Vladimir Sorokin
DER HIMMELBLAUE SPECK Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg Roman DuMont Dieses eBook ist eine ...
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Vladimir Sorokin
DER HIMMELBLAUE SPECK Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg Roman DuMont Dieses eBook ist eine private Kopie und nicht für den Verkauf bestimmt. Gescannt von c0y0te.
Die deutsche Übersetzung wurde erstellt nach einer vom Autor um wenige Seiten gekürzten und geringfügig bearbeiteten Fassung der russischen Originalausgabe, die 1999 unter dem Titel im Verlag Ad Marginem, Moskau erschien. Erste Auflage 2000 © DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten Ausstattung und Umschlag: Groothuis & Consorten Gesetzt aus der Haarlemmer Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Satz: Greiner & Reichel Köln Druck und Verarbeitung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-7701-4881-9
»Da! Da! Halt auf! sprach Pantagruel, da habt ihr welche, die sind noch fest. Und damit warf er uns ganze Hand voll gefrorener Worte auf das Verdeck; die sahen aus wie Zuckerplätzel und Brustküglein von verschiedenen Farben. Da sahen wir gelbliche, geile Worte, vulgo Zötlein, Grünspanworte, azurne, schwarze, güldne Worte, die, wenn wir sie ein wenig in den Händen wärmten, wie Schnee zergingen. Wir hörten sie auch wirklich, aber verstanden's nicht (denn es war eine barbarische Sprach)... ... Ich wollt' mir ein paar Zötlein in Öl einlegen, wie Gefrorenes, sauber in Futterstroh ...« François Rabelais »Gargantua und Pantagruel« Es giebt mehr Götzen als Realitäten in der Welt: das ist m e i n »böser Blick« für diese Welt, das ist auch mein »Ohr« ... Friedrich Nietzsche »Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt«
2. Januar 2068 Grüß Dich, mon petit. Mein schwerer Junge, mein zärtlicher Schuft, mein göttlicher, gräßlicher Top-Direkt. Mich an Dich zu erinnern, ist eine höllische Sache, rips lao wai, das ist schwer in der konkreten Bedeutung dieses Wortes. Und es ist gefährlich: für die Träume, für die L-Harmonie, für das Protoplasma, für das skand chi, für meinen W-2. Bereits als ich in Sydney in den traffic stieg, begann ich, mich zu erinnern. Deine Rippen, die durch die Haut leuchten, Dein »Mönch«-Muttermal, Dein geschmackloses tattoo-pro, Deine grauen Haare, Deine geheimen jing ji, Dein dreckiges Flüstern: küß mich auf die STERNE. Aber nein. Das ist nicht Erinnerung. Das ist meine vorübergehende, quarkige brain-yue shi, plus Dein eitriges Minus-Posit. Das ist das alte Blut, das in mir plätschert. Mein trüber Hei Long Jiang, an dessen schlammigem Ufer Du sudelst und pinkelst. Ja. Trotz des angeborenen Stolz - 6 - Dein FREUND vermißt Dich sehr. Deine Ellbogen, Deine gao wan, Deine Ringe. Den finalen Schrei und das Hasenquieken: wo ai ni! Rips, ich werde Dich fressen. Irgendwann? O. K. Top-direkt. In unserer Zeit Briefe zu schreiben ist eine entsetzliche Beschäftigung. Aber Du kennst die Bedingungen. Mit Ausnahme der Brieftauben sind hier alle Kommunikationsmittel verboten. Postsendungen schimmern in grünem W-Papier. Sie werden mit Siegellack zugeklebt. Ist das nicht ein tolles Wort, rips ni ma de?
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PROPELLERSCHLITTEN ist auch kein schlechtes Wort. In so einem wurde ich von Acinsk aus sechs Stunden lang durchgeschüttelt. Der Dieselmotor hat gebrüllt wie Dein Klon-Fighter. Wir sind über sehr weißen Schnee dahingerast. »Ostsibirien ist groß«, wie Fan Mo sagt. Und hier ist noch alles wie früher, wie im 5. oder 20. Jahrhundert. Die Ostsibirjaken reden altrussisch mit chinesischen Einsprengseln, aber am liebsten schweigen sie, oder sie lachen. Es gibt viele Jakuten. Wir sind bei Morgengrauen in Acinsk aufgebrochen. Ein schweigsamer Weiß-Button lenkte den Propellerschlitten, dafür hat der jakutische Steuermann in der Uniform eines Fähnrichs zur See die ganze Fahrt lang laut gelacht, wie unser Zauberkünstler Lao. Ein typischer Vertreter seines kühnen, L-harmonischen Volkes. Die Jakuten hier bevorzugen weiche Zähne, kleiden sich in lebendgebärendes Tuch chinesischer Provenienz und üben sich aktiv im Multisex: 3 plus Karolina, STAROSEX und ESSENSEX. Rips, rips, ein Reisen-der! In sechs Stunden habe ich von diesem kuai huo ren folgendes erfahren: 1. Das Lieblings-Essen der Jakuten ist Rentierfleisch in Rabensaft (Man preßt den Saft aus einem mittelgroßen lebenden Raben, dann legt man ein Stück Rentierlende darin ein, gibt ein wenig Meersalz und Rentiermoos hinzu und schmort das alles in einem Kessel bis zum plus-direkt. Wollen wir das in sieben Monaten mal ausprobieren?). 2. Die Lieblings-Stellung der Jakuten ist Sex auf allen vieren. 3. Ihr Lieblings-Sensor-Film ist »Der Traum der roten Kammer« (mit Fei Ta, kannst Du Dich noch an ihren violetten Morgenrock erinnern und an den Geruch, als sie mit der
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Schnecke auf der Hand und dem Haufen nasser Krüge hereinkommt?). 4. Ihr Lieblings-Witz (so alt wie der ewige Bodenfrost) geht so: Eine Toiletteneinrichtung in Jakutien besteht aus zwei Stökken; einer, um sich die gefrorene vom Hintern zu kratzen, und der zweite, um sich die Wölfe vom Hals zu halten. Top-direkter Humor, was? Als ich nach sechs Stunden aus meinem Sitz hervorkroch, war mir aber trotzdem nicht zum Lachen zumute. PROSTATA. Eine violette Kontur in den Augen. Minus-Posit. Bad-kan, ser-po. Quarkige Stimmung. Du allein wirst mich verstehen, Du widerlicher liang lian pai. Mein Aufenthaltsort für die nächsten sieben Monate ist überaus merkwürdig. Das GENLAB-18 liegt versteckt zwischen zwei riesigen Bergkuppen, die aussehen wie Pobacken. Alles enthält eine Anspielung, rips ni ma de da bian. Diese Bergkuppen sind mit lichtem Wald bewachsen, mit Lärchen und Tannen. Ein Oberst empfing mich, ein quadratischer L-unzurechnungsfähiger Macho mit trübem Blick und der Direkt-Frage: WIE WAR DIE FAHRT? Ich habe ehrlich geantwortet: minus-robo. Dieser ben dan sha gua war enttäuscht. Als wir in den Bunker hinunterstiegen, verlor ich jedes Zeitgefühl. Das GENLAB-18 ist in einem ehemaligen Stützpunkt der Luftabwehr untergebracht. Sehr tief in die Erde eingelassen. Eisenbeton aus der Epoche des Sowjetkommunismus. Vor einem halben Jahrhundert haben hier die Angehörigen der sowjetischen Raketentruppen tagsüber auf die Knöpfe gedrückt und nachts masturbiert. Die Glücklichen, wenigstens hatten sie passende Objekte dafür: Fernseher und CD-Gerät. 9
Jetzt gibt es hier hingegen nicht mal ein Sensor-Radio. Verboten*: das ganze mediale Plus-Gemein. Die ganze Apparatur läuft auf Supraleitern der dritten Generation. Und die? Genau. Die hinterlassen kein S-Trash in den Magnetfeldern. Dementsprechend sind sie nicht zu fixieren. Zudem: die Temperatur im Apparaturenraum beträgt -28 °C. Nicht schlecht, was, rips lao wai? Da drin arbeiten sie in Rüstungen. Ein Glück, daß ich weder Maschinenführer noch Genetiker bin. Ein Plus-Plus-Glück, daß mein Koffer mit dem »Chzhud Shi« angekommen ist - das heißt, mit meiner L-Harmonie. Ich hoffe, daß alles ling ren man yi de wird und ich mich in diesen sieben Monaten nicht in einen Maulwurf-Albino mit einer rosa Prostata verwandle. Und so, mein zärtlicher Schuft, läuft die Zeit von nun an rückwärts. 7 Monate in Gesellschaft. 32 Weiß-Buttons, 1 Oberst, 3 Leutnants als Maschinenführer, 4 Genetiker, 2 Mediziner und 1 Thermodynamiker. Und der dir zartbekannte Logostimulator. Und das alles auf 600 Verst. So ist unser da hui, wie man hinter der Großen Chinesischen Mauer zu sagen pflegt. Das Wetter: -12°C, der Wind kommt von der linken Bergkuppe. Auf einer Lärche sitzen weiße Vögel. Haselhühner vielleicht? Gibt es weiße Haselhühner, mein Ferkelchen? Apropos: Du machst Dir doch gar nichts aus der Natur. Was im Prinzip nicht richtig ist. Und minus-aktiv. Drück mir die Daumen, daß ich hier nicht vor lauter Sehnsucht, obo-robo und Frost verquarke. * im Original deutsch
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Heute abend gibt es einen Braten wie in alten Zeiten, plus Fett der da-bjid-Eidechse. Das ba-sam-Öl ist heil angekommen, Kosmos sei Dank. Die »Fünf Guten« sind auch heil. Mir ist wieder eingefallen: »Durst, Koitus, Schlaflosigkeit, Gehen, Sitzen, Emotionen - alles, was Harndrang hervorrufen kann, ist verboten«. Schade, daß nachts niemand da ist, dem man den Krug halten kann. Mal sehen, was die hier essen. Bear's hug, mein schmalhüftiger hang kong mu jian. Ich küsse Dich auf die STERNE. Boris 4. Januar Nin hao, mein trockener Falter. Die verfaulten vierundzwanzig Stunden Vorbereitung sind vorbei. Ich bin es leid, zu bitten und zu befehlen. Obwohl beinahe alle Weiß-Buttons freiwillig länger im Dienst sind, haben sie anstelle des Gehirns Proteinpulpa zur Inkubation. Gestern bei Tagesanbruch kam ein wahrer Berg von Apparaten an. Kosmos sei Dank befindet sich mein Anteil nicht im Apparaturenraum, sondern in der V-Hydroponik. Ich werde mich nicht umziehen und schwitzen müssen. Jetzt geht es also los, rips ni ma de. Dein warmer Boris hat sich in diesem betonierten zhi chang nicht schlecht eingerichtet. Meine Kajüte ist am anderen Ende. Das summende Geräusch der Biotreibhäuser ist hier nicht zu hören. Das ist ein minus-direkter Laut, der mich bei meinen Dienstreisen immer genervt hat. Ich habe inzwischen alle kennengelernt. Die Genetiker sind Bocvar, ein rotwangiger, geschwätziger Russe mit einem ganzen Dutzend Marmolon-Scheiben um die Lippen, Witte, ein grauhaariger Deutscher, und Marta Karpenkoff, eine kor11
pulente Dame mit einer Vergangenheit als TEO-Amazone. Sie liebt Klon-Pferde, old-gero-techno, Luftslalom und Gespräche über M-Balance. Fan Fei aus Shanghai ist ein munterer Chinese in Deinem Alter. Er spricht hervorragend altrussisch und neurussisch. Man merkt, daß dieser große zhuan men jia für Gentechnik gut geht (der L-Harmonie-Koeffizient seines Ganges beträgt mehr als 60 Einheiten auf der Schneider-Skala). Wir haben uns über die Vorrangstellung chinesischer Blockbuster unterhalten. Er pfeift natürlich auf die tu ding. Die Ärzte sind Andrej Romanovič und Natalja Bok. Weiße Klon-Ratten aus dem stinkenden GENMEO. Sich mit ihnen zu unterhalten ist eine schwere farce. Dafür ist der Thermodynamiker Agvidor Chariton ein sympathischer, plus-direkter shao man. Er ist ein Nachfahre des Akademiemitglieds Chariton, der die H-Bombe für Stalin gebaut hat. Nicht die Geldgier hat ihn in unseren Beton-Anus verschlagen (wie Deinen sanften Freund), sondern eine SEX-BENG KUI: Er ist ein SOLider, bewährter Multisexler, und als ihn seine zwei zarten Kolben verließen, hat er sich aus lauter Kummer auf Dienstreise schicken lassen. Wer wird ihm in diesem Loch ein Double verpassen? Sicher nicht die, die freiwillig länger dienen, rips lao wai. Er liebt halbsportliche flyer der fünften Generation, den Himalaja, ältere Mathematiker, Kirschzigarren und Schach. Wir werden abends mal zusammen spielen. Das gesamte militärische Personal, die Maschinenführer eingeschlossen, ist total uninteressant. Muskulöse amplifier. Sie benutzen altrussische Flüche, die ich nicht mal mit nordischer Sauce ertragen würde.
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Und! Über den Hrn. Oberst bewahren wir Stillschw. - wie mein verst. Papa zu scherzen pflegte. Ob das die ganze shan shui hua ist, wirst Du fragen. Und ich nicke dazu, rips ni ma de. So weit ist es mit uns gekommen, mein Zicklein in Schokolade. Du hast mich immer damit erschreckt: »Von meinem BOBO muß ich scheiden«*. Du als zärtlicher Schuft wirst das leichter aushaken. Man braucht nur mit einer sauber gewaschenen Hand Deine Flossen berühren, - top-direkt, huai dan, plus-posit, xiao tou! Die Hand des sich darbietenden wang verkümmert nicht, und Dein perlmuttenes Proteus-Sperma wird nicht dickflüssig. Bedauerlicherweise bin ich anders gebaut, und mein LM neigt nicht zum Proteismus. Ich bin gesamthaft. Und ich bin stolz darauf, rips. Daher halte ich Dir die zhong shi, wie auch damals schon in Barcelona, durch Verschiebung der M-Balance und Bewahrung meiner göttlichen L-Harmonie. Ich bin überzeugt, das »Chzhud Shi« wird mir helfen, by Kosmos blessing. Bete für mich auf russisch. Apropos: vor mir liegt das »Chzhud Shi«, aufgeschlagen bei Kapitel 18, das Du gar nicht magst. NIRUCHA, DIE ZU DEN FÜNF VORSCHRIFTEN GEHÖRT: »Wenn sich im unteren Teil des Körpers ein Waffensplitter festgesetzt hat, dann sind die Folgen trockener Stuhl, glangtchabs, Hitze des Unterkörpers, Probleme beim Wasserlassen, * im Original deutsch
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Magenblähungen, Finnen, akuter skran und verschleppter rims.« Ein Splitter Deiner saftigen Waffe, Du Abschaum, hat sich in meinem Herz-Chakra festgesetzt. Aber über diese Krankheit gibt selbst das »Chzhud Shi« keine Auskunft. Und wag ja nicht, über die »Erkenntnis von Krankheiten im Spiegel des Urins« zu lachen, Du chun ren. Ich bin älter und klüger als Du, und ich sage es Dir 77mal: Dein geliebter Aderlaß ist kein Allheilmittel für alle Krankheiten. Denk nur an den großen Vernadskij: die L-Harmonie ist nicht abhängig von der Reinheit des Blutes. Deine Quasimeditationen mit Ivan und der nachfolgende gemeinsame Aderlaß sind vollkommener hu shuo ba dao. Dieser Wilde hat ein Minus-Direkt von zwei plus-unser-plusdirekt. Ich habe keine Angst vor Deinem tibetischen Messer, das wie ein Schwalbenschwanz geformt ist, aber mich dauert Dein junges Blut, das sinnlos in der Erde versickert. Meine Lippen würden es besser aufsaugen. Aber jetzt genug des Körperlichen. Das ist der Altersunterschied, der in meinen biophilologischen Gelenken knarzt. Du Glücklicher, Du hast ganze 12 Jahre in Reserve. Wie viel das ist, rips ni ma de! Ich schreibe das ohne Neid. In den drei Jahren unserer affaire hast Du sicher bemerkt, daß ich ungeachtet meines eitrigen Charakters die kindliche Fähigkeit bewahrt habe, mich für mir nahestehende Menschen aufrichtig zu freuen. Und näher als Du, sha gua, ist mir nur mein blasser Körper mit der beständig glühenden Prostata. Aber genug der bei can de. Es ist Zeit für etwas Angeneh-
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mes: das foodproviding ist hier top-direkt. Das heißt, einfach nin hao da bian. Dazu haben wir einen sehr lakonischen Koch, keinen Garnisonskoch, obwohl er die Uniform eines Sergeanten trägt. Du kannst es selbst beurteilen, mein Blutegelchen, hier ist die SPEISEKARTE für heute: Frühstück* Ahornsaft Algen-Porridge Schafsbutter Haferbrot N-Kaffee TW-Kaffee Grüner Tee Lunch Roggentoast mit Ziegenhirn Salat aus Wiesengräsern Hühnerpreßbouillon Nutriafilet mit jungem Bambus Früchte Brombeerblub Vesper Gegorene Stutenmilch Wan tan Suppe Quarkkuchen mit Hirse * im Original deutsch
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Abendmahlzeit Birkenmark mit Polenta Heißer Ingwertrank Quellwasser Der L-Harmonie-Koeffizient einer solchen Mahlzeit beträgt 52 bis 58 Einheiten auf der Geraščenko-Skala. Not bad, stimmt's? Und gestern gab es Klon-Pute mit roten Ameisen zum lunch, was einen Anfall von violetter Nostalgie bei mir hervorrief. Erinnerst Du Dich noch an das Bankett im ASIA-Zentrum anläßlich des split-Falgierens mit dem Makro CHETAO vom Frühjahrs-Plus-income ? Du warst damals im Minus-Direkt wegen dieses lao bai xing Zlotnikoff, deswegen erinnerst Du Dich sicher an gar nichts, außer an seine Platinhaare und die feisten Pranken, mit denen er Dich neben dem Obelisken betatschte. Aber ich habe mich an diesem verfaulten Abend ganz der Gastronomie hingegeben. Es ist allgemein bekannt, die Köche im CHETAO sind keine Papiertiger und auch keine Mädchen, die mit einem Büffelhorn zi ding xiang hua-Blüten auf die Oberfläche des Chzhan-Sees malen. Nach der mündlichen Einführung und der Ausgabe von Schmuckkästchen ritt die unvergleichliche Miao Ma auf einer anderthalb Tonnen schweren blauen Klon-Schildkröte herein und stimmte »Das silbergraue Mädchen« an. Danach war ich genervt und verquarkt: schon wieder dieser Chinesenkram, rips lao wai, darum kommt man heutzutage einfach nicht herum. Ich hatte mir ausgemalt, daß jetzt 38 junge Männer die Sandelholzpforte öffnen, der Zeremonienmeister mit seinem silber-
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nen Stab klopfen und die totalitäre Macht der chinesischen Küche über uns hereinbrechen würde. Doch statt dessen - eine grüne sensor-wave, der Bois de Boulogne, le triomphe de la cuisine française: Hyper-Austern, Lachs mit Parasiten, siamesische Kälber mit Trüffeln, Spitzmäuse mit Mohn, Beluga-Kaviar in Schälchen aus Mondeis, Büffelnieren in kondensiertem Madeira, Nashornsattel mit blauem Laser und - meine Lieblings-Speise, so einfach wie das Lächeln eines Replikanten, saftig wie das Leben - Klon-Pute mit roten Ameisen. Im CHETAO war sie riesig, hier hingegen bescheidener, ungefähr siebzig Kilogramm. An jenem Abend riß ich das weiße Fleisch von den Knochen, kaute munter die knackenden Ameisen und spülte meine M-Eifersucht mit »Mytiščenskij 2222« hinunter (500 neue Yuan die Flasche). Du weißt ja, beim Weißwein habe ich die alten Weine aus der Gegend von Moskau am liebsten, und Rotwein gibt es heute nur noch albanischen. Doch damals habe ich aus L-Prinzip keinen Rotwein getrunken. Als Du dann mit Zlotnikoff in den Lift gestiegen bist, um ihm in der Hochdruckkammer ein kleines tip-tirip zu machen, wurde das Dessert serviert. Es gab eine riesige runde Torte, ein sehr detailliertes Modell des Mondes, mit dem sie im CHETAO große Pläne haben (sie haben den Brasilianern schon das Gebäude des zerstörten Hiltons im Mare Tranquillitatis abgekauft). Die Torte schwebte über einer Vibroplatte, deren Musik eine anregende Wirkung auf mich hatte. Als einer der ersten stieß ich das Meser in die Torte und schnitt mir ein riesiges Stück ab. Ich nahm einen doppelten
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»Albogast«, danach einen Vodka »Katja Bobrinskaja«, danach einen geschichteten Likör »Die sieben Farben des Regenbogens«, darauf wieder einen »Albogast«, »Napoleon X.O.«, »Myer's Planters Punch«, »Onkel Vanja«, »Cusam samroju«, und Du weißt ja noch, womit das alles endete. Rips! Ich werde mich weder bei Dir noch bei Zlotnikoff entschuldigen, selbst auf dem Totenbett nicht. Das ist eine Prinzipienfrage, mein biegsamer Brauenträger. Und die Muttersau Zlotnikoff wird mein Tippel-Tappel in ewiger Erinnerung behalten. Gehe ich Dir auf die Nerven? Es ist an der Zeit, die T-Vibrationen abzubrechen und den gefrorenen Igel aus seinem schmalen Bett zu werfen. Die Klon-Brieftauben sind eine ganz tolle Erfindung unserer Militärs, sag ich Dir. Der Gefreite Nedelin ist für den KlonTaubenschlag zuständig. Der Taubenschlag wird mit einer Stahltüre verschlossen. Und das hat seinen Grund, rips. Die Wesen, die der krummbeinige Nedelin züchtet, erinnern in keiner Weise an Picassos unschuldiges Täubchen, dessen Hologramm über dem Eingang schwebt. Sie sind so groß wie Adler, und ihre gelben Augggggggggen leuchten im Dunkeln. Ihr Hornschnabel könnte dem Gefr. Nedelin ohne weiteres den Schädel durchstoßen. Diese Kreaturen wachsen wie die Pilze, Nedelin füttert sie mit Preß-Ratten und XL-Protein. Sie sind frostbeständig, anspruchslos und von großer Reichweite. Und sie schlafen nie. Wenn so ein Bastard in der Luft mit einer echten Taube zusammenstößt, zerreißt er die im Flug, verschlingt sie und fliegt weiter.
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Innerhalb eines Tages läßt Nedelin bis zu 6 Klon-Tauben los: military plus private Post. Ein Briefgeheimnis gibt es nicht: meine Briefe werden Dich erreichen, wenn das Projekt beendet und der Bunker liquidiert ist. Vielleicht werde ich Dich früher umarmen als Du sie bekommst, mein schlanker wang? Und dann verschränken wir uns wie weiße Kraken und überholen die Klon-Brieftauben. Und dann, wenn sie ankommen, wirst Du diese Briefe öffnen und lesen, und ich werde hinter Deinem tätowierten Rücken liegen, ihn mit Pistazienschalen bewerfen und an Deinem rotzigen Grunzen erraten, welche Stelle Du gerade liest. Schön wäre es, wenn es so wäre, rips. Nach dem lunch bin ich zwischen den Bergkuppen spazierengegangen und habe geraucht. -14°C. Grauer Himmel, trübe Sonne. Heraus kamen: Gefr. Nedelin (um die Brieftauben freizulassen) und Marta Karpenkoff (um zu schauen, wie sie fliegen). Die Kreaturen verlassen ihre Stahlkäfige nur widerwillig. Nedelin zerrt sie mit einer Zange heraus und schleudert sie in den Himmel. Sie breiten ihre muskulösen Flügel aus und ziehen nach Abakan. Karpenkoff sieht ihnen mit dem zielsicheren Blick der ExAmazone nach. Nedelin klappert mit den leeren Käfigen und schneuzt in den Schnee. Übermorgen bringen sie die Objekte. Ich habe alles vorbereitet, mit Ausnahme der Provokationen. Ich muß mich noch etwas im Labor herumtreiben. Die Biophilologie ist eine moderne Wissenschaft, aber sie erfordert Zeit und Aufmerksamkeit. Stimmt's, mein Delphin? Ich drücke Dich. Boris 19
5. Januar Und trotzdem bist Du ein huai dan, ni ma de. Ich versuche, Deine klebrige Schweinerei mit Kir und Daisy zu vergessen, aber es geht nicht. Selbst hier nicht, in diesem hartgefrorenen Ich verstehe jetzt, wieso Du so lange um Verzeihung gebeten hast, wieso Du gefleht hast, man sollte Dich nicht mit BOROIN-OUT bestrafen. Nicht deshalb, weil Du ein Rapid von Geburt bist, weil Du fünfzig Prozent L-Harmonie hast und vom Karma her ein Zukkerschwein bist. Mit Deinen Tränen, Deinen Verbeugungen und Deiner Tischküsserei hast Du eine schwerere Schuld plastiliniert. Eine schweißfeuchtere Verbindung. Kir ist ein simpler sha gua, ohne eine Spur von L-Harmonie, der seinen zarten zuan kong qi in die GERO-KUNST gestoßen hat. Daisy ist eine lao bai xing aus Pskov, die zufällig in die Petersburger ART-Szene geraten ist. Sie ist außerstande, ein elementares tan chua zu führen, und wie die Rebecca aus Deiner Lieblings-Serie kann sie nur das Ende vom Satz ihres Gesprächspartners wiederholen und versteckt ihre Dummheit hinter hebephrenischem Gelächter. Kir hat sie deshalb noch, weil sie ihn zwischen den Muskeln ranläßt, das weiß sogar Popoff. Du hast wegen Deiner verlogenen W-Ambitionen Beziehungen mit diesem minus-positen Mesaillance-Paar verrotzt, und ich naiver edler wang bin nicht daraufgekommen, wieso. Du hast Kir und Daisy, diese jämmerlichen Gestalten, doch nur als Deckmantel benutzt, hinter dem Du Dein schweinisches natural mit Nataša abgezogen hast.
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Sie ist ein widerlicher, minus-aktiver Tausendfüßler. Sie hat Dich mit ihren bleichen, blaugeäderten Beinen umschlungen und wo ai ni geraunt, und Du hast ihre Trockenheit mit Deinem Stößel gespreizt. Ihr habt ES natural gemacht, wie unsere Väter und Großväter. Und Du warst stolz auf Deine M-Kühnheit, Du enger Abschaum: »Ich probiere ein natural!« Eine heuchlerische Abscheulichkeit, die Scunnern und Diggern würdig ist. Bei bi de xiao tou, ke chi de Hang lian pai, chou de xiao zhu, ke bi de huai dan, rips ni ma de da bian! Und das ist alles, was ich in Dein vergoldetes Ohr brülle. Du klebriger Abschaum. Boris 6. Januar Nin hao, mein Entzücken. Heute ist wunderbares Wetter, und es hat sich viel ereignet. Erstens: Meine Prostata hat sich vorläufig beruhigt. Wie das kommt? 16 Ausbrennungen, niruchi und Einreiben mit Fett der da-bjid-Eidechse. Zweitens: Unser Oberst bekommt keine Post. Ein Scherz. Hier bekommt niemand Post. TS 332. Briefe fliegen nur in eine Richtung. Und! Drittens: Die Objekte sind geliefert worden. Das verdient eine eingehende Beschreibung. Ich saß im Labor
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und habe die gestrige Saat gescannt. Da polterte Bočvar herein: SIE KOMMEN! Wir zogen uns an und stiegen nach oben. Dort war bereits unsere ganze Weiß-Button-Garnison versammelt. Ein vorsintflutliches Schneemobil bog um die linke Bergkuppe und schleppte eine weiße living-xiao ehe hinter sich her, so eine, wie sie die Chinesen während des Dreitagekriegs in der Mongolei benutzt haben. Sie fuhren vor. Irgendein Kapitän (anscheinend vom SPB) kletterte aus dem Schneemobil und erstattete dem Oberst Bericht. Die livingxiao ehe wurde geöffnet, und die Objekte wurden herausgeführt. Du weißt ja, ich bin eine kaltblütige Eidechse, aber ich habe zum ersten Mal RKs gesehen. Und deshalb? War ich über Gebühr neugierig. Es sind sieben Objekte: Tolstoj-4, Čechov-3, Nabokov-y, Pasternak-i, Dostoevskij-2, Achmatova-2 und Platonov-3. Ungeachtet der Hitze in der living-xiao ehe trugen alle RKs einen Raumanzug mit Halsband und tub-Stiefel am rechten Fuß. Sie stiegen die Gangway hinunter und wurden in Empfang genommen. Sie gingen ganz ruhig. Sie wurden professionell einquartiert. Sieben Zellen, mit Naturfilz ausgeschlagen: 3x3x3. Ausführlicher: Tolstoj-4. Das ist das vierte reconstruct von Lev Nikolaevič Tolstoj, inkubiert im GWJ von Krasnojarsk. Die ersten drei waren nicht so ganz gelungen: es gab nicht mehr als 42% Übereinstimmung. Bei Tolstoj-4 beträgt die Übereinstimmung 73%. Es ist ein Mann, Größe 112 cm, Gewicht 62 kg. Kopf und Hände sind
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überproportional groß und machen die Hälfte seines Körpergewichts aus. Die Hände sind massiv wie bei einem OrangUtan, weiß und faltig. Der Nagel des kleinen Fingers ist so groß wie eine 5-Yuan-Münze. Ein großer Apfel würde in seiner Faust spurlos verschwinden. Sein Kopf ist dreimal so groß wie meiner; die Nase nimmt das halbe Gesicht ein und ist ungleichmäßig und höckerig. Buschige schwarze Augenbrauen, kleine tränende Augen, riesige Ohren und ein knielanger schwerer weißer Bart, dessen Haare wie Wasserwürmer im Amazonas aussehen. Das Objekt ist ruhig und stumm, wie die anderen sechs auch. Es zieht mit Vorliebe geräuschvoll Luft durch die Nase ein und atmet dann schwer aus. Manchmal führt es beide Fäuste zum Gesicht, öffnet sie langsam und betrachtet eingehend seine Handflächen. Dem Aussehen nach ist es ungefähr 6o Jahre alt. Es wurde in 3 Jahren und 8 Monaten gezüchtet. In seiner Zelle steht ein durchsichtiger Tisch im spätkonstruktivistischen Stil (Hamburg, 1929), ein Bambussessel (Kambodscha, 1996) und ein Bett mit Heliumfüllung (London, 2026). Die Beleuchtung besteht aus drei Kerosinlampen (Samara, 1940). Das Erregen*-Objekt ist ein ausgestopfter Albino-Panther. So ist das, rips lao wai. Weiter: Achmatova- 2. Das zweite RK von Anna Andreevna Achmatova. Wurde im GENROSMOB inkubiert. Der erste Versuch ergab 51 % Übereinstimmung, der zweite 88 %. Das Objekt sieht äußerlich vollkommen wie das Original im Alter von 23 Jahren aus. Es wurde in 1 Jahr und 11 Monaten gezüchtet. Starke An* im Original deutsch
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omalie der inneren Organe: sie sind praktisch alle an der falschen Stelle und nicht voll ausgebildet. Das Objekt hat ein künstliches Herz und eine Schweineleber. M-Balance 28. Unruhiges Verhalten, Automatismus, PSY-GRO, yang dian feng. Es stößt häufig kehlige Laute aus, schnuppert an der rechten Schulter und an Gegenständen. In der Zelle befindet sich eine Ebonit-Liege (Südafrika, 1900) und ein freischwebender Leuchtball. Als Erregen*-Objekt gibt es mit Flüssigglas überzogene männliche Neandertaler-Knochen. Ist mein Bericht auch nicht allzu trocken, mein goldener hang kong mu jian? Lies nur. Du bist schließlich GERO-KÜNSTLER*, rips chou de xiao zhu! Nabokov-7. Mit ihm haben unsere Genmo shu jia sich 8 Jahre lang herumgeschlagen. Das erste RK entstand im unterirdischen MUBE, als ich noch mit den siamesischen Zwillingen zusammenlebte und Deine Reize noch nicht kannte. Nach den Aufzeichnungen des Akademiemitglieds Makarevič zu urteilen, betrug die Abstoßung bis zu 80%, das Objekt war amorph und wurde in einer Hochdruckkammer gehalten. Nabokov-5 wurde am Tag der Unterzeichnung der Münchner Konvention über das Verbot von RKs und Klonierung des F-Typs inkubiert (sic!). Das Projekt wurde eingefroren und das Objekt abgetötet. Doch bereits ein halbes Jahr später wurde Nabokov6 im VINGENIŽ von Voronež inkubiert (ohne Wissen des IGKC). Es gab viele Probleme. Aber jetzt haben wir Nabokov7: 89% Übereinstimmung. Phantastisch, rips da bian! Die höchste Stufe von allen sieben. Auch wenn das äußerlich nicht * im Original deutsch
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erkennbar ist: Das Objekt sieht aus wie eine rundliche Frau mit rotblonden Locken. Alle Muskeln vibrieren leicht, was den Körper des Objekts kaum merklich konturiert. Der Schweiß läuft in Strömen an ihm herunter und gluckert in den übervollen Stiefeln. Möbel: ein Küchentisch (UdSSR, 1972), ein runder Stuhl an einer geschraubten Stange (Bukarest, 1920), ein Feldbett (US Army, 1945). Beleuchtung: vier willkürlich angeordnete grüne Spots. Das Erregen*Objekt ist ein mit Bienenhonig bestrichener Damen-Nerzmantel, der an einem goldenen Haken an der Decke aufgehängt ist. Pasternak-1. »Aller Anfang ist leicht!« scherzte unser Deutscher spontan. Der Allgegenwärtige und Unsterbliche Alois Vaneev hat Pasternak-1 inkubiert. Die Übereinstimmung beträgt 79 %. Die tierähnlichste Schöpfung von allen sieben. Die Ähnlichkeit mit einem Lemuren ist verblüffend: ein kleiner, mit weißem Flaum bedeckter Kopf, ein winziges, runzliges Gesicht mit riesigen rosa Augen, lange, bis an die Knie reichende Arme und kleine Füße. Er schaukelt hin und her und stößt mit der Nase Trompetentöne aus. In Übereinstimmung mit der LOGO-Korrelation sind in seiner Box keine Möbel. Dafür gibt es 64 intensive Punktstrahler und ein lebendiges Erregen*-Objekt: eine sechzig Kilogramm schwere Klon-Perserkatze. Die woran stirbt? An Fettsucht, mon petit. Dostoevskij-2. Eine Person unbestimmten Geschlechts und mittlerer Größe, Anomalie des Brustkorbs (steht wie ein Kiel hervor) und des * im Original deutsch
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Gesichts (das Schläfenbein ist mit dem Nasenbein in Form eines Sägegriffs zusammengewachsen). Sein Filzraum ist mit einer Soffittenlampe beleuchtet. Das Erregen*-Objekt ist eine Jaspis-Schatulle mit Diamantstaub. Platonov-3. Ein echtes Erzeugnis der Gen-Kunst aus Sankt Petersburg. Mein süßer Kolben, kannst Du Dich noch an den Yogi erinnern, den Gurdžiev beschreibt? Der Yogi hat zwanzig Jahre lang auf Finger- und Zehenspitzen im Hof eines buddhistischen Klosters gestanden, und die Mönche haben ihn einmal im Monat zum Fluß getragen und abgewaschen wie eine Bank oder einen Tisch. So ein Tisch aus Fleisch und Blut ist Platonov-3. Seine schweren Knochen sind mit gelblicher Haut überzogen, sein flaches Gesicht schaut unablässig nach unten, ein riesiges weißes Glied baumelt zwischen den Beinen. Platonov3 hat eine Kabinettgarnitur aus Buchenholz (Paris, 1880), einen Kristallüster (Brünn, 1914), und das Erregen*-Objekt ist Eis in einer mit Watte ausgeschlagenen Holzkiste. Zu guter Letzt - Čechov-3. Sehr große Ähnlichkeit. Sogar gou fen, rips ni ma de. Obwohl die Übereinstimmung nur 76 % beträgt. Es gibt einen Defekt der Magen fehlt. Nun, aber das ist eine xiao shi, wie Väterchen Mo zu sagen pflegt. Alle Objekte sind am Bios angeschlossen, so daß es keinerlei Probleme mit dem Essen oder der Defäkation gibt. Im allgemeinen ist noch alles chang tai de. Aber warum schreibe ich das eigentlich D i r, Du Schweiß* im Original deutsch
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nisse, wo Du doch mit einem solchen Plus-Direkt intime Freunde verrätst? Bist Du in der Lage, den einfachen und dis-aktiven bao fa meines Körpers zu verstehen? Verstehst Du, als denkende Monade, daß NIEMAND meinem Körper näher ist als DU? Boris 7. Januar Gestern nacht setzte ein Schneesturm ein. Das ist ein starker Wind mit Schneefall. Er hat uns allen die fa durcheinandergebracht. Das TFG wurde nicht geliefert. Alles kam zum Erliegen. So ist es immer bei den Militärs - die Hauptsache heben sie zum Dessert auf. Das ist das russische aufs Geratewohl plus bu fu ze xian xiang. Wir warten das Wetter ab und trinken seit dem frühen Morgen. Du fragst: »Rips ni ma de, und was ist mit unseren zwei Verträgen, die wir mit Kognak und Sperma unterschrieben haben?« Du mein faulherziger Engel, Du hast Deinen Vertrag als erster gebrochen (mit Zlotnikoff), noch bevor Dein Sperma auf dem Reispapier trocken war. Ich bin zu 99 % sicher, daß Du während meiner Abwesenheit neben Multisex es auch weiterhin natural machst, und das mit Leuten, deren widerliches, L-disharmonisches Fleisch nicht einmal als press-food für die KlonBrieftauben des Gefreiten Nedelin taugt. Darum. Als ich heute morgen ins Solarium kam, genehmigte ich mir reinen Gewissens die erste Dosis von meinem geliebten Vodka »Katja Bobrinskaja«. (Kognak gibt's hier nicht). Unser Solarium - im Jargon der Weiß-Buttons auch »Soči-
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lovo« genannt - ist ein verhältnismäßig großer Raum, mit lebendgebärender Textur tapeziert und von oben hyperaktiv beleuchtet. In der Mitte sind die Bar (der Inhalt ist äußerst pin fa de), die Wasserhocker, ein Schachtisch (den habe ich bestellt) und zwei Sensor-Sessel, natürlich mit sehr rudimentärer Ausstattung. An einem normalen Ort würde es mich nach 50 ml »Katja« unweigerlich zum Sensor-Sessel ziehen. Für den Anfang würde ich erst mal etwas Lustiges reinschieben. Zum Beispiel das Mix-Remake »Augen der Großstadt - Terminator«. (Erinnerst Du Dich, wie Schwarzenegger in der subway hinter Charlie Chaplin herjagt?) Nach der dritten Dosis würde ich dann auf das chinesische Zeug von Shaolin-Productions umsteigen - »Der Hauch des Roten Drachens« oder »Kleine Buchten am Fluß«. Und nach 500 ml käme dann DIE GEHEILIGTE RETRO: »Farewell, Moranbong!« Rips, nach einem halben Liter kann ich die Hände von Susi Blank nicht mehr sehen, ohne daß mir die Tränen kommen und das ist fatum. Weißt Du noch, wie sie mit ihrem Hemd Vladimir den Flügel verbindet, und er schließt die Augen und fragt: »Mußtest Du jemals im Himmel schlafen?« - »Im Himmel?« fragt sie zurück. »Wie ist das?« Augenblicklich quillt Blut durch das Hemd! und Brandung! und Gischt auf den Felsen! und Muränen schwimmen um Ronalds Leichnam herum! und Wind in den Haaren! und der Geruch von einem verbrannten Nest - und sobald dann der Sand geflogen kommt und die Sandkörnchen zwischen den Zähnen knirschen, muß ich anfangen zu weinen. Ich weine bis zu ihrer Reinkarnation.
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Es ist ein Rätsel für einen so unsentimentalen Menschen wie mich. Aber hier, im GENLAB-18, gibt es bislang keinen Anlaß zu weinen. Bevor ich mir noch eine »Katja« genehmigen konnte, gluckerte die Tür, und zwei Leute kamen herein: Bočvar und Karpenkoff. »Rips, es heißt doch, daß die Biophilen nur daran schnuppern, pressen und reiben!« lachte Bočvar. »Leider trinken sie auch.« Ich trank aus. Er ging hinter die Theke und klapperte mit den Flaschen herum. »Herr Gloger, womit kämpfen Sie gegen den Schneesturm?« fragte die Karpenkoff und schaute auf meinen leeren Kubus. »Mit Vodka ›Katja Bobrinskaja‹«, antwortete ich und überzeugte mich wieder einmal vom schweren W-2 dieses Weibchens. »Katja Bobrinskaja?« fragte sie mit einem so mürrischen Minus-Direkt, als ob ihr in dem Moment ihr ganzes trostloses Leben zu Bewußtsein gekommen wäre. »Was ist das denn?« »Marta, das ist ein guter Roggen-Vodka.« Bočvar kam mir zuvor. »Ace-posit.« »Dann gießen Sie mir auch einen ein.« Die Karpenkoff ließ ihr wang wei auf den Hocker fallen. »Sie brauchen gar keine Flasche zu suchen«, warnte ich Bočvar. »Hier gibt es nur Würfel.« »Die haben hier bloß billigen Verschnitt für uns!« Bočvar fing schallend an zu lachen. »Nördliche Vögelei mit eisiger SuperFotze plus Schwanzscroll!« »Ich möchte doch darum bitten, in meiner Gegenwart keine russischen Flüche zu benutzen«, scannte ich ihm. »Sind Sie ein dan huang?« fragte er. »Ja, bin ich«, gab ich zur Antwort. 29
»Jiu jing nin shenme shi hou neng zhun bei hao ni?« Bočvar bleckte seine Perlmuttzähne. »Qu nian xing qi ri xia yu shi.« Ich steckte mir eine Zigarette an. »Rentiere, schont euer Geweih.« Die Karpenkoff schnappte sich den Kubus, den Bočvar ihr über die Theke zuschob. »Auf mich wirkt dieser Schneesturm wie END-ŠUNJA. Steinerner Kopf plus steinerne Vagina plus steinerner Anus. Sind Sie zum ersten Mal in so einem Norden, Boris?« »Ja«, antwortete ich und setzte mich an das Schachbrett. »Das sehe ich.« Sie führte den Kubus an ihre orangefarbenen Lippen. »Der weiße Norden läßt Sie nicht verquarken. Bei mir ist es das vierte Plus-Come. Jedes Mal verliere ich bis zu 6 Punkte meiner M-Balance, aber dennoch bekomme ich eine anständige BORBO-LIDE. Der Norden bringt uns violetten Wanzen etwas bei.« »Wenn bloß die Militärs das Nashorn nicht angemalt hätten, rips ni ma de da bian.« Bočvar goß sich Chivas Regal in ein Glas und gab großzügig Eis hinzu. »Ich bin bereit, 20 Einheiten L-Harmonie zu verlieren, Hauptsache man kommt damit aus. Wenn sie alles so providen wie TFG, dann können wir ohne Stoßdämpfer nicht auskommen. Noch einen Monat lang hier die Luft kneten - beng kui!« »Unsere Militärs malen das Nashorn nicht an, Leonid.« Die Karpenkoff hatte ihren Vodka hinuntergekippt und stieß konzentriert Atem aus. »Die Weiß-Buttons sind keine einfachen Soldaten, nicht einmal MPI. Sie haben einen SOLiden Status. Unser Agvidor macht mir viel mehr Sorgen.« »Chariton?« Bočvar nahm einen Schluck aus seinem klirrenden Glas. »Ja.« Die Karpenkoff zog ein schmales Zigarettenetui unter ih-
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rem Schulterstück hervor und nahm eine Papirossa heraus. »Ich weiß nicht, vielleicht bin ich ein Parnikubel, aber seine Manipulationen an den Batterien sind doch äußerst zweifelhaft. Das ist doch wirklich retro-plus.« Bočvar fing an zu lachen. »Haben Sie überhaupt eine Ahnung von Thermodynamik?« fragte ich. »Man muß kein Gen-Titan sein, um die Abhängigkeit der DisSprünge von der Entropie-Schwelle zu kennen. Ich habe nicht erst gestern die Vagina verlassen, und das hier ist nicht meine erste Dienstreise. Chariton ist ganz wild auf die von-Stein-Praxis, die beinahe alle ablehnen. Mit Arcimovič und Mameljan habe ich direkter gearbeitet.« »In Ugra?« fragte ich und stellte die Schachfiguren auf. »Das SPlastilin-Projekt?« »Yep.« Sie zündete die Papirossa an. »S-Plastilin und HS-3 zu vergleichen ist nicht korrekt.« Ich machte einen Zug nach e4. »S-Plastilin!« Bočvar fing an zu lachen. »Marta, Sie bluffen ja! S-Plastilin! Vitja Borconi hat ein in-out für sie gemacht. Das war alles wie in der Savanne. Es hat alles sofort geklappt, ich habe die Pulpa gesehen. Rips, das ist top-direkt. Sein Körper wog vier Tonnen, die Haut wurde vor unseren Augen vulkanisiert. Aber diese Projekte zu vergleichen, Marta ...« Er schüttelte den Kopf so heftig, daß die Halbmonde über seinen Augenbrauen klirrten. »Ihr Arcimovič und Ihr Mameljan sind doch im Vergleich zu uns allen bloß kleine Pfuscher.« »Die Schleife kann mir gestohlen bleiben, ich trage die Verantwortung für die Vereinbarkeit. Aber Sie und Witte müssen noch Glas kauen. Ihr genialer Agvidor wird eine sehr durchschnitt-
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liehe Streuung erhalten. Das sehe ich. Es gibt einen durchschnittlichen Gestank.« Die Karpenkoff ging zur Wand und blies Rauch gegen die Textur. Die Härchen vibrierten gierig. »Marta, pressen Sie doch nicht das Euter«, gähnte Bočvar. »Basta. Wir alle wollen Geld. Und einen komfortablen Rückweg. Stimmt's, Boris?« Ich nickte. »Boris ist nicht gerade ein Schwätzer.« Die Karpenkoff kam auf ihren Kothurnen schwankend auf mich zu. »Und ich bin stolz darauf«, brummte ich und begann die spanische Eröffnung. »Ich hasse den Winter.« Bočvar setzte sich auf die Theke. »Schlimmer ist nur noch Musik 137. Noch ein bißchen ›Katja‹ ?« Ich nickte. Er schob mir einen Kubus zu. »Das ist nichts für mich.« Die Karpenkoff drückte ihre Papirossa aus. »Gibt's hier Eichenaquavit?« »Natürlich!« Bočvar fand ihn sofort, öffnete die Flasche und schenkte ein. »Das ist schon was anderes. Zuo de hen ya guan de.« Sie kippte ihn hinunter. Der Oberst kam herein. »Die allerschönste Beschäftigung!« grinste er. »Schließen Sie sich uns an, Serge.« Die Karpenkoff machte eine einladende Kopfbewegung. »Andrzej ist heute der Mundschenk. Was trinken Sie denn bei Schneesturm?« »Ganz egal.« Der Oberst entspannte sich. »Nur keinen Wein und kein Bier.« »Vertrauen Sie sich mir an.« Sie zeigte ihm das Glas mit Eichenaquavit. »Das ist ein Betonschild gegen Schneestürme.« »Wie hat Mao gesagt: Wenn die Nordwinde wehen, muß man 32
keine Schutzschilde errichten, sondern Windmühlen bauen!« Bočvar grunzte und schenkte dem Oberst ein. »Rips, hier kann man leichter sprengen als bauen!« Der Oberst öffnete sein Halsband. »Sibirien! Die Stürmer sind Schweine. Nicht mal richtig etwas vorbereiten konnten sie, diese Wichser. Das ganze providing kommt ins Rutschen.« »Aber iiich will schooon nach Haaause!« sang Bočvar mit seinem Tenor. »Wer ist bei den Objekten?« fragte ich den Oberst. »Leutnant Peterson.« Der Oberst trank aus und schaute mich mit seinen ausgebleichten Augen an. »Der Schneesturm versetzt sie in Aufregung. Tolstoj-4 hat Galle erbrochen, Pasternak-1 ist mit dem Kopf gegen die Wand gerannt.« »Rips!« Ich stand auf. »Wann ist das passiert?« »Ganz ruhig, Gloger.« Der Oberst legte mir seine kleine, aber kräftige Hand auf die Schulter. »Es ist schon wieder alles ping an de. Peterson ist ein erfahrener Mediziner. Im Grunde läuft bisher alles trace-tip-tirip.« Er klopfte sich mit dem Finger an sein breites Kinn. »Alles, außer euren TFG«, warf ich ein und ging zum Endspiel über. »Wieso unseren?« Der Oberst grinste spöttisch. »Wir sitzen hier alle im selben Sarg.« »Die TFG sind ihre Praxis, Serge.« Die Karpenkoff ging von hinten auf ihn zu und legte ihre Hände auf seinem grauen Hinterkopf zu einem kleinen Ring zusammen. »Ohh, wieviel Gusanos Sie haben. Sind Sie ein Latrinenputzer?« »Ich bin ein Schmetterling«, lächelte er. »Richtig, Sie sind kein Latrinenputzer«, scannte sie weiter. »Sie sind ein guter alter ADAR. Stimmt's?«
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»Das sieht man auch ohne Ring.« Der Oberst holte eine Tabatiere heraus und nahm hastig eine Prise. »Marta, rips, Sie sind nicht Sandra Judd. Sie müssen unbedingt etwas haben.« »Habe ich.« Sie ließ die Fährte fallen und küßte ihn auf den Hinterkopf. »Anakonda, rips!« Der Oberst fuhr zusammen. »Schade, daß Frauen auf Dienstreise sich keinen KLOP zulegen!« Alle fingen an zu lachen, und ich auch. »Katja Bobrinskaja« begünstigt das Verständnis von Kollektiv-Humor. Chariton kam in einer reifbedeckten Rüstung herein. »Das Chromo-Dis ist nicht im Siebener-Bereich.« »Wieviel?« Bočvar stellte sein Glas ab. »30 bei 6,32 bei 4.« Die Genetiker gerieten in Bewegung. »Das kommt alles vom Schneesturm.« Bočvar verließ als erster den Raum. »Agvidor ist ein großer Meister im Gefrieren fremder Väter«, sprach die Karpenkoff und schaute dem Oberst in die Augen. »Ich habe immer an die RUSS-Thermodynamik geglaubt.« Sie ging hinaus. »Also, vorrücken zum Anmalen.« Der Oberst schloß sein Halsband. »Boris, um zwei erwarte ich Ihre traces.« »Fertig*, rips ni ma de«, knurrte ich vor mich hin. Der Oberst verschwand durch die Tür. »Rips chou de shi qi!« Chariton zog die Rüstung aus und ging zur Bar. »Das ist doch alles Pfusch hier. Alles fliederfarbener Pfusch.« * im Original deutsch
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»Rußland.« Ich setzte mich in drei Zügen matt. »Machen wir eine Partie?« »Eiter und Honig sind in diesem Land Zwillingsbrüder. Ivan Višnevskij hat ganz recht.« Er setzte sich mir gegenüber und begann, die Figuren aufzustellen. »Da spricht der Jude in Ihnen.« Ich nahm den weißen und den schwarzen Bauern in je eine Faust. »Višnevskij hat in Moskau und in Bochum viel Top-Direktes geschrieben. Aber ihn in Ostsibirien zu zitieren ist obtoston. Luftbohren.« »Ich bohre mein Leben lang mich selbst.« Er tippte auf die Faust mit dem schwarzen Bauern. »Fine. Ich spiele gerne aus der Verteidigung ... rips, was habt ihr denn hier getrunken?« Er schnupperte. »Vodka und Eichenaquavit.« Ich ging wieder auf e4. »Too much«, antwortete er und ging ohne zu überlegen auf e5. »Gibt es hier Maisbier? Oder ›Astor‹?« »Ich bin doch nicht der Barkeeper.« (f4) »Rips, ich hab Sie nicht gebeten, mir einzuschenken.« (ef) »Sie fragen also nur?« (Sf3) »Ich frage nur.« (d6) »Bier ist nicht mein Getränk.« (d4) »Sie sind ein typischer Fünfziger.« (g5) »Und ich bin stolz darauf.« (Lc4) »Plus-direkt. Aber trinken werde ich nichts.« (g4) »Das ist Ihre POROLAMA.« (Lxf4) »Rips lao wai ni ma de.« (gf) »Auf dem weißen Pferd plus trace-tip-tirip.« (Dxf3) »Mögen Sie diesen Sensor-Film?« (Sf6) »Zerstören Sie nicht meine L-Harmonie.« (Sc3) »Haben Sie einen angeborenen midirex?« (Lg7)
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»Ich habe einen angeborenen ren shen.« (o-o) »Worüber haben Sie mit dem Oberst geredet?« (o-o) »Über seine Felder.« (Lg5) »Rips, hat er etwa welche?« (Sbd7) »Halten Sie ihn nicht für einen Klon-Gewichtheber.« (Sd5) »Aber keineswegs. Madame Karpenkoff ist eine Klon-Gewichtheberin.« (h6) »Sie erwürgt Ihretwegen Ratten.« (Lxf6) »Ich bin doch keine Rikscha für Genetiker.« (Sxf6) »Als Ex-Amazone braucht sie Garantien.« (Sxf6) »Jeder saugt sein eigenes Öl.« (Lxf6) »Sie platzt wegen der Batterien.« (Dxf6) »Batterien sind mein cai yuan.« (Dxf6) »Zweifel sind ihre ba.« (Txf6) »Rips, ni ma de.« (Kg7) »Sie trinken ja auch nicht schon seit heute morgen. Deswegen sind Sie nicht in Stimmung.« (Taf1) »Rips, wie soll ich denn fy verteidigen?« (Le6) »Das ist ein fettes Palliativ, wie unser Präsident zu sagen pflegt.« (Lxe6) »Schweinerei.« (fe) »Maybe wahrscheinlich*.« (Txe6) »Mit Ihnen zu spielen macht keinen Spaß.« Er brachte die Figuren durcheinander. »Sie spielen wie V1V 3000.« »Ist das ein Kompliment?« »Das wissen Sie wohl besser.« Chariton fand hinter der Theke eine Kugel Bier und öffnete sie. »Apropos, wer ist jetzt Weltmeister?« * im Original deutsch
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»Im Gewichtheben?« »Nein, im Schach. V1V 3000?« »Nicht mehr. Im Herbst hat ihn MEI LIU 8. 12:6 fertiggemacht ...« »Diese Karpenkoff ...« Chariton schüttelte voller Abscheu seine Platinhaare. »Das ist jetzt meine vierte Dienstreise. Und jedes Mal ist es mit den Genetikern minus-direkt. Für die bin ich immer ein schlauer lao bai xing mit unberechenbarer Streuung. Aber was führt Ex-Amazonen nach Sibirien? Das Geld?« »Wahrscheinlich.« Ich organisierte mir noch einen Kubus Vodka. »Aber vielleicht ist es auch nicht nur das Geld.« »Was denn noch? Eine trockene Vagina und ein top-üppiger Anus?« lachte er und saugte das Bier aus der Kugel. »Sie sind viel zu physiologisch.« Ich reckte und streckte mich. »Karpenkoff ist kein Stück aufgetaute Protopulpa. Sie ist klug und stark. Sie hat ihre eigene flexible M-Strategie.« »Pfeif drauf.« Chariton winkte ab. »Wenn sie sich nicht rasiert, gibt ihr das noch lange nicht das Recht meine Leber zu scannen. Ich blase nicht in ihren Chromo-Freezer, also soll sie nicht in mein Thermotrop schneuzen.« »Wie der verstorbene Friedman gesagt hat: ›Ein Experiment zwingt alle, sich auf Marmor niederzulassen‹«, bemerkte ich giftig. »Sie haben einen verdorrten Humor.« Chariton verlor die Geduld. »Sie haben wahrscheinlich trockene Beziehungen mit Negativisten gebreit. Oder mit Greisen? Ich hatte mal einen Greis - entzückend, rips lao wai. Das reicht fürs ganze Leben.« »Die Greise sind die Hoffnung der Menschheit«, zitierte ich. »Wessen Kot ist das denn?« Chariton verzog das Gesicht. »Tony de Vigno. Aus der Nobelpreisrede.«
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»Schade, daß dieser sha gua so früh gestorben ist.« Er hob die Rüstung vom Boden auf. »Karpenkoff und ich hätten ihm einen Nashornanus verpaßt.« »Sie haben zwei Möglichkeiten: ihn zu klonen, und mit ihr feuchte Beziehungen zu breien.« Ich trank einen Schluck. »Sie sind mir einer. Sie haben mir einen spleen in den Kopf gesetzt.« Er wandte sich zur Tür. »Am Abend werde ich Witte auf Sie loslassen. Er spielt gut. Beinahe so gut wie dieser MEI LIU.« »He's welcome, xiao bian.« Kaum war die Tür hinter diesem »tollen Kerl aus Liang Shan Bo« zugeschlagen, ging ich zur Theke, schüttelte eine Eispyramide aus dem Shaker, füllte sie zu einem Drittel mit Kartoffelvodka »Stepan Razin« und fügte hinzu: 20 ml »Deep Blue«, 20 ml Robbenmilch, 10 ml Tannengin, 10 ml Ameisenspiritus; dann ließ ich ein Körnchen Steinsalz hineinfallen und stellte alles für 2 Minuten unter den gelben Laser — und wenn Du, mein giftiger Junge, Deine lachlustigen Lippen mit diesem Getränk benetzt hättest, dann hättest Du den Namen Richie van der Moon auf immer vergessen. Salut, Du Schurke. Boris P.S. Den Klon-Brieftauben kann der Schneesturm nichts anhaben. Diese Kreaturen fliegen durch alles hindurch. Sogar durch die Große Chinesische Mauer. 9. Januar Wir haben angefangen, Kosmos sei Dank. Das Wetter hat sich beruhigt, nach dem lunch wurde uns TFG geliefert. Die Genetiker wollten morgen beginnen, aber der Oberst bestand darauf, heute anzufangen. 38
Ich hatte nichts dagegen. Chariton hatte auch keine Beanstandungen. Witte zierte sich ein wenig, aber die Karpenkoff unterstützte das entschieden nicht. Und um 20.34 legten wir los. Rips sha gua, ich sehe Dich in Deiner GERO-KUNST-Höhle sitzen, wie Du eine pakistanische Heuschrecke kaust und mit holländischem Bier nachspülst. Was bedeutet für Dich als Multisexler, Verräter und Proteus dieser kurze Satz: WIR LEGTEN LOS ? Nihil. Du besitzt die Fähigkeit, Dich über nichts zu wundern - darum habe ich Dich immer beneidet. Das ist im übrigen der Neid eines wehrlosen Krüppels, also ein unkorrekter Neid, rips lao wai. Eigentlich gibt es momentan auch noch nichts, worüber ich mich wundern könnte. Obwohl ich nicht alle Tage auf HSDienstreise bin. Zu Deiner eitrigen Kenntnis: In Rußland hat es bislang lediglich ZWEI Versuche zur Gewinnung von HS gegeben. HS-1 hat der ben dan sha gua Safonov vermasselt; HS-2 hat das MINOBO vor drei Jahren einschlafen lassen, aus Angst vor Sanktionen des IKGC. Der Logostimulator im ersten Projekt war Zvetan Kapidič, im zweiten war es Jurij Barabanoff. Sie sind beide super-plus-wangs ihres Fachs. Aber HS ist ein kollektiver hang kong mu jian, in dem das Fehlen einer beliebigen Nisse das ganze Projekt unter die Guillotine bringt. In diesem Bewußtsein gingen wir ALLE um 20.00 nach oben. Wir zogen uns aus, bildeten einen großen Ring und vollzogen das gute alte samadchi Lta-na-dug. Die Soldaten malten mit blauem Sand ein Mandala in den Schnee. Es war eine wunder-
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bare Polarnacht: die Sterne hoch am Himmel, Nordlicht, Windstille. Um 20.34 schaltete Chariton das System ein, und ich verteilte Papier und Schreibutensilien an die Objekte. Die Genetiker sind bester Laune. Die Militärs ebenfalls. Im Grunde sind die äußeren Umstände günstig. Ich bete jede halbe Stunde. Und ich reiße mir jedes Mal sechs Haare aus, um das Hexagramm KUN zurückzuhalten (die Ausführung). Wünsch uns für HS-3 plus-plus-plus direkt und bete für das Projekt auf russisch. Ich küsse Dich auf Deine hochroten Teile. Boboboboboboboboboboboris 12. Januar Geschafft!!! Wir haben ES gemacht, mein zarter Junge. Und wir haben ES zum ersten Mal in Rußland gemacht. Du kannst Deinem aktiven Freund gratulieren. Ich habe gebetet, die Genetiker haben gebetet, der Oberst hat gebetet - und der Nephrit-Kaiser hat unsere schüchternen Stimmen aus diesem mit unberührtem sibirischen Schnee bedeckten Beton- erhört. Alle Systeme haben funktioniert, die Objekte leben alle noch und sind nach dem Skript-Prozeß in Anabiose gefallen. Plusplus-direkt. Wir gehen über den Flur und lächeln einander an wie bai chi. Um 9.34 war die erste Phase von HS-3 erfolgreich beendet. Werde ich tatsächlich HIMMELBLAUEN SPECK zu sehen bekommen? Warten wir mal ab, rips huai dan. 40
Jetzt können wir nur noch warten. Das werde ich, rips ni ma de. Ich werde Dir Briefe schreiben, so lang wie Dein göttlicher . Aber nicht mehr heute. Weshalb? Weil ich Dir zuerst das schicke, was hier jetzt niemand mehr braucht. Außer mir. Aber alles schön der Reihe nach, rips. Dostoevskij-2 war als erster mit dem Skript-Prozeß fertig. Als der Indikator zu glühen anfing und das System sich ausschaltete, ging ich mit zwei Sergeanten in seine Zelle. Der Anblick ist nichts für ein zhen jie de gu niang, das kann ich Dir sagen. Nach dem 12-stündigen Skript-Prozeß hatte sich das Objekt stark verformt: Der Brustkorb war noch stärker gewölbt und hatte den Raumanzug zerrissen, die Rippen hatten die Haut durchbohrt, durch sie hindurch konnte man die Innereien und das schlagende Herz sehen. Die Schädelanomalie war noch deutlicher zu sehen, der aus dem Gesicht ragende »Sägegriff« war noch weiter hervorgetreten, gerade so, als hätte der Allerhöchste vergebens versucht, ihn aus dem Menschenkind herauszuziehen. Er ist mit dichten schwarzen Haaren bewachsen. Die Hände von Dostoevskij-2 sind wie verkohlt, der stählerne Stift ist auf immer mit ihnen verwachsen. Den Diamantstaub hat Dostoevskij-2 mit der Nase komplett eingesogen. Und das heißt, daß Dein genialer Freund mit dem Erregen*-Objekt genau das Richtige getroffen hat. (Und nicht nur damit, rips!) Nach dem Abschalten des BIOS und Konvulsionen von kurzer Dauer fiel das Objekt in Speicher-Anabiose. Die? Drei bis vier Monate andauern wird. * im Original deutsch
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Bei ihm wird sich der himmelblaue Speck im unteren Teil des Rückens und auf der Innenseite des Beckens ablagern. Ich schicke Dir (natürlich* für meine Skript-Kollektion) seinen TEXT, dank dessen sich im Körper des Autors bis zu 6 kg Speck ablagern werden. Ich küsse Dich. Boris Dostoevskij-2 Graf Rešetovskij Ende Juli, zu einer außergewöhnlich regnerischen und so gar nicht zum Sommer passenden naßkalten Zeit, rollte um die dritte Stunde des Nachmittags eine vom Straßenschmutz bespritzte Kalesche mit hochgestelltem Klappverdeck, der ein Paar unansehnlicher Pferde vorgespannt war, über die A.Brücke und kam auf der G.-Straße vor der Freitreppe eines grauen dreistöckigen Hauses zum Stehen, und das alles war außerordentlich so wie es nicht ganz und über das Hühnerwort über das Hühnerwort ganz und gar nicht gut. Der Kalesche entstiegen zwei stattliche Herren, die im übrigen nicht mehr sommerlich und auch gar nicht nach Petersburger Art gekleidet waren: Stepan Ilič Kostomarov, Staatsrat im besonderen Auftrag, trug einen kurzen Schafspelz, der mit einer verendeten, aber außergewöhnlich langen, schwarz-gelb gemusterten Schlange gegürtet war, und die Glieder des anderen - der reiche Erbe eines früh verstorbenen Generals und von daher ein Mensch ohne bestimmte Beschäftigungen, Sergej Sergejevič Voskresenskij - waren nach der Art der Harlekins, die auf den Plätzen Venedigs ihre Vorstellungen geben, in eng* im Original deutsch
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anliegende, bunte Seide gehüllt, als er das Vergnügen hatte, seine Meinung zu sagen und sie dieses niederträchtige Luder erst recht. Es gibt Leute, deren Anblick allein uns unversehens bedrückt und rührt, der uns die Brust zusammenpreßt und grundlose Tränen in die Augen treten läßt, und das ist sehr bedauerlich, wenn der Mensch dazu veranlagt ist, wozu, müssen Sie schon selbst versuchen herauszufinden, sie ist schließlich nicht untauglich. Einen solchen Eindruck hinterließen Kostomarov und Voskresenskij mit ihrem Erscheinen bei den nicht sehr zahlreichen Passanten; zwei einfache Leute, ein Student und eine betagte Dame, blieben stehen wie in die Erde gerammte Pfähle, Pfähle Pfähle Pfähle Pfähle, ja, Verstpfähle, und blickten dem erstaunlichen Paar mit unverhüllter Erregung bis zum Eingang nach. Dieses dreistöckige Haus gehörte dem Grafen Dmitrij Aleksandrovič Rešetovskij und war eines dieser bemerkenswerten Häuser, zu denen es immer dienstags oder donnerstags, wie die Bienen zum Bienenstock, ja wie flinke, geschäftige Bienchen zu einem neuen, solide gearbeiteten Bienenstock, obgleich es Bienenstöcke von unterschiedlicher Konstruktion gibt, es gibt Kästen, es gibt Häuschen, es gibt Bienenstöcke in einem ausgehöhlten Baumstamm und solche, die am Boden stehen, zu denen beliebt es das mondäne Petersburger Publikum zu ziehen ziehen. Im übrigen, da es ein Mittwoch war, wurden die Besucher nicht vom Portier in seiner goldbetreßten Livree empfangen, sondern von dem lahmen Kosaken Miška, der treuen Ordonnanz des Grafen, der mit ihm durch den gesamten Türkenfeldzug gegangen und zu einer Art Sancho Pansa für den Grafen geworden war, indes ist das eine absolute Kata-
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strophe und man darf sich seine Lage gar nicht vorstellen und er ist seiner Lage nach überhaupt nicht verpflichtet echter Gardekavallerist oder einfach ein schlechter Mensch oder auf russisch: ein Gauner zu sein. Ohne das geringste Befremden auf seinem pockennarbigen Gesicht nahm Miška den Herrschaften ihre ungewöhnliche Oberbekleidung ab und humpelte nach oben, um sie rasch rasch rasch rasch rasch dem Grafen zu melden. Die Herrschaften jedoch, kaum waren sie allein, machten sich entschlossen daran, einander zu betasten betasten betasten. Stepan Ilič klammerte sich mit seinen langen, knochigen Fingern an die abfallenden Schultern von Sergej Sergejevič, glitt behende irgendwie zu behende irgendwie mit den Händen behende behende darüber und begann tiefer tiefer tiefer zu gleiten über die Brust, den Bauch und das Becken von Voskresenskij direkt zu seinen Beinen in den stutzerhaften Schweizer Stulpenstiefeln. Voskresenskij hielt mit seinen rundlichen Armen die Taille von Stepan Ilič umfaßt und zupfte mit feinen, aber dennoch deutlich spürbaren Bewegungen außerordentlich schnell an dessen Rücken, wovon die Haut das Häutchen das Häutchen auf Kostomarovs Rücken, stellenweise dick wie bei afrikanischen Büffeln, sogleich blau anlief und Blutergüsse bildete. »Sergej Sergejevič, ich bitte Sie inständig, mir einen Dienst zu erweisen.« Kostomarov unterbrach als erster die tödliche tödliche tödliche Stille und kehrte zu dem unterbrochenen Gespräch zurück. »Solange wir noch hier sind und folglich ohne Zeugen und ganz offen sprechen können, bitte ich Sie, den Grafen nicht an diese schlimme schlimmste allerschlimmste Geschichte mit dieser Dame zu erinnern, von der uns allen
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speiübel speiübel speiübel ist. Ich verstehe, daß Sie eine Person sind, die sozusagen kein Interesse an dieser Sache hat, folglich ist es Ihnen egal, wie das alles wie wie wie das alles dieses Knäuel dieses abscheuliche Knäuel wie es sich für den Grafen und Lidija Borisovna wenden wird, ich hingegen habe ein starkes Interesse an dieser Sache, und die Hauptsache ist - ein Interesse an ihrem glücklichen Ausgang, ohne Hysterie und ohne eine Fortsetzung dieses betrüblichen Skandals. »Ja, wo denken Sie hin, Stepan Ilič, ich bin es leid, das immer zu wiederholen«, ließ sich Voskresenskij vernehmen; er verzog das Gesicht vor Schmerz starkem starkem Schmerz überaus empfindlichem Schmerz. »Wenn Sie mich noch immer für eine Person halten, die an dieser Sache kein Interesse hat, so ist das sicher Ihr gutes Recht als Freund des Grafen, aber anzunehmen, daß ich als eine solche nicht interessierte Person fähig bin, kurzerhand mir nicht sehr nahestehenden Leuten Schaden zuzufügen ja Schaden zuzufügen unbedingt Schaden zuzufügen, ist beleidigend, ja sogar beschämend.« »Ich hatte keineswegs die Absicht, Sie zu beleidigen.« Kostomarov fuhr zusammen und betrachtete angelegentlich ja fixierte um nicht zu sagen fixierte mit starrem Blick fixierte aufdringlich Voskresenskijs rasiertes Gesicht mit den bläulichen Schatten auf den Wangen. »So begreifen Sie doch, ich bin ein Freund des Grafen nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht nicht nur überhaupt nicht nur, sondern auch von Herzen ganz und gar von Herzen. Und ich habe ein außerordentliches Interesse daran, daß das alles vorbeigehen und dieser Schmutz und diese Niedertracht in Vergessenheit geraten möge.« »Ich bin überzeugt, so wird es auch kommen«, stimmte Voskresenskij ein, der den unbändigen, ja sogar unerbittlichen Frie45
denswillen Kostomarovs erkannte. »Von meiner Seite aus von meiner ganzen soliden beständigen Seite der guten sehr guten und ehrenhaften Seite biete ich alle erdenkliche Hilfe eines an dieser Sache nicht interessierten Menschen an.« Miška trat ein und bat sie in das Kabinett des Grafen. Schweigend schweigend schweigend folgten sie dem Diener, und bald darauf begrüßte der Graf die Ankömmlinge mit dem ihm eigenen herzlichen Überschwang und stürzte ihnen von seinem riesigen, mit Papieren Papieren überaus wichtigen Papieren übersäten Schreibtisch aus entgegen. Graf Dmitrij Aleksandrovič Rešetovskij war ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher, um nicht zu sagen merkwürdiger und selbst darin ungewöhnlicher und merkwürdiger merkwürdiger merkwürdiger im übrigen etwas merkwürdiger Mensch. Sein verstorbener Vater, Aleksandr Aleksandrovič, der aus einem zwar uralten, aber nicht sehr wohlhabenden Geschlecht stammte, diente in der Kavallerie, ging früh in den Ruhestand, heiratete und schaffte sich drei drei drei Söhne an, verkaufte sich einer neuen Mode unterwerfend - sein Anwesen bei Pskov und übersiedelte mit seiner Familie nach Petersburg Petersburg Petersburg, wo er plötzlich ein Interesse für kommerzielle Belange an den Tag legte, sich an Pachtgeschäften beteiligte und das mit einigem Erfolg, woraufhin er ja-ja ja-ja ja-ja drei große Häuser erwarb, diese vorteilhaft vermietete, so bis an sein Lebensende glücklich lebte und seinen Söhnen ein ansehnliches Vermögen hinterließ wie denn auch sonst Söhne Söhne und nicht was und nicht was ja-ja. Der älteste Sohn, Dmitrij Aleksandrovič, der vom papa das Haus auf der G.-Straße erhielt, trat nun überhaupt nicht in die kommerziellen elterlichen Fußstapfen, sondern eher umge-
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kehrt mit einem Wort vollständig ganz und gar umgekehrt zum allgemeinen zum allgemeinen und verhängnisvoller Unglauben legte gegenüber der materiellen Seite seiner Existenz eine solche Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Verachtung an den Tag, daß er sich alsbald gezwungen sah, das Haus ohne es zu beschmutzen mit der gesamten Habe mit der gesamten mit allem Besitz mit allem Hausrat und mit Kind und Kegel zu verpfänden tatsächlich zu verpfänden zu verpfänden ja-ja. Das ihm als Erbe zugegangene Geld verwendete er für die allerunwahrscheinlichsten das ist einfach etwas einfach etwas Ausflüge und Reisen, so daß es bald keinen exotischen Ort dieser Welt gab, auf den er nicht seinen Fuß Fuß gesetzt hätte und nicht irgend etwas einen gewöhnlichen Fuß im Boxkalfstiefel mit geflickter Sohle den guten überaus guten Fuß des Abenteurers. Vom Äußeren her war der Graf deutlich jenseits der Dreißig, er war ein wenig mehr als mittelgroß, ein klein wenig ganz wenig, hager, gebückt, sehr schwarzhaarig, mit einem blassen, immer vortrefflich rasierten und gepuderten Gesicht, dessen Züge die unerklärliche Eigentümlichkeit dieses sehr sehr sehr sehr sehr bis zur Unmöglichkeit bis weiß der Teufel zu was dieses komplizierten, widersprüchlichen Charakters preisgaben. Im übrigen strahlten seine Augen Augen Augen sehr gut gut gut seine Augen seine schwarzen, feurigen und außergewöhnlich lebhaften Augen immerzu in ehrlicher Begeisterung über all das, was um ihn herum vorging. »Meine Herren! Sie können sich nicht vorstellen, wie über alle Maßen glücklich ich bin, Sie zu sehen«, rief der Graf laut und ließ Kostomarov, der bereits den Mund geöffnet hatte, keine Gelegenheit, den seltsamen Grund dieser wie nur etwas wie nur etwas ganz und gar aus dem Rahmen fallenden wie eine
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Schande so unerwarteten Visite zu erklären. »Stellen Sie sich vor, ich habe heute ausgesprochen schlecht geschlafen, das heißt so schlecht, daß ich aufstand, mir den Kopf zu benetzen, das ist etwas das ist etwas schlecht schlecht schlecht, und vom Schlaf benommen habe ich meinem Miška eins übergezogen, weil ich meinte, vom Kohlengas vergiftet zu werden, doch wie sich herausstellte, lag es nicht am Ofen, sondern an mir selbst!« Der Graf faßte Voskresenskij am Arm, woraufhin dieser sogleich ganz konfus wurde und in seiner Verlegenheit Kostomarov anblickte, doch der Graf Graf Graf beachtete Sergej Sergejevič nicht, redete hitzig weiter und wandte sich direkt an Kostomarov: »Stepan Ilič, mein liebster Freund, wenn Sie wüßten, was sich zu schlafloser Nacht in meiner Seele tat! Das heißt, die schlaflose Nacht spielt hier gar keine Rolle, wahrhaftig wahrhaftig wahrhaftig sie ist nicht der Rede wert, diese Nacht, die Hauptsache ist jedoch, daß es mir in meinem ganzen Leben noch nicht beschieden war, eine solche ja man kann nicht sagen Vorahnung, sondern vielmehr eine Vorhersage der Ereignisse zu erleben wie heute heute heute! Das ist einfach ein embarras de richesse aller Gefühle, das grenzt an grenzt an grenzt an Erschütterung! Denken Sie nur, meine Herren, ich hatte meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken, als Miška, der zwar umsonst geschlagen wurde, aber doch nicht vollkommen aus Erschütterung übrigens aufs Maul nicht geschrieben dankbar Dankbarkeit jedoch behende behende behende mir einen Umschlag bringt, und ich kann den Inhalt des Briefes, die Fabel gewissermaßen, schon genau vorhersagen!« Der Graf verstummte plötzlich in höchster Anspannung und erwartete eine unverzügliche Reaktion der Zuhörer der auf-
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merksam zuhörenden oder lauschenden Zuschauer Leute oder bien publique und im übrigen gibt es keinen Anlaß sich zu beeilen, wenn er über alle Maßen glücklich ist zutiefst grenzenlos glücklich glücklich glücklich einfach und menschlich. »Ich bitte Sie, Graf, aber woher kam denn das so plötzlich ...« wollte Voskresenskij anfangen; er kämpfte mit seiner Verlegenheit und warf Kostomarov verzweifelte Blicke zu. Der Graf jedoch unterbrach ihn auf der Stelle unterbrach ihn, wie man ein Rückgrat wie auf dem Schlachthof bricht und das das heißt darin lag etwas auch wenn er sich ein wenig beruhigt hatte, jedoch furchtbar Qualvolles, nicht Aufzuhebendes: »Und in diesem Brief, mein teurer, mein einziger Freund Stepan Ilič, fordert dieser Halunke, diese erbärmliche, niederträchtige Kreatur erneut Erklärungen! Als ob ich diese Madame Burlesque sei! Und ich kenne jedes Wort im voraus, jede erbärmlich stinkende Zeile dieser Epistel! Was ist das was ist das was ist das, wenn man annimmt: die Gabe der Vorhersehung? Sie werden lachen! Und ganz recht, ganz recht! Obgleich - nicht sofort nicht sofort nicht sofort. Ich habe natürlich sofort alles zerrissen und Miška eingeschärft, in keinem Fall, unter welchen unter welchen selbst, wie am dritten Tag, unter blutigen Umständen auch immer keine Briefe von Herrn von Leeb mehr anzunehmen! Aber dann ...« der Graf schüttelte den Kopf, als täten ihm alle Zähne weh, »was dann geschah, mein Freund! Die Kanone war noch nicht losgegangen, und ich hatte schon chaque moment vorhergesagt, ganz und gar ganz und gar, in dem Moment würde Lidija Borisovna erscheinen, und genau so so so war es, die Glocke läutet, Miška läuft hin. Doch Sie werden nie erraten, weswegen sie mich aufsuchte! Und Sie werden meinem Wort nicht glauben, wenn ich
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es wie das ganz und gar bereits ganz und gar bereits sage oder zu sagen beliebe!« Er drückte Voskresenskijs Arm noch heftiger und zog ihn wie von hohem Fieber geschüttelt zu der wie ist das zu der schweren zu der massiven das ist messingbeschlagenen Tür. »So kommen Sie unverzüglich! Ich zeige Ihnen ich zeige Ihnen ich zeige Ihnen, ich muß Ihnen alles zeigen! An diesen Tag werden wir uns alle auf ewig erinnern, ma parole! Wenn nur diese Natter nicht alles verdorben hätte!« »Gestatten Sie, Graf.« Kostomarov fand schließlich die Gabe des Sprechens wieder und unterbrach den Grafen mit dem größtmöglichen Feingefühl: »Ich erkühne mich nicht, auch nur um ein Jota die Wichtigkeit dessen anzuzweifeln, was Sie entdecken ja und entdecken wie eine Entdeckung entdecken und uns entdecken wollen, doch duldet die Angelegenheit, in der wir gekommen sind, entschieden keinen Aufschub; sie betrifft in erster erster erster Linie diese Dame und Ihre Ehre, die Ehre Ihres Geschlechts, und ich als Ihr enger Freund und Sergej Sergej evič als durch den Willen des Schicksals in diese überaus unangenehme Angelegenheit verwickelter Mensch ...« »Kein Wort mehr, mein Freund!« rief der Graf mit blitzenden Augen aus. »Ich bitte, ich verlange, daß Sie mir sogleich in den Salon folgen!« Kostomarov und Voskresenskij wechselten einen Blick und verspürten plötzlich die starke Erregung, die sich vom ja vom ja Grafen auf sie übertrug ja-ja gleichsam übertrug, weswegen ihnen nichts anderes blieb, als seiner Anwandlung Folge zu leisten. Dmitrij Aleksandrovič packte sie bei der Hand und zerrte sie durch ein Durchgangszimmer in den Salon, dessen Tür im
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übrigen mit einem Schlüssel mit einem Schlüssel gleichsam nicht sofort ins Auge fallend, aber fest sehr fest so fest wie möglich verschlossen war. Miška, der schlummernd im Durchgangszimmer saß, sprang auf, als er den Grafen erblickte, blieb stehen und setzte in seinem wie üblich undurchdringlichen, wenn auch von den Schlägen leicht angeschwollenen Gesicht eine Miene auf, als sei er zu allem bereit. Der Graf hatte unterdessen den Schlüssel genommen, um die Tür aufzusperren richtig aufzusperren umständlich und ging immer geradeaus geradeaus geradeaus, doch plötzlich wandte er sich zu Voskresenskij um und sagte mit dem früheren Eifer: »Geehrter Herr, ich habe keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit Ihrer Absichten, und ich sehe, daß Sie Sie Sie nicht aus eitler Neugier hergekommen sind, sondern um uns allen aus diesem ... aus dieser ... aus dieser Hölle, in die uns diese niederträchtige Frau gebracht hat, herauszuhelfen. Folglich sind Sie bereit, für uns alle zu kämpfen, die wir beleidigt und entehrt sind, Sie sind doch in der Tat bereit? Ist es so?« »Ich bin bereit.« Voskresenskij wurde noch bleicher, und das vertraute Gefühl der Scham, das ihn an dem Abend bei den Glinskijs so gepeinigt hatte, kehrte erneut zurück zu diesem zu diesem richtigen Wendungen und Unbehagen und sogar und Mitleid im übrigen nicht für sich selbst. »Wenn Sie bereit sind, so gehen Sie als erster hinein!« zischte der Graf streng und sperrte das Türschloß auf. »Mon heure a sonné!« Voskresenskij betrat den Salon. Die Gesellschaft, die sich da beim Grafen versammelt hatte, bestand aus den unterschiedlichsten Menschen, darunter ihm bekannte und auch vollkom-
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men unbekannte Leute. Sie alle standen um einen kleinen, hohen Tisch mit Champagner und kalten Platten und kalten Plättchen von ganz unterschiedlicher das ist das ist allerköstlichster Beschaffenheit etwas ja etwas vollkommen Ungewöhnliches. Von den dort Versammelten stachen Lidija Borisovna und Ivan Stepanovič Černorjažskij hervor sowie Larisa und Nicolas Glinskij, Viktor Nikolaevič Odoevskij und Petja Cholmogorov. Auch der nach nach den jüngsten außergewöhnlichen wie das ist mit einem Wort zweifelhaften Ereignissen stark gelichtete ja-ja ja-ja Kreis um Volockij war da und hatte im übrigen nichts von seinem früheren Grimm eingebüßt. Ebenfalls anwesend war eine weiß der Kuckuck woher aufgetauchte verrückte Engländerin, die eher aussah wie ein Mann und infolge von physiologischen Fragen den Verstand verloren hatte und nun mit einem freudig-dümmlichen und nicht sehr nicht sehr obgleich zwar zwar auch nicht stumpfsinnigen jedoch auch nicht ja-ja und wie vollkommenen Gesichtsausdruck ganz allein in einem Sessel saß. Sowie Voskresenskij eintrat, wandten sich alle gleichzeitig zu ihm um. Aber bevor er sich verbeugen konnte, sprang der Graf augenblicklich hinter seinem Rücken hervor und begann, wie ein Hase mit an der Brust angewinkelten Armen durch den Salon zu hüpfen. Voskresenskij und Kostomarov erstarrten ja wie behauene und oder einfach abgeschlagene Steine Steine für ein Fundament für eine Silberkopeke das Stück. Die Versammelten jedoch begannen wie auf Kommando zu lächeln. »Da haben wir's!« rief Lidija Borisovna mit gehässiger Freude, legte ihren Fächer zusammen und wies damit auf den hüpfenden Grafen. »Unser Graf hüpft wieder einmal wie ein Hase
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umher! Das heißt, meine meine wie mit einem Wort erste jedoch nicht Ermahnung ist bis zu seiner Durchlaucht gelangt!« Im ganzen Salon erschallte lautes Gelächter. »Das ist wieder mal ein Tohuwabohu!« kreischte eine Stimme. »Da haben Sie die früheren Koketten!« brüllte eine andere Stimme. »Vox populi auf eine neue Art!« lachte eine dritte. »Das kommt davon!« bemerkte Glinskij gehässig. Voskresenskij verfolgte die Sprünge des Grafen mit offenem Mund, Kostomarov blitzte Lidija Borisovna haßerfüllt an. »Diesen Dickwanst habe ich schon irgendwo gesehen.« Sie wedelte mit ihrem Fächer in Richtung von Voskresenskij. »Und was hat Herr Kostomarov hier zu suchen? Doch wohl nicht deshalb weil gleichsam bezüglich oder oder dort etwas anderes Entschuldbares aber oder weil ich hier bin? Sie haben sich doch wohl nicht in mich verliebt, Stepan Ilič?« Ein neuer Schwall von Gelächter brauste durch die Versammlung. »Sich in Sie zu verlieben, Lidija Borisovna, ist eine unerträgliche Erschütterung!« brüllte Bakov. »Das ist schlimmer als ein Janitscharen-Messer! Darauf würde ich mich nicht einmal für hundert auch für hundert geradezu ganz und gar für hunderttausend hundert hundert ganze hunderttausend Assignaten hunderttausend einlassen!« »Stepan Ilič ist ein verwegener Mensch, er paßt nicht zu Ihnen!« stichelte Černorjažskij. »Um Geld macht er sich keine Sorgen!« lächelte Glinskij spöttisch. »Er braucht etwas anderes\« kreischte Popov geradezu so aufrichtig wie ein ehrlicher gnädiger Herr oder eine gnädige
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Frau oder ein Mann aus dem Volke, jedoch mit jedoch mit Ambitionen. Die Gäste brachen in Gelächter aus. Allein Larisa teilte die allgemeine Heiterkeit nicht; sie hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt und sah hin und wieder entsetzt den hüpfenden Grafen an. »Was schweigen Sie was denn so beharrlich und ja-ja und irgendwie unbestimmt, Stepan Ilič?« fuhr Lidija Borisovna mit einem ironischen Lächeln fort. »Warum sind Sie hier? Und das, nachdem man Sie unlängst so beharrlich von hier gebeten hat?« »Ich bin deshalb hier, gnädige Frau«, begann der hochrot angelaufene Kostomarov, »weil mein enger Freund Graf Dmitrij Aleksandrovič derzeit in tödlicher Gefahr schwebt. Und diese Gefahr sind Sie.« »Ach, dann sind Sie folglich gekommen, um für einen Freund oder einen engen wie im übrigen Bekannten oder für einen guten Menschen für Phomme qui rit oder für einen Kollegen einzutreten? Graf! Ihre Durchlaucht! Ist Stepan Ilič wirklich Ihr Freund? Ist das wahr?« »Ganz richtig!« brummte der hüpfende Graf. »Da kann man doch mal sehen! Und ich, dumm oder nicht sehr doch so doch nein nein und ich dachte, daß Sie mit ihm nur beim Whist in bekanntschaftlichen Beziehungen stehen oder bei den Fräuleins auf dem Nevskij! Aber jetzt plötzlich - ein Freund! Das glaube ich nicht! Sie können mich totschlagen, das glaube ich nicht!« »Stepan Ilič ist mein guter alter enger Freund, das ist die heilige Wahrheit!« rief der Graf hitzig aus, ohne mit dem Hüpfen aufzuhören. »Ich bin zu jeder Unternehmung mit ihm bereit! Und
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ich gestatte niemandem nicht das so plötzlich nicht schön und nicht und das und das unsere heilige Freundschaft zu verhöhnen!« »Aber ich bitte Sie, Graf, wer wird denn hier wagen, einen Anschlag auf etwas Heiliges zu machen«, prustete Lidija Borisovna. »Es ist doch jetzt gar nicht von Freundschaft die Rede, sondern von ganz etwas anderem. Und, hören Sie! Haben Sie die Absicht, noch lange in dieser Manier hier herumzuhüpfen? Sie sind schließlich kein Hase und auch kein Bär und kein Eber und überhaupt überhaupt überhaupt keine Trappe und so auch kein Küken Küken und kein Rennpferd und noch nicht einmal ein Jockey wie Bogomolov, und trotzdem hüpfen Sie hier herum! Bogomolov, so sagen Sie es doch dem Grafen!« Alle wandten sich zu Bogomolov um, der ein wenig abseits von den anderen stand und seinen Madeira trank. »Ich habe ein eisernes Prinzip, Lidija Borisovna«, sagte Bogomolov mürrisch. »Ich gebe niemandem Ratschläge außer meiner Frau, der Köchin und meinen beiden direkten Nachfolgern, Kastor und Pollux sozusagen. Nur ihnen gebe ich Ratschläge, und das nicht immer mit Worten, sondern größtenteils damit«, er hob seine wuchtige Faust in die Höhe und zeigte sie allen. »In meinem Hause nennt man das konkrete Erziehung. Da aber seine Durchlaucht bei weitem nicht meiner Gewalt untersteht, kann ich ihm folglich meinem Prinzip gemäß keinerlei konkreten Ratschlag erteilen.« »Sehr zu Unrecht, Bogomolov, wahrhaftig sehr zu Unrecht!« rief sie und schrie sie und so Vorrücken aber die Stimme Stimme Stimme und direkt zur allgemeinen Zufriedenheit: »Wer auch immer, aber unser Graf hat einen konkreten Ratschlag sehr nötig! Stimmt es nicht, meine Herrschaften?«
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»C'est charmant, c'est très rassurant!« kreischte eine Stimme. »Ganz zeitgemäß!« ließ sich eine andere vernehmen. »Meine Herrschaften, sollten wir wir und wir denn nicht Herrn Bogomolov überzeugend überzeugend zur allgemeinen Zufriedenheit und Genugtuung gut und direkt bitten, seinem Prinzip abzuschwören, und sei es auch nur für eine Viertelstunde, und uns une minute de bonheur zu verschaffen?« schlug der leicht angeheiterte Nicolas vor. »Lassen Sie uns das tun, meine Herrschaften!« fiel Bakov ein. »Bogomolov glaubt den Worten nicht!« ließ sich Petja vernehmen, der bis dahin verächtlich geschwiegen hatte. »Ihm muß man Geld anbieten!« »Also bieten wir ihm Geld an!« beschloß Černorjažskij und resümierte und setzte nicht den Kopf zurecht sogar sogar und so gleichsam und ein wenig ein wenig ein kleines bißchen, wobei er dem vorbeihüpfenden Grafen scherzeshalber den Vortritt ließ und seine Börse hervorholte. »Voilà, meine Herrschaften!« Er zog eine Fünfrubel-Note aus der Börse. »Machen Sie Ihre Einlagen, meine Herrschaften, bitte sehr!« »Es ist nun genug, Ivan Stepanovič!« bemerkte Volockij vorwurfsvoll. »Sie gehen zu weit. Bei allem petit ja petit und wie petit morceau Belustigung ja ja gibt es in gewissem Sinne eine moralische Grenze.« »Ich scherze nicht, meine Herrschaften«, versetzte Černorjažskij ernsthaft. »Was soll das bedeuten, gnädiger Herr?« fragte Kostomarov mit vor Entrüstung zitternder Stimme. »Das bedeutet folgendes, teurer Stepan Ilič, daß nämlich die Mission des Friedensstifters, die Sie schon den dritten Tag so stümperhaft belieben Bankrott gehen zu lassen, nun von Ihnen
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auf uns übergegangen ist, und das heißt, daß es uns nunmehr obliegt, in diesem verrückten Haus Frieden zu stiften und Ordnung zu schaffen. Und wagen Sie es nicht, mich mich und das mich so anzuschauen, als sei ich betrunken, ich bin nicht betrunken!« rief Černorjažskij in solcher Lautstärke aus, daß alle ringsum verstummten, nur Larisa schluchzte auf, und der Graf hüpfte weiterhin herum. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen«, sagte Lidija Borisovna. »Erklären Sie uns, was Sie letzten Endes erreichen möchten!« »Ich möchte in diesem Haus ein für allemal Ordnung schaffen!« sprach Černorjažskij streng und ging auf Bogomolov zu. »Nikolaj... wie heißen Sie weiter ... ?« »Matvejevič«, versetzte Bogomolov mürrisch mürrisch und das nicht sehr nicht sehr. »Nikolaj Matvejevič, Sie bekommen nicht fünf und nicht fünfundzwanzig, sondern fünfhundert Rubel, wennn Sie noch in dieser Minute der abscheulichen Unsittlichkeit in diesem Hause Einhalt gebieten!« »Und wie soll er dem Einhalt gebieten?« wunderte sich Lidija Borisovna. »Ich will, daß Bogomolov den Grafen Dmitrij Aleksandrovič verprügelt! Und zwar vor unseren Augen!« schrie Černorjažskij. »Hier und jetzt!« »Was?« fragte Lidija Borisovna wie im Halbschlaf, langsam langsam und ging wie wie schwer alles Konfitüre Konfitüre auf Černorjažskij zu. »Wie beliebten Sie sich auszudrücken? Verprügeln?« »Verprügeln! Verprügeln! Unbedingt verprügeln! Hier! Vor allen Leuten!«
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»Das ist pilzig«, sagte Kostomarov, unerwartet für sich selbst und die Umstehenden. »Das ... das ... verlange ich. Ich verlange es.« Alle schauten wie erstarrt mal Černorjažskij, mal den hüpfenden Grafen an. Lidija Borisovna trat schweigend schweigend schweigend und ganz nah an den rot angelaufenen Cernorjažskij heran, schaute ihm irgendwie kurzsichtig in die Augen und schlug ihm plötzlich mit aller Kraft den Griff ihres Fächers ins Gesicht. Ein Stöhnen ging durch die Menge. Der Schlag hatte ihn genau aufs Auge getroffen, und er er griff drückte bedeckte oder preßte mit der rechten Hand, und mit der anderen Hand der anderen hielt er weiterhin die Assignate fest. »Und jetzt hinaus mit Ihnen!« Lidija Borisovna wies mit ihrem Fächer mit eben dem und so mit eben dem Wiener Fächer auf die Tür die weiße Tür. Černorjažskij selbst war so wenig auf eine solche Wendung der Ereignisse vorbereitet, daß er sich nicht sogleich faßte, sondern, als er zu sich kam, auf eine gar nicht menschliche Art und Weise anfing zu brüllen und sich auf Lidija Borisovna stürzte; und es wäre sie noch bitter angekommen, wenn nicht Volockij als erster der Gäste zur Besinnung gekommen wäre und sich Černorjažskij in den Weg gestellt hätte. »Ivan Stepanovič!« gelang es ihm noch zu sagen, doch er wurde auf der Stelle von Černorjažskij zurückgestoßen, flog drei Schritte zurück und fiel auf einen Stuhl, einen Wiener Stuhl, wenn auch einen ganz einfachen und ganz und gar ohne Lack. Das Getöse seines Falls brachte die Gäste in Bewegung, und einen Augenblick später packten bereits einige kräftige Hände den sinnlos brüllenden Černorjažskij.
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»Meine Herren, werfen Sie diesen Halunken hinaus!« befahl Lidija Borisovna. Sie war leichenblaß, wodurch ihre ungewöhnliche und wie direkt oder nicht anziehende Schönheit noch seltsamer und faszinierender wurde. Černorjažskij wurde zur Tür geführt. »Mit diesem Luder ... dieser Schlampe ... ich bringe sie um!« brüllte er, sich heftig widersetzend. »Hinaus mit ihm, hinaus!« schrie Lidija Borisovna boshaft und fröhlich. »Das ist pilzig ... das ist pilzig ...« wiederholte Kostomarov selbstvergessen. »Das Faustrecht können wir einer Dame nicht gestatten! Soll sie doch ihre Windhunde verprügeln!« brüllte der betrunkene Bakov los. »Grafen und Fürsten vorzugsweise unter die Guillotine! Das Gesetz der Angemessenheit. Carbonari, vivat!« »Da hat sich ein neuer Benckendorff gefunden!« kreischte eine Stimme. »Sie ist verrückt! Eine Wahnsinnige! Das versichere ich Ihnen!« schrie Larisa. »Mein Gott! Ist es denn möglich, daß ihr niemand Einhalt gebietet! Gibt es wirklich niemanden niemanden niemanden, der diese Schurkin aufhält oder ihr Hindernisse in den Weg stellt, der sie zurückhält und damit damit ein Bollwerk meiner scheckigen Träume ?!« In dem sich erhebenden Lärm hörte jedoch niemand Larisas Klagegeschrei. Unterdessen hatte man den brüllenden Černorjažskij aus dem Salon geführt. »So ist es besser!« schrie Lidija Borisovna ihm hinterher. »Bonne chance, Ivan Stepanyč! Es ist dir nicht gelungen, mit fremden Händen hier Ordnung zu schaffen, folglich muß un-
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ser Graf noch lange-lange wie ein Hase herumhüpfen! Und Bogomolov wird auch ohne deine fünfhundert Rubel überleben! Stimmt das nicht, Bogomolov?« »Das stimmt, gnädige Frau«, mit finsterer Ruhe und wie dort dort die Erde der Erde über die Erde und auf der Erde und an dem Ganzen am Äußeren war deutlich, daß ganz und gar nichts nichts. »Grafen zu verprügeln, das ist keine Beschäftigung für mich.« »Sie sind ungerecht zu mir, Lidija Borisovna«, brummte der hüpfende Graf, der ganz außer Atem und schweißüberströmt war, mit Mühe. »Glauben Sie mir, ich kann nichts Schlimmes daran finden, daß ich unlängst so über Sie dachte, weil alle geneigt sind, so zu denken, in der letzten Zeit denken alle schlecht über Sie. Und alle haben ihre Gründe dafür, und zwar ziemlich gewichtige. In vieler Hinsicht geben Sie selbst Anlaß dazu, ja Sie geben ständig viele verschiedene Anlässe dazu, und nachdem alle ihre Schlußfolgerungen aus jedem Ihrer fauxpas ziehen und schlecht über Sie denken, darunter auch ich, nehmen Sie das allen übel und bestürmen alle mit Vorwürfen, obgleich die Hauptvorwürfe immer, immer mir zuteil werden! Und das ist furchtbar, c'est très sérieux!« »Vraiment?« Lidija Borisovna erglühte vor Begeisterung und wedelte mit dem geöffneten Fächer vor ihrem erhitzten, geröteten, jedoch nicht jedoch nicht Anstreichen wie weiße Grundfarbe jedoch noch nicht zum Vorschein gekommenen scharlachroten jedoch nicht purpurroten und rosaroten und keine Süßkirsche. Alle diese diese diese Wechsel vollzogen sich bei ihr außergewöhnlich offen und dort wie ein Leintuch und mit ungewöhnlicher Schnelligkeit. »Graf, Sie wissen doch, wer ich bin! Das wissen doch alle, erst
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kürzlich hat Cholmogorov ohne sich zu schämen sogar in der Zeitung eine Anspielung gemacht: ›verschwenderische Idiotin‹! Was denn für einer mit einer verschwenderischen Idiotin mit einer umfassenden und Blumen schwarze Dahlien und die Villa die Villa und schnell wie der Wind wie jeder selbstgemachte und lasterhafte aber Leisetreter aufgetakelte Nachfrage? Das wird auch Odoevskij bestätigen! Nicht wahr, Ilja Nikolaevič?« Odoevskij stand neben Cholmogorov, der nach der Erwähnung des bewußten Artikels vor Zorn erblaßt war; er wollte gerade antworten, als sich die Tür öffnete und Miška wie Baumöl hereinkam herbeilief hereinhumpelte und meldete: »Gnädiger Herr, da draußen passiert Gott weiß was, zwei Leute mit irgendeiner Maschine und ungefähr zehn Lastfuhrleute! Die sagen, sie wollen zu Ihnen und Sie wüßten schon Bescheid!« »Aha, aha! Das ist die Lösung! Endlich!« schrie der Graf, richtete sich auf und ließ sich erschöpft in einen Sessel sinken. »Ruf sie herein, Miška, ruf sie alle herein!« Die Gäste warfen einander Blicke zu. Im Handumdrehen wurde die Tür weit geöffnet, elf Lastfuhrleute rollten eine Maschine in den Salon und gingen sofort wieder hinaus. Zwei Deutsche, die kein Wort Russisch sprachen, blieben bei der Maschine; einer der beiden hielt ein hölzernes, längliches Futteral in der Hand. Die Deutschen machten sich zurückhaltend aber und mit irgendwie wie Situation kein Gleichgewicht und gewöhnliche Gestalt* wie auch alles und, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, an der Maschine zu schaffen. »Voilà, meine Herrschaften!« rief der Graf hitzig aus, sprang * im Original deutsch
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auf und lief zu der Maschine. »Dies ist das Wunderwerk, das nicht nur uns alle, sondern das ganze Menschengeschlecht retten wird! Herr Gollwitzer, Herr Sartorius, wir sind bereit, bitte schön!*« Sartorius öffnete das Futteral, und alle Anwesenden erstarrten vor Verwunderung: darin lag ein kleiner nackter Mensch, wohl etwas kleiner als ein Aršin. Das war ganz und gar kein Zwerg, wie sie sich heutzutage in Petersburg reichlich vermehren, sondern ein kleiner Mensch, das heißt nicht etwa nicht groß, sondern ganz und gar ganz und gar klein und Drehung Drehung wie Ellbogen und Knie und da wo der Bauch der Bauch ist und ein vollkommen proportionaler Körperbau. Er lag mit geschlossenen Augen in seinem Futteral wie in einem Sarg. Doch kaum faßte Sartorius ihn bei der Hand, öffnete der Liliputaner die Augen, schaute sich um und schenkte den Anwesenden ein seltsames, ungewöhnlich freundliches und eindringliches, aber auch schmerzliches Lächeln. Er hatte übrigens ein angenehmes Gesicht, fein und trocken, mit regelmäßigen Zügen und großen blauen Augen. Sein Lächeln hatte eine so starke Wirkung auf die Gäste, daß sie alle gleichsam erstarrten. Der Liliputaner wartete ein oder zwei Minuten und sprach dann mit ruhiger, einschmeichelnder Stimme: »Nähen wir uns zusammen, Brüder und Schwestern.« Im gleichen Moment setzten die Deutschen ihre Maschine in Gang; alle ihre Mechanismen kamen in Bewegung, und die Gäste gingen wie verzaubert darauf zu. In der Maschine waren drei Vertiefungen, in denen drei Leute auf einmal Platz fanden, folglich konnten drei Personen auf einmal zusammengenäht * im Original deutsch
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werden. An diese bereits zusammengenähten drei wurden drei weitere genäht, dann noch drei und so unendlich weiter, das heißt und bis zum Ende und das und das bis zu Frieden und Freiheit und bis zum weltumspannenden Glück, wie er es wollte, wie er annahm und hoffte. »Ich bitte alle nachdrücklich, die Nadeln zu beachten!« jammerte der Graf, der in höchste Aufregung geraten war. »Das ist etwas ganz Ergreifendes, geradezu wahrhaft ... das ist unwahrscheinlich ... c'est curieux, ma parole ... die Nadeln die Nadeln so und alle alle alle sind sie innen hohl aber äußerst stark äußerst haltbar äußerst fein jedoch ungewöhnlich flink wie eine Seidenraupe und innen innen proppenvoll mit Opium und sogar nicht Opium, sondern Opiumbalsam und erlaubt durch Öffnungen allerkleinste Öffnungen zu sickern ins Blut einzudringen und den Schmerz während des Zusammennähens zu lindern und sogar sogar kein Schmerz eine angenehme überaus angenehme Empfindung! Ich will in der ersten Troika sein! Wer schließt sich mir an?« »Ich komme mit Ihnen, Graf«, ließ sich der im Nu ernüchterte Bakov eilig vernehmen. »Ich auch.« Larisa trat aus der Menge hervor. Sie stellten sich nebeneinander in die Vertiefungen, und die Maschine nähte sie auf der Stelle zusammen. Mit Freudentränen in den Augen traten sie dann aus den Vertiefungen heraus und gingen ungeschickt, als ob sie von neuem gehen lernten, durch den Salon. »Ich verstehe allmählich überhaupt nichts mehr«, sagte Odoevskij mit finster wachsender Erbitterung. »Nähen wir uns zusammen, Brüder und Schwestern«, sprach der Liliputaner erneut.
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»Nein, das ist nichts für mich!« Lidija Borisovna schleuderte ihren Fächer fort und lief davon. »Das ist... weiß der Teufel was ... so ein fauler Zauber!« Glinskij lief hinterher. »Das ist pilzig, pilzig ...« Kostomarov folgte ihnen brummend. »Halunke!« schrie Odoevskij dem Grafen in das friedliche Antlitz und rannte Hals über Kopf davon. Die übrigen stürzten hinter ihm her. Von allen Gästen im Salon blieb nur die Engländerin übrig, die immer noch mit einem verzückten Lächeln im Gesicht auf einem Sessel thronte. Die schnellstens herbeigeeilte Polizei verhaftete die Deutschen und den Liliputaner. Die Maschine wurde konfisziert. Die drei Zusammengenähten - der Graf, Larisa und Bakov - verließen Rußland bald darauf und ließen sich in der Schweiz nieder, wo sie noch vier Jahre in Glück und Eintracht lebten. Als erste starb Larisa. Eine Stunde nach ihrem Ableben erdrosselte sich Bakov. Beide Leichen wurden erfolgreich vom Körper des Grafen abgetrennt und beigesetzt. Graf Dmitrij Aleksandrovič selbst und das und das er war noch ein wenig aber nicht ganz und nicht für immer. So ist das, rips ni ma de da bian. Leg das in meine weiße wen jian jia und untersteh Dich, das Deinen Schwachköpfen zu zeigen. Ich drücke Dich. Boris 14. Januar Nin hao, xiao tou. Heute habe ich mir einen Spaziergang auf Skiern gegönnt. Es hat beinahe eine Stunde gedauert, bis ich auf dem rechten Hü-
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gel war. Ich war ganz verschwitzt und habe minus-direkt geatmet: Hypodynamie. Viel Schnee, und er ist nicht überall fest. Ich bin eingebrochen. Dafür war es auf dem Gipfel wunderschön*. Eine wunderbare shan shui hua, ein frischer trockener Wind, Elstern saßen auf den Lärchen - ein Gefühl der Zufriedenheit. Ich habe die Skier abgeschnallt und mich auf eine umgestürzte Fichte gesetzt. Ich habe nicht nur an Dich gedacht, xiao zhu. Im Bunker herrscht Festtagsstimmung und Jubelgeschrei. Disziplin: 0. Der Oberst trinkt seit dem frühen Morgen. Ich halte mich zurück. Ich habe das »Chzhud Shi« über die sechs Geschmacksrichtungen gelesen. Als ich bei süß ankam, mußte ich an Deine Vorliebe für Süßigkeiten denken. Merk Dir: »Ein Übermaß an Süßem erzeugt Schleim und Verfettung, man wird von Hitze gequält, der Körper wird dick, Inkontinenz, Kröpf und rmenbu treten auf.« Lenk Dich nicht mit weichem Zucker ab, ich warne Dich ganz im Ernst. Ich schicke Dir den Text, den Achmatova-2 fabriziert hat. Während des Skript-Prozesses hat sich das Objekt überhaupt nicht verformt. Es gab nur starke Blutungen, Vaginal- und Nasenbluten. Das Objekt fiel entsprechend in AkkumulationsAnabiose. Wenn diese Kreatur die vier Monate überlebt und ungefähr zwei Kilogramm himmelblauen Speck produziert, dann wird das unser Top-Direkt und eine Feierstunde für das GENROSMOB. * im Original deutsch
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Achmatova-2 Drei Nächte I Ich betete zu Viadukten und zu Dorfkirchhöfen, Schmolz das Eis der abendlichen Torbogen, Vergaß den Schmerz der Unvorsichtigen, Trat hinaus in das Gestrüpp des Weges Und eilte zur blinden Brandstätte, Damit der Wind mir nicht die Kleider vom Leib reißt, Damit der Rabe nicht mit schwarzem Blute spritzt, Damit die Mädchen keinen Laut von sich geben. Festliche Menschen empfingen mich, Sie verbargen ihr Schlangenlächeln, Öffneten sich mir mit bleiernen Umarmungen, Und bemühten sich, den Kinderschwur nicht zu brechen. Wenn die Tränen im Frost gefroren Versteckten wir uns hinter der Bretterpforte. Wenn der Schrei des Adlers vom Glockenturm plötzlich abbrach, Schlossen wir uns im Speicher ein. Und wir verfolgten bedürftige Pilger, Gaben den Wachhunden nicht zu trinken, Warfen nicht mit Steinen auf sonnenverbrannte Bettler. Zur Nacht zog der Geliebte das Hemd heraus, Zerriß meinen gravierten Halsschmuck, Versiegelte meine blasse Stirn mit einem Kuß, Legte den brennenden Schwur auf meine Brust: Du sollst nicht in das Land der Hungrigen, Fröhlichen gehen,
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Du sollst nicht die Grünäugigen, Furchtlosen lieben, Du sollst nicht die Stirn lockiger Knaben küssen, Du sollst blinden Legionären keine Kinder gebären. II Er bat mich das liebe Gesicht Zu verschönern In die zitternden Nüstern einen kupfernen Ring Zu ziehen. Ich brachte dar und lockte Und dann nahm ich es. Und ich biß auf die Trense Bis es klirrte. Brenne mich, geschickter Folterknecht Bring dein Brandmal an. Möge dieser Körper erkennen Die Ergebenheit für Šamo. Um dich hab ich mich ausgeweint Die Tränen sind getrocknet. Ich verspüre jetzt auch kaum noch Schmerz Der Schrecken ist vorüber. Mir ist ein weiter Weg bestimmt Auf den feuchten Dorf kirchhof. Vor dem Haus der Odaliske Stell ich mich in ganzer Größe hin.
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Ich verbeuge mich und küsse Die teure Schwelle: Verwünsche mich, die Ehemalige, Am Wegekreuz. Ich verzeih dir alles, du meine Bittere Schwester. Laß mich los zu beten Für Dich, Du Schlange. III Es lebten drei Freundinnen im Dorf Urozly, Drei junge Kolchosbäuerinnen im Dorf Urozly: Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina. Aj-baj! Aus bitterarmen Familien kamen sie, Die ersten Mitglieder im Kolchos waren sie, Die ersten Komsomolzinnen wurden sie Im Dorf Urozly. Aj-baj! An Lenin-Stalin glaubten sie, An die Partei der Bolschewisten glaubten sie, An den heimatlichen Kolchos glaubten sie, Aj-baj! Als der Schnee taut' im Frühling, Da bauten die drei eine Schule, Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina. Eine gute Schule Eine geräumige Schule Den Bauernkindern eine Schule.
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Aj-baj! Gaptieva stach mit der Hacke den Lehm, Gazmanova band das Stroh, Chabibulina stampfte die Ziegel aus Lehm und Stroh, Stampfte mit kräftigen Beinen die Ziegel aus Lehm und Stroh, Und gab noch frischen Dung hinzu, Damit die Schule schön fest wird, Damit die Schule schön warm wird, Damit die Schule schön hell wird Im Dorf Urozly. Aj-baj! Es lebten Kulaken im Dorf Urozly, Gierige Kulaken im Dorf Urozly, Böse Kulaken im Dorf Urozly: Lukman, Rašid, der alte Faziev und der Mullah Burgan. Aj-baj! Als sie hörten von der Schule, die Kulaken, Zitterten sie vor Bosheit, die Kulaken, Ballten sie ihre Fäuste, die Kulaken, Sannen sie auf Schaden, die Kulaken: Zündeten sie das Stroh an, die Kulaken, Raubten sie die Ziegel, die Kulaken, Warfen sie fauliges Pferdefleisch, die Kulaken, Machten sie sich lustig über die Kolchose, die Kulaken. Aj-baj! Das duldeten nicht Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina, zum Rayon gingen die drei, Genugtuung zu fordern von den Kulaken, Schutz zu verlangen vor den Kulaken,
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Krieg zu führen gegen die Kulaken. Aj-baj! Die drei Freundinnen kamen in die Stadt Tujmazy, Zur GPU kamen sie, Ein ernstes Gespräch zu führen kamen sie. Herzlich empfing sie der Genosse Achmat, Der schwarzhaarige, grauäugige Genosse Achmat, Der Bürgerkriegsheld Genosse Achmat, Der Kampfgenosse von Lenin-Stalin, Genosse Achmat. Aj-baj! Ihm erzählten sie alles, die drei Komsomolzinnen Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina, Die ganze Wahrheit, so wie es war, erzählten sie ihm, Den ganzen Kummer, den ganzen Schmerz erzählten sie ihm, All ihre Sorgen erzählten sie ihm. Aj-baj! Er stattete eine Truppe aus, der Genosse Achmat, Er bestieg sein weißes Pferd, der Genosse Achmat, Und führte die Truppe, der Genosse Achmat, Ins Dorf Urozly führte er sie. Aj-baj! Er packte die Kulaken wie räudige Hunde: Lukman, Rašid, den alten Faziev und den Mullah Burgan. Da erschraken die Kulaken, Da widersetzten sich die Kulaken, Vor Angst machten sie sich in die Hosen, die Kulaken. Gericht über die Kulaken hielt das Volk, Strafe über die Kulaken verhängte das Volk Es hängte sie am Torbogen auf, das Volk:
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Lukman, Rašid, den alten Faziev und den Mullah Burgan. Aj-baj! Da jubelten alle im Kolchos, im Dorf Urozly, Und machten ein Freudenfest im Dorf Urozly, Ein tolles Freudenfest im Dorf Urozly: Sie schlachteten drei fette Hammel im Dorf Urozly, Gaptieva bereitete leckere Klöße, Gazmanova bereitete köstlichen Pilaw, Chabibulina bereitete würzige Fladen, Aj-baj! Sie gaben ihm zu trinken, dem Genossen Achmat, Sie gaben ihm zu essen, dem Genossen Achmat, Sie sangen ihm Lieder, dem Genossen Achmat, Sie stellten ihm die Frage, dem Genossen Achmat: Welchen Wunsch hast du, teurer Genosse Achmat? Da antwortete ihnen der Genosse Achmat: Die Komsomolzinnen haben mir gefallen, Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina, Die Nacht will ich mit einer von ihnen verbringen. Aj-baj! Da lächelten die Freundinnen, Da stutzten die Freundinnen, Da antworteten die Freundinnen: Zürne uns nicht, Genosse Achmat, Sei uns nicht bös, Genosse Achmat, Wir sind Freundinnen, Genosse Achmat, In bitterer Armut wuchsen wir auf, Genosse Achmat, Die Tränen unterdrückten wir gemeinsam, Genosse Achmat, Zu Lenin-Stalin beteten wir gemeinsam, Genosse Achmat,
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In den Kolchos gingen wir gemeinsam, Genosse Achmat, Komsomolzinnen wurden wir, Genosse Achmat, Die Schule bauen wir gemeinsam, Genosse Achmat, Mit Dir schlafen werden wir gemeinsam, Genosse Achmat. Aj-baj! Da wunderte er sich, der Genosse Achmat, Da willigte er ein, der Genosse Achmat. Da gingen sie auf die Wiese Dubjaz Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina, Stellten eine Jurte aus weißem Filz auf die Wiese, Rollten darin eine Decke aus Kamelhaar aus, Bedeckten dieses mit chinesischer Seide, Nahmen ihn an die Hand, den Genossen Achmat, Führten ihn in die Jurte, den Genossen Achmat, Entkleideten ihn, den Genossen Achmat. Rieben seinen harten Pflug mit Hammelfett ein, Damit er sie besser durchpflügen kann. Dann zogen sich die Freundinnen nackt aus, Und legten sich nieder zum Genossen Achmat. Aj-baj! Die ganze Nacht pflügte sie der Genosse Achmat: Gaptieva dreimal, Gazmanova dreimal, Chabibulina dreimal. Aj-baj! Am Morgen, als die Sonne aufging, Standen sie auf und heizten den Samowar, Gaben ihm Tee, dem Genossen Achmat, Gaben ihm Schafskäse, dem Genossen Achmat,
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Gaben ihm Wegzehrung, dem Genossen Achmat, Setzten ihn aufs Pferd, den Genossen Achmat. Da ritt er durch die Steppe, der Genosse Achmat, Durch die weite Steppe, der Genosse Achmat, In die Stadt Tujmazy, der Genosse Achmat, Auf zu großen Taten, der Genosse Achmat. Aj-baj! Und als neun Monde vergangen sind, Da bringen Gaptieva, Gazmanova und Chabibulina Drei Söhne zur Welt: Achmat Gaptiev, Achmat Gazmanov, Achmat Chabibulin. Stark wurden sie, tapfer und geschickt, Klug wurden sie, listig und weise, Selbstlos wurden sie, erbarmungslos wurden sie. Und sie hatten nicht ihresgleichen, Weder in Urozly noch in Tujmazy, Weder in Išimbaj noch in Ufa, Und auch nicht im großen Kazan. Aj-baj! Als der große Lenin-Stalin Von den drei Knaben erfuhr, Da rief er sie zu sich, die drei Knaben, Zum Dienst rief er sie, die drei Knaben, In das Himmlische Moskau, die drei Knaben, In den Heiligen Kreml, die drei Knaben. Aj-baj! Seit der Zeit leben die drei Knaben Im Himmlischen Moskau,
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Im Heiligen Kreml, Auf Lenin-Stalin: Achmat Gaptiev Lebt auf dem Geweih von Lenin-Stalin, Auf den sechs Sprossen von Lenin-Stalin, Auf dem mächtigen Geweih, Auf dem zähen Geweih, Auf dem weitausgelegten Geweih, Auf dem höckrigen Geweih, Auf dem zu einer dreifachen Spirale gedrehten Geweih: Der erste Sproß in die Zukunft zielt, Der zweite Sproß in die Vergangenheit zielt, Der dritte Sproß auf das Himmlische zielt, Der vierte Sproß auf das Irdische zielt, Der fünfte Sproß auf das Rechte zielt, Der sechste Sproß auf das Unrechte zielt. Aj-baj! Achmat Gazmanov Lebt auf der Brust von Lenin-Stalin, Auf der breiten Brust, Auf der tiefen Brust, Auf der mächtigen Brust, Auf der starken Brust, Auf der Brust mit den drei Zitzen, In der ersten Zitze ist Weiße Milch, In der zweiten Zitze ist Schwarze Milch, In der dritten Zitze ist Heilige Milch. Aj-baj! Achmat Chabibulin Lebt auf den Eiern von Lenin-Stalin,
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Auf den fünf Eiern, Auf den schweren Eiern, Auf den flammendroten Eiern, Auf den dichtbehaarten Eiern, Auf den krummen Eiern, Auf den Eiern unter der Eiskruste, Im ersten Ei ist der Same des Anfangs, Im zweiten Ei ist der Same der Grenze, Im dritten Ei ist der Same des Weges, Im vierten Ei ist der Same des Kampfes, Im fünften Ei ist der Same des Endes. Und so leben sie immerdar. Aj-baj! Achte auf die Handschrift; das paßt zu unserem grünen Gespräch, rips ni ma de! Wenn Du beharrlich, wie ein ben dan, vertikal schreibst, wird Deine L-Harmonie früher oder später die drei Achmats brauchen! EIN SCHERZ. Heute abend werde ich schnüffeln. Und »Das Drei-ZarenReich« lesen. Du kannst mich beneiden, rips lao wai. Nicht Dein Boris. 15. Januar Ich konnte kaum aufstehen. Totales Mannovanno. Und alles nur deshalb, rips, weil ich im Zeitalter des pragmatischen Positivismus ein hoffnungsloser Radis-Romantiker bleibe. Agvidor und ich haben gestern abend direkt geschnüffelt.
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Wir haben Birkensaft hinterhergetrunken. Er regte an, mit Karpenkoff, Bočarov und Sergeant Belov (ein rührender lao bai xing, aber kein sha gua) Pix-Dix zu spielen. Und ich, anstatt wohlanständig »Das Drei-Zaren-Reich« zu lesen, wohin zog es mich da plötzlich? Das errätst Du nie, rips xiao zhu. Und ich werde es Dir nicht sagen. Ich schicke Dir besser den Text von Platonov-3. Dieses höchst exotische Individuum hat einen höchst M-vorhersehbaren Text produziert. Ich hatte zu 67 % recht. Äußerlich hat sich Platonov-3 kein bißchen verändert: Er ist der Zeitschriftentisch geblieben, der er war. Platonov-3 Die Anweisung Stepan Bubnov schürte die Feuerung ein wenig und hörte deshalb nicht, wie jemand ins Führerhaus der Lokomotive kletterte. »Bist du Bubnov?« schrie der Unbekannte mit hoher, nichtproletarischer Stimme. Stepan drehte sich um, um seine Klassenüberlegenheit zu demonstrieren, und erblickte einen untersetzten Typen mit einem Gesicht, das von der Anspannung und der Unbeständigkeit des Lebens gezeichnet war. Der Typ hatte einen flachen Kopf mit einem für sein Alter unangemessen spärlichen Haarwuchs, eine Folge des mühsamen Wegs durch die luftige Schwarzerde der Revolutionszeit. »Ich bin der Zerstückler aus dem Depot! Fjodor Zažogin«, schrie der Typ, wobei er sich anstrengte, mit seiner bourgeoisen Stimme das Klassentosen der Feuerung zu übertönen.
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»Du hast deine Stimme nicht zufällig bei Vrangel ausgeliehen?« fragte Bubnov und schloß den Deckel der Feuerung. »Ich habe eine Vollmacht vom Genossen Čub für dich!« Zažogin langte gewichtig in die Tasche seiner Feldbluse. »Wir fahren nach Bolochovo! Da machen uns die Weißen sehr zu schaffen!« Bubnov schabte das restliche Heizöl von seiner Hand in eine Blechdose und nahm den sauberen Papierfetzen, den Zažogin ihm hinhielt: Der Maschinist S. I. Bubnov wird angewiesen, die proletarische Häcksel-Lokomotive Nr. 316 zwecks solidarischer Ankupplung an den Panzerzug »Rosa Luxemburg« unverzüglich an den Eisenbahnknotenpunkt Bolochovo zu überstellen. Depotleiter Genosse Ivan Čub. »Was heißt denn hier Vollmacht?« Bubnov faltete das Papier ohne viel Federlesens zusammen. »Das ist eine Anweisung. Du bist ja nicht besonders helle! Das hättest du mir auch mündlich mitteilen können, wozu das bourgeoise Erbe vergeuden! Bist du schon lange im Depot?« »Den zweiten Tag!« Zažogin warf einen respektvollen Blick in den Häcksler. »Ich komme gerade aus Vologda. Wir haben da einen Zug zusammengestellt, aber wir konnte ihn nicht mehr überführen - die Konterrevolution ist über uns hergefallen!« »War das etwa unter Chljupin?« »Genau!« »Und wo ist Petrov, mein alter Zerstückler?« »Den hat man mit den Armeniern Zucker holen geschickt! Nach Razdolnaja!«
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»Ausgerechnet Zucker!« murrte Bubnov mißbilligend. »Ein Arbeitermagen kann auch ohne Zucker überleben - Hauptsache es gibt was Flüssiges! Na los, rein mit dir, ab zu deinen Messern!« Zažogin verschwand im Häcksler. Bubnov löste die Bremse der Lokomotive und zog den Schwinghebel. Die Pleuelstangen setzten sich in Bewegung und fuhren mit einem pfeifenden Geräusch durch die Steppenluft. Ringsum erstreckte sich das unbarmherzige flache Land, bewachsen mit traurigen, von Sonne und Wind heruntergedrückten Gräsern, bis zum Horizont. Als sie Sirotino passiert hatten, stellte Bubnov die Umsteuerung auf mittlere Zugkraft ein und warf einen Blick in den Häcksler. Zažogin hantierte mit dem Barbid-Messer und war dabei nicht besonders zimperlich. Er zerstückelte die verdorrten Leichen der Feinde der Revolution und warf die Stücke ohne Knochen in den Vorratskasten. »Der hat's kapiert!« dachte Bubnov beifällig. »Wenn er bloß ordentlich werfen würde!« In Ostaškovo wollten vier Organspender ohne Beine und eine schwangere Frau mit einem Stück Eisenbahnschiene bis Konepad mitgenommen werden. »Ihr müßt dann aber runterspringen! Wir können die Maschinen nicht anhalten!« warnte sie Bubnov. »Machen wir, Genosse, und wie!« Die Organspender freuten sich über die Wärme und darüber, daß es vorwärts ging. »Bei uns kann nichts mehr kaputtgehen!« »Wozu brauchst du denn das volkseigene Eisen?« fragte Bubnov die Frau. »Deine Aufgabe ist es, die unkultivierte Erde nutzbar zu machen!«
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»Mein Mann verkauft in Konepad Holz nach Gewicht, aber eine Balkenwaage hat er bis heute nicht! Der wiegt alles mit Sandsäcken ab!« antwortete die Frau umständlich und drückte die Schiene vorsichtig an den Bauch, um das unruhige Kind mit dem kalten, ruhigen Material zu beschwichtigen. »Sieh mal an, was die sich ausgedacht haben, diese Läuseschlächter!« grinste Bubnov. »Wenn ihr nach Kulakenart Grund und Boden verkaufen wollt, braucht ihr dazu auch eine Balkenwaage?« »Grund und Boden, Bruder, kann man nur mit dem rechten Verstand abwiegen!« antwortete der Klügste der drei Invaliden anstelle der Frau, die mittlerweile eingeschlafen war. »Mit dem rechten Verstand muß man nicht Grund und Boden, sondern die Idioten auf der Erde abwiegen!« erwiderte Bubnov scharf. »Das verrottete Regime hat so viele davon angesammelt, daß sie nicht alle auf einmal in der Erde Platz haben! Man muß lange warten, bis die alten verfaulen und den neuen Platz machen!« Die Häcksel-Lok durchfuhr mit Gepfeife einen Talkessel und keuchte dann bergan. »Gib mehr Zug!« schrie Bubnov in den Stutzen und öffnete den Deckel der Feuerung. Zažogin streckte sein nachdenkliches Gesicht aus dem Häcksler, tunkte die Stücke großzügig in den Trog mit Heizöl und warf sie in die Feuerung, deren glühendheißer Schlund die Stücke menschlichen Materials gierig verschluckte. »Womit fahren wir denn da?« erkundigte sich der andere ohne Beine. »Mit Stücken von Kappel-Offizieren?« »Mit Offizieren kommst du heutzutage nicht mehr weit!« klärte Bubnov ihn auf. »Denen ist ihr weißes Fett in panischer
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Angst verbrannt! Von ihren Knochen gibt es nichts mehr abzuschneiden!« »Also verfeuern wir wohl Bourgeois?« Der Invalide wurde lebhaft. »Ganz genau!« schrie Bubnov. »Ich bin mal mit Kulakenstücken von Kostroma nach Jaroslavl gefahren!« erzählte der Invalide weiter und kroch teilnahmsvoll näher an die brüllende Feuerung heran. »Das war, als ich meine Beine noch hatte! Da haben wir hundert Verst in einer halben Stunde geschafft! Volle Fahrt voraus! Da kann man mal sehen, was das heißt - die vollgefressene Klasse!« Plötzlich pfiffen einige Bleistücke durch die Luft und durchschlugen das Führerhaus, den Tender und die Körper zweier Invaliden und der Frau gleich mit. Die erschossenen Invaliden fielen auf den glitschigen Boden und zuckten noch lange; sie schieden nur ungern aus diesem interessanten Leben. Die Frau starb widerstandslos im Schlaf, und das Kind schlummerte, ohne den Verlust der Mutter zu spüren, weiterhin tief und fest, weil die Eisenbahnschiene so dicht vor dem Bauch lag. Bubnov lehnte sich aus dem Führerhaus und erblickte weiter vorne eine Draisine, auf der Leute mit einem Maschinengewehr waren. Er zog den Schwinghebel an und schloß den Siphon. Die Häcksel-Lok begann aufgebracht zu bremsen und kroch langsam auf die todbringende Draisine zu. Der überhitzte Dampf entwich in vergeblicher Raserei aus dem löchrigen Kessel. »He, Kameraden, hat wer von euch Machorka?« fragte jemand von der Draisine. »Wes Blutes seid ihr, ihr Mörder?« fragte Bubnov.
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»Wir sind Rote, vom Eisenbahnknotenpunkt!« antwortete der Kommandeur der Draisine bestimmt. »Und ihr, was seid ihr für welche?« »Wir sind vom Depot, verdammt noch mal! Was soll denn das, du Schuft, was spuckst du denn mit Blei auf die eigenen Leute?« »Die Sache ist die, wir haben schon den dritten Tag keine Machorka!« Der Kommandeur kam krummbeinig heran. »Und kein Schwein hält an! Aber ohne Rauchen ist das Kämpfen ja zum Kotzen. Vor Langeweile könnte man Läuse fressen.« Bubnov sah sich um. Er selbst hatte nur noch zwei Portionen Machorka, Zažogin, seinem verschleierten Blick nach zu urteilen, lenkte sich nicht mit Rauchwaren ab. Und bei den Invaliden nach Machorka herumzustochern, ging Bubnov gegen seine grobknochige Natur. »Wir haben keine Machorka, du Rowdy!« rief er dem Krummbeinigen zu. »Da mußt du schon zu den Weißen gehen!« Der Kommandeur setzte sich wortlos auf die Draisine und gab den Rotarmisten einen Befehl. Die stürzten sich wild entschlossen mit der Brust auf die Hebelstange, und die Draisine kam ins Rollen. Die Überlebenden kletterten von der HäckselLok und begleiteten die Draisine mit langen Blicken, in denen mehr Neid auf die ungehinderte Überwindung des Raums als Vorwurf für die Toten lag. »Den müßte man löten, Meister!« riet der Invalide einfältig und betrachtete den löchrigen Tender wie eine wundertätige Ikone, aus der Wasser tröpfelt. »Mit deinem Geschwätz vielleicht?« Bubnov, den die düstere Unbeweglichkeit der Häcksel-Lok nervös machte, beachtete ihn nicht weiter. Die beiden überlebenden Invaliden krochen in
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heller Aufregung um das steckengebliebene Gefährt herum: der unerwartete Tod ihrer Genossen wirkte auf sie wie Selbstgebrannter. Zažogin werkelte geschäftig im Häcksler herum, als ob nichts Besonderes passiert wäre. Schließlich hatte Bubnov sich etwas überlegt. »Folgendes, ihr Überreste der Weltrevolution!« wandte er sich an die Invaliden. »Wir müssen die Lok von der Stelle bewegen und irgendwie bis Žitnaja kommen. Dort können sie uns den Tank löten, und dann geht's weiter!« »Wie sollen wir denn so ein Gewicht von der Stelle kriegen?« Dem Invaliden kamen freudige Zweifel. »Ich binde euch auf beiden Seiten an die Pleuelstangen, dann könnt ihr die Räder unterstützen! Sonst schafft die Maschine das nicht: es ist kein Dampf mehr da, und der Tank ist durchlöchert!« »Laß uns zuerst die getöteten Genossen der Erde übergeben!« schlug der Invalide vor. »Na gut!« Bubnov war einverstanden. »Wenn wir auch sonst nichts haben, Schaufeln haben wir jede Menge!« Sie gruben ein Massengrab in den Steppenboden und legten die beiden ohne Beine und die Schwangere hinein. Irgend etwas sagte den Bestattern, daß die Schwangere zusammen mit der Schiene begraben werden müßte, die sie weiterhin fest vor den Bauch gepreßt hielt, selbst im Tod noch um ihr Kind besorgt. Als sie die Leichen mit der gleichgültigen Erde bestreuten, wurde der redselige Invalide von Rührung überwältigt: »Schließlich haben wir gemeinsam unsere Beine dem HäckselLokomotiven-Verband ›Komintern‹ geopfert! Damals bei Bobruisk, da war im Umkreis von fünfzig Verst kein einziges Stück aufzutreiben! Alles an die Front verfrachtet. Die Loko-
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motiven standen still. Wie sollte man die Verletzten herausbringen? Da haben drei Kompanien ihre unteren Gliedmaßen zum Nutzen der Gesundung der Feinde des Kapitals gegeben! Mit unseren Beinen sind wir dann im Nu nach Juchnovo gekommen!« Sein Genosse schickte sich gleichfalls an, ein paar ergriffene Worte zu sagen, doch wegen der Armut der im Wind der Revolution stark eingetrockneten menschlichen Sprache fing er lediglich an zu brüllen. Nachdem sie einen niedrigen Hügel über dem Grab aufgeschüttet hatten, stießen sie eine sowjetische Schaufel hinein, auf der Bubnov mit einem Stück Schotter folgende Worte eingeritzt hatte: Hier liegen zufällig getötete Menschen. In der Gerätekiste fanden sie eine Rolle Draht und banden damit die Invaliden an den Pleuelstangen der Vorderräder fest. Die Invaliden verharrten in bedeutungsvollem Schweigen und bereiteten sich innerlich auf die ungewöhnliche Arbeit vor. »Nicht zuviel auf einmal!« warnte Bubnov Zažogin. »Sonst platzen die Lötstellen auf, und dann kommen wir nie an!« Zažogin warf in Öl getauchte Stücke in die erkaltete Feuerung. Die Stücke fingen an zu knacken und überraschten das Innere der kaputten Lok mit unerwarteter Wärme. Nach einer kurzen, langsamen Zeit setzte die Häcksel-Lok sich in Bewegung und geriet langsam ins Rollen. Die Invaliden hatten sich eingearbeitet und unterhielten sich schreiend über das stumm arbeitende Metall hinweg. »Genosse Bubnov, wieso haben die uns mit dem Maschinengewehr eins übergezogen?« fragte Zažogin und streckte sich. »Die wollten was zu rauchen!« Bubnov starrte intensiv auf den gelben Steppenhorizont.
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»Das sind ja vielleicht Räuber!« Zažogin wunderte sich. »Wegen solcher schädlichen Überbleibsel die Leute ausplündern!« »Das Rauchen ist kein Überbleibsel, sondern der Senf auf dem ungesalzenen Rindfleisch des Lebens!« rügte ihn Bubnov und drehte sich zum Beweis eine Papirossa. Zažogin verschwand verständnislos im Häcksler, da er sich nicht mit der Notwendigkeit abfinden konnte, nicht nahrhaftem Rauch in sich hineinzusaugen. Das wollte ihm einfach nicht in seinen flachen, aber aufgeweckten Kopf. Bevor die Häcksel-Lok mit den Invaliden ihrer Sache überdrüssig war, erschienen zu beiden Seiten des Gleiskörpers dahinpreschende Reiter auf schweißglänzenden Pferden. Mit heiseren, kriegsmüden Stimmen befahlen sie der Lok zu halten. »Was seid ihr für welche?« fragte Bubnov sie gegen den Wind. Ohne zu antworten, holten die Reiter ihre kampferprobten Waffen hervor. »Es sind Weiße, Genosse Bubnov!« erkannte Zažogin. »Die Front wird doch nicht aufgebrochen sein?« »Ach wo!« beruhigte ihn der Maschinist. »Das sind belanglose Reste! Die sind hinter ihrer Zeit zurückgeblieben, und die neue Zeit ist ein harter Brocken für sie. Na los, Fedja, wühl mal in der Gerätekiste, da müßte sich doch noch Vernichtungswerkzeug finden.« Zažogin öffnete die Gerätekiste und kramte zwei Stutzen hervor, deren Mündungen nicht mehr dazu kamen, sich zu wundern. Bubnov zog das Gewehrschloß zurück, schob eine verschlafene Patrone in den Lauf, lehnte sich aus dem Führerhaus und feuerte auf die Weißen. Zažogin, der in der letzten Zeit häufig mit der Vernichtung fremden Lebens zu tun
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hatte, wartete gelassen ab, bis der Feind in verwundungsfähige Nähe kam. Die Weißen nutzten die ruhige Fahrt der HäckselLok aus; sie stießen sich von ihren erschöpften Pferden ab, hängten sich an das vernietete Eisen und kletterten hinauf. Die an den Pleuelstangen schaukelnden Invaliden begrüßten die Verteidiger der untergehenden Klasse mit ausgewählten Flüchen. »Fedja, die weißen Läuse entern uns!« konstatierte Bubnov und stellte seine Waffen für den Nahkampf um. »Bohren wir ihnen ein kleines Loch in ihren verfaulten Körper!« »Was bist du denn für einer, kannst du einem Befehl nicht gehorchen?« fragte der einäugige Kavallerist, der als erster ins Innere der Lok vorgedrungen war, den Maschinisten. »Ein Sklave des internationalen Kommunismus!« antwortete Bubnov klassenbewußt und schoß ihm mit dem Stutzen das halbe Gesicht weg. Der Einäugige verschwand in der schnell vorbeifliegenden Landschaft. Zwei andere stüzten sich auf Zažogin, der keine Lust mehr hattte, den Feind von vorne zu erwarten. Der eine rammte ihm einen aristokratischen Offiziersdolch in den Rücken, der andere hängte sich ihm an den Hals, was ihn daran hinderte, laute Schmerzensschreie auszustoßen. Zažogin schrie nach innen, der Schrei wirkte wie überhitzter Dampf in einem Kessel und verdreifachte die Kräfte seines geschwächten Organismus. Fjodor stieß dem einen Angreifer sein Knie in den mageren Bauch, und dem anderen schoß er mit dem Stutzen in den Hals. »Worauf feuerst du denn, du Idiot?« fragte der weiße Hase wütend, setzte sich auf den Boden und hielt sich tüchtig mit der Faust die Wunde zu. Zažogin zog das Gewehrschloß zurück
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und zerschoß dem Zweiten, der in eine schläfrige Nachdenklichkeit verfallen war, den Schädel. Die weißen Hasen, die auf das Dach geklettert waren, spürten, daß irgendwas nicht in Ordnung war, und feuerten mit einem Mal nach unten. Eine Kugel bohrte sich unbemerkt in Bubnovs Schulter, die übrigen trafen unbelebte Gegenstände. »Fedja, bewach die Tür, ich bin gleich soweit!« warnte Bubnov und riß den Schwinghebel herum. Die Häcksel-Lok bremste heftig ab, und die unter den Rädern hervorstiebenden Funken beleuchteten die abendliche Steppe sowie die Weißen, die vom Dach auf die Schienen hinuntergeflogen waren. »Das ist eben kein einfaches Pferd - das ist Technik!« folgerte Bubnov beifällig und stürzte gemäß dem objektiven Gesetz Newtons ebenfalls zu Boden. Zažogin wurde mit dem Rücken gegen die Hebel geschleudert, wodurch sich der Offîziersdolch noch tiefer in den Rücken bohrte. Der verletzte weiße Hase knallte mit dem Kopf auf den Schwinghebel und verstarb infolgedessen sehr bald. Die Häcksel-Lok kam zum Stehen. »Genosse Bubnov, schau doch mal nach, was mir der Feind da in den Rücken gerammt hat!« bat Zažogin. Der Maschinist zog ihm die Weißgardisten-Trophäe aus dem Rücken und zeigte sie ihm. »Da sieh mal einer an, die weißen Offiziere! Nicht etwa ein einfaches Bajonett!« sagte Zažogin traurig, und das Blut, das vorher von der Dolchklinge zurückgehalten worden war, strömte ihm jetzt in die Lungen. »Mir quillt Blut in die Luftröhre!« erklärte er Bubnov hustend. »Zum Verabschieden bleibt keine Zeit!«
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»Dann verabschiede dich mit den Augen, Kamerad!« Bubnov umarmte ihn. Zažogin nahm alle seine Kräfte zusammen, um dem Maschinisten in die Augen zu sehen, doch plötzlich blickte er durch sie hindurch - in einen überirdischen Raum - und verstarb. Bubnov hob die Weißgardisten-Mütze auf und legte sie dem Zerstückler auf das Gesicht. »Er hat keine proletarische Stimme, sein Kopf sieht aus wie ein Laib Brot, aber gestorben ist er wie Marat!« überlegte Bubnov ernst und sprang von der Lok herunter. Ringsumher in der Dämmerung lagen die verstümmelten Weißen im Sterben. Bubnov hielt sich nicht damit auf, ihnen den Todesstoß zu versetzen, sondern ging, um die Invaliden loszubinden. Denen jedoch hatte das heftige Bremsen ebenfalls den Garaus gemacht. Der Draht hatte tief in ihren Leib geschnitten und dabei lebenswichtige Venen durchtrennt. Die Invaliden starben im Halbschlaf und übergossen das schweigsame Eisen, das ihnen nicht für ihre Hilfe gedankt hatte, mit ihrem dampfenden Blut. »Mit wem soll ich mich denn nun über den Sieg freuen?« schnauzte Bubnov die Beinlosen an. »Ihr seid doch nicht adliger Herkunft, daß man euch so leicht kaputtkriegt!« Eine Hand streckte sich von hinten aus der Dunkelheit hervor, legte eine Sichel um den Hals des Maschinisten und wollte ihn abschneiden wie eine überreife Ähre. »Weg von der Lok!« befahl eine Stimme. Bubnov wich zurück, dahin, wo die erhitzte Erde sich von der blinden Sonne erholte. »Und jetzt stehenbleiben!« kommandierte die Stimme. Bubnov blieb stehen. Ein paar finstere Gesellen kamen ange-
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laufen, machten sich an der Lok zu schaffen und stürzten wieder davon. Dann ertönte das schlangenartige Zischen einer Zündschnur. »Was macht ihr denn da, ihr Schufte! Das ist volkseigenes Gut!« schrie der Maschinist mit der Stimme einer Mutter, die ihr Kind für immer verliert. Zur Antwort loderte eine Stichflamme auf, und Bruchstücke von der Häcksel-Lok flogen durch die Steppe. Die Druckwelle warf Bubnov und die Nachtschwärmer zu Boden. »Noch sind die Weißgardisten nicht geschlagen!« Bubnov spuckte Sand aus. »Ihr seid wohl vollkommen übergeschnappt vor Schmerz, ihr Vrangelschen Speichellecker!« »Wir sind keine Weißen, reg dich nicht auf!« bekam er zur Antwort. »Also seid ihr Banditen?« »Auch keine Banditen.« »Dann aus der Partei Ausgeschlossene?« »Wir sind keine Roten«, beharrte die Stimme. »Dann müßt ihr wohl Anhänger von Machnov sein?« »Wir sind keine Anarchisten! Die Anarchie ist das neue Opium fürs Volk: Jesus Christus mit Mauserpistole!« »Aber wer seid ihr denn?« Bubnov hatte die Nase voll und war wütend. »Wir sind Kinder der Natur!« erklärte ein Mann, der nur als dunkle Kontur zu erkennen war. »Wir kämpfen gegen Maschinen, für die vollständige und kompromißlose Befreiung von der mechanischen Arbeit! Kannst du lesen?« »Vor der Revolution konnte ich nicht lesen!« antwortete Bubnov stolz. »Sobald es hell wird, gebe ich dir mein Buch zu lesen, ›Die
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Macht der Maschinen‹. Darin steht alles geschrieben. Ich heiße Pokrevskij. Jetzt backen wir uns Kartoffeln, und ich werde dir alles über Maschinen erzählen.« »Was willst du mir wohl von Maschinen erzählen! Seit ich vierzehn bin, habe ich meine Zeit im Depot verbracht. Ich kenne alle Motoren!« »Aber das Wesentliche weißt du nicht! Mit Maschinen wird der Mensch niemals Frieden und Glück erlangen. Sie verbürgerlichen ihn und machen ihn zum Sklaven seiner selbst! Was ist denn das für ein heiliger Kommunismus, wenn an deiner Stelle das Eisen die Erde umpflügt. Das ist doch eine erstklassige Gemeinheit! Die muß man bis aufs Blut bekämpfen. Zerstören wir die Maschinen und pflastern wir uns mit ihrem Schrott den Weg ins rote Paradies!« »Und dann pflügen wir wieder mit Pferden?« »Doch nicht mit Pferden, du ungebildeter Mensch! Wir selbst werden pflügen und säen und eggen!« »Das ist nichts für mich!« gähnte Bubnov; er war müde vom Fahren, Töten und Reden. »Ich kann mich nie im Leben in ein Joch spannen lassen. Und ohne Häcksel-Lokomotive kann ich nicht leben.« Das Oszillieren der Nachtluft verriet ihm, daß die Leute sich gegenseitig Blicke zuwarfen. »Wollt ihr mich umbringen? Dann macht schnell, ich leide nicht gerne!« »Wir rühren keine Menschen an!« antworteten die Unsichtbaren und machten sich aus dem Staub. Bubnov legte sich auf die warme Erde und schlief ein. Er träumte von etwas schmerzhaft Vertrautem, Riesigem, vor dem man sich nicht schützen konnte, das man nicht töten, ver-
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gessen oder beerdigen konnte und mit dem man sich nicht auf immer vereinigen, sondern das man nur mit der unerwiderten Liebe einer Waise lieben konnte. Dann verdichtete sich dieses Riesige, Vertraute zu einem glänzenden Wassertropfen und tropfte ihm auf die Schulter. Bubnov erwachte. Die Sonne stand im Zenit und wärmte töricht die Erde und den daraufliegenden Bubnov. Ringsumher lagen Bruchstücke der explodierten Lokomotive. Neben den Beinen des Maschinisten lag ein nicht verbranntes Stück bourgeoisen Fleisches, das sich tatsächlich nicht in proletarischen Dampf verwandelt hatte. Bubnov schaute auf seine Schulter und sah eine WeißgardistenKugel darin stecken. »Doch noch getroffen! Und ich hatte schon Angst, ich müßte wie die Mutter Gottes Jungfrau bleiben!« überlegte Bubnov fröhlich und zog die Kugel aus der Schulter. Das schwarze Blut, das sich unterhalb der Kugel angesammelt hatte, quoll langsam aus der Wunde. Bubnov hob das Stück Fleisch vom Boden auf und legte es an die Schulter. Er mußte sich auf den Weg machen. »Wenn ich wenigstens bis Žitnaja komme! Da kann ich ein Telegramm ans Depot aufgeben: Häcksel-Lok von Antimaschinen-Menschen gesprengt!« überlegte Bubnov. Er kletterte mit Mühe zum Gleisbett und ging über die schwarzen Eisenbahnschwellen. Im Gehen dachte Bubnov an die neue Häcksel-Lok, die irgendwo auf ihn wartete, so sicher wie das Pferd auf den Reiter wartet. »Ich werde mich doch jetzt nicht als Infanterist durchschlagen!« überlegte der Maschinist. »Auf einer Häcksel-Lok ist das Leben viel interessanter. Und man braucht nicht so langsam
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nachzudenken wie beim Gehen. Das übernimmt die Mechanik für dich, die denkt mit ihren eisernen Gedanken.« Nach ungefähr sechs Verst tauchte Žitnaja auf. Bubnov war erschöpft vom langweiligen Laufen und von der Anstrengung, das bourgeoise Fleisch an die verletzte Schulter zu drücken. Daher ging er nicht zum Bahnhof, sondern klopfte beim allerersten Haus ans Tor und bat um Wasser. Das Tor war nicht verschlossen. Bubnov betrat den Hof. Auf einem warmen Strohhaufen lag ein Hund, der ihm einen verschlafenen Blick zuwarf. »He, Besitzer!« »Was ist?« ließ sich eine Frauenstimme aus dem Heuschober vernehmen. »Wasser, ich hab Durst!« »Heh? Komm her, ich kann nix hören!« Bubnov betrat den halbleeren, halbdunklen Schuppen und erkannte undeutlich eine unwahrscheinlich dicke nackte Frau, die auf dem Heu lag und Sonnenblumenkerne kaute. »Wasser, hab ich gesagt, ich hab Durst«, sagte Bubnov und staunte über die weißen Formen dieses ungewöhnlichen menschlichen Wesens. »Sprich lauter, du sirrst ja wie eine Mücke!« riet ihm die Frau. Bubnov trat einen Schritt nach vorne und wollte lauter rufen, als er in einen tiefen, schräg nach unten abfallenden Vorratskeller stürzte, der nicht für die Lagerung von Lebensrnitteln ausgehoben worden war. Als er wieder zur Besinnung kam, schaute der Maschinist nach oben. Die dicke Frau betrachtete ihn aufmerksam. »Bleib doch hier«, sagte sie. »Wieso, bist du Witwe?« fragte Bubnov verständnislos.
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»Ich bin aus einem Guß«, antwortete die Frau und spuckte Sonnenblumenschalen aus. »Ich habe eine Anweisung. Ich werde erwartet.« Bubnov rappelte sich von den weichen Erdklumpen auf. »Zeig mal!« Die Frau ließ ihm ein Körbchen an einem Bindfaden herunter. Bubnov kramte die Anweisung hervor und legte sie in das Körbchen. Die Frau zog das Körbchen zu sich hinauf. Umständlich las sie die Anweisung und bewegte dazu ihre dicken Lippen. »Macht nix!« Sie versteckte die Anweisung zwischen ihren riesigen Schenkeln. »Schlaf! Ich komm dich jetzt öfter mal anglotzen!« Der Eichendeckel schlug über Bubnovs Kopf zu. Nach der Witte-Skala weist dieser Text 79 % L-Harmonie auf. It's hard to believe, rips ni ma de da bian? Platonov-3 haben die Petersburger zhuan men jia vor sieben Monaten inkubiert, nach zwei Dis-Mißerfolgen, durch die das Ansehen der Schule von Fajbisovič und Co. schwere Einbußen erlitten hat. In der Gentechniker-Szene gleicht die Haltung gegenüber den Petersburgern der yu wan xing wei deines chou de Martin auf der Hochzeit von Savva: dem gelähmten Ilja Muromec in die gao wan schlagen kann jeder durchschnittliche bai chi. Und Fajbisovič hat es fertiggebracht, allen nicht vornehmen wangs zu beweisen, daß er kein lao wai in Gentechnik und durchaus imstande ist, bei den RKs das Nashorn nicht anzumalen. Was der lebendige Tisch Platonov-3 gezeigt hat. Wir rechnen bei ihm mit mindestens 2 Kilo himmelblauem
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Speck. Ablagerungsorte sind Ellbogen- und Kniegelenke, Leistengegend, die Prostata (sic!) und die Backentaschen. Frohlocke, mein ZYKLOPchen. Boris 16. Januar Militärs sind eben doch nicht nur per defînitionem Schweine. Der Oberst und ich haben uns gestern besoffen (die anderen haben sich die Zeit bei der Jagd vertrieben). Und dieser ben dan sha gua hat mich angemacht. Zuerst hat er darum herumgeredet, wie ein typischer Violetter. »Boris, Sie haben ja keine Ahnung, wie mir der Geruch der lebendgebärenden Stiefel in der Kaserne zum Hals heraushängt. Ich habe ganz vergessen, wie saubere Männerhaut riecht.« Du weißt ja, bei solchen Annäherungsversuchen stehen mir die Haare zu Berge. Mein rituelles Grinsen half nichts, dieser hang kong mu jian zog geradewegs ins LOB. »Boris, haben Sie schon mal 3 plus Karolina probiert?« »Nein. Werde ich wohl auch nicht.« »Warum denn nicht?« »Ich bevorzuge den reinen Multisex.« »Woher dieser Quietismus?« »Das ist mein Psychosomo, Oberst.« »Sie lassen sich da aber was entgehen.« »Keineswegs. Ich will bloß mein LV nicht disharmonisieren.« Pause. Rips, für jeden sha gua ist die Erwähnung von LV ein Schlag in die dunkle Dunkelheit. Wir schwiegen. Der Oberst nahm einen Schluck »Katja Bobrinskaja« und fixierte mich lange mit seinen Igel-Augen:
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»Boris, ich habe nicht einfach nur so gefragt.« (Als ob ich das nicht ERRaten hätte, rips da bian tu ding.) Also probiert dieser Ameisenfresser ungeachtet seines ADAR nach Feierabend noch einen stinkenden 3 plus Karolina. Mit den Unteroffizieren. Und beschwert sich noch über den Soldatengeruch. Ein grauer liang lian pai. Wie seine ganze Generation. Aber das ist alles hu shuo ba dao, mein transparentohriger Junge. Čechov-3: keine Überraschungen, aber auch keine Beanstandungen. Das Objekt ist von dem Prozeß völlig entkräftet und atmet kaaaaaaaum noch. Lies selbst. Čechov-3 Die Beisetzung von Attis Dramatische Etüde in einem Aufzug Viktor Nikolaevič Polozov, ein Gutsbesitzer Arina Borisovna Znamenskaja, eine junge Schauspielerin Sergej Leonidovič Štange, ein Arzt Anton, ein betagter Lakai I Im Apfelgarten auf dem Gut von Polozov. Anton gräbt eine Grube zwischen zwei alten Apfelbäumen. Es wird Abend. ANTON (schwer atmend) Du lieber Gott.... Jesus Christus ... erbarme dich unser, die wir Schuld auf uns geladen haben. Was ist das nur für eine Idee, ihn im Garten zu begraben. Als gäbe
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es keinen anderen Ort dafür. Wie weit ist es mit uns gekommen, verzeih, o Herr. Diese Schuld auf meine alten Tage. Schämen sollte er sich, der gnädige Herr ... schämen! Zu schade, der alte gnädige Herr ist verstorben, sonst hätte er gesagt, was er immer zu sagen pflegte - schlag dir diese Kapriolen aus dem Kopf, Vitjuša. Auftritt Znamenskaja mit einem Fliederzweig; sie trägt einen schmutzbespritzten Regenmantel und einen spanischen Hut mit breiter Krempe. ANTON Du lieber Gott, Arina Borisovna! ZNAMENSKAJA Du hast mich erkannt, Anton. Das ist ja wunderbar! Guten Tag. ANTON (verbeugt sich) Ich hoffe, Sie befinden sich wohl! Natürlich habe ich Sie erkannt! Natürlich habe ich Sie erkannt! (Läuft geschäftig hin und her, läßt die Schaufel fallen.) Verzeihen Sie, gestatten Sie, daß ich Sie sogleich melde. ZNAMENSKAJA Das ist nicht nötig. ANTON (beeilt sich, ins Haus zu kommen) Aber natürlich! Aber natürlich! ZNAMENSKAJA (hält ihn auf) So bleib stehen. Ich sage doch, es ist nicht nötig. ANTON Aber der gnädige Herr erwartet Sie doch wohl schon lange. ZNAMENSKAJA Lieber, guter Anton. Mich erwartet hier schon lange niemand mehr. (Sieht sich um.) In zwei Jahren hat sich nichts verändert. Das Haus sieht immer noch gleich aus. Der Garten ebenso. Selbst der Wetterhahn auf dem Mezzanin ist immer noch genauso rostig. ANTON Aber, meine liebe, gnädige Frau, wer soll denn auch hinaufsteigen, um ihn zu streichen! Ich bin schon bejahrt, und 95
der gnädige Herr will keine Arbeiter anheuern, weil doch kein Geld da ist. Den Verwalter hat er schon entlassen, und das Stubenmädchen auch. Nur ich bin noch da. Und was den Wetterhahn betrifft - es ist ja nicht mal Geld da, um den Vorbau auszubessern! ZNAMENSKAJA Und wo ist die Schaukel? Sie hing dort drüben an dem Apfelbaum. ANTON Die Stricke waren verfault, da habe ich sie abgeschnitten. Der gnädige Herr hat es nicht einmal bemerkt, aber wozu brauchen wir heute noch eine Schaukel? Natalja Nikolaevna und die Kinder kommen nicht mehr her. (Besinnt sich plötzlich.) Liebe, gnädige Frau, Sie haben ja geruht, sich von hinten ganz vollzuspritzen! Erlauben Sie, geben Sie mir den Mantel! ZNAMENSKAJA (lehnt sich mit dem Ellbogen an den Stamm des Apfelbaums) Laß nur. ANTON Sie kommen vermutlich von der Bahnstation? ZNAMENSKAJA Ja. Ich bleibe ein wenig hier stehen, dann gehe ich wieder. Und du sagst ihm nichts. Hörst du? ANTON Wie denn das? ZNAMENSKAJA Sag mir, ja ist er immer noch ... (Versinkt in Gedanken.) ANTON Wie belieben? ZNAMENSKAJA Ach nein, nichts. Leb wohl. (Wirft den Fliederzweigfort, geht weg, begegnet dabei jedoch Polozov. Er trägt einen Frack und weiße Handschuhe und hält einen toten Windhund auf den Armen.) POLOZOV Arina ... Arina Borisovna. ZNAMENSKAJA (wendet sich ab) Viktor Nikolaevič. POLOZOV (steht wie erstarrt) Ich ... ZNAMENSKAJA Verzeihen Sie die Störung.
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POLOZOV (kann nur mit Mühe sprechen) Sie ... nicht im geringsten. Gestatten Sie. Das ist so ... ZNAMENSKAJA Ich kam vorbei, um Ihren Garten anzuschauen. Einfach so. Ist Ihr Hund gestorben? So warten Sie, es ist doch nicht etwa der Hund? In Ihren Armen ist er so klein. POLOZOV (legt den Hund auf die Erde) Ich freue mich sehr, Sie zu sehen. Das ist so unerwartet, aber sehr gut. Sehr gut. ZNAMENSKAJA Was ist gut? POLOZOV Daß Sie hier sind. ZNAMENSKAJA Es ist so merkwürdig ... Als ich von der Bahnstation kam und durch das Wäldchen ging, überholte mich ein betrunkener Kerl auf einem Pferd. Er war nackt bis zum Gürtel und hatte irgendein mechanisches Teil in der Hand, wahrscheinlich von einer Maschine abgebrochen. Er schlug damit gegen die Stämme der Birken und schrie: »Zum Quartier, zum Quartier!« Ein verrückter Kerl. Zu welchem Quartier? Ein vollkommen verrückter Kerl. Und sehr bösartig. ANTON (schüttelt den Kopf) Das sind bestimmt die aus Vostrjakovo, die treiben allerlei Unfug. POLOZOV (zu Anton) Geh, mach uns Tee. ANTON Sogleich, Väterchen. (Tritt ab.) ZNAMENSKAJA (beugt sich zu dem Hund hinunter und streichelt ihn) Ja, das ist er. Ein altgriechischer Hund, wie Ihre Schwester gesagt hat. Ich habe vergessen, wie er heißt: Antinoos? Orest? Alkide? POLOZOV Attis. ZNAMENSKAJA Attis! Lieber Attis! Ja, ja. Ich habe Sie damals noch gefragt, wer ist denn Attis? Und Sie haben geantwortet, das sei der Liebhaber von Kybele. Aber ich kannte die
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Geschichte von Kybele nicht, und ich schämte mich, das zuzugeben. Heute schäme ich mich überhaupt nicht mehr. Wir haben Attis immer zum Spaziergang mitgenommen. Er war so flink und schön. Einmal hat er sich auf einen Hammel gestürzt, und Sie haben ihn so angeschrien. Viktor Nikolaevič, was ist mit Ihrem Gesicht? POLOZOV Nichts. Ich glaube, es ist nichts. ZNAMENSKAJA Sagen Sie, ist es schrecklich, daß ich hier bin? POLOZOV Das ist sehr gut. ZNAMENSKAJA Ich muß Ihnen gestehen, ich habe nicht einen einzigen Ihrer Briefe gelesen. POLOZOV Das habe ich mir gedacht. ZNAMENSKAJA Alle achtzehn Briefe habe ich im Kamin verbrannt. Das ist abscheulich, ich weiß. Aber irgend etwas hat mich davon abgehalten, sie zu lesen. Bin ich sehr garstig? POLOZOV Arina Borisovna, kommen Sie ins Haus. Hier ist es feucht. ZNAMENSKAJA Nein, nein. Lassen Sie uns hierbleiben. Lassen Sie uns hierbleiben. Mir hat ihr Garten immer so gut gefallen. Besonders im Mai. Erinnern Sie sich, als die Panins zu Besuch kamen? Sie haben mit Ivan Ivanovič auf Flaschen geschossen. Abends haben wir eine Bootsfahrt gemacht. Kadaševskij ist ins Wasser gefallen. Und am nächsten Morgen waren alle Apfelbäume erblüht. Alle auf einmal. Sie haben gesagt, das sei deshalb, weil ich hier bin. Aber Panin sagte, das sei, weil es Krieg gebe. POLOZOV Ja ... ich entsinne mich. ZNAMENSKAJA Aber es gab keinen Krieg. Nur in Konoplevo hat ein Kerl seine Familie niedergemetzelt.
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POLOZOV Daran erinnere ich mich auch noch. (Nimmt sie bei der Hand.) Gehen wir ins Haus. Sie müssen sich ausruhen und zu sich kommen. ZNAMENSKAJA (betrachtet den toten Hund) Es ist trotzdem seltsam. POLOZOV Was? ZNAMENSKAJA Tote Hunde ähneln lebendigen Hunden. Tote Menschen hingegen ähneln den lebendigen überhaupt nicht. Als ich meinen Vater beerdigte, wußte ich, daß nicht er im Sarg liegt, sondern ein ganz anderer Mensch. Daher glaube ich bis heute noch nicht daran, daß mein Vater gestorben ist. Er lebt. Und überhaupt, das, was da im Sarg lag, war einem Menschen ganz und gar nicht ähnlich. Finden Sie nicht auch? POLOZOV Ja, ja. Sie haben recht. Obgleich ... ZNAMENSKAJA Was? POLOZOV Fort von hier! ZNAMENSKAJA (schaut ihn verständnislos an) Was? POLOZOV (schreit) Fort von hier! Fort! Auf der Stelle - fort! Die Znamenskaja macht zwei Schritte rückwärts und schaut ihm dabei unverwandt ins Gesicht, dann dreht sie sich um und läuft fort. Auftritt Anton. ANTON Haben Sie gerufen, gnädiger Herr? POLOZOV Nein, das heißt ... doch. Hilf mir. (Nimmt den Hund auf die Arme und läßt ihn vorsichtig in die Grube sinken.) ANTON Was ist denn mit Arina Borisovna? Kommen Sie nun Tee trinken? Ich habe schon aufgedeckt. POLOZOV Schweig still. (Betrachtet den toten Hund, wirft eine Handvoll Erde auf ihn.) Fang an. 99
Anton schaufelt Erde in die Grube. POLOZOV Sieben Jahre. Nur sieben Jahre. Für einen Hofhund ist das nichts. Aber für einen Windhund ist es ein ganzes Leben. ANTON Kein Wunder! Ein Windhund läuft auch sein ganzes Leben. Ohne Atempause. Er war ein wunderbarer Hund. Reinlich, mit dichtem Fell. Und so ein Wildfang! Ein Feuer! Wie der sich im Lauf gestreckt hat, wie er sich gestreckt hat! Da konnte man sich nicht sattsehen. Ihr verstorbenes Väterchen pflegte zu sagen, unser Attis hat eine Schnauze wie ein Krokodil, der kann einen Hasen quer verschlingen. Dreiundvierzig Füchse hat er zu Tode gehetzt. So war das. Polozov geht langsam zum Haus. II Der Salon im Hause Polozov. Viktor Nikolaevič sitzt im Sessel und raucht eine Zigarre; neben ihm steht ein chinesisches Teetischchen, gedeckt für zwei Personen. Am Rand steht eine Karaffe mit Vodka. Anton kommt mit einem Tellerchen Salzgurken herein. ANTON Hier, Väterchen, das ist alles, was wir haben. Die Kapern sind uns schon an Dreikönig ausgegangen. Aber was sollen wir mit Kapern, wenn wir uns schon bald kein Brot mehr leisten können. POLOZOV Fort mit dir. ANTON (stellt die Gurken auf das Tischchen und preßt die Hände an die Brust) Väterchen, gnädiger Herr, aber ich bitte Sie herzlich! Was stellen Sie nur mit sich an? POLOZOV Fort mit dir. ANTON Mir blutet das Herz, wenn ich das sehe! Ich kenne Sie 100
doch, seit Sie in den Windeln lagen! Wie ist denn so etwas möglich, o Herr Jesus Christus! Warum geruhen Sie, sich auf solche Weise ins Verderben zu stürzen? POLOZOV Fort mit dir! ANTON Ich gehe ja, ich gehe ja schon. O Herr! Wir sind verloren ... (Geht hinaus.) Ein Spazierstock zwängt sich in das halboffene Fenster und stößt es ganz auf. Der Kopf von Štange taucht auf. ŠTANGE Viktor Nikolaič, Mütterchen, ich grüße dich. Bei dir steht das Tor sperrangelweit auf! Da hat man sogleich einen Blick auf die weite Natur! Verzeih, Mütterchen, ich komme sofort durch das Fenster, ganz nach Freibeuterart. (Klettert durchs Fenster; er trägt einen Dreiteiler aus Nankingstoff, einen weißen Hut, in der Hand hält er den Spazierstock und ein Fläschchen Madeira.) Sei gegrüßt, Mütterchen! Polozov streckt ihm, ohne aufzustehen, die Hand hin. ŠTANGE Was machst denn du - ißt du Gurken zum Tee? (Bemerkt die Karaffe mit Vodka.) Ach, pardon, Vodka! Vorzüglich! Auch ich komme mit einer alkoholischen Trophäe! (Stellt die Flasche Madeira auf den Tisch.) Ein Geschenk, mein lieber Freund!* Madeira von der Krim ziehe ich dem spanischen vor. Bist du allein? POLOZOV Ja. ŠTANGE Was schaust du denn so finster drein? Ist etwas passiert? POLOZOV Attis ist gestorben. ŠTANGE Ist er krepiert? Ei-jei-jei. Tut mir leid. Er war ein toller Hund. Weißt du noch, damals im Herbst? Hussa-ho! Tut * im Original deutsch
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mir leid, hol's der Teufel. Tut mir aufrichtig leid. (Setzt sich.) Biete mir wenigstens eine Zigarre an, Bruder. Schweißend öffnet Polozov die leere Zigarrenkiste und zeigt sie ihm. ŠTANGE Alle ausgegangen? Zum Teufel. (Lebhaft.) Ach, Mütterchen, ich sag dir was - die Krim im Frühling, das ist einfach zum Küssen, einfach zauberhaft! Wir sind alle so dumm und wollen ausgerechnet im Herbst oder im Winter dorthin, und im Frühjahr waten wir hier zu Hause im Dreck. Aber fahr einmal im April nach Jalta, und du kehrst als anderes Individuum zurück. Es ist ein Wunder, einfach ein Wunder. Alles blüht, es ist warm und trocken, die Luft tut den Bronchien gut. Am Ufer flanieren die Damen. Und zwar außerordentlich hübsche. Polozov schaut Štange schweigend an. ŠTANGE Was ist? POLOZOV Nichts. (Pause.) ŠTANGE Rede ich Unsinn? Polozov raucht schweigend. ŠTANGE Laß uns Vodka trinken. (Füllt die Gläser.) Die Luft auf der Krim. Sie macht trunken und läßt einen über die Stränge schlagen. Dort ist alles so mild und schön. Manchmal sogar übersüß. Ich bin kein Freund von Desserts, das weißt du, aber auf der Krim gebe ich das metaphysische Leckermaul. Hyperoptimist mit positivistischem Flair. Und glaub mir - ich finde daran Vergnügen. Prosit! (Trinkt aus.) Dann kehrst du hierher zu den Espen zurück und wirst wieder von Traurigkeit gepackt; es ist das alles zusammen - der Schmutz, die Niederträchtigkeit und die Langeweile. Du stürzt dich in die Arbeit, und dann hopp hopp, Pferdchen lauf Galopp! (Pause.) Was
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schaust du denn so? Schwatze ich Unsinn? (Schmunzelt.) Morgen muß ich den Bankdirektor operieren. Stell dir vor, Mütterchen, ein Bankier und plötzlich - ein Leistenbruch! Woher wird ein Bankier einen Leistenbruch haben? Ob er sich an den Assignaten überhoben hat? POLOZOV (trinkt seinen Vodka) Arina Borisovna war gerade hier. STANGE Die Znamenskaja? Nein, so etwas! Ich habe gehört, sie hatte eine Benefizvorstellung. Ist sie nicht geblieben? POLOZOV Ich habe sie davongejagt. ŠTANGE Du hast den Verstand verloren, Mütterchen. POLOZOV Ich habe sie davongejagt. Und jetzt will ich dich davonjagen. (Pause.) ŠTANGE Nur zu, tu mir den Gefallen. Aber vielleicht trinken wir zuerst noch einen? (Füllt die Gläser. Polozov betrachtet ihn mit finsterer Miene.) ŠTANGE (stellt das Glas ab, ohne zu trinken) Hör zu, bist du ihretwegen so zitronensauer? Ich habe dir schon lange gesagt, daß diese Person deiner Gefühle gar nicht wert ist. Erinnerst du dich noch an unseren uralten Streit? Und wer hat recht behalten? Laß dich nicht mit Schauspielerinnen ein, das gibt böses Blut. Ich hatte zwei Schauspielerinnen, in Tambov und in Odessa, zwei Geschichten voller Tobsuchtsanfälle. Vergiß sie, vergiß sie ein für allemal, das rate ich dir als Freund! Laß uns lieber heute einen trinken, und morgen führe ich dich zu Ivaševs. Du warst doch sicher mindestens sieben Jahre nicht bei ihnen? Sehr zu Unrecht! Dort ist jetzt alles anders, Nina Lvovna schaltet und waltet, folglich gibt es jetzt donnerstags literarische Abende, mit allem was dazu gehört, sozusagen. Dort versammelt sich ein gutes Publikum, darunter sind sehr
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kluge Leute. Wir fahren dorthin, wir fahren unbedingt dorthin! Da kannst du neue Eindrücke sammeln, Mütterchen. Man darf sich nicht mit vierzig Jahren lebendig begraben. Also los, Bruder, trinken wir! Auf deine Gesundheit, dann auf meine, dann auf unsere. (Hebt das Glas, stellt es aber wieder auf das Tischchen.) Oh, mein Gott,* jetzt habe ich mich hier festgesessen. Jetzt hab ich's, du bist wegen des Hauses mißgelaunt, jawohl, wegen des Hauses! Und ich, ich Kalb, habe das ganz vergessen! Nun ja, Mütterchen, du bist selbst schuld. Was hängst du dich auch an dieses Haus, wie Pljuškin? In unserem Gouvernement sind heutzutage alle Güter bis übers Dach verpfändet. Wer von den Gutsbesitzern hat denn noch Geld? Rjažskij vielleicht? Er ist ein Gigolo, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Um die Wahrheit zu sagen, in Rußland darf man heutzutage keine Immobilien haben. Ich wohne zeitlebens in fremden Wohnungen und bin glücklicher als du - omnia mea mecum porto! Dein Geburtsnest hängt dir wie ein Joch am Hals, so ist das. Verpfände es, verpfände es, ich flehe dich an. Und jetzt trink mit mir auf das Glück. (Trinkt und wirft das Glas auf den Boden.) So! Polozov trinkt, stellt das leere Glas auf das Tischchen. Štange nimmt es und wirft es auf den Boden. ŠTANGE Küssen wir uns, Bruder! (Küßt Polozov und geht erregt im Salon auf und ab.) Verkaufen, alles verkaufen! Und zwar sobald als möglich. Den ganzen Plunder, all das vermoderte Zeug, den ganzen Totenmüll! Die chinesische Vase, den ausgestopften Haifisch, die Kristallgläser - wozu zum Teufel brauchst du die? (Geht zu der Sammlung von Stichwaffen, die an * im Original deutsch
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der Wand hängen.) Die könnte man vielleicht behalten. (Berührt sie.) Eine Machete, Schnappmesser, ein Damaszenerdolch ... und was ist das? (Nimmt ein Messer mit kurzem Metallgriff in Form eines Kreuzes.) POLOZOV Ein mexikanisches Wurfmesser. ŠTANGE Das heißt, man muß es werfen? Gestatte, Bruder, daß ich es werfe. POLOZOV Wirf nur. (Trinkt.) ŠTANGE Wohin, bitte sehr, soll ich werfen? POLOZOV Wohin du willst. Štange zielt auf die Tür, aber ohne Erfolg, das Messer fällt zu Boden. ŠTANGE Mit dem Gewehr treffe ich besser. Wann gehen wir auf Schnepfenjagd? POLOZOV Irgendwann. (Hebt das Messer vom Boden auf und betrachtet es.) ŠTANGE Ja, ja, die Schnepfenjagd. Wir müssen unbedingt auf Schnepfenjagd. Die Schneise ist Gott sei Dank noch nicht zugewachsen. (Setzt sich ans Klavier und schlägt einige Akkorde an.) Das Klavier kannst du auch verkaufen ... Für die Birkhuhnbalz war ich schon zu spät. Bist du ohne mich gegangen? POLOZOV Ja. ŠTANGE Und wie viele hast du erlegt? POLOZOV Kein einziges. ŠTANGE Siehst du, Mütterchen, das kommt davon, wenn du ohne mich gehst! Dabei kannst du dreimal so gut schießen wie ich. (Klimpert auf dem Klavier herum.) Die Bässe hier tönen wie in einem Faß. Du mußt es mal stimmen lassen. Obwohl - du spielst doch gar nicht, Bruder? POLOZV Nein, ich spiele nicht.
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ŠTANGE (Singt und begleitet sich selbst.) Ich spie-ie-le nicht, ich spie-ie-le nicht, ich spie-ie-ie-ie-le nicht. Hör zu, ich habe gar nicht gefragt, woran ist denn dein Attis krepiert? Polozov schaut Štange an und wirft plötzlich mit aller Kraft das Messer nach ihm. Das Messer bohrt sich bis zum Griff in die linke Seite von Sergej Leonidovič. Štange erstarrt für einen Moment, als ob er auf etwas lauscht, dann steht er langsam auf, schaut Polozov an, öffnet den Mund und fällt leblos auf den Teppich. ANTON (öffnet vorsichtig die Tür) Haben Sie gerufen, Väterchen? POLOZOV Nein. Fort mit dir. Anton schließt die Tür. Polozov geht zu dem toten Štange, setzt sich neben ihn auf den Teppich. Er bleibt lange dort sitzen und betrachtet den Toten. POLOZOV Ich möchte dir etwas erzählen. Eigentlich habe ich das noch niemandem erzählt. Daher fällt es mir schwer, darüber zu reden. Sehr schwer. Es ist erst vor kurzer Zeit passiert. Sogar vor sehr kurzer Zeit. Ungefähr vor drei oder vier Minuten. Obgleich ich seit langem darüber nachgedacht habe, ungefähr, seit ich sechzehn bin. Doch mir ist es erst heute klargeworden. Gerade eben. Genau in dem Moment, als du in der Mitte des Zimmers standest und die darin befindlichen Dinge aufzähltest. Du hast sie nicht nur aufgezählt, du hast sie auch benannt: die chinesische Vase, den ausgestopften Haifisch, den Glasschrank mit Kristall, die Messersammlung, das Klavier. Du standest dort ganz ungezwungen, sprachst ein wenig spöttisch und ziemlich leichtfertig, wie du das oft zu tun pflegtest, jedoch ... (Pause) ... du kannst dir nicht vorstellen, mit welch wichtiger Angelegenheit du in dem Moment beschäftigt warst. Du hast die Dinge bei ihrem Namen ge-
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nannt. Alle Dinge entsprechen ihrem Namen. Ich war wie vom Donner gerührt. Ja! Alle Dinge entsprechen ihrem Namen. Die chinesische Vase war, ist und bleibt eine chinesische Vase. Kristall wird immer Kristall bleiben und auch dann noch Kristall sein, wenn der Mond auf die Erde herunterfällt. Du standest inmitten toter Dinge - ein lebendiger, warmblütiger Mensch -, und du allein entsprachst nicht deinem Namen. Dabei geht es ganz und gar nicht um die Eigenschaften deiner Seele, nicht um deine Anständigkeit oder Sittenlosigkeit, um deine Ehrlichkeit oder Falschheit, nicht um das Gute oder das Böse in dir. Du hattest einfach keinen Namen. Wie wir alle übrigens. Der Mensch hat keinen Namen. Sergej Leonidovič Štange, Herr Doktor, homo sapiens, ein denkendes Wesen, Gottes Abbild und Ebenbild - all das sind keine Namen. Das sind alles nur Bezeichnungen. Aber einen Namen gibt es nicht. Und es wird ihn nicht geben. (Pause. Polozov steht auf, setzt sich in den Sessel und sitzt dort eine Zeitlang.) Anton. Anton! Anton!! Anton!!! Der Vorhang senkt sich langsam. Irgendwas an diesem Skript ist M-unangenehm, rips da bian. Und ich weiß nicht, was. Wenn ich zurückkomme (verzeih den hu shuo ba dao), werde ich Dich zärtlicher fragen, mein kleiner xiao tou, was in dem Text von Čechov-3 M-unangenehm ist. Und Du, rips sha gua, wirst wie üblich mit einer Frage auf die Frage antworten - was ist daran L-angenehm? Und ich, Boris, werde Dir keine Antwort geben.
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17. Januar Nabokov-7 Das ist das HÖCHSTE. Nicht nur wegen der hohen prozentualen Übereinstimmung. Es ist das Höchste per definitionem. Während des Prozesses verhielt sich das Objekt ungeheuer aggressiv: Tisch, Stuhl und Bett hat er in Stücke zerlegt, den Stilus hat er aufgefressen, das Erregen*-Objekt (ein Nerzmantel in Honig) hat er zerfetzt und die Stücke an die Wände geklebt (und als Kleber den eigenen Kot benutzt). Du wirst fragen, womit dieses Monster geschrieben hat? Mit Holzspänen vom Tisch, die er in seine linke Hand getunkt hat wie in ein Tintenfaß (altrussisch). So ist der ganze Text mit Blut geschrieben. Was dem Original leider nicht gelungen ist. Nabokov-7 In Cordosos Welt Alle glücklichen Familien sind auf die gleiche Weise unglücklich, jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise glücklich. Alles begann mit einem ganz gewöhnlichen Stift. Der blaue Stift für zwanzig Pfennig ragte aus Aleksandrs Hand, die trocken war wie der Satz eines Berliner Postmeisters: Das eine Ende war angespitzt, das andere erbarmungslos mit einer Binde umwickelt, und Svetlana, die es mit billigem Kognak getränkt hatte, legte es für die Nacht an ihre Brustwarzen. Sie machte das spätabends, die Prozedur zog sich in die Länge und wurde zu einem verdächtigen Ritual. Svetlana saß auf dem Fensterbrett des großen Fensters mit dem holländischen Fenster* im Original deutsch
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kreuz, schaute in den nächtlichen Garten und hielt den Stift öfter an ihre linke Brust. Das Mondlicht ergoß sich ungehindert über ihre allzu abfallenden Schultern, glitt über den allzu dünnen Hals, über den unverschämt geraden Rücken und verschonte lediglich die dunklen Ovale der Schlüsselbeinhöhlen. Svetlana begriff durchaus, was sie tat, doch sie war sich des ganzen Ausmaßes der Verantwortung für das Getane nicht bewußt. Nicht umsonst hatte sie am Morgen Aleksandr mit schnellen, beinahe hysterischen Küssen geweckt, ihm ihre rechte Handfläche gezeigt und dann mit katzenhaften Bewegungen unter dem rosafarbenen Kissen die silberne Steinmeier-Ordnungsbox hervorgeholt, platt wie der Scherz eines Liftboys, aber poliert wie die Gürtelschnalle eines Gefreiten. Sich reckend und streckend und musikalisch mit den Gelenken knackend, setzte Aleksandr sich in dem warmen Bett auf; er öffnete die Ordnungsbox und nahm vorsichtig, um ja kein Transformatoren-Öl zu verschütten, einen Streifen Aluminiumfolie heraus. Svetlana hielt ein Handtuch bereit. Aleksandr tunkte die Folie gierig ein, hielt sie an die blasse Stirn seiner Frau und bedeckte sie nicht weniger gierig mit einem Tuch aus Baumwollsamt. Svetlana starrte an die rissige Zimmerdecke und lächelte töricht. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren war sie eine weise Frau, die sich in ihren Beziehungen mit füllig werdenden Männern zu zwei eisernen Prinzipien bekannte: sich nur nach vorheriger Verführung zu treffen und das Geld unbedingt vor dem Aufpumpen kranker Steinmetze zu nehmen. Aleksandr entsprach beinahe ihrem Ideal eines latenten Ehemanns, obgleich sie sich in den sechs Monaten ihres Zusammenlebens noch nicht an seine rituellen Säcke und die davon herrührenden rostroten Flecken gewöhnt hatte, die ihr Anlaß
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zu Sticheleien und Vorwürfen gaben und eine Lawine von Hysterie auslösten: »Ich esse nur weißes Fleisch!« schrie sie ihn an und beugte sich vor, bis ihre Wirbelsäule knackte und sie mit ihrem schmalen Kinn den Rand der silbernen Schüssel berührte, die mit geriebenem Käse überbackene und unbarmherzig mit Zitrone bespritzte Prostataorgane junger Männer enthielt. Aleksandr hustete enttäuscht und bedeckte die Schüssel eiligst mit einer Briadlo-Serviette. Die meisten ihrer Bekannten verurteilten ihr zweideutiges Bündnis ganz offen, weil sie es für eine Mesalliance hielten; nur Luka Vadimovič, allzeit bereit, unsichtbaren Zaporoger Kosaken den Kopf abzuhauen, unterstützte Svetlanas Wahl blind. »Opristi prett, meine Teure«, sagte er immer wieder blinzelnd und schnuppernd. Svetlana liebte es, seine welke Greisenhand zu küssen, die sie an ihre verschlafene Kindheit in Toržok erinnerte, an den Lokkenkopf Nikolaj, der einhundertsechsundzwanzig Löcher in die Schubkarre gebohrt hatte und diese jeden Morgen mit Regenwürmern polierte, an die Sprünge über den in Windeln gewickelten und jämmerlich röchelnden Borl, an die mit Kugeln gespickten Birken, an den Mondunterstand und natürlich - an die erste Begegnung mit Colombina. Wenn sie Aleksandr ihren überreifen Körper darbot, dachte sie dabei an die flinke Zunge von Colombina, an ihre zarten Finger, die von dem mürrisch-gefälligen Kommissar Gerd zermalmt wurden, und eine widerlich-süße Welle von Greobie brach über Svetlana herein. »Warum machst du keinen seitlichen Einsatz?« fragte Aleksandr und zog ein Sandelholz-Futteral über sein Glied. »Warum habe ich schon lange nicht mehr das Vergnügen, Orolama anzuschauen?« Svetlana wandte schweigend ihre Bärenaugen ab und ging in den Weißen Saal, wo auf einem ge-
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schnitzten Schaukel-Tisch der Torso von Steinmeier ruhte. Zerstreut betrachtete sie die Verwesungsflecken, die Narben und die Spuren der Schläge, die den Torso bedeckten, stieg die Nephrit-Stufen hinauf, hockte sich hin und verfolgte mit gesenktem Kopf, wie Aleksandrs dickflüssiges Sperma aus ihrer Scheide auf die Brust des Torsos tropfte. »Soll ich Mäuse oder Schwalben hineinstecken?« überlegte sie und schlug die Fingernägel in ihre verdächtig rundlichen Knie. »Gewöhnliche Stallmäuse leben sich da wohl kaum ein, und mit Perlmuttermäusen gibt es nur Scherereien. Ich stecke lieber Schwalben hinein. Der Brustkorb ist breit genug.« Aleksandr hieß ihre Begeisterung für Stekora gar nicht gut. »Du gibst nur mal wieder Anlaß zu Gerede«, sagte er. »Versteh doch, meine Liebe, wir sind für mittelbare Berührungen geboren. Unsere Gefühle sind lediglich elementare geometrische Figuren, die aus den gepreßten Knochen unserer Vorfahren ausgeschnitten und in einem Aquarium mit Rosenöl eingelegt sind. Und du kannst meiner Sensor-Erfahrung vertrauen, in diesem Aquarium kann nur ein einziges lebendes Wesen hausen, ein Kopffüßler, eine Molluske mit einem tragbaren Sauerstoff-Apparat, der als Mindestanforderung den Unterschied zwischen Wasser und Rosenöl erkennt. Er ist dazu verdammt, schwimmend seine Kreise um einen Ball, einen Kubus und eine Pyramide zu ziehen, mimikrierend und blessierend. Sein vergöttlichtes Wesen ahmt Figuren nach, so wie wir seine Nachahmung nachahmen.« - »Aber warum haben wir nichts zu verlieren?« fragte Svetlana. »Wir haben deshalb nichts zu verlieren, mein Engel, weil wir unsere ganze bewußte Existenz hindurch nicht Phänomena, sondern Noumena bekommen haben«, antwortete er, und Svetlana beruhigte sich eine Zeitlang. Ihr Ehealltag verlief
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wie eine Sinuskurve, manchmal mit aufdringlicher Rekurrenz, die im übrigen nur die Nicht-Eingeweihten erzürnte. Mittwochs und samstags fuhr Aleksandr ins Amt. Der Dienst war wie ein gut durchgetrockneter Metzgerblock und belastete ihn nicht allzu sehr, doch da er ein prinzipientreuer Mensch war, gab er sich ihm ganz hin und vergaß darüber nicht nur Svetlana, sondern auch die Steinmeier-Ordnungsbox. »Wenn ich von etwas fest überzeugt bin, existiert Bonroe für mich überhaupt nicht, folglich kann ich das Unvereinbare vereinen«, sagte er zu Samson, und der nickte verständnislos. Die Arbeitskollegen mochten Aleksandr wegen seiner Geradlinigkeit und Unvoreingenommenheit, obwohl seine modischen TitanProthesen ebenso wie seine mit Brillantsplittern besetzte Ellbogenstütze gelegentlich grundlose Zornausbrüche provozierten. Spuckend und heulend zogen sie die haarigen Handschuhe an, die der erschossene Ludwig Farconi gestrickt, eingefettet und durchnumeriert hatte, rissen die Plombe von der versiegelten Badewanne, schöpften mit vollen Händen flüssiges Glas und schleuderten es mit aller Kraft gegen die welken Schenkel des alten Švarc, der es kaum schaffte, sich zu entkleiden. »Ich nehme ein Ganzes!« kreischte Samson, der über und über rot geworden war. »Am Valentinstag füllen wir Quecksilber in die Röhren!« drohte Tiberij Ivanovič. »Zwölf!« knurrte der tapirhafte Hašek. Švarc schaffte es nicht mehr, sich mit staatlichen Schabeisen zu bewaffnen. Aleksandr ertrug das alles ganz ruhig. »Meine Herrschaften, ich bin immer auf der Seite der Schwachen. Voilà le premier acte«, sagte er und wischte die goldenen Ziegelsteine ab. Die Vorgesetzten fürchteten sich ein wenig vor ihm, schätzten ihn aber. Spiravlenko, dieses schwerfällige orolamische Mannsbild, mit Orden und Fisteln behängt
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wie ein Christbaum, rief Aleksandr zu sich ins Büro und fuhr stundenlang an den Buntglasfenstern entlang, klingelte mit den Schienen und krachte mit dem Gegengewicht, bevor er ein Gespräch anfing. Aleksandr wartete schweigend, die Zeigefinger in die Fleischdosen gesteckt. »Sie legen sich keine Rechenschaft ab, Cordoso«, sagte Spiravlenko schließlich, blieb stehen und usmertierte. »Ich lege mir sehr wohl Rechenschaft ab, Gordon Žakovič«, antwortete Aleksandr mit zähneknirschender Härte; er befreite seine Finger und zeigte, wie er Rechenschaft ablegte. Spiravlenko schnaufte, errötete, ergraute, erkrankte, schwitzte und stank, doch bald entließ er ihn in Gnaden. Als Aleksandr in seinem neuen Gobt das Büro verließ, zeigten ihm seine Arbeitskollegen neiderfüllt ihre gepuderten Genitalien. »Sie sind ein Glückspilz, Cordoso!« Samson wischte sich den Hintern ab. »Glück haben immer die Starken!« parierte Aleksandr, knöpfte sein Birkenkorsett zu und ging in Richtung Kantine. Erst weit nach Mitternacht, als die tintenschwarzen Schatten die Körper der obdachlosen Kühe bereits bis auf die Knochen abgenagt hatten, kehrte er nach Hause zurück. Svetlana erwartete ihn immer im Vorraum zum Schlafzimmer, napresniviert und ihre Füße in eine Vase mit Iltispastete gesteckt. »Umorab ist wieder da!« rief er ihr aus dem Korridor zu. »Izaberija erwartet ihren Umorab!« sang Svetlana und stürzte sich auf die bulgarischen Innereien. In eine Männerhaut gehüllt, die der Diener Afanasij wie üblich einem freiwilligen Spender frisch abgezogen hatte, kam Aleksandr in den Vorraum zum Schlafzimmer gekrochen. »Was wünscht der geobnorobdistische Umorab?« fragte Svetlana und stocherte mit knotigen Fingern in den Innereien, die zwecks Vertreibung der Medusen mit Marseille-Ringen ver-
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ziert waren. »Umorab dürstet nach Gebrüll!« sagte Aleksandr zähneknirschend. Svetlana begann, ihre Knie zu küssen. Nach achtundzwanzig Sekunden war Aleksandr fest eingeschlafen, das Gesicht in der Iltispastete vergraben. Montags und freitags fuhren sie zum Abendessen in das weißrussische Restaurant »Saphir«. Der Türsteher und die Kellner begrüßten sie wie alte Freunde: Aleksandr wurde schon im Eingang mit Schlägen empfangen, Svetlana ließen sie zuerst in den Saal gehen und fielen dann über sie her. Er als echter Mann bekam wuchtige Faustschläge verpaßt, sie hingegen wurde mit schallenden Ohrfeigen ausgezeichnet, von denen ihr Gesicht gefühllos wurde und die Unterarme lange schmerzten. Sie nahmen am Tisch Nr. 18 Platz, und Svetlana legte unverzüglich die Lunge des Bankiers ans Gesicht. »Heute sind sie, offen gestanden, nicht besonders gut in Form!« stöhnte Aleksandr enttäuscht, kletterte in den Birut und verlangte hysterisch nach der Karte. Die Ehegatten hielten an ihren gastronomischen Vorlieben fest und bestellten unweigerlich einen 1889er Tokioter, Salat aus Sumpfgräsern, Weisheitszahnwurzel von hochbetagten Proletariern, Marengo aus Bologneser Hündchen, Parchat mit Krötenkaviar und Menisken von Fußballern der dritten weißrussischen Liga mit Brechwurzbrei. Zum Dessert nahm Svetlana Bergkristall mit geschlagenem Bullenspeichel oder »Surprise«. Als sie gesättigt waren, begaben sie sich in das mit Handhobeln inkrustierte Sakramentshäuschen, rieben ungefähr vierzig Minuten lang Prismen und zerstampften Hamster und rutschten dann durch eine speckige Rinne in die Garderobe. »Der Grad der Vorherbestimmung!« lächelte Aleksandr. »Ein Speer! Der zweiundsechzigste!« heulte Svetlana vor Vergnügen. Gegen Morgen kehrten sie nach Hause zurück. Und die Ehegatten hätten wei-
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terhin wohlbehalten zusammengelebt, alles wäre sternig und obredig weitergegangen, ihr Leben wäre weiterhin unter glücklichem Gelächter und delikatem Gekreisch bis zur Sargmaschine durch die speckige Rinne geglitten, wenn nicht Svetlana sich ein Kind gewünscht hätte. Zu Anfang sprach sie indirekt davon, eher zufällig, flüchtig, überstürzt, halblaut, beiläufig, nebenbei, andeutungsweise, halb im Scherz, halb im Ernst, halbgronesisch. Doch mit jedem Tag bekamen diese Reden einen immer bedrohlicheren Unterton, wurden realer, so wie die gelben Skelette, die um Mitternacht aus den Gräbern des verlassenen Zigeunerfriedhofs auferstehen, sich mit dampfendem Fleisch bedecken, sich im Kreis aufstellen und mit Mühe den mit weißem Moos bewachsenen jahrtausendealten marmornen Torus mit den kaum sichtbaren Löchern aufheben, damit der Frühlingswind aus dem Marmorhals des Torus den Klang der ewigen Wiederkehr herauspreßt. »Wir brauchen es so nötig wie die Luft, wie das Wasser, wie eine Handvoll deines schwarzes Pulvers«, sagte Svetlana immer wieder und übersäte die Schulter ihres Mannes mit blitzschnellen Stichen einer glühendheißen Nadel. »Wenn wir uns jembraimen, wird Stoemir uns das niemals verzeihen!« Aleksandr hüllte sich darüber zunächst in Schweigen, er winkte ab, war nicht damit einverstanden, tat es mit einem Scherz ab, überhörte es, nahm es sich nicht zu Herzen, registrierte es nicht, schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, ignorierte es, machte den Anschein, als verstehe er nicht, worum es eigentlich ging. Seine Frau jedoch erwies sich als hartnäckig bis zum Darmverschluß. Es vergingen gerade mal drei Wochen, und schon ruhte ein weißer Gummischlauch in einem Topf mit Lindenblütenhonig, und Aleksandrs Tweedkleid wurde von
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Hunderten neuer Thermometer durchbohrt. Aleksandrs letzte Bastion - Uritko - fiel eine Woche später, nachdem Svetlana den Eichentisch ihres Mannes in Ziegenmilch ausgekocht und die Schubladen mit Elefantenmist gefüllt hatte. »Also gut. Mach, was du für richtig hältst.« Aleksandr streckte seine Sehnen. »Aber ich warne dich, ich beteilige mich aktiv daran, weil die Idee nicht von mir ist.« - »Mein Lieber, für ein saftiges Glück ist mir nichts zu schade!« versicherte die in Massen angeschwollene Gattin, riß sich die Haut an der linken Schläfe ab, hüllte sich in eine erstklassig gefrorene Gelatinerüstung und eilte ins MOOORZ. »Jebraim, jebraim, jebraim«, knurrte sie verträumt, als sie die mit Leichen übersäte Straße entlangeilte. Für vierzehn Stunden allein gelassen, überließ Aleksandr sich seinen Gedanken. »Ohne Zweifel, ich muß ihre Anwandlung verstehen und akzeptieren«, überlegte er. Er hatte sich mit Milch und Würmern in der ruhigen, abgedunkelten Halsabschneiderei eingerichtet. »Sie ist eine Frau, sie möchte Mutter sein, sie möchte zupfen und bewegen, rechnen und drucken. Es drängt sie, das archaische Gefühl der Mutterschaft zu erleben, was die Frauen veranlaßt, ihre Knochen zu entfetten, im Dunkeln zu schießen, an Telegrafenmasten zu weinen, marines Ufergeröll zu lutschen, zu zermalmen und zu stomlobsen. Doch bin ich in der Lage, den Stein ihres Gefühls in zwei Hälften zu sägen? Habe ich dafür genug Kraft, Nadelfeilen und Birkenrindenkoffer? Kann ich die ganze Nacht hindurch vorwurfsvolle Blicke in das Fenster des ersten Stocks werfen? Mit dem Stiefel den verfaulten Teil des Eukalyptus zertreten? Elektrischen Strom durch einen Hund jagen? Meiner Schwiegermutter im Traum erscheinen, und danach der Schwiegermutter meines besten Freundes? Flache Gruben ausheben?
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Maikäfer auf eine humane Art umbringen? Zupfen und bewegen?« Je mehr Fragen er sich stellte, desto dünner und erhabener wurde die Platinschale, die die rosafarbene Knolle seiner Selbstsicherheit bedeckte. Die Zeit verging. Die Brotuhr knetete 5.45 morgens. Die Tür der Halsabschneiderei öffnete sich lautlos, und die Halsabschneider kamen mit dem Morgenopfer herein. Sie verbeugten sich vor Aleksandr und schritten zur Tat. Einer hielt einen kahlrasierten japanischen Jüngling über das Opferwaschbecken, der andere durchtrennte ihm mit einem krummen turkmenischen Messer den Hals. Doch während dieses ihm seit seiner Kindheit wohlvertraute Ritual Aleksandr früher stets beruhigt und ihm Schlaf und Ausgeglichenheit eingeflößt hatte, wühlte ihn das Halsabschneiden jetzt unerwartet stark auf. Als die Halsabschneider begannen, mit ihren schwerfälligen Körpern das Blut aus dem im Todeskampf zuckenden Japaner herauszupressen, sprang Aleksandr auf, lief dahin und küßte mit aller Kraft die eigene Handfläche. Die Halsabschneider warfen ihm von der Seite erschrockene Blicke zu. Als sie hinausgingen, tauchte er seine Hand in das warme Blut. »Ich muß einfach«, überlegte er konzentriert, »ich muß einfach als Ehemann und als Monade«. Die Waschung verlieh ihm Kraft. Er sprang auf und durchschlug mit dem Kopf einen Deckenbalken. Svetlana kehrte glücklich zurück, mit einer Menge lustiger Mortellen. »Heute!« schrie sie gegen Aleksandrs unbehaarte Brust. »Ich bin bereit, meine Nichtliebe!« sagte Aleksandr verdrießlich dreinschauend und osnesierte. Die Empfängnis führten sie am Mittag durch. Svetlana schmückte das Schlafzimmer mit Binden und Niednägeln. Ihr Ehemann quälte sie lange, er überschüttete sie mit Glasperlen und trat mit dem hausgemachten Backwerk zurück. »Chocho-
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rep, chochorep, chochorep!« sang sie und störte ihn aktiv. »Sislov! Sislov! Sislov!« brüllte Aleksandr, der mit aller Kraft zu schwitzen versuchte. Der Diener Afanasij fächerte ihnen geschickt Luft zu. Nach ungefähr acht Stunden erbrach Aleksandr Sperma auf das gummierte Bettlaken. »Allzu kessi, obrodo ...« murmelte die erblaßte Svetlana, die sich an einem Palpotiv-Strick hochzog und am ganzen Körper zitterte. Afanasij stopfte ihr geschickt Aleksandrs Sperma hinein. »Gleichmäßiger, du Vieh!« schrie sie plötzlich und ließ auf das verblüffte Gesicht des Dieners eine Lawine sabbernder Küsse niedergehen. »Nasen-Ferdinand ...« atmete Aleksandr aus und versank in einen leichten Schlaf. Nachdem sie die Vagina mit Nußkleber versiegelt hatte, eilte Svetlana in den Inkubator. Nach neun Monaten wollenen Stillschweigens, das an das Profil des jungen Roosevelt erinnerte, trafen sie sich im Kinderzimmer. Der Ehemann begrüßte seine Frau mit Rosen, Honigschnitt, getrocknetem Euter, einer Axt, Farbe und Kopfschuppen, alles mit der ihm eigenen Hingabe dargebracht. »Ich habe ungeheure Sehnsucht gehabt, meine nichtliebe Liebe.« Er fing hysterisch an zu kichern und knirschte mit den Zähnen vor Neid. »Ich vergöttere dich, du Scheusal.« Svetlana fühlte einen Anfall von Vipra nahen und konnte nur mit Mühe ihren Gleichmut wahren. »Hilf mir nicht?« fragte sie. »Ich werde mich streiten!« Aleksandr kicherte und weinte. »Hilf mir nicht?« wiederholte sie und schmiegte sich an ihn. »Gib Milch hinein!« wand er sich. »Hilf mir nicht!« Svetlana richtete sich auf und gebar im gleichen Moment. Aleksandr wurde von fremdem Leben überschüttet. »Dreh ihn, dreh ihn!« kreischte Svetlana, die mit den herauskriechenden Därmen kaum fertig wurde. Afanasij schickte sich an, das Kind zu drehen. »Und die Uhr?« Alek-
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sandr enthüllte die Prothesen. »Wieder lok!« kicherte Svetlana auf und ab hüpfend und fîkorierend. Afanasij pfiff mit einem mittelrussischen Pfeifen in den Nabel des Kindes, zog es am Handgelenk und blies in die Wirbelsäule. Das Kind wuchs vor aller Augen. »Es will mich!« lächelte Svetlana enttäuscht und fiel rücklings um. Aleksandr stürzte herbei, um zu helfen, ohne Rücksicht auf seine Fingernägel. Afanasij stürzte sich auf den Hockeyschläger. »Sterne!« kreischte Svetlana auf und umarmte ihren Sohn mit einem Knacken. Afanasij schwang den Hockeyschläger. Von dem Schlag zersprang das honiggelb-smaragdgrüne Ufer des Flusses, das über dem fettigen Wasser der buckligen Riesin überhing, und kippte allmählich langsam und furchtbar herunter. Svetlanas flinke Hände drangen in den Körper des Kindes ein. Afanasij kicherte und blinzelte seinem Schatten sorgfältig zu. Der Wind trug winzige Stückchen von Aleksandrs Gehirn über das abendliche Feld. Ich möchte schlafen, rips. Schade, daß es hier keine Hyperon-Kissen gibt. Schätze das, was Du hast, mein Junge, und sei kein ke bi de liang lian pai. Es kommt die Zeit, wenn Dich kein mo shu jia vor Verlust und Enttäuschung bewahren kann. Denk an das »Tao de jing«: »Ich bin sparsam, daher kann ich freigebig sein.« Der große Lao hat das über die Liebe geschrieben, davon bin ich überzeugt, rips lao wai. In unserer zweifelhaften Zeit ist es sehr einfach, das Nashorn anzumalen. Weit schwieriger ist es, einen kleinen Soldaten aus Prostata-Eiter zu formen und dabei ein ethisch zurechnungsfähiges Wesen zu bleiben.
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Ich wünsche Dir leuchtende Träume, Du Kind von ungewöhnlicher Zärtlichkeit. Und stille Gedanken an meine Prostata. Ich fürchte mich. Boris P. S. Ein wundervoller Traum! Ich habe lange nicht mehr so geLACht: Ich war im Plus-Plus-Direkt, der Ozean, ein riesiger Eisberg aus himmelblauem Speck. Wie die Flöhe (altrussisch) springen unsere 7 Objekte darauf herum. Lange Sprünge wie in Zeitlupe. Sie suchen und suchen einander. (Sind sie blind?) erhebt sich bei allen (außer Schließlich finden sie sich: der bei Achmatova-i). Nabokov durchbohrt Platonov, Platonov Čechov, Čechov Pasternak, Pasternak Dostoevskij, Dostoevskij Tolstoj, und der, heulend, Achmatova. Und sie, L-posit kichernd und disaktiv winselnd, öffnet ihre feuchte Muschel und pinkelt auf die himmelblaue Haut des Eisbergs. Ihr Urin wäscht den Speck ab. Als ob er einfaches Eis wäre. Wie? 88 % L-Harmonie. Weiterschlafen! 18. Januar. Pasternak-1 Ich schicke den Text ohne Kommentar. Du wirst hinterher verstehen, wieso. Heute haben wir ein unwahrscheinliches Wetter, so etwas habe ich im Leben noch nicht gesehen: ein blaßblauer, plusdirekter hoher Himmel mit einem kaum merklichen Smaragdton im Westen, eine blendend kalte Sonne, wunderbare Sicht.
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Und dazu-32 °C. Jedoch. Trotz der Kälte kann man gut atmen. Ich bin kurz hinausgegangen, um weiße Haselhühner zu schießen. Sergeant Prut hat mir erklärt, wie man die »Zyklop-238 MS« benutzt. Eine ausgesprochen effektive Waffe, das sage ich Dir: nicht nur, daß man im Visier alles ganz deutlich erkennt, man kann auch die Schußkraft regulieren. Ich habe mit einer gewöhlichen Kugel begonnen, aber hinterher ... die armen Haselhühner und die arme uralte Kiefer, die sie beherbergt hat. Als ich dann näher heranging, konnte ich es gar nicht glauben: überall Späne und weiße Federn auf dem weißen Schnee. Mit der »Zyklop« kann man ohne Probleme eine Schneise von der Taiga bis zum Ozean schlagen. Und den stinkenden chinesischen flyer dort verjagen und zu deinen scharfen Schaufeln fliegen. Pasternak-1 Die Möse Der Felder Möse ist aufgegangen Im weit geöffneten Raum Der Führer Möse, Trauer der Unbeständigkeit. Hoch ist ihr Zenit Über der erstarrten Erde Er klingt in der Luft Mit unirdischer Konsole.
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Jedoch der Wälder Möse Stunde Ist bombendrohend fürchterlich, Mit silberweiß glänzendem Eulenblut Das Erlenblatt verziert. Mit dunkler Flüsse Möse Stieß die ruhige Welt zusammen Stummer Krüppel Möse Ist würdig sie zu ersetzen. Wilder Hunde Möse Wird sie so bald nicht werden, Der Träume fest geschürzten Knoten Mit schwerem Strahl verletzen. In ausführlicher Berge Möse Wird lebendig der Bewegung Entsetzen, Der Täler blinde Weite Störte es mit einer Lawine. Ermüdet Sturmwinde zu hören Mit der Möse verfaulter Vogelhäuschen Wie das Gewand des Ritters Aufgehängt an der Festung. Der Häuser Möse wächst, Der Höfe und der Gassen Möse, Der gußeisernen Brücken Und der hallenden Viadukte Möse. Versank die Möse Halbgeschlossener Läden in Gedanken 122
Ihr Ornament ist immer Schwer und musikalisch. Der Flügel, wie Anthrazit, Erstarrt mit schwarzer Möse Er glitzert in der Dämmerung Mit dem aufsässigen Notenständer. Das Feuer welcher Möse Tritt mit einer neuen Wunde hervor? Von der Sternenklinge Wird es entschlüpfen, eigensinnig. Der Wege Möse wird aufgehen, Es werden sich die Knospen öffnen, Für Gäste gibt es keinen Platz, Alle Mitternächte sind ohne Schlaf. Der kranken Winde Möse Der geschmolzenen Kerzenstummel Der zersägten Eichenmöse Mit der Möse zugedeckter Parks. P. S. Du weißt ja, ich kann solche unflätigen russischen Wörter nicht ausstehen. Daher gebe ich auch keinen Kommentar ab. Was hingegen wirklich bemerkenswert ist: Pasternak-1 ist der einzige von allen sieben, der sich nicht verändert hat und weder das Interieur noch das Erregen*-Objekt angerührt hat. * im Original deutsch
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Sein Lemurenkörper hat den Skript-Prozeß mit unverändert wohlgestaltetem Äußeren durchgeführt, sich zu einem weißen Knäuel zusammengerollt und ist in Anabiose verfallen. Was heißt das, rips ni ma de da bian? Ich habe zweimal nach Spuren und Mikrofeldern gesucht, aber es ist alles sauber. Vorläufig verstehe ich das nicht. Deswegen ist dieser Text mir besonders nah. Ich habe den angetrunkenen Gefr. Nedelin gebeten, die allergrößte Klon-Taube auszusuchen. Er klappert schon mit dem Schloß vom Taubenschlag, und in ein paar Minuten wird das gefiederte Monster mit dieser Kapsel im Magen zu Dir fliegen. Wünsche ihm einen günstigen Wind, rips nin hao. Boris 20. Januar. Heute ist der rote Tag gekommen, den ich schon seit meiner Ankunft mit quälender Ungeduld erwarte. PROSTATA. Sie ist entflammt, trotz des Fetts der da-bjid-Eidechse. Und trotz der »Fünf Guten«. Zu Zeiten von Ivan dem Schrecklichen hat man nicht nur schnell gepfählt (auf einem mit Hammelspeck eingeriebenen Pfahl), sondern auch langsam (auf einem trockenen Espenpfahl). Während ich hier in der ersten Nacht auf dem schnellen Pfahl saß, hat mich der gleichgültige, wunderbare Kosmos jetzt auf den langsamen umgesetzt. Es ist ein solcher Schmerz, daß ich (entsetzlich!) an die Betäubungsmittel denke, die in den gelben Hausapotheken unserer Haudegen ruhen. Ich bin ein alter, schwacher bai chi, ein Sklave meines gang
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men. Meine letzte Hoffnung ist das Ausbrennen. Das werde ich in einer halben Stunde probieren. Die Geschichte mit dem letzten Objekt, Tolstoj-4, lenkt mich für kurze Zeit von dem verfluchten Schmerz ab. Ich weiß nicht, warum, aber von allen sieben Klonen ist er der einzige, der bei mir ein krampfhaftes, unbegründetes Lachen hervorruft. Ich lache, setze mich auf meine Hände und spüre meinen roten wang wei. Tolstoj-4 hat den ganzen Prozeß hindurch geweint. Er schrieb und weinte, schrieb und weinte. Das Erregen*-Objekt hat er überhaupt nicht angerührt. Dafür hat er das Glas der beiden Kerosinlampen zerkaut, woraufhin sie schnell herunterbrannten und ausgingen. Allerdings hat ihn die mangelnde Beleuchtung nicht weiter gestört: er schrieb im Dunkeln. Seine gewaltigen Lider schimmerten violett vom Tränenstrom, seine violette Nase erinnert an eine Süßkartoffelknolle. Er verfiel in Anabiose, als er in der Ecke stand und heulte. In dieser Position erstarrte er als Denkmal für sich selbst. Ich erwarte von ihm nicht weniger als acht (!) kg himmelblauen Speck. Tolstoj-4 XII Der strenge Frost, der seit Weihnachten herrschte, entließ die Erde erst zum Februar hin aus seinem eisernen Griff. Der alte Graf Michail Savvič hatte den ganzen Winter in Pospelovo verbracht und erfuhr erst dann von Boris' Duell, als die Wunde seines Sohnes, und mit ihr die ganze Geschichte * im Original deutsch
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vom Streit mit Nesvickij, bereits abheilte und von einer Kruste überzogen war. Der alte Arzamasov gehörte zu der seltenen und heutzutage aussterbenden Gattung von Salonlöwen, die nach Jahrzehnten sinnloser Vergeudung ihrer geistigen Kräfte im fortgeschrittenen Alter plötzlich anfangen, sich über ihr nutzloses, leeres Leben Gedanken zu machen, davon aber nicht ehrlicher sich selbst gegenüber werden, sondern im Gegenteil in den Selbstbetrug der scheinbar zu sich gekommenen Menschen verfallen. Auch der alte Graf also erlag diesem Selbstbetrug, unterdrückte einen Zornesausbruch und beschloß, seinem Sohn zu verzeihen. »Es ist besser so, sowohl für uns wie auch für seine gesellschaftliche Stellung, und andererseits ist es auch christlich gedacht«, folgerte der Graf weise und schrieb, außerordentlich zufrieden mit sich selbst, seinem Sohn sogleich einen Brief, verbunden mit der Einladung, zur Bärenjagd nach Pospelovo zu kommen. Bereits eine Woche später küßte der junge Arzamasov die eingefallenen Wangen des Vaters. Obgleich Boris schuldbewußt nach Pospelovo zurückkehrte, hatte ihn der Brief des Vaters doch aufgemuntert und keinerlei Anzeichen von Reue in ihm hervorgerufen. »Kann ich etwa schuldig sein?« sprachen seine flinken schwarzen Augen und sein ständig gerötetes, rundes Gesicht. Der alte Arzamasov machte keine Anstalten, den Sohn mit Fragen zu belästigen; er erkundigte sich nicht einmal nach der Wunde, nachdem er nun beschlossen hatte, die Geschichte in den entferntesten Winkel seines Gedächtnisses zu verbannen, so wie man ein langweiliges Buch in der Bibliothek auf das
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oberste Regalbrett schiebt, wo es zwischen anderen ebenso uninteressanten Büchern verstaubt. »Die Jagd wird alles beruhigen und uns wieder versöhnen«, dachte Michail Savvič. Man beschloß, am ersten Donnerstag in der Fastnachtswoche auf die Jagd zu gehen. Es war ein sonniger, frostiger Morgen. Boris, der seiner Gewohnheit entsprechend spät aufgewacht war, erblickte durch einen Spalt zwischen den dichten Vorhängen voller Vergnügen einen schmalen Streifen leuchtendblauen Himmels und reckte genüßlich seinen jungen Körper. Er machte sich schnell fertig und lief vom Vorbau über den ordentlich und gleichmäßig vom Schnee befreiten Weg zum Viehhof. Der alte Graf war bereits dort; eingehüllt in einen kurzen Halbpelz, mit dem Messer am Gürtel und der weichen Wolfspelzmütze auf dem Kopf, unterschied er sich in nichts von seinen zwei treuen Jagdgefährten, dem Kammerdiener Stepan und Vanka Sivolaj, einem Bauern aus Pospelovo. Die beiden waren als leidenschaftliche Bärenjäger des Grafen ständige Jagdgenossen und hatten mit ihm zusammen bereits zweiundsechzig Bären erlegt. Stepan, ein untersetzter Mann mit schmalem Wolfsgesicht und zudringlichem Blick, bemerkte den jungen Grafen als erster, nahm seine Fuchspelzkappe ab und verbeugte sich gewohnheitsmäßig. Vanka, ein hochgewachsener, breitschultriger Recke mit einem dümmlich-gutmütigen Ausdruck in seinem kürbisrunden Gesicht, riß ungeschickt seine zerzauste Pelzmütze mit Ohrenklappen vom Kopf und machte einen schwerfälligen Diener. Etwas abseits standen sechs Bauern mit Jagdspießen, die widerwillig ihre Kappen abnahmen und sich ebenfalls verbeugten.
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»Ach, da bist du ja.« Der alte Graf drehte sich zu Boris um, warf ein zerfetztes Halfter in den Schnee und hielt dem Sohn die Wange hin. »Grüß dich.« Boris küßte den Vater. »Damit laufen sie dir doch in alle Himmelsrichtungen davon, du Gauner!« sagte der Alte streng, aber ohne Bosheit, und vergaß den Sohn. Der bucklige Viehpfleger Gavrila stand schuldbewußt vor ihm und zupfte an der Riemenpeitsche. »Was starrst du Löcher in die Luft, du Gauner! Hol sie schon heraus!« rief Arzamasov. Gavrila quietschte mit den festgefrorenen Torflügeln und verschwand im Viehstall. Er kam sofort wieder und führte die drei Würger - Škvoren, Sigej und Nozdrja - an der Kette. Beim Anblick der Jäger fingen die Würger aus vollem Hals an zu heulen und rissen an ihren Ketten. Gavrila zerrte sie geschickt hinter sich her und führte sie zum alten Grafen. Die Würger krochen auf allen vieren zu ihm hin und begannen, seine hohen, speckglänzenden Stiefel abzulecken. »Du hast sie nicht gefüttert?« fragte der Graf beifällig und lächelte die Würger an. »Wo denken Sie hin, gnädiger Herr!« Gavrila war beleidigt. »Ich werde sie doch nicht vor einer Hetzjagd füttern?« »Nun, was sagst du?« Der alte Graf schaute seinen Sohn ironisch lächelnd an. »Gefallen dir meine Würger?« »Ja«, antwortete Boris, packte Sigej an seinem zerrissenen Ohr und drehte dessen harzigen, zottigen Kopf zu sich. »Aber wo ist denn Svišč?« »Svišč habe ich im Frühjahr an Semjon Vasiljevič verkauft.«
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Der alte Graf zog seine unvermeidliche silberne Taschenflasche mit Korianderlikör aus dem Pelzmantel. »Oh, mon cher, zuerst hat er mir vorgeschlagen, ihn gegen seine Bronja einzutauschen, aber was soll ich mit ihr? Ich habe ihn für einen Tausender verkauft. Drei Würger haben uns immer völlig ausgereicht, Svišč war uns nur im Weg. Stimmt's, Stepan?« »Genau so ist es, Euer Wohlgeboren«, stimmte Stepan ernsthaft zu und stieß den an ihm hochspringenden Škvoren zurück. »Mit dreien würgt es sich besser.« »Aber Svišč konnte einen Bären ganz alleine erwürgen«, sagte Boris zu sich und erinnerte sich an den rothaarigen, sommersprossigen Svišč, der ein großer Freund von Rinderknochen und traurigen Abendliedern ohne Worte gewesen war. Nozdrja hatte Boris erkannt, sprang mit der zerbissenen Kette rasselnd an ihm hoch, krallte sich mit seinen knotigen schwarzen Fingern an den Schultern fest und streckte seine fleischige, rauhe Schnauze freudig winselnd dem rotwangigen Gesicht des Grafen entgegen. »Kapo!« brummte Boris und stupste Nozdrja mit dem Knie in den Bauch. Der Würger sprang freudig zurück und brabbelte dabei sein übliches »eti-pet, eti-pet«. Nozdrja war ein ausgewachsener vierzigjähriger Würger, der mehr als zehn Bären die Rippen zerquetscht hatte; Nozdrja Nüster - hieß er wegen seiner noch aus Jugendjahren stammenden Angewohnheit, seiner Herrschaft und den Dienern morgens gierig die Nasenlöcher abzulecken. Von den anderen Würgern unterschied er sich durch seine unglaublich breite Brust, seine behaarten, langen, muskulösen Arme sowie seine ruhelosen Finger, die unablässig an seinen zerfetzten Brustwarzen zupften.
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Nozdrja wurde bei jeder Jagd unweigerlich zum Empfang abgestellt, das heißt, er war der erste, der sich dem aus seinem Lager hervorstürzenden Untier in den Weg stellte. »Gavrila, sattle die Pferde!« befahl der alte Graf; er verstaute die Flasche und steckte seine kleinen Hände in den Fausthandschuhen ungestüm in die Taschen. Ringsum geriet alles in Bewegung. »Na also, es geht los!« dachte Boris fröhlich, schnallte sich den Brokatgürtel um, den Stepan ihm hinhielt, und stopfte den Krummsäbel hinein. Bald darauf ritt die ganze Jagdgesellschaft vom Viehhof in Richtung des Alten Waldes. Sonja Sonja Sonja nimm den Hammer aus aus aus dem Schrank. XIII Bis zum Lager des Bären war es noch eine halbe Verst, und Graf Michail Savvič befahl allen, sich zu beeilen und die Pferde anzubinden, damit das Raubtier nicht vorzeitig aufgescheucht würde. Der bucklige Gavrila, der auf seinem Goldfuchs Nečava hinter der Jagdgesellschaft hergeritten war, sprang geschwind in den Schnee und beeilte sich, Karbon, den Braunen des alten Grafen, und Boris' gemächliche, rotbraun gescheckte Sisi, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, in Empfang zu nehmen. Die sechs Bauern mit den Jagdspießen stiegen von ihren unansehnlichen Pferden. Sie stapften durch den tiefen Schnee hinter Vanka her und trampelten für die Herrschaften einen Pfad. Ihnen folgte der Treiber Fomka mit der Würger-Meute. »Vanka hat ihn noch vor Weihnachten aufgespürt«, sagte der Graf zu seinem Sohn und folgte Fomka. »Er hat sich bis Win-
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tereinbruch nicht in der Höhle verkrochen, ein Streuner ist er aber auch nicht. Ein Alter, Deibel noch mal, der hat seine Mukken.« Mit einem Lächeln registrierte Boris, daß der Vater immer noch die Gewohnheit hatte, bei der Jagd wie ein Bauer zu reden. »Ein alter Bär, Euer Wohlgeboren, das ist die Wahrheit!« sagte der mit drei Jagdspießen hinterherlaufende Stepan, doch der Graf hob die Hand und befahl zu schweigen. Plötzlich sprang der Würger Sigej, der mit der Meute durch den Schnee stapfte, in die Höhe, stellte sich auf die Hinterbeine, saugte die frische Frostluft durch die Nüstern ein und stieß ein feines, langgezogenes Pfeifen aus. Der alte Graf blieb stehen, woraufhin die ganze Gesellschaft ebenfalls stehenblieb. »Es ist wohl nur eine Kleinigkeit, Euer Wohlgeboren!« stellte Stepan fest. »Soll er nur loslegen!« beschloß der Graf. Fomka hakte die Leine auf und zeigte Sigej einen Finger. Sigej ließ sich auf alle viere nieder, drückte seinen krummstirnigen Schädel nach unten und machte plötzlich vier ungestüme Sprünge seitwärts vom Pfad weg. Die unter dem Schnee schlummernden Birkhühner stoben mit Getöse auf. Sigej stürzte hinter ihnen her und packte einen schwarz-blauen, leierschwänzigen Birkhahn. Die weißen Unterseiten der Flügel blitzten auf, das Knacken seiner Knochen ertönte. »Apportieren!« kommandierte der Graf. Sigej kam herbeigelaufen und schleppte den Vogel an. Michail Savvič packte den noch zuckenden Birkhahn an den Beinen und schüttelte ihn. Das schwarze Gefieder strahlte und leuch-
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tete in der frostigen Sonne, die Stirn schimmerte rötlich, an der Unterseite der Flügel sah man den zarten weißen Flaum. Es war merkwürdig, diesen schönen warmen Vogel im Winter zu sehen, vor dem Hintergrund des unter dem Schnee erstarrten Waldes. »Wirf ihm die Eingeweide hin, er hat es verdient!« befahl der Graf Stepan und gab ihm den Vogel. Mit der Spitze seines riesigen Messers trennte Stepan sekundenschnell den Bauch des Birkhahns auf, zerrte die rosa-perlmuttfarbenen Gedärme heraus und warf sie Sigej hin. Der Würger fing sie im Flug auf und verschlang sie, von Nozdrja und Škvoren neidisch beobachtet, in einem Augenblick. »Und jetzt sind alle ruhig!« kommandierte der alte Graf, und Boris spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. »Wenn doch nur mein Škvoren ihn töten würde!« wünschte er sich inständig und zauste dem flachnasigen, rothaarigen Škvoren die borstigen Haare. Škvoren lächelte breit mit seinem schartigen Mund und stieß mit seinem heiseren Baß heraus: »Otrep, otrep, polostel.« Sie pirschten sich an das Bärenlager heran. Der Bär lag in einer mit Sträuchern und jungen Fichten bewachsenen Senke. Der alte Graf und Vanka stellten die Bauern auf, Stepan gab den Herrschaften zwei Jagdspieße mit stählernen Spitzen. Drei Bauern verteilten die Würgeinstrumente an die Würger, oder - jagdsprachlich - die Eichenfausthandschuhe, nämlich die unteren Enden von Eichen mit ausgehöhlten Handgriffen. Die Würger streiften sie über ihre Arme. Der alte Graf stellte sich mit Nozdrja unmittelbar vor die
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Höhle, Stepan stellte sich mit Sigej linker Hand von ihm auf und Boris mit Škvoren rechter Hand. Die Bauern in ihren langschößigen Pelzen stellten sich mit den Jagdspießen voran wie Reservisten auf dem Schlachtfeld abwechselnd mit den Fichten auf der anderen Seite des Bärenlagers auf. »Achtung!« Der alte Graf gab Boris durch Blinzeln ein Zeichen und nickte Stepan zu. »Mit Gott!« Stepan holte eine in Teig eingerollte Rauchbombe aus seinem Revers, riß ein Streichholz an, zündete die Bombe und warf sie beinahe genau auf das Luftloch des Bärenlagers. Alle blieben reglos stehen. »O Herr, hilf mir!« konnte Boris noch denken, als er Škvorens Leine aufhakte. Die Bombe zündete nicht besonders heftig und wirbelte Schneeflocken in die Höhe. Eine graublaue Rauchwolke hing über dem Bärenlager, und der unverkennbare Brandgeruch des Pulvers stieg ihnen in die Nase. Einen Moment lang schien es Boris, als sähe er durch den Rauch eine Bärenschnauze auf sich zukommen, doch in dem Bärenlager blieb alles ruhig. »Sivolaj wird sich doch nicht vertan haben?« überlegte Boris, als plötzlich der vom Pulver geschwärzte Schnee nach oben geschoben wurde und ein riesiger, magerer Bär aus der Höhle heraus und auf die Belagerer zusprang. »Achtung!« schrie der alte Graf mit einer hohen Frauenstimme. Das Krachen der splitternden Jagdspieße ertönte, der Bär wirbelte eine in der Sonne funkelnde Schneestaubwolke auf und warf sich nach rechts. Stepan hatte unterdessen Sigej losgelassen, der sich auf den Bären stürzte, aber sein Ziel verfehlte.
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Das Raubtier rollte sich zu einem braunen Knäuel zusammen, setzte mit einem ungestümen Sprung über den im Schnee herumwirbelnden Sigej hinweg und schoß zwischen dem alten Grafen und Boris hindurch. Völlig außer sich ließ Boris das Halsband des wütend nach vorne zerrenden Škvoren los und schrie mit ohrenbetäubender Lautstärke: »Faß!« Škvoren sprang und ließ gleich beide Eichenhandschuhe mit voller Wucht auf den Kopf des Bären hinuntersausen. Der Bär schüttelte sich, stellte sich auf die Hintertatzen und ging auf ihn los. Škvoren holte aus und verpaßte dem Bären einen so furchtbaren Schlag gegen die Brust, daß davon selbst einem Stier das Rückgrat gebrochen wäre. Der Bär grunzte und stieß den Angreifer mit der Pfote. Škvoren sprang zurück. Doch von links stürzte sich bereits Nozdrja auf das Raubtier, das Würgeinstrument blitzte auf, ein kurzes, trockenes Klacken von gefrorenem Holz erklang, und der betäubte, aber noch nicht geschlagene Bär drehte sich brüllend und mit den Tatzen rudernd auf der Stelle. Škvoren kam wieder zur Besinnung, erhob sich und stürzte sich mit seinem animalisch-brutalen Gesicht auf das Raubtier. Von Sigej kam ein langgezogenes Klagegeschrei: »Poruuut!«, und sein Würgeinstrument bohrte sich dem Bären in den Rükken. Die Würger umzingelten den Bären von drei Seiten und wollten ihn ohne viel Federlesens zerquetschen. Das Raubtier setzte sich schließlich auf die Hinterbeine und versuchte verbissen, sich ihrer zu erwehren, indem es die kurzen Ohren anlegte, seine so gar nicht bärenähnliche, längliche Schnauze aufriß und die Zähne fletschte. »Er sitzt!« schrie der alte Graf, immer noch in demselben Wei-
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her Falsett; er stürzte mit dem Jagdspieß voran, blieb dabei aber - o weh! - am unter dem Schnee verborgenen Bruchholz hängen. Stepan und Vanka hasteten auf den Bären zu, doch - es kam Boris vor wie in einem Alptraum - ihre Beine schienen sich wie Bast zu biegen und im Schnee steckenzubleiben. Boris standen unter seiner Karakulmütze die Haare zu Berge, das unbegreifliche Entsetzen des Geschehens spornte ihn an, und mit gefälltem Jagdspieß warf er sich ins Handgemenge. Die Würger, winselnd, wehklagend und schreiend, umringten den sich auf den Hinterbeinen drehenden Bären; ihre nackten Rücken blitzten vor Boris auf. Boris fand mit Mühe eine Lücke zwischen ihnen und rammte, brüllend wie ein Tier, seinen Speer in den pelzigen, sich drehenden Körper. Der Bär brüllte auf und zuckte; Boris' Hände umschlossen den Speerschaft fest und spürten sogleich die unmenschliche Kraft des Raubtiers - der eichene Jagdspieß krümmte sich bogenförmig, krachte und zerbrach wie ein Streichholz. Der Bär ruderte mit seinen scharfkralligen Tatzen, schleuderte Škvoren und Nozdrja fort und drehte seine listige, furchterregende Schnauze mit den tränenden Greisenäuglein und der schwarzen, einem Schweinerüssel ähnlichen Nase zu Boris um. Diese Schnauze stülpte sich in Windeseile hervor und begann zu wachsen und alles auseinanderzuschieben - den von der Sonne übergossenen verschneiten Wald, den hohen, tiefblauen Himmel, die frostklirrende reine Luft, die umherwimmelnden Würger mit ihren hölzernen Handschuhen und ihren Stimmen; von der Schnauze her ging ein durchdringender Geruch nach fauliger Erde aus, die feuchten, herunterhängenden Lippen teilten sich und enthüllten das zartrosa, mit weißlichem
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Ausschlag bedeckte Zahnfleisch und die mächtigen, schiefen Zähne, die so gelb waren, daß sie in der Sonne wie Bernstein aufleuchteten. Boris streckte seine Hand nach dem Krummsäbel aus und umfaßte den kleinen, spielzeugartig und unecht aussehenden Elfenbeingriff der vollkommen nutzlosen Waffe, aber Vanka Sivolaj befand sich schon hinter dem Raubtier. Die breite glühende Schneide seines Jagdspießes fuhr in den buckligen Rücken des Bären, und Boris hörte, wie unter der Speckschicht die Wirbel barsten. Der Bär brüllte verzweifelt und bäumte sich auf, doch an seinem Brüllen und den verzweifelten Bewegungen konnte man erkennen, daß sein Ende nah war. Die Würger stürzten sich mit neuer Kraft auf ihn. Boris zog seinen Krummsäbel aus der Scheide und stand da, ratlos, wie dem Raubtier beizukommen sei. »Zurück!« ertönte der Ruf des alten Grafen, und Michail Savvič, schwer atmend wie ein Greis, rammte seinen Jagdspieß in den Hals des Bären, wobei er beinahe Škvorens zottigen Kopf streifte. Dieser Hieb erwies sich als der entscheidende - der Bär sackte zusammen und blieb liegen. Stepan war herbeigeeilt und holte verspätet aus, doch sein schmaler Jagdspieß, der wie ein Polovcer Speer aussah, traf den bereits im Todeskampf zuckenden Körper - der Bär war tot. Die Bauern, die zwischen den Fichten gestanden hatten, kamen schwankend gelaufen, und Fomka und Stepan zerrten die rasenden Würger fort. Der alte Graf zog seinen Jagdspieß aus dem Kadaver, warf ihn in den Schnee, trat zu seinem Sohn, um ihn zu umarmen und zu küssen, wobei er ihn mit seinem spärlichen, vereisten Schnurrbart kitzelte.
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»Du bist ein toller Kerl, mon eher ami! Wenn du nicht gewesen wärest, wäre er uns entwischt, der Räuber! Très bien! Perforatio pectoris, meine ungehobelten Wohltäter! Ich schenke dir den Kopf! Den Kopf an die Wand! Škvoruška, Škvoruška, unser Held und Krieger!« Fomka ließ das Halsband des winselnden Škvoren los, der Würger sprang auf den Alten zu und wand sich mit seinem nackten, vom Frost geröteten Körper vor dessen Füßen. Aus seiner zerfetzten Schulter floß das Blut in Strömen. »Du hast ihn gehalten, mein Guter! Sieh nur, wie er dich zugerichtet hat, du Stromer! Stepan! Halt ihn fest!« Stepan trat Škvoren mit seinem Filzstiefel auf den Rücken und drückte ihn in den Schnee. Der alte Graf holte seine Taschenflasche heraus, beugte sich über Škvoren und goß den ganzen Korianderlikör über die zerfetzte Schulter. Der Würger heulte winselnd auf. Michail Savvič zog sein spitzenbesetztes Batisttüchlein aus dem Ärmel seines Halbpelzes und legte es dem Würger geschickt über die verwundete Schulter. Der feine Batist war auf der Stelle blutdurchtränkt. Der Graf blickte sich um und rief einen Bauern herbei: »Zieh den Pelz aus!« Der Bauer tat, wie ihm befohlen, und stand nur noch mit Stehkragenhemd und Seelenwärmer aus Ziegenwolle bekleidet da. »Und nun reiß den Schoß ab und verbinde ihm die Schulter!« befahl der Alte. »Das ist ja wohl keine chair a canon ... Boriska!« Er drehte den Kopf und umarmte seinen Sohn. »Wie sind wir, he? Haben wir ihn, ihr Wohltäter hinter dem Ofen! Na komm, schauen wir ihn uns mal an!« Die Jäger umringten das besiegte Raubtier. Der Bär lag auf dem Rücken, er starrte mit offenen Äuglein un-
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verwandt in den Himmel und hatte seine noch vor kurzem so mächtigen Tatzen mit den schwarzpolierten Krallen ausgebreitet, als ob er seine Kräfte sammeln und aufstehen wollte, um diese ganze saubere, frostige, leuchtendhelle Welt, die aus unverständlichen Gründen seinen Schlaf gestört, sich auf ihn gestürzt und ihn seines Lebens beraubt hatte, mit beiden Händen zu packen. »Nur einen Moment, ich rapple mich gleich auf«, schien der Bär zu sagen, wie er da so im Schnee lag. Aus seiner engen, keilförmigen Brust ragte der abgebrochene Jagdspieß von Boris; dickflüssiges, kirschrotes Blut quoll unter der Klinge hervor, es glitzerte in der Sonne und versickerte im Fell des Bären. Sonja, nimm den Hammer aus dem Schrank. XIV Nach der Jagd setzten sich Vater und Sohn Arzamasov mit gutem Appetit zu Tisch und tranken zum Essen eine Flasche Bordeaux. Danach ging der junge Graf schlafen, und der alte Graf ging mit Stepan den Bären abziehen, Škvorens Wunde mit Salbe bestreichen, anstelle des mit Fieber daniederliegenden Verwalters mit den Arbeitern besprechen, wie das Eis für die Eisgrube gehackt werden soll, den Weibern zeigen, wo die vorjährige Gerste auszustreuen sei, mit dem Tischler die Schachfigur der Königin schleifen, als Ersatz für die vom Windhund Razgon abgenagte - und so fort bis zum Abend. Am Abend schließlich wurde die Banja geheizt. Der alte Graf ging wie immer als erster und alleine in die Banja und schlug sich mit Birkenreisern. Boris ging nach ihm hinein. Die Banja auf dem Gut der Arzamasovs war, gelinde ausge-
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drückt, eine besondere. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte die verstorbene Gattin von Michail Savvič, Marija Fjodorovna, die mit ihrem Mann sechs Jahre in Paris gelebt hatte, wo er im diplomatischen Dienst tätig gewesen war, sogleich bei ihrer Ankunft in Pospelovo befohlen, ein türkisches Dampfbad neben dem Teich zu errichten. Es vergingen beinahe anderthalb Jahre, bis dieses Dampfbad mit Hilfe der Bauern von Pospelovo nach dem Entwurf eines griechischen Architekten schließlich fertiggestellt war. Marija Fjodorovna ließ aus Paris einen türkischen Badewärter kommen, dem es von Allah bestimmt war, im russischen Ort Pospelovo den Rest seines Badewärterlebens zu verbringen und hundertemal die Körper der Ehegatten Arzamasov sowie ihrer Gäste im Schwitzbad zu behandeln und zu massieren, um dann sinnlos zu sterben - nicht am russischen Frost, nicht von einer verirrten Kugel auf der Jagd und nicht durch einen betrunkenen Kutscher - er ertrank einfach in einem zugewachsenen Teich auf dem Gutsgelände. Marija Fjodorovna überlebte den Badewärter nicht lange. Nach ihrem Tod stellte sich recht bald heraus, daß Michail Savvič selbst überhaupt kein großer Freund des türkischen Dampfbads war. Es wurde befohlen, den Ofen auseinanderzunehmen und ihn auf russische Art neu zusammenzusetzen. Von der früheren Exotik war nur noch das Mosaik und das Badebecken übrig, das der Graf niemals benutzte. Boris ging in Begleitung des Lakaien Vanka in die Banja. Es war frostigkalt und dunkel, trotz des Vollmonds mit seinem rauchgrauen Hof. Im Dorf heulte ein Hund, und es herrschte diese dumpfe, undurchdringliche Stille, die sich nur im Winter auf die russische Erde herniedersenkt.
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Im Vorraum der Banja entkleidete Vanka den jungen Grafen und führte ihn ins Schwitzbad, wo der Badewärter Semjon auf dem türkischen Mosaikboden hantierte, ein krummbeiniger schwarzbärtiger Bauer mit einem Gesicht, das vom Tritt eines Pferdehufs entstellt war, weshalb er beständig eine bedrohlichwehleidige Miene zur Schau trug. Er war nackt bis zur Gürtellinie und trug nur Unterhosen, die feucht von Dampf und Schweiß waren. »Gesundheit zu wünschen, Euer Gnaden.« Semjon hielt einen struppigen Bastwisch in seiner knotigen Hand und verneigte sich. »Guten Tag, Semjon«, sagte Boris, setzte sich auf die unterste der vier Stufen und sog genießerisch den dichten, kräftigen Dampf ein. »Wie belieben Sie den Dampf zu haben, mit Minze oder mit Kvas?« »Mit Kvas.« Semjon schöpfte eine Kelle Kvas und bespritzte damit den glühendheißen Badeofen. Die daraufliegenden Steine zischten, und Boris roch sogleich den Duft frischgebackenen Roggenbrots. »Wie belieben Sie sich heute behandeln zu lassen, Euer Gnaden, auf die einfache Art oder mit Stöhnen?« »Mach nur mit Stöhnen.« Semjon steckte zwei feuchte Finger in seinen schiefen Mund und stieß einen Pfiff aus. Die Tür zum Abstellraum öffnete sich, und Akulja kam in das Schwitzbad, ein kleines, sechzehnjähriges Mädchen im traditionellen Wollrock der Bauersfrauen, mit einem schönen, gleichmäßigen Gesicht, großen braunen Augen und dichtem, kastanienbraunem Haar, das sie
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offen trug. Sie verneigte sich vor dem Grafen, blieb regungslos stehen und schaute ihn aus ihren Kinderaugen mißtrauisch an. »Zieh dich aus!« befahl Semjon. Das Mädchen zog den Wollrock und das Unterzeug aus, drehte alles zu einer Rolle zusammen und legte diese auf das Fensterbrett. Obwohl sie so klein war, war sie prächtig gebaut und hatte große, reife Brüste mit rosa Flecken um die braunen Brustwarzen, die schon mehr als ein Kind gestillt hatten. Der Graf kletterte auf die oberste Stufe und legte sich auf das heiße, trockene Holz. Akulja stieg die Stufen hinauf und legte sich mit dem Gesicht nach unten so auf den Rücken des Grafen, daß ihr Bauch an sein Kreuz gepreßt war und ihre Brust an seinen Kopf und den Hals. Akuljas Kopf lag neben dem Kopf des Grafen, und ihr dickes, frisch gewaschenes Haar bedeckte sein Gesicht. Mit ihren kleinen, aber kräftigen Beinen und Armen umschlang sie seinen Körper und preßte sich noch enger an ihn. Ihre weiße Haut hob sich scharf von der sonnengebräunten, muskulösen Figur des Grafen ab, ihr kleines, rundes Hinterteil lag etwas oberhalb vom flachen Hinterteil des Grafen. Semjon zog einen Birkenzweig und eine dicke Weidengerte aus dem hölzernen Trog mit Wasser. Er schüttelte den Birkenzweig über dem Kohlenbecken aus, und eine neue Dampfwolke umhüllte die beiden. »Ich bin schuldig, ach, ich bin schuldig!« fing Akulja an zu jammern, und der Graf lächelte unter ihrem leichten Körper im Gedanken an die gute alte Sitte des Hauses Arzamasov. Semjon nahm die Weidengerte in die linke und den Birkenzweig in die rechte Hand und begann, Akuljas Hinterteil flink und kräftig mit der Gerte zu schlagen und das des Grafen mit dem Birkenzweig.
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»Ich bin schuldig, ach, wie ich schu-hu-hu-huldig bin!« Akulja jammerte jetzt stärker und langgezogener; sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Beine rieben sich am Becken des Grafen, ihre Hände kneteten seine Schultern, und ihre kühle Brust schmiegte sich an seinen Hals. Ihr Haar fiel über seine Augen, und durch die dicken Strähnen blitzten Semjons muskulöse Hände. Der dampfende Birkenzweig klatschte mit einem dumpfen Rauschen auf Boris' Hinterteil, die nasse Gerte schlug pfeifend auf den Leib des Mädchens. Boris erstarrte in unaussprechlicher Glückseligkeit und überließ sich vollkommen seinen Empfindungen. Es war ein unglaubliches Vergnügen, in diesen Dampfschwaden zu liegen, von dem jungen, kräftigen, lebensdurstigen Körper dieses Mädchens, das er zum ersten Mal sah und wahrscheinlich nie wieder sehen würde, auf das heiße Holz gedrückt zu werden, zu fühlen und zu hören, wie ihr wehrloser Körper über ihm zitterte und stöhnte, wie sie bei jedem Schlag dieses Scheusals von Badewärter zusammenzuckte, um dann selbst einen Schlag zu empfangen, jedoch einen ganz anderen - einen zärtlichen, berauschenden Schlag, der mit seiner samtenen Hitze durch Mark und Bein drang. Der Graf schloß die Augen. Drei vollkommen unterschiedliche Töne erklangen abwechselnd im Schwitzbad, sie verflochten sich miteinander und verschmolzen zu einem verschlungenen Akkord von ganz und gar nicht menschlicher, nicht irdischer Musik, sie trennten sich wieder und vereinten sich dann von neuem: der peitschende Schlag der Gerte, das Stöhnen, das dumpfe Rauschen des Birkenzweigs, dann wieder von neuem die Gerte, der Birkenzweig und das Stöhnen, ein langgezogener Schrei, die Gerte, der Zweig.
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»Mein Gott, wie ist das alles gut«, dachte Boris im halbohnmächtigen Zustand. »Hier, in dieser primitiven Banja, im Dampf, getrennt und abgeschottet von der ganzen Welt, vom Winter und den vereisten Bäumen, von dem abgelegenen Dorf und den schneeverwehten Wegen, von den tief schlafenden Bauern und den Hunden, von dem verschneiten Tal, von fremden Leuten in weit entfernten Städten, von lieben Bekannten und Unbekannten, von der frostklirrenden Luft und diesem runden, trüben Mond, der über der ganzen Welt hängt - wie wunderbar haben wir es hier, drei erhitzte, nackte Menschen, daß wir tun können, was uns so unsagbar berauscht und erschüttert.« Semjon begann, kräftiger zu schlagen, und Akulja zuckte schon nicht mehr zusammen, sondern zitterte ununterbrochen, sie zappelte vor Schmerz an Boris' Kreuz, ihre Schreie gingen in ein langgezogenes Stöhnen über. »Ich bin schu-hu-hu-hu-huldig! Mütterchen, ach, wie ich schuhu-hu-hu-huldig bin!« Ihre kindlichen Finger krallten sich heftig in seine Schultern, ihr Kopf schlug gegen die Schwitzbank. »Schu-hu-hu-hu-huldig! Schu-hu-hu-hu-huldig!« schrie sie immer lauter und lauter. Plötzlich verstummte sie und bäumte sich auf Boris' Rücken auf, als ob sie einen Anfall hätte. Augenblicklich warf Semjon Gerte und Birkenzweig fort, packte den mit Eiswasser und darin schwimmenden Schneeklumpen gefüllten Kübel und begoß die beiden damit. Das Mädchen blieb auf der Stelle reglos liegen, als ob sie eingeschlafen wäre. Das Eiswasser rann plätschernd die Stufen hinunter. »Davon kann man wahrscheinlich sterben«, überlegte Boris und öffnete seine Augen.
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Ein Schneeklumpen lag auf der Holzstufe neben seinem Gesicht. Er streckte seine Lippen danach aus und nahm ihn in den Mund. Sofort taten ihm die Lippen weh. Akulja atmete nicht und lag da wie tot. Das Wasser floß ab und tropfte auf den Mosaikboden. Der hochrote Semjon setzte sich schwer atmend auf den Boden. Sein Gesicht war von dem Dampf und der Arbeit furchtbar entstellt. Plötzlich zuckte das Mädchen zusammen und kam zu sich. Ihre Finger und Füße entspannten sich, und der Brust entrang sich ein schwaches Stöhnen. Sie drehte sich um und versuchte, sich aufzurichten, erstarrte aber wieder, und der Graf spürte, wie der Strahl ihres heißen Urins ihn ins Kreuz traf. Der Urin lief über seinen Körper, mischte sich mit dem Eiswasser und tropfte nach unten. Akulja erhob sich mit Mühe und kletterte die Holzstufen hinunter. Ihr Hinterteil war ein einziger leuchtendrosa Fleck mit blutunterlaufenen Stellen, die allmählich flammendrot wurden. Humpelnd und mit schmerzverzogenem Gesicht nahm Akulja ihr Bündel vom Fensterbrett und verschwand in der Abstellkammer. »Nun, Euer Gnaden, habe ich es richtig gemacht, oder nicht?« fragte Semjon und bereitete den Kübel für die Waschung vor. »Es war gut so«, antwortete Boris; er kroch nur mit Mühe die Stufen hinunter und spürte, daß er jeden Moment das Bewußtsein verlieren würde. Semjon eilte herbei, um ihm zu helfen. Der Graf sah regenbogenfarbige Kreise vor seinen Augen schwimmen; unsicher wie ein Kind, das Gehversuche macht, tapste er in den Vorraum. Dort verließen ihn die Kräfte, und er setzte sich auf den rettenden kalten Boden.
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»Ihnen ist wohl ein wenig schwindelig geworden?« Semjon bemühte sich um ihn, half ihm aufzustehen, setzte ihn auf die Bank und bedeckte ihn mit einem Laken. »Soll ich Schnee holen, Euer Gnaden?« »Nicht nötig«, flüsterte der Graf und kam wieder zu sich. Im Vorraum war es kalt, obwohl der Badeofen auch diesen Raum beheizte. Drei tropfende Kerzen in einem Halter beleuchteten sparsam die grobbehauenen Steinwände, die auf türkische Art mit weißem, rissigem Gips bestrichen waren. Es roch hier nach trockenen Birkenzweigen und unbewohntem Steinhaus. »Euer Gnaden, gestatten Sie doch, daß ich Schnee hole«, brummte Semjon. »Damit kann man den Kopf kühlen, damit das Blut zurückgeht.« »Nicht nötig, geh weg.« Der Graf streckte seine Hand nach dem Krug mit Kvas aus und verzog plötzlich das Gesicht, als sich ein heftiger Schmerz in der linken Seite bemerkbar machte. »Die Wunde!« dachte er und schaute nach unten, unter den linken Arm. Auf dem am Körper klebenden Laken zeichnete sich deutlich ein kleiner blutroter Fleck ab. »Sacré nom ...« murmelte der Graf und verzog das Gesicht. »Was is?« Semjon stand schon auf der Schwelle zur unerträglichen, dichten weißen Luft des Schwitzbads und wandte sich um. Boris schlug das Laken zurück. Die Wunde vom Duell mit Nesvickij, die sich schon seit einem Monat mit einer rosa Haut überzogen hatte, machte sich unerwartet wieder bemerkbar. In der Narbe war ein dünner Riß, aus dem Blutwasser sickerte.
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»Himmlische Herrscherin!« rief Semjon mit unverfälschtem bäuerlichen Schrecken, gerade so, als hätte er selbst und niemand anders dem Grafen die Wunde beigebracht. »Das ist wohl auf der Jagd passiert, Euer Gnaden?« »Nein, Bruder, das war nicht auf der Jagd.« Boris schleppte sich zum Krug, schöpfte sich eine Kelle Kvas und leerte die Kelle bis zum Grund. »Und was jetzt?« Semjon kratzte sich beklommen seinen flachen Bauch. »Soll ich nicht vielleicht ein Stück Leinen holen?« Boris betrachtete die nässende Narbe und dachte an nichts weiter. Eine unvergleichliche, leichte, wortlose Ruhe, wie sie nur nach dem Besuch der russischen Banja auftritt, hatte sich seines Körpers bemächtigt. Es war ihm vollständig gleichgültig, wer er war, warum er da war und was für eine Wunde er an der Seite hatte - er wollte einfach nur im kühlen Vorraum der Banja sitzen, Kvas trinken und solange sein sickerndes Blut betrachten, bis ihm die Tränen kamen. Statt dessen überlegte Semjon kurz, aber ernsthaft, wobei er seine herunterhängenden Lippen bewegte. Dann ging ihm ein Licht auf: »Euer Gnaden! Warum zum Teufel ein Stück Leinen? Soll doch Nozdrja die Wunde ablecken! Er hat auch die Brandblase von Seiner Hoheit ausgeleckt - und davon ist jetzt nichts mehr zusehen!« Boris konnte sich nur mühsam daran erinnern, wer Nozdrja war, kehrte jedoch nicht aus seinem Dämmerzustand zurück. Um ihn herum machten sich Leute zu schaffen, eingerostete Türen und festgefrorene Dielenbretter quietschten, Nozdrja, den man an seiner mit Rauhreif überzogenen Kette hergebracht hatte, winselte vor Freude, man schaffte noch Licht her-
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bei und fragte den Grafen irgend etwas Wichtiges, aber der gab keine Antwort. Erst als Nozdrjas breite, feuchte, warme Zunge seine Wunde berührte und gierig das Blut ableckte, zuckte Boris zusammen und kam zu sich. Nozdrja stand auf den Knien vor ihm und leckte flink, wobei er mit seiner platten lila Nase zufriedene Grunzlaute ausstieß; seine Augen waren halbgeschlossen, und das mit einem zerzausten grauen Bart bewachsene Gesicht zeigte einen Ausdruck von Konzentration und höchster Wonne, die ihm wieder einmal durch seine Herrschaft zuteil wurde und die das harte Leben eines Würgers mit göttlichem Licht erleuchtete. Seine zärtliche, aber starke Zunge ernüchterte den Grafen gleichsam, und Boris konnte sich an alles erinnern - an die sinnlosschreckliche Begegnung mit Tatjana, an das weiße Gesicht Nesvickijs mit seinem zitternden Unterkiefer, an die zwei Schüsse im Sečenaja-Wäldchen, an Morozovs flinke Hände mit den gepflegten, weiblichen Nägeln, an sein Blut auf dem gelben Ahornblatt. »Wie schnell alles entschieden war«, überlegte er und legte seine Hand auf den struppigen Kopf von Nozdrja. Den Hammer aus Sonja dem Schrank nimm weg. So, das waren alle Texte. Wie gefallen sie Dir? Ich finde sie topdirekt. Sie sind interessanter als die Texte vom Projekt HS-1. Du weißt ja, damals gab es DREI Rekonstrukte: Cvetaeva-i, Maršak-4 und Bulgakov-2. Was dabei herausgekommen ist, wissen die zwei ben dan sha gua aus dem MINOBO, sechs chun ren aus der GENROS, dreiundzwanzig pin fa de lao bai xing in blauer Uniform und ein mo shu jia, der Dir verfaulte Briefe schickt.
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Jetzt GANZ ernsthaft: ich liebe Dich zweifellos wie meine eigene Milz, aber wenn Du diese Krakeleien nicht aufbewahrst, drehe ich Dein Inneres nach außen und schreibe auf jedes Deiner Organe mit schwarzer japanischer Tusche in russischer Schrift seine chinesische Bezeichnung. Überleg Dir das, rips hu shuo ba dao. Boris P. S. Diesen Brief bringt Dir die letzte Klon-Taube aus dem Beton-Taubenschlag des Gefr. Nedelin. Die neue Brut dieser Biester ist erst in einem Monat fertig - der Inkubator ist schon aufgeladen. Und noch ein paar Monate später können sie sich dann in unseren blassen Himmel erheben. Wir werden Zeit haben, NICHT aneinander zu denken. 8. April. Grüß Dich, mein Lieber. Da bin ich. WIEDER! Ach, dieser Tag hat so top-direkt begonnen! Ich bin spät aufgestanden, um 11.40. Ich habe Wellengymnastik gemacht, dann bin ich frühstücken gegangen. Es waren schon alle versammelt. Ein lebhaftes Gespräch und der geschäftliche Vorschlag (von Karpenkoff, natürlich), sofort, hier und jetzt, eine cocktail-party zu veranstalten. Ich schloß mich ohne Angst oder Vorwürfe an. Manchmal muß man eben schon am frühen Morgen Cocktails trinken. Nicht für die L-Harmonie, natürlich, rips ni ma de, sondern EINFACH SO. Also begaben wir uns in unser prostetisches Solarium: ich, Karpenkoff, der Oberst, Agvidor, Bočvar, Witte, Andrej Romanovič und Natalja Bok.
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Die Karpenkoff (oh, diese listenreiche Dame) beschloß, zwei Klon-Bären mit einer Klappe zu schlagen: 1. uns in die zugefrorene Pfütze unserer cocktail-Unzurechnungsfähigkeit zu setzen und über uns als verfaulter Schmetterling zu schweben, 2. sich vollaufen zu lassen wie Zhu Ba Ze und uns in die Orgie mit hineinzuziehen. Na, na, du Pferde- , wir werden zusammen die shaker schütteln, überlegte ich fröhlich. Sie ging als erste hinter die Theke, sprang hoch und setzte sich darauf. Frau Karpenkoff war entsprechend gekleidet: Sie trug einen gewagt engen OverALL aus lebendgebärender Seide, Kristallschuhe, ein weißes Kollier aus Supraleitern, das um ihren nicht sehr alten Hals schwebte. »Edle wangs!« wandte sie sich an die Anwesenden. »Ich habe einen reinen Vorschlag. Wir alle, die wir die Geschicke des Projekts HS-3 lenken, haben jetzt, da der Prozeß plus-direkt in die Phase der Akkumulation eingetreten ist, das volle L-Recht, uns nicht nur betonmäßig, sondern auch transparent zu erholen. Ich erkläre den heutigen Tag zum ERSTEN TAG DER TRANSPARENTEN ERHOLUNG. Jeder von uns bereitet jetzt seinen cocktail zu. Um was zu tun? Ja, genau! Um ihn mit allen anderen gemeinsam zu trinken. Und danach, rips lao wai? Den Preis der HÖCHSTEN TRANSPARENZ für das beste Getränk zu bekommen. Sie werden sich fragen, was für ein Preis das ist. Eine berechtigte Frage, rips. Ich präzisiere: Die HÖCHSTE TRANSPARENZ ist die Erfüllung jedes beliebigen Wunsches des Siegers. Nur eines Wunsches, natürlich. Sind Sie einverstanden?« Alle machten zustimmende Bewegungen. 149
»Also fangen wir an, rips verdammt! Herr Oberst, Sie schütteln als erster.« »Ich?« fragte der Oberst und öffnete sein nicht sehr sauberes Halsband. »Ja, Sie. Und legen Sie sich nicht mit einer Ex-Amazone an.« »Aber nein, ich will mich nicht mit Ihnen anlegen. Ich bin bloß kein großer Freund von Cocktails ... ich probiere reine Produkte. Von den Cocktails mag ich nur die Klassiker ... und auch die ...« Er kratzte sich M-kümmerlich. »Im Grunde kenne ich nur einen einzigen mix. Und der ist schon ... wer weiß wie alt.« »Schütteln Sie schon, verlieren Sie keine Zeit.« Die Karpenkoff trieb ihn zur Eile. »Na los, Serge, keine falsche Scham, rips bai chi!« schrie Bočvar, der sich schon einen angetrunken hatte und, wie mir scheint, mit dem Oberst gerieben hatte. »Wir wollen alle etwas zu trinken!« »Ich werde euch enttäuschen«, lachte der Oberst und zwängte sich hinter die Theke. »Was erwartet ihr von uns, den einfachen Verteidigern unserer leidgeprüften Heimat?« »Ja, was wohl?« erkundigte sich Agvidor und steckte sich eine Zigarette an. »Vodka mit russischem Blut?« »Wenn ihr mit meinem zufrieden seid - bitte sehr.« Der Oberst öffnete ungeschickt den Shaker. »Ich wette, das gibt eine SHADY LADY«, bemerkte die Bok (eine unansehnliche lao bai xing mit unrussischer Nase). »Ich habe gehört, beim BBC trinken sie ausschließlich ROB ROY«, gähnte Romanovič (ein V-ausbalancierter sha gua). »Bringen Sie mich nicht durcheinander, meine Herrschaften.« Der Oberst mixte Whisky und Zitronensaft, gab gomme de sirop hinzu, stellte alles in den Multishaker, und auf der Theke erschienen acht Gläser mit gelblichem Inhalt.
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»WHISKY SOUR, meine Herrschaften!« lächelte er. »Wollten Sie das von einem alten Stiefel?« »Mein Opa liebte diese xiao shi.« Agvidor nahm als erster ein Glas. »Top-direkt.« Die Karpenkoff nippte daran. »Ein Getränk für einsame Männer, die einmal im Monat AEROSEX probieren und Bücher Holo-Blasen vorziehen. Prosit, Herr Witte!*« »Und der Trinkspruch?« fragte Witte. »Man kann doch nicht einfach so trinken.« »Ganz recht!« Bočvar zog die Nase hoch und spuckte auf den Boden. »Wir sind doch keine Jakuten, daß wir trinken, ohne etwas dazu zu sagen. Einen Trinkspruch, Oberst!« »Also gut«, lächelte der Oberst und gab sich Mühe: »Ich schlage folgendes vor: Wir trinken auf Ostsibirien. Hier wird noch russisch gesprochen. Obwohl es in Irkutsk und sogar in Bodajbo schon Chinesen gibt. Also auf den Norden von Ostsibirien.« »Ich habe ja nichts dagegen«, murmelte Agvidor vor sich hin, »bloß verstehe ich nicht, was Sie Bodajbo angeht.« »Ich pfeife auf Ihr Unverständnis.« Der Oberst trank aus. »Meine Kinder kennen nicht mal mehr das Wort Hund.« »Hund ist kein russisches Wort«, wandte ich ein. Der Oberst warf mir von der Seite einen melancholischen Blick zu. »Dafür ist Idiot ein russisches Wort«, bemerkte die Karpenkoff, ging auf Agvidor zu und nahm ihn ins Kraftfeld. Agvidor wand sich böse und machte sich sofort los. »Na, Herr Ober-Haupt-Thermodynamiker!« Sie fing an zu lachen und stieß orange-gelbe Regenbogen aus. »Wir sind doch * im Original deutsch
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alle Freunde hier, seien Sie kein feng ci hua. Hu shuo ba dao ist bei der Arbeit angebracht. Wir hingegen erholen uns hier weich und transparent. Nicht wahr, Witte?*« »Ich habe schon ausgetrunken!« lachte Witte und zeigte sein leeres Glas. »Ich verstehe nicht, worüber Sie streiten?« »Wir streiten doch gar nicht«, lachte der Oberst. »Wir trinken bloß auf das russische Sibirien.« »Okay!« Bočvar sprang auf. »Dann mache ich den nächsten mix!« »Dagegen habe ich nichts.« Die Karpenkoff ließ das Eis aus ihrem Glas auf den Boden fallen und zertrat es mit ihrem Kristallabsatz. »Ich mache Ihnen einen Cocktail, daß Sie alle die Arie der buckligen Che aus der Oper ›Die Seidenstraße‹ singen werden!« »Pfui!« Der Oberst spuckte einen Zitronenkern aus. »Heutzutage kommt man um diesen Chinesenkram einfach nicht herum!« »Ich sage ja schon nichts mehr, Serge.« Bočvar klirrte mit dem Eis. »Also! Ich sage laut, was ich mache, damit es alle mitbekommen und ausprobieren, bis der Tod an die Tür klopft: eine Unze Vodka, egal welcher, eine Unze Gin, egal welcher, eine Unze Whisky, egal welcher, eine Unze Kognak, egal welcher, eine Unze Tequila, egal welcher, eine Unze Grappa, egal welcher, eine Unze ... tja ... Calvados gibt's hier keinen, aber egal welcher. Na, dann nicht. Please!« Gläser mit einer Flüssigkeit in der Farbe von abgestandenem Tee tauchten auf. * im Original deutsch
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»Kein Eis?« fragte die naive Bok. »Auf gar keinen Fall!« Bočvar reichte ihr ein Glas. »Eis unifiziert doch alles. Wie Ihr BIOS-i2O-K.« »Worauf trinken wir?« Die Karpenkoff hielt ihr Glas vor die Augen. »Moment! Er hat nicht gesagt, wie das heißt!« schrie der bereits angetrunkene Romanovič. »Ich würde das folgendermaßen nennen: SCHLAG IN DIE LEBER NR. 1«, schlug Agvidor vor. »Herr Bočvar, Sie können nicht mit der Tradition brechen und unsere L-Harmonie zerstören«, warnte ihn die Karpenkoff. »Na los, nennen Sie einen Namen, einen Namen!« »Hm ... einen Namen ...« Bočvar kratzte sich an der Stirn. »Nennen wir es doch ... FLÜSSIGES DENKMAL FÜR DAS PROJEKT HS-3.« »Vollkommen ling ren man yi de«, pflichtete ich bei. »Und was wird das feste Denkmal für das Projekt?« fragte die Bok vorsichtig. »Soldatenkot auf weißem Schnee!« kicherte Bočvar. »Das feste Denkmal für HS-3 sind die zwanzig Kilo himmelblauer Speck, um deretwillen wir alle hier sind«, sprach der Oberst mit dumpfem Ernst. »Unser gequältes Land erwartet von uns zwanzig Kilo.« »Zwanzig Kilo! Darauf könnt ihr lange warten«, bemerkte Agvidor, der mit seiner freien Hand an den Härchen der lebendgebärenden Tapete herumspielte. »Im besten Falle sind es sechzehn.« »Wieso ihr und nicht wir?« fragte der Oberst ihn begriffsstutzig. »Stop it, rips pin fa de tu ding.« Die Karpenkoff sprang auf und
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stieß an die schwimmende Decke. »Wenn noch mal jemand von dem Projekt anfängt, dann bekommt er von mir ein kleines trace-tip-tirip! Wir trinken jetzt das FLÜSSIGE DENKMAL! Wo bleibt übrigens die Musik?« »Ja, genau«, jetzt fiel es auch Witte auf, »wo bleibt denn die Musik?« »Wo bleibt denn die Musik?« brüllte Bočvar. »Musik! Musik!« forderte Romanovič. »Ich will 45-MOOT! 45-MOOT!« Die Karpenkoff sprang auf und ab und verschüttete dabei ihr DENKMAL. »Marta, bloß kein GERO-TECHNO!« jammerte Bočvar. »Daraufbin ich mit zehn Jahren abgefahren!« »Dann BEATREX! Und nichts anderes für den Anfang! Heute geb ich das Kommando, rips ni ma de!« »Die Dame hat gesprochen! Beng kui!« warf der Oberst ein. Bočvar spuckte kräftig gegen die Decke, und bald darauf rieben wir zu »EITER UND ROTZ« unsere Rücken aneinander und schlürften dabei das ungeheuerliche DENKMAL. Die Karpenkoff versuchte, mit ihrem Kraftfeld von unten zu stoßen, doch das klappte nicht so, wie sie wollte. Als diese armselige Vorstellung nach 19 Minuten zu Ende ging, drängte Bočvar Witte zur Theke. »Günther, machen Sie keinen Hitler-45 aus sich! Machen Sie das fertig!*« Witte klapperte unerträglich lange mit den Flaschen herum und präsentierte uns dann den geschichteten Traum eines Rußlanddeutschen aus der Mitte des Jahrhunderts. CHI CHI: * im Original deutsch
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1 Vodka 1 Blue Curaçao 1 Birkensaft 2 Coconut Cream 1 Kahlua 1 Löffel Schafssahne 1 Aventinos (sssssssssssehr dunkles Bier) plus ein violetter (??) Laser. Wir brachten das kaum hinunter und schwiegen. Witte zwinkerte uns fröhlich zu. Die Tür gluckerte, und Fan Fei kam herein. Er wurde mit erleichtertem Gekreische begrüßt. »Aha! Alle schon betrunken!« bemerkte er mit seiner Shanghaier Gradlinigkeit. »Fan! Sie sind an der Reihe!« Die Karpenkoff küßte seine nackte Schulter. Er begriff sofort und machte sich mutig mit dem Shaker an die Arbeit. 5 Portionen Tomatensaft 3 Spiritus vini 2 rote Ameisen 1 salty ice 1 rote Pfefferschote Das ist stark, rips bei can de. Wie überhaupt alles, was die Hand eines Chinesen in unserer spasmischen Zeit berührt. Dieses ist das Jahrhundert der Chinesen, so wie das 20. Jahrhundert das der Amerikaner war, das 19. Jahrhundert das der Franzosen, das 18. Jahrhundert das der Engländer, das 17. Jahr-
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hundert das der Deutschen, das 16. Jahrhundert das der Italiener, das 15. Jahrhundert das der Russen, das 14. Jahrhundert das der Spanier und das 1. Jahrhundert (anscheinend) das der Juden. Ich sage das ohne eine Spur von Neid. Wenn auch nicht ohne Irritation. Es schmeckte allen so gut, daß wir vergaßen, nach dem Namen zu fragen. Ich hätte es CHINA XXI genannt. Du hast doch nichts dagegen, mein Schneuzer? »So, und jetzt 45-MOOT! Und Boris Gloger macht sich bereit!« Die Karpenkoff aß knirschend ihre roten Ameisen. Das hätte sie wohl gerne, diese feng ci hua. »Marta, ich schüttle erst nach Ihnen!« Ich male doch nicht das Nashorn an. Und bringe sie damit auf Ideen, so sicher wie zwei mal zwei vier ist. Wir alle waren schon ein bißchen im Futteral, es fehlten nur noch zwei, drei Dosen, um in den Ofen zu fahren. Die Karpenkoff, als erfahrene Apsara, spürte den Konkurrenten in mir, machte aber keinen Druck - ihr geliebter 45-MOOT dröhnte los. Sie bückte sich und steckte mir die Hand zwischen ihren stämmigen seidigen Beinen entgegen. Da war nichts zu machen, ich beugte mich meinerseits hinunter, und unsere Hände trafen sich direkt unter meiner Prostata. Wir MOOTeten drei Runden. Reiner Kosmos, haben unsere Eltern wirklich so getanzt?! Die Karpenkoff war fürchterlich anzusehen - ihr Gesicht sah nach der dritten Runde aus wie das des unglücklichen Tolstoj-4, bloß flogen anstelle von Tränen dicke Schweißperlen in alle Richtungen. Eine davon traf Agvidor (!) ins Auge (!!). Schimpfend schnappte er sich von der Theke eine Pyramide Mineralwasser und goß sie sich ins Gesicht.
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»Es gehört sich nicht, so offensichtlichen Ekel gegenüber den Absonderungen meines Organismus zu bekunden!« Die Karpenkoff ließ meine Hand los und legte sich nach Luft schnappend auf den Boden. »O je! Ich komme!« »Ihr Schweiß ist so ätzend wie der Urin eines Replikanten.« Agvidor wischte sich das Gesicht mit einer Serviette ab. »Benehmen Sie sich anständig, rips ni ma de.« »Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. War das nicht mal eine russische Redensart?« fragte Romanovič. »Es gab noch eine andere«, bemerkte ich. »Fremder Schweiß verdunkelt nicht das Bild der Welt.« »Das verstehe ich nicht«, lächelte Fan Fei. »Ist das altrussisch?« »Genau, was bedeutet das denn, Gloger?« fragte die Blok. »Das bedeutet, daß Agvidor Chariton als nächster schüttelt.« Alle applaudierten. Agvidor erhob sich bedrohlich von seinem Hocker. »Ich schüttele euch jetzt was. Mehr geht nicht.« »Aber ohne niao!« warnte ihn die Karpenkoff. »Und Sie selbst trinken als erster.« Agvidor nahm eine Flasche Eichenaquavit in die linke Hand, in die rechte einen Kubus »Katja Bobrinskaja« und zwinkerte mir zu. Eine gewaltige Explosion sprengte die halbtonnenschwere Tür auseinander und walzte sie in das Innere des Bunkers. »Zerschmettert sie, Brüder!« schrie Ivan, zog den Stutzen unter seinem Gürtel hervor und stürmte als erster voran. Sechs kühne Männer stürzten ihm hinterher. Das Innere des Bunkers war voller Rauch, aber nicht dunkel: die Explosion hatte das Leitungsnetz nicht beschädigt. Vom Windfang aus führte ein Gang nach innen. An dessen Ende
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tauchte der Sicherheitsdienst auf, die Weiß-Buttons. Sergej, Mustafa und Karpo schleuderten Granaten. »Hinlegen!« kommandierte Ivan, und die Brüder warfen sich zu Boden. Die drei Explosionen verschmolzen zu einer. Splitter drangen in die Betonwände, Körperteile flogen durch den Gang. »Vorwärts!« Ivan sprang auf. »Nicht lange fackeln!« Sie liefen über den Gang. In der Tiefe des Bunkers ertönte ein Alarmsignal. Die Soldaten stürmten aus der Kantine, wo gerade das Essen begonnen hatte, in die Halle. Die Brüder erwarteten sie mit Gewehrsalven aus ihren Stutzen. In der Halle breitete sich der Rauch selbstgemachten Schießpulvers aus. Die Soldaten gingen zu Boden, die Überlebenden versuchten, sich zur Waffenkammer durchzuschlagen. Doch wieder flogen drei Granaten, und nach fünf Minuten war die Kompanie Weiß-Buttons erledigt. Mustafa und Nikolaj erdolchten die Verletzten, Ivan wischte einen Tropfen fremden Bluts aus seinem wettergegerbten Gesicht. »Durchsuchen!« Zu siebt durchstreiften sie den Bunker, schauten in die einzelnen Blöcke und machten dem Personal den Garaus. Vor der Wassertür machten sie halt. Durch die reglose Wasserschicht leuchtete die gelbe Aufschrift SOLARIUM. »Was ist das denn, Ivan?« fragte Karpo verständnislos. »Das ist ein verdammt fauler Zauber.« Ivan steckte die Mündung des Stutzens in die Tür, und das Wasser trat gehorsam auseinander. Er schritt hindurch und befand sich in der Bar. Die Musik dröhnte ohrenbetäubend, die Wände und die Decke schillerten in allen Regenbogenfarben und bewegten sich, als
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wären sie lebendig, eine kleine Gruppe leuchtend bunt gekleideter Leute tanzte in der Mitte. Ein dünner Mann in einem roten Anzug machte sich hinter der Bar zu schaffen. Nach Ivan kamen Sergej und Kolja Malenkij herein. »Oh! Rips, unsere tapferen shao nian sind von der Jagd zurück!« schrie einer der Tanzenden. »Wen habt ihr denn umgebracht, rips ben dan?« »Ein xiao zhu! Sie haben ein xiao zhu umgebracht!« kreischte eine Frau in einem schillernden Kostüm, die auf und ab hüpfte und komplizierte Bewegungen vollführte. »Macht mit, Sergeanten!« schrie ein Mann, dessen Gesicht halb aus Metall war. Der hinter der Theke betrachtete die Ankömmlinge schweigend. Plötzlich machte er eine Handbewegung, und die Musik verstummte. »What the fuck?! Agvidor, ich bringe Sie um, rips!« kreischte die Frau und griff mit den Fingern in die Luft. »Agvidor, Sie riskieren die L-Harmonie!« Ein Mann mit schweißüberströmtem Gesicht und silbrig schimmernden Haaren ließ sich kraftlos zu Boden sinken. »Wer sind die denn?« fragte der hinter der Theke. Das Lachen und Schreien verstummte, die Tanzenden erstarrten und schauten auf die Ankömmlinge. »Heh, ihr verderbten Scheißer!« sagte Ivan gehässig und schoß auf den Mann hinter der Theke. Sergej und Kolja Malenkij eröffneten das Feuer. Gekreische und die Schreie der Sterbenden ertönten. »Nicht alle erschießen!« schrie Ivan und lud den Stutzer nach. Die Schießerei hörte auf. Zwischen den Toten und Schwerverletzten lag ein Mann, dünn
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wie eine Bohnenstange, der seinen kahlen Kopf mit beiden Händen umfaßt hielt. »Alle umlegen, aber den hier übriglassen!« kommandierte Ivan und ging durch die gluckernde Tür in den Gang. Bald war im Bunker niemand mehr am Leben, mit Ausnahme des dünnen Mannes. »Wie heißt du?« fragte Ivan den Dünnen. »Boris Gloger«, antwortete der Dünne. Er hatte ein schmales Gesicht, die sonnengebräunte Haut spannte sich über den Schädelknochen. An den Schläfen waren unter der Haut kompliziert geformte Metallplättchen zu sehen. »Wo ist das, weswegen ihr hier seid?« fragte Ivan. »Im Inkubator.« »Wo ist der Inkubator?« »Block Nr. 9.« »Wo ist Block Nr. 9 ?« »Neben dem Geräteraum.« »Wo ist der Geräteraum, du Volltrottel?!« Ivan knirschte mit den Zähnen. »Ich zeige es euch, ich zeige euch alles.« Der Dünne fuhr zusammen und senkte seine grünen Wimpern. Sie gingen über den Gang und blieben vor einer weißen Tür mit der Darstellung eines Schafskopfs stehen. »Was soll denn das Schaf?« fragte Ivan. »Werden hier Schafe gezüchtet?« »Das ist das Emblem von RUSSGENING.« »Mach auf!« Der Dünne steckte seinen Finger in eine Öffnung. Die Tür glitt zur Seite, im Block ging das Licht an. Der Dünne ging zum In-
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kubator und öffnete ihn. In dem hellerleuchteten warmen, engen Raum lagen sieben Körper in Embryonalstellung. »Sind sie das?« fragte Ivan. »Ja. Das sind alle sieben Objekte.« Ivan schaute sich die Körper an. Sie waren von Größe und Form her unterschiedlich. Am Hals waren gelbe Streifen mit ihren Namen befestigt. Bei allen waren unter der Haut hier und da Ablagerungen von himmelblauem Speck zu erkennen. Der Speck schillerte in einem zartblauen, unwahrscheinlichen Licht. »Fjodor!« rief Ivan. Fjodor kam herbei, knöpfte seinen langen Pelzmantel auf und zog einen Leinensack unter dem Gürtel hervor. Ivan holte ein finnisches Messer mit metallverziertem Griff aus seinem Filzstiefel, wischte es mit seinem Schal ab und rammte es Dostoevskij-2 in den Rücken. »Soll ich dir helfen, Vanja?« fragte Nikolaj. »Nimm du dir die anderen vor«, schnaufte Ivan und schnitt ein Stück Speck aus dem Rücken. Nikolaj zog sein Messer heraus und stach Tolstoj-4 damit ins Kreuz. Unterdessen löste Ivan vorsichtig ein ordentliches Stück aus dem Rücken von Dostoevskij-2 und legte es in den Sack. »Was steht ihr da und haltet Maulaffen feil?« Er schaute sich zu den anderen Brüdern um. »Na los, schneidet!« Nikolaj schnitt ein Stück heraus und hielt es sich nah vor die Augen. Der Speck beleuchtete sein pickliges, vernarbtes Gesicht. »Nicht zu fassen!« lächelte er und entblößte seine verfaulten Zähne.
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Kolja Malenkij kam herbei und roch daran. »Riecht irgendwie nach Pilzen ...« Nikolaj roch auch daran. »Nein, nicht nach Pilzen. Nach Milch.« »Nach Milch?« Kolja Malenkij fing an zu lachen. »Wann hast du denn zum letzten Mal Milch gerochen?« »Es reicht jetzt!« Ivan steckte ein weiteres Stück in den Sack. Die Brüder beugten sich über die Körper. Eine Zeitlang arbeiteten sie schweigend. »Das wäre dann wohl alles ...«Ivan legte das letzte Stück in den Sack. »Fjodor, du trägst das.« Der große, breitschultrige Fjodor lud sich den Sack auf den Rücken. »Der ist ja nicht besonders schwer.« »Ihr geht nach oben und wartet auf mich«, befahl Ivan. Die Brüder gingen hinaus. Ivan schaute ihnen nach und drehte sich dann zu dem Dünnen um, der in der Ecke stand: »Boris Gloger! Komm her!« Der Dünne kam herbei. Ivan zog ein Diktaphon, das an seinem Hals hing, unter dem Revers hervor und drückte auf eine Taste. »Was ist das, der himmelblaue Speck?« Gloger betrachtete seine feingliedrigen Finger. »Das ist... ein Stoff vom LW-Typ.« »Sprich russisch. Was bedeutet LW-Typ?« »Das ist ein Supraisolator.« »Was ist ein Supraisolator?« »Das ist ein Stoff, dessen Entropie immer gleich Null ist. Seine Temperatur ist immer konstant und gleich der Temperatur des Spenderkörpers.«
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»Wo wird dieser Stoff verwendet?« »Bis jetzt noch nirgendwo.« »Wozu braucht man ihn dann?« »Das ist im Plus-Posit schwierig zu begründen ...« »Quatsch keine Opern, ich habe nicht so viel Zeit! Mach schnell, sprich russisch und komm zur Sache!« »Ach, rips, ... Reiner Kosmos ... Auf diesen Stoff ist man rein zufällig gestoßen, bei der probeweisen Rekonstruktion von Skriptoren ... das heißt, von Leuten, die ihre Phantasien auf Papier schreiben.« »Also Schriftsteller?« »Ja, so nannte man die früher.« »Und weiter?« »Und dieser Stoff... das heißt... rips ... die Existenz von Supraisolatoren hat das Vierte Gesetz der Thermodynamik begründet.« »Und was besagt dieses Vierte Gesetz der Thermodynamik?« »In Stoffen des LW-Typs ist die Entropie konstant und unabhängig von Temperaturveränderungen der Umgebung. Und die Formel... aber ... eigentlich habe ich nichts zu tun mit den exakten Wissenschaften ... ich bin nicht im Plus-Direkt...« »Was bist du denn von Beruf?« »Biophilologe. Mein Spezialgebiet ist Logostimulation.« »Und wo sind eure Techniker?« »Die habt ihr umgebracht.« »Und du hast keine Ahnung, wozu man himmelblauen Speck braucht?« »Es gibt das MINOBO-Projekt. Ich kenne keine Einzelheiten ... aber, jiu wo kan lai... sie bauen einen Reaktor auf dem Mond, einen Reaktor für konstante Energie. Er wird in Form einer
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Pyramide gebaut ... eine Pyramide aus Supraleitern der fünften Generation und blauem Speck ... in Schichten ... in Schichten ... und damit kann man im Plus-Direkt das Problem der ewigen Energie lösen.« »Ein Reaktor? Und das ist alles?« »Wie - alles?« »Na, wird dieser himmelblaue Speck nur in diesem Reaktor verwendet?« »Bis jetzt ja.« »Und andere Einsatzmöglichkeiten? Militärische etwa? Kann man daraus keine Waffen herstellen? Bomben zum Beispiel?« »Ich weiß es nicht, meiner Meinung nach war davon nicht die Rede ... Waffen herzustellen war nicht beabsichtigt.« »Und Gift? Oder Vernichtungsmittel?« »Nein, der Speck ist nicht giftig. Er hat bloß eine etwas ungewöhnliche Atomstruktur.« Ivan rieb sich verdrießlich seine grauen Schläfen. »Ist er wenigstens brennbar?« »Nein, nein. Man kann ihn schneiden und in Moleküle zerlegen, aber diese Moleküle werden immer vom Prozeß des Energieaustauschs ausgeschlossen sein.« »Wofür zum Teufel hab ich dann mein Leben aufs Spiel gesetzt?« fragte Ivan und schaltete sein Diktaphon aus. »Ich ... verstehe nicht.« Gloger berührte mit den Fingerspitzen seine wulstigen rosa Lippen. »Ich verstehe auch überhaupt nichts!« Ivan seufzte erbittert, zog den Stutzen hinter seinem Rücken hervor, holte eine Patrone heraus und steckte sie in das Verschlußstück. »Sag mal, du Skelett, würdest du deinen Bruder für einen mysteriösen himmelblauen Speck in den Tod schicken?«
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Gloger schaute zu den blutüberströmten Körpern im Inkubator. »Nein.« »Ich auch nicht.« Ivan schoß Gloger in die Stirn. Glogers Hirnmasse spritzte auf die Tafel mit den Sicherheitsvorschriften. Das Metallstück aus seiner Schläfe rollte über den weichen Boden. Noch vor Sonnenaufgang machten sie sich auf den Rückweg. Das vorsintflutliche Schneemobil, noch aus den Zeiten der UdSSR, war von oben mit Fichtenzweigen getarnt und fuhr die sieben nach Nordosten. Karpo saß am Steuer. Mustafa hielt einen gepökelten Rentierschinken zwischen die Knie geklemmt, säbelte geschickt längliche Streifen von dem dunklen Fleisch ab und verteilte sie an die in der engen Kabine sitzenden Brüder. »Wenn wir zurück sind, will Vanjuta mit uns reden.« Müde kaute Ivan an seinem Pökelfleisch. »Und was sollen wir ihm geben - Feldmäuse?« »Vielleicht hast du nicht begriffen, worum es geht?« fragte Nikolaj. »Ich habe mehr Bücher gelesen als ihr alle zusammen. Er hat uns wegen einer neuen Waffe losgeschickt, stimmt's?« »Stimmt.« »Und was ist das hier?« Ivan versetzte dem Sack mit dem himmelblauen Speck einen Tritt mit seinem Filzstiefel. »Und wenn das nun die Waffe ist?« fragte Kolja Malenkij. »Sieh doch mal, wie das leuchtet!« »Das ist Brennstoff für einen Reaktor auf dem Mond«, brummte Ivan verdrießlich vor sich hin.
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»Und diese unverderbte Waffe?« Fjodor stocherte in seinen Zähnen herum. »Wo ist die denn?« »Im Arsch.« Ivan stellte den Kragen seiner Pelzjacke hoch, legte sich in die Ecke der Kabine und schlief auf der Stelle ein. »Ja.« Sergej kratzte sich. »Wir hätten die verderbten Waffen nehmen sollen, wenn keine unverderbten da waren. Habt ihr die Maschinenpistolen gesehen? Die heißen ›Zyklop‹.« »Das ist ja furchtbar, wie du redest, Bruder Sergej.« Nikolaj schüttelte den Kopf. »Wolltest du dich im Ernst verunreinigen? Verderbte Dinge in die Hände nehmen? Das Vermächtnis verletzen?« »Bruder Nikolaj, ich will mich nicht verunreinigen. Wir leben jetzt schon den zweiten Winter von Rentierfleisch und Zedernkernen. Wir haben doch heute unsere eiserne Reserve verbraucht, in diesem Bunker da. Womit sollen wir denn Rentiere erlegen, mit der Hand etwa? Salpeter kann man sowieso nicht vor Mai gewinnen. Sollen wir wieder Würmer essen wie im letzten Frühjahr?« »Hör bloß auf mit den Würmern, Bruder«, schnaufte Fjodor. »Besser Bärlauch essen als Würmer schlucken.« »Uaah!« gähnte Kolja Malenkij. »Wie ich das überlebt habe, ist mir schleierhaft. Der Erde sei Dank, daß wir zur rechten Zeit kamen, die Verderbten waren gerade am Fressen. Sonst hätten sie uns mit ihren ›Zyklopen‹ umgelegt. Wenn wir ankommen, küsse ich Bruder Vanjuta die Füße.« »Das hat nicht Vanjuta angeregt, sondern Bruder Aleks.« »Bruder Aleks?« »Ja, Bruder Aleks, wer hat denn sonst den Durchblick?« »Ein heller Kopf, die Erde möge ihm Kraft verleihen.« »Wie weit sind wir schon, Karpo?«
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»Schlaf, Bruder«, drang Karpos Baß aus der Fahrerkabine. »Zurück müssen wir gegen den Wind ankämpfen! Sieh nur, es ist viel Neuschnee gefallen.« »Das ist gut so, der verweht die Spuren ...« Sie erreichten den Berg erst bei Tagesanbruch. Die weiße Sonne des Nordens zeigte sich für kurze Zeit am gekrümmten weißen Horizont und beschien den mächtigen Berg, der über den niedrigen Hügelkuppen emporragte. Sein breiter Kegel war mit Zirbelkiefern und Lärchen bewachsen, der runde Gipfel erglänzte in jungfräulichem Schnee. Als sie zum Unterstand kamen, stellte der erschöpfte, hohlwangige Karpo den Motor ab. »Wir sind da, der Erde sei Dank. Aufstehen!« Die in der Kabine schlafenden Brüder regten sich. »Oh, Feuchte Mutter Erde, sind wir endlich zu Hause?« »Karpo, der Gute, hat uns gefahren wie in der Wiege.« »Ach, Brüder, und ich habe wieder vom Sommer geträumt. Wir haben alle Bärentrauben gesammelt, und Bruder Marko hat Lobgesänge angestimmt...« »Wir kommen bestimmt zu spät zur Tafel.« Sie kletterten alle aus dem Schneemobil heraus. Fjodor packte den Sack mit dem Speck, der hier im Sonnenlicht ebenso durch das Leinen leuchtete wie im Dunkeln. Angesichts dieses ungewöhnlichen, unirdischen Lichts verstummten die Brüder. »Na ja.« Ivan schneuzte in den Schnee. »Vielleicht haben wir doch nicht vergeblich den Kopf hingehalten. Eine wunderliche Sache. Ob das etwas taugt?« »Nur keine Sorge, Bruder Ivan.« Nikolaj fröstelte. »Du wirst dich noch freuen.«
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»Schön wär's!« Ivan grunzte und ging über den knirschenden Schnee zum Berg. Die Brüder folgten ihm. Es war ein langer Aufstieg. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte es heftig geschneit, und der Pfad war an manchen Stellen völlig verweht. Ivan ging voran und bahnte den Weg. Als sie zum Tor der verlassenen Grube kamen, nahm er die Mütze mit den Ohrenklappen ab und wischte sich damit das gerötete, schweißnasse Gesicht ab. »Puh ... machen wir eine Verschnaufpause.« Ringsum ragte rostiges Metall aus dem Schnee - Ausrüstungsteile, Eisenbahnschienen, zerborstene Loren. Die Brüder ließen sich nieder, jeder, wo er gerade stand; sie saßen ruhig da und besannen sich. Ihre Gesichter wurden ernst, sie schauten einander nicht mehr an. Die niedrigstehende Sonne warf ein kaltes Licht auf ihre groben Gesichter. Sie saßen lange da. Endlich seufzte Ivan und sagte leise: »Also, gehen wir hinein, Brüder.« Alle erhoben sich und gingen durch das halbverfaulte, weitgeöffnete Tor der Grube. Hier war es dämmrig; rostige, kaum erkennbare Geleise führten in die Dunkelheit. Die Brüder folgten ihnen und kamen nach ungefähr zweihundert Schritten zu den Aufzügen. Ivan tastete in der Dunkelheit umher, zog einen Stab hervor, der mit einem in Dieselöl getränkten Lappen umwickelt war, und klackerte mit einem Feuerstein. Der Lappen fing widerstrebend Feuer. Ivan zog die Schiebetür des Lifts zur Seite. »Bruder Fjodor, du gehst als erster.« Fjodor stellte sich auf die Schwelle der Kabine und blickte in die Tiefe. Der Lift hatte keinen Boden. Statt dessen gab es ei-
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nige an den U-Trägern befestigte Seile. Fjodor warf den Sack mit dem Speck hinunter. Der Sack sauste in die Tiefe. Von oben konnte man sehen, wie er da lag und den breiten Stollen mit seinem bläulichen Schimmer spärlich beleuchtete. Fjodor packte ein Seil und rutschte in die Tiefe. Nach ihm machten sich auch die übrigen ans Abseilen. Ivan versperrte die Lifttür mit einem Bolzen und fuhr als letzter. Alle sieben blieben eine Sekunde starr neben dem Seil stehen, nahmen dann ihre Mützen ab, ließen sich auf die Knie nieder und küßten den harten Boden des Stollens sechsmal. Ivan nahm den Sack, packte ihn sich auf den Rücken und ging voran - auf die Lämpchen zu, die in der Dunkelheit schwach leuchteten. Der Stollen war breit, an den Wänden sah man noch Spuren von Stahlzinken, überall lagen Kabelreste und rostiger Schrott herum. Die Lämpchen kamen bald näher und beleuchteten das Ende des Stollens. Hier waren Stimmen zu hören, und Menschen liefen hin und her. »Der Erde sei Dank!« wurden die Brüder begrüßt. »Dank sei der Erde!« antwortete Ivan für alle. Bärtige, zerlumpte Leute umringten die Ankömmlinge schweigend und küßten jeden dreimal. »Ist alles gutgegangen, Bruder Ivan?« fragte ein breitschultriger Mann mit rotem Bart. »Der Erde sei Dank, Bruder Marko, es ist alles gutgegangen«, antwortete Ivan und stellte den Sack auf dem gestampften Boden ab. »Hier ist das, wofür wir uns so abgemüht haben.« Alle betrachteten den Sack, der ein schwaches Licht ausstrahlte.
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»Ich verstehe nicht ganz - was ist denn das?« fragte Marko. »Himmelblauer Speck.« »Dürfen wir ihn mal anschauen?« bat Marko. »Das geht nicht, Bruder Marko.« »Verstehe ich, Bruder Ivan.« Marko strich sich über den Bart. »Wo ist Bruder Vanjuta?« fragte Ivan. »In der Kleinen Höhle.« »Habt ihr schon getafelt?« »Gerade eben, Bruder Ivan. Wir haben euch etwas übriggelassen.« »Nun, der Erde sei Dank.« »Dank sei der Erde.« Marko ging zur Seite und ließ Ivan den Vortritt. Ivan betrat einen schmalen Gang. Die anderen Brüder, die mit ihm gekommen waren, wollten ihm folgen. »Ich bringe ihn selbst weg.« Er hielt sie auf. »Geht ihr zur Tafel.« Die Brüder blieben widerstrebend zurück. Ivan war kaum ein kurzes Stück den finsteren Gang entlanggegangen, als rechter Hand ein gelber Lichtstreifen auftauchte. Ivan tastete nach der angelehnten Tür und klopfte. »Tritt ein, Bruder!« ertönte es hinter der Tür. Ivan betrat die enge Höhle. In den Ecken standen Büchsen mit Dieselöl, in denen ein paar Dochte brannten. Vanjuta lag mit geschlossenen Augen auf einem Bündel Lumpen in der Mitte des Raums; neben ihm stand ein großes Kohlenbecken. Etwas abseits saßen Mitka und Nikola und nähten Rentierfelle zusammen. »Sei gegrüßt, Bruder Vanjuta«, sagte Ivan. »Sei gegrüßt, Bruder Mitko, sei gegrüßt, Bruder Nikola.«
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Mitko und Nikola erhoben sich und küßten Ivan zur Begrüßung. Vanjuta blieb mit geschlossenen Augen liegen. Mitko und Nikola betrachteten unverwandt den Sack, der ein schwaches Licht ausstrahlte. Ivan hockte sich neben Vanjuta nieder und küßte ihn dreimal auf die schmutzigen Wangen. Vanjuta öffnete die Augen. »Du lebst, Bruder«, sagte er. »Der Erde sei Dank, es sind alle am Leben«, sagte Ivan ruhig. Vanjuta betrachtete den Sack und lächelte: »Hat der verderbte Gott ihnen also nicht geholfen!« »Nein.« »Aber die Feuchte Mutter Erde hat uns geholfen?« »Ja, das hat sie, Bruder Vanjuta. Sie hat uns geholfen, die Verderbten zu vernichten. Sie hat uns geholfen, das zu holen, was wir brauchen.« »Hast du mit den Verderbten geredet?« »Ja, Bruder Vanjuta.« Ivan nahm das Diktaphon von seinem Hals und lege es Vanjuta auf die Brust. »Was hast du bei dem Gespräch verstanden?« »Ich habe überhaupt nichts verstanden, Bruder Vanjuta.« »Sehr gut, Bruder Ivan. Du kannst jetzt gehen.« Ivan schwieg und sprach dann: »Bruder Vanjuta, sag, wozu brauchen wir diesen himmelblauen Speck?« »Das zu wissen, Bruder Ivan, ist vorläufig weder dir noch mir beschieden. Hab Geduld. Große Geheimnisse werden sich auftun. Ich danke dir im Namen der gesamten Bruderschaft für alles. Geh jetzt.« Ivan ging hinaus. Vanjuta warf einen Blick in den Sack, holte ein Stück Speck
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heraus, hielt es sich dicht vor die Augen und betrachtete es aufmerksam. Mitko und Nikola hatte es die Sprache verschlagen; sie standen da und betrachteten den Speck. »Dank sei Dir, Warme Erde.« Vanjuta legte den Speck in den Sack zurück, stand auf und befahl: »Aufmachen.« Mitko und Nikola schoben das Lumpenbündel beiseite. Darunter kam eine stählerne Falltür zutage. Sie klappten den Dekkel der Luke auf. Aus der Öffnung strömte ihnen elektrisches Licht entgegen. Eine geschweißte Metalltreppe führte in die Tiefe. Vanjuta nahm den Sack in die linke Hand, klammerte sich mit der rechten an dem metallenen Geländer fest und kletterte hinunter. Über ihm wurde die Luke sogleich wieder geschlossen. Hier unten war es heller und wärmer als oben. Dutzende elektrischer Beleuchtungskörper erhellten den Stollen, der Steinboden war sauber gefegt, nirgends waren Abfälle oder Überreste von Grubengerät zu sehen. Zwei schwach summende elektrische Heizungssysteme leiteten warme Luft in den Stollen. Von diesem Stollen weg führten vier Gänge in die Tiefe des Berges. Sie waren ebenfalls gut beleuchtet. In den Gängen waren weitere Abzweigungen zu erkennen. Hier und da sah man Menschen in braunen, sackartigen Kitteln, die ohne Hast ihrer Arbeit nachgingen. Kaum hatte Vanjuta seine Füße auf den sauberen Boden gesetzt, als auch schon zwei Leute mit Kitteln und einem Beil am Gürtel auf ihn zukamen. »Der Erde sei Dank«, sagte Vanjuta. »Dank sei der Erde«, antworteten die Wächter. »Ich will zu Vater Zigon.« Vanjuta umfaßte den Sack so, daß er ihn besser tragen konnte.
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Einer der Wächter stieß einen schwachen, kurzen Pfiff aus. Im mittleren Gang erschien ein Mann im Kittel und kam heran. »Führ ihn zu Vater Zigon«, befahl der Wächter. Der Mann drehte sich um und ging voraus, Vanjuta setzte sich in Bewegung und folgte ihm. Sein Führer geleitete ihn durch den sich schnell verengenden Gang. Bald mußten sie seitwärts gehen und sich durch eine steinige Felsspalte zwängen. Schließlich weitete sich die Spalte zu einer großen Höhle. Von der Felswand hob sich eine weiße Tür mit einem Messinggriff ab, in die eine zweite, winzig kleine Tür eingelassen war. Der Führer öffnete diese, hielt seine schmalen Lippen in die Öffnung und sagte leise: »Bruder Vanjuta.« »Sehr gut«, ließ sich eine Stimme von drinnen schwach vernehmen. »Laß ihn herein.« Die Tür wurde von innen aufgeschlossen, und Vanjuta betrat eine mit einfachen Holzmöbeln eingerichtete Dreizimmerwohnung. Sein Führer blieb draußen, und in der Diele wurde Vanjuta von Vater Zigons Diener, Ašot, empfangen. »Komm, komm her«, erklang es aus dem Wohnzimmer. Vanjuta ging mit dem Sack in der Hand ins Wohnzimmer ein großer, weißer Raum mit Bücherregalen an den Wänden, mit einem kristallenen Jugendstillüster und mit Sitzkissen aus Rentierleder anstelle von Stühlen. Mitten im Zimmer war auf dem gelben Kiefernholzboden fein gesiebte Erde zu einem gleichmäßigen Konus aufgeschüttet. Vater Zigon kniete flüsternd und mit halb geschlossenen Augen davor. Auch Vanjuta ließ sich sogleich auf die Knie sinken und neigte den Kopf.
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»Steh auf«, befahl Vater Zigon und erhob sich mühelos. Er war hager, nicht besonders groß, mit einem klugen, lebhaften Gesicht, das von einem sorgfältig geschnittenen Bart umrahmt wurde. Sein brauner Dreiteiler saß wie angegossen, der hohe Kragen des weißen Hemdes wurde von einem schwarzen Seidentuch mit einem Bergkristall zusammengehalten. Kaum hatte Vanjuta sich erhoben, als Vater Zigons flinke Hände ihm auch schon den Sack mit dem himmelblauen Speck abnahmen. Einen Augenblick später holte Vater Zigon die leuchtenden Stücke aus dem Sack, betrachtete sie von allen Seiten und legte sie auf den Boden. »Lösch das Licht«, befahl er dem Diener. Das Wohnzimmer versank im Halbdunkel. Die Speckstücke auf dem Boden tauchten allmählich alles in ein bläuliches Licht. Vater Zigon legte alle Stücke auf dem Boden aus, warf den Sack zur Seite und ließ sich daneben auf einem Sitzkissen nieder. Es waren insgesamt zwölf Stücke. Vanjuta hatte die Hände über dem Bauch verschränkt und stand daneben. Vater Zigon schaute lange auf den Speck und senkte dann mit einem schweren Seufzer das Gesicht in die Hände. »Wann hast du zum letzten Mal geweint?« Vanjuta überlegte. »Ich ... Im Dezember, Vater Zigon.« »Und warum hast du da geweint?« »Ich habe vom Wald geträumt, Vater Zigon.« »Vom Wald? Und wieso hast du da geweint?« »Der Wald war so schön.« »Und wann hast du zum letzten Mal gelacht? So richtig herzhaft gelacht?« »Als Vater Maron begraben wurde.«
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»Nun ja, damals haben wir alle gelacht. Ein Begräbnis ist eine fröhliche Angelegenheit. Aber einfach so?« »Einfach so ... habe ich lange nicht gelacht, Vater Zigon.« Vater Zigon nickte verständnisvoll und versank in Schweigen, das Gesicht in den Händen verborgen. So verging mehr als eine Stunde. Vanjutas Beine wurden gefühllos und schliefen ein, die Knie wurden ihm weich. Plötzlich hob Vater Zigon den Kopf: »Komm her.« Vanjuta setzte mit Mühe ein Bein vor das andere und ging zu Vater Zigon. Der packte ihn an den Beinen und riß ihn zu sich. Vanjuta fiel rücklings nieder und schlug dumpf mit dem Kopf auf das Parkett. Vater Zigon stand auf, schöpfte eine Handvoll Erde und schleuderte sie Vanjuta mit aller Kraft in die Augen. Stöhnend preßte Vanjuta die Hände vor das Gesicht. »Es waren einmal zwei Menschen«, begann Vater Zigon leise, aber vernehmlich; er steckte die Hände in die Taschen und ging langsam im Zimmer auf und ab. »Nur zwei. Der eine war überdurchschnittlich groß. Der andere war auch nicht klein, er mußte sich jedes Mal bücken, wenn er unter dem oberen Querbalken des Türrahmens hindurchging. Der erste hieß Zemel, der zweite Sol. Zemel hatte ein schweres, ja ein furchtbares Schicksal. Er stammte aus einer wohlhabenden, intelligenten Familie, besuchte die Mittelschule, danach das Forsttechnische Institut, und im vierten Semester hat er geheiratet. Im fünften Semester hat er Sol gelehrt, fremde Bücher zu berühren. Nicht zu lesen, nein - zu berühren. Er brachte ihm bei, um jeden Preis in eine fremde Wohnung einzudringen und Bücher zu berühren, zu berühren, zu berühren. Er sagte, das hilft bei Lungentuberkulose. Sol, ein vertrauensseliger und leicht zu
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beeindruckender Mensch, hat ihm das geglaubt. Und so hat er sein ganzes, langes Leben lang fremde Bücher berührt, bis er achtundsiebzig Jahre alt war. Er hat sie immer mit der rechten Hand berührt. Deshalb konnte man ihm vor der Hinrichtung keine Fingerabdrücke von seiner rechten Hand abnehmen die ganze Haut war abgerieben. Mit der linken Hand hingegen war alles in Ordnung. Deshalb wurde sie zunächst in heißem Sand getrocknet und dann mit gekochtem Zucker übergossen. Hier ist sie. Im Bücherschrank. Zwischen Babel und Borges. Ich hab sie dir doch zum Ablecken gegeben, du Schuft. Hast du das vergessen? Nein, du Schwein. So etwas vergißt man doch nicht...« Er verstummte, als ob er auf Vanjutas schwaches Stöhnen lauschte, dann nickte er dem an der Tür stehenden Ašot zu: »Bring diesen Schlappschwanz weg.« Ašot packte Vanjuta beim Kragen und schleifte ihn zur Tür. »Vater Zigon, ... hier ist noch das Diktaphon ...« stöhnte Vanjuta und tastete an seiner Brust danach. Das Diktaphon fiel auf den Boden. Ašot schleppte Vanjuta zur Wohnungstür und schlug sie hinter ihm zu. Dann konnte man hören, wie Vanjuta über den Steinboden des Gangs geschleift wurde. Zigon hob das Diktaphon auf und steckte es in die Tasche seines Jacketts. »Vater Zigon, soll ich die Vesper reichen?« fragte Ašot, als er zurückkam. »Was gibt es denn heute?« fragte Zigon zerstreut. »Haferschleim mit Pflanzenöl und Moosbeerensaft.« »Nein ... Später ...« Zigon schaute sich suchend um. »Wo ist denn der Koffer?«
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»Welcher?« fragte Ašot vorsichtig. »Eben der.« Zigon blickte Ašot finster an. Ašot ging hinaus und kam mit einem kleinen alten Koffer aus Schweinsleder zurück. Zigon öffnete den Koffer und legte den himmelblauen Speck hinein. Im Wohnzimmer wurde es schlagartig dunkel. Zigon verließ den Raum mit dem Koffer in der Hand, ging in sein Arbeitszimmer und schloß die Tür hinter sich ab. Das Arbeitszimmer war nicht groß, aber gemütlich: mit grünem Tuch bespannte Wände, Polstermöbel, ein Tisch aus Mahagoni. Zigon ging zum Tisch, steckte den Schlüssel in eine bronzene Uhr ohne Zeiger und drehte ihn um. Eine Feder knackte, ein Summen ertönte, der Tisch fuhr zur Seite und gab eine Öffnung im Boden frei. Zigon trat darauf zu und stieg eine Wendeltreppe hinunter. Es war nur ein kurzer Abstieg, die hölzerne Treppe führte in einen großen, halbdunklen Saal mit Marmorboden und Marmorwänden. Darin standen zehn Marmortische, an denen kahlköpfige Männer in schwarzen Anzügen saßen. Auf den Tischen brannten grüne Lampen. An der Wand hing ein von grünem Licht bestrahltes Wappen aus Bergkristall, Jaspis und Granit: ein Mensch, der mit der Erde kopuliert. »Ah! Herr Zigon!« rief einer der Männer aus. »Endlich! Wir warten schon seit heute morgen auf Sie! Meine Herren!« Die Männer erhoben sich und neigten zurückhaltend ihre kahlen Köpfe. »Wie gut, daß Sie gekommen sind! Sie können sich nicht vorstellen, wie gut das ist!« Der Mann lief auf Zigon zu und schüttelte ihm kräftig die Hand. »Zigon! Sagen Sie schon, ist alles in Ordnung oder nicht? Sagen Sie nur ja oder nein! Zwei Wörter!«
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»Ja«, sprach Zigon. Andreev schloß entzückt die Augen und schüttelte seinen kleinen Kopf. »Großartig ... Meine Herren! Meine Herren! Es hat alles geklappt! Gratulieren wir dem furchtlosen, resoluten Herrn Zigon!« Die Kahlköpfe applaudierten. Andreev trat auf ein marmornes Pedal, und an der Stirnseite des Saales, direkt unter dem Wappen, wuchs eine Marmortribüne aus dem Boden empor. »Bitte sehr, Herr Zigon!« Mit dem Koffer in der Hand trat Zigon auf die Tribüne, stellte sich dort auf und preßte den Koffer an die Brust. Im Saal kehrte absolute Stille ein. »Es fällt mir schwer zu reden, meine Herren«, begann Zigon. »Es fällt mir schwer als Mensch, als Mitglied unseres Ordens. In diesem Koffer befindet sich das, weswegen wir ... wir ... nein...« Er verstummte und wurde ganz blaß. Sein Kopf begann leicht zu zittern, ein krampfartiges Zucken lief über sein Gesicht, die weißen Hände krallten sich in den Koffer. Zigon atmete geräuschvoll aus, holte tief Luft und begann plötzlich mit seinem tiefen, bemerkenswert klangvollen Baß zu singen: »Neeein! Nein! Neeeein! Neein! Neeeeeeeeeein! Nein! Nein! Neein! Neeeeein! Nein! Neeeeeeeeeeeeeeeeeein! Nein! Nein! Nein! Nein! Neeein! Nein! Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeein! Nein! Nein! Neeein! Neeein! Neeeeein! Neeeeeeeeeeeeeeeein!Nein! Nein! Nein! Neeeein! Nein! Neeein! Nein! Nein! Neeeeein! Neeeeeeeeeeeeeeeeeeein! Neeeeeeeeeein! Nein! Nein! Nein! Neeeeeeein! Neeeeeeeeeeeein! Nein! Nein! Neeeeeeein! Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Nein!
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Neeeeeeeeeeein! Nein! Nein! Neeeeeeeeeein! Neeeein! Nein! Nein!« Man hörte ihm mit angehaltenem Atem zu. Zigons Gesicht war vor Anstrengung gerötet, der Schweiß trat ihm auf die Stirn und fiel in großen Tropfen auf das abgeschabte Leder des Koffers. Er sang mit unwahrscheinlicher Begeisterung, sein klangvoller Baß erfüllte den hallenden Saal. Eine Stunde verging. Dann eine zweite. Zigons Gesicht wurde immer blasser, der Schweiß, der ihm in Strömen über das Gesicht gelaufen war, trocknete, seine Stimme wurde schwächer und zeigte erste Anzeichen von Heiserkeit. Eine weitere Stunde verging. Zigons Gesicht verfärbte sich grau, unter den Augen zeichneten sich dunkelblaue Ränder ab, seine farblosen Lippen öffneten sich, und aus seinem Mund drang nun nicht mehr sein voller Baß, sondern ein heiseres Geschrei. Es verging noch eine Stunde, dann noch eine und noch eine. Zigon stand mit versteinertem Gesicht auf der Tribüne, er rollte die Augen, der weiße Augapfel leuchtete im Halbdunkel. Sein Mund öffnete sich wie von selbst, losgelöst vom Körper, und stieß seltsame, nicht mehr menschliche Laute aus. Sie hallten lange, sehr lange nach, der marmorne Minutenzeiger beschrieb noch dreimal einen Kreis. Zu guter Letzt drang kein Laut mehr aus Zigons Mund. Andreev ging schwankend zu seinem Tisch, zog eine Schublade heraus, entnahm ihr eine goldene Pistole mit Marmorgriff, zielte sorgfältig und drückte ab. Die Marmorkugel flog Zigon genau in den Mund. Er zuckte und brach mit offenem Mund zusammen. »Setzen Sie sich, meine Herren.« Andreev ließ die Pistole sinken, und alle setzten sich erleichtert auf die mit grünen Samtkissen belegten Marmorstühle.
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Andreev räumte die Pistole wieder in die Schublade, ging zu der Leiche, die immer noch den Koffer an sich drückte, klaubte dem Toten das Diktaphon aus der Tasche, nahm den Koffer und eilte leichten Schrittes in Richtung Ausgang. »Arsenij, und was ist mit der Deklaration?« fragte einer der Männer am Tisch. »Zwei Minuten, meine Herren. Dann fahren wir fort«, sagte Andreev im Gehen, drückte auf die Klinke der massiven Marmortür und ging aus dem Saal in den Korridor. Hier war es hell, an der Decke brannten Lampen aus Mattglas, auf dem lackglänzenden Boden lag ein grüner Teppichläufer. Andreev ging den Läufer entlang, bog um die Ecke, blieb vor einer geschnitzten Eichentür stehen und klopfte. Ein kahlköpfiger Mann im schwarzen Anzug öffnete die Tür. »Bitte kommen Sie herein, Arsenij. Der Meister erwartet Sie.« Andreev betrat den Vorraum des Arbeitszimmers. Der Sekretär öffnete eine Tür und geleitete Andreev ins Arbeitszimmer. An einem riesigen, leeren Tisch saß der Meister, ein dicklicher, breitschultriger Mann im weißen Anzug, mit kahlrasiertem Kopf und glattrasiertem Gesicht. »Euer Angemessenheit.« Andreev neigte den Kopf. »Wieviel?« fragte der Meister. »Wir haben ihn noch nicht abgewogen, Herr Meister«, beeilte Andreev sich zu antworten. »Grund genug, sich mit den exakten Wissenschaften zu beschäftigen.« Der Meister erhob sich schwerfällig und berührte die Intarsien an der holzgetäfelten Wand. Ein Paneel glitt zur Seite und gab einen Durchgang frei. »Folgen Sie mir.« Der Meister trat in den Gang. Andreev folgte ihm.
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Der Gang führte in ein Laboratorium. Siebzehn Leute in roten Kitteln arbeiteten an einer Maschine und schenkten den Ankömmlingen keinerlei Aufmerksamkeit. Der Meister ging zu den Eichgewichten, streifte Gummihandschuhe über, entfernte die gläserne Abdeckung und öffnete die Schachtel mit dem Satz Platingewichte. »Öffnen Sie ihn«, befahl er Andreev. Andreev öffnete den Koffer. Der Meister nahm die Speckstücke heraus und legte sie ordentlich auf die eine Platinschale der Waage. Als alle zwölf Stücke zu einem himmelblauen Brikett geschichtet in der Schale lagen, nahm der Meister ein Platingewicht von zehn Kilogramm und stellte es auf die andere Schale. Die Waagschalen rührten sich nicht. Er fügte ein Kilogewicht hinzu. Die Schalen gerieten in Bewegung und schwankten auf und ab. Der Meister nahm eine Handvoll kleinerer Gewichte und stellte solange einzelne Stücke hinzu, bis die Waagschalen das Gleichgewicht hielten. »Elftausendzweihundertachtundfünfzig Platin-Gramm«, berechnete der Meister und rief laut: »Boruch!« Einer der Arbeiter legte sein Werkzeug beiseite und kam herbei. »Bereite die Form vor«, befahl der Meister. Der Arbeiter ging weg. »Euer Angemessenheit, es gibt da noch ein Diktaphon mit einer Aufnahme.« Andreev übergab dem Meister das Diktaphon. »Sprechen sie russisch?« fragte der Meister. »Der Verderbte spricht neurussisch. Aber man versteht alles.« »Und ist es wichtig?« »Sehr wichtig, Euer Angemessenheit.« 181
Der Meister nahm das Diktaphon, betrachtete es, ging zu einer Presse, legte es in den Rahmen und drückte auf einen roten Knopf. Die Presse senkte sich herunter, das Diktaphon fing an zu knacken. Als die Presse sich wieder hob, löste der Meister das zu einer flachen Platte gepreßte Diktaphon aus dem Rahmen, ging zur Zerkleinerungsmaschine, warf die Platte in den Trichter, schaltete den Motor ein und stellte den Regulator auf die kleinste Größeneinheit. Die Zerkleinerungsmaschine begann ohrenbetäubend zu rattern, und in der Wanne unter ihrer Trommel sammelte sich ein Haufen silbriggrauer Feilspäne. »Das ist natürlich noch kein Staub, aber doch beinahe«, sagte der Meister zerstreut und blickte sich suchend um. »Warte, ... wo ist denn jetzt der Zuckerbehälter?« »Neben der Stanzmaschine, Herr Meister«, gab einer der Arbeiter zur Antwort. Der Meister ging zum Zuckersilo, nahm eine Handvoll Zucker aus dem Trichter, streute ihn in die Wanne unter der Zerkleinerungsmaschine und mischte ihn mit der Hand unter die Feilspäne. »Gibt es in unserem ruhmreichen Laboratorium auch einen ganz gewöhnlichen Löffel?« Der Arbeiter gab ihm einen gläsernen Löffel. Der Meister rieb ihn an der Knopfleiste seines weißen Jacketts ab und gab ihn Andreev. »Iß.« Andreev schöpfte sich einen Löffel voll aus der Wanne und begann zu kauen. Ein Arbeiter brachte die Form herbei, einen flachen, kastenförmigen Behälter aus Gold. Der Meister legte die Speckstücke hinein, stellte den Kasten auf die Ablagefläche des Zuk-
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kerbehälters und betätigte die Hebel. Der Heizapparat fing an zu summen, es roch nach Fruchtbonbons, und ein klebriger, zähflüssiger Strahl gebrannten Zuckers floß in den goldenen Kasten. »Alle sind überzeugt, der Mensch sei das Alpha und das Omega alles Lebenden!« lächelte der Meister und warf Andreev von der Seite einen schrägen Blick zu. Andreev schöpfte sich mit dem Löffel aus der Wanne, kaute die Masse und schluckte sie hinunter. Der flüssige Zucker füllte den Behälter. Die himmelblauen Speckstücke leuchteten durch die gelbliche, zähflüssige Substanz. Der Meister wartete, bis der Zucker erkaltete, stellte den Behälter in eine schwarze Aktentasche und verließ das Laboratorium durch den Haupteingang. Ein breiter Korridor führte zum Lift. Der Meister ging zum Lift, öffnete ihn mit einem Schlüssel, trat ein und drückte auf den einzigen Knopf. Der Lift fuhr nach unten und kam bald zum Stehen. Die Türen glitten auseinander. Der Meister trat aus dem Lift in einen engen, ungleichmäßigen Raum mit schmutzigem Kachelboden, der ganz mit Regalen vollgestellt war, auf denen eine Vielzahl kleiner Gläser stand. In diesen Gläsern wurde russische Erde aufbewahrt. Sie waren mit detaillierten Etiketten versehen und alphabetisch sortiert. Auf den Regalen lag eine Staubschicht. Der Meister folgte einem gewundenen, von wenigen Glühbirnen spärlich beleuchteten Gang zwischen den Regalen und befand sich nach längerem Umherirren in einem kleinen, versteckt gelegenen Abstellraum. Hier standen eine Klappliege mit löchrigen Decken und einem schmuddligen Kissen, ein
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graues Nachttischchen, eine elektrische Kochplatte mit einem dunkelgrünen Teekessel und ein Tisch, der mit einem bunten, abgeschabten Wachstuch bedeckt war. Am Tisch, auf einem Metallstuhl, saß ein kleiner Mann mit einem langen weißen Bart und einer Brille mit gebrochenem Bügel. Er trank starken Tee aus einem Aluminiumbecher. Auf dem Tisch lagen auf braunem Papier ein Stück Kochwurst, ein angebissener Laib Weißbrot und vier Stück Raffinadezucker. »Ich grüße Dich, Savelij«, sagte der Meister. »Sei gegrüßt«, nickte Savelij und nahm geräuschvoll schlürfend einen Schluck aus seinem Becher. Der Meister stand mit seiner Aktentasche in der Hand und betrachtete Savelij schweigend. »Was ist, hast du ihn mitgebracht?« fragte Savelij. »Ja.« »Wieviel?« »Elftausendzweihundertachtundfünfzig Platin-Gramm.« Savelij grinste spöttisch. »Du würdest auch noch die Milligramm ausrechnen! Wie viele Stücke sind es denn?« »Zwölf.« »In Ordnung ...« Savelij trank seinen Tee aus und wickelte das Brot, die Wurst und den Zucker in das Papier ein. »Dabei haben deine Spürhunde gesagt sieben. Sieben! Da lachen ja die Hühner...« Er räumte das Paket in den Nachttisch, rieb seine verschwitzte Brille ab und schaute den Meister an. »Setz dich doch, Väterchen. Im Stehen redet es sich schlecht.« Der Meister blickte sich um und suchte einen Platz. Savelij deutete auf seine Klappliege. Der Meister setzte sich hin, die
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Liege quietschte. Er legte die Aktentasche auf die Knie und atmete schwer. »Was ist denn los, Väterchen, was schnaufst du denn wie eine trächtige Kuh? Ist etwas passiert?« »Aber nein, es ist alles in Ordnung.« »So, so? Bei euch ist alles in Ordnung? Das ist doch wohl nicht möglich.« »Savelij, ich möchte deinen Rat einholen.« »Stets zu Diensten.« »Verstehst du ...« Der Meister holte tief Luft. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es ist alles so ein Durcheinander ...« »Fang mit dem Anfang an.« »Hast du die kandierte Hand von Sol gesehen? Auf der achten Ebene?« »Väterchen, ich habe sie nicht nur gesehen. Ich habe sie ungefähr zweihundertfünfzigmal abgeleckt, als ich Abnahmebeamter war. Jeden Morgen, nach dem allgemeinen Gebet. Zuerst haben wir zur Warmen Erde gebetet, dann ehrerbietig die Hand geküßt, und dann ging es zum Dienst. Das war eine gute Zeit.« »Weißt du, in den letzten acht Tagen geschieht etwas Seltsames mit mir. Meine Hände, schau mal«, der Meister drehte seine breiten weißen Handflächen mit den geschwollenen Fingern zu sich, »jedes Mal, wenn ich sie anschaue, sehe ich hier, am Handgelenk, Kinderhände. Aber goldene. Das heißt, an jedem Handgelenk sehe ich eine kleine goldene Kinderhand.« »Eine goldene Kinderhand?« fragte Savelij. »Es sieht aus wie lebendiges Gold. Nicht wie Metall. Sie sind beweglich, wie normale Kinderhände, aber golden, mit einem rötlichen Schimmer. Und diese Hände haben ihre eigene Spra-
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ehe. Das ist nicht wie bei der Taubstummensprache, es gibt keine Fingerzeichen, sondern es ist eine Sprache, die mit den Drehungen der Hände arbeitet. Sie drehen sich um ihre eigenen Handgelenke, rechts-links und links-rechts. Es gibt vollständige und nicht vollständige Drehungen, halbe und Vierteldrehungen. Das ist ihre Sprache. Sie ist nicht kompliziert, ich habe sie sofort verstanden.« »Tatsächlich?« »Ja, ja. Zwei Drehungen im Uhrzeigersinn bedeuten ein A, zwei Drehungen entgegen dem Uhrzeigersinn ein E, eine halbe Drehung im Uhrzeigersinn bedeutet O, eine halbe Drehung entgegen dem Uhrzeigersinn M und so weiter. Eine ganz einfache Sprache.« »Und was sagen dir diese goldenen Hände?« »Ganz verschiedene Dinge. Manchmal sind es kurze Mitteilungen, manchmal lange, sehr lange Texte.« »Was sind denn das für Mitteilungen?« »Na, zum Beispiel: ›Wisse von Marks zweitem Durchbruch.‹ Oder: ›Die Hälfte der Kugeln wird gezwungen, eine Fleischkartätsche zu probieren‹.« »Und die langen Texte?« »Die sind wirklich sehr ... ungewöhnlich. Ich weiß eben nicht, was das soll.« »Ja, aber was sind denn das für Texte?« Der Meister holte einige Blätter Papier aus der Innentasche seines Jacketts und faltete es auseinander. »Gestern habe ich angefangen, sie aufzuschreiben. Dieser hier ist der kürzeste Text. Hör zu ...« »Laß mich selbst lesen.« Savelij nahm dem Meister die Blätter weg, strich sie auf dem Tisch glatt und begann zu lesen.
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DAS AGITATIONS-SCHWIMMEN »Zitat Nummer sechsundzwanzig, alles hört auf mein Kommando!« Der kleingewachsene Marschall der Fluß-AgitationsTruppen zog keuchend die Nachtluft ein und schrie: »Die Fakkeln anzünden!« Die lange Kolonne muskulöser nackter Männer, die an der Uferbefestigung der STADT in Reih und Glied stand, schwankte leicht und erwachte mit einer kaum merklichen Bewegung zum Leben. Tausend Hände fuhren hastig an tausend rasierte Schläfen, holten tausend Streichhölzer hinter dem Ohr hervor und strichen damit über tausend nackte Hüften. Winzig kleine Flämmchen sprangen gleichzeitig in die Höhe, und einen Augenblick später kniff der Marschall seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen zusammen: Die Fackeln loderten auf, Flammenzungen schossen in den dunkelvioletten Himmel empor. Der Marschall musterte kritisch und mit zusammengekniffenen Augen die Reihen der nackten Körper und schrie: »Aufstellung beibehalten, Abstand beachten, und i-i-ins Wasser!« Die in einer besonderen Reihenfolge aufgestellte Kolonne setzte sich in Bewegung und stieg geräuschlos die granitenen Stufen der Uferbefestigung hinunter zum schwarzen, reglosen Wasser des FLUSSES. Das Wasser trat auseinander und nahm das ganze Regiment in sich auf. Die Soldaten tauchten vorsichtig in das eiskalte Septemberwasser ein, stießen sich vom steinigen Grund ab und schwammen unter Beibehaltung der Kolonnenformation los; über ihren kahlrasierten Köpfen hielten sie die hell brennenden Fackeln. Nach einer Minute erreichte
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die Kolonne die Mitte des FLUSSES, wo sie von der schnellen Strömung ergriffen und getragen wurde. Die schwierigste Bedingung beim Agitations-Schwimmen war für Ivan das Verbot, die Hand zu wechseln. Das lange Schwimmen im eisigen Wasser machte ihm nichts aus, doch es fiel ihm ausgesprochen schwer, die sechs Kilogramm schwere Fackel fünf endlose Stunden mit dem bis zum äußersten gestrecken Arm zu halten. Soviel er sich auch auf das Schwimmen vorbereitete, egal, an welchen Geräten er seinen rechten Arm bis zur Erschöpfung trainierte - immer gegen Morgen wurde der Arm von einem krampfartigen Zittern erfaßt, und er hatte keine Kraft mehr, dieses verfluchte Zittern unter Kontrolle zu bringen. Injektionen, Einreibungen, Elektromagnet-Therapie - nichts half. Dennoch galt Ivan als bester Schwimmer seines Regiments, und bereits seit sechs Jahren wurden ihm immer die verantwortungsvollsten Positionen in den Zitaten anvertraut. Heute mußte Ivan ein Komma schwimmen, das einzige Komma in einem langen Zitat aus dem »Buch der Gleichheit« mit Schwierigkeitsgrad eins: EINE DER WICHTIGSTEN FRAGEN DES ZWECKBESTIMMTEN BAUENS DER BORO WAR, IST UND WIRD SEIN DIE FRAGE DER RECHTZEITIGEN STÄRKUNG DES KONTRASTES
Am Ende des Zitates kam kein Punkt, deshalb war das mit der Flamme von Ivans konusförmiger Sechskilofackel erzeugte Komma das einzige Interpunktionszeichen. Das Synchronschwimmen fiel Ivan leicht; am Meer aufgewachsen, war er im Wasser ganz in seinem Element, und nach vier Jahren MWAA (Militärische Wasser-Agitations-Ausbil-
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düng) konnte er sich sein Leben ohne diese langen, vom Geruch des Flusses durchdrungenen Nächte gar nicht mehr vorstellen, ohne das schwarze Wasser, auf das die unruhig flakkernde Flamme zuckende Schatten warf, ohne diesen bleiernen Schmerz, der allmählich die Hand mit der Fackel ergriff, ohne das Frühstück vor dem Morgengrauen in der sauberen Regimentskantine. Der Dienst trug Ivan, wie der FLUSS, schnell und gleichmäßig dahin: Als Neuling wurde er anfangs in der Mitte von großen, mächtigen Buchstaben wie M, N oder W eingesetzt, später dann, als man sich von der Exaktheit seines Schwimmens überzeugt hatte, setzte man ihn allmählich auch am Rande ein. So durfte er schon nach zwei Jahren im oberen Strich vom E schwimmen, und zusammen mit dem pockennarbigen Tataren Eldar stellte er das Schwänzchen am Q dar. Ein Jahr später beauftragte man Ivan dann mit dem Schwimmen von Bindestrichen und Ausrufezeichen, und nachdem er die Ehrentätowierung »Agitations-Schwimmer höchster Kategorie« erhalten hatte, vertraute man ihm das Komma an. Nach sieben Dienstjahren stand Ivan im Rang eines Unteroffiziers, er besaß die »Staatsschwimmer«-Medaille, hatte eine Menge mündlicher Belobigungen vor der Truppe bekommen und eine Ehrenurkunde »Für vorbildliche Dienstausübung beim Wassertransport des sechsten Kapitels aus dem Buch ›Die Neuen Menschen‹ von Adelaida Svet« erhalten (das Kapitel wurde im Laufe von vier Monaten transportiert, und Ivan schwamm Nacht für Nacht ein Komma). Er holte tief Luft und stieß den Atem langsam in das schlammig riechende Wasser aus. Die Fackel neigte sich zur Seite,
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doch seine Finger umklammerten den metallenen Halter stärker und richteten sie so gewohnheitsmäßig wieder gerade auf. Sein Körper hatte sich schon erwärmt, sein Kinn zitterte nicht mehr, mit gehorsamen Stößen durchschnitten seine Beine das Wasser. Die zehn kahlrasierten Köpfe des rechten Schrägstrichs vom R schimmerten weißlich vor ihm, und dahinter zitterte und schwankte die feurige Fackelmasse der Kolonne. Ivan kannte seinen Platz ganz genau - sechs Meter entfernt vom linken äußersten Kopf- und schwamm ruhig und gleichmäßig, mit flachem Atem. Er durfte weder nach links noch nach rechts abweichen, er durfte nicht schneller werden, aber auch nicht zurückbleiben, weil sonst das Komma zu dicht an das folgende I geraten würde. Die Fackel brannte leuchtendhell. Die Flamme wurde häufig zur Seite gerissen, tanzte ein wenig über dem träge dahinfließenden Wasser und richtete sich dann wieder auf. Während des Schwimmens schaute Ivan gerne zu den Sternen hoch. Heute hingen sie besonders niedrig, sie funkelten kalt und spitzzackig. Er drehte sich auf den Rücken. Das Wasser brannte an seinem ausrasierten Nacken, und er lächelte. Die Sterne hingen regungslos an ihrem Platz. Er wußte, daß es gefährlich war, zu lange hinzusehen - er würde nicht merken, daß das I heranschwimmt, und dann würden dessen rasierte Köpfe entsetzt mit dem zurückgebliebenen Komma zusammenstoßen. Ivan blickte sich um. Hinter ihm, im Buchstaben I, schwammen seine Genossen: Murtazov, Cholmogorov, Petrov, Doronin, Šejnblat, Popovič, Kim, Borisov und Gerasimenko. Ihre Mienen waren ruhig und konzentriert. Ivan war sich bewußt, daß er mit seinem Komma
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diesen langen, für die Menschen aber sehr wichtigen Satz in zwei Hälften teilte und daß dieser Satz ohne seine Fackel seinen großen Sinn verlieren würde. Stolz und Verantwortungsbewußtsein halfen ihm immer beim Kampf gegen die Kälte. Auch jetzt konnte er sie leicht besiegen, und das herbstliche Wasser schien ihm warm. Er schaute erneut zu den Sternen hoch. Am liebsten hatte er das Sternbild, das ihn an die Schöpfkelle erinnerte, mit der der Regimentskoch den Soldaten leckere Runkelrübensuppe und kräftige Perlgraupen-Grütze mit Margarine in ihre Schüssel füllte. Obwohl er seit seiner Kindheit wußte, daß dieses Sternbild den Namen des »Siebten Weges« trug und der spitzzackige Stern am Ende nach dem Großen Umgestalter der Menschlichen Natur, Andreas Kapidič, benannt war, dachte Ivan dabei nicht an die goldenen Obelisken der Kathedrale der Überwindung, nicht an das verzweigte Geweih von Kapidič, sondern an die große, glänzende Schöpfkelle. Er drehte sich und schwamm auf der rechten Seite weiter. Bereits jetzt machte sich in der rechten Hand eine leichte Ermüdung bemerkbar. Das war nicht weiter verwunderlich - im Blechkorpus der Fackel befanden sich sechs Liter Kraftstoffgemisch. Längst nicht jeder Mensch ist imstande, fünf Stunden im kalten Wasser zu schwimmen und dabei eine Fackel über dem Kopf zu halten. Ivan hatte das sofort begriffen, als er seinen Dienst bei der MWAA aufnahm. In den sieben Dienstjahren hatte sein rechter Arm beinahe den doppelten Umfang des linken erreicht, wie bei allen Soldaten des Regiments. In dem Maße, wie Muskeln und Sehnen anschwollen und die Haut sich violett färbte, wuchsen Ivans Stolz, sein Selbstbewußtsein und das Überlegenheitsgefühl gegenüber den Zivilisten, die
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nicht so einen kräftigen rechten Arm hatten wie er. Vom Frühling bis zum Spätherbst trug er Hemden mit kurzen Ärmeln, in denen er seinen mächtigen Arm zur Schau stellte. Das war ein sehr angenehmes Gefühl. Bald verengten sich die Monolithen der granitenen Uferbefestigung, die Erste Brücke zog über das Zitat hinweg, und von den unsichtbaren Zuschauern drang schwaches Gemurmel herunter. Nach der Brücke stieg die Uferbefestigung steil in die Höhe und kroch allmählich bis an den Uferstreifen. Ivan packte seine Fackel fester und hielt sie höher. Er war schon eintausendachtzehnmal an dieser Stelle vorbeigeschwommen, an diesem schrecklichen, feierlichen Trichter, aber jedes Mal erschauderte er aufs neue vor Begeisterung: hinter der Brücke begann die STADT, und der FLUSS wurde zum Kanal des Erneuerten Leibes, der die STADT durchschnitt und an dessen Ufermauern sich heute, wie schon Tausende von Malen zuvor, die würdigsten Vertreter der STADT versammelt hatten. Nach einer Stunde schwoll das Gemurmel stärker an und hing als ununterbrochenes Bienengesumm über dem Kanal. Die granitenen Uferbefestigungen zwängten den FLUSS so ein, daß Ivan auf dem Rücken liegend die Köpfe der hinunterschauenden Einwohner der STADT sehen konnte. Hier unten ging kein Lüftchen, das Wasser lag da wie ein schwarzer Spiegel, und die Flamme der Fackel durchschnitt ruhig die feuchte Luft. Die rechte Hand machte sich bemerkbar: In der Schulter regte sich vorsichtig der Schmerz und zog sich in einer zähen Spirale bis zu den vor Anspannung weiß gewordenen Fingern. All-
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mählich wird er sie erreichen, und der Blechkorpus wird ihnen pappig, eisig, fettig, glühend, knautschig, gummiartig erscheinen, dann werden die Finger heftig die Leere zusammenpressen, und Ivan wird das Gefühl für seinen rechten Arm bis zum Ende des Schwimmens verlieren. Dieses Ende wird ein ganz gewöhnliches, bis in alle Einzelheiten bekanntes Ende sein: In der trüben Luft vor Morgengrauen werden sich zwei verschlafene Trainer über Ivan beugen und seine weißen, verkrampften Finger, die sich nicht von der erloschenen Fackel trennen wollen, auseinanderbiegen. Und Ivan wird ihnen mit der linken Hand dabei helfen ... Er drehte sich herum und atmete mehrmals ins Wasser aus. Der Lärm dort oben nahm zu, Ovationen brausten auf, und das zwanzig Meter hohe Granitufer warf deren Echo vielfach gebrochen zurück. »Wie wird es erst sein, wenn die Haupt-Bezirke kommen!« überlegte Ivan begeistert und erinnerte sich an die nicht enden wollenden, donnernden Ovationen, die das Herz stillstehen ließen. Ja, Arbeiter können nicht so klatschen ... Er schielte auf seinen Arm. Der Schmerz hatte sich bereits des Unterarms bemächtigt und war nicht mehr aufzuhalten. Zwar blieb noch das letzte Mittel, die Illusion eines Kampfes, ein naives Palliativ, das für den Augenblick half: Wenn man die Finger heftig zusammendrückte und die Armmuskeln anspannte, verschwand der Schmerz. Für eine Sekunde. Ivan knirschte mit den Zähnen und drückte mit aller Kraft den Konus der Fackel zusammen. Ein Knacksen erklang, wie wenn man ein Ei zerdrückt, und etwas Öliges floß ihm über den Arm. Ivan warf einen Blick auf die Fackel und erstarrte vor Schreck.
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Der kaum sichtbare Streifen der Seitennaht war aufgebrochen, und das Kraftstoffgemisch rann aus dem Fackelkorpus. Er streckte die linke Hand aus dem Wasser, preßte die Handfläche an den Spalt, die Fackel neigte sich zur Seite, und eine orange Stichflamme fuhr Ivan samtigweich ins Gesicht. Er fuhr zurück, ging unter Wasser, tauchte wieder auf und kam in einem Feuerball an die Oberfläche. Gierige gelbe Flammen züngelten von seinem Körper hoch, und um ihn herum breitete sich ein Flammenteppich aus. Die heftige Hitze preßte Ivan einen langgezogenen Schrei ab. Er tauchte unter, kam in der Mitte des R wieder an die Oberfläche, geriet erneut in Brand, schrie auf und schlug wild mit den Händen auf seinen Genossen und dem Wasser herum, bis sein lichterloh brennender Schädel an dem mit Schimmel überzogenen Granit zerbrach. Als das Komma, eingeklemmt zwischen dem R und dem I, lichterloh in Flammen aufging, begriffen die Zuschauer am Ufer, daß dieses das Dritte Zeichen war, von dem der geflügelte Gorgez auf der letzten Sitzung der Erneuerten gesprochen hatte. Die tosenden Ovationen über dem Kanal wollten kein Ende nehmen. Das Komma, das unterdessen verschwunden war, tauchte wieder auf und ließ das I in lauter gelbe Punkte auseinanderstieben. Nachdem es das I zerstört hatte, befand sich das Komma im oberen Halbrund des S, und der Buchstabe kroch gefügig auseinander. Von hinten kam das T herangeschwommen, blieb am Komma hängen, krümmte sich und fiel auseinander, das folgende U schwamm wie durch ein Wunder durch den Feuerschwarm hindurch und erreichte wohlbehalten EINE DER WICHTIGSTEN FRAGEN DES ZWECKBESTIMMTEN BAUENS DER BORO WAR.
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Die Ovationen hielten an, und auf dem schwarzen Spiegel des Flusses entfalteten sich die weiteren Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht. ND WIRD wurde im Gewühl der Feuerpunkte eingezwängt, legte sich ziehharmonikaförmig zusammen und verwandelte sich in eine abstruse Figur, die an ein ungewöhnliches Fensterkreuz erinnerte; selbstzerstörerisch schwamm SEIN DIE heran und füllte den Fackelschwarm auf, das vorsichtigere FRAGE DER versuchte, die Gefahrenzone zu vermeiden, wurde jedoch an der Granitwand flachgedrückt, das lange RECHTZEITIGEN war widerstandsfähiger als die vorangehenden Wörter und kämpfte, sich windend wie eine Raupe im Ameisenhaufen, bis zum Schluß ums Überleben; die restlichen Wörter des Zitats gingen eins nach dem anderen unter. Während der Katastrophe hielten die stürmischen Ovationen an. Erst als das letzte Wort zerfiel, verstummten die Ufer allmählich. Die Masse der nächtlichen Zuschauer stand reglos da und schaute mit angehaltenem Atem in die Tiefe. Dort herrschte fieberhaftes Treiben. Flammen loderten auf, huschten umher und versuchten, den zweiten Teil des Zitats wiederherzustellen, doch die skelettartigen Wortstreifen zerfielen sogleich in gelbe Glasperlen. Nachdem EINE DER WICHTIGSTEN FRAGEN DES ZWECKBESTIMMTEN BAUENS DER BORO WAR U wohlbehalten unter der Zweiten Brücke, deren gußeiserner Korpus die zwei Stände voneinander trennte, hindurchgeschwommen war, wurden die Feuerworte auf der anderen Seite von den einfachen Massen mit solch donnerndem Applaus begrüßt, daß die Flammen der Fackeln erzitterten und zu erlöschen drohten.
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Als sich am Himmel im Osten ein rosa Schimmer zeigte und die Tore der Schleuse sich vor dem Rest des Zitats weit auftaten, ebbten die Ovationen ab. Die Menschen am Ufer sanken auf die Knie. Hinter der Schleuse begann der Besondere Raum mit bronzenen Uferbefestigungen, goldenen Palästen und heiligen Kathedralen. Dort gab es nur wenig Zuschauer. Insgesamt fünfhundertdreizehn. Doch jeder von ihnen war Milliarden gewöhnlicher Sterblicher wert, und jeder wußte, wieso in dieser Nacht die Naht an der Fackel des Unteroffiziers Ivan Monachov aufgesprungen war. Savelij legte die Blätter zusammen und reichte sie dem Meister. Der Meister schaute sie an und steckte sie wieder in die Tasche. »Weißt du«, Savelij nahm seine Brille ab, hauchte auf die Gläser und rieb sie mit dem Saum seiner schmutzigen, gegürteten Hemdbluse ab, »ich habe hier im Depot 12.690.505 Proben russischer Erde. Plus-minus zwei.« »Was haben denn jetzt diese Proben damit zu tun?« fragte der Meister. »Folgendes, Väterchen.« Savelij warf ihm einen strengen Blick zu. »Weißt du, was das bedeutet - plus-minus zwei?« »Nein.« »Es handelt sich um zwei Gläser mit Erde, die aus dem Nichts auftauchen. Und die danach wieder verschwinden. Zwei Ephemeriden, die von der gesamten Masse der hier aufbewahrten Erde erzeugt werden. Den Umfang unseres Depots kennst du ja. Wir haben hier sogar Erdproben, die dem Boden unter den Pflastersteinen des Roten Platzes entnommen wurdeji, wir haben Erde vom Grund des Bajkal-Sees und von dem Ort, an dem das Blut des ermordeten Zarewitsch Dmitrij vergossen wurde.«
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»Ich weiß das alles, wozu machst du denn solchen Wind?!« rief der Meister nervös aus. »Ich mache deshalb so viel Wind, Väterchen, damit du die Metaphysik dieser beiden Gläser begreifst. Ich muß sie registrieren. Obgleich ich sie noch nie in den Händen hatte. Niemand hat sie je in der Hand gehabt, niemand weiß, was für eine Erde in diesen Gläsern ist. Und weißt du, weswegen ich, ein Erdesser-Meister mit zwanzigjähriger Erfahrung, mich von der sechsten Etage in dieses Depot habe versetzen lassen? Um mir irgendwann einmal die Erde aus diesen plus-minus zwei Gläsern in die Hand schütten zu können. In die Hand schütten, essen und sterben.« »Ich verstehe«, seufzte der Meister ungeduldig. »Aber was hat das mit meinem Problem zu tun?« »Was ist denn dein Problem?« fragte Savelij. »Ich will in meinen Händen keine fremden Hände mehr sehen, ich wünsche das nicht!« schrie der Meister. »Dann leg deinen Kopf auf den Tisch!« schnauzte Savelij ihn an. Der Meister sank auf die Knie und legte seinen mächtigen Kopf auf die Tischkante. Savelij ging an den Regalen entlang, las die Etiketten und verschwand hinter einer Ecke. Er war lange weg. Die ganze Zeit kniete der Meister vor dem Tisch, die Wange auf das abgeschabte Wachstuch gepreßt. Ihm standen die Tränen in den Augen. »Na also«, Savelij tauchte mit einem Glas in der Hand wieder auf. »Das ist genau das Richtige.« »Woher ist die?« fragte der Meister. »Aus dem Dorf Poluškino im Gebiet Kostroma.« »Und was war da?«
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»In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts lebte dort eine Frau. Sie hieß Nadelina mit Nachnamen. Unter ihrer Hütte war ein Keller ausgehoben. Ein sauberer, ordentlicher Keller, der immer leer war. Diese Nadelina bekam jedes Jahr ein Kind, immer von einem anderen Mann, das sie aber unmittelbar nach der Geburt tötete. Insgesamt gebar die Nadelina sechsundzwanzig Kinder. Keines davon hat überlebt. Dafür stieg sie jeden Morgen in ihren Keller und begoß den Boden mit ihrer Milch.« »Glaubst du an diese Erde?« fragte der Meister. »Natürlich.« Savelij öffnete das Glas, schöpfte mit einem goldenen Löffel von der Erde, spuckte auf den Löffel und stopfte dem Meister die breiige Masse in das Ohr. Der Meister drehte den Kopf auf die andere Seite. Savelij stopfte ihm auch das zweite Ohr zu und ging weg, um das Glas wieder an seinen Platz zu stellen. Der Meister erhob sich, schüttelte ein paar Erdkrumen vom Jackett und legte die Aktentasche auf den Tisch. Savelij kehrte zurück. »Wie lange muß das drinbleiben?« fragte der Meister viel zu laut. »Drei Tage«, sagte ihm Savelij. »Du darfst die Erde nur nicht mit Wasser auswaschen.« »Was?« »Ich sagte, du darfst sie nicht mit Wasser aus waschen! Kratz sie mit den Fingern heraus! Oder bitte deine Lakaien um Hilfe!« schrie Savelij ihm ins Gesicht. Der Meister nickte und ging zum Lift. Savelij nahm die Aktentasche, holte ein Schlüsselbund aus der Tasche, öffnete eine schmale Tür in der Wand neben dem
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Kühlschrank und zündete das Licht an. Er stand in einem kubischen Raum voller Kisten mit leeren Gläsern. Aus der Wand ragte eine runde Luke mit Schraubverschluß hervor. Savelij drehte an einem Rad, öffnete den Verschluß der Luke und zog an einem Eisenbügel. Der dicke Stahldeckel der Luke glitt geräuschlos zur Seite. Savelij steckte seine Brille in die Tasche, preßte die Aktentasche an die Brust und sprang in das runde Loch. Eine geschmeidige Plastikrinne trug ihn in die Tiefe, sie begann sich spiralförmig zu drehen und fiel plötzlich steil ab. Kreischend platschte Savelij in warmes transparentes Wasser und tauchte erst nach einiger Zeit, mit seinen schweren Stiefeln strampelnd und Luftblasen ausstoßend, wieder auf. »Na, du komischer Vogel«, erklang es neben ihm, »beehrst du uns doch noch!« Savelij öffnete die Augen und sog gierig die warme, mit delikaten Aromen getränkte Luft des Schwimmbades ein. Über ihm erstreckte sich die rosa Halbkugel der Kuppel, aus deren Mitte er herausgefallen war. Ringsum plätscherten künstliche Wellen. Drei Babys kamen auf Savelij zugeschwommen - der goldbärtige Tit, der kahlköpfige Vil mit seinen Hängeohren und der breitgesichtige, behaarte Kir. Savelij hielt die Aktentasche an die Brust gepreßt, strampelte mit den Beinen und konnte sich kaum über Wasser halten. »Was ist, hast du das Schwimmen verlernt, du Tölpel?« prustete Vil und enthüllte dabei seine mit Brillanten und Saphiren verzierten Goldzähne. »Hast du deinen Arsch mitgebracht?« Neckte Savelij Tit. »Oder hast du den auch in einem Glas konserviert?« »Und der Bart, der Bart!« Kir packte Savelijs Bart mit seiner be-
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haarten Pranke. »Wann hast du denn die Läuse ausgekämmt? Wohl nach dem Herbstrammeln? Na los, schluck ein bißchen Wasser, keine Angst!« Kir zog ihn am Bart, und Savelij verschwand unter Wasser. »Mach keinen Unfug, Baby!« Vil gab ihm einen Klaps auf die Stirn. »Wer wird denn dann die Erde bewahren?« Kir zog Savelij mit einem Ruck aus dem Wasser und hielt ihn über seinem Kopf hoch. Savelij schrie auf wie ein verletzter Hase, dünn und durchdringend. »Was erschrickst du denn, mein Lieber?« Kir hielt ihn vor sein Gesicht und gab ihm einen schmatzenden Kuß auf die Stirn. »Das reicht, Baby.« Tit schlug mit den Händen auf das Wasser. »Gehen wir doch mal nachsehen, was du da hast.« Er tauchte unter, wirbelte eine zwei Meter hohe Welle auf und verließ das Schwimmbecken über die vergoldeten Stufen. Kir und Vil folgten ihm, und einen Augenblick später stand auch Savelij auf den Stufen, triefend naß und die Aktentasche immer noch fest an seine Brust gepreßt. Vil klatschte in seine rundlichen Hände, woraufhin sechs nackte Knaben mit lockigen, gepuderten Haaren und seidenen Chitons erschienen. Blitzschnell bedeckten sie die drei Babys und zogen ihnen raffiniert gebaute Sessel aus vergoldetem Holz herbei. Die Babys nahmen darin Platz. Savelij holte seine Brille aus der Tasche, wischte sie ab und setzte sie auf. »Ja wirklich, wieso ist dein Bart so lang geworden?« fragte Kir und grapschte mit seiner Pranke Weintrauben aus einer Silberschüssel. »Willst du ihn denn gar nicht mehr abschneiden?« »Prid, pred, predo«, antwortete Savelij aufgeregt. »Er hat seine Muttersprache vergessen.« Tit biß die Hälfte von einem Apfel ab.
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»Wahrscheinlich hat er sich an den eigenen Fürzen verschluckt!« grinste Vil, und die Babys fingen lauthals an zu lachen. Die Knaben brachten ihnen goldene Pokale mit Nektar. Die Babys leerten sie in einem Zug aus und schleuderten sie dann ins Schwimmbecken. Drei Knaben stürzten ihnen hinterher und tauchten mit den schweren Pokalen wieder auf. »Diese Schicht ist geschickter als die Morgenschicht.« Tit steckte eine Handvoll chinesischer Früchte in den Mund, kaute und spuckte die Kerne geräuschvoll aus. »Na, was hast du uns denn mitgebracht, du Lagerarbeiter?« Savelij öffnete die Aktentasche, nahm den goldenen Behälter mit dem kandierten himmelblauen Speck heraus und hielt ihn den Babys hin. Kir nahm den Behälter, schaute hinein und betastete den Speck. »Sind das Bonbons?« »Prid, pred, predo«, nickte Savelij. Kir wechselte einen Blick mit Vil. »Meinst du, sie lutschen ihn als Bonbons?« Vil nickte und kratzte sich an der Brust. Kir leckte an dem Behälter und gab ihn an Tit weiter. Der leckte daran und hielt ihn dann Vil hin. Vil fuhr mit seiner großen, langen Zunge über den erstarrten Zucker. »Vollkommen.« »Du kannst ihn wieder einpacken.« Tit warf Savelij den Behälter zu, der ihn gerade noch auffangen konnte und wieder in der Aktentasche verstaute. »Was ist, Babys, schaffen wir es noch bis zum Examen?« »Wir haben noch dreizehn Minuten.« Vil schaute auf seine rubinbesetzte Uhr.
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»Reibt ihn trocken«, befahl Kir den Knaben. Die Knaben entkleideten Savelij. Unter der nassen, gegürteten Hemdbluse und den Leinenhosen trug er lange blaue Unterhosen und ein hellblaues Hemd. Die Knaben zogen ihm beides aus und warfen ihm einen Chiton über. »Zeig uns deine Eier!« rülpste Vil. Savelij hob den Chiton leicht an. Mißbilligend musterten die Babys seine kleinen Genitalien. Vil berührte mit seinen riesigen Fingern Savelijs Hodensack: »Der ist ja mickrig. Zeig uns deinen Arsch.« Savelij drehte ihm sein Hinterteil zu. »Der Arsch ist doch ganz anständig!« rief Tit aus. Schweigend berührten die Babys Savelijs Hinterbacken. »Komisch, was?« Kir drehte sich zu Vil um. »Der sitzt doch das ganze Leben auf einem Stuhl. Aber einen schönen Arsch hat er.« »Das kommt vor«, nickte Vil ernsthaft und schnipste den Knaben mit dem Finger zu. »Füttern und nach oben schicken.« »Und uns anziehen! Anziehen!« Tit klatschte in die Hände. Zwei Knaben führten Savelij zum Ausgang, vier Knaben liefen zur Kleiderkammer. »Das Köfferchen kannst du hierlassen, du Schwachkopf!« grinste Kir. Erschrocken stellte Savelij die Aktentasche auf den Boden und verschwand mit den Knaben durch die Bernsteintür. Aus der Kleiderkammer kamen sechs Bedienstete in enganliegenden, mit schillernden Pailletten besetzten Anzügen gelaufen. Sie hielten Zerstäuber in der Hand und zogen kleine, niedrige Karren aus reinem Gold hinter sich her. Den Bediensteten folgten drei Knaben, die den Babys die Chitons auszogen. Die
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Babys erhoben sich von ihren raffinierten Sesseln. Ihre riesigen Genitalien hingen bis auf den Boden. Mit Mühe und Not packte Vil die von Savelij zurückgelassene Aktentasche. Die Bediensteten schoben geschwind die Karren unter die Genitalien, und die Babys gingen zur Kleiderkammer, wobei sie die Karren mit den vom Baden geröteten und angeschwollenen Genitalien vor sich herschoben. Im Gehen besprühten die Bediensteten die Genitalien mit Parfüm aus dem Zerstäuber. »Schnell, schnell, schnell!« trieb Tit die Bediensteten an. In der Kleiderkammer rieben sie die Babys trocken, hüllten sie in dunkelblaue Fräcke mit langen Schößen und streiften ihnen riesige Schamkapseln, passend zu den Fräcken, über die Genitalien. Sie frisierten und pomadisierten die Babys und schminkten ihnen das Gesicht. Dann legten sie ihnen goldene Stäbe, deren Knauf die Form eines Mammutkopfes hatte, in die Hände. Der Zeremonienmeister öffnete die Tür, und die Babys gingen hinaus in den Gang. Die goldenen Räder der Wagen rollten über den glattpolierten Granit. Die Babys betraten den Internatsbereich und kamen zum Auditorium. Vor dessen Tür stand die Wache mit stählernen, dornenbeschlagenen Keulen. Die Tür öffnete sich, und die Babys betraten das Auditorium. Der riesige, wie ein antikes Theater konstruierte Saal war beinahe leer. Auf den Marmorstufen saßen achtundzwanzig junge Leute in braunen Chitons - die Zöglinge des Internats. Die Babys gingen nach vorn auf die Bühne, setzten sich auf drei massive Throne und stießen mit ihren Stäben dreimal auf den Marmorboden. Ein Zögling in der sechsten Reihe erhob sich, ging nach vorn auf die Bühne und stellte sich mit dem Gesicht zum Saal. Alle Zöglinge erhoben sich.
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»Gesegnet sei unsere Sibirische Erde heute und immerdar und in alle Ewigkeit!« sprach der Zögling laut. Die Zöglinge berührten mit der linken Hand die Stirn, die Brust, die Genitalien und den Boden. Die Babys legten den Knauf ihres Stabs an die riesigen Schamkapseln. »Setzt euch, Brüder!« befahl Vil. »Das Thema des heutigen Examens ist ›Die Große Konfrontation vom 7. September 2O26‹. Wer möchte beginnen?« Einige Hände fuhren in die Höhe. Vil zeigte mit seinem Stab auf einen der Zöglinge. Der erhob sich. »Bruder Sergej Panitkov. Um das Jahr 2026 zeichneten sich zwischen den obersten Hierarchen des Ordens der Russischen Erdrammler ernsthafte und prinzipielle Meinungsverschiedenheiten ab. Bekanntlich wurde der Orden nach der historischen Abgrenzung auf dem V. Konzil und der darauffolgenden Schmachvollen Teilung in die südlichen und die nördlichen Erdrammler geteilt. Die südlichen Erdrammler siedelten im Wolgagebiet in den warmen Schwarzerdesteppen bei Urjupinsk, die nördlichen ließen sich in Ostsibirien nieder, in der rauhen Taiga zwischen der Steinigen Tunguska und der Unteren Tunguska. Die südlichen Erdrammler wurden von dem Tröpfler Vasil Bitko angeführt, die nördlichen vom Erdesser Vater Andrej Utjosov. Im September 2026 gab es dreitausendeinhundertfünfzehn südliche und fünfhundertsechzig nördliche Erdrammler. Die auf dem V. Konzil vorgenommene Teilung des Ordensvermögens ging zugunsten der südlichen Erdrammler aus - sie erhielten beinahe siebzig Prozent des gesamten Besitzes. Außerdem waren drei der vier Wichtigsten Heiligtümer des Ordens in den Händen der südlichen Erdrammler. Die niederträchtige, doppelzüngige ...«
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»Welche Heiligtümer?« unterbrach Tit. »Das Erddepot, der Kleine Rammel-Stupa, und die Heiligen und Geheimen Reliquien des Ersten Rammlers der Russischen Erde, Pjotr Avdeev.« »Gut. Verkünde uns weiter«, nickte Tit. »Die niederträchtige, doppelzüngige Politik von Vasil Bitko zielte immer nur auf die Schmachvolle Spaltung und die Zerstörung der nördlichen Abteilung des Ordens. Geistig degradiert, von fleischlichen Ausschweifungen geschwächt, hatte Vasil Bitko nur einen Traum - die Diamantkappe und das Bärenfell des Großmeisters. Der letzte Großmeister vor der Schmachvollen Spaltung war Sein Allerhöchstes Gleichgewicht Mitrofan Bolotyj, dessen Ermordung am 20. November 2025 auch dazu führte ...« »Falsch!« unterbrach ihn Vil. Der Zögling stockte verwirrt und fuhr dann fort: »Am 20. November 2025 kam es zur Ermordung Seines Allerhöchsten Gleichgewichts, des Großmeisters vom Orden der Russischen Erdrammler, Mitrofan Bolotyj.« »Falsch. Denk nach, Bruder Sergej Panitkov.« Der Zögling überlegte und öffnete den Mund: »Am 20. November 2025 kam es in dem Weiler Bobrovo im Gebiet Voronež zur Zeit der herbstlichen Rammelei der Russischen Erde zur Ermordung Seines Allerhöchsten Gleichgewichts ...« »Falsch, falsch!« schnauzte Vil ihn an, und der Zögling verstummte. »Wer weiß die Antwort?« Vil wandte sich an das Auditorium. Einige Hände fuhren in die Höhe. Vil zeigte mit seinem Stab auf einen der freiwilligen Kandidaten.
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»Bruder Anatol Bolšakov.« Ein junger, aber bereits grauhaariger Zögling erhob sich. »Am 20. November 2025 kam es zur Niederträchtigen und Heimtückischen Ermordung Seines Allerhöchsten Gleichgewichts, des Großmeisters vom Orden der Russischen Erdrammler, Mitrofan Bolotyj.« »Richtig, Bruder Anatol Bolšakov. Setz dich. Fahr fort, Bruder Sergej Panitkov.« Der Prüfling fuhr fort: »Diese Niederträchtige und Heimtückische Ermordung hatte die Schmachvolle Spaltung der Großen Bruderschaft der Russischen Erdrammler zur Folge. Um mit einem Schlag die nördliche Abteilung des Ordens zu vernichten, schickte Vasil Bitko die sogenannte Verfaulte Dreieinigkeit in das ferne Sibirien drei seiner Teilungsideologen und Gefährten seiner schändlichen Untat: den Meister Zubr, Baby Kij und Bruder Afanasij Petrov. Unter dem Deckmantel friedliebender Gäste aus der südlichen Abteilung der Bruderschaft erreichten sie am 4. September 2026 die Höhle der nördlichen Abteilung und brachten ›als Geschenk‹ den Kleinen Rammel-Stupa sowie sechs Kubikmeter Schwarzerde von der Wolga und vier Tonnen getrocknetes Schweinefleisch. Vater Andrej Utjosov empfing sie nach außen hin gastfreundlich und entgegenkommend, doch mit seinem inneren Auge erkannte er sogleich die wahre Absicht der Verfaulten Dreieinigkeit. ›Das sind drei mit dem Eiter der Spaltung vergiftete Pfeile, geschickt von dem Doppelzüngigen Vasil, um uns wie ein leeres Gefäß zu zertreten‹, erläuterte Vater Andrej den obersten nördlichen Hierarchen in der Nacht vom 4. auf den 5. September bei einem geheimen nächtlichen Treffen. ›Doch laßt uns das Gefäß Unserer Bruderschaft mit dem Blei Unserer Einheit füllen, damit die feindlichen Pfeile
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daran zerbrechen.‹ Die Verfaulte Dreieinigkeit machte den Vorschlag, am 7. September eine Allgemeine Auslegung anzusetzen und dabei das Geheime und das Offensichtliche zu diskutieren. Vater Andrej gab sein Einverständnis. Und der Morgen der Großen Konfrontation brach an. Sobald die Sonne die Wipfel der jahrhundertealten Zedern vergoldete, verließen alle fünfhundertsechzig Brüder zusammen mit der Verfaulten Dreieinigkeit die Höhle und stiegen auf den Sich Darbietenden Hügel, dessen Wohltätige Erde die Bruderschaft mit ihrem Samen benetzte. Hier befahl die Verfaulte Dreieinigkeit, die von ihnen mitgebrachte Schwarzerde von der Wolga zu verstreuen. Vater Andrej erteilte den Gästen dem Ritual gemäß zuerst das Wort. Die Verfaulte Dreieinigkeit fiel auf die Knie und begann einstimmig zu sprechen ...« »Worüber?« fragte Kir unerwartet und wies mit seinem Stab auf einen hellblonden Zögling. Der Zögling erhob sich: »Bruder Matvej Soročan. Die Verfaulte Dreieinigkeit sprach zunächst über Tradition und Vermächtnis. Und natürlich über die Ursprünge des Russischen Erdrammlertums. Sie betonte nachdrücklich, daß der Erste Rammler der Russischen Erde, Pjotr Avdeev, die Russische Erde erstmals bei Černigov rammelte und sich danach in den Norden begab, in die Gegend von Pskov und Novgorod. Und die Schmachvolle Verderbte Verfaulte Dreieinigkeit sprach über Sein Tagebuch, diese Eintragung ... aus dem Jahre 2009 ... wie es scheint, vom Juli... ja ... vom Juli... und in dieser Eintragung schrieb der Erste Rammler der Russischen Erde ...« »Was hat er geschrieben?« Der Stab von Baby Tit richtete sich auf einen Zögling mit mongolischen Gesichtszügen.
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»Bruder Tolpan Marchid!« Der Zögling sprang auf. »Der Große Rammler der Russischen Erde schrieb in seinem Tagebuch: ›lch habe noch nichts mit größerer Wonne gerammelt als die Schwarzerde von Černigov und den Lehm von Polessje. Sechsmal habe ich unter wohligen Tränen und untröstlichem Stöhnen mein Sperma in den Boden verströmt und danach die Orte der Kopulation unter innigem Weinen geküßt, denn diese Böden sind süß und über die Maßen zum Rammeln geeignete« »Was passierte weiter bei der Großen Konfrontation?« »Weiter hob die Schmachvolle Verfaulte Dreieinigkeit ihre drei Hände, zeigte mit den Fingern auf die Erde aus dem Wolgagebiet, die sie mitgebracht hatten, und sprach: ›Diese Erde, nördliche Brüder, ist des Großen Vermächtnisses wahrhaft würdig, dringt doch der Schwanz des Russischen Erdrammlers darin ein wie das Messer in die Butter. Warm, nachgiebig und wohltätig ist die Erde aus dem Wolgagebiet, sie gibt den Dürstenden, sie lindert die Nöte der Leidenden, sie tröstet die Schmerzerfüllten. Sie erwartet euch, die ihr euch verirrt habt und im kalten Norden haust, euch von Wurzelwerk und Beeren ernährt und eure Schwänze an Felskuppen aufreibt, und das alles nur wegen eurer Aufsässigkeit. Kommt in die warmen, geräumigen Höhlen zu uns nach Posev, in der Nähe von Urjupinsk, steckt eure schwieligen Schwänze in die Warme Erde Unserer Einheit, unterstellt euch den Grundsätzen des Tröpflers und Erdliebhabers Vasil Bitko, legt ihm die Diamantkappe auf den Schwanz, Rubinkugeln auf die Hoden und das Bärenfell über die Schultern, und dann laßt uns einander umarmen im Schatten seines Großmeister-Stabs.‹ Woraufhin Vater Andrej Utjosov antwortete...« »Was antwortete denn der Erdfresser Andrej Utjosov der Verfaulten Dreieinigkeit?« fragte Vil.
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Alle Zöglinge streckten die Hände in die Höhe. Die Babys lächelten. »Bruder Sergej Panitkov!« befahl Vil. »Worauf Vater Andrej Utjosov seinen zehn Veršok langen Schwanz enthüllte, ihn auf den Sich Darbietenden Hügel legte und die heimatliche sibirische Erde schreiend und stöhnend dreimal hintereinander rammelte. Danach erhob er sich und sprach: ›Brüder! Vor euren Augen habe ich soeben dreimal meinen Samen in die Erde Ostsibiriens verströmt, in die Erde, auf deren Oberfläche wir leben, schlafen, atmen, essen, scheißen und pissen. Nicht weich und mürbe ist unsere Erde, sie ist rauh, kalt und steinig, und sie läßt nicht jeden Schwanz hinein. Daher sind wir nur noch wenige, die Schlappschwänze sind fortgelaufen, dahin, wo die Erde wärmer ist und allen offen steht. Unsere Erde ist steinig, aber voller mächtiger Liebe: Wessen Schwanz sie eingelassen hat, der ist von ihrer Liebe auf ewig gesättigt, den wird sie niemals vergessen, ihn nie wieder loslassen. So sage ich euch: Wer will, soll zur warmen Erde gehen, ich halte hier niemanden, denn wir sind Brüder und keine Gefangenen. Ich aber brauche keine andere Erde - hier habe ich gerammelt, hier rammle ich und hier werde ich rammeln bis die Würmer mich fressen‹.« Vil war zufrieden und fragte: »Und was passierte daraufhin? Antwortet im Chor, Brüder.« Die Zöglinge erhoben sich und sprachen im Chor: »So wurde die Schmachvolle Verfaulte Dreieinigkeit bloßgestellt, und mit ihr der Doppelzüngige Verräter Vasil Bitko, den die Brüder Erdrammler am 12. Oktober 2026 in der Höhle Sereč erdrosselten.« »Alle hinsetzen!« befahl Vil.
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Die Zöglinge setzten sich. Die Babys beratschlagten sich halblaut, dann verkündete Tit: »Wir sind zufrieden. Bruder Sergej Panitkov wird wegen eines gravierenden Fehlers in der Auslegung der Heiligen Geschichte des Russischen Erdrammlertums für zwei Tage begraben.« Die Zöglinge standen auf und verbeugten sich. Drei Bedienstete in silberglänzenden Anzügen erschienen und knöpften mit einer Verbeugung die dunkelblauen Schamkapseln der Babys auf. Die Babys blieben auf dem Thron sitzen und stellten ihre Genitalien zur Schau. Die Zöglinge gingen zu ihnen, küßten ehrerbietig die Spitzen der Glieder und verließen mit einer Verbeugung den Saal. Als alles vorbei war und die Bediensteten die Schamkapseln wieder zugeknöpft hatten, erhoben sich die Babys und gingen ins Refektorium. Hier war der dreieckige Tisch bereits gedeckt, die Kellner nahmen die silbernen Hauben von den Schüsseln, russische Volksmusik erklang, und der Duft von Feldblumen strömte durch den Raum. Die Kellner stürzten herbei und banden den Babys gestärkte Servietten um. »Babys, ich schaffe es nicht.« Vil warf einen Blick auf seine rubinbesetzte Uhr. »Ihr müßt ohne mich tafeln.« »Baby Vil«, Tit setzte sich an seinen Platz, »wie lange müssen wir noch in Unkenntnis verharren?« »Baby Tit, ich weiß soviel, wie du auch.« »Soll ich vielleicht mit dir kommen, Baby Vil?« fragte Kir, der gerade einen gefüllten Auerhahn in der Mitte durchbrach und Tit die eine Hälfte reichte. »Baby Kir, es gibt ein geschriebenes und ungeschriebenes Ri-
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tual.« Die Aktentasche mit dem himmelblauen Speck in der einen Hand, nahm Vil mit der anderen einen silbernen Pokal mit dickflüssigem Preiselbeersaft, leerte ihn mit einem Zug aus und stellte ihn auf den Tisch. »Es gibt Kompromisse und Kompromisse.« »Es gibt aber auch die allgemeine Strategie des Ordens.« Kir kaute knackend auf den Auerhahnknochen. »Wir ziehen auch so in der letzten Zeit immer den kürzeren.« Tit riß einem kleinen gebratenen Wildschwein den Kopf ab und schlug diesen mit einer gekonnten Bewegung auf die Tischkante, so daß der Schädel zersprang. »Ich fürchte, wir müssen demnächst unsere Eier in hölzernen statt in goldenen Karren schieben.« »Sibirien ist nicht arm an Gold, Baby Tit. Vertraust du mir?« Vil blickte Tit in die gelben Augen. »Baby Vil, wem soll ich vertrauen, wenn nicht dir?« seufzte Tit und saugte geräuschvoll das Gehirn aus dem Kopf des Wildschweins. »Und du, Baby Kir?« Vil berührte mit den Fingerspitzen den Kopf des kauenden Kir. »Wie meinem eigenen Schwanz!« knurrte Kir. »Dann verlaßt euch auf mich.« Mit quietschenden Rädern drehte Vil sich langsam um und ging mit der Aktentasche in der Hand hinaus. Im Transportraum wurde Vil schon lange erwartet, acht Arbeiter standen neben dem Großen Korb, der zum Hinunterlassen bereit war. »Hinunterlassen!« befahl Vil noch im Gehen. Die Arbeiter packten ihn an den Armen, trugen ihn zum Korb, schoben den Boden auseinander, schnarrten mit den Trom-
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mein, und der an vier dicken Seilen schwankende Korb begann langsam nach unten zu sinken. Die Fahrt durch den dunklen, feuchten Schacht dauerte sehr lange; im Schaukeln betrachtete Vil die steinernen Wände, aus denen Wasser sickerte, und spuckte manchmal laut aus. Es wurde immer dunkler. Endlich stieß der Korb auf den Boden auf. Mit Mühe kletterte Vil hinaus und tastete sich in der Finsternis vorwärts, in die Richtung eines flackernden Lichts. Sein Karren holperte über den unebenen, felsigen Boden, seine Genitalien wurden kräftig durchgeschüttelt. Das Licht nahm zu, es schimmerte smaragdgrün. Vil erreichte einen steinernen Bogen und befand sich in einem Saal, dessen Wände das gleiche gedämpfte, grünliche Licht ausstrahlten. »Ich grüße dich, Baby«, erklang eine Stimme. »Zieh dich aus und komm zu mir.« Zwerge in grüner Kleidung erschienen. Sie entkleideten Vil, nahmen ihm die Uhr vom Arm, zogen den Karren unter seinen Genitalien hervor und luden ihn ein, auf dem Teppich Platz zu nehmen. Vil hielt die Aktentasche fest, schleppte seine Genitalien mühsam über den Boden zum Teppich und setzte sich. Die Zwerge schleiften den Teppich geschwind über den Boden. Vil saß auf dem Teppich und betrachtete schlaftrunken die Interieurs der an ihm vorbeihuschenden Räume, die alle in Grüntönen gehalten waren. Vor einer dunkelgrünen Tür machten die Zwerge halt. Zwei Türhüter mit Maschinenpistolen stießen die Türflügel auf, Vil erhob sich und setzte sich ächzend in Bewegung, wobei er mit den Knien an seine Genitalien stieß. Der Großmeister saß auf einer Filzunterlage auf dem Boden eines kleinen und vollkommen leeren Zimmers, dessen Wän-
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de, Boden und Decke aus Jaspis gearbeitet waren. Der Großmeister war nur wenig größer als die ihn bedienenden Zwerge, sein kleiner kahler Kopf versank in einer grünen, grobgewebten Robe mit Kapuze; sein gelbliches Gesicht mit den ausdruckslosen, feinen Zügen lächelte Vil einladend an. Vil sank schwerfällig auf die Knie, beugte sich über seinen faltigen Hodensack und berührte mit der Stirn siebenmal den kühlen Jaspisboden. »Setz dich, Baby«, sagte der Großmeister mit leiser Stimme. Vil setzte sich auf den Boden und legte die Aktentasche auf seine Genitalien. »Ist oben alles wohlbehalten?« fragte der Großmeister. »Der Erde sei Dank, es ist alles ruhig, großer Vater«, antwortete Vil schwer atmend. »Wegen deines Besuchs bei mir hast du auf die Mahlzeit verzichtet.« »Ein russischer Erdrammler lebt nicht von den Gaben der Erde allein, sondern von der Liebe zur Feuchten Mutter Erde.« »Das ist wahr, Baby. Aber um Mütterchen Warme Erde zu lieben und zu rammeln, braucht man Energie. Ich bitte dich mit dem Herzen des liebenden Vaters, teile mein bescheidenes Mahl mit mir.« »Mit irdischem Vergnügen, großer Vater.« Der Großmeister drückte mit der Ferse auf den Boden. Unter zartem Glockengeläut senkte sich ein Jaspispaneel hernieder, und in der Wand tat sich eine Öffnung auf. Zwerge kamen daraus hervor und stellten Achatschüsseln mit Speisen und Getränken auf den Boden. »Bist du gesund, Baby?« fragte der Großmeister. »Der Erde sei Dank, ja, großer Vater.«
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»Bist du bereit zum Frühjahrsrammeln?« »Ja, großer Vater.« »Steht dein Schwanz?« »Ja, großer Vater.« »Laß mal sehen, Baby.« Vil nahm die Aktentasche von den Genitalien und legte sie auf den Boden, dann erhob er sich, umfaßte mit beiden Händen sein Glied, hob es vom Boden auf, legte es sich über die Schulter und begann, kraftvoll zu masturbieren. Seine mächtigen, muskulösen Hände schoben die dicke weiße Haut des Glieds hin und her, mal kroch sie zur rosa Eichel des auf der Schulter liegenden Glieds, dann zog sie sich wieder zusammen. Unterdessen gingen die Zwerge hinaus, und die Öffnung in der Wand schloß sich hinter ihnen. Der Großmeister hatte seine kleinen Hände gefaltet und betrachtete den sich abmühenden Vil. Auf der faltigen Haut des Glieds traten die Venen hervor, füllten sich, die Eichel wurde rot, das Glied schwoll an, die Eichel trat aus der Haut und streckte sich zur Decke. Vil masturbierte unter Aufbietung aller Kräfte. Der Hodensack, der auf dem Boden lag, zog sich zusammen und kroch hoch zum Glied, die beiden riesigen Hoden färbten sich lila, die Haut zog sich zusammen und glänzte. Die flammendrote Eichel berührte die Decke. »Ich glaube dir«, sagte der große Meister. »Setz dich, Baby.« Vil setzte sich, woraufhin sein Glied zurückschnellte und mit einem dumpfen Laut gegen die Tür prallte. Sofort öffneten sich die Türflügel, und die Türhüter richteten ihre Maschinenpistolen auf Vil. »Obor«, befahl der Großmeister leise, und die Tür wurde wieder geschlossen.
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Er schöpfte aus einer Schüssel eine Handvoll weißer Ameiseneier, die aussahen wie Reis, und hielt sie Vil hin. Der lugte hinter seinem Glied hervor und streckte hastig die Hand aus. Der Großmeister schüttete die Eier hinein. »Erzähl mir, was du mitgebracht hast.« Vil hielt die Ameiseneier in der Hand, schaute hinter dem blaugeäderten Fleisch seines Glieds hervor und fing an: »Großer Vater, ich habe dir einen Stoff mitgebracht, den die Verderbten an einem geheimen Ort gezüchtet haben. Der verderbte Staat hat bereits zweimal versucht, diesen Stoff zu erzeugen, doch diese Versuche sind fehlgeschlagen. Der dritte Versuch ist geglückt. Dieser Stoff ist von anderer Beschaffenheit als alles andere, was auf der Erde existiert. Man kann ihn weder erhitzen noch abkühlen, er hat immer die gleiche Temperatur wie unser Blut. Man kann ihn zerschneiden, und man kann ihn zerreißen. Wenn man ihn aber in einen glühendheißen Ofen legt, wird er sich weder erhitzen noch verbrennen, und wenn man ihn in ein Eisloch hinunterläßt, wird er nicht kalt. Er ist dauerhaft. Und er wird immer die gleiche Temperatur haben wie das menschliche Blut. Man kann ihn zerkleinern und in alle Winde zerstreuen, aber seine Partikel werden dennoch immer in der Welt bleiben, und selbst wenn unsere Welt zu einem Eisblock gefriert oder sich in eine glühende Sonne verwandelt, so bleibt der himmelblaue Speck darin für immer erhalten.« Der Großmeister kaute gedankenverloren seine Ameiseneier. Vils Glied begann allmählich abzuschwellen. »Wie haben es die Verderbten geschafft, diesen Stoff zu erzeugen?« »Durch Zufall, großer Vater. Sie haben verderbte Experimente
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zur Züchtung von Menschen aus der in ihrem Knochenmaterial gespeicherten Information gemacht. Darunter waren Menschen mit ganz unterschiedlichen Berufen. Aber nur Menschen, die ihre Phantasien früher auf Papier aufgeschrieben haben, waren in der Lage, himmelblauen Speck zu produzieren.« Der Großmeister nahm ein Stückchen in Zedernöl gebratenen Torf aus einer Schüssel und steckte es in den Mund. Vil wollte die Pause nutzen und schnappte mit seinem Mund nach den Ameiseneiern, aber dabei rutschte ihm das abschwellende Glied von der Schulter, er griff mit beiden Händen danach, und die Ameiseneier rieselten auf den Boden. »Um der Mutter Erde willen, vergib mir, großer Vater«, murmelte Vil und ließ das Glied auf den kühlen Boden sinken. »Zeig mir den Speck«, sagte der Großmeister. Vil öffnete die Aktentasche. »Ja, ein solches Licht gibt es in der Natur nicht«, sagte der große Meister nach einer langen Pause. »Mach zu.« Vil schloß die Aktentasche. »Hast du schon mal etwas von dem Zeittrichter gehört?« fragte der große Meister. »So wie jeder Eingeweihte, großer Vater.« »Weißt du, wie oft wir ihn benutzt haben?« »Nein, großer Vater.« »Das mußt du auch nicht wissen. Bist du bereit, für die Höchsten Ziele durch die Zeit zu reisen?« »Ich bin bereit, großer Vater.« »Du wirst in die Mitte des letzten Jahrhunderts gehen und den himmelblauen Speck abgeben. Dann wirst du zurückkehren
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und unseren Brüdern das bringen, wonach sie schon zweiundvierzig Jahre verlangen.« Der Großmeister drückte mit der Ferse auf eines der kaum zu erkennenden Paneele im Boden. Das Paneel glitt zurück. Im Raum erklang eine unsichtbare Musikanlage. »Hör gut zu«, sagte der Großmeister. »Das wird dir helfen.« Das Pausenzeichen einer Rundfunkstation ertönte, dann folgte symphonische Musik, und eine einschmeichelnde Frauenstimme sagte: »Schriftsteller am Mikrofon.« Die Musik wurde lauter, brach dann ab, und eine Männerstimme erklang: »Guten Tag, liebe Genossen! Heute ist der Moskauer Schriftsteller und Stalinpreisträger Nikolaj Burjak bei uns zu Gast. Soeben ist im Staatlichen Literatur-Verlag sein neuer Erzählungsband ›Hochwasser‹ erschienen. Er umfaßt Erzählungen, die Nikolaj Bur jak im Verlauf der letzten Jahre während seiner zahlreichen Reisen durch das Land der Sowjets und durch fremde Länder und Kontinente verfaßt hat. Der weithin bekannte Autor, dessen gedrucktes Wort unser Volk so sehr schätzt, hat den Fernen Osten und das Baltikum, Zentralasien und Ceylon bereist, er war in New York und in Berlin, am Kap der Guten Hoffnung und auf der Insel Komodo, er ist den Fischern auf Kamčatka und den Polarforschern im hohen Norden begegnet, er hat südafrikanische Milliardäre und die furchtlosen Offiziere der Luftwaffe getroffen. Sie hören jetzt eine Erzählung aus ›Hochwasser‹, dem neuen Buch von Nikolaj Burjak. Es liest der Autor.« Eine ruhige, leicht heisere Männerstimme begann zu lesen:
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DIE BLAUE TABLETTE Wenn die Winterdämmerimg zunehmend dichter wird und ich grundlose Wut in mir aufsteigen spüre, wenn es in meinen Fingerspitzen hin und wieder sticht, wenn meine Frau mir mit heuchlerischer Stimme mitteilt, sie müsse wieder einmal nach Leningrad zur Sprechstunde von Professor Lebedev, »wegen einer Frauensache«, wenn der Sekretär des Schriftstellerverbands mich auf seine Datscha nach Peredelkino einlädt, zwischen trübselig dahinvegetierenden Kiefern auf- und abgeht und mir den Vorschlag macht, mich an ein bestimmtes, ausgesprochen wichtiges und notwendiges Thema zu machen, das »leider von unserer sowjetischen Prosa noch nicht tiefschürfend bearbeitet wurde«, wenn ich in der Schuluniform meines Sohnes ein aufgerissenes Präservativ finde, wenn es im Restaurant vom Zentralen Haus der Literaten keine Oliven und keine Hähnchenschnitzel gibt, wenn meine beiden Schreibmaschinen gleichzeitig ihren Geist aufgeben, wenn ich die Hausangestellte gegen die Wand drücke und sie murmelt, heute sei »ein ungünstiger Tag«, wenn nachts ein betrunkener, jammernder Schriftstellerkollege hereinplatzt, um mir zunächst von seinem »endgültigen Bruch mit Sonja« zu erzählen und gegen Morgen dann mitzuteilen, er habe »das Thema Dreiecksbeziehung jetzt endgültig abgeschlossen«, wenn ich zudem an einem fatalen Mangel an Vitamin BI2 leide - dann weiß ich, daß es wieder Zeit ist, meine eiserne Zahnpulver-Dose zu öffnen. Gewöhnlich mache ich das spätabends und schließe mich dazu in meinem Arbeitszimmer ein. In der Dose sind lauter bunte Tabletten: gelbe und rosafarbene, blaue und grüne, rote und orange. Ich muß mir bloß eine aussuchen.
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Ich schaue hoch, blicke auf das Porträt von Turgenev und nehme ohne hinzusehen eine Tablette heraus. Es ist eine blaue. So eine habe ich noch nie probiert. Ich lege mich auf das Ledersofa, decke mich mit einem Plaid zu und schiebe die Tablette unter die Zunge. Es zieht mir sofort den Unterkiefer zusammen, und im Mund breitet sich ein metallischer, pfefferminzartiger Geschmack aus. Ich atme tief ein, hinter den Ohren verspüre ich einen leichten Druck, meine Arme werden schwer, tief im Nacken ertönt ein angenehmes, sattes Knacken, und ich verliere meinen alten Körper. Winter. Abend. Moskau. Der Rücksitz eines Autos. Rauhreif auf dem dreieckigen, ausstellbaren Heckfenster. Es schneit in großen, dichten Flocken. Das schwarze Taxi mit dem Schachbrettmuster, in dem ich sitze, biegt zum BolšojTheater ein. Ich bezahle den unansehnlichen Taxifahrer, steige aus und schlage die Tür zu. Ich trage einen leichten, ultramarinfarbenen Taucheranzug. Die Tauchermaske ist über den Kopf zurückgeschoben. Unter meinen Bleisohlen knirscht der frisch gefallene Schnee. Das bedeutendste Theater des Landes ist hell erleuchtet. Ringsum sind Leute in Taucheranzügen in allen möglichen Formen und Farbzusammenstellungen. Ich steige die Stufen hinauf, stelle mich auf der linken Seite zwischen die zweite und die dritte Säule und schaue auf meine wasserdichte Uhr. 19.22 Uhr. Maša ist nicht da. Quietschende Leute laufen um mich herum, geriffelte Anzüge, enganliegende, solche mit Falten, auf Leder oder auf Fischschuppen »getrimmte«, Bleischuhe mit Pfennigabsätzen oder mit Plateausohle, wie ein U-Boot geformt oder wie ein Ziegenfuß, wie ein Entenbein, ein Schiffchen, eine Muschel oder ein Tanzschuh.
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»Sie haben nicht zufällig eine Karte übrig?« fragt ein mit Kristall behängter Dickwanst. Ich schüttle verneinend den Kopf. Weiße Gummihände legen sich auf meine Augen, ich bedecke sie mit meinen Händen: »Maša!« »Stillgestanden! Nicht bewegen!« lacht sie. Ich küsse sie auf ihre rosasilbernen Mundwinkel. »Wartest du schon lange?« »Sehr lange.« »Du Ärmster! Frierst du? Schade, daß du nicht erfroren bist!« Sie trägt einen wunderschönen, enganliegenden weißen Anzug, weiße Bleistiefelchen von »Kazačok«, die weiße Maske in Form sich beißender Piranhas hat sie über den Kopf geschoben. »Du siehst unheimlich schön aus«, bekenne ich. »Gefalle ich dir?« »Gefallen ist gar kein Ausdruck.« »Also dann gehen wir!« Sie strahlt mich mit ihren kohlrabenschwarzen Augen an und zieht mich an der Hand hinter sich her. Wir betreten das Vestibül, ich halte der Kontrolleurin die beiden Zinnstreifen hin, und sie knipst sie mit einer Zange. Wir gehen zur Garderobe, um die Flüssigluftapparate zu holen. Dort herrscht großer Andrang. »Hierher!« Maša zieht mich an der Hand hinter sich her, und wir werden ohne Anstehen bedient. Maša ist ein wunderbares Mädchen. Aber ich habe noch nicht mit ihr geschlafen. Wir erhalten zwei Apparate, schnallen sie uns auf den Rücken und gehen zur Schleuse.
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»Du hast nicht zufällig heute bei mir im Büro angerufen?« fragt Maša. »Nein, ich ruf dich doch nur zu Hause an, wie verabredet.« »Stell dir vor, jemand hat zweimal versucht, mich anzurufen. Eine sanfte Männerstimme, wurde mir gesagt. Und unsere Sekretärin, diese blöde Kuh, hat jedes Mal gesagt, daß ... schau mal, schau mal: die Mareckaja!« Wir sehen eine Dame mit einer Boa über ihrem silberglänzenden Anzug. »Meine Güte, ist die alt geworden!« Maša hält sich die Gummihand vor den Mund und dreht sich zu mir um. »Meinst du, wir werden auch älter?« »Niemals!« versichere ich ihr, und wir betreten die Schleuse. Sie sieht aus wie ein riesengroßer Lift. Die Stahltür wird hinter uns geschlossen. In der Schleuse stehen ungefähr fünfzig Leute. Wir ziehen die Masken vor das Gesicht, stecken die Mundstücke zwischen die Lippen und schalten die Luftzufuhr ein. Eine Leuchtschrift erscheint: ACHTUNG! DIE SCHLEUSE WIRD GEFÜLLT! Von unten strömt gurgelnd eine trübe Flüssigkeit herein, die etwa Zimmertemperatur hat. Maša gibt mir mit der Hand ein Zeichen und deutet auf einen Mann in einem Salamanderanzug. Unter seiner bizarren Maske erkenne ich die Züge des einzigartigen Filippov. Die Schleuse wird bis zur Decke gefüllt, dann öffnet sich die Tür auf der anderen Seite, in einem Schwall drängen uns Wassermassen entgegen, man spürt das Druckgefälle, Luftblasen steigen auf. Wir verlassen die Schleuse und befinden uns in einem Saal, den Hunderte von Projektoren mit ihrem Licht durchfluten. Der Saal des Bolšoj-Theaters ist das wichtigste Klärbecken der
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Moskauer Kanalisation. Wer mit der Fäkalkultur nur oberflächlich vertraut ist, nimmt an, daß der Inhalt der Kanalisation eine dichte, undurchdringliche Masse von Exkrementen ist. Dem ist überhaupt nicht so. Die Exkremente machen lediglich einen Anteil von zwanzig Prozent aus. Der Rest ist Flüssigkeit. Diese ist zwar trübe, gestattet aber bei starker Beleuchtung durchaus, den ganzen Saal zu überblicken, vom teppichbelegten Fußboden bis zu dem berühmten Kronleuchter an der Decke. Der Saal schimmert bläulich und ist von Myriaden aufsteigender Luftblasen durchdrungen. Oben wirbeln heftige Strudel die Exkremente durcheinander, damit diese gleichmäßig im Raum verteilt werden und man von der Galerie aus noch sehen kann. Ich schaue auf unsere schweren Tickets: Reihe 7, Platz 15 und 16. Das ist ideal. Wir setzen uns und schalten den Luftabzug ein: Während der Vorstellung dürfen keine störenden Blasen aufsteigen. Das dritte Klingelzeichen ertönt. Im Publikum kehrt allmählich Ruhe ein. Über uns schweben Exkremente und vereinzelte Blasen von verspäteten Zuschauern. Der Kronleuchter erlischt. Im Orchestergraben erscheint der Dirigent und schwingt seinen stählernen Taktstock. Es erklingt die Ouvertüre zu Čajkovskijs Oper »Evgenij Onegin«. Unsere empfindlichen Membrane erfassen die Laute der Geigen, Violoncelli, Waldhörner und Oboen. Die Blasinstrumente klingen unter Wasser viel extravaganter als die Saiteninstrumente. Das Orchester spielt mit Begeisterung, die Musiker sind gut aufeinander eingespielt. Freies Atmen, wie Stokowski gesagt hat. Der Bleivorhang geht auf, und die Oper beginnt. Unter solchen Bedingungen zu singen ist Sache echter Virtuosen, wahrer Fanatiker der Opernkunst. Von der Schwierigkeit
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her übersteigt es die dreiteiligen Kehlkopfgesänge der Burjäten, vorn Risiko her einen Trampolinsprung. Unter einer zwanzig Meter dicken Wasserschicht »Olga, ich liebe Sie!« zu singen, ohne einen falschen Ton zu treffen und ohne sich zu verschlucken, indem man die in der Nase zusammengepreßte Luft einsetzt, dazu sind laut Maria Callas nur »Menschen mit stählernen Lungen, russischer Seele und sowjetischem Herzen« in der Lage. Sie singen wundervoll. Endlich erklingen wieder einmal frische Stimmen im Bolšoj-Theater, und wir müssen uns vor den Ausländern nicht mehr für das bedeutendste Theater des Landes schämen. Gott sei Dank, daß die Jungen singen ... Die Aufregung um den Schauprozeß gegen die frühere Leitung des Bolšoj-Theaters, gegen diese widerlichen Vampire, die sich an Melpomene vergriffen haben, die in Ausschweifungen, antisowjetischer Propaganda und Korruption versunken waren und mehr als ein junges Talent zugrunde gerichtet haben, hat sich erst kürzlich gelegt. Unter stürmischem Applaus der Zuschauer auf dem Roten Platz haben die sieben Schufte und die zwei nichtswürdigen Weiber in den eingeseiften Schlingen nicht lange gezuckt; ihr lautes Furzen vor dem Tod war der Beerdigungsmarsch für Talentlosigkeit und die Posaune für den Wechsel: die Plejade junger Talente erstieg die Quadriga des Bolšoj-Theaters. Die entzückende Tatjana, die direkt Puškins unsterblichen Seiten entstiegen zu sein scheint, trägt ein Neglige über dem Taucheranzug; sie sitzt am Tisch und hält einen Gänsekiel in der Hand. »Ich schreib an Sie ohn' all Bedenken / Ist damit alles nicht gesagt?« dringt es durch die trüben, tonnenschweren Wassermassen, und der Saal explodiert im Gummiapplaus.
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Maša hält den Daumen hoch. Großartig! In der Pause gehen wir zum Büffet. Hier gibt es keine Strudel, und die Exkremente schaukeln sachte als bräunlichgraue Masse unter der Decke. Als ich an der Reihe bin, zeige ich der Verkäuferin mit den Fingern 3 und 2: »Champagner, zweimal«. Wir bekommen je ein Zweihundertgrammfläschen, stecken die raffiniert konstruierten Korken an unser Mundstück, und der vorzügliche »Pommery« strömt durch unsere Speiseröhre. Wir spazieren untergehakt durch die Halle. Unter den Masken sind die freudig erregten Gesichter von Bekannten und Unbekannten: Damen im Pelz, Gentlemen im Smoking, würdige alte Theaterliebhaber und buntgekleidete junge Leute. Man erkennt mich, verneigt sich vor mir. Maša gefällt das, und sie stupst mich ausgelassen in die ultramarinfarbige Seite. Ich kaufe ein Programmheft. Der Erlös aus der heutigen Premiere wird für die Renovierung des Sucharev-Turms gespendet. Zum zweiten Aufzug trifft Stalin ein. Wir begrüßen den Führer mit langanhaltendem Applaus. Er lächelt vorwurfsvoll und befiehlt uns mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Die Oper geht weiter - eine Aufführung wie aus einem Guß. Darsteller, Orchester, Bühnenbild, Beleuchtung - alles ist zu einem harmonischen Ganzen verknüpft, unvergleichlich berauschend und verzaubernd. Wir klatschen selbstvergessen, wie Schüler, und das schwere deutsche Wort »Gesamtkunstwerk« geht mir durch den Sinn. Zwei Aufzüge vergehen unter nicht enden wollenden Ovationen wie im Fluge, und schon beginnt die Arie von Gremin. Der Stolz Rußlands, unser ruhmreicher Baß, der wie ein geschmiedeter Nagel durch die vielschichtige Pastete der unruhigen
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Jahre von Revolution, Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit gedrungen ist und sich als blitzende Schneide in unsere fetten fünfziger Jahre gebohrt hat. Ein jeder kennt die Lieb' auf Erden, Ein jeder muß ihr Sklave werden ... Er singt, als ob er Stein meißelte. Ich spüre die mächtigen Vibrationen der Wassermassen. Gewaltige Luftblasen dringen aus seinem empfindsamen Mund, steigen glitzernd in die Höhe, dehnen sich aus und jagen die verschüchtert hin- und herschwimmenden Schwärme von Exkrementen auseinander. Da singt eine Naturgewalt. »Und es atmen Boden und Schicksal.« Der Jugend ungebrochne Kraft, Des reifen Alters Leidenschaft. Und wer an Liebe nicht mehr glaubt, Hat sich des schönsten Schmucks beraubt. Wieder kann der Saal nicht an sich halten. Ovationen brechen los, so stark, daß der Niederschlag der bröckligen, von den klatschenden Händen zerdrückten Exkremente alles überzieht. Stalin erhebt sich. Wir alle erheben uns. Tränen schießen uns in die Augen. Rußland hat dem grausamen 20. Jahrhundert standgehalten, trotz allem. Unser Volk ist nicht untergegangen, unsere Kunst ist nicht untergegangen. Maša springt auf, sie schwebt in der trüben Flüssigkeit des Saales und hält beide Daumen in die Höhe. Sie ist entzückend. Beim Finale kann man trotz der zusätzlichen Beleuchtung
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kaum noch etwas erkennen. Die Ovationen wollen nicht aufhören. Die Bühne wird mit Bleiblumen überhäuft. Die Luftabzüge sind ausgeschaltet, der Saal brodelt vor Luftblasen. Die Künstler applaudieren Stalin, und er applaudiert ihnen. Maša drückt mein Handgelenk. Ich umarme sie und spüre durch das Gummi die straffe Brust einer Frau, die noch keine Kinder geboren hat. Die Menge trägt uns aus dem Saal: Schleuse, Dusche, Hygienebehandlung, Garderobe. Wir ziehen die Masken aus und küssen uns, an eine Säule vor dem Theater gelehnt. Maša beugt sich mir entgegen und stolpert. Frischer Schnee knirscht unter ihren Stiefeletten. »Ich danke dir!« raunt sie. Ihre Lippen riechen immer nach Äpfeln. Wir fassen uns an den Händen und gehen zur Metro. Maša springt mir auf den Rükken. »Komm, wir trinken noch einen Champagner!« Ich kaufe eine Flasche »Abrau-Djurso« an einer Bude. Wir setzen uns auf die Rückenlehne einer verschneiten Bank und trinken. »Ich will mir unbedingt auch ›Schwanensee‹ ansehen«, sagt Maša und steckt sich eine Zigarette an. »Weißt du, das ist ... wunderbar. Viel besser als Kokain. Ich möchte jede Woche hingehen.« »Wird gemacht!« sage ich im Tonfall von Stalin. Maša nimmt einen Schluck aus der Flasche und lehnt sich mit dem Mund voller Champagner zu mir herüber. Ich halte ihr meine nicht mehr jungen Lippen hin, und eine Sekunde später zischt der »Abrau-Djurso« in meiner Kehle. Ich schlucke ... und ich kann ihn nicht hinunterschlucken. In meiner Kehle
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brodelt etwas, verpuppt sich, wird fest und haarig, vereist und droht mir den Hals zu sprengen. Maša krümmt und windet sich, ihre entzückenden Beine drehen sich zu einer Spirale und schrauben sich in den Asphalt, das Bolšoj-Theater öffnet sich zu einem dicken Buch, die Buchstaben laufen und hüpfen, ich verschlucke meinen eigenen Kopf und erwache. Nacht. Ich muß Blut pinkeln gehen. Mir dann einen Kaffee machen. Und mich mit einem Gefühl des Ekels auf mein gewöhnliches Leben besinnen. Die Stimme verebbte. Im Zimmer trat Ruhe ein. »Hast du alles verstanden, Baby?« fragte der Großmeister. »Nicht alles, großer Vater.« »Das ist gut so. Das wird dir sehr behilflich sein. Die Kenntnis von Teilen ist bei deiner Mission wichtiger als die Kenntnis des Ganzen. Hast du verstanden, in welches Jahr und wohin wir dich schicken?« »Moskau, Bolšoj-Theater, 1954.« »Gut, Baby. Nimm das, was du mitgebracht hast, und folge mir.« Der Großmeister stand auf und ging zur Tür. Sie wurde sofort geöffnet. Der Großmeister lief über den Gang. Vil trottete hinterher und stieß dabei mit den bloßen Füßen an seine Genitalien. Der Weg war kurz - vor einem riesigen, archaischen Eisentor blieb der Großmeister stehen. Davor standen zwei Wachen mit Maschinenpistolen, die den Ankömmlingen nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten. Der Großmeister legte seine Lippen an das große Schlüsselloch und sprach laut und deutlich:
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yimahe xshathre aurvahe nôit aotem ångha nôit garemem nôit zaurva ångha nôit merethyush nôit araskô daêvô-dâtô Einige Minuten vergingen. Dann wurden die uralten Riegel zurückgeschoben, rostiges Metall quietschte, und die Flügel glitten langsam auseinander. Der Großmeister und Vil durchschritten das Tor und befanden sich in vollkommener Dunkelheit. Die Torflügel glitten hinter ihnen ebenso langsam wieder zu. Der Großmeister tastete in der Finsternis nach einer am Boden liegenden Fackel und zündete sie an. Die Flamme erhellte eine gewaltige Höhle. In der Mitte erhob sich eine ungewöhnliche Konstruktion aus Steinen und hölzernen Streben; daneben lagen zwei Haufen aus geschwärzten Steinen und verkohlten Holzscheiten. Die Konstruktion stützte einen massiven, aus Granit gehauenen Konus ab, der mit der Spitze nach unten stand. Ein Rascheln ertönte. Vil hatte sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und erblickte in den Wänden neben dem Tor kleine Fensterchen. Darin waren zerzauste menschliche Gesichter zu sehen, die erschrocken vor dem Feuer zurückscheuten. »Atreks!« brüllte Vil. »Hab keine Angst, Baby. Das sind die Hüter der Türriegel«, erklärte der Großmeister. »Sie leben im Stein und warten darauf, daß sie das Tor aufsperren können. Das letzte Mal geschah das vor sechzehn Jahren. Folge mir.« Sie gingen auf die Konstruktion zu. »Klettere nach oben in den Trichter. Wenn du drin bist, setz dich hin und schrei«, befahl der Großmeister.
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Vil nahm den Griff der Aktentasche zwischen die Zähne und begann, über das Geflecht der Holzverstrebungen nach oben zu kraxeln. Seine Genitalien hingen herunter; sie schaukelten heftig hin und her und streiften die Holzstreben. Endlich erreichte er die Spitze, kroch in den hohlen Konus, setzte sich, wobei er die Aktentasche vor die Brust preßte, und stieß einen lauten Schrei aus. Der Großmeister hielt seine Fackel an das geteerte Hanfseil unten an der Konstruktion. Das Seil geriet in Brand und loderte knisternd auf. Der Großmeister ließ die Fackel auf den Boden fallen und lief zum Tor. Dort legte er beide Handflächen auf die rissige Oberfläche und sprach laut: »Avesta!« Die Hüter der Türriegel in den Wänden gerieten in Bewegung, das Tor öffnete sich einen Spaltbreit. Der Großmeister schlüpfte hindurch und verließ die Höhle. Das Tor schloß sich wieder. Die Flammen kletterten flink am Hanfseil empor und versprühten grüne Funken. Als sie das Innere der Konstruktion erreichten, ertönte eine starke, aber gleichsam verzögerte Explosion, die übergangslos in einen blendendweißen Lichtblitz mündete. Als alles vorüber war, qualmte auf dem Boden der Höhle ein dritter Haufen aus zerbröckelten Steinen und abgebrannten Hölzern. Direkt darüber trat ein runder dunkler Fleck an der Decke hervor. Daneben, über den zwei alten Haufen, waren ebensolche Flecken zu sehen. Das Festkonzert anläßlich der Eröffnung des Allrussischen Hauses der Freien Liebe am 1. März 1954 im Moskauer BolšojTheater war in vollem Gange.
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Das erst kürzlich restaurierte, noch entfernt nach Lack, weißer Farbe und Holz riechende Theater konnte gar nicht alle Besucher aufnehmen: Eine große Menschenmenge stand draußen, ließ mit ihren behutsamen Bewegungen die dünne Schicht des Märzeises knirschen und lauschte den Lautsprechern mit den schwarzen Schalltrichtern, die die flüchtige Stille der Moskauer Nacht mit den abgerissenen, verwehten Klängen des Konzerts unterbrachen. Drinnen war es heiß und stickig von den neuen Radiatoren der Dampfheizung, die passend zu den Wänden mit rubinroter Farbe gestrichen worden waren, und von den sechstausend menschlichen Körpern, die in festlicher Erregung ganz im Banne des Geschehens auf der Bühne standen. Gerade eben war unter großem Applaus und beifälligen Zwischenrufen die lange, verwegene Tanzvorstellung einer Kosakengruppe aus dem Ural zu Ende gegangen. Der purpurrote Samtvorhang senkte sich nieder, und auf dem Proszenium erschien Aleksandr Pervač, der unvermeidliche Ansager aller Festkonzerte, ein rotwangiger Possenreißer mit lebhaftem Blick, der Liebling des Publikums, der es fertiggebracht hatte, sechzehn Jahre lang auf dem tückischen Drahtseil seiner Profession zu balancieren, ohne dabei - wie viele andere Conferenciers - in den Sumpf von Banalität und Routine abzustürzen. Er wartete, bis der Applaus verklungen war, machte dann einen schnellen Schritt nach vorn, verbeugte sich mit seinem fülligen, aber sehr beweglichen Körper und begann zu sprechen, laut, schallend und kokett, mit unerreichter Schnelligkeit und echter Virtuosität: »Also, liebe Genossen, Damen, Herren, Freunde, Kameraden, gute und nicht sehr gute Bekannte, liebe Kommunisten und
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Parteilose, Millionäre und Angestellte, Militärs und Zivilisten, Familien und Unverheiratete, Gläubige und Atheisten, Hetero- und Homosexuelle, Verehrer der freien Liebe und Anhänger der guten alten Traditionen, liebe Moskauer und Gäste der Hauptstadt, ich frage Sie: Was kann uns alle hier in diesem wunderbaren Saal vereinen, uns alle - so verschieden und so einzigartig, so fröhlich und voller Lebenskraft, wie wir sind?« »Die freie Liebe! Die Partei! Die Freundschaft! Der Feiertag!« wurden Stimmen laut. »Der Feiertag!« Pervač warf sein ovales pomadisiertes Haupt zurück. »Großartig! Natürlich, der Feiertag! Und was machen wir an einem Feiertag, wir sowjetischen Menschen?« »Trinken!« schrie jemand, und der Saal erbebte vor Lachen. »Und was noch?« zwinkerte Pervač, faltete seine kleinen, gepflegten Hände und preßte sie an die Brust. »Singen! Wir singen Lieder!« erklangen einige Stimmen. »Wir singen Lieder!« rief Pervač aus. »Wir singen Lieder, meine Freunde, denn nur ein Lied ist dazu imstande, uns wirklich zu vereinen!« Er machte eine Pause, legte die Arme seitlich an den Körper und drückte seine Brust leicht heraus: »Es tritt auf der Volkskünstler der UdSSR, der Stalinpreisträger und Held der Sozialistischen Arbeit, Aleksandr ...« Der Saal erstarrte. »Pjatoj!!!« Tosender Beifall brandete auf, und die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen. Der Vorhang ging in die Höhe, und ein zartrosafarbenes, honiggoldenes Licht strömte von der Bühne in den Zuschauerraum. Sofort verstummte der Lärm, die Zu-
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schauer setzten sich, und einen Augenblick später herrschte absolute Ruhe im Theater. Auf der mit echten Blumen dekorierten Bühne stand eine Wanne, die Steinmetze aus dem Ural aus einem einzigen Block rosa Granits gemeißelt hatten. In dieser massiven, mit einer halbtransparenten, geleeartigen Substanz gefüllten Wanne lag der große russische Barde Aleksandr Pantelejmonovič Pjatoj, eine lebende Legende, ein sängerisches Naturtalent, der den Ruhm des großen Šaljapin ins Wanken gebracht hatte. Er stammte aus einem abgelegenen Nest am Weißen Meer und litt seit seiner Kindheit an einem äußerst seltenen Gebrechen, einer Erweichung des Knochengewebes. Der rauhe Norden hatte ihm die unschätzbare Gabe eines Barden verliehen, der die Russen seit einem Vierteljahrhundert erbeben ließ. Er lag auf dem Rücken in der Wanne, die Augen halb geschlossen, mit seiner unwahrscheinlich mageren, aber breiten Brust gleichmäßig atmend. So vergingen einige lange Minuten. Man konnte hören, wie die neuen Stühle unter den Körpern der wie erstarrt dasitzenden Leute leicht knarzten. Pjatoj hob langsam Kopf und Schultern und setzte sich in der Wanne auf. Sein großes, breites Gesicht hatte die Farbe einer in Kohle gebackenen Kartoffel und war von tiefen, wie mit einem schmalen, scharfen Messer eingeritzten Falten durchzogen; blasse, papierdünne Haut spannte sich unerbittlich über den für die Küstenbewohner des russischen Nordens typischen breiten Schultern; große, graublaue Augen schauten gelassen in den Saal. Er öffnete seinen trockenen, schmallippigen Mund einen Spalt weit und begann zu singen. Seine kräftige, sanfte, zu Herzen gehende Stimme kam gleichsam aus dem
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Nichts, wie das Licht. Pjatoj hatte jedoch kaum den ersten Satz zu Ende gesungen, als im Saal ein seltsamer Ton erklang, so als ob eine Filmspule bei einer Einstellung reißt, die eine heftige Bombenexplosion darstellt. Im Gang zwischen der Bühne und den Parkettsitzen blitzte etwas auf, der Parkettboden knackte, die mit Samt bezogenen Dielenbretter der Bühne krachten, und eine Wolke Steinstaub ging über den ersten Reihen nieder. Der Saal ächzte bestürzt auf. Die Leute erhoben sich von ihren Plätzen. Zwischen der Bühne und den ersten Reihen im Parkett ragte ein halbtransparenter, mannshoher Trichter auf, der den Parkettboden auseinandergeschoben hatte und am Rand der Bühne steckengeblieben war. In diesem Trichter war etwas Rosafarbenes zu sehen. Pjatoj hörte auf zu singen. Im Saal ging das Licht an. Die Zuschauer umringten den seltsamen Trichter. Der Lärm nahm zu. »Genossen! Bitte keine Panik!« erschallte eine Stimme aus der Regierungsloge. Der Lärm verebbte, die Zuschauer wandten sich zur Loge um. Dort stand Vjačeslav Molotov, auf das Samtgeländer der Brüstung gestützt, ein großer, breitschultriger Mann mit einem dichten, teerschwarzen Bart, einer hohen, klugen Stirn und einem schönen, resoluten Gesicht. Neben ihm saß seine Frau, die Fürstin Voroncova, eine zerbrechliche Frau mit feinen, hypersensiblen Gesichtszügen. In der Loge waren noch andere Regierungsmitglieder und ihre Familien. »Was ist das, Vjačeslav Michajlovič?« rief der Goldgrubenbesitzer Rjabušinskij aus dem Parkett. »Eine Provokation der Sozialrevolutionäre ?«
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»Das ist ein Geschenk für die Damen zum Internationalen Frauentag!« scherzte der Chefredakteur der »Pravda«, Kolcov, nervös. »Genossen! Das ist Eis!« konstatierte ein Mädchen mit einem roten Kopftuch laut. »Meine Herrschaften, und wenn das nun eine Bombe ist?« rief Graf Sumarokov-Elston. »Ich bitte um eine Minute Ruhe!« Molotov hob die Hand, und die Stimmen verstummten. »Und jetzt möchte ich alle bitten, ihre Plätze wieder einzunehmen!« Die Zuschauer verließen wieder das Parkett. Als im Saal Ruhe eingekehrt war, begann Molotov mit seiner lauten Stimme zu sprechen: »Ich bitte Sie alle, beruhigen Sie sich. Das, was gerade passiert ist, ist keine Provokation der Sozialrevolutionäre, kein terroristischer Akt und auch kein Scherz. Es ist vielmehr ein einzigartiges Phänomen, das von außerordentlicher Bedeutung für unseren Sowjetstaat ist. Eure Regierung hat keine Geheimnisse vor dem Volk. Morgen werdet ihr alles aus der Presse erfahren, jetzt aber muß dieser Gegenstand unbedingt so schnell wie möglich aus dem Saal entfernt und in einem Gefrierschrank deponiert werden. Ihr habt bereits bemerkt, daß es sich um Eis handelt. Dieses Eis darf unter keinen Umständen schmelzen. Ich bitte die starken Männer im Parkett, dabei behilflich zu sein, das aus dem Saal zu tragen.« Es entstand eine Pause. Wachsoldaten kamen in den Saal. Einige Männer aus den ersten Reihen erhoben sich und näherten sich vorsichtig dem Trichter. »Genossen! Ihr braucht keine Angst zu haben!« beruhigte sie Molotov. »Das ist einfach nur Eis. Aber sehr wichtiges Eis.«
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Soldaten und Freiwillige umringten den Eistrichter, zogen ihn langsam aus dem aufgerissenen Boden, hoben ihn an und trugen ihn zum Ausgang. »Genosse Molotov! Sagen Sie trotzdem, was ist denn das?« ertönte eine Frauenstimme aus der Nachbarloge. »Wollen Sie sich nicht bis morgen gedulden?« lächelte Molotov. »Nein! Wollen wir nicht! Sagen Sie es uns jetzt!« erklangen verschiedene Stimmen aus dem Publikum. Molotov überflog den Saal mit seinen schwarzen Augen. »In diesem Fall überlasse ich das Wort dem Spezialisten. Lavrentij Pavlovič, erklären Sie den Genossen, was hier passiert ist.« Der links neben ihm sitzende Berija erhob sich, nahm sein Pincenez ab und putzte es in aller Ruhe mit einem Wildledertuch. Er war ein hochgewachsener, hagerer Mensch mit einem großen, eiförmigen, fast kahlen Kopf, mit schmalen, abfallenden Schultern und langen Händen mit ausdrucksvollen, feingliedrigen Fingern; sein Gesicht war schmal und länglich und trug immer einen Ausdruck zerstreuter Versunkenheit, wie er gewöhnlich bei Künstlern anzutreffen ist. Seine kleinen grünen Augen blinzelten stark kurzsichtig, seine vollen Lippen glänzten von geschmackvoll ausgewählter Pomade. Berija trug einen erstklassigen dunkelblauen Frack mit dem Rotbannerorden im Diamantenkranz. Der hohe Stehkragen unterstrich sehr schön die schmalen, ausgeprägten Backenknochen des Ministers für Staatssicherheit. Berija setzte das Pincenez auf seine feine, kleine Nase und begann mit leiser, deutlicher Stimme zu sprechen: »Es handelt sich um einen sogenannten Eiskonus, den uns der Orden der Russischen Erdrammler aus der nahen Zukunft ge-
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schickt hat. Der Orden wird im Jahre 2012 als Zusammenschluß der zahlreichen Erdrammler-Sekten entstehen. Im Jahre 2026 lassen sich Mitglieder des Ordens in Ostsibirien nieder, am Kahlen Berg, in dessen unterirdischen Gewölben sie auf Siedlungsspuren von sibirischen Anhängern des Zoroastrismus stoßen - Nachkommen einer kleinen Sekte, deren Mitglieder anscheinend am Ende des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung aus dem großen Imperium der Achaimeniden nach Norden flüchteten. Nach und nach drangen sie in die Taiga vor und siedelten zwischen der Unteren Tunguska und der Steinigen Tunguska, am Kahlen Berge, in dessen Granit sie im Lauf von vier Jahrhunderten unbehelligt vordringen konnten. Wozu das alles? Sie waren auf der Suche nach der sogenannten Unterirdischen Sonne, deren Strahlen nach ihrem Glauben den Unterschied zwischen Gut und Böse zunichte machen und das Menschengeschlecht in einen paradiesischen Zustand zurückführen würden. Die sibirischen Anhänger des Zoroastrismus erfanden eine Zeitmaschine, die in der Lage ist, kleine Objekte in die Vergangenheit zu entsenden. Eines dieser Objekte seht ihr hier vor euch.« Berija verstummte, bewegte seine Lippen und überflog den Saal mit einem Blick. »Genosse Berija!« Aleksej Stachanov stand auf. »Sag uns ohne Umschweife, ist das gut oder schlecht?« »Das ist natürlich gut«, lächelte Berija zurückhaltend. »Das ist ein einzigartiges Phänomen.« »Wollen denn diese ... diese ... Erd-ramm-ler uns noch öfter mit solchen Eisklumpen bombardieren?« fragte Olga Čechova und wedelte sich mit ihrem schwarzen chinesischen Fächer Luft zu.
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»Es könnte doch Opfer geben, meine Herrschaften!« Der zehn Pud schwere Mika Morozov erhob sich mühsam. »Wenn dieses Ding nun nicht im Gang, sondern direkt hier, mitten unter uns, heruntergekommen wäre?! Oder auf der Galerie? Dann wäre es uns natürlich direkt auf die Köpfe gefallen?! Das wäre doch ... katastrophal!« »Mika Savvovič, und so etwas sagen ausgerechnet Sie? Sie haben doch geschrieben, Sie seien es gewohnt, der Gefahr ins Auge zu blicken?« fragte der Generaloberst des Ministeriums für Staatssicherheit Frinovskij, und der ganze Saal fing an zu lachen. Das Lachen löste die Anspannung. Der Eisblock wurde wohlbehalten zur Tür verfrachtet und hinausgetragen. »Lavrentij Pavlovič, was ist denn da drin, in dieser pyramide glaciale de Chéops? Eine Friedensbotschaft? Oder eine Kriegserklärung?« fragte die Fürstin Urusova. »Ein Ultimatum?« Mit einem Blick auf Berija erhob sich ihr Gatte in seiner Marineuniform halb von seinem Sitz. »Wieso müssen unsere Blaublütigen immer gleich an Krieg denken?« Der Volkskünstler der UdSSR Andreev klopfte sich auf sein rundliches Knie. »Sie haben doch schon zweimal gekämpft, Dank sei dir, o Herr! Zügeln Sie Ihre Pferde noch, meine Herren Husaren!« Wieder fingen alle an zu lachen. »Was das Ultimatum angeht, bin ich gar nicht so sicher«, fuhr Berija fort. »Wir werden sehen. Lest die Zeitungen, Genossen.« »Dann verraten Sie uns doch, wo wir mit dem nächsten eisigen Gruß aus der Zukunft rechnen müssen?« grinste der Schriftsteller Pavlenko. »Es wird aller Wahrscheinlichkeit keinen nächsten mehr geben«, antwortete Berija. »Die Zoroastriden haben in ihren
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Höhlen insgesamt nur drei solcher Vorrichtungen hinterlassen. Der erste Eiskonus wurde im Sommer 1908 in der Nähe von Toržok entdeckt. Er enthielt ein Buch aus Rentierleder mit der Beschreibung von Geschichte und Struktur des Ordens. Die unfähige Regierung von Nikolaj II. hielt das Ganze für einen schlechten Scherz. Es sind nur Teile dieses Buches erhalten. Der zweite Konus zerstörte den Zug Moskau-Wladiwostok am 29. Juli 1937. Aber damals hat niemand das Eis beachtet. Dafür machte sich der Schuft Ežov die Katastrophe zunutze so kam die falsche ›Verschwörung der Eisenbahner‹ zustande, die letztlich dreimal mehr Leben gekostet hat als das Eisenbahnunglück selbst. Und das heute war der letzte Versuch.« »Was war denn in dem zweiten Konus?« fragte Olga Čechova. »Er enthielt den Körper eines Wesens, das halb Mensch, halb Tier war. Ein Junge von sechs Jahren, mit Hörnern, Hufen und einem Schwanz. Auf der Stirn war die Tätowierung: ›Kind der verderbten Welt‹. Der Leichnam hatte während der Katastrophe schwer gelitten, wurde aber glücklicherweise von einem klugen, rechtschaffenen Mitarbeiter des NKVD gerettet. Er legte die Leiche in Spiritus ein und versteckte sie und riskierte dabei sein Leben.« »Herr Berija!« Aljochin, der Schachweltmeister, stand auf. »Welche Erklärung haben denn unsere Wissenschaftler für dieses Phänomen?« Molotov erhob sich energisch und schüttelte seinen Krauskopf. »Liebe Genossen, geduldet euch doch! Lavrentij Pavlovič hat euch doch auch so schon genug gesagt.« »Und wo ist Genosse Stalin?« riefeine junge Stimme von der Galerie.
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»Ja, wo ist Stalin?« Pavlenko stand auf, als ob er zur Besinnung gekommen sei. »Wo ist Stalin? Stalin! Warum ist er nicht bei uns?« ertönten verschiedene Stimmen. In der Regierungsloge erschien die imposante Figur von Mikojan, der sich von seinem Platz erhob. Breitschultrig, füllig, überdurchschnittlich groß, hievte er sich schwerfällig aus seinem Sessel und stützte sich auf das Geländer. Er lächelte und überflog den Saal mit seinen kleinen, aber unglaublich lebhaften, jungen Augen; sein vollkommen kahler Kopf und sein glattes, gelbliches Gesicht glänzten frisch, die graue Uniformjacke mit den beiden Rotbannerorden lag eng um seine vierschrötige Figur. »Ihr wollt wissen, warum Genosse Stalin nicht gemeinsam mit uns dieses ausgezeichnete Konzert genießt?« fragte er mit seinem leichten kaukasischen Akzent. »Das kann ich euch sagen: der Genosse Stalin war nach der Eröffnungszeremonie des Hauses der Freien Liebe etwas ermüdet und wollte sich ausruhen. Auch wenn wir Bolševiken aus einem besonderen Material gemacht sind, so haben wir doch hin und wieder Kopfschmerzen.« Die Zuschauer fingen an zu lachen und applaudierten. Mikojan hob beschwichtigend die Hand. »Meine Freunde, applaudieren müßt ihr nicht mir, sondern unserem großen Sänger, den wir alle«, er schaute auf seine Taschenuhr, »schon etwa zehn Minuten von der Arbeit abhalten.« Wie auf Kommando drehten die Zuschauer sich um und schauten zur Bühne. Die ganze Zeit über hatte Aleksandr Pjatoj in der Wanne gesessen und das Geschehen verfolgt. Als er bemerkte, daß ihn alle anblickten, ließ er seine kraftlose Hand, die einem aus dem Meer gezogenen Oktopus ähnelte, unbeholfen aus der Wanne hängen und schwenkte sie hin und her.
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»Löscht das Licht!« befahl Molotov. Der Saal versank in Dunkelheit. Pjatoj wartete einen Moment, schloß dann seine Augen bis auf einen Spaltbreit und begann zu singen: Ach, wie es eines Winter Januar morgens Klopft an meine stählerne Tür, Und ich lieg stumm, mehr tot schon als lebendig, Doch meine Frau, Marusja, die gibt Antwort Anwortet fragend durch die stählerne Tür: Wer klopft denn da, begehrt so stürmisch Einlaß? Drei jugendliche Stimmen sprechen draußen: Öffnet, laßt ein uns, ihr guten Leute, Wir wollen euch nichts Böses, nichts Schlechtes. Meine Marusja öffnet daraufhin die schwere Tür, Und auf der Schwelle drei barmherzige Schwestern stehen, Im weißen Kittel und mit einem Kreuz In Gummihandschuhen und in Stiefeln. Die eine ist groß, mit schwarzen Augen, Die zweite rundlich, mit rotem Haar, Die dritte versonnen-transparent. Die barmherzigen Schwestern treten ein, Umringen meinen Leidens-Sarkophag Sie nehmen Maß, sie packen an, Sie tragen mich hinaus, den Kranken. Dreikönigsfrost herrscht draußen, klirrend kalt, Ein Chauffeur, ganz pockennarbig, beheizt das Automobil, Sie öffnen die weiße Autotür, Sie schieben meinen Sarkophag hinein Und setzen sich daneben, die drei Schwestern fein.
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Die schwarzäugige, große, zu Häupten Die rundliche, rothaarige, zu Mitten Und die dritte, versonnen-transparente, Hockt sich neben meine kranken Beine. Und so fährt das Automobil über den Proschpekt, Geradewegs und direkt aus der Hauptstadt davon, Über die breite Straße, die Smolensker Straße. Und nach über zehn Verst Biegt das Auto nach rechts ab, Biegt ab und fährt hinein in einen dichten Wald, Und fährt über einen Waldweg, einen schmalen. Nach vielleicht noch einmal vier Verst Stellt der Chauffeur den heißen Motor ab, Die drei Schwestern packen die Griffe Und tragen den Sarkophag mit mir aus dem Automobil, Sie tragen ihn über den Waldweg, den verschneiten In unseren Nichturwald in der Nähe von Moskau. Sie treten auf eine kleine Lichtung hinaus, Stellen meinen Sarkophag ab im tiefen Schnee, Holen ein kompliziertes Köfferchen herbei Und nehmen drei feine Spritzen heraus. Die Zuschauer fielen leise in den Gesang ein. Pjatoj machte eine Pause, holte tief Luft und sang lauter und getragener: Eine ist aus rotem Golde, aus Bergkristall Mit einer neuen Nadel, einer spitzen Nadel Einer goldenen Nadel. Die andere ist aus weißem Silber, aus teurem Glas Mit einer neuen Nadel, einer spitzen Nadel
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Einer silbernen Nadel. Und die dritte ist aus schwarzern Eisen, aus billigem Glas Mit einer alten Nadel, einer rostigen Nadel Einer stumpfen Nadel. Erregung erfaßte den Saal. Die Zuschauer wiegten sich im Takt der Musik und begannen nun, laut mitzusingen. Pjatoj fuhr fort. Seine Stimme gewann zusehends an Ausdruckskraft und durchpflügte die singenden Massen wie ein Eisbrecher. Da nimmt die Schwester mit den schwarzen Augen Die schmale Spritze aus rotem Gold, Stößt sie in meine Kniekehle hinein Und entnimmt eine Ampulle voll Blut. Sie geht durch den Wald um die Lichtung herum, Versinkt bis zum Knie im hohen Schnee, Schmiegt sich an die tiefschlafenden Bäume Sticht mit der Spritze in die gefrorene Rinde Und verströmt meines Blutes Wärme in die Bäume. In jeden Fichtenstamm, In jeden Kiefernstamm, In jeden Espenstamm Und in jeden Eichenstamm. Mein krankes Blut, Mein verfaultes Blut, Mein blutrotes Blut, Ja mein dickflüssiges Blut.
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Da nimmt die rundliche Schwester Die schmale Spritze aus weißem Silber, Stößt sie mir in das Rückgrat, Entnimmt mir Mark aus den Knochen. Sie geht durch den Wald um die Lichtung herum, Versinkt bis zu den Lenden im hohen Schnee, Schmiegt sich an die tiefschlafenden Bäume, Sticht mit der Spritze in die gefrorene Rinde Und verströmt meiner Knochen Mark in diese Bäume. In jeden Fichtenstamm, In jeden Kiefernstamm, In jeden Espenstamm Und in jeden Eichenstamm. Mein Knochenmark, Mein geschwärztes Mark, Mein verfaultes Mark, Ja mein vermodertes Mark. Da nimmt die Schwester, die versonnen-transparente, Die schmale Spritze aus schwarzem Eisen, Stößt mir die Nadel in die Prostata, Entnimmt eine Ampulle voll mit Prostataeiter. Sie geht durch den Wald um die Lichtung herum, Versinkt bis zur Brust im hohen Schnee, Schmiegt sich an die tiefschlafenden Bäume, Sticht mit der Spritze in die gefrorene Rinde Und verströmt meinen Eiter in diese Bäume.
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In jeden Fichtenstamm, In jeden Kiefernstamm, In jeden Espenstamm Und in jeden Eichenstamm. Meinen Prostataeiter, Meinen vermoderten Eiter, Meinen gegorenen Eiter, Ja meinen verschleppten Eiter. Der Saal sang und wiegte sich im Takt der Musik. Doch sechstausend Stimmen waren nicht imstande, die Stimme des Volksbarden zu übertönen: Dann beugen sich die drei Schwestern über mich, Blicken mir tief in die Augen und sagen: Wenn der schöne Frühling kommt und die Erde erwärmt, Erwachen die toten Bäume zum Leben, Es steigen erquickende Säfte auf, Es öffnen sich ihre geschlossenen Knospen, Es rascheln ihre jungen Blätter. Doch diejenigen Bäurpe, in deren Stamm Wir unsere Nadeln steckten, Verwandeln sich sogleich in wunderschöne Knaben, Dir gleich, in ihrem Äußeren In ihrem Charakter jedoch dem Inhalt der Spritzen. Die Blut erhielten, werden vor Lebenslust pulsieren, Flink bei der Arbeit und voll Kühnheit sein, Die Knochenmark bekamen, werden klug und gescheit, Können stehlen und befehlen,
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Die durch den Eiter der Prostata entstehen Werden lüstern sein wie wilde Eber, Werden halb Rußland vögeln und schwängern. Da nehm ich meine Kräfte zusammen, Stützt mich auf meine Ellenbogen, die halbverfaulten Und frage die Schwestern, die still-schweigenden: Wie soll ich euch nennen, barmherzige Schwestern? Die mit den schwarzen Augen sagt: Ich bin Vera, der Glaube. Die rundliche mit rotem Haar: Ich bin Nadežda, die Hoffnung. Und die versonnen-transparente Gibt kurz mir zur Antwort: Ich heiße Ljubov, die Liebe. Pjatoj verstummte und ließ sich erschöpft in die Wanne zurücksinken. Der Saal raste; alle erhoben sich, frenetischer Beifall brauste durch das Theater. Blumen flogen auf die Bühne. »Pjatoj! Pjatoj! Pjatoj!« skandierte die Galerie. Die Regierungsmitglieder erhoben sich ebenfalls. »So muß man singen, Klim!« Der graubärtige Malenkov versetzte dem kleinen, nachdenklich klatschenden Vorošilov mit dem Ellbogen einen Stoß in die Seite. »Unsere Lieder sind komplizierter«, lächelte Vorošilov. Sein kluges, kantiges Gesicht mit dem energischen Kinn, den eigensinnigen Lippen und dem feinen Schnurrbartstreifen unter der Hakennase schien vollkommen unbewegt und gleichgültig gegenüber dem Jubelgeschrei des Volkes; in seinen zusammengekniffenen Augen leuchtete jedoch aufrichtige Freude. »Wir müssen unverzüglich zu Stalin fahren«, sagte Berija zu Molotov.
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»Ja, ja, natürlich ...« Molotov blickte sich um. »Anastas, Klim, wir fahren zu Stalin.« Kaganovič, Malenkov und Bulganin schauten Molotov einsatzbereit an. »Genossen, ich bitte euch, hierzubleiben. Das Konzert geht noch weiter, da ist es nicht gut, wenn wir alle gleichzeitig abfahren.« »Geht das die ganze Nacht, mein Lieber?« fragte Molotovs Frau. »Wahrscheinlich, meine Liebe.« Er küßte ihr flüchtig die Hand und schenkte der neben ihr sitzenden Gattin Berijas, einer fülligen Dame mit einem nichtssagenden, aber immer freundlichen Gesicht, ein herzliches Lächeln. Die vier verabschiedeten sich von den Zurückbleibenden, zogen sich an und verließen die Loge. Die Wache, bestehend aus jüngeren Offizieren der Staatssicherheit, folgte ihnen eilig und verteilte sich auf dem leeren Gang. »Gott sei Dank gab es keine Opfer.« Molotov bekreuzigte sich im Gehen. »Ich hatte seit heute morgen so eine Vorahnung, daß etwas passieren würde.« Berija knöpfte seinen schönen weißen Mantel zu. »Glücklicherweise sind die Gänge im Bolšoj-Theater so breit.« »Katharina die Große hat nicht an Platz gespart!« grinste Molotov. »Gilt dieser Wink mit dem Zaunpfahl etwa mir, Slava? Wo ist denn jetzt überhaupt dieser verfluchte Eisblock?« fragte Mikojan und streifte seine grauen Wildlederhandschuhe über. »Im Kreml«, erwiderte Berija.
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»Moment mal, ist losif heute etwa nicht auf der Datscha?« Vorošilov kniff die Augen zusammen. »Er ist im Kreml, Klim«, erwiderte Molotov. Sie verließen das Gebäude durch den Diensteingang und stiegen in die vier bereitstehenden schwarzen ZIM-Limousinen. Vornweg und hinterher fuhren die MK-Limousinen der Sicherheit sleute. Vorsichtig wichen die Wagen der Menschenmenge vor dem Theater aus, fuhren über die Karl-Marx-Straße bis zum Manege-Platz und bogen nach links auf den Roten Platz ein. Der schwarze Märzhimmel mit seinem kaum erkennbaren Sternenzelt hing schwer über dem von Scheinwerfern angestrahlten Kreml. Über dem Regierungsgebäude flatterte die rote Fahne, drohend leuchteten die rubinroten fünfzackigen Sterne auf den Türmen. Ein gewaltiges Stalin-Porträt hing am Museum der Geschichte der UdSSR, und die Stirnseite des GUM wurde von der riesigen rot-weißen Aufschrift DIE PARTEI IST DIE UNSTERBLICHKEIT UNSERER SACHE verziert. Die Eskorte fuhr durch das Spasskij-Tor und kam im Hof des Regierungsgebäudes zum Stehen. In der Mitte des Hofes, nicht weit vom Lenin-Denkmal, lag der mit einer Plane bedeckte Eiskonus auf der offenen Ladefläche eines Lastwagens. Darum herum standen sechs Soldaten mit Maschinenpistolen und zwei Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit. »Ach, das Ding ist schon da ...« murmelte Vorošilov vor sich hin, kletterte behende aus dem Wagen und ging auf den Lastwagen zu. »Lavrentij, hast du denn keine Angst? Und wenn da nun Gift drin ist? Vielleicht haben diese Erdrammler nur ein Ziel - die sowjetische Regierung zu vergiften und den Gang der internationalen Ereignisse radikal zu verändern.«
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»Wozu?« fragte Berija. Er ging auf ihn zu und holte sein Zigarrenetui heraus. »Eine Doppelhelix der Zeit gibt es nicht. Eine dreifache hingegen schon.« »Und wenn die das nicht wissen?« Vorošilov zuckte zusammen. »Nach dem Leder-Buch zu urteilen, wissen sie es.« »Na, du mußt es ja wissen.« »Ja sicher«, grinste Berija und steckte sich eine Papirossa an. »Schmilzt er auch nicht?« fragte Mikojan. »Du lieber Gott. Es friert doch jetzt ... hör mal, wie das Eis knackt.« Molotov trat auf eine zugefrorene Pfütze, daß es knackte. Vorošilov schaute mit zusammengekniffenen Augen zu den erleuchteten Fenstern von Stalins Wohnung hoch. »Er hat sich anscheinend noch nicht hingelegt.« »Gehen wir, Genossen.« Berija wandte sich um und ging in Richtung des Wohngebäudes. Molotov, Vorošilov und Mikojan folgten ihm. Sie betraten das Gebäude und gingen die Treppe hinauf in die erste Etage. An der Eingangstür zu Stalins Wohnung standen zwei Oberleutnants des Ministeriums für Staatssicherheit. In der Mauernische saß ein Oberst an einem kleinen Tischchen mit einem Telefon. Die Offiziere salutierten den Regierungsmitgliedern, und Berija nickte dem Oberst zu. Der nahm den Telefonhörer ab: »Genosse Generalmajor, die Genossen Berija, Molotov, Mikojan und Vorošilov sind hier.« »Gib mir den Genossen Berija«, erklang die Stimme von Vlasik, dem Chef von Stalins Wache, aus dem Hörer. »Er will Sie sprechen, Genosse Berija.« Der Oberst reichte Berija den Hörer.
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»Hallo.« Berija nahm den Hörer und blies den Rauch durch seine schmalen Nasenlöcher. »Hier ist Vlasik, Genosse Berija«, schnarrte es aus dem Hörer. »Wir haben hier ein kleines Problem mit den Kindern.« »Und was für eines?« »Wieder wegen der Kleider. Genosse Stalin ... nimmt sich der Sache gerade an.« »Dann erklär ihm eben, daß es sehr dringend ist.« »Ich erkläre ihm das schon, Genosse Berija, aber der Äthiopier wird euch nicht durchlassen.« »Das laß nur unsere Sorge sein.« Berija legte den Hörer auf die Gabel. »Was ist denn da los, Lavrentij?« fragte Mikojan. »Ist es Nadja?« »Die Kinder.« Berija warf seine Kippe in den vom Oberst bereitgestellten Aschenbecher. Die Tür wurde von innen aufgeschlossen und geöffnet. Die vier Regierungsmitglieder betraten ein kleines Vorzimmer. Die Wände und die Decke waren in einem dezenten Dunkelblau gestrichen. Hier standen: Vlasik, ein einfacher sowjetischer Stuhl, ein Tischchen mit einem Telefon und ein Schälchen Salzgurken. Vlasik salutierte und öffnete ihnen die geschliffene Milchglastür, die in das zweite Vorzimmer führte. Hier war das Interieur ganz anders: eine weiße Decke, schwarze Ebenholzpaneele, vergoldete Kleiderhaken in Form von Schlangen, und in den Ecken standen chinesische Porzellanlampen. Zwei usbekische Gouvernanten in Seidenkleidern, Pluderhosen und Tjubetejka nahmen den Ankömmlingen ihre Mäntel ab und baten sie ins Wohnzimmer. Dessen Wände waren mit elfenbeinfarbener Seide bespannt, an der Stuckrosette
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der nicht besonders hohen Decke mit den rosa Marmorsimsen hing ein wundervoller Kronleuchter in Form eines blühenden Orangenzweigs; Sofas aus weißem Leder mit Goldauflage standen um einen niedrigen Glastisch, dessen dicke, durchsichtige Tischplatte von einem Fuß in Form einer massiven Welle getragen wurde; auf dem Tisch standen eine goldene Skythenschale mit Weintrauben, ein kristallener Aschenbecher und ein Kristalleuchter mit einer brennenden rosa Kerze; daneben lag die »Pravda« vom nächsten Morgen. Im ganzen Wohnzimmer war ein ägyptischer, schwarz-grau-rosafarbener Teppich verlegt, an den Wänden hingen drei Gemälde von Filonov, etwas weiter weg stand Konenkovs Holzskulptur »Der lachende Lenin«. In der Sofaecke, auf einem rosa Samtkissen zusammengerollt, schlief der Windhund Entente. Vor der Tür zu Stalins Privatgemach lag der Äthiopier Sisul, der persönliche Diener des Führers, auf dem Teppich und schlief. Aus dem Zimmer drangen erregte Stimmen. Die Ankömmlinge gingen auf diese Tür zu. »Zu gehen verboten«, sagte Sisul mit starkem Akzent, ohne seine Augen zu öffnen. »Es ist eine dringende Angelegenheit.« Haßerfüllt schaute Berija ihn an. »Führer heute nicht empfangen.« »Was soll das heißen, nicht empfangen?! Wir sind bereits hier!« sagte Berija mit erhobener Stimme, aber Molotov packte ihn am Arm, schob ihn zur Seite und hockte sich auf allen vieren neben den am Boden liegenden Diener: »Sisul, es ist wirklich sehr wichtig.« »Genosse Stalin löst Angelegenheit von Familie. Zu gehen verboten.«
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Molotov fuhr sich erschöpft mit der Hand über das Gesicht. »Du hast nicht verstanden, Sisul. Es ist wirklich sehr wichtig. Sehr.« Der Äthiopier schwieg. »Oh, God damn you ...« Berija verlor die Geduld und schritt durch das Wohnzimmer, die langen Hände in seine schmalen Hüften gestemmt. »Hör mal, mein Lieber, was soll das eigentlich?« fing Mikojan an. »Bist du ein staatsbewußter Mensch oder nicht?« »Du hörst doch, es ist sehr wichtig!« Vorošilov versetzte Sisul einen Tritt. »Laß ihn, Klim.« Molotov hielt Vorošilovs Bein fest, hielt sein Gesicht dicht vor Sisuls bläulichschwarzes und fuhr fort: »Von dieser Angelegenheit hängt die Gesundheit unseres ganzen Landes ab. Deine ebenso wie meine. Und die des Genossen Stalin auch. Wenn wir diese Sache verzögern, wird es uns allen schlecht ergehen. Sehr schlecht.« Sisul öffnete seine schönen, großen Augen und erhob sich schnell, als hätte er überhaupt nicht geschlafen. Er war groß und stattlich und trug eine mit Gold- und Silberfäden durchwirkte abessinische Nationaltracht; aus dem grünen Gürtel ragten die Griffe zweier Dolche. Er musterte die Gäste mit seinen dunklen, ausdrucksvollen Augen, zog einen Schlüssel aus dem Ärmel, öffnete damit die Tür, ging hinein und schloß hinter sich wieder fest ab. Man konnte seine gedämpfte Stimme hören. »Ah, sehr schön!« ertönte die reine, laute Stimme Stalins. »Sehr gut, daß sie hier sind! Sollen sie euch nur sehen! Laß sie herein!« Sisul kam heraus, öffnete die Tür und sprach mit einer Verbeugung in makellosem Russisch den rituellen Satz:
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»Genosse Stalin bittet Sie herzlich, einzutreten!« Molotov, Mikojan, Berija und Vorošilov betraten die Privatgemächer des Führers. Sisul zog die Tür hinter ihnen zu und schloß ab. Stalins persönliches Wohnzimmer war ungefähr dreimal kleiner als das offizielle. Das Interieur wurde von Rosenholz und Ebenholz dominiert, Polstermöbel aus scharlachroter Seide standen auf einem in warmen Farbtönen gehaltenen chinesischen Teppich, in den Ecken waren große chinesische Vasen zu sehen, an den grauen Wänden hingen zwei Bilder: »Lenin und Stalin bei der Hundejagd« von Kustodiev, und ein Porträt von Stalin in den Schweizer Alpen, gemalt von Brodskij. Eine riesige, halbkugelförmige Deckenlampe aus Mattglas beleuchtete das Wohnzimmer mit gleichmäßigem, mildem Licht. Stalin erhob sich aus dem Sessel und ging zum Fenster, ohne den Ankömmlingen einen Blick zu schenken. Der Führer war großgewachsen, gut gebaut und hatte ein offenes, kluges, wie aus Elfenbein gemeißeltes Gesicht; sein schwarzes, kurzgeschnittenes Haar war grau meliert, die hohe Stirn ging fließend über in Geheimratsecken, die schönen, schwarzen Brauen bogen sich geschmeidig über den lebhaften, durchdringenden braunen Augen; der leichte Haken verdarb die Nase nicht, über dem kleinen, aber eigensinnigen, gespaltenen Kinn traten energische, kräftige Lippen hervor, seine glatten Wangen waren leicht eingefallen. Vom Aussehen her war Stalin ungefähr fünfzig Jahre alt. Er trug ein weißes russisches Seidenhemd mit Stehkragen und silbernem Gürtel und dazu enge Hosen aus weißem Samt, die in Halbstiefeln aus weißem Lack mit silbernen Ziernähten steckten. In der Mitte des Zimmers standen Stalins Söhne, Jakov und
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Vasilij, die man allerdings in den Frauenkleidern und Perükken, die sie trugen, kaum erkannte, Jakovs hagerer, ebenmäßiger Körper steckte in einem engen Abendkleid aus schwarzem Samt mit einem Brillantskorpion und weißen Flecken auf der mageren Brust, die braune Lockenperücke versank in einer um die nackten Schultern geschlungenen blauen Federboa; an den schmalen, femininen Händen trug er lange, schwarze Netzhandschuhe, von denen einer zerrissen war, Finger und Handgelenk wurden von drei Weißgoldringen mit Saphiren und Smaragden und zwei Platinarmbändern mit winzigen Brillanten geschmückt. Sein hageres, seinem Vater außerordentlich ähnliches Gesicht war stark gepudert, was aber die blau angelaufene Schwellung auf der rechten Wange nicht ganz verdecken konnte. Er hatte seine mit blauer Wimperntusche angemalten Augen zu Boden geschlagen und ein schmales Damentäschen aus Schlangenleder unter den Arm geklemmt. Der kleine, dickliche Vasilij trug ein beigefarbenes Kleid aus Crepe de Chine mit Stehkragen und Schulterpolstern, das in kleinen Falten nach unten fiel und auf der Brust mit pfîrsichfarbenen Rosen bestickt war; an einer dünnen Goldkette hing eine große Perle; mit Straßenschmutz bespritzte beige Glacehandschuhe umspannten seine feisten Hände, das helle Haar der Perücke war aus der Form geraten, wurde aber nichtsdestoweniger von einem Perlmuttkamm gehalten. Um Vasilijs runden Hals spannte sich ein schwarzes Seidenband, das mit Rouge bemalte, aufgedunsene Gesicht mit der Schramme am Kinn wies in vielem eine große Ähnlichkeit mit den Gesichtszügen seiner Mutter auf; auch der jüngere Sohn des Führers hatte die Augen niedergeschlagen, über der Schulter hing eine weiße Lacktasche an einer massivgoldenen Kette.
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»Meine Freunde, ihr mächtigen Lenker eines mächtigen Landes«, sprach Stalin mit sentimentaler Bruststimme. »Schaut auf die Kinder des großen Stalin. Schaut genau hin.« Die Regierungsmitglieder schauten die beiden Transvestiten an. »Womit habe ich mich vor Gott und Rußland versündigt? Wofür wird mir eine solche Strafe gesandt?« Stalin stützte sich auf das marmorne Fensterbrett und stellte sich auf die Zehenspitzen. »Warum muß ich, ausgerechnet ich, von meinen Kindern erniedrigt werden?« »Vater, ich bitte dich ...« Jakov hob den Kopf. »Schweig, schweig ...« Stalin schloß die Augen und preßte seine große Stirn gegen das kugelsichere Fensterglas. »Du bist keine Stockschläge wert, geschweige denn Worte. Du bist zweiunddreißig Jahre alt. Und bis heute bist du ein Nichts. Ein widerliches, schmutziges, miserables Nichts, zu nichts anderem imstande, als bei lebendigem Leibe zu verfaulen und Bruder und Schwester zu korrumpieren.« »Vater, ich bitte dich sehr, dieses Gespräch nicht vor Außenstehenden fortzusetzen«, sagte Jakov. »Außenstehende?« Stalin wandte sich ruckartig um, ging mit schnellem, weit ausholendem Schritt zu Jakov, hielt sein ausdrucksvolles Gesicht ganz dicht vor das unschöne, weiße Gesicht seines Sohnes und sagte: »Außer dir gibt es hier keine Außenstehenden! Hier sind nur meine Freunde und Parteigenossen, die Gefährten meiner großen Sache, und natürlich ist da noch mein törichter jüngerer Sohn, der unter deinen schädlichen Einfluß geraten ist! Sie alle sind keine Außenstehenden für mich! Du - du bist ein Außenstehender! Du bist für mich auf immer ein Außenstehender!«
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»Papa, um Gottes willen, vergib uns«, murmelte Vasilij verlegen. »Ich verspreche dir, ich schwöre dir, daß das nie mehr ...« »Du sollst nicht schwören, zum Teufel!« Stalin verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Du weißt doch gar nicht, was das ist, ein echter Schwur! Sie«, er zeigte mit einem schmalen Finger auf die Regierungsmitglieder, »sie wissen, was das ist. Aber ihr doch nicht! Sie wissen, was Ehre und Gewissen sind! Glauben und Hingabe! Was das Höhere ist! Das Höhere, was uns erlaubt, Mensch zu bleiben! Das Höhere! Das wirkliche, echte Höhere! Und nicht dieser, nicht dieses ... Pack, Pack, Pack!« Mit beiden Händen zerrte er an den Kleidern seiner Söhne, hob die Rocksäume an und zerriß sie. Jakovs wohlgeformte, schlanke Beine in den schwarzen Netzstrümpfen wurden entblößt, und bei Vasilij kamen dicke, krumme, in fleischfarbenes Perlon gehüllte Beine zum Vorschein. Stalin versetzte seinen Söhnen einen heftigen Stoß, und beide gerieten ins Wanken; Jakov blieb mit einem hohen Absatz an einem Sessel hängen, fiel hin und schlug dabei mit dem Kopf gegen eine schmale bronzene Stehlampe; Vasilij wich zurück, stürzte dabei auf eine chinesische Vase und zerdrückte sie wie ein Ei. Stalin setzte sich auf das Sofa, öffnete den Sandelholzkasten auf dem Zeitschriftentisch, nahm eine nicht sehr dicke Zigarre heraus, schnitt das Ende ab, zündete sie an einer Kerze auf dem Kristall-Kandelaber an, stieß eine dicke, bläuliche Rauchwolke aus und rieb sich mit seiner üblichen, allen schmerzhaft vertrauten Bewegung die Nasenwurzel. »Was soll ich nur mit ihnen machen?« Die Anwesenden bewahrten Schweigen. Nur Jakov, der sich
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den Hinterkopf hielt, stöhnte, und Vasilij wälzte sich in den Porzellanscherben und schluchzte. »Da, schaut euch das mal an.« Stalin nahm ein Blatt Papier mit dem Stempel des Ministeriums für Staatssicherheit vom Zeitschriftentisch. »Generalleutnant Rjumin, der Leiter der Abteilung für Außenaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR, legt folgenden Bericht vor: Nach Angaben der Einsatzgruppe traf Vasilij losifovič Stalin (im folgenden V. genannt) am 1. März 1954 um 18.32 in der Wohnung von Jakov losifovič Stalin (im folgenden J. genannt) ein. Um 20.45 verließen J. und V. in Frauenkleidern die Wohnung über die Hintertreppe. Sie gingen über die Granovskij-Straße auf den Manege-Platz und diskutierten laut darüber, in welches Restaurant sie gehen sollten. V. schlug das ›Berlin‹ vor, weil dort viele deutsche Offiziere verkehrten, J. widersprach und sagte, ›den Deutschen steht er nach der Potsdamer Konferenz noch schlechter als den Komintern-Angehörigen nach der Ausweisung des Verräters Trockij‹. J. überredete V. dazu, ins ›Metropol‹ zu gehen. Dort nahmen J. und V. einen Vierertisch, bestellten eine Flasche Champagner ›Röderer 1948‹, eine gemischte Fischplatte, zwei Krabbensalate, zwei Hühnerschnitzel ›a la Kiev‹, Eis und Kaffee. J. wurde von Ramon Gomez, einem Mitarbeiter der Spanischen Botschaft, zum Tanz aufgefordert. Bald darauf nahmen Gomez und sein Moskauer Bekannter V. G. Požarskij, Inhaber des Antiquitätengeschäfts ›Atrium‹, am Tisch von J. und V. Platz. Gomez bestellte noch drei Flaschen Champagner, J. holte Kokain aus der Tasche und bot es den neuen Bekannten an. V. lehnte das Kokain ab. Gomez schlug vor, zu ihm nach Hause zu fahren, aber V. sagte, er werde nicht mit Požarskij fahren, weil er es ›aus Prinzip nicht mit Bärtigen
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treibe‹. J. versuchte, V. zu überreden und bat ihn, ›sich seine Prinzipien in den Arsch zu stecken‹. V. warf J, daraufhin vor, er würde ›für jeden die Beine breitmachen‹ und bot sich selbst Gomez an. J. schleuderte V. den Champagner ins Gesicht. V. wollte sich mit J. prügeln, aber Požarskij hielt ihn ab und sagte, er sei bereit, sich seinen Bart abzurasieren. V. rief daraufhin den Kellner und forderte ihn auf, Rasierzeug zu bringen. Der Kellner lehnte das ab. Da zog V. hundert Rubel heraus und gab sie dem Kellner. Der Kellner brachte die nötigen Utensilien und einen Rasierapparat herbei. V. sagte: ›Ein gesprochenes Wort fliegt im Augenblick fort.‹ und verlangte, Požarskij solle sich sogleich hier am Tisch rasieren. Požarskij sagte, ihm gehe dieser Scherz zu weit, er müsse jetzt gehen. Da sagte V., er könne ihm auch gleich mit dem Rasierapparat die Ohren abschneiden. J. wollte V. davon abhalten, aber V. warf ihm Eis ins Gesicht. Požarskij floh aus dem Saal. J. begann, V. zu schlagen. Gomez versuchte, sie auseinanderzubringen. Die Kellner riefen die Miliz. J., V. und Gomez wurden zum 12. Revier gebracht. Gomez wurde bald wieder freigelassen. V. und J. führten sich gegenüber den Mitarbeitern auf dem Revier unflätig auf, beleidigten sie in ihrer Ehre und Würde.« Stalin warf das Blatt Papier auf den Tisch, streifte die Asche im Kristall-Aschenbecher ab und schaute seine Söhne an, die inzwischen verstummt waren. »Vielleicht sollte man sie für vierzehn Tage einbuchten? Sollen sie ruhig mal den Besen schwingen. Was meinst du, Lavrentij ?« Er schaute Berija und die anderen an. »Was steht ihr denn so herum wie zu Besuch? Setzt euch, setzt euch.« Die Regierungsmitglieder nahmen Platz, »losif«, fing Berija an, »endlich ist das passiert, worauf wir seit
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sechzehn Jahren warten. Man kann die Bedeutung dieses Ereignisses nicht hoch genug einschätzen. Es ist unerläßlich ...« Da erklangen draußen fröhliche Frauenstimmen und die Stimme von Sisul. Das Schloß schnappte, die Tür ging auf, und Stalins Frau, Nadežda Jusupovna Allilueva, und ihre Tochter Vesta kamen herein. Die Gattin und die Tochter des Führers waren im russischen Stil gekleidet. Allilueva trug ein Abendkleid aus apricotfarbener Seide mit Zobelbesatz und ein Perlenkollier, das von einem großen Rubin zusammengehalten wurde; das dunkle, kastanienbraune Haar war schön frisiert und wurde von einer Art Kopfputz aus Perlen gehalten, an den Ohren glitzerten Rubinanhänger mit Brillanten, am Arm schimmerte ein schweres goldenes Armband, und an den fülligen Händen funkelten zwei wunderschöne Brillantringe der Kaiserin Marija Fjodorovna. Die schlanke Figur der Tochter umschloß ein enger, mit Gold, Silber und Perlen durchwirkter Sarafan in weiß und nieder, Vestas Kopf schmückte ein Kokoschnik aus Perlen und Brillanten, Korallenbänder waren in den langen schwarzen Zopf eingeflochten, Ohrringe aus Türkis und Perlen schimmerten bläulich an den Ohren, und an den Fingern glitzerten Smaragde und Brillanten, »losif, du hast ein wunderbares Konzert verpaßt«, sagte die Allilueva mit ihrer spöttischen, aber angenehmen Stimme, ohne die am Boden sitzenden Söhne zu beachten. »Es war heute wirklich wunderbar! Die Ruslanova ist hervorragend! Und Klim Efremyč! Und überhaupt alle! Pjatoj, Massalskij, Bunčikov, Nečaev ... Und dieser junge Satiriker ... Majkin, Bajkin, wie heißt er noch gleich? So ein talentierter junger Mann! ›Wohin soll ein intelligenter Mensch denn schneuzen, wenn nicht ins Entrecote?‹ Zajkin?«
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»Gajkin, glaube ich«, sagte die Tochter, stieg über Jakovs Beine hinweg, ging zu ihrem Vater, setzte sich neben ihn und gab ihm einen Kuß. »Papa, wir haben heute gar nicht in der Regierungsloge gesessen. Jawohl!« »So?« fragte Stalin zerstreut. »Wir haben bei den Künstlern gesessen. In der Loge vom MCHAT. Janšin ist so ein Spaßvogel! Weißt du, auf seiner Fensterbank ist ein echter ...« »Nadja«, unterbrach Stalin seine Tochter plötzlich. »Ich habe soeben eine Entscheidung getroffen. Ich gebe Vasilij ins Internat. Er soll die elfte Klasse im Internat für Schwererziehbare zu Ende machen. Das zum einen. Zum anderen: Wenn ich noch einmal erfahre, daß du Jakov Geld gibst, kannst du zu ihm ziehen.« Die Allilueva schaute Jakov an, blickte Stalin in die Augen, ging zum weißen Telefon und nahm den Hörer ab: »Den Wagen, bitte.« Sie legte den Hörer auf, ging zur Tür, die zu den Kinderzimmern führte und öffnete sie. »Vesta, Vasilij, ihr geht schlafen.« Vesta ging hinaus, Vasilij stand auf, daß die Scherben knirschten, und schlenderte hinter seiner Schwester her. Die Allilueva schloß die Tür hinter ihnen, ging zu Jakov und half ihm, aufzustehen. »Warte im Wagen auf mich.« Jakov hielt sich den Nacken, ging schwankend zur Tür und klopfte dreimal. Sisul schloß die Tür auf und ließ Jakov hinaus. Die Allilueva nahm ein goldenes Zigarettenetui aus ihrem Handtäschchen und holte eine Papirossa heraus. Berija hielt ihr ein Feuerzeug hin. Die Allilueva machte einen tiefen Zug und blies müde den Rauch in Stalins Richtung.
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»Es ziemt sich nicht, deinen bornierten, kleinbürgerlichen Neid hinter der Sorge um die Erziehung der Kinder zu verstekken. Du mußt dich um die Volksmassen kümmern und nicht um die Kinder. Also laß meine Kinder in Ruhe.« Sie verließ den Raum. Stalin rauchte und schaute aus dem Fenster. Die Uhr am Spasskij-Turm begann zu schlagen. Molotov schaute auf seine Breguet: »Oh! Mitternacht...« »losif, die Erdrammler haben uns den dritten Konus geschickt«, sagte Berija. »Er ist hier, auf dem Hof. Wir müssen einen Beschluß fassen.« »Soll sie doch bei ihm leben«, sagte Stalin. »Anastas, was meinst du dazu?« »Ich meine, es ist an der Zeit, die Familienangelegenheiten ruhenzulassen und sich den Staatsangelegenheiten zuzuwenden«, erwiderte Mikojan. Stalin schaute ihn an, als ob er diesen schwerfälligen, ernsthaften Menschen zum ersten Mal sähe. »Hast du begriffen, was passiert ist?« fragte Berija. »Was?« fragte Stalin und richtete seinen schweren Blick auf Berija. »Die Erdrammler haben den dritten Konus geschickt.« Stalin verzog das Gesicht, spitzte die Lippen und legte die angerauchte Zigarre vorsichtig in die Vertiefung des Aschenbechers. Dann wandte er den Kopf langsam nach rechts und blickte zu dem rechts neben dem Sofa stehenden, ungefähr fünfzig Zentimeter hohen Stumpf einer von der Zeit zerfressenen dorischen Säule. Auf dem vergilbten Marmor lag ein schmales goldenes Federkästchen. Stalin nahm es in die Hand,
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öffnete es und nahm eine kleine goldene Spritze und eine kleine Ampulle heraus. Mit einer geschickten, knappen Bewegung brach er die Spitze der Ampulle ab, zog mit der Spritze eine durchsichtige Flüssigkeit auf, öffnete den Mund, setzte die Spritze unter die Zunge und injizierte sich die Flüssigkeit. Danach räumte er die Spritze und die leere Ampulle wieder in das Federkästchen und legte es auf das Marmorstück zurück. Diese ganze Prozedur, die seit langem ein Teil von Stalins Leben war und Tausende von Malen in Dutzenden von Sprachen der Welt beschrieben und nacherzählt, Hunderte von Malen auf Filmrolle gebannt, in Bronze und Granit gepreßt, in Öl und als Aquarell gemalt, in Teppiche und Gobelins gewebt, aus Elfenbein geschnitzt und auf die Fläche eines Reiskorns geritzt, von Poeten und Künstlern, von Gelehrten und Schriftstellern gerühmt, in einfachen Tischliedern von Arbeitern und Bauern besungen worden war, wurde von Stalin mit einer so verblüffenden Leichtigkeit vollführt, daß die Anwesenden, wie es auch früher schon geschehen war, erstarrten und die Augen niederschlugen. »Sag das noch einmal, Lavrentij«, sprach Stalin und nahm seine Zigarre. »Die Erdrammler haben uns den dritten Konus geschickt. Er befindet sich jetzt hier unter dem Fenster. Du mußt einen Beschluß fassen.« Stalin überlegte. Seine Wangen röteten sich langsam, in seine Augen trat ein leichter Glanz. »Sind das diese sibirischen Erdrammler, die im Jahre siebenunddreißig den Zug zum Entgleisen gebracht haben?« fragte er. »Genau«, nickte Berija und steckte sich eine Zigarre an.
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»Das heißt, ihre Zeitmaschine ist kein Hirngespinst unserer Wissenschaftler.« »Genau.« »Und was ist es diesmal? Wieder Eis?« »Ja, ein großes Stück Eis.« »Und wo haben sie es hochgehen lassen? Gab es Opfer?« »Nein, Gott sei Dank. Das Ding ist im Bolšoj-Theater aufgetaucht, mitten im Konzert.« »Tatsächlich?« Stalin grinste. »Schade, daß ich nicht da war. Und was ist das ... dieses Eis?« »Es ist etwas drin, genau wie beim letzten Mal.« »Wieder ein Junge mit Hörnern?« Stalin stand auf, streckte sich und ging im Zimmer auf und ab. »Wir wissen es nicht. Aber es ist irgend etwas drin. Sie würden uns nicht einfach nur Eis schicken. Wir müssen einen Beschluß fassen.« »Was heißt das, einen Beschluß fassen? Ihr müßt Spezialisten hinzuziehen. Das geht deine Behörde an. Was hat denn Genosse Stalin damit zu tun?« »Willst du damit sagen, daß dich das nicht interessiert?« »Das interessiert mich sogar außerordentlich. Aber was erwartest du konkret von mir? Soll ich den Hörer abnehmen und in der Akademie der Wissenschaften anrufen?« Berija und Molotov warfen sich einen Blick zu. »losif, diese Angelegenheit ist von immenser Bedeutung für den Staat«, sagte Molotov. »Wir haben angenommen, daß du jetzt, nach der dritten Botschaft, diesem Phänomen größere Aufmerksamkeit schenken würdest.« »Und daß dir dein Fehler aus dem Jahr siebenunddreißig bewußt werden würde, als es Ežov gelang, dich davon zu über-
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zeugen, daß die Zeitmaschine eine Lüge ist, die sich die Eisenbahner-Schädlinge als Rechtfertigung für die Zugkatastrophe ausgedacht hatten«, versetzte Berija. »Mein Fehler, Genosse Berija«, Stalin ging auf ihn zu, »besteht darin, daß ich geglaubt habe. Aber nicht Ežov im Jahre siebenunddreißig. Sondern dem Großen Lenin im Jahre zweiunddreißig, der Ežov als Volkskommissar des Innern vorgeschlagen und sich persönlich für ihn verbürgt hat. Doch leider hat der Große Lenin selbst für meinen Fehler bezahlt. Mit seinem Leben. Als nämlich seine Kreatur Ežov ihm die Mörder geschickt hat. Genosse Stalin hat also schon einmal für sein blindes Vertrauen in die Führer gebüßt. Willst du, daß er erneut büßt?« »Darum geht es doch nicht, losif.« Vorošilov stand auf. »Aber wir haben einfach den Eindruck, daß du die Bedeutung dessen, was heute passiert ist, nicht ganz erfaßt.« »Eine Sekte von Leuten, die im Jahre 2026 vor der Zivilisation geflohen sind, um die sibirische Erde zu rammeln, schickt uns im Jahre 1954 ein Stück Eis. Dieses Phänomen zu begreifen, fällt dem der Wissenschaft nicht nahestehenden Stalin in der Tat nicht leicht. Er hat schließlich nur an zwei Universitäten studiert und nicht die Akademie des Generalstabs absolviert wie der Genosse Vorošilov.« »Was soll dieser Unsinn, losif?« Vorošilov runzelte die Stirn. »Alle Drogengegner der Welt sagen: ›Was soll der Unsinn, losif ?‹ Du etwa auch?« Vollkommene Stille trat ein. Draußen im Flur hörte man einen Hund winseln. Entente war erwacht und wollte zu ihrem Herrchen, und Sisul ließ sie herein. Der Windhund drängte ungestüm ins Zimmer, stürzte auf Stalin zu und sprang ihm an die Brust.
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»Na, na, na, ich bin doch hier, ich bin doch hier ...« Stalin packte den Hund und hielt die Hand mit der Zigarre zur Seite. »Hast du ausgeschlafen, meine Schöne?« Der Hund leckte dem Führer begeistert das Gesicht ab. »Geh ins Bad, pinkeln.« Er öffnete die Tür, die in seine Hälfte der Wohnung führte, einen Spalt breit. Der Hund schlüpfte hindurch. Stalin schnipste die Asche in die chinesische Vase und wandte sich um. »Worauf wartet ihr, Genossen?« Die Anwesenden warfen dem finster schweigenden Vorošilov Blicke zu. »Wer arbeitet am Problem der weichen Zeit?« fragte Stalin. »Landau, Sacharov und Vernadskij«, gab Berija zur Antwort. »Also, dann laß Landau, Sacharov und Vernadskij herkommen. Sie sollen eine Einschätzung geben.« Berija ging zum Telefon. »Vielleicht sollten wir nur Landau und Sacharov kommen lassen?« »Warum?« »Vernadskij ist schon älter und nicht ganz gesund. Ich will ihn nicht unbedingt aus dem Schlaf holen.« »Dann laß eben nur die zwei kommen.« Stalin schaute aus dem Fenster auf den im Hof stehenden Lastwagen. »Und bring dieses Ding da weg. Gibt es dafür keinen anderen Ort als den Kreml?« Nadežda Allilueva und Jakov Stalin lagen auf einem riesigen Mahagonibett und rauchten, Jakovs unermeßlich große Achtzimmerwohnung war in Dunkelheit getaucht. In dem mit allerlei Gerümpel vollgestellten Schlafzimmer brannte ein blaues
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Nachtlämpchen auf dem Nachttisch, daneben stand ein Silberkübel mit einer Flasche Champagner. »Irgendwie riecht es bei dir im Schlafzimmer immer nach Vanille«, sagte Nadežda und musterte Jakovs Profil. »Wieso eigentlich?« »Das kommt vom Staubsauger.« »Wie das denn?« »Javdocha saugt den Teppich jeden Tag. Ich habe ihr verboten, in meiner Wohnung irgendwas anzufassen oder aufzuräumen. Sie darf nur die Böden wischen und staubsaugen. Also gibt sie sich Mühe. Und der Staubsauger sondert aus irgendwelchen Gründen einen süßlichen Geruch ab.« »Sieh mal an! Und ich dachte immer, du liegst den ganzen Tag hier und ißt Kuchen.« »Ich esse praktisch nichts Süßes mehr.« »Warum das denn?« Sie fuhr ihm mit dem Finger über Stirn, Nase und Lippen. »Du bist doch auch so schon spindeldürr.« »Ist das schlimm?« »Mir gefällt es. Ich küsse dich gerne zwischen die Rippen.« Sie begann, seine Brust zu küssen und fuhr langsam tiefer, zu den Rippen. »Küßt du ihn auch gerne zwischen die Rippen?« »Ich beiß dich gleich«, drohte Nadežda scherzhaft. »Nur nicht in die Eier«, gähnte Jakov und warf die Papirossa in den Silberkübel. Die Kippe fiel zischend ins Eis. »Ich fahr übrigens nach Venedig.« Jakov drehte sich zu ihr um. »Im Frühjahr ist es scheußlich in Moskau.« »In Venedig ist es um diese Zeit auch nicht besser. Fahr lieber nach Spanien. Mitte März blüht dort alles. Der Graf und ich kommen dich besuchen.«
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»Ich mag es nicht zu dritt, das weißt du.« »Na, dann komme ich eben allein.« »Machst du ja doch nicht.« Er berührte seine geschwollene Wange. »Connard de merde!« »Mon chat... tu es fatigué?« »Mais non, putain de merde ... Vaska ist wirklich unerträglich geworden. Er ist nach einem Glas betrunken und führt sich auf wie ein Schwein. Heute besonders ... Er ist mit den Fäusten auf mich losgegangen, und das alles wegen so eines spanischen Idioten. Es reicht mir jetzt, ich schwöre, daß ich ihn nie wieder in eine Kneipe mitnehme.« Jakov bekreuzigte sich dreimal. »Schwöre lieber nicht.« Nadežda zog das Bettuch von Jakovs Körper, der im Licht der Nachtlampe bläulich-weiß schimmerte, und nahm behutsam sein Glied in die Hand. »Blutsverwandten muß man alles vergeben können.« »Er ist nur halbverwandt mit mir. Außerdem ist er halbverrückt.« »Er ist hier rausgekommen«, Nadežda nahm Jakovs schlaffe Hand und legte sie an ihre rasierten Genitalien, »das heißt, er ist mit dir verwandt.« Sie preßte Jakovs willenlose Hand mit ihren Schenkeln zusammen und nahm erneut sein Glied. »Schade, daß ich dich nicht geboren habe.« »Versuches doch mal mit Vasja. Er hat einen dicken Schwanz. Ganz der Vater. Nicht wie bei mir. Willst du's mal probieren?« »Vorläufig nicht.« Nadežda preßte seine Hand rhythmisch mit ihren Schenkel und streichelte sein Glied. »Willst du mich heute nicht?« »Mit meiner zerschlagenen Fresse ... irgendwie nicht so recht.« »Deine Liebhaber schlagen dich doch oft.«
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»Wer hat dir das denn gesagt?« »Das ist doch egal. Zuerst schlagen sie dich, und dann treiben sie es mit dir. Sie treiben es mit Jašenka von hinten. Und Jašenka weint und stöhnt, weint und stöhnt, weint und stöhnt.« Jakov hob den Kopf ein wenig, schaute sie an, warf sich aufs Kissen zurück und fing an zu lachen. »Du Närrin! Du bist eine Närrin!« Sein Glied versteifte sich, Nadeždas rundliche Hand streichelte ihn gekonnt. »Haben dir die Sicherheitsleute diesen Blödsinn erzählt?« Jakov goß sich noch Champagner nach und trank aus. »Das letzte Mal hast du mich geschlagen. Vor einem halben Jahr. Und selbst das war im Scherz.« »Und neulich am Feiertag? Als du mich so abscheulich erschrocken hast? Da hätte man dir etwas brechen sollen. Zum Andenken.« »Fürchtest du dich vor den Toten?« »Ich reiß dir jetzt gleich das Zepter ab!« »Sag doch, fürchtest du dich mehr vor den Toten, oder vor dem Tod allgemein?« »Halt die Schnauze, mein Ferkelchen ... sonst ... so ...« Sie preßte sein Glied kräftig zusammen, die Eichel quoll heraus und wurde flammendrot. Jakov verzog das Gesicht. »Aaah ... Du hast so starke Hände ... oooh ... sag mal, wieso hat er zweimal eine Linkshänderin geheiratet? Hier haben wir ein Rätsel für seine Biographen ...« »Wir werden dein wildes Tier ersticken ... wie den Hund Tito ... mit einer Baßseite vom Klavier ...« »Hör mal, vielleicht lügst du mir einfach was vor?«
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»Aaah ... mon petit néoglobaliste ... voilà, et ici ...« sagte sie hingerissen und betrachtete sein schwellendes Glied. »Vielleicht hat er einfach aufgehört, dich zu bumsen? Und Pasternak, läßt er dich nicht mehr ran?« »Was?« fragte Nadežda, ohne sein Glied loszulassen. »Ich sage, vielleicht hat er schon lange ...« fing Jakov lächelnd an und hob leicht den Kopf, aber als er dem Blick ihrer grünen, wachsamen Augen begegnete, stockte er. Sie schaute ihn an wie die Leiche eines lange vergessenen, aber lieben Menschen, stand auf und verließ das Schlafzimmer. Man hörte, wie sie barfuß durch die ganze Wohnung und ins Vorzimmer ging, zum zweiten Telefonapparat. »Nadine!« schrie Jakov unwillig und betrachtete sein violettes Glied. »Das war wirklich ein dummer Scherz ... pardonnemoi!« Nadežda nahm den Hörer. »Den Wagen, bitte!« vernahm Jakov ihre schwache Stimme. »Sauerei, connard de merde ...« seufzend ließ er sich auf das von Lippenstift und Wimperntusche verschmierte Kissen zurücksinken. »Wenn der Morgen versaut ist, dann ist der ganze Tag versaut. Total versaut.« Die Akademiemitglieder Landau und Sacharov wurden um halb zwei Uhr nachts in den Kreml gebracht. Sie durchleuchteten den Eisblock und konnten sich davon überzeugen, daß darin ein Monster mit einem Köfferchen auf den Knien hockte. Man entnahm sofort Proben von dem Eis, entdeckte darin aber weder Gift noch Strahlung. Es wurde beschlossen, den Eisblock in einen warmen Raum zu stellen, das Ende des natürlichen Tauprozesses abzuwarten und das gefrorene Mon-
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ster zu beobachten. Stalin schlug vor, das Ganze mit einem Abendessen zu verbinden. Man brachte den Eiskonus in den Granovitaja-Saal und stellte ihn in eine große kupferne Wanne, die man aus der Münzanstalt herbeigeschafft hatte. Vier Sicherheitsleute mit Maschinenpistolen wurden zur Bewachung des Eiskonus abgestellt. Zwei Professoren, der eine Mikrobiologe und der andere Physiker, nahmen auf Stühlen daneben Platz. Neben Molotov, Vorošilov, Berija, Mikojan, Landau und Sacharov lud Stalin noch Bulganin, Kaganovič, Malenkov, Fürst Vasilij, den Zuckerfabrikanten Gurinovič, die Schriftsteller Gorkij und Pavlenko, den Komponisten Šostakovič, den Künstler Gerasimov und den Regisseur Ejzenštejn dazu ein. Die Gäste wurde von Berija über die Angelegenheit unterrichtet. Als alle an dem langen, erlesen gedeckten Tisch Platz genommen hatten, erhob Stalin sich mit einem Glas Champagner in der Hand. Er trug einen dunklen, flaschengrünen Anzug, der seine schlanke Figur ideal zur Geltung brachte; sein mit Pomade frisiertes Haar war glatt zurückgekämmt, den hohen, schneeweißen Stehkragen umschloß ein breites Brillanthalsband mit dem berühmten dreißigkarätigen Smaragd, den der Führer vom Schah von Persien geschenkt bekommen hatte; sein rassiges, wie aus Stein gemeißeltes Gesicht leuchtete vor wacher Aufmerksamkeit dem Geschehen gegenüber. »Genossen«, begann Stalin. »Wir haben uns hier versammelt anläßlich eines einzigartigen, außergewöhnlichen Phänomens. Mit solchen Geschenken verwöhnt die Umwelt uns nicht oft. Bereits zweimal haben die Russen des dritten Jahrtausends versucht, mit uns Kontakt aufzunehmen. Und zweimal wurden sie daran gehindert. Im Jahre 1908 war die unfähige zaristische
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Regierung im Weg und im Jahre 1937 der Verbrecher und Volksfeind Ežov. Heute scheint es, als sei es den Menschen der Zukunft erstmals gelungen, zu uns vorzudringen. In diesem Eisblock haben sie uns, den Bürgern der Sowjetunion, ihre Botschaft gesandt, und das am Tag der Eröffnung des Allrussischen Hauses der Freien Liebe, was für sich allein schon Symbolkraft hat. Wir haben an diesem großartigen Palast der von jahrhundertealten Vorurteilen befreiten Liebe beinahe sechs Jahre lang gebaut. Der Tag der Öffnung seiner goldenen Tore wurde zum allgemeinen Feiertag, zu einer Feier für die Freiheit und die neue sowjetische Moral. Und ausgerechnet an diesem ruhmreichen Tag erreicht uns die dritte Botschaft aus der Zukunft. Ich weiß nicht, was uns unsere Ururenkel schicken, doch meine innere Stimme, auf die ich immer gehört habe, solange ich denken kann, sagt mir, daß diese Botschaft mit unserer schwierigen, beispiellosen Arbeit an der Befreiung des Menschen zu tun hat, mit jenem großen Weg, den unser großes Volk beschreitet. Daher schlage ich vor, auf Rußland zu trinken. Auf das Rußland der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.« Alle erhoben sich. Stalin streckte sein Champagnerglas aus und stieß mit seinen Nachbarn an. Der Kristallklang lief über die mit Deckengemälden verzierten Gewölbe des GranovitajaSaales. Alle tranken und setzten sich wieder hin. Die Tafel war wundervoll: Auf einem weiß-blauen handgewebten Tischtuch im russischen Stil stand das Gold- und Silbergeschirr von Aleksandr L, und die reichhaltigen russischen Vorspeisen lockten mit appetitlicher Vielfalt; da gab es geräucherten Aal und Stör in Aspik, Pastete aus Rentierfleisch und gefüllte Haselhühner, einfachen Sauerkohl und Kalbszunge
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mit Hirn, gesalzene Reizker und Spanferkel in Aspik mit Meerrettich. In der Mitte des Tisches thronte ein goldener Bär, der ein Tragjoch mit zwei Silberkübeln auf den Schultern hielt, die mit schwarzglänzendem Beluga-Kaviar und feinkörnigem, grauen Sterlet-Kaviar gefüllt waren. Männer in roten Kattunhemden trugen ein Holzbrett mit heißem ukrainischem Weißbrot herein und fingen an, den Gästen zu servieren; sie legten allen Kaviar auf und bestrichen das Weißbrot mit Butter aus Vologda. »Auf einem Bein kann man nicht stehen!« bemerkte Kaganovič laut und erhob sich mit seinem Vodkaglas. Sein listiges Gesicht, zur Hälfte unter einem glatten grauen Bart verborgen, war lebhaft und flach, wie bei einem Mongolen, seine kleinen, funkensprühenden Augen glänzten fröhlich, in seinem hellgrauen Dreiteiler mit blau-grünem Schlips und einer weißen Nelke sah Kaganovič aus wie der Brautführer auf einer Kaufmannshochzeit. »Ich, als der leichtsinnigste und folglich verdientermaßen von der, wie ein Dichter es ausgedrückt hat, ›gußeisernen Macht des Staates‹ am wenigsten bedrückte Mensch unter allen hier Anwesenden, ich möchte Ihnen im Bewußtsein dessen, daß mit jedem hier gekippten Glas Ihre totale Aufmerksamkeit für den Tauprozeß dieses unheilverkündenden Eisbergs zunehmen wird, trotz allem den heutigen Tag, seine unvergänglichen Werte, sein wichtigstes Ereignis, in Erinnerung bringen. Heute habe ich sofort nach der Eröffnungszeremonie dem Haus der Freien Liebe einen Besuch abgestattet. Liebe Genossen! Lange habe ich nicht mehr mit solcher Ekstase gevögelt! Dreimal habe ich mein Sperma verspritzt, und dreimal habe ich geweint, als mir klar wurde, welch große Tat wir da mit
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dem Genossen Stalin an der Spitze vollbracht haben. Dennoch möchte ich vorschlagen, nicht auf uns und nicht auf den Genossen Stalin zu trinken. Sondern auf all die namenlosen Frauen, Männer und Kinder, die in der Allrussischen Kathedrale der Freien Liebe gefügig und mit Vergnügen ihre entzükkenden Beine spreizen! Auf die Frauen, Männer und Kinder, Genossen!« Alle tranken. »Ein selten dämlicher Schwätzer«, flüsterte der dickliche, phlegmatische Šostakovič dem hageren, immer kränklich-gallig aussehenden Gerasimov ins Ohr. »Und nach so einem Idioten ist unsere Metro benannt!« murmelte der neben ihnen sitzende elegante Albino Ejženštejn. »Er ist eine Kreatur von Lenin.« Gerasimov streckte seine Hand nach dem Ferkel aus. »Es heißt, er habe Lenin tatsächlich zwei Hämorrhoiden ausgesaugt. So etwas vergißt man in unserem Alter nicht.« »Lenin wußte, wie man sich bedankt. Nicht so wie der jetzige ...« Šostakovič knirschte mit einem Reizker. »Genosse Gorkij, warum essen Sie nichts?« fragte Stalin und schob sich eine ordentliche Portion Sterlet-Kaviar in den Mund. »Die Gelehrten haben uns ja vorgewarnt, es wird eine Weile dauern.« Der schmalgesichtige, ruhige, bescheiden gekleidete Gorkij richtete sein Lorgnon auf den schmelzenden Eisblock und schüttelte den Kopf: »Genosse Stalin, ich kriege keinen Bissen runter. Mir ist irgendwie unheimlich ... neben diesem Ding da.« »Sie brauchen keine Angst zu haben. Wenn Genosse Berija dabei ist, geht alles gut. Nehmen Sie doch von unserem Weiß-
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lachs. Die Frutti di mare kommen Ihnen wahrscheinlich schon zu den Ohren heraus?« »Nein, ich glaube nicht, daß dieses Eis aus der Zukunft kommt!« rief der schwerfällige Gurinovič mit seiner lauten Stimme aus. »Machen Sie mit mir, was Sie wollen, meine Herren, selbst wenn Sie mich, pardon, an den Eiern aufhängen ich glau-be das ein-fach nicht!« »Wenn wir Sie aufhängen, werden Sie es schon glauben«, bemerkte Berija und säbelte mit chirurgischem Gleichmut den Aspik in Stücke. »Sie werden doch einfach von einem transatlantischen Schurken zum Narren gehalten!« Gurinovičs hängende Unterlippe zitterte. »Die Plutokraten von drüben schielen schon seit einem halben Jahrhundert nach unseren Märkten, und dafür ist ihnen jedes Mittel recht!« »Aber was hat denn das Eis damit zu tun?« fragte Malenkov. »Das hat insofern damit zu tun, Väterchen, als die Juden von drüben schlauer sind als unsere hier! Der da«, Gurinovič zeigte mit der Gabel auf den Eisblock, »dieser Bastard da hat ein Köfferchen auf den Knien! Und was ist da drin! Wechsel vom Zaren etwa! Datiert aus dem Jahr zweitausendnochwas, mit Stempel und Unterschrift! Sie schlafen schließlich und sehen zu, daß wir den Vertrag über den Marshall-Plan verlängern! Wechsel sind ein Pik-As aus der Zukunft und eine Stahlschlinge von Uncle Sam in der Gegenwart! Das versteht ihr nicht? Macht nichts! Wenn eure Schoßhunde erst Raffinadezucker aus Kuba und nicht aus meiner Produktion kauen, dann werdet ihr das schon verstehen! Dann tanzen wir alle zum Yankee Doodle und stecken den Nutten Dollars in den BH!« Zornig schlug er mit der Faust auf den Tisch.
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»Genosse Gurinovič ist offenbar etwas voreilig«, lächelte Molotov. »Der Inhalt dieses Köfferchens ist zwar ein großes Diskussionsthema, aber ohne Perspektive.« »Und wieso das?« Gurinovič zog ein mürrisches Gesicht. »Weil wir den Koffer in fünf Stunden gemeinsam öffnen werden.« Berija wischte mit einer Spitzenserviette seinen vollen, sinnlichen Mund ab. »Es lohnt sich also nicht, vorzeitig Porzellan zu zerschlagen.« »Dennoch sind erhebliche Zweifel angebracht, Genossen«, bemerkte Šostakovič und schaute Stalin an. »Wer verbürgt sich denn dafür, daß diese Sendung wirklich aus der Zukunft kommt? Und nicht vielleicht vom CIA?« »Was fragen Sie da mich?« grinste Stalin. »Wir haben hier zwei Akademiemitglieder unter uns.« »Drei!« lachte Gerasimov, hob sein Vodkaglas und stieß mit seiner eigenen Nase an. »Die Malerei ist keine exakte Wissenschaft, Genosse Gerasimov«, parierte Stalin. »Das heißt, Sie zählen heute nicht. Genosse Landau, zerstreuen Sie die Zweifel.« »Meine Herren.« Der füllige, kraushaarige, rundgesichtige Landau kaute hastig seinen gekochten Schinken fertig. »Dieser Konus wurde uns aus dem Jahre 2068 geschickt. Das ist eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache.« »Was heißt denn wissenschaftlich, gestatten Sie uns die Frage?« Fürst Vasilij steckte eine Zigarette in sein PerlmuttMundstück. »Aber ohne Formeln, Gott bewahre!« bat Gurinovič. »Der Korpus des transportablen Teils der Zeitmaschine der sibirischen Zoroastriden ist aus Granit gehauen. Beim Transport durch die weiche Zeit verwandelt er sich zu Staub. Auf der
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Eisoberfläche finden sich Partikel von Granitstaub. Wir haben sein Alter mittels der Isotopenmethode geprüft. Dabei stellte sich heraus, daß dieser Granit kein Alter hat. Aber das kann nicht sein. Granit ist Hunderte von Millionen Jahre alt.« Am Tisch trat eine Pause ein. »Ja, aber der Granit, aus dem les misérables Zoroastriden den Korpus gehauen haben, hat doch wohl ein Alter gehabt?« fragte Fürst Vasilij. »In der Zukunft hat er zweifellos ein Alter gehabt.« Landau lächelte kindlich-unbefangen. »Aber beim Transport durch die weiche Zeit annullieren die Leptonen der Antiatome die freien Elektronen in den Granitmolekülen und bilden Antineutronen, die in achthundertsechsundneunzig Sekunden in Antiprotonen und Positronen zerfallen. Die Positronen deformieren zeitweise die Felder der Ausgangselektronen und wenden ihren Eigendrehimpuls um hundertachzig Grad, und dementsprechend zerfallen die Isotopen in den Granitstücken nicht weiter. Im Prozeß der umgekehrten Beta-Konversion absorbieren die Antiprotonen die Energie und vereisen den Wasserdampf. Das ist alles ganz einfach.« »Ich verstehe das nicht«, brummte Gurinovič beleidigt, brach ein Stück von dem ukrainischen Weißbrot ab, tunkte es zuerst in sein Vodkaglas, dann in Meerrettich und steckte es in den Mund. »Aber wann haben Sie denn den Staub mit der Isotopenmethode überprüfen können?« fragte Fürst Vasilij. »Gerade eben? Heute nacht?« »Genosse Landau hat das bereits im Jahre siebenunddreißig gemacht«, erläuterte Molotov. »Als die Erdrammler den zweiten Konus geschickt haben.«
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»Wofür der Volksfeind Ežov ihn dann zwei Jahre hinter Gitter gebracht hat«, fügte Mikojan hinzu, der mit großem Appetit ein mit Gänseleberpastete gefülltes Haselhuhn verzehrte. »Aber Genosse Sacharov hat eine andere Erklärung«, bemerkte Berija. »Tatsächlich? Das ist ja interessant.« Stalin schaute zu Sacharov, der Kvas aus einem silbernen Becher trank. Der breitschultrige, stattliche Sacharov erhob sich und strich mit seiner sonnengebräunten großen Hand gewohnheitsmäßig sein elegantes rotes Spitzbärtchen glatt. »Lev Davidovič und ich haben in dieser Frage Meinungsunterschiede prinzipieller Natur. Ich versuche, es so einfach wie möglich zu erklären. In der modernen Relativitäts-Physik existieren drei Konzeptionen der weichen Zeit: die von Landau und die von Heisenberg, die allerdings nach dem Phänomen des Jahres siebenunddreißig und nach den heutigen Ereignissen keiner Kritik mehr standhalten, und schließlich - meine. Landaus Konzeption beruht auf der Behauptung, die weiche Zeit sei eine bewegliche Lakune im streng strukturierten Zeitstrom. Vereinfacht ausgedrückt, ist es wie bei einer Unterwasserströmung im Fluß: solange man an der Oberfläche schwimmt, bewegt man sich mit dem Fluß, doch sobald man taucht, beginnt man, gegen die Strömung zu schwimmen. Ist das einigermaßen verständlich, Genossen?« »Vollkommen«, nickte Stalin. »Und was paßt Ihnen an Landaus Theorie nicht?« »Was mir prinzipiell nicht paßt, ist die Konzeption der Zeit als linearer Strom. Die Zeit ist kein Fluß.« »Was denn sonst? Ein Sumpf vielleicht?« fragte Kaganovič. »Meiner Auffassung nach ist die Zeit ein gewaltiger, unendlich
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großer Kohlkopf, und seine Blätter sind die Jahre, die Stunden, die Mikrosekunden, in denen wir leben. Jedes Ereignis unserer Welt gehört zu einem konkreten Kohlblatt und lebt darauf wie - nun, sagen wir, wie eine Laus. Und die weiche Zeit ist ein Wurm, der in der Lage ist, Gänge in diesen Kohlkopf zu fressen und sich frei darin zu bewegen.« »Und die Läuse auf seinem glitschigen Rücken herumzutragen?« fragte Stalin. »Genau richtig, Genosse Stalin!« lachte Sacharov und zeigte auf den Eisblock. »Da ist eine solche Laus, bitte, meine Herrschaften*!« Alle fingen an zu lachen. Ein abgetautes Stück Eis löste sich von dem Block und fiel polternd in die Wanne. Die Wanne dröhnte. Alle verstummten. »Er ist beleidigt, daß wir ihn als Laus bezeichnet haben«, bemerkte Stalin, und wieder fingen alle an zu lachen. Stalin hob sein Glas und wollte aufstehen, aber der neben ihm sitzende Berija nahm liebenswürdig seine Hand. »Darf ich, losif ?« »Ich beuge mich der Stärke der Geheimpolizei«, lächelte Stalin. Berija erhob sich mit einem Glas Sherry, seinem Lieblingsgetränk. »Meine Freunde. Ich möchte ein paar freundliche Worte über unsere bemerkenswerten sowjetischen Wissenschaftler, von denen zwei hier anwesend sind, sagen. Dank unserer Wissenschaft hat sich der Sowjetstaat von einem rückständigen Agrarimperium zu einem Industriegiganten gewandelt. Dank unse* im Original deutsch
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rer Wissenschaft hat unser Volk einen Atomschutzschild, der imstande ist, jeglichen Aggressor unschädlich zu machen. Und schließlich stehen unsere Wissenschaftler kurz vor der Lösung des Phänomens der Zeit. Stellen Sie sich vor, was uns alle erwartet, wenn die Sowjetmenschen imstande sind, die Zeit zu beherrschen! Ich bin ein kaltblütiger Mensch und neige nicht zu Gefühlsausbrüchen. Und dennoch, Genossen, mir stockt der Atem, wenn ich daran denke. Trinken wir doch auf die Gesundheit unserer Wissenschaftler!« Alle erhoben sich und tranken. »Ja. Das heißt also, im Streit der Genossen Landau und Sacharov muß die Wahrheit ans Licht kommen. Stimmt's, Genosse Sacharov?« Stalin nahm Platz, legte sich ein Stück Weißlachs auf den Teller und schöpfte mit einem kleinen goldenen Löffel Meerrettich dazu. »Ganz genau, Genosse Stalin!«* Sacharov kaute knackend an einer Salzgurke. »Okay, Genosse Sacharov!«* Stalin bestrich den Weißlachs gleichmäßig mit Merrettich, schnitt ein Stück ab und steckte es in den Mund. »Einerseits kommt die Wahrheit ans Licht. Aber andererseits wird einer von Ihnen beiden konstatieren müssen: Ich habe verloren*.« »Das kann man in der Wissenschaft nicht vermeiden, Genosse Stalin!« nickte Landau lebhaft. »Einer fundamentalen Entdekkung geht immer eine Vielzahl von Fehlern voraus. Glücklicherweise gibt es in der sowjetischen Physik Leute, die diese Fehler korrigieren können.« »Gott sei Dank, Genosse Landau. Wir, die sowjetischen Politi* im Original deutsch
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ker, können euch, die sowjetischen Physiker, leider nur beneiden.« »Ich verstehe Sie nicht, Genosse Stalin!« Landau lächelte mit seinem runden Gesicht. »Worum sollten Sie uns beneiden?« »Um die Methoden zur Fehlerkorrektur, Genosse Landau. Einmal angenommen, Genosse Stalin hätte bei der Lösung der Nationalitäten- oder der Bauernfrage einen Fehler begangen. Wie müßte man den Genossen Stalin korrigieren?« Alle schauten ihn schweigend an. Stalin musterte die Gäste mit seinen lebhaften braunen Augen, die jetzt stärker als üblich glänzten. »Also? Warum sagen Sie nichts?« »Nun«, begann Gorkij unentschlossen, »es wäre wahrscheinlich unumgänglich, Ihnen einen Ratschlag zu erteilen ... Sie zu kritisieren.« »Kritisieren?« Stalin zog seine schönen Brauen in die Höhe und ließ dann schnell den Kopf sinken, um in sein berühmtes Stalinsches Lachen auszubrechen. Dieses Lachen war ein ganz besonderes, mit nichts zu vergleichendes Lachen. Über seine Schultern lief ein Krampf, sein schöner Kopf zuckte, er warf sich heftig gegen die Stuhllehne zurück, zog durch die zusammengepreßten Zähne zischend Luft ein und fiel mit einem unwahrscheinlichen Laut, der an das Brüllen einer Meerkatze erinnerte, ungestüm nach vorne; daraufhin warf er sich wieder zurück, saugte Luft ein und fing an zu brüllen; er schwankte immer schneller vor und zurück, die brüllenden Laute folgten in immer kürzeren Abständen, wurden immer abgehackter und gingen in eine Art Grunzen über; dann plötzlich verkroch er sich zwischen Tisch und
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Stuhllehne, das Grunzen wurde zu einem unerträglichen, markerschütternden Winseln, und er verfiel gleichsam in einen Starrkrampf, er vibrierte mit dem ganzen Körper, der Kopf fiel allmählich zurück, aus dem wachsbleichen Gesicht starrten die hervorquellenden Augen zum niedrigen Deckengewölbe, und dem weit geöffneten Mund des Führers entrang sich ein unmenschlicher Schrei: »Aaauaaauaaaa!« Sogleich brachen alle in erleichtertes Lachen aus. Stalin zog ein purpurrotes Seidentuch aus der Tasche, fuhr sich damit über das Gesicht und schneuzte sich geräuschvoll. »Nein, Genosse Gorkij.« Stalin hatte sich beruhigt und redete weiter. »Fehler kritisieren kann man bei Ihnen im Plenum des Schriftstellerverbands. Bei uns Politikern funktioniert das anders. Und wenn Genosse Stalin einen Fehler gemacht hat, darf man ihn nicht kritisieren. Man muß ihn vielmehr zum Volksfeind erklären, mit der Ochsenpeitsche auf dem Richtplatz auspeitschen und an der Kremlmauer aufhängen, damit die Moskauer Tauben seinen nichtswürdigen Körper mit dem Schnabel zerhacken.« Im Saal trat tödliche Stille ein. »Was erschrecken Sie uns denn so, Genosse Stalin«, sagte Ejzenštejn mühsam. »Da bekommt man ja einen Herzinfarkt!« Gurinovičs hängende Unterlippe zitterte. »Genossen, ich habe einen aktuellen Trinkspruch zum Thema Fehler.« Damit wollte Mikojan sich von seinem Platz erheben, aber Stalin hielt die Hand hoch. »Einen Moment noch, lieber Anastas. Ich muß mal.« Mikojan nickte verständnisvoll und setzte sich wieder hin.
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Stalin nahm das neben ihm auf dem Tisch liegende Glöckchen und läutete. Auf der Stelle erschienen vier jüngere Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit. Drei schoben eine Karre mit dem Stumpf der Marmorsäule, und der vierte trug das goldene Federkästchen mit der Spritze. Sie stellten die Säule neben Stalin ab, legten das Federkästchen darauf und verließen mit der Karre den Raum. Stalin nahm das Federkästchen, holte die goldene Spritze und die Ampulle heraus und verpaßte sich mit der üblichen Eleganz eine Injektion unter die Zunge. Die Gäste schlugen die Augen nieder. »Bitte sehr, Anastas.« Stalin legte das Futteral mit der Spritze auf die Säule. Mikojan stand auf und nahm sein Glas Rotwein. »Meine Freunde, ich bin zwar ein Mensch des Orients, aber ich konnte noch nie Trinksprüche ausbringen. Daher liegt die Schlußfolgerung nahe - ich bin ganz und gar kein Mensch des Orients, sondern ein typisch unromantischer Moskauer und zudem gleichzeitig der Erste Stellvertreter des Vorsitzenden des Minister r ats.« Alle fingen an zu lachen. »Und dieser Moskauer mit orientalischem Blut hat seine Aufmerksamkeit schon lange auf eine interessante Tatsache gerichtet.« Mit einem verschmitzten Lächeln betrachtete Mikojan die Anwesenden. »Jedes Mal, wenn Genosse Stalin über...« Plötzlich brach ein großes Stück von dem Eisblock ab und fiel polternd in die Wanne. Das dumpfe Grollen der dröhnenden Wanne schwebte durch den Saal. Alle verstummten. Mikojan stand mit dem Glas in der Hand. »Das hört sich ja an wie die Glocke der altrussischen Volksver-
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Sammlung, verzeih uns, o Herr ...!« Gerasimov bekreuzigte sich. »Genosse Berija!« rief der Mikrobiologe. Berija stand auf, ging zum Eisblock und betrachtete ihn. Anstelle des abgebrochenen Eisstücks war jetzt ein Stück vom Bein des Eingefrorenen zu sehen. »Was gibt's denn da, Lavrentij?« fragte Stalin. »Ein Knie von diesem Bastard ist zu sehen.« Berija beugte sich vor. »Genosse Berija, fassen Sie das besser nicht an!« warnte der Mikrobiologe. »Lohnt es sich zu gucken?« fragte Stalin und reckte sich genüßlich. »Bis jetzt noch nicht.« Berija richtete sich wieder auf und wandte dem Mikrobiologen sein kluges Gesicht zu. »Wie lange dauert es noch?« »Das Eis ist schon brüchig, Genosse Berija, in ungefähr zwei Stunden dürfte es ganz abfallen.« »In zwei Stunden?« hörte Stalin. »Ja, in zwei Stunden, Genosse Stalin.« Der Mikrobiologe rückte seine Brille zurecht. »Na dann.« Stalin faßte an seine rasch sich rötenden Wangen, »Jungs, ihr könnt den Hauptgang servieren.« Die Bediensteten, die in ihren roten Kattunhemden reglos an der Wand standen, stürzten los und verschwanden durch die Tür. »Darf ich mal einen Blick darauf werfen, Genosse Stalin?« Gorkij stand auf. »Wir alle werden es ansehen. Und zwar dann, wenn es wirklich etwas zu sehen gibt. Setzen Sie sich bitte. Anastas, entschul-
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dige, daß wir dich schon wieder unterbrochen haben. Wir hören, mon ami.« »Also irgendwie ... ist der Dampf raus!« grinste Mikojan. »Wir verstehen dich, mein Lieber. Es ist höchst unangenehm, wenn man immer unterbrochen wird«, nickte Stalin. »Mein seliger Vater hat das niemandem gestattet. Sag einfach, worauf wir trinken sollen!« »Auf die Wahrheit!« »Ein vorzüglicher Trinkspruch!« rief Stalin unerwartet laut, sprang auf und ging zu Mikojan. »Auf die Wahrheit! Großartig, Anastas! Einfach großartig! Auf die Wahrheit! Vorzüglich!« Er küßte Mikojan dreimal auf seine glatten, gelblichen Wangen und schnipste mit dem Finger. »Champagner! Unbedingt Champagner! Auf die Wahrheit! Trinken wir auf die Wahrheit! Lieber Gott!« Stalin preßte seine Hände an die glühenden Wangen. »Viele Jahre lang, jahrzehntelang habe ich daraufgewartet, daß jemand von euch wenigstens einmal diesen Trinkspruch, der so einfach wie das Weinen eines Kindes ist, ausspricht. Wenigstens einer von euch, wenigstens einmal! Ein einziges Mal!« Er verstummte und ging hastig am Tisch entlang. Alle schauten ihn an. Die Bediensteten, die gerade zu den Silberkübeln mit den Champagnerflaschen eilen wollten, erstarrten. Man hörte, wie der Steinboden unter den Sohlen der spitzen Stiefel des Führers knirschte und wie das Tauwasser in kurzen Abständen in die Wanne tropfte. »Die Wahrheit ... die Wahrheit ... nichts als die Wahrheit ...« sprach Stalin nachdenklich. »Wie viele Menschen haben an diesem Tisch gesessen. Und keine einfachen Leute. Die sowje-
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tische Elite. Die Creme der Gesellschaft. Und keinem von ihnen ist es jemals eingefallen, einen Trinkspruch auf die Wahrheit auszubringen.« »Besser spät als nie, losif«, lächelte Mikojan. »Sei still!« wies Stalin ihn kurz angebunden zurecht, ging zum Tisch und schaute die Gäste an, als ob er sie noch nie zuvor gesehen hätte. Sein Blick fiel auf Gorkij. »Also, was ist passiert, meine Herren?« fragte Stalin und blickte ihm in die Augen. Gorkij erhob sich langsam. Seine gebückte, hagere Figur in dem altmodischen stahlgrauen Anzug mit der zweireihigen Jacke und den Goldknöpfen mit Doppeladler hing über dem vor Gold und Kristall funkelnden Tisch. Sein schmales, teigigweißes Gesicht schaute Stalin mit weißlichen, hervorquellenden Augen verständnislos an. »Sie sind doch Meister des Wortes, nicht wahr?« fragte Stalin. »Ich ... bin Mitglied des Schriftstellerverbandes, Genosse Stalin«, sagte Gorkij tonlos. Stalin schaute ihm unverwandt in die Augen, trat einen Schritt zurück, holte aus und schlug Gorkij mit der Faust ins Gesicht. Gorkij flog schwungvoll auf den Tisch, sein schmaler, kahler Kopf schlug dröhnend auf den goldenen Bären und warf ihn um. Die Kaviarreste in den Silberkübeln flogen heraus und landeten auf den Anzügen von Kaganovič, Malenkov und Bulganin. Stalin packte eine goldene Schüssel mit Rentierpastete, stülpte sie dem sich auf dem Tisch windenden Gorkij über den Kopf, zog den Schriftsteller an seiner knochigen Hand und zerrte ihn vom Tisch herunter. »Hinstellen!«
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Gorkij kletterte schwankend vom Tisch und zertrat dabei Kristall. Die goldene Schale glänzte auf seinem Kopf, die zerdrückte Pastete bröckelte dem Schriftsteller auf Schultern und Brust, aus der verletzten Lippe sickerte Blut. »Leider sieht so die zeitgenössische sowjetische Literatur aus.« Stalin zeigte auf Gorkij, ging zu seinem Platz und setzte sich. »Gehen Sie, Genosse Gorkij, bringen Sie sich in Ordnung und gesellen Sie sich wieder zu uns.« Gorkij verließ schwankend den Raum. Kaganovič, Malenkov und Bulganin wischten sich mit Servietten den Kaviar von ihren Anzügen. »Ich lese schon lange keine Literaturzeitschriften mehr«, grinste Bulganin. »Da schlägt man die ›Novyj mir‹ auf, liest die erste Seite, dann die zweite und die dritte ... und auf Seite zwanzig begreift man, daß es überhaupt keine neue Welt ist. Sondern eine ganz, ganz alte.« »Goldene Worte, Nikolaj«, nickte Stalin und schaute Malenkov durchdringend an. »Und du, mon petit chat, wenn du so weitermachst, dann werde ich dir irgendwann hier, unter diesem Gewölbe, vor allen Anwesenden mit diesem Messer ein Ei abschneiden, es salzen und pfeffern und dich zwingen, es zu essen. Und wenn du salaud dann auch nur eine Miene verziehst, dann laß ich dich braten wie Bucharin. Aber nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern auf dem Grill. Und dann werde ich deine Apparatschiks einladen, an diesen Tisch setzen und diese Bastarde zwingen, ihren Chef mit roter Sauce zu essen. Und dann wird Manizer dir ein Denkmal gießen. Aus der Scheiße der dankbaren Mitarbeiter, die dich dann verdaut haben. Kapiert?« »Kapiert.« Malenkov wandte seine schmalen burjätischen Augen ab.
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Molotov seufzte ungeduldig. »Was hast du?« Stalin schaute ihn finster an. »losif, du beleidigst uns.« »Warum, Vjačeslav?« »Warum sagst du immerzu ich, ich. Ich befehle, ich schneide ab. Die Mehrzahl der hier anwesenden Genossen würde Malenkov mit Vergnügen alles Mögliche und Unmögliche abschneiden. Und ich persönlich«, Molotov warf einen Blick auf Malenkovs kreidebleiches Gesicht mit den breiten Wangenknochen, »ich persönlich würde ihn auf dem Grill braten. Auf kleiner Flamme.« »Soll ich vielleicht lieber rausgehen?« Malenkov stand auf. »Sit down!« kommandierte Stalin, und Malenkov setzte sich. Stalin neigte den Kopf. »Hochverehrte Genossen Mitglieder des Politbüros. Ich möchte mich aufrichtig bei euch entschuldigen. Bei dir, Genosse Molotov, ganz persönlich. Von ganzem Herzen. Von meinem ganzen Herzen ...« Er verstummte, saß mit gesenktem Kopf da, sprang plötzlich auf und klatschte laut in die Hände. »Tischtuchwechsel!« Sogleich eilten acht Bedienstete herbei, packten das Tischtuch, hoben es mit Geschirr und Speisen darauf über den Kopf der Gäste hinweg, trugen es im Nu hinaus und ließen den leeren Mahagonitisch zurück. Bald daraufkam ein anderes Tischtuch, ein rot-weißes mit sowjetischen Symbolen. Die flinken Hände der Bediensteten deckten den Tisch mit anderem Geschirr, Porzellan aus der Duljovo-Fabrik, das mit Motiven von Malevič verziert war. In die Mitte des Tisches
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wurde eine riesige stählerne Platte mit einem ganzen gebratenen Schwein gestellt, dessen Schnauze besonders präpariert war: auf der Nasenwurzel thronte die riesige Attrappe eines Pincenez, kurzsichtige Äuglein blinzelten listig, gelbe Zähne ragten boshaft aus verächtlich aufgeworfenen Lippen. Alle erkannten in dem Schwein sofort den Verräter Trockij. »Es wäre an der Zeit, ihn selbst so zu servieren!« rief Bulganin aus. »Nicht alle toten Feinde sind gute Feinde«, bemerkte Stalin und kostete den Wein, den man ihm reichte. »Diesen 45-er Kindzmarauli kann ich jedem empfehlen.« Die Bediensteten steckten dem Schwein ein Dutzend Messer und Gabeln in den Rücken und stellten sich wieder an die Wand. »Bitte sehr, Genossen«, lud Stalin alle ein. »Jetzt ist Selbstbedienung. Nehmen Sie, was Sie möchten. Gebratenes Schwein mit Kartoffeln, ein echtes sowjetisches Gericht.« Alle erhoben sich und beugten sich über das Schwein. Da kam Gorkij herein. Sein schmales, blasses Gesicht zeigte keine Regung, die Unterlippe war stark angeschwollen, auf der Jacke sah man noch Reste von Pastete und Blut. »Setzen Sie sich, Genosse Gorkij«, nickte Stalin ihm zu. Gorkij ging zu seinem Platz. Molotov ließ ein riesiges Stück Schweinefleisch auf den Teller des Führers plumpsen. »Das ist für dich, Vjačeslav.« Stalin schob ihm seinen Teller hin. »Ich esse nur Trockijs Ohren.« Die Politbüro-Mitglieder hantierten mit dem Besteck, und die zwei dunkelbraunen Schweineohren landeten auf dem Teller des Führers.
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»Jetzt haben wir immer noch nicht auf die Wahrheit angestoßen«, erinnerte Vorošilov und hob sein Glas Kindzmarauli. »Ja, ja!« Molotov geriet in Bewegung. »losif, du hast den wichtigsten Trinkspruch für heute vergessen!« »Nämlich?« Stalin kniff zerstreut die Augen zusammen. »Auf die Wahrheit. Anastas' Trinkspruch auf die Wahrheit«, erinnerte ihn Molotov. Stalin schaute ihn aufmerksam an. »Und was ist das, die Wahrheit?« »Die Wahrheit?« Molotov fing an zu lachen und entblößte dabei seine großen, weißen Zähne. »Das ist - die Wahrheit.« »Ja, und weiter?« Stalin schaute ihm in die Augen. »Die Wahrheit, ... das ist das, worauf die Welt beruht«, erwiderte Molotov ernsthaft. Stalin seufzte verächtlich und wandte sich zu den Gästen um. »Kann jemand eine genaue Definition der Wahrheit geben?« Alle schwiegen. Stalin wartete eine Minute und erhob sein Glas. »Man darf nicht auf etwas trinken, das nicht definierbar ist.« »Aber worauf trinken wir dann?« fragte Fürst Vasilij vorsichtig. »Es reicht jetzt mit diesen Trinksprüchen«, sagte Stalin und trank schweigend. Alle folgten seinem Beispiel. »Ein hervorragender Wein!« Šostakovič schmatzte vor Behagen. »Eins kann ich nicht verstehen. Ich war so oft im Westen, aber ich habe in keinem einzigen Geschäft georgischen Wein gesehen. Nirgendwo! Wieso verkaufen die Plutokraten keinen georgischen Wein ?« »Die Bourgeois lieben französischen Wein«, bemerkte Mikojan und steckte sich ein saftiges Stück Schweinefleisch in den Mund.
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»Im Notfall auch italienischen oder spanischen«, nickte Ejzenštejn. »Die Katholiken haben den Geschmack der Plutokraten verdorben, schließlich gibt es bei ihrem Abendmahl nur trockenen Wein. Und bei uns den süßen Kagor!« rief Kaganovič aus. »Deswegen können sie auch den halbtrockenen Champagner nicht ausstehen!« murmelte Berija. »Aber es ist trotzdem merkwürdig, Genossen«, Šostakovič hob sein leeres Glas, das sogleich von einem Jungen im roten Hemd nachgefüllt wurde. »Auf so einen Wein zu verzichten?« »Das liegt am Zucker. Ausschließlich am Zucker. Die georgischen Weintrauben sind den Plutokraten zu süß«, sagte Kaganovič kauend. »Die haben doch alle Diabetes!« Die Gäste fingen an zu lachen. »Das liegt überhaupt nicht am Zucker«, sagte Stalin und schnitt sein Schweineohr durch. »Woran denn sonst, Genosse Stalin?« fragte Sostakovič. »Im Jahre sechsundvierzig habe ich de Gaulle mit einem vorzüglichen Achašeni bewirtet. Wir haben gemeinsam eine Flasche geleert und eine zweite geöffnet. Why not, fuck you slowly? Schließlich trinken wir also auch die zweite aus. Man bringt eine dritte. Und de Gaulle fragt: ›losif, was ist das für ein Wein?‹ Ich sage: ›Ein Achašeni. Schmeckt er dir nicht?‹ ›Ach nein‹, sagt er, ›mir gefällt er ja. Aber die Franzosen würden ihn nicht mögen.‹ - ›Warum?‹ frage ich. ›Weil er einen Beigeschmack von Blut hat.‹ Dabei haben wir es dann belassen. Vom Zucker hat dieser couillon de couillon nichts gesagt. Jedes Jahr zu Weihnachten schickte ich ihm eine Kiste Achašeni. Und er schickt mir eine Kiste von seinem Lieblings-Chardonnay aus der Bourgogne.«
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»Was erwartest du von diesen Froschfressern?« Kaganovič fuchtelte mit dem Messer herum. »Und von den Koscherköchen?« fragte Stalin und kaute knakkend auf dem Ohr herum. »losif, ich bin übrigens Jude«, lächelte Kaganovič unbehaglich. »Ich auch«, erwiderte Stalin, »aber nur zur Hälfte. Malenkov, wie steht es bei uns mit dem Stahl?« »Wie meinen Sie das, Genosse Stalin?« »Genau so, wie ich es sage.« Stalin nahm den Rest vom Schweineohr und zeigte es Malenkov. Alle schwiegen. Nur Gorkij bekam davon nichts mit, er säbelte hingebungsvoll an seinem Schweinefleisch herum, steckte es stückchenweise in den Mund und kaute gierig, wobei er schmatzte und unartikulierte Laute ausstieß. Malenkov wischte sich den Mund an der Serviette ab und stand auf. »Im ersten Quartal werden unsere Hochöfen nicht weniger als zwei Millionen Tonnen Stahl erzeugen, Genosse Stalin.« Stalin betrachtete schweigend sein Schweineohr. »Interessant«, sagte er nach einer langen Pause. »Das hier ist ein gebratenes Schweineohr. Wenn man aus normaler Distanz schaut. Wenn man es aber unmittelbar vor die Augen hält«, er hielt das Ohr dicht vor seine durchdringend glänzenden Augen, »dann kann man vielleicht gar nicht erkennen, daß das bloß ein Schweineohr ist... Hier sieht man eine ganz erstaunliche Landschaft... Berge ... sanft fließende Berge ... als ob sie jemand geschmolzen hätte ... vielleicht ist da eine Wasserstoffbombe hochgegangen ?« Er hob den Kopf. »Sacharov! Sie haben doch an der Wasserstoffbombe gearbeitet?«
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»Ja, Genosse Stalin«, nickte Sacharov. »Kurčatov und ich.« »Und wo ist Kurčatov? Ist er tot?« »Er ... lebt, Genosse Stalin.« »Wieso?« »Was? Ich ... verstehe nicht...« Sacharov blinzelte. Stalin schaute Sacharov aufmerksam an und hielt ihm das Ohr hin. »Nehmen Sie.« Berija gab das Ohr an Mikojan weiter, Mikojan gab es Vorošilov, Vorošilov gab es Kaganovič, Kaganovič gab es Landau, und Landau gab es Sacharov. Sacharov nahm das Ohr. »Schauen Sie genau hin ... was sehen Sie da ...« Mit einem tiefen Seufzer rieb Stalin über seine rosigen Wangen. »Nun ja ... das ist ein Schweineohr, Genosse Stalin ...« Sacharov schaute es sich an. »Schauen Sie näher hin, näher, näher ...« Sacharov sah Stalin verständnislos an. »Halten Sie es direkt vor die Augen, Genosse Sacharov«, schlug Mikojan vor. Sacharov hielt das Ohr vor die Augen. »Na los, reden Sie schon!« Stalin verzog ungeduldig das Gesicht. »Was ist denn da passiert, wer hat die Bombe gezündet, warum sind denn da ... solche orangefarbenen Wellen ... oder ist das das Meer ... das Meer ist versteinert ... und wo sind denn die Leute ... friedlich arbeitende Leute ...« Sacharov musterte das Ohr aufmerksam. Schweiß trat auf seine hohe Stirn. Stalin verlor die Geduld und wechselte einen Blick mit Berija. »Genosse Sacharov, sagen Sie mit einfachen, verständlichen Worten, was genau Sie sehen«, schlug Berija vor.
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»Ich sehe ... gebratene Schweinehaut«, sagte Sacharov und hob den Kopf. Stalin nickte finster. Sein Gesicht sah gleich viel älter aus. Er rieb sich die Nasenwurzel und schaute auf den als Hammer und Sichel stilisierten stählernen Kerzenhalter. Die Flamme der dicken roten Kerze spiegelte sich in seinen Augen, glitzerte auf den zahllosen geschliffenen Kanten des Brillanthalsbands und hüpfte in der hellgrünen Tiefe des Smaragds. Stalin stiegen die Tränen in die Augen. Alle saßen wie versteinert da. Selbst Gorkij hatte aufgehört zu schmatzen und starrte den reglos dastehenden Malenkov mit seiner geschwollenen, vorgestülpten Unterlippe dümmlich an. Eine Träne rollte aus Stalins Augen und fiel ihm auf die Hand. Stalin betrachtete seine Hand, hob sie hoch und leckte die Träne ab. »Das Salz der Erde«, sagte er leise. Seine feinen Nasenflügel zitterten, Tränen rannen ihm aus den Augen. Er ließ den Kopf in die Hände sinken und fing lautlos an zu weinen. Einige der Gäste erhoben sich verwirrt von ihren Plätzen, doch Berija hob warnend die Hand. »Ganz ruhig.« Stalin schluchzte. Seine Schultern schlotterten hilflos, sein Kopf zuckte, durch seine blassen, schmalen Finger quollen Tränen. Berija erhob sich. »Genossen, ich bitte Sie, sich zurückzuziehen.« Die Mitglieder des Politbüros und die Gäste gingen vorsichtig zum Ausgang. Molotov wollte dableiben und machte Berija ein Zeichen mit der Hand, aber der Minister für Staatssicherheit
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schüttelte unerbittlich den Kopf. Molotov wandte sich widerwillig um und folgte den anderen. Berija nickte den an der mit Malerei verzierten Wand stehenden Bediensteten zu, und sie liefen geräuschlos hinaus. Nur Stalin, Berija und die sechs, die um den Eisblock herumstanden, blieben in dem Saal mit dem Deckengewölbe. Berija setzte sich neben Stalin, holte sein Zigarrenetui heraus und zündete sich eine Zigarre an. Stalin schluchzte lange. Krämpfe überliefen ihn wie Wellen und ließen seinen gebeugten Körper abwechselnd heftig schlottern und leise erschauern. Berija rauchte und musterte die helle Deckenmalerei. Da lösten sich mehrere Stücke gleichzeitig vom Eisblock. Stalin fuhr zusammen und verstummte. Berija legte ihm seine weiße Hand mit den langen Fingern in den Nacken. Stalin holte ein Taschentuch heraus und drückte es an sein gerötetes Gesicht. »Schau mich nicht an ...« Berija stand auf, ging zum Eisblock und betrachtete ihn. Der Block zitterte und war kurz davor, in zwei Teile zu brechen, »losif, das hier geht dem Ende zu.« Berija berührte einen Riß im Eis. Ohne das Tuch vom Gesicht zu nehmen, tastete Stalin nach der auf dem Tisch liegenden kleinen Glocke und läutete. Zwei Bedienstete kamen herbeigelaufen. »Make-up«, kommandierte Stalin. Eine korpulente Frau in der Uniform eines Majors des Ministeriums für Staatssicherheit erschien mit einem Köfferchen, setzte sich zu Stalin und begann, sein Gesicht herzurichten. »Malenkov ist so eine Nisse«, sagte Berija, während er neben
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dem Eisblock auf- und abging. »Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, verliere ich die Nerven. Wie hältst du ihn bloß aus?« »Er ist ein guter Techniker. Er kennt die Produktion ...« ließ Stalin sich dumpf vernehmen. »Aber er ist ein ungeheuerlicher Intrigant. Er hat so viel böses Blut gemacht. Kujbyšev, Postyšev und Kosiora haben ihm noch nicht gereicht, jetzt terrorisiert er Kosygin. Piece of shit...« »Er hat kolossale Erfahrung.« »Kosygin kennt die Schwerindustrie genau so gut wie er. Die ganze Evakuation der Fabriken hing an ihm. Ein geschäftstüchtiger Typ, ein Dandy aus einer Familie von Eisen-Magnaten. Lebhaft, kontaktfreudig. Spielt glänzend Golf.« »Ist das wichtig für einen Stellvertretenden Leiter des Ministerrats?« »Ja!« Berija lebte auf. »Früher habe ich gedacht wie Majakovskij: ›Mein Spiel / ist Billard / weil dran mein Aug sich übt. Er hat Schach bevorzugt / Übung / dem Strategen.‹ Schach ist eine wichtige Sache für Führer, es bringt ihnen strategisches Denken bei. Und Golf lehrt sie Taktik. Zu Lenins Zeiten und in den dreißiger Jahren war Strategie alles. Heutzutage, zu Beginn der fünfziger Jahre, ist taktisches Denken angesagt. Kosygin ist ein aussichtsreiches Kadermitglied.« »Ich weiß nicht recht... Das muß ich mir überlegen. Malenkov hat viel für das Land getan. Obwohl er auch ein seltener Schuft ist...«Stalin stand auf, schaute in den runden Spiegel und betastete seine Augenbrauen. Die Frau stand ebenfalls auf. »Tja ... und was ist mit der ›Verschwörung der Bankiers‹?« fragte Stalin. »Ich habe dir doch heute morgen Bericht erstattet.« »Heute morgen?« Stalin gab der Frau den Spiegel zurück.
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»Ja.« »Und ...« Stalin blickte der hageren Frau nach, »was ist jetzt mit dieser Kanaille Šipov?« »Wir arbeiten daran. Bis jetzt redet er nicht.« »Jemand, der bei dir nicht redet?« »Die Leute sind eben verschieden, losif. Es ist nicht jeder so ein Schwächling wie Bucharin.« »Šipov ist also ein tapferer Mann, heißt das?« »Er ist einfach stur.« »Seltsam. Das würde man ihm gar nicht zutrauen.« »Wir haben ihn gestern abend aufgehängt. Ich denke, morgen ... das heißt, heute wird er reden.« Stalin ging zu der Wanne mit dem Eisblock. »Siehst du, er hat gezittert«, sagte Berija. »Und worauf warten wir dann noch? Man braucht bloß einen Keil hineinzustoßen, dann fällt er auseinander ...« Stalin betastete den Riß. »Das wäre gefährlich, Genosse Stalin.« Der Mikrobiologe stand von seinem Stuhl auf. »Man könnte das Objekt beschädigen.« »Gib mir jemand einen Keil«, brummte Stalin, ohne ihn zu beachten. »Ich werde doch hier nicht bis zum frühen Morgen herumsitzen.« Man brachte ihm ein Beil und einen Holzscheit, die Sicherheitsleute hauten daraus vier Keile, setzten sie in den Riß und schlugen mit dem Hammer darauf. Der Block fing an zu knakken. »Gehen Sie besser ein Stück zurück, Genosse Stalin«, riet der Physiker. »Na los, macht schon.« Finster betrachtete Stalin die Spalte.
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Sie schlugen einmal drauf, ein zweites Mal. Beim dritten Mal zerbarst der Block mit Getöse und brach dann in Stücke. In der Wanne saß zwischen Schmelzwasser und Eisstücken ein langer Lulatsch mit ungeheuren Genitalien und einem schwarzen Köfferchen auf den Knien. »Wer ist das?« fragte Stalin nach einer längeren Pause und schaute den Mikrobiologen an. »Das wissen wir noch nicht, Genosse Stalin.« »Was ist denn mit seinen Eiern los?« »Sieht nach Elefantiasis aus, Genosse Stalin. Vielleicht kommt das auch von der Bestrahlung.« Der Mikrobiologe kniff kurzsichtig die Augen zusammen. »Wenn das ein Erdrammler ist«, sagte Berija, »dann haben die alle so einen riesigen Phallus. Das ist doch wohl kein Zufall.« »Willst du damit sagen, daß sie einen großen Phallus haben, weil sie mit der Erde koitieren?« fragte Stalin. »Genau.« »Sind sie denn gar nicht mehr mit Frauen zusammen?« »Bei diesen Ausmaßen ist das ausgeschlossen. So ein Schwengel paßt ja nicht mal bei einer Kuh rein«, sagte Berija gähnend und schaute auf die Uhr. »Tja ...« Stalin nickte nachdenklich. »Wie sehr sie doch unsere heimatliche Erde lieben müssen. Aber vielleicht haben sie Frauen mit einer riesengroßen Vagina?« »In der ersten Botschaft stand, in ihrer Gemeinde gäbe es keine einzige Frau.« »Ach so ...« Stalin ging um die Wanne herum und musterte den Eingefrorenen. »Ein kolossaler Bursche. Was der für Füße hat ... Wie groß ist er wohl?«
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»Vom Augenmaß her ... zwei Meter zwanzig mindestens«, schätzte Berija. »Der im Jahre siebenunddreißig hatte Hörner. Dieser hier hat zwei Pud schwere Eier ... Ist das etwa unsere Zukunft?« Stalin berührte angewidert die Glatze des Riesen. »Wir müssen mal nachsehen, was in dem Köfferchen ist.« Berija nickte den Sicherheitsleuten zu. »Holt es raus, aber vorsichtig.« Die Sicherheitsleute begannen, mit dem Beil am Eis herumzustochern. Als sie das Köfferchen herauszogen, ging Stalin zum Tisch mit den Resten der Mahlzeit, packte die Kante des Tischtuchs und zerrte heftig daran. Das ganze Zeug glitt vom Tisch und flog mit Getöse zu Boden. Das Pincenez sprang vom Schweinerüssel herunter und rollte zur Wand; einer der Sicherheitsleute hob es auf. Berija legte das Köfferchen auf den Tisch. »Vielleicht sollten wir Sprengstoffexperten hinzuziehen?« fragte Stalin. »Ich glaube nicht, daß das eine Falle ist.« Berija forderte Stalin mit einer Handbewegung auf, das Köfferchen zu öffnen. »Du bist das Staatsoberhaupt.« Stalin zauderte, trat dann näher heran und öffnete das Köfferchen vorsichtig. Gedämpftes blaues Licht floß heraus und beschien das Gesicht des Führers. Stalin und Berija besahen sich den Inhalt - zwölf Stücke himmelblauer Speck, mit Zucker überzogen. »Genossen Gelehrte, kommen Sie her«, forderte Stalin die Wissenschaftler auf. Der Physiker und der Mikrobiologe traten heran. »Was ist das?« fragte Stalin.
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»So auf Anhieb ist das schwer zu sagen, Genosse Stalin«, erwiderte der Mikrobiologe. »Man muß eine detaillierte Analyse machen.« Der Physiker schaute finster drein. »Sie können gehen«, sagte Stalin, ohne das Köfferchen aus den Augen zu lassen. Die Wissenschaftler verließen den Raum. »Das ist so was wie Phosphor.« Berija berührte den erstarrten Zucker, der den himmelblauen Speck bedeckte. »Ein ungewöhnliches Licht, nicht wahr?« »Sehr.« Stalin musterte den Speck eingehend. »Ich nehme ihn mit, und morgen früh geben wir ihn zur Analyse ins Labor.« »Warte«, sagte Stalin. »Was ist?« Berija verstand ihn nicht. »Laß ihn noch hier bei mir. Vorläufig jedenfalls.« »Aber ... man muß doch abklären, was das ist.« »Das können wir noch zigmal tun. Irgendwie ... tut mir dieses Licht gut.« Berija schaute wortlos auf das von dem blauen Licht bestrahlte Gesicht des Führers. »Du willst...«hub er an. »Ja, ja«, unterbrach Stalin ihn. »Ich will ihn mitnehmen.« »Gut«, nickte Berija. »Trinken wir noch einen Kognak?« »Ich fahre jetzt nach Hause, ich will schlafen gehen.« Stalin machte das Köfferchen zu und packte es am Griff. »Immer noch kalt.« »Was?« »Ich sage, der Koffer ist immer noch kalt. Er hat sich noch nicht erwärmt«, sagte Stalin und schaute Berija in die Augen.
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»Why not?« lächelte Berija müde. »Gute Nacht, Lavrentij.« Stalin drehte sich um und ging mit dem Koffer in der Hand hinaus. »Den Wagen!« Der Sicherheitsmann verschwand durch die niedrige Bogentür. Berija ließ die halbgerauchte Papirossa auf den Boden fallen und trat sie mit seinem schönen englischen Stiefel aus. »Nach Archangelskoe«, befahl Stalin dem Chauffeur, als die drei Wagen auf die Kreml-Uferstraße fuhren. »Aha, ich fahre Sie also auf die Datscha, Genosse Stalin!« rief der gutaussehende junge Chauffeur affektiert; er trug eine weiße Lederjacke und ein Tuch in Gelb- und Fliedertönen um den dünnen Hals. Stalin betrachtete seinen pomadeglänzenden Hinterkopf. »Serjoža, warum kauft man in Moskau lieber einen Bugatti als einen Horch?« »Keine Ahnung, Genosse Stalin!« gab der Chauffeur zur Antwort. »Alle sind ganz versessen auf einen Bugatti! Dabei gab es bei dem Auto immer Probleme mit der Radaufhängung, und dann ist der Motor neu, da weiß man nicht, wie der mit unseren Schlaglöchern fertig wird. Aber die Leute sind ja wie von allen guten Geistern verlassen, immer nur Bugatti hier, Bugatti da! Ein so schöner Wagen, sagen sie! Aber ich finde, der Mercedes-Zweisitzer aus der Vorkriegszeit ist der beste!« »Besser als der neue Horch?« »Nehmen Sie es mir nicht übel, Genosse Stalin, er ist besser! Der Motor ist einfach wie eine Frau!« Der Chauffeur kniff vor Begeisterung die Augen zusammen. »Ich trinke morgens meinen Tee, Genosse Stalin, dann gehe ich in die Garage, klappe
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die Motorhaube auf und stehe einfach da und gucke. Das ist wahre Schönheit, Rembrandt ist nichts dagegen. Mein seliger Vater hat ihn im Jahre zweiundvierzig von Solomon Michoels gekauft, da hatte er zweiunddreißigtausend runter. Dieser Michoels - typisch Künstler, von Autos keine Ahnung, der hatte die Motorhaube noch nie aufgemacht. Die Zündspule war total durchgebrannt, die Ventile fingen schon an zu klappern. Wir haben den Vergaser saubergemacht und die Kette gewechselt, und mein Vater hat die ganze Zeit vor sich hingebrummt: ›Dieser Saujude, hat so ein Auto und richtet es beinahe zugrunde !‹ Wir haben den Wagen jetzt zwölf Jahre, Genosse Stalin, und der läuft tadellos! Das ist ein Auto! Wie eine Axt! Und ich möchte mir mal nach zwölf Jahren einen Bugatti ansehen!« Sie fuhren auf die Gorkij-Straße. »Genosse Stalin, gestatten Sie eine Bemerkung«, sagte der neben dem Chauffeur sitzende Begleitoffizier, ein breitschultriger Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit mit einem einfachen Bauerngesicht. »Schieß los!« Stalin legte den Kopf behaglich auf die Nackenstütze aus Glacéleder. »Ich habe einen Ford Universal, Baujahr einundfünfzig. Meine Frau und ich, wir sind damit im Sommer nach Frankreich gefahren und hatten in der Nähe von Marseille einen Unfall mit einem Horch-Sportkabrio. Gott sei Dank, kein Frontalzusammenstoß. Bei uns war fast nichts zu sehen, aber bei dem Horch war der ganze Fahrgastraum Brei. Der Fahrer, ein Franzose, hat Blut gespuckt. So viel zum Thema Horch!« »Du hättest ihm ja gleich mit einem LKW reinfahren können, verdammt noch mal!« rief der Chauffeur aus. »Das kann man doch nicht vergleichen! Ein Ford, ach du Scheiße! Damit
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kannst du Kartoffeln transportieren oder die Köchin aus eurer Kantine spazierenfahren. Ein Ford! Ich würde den Amerikanern überhaupt verbieten, Autos zu exportieren, Genosse Stalin! Die haben doch kein einziges anständiges Auto. Da fährt man besser mit unserem Pobeda!« Sie bogen in die Leningrader Chaussee ein. Hier und da tauchten einstöckige Dorfhäuser auf. Vereinzelt durchschnitten Autoscheinwerfer die feuchte Dunkelheit. Die Wagen rasten wie immer mit Höchstgeschwindigkeit dahin. Sie bogen ab und fuhren auf die Volokolamsker Chaussee. Als sie durch Pavšino kamen, reckte Stalin sich. »Halt an. Ich muß mal.« Die Autokolonne hielt an. Die Sicherheitsleute sprangen aus ihren ZIM-Wagen und umstellten Stalins Limousine. Stalin stieg aus und knackte mit den Fingern. »Ich mache es hier an der frischen Luft.« Aus einer der ZIM-Limousinen schleppten sie die Säule mit dem goldenen Federkästchen herbei. Stalin blickte sich um. Zu beiden Seiten der Straße standen mit Schneematsch bespritzte Sträucher, in einiger Entfernung zeichnete sich die dunkle Silhouette eines schlafenden Dorfes ab, die hügeligen Felder wurden hier und da von Waldstücken unterbrochen. Der trübe Mond warf sein schwaches Licht auf die trostlose Landschaft des Moskauer Umlands. Vereinzelte Eisgraupel fielen vom schwarzen Himmel. Stalin nahm die Spritze aus dem Futteral, brach die in der Dunkelheit nicht zu erkennende Ampulle, zog den Inhalt mit der Nadel auf, öffnete den Mund und verpaßte sich seine Injektion. Zwei Lastwagen und ein Motorrad fuhren vorbei.
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Stalin zuckte zusammen, betrachtete die mattglänzende Spritze und legte sie wieder in das Federkästchen. Die Sicherheitsleute schleppten die Säule zurück zum Kofferraum des ZIM. Stalin betrachtete seine Handfläche. Zwei Eisgraupeln fielen darauf. Er leckte sie mit der Zunge auf, atmete laut und kräftig aus und streckte die Hand zum Rolls-Royce: »Eine Verbindung.« Der Begleitoffizier klapperte mit dem Deckel des Telefonapparats und streckte den schwarzen Hörer an der dicken Gummischnur aus dem Fenster: »Bitte sehr Genosse Stalin.« »Berija«, sprach Stalin in den Hörer, lehnte sich mit dem Rükken an die Limousine und betrachtete eine abgebrochene Birke. »Am Apparat«, erklang die verschlafene Stimme von Berija im Hörer. »Lavrentij, es ist doch wirklich schlecht, daß unsere Wissenschaftler bis heute keine einheitliche Theorie der Zeit entwikkelt haben.« »Meinst du?« fragte Berija. »Die Zeit, das ist schließlich etwas anderes als Linguistik oder Genetik.« »Das stimmt. Das kommt aber daher, weil sich vor diesen drei Paketen aus der Zukunft niemand um die Zeit gekümmert hat. Einfacher ausgedrückt, es gab keinen Anreiz!« sagte Berija mit einem spöttischen Lachen. »Und die Relativitätstheorie?« »Nach dem, was heute passiert ist, kann man die endgültig zum Altpapier tun.« »Schade. Einstein ist ein sympathischer Mensch. Ein schlauer
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Kopf. Der kann nicht nur reden, sondern auch zuhören. Und er ißt und trinkt mit Geschmack.« »Vögeln tut er auch nicht gerade wie ein Straßenjunge«, gähnte Berija. »Weißt du, ich gebe ja zu, daß mir die ganze Situation auch nicht paßt: Wasser oder Kohlkopf? Das ist ja die reinste Kohlsuppe...« »Was hast du gesagt?« fragte Stalin vorsichtig. »Ich sage, das ist ja eine Kohlsuppe, aber keine Konzeption der Zeit.« Stalin ließ den Hörer fallen und ging über den schmutzigen Schnee zu der abgebrochenen Birke. Die Sicherheitsleute stürzten ihm hinterher. Er trat an den Baum, umfaßte mit seinen warmen Händen den vereisten, rissigen Stamm und blieb reglos stehen. Die Sicherheitsleute umstanden ihn ebenfalls reglos. »losif ? losif ?« schnarrte es aus dem hin und her baumelnden Hörer. Stalin beugte die Knie, bückte sich und preßte die Stirn an die Birke. Seine Schultern zuckten, ein heiseres Brüllen drang aus seinem Mund. Ein außerordentlich starker, dreiminütiger Lachanfall erschütterte den Körper des Führers. »Aaauaaauaaa!!!« schrie Stalin so laut, daß zwei im Weißdorngestrüpp schlummernde Krähen aufflatterten und unter verschlafenem Krächzen nach Moskau flogen. Stalins Wagenkolonne näherte sich Archangelskoe. In einem prächtigen, noch unter Katharina II. erbauten Palast, lebte hier Graf Nikita Aristarchovič Chruščev, ehemaliges Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU, den die Vollversammlung des ZK im Oktober sämtlicher Staatsaufgaben enthoben hatte.
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Das riesige Palastgelände war von einer Steinmauer mit gußeisernen Gittern im klassischen Stil eingefaßt, von denen jedes einzelne Element mit dem Wappen der Chruščevs geschmückt war, das aus einem Pentakel, einem Zirkel und drei Lilien bestand. Schon von weitem, von der Iljinsker Chaussee aus hatte Stalin das Licht über dem schwarzen, nächtlichen Wald bemerkt; der Palast war heute beleuchtet, der zweiundfünfzigjährige Chruščev feierte seinen Namenstag. Die Wagenkolonne fuhr beim Tor vor, hinter dem sich der Wachtposten von Chruščevs Leibgarde befand, die ihn rund um die Uhr schützte. Diese Unterabteilung zählte beinahe sechshundert Leute und bestand aus Chruščev ergebenen Kappel-Offizieren, aus Absolventen der Diversions-Schule »Großer Osten« und aus Čerkessen der vielgerühmten »wilden« Division. Sie wurde vom Grafen unterhalten, hatte ihr Quartier auf dem Territorium seines Gutes und unterstand ausschließlich Chruščev. General Vlasik stieg mit zwei Sicherheitsleuten aus einer der ZIM-Limousinen, ging zum Tor und machte den drei wachhabenden Čerkessen ein Zeichen. Sie hatten finstere, bärtige Gesichter und trugen langschößige Filzumhänge und zottige kaukasische Pelzmützen mit einem grünen Band. Mißtrauisch betrachteten sie die Wagenkolonne und den General. Der eine beugte sich in das Wachhäuschen. Ein Kapitän in der schwarzen Uniform der Kappel-Offiziere kam heraus, trat ans Tor, sprach kurz mit Vlasik und verschwand dann wieder im Wachhäuschen, um sie dem Grafen anzumelden. »Das sind vielleicht Banditen!« grinste Stalins Chauffeur mit einem Blick auf die Čerkessen. »Was die in Berlin angestellt ha-
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ben ... mein Bruder hat mir das erzählt, Genosse Stalin! Sie haben eine Foltermethode, bei der sie einen Menschen auf eine Schlange setzen. Sobald sie in Berlin den Zoo eingenommen hatten, krochen da jede Menge Schlangen herum. Wir fahren also mit dem Kommandeur dahin, sagt er, und sieh da - ein deutscher Oberst auf einer Schlange, und die Čerkessen aus der ›wilden‹ Division stehen dabei und lachen. Sie haben sie ihm in den Arsch ...« »Halt die Schnauze«, unterbrach Stalin ihn. Das Tor öffnete sich, der Kapitän kam aus dem Wachhäuschen und salutierte. Die Čerkessen legten widerwillig ihre sonnenverbrannten Hände an die Pelzmützen. Die Wagenkolonne fuhr auf das Gutsgelände. Unmittelbar hinter der Wache waren zwischen den Fichten zwei Kampfstände mit Maschinengewehren zu sehen. Auf den hohen Tannen waren undeutlich getarnte Beobachtungspunkte und Kampfstände mit Granatwerfern auszumachen. Die Wagenkolonne fuhr über den sanft gewundenen Weg zu dem schön erleuchteten Palast und kam vor einem hohen Bogen in Form eines griechischen Portals mit vier Säulen und eleganten Torgittern zum Stehen. Davor standen vier Leibgardisten mit Maschinenpistolen und Winter-Tarnanzügen. Die Torflügel glitten langsam auseinander, und die Wagenkolonne fuhr in den Innenhof des Palastes, der von einer halbrunden, von unten angestrahlten Kolonnade umgeben wurde. Der Rolls-Royce fuhr bei einem niedrigen überdachten Treppenvorbau aus Marmor vor, Stalin stieg mit dem Köfferchen in der Hand und einer Zigarre zwischen den Zähnen aus. »Ich wünsche Gesundheit, Genosse Stalin!« Ein hochgewach-
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sener Schönling von Oberleutnant mit Achselbändern kam mit seinen Absätzen klappernd herausgelaufen. »Bitte sehr!« Er riß die Tür weit auf. Stalin betrat einen Empfangssaal von riesigen Ausmaßen, der in rosa und weißem Marmor, in Gold und Kristall glänzte. »Und Sie, meine Herren, bitte ich, ihre Waffen abzulegen und sich in den Gästeflügel zu begeben«, wandte sich der Oberleutnant an die Sicherheitsleute, die etwas zurückgeblieben waren. Im Empfangssaal wurde Stalin bereits von Aleks, dem Kammerdiener des Grafen, erwartet - einem kleinen, außerordentlich lebhaften Mann, der zur Feier des Tages einen weißen Frack trug und ein einprägsames Pferdegesicht hatte. »Guten Tag, Genosse Stalin«, nickte er flink. »Der Graf ist über die Maßen erfreut von Ihrer Ankunft. Sie werden im Keller erwartet. Darf ich um Ihren Koffer bitten?« »Den behalte ich bei mir.« Stalin ging selbstsicher zur Kellertreppe. »Ist er etwa schon wieder beim Foltern?« »Ja, ganz richtig. Der Graf sind beim Foltern.« Aleks eilte hinter Stalin her. »Gestatten Sie, daß ich Sie hinbringe.« »Dann hat er wohl seine Gäste allein gelassen?« »Die Gäste sind längst wieder abgefahren.« »Nicht möglich!« »Der Graf beliebten deshalb bereits zu scherzen«, schwatzte Aleks drauflos und trippelte mit seinen kurzen Beinen hinterher. »Früher, so sagt er, fürchtete man, ihn aufzuhalten, und heute fürchtet man, sich bei ihm aufzuhalten.« »Das finde ich nicht witzig«, gähnte Stalin. Die Marmortreppe, die in den Keller hinunterführte, mündete in einen kleinen Treppenabsatz mit einer Stahltür, neben der zwei Čerkessen standen. Sie grüßten Stalin militärisch-
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schweigsam und zogen an dem dicken Türgriff. Lautlos glitten die Flügel der dreißig Zentimeter dicken Tür auseinander, und aus der halbdunklen Öffnung drangen herzzerreißende Schreie. Stalin trat ein, Aleks blieb zurück, und die Čerkessen schlossen die Tür hinter dem Führer. Das Gefängnis im Keller und die Folterkammer stammten noch von Chruščevs Ururgroßvater. Beides war im 19. Jahrhundert vollkommen in Verfall geraten und von dem jungen Grafen sofort nach dem Bürgerkrieg wieder hergestellt und ausgerüstet worden. Es war eine Zimmerflucht mit drei runden Räumen, die durch einfache, grobe Steinwände voneinander getrennt waren. Im ersten Raum waren die Sicherheitsleute untergebracht, im zweiten gab es sechsunddreißig Einzelzellen mit Gefangenen, und der dritte Raum war die Folterkammer. Stalin ging an der Wache vorbei über den schmalen Korridor und folgte einem schweigsamen Leibgardisten im schwarzen Ninja-Anzug. Die Schreie wurden immer lauter. Es war immer dieselbe Person, die da schrie: mal durchdringend kreischend wie ein Affe, mal aus dem tiefsten Innern wild brüllend wie ein Keiler, mal kehlig und abgerissen schreiend wie ein Raubvogel. Stalin betrat einen hell erleuchteten runden Saal mit steinernen Wänden und einem Deckengewölbe. Ein eisernes Bett war in den rauhen Boden eingemauert, außerdem eine Presse, ein eiserner Sessel und eine eiserne »Stute«, auf der ein nackter junger Mann, hochrot und schweißüberströmt vor Schmerzen und Schreien, an Händen und Füßen festgebunden war. Graf Chruščev beugte sich über seinen gut beleuchteten Rücken. Daneben stand ein kleiner, fahrbarer Instrumententisch. Ein Folterknecht war nicht zugegen - der Graf folterte immer allein.
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»Grüß dich, mon cher!« sagte Stalin laut und runzelte die Stirn, als ein Schrei erklang. Der Graf wandte sich widerwillig um. »losif...« Er beugte sich wieder über den muskulösen jungen Rücken. Stalin baute sich daneben auf, stellte das Köfferchen auf den Boden und verschränkte die Arme vor der Brust. Chruščev war ein großer Folterkünstler; seine Meisterschaft bestand darin, Blutvergießen zu vermeiden, weil er den Anblick von Blut nicht ertragen konnte. Er hängte Leute an den Wippgalgen und riß ihnen damit die Schultern auseinander, er spannte sie auf die »Sprossenwand«, bis sie vor Schmerz von Sinnen waren, er verbrannte sie mit Kohlen und einer Lötlampe, zerquetschte sie mit der Presse, erdrosselte sie langsam, brach ihnen die Knochen oder goß ihnen geschmolzenes Blei in die Kehle. Heute jedoch widmete der Graf sich seiner Lieblings-Folter - der Mißhandlung mit dem Korkenzieher. Auf dem Instrumententisch lag ein Dutzend ganz verschiedener stählerner Korkenzieher, die er selbst konstruiert hatte. Es gab lange und ganz kurze Korkenzieher, solche mit doppelten oder dreifachen Spiralen und solche mit elastischen Stahlfedern, es gab selbstdrehende Korkenzieher und solche, die sich extra langsam drehten. Der Graf konnte sie so in die Körper seiner Opfer schrauben, daß kein einziger Blutstropfen an der Körperoberfläche hervortrat. Aus dem Rücken des Unglücklichen ragten bereits zwei stählerne Griffe: der eine Korkenzieher war in seine Achsel geschraubt, der andere in das Schulterblatt. Der Graf trug Gummihandschuhe; er drehte langsam an den Griffen und schraubte das unerbittliche Metall tiefer in den Körper.
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Stalin musterte ihn schräg von der Seite. Graf Chruščev war bucklig und deshalb nicht groß, mit einem schweren, länglichen Gesicht, das sich zu der massiven, an einen Marabu-Schnabel erinnernden Nase hin zusammenzog. Unter den buschigen, graumelierten Augenbrauen fuhren seine klugen, durchdringenden, wäßrigen Augen hin und her. Sein graues langes Haar war erstklassig geschnitten. In seinem großen Ohr funkelte stets ein Brillant. Die kräftigen Arme mit Händen wie Schraubstöcke reichten ihm bis zu den Knien. Chruščev trug eine Schürze aus Segeltuch, unter der ein schneeweißes Hemd mit langen Manschetten und wundervollen Fabergé-Manschettenknöpfen in Form von Skarabäen aus Gold, Saphiren, Brillanten und Smaragden hervorlugte. Der Graf drehte unerwartet heftig an beiden Korkenziehern. Der Jüngling kreischte auf und verlor das Bewußtsein. »Die Grenzen ... die Grenzen ...« murmelte der Graf konzentriert und warf Stalin einen schnellen Blick zu. »Was kommst du denn so spät?« »Entschuldige, mon cher, Geschäfte. Herzlichen Glückwunsch.« »Ein Geschenk?« sagte der Graf mit einem Blick auf das Köfferchen. »Das Geschenk ist hier, mon cher.« Lächelnd legte Stalin die Hand auf die linke Brustseite. »Im Herzen?« »In der Tasche. Aber ich werde es dir nicht hier übergeben.« »Aber natürlich, mein König.«* Der Graf hielt dem Jüngling ein Fläschchen mit Salmiakgeist unter die Nase. * im Original deutsch
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Der Jüngling rührte sich nicht. »Die Grenzen ...« Der Graf begann, dem Jüngling das Salmiak ins Ohr zu gießen. »Im Prinzip wird alles nur von Grenzen definiert. Alles, überall.« »Wer ist der Junge?« fragte Stalin und zündete seine ausgegangene Zigarre an. »Ein Schauspieler aus meiner Truppe.« »Schlecht?« »Großartig. Der beste Hamlet, der beste Fürst Myškin von Moskau. Ich habe noch nie so geweint und so gelacht... Mejerchold wollte ihn immer für sich gewinnen.« »Und du?« »Ich habe ihm ein Gehalt angeboten, das ihm kein Mejerchold zahlen kann.« »Und ... wofür machst du dann das da?« »Was meinst du?« »Na, wofür folterst du ihn?« Stalin blies genüßlich den Zigarrenrauch aus. »Ich foltere niemals für irgend etwas, losif. Das habe ich dir doch gesagt. Und nicht nur einmal.« Der Jüngling zuckte mit seinem ganzen schönen Körper zusammen. »So ist es gut.« Der Graf strich ihm über die von Schweiß und Tränen nasse Wange und nahm einen großen Korkenzieher mit einer raffinierten, dicken Spirale vom Tisch. »Als ich fünfzig war, habe ich begriffen, daß die Leber das wichtigste Organ des Menschen ist«, begann der Graf abwägend. »Die Reinheit des Blutes ist wichtig für die Gesundheit. Die Mehrzahl unserer Krankheiten resultiert daraus, daß die Leberfunktionen gestört sind und die Leber das Blut nicht
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mehr richtig filtern kann. Dann können sich die ganzen Schadstoffe nicht mehr in der Leber absetzen, sondern zirkulieren gemeinerweise in unserem unreinen Blut. Und das Blut«, geschickt stieß er dem Jüngling den Korkenzieher in die Lebergegend, »das Blut ist ›der Anfang allen Anfangs‹, wie Hippokrates sagte.« Der Jüngling begann wie wild zu schreien. »Aber es tut doch noch gar nicht weh, was brüllst du denn so?« Der Graf stützte sich mit konzentriertem Gesichtsausdruck auf den Griff des Korkenziehers. Die breite Spirale schraubte sich langsam in den zuckenden Körper. Der Schrei gellte Stalin in den Ohren. Er ging zur Seite und schaute sich die Folterausrüstung an. »Grenze, Grenze ... wie die Drehung einer Schraube ...« murmelte Chruščev. Stalin berührte die stählernen Ketten des Wippgalgens, ging dann zu dem eisernen Sessel mit dem unten einmontierten Kohlebecken zum Braten der Opfer und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen hinein. Agonie erfaßte den Körper des Jünglings. Er schrie nicht mehr, sondern zuckte konvulsiv, seine Augen rollten hin und her, Schaum tröpfelte aus dem schönen empfindsamen Mund. »Bei dir hätte Šipov schon längst angefangen zu reden«, sagte Stalin. »Aber bei Berija hat er bis jetzt noch nichts gesagt, und das seit einer Woche.« »Šipov? Sergej Venediktovič?« Der Graf hörte aufmerksam zu und drehte den Korkenzieher, wie der Klavierstimmer den Stimmschlüssel dreht. »Gegen diesen überaus würdigen Gentleman würde sich meine Hand niemals erheben. Und überhaupt, losif, ich muß dir sagen, daß eure ›Verschwörung der
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Bankiers‹ ein Koloß auf tönernen Füßen ist. Die Centrobank ist seit langem der Kontrolle der Partei entglitten, ich habe das mehrfach gesagt, ich habe gegen den Monetarismus der Bank mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln gekämpft. Aber das, was ihr macht, Lavrentij und du, ist nicht nur unkorrekt, sondern auch strategisch gefährlich. Die Autorität der Partei ist durch die Geschichte mit Bucharin ohnehin untergraben, aber ihr ...«. Chruščev verstummte und berührte die Kopfschlagader des Jünglings. »Das war alles, mein starker Jüngling.« Er streifte geräuschvoll die Gummihandschuhe von seinen großen Händen. »Aber wir?« erinnerte ihn Stalin. »Aber ihr unterminiert und erschüttert die Partei noch mehr. Damit schreckt ihr nicht nur die Aristokraten ab, sondern auch die Bürger. Gehen wir nach oben, Fondue essen.« Chruščev zog die Schürze aus und schritt mit dem schwungvoll-ausladenden Gang eines Orang-Utans zum Ausgang. »Jetzt spricht dein blaues Blut aus dir.« Stalin folgte ihm mit dem Köfferchen in der Hand und der Zigarre zwischen den ebenmäßigen Zähnen. »Das hat schon immer aus mir gesprochen. Als ich mit siebzehn in die RSDAP eintrat. Als ich bei Caricyn Mamontovs Reiter mit dem Maschinengewehr niedermähte. Als ich gemeinsam mit dir gegen Trockij und seine Bande kämpfte. Als ich im belagerten Leningrad fror. Als ich den Friedensvertrag mit Hitler unterschrieb. Als ich den Atompilz über London sah. Als ich den Schuft Tito mit einer Baßseite erwürgte. Als ich den fetten Ždanov bei dir auf der Datscha in der Wanne ertränkte. Und als ich«, er drehte sich heftig um, »im Oktober aus Foros zu eurer Vollversammlung angeflogen kam.«
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Stalin ging auf ihn zu. Sie blickten einander wortlos in die Augen. »Mon ami, die Partei ist kein Platz auf der Tribüne des Mausoleums«, sagte Stalin. »Aber auch kein Massengrab in Butovo«, versetzte Chruščev. »Weißt du, was da für Erdbeeren wachsen? Solche!« Er hielt seine knochige, behaarte Faust vor Stalins gepflegtes Gesicht. »Die Partei hat gestraft, sie straft und wird strafen«, sagte Stalin ruhig und ohne die Faust zu beachten. »In den großen Agrarstaaten ist die Wahrscheinlichkeit der Entropie umgekehrt proportional zur Anzahl der Ermordeten. Der Große Mao versteht das. Ich auch.« »Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, dieses Gesetz auch auf die Bankiers auszudehnen. Es gibt hundertmal weniger Bankiers als Bauern.« »Mon ami, wir können noch fünftausend Geroapotheken und zehntausend Koks-Cafes eröffnen, aber das erhöht unsere Sicherheitsgarantie um kein Jota. Das Land wimmelt von Feinden. Und es ist ganz egal, wen man mit Baßseiten erdrosselt.« »losif!« seufzte der Graf enttäuscht und ging die Treppe hinauf. »Ich wußte schon immer, daß du ein großer Empiriker der Massen bist und kein sehr weitsichtiger Stratege.« »Ich schieße dir für diese Worte nicht ins Gesicht«, sagte Stalin von hinten. »Versuch das nur!« Chruščev fing an zu lachen. »In meinem Hof sind achtunddreißig Maschinengewehrnester. Und auf dem Dach sind Flammenwerfer.« »Ein Maschinengewehr ist nicht gerade das gewichtigste Argu-
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ment in der modernen Kriegführung«, grinste Stalin. »Aber ein Flammenwerfer ist eigentlich eine dekorative Waffe ...« Aus dem Empfangssal gingen sie hinauf in die Beletage, vorbei an einer Flucht geräumiger Säle, die sehr üppig, aber streng klassisch eingerichtet waren, und kamen in den Speisesaal. Das war ein riesengroßer, in Brauntönen gehaltener Saal mit Fenstern zur Terrasse, einigen wenigen Möbeln aus Nußbaumholz, chinesischen Vasen und antiken Skulpturen. Die größte Wand des Saales wurde von zwei Tiepolo-Gemälden geschmückt: »Die Begegnung von Antonius und Kleopatra« und »Kleopatras Gastmahl«. Der lange Tisch, an dem sechzig Personen Platz finden konnten, war luxuriös und geschmackvoll gedeckt. Darauf standen nur leichte Vorspeisen, verschiedene Käsesorten und Früchte und an den beiden Stirnseiten je ein Teller und Besteck. Wie aus dem Erdboden gestampft erschien Chruščevs unvermeidlicher Leibwächter, der Mongole Adžuba mit seinem undurchdringlichen Gesicht, den stählernen Muskeln und zwei Revolvern an den schmalen Lederhüften. Er verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust und stellte sich hinter den Grafen. »Voilà!« Der Graf machte eine einladende Handbewegung zu Stalin. »Heute war es hier nicht besonders lustig. Ich hoffe, daß wenigstens du den Einsiedler etwas ablenkst.« Stalin holte aus seiner Innentasche eine wundervolle, brillantene Haarspange in Form kopulierender Elfen und streckte sie dem Grafen hin. »Erlaube mir, mon cher ami, dir mit diesem bescheidenen Stückchen lebloser Materie zu deinem Namenstag zu gratulieren.« »Ich danke dir, losif.« Sie küßten sich auf russische Art, dreimal.
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Die Bediensteten brachten vier Silbertöpfe mit Rechaud für das Fondue herein, dazu Weißwein, geriebenen Schweizer Käse, goldene Fonduegabeln, Knoblauch und Olivenöl. »Entzückend.« Chruščev schenkte der Haarspange einen flüchtigen Blick und klemmte sie nachlässig an den Kragen seines Hemdes. »Trinken wir.« Ein Bediensteter füllte zwei Gläser mit Champagner. »Auf dich, mon cher.« Stalin hob das Glas. »Nein, nein.« Der Graf schüttelte den Kopf. »Mein Namenstag ist vorbei. Es ist schon Morgen. Und aus diesem Grund möchte ich auf eine erstaunliche Eigenschaft anstoßen, um die ich dich immer beneidet habe.« »Ist es denn möglich, daß ich etwas habe, das deinen Neid hervorruft?« lächelte Stalin. »Das gibt es, losif. Deine Fähigkeit, in der Gegenwart zu leben.« »Das höre ich zum ersten Mal!« »Doch, doch! Nikolaj II. lebte in der Vergangenheit, Lenin in der Zukunft, und du lebst mit der Gegenwart. Du lebst in vollen Zügen. Und mit dir zusammen lebt auch das ganze sowjetische Volk in der Gegenwart.« Stalin schaute ernst in Chruščevs wässrige, tiefliegende Augen. Sie stießen an und tranken. Die Bediensteten trafen unterdessen geschickt ihre Vorbereitungen zum Fondue, sie erhitzten den Käse in dem köchelnden Wein und lösten ihn unter schnellem Rühren mit einem Speziallöffel darin auf. Zwei Sicherheitsleute des unterirdischen Gefängnisses trugen den abgehackten Torso des soeben verstorbenen Jünglings auf einem Marmorbrett herein. Frisches Blut rann aus dem Torso.
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Der Koch beugte sich mit einem Messer und einer zweizinkigen Gabel darüber und schaute den Grafen fragend an. »Für mich ein Stück aus der Nierengegend«, befahl Chruščev. Der Koch schnitt zwei schmale Stücke aus dem Torso. »Cela vaudrait le coup d'aller à Archangelskoe pour goûter une vrai fondue!« lachte Stalin und setzte sich an den Tisch. »Offen gestanden, ich habe gerade eben zu Abend gegessen.« »Mein Fondue kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit essen.« Der Graf nahm am gegenüberliegenden Ende des Tisches Platz. »In eurem Kreml bekommst du so etwas nicht... Ihr habt sicher wieder Schweinefleisch gegessen? Oder diese dämlichen Haselhühner in saurer Sahne?« »Mon cher, du kultivierst den Zyniker in dir.« »Ich kultiviere den Gourmet in mir. Ihr habt doch keinen einzigen gescheiten Koch mehr. Ežov und Berija haben sie alle eingelocht.« »Komm doch am 8. März zu uns. Es wird ein vorzügliches französisches Mahl geben. Und einen ganzen Haufen Damen, die du ja nicht gerne hast.« »Zweimal taucht man nicht in Kreml-Wasser ... Erzähl mir lieber von dieser Amnestie.« »Wegen der Leningrader Angelegenheit?« »Ja. Was soll der ganze Aufruhr? Meint ihr etwa, daß Ždanovs Vorliebe für Jahrmärkte kein Fehler war? Daß Voznesenskij keine Industriesabotage betrieben hat?« Stalin streifte die Asche seiner Zigarre vorsichtig in den Amethyst-Aschenbecher. »Voznesenskij war tatsächlich ein Schädling und hat für die Engländer gearbeitet. Und was die Jahrmärkte fürs Volk angeht, da hat sich die Meinung des Politbüros geändert.«
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»Ach ja?« Der Graf zog in geheuchelter Überraschung die Augenbrauen in die Höhe. »Dann sind die Jahrmärkte also keine Restaurierung des hinterwäldlerisch-bäuerlichen Rußlands?« »Es lag tatsächlich viel Hinterwäldlerisch-Bäuerliches, Archaisches darin ... Diese öffentlichen Hinrichtungen auf dem Sennaja-Platz, das Vierteilen, die Massenkopulationen auf dem Eis. Aber die Idee selbst, Winter-Jahrmärkte zu veranstalten, war doch nicht antisowjetisch.« »Genial«!Chruščev hämmerte mit seinen knochigen Händen auf den Tisch, und der lange, schwarze Holztisch stieß in dem hallenden, kühlen Saal einen bedrohlichen Summton aus. »Lenin und Stalin haben den unterdrückten russischen Menschen befreit, sie haben ihn innerlich und äußerlich frei gemacht! Glück jedoch bescheren ihm nicht etwa pharmazeutische Erfindungen unserer Chemiker, sondern kollektive Tänze auf dem Jahrmarkt! ›Verbeugen wir uns vor den Wurzeln und trinken wir uns satt an der alten Freude der Ahnen !‹ Solche Bucharinschen Hetzreden haben früher Ždanov und Postyšev kritisiert. Und heute? Malenkov?« »Malenkov hat damit nichts zu tun.« »Und wer hat sich einfallen lassen, die ›Leningrader‹ zu amnestieren?« »Ich.« Chruščev schaute ihn bedeutungsvoll an. Stalin erwiderte seinen Blick ruhig und ohne mit der Wimper zu zucken. Chruščev blickte zur Seite, zum Koch und zu den Bediensteten: »Na, was ist?« »Es ist alles bereit, Erlaucht.« Der kahlrasierte Koch richtete sich auf. »Du kannst servieren.«
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Im Handumdrehen erschienen vor Stalin und Chruščev Töpfe mit siedendem Olivenöl und zäh blubberndem geschmolzenem Käse, Teller mit Gewürzen und kleingeschnittenem Menschenfleisch. Chruščev rammte seine Fonduegabel in ein blutiges Stück, briet es im Öl leicht an, bestreute es mit frischgemahlenem Pfeffer, tunkte es in den Käse, steckte es in den Mund und trank sofort einen guten Schluck eisgekühlten »Château Rieussec« hinterher. Stalin wählte ein kleines Stück Menschenfleisch, briet es kurz im Öl, bespritzte es mit Zitrone, tauchte es langsam in den zähflüssigen Käse, zog es wieder heraus, schwenkte die Gabel zum Abkühlen in der Luft, bevor er sie bedächtig zum Mund führte und probierte. »Hmhh ... Incroyable.« Eine Zeitlang aßen und tranken sie schweigend. »Das heißt also, Ždanov wird auch rehabilitiert?« fragte Chruščev. »Möglicherweise ...« Stalin ergötzte sich an dem Fleisch, das im siedenden Olivenöl seine Farbe sehr schnell änderte. »Hör zu, mon ami, ich wollte dich schon lange etwas fragen: Warum hältst du dir keine Hunde?« »Ich mag keine Tiere«, erwiderte Chruščev trocken. »Merkwürdig, ein Hedonist, und mag keine Tiere.« »Ich bin kein Hedonist.« Der Graf schaute Stalin böse an. »Das ist ja das Neueste! Was bist du denn, mon cher?« »Ein Sklave Stalins«, nuschelte der Graf, öffnete den Mund, streckte seine fleischige, weißlich-gelb belegte Zunge heraus und fuhr damit schnell hin und her, wobei er mit den Augen rollte und gutturale Laute ausstieß. Stalin erstarrte mit seiner goldenen Fonduegabel in der
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Hand. Seine schmalen Finger öffneten sich, die Gabel mit dem darauf aufgespießten Stück rohen Menschenfleischs fiel ihm auf den Schoß, glitt zu Boden und hüpfte über das spiegelnde Parkett. Der Kopf des Führers fiel zuckend nach hinten, die Finger krallten sich in den Tisch, und nach einem langen Anfall von Gelächter klang das heiser-durchdringende »Aaauaaauaaa!« durch die menschenleeren Säle des Palastes. Chruščev begann, den auf einem riesigen, zerwühlten Bett liegenden Stalin zu entkleiden. Das Schlafzimmer des Grafen war hell erleuchtet, drei Kandelaber strahlten die mit fliederfarbenem Chiffon bespannten Wände und die drei großen Porträts in geschnitzten, vergoldeten Rahmen an. Das mittlere Bild, ein Picasso, war ein in Grau, Rosa und Hellblau gehaltenes Porträt von Larisa Rejsner, die in einer goldenen Wanne voller Milch saß. Die symmetrisch rechts und links daneben hängenden Porträts von Stalin und Lenin hatte Brodskij gemalt, im klassischen Stil und in Rot-, Braun- und Blau-Tönen gehalten. Gedämpfte Musik erklang, im Radio lief eine Übertragung der Oper »Mignon« von Ambroise Thomas. Im Kamin knackten Birkenscheite. »Der Geruch von deinem Eau de Cologne ...« Stalin strich über Chruščevs sonnengebräunte Wange. »Das macht mich immer noch verrückt.« »Es freut mich, mein Junge, daß es wenigstens noch etwas gibt, das dich in Erstaunen versetzt.« Chruščev knöpfte Stalins Hemd ganz auf, schob die zarte Seide mit seinen haarigen, eisenharten Händen beiseite und schmiegte seine Lippen an die unbehaarte Brust des Führers.
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»Mein Gefühl für dich, mon ami, ist mit nichts zu vergleichen.« Stalin schloß die Äugen. »Es ist... beinahe angsteinflößend.« »Ich verstehe, mein Junge ...« flüsterte Chruščev in Stalins kleine Brustwarze und nahm sie vorsichtig zwischen seine großen, empfindsamen Lippen. Stalin stöhnte auf. Chruščev knöpfte ihm behutsam die Hose auf, zog den halbdurchsichtigen schwarzen Slip hinunter und ließ den aufgerichteten, sonnengebräunten Phallus des Führers frei. Der Graf leckte seine Finger an, zupfte damit zärtlich an Stalins Brustwarze und glitt mit den Lippen am Körper des Führers hinunter, dem sich mit Blut füllenden Phallus entgegen. »Oh ... wie oft ich an dich denke ...« murmelte Stalin. »Wieviel Platz du in meinem maßlosen Leben einnimmst...« »Masculinum ...« Die Lippen des Grafen berührten die bordeauxrote Eichel. Stalin schrie auf und packte Chruščevs Kopf mit den Händen. Die Lippen des Grafen spielten mit der Phallusspitze des Führers, zunächst zärtlich, dann immer wollüstiger. »Die Spirale ... Die Spirale ...« stöhnte Stalin und krallte seine Finger in die langen, silberschimmernden Haare des Grafen. Chruščevs kräftige Zunge vollführte spiralförmige Bewegungen um Stalins Eichel. »Weißt du ... mein Lieber ... nein ... sacré ... ich ... aber nein ... Die Spitze! Die Spitze! Die Spitze!« Stalin warf sich auf die Daunenkissen. Die Zunge des Grafen berührte behutsam die Spitze der Eichel und begann, den Harnleiter auseinanderzuschieben. »Aber ... nein ... noch nicht! Noch nicht!« Stalin verdrehte die Augen.
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Chruščev drückte die prallen Eier des Führers fest zusammen. »Daß es bloß noch nicht hervorsprudelt ... ooh ... gib mir einen Befehl! So wie früher! Aber zärtlich! Zärtlich!« »Gib mir den Po, mein süßer Junge«, befahl Chruščev sanft und hielt Stalin fest an den Eiern. Stalin drehte sich schluchzend auf den Bauch. »Der Junge hat Angst... gib mir einen Kuß auf den Rücken ...« »Küssen wir den Jungen auf den Rücken ...« Chruščev zog das Hemd von Stalins Schultern und begann, sie mit langsamen Küssen zu bedecken. Stalin stöhnte ins Kissen. Chruščev küßte ihn leidenschaftlich zwischen die Schulterblätter, hielt ihm den Mund ans Ohr und flüsterte: »Wovor hat der Junge denn Angst?« »Vor dem dicken Wurm ...« schluchzte Stalin. »Wo wohnt denn der dicke Wurm?« »Beim Onkel in der Hose.« »Was will denn der Wurm?« »Sich reinzwängen.« »Wo denn?« »In den Po von dem Jungen.« Chruščev knöpfte seine Hose auf und holte sein langes, krummes Glied mit der höckrigen Eichel hervor, auf deren glänzender Haut ein Pentakel tätowiert war. Der Graf spuckte sich in die Hände, rieb Stalins Anus mit Spucke ein, legte sich rittlings auf den Führer und begann, mit sanften Stößen sein Glied einzuführen. »Du hast... Onkel... nein ... Nicht so fest! Nicht so fest!« murmelte Stalin. »Du mein süßer kleiner Zinnsoldat...« flüsterte Chruščev.
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»Wozu ... diese Qualen ... ooh ... wozu machen die Menschen das ...« Stalin biß sich auf die Lippen. »Um zu vergessen ... um alles zu vergessen, mein Junge ...« Das Glied des Grafen war jetzt ganz in Stalins Anus verschwunden. Der Graf drückte mit der linken Hand Stalins Eier, packte mit der rechten Hand sein Glied und begann, ihn gemächlich zu masturbieren. »Du ... das ... du ...« Stalin fing an zu brüllen. »Was macht der Onkel mit dem Jungen?« »Der Onkel fìckt den Jungen in den Po«, flüsterte Chruščev heiß. »Wie? Wie? Wie?« »Das ist so süß ...« »Auf Befehl? Schließlich ist laut Befehl... ganz klar ...« »Aufklaren Befehl.« »Hat der Onkel das befohlen?« schluchzte Stalin. »Hat er. Ganz klar ...« »Und wird er das noch mal befehlen?« »Das wird er ... hundertmillionenmal wird der Onkel dem Jungen befehlen ...« »Was? Was? Was?« »Er wird ihm befehlen ... aber nicht sofort...« »Wie? Wie? Wie?« »Ganz langsam ... ganz langsam ... ganz langsam ...« »Aber ... aber ... der Junge ist schon ... der Junge ist schon ...« »Was ist, mein Junge?« »Der Junge ist bereit... er ist schon ... schon ...« »Der Befehl kommt... Der Befehl kommt...« »Der Junge ist schon ... Der Junge ist schon ... Bring ihn her! Bring ihn her, du Schädling!«
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Chruščev umarmte Stalin von hinten, gemeinsam fielen sie zur Seite auf den Bettrand. »Adžuba!« rief der Graf mit versagender Stimme. Adžuba erschien mit einem goldenen Meßkelch, der mit sechs großen Saphiren verziert war. Er ließ sich neben dem Bett auf die Knie nieder und stellte den Meßkelch unter Stalins flammendrotes Glied. »Befehl für den Jungen: Spritz ab!« knurrte Chruščev. Sie kamen beide gleichzeitig, unter Schreien und Stöhnen. Adžuba fing mit dem Meßkelch Stalins dickflüssiges Sperma auf. »Noch mehr! Noch mehr!« schrie Stalin mit hoher Stimme. »Ja! Ja! Ja!« brüllte der Graf, am ganzen Körper zitternd, und rammte sein Glied in Stalins zuckenden Hintern. Als die Agonie des Orgasmus verebbte, blieben die beiden Liebhaber in halbbewußlosem Zustand reglos liegen. Adžuba hielt weiterhin den Meßkelch und beobachtete aufmerksam Stalins welkendes Glied, aus dem die letzten trüben Tropfen quollen. »Die ewige Wiederkehr ... Symbiose ...« murmelte Stalin und fing an zu lachen. »Ich liebe dich«, röchelte Chruščev erschöpft in Stalins pomadisiertes Haar. Stalin nahm Chruščevs Hand, führte sie zum Mund und küßte sie. Chruščev zog vorsichtig sein Glied aus Stalins Anus. »Bleib noch, ich bitte dich.« Stalin küßte seine knochigen Finger mit den stark gewölbten Fingernägeln. »Dein Sperma ist heiß wie Lava. Es tut so unglaublich gut, es in mir zu spüren ...« Chruščev blieb reglos liegen. Adžuba fing mit dem Rand des Meßkelchs den letzten zähen
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Tropfen auf, stellte den Meßkelch auf das mit Büchern überladene Nachttischchen und verließ den Raum. »Liest du viel?« Stalins Blick fiel auf die Bücher. »Was bleibt einem Einsiedler denn sonst zu tun?« »Ich weiß schon gar nicht mehr, was das ist - ein Buch.« »Dem Führer kann man das nachsehen.« »Gibt es denn interessante Autoren?« »Das schon. Aber es gibt keine interessanten Bücher.« »Wie meinst du das?« »Verstehst du ... in der russischen Literatur passiert etwas. Aber was, das begreife ich im Moment noch nicht.« »Fault sie vor sich hin?« »Wahrscheinlich.« »Nun ja, wir alle verfaulen. Sobald der Mensch aufhört zu wachsen, beginnt er zu verfaulen.« »Ein Buch ist kein Mensch.« »Willst du damit sagen, daß Bücher nicht verfaulen?« »Du bist ein Sophist, losif!« Chruščev fing an zu lachen, und sein eingeschrumpeltes Glied kroch aus Stalins Anus. »Was ist denn das ...« Stalin las den Titel eines Manuskripts vor, das neben dem Bett auf dem Boden lag: »Ein Tag im Leben des Ivan Denisovič?« »Denisovič wird auf dem ›o‹ betont«, verbesserte Chruščev und drehte sich erschöpft auf den Rücken. »Das ist ein Roman, der Verfasser ist ein komischer Vogel. Er hat ihn mir selbst gebracht, ist zu Fuß aus einem Lager für Zwangsliebe auf der Krim nach Archangelskoe gelaufen.« »Aus einem LOVELAG?« »Ja. Er sagte, er hätte unterwegs vier Paar Stiefel abgelaufen. Mir kam das gleich merkwürdig vor.«
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»Hat er da gesessen?« Stalin nahm Weintrauben aus einer goldenen Schüssel, pflückte eine Traube ab und legte sie Chruščev zwischen die Lippen. »Ja, anscheinend ungefähr sieben Jahre. Danach war er in der Verbannung, in Koktebel. Da hat er dann den Roman geschrieben. Über den Alltag im LOVELAG.« »Darüber wird jetzt viel geschrieben, habe ich gehört, das Thema ist ja brandaktuell. Ist es ein interessanter Roman?« »Er ist seltsam ... Er liest sich lebendig und durchaus glaubwürdig, aber irgend etwas stimmt da einfach nicht.« »Erzähl mal.« Stalin aß genüßlich seine Weintrauben. »Also, eigentlich gibt es da gar nicht viel zu erzählen«, gähnte Chruščev. »Ivan Leopoldovič Denisovič, ein Erzjude aus Odessa, ist wegen sexueller Perversionen dritten Grades zu zehn Jahren LOVELAG verurteilt worden. Er war Begleiter in der Philharmonie in Odessa und hat die älteren Schülerinnen zu sich nach Hause gelockt und ihnen Likör mit Schlafmittel zu trinken gegeben. Wenn sie dann einschliefen, hat er sie in alle Löcher gevögelt, die eigene Scheiße in die Vagina gestopft und sie mit einem Goldfaden zugenäht. Dann hat er ihnen ein Brautkleid angezogen und sie in den Luna-Park geschleppt. Da ist er dann mit ihnen Karussell gefahren, bis sie wach wurden. Am besten gefiel ihm ihr Gesichtsausdruck, wenn sie aufwachten. Na ja, und der Roman beschreibt eben einen Tag in seinem Lagerleben. Wie er bumst und wie er gebumst wird.« »Und was stimmt jetzt daran nicht, mon cher?« Stalin begann, Chruščev zu füttern. »Zum einen kommt auf hundert Seiten kein einziges italienisches Wort vor, ganz zu schweigen von Französisch. Englische Ausdrücke gibt es, aber nur ganz selten. Folglich sprechen also
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alle Gefangenen russisch? Das ist doch eine Arroganz sondergleichen!« »Das ist wirklich merkwürdig.« Stalin betrachtete sein Gesicht. »Zum zweiten werden darin unschuldige Kindervögeleien geschildert. Kein Picken in die Leber, kein Scheißeficken, kein Picken unter der Haut. Und das klassische Lagerficken durch einen Katheter?« »Davon hat ja sogar meine Vesta schon gehört.« »Drittens, das Essen. Dieser Denisovič meckert, ihm sei kotzübel von der ewigen Spargelsuppe und dem Paprikahuhn, mit dem sie da Tag für Tag gefüttert werden. Ihr Brigadier (sie müssen im Lager Zwangsarbeit leisten - Glasperlenstickerei und Spitzen häkeln) leidet an Sodbrennen und gibt einem anderen Gefangenen eine Portion ›ranziger, angebrannter und unerträglich bitterer‹ Trüffel, und der ›stürzt sich begeistert darauf‹. Dann gibt es anscheinend nur Krim-Weine, von französischen keine Spur. Und das Kokain im Koks-Cafe ist mit Zucker gestreckt.« »Hirngespinste eines Schwarzsehers. In die LOVELAGS geht erstklassiges kolumbianisches Kokain, das Ministerium für Staatssicherheit macht die Qualitätskontrolle, alle Barkeeper in den Koks-Cafes sind Offiziere der Staatssicherheit. Denen würde es nicht im Traum einfallen, das Zeug zu strecken ...« »Also, die Beschreibung des Lagers ist verdächtig ... Und überhaupt hat mir der Typ von Anfang an nicht gefallen. Er ist schlau. Ein russischer Schriftsteller soll aber nicht schlau sein. Ungeschliffen, frech, bösartig - bitte sehr. Aber nicht schlau ... Ich habe einen Heizer, Varlam, der hat sein halbes Leben im LOVELAG auf der Krim gesessen. Ein Paradiesvogel. Der hat
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einen doppelköpfigen Phallus zum Nasenlöcher-Ficken. Die Hände sind in Form von menschlichen Köpfen zusammengeballt. Er hat Tausende von Leuten in die Nasenlöcher gevögelt. Ich hab ihm den Roman zu lesen gegeben, und er hat sofort gesagt: ›ln so einem Lager hab ich noch nicht gesessen.‹ Und viertens schließlich...« »Und viertens liebe ich dich.« Stalin küßte ihn auf den kauenden Mund. Chruščev reagierte mit einem langen Kuß. Dann stand er munter auf, griff zum Meßkelch und leerte ihn in einem Zug. »Mon cher ami, ich zeige dir jetzt etwas«, sagte Stalin und schaute auf sein Köfferchen, das an der Schlafzimmertür stand. »Etwas sehr Wichtiges. Du und ich, wir warten schon seit sechzehn Jahren darauf.« Chruščev blieb mit dem Meßkelch in der Hand wie erstarrt stehen und wandte sich dann langsam zu Stalin um. Das verhaßte Klingeln des kleinen vergoldeten Weckers, das kupferne Schlagen der Standuhr im Wohnzimmer, und gleich darauf das weit entfernte, schwer-abfallende Glockengeläut vom Spasskij-Turm. »Vesta losifovna, es ist acht Uhr.« Vesta öffnete die Augen. Die schlanke, zart nach Kölnischwasser duftende Gouvernante, die ein grünes Kleid mit weißer Pelerine trug, beugte sich über das Mädchen und zog behutsam die Decke zurück. »Uuuaaah!« Vesta reckte sich und drehte sich auf den Rücken. »Ist Vaska schon aufgestanden?« »Er trinkt schon Kaffee.« Die sanften Hände der Gouvernante halfen ihr, sich aufzusetzen, streiften das feingearbeitete
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Nachthemd vom schlaftrunkenen, warmen Körper und hielten ihr den vorgewärmten rosa Frotteemantel hin. Vesta stand nackt auf, schob die Arme in den warmen Mantel, gähnte und trat mit ihrem nackten Fuß auf ein dickes Buch, in dem sie bis zwei Uhr morgens gelesen hatte: de Sade, »La nouvelle Justine ou les malheurs de la vertu«. »Langweilig.« Vesta versetzte dem Buch einen Tritt und hielt der vor ihr knienden Gouvernante ihren Fuß hin. Die engen Gymnastikschuhe umspannten die Füße angenehm fest. Ohne den Morgenmantel zuzumachen, ging Vesta in das geräumige Badezimmer, schaute in den großen Spiegel, fuhr mit dem Finger über ihre schwarzen Augenbrauen, leckte ihn an und malte damit auf dem Spiegel herum. Die Gouvernante kam herein und legte eine vorgewärmte Brille auf die WC-Schüssel. Vesta ließ den Morgenmantel zu Boden gleiten und setzte sich auf die Toilette. Die Gouvernante stellte sich daneben. »Wovon soll ich denn heute erzählen, Vesta losifovna?« »Erzähl mir ...« gähnte Vesta, »von dem Kohlenhaufen.« Der Urinstrahl plätscherte im Fallrohr der Toilette. »Also, wir wohnten in einem dreistöckigen Haus, und im Innenhof, da lag ein großer Kohlenhaufen. Mir kam er vor wie ein richtiger Berg. Wenn ich manchmal mit meiner Kinderfrau hinausging und ihn anschaute, kam er mir irgendwie unheimlich vor...« »Warum?« Vesta betrachtete ihre sonnengebräunten Knie und strich mit der Hand darüber. »Weil er so groß und schwarz war, darum. Und weil er nach verbrannter Schlacke stank, das ist so ein säuerlicher Geruch. Im ersten Stock wohnte ein Junge, ungefähr vier Jahre älter als
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ich, Vitjuša. So ein dicklicher, ordentlicher. Sein Vater war bei der Aktiengesellschaft ›Rossija‹ angestellt. Und eines schönen Tages im Winter, als es schon dunkel wurde, kamen dieser Vitjuša und ich zusammen aus der Schule zurück.« »Wie alt warst du da?« »Ungefähr acht. Und er war zwölf. Er sagt also zu mir, komm in den Hof, ich zeig dir den Mount Everest. Wir gehen in den Hof, er führt mich zu dem Kohlenhaufen und sagt, das ist der Mount Everest. Und der Kohlenhaufen sah wirklich aus wie ein Berg, ganz schneebedeckt. Da stupst er mich vor die Brust, ich falle auf den Haufen und er auf mich drauf. Er fährt mit der Hand unter meinen Pelz, zieht mir die Gamaschenhosen runter und packt mir an die Muschi...« »Und du?« Vesta hatte die Finger in die Knie gekrallt und ächzte leise. »Ich lag unter ihm und wußte nicht, was ich machen sollte. Und er drückt ganz fest an meiner Muschi herum. Er drückt und drückt, dann steht er auf und sagt, ich darf das niemandem erzählen, sonst krieg ich Läuse in meiner Muschi.« »Und du?« Vesta ließ einen fahren. »Ich fing an zu weinen und ging nach Hause. Ein Jahr später hat sein Papa eine Weihnachtsfeier gemacht, und da ...« »Sei still...« Vesta stieß einen angestrengten Seufzer aus und ihr Kot plumpste ins Wasser. Die Gouvernante verstummte, rollte einen kurzen Streifen Toilettenpapier ab und legte ihn zusammen. Vesta ließ wieder Gase fahren. Ein leichter Kotgeruch ging von ihr aus. Sie preßte die letzte Portion aus sich heraus und stand mit einem erleichterten Seufzer auf. Die Gouvernante wischte geschickt den ihr entgegengestreckten Hintern ab, warf das Papier in die
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Toilettenschüssel, klappte den Deckel herunter und zog an dem vernickelten Griff. Das Wasser rauschte, und Vesta setzte sich auf das Bidet. Die Gouvernante wusch sie, half ihr dann die Zähne zu putzen, kämmte sie und flocht ihr einen Zopf. Vesta duschte morgens nie. In ihrem braunen Schulkleid mit dem Komsomolzen-Abzeichen an der schwarzen Schürze ging sie ins Eßzimmer. Vasilij saß in seiner blauen Schuluniform mit gelben Messingknöpfen an dem ovalen Tisch, trank Kaffee und las die Broschüre »Tito, Anführer der Verräter«. »Salut, Vasilij.« Vesta setzte sich ihm gegenüber und nahm eine geschälte Apfelsine aus einer Schale. »Toujours en forme, hein?« »Hallo«, murmelte Vasilij, ohne den Kopf von seinem Buch zu heben. »Was lesen wir denn da?« »Schwachsinn.« Er trank seinen Kaffee aus und gab dem Diener ein Zeichen. »Wir haben heute politische Bildung.« Der Diener füllte seine blaue Tasse aus einem blauen Kaffeekännchen, goß Sahne hinein und gab mit einer silbernen Zange ein Stück Zucker dazu. »Du hast mir auch einen schönen Blödsinn als Nachtlektüre untergejubelt.« Vesta schlug ihre Zähne in das kühle Fruchtfleisch und saugte den Saft heraus. »Wieso?« Er schaute sie mißmutig an. »Hat's dir nicht gefallen?« »Das ist sterbenslangweilig. Ich dachte, es geht da um Liebe. Aber da wird die ganze Zeit nur verbrannt und erstochen.« »Dann mußt du eben ›Angélique‹ lesen.« Er stand auf, trank seinen Kaffee mit drei Schlucken aus, klopfte sich mit der Broschüre auf die Schenkel und ging hinaus.
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»Warte, wir können doch zusammen fahren«, schlug sie vor. »Ich habe Klassendienst!« rief er im Hinausgehen. »Selber schuld.« Vesta ließ ihre angegessene Apfelsine auf dem Teller und klopfte mit einem goldenen Löffelchen an das gekochte Ei in dem Eierbecher aus Keramik. Nach dem Frühstück ging sie chewing gum kauend in das Vorzimmer und streckte ihre Arme nach hinten aus. Die Gouvernante zog ihr den kurzen Blaufuchsmantel an und reichte ihr die schwarze Schultasche. Sisul ließ sie in das erste Vorzimmer hinaus und General Vlasik auf die Treppe. Dort warteten zwei Sicherheitsleute in Zivil. Ohne sie zu beachten, setzte Vesta sich auf das polierte Treppengeländer und sauste hinunter. Draußen war es sonnig und schön. Einer der Sicherheitsleute hielt die hintere Tür des schwarzen ZIM für sie auf, der andere setzte sich ans Steuer. Vesta nahm ohne große Eile auf dem Rücksitz Platz, und ließ die Schultasche neben sich auf den Sitz fallen. »Olé!« Der Wagen setzte sich in Bewegung, fuhr durch das SpasskijTor und bog nach links ab. Die Wachablösung marschierte im Stechschritt auf das Lenin-Mausoleum zu. Die Tauben flogen vom Roten Platz auf. »Warte, warte ...«Vesta saß mit offenem Mund wie erstarrt da. Der neben dem Chauffeur sitzende Sicherheitsmann drehte sich um. »Warte.« Sie spuckte das chewing gum aus. Das Auto bremste ab. »Wer bist du?« fragte Vesta den Sicherheitsmann aufgeregt. »Petrenko, Vesta losifovna«, erwiderte der. »Und dein Vorname?«
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»Nikolaj.« »Aber ... wo ist denn Ivan?« »Chobotov? Der ist krankgeschrieben, Vesta losifovna. Er hat Angina.« Sie musterte Nikolaj aufmerksam und schaute dann aus dem Fenster. »Und was ist das da?« »Das ist das Revolutionsmuseum.« »Ja... und?« »Ich verstehe nicht, Vesta losifovna.« Sie betrachtete das Museum mißtrauisch. »Na ... und da ist... Verschiedenes drin, ja?« »Da drin ist... eine Ausstellung.« Nikolaj zuckte verständnislos mit den Schultern. Der Chauffeur betrachtete Vesta verstohlen im Rückspiegel. »Weißt du ... das ist ...« murmelte sie und starrte auf einen Punkt. Der Sicherheitsmann blieb ihr zugewandt und wartete. Vesta schwieg. »Laß mich raus, laß mich raus!« rief sie plötzlich aus. Der Sicherheitsmann sprang aus dem Wagen und öffnete die Autotür. Vesta stieg aus, blickte sich um und faßte ihn an der Hand. »Komm mit.« Er folgte ihr schweigend. Sie betrat das gerade neueröffnete Revolutions-Museum und ging die Treppe hoch. »Die Eintrittskarten, bitte.« Eine hagere Frau stand von ihrem Stuhl auf. Nikolaj wies seine Vollmacht vor, und sie setzte sich wieder hin. Vesta hielt Nikolaj an der Hand, sie zog ihn planlos hinter sich
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her die Treppe hoch und murmelte dabei etwas vor sich hin. So gelangten sie schließlich in die oberste Etage, und die Treppe war zu Ende. »Und was ist das da?« Finster schaute Vesta auf die weit geöffnete Tür des letzten Saales. »Das ist der Saal mit den Geschenken für den Genossen Stalin«, erwiderte Nikolaj. »Von wem?« brummte sie mürrisch. »Von ...« Nikolaj stockte, »von allen, die den Führer lieben.« Vesta ließ die Hand des Sicherheitsmannes los und betrat ungläubig den Saal. Nikolaj folgte ihr. Er faßte sich ein Herz und fragte: »Waren Sie etwa noch nie hier?« »Ich?« Sie ging wie in Trance. »Aber ... ja doch ...« In dem großen, hell erleuchteten Saal standen Dutzende unterschiedlichster Erzeugnisse, die der Führer von Staatsoberhäuptern, Monarchen, Milliardären, Künstlern, Kriegsherren, Liebhabern und Geliebten, Aristokraten und Grenzsoldaten, Diplomaten und Schauspielern, Kolchosen und Flugzeugbesatzungen, Arbeiterkollektiven und einfachen Bürgern geschenkt bekommen hatte. Im Zentrum des Saales erhob sich auf einem massiven Sockel aus blauschwarzem Labradorit die Figur Stalins, die von Steinmetzen aus dem Ural aus einem Block rosa Rhodonit mit Goldmaserung gefertigt war. Der Führer trat mit dem Fuß auf Trockijs neuestes Buch »Die permanente Revolution«, hatte den Kopf zurückgeworfen und war im Begriff, über das hilflose Philosophieren des ziegenbärtigen Verräters in siegessicheres Gelächter auszubrechen. AAAUAAAUAAA! war in die Tafel eingraviert.
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Daneben funkelte eine wunderschöne Brillantspritze, ein Geschenk von Fabergé. Ein wenig weiter weg erhob sich Stalins zentnerschweres Buch »Die innere und äußere Freiheit«, von kubanischen Viehzüchtern aus der Haut von neunundsechzig Zuchtbullen hergestellt und mit dem Blut von Komsomolzen geschrieben. Unter Glas war Herrenunterwäsche aus Spitze ausgestellt, die die Gräfin Šeremetev genäht hatte. Ein Wandbild aus Walroßknochen, ein Geschenk der Jakuten an den Führer, stellte Stalins leidenschaftlichen Beischlaf mit der Ballerina Pavlova dar. Ein anderes Wandbild - aus Bernstein hieß »Lenin und Stalin nehmen zum ersten Mal Heroin« und war ein Geschenk von Juwelieren aus Riga. KEIN ERBARMEN MIT SCHÄDLINGEN stand mit kräftigen, eng aneinander geschriebenen Buchstaben auf dem Griff einer weißen Axt, die von kolumbianischen Kommunisten aus reinstem Kokain gepreßt worden war. Der große Mao hatte dem Führer ein Diorama aus Reiskörnern mit dem Titel »Bucharins Hinrichtung auf dem Roten Platz in Moskau« dargebracht. Der Milliardär Rockefeller hatte den Mantel, in dem der Vater Aller Völker Moskau vor den bestialischen Hitler-Horden verteidigt hatte, in Gold gießen lassen. Aleksej Stachanov hatte seinen Vorschlaghammer geschenkt, Dolores Ibárruri ihre linke Brust und der Schädling Jagoda sein Herz. »Warte ...« Vesta ging auf ihren Rhodonit-Vater zu und legte zerstreut ihre Hand auf seinen kalten Stiefel. »Aber ... wo ist denn...« »Was, Vesta losifovna?« Nikolaj kam näher. »Na ...«, sie machte eine unbestimmte Handbewegung, »dieser ... so ein ... großer.« »Ein großer?« fragte Nikolaj.
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»Ein himbeerfarbiger, ein himbeerfarbiger.« Sie runzelte die Stirn und schaute sich suchend um. »Na los ... zieh sie aus, zieh sie aus.« »Was?« Nikolaj verstand überhaupt nichts. »Zieh sie aus! Na zieh sie schon aus!« Sie zerrte an seiner Hose. Nikolaj zögerte, doch als er ihren drohenden Blick sah, knöpfte er seine graue, gut gebügelte Hose auf. »Die Unterhose auch, du Dummkopf!« schrie sie ihn an. Nikolaj gehorchte. Sie ging in die Hocke und musterte aufmerksam seine Genitalien. Ein Schatten der Enttäuschung flog über ihr schönes junges Gesicht. »Nein«, sagte sie und stand auf, »der ist nicht himbeerfarbig.« Ihre italienischen Wildlederschuhe marschierten beleidigt über das mit einer dicken Lackschicht überzogene Parkett des Saales und klackerten dann auf der Marmortreppe. »Sale pute!« schluchzte sie und fing plötzlich wie ein kleines Mädchen an zu weinen, laut und hilflos. »Saaale puuute! Merde! Meeerde!« Nikolaj raffte seine heruntergelassenen Hosen zusammen und stürzte hinterher, um sie einzuholen. Chruščev öffnete das Köfferchen und schaute den himmelblauen Speck an. »Wieso hast du denn den ganzen Abend über nichts gesagt?« »Wohl eher die ganze Nacht«, lächelte Stalin, ging von hinten auf ihn zu und umarmte ihn. »Wenn ich dir das sofort gezeigt hätte, hättest du mich nicht mehr gewollt. Du hättest den himmelblauen Speck gewollt.« Chruščev schlug die Hände vors Gesicht, nahm sie weg und schlug sie erneut vors Gesicht.
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»In solchen Momenten begreife ich, daß unsere Welt ein Traum ist.« »Ich begreife das jede Minute. Seit frühester Kindheit schon.« Stalin küßte seinen Buckel, ging zur Seite und zündete sich eine Zigarre an. Er trug einen schwarzen chinesischen Morgenmantel von Chruščev. Chruščev setzte sich nackt auf den Bettrand, faltete seine Hände und betrachtete sie besorgt. »Wir haben Zeit verloren. Du hättest sofort zu mir kommen sollen.« »Mit dem Eisblock? Damit Berija alles erraten hätte?« »Ich bin überzeugt, daß er auch so alles weiß.« »Mon cher, du brauchst Berija nicht zu schmeicheln. Er ist kein Hellseher. Es lief doch alles wie am Schnürchen.« »Wir haben Zeit verloren ... verflucht noch mal*!« Chruščev schlug sich auf seine muskulösen Knie, sprang auf und begann, im Schlafzimmer auf und ab zu gehen. Seine langen Arme krallten sich in seine behaarten Schenkel, der Buckel trat bedrohlich aus seinem gebeugten Rücken hervor. »Du calme, mon ami«, Stalin blies seinen Rauch in das geöffnete Köfferchen. »Die Zeit arbeitet für uns.« »Sie werden uns nicht ausreisen lassen! Sie werden uns hier in Archangelskoe festsetzen wie die Bären in der Höhle ... Berija und Žukov haben sich schon beschnuppert. Die ganze sowjetische Armee und die Lubjanka sind auf ihrer Seite! Dieser petit con Žukov ... Regimentsnutte. Und diese Nisse habe ich im Jahre siebenunddreißig vor Ežov gerettet. Die sind doch zu allem bereit, begreifst du das nicht?« * im Original deutsch
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»Ich bitte dich, reiß dich zusammen.« Stalin ergötzte sich an dem bläulichen Zigarrenrauch, der sich in dem offenen Köfferchen zu Rauchwölkchen ballte. »Wieso hast du denn nichts unternommen? Wieso hast du dich nicht vom Theater aus mit mir in Verbindung gesetzt? Man hätte sie alle im Theater verhaften müssen, alle zusammen, auf der Stelle! Meine Ninjas und die Čerkessen hätten das in drei Minuten erledigt!« »Dazu gab es keine Veranlassung!« »Während du hier bist, ziehen sie die ganze Armee auf ihre Seite! Begreifst du das denn nicht? Die ganze Armee, ganz Rußland, das ganze Ministerium für Staatssicherheit - alle sind in den Händen von Berija und Žukov!« »Und in unseren Händen ist das gesamte Universum.« Stalin wandte sich zu ihm um. »Das gesamte Universum findet in diesem Köfferchen Platz.« »Du wirst nicht mehr dazu kommen, das auszunutzen!« »Beruhige dich, sie haben keine blasse Ahnung. Ich weiß, was ich sage.« »Schweine ... verdammte ... Schweine!!!«* schrie Chruščev mit lauter Stimme. Stalin ging zu ihm und umarmte ihn. »Mon ami, ich flehe dich an. Alles wird gut.« »Ich glaube das nicht ... ich kann einfach nicht glauben, daß diese Nisse Berija ...« »Alles wird gut.« Stalin schaute dem Grafen in die blutunterlaufenen Augen. »Das sagt dir Stalin. Glaubst du Stalin?« Chruščev reagierte mit einem finsteren, argwöhnischen Blick. * im Original deutsch
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»Glaubst du Stalin?« fragte der Führer erneut. »Ja ...« murmelte Chruščev widerstrebend und wandte seinen Blick ab. Stalin faßte ihn an seinem spitzen Kinn und drehte sein Gesicht zu sich. »Glaubst du mir?« Chruščev blickte lange in die ungerührten Augen von der Farbe eines kräftigen indischen Tees, gab dann nach, nahm Stalins Hand und küßte sie. »Ich glaube dir, losif.« »Bon. Dann mach dich fertig.« Stalin ging zum Telefon und nahm den Hörer ab. »Den Kreml. Die Wohnung von Stalin.« Sisul ging ans Telefon. »Hallo?« »Sisul, wo sind sie?« »Gutten Tack, Herr. Kinder in Schule, Nadežda zu Hause, schläft.« »Wir müssen sofort die Kinder holen.« »Ich machen, Herr.« »Nadja mußt du wecken, sag ihr - Hammel.« »Wie - Hammel, Herr? Welcher Hammel?« »Einfach Hammel. Sie weiß schon, welcher. Und daß mir um zwölf alle bereit sind.« »Ich machen, Herr.« Stalin legte den Hörer auf, ging zum Bett, wo seine Kleider lagen, warf den Morgenmantel ab und zog sich eilig an. »Was für eine wundervolle Farbe ...« Chruščev beugte sich über das Köfferchen. »Die Farbe des Vierten Gesetzes der Thermodynamik...«
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»Du bist kein Romantiker. Das ist die Farbe des Anderen.« »Das Andere ist für mich das Neue.« »Das Neue ist das Neue. Aber das Andere, mon cher, ist das Andere.« Stalin knöpfte sein Hemd zu und zog die langen schwarz-roten Strümpfe an. »Sechzehn Jahre ...« Chruščev ging zum Kamin, in dem das Feuer erloschen war, und umfaßte fröstelnd seine Schultern. »Hat dieses Päckchen gebraucht?« »Ja. Die Post der Zeit ist wohl die längste. Und die teuerste ...« »Weißt du noch, als wir ihr Leder-Buch gelesen haben?« »Bei dir auf der Datscha? In der Banja? Im Bad?« »Du hast vorgeschlagen, daß wir unter die Decke kriechen und beim Licht des kleinen Lämpchens lesen. Der große Konspirator.« »Ich habe den Sicherheitsmann erwürgt...« »Den, der zur falschen Zeit hereingekommen ist?« Stalin stand auf und zog die enge Hose an. »Ich sehe heute noch seinen jungen Adamsapfel vor mir ...« Chruščev fuhr sich erschöpft mit der Hand über die Stirn. »Weißt du, ich sag es dir ganz ehrlich. Ich habe niemals geglaubt, daß das alles stimmt. Ich dachte, das sei eine ungeheure Fälschung ... eine Falle. Deren Logik ich aber nicht verstehen konnte. Und wem das nützen sollte, habe ich auch nicht begriffen. Den Deutschen? Den Amerikanern? Den Japanern?« »Ich habe es von Anfang an geglaubt. Sobald ich diesen Jungen mit den Hörnern gesehen habe.« Stalin zog seine Weste an, ging zu dem Toilettentisch mit dem ovalen Spiegel, nahm sein Smaragdkollier und legte es sich um den Hals. »Gestattest du, mein Engel...« Chruščev ging zu ihm, machte
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den Verschluß des Kolliers zu und legte es ordentlich um den Hemdkragen. Die Gesichter der beiden Freunde spiegelten sich in den zweiundvierzig Kanten des Smaragds. »Tu ne peux pas t'imaginer, comme tu m'es eher, mon ami«, sagte Stalin und schaute in den Spiegel. »Un ermite comme moi aime à entendre de telles choses.« Bedächtig küßte Chruščev die weiße, seidenweiche Schulter des Führers. Seit Stalin an der Macht war, hatte er lediglich zweimal sein geheimes Aerodrom benutzt: am 22. Juni 1941, als er zum Vertragsabschluß der Militärallianz gegen Deutschland nach Peking geflogen war, und am 6. Januar 1946, unmittelbar nach dem sowjetisch-deutschen Atomschlag gegen England. An jenem frostigen Januar morgen war Stalin über das in Schutt und Asche liegende London hinweggeflogen, um sich persönlich vom Beginn der Atomära zu überzeugen, hatte er doch bis zuletzt nicht an die Macht der neuen Waffe geglaubt. In dem unterirdischen Aerodrom »Ramenki« unweit der Sperlingsberge standen jederzeit zwei Flugzeuge für den Führer bereit, das Bereitschaftsflugzeug und die Ersatzmaschine. Der Sicherheitsdienst, die Techniker und die Besatzung unterstanden Stalin persönlich. Um 13.20 Uhr tat sich in einem Stück trostlosen Brachlands in der Gegend des Mičurin-Prospekts zwischen halbverfaulten Baracken und schwächlichen Bäumchen die Erde auf, eine viermotorige IL-18 flog aus dem gewaltigen Betonschlund und nahm gemäß dem Geheimplan »Hammel« Kurs nach Westen.
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Außer der Besatzung sowie Stalin und Chruščev befanden sich folgende Personen an Bord: Nadežda Allilueva, Vesta, Vasilij und Jakov Stalin, Sisul, Adžuba und vier Ninjas aus Chruščevs Wache. Die geräumige, gemütliche Kabine war in cremefarbenem Glacéleder und karelischer Birke gehalten. Von links schien die Sonne durch die Kabinenfenster herein; sie brach sich in den Kristallkaraffen mit Getränken, glitzerte auf den Billardkugeln, in den vergoldeten Taschen des Billardtisches und im Schmuck der Frauen, sie funkelte festlich und in allen Regenbogenfarben auf der Agraffe aus Granaten und Brillanten, die Chruščevs dunkelblaue Baskenmütze aus Samt schmückte, und im Rubinknauf von Stalins Platin-Spazierstock. Beim monotonen Surren der Motoren schlummerten Vasilij und Jakov schnell ein. Chruščev trank einen »Chivas Regal« und schaute aus dem Fenster, Stalin rauchte seine unvermeidliche Havanna. Nadežda las die Zeitschrift »Novyj mir«, und Vesta strickte ein wollenes Leibchen für den Windhund, der auf ihrem Schoß lag und schlief. »Grenzen ... Grenzen ...« murmelte der Graf, lehnte sich in seinem Sitz zurück und berührte mit dem Finger das Eis in seinem Whiskyglas. »Unser Land ist zu groß, losif.« »Das ist ein Vorzug und kein Mangel.« Stalin blies den Rauch gegen die halbrunde Decke. »Na, ich weiß ja nicht...« seufzte der Graf. »Von einem Gedanken zum anderen muß man tausend Verst springen. - Vjazemskij hatte ganz recht.« »Zu Vjazemskijs Zeiten gab es noch keine Luftfahrt. Und keine Atomwaffen.« Stalin drückte auf einen Knopf in der Armlehne seines Sessels.
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Sisul kam lautlos herein. Stalin zeigte mit seinem Spazierstock auf die Karaffe mit Aprikosenlikör, und schon hielt er ein schmales Glas mit dem leuchtenden, dickflüssigen Likör in seiner linken Hand. »Überfluß an Raum erzeugt Probleme«, gähnte Chruščev. »Die Probleme werden nicht vom Raum, sondern von den Menschen erzeugt. Und von ihnen werden sie auch gelöst.« Stalin nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Und diese Lösung zieht sich über Jahrzehnte hin.« »Bei einer schwachen Regierung, mon cher.« »Seltsam ...« seufzte Nadežda und unterbrach ihre Lektüre. »Was denn, mein Liebes?« fragte Stalin. »In den Literaturzeitschriften werden heutzutage wirklich merkwürdige Dinge publiziert.« »Findest du?« »Hier ist zum Beispiel das neue Stück von Simonov. Sehr seltsam. Das würde ich mir ja nicht ansehen.« »Nun, das Theater darf nicht auf der Stelle treten. Es ist ein lebendiges Genre«, bemerkte Stalin. »Ich zum Beispiel verstehe lonesco nicht. Aber Millionen lieben ihn. Damit muß man rechnen. Simonov ist auch sehr populär.« »Wahrscheinlich bin ich in den letzten Jahren ziemlich verblödet. Für mich gibt es im Theater nichts Besseres als Čechov.« »Aber Mami, du bist doch klüger als alle anderen«, sagte Vesta, ohne mit dem Stricken aufzuhören. »Das bezweifle ich ...« seufzte Nadežda lächelnd. »Die Frau des Führers hat kein Verständnis für das moderne Theater. Quelle horreur ...«
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»Was ist das denn für ein Stück?« Chruščev wandte sein schweres Gesicht mit der langen Nase zu ihr um. »Es heißt ›Ein Glas russischen Blutes‹. Soll ich es vorlesen?« »Wie lang ist es denn?« Chruščev betrachtete ihre schönen Hände. »Vier Akte.« »That's too much ...« Chruščev runzelte die Stirn. »Keine Angst, Graf, alles kann ich sowieso nicht vorlesen«, lachte Nadežda. »Meine Liebe, lies uns doch den ersten Akt vor«, bat Stalin gedankenverloren. »Aber bitte ausdrucksvoll, Mama. Wie die Tarasova.« »Ich kann nicht ausdrucksvoll lesen, Vesta. Also ...« Sie blätterte in den Seiten von »Novyj mir« und begann mit ihrer angenehmen, lebhaften Stimme zu lesen: K. SIMONOV EIN GLAS RUSSISCHEN BLUTES Drama in vier Akten Personen: Miša Bronštejn, ein junger Architekt Rita Varejkis, eine junge Geigerin, seine Freundin Ivan Borodulin, ein Arbeiter beim Metrobau, Ritas Mitbewohner Nikita Ivanovič, Kokainabhängiger Georgij Valentinovič Mezencev, Oberst im Ruhestand Fürst Aleksandr Michajlovič Naščekin, Erfinder Sergej Šapoval, Kapitän des Ministeriums für Staatssicherheit Efrem Rutman, Bankier, der eine Bank gesprengt hat Gleb Borisov, sein Liebhaber
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Erster Akt Die große Moskauer Wohnung von Rita Varejkis mit einer altmodischen Vorkriegseinrichtung. Abend. Rita spielt eine BachPartita auf der Geige. Auftritt Miša Bronštejn. Sein Mantel ist mit Erde und Mörtel beschmiert, ein karierter Schal quillt aus seinem Mantel. RITA (hört auf zu spielen und schaut Miša gespannt an) Du? MIŠA (nimmt den Hut ab und wirft ihn auf das Sofa) Wie du siehst. RITA Aber ... du bist doch in Vitebsk? Mein Gott! MIŠA Laß die Geige nicht fallen. (Geht zu Rita, umarmt sie erschöpft und küßt sie.) RITA Bist du es wirklich? MIŠA Ja! Ja! Ja! Sie stehen und umarmen sich. RITA Ich habe heute einen seltsamen Traum gehabt. Seltsam und schrecklich. Ich denke den ganzen Tag an dich ... Ich kann nichts machen ... Ich spiele wie ein Holzfäller ... Nein! Es kann nicht sein! MIŠA Doch, meine Liebe. (Nimmt ihr die Geige und den Bogen ab und legt beides auf das Klavier.) Schmieg dich an mich. Und du wirst es sofort glauben. RITA (schmiegt sich an ihn und umfaßt seinen Hals mit ihren Armen) Ist es... hier? MIŠA Fester, fester! RITA Ja ... hier. Ich sterbe auf der Stelle ... MIŠA Wir werden gemeinsam sterben. RITA (steckt die Hand unter seinen Mantel und faßt etwas an) Ja ... ja ... Oh, diese Wärme ... diese ... unwahrscheinliche Wärme... MIŠA (presst fest ihre Hand) Glaubst du es jetzt? 344
RITA Ich sterbe auf der Stelle, mein Lieber ... Ich sterbe, Mišenka... MIŠA Im Zug habe ich die Sekunden gezählt... Ich saß da und schaute auf die Uhr ... (lächelt nervös und müde). Die Fahrgäste haben mich schief angeschaut! Sie dachten, ich bin verrückt. RITA Meine Sonne ... Ich bete dich an. Küßt ihn. MIŠA (macht sich von ihr los, läuft zum Fenster und zieht die Vorhänge zu) Verstecken! Vor allen verstecken! Mein Gott ... ich bin so müde ... (setzt sich auf den Boden) Ich habe vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen. Mach zu! Schließ alles ab! Ich ... glaube, ich habe die Tür nicht abgeschlossen ... RITA (läuft hinaus und kommt wieder zurück) Es ist alles abgeschlossen, mein Lieber. Niemand kann uns stören. MIŠA Wo ist Ivan? RITA Er hat heute Nachtschicht. MIŠA Gott sei Dank. RITA Nein ... (lacht) ... nein, nein! MIŠA Was? RITA Ich glaube es nicht, daß du hier bist. Das zum einen. MIŠA Und zum anderen? RITA Zum anderen: ich glaube nicht, daß du es mitgebracht hast. MIŠA (berührt wortlos ihr Gesicht) Ich kann es selbst nicht glauben. Jedes Mal. Pause. RITA Sollen wir anfangen? MIŠA Warte noch. Wir wollen uns nicht hetzen. Hinterher scheint mir immer, daß wir alles überstürzt haben, daß wir uns abhetzen... 345
RITA Ich ... zittere schon am ganzen Körper. Sieh mal, sind meine Pupillen erweitert? MIŠA Ja. RITA Deine auch. Riesengroß. Deine Augen sehen jedes Mal schrecklich aus. Fangen wir an? MIŠA Eine Minute noch, eine Minute. Laß es uns noch ein bißchen hinauszögern, laß uns noch ein wenig warten ... (Fährt sich gequält mit den Händen übers Gesicht.) Das ganze Leben eilen wir irgendwohin ... und die angenehmsten Dinge erledigen wir in aller Eile. Als ob es in Zukunft noch besser würde. RITA Wie mein Herz klopft ... Komm, ich mach uns irgendwas ... Willst du Tee? Miša schaut sie an. Sie lachen. RITA Verzeih mir, mein Lieber. MIŠA Hast du heute viel geübt? RITA Nicht besonders, nein. Meine Hände sind schon seit heute morgen so schwer. Ich habe ausnehmend schlecht gespielt. Die Partita geht ja noch, aber das Konzert - furchtbar. Ich habe nur noch eine Woche, und ich bin überhaupt noch nicht bereit. MIŠA Du schaffst das schon. Du bist stark. Sag mal, und was ist mit Semjon? Was macht sein Brahms? RITA Ach, Senja ist ein Perpetuum mobile. Mißerfolge sind bei ihm einfach nicht vorgesehen. Zu Hause arbeitet er wie ein Uhrwerk. Um acht steht er auf. Er spielt zwei Stunden, dann geht er spazieren, dann spielt er wieder zwei Stunden, dann gibt es lunch. Dann eine Stunde Spielen. Dann fährt er zu Vera. Sie schlafen zusammen, dann gehen sie im »Drei Kronen« essen. Nachts schläft er immer allein. Drogen nimmt er fast nie. Er raucht in Maßen. Samstags geht er Reiten ... Die
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richtige Lebensweise für einen Profi-Musiker. Obwohl, in letzter Zeit gefällt mir sein Spiel nicht mehr. Zu rational, zu akademisch. Besonders Brahms. Er spielt irgendwie ... ohne Gefühl für die Musik, ohne Brüche. Die Romantiker waren nicht so akademisch. Was bei Haydn gut ist, paßt bei Brahms noch lange nicht. Aber Brahms ... (Steht auf.) Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht! Ich kann einfach nicht mehr! MIŠA Ist ja gut... Reg dich nicht auf... ist ja gut. Wir fangen an. Sie ziehen sich nackt aus. Rita holt zwei Gläser und ein schwarzes Tischtuch aus dem Büffet, legt das Tischtuch auf den Tisch, stellt die Gläser und einen Kerzenständer mit einer Kerze darauf. Miša zündet die Kerze an und löscht das Licht. Aus der Innentasche seines Mantels holt er eine Gummiwärmflasche mit einem Röhrchen, an dessen Ende die Nadel einer Spritze aufgesetzt ist. Rita und Miša setzen sich einander gegenüber an den Tisch. MIŠA (legt die Wärmflasche vor sich hin) Hier ... sie ist noch nicht abgekühlt. RITA (streckt die Hände aus und legt sie auf die Wärmflasche) Noch ganz warm ... Hast du sie die ganze Zeit so dicht am Körper getragen? Seit Vitebsk? MIŠA Ja, ich hab da gesessen und sie unter dem Mantel festgehalten ... Meine Nachbarin, eine alte Frau, hat mich gefragt: »Haben Sie Bauchschmerzen, junger Mann?« RITA (lacht nervös) Bauchschmerzen! Bauchschmerzen! Mein Gott! Bauchschmerzen ... Mein Lieber, vielleicht... MIŠA (unterbricht sie) Nein, nichts überstürzen. Sofort. (Fängt an zu zählen.) Eins, zwei, drei. Öffnet die Wärmflasche und hält sie vorsichtig über eines der Gläser; aus der Flasche fließt Blut in das Glas, Miša gießt sorgfältig 347
das ganze Blut in die beiden Gläser und wirft die Wärmflasche auf den Boden. RITA (mit schmerzerfüllter Stimme) Nicht mal ein ganzes Glas voll. MIŠA Es fehlt nur ganz wenig ... aber das macht doch nichts. RITA Schade ... Warum ist es weniger? MIŠA Darum. (Schaut sie böse an.) Wir haben es doch abgemacht? RITA (schüttelt den Kopf, zuckt nervös und atmet hastig) Nein... ich will einfach ... obwohl... (schreit) Warum?! MIŠA Ich bring dich um! RITA (schluchzt) Mein Lieber ... nein! Womit haben wir das verdient? Nein! Nein! Nein! MIŠA (zittert vor Wut) Ich zerquetsch dir den Kopf, du Schlampe! Halt die Klappe! RITA Du bist... immer so! Immer! Ich kann nicht mehr! MIŠA (schreit) Hält's Maul! Rita strauchelt und setzt sich hin, sie zittert und krallt sich mit den Händen am Tisch fest. Miša wartet und stellt dann ein Glas mit Blut vor sie hin. Rita umfaßt das Glas mit zitternden Händen und starrt es unverwandt an. Miša zieht sein Glas näher zu sich. Sie sitzen lange Zeit schweigend da. MIŠA Es muß ... (Pause) ... es muß ... alles glattgehen ... glatt ... (Nimmt einen Schluck aus seinem Glas.) RITA (schaut ihn an, hebt ihr Glas und trinkt es in einem Zug aus) Aaah ... von links ... alles von links ... Mama ... Miša trinkt das Blut mit kleinen Schlucken aus. Rita schaut ihm gierig zu. Er läßt ihr den letzten Schluck übrig und hält ihr das Glas hin. Sie trinkt es aus, hält das Glas hoch, legt den Kopf in den Nacken und fängt die letzten Tropfen auf. 348
MIŠA Zu Hause ... (lächelt bedeutungsvoll) ... zu Hause ... RITA Das ... ist keine schwere ... dort ... überhaupt nicht. Oder? MIŠA Nein. Wird es auch nicht. RITA Dir ... dir ganz? MIŠA Ja. Ich liebe dich. RITA (rülpst, lacht) Seltsam ... MIŠA Was ist, meine Liebe? RITA Wieso nur russisches Blut? MIŠA Das weiß niemand. RITA Nur russisches Blut! Kein tatarisches, kein kalmückisches ... MIŠA Kein georgisches, auch kein armenisches ... glatt ... glatt... (schließt die Augen) ... alles glatt... weiße ... RITA (umfaßt seine Hände mit ihren) Erzähl. Erzähl. Erzähl. MIŠA (ohne die Augen zu öffnen) Er arbeitet noch nicht lange bei uns. Als Betonklopfer. Ein ehemaliger Knacki, hat wegen Diebstahl gesessen. Er hat ein bißchen was über die Gegend von Turuchansk erzählt, wie er da seine Beine verloren hat. RITA Hat er keine Beine mehr? MIŠA Aber ... hab ich das nicht gleich erzählt? RITA Hast du nicht. MIŠA Ja, er hat keine Beine mehr. Er war in Turuchansk im Lager, hat am Sägegatter gearbeitet. Und die Verbrecher haben ihn beim Kartenspiel verloren. RITA Wie das denn? MIŠA Na ja, wenn die Kriminellen nichts mehr haben, was sie einsetzen können, dann spielen sie eben um Menschen ... weiße ... weiße ... um lebendige, warmblütige Menschen ...
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RITA Und was haben die Beine damit zu tun? MIŠA Sie haben sie ihm im Sägegatter abgeschnitten. RITA Warum? MIŠA Weil sie ihn beim Kartenspiel verloren hatten. RITA Aber was haben denn seine Beine damit zu tun? Sie haben doch ihn verspielt, nicht seine Beine. MIŠA (schweigt eine Zeitlang mit geschlossenen Augen) Sie konnten seine Beine nicht gebrauchen und haben sie einfach abgeschnitten. RITA Und er? Haben sie ihn denn gebraucht? MIŠA Er ... er ... nicht sie haben ihn gebraucht. Ich brauchte ihn. RITA (lacht glücklich) Ich verstehe keinen Ton ... ha-ha-ha! Ach, ich war schon so lange nicht mehr bei Mama! MIŠA (schüttelt den Kopf) Nein ... es ist nicht alles so glatt... nicht alles glänzt... RITA Sie hat wieder einen Ton im Ohr. Angeblich kommt das von einem Klangtrauma. Dabei geht sie doch gar nicht aus dem Haus. Woher soll sie denn ein Klangtrauma haben? MIŠA Vom Radio. Vom Radio. Das entwickelt sich jetzt... in wildem, erschreckendem Tempo. Das Radio kann alles. Es ... kann sogar in menschliche Körper eindringen ... RITA Auch ins Blut? MIŠA Auch ins Blut. RITA Wie ist denn so was möglich? __ MIŠA Wellen ... Radiowellen ... (öffnet die Augen) ... Er hat den Beton unter das Fundament geklopft. Besser als jede Maschine. Er hat sich in die frische Asphaltierung hinuntergelassen, und die Arbeiter haben ihm eine Stange hingehalten. Er hat sich mit den Händen daran festgehalten und mit seinem
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Unterkörper ... so, siehst du ... schnell und heftig vibriert ... gezittert... schnell und heftig ... RITA Wie ein Epileptiker? Oder wie jemand, der sich zu Tode erschrickt? Als sie die Pokrjovskaja weggejagt haben, da hat sie gezittert. Sie hat so gezittert, so gezittert... niemals ... niemals habe ich ... MIŠA Er hat gezittert, wie ... ich weiß auch nicht ... wahrscheinlich kann man das einfach nicht erklären ... RITA War er ein fröhlicher Mensch? MIŠA Nein. RITA Wieso nicht? MIŠA Keine Ahnung. Er hat viel mitgemacht. RITA Verstehst du, das ist im Grunde egal. Ein Mensch kann viel mitmachen oder innerlich die ganze Zeit leiden und kann dabei... na ja ... soll ja vorkommen, oder? ... kann dabei trotzdem ein Spaßvogel sein. Und ein ordentlicher Mensch dazu. Sehr ordentlich. MIŠA Keine Ahnung. Glaube ich nicht. Als ordentlicher Mensch wird man geboren, dazu wird man nicht gemacht. Wie Onkel Motja. RITA Also wirklich, Onkel Motja! Wie kann man Onkel Motja und diesen ... Vibro ... Klopfer ... vergleichen ... MIŠA Be-ton-klop-fer. Merk dir das. (Schaut ihr ernst in die Augen.) Das ist ein sehr wichtiger Beruf. Besonders jetzt ... heutzutage ... wo wir bauen müssen ... das Zerstörte wiederaufbauen ... das, was der Krieg gestohlen hat ... wir müssen bauen, bauen, bauen ... sehr viel bauen. Im ganzen Land. Und unser Land ist groß. RITA (kneift die Augen zusammen) Gewaltig! Mir ist das manchmal richtig unheimlich! Stell dir vor, wenn wir in Mos-
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kau Morgen haben, ist es in Vladivostok schon Abend. Die Leute legen sich hin, sie machen die Betten zurecht und legen ihre Kinder schlafen. MIŠA Und die Alten. Schließlich sind die Alten wie die Kinder. RITA Sie sind so hilflos! MIŠA Sehr. Manchmal... (seufzt) ist das widerlich. RITA Nein! MIŠA Doch, sehr. Irgendwie ... ist es schrecklich ... RITA Der Tod? MIŠA Nein, nein. Nein, der Tod ... das ist der Tod ... RITA Ist er Russe? MIŠA Was denkst du denn? RITA (schaut erst Miša an, dann das Glas, lacht und schüttelt den Kopf) Ich bin wirklich eine dumme Kuh ... entschuldige. MIŠA Macht nichts. RITA Ja, und weiter? MIŠA Wie, weiter? RITA Na ... er hat da Beton geklopft... dieser Vibro ... MIŠA (winkt ab) Ach ja... ich habe ja gar nicht zu Ende erzählt ... also, er hat in Durovs Brigade gearbeitet, und da ... RITA Ist das ein Verwandter von dem Durov? MIŠA Von welchem? RITA Na, von dem mit den Tieren ... und den Purzelbäumen ... und dem Hasen, der trommelt ... das ist wirklich lustig ... aber das zweite Mal bin ich nicht hingegangen, ich hatte Mumps. MIŠA Aber nein ... Durov, das ist ein ganz einfacher Kerl... na, so ein richtiger Malocher. Ein bißchen dämlich, aber ... er versteht was von seiner Arbeit. Also stell dir vor, dieser Typ hat
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bei ihm gearbeitet ... und ich ... du weißt ja ... ich habe eine Nase für potentielle Spender. Immer. Das ist wie ein Gefühl für Farben ... oder ... nein, es ist wie das absolute Gehör. Sieh mal (er stößt mit seinem leeren Glas an Ritas Glas) ... was ist das für ein Ton? RITA (kneift die Augen zusammen) Tja ... F, Fis ... aber ich habe kein absolutes Gehör. Zojka Mamedova hat es, von Geburt an. Und ihr Gedächtnis - einfach phä-no-me-nal! Phäno-me-nal! Du kannst ihr irgendwas vorspielen, sie setzt sich hin und schreibt das sofort auf! Aber als Geigerin ist sie nur mittelmäßig! So ist das im Leben! MIŠA Ich bin sofort mit ihm ins Gespräch gekommen ... und ich hab gemerkt - dem kann ich was abzapfen. Nicht viel, aber einen halben Liter könnte ich abzapfen! Hundertprozentig! RITA (gleitet vom Stuhl auf den Boden, setzt sich neben die Wärmflasche und nimmt sie in die Hand) Und ... das hier ... war ein halber Liter? MIŠA Fast... fast... (riecht an seinem Glas) fast ein halber Liter ... hundertprozentig... RITA (dreht die Wärmflasche in der Hand, schraubt den Verschluß ab, steckt den Finger in die Öffnung und leckt ihn ab; wiederholt diese Handlung) Aber ... warum ... nur ein halber Liter? MIŠA Rita, wir haben doch schon darüber geredet ... und mehr als einmal... RITA Wieso? Warst du zu geizig, ihm ein winziges bißchen mehr abzuzapfen? MIŠA (schüttelt seufzend den Kopf) Noch mal - fünfundzwanzig ... Begreifst du denn nicht? RITA Warum ... denkst du nicht an mich ... MIŠA Ich habe ihn in die Bauarbeiterhütte mitgenommen ... 353
in der Mittagspause ... ich hab ihm Portwein mit Schlafmittel gegeben ... er hat fast die ganze Flasche ausgetrunken ... RITA Du hast noch nie ... an mich gedacht ... (schaukelt hin und her, die Wärmflasche ans Gesicht gepreßt) ... noch nie ... MIŠA Er ist eingeschlafen ... schnell eingeschlafen ... ich hab ihm dann was aus der Leistenvene entnommen ... mehr zu entnehmen wäre gefährlich gewesen! Wieso begreifst du solche elementaren Dinge nicht? Du warst doch auf der Universität! Achtzehn Jahre hast du gelernt und studiert! Achtzehn Jahre! Aber das begreifst du nicht! RITA (starrt ihn an, steht dann auf, geht mit der Wärmflasche in der Hand zu Miša und fällt vor ihm auf die Knie) Mišenka ... ich will noch mehr. MIŠA Rita ... (runzelt die Stirn, schüttelt den Kopf) Rita ... RITA Mišenka ... ich flehe dich an ... MIŠA Rita. RITA Mišenka ... ich werde auch nicht mehr ... aber ... ich flehe dich an... MIŠA Rita! Hör auf! Hör auf! RITA Ich will unbedingt... (weint) ... unbedingt... unbedingt ... MIŠA Willst du mich quälen? RITA Ich flehe dich an! Ich flehe dich an! (Packt ihn an den Beinen.) MIŠA Rita, ich bin beleidigt. Ich bin wirklich ... beleidigt... RITA Mein Lieber! Mein Teurer! Ich flehe dich an! Ich flehe dich an! MIŠA Ich gehe jetzt. Willst du das? RITA Ich flehe dich an! Aber, wenn ich dich doch anflehe?! Wenn ich, ich, ich dich anflehe?! Dich anflehe?!
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MIŠA (steht auf, geht zum Kleiderhaken) Rita ... ich begreife das nicht... Dann braucht man doch ... gar nichts zu machen ... und schon gar nicht etwas zusammen zu machen ... RITA (kriecht hinter ihm her) Aber ... warum können meine Worte ... warum bin ich ... und alles, alles von mir ... nichts für dich ... überhaupt nichts? Ganz und gar - nichts? Bin ich nichts? Bin ich - nichts? (Heult.) MIŠA (zieht den Mantel über seinen nackten Körper) Du weißt ja ... ich habe meine Prinzipien ... ich kann nicht lügen ... und ich kann nicht... sich benehmen ... ich kann das einfach nicht ... das konnte ich noch nie ... RITA (greift mit den Händen nach seinem Mantelsaum) Ich ... was bin ich ... für dich? Antworte! Was bin ich für dich? (Heult.) Was bin ich denn für dich?! Was bin ich? Und wer bin ich? Bin ich ... ein Sack ... Sackleinen? Bin ich Sackleinen? Ja? Was denn? Wie bei Fjodorovs auf der Weihnachtsfeier? Bin ich ein Wattebausch?! Ja?! Ja? MIŠA Und ich... ich werde Menschen wie dich... niemals verstehen ... für mich gibt es Menschen ... und Nichtmenschen ... es gibt ... kultiviertes Benehmen ... ich werde so was nie verstehen ... niemals ... Miša faßt die Türklinke an, dreht den Schlüssel um, Rita packt ihn an den Beinen, sie schreit hysterisch und will ihn nicht gehen lassen. Plötzlich Türknallen und Pfeifen im Vorzimmer. Rita und Miša erstarren. RITA (flüsternd) Das ist... Ivan. MIŠA (flüsternd) Wieso? Wieso? IVAN (im Vorzimmer) Hey! Ritka! Bist du da? MIŠA (flüsternd) Sag nichts! RITA (schaut Miša an und antwortet plötzlich) Ja!
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IVAN Sehr schön! Ich will was zu fressen, ich sterbe vor Hunger! Hör mal, bei uns ist ein Schwimmerventil kaputtgegangen. Die halbe Station steht unter Wasser. Jetzt können wir bis Montag blaumachen, heilige Mutter Gottes! Rita! Hast du noch Brot? RITA Ja! IVAN Was geht's uns gut! (Zieht sich laut und pfeifend aus.) MIŠA (zischt wütend) Willst du alles kaputtmachen? Kaputtmachen? Rita kriecht zum Schrank, öffnet ihn, kramt ein Bügeleisen hervor und reicht es Miša. MIŠA (flüsternd) Du bist verrückt geworden! Du bist verrückt geworden! RITA (flüsternd) Er ist ein Russe. Er ist ein Russe. Er ist ein Russe. IVAN He, Ritka, hast du vielleicht auch noch was zu trinken? RITA Ja! IVAN Das ist eben die Intelligenzija! (Geht auf Ritas Tür zu und klopft an.) Darf man eintreten, Madame? RITA Ja! Steht auf, wirft Miša das Bügeleisen zu, er fängt es auf. Rita schließt die Tür auf und reißt sie auf. Ivan steht auf der Schwelle. Rita, nackt wie sie ist, schaut ihn an und weicht zurück ins Zimmer. Miša steht hinter der Tür und hält das Bügeleisen über den Kopf. RITA Ja! Ja! Ja! Ivan tritt ins Zimmer. »Es reicht, meine Liebe«, sagte Stalin mit einem enttäuschten Seufzer. »Ein merkwürdiges Stück für Simonov, stimmt's?« Nadežda 356
klappte das Heft zu. »Obwohl, ich weiß nicht recht... vielleicht wird es am Schluß ja noch ganz anders ... aber das Sujet, das Sujet. Merkwürdig, was?« »Überhaupt nicht merkwürdig«, sagte Chruščev und schaute aus dem Kabinenfenster. »Wenn ein Schriftsteller sechsmal den Stalin-Preis erhält, beginnt er nolens volens, sich zu wiederholen. Und das Sujet... nun, das ist doch brandaktuell. Die sowjetischen Literaten sind nach der ›Verschwörung der Ärzte‹ doch alle außer Rand und Band: Juden und Blut, Juden und Blut. Zweifellos sind das zwei große Themen, aber sie so primitiv, so vulgär umzusetzen ...« »Es geht doch gar nicht um die sechs Stalin-Preise.« Stalin drückte die Zigarre aus. »Jeder Schriftsteller hat seine Höhen und Tiefen. Simonov hat schon viel zu lange gut geschrieben.« »Er ist so häßlich«, sagte Vesta, die immer noch strickte. »Er ist so klein und hat einen dicken Bauch, er schielt und redet so schnarrend. Dabei schreibt er so schön über die Liebe ... ›lch liebte dich ganz, deine Hände und Lippen aber einzeln‹ - Natalie Malinovskaja kennt den ganzen Simonov auswendig. Wie geht denn das Stück weiter? Bringen sie ihn um, diesen russischen Ivan?« »Ich habe es nicht zu Ende gelesen.« Nadežda nahm ein Glas Apfelsaft und trank einen Schluck. »Fadeev hat doch recht: die Spritze war, ist und bleibt das Hauptsujet der sowjetischen Literatur, ihm ebenbürtige Sujets gibt es zur Zeit nicht.« »Leider«, nickte Stalin. Er stand auf und streckte sich. »Sollen wir nicht einen Happen zu uns nehmen? Wir müssen noch zwei Stunden fliegen.« »Ich habe nichts dagegen.« Chruščev faßte an seine riesige Nase.
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»Papi, wohin fliegen wir eigentlich?« fragte Vesta. »Was möchtest du denn gerne essen, mein Engel?« fragte Stalin und legte ihr die Hand auf den Kopf. »Die sieben Geißlein, Papi.« Vesta hob ihr schönes junges Gesicht zu ihm auf. Berija wurde sofort darüber in Kenntnis gesetzt, daß Stalin mit unbekanntem Ziel von seinem geheimen Aerodrom abgeflogen war. Den Minister für Staatssicherheit erstaunte weniger die Tatsache der Abreise als vielmehr die Liste der Personen, die mit Stalin gemeinsam an Bord der Maschine waren. Jedes Mal, wenn Berija mit etwas Unerklärlichem konfrontiert wurde, das sich nicht mit der Logik seiner Schlußfolgerungen vereinbaren ließ, verfiel er in eine seltsame Starre, als wäre er von einer unsichtbaren Schlange gebissen worden. Er saß in seinem kleinen Büro in der Lubjanka, das geschmackvoll in Bernstein und Rosenholz gearbeitet war, starrte auf das Papier mit der Meldung seiner Informanten und las die lakonische Mitteilung wieder und wieder. »Chruščev und Stalin«, überlegte er laut. »Aber wieso dann mit Familie? Stalin mit Familie. Aber wieso dann Chruščev?« Seine erloschene Papirossa lag auf dem Rand des Bernsteinaschenbechers. Die Bernsteinuhr zeigte 14.10 Uhr an. Die Sonne leuchtete hell durch die kugelsicheren Fenster seines Büros. Berija legte das Blatt auf den Tisch und hob den Hörer eines seiner acht Bernsteintelefone ab. »Abakumov und Merkulov zu mir.« Bald darauf erschienen zwei seiner engsten und besten Mitarbeiter im Büro: der kahlköpfige, schlanke, lächelnde Fürst Aba-
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kumov in einem erstklassigen dunkelblauen Anzug mit gelbblauem Schlips, mit den dunkelblauen Handschuhen, die den leichten Spazierstock umfaßten, und seiner unvermeidlichen getönten Brille mit Schildpattrahmen, und der stämmige Athlet Merkulov mit seinem sonnengebräunten Gesicht in der Uniform eines General-Oberst. Nach einer vierzigminütigen Unterhaltung war Berija endgültig klar, daß der Grund von Stalins überstürztem Aufbruch in dem Köfferchen mit dem blauen Stoff liegen mußte. »Er weiß etwas darüber. Mehr als wir«, folgerte Berija. »Das bedeutet, unsere Informationen über diese Angelegenheit sind nicht vollständig.« »Aber alle Materialien werden bei uns aufbewahrt, patron.« Abakumov steckte eine Papirossa in sein Elfenbein-Mundstück und rauchte sie an. »Im Leder-Buch ist nicht die Rede von einem himmelblauen Stoff.« »Also müssen ihm die Wissenschaftler davon erzählt haben.« Merkulov schaute Berija mit einem kalten, ausdruckslosen Blick an. »Zwischen drei Uhr nachts und dem frühen Morgen? Unwahrscheinlich.« Berija nahm sein Pincenez von der Nase und rieb es mit einem Wildlederläppchen ab. »Nach dem Abendessen ist er sofort zu Chruščev gefahren. Er hat gar keinen Kontakt mehr mit den Wissenschaftlern gehabt.« »Patron, es gibt eine Möglichkeit. Im Leder-Buch sind die Seiten nicht numeriert. Vor der Revolution wurde es in der dritten Abteilung aufbewahrt. Möglicherweise wurde ein Teil der Seiten ...« »Daran habe ich auch gedacht.« Berija stand auf und ging im Büro auf und ab. »Daran habe ich auch schon gedacht... Aber
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trotz allem, wenn ihm diese Seiten in die Hände gefallen wären, dann hätte er sich doch an Spezialisten gewandt.« »Er hatte nie einen besonders engen Kontakt zu Physikern. Nur zu Chemikern und Geisteswissenschaftlern«, bemerkte Merkulov. »Über die Chemiker ist das Ministerium für Staatssicherheit bestens informiert. Mit den Physikern ist das schon schwieriger. Sie sind nicht von so aktueller Bedeutung für das Land, daher sind wir über sie weniger im Bilde.« »Physiker leben nicht isoliert, ebensowenig wie andere Wissenschaftler. Sie tauschen Ideen und Informationen aus. Denkt doch nur an die Atombombe: gebaut und angewendet wurde sie erstmals von den Deutschen, aber erfunden haben sie die Italiener. Ich glaube einfach nicht, daß unsere Physiker keine Ahnung von diesem blauen Stoff haben.« »Patron, vielleicht ist dieser Stoff ja gar nicht für Physiker oder Chemiker von Interesse, sondern beispielsweise für Biologen? Oder für Elektroniker?« »Möglich. Aber ich kenne seine Logik. Er ist ein Metaphysiker. Wenn ihm etwas begegnet, was er nicht versteht, dann wendet er sich in erster Linie an die Vertreter der Basiswissenschaften. Und für ihn ist die Biologie keine Basiswissenschaft. Die Elektronik noch weniger.« »Er hat zweimal mit Lebedev zu Abend gegessen«, sagte Merkulov. »Mit welchem ?« __ »Mit dem Physiker.« »Mit einem geheimen Spezialisten würde er nie zu Abend essen.« Berija ging zum Tisch und drückte auf den Knopf für den Bernsteinventilator. Die gelben Schaufeln verschmolzen zu einem trüben Kreis und vertrieben den Rauch von der Papirossa.
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»Er würde sich mit ihm treffen, seine Informationen bekommen, und danach würde er ihn umbringen.« »Zu Ežovs Zeiten sind viele bekannte Physiker gestorben.« Merkulov holte eine flache silberne Dose mit Kokain heraus und schnupfte. »Das kann auch vor Ežov passiert sein. Oder hinterher.« Berija knackte mit seinen langen Fingern. »Ich brauche folgendes: erstens den genauen Landeort des Flugzeugs, zweitens schnellstmögliche Information durch Vertreter der Basiswissenschaften.« »Wir beobachten das Flugzeug, Genosse Berija.« Merkulov putzte sich die Nase. »Und was die schnellstmögliche Information angeht ...« Er tauschte einen Blick mit Abakumov. »Knöpft euch Sacharov vor.« Berija holte aus der Schublade eine neue Packung Papirossa der Marke »Trojka« und öffnete sie. »Patron, aber Sie haben doch gesagt, nach den Feiertagen.« Abakumov rückte seine Brille zurecht. »Nach den Feiertagen ist es zu spät, Fürst.« Berija rauchte seine Papirossa an und hielt sein Gesicht genüßlich in den Luftstrom. Professor Sacharov, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wurde um 15.22 Uhr in der Moskauer Staatsuniversität verhaftet, als er ein stürmisches, nach den Worten von Professor Migdal wie üblich »unfrisiertes« Seminar mit Doktoranden des Lehrstuhls für Theoretische Physik zum Thema »Die verfaulten Räder der Zeit« abhielt und gerade aus dem stickigen, noch die Hitze der Diskussion atmenden Auditorium stürmte, um sich, befriedigt mit seinen großen, dicken, kreidebefleck-
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ten Fingern herumfuchtelnd, auf den Weg zur Toilette zu machen. Eine Stunde später hing der muskulöse Körper des Meisters im Freistilringen am Wippgalgen im betonierten Keller der Lubjanka. Sacharov wurde von dem berühmten Chvat verhört, einer lebenden Legende im Ministerium für Staatssicherheit. Er hatte zweimal die Auszeichnung Held der Sowjetunion bekommen und war Untersuchungsrichter im Prozeß gegen den unheilvollen Schädling Vavilov gewesen, der sein ganzes Leben der Züchtung eines »schnellen Mutterkorns« gewidmet und damit den kubanischen Weizen infiziert hatte. Der kleine, trockene, lebhafte Chvat saß an seinem bei den Mitarbeitern der Staatssicherheit wohlbekannten »Nagel«Tisch, rauchte Pfeife und wartete darauf, daß Sacharov aufhören würde zu schreien. Auf dem mit braunem Wachstuch bespannten Tisch lagen zahlreiche Werkzeuge, die zur Folter im Bereich der Finger- und Fußnägel geeignet waren. An einem winzigen Tischchen in der Ecke hockte eine sympathische schwarzäugige Stenografin. Schließlich hörte der nackte, schweißnasse Körper des Akademiemitglieds auf zu zucken, und anstelle der Schreie floß reichlich Speichel aus seinem verzerrten, zitternden Mund. »So ist es gut.« Chvat klopfte die Pfeife aus, zog schwarze Lederhandschuhe an, stand auf und ging zu Sacharov. »Weißt du, Sacharov, ich arbeite gerne mit Wissenschaftlern. Nicht, weil ihr weniger Mumm habt als Militärs oder Aristokraten, sondern deshalb, weil ich eure Arbeit zutiefst achte. Das ist seit meiner Kindheit so. Ich bin in Taganrog aufgewachsen. Eine große Familie, viele Kinder. Mein Vater war Malocher und
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Quartalssäufer, meine Mutter war Wäscherin. Wir lebten in einem riesigen Wohnblock - hundert Wohnungen und ein Klo. Da habe ich allerhand zu sehen bekommen, Schlägereien, Suff, hemmungsloses Vögeln - man hatte gar keinen Überblick mehr, wer es mit wem treibt. Aber es gab einen Lichtblick. Ein Mieter direkt neben dem Klo. Ein kleines Zimmer. Sechs Quadratmeter. Brillenträger. Student. Mathematiker. Ziemlich unansehnlich. Pickelig. Ordentlich gekleidet, aber alles abgetragenes Zeug. Eine schwache Stimme, Oberkieferhöhlenentzündung. Manchmal kam er in die Küche: ›Genossen, darf ich um einen Krug heißes Wasser bitten ?‹ Und auf einmal verstummten sie alle, die tätowierten Schlägertypen, die ungewaschenen Schlampen und die kreischenden alten Weiber. Keiner weiß, warum. Ich bin manchmal nach dem Scheißen, wenn ich vom Klo kam, zu seiner Tür gegangen, hab die Nase ans Schlüsselloch gelegt und eingeatmet. Dieser Geruch. Außergewöhnlich. Da roch es nach einem klugen Menschen. Für mich gab es damals nicht Schöneres als diesen Geruch. Mit diesem Geruch in der Nase bin ich auch zum Geheimdienst gekommen. Noch heute kann ich kluge Menschen am Geruch erkennen. Du zum Beispiel«, Chvat schnüffelte an Sacharovs schweißglänzenden Gesäßbacken, »du bist klug. Vavilov war auch klug. Vinogradov auch. Vovsi auch. Propp auch. Um so kränkender für mich, Sacharov. Um so schmerzlicher.« Er kehrte zum Tisch zurück, nahm eine dünne Aktenmappe und schlug sie auf. »Sieh mal an, auf was für Ideen du gekommen bist. Die Zeit ist ein Kohlkopf, und alle Ereignisse sind bloß Läuse, die ihn zerfressen. Das ist doch nicht zu fassen! Du hältst dich wohl für besonders schlau, was?« Chvat wechselte einen Blick mit der
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lächelnden Stenografin. »Ein Kohlkopf! Wieviel hast du in der Universität bekommen?« »Sechs.. .tau.. .tausend ...«krächzte Sacharov. »Sechstausend«, nickte Chvat. »Und noch fünf im Umschlag, als Akademiemitglied. Elftausend. Das ist ja nicht gerade nichts. Und was hat das Akademiemitglied Sacharov dem sowjetischen Volk für diesen schwindelerregenden Verdienst als Gegenleistung erbracht? Das Konzept ›Die Zeit ist ein Kohlkopf‹! Das darf ja wohl nicht wahr sein! Das heißt also, die Revolution, der Bürgerkrieg, die ersten Stalinschen Fünfjahrespläne, der Große Vaterländische Krieg, die Heldentaten der sowjetischen Soldaten, die heldenhafte Wiedergeburt der zerstörten Volkswirtschaft, Stalins Medikamentenreform, seine unsterbliche Theorie der Inneren und Äußeren Freiheit - das sind alles nur Horden von Läusen auf einem verfaulten Kohlblatt, verflucht noch mal?« Er warf die Mappe auf den Tisch, beugte sich über die »Nagel«Instrumente und traf eine Auswahl. »Vavilov war eine furchtbare Nisse. Ich bin mit dreißig grau geworden, als ich ihn geknackt habe. Aber er war ganz offensichtlich ein Schädling. Ein Schädling aus Überzeugung. Aber du bist ein geheimer Schädling. Nicht aus Überzeugung, sondern wegen deiner verfaulten antisowjetischen Natur. Der Herr hat dir einen klugen Kopf und einen gesunden Körper gegeben. Und der große Stalin ein Ziel im Leben. Das sowjetische Volk hat dir ideale Arbeitsbedingungen garantiert. Aber du Kanaille hast auf all das einfach geschissen. Auf Gott, auf Stalin, auf das Volk.« »Aber ... ich habe ... die Bombe ... gemacht ...« krächzte Sacharov.
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»Die Bombe ist die Bombe. Aber die Zeit ... das ist die Zeit.« Chvat hatte zwei fìngerhutähnliche Kappen ausgewählt. Dahinein steckte er stählerne Sprungfedern, tröpfelte Salpetersäure darauf und steckte sie Sacharov an die großen Zehen. Die Kappen fingen an zu zischen. Hauchdünne Nadeln fuhren Sacharov unter die Nägel und versprühten die Säure. Er schaukelte heftig hin und her, wie ein Sportler an den Ringen, und stieß einen langanhaltenden Schrei aus. Nach achtundzwanzig Minuten erinnerte sich Sacharov, der inzwischen rosa Schaum ausstieß, daß der leicht angetrunkene Kurčatov ihm im Jahre neunundvierzig im Sanatorium »Rotes Picunda« von dem seltsamen Tod von Professor Petriščev erzählt hatte, »einem unglaublich talentierten Mann, der aber schon vor dem Krieg wegen etwas Blauem den Verstand verloren hat«. Petriščev, einer der führenden sowjetischen Thermodynamiker, hatte eine blitzartige, glänzende Karriere gemacht; er war bereits mit fünfundzwanzig Jahren Professor geworden und hatte ein Lehrbuch der Thermodynamik verfaßt, das jeder Student kannte, als er plötzlich den Dienst an der Moskauer Staatsuniversität quittierte, sämtliche Verbindungen zu seinem wissenschaftlichen Umfeld abbrach, mit seiner Frau auf die Datscha zog und dort bis zum Jahre neunundvierzig ganz zurückgezogen lebte. Seine Frau ging eines Morgens einkaufen, und als sie zurückkam, entdeckte sie den Professor mit dem Gesicht in einer kleinen Pfütze liegend. Kurčatov hielt den Verstorbenen für verrückt, bemerkte jedoch, daß die Petriščevs immer auf großem Fuße lebten, vor und nach seiner Kündigung, obwohl sie nicht etwa groß geerbt hätten.
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»Na also, das ist doch schon etwas.« Chvat zog befriedigt die »Fingerhüte« von Sacharovs blau angelaufenen Füßen. Die Witwe von Professor Petriščev hängte Chvat erst gar nicht an den Galgen. Die vollbusige, korpulente Dame wurde ausgezogen und auf ein weiches Bett gebunden. Dann wurde ihr eine Mischung aus Luststimulator und Kokain injiziert. Chvat tauschte seine Lederhandschuhe gegen Gummihandschuhe, rieb sie mit Vaseline ein, setzte sich auf das Bett und begann, die Klitoris der Dame zu massieren und gleichzeitig ihre schwammig-schlaffe, blaugeäderte Brust zu kneten. »Mutti... Mama ...«weinte die errötende Witwe lieblich. »Wir machen es dem lieben Mädchen jetzt ganz schön ... ganz süß ...« flüsterte Chvat in ihr rosiges Ohr. »So ein schönes Mädchen, so ein zartes Mädchen, so ein kluges Mädchen ... das Mädchen wird uns alles erzählen ... und dem Mädchen wird es so wohl sein, so gut...« Er brachte sie beinahe zum Orgasmus und hörte abrupt auf. Die Petriščeva wollte sich selbst mit ihren dicken Schenkeln helfen, doch Chvat packte sie und hielt sie auseinander. »Das geht nicht, das geht nicht... das Mädchen hat noch nichts erzählt.« Das wiederholte sich dreimal. Die Petriščeva warf sich auf dem Bett hin und her wie eine Robbe, mit Tränen und Schleim bedeckt. »Wenn das Mädchen uns alles erzählt ... dann besorge ich es ihr sofort... und dann kommt ein Bräutigam zu dem Mädchen ... ein großer, schlanker Čekist... mit blauen Augen ... er wartet schon draußen, mit Blumen ... erzähl von dem blauen Zeug, meine Süße ...« Schluchzend und mit Schaum vor dem Mund fing die Petri-
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ščeva an, zu erzählen. Aus ihren verworrenen Reden, unterbrochen von Schreien und Stöhnen, wurde klar, daß Stalin Professor Petriščev im Jahre fünfunddreißig in den Kreml bestellt und ihm neun Seiten aus einem Buch gezeigt hatte, das in russischer Sprache und mit Blut auf Rentierleder geschrieben war. Diese neun Seiten enthielten die Beschreibung eines Stoffes von himmelblauer Farbe, der aus der Zukunft geschickt werden würde, damit die Welt sich ändern sollte. Chvats Vaselinebemühungen, genauere Einzelheiten dieses Stoffes in Erfahrung zu bringen, wurden nicht von Erfolg gekrönt; die Witwe, eine Dame mit einem abgebrochenen geisteswissenschaftlichen Studium, konnte sich, so sehr sie sich auch abmühte, nichts Vernünftiges mehr abringen. »Jetzt mach's mir schon, und das ... jetzt mach's mir, und das ...«, sie zerrte an Chvats Hand, »und ... das die Welt verändert ... die Welt verändert ... jetzt mach's mir schon, und das ... und ... nicht verfault... nicht vermodert... sich nicht erhitzt... jetzt mach's mir schon, und das ... jetzt mach's mir schon ... jetzt mach's mir schon ... jetzt mach's mir schoooon!!!« »Leck mich doch.« Chvat stand auf, zog die glitschigen Handschuhe aus und rückte den Wandschirm weg, hinter dem die Stenografin emsig schrieb. »Wenn du fertig bist, sofort zu mir ins Büro!« »Jetzt mach's mir! Jetzt mach's mir!« Die Petriščeva wälzte sich hin und her. Chvat nahm die Akte und seine Pfeife, trat in den Gang des unterirdischen Gefängnisses hinaus und eilte mit seinen quietschenden neuen Stiefeln zum Lift. Ein stupsnasiger Hauptfeldwebel mit einer Maschinenpistole vor der Brust öffnete ihm die Lifttür.
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»Moment noch!« Major Koroljov kam mit zwei dicken Bänden der »Verschwörung der Bankiers« unter dem Arm angelaufen. »Ich grüße Sie, Genosse Chvat!« »Hallo, Petja.« Chvat streckte ihm die Hand hin. Der Lift setzte sich in Bewegung und fuhr nach oben. »In der Abteilung heißt es, Sie seien im Urlaub!« lächelte der Major und zeigte seine weißen Zähne. Chvat rauchte seine Pfeife an und schaute dem Major erschöpft auf die Nasenwurzel. »Weiber zu verhören ist dasselbe, wie aus Scheiße Kugeln zu kneten. Kapiert?« »Kapiert, Genosse Oberst!« Der Major lächelte noch breiter und zeigte noch mehr weiße Zähne. Um 16.31 Uhr überflog Stalins Flugzeug die Staatsgrenze der UdSSR in der Nähe von Prag. Berija zog die dunkelgelben Seidenvorhänge vor der Bernstein-Weltkarte auseinander und betrachtete die Karte. »Jetzt ist ja klar, wohin er fliegt.« Er kehrte zum Tisch zurück, nahm die Blätter mit den Verhörprotokollen von Chvat, schaute sie an, zerriß sie und warf sie in den Papierkorb. »Sollen wir die Chemiker verhören, patron?« fragte Abakumov. »Es kann doch nicht sein, daß sie von so einem einzigartigen Stoff noch nie...« »Schnee von gestern«, unterbrach ihn Berija. »Genosse Berija, ich würde Vlasik mal auseinander nehmen.« Der breitschultrige Merkulov wurde unruhig. »Der hat Dreck am Stecken. Damals, nach dem Mord an Kirov ...« »Schnee von gestern«, sagte Berija, knackte mit den Fingern und zog die rechte Schublade heraus. Darin lag eine
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mit Bernstein-Intarsien verzierte Pistole mit Schalldämpfer. »Wer schießt auf die Waldschnepfe, wenn sie schon vorbeigeflogen ist?« fragte Berija und schoß Abakumov in die Stirn. Der Fürst brach auf dem orange-gelben Teppich zusammen. Merkulov, der gerade Kokain schnupfen wollte, blieb mit der offenen Dose in der Hand reglos stehen. »Nur ein sehr dummer Jäger.« Berija schoß ihm ins rechte Auge. Merkulov stürzte mit dem Oberkörper auf den Tisch. Die silberne Dose fiel auf die Akte »Flugzeug«, das Kokain verteilte sich auf der ganzen Mappe. Berija leckte seinen Finger an, tauchte ihn in das Pulver und fuhr sich damit gedankenverloren über das Zahnfleisch. Zwei biegsame rothaarige Stewards reichten gerade das Dessert - Obst in Mandarinengelee -, als der Flugzeugführer hereinkam, die Hand an seine blau-weiße Mütze gelegt, und berichtete: »Genosse Stalin, unser Flugzeug hat die Grenze der UdSSR überflogen und befindet sich jetzt im Luftraum des Dritten Reiches.« »Gut«, nickte Stalin und schaute auf die Uhr. »Wie lange noch?« »In ungefähr vierzig Minuten sind wir am Ziel, Genosse Stalin.« Chruščev schöpfte mit einem goldenen Löffel das gelbe Gelee aus dem Kristallschälchen und schielte durch das Kabinenfenster. »Es ist bewölkt.«
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»In Prag regnet es, Genosse Chruščev«, bemerkte der Pilot. »Wo, in West-Prag oder in Ost-Prag?« Der Graf schaute ihn bedeutungsvoll an. »In ... beiden Teilen, Genosse Chruščev«, antwortete der Pilot ernst. »Das kann nicht sein. Das ist eine Provokation.« Der Graf kaute und schüttelte den Kopf. Der Pilot stand mitten in der Kabine und begriff nichts. »Sie können gehen«, lächelte Stalin. Der Pilot und die Stewards gingen hinaus. »Papa, wann haben sie die Mauer in Prag gebaut?« fragte Vasilij. »Sofort nach dem Krieg, du Holzkopf.« Jakov streckte sich lässig. »Drei Tage nach dem Abschluß der Potsdamer Konferenz wurden die ersten beiden Steine gelegt«, antwortete Stalin. »Warum gerade zwei?« »Weil die Prager Mauer mit den vereinten Kräften der beiden Siegermächte UdSSR und Deutschland gebaut wurde. Einen Stein legte von Ribbentrop, den anderen Molotov.« »Aber warum hat man denn die Mauer ausgerechnet mitten durch Prag gebaut?« fragte Vesta, die dem Windhund das Mohair-Leibchen anzog. »Man hätte sie doch ein Stück weiter weg bauen können. Da leben doch Verwandte und Freunde plötzlich in verschiedenen Städten. Wenn man in Moskau eine Mauer über den Roten Platz zieht, dann bleibe ich in Ost-Moskau, und Maša Žukova und Natalie Malinovskaja im Westen. Schrecklich. Warum ausgerechnet mitten in Prag?« »Weil sich da die Armeen gegenüberstanden, du stupid girl«, gähnte Jakov. »Was hast du für eine Note im Fach Geschichte der UdSSR, Vasilij?« fragte Chruščev.
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»Eine Zwei, Graf. Bloß ... unser Lehrer ist irgendwie komisch. So ein introvertierter Typ.« »Verbreite hier keine Gerüchte über Sergej Arnoldovič«, bemerkte die Allilueva vorwurfsvoll. »Er ist ein hervorragender Pädagoge.« »Introvertierte Lehrer hat unser Land schon längst in Lagerstaub verwandelt«, sagte Stalin. »Aber die Geschichte seines Landes muß man kennen.« Nach vierzig Minuten begann das Flugzeug seinen Landeanflug und landete nach längerem Gleitflug über den bayerischen Alpen auf Hitlers persönlichem Aerodrom in der Nähe von Berchtesgaden. Dieses ausgedehnte, fast immer leere Aerodrom war nach einer unterirdischen Atomexplosion, die die alten Berge beseitigt hatte, in den Alpen gebaut worden. Das lange, ebene Rollfeld des Aerodroms erinnerte an einen erstarrten Bergsee und mündete in das granitene Gesicht Hitlers, das Arno Breker mit Hilfe von sechstausend franko-englischen Gefangenen aus einem ganzen Berg gehauen hatte. Das kluge Gesicht mit seinem konzentrierten Ausdruck, der hohen Stirn, der gebogenen preußischen Nase, dem kleinen eigensinnigen Kinn und dem schönen mächtigen Mund schaute dem surrenden weißen Insekt, das über die Rollbahn herankroch, mit der majestätischen Gelassenheit eines Riesen entgegen. Die Turbinen kamen zum Stillstand, die Gangway wurde herangefahren. »Grüß Gott, Deutschland*.« Chruščev erhob sich von seinem Sitz und knackte mit den Fingern. * im Original deutsch
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»Oh, das ist ja kapital!« Vesta schaute aus dem Kabinenfenster. »Hier kann ich Ski fahren.« »Auf dem Schlittchen mit Muttchen ...« murmelte Vasilij und sammelte die Fruchtbonbons ein, die aus der Schachtel auf seinen Schoß gefallen waren. »Jakov, gib mir was zu rauchen.« »Leck mich doch«, flüsterte Jakov nur mit den Lippen und schlüpfte in das Jackett, das der Steward ihm hinhielt. »Kümmere dich um die Besatzung.« Stalin nickte Chruščev zu und ging als erster in Richtung Ausgang. Ein frischer Bergwind wehte ihm angenehm kühl ins Gesicht. Stalin trat auf die Gummiplattform der Gangway und machte genüßlich einen tiefen Atemzug. Unten warteten Martin Bormann, hager und in strammer Haltung, von Ribbentrop, füllig und untersetzt, sowie Sepp Dietrich, der nicht weiter bemerkenswerte Kommandant der S S-Leibstandarte »Adolf Hitler«, um den Führer des Sowjetlandes zu empfangen. Nadežda stellte sich neben ihren Gatten, und sie schritten gemächlich die Gangway hinunter. »Guten Tag, Herrschaften!«* begrüßte Stalin die Wartenden laut und betrat selbstsicher deutschen Boden. »Herr Generalsekretär! Ich darf Sie im Namen der Regierung des Dritten Reiches willkommen heißen!«* sagte der lilawangige von Ribbentrop mit einer Fistelstimme, und ein allgemeines Händeschütteln setzte ein. Chruščev und Stalins Kinder gesellten sich dazu. Ein Militärorchester begann, die Hymne der Sowjetunion zu spielen, und alle blieben reglos stehen; danach schritten Stalin und von Ribbentrop die Reihen der SS-Ehrenwache ab. * im Original deutsch
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Die Ninjas, Adžuba und Sisul erwürgten unterdessen im Flugzeug schnell und professionell die Besatzungsmitglieder. Vier dunkelblaue Horch-Limousinen fuhren vor. Im ersten Wagen nahmen Stalin nebst Gattin und von Ribbentrop Platz, im zweiten Chruščev und Bormann, im dritten Stalins Kinder mit Sepp Dietrich, und im vierten wurden die Ninjas, die Säule mit der goldenen Spritze, Sisul und Adžuba, der sich die Hand an der Anstecknadel eines der erwürgten Stewards verletzt hatte, untergebracht. Zwei schwarze Mercedes mit Sicherheitsleuten fuhren unter dem Kinn des steinernen Hitler hervor, und die Eskorte setzte sich in Bewegung. Der Weg zum Obersalzberg wand sich in sanft geschwungenen Serpentinen um einen Berg, dann um einen zweiten und kletterte immer höher und höher. Oben war es bewölkt und neblig, und es lag unberührter Schnee. Rechts und links der Serpentinen stand dichter Tannenwald, stellenweise unterbrochen von gelblichgrauen Felsen und klaffenden Abgründen, in denen tief unten hell- und dunkelgrüne Flecken von Wiesen und Vorgebirge aufblitzten. Bald fuhr die Eskorte auf ein weites Plateau, dessen größter Teil vom düsteren Massiv des »Berghofs« eingenommen wurde, des Schlosses von Adolf Hitler, Reichskanzler des Dritten Reichs. Das im neogotischen Stil nach Entwürfen von Speer gebaute Schloß war erschütternd in seinen übermenschlichen Ausmaßen und der erstaunlichen Architektur: als ob hier einzigartige, riesige Bienen ein Stück einer ungeheuren Honigwabe errichtet und sie dann, ohne sie mit himmlischem Honig zu füllen, erschrocken für immer verlassen und einem der größten und ungewöhnlichsten Menschen der Erde zur Verfügung gestellt hätten.
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Die Wagen fuhren durch die vergoldeten Torflügel des Schlosses, umrundeten einen gewaltigen Springbrunnen, der den Kampf der Titanen mit den Göttern darstellte, und kamen dann vor der breiten Marmortreppe des Haupteingangs zum Stehen. Schwarze SS-Männer öffneten die gotischen Eichentüren, und Adolf Hitler stieg über graublauen Marmor hinunter. Groß und hager, sah er seinem steinernen Ebenbild in Berchtesgaden ähnlich. Das lange, glatte, aschgraue Haar ging dem Reichskanzler bis auf die schmalen Schultern. Er trug eine dunkelblaue Uniformjacke, die in enge Reithosen in hohen Stiefeln überging. »Mein lieber Freund!«* sagte Hitler mit seiner sanften, tiefen Stimme, und seine großen, blassen, nervösen Pianistenhände umschlossen Stalins sonnengebräunte Hand. »Mein teurer Freund!«* Stalin bedeckte Hitlers Hand mit seiner Linken. Sie schauten einander lange schweigend an. Hitler hatte hellblaue Augen. Stalins braune Augen sahen hier, im Hochgebirge der Alpen, ein wenig heller aus. »Ja otschen rat!« sagte Hitler auf russisch mit einem starken Akzent und lächelte sein rätselhaftes, magisches Lächeln. »Ich auch, mein Freund*!« erwiderte Stalin mit einem sanften, aufrichtigen Lächeln. Ein Windstoß wirbelte Hitlers aschgraues Haar durcheinander und zerrte am Stehkragen von Stalins Mantel. Ihre Hände trennten sich. Hitler küßte Nadežda die Hand, begrüßte die anderen und bat die Gäste mit der geschmeidigen Geste eines Dirigenten einzutreten. * im Original deutsch
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Sie alle stiegen die Treppe hoch und traten über die eisenbeschlagene Schwelle des Schlosses mit dem darin eingehämmerten »BLUT UND BODEN«* und befanden sich in einem riesigen Saal, der an den Innenraum einer gotischen Kathedrale erinnerte. Achteckige Säulen aus schwarzrotem Obsidian trugen die spitzen Bögen der Terrakotta-Decke, SS-Männer in weißer Uniform standen in den Ecken, und auf dem roten Granitboden erhob sich in der Mitte eine aus Bergkristall gemeißelte nackte Neue Germania mit einem Schwert in der Rechten, der Rune »Erwachen« in der Linken und einem goldenen Kranz auf dem Haupt. Nach einem kurzen Austausch ritueller Phrasen lud Hitler die Ankömmlinge ein, sich in die Gästezimmer zu begeben, damit sie sich »nach der unnatürlichen Überwindung von irdischem Raum« ausruhen könnten. Um 23.00 Uhr würde er sie im »Himmlischen Saal« zum Abendessen erwarten. Stalin und Nadežda erhielten ein Appartement bestehend aus siebzehn prächtigen Räumen, die im klassischen Wiener Jugendstil eingerichtet und mit frischen Blumen aus der weltbekannten Orangerie des Führers geschmückt waren. Als sie in das fliederfarben-goldene Wohnzimmer mit den geschwungenen Polstermöbeln, einem sich verbeugenden Kakadu und vier Gemälden von Gustav Klimt kamen, wollte Nadežda grünen Tee trinken. Stalin küßte sie und ging mit dem Köfferchen in der Hand weiter durch die wunderschöne Zimmerflucht, bis er in das mit smaragdgrünem Plüsch eingerichtete Schlafzimmer kam. Der treue Sisul schloß die grüne Tür hinter ihm und legte sich wie üblich davor auf den Boden. Sta* im Original deutsch
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lin stellte das Köfferchen auf den Kamin, warf sich, ohne sich zu entkleiden, auf das silbergrüne Bett und schlief den leichten Schlaf des Sowjetführers. Um elf Uhr abends war im Himmlischen Saal des »Berghofs« alles zum Empfang bereit. Als Stalin und seine Familie sich dem Perlmuttbogen am Eingang näherten, klopfte ein Zeremonienmeister in weißer SSUniform mit Achselbändern dreimal mit seinem stählernen Stab auf den Marmorboden und rief mit hoher, klarer Stimme: »Seine Exzellenz - Josef Stalin und seine Familie!«* Ein Kammerorchester spielte die Ouvertüre zu »Tristan und Isolde«. Stalin und Nadežda betraten langsam den Saal. Vasilij, Vesta und Jakov, der das Köfferchen trug, folgten ihren Eltern. Der runde Himmlische Saal umgab sie mit seiner ganzen Pracht. Der blaßblaue Marmor des Bodens ging fließend über in den dunkelblauen Jaspis der Wände, die sich zum gewaltigen Oval der Himmelskuppel aus dunkelviolettem Labradorit emporstreckten. Die schillernde Milchstraße durchschnitt die vor diamantenen Sternen funkelnde Himmelskugel. Ein von unsichtbaren Magneten gehaltenes stählernes Hakenkreuz schwebte, sich langsam drehend, unter dem Polarstern. In der riesigen Fensterfront waren die mondbeschienenen Alpen zu sehen. Darüber leuchteten sparsam die echten Sterne. Im Saal standen, mit einem Champagnerglas in der Hand, Hitler, seine Frau Eva Braun, von Ribbentrop, Bormann, Göring * im Original deutsch
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mit seiner Gattin Emmy, Hitlers Leibarzt Doktor Morell, die Regisseurin Leni Riefenstahl und Graf Chruščev. Hitler stellte sein halbvolles Glas auf einem Tablett ab, das ihm ein SS-Bediensteter hinhielt, und ging mit ausgebreiteten Armen auf Stalin zu; die Spitzenmanschetten rutschten aus den engen Ärmeln seines blauen Fracks hervor, die hohen Absätze seiner mit goldenen Sporen verzierten Schuhe klackerten laut auf dem Marmorboden. Die schlanke Eva folgte ihm in ihrem engen Leopardenkleid. Stalin und Nadežda trugen Weiß. »Nadja! Josef!«* Hitler berührte mit seinen mächtigen Lippen Nadeždas weißen Handschuh und drückte Stalins Hand. »Ich bin so glücklich, meine bezaubernden Freunde! Macht es Ihnen nichts aus, daß Sie hier in den Bergen für einen Augenblick den Boden unter den Füßen verlieren?«* Stalin reagierte mit einem festen Händedruck, lächelte warmherzig und machte eine Pause, um dann mit Vergnügen in den finsteren Strudel der deutschen Sprache einzutauchen, die ihm seit seiner Brest-Litovsker Kindheit wohlbekannt war. Mit Ausnahme von Vasilij sprachen alle Familienmitglieder des Sowjetführers ausgezeichnet deutsch. »Im Gegenteil, Adolf. Hier fühlt man sich unwillkürlich wie ein aus der Walhalla Vertriebener. Und das ist ein ausgesprochen komfortables Gefühl«, sagte Stalin klangvoll, mit leichtem Berliner Akzent. »Als Vertriebener? Nicht als Bewohner, sondern nur als Vertriebener?« Hitler fing an zu lachen. »Weißt du diese bolschewistische Ironie zu schätzen, Eva?« * im Original deutsch
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»Durchaus, mein Lieber. Ich fühle mich hier als wer auch immer, bloß nicht als Himmelsbewohnerin ... Nadine, meine Teure«, Eva legte ihre Wange an die von Nadežda, »du siehst einfach bezaubernd aus!« Die beiden Paare duzten sich seit der Potsdamer Konferenz, die den Grundstein für die große sowjetisch-germanische Freundschaft und die neue Weltordnung gelegt hatte. »Wir haben uns beinahe zwei Jahre nicht gesehen, mein Freund.« Hitler faßte Stalin am Ellbogen. »Und das ist schlecht.« »Sehr schlecht«, stimmte Stalin zu. »Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Völker.« »Mein Gott!« rief Hitler aus, als er Vesta erblickte. »Ist das deine Tochter, die unvergleichliche Vesta? Donner und Doria! Ich habe sie noch als Kind gesehen!« »Ich auch«, lächelte Stalin. »Vestočka ist auch jetzt noch ein Kind«, sagte Nadežda. Vesta machte einen Knicks. »Eine russische Schönheit! Eine echt russische Schönheit!« Hitler küßte Vesta die Hand. »Unglaublich! Wenn ich so eine Tochter hätte, könnte mir die ganze Politik gestohlen bleiben. Vasilij! Jakov!« Er klopfte ihnen auf die Schulter. »Gott hat mir keine Kinder geschenkt, aber dafür die Fähigkeit, die Kinder meiner Freunde zu lieben wie meine eigenen. Solange ihr hier seid, seid ihr alle meine Kinder, merkt euch das!« »Wir lieben Sie auch, Herr Reichskanzler!« erwiderte Jakov. »Champagner!« rief Hitler, und die Bediensteten kamen eilig gelaufen, mit Champagnergläsern auf blauen Tabletts. »Auf den großen Stalin, meinen besten Freund und treuen Gefährten in unserem heldenhaften Kampf um die Befreiung des Menschen!« sprach Hitler.
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Darauf tranken alle. Stalin nahm ein neues Glas. »Auf das Neue Deutschland, das von dem Genie Adolf Hitlers erweckt wurde!« Wieder tranken alle. Göring trat mit seiner Gattin und Leni Riefenstahl zu Stalin. »Ich freue mich, Sie hier willkommen zu heißen, Genosse Generalsekretär.« Der zwei Meter große, spindeldürre Göring neigte seinen hageren, spärlich behaarten Kopf. »Guten Tag, Göring.« Stalin schüttelte ihm die Hand. »Wann ist es denn endlich soweit, daß Ihre tapfere Luftwaffe atomares Popcorn über Uncle Sam ausschüttet?« »Frag bitte Hermann nicht danach«, seufzte Hitler mit geheuchelter Duldermiene. »Er ist zur Zeit mehr mit der Zivilluftfahrt beschäftigt.« »Wirklich?« »Ja, ja. Er entwickelt ein Passagierflugzeug für Jäger. Also keine Spur von atomarem Popcorn.« Alle fingen an zu lachen, und Göring schüttelte zweimal seinen länglichen Kopf. »Leni!« Stalin streckte die Arme nach Leni Riefenstahl aus. »Mein teurer, mein geliebter losif Stalin!« Leni küßte ihn auf beide Wangen. »Der Atlas, der den russischen Himmel trägt! Der Gebieter meines liebsten Landes!« »Das liebste nach Deutschland, will ich hoffen?« Stalin musterte wohlgefällig ihr kleines, sonnengebräuntes Gesicht mit den asiatisch schrägen Augen. »Das brauchst du nicht zu hoffen, losif!« seufzte Hitler. »Leni interessiert sich momentan krankhaft für alles Russische!«
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»Das wird so lange andauern, bis sie einen Film über Rußland macht!« grinste Stalin. »Dazu wäre ich sofort bereit!« rief Leni Riefenstahl aus. »Aber wo ist eine Idee? Wo ist der Impuls? Ich kann doch nicht einfach Rußland aufnehmen! Bei mir ist es immer so«, sie faßte Stalin am Arm und sagte hastig: »Ich drehe über das, was mich fasziniert. In ›Triumph des Willens‹ war es Hitler, in ›Fest der Völker‹ und ›Fest der Schönheit‹ der Sport, in ›Das Atomzeitalter‹ war es der Atompilz über London. In Rußland jedoch fasziniert mich alles. Ich brauche aber einen konkreten Impuls.« »Er steht vor dir!« Hitler zeigte mit seinem Champagnerglas auf Stalin. »Stalin gestattet keine Aufnahmen von sich, das weißt du doch, Adolf.« Leni schüttelte nervös ihr glattes schwarzes Haar. »Das stimmt.« Stalin stieß mit ihr an. »Dann mach einen Film über die innere Freiheit in Rußland«, sagte Hitler bedeutsam. »Das wird dann gleichzeitig der erste Dokumentarfilm über Stalin.« »Es reicht jetzt mit den Führern, laßt uns über das Volk reden.« Stalin nahm ein Glas vom Tablett und hielt es Leni hin. »Mit ›Triumph des Willens‹ haben Sie am Thron des großen Ejzenštejn gerüttelt. In keinem anderen Film strahlen die Massen eine so starke Liebe aus.« »In ›Panzerkreuzer Potjomkin‹ strahlen sie einen erschütternden Haß aus!« Lenis Augen leuchteten. »Von der Liebe zum Haß ist es für das Volk nur ein Schritt«, bemerkte Doktor Morell mit einem dümmlichen Lächeln. »Deswegen sind beide Filme so großartig. Sie sind ... wie zwei Stiefel eines schrecklichen Gulliver. Zwei Stiefel! Und so schreitet er in ihnen dahin! Eins-zwei! Eins-zwei!«
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»Ich warte auf die Inspiration, losif!« sagte Leni in ihr Glas, ohne Theodor Morell zu beachten. Das Orchester spielte Mozart. Plötzlich fiel dem Führer das Champagnerglas aus der Hand und zerschellte krachend auf dem Boden. Hitler blickte in eine Ecke des Saales, ging in die Hocke und schlug sich mit den Händen auf die Knie. »Blondie! Mein Junge!« Eine riesengroße, zitronengelb-weiß gescheckte Dogge stürzte sich quer durch den ganzen Saal auf ihren Herrn. Zwei weitere Hunde, die französische Bulldogge Negus und der Mops Stasi dämmerten phlegmatisch auf ihren Samtkissen vor sich hin. »Ich habe dich heute noch gar nicht berührt.« Hitler ließ sich auf die Knie nieder und machte dem Orchester ein Zeichen. Die Musiker hörten auf zu spielen. Die Dogge lief zu ihrem knienden Herrn und leckte über seine blasse Wange. Geschmeidig hob Hitler seine schlaff am Körper herabhängenden Arme hoch. Die Dogge zuckte zusammen und erstarrte. Im Saal trat absolute Stille ein. Hitlers Hände hingen über dem Kopf der Dogge; die langen Finger spreizten sich, so wie sich die Blätter einer wundersamen tropischen Blume entfalten. Bis zu dem Moment waren die Hände des Führers die eines ganz gewöhnlichen Menschen, doch jetzt verwandelten sie sich in Hitlers Große Hände, vor denen die ganze Welt zitterte. Der Hund stand wie ausgestopft unter dem Schirm dieser ungewöhnlichen Hände. Eine unsichtbare Spannung ging von ihnen aus, alle Anwesenden standen wie erstarrt.
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»Ich habe dich heute noch gar nicht berührt«, sagte Hitler erneut. Um seine Hände erschien ein schwaches grünliches Leuchten, und an seinen Fingerspitzen sprühten blaue Funken. Die Finger preßten sich zusammen, spreizten sich wieder auseinander und erstarrten unbeweglich in der zum Kanon gewordenen Stellung »Hitlers Hände«, die gleichsam zwei unsichtbare Bälle hielten. Die blausprühenden Funken an den Fingerspitzen wurden stärker. Stalin lächelte. Das waren Hitlers Hände, die Hände seines Freundes, die nach dem Krieg mit ihm gemeinsam das gute alte Europa aufgeteilt hatten. Die Hände, auf deren Kraft das Dritte Reich ruhte. Der Hund stand da und rührte sich nicht. Sein weiß-gelber Kopf war von blau-grünen Funken beleuchtet und schien von unirdischem Glas übergossen. Seine schwarzen feuchten Augen waren glasig. »Ich muß von dir lernen, mein Freund«, sagte Hitler mit tonloser Stimme und halbgesenkten Lidern, »ich muß vieles, vieles lernen.« Seine Hände schillerten in blau-grünem Feuer. Zum ersten Mal waren diese Funken an den damals noch jungen, schmutzig-verkratzten Händen Hitlers 1914 in den Schützengräben von Verdun aufgetreten, nach dem Volltreffer einer französischen Granate auf den Unterstand, in dem die aufgeriebene Abteilung des Gefreiten Hitler mit ihrem jungen Kommandanten hockte. Nach einem fürchterlichen Krachen und dem grellen Blitz einer Explosion befand Adolf sich in der Mitte eines großen Kraters, an dessen Rändern sich zerstörte Balken und verstümmelte Leichen von Soldaten türmten.
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Adolf preßte mit beiden Händen seinen Kopf fest zusammen. Damals schienen ihm seine Hände die Wurzeln zweier gigantischer Eichen zu sein, die mit ihren Kronen bis in die Himmelsfeste reichten. Ihre mächtigen Wurzeln hatten sich mit göttlicher Unerbittlichkeit in die Halbkugel von Adolfs Gehirn gekrallt und gleichsam sein Bewußtsein defloriert. Er kniff die Augen zusammen und schrie vor Entsetzen. Als er die Augen wieder öffnete, war die Welt eine andere geworden. Sie war nicht mehr schrecklich. Sie war ihm vertraut wie sein eigener Körper, und verständlich wie eine Multiplikationstabelle. Adolf ließ den Kopf sinken und betrachtete seine Hände. In ihnen lag eine solche Macht, daß er vor Entzücken anfing zu weinen ... Und nach einigen wie im Flug vergangenen Jahren stand Adolf Hitler auf einem Tisch im überfüllten Münchner Hofbräuhaus und war im Begriff, seine wundertätige Kraft erstmals anzuwenden. Der große, verqualmte Saal war überfüllt und stank unerträglich nach Bier, dessen Geschmack Adolf seit der Kindheit nicht ausstehen konnte. Vor Hitler hatte der Kommunist Ernst Thälmann seinen Auftritt, ein munterer Fettwanst mit schwarzem Bart und rotem Gesicht, der mit seinem dumpf grollenden Baß die geschmacklosen Kronleuchter im Hofbräuhaus über eine Stunde lang erzittern ließ. Er hielt eine glänzende Rede und brachte das Publikum mit dem Aufruf »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« zur Raserei. Zwei dicke kurze Finger in den Mund gesteckt, stieß er einen bedrohlich melodischen Pfiff aus und rief damit einen Sturm von Ovationen hervor. Die Münchner hoben ihn auf die Arme und reichten ihn durch den
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Saal weiter wie die geräucherte Keule von einem heiligen Schwein. Hitlers Freunde, der einbeinige Rudolf Heß und der kleine, schwarzhaarige Alfred Rosenberg, stießen Adolf zum Tisch, aber er wich instinktiv zurück. »Adolf, du mußt das machen!« schrie Rosenberg ihm ins Ohr. »Jetzt oder nie!« krächzte Heß heiser. Sie halfen Hitler, auf den Tisch zu klettern. Er richtete sich gerade auf und schaute sich um. Er trug eine blaugrüne Uniform mit einem weißen Hakenkreuz am Ärmel. Ringsum drängten sich diese fettigen, verschwitzten Bayern in ihren Lederhosen, die ihm, dem Wiener Aristokraten, so zuwider waren. Urin- und Bierschwaden umwaberten sie und trübten Adolf die Augen. Er hatte das Bedürfnis, ausgiebig auf diesen bierbespritzten Eichentisch zu kotzen. »Na, und was hast du uns zu sagen, du blauer Wurm?« schrie ein schnurrbärtiger Bürger mit einer Feder am Hut, und der Saal brach in Gelächter aus. Hitler unterdrückte einen Anfall von Übelkeit, schluckte und sprach mit heiserer Stimme: »Guten Abend, Landsleute.« Ein gutmütiges Gelächter erschütterte das Hofbräuhaus. »Da haben wir ein Beispiel für einen echten Nazi!« verkündete Thälmann aus seiner »roten« Ecke, und das Gelächter brachte die Kronleuchter wieder zum Zittern. »Nazis sind Schweine! Nazis sind Schweine!« skandierte der rotwangige Thälmann und schlug dazu mit seinem halb ausgetrunkenen Bierkrug auf den Tisch.
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Der Saal griff die Parole bereitwillig auf. »Nazis sind Schweine! Nazis sind Schweine!« Ein Dutzend kräftiger Hände krallte sich am Rednertisch fest und schaukelte ihn im Takt des Gebrülls. Hitler geriet ins Schwanken. Heß und Rosenberg wollten ihm zu Hilfe eilen, doch sie bekamen sofort mit dem Bierkrug eins übergezogen und stürzten auf den feuchten Boden. Adolf bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten, und spreizte seine Finger, um sich darauf abzustützen. Die Finger krümmten sich und begannen, grün zu leuchten. Im Saal wurde das nicht sogleich bemerkt. Doch von Hitlers Händen ging eine unsichtbare Energiewelle aus, die zu den betrunkenen Bürgern durchdrang und sie ernüchterte. Sie hörten auf, den Tisch zu schaukeln, und nach ein paar Minuten herrschte Totenstille im Saal. Mit offenem Mund starrten die Bayern diesen hageren Typen mit den leuchtenden Händen an. Jemand ließ laut einen fahren. Hitler spürte seine Kraft und richtete die Hände auf die Menge. Blaue Funken liefen über seine Fingerspitzen, ein Knistern ertönte, und zehn blaue Blitze fuhren wie Krallen in den verschwitzten Körper der Volksmasse. »Blut und Boden!« sprach Hitler. »Blut und Boden!« flüsterten Hunderte deutscher Lippen. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein. Hitler ließ die Hände sinken. Das Leuchten und die Blitze erloschen. Die Menge starrte ihn einen Augenblick fassungslos an, dann ertönten begeisterte Rufe, und die Welle der Volksbegeisterung spülte Adolf vom Tisch. Die Hände der Deutschen ergrif-
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fen ihn und warfen ihn an die rußgeschwärzte Decke des Hofbräuhauses. »Blut und Boden! Blut und Boden! Blut und Boden!« Heß und Rosenberg rappelten sich vom Boden auf, hoben ihre verletzten Köpfe und umarmten sich weinend: Sieg! Und dieselben Deutschen schleppten den erbost spuckenden dicken Thälmann zum Ausgang, und zwar nicht mehr wie einen geräucherten Schinken, sondern wie einen Sack mit getrockneter Scheiße. »Na los, verschwinde, du rotes Schwein!« schrie ihm ein braungebrannter Bayer ins Ohr und verjagte den Führer der deutschen Kommunisten mit einem kräftigen Fußtritt ein für allemal aus dem Hofbräuhaus. So begann das Große Erwachen des Deutschen Volkes ... »Lernen ... lernen ... wir alle müssen von dir lernen ...« murmelte Hitler und streichelte Blondie mit Funken. »Liebe und Treue müssen wir lernen.« Der Führer seufzte tief und schüttelte die Hände. Das Leuchten verlöschte. Der Hund zuckte zusammen, winselte und sprang zur Seite. Er schüttelte sich, als wolle er unsichtbares Wasser abschütteln, streckte sich, gähnte und begann, ausgiebig auf den Marmorboden zu pinkeln. »Blondie! Mein Junge!« Hitler fing an zu lachen und klatschte in die Hände. Alle begannen zu applaudieren. Bedienstete kamen mit Schrubbern angelaufen. »Adolf, du bist unnachahmlich«, gab Stalin aufrichtig zu und umarmte Hitler. »Sogar wenn du Hunde berührst.« »Ich lerne viel von Tieren«, versetzte Hitler ernst und stürzte in einem Zug ein Glas Champagner hinunter.
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»Wo ist übrigens unsere Entente?« fragte Stalin Nadežda. »Wahrscheinlich bei Sisul.« »Wie, euer Hund ist nicht bei euch?« wunderte sich Eva. »Freunde, ihr seid unachtsam gegenüber unseren geringeren Brüdern.« »Holt sie her, holt Entente sofort hierher!« Hitler stampfte mit dem Absatz auf und schüttelte sein langes Haar. Sisul erschien und ließ den Windhund in den Saal. Entente sprang ihrem Herrn in vollem Laufan die Brust, Stalin fing sie und hob sie hoch. Der Windhund leckte ihm aufgeregt die Wange und fuhr ihm mit seiner zarten, aber kräftigen Zunge in die Nasenlöcher. »Entzückend!« Eva kam heran. »Ein wunderbarer Hund«, Hitler streichelte den unruhigen Kopf des Windhunds. »Er stammt von den Hunden der Pharaonen ab, nicht wahr?« »Vom Greyhound?« fragte Bormann unsicher. »Vom Saluki«, sagte Stalin, und setzte Entente auf den Boden. Der Windhund jagte durch den Saal. Die Dogge schenkte ihm keine Beachtung, dafür kletterten Negus und Stasi von ihren Kissen und beschnupperten sich begeistert mit ihm. »Hunde ... Hunde ... Wissen Sie, meine Herrschaften, Hunde sind wie die Vögel Gottes!« sagte Doktor Morell plötzlich ganz laut. »Einerseits ärgert man sich über sie, und manchmal möchte man sie an den Hinterbeinen fassen und an die Wand klatschen. Damit ihr Gehirn nur so rausspritzt. Aber andererseits - wenn du einen Hund streichelst und lieb zu ihm bist, dann bist du sofort wieder klar im Kopf. Klarheit, meine Herrschaften! Wie ... wie ... na ... wie in München, wenn der Föhn vorbei ist und man wieder produktiv denken kann.«
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»Was ist das, der Föhn?« fragte Chruščev. »Der Föhn, Sie kennen den Föhn nicht?« Morell wurde lebhaft und ging ganz dicht an den Grafen heran. Chruščev wandte sich rechtzeitig ab, sonst hätte seine riesige Nase in der aufgedunsenen Wange des Leibarztes gesteckt. »Der Föhn ist ein Wind aus den Alpen, ein Wind aus dem Süden!« schrie Morell dem Grafen ins Ohr. »Wenn der Föhn bläst, verwandelt sich das Gehirn in Knödel!« »Und was sind Knödel?« fragte Vesta. »Du stellst diese Frage genau zur richtigen Zeit, mein Kind!« Hitler hob den Finger. »Freunde, wir haben uns verplaudert. Aber das Gespräch - das wußten schon die alten Römer - ist lediglich eine Zutat zum Essen. Nicht umgekehrt. Darf ich bitten!« Er gab dem Dirigenten ein Zeichen. Das Orchester verstummte. »Der Tisch!« kommandierte Hitler. Ein rechteckiges Stück des blauen Marmorbodens sank in die Tiefe und gab den Blick auf einen beleuchteten Kellerraum frei. Geklapper und das eilige Hin und Her unsichtbarer Bediensteter waren von unten zu hören, bald darauf erhob sich die Marmorplatte, auf der jetzt ein Tisch stand, und fuhr wieder nach oben. Der Tisch war prächtig gedeckt, mit Tischzeug in dunklen und hellen Blautönen: Auf der hellblauen Tischdecke standen dunkelblaue Teller und Gläser, hellblaue Schüsseln mit Vorspeisen. Die Flammen der drei Dutzend lapislazulifarbenen Kerzen brachen sich im blauvioletten Glas der Karaffen. Hitler machte seine einladende Dirigentengeste, und alle traten zum Tisch.
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Das Orchester fing an, Strauß zu spielen. Chruščev zog ein Taschentuch hervor und trocknete sein Ohr ab, das ihm Morell vollgespuckt hatte. Als alle auf ihren mit blauen Tischkarten bezeichneten Plätzen saßen, nahm Hitler eine violette Karaffe mit Moselwein und schenkte Nadežda, Eva und Stalin, die neben ihm saßen, ein. Er machte das immer selbst und konnte es nicht ertragen, wenn die Bediensteten den Wein eingossen. Bormann und Göring schenkten den übrigen Gästen ein. »Freunde!« Hitler hob sein blaues Glas. »Wie ihr wißt, mag ich keine Trinksprüche und kann auch keine ausbringen. Doch heute möchte ich mich gerne selbst überwinden. Vor nicht allzu langer Zeit waren Parteigenosse Bormann und ich in Irland. Das ist ein bemerkenswertes Land. Und das Volk ist sehr klug. Gastfreundlich und unbefangen. Die Engländer sind Tölpel. Sie haben den Nationalsozialismus gehaßt, sie haben den Kommunismus gehaßt. Was haben sie geliebt? Ihre Insel-Plutokratie. Was haben sie gehegt und gepflegt? Die typisch englische Schizophrenie. Und was haben sie dafür von der Außenwelt bekommen? Die Atombombe. Die weisen Irländer hingegen, über deren Einfachheit und Vertrauensseligkeit die steifen Engländer sich lustig machten, haben uns die Grenze geöffnet. Noch lange vor der englisch-deutschen Krise. Wie sieht England heute aus? Wie ein verbranntes Wespennest. Und Irland? Wie ein blühender Kirschgarten. So ist das. In Dublin wurde während unseres Besuchs ein Denkmal enthüllt. Ihr meint jetzt vielleicht, für mich? Weit gefehlt, Freunde! Ein Denkmal für losif Stalin. Auf dem Hauptplatz in Dublin. Ein bronzener Stalin mit seiner berühmten goldenen Spritze.«
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Hitler verstummte und blickte konzentriert in die gleichmäßig brennenden Kerzen. »Ich war immer ehrgeizig, aber nicht eitel«, fuhr er fort. »Im Unterschied zu Lenin, Gandhi oder Roosevelt habe ich mir nie etwas aus Statuen von meiner eigenen Person gemacht. Daher habe ich dem bronzenen Stalin in Dublin aufrichtig applaudiert. Genauso aufrichtig habe ich den Bürgermeister von Dublin gefragt: Welche Überlegung steckt dahinter, daß Sie, die in jeder Beziehung vom Großen Deutschland abhängig sind, Stalin ein Denkmal errichteten? Und dieser weise Mensch antwortete mir folgendes: Herr Reichskanzler, wir lieben Deutschland wie eine Mutter. Für die Mutter brauchen wir kein Denkmal aufzustellen, sie ist immer in unseren Herzen, immer bei uns. Stalin hingegen ist das Symbol für die Freiheit des Menschen. Der Freiheit aber müssen wir ein Denkmal setzen, weil sie nicht immer bei uns ist. Die Freiheit kommt und geht. Stimmt es nicht, meine Freunde, ist das nicht wunderbar gesagt?« Die Gäste nickten beifällig. »losif!« Hitler hob sein Glas noch höher. »Wenn ich Deutschland erweckt habe, dann habt ihr, Lenin und du, die Menschheit erweckt. Die Freiheit kommt und geht. Aber die Führer bleiben. Auf dich, mein wertvoller Freund!« Alle erhoben sich. Stalin trat auf Hitler zu, legte seine Wange an dessen Wange und leerte sein Glas. Hitler trank aus und warf das Glas über die Schulter. Alle anderen folgten seinem Beispiel, und die unvergleichliche Musik von splitterndem Kristall verflocht sich mit der durchbrochenen Zierschrift der »Blauen Donau« von Strauß.
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Hitler streckte seine Hände über dem Tisch aus, und zwei kurze Blitze flammten auf und verloschen. »Preßt, meine Freunde!« rief er und setzte sich. Die Gäste nahmen Platz. Auf der Tafel standen vor allem Vorspeisen mit Fleisch, weil der Führer Gemüse und Obst nicht ausstehen konnte. Er aß immer viel. Er griff nach einer Schüssel mit Wildsalat und schaufelte sich gut die Hälfte davon auf seinen Teller. Er goß Drosselsauce darüber, gab Pfeffer hinzu, drückte zwei Zitronen aus, griff zum Löffel und machte sich hastig daran, diesen appetitlichen Berg nicht zu essen, sondern eben: zu fressen. Stalin legte sich vom Kalbskopf auf, einem traditionell bayerischen Gericht, das an aufgewärmte Sülze erinnert. Nadežda angelte sich mit der Gabel eine gefüllte Kartoffel. Vesta ließ eine Portion Forelle in Aspik auf ihren Teller plumpsen. Der neben ihr sitzende Göring schöpfte sich lächelnd Schweinehirn auf den Teller. Vasilij stocherte in etwas blutigrotem Ungarischen. Jakov nahm ein riesiges Weichtier aus. »Mein Führer, ist das Huhn?« Doktor Morell zeigte ihm ein Stück weißes Fleisch, das er auf einer Gabel aufgespießt hatte. Hitler beachtete ihn gar nicht und aß weiter. »So, so.« Morell legte das Stück zurück in die große Schüssel. »Und ich dachte, es ist Kaninchen ... Wissen Sie, meine Herrschaften, mir ist diesen Sommer eine höchst merkwürdige Sache zugestoßen. Unser Führer hat mir eine geniale Idee eingeflößt, nämlich den Sommerurlaub in Venedig zu verbringen. Ich war vorher noch nie da. Glauben Sie mir etwa nicht?« Beleidigt schaute er Chruščev an.
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»Warum denn nicht?« Der Graf kaute mürrisch an seinen Hühnerinnereien. »Kein einziges Mal, ich war kein einziges Mal dagewesen! Dabei ist es doch sozusagen nebenan, einen Steinwurf weit weg, die Adria! Also bin ich nach Venedig gegangen. Beziehungsweise mit dem Schiff gefahren. Ich bin dort im teuersten Hotel abgestiegen. Ich glaube, es hieß ›Venezianisches Glas‹. Ja. Morgens werde ich wach und denke, jetzt fahre ich gleich los, wie Odysseus. Wenn schon, denn schon. Schließlich bin ich in Venedig. San Marco, der Dogenpalast, der Lido. Ich hab mich gewaschen, die Zähne geputzt und auf der Toilette mein großes Geschäft gemacht. Danach hab ich mich noch mal gewaschen ... Ich wasche mich immer sofort, wenn ich ein großes Geschäft gemacht habe. So. Na, und dann hab ich mich angezogen. Ich wollte aber was essen, wie jeder ehrliche Deutsche. Also hab ich überlegt, ob ich zum Frühstück hinuntergehen soll. Scheußlich! Mir morgens irgendwelche Fressen ansehen zu müssen - scheußlich! Scheußlich!« Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich wollte mir also das Frühstück aufs Zimmer kommen lassen. Aber nicht so eine Schweinerei mit Kaffee und Brötchen und stinkendem Käse, nein, eine normale Mahlzeit. Ich rief an und bat um die Speisekarte. Ich habe mir Kaninchen in Weißwein bestellt. Sie brachten mir Kaninchen in Weißwein. Ein ganzes. Als ich dieses Kaninchen erblickte, meine Herrschaften, da hab ich einfach vergessen, wo und was ich bin. Das lag da auf diesem Teller wie eine Weihnachtsgans. Aber es war keine Gans, sondern ein Kaninchen! Das war ja der Witz! Ich hab direkt mit den Händen angefangen zu essen. Ich habe es ganz aufgegessen, mit Knochen. Das heißt, die hab ich natürlich nicht so runterge-
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schluckt. Ich hab sie einzeln gekaut, sorgfältig gekaut, gekaut und sie dann erst runtergeschluckt, als sie aufgeweicht waren. So hab ich also das ganze Kaninchen aufgegessen. So. Dann hab ich ein zweites bestellt. Und jetzt kommt das Beste! Die bringen mir noch mal genau so ein Kaninchen! Genau der gleiche Geschmack! Ich hab mich wieder mit den Fingern darüber hergemacht, und das Fett floß nur so raus. Es floß nur so raus. So hab ich also beide Hinterbeine aufgegessen, Herrschaften, und mich dann an die Vorderbeine gemacht. Plötzlich sehe ich in diesem Bein ein Loch. Und aus diesem Loch ...« »losif, was ich dich schon immer mal fragen wollte«, unterbrach Hitler kauend den Doktor, »warum hat es in Rußland keine Philosophen von Weltgeltung gegeben?« Stalin zuckte sie Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe mich nie professionell mit Philosophie beschäftigt. Frag meinen Freund, den Grafen Chruščev. Er ist Berufsphilosoph.« Hitler blickte den Grafen an. »Eine ernste Frage, Herr Reichskanzler.« Der Graf putzte sich seinen sinnlichen Mund ab. »In Rußland kann es per defìnitionem keine Philosophie geben.« »Warum?« »Es wird dort nicht zwischen dem Phänomenon und dem Noumenon unterschieden. Da hat ein Philosoph nichts zu tun.« »Aber was soll er denn machen, wenn er als Philosoph geboren wurde?« Hitler zog die Augenbrauen hoch. »Träumen!« erwiderte von Ribbentrop anstelle von Chruščev. »Die russischen Philosophen philosophieren nicht, sie träumen. Mein Führer, ich habe versucht, Solovjov und Berdjaev zu lesen. Das ist doch Literatur und keine Philosophie.«
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»Dafür haben die Russen hervorragende Schriftsteller!« rief Leni Riefenstahl aus. »Und ihre Musik! Ihre Musik! Ich bete Skrjabin an!« »Und ich Rachmaninov!« Eva aß knackend ein Stück gedörrte Ente. »Seine Präludien sind unvergleichlich.« »Trotzdem ist es merkwürdig, daß es in einem so großen Land keine Philosophie gibt.« Nachdenklich riß Hitler einem Ferkel in Aspik den Kopf ab, schaute ihn an und biß ihm den Rüssel ab. »Was hat man denn von der Philosophie?« Leni zuckte die Schultern. »Ich habe noch nie im Leben Kant gelesen! Aber drei große Filme gedreht!« »Oh, ja. Das stimmt«, nickte Nadežda, die ihre Aalquappenmilch verputzte. »Leni, meine Liebe, ich muß immerzu an diese Szene aus ›Triumph des Willens‹ denken, wo der Führer im Stadion die Sturmabteilung berührt. Diese Blitze an den Händen, wie Drachen sah das aus! Und tausende, tausende Sturmabteilungsleute stehen reglos da! Schade, daß es damals noch keine Farbfilme gab!« »Ich mag keine Farbe im Kino, Frau Allilueva. Farbe tötet das Geheimnis!« »Ejzenštejn sagt das auch«, warf Jakov ein. »Ejzenštejn?« fragte Göring. »Lebt der noch?« »Natürlich«, lächelte Nadežda. »Unser großer Ejzenštejn lebt noch, er ist gesund und munter und hat viele Pläne. Er will ›Schuld und Sühne‹ verfilmen.« »Eigenartig.« Göring wechselte einen Blick mit Hitler. »Und ich dachte...« »Daß er beim letztjährigen Judenpogrom umgekommen sei?« Stalin spülte ein Stück Reiher mit Rheinwein hinunter.
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»Ich ... so was Ähnliches ist mir zu Ohren gekommen«, nickte Göring. »Diese Ente haben unsere Feinde in Umlauf gebracht«, bemerkte Stalin. »Die Puritaner der restlichen Welt verschwören sich gegen uns, losif«, bemerkte Hitler. »Die Judenfrage in Rußland und deine ungewöhnliche Lösung dafür läßt ihnen keine Ruhe.« »Die Lösung der Judenfrage verlangt großes Fingerspitzengefühl, Adolf. Sie darf keinesfalls zur gedankenlosen Vernichtung der Juden führen«, sagte Stalin. »Sag das mal dem Schlächter Roosevelt«, grinste Hitler. Stalin schaute ihn aufmerksam an. »Die Zeit wird kommen, mein Freund, wenn wir ihm das gemeinsam sagen. Aber nicht mit Worten. Sondern mit Wasserstoffbomben.« »Ich habe ja gar nichts dagegen, losif. Aber wir haben bloß acht Wasserstoffbomben.« »Und wir haben vier.« »Das reicht vorläufig nicht, mein Freund. Um einem so selbstverliebten Land wie Amerika eine Lektion in gesundem Menschenverstand zu erteilen, müssen wir einen geballten Schlag ausführen.« »Wie viele brauchen wir denn?« »Zwanzig, losif«, sagte Hitler überzeugt und legte sich eine in Madeira eingelegte, mit Rinderleber und Ingwerzwieback gefüllte halbe Pute auf den Teller. »Zwanzig?« Stalin runzelte die Stirn und schaute in die Flamme der blauen Kerze. »Ja, losif. Ich träume häufig von diesen zwanzig Champignons, die über Amerika emporwachsen.«
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»Ich weiß nicht recht, Adolf.« Stalin lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Mir scheint, zwölf reichen auch. Ich sehe das so: Wenn wir in den wichtigsten Städten der USA gleichzeitig zuschlagen, so sind diese Städte im Prinzip ...« Er fuhr plötzlich zusammen, ballte seine Hände zur Faust und atmete laut zischend aus. »Entschuldige. Ich muß mal.« »Ach, natürlich, mein Freund.« Hitler gab einem Bediensteten ein Zeichen. Die vier Ninjas und Sisul trugen die Säule mit der Spritze herein. Am Tisch verstummten alle. Stalin setzte sich die Spritze unter die Zunge, schwieg eine Minute und fuhr dann mit der Hand über sein rot anlaufendes Gesicht. »Verzeih, Adolf. Worüber haben wir gesprochen?« »Zuerst über die Judenfrage. Und dann habe ich ...« »Man braucht keinen Kult mit dieser Judenfrage betreiben!« sagte Stalin heftig. »Die Amerikaner haben sechs Millionen Juden vernichtet. Wohin hat das geführt? Zu dem Mythos von den sechs Millionen Opferschafen, der jeden Juden erniedrigt. Die Juden waren noch nie unschuldige Schäfchen. Sie sind keine Zigeuner. Und keine australischen Buschmänner. Sie sind aktive Reformer des Planeten. Dafür liebe ich sie so. Das ist eine außerordentlich aktive und talentierte Nation. Ihr Beitrag zur russischen Revolution ist erheblich. Deswegen erschießen wir nicht mehr als fünfzigtausend Juden jährlich. Gleichzeitig bauen wir neue Synagogen, jüdische Schulen und Internate für Holocaust-Waisen. Bei uns gibt es im Prinzip keinen Antisemitismus. Doch wir sind flexibel in der Judenfrage. Beispielsweise ging kürzlich der Prozeß um
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das sogenannte ›Antifaschistische Komitee‹ zu Ende, dem bekannte russische Juden angehörten, Schriftsteller, Schauspieler, Wissenschaftler. Womit hat sich dieses Komitee beschäftigt? Mit der Erstellung eines Schwarzbuchs über die Opfer des Holocausts. Sie haben das Material zusammengestellt und an Frankreich übergeben, wo das Buch erschien und zum Bestseller wurde.« »Meine Frau und ich haben das Buch mit großem Interesse gelesen!« rief Doktor Morell und saugte das Hirn aus einem Hummerkopf. »Und was hat das sowjetische Volk mit diesem ›Antifaschistischen Komitee‹ gemacht?« fragte Stalin die Tischrunde und gab gleich selbst die Antwort: »Die Mitglieder wurden selbstverständlich aufgehängt wie räudige Hunde.« »Hat dieses ›Antifaschistische Komitee‹ etwas mit der ›Verschwörung der Ärzte‹ zu tun?« fragte Eva. Die russischen Gäste konnten es nicht fassen: »Aber Eva!« »Wie kann man das vergleichen?« »Die ›Verschwörung der Ärzte‹ ... das kann man doch nicht verwechseln...« »Die ›Verschwörung der Ärzte‹, also wirklich!« »Ja ... die ›Verschwörung der Ärzte‹ ...« Nadežda schüttelte den Kopf. »Eva, meine Teure, du kannst dir nicht vorstellen, was wir in diesen verhängnisvollen Tagen mitgemacht haben. Die ›Verschwörung der Ärzte‹ ... Ich habe damals drei Nächte lang nicht geschlafen. Das war ... einfach unglaublich! Ein Arzt, der seit langem zur Familie gehörte, stellte sich als schonungsloser, kaltblütiger Mörder heraus.« Vesta seufzte.
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»Ich zittere noch immer, wenn ich die Namen höre: Vinogradov, Vovsi, Zeljonin.« »Zeljonin!« Jakov lächelte bitter. »Er hat Malevič höchstpersönlich Strychnin in seine Kokaintropfen getan. Und Majakovskij hat er Quecksilber salz in seinen Opiumcocktail gemischt. Und die Brüder Kogan! Sie haben die Timašuk mit dem elektrischen Lötkolben gefoltert...« »Schreckliche Leute«, seufzte Nadežda schwer. »Und wen haben sie umgebracht?« fragte Eva. »Unsere genialen Dichter Vladimir Majakovskij, Kazimir Malevič und Ždanov«, erwiderte Stalin. »Und noch zwei Mitarbeiter des ZK, die sich geweigert hatten, mit ihnen zusammenzuarbeiten.« »Ich erinnere mich an den Prozeß.« Gedankenverloren verschlang Hitler eine Handvoll Oliven. »Was für ein heldenhaftes, erhabenes, schönes Gesicht diese Krankenschwester Timašuk hat!« rief Leni Riefenstahl aus. »Sie hatte keine Angst vor ihren Drohungen, sie hat alle Folterungen ertragen ... Wie ich solche russischen Frauen liebe!« »Sie ist Ukrainerin«, bemerkte Stalin und warf einen Blick auf seine goldene Spritze. »Ja. Vinogradov hatte schon Duplikate angefertigt. Von der Spritze und von der Säule. Er hätte nur noch meine Spritze entsprechend präparieren müssen.« »Sie wurden doch alle aufgehängt, nicht wahr?« fragte Emmy Göring. »Ja! Auf dem Roten Platz!« nickte Leni. »Ich habe die Aufzeichnung gesehen. Es war faszinierend, obwohl ich eigentlich nicht für öffentliche Hinrichtungen zu haben bin. Ein Dutzend zappelt da am Galgen, und eine tausendköpfîge Menge tanzt und
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singt. Und lacht noch freudig dazu. Die Russen können lachen.« »Und die Juden können weinen«, sagte Stalin unerwartet. »Die Ärzte haben für die Zionisten gearbeitet«, verkündete Chruščev finster. Alle schwiegen. »Mir scheint, die Juden haben eine wesentliche nationale Schwäche«, sagte Hitler und goß sich noch Wein ein. »Sie haben eine geradezu pathologische Angst vor dem Tod. Deswegen haben sie sich so demütig in den Holocaust gefügt.« »Und das hältst du für einen Mangel, mein Teurer?« fragte Eva. »Zweifellos. Das schränkt einen doch ein.« »Ja, ja!« Doktor Morell spuckte ein Stück ausgesaugte Hummerschere aus. »Mein Führer, wissen Sie, woran mich diese jüdische Nationaleigenschaft erinnert? Ich habe drei Badewannen zu Hause. Die eine ist noch von meinem Großvater und hat eine merkwürdige Eigenart. Wenn ich darin sitze und mich mit dem Rücken hineinschmiege, fängt sie an, sich daran festzusaugen wie ein riesiger Saugmund. Wenn man da so sitzt, ist das ganz angenehm, wissen Sie. Aber wenn man aufstehen will, läßt die Wanne einen nicht mehr los. Sie hält einen fest. Wie ein lebendiges Wesen. Und das ... das ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Sehr sogar!« »Mit dem Holocaust gibt es auch viele Probleme«, sagte Stalin, nahm einen Zweig Dill und drehte ihn wie einen kleinen Propeller. »Hat es denn den Holocaust überhaupt gegeben?« fragte Göring. »Na immerhin, sechs Millionen«, bemerkte von Ribbentrop. »Diese Zahl stammt von den Amerikanern«, sagte Hitler. »Aber
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man muß ihre Angaben immer durch drei teilen, außer bei der Coca-Cola-Produktion. Obwohl - was sind schon sechs Millionen? Wir haben zweiundvierzig Millionen im Krieg verloren.« »Fünfundvierzig, Herr Reichskanzler«, warf Chruščev ein. »Ich halte mich an die deutschen Statistiken«, bemerkte Hitler trocken. Eine längere Pause entstand. »Na bitte, es ist doch immer das gleiche«, seufzte Eva. »Die Männer sind mal wieder bei der Politik gelandet. Adolf! Du vergißt, daß Frauen nicht nur andere Geschlechtsorgane haben, sondern auch anders denken! Können wir nicht wenigstens beim Essen unsere Ruhe vor der Politik haben?« »Das ist doch eine Illusion, Eva«, erwiderte Stalin anstelle von Hitler. »Vor der Politik hat man nicht mal auf der Kloschüssel seine Ruhe. Selbst in den süßen Momenten des Orgasmus vergesse ich nicht, wer ich bin.« »Aber ich vergesse es!« kreischte Eva. »Ich vergesse es! Ich vergesse es!« Alle erstarrten. Stalin wischte sich langsam den Mund mit seiner blauen Serviette ab und warf sie auf den Teller mit den Resten der Stiermilz. Hitler schaute Eva unverwandt an. Stalin wechselte einen finsteren Blick mit Chruščev. Nadežda, die ganz blaß geworden war, fing Jakovs spöttischen Blick auf. Göring schielte vorsichtig zu von Ribbentrop. Bormann biß sich auf seine dünnen Lippen und schaute Hitler an. Doktor Morell starrte Emmy Göring verständnislos an, aber die wandte ihren auf einem zarten Hals sitzenden rassigen Kopf verächtlich ab und blickte tief in die asiatischen Augen von Leni Riefenstahl. Die Pause zog sich bedrohlich in die Länge.
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Eva traten die Tränen in ihre grauen Augen. Mit ihren kokaintrockenen Nasenlöchern hin und wieder schniefend, richtete sie ihren Blick nach oben und fixierte das sich drehende Hakenkreuz aus Stahl. »Soll ich ... Ihnen vielleicht etwas vorsingen?« fragte Vesta plötzlich. »Natürlich!« lächelte Hitler, und alle seufzten erleichtert auf. »Aber ich brauche ein Klavier dazu!« Vesta stand auf. Hitler machte dem Orchester, das gerade Vivaldi spielte, ein Zeichen. Das Orchester hörte auf. »Ein Klavier!« befahl der Führer laut. Vor dem Dirigenten versank ein Stück Fußboden in der Tiefe und kehrte mit einem blauen Klavier zurück. »Bitte sehr, liebes Kind.« Hitler machte eine elegante Geste in Richtung des Klaviers. Vesta ging zum Klavier und nahm auf dem mit blauem Samt bezogenen Klavierhocker Platz. Sie trug ein teefarbenes Kleid und einen mit Goldfäden abgesteppten Chinchilla-Umhang über den Schultern. Die Tochter des Sowjetführers trug ihr dichtes schwarzes Haar offen, mit einem feinen Brillantreifen zurückgehalten, der vorn mit einem wunderbaren, ungleichmäßig geformten Granaten besetzt war. Vesta hob ihre noch kindlich-plumpen Hände, ließ sie auf die Tastatur sinken und begann mit der zärtlich-rauhen, unnachahmlichen Stimme einer Halbwüchsigen zu singen: Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, Marschieren im Geist in unsern Reihen mit.
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Die Straße frei den blauen Bataillonen! Die Straße frei dem Sturmabteilungsmann! Es schau'n aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen, Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an. Zum letzten Mal wird nun Appell geblasen, Zum Kampfe stehn wir alle schon bereit. Bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen, Die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit. Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kameraden, die Rotfront und Reaktion erschossen, Marschier'n im Geist in unsern Reihen mit.* Nach dem letzten Akkord stand Vesta auf. Sofort stand auch Hitler abrupt auf. Sein Gesicht war blasser als gewöhnlich, seine Augen glänzten. Die Gäste, die schon applaudieren wollten, erstarrten. Hitler blickte Vesta an. Sie machte einen Schritt nach vorn, legte die Hand auf die Ecke des Klaviers und schaute die schweigenden Gäste und Hitler verständnislos an. »losif, ich will deine Tochter«, sagte Hitler. Alle blickten auf den Führer. »Mein Freund, warum sagst du mir das?« Stalin lächelte zurückhaltend. Hitler ging ungestüm zu Vesta, nahm ihr Gesicht in seine * im Original deutsch
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Hände und küßte sie brutal auf den Mund. Ein schwaches Stöhnen entrang sich ihrer Brust. Sie taumelte und verlor das Gleichgewicht, aber Hitler umfaßte ihre nicht sehr schmale, noch kindliche Taille. Ihre Gesichter fuhren auseinander. Aus Vestas zerbissener Lippe quoll Blut. Hitler zog ein Spitzentuch aus dem Ärmel und hielt es ihr an den Mund, schleuderte es aber gleich heftig wieder weg, packte Vesta an der Hand und zog sie zur Tür. Sie hastete stolpernd hinter ihm her, wie ein Mädchen hinter seinem zornigen Vater. »Adolf!« Nadežda stand auf. Mit seinen Absätzen und Sporen klappernd, schleppte Hitler Vesta aus dem Saal. »Adolf!« Nadežda stürzte hinterher, wobei ihr Stuhl umfiel. »Nadja, mach keine Dummheiten«, sagte Stalin auf russisch zu ihr. Nadežda rannte aus dem Saal. Hitler führte Vesta zu einer von SS-Leuten bewachten Tür. Die Tür sprang auf, und er zerrte Vesta hinter sich her in eine Zimmerflucht. Nadežda holte sie ein. »Adolf, ich hoffe, du hast Verständnis für die Gefühle einer Mutter?« »Selbstverständlich, meine Liebe«, brummte er, ohne sich umzudrehen. »Mama ...«flüsterte Vesta mit blutüberströmten Lippen. Als sie ein weitläufiges Wohnzimmer mit goldfarbenen Polstermöbeln und bronzenen Arbeiterfiguren erreichten, drehte Hitler Vesta zu sich und packte sie heftig an den Schultern. Nadežda blieb an der Tür stehen.
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Vesta ließ den Kopf sinken. »Schau mir in die Augen, mein Kind«, forderte er streng. Vesta hob ihr entzückendes Gesicht. Er zerrte den ChinchillaUmhang über die Schultern nach hinten, dabei riß das goldene Kettchen, das den Kragen zusammenhielt, und der federleichte Umhang fiel zu Vestas Füßen nieder. Sie stand jetzt in ihrem engen, ärmellosen Kleid vor ihm. Nachdenklich berührte Hitler ihren Halsansatz, betastete ihr Schlüsselbein, fuhr mit den Zeigefingern unter die Träger des Kleides und zerrte sie zur Seite. Mit einem Ratsch riß die Seide entlang Vestas kindlich-plumper Figur auf. Nadežda legte ihre Wange an den Türpfosten und hatte die Augen halb geschlossen. Ihre barhäuptige Tochter stand vor Hitler. Ein rosa BH umschloß ihre kleine Brust, an die langen rosa Unterhosen waren weiße Perlonstrümpfe geknöpft. Hitler drückte Vesta an sich, schaute ihr über die Schulter und knöpfte behutsam den BH auf. Nervös zuckte sie mit ihren breiten Schultern und wußte nicht recht, ob sie ihm helfen oder ihm Einhalt gebieten sollte. »Sie sind so ...« Hitler sank auf die Knie und streckte seinen Mund nach ihren Brustwarzen aus. Er faßte Vestas Unterarme und zog sie zu sich hinunter. Ihr Haar bedeckte ihn. Er begann, hingebungsvoll an ihrer Brust zu saugen. Vesta blickte zur Seite auf einen bronzenen Arbeiter, der ein Gewehr auf seinem muskulösen Knie hielt. Hitler zerriß ihre Unterhosen und versetzte ihr einen Stoß. Sie fiel auf ein Sofa mit einem fliederfarben, weiß und golden gemusterten Bezug. Adolf kroch auf den Knien zu ihr, spreizte erbarmungslos ihre Beine und dann mit den Fingern ihre Schamlippen, die von spärlichem Haarwuchs bedeckt waren. Seine Adlernase
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saugte gierig den Geruch ihrer Genitalien ein, berührte ihre noch nicht voll entwickelte Klitoris und machte dann der Zunge Platz. Hitler fuhr damit über Vestas geöffnete Muschel, erst von unten nach oben, dann von oben nach unten, und zwängte sich in ihre schmale Vagina. Doch plötzlich fuhr die Zunge des Führers enttäuscht hinter seine ungleichmäßigen Zähne zurück. »Du bist ja schon durchbohrt worden!« rief er aus und führte seinen Finger in die Vagina. »Sauerei! Diesen Schuft würde ich öffentlich verbrennen! Ach du, mein lüsterner Engel!« Mit einem Ruck drehte er sie um, wie eine Puppe, kniete sich vor dem Sofa hin und knöpfte seine Hose auf. Sein langes, leicht gekrümmtes Glied schlüpfte in die Freiheit. Hitler krallte seine Finger in Vestas kleine Hinterbacken, spreizte sie auseinander wie ein gebratenes Hühnchen und begann sein Glied hineinzuschieben. Vesta stieß einen Schrei aus. Die Phallusspitze verschwand in ihrem Anus. Hitler packte Vesta an den Schultern und rammte ihr mit einem Ruck sein Glied bis an die Wurzel hinein. Ein herzzerreißender Schrei entfuhr ihren Lippen und fand ein mehrfaches Echo in der Zimmerflucht. »Mein Kindchen ...« Nadežda schloß die Augen und preßte ihre Wange noch stärker an den Türpfosten. »Schrei, schrei nur, mein Engel.« Hitler umarmte den zitternden Körper des Mädchens. Ihre Schreie gingen in Weinen über, doch sie hielt sich den Mund zu und wimmerte nur ganz tief drinnen bei jedem Stoß des Gliedes. »So stößt das teutonische Einhorn«, flüsterte Adolf in ihren Scheitel.
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Schwerfällig hing seine gebeugte Figur über Vestas wehrlosem Körper. Angespannt und vor Schmerz zitternd, hörte die Tochter des Sowjetführers auf zu wimmern und überließ sich fügsam den rhythmischen Stößen. »Vertrau dich mir an.« Hitler schlug ihr auf den eingezogenen Bauch, richtete sich auf, warf den Kopf zurück und breitete seine Hände über Vestas Rücken aus. Ein grünes Leuchten durchdrang seine Finger. Er umfaßte ihr Becken mit den Händen. Sie zuckte zusammen wie von einem Stromschlag getroffen und fing an zu lachen. »Es gibt im Leben nichts Schreckliches«, sagte er und bewegte sich heftiger. Vesta schluchzte und lachte. »Aber nein ...« murmelte er plötzlich und zog sich mit einem schmatzenden Geräusch aus ihr zurück. Seine Hände erloschen. »Nicht sofort... nicht so einfach ...« Er packte sie an den Haaren und führte sein Glied in ihren Mund ein. »Adolf, sei vorsichtig, ich flehe dich an!« rief Nadežda aus. Er machte zwei heftige Bewegungen mit den Beinen, zog sein Glied aus dem Mund des Mädchens und drückte es mit seinen jetzt wieder leuchtenden Fingern zusammen. »Hier und jetzt!« Sein Spermastrahl spritzte Vesta ins linke Auge. »Hier und jetzt!!« schrie Hitler mit versagender Stimme; er schwankte und schlurfte wie ein Schlafwandler mit seinem baumelnden Glied davon. »Vestočka ...« seufzte Nadežda. Hitlers goldene Sporen klapperten dröhnend durch die Zimmerflucht.
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»Mama, geh raus«, sagte Vesta, die am Boden kniete und die Hand vor ihr linkes Auge hielt. »Vestočka, mein Mädchen ...« »Geh raus!!« schrie Vesta. Nadežda folgte Hitler. Als sie die Zimmerflucht verließ und in die Halle zurückkam, blieb sie stehen. Zwei SS-Leute standen reglos an der Tür und bemerkten sie nicht. Sie schaute sie zerstreut an, machte kehrt und betrat die Zimmerflucht erneut. Sie durchquerte zwei Zimmer, setzte sich in einen Sessel und nahm den Hörer eines rosa Telefons ab. »Moskau, bitte.« Unverzüglich wurde sie mit Moskau verbunden. »V-12-49«, sagte Nadežda in den Hörer, und bald darauf waren vier weit entfernte, lange Klingelzeichen zu hören. Beim fünften Klingeln wurde der Hörer abgenommen. »Ja bitte«, sagte eine verschlafene Frauenstimme. »Boris Leonidovič bitte.« »Boris Leonidovič schläft schon.« »Dann wecken Sie ihn.« »Verzeihung, aber wer spricht denn da?« »Seine Geliebte«, antwortete Nadežda und warf sich erschöpft zurück. Der Hörer prallte auf etwas Hartes. »Wie kann diese ... wie kann sie es wagen, wieder hier anzurufen?!« hörte Nadežda. »Boris! Willst du mich umbringen?! Willst du mich und die Kinder wirklich umbringen?!« »Keine Platitüden, Zina.« Eine hohe Stimme näherte sich dem Apparat. »Er will uns umbringen! Er will wirklich seine ganze Umge-
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bung ins Grab bringen!« Die sich entfernende Frauenstimme schäumte vor Wut. »Ja, am Apparat«, sagte Boris Leonidovič mit seiner erstaunlich hohen, vibrierenden Stimme. »Boris, warum rufst du mich nicht an?« fragte Nadežda, die ihre Erregung mit Mühe unter Kontrolle hielt. »Nadjuša? Entschuldige, laß mich eben die Tür schließen ...« Er ging weg und kehrte zurück. »Also?« »Warum rufst du mich nicht an?« wiederholte sie. »Nadja, das ist eine metaphysische Frage. Wir haben doch abgemacht, daß wir uns mit metaphysischen Fragen nicht mehr abgeben. Besonders nachts.« »Du ... willst du mich nicht mehr?« »Meine Liebe, bitte demütige mich nicht. Davon habe ich jeden Tag in meiner Familie genug.« »Boris ... Boris ...« Ihre Stimme zitterte. »Warum quälst du mich?« »Nadja, allmählich verstehe ich dich nicht mehr.« »Warum quälst du mich?!« »Wenn ich dich nicht mehr verstehe, verliere ich das Vertrauen zu mir selbst. Das Traurige ist, daß das ein unbegrenzter Kredit ist. Aber Kredite zu Vorzugsbedingungen erschüttern das Vertrauen.« »Hast du dich in jemand anders verliebt?« »Ich liebe alle, das weißt du doch.« »Vielleicht... ist es wieder ...Šklovskij ?« »Nadja, du erschrickst mich mit der Möglichkeit, mich endgültig zu enttäuschen.« »Mit diesem ...« schluchzte sie, »mit diesem alten Hanswurst ... mit diesem...«
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»Nadja, du sagst furchtbare Dinge. Du überschreitest die Grenze des Zulässigen.« »Das ist so ... dumm ... das ist so banal...« »Banalität ist das Prärogativ der Boheme«, gähnte er. »Dieser Hanswurst... dieser Clown ... dieser Idiot...« »Nadja, was soll dieser Pleonasmus? Man kann nicht alles Triviale in den Panzer unserer ... Zina! Wag es ja nicht!« Es war zu hören, wie die beiden um den Hörer kämpften. »Ich werde euch im ZK denunzieren! Beim Genossen Stalin persönlich!« kreischte eine sich überschlagende Weiberstimme. »Besser gleich bei Hitler, du dumme Pute!« Nadežda warf den Hörer auf die rosa Gabel. Vesta kam vorbei, barfuß und mit ihrem Chinchilla-Umhang. »Nimm ein Bad«, sagte Nadežda und betrachtete ihre beigefarbenen Schuhe. Als Hitler, Vesta und Nadežda den Himmlischen Saal verließen, stand Stalin auf, ging zu Jakov und streckte die Hand aus. Jakov überreichte ihm das Köfferchen. »Meine Herrschaften, der Graf und ich lassen Sie für eine Minute allein.« Stalin ging zum Ausgang. Chruščev folgte ihm. Draußen wurden sie von Hitlers Adjutanten, von Sisul, Adžuba und Chruščevs vier Ninjas erwartet. »Bringen Sie uns in den Funkraum«, sagte Stalin zum Adjutanten. »Jawohl!«* Der Adjutant schlug seine Hacken zusammen, drehte sich um wie eine Aufziehpuppe und führte die hohen Gäste zum Aufzug. * im Original deutsch
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Die Sicherheitsleute folgten ihnen. Sie betraten alle einen großen, ganz mit Spiegeln verkleideten Aufzug. Der Adjutant drückte auf einen Knopf, und der Aufzug fuhr nach unten. »Erinnere mich an die Salbe«, sagte Stalin zu Chruščev. »Wird gemacht«, nickte der Graf. Der Aufzug hielt an, sie stiegen aus und gingen einen Marmorgang entlang. Neben dem Funkraum standen zwei SS-Leute mit Maschinenpistolen. Daneben ging ein Offizier auf und ab. »Hammel«, sagte Stalin. In den Händen der Ninjas blitzten stählerne Wurfkugeln auf, und die SS-Leute fielen mit zerschmettertem Schädel um. Sisul packte den Adjutanten am Kopf und und fuhr ihm mit seinem krummen Messer quer über die Gurgel. Die Ninjas sprangen zu den am Boden liegenden SS-Leuten und zertrümmerten ihnen den Brustkorb. Chruščev läutete mit dem vereinbarten Klingelzeichen an der Tür und wich zur Seite. Die Ninjas gingen in Kampfstellung. »Hammel!« sagte jemand von drinnen. »Hammel!« erwiderte Stalin laut. Chruščev gab den Ninjas ein Zeichen, und sie machten Platz. Stalin und Chruščev gingen als erste hinein. Die Wache schleifte die Leichen der Erschlagenen in den Raum, Sisul wischte die Blutstropfen vom Boden auf, und die Tür schloß sich hinter ihnen. Im Raum stand Sepp Dietrich mit zwei Offizieren der Diversions-Schule »Zeppelin«. Stalin streckte wortlos seine Hand aus, Dietrich schüttelte sie, machte kehrt und ging in den Geräteraum. Die anderen folgten ihm. Im Geräteraum lagen sechs
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erschlagene Funker, und in der Stirnwand klaffte ein Loch. Dietrich zwängte sich als erster durch, die anderen folgten ihm. Der Durchbruch führte in einen riesigen halbdunklen Raum, der mit Kisten voller Konservendosen und Trockennahrung vollgestellt war. »Hammel!« sagte Dietrich laut. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, ertönte ein spöttischer Baß hinter den Kisten. Eine aus einer Pistole mit Schalldämpfer abgefeuerte Kugel drang Dietrich in die Stirn, und er kippte um wie ein Kartoffelsack. Die Ankömmlinge betrachteten die Leiche. »Ich freue mich, Sie begrüßen zu dürfen, meine Herren«, sagte derselbe Baß. »Treten Sie ein, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.« Stalin stieg über einen Toten hinweg und ging um die Kisten herum. Dahinter saß ein unwahrscheinlich dicker Mann in der schwarzen Uniform des Reichsführers der SS auf einem Stapel Makkaroni-Kartons. Sein Kopf erinnerte an die berühmte Kreuzung aus Kürbis und Birne, die der Genetiker Lysenko Mao Tse-tung zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Mit der rechten Hand strich er sich über die drei Lagen seines Kinns, mit der linken stützte er sich auf sein Knie, das Ähnlichkeit mit einem Prellstein hatte. Seine winzigkleinen Äuglein musterten Stalin höhnisch. Neben ihm standen drei Bewaffnete. »Warum hast du diesen alten Haudegen umgebracht, Heinrich?« fragte Stalin. »Ich habe ihm geglaubt, losif!« grinste Himmler. »Was hast du ihm geglaubt?«
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»Daß er ein Hammel ist! Wir beide können aber keine Hammel gebrauchen. Ich freue mich, dich zu sehen.« Himmler streckte ihm seine fette Hand hin. Stalin nahm zwei Finger und drückte sie. »Graf!« polterte Himmler, als er Chruščev bemerkte. »Gut, daß alles geklappt hat.« »Ende gut, alles gut«, sagte Chruščev ironisch und drückte seinen Finger. »Aber bis zum Ende ist es noch weit.« »Ist er das?« Himmler schaute auf das Köfferchen in Stalins Hand. »Das ist er.« Stalin blickte sich suchend um, wohin er den Koffer stellen könnte. »Martin.« Himmler schnipste mit dem Finger. Der Sicherheitsmann zog eine Kiste mit Fleischkonserven heran. Stalin legte das Köfferchen darauf und öffnete es. Blaues Licht strömte daraus hervor. »Zum Verrücktwerden!« Himmler rührte sich wie eine riesige Kröte, und die Sicherheitsleute halfen ihm aufzustehen. Schwerfällig setzte er seine großen Füße voreinander, ging zu dem Köfferchen, klemmte sein Monokel in die fleischige Augenhöhle und kniff die Augen zusammen. »Und so etwas Herrliches wollte unser elektrischer Rochen für industrielle Zwecke freigeben?« »Heinrich, wir dürfen keine Sekunde verlieren«, sagte Stalin nervös. »Natürlich«, schnaufte Himmler. »Martin! Komm her!« Ein Wachmann mit einer Narbe am Kinn holte einen kleinen Hammer und ein Stemmeisen und machte sich daran, den Zucker, der den himmelblauen Speck umhüllte, zu zersplittern. Ein anderer Wachmann aus Himmlers Truppe nahm
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einen Fleischwolf aus der Aktentasche und schraubte ihn am Rand der Kiste fest. Ein dritter Wachmann mit einem dünnen Schnurrbart stellte eine Emaille-Schüssel unter den Fleischwolf. »Mit Gott.« Stalin bekreuzigte sich. Martin reichte dem zweiten Wachmann ein Stück Speck, der stopfte es in den Trichter des Fleischwolfs und fing an, den Griff zu drehen. Himmelblaues Hackfleisch kroch aus dem Gittervorsatz und häufte sich in der Schüssel an. Martin reichte ihm noch ein Stück, dann noch eins. Die Wachleute arbeiteten konzentriert. »Kann man ihn nicht erhitzen?« Stalin rieb erschöpft seine Schläfen. »Selbst die Explosion von eintausend Wasserstoffbomben kann ihn nicht um ein Millionstel Grad erhitzen«, sagte Chruščev finster. »Du bist müde, losif«, lächelte Himmler. »Hat unser Wiener Kondensator dich überanstrengt?« »Die Erwartung hat uns ermüdet.« Stalin ließ sich auf die Kiste mit Sardinenkonserven sinken. »Diese letzten vierundzwanzig Stunden ... kosten mich mehr als das halbe Leben.« Himmler nickte verständnisvoll. »Ich habe auch überhaupt nicht geschlafen.« Martin holte drei Gläser und drei Stücke Mull. Zwei Mullstücke gab er den Wachleuten, eins behielt er für sich. Er gab ein wenig von dem Hackfleisch hinein und drückte das Ganze vorsichtig über einem Glas aus. Eine himmelblau leuchtende Flüssigkeit tröpfelte in das Glas. Die Wachleute taten es ihm nach, nahmen von dem Hackfleisch und drückten es über ihren Gläsern aus.
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»Muß es sterilisiert werden?« gähnte Stalin. Himmler schüttelte mit einem katzenhaften Lächeln den Kopf. Hitler lief mit seinem aus der Hose baumelndem Glied durch die Zimmerflucht und drückte auf eine hölzerne Blume, ein Ornament in einem geschnitzten Büffet. Das Büffet glitt zur Seite und gab einen Durchgang frei. Hitler schlüpfte hindurch, stieg eine Treppe hinunter und befand sich in einem geräumigen grauen Bunker. An einem massiven Tisch saßen zwölf Männer in Tarnuniform und dämmerten im Halbschlaf vor sich hin. Als sie Hitler erblickten, sprang einer von ihnen auf. »Meine Herren Offiziere!« Alle sprangen auf. Hitler winkte ab. »Rührt euch, ihr könnt euch setzen. Otto, Rapport.« Der füllige, einäugige Skorzeny sagte mit deutlicher Stimme: »Mein Führer, die Schweine sind schon hier. Wie Sie bereits vermutet haben, sind sie durch den unterirdischen Gang gekommen.« Hitler brachte grinsend sein Glied in Ordnung. »Euer Führer ist immer noch imstande, Katzen im Dunkeln zu fangen. Selbst wenn gar keine da sind. Ist alles bereit?« »Alles bereit!« Skorzeny knallte die Hacken zusammen. »Dann - mit Gott, Otto! Meine Herren!« Die Offiziere sprangen auf und nahmen Haltung an. »Eure Aufgabe besteht darin, den Stoff und meinen besten Freund in Sicherheit zu bringen. Das Leben der übrigen Beteiligten ist mir egal. Vorwärts!« Die Sturmtruppe griff zu den Maschinenpistolen und verschwand durch die Stahltür.
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Hitler setzte sich an den Tisch und nahm den Telefonhörer ab. »Was ist im Saal los?« »Alles ruhig, mein Führer«, berichtete eine Stimme. »Stalin und Chruščev sind rausgegangen.« »Was macht Bormann?« »Er ißt, mein Führer.« »Beginnt mit der Operation ›Wurm‹.« »Zu Befehl.« Hitler legte den Hörer auf, bemerkte auf seinem Handrücken einen Spermaflecken, hob die Hand zum Mund und leckte den trüben Tropfen gedankenverloren ab. Auf dem Tisch lag die neueste Ausgabe vom »Völkischen Beobachter«*. Hitler warf einen zerstreuten Blick auf die Zeitung. Er hatte sie seit Jahren nicht mehr gelesen, weil er sie zu vulgär fand. Der Aufmacher war ein langer Aufsatz von Bertolt Brecht: »Hütet euch davor, gegen den Wind zu spucken!« Hitler zog mit zwei Fingern die Zeitung heran und begann zu lesen: Unsere verfaulte Pseudointelligenzija, die von den transatlantischen Pluokraten und den hiesigen Ahasvers mit Verfall und Zersetzung genährt wird, erhebt wieder ihren Kopf Sie sieht sich selbst als Siegfried der Zerstörung, der bereits im Blut des »besiegten« Drachens, der Großen Volks-Kultur gebadet hat, und ist wieder einmal bereit, mit der giftigen Spucke des kulturellen Syphilitikers dem Volk ins Gesicht zu spucken ...
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Hitler verzog angewidert das Gesicht und schob die Zeitung weg. Das Orchester im Saal spielte »Liebesträume«, als ein SS-Offizier mit federndem Schritt auf Bormann zutrat und sich zu ihm beugte. »Herr Bormann, Doktor Goebbels möchte Sie sprechen.« »Aber er ist doch im Urlaub auf Ceylon?« Mißmutig legte Bormann den Rest eines Fasanenflügels auf seinen Teller zurück. »Der Reichsminister hat seinen Urlaub unterbrochen und ist gerade eben in Berlin eingetroffen«, berichtete der SS-Mann. Bormann wischte sich den fettigen Mund ab und stand auf. »Ich bitte um Verzeihung, meine Herrschaften. Unaufschiebbare Angelegenheiten.« »Martin! Sie werden uns doch nicht auch noch verlassen?« rief Eva aus. »Teure Eva, ein dringender Anruf aus Berlin. Aber es wird nicht lange dauern.« Mit einer leichten Verbeugung eilte Bormann zum Ausgang. »Das Leben mit Führern ist unerträglich«, seufzte Eva und kaute langsam ein Neunauge. »Wenn sie so beschäftigt sind?« lächelte von Ribbentrop. »Und so temperamentvoll.« Mit einem Lächeln schaute Emmy Göring zu Eva. »Fertig, Reichsführer.« Der Wachmann preßte die letzte Portion von dem Hackfleisch aus. »Ausgezeichnet.« Himmler betrachtete die drei Gläser mit der blauen Flüssigkeit, holte eine Metalldose aus der Tasche und hielt sie dem Wachmann hin. »Mach schnell.«
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Der Wachmann öffnete die Dose. Darin lagen drei große Spritzen. Jeder Wachmann nahm eine Spritze, tauchte die Nadel in sein Glas und zog die Flüssigkeit in die Spritze. »Schreiten wir zur Tat, meine Herren.« Himmler hielt Stalin und Chruščev eine Schlauchbinde aus Gummi hin. »Und ... was für eine Dosis?« Stalin öffnete seine Manschettenknöpfe aus Opal und begann, den Ärmel aufzukrempeln. »Je mehr, desto besser, losif.« Himmler konnte die Ärmel nur mit Mühe an seinem Arm hochschieben. »Sind Sie sicher?« Chruščev zog die Schlauchbinde über den Unterarm. »Graf, wenn ich etwas sage, dann heißt das, daß ich mir dessen sicher bin.« »Und diese ... Prachtkerle, treffen die auch die Vene?« fragte Stalin und musterte die drei Wachleute mit den Spritzen argwöhnisch. »losif, die treffen alles, was du willst.« Himmler legte seinen abgebundenen Arm als erster auf die Kiste und drückte seine Riesenpranke zur Faust zusammen. »Mein Gott, vielleicht bin ich hinterher nicht mehr so dick?« »Und ich habe vielleicht keinen Buckel mehr«, grinste Chruščev nervös. »Das ist... überhaupt nicht wichtig ...« Stalin bereitete seinen Arm vor. »Eigentlich hatte ich mir ja vorgestellt, daß das alles unter etwas geordneteren Umständen vor sich geht ... Heinrich! Sollen wir uns nicht mal mehr von der Welt verabschieden?« »Keine Zeit, losif. Der elektrische Rochen ist hinterlistig und tückisch.« »Sauerei! Sauerei!« rief Stalin aus.
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»Mein Freund, uns trennen nur noch Sekunden vom Paradies!« »Dann bin ich der erste!« Stalin legte seinen Arm neben den des Reichsführers. »losif ...« Chruščev fing nervös an zu lachen. »Ich glaube das nicht... das ... ist doch Schwachsinn ...« »Halt die Schnauze, du Idiot!« Stalin war ganz blaß geworden und schrie ihn an. »Na macht schon!« Der Wachmann Martin nahm sein Handgelenk. Plötzlich wurden die Schutzgitter der drei Lüftungskanäle herausgebrochen, die Mündungen von Maschinenpistolen schoben sich aus der Dunkelheit hervor und spieen Feuerstöße. »Die Spritzen!« schrie Himmler durchdringend und ließ sich schwerfällig zu Boden fallen. Die Wachleute warfen sich vor die Führer. Doch die Kugeln beseitigten das unnötige Menschenmaterial schnell und exakt. Bald lagen blutüberströmte Leichen um die Führer herum, die sich zwischen den Kisten verschanzt hatten. Das Feuer wurde eingestellt. Aus den Lüftungskanälen sprangen einige Skorzeny-Getreue hervor. Stalin hob den Kopf. Zwei Spritzen lagen auf der Kiste, die dritte lag zerbrochen am Boden. Ein Stück weiter lag der sterbende Sisul; sein Gesicht war von Kugeln durchsiebt. Stalin kroch zu ihm hin. »Herr ...« flüsterte Sisul und richtete seinen Blick auf Stalin. Stalin legte ihm die Hand auf seine vom Tod gezeichnete, schweißnasse Stirn. »Herr ...«Sisul stieß den Atem aus und zuckte im Todeskampf.
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Stalin berührte seine zitternden Lippen mit dem Finger. »Herr Stalin, Sie sind frei!« erklang die Stimme von Skorzeny. »Wovon, du Schwätzer?« Stalin blickte sich suchend nach Chruščev um. Der Graf mit seinem von der Schlauchbinde abgeschnürten Arm blickte hinter einer von Kugeln durchsiebten Reiskiste hervor. Kleine Bäche von Reiskörnern rieselten leise aus den Löchern. Chruščev betrachtete gleichgültig die Leichen von Adžuba und den Ninjas. Himmler regte sich auf dem Boden und richtete sich halb auf. »Ihr Kretins, ihr habt die Spritzen zerschlagen!« »Das ist kein Problem!« Skorzeny schoß ihm zweimal in den Kopf. Himmler fing an zu brüllen und stürzte sich auf ihn. Skorzeny sprang behende zur Seite, und der halbtonnenschwere Fettwanst krachte in die Mauer aus Kisten. Die MP-Schützen drückten auf den Abzug und spickten den Fleischberg mit Blei. Der Reichsführer aber wollte nicht sterben - wutschnaubend zerschmetterte er die Kisten mit Nudeln und befreite sich dann mit Mühe daraus, um sich auf seine Mörder zu stürzen. Skorzeny kam gelaufen, hielt ihm die Mündung ans Ohr und schoß. Himmler hörte auf zu zappeln, drehte sich um und schaute Skorzeny ungläubig an. Der schoß noch einmal, noch einmal und dann noch einmal. »Scheißkerl!« stammelte der Reichsführer mit blutigen Lippen und brach über Skorzeny zusammen. Dieses Mal konnte Otto nicht ausweichen, der Fettwanst fiel auf ihn, dann ertönte das Knacken von Knochen und ein heiserer, erstickter Schrei.
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»Packt das zusammen, packt das sofort zusammen!« schrie Stalin und lief hektisch um die zerbrochene Spritze herum, »losif, für uns reicht das doch!« Chruščev erhob sich vom Boden. Skorzeny schrie immer noch. Einer der Offiziere schoß ihm in seine niedrige Stirn und richtete seine Maschinenpistole dann auf Stalin. »Sie müssen nach oben gehen, Herr Stalin.« »Das werde ich auch ohne Ihre Maschinenpistole tun.« Stalin hielt in jeder Hand eine Spritze und schaute sie unverwandt an. »Mon cher, bist du sicher, daß das für uns reicht?« »Die Dosierung macht keinen Unterschied. Ein Kubik oder eine Million, das ist ganz egal. Himmler ist übervorsichtig, wie alle Deutschen.« Stalin trat auf die zerbrochene Spritze. »Wieso sind wir nicht daraufgekommen, daß der himmelblaue Speck ein Präparat ist? Wieso wußten die Deutschen das?« »losif, quäl mich doch nicht so ...« Chruščev streifte die Schlauchbinde vom Arm. »Weswegen haben wir ihn hierher gebracht? Eine neue Waffe! Eine neue Waffe! Um mit dem Elektro-Rochen zu teilen? Er wird sich gleich bei den russischen Idioten bedanken!« »Quäl mich doch nicht so!!« schrie der Graf mit blutunterlaufenen Augen. Oben im Himmlischen Saal ging derweil das Essen weiter. Hinter dem riesigen Fenster wurde es bereits hell. Das Orchester spielte, die Dienstboten reichten das Dessert. Die Hunde nahmen sie mit hinaus. Göring und von Ribbentrop bemühten sich, die Gäste zu unterhalten. Doktor Morell
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störte sie dabei, indem er ihnen mit seinen unpassenden Monologen einen Schrecken einjagte. Nadežda saß auch mit am Tisch. Vesta war nicht da. Plötzlich kam Hitler herein und klatschte in die Hände. »Finito!« Das Orchester verstummte. »Fertig!« Hitler ging zum Tisch, überflog die Gäste mit einem Blick und brach in Gelächter aus. »Das war's dann! Hammel! Hammel! Hammel!« Göring und von Ribbentrop erhoben sich langsam von ihren Stühlen. »Hammel! Hammel! Hammel!« schrie Hitler. »Wo ist ein Hammel?« fragte Morell naiv. »Mein Führer ...«, von Ribbentrop erbebte. »Fertig!« Hitler fiel auf die Knie, schaute an die funkelnde Decke und bekreuzigte sich. »Großer Gott, es ist vollbracht!« Stalin und Chruščev kamen in Begleitung der Kämpfer des umgekommenen Skorzeny in den Saal. Der ältere Offizier trat auf den knienden Hitler zu und reichte ihm die beiden Spritzen mit der leuchtenden Flüssigkeit. »Es ist vollbracht«, flüsterte Hitler, nahm die Spritzen entgegen und drückte sie an sein Gesicht. Vesta kam herein. Sie hatte sich umgezogen, trug jetzt ein Abendkleid aus milchweißem Samt und hatte ein kurzes weißes Lederjäckchen über die Schultern gehängt. Ihr Haar war zum Zopf geflochten. Als sie ihren Vater vor den Mündungen der Maschinenpistolen sah, blieb sie stehen. »Es ist vollbracht«, flüsterte Hitler in der allgemeinen Stille. »Papa ... was soll das?« Vesta ging zu ihrem Vater.
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»Es ist alles in Ordnung«, sagte Stalin düster, ohne sie anzusehen. Ein unterdrücktes Stöhnen ertönte, und die Wache zerrte Bormann in den Saal. Er war im Unterhemd, in Handschellen, und sein Mund war zugeklebt. Als er seinen knienden Führer erblickte, stürzte er auf die Knie und kroch, unartikulierte Laute ausstoßend, auf ihn zu. Doch Hitler erhob sich leichtfüßig, heftete seinen Blick auf die Spritzen und ging langsam durch den Saal. »Blaues Blut... und keine neue Waffe.« »Adolf, du machst einen Fehler«, sagte Stalin. »Du Schwein«, zischte Göring und schaute den herumkriechenden, brüllenden Bormann haßerfüllt an. »Wurstfresser!« Chruščev kräuselte verächtlich die Lippen. »Nur Blut... nur neues Blut rettet die Welt...« flüsterte Hitler. Plötzlich zog Nadežda eine zitronenförmige Handgranate aus ihrem Täschchen, hantierte ungeschickt am Abzugsring mit dem Sicherungssplint und warf sie auf Hitler. Vesta kreischte. Die Wachleute drückten auf den Abzug ihrer Maschinenpistolen, und die Kugeln bohrten sich in Nadeždas Körper. Die Handgranate traf Hitler im Rücken, prallte ab und rollte über den Boden. Beim Knattern der Maschinenpistole drehte er sich unwillig um und sah, wie Nadežda zu Boden sackte. »Eine Handgranate!!« schrie Göring. Hitler drehte den Kopf und schaute sich suchend auf dem Boden um. Kaum blieben seine blauen Augen auf dem schwarzen, gerippten Korpus der Handgranate hängen, dröhnte eine Explosion. Granatsplitter durchsiebten Adolfs Körper, die Explosionswelle warf ihn zu Boden. Eine der Spritzen wurde zertrümmert, die andere blieb in der Hand des Führers.
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Stalin stieß einen Wachmann zurück und stürzte sich auf Hitler. Die SS-Maschinenpistolen drehten ihre Mündung in seine Richtung. Stalin nahm Anlauf, warf sich auf den polierten Marmorboden und schlitterte auf den sich im Todeskampf windenden Führer zu. Die Maschinenpistolen knatterten los. Doch die Kugeln flogen über Stalins Körper hinweg und zersplitterten den blauen Jaspis an den Wänden. Stalin stieß mit Hitler zusammen und entriß ihm die Spritze. »Wag es nicht!« Hitler versuchte krampfhaft, die Spritze festzuhalten. Stalin rammte sich die Spritze ins Auge. »Bloß nicht ins Gehirn!« krächzte der blutüberströmte Führer, mit Stalin kämpfend. Stalin packte ihn an den Händen, holte mit seinem Kopf aus, stützte den Griff des Spritzkolbens an Hitlers Stirn ab und preßte seinen Kopf darauf. Die Nadel drang durch den Augapfel und durchstach den Knochen der Augenhöhle. Der himmelblaue Speck strömte in Stalins Gehirn. »Du hast ja keine Ahnung ...« Hitler trat blutiger Schaum vor den Mund. »Du Kreml-Junkie ... du hast überhaupt keine Ahnung ...« Stalins Gehirn begann zu wachsen. Die Schädeldecke des Sowjetführers zersprang. »Das ... bin ich!« konnte Stalin noch sagen. Das Gehirn sprengte seinen Schädel, schwoll zu einem weißrosa Ball an, berührte die Wände und den Tisch. Der Tisch fuhr auf die hin- und herlaufenden Gäste zu und erdrückte sie, die Wand bekam Risse. Das Gehirn erhob sich bis zur Decke des Himmlischen Saales. Die Decke fing an zu krachen. Die Wachleute und die übrigen Gäste stürzten eilends aus dem
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Saal. Die Wand brach zusammen. Danach stürzte die Decke ein. Der Palast erbebte. Das Gehirn wuchs und zerstörte das Gebäude. Die gotischen Bögen splitterten, Marmor und Ziegel fielen herab und wirbelten eine Staubwolke auf. Die kupferne Schuppenhaut des Daches warf Wellen und zerbarst. Das Gehirn erhob sich über das Haus hinaus, die aufgehende Sonne glitzerte auf seinen prallen Windungen. Ein Krachen erschütterte den Palast, als er in einer Staubwolke zusammenbrach. Das Gehirn zerdrückte die staubigen Ruinen, breitete sich aus und erreichte den jahrhundertealten Nadelwald. Krachend knickten die Bäume ein und fielen um, der Schnee wurde aufgewirbelt und zusammengeballt. Das Gehirn zerquetschte Bormanns Haus, stieß Görings Villa in den Abgrund und zermalmte das Hotel »Zum Türken«* an den Felsen. Bald nahm Stalins Gehirn das ganze Plateau des Obersalzbergs ein. Seine rosavioletten Ränder hingen nach unten. Ein dumpfes Grollen ging über die Alpen. Lawinen stürzten zu Tal. Wie von Sinnen rasten Schafe und Menschen in den Abgrund. Vögel flogen aufgescheucht umher. Bergseen traten über die Ufer. Das Gehirn wuchs. Der Berg, der es trug, barst und brach zusammen. Das Gehirn stürzte in die Tiefe. Ein Erdbeben erschütterte die Alpen von Linz bis zum Bodensee. Eine Staubwolke erhob sich über den wankenden Gipfeln. Das Gehirn wuchs. Seine Windungen vibrierten, sie erhoben sich zum lapislazulifarbenen Berghimmel, sein kompakter Schatten glitt über die Erde und bedeckte Dörfer und Städte. Bald erreichte es München, und eine halbe Stunde später zermalmte Stalins Kleinhirn die verschlafene Stadt. Die Stirntäler fuhren gen Süden, schoben die * im Original deutsch
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Alpen von ihrem Platz und warfen sie in die Adria. Das graue Kleinhirn kroch beharrlich gen Norden und bedeckte das träumende Deutschland unter sich. Die rechte Hirnhälfte bewegte sich gen Westen und walzte über Frankreich hinweg, die linke ließ Osteuropa erbeben. Eine glänzende lila Kuppel erhob sich über der Welt. Gegen Mittag stieß sie an die Wolken. Gegen drei Uhr stieß die rechte Hirnhälfte das dem Wahnsinn verfallene Lissabon in den Atlantik und stürzte selbst hinterher, eine kilometerhohe Welle auslösend. Die linke Hälfte zermalmte Moskau und Sankt Petersburg, wälzte sich zielstrebig Richtung Ural, schleppte die Berge durch die westsibirische Tundra und befreite so die Erde vom ewigen Eis. Das Kleinhirn machte Skandinavien den Garaus und stürzte ins Eismeer, wo es jahrtausendealte Eismassen aufstörte. Am Abend des letzten Tages der Erde bedeckte Stalins Gehirn die Hälfte der Welt. Die andere Hälfte war unter Wasser verschwunden. Noch einmal vierundzwanzig Stunden später verließ die Erde unter der Last von Stalins Gehirn ihre Umlaufbahn und zog den Mond an. Doch nach 3.598 mal vierundzwanzig Stunden überschritt der Durchmesser des Gehirns denjenigen der Sonne bereits um das hundertzwölffache und saugte diese auf, nachdem es sie in 876.076 flüssige Teile zerlegt hatte. Die Planeten des früheren Sonnensystems wurden zu Satelliten des Gehirns und fielen dann daraufhinunter. Das Gehirn von losif Stalin saugte Sterne und Planeten auf und erfüllte so allmählich das ganze Universum. Nach 126.407.500 Jahren verwandelte sich das Gehirn in ein schwarzes Loch und begann zu schrumpfen. Nach noch einmal 34.564.007.330 Jahren war es bis auf das tatsächliche Maß des Gehirns von losif Stalin geschrumpft. Doch die Gehirnmasse des Sowjetführers über-
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stieg die Masse der Sonne um 345.000 mal. Da erinnerte Stalin sich an die Birne. Und er öffnete die Augen. Sein Zimmer, in dem außer einem einzigen Estikon-Tisch keine Möbel standen, wurde durch eine flexible Decke im Vorkriegsstil schwach beleuchtet. Die lebendgebärenden Tapeten an den Wänden bewegten sich träge. Stalin betrachtete seine Greisenhände mit den Altersflecken, streckte seine vertrocknete Rechte aus und nahm eine geschälte Birne aus einer gelben Schale. Auf den Schnittflächen glitzerte der Saft. Er hob sie an den Schnurrbart, öffnete den Mund und biß ein Stück ab. Die Birne war saftig und süß. Stalin kaute bedächtig und biß noch ein Stück ab. Gemächlich verzehrte er die Birne mitsamt den Kernen und ihrem rauhen, süßen Kerngehäuse und warf dann den Stiel in die Schale. Er fuhr sich mit der Hand über den Schnurrbart, zog den Aschenbecher aus Nephrit mit der Pfeife heran, kratzte mit einem silbernen Pfeifenreiniger die Asche aus dem Pfeifenkopf und klopfte ihn gemächlich über dem Aschenbecher aus. Eine neue Papirossa-Schachtel der Marke »Gercegovina Flor« lag rechts auf dem Tisch. Stalin griff danach, ritzte mit seinem gelben Fingernagel die Banderole auf, öffnete die Schachtel, zog eine Papirossa heraus, brach das Mundstück ab und stopfte die Hülse mit dem Tabak in den schwarzen Schlund der Pfeife. Er zog noch drei Papirossy aus der Schachtel und verfuhr mit ihnen genauso. Als die Pfeife voll war, stocherte Stalin mit dem silbernen Pfeifenreiniger darin herum, zog die Reste des Papirossa-Papiers heraus, drückte den Tabak mit dem gelben Finger seiner rechten Hand fest und steckte die Pfeife zwischen die Zähne.
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Lange Streichhölzer der Marke »Dalstroj« lagen neben ihm. Stalin rauchte die Pfeife an, paffte vor sich hin und richtete seinen Blick auf das Buch, das links von ihm lag. Auf dem grauen Kalikoeinband stand gedruckt: N. L PETRENKO DIE MECHANISCHE VERARBEITUNG VON HIMMELBLAUEM SPECK Stalin schlug das Buch auf, blätterte die Titelseite mit der Bemerkung »für internen Gebrauch« um, fand das Inhaltsverzeichnis, fuhr mit seinem gefleckten Finger darüber, blieb bei Kapitel IV stehen und unterstrich es mit dem Fingernagel. »So. Seite ... fünfundsechzig.« Er blätterte bis zur Seite fünfundsechzig, bog das Buch auseinander, daß es knackte, fuhr mit der Hand über den Falz und begann zu lesen. KAPITEL IV DIE WICHTIGSTEN ARTEN DER VERBINDUNG VON SPECKSTÜCKEN 1. Verschweißung Die Verschweißung ist die Verbindung von Stücken himmelblauen Specks zu gewebeartigen Speckschichten. Aus schmalen und breiten Speckstücken ergeben sich so Schichten in den notwendigen Abmessungen. Die Verschweißung kann mit unterschiedlichen Mitteln durchgeführt werden. Am häufigsten ist die Verschweißung schmaler Speckstücke zu einer glatten Fuge, zu einer Specklei-
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ste, zu einem Viertel, zu einer Nut oder einem Kamm - vierekkig oder dreieckig - und zum »Schwalbenschwanz« (Zeichn. 43). Die sich bei der Verbindung der Speckstücke ergebende Naht wird als Fuge bezeichnet. Die Breite der Speckschicht wird von Breite und Anzahl der Speckstücke bestimmt. Von großer Bedeutung ist die richtige Auswahl der Speckstücke im Hinblick auf den Verlauf der Fettfasern. Speckstükke, die zu einer glatten Fuge (Zeichn. 43a) geklebt werden sollen, müssen in der gesamten Länge glatte und gleichmäßige Kanten aufweisen. Um ein qualitativ hochwertiges Speckstück zu erhalten, müssen die Kanten mit einem Elektrofügehobel exakt rechtwinklig zur Achse gefugt werden. Wenn bei der Verbindung der Kanten nebeneinanderliegender Speckstücke keine Lücken bleiben, ist die Verfugung fachmännisch durchgeführt worden. Zu einer glatten Fuge verschweißen kann man ebenfalls mit eingelassenen Zapfen, die nach der Methode von I. Samochin aus himmelblauem Speck gefertigt werden (Zeichn. 48-51). Dabei darf der Durchmesser der Zapfen nicht mehr als die Hälfte der Stärke des Speckstücks betragen, und die Länge sollte 8-10mal diesem Durchmesser entsprechen. Die Zapfen sollten über eine Gewindeteilung von 10-15 mm verfügen. Bei der Verbindung zu einer Speckleiste (Zeichn. 43b) werden entlang der Kanten der Speckstücke Nuten ausgefräst; in diese Nuten werden Leisten eingelassen, die wiederum die Speckstücke untereinander verbinden. Nutbreite und Leistendicke müssen 1/3 der Dicke des Speckstücks betragen. Bei der Verschweißung zu einem Viertel werden bei den zu
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verbindenden Speckstücken in ganzer Länge die Kanten des Viertels gefräst (Zeichn. 43c). Tiefe und Breite des Viertels betragen üblicherweise die Hälfte der Dicke des Speckstücks. Die Verschweißung zu Nut und Kamm wird durch Bördelung der gesamten Kantenlänge der Speckstücke für die Nut einerseits und für den Kamm andererseits erzielt. Die Verbindung zu Nut und Kamm kann in einem viereckigen Kamm (Zeichn. 43d) oder in einem dreieckigen Kamm (Zeichn. 43e) realisiert werden - letzteres seltener, weil der dreieckige Kamm eine geringere Dichte hat, was zum Bruch der Speckschichten führen kann. Die Verschweißung zum »Schwalbenschwanz« wird bei der Herstellung von ... »Na, was ist denn jetzt, rips lao wei?« erklang eine laute junge Stimme. »Soll ich hier noch lange warten?!« »Es ist ...« Stalin zuckte zusammen, zog hastig die Pfeife aus dem Mund und erhob sich von seinem Stuhl. »Es ist alles bereit, Herr F. Ich habe alles gefunden ...« »Worauf wartest du dann noch, du sha gua? Komm schon her!« »Zu Befehl.« Stalin legte seine angerauchte Pfeife in den Aschenbecher, nahm das Buch, legte den Finger zwischen die entsprechenden Seiten und trippelte mit quietschenden Stiefeln zur Wassertür. Vor der Tür blieb er stehen und sagte: »Spiegel.« Ein Spiegel erschien. Stalin betrachtete sich argwöhnisch und sah einen gelbgesichtigen Greis mit einem spärlichen rötlichen Schnurrbart, einer schlaffen Nase, einer niedrigen fleckigen Stirn, farblosen Au-
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gen und grauem, zurückgekämmten Haar. Er strich die Taschenklappe an seiner weißen Uniformjacke glatt, räusperte sich und trat durch die Tür. Glucksend ließ sie ihn passieren, und er betrat ein großes, grelloranges Zimmer. Auf einem riesigen Podium befand sich ein nackter, unwahrscheinlich magerer junger Mann in halbliegender Position, der in den wogenden Härchen lebendgebärender Wolle versank. Seine unnatürlich weiße Haut war von einer beweglichen Tätowierung bedeckt: neunundsechzig blauschwarze Delphine erschienen und verschwanden unablässig auf Brust und Armen. Eine raffiniert geformte Marmolon-Lamelle umspannte den nackten Schädel des jungen Mannes und verschmolz unmerklich mit seiner Haut. Seine weißen Augen schauten auf eine schwebende rote Pyramide - der Stabilisator der M-Balance. Der Jüngling kaute gedörrte Heuschrecken und schlürfte Bier aus einem schlanken Glas. Auf dem Boden lag eine aus schmalen Speckstücken zusammengefügte Schicht himmelblauen Specks auf einer Stahlplatte. »Gestatten Sie, Herr F.?« sagte Stalin mit seiner tonlosen Stimme. »Hast du denn völlig den W-2 verloren, du alter xiao tou?« fragte der Jüngling mit hoher Stimme und entblößte seine fliederfarbenen Zähne. »Ich habe alles gefunden, Herr F.« Stalin schlug das Buch auf. »Hier, im Kapitel Nummer vier steht geschrieben: Die Verschweißung zu einem viereckigen Kamm ist weit zuverlässiger als die Verschweißung zu einem dreieckigen Kamm.« »Und was ist das da?« Der Jüngling wies mit den Augen auf den himmelblauen Speck.
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»Das ist eben zu einem viereckigen Kamm verschweißter Speck, Herr F.« »Und ist der deiner Meinung nach - zuverlässig?« »Vollkommen, Herr F.« »Bist du sicher, rips ni ma de?« »Ich bin absolut sicher, Herr F.« Der Jüngling warf eine Heuschrecke nach Stalin. »Und wenn es an den Nähten aufgeht, wie bei Cindy Novikoff ?« »Bei ihr war die Verschweißung glattgefugt, Herr F. Deswegen ist es auch aufgegangen.« »Und wenn wir einen ›Schwalbenschwanz‹ machen?« Der Jüngling kraulte sein mit Glasperlen besticktes Glied. Stalin drückte das Buch an die Brust. »Herr F. So begreifen Sie doch. Die Verschweißung von Speckstücken zum ›Schwalbenschwanz‹ wird nur bei...« Ein Signal verkündete die Ankunft einer Brieftaube. »Von wem ist das denn wohl, rips xiao bian?« Der Jüngling stellte sein Glas ab. »Ich geh es gleich holen.« Stalin ging hinaus, legte das Buch auf seinen Tisch und kletterte über die Wendeltreppe mühsam aufs Dach. Dort war es feucht und muffig, der Märzwind jagte die Wolken über den Himmel, tief unten versank Moskau in der Dämmerung. Eine Klon-Taube von der Größe einer Gans saß in dem stählernen Käfig und zuckte rhythmisch mit ihrer grauen, überentwickelten Brust. Die knotigen Pfoten mit den grausamen Krallen waren fest in den Käfig gekrallt. Stalin zog eine Elektrode aus dem Hohlraum und ging zum Käfig. Die Taube
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blickte ihn mit ihren großen, schwarz-gelben Augen schräg von der Seite an, öffnete den Schnabel und fing an zu zischen. Stalin berührte den Postboten mit der Elektrode. Die Taube zuckte zusammen und fing an, in leichter Agonie um sich zu schlagen. Stalin öffnete den Käfig, zog ein elektrisches Messer aus einem Hohlraum und schlitzte die Taube gekonnt in zwei Hälften. Die abgenutzten Flügel des Vogels zitterten leicht. Stalin nahm eine silbrige Kapsel aus dem Magen des Postboten, wischte mit einem Lappen das Blut ab und steckte sie in die Tasche seiner Uniformjacke. Dann trat er auf ein Pedal, und die beiden Hälften der Klon-Taube fielen in den Müllschlucker. Stalin kletterte wieder nach unten und hielt dem Jüngling die Kapsel hin. »Bitte sehr, Herr F.« Der Jüngling nahm die Kapsel und öffnete sie. Darin befand sich ein Streifen zusammengerollten Reispapiers, mit kleiner Handschrift beschrieben. Der Jüngling fing an, laut vorzulesen: 2. Januar 2068 Grüß Dich, mon petit. Mein schwerer Junge, mein zärtlicher Schuft, mein göttlicher, gräßlicher Top-Direkt. Mich an Dich zu erinnern, ist eine höllische Sache, rips lao wai, das ist schwer in der konkreten Bedeutung dieses Wortes. Und es ist gefährlich: für die Träume, für die L-Harmonie, für das Protoplasma, für das skand chi, für meinen W-2. Bereits als ich in Sydney in den traffic stieg, begann ich, mich zu erinnern. Deine Rippen, die durch die Haut leuchten, Dein
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»Mönch«-Muttermal, Dein geschmackloses tattoo-pro, Deine grauen Haare, Deine geheimen jing ji, Dein dreckiges Flüstern: küß mich auf die STERNE. Der Jüngling gähnte und warf den Brief auf den Boden. »Dieser Gloger ist doch ben dan, oder?« Stalin zuckte vorsichtig mit seinen krummen Schultern. »Er ist nicht besonders schlau.« Der Jüngling nahm einen Schluck Bier. »Ein tattoo-pro trage ich schon ein halbes Jahr nicht mehr, von grauen Haaren keine Spur, rips ren shen. Und die STERNE küssen konnte der klebrige Boris noch nie. Eins konnte er Beziehungen verrotzen. Und du weißt, daß ich das nicht ertragen kann, xiao zhu.« Er stand auf. »Heißt das, du bist sicher, daß ein viereckiger Kamm kein Reinfall ist?« »Absolut sicher, Herr F.« Der Jüngling reckte seinen schlanken Körper, knackte mit den Fingern und rief kreischend aus: »Spie-gel!« Drei Spiegel schwammen um ihn herum. »Leg es mir um«, befahl er Stalin. Stalin nahm vorsichtig das himmelblaue Speckgewebe von der Stahlplatte und legte es um die knochigen Schultern des Jünglings. Der aus vierhundertsechzehn Speckstücken zusammengesetzte, blauschillernde Umhang reichte dem Jüngling bis zum Gürtel. Stalin hakte das Schloß des Molybdän-Halsbandes zu. Der Jüngling rückte es zurecht, stemmte die Hände in die Hüften und blickte unverwandt in die schwimmenden Spiegel.
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»Wenn ich beim Osterball das Nashorn anmale, dann kommst du zu meinem Onkel als Navigator.« »Alles wird gut«, sagte Stalin gedehnt und lächelte. Der Jüngling drehte sich, sein Umhang rauschte schwer. »Nun? Sehe ich Fei Ta ähnlich?« fragte er sein Spiegelbild. »Wie ein Ei dem anderen«, erwiderte Stalin und betrachtete ihn mit gut verhohlenem Haß.
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GLOSSAR 1. Chinesische Wörter und Ausdrücke ba bai chi bao fa bei bi de bei can de ben dan beng kui bu fu ze xian xiang cai yuan chang tai de chou de chun ren da bian da hui dan huang fa feng ci hua gang men gao wan gou fen hang kong mu jian Hei Long Jiang hu shuo ba dao huai dan jing ji jiu jing nin shenme
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Egge Idiot Ausbruch, Anwandlung, auch: Windstoß widerlich, gemein, niederträchtig Traurigkeit hervorrufend borniert, stumpfsinnig Katastrophe Verantwortungslosigkeit, verantwortungslos Gemüsegarten normal, alles in Ordnung stinkend, übelriechend Dummkopf, Einfaltspinsel scheißen Abfahrt; Strecke, die man hinunterfährt Eigelb (Spitzname für einen Russen mit prochinesischer Haltung Haare Karikatur After Eier (beim Mann) zu sehr, zu viel Flugzeugträger Fluß des Schwarzen Drachen, oder auch: Bezeichnung der nördlichen Provinz an der russisch-chinesischen Grenze Blödsinn Schurke Spiel Wann werdet ihr / werden Sie fertig
shi hou neng zhun bei hao ni? jiu wo kan lai ke bi de ke chi de kuai huo ren lao bai xing lao wai hang lian pai ling ren man yi de mei guo mo shu jia ni ma de
niao nin hao pin fa de ping an de qu nian xing qi ri xia yu shi ren shen sha gua shan shui hua shao nian shi qi si liao tan chua tu ding wang 436
sein? wie mir scheint verachtet, verachtenswert, verächtlich schändlich, beschämend Spaßvogel, lustiger Mensch Mensch aus dem einfachen Volk, aus der Unterschicht Fremdling, Außenseiter, auch: Ausländer doppelzüngiger Mensch, Mensch mit zwei Gesichtern zufriedenstellend wunderbares Land, auch: USA Zauberkünstler, Taschenspieler Fluchwort, dessen Sinn kontextabhängig ist: z. B. grober Fluch (etwa »verdammte Scheiße«) oder Ausdruck der Verwunderung (etwa »nicht zu fassen«) oder auch Anerkennung (etwa »alle Achtung«) Urin grüß dich, hallo, guten Tag ärmlich, kärglich, spärlich wohlbehalten, günstig, glücklich im letztjährigen Sonntagsregen chinesische Heilpflanze (Ginseng) Idiot Landschaft Typ eine bestimmte Zeitspanne, Frist Viehfutter Gespräch Glatze vornehmer Mensch, Adliger, König
wang wei wen jian jia wo ai ni xiao bian xiao ehe xiao shi xiao tou xiao zhu yang dian feng yu wan xing wei yue shi zhen jie de gu niang zhi chang zhong shi zhuan men jia zi ding xiang hua zuan kong qi zuo de hen ya guan de
Thron, auch: Altartisch Mappe (für Papiere und Dokumente) ich liebe dich pissen Lore Bagatelle, Lappalie kleiner Dieb, Langfinger Ferkel Epilepsie idiotische Handlung, idiotisches Benehmen Mondfinsternis unschuldiges Mädchen Mastdarm Treue, Ergebenheit Spezialist Flieder Bohrer geschmackvoll gemacht
2. Andere Wörter und Ausdrücke ADAR AEROSEX STAROSEX ESSENSEX 3 plus Karolina bad kan ba-sam-Öl Beziehungen verrotzen BOBO
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Anhänger der bioenergetischen Unabhängigkeit Kolcovs vier Spielarten des Multisex
tibetischer Name einer Krankheit Bezeichnung eines Öls aus dem Chzhud Shi in einen herzlichen Kontakt treten sexuelle Besonderheiten
BORBO-LIDE BORO-IN-OUT Chzhud Shi das Euter pressen da-bjed-Eidechse ein Nashorn anmalen END-SUNf A ERRaten Farce feuchte Beziehungen breien GERO-KUNST glang-tchabs Gusanos ins LOB ziehen, das LOB fragen KLOP L-Harmonie LAChen LM M-Balance Mannovanno Obo-robo PSY-GRO Radis-Romantiker
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biomechanische Stabilität Geschlechtsakt ohne Relaxator im STAROSEX altes Traktat über tibetische Medizin ein L-disharmonisches Gespräch aufrechterhalten Bezeichnung einer tibetischen Eidechse aus dem Chzhud Shi einen Fehler machen, einen Bock schießen, einen Mißgriff tun psychosomatisches Vakuum plus-posite Felder des violetten Spektrums sehen erzwungene L-Anstrengung Genitalkontakt haben zeitgenössische Kunstrichtung, die Vibropräparate mit reaktiver Wirkung verwendet tibetischer Name einer Krankheit lokales Auflegen der Plus-Felder einen Akt der Dis-Frage begehen, der die M-Balance zerstören kann Verbraucher der Rest-Bioenergien Gleichgewicht der Schneider-Felder bei Organismen und Stoffen den weinroten und den gelben Plus-Feldern erlauben, zu interferieren Judd-Psychoproteismus-Indikator psychische Stabilität Gefäßverengung im Hirn ständige Gefahr einer Zerstörung der M-Balance Paranoia Anhänger der Anfang der 4oer Jahre populären Philosophie vom Flüssigen Körper des bolivianischen Philosophen und PSY-Movers Antoine Radis
Rapid rims rips
rmen-bu samadchi Lta-na-dug ser-po skand chi skran SOLid Stolz-6 T-Vibrationen Felder vonTomaševič trace-tip-tirip trockene Beziehungen breien W-2 W-Ambitionen
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Mensch mit Veranlagung zum Multisex tibetischer Name einer Krankheit internationales Schimpfwort, das nach der Atomkatastrophe von Oklahoma im Jahre 2028 in der Umgangssprache der Euroasiaten aufgetaucht ist. Es wurde vom Familiennamen des USMarineinfanterie-Sergeanten Jonathan Rips abgeleitet, der freiwillig in der radioaktiv verseuchten Zone verblieb und im Verlauf von fünfundzwanzig Tagen eine detaillierte Radioreportage über den Zustand seines verstrahlten, sterbenden Körpers lieferte tibetischer Name einer Krankheit tibetisches medizinisches Ritual tibetischer Name einer Krankheit Wohlbefinden tibetischer Name einer Krankheit zu Veränderung neigend erbliche LM-Stabilität fortschreitende Vibrationen der roten Plusglückliches Zusammentreffen von Umständen Analkontakt haben Weide-Indikator für Weiblichkeit Fähigkeit zur Überwindung des END -SUNJA
Nachweis der Zitate 1. Die Übersetzungen der Motti auf Seite 5 wurden folgenden Ausgaben entnommen: Franz RABELAIS: Gargantua und Pantagruel. Aus d. Franz, verdeutscht durch Gottlob Regis. Neu bearb. u. hrsg. v. Ulrich Rauscher. Josef Singer Verlag, Leipzig 1923 Friedrich NIETZSCHE: Der Fall Wagner, Götzendämmerung, u. a. Hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988 (Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden; Bd. 6) 2. Die Übersetzungen der Zitate aus der Oper »Eugen Onegin« auf Seite 223 und 225 wurden folgender Ausgabe entnommen: Peter TSCHAIKOWSKY: Eugen Onegin. Lyrische Szenen in drei Aufzügen (7 Bildern). Text nach Alexander Puschkins gleichnamiger Dichtung. Aus d. Russ, übertr. von August Bernhard. Hrsg. v. Wilhelm Zentner. Verlag Philipp Reclam Jun., Stuttgart 1997 (Reclams Universalbibliothek 8497) 3. Die Übersetzung des Zitats aus dem Poem »Vladimir Ilič Lenin« von Vladimir Majakovskij auf Seite 294 wurde folgender Ausgabe entnommen: Wladimir MAJAKOWSKI: Werke. Poeme. Band II. 2. Hrsg. von Leonhard Kossuth. Deutsche Nachdichtung von Hugo Huppert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1980 (Wladimir Majakowski. Werkausgabe edition suhrkamp; Vierter Band) 4. Der Auszug aus dem Avesta auf S. 228 wird zitiert nach: AVESTA - ZOROASTRIAN ARCHIVES. Yasna (Sacred Liturgy and Gathas / Hymns of Zarathustra) Part 2 (Ha 9-11), Chapter 9,5 (http://www.avesta.org/yasna/y9ton.htm)
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