Elisabeth Siewert Der Getroffene n ngiyaw eBooks
Elisabeth Siewert Der Getroffene
Nach der Ausgabe: Elisabeth Siewert, Der Getroffene, Neues Frauenleben, 16. Jg., Nr. 1/2, Wien 1914.
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© 2008 Peter M. Sporer für ngiyaw eBooks. Földvári u. 18, H – 5093 Vezseny (
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»Bist Du noch nicht aufgewacht, Sebastian? Mit einem Auge, mit dem linken, siehst Du den Kessel an, als ob Dein Traum von dieser Nacht da aufgemalt wäre und mit dem rechten siehst Du in die Zukunft, statt auf Dein Morgenbrot.« Die Magd Amarante gab dem Knecht einen Stoß mit dem Ellenbogen. Sie saßen auf einer langen Holzbank in der verräucherten, grün verschatteten Gesindestube. Als der grobknochige junge Bursche den Stoß hinnahm und weiter auf den kupfernen Kessel starrte, der an seinem Haken über den verglimmenden Kohlen ein wenig pendelte, dabei das Gesicht zu einer wunderlich ängstlichen und erregten Grimasse verzog, lachte die Magd laut heraus, legte die Arme auf den Tisch, faltete die braunen kurzen Hände
und fragte neckend: »Von der guten Sorte ist er wohl nicht gewesen Dein Traum, eher ein Nachtmahr oder ’ne Vorwarnung?« Der Knecht seufzte. »Hat Dir von Deiner Hochzeit geträumt, und Deine Zukünftige war ein Wechselbalg mit bleiernem Kopf und aufgeschwemmten Gliedmaßen, mehr wie ein Frosch?« Der Knecht rückte ein wenig von seiner Nachbarin, faltete die Stirne schwer und bequemte sich dann zu erzählen: »Ich war im Schlaf in einen Tag hineingeraten, der nicht im Kalender steht. Was soll das für ein Tag sein, an dem alles, was Du anfaßt, blitzt und Licht gibt und Feuer wird und dabei nicht sengt, noch brennt, sondern beim Anfassen so ist wie junges Gras vom ersten Schnitt? Zuerst wars so mit meinen Kleidern. Wie ich meine, es ist Aufstehenszeit und den Hahn höre, greif’ ich nach meinen Kleidern, lasse sie aber flink fallen, denn sie waren durchsichtig und blank wie goldenes Wasser. Draußen schreit der Bauer und flucht, ich höre die Pferde im Stall, als ob sie vom Halfter los wären und
eins über das andere ginge. Jesus Maria, ich mach’ die Augen zu und fahre in die Kleider und stürze auf den Hof. Da war es noch Nacht, aber nicht dunkel. Das Strohdach vom Bauernhaus gibt einen roten Schein, an den Fenstern tropft es wie Regentropfen, in denen die Sonne spiegelt, die Kirschbäume stehen da wie Laternen, grüne Laternen von Blätterwerk, in denen Lichter brennen. Auf der Landstraße ist es so hell, als ob der Mond schiene oder noch mehr, als ob drei Monde schienen; aus dem Brunnen gießt das Wasser schlohweiß und hat einen Schein um sich. Kein Bauer ist zu sehen, kein Mensch. Ich greif’ mir auf den Kopf, kriege meine Mütze in die Hand und meine Finger sind bestrichen wie mit Schaumgold. Ich renne nach den Pflügen, reiße einen heraus und erschrecke, daß ich mit diesem Pflug ins Feld soll, der mehr glänzt als ein geputzter Taler. Da spür’ ich einen guten Geruch und nicht nur, daß er gut zu verspüren ist, wie im Frühling, wenn das Gras blüht und der Weißdorn, er fällt auch kühl auf den Mund und schmeckt sehr angenehm. Trotz
aller Angst konnte ich mich doch nicht genug über die Veränderung verwundern und hätte ich nicht gedacht, daß ich meine Arbeit versäume, ich hätt’, mein’ Seel, nichts wollen als herumstreifen, um all das Ausgezeichnete anzusehen. Aber ich konnte es nicht wissen, ob es Nacht war oder Morgen; die Sonne war nicht da, der Himmel war aber nicht schwarz, sondern dunkelblau und voll Lerchengesang. Der Hahn krähte nicht mehr. Mir hob sich das Herz, ich wußte nicht, wie mir war, und wie ich so stand, meinte ich, es ist meine letzte Stunde gekommen.« Der Magd waren die Augen trübe geworden unter der Erzählung. »Das bedeutet was Gutes,« sagte sie sich ermunternd. »Feuertraum, guter Traum.« Sie rückte an den Knecht heran und sah ihm zäh mit fordernden Augen in das unsichere, verwirrte Gesicht. »Du wirst eines Tages, bald, Deinem Glück begegnen und dann wird Dir alles zum Vorteil ausschlagen, was Du angreifst.« »Was soll mir zum Vorteil ausschlagen?« fragte der Knecht und erblaßte.
»Bist Du nicht des Bauern eigener Sohn und der Erbe, wenn Deine Mutter auch eine Unehrliche war? Tritt auf, laß Dir nicht gefallen, daß der Bäuerin in die Ehe gebrachte Kinder Deinen Platz einnehmen, laß Dir die Verköstigung und Löhnung nicht gefallen, die für einen Fremden zu schlecht ist.« »Man erkennt mich nicht an. Niemand fängt davon an, nicht er, nicht sie, daß ich zum Blut gehöre.« Die Magd hohnlachte. »Warte nur ab, bis sie, die habsüchtige Frau, Dir den Rahm von der Milch vorsetzt.« »Wenn ich ohne Zuspruch und Aufsicht arbeite und schaffe von früh bis spät, als wär’s für den Vater auf dem Eigenen, wird er nicht merken, daß ich von seinem Blut bin und mich anerkennen und mich über das Ganze setzen, wenn die Zeit kommt?« »Dienen und warten, warten und dienen!« Die Magd lachte träge vor sich hin. Sie war eine nicht mehr junge Person mit grober brauner Haut, schwarzem Haar und vollem Körper. Als sie finstere Schwermut in des Knechtes Miene
wie eingemeißelt sah, besann sie sich. »Und wenn man Dich nicht auf dies Jahr anerkennt, dann bedeutet der Traum doch so etwas wie einen Scheffel Erbsen zu Weihnachten und eine Gabe der Bäuerin, etwa eine wollene Weste für die Winterkälte. Ist das etwas? Und — wenn Du Dir ein Mädchen aussuchen möchtest für Dich, wird sie da sein. Ist das etwas?« »Wie soll das zugehen?« murmelte der Knecht betreten. »Ei ja, Du sollst nicht soweit suchen,« meinte die Magd mit rotem Kopf. »Umsonst sag’ ich Dir nicht eine Traumdeutung zum Guten, Du Dummbart, ich kann Dir ebenso gut alle leibhaftigen Höllenstrafen- aus dem Feuertraum herausprophezeien, denn das war kein richtiges simples Feuer, was Du sahst, sondern Spuk und Hexenwerk und bedeutet einen schlimmen Anfang und Krankheit zum Ende.« Der Knecht warf ein Bein über das Bankbrett und stand so rittlings, als der Bauer mit einem Strang in der Faust in der Türe nach dem Flur erschien. Die Magd kreischte auf und bedeckte
sich den Kopf mit den Händen, deren Lage hastig verändernd, als wollte sie Schläge von allen Richtungen her auffangen. Aber der Bauer machte sich an den Knecht. »Ihr Himmelhunde,« knirschte er, den Arm erhebend, »füttere ich Euch dazu, hier den Tag zu vertrödeln, Ihr zuchtloses Pack!« Der Knecht bückte sich und sprang nach der Tür, der Strang sauste auf die Bank und der Bauer, der vergebens trachtete, so geschwind zu sein wie sein Gesinde, trieb Knecht und Magd laut schimpfend vor sich her über den Hof. Die Magd rannte in den Kuhstall, und der Knecht, von Scham und Furcht überwältigt, trabte mit gebücktem Kopf nach dem Pferdestall. Doch da in dem engen Raum wandte er sich plötzlich um, gerade als der Bauer über eine Brake stolperte, die im Gange lag. Dem Knecht wuchs der Mut und den Bauern packte die Furcht. Mit der Faust an der Stirn stand der Sohn und sein Mund öffnete sich wie von selbst, so als ob die Gerechtigkeit aus ihm ein Werkzeug machte, um laut zu werden. »Bauer, Bauer,« sagte er dro-
hend und bis zum Uebermaß leidend, »Ihr tut nicht recht an mir. Hundert und hundert Tage bin ich zur rechtzeitigen Stunde bei der Arbeit, warum wollt Ihr Euch heut’ an mir vergreifen! Wann werdet Ihr mich anerkennen, Bauer?« Der Bauer wurde grau im Gesicht vor Bestürzung, in seinem Kopf aber lichtete es sich; plötzlich sah er seine Angelegenheit wie bei hellem Tag. Sein Herz, welches die Bäuerin mit dem Schnee ihres starken Willens und ihres Eigennutzes bedeckt hatte, damit es erstarren sollte, bäumte auf. In Monaten dachte er kaum einmal mit den kürzesten Gedanken daran, daß der Knecht sein Sohn war; sein Weib hatte es ihn vergessen gelehrt; ihre munteren jungen Kinder, die ihn Vater nannten und angewiesen waren, ihm schmeichelnd an den Knieen zu liegen, die nannte er sein. Aus dem Dasein des großen, grobknochigen, stillen Jünglings machte sie eine Schande und Missetat; der hatte übergenug daran, daß er auf dem Hof unter Ehrbaren seinen Schweiß in harter Arbeit für sie und ihre Kinder vergießen durfte. Das war ihre Mei-
nung. Ei, ist das nicht Wahnsinn? Steht nicht hier mein wohlgeratenes Fleisch und Blut? so dachte der Bauer. Aber er fürchtete sich; er wollte keinen Aufruhr. Rückwärts ging er der Türe zu, sein Weib zog ihn an einem fest und umständlich gedrehten Strick zu sich. Stand sie nicht unter der Haustür mit eingestemmten Fäusten und sah und wußte alles, was hier im Stalle vorging? Nichts als ein Handbewegung, die so war, als schleudere jemand in Hast und Not ein furchtbares Etwas in einen Abgrund, das war die Antwort, die der Knecht erhielt. »Sie bringen uns um unser armes bißchen Einkommen, die Mietsleute und zehren uns auf!« rief die Bäuerin, die wirklich mit eingestemmten Fäusten unter der Haustüre stand. »Laß, laß schon, Mann, zieh Dir nicht am frühen Morgen einen Anfall zu. Trink einen Kornbranntwein.« Dem Bauer war die Sprache ausgegangen. Bis zu einem alten Pappelbaum am Hausgiebel stapfte er, da lehnte er sich an und keuchte, die Hände auf die Brust gedrückt. Die Frau ver-
schwand im Hause und kam mit einem Gläschen wieder. »Was soll das?« sagte der Bauer unwirsch, da er sich inzwischen erholt hatte. »Ich bin keine Zimperpuppe! Trink’s selber!« Doch er nahm das Glas, leerte es mit einem Zuge und spritzte die letzten Tropfen mit gutem Schwunge auf die Erde. So wie’s gewesen war, sollte es weiter gehen, dafür war er der Mann, das beschloß er, während er den Arm schwenkte. Auf einem harten Acker, wo er den Pflug fortwährend herausreißen mußte, damit er sich nicht an einem Stein verletzte, pflügte der Knecht stundenlang. Zu seiner Seite erhob ein Hochwald, Tannen auf nacktem, überwurzeltem Erdreich, seine winterliche Stirn. In seine Gleichförmigkeit, in seinen tiefen Schlaf brachten selbst die kleinen kecken Vögel kein Leben; das Wild wechselte flüchtig hindurch, da es hier keinen Halm, kein Blatt fand. Der Knecht kannte den Wald, seine Leere und seine Stille, die zu warten schien; leer und still und wartend war er selber. Heute, wo das Grausen vor dem
Traum abergläubische Wellen in seiner Seele verursachte, wollte er ein Zeichen von dem Verwandten. An sein Pferd gelehnt, stand er in seinen Arbeitspausen und spähte in die unbewegliche Halle der Bäume und fragte: »Hat der Traum keine Bedeutung? Der Bauer will mich nicht anerkennen. Wird er mich nie anerkennen?« Es machte ihn verdrossen und traurig über die Maßen, daß im Walde alles so blieb wie es war. Sollte er laut rufen und mit starken Worten eine Antwort beschwören? Wenn er beim Pflügen den Kopf abwandte, war ihm, als täte sich in der Schattentiefe zur Seite ein Mund auf, es plapperte fast ohne Laut von des Bauern verschneitem Herzen und seinem verdunkelten Verstand, es lachte über der Bäuerin Kniffe und ihre Habgier und gab Mittel und Weg an für ihn, zu seinem Recht zu kommen, doch konnte er nicht genau verstehen, und wenn er hinsah, war es nichts. Und da war es doch etwas. Es hoben sich Schwingen aus einem Baumwipfel, es kam heraus in die Freiheit des Ackers, langsam, langsam ein großer verschlafener Vogel, braun und rie-
sig. Gott und alle Heiligen, solch einen Vogel sah der Knecht noch nie! Zitterte nicht sein Gaul? So war er glückselig oder verdammt, glückselig oder verdammt. Mochte denn eins oder das andere über ihn hereinbrechen, noch vor Abend. Er mochte nicht länger warten; das tat ihm zu grimmig weh, von Minute zu Minute zu warten. Auf dem sandigen Feldweg kam der Knecht heim; eine leichte Regenwolke bedeckte den Bauernhof an dem steinigen trägen Bach; auf dem Feldweg lag ein Muster von dunklen Fleckchen. Der Gaul war müde, der Knecht war es nicht. Kein Huhn trippelte auf dem Hof. Nach dem Garten zu mit seinem dürftigen Gemüse und der Hollunderlaube saß die Familie in der Küche bei einem Oelfunzen wartend, daß die Kartoffeln gar würden. Glückselig oder verdammt, sagte sich der Knecht und nahm seinen Platz, im Winkel an einem Nebentische ein. Bauer und Bäuerin sahen ihn nicht an; unbequem und schauerlich war er ihnen, nur die Kinder richteten wie aus
Versehen die Rede an ihn und verstummten dann, als seien sie auf unrechtem Wege; auch erhielten sie keine Antwort von ihm, Gerade als der Bauernhof in völliger Stille, dicht umschleiert von der Regenwolke dalag, kam es klappernd und rhythmisch in der Bewegung aus der Niederung hinter dem Tannenwalde heran, kreuzte diesen und gewann den Feldweg: ein Trupp Berittene. Voran auf einem leichten feinen Tier mit gebogenem Hals und schwellenden Adern ein sehr junger Herr mit rotwangigem Gesicht, ihm zur Seite eine Dame auf etwas schwererem Gaul, einen Soldatenmantel um die Schultern, kühn in der Haltung, mit heißen Wangen und gerunzelten Brauen. Das war der Erbprinz und seine Braut auf den heimlichen Wegen ihrer Flucht durch das Land. »Wer die Tugend zum Rudel und Winde gebraucht, dem stehet das Glücke bei,« sagte er, als es auf dem ebenen Wege sorgloser dahinging. »Und so halten wir es denn, daß dies Unternehmen, welches für ein Schelmenstücklein angesprochen werden mag, die Wohlfahrt
Vieler zum Ziele hat.« Er lächelte. »Nebst in Bälde dem völligen Paradies unserer Vermählung Schwester, Braut!« »Das wiederhol’ ich viele tausend Mal: ich versah mich noch nie eines Hochgenusses von der Art, wie diese Flucht mit meinem Herrn. Oh — ein trauter Balsam für alle grauen Stunden der Entbehrung,« antwortete die Dame feurig. »Nach meinem besten Willen kenntest Du von jetzt ab nur ein unausgesetzt Schöpfen des reichsten Balsams!« Und es war nicht nur die eigensüchtige Tat eines verwegenen Liebhabers, die dieser Prinz ausführte; es war die Ueberlegung eines feinen Kopfes und Größe in seinem Vorhaben, mit dem er der Ehre und dem Gedeihen seines Vaterlandes zu nützen trachtete. Er hatte die Ränke und den Schneckengang kleinlicher und selbstisch gesonnener Diplomaten durchbrochen, indem er die ihm ebenbürtige Geliebte entführte und damit der drohenden Spannung zwischen zwei Nachbarstaaten die Möglichkeit der Aus-
söhnung durch verwandschaftliche Beziehungen gab. Und dahin stoben sie in glücklichster jugendlicher Erregtheit, durch Gemeinschaft des Wagens und Beschließens zur Lebenshöhe schwindelnd erhoben, umbraust von entschlossenen Gedanken, glänzenden Plänen und reichstem Gefühl, gradwegs auf den Bauernhof zu, der geduckt in den Feldern vor; ihnen lag und sich in Feuchtigkeit versteckte. Auf der Brücke über dem Bach schlugen die Hufe dumpf auf; die Scheunenwand warf den Hall von Steigbügel, Gewehr und Gewand zurück, ruhte einen Augenblick, um das vermehrte kriegerische Geschrei des Gefolges aufzunehmen und zurückzuschleudern. Die Abendschatten und die Regentrübe verwischten Farben und Formen dieses malerischen Trupps, trotzdem war es für die Bewohner des Gehöfts, als sie jetzt durch einen Schlag an der Haustür aufgestört wurden, ein überwältigender Anblick. Die Augen, die ihnen ihre energische Sprache entgegenblitzten, die Sprech-
art, die diese Lippen formten, Haltung, Geberden und Gewandung, es war ihnen fremder als sie je etwas gesehen und gehört und machte sie stocksteif und stumm. Was wollten die farbigen, scharfen Vögel, die, von Gott weiß woher, in ihren Hühnerhof einbrachen? »Quartier für ein paar Stunden wird verlangt! Ohne Sorge, es geschieht nichts an Leben, oder Gut und Vergütung für Aufzehrung und Unterkunft.« Das sagte der schlanke Rotwangige mit einer Stimme, die in das Haus eindrang und es bis auf den letzten Winkel mit nie gehörtem Wohlklang und neuem Leben füllte. Der Bauer riß die Tür zu der unbewohnten Sonntagsstube auf, die Frau stolperte über ihre Kinder, jammernd, daß nichts im Hause wäre zur Bewirtung und die Kinder schrieen. Im Stall schnauften die hohen leichten Rosse die Ackergäule an, von deren stumpfer Neugier angeglotzt; im Scheunenfach banden die Reiter Stroh, in der Futterkammer verschwendete man die Kleie und vollends das Wohnhaus war die arme Schale zu einem köstlichen Kern gewor-
den; an dem Tisch in der Sonntagsstube das Paar, das war der Kern all dieser Bewegung. Karten und Briefschaften lagen vor ihnen ausgebreitet. Wie weit ab sie bereits von dem heimatlichen Sitz der fürstlichen Dame geflohen waren! Doch die kleine Festung, das beste Asyl für die nächsten Stunden, lag noch fern. Ob der treue Vetter des Prinzen ihre Spur auffinden und sie im Morgengrauen mit seiner Verstärkung an Berittenen zur Festung geleiten würde? Zwei Augenpaare tranken wechselseitig Feuer und Freude aneinander; Lebensmut und Todesunerschrockenheit spielte um die feinen Lippen und glänzte von roten gewölbten Wangen. »Wo ist der Stallknecht, der Töffel, der vermaledeite Grützkopf,« wetterte man im Stall. Die Laterne war ausgegangen; der Bauer verwies an seinen Knecht; man fand keine Eimer, um Wasser zu holen; der Knecht mußte wissen, wo sie waren. Auch in der Küche riefen Bauer und Bäuerin nach Sebastian und die Magd heulte vor Ueberanstrengung: sie sollte zehn Hände haben.
Vor dem Fenster der Sonntagsstube im Bandgras und in den nassen Marienblättern, der abgeblühten Akelei und den in Dornen wuchernden Stachelbeersträuchern lag Sebastian geduckt, gerade so, daß er in das Innere der Stube spähen konnte. Das war mehr als Weihnacht, als Marienandacht oder Kirmeß, oder was sonst von Glanz und Entfaltung je in sein armes Leben gefallen war! Das war die Fortsetzung seines Traumes und seine Erfüllung zugleich und der Aufgang einer neuen Sonne. Das war von der Art, daß es ihm mit spitzigen, goldenen Haken sein Herz aus der Höhlung der Brust riß; da unter den Füßen der beiden Erscheinungen aus einer andern Welt lag sein Herz in Entzükken und Ergebenheit. Und seine durstigen Augen mühten sich zu fassen, zu entziffern, was die Sonntagsstube füllte; jeder Zierrat an der Kleidung der Fremden, jede Bewegung erschien ihm wie Schrift und Rätsel. Jetzt sprang der Herr auf und stand da mit abgespreizten Armen, fuhr herum, wandte dem Fenster sein strahlendes Gesicht zu und sogleich
seinen Rücken. Wie aus den Dielen gewachsen, füllte ein großer Soldat den Türrahmen der Stube, rot wie Sonnenuntergang. Der Bote vom treuen Vetter; er brachte ein Schriftstück. Blätter rollten weiß auf, Hände spielten damit, Stimmen erklangen hell und metallisch wie Signale. Dem Knecht troff der Schweiß von der Stirne, seine Glieder zuckten, sein hingegebenes Herz erdröhnte in unbekannter Erregung, in dem Ehrgeiz, Beachtung zu erringen. Das tanzte und musizierte ihm vor den Augen. Lachen, lachen mußte er und bersten vor Ueberfülle, weil die da glückselig waren, die herrlichen Gestalten unfaßbarer Wirklichkeit. Die Oellampe brannte dunkler. Der Bauer stolperte wie ein Tier in die Stube mit der Oelkanne. Die Bäuerin brachte zwei irdene Teller, aus denen es dampfte. Der Prinz winkte mit der Hand; er bedeckte seine Begleiterin mit seinem Mantel und legte ihr Haupt an die Lehne des alten Großvaterstuhles. Die Dame hält ihre Finger ans Kinn und blickt mit großen offenen Augen so hell wie der Morgen.
Herr Gott im Himmel, jetzt bemerkt der Herr den, der vor dem Fenster liegt! Der Fensterriegel klirrt. »Wer spioniert hier?« fragt der Prinz. Seine Rechte greift heraus in des Knechtes dichtes, feuchtes Haar derb hinein. Dein Haar, dein Kopf, denkt der Knecht und stammelt: »Der Knecht vom Hofe.« »Bist Du im Stall nicht nötig? Braucht Dich der Bauer nicht?« Die Rechte zieht den Kopf herauf. Ist es ein Narr? denkt der Herr. »Mir ist nötig, Dich zu sehen, Herr,« murmelt Sebastian und lächelt wie ein mondsüchtiges Kind. Von ihrem Großvaterstuhl aus fragt die Dame: »Hast Du in Brennesseln gefaßt, mein Freund?« »Nein, aber auf ein sonderliches Gewächs. Wie ein Wachthund liegt einer vom Gesinde vor unsern Fenstern, ein langes Mannsbild nach den Schultern gerechnet, mit dem Gehirn eines Kindes dem Ausdruck nach. Ein Narr oder ein Hingegebener. Willst Du, so lasse ich ihn forttreiben.«
Die kleine Hand dicht an der Nase der Dame bewegt sich abwehrend. »Laß ihn vor Dich kommen, rede mit ihm. Vielleicht hast Du einen treuen Mann beim Schopfe ergriffen.« Da wurde Sebastian von einem Soldaten, der um den Hausgiebel in den Garten marschiert kam, angerufen, und geriet in die Sonntagsstube, in der sein Herz schon war. »Warum liegst Du da wie ein Wachthund vor unsern Fenstern, statt Dich um Deine Geschäfte zu kümmern?« fragte ihn der Prinz. Der Knecht bückte den Kopf und breitete die Hände aus. »Du ziehst mich zu Dir und fragst? Erkenne meine Treue, ich habe für Dich gelebt in Elend und Zurücksetzung, ich will jetzt in Deiner Nähe für Dich leben und sterben.« Das wünschte er zu sagen, doch fand er nur die atemlose Erklärung: »Ich muß so tun!« und ein Lächeln der Anbetung. Die Dame richtete sich aus ihrem Stuhle auf; sie wollte zu ihrem Freunde sagen: da hast Du einen Menschen gewonnen, nimm ihn unter Deine Fahnen, nimm diesen zum Wächter Dei-
ner persönlichen Sicherheit. Doch da sie den jungen Fürsten, der vielleicht denselben Gedanken bei dem Anblick des Knechtes hatte, plötzlich verdüstert und streng, weithin blicken sah, kam sie von ihrer Anrede ab. Das war sonst nicht des Prinzen Art, ein Geschäft auch nur für ein Augenblinzeln zu verzögern, um dem kommenden im voraus seine Brust zu bieten, doch er wurde, auf dem Geisterpfad der zukünftigen Ereignisse dahingetragen; der Knecht war für ihn nicht da, ebenso wenig fühlte er seiner Geliebten forschenden Blick ... Ein paar Herzschläge später wurde Sebastian zur Seite geschoben wie ein Stück Holz; ein beleibter Mann mit einem blanken Gesicht, kurzbeinig, in lohbrauner Uniform tat das, ihm nach rasselte ein Schweif von Reitern, alle lohbraun und kurzbärtig. »Gott lob, Gott lob, ich treff’ Euch an, mein Vetter. Sie sind Euch auf den Hacken. Vorwärts, vorwärts!« Und rasche Umarmungen und Auseinandersetzungen folgten. Wie von einem Wirbelwind erfaßt, so überkam das Gehöft in den nächsten
Minuten eine heftige Bewegung. Als gerade ein weher Schein im Osten, ein ahnendes Frösteln, ein Schaudern und Sichlosreißen von Ruhe und Traum durch die Natur ging und vereinzelte Vogelstimmen mit zögerndem Klang den Bann der brütenden Stille durchrissen, schwang man sich auf die Pferderücken und wuchtete in die Sättel. Da klang und klirrte es und in den Augen fing das Lebensfeuer an, seine Fontänen zu sprühen. Mit dem Einatmen der Morgenluft nahmen ungestüme, kühne Herzen Besitz von den Fernen und von jeder Tat. Da wurde das Blut warm und die Farben fingen an zu spielen: das Blau der Tuchröcke wachte auf, das Lohbraun wurde munter, das Krapprot lachte. Erz und Stahl fingen den wehen Tagesschein auf und machten ihn stark und wert; der Erdboden erdröhnte, als der Wille zu Leben und Wagnis darüber hinsauste. Ein Knäuel von Glanz und Farbentupfen, eine Welle von rhythmischem, klangvollem Geräusch; ein Nachzügler mit vorwärts geneigtem Rücken, ein Paar fliehende
Pferdeschenkel, fuchsroter Schein, das Blitzen von Hufeisen — ein letzter Hall ... »Da sind sie fort, die Heuschrecken! Die ganze Nacht ist kein Tropfen Schlaf auf uns gekommen! Ein Hui und fort! Ja, macht, daß Ihr fortkommt, je kürzer, je lieber, solch Soldatenvolk!« Die Magd stand mit der Hand über den Augen vor der Tür des Bauernhauses, lachte erregt und wandte sich dann entschlossen ihrem Tagewerk zu, welches heute genau so wie alle Morgen seinen Anfang nehmen mußte. Der Acker, aber wartete vergebens, daß langsam Furche auf Furche in seine dumpfe, dunkle Fläche gerissen wurde. Im ersten Entsetzen über das Dahinschwinden der Reiter stand Sebastian wie von Holz. In seinen Haaren lagen Finger und zogen ihn gewaltsam, in seiner Brust klaffte eine Lücke: dem Zuge nach wurde sein Herz geschleift. Das Entsetzen über das Dahinschwinden eines neuen herrlichen Lebens machte seine Glieder zu Holz. War das Wirklichkeit, diese Leere jetzt, und das Erscheinen der Reiter ein
Traum, die Fortsetzung seines Nachttraumes? Die Wirklichkeit war, daß er sich selber nicht gehörte, daß die fremden, starken Finger seinen Kopf und sein Herz lenkten und daß es für ihn keine größere Lust gab, als ihnen zu folgen. Sebastian ging ins Haus. Der Bauer sah ihn in der Küchentüre stehen. Groß und verändert stand er da und seine Blicke waren so, als ob sie zünden könnten. Sie fürchteten sich allesammt, selbst die harte Bäuerin, die von dem umständlichen Zählen ihres Silbergeldes aufsah: der Lohn für die Unruhen der Nacht; er nahm einen guten Fleck auf dem Truhendeckel ein. Rasch legte sie ihre Schürze darüber. Sebastian lachte. Die Finger, die ihn an den Haaren hielten, hoben ihm den Kopf hoch und machten seinen Sinn kühn. »Das ist der Anteil am Grundstück, den ich mir nehme,« sagte er mit stolz gekräuselten Lippen und langte sich ein halbes Schwarzbrod vom Tisch. Den Milchkrug setzte er an die Lippen und trank sich satt.
Damit war er fertig mit seinem alten armseligen Leben und ging zur Türe heraus, über den Hof, den Hufspuren der Pferde nach. Er würde so lange gehen, bis er den erreichte, dem er sich ergeben hatte.