und erfreuen uns an der herrlichen Sonne«, sagte der Scheuch. »Wie mag es dagegen Betty und den Freunden ergehen? Ob es zu Hause die ganze Zeit geregnet hat?« »Suchen wir die Wiese mit den Krähen auf, dann erfahren wir’s«, erwiderte Din Gior. Sie erreichten den Platz in kürzester Zeit und bemerkten schon von weitem, dass noch viel mehr Vögel dazugekommen waren. Das verhieß nichts Gutes. Die Krähe, mit der sie sich bereits am Tag zuvor unterhalten hatten, flatterte ihnen entgegen und krächzte: »Ihr kommt und ich sehe zu, dass ich mich davonmache. Mittlerweile ist hier zu viel Betrieb.« »Kehrst du in die Smaragdenstadt zurück?«, fragte hoffnungsvoll der Scheuch. »Da wäre ich ja verrückt. Dort herrscht jetzt Hochwasser und man findet nichts mehr zu fressen.« »Woher weißt du, dass in der Stadt Hochwasser herrscht?«, fragte Din Gior erschrocken. »Das haben die zwei Elstern da drüben erzählt. Sie sind gerade angekommen.« Die Krähe flog davon. Din Gior und der Scheuch aber schauten sich bestürzt an. »Ich hab’s geahnt«, murmelte die Riesenstrohpuppe. »Wir müssen nach Hause. Bestimmt können wir helfen«, gab der Minister zur Antwort. Ohne weitere Worte waren sie sich einig. Als sie die Regenwand erreichten, die sich um keinen Zentimeter von der Stelle bewegt hatte, zogen sie ihren Regenschutz, die Zeltplanen, über den Kopf. Dadurch versäumten sie es, einen letzten Blick nach oben zum Himmel zu werfen,
wo soeben, mit den riesigen Flügeln schlagend, der Drachenkönig in die Wolken eintauchte.
EINE ENTFÜHRUNG Nachdem der Drachenkönig seinen Fluch ausgesprochen hatte, flog er zunächst zu einer Bergkuppe, um von dort aus das weitere Geschehen zu verfolgen. Noch zweifelte er daran, dass seine Verwünschungen Erfolg hatten. Zu seiner Freude aber zog über der Smaragdenstadt tatsächlich eine Wolkenwand auf, der Sturm begann gewaltig die Bäume zu zausen und die Blitze zuckten. »Hat die Alte also wirklich Recht gehabt«, murmelte Raubald. »Ich kannte meine eigene Stärke nicht.« Im selben Moment flüsterte die Stimme Gingemas: »Nun gut, jetzt hast du dich selbst überzeugt. Doch um das Zauberland zu beherrschen, musst du noch einiges tun.« »Was denn tun?«, fragte der Drachenkönig, keineswegs verwundert, dass sich die Hexe gerade in diesem Augenblick meldete. »Dieser Scheuch wird nicht so schnell klein beigeben. Soll ich ihn umbringen?« »Besser, er unterwirft sich und dient dir«, erwiderte Gingemas Stimme. »Wenn er deine Überlegenheit anerkennt, geben auch seine Freunde klein bei.« »Aber wie soll ich das erreichen? Er und sein Minister sind Riesen.« Die Hexe kicherte. »Könnte es sein, dass du ein bisschen feige bist? Das sollten Drachen eigentlich nicht sein. Aber warte ein Weilchen ab, du wirst deinen Mut schon wieder finden. Zumindest dann, wenn du das Mädchen in Besitz hast. Du sehnst dich doch immer noch nach ihr?« »Sie muss meine Frau werden«, gab der Drache entschlossen zur Antwort. »Dann flieg jetzt in die Höhle zurück, Telwina wird sich bestimmt bald melden.«
Gingema verstummte und kurz darauf steuerte Raubald wieder die Drachenschlucht an. In der Höhle angelangt, legte er sich zum Schlafen nieder. Er war zufrieden. Einzig die Tatsache, dass er hier nichts von den Vorgängen in der Smaragdenstadt mitbekam, störte ihn ein wenig. Am nächsten Tag setzte der Drachenkönig zu einem kleinen Rundflug an. Von einem Bauernhof griff er sich ein fettes Schwein und jagte dabei nicht nur den übrigen Tieren, sondern auch dem Besitzer und seiner Frau einen mächtigen Schreck ein. Nachdem er gefressen hatte, soff er einen Bottich Milch leer. Danach schwang er sich auf eine Bergspitze und hielt Ausschau. In der Ferne konnte er wieder die Regenfront sehen. Gut, gut, der Fluch wirkt noch, dachte er. Raubald harrte eine Weile auf der Hügelkuppe aus und setzte sich dann in Richtung Smaragdenstadt in Bewegung. Er wollte wissen, welche Folgen das Unwetter hatte und ob die Leute vielleicht schon Angst bekamen. Er befand sich gerade über dem Kupferwald mit seinen im Sonnenschein glänzenden Bäumen, als leise Wortfetzen an sein Ohr drangen. Zunächst achtete er nicht weiter darauf, hielt es für Geräusche der sirrenden Metallblätter. Doch plötzlich fügten sich die Laute zu Silben, die einen Sinn ergaben: »Drach…kö…muss…dir…red…« Raubald stutzte und begann zu horchen. Einige Zeit blieb es still und er glaubte schon an eine Täuschung, aber dann ertönte der Ruf aufs Neue: »Drachen…nig, Drach…könig, hörst…mich……muss mit…reden.«
Das ist Telwinas Stimme, dachte Raubald und spürte auf einmal heftig sein Herz schlagen. Was will sie von mir? Ob sie sich besonnen hat? Er näherte sich der Regenwand und war selber erschrocken, wie heftig über dem Fluss der Sturm heulte, wie schnell Blitz und Donner einander folgten. »Bist du es, Telwina?«, brüllte er. »Wo steckst du und was willst du von mir?« »Bin vor…Stadt…Felsenhügel«, ertönte es aus der Regenmauer. Obwohl es dem Drachen vor dem Unwetter graute, stürzte er sich in das Gewirr von Sturm und Hagel. Doch siehe da, er wurde kein bisschen nass. Gingemas Zauber umgab ihn mit einer undurchdringlichen Hülle aus Trockenheit. Raubald überquerte den Fluss, der unendlich breit geworden war, Wiesen und Felder überschwemmt, Häuser bis zum Dach unter Wasser gesetzt hatte. »Wo bist du, Telwina?«, brüllte er wieder. »Hier, bei dem Felsen. Ich kann dich bereits sehen.« Halb von Buschwerk überwuchert, ragte aus der Flut ein Hügel empor. Durch einen überhängenden Felsen nur schlecht vor dem Regen geschützt, stand Telwina frierend da und winkte mit einem Tuch. Raubald steuerte den Hügel an und ließ sich vor dem Mädchen nieder. Er streckte sich so flach wie möglich auf dem Boden aus, war aber trotzdem um ein Vielfaches größer als sie. In der Nähe schlug ein Blitz in einen Baum ein – rote Flammen züngelten auf. Der Drache zuckte zusammen und rief: »Was tust du hier draußen? Blitz und Donner können dich umbringen.« »Das hat sowieso keine Bedeutung mehr«, erwiderte Telwina leise. »Dann ist es eben vorbei.« »So darfst du nicht reden«, krächzte der Drache, »du hast keinen Grund, verzweifelt zu sein.«
Telwina seufzte. »Was verstehst du schon davon? Aber du hast Recht, ich will nicht jammern und klagen. Ich bin gekommen, weil ich mir dein Angebot überlegt habe.« »Du hast dich entschlossen, meine Frau zu werden?«, rief Raubald erfreut. »Ja, denn es muss wohl sein. Allerdings stelle ich eine Bedingung.« »Und die wäre?« »Dass du das Land von deinem Fluch befreist«, erwiderte das Mädchen. Raubald wusste gar nicht, wie er den Fluch aufheben sollte, er hatte sich darüber noch keine Gedanken gemacht. Dennoch war er glücklich. Er murmelte: »Meinetwegen. Wenn du mit in meine Höhle kommst, soll es geschehen.« »Du darfst künftig auch niemandem mehr ein Leid zufügen. Weder in der Smaragdenstadt noch im Land der Käuer.« Telwina dachte bei diesen Worten nicht zuletzt an ihren Bräutigam. »Schon gut. Setz dich jetzt auf meinen Rücken und halte dich an meinem Kamm fest.« Telwina zögerte noch. »Wann wirst du den Fluch aufheben?«, fragte sie. »Das geht nicht so einfach. Ich muss erst zu Hause in meinem Zauberbuch nachlesen«, sagte Raubald ausweichend. »Dann flieg zurück und schau nach. Ich schwöre, dass ich hier auf dich warte.« Doch der Drachenkönig, so nahe am Ziel, wollte keine Zeit mehr vergeuden. »Das dauert mir zu lange, ich nehme dich lieber gleich mit«, rief er. Blitzschnell packte er das Mädchen mit seinen Tatzen und erhob sich in die Luft. Ohne ihre Schreckensschreie und ihren lauten Protest zu beachten, flog er mit kräftigem Flügelschlag zurück zu seiner Höhle.
Dritter Teil Der Feldzug gegen den Drachen
WO IST DIE RETTUNG? Die Nachricht vom herrlichen Sonnenschein außerhalb der Unwetterzone machte in der Smaragdenstadt schnell die Runde. Nicht nur Klapp, auch die anderen Vögel erzählten es weiter. Bald wussten die Leute Bescheid und so mancher hätte gern die Gegend jenseits des Flusses aufgesucht. Aber die Fluten umschlossen inzwischen selbst die höher gelegenen Häuser, und Boote waren kaum vorhanden. Bloß wer Flügel hatte, konnte den Ort verlassen und so sah man bald Schwärme von Krähen, Tauben, Amseln, Finken, Meisen und Spatzen in alle Himmelsrichtungen davonschwirren. Die vier- und zweibeinigen Bewohner dagegen waren gezwungen, auszuharren. Einige von ihnen begannen schon ihre Möbel zu zerhacken und Flöße zu bauen. Wer weiß, wie lange das Gewitter noch anhält, sagten sie sich, versuchen wir lieber anderswo eine Unterkunft zu finden und sei’s nur für ein paar Wochen. Betty Strubbelhaar und ihre Freunde halfen, wo immer es möglich war. In den oberen Etagen des Palastes waren sie geschützt und die Prinzessin, der Torwächter Faramant oder Jessica fuhren stets von neuem mit dem kleinen Ruderboot in den Regen hinaus, um Menschen oder Tiere von den Dächern zu retten. Wenn das noch lange so ging, würde es freilich in den Räumen eng werden. Schon gab es Streit zwischen Mäusen und Katzen, Ratten und Hunden; die Nahrung für alle wurde knapp und Betty wusste nicht mehr, wo sie genügend Essen für neue Gäste hernehmen sollte.
Einmal ließ sich Jessica mit ihrem Kahn von der Strömung bis zum Stadtrand treiben und entdeckte nahe des Tores einen heftig winkenden Mann, der sich als Telwinas Bräutigam erwies. Er wollte zu Prinzessin Betty und war nur bis hierher gekommen. Er machte sich Sorgen um seine künftige Frau, die sehr schwermütig geworden sei, und hoffte auf Din Giors Hilfe. Jessica nahm ihn auf und sie ruderten zum Palast zurück. Noch wusste Anto nicht, dass Telwina im Begriff war, sich dem Drachen auszuliefern. Kurz darauf wurde das Wetter etwas besser. Der Regen hörte vorübergehend auf, die Blitze zuckten nur noch selten, der Sturm flaute ab. Das hing mit Raubalds Stimmung zusammen, der durch Telwinas Zugeständnis fröhlich geworden war. Der Fluch verlor dadurch von seiner Kraft. Die Palastbewohner schöpften neue Hoffnung: Vielleicht nahte ja das Ende des Unwetters. Man schmiedete Pläne, wie das Hochwasser abzuleiten sei. Ratten und Maulwürfe sprachen von unterirdischen Höhlen nordwestlich der Stadt, zu denen man Tunnel graben könnte. Man hätte dann für die heißen Sommer sogar eine schöne Wasserreserve. Der Eiserne Holzfäller hatte endlich wieder Gelegenheit, sich nützlich zu machen. Nach Angaben der Mäuse, Ratten und Maulwürfe fertigte er eine Skizze vom Verlauf der künftigen unterirdischen Kanäle an. Die Amsel Tütü dagegen wurde zu Brix geschickt. Mit seinen Freunden sollte der Biber am Nordtor einen Damm errichten, um den Abschnitt dort trockenzulegen. An dieser Stelle konnten die Maulwürfe dann zu graben beginnen. Im Palast herrschte eine gewisse Aufbruchstimmung, doch plötzlich platzte Klapp mit einer neuen Hiobsbotschaft herein. Gleich zu Beginn der Wetterbesserung war er vom Bildhauer losgeschickt worden, um nach Din Gior zu suchen. »Die Riesen werden jeden Augenblick hier sein, aber Telwina ist mit dem Drachenkönig weggeflogen«, klapperte er. »Mein ältester Sohn Klipp hat es gesehen.« »Telwina? Bist du ganz sicher?« Betty Strubbelhaar war entsetzt.
»Klipp ist zwar ein bisschen vorlaut, aber er hat scharfe Augen und würde mit solch einer Sache gewiss keinen Scherz treiben«, erwiderte der Storch. »Bestimmt hat der Drache sie entführt«, rief Jessica, »die arme Telwina!« Anto war auf einem Stuhl zusammengesunken. Er vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte auf. »Ich habe es geahnt, warum bin ich nicht bei ihr geblieben? Meine Liebste hat sich geopfert!« Er erzählte von der Begegnung mit den Bauern und den Vorwürfen, die sich seine Braut gemacht hatte. Mittlerweile waren der Scheuch und Din Gior am Palast angekommen. Bis über die Knie im Wasser stehend, schauten sie zu den Fenstern herein. Sie setzten auch noch ein paar Käuer ab, die wegen der Überflutung in Gefahr geraten und von ihnen gerettet worden waren. Als Din Gior von Telwinas Verschwinden hörte, wurde er sehr traurig. »Wenn sie sich für uns geopfert hat, werde ich mein Leben lang nicht mehr froh«, seufzte er. Der Tapfere Löwe, der im Zimmer auf einem großen Tisch Platz genommen und bisher geschwiegen hatte, brüllte:
»Dieses Opfer dürfen wir nicht annehmen! Wir müssen Telwina zurückholen, den Drachen zur Rechenschaft ziehen und ihn zwingen, seinen Fluch aufzuheben!« »Aber wenn er über Zauberkräfte verfügt, wird das nicht so einfach gehen«, wandte Din Gior ein. Der Löwe war dadurch nicht abzuschrecken. »Wir sind schon mit ganz anderen Zauberern fertig geworden. Ich brauche nur an unsere früheren Abenteuer mit Elli, der Fee des Tötenden Häuschens, zu denken. Am besten machen wir uns sofort in die Drachenschlucht auf.« Nun begannen alle durcheinander zu reden. Einige stimmten zu, andere hatten Einwände, aber im Grunde war keiner gegen den Plan des Löwen. Am meisten drängte Anto. Bei dem Gedanken, seine Braut müsse das Untier bedienen oder gar liebkosen, geriet er völlig außer sich. Sie beschlossen, schnell aufzubrechen. Außer Prinzessin Betty, die mithilfe Faramants die Arbeiten in der Stadt leiten musste, wollten alle mit. Der Scheuch übernahm das Kommando und zusammen mit Din Gior den Transport der Freunde. Ihre Rocktaschen boten Platz genug und so kamen der Löwe, der Holzfäller, Jessica, Anto und das Hündchen Knacks viel schneller voran, als wenn sie zu Fuß gegangen wären. Sie hatten sich kaum in Bewegung gesetzt, da flatterte Klapp aufgeregt um ihre Köpfe herum. »Ich begleite euch, ich werde euch helfen«, klapperte er. »Hilfe kann man immer brauchen, aber die Sache wird bestimmt gefährlich«, warnte ihn Din Gior. »Glaubt ihr, ich hätte vor einem Drachen Angst, bloß weil er größer ist und scharfe Zähne hat?«, prahlte der Storch. »Hast du nicht erzählt, dass du dich mit deiner Familie verstecken musstest, wenn er über eure Scheune flog?«, fragte der Scheuch spöttisch. »Stimmt, aber das war Taktik«, erwiderte Klapp. »Außerdem hast du’s ja gerade selbst erwähnt: Es ging um meine Familie!« Der Löwe, der zusammen mit seiner Freundin Jessica aus der Brusttasche des Scheuchs guckte, murrte:
»Wenn du helfen willst, hätte ich einen Auftrag für dich.« »Welchen denn?«, fragte der Storch. »Ist er wichtig?« »Mehr als wichtig! Du müsstest zu den Elefanten fliegen und Dickhaut benachrichtigen. Er soll zur Drachenschlucht kommen.« »Ein guter Gedanke«, stimmte der Scheuch zu. »Dickhaut wäre eine große Hilfe.« »Nichts einfacher als das«, behauptete Klapp. »Ich sage meiner Frau Bescheid und fliege sofort los.« Er schwang sich in die Lüfte und die Riesen stapften weiter. Sie schritten nun in Richtung Fluss und man sah das ganze Ausmaß der Überschwemmung. Der Holzfäller schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Was für einen Schaden dieser Drachenkönig doch anrichtet!«, rief er. »Mein Herz tut weh, wenn ich an all die unschuldigen Kreaturen denke, die in diesen Fluten zu Grunde gehen.«
»Viele Tiere konnten sich über den Fluss oder in höher gelegene Gegenden retten«, beruhigte ihn Din Gior. »Opfer hat es allerdings gegeben. Das Unwetter kam zu plötzlich.« Am Fluss trafen sie auf Pet Riva, der aus seinem Schiff eine Fähre gemacht hatte. Er lud Rehe, Hasen, Füchse, Wildschweine, aber auch Ziegen, Kühe oder Schafe ein, die von den Fluten umschlossen waren, und brachte sie ans andere Ufer. Als er die Freunde sah, entschuldigte er sich: »Ich hatte noch keine Zeit, mich um den Schlangenbambus im Braunen Moor zu kümmern. Ihr seht ja, was hier los ist.« »Schon klar«, gab der Scheuch zur Antwort, »ich sehne mich zwar nach meiner normalen Größe, aber wir wollen zum Drachenkönig und da ist es nicht schlecht, stark zu sein.« »Zum Drachenkönig wollt ihr? Dann badet vorher in der Grünen Lagune. Ihr Wasser schützt vor Hitze. Din Gior hat ja schon Bekanntschaft mit dem Feueratem dieses Ungeheuers gemacht.« Din Gior griff sich unwillkürlich an den versengten Ärmel, auf den er inzwischen einen Flicken gesetzt hatte. Die Brandwunde schmerzte noch immer. »Und wo finden wir diese Grüne Lagune?«, fragte er. »Auf einer Lichtung im Finsterforst«, erklärte Pet Riva. »Der Finsterforst ist groß«, murrte der Löwe. »Haltet nach den vier höchsten Tannen Ausschau, dort ist die Lagune«, erwiderte der Fischer. »Ein wertvoller Hinweis«, sagte der Scheuch. »Wir werden deinen Rat befolgen.« »Aber jetzt sollten wir weitergehen«, drängte Anto. »Wir haben schon eine Menge Zeit verloren.« Der Eiserne Holzfäller, der die Gefühle des Bildhauers verstehen konnte, unterstützte ihn und die beiden Riesen schickten sich an, den Fluss zu überqueren. Sie benutzten dazu die Furt, die sie bereits kannten.
EINE RAST MIT ÜBERRASCHUNGEN Endlich hatten sie das Regengebiet hinter sich gelassen und standen blinzelnd im Sonnenlicht. »So eilig wir es auch haben, eine kurze Rast sollten wir uns gönnen«, sagte der Scheuch. »Ich habe Wasser in den Stiefeln und meine Hosenbeine triefen vor Nässe.« Selbst der Bildhauer sah ein, dass sich die Riesen trocknen mussten, und so lagerten bald alle am Rand eines Wäldchens im Gras. Der Scheuch und Din Gior hatten eine Stelle mit ein paar größeren Felsbrokken ausgesucht, die ihnen als Sitzplatz dienten. Sie hatten die Stiefel ausgezogen und das Wasser in einen Graben gekippt. Der Löwe und Jessica tollten ein bisschen im Gras herum und Knacks schloss sich ihnen an, obwohl er der großen gelben Katze noch nicht ganz über den Weg traute. Schließlich gesellte er sich zu dem Eisernen Holzfäller und fragte: »Ist es dir in der Tasche des Riesen auch so schwindlig geworden?« »Da kannst du sicher sein«, erwiderte der Eisenmann. »Ich vertrage die Höhenluft schlecht. Aber was sein muss, muss sein. Immerhin geht es um Telwina Wunderschön.« »Hoffentlich gelingt es uns, den Drachen zu besiegen, vor allem auch meines Herrchens wegen. Ich möchte allzu gern wissen, wo er jetzt steckt.« »Vielleicht ist er inzwischen auf euren Hof zurückgekehrt«, sagte der Holzfäller. »Meinst du?« Der Hund wurde ganz aufgeregt. »Am liebsten würde ich mal in unserem Dorf nachsehen. Aber wahrscheinlich ist es gleichfalls überschwemmt. Es liegt ja jenseits des Flusses.« »Gedulde dich ein paar Tage, dann kannst du wieder hin«, tröstete ihn der Holzfäller. Sie rüsteten zum Aufbruch, als es eine Überraschung gab. Knacks, der zwischen Anto und Jessica hin- und herrannte, bemerkte die Maus zuerst. Winzig saß sie auf Din Giors riesiger, noch zum Trocknen ausgebreiteter Jacke und zerrte ihm frech einen Brotkanten aus der Tasche.
»Das hält man doch nicht für möglich«, knurrte Knacks und jagte kläffend auf sie zu. Aber die Maus beachtete das Hündchen gar nicht. Erst im letzten Moment wich sie aus, schlüpfte in den Jackenärmel. Knacks blieb verdutzt stehen, kroch ihr dann aber hinterher. Als er den Kopf wieder ins Freie steckte, hockte sie samt Brot vor Din Giors Bein. »Gib sofort das Brot her«, schrie Knacks, »sonst beiß ich dir den Schwanz ab!« Wieder sauste er los. Er sperrte schon die Schnauze auf, um den Nager zu packen, aber die Maus hüpfte zur Seite und Knacks, der nicht mehr bremsen konnte, prallte mit der Nase gegen Dins Fuß. Er sah Sterne über seinem Kopf kreisen. Der Riese, der einen leichten Schlag am Fuß gespürt hatte, guckte erstaunt nach unten. Auch die anderen wurden aufmerksam. »Hunde sind manchmal noch dümmer als Katzen«, sagte die Maus mit dünner Stimme. »Ich habe wenig mit ihnen zu tun, aber wenn es sich gar nicht umgehen lässt, muss ich sie in ihre Grenzen weisen.« Jessica begriff als Erste. »Larry Katzenschreck«, rief sie, »gibt’s denn so was! Wie kommst ausgerechnet du auf diese Wiese?«
»Komische Frage, seid ihr nicht etwa gleichfalls hier? Im Allgemeinen findet man Feldmäuse viel öfter auf Wiesen als Menschen und Riesen.« Wenn noch jemand daran gezweifelt hatte, dass es wirklich Larry, ihr guter Bekannter aus früheren Abenteuern war, dann wurde er durch die spöttische Art des Mäuserichs endgültig überzeugt. Bis auf Knacks, der ihm zum ersten Mal begegnete, begrüßte ihn jeder freundschaftlich. Selbst Anto hatte schon von seiner sprichwörtlichen Gewitztheit gehört. Jessica nahm Larry auf die Hand und der Löwe fragte: »Jetzt mal im Ernst. Wir glaubten, du seist noch bei deiner Nancy am Affenhügel.« »Ehrlich gesagt, wurde es mir mit meiner Liebsten ein bisschen langweilig«, erwiderte der Mäuserich. »Immer nur Familiengezänk und Kleinkindergepiepse.« Als sich der Scheuch zu ihm herabbeugte, erschrak Larry etwas. Man sah es am Zucken seiner Barthaare. »Man hatte mir von eurer Verwandlung erzählt«, fiepte er, »aber dass ihr so riesig geworden seid, verwirrt mich doch.« »Wer hat dir davon erzählt?«, fragte der Scheuch. »Die Mäuse, die ich unterwegs traf. Solche Neuigkeiten sprechen sich schnell herum.« »Und wo willst du jetzt hin?«, erkundigte sich der Eiserne Holzfäller. »Wenn du mich so fragst – ich habe keine besonderen Pläne. Ich hatte Lust, alte Freunde wiederzusehen.« »Wirklich, das ehrt uns«, sagte der Scheuch lächelnd. »Das will ich doch hoffen«, erwiderte Larry. »Und da ich von der Überschwemmung gehört habe, biete ich euch meine Hilfe an.« Knacks hielt diese Worte für ausgemachte Prahlerei und fing fröhlich zu kläffen an, was bei ihm lachen bedeutete. Doch da Larry ihm nur einen verächtlichen Blick zuwarf und die anderen nicht in seine Heiterkeit einstimmten, verstummte er wieder. »Wir müssen den Drachenkönig zwingen, seinen schrecklichen Fluch zurückzunehmen.« Der Löwe erklärte die Situation. »Das heißt, ihr wollt in die Drachenschlucht«, stellte Larry fest.
»Du hast es erraten. Wenn dieser Raubald Telwina auch nur ein Haar gekrümmt hat, reiße ich ihm den Kopf ab!« Der Mäuserich überlegte. »Das klingt gut, wird aber nicht ganz einfach«, erwiderte er dann. »Vor allem weil ihr – entschuldigt meine Offenheit – ziemlich planlos vorzugehen scheint. Ich mache euch einen Vorschlag. Wie wär’s, wenn ich vorher ein wenig das Gelände erkunden würde?« »Wir haben nicht so viel Zeit«, mischte sich nun Anto ein. »Es geht ja nicht nur um die Stadt, sondern auch um Telwina.« »Warum haben es die jungen Leute nur immer so eilig?« Larry schüttelte den Kopf. »Aber wenn ihr los wollt, lasst euch nicht aufhalten. Nehmt mich einfach ein Stück mit, dann erkläre ich euch, wo ihr mich am besten absetzt.«
KLAPP GERÄT IN EINE FALLE Der Storch flatterte zu seiner Familie, die fröstelnd in ihrem feucht gewordenen Nest hockte. »Ihr braucht euch keine Sorgen mehr zu machen«, klapperte er, »wir werden den grässlichen Drachen bald besiegt haben. Packt mir ein paar Frösche und fette Maden als Wegzehrung ein, ich muss zu unserer Rettung eine wichtige Mission erfüllen.« »Frösche und Maden?«, gab seine Frau zur Antwort. »Bei diesem Wetter traut man sich ja kaum, den Kopf unterm Flügel hervorzustecken.
Du treibst dich in der Weltgeschichte herum und wir sollen für Essen sorgen. Was für eine Mission wird das schon sein.« »Hab ich nicht seinerzeit zur Rettung des Muschelmeeres und vor kurzem erst zum Erhalt der Smaragdenbienen beigetragen?«, beschwerte sich der Storch. »Das hat man nun von seinen Bemühungen, dem Namen der Klapps im ganzen Zauberland Achtung zu verschaffen. Aber ich will jetzt nicht streiten. Wenn du mir nichts mitgibst, muss ich mir eben selbst was fangen.« »Wo willst du denn hin, Papa?«, fragte sein Sohn Klipp neugierig. »Das ist geheim.« Klapp gab sich zugeknöpft. »Kann ich mitkommen? Hier bei der alten Scheune ist es so langweilig.«
»Das fehlte noch«, wehrte der Storch ab. »Der Auftrag ist schon für mich gefährlich genug. Ein Grünschnabel wie du würde dabei nur stören.« »Ihr Kinder bleibt bei mir«, sagte auch sofort Klapps Frau. In diesen Dingen waren sie sich einig. »Na gut, dann fliege ich jetzt«, murrte der Storch. Die Störchin lenkte ein. Sie packte Klapp zwei Fische als Proviant ein und klapperte: »Was du auch vor hast, pass auf dich auf!« »Keine Angst, mir stößt schon nichts zu.« »Willst du zu dem großen wilden Drachen?« Klipp ließ nicht locker. »Zunächst ins Tierreich zu den Elefanten, dann wird man weiter sehen.« Nun verriet der Storch es doch. »Na, dann grüß Dickhaut von uns«, sagte seine Frau. Klapp segelte davon. Um nicht zu sehr gegen den Sturm ankämpfen zu müssen, folgte er dem Fluss und überquerte ihn erst, als er das Regengebiet hinter sich gelassen hatte. Was für ein Gefühl, wieder im sanften und warmen Wind unter wolkenlosem Himmel dahinzuschweben! Der Storch war etwas vom direkten Weg abgekommen und musste nun einen Teil des Urwalds überqueren. Auf einem Baum, der die anderen überragte, wollte er eine Rast einlegen. Er ging auf einem dicken Ast nieder, wo er in Ruhe seinen Proviant verzehren konnte. Die Fische, die ihm die Störchin mitgegeben hatte, schmeckten sehr gut und Klapp überfiel Müdigkeit. »Einen Schnabel Schlaf bloß«, murmelte er, »so viel Zeit muss sein. Der Urwald birgt Gefahren, deshalb werde ich versuchen, jeweils ein Auge offen zu halten. Zunächst das linke, später das rechte.« Tatsächlich schien das zu klappen, über die Jahre hin hatte der Storch die Fähigkeit entwickelt, sich zu erholen, indem er halb schlief und halb wachte. Aber diesmal vergaß er, das rechte Auge aufzumachen, nachdem er das linke geschlossen hatte. Traumlos ruhte er auf einem knorrigen Ast, umtost von den Geräuschen des Urwalds, die er freilich nur als allgemeines Gesumm hörte.
Plötzlich sagte eine zischelnde, doch triumphierende Stimme dicht an seinem Ohr: »So, das wäre getan, ein Stück Beute auf Vorrat kann nicht verkehrt sein.« Klapp schreckte auf und hatte das Gefühl, in einem Sack zu stecken. Er konnte die Flügel nicht bewegen und kaum den Kopf drehen. Allerdings hatte er den Schnabel im Freien und es war heller Tag um ihn herum. Auch Luft bekam er genügend. »Du steckst in einem Netz, mein Lieber«, sagte die Stimme. »Bemüh dich erst gar nicht, freizukommen. Die Fäden sind außerordentlich fest und ziehn sich bei Gezappel nur noch mehr zusammen.« Das hinderte den Storch nicht, mit den Beinen zu strampeln und die Schultern zu spannen. Er drehte sich ein wenig und erblickte eine kaninchengroße braune Spinne auf dem Ast neben sich. Verzweifelt hackte er mit dem Schnabel nach ihr. Die Spinne kicherte. »Hack nur, hack! Umso schneller lassen deine Kräfte nach. Wenn du dann müde genug bist, verpasst dir Minni eine Spritze, die dich lähmt und endgültig erledigt.« Bei dem Namen Minni horchte Klapp trotz seiner großen Angst auf. Mit diesem sonderbaren Tier hatten schon der Scheuch, der Eiserne Holzfäller und andere zu tun gehabt, das wusste er aus ihren Erzählungen. »Du bist Minni?«, fragte er, sich zur Ruhe zwingend. »Das kann nicht sein.« »Du hast von mir gehört? Na ja, inzwischen bin ich in dieser Gegend wohl ziemlich bekannt, um nicht zu sagen, berühmt. Aber warum zweifelst du daran, es mit mir zu tun zu haben?« »Weil man mir erzählt hat, Minni wüsste Freund und Feind zu unterscheiden«, erwiderte der Storch schlau. »Was plapperst du da? Ich bin stark und gerissen genug, um keine Freunde zu brauchen. Und wenn ausgerechnet ein Storch das von sich behauptet, kann ich nur lachen.« »Dann lach meinetwegen«, klapperte Klapp, »ich wusste ja, dass du es nicht sein kannst. Der Weise Scheuch aus der Smaragden Stadt, der Ei-
serne Holzfäller und Prinzessin Betty, in deren Auftrag ich unterwegs bin, haben Minni eine gute Freundin genannt, mit der man sich immer verständigen kann.« Das war zwar mehr als geschmeichelt, wirkte aber. Minni spürte so etwas wie Rührung, ein Gefühl, das bei ihr selten war. Sie kratzte sich den Kopf und murrte: »Die Leute, von denen du redest, kenne ich. Es sind…gute Bekannte. Bei Gelegenheit kannst du sie von mir grüßen.« »Wie soll ich sie grüßen, wenn du mich hier festhältst?«, fragte Klapp. »Was? Ach so, ja…« Die Spinne konnte sich nicht recht entscheiden. »Was für einen Auftrag hast du denn?«, wollte sie wissen. Der Storch erklärte es. Er malte die Gefahren, die durch den Drachenkönig künftig auch dem Urwald drohen würden, so schwarz wie möglich. Am Ende war selbst Minni beeindruckt. Was immer man Klapp vorwerfen mochte, er war ein Redekünstler erster Güte! Die Spinne überlegte. Sie verließ Klapp für einen Augenblick und schaute in einem zweiten Netz nach, das sie über einen anderen Ast gespannt hatte. Ein Riesenschmetterling, vollgesogen mit süßem Nektar, hatte sich darin gefangen – ihre Lieblingsnahrung! »Also gut, mit deinen Federn, dem harten Schnabel und den knochigen Beinen könnte ich sowieso nicht viel anfangen. Auch dein Fleisch soll ziemlich zäh sein. Dann führe meinetwegen deinen Auftrag aus und vergiss nicht, dass du mir etwas schuldig bist. Obwohl – was sollte einer wie du schon für mich tun?« Minni löste die Netzschnüre und gab den Storch frei.
Klapp schwang sich ohne jedes Abschiedswort in die Lüfte. Bis zur Ankunft bei den Elefanten würde er sich nirgends mehr niederlassen, nicht einmal auf dem harmlosesten Mast oder am Rand eines Tümpels voller Frösche.
IN DER DRACHENHÖHLE Um nicht abzustürzen, hatte Telwina Wunderschön zu zappeln und zu schreien aufgehört. Sie fügte sich in ihr Schicksal, bekam aber vor lauter Angst und Verzweiflung fast nichts von der Landschaft unten mit, von den Feldern, Seen, Wiesen und Wäldern. Immerhin waren sie urplötzlich aus der Unwetterzone in warmes Sonnenlicht eingetaucht, was das Fliegen erleichterte. Nachdem sie den Finsterforst überquert hatten, kamen sie endlich in der Drachenschlucht an. Raubald setzte Telwina vor seiner Höhle ab und sagte: »Hier sind wir zu Hause. Schau dir alles an und richte dich nach deinen Wünschen ein. Ich will uns etwas zu essen besorgen.« »Wann wirst du dein Versprechen erfüllen und den Fluch von unserer Stadt nehmen?«, fragte das Mädchen. »Erst muss ich mich stärken, dann kümmere ich mich darum.« Der Drache flog davon und Telwina blieb eine Weile wie erschlagen vor der Höhle sitzen. Schließlich raffte sie sich aber auf. Ich darf mich nicht gehen lassen, dachte sie, sondern muss Raubald zwingen, sein Versprechen einzuhalten. Vielleicht finde ich sogar das Zauberbuch, von dem er gesprochen hat. Sie ging in die Höhle, die weiträumig und finster war. Natürlich kannte der Drache weder Stuhl noch Tisch, weder Bett noch Lampe – nur eine dicke Schicht Stroh lag dort, wo er nachts schlief. Telwina band einige Zweige zu einem Besen zusammen und fegte damit einen Winkel vorn am Eingang. Sie nahm das frischeste Stroh, das sie finden konnte, und bereitete sich ein Lager. Nachdem sie aus Steinen noch eine Feuerstelle errichtet hatte, suchte sie nach dem Zauberbuch. Doch sie konnte es nirgends finden. Kurz darauf kam Raubald mit einem frisch gerissenen Hammel zurück.
»Das wird uns schmecken«, verkündete er und biss ein Stück Fleisch ab, das er gleich mit Haut und Wolle verschlang. Telwina verbarg nur mit Mühe ihren Widerwillen. »Sollen wir Fleisch und Fisch etwa ein Leben lang roh essen?«, fragte sie tadelnd. »Wenn du zum Herrscher auch nur der kleinsten Stadt werden willst, musst du dir gute Manieren angewöhnen.« Der Drache brummte: »Warum denn? Gerade als Herrscher kann man tun und lassen, was man will.« »Aber wer sich schlecht benimmt, verliert die Achtung seiner Untertanen«, erwiderte Telwina. »Achtung brauche ich nicht. Hauptsache, man fürchtet mich«, sagte Raubald. »Du möchtest doch, dass ich bei dir bleibe?«, fragte das Mädchen. »Natürlich möchte ich das. Es ist schön, in Gesellschaft einen Hammel zu verzehren.« »Wie soll ich auf Dauer bei dir bleiben, wenn ich dich zwar fürchten, aber nicht wegen deines guten Benehmens bewundern kann!«, rief Telwina. »Ich denke, du liebst mich.«
Der Drachenkönig wurde nachdenklich und murrte: »Was soll ich denn tun, um gute Manieren zu bekommen?« »Als Erstes wollen wir ein Feuer machen und das Fleisch braten«, gab Telwina zur Antwort. »Dann brauchen wir sauberes Stroh und Heu, denn in dem hier hast du dich schon zu lange Zeit herumgewälzt. Weiterhin wäre etwas Helligkeit in dieser dunklen Höhle angenehm.« Raubald gab sich Mühe. Er holte trockenes Holz, trug es zur Feuerstelle und setzte es mit seinem heißen Atem in Brand. Er besorgte frisches Heu von der Wiese und neues Stroh von den Feldern; er zündete in den hinteren Winkeln der Höhle dicke Kienspäne an. Während er unterwegs war, briet Telwina das Fleisch, suchte aber gleichzeitig weiter nach dem Zauberbuch. Schließlich kam der Drache endgültig zurück und aß voller Behagen von dem gebratenen Hammel. »Ich habe noch nie so etwas Gutes gegessen«, krächzte er. »Es ist nicht das Schlechteste, gute Manieren zu besitzen.« Telwina hatte sich gleichfalls gestärkt. Sie hatte einen bestimmten Plan und wusste, dass sie bei Kräften bleiben musste. Sie erwiderte: »Das habe ich dir ja gleich gesagt. Zu guten Manieren gehört aber noch mehr. Vor allem muss man sein Versprechen halten und darf keine Lügen erzählen.« »Wie meinst du das?«, fragte Raubald, schon weniger gut gestimmt. »Das weißt du genau. Du wolltest dein Zauberbuch holen und den Fluch rückgängig machen, der über der Smaragdenstadt liegt.« Doch der Drache wollte jetzt nichts davon hören. Er wurde ärgerlich. »Du hast mich in den letzten Stunden hin und her gejagt, damit ich deine Wünsche erfülle«, beschwerte er sich. »Nun bin ich müde und will schlafen. Hör auf, mich zu drängen, sonst werde ich wütend. Und damit du es gleich weißt: Es gibt kein Zauberbuch. Wenn du mir aber deine Liebe zeigst, indem du mich streichelst und mir ein Schlaflied singst, werde ich mir morgen früh etwas überlegen. Vielleicht kann ich in der Nacht jemanden nach dem Fluch fragen.« Telwina begriff, dass der Drache sie getäuscht hatte, und wurde sehr traurig. Sie hatte keine Ahnung, wen Raubald fragen wollte, und glaubte, ihr Opfer sei ganz umsonst gewesen. Doch was sollte sie machen? Also
überwand sie sich, streichelte den hässlichen Drachen und sang ein Kinderlied, bis er laut zu schnarchen begann. In der Erwartung, dass nachts womöglich ein zweites schreckliches Ungeheuer auftauchen würde, legte sie sich gleichfalls hin. Als nichts geschah, schlummerte sie endlich ein. Doch sie hatte Alpträume und war schon bei Sonnenaufgang wieder wach. Gingemas Stimme freilich meldete sich nicht in der Nacht, sondern erst am Morgen. Als Telwina zum Bach gelaufen war, um sich zu waschen, drängte sie: »Wach auf, Drachenkönig, du stehst erst am Anfang. Dein Werk ist noch lange nicht getan.« »Wieso nicht?«, fragte Raubald. »Ich habe Telwina in Besitz, und die Leute in der Smaragdenstadt wissen inzwischen, wozu ich im Stande bin.« »Du glaubst, sie wissen es? Haben sie sich dir bereits unterworfen? Sind sie gekommen, um vor dir niederzuknien und demütig ihre Schätze auszubreiten? Haben sie dir Gold und Edelsteine gebracht, dir ewigen Gehorsam geschworen? Ich merke nichts davon!« »Das liegt nur daran, dass sie zu sehr mit dem Unwetter beschäftigt sind«, brummte der Drache. »Man müsste den Fluch aufheben und dann mit ihnen sprechen. Man müsste gewissermaßen gute Manieren zeigen.« Die Hexe gab ein spöttisches Gelächter von sich. »Du Narr«, zischte sie, »hat dich dein Liebchen schon eingewickelt? Gute Manieren? So etwas Dummes habe ich in tausend Jahren meiner Existenz noch nicht gehört. Hexen und Drachen haben keine guten Manieren, merk dir das, sie sind böse, unflätig und Furcht erregend, damit alle vor ihnen zittern. Da aber Regen und Sturm offenbar noch nicht genug sind, den Scheuch und seine Freunde niederzuwerfen, wollen wir ein paar Dinge ändern. Statt Gewitter und Überschwemmung sollen künftig Dürre und Feuersbrunst über die Smaragdenstadt kommen!« »Wie denn das?«, fragte Raubald fast unwillig, denn er war im Moment ganz zufrieden und keineswegs in Kriegslaune. Die Stimme krächzte:
»Du wirst den Fluch abändern. Hör mir gut zu und präge es dir ein, denn ich wiederhole es nicht. Du fliegst zum höchsten Berg der Gegend, wendest den Kopf zur Smaragdenstadt und rufst: ›Glut über euch, Feuer und Asche! Dürre euren Feldern, wenn ihr euch nicht unterwerft! Sengende Hitze, Brand und Flammen! Tod über euch in Gingemas Namen!‹« Selbst Raubald grauste bei diesem wilden Spruch und er wandte ein: »Aber was wird Telwina denken, wenn ich nach deinem Wunsch verfahre? Sie hat mich gebeten, den Fluch aufzuheben.« »Telwina?«, kreischte die Stimme. »Was ist die Bitte eines noch so schönen Mädchens gegen die Aussicht, das Zauberland zu beherrschen? Glaubst du denn wirklich, dass sie dich liebt? Sie hintergeht dich, du Dummkopf. In Wahrheit denkt sie doch nur an ihren Bräutigam. Sie macht gute Miene zum bösen Spiel, um dich umzustimmen. Sie will dich hinhalten, damit du weich und zahm wirst!« »Das glaube ich nicht«, murmelte Raubald. »Dann will ich dir etwas verraten.« Man merkte, dass Gingema Mühe hatte, weiterzusprechen, ihre Kraft war offenbar wieder einmal erschöpft. »Telwinas Freunde – der Löwe, der Eisenmann und die beiden Riesen – sind nicht mehr in der Smaragdenstadt, das spüre ich. Sie sind aufgebrochen, um uns zu vernichten. Deshalb besinne dich auf deine Aufgabe und unternimm etwas…es ist… höchste… Zeit.«
Die Stimme erstarb, der Drache aber war bei ihren letzten Worten endgültig aus seiner Schläfrigkeit erwacht. Er fühlte Wut in sich aufstei-
gen und stieß beißenden Rauch aus seinen Nüstern, der im Nu die Höhle füllte. »Telwina!«, brüllte er. Telwina jedoch hatte vor der Höhle gestanden und die letzten Sätze Gingemas mitgehört. Sie wusste nicht, wer gesprochen hatte, vernahm aber Raubalds Geschrei und sah den schwefligen Rauch. Vor Angst kroch sie in eine Felsspalte neben der Höhle. Der Drache schoss aus seinem Bau, entdeckte sie jedoch nicht, sondern flog zum Bach, wo er sie noch vermutete. Vor seinem Gebrüll und seinem glutheißen Atem flohen die Tiere ins dichteste Unterholz.
DIE BEIDEN EULEN In den letzten Tagen hatte sich die Lage in der Smaragdenstadt gebessert. Maulwürfe und Ratten hatten nach den Skizzen des Eisernen Holzfällers die geplanten Abflusskanäle gebaut, und da es nicht mehr so stark regnete, ging das Hochwasser allmählich zurück. Freilich wurde das Ausmaß der Schäden erst nach und nach sichtbar. Häuser und Scheunen waren unterspült, die Straßen voller Schlamm und Unrat, große Teile der Ernte vernichtet. Von den Tierkadavern ging ein übler Geruch aus und weil das Trinkwasser knapp wurde, drohten allerlei Krankheiten auszubrechen. Die Aufräumarbeiten wurden vom Palast aus geleitet und abgestimmt. Prinzessin Betty hatte alle Hände voll zu tun. Da wurden Lebensmittel für Bedürftige gebraucht, außerdem Schaufeln für die Räumtrupps und Baumaterial für die Biber, damit sie nicht Bäume oder Äste aus den Wäldern herbeischleppen mussten. Mithilfe Tütüs und anderer in der Stadt verbliebener Vögel konnten Nachrichten ausgetauscht, die richtigen Leute zum richtigen Ort geschickt werden. Schon war ein großes Säubern, Hämmern und Sägen im Gange. Der Torwächter Faramant, die übrigen Palastbewohner und auch Betty selbst legten Hand an, wo immer es Not tat. Gleichzeitig machte sich die Prinzessin Gedanken um ihren Mann und die Freunde. Hoffentlich schaffen sie es, Telwina zurückzuholen und
den Drachen in seine Schranken zu weisen, überlegte sie. Noch ein solches Hochwasser stehen wir nicht durch. Einmal, als Betty in der Nähe der Biber zu tun hatte, die gerade einen Damm reparierten, nahm sie Brix zur Seite. »Zurzeit gibt es eine Menge Arbeit für uns«, sagte sie, »aber ich muss auch an unseren Herrscher und Din Gior denken. Sie können und wollen nicht ewig Riesen bleiben. Pet Riva hat uns von diesem Braunen Moor mit dem Schlangenbambus erzählt. Hast du etwas darüber erfahren?« »Leider nicht«, erwiderte Brix. »Ich habe Biber und Füchse gefragt, doch keiner weiß, wo das Moor liegt.« »Pet hat am Fluss jetzt bestimmt anderes zu tun, als danach zu suchen«, sagte Betty. »Aber ich werde Tütü bitten, sich umzuhören.«
Wieder im Palast, bat sie die Amsel um Hilfe. »Man könnte die Raben fragen«, schlug Tütü vor, »oder noch besser die Eulen. Manche sind sehr alt und kennen die geheimsten Plätze. Als Nachtvögel wissen sie wahrscheinlich auch, wo dieser Bambus wächst. Er soll ja besonders bei Vollmond sprießen.« »Eulen lieben eher die Dunkelheit als das Mondlicht«, gab Betty zu bedenken. »Trotzdem. Sie sind nachts unterwegs und kennen sich aus!«
Tütü bekam den Auftrag, die alte Eule Schahu aufzusuchen, die in den Bergen, am Oberlauf des Flusses, wohnte. So weit sich die Biberfrau erinnern konnte, sollte dort irgendwo das Braune Moor sein. Es war nicht leicht, Schahu aufzustöbern. Nachdem die Amsel den Wald erreicht hatte, in dem die Eule wohnte, irrte sie zunächst eine Weile zwischen Birken, Buchen und Fichten umher, bevor ihr ein Buntspecht den Weg zu einer dicken Eiche wies. »In der Baumhöhle oben wirst du sie finden«, erklärte er. »Stör sie aber nicht im Schlaf, dann ist sie mürrisch und unzugänglich. Warte bis zur Dämmerung.« Tütü liebte die Dämmerung weniger, doch was sollte sie tun. Lange brauchte sie bis zum Sonnenuntergang ohnehin nicht mehr auszuharren. Schließlich flog sie zu der Baumhöhle und rief: »Hallo, spreche ich mit der weisen Eule Schahu?« Eine Stimme, dumpf hallend, als käme sie aus dem Erdinneren, erwiderte: »Wer ruft da nach mir? Etwa wieder einer von den frechen Käuzen?« »Ich bin kein Kauz, sondern Tütü, die Amsel. Ich komme aus der Smaragdenstadt und möchte einen Rat von dir.« In der Höhle war ein Scharren und Kratzen zu hören. Gleich darauf blickten zwei gelbe kreisrunde Augen auf Tütü herab. »Eine Amsel? Aus der Smaragdenstadt? Wer hat dich zu mir geschickt?« Tütü erklärte es kurz und berichtete, weshalb sie gekommen war. »Das Braune Moor?«, sagte die Eule nachdenklich. »Nein, noch nie davon gehört. Aber wenn du meine Mutter Schuschu fragst, erfährst du es vielleicht. Sie wohnt einen Wald weiter.« »Wie soll ich deine Mutter finden?«, fragte die Amsel enttäuscht. »In der Dunkelheit sehe ich kaum den Flügel vor Augen.« »Halte dich nur an mich, ich bringe dich hin«, gab Schahu zur Antwort. Sie flogen einen Wald weiter und Tütü hatte alle Mühe, der lautlos dahinsegelnden Eule zu folgen. Vor einer Eiche, die noch mächtiger war als die Erste, machten sie Halt.
»Bist du hier, Mutter?«, fragte die Eule. »Ich bringe dir einen Gast.« »Ist das etwa meine Tochter Schahu?«, tönte es dumpf aus dem Innern des Baumes. »Wie lange warst du nicht zu Besuch bei mir? Drei Jahre?« »Nein, erst zwei«, erwiderte Schahu. »Du bist schon alt, da verfliegen die Jahre schneller.« Ein Scharren und Kratzen war in der Baumhöhle zu hören, dann tauchten auch hier zwei gelbe kreisrunde Augen über ihnen auf. »Dass die Kinder immer alles besser wissen wollen«, seufzte Schuschu. »Drei Jahre sind es, wenn nicht mehr. Aber was will diese Amsel von mir?« Tütü erklärte es erneut. Sie schilderte anschaulich die Schwierigkeiten der beiden Riesen. »Sie finden keine passende Kleidung und kein Dach über dem Kopf«, sagte sie, »ihre Stimmen sind so laut, dass jedermann vor ihnen erschrickt und davonläuft. Sobald der Drachenkönig Raubald besiegt ist, wollen sie unbedingt ihre normale Gestalt zurück.« »Das mag ja alles sein«, gab Schuschu zur Antwort, »aber das Braune Moor gibt es nicht mehr. Es ist vor vielen Jahren durch einen Bergrutsch verschüttet worden.«
»Deshalb weiß also keiner mehr, wo es ist!«, rief Tütü bestürzt. »Dann war mein Ausflug hierher ganz umsonst.« »Nein, wieso denn?«, krächzte Schuschu. »Schlangenbambus ist zäh, er wächst dort trotzdem noch. Mitten zwischen den Steinen. Man muss ihn bloß finden.« Tütü wollte sofort zu der Stelle, wo einst das Moor gewesen war, doch die alte Eule hielt sie zurück. »Meine Tochter und ich werden jetzt erst einmal ein paar Mäuse jagen«, sagte sie. »Und überhaupt findet man den Bambus am wenigsten, wenn man ihn sucht. Ich kenne einen Uhu, der im ehemaligen Moor sein Revier hat. Der kann uns bei Gelegenheit ein paar Stängel besorgen.« »Aber wann?«, rief die Amsel. »Wie lange sollen wir denn warten?« »Eine Woche, einen Monat, ein Jahr. Flieg in deine Stadt zurück, du wirst von uns hören.« Die Amsel hatte keine Wahl. Sie suchte sich ein schützendes Gebüsch, schlief ein paar Stunden und kehrte dann zu Prinzessin Betty zurück. Doch in dem Unwettergebiet hatte sich inzwischen einiges geändert, und zwar nicht zum Guten.
DIE GRÜNE LAGUNE Inzwischen waren der Scheuch und seine Freunde am Finsterforst angelangt, den sie noch von ihrer Begegnung mit den Großohr-Brüdern her kannten. Die waren damals mit einem Teil des geraubten Bienenschatzes hierher geflohen.
Der Löwe rief: »Nicht weit von hier sind die Räuber von den Schattenraben überfallen worden, erinnert ihr euch?« »Klar«, sagte Jessica, »wir konnten die Raben verjagen und die Brüder gefangen nehmen.« »Es ist uns gelungen, den Schatz zurückzubringen und so das Volk der Smaragdenbienen zu retten«, ergänzte der Scheuch. Anto freilich unterbrach dieses Gespräch fast unhöflich: »Entschuldigt, wenn ich mich einmische, aber wir sollten jetzt die Grüne Lagune suchen, von der Pet Riva sprach. Damit wir endlich Telwina befreien können.« »Er hat Recht«, stimmte ihm der Eiserne Holzfäller zu. »Mein Herz sagt mir, dass sie uns braucht.« Doch guter Rat war zunächst teuer, denn der Finsterforst dehnte sich ziemlich weit hin. Man hätte die Tiere fragen können, aber sie fürchteten sich sowohl vor den Riesen als auch vor dem Löwen und versteckten sich im Dickicht. Selbst Larry Katzenschreck, der sonst stets eine pfiffige Idee parat hatte, piepste nur: »Die Mäuse hier wissen es bestimmt. Allerdings gelten sie als misstrauisch und ich müsste sie erst überzeugen. Das würde mich jetzt zu lange aufhalten. Ich schau mich lieber ein bisschen in der Drachenschlucht um.« Er sprang ins Gras und war im Nu verschwunden. Knacks bellte ihm aufgeregt hinterher. Schließlich kam Din Gior auf den Gedanken, den nächsten Hügel zu besteigen. Das war schnell getan. Er legte die Hand als Sichtschutz an die Augen und suchte von seiner doppelten Höhe herab den Wald ab. »Da drüben, gar nicht weit weg, scheinen Pet Rivas vier hohe Tannen zu sein!«, rief er. »Vielleicht ist dort das Gewässer.« Er gab die Richtung an und alle machten sich auf den Weg. Diesmal war es leichter für die »Kleinen«, voranzukommen, denn der Scheuch und Din Gior hatten Mühe, sich zwischen den Bäumen hindurchzuzwängen. Sie mussten manche Fichte zur Seite biegen, manche Buche sogar ausreißen. Endlich erreichten sie jedoch die Tannen und ein herr-
lich grüner Waldsee lag vor ihren Augen. Knacks wollte sich auch gleich ins Nass stürzen, aber der Löwe hielt ihn zurück: »Stopp«, brüllte er, »wir müssen das Wasser erst prüfen! Pet Riva meint zwar, es würde gegen Feuer schützen, doch er hat bei seiner Zauberei schon öfter was verwechselt. Den Beweis haben wir vor Augen, wenn wir unsere Riesen betrachten, und ich selber war auch schon mal betroffen.« Damit meinte er das Abenteuer im großen Muschelmeer vor ein paar Jahren, als er versehentlich auf die Größe eines Kätzchens geschrumpft worden war. »Und wie wollen wir das machen?«, fragte Anto. »Wir könnten einen dürren Ast ins Wasser tauchen und wieder trocknen lassen«, schlug Jessica vor. »Wenn er nicht anbrennt, ist die Sache okay.« Sie tauchten einen dürren Ast ins Wasser und ließen ihn dann in der Sonne trocknen. Während ein Zweiter beim Anzünden sofort aufloderte, glimmte das in die Lagune getauchte Holz noch nicht einmal. »Die Probe ist bestanden, es scheint zu funktionieren!« Jessica war begeistert. Nun sprangen alle in den See, ausgenommen der Holzfäller. Da er aus Eisen war, fürchtete er die Hitze nicht. Knacks und Jessica tollten am längsten in dem herrlich grünen Wasser herum, wogegen Anto gleich nach dem Bad zum Aufbruch drängte. Aber irgendetwas, das sie an dem Holz nicht hatten ausprobieren können, war mit ihnen geschehen. Kaum wieder unterwegs, fühlten sie sich ungeheuer erschöpft und fielen einer nach dem anderen betäubt auf den Boden. Es war kein Schlaf, sondern eine Mattheit, die ihnen die Sinne raubte. Lediglich der Eiserne Holzfäller wurde nicht von dieser sonderbaren Krankheit befallen. Er rannte bestürzt von einem zum anderen, um sie wachzurütteln, doch vergeblich. Zum Glück waren sie nicht tot, das stellte er an ihrem Herzschlag fest. Dennoch blieb ihm letztendlich nichts übrig, als abzuwarten und sie zu bewachen.
Es dauerte zwei volle Tage, bis der Scheuch sich regte, und fast drei, bis seine Freunde zu sich kamen. Jessica und Knacks, die am längsten im See geplantscht hatten, waren auch am längsten bewusstlos. »Da hat Pet Riva also doch wieder was verwechselt«, brummte der Löwe, als er sich erholt hatte, »ich wusste es.« »Verwechselt nicht«, erwiderte der Holzfäller, »höchstens vergessen. Es kann aber auch sein, dass er gar keine Ahnung von dieser zweiten Eigenschaft der Lagune hat.« »Ja ja, nimm du nur alle in Schutz«, murrte der Löwe. »Eine böse Überraschung«, murmelte der Scheuch. »Man braucht nicht einmal von dem Wasser zu trinken, um ohnmächtig zu werden. Hoffentlich ist uns wenigstens der Schutz vor dem Feuer erhalten geblieben.« »Richtig, wir müssen unbedingt noch mal die Probe aufs Exempel machen!«, rief Anto erschrocken. Sie zündeten erneut einen trockenen Ast an und alle, Telwinas Bräutigam als Erster, prüften vorsichtig, ob sie sich an den Flammen verbrannten. Doch das war nicht der Fall. »Nun wollen wir aber keine Zeit mehr verlieren und endlich Telwina helfen«, sagte diesmal Din Gior. Der Scheuch dagegen hatte eine Idee. Er nahm den Holzfäller beiseite und tuschelte mit ihm. Dann forderte er die anderen auf, schon mal ohne ihn und den Eisenmann aufzubrechen. »Noch bevor ihr die Drachenschlucht erreicht habt, sind wir wieder bei euch«, erklärte er. Din Gior, der Löwe mit Jessica auf dem Rücken, der Bildhauer und Knacks zogen los: Sie wussten, dass die beiden Freunde sie nicht im Stich lassen würden. Der Scheuch aber führte den Eisenmann zu einer hohlen Platane und bat ihn, den Baum zu fällen. Sie hackten ein langes Stück vom Stamm ab, dann setzte der Holzfäller mit großem Geschick einen Boden ein. Nachdem er auch noch einen Deckel gezimmert und alle Ritzen mit Harz verschmiert hatte, war ein riesiges Fass fertig. Nun wurde klar, was der Scheuch im Sinn hatte. »Füllen wir es mit Lagunenwasser«, sagte er, »ich denke, wir könnten es brauchen.«
Er nahm einfach seine großen Hände zum Schöpfen und nach einiger Zeit war das Fass gefüllt. Der Scheuch lud es sich auf die Schulter, setzte den Holzfäller, der erschöpft von der Arbeit war, in seine Brusttasche und stapfte den anderen hinterher. Noch vor der Drachenschlucht hatten sie die fünf, wie versprochen, eingeholt.
RAUBALDS ZORN Der Drache suchte die ganze Schlucht nach Telwina ab, fand sie aber nicht. Bei seinem Gebrüll war sie noch tiefer in ihre Felsspalte gekrochen und wagte es nicht, herauszukommen. Schließlich gab er es auf. Soll sie sich ruhig eine Weile verstecken, dachte er, weit kann sie nicht kommen, ich fange sie schon wieder ein. Erst muss ich mich um die anderen Dinge kümmern. Wie es ihm Gingema geraten hatte, schwang er sich auf die höchste Erhebung der Gegend und blickte in Richtung Smaragdenstadt. Viel konnte er nicht erkennen – die Entfernung war zu groß –, aber ihm schien, der Himmel sei heller geworden, die Blitze würden nicht mehr unaufhörlich zucken. Er hielt Ausschau nach den Riesen, entdeckte sie jedoch nicht. Sie lagen zu dieser Zeit, vom Lagunenwasser betäubt, unter den Bäumen des Finsterforstes. »Ganz egal, jetzt werdet ihr mich kennen lernen!«, brüllte der Drachenkönig. »Ihr sollt zu meinen Füßen kriechen!« Er blies die Backen auf, stieß beißenden Rauch aus den Nüstern und begann den neuen Spruch herunterzuhaspeln:
»Glut über euch, Feuer und Asche! Dürre euren Feldern, wenn ihr euch nicht unterwerft! Sengende Hitze, Brand und Flammen! Tod über euch, in Gingemas Namen!« Er hatte sich alles gut gemerkt und wiederholte den Fluch sogar ein zweites Mal, um ihm mehr Kraft zu verleihen. Wie bei dem früheren Spruch, geschah auch diesmal anfangs nicht viel. Ich muss näher an die Stadt heran, dachte Raubald, damit ich mich von der Wirkung überzeugen kann. Er stieg in die Lüfte und flog über den Finsterforst. Da er die Augen starr nach vorn und nicht nach unten richtete, übersah er die betäubten Riesen erneut. Der Drache überquerte den sirrenden Kupferwald, mehrere Wiesen und Felder. Am Fluss, dessen Fluten bereits ein gutes Stück zurückgegangen waren, schlug ihm drückende Hitze entgegen und er stellte fest, dass eine stechende Sonne gerade die letzten Wolken über der Smaragdenstadt zum Verdampfen brachte. »Wo steckst du, Scheuch?«, brüllte der Drache. »Wo bist du, Din Gior? Wo seid ihr anderen lächerlichen Wichte, die mir Widerstand leisten wollen? Kommt aus euren Schlupflöchern, damit ich euch zerquetschen kann!« Doch die Freunde hörten ihn nicht und die verängstigten Bewohner der Smaragdenstadt hüteten sich, seine Aufforderung zu befolgen. Sie verkrochen sich in ihren Häusern, zumal es auf einmal unerträglich heiß wurde. Sie fragten sich, was, um Himmels willen, nun wieder diese jähe Hitze zu bedeuten hatte. Auch Prinzessin Betty hielt es für besser, sich dem Drachen nicht zu zeigen. Anfangs wollte sie ihm furchtlos entgegentreten, ihn bitten, Telwina frei und sie alle hier in Ruhe zu lassen, doch sie wusste, es würde wenig Zweck haben. Außerdem wollte sie ihm nicht verraten, dass ihr Mann mit den anderen in die Drachenschlucht unterwegs war. Vielleicht konnten sie dem Ungeheuer dort eine Falle stellen. Das Leid war allerdings noch nicht bis zum Letzten ausgekostet. Weil die Leute sich vor ihm versteckten, wurde Raubald immer wütender. Feuer speiend, fuhr er auf die Stadt herab, setzte Dächer und Zäune in Brand. Glücklicherweise waren die Schindeln und Balken noch feucht,
entzündeten sich nicht so leicht. Hier und da züngelten die Flammen aber doch auf und vernichteten, was die Flut übrig gelassen hatte. »Wo sind die beiden Riesen?«, schrie der Drache wieder. »Wo ist dieser Wicht, der sich für Telwinas Bräutigam hält und sie mir streitig machen will? Warum versteckt ihr euch, ihr Feiglinge? Kommt heraus und unterwerft euch, dann will ich Gnade vor Recht ergehen lassen!« Betty, die es nicht länger mit ansehen konnte, wie Raubald die Stadt verwüstete, beschloss, zu einer List zu greifen. Gemeinsam mit dem tapferen Faramant trat sie vor den Palast und winkte mit einem großen Leinentuch. Der Drachenkönig sah es und landete vor den beiden auf dem Schlossplatz.
»Wer seid ihr und was habt ihr mir zu sagen?«, brüllte er. »Wenn ich will, lösche ich euch allein mit meinem Atem aus.« Betty ließ sich nicht einschüchtern. »Wir bitten dich, uns nichts zu tun«, erwiderte sie bewusst demütig. »Der Scheuch hat uns beauftragt, mit dir zu verhandeln. Er ist unterwegs, er konnte ja nicht wissen, dass du heute in die Smaragdenstadt kommst. Er lässt dir aber ausrichten, dass wir bereit sind, uns zu unterwerfen. Wenn du es wünschst, werden wir dich täglich mit frischem Fleisch versorgen, mit Kühen und Schweinen. Du musst nur versprechen, uns in Ruhe unserer Arbeit nachgehen zu lassen.« »Eure Arbeit interessiert mich nicht«, schrie der Drache. »Was soll das heißen, der Scheuch ist unterwegs? Will er etwa zu mir in die Schlucht, um sich mit mir anzulegen?« »Aber nein, was denkst du nur.« Betty Strubbelhaar schüttelte den Kopf. »Dazu wäre er nach all der Nässe und den Blitzen viel zu schwach. Er ist zu den Bauern gegangen, um Lebensmittel zu besorgen. Komm in drei Tagen wieder, dann wirst du den köstlichsten Rinderbraten und die fettesten Hammel vorfinden, die du jemals gegessen hast.« »Köstlichen Braten kann mir Telwina bereiten«, gab Raubald zur Antwort. »Ich habe keine drei Tage Zeit und will den Scheuch schon morgen sprechen. Kühe und Hammel könnt ihr mir dann täglich in die Schlucht bringen. Als König brauche ich aber auch Gold und Edelsteine. Macht bereits heute die erste Lieferung fertig! Ab jetzt gehorcht ihr meinen Befehlen!« »Aber die Hitze? Wirst du sie wieder von uns nehmen?«, fragte nun Faramant. »Das entscheide ich morgen. Ich will erst sehen, ob ihr meinen Anordnungen wirklich Folge leistet.« Der Drache flog davon. Insgeheim glaubte er nicht, dass ihm der Sieg so leicht gemacht würde. Es mag stimmen, dass der Scheuch durch die Strapazen der letzten Zeit geschwächt ist, dachte er. Andererseits sagte Gingema, die Riesen seien auf dem Weg in die Schlucht. Ich muss vorsichtig sein.
Betty hatte nicht viel erreicht, aber auch keine Zeit, sich lange mit Grübeln aufzuhalten. Wieder wurden alle Kräfte benötigt, und zwar diesmal, um mit Hitze und Feuer fertig zu werden. Die Feuerwehr konnte nicht überall sein; Schläuche und Eimer, Hacken und Schaufeln wurden zusätzlich gebraucht, um wenigstens die schlimmsten Brände zu löschen. An Wasser und Sand fehlte es nicht, aber die Leute waren erschöpft und entmutigt. »Wenn jetzt doch Din Gior und der Scheuch hier wären«, seufzte die Prinzessin, »sie würden das Fünfzigfache von dem schaffen, was wir zu Stande bringen.« »Mit dem, was sie vorhaben, nützen sie uns mehr«, sagte der Torwächter. »Ich bin überzeugt, dass sie alle Gefahren bestehen und das Untier besiegen werden.«
AUF DICKHAUT IST VERLASS Klapp kam nach seinem Abenteuer mit der Spinne Minni fix und fertig im Tierreich an. Er traf zunächst auf den Hasen Mümmel, den Zweiten Minister des Tapferen Löwen, nahm ihn aber nicht für voll, denn er kannte ihn noch nicht. Erschöpft ließ er sich neben ihm ins Gras fallen und stöhnte:
»Hör zu, mein Kleiner, du siehst einen tapferen Kämpfer vor dir. Bring ihm einen Frosch und einen Schluck Wasser, deine Regierung wird es dir danken.« »Meine Regierung? Ich gehöre ihr selbst an«, erwiderte Mümmel. »Spiel dich nicht so auf, Kleiner«, klapperte der Storch von oben herab. »Mich hat der Tapfere Löwe hierher geschickt und ich weiß, dass hier nur Respekt einflößende Tiere wie er oder der Elefant Dickhaut etwas zu sagen haben.« »So, weißt du das?« Mümmel lächelte. »Und wer soll nach deiner Meinung uns, die kleinen Tiere, vertreten – die Hasen, Igel, Hühner, Mäuse?« »Die werden gleichfalls von den Großen und Mächtigen vertreten«, gab Klapp zur Antwort, »das ist überall so.«
»Nicht bei uns, wir wollen selber mitreden«, sagte Mümmel. »Aber genug davon. Wenn dich der Tapfere Löwe geschickt hat, musst du natürlich deine Stärkung bekommen. Zwar kann ich dir keinen Frosch servieren, doch Honigmilch und Kohlrouladen tun es sicherlich auch.« Er holte das Versprochene aus seinem Bau und der Storch speiste mit großem Appetit. Inzwischen schickte Mümmel einen Boten zu Dickhaut, der mit seiner Herde ein Stück entfernt graste. Klapps Nachricht war anscheinend wichtig und da war es schon gut, den Elefanten dabei zu haben. Kaum war Dickhaut eingetroffen, begann der Storch, der seine Neuigkeiten nur mit Mühe zurückhalten konnte, zu erzählen, was sich in der Smaragden Stadt zugetragen hatte. Da er es mit seinen eigenen Erlebnissen durcheinander brachte, konnten ihm seine Zuhörer nicht immer folgen und fielen von einem Erstaunen ins andere. »Was denn, es stürmt und hagelt über dem Urwald?«, fragte der Elefant. »Was denn, der Scheuch ist durch die Spinne Minni zum Riesen geworden?«, rief Mümmel verblüfft. Der Storch stellte die Dinge recht und schlecht klar. Als er von Telwinas Opfer berichtete und die Bitte der Freunde überbrachte, ihnen beim Kampf gegen den Drachenkönig zu helfen, stieß der Elefant einen lauten Trompetenruf aus. »Und ob wir ihnen helfen werden!«, rief er. »Wir haben diesem Ungeheuer ja schon einmal eine Abreibung verpasst. Meine beiden Söhne und ich sind auf jeden Fall dabei. Wir brechen sofort in die Drachenschlucht auf!« Klapp, dem die Kohlrouladen hervorragend geschmeckt hatten, beschloss, sich noch eine Weile von Mümmels Frau verwöhnen zu lassen und erst danach heimzukehren. Er entschuldigte sich, weil er den Hasen zunächst nicht ernst genommen hatte. »Wenn das mit dem Drachenkönig erledigt ist, werde ich mit dem Scheuch reden«, sagte er. »Im Grunde hätte ich auch einen Posten in unserer Regierung verdient.«
Indessen rüsteten die Elefanten zum Aufbruch. Sie brauchten nicht durch den Finsterforst zu gehen, sondern näherten sich ihrem Ziel von der anderen Seite der Schlucht her. Nachdem sie zunächst den Urwald durchquert hatten, kamen sie ins Land des Nebelungeheuers. Sich mit dem Rüssel am Schwanz ihres Vordermannes festhaltend, stapften sie hier sehr vorsichtig voran. Kurz vor der Schlucht entdeckten sie hoch oben den Drachen, der auf die Smaragdenstadt zuflog. Er beachtete sie aber nicht, was ihnen auch lieber war. »Besser ist’s, wir besprechen uns erst mit dem Scheuch und dem Löwen«, sagte Dickhaut zu seinen Söhnen, »gewiss treffen sie gleichfalls bald ein. Gehen wir ihnen ein Stück entgegen.« Die drei liefen um die Schlucht herum und gerieten in das Gebiet der Schattenraben. Diese Raben waren sehr zänkisch, sie konnten es nicht leiden, wenn man ohne Genehmigung ihren Wald betrat. Mit den Elefanten wollten sie sich allerdings nicht anlegen. Ihr Anführer flatterte vorsichtig heran und fragte beunruhigt: »Ich grüße euch, ihr mächtigen Tiere. Seid ihr auf der Durchreise oder habt ihr die Absicht, länger bei uns zu bleiben?«
»Wir wollen euren Wald nur durchqueren«, erwiderte Dickhaut höflich, »ihr braucht keine Angst zu haben, dass wir euch etwas wegnehmen.« »Das wäre auch schlimm«, krächzte der Rabe, »es gibt schon genug Kreaturen, die uns unsere angestammten Rechte streitig machen.« »So? Und wer sind diese Kreaturen?«, erkundigte sich der Elefant. »Vor allem ein gefährlicher Drache«, flüsterte der Rabe. »Er wohnt nebenan in der Schlucht und führt sich auf, als sei er der Herr des ganzen Landes.« »Dieses Drachens wegen sind wir hier!«, rief Krummzahn, Dickhauts ältester Sohn. »Wir haben ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.« »Nicht so laut«, bat der Schattenrabe erschrocken. »Wenn der Drachenkönig zu Hause ist, hört er euch womöglich.« Dann fügte er aber zweifelnd hinzu: »Ihr drei wollt wirklich mit ihm kämpfen? Stark scheint ihr ja zu sein, aber er hat Krallen und Zähne wie Dolche. Außerdem kann er fliegen und Feuer speien. Wahrscheinlich ist er sogar ein Zauberer.« »Wo kann man ihn am besten zum Kampf stellen?«, fragte Dickhaut. »Ihr kennt ihn doch.« Aber der Rabe bekam es nun endgültig mit der Angst zu tun. »Ich weiß gar nichts, das müsst ihr schon selber herausfinden«, krächzte er. »Wir halten uns da raus.« Nach diesen Worten kehrte er zu seinen Gefährten zurück und die ganze Schar erhob sich kreischend in die Lüfte. »Was für Feiglinge«, trompetete Krummzahn empört, »es geht doch auch um ihre Interessen.« »Lass nur, auf diese Raben ist ohnehin kein Verlass«, erwiderte sein Vater. »Als wir damals wegen der Smaragdenbienen unterwegs waren, haben sie sich nicht besser verhalten als die Großohr-Brüder.« Und er erzählte, wie einer der Vögel die Räuber in einen Sumpf gelockt hatte, um selbst an den Schatz zu kommen. Dann machten sie sich wieder auf den Weg und verließen den Rabenwald. Sie überquerten gerade eine Wiese, als Dickhaut erstaunt den Rüssel hob. Mit wehendem weißen Bart kam ein Riese auf ihn zu, den er nie
und nimmer für Din Gior gehalten hätte, wäre ihm nicht Klapps ausführlicher Bericht in Erinnerung gewesen.
TELWINAS SORGEN Telwina Wunderschön wagte sich erst aus ihrem Felsspalt heraus, als das Gebrüll des Drachenkönigs verstummt war und draußen bereits einige Zeit wieder Ruhe herrschte. Vorsichtig schaute sie sich um, denn sie erinnerte sich an die Stimme in Raubalds Höhle und fürchtete noch immer, einem zweiten Ungeheuer zu begegnen. Da sie niemanden sah und hörte, wurde sie etwas mutiger. Sie ging zum Bach, um sich die vom Herumkriechen schmutzigen Hände zu waschen. Dann setzte sie sich auf einen Stein und überlegte. Was sollte sie jetzt tun? Aus der Schlucht fliehen, zurück in die Smaragdenstadt? Sie würde nicht weit kommen – der Drachenkönig, sobald er heimkehrte, würde sie verfolgen und wieder einfangen, er war ja viel schneller als sie. Sich aber irgendwo zu verstecken, vielleicht sogar in der Schlucht selbst, schien ihr nicht besser. Sie brauchte zu essen und zu trinken, würde über kurz oder lang entdeckt werden. Außerdem fürchtete sie sich vor wilden Tieren, sie hatte ja nicht einmal ein Messer, um sich zur Wehr zu setzen. So sehr es Telwina davor graute – am besten war es wohl noch, in die Höhle zurückzukehren und den Drachen zu besänftigen. Vielleicht kamen der Scheuch und ihr Onkel tatsächlich in die Schlucht, um mit dem Ungeheuer zu sprechen. Dann könnte sie zwischen den Parteien vermitteln. Bei dem Gedanken freilich, dass auch ihr Bräutigam hierher käme, verlor sie gleich wieder den Mut. Wie sollte sie das dem Drachenkönig erklären? Sie grübelte und konnte sich nicht entscheiden. Bis sie plötzlich von einem piepsenden Stimmchen aufgeschreckt wurde. »Hallo, Mädchen. Ich täusche mich doch nicht, wenn ich annehme, dass du die berühmte Telwina Wunderschön bist?« Eine Maus saß zu ihren Füßen und strich sich zufrieden über die Barthaare.
»Berühmt oder nicht«, erwiderte Telwina, »auf jeden Fall bin ich verzweifelt. Doch woher kennst du mich?« »Darf ich mich vorstellen? Larry Katzenschreck! Vielleicht sagt dir mein Name etwas.« »N-nein«, stotterte Telwina, »leider nicht. Es ist aber ein lustiger Name. Hast du ihn dir selbst gegeben?« Der Mäuserich schien enttäuscht. »Du hast noch nie von mir gehört? Na ja, am bekanntesten bin ich natürlich in meinem Heimatland, bei den Zwinkerern. Dort fürchten mich die Katzen besonders und daher rührt auch mein Name. Er wurde mir für meine Taten verliehen. Vor allem einer weißen Katze, einer gewissen Mia, muss ich ab und zu eine Lektion erteilen. Jetzt haben wir uns freilich eine Weile nicht gesehen.« »Die Katze Mia war einmal in der Smaragden Stadt zu Besuch«, sagte Telwina. »Als Bote des Eisernen Holzfällers.« »Dann weißt du ja wenigstens etwas.« Larry kletterte auf einen Baumstumpf, um höher zu sitzen. »Vom Holzfäller und seinen Freunden komme ich übrigens. Sie müssen bald in der Schlucht eintreffen.« »Der Eiserne Holzfäller ist in der Nähe?«, fragte Telwina überrascht. »Dann stimmt es also. Der Weise Scheuch und Din Gior sind sicherlich bei ihm?«
»So ist es. Außerdem Jessica, der Tapfere Löwe, ein kleiner dummer Hund mit Namen Knacks und nicht zu vergessen ein Bildhauer, den du gut kennen dürftest, dein Bräutigam.« Wäre Larry nicht so klein gewesen, Telwina hätte ihn vor Freude auf das Schnäuzchen geküsst. »Wo sind sie?«, rief sie. »Kannst du mich nicht zu ihnen bringen?« »Das ist ein bisschen schwierig, denn als ich sie verließ, waren sie noch mitten im Finsterforst. Sie wollen dich befreien. Aber wie ich sehe, bist du schon frei.« »Ich bin es leider nicht!«, sagte Telwina betrübt. »Der Drache kann jeden Augenblick zurückkommen und mich wieder gefangen nehmen. Er ist wütend, weil er gehört hat, dass der Scheuch unterwegs ist. Anscheinend ist er auch nicht allein. Ich habe eine zweite Stimme gehört.« Sie erzählte, was sie wusste, und Larry zwirbelte nachdenklich seinen Bart. »Du hast das zweite Ungeheuer nicht zu sehen bekommen?«, vergewisserte er sich. »Nein, aber der Drache hat sich mit ihm beraten.« »War die Stimme laut oder leise?«, fragte der Mäuserich. »Eher leise und schwach«, erwiderte Telwina. »Zum Schluss habe ich fast nichts mehr verstanden.« »Das klingt mehr nach Zauberei als nach einem Ungeheuer«, sagte Larry. »Es erinnert mich an den Schatten der Hexe Bastinda, die wir allerdings vor einiger Zeit endgültig besiegt haben. Hast du irgendwo einen Schatten bemerkt?« »Nein, aber er kann ja in die Höhle gekommen sein, als ich am Bach war«, erklärte das Mädchen. »Das wäre möglich. Ich werde mich mal in der Höhle umsehen«, piepste Larry. »Auf eine Maus achtet man nicht.« »Und was soll nun ich machen?«, fragte Telwina. Doch sie wurde einer Antwort enthoben. Ein Riesenschatten senkte sich von den Felsen herab und im nächsten Moment landete der Drachenkönig vor seiner Höhle.
»Versuch dich gut mit ihm zu stellen«, flüsterte Larry, »ich bleibe in deiner Nähe.« Er verschwand blitzschnell in einem Mauseloch. Telwina lief auf den Drachen zu und rief: »Da bist du ja endlich wieder! Du bist aufgebrochen, ohne mir Lebewohl zu sagen. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht!« Raubalds Zorn auf sie war noch nicht verraucht. »Du lügst!«, brüllte er. »Bevor ich wegflog, habe ich laut nach dir gerufen, aber du hast dich versteckt. Du wolltest fliehen.« »Wenn ich fliehen wollte, wäre ich jetzt nicht mehr hier«, erwiderte Telwina tapfer. »Gewiss habe ich dich heute früh bloß nicht gehört, weil ich in einer tiefen Höhle nach süßen Champignons suchte. Ich will sie dir zum Fleisch braten. Es ist ein besonders schmackhaftes Gericht.« »Und wo hast du diese süßen Champignons?«, fragte der Drache keineswegs besänftigt. »Geh voraus in deine Höhle, ich bringe sie dir sofort.« Tatsächlich hatte Telwina vorhin eine große Kolonie von Pilzen gesehen. Während Raubald, vom langen Flug müde, in seine Höhle flatterte, raffte das Mädchen einen Arm voll Champignons in ihren Rock und folgte ihm. In der Höhle entfachte sie das Feuer, legte große Brocken Hammelfleisch in die Glut und streute die Pilze darüber. »Gleich ist das Mittagessen fertig!«, rief sie. »Willst du gar nicht wissen, wo ich war?«, brummte der Drache. »Du hast jemanden besucht, der weiß, wie man den bösen Fluch von der Smaragdenstadt nimmt.« Raubald lachte. »Unsinn, da brauche ich niemanden zu besuchen. In mir ist die Stimme der Hexe Gingema, die mich erschaffen hat. Sie spricht ganz nach eigenem Willen mit mir.« »Und was hat dir diese Stimme mitgeteilt?«, fragte Telwina, so ruhig sie es vermochte. »Das verrate ich dir nicht«, krächzte der Drachenkönig. »Ich liebe dich zwar, aber ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann.« Telwina schwieg. Sie brachte es nicht fertig, ihm das Gegenteil vorzulügen.
»Jedenfalls war ich in der Smaragdenstadt«, fügte der Drache hinzu, »und habe ihnen meine Bedingungen gestellt. Schon morgen werde ich wissen, ob sie mir gehorchen oder ob ich sie noch härter strafen muss.« In Wirklichkeit war Raubald jedoch unruhig. Er fragte sich, wo der Scheuch und Din Gior steckten. Er war zurück über den Finsterforst geflogen, hatte sie aber nicht entdeckt, obwohl sie ja riesengroß waren. Er wartete auf Gingemas Rat, doch er befürchtete, dass sie sich nicht melden würde, solange Telwina anwesend war. Deshalb sagte er nach dem Essen zu ihr: »Die Pilze haben ausgezeichnet geschmeckt. Am besten, du gehst gleich noch einmal los und sammelst neue. Ich mache inzwischen ein Schläfchen.« Telwina ahnte, dass der Drache sie nicht der Pilze wegen wegschickte, lief aber trotzdem los. Sie war froh, die Höhle verlassen zu können, und hoffte, draußen erneut Larry zu treffen. Doch die Maus antwortete nicht auf ihre leisen Rufe. Diesmal meldete sich Gingema sehr schnell. Telwina war kaum weg, da krächzte sie wie gewohnt: »Du labst dich an gebratenem Fleisch und Pilzen, aber dein Werk ist nicht getan.« »Was willst du denn noch?«, erwiderte der Drache mürrisch. »Ich habe alles gemacht, was du gewünscht hast. Den neuen Fluch ausgesprochen und die Bewohner der Smaragdenstadt in Angst und Schrecken versetzt.« »Deine Feinde geben sich dennoch nicht geschlagen. Ich spüre, dass sie ganz in der Nähe sind.« »Was wollen sie?«, brüllte Raubald. »Sie sollen aus ihren Löchern kommen, damit ich sie in den Boden stampfen kann!« »Schrei nicht so«, tadelte ihn die Hexe, »das nützt nichts. Halte lieber Augen und Ohren offen, denn es droht Gefahr.« »Ich kann keine sehen«, brummte der Drache. »Sie lauert im Verborgenen, du Dummkopf. Ich rate dir, auf dem Felsen über deiner Höhle Posten zu beziehen, dann hast du die beiden Eingänge der Schlucht im Auge. Vorher aber sperre das Mädchen ein!« »Telwina? Warum denn?«
»Weil du sie als Trumpf behalten musst. Für alle Fälle.« Der Drache flog durch die Schlucht und fand das Mädchen vor einer Höhle, in der jede Menge Champignons wuchsen. »Komm jetzt mit«, befahl er, »ich muss dich einsperren.« »Weshalb einsperren? Wie soll ich dich jemals lieben, wenn du mich so behandelst?« »Es ist ja nur, solange Gefahr droht«, brummte Raubald. Telwina musste sich fügen. Der Drache führte sie in eine zweite, kleinere Höhle und wälzte einen mächtigen Steinbrocken vor den Eingang. Er ließ nur einen Spalt für Licht und Luft frei. Danach bezog er oben auf dem Felsen Posten, genau wie die Hexe es ihm geraten hatte.
DER KAMPF MIT DEM DRACHEN Der Scheuch und seine Freunde hatten den Drachen über den Finsterforst zurückkehren sehen, sich aber verstecken können. Blitzschnell hatten sich die Riesen zwischen Tannen und Buchen auf den Boden geworfen, die anderen brauchten sich lediglich im Gebüsch zu verkriechen. Sie harrten auch noch im Wald aus, als Raubald längst weg war. Zwar war der Tapfere Löwe zunächst nicht einverstanden – er hätte den Feind am liebsten sofort angegriffen –, doch nur Anto schlug sich auf seine Seite. Jessica dagegen sagte: »Wir müssen auf Larry warten. Er wird versuchen, mit Telwina zu sprechen.« Und der Holzfäller fügte hinzu: »Ruhig Blut, mein Freund, wie sollen wir sonst herausfinden, was den Fluch unwirksam macht?« Din Gior wäre beinahe von dem Drachen entdeckt worden. Er lag inmitten der Bäume, die wie Gräser und Farne über ihn hinausragten, als sich Knacks in seinem Bart verfing. Der Minister musste heftig niesen. Gerade als Raubald über ihn hinwegflog, schoss eine Wolke kleiner Wassertropfen in die Höhe. Zum Glück dachte der Drache, die Fontäne stamme aus einem Elefantenrüssel, denn diese Tiere weideten ganz in
der Nähe. Sie interessierten ihn im Augenblick nicht, mit ihnen wollte er später abrechnen. Als die Gefahr vorüber war, eilten die Freunde umso schneller voran. Obwohl der Scheuch mit seinem Wasserfass hinter Din Gior zurückblieb, sah er Dickhaut und seine Söhne als Erster. Nun waren sie eine ganze Streitmacht. Sie beschlossen, eine letzte Pause einzulegen und auf Larry zu warten. Doch der Mäuserich kam nicht und sowohl Anto als auch der Löwe ließen sich nicht mehr zurückhalten. »Teilen wir uns«, sagte er, »greifen wir in zwei Fronten an. Die Elefanten und ich vom rechten Eingang der Schlucht aus, Din Gior und der Scheuch vom linken.« Die anderen stimmten zu. Die Riesen nahmen Anto mit. Jessica, der Holzfäller und Knacks aber sollten als Reserve den Kampf von der Höhe herab verfolgen. Der Scheuch setzte sie auf einer Hügelkuppe ab, von der aus sie zum Rand der Schlucht gelangen konnten. Dann hatten alle ihre Positionen eingenommen und Dickhaut stieß zum Zeichen der Attacke einen schallenden Trompetenruf aus. Der Drache, der in der Nachmittagshitze eingedöst war, schreckte hoch, begriff aber nicht gleich, was geschah. Drei Elefanten tauchten am Eingang zur Schlucht auf. Jetzt kommen auch die noch hierher, dachte er. Plötzlich krächzte Gingemas Stimme ungewohnt laut: »Da sind sie! Sie greifen dich an! Vernichte sie!« »Die Elefanten?«, fragte Raubald erstaunt. »Ja doch. Sie und die Riesen auf der anderen Seite!« Nun entdeckte der Drachenkönig auch Din Gior und den Scheuch. Vor Wut brüllte er so laut wie zehn Stiere und riss den Rachen auf. In einer Feuerwoge schossen den Angreifern gewaltige Flammen entgegen. Gingema hatte dem Feuer die doppelte Stärke gegeben. Die Flammen setzten Bäume, Büsche und Gras in Brand, ließen den Boden dampfen. Die Elefanten mussten trotz ihrer dicken Haut für einen Moment zurückweichen. Der Löwe aber, und auf der anderen Seite
die beiden Riesen, stürmten weiter. Sie waren durch das Lagunenwasser geschützt. Der Drache blähte die Nüstern und stieß beißenden Rauch aus: durch Gingemas Zauberkraft dreimal so viel wie sonst. Dichte Schwaden füllten die Schlucht, nahmen den Angreifern die Sicht, drangen in Nasen und Augen. Din Gior und der Scheuch begannen zu husten; sie kamen nicht mehr weiter. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, sich in eine enge Seitenschlucht zurückzuziehen. »Setzt mich jetzt ab«, sagte der Bildhauer, als sie wieder Luft bekamen. »Ich bin klein und der Drache wird nicht auf mich achten. Vielleicht kann ich in die Höhle gelangen und dort etwas für Telwina tun.« »Gut, aber sei vorsichtig«, erwiderte der Scheuch. »Wir versuchen den Drachen abzulenken.« Etwas Ähnliches geschah auf der anderen Seite. Die Elefanten mussten sich ins Unterholz ducken, aber der Löwe kroch, jede Deckung ausnutzend, trotz des beißenden Rauches weiter. Inzwischen waren der Holzfäller, Jessica und Knacks am Rand der Schlucht angelangt. Sie befanden sich im Rücken des Drachen, sodass er sie nicht bemerkte. Ein schmaler Pfad führte nach unten. »Wir müssen näher heran«, flüsterte Jessica. »Wenn wir das Plateau dort unten erreichen, befinden wir uns genau über dem Drachen.« »Auf dem Pfad haben wir aber keinerlei Deckung«, japste Knacks. »Es wird schon klappen. Der Drache ist abgelenkt, er schaut nicht nach oben.« Jessica war bereits unterwegs. Knacks und der Holzfäller folgten ihr. Der Eisenmann hatte zwar Bedenken, aber er konnte das Mädchen auf keinen Fall allein lassen. Der Rauch hatte sich kaum verzogen, da griffen Dickhaut und seine Söhne durch den Flammenvorhang hindurch erneut an. Sie hatten sich gegenseitig mit dem eiskalten Wasser des Bachs bespritzt, der von den Höhen herabstürzte. Auch Din Gior und der Scheuch stürmten aus ihrem Versteck. Da sie die Aufmerksamkeit des Drachen auf sich zogen, konnte sich Anto, an der Felswand entlangschleichend, unbemerkt der Höhle nähern.
Der Drache nahm all seine Kraft zusammen und entfachte diesmal einen gewaltigen Sturm. Gingema stärkte seine Lungen, sodass es viermal so heftig wehte wie sonst. Trotz seiner Größe wurde der Scheuch hochgehoben und zwischen die Felsen geschleudert. Sein Hut segelte durch die Luft davon und das Fass mit dem Lagunenwasser, das er krampfhaft fest hielt, drückte ihm fast die Brust ein. Für Augenblicke wurde er sogar ohnmächtig. Din Gior dagegen kämpfte sich langsam voran. Er hielt sich an Felsvorsprüngen und sogar an brennenden Bäumen fest. Erst als ihn ein großer Stein, vom Wind aufgewirbelt, am Kinn traf, ging er wie ein Boxer zu Boden. Die Elefanten trotzten dem Sturm: Steine und Sand prallten an ihrer Lederhaut ab. Ihr Trompeten hallte Furcht erregend durch die Schlucht. Doch die Gluthitze machte ihnen zu schaffen und als Krummzahn einmal ermattet stehen blieb, hielten auch Dickhaut und sein jüngster Sohn ein. »Sie sind angeschlagen«, krächzte Gingemas Stimme, »flieg hin und gib ihnen den Todesstoß!« Sie hatte allerdings Mühe, diesen Satz zu Ende zu sprechen. Ihre über Jahrhunderte gehütete Kraft erschöpfte sich. Raubald wollte aufsteigen und sich auf die Angreifer stürzen, da traf ihn unvermutet ein heftiger Schlag. Jessica und der Holzfäller waren auf dem Plateau über ihm angelangt und hatten mithilfe eines starken Astes einen Felsbrocken ins Rollen gebracht. Der Stein, obwohl nicht sehr groß, bekam Fahrt und verletzte den Drachen am Flügel. Rasend vor Schmerz, erhob sich das Ungeheuer. Es erspähte die Drei und schoss mit aufgesperrtem Rachen auf sie zu. Doch sie waren auf die Attacke vorbereitet und verschwanden in einer Felsspalte. Raubald blies seinen giftigen Atem in das Loch, ließ dann aber von ihnen ab. Die anderen Gegner waren wichtiger. Er stürzte sich auf die Elefanten. Feuer und Qualm speiend, griff er den am Boden knienden Krummzahn an, der ihm jedoch einen Rüssel voll Sand in die Augen schleuderte. Geblendet, begann der Drache zu taumeln und Dickhaut bohrte ihm einen seiner Stoßzähne in die Seite. Doch auch er wurde von scharfen Zähnen am Bein gepackt und zu Boden geworfen. Die beiden Ungetüme wälzten sich auf der Erde, indes
Dickhauts Söhne nicht einzugreifen wagten. Die Gefahr, ihren Vater zu verletzen, war zu groß. Inzwischen hatten sich der Scheuch und Din Gior wieder aufgerappelt. Mit großen Sätzen stürmten sie heran und der Drachenkönig, durch ein Stöhnen Gingemas gewarnt, ließ von Dickhaut ab. Er erhob sich mühsam in die Luft, während der Elefant, schwer verletzt, liegen blieb. Raubald griff die Riesen von hinten an. Er erwischte Din Gior, der sich zu spät herumdrehte, an der Schulter und hätte ihm einen Arm abgebissen, wäre ihm nicht der Tapfere Löwe von einem Felsen herab auf den Rücken gesprungen. Die Raubkatze verbiss sich im Kamm des Drachen, der vor Schmerz aufheulte. Sein riesiger Schwanz peitschte die Erde und brachte den Scheuch ein zweites Mal zu Fall. Diesmal verlor der Herrscher der Smaragdenstadt das so lange gehütete Wasserfass. Es fiel zu Boden und rollte direkt vor die Drachenhöhle. Din Gior raffte sich auf, riss eine Fichte aus und schlug sie Raubald auf den Kopf. Zur gleichen Zeit von Dickhauts Söhnen attackiert, konnte der Drache nicht länger standhalten. Es gelang ihm, den Löwen abzuschütteln, der zu Boden stürzte und betäubt liegen blieb. Von einem Steinwurf des Scheuchs getroffen, wich das Untier endlich in den Schutz seiner Höhle zurück.
TELWINA WIRD BEFREIT Anto hatte die Drachenhöhle schon fast erreicht, als ihm eine. piepsende Stimme ins Ohr drang: »Nicht weitergehen, Telwina ist nicht in der Höhle. Du kannst dort nichts ausrichten und wirst von dem Drachen überrascht. Komm lieber hierher.« »Bist du das, Larry?«, fragte der Bildhauer. »Wir hatten vor der Schlucht auf dich gewartet.« »Es gab jede Menge zu untersuchen. Ich hab es nicht mehr zu euch geschafft.« »Na gut, jetzt ist es sowieso egal. Weißt du, wo ich Telwina finde?«
»Folge mir«, erwiderte Larry und verschwand hinter einem Gebüsch. Der Bildhauer bog die Zweige auseinander und sah einen Gang, der in die Felswand hineinführte. Vielleicht war er vor Jahren von Anwohnern angelegt worden, die längst die Gegend verlassen hatten. Der Gang war zunächst bequem, später aber so niedrig, dass Anto sich bücken, ja sogar kriechen musste. Für Larry war das natürlich kein Problem. Plötzlich hörte der Bildhauer lautes Klopfen. Aufgeregt fragte er: »Ist das Telwina, hat der Drache sie eingesperrt?« »Komm weiter, wir haben nicht mehr viel Zeit«, drängte, ohne direkt Antwort zu geben, der Mäuserich. Von oben fiel Licht herab. Der Gang wurde weiter und durch eine Felsspalte konnte man den Himmel sehen. Das Klopfen war jetzt stärker und zu seiner Überraschung erblickte der Bildhauer weiter vorn den Eisernen Holzfäller, der mit seiner Axt gegen die Felswand schlug. Auch Jessica und Knacks waren bei ihm. Das Mädchen kratzte mit einem scharfkantigen Stein Erde aus irgendwelchen Ritzen und der Hund half ihr mit den Pfoten. »Ist Telwina hinter dieser Wand?«, fragte der Bildhauer hoffnungsvoll. Er nahm sich nicht die Zeit, seine Verwunderung über die Anwesenheit der drei zu zeigen. »Ja«, erwiderte Larry, »das Verlies, in das sie der Drache gesperrt hat, endet hier. Von vorn kommt ihr nicht heran, aber an dieser Stelle ist der Felsen mürbe. Wenn ihr ein paar Steine herausbrecht, ist Telwina frei.« Larry hatte die Stunden genutzt. Er hatte nicht nur den Weg zu Telwina erkundet, sondern auch Raubald und die geisterhafte Stimme belauscht. »Kannst du mich ablösen?«, fragte der Eisenmann den Bildhauer. »Ich habe mir beim Abstieg vom Plateau ein Scharnier im Bein gebrochen und kann schlecht stehen.« Die drei waren gleichfalls von dem Mäuserich hierher geführt worden. Dummerweise wurde ihnen von dem Schwefelatem des Drachen schwindlig und so war der Holzfäller ausgerutscht.
Ohne eine Sekunde zu verlieren, übernahm Anto die Axt, die schon ganz schartig war. Doch ein anderes Werkzeug besaßen sie nicht. Anto arbeitete wie besessen und bald lösten sich zwei Steine. Ein Loch tat sich auf, so groß, dass Jessica hätte hindurchkriechen können. »Telwina!«, rief Anto. »Wer ist dort? Bist du das, Liebster?« Telwina hatte die Axtschläge natürlich gehört und war sehr aufgeregt. Mal war sie nach vorn zum versperrten Ausgang gelaufen, um durch den Spalt nach draußen zu spähen, mal hatte sie hinten den Geräuschen gelauscht. Sie hatte auch selbst geklopft und gerufen. »Ja, wir sind’s. Gleich bist du frei!«, rief ihr Bräutigam. Mittlerweile war der Drachenkönig auf den Gedanken gekommen, Telwina zu sich zu holen. Sie war seine Geisel, notfalls wollte er sich mit ihr auf die Berge zurückziehen. Die Wunden, die ihm seine Gegner zugefügt hatten, machten ihm nun doch sehr zu schaffen. Raubald kroch zu der kleineren Höhle und versuchte, den Felsen am Eingang wegzurollen. Aber der hatte sich verklemmt und er selbst an Kraft eingebüßt. Auch Gingemas Stimme gab keine Ratschläge mehr. Offenbar war sie von den Kämpfen noch stärker mitgenommen als er. »Telwina gehört mir«, knurrte der Drache. Mit einer letzten Anstrengung legte er den Eingang frei. Allerdings zu spät. Genau in diesem Augenblick schlüpfte das Mädchen durch das Loch hinten hinüber zu ihren Freunden. Raubald begriff, dass er sie verloren hatte, und heulte vor Wut auf. Sein Schweif peitschte den Boden. Dabei traf er das Fass mit dem Lagunenwasser. Es flog gegen die Wand und brach auseinander. Der Drache, der großen Durst hatte, wurde nass. Das Wasser erfrischte ihn und er leckte alles bis zum letzten Tropfen auf. Nun wollte er seine Feinde erst recht vernichten. Während der Holzfäller, Telwina und die anderen durch den Gang ins Freie flohen, rückten Dickhauts Söhne und die beiden Riesen auf die Drachenhöhle vor. Der Scheuch hatte sein Hemd geopfert, um die Wunden des Elefanten zu verbinden, Din Gior bettete den Löwen auf seine Jacke. Die beiden Tiere würden bestimmt wieder gesund werden.
Raubald sah sie näher kommen und wollte sich auf sie stürzen. Aber eine ungeheure Müdigkeit überkam ihn, eine bleierne Schwere legte sich auf seine Glieder. Er riss sich zusammen, schwang sich in die Luft und hörte noch einmal, leise wie einen Hauch, Gingemas Stimme: »Was hast du getan, Drachenkönig? Ich habe dieses Wasser seinerzeit verzaubert und du hättest es nicht trinken dürfen. Du wirst uns beide umbringen.« Raubald gab keine Antwort. Er stieg noch ein Stück höher, um die Riesen von oben anzugreifen, doch ihn schwindelte. Seine Flügel gehorchten ihm nicht mehr, er verlor das Gleichgewicht und stürzte schließlich wie ein Stein auf die Felsen. Ein Aufprall, den er nicht überlebte. Die Riesen und Elefanten näherten sich ihm vorsichtig, doch als sie ihn so zerschmettert zwischen den Steinen liegen sahen, gab es keinen Zweifel mehr.
»Mit dem ist es aus und vorbei«, sagte Krummzahn. »Ich dachte, er würde noch kräftig Widerstand leisten, aber der Kampf ist zu Ende.« »Er hat das Lagunenwasser aus dem Fass getrunken«, erklärte der Scheuch. »Es schützt gegen Feuer, nimmt einem jedoch die Kraft. Wir haben es am eigenen Leibe erfahren.« »Er hätte sich trotzdem nicht unbedingt umbringen müssen«, murmelte Din Gior. »Vielleicht hätte er als unser Gefangener noch etwas gelernt. Dass nämlich gute Nachbarschaft besser ist als Streit und Gewalt.« »Hauptsache, das Elend ist vorbei, das er in unserem Land angerichtet hat«, sagte der Scheuch. Telwina freilich, die mit den anderen herangekommen war, zerdrückte eine Träne im Auge. »Er hat furchtbares Unglück über uns gebracht«, sagte sie, »aber so schlecht war er im Grunde nicht. Alles Böse ist durch diese Hexe Gingema passiert, mit der er immer sprach.«
HURRA, SIE SIND GESCHRUMPFT! Eine Woche nach diesem gewaltigen Kampf und Telwinas Befreiung gab es in der Smaragdenstadt ein großes Volksschauspiel. Als wäre es nie anders gewesen, strahlte die Sonne und im Schlosspark, der inzwischen notdürftig von Schlamm und Unrat gesäubert worden war, hatten sich die Riesen Scheuch und Din Gior auf den Boden gehockt. Ringsum aber standen viele Menschen, in vorderster Reihe Betty Strubbelhaar, Fara-
mant, Jessica, der Eiserne Holzfäller, dessen Bein schnell repariert worden war, und Telwina Wunderschön mit ihrem Bräutigam. Natürlich war auch Klapp da und selbst Larry Katzenschreck, auf Jessicas Schulter sitzend, hatte sich eingefunden. Die Dämmerung brach schon herein und auf einem der Parkbäume saßen zwei Vögel unterschiedlicher Größe: die Amsel Tütü und die Eule Schahu. »Es wird bestimmt klappen«, sagte Schahu, »meine Mutter Schuschu und ihr Freund, der Uhu, versichern, dass es ein Schlangenbambus allererster Güte ist.« »Warten wir’s ab«, erwiderte Tütü. »Der Bambus ist bestimmt in Ordnung, doch bei Pet Riva kann man nie wissen.« In diesem Augenblick ging ein Raunen durch die Menge, denn der Fischer mit seiner neuen Angel wurde vom Elefanten Krummzahn auf ein eigens zu diesem Zweck errichtetes Gerüst gehoben. Er befand sich nun genau über den Köpfen der Riesen. »Schade, dass der Löwe das nicht sehen kann«, flüsterte Jessica Telwina zu. »Es würde ihn bestimmt ganz besonders interessieren.« »Macht nichts, zu unserer Hochzeit ist er wieder wohlauf. Dann kann ich ihm und Dickhaut alles ganz genau schildern«, erwiderte Telwina. Der Fischer fasste die Angel an der Schnur und schwang sie hin und her. Dabei rief er: »Racki, nacki, Wunderbaum, Racki, nacki, Zaubertraum, Eichenwurz und Eisenkeil, Wandle dich ins Gegenteil!« Ein Blitz zuckte auf, ein lautes »Aah!« erscholl aus der Menge und schon stürzte Prinzessin Betty auf ihren Mann zu. »Hurra, sie sind geschrumpft!«, schrien die Zuschauer und warfen ihre Hüte mit den Glöckchen in die Höhe, sodass plötzlich ein sanftes Klingeln in der Luft lag.
Pet Riva hatte es geschafft: Der Scheuch und Din Gior waren wieder normale Leute. Zum ersten Mal war bei seiner Zauberei nichts schief gegangen. Nun stand er auf seinem Gerüst und schwenkte stolz seinen Hut. Ein Käuer mit blankgeputzten Messingknöpfen am blauen Anzug näherte sich Jessica und sagte: »Darf ich mich vorstellen? Ich bin das Herrchen von Knacks. Von ganzem Herzen danke ich dir, dass du meinen Liebling vor dem Ertrinken bewahrt hast.« »Ich habe ja nichts Besonderes getan«, erwiderte Jessica verlegen. »Knacks kann sehr gut schwimmen und wir haben uns gegenseitig geholfen.« Begeistert bellend kam nun der Hund selbst angesaust und sprang so wild an dem Mädchen hoch, dass Larry um ein Haar zu Boden gestürzt wäre. Nur mit Mühe hielt er sich auf ihrer Schulter. »Hab ich’s doch gewusst, dass mir dieser ungeschickte Kläffer noch mal über den Weg läuft«, schimpfte der Mäuserich. »Ungeschickt? Das ist meine Art, Freude zu zeigen. Ich bin eben nicht so abgeklärt wie du.« Jessica lachte. »An so einem wunderbaren Tag werdet ihr doch nicht streiten.« Sie streichelte Knacks. »Auf unserem Hof sind zwar noch eine Menge Schäden zu beheben«, sagte der Käuer, »trotzdem würde ich dich nächste Woche gern zu uns einladen.« »Das geht leider nicht«, entgegnete Jessica. »Ich muss jetzt schnell nach Hause. Die Eltern warten schon und die Schulferien sind auch vorbei.« »Schade! Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« »Bestimmt kommst du bald wieder«, rief Knacks. »Du hast doch so viele Freunde hier und zu erleben gibt’s bei uns immer was.« Dem konnte Jessica nur beipflichten. Beim nächsten Abenteuer wollte sie natürlich dabei sein. Dann würde sich gewiss auch eine Gelegenheit
ergeben, die beiden zu besuchen. Sie verabschiedete sich und lief zu den anderen. Larry Katzenschreck aber schlüpfte in ein Mauseloch und fiepte: »Dieser Knacks ist ein Tollpatsch, dennoch hab ich ihn ganz gern. Jeder auf seine Art befassen wir uns mit den Katzen im Land und das verbindet!«
Inhalt Buch: .......................................................................................................... 1 Erster Teil – Gingemas Erbe 6 DIE UNHEIMLICHE SCHLUCHT........................................................ 7 DIE BEGEGNUNG MIT DICKHAUT............................................... 11 TELWINA WUNDERSCHÖN .............................................................. 15 PET RIVA GREIFT EIN......................................................................... 20 ZWEI TRAURIGE RIESEN................................................................... 30 BETTY WEISS RAT ................................................................................. 36 GINGEMAS STIMME ............................................................................. 40 Zweiter Teil – Die Smaragdenstadt in Not 48 DER STURM.............................................................................................. 49 DAS ERSTE OPFER ................................................................................ 54 DAS SONDERBARE SCHUTZDACH................................................ 59 EINE BEGEGNUNG IM REGEN....................................................... 63 DER ANGRIFF DER RAUPEN............................................................ 68 DIE FLUT................................................................................................... 75 AUFREGUNG IM PALAST ................................................................... 81 TELWINAS ENTSCHLUSS.................................................................... 86 DIN GIOR WIRD GEHEILT ................................................................ 91 EINE ENTFÜHRUNG............................................................................ 95 Dritter Teil – Der Feldzug gegen den Drachen 100 WO IST DIE RETTUNG?..................................................................... 101 EINE RAST MIT ÜBERRASCHUNGEN ......................................... 107 KLAPP GERÄT IN EINE FALLE...................................................... 110 IN DER DRACHENHÖHLE............................................................... 115 DIE BEIDEN EULEN .......................................................................... 120 DIE GRÜNE LAGUNE ........................................................................ 124 RAUBALDS ZORN ................................................................................ 129 AUF DICKHAUT IST VERLASS ........................................................ 133 TELWINAS SORGEN........................................................................... 138 DER KAMPF MIT DEM DRACHEN................................................ 143
TELWINA WIRD BEFREIT ................................................................ 148 HURRA, SIE SIND GESCHRUMPFT!............................................... 152 Inhalt ...................................................................................................... 157