Band 32
Der Intrigant von Arkon von Rainer Castor
MOEWIG
Alle Rechte vorbehalten © by Pabel-Moewig-Verlag KG, Rasta...
37 downloads
822 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Band 32
Der Intrigant von Arkon von Rainer Castor
MOEWIG
Alle Rechte vorbehalten © by Pabel-Moewig-Verlag KG, Rastatt www.perry-rhodan.net Bearbeitung: Rainer Castor Redaktion: Sabine Kropp Titelillustration: Arndt Drechsler Vertrieb: edel entertainment GmbH, Hamburg Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany 2008 ISBN: 978-3-8118-4110-9
Prolog Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi, SonthraxBonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ) Nachdem Atlan das frustrierende Amt des Arkon-Imperators am 31. Dezember 2114 an den Nagel gehängt hatte, war es für jeden Kenner der Umstände nur logisch – schrieb schon Meeca Netreok im Jahr 2391 sinngemäß in den »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« –, dass bald innerhalb der am 1. Juli 2115 gegründeten USO das Historische Korps ins Leben gerufen wurde. Mehr als zehn Jahrtausende persönlicher historischer Erfahrungen Atlans und die Begeisterung der Helfer und Spezialisten von Quinto-Center schufen ein riesiges Archiv und einzigartige Software, die selbstständig aus Zahlen und Zeugnissen lebendige Geschichtsinterpretation erstellte. Es war ein offenes Geheimnis, dass sich Mitarbeiter aller Fachgebiete mit kindlicher Freizeit-Freude diesem Projekt widmeten. Im Bestreben, möglichst lange Zeiträume vor allem der terranischen Zivilisation zweifelsfrei zu dokumentieren, war der Lordadmiral der USO häufig bis zur Schmerzgrenze kooperativ. Seit Atlans erstem Bericht über Atlantis an Bord der DRUSUS wurde insbesondere vom Historischen Korps eine große Zahl weiterer solcher spontanen Erzählungen aufgezeichnet. Angepasst an den jeweiligen Zuhörerkreis und die Situation, die den Erinnerungsschub hervorrief, unterscheiden sich jedoch selbst Berichte zum gleichen Thema mitunter deutlich voneinander – sei es, weil Atlan auf die Erwähnung durchaus vorhandener Querverweise verzichtete, sei es, weil die schon an anderer Stelle angesprochenen »Blockierungen« wirksam wurden. Zwangsläufig mussten diese Dokumentationen deshalb unvollständig und zeitlich schwer einzuordnen bleiben, sodass sie bestenfalls nur Mosaiksteinchen
eines sehr viel größeren, komplexeren Bildes waren. Neben diesen Einzelberichten existieren mehrere Sammlungen, die zum Teil als zusammenhängende Berichtfolge entstanden. Bei einer handelt es sich beispielsweise um die Speicherkopie des 2048 von Atlans Lehrmeister Fartuloon erstellten OMIRGOS-Kristalls. Er befreite Atlan vom Druck der Erinnerungen, genau wie er es kurz vor seinem rätselhaften Verschwinden in Atlans Jugend tat, um ihn »Dinge vergessen oder in einem anderen Licht sehen zu lassen«. Eine zweite Sammlung, die in erster Linie auf die Jugendzeit des Arkoniden einging, entstand ab März 2844 und floss 2845 in Auszügen in die »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« von Sean Neil Feyk ein; die dritte schließlich auf Gäa in der ProvconFaust, veröffentlicht im Rahmen der ANNALEN DER MENSCHHEIT in den Jahren ab 3562 sowie in der von Professor Dr. Dr. Cyr Abaelard Aescunnar erstellten und 3565 herausgegebenen, in vielen Bereichen dennoch lückenhaften »Biografie Atlans«. Aescunnar zitierte hierin Atlans Aussage, die er zu Beginn des kleinen Festes anlässlich des Endes der vor allem die LarsafVerbannungszeit betreffenden Berichte äußerte: »Zu Ihren, unseren, zu den ANNALEN DER MENSCHHEIT, Professor: Ich habe bis zum heutigen Tag, dem neunten März (3562), seit ich in der Katharsis nicht einmal selbst verstand, was ich redete, nicht bewusst die Unwahrheit gesagt. Aber: Fartuloons OMIRGOS-Kristall, die Befürchtung von ES, erkannt zu werden, unterschiedliche Zeitrechnungen nebeneinander, manipulierte Erinnerungen und Ähnlichkeiten und jene eigentümliche Parallelwelt, in der ich und Rico bis fast zur letzten Sekunde gefangen waren – ich weiß bis heute nicht, ob dies dem Wirken von Anti-ES entstammte –, mitunter werden auch Sie auf dem Voiceprinter und trotz der Überprüfung durch Ihre Sechstsemesterstudenten offensichtliche Fehler entdecken. Sorry. Ich konnte es nicht besser.« Fest steht, dass der alte Arkonide über ein immenses Wissen verfügt und es viele Abschnitte seines Lebens gibt, auf die er mit
deutlich größerer Zurückhaltung einging als auf andere. Neben den von ihm selbst genannten Gründen muss davon ausgegangen werden, dass er zu manchen seiner Erlebnisse schlicht und einfach nichts berichten wollte und sich teilweise sogar per »Notlüge« herausredete. Gesichert ist, dass ihn beispielsweise die Langeweile beim Rückflug von der Großen Leere der Jahre 1221 und 1222 NGZ veranlasste, mehr oder weniger intensiv an seinen »Memoiren« zu arbeiten. Leider verhinderten die Ereignisse nach der Rückkehr der BASIS zur Milchstraße, dass diese wunderbar erzählten Berichte einem breiten Publikum zugänglich wurden, denn nur wenige Kopien kamen in Umlauf. Inzwischen gibt es allerdings einige »Updates«, die in bewährter Weise in die »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« eingeflossen sind: Beim langen Flug der SOL war es nicht ausgeblieben, dass Atlan in den eher unspektakulären Flugphasen mehr als eine Frage zu seinem durchaus bewegten Leben beantwortet und sich zwischendurch mal wieder etwas mit den »klaffenden Lücken« seiner Memoiren beschäftigt hatte, während sich andere Mitglieder der Crew mit allen möglichen Formen der Aus-, Fort- und Weiterbildung, Training und diversen Hobbys beschäftigt hatten. Zeit genug gab es – immerhin endete der am 31. August 1290 NGZ begonnene Flug nach Chearth im Anschluss an sein Traversan-Abenteuer (das »etwas länger« als ursprünglich geplant beansprucht hatte …), letztlich ja erst mit der Rückkehr der SOL zur Erde am 24. Juni 1325 NGZ. In vielerlei Hinsicht handelte es sich ebenfalls um eine Katharsis, vergleichbar jener nach Atlans Unfall auf Karthago II im Jahr 3561, als er, mit dem Tod ringend, tief in seinen Erinnerungen versunken war und durch die Berichte den Heilungsprozess unterstützt hatte. Neben vielen anderen Dingen hatten bei diesem bislang letzten großen Erinnerungsschub Atlans vor allem die am 14. März 1225 NGZ auf ihn übertragenen Lebenserinnerungen von Tamaron Nevus Mercova-Ban eine Rolle gespielt – immerhin 92 Lebensjahre, deren wirkliche Verarbeitung lange Zeit nicht stattgefunden hatte,
weil die Gegenwart stets Atlans Aufmerksamkeit mehr beanspruchte. Somit blieben nur Verdrängung und Unterdrückung. Erst die langen Jahre der SOL-Rückreise vom Ersten Thoregon zur Erde hatten ihm Gelegenheit zur »Aufbereitung« gegeben, nicht nur was Nevus Mercova-Bans Erinnerungen, sondern auch viele, viele andere Erlebnisse betraf …
Kraumon: 32. Prago des Dryhan, 10.499 da Ark Ischtar hatte sich keinen Augenblick von Chapat getrennt. Sie hielt das Kind im Arm und strich ihm mehrmals beruhigend über die Stirn. Mir fiel auf, dass die Schläfenadern unnatürlich aufgequollen aussahen und stark pulsierten. Starke Anspannung, behauptete der Extrasinn. Seine Kräfte und Fähigkeiten wachsen immer schneller. Ich ging davon aus, dass Chapat permanent mit seiner Mutter in Verbindung stand. Wie sehr er sie beeinflusste, wusste ich nicht, vermutete es aber. Ischtar stand vor der Bodenrampe des Ultraleichtkreuzers DIRRET, den wir für sie ausgerüstet hatten. Die freiwillige Besatzung, zu der auch der Con-Treh Bel Etir Baj gehörte, hatte von mir den Auftrag erhalten, alles für Ischtar zu tun und sie überall hinzubringen, wohin sie wollte. Ich ging davon aus, dass Ark’alor das erste Ziel sein sollte, denn dort befand sich das Beiboot der MONDSCHATTEN. Kommandant Gresta Hankort war zwar noch nicht lange auf Kraumon, aber er war ein hervorragender Kommandant. Morvoner bürgte für ihn, das sagte mir genug. »Weshalb willst du Kraumon verlassen?«, fragte ich. Ischtar seufzte. »Von Wollen kann keine Rede sein, Atlan. Ich muss mit Chapat ins All starten. Unser Sohn hat eine Entwicklungsstufe erreicht, die besondere Maßnahmen erfordert. Ich muss ihn zu einer Welt bringen, auf der er unter
angebrachten Bedingungen aufwachsen kann.« Viel schlauer war ich nach dieser Aussage nicht. Weshalb sollte Kraumon keine geeignete Welt sein? Uns stand jeder technische und medizinische Komfort zur Verfügung, den das Große Imperium zu bieten hatte. »Warum nicht Kraumon?«, begann ich ohne viel Hoffnung, Ischtar doch noch umstimmen zu können. »Was meinst du mit angebrachten Bedingungen, unter denen Chapat aufwachsen muss?« »Ich könnte dir jetzt einiges über varganische Entwicklungsprozesse verraten, Atlan, die bei Chapat durch sein Mischgenom noch verstärkt werden. Aber du würdest doch nur nach einer Möglichkeit suchen, mich in deiner Nähe zu behalten. Genau das aber ist unmöglich. Wir müssen uns wegen Chapat trennen.« Ich fasste ihre Schulter und zog sie an mich. Nur der Kleine befand sich trennend zwischen uns, von Ischtars Arm an die Brust gepresst. Ich lächelte bitter – die Varganin wusste es sofort zu deuten. »Ja, Atlan. Unser Sohn steht zwischen uns, im wahrsten Sinn des Wortes.« Lautlos war Fartuloon hinzugetreten; jetzt legte er schwer die Hand auf meine Schulter. »Quäl dich nicht unnötig. Ischtar ist fest entschlossen und hat ihre berechtigten Gründe. Mach es euch nicht schwerer, als es ohnehin ist.« Ich nickte schwermütig, sah Ischtar in die Augen. »Leb wohl! Pass auf Chapat auf. Gibt ein Lebenszeichen, sobald die Zeit reif ist; ich werde zu dir kommen.« »Das weiß ich, Atlan. Eines Tages werden wir uns wiedersehen.« Sie drehte sich abrupt um und eilte die Rampe hinauf. Ohne sich noch einmal umzusehen, verschwand sie mit Chapat in der Schleuse. Kommandant Hankort grüßte, die letzten Besatzungsmitglieder gingen an Bord. In Gedanken versunken
nahm ich im Gleiter Platz, der, von Fartuloon gesteuert, zum Raumhafenrand schwebte. Ich dachte an Ischtar, die Goldene Göttin, unsterbliche Varganin. Der Bauchaufschneider hielt an, ich drehte mich um. In diesem Augenblick hob das Sechzigmeterschiff mithilfe seiner Antigravprojektoren ab und stieg langsam auf. Kurze Stöße der Impulstriebwerke folgten, die DIRRET wurde schneller, raste dem wolkenverhangenen Himmel entgegen. Nieselregen setzte ein, während die Impulstriebwerke losdonnerten. Das Brausen der verdrängten Luftmassen rauschte und pfiff über das Landefeld, ein dumpfes Grollen erschütterte alle Zwerchfelle. In einiger Distanz entdeckte ich eine einsame Gestalt. Auch Ra hatte den Abflug Ischtars beobachtet. Er stand reglos da, hatte den Kopf in den Nacken gelegt, während die Arme schlaff herabhingen. Der zum leuchtenden Stern gewordene Raumer war längst verschwunden, doch der Barbar starrte weiterhin nach oben. Genauso hatte er vermutlich auf seiner Heimatwelt dem Oktaeder nachgesehen. Damals, als Ischtar den Planeten der steinzeitlichen Jäger besucht hatte und Ra erstmals begegnet war. Der erste Bericht des Barbaren stand mir vor Augen, genau wie meine erste Begegnung mit der Varganin. Wie Ra war ich vom ersten Augenblick an fasziniert gewesen. Er liebte sie mit dem Ungestüm des Barbaren, während zwischen mir und ihr eine Art Seelenverwandtschaft bestand – und mich hatte sie als Vater ihres Sohn ausgewählt. Plötzlich zuckte ich zusammen, weil ein stechender Schmerz durch mein Inneres fuhr. Chapat!, signalisierte der Extrasinn. Er verabschiedet sich auf seine Weise. Etwas wie ein höhnisches Gelächter hallte durch mein Bewusstsein; Chapat hatte mich angepeilt und strahlte seine telepathischen Impulse mit schmerzhafter Intensität direkt in meine Gedanken. Niemand außer mir hörte es, Fartuloon interpretierte meine Erstarrung als Trennungsschmerz. Ich
wusste es besser, fühlte den Ansatz von Verständnis durch mein Gehirn kriechen. Ja, es war besser, dass Chapat Kraumon verlassen hatte; wäre er geblieben, hätte er für uns alle zur Gefahr werden können, dessen war ich mir plötzlich sicher. Irgendwann verstummten die Impulse, machten Totenstille Platz. Ich sah mich um – niemand war mehr in der Nähe. Die Freunde wussten, dass ich jetzt allein sein wollte.
Aus: Biografie Atlans – Anhang: Fragmente, Anmerkungen, Marginalien (in vielen Bereichen noch lückenhaft); Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar; Gäa, ProvconFaust, 3565 n.Chr. … kehrte die DIRRET knapp einen Monat nach dem Aufbruch wieder nach Kraumon zurück. Wie von mir vermutet, war in der Tat Ark’alor das Ziel gewesen. Der Raumer hatte nicht einmal zu landen brauchen – während Bel Etir Baj mit einem Beiboot seine Heimatwelt anflog, reichte Ischtar ein kurzes, kodiertes Hypersignal, um die komplette Kontrolle über das Oktaederbeiboot zu gewinnen und den ferngesteuerten Start einzuleiten, den die Con-Treh nicht aufhalten konnten. Im All erfolgte dann das Rendezvousmanöver; die Varganin wechselte mit Chapat über, verabschiedete sich und war kurz darauf verschwunden. Fast 10.900 Jahre sollten vergehen, bis ich erneut von ihr und vor allem von Chapat hörte – aber das ist eine ganz andere Geschichte …
Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi. In: Neues Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, hier: Die Traummaschine und Atlans Sohn Chapat (A-KM-163-74, A-HGF-165-74, A-HKn-167-74 und HGE-173-75), SonthraxBonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit
(NGZ) … erhielt Lordadmiral Atlan Anfang Oktober 2843 einen Bericht der USO-Spezialistin Nally Motcher, die auf dem Planeten Gostack im 10.262 Lichtjahre von Quinto-Center entfernten Kellehrt-System eingesetzt war und – ohne Kenntnis ihrer wahren Identität – als attraktive Haushälterin und Lebensgefährtin mit dem USOSpezialisten Fehrndor Globus zusammenlebte, der seit dreizehn Monaten heimlich eine Relaisstation des USO-Hyperfunknetzes betreute. Um seine USO-Tätigkeit zu tarnen, betrieb Globus in der Ebene von Oopla einen kleinen kommerziellen Radio- und Hyperkomsender. Die nicht unter Verwaltung des Solaren Imperiums stehende Paradieswelt wurde von der Solaren Abwehr (SolAb) als »Sanatorium für Revolutionäre« bezeichnet, weil sich hier junge Terraner, Arkoniden, Báalols und Akonen einfanden, die mit den politischen oder sozialen Gegebenheiten ihrer Heimat unzufrieden waren. Da die meisten dieser »Systemveränderer« nach einigen Jahren wieder abreisten, lag die Bevölkerungszahl seit dreißig Jahren konstant bei rund drei Millionen. Neben der Bewachung des Hypersenders hatte Globus dafür zu sorgen, dass das von den Unzufriedenen, Systemflüchtlingen und Weltverbesserern etablierte sensible Gleichgewicht erhalten blieb. Als Nally Motcher Mitte September 2843 einen VHF-Funkspruch empfing (»Gold an Silber. Das Huhn hat ein Ei gelegt. Achtunddreißig-achtzehn Nord, eins-zwo-neun-zweiundachtzig West. Eierbecher können anrollen.«), war Globus alarmiert, weil der bezeichnete Ort in der Nähe des ausgehöhlten Berges lag, in dem der USO-Sender versteckt war. Er konnte dort jedoch nichts Verdächtiges entdecken. Bei seiner Rückkehr überraschte er den wohlhabenden Sinker Wallaby, der mit fünf Helfern Nally Motcher entführen wollte. Da Wallaby in seinem Zorn von einem Huhn sprach, das goldene Eier legt, folgerte Globus, dass er mit dem Funkspruch in Zusammenhang stehen müsse. Er ermittelte, dass der Spruch von Gostacker gekommen war, dem fast planetengroßen
Mond Gostacks mit einer Schwerkraft von 0,8 Gravos und einer dünnen Sauerstoffatmosphäre, der von Gostack aus die scheinbare Größe des vierfachen Monddurchmessers erreichte. Offenbar bezeichneten die Koordinaten eine für Wallaby wichtige Stelle des Mondes. Mit einem USO-Raumgleiter flog Globus daher nach Gostacker. Ihn begleitete sein menschenähnlicher Roboter, den er seiner eigenen Neigung zur Kosmopsychologie entsprechend programmiert und Freud genannt hatte, weil er ständig psychologisierende Kommentare abgab. Auf der Suche nach dem Versteck Wallabys trafen die beiden in der Wildnis auf eine Gruppe von zwölf Frauen, die nach einer Lagerstätte des wertvollen Schmucksteins Gostackit suchten, von der sie durch einen alten Prospektor erfahren hatten. Gemeinsam fanden sie die Gostackit-Mine, die aber bereits von Wallabys Leuten ausgebeutet wurde. Da die liebeshungrige Nunkla das Vorhaben an Wallaby verriet, gelang es nicht, dessen Gefolgsleute zu überwältigen. Globus und die Frauengruppe gerieten in Gefangenschaft. Wallaby forderte Globus auf, ihm beim Öffnen eines Fundstücks zu helfen, auf das seine Leute bei der Suche gestoßen waren. Es war ein zehn Meter hoher und vier Meter durchmessender Zylinder von kräftiger, tiefblauer Farbe, der in einer rund sechzig Meter hohen, kuppelförmigen Höhle stand und einer unbekannten Technologie entstammte. Seine Oberfläche war von Kerben, Vorsprüngen und fühlerartigen Ausbuchtungen bedeckt. Das Gebilde reagierte nicht auf Blaster und nicht auf moderne Schweißbrenner. Es war unmöglich, ihm einen Kratzer beizubringen, und selbst mit dem stärksten Traktorfeld konnte er nicht vom Platz bewegt werden. Nur eins wurde durch primitives Abklopfen festgestellt: Das Innere bestand zum Teil aus Hohlräumen, zum Teil aus solidem Material. Als Wallabys Techniker das Gebilde mit einem Sechzehn-Bit-Kode zu öffnen versuchten, verlängerte sich ein Tentakel des Zylinders und zerstörte den Rechner. Erst als Wallaby ihm zwanzig Prozent des zu erwartenden Gewinns zusicherte, war Globus bereit, ihn mit
Freud zu unterstützen. Als Freud nach vergeblichen Versuchen Zwanzig-Bit-Kodes abstrahlte, erfolgten Explosionen, die das Höhlendach zum Einsturz brachten. Der geheimnisvolle Zylinder stand nun auf dem höchsten Punkt der Kuppe, die der Berg jetzt bildete; das von ihm ausgehende Leuchten hatte an Intensität gewonnen, als sich eine schmale, doppeltmannsgroße Öffnung bildete. Wallaby gab sofort Anweisung, Globus zu überwältigen und Freud zu zerstören, doch die überraschend auftauchende Nally Motcher hinderte seine Leute daran. Zitat Bericht USO-Spezialistin Nally Motcher: … trat ein nackter Mann aus dem Zylinder, der Lordadmiral Atlan ähnelte, aber jünger war und eine bronzefarbene Haut hatte. Er nannte sich Chapat! Während er den Hang hinunterschritt, begann sich der blau leuchtende Zylinder zu verformen und löste sich in vier große Teile auf, die sich ihrerseits weiter verformten und am Ende der Metamorphose zu Kampfrobotern wurden. Sie folgten in respektvollem Abstand auf dürren Beinen dem jungen Mann, der wortlos mit einer umfassenden Handbewegung auf Wallabys Leute und die Frauen deutete. Sofort ruckten die Waffenarme der Roboter in die Höhe, erzeugten Geräusche, vergleichbar einem Schocker – und im nächsten Augenblick lagen die Bezeichneten bewusstlos am Boden. Der Fremde trug auf der Handfläche der rechten Hand einen blauen Spitzkegel, von dem ein intensives blaues Leuchten ausging und der in halber Höhe eine umlaufende flache Kerbe aufwies. Der Basisdurchmesser betrug etwa fünf Zentimeter, die Höhe rund sieben Zentimeter. Der Mann starrte vor sich hin, schien geistesabwesend. Ich sah Fehrndor an, dass er von der beeindruckenden Aura, die den Fremden umgab, beeinträchtigt wurde. Es kostete ihn Mühe, laut zu fragen: »Wer bist du?« »Ich bin Chapat. Ich bedarf vorübergehend deiner Hilfe, und
du wirst sie mir nicht versagen.« Ich wusste, dass Fehrndor etwas gegen Leute hatte, die nach Belieben über ihn verfügen wollten. Ich sah ihm an, dass er widersprechen wollte. Doch der fremde Zwang hielt ihn gefangen. Sogar ich, obwohl nicht direkt betroffen, fühlte die Impulse, die mit fast hypnotischer Kraft aus Chapats Bewusstsein in das Fehrndors flossen. »Hier sind Gute und Böse versammelt. Ich konnte sie schon aus dem Innern meines Fahrzeugs voneinander unterscheiden. Die Bösen sind bewusstlos. Tue mit ihnen, was du für gut hältst, aber schaffe sie mir aus den Augen. Danach werden wir sprechen.« Er setzte sich auf ein Felsstück, das die Lawine zurückgelassen hatte, stützte das Kinn in beide Hände und versank wieder in den Zustand der Abgekehrtheit. Fehrndor machte sich nicht die Mühe, ihn ein zweites Mal anzusprechen, sondern wandte sich mir zu … Nun erst erkannte Fehrndor Globus, dass Nally Motcher, die mit einer Space-Jet aus dem USO-Depot nach Gostacker geflogen war, ebenfalls USO Spezialistin und auf Gostack eingesetzt war, ohne dass er davon Kenntnis gehabt hatte. Die Abfertigung der Gefangenen war Routine. Sinker Wallaby und seine Leute, die Frauen eingeschlossen, wurden an Ort und Stelle zurückgelassen. Sie mochten zusehen, wie sie ihr umgekipptes Kleinraumschiff wieder flottbekamen. Wallaby hatte sich zumindest des Verbrechens der Freiheitsberaubung schuldig gemacht. Aber Fehrndor Globus wusste, wie wenig aussichtsreich es war, auf Gostack jemand gesetzlich verfolgen zu lassen. Also gab er Wallaby und seinen Leuten die Chance, zum Planeten zurückzukehren, und verließ sich darauf, dass die auf Gostacker erlittene Blamage dafür sorgen würde, dass sie nicht wieder zu frech wurden. Bezüglich Nally hatte er jetzt, da er wusste, dass sie eine USO-Spezialistin war, weniger Sorge. Sie würde sich gegen Wallaby zu wehren wissen, falls er seine Zudringlichkeit erneuerte.
Nunkla musste sich Wallabys Gruppe anschließen. Das war für beide, Wallaby ebenso wie Nunkla, eine zusätzliche Strafe. Bis zur Rückkehr nach Gostack würden sie einander die Hölle heißmachen. Nunklas Genossinnen wurden befreit. Von ihrer Space-Jet aus, die nicht weit von Fehrndors Raumgleiter entfernt gelandet war, rief Nally einen auf Gostack ansässigen Fährdienst an und ließ ihn wissen, dass auf Gostacker eine Gruppe abenteuerlustiger Frauen gestrandet sei, die dringend nach Hause wollten. Das Fahrzeug, mit dem sie nach Gostacker gekommen waren, sei bei der Landung havariert und nicht mehr zu gebrauchen. Der Fährdienst wurde angewiesen, mit seinem Fahrzeug unmittelbar an der Stelle zu landen, an der früher der Felsen mit dem Eingang der Höhle gewesen war. Zitat Bericht USO-Spezialistin Nally Motcher: Nachdem Chapats Weisung in dieser Art Folge geleistet worden war, drängte der Fremde darauf, den »Ort der Zwietracht«, wie er ihn nannte, so rasch wie möglich zu verlassen, und erkundigte sich bei Fehrndor: »Du hast ein Raumfahrzeug, nicht wahr?« »Das ist richtig.« »Ich muss reisen. Wirst du mich mit deinem Genossen begleiten?« Er deutete auf Freud. »Wir werden dich begleiten.« Chapat blickte zur Seite und bemerkte, dass die vier Kampfroboter, die aus dem Zylinder entstanden waren, ihm noch immer folgten. Er machte eine kurze Handbewegung und sagte einfach: »Ich glaube, wir brauchen sie nicht mehr.« Die Roboter hielten mitten in der Bewegung inne, wurden zu kleinen Nebelwölkchen, die in den blauen, wolkenlosen Himmel hinaufstiegen und sich rasch auflösten. Fehrndor und ich hatten plötzlich einen ganz enormen Respekt vor der Technologie der Zivilisation, der Chapat entstammte. Es verstand sich wie von selbst, dass wir die Fahrzeuge tauschten. Chapat hatte keine Andeutung darüber verloren,
wohin die Reise gehen solle, aber es war anzunehmen, dass sein Ziel außerhalb des Gostack-Systems lag. Die Space-Jet verfügte über einen Linearantrieb, der Raumgleiter dagegen war nur für interplanetarische Distanzen geeignet. Wir verabschiedeten uns abseits, außer Sichtweite des nackten Fremden und des ewig neugierigen Freud, der in den vergangenen Stunden merkwürdig ruhig gewesen war, sodass zu erwarten stand, dass er in den nächsten Minuten zu umso größerer Geschwätzigkeit erwachte. »Ich warte auf dich«, sagte ich. »Lass mich nicht allzu lange warten!« »Niemand hasst das Warten so sehr wie ich«, antwortete Fehrndor und nahm mich dabei in die Arme. »Du und ich … wir werden es nicht lange ohne einander aushalten müssen.« Ich kletterte in den Raumgleiter, aktivierte jedoch, während das schnittige Fahrzeug steil in den blauen Himmel stieg, die Fernbeobachtung einer zurückgelassenen Mikrosonde, sodass ich wenigstens noch einige optische und akustische Eindrücke aufzeichnen konnte. Die Space-Jet stand am Fuß des Felshügels. Mithilfe eines Kodegebers öffnete Fehrndor das Schleusenluk, die kurze Bodenrampe glitt automatisch heraus. Chapat schritt darauf zu und betrat sie, als habe er zeit seines Lebens nichts anderes getan, als an Bord terranischer Raumfahrzeuge zu reisen. Bevor er jedoch die Schleuse betrat, hielt er an, streckte die rechte Hand aus und musterte das seltsame kreiseiförmige Gebilde, das er noch immer wie ein Kleinod bei sich trug. Fehrndor stand hinter ihm, konnte seine Neugierde nicht mehr länger zügeln und fragte: »Was ist das?« Chapat antwortete lange nicht, starrte den blauen Kreisel an. Als er schließlich den Mund öffnete, brachte er Worte mit traurigem Klang hervor. »Das«, sagte er schwer, »ist Ischtars Kreisel. In den Worten eurer Sprache: das Ischtar-Memory.«
Damit ging er weiter und trat in die Schleuse. Hinter Fehrndor aber murmelte Freud: »O mein Gott, er hat einen Ischtar-Komplex …« – Das waren die letzten Worte, die ich aufzeichnen konnte. Leider war es mir nicht möglich, den Kurs der Space-Jet zu bestimmen. Entgegen den Dienstanweisungen der USO wartete ich, ohne einen Bericht abzuschicken, doch bis heute hat sich USO-Spezialist Fehrndor Globus weder gemeldet, noch ist er zurückgekehrt. Deshalb habe ich mich entschlossen, USO-I Quinto-Center zu informieren … Von der Nachricht alarmiert, versuchte Lordadmiral die Spur seines vermeintlichen Sohns aufzunehmen, von dem er fast elf tausend Jahre zuvor zum letzten Mal gehört hatte. Zunächst erfolglos, obwohl ihm die Möglichkeiten seiner Organisation zur Verfügung standen.
Ergänzende Randnotiz: Nach seinen Abenteuern an der Seite der Varganin Kythara im Jahr 1225 NGZ flossen mehrfach Bemerkungen Allans in seine Berichte ein. Seiner Meinung nach handelte es sich bei dem blauen Zylinder, in dem Chapat auf Gostacker erwachte, um einen von Ischtar reaktivierten Kardenmogher oder um ein Einzelmodul beziehungsweise Teilsegment dieses varganischen »Allzweckaggregats«. In ihrer Basisform waren die Kardenmogher sechzig Meter lange und fünfzehn Meter durchmessende blaue Metallröhren und in dieser Form häufig mit kannelierter Außenseite ausgestattet. Von der Funktion her galten sie als fast ultimative Waffen, mit der ganze Planeten entvölkert werden konnten. Andererseits waren es auch multifunktional einsetzbare Allzweckgeräte und als solche beispielsweise in der Lage, in kürzester Zeit sogar Städte aus dem Boden zu stampfen; sie ersetzten hierbei ganze Kriegsflotten, Transport Systeme und Verwaltungen, konnten sich in
Einzelmodule unterschiedlicher Größe aufspaltet!, formenergetisch projizierte Zusatzteile erstellen und den immensen Energiebedarf unter anderem durch Sonnenzapfung sicherstellen. Eine der Sekundärformen glich der eines 24-zackigen doppelten Kegelstumpfes, sodass das Aussehen einem sogenannten geradverzahnten doppelten Kegelrad entsprach. Selbst Atlan kam nicht umhin, die erstaunliche Vielseitigkeit dieser Gebilde überaus anerkennend zu kommentieren: Unzählige Module bis hinab zur Größe im Mikro- oder gar Nanobereich sowie scheinbar nahezu in beliebiger Gestalt projizierbare Formenergie-»Auswüchse« und ermöglichten eine Flexibilität, die kaum noch zu steigern war. Sofern die Energieversorgung gesichert war, schienen einem Kardenmogher kaum Grenzen gesetzt. Es musste deshalb davon ausgegangen werden, dass auch der als »Ischtar-Memory« umschriebene Spitzkegel Bestandteil des Kardenmoghers war – quasi die Spitze des Eisbergs als im Standarduniversum verstofflichter Teil, während der Rest entmaterialisiert gelagert wurde oder Bestandteil einer in den Hyperraum ragenden Raum-Zeit-Nische war. Als Erbauer der Kardenmogher galt der Vargane Ezellikator, dessen Sicherheitskodes es »in sich haben«, Zitat Kythara: Ich hatte vor langer Zeit mehrfach mit diesem verschrobenen Kerl zu tun. Er war zwar ein Genie – aber eines, das knapp vor dem Wahnsinn stand. Irgendwann drehte er dann komplett durch und brachte sich um, indem er die Droge benutzte. Das Kyrachtyl gewährleistete ihm den sanften Tod, die gezielte Lösung des Bewusstseins von der körperlichen Hülle. – Ein Vorgang, der als »Freisetzung ins Kyriliane« umschrieben wurde; das varganische »Kyriliane« stand für »das Ganze«, »Alles«. Erst der auf dem Medienplaneten Kantanong im Blowsmitt-System eingesetzte USO-Spezialist Leutnant Hessefy wurde auf den jungen Fremden aufmerksam, der dem Lordadmiral der USO in so auffallender Weise ähnelte. Chapat hatte sich, wohl um zu Geld zu
gelangen, mit der Galactic Music Corporation eingelassen. Dabei entstand eine Musikaufnahme, von der Hessefy sagte: »Dieses Lied erzeugt eine derart euphorische Stimmung, dass ich vermute, dass es parapsychisch wirksam ist. Ich bin gekommen, um das überprüfen zu lassen.« Als sich Atlan die Aufnahme vorspielen ließ, erkannte er überrascht die Stimme Ischtars – und er entschloss sich, persönlich dieser Spur zu folgen. Er flog zum 27.736 Lichtjahre von QuintoCenter entfernten Planeten Kantanong und erfuhr in der Künstleragentur Arctyre exclusive, dass Chapat inzwischen offiziell von Alfa Zharadin engagiert wurde und mit der TRAUMPALAST zur exklusiven Ferienwelt Broelgir im 2583 Lichtjahre entfernten Giffar-System geflogen war, die von einer halben Million Kolonisten und mehr als einer halben Million steinreicher Gäste bewohnt wurde. In seinem Hotelzimmer wurde der Arkonide durch sein fotografisches Gedächtnis gezwungen, sich daran zu erinnern, wie er in seiner Jugendzeit auf dem Planeten Frossargon die Varganin Ischtar traf, von ihr verführt wurde und mit ihr Chapat zeugte. Atlan teilte der USO unter dem Kodewort Magellan mit, dass er weitere private Nachforschungen anstellen wolle, und buchte in der Maske und unter dem Namen Paul Morris auf der SANTA VERENA von Käpten West Eis eine Passage zum Planeten Broelgir, um dort seinen Sohn zu suchen. Der hochintelligente Alfo Zharadin war aus der Verbindung zwischen einem Terraner und einer Mervanerin hervorgegangen. Es kam äußerst selten vor, dass aus einer solchen Verbindung Kinder entstanden – und wenn, waren sie immer geschlechtslos. Der Dreiundvierzigjährige verstand sich jedoch als Mann; nur 1,55 Meter groß, unter Standardgravitation aber einhundert Kilogramm schwer, hatte er einen unförmigen, fischhäutigen Körper und einen haarlosen Kopf mit der Form einer Kugel. Als Besitzer und Chef der TRAUMPALAST herrschte er über seine Angestellten und Untergebenen wie ein absolutistischer Feudalherr über seine
Leibeigenen. Zharadins 1100 Meter hohes Raumschiff glich einem der ZirkusSpezialschiffe – geformt als Aufeinanderfolge von Kegelstumpf mit 800 Metern Bodendurchmesser, Zylinder und Bugkugel –, hatte jedoch anstelle von Futtermagazinen und Tierställen Traummaschinen und Illusionsgeräte an Bord. Den Platz der Zuschauerränge im Manegentrichter nahmen Kabinen ein, deren psychoaktiv-paramechanische Hauben mit den besonders programmierten Illusionsmaschinen verbunden waren. Da die von ihnen vermittelten Träume des Vergessens Abhängigkeit erzeugen konnten, lebten auf vielen Planeten, die von der TRAUMPALAST besucht wurden, Illusionssüchtige. Unmittelbar bevor die TRAUMPALAST bei Herieva landete, der einzigen Stadt Broelgirs, ließ Zharadin das Ischtar-Memory durch einen Taschendieb gegen eine Nachbildung austauschen, während sich Chapat mit der jungen Loo in einer Illusionskabine aufhielt. Den echten Kegel baute Doktor Sassu zwischen Speicher und Gehirnwellengeräten der Traummaschinen ein. Bei einem ersten Test der neuen Schaltung wurde der Techniker Thars in einem Traum auf einem arkonidischen Planeten in einen Streit verwickelt, im Traum erschossen – und starb auch in der Realität an einer Schussverletzung, die offenkundig von einem uralten Nadler hervorgerufen wurde. Es war jedoch kein Einschuss zu entdecken. Als Chapat Zharadin wegen des Diebstahls zur Rede stellte, wollte ihn der Halbmervaner ergreifen lassen, doch der junge Mann floh und verließ die TRAUMPALAST. Chapat schmuggelte sich in einen Lastengleiter ein, der nach Herieva flog. Da ihn Zharadins Männer unerbittlich jagten, sprang er schließlich ins Meer und schwamm zum Boot einer jungen Frau: Kerilla Vhotan nahm den Unbekannten, der ihrem Jugendschwarm Atlan so auffallend glich, in ihr Haus auf und wurde Chapats Geliebte. Atlan-Morris suchte nach der Landung auf Broelgir die TRAUMPALAST auf. Zharadin erklärte ihm, Chapat habe ihn betrogen und sei geflüchtet. Nachdem er vergeblich nach seinem
Sohn gesucht hatte, wurde Atlan am frühen Abend des 30. Oktober 2843 auf Kerilla Vhotan aufmerksam. Von ihr erfuhr er, dass Chapat in die TRAUMPALAST zurückgekehrt sei, um das Ischtar-Memory zu holen. Chapat tappte bei dem Versuch, in der Maske eines alten Mannes zu Zharadin vorzudringen, in eine Falle. Atlan folgte ihm in seiner Morris-Maske, doch auch er wurde von Zharadin durchschaut und ebenfalls gefangen genommen …
Bericht Atlan Broelgir, an Bord der TRAUMPALAST: 31. Oktober 2843 Mein Erwachen war, als tauche ich aus einer unendlichen Tiefe wieder auf. Ich öffnete die Augen nicht und versuchte, meine Lage festzustellen, ohne mich zu verraten. Du bist gefesselt, meldete sich der Extrasinn. Meine Handgelenke, die Oberarme, die Oberschenkel und die Knöchel waren fest mit breiten, gepolsterten Stahlbändern an der Unterlage befestigt. Ein Versuch, mich loszureißen, war mehr als zwecklos. In meinen Venen fühlte ich Kanülen; Pflaster hielten die dünnen Nadeln. Ich sah nichts, als ich die Augen öffnete. Die Haube der Träume hatte sich bereits über meinen Kopf geschoben, aber ich war noch bei vollem Bewusstsein. Eine weit entfernte Stimme sagte ruhig und unbetont: »Er ist wach. Schiebt die Haube hoch.« Es war nicht die Stimme Zharadins. Summend bewegte sich jenes Ding, das den Schall und das Licht fernhielt und mit stumpfen Sensorspitzen die Kopfhaut berührt hatte. Ich blinzelte im Licht der Tiefstrahler, sah zwei Männer. Einer war Alfo Zharadin. Er sah mich lange an und sagte dann triumphierend: »Drehen Sie Ihren Kopf nach rechts.« Ich gehorchte, fühlte mich unendlich elend. Ich hatte
verloren und musste für meinen Leichtsinn und Eigensinn zahlen. Dort drüben lag Chapat, schien tief zu schlafen. »Chapat«, murmelte ich. Er ist in der Gewalt dieses weißhäutigen Geschlechtslosen. »Richtig. Ihr Herr Sohn. Er träumt. Niemand von uns weiß, wo er sich wirklich befindet, Lordadmiral«, sagte Zharadin höhnisch. Der schlanke Mann neben ihm sah ihn nur an und schwieg. Zwischen seinen Zähnen steckte eine unangezündete Zigarre. »Was habt ihr mit ihm gemacht, ihr Schufte?«, knurrte ich wütend. »Er träumt. Er ist in einer lebensechten Illusion gefangen, weil wir zwischen unsere Leitungen das Ischtar-Memory geschaltet haben. Es sendet fremdartige, aber höchst wirksame Impulse aus.« Zharadin hob die Hand und trat nahe heran. »Hätten Sie einen Spiegel, würden Sie sehen können, dass Sie wieder wie Atlan aussehen. Tatsächlich, die Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden ist bemerkenswert. Ich persönlich zweifle nicht daran, dass es Ihr Sohn ist. Passen Sie auf: Wir haben einen Versuch mit zwei Freiwilligen laufen lassen. Sie wurden in eine fremde Umgebung versetzt. Sie war sehr echt, obwohl die beiden Versuchspersonen nicht schliefen, sondern alles im vollen Wachen erlebten. Einer wurde – in der Illusion – angegriffen und erschossen. Er starb. Leider nicht nur in der Illusion, sondern auch in der Wirklichkeit! Früher oder später wird sich in Ihren gemeinsamen Träumen ein ähnlicher Effekt einstellen. Sie sehen, wir brauchen Sie nicht einmal zu töten. Sie töten sich selbst in Ihrem Traum. Passen Sie also auf, dass Sie nicht in gefährliche Situationen geraten.« Ich keuchte auf. »Ist das die Wahrheit, oder wollen Sie mich erschrecken, Sie Kretin?« Zharadin ließ jetzt die Maske der Beherrschung und der Zurückhaltung fallen. Er genoss diesen Triumph. Die United
Stars Organisation war sein persönlicher Gegner, denn die Süchtigen auf vielen Planeten würden früher oder später entdeckt werden. Dadurch, dass er mich, den Chef dieser Machtgruppe, und zudem auch noch meinen Sohn in seiner Gewalt hatte, war er überlegen und konnte frei handeln. Er zweifelte nicht daran, dass Chapat mein Sohn war. Aber natürlich hatte er keine Beweise. »Es ist die Wahrheit.« Er stemmte die Hände in die Seiten. »Sie werden es in Kürze selbst herausfinden.« Chapat träumte oder befand sich in einer Illusion. Langsam glitt die Haube wieder über den Kopf des jungen Mannes in der Verkleidung eines Greises. Ich lag ruhig da und sah ein, dass ich im Augenblick keine Chance hatte. Nicht die geringste Möglichkeit bot sich; ich war machtlos – und Zharadin freute sich sichtlich. Das Geschäft lief hier auf Broelgir zweifellos hervorragend. Viele Personen kamen zum zweiten oder zum dritten Mal – und waren jetzt bereits süchtig. Zharadin konservierte uns sozusagen durch das Lebenserhaltungssystem, das außerdem den konstruktiven Vorzug hatte, leicht transportiert werden zu können. »Warum quälen Sie ihn?« Fast mitleidig blickte mich der Geschlechtslose an. »Ich quäle ihn nicht. Aber ich habe auch kein Mitleid. Sehen Sie mich an. Ich bin zeit meines Lebens ein Ausgestoßener gewesen. Und jetzt habe ich die Macht über andere Menschen. Ich benutze sie.« »Ich kann es nicht ändern«, sagte ich müde und erschöpft, spürte das Gewicht des Zellschwingungsaktivators auf der Brust. Dieses Gerät hatten sie mir also nicht genommen. »Nein.« »Früher oder später schlägt auch Ihre Stunde. Ich halte Sie für intelligent genug, das selbst zu wissen.« »Aber bis zu diesem Punkt tue ich alles, was in meiner
Macht steht, da können Sie sicher sein.« Er schnippte mit den Fingern. Langsam senkte sich die Haube über mich. Ich wurde immer müder und begann einzuschlafen. Und plötzlich, mit dem letzten Rest des Wachbewusstseins, wusste ich, dass ich der Illusionsmaschine völlig ausgeliefert war; weder Logiksektor noch Mentalstabilisation oder Monoschirm halfen. Mein Bewusstsein schwand. Selbst der Extrasinn schwieg …
1. Chapat: Er fand sich plötzlich in einem seltsamen Garten wieder. Doch es war kein Garten, wie er ihn kannte. Seine Erinnerung sagte ihm, dass er sich gerade noch an Bord der TRAUMPALAST befunden hatte, bedrängt von Zharadin und seinen Leuten, die ihn mit Gewalt unter die Haube der Illusionsmaschine steckten … … und jetzt träumte er von diesem seltsamen Garten, der ganz und gar unwirklich war. Da war die Fremdartigkeit der Pflanzen. Aber auch, wie sie arrangiert waren, und die Tatsache, dass sich einige Meter höher eine Decke spannte, ließen diese Umgebung unrealistisch erscheinen. Dazu kam noch die Musik. Und vereinzelt waren andere Geräusche zu hören, die aber immer verstummten, wenn er lauschte. So als wolle sich jemand vor ihm verstecken. Was war das für ein Traum? Eine Hoffnung keimte in ihm auf entflammte vehement. Er wusste, dass die Illusionsmaschine durch das Ischtar-Memory und die ihm innewohnenden Kräfte programmiert und verändert worden war. Er wusste, dass das, was er sah und erlebte, ein Traum war. Dennoch hatte er den Eindruck, als befände er sich in der Realität. »Mutter?«, fragte Chapat in die Stille hinein, die nur von einschmeichelnden Klängen unterbrochen wurde. Warum bekam er keine Antwort? Er war sicher, dass da noch jemand war.
Andererseits – wenn es sich bei seinem Erlebnis nur um einen Traum handelte, war es, der Unlogik der Träume gehorchend, ganz normal, dass er keine Antwort erhielt. Er streckte den Arm nach einer handtellergroßen Blume aus, berührte zaghaft ein rosafarbenes Blütenblatt. Die Blüte bot einen leichten Widerstand. Plötzlich verkrampfte sich seine Hand. Er umschloss damit die Blüte, riss sie vom Stängel, zerquetschte sie in seiner Hand. Die Blüte war real! Er öffnete die Hand und blickte auf die zerknitterten Blütenblätter. Es war eine Affekthandlung gewesen. Impulsiv, wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm hatte er nach der Blume gegriffen. Und jetzt fühlte er sie. Konnte man so real träumen? Plötzlich ertönte von irgendwo eine Stimme. Jemand rief etwas Unverständliches. Chapat wirbelte herum, sah niemanden. Aber dann bemerkte er hinter einem Strauch eine Bewegung. »Mutter?«, fragte er wieder, »Ischtar?« Atmen. Das Scharren von Füßen. Er rannte zu dem Strauch, sah eine Gestalt in einem bunten Umhang flüchten. Chapat hielt an, wollte den Unbekannten nicht erschrecken, indem er ihn verfolgte. »Mutter, wenn du es bist …« Er vollendete den Satz nicht, vernahm in seinem Rücken raunende Stimmen, lauschte und stellte fest, dass sich die Stimmen in einer unbekannten Sprache unterhielten. Nur – seltsam, dass er dennoch einige Wortfetzen verstand. Es dauerte nicht lange, dann hatte sich sein Gehör so weit verfeinert, dass er einen ganzen Satz aufschnappen konnte: »Eine ganz verkorkste Seele, der alte Knabe …« »Mutter?«, fragte Chapat jetzt in der anderen Sprache. »Ich bin es, dein Sohn.« Er lauschte. Jemand kicherte schrill. Ein anderer, zweifellos ein männliches Wesen, sagte: »Ja, das mit der verkorksten Seele ist unbedingt richtig. Wenn ein so alter Knabe nach seiner Mutter ruft, stimmt einiges mit ihm nicht. Wenden wir uns einem anderen zu …« Chapat wurde bewusst, dass mit »alter Knabe« nur er gemeint sein konnte. Noch immer trug er die Maske, die ihn zu einem alten,
schnurrbärtigen Mann machte. Aber wie war das möglich? Eine Wechselwirkung seines Bewusstseins mit der Illusionsmaschine oder dem Ischtar-Memory? Er sah in der Richtung eine Bewegung, aus der die zwei Stimmen gekommen waren, machte einen Schritt, blieb wieder stehen. Zwei grotesk anzusehende Wesen warfen ihm, Grimassen schneidend, seltsame Blicke zu, entfernten sich. Beide waren humanoid, grotesk wirkten sie nur durch ihre Maskerade. Das eine Wesen war eine Frau. Sie trug überhaupt keine Kleider, sondern war am ganzen Körper raffiniert geschminkt. Das Gesicht war eine Maske aus leuchtendem Rot und Grün, die Augen waren gelb eingefasste Ovale. Der Mann trug einen Phantasiehelm, an dem überall sinnlose Mechanismen in Bewegung waren. Sein Gewand war lang und wallend, vom unteren Saum hingen kleine, goldene Glöckchen, die melodisch bimmelten. Er trug eine Halskrause, die mechanische Elemente aufwies und mit dem Helm verbunden war. Als hätten diese beiden das Startzeichen gegeben, tauchten jetzt überall ähnlich seltsame Gestalten aus Verstecken auf. Chapat wurde von ihnen mehr oder weniger ignoriert. Die Blicke einiger erwiderte er herausfordernd und angriffslustig. Das brachte ihm aber nur ein, dass man ihm aus dem Weg ging und die Augen vor ihm senkte. In welche skurrile Gesellschaft war er da geraten? Was für einen unsinnigen Traum bescherte ihm das Ischtar-Memory? Mutter, was bezweckst du mit diesem Traum?, riefen seine Gedanken intensiv. Keine Antwort. Und so kam Chapat immer mehr zu der Überzeugung, dass diese Geschehnisse nur bedingt mit Ischtar zu tun hatten. Zharadins Illusionsmaschinen hatten die Entfaltung irgendwelcher Kräfte des Ischtar-Memorys bewirkt, sie vielleicht aufgeladen oder was auch immer. Aber war das alles wirklich nur ein Traumerlebnis? Die Blume hatte er berühren können. Er trug noch seine Maske. Und wie stand es mit den Personen? Da war ein großer, schlanker Jüngling, der Chapat verstohlen beobachtete, aber erschrocken wegblickte, als er sich ertappt fühlte. Er trug ein eng anliegendes, weißes Gewand. Sein Gesicht, die Hände
und die unter dem Hosensaum hervorschauenden nackten Füße waren grellbunt geschminkt. Sein Mund war schmal, aber nach oben gewölbte Striche mit roter Farbe gaben ihm den Ausdruck eines Grinsens. Bunte Ringe verliehen den melancholisch blickenden Augen einen Funken von Fröhlichkeit. Chapat ging auf ihn zu. Der Junge begann leicht zu zittern, sah aus, als wolle er flüchten, bringe aber die Kraft dazu nicht auf. Als Chapat bis auf einen Schritt an ihn herangekommen war, erstarrte der Junge zur Bewegungslosigkeit, sein Mund war verkrampft. Chapat räusperte sich und fragte: »Darf ich Sie berühren?« Er sagte es in der anderen Sprache, sodass er verstanden werden konnte. Doch anscheinend hatte ihn der Junge missverstanden. Er taumelte, riss den Mund krampfartig auf, ein Röcheln kam aus der Kehle. Seine Glieder begannen konvulsivisch zu zucken. Die Umstehenden wichen erschrocken zurück. Als Chapat den Stürzenden auffangen wollte, schrie jemand: »Nicht berühren! Er würde es nicht überleben.« Der Junge fiel in ein Blumenbeet. Chapat wurde von starken Armen zur Seite gezerrt. Es waren zwei Roboter vom Aussehen bizarr stilisierter Skelette, die den Jungen auf eine Antigravtrage legten und mit ihm verschwanden. Die Neugierigen verstreuten sich in alle Richtungen, verschwanden hinter den Blumenarrangements, tuschelten miteinander. Kein Zweifel, dass sie den Vorfall diskutierten. »Er hat sich übernommen, der arme Junge«, hörte Chapat eine Frau ohne besondere Anteilnahme sagen. »Es wird noch mehr Opfer geben«, sagte jemand anders. »Ich finde, wenn man sich nicht in der Lage fühlt, unter Leute gehen zu können, sollte man lieber zu Hause bleiben. Nicht wahr, meine Liebe?« »Ja, ja. Diese Seelendemaskierungen sind, wie soll ich sagen, irgendwie obszön. Mein Oglund nennt alle, die daran teilnehmen, pervers – und schließt sich in seinen eigenen Wänden ein.« »Ihr Oglund ist dekadent.«
»Freilich, das ist er. Darum höre ich nicht auf ihn.« »Man kann zu diesen Treffen stehen, wie man will. Ein gesellschaftliches Ereignis sind sie auf jeden Fall. Man sieht Leute, die sonst das ganze Jahr über kaum aus ihren Unterkünften kommen …« Chapat belauschte das Gespräch nicht weiter, als er zwischen den Pflanzen einen weißhaarigen Mann sah, der ungeschminkt war und ihm wie ein rettender Engel erschien: die einzige normale Person in einer Horde Verrückter! Chapat eilte auf ihn zu. Der andere hatte ihn ebenfalls längst entdeckt, taxierte ihn mit intelligenten Augen. Als Chapat ihn erreicht hatte, sprach ihn der andere in Interkosmo an.
»Chapat? Ich bin Atlan.« Ich packte ihn am Arm und führte ihn durch den künstlich angelegten Garten. Sein Äußeres entsprach der Maskierung als Greis, wie ich sie bei ihm unter der Illusionsmaschine gesehen hatte: Er trug Mokassins, ausgebeulte Hosen, deren Säume ausgefranst waren, sowie einen unmodernen halblangen Rock. Ein mächtiger, nach unten gezogener Schnurrbart, tiefe Runzeln im Gesicht und eine altertümliche Brille mit dicken Gläsern vervollständigten die Maske. »Wir erregen bereits einiges Aufsehen. Komm, wir suchen uns einen verschwiegenen Platz, wo wir unsere Lage ungestört besprechen können.« »Wo sind wir hier? Was sind das für Leute, die sich schminken wie Clowns? Träumen wir nur? Oder sind diese Erlebnisse Realität? Sind Sie in Fleisch und Blut hier? Oder bilde ich mir das nur ein?« Ich machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Eins nach dem anderen. Gehen wir methodisch vor und untersuchen wir eine Frage nach der anderen.« Wir fanden hinter dem künstlichen Garten einen Korridor,
folgten ihm und probierten unser Glück an einer Reihe von Türen, bis wir einen wohnlich eingerichteten, aber verlassenen Raum betraten. Der Inhaber dieser Wohnung »vergnügte« sich wahrscheinlich mit den anderen Maskierten im Garten. »Gut«, stimmte Chapat zu, »beschäftigen wir uns also zuerst mit einer Frage. Wo sind wir?« Er schien in keiner Weise überrascht zu sein, mich anzutreffen. Auch auf mein Aussehen ging er mit keinem Wort ein. Chapat zog die Brille aus und legte sie achtlos ab. Ischtar-Memory hatte er das geheimnisvolle Gerät genannt, mit dem es Zharadin möglich gewesen war, seine Traummaschinen so zu programmieren, dass sie eine ganz neue Qualität von Träumen hervorbrachten. »Träume«, die den Träumenden in eine Fantasiewelt versetzten, die auf einer realen Welt basierte, und die sich wiederum auf die reale Welt auswirkten. Beispielsweise dann, wenn der Träumende in seinem Traum starb. In diesem Fall starb auch sein an die Traummaschine angeschlossener Körper. »Ich ahne es bereits. Aber ich möchte mir zuerst Gewissheit verschaffen, bevor ich darüber spreche. Gehen wir noch weiter zurück. Wie sind wir hergekommen?« Chapat erzählte, wie ihm Zharadin das Ischtar-Memory entwendet hatte, er auf Broelgir flüchtete und sich bei Kerilla Vhotan versteckte. Nachdem er Maske gemacht hatte, kehrte er an Bord der TRAUMPALAST zurück, fiel Zharadin in die Hände und wurde in die Illusionsmaschine gesteckt, deren »Programmierung« auf dem Ischtar-Memory beruhte. Ich nickte, erzählte meinerseits, wie ich Chapat auf eigene Faust bis nach Broelgir gefolgt war. Als ich mit Zharadin konfrontiert wurde, wollte ich den Besitzer der TRAUMPALAST bluffen. Doch dieser wusste, dass ich ohne Wissen und Unterstützung der USO handelte, und überließ mich dem gleichen Schicksal wie zuvor Chapat. »Die Frage, ob
wir träumen oder die Realität erleben, lässt sich wohl nicht hundertprozentig beantworten«, fuhr ich fort. »Zharadins Illusionsmaschinen können nur Traumerlebnisse vermitteln, aber durch das Ischtar-Memory ist ein unbekannter Faktor hinzugekommen, der diese Träume mehr als realistisch erscheinen lässt. Wenn ich einen Gegenstand dieser Traumwelt berühre, kann ich ihn spüren. Ich fühle, ob er kalt oder warm ist. Ich kann mir die Finger daran verbrennen. Nehme ich ihn in die Hand, hat er für mich Gewicht.« Ich klopfte gegen die Wand. »Sie ist für mich so fest, als bestünde sie aus Materie. Schlage ich mit aller Wucht dagegen, kann ich mir die Knöchel brechen. Die Wand ist für mich undurchdringlich.« »Also Realität!« Ich wiegte den Kopf. »Für uns! Ganz möchte ich mich nicht festlegen. Sagen wir es lieber so, dass diese Wand, alles in dieser Welt, auch die Lebewesen der gleichen Gesetzmäßigkeit wie unsere derzeitigen Körper unterworfen sind.« Chapat betastete sich. »Warum bemühen Sie sich, die Dinge zu umschreiben, Atlan? Glauben Sie etwa, dass wir nicht in unseren eigenen Körpern hier sind?« Ein Stich fuhr durch meine Brust, als er mich siezte. Aus seinem Bericht war hervorgegangen, dass er sehr wohl um meine Person und seine äußere Ähnlichkeit mit mir wusste. Mit keinem Wort jedoch gab er sich als mein Sohn zu erkennen, obwohl es in dieser Hinsicht keinen Zweifel gab. Er war jener Chapat, den ich, von Ischtar verführt, damals mit der Varganin gezeugt hatte. Leider reagierte mein fotografisches Gedächtnis nur mit vagen Bildern, die Erinnerung an Details fiel mir schwer; eine Folge von Fartuloons OMIRGOS. Wie schon auf Kantanong beschränkte sich mein derzeitiges Wissen auf unvergessliche Schlaglichter. Ich unterlag damals Ischtars Ausstrahlung, an Bord ihres
Oktaederraumers auf dem Planeten Frossargon. Während Farnathia vor Eifersucht halb krank war, während alle anderen Freunde aus dem Schiff getrieben wurden, verführte Ischtar – was ihr leicht und schnell gelang – mich, den jungen Kristallprinzen. Diese Stunden sind noch heute frisch in meiner Erinnerung. Ich spüre ihre Haut unter meinen Fingerspitzen, ich weiß, wie sich ihr Haar anfühlte, ich erinnere mich an die Höhepunkte unserer Leidenschaft. Ich habe es damals nicht geglaubt aber sie sagte, dass wir einen Sohn zeugen würden. Sie kenne das Geheimnis des ewigen Lebens und würde es an ihn weitergeben. Unser gemeinsamer Sohn werde Chapat heißen … Das waren ihre Worte gewesen. Zuerst hatte ich mich gegen die Verführung gewehrt. Aber etwas wie ein hypnotischer Bann zwang mich damals, mich von ihr verführen zu lassen. Mein Widerstand war nicht sehr echt und nicht ehrlich, aber ich wollte Ra nicht verletzen, dessen Leidenschaft ihn halb wahnsinnig gemacht hatte. Und als ich das Schiff verließ, erschöpft und glücklich, aber skeptisch und in der Vorahnung kommender Gefahren und Auseinandersetzungen, drehte ich mich um und sah Ra, der den riesigen Eber ritt und auf mich zupreschte. Ich konnte nicht mehr ausweichen, obwohl ich mit der Schnelligkeit reagierte, die mich Fartuloon gelehrt hatte. Ra ritt mich nieder und verletzte mich schwer. Und während ich hilflos dalag, musste ich zusehen, wie Farnathia und Ischtar miteinander kämpften. Ischtar erschoss Farnathia, die starb, ohne mir zu verzeihen. Ischtars geheimnisvolle Geräte heilten mich in kurzer Zeit, während Vorry den Eber besiegte und Ra betäubt zurückschleppte. Der Wahnsinn war für kurze Zeit in unserer kleinen Gruppe ausgebrochen. Einziger Vorteil der »OMIRGOS-Blockade« war, dass ich nicht augenblicklich in den unwiderstehlichen Erzählzwang fiel und zum hilflos plappernden Torso wurde. »Auch darauf kenne ich keine endgültige Antwort«, sagte ich bedächtig. »Als mich Zharadins Leute zur Illusionsmaschine zerrten, sah ich dich – deinen Körper –
unter der zweiten Traummaschine liegen. Obwohl du zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig auch schon hier gewesen sein musst. Einigen wir uns also darauf, dass wir mit unserem IchBewusstsein hier sind. Der Körper, in dem unser Ich jetzt ist oder diesen Körper prägt, könnte somit auch eine naturgetreue Materieprojektion sein – materialisiert in der realen Welt und nicht nur Bestandteil einer Traumwelt oder Illusion oder wie immer man es nennen will.« Ich hatte Vergleichbares schon einmal erlebt, einschließlich einer Versetzung durch Raum und Zeit. Vom fotografischen Gedächtnis wurden die damaligen Erklärungen reproduziert, die am 19. April 2422 von Professor Arno Kalup im Gespräch mit Shannon Gonska und anderen Wissenschaftlern an Bord der IMPERATOR abgegeben wurden; ihre Stimmen traten in mein Wachbewusstsein. »… vermutlich ist Ihr Bewusstsein nun mit größerer Bewegungsfreiheit ausgestattet, um nicht zu sagen, mit einem höheren Grad der Bewusstheit … Damit verbunden ist vielleicht eine Entfernung von diesem Ort und Ihrem Originalkörper. Sofern Sie dann trotzdem die Wahrnehmung eines Körpers haben, dürfte dies nur bis zu einem gewissen Grad eine Halluzination sein – vergleichbar den Phantomschmerzen bei Amputationen. Im Extrem könnte sich die Wahrnehmung zu einem Pseudokörper mit eigener Stofflichkeit ausweiten; in diesem Fall müsste von Bilokation gesprochen werden. … ist das Phänomen der Bilokation keineswegs neu oder so ungewöhnlich, wie es im ersten Moment erscheint. Weltweit und aus allen Epochen gibt es Berichte über das gleichzeitige Erscheinen eines Menschen an zwei oder mehr Orten. Bekannteste Beispiele sind von Antonius von Padua, Pythagoras, Alfons von Liguori oder auch Padre Pio aus Apulien überliefert. Im Allgemeinen erklärte man das
Muster eines Doppelkörpers mit Halluzinationen, Illusionen oder Pseudohalluzinationen; nur im Okkultismus dachte man an ein materielles Substrat dieser Erscheinung. Die materialistisch geprägte westliche Weltsicht leugnete natürlich solche Phänomene, die fernöstliche dagegen sah darin nichts Besonderes. Im Indischen umschrieb der Ausdruck svecchot-krânti die Fähigkeit, den eigenen Körper zu verlassen; tibetisch yi-kyu-lü: ein ›Geist-, Wunsch- oder Gedankenkörper‹; der Sanskritbegriff mâyârûpa stand für einen ›reinen Trugkörper‹ und umschrieb das ätherische Gegenstück zum physischen Körper, entsprechend dem ›Astralleib‹ der Theosophie. Und der ›Körper der Entzückung‹, wie die wörtliche Übersetzung des Sanskritwortes sambhogakâya lautete, den man auch mit ›inspirationellem Körper‹ umschrieb, war nicht nur ein Produkt der Inspiration, sondern – ich zitiere – ›ebenso ihre fortwirkende Gestaltungskraft als Ausdruck transzendenter Wirklichkeit, die in die individuelle Erscheinungsform des sichtbaren Körpers verwandelt wird‹. Nebenbei: Wenn in den östlichen Lehren von Leere oder Nichts gesprochen wird, ist damit vielmehr die potenzielle Möglichkeit gemeint, eine Sphäre des Unentfalteten, in der trotzdem die Gesetzlichkeit aller Dinge und Erscheinungen quasi keimhaft beschlossen liegt. Es entspricht dem physikalischen Konzept höherer Symmetrie beziehungsweise einer Virtualität, die das Mögliche beinhaltet, aber erst bei bestimmten Bedingungen faktisch zum Ausdruck bringt. Quantenphysiker sprechen beispielsweise von virtuellen Teilchen, wenn diese innerhalb der von der Unschärferelation beschriebenen Grenzen entstehen und wieder vergehen …« »… Projektionskörper? Bilokation?«, fragte Shannon Gonska, von irritiertem Murmeln der anderen begleitet, das plötzlich in meinem Kopf anschwoll. Arno Kalup lachte. »Eine Frage der Definition, Verehrteste. Um was handelt es sich bei dem, was Sie als Ihren Leib betrachten? – Ein ausnehmend hübsches Exemplar, das nur nebenbei! Wenn Sie jetzt
mit Begriffen wie Materie oder feste Masse antworten, laufen Sie in die Falle. Denn Materie ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als ein wolkiges Gebräu aus Molekülen und Atomen. Und diese wiederum bestehen aus Elementarquanten, die im Verhältnis zum übrigen Volumen nur einen Bruchteil beanspruchen. Nur unseren Sinnen erscheint das Ganze als fest und massiv! Nimmt man nun die These, dass alle Materie, welche als einander äquivalente Teilkomponenten Masse und Energie umfasst, also alle Materie ihren Ursprung im übergeordneten Kontinuum hat, dann muss ein Hyperquant, ins Standarduniversum projiziert, hier als entsprechende konventionelle Wechselwirkung samt ihren Ausdrucksformen erscheinen, sich ›materialisieren‹ oder ganz allgemein manifestieren. Somit ist es kein großer Schritt, so etwas künstlich zu bewerkstelligen: Man nehme Hyperquanten in passender Konfiguration, und es erscheint der dazugehörende Projektionskörper. Weil er als künstliches Produkt vermutlich nur metastabil ist, das heißt, der Anregungszustand also in Abhängigkeit von der Zeit erneuert oder aufgebessert werden muss, dürfte der Begriff Materieprojektion im Unterschied zur natürlichen Materie gerechtfertigt sein. Sie konnten meinen Ausführungen bis hierher folgen?« »Arroganter Macho!« »Man dankt; ich nehme es als Kompliment.« Der Spott war stechend; Kalup, wie er leibt und lebt. »Weiter: Eine andere These sagt, dass letztlich alle Materie im Kosmos Ausdruck einer solchen Hypermatrix sei, die letztlich für Bewusstes Sein stehe. Im Kleinen die Teilbewusstseine von Einzelindividuen, als komplexe Ganzheit im holistischen Sinne das hinter allen stehende Kosmische Bewusstsein. Und unsere Körper seien folglich nichts anderes als die materialisierte Form von Bewusstsein, das sich in unserem Wahrnehmungssystem Manifestierende. Oder, um ein Beispiel zu gebrauchen: Das eigentliche Wesen ist Wasser im chemischen Sinne; die Freiheitsgrade des jeweiligen Kontinuums bestimmen den physikalischen Aggregatzustand. Masse wäre demnach verfestigtes
und starres Eis, Energie flüssiges Wasser, und Dampf steht für die hyperphysikalische Form als höhergeordnete Symmetrie, die keine Auszeichnung kennt, aber alle als Potenzial in sich birgt.« »Verstehe. Dampf mit dem größten Freiheitsgrad kennzeichnet beim Symmetriebruch die niedere Struktur und bevorzugt Richtungen. Aus allseits frei beweglichen Wasserdampfmolekülen formen sich Tropfen mit räumlich kompakter Form, und beim Eiskristall wird die achsengerechte Struktur offensichtlich, analog zu den Achsen von Raum und Zeit in unserem Kontinuum. Und das heißt …?« »Konsequent zu Ende gedacht: Die Hyperkonfiguration eines Individuums manifestiert zwar einen Körper in Raum und Zeit, kann aber bei passender Voraussetzung die Freiheitsgrade höherer Symmetrie nutzen. Genau das ist es, denke ich, was Lordadmiral Atlan zurzeit erlebt: Sein Bewusstsein nutzt jenes Potenzial, das ihm auf Hyperniveau zu eigen ist. Dadurch wird der Originalkörper ›entrückt‹, während an anderem Ort oder in anderer Zeit, denn wir müssen die Akausalität des Hyperraums berücksichtigen, metastabile Ausdrucksformen manifestiert werden, eben bilokative Projektionskörper! Problematisch könnte allerdings die Reintegration ins ›Original‹ sein …«
»Daran könnte etwas Wahres sein«, sagte Chapat – erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich Kalups Erklärungen sinngemäß auch laut ausgesprochen hatte. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. »Angenommen, wir sind wirklich nicht in unseren ureigensten Körpern hier – und Ihre Beobachtung scheint das zu bestätigen –, angenommen, unser Bewusstsein wurde nur in eine Materieprojektion verpflanzt oder lässt die Materieprojektion entstehen, materialisieren oder wie auch immer. Dann brauchen wir nur diese Scheinkörper … hm, aufzugeben, und unser Bewusstsein würde sofort wieder in
unsere Körper in den Illusionsmaschinen zurückkehren.« Ich runzelte die Stirn. »Darauf würde ich mich lieber nicht verlassen. Zharadin hat diesbezüglich einige Andeutungen gemacht. Er sagte, dass einer der Techniker bei einem Experiment in der Traumwelt den Tod fand. Und Zharadin warnte mich, dass, würde ich im Traum mein Leben verlieren, auch in der Realität tot sei.« »Ein Bluff!«, behauptete Chapat. »Möglich. Aber die Probe aufs Exempel möchte ich nicht machen. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das durch dein Ischtar-Memory ausgelöst wurde. Ich jedenfalls weiß nicht genügend über das Ischtar-Memory, um Spekulationen über seine Möglichkeiten anstellen zu können.« Während ich das sagte, beobachtete ich Chapat. Er wich meinem Blick aus. »Das alles bringt uns nicht weiter«, rief er schließlich ungehalten. »Lassen wir das Ischtar-Memory aus dem Spiel, es kann uns nicht weiterhelfen. Ich habe nicht die geringste Verbindung zu ihm. Für mich sind diese Geschehnisse fantastisch, geradezu unfassbar. Aber dennoch habe ich das Gefühl, dass alles real ist. Nicht nur mein Körper, sondern auch die gesamte Umgebung.« »Mir ergeht es ebenso. Gehen wir deshalb davon aus, dass wir für jede unserer Handlungen die Konsequenzen wie in der Realität tragen müssen. Ein falscher Schritt kann den Tod bedeuten. Seien wir also vorsichtig.« »Damit stehen wir wieder am Anfang: Wo sind wir?« Ich betrachtete ihn zweifelnd. »Weißt du es wirklich nicht? Du beherrschst doch die Sprache dieser Leute.« »Das schon, aber ich weiß nicht, um welche Sprache es sich handelt. Könnte ich Rückschlüsse auf unseren Aufenthaltsort ziehen, wenn ich es wüsste?« »Allerdings.« Ich ging Richtung Tür. »Sehen wir uns etwas um, solange wir noch die Möglichkeit haben. Irgendwann
wird man entdecken, dass wir Fremde sind, und uns unter die Lupe nehmen. Bis dahin möchte ich wenigstens herausgefunden haben, wo genau – und vor allem in welcher Zeit wir uns befinden.« Chapat folgte mir auf den Korridor. »Wollen Sie mir denn nicht verraten, um welche Sprache es sich handelt?« »Arkonidisch. Satron! Same Arkon trona – hört Arkon sprechen.«
Als wir den leicht geschwungen verlaufenden Korridor entlanggingen, kamen uns Maskierte entgegen. Es waren Einzelgänger, die sich abwandten, als sie an uns vorbeikamen. Nur einer, ein Mann mit einer violetten Perücke und einem Spiegel vor dem Gesicht, blieb stehen und kehrte uns sein Spiegelgesicht zu, als wir an ihm vorbeikamen. Mit gedämpfter Stimme erkundigte er sich: »Sie suchen Kontakt?« »Zumindest suchen wir nicht die Einsamkeit«, antwortete ich im Vorübergehen. Als ich mich nach einer Weile umdrehte, stand der Unbekannte mit der Spiegelmaske immer noch da und starrte uns nach. Wir erreichten den Lift. Die Kabine hielt, die Türhälften glitten auf. Drinnen stand ein von Kopf bis Fuß in einen Kapuzenmantel verhülltes Wesen. Als wir zustiegen, flüchtete die vermummte Gestalt mit einem spitzen Schrei in den Korridor. »Ist das ein Irrenhaus?«, wunderte sich Chapat, als wir im Lift hinauffuhren. »Ja und nein«, sagte ich knapp. »Ein Irrenhaus auf einer Arkonwelt?«, bohrte Chapat weiter. Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn man will, kann man vermutlich den ganzen Planeten als Irrenhaus bezeichnen. Richtiger ist aber, dass du die eigenwillige Mentalität der Arkoniden nicht verstehst.«
Wir stiegen auf dem Dach des Gebäudes aus dem Lift. Auch hier war ein kunstvoller Park angelegt worden. Es war Nacht. Nun ja, das, was im Zentrum eines Kugelsternhaufens mit dicht gedrängt stehenden Sonnen »Nacht« war – eine »helle Dämmerung«, die sich nur verdunkelte, sobald Wolken aufzogen. Auf den Arkonplaneten, fast im Zentrum des Kugelsternhaufens gelegen, wo die Sterne teilweise nur Lichtwochen voneinander entfernt waren, wurde es nie dunkel. Sogar am Tag waren neben Arkon etliche weitere Sonnen zu sehen. Am wolkenlosen Himmel bildeten die vielen nahen Sterne unbekannte Konstellationen. Ich blieb stehen, blickte nach oben. »Eigentlich hätte ich erwartet, bekannte Sternbilder zu sehen«, murmelte ich beunruhigt. »Aber anscheinend ist es tatsächlich schlimmer, als ich dachte. Nicht nur der Raum bildet eine Barriere zu unserer Realität, sondern auch die Zeit …« »Sie sprechen dauernd in Rätseln«, sagte Chapat ungehalten. »Wissen Sie nun, wo wir sind, oder nicht?« Ich setzte mich wortlos in Bewegung. Chapat folgte mir mit verkniffenem Gesicht, sah in diesem Moment wirklich wie ein schrulliger, mürrischer alter Mann aus. Zwischen den Büschen und Sträuchern tauchten gelegentlich Maskierte auf, manchmal zu zweit und zu mehreren, zumeist aber allein; sie warfen uns scheue Blicke zu. Ich ging mit Chapat zum Rand des Daches. Eine fünf Meter hohe Panzerplastwand, die oben noch zusätzlich durch eine Energiebarriere abgesichert war, trennte uns von dem Abgrund. Ich setzte mich auf einen großen Felsbrocken aus Urgestein, hinter dem in einem schmalen Rinnsal ein künstlicher Bach gurgelte. Chapat stellte sich an die Panzerplastwand, stützte die Hände dagegen und blickte auf das herrliche Panorama hinaus, das sich ihm bot. Etwa hundert Meter unter uns war ein mit vielen Scheinwerfern beleuchteter Park mit Wiesen, Bauminseln und
geometrisch angeordneten Kieswegen. Dazwischen standen trichterförmige Gebäude, die fensterlos und ungefähr so groß waren wie das Gebäude, auf dessen Dach wir uns befanden. Diese Bauten glichen mit der Spitze in den Boden gebohrten Kreiseln, durchmaßen an ihren Sockeln etwa dreißig Meter, am oberen Abschluss mit dem flachen Dach jedoch gut siebzig Meter oder mehr. Umlaufende Terrassen formten den Innenhof des Trichters. In der Ferne schwangen sich im Osten Berge zu einer lang gestreckten Gebirgskette empor. Sicher war ich mir nicht, aber es konnte sich durchaus um das Shuluk-Ahaut-Gebirge handeln, das dem Bogen der östlichen Küste des Sha’shuluk-Sichelbinnenmeers folgte. Chapat drehte sich kurz zu mir um. »Diese Gebäude erinnern mich an mein Ischtar-Memory«, sagte er scheu, als erscheine ihm dieser Vergleich selbst absurd. »Ist es vielleicht möglich, dass ein Zusammenhang besteht …? Ich meine, kann diese Traumwelt nach den Daten des Ischtar-Memorys geformt worden sein?« »Deine Unwissenheit ist geradezu beängstigend.« Ich deutete durch die Panzerplastwand. »Was du siehst, ist eine typische arkonidische Siedlung, die Trichterbauten sind Wohnhäuser. Wenn ich richtig zähle, sind insgesamt zwölf über den Park verstreut. Eine beachtliche Zahl. Es handelt sich hier also um eine mittelgroße Stadt.« »Eine Stadt nennen Sie das?«, wunderte sich Chapat. »Du hast Recht, der Ausdruck Stadt ist unzutreffend. So etwas gibt es auf Arkon Eins nicht. Auf dem Wohnplaneten der Arkoniden ist alles dezentralisiert.« »Wir sind demnach auf Arkon Eins. Sind Sie sicher?« »Ziemlich. Ich kenne diesen Planeten zu gut, um mich zu täuschen. Und dennoch erscheint mir vieles fremdartig.« »Natürlich, weil diese Welt – mag sie auch noch so sehr Arkon Eins ähneln – nur das Produkt eines Traumes ist.«
Ich ging darauf nicht ein. »Um die Mentalität der Arkoniden, denen wir begegnet sind, besser verstehen zu können, musst du erst einmal mehr über ihre Gesellschaftsordnung wissen.« Ich machte eine Pause, und als Chapat schwieg, fuhr ich fort: »Ich sagte schon, dass auf Arkon Eins alles dezentralisiert ist. Die Wohnsiedlungen sind locker über den ganzen Planeten verstreut, Energiestraßen und Rohrbahnen verbinden sie miteinander. Dazwischen liegen ausgedehnte Parks, durch die man oft tagelang wandern kann, ohne einem anderen Arkoniden zu begegnen. Die Arkoniden sind in vieler Hinsicht Einzelgänger und legen sehr viel Wert auf die Intimsphäre des Individuums. Natürlich ist das im Allgemeinen nicht so krass, dass alle Arkoniden ein Eremitendasein führen, sonst wäre das Große Imperium rasch zerfallen. Eine Zivilisation ohne Kontakte der Individuen wäre nicht denkbar, zumindest nicht für humanoide Wesen in diesem Stadium der Evolution. Aber viele Arkoniden meiden zwischenmenschliche Kontakte. Das führte dazu, dass sich viele so sehr abgekapselten, bis sie weltfremd und krank wurden; gerieten sie in große Personenansammlungen, bekamen sie hysterische Anfälle, sofern sie nur berührt wurden.« »Ich verstehe. Unter solche Neurotiker und Psychopathen sind wir geraten. Es scheint sich hier um eine Wohnsiedlung zu handeln, in der man all diese schrulligen Typen zusammengepfercht hat.« Ohne nachzudenken, fügte er auch die Satron-Begriffe Gradschep und Porang hinzu. Ich grinste. Gradschep entstammte dem Essoya-Slang und stand für »geistig Minderbemittelte« – sprich: »Heinis, Idioten …«-, während ein Porang eigentlich ein wildes Herdentier auf Arkon I war, das zum Teil zu Reitzwecken eingefangen und gezähmt wurde, aber auch eine Bezeichnung für Stumpfsinn oder eine stumpfsinnige Person war.
Ich wollte etwas sagen, als drei Männer zu uns traten. Einer war ein besonders großer und hagerer Arkonide. Er trug eine einfache Kombination, nur sein Gesicht war bronzefarben geschminkt, das Haar unter einem breitkrempigen Hut versteckt. Die Lippen leuchteten grün, ebenso die Augen, die groß und starr wirkten: Kein Zweifel, er trug grün getönte Haftschalen. Ich hätte die drei kaum beachtet, hätte sich nicht ihr Verhalten so grundlegend von dem der anderen Hausbewohner unterschieden. Sie kamen zielstrebig heran – und plötzlich hielt jeder von ihnen einen Paralysator in der Hand. Ein altertümliches Modell, wie es zu meiner Jugendzeit in Gebrauch war! Chapat duckte sich zum Sprung, aber ich hielt ihn zurück. »Welchem Umstand verdanken wir Ihre geschätzte Aufmerksamkeit?«, erkundigte ich mich mit falscher Höflichkeit. »In erster Linie der Tatsache«, sagte der Hutträger, »dass Sie gegen die guten Sitten verstoßen.« Das von ihm gesprochene Wort lief gleichzeitig in Satron-Schrift über die Haftschalen; auf diese Weise unterhielt er sich offenbar mit jenen psychisch Geschädigten, zu denen er nicht sprechen durfte, um bei ihnen keinen hysterischen Anfall zu provozieren. »Es sieht so aus, als legten Sie es darauf an, dieses Treffen der Einsamen unter allen Umständen zu stören.« »Das ist bestimmt nicht unsere Absicht«, erwiderte ich. »Ehrlich gestanden zählen wir uns auch zu Einsamen. Wir wissen nicht, wohin wir gehören.« »Warum präsentieren Sie sich dann so entblößt?«, fragte der Hutträger anklagend. »Weil es uns nicht geniert, wenn andere unser wahres Gesicht sehen. Nicht jede Form des Mehinda wahrt den Anstand.« Der Hutträger rang nach Atem. »An die anderen haben Sie
dabei wohl nicht gedacht? Und überhaupt! Hätten Sie nur gegen die Masken- und Mehindapflicht verstoßen, könnte ich darüber hinwegsehen. Ich würde es bei einer Verwarnung belassen. Schließlich wollen wir alle kein Aufsehen. Und ich als Veranstalter am wenigsten.« »Eben«, fiel ihm Chapat ins Wort. Werden Sie nicht frech, flimmerte es in arkonidischer Schrift über die Haftschalen. Laut sagte er: »Sie sind aber so weit gegangen, andere Gäste durch Ihr herausforderndes Verhalten zu beleidigen. Einer hat durch die Androhung der körperlichen Berührung sogar einen Nervenzusammenbruch erlitten.« »Das war nicht meine Absicht«, beteuerte Chapat. »Aber eben das bezweifeln wir«, sagte der Mann, der rechts von dem Hutträger stand. »Wir haben nämlich den anonymen Hinweis erhalten, dass die GoGoLo während dieses Treffens der Einsamen einen Sabotageakt im Addin-Forum planen.« Zumindest erfuhr ich auf diese Weise, dass diese Wohnsiedlung Addin-Forum hieß. Das war schon etwas. Vielleicht konnte ich während der Unterhaltung sogar noch mehr interessante Informationen herausbekommen. »Was immer auch Sie unter GoGoLo verstehen, wir haben damit nichts zu tun. Wir sind zum Addin-Forum gekommen, weil wir Anschluss suchen.« »Der Kerl will sich über uns lustig machen, wenn er behauptet, noch nie etwas von den GoGoLo gehört zu haben«, sagte der Mann, der links von dem Grünäugigen stand. »Warum so lange Reden halten, Arbantola. Paralysieren wir sie einfach und übergeben wir sie den Beamten der Exekutive.« »Keine Namen, Sie Narr!«, herrschte der Hutträger seinen Begleiter an, beruhigte sich aber sofort wieder. An mich gewandt, fuhr er fort: »Zeigen Sie uns Ihre Einladung, damit
wir Ihre Aussagen überprüfen können.« Chapat und ich wechselten einen Blick. Wir waren uns einig, dass wir nun die Initiative an uns reißen mussten, bevor sich die Situation noch mehr verschärfte. »Tja, unsere Einladung …«, begann ich schleppend, um Zeit zu gewinnen. »… die habe ich«, ertönte eine Stimme im Rücken der drei Arkoniden mit den Paralysatoren. Sie wirbelten herum. Chapat und ich sprangen zur Seite, als wir den Mann mit der Spiegelmaske sahen. Er war es gewesen, der meinen Satz vollendet hatte. Im nächsten Augenblick zuckten Blitze auf. Ich sah von meinem Versteck hinter dem Felsblock aus Urgestein, wie sich Arbantola, der sich als Veranstalter des Treffens der Einsamen bezeichnet hatte, blitzschnell zu Boden warf. Seine Begleiter versuchten, ihn mit ihren Körpern zu schützen – und sprangen geradewegs in das Thermostrahlfeuer aus der Waffe des Spiegelträgers. Während sie in den Entladungen starben, suchte Arbantola das Weite. »Alarm!«, schrie er dabei. »Überfall!« Da brach das Chaos unter den Gästen aus, die hergekommen waren, um Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen und den Anschluss an die Gesellschaft zu finden. Stattdessen fanden viele von ihnen den Tod.
Ich nahm den beiden Toten die Paralysatoren ab. Einen warf ich Chapat zu, der ihn geschickt auffing. Er fragte: »Was hat das alles zu bedeuten?« »Keine Ahnung. Aber wir verschwinden am besten schleunigst aus diesem Gebäude, bevor die Polizei eintrifft. Der möchte ich am wenigsten in die Hände fallen.« Ich fürchtete, dass es zu schweren diplomatischen
Verwicklungen führen konnte, wurde meine Anwesenheit auf Arkon I bekannt – selbst wenn es sich bei meinem jetzigen Körper »nur« um eine Materieprojektion handelte. Immerhin stand ich als Chef der USO den Terranern näher als den Arkoniden und hatte zu meinem Volk kaum noch Beziehungen, sodass ich als Abtrünniger angesehen wurde. Hinzu kam, dass ich nicht wusste, in welcher Zeit wir uns befanden. Die Gegenwart war es auf keinen Fall, sonst wären mir die »Sternbilder« am Himmel von Arkon I nicht so fremd erschienen. Welches Datum auch immer geschrieben wurde – zuerst einmal mussten wir unerkannt bleiben und untertauchen. Die Maskierten und Geschminkten rannten ziellos durcheinander, verkrochen sich in Gebüschen, rannten gegen die Panzerplastbarriere an, klammerten sich verzweifelt an andere, rangen mit diesen … Geschrei hob an, dazwischen ertönte das Trampeln unzähliger Schritte. »Es brennt!« Der Ruf war nur undeutlich in dem Stimmengewirr zu hören. Aber gleich darauf tauchten Roboter mit Feuerlöschgeräten auf. Durch Öffnungen drang aus den unteren Geschossen Rauch. Ich suchte vergebens nach dem Spiegelträger, der die Arkoniden kaltblütig erschossen hatte. Er war nirgends zu sehen. Das ließ mich vermuten, dass dem Unbekannten gar nichts an unserer Befreiung gelegen war, sondern dass er einfach einen Vorwand zu einem Streit gesucht hatte. Und dieser ist das Zeichen zum Angriff gewesen! Plötzlich deutete Chapat nach vorn. Dort war ein Vermummter mit einer Spiegelmaske. Daneben tauchte ein zweiter auf. Sie erschossen zwei Frauen, nur weil sie ihnen den Weg versperrten. Jetzt waren überall Männer mit Spiegeln vor den Gesichtern zu sehen. Kein Zweifel, dass sie zusammengehörten. Aber was bezwecken sie mit dem Überfall auf dieses Gebäude, in dem sich die Einsamen von Arkon treffen? Chapat und ich bahnten uns rücksichtslos einen Weg zu
einem der Lifte. Doch als wir den Schacht erreichten, mussten wir erkennen, dass er unbenutzbar gemacht worden war. Eine Explosion hatte das Lifthaus in Trümmer gerissen. Ringsum lagen Verwundete, die von Robotern notdürftig verarztet wurden. Ich paralysierte kurzerhand einen Spiegelträger, der einen der Medoroboter zerstrahlen wollte. »Zur Treppe!«, rief ich. Die erste Treppe, zu der wir kamen, war von einer Energiebarriere versperrt. Dahinter stand ein Spiegelträger mit einem Thermostrahlgewehr. Wir hasteten weiter. Auch die nächste Treppe war durch eine undurchdringliche Energiebarriere unbenutzbar gemacht worden. Ich wollte schon weiterlaufen, als ich eine interessante Beobachtung machte. Ein Spiegelträger kam mit einem halben Dutzend Maskierter zu der Treppe, die nicht mit Waffengewalt vorangetrieben wurden, sondern offensichtlich freiwillig mitkamen. Ist es möglich, dass die Spiegelträger den Überfall hauptsächlich nur deswegen inszenierten, weil sie unter den psychisch Labilen nach Verbündeten suchen? Nicht ausgeschlossen, antwortete der Extrasinn. »Steck den Paralysator weg, Chapat. Wir werden uns den Überläufern anschließen.« Er befolgte meinen Befehl und folgte mir. Wir erreichten die Treppe, als ein Teil der Energiebarriere zusammenfiel und die Maskierten durchmarschierten. »Nehmt uns mit! Wir sind auf eurer Seite.« Als ich durch die Strukturlücke in der Barriere schlüpfen wollte, stellte sich mir ein Spiegelträger entgegen und drückte mir den Lauf des Thermostrahlers in den Bauch; es war unzweifelhaft ein T-15, in meiner Jugendzeit das Basismodell, das in vielen Varianten verwendet worden war. »Hier ist Endstation!«, kam eine gedämpfte Stimme unter der Spiegelmaske hervor. Der Finger um den Abzug spannte sich.
Ich glaubte schon, dass der Schuss meinem »Traumerlebnis« ein Ende machen würde. Jetzt wird sich herausstellen, ob vom Tod im Traum auch mein Körper in der Realität betroffen ist. In letzter Sekunde mischte sich ein anderer Spiegelträger ein. »Halt! Ich habe die beiden schon eine Weile beobachtet. Vielleicht sind sie uns noch nützlich. Wir nehmen sie mit.« Ich atmete auf und durfte mit Chapat passieren. »Wisst ihr denn überhaupt, worauf ihr euch da einlasst?«, fragte ein Spiegelträger, während wir eilig die Treppe hinunterhasteten. Bevor ich eine Antwort geben konnte, wandte sich einer der Maskierten um, der sich angesprochen fühlte, und sagte: »Wir kämpfen mit euch für bessere Lebensbedingungen auf unserer Heimatwelt und gegen alle Fremdrassen, die das arkonidische Volk bedrohen. Wir wollen GoGoLo sein, weil wir meinen, dass nur eine starke Opposition den unfähigen Imperator zu einer vernünftigen Politik zwingen oder ihn zu Fall bringen kann.« »Schön gesagt«, sagte der Spiegelträger mit leichtem Spott. »Aber ich wollte es eigentlich von dir hören.« Dabei deutete er auf mich. Ich sagte: »Auf mich trifft dasselbe zu. Ich habe die gleichen Beweggründe.« Als das Wort »Imperator« gefallen war, war ich wie elektrisiert zusammengezuckt. Ich hoffte, dass der Name des regierenden Imperators von Arkon fallen würde, um auf die Zeit schließen zu können, in die wir verschlagen worden waren. Doch in dieser Hinsicht wurde ich enttäuscht. Wir befanden uns bereits in den unteren Stockwerken des Trichterhauses, als einer der Spiegelträger sein Armbandgerät auf volle Lautstärke drehte. Aus dem winzigen Lautsprecher ertönte eine verzerrte, schnarrende Stimme: »Die Truppen haben bereits die gesamte Wohnsiedlung umstellt. Wenn wir siegen wollen, müssen wir einen Ausfall versuchen.« Der Spiegelträger schaltete das Armbandgerät wieder aus
und sagte zu den verstört blickenden Arkoniden, deren geschminkte Gesichter wie lächerliche Clownmasken wirkten: »Jetzt könnt ihr beweisen, wie ernst es euch mit eurem Schwur war. Gleich könnt ihr kämpfen und zeigen, ob ihr für eure Ideale auch sterben wollt. Ihr müsst versuchen, den Sperrgürtel der Soldaten mit Waffengewalt zu sprengen.« »Das ist heller Wahnsinn«, entfuhr es mir. Ich bekam einen Stoß in den Rücken, hörte eine Stimme dicht an meinem Ohr sagen: »Mund halten! Lass diese Idioten ins Verderben rennen. Das betrifft dich nicht. Mit euch haben wir etwas ganz anderes vor.« Im Erdgeschoss waren bereits zwei Dutzend Einsame versammelt, die Arbantolas Einladung zu einem »geselligen Beisammensein und persönlichem Kennenlernen« gefolgt waren. Sie hatten sich in einem Gemeinschaftsraum eingefunden und diskutierten die Vorgänge außerhalb der Wohnsiedlung. Spiegelträger waren keine zu sehen. Chapat und ich erfuhren auch bald den Grund dafür. Wir wurden von den Einsamen abgesondert und von unseren Bewachern in einen anderen Raum gefühlt, der einer Waffenkammer glich: Geschütze auf Antigravplattformen, Minen, Bomben, Granatwerfer und Handstrahler der verschiedensten Ausführungen waren hier in großer Zahl gestapelt. Alles Angriffswaffen und nicht gerade die neuesten Modelle. Neben den Waffen lagen Helme mit Gesichtsspiegeln bereit, wie sie unsere Bewacher trugen. »So«, sagte einer aufatmend und nahm die Spiegelmaske ab. Darunter kam ein jugendliches Arkonidengesicht zum Vorschein. Er grinste mich an, die rötlichen Augen zwinkerten mir zu. Der andere Spiegelträger demaskierte sich ebenfalls, legte seine Waffen ab. »Ich bin Kalhorm«, stellte er sich vor. »Falls ihr Waffen habt, lasst sie besser hier zurück.«
Er war doppelt so alt wie sein Kamerad, hatte ein alltägliches Gesicht und wirkte durchschnittlich. Ein nichtssagender Typ, den man sofort wieder vergaß, kaum dass man ihn sah. Wahrscheinlich war die Durchschnittlichkeit seine beste Tarnung. Ich wollte schon den Paralysator hervorholen. Doch da sagte Chapat: »Wir sind unbewaffnet.« Kalhorm warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. »Ein seltsamer Akzent, den ihr sprecht.« Ich nahm keine Stellung dazu. »Los, verschwindet endlich!«, verlangte der jugendliche Arkonide. »Ich möchte die Waffen verteilen, damit sich endlich etwas tut. Die Polizisten werden noch stutzig, wenn sie nicht auf Widerstand stoßen.« Kalhorm gab uns einen Wink. Wir folgten ihm durch eine Tür, fuhren im Lift ins Kellergeschoss und gingen durch einen Tunnel. Nach einigen hundert Metern kamen wir wieder zu einem Lift, in dem wir in das Wohngebäude hochfuhren. In einer der obersten Etagen stiegen wir aus. Kalhorm führte uns ein Stück des den Trichterbau umlaufenden Ringkorridors entlang, sperrte eine Tür auf und betrat den dahinter liegenden Raum. »Hier wohne ich«, sagte er, während er zum Trivid-Gerät ging und es einschaltete. »Gleich wird es Extranachrichten über den heroischen Sieg der Polizeitruppen über die extremistischen GoGoLo geben.« Er zeigte zum ersten Mal die Andeutung eines Lächelns. Da es aber noch nicht zu einer Unterbrechung des Hauptprogramms gekommen war, widmete er sich wieder uns. »Nehmt Platz. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr Unterschlupf benötigt. In diesem Gebäude sind noch einige Wohnungen frei, die unter falschen Namen registriert sind. Wenn euch damit geholfen ist, könnt ihr die Namen mitsamt den Wohnungen übernehmen.« »Das ist mehr, als ich erträumt habe«, sagte ich. »Nur – ich
weiß nicht, ob wir den Preis dafür bezahlen können. Ehrlich gestanden sind wir völlig mittellos.« Kalhorm sah mich durchdringend an. Nachdem er mich eine Weile studiert hatte, sagte er: »Ihr Gesicht ist Kapital genug. Es ist nicht in Hyperkristallen aufzuwiegen. Wenn auch alles andere an Ihnen stimmt, sind Sie unser Mann.« »Was ist mit meinem Gesicht?«, fragte ich ahnungsvoll. »Später.« Kalhorm machte eine Schweigen gebietende Geste und konzentrierte sich auf die Geschehnisse in der Holoprojektion. Das laufende Programm war unterbrochen worden. Ein Sprecher erschien, der eine Live-Einblendung über eine Aktion der Regierungstruppen gegen eine arkonfeindliche Untergrundorganisation ankündigte; das eingeblendete Datum zeigte den 21. Prago des Eyilon 10.498 da Ark. Gleich darauf rollte das Geschehen ab. Arkon-Trivid setzte eine Reihe von Kameras ein, sodass durch Szenenwechsel und geschickten Bildschnitt zusätzlich Dramatik erzielt wurde. Dabei war der Kampf zwischen den Polizeitruppen und den Spiegelträgern an sich schon dramatisch genug – wenngleich er nach wenigen Minuten entschieden war. Die Spiegelträger stürmten in breiter Front aus dem brennenden Trichterbau, in dem es nun ständig zu schweren Explosionen kam. Die Spiegelträger waren bis an die Zähne bewaffnet, fuhren schwere Geschütze auf, feuerten jedoch blindlings drauflos. Die regulären Polizeieinheiten hatten kaum Mühe mit ihnen, die Spiegelträger fielen reihenweise. Der Sprecher nannte es einen »Vernichtungsschlag gegen die arkonfeindlichen Mächte im Allgemeinen und den Todesstoß für die Organisation der GGL«. Als der ungleiche Kampf schon fast zu Ende war, explodierte der brennende Trichterbau. Die Druckwelle war so stark, dass das Zimmer, in dem wir saßen, erbebte. Das TrividGerät fiel aus.
»Wir haben genug gesehen«, sagte Kalhorm. »Allerdings«, sagte ich gepresst. »Sie haben Dutzende Unschuldiger in den Tod gehetzt.« »Sie sind für einen guten Zweck gestorben«, erwiderte Kalhorm ungerührt. »Diese Männer haben ein durch und durch sinn- und nutzloses Leben geführt. Sie waren Parasiten der Gesellschaft! Neurotiker, Psychopathen, so sehr degeneriert, dass sie außerhalb der Gemeinschaft lebten, isoliert, ohne Kontakt zur Realität. Sie haben sie ja kennengelernt. Heute aber haben sie ihr Leben in den Dienst einer guten Sache gestellt, sind als Helden gestorben. Sie glauben mir nicht?« »Ich weiß nur, dass Sie diese Unschuldigen als Kanonenfutter verwendet haben. Sie ließen sie in den Tod laufen, um selbst ungeschoren zu bleiben. Die Polizei sollte glauben, dass es sich dabei um Terroristen handelte. Aber irgendwann wird der Schwindel auffliegen.« »Genau das wollen wir damit bezwecken. Es wird sich herausstellen, dass die Addag’gostaii Unschuldige getötet haben. Da es via Trivid über alle Arkonwelten ausgestrahlt wurde, lässt sich dieser Skandal nicht mehr vertuschen. Dadurch büßt der Imperator viel von seinem ohnehin fragwürdigen Prestige ein – und wir GoGoLo gewinnen an Macht. Diese sogenannten Unschuldigen werden als Märtyrer in die Geschichte eingehen. Sie haben ihrem nutzlosen Leben im Tod einen Sinn geben können. Ist das nicht genug?« Ich ärgerte mich über den Zynismus, war so wütend, dass ich mich beinahe hätte gehen lassen – hätte mich der Logiksektor nicht zur Vernunft gerufen. Willst du dich für die Probleme dieser Traumwelt über deine persönlichen Interessen hinaus engagieren? Maßt du dir denn an, einen Traum verändern zu können? Die Polemik des Extrasinns forderte geradezu zu einer
Entgegnung heraus. Doch ich ließ mich nicht dazu hinreißen, denn mein Extrasinn hatte mir auch in Erinnerung gerufen, dass ich vor allem zuerst mit meinen eigenen Problemen fertig werden musste. Und die alles entscheidende Existenzfrage war immer noch: Traum oder Wirklichkeit? Ich fragte über die dröhnenden Gedanken in meinem Kopf hinweg: »Welche Ziele verfolgt die GoGoLo eigentlich?« »Wie der Name unserer Organisation schon sagt – G-G-L ist bekanntlich die Abkürzung für Wegbereiter der Zukunft –, wollen wir den Arkoniden eine bessere, glorreiche Zukunft bieten. Um das zu erreichen, müssen wir aber zuerst einmal Orbanaschol den Dritten vom Thron stürzen.« Orbanaschol III.! Dieser Name hallte in meinem Kopf nach. Unvermittelt pochte der – materieprojektive? – Zellaktivator überaus heftig, sandte belebende Impulse durch meinen – materieprojektiven? – Körper. Go-Gon’thek Lok entsprach sinngemäß übersetzt dem »Weg zu einem erhöhten Ziel auf dem Gipfel« in der Bedeutung von Zukunft. Go-Gon’thek Loktrote – Wegbereiter der Zukunft, Akronym GGL. Ich hörte mich sagen, dass ich unter diesen Umständen Kalhorms Mann sei; Kalhorm erwiderte, dass er eigentlich nichts anderes erwartet habe, doch bedürfe es noch verschiedener Formalitäten, um ein Mitglied der GoGoLo zu werden; man müsse seine Loyalität zur Organisation beweisen, durch Taten am besten … und so weiter und so fort. Kalhorms Ausführungen prallten fast ungehört an mir ab. Ich war wie in Trance, sagte zu allem ja, erklärte mich damit einverstanden, eine Art Eignungstest über mich ergehen zu lassen. Oder war es eine Mutprobe? Ich wollte mich so schnell wie möglich zurückziehen und meine Gedanken sammeln. Die Erwähnung von Orbanaschol III. hatte alles andere vorerst als unwichtig erscheinen lassen. Stimmte es, dass Orbanaschol III. der derzeit regierende Imperator des Großen Imperiums war, war ich mit Chapat in eine Zeit verschlagen worden, in der ich gerade als junger Kristallprinz um den Thron von Arkon
kämpfte, und das entsprach auch dem gesehenen Datum. Das warf neue, in ihrer ganzen Tragweite noch nicht zu erfassende Probleme auf. Es ist fantastisch! Verständlich, dass ich froh war, als uns Kalhorm in die uns zugeteilten Wohnräume entließ. Ich wollte in Ruhe über alles nachdenken können. Die Antwort auf die in mir nagende Frage: Traum oder Realität? war wichtiger denn je geworden. Dazu kam aber noch etwas. Zuerst war es ein unscheinbarer Gedanke, der sich jedoch ausweitete, bis er beinahe schon zu einem Trauma wurde: die Angst vor einem Zeitparadoxon!
2. Atlan: Das geschichtliche Grundlagenwissen ist mir natürlich präsent, doch wegen der OMIRGOS-Blockade verschwinden nach wie vor die persönlichen Details – von herausragenden Einzelerlebnissen mal abgesehen – hinter einem dichten Schleier. Ich sehe Chapat an, dass er gar nicht damit einverstanden ist, dass ich mich wortlos in meine Wohnräume zurückziehe. Es gibt einiges, was er gern zur Sprache gebracht hätte. Ihm ist schon während des Gesprächs mit Kalhorm aufgefallen, dass sich mein Verhalten plötzlich wandelte, dass ich in mich gekehrt war und kaum etwas wahrzunehmen schien. Auch will er Aufklärung darüber, warum ich von einem Moment zum anderen meine Gesinnung änderte. Zunächst aber will ich mir selbst Klarheit verschaffen. Der Aufruf diverser Trivid-Kanäle bestätigt das bei der Live-Übertragung gesehene Datum des 21. Prago des Eyilon 10.498 da Ark. Langsam sehe ich klarer, Erinnerungssplitter fügen sich zusammen. Zu einem Zeitpunkt, als wir uns noch im DreißigPlaneten-Wall befunden hatten, hatte der Blinde Sofgart bereits das Schwarze System erreicht und seine Suche nach dem Zentralorgan des varganischen Quaddin-Körpers aufgenommen. Vermutlich am 15. Eyilon stellte er uns auf Za‘Ibbisch eine Falle, ehe er zum
Kometen Glaathan aufbrach, während wir am 28. Eyilon in die Falle tappten und gerade noch entkamen. Am heutigen 21. Eyilon musste der Quaddin-Körper bereits im Besitz Sofgarts sein. Aber er würde nur noch wenige Pragos leben und am 1. Prago der Hara 10.498 da Ark sterben. Die Szene bahnt sich machtvoll ihren Weg in mein Wachbewusstsein. … wabert der Glutstrahl vor meinem Gesicht. Ich krampfe mich zusammen. Es ist also aus, durchzuckt es meine fiebernden Sinne. Der galaktische Folterer hat mich doch noch erwischt. Ich muss sterben. Ein Schlag raubt mir die Besinnung. Irgendetwas zerreißt in meinem Innersten. Und plötzlich vernehme ich die Stimme Ischtars. Die Goldene Göttin spricht zu mir. Das ist ein posthypnotisch verankertes Schutzfeld. Ich will nicht, dass du stirbst. Im Falle akuter Lebensgefahr bündelt sich deine Geistesenergie zu einem psionischen Schockstrahl, der deinen Gegner vernichtet. Mehr kann ich für dich nicht tun. Fortan bist du wieder ganz auf dich allein angewiesen. Auch deine Feinde erkennen dich wieder als Kristallprinzen von Arkon. In diesem Augenblick erlischt deine Schutzaura. Du musst kämpfen, wenn du nicht sterben willst. Ich denke an dich, Atlan, denn ich liebe dich! Der Blinde Sofgart stirbt. Sein Körper ist von dem Strahl durchbohrt worden, den mein Geist erzeugt hat … Ich fühle mich von einer schweren Last befreit. Ich weiß, dass mein jüngeres Ich viele Lichtjahre von hier entfernt ist. Dennoch darf ich nicht leichtsinnig werden. Ich hätte ja durchaus auf die Tatsache bauen können, dass ich mich nicht an eine Begegnung mit mir selbst erinnere, eine solche also auch überhaupt nicht stattfinden kann. Doch die Zeit hat ihre Tücken, niemand darf sich blindlings darauf verlassen, dass das, was ihm als Vergangenheit bekannt ist, nicht doch korrigiert werden kann – gleichbedeutend mit der Abdrift in ein völlig anderes Paralleluniversum mit eigenem Zeitablauf. Andererseits – die Zeit entwickelt eine beachtliche Trägheit gegenüber Änderungen.
Und noch etwas weiß ich nun: Meinem jüngeren Ich steht die erste Begegnung mit Ischtar noch bevor! Erst am 32. Eyilon würde sie mich verführen und Chapat gezeugt werden! Unwillkürlich frage ich mich, ob vielleicht genau das der Grund ist, dass es uns in diese Zeit verschlagen hat. Chapats Zeugung als eine Art »Gegenpol« für die Wirkung des rätselhaften Ischtar-Memorys? Eine Auswertung des Logiksektors hält das durchaus für möglich. Ich weiß, dass ich meinem Sohn eine Erklärung schulde, und gehe hinüber.
Arkon I, Addin-Forum: 21. Prago des Eyilon 10.498 da Ark »Ich könnte mir vorstellen«, sagte ich, »dass dir meine Zusicherung, mit den Leuten der GoGoLo zusammenzuarbeiten, nicht gefällt.« »Zumindest bin ich der Meinung, dass es wichtigere Dinge für uns gibt, als dieser illegalen Organisation zu helfen«, erwiderte er kühl. »Zum Beispiel, wie wir in die Körper unserer angestammten Realität zurückgelangen könnten.« »Das ist ein Fernziel. Unser vordringlichstes Problem ist es, zu überleben, deshalb müssen wir zuerst diese Realität bewältigen, in der wir derzeit leben. Kalhorms Untergrundorganisation kann uns dabei helfen. Wir brauchen Verbündete. Auf uns allein gestellt, kommen wir nicht weit. Denk daran, dass wir hier sterben können wie in der Realität des Jahres 2843 nach Christus.« »Ja, das vergesse ich nicht«, sagte Chapat unwillig. »Aber aus welchem Grund verlassen Sie sich so sehr auf Kalhorm? Wer sagt, dass er nicht doppeltes Spiel mit uns treibt?« »Auf seine Ehrlichkeit verlasse ich mich gar nicht. Aber mir ist nicht entgangen, dass er großes Interesse an uns hat. Kannst du dir denken, warum er unter all den Einsamen ausgerechnet uns als Partner ausgesucht hat?« »Keine Ahnung. Vermuten Sie einen besonderen Grund?«
»Es ist mehr als nur bloße Vermutung – ich habe schon fast Gewissheit. Es kann nur so sein, dass Kalhorm eine Ähnlichkeit zwischen mir und jemandem erkannte, der Imperator Orbanaschol abgrundtief hasst.« »Und wer ist das?« »Ich selbst!« Chapat starrte mich verblüfft an. Ich sagte lächelnd: »Ich werde es dir erklären. Du erinnerst dich, dass mir viel daran lag, zu erfahren, in welche Zeit wir verschlagen wurden? Ich wusste von Anfang an, dass wir uns nicht auf dem Planeten Arkon Eins der Gegenwart befanden. Als Kalhorm sagte, dass derzeit Orbanaschol der Dritte regiert, traf mich das wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Orbanaschol der Dritte regierte nämlich bis ins Jahr zehntausendfünfhundert da Ark. Von der Realität aus gesehen, in der unsere Körper in den Illusionsmaschinen liegen, ist das fast elftausend Jahre in der Vergangenheit.« »Elftausend Jahre?«, wiederholte er fassungslos. In seinem Gesicht zuckte es. »Aber … damals war ich noch nicht einmal geboren …« Er verstummte. Ich wartete, dass er dem noch etwas hinzufügte und so etwas mehr von dem Geheimnis seiner Person lüftete. Doch Chapat schwieg. Nun gut, dann eben nicht. Bedenke, dass er vielleicht ebenfalls Schwierigkeiten hat, sich korrekt zu erinnern, ermahnte mich der Logiksektor. Im Gegensatz zu dir hat er keinen aktivierten Extrasinn und somit vermutlich auch kein fotografisches Gedächtnis. Elftausend Jahre sind eine lange Zeit. »Aber damit nicht genug«, fuhr ich fort. »Orbanaschol ist mein Onkel, der nach dem Tod meines Vaters unrechtmäßig den Thron von Arkon bestieg. Orbanaschol jagte mich damals durch die ganze Galaxis, um mich töten zu lassen … Das heißt, genau besehen nähert sich der Kampf zwischen uns gerade
dem Höhepunkt. Mein jüngeres Ich, Chapat, ficht in diesem Augenblick irgendwo in der Galaxis einen erbitterten Existenzkampf. Nur mithilfe deiner Mutter Ischtar wird es – werde ich – in wenigen Pragos im Kampf gegen den Blinden Sofgart, einen der Mörder meines Vaters, überleben können.« »Das ist … fantastisch«, kam es über Chapats Lippen. »Ich bin sicher, dass Kalhorm meine Ähnlichkeit mit denen aus dem Geschlecht der Gonozals erkannt hat. Die Wahrheit ahnt er sicherlich nicht im Entferntesten. Vielleicht hält er mich für einen entfernten Verwandten des früheren Imperators, der vor den Schergen Orbanaschols auf der Flucht ist. Möglich aber, dass er die Ähnlichkeit mit meinem Vater als Zufall nimmt. Der Gonozal-Khasurn war groß, es gab in meiner Jugend Zehntausende ferne Verwandte. Nebenbei bemerkt: Sei froh, dass deine Maske als Greis die Versetzung in diese Epoche mitgemacht hat – denn deine Ähnlichkeit mit meinem jüngeren Ich dürfte noch größer sein als meine. Auf jeden Fall ist Kalhorm die meine nicht entgangen, und sicherlich möchte er sie für seine Organisation ausnutzen.« »Und Sie heißen das gut?« »Mir ist jedes Mittel recht, um Orbanaschol zu schaden.« »Glauben Sie denn, dass Sie das überhaupt können? Sie sind nicht der Atlan dieser Zeit, sondern – der Traum-Atlan. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass Sie Ihrem jüngeren Ich helfen können. Denn auf unsere Realität und Gegenwart bezogen, hätten Sie dies vor elftausend Jahren getan, könnten sich daran erinnern und würden die Auswirkungen Ihrer Tat auf spätere Ereignisse kennen … Ach, es ist zum Verrücktwerden. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt.« »Schalt ab, Chapat. Ich möchte nicht intensiv über die Auswirkung meiner doppelten Anwesenheit in dieser Zeit nachdenken. Aber mit einigen Problemen muss ich mich doch befassen. Eins davon ist, dass ich Orbanaschol nicht in die
Hände fallen darf. Ich muss sogar darauf bedacht sein, meine Existenz vor ihm geheim zu halten. Denn schon das Wissen um mich könnte die Geschichte verändern …« »Jetzt gleiten Sie schon wieder in das gefährliche Thema der Zeitparadoxa ab«, ermahnte Chapat. Ich verzog das Gesicht. »Leider bleibt mir das nicht erspart. Rein theoretisch besteht die Gefahr eines besonders verhängnisvollen Zeitparadoxons. Nämlich, dass ich mir selbst begegne – etwas, an das ich mich selbstverständlich nicht erinnere.« Chapat wurde blass. »Das müssen Sie unter allen Umständen verhindern!« Ich lächelte geheimnisvoll. »Es wäre allerdings interessant … ein faszinierendes Experiment …«Ich verstummte und wurde sofort wieder ernst. »Du hast natürlich Recht, Chapat. Es wäre unverantwortlich, eine Begegnung mit meinem jüngeren Ich zu provozieren. Abgesehen davon, dass die Hoffnung besteht, dass die – hm – Trägheit der Zeit ein solches Paradoxon ohnehin verhindert, behaupten zumindest viele Wissenschaftler. Unsere bisherigen Erfahrungen mit Zeitreisen scheinen das zu bestätigen. Meist handelte es sich um Zeitschleifen, sodass die Handlungen ins bestehende Gefüge eingebunden waren. Sofern mich meine Erinnerungen nicht trügen, dürfte es kein Problem sein, eine Selbstbegegnung zu verhindern. Andererseits ist es für unser Überleben wichtig, die aktuellsten Ereignisse im Großen Imperium zu kennen.« »Das leuchtet mir ein.« »Die nötigen Informationen kann ich mir aber nicht beschaffen, indem ich einfach Arkoniden befrage oder die offiziellen Trivid-Verlautbarungen verfolge. Ich brauche eine zusätzliche Quelle.« »Und woran denken Sie?« »An das Geheimarchiv von Orbanaschol selbst. Nur dort
finde ich alle Daten, die ich benötige.« »Ein Todeskommando, nehme ich an«, sagte Chapat trocken. »Mit der Unterstützung der GoGoLo könnten wir es schaffen. Kalhorm gegenüber können wir diesen Coup als eine Art Aufnahmeprüfung hinstellen.« Chapat nickte bedächtig. »Selbst ohne Kalhorms Unterstützung müssten unsere Chancen gut stehen. In Ihrer Erinnerung haben Sie sicherlich noch einige Informationen über die Gegebenheiten auf Arkon Eins, die uns die Sache erleichtern werden.« »Und wie steht es mit deiner Erinnerung?« »Ich verstehe nicht.« Er versteifte sich; in seine Augen trat ein Ausdruck von eisiger Ablehnung. »Nun, dann will ich dir behilflich sein.« Ich beobachtete ihn genau. »Uns verbindet etwas miteinander. Das ist die Erinnerung an Ischtar! Mehr will ich jetzt dazu nicht sagen. Denk darüber nach.« Chapats Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien er meinen Rat zu beherzigen und nachzudenken. Aber er schwieg weiterhin.
Kalhorm ließ uns nur widerwillig in seine Wohnung. »Ich habe Ihnen doch deutlich genug erklärt, dass wir keinen Kontakt zueinander aufnehmen dürfen, bis die Razzia abgeschlossen ist, Amtos«, sagte er. Amtos war der Name, unter der die Wohnung angemietet war. Chapat wurde unter dem Namen Ecridian geführt. »Niemand darf erfahren, dass zwischen uns eine Verbindung besteht. Kehren Sie sofort in Ihre Unterkünfte zurück. Die Polizisten können jeden Augenblick auftauchen.« »Keine Sorge, wir wollen Ihnen keine Schwierigkeiten bereiten«, beruhigte ich ihn. »Ganz im Gegenteil, wir wollen
aus dem Addin-Forum verschwinden und erst wiederkommen, wenn sich die Lage beruhigt hat.« Kalhorm blickte uns an. »Das ist Wahnsinn. Sie kommen nicht durch den Sperrgürtel. Erwischt man Sie auf der Flucht, machen Sie alles nur noch schlimmer. Im Addin-Forum sind Sie sicher.« »Sie kennen bestimmt einen Weg, um aus der Wohnsiedlung zu verschwinden. Die GGL muss schließlich mit der Möglichkeit rechnen, ihre Leute nötigenfalls schnell und unbemerkt von hier fortzuschaffen.« Kalhorm schluckte. »Warum wollen Sie fort? Ich versichere Ihnen, dass Sie hier in Sicherheit …« »Darum geht es nicht«, unterbrach Chapat. »Wir müssen etwas erledigen. Und zwar schnellstens. Wir können nicht damit warten, bis die Polizeitruppen abgezogen werden.« »Worum geht es also?«, fragte Kalhorm. »Sie haben selbst verlangt, dass wir eine Eignungsprüfung ablegen müssen«, sagte ich. »Dies wollen wir sofort hinter uns bringen. Wir haben vor, in Orbanaschols Geheimarchiv am Fuß des Hügels der Weisen einzudringen. Und dazu brauchen wir Ihre Unterstützung.« »Sie sind verrückt! Haben Sie denn eine Ahnung, welche Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden, um das Regierungszentrum des Großen Imperiums zu schützen?« »Natürlich. Ich weiß sogar ziemlich gut Bescheid.« »Woher …?« Ich hob lächelnd die Hand. »Keine Indiskretionen.« Bisher hatte der Arkonide noch keine lästigen Fragen gestellt, schien gar nicht genau wissen zu wollen, woher ich kam und wer ich war. Kalhorm machte sich seine eigenen Gedanken darüber. Und er drang auch jetzt nicht in mich. »Entschuldigen Sie, Amtos. Aber sind Sie wirklich so naiv, anzunehmen, dass Sie trotz aller Sperren in Orbanaschols
Archiv einbrechen können? Noch dazu ohne geeignete Ausrüstung?« »Sie könnten uns die Ausrüstung beschaffen.« »Ich muss hier bleiben.« »Sie könnten Ihre Mittelsleute verständigen …« Kalhorm warf die Arme verzweifelt in die Luft. »Wollen Sie es sich nicht doch noch überlegen? Was erwarten Sie sich eigentlich von dem Einbruch in das Geheimarchiv?« »Einiges. Zum Beispiel einige interessante Informationen, die auch für die GoGoLo wertvoll sein könnten. Andererseits möchten wir die Dinge ins Rollen bringen. Wir wollen der GGL beweisen, dass wir wertvolle Verbündete sind. Also, wie ist es, helfen Sie uns, das Addin-Forum zu verlassen?« Er wurde nachdenklich, schien zu überlegen. Endlich hatte er eine Entscheidung getroffen. »Ich werde Ihnen helfen. Und zwar werde ich Sie nicht nur aus dem Addin-Forum hinausschleusen, sondern Ihnen auch die Adresse eines Mannes nennen, der Sie in Ihrem Vorhaben unterstützt. Er heißt Ethan-Khor und wohnt im Tabbos-Atrium, ganz in der Nähe des Geheimarchivs. Wenden Sie sich an ihn. Ich werde ihn von Ihrem Kommen unterrichten lassen. Mehr kann ich nicht für Sie tun.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Das ist mehr, als ich erwartet habe.«
Alle Bewohner vom Addin-Forum standen bis auf Weiteres unter Hausarrest. Wer sich ausweisen konnte, durfte die Wohnsiedlung zwar ungehindert betreten, aber niemand durfte sie ohne besondere Genehmigung verlassen. Chapat und ich benötigten keine solche Genehmigung. Kalhorm schwebte mit uns im Lift ins Kellergeschoss und führte uns unter Umgehung der auch dort aufgestellten Wachroboter zu
einem Luftschacht, der mit einem aufgelassenen Rohrbahntunnel verbunden war. Er war gut getarnt, sodass ihn nur Eingeweihte finden konnten. Als Kalhorm die Verschlussklappe abgehoben hatte, erklärte er, was wir zu tun hatten. Wir sollten zum Ende des Schachtes hinunterklettern, bis wir in den von Osten nach Westen führenden Tunnel kamen. Dort mussten wir uns links halten und zwei Kilometer in Richtung Westen gehen. Dann würden wir an eine Trennwand stoßen. Der Tunnel war schon vor vielen Jahren zugemauert worden. Es gab aber eine Klappe am rechten Tunnelrand, die sich durch Körperwärme öffnen ließ. Dahinter lag eine Garage für Rohrbahnzüge, von der aus wir direkt in eine stark frequentierte Rohrbahnstation kommen würden. Es sei möglich, dass dort Zivilbeamte oder Roboter auf Streife waren, sagte Kalhorm, doch würden diese vor allem die Ein- und Ausgänge im Auge behalten. Trotzdem sollten wir vorsichtig sein. Ich versicherte, dass ich diesen Ratschlag beherzigen würde. Bevor ich jedoch vor Chapat in den Luftschacht stieg, verlangte ich von Kalhorm eine Waffe und wenigstens einen Scheinwerfer, damit wir uns den Weg leuchten könnten. »Unser Waffenarsenal wurde längst beschlagnahmt«, erwiderte Kalhorm kühl. »Außerdem ist es besser, wenn Sie unbewaffnet sind. Da können Sie wenigstens keine Dummheiten machen. Aber mit einer Lichtquelle kann ich dienen. Etwa fünf Meter unterhalb des Einstiegs gibt es eine Nische. Dort sind, zusammen mit einigen anderen Ausrüstungsgegenständen, die Ihnen aber nichts nützen, auch einige Taschenlampen verstaut. Nehmen Sie sich eine. Aber nur eine! Und rühren Sie die anderen Sachen nicht an.« Ich begann mit dem Abstieg. Chapat folgte. Einige Sekunden lang fiel von oben schwacher Lichtschein herab. Dann erlosch dieser, als Kalhorm die Öffnung verschloss. Fünf Meter unter
dem Einstieg fand ich tatsächlich ein Fach mit den beschriebenen Ausrüstungsgegenständen. Ich nahm eine Taschenlampe und leuchtete hinein. Außer der Taschenlampe nahm ich nur noch einen handgezeichneten Plan an mich, in dem das Rohrbahnnetz eingezeichnet war – mitsamt allen aufgelassenen Tunneln, die schon längst in Vergessenheit geraten waren. Ich nahm diesen Plan mit, weil ich glaubte, dass er uns noch einmal von Nutzen sein würde. Der Abstieg dauerte nicht lange, dann standen wir in dem Rohrbahntunnel. Wir hielten uns an Kalhorms Anweisungen und wandten uns nach links. Unsere Schritte hallten in dem fünf Meter durchmessenden Tunnel. Im Schein der weit strahlenden Lampe sah ich Kritzeleien an den Wänden; zumeist politische Parolen irgendwelcher obskurer Vereinigungen. Ich las und vergaß sie sofort wieder. Nur eine der Parolen prägte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein: Tod dem Imperator Gonozal VII. – die Wegbereiter der Zukunft. Ich stieß Chapat an und sagte mit leicht belegter Stimme: »Das war mein Vater.« »Wurde er ermordet?« »Offiziell verunglückte er bei einem Jagdunfall.« »Glaubst du, dass die GGL dahintersteckte?« Ich registrierte zufrieden, dass Chapat mich erstmals duzte. Hatte ich das mit meiner Anspielung auf Ischtar erreicht? Vielleicht taute Chapat nun endlich etwas auf und gab einige seiner Geheimnisse preis. »Nein. Ich muss gestehen, dass ich bis jetzt noch nie etwas von den Wegbereitern der Zukunft gehört habe. Wahrscheinlich haben sie stets nur ein Schattendasein geführt. Nein, es ist bewiesen, dass mein Onkel und einige Mitverschwörer beim Tod meines Vaters nachgeholfen haben.« Wir gingen schweigend weiter. Die Parole hatte Erinnerungen geweckt. Orbanaschol, Sofgart, Offantur,
Amarkavor Heng und Psollien. Die Namen der Mörder waren unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt, ebenso ihr Ende. Bei vielen anderen Details wirkte aber die OMIRGOSBlockade, verhinderte allerdings, dass ich dem Berichtszwang verfiel. Wir kamen zum Ende des Tunnels. Chapat fand die Klappe in der Mauer, drückte seine Handflächen dagegen. Die Klappe sprang mit leisem Quietschen auf. Ich schaltete die Taschenlampe ab. Wir kletterten durch die Öffnung und verschlossen sie hinter uns wieder, befanden uns in einer weitläufigen Halle, die in ein diffuses Licht gehüllt war. Die Rohrbahn zeichnete sich vor dem helleren Grund als schwarzer Schemen ab. Arbeitsgeräusche drangen zu uns. Vorsichtig schlichen wir weiter. Plötzlich setzte sich ein Zug langsam in Bewegung. Über den Lautsprecher hörten wir, dass er außer Plan eingeschoben werden sollte, um die anderen Linien zu entlasten. Mir war es egal, welches Ziel dieser Zug anfuhr. Ich wollte erst einmal von hier fort und eine große Entfernung zwischen uns und dem Addin-Forum bringen. Wir sprangen auf den anfahrenden Zug auf und versteckten uns, bis er in die nächste Station einfuhr. Dort war es leicht, uns unter die anderen Fahrgäste zu mischen.
Wir brauchten später nur noch einmal umzusteigen, um einen Zug zum Tabbos-Atrium zu erwischen. Die Strecke war rund tausend Kilometer lang, die Fahrt dauerte etwa zwei Stunden. Terra-Stunden. Ich schätzte die verstrichene Zeit mithilfe meines Extrasinns. In unseren Wohnungen hatten wir arkonidische Kleidung gefunden, sodass wir nicht weiter auffielen. Chapat trug immer noch seine Altmännermaske. Ich benutzte die Fahrt dazu, ihn über das Leben auf Arkon I und die arkonidische Geschichte zu informieren. In dieser Zeit
tobte der Krieg gegen die Methanatmer, die Maahks. Aus verschiedenen Gesprächen der Reisenden hörte ich heraus, dass sie mit keinem Wort Orbanaschols Kriegstaktik zu kritisieren wagten. Die Kritik hoben sie sich für zu Hause auf, wenn sie sicher waren, nicht bespitzelt zu werden. »Wegen der Erlebnisse im Addin-Forum hatte ich eigentlich angenommen, dass sich alle Arkoniden abkapseln«, sagte Chapat leicht verwirrt. »Nun sehe ich aber, dass sich oftmals wildfremde Leute miteinander unterhalten.« »Im Addin-Forum war das Problem der Isolierung besonders krass«, erwiderte ich und revidierte an einigen Beispielen Chapats Bild von einem Planeten der Eremiten. Sicherlich legten die Arkoniden, besonders die Bewohner der drei Arkonwelten, viel Wert auf die Wahrung ihrer Intimsphäre. Das hinderte jedoch die meisten selbstverständlich nicht daran, sich zu geschäftlichen und gesellschaftlichen Anlässen zu treffen. Aber viele Arkoniden gaben sich nur betont umgänglich, um sich dann vielleicht tage- oder wochenlang zu Hause einzuschließen. Etliche fielen auch von einem Extrem ins andere, gaben sich ausgelassen, lebten schnell und ausgiebig einige Zeit, nur um sich dann ins Schneckenhaus zurückzuziehen, in völlig in sich abgeschlossene Wohngebiete mit Hunderten Kelchbauten unterschiedlicher Größe – Heim für Millionen Essoya des einfachen Volkes: Appartementpaläste mit individuell gestalteten Hängegärten und Terrassen der Innenhöfe; weiß und strahlend, aber abweisend die schmucklosen Außenfassaden. Die Bewohner der anderen Sonnensysteme, vornehmlich die Pioniere, kannten das Problem nicht. Auch viele Adlige waren nicht betroffen. Es gab ganze Bibliotheken, die mit Tausenden von Wälzern und Datenträgern über die rauschenden Feste des Adels von Arkon I gefüllt waren. Chapat hörte mir begierig zu, als ich ihm über die
früharkonidische Geschichte erzählte. Ich war mir aber nicht ganz sicher, ob Chapats Aufmerksamkeit nicht nur gespielt war. Hatte er vielleicht all diese Informationen schon längst vom Ischtar-Memory erhalten? Wusste Chapat nicht schon längst, dass eigentlich Arkon III die Ursprungswelt der Arkoniden war, dass dieser Planet aber bald für die rasch anwachsende Bevölkerung zu klein geworden und wegen der zunehmenden Bebauung zu unbehaglich geworden war, sodass man die benachbarten Planeten aus ihren Bahnen riss und auf die Umlaufbahn des dritten Planeten brachte? Seitdem waren alle drei Arkonwelten – Tiga Ranton – 620 Millionen Kilometer von der großen, weiß leuchtenden Sonne im Herzen des Kugelsternhaufens Thantur-Lok entfernt und zueinander als Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks platziert. Der direkte Abstand von Planet zu Planet betrug rund 1,074 Milliarden Kilometer. Die Welten waren in jeder Hinsicht »synchronisiert«, hatten keine nennenswerte Achsneigung, während die Eigenrotation auf allen jeweils 20 Tontas oder 28,37 Stunden entsprach. Wusste Chapat das wirklich nicht? Arkon I als Kristallwelt war der Wohnplanet mit seinen dezentralisierten Wohnsiedlungen aus Trichterbauten, die meist bis zu 500 Meter hoch waren. Dazwischen hatten die Planeten-Ingenieure Prachtparks angelegt, wie sie die Natur nicht schöner hätte erschaffen können – sorgsam umhegt und von unermüdlichen Robotern gepflegt, was zum Teil bizarre Urweltreservate und ebenso einen Wechsel von Klima, Fauna und Flora alle paar Kilometer dank unsichtbarer Kraftfeldkuppeln einschloss. Im offiziellen Sprachgebrauch der Inbegriff der Herrlichkeit: schön, prächtig, prunkvoll – und in jeder Hinsicht künstlich! Hier lebten sogar die einfachen Arkoniden der Essoya in einem Luxus, der für manche Völker nahezu unvorstellbar war. Sei es auf dem
Äquatorialkontinent Laktranor mit dem Sichelbinnenmeer Sha’shuluk und umgeben vom Hauptozean Tai Shagrat, sei es auf dem Nordpol- oder Hauptkontinent Shrilithra, dem Inselkontinent Shargabag, der Insel Vuyanna, der Großinsel Krysaon oder dem Südpol-Inselkontinent Kator-Arkoron. Auf Gos’Ranton befand sich auch das Regierungszentrum, das sich östlich des Shuluk-Ahaut-Gebirges auf 2000 Quadratkilometern ausbreitete – einem Quadrat von etwa 45 Kilometern Seitenlänge. Parklandschaft auf einem Hochplateau, von mehreren Gipfeln überragt, bestimmte die Umgebung. »Hügel der Weisen« lautete die Übersetzung des altarkonidischen Begriffs Thek-Laktran, abgeleitet von Laktrote als Bezeichnung für einen überlegenen Rang im Sinne von Weiser oder Meister. Mittelpunkt war der riesige Kristallpalast als eigentlicher Sitz des Imperators, die Perle Arkons; ringsum gab es Ministerien, Botschaften, Verwaltungszentren und ein Zehn-Kilometer-Landefeld. Bis in viele Kilometer Tiefe reichten Subetagen, Tiefbunkeranlagen und Positronengehirne, die zu den größten des Arkonsystems gehörten. Seit Orbanaschol III. mit seinen Beratern im Kristallpalast residierte, war die Bezeichnung »Hügel der Weisen« aber ziemlich unpassend. Die zweite Arkonwelt Mehan’Ranton war der Handels- und Industrieplanet, gleichzeitig auch der Sitz der Kolonialverwaltung. Hier wurden riesige Mengen von Gütern erzeugt, umgeschlagen und überallhin in das Imperium geliefert. Der größte Raumhafen gehörte zu Olp’Duor – neben Torgona die bedeutendste Stadt. Arkonwelt Nummer drei war der Kriegsplanet: Gor’Ranton. Obwohl in dieser Zeit die meisten Daten über diesen Planeten strengster Geheimhaltung unterlagen, wusste ich selbstverständlich, dass sich hier in erster Linie gigantische Raumschiffswerften und Landefelder befanden. Erst in
späterer Zeit würde es zum »Totalausbau« kommen, der die Welt in eine aus Stahl und Plastik verwandelte. Aber schon in dieser Zeit hatte es sich um einen ausgesprochenen Industrieplaneten gehandelt, dessen Oberfläche von den riesigen Raumhäfen geprägt wurde. Und schon jetzt war die planetare Kruste bis in große Tiefe ausgehöhlt. Überall gab es gewaltige Fertigungsbetriebe für alles nötige Zubehör – und natürlich die Wohnsiedlungen für die dort Beschäftigten und die Besatzungen der Kampfflotten des Tai Ark’Tussan. »Auf Arkon Drei befindet sich darüber hinaus auch die Keimzelle jener Anlage, aus der später einmal der Robotregent hervorgehen wird«, schloss ich. »In unserer Gegenwart existiert Arkon Drei nicht mehr; die Welt wurde schon vor Jahrhunderten – genauer: am dreißigsten September 2329 – bei einem Angriff zerstört.« »Ich weiß nicht, was ich von deinen Ausführungen halten soll«, sagte Chapat skeptisch. »Immerhin besteht die Möglichkeit, dass sie nicht authentisch sind.« »Sie sind authentisch, darauf kannst du dich verlassen«, sagte ich etwas von oben herab. »Denn erstens habe ich in jungen Jahren in dieser Zeit gelebt. Und zweitens kenne ich aus unserer Realität die Geschichtsaufzeichnungen der Arkoniden dieser Zeit. Ganz davon abgesehen, dass ich lange genug selbst im Arkonsystem gelebt habe.« »Dann solltest du dir aber überlegen, dass wir vielleicht auf eine andere Wahrscheinlichkeitsebene verschlagen wurden, in der die Geschehnisse der Realität überhaupt keine Gültigkeit haben«, erwiderte Chapat ironisch. »Wir leben in einem Traum, Atlan, da ist alles möglich.« Und damit waren wir wieder bei unserem Problem: Waren wir in einer geträumten Vergangenheit, die vom IschtarMemory willkürlich geformt worden war, oder war es tatsächlich eine Zeitreise in die »reale« Vergangenheit?
Tabbos-Atrium gehörte zu den größten Trichterbauten von Arkon I – ein 500 Meter hoher Monumentalbau am östlichen Fuß der künstlich geschaffenen Gebirgslandschaft, die das Hochplateau des Hügels der Weisen umgab, fast hundert Kilometer vom Kristallpalast entfernt. Der Gebäudesockel war mit 50 Metern Durchmesser extrem zierlich, dann wölbte sich die weiße und fensterlose Fassade geschwungen empor, sodass der Kelch an seinem oberen Ende weit ausladend war und dort einen Durchmesser erreichte, der seiner Höhe entsprach. Alle Wohneinheiten öffneten sich auf der Innenseite zu Terrassen, die stufenförmig angeordnet waren. Der freie Raum im Zentrum des Wohnbaus, das Atrium, blieb nicht ungenutzt. Eine raffinierte Einrichtung von Projektoren ließ die Schaffung von Energiesphären zu, in denen sich die Bewohner zu gemeinsamen Veranstaltungen treffen konnten. In halber Atriumshöhe schwebten zwei milchige Disken von fünfzig Metern Durchmesser, von denen sich Kraftfeldbrücken als Lumineszenzbänder zu Terrassen schwangen. Die Fensterreihen der oberen Etagen blitzten im Licht der Scheinwerfer, vereinzelt war das Flirren von Prallfeldern und Energieschirmen zu bemerken. Das Atrium hatte die Ausmaße eines kleinen Stadions: Auf vier verschiedenen Ebenen, durch Rampen und kurze Treppen verbunden, breitete sich zwischen unregelmäßig verteilten Metallzylindern eine Parklandschaft aus. Rasenflächen wechselten mit Beeten voller leuchtend bunter Blumen und großkronigen Bäumen ab. Hier wohnten nur wohlhabende Bürger, Mitglieder des Tai Than, die dem Imperator nahestanden, bewährte Offiziere mit ihren Familien; viele Adelige hatten im Tabbos-Atrium Zweitwohnungen. Einige Appartements wurden von der Regierung für reisende
Diplomaten frei gehalten. Neunzig Etagen, nach innen hin als Terrassenparks abgestuft, verdeutlichten Rang und Namen: je höher die Adresse, desto angesehener der Bewohner. EthanKhor gehörte die halbe Etage im zehnten Stock des Trichters. Er war um fast einen Kopf kleiner als ich, schlank, und seine Haut wies überall bronzefarbene Pigmente auf, die wie Sommersprossen aussahen. Er puderte sich, um die »Sommersprossen« zu überdecken. Er ließ Chapat und mich während unseres kurzen Aufenthalts in bemerkenswerter Arroganz wissen, dass er von hohem Adel und immerhin beim Imperator so angesehen sei, dass er im Kristallpalast nach Belieben ein und aus gehen könne. »Dann würde Ihrem Stand eher eine Dachterrasse entsprechen, Hochedler«, sagte ich nicht ohne Spott. »Wie wahr«, sagte Ethan-Khor seufzend. »Aber was tut man nicht alles für die Organisation.« »Damit sind wir beim Thema. Sie wissen, warum wir hier sind.« »Ich bin unterrichtet worden. Es ist heller Wahnsinn, was Sie vorhaben! Aber bitte, es ist Ihr Leben, das Sie wegwerfen.« »Ihre Ratschläge sollten sich darauf beschränken, uns den Einbruch ins Archiv zu erleichtern«, sagte Chapat ungehalten. »Warnungen haben wir genug gehört. Es sieht fast so aus, als wollten Sie uns von unserem Vorhaben abhalten. Ist Ihre Organisation nicht an Informationen interessiert?« Ethan-Khor war eingeschnappt, wandte sich ab und ging zu einem Tresor seines Arbeitszimmers, der im Boden versenkt werden konnte. »Ich habe hier einen Plan der äußeren Anlagen des Archivs«, sagte er pikiert. »Hier sind alle Zugänge eingezeichnet. Sie werden von Kralasenen bewacht …« Sofgarts wilde Söldnertruppe! »Darüber hinaus gibt es natürlich noch eine Reihe technischer Fallen, über die ich im Einzelnen nicht Bescheid weiß. Aber ich habe ein Armband-
Ortungsgerät, das auf die Frequenz der Warnanlage abgestimmt ist. Damit können Sie bei richtiger Handhabung die Fallen aufstöbern. Das trifft aber nur auf den Außenring zu. Was Sie im eigentlichen Archiv erwartet, kann ich Ihnen nicht sagen … Ach ja, ehe ich es vergesse, Ihr Kontaktmann ersuchte mich, Ihnen auch Waffen zu beschaffen. Sie werden Ihnen heute Abend an dieser Stelle übergeben, die auf dem Plan als Kreuz eingezeichnet ist. Jetzt muss ich Sie leider verabschieden. Ich habe gesellschaftliche Verpflichtungen.«
Das Hochplateau erhob sich vor uns als beachtliches Massiv, das von schneebedeckten Gipfeln überragt wurde. Prachtstraßen zogen sich als flimmernde Lichterbänder hinauf und verschwanden mehrere hundert Meter über uns auf den Pässen zwischen Bergen aus dem Blick. Chapat und ich waren vom Tabbos-Atrium quer durch die Parks, den frequentierten Wegen immer ausweichend, auf unser Ziel losmarschiert. Warntafeln verkündeten, dass das Verlassen der gekennzeichneten Wege auf eigene Gefahr geschah. Das beunruhigte Chapat, doch ich behauptete, dass hier Gefahr nur durch die Patrouillen drohe, aber denen würden wir ja nicht gerade in die Arme laufen. Erst am Ende des öffentlichen Parks, am Fuß der Berge, wo das Gelände uneben wurde und der Boden immer felsiger, hatte Orbanaschol Fallen aufstellen lassen. Sie waren alle in dem Plan eingezeichnet, den uns Ethan-Khor ausgehändigt hatte. Nach vier Tontas würde dieser sich selbst entzünden und zu Asche werden. Wir hatten nicht viel Zeit. »Wir sind gleich da«, raunte ich. »Dort ist die senkrechte Felswand, aus der in einer Höhe von zwanzig Metern zwei Kriechbäume ragen. Darunter soll unser Kontaktmann mit den Waffen auf uns warten. Von dort ist es nicht mehr weit bis
zum Geheimarchiv.« Zehn Meter von der bezeichneten Stelle entfernt machten wir Halt, um die Lage zu erkunden. Es konnte immerhin sein, dass Kralasenen bis hierher vorgedrungen waren. Chapat versuchte, die Dämmerung zu durchdringen. »Ich sehe niemanden. Es scheint niemand da zu sein.« »Irrtum!«, ertönte eine Stimme hinter uns. Wir wirbelten herum. Dort standen fünf Soldaten, die entsicherte Thermostrahlkarabiner trugen; nur ihr Anführer, der zwei Schritte abseits stand, hatte einen Blaster in der Hand. »Ich dachte schon, dass ihr nicht mehr kommen würdet.« »Ethan-Khor, dieser Hund, hat uns verraten«, stieß Chapat wütend hervor. »Ach?«, tat der Orbton erstaunt. »Von diesem verarmten Erhabenen haben wir den Wink bekommen. Ist eben mal ein On Sechster Klasse.« Als er dies sagte, hatte ich bereits den Paralysator in der Hand, von dem nicht einmal Kalhorm etwas gewusst hatte, denn sonst wäre auch Ethan-Khor darüber informiert gewesen. Chapat reagierte ebenfalls blitzschnell. Ehe die Soldaten begriffen, was überhaupt geschah, brachen sie zusammen. Als die Gelähmten am Boden lagen, bestrich Chapat sie noch zusätzlich mit einem breit gefächerten Paralysestrahl. »Jetzt müssen wir sehen, wie wir allein zurechtkommen«, sagte ich. »Aber wenigstens haben wir den Plan des Archivs und das Ortungsgerät.« Wir pirschten uns durch die Dämmerung, wichen zwei Fallen aus und hielten uns im toten Winkel der auf Individualschwingungen jeder Art reagierenden Kameras. Obwohl wir darauf gefasst waren, dass sich der Verräter Ethan-Khor gegen alle Eventualitäten abgesichert hatte,
stolperten wir dennoch in die Falle. Bevor wir noch einen Gegner zu Gesicht bekommen hatten, wurden wir von einem Paralysestrahl aus dem Hinterhalt bewegungsunfähig gemacht.
3. So kannte das Große Imperium den mächtigen Imperator: auf dem Kristallthron sitzend, in prunkvolle Gewänder gehüllt. Den Rücken leicht an der Lehne, den Kopf etwas nach vorn gebeugt. Eine angespannte Ruhestellung einnehmend: locker wirkend, dennoch lauernd, ständig zum Sprung bereit, um sich auf seine Feinde zu stürzen, wenn es sein musste; ein Beschützer seines Volkes und ein Eroberer. Der markante Kopf, von silbernem Haar umrahmt, war erhoben. Der Blick geradeaus gerichtet, in unbestimmte Fernen und doch alles in nächster Nähe sehend. Augen, in denen alles war, was Augen ausdrücken konnten. Die Linke hatte er entspannt auf der Armstütze liegen, die Finger mit kostbaren Ringen überladen. Die Rechte hielt das Zepter umspannt, das an seiner Spitze eine Kristallkugel trug. In dieser flimmerte ein Miniaturabbild der Galaxis, die von einem gleichseitigen Dreieck umschlossen war. Die Eckpunkte des Dreiecks wurden von grünblauen Kugeln gebildet: den drei Synchronwelten von Tiga Ranton. Dieses Bild Seiner Erhabenheit Orbanaschol III. ging in die ganze Galaxis hinaus. Es war seine liebste Pose, die er unbewusst auch dann einnahm, wenn er im Kreis seiner engsten Vertrauten konferierte. Aber vor seinen engsten Vertrauten nahm er kein Blatt vor den Mund – wenngleich das aus mehreren Gründen nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß. Für einen Arkoniden war der Imperator ungewöhnlich gedrungen, beinahe schon fett. Sein Gesicht war feist und rundlich, die kleinen Augen verschwanden fast unter den dicken Tränensäcken; die ganze Person wirkte unangenehm und
verschlagen. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, sobald er den Mund öffnete. Seine Stimme klang dünn und fistelnd und schlug über, sobald er in Erregung geriet, aber niemand in seiner Nähe wagte es, auch nur eine Miene zu verziehen. Die Stimme wurde besonders unangenehm, wenn sich Orbanaschol III. erregte.
»Verdammt, bin ich denn nur von lauter Idioten umgeben!«, herrschte er die Staatsmänner, hohen Beamten und Orbtonen an, die katzbuckelnd vor dem Thron standen. Es gab durchaus einige, die es aufgrund ihrer Leistung wagen konnten, gegen den Imperator aufzubegehren, doch sie wussten, dass es keineswegs klug war, Orbanaschol III. in einer seiner Schimpftiraden zu unterbrechen. »Die arkonidische Flotte ist unschlagbar!, höre ich meine Strategen dauernd sagen. Und dann erleidet sie gegen diese Methan atmenden Barbaren, diese Tiere von Maahks, eine Niederlage nach der anderen. Wo sind die Zeiten, da ein Admiral Thetaran mit zwanzig Kampfschiffen einen Verband mit der fünffachen Anzahl von Schiffen der Methans aufgerieben hat? Die Voraussetzungen waren damals die gleichen wie heute. Unser Kriegspotenzial wurde im Verhältnis zu dem der Methanatmer sogar noch verstärkt. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass es heute keinen Admiral Thetaran mehr gibt. Die arkonidische Flotte ist immer noch unschlagbar. Es muss also an den Flotten- und Geschwaderkommandanten liegen.« Orbanaschol machte eine Pause, um zu Atem zu kommen. Einer der Admirale wollte diese Gelegenheit nutzen, um die Militärs zu rechtfertigen. De-Keon’athor Geltoschan da Saran war ein Dreisonnenträger; zwar ein guter Militär – er galt als einer der erfolgreichsten Flottenführer im Kampf gegen die Methans –, politisch aber eher desinteressiert. In
Flottenkreisen wurde er als loyal eingestuft, allerdings mehr dem Tai Ark’Tussan verpflichtet, nicht unbedingt der Person des Imperators in Gestalt Orbanaschols. Die Einsatzgeschwader der 4. Imperiumsflotte – insgesamt etwa 80.000 bis 100.000 Einheiten aller Größenordnungen, darunter 10.000 Schlachtschiffe der Imperiumsklasse! – waren dem Flottenhauptstützpunktsystem Amozalan zugeordnet. »Verzeihen Sie meinen Einwand, mein Imperator. Aber ich muss doch darauf hinweisen, dass die Gründe für die letzten unbedeutenden Niederlagen viel differenzierter sind, als Ihr sie darstellt. Das Tai Ark’Tussan expandiert ständig. Grenzen, die heute noch Gültigkeit haben, sind morgen schon längst überholt. Der Kriegsapparat ist behäbiger, kann sich den ständig wechselnden Verhältnissen nicht so rasch anpassen …« »Sage ich doch, dass der arkonidische Kriegsapparat behäbig geworden ist!«, donnerte der Imperator. »Das Große Imperium wächst, doch es gewinnt nicht an Masse. Wenn das so weitergeht, wird unser Reich bald mit einer gigantischen Qualle zu vergleichen sein. Und irgendwann wird diese Qualle zusammenfallen, weil das Militär nicht in der Lage ist, ihr Lebenshilfe zu geben. Und das liegt einzig und allein an den Offizieren, denn unser Kriegspotenzial wächst mit dem Imperium, nur die Männer, die es handhaben, wachsen nicht mit. Solange nicht einmal die innere Sicherheit unseres Sternenreichs gewährleistet ist, so lange nehme ich mir die Freiheit, zu sagen, dass ich von lauter Idioten umgeben bin. Und Sie gehören dazu, Admiral!« Nun glaubte Innenminister Hersor Del-Fufulgon, einen Einwand wagen zu dürfen. »Erlaubt mir, Höchstedler, dazu etwas zu sagen …« Orbanaschol grunzte zustimmend. Der hochgewachsene und schlanke Mann fuhr fort: »Die Statistik hat eindeutig bewiesen, dass die prozentuale Sicherheitsquote
den höchsten Stand seit Eurer Thronbesteigung erreicht hat …« Der Ka‘Addagtis des Zwölferrates gehörte als Dellen – ein »Del-Graf Zweiter Klasse« – »nur« dem Mittleren Adel an. Ihm unterstanden unter anderem die Polizei und das Ressort der Inneren Sicherheit des Tai Ark’Tussan; es war durchaus üblich, dass der Ka’Addagtis zugleich auch Befehlshaber eines Geheim- oder Nachrichtendienstes war – im Fall von DelFufulgon war er der Tu-Ra-Cel-Chef der Tussan AddagCel’Zarakh, der Imperiums-Innenaufklärung, kurz TACZ. Die arkonidische Sicht, das »Celis« von »Augen« als Synonym für Geheimdienst zu verwenden – sei es bei Tussan Goldan Celis als den »Goldan-Augen des Imperiums« oder beim Tussan Ranton Celis als den »Augen der ImperiumsWelten« –, traf den Kern der Angelegenheit mit bemerkenswerter Genauigkeit. Vergleichbares betraf andere Umschreibungen wie Cel’Zarakh als »Augen in der Dunkelheit« oder »Augen auf das Geheime« im Sinne von »Aufklärung« sowie unter dem Aspekt von Nachrichtendiensten beim Ksol’Zarakh im Sinne von »Nachricht/Information in der Dunkelheit«, wobei das ursprüngliche Zarakh – wörtlich »Dunkelheit, Finsternis, fehlendes Tageslicht«, aber auch »Nachtseite (eines Planeten)« – in der arkonidischen Frühzeit als Umschreibung für »Auflösung, Begräbnis, Sarg« oder als poetische Umschreibung für »Tod« verwendet wurde, im weiteren Sinne allerdings ebenso für »geheim, Geheimnis« oder »rätselhaft« stand. Wer überdies tiefer in den Wust der unterschiedlichen Organisationen und Kompetenzen einstieg, erkannte schnell, dass im Großen Imperium von dem Geheimdienst gar nicht gesprochen werden konnte, obwohl natürlich die TRC-Celistas des Innen- und Sicherheitsministeriums eine wichtige Rolle
spielten. Es gab darüber hinaus weitere machtvolle »Dienste«, die ebenso bekannt wie gefürchtet waren – wie beispielsweise die TGC von Ka‘Mascantis Offantur Ta-Metzat, die Kralasenen des Blinden Sofgart oder jene des Gos’Laktrote des Berlen Than, der schon von Amts wegen in die vielfältigen Sicherheits- und Abwehrmaßnahmen eingebunden war, zum Schutz des Imperators durch die Kristallgarde, im weiteren Umfeld durch die damit verbundene militärische Komponente einschließlich der der Thek-Laktran-Admiräle des Flottenzentralkommandos von Arkon III sowie seiner diversen Geheimdienste und ihrer Aktivitäten. »Und wie war es vorher, während der Regierungszeit meines Bruders?« Del-Fufulgon fühlte sich offenbar unbehaglich, während er sagte: »Leider fehlen mir darüber Angaben, sodass ich keine Vergleichsmöglichkeiten habe. Aber selbstverständlich könnte ich …« »Interessiert mich nicht«, sagte Orbanaschol schroff. »Ich weiß ohnehin, was dabei herauskommt. Es ist auch völlig belanglos, wie hoch die prozentuale Sicherheit im Imperium ist. Damit will man nur über die beängstigenden und bedrohlichen Vorgänge auf der Kristallwelt hinwegtäuschen. Ich bin sicher, dass der Vorfall im Addin-Forum, in Prozenten ausgedrückt, von den Statistikern als völlig unbedeutend gewertet wird. Tatsache aber ist, dass uns damit eine bislang kaum in Erscheinung getretene Untergrundorganisation empfindlich geschadet, ja uns direkt lächerlich gemacht hat. Wie steht es nun, verehrter Minister? Haben Sie die GGL zerschlagen?« Der Minister für Innere Sicherheit fühlte sich noch unbehaglicher. »Noch nicht, Imperator. Wir … wurden getäuscht.« »Heraus mit der Sprache! Gestehen Sie Ihr Versagen in
vollem Umfang ein.« Der Ka’Addagtis versuchte, die Niederlage zu retuschieren. Orbanaschol filterte sich jedoch folgende Tatsachen heraus: Die GoGoLo hatten einen Wohntrichter im Addin-Forum überfallen, in dem gerade ein Treffen der Einsamen stattfand. Die Polizei wurde alarmiert, umstellte die Wohnsiedlung. Es kam zum Kampf mit den vermeintlichen Terroristen, die an Spiegelmasken zu erkennen waren. Fast alle wurden im Kampf getötet, die Überlebenden peinlichen Verhören unterzogen. Dabei stellte sich heraus, dass es sich durchweg um harmlose Mitläufer handelte oder überhaupt um Unschuldige, die unter Drogen standen und gar nicht wussten, worum es ging. Die Rädelsführer dagegen entkamen. »Ich habe dazu nicht viel zu sagen, die Tatsachen sprechen für sich«, sagte Orbanaschol mit gefährlicher Ruhe. Dann donnerte er los: »Aber wenn diese Untergrundorganisation nicht binnen drei Pragos mit allen ihren Führern ausgehoben worden ist, werden Köpfe rollen, Herr Sicherheitsminister.« Niemand im Thronsaal zweifelte daran, dass der Imperator seine Drohung wahr machen würde. Stille senkte sich über die sehr große Halle von den Ausmaßen eines KAYMUURTESStadions, an deren Decke die Darstellung des Kugelsternhaufens Thantur-Lok vor der Galaxisspirale im Hintergrund zu sehen war. Das schwarze Deckengewölbe funkelte von Milliarden Kristallen. »Oder ist Ihnen lieber, wenn sich Offantur darum kümmert?« Offantur befehligte als Mascant und dreifacher Sonnenträger mit besonderer Auszeichnung die Politische Geheimpolizei des Imperators mit dem verharmlosenden Akronym Tu-GolCel. Die TGC hatte sich unter Offantur – einer Bestie in Arkonidengestalt – so entwickelt, dass sie fast so schlimm wie Sofgarts Kralasenen war. Orbanaschol hätte kein willfährigeres Werkzeug finden können als ihn, seinen
ehemaligen Ersten Diener und zugleich engsten Vertrauten, der schon vor dem Mord an Gonozal VII. viele schmutzige Geschäfte für seinen Herrn erledigt hatte. Nach der Machtübernahme im Jahr 10.483 da Ark war der Mann rasch zum Ta-moas erhoben worden – zum »Ta-Fürsten Erster Klasse« im Sinne eines Erzherzogs. Äußerlich ein gut aussehender Arkonide, mit einem angenehmen Gesicht und ausgesucht guten Manieren – doch hinter dieser Fassade verbarg sich der Charakter eines Mannes, der notfalls über Leichen ging. Sein offizieller Titel des »Kristallmarschalls« als Mitglied des Berten Than lautete Gos’Mascant oder Ka‘Mascantis, was dem Hofmarschall als oberstem Beamten des imperialen Hofes entsprach. Von Amts wegen war er Vorgesetzter der Zeremonienmeister. »Nun zu einem anderen Punkt«, sagte Orbanaschol nach einer Weile. »Es geht dabei wiederum um die innere Sicherheit des Imperiums, die Sie mit Ihrem Leben garantieren, meine Herren. Erinnern Sie sich an diesen Schwur! Man führe den Kurier des Blinden Sofgart herein.« Sofgart hatte dessen Erscheinen angekündigt. In einer ersten Meldung war mitgeteilt worden, dass er Atlan noch nicht hatte stellen können, aber dem Zentralorgan des QuaddinKörpers auf der Spur und somit dem Stein der Weisen einen Schritt näher gekommen war.
Der Auftritt des Kuriers war kurz. Er überbrachte dem Imperator einen Speicherkristall und durfte wieder gehen. Orbanaschol wollte sich später noch mit ihm unter vier Augen unterhalten. Die Aufzeichnung wurde abgespielt. Der Absender war in der Tat Sofgart, Orbanaschols Bluthund, der Anführer der gefürchteten Kralasenen-Truppe. Offiziell
bekleidete er das Amt des Oberbeschaffungsmeisters im Berlen Than. Als Ka’Chronntis war er zuständig für die Finanzen, Wirtschaft, Steuern, Sektorenaufsicht und die gesamte zivile Logistik – einschließlich Handel, Nachschub und Logistik auf Arkon II –, sodass er schon von Amts wegen einer der mächtigsten Männer im Imperium war. Er berichtete, dass er der Spur des Steins der Weisen mit großem Erfolg bis ins Schwarze System nachgegangen sei. Hier gelang es ihm, das Zentralorgan des Quaddin-Körpers noch vor Atlan zu finden. Nun glaubte er, mithilfe des Zentralorgans endgültig in den Besitz des Steins der Weisen zu kommen. Gleichzeitig werde er auch in der Lage sein, endlich seine Hauptaufgabe zu erledigen: nämlich diesen Atlan, der Ansprüche auf den Thron von Arkon stellte, zu töten. Die Falle sei bereit. Als die Holoprojektion erlosch, gratulierten die Politiker und Orbtonen dem Imperator zu diesem schönen Erfolg. Orbanaschol lächelte wissend auf seine Vertrauten hinab. »Lauter Intriganten«, sagte er und registrierte amüsiert, dass sich alle über diesen Ausspruch empört zeigten. »Ihr wisst ganz genau, dass es sich bei Sofgarts Bericht nicht um eine Erfolgsmeldung handelt. Dass er das Zentralorgan hat, bedeutet noch überhaupt nichts. Noch hat er den Stein der Weisen nicht. Und ihr freut euch darüber, dass es so ist, weil ihr einem anderen diesen Erfolg nicht gönnt. Das Wohl des Imperiums ist euch völlig egal. Jeder von euch denkt nur an seinen persönlichen Erfolg.« Die Männer protestierten, versicherten, dass sie an Sofgart glaubten und im Interesse aller hofften, dass er den Stein der Weisen finden werde. Im nächsten Augenblick jedoch schon zeigten sie ihre wahre Einstellung zum Führer der gefürchteten Kralasenen. Zuerst nur schüchtern machten sie Bedenken geltend: Sofgart sei viel erfolgreicher, würde er mit der Flotte und den Geheimdiensten zusammenarbeiten. Doch
er war es, der stets auf eigene Faust arbeitete, um den Ruhm nicht mit anderen teilen zu müssen. Als sie sahen, dass der Imperator ihren Ausführungen interessiert lauschte, wurden sie mutiger, kritisierten den Kralasenenführer offen, griffen ihn sogar an. Mit den ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln hätte Sofgart schon längst Erfolg haben müssen. Nicht nur, was die Auffindung des Steins der Weisen betraf er hätte auch schon längst den mit unzulänglichen Mitteln kämpfenden »Atlan« zur Strecke bringen müssen. Der Blinde Sofgart sei ein Versager! Oder gar ein Verräter? Vielleicht braute sich in dieser Richtung etwas hinter dem Rücken Seiner Erhabenheit zusammen … Der Kurier könne darüber vielleicht Auskunft geben, hatte sich wahrscheinlich lange Zeit in unmittelbarer Nähe Sofgarts aufgehalten. Freiwillig würde er natürlich nicht auspacken. Aber ein Verhör könne Wunder bewirken … Orbanaschol III. von Natur aus allem und jedem gegenüber misstrauisch, stimmte zu. Der Kurier werde zu einer eingehenden Befragung in eine Folterkammer gebracht. Aber das genügte den Vertrauten nicht. Sie hassten den Blinden – und intrigierten weiter gegen ihn. »Sofgart hat viele Erfolge aufzuweisen, das ist unbestritten …«, sagte einer heuchlerisch und fügte sofort ein »Aber« an: »Aber warum versagt er gerade immer dann, wenn es um diesen Atlan geht? Möglich, dass dieser Bursche ein überragendes strategisches Genie ist …« »Er ist ein erbärmlicher Wurm«, fiel der Imperator dem Sprecher ins Wort. »Er ist ein Emporkömmling! Ein Schwindler! Es ist mir unverständlich, dass es noch niemandem gelungen ist, mir seinen Kopf zu bringen. Ein ganzes Imperium gegen einen einzigen Mann! Und der eine bleibt immer wieder Sieger. Noch deutlicher kann die Unfähigkeit meiner Leute wohl nicht demonstriert werden.«
»Darf ich berichtigen, mein Imperator?«, bat Kriegsminister Organ Ma-Vlerghont. »Ihr selbst wart es, der Sofgart beauftragte, Atlan zur Strecke zu bringen. Ihr gabt ihm alle Vollmachten, die der Kralasenenführer dahin gehend anwandte, uns bei der Jagd auf diesen Renegaten auszuschalten. Sofgart allein trägt die Verantwortung.« Orbanaschol konnte nicht umhin, dem Ka’Gortis Recht zu geben. Und er sprach das aus, was ihm seine Berater in den Mund gelegt hatten: Wenn Atlan kein alles überragendes Genie war, war der Blinde Sofgart ein Versager! Er drückte diese Überlegung aber in anderen Worten aus. »Es wird langsam Zeit, dass Sofgart meinen Befehl ausführt und mir Atlans Kopf bringt. Atlan ist keine Gefahr für das Imperium, er ist eine winzige Stechmücke. Aber auch Stechmücken können unangenehm werden. Und vor allem lästig.« Was Seine Erhabenheit nicht laut aussprach, war der Gedanke, dass er wohl keine ruhige Zentitonta haben würde, solange dieser Atlan nicht zur Strecke gebracht war. Ob es sich nun um den echten Thronerben handelte oder nicht – Orbanaschol wollte seinen Kopf haben. Um jeden Preis! Denn je länger dieser Atlan seine Mückenstiche austeilte, desto stärker und giftiger wurden sie. Und wer wusste schon – irgendwann würde er vielleicht doch so stark sein, um seinen, Orbanaschols, Thron zum Wanken zu bringen. Dazu durfte es nicht kommen. Dieser Atlan musste schnellstens ausgeschaltet werden. Obwohl Sofgart bisher an dieser Aufgabe gescheitert war, kannte Orbanaschol keinen geeigneteren Mann dafür. Er würde ihm noch eine Frist gewähren. Bis dahin musste Sofgart mit einem Erfolg aufwarten und ihm entweder den Stein der Weisen oder Atlans Kopf präsentieren. Am besten natürlich beides.
4. Der Richter hatte schlechte Laune, weil er es heute wieder mit einem Dutzend Dutzendfällen zu tun bekommen würde. Er hatte die Hoffnung auf eine steile Karriere schon längst aufgegeben. Früher war er der Meinung gewesen, dass er es durch Eifer und Tüchtigkeit und Imperiumstreue zu etwas bringen konnte. Oberster Richter von Arkon I, das wäre schon was gewesen! Doch bald musste er einsehen, dass ihm eine Fähigkeit abging, die ein Garant für eine Karriere war: Er konnte nicht intrigieren. Nachdem er eingesehen hatte, dass ihm diese wesentlichste Voraussetzung für ein hohes Staatsamt fehlte, fand er sich schnell damit ab, zeit seines Lebens Urteile im Schnellverfahren zu fällen. Manchmal wurde er als Untersuchungsrichter für diffizilere Fälle herangezogen. Aber das besserte seine Laune nicht, im Gegenteil. »Name?« »Amtos.« »Sie wohnen im Addin-Forum?« »Jawohl, Erhabener.« Der Delinquent stand aufrecht vor der Richterbank, hinter der neben dem Richter vier weitere hohe Beamte saßen. Einer davon war einer der Katorthan‘athorii, einer jener »Komiteeführer« oder »Komiteepräsidenten«, die als »Hüter der Ordnung, der Moral und guten Sitten« eingesetzt waren. Trotz – oder wegen – dieser hochtrabenden Bezeichnung waren die Katorthan’athorii gewöhnliche Spitzel, die die wohl schmutzigste Arbeit im Dienste Orbanaschols verrichteten. Offiziell unterstanden sie zwar den Hohen Inspekteuren, doch sie waren andererseits auch und vor allem dem Imperator direkt und persönlich verantwortlich.
Katorthan’athor Perpeteons Leute hatten den verdächtigen Amtos und dessen Freund Ecridian, der dem Untersuchungsrichter gleich im Anschluss vorgeführt werden sollte, in der Nähe vom Tabbos-Atrium aufgegriffen. Perpeteon neigte sich zum Ohr des Richters und flüsterte ihm zu: »Amtos war während des Massakers der GoGoLo im Addin-Forum.« Der Richter räusperte sich. »Amtos, gehören Sie zu jenen kontaktarmen Leuten, die sich von der Gesellschaft absondern und irgendwelchen obskuren Organisationen anschließen?« »Ich gehöre keiner Organisation an.« »Hm, ich meine natürlich Organisationen im weitesten Sinn. Zum Beispiel die Klubs der Einsamen.« »Ich zähle mich nicht zu den Einsamen. Ich bin alles andere als kontaktarm.« Der Richter blickte auf seine Unterlagen. »Wie lange haben Sie Ihre Wohnung im Addin-Forum nicht mehr verlassen?« Der Delinquent zögerte kurz. »Seit zwei Pragos nicht mehr.« »Gehen Sie oft außer Haus?« »Ja.« »Wie oft?« »Das ist schwer zu sagen.« »Gehen Sie wenigstens einmal am Tag fort? Oder gehen Sie am Tag mehrmals in dem Wohnbau, in dem Sie wohnen, ein und aus?« »Das ist unterschiedlich. Manchmal kommt das schon vor.« »In letzter Zeit auch?« »Jawohl.« »Wie kommt es dann, dass keiner der Hausbewohner Sie in den letzten Votanii gesehen hat?« »Das mag daran liegen, dass sich die anderen in ihren Unterkünften verkriechen …« »Wie kommt es, dass sich keiner der Bewohner an Ihr
Gesicht erinnern kann? Alle Befragten behaupteten, Sie noch niemals gesehen zu haben.« »Wenn ich nach den Mitbewohnern gefragt würde, würde ich auch niemanden von ihnen wiedererkennen.« »Vielleicht deshalb, weil Sie erst zugezogen sind?« »Ich bin schon viele Jahre im Addin-Forum gemeldet.« »Die Wohnung ist auf den Namen Amtos gemeldet. Aber ist das auch Ihr Name?« »Jawohl.« »Weisen Sie sich aus.« »Ich habe meine ID-Marke leider nicht bei mir. Aber …« Der Richter winkte ab. Er hatte vom Komiteeführer den Auftrag bekommen, den Delinquenten unter allen Umständen ordnungsgemäß in Untersuchungshaft zu nehmen. Dafür reichten die Indizien bereits aus. Er wollte die Verhandlung nicht unnötig in die Länge ziehen. »Das genügt. Wir werden Sie in Untersuchungshaft nehmen, solange Ihre Identität nicht einwandfrei erwiesen ist. Den nächsten Fall, bitte.« Amtos wurde abgeführt. Kurz darauf verlief die nächste Verhandlung nach dem gleichen Schema. Nur war diesmal der Delinquent Ecridian. Auch er wurde in Untersuchungshaft genommen und von einer Eskorte abgeführt, die aus Männern bestand, die Katorthan’athor Perpeteon unterstanden.
Arkon I, Helsgeth-Kelch: 22. Prago des Eyilon 10.498 da Ark Als wir abgeführt wurden, glaubten wir noch, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Offenbar hielt man uns für harmlose Tagediebe, die routinemäßig einsperrt wurden, ohne uns irgendwelche politische Bedeutung beizumessen. Unsere Hoffnungen sanken jedoch jäh, als wir in ein Verhörzimmer gebracht wurden. Ein Mann, der sich als Perpeteon vorstellte und einer der vier Beisitzer gewesen war,
erwartete uns schon. Als er seinen Titel nannte, wusste ich, dass ich es mit einem der insgesamt 144 gefürchteten »Komiteeführer« zu tun hatte; die Bezeichnung »Hüter der Ordnung, der Moral und guten Sitten« – Addag’gosta-LaktrukkLaktradol – hätte auch einem Generalinquisitor wie Torquemada gut gestanden. Jeder der jeweils zwölf Katorthan’athorii unterstand einem der zwölf Ka’Celis genannten Hohen Inspekteure, die alle zum Großen Rat gehörten, von denen jedoch nur der Erste als Ka’Celis-moas auch Mitglied des zwölfköpfigen Regierungsgremiums des Berlen Than war und damit gleichzeitig im Ministerrang Chef des »Amts für Fremdvölkerbelehrung«, des Gon‘thek Breheb‘cooi-Faehgo, das häufig engstens mit den Celista-Geheimdiensten zusammenarbeitete und mitunter durchaus »inquisitorische Züge« annahm. Es kam häufig vor, dass der Ka’Celis-moas gleichzeitig auch Chef eines der Geheim- oder Nachrichtendienste war, von denen es bei den Arkoniden stets eine ganze Reihe gab. Sie ließen sich grob in die Bereiche Außenaufklärung, Innenaufklärung, Militärische Abschirmung und Geheimpolizei untergliedern und unterhielten als fünftes Element besondere Einsatzgruppen für Sabotage, Zersetzung, Infiltration, Terror und dergleichen. Auf Arkon I wie im übrigen System und auch im Tai Ark’Tussan insgesamt wetteiferten die diversen Dienste und Organisationen miteinander, dachten aber im Konkurrenzkampf um die Gunst des Imperators nicht daran, zusammenzuarbeiten. Hinzu kam, dass sämtliche mächtigen Familien des Adels eigene Dienste unterhielten, sodass unter dem Strich ein wahrhaft byzantinisches Geflecht der Zuständigkeiten, Kompetenzen, Seilschaften, Loyalitäten und wie auch immer zu bezeichnenden Beziehungen entstand – und es ständig dazu kam, dass die eine Seite nicht wusste, was die andere tat.
Parallel zu ihrer Komitee-Funktion hatten die Katorthan’athorii meist noch andere offizielle Funktionen und Ränge inne; die zwölf Katorthan’athorii des Ka’Celis-moas jedenfalls standen unausgesprochen im Rang über den übrigen und hatten unter Nutzung ihrer Vollmachten sogar das Recht, Urteile zu fällen und vollstrecken zu lassen. »So, jetzt reden wir einmal ein offenes Wort miteinander«, sagte Perpeteon. Er sah, wie Chapat und ich in Verhörstühle gesetzt und angeschnallt wurden, überprüfte den Sitz der Arm- und Fußschellen, nickte zufrieden und schickte seine Leute hinaus. »So, jetzt reden wir einmal offen miteinander.« »Sie wiederholen sich«, sagte Chapat spöttisch. Perpeteon, der an einem Schaltpult stand, drückte einen Hebel nieder. Chapat schrie auf, als elektrische Stöße seinen Körper durchrasten. »Ein Vorgeschmack dessen, was Sie unter Umständen erwartet. Glauben Sie nur nicht, mich könnten Sie so leicht hinters Licht führen wie den dämlichen Richter. Ich weiß, was gespielt wird. Was hatten Sie beim Tabbos-Atrium zu suchen?« »Wir waren zu Besuch«, antwortete ich, »bei einem guten Bekannten.« »Name?« »Ethan-Khor.« »Was wollten Sie von ihm?« »Es war ein Höflichkeitsbesuch.« »Worüber sprachen Sie?« »Über die Vorfälle im Addin-Forum. Über das schreckliche Blutbad, das die Kerle der GoGoLo dort angerichtet haben.« »Sie sagen das, als würden Sie das Vorgehen der Terroristen ablehnen.« »Natürlich! Das muss wohl jeder loyale Staatsbürger des Tai Ark’Tussan.« »Ethan-Khor sprach aber anders über Sie. Er deutete sogar
an, dass Sie bei dem Überfall zu den Spiegelträgern gehört haben könnten. Erst durch seinen Hinweis sind wir auf Sie gestoßen.« »Ethan-Khor soll uns verraten haben?«, tat ich erstaunt. »Was für einen Grund sollte er haben …« Perpeteon setzte meinen Stuhl unter Strom. Ich tat ihm nicht den Gefallen, zu schreien, sondern biss die Zähne zusammen und gab keinen Laut von mir. »Tapfer, tapfer«, sagte der Komiteeführer spöttisch. »Aber das war erst die erste Stufe. Wenn Sie weiter so beharrlich lügen, werde ich nicht umhinkommen, die Stromstärke zu erhöhen. Sie fielen einer Patrouille in der Nähe des Hügels der Weisen in die Hände, und Sie sagten sofort, dass nur Ethan-Khor Sie verraten haben könne. Leugnen hilft Ihnen nichts.« »Ah«, rief da Chapat, der mir eine Verschnaufpause gönnen wollte. »Ihre Leute sind demnach ebenfalls schon aus der Paralyse aufgewacht?« »Was hatten Sie am Fuß des Hügels der Weisen zu suchen?« Perpeteon schoss die nächste Frage ab, ohne auf Chapats Bemerkung einzugehen. Chapat und ich wechselten einen Blick. »Wir machten nur einen Spaziergang«, antwortete Chapat. Das trug ihm einige Stromstöße ein. Diesmal gab auch er keinen Laut von sich. »Ich werde Sie schon noch zum Reden bringen«, behauptete Perpeteon. »Dessen können Sie gewiss sein. Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, können Sie in den Genuss der Folter aller Grade kommen. Sie können aber auch mit mir zusammenarbeiten. Niemand braucht etwas davon zu erfahren. Warum, glauben Sie, habe ich meine Leute hinausgeschickt?« »Damit Sie Ihren sadistischen Neigungen ohne unliebsame Zeugen frönen können?«, sagte ich. Er wollte aufbrausen, doch fasste sich schnell wieder. »Ich
gebe Ihnen die Möglichkeit, für mich zu arbeiten, ohne dass Sie Ihre Funktion bei der GGL aufgeben müssen.« »Sie meinen, als Doppelagenten?« »Sie würden dem Imperium einen großen Dienst erweisen. Und es würde sich für Sie lohnen. Ich habe einen direkten Draht zum Imperator. In zwei Tontas bin ich zu einer Audienz geladen und könnte bei ihm für Sie ein gutes Wort einlegen.« »Und wenn wir gar nicht jene sind, für die Sie uns halten?« »Ich irre mich nicht und schätze Sie richtig ein. Ich bin meiner Sache absolut sicher.« »Sie verlangen von uns nichts weiter, als dass wir Ihnen die gesamte Organisation der GGL mitsamt ihren Führern ausliefern, wenn ich Sie recht verstehe?« »Richtig.« Ich tat, als wolle ich überlegen, fragte mich, warum uns Perpeteon mit Samthandschuhen anfasste. Es musste einen bestimmten Grund haben, warum er sich selbst um uns kümmerte und dabei keine drastischen Maßnahmen anwandte. »Gewähren Sie uns Bedenkzeit?« Dein Aussehen!, rief der Extrasinn aufgebracht. »Aber ja!«, rief Perpeteon großzügig. »Sie haben fünf Tontas Zeit. Wenn ich von der Audienz beim Imperator zurückkomme, will ich Ihre Entscheidung hören.« »Und Sie werden Stillschweigen über unseren Handel bewahren?« »Das werde ich schon im eigenen Interesse tun. Meine Leute werden nichts davon erfahren. Sie glauben, dass es sich bei Ihnen um harmlose Mitläufer handelt. Und dabei soll es bleiben.« »Ich hoffe, Sie halten Wort.«
Der Komiteeführer ging und schickte die Wachtposten herein.
Sie befreiten uns von den Folterstühlen und führten uns ab. Wir hatten den Augenblick, den wir allein waren, dazu benutzt, uns in modernem Interkosmo zu beraten. Ich hatte keine Lust, auf Perpeteons Rückkehr zu warten. Denn danach würde sich unsere Lage zweifellos verschlechtern. Ich konnte dem Katorthan’athor keine Informationen über die GoGoLo beschaffen, weil ich sie nicht hatte. Und obwohl uns EthanKhor verraten hatte, wollte ich mich bei der Untergrundorganisation noch nicht auf gleiche Weise revanchieren. Perpeteons Leute führten uns durch einen Korridor; es waren drei Mann, die ihre Kombistrahler gezogen hatten. Wir kamen zu einer Energiesperre, die die Verhörräume von der Abteilung mit den Verhandlungssälen trennte. Die Energiebarriere fiel zusammen und entstand hinter uns sofort wieder. Chapat warf mir einen fragenden Blick zu: Jetzt? Ich schüttelte leicht den Kopf, wollte auf eine bessere Chance warten. Diese bot sich uns gleich darauf. Links sah ich einen Gang, der in den Innenhof des Trichtergebäudes führte – es handelte sich beim Helsgeth-Kelch um einen, der nur geringfügig kleiner als das Tabbos-Atrium war, rund hundert Kilometer südlich des Kristallpalastes aufragte und in erster Linie das Polizeipräsidium von Arkon I beherbergte. Neben Einsatzfahrzeugen standen auch einige Privatgleiter. Einem entstieg gerade ein mit Orden behangener Offizier, sein Pilot öffnete ihm beflissen den Ausstieg. Ich gab Chapat einen versteckten Wink. Ein Bewacher schien jedoch etwas bemerkt zu haben, wandte sich mir zu – da traf ihn meine Faust am Kinn. Als ich mich dem Nächsten widmen wollte, sah ich verblüfft, dass Chapat sie bereits erledigt hatte. Er bückte sich gerade nach den TZU-4, warf mir einen zu. »Wie hast du die beiden so rasch erledigt?«, wunderte ich mich, während wir dem Ausgang zuhasteten. »Kannst du
zaubern?« »Vielleicht.« Das war alles, was Chapat dazu sagte. Zu mehr war auch keine Zeit, denn der dekorierte Offizier hatte uns bemerkt und sofort erkannt, dass mit uns etwas nicht stimmte. Er rief seinem Piloten etwas zu, zog seinen Impulsstrahler. Chapat paralysierte ihn kurzerhand. Ich feuerte auf den Piloten, der hinter dem Gleiter in Deckung gehen wollte, erwischte ihn jedoch nur am Bein. Der Teilgelähmte robbte hinter den Gleiter. Chapat und ich hatten keine Gelegenheit mehr, uns um ihn zu kümmern. Denn in diesem Augenblick heulte eine Alarmsirene auf. »Schnell weg, bevor sie den Luftraum abriegeln!«, rief ich und schwang mich ans Steuer. Chapat warf sich von der anderen Seite mit einem Hechtsprung in den Gleiter, gerade, als er steil vom Boden abhob. Ich steuerte die Maschine mit Höchstbeschleunigung fast senkrecht in den Himmel. Die Innenwände des Trichterbaus schossen an uns vorbei – und dann hatten wir den freien Luftraum erreicht. Als ich mich kurz darauf umdrehte, sah ich, dass sich über das Gebäude ein glockenförmiger Schutzschirm spannte. »Das war knapp«, sagte Chapat erleichtert. »Aber wenn ich es mir recht überlege, weiß ich nicht, was ich mit meiner wiedergewonnenen Freiheit anfangen soll. Ich habe so das Gefühl, dass man uns von nun an keine ruhige Minute gönnen wird.« »Wenn es nötig ist, können wir uns immer noch in die aufgelassenen Rohrbahntunnel verkriechen.«
5. »Ich hoffe, Sie haben gute Nachrichten für mich, meine Herren«,
sagte Orbanaschol III. zur Begrüßung der Katorthan’athorii, die gekommen waren, um den Imperator über den neuesten Stand ihrer Spitzeltätigkeit zu informieren. »An schlechten Neuigkeiten habe ich für heute genug gehört.« Perpeteon schluckte. Er wusste, dass er viel diplomatisches Geschick aufwenden musste, wollte er nicht die Wut des Höchstedlen zu spüren bekommen. Am besten war es wohl, dass er sich erst gegen Schluss der Sitzung zu Wort meldete, weil Orbanaschol dann vielleicht durch die Erfolgsmeldungen der anderen gnädig gestimmt worden war. Aber auch die anderen Komiteeführer hatten keine Sensationsmeldungen anzubieten: Ein Dutzend harmloser Demonstranten war verhaftet worden, die wegen des Versagens der Exekutivbeamten beim Gemetzel im Addin-Forum protestierten – sie sollten wieder laufen gelassen werden, nachdem sie unter Druck gesetzt und ihnen gehörig Angst eingejagt worden war; natürlich waren sie unter Beobachtung zu halten. Orbanaschol hörte sich die Berichte gelangweilt an. Es handelte sich zumeist um Fälle, mit denen er zu anderen Zeiten gar nicht belästigt worden wäre. Die Katorthan’athorii hätten die Urteile selbst fällen können. Aber wahrscheinlich wollten sie ihm schmeicheln, indem sie seine Meinung einholten, erreichten aber nur, dass sich sein Unmut steigerte. Perpeteon merkte es mit wachsendem Unbehagen. Orbanaschol fällte an diesem Nachmittag nur fünf Todesurteile und sprach für drei Dutzend seiner Gegner die Verbannung aus. Es hatte Zeiten gegeben, da war das Verhältnis von Todesurteilen und Verbannung genau umgekehrt gewesen. Schließlich fragte der Imperator: »Nun, Perpeteon, was haben Sie zu melden?« Der Mann schrak hoch, als er direkt angesprochen wurde. Nun war die Reihe an ihm. Er referierte zuerst über die allgemeine Lage in seinem Bezirk. Als er merkte, dass er Orbanaschol damit langweilte, tastete er sich vorsichtig an das brisante Thema heran. Er erzählte zuerst, dass er von einem anonymen Anrufer einen Hinweis auf zwei Verdächtige erhalten hatte, die sich in der Nähe des Hügels der Weisen herumtreiben würden. Natürlich war er der Sache
nachgegangen. Die beiden Verdächtigen wurden in der Nähe von Orbanaschols Geheimarchiv gestellt, konnten ihre Häscher jedoch zunächst überwältigen und flüchten, wurden dann aber doch gefasst. »Ich fand heraus, wer der anonyme Anrufer war. Es handelt sich um Ethan-Khor, einen verarmten Adeligen, der eine der unteren Etagen des Tabbos-Atriums bewohnt. Er hat zwar eine Kodekarte, die es ihm ermöglicht, sich auf dem Hügel der Weisen aufzuhalten und sogar den Kristallpalast zu betreten, doch wir haben ein wachsames Auge auf ihn, weil er im Verdacht steht, für die Wegbereiter der Zukunft zu arbeiten. Er ist so harmlos wie diese gesamte Organisation, deshalb sah ich bisher noch keinen Grund, ihn zu verhaften.« »Hat diese harmlose Organisation nicht das Spektakel im AddinForum verursacht?«, fragte Orbanaschol spöttisch. »Ja, das schon. Doch das Addin-Forum liegt nicht in meinem Zuständigkeitsbereich.« Bei diesen Worten warf er dem zuständigen Komiteeführer – Quertan Merantor war als Addag’gosta’athor auch Polizeipräsident von Arkon I- einen bezeichnenden Blick zu. »Selbstverständlich wollten wir Ethan-Khor sofort zur Rechenschaft ziehen. Doch er ist untergetaucht. Ich kann Euer Erhabenheit jedoch versichern, dass wir ihn bald finden werden. Und dann gnade ihm …« »Wollen Sie mich wirklich mit der Schilderung der Schurkereien eines jeden Halunken aus Ihrem Dienstbereich belästigen?«, knurrte Orbanaschol grimmig. »Sofern Sie nichts Interessanteres zu berichten haben, halten Sie den Mund.« »Ich erwähne Ethan-Khor nur, weil zwischen ihm und den beiden Verdächtigen ein Zusammenhang besteht. Wie schon gesagt, konnten wir der beiden habhaft werden. Sie nennen sich Amtos und Ecridian. Doch diese Namen sind natürlich falsch. Ich unterzog beide einem vorsichtigen Verhör, das lediglich dem Zweck diente, ihre Identität zu erhellen. Vor allem dieser Amtos scheint mir interessant zu sein.« »Halten Sie keine langen Reden. Haben Sie herausgefunden, um
wen es sich handelt?« »Nicht direkt. Aber ich habe Fotos gemacht. Wenn Ihr Euch eins ansehen wollt, mein Imperator, werdet Ihr erkennen, dass dieser Mann allein von der Erscheinung her interessant ist. Und es handelt sich nicht um eine Maske!« Orbanaschol war nicht davon überzeugt, nahm das Foto mürrisch entgegen. Ein einziger Blick darauf weckte jedoch in der Tat sein Interesse. Zuerst war er erschrocken. Der Mann auf dem Bild sah seinem toten Halbbruder zum Verwechseln ähnlich. Im ersten Augenblick war er sicher, ein Bild von Gonozal VII. vor sich zu haben. Doch das war unmöglich; Mascudar da Gonozal war definitiv tot, ermordet von Orbanaschol selbst und seinen damaligen Mitstreitern. »Das ist Amtos?«, fragte Orbanaschol gedankenverloren. »Ja, so nennt er sich. Aber das kann nicht sein richtiger Name sein, wie Ihr mir sicher zustimmen werdet, mein Imperator.« Orbanaschol nickte. Während er weiterhin auf das Foto starrte, überlegte er fieberhaft. Konnte es sich bei diesem Mann, der Gonozal VII. so ähnlich sah, vielleicht um dessen Sohn Atlan alias Mascaren handeln? Um den Kristallprinzen, der immer dreister und lästiger wurde? Nach reiflichem Überlegen kam Orbanaschol zu der Ansicht, dass es sich nicht um ihn handeln konnte. Der Mann auf dem Foto war viel zu alt. Aber es konnte sich um einen unbekannten, bisher nicht in Erscheinung getretenen Verwandten handeln, der irgendetwas anzetteln wollte. Der Zeitpunkt seines Auftritts war jedenfalls günstig gewählt. Der Boden der Kristallwelt war geradezu prädestiniert für Intrigen, und besonders rings um den Kristallpalast blühten sie – nein, wucherten sie in beängstigendem Maß. Plötzlich lächelte Orbanaschol. Er würde sich schnellstens dieses lieben »Verwandten« gebührend annehmen. »Sie haben richtig gehandelt, indem Sie diesem Mann eine besondere Behandlung zuteil werden ließen, mein lieber Perpeteon«, lobte der Imperator. »Es könnte sein, dass er etwas Besonderes ist. Ihre Aufmerksamkeit soll belohnt werden, Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen.«
Perpeteon freute sich über die Belobigung gar nicht; unglücklich sagte er: »Ich fürchte, ich verdiene Eure Anerkennung nicht, Tai Moas.« »Warum denn auf einmal so bescheiden?« »Es ist nämlich so …« Perpeteon musste sich räuspern, weil ihm die Stimme versagte. »Den beiden Verhafteten ist, gleich nachdem ich mit ihnen gesprochen habe, die Flucht gelungen …« »Was?« Orbanaschols Gesicht überzog sich mit Zornesröte. »Sie haben diese Männer laufen lassen?« »Ich war auf dem Weg zum Kristallpalast, als mir die Flucht gemeldet …« Der Imperator hörte ihm nicht mehr zu. »Wachen!«, schrie er. »Packt diesen Versager und bringt ihn zum Hinrichtungsroboter!« Orbanaschol verzog angewidert das Gesicht, als ihm Perpeteon zu Füßen fiel und um Gnade winselte, und er war froh, als ihn die Wachen endlich aus dem Thronsaal gezerrt hatten. Als er mit den anderen Katorthan’athorii allein war, hob er das Foto hoch, sodass alle es sehen konnten. »Findet diesen Mann!«, verlangte er. »Ich muss ihn unter allen Umständen haben, koste es, was es wolle! Sein Bild soll über alle Trivid-Kanäle ausgestrahlt werden, es soll von allen Plakatwänden leuchten. Jeder Arkonide muss ihn sofort erkennen, wenn er ihm begegnet. Ein Kopfgeld wird den Anreiz, ihn zu fangen, noch zusätzlich erhöhen. Bringt mir diesen Mann – und zwar lebend! Ich muss herausfinden, wer er wirklich ist und welche Pläne er hat.«
Kleiden Sie Ihre Seele! Die Leuchtschrift über dem subplanetaren Salon nahe dem Helsgeth-Kelch explodierte, aus den Lichtkaskaden formte sich ein neuer Slogan, die Buchstaben wechselten. Sie sind nackt, solange Sie Ihr Gesicht nicht bedecken! In Ihrem Gesicht spiegelt sich die Seele. Die Worte zerrannen, die Lichter formten sich zu einer neuen Überschrift mit anderem Sinn. Geben Sie Ihrer Seele keine Blöße. Verändern
Sie Ihr Gesicht! Wenig später betraten Chapat und ich den Salon durch die Hintertür. Der Maskenbildner schenkte uns sofort seine Aufmerksamkeit, sein taxierender Blick war eindeutig. »Aber meine Herren«, begrüßte er uns mit leichtem Tadel. »Warum kommen Sie durch den Hintereingang? Es ist ungewöhnlich, dass …« »Sie müssen mich verstehen«, sagte ich. »Die Massen vor Ihrem Salon flößen mir Furcht ein. Ich ertrage die durchdringenden Blicke nicht, habe ständig das Gefühl, dass sie aus meinem Gesicht meine geheimsten Gefühle lesen können. Darum der Hintereingang. Laktrote, geben Sie mir ein neues Gesicht, ein schönes Kleid für meine Seele.« »Ich habe vollstes Verständnis für Sie«, sagte der Maskenbildner mitfühlend, von der Anrede »Meister« geschmeichelt. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, damit ich Ihnen meine Physiognomie-Kollektion zeigen kann.« Er ging voran in eine der Nischen, Chapat und ich folgten ihm. Im Hintergrund leuchtete eine Trivid-Projektion mit einem Kanal, auf dem gerade eine Sendung lief, in der Sonderlingen Lebenshilfe gegeben wurde. Solcherart Berieselung wirkte nach Ansicht des Maskenbildners wohl Wunder auf die komplexbeladene Kundschaft. Er wollte gerade an das Positronik-Terminal treten, um die Kollektion verschiedener Gesichtsmasken aufzurufen, als die Sendung unterbrochen wurde. »… wird dieser Mann gesucht«, sagte eine kräftige Männerstimme, während das Bild gezeigt wurde. Der Maskenbildner blickte vom Bildschirm auf. Die Augen wurden vor Überraschung groß, er stammelte verblüfft: »Aber … das sind doch Sie!« »Stimmt genau«, erwiderte ich. Chapat hielt plötzlich seinen Kombistrahler in der Hand und paralysierte den
Seelenverkleider, bevor dieser seine erste Überraschung abgelegt hatte. »Sorg dafür, dass ich nicht gestört werde«, bat ich und nahm am Schminktisch Platz. Chapat verließ die Kabine und sperrte beide Eingänge des Maskenbildnersalons ab. Nach einer Viertelstunde trat ich aus der Schminkkabine, war nun äußerlich ein anderer. Die Stirn war breiter und fliehend, buschige Augenbrauen und stark hervortretende Backenknochen ließen die Augen fast verschwinden. Der breite, etwas schiefe Mund war mit wulstigen Lippen ausgestattet, das breite Kinn wies eine senkrechte Kerbe auf. »So würde dich nicht einmal Ischtar wiedererkennen«, scherzte Chapat, zeigte dabei jedoch nicht einmal die Spur eines Lächelns. Er machte in letzter Zeit immer wieder solche und ähnliche Anspielungen, sodass ich das Gefühl hatte, dass er mich aushorchen wollte. Doch ich war nicht bereit, mir die Würmer aus der Nase ziehen zu lassen, ohne von Chapat Informationen zu erhalten. Erst wenn er sein Schweigen brach, wollte auch ich sprechen. Er ist ein Dickkopf wie du, wisperte der Extrasinn. »Hoffentlich durchschauen auch Orbanaschols Schergen nicht meine Maskerade«, erwiderte ich. Wir wandten uns dem Ausgang zu. Gerade als Chapat aufschloss, näherten sich dem Geschäft zwei dunkelblau Uniformierte. »Es war zu erwarten, dass man alle Maskenbildnersalons besonders unter die Lupe nehmen wird. Aber warum konnte sich das nicht um einige Minuten verzögern?« »Am besten, wir trennen uns und tun so, als gehörten wir nicht zusammen. Treffen wir uns an der Rohrbahnstation Helsgeth-Süd.« Ich nickte kaum merklich und wandte mich nach links. Chapat, ein alter Mann mit einem mächtigen Schnurrbart, ging
nach rechts. »He, ihr beiden!« Weder ich noch Chapat kümmerten uns um die Uniformierten. Die schienen einen Augenblick lang unschlüssig, dann hefteten sie sich an Chapats Fersen. Ich merkte es aus den Augenwinkeln. Als mir die Polizisten den Rücken zukehrten, drehte ich mich in ihre Richtung, zog den Kombistrahler und verbarg ihn unter dem Umhang. Die Addag’gostaii hatten Chapat eingeholt, sprachen ihn an, Chapat antwortete. Als er über ihre Schultern blickte und sah, wie ich mit dem TZU-4 Ziel nahm, sprang er zur Seite. Ich drückte ab. Die Männer zuckten unter dem unsichtbaren Paralysestrahl zusammen, Leute wichen schreiend zurück. Von Chapat fehlte bereits jede Spur. Ich tauchte ebenfalls in der Menge unter. Als ich die Rolltreppe zur Rohrbahnstation hinunterfuhr, ertönte aus den Lautsprechern eine befehlsgewohnte Stimme. »Achtung! Achtung! Im Gebiet der Rohrbahnstation Helsgeth-Süd befinden sich zwei Kriminelle. Sie haben zwei Beamte der Exekutive niedergeschossen und schrecken sicherlich nicht davor zurück, abermals Gebrauch von ihren Waffen zu machen. Die Passagiere werden ersucht, Ruhe zu bewahren und sich auf Verlangen der Beamten auszuweisen. Es ist die Pflicht eines jeden, verdächtige Personen sofort zur Anzeige zu bringen. Es besteht kein Grund zur Panik. Wir haben das Gebiet umstellt. Die beiden Verbrecher können nicht entkommen.« Trotz der Aufforderung, Ruhe zu bewahren, brach in den subplanetaren Anlagen ein Tumult los. Ich behielt unter dem Umhang die Hand am Abzug des Kombistrahlers, während ich mir einen Weg durch die Menge bahnte, erblickte Chapat in der Station und gesellte mich zu ihm, ohne zu zeigen, dass wir uns kannten. Überall tauchten jetzt Polizisten auf und
sicherten die Ausgänge. »Sollen wir es überhaupt riskieren, die Rohrbahn zu benutzen?«, fragte Chapat leise. »Die Züge werden bestimmt scharf kontrolliert.« »Hier werden wir früher oder später auf jeden Fall entdeckt. Wir müssen weg.« Eine Rohrbahn fuhr in die Station ein. Ohne die Geschwindigkeit merklich zu drosseln, donnerte der Zug durch die Station. Gemurre erhob sich unter den Wartenden. »Jetzt sitzen wir fest«, sagte Chapat niedergeschlagen. »Sie lassen die Züge einfach durchfahren.«
Ich holte den Plan über das Rohrbahnnetz hervor, in dem die aufgelassenen Tunnel eingezeichnet waren. Perpeteon hatte ihn mir nicht abgenommen. Ich vermutete deshalb, dass der Katorthan’athor eine Kopie davon angefertigt hatte. Doch das störte mich nicht sonderlich. Wir befanden uns in einer Zwangslage, die stillgelegten Rohrbahntunnel waren unsere einzige Chance, den Verfolgern doch noch zu entkommen. »Es gibt einen aufgelassenen Tunnel, der ein Stück parallel zu diesem verläuft«, sagte ich, nachdem ich den Plan studiert hatte. »Nur fünfhundert Meter entfernt.« Ein Zug fuhr durch die Station. Chapat und ich blickten zur Anzeige. Der nächste Zug würde in sechs Minuten die Station passieren. »Wir können es schaffen.« Chapat schwang sich schon über die Barriere. Ich folgte ihm. Ein Raunen ging durch die Menge. Die Leute schrien durcheinander. »Da sind die Verbrecher!« »Sie laufen in den Tunnel!« Weitere Addag’gostaii rannten herbei. »Halt! Stehen bleiben, oder wir schießen!«
Sie feuerten im Paralysator-Modus blindlings in die Menge, doch wir waren im Tunnel verschwunden. Als wir eine Strecke von etwa hundert Metern zurückgelegt hatten, tauchten hinter uns die ersten Polizisten auf. Zuerst schienen sie die Verfolgung aufnehmen zu wollen, doch dann kehrten sie nach einigen Metern wieder um. »Die haben Angst, vom nächsten Zug zermalmt zu werden«, sagte Chapat mit boshaftem Lachen. »Das gibt uns einen Vorsprung.« Wir liefen unbeirrt weiter. Als wir uns nach einer Weile umdrehten, sahen wir, dass das Signal umgeschaltet worden war. Jetzt wagten es die Addag’gostaii, die Verfolgung aufzunehmen. »Haben wir noch keine fünfhundert Meter zurückgelegt?«, fragte Chapat keuchend. »Mir kommt es vor, als seien es schon viel mehr.« »Ich verlasse mich lieber auf meinen Extrasinn. Und der meint, dass wir noch nicht am Ziel sind. Aber wir haben es gleich geschafft.« Ein Scheinwerfer blitzte auf, hüllte uns für Augenblicke in blendendes Licht. Ich blieb stehen, schaltete den TZU-4 auf Thermo-Modus, nahm kurz Ziel und drückte ab. Ein gebündelter Thermostrahl geisterte für Augenblicke durch den Tunnel auf die Polizisten zu – und fand sein Ziel: Der Scheinwerfer explodierte. Die Beamten erwiderten das Feuer nicht, offenbar um die Rohrbahnanlagen nicht zu beschädigen. »Ich glaube, wir haben es geschafft«, sagte ich keuchend und blieb stehen. Weit hinter uns ertönte das Zugsignal. Die Rohrbahn kam in der Station zum Stillstand. Addag’gostaii stiegen ein, der Zug setzte sich wieder langsam in Bewegung. Die im Dreieck angeordneten Scheinwerfer am Bug leuchteten nicht lange. Diesmal war es Chapat, der sie mit einem Thermostrahl ausschaltete. Ich bestrich inzwischen eine Wand
mit einem gefächerten Strahl im Desintegrator-Modus. Die Kunststoffverschalung verwehte zu grünlichem Staub, darunter kamen Metallplastik und Stahlbeton zum Vorschein. Ich fräste auch durch diesen ein Loch. »Geschafft«, sagte ich schließlich zufrieden, als die Betonwand durchstoßen war. »Jetzt brauchen wir die Öffnung nur noch zu vergrößern, dann sind wir gerettet.« Inzwischen war der Zug bis auf zweihundert Meter herangekommen. Die Polizisten forderten uns über Außenlautsprecher zur Aufgabe auf. Ich hatte endlich mit dem TZU-4 ein Loch in die Wand geschnitten, das groß genug war, um uns durchzulassen. Der Zug glitt unaufhaltsam näher, während aufgewirbelte Feinstaubschwaden abgesaugt wurden. Chapat wartete nicht länger, stützte sich kurz auf den mit seinem Umhang umwickelten Rand der Öffnung und schwang sich hindurch. Ich folgte ihm mit einem Hechtsprung und landete auf ihm. Wir rappelten uns auf und drangen in den in völliger Dunkelheit liegenden Tunnel ein. »Halt du dich rechts, Chapat. Ich suche die linke Wand ab. Falls wir auf eine Abzweigung stoßen, benutzen wir sie.« »Wohin führt der Tunnel?« »Er verläuft etwa zwei Kilometer geradeaus, bevor er von einem befahrenen Tunnel gekreuzt wird. Ich habe aber auf dem Plan gesehen, dass es auf dieser Strecke gut ein halbes Dutzend Schächte und Querverbindungen gibt, von denen manche in die Kanalisation führen. Dorthin will ich.« Eine Weile herrschte Schweigen. Auch von den Verfolgern war noch nichts zu hören. Wahrscheinlich hatten sie das Loch noch nicht entdeckt. Möglicherweise waren sie mit dem Zug sogar daran vorbeigefahren. »Da ist eine Tür«, rief Chapat plötzlich. »Aber sie ist versperrt. Soll ist das Schloss desintegrieren?« »Was für eine Frage!«
Der Waffenstrahl blitzte grünlich auf. Ein Geräusch wie das Quietschen einer sich öffnenden Tür folgte. Ich schloss zu Chapat auf, der sich durch den dahinter liegenden Raum tastete. »Es scheint sich um eine Art Gerätekammer zu handeln.« »Falsch geraten!«, sagte eine fremde Stimme. Ein greller Lichtkegel blendete uns. »Das war einmal eine Gerätekammer. Jetzt befindet sich hier ein Geheimgang zu einem Versteck der GGL.« Ich hob die Hand vor die Augen. »Haben Sie uns denn erwartet?« Der Unbekannte kicherte und senkte die Lampe, um uns nicht länger zu blenden. »Als die Addag’gostaii den gesamten Komplex von Helsgeth hermetisch abriegelten, zogen wir sofort unsere Schlüsse«, ertönte es aus der Dunkelheit. »EthanKhor – er musste übrigens wie Sie untertauchen! – schickte uns aus, um im Tunnellabyrinth nach Ihnen zu suchen. Er freut sich auf ein Wiedersehen.« »Ich kann nicht sagen, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht.« Ich sprang blitzschnell nach vorn. Meine Hände bekamen Stoff zu fassen. Ich schlug blind zu – ein Stöhnen zeigte, dass ich gut gezielt hatte. Die Lampe fiel polternd zu Boden, gleich darauf folgte ein schlaffer Körper. Ich nahm die Handlampe an mich und beleuchtete das Gesicht des Bewusstlosen, hatte es vorher noch nie gesehen. »Warum hast du ihn niedergeschlagen?«, erkundigte sich Chapat. »Unsere Lage ist nicht so rosig, dass wir die Hilfe der GGL ausschlagen können. Ethan-Khor hätte uns sicherlich geholfen.« »Wer weiß. Er hat uns schon einmal verraten. Wenn ich mich an ihn wende, dann aus eigener Initiative. Keineswegs möchte ich mich von ihm oder sonst einem Kerl der GoGoLo herumschubsen lassen. Vielleicht will sich Ethan-Khor nur die
Belohnung verdienen, die Orbanaschol auf uns ausgesetzt hat.« Ich leuchtete den Raum mit der Lampe aus. Er maß nur zwei mal drei Meter. Im Hintergrund gab es jedoch eine siebzig Zentimeter hohe und fast ebenso breite Öffnung. Ich leuchtete hinein. Sie mündete in einen horizontalen Kriechgang, in dem man sich nur auf allen vieren fortbewegen konnte. Nach vielleicht zehn Metern mündete er in einen senkrechten Schacht. »Mal sehen, wohin der Weg führt.« Ich kroch in den Gang. »Was machen wir mit dem Gelähmten?«, rief Chapat. »Sollen wir ihn nicht mitnehmen? Wir könnten ihn aushorchen und so vielleicht einige interessante Informationen erhalten.« »Lass ihn liegen. Solange wir aus eigener Kraft weiterkommen, möchte ich mit der GGL nichts zu schaffen haben.«
Wir pirschten uns vorsichtig an die Lichtquelle heran, die Waffen schussbereit. Doch dann erkannten wir, dass alle Vorsichtsmaßnahmen überflüssig gewesen waren. Der Raum war leer. »Die Vögel sind ausgeflogen«, stellte ich fest und steckte den TZU-4 hinter den Gürtel. Der Raum hatte einen asymmetrischen Grundriss. Die Grundform war ein spitzwinkeliges Dreieck, aber es gab überall Vorsprünge und Wandnischen. In Letztere waren Schränke und Regale eingebaut, die Reste von technischer Ausrüstung enthielten. Offenbar waren die Geräte in aller Eile ausgebaut und abtransportiert worden. Aber es waren nur die wichtigsten Dinge mitgenommen worden. Wir durchsuchten den Raum. »Das muss der Unterschlupf der GoGoLo gewesen sein«, sagte Chapat. »Aber die Kerle haben nichts Brauchbares
zurückgelassen. Und schon gar nichts zum Beißen. Nicht einmal eine einzige Konservendose ist zu finden. Dabei knurrt mein Magen ganz ordentlich.« »Wir werden schon etwas zu essen beschaffen.« »Warum haben die GoGoLo den Stützpunkt so überstürzt geräumt?« »Der Boden wird ihnen zu heiß geworden sein.« »Dann sollten wir ebenfalls verschwinden.« »Ich glaube, wir haben uns eine kurze Rast verdient.« Ich ließ mich auf eine leere Kiste sinken. »In der Kanalisation sind wir immer noch am sichersten. Auf der Oberfläche läuft die Fahndung nach uns auf vollen Touren. Die auf uns ausgesetzte Kopfprämie wird die Bevölkerung dazu animieren, sich tatkräftig an der Jagd zu beteiligen. Selbst wenn wir nicht sofort erkannt werden, wären wir oben ständig in Gefahr. Die Jagd ist so weit gediehen, dass jeder Fremde darauf gefasst sein muss, denunziert zu werden.« Er erwiderte darauf nichts. Eine Weile brüteten wir schweigend vor uns hin, dann sagte Chapat: »Ich frage mich, was gerade mit unseren in der Gegenwart zurückgebliebenen Körpern passiert.« »Sie liegen immer noch in den Traummaschinen. Andernfalls würde unser Gastspiel in der Vergangenheit schon beendet sein.« »Ich kann mir nichts Schöneres wünschen. Die ständige Ungewissheit über unser Schicksal macht mich noch verrückt. Bei jedem Schritt muss ich mich fragen, was er bringt. Können wir hier sterben? Ich meine, ist unsere Existenz auch in unserer Gegenwart infrage gestellt, wenn wir hier sterben? Das möchte ich zu gern wissen.« »Du kannst es leicht herausfinden, indem du dich töten lässt. Ich für meinen Teil möchte es nicht so genau wissen.« »Du tust ja gerade so, als würde dir die Ungewissheit
überhaupt nichts ausmachen«, sagte Chapat ärgerlich. »Ganz so ist es nicht. Ich habe mich nur von Anfang an darauf eingestellt, dass ich diesen Traumkörper nicht sterben lassen darf, wenn ich in der Gegenwart weiterleben will. Überleben ist alles. Hast du keinen Selbsterhaltungstrieb, Chapat?« »Das habe ich mich manchmal selbst schon gefragt«, antwortete er zu meiner Überraschung. »In mir herrscht oft ein furchtbarer Widerstreit der Gefühle. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken an Selbstmord, dann wieder ist der Wunsch in mir übermächtig, meinen Weg bis zum Ende weiterzugehen.« Er verstummte plötzlich, als hätte er sich dabei ertappt, wie er zu viel über sich ausplauderte. »Welches Ziel verfolgst du denn eigentlich?« »Habe ich denn ein Ziel?« Er starrte ins Leere. »Du müsstest es wissen.« »Ich weiß so wenig …« »Auch nicht, woher du kommst?« Ich wartete eine geraume Weile. Als ich keine Antwort erhielt, fuhr ich fort: »Du musst dir aber dessen bewusst sein, dass du dich in vielen Dingen von den normalen Sterblichen unterscheidest. Schon das IschtarMemory macht dich zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Oder macht es dich zu einem Sklaven?« Ohne seinen melancholischen Gesichtsausdruck zu verändern, machte Chapat eine blitzschnelle Bewegung. Ehe ich mich’s versah, hatte mir Chapat unter das Hemd gegriffen und den Zellaktivator gepackt, den ich an einer Kette um den Hals trug, hielt das Metallei hoch. »Was ist das?« Ich sagte es ihm. »Was passiert, wenn du den Zellaktivator verlierst?« »Ich bin dann ein toter Mann«, antwortete ich ernst. Er erwiderte meinen Blick und ließ den Zellaktivator wieder los. »Ich will das Ischtar-Memory auch nicht verlieren!«
Damit deutete er ziemlich klar an, dass sein Leben daran hing, doch ich war mir noch immer nicht sicher, ob seine Abhängigkeit zum Ischtar-Memory eine symbolische war oder ob dieser mysteriöse Kreisel, Produkt der überragenden Technik der Varganen, die Wirkung eines Zellaktivators hatte. Eine Art Unsterblichkeit hatte Chapat auf jeden Fall, immerhin war er fast so alt wie ich. Wegen der OMIRGOS-Blockade erinnerte ich mich nur vage daran, dass der Wechsel vom varganischen Mikrokosmos ins Standarduniversum mit Langlebigkeit oder gar Unsterblichkeit verbunden gewesen war. Und wir waren beide im Mikrokosmos gewesen – ich aber erlangte erst durch den Zellaktivator meine relative Unsterblichkeit. Und Chapat? »Manchmal glaube ich, dass du überhaupt nichts über deine Herkunft weißt.« Er reagierte nicht, starrte geradeaus in unergründliche Fernen. Ich bohrte weiter. »Einmal machst du den Eindruck eines uralten, abgeklärten Mannes. Dann wiederum bist du so naiv wie ein Kind. Selbst in unserer Gegenwart hast du dich, wenn ich den Berichten trauen kann, manchmal so ungeschickt benommen, als kämst du aus einer ganz anderen Zeit, als gehörtest du nicht mal in dieses Universum.« Das entlockte Chapat ein bitteres Lächeln. »Mir ist vieles aus deiner Zeit unsagbar fremd.« »Was weißt du über deine Abstammung?« »Ich bin voll von Ahnungen. Aber Wissen habe ich kaum. Oder … nicht mehr.« »Denkst du, dass du unsterblich bist?« Wie nicht anders zu erwarten, war Chapats Antwort eine ausweichende. »Meine Seele ist auf Wanderschaft, seit ich geboren wurde.« Das ließ viele Interpretationen zu. Die Varganen des Mikrokosmos hatten jedenfalls – ein aufblitzendes Detail – die Fähigkeit gehabt, ihr Bewusstsein in die konservierten Körper
von toten Artgenossen zu versetzen. Meinte Chapat das mit der wandernden Seele? Unsere Unterhaltung wurde jäh durch ferne Geräusche unterbrochen. Ich schaltete die Lichtquelle ab, die den Unterschlupf der GGL ausleuchtete, und arbeitete mich lautlos bis zum nächsten Tunnel vor. Dort sah ich im Licht von Scheinwerfern Uniformierte, die Schutzmasken trugen.
»Warum tragen sie Atemmasken?«, fragte Chapat, als er sich an meine Seite schob. »Haben sie etwa vor, die subplanetaren Anlagen mit Giftgas vollzupumpen?« »Es sieht ganz so aus. Deshalb ist es besser, wir warten die Beantwortung dieser Frage nicht erst ab. Ich möchte auch gar nicht erst herausfinden, ob es den Kerlen möglich ist, die gesamte Kanalisation unter Gas zu setzen.« »Das heißt, du willst zur Oberfläche. Aber das ist genau das, was sich die Polizisten von ihrer Aktion erwarten.« »Wir haben keine andere Wahl.« Ich zog mich zurück. Als ich den nächsten senkrechten Schacht erreichte, kletterte ich die Leiter hoch. Chapat folgte mir unter leisen Protesten. Er war vor allem wütend, weil ich handelte, ohne seine Meinung eingeholt zu haben. Ich schätzte, dass wir etwa fünfzig Meter unter dem Bodenniveau waren. Der vom fotografischen Gedächtnis reproduzierte Plan besagte, dass sich über uns eine größere Wohnsiedlung aus über dreißig Trichterbauten befand. Das ließ uns die Hoffnung, vielleicht doch unbemerkt untertauchen zu können. Zur Wohnsiedlung gehörten ein Einkaufs-, ein Vergnügungsund ein Kommunikationszentrum. Hier würde es den Addag’gostaii schwerer als anderswo fallen, die Fahndung wirkungsvoll durchzuführen. Der Schacht endete in einem Quergang. Ich erkannte noch
rechtzeitig, dass sich dort Uniformierte aufhielten, schaltete die Lampe beim ersten Geräusch aus und kletterte im Dunkeln weiter. Als ich den Kopf durch den Schacht streckte, sah ich in dreißig Metern Entfernung schemenhafte Gestalten, die sich im Licht eines Scheinwerfers am Boden zu schaffen machten. Ihre Stimmen waren über die große Entfernung und wegen ihrer schalldämpfenden Atemmasken kaum verständlich. Ich konnte mir aber denken, was sie vorhatten. Sie wollen Gasbomben zünden!, bestätigte mein Extrasinn. Ohne lange zu überlegen, schoss ich im Paralysator-Modus einen breit gefächerten Strahl ab. Die Körper der drei Gasmaskenträger begannen zu zucken. Ich hatte getroffen. Doch es war bereits zu spät – aus einem tellerförmigen Behälter ringelten sich grünliche Rauchschwaden. Das Gas war schwerer als Luft, denn es breitete sich zuerst dicht über dem Boden aus. Aber es kam mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu. »Raus hier!«, rief ich und schwang mich aus dem Schacht. »Wir müssen weiter nach oben; das Giftgas breitet sich in die Tiefe aus.« Ich rannte bereits im Gang in die entgegengesetzte Richtung des sich rasch entleerenden Gasbehälters. Chapat folgte dichtauf. Wir erreichten den nächsten Schacht und kletterten in ihm hoch. Plötzlich hielt ich jedoch inne. »Zurück!«, befahl ich Chapat, der nicht sofort begriff. Doch dann sah er im Licht meiner Lampe, dass sich von oben eine grüne Giftgaswolke herabsenkte. Chapat ließ sich die vier Meter einfach fallen und brachte sich aus dem Schachtbereich in Sicherheit. Gleich darauf fiel auch ich, landete federnd auf den Beinen und kam sofort wieder hoch. »Hoffentlich ist der nächste Schacht noch nicht verseucht!« Wir hatten Glück. Fünfzig Meter weiter kamen wir zu einem Schacht, der zwanzig Meter in die Höhe führte. In ihm zeigten sich noch keine Giftschwaden. Chapat kletterte vor mir hoch, immer drei Sprossen auf einmal nehmend. Jetzt kam es auf
jeden Augenblick an. Endlich hatten wir den nächsthöheren Quergang erreicht. Doch hier gab es kein Weiterkommen. Von beiden Seiten wälzten sich Schwaden aus grünem Gas auf uns zu. In einer der Wolken erschienen zwei schattenhafte Gestalten, wateten bis zur Brust in dem Giftgas. Aber sie waren ungefährdet, denn sie trugen Gasmasken. Chapat schoss im Paralysator-Modus auf sie, traf. Die Gestalten taumelten mit konvulsivisch zuckenden Gliedern. Chapat hatte bewusst nur einen schwachen Paralysestrahl abgeschossen, um die Gegner lediglich teilweise zu lähmen. Sie versuchten jetzt verzweifelt, sich auf den Beinen zu halten. Chapat stürmte bedenkenlos nach vorn. Wegen seiner Körpergröße reichte ihm die Giftgaswolke nur bis knapp unter die Brust. Er drang in sie ein und bewegte sich dann vorsichtiger, um das Gas nicht aufzuwirbeln und zu verhindern, dass es in seine Atemwege drang. Er erreichte die Uniformierten, die noch immer um ihr Gleichgewicht rangen. Einem riss er kurzerhand die Atemmaske vom Gesicht und stülpte sie sich über. Ich hatte längst seine Absicht durchschaut und tat es ihm gleich, erreichte den zweiten Gasmaskenträger. Dieser hatte jedoch seinen Körper noch so unter Kontrolle, dass er meinem ersten Angriff ausweichen konnte. Ich stolperte, tauchte mit dem Kopf in die Giftgaswolke. Obwohl ich den Atem anhielt, fühlte ich, wie mich Schwindel erfasste. Ich verlor die Orientierung, wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Da wurde ich am Genick gepackt und hochgezogen. Mein Blick klärte sich. Etwas schob sich vor mein Gesicht, ich blies aus und atmete dann gefilterte Luft. Chapats Augen blitzten hinter der Klarsichtscheibe schalkhaft auf. »Um ein Haar hättest du dich unfreiwillig schlafen gelegt«, kam seine gedämpfte Stimme durch die Atemmaske, während
er mir mit beiden Händen die erbeutete Gasmaske ans Gesicht presste. »Danke«, murmelte ich und befestigte die Maske. »Jetzt haben wir noch eine Chance, dieser Falle zu entrinnen.« Ohne auf weitere Gegner zu stoßen, machten wir uns auf den Weg durch die Giftgaswolken zu den höheren Regionen. Wir erreichten einen trockengelegten Sammelbehälter, in den anscheinend die gesamte Kanalisation eines Wohnbaus mündete. Ich zog noch einmal den vom fotografischen Gedächtnis reproduzierten Plan zurate, dann wählte ich einen Schacht aus, den wir hochkletterten. Wir kamen in einem Keller heraus, legten die Atemmasken ab und reinigten unsere Kleider vom Schmutz. Dann betraten wir den Antigravlift und schwebten bis ins Erdgeschoss des Wohnbaus hoch. Als wir uns hinausschwangen, fuhr uns der Schreck gehörig in die Glieder. Überall waren Kralasenen!
Chapat wollte schon nach der Waffe greifen, doch ich hielt ihn zurück. »Ruhig Blut. Das sind Kralasenen vom Innendienst und keine Einsatzsöldner. Ich glaube, das Schicksal hat uns geradewegs in ein Anwerbebüro von Sofgarts berüchtigter Truppe geführt.« »Du sagst das, als sei es ein Glücksfall.« »Ist es auch, mein Sohn«, sagte ich, bemüht, keine Betonung auf das Wort »Sohn« zu legen, sodass es wie eine stereotype Redewendung klang. »Wir sollten diesen Wink des Schicksals aufgreifen und uns anwerben lassen.« »Die Kralasenen werden uns sofort an Orbanaschol ausliefern.« »Das befürchte ich nicht. Im Gegenteil, sie werden uns vor den Addag’gostaii und regulären Truppen beschützen. Sofgarts Söldnertruppe ist völlig autark und untersteht nur
ihm persönlich.« »Ich weiß nicht …« In diesem Augenblick wurde ein Mann auf uns aufmerksam, der uns bisher nur oberflächlich beobachtet hatte. »He, ihr da! Was steht ihr da herum?« Ich näherte mich ihm selbstbewusst, erwiderte kaltschnäuzig: »Wir wollen Kralasenen werden.« Er blieb unbeeindruckt, musterte sein Armbandgerät. Plötzlich weiteten sich diese vor Überraschung. »Ihr seid bewaffnet«, sagte er und brachte gleichzeitig seinen Kombistrahler in Anschlag. »Los, geht vor mir her. Mal sehen, was wir alles zutage fördern, wenn wir euch genauer unter die Lupe nehmen.« Wir ließen uns ohne Widerstand abführen, wurden in einen Untersuchungsraum geführt, wo wir uns völlig entkleiden mussten. Ich musste sogar meinen Zellaktivator abliefern. Nackt, wie wir waren, wurden wir in einen Diagnoseraum geführt und untersucht. Dann traten wir vor eine dreiköpfige Rekrutierungskommission. Ich atmete auf, als ich unsere Habseligkeiten samt Zellaktivator auf einem Tisch vor den drei Offizieren liegen sah. »Ihr wollt also Kralasenen werden?«, fragte der Mittlere der drei. »Wisst ihr überhaupt, worauf ihr euch da einlasst?« »Wir sind Kämpfernaturen und suchen das Abenteuer«, antwortete ich großspurig. »Ich habe gehört, dass bei den Kralasenen nicht viele Fragen gestellt werden.« Der Sprecher der Rekrutierungskommissare grinste. »Gut, keine Fragen mehr. Aber einige Eignungstests werdet ihr über euch ergehen lassen müssen. Schließlich nehmen wir nicht jeden. Ihr werdet beweisen können, ob ihr zu kämpfen versteht.« Er entließ sie mit einem Wink. Ich rührte mich jedoch nicht von der Stelle. »Ist noch was?«
»Ja. Bekommen wir unsere persönlichen Gegenstände zurück?« »Nachdem ihr die Tests bestanden habt.« »Ich möchte die Kette mit dem Anhänger aber sofort wiederhaben.« Der Offizier nahm den Zellaktivator in die Hand. »Dein Talisman?« »Jawohl.« »Was bedeutet er dir?« »Mein Leben hängt an ihm.« »Nun, wenn er dir so viel bedeutet, wirst du bei den Tests kämpfen, als ginge es um dein Leben. Ich behalte ihn so lange.« Ich sah ein, dass hier nichts zu machen war, denn ich konnte dem Kralasenen nicht die wahre Bedeutung des Aktivators verraten, machte kehrt und verließ mit steifen Bewegungen den Raum. Bekam ich den Zellaktivator nicht innerhalb von 62 Stunden – oder knapp 44 Tontas – zurück, würde sich zeigen, ob ich in diesem »Traumkörper« sterben konnte. Maximal zwei Pragos!, raunte der Extrasinn. Bis zum Abend des 24. Eyilon, Lordadmiral.
Ich war immer noch völlig nackt, fand mich auf der endlosen Ebene einer unbekannten Welt wieder. War dies ein Traum innerhalb des permanenten Traumzustandes? Oder eine Illusion innerhalb der Realität einer fernen Vergangenheit? Wie dem auch war, ich konzentrierte mich auf die augenblicklichen Gegebenheiten. Ob Illusion oder nicht – mein Leben konnte vom Ausgang dieser Geschehnisse abhängen. Ich brauchte den Zellaktivator! Mochte er auch unter Umständen ebenso eine Materieprojektion sein wie mein derzeitiger Körper – seine hiesige Wirkung entsprach exakt
der des Originals in meiner echten Gegenwart des Jahres 2843. Ich kannte die Spielregeln. Hundert Meter entfernt stand ein mit einem Lendenschurz bekleideter Hüne, mit einer Streitaxt bewaffnet. Ein mörderischer Barbar. Genau zwischen uns, also fünfzig Meter entfernt, steckte eine Lanze im Boden. Auf ein Zeichen hin würden wir uns in Bewegung setzen. Ich musste versuchen, zuerst die Lanze zu erreichen, um so eine Waffe zu erhalten und wenigstens eine theoretische Chance gegen den Hünen zu haben. Das Zeichen ertönte. Ich setzte mich in Bewegung, rannte um mein Leben. Doch da erkannte ich, dass mein Gegner schneller war. Ich führte das darauf zurück, dass er wahrscheinlich von einer Welt mit viel höherer Schwerkraft stammte. Das brachte ihm einige Nachteile ein, weil er seine Bewegungen bei einer Schwerkraft von einem Gravo nicht so kontrollieren konnte wie unter den gewohnten Bedingungen – aber den Vorteil, mir den Weg zur Waffe abschneiden zu können. Als ich noch sieben Meter von der Lanze entfernt war, schwang der Hüne seine Axt und zertrümmerte mit einem einzigen Hieb den Lanzenschaft. Er hatte solche Wucht in den Schlag gelegt, dass er von ihm mitgerissen wurde und sich einmal um seine Achse drehte. Bevor er die Orientierung wiederfand, erreichte ich ihn, sprang den Hünen von der Seite an und schlug ihm die Faust gegen die Schläfe. Ein normalerweise absolut tödlicher Dagorschlag, doch der Hüne war so robust, dass er nur kurz in die Knie ging. Er schüttelte mich ab und holte mit der Streitaxt zum tödlichen Schlag aus. Ich erwischte den Schaftteil mit der Lanzenspitze und schleuderte ihn gegen den über mich gebeugten Barbaren. Die Lanzenspitze bohrte sich zwischen den buschigen Augenbrauen in die Stirn. Das Bild erlosch. Ich war von absoluter Dunkelheit umgeben. Eine unpersönliche Stimme sagte: »Reaktionstest mit Auszeichnung bestanden. Die Testperson wird zum Zweikampf mit einem realen Gegner zugelassen. Für die
Versuchsperson bestehen gute Überlebenschancen. «
6. Chapat: Auch seine Beurteilung des ersten Tests fiel gut aus; er war über die Wendigkeit des barbarischen Hünen erstaunt, konnte jedoch noch schneller als Atlan laufen. Er erreichte die Lanze und spießte den fiktiven Gegner auf. Jetzt hatte er es aber nicht mehr mit einer Illusion zu tun, sondern sein Gegner war aus Fleisch und Blut. Sie waren mit einer Energiepeitsche ausgerüstet, deren Schlagkraft sich beliebig einstellen ließ. Chapat stellte sie auf »tödliche Wirkung«, weil er annahm, dass das bei den Kralasenen am meisten Eindruck machen würde. Zwischen ihm und seinem Gegner, den er nur als Schemen erkennen konnte, gab es eine Unzahl von Barrieren – Energie- und Prallfelder, die leichte elektrische Schläge austeilten –, die es erst einmal zu überwinden galt. Chapat befand sich in einem regelrechten Labyrinth, wusste nicht, ob sich sein Gegner hier auskannte. Er setzte dies aber voraus. »Nur einer der Kämpfenden kann sich qualifizieren. Das ist der überlebende Sieger!«, verkündete die Lautsprecherstimme. Dann begann der Kampf. Das heißt, die Kämpfenden mussten zuerst einmal den Weg zueinander finden. Chapat konnte nicht einmal ausreichend von seinem Gegner erkennen, um beurteilen zu können, was genau er war. Durch die Energiebarrieren hindurch schien es, als verändere der Gegner ständig seine Gestalt. Gelegentlich blitzte es auf, wenn Chapat gegen eine Barriere stieß. Den Schmerz verspürte er kaum. Aber er ärgerte sich, weil das Minuspunkte gab. Seine einzige Genugtuung war, dass es auch bei seinem Gegner aufblitzte. Chapat konnte nie abschätzen, wie weit der andere noch von ihm entfernt war. Manchmal glaubte er, ihn schon in Reichweite der Energiepeitsche zu haben, dann wieder schien er in unerreichbare Fernen entrückt zu sein.
Plötzlich aber hatte Chapat das Gefühl, dass sie auf dem richtigen Weg zueinander waren. Er holte mit der Peitsche aus, um im entscheidenden Augenblick zuschlagen zu können. Und dann war es so weit, Chapat ließ die Peitsche nach vorne schnalzen. Sein Gegner handelte im gleichen Augenblick. Zu spät erkannte Chapat, wen er da vor sich hatte: Atlan! Er konnte sich nur noch, ebenso wie Atlan, abducken, um das Ärgste zu verhindern. Die Energiepeitschen verschlangen sich ineinander. Es kam zu einer gewaltigen Entladung, deren Rückschlag Chapats Körper schmerzhaft durchraste. Er war dennoch zufrieden, denn keiner war von der Peitsche des anderen getroffen worden. Das Urteil lautete: »Unentschieden!« Und beide wurden als rücksichtslose, kompromisslose Gegner eingestuft, brachten also die grundsätzlichen Voraussetzungen mit, die von Kralasenen verlangt wurden. Später wurde ihm mitgeteilt, dass die Energieentladung der Peitschen so gedrosselt worden war, dass sie keine tödliche Wirkung entfalten konnte.
Arkon I: 23. Prago des Eyilon 10.498 da Ark Wir wurden einer Reihe weiterer Tests unterzogen, die uns all unser Können und unseren Mut abverlangten. So wurden wir in einen dunklen Raum gesperrt, in dem nur Atemluft für fünf Minuten war. In dieser Zeit mussten wir einen versteckten Druckanzug finden und anziehen. Ich schaffte es in etwas mehr als zwei Zentitontas. Chapat benötigte vier Zentitontas. Beide Leistungen wurden gewürdigt – und man gestand ein, dass andere Testpersonen eine Frist von zwei Dezitontas zuerkannt bekämen. Von uns, die wir uns in den ersten Tests so ausgezeichnet bewährt hatten, wurden jedoch bessere Leistungen verlangt. Zwischen den einzelnen Prüfungen durften wir ausruhen
und uns stärken. Dennoch fühlte ich, dass ich immer schwächer wurde – und kannte auch den Grund: Ohne die zellregenerierende Wirkung des Aktivators verfiel mein Körper rasch. Schon nach rund zwanzig Tontas stellten sich die ersten Schwächeanfälle ein. Während eines Tests brach ich zusammen. Es galt, in einem Raum mit ständig steigender Gravitation ein demontiertes Strahlengeschütz zusammenzubauen. Selbstverständlich wurde ein Bauplan beigelegt. Als die Schwerkraft auf sechs Gravos angestiegen war und ich nur noch ein halbes Dutzend Einzelteile einzubauen hatte, wurde mir plötzlich schwarz vor den Augen, ich verlor das Bewusstsein. Ich kam auf einem Diagnosebett in der Krankenstation wieder zu mir, fühlte mich aber trotz der normalen Schwerkraft von rund einem Gravo nach wie vor schwach. »Die Untersuchung hat einen Kräfteverfall ergeben«, sagte der Offizier der Rekrutierungskommission, der bei ihm zu Besuch war. »So beeindruckt mich deine anfänglichen Leistungen haben, so enttäuscht bin ich jetzt von dir. Hast du Drogen genommen, um deine Leistungsfähigkeit zu steigern?« Ich schüttelte den Kopf. »Es ist etwas anderes. Ich brauche meinen Talisman, um wieder zu Kräften zu kommen.« Der Offizier versteifte sich. »Ich verabscheue jede Art von Aberglauben und werde dich darin nicht unterstützen. Entweder du kommst so durch, oder du krepierst. Deinen Talisman bekommst du erst nach den Tests zurück.«
Ich wurde aus der Krankenstation entlassen. Als ich in die Unterkunft kam, die ich mit Chapat teilte, erschrak dieser bei meinem Anblick. »Du scheinst um Jahre gealtert zu sein!« »Es wird noch schlimmer kommen, wenn ich den Zellaktivator nicht zurückerhalte.«
»Kannst du nicht wenigstens noch einen Prago durchhalten?«, drang Chapat in ihn. »Ich habe in Erfahrung gebracht, dass die Tests dann abgeschlossen sein werden und wir danach sofort nach Arkon Zwei gebracht werden sollen. Das ist unsere Chance, Orbanaschols Häschern zu entwischen.« Ich nickte schwach, griff mir unter die Achsel und zog eine Phiole hervor. »Die habe ich in der Krankenstation entwendet«, sagte ich mit krächzender Stimme. »Der Schiedsrichter hat mich auf die Idee gebracht, als er mir Doping vorwarf.« »Ist das ein Aufputschmittel?« Ich nickte. »Es wird für einige Zeit das Letzte aus mir herausholen. Danach wird mein körperlicher Verfall aber noch schneller vorangetrieben. Ich hoffe aber, dass ich so lange durchhalte, bis ich den Zellaktivator zurückbekomme.«
Ich fühlte mich energiegeladen wie selten zuvor, wusste aber, dass das nur ein Strohfeuer war. Darum konnte ich die nächsten Tests kaum erwarten. Ich musste sie hinter mich bringen, bevor die Wirkung des Aufputschmittels nachließ und ich endgültig schlappmachte. Fünf Tontas später, am Morgen des 24. Eyilon, wurde die nächste – und letzte – Testreihe in Angriff genommen. Es hieß, dass es sich hier um Sonderprüfungen handelte, die nur besonders intelligente Bewerber über sich ergehen lassen mussten, die eventuell als Führungskräfte infrage kamen. Ich hätte mich dümmer angestellt, hätte ich vorher etwas davon geahnt – aber nun war nichts mehr daran zu ändern. Chapat und ich bestanden auch die Intelligenztests zur Zufriedenheit der Schiedsrichter. Nun stand unserer Aufnahme in die Söldnertruppe der Kralasenen nichts mehr im Wege. Wir
durften in unsere Unterkunft zurückkehren und uns von den Strapazen erholen, bevor wir wieder der Kommission vorgeführt wurden. Wir bekamen eine Nummer, unter der wir aufgerufen wurden. Ich schaffte es gerade noch bis in die Unterkunft, dann brach ich endgültig zusammen, bekam kaum mit, dass mich Chapat aufs Bett legte und sich anbot, ein weiteres Aufputschmittel zu beschaffen. Doch ich winkte ab, war nun schon über fünfzig Stunden ohne Zellaktivator; in diesem Stadium des körperlichen Verfalls halfen keine Drogen mehr. »Ruh dich aus«, sagte Chapat. »Wenn wir aufgerufen werden, hast du dich sicherlich so weit erholt, dass du vor die Kommission treten kannst. Nicht mehr lange, dann bekommst du deinen Zellaktivator zurück – und wir fliegen nach Arkon Zwei.« Ich brachte noch ein schwaches Nicken zusammen, dann senkte sich Dunkelheit über meinen Geist. Orbanaschol III. hatte einen seiner Wutanfälle, die sich in letzter Zeit immer mehr häuften. Genauer gesagt, seit der Tonta, an dem ihn der glücklose Perpeteon auf den Fremden aufmerksam gemacht hatte, der Ähnlichkeit mit einem Gonozal hatte. Seit er das Foto zu Gesicht bekommen hatte, wurde er immer nervöser und unerträglicher. »Wer war denn dieser Idiot, der die misslungene Aktion in der Kanalisation von Helsgeth geleitet hat?«, brüllte der Imperator. Bevor ihm jemand Antwort geben konnte, fuhr er fort: »Nein, sagt es mir nicht. Ich will seinen Namen nicht hören. Bringt mir seinen Kopf auf einem Tablett!« In diesen Pragos saßen die Köpfe jener locker, die nicht gerade unentbehrlich für den Imperator waren. Orbanaschol tobte noch eine geraume Weile, bevor er wieder für vernünftige Argumente
empfänglich war. Und damit kam die Sprache wieder auf das beliebteste Thema der Intriganten am Hof von Arkon: den Blinden Sofgart. »Es sind keine Nachrichten mehr aus dem Schwarzen System eingetroffen«, sagte einer vorsichtig. »Dabei wäre es wichtig zu wissen, ob Sofgart endlich den Stein der Weisen gefunden hat.« Das verursachte bei Orbanaschol eine Assoziation zu einem Namen, der ihm schwer im Magen lag: Allan, der angebliche Sohn von Gonozal VII. der nach dem Thron von Arkon strebte. Und beinahe lieber als eine Erfolgsmeldung im Zusammenhang mit dem Stein der Weisen hätte Orbanaschol gehört, dass dieser Rebell zur Strecke gebracht worden war. »Ohne eine unbewiesene Behauptung aufstellen zu wollen, möchte ich doch die Vermutung aussprechen«, lautete die überaus geschraubte und vorsichtige Äußerung eines Günstlings, »dass wir den Fremden mithilfe der Kralasenen schon längst festgenommen hatten.« »Warum wälzt man nun alle Schuld auf die Kralasenen ab?«, fragte der Imperator. »Wäre Sofgart hier, würdet ihr vorsichtiger mit euren Äußerungen sein.« »Wäre Sofgart hier, würden sich die Kralasenen an der Jagd nach dem Fremden beteiligen«, berichtigte der Günstling den Imperator. »Tun sie es denn nicht?« »Nun, die Kralasenen nehmen keine Befehle entgegen. Bei ihren seltsamen Gepflogenheiten würde es mich nicht einmal wundern, würden sie den beiden Flüchtigen Unterschlupf gewähren …« Das stimmte den Imperator nachdenklich, er musste sich eingestehen: So abwegig war der Gedanke nicht. Deshalb erließ er mit sofortiger Wirkung den Befehl, dass die Kralasenen bei der Jagd nach den beiden Flüchtigen den regulären Exekutivbeamten jegliche Unterstützung zu gewähren hatten.
Chapat stützte mich, während ich schwankend dastand. Zum
Glück wurde bei den Kralasenen auf militärische Disziplin kein sonderlicher Wert gelegt. Denn strammstehen hätte ich in meiner Verfassung nicht können. Mit uns wurden an diesem Nachmittag des 24. Eyilon fünfundzwanzig Neulinge in die Reihen der Söldnertruppe aufgenommen. Das Raumschiff, das uns nach Arkon II bringen sollte, war startbereit. Um mich drehte sich alles. Ich hörte die Worte des Rekrutierungskommissars, doch ich verstand sie nicht. »Jetzt bekommst du gleich deinen Zellaktivator zurück«, raunte mir Chapat zu. Ich wartete. Doch es verging eine Ewigkeit, ohne dass mir die Kette mit dem Zellaktivator umgehängt wurde. »Es ist eine Verzögerung eingetreten«, berichtete Chapat. »Die Aushändigung des Privateigentums wurde unterbrochen. Der Kommissar berät sich mit anderen … Jetzt wendet er sich wieder uns zu.« In meinen Ohren war ein Dröhnen. Am liebsten hätte ich mich in die erlösende Bewusstlosigkeit geflüchtet. Doch da klang eine befehlsgewohnte Stimme an mein Ohr: »Kralasenen, uns ist eine Schmach widerfahren, die in unserer ruhmreichen Geschichte keine Parallele kennt. Der Imperator hat angeordnet, dass alle Neulinge einer Prüfung unterzogen werden.« Das war für Chapat das Zeichen zum Handeln. Mit den Worten: »Wenn uns die Kralasenen nicht schützen können, helfen wir uns selbst!« sprang er zu dem Tisch, auf dem unser Privateigentum lag. Er nahm die Kombistrahler und meinen Zellaktivator an sich. Wieder zurück, hängte er mir den Zellaktivator um und drückte mir den TZU-4 in die schlaffe Rechte, schärfte mir ein: »Wir müssen um unser Leben kämpfen!« Unter den frisch vereidigten Söldnern brach ein Tumult los. Chapats Worte hatten sie, die selbst Verfolgte oder
Gesetzesbrecher waren, aufgestachelt. Sie stürzten sich ebenfalls auf die Waffen. Ein Kampf zwischen ihnen und den alteingesessenen Kralasenen entflammte, ohne dass jemand sagen konnte, wer den ersten Schuss abgegeben hatte. Chapat schoss sich den Weg zu einem Ausgang frei, zog mich, der ich alles nur in Trance mitbekam, am Arm mit. Einer der neuen Rekruten schloss sich uns an. »Verschwinde!«, forderte ihn Chapat auf. »Jeder muss selbst sehen, wie er durchkommt.« Der andere ließ sich nicht abschütteln. Grinsend entledigte er sich einer Kunststoffmaske, die er vor dem Gesicht trug. Das Gesicht, das darunter zum Vorschein kam, war Chapat nicht minder fremd. »Ohne mich schafft ihr es nie«, sagte er. »Erkennst du mich nicht wieder? Natürlich nicht. Als wir uns kennenlernten, war ich geschminkt. Ich bin Arbantola, der das Treffen der Einsamen im Addin-Forum veranstaltet hat.« »Und?«, fragte Chapat unbeeindruckt. »Ich bin der Chef der GGL! Ich habe mich bei den Kralasenen nur eingeschleust, um euch herauszuhauen. Wir brauchen Leute wie euch!« Ich hatte mich einigermaßen erholt, Arbantolas Worte verstanden und wollte protestieren. Doch Chapat kam mir zuvor. »Bringen Sie uns hier raus.« »Wir müssen zuerst ins Waffenlager eindringen.« Arbantola führte uns durch ein Stiegenhaus in die Tiefe. »Dort zünden wir eine Bombe, um das Chaos perfekt zu machen. In dem Durcheinander können wir leicht entkommen.« Ich wollte abermals protestieren. Doch die Strapazen hatten mich so geschwächt, dass ich endgültig das Bewusstsein verlor.
»Wo bin ich?« Ich sah mich verwirrt um.
Chapat beugte sich lachend zu mir herunter. »Wir sind an Bord eines Raumschiffes«, sagte er vergnügt, »das Lebensmittel zur Kristallwelt gebracht hat und gleich mit neuer Fracht zur Handelswelt starten wird. Die Leute der GoGoLo haben uns zu dieser Fluchtmöglichkeit verholfen.« »Das begreife ich nicht. Warum sollen sie uns plötzlich helfen, nachdem sie uns verraten haben?« »Sie haben uns nicht wirklich verraten. Arbantola hat gesagt, es sei ein Test gewesen. Sie wollten herausfinden, ob wir dichthalten können. Wir haben diesen Test bestanden. Und wäre uns die Flucht nicht aus eigener Kraft gelungen, hätten sie uns befreit. Arbantola war es auch, der uns bei der Flucht half. Aber davon weißt du nichts mehr, du bist vorzeitig umgekippt. Wie fühlst du dich jetzt?« Ich griff nach dem Zellaktivator. »Wie neugeboren. Wie lange war ich bewusstlos?« »Zwei Pragos; es ist die siebzehnte Tonta des 26. Eyilon.« Innerlich zuckte ich zusammen. Derart lange hatte sich die Regenerationsphase nach dem Verlust des Zellaktivators noch nie hingezogen. Ich lauschte in mein Inneres, fühlte den wärmenden Impulsstrom und fragte mich, wie real dieses lebensverlängernde Metallei auf meiner Brust wirklich war. Das Original musste sich schließlich bei meinem echten Körper in der Illusionsmaschine befinden. Hing damit die lange Bewusstlosigkeit zusammen? Der Logiksektor raunte: Wahrscheinlich. »Ich habe mich inzwischen mit Arbantola lange und ausführlich unterhalten«, fuhr Chapat unterdessen fort. »Er hat große Dinge mit uns vor. Aber ich weiß nicht recht, ob wir mitmachen sollen. Die Methoden der GGL sagen mir überhaupt nicht zu. Das sind ganz Radikale!« »Das habe ich schon während des Massakers im AddinForum gemerkt, als sie Dutzende Unschuldiger bewusst in
den Tod schickten. Da sind mir Orbanaschols Methoden fast lieber.« »Es kommt noch viel schlimmer. Von Arbantola erfuhr ich, dass es sich die Wegbereiter der Zukunft zum Ziel gesetzt haben, alle anderen Intelligenzvölker zu unterdrücken. Und wenn sie sich nicht unter die Herrschaft der Arkoniden stellen, sollen sie kompromisslos ausgerottet werden. Du könntest also Recht haben, dass sich Orbanaschol neben Arbantola geradezu human ausnimmt. Ich sagte ihm aber nicht ins Gesicht, was ich von ihm halte, sondern machte gute Miene zum bösen Spiel. So haben wir wenigstens erreicht, dass wir von Arkon Eins fortkommen.« »Das ist schon etwas wert.« »Was ist, freust du dich denn nicht darüber?« »Doch«, versicherte ich. »Aber …« »Aber was?« »Ich kann mich nicht über unsere Flucht freuen, solange Arbantolas Organisation nicht zerschlagen ist.« »Sobald wir erst mal auf Arkon Zwei sind, können wir uns immer noch überlegen, wie sich die GoGoLo ausschalten lässt. Ich bin ganz deiner Meinung, dass wir Arbantola das Handwerk legen sollten. Aber zuerst müssen wir in Sicherheit sein.« »Wir könnten diese schmutzige Arbeit Orbanaschols Leuten überlassen.« »Du willst Orbanaschol einen Wink geben?« »Extremisten wie die der GoGoLo sind mir ein Gräuel. Da ziehe ich selbst Orbanaschols Regime vor. Er ist zwar ein Mörder und Diktator, korrupt, arrogant und was weiß ich, aber …« »Ganz deiner Meinung. Aber wie willst du Orbanaschols Leute verständigen?« Ich deutete auf den Interkom der Kabine. »Da wir noch nicht
gestartet sind, können wir die Kralasenen leicht über Normalfunk erreichen. Ich kenne ihre Frequenz und sehe auch keine Schwierigkeit darin, den Interkom in einen Sender umzubauen.« »Du glaubst doch nicht, dass wir für unseren Verrat von den Kralasenen Dank erwarten dürfen?« »Nein. Sie sollen auch nicht erfahren, von wem der Tipp kommt.« Ich machte mich sofort am Interkom zu schaffen. »Notier dir alle Informationen, die du von Arbantola erhalten hast. Vor allem Namen und Adressen. Die wichtigsten Informationen funken wir an die Kralasenen, sodass es ihnen nicht schwerfallen dürfte, die gesamte Organisation in einem Handstreich zu zerschlagen. Ich würde mich dann bedeutend wohler fühlen. Wie stehst du dazu?« »Einverstanden.« Er grinste, wurde aber sofort wieder ernst und fügte hinzu: »Glaubst du, dass wir wirklich in der Lage sind, durch unser Eingreifen die Vergangenheit zu verändern?« »Da ich zuvor noch nie von der GGL gehört habe und sie somit niemals große Bedeutung erlangt hat, dürfte es eher so sein, dass unser Eingreifen die Vergangenheit festigt.«
Ich hatte so lange mit dem provisorischen Sender gefunkt, bis von der Kommandozentrale des Frachters das Startzeichen kam. Dröhnend erwachten die Impulstriebwerke zum Leben. Verbindungsschiffe zwischen den Arkonwelten beschleunigten meiner Erfahrung nach nur mit etwa 450 Kilometern pro Quadratsekunde auf eine Endgeschwindigkeit von rund dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Nach 200 Sekunden waren dann neun Millionen Kilometer zurückgelegt. Der größte Teil der direkten Distanz zwischen Arkon I und II von etwas mehr als einer Milliarde Kilometern
wurde im freien Fall zurückgelegt, ehe die Bremsbeschleunigung einsetzte. Insgesamt ergab es eine Flugzeit von knapp dreieinhalb Stunden oder etwa knapp zweieinhalb Tontas. Plötzlich flog die Kabinentür auf. Ein Mann mit einem entsicherten Blaster in der Hand erschien. Sein Gesicht war eine wutverzerrte Fratze, in seinen Augen war ein mörderisches Funkeln. »Jetzt haben wir euch doch noch erwischt!« Der bewaffnete Unbekannte hatte kaum ausgesprochen, da warf sich Chapat ungeachtet des schussbereiten Blasters auf ihn. Das alles ging so schnell, dass ich die Einzelheiten überhaupt nicht mitbekam. Ich sah gerade noch aus den Augenwinkeln einen Schatten durch die Luft schnellen – Chapat –, dann war der Unbekannte unter ihm begraben. Es entstand ein kurzes Gerangel. Der Blaster schlitterte über den Boden. Chapats Faust hob und senkte sich. Und dann ließ er von seinem Gegner ab, der reglos dalag. Chapat blickte schwer atmend auf ihn hinunter, packte ihn an seinen schulterlangen Haaren und hob seinen Kopf in die Höhe, sodass ich in sein Gesicht blicken konnte. »Kennst du ihn?«, fragte Chapat. »Woher denn?«, erwiderte ich. Da die Kabinentür immer noch offen stand und wir leicht von einem Mitglied der Schiffsbesatzung überrascht werden konnten, zog ich den Unbekannten kurzerhand in die Kabine. Chapat trug ich auf, die Tür zu schließen. Nachdem dies geschehen war, sagte ich bewundernd: »Du hast ein unglaubliches Reaktionsvermögen. Ein Roboter hätte nicht schneller handeln können.« Chapat blickte mir in die Augen, dann lächelte er. »Vielleicht bin ich ein Roboter.« »Wer weiß.« Ich erwiderte das Lächeln. Es war natürlich absurd. Aber die Schnelligkeit, mit der er die Situation erfasst
und gehandelt hatte, war in höchstem Maße ungewöhnlich. Er hat eine beeindruckende Demonstration ungewöhnlicher Körperbeherrschung in einer Extremsituation bewiesen. »Was machen wir mit ihm?«, fragte Chapat in meine Gedanken hinein. »Warten wir erst einmal ab, bis er zu sich kommt.« »In einigen Minuten wird es so weit sein. Ich habe nicht zu fest zugeschlagen und bin gespannt, was er uns zu erzählen hat. In wessen Auftrag mag er gehandelt haben?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube kaum, dass er ein vom Imperator gedungener Mörder ist, denn der möchte uns sicherlich lebend haben. Der da aber hätte abgedrückt, wenn du ihm nicht zuvorgekommen wärst. Ich kann nicht umhin, dich nochmals für deine schnelle Entschlusskraft …« »Hör auf damit«, unterbrach Chapat unwillig. »Deine Lobhudelei ist mir peinlich. Überlegen wir uns lieber, wie es weitergehen soll. Wer weiß, was uns auf Arkon Zwei erwartet. Da, der Kerl kommt zu sich.« Der Unbekannte hatte die Augen aufgeschlagen, sofort ergriff ich ihn an den Schultern, hob ihn hoch und stellte ihn auf die Beine. »Wie heißt du?«, herrschte ich ihn an. Der Mann machte eine Bewegung der Abwehr und wollte sich gleichzeitig zur Flucht wenden. Aber ich schlug ihm fast spielerisch auf die Unterarme, dass sie plötzlich wie lahm an seinem Körper herabhingen. Dann wirbelte ich ihn herum, drückte ihn mit dem Gesicht zur Wand. »Wie heißt du?« »Ihr könnt mich …« »Du meinst in Stücke reißen? Verlass dich darauf, das werden wir auch, solltest du unsere Neugier nicht befriedigen.« »Ich sage nichts«, stieß er hervor. Seinen Worten folgte ein Schmerzensschrei, als ich die Finger fester in seinen Nacken drückte.
»Spürst du, wie dein Körper lahm wird?«, fragte ich dicht an seinem Ohr. »Wenn ich den Druck meiner Finger verstärke, wirst du für immer gelähmt sein. Willst du dir dieses Schicksal nicht ersparen und doch lieber sprechen? Wie heißt du?« Ich lockerte den Druck meiner Finger. Der Gefangene atmete rasselnd, dann kam es stockend über seine Lippen: »Enkena … Cryll Enkena.« »Schön, Enkena.« Ich machte mit den Fingern Bewegungen, als wolle ich den Nacken des Mannes massieren. »Wer hat dich geschickt?« Schweigen. Ich drückte wieder fester zu. »In wessen Auftrag solltest du uns ermorden?« »Arbantola …« »Der Führer der Wegbereiter der Zukunft hat dir diesen Auftrag gegeben?« »Ja … Ihr werdet für euren Verrat noch büßen.« In seiner Stimme brach zügelloser Hass durch. »Wenn ich es nicht bin, der euch tötet, wird ein anderer kommen. Ihr werdet eurer Strafe nicht entgehen!« »Spar dir deine lächerlichen Drohungen«, sagte ich und drehte ihn herum, damit ich ihm in die Augen sehen konnte. »Erzähl uns lieber alles der Reihe nach.« Er starrte mich an, das Gesicht wutverzerrt. Er wollte sich plötzlich auf mich stürzen, doch ich beförderte ihn mit einer Links-Rechts-Kombination an die Wand zurück. »Glaubt nur nicht, euer Verrat sei nicht entdeckt worden«, sagte er keuchend, die Hände abwehrend vor dem Gesicht erhoben. »Arbantola hat euren Funkspruch abgefangen und mich sofort angerufen und mich damit beauftragt, euch …« »Das war Arbantolas letzte Handlung in Freiheit«, behauptete ich. »Inzwischen werden die Kralasenen eure Organisation ausgehoben haben. Die Wegbereiter der Zukunft gehören der Vergangenheit an, und Arbantola ist entweder tot
oder in sicherem Gewahrsam.« »Du Rotkoralle!«, sagte Enkena hasserfüllt. Ich schlug ihm tadelnd auf die Backe. »Nicht doch. Eine solche Ausdrucksweise geziemt sich nicht für einen Vertreter der neuen Herrscherklasse. Wie war es dir denn möglich, so schnell zur Stelle zu sein?« Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass die GGL noch Gelegenheit für einen Vergeltungsschlag finden würde. Jetzt erhielt ich von Enkena Aufklärung darüber, wie das doch noch möglich gewesen war. »Ich befand mich zu eurer Bewachung an Bord – in der Nebenkabine«, sagte er. »Arbantolas Anruf erreichte mich kurz nach dem Start. Ich wartete ab und …« Er verstummte. »Du hast versagt«, schaltete sich Chapat ein; seinen Mund umspielte ein spöttisches Grinsen. »Aber du hast Glück im Unglück. Wahrscheinlich bist du der Letzte der GoGoLo, der sich seiner Freiheit erfreut.« Enkena machte wieder Anstalten, sich auf uns zu stürzen, aber meine zum Schlag erhobene Hand ließ ihn sich eines Besseren besinnen. »Warum habt ihr das getan?« »Das kann ich dir leicht beantworten. Wir sind bestimmt alles andere als Freunde der Kralasenen oder des Regimes. Aber gegenüber der GGL ist Orbanaschol das kleinere Übel. Ihr von der GoGoLo widert uns an. Wärt ihr an die Macht gekommen, hättet ihr das Große Imperium zugrunde gerichtet.« »Wir hätten die Arkoniden zu Ruhm und Macht geführt. Unter Arbantolas Führung hätten wir die Öde Insel erobert; erst ihre Grenzen wären die Grenzen des Tai Ark’Tussan geworden.« »Ich weiß. Das wäre auf Kosten aller anderen Völker geschehen. Ihr hättet sie unterdrückt, versklavt – und wenn sie
sich nicht gewehrt hätten, hättet ihr auch nicht davor zurückgeschreckt, sie auszurotten! Wir wollten Orbanaschol keinen Dienst erweisen, sondern Arbantolas Größenwahn stoppen. Und das ist uns gelungen.« »Dafür werdet ihr büßen!« Enkena schien nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben, fletschte plötzlich die Zähne. Zuerst dachte ich, er habe den Verstand verloren. Doch dann sah ich die erbsengroße Phiole zwischen den Zähnen des Mannes. Es konnte sich dabei um eine Bombe oder um eine Gas- oder Säurekapsel handeln. Aber zweifellos war es ein Mordinstrument, mit dem Enkena nicht nur sich selbst ins Jenseits zu befördern gedachte, sondern auch uns. Ich schlug ihm die Handkante gegen den Kehlkopf, sodass er nach Luft japste und die Phiole nicht mit den Zähnen zerbeißen konnte. Enkena verdrehte die Augen und fiel in sich zusammen. Ich fing ihn auf, umfasste seine Mitte, sodass sein Kopf nach unten baumelte, und zog ihn gleichzeitig an den Haaren hoch, damit er die Phiole nicht schlucken konnte. Sie fiel ihm aus dem Mund und rollte Chapat vor die Füße. »Steck sie ein, vielleicht können wir sie noch brauchen«, verlangte ich. Chapat gehorchte und fragte: »Was machen wir mit dem Burschen?« »Wir fesseln und knebeln ihn und lassen ihn in der Kabine zurück, wenn wir das Raumschiff verlassen.«
Als nach der Landung über die Rundrufanlage das Freizeichen kam, verließen wir die Kabine. Von der Besatzung durften wir uns keine Unterstützung erhoffen. Man hatte uns deutlich zu verstehen gegeben, dass wir auf Arkon II auf uns selbst gestellt waren und trachten mussten, ohne fremde Hilfe die
Kontrollen der Behörden zu umgehen und von Bord des Schiffes zu gelangen. Wir waren illegal eingereist. Niemand von der Mannschaft würde uns verraten, aber auch niemand würde uns Unterstützung gewähren. Der Kabinentrakt lag verlassen da. Ich schritt zielstrebig den Korridor entlang und ignorierte einen Antigravlift, an dem wir vorbeikamen. Ich stoppte erst, als wir einen Lastenaufzug erreichten. »Was willst du hier?«, fragte Chapat. »Wir können das Schiff nicht durch eine Mannschleuse verlassen. Das Risiko wäre zu groß. Deshalb werden wir es durch die Ladeluke versuchen.« »Wer weiß, wann dieses Schiff wieder Ladung löscht.« Ich gab ihm nicht sofort Antwort, hielt mich am Rand des Einstiegs fest und beugte mich in den Schacht. Ich fand sofort, wonach er suchte – die Sprossen einer Notleiter an der Wand – , und nickte zufrieden. »Wir machen eine Klettertour«, sagte ich und ging erst dann auf Chapats Bemerkung ein. »Wir werden nicht warten, bis das Schiff wieder mit Nahrungsmitteln für Arkon Eins beladen wird. Es wurde Fracht für Arkon Zwei geladen. Und diese muss schließlich auch gelöscht werden. Das ist unsere Chance.« Ich stieg in den Schacht ein und begann mit dem Abstieg. Wir kletterten schweigend hinunter, bis ich endlich bei einem Ausstieg anhielt. Wir befanden uns zweifellos auf einem der untersten Ladedecks. Der Auffangraum war leer, verlassen. Ich stieg hinaus, ging zu dem riesigen Schott. Es war nicht verriegelt. Ich drehte an dem Handrad. Chapat, der mir gefolgt war, unterstützte mich. Kurz darauf schwang das Schott fast lautlos auf. Der dahinter liegende Laderaum war bis auf einige ramponierte Container leer, die, von Traktorfeldern gehalten, neben der Ladeschleuse standen. Nur die Notbeleuchtung brannte. »Schnell hinein«, sagte ich, als ich hinter mir Geräusche
hörte. Wir schlüpften hintereinander in den Spalt und zogen das Schott an den Stützstreben zu. »Verdammt!«, fluchte ich, als ich feststellte, dass sich das Schott nicht von innen schließen ließ. War die Löschmannschaft aufmerksam, musste es ihr bedenklich erscheinen, dass das Schott nicht versperrt war. Vielleicht erklärte man es sich aber auch so, dass vergessen worden war, es zu schließen. Ich zerbrach mir nicht länger den Kopf darüber, sondern lief in Richtung der Container. Wir hatten sie kaum erreicht, als die Traktorfelder in sich zusammenfielen. Ich wollte schon aufatmen. Doch als ich versuchte, einen der klobigen Transportbehälter zu öffnen, musste ich enttäuscht feststellen, dass das nicht ging. »Versiegelt.« »Was machen wir jetzt?«, fragte Chapat. »Wir verstecken uns erst einmal.« Ich zog Chapat hinter die Container. In diesem Augenblick schwang das Schott auf, durch das wir gekommen waren. Aus unserem Versteck sahen wir, dass eine Gruppe von vier Mann in Begleitung von einem halben Dutzend Robotern hereinkam. Zwei Männer gehörten zur Schiffsbesatzung, die anderen trugen hellblaue Uniformen der »Industrie- und Handelspolizei«, der Exekutive auf Arkon II. Ich atmete erleichtert auf, als ich sah, dass die sechs Roboter nur einfache Arbeitsmaschinen waren. Von diesen drohte keine Gefahr. Die Truppe näherte sich den Transportbehältern. »Was macht es schon, dass das Schott nicht vorschriftsmäßig verschlossen war?«, sagte ein Raumfahrer. »Wir haben keine brisante Fracht, sondern nur …« »Ich muss die Sache trotzdem melden«, sagte ein Polizist. Er schien ein besonders misstrauischer Bursche zu sein, denn er hatte den Paralysator gezogen und hielt ihn entsichert in der Hand. Ich griff unwillkürlich nach dem Blaster, den ich von Enkena
erbeutet hatte; er und die Phiole mit unbekanntem Inhalt waren unsere einzigen Waffen. Der andere Polizist sagte gerade: »Die ALCYNA steht auf der schwarzen Liste. Wir wissen, dass ihr Leute schmuggelt.« »Das ist eine absurde Verdächtigung«, sagte der Raumfahrer, ohne überzeugend zu wirken. »Unser Kommandant lässt sich auf keine illegalen Geschäfte ein.« Die Addag’gostaii lachten; einer sagte: »Das erzählt, wem ihr wollt, aber nicht uns.« »Was kümmert es uns?«, rief der andere. »Wenn sie Personen geschmuggelt haben, wird die Clique sicherlich dafür sorgen, dass sie zirkulieren.« Ich runzelte die Stirn, hätte zu gern gewusst, was darunter zu verstehen war. Jedenfalls reizte diese Bemerkung die beiden Raumfahrer zum Lachen. Die vierköpfige Gruppe erreichte die Container. Die Arbeitsroboter blieben in einiger Entfernung stehen, um die Kontrolleure bei ihrer Tätigkeit nicht zu stören. Ich zog mich mit Chapat in den Schatten einer Wandverstrebung zurück. Wir hörten die Schritte der Polizisten, die von einem Transportbehälter zum anderen gingen, um die Plombierungen zu überprüfen und dann abzunehmen. »Nanu«, sagte einer überrascht, nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig waren, »kein einziges Siegel ist erbrochen.« »Was habt ihr denn anderes erwartet?«, maulte der Raumfahrer. »Wer könnte schon an dem Dreck interessiert sein?« »Nicht an dem Inhalt der Transportbehälter – sondern an dem Leerraum«, sagte ein Beamter. »Da passt kein zerdrücktes Ei mehr hinein«, behauptete der andere Raumfahrer. Die Beamten öffneten einige Container und schlossen sie sofort wieder. »Ihr könnt mit dem Ausladen beginnen.«
Die beiden Raumfahrer schickten ihnen leise Flüche nach und begannen dann damit, die Arbeitsroboter für ihre Aufgaben zu programmieren. Das war in wenigen Minuten getan. »Hauen wir ab.« »Lieber nicht. Du weißt, was der Kommandant gesagt hat. Wir sollen die Roboter beaufsichtigen.« Ich verfluchte die Dienstauffassung der beiden. Nun mussten wir versuchen, unter ihren Augen in einen der Container zu gelangen. Ich löste mich aus dem Schatten und schlich zu einem Normbehälter, der den Blicken der Raumfahrer verborgen war. Es kostete mich keine Mühe, den Verschluss der Schiebetür zu öffnen. Als ich diese jedoch aufschob, gab es ein quietschendes Geräusch. »Was war das?« »Ich habe nichts gehört.« »Doch, da war ein Geräusch.« »Wennschon. Es wird irgendwelches Ungeziefer gewesen sein.« »Ja, Ungeziefer …« Die beiden kicherten. »Blinde Passagiere haben wir ja keine an Bord.« »Eben.« Die beiden kicherten wieder. Ich zuckte enttäuscht zurück, als ich sah, was in dem Transportbehälter war. Müll! Und wie die Raumfahrer schon gesagt hatten, war darin nicht mehr genügend Platz, um einem ausgewachsenen Mann Platz zu bieten, geschweige denn zweien. Wir untersuchten noch drei weitere Container, bis wir endlich einen fanden, dessen Müllladung eine Aussparung aufwies, die groß genug war, uns aufzunehmen. Chapat kletterte zuerst hinein. Ich folgte und zog die Schiebetür hinter mir bis auf einen kleinen Spalt zu. »Wieso bringt man den Müll von der Kristallwelt hierher?«, wunderte sich Chapat. »Zur Wiederverwertung.« Ich hatte festgestellt, dass es sich
bei dem Müll durchweg um hochwertige Kunststoffabfälle handelte. Ich hörte, wie sich die Ladeschleuse öffnete. Dann fiel Tageslicht in die Halle. »Los, ausladen!«, rief einer der Raumfahrer, obwohl die Roboter dieses Kommandos nicht bedurft hätten. Ich erfuhr aber gleich darauf, dass der Mann die Roboter wahrscheinlich nur als Vorwand nahm, um ihnen einen Wink zu geben, denn er fügte hinzu: »Der Plastikmüll wird sofort zur Schmelzanlage gebracht und aus den Transportbehältern direkt in die Öfen geleert und veredelt.« Chapat seufzte. »Wenn es uns nicht gelingt, die Container rechtzeitig zu verlassen, sind wir verloren. Warum hat man uns nicht früher gewarnt?« »Ich kann mir denken, dass schon so mancher illegale Passagier auf diese Weise aus dem Weg geschafft wurde. Unser Trost ist, dass wir wenigstens etwas zur Veredelung des arkonidischen Kunststoffs beitragen können.« Chapat konnte über diesen Scherz verständlicherweise nicht lachen. Der Transportbehälter wurde von den Robotern auf Antigravfeldern zur Ladeschleuse gelenkt. Dort griff ein hyperenergetischer Traktorstrahl nach ihm, der ihn über den Raumhafen beförderte. Ich blickte durch den schmalen Spalt. Wir befanden uns in einer Höhe von fünfzig Metern, sodass ich einen guten Überblick über das Raumhafengelände hatte. Überall standen die kugelförmigen Transportschiffe und wurden ent- und beladen. Über uns patrouillierten Gleiter der Polizei.
7. Atlan: Ständig landen und starten mehrere Raumschiffe gleichzeitig, die Luft ist erfüllt vom Dröhnen und Donnern der Impulstriebwerke. Gegen diese Gewalten hilft die beste Schallisolierung wenig. Orkanartige Böen werden zwar weitgehend von bis zum Atmosphärenrand reichenden Energieschläuchen verhindert, die beim Hochfahren einen Vakuumtunnel schaffen. Doch wirklich durchdringenden Lärm verursachen nun mal die Impulstriebwerke, selbst wenn sie – vor Errichtung der energetischen Startgerüste – mit einem Bruchteil ihrer Volllast-Schubwerte arbeiten. Drosselphase nennt sich das: die Synchronisation von Antigravaggregaten, Andruckabsorption und SublichtTriebwerkssystemen. In der Ferne sehe ich im Dunst des Horizonts Verwaltungsgebäude, riesige Depots und Silos und die prunkvollen Bürohäuser der mächtigen Händlerorganisationen. Aber die Raumschiffe und die eindrucksvollen Anlagen werden alle überragt von einem schlanken Funk- und Kontrollturm, der inmitten des Raumhafens steht. Von hier kommen die Leitstrahlen für die Raumer, werden Lande- und Starterlaubnis erteilt, Flugrouten zugewiesen, Verladekommandos dirigiert, Waren zu ihren Bestimmungsorten gelotst. Fällt dieser Funkturm aus, würde die Ordnung auf dem Raumhafen zusammenbrechen. Es ist ein schlanker Obelisk von 1500 Metern Höhe, der im oberen Drittel zwei Kugeln von je 300 Metern Durchmesser durchsticht. An diesem Wahrzeichen erkenne ich, wo wir sind: auf Olp’Duor, dem größten Raumhafen auf Arkon II! Schon das Kernlandefeld umfasst ein Geviert von fünfzig mal fünfzig Kilometern, hinzu kommen ringsum angeordnete, nur wenig kleinere Nebenlandefelder, Werft- und Depotanlagen, Tausende Handelshäuser; insgesamt eine Tag und Nacht pulsierende Enklave von rund zweihundert Kilometern Gesamtdurchmesser. Hier laufen
alle Fäden des Industrie- und Handelsplaneten zusammen. Es gibt insgesamt 300 Großraumhäfen auf diesem 7326 Kilometer durchmessenden Planeten, der eine Schwerkraft von 0,7 Gravos aufweist. Aber keiner von ihnen ist auch nur annähernd so groß wie Olp‘Duor. Nicht vergessen werden darf auch, dass viele Raumschiffe gar nicht erst landen, sondern ihre Fracht bereits im Orbit löschen oder aufnehmen, während kleine »Zubringer« den Rest übernehmen.
Arkon II: 2. Tonta des 27. Prago des Eyilon 10.498 da Ark Während ich die Daten über Arkon II aus meiner Erinnerung wachrief, beobachtete ich scharf die Vorgänge in unserer nächsten Umgebung. Mir war aufgefallen, dass überraschend viele Polizeieinheiten und Robotergruppen patrouillierten. Die Polizisten tauchten oft unerwartet auf, machten bei Waren Stichproben, nahmen das Raumhafenpersonal unter die Lupe. Die Roboter agierten unauffälliger. Ohne äußere Anzeichen von Wachsamkeit orteten sie die Umgebung, durchleuchteten Transportbehälter, untersuchten sie auf Individualschwingungen. »Wir können froh sein, dass wir eine Müllladung erwischt haben«, sagte ich. »Selbst die Roboter finden es unter ihrer Würde, sich darum zu kümmern.« »Roboter haben eine Würde?«, wunderte sich Chapat. Ich seufzte. Mein Sohn war nicht nur völlig humorlos, sondern auch ein Wortklauber. Das Schlimme daran war, dass er sich nicht nur so naiv stellte, sondern es tatsächlich war. Hat ihm Ischtar keine Ausbildung zukommen lassen? »Auf jeden Fall bleibt uns eine peinliche Überprüfung erspart.« »Was nutzt es uns, wenn wir zusammen mit dem Müll in der Schmelzanlage enden?« »Wir werden schon noch einen Ausweg finden«, behauptete ich zuversichtlich, fügte in Gedanken jedoch hinzu, dass wir in
unserer Bewegungsfreiheit ziemlich beschränkt waren, solange wir uns in der Luft befanden. Hätte ich gewusst, worauf die Roboter programmiert waren und wonach die Polizeitruppen suchten, wäre mir wohler gewesen. Hat Orbanaschol mit der Möglichkeit gerechnet, dass wir nach Arkon II entkommen? Wenn ja, ist der Imperator so sehr an uns interessiert, dass er solchen Aufwand treibt, um unserer habhaft zu werden? Ich hätte viel darum gegeben, zu wissen, ob die Patrouillen unsertwegen unterwegs waren. War ich Orbanaschol wirklich so wichtig, dass er meinetwegen alle Streitkräfte von Arkon II mobilisierte? Es war ja schließlich nicht damit getan, nur Olp’Duor zu überwachen. Denn die Raumschiffe, die von Arkon I kamen, landeten auf allen 300 Großraumhäfen. »Woran denkst du?«, erkundigte sich Chapat. »Ich überlege mir gerade, wie es in diesem Augenblick meinem jüngeren Ich ergeht.« »Du solltest lieber daran denken, was gerade mit unseren Körpern in der Gegenwart passiert.« »Das würde an unserer Situation nichts ändern. Die Gegenwart liegt für uns in der Zukunft. Wenn wir dagegen die Geschehnisse der Vergangenheit, in der wir leben, nutzbringend verwerten, kann uns das sehr helfen.« »Das ist nur ein Traum, die Realität ist für uns das Jahr 2843. Dort sind unsere wirklichen Körper.« »Kneif dich mal«, riet ich. »Das tut weh, was? Dieser Körper ist so real, wie irgendetwas nur sein kann. Und der Traum, in dem wir leben, kann für uns tödlich enden – hier wie auch 2843. Deshalb müssen wir uns auf das Jetzt konzentrieren.« »Wir müssen nach einer Möglichkeit suchen, in unsere Körper und das Jahr 2843 zurückzukehren.« »Wem sagst du das.« Ich seufzte. Unsere Gespräche, die sich immer um das gleiche Problem drehten, führten zu nichts. Sosehr wir uns auch den Kopf zermarterten, es schien keine
Möglichkeit zu geben, dem Bann der Kombination aus Illusionsmaschine und Ischtar-Memory, der uns in die arkonidische Vergangenheit versetzt hatte, zu entrinnen. »Ich habe ein komisches Gefühl im Magen«, ließ sich Chapat vernehmen. »Gehen wir tiefer?« »Erraten.« Ich sah, wie sich unter uns ein Schacht auftat und uns mitsamt dem Container zu verschlucken drohte. Ich entsann mich wieder der Worte des Raumfahrers, der gesagt hatte, dass der Plastikmüll direkt in die Schmelzanlage wandern sollte. Und ich wusste: Befanden wir uns erst einmal in der subplanetaren Förderanlage, gab es kein Entkommen mehr.
Während sich der Müll-Container zur Bodenöffnung senkte, näherte sich ein fünfzig Meter langer Prallfeldgleiter, der gerade gestartet war. Es handelte sich um einen großen Lastengleiter, der Ladung von einem Raumschiff gelöscht hatte und nun in Richtung der Warenlager am Rand des Raumhafens unterwegs war. Ich hatte aus meinem Versteck schon zuvor beobachtet, wie Roboter den Lastengleiter untersucht hatten, sodass eine neuerliche Kontrolle eigentlich nicht zu befürchten war. Diese Tatsache gewann nun besondere Bedeutung, da der Lastengleiter den Weg des MüllContainers zu kreuzen schien. Und darin sah ich unsere Chance, den Schmelzanlagen zu entkommen. »Bereite dich darauf vor, den Container zu verlassen«, sagte ich. »Wir wechseln auf ein anderes Transportmittel.« Der Müll-Container befand sich nur noch knapp zehn Meter über der Bodenöffnung, als der Lastengleiter auf unsere Höhe kam. Ich sah die Bordwand, hinter der sich Warenballen türmten, keine drei Meter an mir vorbeiziehen, stieß die Schiebetür auf, ging etwas in die Knie und stieß mich kraftvoll
ab. Ich sprang durch die Luft, erreichte die Bordwand des Gleiters und klammerte mich an der oberen Kante fest. Meine größte Sorge war in diesem Moment, dass zufällig einer der patrouillierenden Polizisten in meine Richtung blickte und mich entdeckte. Aber es schien alles glattgelaufen zu sein. Ich zog mich an der Bordwand hoch, ließ mich zwischen die Warenballen fallen und schaute zurück. Der Müll-Container hatte sich inzwischen weiter gesenkt. Chapat erschien in der Schiebetür und blickte zu mir herauf, er befand sich bereits zwei Meter tiefer. »Spring endlich!«, forderte ich ihn auf. Chapat warf sich wie von einem Katapult geschnellt nach vorn und schaffte es gerade noch, erreichte mit einer Hand einen Vorsprung am unteren Ende der Bordwand und klammerte sich fest. So hing er eine Weile über dem Abgrund, bevor es ihm gelang, auch mit der zweiten Hand Halt zu finden. Ich begann zu schwitzen. Jede Sekunde, die Chapat ohne Deckung war, den Blicken der Polizisten und Roboter preisgegeben, zerrte an meinen Nerven. Chapat jedoch schien die Ruhe selbst, schwang die Beine wie ein Pendel, bis sie die Horizontale erreichten und er auf einem Sims der Bordwand Fuß fassen konnte. Dann holte er Atem und zog sich mit einigen kräftigen Klimmzügen hinauf. Ich beugte mich hinaus, streckte ihm den Arm entgegen und zog ihn mit einem Ruck über die Bordwand. »Puh!«, machte Chapat, als er zwischen den Warenballen versank. Ich gab keine Antwort, sah über die Bordwand in die Tiefe. Ich konnte nichts Verdächtiges entdecken. Der Müll-Container war gerade in der Bodenöffnung verschwunden, die Klappe schloss sich geräuschlos. In unmittelbarer Nähe waren weder Roboter noch Polizisten zu entdecken. Der Lastengleiter gewann immer mehr an Höhe und wurde von
Positionslichtern und Funksignalen in eine »Luftstraße« eingewiesen, die schnurgerade zu Gebäuden der Handelsniederlassungen am Rand von Olp’Duor führte. »Vorerst sind wir in Sicherheit«, stellte ich zufrieden fest. »Und wohin geht die Reise?« »Zuerst fort vom Raumhafengelände. Sind wir erst einmal in einem der Lagerhäuser, werden wir schon einen Fluchtweg finden.« Der Prallfeldgleiter reihte sich in eine endlos scheinende Kolonne von Lastengefährten ein, aus der ständig Gleiter ausscherten und sich andere einordneten. Während des Schwebeflugs arbeiteten wir uns nach vorn. Als der Gleiter die letzten Landefelder des Raumhafens hinter sich ließ, erreichten wir die kugelförmige Pilotenkanzel. Durch die Heckscheibe sah ich, dass sie von zwei Männern besetzt war. Keine hundert Meter vor uns zogen sich die quaderförmigen Lagerhäuser in einer Linie dahin. Vor den großen, offenen Toren waren private Wachdienste der verschiedenen Händlerorganisationen postiert. Der Lastengleiter kam zum Stillstand und blieb einige Meter über dem Boden in der Schwebe. Ich sah, wodurch die Wartezeit verursacht wurde – soeben wurde ein anderer Lastengleiter abgefertigt. Ich schätzte, dass wir in etwa fünf Minuten an der Reihe sein würden. »Wir riskieren es, die beiden Piloten zu überwältigen«, raunte ich, weil ich damit rechnete, dass wir, zumindest solange wir in der Luft waren, das Überraschungsmoment auf unserer Seite und kaum mit Widerstand zu rechnen hatten. Ich gab Chapat durch einen Wink zu verstehen, dass er den rechten Einstieg übernehmen sollte, während ich von der linken Seite ins Führerhaus eindrang. Chapat verstand. Ich zog den erbeuteten Blaster und drückte mich am Rand der Ladefläche gegen die Pilotenkugel, lugte vorsichtig durch das
Seitenfenster. Als ich sah, dass beide Piloten in eine andere Richtung blickten, riss ich die Tür auf und schwang mich hinein. Das Geräusch ließ die Arkoniden herumfahren, der auf sie gerichtete Strahler sie erstarren. »Keine falsche Bewegung«, ermahnte ich und machte mit der Waffe eine drohende Bewegung. »Was soll das?«, begehrte der Kopilot auf und versuchte hinter seinem Sitz in Deckung zu gehen, während er gleichzeitig nach seiner Waffe im Gürtelhalfter griff. Doch da wurde der andere Einstieg aufgerissen; Chapat stürzte herein, schlug dem Kopiloten die Waffe aus der Hand, packte ihn im Nacken und drückte ihn mit dem Gesicht fest gegen den Sitz. »Ihr werdet euch auch während der Kontrolle am Tor ganz ruhig verhalten und so tun, als sei überhaupt nichts geschehen«, befahl ich. »Meine Waffe ist auf euch gerichtet. Und glaubt mir, ich zögere nicht, davon Gebrauch zu machen. Verstanden?« »Klar«, sagte der Pilot. »Und dass keinem einfällt, über Funk Alarm zu schlagen. Wenn man uns in der Lagerhalle einen Hinterhalt legt, seid ihr dran.« Chapat ließ den Kopiloten los, der wieder seinen Platz einnahm. Wir verbargen uns hinter den Sitzen, nachdem Chapat die beiden T-15 der Männer an sich genommen und mir einen übergeben hatte. Einfache Frachtarbeiter mit einer solchen Bewaffnung?, raunte der Extrasinn. Sei vorsichtig! Die Kerle haben zweifellos noch »andere Geschäfte« laufen oder gehören zu einer entsprechenden Händlerorganisation. »Wir sind an der Reihe«, sagte der Pilot und drehte den Kopf halb zu uns. »Tut so, als gäbe es uns nicht. Tut genau, was man von euch erwartet.« Ich verstummte, als das Funkgerät anschlug. Der Kopilot nahm das Gespräch entgegen. Es entspann sich ein
kurzer Dialog mit dem Torposten, dann durfte der Gleiter passieren. Nachdem das Funkgerät wieder ausgeschaltet war – ich musste durch einen Druck mit meiner Waffe ein wenig nachhelfen –, befahl ich: »Langsame Fahrt – und auf Automatik umschalten!« Der Pilot gehorchte. »Und was nun?« Ich gab Chapat einen Wink, dann schlug ich den Piloten mit einem Nackenschlag nieder. Chapat tat dasselbe mit dem Kopiloten. »Und jetzt schnell, bevor wir durch unsere langsame Fahrt eine Stockung herbeiführen. Wir tauschen mit den beiden die Kleider und die Plätze.« Ich zerrte den Piloten nach hinten und begann ihn auszuziehen. »Kannst du so ein Ding überhaupt steuern?«, wollte Chapat wissen, der die Kleidung mit dem anderen so rasch wechselte wie ein professioneller Verkleidungskünstler. »Leidlich. Es ist zwar immerhin schon über zehntausend Jahre her, dass ich einen Prallfeldgleiter dieser Bauart manövriert habe – aber ich denke doch, dass meine Kenntnisse reichen werden.« Wenige Minuten später trugen wir die Uniformen dieser Handelsgesellschaft und nahmen die Sitze des Piloten und Kopiloten ein. Niemand schien Verdacht geschöpft zu haben. Ich überflog kurz die Armaturen und machte mich mit den Bedienungsinstrumenten vertraut, bevor ich den Autopiloten ausschaltete. Der Lastengleiter ruckte an, als ich die manuelle Steuerung übernahm, sackte etwas in die Tiefe, aber ich hatte ihn sofort wieder in meiner Gewalt. Über die Decke flog ein sich wiederholender Lichtstreif dahin. Da ich mir denken konnte, dass er uns den Weg weisen sollte, folgte ich ihm. Wir kamen zu einem Sektor der Lagerhalle, wo ähnliche Warenballen gestapelt waren, wie unser Gleiter sie geladen hatte. Ein Mann wies uns auf den Landeplatz ein, indem er
bunte Leuchtstäbe schwang. Ich war mit den Instrumenten des Gleiters vertraut genug, dass ich mir zutraute, jedes Manöver durchzuführen. Doch hatte ich überhaupt keine Ahnung, was die Leuchtstabzeichen zu bedeuten hatten. So versuchte ich auch gar nicht erst, darauf einzugehen, sondern landete den Lastengleiter nahe den Warenstapeln. Der Mann mit den Leuchtstäben machte wütende Gebärden, aber da hatte ich bereits die Prallfelder ausgeschaltet, der Lastengleiter kam zum Stillstand und sank auf die Puffer. »Bist du übergeschnappt, Chogg?«, rief einer der Lagerarbeiter. Etwa ein Dutzend umstanden inzwischen die Cockpit-Kugel. »Du stehst zu weit weg vom Kran. Willst du, dass wir uns mit den Ballen abschleppen?« Nach der Warnung des Extrasinns hatte ich damit rechnen müssen, dass die Lagerarbeiter den Piloten des Gleiters so gut persönlich kannten, deshalb stellte mich sofort auf die neue Situation ein. »Tut mir leid«, sagte ich, die eine Hand wie zufällig auf dem Griff meiner Waffe, während ich aus dem Führerhaus kletterte. »Aber Chogg hatte einen Schwächeanfall; ich musste ihn ablösen.« »He, das ist auch nicht Titav«, rief ein anderer Lagerarbeiter, als er Chapat erblickte, der noch immer die Altmännermaske trug. »Wer ist das?« »Wir arbeiten immer zusammen.« »Soso«, sagte der Lagerarbeiter, der offenbar der Partieführer war, und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ihr beide habt also Chogg und Titav abgelöst. Wann war denn das?« »Vor der Warenübernahme.« »Tatsächlich? Wie kommt es dann, dass sich Chogg noch beim Torposten persönlich gemeldet hat?« Da sah ich keinen anderen Ausweg mehr, als den Thermostrahler zu ziehen, und sagte mit schneidender
Stimme: »Keine falsche Bewegung!« Chapat brachte seine Waffe ebenfalls in Anschlag. »Los, geht zu dem Warenstapel; stellt euch mit dem Rücken zu uns.« Die Lagerarbeiter ließen sich dadurch nicht irritieren, waren ein gut aufeinander eingespieltes Team. Das zeigte sich sogleich, als sie, ohne sich abzusprechen, wie auf Kommando zum Angriff übergingen.
Es war mir nicht daran gelegen, unschuldige Männer zu töten. Deshalb feuerte ich mit minimaler Leistung zuerst einige Warnschüsse ab und ging in Deckung. Chapat nahm da weniger Rücksicht und schoss auf eine Gruppe von drei Männern, die ihm bedrohlich nahe gekommen waren. Aber wenigstens zielte er tief genug, sodass sie nicht tödlich getroffen wurden. Zwei von ihnen erlitten jedoch an den Beinen Verbrennungen und brachen zusammen. Die anderen schwärmten aus. Chapat flüchtete zu mir. »Du bist ein Narr«, schimpfte ich. »Vielleicht hätten uns die Arbeiter aus Angst um ihre eigene Sicherheit laufen lassen. Dadurch, dass du zwei ihrer Kameraden verletzt hast, haben sie aber wahrscheinlich eine solche Wut im Bauch, dass sie uns gnadenlos jagen werden.« »Ich hatte keine andere Wahl«, sagte Chapat zerknirscht. »Dann stell deinen Thermostrahler wenigstens jetzt auf minimalste Leistung ein«, verlangte ich. Er sah hinter sich zwei Arbeiter auftauchen, zielte über ihre Köpfe und schoss. Der Thermostrahl brandete gegen einen Stützpfeiler und sengte ihn nur schwach an. »Fort von hier!« Ich setzte mich in Bewegung. »Moment noch.« Chapat grinste, ließ die Hände in fieberhafter Eile über das Instrumentenpult wandern und nahm wahllos Schaltungen vor.
»Was soll das!«, herrschte ich ihn an, als Chapat endlich von den Instrumenten abgelassen hatte und mich erreichte. »Ich wollte nur einige Maschinerien in Gang setzen, um unsere Gegner zu verwirren.« »Damit könntest du aber leicht das Gegenteil erreichen.« Ich sah plötzlich einen Traktorstrahlkran mit schlenkernden Gelenkarmen auf uns zurasen, gab Chapat einen Stoß, dass er zur Seite geschleudert wurde, und konnte mich selbst gerade noch durch einen Sprung in Sicherheit bringen. Der Kran raste an uns vorbei, wurde wenige Meter weiter durch Bremsfelder gestoppt, die Gelenkarme bohrten sich wie Geschosse in Metallbehälter, aus denen sofort eine grünliche Flüssigkeit spritzte. Ein durchdringender Geruch breitete sich aus, der sich beißend auf die Atemwege legte. Ich sah auf einem zehn Meter hohen Warenstapel einen Arbeiter auftauchen, der eine Antigravscheibe von sich stieß, die mit wahnwitziger Geschwindigkeit herabschoss. Mit zwei Sätzen brachte ich mich aus der Flugbahn und feuerte dann auf den Mann. Der Thermostrahl fraß ein Loch in das Lagergut unter seinen Füßen, er brach ein, verlor den Halt und rutschte in die Tiefe. »Atlan, hilf mir!«, schrie Chapat verzweifelt. Ich wirbelte herum und sah, wie Chapat hilflos in der Luft hing und von einer unsichtbaren Kraft fortgezerrt wurde. Mir war sofort klar, dass sich die Lagerarbeiter die Einrichtungen zunutze machten und Chapat mit einem energetischen Zugstrahl in ihre Gewalt bekommen hatten. »Hol mich hier raus!« Chapat feuerte blindlings um sich. Von irgendwoher erklang ein spöttisches Lachen. Ich fand heraus, dass es nur aus einer Steuerkabine kommen konnte, die dicht unter der Decke auf einer Schiene dahinglitt. Hinter den Fenstern entdeckte ich drei grinsende Gesichter und feuerte auf die Steuerkabine. Doch der gedrosselte Strahl war so harmlos, dass er den Boden der Kabine nur schwärzte.
Chapat hing immer noch hilflos in dem Zugstrahl, der ihn bereits dreißig Meter fortgebracht hatte. Da entsann ich mich der Antigravplattform; sie steckte mit ihrem Rand in einem Berg von Säcken, aus denen mehliger Staub quoll. Ohne lange zu überlegen, ging ich hinüber und zerrte so lange, bis ich sie herausgezogen hatte. Dann drehte ich die Plattform in Richtung der Steuerkabine und schaltete die Antigravfelder so, dass die Plattform in schneller Fahrt schräg in die Höhe raste. Entsetzen drückte sich auf den drei Gesichtern hinter den Fenstern aus, als sie sahen, wie die Plattform geradewegs auf sie zuschoss. Ein Mann sprang ab und fing seinen Sturz auf einer Querstrebe ab. Die beiden anderen fanden keine Zeit mehr, sich in Sicherheit zu bringen. Denn da bohrte sich die Antigravscheibe bereits in die Breitseite der Steuerkabine. Die bruchfesten Fenster fielen aus den Rahmen und segelten wie seltsame Vögel davon. Die Streben verformten sich, ein Riss tat sich in der Seite der Kabine auf. Ich sah, wie die Männer die Hände schützend vor die Gesichter hielten, während sie wie von unsichtbaren Schlägen hin und her geworfen wurden. Die Kabine rutschte von der Schiene, sackte ab und hing baumelnd in dem sich automatisch einschaltenden Energie-Leitstrahl. Chapat schrie auf. Ich sah entsetzt, wie er plötzlich von dem Zugstrahl freigegeben wurde und aus einer Höhe von mehreren Metern in die Tiefe fiel. Ein Warenstapel verdeckte die Sicht, sodass ich nicht sehen konnte, wo mein Sohn auftraf. Aber ich zögerte keinen Augenblick, rannte los, umrundete den Warenstapel und sah Chapat reglos auf einem Berg von nachgiebigem Verpackungsmaterial liegen. Das weiche Material hatte seinen Aufprall gemildert, sodass ich annehmen konnte, dass er sich bei dem Sturz nicht ernsthaft verletzt hatte. Aber Chapat hatte das Bewusstsein verloren, das war schlimm genug. Ich beugte
mich über ihn. Da fiel ein Schatten auf mich. Ich wollte mich zur Seite werfen – zu spät. Etwas schlug schmerzhaft auf meinen Hinterkopf und meine Schulterpartie. Mir wurde augenblicklich schwarz vor Augen. Chapat war noch ganz benommen, als er sich hochgehoben fühlte. Stimmen drangen auf ihn ein, er konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. Hände betasteten ihn, stießen ihn, reichten ihn weiter. Als er für einen Moment die Augen öffnen konnte, sah er irgendwo unter sich ein fremdes bleiches Gesicht. Seine Erinnerung sagte ihm jedoch sofort, dass es Atlans Gesicht war … Atlans neues Gesicht, denn er hatte Maske gemacht, um nicht sofort erkannt zu werden … Er lag da wie tot! Chapat versuchte, sich gegen seine Häscher zu wehren. Doch da tauchte eine Faust auf und stieß seinen Geist zurück in einen Wirbel aus Schmerz und Nebel. Chapats Kopf baumelte. Jemand packte ihn an den Haaren, um ihn festzuhalten. Der Fremde packte bestimmt nicht gerade gefühlvoll zu, aber Chapat verspürte keinen Schmerz, nahm überhaupt nur die nebensächlichen Dinge wahr wie zum Beispiel, dass er auf einer harten Unterlage lag. Wie Schemen tauchten Warenstapel aus dem Nebel auf, glitten vorbei. Bullige Gestalten – Frachtarbeiter – umgaben ihn. Er selbst glitt in gerader Linie durch die Luft: Sie brachten ihn auf einer Antigravtrage fort. Er betastete sich vorsichtig mit zitternden Händen. Jemand schlug sie ihm brutal hinunter. Aber Chapat hatte vorher schon festgestellt, dass seine Waffe weg war. Die Phiole! Dieser schreckliche Gedanke lähmte ihn. Er erinnerte sich, dass er sich die Phiole in den Mund gesteckt hatte, bevor ihn der Zugstrahl kampfunfähig machte. Er hatte keine Ahnung, was die Phiole enthielt, Gift oder Sprengstoff. Aber die Wirkung des einen konnte so verheerend sein wie die des anderen, sofern er die Phiole schluckte – und sie von den Magensäften zersetzt wurde, ihr Inhalt in seinem Körper frei wurde. Allein der Gedanke daran verursachte ihm Übelkeit. Aber er konnte sich sofort wieder beruhigen, spürte die
Phiole unter der Zunge. Sein Transportmittel wurde angehalten. Wieder wurde er betastet, diesmal allerdings weniger brutal. »Los, machen Sie schon! Die Kerle sollen nur eine Weile aus eigener Kraft auf den Beinen stehen.« Chapat verspürte einen leichten Einstich in der rechten Armbeuge. Das zeigte ihm, dass das Gefühl in seinen Körper zurückkehrte. Hoffentlich war er bald so weit bei Kräften, dass er es mit seinen Gegnern aufnehmen konnte. »Der da wird in wenigen Augenblicken vernehmungsfähig sein.« Chapat assoziierte »vernehmungsfähig« mit »Polizei«. Das verleitete ihn sofort dazu, einen Ausbruchsversuch zu unternehmen. Doch falls man ihm ein Wiederbelebungsmittel injiziert hatte, erreichte es im Moment noch die gegenteilige Wirkung; Chapat war wie gelähmt. » Und der andere?« »Wird auch bald wieder auf den Beinen sein.« Chapat atmete auf. Atlan lebte!
Das Büro war geräumig und luxuriös eingerichtet. Ich hatte noch einen Brummschädel von dem Schlag auf den Hinterkopf. Aber seltsamerweise waren meine Sinne geschärft. Die Erklärung dafür hatte ich von Chapat erhalten, bevor man uns hierher gebracht hatte. »Sie haben uns ein Aufputschmittel gegeben. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Wirkung anhält. Aber danach wirst du dich ziemlich mies fühlen.« »Klar«, sagte einer der vier Bewacher. »Damit ihr nicht auf den Gedanken kommt, zu flüchten. Und jetzt Mund halten. Redet erst wieder, wenn ihr gefragt werdet.« »Polizei?«, wagte ich trotzdem zu fragen. Ich sah, wie Chapat den Kopf schüttelte. Gleichzeitig erhielt ich einen Schlag in die Seite, der mir die Luft nahm. Jetzt saßen wir in dem luxuriösen Büro. Die vier Bewacher standen drohend hinter uns. Der metallene Schreibtisch mit
den ineinander verschlungenen Stahlbeinen war leer. Wir mussten aber nicht lange warten, bis eine Tür aufging und vier Männer in Zivilkleidung hereintraten. Drei sahen nicht viel anders aus als die übrigen Leibwächter, nur dass sie eben vornehmer gekleidet waren. Der vierte Mann unterschied sich jedoch deutlich von ihnen. Keine Frage, dass er der »Chef« war. Er war ziemlich klein und fettleibig. Die in fleischige Augenbrauenwülste und dicke Tränensäcke eingebetteten Äuglein wirkten verschlagen. Der volllippige Mund war ein rötliches Herz, als sei er geschminkt; der Hals quoll wulstig vor. Der Mann hielt die Würstchenfinger der einen Hand gespreizt von sich, während er mit der anderen Hand ebenso geziert seinen Umhang raffte. Er lächelte uns maliziös zu, während er hinter dem Schreibtisch Platz nahm und sich mit dem Zeigefinger das schulterlange, mit Flitter besprühte Haar aus der Stirn streifte. Er legte sich die andere Hand auf den Bauch und deutete dann mit dem Zeigefinger, mit dem er gerade seine Haarsträhnen aus der schweißglänzenden Stirn gestrichen hatte, auf sich. »Ich heiße Kerlin Attofrest. Ich bin der Obermakler.« Er machte eine Pause, so als wolle er das Gesagte auf uns einwirken lassen. »Ich habe einen Bericht über euer Wirken in der Lagerhalle erhalten und werde daraus die Konsequenzen ziehen. Ich will euch gleich verraten, dass ihr nicht an die Behörden ausgeliefert werdet. Ich bin aber sicher, dass ihr euch das noch wünschen werdet. Ich weiß Bescheid über euch, will eure Namen gar nicht wissen. Mich interessiert nicht, was ihr verbrochen habt, denn sonst müsste ich euch vielleicht doch noch der Polizei ausliefern. Ich rate euch also, über eure Identität zu schweigen, wenn ihr nichts mit der Polizei zu schaffen haben wollt. Ich höre.« Ich fasste das als Aufforderung auf, mich zu äußern. Ich stufte den Obermakler als eingebildeten Narziss ein und
gedachte, diese Schwäche auszunutzen. »Sie können über uns verfügen, Attofrest, denn Sie haben uns in der Hand. Es stimmt schon, dass wir der Polizei aus dem Weg gehen. Genau genommen sind wir tatsächlich illegal hierher gekommen. Aber wir sind in einem Geheimauftrag unterwegs.« »Ich höre Geheimauftrag?« Der Obermakler hob eine Augenbraue. »Das ist richtig«, bestätigte ich und wich Chapats fragendem Blick aus. »Wir sind einer Widerstandsgruppe, den sogenannten Wegbereitern der Zukunft, auf der Spur. Davon haben Sie sicherlich schon gehört.« »Ich – ja, ja.« »Wir haben uns in diese Organisation eingeschlichen und sie auf der Kristallwelt zerschlagen. Doch wir erhielten Informationen, dass auch auf Mehan’Ranton ein Verschwörerring der GoGoLo existieren soll. Es ist unser Auftrag, diese Terroristen unschädlich zu machen. Wenn Sie uns dabei unterstützen, wird der Imperator persönlich …« »Ich sagte doch deutlich genug, dass mich die Hintergründe eures Verhaltens nicht interessieren«, unterbrach mich der Obermakler ärgerlich. »Ich habe durch euch große materielle Schäden erlitten und verlange Wiedergutmachung.« »Die werden Sie auch bekommen.« Er lächelte süffisant. »Ich werde mich auf meine Weise schadlos an euch halten und verrate euch auch, wie das geschehen soll. Ich erlebe es immer wieder, dass Leute, aus welchen Gründen auch immer, illegal nach Arkon Zwei kommen. Ich nehme keine Rücksicht darauf, habe auch noch nie einen dieser Illegalen an die Behörden verraten, noch habe ich einen von ihnen freigelassen. Ich und meine Kollegen haben ein Spiel ersonnen, das uns unsere monotone Tätigkeit kurzweiliger gestalten soll. Ich deklariere die Rechtlosen als Ware und lasse sie als solche im Handelssystem zirkulieren.«
»Sie betreiben Sklavenhandel«, sagte Chapat empört. »Das können Sie mit uns nicht machen. Wir genießen Orbanaschols Schutz. Es wird Sie teuer zu stehen kommen, wenn …« Der Obermakler schnippte mit den Fingern – Chapat verstummte mit einem Schmerzenslaut, als ihm einer der hinter uns stehenden Bewacher einen Schlag versetzte. »Ich habe es nicht gern, wenn man mich unterbricht«, sagte Kerlin Attofrest tadelnd. »Ich werde euch jetzt in groben Zügen erzählen, was euch erwartet. Ich bin fair genug, euch nicht unvorbereitet in dieses Abenteuer zu schicken.« In der Folge erfuhren wir, dass auf Arkon II eine Händlerclique eine besonders perfide Art von »Handel« und »Jagd« betrieb. Kerlin Attofrest war der Anführer dieser Organisation. Wann immer ein Händler einen Flüchtling erwischte, der illegal von einer der anderen Arkonwelten gekommen war, wurde ein planetenumspannendes Spiel veranstaltet, an dessen Ende der Tod wartete. Der Händler deklarierte den Rechtlosen als Ware, verkaufte ihn als solche und schleuste ihn in das weit verzweigte Handelsnetz von Arkon II ein. Das bedeutete, dass der Rechtlose zusammen mit irgendwelcher anderen Ware weiterverkauft wurde, von Hand zu Hand ging und über viele Stationen zirkulierte. Der Händler, der diese »Ware« in Umlauf gebracht hatte, musste nun versuchen, ihren Weg zu verfolgen und zu manipulieren. Eine besondere Variante dieses Spiels war, dass der betreffende Händler das Ziel der »Ware« voraussagte. Gelang ihm dann durch kluge Transaktionen, die »Ware« an das vorbestimmte Ziel zu bringen, hatte er gewonnen und durfte bestimmen, was damit zu geschehen hatte. In der Regel wurde der auf diese Weise manipulierte Rechtlose getötet. Da einem einzelnen Händler zumeist die Möglichkeiten fehlten, verzwickte Transaktionen durchzuführen, stellte Attofrest der Clique seine große Positronik zur Verfügung.
Dadurch wurde das Manipulieren der »Ware« zwar erleichtert, aber da die Händler immer schwierigere Ziele programmierten und immer raffiniertere Transaktionen einleiteten, gab es genügend Unsicherheitsfaktoren, die für einen gewissen Nervenkitzel sorgten. Mithilfe der Positronik und aufgrund ihrer eigenen Geschicklichkeit gelang es den Händlern bei 999 von 1000 Fällen, die »Ware« ans Ziel zu bringen. Und dann ersannen sie eine besonders ausgeklügelte Todesart für ihr Opfer. Attofrest erzählte, dass er einmal eine »Ware« ein halbes Jahr kreuz und quer über die Handelswelt dirigiert hätte, bevor es ihm gelungen war, sie an den Ausgangsort – in sein eigenes Warenlager – zurückzubringen. Natürlich hatte er nicht vergessen, seinem Opfer genügend Proviant auf den Weg mitzugeben und auch sonst für sein leibliches Wohl zu sorgen. Die Pointe der Geschichte war, dass die »Ware« an dem von Attofrest eingesetzten Tag und sogar zu der vorbestimmten Tonta nach genau 100 Zwischenstationen das Ziel erreichte – und das Opfer gerade den letzten Bissen seiner Nahrungsvorräte hinunterschlang. Und die Todesart? Dieser letzte Happen war vergiftet – und Kerlin Attofrest sah dem Rechtlosen beim Sterben zu. »Und welche Chance, ihr Schicksal zu bestimmen, haben die Betroffenen?«, wollte ich wissen. »Keine! Ich sehe nicht ein, dass eine Ware ein Selbstbestimmungsrecht haben soll. Ich bin der Mehandor. Ich bestimme, wie eine Ware gehandelt wird. Ich weiß auch schon, wie ich euch zirkulieren lasse. Ich habe seit einigen Pragos einen fertigen Plan für eine Transaktion mit zwei Handelsobjekten und bin sicher, dass es mir gelingen wird, euch zwanzig Pragos getrennt auf die Reise zu schicken und euch dann am Elften der Hara zusammen und an einem Ziel zu erwarten. Ich lasse euch sterben, ohne Hand an euch zu
legen!« Der Obermakler machte eine geziert wirkende Handbewegung, wir wurden von den Wachtposten ergriffen und abgeführt. Ich versuchte noch einmal, Attofrest einzuschüchtern, indem ich ihm mit Strafmaßnahmen drohte. Doch der Obermakler ließ sich davon nicht beeindrucken. Und ich konnte mir auch denken, wieso: Attofrest gedachte nicht, uns sogleich zu töten, sondern er legte uns erst einmal für zwanzig Tage auf Eis. Sollte sich in dieser Zeit herausstellen, dass wir wirklich einen Geheimauftrag von Orbanaschol ausführten, konnte der Obermakler seine Transaktionen jederzeit stoppen und uns freilassen. »Haben wir wirklich nicht die geringste Chance, uns zur Wehr zu setzen?«, erkundigte ich mich vertraulich bei den Bewachern. Die grinsten wissend. Einer ließ sich dazu herab zu sagen: »Der Obermakler bestimmt die Spielregeln. Vielleicht plant er sogar, euch wissen zu lassen, was euch blüht. Ich könnte mir vorstellen, dass das den Reiz für ihn noch erhöht.« Als ich zu Chapat blickte, erkannte ich, wie dieser die Phiole mit der Zunge über seine Zähne rollte.
Ich bekam einen Schwächeanfall und musste von zweien der Männer beim Gehen gestützt werden. Ich führte das darauf zurück, dass die Wirkung des Aufputschmittels nachließ und nun ein gegenteiliger Effekt einsetzte. Chapat erging es ähnlich. Die Leibwächter schienen damit gerechnet zu haben, denn sie hatten sofort eine Antigrav-Transportscheibe zur Hand, auf die sie uns verluden und in eine Lagerhalle brachten. An einem Hinweisschild erkannte ich, dass dieses Lager außerhalb des Raumhafens lag. Zwei Männer sonderten sich ab. Ich hörte, wie sie sich verabschiedeten; ihr Dienst war
beendet. Für den Fall, dass sie sich vor Antritt der Reise nicht wiedersehen würden, wünschten sie den beiden zurückgebliebenen Wachen viel Glück bei der Jagd. Ich grübelte darüber nach, was das zu bedeuten haben mochte. Aber es fiel mir schwer, zusammenhängend zu denken und logische Überlegungen anzustellen, ich fühlte mich wie berauscht. Sogar der Logiksektor schwieg. »Was habt … ihr mit uns gemacht?«, hörte ich Chapat mit schwerer Zunge fragen. »Wir wollen doch nicht, dass ihr uns Schwierigkeiten bereitet. Deshalb haben wir euch etwas gegeben, was euch zahm macht.« »… uns zahm macht …?«, wiederholte Chapat. »Aber das flaut rasch wieder ab«, sagte der andere. »Bis ihr in den Transportbehältern steckt, seid ihr wieder die Alten.« »Transportbehälter?« Für einen Augenblick sah ich das Bild des Müll-Containers vor mir, in dem wir das Raumschiff verlassen hatten … Wie hieß es doch gleich? Ich konnte mich an den Namen des Schiffes nicht erinnern. Irgendetwas pulsierte heftig auf meiner Brust, schien zu starker Aktivität anzusetzen. Der … Zellaktivator? Oder nur sein TraumDuplikat, das von Illusionsmaschine und Ischtar-Memory mit dem Körper materialisiert worden war? »Was sind das für Behälter?«, erkundigte sich Chapat. Ich wandte den Kopf zur Seite, kniff die Augen zusammen. Links und rechts standen gut fünf Meter hohe Metallzylinder, die einen Durchmesser von zwei Metern hatten. Die Transportscheibe hielt an. »Das sind Giftgastanks. Mit zweien davon werdet ihr auf die Reise gehen.« Ich strengte meine Augen an, um die Beschriftung der Behälter lesen zu können. Wasserstoff … Methan … Ammoniak, las ich. Und unter der Bezeichnung »Spurenelemente« waren
zwei Dutzend weiterer Gase angeführt. Ich verspürte ein ungewohntes Mitteilungsbedürfnis. »Aber wir werden in den Giftgasbehältern … umkommen.« »Ihr bekommt natürlich Spezialbehälter. Zwar werdet ihr euch darin kaum bewegen können, aber jeder Behälter enthält ein Lebenserhaltungssystem, das euch zwanzig Pragos lang mit allem Nötigen versorgt.« »Wir werden darin lebendig begraben sein«, empörte sich Chapat. »Allerdings.« »Geht ihr beide ebenfalls auf die Reise?«, fragte ich. »Ja. Wie kommst du darauf?« »Eure Kameraden erwähnten es, als sie sich von euch verabschiedeten.« »Nun, es schadet nichts, wenn ihr wisst, dass wir versuchen werden, in eurer Nähe zu bleiben. Wir reisen sozusagen als Schiedsrichter und Protokollführer mit.« »Warum das?« »Zum Beispiel, um Sabotage zu verhindern und um zu vermeiden, dass gemogelt wird. Man könnte ja eure Behälter einlagern und nur vortäuschen, dass sie zirkulieren. Kapiert?« »Warum lässt du dich mit den beiden überhaupt ein?«, sagte der andere Bewacher vorwurfsvoll. »Los, verfrachten wir sie lieber in die Behälter, damit wir es hinter uns haben. Und dann machen wir, dass wir von hier fortkommen. Ich möchte nicht erwischt werden.« »Was habt ihr denn zu befürchten?«, fragte ich. »Halt’s Maul!« »Ah, ich kann es mir denken«, rief ich, als hätte ich die größte Entdeckung meines Lebens gemacht. Ich war immer noch wie berauscht. »Was kannst du dir denken?« »Das ist keiner von Attofrests Lagerräumen, stimmt’s?«
»Klug kombiniert«, sagte der redseligere der Männer. »Der Obermakler hat sich selbst einen hohen Schwierigkeitsgrad auferlegt. Die Transaktionen werden noch komplizierter, indem er eure Transportbehälter einer anderen Handelsgesellschaft unterjubelt. Er wird versuchen, euch über Strohmänner zurückzukaufen. Sollte das fehlschlagen … Aber wozu erzähle ich euch das?« »Ich würde gern mehr darüber erfahren.« Statt einer Antwort wurde ich hochgehoben und ließ es widerstandslos mit mir geschehen. Die Männer kletterten mit mir auf eine Rampe und brachten mich zu deren Rand. Dort stand einer der Giftgasbehälter. Das heißt, der Zylinder sah genauso aus wie der Giftgasbehälter, wies auch dieselbe Beschriftung auf – nur war er oben offen. Ich wurde hineingelassen, versank darin. Die beiden Männer hantierten eine Weile an der Einrichtung des Behälters. Dann schob der eine einen Schlauch in meinen Mund. »Saug daran.« Ich gehorchte. Eine warme, anregende und angenehm schmeckende Flüssigkeit quoll in meinen Mund. »Wohl bekomm’s«, sagte der Mann und schloss über meinem Kopf den Deckel. Zuerst bemächtigte sich meiner ein Gefühl der Platzangst. Aber ich beruhigte mich sofort wieder, als ein schwaches Lämpchen aufglühte und diffuses Licht verbreitete. Ich sog weiter an dem Schlauch, bis ich gesättigt war. Und dann kam die Änderung: Schlagartig verschwand das Gefühl des Berauschtseins, die Euphorie wich der Ernüchterung. Ich war mir unvermittelt meiner schrecklichen Lage bewusst, war in dem Behälter eingeschlossen. Bewegungsunfähig. Für zwanzig Pragos! Wenn sich nach dieser Frist der Behälter öffnete, würde mich Attofrest erwarten, um mich zu töten. Gab es keinen Ausweg? Ich versuchte, mich herumzudrehen. Aber es
war mir nicht möglich, meine Lage zu verändern. In dem Behälter war es so eng, dass ich nicht einmal einen Arm heben konnte. Plötzlich war mir, als ginge eine Erschütterung durch den Behälter. Wurde ich bereits verladen? Ich winkelte unter Anwendung meiner ganzen Kräfte den Arm ab; schließlich gelang es mir sogar, den Arm zu heben. Ich trommelte gegen die Wandung, doch das Isoliermaterial schluckte jedes Geräusch. Von draußen drangen auch keine Geräusche zu mir. Oder doch? Da war tatsächlich ein Geräusch. Es kam vom Deckel. Ich hob den Kopf und sah, wie sich ein schmaler Spalt bildete, breiter wurde, bis der Deckel gänzlich zurückgeklappt war und die kreisrunde Öffnung freigab. Chapats grinsendes Gesicht war zu sehen. »Ende der Reise«, sagte er und zog mich an der Hand aus dem Gefängnis. Ich wollte schon fragen, wie es ihm gelungen war, sich zu befreien. Doch dann sah ich die beiden Bewacher – sie lagen unterhalb der Rampe und waren übel zugerichtet. Ich konnte mir denken, wie es dazu gekommen war, wusste jetzt auch, worauf die Erschütterung zurückzuführen war, die ich verspürt hatte. Dennoch fragte ich: »Wie hast du’s geschafft?« »Die Phiole, die wir Enkena abgenommen haben. Nachdem die beiden dich in den Behälter verfrachtet hatten und zu mir kamen, hatte ich für einen Moment wieder meine Sinne beisammen. Ich schleuderte ihnen die Phiole entgegen. Wie du siehst, enthielt sie kein Gift, sondern einen Explosivstoff. Die beiden waren auf der Stelle tot. Ich habe mir schon überlegt, was wir mit ihnen tun können. Schließlich müssen wir die Leichen beseitigen.« Ich wusste sofort, was Chapat vorhatte. Das Verschwinden der beiden würde nicht weiter auffallen, da sie ohnehin beabsichtigt hatten, mit Behältern auf die Reise zu gehen.
Warum sollten sie dann nicht gleich an unserer Stelle reisen? Es war alles andere als eine erfreuliche Tätigkeit, die Leichen in den Transportbehältern zu deponieren. Aber wir entledigten uns dieser Aufgabe in wenigen Minuten und legten erst eine Ruhepause ein, als die Deckel der Behälter geschlossen und sämtliche Spuren beseitigt waren. »Geschafft«, sagte Chapat aufatmend. »Jetzt sind wir erst einmal vor einer Entdeckung sicher und können in der Versenkung verschwinden.« »Irrtum. Wir müssen zuerst noch Attofrests Positronik einen Besuch abstatten.« »Warum das?« »Weil wir es dem Obermakler so schwer wie möglich machen müssen, den Weg der Behälter zu verfolgen.«
Wir hatten den beiden Männern nicht nur die Waffen abgenommen – immerhin moderne TZU-4-Kombistrahler –, sondern auch ihre persönlichen Habseligkeiten. So kamen wir in den Besitz eines beachtlichen Barvermögens – und zu einem »Schlüsselbund«. Ich vermutete, dass der Satz positronischer Kodekarten zu Lagerräumen und verschiedenen Büros der Handelsniederlassung passten. Diese Vermutung bestätigte sich, als wir nach Einbruch der Nacht in das verlassene Bürogebäude eindrangen. Zuerst durchsuchten wir das Erdgeschoss. Keine der versperrten Türen war ein Hindernis. Selbst eine Energiebarriere, die einen Bürotrakt von den übrigen abschirmte, wurde spielend leicht überwunden. Ich brauchte nur die entsprechende Schlüsselkarte in die Kontaktöffnung der Anlage einzuführen – und die Energiebarriere fiel in sich zusammen. In einem der dahinter liegenden Büros fanden wir auch einen Plan des gesamten Hochhauses. Darauf war ersichtlich, dass sich die Positronik in
der siebten Etage befand. Ich war dreist genug, im Lift hinaufzufahren. Das war nicht einmal ein besonderes Wagnis, weil ich schnell herausgefunden hatte, dass ich einen Generalschlüssel für alle Alarmanlagen dieses Hauses hatte. So mühelos wie in die siebte Etage gelangten wir auch in den Raum mit der Positronik. Hier wurde die Angelegenheit allerdings komplizierter. Ich war mit arkonidischen Computern vertraut genug, um einige harmlose Schaltungen vornehmen zu können. Dadurch erfuhr ich einige interessante Dinge über die Grundzüge der Händlergepflogenheiten von Arkon II. Aber an die Datenspeicher von Attofrests Handelsgesellschaft kam ich nicht heran; dazu hätte ich schon den Kode kennen müssen, um die wichtigen Speicher zu erreichen. Immerhin konnte ich mein Wissen über die Machenschaften der Händlerclique bereichern, die sich auf so widerwärtige Weise mit »Jagd« vergnügte. Man schreckte dabei vor nichts zurück. Die rechtlosen Flüchtlinge wurden – manchmal sogar, ohne es zu wissen – tatsächlich wie Ware gehandelt. Und die Regierung sah tatenlos zu, ja, nicht selten beteiligten sich hohe Beamte, in der Regel aber nur dann, wenn persönliche Feinde das Jagdobjekt waren. Über den speziellen Fall der beiden »Giftgasbehälter« fand ich jedoch nicht viel heraus. Ich hatte mir die Nummern der beiden Behälter gemerkt. 12-688-A2 und 12-689-A2. Als ich sie in den Computer eingab, bekam ich eine äußerst unbefriedigende Antwort. Auf dem Monitor erschien folgende Notiz: Beschränkt versteigerungsfähiges Warengut – Experimentalcharakter – Transportbehälter entsprechen den Sicherheitsbestimmungen – Inhalt: unreines Wasserstoff-AmmoniakMethan-Gemisch – Negativ. Ich gab aber nicht auf, und so gelang es mir durch Abrufung weiterer Daten, die im Händlerjargon gehaltene Notiz zu entschlüsseln. Im Gegensatz zu den anderen Giftgasbehältern
– die von der Regierung angekauft worden waren – konnten die beiden besonders deklarierten Behälter von Privaten ersteigert werden. Allerdings gab es eine Beschränkung, nach der Giftgasbehälter nur von Personen ersteigert werden durften, die einen Befähigungsnachweis hatten. Im Zusammenhang mit der Bezeichnung »Experimentalcharakter« war gemeint, dass diese beiden speziellen Behälter nur von Händlern erstanden werden durften, die sich ihrerseits wiederum verpflichteten, sie an Wissenschaftler für Experimente weiterzugeben. Durch Zufall fand ich noch heraus, dass die ganze Ladung Giftgasbehälter zum kleinen, rund 5000 Kilometer entfernten Raumhafen Kering-Thang transportiert werden sollte. Empfänger war – die beiden »Experimentalbehälter« ausgenommen – der dortige militärische Stützpunkt. Ich fragte mich, wozu man dort das Gasgemisch benötigte. Es war naheliegend, dass es für die Versorgung gefangener Methanatmer gebraucht wurde. Als ich jedoch von der Positronik Informationen über Kriegsgefangene von KeringThang haben wollte, erfuhr ich, dass es auf dem Raumhafen keine Lager gab, in dem Maahks interniert waren. Wozu wurde dann das Gasgemisch benötigt? Es konnte natürlich sein, dass die Behälter in Kering-Thang nur Zwischenstation machten. Ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken mehr, hatte bereits einen Plan gefasst. Von der Positronik erfuhr ich die Adresse einer kleinen Manufaktur, die befähigt war, mit Giftgasbehältern zu handeln. Die Keelon-Manufaktur hatte sowohl in Kering-Thang als auch in Olp’Duor eine Niederlassung. Ich tippte als Empfänger die Niederlassung in Kering-Thang ein, bat in Attofrests Namen um Ersteigerung der beiden »Experimentalbehälter«, schickte die Bestellung jedoch noch nicht ab, sondern schaltete bloß auf Automatik. Wer morgen das Gerät in Betrieb nahm, würde damit
gleichzeitig die Nachricht abschicken. Es beruhigte mich, zu wissen, wo die beiden Transportbehälter demnächst landen würden. Danach widmete ich mich wieder der Positronik, arbeitete die halbe Nacht durch, bis ich eine Möglichkeit fand, den Computer funktionsuntauglich zu machen. Ich hätte ihn natürlich mit dem TZU-4 zerstören können, was mir aber nichts eingebracht hätte. Denn bei gewaltsamer Beschädigung schaltete sich automatisch das Sicherheitssystem ein, das sämtliche Daten drahtlos in außer Haus liegende Speicher abstrahlte. Dazu kam es aber nicht, wenn sich die Positronik selbst zerstörte. Und eine Selbstvernichtungsanlage existierte. Ich benötigte den Rest der Nacht, um jene Schaltungen vorzunehmen, die die Positronik veranlassen würden, sich bei Inbetriebnahme selbst zu zerstören. Damit würde dann der Weg der beiden »Experimentalbehälter« nicht mehr kontrollierbar sein. Bis der Obermakler herausfand, wo die beiden Behälter waren, würden bestimmt einige Tage vergehen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand über die Bestellung stolperte, aus der hervorging, dass Attofrests Gesellschaft selbst die Vermittlung der Behälter an einen Händler in Kering-Thang übernommen hatte, war äußerst gering. Wir verließen das Bürogebäude nicht durch den Hauptausgang, sondern stiegen auf das Dach. Dort hielten wir uns so lange versteckt, bis die ersten Angestellten mit ihren Privatgleitern oder Schwebebussen eintrafen. Wir mischten uns unter sie, mieteten einen Robotgleiter und ließen uns ans andere Ende von Olp’Duor fliegen. Noch während des Fluges hörten wir in den Trivid-Nachrichten, dass in der AttofrestManufaktur die Selbstzerstörungsanlage der Positronik gezündet hatte – offenbar ohne irgendwelches Fremd verschulden.
Arkon II, Olp’Duor: 28. Prago des Eyilon 10.498 da Ark Wir mieteten uns in einem Büro am Rand von Olp’Duor ein, nannten uns Gonzal – von Gonozal abgeleitet – und Ischton – in Anlehnung an Ischtar – und ließen uns als freie Händler eintragen. Die Kaution dafür brachten wir spielend auf – aus der Barschaft der beiden Getöteten. Und uns verblieb immer noch Bargeld genug, um einige Transaktionen durchzuführen: rund 7000 Chronners. Kamen Chronners nicht per Kreditchips als reine Verrechnungseinheit zum Einsatz, sondern in Form von Bargeld, handelte es sich um farbige Lochmünzen aus CholittIII, einer Edelmetall-Luurs-Legierung mit einem dreiprozentigen Anteil von absolut temperaturstabilem LuursMetall. Auf genormte Stäbe mit Verschraubung gezogen, wurden entsprechende Münzeinheiten zu sogenannten Bündeln zusammengefasst; beim Aufziehen auf Schnüre hießen sie Paket. Bei einem Millimeter Dicke je Lochscheibe umfasste ein Zwei-Zentimeter-Bündel grüner HunderterMünzen 2000 Chronners. Die Münzvorderseite zeigte die Zahl, die Rückseite das Symbol der Drei Welten. Untereinheiten waren Merkon und Skalitos, wobei ein Chronner zehn Merkons oder hundert Skalitos entsprach. Der Jahresverdienst eines einfachen Orbtonen betrug rund 30.000 Chronners. Ich bestand darauf, dass wir unsere Masken ablegten, weil wir sonst Gefahr liefen, zufällig von Attofrests Leuten entdeckt zu werden. Chapat wollte davon zuerst nichts wissen und begründete das damit, dass wir uns ohne Maske zu ähnlich sähen. Und damit waren wir bei einem Thema angelangt, das mich nach wie vor beschäftigte. Während der Turbulenzen der vergangenen Ereignisse waren wir nicht mehr dazu gekommen, unsere persönlichen Probleme zu
diskutieren. Was aber nicht hieß, dass ich mir nicht ständig Gedanken darüber machte. Ein Gedanke tauchte immer wieder auf: Ist Chapat tatsächlich mein Sohn, der aus der Verbindung zwischen mir und Ischtar hervorgegangen ist? »Hast du dir eigentlich überlegt, worauf unsere starke Ähnlichkeit zurückzuführen sein könnte?«, fragte ich wie nebenbei, während ich vor dem Spiegel im Badezimmer des Büros saß. Chapat war hinter mich getreten, trug keinen Bart mehr, das Altmänner-Gesicht war verschwunden. Ich löste gerade die letzten Reste meiner Gesichtsmaske. Chapat betrachtete unser Spiegelbild. »So frappierend finde ich die Ähnlichkeit gar nicht«, behauptete er. »Ich sehe viel jünger als du aus.« »Stimmt – wie mein jüngeres Ich dieser Zeit«, erwiderte ich. Chapat lachte plötzlich. Es war einer der seltenen Augenblicke, wo er seine Melancholie und den fast tierischen Ernst ablegte. »Wer sagt dir, dass ich nicht dein jüngeres Ich bin.« »Was soll denn das schon wieder?« Chapats Lächeln erlosch, aber seine Stimme klang immer noch erheitert, als er sagte: »Du weißt nun mit Sicherheit, dass wir in eine Zeit verschlagen wurden, in der dein jüngeres Ich um den Thron von Arkon kämpft. Und du warst zunächst in echter Sorge darüber, dass du dir selbst begegnen und so ein Zeitparadoxon heraufbeschwören könntest. Was, wenn ich dir nun sage, dass du das nicht zu befürchten brauchst, weil dein jüngeres Ich in deine Zeit verschlagen wurde und dort als Chapat auftrat – und mittels Ischtar-Memory und Zharadins Illusionsmaschinen wieder in seine eigene Zeit zurückkehrte. Was, wenn du schon die ganze Zeit mit deinem jüngeren Ich zusammen gewesen bist? Glaubst du mir, dass du ich sein könntest?« »Du spinnst«, sagte ich überzeugt. Ein Blick in Chapats
Augen gab Gewissheit: Schalk blitzte darin auf. Chapat lachte wieder. »Okay, du hast deinen Spaß gehabt. Aber du hast dir den unpassendsten Augenblick ausgesucht.« Er tat, als sei er eingeschnappt. »Du verlangst immer, die Wahrheit über mich zu erfahren. Und wenn ich sie dir dann sage …« »Genug davon.« Ich machte eine abschließende Handbewegung. Er hatte es wieder einmal fertiggebracht, sich gekonnt aus einer verfänglichen Situation herauszureden. »Komm, wir wollen uns auf dem Raumhafen etwas umsehen und umhören. Mischen wir uns unter das Händlervolk.«
Am 31. Eyilon ersteigerte ich – das Gesicht vom aufgetragenen Mehinda-Muster getarnt – eine Partie räudiger Sommerpelze, obwohl ich wusste, dass ich einen schlechten Kauf getan hatte, und damit ins Gerede kam. Ich ersteigerte anschließend drei Dutzend leere – und lecke -Giftgasbehälter, mietete einen Arbeitsroboter und ließ von ihm jeden geraden Behälter mit der Nummer 12-688-A2 und jeden ungeraden mit der Nummer 12-689-A2 versehen. Diese Nummern trugen auch die Giftgasbehälter, die als Transportmittel für mich und Chapat gedacht gewesen waren und in denen sich jetzt die Leichen befanden. Nachdem dies geschehen war, ließ ich die Behälter an sechsunddreißig Händler als »Werbegeschenke« der Manufaktur Gonzal-i-Ischton verschicken. Damit hoffte ich, Attofrest die Suche nach den beiden Originalbehältern zu erschweren. Danach tüftelte ich einen Plan aus, wie ich mich der Pelze entledigen und gleichzeitig mein Image als Händler verbessern konnte. Ich kannte die Gepflogenheiten der Händler von Arkon II gut genug, um zu wissen, welche Transaktionen ich tätigen musste, um meinen Bluff zu landen.
Zuerst bestach ich einen Naturheilkundigen. Der besah sich die Pelze im Lager und behauptete vor Zeugen, dass diese Pelze eine starke Heilwirkung bei verschiedenen Krankheiten hatten – unter anderem beseitigten sie Schlafstörungen, wenn man sich auf sie bettete. Natürlich nahmen die anderen Händler diese Behauptungen skeptisch auf. Einer gab mir den vertraulichen Hinweis: »Die Politik verursacht unserem Imperator in letzter Zeit gehörige Kopfschmerzen, was natürlich zu Schlafstörungen führt. Reden Sie ihm Ihre Pelze ein, Gonzal, und wenn sich die versprochene Wirkung einstellt, stehen Sie hoch in seiner Gunst. Es ist sogar wahrscheinlich, dass Sie dann adelig gesprochen werden.« »Oder er wird um einen Kopf kürzer«, sagte jemand aus dem Hintergrund kichernd. Ich spielte weiterhin den Naiven. »Ich würde dem Imperator nur zu gern meine Dienste antragen. Aber ich habe für den Kristallplaneten keine Lizenz. Wie sollte ich dann erst auf den Hügel der Weisen und in den Kristallpalast gelangen?« »Nicht nötig«, sagte der Händler in streng vertraulichem Ton. »Orbanaschol kommt am Zehnten der Hara hierher.« »Ist das sicher?« Ich brauchte mein Interesse nunmehr nicht zu mimen. »Ich weiß das aus sicherer Quelle. Alle Händler von Olp’Duor wissen das.« »Was ist der Grund für seinen Besuch? Kommt der Imperator nur nach Olp’Duor?« Bis zum Ende des Eyilon fand das traditionelle jährliche Zalitertreffen statt, ein Ereignis, das sich Orbanaschol normalerweise nicht entgehen ließ. In diesem Jahr jedoch hatte er abgesagt. Den versammelten Zalitern und dem Zarlt-daZarlt als Vizeimperator schien es ganz recht zu sein. Der Händler gab keine Auskünfte mehr. »Sie sind schlau genug«, spottete er. »Sie werden schon einen Weg finden, alles
Weitere in Erfahrung zu bringen.«
In der Zwischenzeit war Chapat unterwegs, um der KeelonManufaktur einen Besuch abzustatten. Chapat erreichte unter Hinterlegung einer angemessenen Vermittlungsgebühr, dass die Keelon-Manufaktur in seinem Auftrag die ganze Partie von Sommerpelzen aufkaufte. Kaum war Chapat in das Lager der Manufaktur Gonzal-i-Ischton zurückgekehrt, traf das Angebot für die Sommerpelze ein. Und zwar bot die KeelonManufaktur den doppelten Preis. Die anderen Händler, die Zeugen dieser Transaktionen wurden, staunten und revidierten ihre Meinung über den für einfältig gehaltenen Gonzal. Sie konnten nicht wissen, dass ich die Pelze um den doppelten Preis praktisch von mir selbst gekauft hatte. Und sie würden es auch nie erfahren, weil der Ankauf über die Keelon-Manufaktur auf einen fingierten Namen lief. Ich hatte zwar die Pelze und eine Menge Geld verloren, aber immerhin hatte ich bei den anderen Händlern an Ansehen gewonnen. Und ich hatte eine weitere Brücke zur Keelon-Manufaktur geschlagen. Als ich diese Transaktionen in die Wege geleitet hatte, war mir noch nicht klar gewesen, wie ich Nutzen daraus schlagen konnte. Doch inzwischen hatte sich einiges geändert, und in mir begann ein Plan zu reifen. Als ich mit Chapat allein war, sagte ich: »Orbanaschol kommt hierher.« »Wegen uns?« »Den Grund seines Besuches konnte ich noch nicht erfahren. Die Händler tun recht geheimnisvoll. Aber ich kann nicht recht glauben, dass er sich eigens unsertwegen hierher begibt. Seine Leute sind uns ja nicht einmal auf der Spur.« »Wer weiß.« Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »So wichtig,
wie wir glauben, sind wir für Orbanaschol nun doch nicht. Ganz bestimmt würde er unsertwegen nicht die Sicherheit des Kristallpalasts verlassen.« »Es muss also einen gravierenden Grund geben?« »Das vermute ich. Und ich werde ihn herausbekommen.« »Wie?« Chapat machte ein zweifelndes Gesicht. »Ich kann mir vorstellen, dass Orbanaschols Mission strengster Geheimhaltung unterliegt. Willst du seine engsten Vertrauten befragen?« »Es muss irgendwo eine undichte Stelle geben. Denn wenn die Händler wissen, dass er kommt, wird auch der Grund seines Besuches für sie kein Geheimnis sein. Ich werde also der Keelon-Manufaktur einen Besuch abstatten.« »Aber dort kennt man mich bereits unter einem falschen Namen«, gab Chapat zu bedenken. »Eben. Darum wirst du hier bleiben und zu einem genau verabredeten Zeitpunkt bei Keelon anrufen. Pass auf …«
Die Keelon-Manufaktur war ein Dreimannbetrieb. Einer fungierte als Lagerarbeiter und beaufsichtigte drei schrottreife Arbeitsroboter. Der andere trug ebenfalls Arbeitskleidung, erledigte bei meinem Eintreffen jedoch Büroarbeit. Ich konnte mir ein Grinsen nur mit Mühe verkneifen, als ich in einem Winkel des Lagers den Berg Pelze entdeckte. Ein Arbeitsroboter stand dort Wache und hielt ein Dutzend Arkoniden in Schranken, die anscheinend Interesse für die Pelze bekundeten. »Scheint eine Rarität zu sein, wenn es so viele Interessenten für die Pelze gibt«, sagte ich zu dem Lagerarbeiter. Der rümpfte die Nase. »Ich würde sie sofort dem Meistbietenden überlassen. Weiß nicht, was die Leute daran finden. Aber vorerst sind die Pelze unverkäuflich.«
»Was Sie nicht sagen. Sie wollen also den Preis künstlich hochtreiben?« »Was wollen Sie denn eigentlich?« »Ich möchte zu Keelon.« »Der ist nicht hier. Er leitet die Geschäfte in Kering-Thang. Aber Prelog« – er deutete mit dem Daumen hinter sich in Richtung Büro -»hat alle Vollmachten.« »Ich weiß«, log ich. »Dann muss ich eben mit ihm vorlieb nehmen.« »Interessieren Sie sich etwa auch für die Pelze?«, rief mir der Lagerarbeiter nach. Ich drehte mich um. »Ich interessiere mich für alle dunklen Geschäfte der Keelon-Manufaktur.« Ich wartete seine Reaktion nicht ab, sondern betrat das Büro, hatte bisher den Zeitplan genau eingehalten. Wenn sich Chapat ebenfalls daran hielt, musste sein Anruf in fünf Minuten eingehen. »Sind Sie Prelog?«, fragte ich statt einer Begrüßung. »Zu Diensten«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er war von der Statur her ein typischer Arkonide, groß und schlank. Aber der Oberkörper war etwas nach vorn gebeugt, sein schmales Gesicht wies unzählige Runzeln auf, es zuckte unaufhörlich darin. Der Mann hatte keine besonders guten Nerven. Seine Hände waren derb und schwielig, woraus ich schloss, dass er auch zupacken musste. Wahrscheinlich immer dann, wenn die altersschwachen Arbeitsroboter ausfielen. »Was kann ich für Sie tun?« »Sie können mir einige Auskünfte geben.« »Das hier ist kein Auskunftsbüro.« »Ja, ich weiß«, sagte ich mit der nötigen Spur Sarkasmus. »Die Keelon-Manufaktur tut sehr geheimnisvoll, wenn es um illegale Geschäfte geht.« »Mein Herr!« Prelog sprang auf und trommelte dabei mit
den Händen nervös auf die Tischplatte. »Was nehmen Sie sich heraus? Ich werde …« »Sie werden den Mund besser nicht so voll nehmen«, herrschte ich ihn an, hielt den Kombistrahler in der Hand. »Und keine Dummheiten. Lassen Sie die Waffe, wo sie ist.« Prelog schluckte, begann plötzlich am ganzen Körper so zu zittern, dass er sich setzen musste. Ich ging um den Tisch und öffnete die Lade. Darin lag ein T-7, ein uraltes Modell; wahrscheinlich funktionierte die Waffe nicht einmal mehr. Ich nahm sie heraus und schleuderte sie in eine Ecke. »Wenn ich melde, dass Sie mich bedrohen wollten, kommt Sie das teuer zu stehen.« »Aber …« Es verschlug ihm die Stimme. »Ich habe doch nicht … Was fällt Ihnen ein?« Er verstummte, als ich ihm die Waffe unter die Nase hielt und ihn durchsuchte. »Dass Sie es gleich wissen«, sagte ich, während ich wieder um den Schreibtisch ging und mich in einen Besuchersessel sinken ließ, »wir haben einen Hinweis über eine Verschwörung bekommen. Wir wissen alles!« Ich hielt den Strahler weiterhin auf Prelog gerichtet, aber so, dass es von draußen nicht gesehen werden konnte. »Aber … was habe ich damit … zu tun?«, stotterte Prelog und zuckte zusammen, als das Visifon anschlug. Ich bedeutete ihm mit einem Wink der Waffe, das Gespräch anzunehmen. »Keelon-Manufaktur, Olp’Duor«, meldete sich Prelog mit zittriger Stimme. »Aktion Reinemachen«, sagte eine Stimme; ich erkannte die von Chapat. »Wie bitte?« »Das ist für mich«, sagte ich barsch und zog das Gerät heran. Auf dem Bildschirm war nichts zu sehen; Chapat hatte, wie aufgetragen, die Aufnahmeoptik seines Geräts ausgeschaltet. »Ich bin’s, Agent Zeno.«
»Alles in Ordnung?« »Ich lebe noch.« »Sollen wir Verstärkung schicken?« »Ich glaube, das ist nicht nötig. Prelog macht den Eindruck, dass er vernünftig sein wird. Ich werde schon herausbekommen, wer seine Hintermänner sind. Wenn nicht …« »Kein falsches Mitleid, Agent Zeno. Wir haben es hier mit einer skrupellosen Verschwörergruppe zu tun. Terroristen, hinterhältige Meuchelmörder! Wir müssen die Attentäter um jeden Preis noch vor der Ankunft des Imperators fassen … Soll ich nicht doch Verstärkung schicken?« »Nein, Prelog wird vernünftig sein.« Während ich das sagte, warf ich meinem zitternden Gegenüber einen fragenden Blick zu. Prelog nickte eifrig. Abschließend sagte ich: »Ende!« Ich schob den Apparat wieder über den Tisch. »Jetzt wissen Sie Bescheid, Prelog?« »Ja«, kam es krächzend über dessen Lippen. »Sie sind von der Geheim …« »Behalten Sie es für sich. Und antworten Sie nur auf meine Fragen – aber präzise. Was hat es mit den Pelzen dort draußen auf sich?« »Ich bin nicht befugt, darüber …« »Wie Sie wollen. Dann werde ich Ihnen sagen, was damit los ist.« Und ich erzählte ihm alle Einzelheiten dieser dubiosen Transaktion und dass sie unter einem fingierten Namen abgewickelt worden sei. Das musste bei ihm den Eindruck machen, dass Orbanaschols Geheimagenten die KeelonManufaktur überwachten, nur konnte er sich wohl kaum vorstellen, welche Gesetzesübertretung man mit der Vermittlung der Pelze begangen haben sollte. »Das ist ein ganz legales Geschäft«, verteidigte er sich. »Ah, in Ihren Augen ist es legal, dass diese Pelze in
Mordinstrumente umgewandelt und sie auf Umwegen in den Kristallpalast eingeschmuggelt werden?« Dem Händler blieb vor Schreck der Mund offen. Er tat mir direkt leid, aber wenn ich überzeugend wirken wollte, musste ich ihn hart anpacken. Bevor Prelog sich noch überlegen konnte, wie räudige Sommerpelze in Mordinstrumente umfunktioniert werden konnten, startete ich bereits meine nächste Attacke. »Ist Ihnen bekannt, dass der Imperator hierher kommen wird?« »Ich …« »Ja oder nein?« »Ja …« »Woher wissen Sie das?« »Es hat sich … herumgesprochen.« »Wirklich? Alles, was mit dem Besuch des Imperators zusammenhängt, unterliegt größter Geheimhaltung. Und da sagen Sie, es habe sich herumgesprochen? Von wem haben Sie die Information?« »Ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe zufällig …« »Zufällig!«, schrie ich künstlich erregt. »Sie begehen Hochverrat wohl auch nur zufällig. Ich rate Ihnen dringend, nicht mehr zu versuchen, Ihre Hintermänner durch Lügen zu decken. Hier geht es um Ihren Kopf!« »Aber …« Prelog brach wieder die Stimme. »Wir wissen, dass auf Mehan’Ranton ein Anschlag auf Seine Erhabenheit geplant ist. Und vieles deutet darauf hin, dass die Keelon-Manufaktur das Zentrum der Verschwörer ist! Die Pelze sind nur ein Beweis.« »Aber ich weiß nichts von einer Verschwörung«, beteuerte Prelog weinerlich, er war einem Nervenzusammenbruch nahe. Ich fand, dass ich ihn hart genug angepackt hatte. »Sagen Sie mir alles, was Sie über den Besuch des Imperators wissen. Alles! Verstanden?«
Er nickte, benetzte sich die Lippen, räusperte sich. Aber seine Stimme klang immer noch rau, als er zu sprechen begann. »Ich bin unschuldig … das kann ich beschwören. Ich weiß nicht mehr genau, von wem ich es zuerst erfahren habe, dass der Imperator kommt … Ich hatte wirklich den Eindruck, dass es kein Geheimnis sei. Auf jeden Fall benachrichtigte mich Keelon selbst über Funk, dass der Imperator in KeringThang landen würde …« »Aha. Weiter!« »Keelon wusste damals aber noch nichts von der Geheimkonferenz. Darüber erfuhr ich von anderer Seite. Zuerst glaubte ich, dass es sich nur um ein Gerücht handelt. Aber das Gerücht verdichtete sich. Ich meldete Keelon, dass der Imperator ziemlich sicher nur wegen einer Geheimkonferenz komme, die angeblich in einem Spezialraumschiff in Kering-Thang stattfinden würde. Keelon behauptete, das schon längst zu wissen. Die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Raumhafen seien schließlich nicht zu übersehen … Es sickerten immer mehr Informationen über diese Geheimkonferenz durch. Und dann erfuhr ich, dass eine Delegation von Methans erwartet werde. Es gehörte nicht viel dazu, sich auszurechnen, dass sich der Höchstedle mit den Maahks zu Verhandlungen treffen will … Aber sicher weiß ich das immer noch nicht.« »Sie wissen zu viel«, sagte ich. Vielleicht klang das aber nicht so recht überzeugend, denn ich war mit den Gedanken bereits ganz woanders. Mir wurde nun vieles klar, nur eins nicht: Welche Veranlassung hat Orbanaschol, sich mit den Maahks an den Verhandlungstisch zu setzen? Mitten im Arkonsystem?
Ich verstand jetzt, wieso eine Ladung Giftgasbehälter nach Kering-Thang ging. Das Wasserstoff-Methan-Ammoniak-
Gemisch wurde für die Maahkdelegation benötigt. Welch glücklicher Zufall, dass ich die beiden Experimentalbehälter mit den Leichen unserer ehemaligen Bewacher ausgerechnet der Keelon-Manufaktur in Kering-Thang zugespielt hatte. Damit ließ sich vielleicht noch etwas machen. Es war mir aber immer noch unverständlich, wieso Orbanaschol zu so einem ungünstigen Zeitpunkt mit den Maahks verhandeln wollte. Schließlich steuerte der Methankrieg einem Höhepunkt entgegen und wurde in der Zeit, in der ich »träumte«, immer heftiger geführt. Die Maahks errangen viele große Siege, das wusste ich aus persönlichem Erleben wie aus den Geschichtsaufzeichnungen. Sie hatten es nicht nötig, meinem Volk Frieden anzubieten. Orbanaschol dagegen konnte den Frieden auch nicht wollen, zumindest keinen, den ihm die Maahks anboten. Ein solches Friedensabkommen wäre die Arkoniden teuer zu stehen gekommen – und das hätte Orbanaschol das Genick brechen können. Oder hat der Imperator einen Trumpf in der Hand? Allein die Tatsache, dass die Maahkdelegation ins Arkonsystem kam, dass sie sozusagen zu Kreuze gekrochen kamen, erschien mir höchst interessant. Ich nahm mir in diesem Augenblick vor, der Sache auf den Grund zu gehen, weil ich ahnte, dass Orbanaschol irgendeine Teufelei im Schilde führte, und ich Näheres darüber in Erfahrung bringen wollte. »Ich habe nichts mit irgendwelchen Verschwörern zu tun«, drang Prelogs weinerliche Stimme in meine Gedanken. Ich fand in die Wirklichkeit zurück. »Ich will Ihnen mal glauben. Wir haben Erkundigungen über Sie eingeholt. Jetzt können Sie beweisen, dass Sie ein treuer Untertan sind.« »Wie?« »Wissen Sie, dass Ihre Manufaktur zwei Experimentalbehälter mit Giftgasatmosphäre angekauft hat?«
Prelog nickte. »Im Auftrag der Attofrest-Manufaktur.« »Da hat man Sie aber schön an der Nase herumgeführt.« Ich lachte. »Erkundigen Sie sich bei Attofrest. Niemand seiner Leute wird zugeben, die Keelon-Manufaktur um Ankauf der Experimentalbehälter gebeten zu haben. Es war eine Transaktion der Verschwörergruppe!« »Das ist ungeheuerlich.« »Nicht wahr? Mit Ihrer Hilfe, Prelog, könnten wir den Verschwörern auf die Spur kommen. Verfolgen Sie den Weg der beiden Experimentalbehälter und machen Sie uns Meldung. Wir müssen das Attentat verhindern.« »Könnte es nicht sein, dass der Anschlag nicht dem Leben des Imperators gilt? Vielleicht will man mit dem Inhalt der Experimentalbehälter die Delegation der Methanatmer töten. Das könnte zu politischen Verwicklungen führen, deren Auswirkungen nicht abzusehen sind …« »Ich sehe, Sie sind unser Mann. Statt zu einem Frieden könnte es zu einer Verschärfung des Krieges kommen! Das bezwecken die Verschwörer. Ich verlasse mich auf Sie und werde mich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Tun Sie alles, was ich von Ihnen verlange?« Er nahm im Sitzen unwillkürlich Haltung an. »Sie können sich auf mich verlassen, äh – Zeno.« »Unter diesem Tarnnamen werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Ich verließ die Keelon-Manufaktur, hatte genug erfahren. Zurück bei Chapat, erstattete ich ihm Bericht und traf dann alle nötigen Vorbereitungen für die Reise zum etwa 5000 Kilometer entfernten Raumhafen Kering-Thang.
8. Kering-Thang wirkte gegenüber Olp’Duor geradezu provinziell. Das Landefeld von rund 2800 Metern Durchmesser hatte nur eine Kapazität von dreißig Kugelschiffen der Maximalgrößenordnung von zweihundert Metern Durchmesser. Im Augenblick herrschte jedoch totales Landeverbot. Die offizielle Begründung lautete, dass die Landepiste ausgebessert werden musste – und nach außen hin schien es auch so, dass dementsprechende Arbeiten ausgeführt wurden. Doch in Kreisen Eingeweihter war bekannt, dass dies alles nur Tarnung war. In Wirklichkeit wurden die Handelsschiffe nur auf andere Raumhäfen umgeleitet, weil alles für den Empfang der Maahkdelegation vorbereitet wurde. Niemand hatte zum Raumhafengelände Zutritt – außer den Soldaten und den TGC-Geheimpolizisten, die neben Robotern die Wachmannschaften stellten. Rings um die Landefläche waren Büros mit Beschlag belegt worden, in die sich Sonderkommandos einquartiert hatten. Die Verwaltungsgebäude waren zu waffenstarrenden Festungen geworden. An den Ortungsgeräten des Raumsicherungsdienstes saßen Geheimagenten, das Stammpersonal war beurlaubt worden. Das alles gab natürlich zu Gerüchten Anlass. Es gab kaum noch jemand in Kering-Thang und Umgebung, der das Märchen glaubte, die Sicherheitsvorkehrungen seien nur getroffen worden waren, um die Pistenarbeiten zu überwachen. Dennoch ließ sich keine offizielle Stelle dazu herab, den wahren Grund für diese Maßnahmen zu nennen. Das nährte die Gerüchte nur noch mehr.
Arkon II, Kering-Thang: 9. Prago der Hara 10.498 da Ark Chapat und ich hatten uns in einem vollrobotischen Lager einquartiert. Ich hatte uns diesen Unterschlupf schon beschafft, bevor wir in einem Mietgleiter von Olp’Duor gestartet waren, weil ich noch rechtzeitig daran dachte, dass es
in Kering-Thang wegen der Sicherheitsmaßnahmen nicht so leicht sein würde, ein Büro zu mieten. Wir mussten damit rechnen, peinlichen Fragen unterzogen zu werden. Und wie leicht konnte es da passieren, dass jemand sich dessen erinnerte, dass Orbanaschol III. eine Kopfprämie auf uns ausgesetzt hatte … Deshalb setzte ich mich noch einmal mit Prelog in Verbindung und verlangte von ihm, dass er mir einen Nachschlüssel für das Warenlager der Keelon-Manufaktur in Kering-Thang beschaffte. Prelog wandte ein, dass die KeelonManufaktur dort kein eigenes Lager habe, sondern nur einen Sektor eines vollrobotischen Großlagers gemietet habe … Das gefiel mir sogar noch besser. Ich bekam die Kodekarte – und so waren wir relativ einfach zu diesem Unterschlupf gekommen. Wir fanden schnell heraus, dass uns der Schlüssel Zugang zu allen Teilen des Lagers verschaffte und die Robotkontrollen nicht auf uns ansprachen. Wir konnten nur nicht in die Sperrzonen eindringen, in denen die Waren fremder Firmen lagerten. Aber das hatten wir sowieso nicht vor. Im KeelonSektor konnten wir uns dagegen ungehindert bewegen. Und dort fanden wir auch die beiden »Experimentalbehälter«, die für uns als Gefängnisse gedacht gewesen waren. Nun waren es Särge für zwei von Attofrests Killern. Nachdem wir uns umgesehen hatten, suchten wir uns einen Platz, von wo wir einen Ausblick auf den Raumhafen hatten. Wir fanden einen geeigneten Beobachtungsposten in einem leeren Dachgeschoss des Lagers, in dem Ersatzteile für die Robotanlage aufbewahrt wurden. Durch eine Dachluke blickten wir auf den Raumhafen. Da ich es wegen der Ortungsgefahr nicht wagte, mich energetischer Geräte zu bedienen, begnügten wir uns damit, das Gelände mit einem Fernglas zu beobachten. Wegen der geringen Entfernungen
war das völlig ausreichend.
»Es ist ganz deutlich zu erkennen, dass einige der Landequadrate willkürlich beschädigt wurden«, sagte ich, während ich an der Feineinstellung des Vergrößerungsglases drehte. »Die Piste weist nirgends Schäden durch Witterungseinfluss oder Korrosion auf. Viel Mühe hat man sich jedenfalls nicht gegeben, um die Reparaturarbeiten vorzutäuschen.« »Was soll’s, wir wissen ohnehin, wozu das ganze Theater dient.« »Trotzdem sollte es uns zu denken geben, dass so wenig zur Geheimhaltung der Konferenz unternommen wird, wenn angeblich auf Geheimhaltung solcher Wert gelegt wird. Wachen, wohin man blickt. Das gesamte Areal strotzt nur so von Waffen. Da kommt nicht einmal eine Mücke durch.« »Damit bist du endlich bei unserem Problem. Wie sollen wir auf das Raumhafengelände gelangen?« »Es wird sich schon ein Weg finden.« »Warum lassen wir die ganze Sache nicht überhaupt platzen?« »Was für eine Frage.« »So unberechtigt finde ich sie gar nicht. Im Ernst, Atlan, was versprichst du dir von diesem Unternehmen?« Ich drehte mich zu ihm um. »Ich möchte zu gern wissen, was wirklich hinter dem ganzen Rummel steckt.« »Und welchen Nutzen hätten wir davon?« Ich breitete die Arme in einer verzweifelten Gebärde aus. »Was für einen Nutzen«, äffte ich ihn nach. »Ich weiß es selbst noch nicht. Aber wir müssen etwas unternehmen. Vielleicht erfahren wir Dinge, die uns helfen, auf unser Schicksal Einfluss zu nehmen. Wenn wir nur dasitzen und die Hände in
den Schoß legen, hängen wir womöglich für immer in der Vergangenheit.« »Und wenn wir die Verhandlungen mit den Maahks platzen lassen, öffnet sich das Tor in unsere Zeit?«, sagte Chapat spöttisch. »Wolltest du das sagen?« Als ich schwieg, fuhr er fort: »Gib es doch zu, unser ganzes Unternehmen zielt doch nur darauf ab, Orbanaschol zu schaden! Du möchtest dem Imperator einen Denkzettel verpassen und so deinem jüngeren Ich helfen. Für dich und mich wird dabei herzlich wenig herauskommen. Aber ich mache dennoch mit.« »Warum? Aus Resignation?« »Vielleicht. Mag sein, dass ich in meinem Innersten nicht mehr daran glaube, einen Weg zu finden, um aus eigener Kraft in unsere Zeit zurückzukehren. Machen wir also das Beste aus unserer Situation. Versuchen wir, die Vergangenheit zu beeinflussen.« »Die Frage ist nur, ob das überhaupt möglich ist …« Er seufzte. »Fängst du schon wieder damit an?« Er ging zum Fernglas, drehte es auf dem Stativgelenk, dass er das bunkerähnliche Gebäude inmitten des Raumhafens im Sucher hatte. Dieses Gebäude musste erst in den letzten Tagen errichtet worden sein. Es wirkte neu und wie ein Fremdkörper, maß etwa hundert zu hundert Meter und war nur wenige Meter hoch. Und es wurde besonders scharf bewacht. Für uns stand fest, dass dort die Maahks untergebracht waren oder, falls sie noch nicht auf Arkon II eingetroffen waren, dass sie dort untergebracht werden sollten. »Sagte Prelog nicht, dass die Verhandlungen in einem Spezialraumschiff stattfinden würden? Ich glaube, in diesem Punkt hat er gelogen. Wozu wurde der Bunker errichtet, wenn nicht, um ihn als Konferenzort zu verwenden?« »Vergiss nicht, dass Prelog seine Informationen aus zweiter oder dritter Hand hatte.«
»Hm.« Chapat ließ wieder von dem Fernglas ab. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie wir unbemerkt in den Bunker gelangen könnten.« »Still. Mir war, als hätte ich ein Geräusch gehört.« Wir lauschten eine Weile angestrengt. Nach wenigen Augenblicken war mir, als höre ich wieder ein Geräusch. Ich blickte zu Chapat, und dieser nickte bestätigend. Wir zogen unsere Kombistrahler.
Wir verließen das Dachgeschoss und schlichen in die Lagerhalle. Das heißt, wir gingen auf die Verbindungsstege, die unter der Decke entlangführten und ein weit verzweigtes Netz bildeten. Von hier oben hatten wir einen guten Überblick, konnten beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Ich hörte jetzt ganz deutlich verhaltene Stimmen, konnte jedoch noch nicht bestimmen, aus welcher Richtung sie kamen. Ich hielt mich zuerst links. Doch je weiter ich in diese Richtung ging, desto leiser wurden die Stimmen. Chapat hatte einen im rechten Winkel abzweigenden Steg betreten und winkte mir, ihm zu folgen. Als ich ihn erreichte, stellte ich fest, dass die Stimmen wieder lauter zu hören waren. Aber noch immer konnte ich nicht verstehen, was gesprochen wurde. Wir bewegten uns so rasch wie möglich vorwärts, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Die Stimmen wurden lauter – Männerstimmen –, und ich konnte drei unterscheiden. Eine kam mir bekannt vor. Und dann war ich mir sicher. Sie gehört Kerlin Attofrest! Ich verstand nun ganz deutlich, wie er sagte: »Ich denke an Sabotage. Ich finde keine andere Erklärung. Ich weiß ganz genau, dass jemand meine Jagd stören will.« »Aber verehrter Attofrest«, erklang eine unterwürfige Stimme. »Ich habe Ihnen die Nachricht gezeigt. Ihre
Manufaktur hat mich beauftragt, die beiden Experimentalbehälter zu erstehen und auf Abruf bereitzuhalten.« »Keelon«, raunte Chapat. Ich nickte. Im Stillen musste ich den so dekadent wirkenden Attofrest bewundern. Er hatte schneller als erwartet die beiden verschollenen Behälter aufgetrieben. »Ich habe die Nachricht wohl gesehen«, sagte Attofrest. Als ich über das Geländer blickte, sah ich vier Mann; zwei waren mit schweren Thermostrahlern bewaffnet. Attofrest, die Arme abgewinkelt, die Finger geziert gespreizt, fuhr fort: »Ich … Sie stammt von meiner Adresse, aber keiner meiner Leute hat sie verschickt.« »Vielleicht ein Verräter«, warf Keelon ein. Er war klein und zart gebaut. Attofrests Leibwächter wirkten neben ihm wie Riesen. »Ich denke an Verrat«, bestätigte Attofrest. »Und ich werde den Verräter finden. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die beiden Schiedsrichter ihre Hände im Spiel haben. Ich muss mich davon überzeugen, ob die Behälter nicht manipuliert wurden.« »Wir sind gleich da, verehrter Attofrest«, sagte Keelon katzbuckelnd. »Verdammt«, stieß ich leise hervor. »Das hat uns gerade noch gefehlt.« »Du glaubst, dass Attofrest die Behälter öffnen lässt?« »Ja.« »Aber damit würde er sich selber den ganzen Spaß verderben«, sagte Chapat. »Die zwanzig Pragos sind noch nicht um, die Behälter haben ihr Ziel noch nicht erreicht. Wie steht er vor seinen Kollegen da, wenn er jetzt schon aufgibt?« »Attofrests Anwesenheit kann nur bedeuten, dass er die beiden Behälter einer Untersuchung unterziehen will. Sobald
er sieht, was wirklich drin ist, müssen wir uns auf eine gnadenlose Jagd gefasst machen. Wir werden keine Sekunde mehr Ruhe haben.« »Das käme uns allerdings zu diesem Zeitpunkt besonders ungelegen. Dann müssen wir eben verhindern, dass Attofrest die Behälter öffnet.« Er hob seine Waffe. Ich drückte ihm den Arm hinunter. »Warten wir. Vielleicht überlegt er es sich noch.« Attofrest, Keelon und die beiden Leibwächter erreichten die Sektion, die die Keelon-Manufaktur gemietet hatte. Ein Schutzschirm umhüllte das Abteil. Keelon ging zum Projektor, der Schutzschirm brach zusammen. »Folgen Sie mir bitte, verehrter Attofrest. Ich führe Sie zu den Experimentalbehältern. Sie können sich selbst überzeugen, dass sie noch Originalplomben aufweisen …« »Ich werde einen Blick hineinwerfen.« »Unmöglich! Ich kann nicht riskieren, dass die Giftgase entweichen und …« »Ich habe Ihnen doch deutlich genug gesagt, welche Art von Ware in den Transportbehältern ist«, unterbrach Attofrest ihn barsch. »Ich werde sie öffnen!« Das war das Zeichen für mich. Chapat hatte schon vorher über eine Treppe den Steg verlassen und näherte sich unten dem Keelon-Sektor, den Kombistrahler im Anschlag. Ich stand genau über Attofrest und seinen drei Begleitern. »Waffen fallen lassen!«, befahl ich mit schneidender Stimme. »Versucht nicht erst zu fliehen. Ihr seid umzingelt.« Die Leibwächter reagierten blitzschnell, aber nicht so, wie ich es mir wünschte. Sie gingen sofort in Deckung. Attofrest bewegte sich jedoch nicht vom Fleck. »Ich wusste doch, dass ich die Bekkar aus ihren Löchern locken würde«, sagte er ohne die geringste Spur von Angst oder Unsicherheit; er gab sich überheblich wie immer.
»Führen Sie keine großen Reden, das können Sie sich in Ihrer Situation nicht erlauben. Befehlen Sie lieber Ihren Leuten, aus den Verstecken zu kommen und die Waffen wegzuwerfen. Sonst sind Sie ein toter Mann!« »Aber ja.« Er machte eine Bewegung mit dem kleinen Finger. Die Leibwächter kamen daraufhin tatsächlich aus ihren Verstecken. Auch sie gaben sich siegessicher. Bevor ich noch dazu kam, mich über ihre Haltung zu wundern, blitzte es an drei Seiten auf. Thermostrahlen fuhren in den Laufsteg, brachten ihn zur Rotglut und an einer Stelle schließlich zum Schmelzen. Ich spürte, wie der Boden unter mir nachgab, und brachte mich mit einem Sprung aus dem Gefahrenbereich. Aber die Thermostrahlen verfolgten mich, heiße Luft schlug mir entgegen, raubte den Atem. Ich erkannte zu spät, dass wir umzingelt waren. Attofrest war schlauer gewesen; er hatte seine Leute versteckt in der Lagerhalle postiert, um sich gegen einen eventuellen Überfall zu schützen. Und wir sind in diese Falle getappt!
Ich sah, wie sich der Steg vor mir senkte. Er wurde rot glühend, bog sich nach unten durch. Als er von einer neuen Thermosalve getroffen wurde, zerstob er Funken sprühend. Glutflüssiger Kunststoff und Metall spritzten nach allen Seiten davon. Mir blieb keine andere Wahl, als mich über das Geländer zu schwingen und in die Tiefe zu springen. Unter mir spannte sich die energetische Kuppel eines Lagerabteils. Es war ein kalkuliertes Risiko, auf das ich mich einließ. Ich wusste, dass wegen des leicht entzündbaren Materials, das hier teilweise gelagert war, die Schutzschirme keine thermische Strahlung emittierten, aber von unterschiedlicher Konsistenz waren. Einige stießen feste Körper ab, andere wiederum hielten die Objekte, die mit ihnen in Berührung
kamen, gefangen. An einen solchen Schutzschirm geriet ich. Als ich auf der leicht federnden Prallfeldbarriere landete, sank ich mit den Beinen sofort bis zur Hüfte ein. Dann hing ich hilflos fest. Ich versuchte verzweifelt, mich zu befreien, doch es gelang mir nicht. Je mehr ich mich bewegte, desto enger schloss sich das Energiefeld. Gleichzeitig schlug eine Alarmanlage an. Nicht weit entfernt erschien ein Mann mit einem Thermostrahler; ich feuerte sofort, er brach unter meinem Paralysatorschuss zusammen. »Ich hole dich heraus«, ertönte eine Stimme von unten. Es war Chapat, der seine Deckung verlassen hatte. Sofort wurde er von Thermostrahlen eingedeckt, erwiderte das Feuer und verschaffte sich so eine Atempause. »Denkst du, dass dieser Schutzschirm ein guter Leiter thermischer Energien ist?«, fragte Chapat, der in Deckung gegangen war. »Ich glaube nicht.« Ich hatte mich geduckt, um kein Ziel zu bieten. »Mach schon. Falls ich gebraten werde, lasse ich es dich wissen.« Chapat nahm den Schutzschirm unter Beschuss. Blitze zuckten über die Energiebarriere, es knisterte und krachte. Plötzlich zeigte sich in dem Feld ein Strukturriss, der sich verästelnd ausweitete … Ich bereitete mich auf den Sturz in die Tiefe vor. Da tauchte auf einem der Stege über mir eine Gestalt auf. Ich wollte schießen. Doch da spürte ich, wie mich das Energiefeld losließ. Ein Schuss löste sich aus meinem Strahler, ich landete mit beiden Beinen auf dem Boden. Es durchfuhr mich elektrisierend, als ich mit den Fußballen aufschlug. Aber ich hatte mich bei dem Sprung nicht verletzt. Der Schutzschirm war zusammengebrochen. Die Thermostrahlen aus Chapats Waffe griffen auf den Projektor über. Ich sah es, rief Chapat eine Warnung zu und warf mich gleichzeitig zu Boden.
Dann knallte es auch schon. Ein Blitz, der die Lagerhalle taghell erleuchtete, schlug aus dem Projektor. Der ersten Explosion folgten weitere, es kam zu einer wahren Kettenreaktion. Die Luft schien zu kochen. Es regnete Trümmerstücke. Als endlich eine Pause eintrat, sprang ich auf die Beine. Ich sah nicht weit entfernt einen Gegner, der von einer Explosion getötet worden war und nun in einem Fesselschirm hing. »Wir müssen fort«, rief ich. »Gleich wird es hier zugehen wie in einem Tollhaus. Die Explosionen locken die Wachen an.« »Sobald sie ihre Posten verlassen, könnten wir versuchen, auf den Raumhafen zu gelangen.« »Genau das habe ich mir selbst schon überlegt.« Ich grinste verzerrt. »Ich bin froh, dass du mit mir einer Meinung bist.« Die Lagerhalle war inzwischen zu robotischem Leben erwacht. Vollautomatische Löschanlagen traten in Aktion, versprühten Schaum oder erzeugten mit Prallfeldern Vakuumzonen, um das Feuer einzudämmen, riegelten verschiedene Sektionen hermetisch ab, um das Feuer zu ersticken. Reinigungsroboter tauchten auf. Chapat und ich benutzten die Roboter als Deckung, um uns in ihrem Schutz bis zu dem Tor vorzuarbeiten, das zum Raumhafen führte. »Da sind sie!« Der Ruf kam von oben, von einem der Verbindungsstege. Im nächsten Augenblick wurde von dort das Feuer eröffnet. Ringsum schmolzen und explodierten Roboter. Wir mussten uns zu Boden werfen und konnten uns nur noch robbend vorwärts bewegen. Nach einer Weile wurde uns eine Feuerpause gegönnt. Als ich jedoch den Kopf hob, blitzte auf allen Seiten Mündungsfeuer von Thermostrahlern auf. »Sie haben uns in die Zange genommen«, murmelte ich. »Unsere einzige Chance ist, auf einer Seite einen Durchbruch zu versuchen.«
»Worauf warten wir denn noch.« Chapat sprang auf. Sofort wurde das Feuer auf ihn eröffnet. Ich gab ihm Feuerschutz. Auf einem Steg begann das Geländer zu glühen. Einer von Attofrests Leuten, der sich darauf gestützt hatte, schrie vor Schmerz auf, verlor den Halt, kippte über das Geländer und stürzte in die Tiefe. »Chapat, Achtung!« Ich hatte links eine Bewegung entdeckt und schoss in diese Richtung. Ein glockenförmiger Schutzschirm verpuffte mit einem Knall. Der Mann, der sich in seinem Schutz befunden hatte, wurde wie eine Puppe durch die Luft geschleudert. Flammen züngelten auf, griffen auf das Lagergut über. Ich erkannte gerade noch, dass es sich um hochexplosive Gastanks handelte, die stark unterkühlt gelagert wurden. Eine Warntafel zeigte, dass schon ein Temperaturanstieg von zwanzig Grad zur Explosion führen konnte. Und die Luft wurde von den Flammen, die immer höher schlugen, rasch angeheizt. Ich lenkte Chapats Aufmerksamkeit auf die Gastanks. Er verstand und lief noch schneller. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Jetzt heulten überall Alarmsirenen. Schwere robotische Löscheinheiten rasten heran. In der Decke öffneten sich Düsen, aus denen Löschschaum mit großem Druck gesprüht wurde. Kühlaggregate liefen an, erzielten aber keine Wirkung. Attofrests Leute deckten das gefährdete Gebiet mit Thermosalven ein, ohne zu wissen, welche Katastrophe sie damit heraufbeschworen. Chapat und ich erreichten das Ende der Lagerhalle. Er zerschmolz das Schloss eines Seiteneingangs. Da rollte das große Tor auf, Einheiten der regulären Truppen stürmten herein, Panzerfahrzeuge glitten auf Prallfeldern in die Lagerhalle. Schwere Geschütze wurden aufgefahren. Ich stieß Chapat hinter einen meterdicken Betonblock und brachte mich selbst dahinter in Sicherheit. Gerade im rechten Augenblick,
denn kaum waren wir in Deckung, explodierten hinter uns die Gasbehälter. Durch die Wucht der Explosion wurde ein riesiges Loch in das Dach der Halle gerissen. Die Druckwelle fegte die Soldaten wie Spielzeuge hinweg, zwei Panzerfahrzeuge kippten um. Das Tor wurde aus der Führungsschiene gehoben, von aufprallenden Trümmerstücken verbeult. Risse bildeten sich in der Wand der Halle. Kaum war die erste Druckwelle abgeebbt, kam es zu einer zweiten Explosion, die nur um ein weniges schwächer war. Nachdem auch die zweite Druckwelle vorbei war, verließen wir eilig unsere Deckung und kamen durch die kleine Tür ins Freie. Vor uns lag der Raumhafen.
Auf dem Landefeld ging es zu wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen. Ich rannte im Schutz eines Verteidigungswalles auf ein Einsatzfahrzeug zu, das mit rotierendem Blinklicht dastand – aber verwaist war. Chapat folgte mir. Ich setzte mich an die Kontrollen und schwebte los, kaum dass Chapat neben mir Platz genommen hatte. Die im Laufschritt entgegenkommenden Soldaten wichen uns aus. In der robotischen Lagerhalle heulten immer noch die Sirenen, kleinere Explosionen krachten. Solange die Löschkommandos noch nicht das Feuer eingedämmt hatten und die Wachtruppen nicht Herr der Lage waren, konnten wir ziemlich ungestört auf unser Ziel zustreben. Ich steuerte das Einsatzfahrzeug mit heulender Sirene auf fußhoch projiziertem Prallfeld geradewegs auf das bunkerartige Gebäude inmitten des Raumhafens zu. Es war inzwischen längst Nacht, wenn auch nicht dunkel. Bis zu den Explosionen war der Bunker in grelles Licht der Scheinwerfer getaucht gewesen. Aber jetzt waren diese auf das umliegende
Gebiet und zum größten Teil auf die in Flammen stehende Lagerhalle geschwenkt worden. Ich schwebte im Zickzack, um den wandernden Scheinwerferkegeln auszuweichen. Hundert Meter vom Bunker entfernt musste ich den Schweber jedoch anhalten. Die Wachen, die den Bunker umstanden, hatten ihre Posten nicht verlassen. Wir schlichen näher. Vereinzelt standen auch im Vorfeld des Bunkers Soldaten beieinander und diskutierten erregt die Geschehnisse, fragten sich wohl, ob es zufällig zu den Explosionen gekommen war oder ob Terroristen sie verursacht hatten. »Zufall – dass ich nicht lache«, rief einer. »Die Terroristen haben natürlich von der Friedenskonferenz mit den Methans Wind bekommen und wollen sie sabotieren.« »Ein Glück, dass sie rechtzeitig entdeckt wurden. Stell dir vor, sie wären in den Bunker eingedrungen.« »Blödsinn. Wozu stehen wir wohl hier? An uns kommt niemand vorbei! Die Maahks sind im Bunker so sicher wie in ihrer eigenen Festung.« »Hast du sie gesehen?« »Wie denn? Sie wurden in ihren Druckbehältern in den Bunker geschafft. Aber ich habe die Druckbehälter gesehen. Zwanzig Stück.« »Dann sind die Maahks bereits im Bunker?« »Schon längst …« Chapat und ich hörten die weitere Unterhaltung der beiden Wachen nicht mehr, hatten uns schon längst weiter geschlichen und waren nur noch zwanzig Meter vom Bunker entfernt. Dort standen die Wachen zwanzig Meter voneinander entfernt, waren so postiert, dass jeder seine Nebenleute sehen konnte. »Da kommen wir nicht so leicht hinein«, raunte Chapat. »Das habe ich auch nicht erwartet. Aber schaffen müssen wir
es. Uns wird schon eine List einfallen, wie wir die Wachen umgehen können.« Wir überlegten eine Weile und diskutierten die verschiedenen Möglichkeiten. Doch keiner der erörterten Pläne garantierte uns, unbemerkt in den Bunker zu gelangen. Wir schritten die Strecke von hundert Metern im Schutz einer metallenen Verteidigungsmauer ab, bis wir zu einem der Eingänge kamen. Es handelte sich um ein Panzerschott, es war selbstverständlich geschlossen und lag in einer Nische. Zwei Posten patrouillierten davor. Als sie nun wieder zum Schott kamen, zogen sie sich in die Nische zurück, konnten von ihren Nebenleuten nicht gesehen werden. Ich sah, dass die Wachtposten das Schott überprüften, und trug Chapat auf, sich ebenfalls jeden ihrer Handgriffe zu merken. »Was nützt uns das?«, maulte Chapat, kam aber meiner Aufforderung nach. Ich hatte schon zuvor mit Zufriedenheit bemerkt, dass der Zugang zum Panzerschott etwa vierzig Zentimeter unter dem Bodenniveau lag. Die Wachen links und rechts konnten diese Vertiefung nicht einsehen. Wir müssen nur die Posten vom Tor weglocken, um uns unbemerkt anschleichen zu können. Während ich noch überlegte, wie das zu bewerkstelligen war, ohne großes Aufsehen zu erregen, hatten die beiden die Kontrolle des Schotts beendet. »Hast du dir ihre Handgriffe gemerkt?« Chapat nickte nur, ließ die Posten nicht aus den Augen. Sie trennten sich, marschierten auseinander und ließen ihre Augen über das umliegende Gebiet wandern. Der eine Mann erreichte den linken Nebenmann, wechselte mit ihm einige Worte und kehrte dann um. Er warf einen Blick in die Tornische, dann ging er weiter zu seinem Kameraden, der mit seinem Nebenmann ein Gespräch führte. »Jetzt«, sagte ich, glitt in die Bodenvertiefung, robbte, gegen den Boden gepresst, nach vorn. Chapat folgte meinem Beispiel
und überholte mich auf halber Strecke. Ich hörte jetzt ganz deutlich die Stimmen der kaum zehn Meter entfernten Wachen. Schritte näherten sich, hielten dann jedoch an und entfernten sich wieder. Chapat erreichte die Tornische und widmete sich in fiebernder Hast der kleinen Schalttafel. Als ich endlich bei ihm war, stand das Schott bereits offen. Wir zwängten uns durch den Spalt und drückten das Schott hinter uns zu.
Wir befanden uns in einem Ringkorridor, der wahrscheinlich den ganzen Bunker umlief. Von hier führten Gänge in regelmäßigen Abständen wie die Speichen eines Rads zum Zentrum. Kleine Deckenlichter spendeten schwaches Licht. Es herrschte eine unheimliche Stille. Ich suchte die Wände und die Decke nach Ortungsgeräten ab, konnte aber nirgends welche entdecken. Das besagte aber noch lange nicht, dass es keine gab. Chapat öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Die absolute Stille gab mir zu denken. Möglicherweise schaltete sich die Warnanlage schon beim geringsten Laut ein. Lange verharrten wir reglos auf der Stelle. Ich ließ meine Blicke immer wieder über den Boden und die Decke wandern. Es irritierte mich, dass es nirgends Anzeichen einer technischen Einrichtung gab. Nicht einmal ein einfaches BildSprechgerät oder der Lautsprecher einer Rundrufanlage waren zu erblicken. Es mochte eine Viertelstunde vergangen sein, bevor ich beschloss, mich endlich in Bewegung zu setzen. Ich wollte zuerst den äußeren Ringkorridor erkunden, weil hier mit keiner besonders strengen Überwachung zu rechnen war. Ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, bemüht, dabei kein Geräusch zu verursachen. Es war so still, dass ich meinen eigenen Atem wie einen Orkan zu vernehmen glaubte; meine
Sinne täuschten mir vor, dass er kilometerweit zu hören sein musste. Wir legten gut fünfzig Meter zurück und kamen an drei abzweigenden Korridoren vorbei, die allesamt verlassen waren. Dann endete der Gang mit einem 90-Grad-Knick. Ich sah vorsichtig um die Ecke. Aber was ich auch zu sehen erwartete, dieser Abschnitt war ebenfalls leer und zeigte sich in der gleichen Monotonie wie jener, den wir durchschritten hatten. Nun wagte ich es, eine der Türen zu öffnen, vermied es auch dabei, ein Geräusch zu verursachen. Der dahinter liegende Raum war eine Mannschaftsunterkunft für zwei Personen. Der Raum war leer, die Schlafstätten unbenutzt. Alles war so sauber und steril, dass es auf den ersten Blick aussah, als würde dieser Raum von keinem Wesen benutzt. Auf dem Weg öffneten wir noch ein Dutzend Türen. Überall bot sich der gleiche, sterile Anblick. Selbst als wir in einen Aufenthaltsraum kamen, erkannten wir sofort, dass er unbenutzt war. Wir betraten ihn, und ich schloss hinter uns die Tür. »Hier wird man keine Akustiküberwachung eingebaut haben«, sagte ich flüsternd. »Bei dem Lärm, den die dienstfreie Wachmannschaft während ihrer Freizeit macht, würde es ständig Alarm geben.« Chapat wiegte zweifelnd den Kopf. »Ich wette, dass dieser Raum noch nicht einmal einen Seufzer gehört hat. Was hältst du davon?« »Ich neige immer mehr zu der Ansicht, dass sich im Bunker niemand befindet.« »Also begnügt man sich mit einem robotischen Überwachungssystem?« »Auch dafür haben wir noch keine Anzeichen gefunden.« »Es wäre allerdings seltsam, gäbe es nicht einmal Robotwachen.«
»Wie man es nimmt.« Ich zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich denkt man, dass der Aufwand rund um den Bunker genügt, die Sicherheit der maahkschen Delegation zu garantieren. Und Orbanaschol glaubt wohl, dass die Maahks sicherer sind, wenn kein Arkonide in ihrer Nähe ist.« »Aber warum dann nicht einmal ein robotisches Wachsystem?« »Dagegen könnten die Maahks etwas haben, könnten es als Bespitzelung betrachten.« »Daran kann etwas Wahres sein.« Wir gingen wieder hinaus. Als wir an den Ausgangspunkt zurückkamen, waren wir nicht klüger als zuvor. Der Außenring des Bunkers lag wie ausgestorben da. Wir hatten nicht einmal das Arbeitsgeräusch irgendwelcher Maschinen vernommen. Ich beschloss, einen Vorstoß ins Zentrum des Bunkers zu unternehmen.
Ich hatte erkannt, dass Schweigen eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme war; somit wagten wir nun, uns auch in den Gängen flüsternd zu unterhalten. Wir kamen zu einem zweiten Ringkorridor und betraten ihn. Doch wir gaben uns nicht die Mühe, ihn auf seiner ganzen Länge abzuschreiten. An seiner Außenseite führten bloß Türen in weitere Unterkunftsräume, die alle unbenutzt waren. Wie gehabt. Die gegenüberliegenden Wände wiesen dagegen keinerlei Türen auf, waren glatt und fugenlos. Alles strahlte die Sterilität eines Krankenhauses aus. Da wir uns keine umwerfenden Entdeckungen erhofften, verließen wir den inneren Ringkorridor wieder durch den nächsten Längsgang. Auch dieser bot keine neuen Erkenntnisse, er war kahl und hatte keine Türen. An seinem Ende erreichten wir eine Halle, die eine Art Auffangraum zu sein schien. Auf der einen Seite war
das schwere Schott einer Luftschleuse. Sie war unbeschriftet, aber ich konnte mir denken, dass sie in den Wohnbereich der Methanatmer führte; die auf einer Schaltwand angebrachten Druckmesser, Temperatur- und Atmosphäreanzeiger sprachen für sich. Bei genauerer Betrachtung stellte ich jedoch fest, dass die Kontrollinstrumente nicht in Betrieb waren. Alle Anzeigen stehen auf null. »Das ist allerdings seltsam. Man scheint nicht besonders um das Wohlergehen der Maahks besorgt, wenn man die Kontrollgeräte nicht einmal einschaltet.« »Es gibt sicherlich einen eigenen Kontrollstand«, vermutete Chapat. »Trotzdem …« »Machen wir weiter. Wer weiß, wie lange wir uns hier noch ungehindert bewegen können.« Ich nickte. Es gab in der Halle insgesamt vier Türen. Wir öffneten sie nacheinander. Drei führten in Räume mit technischen Geräten. Wie nicht anders erwartet, waren sie nicht eingeschaltet. »Sicherlich ist das eine besondere Art der Tarnung, um ungebetene Gäste in die Irre zu führen«, sagte Chapat. Ich sagte nichts dazu. Die vierte Tür führte in eine andere Welt. Die Räumlichkeiten unterschieden sich grundlegend von denen, die wir bisher untersucht hatten. Auch hier handelte es sich zwar um einen Wohnbereich, aber von der sonst gewohnten Monotonie und Sterilität war nichts zu merken. Es gab eine Mediathek mit einer Vielzahl von Speicherkristallen, eine Bar, eine Küche, eine Reihe von luxuriös eingerichteten Aufenthaltsräumen für jeweils eine Person, in denen es an nichts mangelte, verschiedene Klubzimmer – und einen Konferenzsaal. Diesem galt meine besonderes Interesse. Drei der Wände zierten Monitoren, Projektionsflächen für schematische Darstellungen und nicht zuletzt ein Bildnis von
Imperator Orbanaschol III. Es erübrigte sich zu erwähnen, dass es sich um eine ziemlich idealisierte und überlebensgroße Darstellung seiner Person handelte. Die vierte Wand bestand aus einer Panzertroplonscheibe. Davor erstreckte sich der eigentliche Konferenztisch mit Mikrofonen, die an robotische Übersetzungsgeräte angeschlossen waren. Hinter der hermetisch dichten Panzertroplonwand befand sich ein ebenso großer Raum. Auch auf der anderen Seite verlief entlang der Glaswand ein Pult, nur waren die Sitzgelegenheiten auf die Bedürfnisse nichtarkonidischer Lebewesen abgestimmt. Ebenso die übrige Einrichtung des Raumes. »Hier wird also die Friedenskonferenz stattfinden«, stellte Chapat fest. »Man muss es Orbanaschol eigentlich hoch anrechnen, dass er daran gedacht hat, den Maahks allen nur erdenklichen Komfort zu bieten. Es wurde an alles gedacht.« »Ja«, sagte ich gedehnt, »nur nicht daran, dass die Maahks Wasserstoffatmer sind. Die Atmosphäre im Maahk-Abteil ist jedenfalls alles andere als ein Wasserstoff-Methan-AmmoniakGemisch.« »Findest du es so seltsam, dass die Atmosphäre erst knapp vor der Konferenz ausgewechselt wird? Ich könnte mir vorstellen, dass das ein allgemein üblicher Vorgang ist.« »Sehen wir weiter.«
An den Konferenzkomplex grenzend gab es noch eine Reihe leerer Räume, in denen es nicht einmal Anschlüsse für Beleuchtung gab. »Jetzt haben wir praktisch den ganzen Bunker erkundet«, sagte Chapat. »Und was hat es uns eingebracht?« »Den wichtigsten Teil des Bunkers haben wir noch nicht erforscht.« »Willst du etwa in den Lebensbereich der Maahks
eindringen? Was versprichst du dir davon?« »Wir könnten von ihnen etwas über die Hintergründe erfahren. Und vielleicht können wir uns mit ihnen sogar verbünden.« »Willst du etwa die Luft anhalten, solange wir uns in der Wasserstoffatmosphäre befinden?« Ich musste lächeln. So humorlos, wie es manchmal schien, war Chapat doch nicht; es kam nur auf die Situation an. Je lebensgefährlicher sie war, desto gelockerter gab er sich. Er verstand nur keinen Spaß, wenn es um seine persönlichen Geheimnisse ging. »Es muss Druckanzüge geben.« Wir machten uns auf die Suche, fanden zwar einen Raum, der als Gerätekammer eingerichtet war, doch gab es in ihm keinerlei Ausrüstung. »Nicht einmal eine schäbige Atemmaske«, knurrte ich. »Wie will man den Maahks zu Hilfe kommen, wenn ihnen etwas zustößt? Sind sie sich selbst überlassen?« »Langsam wird mir die ganze Sache unheimlich. Nach außen hin wurden zwar alle Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen getroffen, aber die elementarsten Dinge wurden nicht beachtet.« »Also werden wir ganz einfach ohne Druckanzüge in den Lebensbereich der Maahks eindringen. Solange es dort eine Sauerstoffatmosphäre gibt, kann uns nichts geschehen.« »Und wenn Orbanaschol inzwischen eintrifft?« »Auch in diesem Fall verbleibt noch Zeit genug, uns in Sicherheit zu bringen.« Wir kehrten in die Halle zurück, wo sich das einzige Schott befand, durch das die Druckzone der Maahks betreten werden konnte. Es war aber gar nicht so einfach, die Schleuse zu öffnen. Welche Schaltungen ich auch vornahm, der Öffnungsmechanismus funktionierte nicht. Sämtliche Energieleitungen waren tot. Erst als wir mit vereinten Kräften versuchten, das Schott mittels Handrad zu öffnen, schwang es
auf. Zu unserer Überraschung stand das Innenschott offen. »Geht das überhaupt?«, fragte Chapat. »Wie leicht könnten Giftgase durchsickern …« Ich betrat den Lebensbereich der Maahks. Nirgends fand ich Hinweise darauf, dass sich hier Fremdwesen aufgehalten hätten. Die Sauerstoffatmosphäre war untadelig. Auch hier fand sich die gleiche Sterilität wie überall im Bunker – abgesehen von dem Konferenzkomplex. Die Räumlichkeiten waren hier höher, die Korridore und Durchgänge breiter – den Bedürfnissen der Methans angepasst. Wir kamen zum Maschinenraum, in dem sich auch die Tanks befanden; von hier aus wurden die Zusammenstellung der Atmosphäre, der Gasdruck und die künstliche Gravitation geregelt. »Unglaublich!« entfuhr es mir, als ich Kontrollinstrumente erblickte. Keins zeigte irgendwelche Werte an. Die Anlage, die die Atmosphäre regelte, stand still. Ich ging zu den Gastanks. Ein Blick auf den Druckmesser ließ mich erkennen, dass sie alle gefüllt waren, aber kein einziger Tank war an das Gasumlaufsystem angeschlossen! Die Tanks standen völlig unnütz herum. »Das ist ungeheuerlich.« Ich entwickelte plötzlich eine hektische Aktivität, stürmte von einem Raum zum anderen. Chapat erkundigte sich, was denn plötzlich in mich gefahren sei, doch bekam er keine Erklärung. So blieb ihm nichts anderes übrig, als mir zu folgen – ohne zu wissen, was das eigentlich sollte. Ich deutete in einen Raum. »Das sind Privatunterkünfte der Maahks. Leer!« Ich stürmte weiter. »Hier, die Versorgungseinrichtungen für Maahks. Konservierte Nahrungs- und Genussmittel. Damit ließe sich eine ganze Kompanie Maahks versorgen. Aber alles ist unberührt.« Wir erreichten den Konferenzraum für die Maahks und konnten durch die Panzertroplonwand in den Raum für die arkonidische Delegation sehen. Ich hielt mich hier nicht auf,
sondern hastete weiter. An den Konferenzraum grenzte eine Lagerhalle. Hier standen zwanzig klobige Druckbehälter, wie sie für den Transport von Fremdwesen dienten. Die Decke konnte eingefahren werden, sodass es möglich war, die Druckbehälter auf dem Luftweg zu befördern. »Zwanzig Transportbehälter!«, sagte ich erregt. »Warum haben die Maahks sie bisher noch nicht verlassen? Niemand nimmt freiwillig in Kauf, für längere Zeit auf engstem Raum eingeschlossen zu sein.« Bevor Chapat es verhindern konnte, erkletterte ich einen der Druckbehälter und öffnete ihn. Chapat hielt sichtbar den Atem an, erwartete einen explosionsartigen Knall, wenn der atmosphärische Druck des Giftgasbehälters frei wurde. Aber nichts passierte. Ich blickte triumphierend zu ihm hinab. »Leer!« »Leer?«, wiederholte er ungläubig. »Noch nie hat ein Maahk seinen Fuß in einen dieser Behälter gesetzt.« »Das verstehe ich nicht …« »Dabei ist alles so einfach: Es gibt überhaupt keine Maahks in diesem Bunker.« Er konnte es nicht fassen. »Wozu denn das ganze Spektakel, wenn es überhaupt keine Maahkdelegation gibt? Warum der Aufwand? Die vielen Wachen? All die Schutzmaßnahmen?« Er merkte es kaum, dass ich ihn aus dem Bereich der Methanatmer führte. »Wir müssen sehen, dass wir aus dem Bunker kommen. Versuch nicht zu verstehen, was das alles zu bedeuten hat. Ich erkläre es dir später. Orbanaschol ist noch niederträchtiger, als ich gedacht habe!« Chapat stellte keine Fragen, wir erreichten den Ausgang. Als ich das Schott einen Spaltbreit öffnete, zuckte ich sofort wieder zurück. »Zu spät! Die arkonidische Delegation mit Orbanaschol ist bereits eingetroffen.« »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr«, bekannte
Chapat. »Wozu bemüht sich der Imperator selbst hierher, wenn es überhaupt keine Gesprächspartner für Friedensverhandlungen gibt?« »Du wirst schon noch dahinterkommen. Los, verstecken wir uns!«
9. Imperator Orbanaschol III. verließ am 10. Prago der Hara an der Spitze einer Delegation von Politikern und Flottenkommandeuren den Kristallpalast. Einige Minister und Militärstrategen fehlten – und zwar jene, die sich Orbanaschols Gunst kürzlich verscherzt hatten. Zur Linken des Imperators schritt der Kriegsminister in Paradeuniform, seine rechte Seite nahm sein persönlicher Ratgeber Arcangelo ein, der sich rühmen konnte, gegenwärtig in der Gunst Orbanaschols noch weit vor dem Blinden Sofgart zu rangieren. Arcangelo Ta-Kermian war als Ta-moas ein »Ta-Fürst Erster Klasse«. Im Berlen Than bekleidete er die Ministerfunktion des Ka‘Gostis, die auch als Gos‘Laktrote – Kristallmeister – umschrieben wurde. Die Titelbezeichnung lautete »Oberaufseher der Privaträume des Zhdopanthi«; in dieser Funktion hatte er nahezu unbeschränkten Zugang zum Imperator und folglich einen maßgeblichen Einfluss, und von ihm stammten viele »Ideen« und »Einflüsterungen«. Von Amts wegen war er in die Sicherheitsmaßnahmen eingebunden, sodass er als eine der maßgeblichen Schaltstellen der Macht anzusehen war. Orbanaschol trat seine Reise mit dem einem Imperator des Tai Ark’Tussan zustehenden Prunk an. Und das, obwohl Tontas vorher offiziell noch gar nichts davon bekannt gegeben worden war. Dennoch hatten sich alle Adeligen, Würdenträger und Offiziere eingefunden, um ihrem Imperator das Geleit zu geben. Nur das staunende Volk erfuhr erst im letzten Augenblick von der
diplomatischen Mission seines Souveräns – und nicht einmal jetzt etwas Genaues. »Sie haben die Flüsterpropaganda wieder einmal perfekt betrieben, mein schlauer Arcangelo«, lobte Orbanaschol. »Sie sind alle gekommen, die Heuchler und Intriganten. Und ich wette um meinen Thron, dass sie sich schon seit Pragos auf diesen Augenblick vorbereitet haben.« »Ihr habt schon gewonnen, mein Imperator«, sagte Arcangelo lächelnd. »Seht nur, wie sie Überraschung heucheln und dabei denken, klüger als wir alle zu sein. Sie glauben, alles über Eure Mission zu wissen, ohne dass Ihr es selbst ahnt, Höchstedler.« »Genau das ist der Zweck der Übung.« »Der hochedle Arcangelo versteht sich eben darauf, die Leute zu manipulieren«, sagte Kriegsminister Organ Ma-Vlerghont. Er galt zu Recht als fähiger Mann, der beachtliche Erfolge aufzuweisen hatte; er wie auch Ta-Kermian wussten, dass seine Erfolge vermutlich noch größer gewesen wären, hätte Orbanaschol nicht immer wieder in die Kriegsplanung eingegriffen und Entscheidungen abgeändert. »Es war ein weiser Rat, die Gerüchte über die bevorstehenden Verhandlungen mit den Methanatmern in Umlauf zu bringen. In der Raumflotte spricht man nur noch davon, dass wir die Methans bereits bezwungen haben, ohne den Krieg gewonnen zu haben.« »Erinnern Sie mich nicht an den Krieg, Ka‘Gortis«, sagte Orbanaschol zornig. »Wenn die Flotte nicht so kläglich versagt hätte, wäre ich gar nicht in die missliche Lage gekommen, diese Verhandlungen zu führen.« »Manchen Krieg kann man auch am Verhandlungstisch gewinnen, Euer Erhabenheit«, sagte Arcangelo. »Aber nicht bei Verhandlungen, die Sie arrangiert haben.« »Wieso nicht?« »Ihr habt die denkbar beste Ausgangsposition, zumindest einen symbolischen Sieg zu erringen.« »Machen Sie sich über mich lustig?«
»Wie käme ich dazu, nie würde ich mir das herausnehmen.« Arcangelo meinte es so, wie er es sagte. »Wenn ich von einem Sieg am Verhandlungstisch spreche, meine ich nicht einen Sieg über die Methanatmer, sondern einen Sieg über die Moral der eigenen Truppen. Stellt Euch vor, mein Imperator, wie es unsere Streitkräfte moralisch aufrüstet, wenn sie erfahren, dass Ihr die Methanatmer zu einem Kniefall gezwungen habt. Das lässt alle vorangegangenen Niederlagen vergessen.« »Nur um das zu erreichen, begebe ich mich überhaupt nach Arkon Zwei«, sagte Orbanaschol mit einem Seitenblick auf den Kriegsminister. »Hätte die Flotte nicht versagt, könnte ich mir diesen diplomatischen Winkelzug ersparen. Ich empfinde es beinahe als demütigend, diese sogenannten Friedensverhandlungen zuführen. Aber was will ich tun? Die arkonidische Flotte erleidet eine empfindliche Niederlage nach der anderen. Deshalb muss ich, der Imperator, in die Bresche springen und mein Volk retten. Wie ist die Stimmung auf Mehan’Ranton?« »In den gehobenen Bevölkerungsschichten spricht man von nichts anderem als den Friedensverhandlungen«, sagte Arcangelo. »Sobald das Raumschiff mit Euch in Kering-Thang landet, wird es jedermann im System wissen. Alle Massenmedien sind informiert – wenn auch nur durch Flüsterpropaganda. Alles spricht von diesem Ereignis als dem größten Tag in der Geschichte des Großen Imperiums. Diese Friedensverhandlungen werden Euch zu einem großen Popularitätsgewinn verhelfen, Tai Moas.« »Zügeln Sie Ihre Zunge«, mahnte der Höchstedle. »Nicht einmal Sie als mein engster Vertrauter dürfen mich so unverblümt darauf hinweisen, dass man mir, dem Imperator, die Fehler des Militärs ankreidet. Ein kluger Imperator weiß immer, wie sehr er geliebt wird oder nicht.« »Nach den Friedensverhandlungen mit den Methans wird es bestimmt niemand mehr wagen, die Stimme gegen Euch zu erheben, Zhdopanthi«, schmeichelte der Kristallmeister. »Ihr werdet der Retter der Arkoniden sein!«
»Das klingt mir schon wieder etwas zweideutig.« Orbanaschol wurde plötzlich ernst und blieb stehen. Das kam so unerwartet, dass einige Mitglieder der Delegation außer Tritt gerieten. »Arcangelo«, sagte Orbanaschol eindringlich. »Es darf keine Panne geben!« »Es wird keine Panne geben, mein Imperator. Es wurde an alles gedacht, die Vorbereitungen bis ins kleinste Detail gewissenhaft ausgeführt. Die Friedensverhandlungen werden ohne Zwischenfall und erfolgreich abgeschlossen werden.« »Wenn dennoch etwas schief geht, werden Köpfe rollen«, drohte Orbanaschol. Die Delegation setzte sich wieder in Bewegung. Der Imperator schritt durch ein Spalier der Elitetruppen, bestieg mit seinen engsten Vertrauten seine Raumjacht, die sofort startete und in einer Höhe von einem Kilometer vom Flaggschiff der arkonidischen Flotte aufgenommen wurde. Kurz darauf erfolgte der Start mit Ziel Arkon II. Das Volk jubelte seinem Imperator zu. Und selbst die besser informierten Adeligen, die die Politik Orbanaschols durchschauten, glaubten, dass eine neue Ara angebrochen sei. Doch nur die wenigen Vertrauten wussten, dass es sich um einen riesigen Betrug Orbanaschols an seinem Volk handelte. Die Propagandaleute hatten auf Arkon II einen Empfang vorbereitet, der selbst den an Prunk und Pomp gewöhnten Imperator zufrieden stellte. Nachdem die Privatjacht auf Kering-Thang gelandet war, kündete der Zeremonienmeister in getragenen Worten den Höchstedlen des Tai Ark’Tussan an: »Seine millionenäugige, allessehende, alleswissende Erhabenheit, Herrscher über Arkon und die Welten der Öden Insel, Seine Imperiale Glorifizienz, Veloz Orbanaschol der Dritte da Arkon, Herne aus dem Geschlecht der Weltältesten, Ta-moas des ihm unterstehenden Khasurn, Zhdopanthi im Tussan der Hunderttausend Sonnen, Tai Moas über ThanturLok, Cerkol und Erbe vor den Kristallobelisken von Arbaraith, Begam der Millionenflotten, Höchstedler, von grenzenloser Weisheit
und Weitsicht geküsster, in die Mysterien des Dagor Initiierter, zweihundertachter Herrscher in der ruhmreichen Reihe …« In amtlichen Dokumenten, Urkunden, Verlautbarungen und imperialen Erlassen nahmen die Titel und Umschreibungen eines Imperators insgesamt sage und schreibe 39 Druckzeilen ein; die Aufzählung bei Festen und anderen öffentlichen Auftritten war stets eine seelische Tortur. Dass die Umschreibungen »millionenäugig, allessehend« nicht nur reiner Pomp waren, sondern dass sich ursprünglich damit etwas durchaus Reales verband, war nicht Teil des Allgemeinwissens und bezog sich auf die Große Feuermutter, die Tai Zhy Fam. Orbanaschol entstieg in Begleitung der Delegation der Jacht, die arkonidische Hymne erklang, gefolgt vom Marsch der Imperatoren. Abertausende Soldaten auf dem Raumhafen sangen mit. Fliegende Kameras hielten diesen Augenblick fest, Milliarden Bewohner der Arkonwelten und anderer Planeten des Großen Imperiums erlebten ihn auf ihren Bildschirmen und in den TrividProjektionen. Arkon ging gerade hinter den Verwaltungsgebäuden auf. Die ersten Sonnenstrahlen erreichten die Überreste einer ausgebrannten Lagerhalle. Doch die Ruine wurde von dem Glanz der Feierlichkeiten überstrahlt. Orbanaschol III. hielt eine kurze Ansprache ans Volk, sagte, niemand solle zu viele Hoffnungen in diese Friedensverhandlungen setzen. Die Methans hätten sich nur unter dem Druck der Flotte – die Sieg um Sieg errang! – zu diesen Gesprächen bereit erklärt. Aber dies sei erst der Beginn der Verhandlungen, die Arkoniden müssten um den Sieg und den Frieden tapfer und unerschrocken weiterkämpfen. »Dies ist erst der Anfang …« Jubel brandete auf. Die Arkoniden feierten ihren Imperator als Helden des Methankriegs. Die Delegation mit Orbanaschol III. Arcangelo und Organ an der Spitze setzte sich in Richtung des Bunkers in Bewegung. Soldaten und Kampfroboter, eigens für diesen Anlass herausgeputzt, standen Spalier. Hoch über Kering-Thang formierte
sich ein Geschwader Schwerer Kreuzer zu einem Kreis und feuerte einen Salut in den Himmel von Arkon II. Die kreuz und quer verlaufenden und in grellem Licht erstrahlenden Thermobahnen verwoben sich, Holoprojektionen formten das Bildnis von Orbanaschol III. – ein erhebender Anblick … Orbanaschol und seine Delegierten erreichten den Bunker, betraten ihn durch den Haupteingang. Die Wachen blieben draußen. Der Imperator und sein Gefolge schritten in majestätischer Haltung den Korridor entlang zum Zentrum des Bunkers und erreichten den Konferenzkomplex. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, fragte Orbanaschol: »Sind wir jetzt unter uns?« – Und dann begann er schallend zu lachen. Er hatte schon die ganze Zeit über das Bedürfnis verspürt, seiner Heiterkeit auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, es aber bisher unterdrückt. Jetzt ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Die meisten seiner Begleiter stimmten in das Gelächter ein. »Genug des Spaßes«, sagte er, als er sich einigermaßen erholt hatte. »Lasst uns jetzt sofort zur Tagesordnung übergehen. Führt die Delegation der Methans vor, damit wir das Friedensabkommen besiegeln können.« Und er begann wieder aus vollem Hals zu lachen. »Das muss gefeiert werden«, riefen einige Gefolgsleute. »Ja, lasst uns den Sieg über die Methans mit den gebührenden Feierlichkeiten begehen!« »Es ist für alles vorgesorgt. Wir haben ausreichend Vorrat an Speisen und Getränken, um zehn solcher Friedensverhandlungen durchzustehen. Allerdings müssen wir uns selbst bedienen. Aus Sicherheitsgründen wurde sogar auf Roboter verzichtet.« »Schon gut.« Orbanaschol winkte ab. »Ich habe das förmliche Getue im Kristallpalast sowieso längst satt. Kristallprotokoll, altehrwürdige Etikette! Pah! Ich möchte mich mal wieder frei und ungezwungen geben. Den ersten Trinkspruch widme ich unserem schlauen Arcangelo, dessen Idee diese Friedensverhandlungen waren.« Orbanaschol und seine Günstlinge wurden immer ungezwungener. Immer wieder brandete Gelächter auf, sobald die
Sprache auf die angeblichen Friedensverhandlungen kam. Es wurde sich ausgemalt, wie die oppositionellen Gruppen giften würden, die gegen Orbanaschols Kriegspolitik mehr oder weniger offen polemisierten. »Jetzt haben wir ihnen das Maul gestopft«, rief Orbanaschol ausgelassen. Sie machten sich über die Offiziere und die Soldaten lustig, die zwar von einzelnen Niederlagen gegen die Maahks wussten, aber glaubten, den großen Sieg errungen zu haben. »Unsere tapferen Arkoniden werden durch diesen Erfolg, den wir hier erringen, angespornt«, verkündete Arcangelo. »Von nun an werden sie noch aufopferungsbereiter, noch selbstloser für die arkonidische Sache kämpfen!« »Darauf trinken wir!« Die Feierlichkeiten nahmen immer mehr die Form eines wüsten Gelages an. Der Höhepunkt an Geschmacklosigkeit wurde erreicht, als Orbanaschol einen raffiniert zusammengeschnittenen Film ablaufen ließ. Als »Darsteller« dienten gefangene Maahks, die unter Drogeneinfluss standen und die Rolle der Friedensdelegation spielten. Es wurde sogar ein Vertrag unterzeichnet, der als authentisches Dokument im Tresor des Kristallpalastes aufbewahrt werden sollte. »Ich kann nicht garantieren, dass sich die Methans an das Friedensabkommen halten werden«, sagte Orbanaschol in feierlichem Ton; die gleichen Worte hatte er auch bei der Ansprache ans Volk des Großen Imperiums gebraucht, bevor er den Bunker betrat. »Aber ich garantiere meinen Untertanen, dass jeder Verstoß der Methans gegen diesen Vertrag geahndet wird! Und wenn Diplomatie versagt, werden wieder die Waffen sprechen. So lange, bis wir die Methans endgültig in die Knie gezwungen haben.« Gelächter. »Ich möchte, dass das Volk ebenfalls feiert«, rief Orbanaschol überschwänglich. »Verkündet überall im Großen Imperium, dass die Arbeit für zwei Pragos zu ruhen hat. Das Volk soll Gelegenheit haben, mich, Orbanaschol den Dritten, der ich die Methans zu einem
Kniefall brachte, ausgiebig zu feiern!«
Arkon II, Kering-Thang: 10. Prago des Eyilon 10.498 da Ark »Widerlich«, sagte Chapat angeekelt, der das Gelage der arkonidischen Führungsspitze durch die dicke Panzertroplonwand beobachtete. Wir hatten uns in dem für die Maahks zugedachten Sektor versteckt. Da bei Ankunft der arkonidischen Delegation auch die Energiezufuhr eingeschaltet worden war, übertrugen die Mikrofone die Unterhaltung von jenseits der Panzertroplonwand, sodass wir jedes Wort verstehen konnten. Wir waren auch Zuschauer beim Film über die fingierten Friedensverhandlungen. Chapat war echt erschüttert. »Ich hätte nie gedacht, dass Orbanaschol so niederträchtig sein könnte.« »Er ist noch zu ganz anderen Gemeinheiten fähig. Aber ich muss zugeben, dass auch ich das hier für eine seiner ärgsten Schandtaten halte.« »Gibt es keine Möglichkeiten, diesen Schwindel aufzudecken?« Ich seufzte. »Ich denke schon die ganze Zeit an nichts anderes. Ich würde Orbanaschol nur zu gern einen Strick daraus drehen. Stell dir vor, wir hätten die entsprechende Ausrüstung, um diese Szenen festzuhalten und dann der Öffentlichkeit vorzuführen. Das würde Orbanaschol das Genick brechen.« »Diese Möglichkeit haben wir aber nicht. Und vielleicht ist es auch gut so!« Ich blickte ihn fragend an, dann nickte ich verstehend. »Ja, vielleicht hast du Recht. Es könnte zu einem schwerwiegenden Zeitparadoxon führen, würde ich versuchen, die Vergangenheit in diesem Ausmaß zu beeinflussen. Aber es würde mich reizen, wenigstens in Erfahrung zu bringen, ob
wir in der Lage wären, überhaupt eine Veränderung herbeizuführen. Wir sind nicht Bestandteil dieser Zeit, sondern gehören einer fernen Zukunft an.« »In deinen Worten liegt ein Widerspruch. Wenn du glaubst, dass wir diese Zeit nicht nur träumen, sondern real hier sind – und demzufolge auch den Tod finden können –, müssen wir auch die Realität dieser Zeit beeinflussen können. Anders ausgedrückt, wenn diese Zeit einen Einfluss auf uns hat, haben wir einen Einfluss auf sie. Das ist einfache Logik.« »Aber nicht die von Zeitreisen«, hielt ich dagegen. »Anders ausgedrückt: Entweder ist alles, was wir beeinflussen können, bereits Bestandteil der Geschichte – sprich: Es ist eine Zeitschleife –, oder eine Veränderung führt zu einer neuen Zeitlinie, einer veränderten Welt, doch diese wäre dann nicht mehr identisch mit dem Ausgangsuniversum unserer Gegenwart, sondern Teil eines Paralleluniversums. Denn nur so …« Wir wurden wieder von den Geschehnissen jenseits der transparenten Wand abgelenkt. Arcangelo Ta-Kermian, Orbanaschols rechte Hand, erbat die Aufmerksamkeit der Delegationsmitglieder. »Wie ich sehe, sind die meisten von Ihnen von den Verhandlungsgesprächen psychisch wie auch physisch ziemlich mitgenommen …« Gelächter. Man prostete ihm zu. »Es war auch anstrengender als erwartet, die Methans …« – Zwischenrufer ließen die Maahks, »unsere Verbündeten«, hochleben – »… dazu zu bringen, alle unsere Forderungen zu akzeptieren. Aber wir haben es geschafft, und ich glaube, dass wir nun langsam zu einem Ende der Gespräche kommen sollten.« Gegenstimmen wurden laut, doch als auch Orbanaschol seine Getreuen ermahnte, die »Verhandlungen« nicht zu sehr auszudehnen, fügte man sich. Die Stimmung flaute merklich
ab. Die ersten Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch wurden getroffen. »Was soll mit den zwanzig Druckbehältern geschehen?«, fragte jemand. »Eine berechtigte Frage«, sagte ein anderer. »Darüber soll sich niemand den Kopf zerbrechen«, sagte Arcangelo. »Die Delegation der Methanatmer erhält besonderen Geleitschutz.« »Was passiert mit den Druckbehältern wirklich?«, erkundigte sich nun Orbanaschol leicht besorgt. »Niemand wird etwas davon merken, dass sie leer sind. Zumindest vorerst nicht. Ich lasse sie von einem Raumschiff nach Arkon Drei bringen. Wenn man sie dort öffnet und feststellt, dass niemand drinnen ist, wird ein ›Eingeweihter‹ auf den Plan treten, der zu wissen glaubt, dass die Methans – aus Geheimhaltungs- und Sicherheitsgründen – heimlich mit einem anderen Transport zu einem ihrer Stützpunkte geflogen wurden.« Orbanaschol gab sich damit zufrieden. Es war ein simples, aber narrensicheres Täuschungsmanöver. »Jetzt wird es auch für uns Zeit, eine Möglichkeit zu suchen, wie wir hier herauskommen«, sagte Chapat. »Uns bleibt noch genügend Zeit, unsere Unterhaltung zu Ende zu führen.« »Was gibt es noch zu sagen? Wir kommen einfach auf keinen befriedigenden Nenner, was unsere Situation betrifft. Traum oder Wirklichkeit? – diese Frage lässt sich nicht beantworten.« »Aber auf andere Fragen gäbe es Antworten.« Er versteifte sich wieder, sein Gesichtsausdruck wurde starr, er blickte durch mich hindurch. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, Atlan …« »Ich will gar nicht, dass du dein ganzes Seelenleben vor mir ausbreitest«, unterbrach ich ihn. Aus den Augenwinkeln sah
ich, wie die Delegation aufbrach. »Zwischen dir und dem Ischtar-Memory besteht eine geheimnisvolle Verbindung. Du stehst in starker Abhängigkeit zu diesem geheimnisvollen Kreisel. Weißt du, warum das so ist? Siehst du in ihm einen Mutterersatz? Ist Ischtar überhaupt deine Mutter?« Chapat zitterte leicht, als er antwortete: »Es ist alles so lange her … Es liegt so weit zurück …« »Keine Ausflüchte! Du müsstest dich einmal hören, wenn du über Ischtar sprichst. Es hört sich an, als würdest du über einen Geist sprechen, nicht über ein Wesen aus Fleisch und Blut. Dabei ist sie alles andere als ein überirdisches Geschöpf. Die Varganin lebt in einem Körper – oder sie lebte …« »Ischtar ist unvergänglich …«, murmelte Chapat. »Ich habe Ischtar gekannt, sehr gut sogar!« Ich kämpfte gegen die drängenden Erinnerungen an, bemüht, ihnen nicht zu unterliegen; wollte nicht wie Chapat der Realität entrücken. »Wir hatten zusammen einen Sohn: Sie hat ihn Chapat genannt! Weißt du das? Hast du noch nie gefühlt, dass uns beide starke Bande verbinden, die stärker sind als die der Freundschaft?« Er starrte wortlos ins Leere. Es geschah zum ersten Mal, dass ich ihn so direkt darauf hinwies, dass er mein Sohn sein könnte – oder war. Und er kapselte sich noch deutlicher ab. »Warum versuchst du nicht, dich deiner Erinnerung zu stellen? Durchwandere die Stationen deines Lebens, um zu deiner vollen Identität zu finden.« Chapat schüttelte den Kopf. »Die Stationen meines Lebens liegen im Nebel des Vergessens«, murmelte er. »Auf dem Weg durch die Zeit gibt es nur jene, die meine Seele auf ihrer Wanderschaft gemacht hat … Das ist wörtlich gemeint: Ich habe in verschiedenen Körpern gelebt, bis ich …« Er brach ab – und ich gab auf, war am Ende meiner Weisheit; ich ärgerte mich, dass ich immer wieder versuchte, Chapat auszuhorchen, obwohl dieser sich dagegen wehrte.
Vielleicht wird Chapat eines Tages von sich aus reden … Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Orbanaschol und sein Gefolge den Konferenzsaal bereits geräumt hatten, schrak hoch. Jeden Augenblick konnten die Druckbehälter von den Transportkommandos abgeholt werden. »Chapat, komm zu dir!«, rief ich eindringlich. »Wir müssen unsere Chance zur Flucht wahren.« Chapat blickte mich entgeistert an. »Flucht?«, wiederholte er, dann schien er zu begreifen. »Was hast du vor?« Ich deutete auf die Druckbehälter. »Wir müssen uns in ihnen verstecken.« »Aber sie sollen nach Arkon Drei gebracht werden.« »Das soll uns nicht stören, wir haben hier nichts mehr verloren. Die Behälter sind unsere einzige Chance, unbemerkt von hier fortzukommen.« Er sah das ein, zögerte nicht länger, sondern erkletterte mit mir einen der Behälter. Er war geräumig und bot uns beiden genügend Platz. Wir stiegen hinein und schlossen den Deckel. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis den Druckbehälter endlich eine Erschütterung durchlief und wir das Gefühl hatten, emporgehoben zu werden. Orbanaschol erfuhr durch Zufall von den Vorgängen in der ausgebrannten Lagerhalle. Niemand wollte ihn mit solch einer Kleinigkeit belästigen, überdies hätte der zuständige Sicherheitschef den Vorfall auch gern verschwiegen, weil er um seinen Kopf fürchtete. Doch als Orbanaschol auf seiner »Schwebenden Insel« die Adeligen, Politiker und Militärs zu einem festlichen Empfang einlud, um seinen Triumph feiern zu lassen, entdeckte er den schwarzen Fleck inmitten der Raumhafenanlagen. Die »Schwebende Insel« war eine Plattform von einigen hundert Metern Durchmesser, die von Antigravprojektoren getragen wurde, mit künstlichen
Gärten, Wasserspielen und dergleichen mehr auf der Oberseite. Als Orbanaschol und seine Gäste über Kering-Thang schwebten, brauchte der Imperator nur einen Blick in die Tiefe zu werfen, um die ausgebrannte Lagerhalle sofort zu entdecken. »Was hat das zu bedeuten?«, wollte er wissen – und brachte damit eine Lawine ins Rollen. Der Sicherheitschef des Raumhafens versicherte ihm, dass hinter dem Brand nichts weiter stecke. Doch Orbanaschol wollte der Sache auf den Grund gehen und beauftragte Arcangelo Ta-Kermian damit, den Fall zu untersuchen. Der Gos‘Laktrote nahm zuerst den Sicherheitschef ins Verhör. Von diesem erfuhr er, dass der Zwischenfall wenige Tontas vor Eintreffen des Imperators geschehen war. Natürlich wurde zuerst angenommen, dass Terroristen dahintersteckten, die die Friedensverhandlungen mit den Methanatmern sabotieren wollten. Deshalb seien alle verfügbaren Truppen zur Lagerhalle geschickt worden. Doch dort stellte sich heraus, dass dahinter nur zwei rivalisierende Händlercliquen steckten: Kerlin Attofrest, der Obermakler von Olp’Duor, hatte in der Halle eine »lebende Ware« als Jagdobjekt deponiert. Doch zwei Beauftragte, die zweifellos von einem Konkurrenten geschickt worden waren, hatten ihm einen erbitterten Kampf geliefert. Arcangelo hätte sich mit der Aussage des Sicherheitschefs begnügen können, doch da er dem Imperator Bericht erstatten musste und der sich mit den Beteuerungen des Sicherheitschefs nicht zufrieden gegeben hätte, forschte der Kristallmeister weiter. Er nahm den Obermakler ins Verhör und erfuhr von diesem die Vorgeschichte: Zwei illegale Einwanderer von Arkon I seien ihm in die Hände gefallen. Sie behaupteten, auf der Kristallwelt die Wegbereiter der Zukunft an Kralasenen ausgeliefert zu haben. Attofrest glaubte diesen Behauptungen nicht, steckte die beiden in Experimentalbehälter und schickte sie auf die Reise. Es zeigte sich aber bald, dass ein Unbekannter seine Jagd sabotierte. Attofrests Positronik wurde zerstört, die beiden Behälter verschwanden auf mysteriöse Weise. Durch mühsame Recherchen
bekam Attofrest heraus, dass die Manufaktur Gonzal-i-Ischton, die von bislang unbekannten Händlern gerade erst gegründet worden war, dahinterstecken musste. Als Attofrest die Personenbeschreibung dieser Männer gab, wurde Arcangelo hellhörig. Aber er ließ den Obermakler weitererzählen. Gonzal und Ischton wurden von Attofrest der Intrige überführt, als sie sechsunddreißig Behälter kauften, sie mit den Nummern der von Attofrest gesuchten Experimentalbehälter versahen und mit verschiedenen Zielen auf die Reise schickten. Leider konnte der Obermakler Gonzal und Ischton nicht mehr zur Rechenschaft ziehen, weil diese spurlos verschwanden. Attofrest fand aber nochmals ihre Spur – und zwar bei der KeelonManufaktur, an die sie die beiden gesuchten Experimentalbehälter mit der »lebenden Ware« verschachert hatten. Der Obermakler stellte ihnen in der Lagerhalle eine Falle, in die sie auch prompt liefen. Es kam zu einem furchtbaren Kampf, in dessen Verlauf der Händler Keelon und ein halbes Dutzend von Attofrests Leuten den Tod fanden. Die Auseinandersetzung hatte die Form einer Schlacht angenommen, sodass sich die regulären Truppen einschalteten. »Dabei werden Gonzal und Ischton den Tod gefunden haben«, schloss Attofrest zufrieden. Daran wollte Arcangelo jedoch nicht glauben, denn das Ergebnis des Spurensicherungskommandos ergab nur, dass sieben Personen den Tod gefunden hatten, zwanzig Soldaten wurden verletzt. Von den beiden Unbekannten, die sich Gonzal und Ischton nannten, fand sich dagegen keine Spur. Arcangelo, der selbstverständlich mit den Regeln der Jagdspiele der Händler von Arkon II vertraut war, gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass Attofrest keine Schiedsrichter einsetzte, die den Weg der beiden Jagdobjekte verfolgen sollten. Das sei doch sonst üblich. »Ich schwöre, dass ich es getan habe«, beteuerte Attofrest. »Ich setzte zwei meiner besten Männer als Schiedsrichter ein, doch sie verschwanden spurlos und gaben bis heute kein Lebenszeichen mehr von sich. Ich bin jetzt sicher, dass sie von meinen Gegnern bestochen
wurden.« Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Kristallmeister bereits seine eigene Theorie zurechtgelegt. »Sie werden noch von mir hören, Attofrest.« »Ihr ergebener Diener, Hochedler«, sagte Attofrest, fügte aber sofort hinzu: »Bin ich nun entlassen? Kann ich jetzt das Warenspiel fortsetzen? Ich muss die Jagd zu Ende führen, will ich vor meinen Kollegen nicht das Gesicht verlieren.« Arcangelo Ta-Kermian hatte Verständnis dafür. »Ich glaube, dass ich die Untersuchungen bald abschließen kann. Gedulden Sie sich noch bis dahin. Ich lasse es Sie wissen, wann die Experimentalbehalter wieder zu Ihrer Verfügung stehen.« »Ergebensten Dank, Hochedler!« Arcangelo ließ als Nächstes die beiden Experimentalbehälter öffnen. Seine Ahnung bestätigte sich: Darin fanden sich nicht die beiden Jagdobjekte, sondern die Leichen der Schiedsrichter. Der Kristallmeister teilte Attofrest mit, dass er seine Jagd fortsetzen konnte, dann kehrte er zur »Schwebenden Insel« zurück. Sie zogen sich an einen Ort zurück, wo sie ungestört waren. »Ich glaube jetzt zu wissen, wer die GGL an die Kralasenen verraten hat, mein Imperator«, begann der Gos’Laktrote seinen Bericht und schloss dann mit den Worten: »Es müssen die beiden Fremden gewesen sein, deren Ihr um jeden Preis habhaft werden wollt.« »Warum haben sie die Organisation verraten? Etwa, um sich meine Gunst zu erschleichen? Wenn es so wäre, warum haben sie sich dann nicht gemeldet?« » Über ihre Motive werden wir erst Klarheit bekommen, wenn wir sie fassen. Sicher ist nur, dass sie nach Arkon Zwei flüchteten und hier Attofrest in die Hände fielen. Der aber hat sie unterschätzt. Sie entkamen, legten ihre Masken ab und intrigierten unter falschen Namen gegen den Obermakler.« »Unter falschen Namen?«, sagte Orbanaschol spöttisch. »Kennen
Sie denn ihre richtigen Namen?« »Der eine nannte sich Gonzal – was von Gonozal abgeleitet sein könnte. Und seine Beschreibung passt auch auf einen Gonozal und stimmt mit der des Fremden überein, der Euch solches Kopfzerbrechen bereitet.« »Hat man ihn endlich erwischt?«, fragte Orbanaschol. »Nein«, musste der Ka‘Gostis zugeben. »Aber jetzt habe ich die Suche nach ihm aufgenommen. Ich bin sicher, dass er noch in Kering-Thang ist. Wir werden ihn finden.« »Hoffentlich!« Plötzlich begann Orbanaschol zu toben: »Ich bin von lauter Schwachköpfen umgeben! Wagt man es tatsächlich zu behaupten, dass die Lagerhalle von sich gegenseitig bekriegenden Händlercliquen zerstört wurde? Ein harmloser Zwischenfall, sagt der Sicherheitschef von Kering-Thang. Wissen Sie, was ich glaube? Der Überfall galt mir. Man hat ein Attentat auf mich verüben wollen. Und niemand hat etwas davon gemerkt! Und wahrscheinlich wurde es nur durch das Eingreifen des Obermaklers verhindert. Wenn er es auch nicht bewusst getan hat – ich möchte ihn dafür belohnen.« »Das ist schon geschehen, Höchstedler. Ich habe ihm gestattet, seine Transaktionen mit den Experimentalbehaltern beliebig durchzuführen und sein Jagdspiel fortzusetzen. Allerdings habe ich ihm verschwiegen, dass sich in den Behältern nicht die von ihm gesuchten Jagdobjekte befanden. Ich möchte sein Gesicht sehen, wenn er die Behälter öffnet und die eigenen Schiedsrichter vorfindet.« »Statt sich an solchen Späßen zu delektieren, sollten Sie lieber die beiden Fremden fangen«, sagte Orbanaschol barsch. »Ich habe bereits veranlasst, dass ihre Spuren verfolgt werden. Ich erwarte jeden Augenblick die ersten Berichte. Diesmal werden sie nicht entkommen.« Attofrest hatte dem Kristallmeister alles gesagt, was dieser wissen wollte. Doch zum Glück hatte er nicht gefragt, was der Obermakler
mit den Experimentalbehältern vorhatte. Sonst hätte er lügen müssen. Denn er wollte unbedingt seine Transaktionen zu Ende führen. Das war er seinem Ruf schuldig. Sein Plan lag dem obersten Schiedsgericht des Händlergremiums vor. Er konnte es sich nicht leisten, jetzt davon abzuweichen. Die Experimentalbehälter mussten ihr vorbestimmtes Ziel erreichen. Attofrest hatte hierzu kurzfristig umdisponiert und eine neue Passage nach Arkon III gebucht – und zwar genau auf jenem Schiff, auf dem auch die Delegation der Methanatmer reisen würde. Er hatte nur seine Beziehungen spielen lassen müssen, um an Bord dieses Schiffes einen Platz zu bekommen. Das war der leichtere Teil gewesen. Schwieriger war es schon, die Experimentalbehälter an Bord des Schiffes zu schmuggeln. Sie waren zwar als Wasserstoff-MethanAmmoniak-Tanks deklariert, doch der Zusatz, dass es sich um ein unreines Gasgemisch handelte und sie deshalb als Experimentalbehälter geführt wurden, erschwerte die Transaktionen. Doch Attofrest hatte eine Möglichkeit gefunden, sie auf das Schiff zu bringen. Er wusste, dass die anderen Atmosphärebehälter für die Versorgung der zwanzig Methanatmer benötigt wurden. Es gab einen genügend großen Vorrat an Wasserstoff-Methan-AmmoniakGemisch an Bord, der die Maahks auf Jahre hinaus versorgen könnte. Doch es wurde unterlassen, einen Teil der Gastanks als »Reserve« zu deklarieren. Und egal, wie groß der Vorrat war, die Vorschriften verlangten, dass beim Transport von Nichtsauerstoffatmern eine letzte Reserve vorhanden sein musste. Attofrest machte darauf aufmerksam und bot seine Experimentalbehälter als diese »Reserve« an. Niemand hatte Bedenken, das unreine Gasgemisch anzukaufen, denn es wurde ja davon ausgegangen, diese Reserve nicht zu benötigen. Es sollte nur den Vorschriften Genüge getan werden. Nachdem ihm diese Transaktion geglückt war, konnte Attofrest zusammen mit zweien seiner engsten Freunde an Bord des Schiffes gehen. Sie sollten als Zeugen später bestätigen, dass Attofrest die Aktion erfolgreich abgeschlossen hatte. Für ihn gab es auf dem Schiff nur noch eins zu
tun: Er musste die Experimentalbehälter an die Lebenstanks der Maahks anschließen. Auch das konnte er ruhigen Gewissens tun, denn sie enthielten kein unreines Gasgemisch, sodass die Methans nicht gefährdet waren. Statt dass Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre aus den Experimentalbehältern entweichen würde, würde das für Arkoniden tödliche Giftgas in sie gepumpt werden. Und auf diese Weise konnte Attofrest sein Versprechen wahr machen, dass er die beiden Jagdobjekte töten würde, ohne Hand an sie zu legen. Er war sicher, dass es auch beim Militär für diese Transaktion Verständnis geben würde. Das Risiko, einen Prozess wegen staatsfeindlicher Umtriebe aufgehalst zu bekommen, war nur minimal. Wozu hatte er schließlich seine Beziehungen, die bis hinauf zum Imperator reichten … »Das Komplott der beiden Unbekannten ist viel gewaltiger, als es zuerst den Anschein hatte«, berichtete Arcangelo Ta-Kermian dem Imperator. »Die Untersuchungen haben ergeben, dass sie lebend aus der brennenden Lagerhalle entkommen sind und dass es ihnen gelang, in dem allgemeinen Durcheinander bis zu jenem Bunker zu gelangen, in dem die Friedensverhandlungen stattgefunden haben.« »Wieso wissen Sie das so genau?«, fragte Orbanaschol lauernd. »Haben die beiden etwa ein Geständnis abgelegt?« »Wir haben sie doch noch nicht erwischt. Aber ihre Spuren führen zum Verhandlungsbunker – noch schlimmer, sie … sie sind in den Bunker eingedrungen.« »Soso.« Dem Imperator war anzumerken, dass er sich zwingen musste, ruhig zu bleiben. »Bedeutet das, dass sie auch noch während der Friedensverhandlungen im Bunker waren?« »So ist es. Sie waren die ganze Zeit über im Bunker, während wir … Es muss angenommen werden, dass sie uns beobachtet haben!« Der Imperator zitterte vor unterdrückter Wut. »Wissen Sie, was das bedeutet, Mann? Stellen Sie sich vor, die beiden bringen ihre
Beobachtungen an die Öffentlichkeit!« »Niemand wird solchen suspekten Personen glauben.« »Egal! Allein das Gerücht, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, wäre schon schlimm genug. Wir würden schlecht dastehen. Es wäre eine Katastrophe für das Große Imperium!« »Ich weiß, mein Imperator«, sagte der Kristallmeister kleinlaut. »Wir müssen dafür sorgen, dass die beiden keine Gelegenheit bekommen, ihr Wissen an die Öffentlichkeit zu bringen.« »Die Voraussetzungen haben Sie dafür schon getroffen«, schrie Orbanaschol, außer sich vor Wut, »indem Sie sie wieder entkommen ließen!« »Diesmal werden sie nicht weit kommen. Wir wissen nämlich, dass sie den Bunker auf keinem normalen Weg verlassen haben …« »Woher wissen Sie denn das schon wieder? Etwa von den Wachen, die ebenso sicher waren, dass niemand in den Bunker eingedrungen ist?« »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, wie ihnen die Flucht gelungen sein kann: die Drucktanks! Sie müssen sich in ihnen verborgen haben. Und damit sitzen sie in der Falle.« »Ja, warum haben Sie die Drucktanks noch nicht öffnen lassen?« »Sie wurden gleich nach der Konferenz zu einem Transportschiff gebracht.« »Dann lassen Sie das Schiff durchsuchen.« »Es ist bereits nach Arkon Drei gestartet.« Der Imperator atmete schwer. »Sagen Sie nur noch, dass das Schiff auch schon dort gelandet ist – dann ist Ihr Körper um einen Kopf kürzer.« Der Gos‘Laktrote brachte trotz dieser Eröffnung ein Lächeln zustande. »Nein, Höchstedler. Ich habe über Funk erfahren, dass das Schiff soeben zur Landung ansetzt.« »Dann ordnen Sie an, dass das Schiff nicht landet, sondern in eine Kreisbahn einschwenkt. Die Fremden sind sofort zu töten.« Arcangelo vertiefte sein Lächeln. »Ersteres ist bereits geschehen.«
An Bord des Transportschiffs: 11. Prago der Hara 10.498 da Ark Ich öffnete den Drucktank, als die Impulstriebwerke die Bremsbeschleunigung beendeten und wir uns somit im Bereich von Arkon III befanden. Die zwanzig Maahkbehälter waren in einer Druckkammer untergebracht. Da alle an Bord glauben mussten, dass dieser Sektor unter Giftgasatmosphäre stand, brauchten wir nicht zu befürchten, hier auf Wachen zu treffen. Darauf mussten wir erst gefasst sein, wenn wir die Druckkammer verließen. »Bald sind wir auf Arkon Drei«, sagte ich zuversichtlich. »Von dort aus werden wir den Kampf gegen Orbanaschol aufnehmen, werden uns die Möglichkeiten des Kriegsplanes zunutze machen.« »Hast du die Idee, deinem jüngeren Ich helfen zu wollen, immer noch nicht aufgegeben?« »Wenn wir Orbanaschol schaden, helfen wir auch uns.« Ich ging zur Schleuse; das Innenschott stand offen. »Ich möchte zu gern wissen, ob draußen Wachen postiert sind.« »Sollte dem so sein, werden sie vor Überraschung wie gelähmt sein, sobald sich plötzlich das Außenschott öffnet.« Chapat wog seinen Kombistrahler in der Hand. »Und das wird uns Zeit genug geben, sie zu überwältigen.« Er schloss das Innenschott. Ein schwaches Licht glomm auf und erhellte die Schleusenkammer spärlich. Ich überblickte die Armaturen und drückte dann eine Taste. Die Außenschleuse glitt mit einem Seufzer auf. Kaum war der Spalt groß genug, sprang Chapat mit erhobener Waffe in den Korridor. Geduckt wirbelte er einmal um seine Achse, gab aber keinen Schuss ab. »Die Luft ist rein!« Ich trat auf den Korridor, blickte mich um. Niemand war zu
sehen. Ich schloss das Schott. »Wohin jetzt?«, wollte Chapat wissen. »Ich schlage vor, dass wir uns zuerst einmal in unserer näheren Umgebung umsehen und uns ein geeignetes Versteck suchen. Wir müssen uns schon jetzt über die Möglichkeiten informieren, die sich bieten, das Schiff nach der Landung unbemerkt zu verlassen.« »Sollten wir uns nicht trennen? Dann könnten wir die Erkundigungen schneller abschließen.« »Nein, wir bleiben zusammen«, entschied ich ohne weitere Erklärung. Wir wandten uns im Korridor nach rechts. Plötzlich ertönten Schritte. Wir sprangen fast gleichzeitig in eine Nische. Es dauerte nicht lange, bis die Schritte den Korridor erreichten. Jemand sagte: »Das hier ist der Lagerraum für die Giftgasbehälter. Ich habe den Wachkommandanten bestochen, damit er die Posten für einige Zeit abzieht. Wir sind also ungestört.« Chapat und ich sahen uns an, hatten diese Stimme sofort erkannt: Sie gehörte Obermakler Attofrest. Wir hörten das Geräusch eines sich öffnenden Schottes, Schritte entfernten sich. Das Schott schloss sich nicht wieder. Ich blickte auf den Korridor hinaus. Attofrest und seine beiden Begleiter – denn die verursachten Geräusche stammten mit Sicherheit von drei Personen – waren verschwunden. Zwanzig Meter entfernt erblickte ich ein Schott, das nur angelehnt war. »Was hat denn der Obermakler hier zu suchen?« »Ich hätte gar nicht geglaubt, dass er die Katastrophe von Kering-Thang überlebt hat. Sehen wir doch nach, was ihn hierher getrieben hat.« Ich war damit einverstanden. Wir schlichen zu dem Schott, ich spähte in die Druckkammer, hörte aus dem Hintergrund Geräusche, konnte jedoch nichts sehen, weil mir die
Atmosphäretanks die Sicht verstellten. Deshalb zog ich das Schott etwas weiter auf und zwängte mich durch den Spalt. Chapat folgte lautlos. Wir suchten uns vorsichtig den Weg, bis wir nahe genug waren, um Attofrest und dessen Begleiter beobachten zu können. »Das sind doch die Experimentalbehälter«, sagte Chapat. »Wie ist es dem Obermakler gelungen, sie auf dieses Schiff zu bringen?« Ich grinste. »Jetzt wissen wir, warum er hier ist. Es ist das Ende seiner Jagd. Er muss immer noch glauben, dass wir in den Behältern sind.« Ich hatte nicht mehr daran gedacht, hatte angenommen, dass Attofrest uns während der Schießerei in der Lagerhalle erkannt hatte. Doch jetzt wurde mir klar, dass dies schwer möglich war. Attofrest hatte uns kennengelernt, als wir noch Masken trugen. In der Lagerhalle von KeringThang hatten wir diese aber längst schon abgelegt. »Da, er schließt die Experimentalbehälter an die Druckkammer der Maahks an. Auf diese Weise wollte er uns also beseitigen.« »Er wird sich wundern, wenn er die Tanks öffnet und seine Leibwächter erblickt …« »… und feststellen muss, dass er gar keine WasserstoffMethan-Atmosphäre abzapfen konnte.« »Ich denke, das wird genug sein«, sagte Attofrest in diesem Moment. »Ich schlage vor, dass Sie jetzt die Tanks öffnen und zu Protokoll nehmen, dass ich die Jagdobjekte erlegt habe.« Seine Begleiter erkletterten die Experimentalbehälter und öffneten die Deckel. Ein Mann stieß einen spitzen Schrei aus, als er den Inhalt sah; der andere wich entsetzt zurück und wäre beinahe abgestürzt. »Ich … Was ist?«, fragte Attofrest amüsiert. »Haben Sie noch keinen Toten gesehen?« »Sehen Sie selbst, Obermakler«, sagte der eine, während der andere keinen Ton über die Lippen brachte. Attofrest schien nicht erbaut von dem Gedanken, einen der
Tanks zu erklettern, aber dann kam er der Aufforderung doch nach und warf einen Blick in den Tank … »Ich … das ist … ich …« Er würgte. In diesem Augenblick wurde das Schott aufgerissen. Chapat und ich konnten gerade noch hinter die Giftgasbehälter in Deckung springen. Aus dem Versteck sahen wir, wie eine Gruppe von Raumsoldaten in den Lagerraum stürmte. Attofrest und seine Begleiter sahen ihnen verblüfft entgegen. »Ich kann alles erklären …« Weiter kam Attofrest nicht. Ohne ein Wort der Erklärung hoben die Soldaten ihre Waffen und begannen zu feuern. Attofrest und seine Begleiter wurden von den Desintegratorstrahlfächern erfasst und von den Tanks geschleudert. Während sie in die Tiefe stürzten, waren sie schon längst tot, aber die Soldaten stellten das Feuer erst ein, als von den Männern nur mehr Feinstaubschwaden übrig waren. »Ich dachte, es handle sich nur um zwei«, sagte ein Soldat erstaunt. Da wussten wir, dass dieser Überfall uns gegolten hatte – jemand hatte unsere Spur gefunden. Und das bedeutete, dass Orbanaschol keinen Wert mehr darauf legte, uns lebend zu fangen. Ich schlich hinter den Giftgastanks zu dem Schott. Als mich nur noch vier Meter davon trennten, begann ich zu laufen. Ich erreichte den Korridor, ohne dass ich entdeckt worden wäre. Doch als Chapat neben mir erschien, rief jemand im Lagerraum: »Da sind noch welche!« Ich stieß das Schott zu und versperrte es. Chapat hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Wir hatten keine zwanzig Meter im Korridor zurückgelegt, als hinter uns eine andere Gruppe von Soldaten auftauchte. Und plötzlich versperrten uns auch auf der anderen Seite Soldaten den Weg. »Da hinein!« Chapat packte meinen Arm und sprang mit mir in einen Seitengang. Doch kaum hatten wir einen Schritt getan,
sahen wir, dass es sich um eine Sackgasse handelte. Nach zehn Metern war der Korridor zu Ende. Und es gab keinen zweiten Ausgang! »Wir werden unser Leben so teuer wie möglich verkaufen.« Chapat wollte wieder auf den Korridor hinausstürmen, doch da waren die Soldaten schon da. »Wirf die Waffe weg, Chapat!«, verlangte ich. »Wir haben keine Chance.« »Niemals! Sie werden uns rücksichtslos zerstrahlen. Du hast gesehen, was Sie mit Attofrest … Was geschieht mit uns?« Ich wusste, was Chapat meinte. Die Wände des Korridors, die Soldaten, die gerade ihre Waffen anlegten, Ziel nahmen – alles schien sich aufzulösen. Und ich erkannte die Wahrheit. »Der Traum ist aus«, konnte ich noch murmeln, dann wurde es schwarz, ich stürzte in ein bodenloses Nichts … Bald nach diesen Ereignissen wurde Orbanaschol III. von einem Sonderkurier eine Funkdepesche überreicht. Der Imperator überflog sie kurz, dann las er sie noch einmal. Dabei schüttelte er fassungslos den Kopf und murmelte: »Das ist unglaublich … Wenn ich nicht wüsste, dass der Kommandant des Schiffes einer der besten Offiziere ist … unbedingt zuverlässig. Da, Arcangelo!« Er überreichte die Depesche. Der Kristallmeister las die Nachricht nur ein einziges Mal. »Wie erklären Sie sich das?« Arcangelo zuckte nur hilflos mit den Schultern. »Das kann es doch nicht geben, dass sich zwei Personen aus Fleisch und Blut in nichts auflösen«, wetterte der Imperator. »In dem Bericht steht ausdrücklich, dass sich die beiden keiner technischen Hilfsmittel bedienten. Kein Transmitter, nichts! Es muss eine Erklärung für ihr Verschwinden geben.« »Ich weiß keine.« »Vielleicht waren es Parabegabte? Teleporter?«
»Dann hätten sie sich ihrer Fähigkeiten schon früher bedient.« »Nun, vielleicht handelt es sich um Massensuggestion …?« »Nein. Denn sie wurden mit Ortungsgeräten und Individualtastern angemessen. Und diese registrierten ebenfalls das urplötzliche Verschwinden der beiden.« »Dann …« Orbanaschol seufzte. Ihm erschien das alles so unwirklich wie ein Traum. Waren es überhaupt reale Ereignisse gewesen? Orbanaschol seufzte erneut. Er wollte sich keine Gedanken mehr über dieses Phänomen machen. Hauptsache, die beiden Fremden waren und blieben für immer verschwunden …
Interludium Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi. In: Neues Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, hier: Die Traummaschine und Atlans Sohn Chapat (A-KM-163-74, A-HGF-165-74, A-HKn-167-74 und HGE-173-75), SonthraxBonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ) … nahmen Anfang Januar 2844 die beiden von Lordadmiral Atlan eingesetzten stellvertretenden Leiter der USO, Ronald Tekener und Sinclair Marout Kennon, die Spur des seit über zwei Monaten Verschollenen auf, nachdem Kennon herausgefunden hatte, dass Atlan nach Chapat suchte. Sein letztes Lebenszeichen stammte von Kantanong, verbunden mit der »Magellan-Kodierung« und der Mitteilung, er reise nach Broelgir. Da es kein Problem war, Atlans Nachforschungen auf Kantanong nachzuvollziehen, erhielten auch Tekener und Kennon den Hinweis, dass Chapat an Bord der TRAUMPALAST gegangen war, deren nächster Landepunkt Atlans Reiseziel entsprach. Zwischenzeitlich hatte das Schiff weitere Welten abgeflogen und befand sich nun zu einem Gastspiel auf dem
terranischen Kolonialplaneten Tevafor. In der Maske der Prospektoren Hilgan Orthos und Fraam Jocelyn flogen Tekener und Kennon mit der NUGGET zum 8618 Lichtjahre von Quinto-Center entfernten Tevafor im System der smaragdgrünen Sonne Cyclos, einer von rund sieben Millionen terranischen Kolonisten bewohnten Welt mit der anderthalbfachen Masse der Erde, einer entsprechend höheren Schwerkraft und einem feuchtkalten Klima. Die Kolonisten hatten die hohe Schwerkraft und die schlechten klimatischen Bedingungen dieses Planeten in Kauf genommen, weil Tevafor reich an seltenen Mineralien war, die zudem im Tagebau gefördert werden konnten. Die Hauptstadt Benson‘s Ark lag unter einem riesigen, kuppelförmigen Panzertroplondach und war zusätzlich auf einem natürlichen Felsplateau errichtet worden, das sich ungefähr siebenhundert Meter über dem Meeresspiegel befand. Am Fuß des Plateaus breitete sich der größte Raumhafen Tevafors aus; auf ihm stand, neben zahlreichen Frachtschiffen, die TRAUMPALAST Alfa Zharadins. Als Tekener und Kennon beim Besuch des Schiffs unabsichtlich Alarm auslösten, verbargen sich die beiden USO-Spezialisten im Käfig des Zafguirs Talad-y-Borgh. Dieser hatte sich absichtlich von Zharadins Leuten einfangen lassen, weil er nach dem Verbleib von dreißig neugeborenen Zafguirs forschen wollte, die der Herr der TRAUMPALAST vor mehreren Jahren hatte entführen lassen. Ein Zafguir sah so aus, wie sich der durchschnittliche Mensch eine mordlüsterne Bestie vorstellte – groß wie ein Kaffernbüffel, mit dem Schädel, der Haut und dem Schwanz eines Raubsauriers, dolchlangen und ebenso scharfen Reißzähnen und großen krallenbewehrten Tatzen. Sie waren trotz dieses Aussehens keine Tiere, sondern verfügten über einen IQ, der sogar etwas höher als der durchschnittliche menschliche Intelligenzquotient war. Auf Tsakoree, der Heimat der Zafguirs, hatten die fernen Vorfahren die Fähigkeit der Energiereflexion erlangt, als die Welt noch ein wilder Planet war, auf dem täglich furchtbare Gewitterstürme tobten. Nur das überlebte, was sich entweder unter die Oberfläche verkroch oder
eine natürliche Schutzfunktion wie die Zafguirs erwarb. Damit gaben sie die idealen Wächter ab. Tekener und Kennon veranlassten, dass eine USORaumlandedivision unter General Hathira die TRAUMPALAST besetzte; das Schiff wurde beschlagnahmt. Zharadin hielt sich jedoch nicht mehr an Bord auf, sondern war Tage zuvor mit Vertrauten in einem Beiboot zu seinem Geheimstützpunkt im Thalaika-Tal von Meggion geflogen, einem Planeten der gelbweißen Sonne Occad, 11.399 Lichtjahre von Tevafor und 13.229 von Quinto-Center entfernt. Auch die Traummaschinen, an die Atlan und Chapat angeschlossen waren, hatte er mitgenommen. Die USO-Spezialisten flogen zusammen mit Talad-y-Borgh in einem schnellen Kreuzer von Tevafor nach Meggion. Occad verbarg sich unter einer leuchtenden Wolke interstellaren Gases, die die Form einer menschlichen Hand aufwies und einen Durchmesser von 87 Lichtjahren erreichte, sodass die Sonne erst aus vierzehn Lichtjahren Entfernung zu sehen war, während die starke Radiostrahlung des leuchtenden Staubes die Strahlung der Sonne überlagerte und verhinderte, dass sie aus größerer Entfernung geortet werden konnte. Meggion hatte zwei Monde, zwei leblose Steinkugeln von nur jeweils 800 Kilometern Durchmesser in einer Entfernung von nur 120.000 Kilometern, die nicht nur den Planeten, sondern auch einander in knapp 3200 Kilometern relativ schnell umkreisten. Die Space-Jet wurde in einer engen Schlucht versteckt, rund tausend Kilometer von Zharadins Stützpunkt entfernt, sodass sie nicht zufällig von einem vorbeifliegenden Gleiter entdeckt werden konnte. Dann brachen die Männer mit Fluggeräten auf. Es gelang ihnen, Atlan und Chapat zu befreien und Zharadin samt seinen Leuten zu überwältigen …
Bericht Ronald Tekener Meggion: 8. Januar 2844 »… brachte uns beide in seine Gewalt«, sagte Lordadmiral Atlan. »Ich war unvorsichtig, sonst wäre das nicht geschehen, was danach geschah. Zharadin ließ uns an Traummaschinen anschließen, die er nach seiner eigenen Aussage mithilfe des Ischtar-Memorys programmiert und verändert hatte. Wir fanden uns beide auf Arkon Eins wieder – und zwar in jener Zeit, in der Imperator Orbanaschol der Dritte regierte. Meiner Jugendzeit!« »Ein interessanter Traum«, warf Kennon ein. »Ich glaube nicht, dass es ein Traum im Sinne irrealer Erlebnisse war. Alles stimmte mit der Wirklichkeit jener Zeit überein – und wir waren offenkundig für diese längst vergangene Realität wirklich vorhanden. Orbanaschol ließ uns jagen. Ich bin überzeugt davon, dass, wäre es mir in diesem Traum gelungen, Orbanaschol zu töten, er in der Vergangenheit genau zu dem betreffenden Zeitpunkt tatsächlich zu leben aufgehört hätte.« An Kennons Mienenspiel merkte ich, dass mein Partner seine Zurückhaltung und Skepsis aufgegeben hatte. Er wirkte erregt. »Davon sind Sie überzeugt?« Atlan wiegte den Kopf. »Nun ja, ein eher theoretisches Beispiel. Neben dem Traummaschinenaspekt spielt ja noch der der Zeitreise hinein. Orbanaschols vorzeitiger Tod hätte die bekannte Zeitlinie geändert und uns vermutlich in ein Paralleluniversum abdriften lassen – und es uns somit unmöglich gemacht, wieder in diese Realität zurückzukehren. Ich bin davon überzeugt, obwohl wir nichts mitbringen konnten, was einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würde. Es muss an dem Ischtar-Memory gelegen
haben, dass uns durch den Traum eine körperliche Rückkehr in die Vergangenheit möglich war.« »Dann hätte es zu jener Zeit zweimal Atlan gegeben. Einmal Atlan, der zur Regierungszeit Orbanaschols lebte – und dann den Atlan, der sich auf Arkon befand.« »Es muss wohl so gewesen sein. Genauer gesagt: Real wirkende Projektionskörper wurden dort verstofflicht, während unsere Originalkörper natürlich weiterhin in den Illusionsmaschinen lagen. Sogar mein Zellaktivator wurde quasi … dupliziert. Sein Verlust hätte mich fast umgebracht.« Er wechselte einen Blick mit Chapat und seufzte. »Allerdings frage ich mich nun, weshalb unser Traum nicht unterbrochen wurde, als Zharadin das Ischtar-Memory ausbaute. Solange es direkt mit den Traummaschinen interagierte, lässt sich die Angelegenheit durch seinen Einfluss erklären. Aber dann …? Oder haben sich die Maschinen regelrecht aufgeladen, sodass sie nicht mehr auf die direkte Anwesenheit des IschtarMemorys angewiesen sind? Vielleicht eine Wechselwirkung auf paramechanischer Ebene mit der verwendeten SERTTechnik?« Die Übermittlerglocken hatten mich ebenfalls sofort an modifizierte SERT-Hauben erinnert. Die Simultane Emotiound Reflex-Transmission war ein Verfahren zur Steuerung von Raumschiffen, bei dem speziell trainierte Piloten, die sogenannten Emotionauten, ihre rein gedanklichen Steuerbefehle direkt in die Schiffssysteme eingaben. Dies geschah mithilfe eben der über dem Kopf des Emotionauten schwebenden SERT-Hauben als paramechanischem Interface, die sämtliche gedanklichen Befehlsimpulse in positronische Steuerbefehle umwandelten. Modifizierte SERT-Hauben dienten der einfachen Verbindung beispielsweise zur Aufzeichnung von Bewusstseinsimpulsen. Gedankenzeichner und die direkte Informationsübertragung von Gehirn oder
Bewusstsein auf Geräte hatte es bereits früher gegeben. Schon eine rein elektronische Abtastung von Hirnimpulsen war keine Besonderheit, während die paramechanische Technik der arkonidischen Simultan- und Fiktivprojektoren lange vor der Einführung der SERT-Technik als ausgereift betrachtet werden konnte. Vor diesem Hintergrund war es naheliegend, dass bei den Traum- oder Illusionsmaschinen Zharadins auf bewährte Technologie zurückgegriffen worden war. »Faszinierend«, entfuhr es Kennon. »Was geschähe, würde ich an eine der mit dem Ischtar-Memory programmierten und veränderten Traummaschinen angeschlossen?« »Das lassen Sie lieber bleiben. Es ist gefährlich! Außerdem wissen wir nicht, welche Verwicklungen daraus entstehen könnten. Aufgrund von Zeitschleifen oder der allgemeinen Trägheit der Zeit vielleicht weniger für uns als vielmehr für Sie als direkt Beteiligtem und Beobachter vor Ort. Wollen Sie sterben, Ken?« Sinclair Marout Kennon machte ein undurchdringliches Gesicht. »Sir, ich bitte darum, zu einem Traumeinsatz abkommandiert zu werden!« »Nein!«, erwiderte Atlan hart. Kennon warf mir einen Hilfe heischenden Blick zu. Plötzlich begriff ich, was mein Partner tatsächlich vorhatte – und ich wusste, dass es ihm viel bedeutete, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. »Ich unterstütze die Bitte meines Partners, Sir«, sagte ich. »Und wenn Sie sie nur deshalb erfüllen sollten, weil Sie ihm Ihr Leben verdanken, wäre das Grund genug.« Der Lordadmiral schlug mit der Faust auf den Kartentisch und erklärte eisig: »Versuchen Sie nicht, mich durch Sentimentalitäten zu einem unsinnigen Entschluss zu bringen.« Ich lächelte kalt zurück. »Kennons Bitte ist logisch
begründet. Sie müssten eigentlich daran interessiert sein, mehr über diese … Traumwelt zu erfahren. Wir sollten dem Schicksal dankbar sein, dass es uns das Ischtar-Memory und Zharadins Traummaschinen gleichzeitig zuspielte.« Atlans Gesicht verfinsterte sich. Der Arkonide dachte fast eine Minute lang nach, ehe er bedächtig sagte: »Ich bin einverstanden – vorausgesetzt, die betreffende Traummaschine wird nach spätestens zwei Stunden wieder ausgeschaltet. Zwei Stunden, keine Sekunde länger! Mein Aufenthalt hat im Traum 27 Pragos oder rund 32 Standardtage beansprucht – hier dagegen sind 69 Tage verstrichen, mehr als das Doppelte!« Kennon erhob sich. »Danke!« Er blickte mich an. »Hilfst du mir, Tek?« Ich stand ebenfalls auf. »Gehen wir, Ken.«
Sinclair Marout Kennon Der Krüppel stand auf der weiten Ebene aus Metallplastik und Stahl. Er kniff die Augen zusammen, denn das Licht der großen weißen Sonne spiegelte sich auf dem glatten Material und blendete ihn. Langsam drehte er sich um, legte eine Hand über die Augen und versuchte, die Gebäude am Horizont der Metallwüste genauer zu erkennen. Die Ausdehnung des Raumhafens verlor sich hinter der Horizontkrümmung. Die Schwerkraft dieser Welt war deutlich erhöht und lastete wie Bleigewichte auf dem Mann. Er bewegte sich unsicher und linkisch und sah aus, wie man sich einen Schwachsinnigen vorstellte – mit zartgliedrigem Körperbau, schwachen Muskeln, einem Riesenschädel, spitz zulaufendem Kinn, dünnem strohgelbem Haar und großen abstehenden Ohren.
Die vorquellenden wasserblauen Augen schauten allerdings kühl und abschätzend. Das änderte sich, als sich ein mit einem auffälligen Emblem gekennzeichneter Gleiter neben dem Krüppel herabsenkte und ein hochgewachsener Mann mit blassem Gesicht, rötlichen Augen und silbrig schimmerndem Haar den Kopf aus dem Seitenfenster reckte. Das Gesicht des Krüppels zeigte plötzlich Verlegenheit, die Augen blickten unsicher und ängstlich drein, während der Mund nach Luft schnappte. »Was machen Sie hier?«, herrschte der Mann im Gleiter den Krüppel an. »Der Kriegshafen Arp’Tudor ist Sperrgebiet!« »Verzeihung. Aber ich … wollte nach D-aar N’aang.« »D-aar N’aang liegt auf der anderen Seite von Arkon Drei. Ich möchte nur wissen, wie Sie hierher gekommen sind. Wie heißen Sie?« »Sinc Markenn«, antwortete der Krüppel devot, während er auf das Gleiteremblem starrte: drei blaue Kreise an den Eckpunkten eines gleichseitigen Dreiecks, insgesamt umgeben von einem Zackenkranz. Darunter der Satron-Schriftzug Addag’gos – wörtlich »Innere Ordnung« und im weiteren Sinne Polizei als Institution. »Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin, Zhdopan.« Plötzlich grinste der Mann, schaltete das Visifon seines Fahrzeugs ein und sagte: »Avrist an Überwachungspunkt Letikon. Ich habe hier auf einem leeren Landefeld von Arp’Tudor einen Schwachsinnigen aufgegriffen. Stellt euch vor, er redet mich mit ›Erhabener‹ an. Ich werde ihn verpacken und ins Sanatorium von Kemarest einliefern. Bestehen irgendwelche Bedenken?« Er lauschte eine Weile. »Verstanden. Bis später.« Er zog seinen Kombistrahler, richtete ihn auf den Krüppel und sagte: »Es muss sein, Sinc Markenn. Bald werden Sie in guten Händen sein.« »Ja, Erhabener«, erwiderte der Krüppel zaghaft – und kippte
stocksteif um, als ihn die Lähmungsenergie traf. Der Polizist stieg aus, hob den leichten Körper hoch und legte ihn auf die hintere Sitzbank des Gleiters. Dann setzte er sich wieder hinter die Kontrollen und startete.
Sinclair Marout Kennon dachte auf der Rückbank voller Groll, dass die Bewohner von Arkon III nicht gerade sanft mit schwachsinnigen Krüppeln umzugehen pflegten. Es war nicht schön, vollständig gelähmt zu sein und dennoch weiterhin zu denken, alles zu hören und alles zu sehen. Andererseits, überlegte er, hätte es auch schlimmer ausgehen können. Nur mein Aussehen und mein Benehmen haben mich davor bewahrt, in der nächsten Polizeistation einem peinlichen Verhör unterzogen zu werden. Kennon wusste, dass er alles eigentlich nur träumte. Er wusste auch, dass sein Gehirn in der Vollprothese auf Meggion war. Dennoch hatte er vorausgesehen und erhofft, dass ihm das Experiment mit der Traummaschine seinen alten Körper wiedergeben würde. Er entsann sich genau der Zeit, da er noch in diesem alten Körper gelebt hatte. Wie oft hatte er das verkrüppelte, monströse Gefängnis seines Intellekts damals verwünscht! Nicht nur, dass er niemals die Liebe einer Mutter kennengelernt hatte, denn er war als Baby ausgesetzt und staatlich erzogen worden, sondern es war ihm auch wegen seines abschreckend wirkenden Körpers niemals die echte Liebe einer Frau vergönnt gewesen. Und dann war der 3. August des Jahres 2406 gekommen, an dem er während eines Geheimeinsatzes gegen die CONDOS VASAC, die mächtigste Verbrecherorganisation der Galaxis, tödlich verwundet worden war. Er hatte es noch geschafft, mit seinem kleinen Raumschiff nach Tahun, dem berühmten Medo-Center der USO, zu fliegen. Doch sein fast völlig
verbrannter Körper war nicht mehr zu retten gewesen. Die Mediziner von Tahun hatten das noch aktive und lebensfähige Gehirn aus dem Schädel entfernt und auf Weisung Atlans, der mit dem Gehirn die Fähigkeiten des genialen Kosmokriminalisten retten wollte, in einen Robotkörper eingebaut. Kennon, der immer den athletischen Körper seines Partners Ronald Tekener bewundert hatte, wünschte sich einen ähnlichen Körper. Diesem Wunsch war entsprochen worden. Und zum ersten Mal in seinem Leben hatte Sinclair Marout Kennon einen Körper, der mit seiner äußeren Erscheinung die bewundernden Blicke der Frauen und Mädchen auf sich zog, denn der eigentliche Robotkörper war mit lebendem Biostoff verkleidet, sodass Kennon äußerlich nicht von einem richtigen Menschen zu unterscheiden war. Doch was nutzten die bewundernden Blicke des anderen Geschlechts, wenn er nicht fähig war, seine Chancen auszukosten? Von ihm selbst existierte nur noch das Gehirn – und seltsamerweise auch jene Regungen, die eigentlich mit den entsprechenden Drüsen seines verbrannten Körpers hätten verschwinden müssen. Er war ein Neutrum, konnte die Liebe, die er empfand, nicht in die Tat umsetzen, obwohl es Versuche gegeben hatte, den Roboter »entsprechend auszustatten«. Die Folge war eine psychische Instabilität gewesen, die zeitweise in einen regelrechten Roboterhass ausartete. Niemals hatte Kennon den neuen Körper Robotkörper genannt. Er hatte es auch nicht zugelassen, dass andere diesen Körper so bezeichneten. Stattdessen hatte er beschönigend Vollprothese gesagt. Und oft hatte er sich danach gesehnt, seinen alten Körper zurückzuerhalten. So hässlich er auch gewesen war, es war ein Körper aus Fleisch und Blut gewesen, mit allen Schwächen, aber auch mit allen Vorteilen eines solchen Körpers. Die Traummaschine Zharadins, vom Ischtar-Memory programmiert und verändert,
hatte ihm diesen alten Körper wiedergeschenkt – wenn auch nur für die Dauer eines zweistündigen Traums. Allerdings konnte er mit diesem Körper nichts anfangen, denn er war von einem Lähmstrahl total paralysiert worden und wurde in einem Gleiter ins nächste Sanatorium für Geisteskranke gebracht. In die Klapsmühle, dachte er verächtlich, obwohl er wusste, dass die Arkoniden schon zur Zeit Orbanaschols III. keine Irrenhäuser mehr kannten, sondern nur Heilanstalten, in denen geistig Kranke echte Heilungs- oder Besserungschancen erhielten. Sein Atem ging schwer – die 1,3 Gravos von Gor’Ranton lasteten auf dem schwächlichen Körper. Er spürte, dass der Gleiter landete, dann kam der Polizist und hob ihn heraus. Kennon erhaschte einen kurzen Blick auf eine Pfortenkuppel und zwei Medoroboter, bevor er auf eine Antigravtrage gelegt wurde und nur mehr den blauweißen Himmel sehen konnte. Natürlich, auf Arkon III, dem Kriegsplaneten des Großen Imperiums, gab es keine Sanatorien auf der Oberfläche. Diese war größtenteils den startenden und landenden Raumschiffen vorbehalten, denn im Kriegsfall mussten mehrere 100.000 Raumgiganten gleichzeitig Platz finden, um überholt zu werden sowie Nachschub und Mannschaftsersatz aufzunehmen. Deshalb befanden sich die meisten Fabrikationsanlagen, Werften und anderen Einrichtungen unter der Oberfläche. Das traf auch auf die Sanatorien zu, in denen wahrscheinlich größtenteils Raumfahrer untergebracht waren, die durch jahrelange Einsamkeit im Weltraum psychisch angeknackst waren oder bei Einsätzen im Methankrieg posttraumatische Stresssymptome davongetragen hatten. Die Medoroboter brachten Kennon in einen Raum, in dem er entkleidet und von mehreren Ärzten untersucht wurde – im Großen Imperium traditionell Bauchaufschneider genannt, Yoner-Madrul, eine in
den Archaischen Perioden entstandene arkonidische Umschreibung von Ärzten und Medikern. Er hörte die Düse einer Injektionspistole zischen und spürte, wie die Muskelstarre seines Körpers wich. Er setzte sich auf und blickte in die Gesichter von drei Männern. Zwei waren Arkoniden, der dritte ein Ara, ein Angehöriger der Galaktischen Mediziner. Es kam selten vor, dass ein Ara in einer Klinik praktizierte, die nicht seinem Volk gehörte. Die wenigen Ausnahmen waren meist Spezialisten oder Studenten, die einen bestimmten Patientenkreis in ihrer natürlichen Umgebung beobachten wollten. Kennon lächelte blöd, ließ einen Speichelfaden aus seinem linken Mundwinkel rinnen und krähte: »Es lebe Imperator Orbanaschol!« Die beiden Arkoniden lächelten. Nur das Gesicht des Aras blieb ernst. »Der Mann kommt in das Labyrinth!«
Kennon wusste nicht, was mit dem Labyrinth gemeint war – als er es merkte, war es zu spät. Zwei Medoroboter setzten ihn in einem stockdunklen Raum ab und ließen ihn allein. Eine Weile stand der verwachsene Mann still, während er die Erkenntnis verarbeitete, dass der Ara ihn wahrscheinlich als Simulanten durchschaut hatte und seine Diagnose in einem Psychosimulationsraum bestätigt sehen wollte. Kennon beschloss, das Spiel eine Weile mitzuspielen, aber den ersten günstigen Moment zu nutzen, um aus dem Sanatorium zu fliehen. Hier konnte er etwas über die Verhältnisse im Großen Imperium im Allgemeinen und auf Arkon III im Besonderen erfahren. Als der Boden unter seinen Füßen schwankte, wimmerte er und setzte sich auf den Boden. Er hielt die Hände vor sein Gesicht, schaute aber zwischen den leicht gespreizten Fingern
hindurch. In der Finsternis tauchte ein Gebilde auf, das wie eine im Sonnenlicht schillernde Seifenblase aussah. Es schwebte auf Kennon zu und hielt dicht vor seinem Gesicht an. Plötzlich kippte der Boden weg, drehte sich um hundertachtzig Grad. Kennon hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen, breitete die Arme aus und bewegte sie wie Flügel auf und ab. Doch in Wirklichkeit fiel er nicht, sondern blieb auf dem Boden. Kennon vermutete, dass der Boden einen Generator zur Schwerkraftmanipulation enthielt. Unter ihm bildeten sich filigranhafte leuchtende Muster, formten sich zu einer Bogenbrücke. Das eine Ende der Brücke führte ins Nichts – jedenfalls scheinbar –, das andere in einen zauberhaften Garten mit blühenden Blumen und Sträuchern und einem plätschernden Springbrunnen. Wie verhält sich ein Geisteskranker bei diesem Anblick?, überlegte Kennon fieberhaft. Wird er versuchen, in den Garten zu gelangen? Er vermutete es. Daher beschloss er, so zu tun, als wolle er den Garten erreichen, stieß sich kräftig vom Boden ab und segelte mit ausgebreiteten Armen auf die Brücke zu. Als er sie erreichte, blieb er einen Augenblick stehen, dann stürmte er zu dem Ende, das scheinbar ins Nichts führte. Ein Ausruf der Überraschung erklang und spornte den Krüppel noch mehr an. Als Kennon das Ende der Brücke erreichte, wurde es vor ihm hell. Er entdeckte den Ara, der ihn mit ausgebreiteten Armen aufzuhalten versuchte. Obwohl Kennons schwächlicher Körper über nicht halb so viel Kraft verfügte wie der des Aras, ließ sich Kennon auf einen Kampf ein. Er konnte das tun, weil er alle Dagorgriffe beherrschte – und ein Dagorkämpfer brauchte nur wenig Kraft, um einen Ungeübten zu besiegen. Kennons Rechte schnellte vor, der Ara sank lautlos zusammen, würde mindestens eine halbe Stunde bewusstlos sein. Damit hatte der Mediziner nicht gerechnet, deshalb traf Kennon auf keinen Widerstand, als er keuchend
durch einen Gang eilte und sich in den nächsten Antigravlift stürzte. Für eine Weile verschwand die Last der um dreißig Prozent höheren Gravitation; eine Wohltat. Er schwebte bis zur Sohle des Schachtes, stieg mit zitternden Knien aus und suchte nach einem Ausrüstungsraum. Ohne jemanden zu treffen, fand er ihn schließlich. Kennon streifte sich eine viel zu lange und zu weite grüne Kombination über, nahm eine Schachtel mit chirurgischen Instrumenten an sich und verließ den Raum wieder. Diesmal fuhr er mit einem Transportband bis zur Gleitergarage des Sanatoriums. Mithilfe einiger Instrumente und seines Geschicks im Umgang mit provisorischer Ausrüstung gelang es, die Alarmanlage auszuschalten und das Impulsschloss eines Gleiters zu überbrücken. Danach war alles Weitere ein Kinderspiel. Mit der im Gleiter befindlichen Fernsteuerung aktivierte er die Öffnungsautomatik der Garage, steuerte den Gleiter hinaus und beschleunigte auf der subplanetarischen Röhrenstraße, die vom Sanatorium in die nächste – ebenfalls subplanetarische – Stadt führte. Sinclair Marout Kennon lächelte triumphierend. Seine Erfahrungen und sein Können hatten ihn befähigt, aus der Isolation eines Sanatoriums zu entkommen – und er hatte wieder seinen alten Körper. Beinahe wäre er in Euphorie verfallen, zügelte seine Emotionen gerade noch rechtzeitig, um keinen Fehler zu begehen. Als er die Stadt erreichte, schaltete er die Signalpfeifen des Gleiters ein. Daraufhin wurde ihm die Stadtschleuse anstandslos geöffnet. Allerdings würde der Kontrollroboter die Gleiterkennung speichern und entsprechend reagieren, sobald der Ara wieder zu sich gekommen war und die Fahndung nach dem »Geisteskranken« ausgelöst hatte. Kennon wusste, dass ihn sein verkrüppelter Körper leicht verraten würde. Er musste sich also einige Zeit verborgen
halten, und er wusste auch schon, wo. Vergnügt pfiff er vor sich hin – und schrie erschrocken auf, als die Umgebung plötzlich verblasste …
Bericht Ronald Tekener Meggion: 8. Januar 2844 Als die zwei Stunden verstrichen waren, die Lordadmiral Atlan genehmigt hatte, schaltete ich die Traummaschine ab. Automatisch hob sich die Übertragungshaube. Das Biomolplastgesicht Kennons kam zum Vorschein. Ich lächelte und fragte: »Wie war der Traum, du Schlafmütze?« Aber noch während ich sprach, wurde mir klar, dass meine scherzhafte Bemerkung nicht die erwünschte Resonanz auslösen würde. Kennons Gesicht verzerrte sich zuerst zu einer weinerlichen Grimasse, dann zu einer der Wut. »Einschalten!«, stieß er mit rauer Stimme hervor. »Wieder einschalten, sage ich! Sofort!« »Das kommt überhaupt nicht infrage«, sagte Atlan vom Schott her. »Stehen Sie auf, Kennon.« Sinclair Marout Kennon stand langsam auf und ging ebenso langsam auf den Arkoniden zu. Dicht vor ihm blieb er stehen. »Sir, es gibt so etwas wie das Recht auf Freiheit und menschliche Würde«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich hatte in meinem Traum wieder meinen echten Körper.« Seine Stimme wurde hoch und überschlug sich fast. »Und ich will zurück, will wieder in meinem Körper leben! Niemand wird mich daran hindern, auch Sie nicht!« Mit einer blitzschnellen Bewegung zog er den Paralysator aus Atlans Gürtelhalfter, trat drei Schritte zurück und richtete die Waffe drohend auf den Lordadmiral. »Befehlen Sie
Tekener, die Traummaschine wieder einzuschalten, nachdem ich in sie zurückgekehrt bin!« »Beruhigen Sie sich«, sagte Atlan. »Wenn Sie es nicht befehlen, paralysiere ich Sie und schließe Sie an die Traummaschine an, Sir.« Ich schüttelte den Kopf. »Du kannst uns beide paralysieren, Ken. Ich werde trotzdem die Traummaschine nicht aktivieren – und du weißt genau, dass ich mich nicht einschüchtern lasse.« »Aber ich muss zurück«, sagte Kennon, mehr zu sich selbst als zu uns. »Und wenn ich euch alle umbringen muss. Dann kann ich in aller Ruhe eine Automatikschaltung in die Traummaschine einbauen und mich selbst dorthin schicken, wo ich meinen richtigen Körper habe – und wo ich nicht in diesem Gefängnis aus Stahl, Plastik und Biomasse eingesperrt bin.« »Willst du zum Verbrecher werden, Ken?«, fragte ich, während ich überlegte, wie ich den Halbroboter unschädlich machen konnte. Kennon stand zweifellos unter Schockeinwirkung, hervorgerufen durch das Traumerlebnis, wieder im eigenen Körper zu leben. Ebenso zweifellos war er aufgrund der enormen Fähigkeiten seines Robotkörpers in der Lage, uns und die Besatzung des Schnellen Kreuzers zu überwältigen oder gar zu töten. Natürlich konnte auch sein Robotkörper kampfunfähig gemacht werden, aber nicht von zwei Männern. In unserer Lage konnte ich nur an seine Vernunft appellieren. »Was hast du erlebt?« Er starrte mich an, atmete schwer. Die Aggregate seines Robotkörpers reagierten auf jeden Hirnimpuls, also auch auf emotionale Impulse. Ich ließ mir meine Erleichterung nicht anmerken, als mein Partner die Waffe senkte und tonlos sagte: »Ich befand mich auf Arkon Drei – etwa in der gleichen Zeit, in der auch Atlan und Chapat im Traum dort waren. Ich
wurde aufgegriffen und wegen meines Aussehens und Benehmens in ein Sanatorium für Geisteskranke eingeliefert.« Er grinste schief. »Aber sogar der Ara-Mediziner, der mich als Simulanten einstufte, unterschätzte die Fähigkeiten meines Gehirns. Ich überlistete ihn, nahm einen Gleiter und floh in die nächste subplanetarische Stadt.« »Was wollten Sie dort?«, fragte Atlan, der meine Taktik aufgriff. »Ich wollte den Gleiter abstellen und mich dann einige Zeit im Kanalisationsnetz verbergen, bis die Suche nach mir eingestellt worden war. Leider wurde ich zurückgeholt, bevor ich meinen Vorsatz ausführen konnte.« Mit einem verlegenen Lächeln gab er den Paralysator zurück; Atlan schob ihn kommentarlos ins Gürtelhalfter. »Es tut mir leid, dass ich die Nerven verloren habe.« »Schon gut. Ich verstehe Ihre Gefühle. Sprechen wir nicht mehr davon, Kennon.« »Aber wir müssen davon sprechen, Sir. Ich habe meine Ansicht nicht geändert. Ich will in die Traummaschine und damit in die Vergangenheit zurück. Lieber will ich mich den Gefahren auf Arkon Drei aussetzen als weiterhin in diesem stählernen Gefängnis bleiben.« »In deinem ›stählernen Gefängnis‹, wie du deine Vollprothese nennst, bist du extrem langlebig, Ken«, wandte ich ein. »In deinem natürlichen Körper dagegen lebst du höchstens noch sechzig Jahre, denn er war schwächlich und anfällig.« »Viel wahrscheinlicher ist, dass Sie nach viel kürzerer Zeit den Gefahren erliegen, die auf den Arkonwelten auf Sie zukommen«, sagte Lordadmiral Atlan. »Das ist mir alles gleichgültig!« Kennon zuckte mit den Schultern. »Danke, dass Sie, Lordadmiral, sich Sorgen um mich machen. Und auch dir danke ich, Tek. Aber niemand
kann mich von meinem Ziel abhalten, wieder in meinem eigenen Körper zu leben. Könnt ihr euch vorstellen, was für ein Gefühl das war – trotz der größeren Schwerkraft auf dem Kriegsplaneten?« Ich nickte. Das konnte ich meinem Freund gut nachfühlen. Dennoch wurde ich den Verdacht nicht los, dass er nicht allein deshalb in die Traumwelt zurückkehren wollte, weil er sich nach seinem Körper sehnte. Ich kannte ihn viel zu gut, als dass ich das geglaubt hätte. Nein, Kennon verfolgte einen ganz bestimmten Plan. Das Gehirn in seinem Robotkörper wäre nicht mehr Kennons Gehirn gewesen, hätte es nicht längst Pläne geschmiedet. Ich lächelte den Freund vielsagend an, er lächelte zurück. Das genügte mir als Antwort. Sinclair Marout Kennon hatte tatsächlich ganz bestimmte Pläne, was seine Rückkehr in die ferne Vergangenheit anging – und ich ahnte bereits, wie diese Pläne aussahen. »Was meinen Sie, Ron?«, fragte Atlan. »Wir können ihm den Wunsch, wieder in seinem natürlichen Körper zu leben, nicht abschlagen, Sir. Auch sollten Sie seine großen Verdienste für die USO und die gesamte Menschheit berücksichtigen.« Der Arkonide blickte mich prüfend an, dann nickte er bedächtig. »Ja, das muss ich wohl«, sagte er gedehnt. Plötzlich lächelte auch er. Da wurde mir klar, dass auch Atlan Kennons Absichten durchschaut hatte. Der Arkonide musste wissen, dass unter Umständen dadurch Verwicklungen auftreten konnten, die an den Grundfesten zahlreicher geschichtlicher Tatsachen rüttelten. Dennoch sagte er: »Genehmigt, Kennon. Sie werden uns allerdings gestatten, die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen – einschließlich einer genauen Untersuchung der veränderten Traummaschinen und der mit ihnen verbundenen Phänomene. Wir müssen sicherstellen, dass das von Ihnen genutzte Gerät auch ohne das Ischtar-
Memory einwandfrei funktioniert. Wir werden Mediziner und Wissenschaftler zur Überwachung einsetzen. Und wir werden – sofern es gelingt – alle Möglichkeiten nutzen, um Ihre Traumerlebnisse auch für uns sichtbar zu machen; sei es per Gedankenzeichner, modifizierte SERT-Haube oder wie auch immer. Wenn es sein muss, fordere ich Professor Waringer persönlich an! Hinzu kommt, dass Sie Ihre Kenntnisse auffrischen sollten. Das alles heißt für Sie: Ihr Vorhaben beginnt in frühestens vierzig Tagen!« »Vierzig Tagen?«, sagte Kennon enttäuscht. Doch dann seufzte er. »Einverstanden, Sir – und vielen Dank.«
Meggion: 20. Februar 2844 Der Zafguir begleitete mich in den größten Raum der Station, in den eine der Traummaschinen gebracht worden war. Lordadmiral Atlan und Sinclair Marout Kennon waren bereits anwesend, außerdem einige Wissenschaftler, die der Arkonide über Hyperkom von einem der Wissenschaftsplaneten der USO angefordert hatte. Kennon wirkte sehr entschlossen und in gewissem Sinne freudig erregt. »Ich hoffe, du bist dir über die Tragweite deines Schrittes völlig im Klaren, Ken«, sagte ich. Er nickte. »Das bin ich, Tek, alter Junge. Ich hatte genug Zeit, um nachzudenken und mich vorzubereiten. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Es war faszinierend, mit einer so schillernden Persönlichkeit wie dir zusammenzuarbeiten. Ich werde dich vermissen.« Ich schluckte. »Ich werde dich ebenfalls vermissen, auch wenn du mir oft schlaflose Nächte bereitet hast und ich manchmal Blut geschwitzt habe wegen deiner Verrücktheiten. Leb wohl, alter Knabe, oder, wie’s auf Satron heißt: Famal
Gosner – und bring dort, wohin du gehst, nicht alles durcheinander. Denk an die Verantwortung gegenüber der Jetztzeit!« Er grinste. »Ich werde daran denken.« Er wandte sich an den Lordadmiral. »Sir, Sie werden bald von mir hören. Leider werde ich Sie dann so, wie Sie jetzt sind, nicht wiedersehen. Ich danke Ihnen für alles!« »Ich danke Ihnen auch, Kennon«, erwiderte der Arkonide ungewöhnlich ernst. »Sie haben unschätzbar viel für die Menschheit und die anderen galaktischen Völker getan und Ihr schweres Schicksal besser verkraftet, als die Psychologen vor langer Zeit auf Tahun zu hoffen wagten. Auf Wiedersehen.« Kennon lächelte gerührt. »Auf Wiedersehen, Sir.« Er wandte sich an den Zafguir. »Leb wohl, Talad-y-Borgh«, sagte er herzlich. »Ich wünsche dir und deinem Volk eine glückliche Zukunft.« »Leb wohl, Sinclair Marout Kennon«, erwiderte Talad-yBorgh ernst. Ken winkte uns noch einmal zu, dann legte er sich auf das Konturbett der Traummaschine. Die Wissenschaftler schlossen ihn an das separate Lebenserhaltungssystem an, das einspringen musste, sollte die Energieversorgung durch den Robotkörper versagen. Ich salutierte, als sich die Übermittlerglocke – inzwischen mit einer modifizierten SERTHaube kombiniert – über seinen Kopf senkte. Es war der Abschied von einem Freund, mit dem ich über viele Jahrhunderte Freude und Leid geteilt hatte und der mir ans Herz gewachsen war. Ein Stich fuhr mir durch die Brust; der Zellaktivator auf meiner Brust pulsierte heftiger und sandte heiße Impulse durch meinen Körper. Würde es ein Abschied für immer sein? Wahrscheinlich, denn Kennon hatte erreicht, dass Atlans Anordnung lautete,
den USO-Spezialisten ständig zu überwachen, damit er nicht durch eine Panne an der Traummaschine oder am Lebenserhaltungssystem umkam. Die Traummaschine aber sollte ausdrücklich nicht ausgeschaltet werden. Jedenfalls nicht, solange das Gehirn in dem Robotkörper noch lebte. Und es würde leben, bis Kennon in seinem Traum starb – eines gewaltsamen oder eines natürlichen Todes. Sofern die SERTÜbertragung wie geplant funktionierte, würden wir sogar an seinen Erlebnissen teilhaben können. Ich blickte zu Atlan hinüber. Der Arkonide nickte mir lächelnd zu. Alles war offen in dem gefährlichen Spiel, auf das sich mein Partner eingelassen hatte. »Viel Glück, mein Freund«, flüsterte ich.
10. Über ihn gab es in Quinto-Center, dem Hauptquartier der USO, eine vertrauliche Akte, zu der im Jahr 2844 nach Christus nur noch ein Mann Zugang hatte: Lordadmiral Atlan. Das Dokument war mehr als 450 Jahre alt und beschrieb eine Persönlichkeit, die längst nicht mehr zu diesen Daten passen wollte. Fachgebiet Kosmokriminalistik. Spezialist I. Klasse, unbeschränkte Vollmachten. Beschreibung der Person: Größe: 1,52 Meter, physisch schwach wie ein zehnjähriges Kind. Verwachsen. Vorgewölbte Trommelbrust, Riesenschädel mit Kindergesicht, wasserblaue, vorquellende Augen, gelichtetes, strohgelbes Haar. Abstehende Ohren, zu groß selbst für einen überentwickelten Schädel. Nach vorn gewölbte Stirn, Zucken linkes Augenlid. Spitzes Kinn,
abstoßender Gesamteindruck. Fußgröße im Verhältnis zum Körper anomal mit Nummer 46. Ungeschickter Gang. Füße schleifen nach. Atembeschwerden bei geringsten Belastungen. Qualifikation als Spezialist nur deshalb, weil geniales Gehirn mit überragender Kombinationsfähigkeit. Psychogramm: tief greifende Neurose. Nach Beseitigung durch Wandeldon-Methode aufgehoben, dann wiederkehrend. Ständige Selbstkritik, Verlangen nach Anerkennung und Zuneigung. Klares Erkennen der körperlichen Missstimmigkeiten, daher unüberbrückbare Minderwertigkeitskomplexe. Form der Äußerung besteht in teils unbegründetem Aufbegehren gegenüber verständnisvollen Menschen, teils in scheuer Zurückhaltung und Selbstdemütigung vor uneinsichtigen Elementen. Niemals echte Zuneigung erfahren. Als Säugling ausgesetzt, Erziehung im Dominikanerstift von Newland City, Grönland. Psychobehandlung durch wissenschaftlich gebildete Geistliche. Erfolg gut bis sehr gut; Rückfall in Selbstdemütigung nach Eintritt in USO-Akademie. Studium Anthropologie, Sonderfach galaktische Altvölker. Spezialistenausbildung unter Umgehung der üblichen Trainingsmethoden auf rein geistiger Ebene. Sonderbemerkung: Zu allen vorhandenen Komplexen kommt noch ein Problem geschlechtlicher Natur. Es wird vermutet, dass eine nicht feststellbare Mutation vorliegt. Unbekannte Hormondrüsen wurden innerhalb des Gehirns entdeckt, jedoch nicht ausreichend identifiziert. Das war das wissenschaftlich niedergelegte Stichwortpsychogramm. Es las sich nicht gut. Dieser hervorragende Spezialist, geboren am 5. Juli 2369 nach Christus, hatte im Jahr 2396 den Kampf gegen das galaktisch organisierte Verbrechen von Lepso aufgenommen. Niemand hätte ihm die dazu erforderliche Energie und körperliche Stärke zugetraut.
Aber er war niemals krank gewesen. Er hatte niemals versagt. Seinem außergewöhnlichen Gehirn waren Einsatzpläne von einmaliger Genialität entsprungen. In der Galaxis gab es nur einen Menschen, dem der Mann unumschränkte Freundschaft, Glauben und Sympathie entgegenbrachte. Es war Ronald Tekener. Sie waren Psychopartner, die von den Fachwissenschaftlern der USO nach jahrelangem Suchen zusammengeführt worden waren. Am 3. August 2406 wurde der Körper des Mannes bei der Flucht von Lepso in einem diskusförmigen Raumschiff vom Typ Space-Jet weitgehend vernichtet. Aber er überlebte, kämpfte mit den Kräften seines besonderen Gehirns gegen den Wahnsinn an, der ihn infolge der Qualen überwältigen wollte. Er hielt durch. Am 4. August 2406, 16.42 Uhr Terrania-Standardzeit, wurde auf Tahun ein Funkspruch aufgefangen. Der verbrannte Körper wurde noch am gleichen Tag mit allen Ehren bestattet. Das, was von dem Mann erhalten geblieben war, schwamm in einem kugelförmigen, durchsichtigen Kunststoffbehälter vom doppelten Durchmesser eines menschlichen Schädels. Die BioplastFüllung stand unter einem geringen Außendruck. Das Gehirn war in seiner Gesamtheit entnommen und zusätzlich zur noch vorhandenen Hirnhaut mit einer transparenten und druckfesten Zellfolie umhüllt worden. Kleinhirn, Stammhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn mit einem geretteten Teil des verlängerten Marks und sogar die wichtige Zirbel- und Hirnanhangdrüse fanden in den beiden Schutzhäuten ebenfalls ihren Platz. Allein die Blut führenden Schlagadern und zahllosen Nervenenden durchbrachen die unerlässlich wichtigen Häute. Die Perforationsgebiete wurden von synthetischen Gewebebuchsen abgedichtet. Sie hatten gleichzeitig die Aufgabe von organischen Reizweichen, in denen die erste Trennung ausstrahlender Gehirnimpulse vorgenommen wurde. Von den Spezialisten des Medo-Centers der USO wurde dieses Gehirn in einen perfekten Robotkörper verpflanzt – der Mann zum ersten Träger einer Vollprothese. »Ken – das ist kaum zu glauben. Du siehst großartig aus. Bist du
in Ordnung?«, hatte Ronald Tekener seinen Partner bei der ersten Begegnung gefragt. »So gut wie niemals zuvor. Junge, ich könnte vor Freude schreien. Dieser Doktor Tycho Braynzer ist ein Hexenmeister. Ich beherrsche die Vollprothese vollendeter als meinen früheren Körper. Als ich hörte, dass du zurückgekommen bist, konnte mich nichts mehr halten. Tek – ich nehme den stärksten Ertruser auf den Arm. Ich erreiche eine Sprungweite von 28,6 Metern unter einem Gravo und laufe unbegrenzt hundertfünf Kilometer schnell in der Stunde. Mein Körper besteht aus nahezu unzerstörbarem Super-AtronitalCompositum, und ich selbst bin in einer Stahlhülle verankert, die die fünffache Dicke der Körperbleche erreicht. Meine Körperverkleidung besteht aus zellstabilisiertem Biomolplast mit einem künstlichen Nervensystem, das jedoch zur Vermeidung von Schmerzen aller Art über eine Sensibilitätsschaltung verfügt. Für mich selbst brauche ich lediglich eine winzige Kreislaufpumpe mit angeschlossenem Blutplasmareiniger. Alles andere besorgt eine Mikro-Kraftstation. Ich habe dir noch tausend Details zu sagen, aber das hat Zeit.« Der Name des Mannes: Sinclair Marout Kennon. Aber auch Namen sind vergänglich …
Arkon III: 10. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Unter den stampfenden Schritten des Kolosses spritzte der feuchte Dreck zu den Seiten weg. Die rötlich funkelnden Linsen wirkten bedrohlich wie die schimmernden Abstrahlfelder abschussbereiter Impulsstrahler. Unaufhaltsam wie eine einmal in Gang gebrachte Lawine marschierte der Automat auf den kleinen Mann zu, der mit zitternden Gliedern am Rand eines Übungsfeldes für Raumfahrer stand. Aus vorquellenden Augen blickte er dem Roboter entgegen, ohne sich von der Stelle rühren zu können. Er streckte die dürren Arme mit den kindlichen Händen nach vorn, als könne
er mit diesen schwachen Gliedmaßen den metallenen Riesen abwehren, der zwanzig Männer von seinem Gewicht mit einer einzigen Hand hätte halten können. Als sich die Maschine bis auf fünf Schritte genähert hatte, drehte sich der Mann schwerfällig um und begann zu laufen. Keuchend setzte er seine viel zu großen Füße voreinander, ohne dabei auch nur die Hälfte des Schritttempos erreichen zu können, das der Roboter vorlegte. Er drehte den Kopf, um nach seinem Verfolger zu sehen. Dabei stolperte er über seine eigenen Füße und stürzte der Länge nach in eine Pfütze, die so tief war, dass er fast darin verschwand. Heftig nach Atem ringend und triefend vor Nässe kroch er vor. Der Boden zitterte unter dem Gewicht des Roboters. Wimmernd wälzte sich der Verwachsene zur Seite und verfolgte fassungslos, dass der vermeintliche Verfolger an ihm vorbeieilte, ohne ihn zu beachten. Das schallende Gelächter mehrerer Männer ließ ihn herumfahren, während er die Füße aus dem Wasser zog. Vor einigen geparkten Kampfgleitern standen fünf Orbtonen. Sie trugen die Uniformen des Hofes und waren damit klar als Männer zu identifizieren, die es gewohnt waren, in der unmittelbaren Nähe Seiner Erhabenheit Orbanaschols III. zu leben. Sie stemmten die Hände auf die Oberschenkel und krümmten sich vor Lachen. Einer ging zu dem Verkrüppelten und stieß ihn mit dem Fuß an, so dass dieser wieder in die Pfütze fiel. Der Getretene strampelte mit den Beinen und streckte hilfesuchend die Arme aus, schlug um sich. Dennoch konnte er nicht vermeiden, dass ihm etwas Wasser in die Atemwege drang. Hustend tauchte er aus dem Wasser auf, tastete blind um sich und geriet dabei an das Bein des Offiziers. »Gnade, Erhabener, Gnade«, flüsterte er winselnd. »Tötet mich nicht.«
»Gib ihm noch einen Tritt, Ceron«, brüllte einer der Männer. »Ich habe noch nie so gelacht wie über diesen Zwerg. Wirf ihn ins Wasser. Er soll schwimmen.« »Gnade, Erhabener, Gnade«, wiederholte der Verwachsene, kauerte sich auf die Knie und streckte dem Arkoniden die Hände entgegen. Die anderen Orbtonen kamen heran und umringten die beiden. »He, du, wie heißt du?« »Ich? Wie ich heiße?« »Ja – du, Zayna. « Zayna. Diese abwertende arkonidische Bezeichnung für Behinderte und Krüppel war von Zay – »Patient« bei den Arkoniden oder »Klient« bei den Aras – und Essoya abgeleitet, dem nach der grünen Blätterfrucht benannten und durchaus auch als Schimpfwort verwendeten Umschreibung nichtadliger Arkoniden des einfachen Volkes. »Mein Name ist … Axton. Lebo Axton.« »Du bist ein Gigant, wie? Sag, dass du ein Taion bist.« »Ich … bin ein Taion«, erwiderte der Gequälte. Die Arkoniden brachen erneut in schallendes Gelächter aus, das erst abbrach, als ein weiterer Orbton zu ihnen stieß. Mit steinernem Gesicht sah er auf den Krüppel hinab. »Lasst ihn in Ruhe«, befahl er mit leiser Stimme, wobei er kaum die Lippen bewegte. »Dieser Mann ist von der Natur genug bestraft worden. Niemand soll sich über Wesen wie ihn lustig machen.« Das strohgelbe Haar war von der Brühe verschmutzt; es hing ihm strähnig über die viel zu großen Ohren. »Warum nicht? Er ist ein Gigant; hat er selbst gesagt.« »Schweigen Sie, Mondträger Mosselcrin.« Der Orbton bedeutete dem Verwachsenen mit einer energischen Handbewegung, dass er verschwinden solle. Dieser erhob sich mühsam, ging mit schleppenden Schritten davon und wusste,
dass ihm die Arkoniden nachsahen. Als er einen Metallschuppen erreicht hatte, blieb er stehen und blickte zurück. Die Offiziere diskutierten miteinander und beachteten ihn nicht mehr. Träumte er? War dies die Wirklichkeit? Bildete er sich alles nur ein, oder suggerierte ihm die rätselhafte Traummaschine, dass dies die Realität war? Arkoniden, die keineswegs verweichlicht und degeneriert waren, sondern auf dem Höhepunkt ihrer körperlichen – und wahrscheinlich auch geistigen – Entwicklung standen? »Einen guten Hofnarren würdest du abgeben«, erklang eine ironische Stimme aus dem Halbdunkel. Er zuckte zusammen und beugte sich nach vorn, um besser sehen zu können, was sich in dem Schuppen verbarg. Das linke Lid zuckte. »Lass mich in Ruhe.« Er wollte weitergehen, stolperte aber erneut über seine eigenen Füße und stürzte. Hastig raffte er sich wieder auf. Ein dunkelhaariger Mann beugte sich über ihn und musterte sein Gesicht. »Du hast ein komisches Talent, Junge. He, wie wär’s, hm? Ich drehe das schon.« »Erhabener«, sagte der Krüppel mit bebender Stimme. »Verhöhnt mich doch nicht. Ich kann doch nichts dafür, dass ich so verunstaltet bin.« »Deine Mutter hat dich in einem Anfall von Raserei gegen die Wand geworfen, wie?« »Vielleicht, Erhabener, vielleicht.« Der Mann im Halbdunkel sah heruntergekommen und dreckig aus, war mit Lumpen bekleidet und roch bestialisch nach einem Gift, dass der Verkrüppelte nicht kannte. Die grünlich verfärbten Augen ließen darauf schließen, dass er sich bereits in einem Stadium befand, in dem sich Körper und Psyche veränderten. »Ich wäre glücklich, wenn ich einen so edlen und wohlgestalteten Körper hätte wie Sie, Erhabener.« Er bemerkte, dass einer der Orbtonen in der Nähe
vorbeiging. Der Zerlumpte – zweifelsfrei kein Arkonide – zog sich ängstlich in die Dunkelheit des Schuppens zurück. Der Verwachsene nutzte seine Chance und schleppte sich weiter. Die Füße schleiften über den Boden, die Trommelbrust hob und senkte sich heftig. Schon nach zwanzig Metern blieb er stehen, ließ den Kopf hängen und schnappte keuchend nach Luft. Vor seinen Augen flimmerte es. War dies die Wirklichkeit? Diesen Körper gab es überhaupt nicht mehr, seit Jahrhunderten. Die Erinnerung überwältigte ihn, ließ ihn die Umgebung vergessen. Ihm war, als stürze er in einen Abgrund …
… konnte ich nur hoffen, dass Tek Mittel und Wege fand, sich von mir in glaubwürdiger Form zu distanzieren. Ein Medorobot des Raumschiffs verabreichte mir eine kreislaufstabilisierende Injektion. Ich hatte dieses Boot nur einmal inspiziert. Dann hatte ich es jahrelang nicht mehr betreten, um auf keinen Fall eine Entdeckung zu riskieren. Die Impulstriebwerke liefen automatisch an. Der Robotpilot war für den Fluchtfall programmiert. Wenn jemals ein USO-Spezialist über die Transmitterverbindung ankam, war ein sofortiger Notstart unerlässlich. Transmitter erzeugten Hyperwellenschocks, die sehr leicht angepeilt werden konnten. Ich befand mich in einer trügerischen Sicherheit. Wäre ich auf einem anderen Weg zu diesem Raumschiff gekommen, hätte ich mich für lange Zeit darin verbergen und den günstigsten Augenblick für einen Start abwarten können. Das war nun nicht mehr möglich. Die Anpeilung der Schockwelle musste zurzeit laufen. Ich schleppte mich in die Zentrale. Dort legte mir ein Roboter einen Raumanzug an. Notstarts von Lepso waren und blieben gefährlich, denn im freien Raum standen die schnellen Überwachungskreuzer des SWD. Den Sperrriegel musste ich erst
einmal durchbrechen. Das Rumoren der Triebwerke steigerte sich zu einem dumpfen Donner. Die Space-Jet löste sich vom Grund des Ozeans und stieg langsam in die Höhe. Als die ersten Lichtstrahlen das trübe Wasser durchdrangen, lag ich festgeschnallt im Kontursessel hinter der Hauptkontrolle. Es ging mir allmählich besser. Die Jet stieß aus dem Wasser und nahm augenblicklich mit hohen Schubwerten Fahrt auf. Die Atmosphäre Lepsos wurde aufgerissen. Die Jet raste mit der hundertfachen Mündungsgeschwindigkeit einer altertümlichen Schiffsgranate davon. Wilde Luftturbulenzen entstanden. In ihnen vergingen vier anfliegende SWD-Gleiter – sie wurden von den ins Vakuum der Flugbahn einbrechenden Orkanböen erfasst, mitgerissen und anschließend zu Boden geschmettert. Ich bemerkte nichts mehr von den Explosionen, mein kleines Schiff flog mit unverantwortlich hoher Fahrt in den freien Raum hinaus. Lepso wurde zur Halbkugel. Das Eintauchmanöver in den Linearraum würde den Kalupschen Kompensationskonverter bis zur Maximalleistung belasten – es sollte bei viel zu geringer Anlauffahrt erfolgen, um die Jet möglichst schnell in den sicheren Schutz der Librationszone zu bringen. Als die Space-Jet soeben eine Geschwindigkeit von siebentausend Kilometern pro Sekunde erreicht hatte, eröffneten zwei schnelle Wachkreuzer des SWD das Feuer aus ihren Thermokanonen. Ich fühlte noch den harten Einschlag und die sengende Hitze, die plötzlich nach meinem Raumanzug fasste. Glut! Sonnenhelle Glut verbrannte meinen Körper. Ich tauchte in eine Sonne, in der es nichts gab als die unerträgliche, vernichtende Hitze. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht, denn meine Lippen, meine Zunge, Luftröhre und Lunge verwandelten sich in Asche …
»He, du, Zayna, wir könnten viel Geld verdienen, du und ich.« Er fuhr zusammen, als sich ihm die Finger des Süchtigen in die Schulter krallten. Der Schmerz durchraste seinen Körper
und riss ihn aus den Erinnerungen. Träumte er? War dies die Wirklichkeit? Durchlebte er Wahnideen, wie sie häufig vorkommen sollten, wenn jemand starb? »He, was ist mit dir? Willst du auch einen Styck?« Der Verwachsene schüttelte die Hand ab, fuhr sich dann mit den Händen über das zuckende Gesicht. Ihm war übel, als sich der andere über ihn beugte, ihm seinen stinkenden Atem ins Gesicht blies und ihn aus fiebrig glänzenden Augen musterte. »He, wer bist du überhaupt? Wer hat dich aus den Schmutzlöchern von Qurabash herausgelassen?« Seine Sinne klärten sich. Er wich vor dem Zerlumpten zurück, doch dieser packte ihn an der Gurgel und hielt ihn fest, durchsuchte eilig seine Taschen und ließ enttäuscht ab, als er nichts fand. »Ich bringe dich um, wenn du das noch mal mit mir machst.« Der Verwachsene legte eine Hand an den Hals und würgte. »Verschwinde jetzt, sonst …« Der Zerlumpte schleuderte ihn zu Boden, wandte sich verächtlich ab und kehrte in den Schuppen zurück. Der Verkrüppelte eilte erschöpft zu einem besser aussehenden Gebäude. Im Schatten eines überstehenden Daches setzte er sich auf den Boden und drückte den gekrümmten Rücken an die kühle Wand. Sein linkes Lid zuckten inzwischen pausenlos. Und wieder drohte er in einen Abgrund zu stürzten, dieses Mal aber fing er sich ab, bevor ihn die Erinnerung erneut übermannte. Seine kleinen Hände glitten tastend über die Beine, die Trommelbrust und den verformten Schädel. Das war sein Körper! Es wusste es genau. Sein Körper, den er vor 438 Jahren hatte verlassen müssen, um in einer robotischen Vollprothese überleben zu können.
Arkon III: 13. Prago des Ansoor 10.498 da Ark
»Vergebt mir. Erhabener, vergebt mir meinen Hunger«, murmelte er und streckte dem Orbton die Hand entgegen. Seine Stimme erstickte in einem kläglichen Wimmern. Der Arkonide blieb stehen, griff in die Packtasche, die er auf dem Arm trug, und warf ihm ein kleines Päckchen zu. Der Verkrüppelte verneigte sich unterwürfig, bis ihm der Spender den Rücken zuwandte. Dann zuckte es in seinen Mundwinkeln, und die Augen blitzen spöttisch auf. Sinclair Marout Kennon setzte sich wieder in den Schatten, klopfte den Staub aus den Kleidern, öffnete das Päckchen und verzehrte das harte Gebäck. Sein Magen beruhigte sich schnell, als er sich zu füllen begann. Blinzelnd blickte Kennon-Axton auf das Übungsgelände hinaus, das mit zahlreichen Trainingsgerätschaften versehen war. Auf ihnen quälten sich die arkonidischen Raumfahrer mit einem Eifer, der für Kennon zunächst verblüffend war. Schließlich stammte er aus einer Zeit, in der kaum ein Arkonide mehr tat als unbedingt notwendig. Aus einer anderen Zeit? War das wirklich richtig? Kennon lehnte sich zurück und presste die runden Schultern an die Wand des Schuppens. Er spürte Stiche in der Lunge, die geringste Anstrengung erschöpfte ihn. Dichter Schweiß bedeckte seine Stirn. Er ließ sich nach vorn sinken und atmete schwer. Es musste die Wirklichkeit sein. Vor allem diese gewaltige Schwerkraft, die seinen ohnehin schwächlichen Körper noch mehr belastete. Er beschloss, alle Fragen zur Seite zu schieben. Zunächst musste er sich um die Probleme kümmern – ob diese Welt nun real war oder nicht; er wollte – und musste – sie als Realität akzeptieren. Ihm blieb nichts anderes übrig, wollte er überleben. Darum ging es. Ob Traum oder Wirklichkeit – das Gehirn, das in einer fernen Zukunft zurückgeblieben war, starb mit ihm in dieser Welt, sollte hier sein Körper sterben. Die Frage, wo sein Ich sich tatsächlich befand, war vorläufig
nicht zu klären. Mehrere Leka-Disken landeten und starteten. Arkonidische Bodenkämpfer regneten, mit Fluggeräten ausgestattet, aus Kugelraumern ab und gingen zum Scheinangriff auf eine Bunkeranlage über. Sie machten ihre Sache nicht ungeschickt. Kennon-Axton wurde auf ein metallisches Blitzen aufmerksam, sein Kopf fuhr herum. In einer Entfernung von etwa hundert Metern stand ein Kampfroboter. Die Linsen waren auf ihn gerichtet. Dem Verwachsenen lief es kalt über den Rücken, seine Hände begannen zu zittern. Er erhob sich eilig, wandte dem Automaten den Rücken zu und eilte mit schleifenden Füßen zur nächsten Ecke des Schuppens. Von dort aus blickte er zurück – der Roboter kam näher. KennonAxton fluchte mit halb erstickter Stimme, rannte schwerfällig auf einen abgestellten Gleiter zu, öffnete die Tür und blickte auf den Steuerautomaten. Es handelte sich um eine Art Mietgleiter, laut Anzeige bestand noch ein geringfügiges Restguthaben. Entschlossen kletterte er in die Maschine, fand sich schnell mit der Bedienung zurecht. Er drückte einige Knöpfe, startete und grinste hasserfüllt auf den Roboter hinunter, der in diesem Moment um die Schuppenecke bog. Kennon-Axton flog nicht weit. Schon nach wenigen Kilometern entdeckte er eine kleine Fabrik, in der Gleitkupplungen für Schleusenschotten von Raumschiffen hergestellt wurden. Die Firmenbezeichnung war klar zu erkennen. Kennon-Axton landete die Maschine und setzte sie unter einigen kahlen Bäumen ab. Er war hier zwar in einer anderen Welt, die durch mehr als zehntausend Jahre von jener des Solaren Imperiums und der USO getrennt war, aber ganz so hilflos, wie er sich bislang gegeben hatte, war er nicht. Dies war die Welt des jungen Atlan, der den Kampf gegen seinen Oheim Orbanaschol III. aufgenommen hatte. Die Arkoniden standen im Krieg mit den Maahks, ohne dabei wichtige
Erfolge erzielen zu können. Arkon 111 wandelte in dieser Zeit das Gesicht, entwickelte sich endgültig zum Kriegsplaneten der Arkoniden, zu Gor’Ranton. Jahrtausende später würde diese Welt zerstört werden. Noch aber hatte die Totalverbauung nicht stattgefunden, noch gab es hier auch kleinere Produktionsstätten in einer Landschaft, die einigermaßen natürlich wirkte; zahlreiche Vergnügungszentren umgaben die Raumhäfen, während die Wohngebiete immer mehr zusammenschmolzen. An ihrer Stelle entstanden militärische Übungsgebiete, Waffenarsenale, Werften und weitere Landefelder. Kennon fühlte sich keineswegs als Fremdkörper. Bei seinen Studien der galaktischen Altvölker hatte er sich lange und ausgiebig mit dieser Zeit des Großen Imperiums beschäftigt. Er beherrschte die arkonidische Sprache, das Satron, und er wusste so ziemlich alles über die Sitten und Gebräuche sowie die Mentalität der Arkoniden dieser Epoche einschließlich der mit der Feudalstruktur und dem Adel verbundenen gesellschaftlichen Aspekte. Mehr als einmal hatte Lordadmiral Atlan persönlich aus seinen Jugendjahren berichtet, vom Historischen Korps der USO wurden sämtliche seiner Aussagen akribisch gesammelt. Nein, Kennons Problem war, sich unauffällig in die Gesellschaft zu integrieren. Es musste ihm gelingen, Arkonide zu werden, ohne dass allzu viele Fragen gestellt wurden. Zunächst einmal hieß das, dass er Geld benötigte. Wenigstens so viel, dass er einige Tage überleben konnte. Mehr zu haben wäre verdächtig gewesen. In Gedanken korrigierte er sich: Pragos! Tage mit einer Länge von 20 Tontas oder 28,37 Stunden und allein schon aus diesem Grund gewöhnungsbedürftig. Von den permanent wirkenden 1,3 Gravos ganz zu schweigen. Er startete wieder und ließ den Gleiter zur Fabrik treiben. Unmittelbar vor einem Verwaltungsgebäude setzte er ihn ab,
kroch ächzend hinaus und ging zur Eingangstür. Eine Arkonidin mit hübschem, glattem Gesicht kam ihm entgegen; sie schien beabsichtigt zu haben, ihn abzuweisen, aber als sie ihm in die Augen sah, wich sie etwas zurück. Die verkrüppelte Gestalt erschreckte und ängstigte sie. »Was willst du?« »Ich will den Inhaber sprechen.« »Warum?« Sie schien zu befürchten, dass er betteln wollte. »Ich habe etwas zu verkaufen – eine technische Neuerung, die Ihnen helfen wird, allen Ärger mit der Konkurrenz zu vergessen.« Sie blieb skeptisch, war aber angesichts seines Auftretens unsicher geworden. »Bitte, Erlauchte«, fügte Kennon-Axton mit heiserer Stimme hinzu. Ihre Augen wurden feucht, sie eilte davon. Schon Augenblicke später kam sie zurück, ließ die Tür offen, durch die sie gekommen war. »Gehen Sie hinein.« »Danke.« Er lächelte ihr zu, aber sie wandte sich ab. Mit schleifenden Schritten betrat er den Arbeitsraum. KennonAxton zog die Tür hinter sich zu und blieb vor dem Tisch stehen, hinter dem ein wohlbeleibter Mann saß. »Was wollen Sie?«, fragte der Fabrikant. »Ich möchte ein Geschäft mit Ihnen machen, Erhabener.« »Ich höre.« Sinclair Marout Kennon in seiner Urgestalt, die er aus einer Laune heraus Lebo Axton getauft hatte, lächelte verzerrt. Dann beschrieb er dem Arkoniden die Technik, mit der sich der Schleusenmechanismus ganz erheblich verbessern ließ. Dabei gab es verschiedene Möglichkeiten, von denen sich Jahrtausende später nur eine durchgesetzt hatte. KennonAxton schilderte eine Methode, die – wie er genau wusste – später in einer Sackgasse endete, aber vorübergehend recht erfolgreich gewesen war. Er wusste, dass er mit dieser Technik nicht entscheidend in das Zeitgeschehen eingreifen und nichts wirklich maßgeblich beeinflussen konnte – sollte es sich bei
dieser Welt tatsächlich um die reale Vergangenheit handeln. Der kleine technische Trick war unwichtig, finanziell aber durchaus wertvoll. Das Interesse des Produzenten stieg schon nach den ersten Sätzen des Verwachsenen merklich an. Er war vom Fach, setzte sich aufrecht hin und bot seinem Besucher schließlich sogar etwas zu trinken an. Während Kennon-Axton trank, fragte der Mann: »Woher haben Sie das?« »Es ist meine Entwicklung«, behauptete Kennon-Axton. »Wollen Sie sie, Erhabener?« »Ich überlege es mir. Vorher muss ich noch einige Einzelheiten über das Material wissen, mit dem sich diese Technik verwirklichen lässt.« Kennon-Axton schüttelte grinsend den Kopf, zupfte am rechten Ohrläppchen und hob danach den Zeigefinger. »So gutgläubig bin ich nicht mehr. Man hat mich einmal betrogen. Das genügt.« »Niemand will Sie übervorteilen.« »Dann machen Sie einen Vertrag mit mir, Ervolt Far, der mir meine Rechte sichert.« »Aber natürlich. Das ist doch selbstverständlich. Warten Sie hier.« Der Arkonide stand auf, knöpfte sich die Jacke zu und eilte hinaus. Kennon-Axton ließ sich in seinem Sessel zurücksinken, blickte ins Leere. Da er nicht wusste, ob es Abhör- und Beobachtungseinrichtungen gab, verhielt er sich ruhig und erlaubte sich nur hin und wieder ein Lächeln, mit dem er zu erkennen gab, wie zufrieden er mit der Entwicklung war. Nach einiger Zeit kam der Fabrikant in Begleitung eines großen, schlanken Mannes zurück, den er als seinen juristischen Berater vorstellte. »Wir haben einen Vertrag vorbereitet«, sagte er. »Lesen Sie ihn durch, Axton, und dann unterzeichnen Sie ihn bitte. Sie
sehen, wir sind großzügig.« Kennon-Axton nahm den Ausdruck und ging ihn sorgfältig durch. Es machte ihm Mühe, sich sein Vergnügen nicht anmerken zu lassen. Der Vertrag strotzte vor Fallen und hinterhältigen Formulierungen. Ihm wurden keinerlei Rechte zugestanden, sondern praktisch nur bestätigt, dass er eine neue Kupplungstechnik entwickelt hatte, die er zur Erprobung freistellte. Dafür sollte er ein geringes Anfangshonorar erhalten, das später, wenn die Erprobung abgeschlossen war, um ein wahrhaft fürstliches Abschlusshonorar ergänzt werden sollte. Natürlich war völlig klar, dass die sogenannte Erprobung nie abgeschlossen werden würde, denn dann wurde auch die Hauptsumme nicht fällig. Kennon-Axton lächelte den Fabrikanten strahlend an, verneigte sich eifrig und sagte: »Ich wusste doch, dass Sie ein aufrichtiger Geschäftsmann sind, Ervolt Far. Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen.« Er unterzeichnete den Vertrag und lieferte im Gegenzug eine ausführliche Beschreibung von Verfahren, Technik und Materialien. Der Produzent und sein Berater gratulierten ihm und wünschten ihm eine gute Zusammenarbeit. Kennon dankte; es gelang ihm sogar, ein paar Tränen in die Augen zu treiben, sodass sie annehmen mussten, dass ihn die Erregung übermannte. Dann komplimentierten sie ihn hinaus. Der Jurist begleitete ihn zur Kasse, wo ihm in bar die geringe Summe ausgehändigt wurde; ein Betrag, mit dem er sich einige Zeit über Wasser halten konnte. Das Zweizentimeterbündel der grünen Hunderter-Münzen umfasste 2000 Chronners. Als er das Verwaltungsgebäude verließ, kehrte der Berater zu Ervolt Far zurück. Kennon-Axton hörte das Gelächter der beiden Männer durch die sich schließende Tür. Er setzte sich in den Mietgleiter, warf eine Lochmünze in den Automaten und startete. Ein verstohlenes Lächeln glitt über seine Lippen.
Ervolt Far würde erst in einigen Jahren merken, wer eigentlich wen übervorteilt hatte. Natürlich rechnete der Arkonide mit beträchtlichen Gewinnen – die er auch zweifellos machen würde. Doch das zählte nicht. Irgendwann in der Zukunft würde er die Rechnung bezahlen müssen, doch dann würde es kein lautes Gelächter geben. Kennon-Axton lenkte den Gleiter bis in die Nähe von Taivarn AYA-2, der wie die übrigen fünf Großraumhäfen zum AYA-Zentralraumhafenkomplex gehörte; die später A-1 bis A6 genannten Landefelder von jeweils siebzig Kilometern Durchmesser würden dann das Gebiet des Robotregenten umgeben. Er landete, ließ das Wechselgeld auswerfen und tauchte mit schlurfenden Schritten zwischen den zahllosen Schuppen, Fabrik- und Ausrüstungsgebäuden unter.
Der Mann an der Rezeption des schäbigen Hotels lag auf einem Fell am Boden und schlief, als Kennon-Axton die Halle im Stielsockel des Trichtergebäudes betrat. Der schwere Geruch von gebeizten Gewürzzwiebeln wehte ihm aus den hinteren Räumen entgegen. Über dem hochbeinigen Notiztisch baumelte ein affenähnliches Wesen mit flammend rotem Pelz. Es hing an einem Bein an einer verblichenen Metallstange und suchte mit den Händen und dem freien Fuß nach Ungeziefer an seinem Körper. Kennon-Axton beobachtete, dass es ein kleines grünes Insekt fand und es auf den Schlafenden schnippte, wo es sich augenblicklich unter dem Kragen des Arkoniden verkroch. Der Verkrüppelte fand dieses Verhalten so interessant, dass er noch etwas wartete, bis er den Hotelier weckte. Bis dahin hatte das Haustier fünf weitere Quälgeister zu seinem Herrn befördert. Fluchend kam der Mann hoch, als Kennon-Axton ihn mit dem Fuß anstieß.
»Was wollen Sie?«, fragte er mürrisch, wobei er sich das strähnige Haar aus dem Gesicht wischte und sich mit der anderen Hand nachhaltig im Nacken, am Hinterkopf und an der Hüfte kratzte. »Ein Zimmer.« »Können Sie bezahlen?« Kennon-Axton zog eine Hundert-Chronner-Lochmünze aus der Tasche. »Genügt das?« Der Arkonide griff gierig nach der Münze, doch der Verwachsene entzog sie ihm schnell. »Erst will ich das Zimmer sehen.« Jetzt kratzte sich der Mann mit beiden Händen, zog ein Insekt aus dem Haar, ließ es zu Boden fallen und zerquetschte es unter der Schuhsohle. »Haben Sie die Biester eingeschleppt?«, erkundigte er sich und blickte Kennon-Axton durchdringend an. »Ich bin keimfrei«, entgegnete dieser und wich einen Schritt zurück. »Nun, was ist? Können Sie mir das Zimmer zeigen?« Der Arkonide gähnte, drehte sich um und ging zu einer Leiter, die an einer Wand befestigt war und in das erste Stockwerk hinaufführte. Er kletterte hoch, ohne sich um den Gast zu kümmern. Kennon-Axton bezweifelte, dass er ihm folgen konnte, machte jedoch einen Versuch und war überrascht, wie leicht es war, diese Leiter emporzusteigen. Offenbar gab es eine Vorrichtung, die die Schwerkraft um einiges reduzierte, ohne zur vollen Leistung eines echten Antigravschachts zu reichen. Der Arkonide öffnete eine Zimmertür, als der Verkrüppelte bei ihm war. Fauliger Gestank schlug ihm entgegen. »Bitte.« »Gehen Sie voran, Erhabener.« Der Arkonide betrat den Raum und schrie erstickt auf. In der dem Eingang gegenüberliegenden Ecke hing ein orangerotes Gebilde an der Wand, das wie ein grob gesponnenes Netz
aussah, in dem sich ein dickes Nadelkissen verfangen hatte. »Vorsicht! Zurück!«, rief der Hotelier, warf sich herum und schlug die Tür zu. Er stürzte über Kennon-Axton, beide fielen zu Boden. Im gleichen Moment trommelte etwas wütend gegen die Innenseite der Tür. Der Terraner sah, dass sich die Spitzen von etwa zwanzig Nadeln durch das Isoplastmaterial bohrten, und schlug mit den kleinen Fäusten auf den Arkoniden ein, bis dieser sich von ihm wälzte. Stöhnend vor Schmerzen stand Kennon-Axton auf. »Was ist das?«, fragte er und zeigte auf die Nadeln. »Das … oh, das ist nichts.« Der Arkonide verbeugte sich linkisch, legte seinem Gast den Arm um die Schultern und wollte ihn zum nächsten Zimmer ziehen. Der Verwachsene schüttelte den Arm jedoch ab. »Ich weiß schon Bescheid«, sagte er grimmig. »Verdammt, so mies geht es mir noch nicht, dass ich in einem Hotel übernachte, in dem sich Rotkorallen eingenistet haben.« Der Hotelier griff nach Kennon-Axtons Arm und krallte seine Hand in die Jacke. »Bleiben Sie, mein Herr, gehen Sie nicht. Es ist alles nur ein Irrtum. Ein Scherz, verstehen Sie?« Kennon-Axton setzte dem Arkoniden die Fingernägel auf den Handrücken und bohrte sie ihm in die Haut. »Lassen Sie mich los.« Er kehrte zum Aufstieg zurück und kletterte die Leiter hinab. Der Arkonide folgte ihm. »Überlegen Sie es sich noch einmal, mein Herr.« Er verstellte ihm den Weg; bleich blickte er auf den Verkrüppelten, seine Augen tränten vor Erregung, die Hände zitterten. »Das können Sie mir nicht antun.« »Sie wissen, dass ein Hotel oder sonstiges Gebäude, in dem sich eine Rotkoralle niedergelassen hat, abgerissen werden muss. Diese Tiere sind nicht zu vertreiben, es sei denn, man zündet das ganze Haus an. Glauben Sie, ich hätte Lust, mich von den Nadeln durchbohren und anschließend von der
Rotkoralle aussaugen zu lassen? Gehen Sie mir aus dem Weg.« Der Hotelier kratzte sich am Hals, trat zur Seite und ließ Kennon-Axton vorbei. »Dann eben anders«, sagte er resignierend. »Feird, nimm ihm das Geld ab.« Hinter dem Vorhang trat ein hünenhafter Mann hervor, wischte sich seine groben Hände an der Hose ab und streckte Kennon-Axton dann die Linke hin. »Gib’s her.« Der Verwachsene schüttelte den Kopf. »Warum?« »Blöde Frage.« Entschlossen ging der große Mann auf Kennon-Axton zu. Dieser griff in die Jackentasche und zog ein Elastikband und einen handspannenlangen Nagel hervor. Rasch spannte er das Band zwischen Daumen und Zeigefinger und schoss den Nagel auf den Angestellten. Das Geschoss überschlug sich zweimal in der Lauft und bohrte sich dann mit der Spitze voran durch den Fuß. Der Arkonide schrie auf, sank in die Knie und versuchte, den Nagel aus dem Fuß zu ziehen. Doch er saß zu fest. »Hilf mir doch, Ried«, brüllte er. Kennon-Axton eilte zur Hallentür, blickte sich nicht mehr um, sondern trat auf die Straße, froh, dem finsteren Hotel entkommen zu sein. Obwohl er wusste, das die beiden Arkoniden ihm folgen würden, blieb er schon nach wenigen Schritten stehen. Im Eingang eines anderen Hauses, das geradezu abschreckend schmutzig war, leuchtete eine holografische Bildkugel. Kennon-Axton hätte nicht erwartet, in dieser heruntergekommenen Gegend eine solche zu sehen. Bei der laufenden Nachrichtensendung war ihm ein Name aufgefallen, deshalb war er stehen geblieben. »… wurde Mondträger Ceron Mosselcrin völlig ausgeblutet aufgefunden – auf dem Produktionsband einer vollautomatischen Fabrik. Die Leiche brachte die robotische Fertigung zum Stillstand. Bisher hat die Polizei noch keine heiße Spur …«
Kennon-Axton hörte verdächtige Geräusche, blickte sich um, entdeckte den Hotelier und verbarg sich rasch hinter einem stillgelegten Roboter, der als Reklamefigur benutzt wurde. Der Rest der Mitteilung entging ihm, während er seinen Verfolger beobachtete, der nicht wusste, in welche Richtung er sich gewandt hatte, und der sich nun entschloss, in der entgegengesetzten Richtung nach ihm zu suchen. Der Verwachsene kehrte zu der Bildkugel zurück, doch die Nachrichtensendung war bereits beendet. Nachdenklich eilte er weiter, bis er sicher war, dass er nicht mehr überrascht werden konnte. Er betrat ein Restaurant, das am Ende einer Einkaufsgasse lag und bis auf wenige Plätze besetzt war. Kennon-Axton schlich sich verstohlen an einen freien Tisch und kletterte mühsam auf einen Hocker. Selbst in diesem Haus, in dem sich Raumfahrer unterschiedlichster Planeten, Arme und Reiche trafen, fiel er auf. Die Blicke etlicher Gäste richteten sich auf ihn, doch der Verkrüppelte tat, als habe er nichts bemerkt. Eine magere junge Frau kam zu ihm an den Tisch; sie hinkte stark. Kennon-Axton fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, er presste die Lippen zusammen. Seine Hände begannen zu zittern – bis er sah, dass die Frau ihn nicht verspotten wollte, sondern tatsächlich ein verkürztes Bein hatte. Sie sprühte ein Reinigungsmittel auf den Tisch und fragte, die Augen niedergeschlagen: »Was willst du?« »Bring mir etwas zu essen. Es darf nicht zu teuer sein.« Er sprach mit einem leichten Akzent, wie man ihn hier nicht kannte. Sie wurde aufmerksam, musterte ihn und sagte leise: »Bleib lieber nicht.« Er legte eine Lochmünze auf den Tisch. »Das ist alles, was ich habe.« Sie nahm sie und verschwand damit. Da er die Warnung
nicht beachtete, verzichtete sie darauf, sie zu wiederholen. Kennon-Axton stützte sich auf die Ellenbogen und senkte den Kopf, überlegte, wo und wann er den Namen Mosselcrin schon gehört hatte. Der Mann – ein Orbton der arkonidischen Raumflotte – war ermordet worden. War das die Chance, die er in den Elendsvierteln von Arkon III so fieberhaft gesucht hatte? In Gedanken ging er noch einmal durch, was er gehört hatte. Mosselcrin war getötet worden. Sein Mörder hatte ihn auf die Fertigungsbänder einer automatischen Fabrik gelegt. Nein – das war nicht richtig. Das konnte auch ein anderer getan haben. Fabrik und Mord durften nicht unbedingt in einen Zusammenhang gebracht werden. Der Kosmokriminalist in Kennon-Axton erwachte; Verbrechen aufzuklären war seine Spezialität. Er konnte wie kaum ein anderer winzige Spuren aufnehmen und aus ihnen das Geschehen rekonstruieren. Über vierhundert Jahre lang hatte er im Dienst der USO Fälle gelöst, die von anderen bereits als unlösbar eingestuft wurden. Er lächelte unmerklich und hob den Kopf. Die junge Frau näherte sich hinkend und stellte einen Teller mit dampfendem Fleisch auf den Tisch. Dazu servierte sie ein klares Getränk. »Sei vorsichtig«, wisperte sie. »Krüppel sieht man hier nicht gern.« »Dann sollte sich der Wirt um eine andere Bedienung bemühen«, gab er ungewollt heftig zurück. Er wollte noch mehr sagen, aber seine Stimme versagte. Er räusperte sich, dann merkte er, dass ihre Augen feucht wurden. Ärgerlich über sich selbst, griff er nach dem Schnittlöffel, trennte damit ein großes Stück Fleisch ab und schob es sich in den Mund. Die Frau eilte davon. Er verzehrte seine Mahlzeit, wechselte danach den Platz und setzte sich direkt vor eine TrividProjektion, die mit gedämpftem Ton lief. Einige Zentitontas verstrichen, dann kamen erneut Nachrichten. Ungeduldig
wartete Kennon-Axton, bis endlich der Bericht über den ermordeten Offizier wiederholt wurde. Er erfuhr jedoch nichts Wesentliches mehr – ausgenommen, dass die Polizei für die Aufklärung des Mordfalls eine beachtliche Belohnung ausgesetzt hatte. Wer Hinweise geben konnte, die dazu beitrugen, den Täter zu überführen, konnte mit einer Summe rechnen, die etwa für den Kauf eines gebrauchten Gleiters ausreichte. Aber nicht nur das faszinierte Kennon-Axton an dieser Idee. Viel wichtiger war ihm, dass er bei einer Mitarbeit die Möglichkeit erhielt, durch eine positive Leistung in der arkonidischen Gesellschaft aufzufallen. Und genau das war sein Ziel. »Steh auf!« Er fuhr herum. Vor ihm stand ein vierschrötiger Mann in der Kleidung eines Raumfahrers. Die Augen des Arkoniden waren glasig; ein deutliches Zeichen dafür, dass er unter dem Einfluss eines bewusstseinstrübenden Stoffes stand. Der Verwachsene sah ein, dass es besser war, den Platz zu räumen. Ein Mann wie dieser konnte ihn mit einem einzigen Schlag töten. Während er aufstand und aus dem Restaurant eilte, dachte er für einen Moment an den unüberwindlichen Körper, den er die letzten Jahrhunderte hatte nutzen können. In ihm, der Vollprothese für das verbliebene Gehirn, war er ein Gigant gewesen, der es mit einem Raubsaurier hätte aufnehmen können, ohne dabei eine Niederlage befürchten zu müssen. In seinem verkrüppelten Körper dagegen war er so schwach, dass er von jedem halbwegs gesunden Kind verprügelt werden konnte. So ging es nicht weiter! Er musste etwas haben, womit er seine körperlichen Mängel ausgleichen konnte: Er brauchte einen Roboter – und dem Robothasser Kennon wurde bei diesem Gedanken übel. Er betrat die Gasse. Ein hundeähnliches Tier rannte ihn um. Er stürzte in den Staub und musste sich gefallen lassen, dass
das Tier ihn beschnüffelte. Sein Versuch, es mit den Händen wegzudrücken, scheiterte kläglich. Er konnte sich erst wieder aufrichten, als eine Arkonidin das lästige Geschöpf zur Seite zog. »Du kannst froh sein, dass es nicht noch das Bein gehoben hat«, sagte die Serviererin gehässig. Sie stand im Eingang des Lokals und blickte auf ihn herab. Er raffte sich auf. »Ich wollte dich nicht beleidigen.« »Pah.« Sie verzog das Gesicht, drehte ihm den Rücken zu und ging. Kennon-Axton fuhr sich mit den Händen durch das Haar. Er musste einen Roboter haben; so unbehaglich ihm der Gedanke war, ihm blieb keine andere Wahl. Das hatte er nun endgültig eingesehen.
11. Aus: Statistisches Jahrbuch, Ausgabe 10.500 da Ark; öffentlich zugängliche Vorlage des Tai Than, erstellt auf Anweisung Seiner Erhabenheit, Imperator Orbanaschol III. Tai Ark’Tussan, das Große Arkon-Imperium: Keimzelle und Kern ist der Kugelsternhaufen Thantur-Lok mit knapp 100 Lichtjahren Durchmesser, dessen 100.000 dicht gedrängt stehenden Sterne hauptsächlich solche der älteren Population II sind. »Thanturs Ziel«, nach Flottenadmiral Thantur (ursprünglich Talur) benannt, befindet sich als Teil des Halos mehr als 20.000 Lichtjahre oberhalb der Hauptebene der Öden Insel. Rund 10.000 Sonnensysteme mit etwa 1000 für Arkoniden geeigneten Sauerstoffwelten waren der Ausgangspunkt für die spitzkegelförmig Richtung des sogenannten Nebelsektors weisende Expansion des Großen Imperiums, sodass nun an der Basis ein Durchmesser von annähernd 20.000 Lichtjahren erreicht ist. Ein Gebiet mit
schätzungsweise 6,28 Milliarden Sternen aller Klassifikationen. Neben mehr als 25.000 Kolonial- und ins Reich integrierten Fremdvölkerwelten dienen 50.000 Planeten und Monde ausschließlich industriellen Zwecken, während weitere 10.000 rein agrarischer Nutzung vorbehalten sind. Die als Bergwerke ausgebeuteten Asteroiden, Planetoiden und Kometen gehen in die Millionen. Die Gesamtzahl der im Einflussbereich des Großen Imperiums lebenden Wesen – einschließlich der Fremdvölker – schätzen die Kolonialbehörden auf mindestens 20 Billionen; einem exakten Zensus dieser Größenordnung stand bislang die permanente Änderung durch weitere Expansion entgegen, weil selbst mit bester positronischer Unterstützung jede Volkszählung Jahrzehnte benötigt hätte und mit ihrer Auswertung längst überholt wäre. Die auf Arkon II registrierten, meist kleineren Handelsschiffe erreichen alleine für den Bereich des Kugelsternhaufens schon die Millionengrenze, der Kern der Mehandorflotte beläuft sich auf bis zu 100.000 Großraumer, und noch umfangreicher ist die Anzahl der Privatraumer und Jachten, während die militärische Flotte mit 250.000 großen und größten Schiffen zu Buche schlägt und darüber hinaus weitere 150.000 Frachter, Tender und fliegende Docks umfasst. Mehr als 20.000 Raumer der »Arkon-Konvois« dienen darüber hinaus der Rohstoff- und Halbfertigprodukt-Zufuhr des Arkonsystems. Neben Arkon III als dem Kriegsplaneten sind im Bereich von Debara Hamtar als Hauptstützpunkte Amozalan, Calukoma und Trantagossa zu nennen. Tausende weiterer Flottenstützpunkte, viele 100.000 Kugelschiffe modernster Bewaffnung, die gesamte Imperiums-Technologie, ein Milliardenheer hart geschulter und bestens ausgebildeter Elitesoldaten von arkonstählerner Disziplin, ungezählte Kampfroboter, riesige Positronengehirne sowie eine perfekte Geheimdienstorganisation stemmen sich seit Jahrzehnten gegen die angreifenden Fremdgasatmer von Maahks und anderen …
Arkon III: 13. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Der Mann, der über den Schrottplatz wachte, war nur ein Torso. Sein Körper endete an den Hüften und ruhte auf einem robotischen Trage- und Gehgestell mit dünnen schwarzen Metallbeinen. Der Arkonide hatte schlohweißes Haar, die Haut war bleich. Sein Restkörper war dick und aufgeschwemmt, erhob sich wie ein fetter Koloss von dem Automaten, dessen Beine länger waren als der Terraner. »Ich kaufe nichts!«, sagte er schroff, als Kennon-Axton vor ihm stand. »Sehen Sie sich doch an, was hier alles lagert. Und nichts wird man mehr los heutzutage. Man sollte meinen, dass sie Schrott massenhaft benötigen. Aber das ist ein Irrtum. Man sollte meinen, dass sie Waffen und Raumschiffe in rauen Mengen produzieren, weil sie im Methankrieg benötigt werden. Aber auch das stimmt nicht. Wissen Sie, was sie produzieren wie am Fließband? Zaynayi, sage ich Ihnen. Sehen Sie sich doch selbst an.« Kennon-Axton legte den Kopf in den Nacken und blickte zu dem aufgedunsenen Gesicht hinauf. Der Arkonide war über zwei Meter groß; wer dicht vor ihm stand, hörte das Sirren und Heulen des Gyros, mit dessen Hilfe das Tragegestell senkrecht gehalten wurde. »Ich will nichts verkaufen«, sagte Kennon-Axton. »Ich brauche etwas.« »So?« Der Schrotthändler runzelte die Stirn. Er schien Mühe zu haben, mit dem Gedanken fertig zu werden, dass jemand ihm auch einmal etwas abnehmen wollte. »Bitte, womit kann ich dienen?« »Ich brauche einen Roboter.« Der Arkonide lachte, bis ihm die Tränen in die Augen schossen. Er drehte sich um und schwenkte die Arme. »Da liegen Zehntausende! Es sind die Reste von den Schlachten von Hamatk, von Eyto-Vohar, von Ekma und von Gish, der
Auseinandersetzung von …« »Schon gut«, rief Kennon-Axton, »schon gut.« »Bäuche, Beine, Gelenke, Köpfe, Lautsprecher, Linsen, Arme, Hände, Schultern … was Sie wollen.« »Ich habe nicht viel Geld.« »Natürlich nicht. Wer hier etwas kaufen will, der hat kein Geld. Wie viel?« Kennon-Axton nannte eine bescheidene Summe. Sie hätte normalerweise nicht ausgereicht, auch nur eine Hand oder eine Linse zu bezahlen, aber dem Schrotthändler genügte sie. Er nahm die Chronners entgegen und gab dem Verwachsenen den Weg auf die Schrotthalde frei. Die Trümmer von Kampfautomaten, kleinen Raumschiffen und Beibooten, Bodenpanzern, Kanonenchassis, Strahlerrohren und Flugplattformen lagen wirr durcheinander, waren zu Bergen zusammengekarrt, die eine Fläche von vielen Quadratkilometern bedeckten. Vereinzelt liefen Arbeitsroboter in den frei gelassenen Schneisen. Kennon-Axton wies zögernd auf sie und blickte den Arkoniden unsicher an. »Werden sie mich nicht belästigen?« »Unsinn, Kleiner, das können sie gar nicht.« Kennon-Axton wurde das Unbehagen dennoch nicht los, das ihn immer dann befiel, wenn er Robotern gegenüberstand. Zögernd und unsicher ging er in eine Schneise. Je weiter er sich von dem Schrotthändler entfernte, desto schutzloser fühlte er sich. Roboter hatte er schon immer gehasst. Diese künstlichen Wesen aus Plastik und Metall waren ihm unheimlich. Er kannte ihre unglaublichen Fähigkeiten wie kaum ein anderer, da er selbst Jahrhunderte in einer Vollprothese gelebt hatte. Nie war es ihm gelungen, wirkliches Zutrauen zu der Positronik zu finden, die diese Maschinen steuerte. Die Furcht, dass es zu Fehlschaltungen und damit zu Fehlreaktionen kam, war tief in ihm verwurzelt. Er wünschte,
er hätte eine Strahlwaffe gehabt, dann hätte er sich wohler gefühlt. Er konnte jedoch nicht damit rechnen, dass er hier eine finden würde. Derartige Dinge wurden üblicherweise sorgfältig aussortiert, bevor sie zur Verschrottung gingen. Die Hoffnung, bereits in der Nähe des Eingangs Robotteile zu finden, erfüllte sich nicht. Kennon-Axton überwand seine Furcht vor den Metallschluchten und den darin arbeitenden Robotern, ging weiter, bis er eine brauchbare Robothand entdeckte. Er beruhigte sich augenblicklich, stürzte sich mit wahrem Feuereifer auf die Arbeit. Die Hand hing an einem verbogenen und durch Hitze verformten Arm. Er löste sie mühevoll ab, reinigte sie und überprüfte ihre Funktionen. Sie war einwandfrei. Zufrieden legte er sie über die Schulter und ging weiter, bis er einen Oberschenkel fand, der so aussah, als könne er ihn gebrauchen. Kennon-Axton verwendete eine Tonta darauf, ihn aus den Trümmern eines Robottorsos herauszulösen, nur um dann festzustellen, dass er nichts taugte. Enttäuscht warf er ihn davon; es klirrte laut, als er gegen Metall schlug. Kennon-Axton blickte auf und fuhr erschrocken zusammen, als er merkte, dass er den Schenkel einem Arbeitsroboter an den Kopf geschleudert hatte. Die Maschine ruderte mit ihren vier Armen durch die Luft und drehte sich dabei im Kreis. Der Verwachsene rannte keuchend davon, bis die Schmerzen in seinen Lungen so stark wurden, dass er stehen bleiben musste – also nach zehn Metern. Der Robot war ihm nicht gefolgt. Kennon-Axton setzte sich auf ein Metallrohr, das ehemals zu einem Konverter gehört haben mochte. Als er sich wieder etwas erholt hatte, hob er den Kopf. In einer Höhe von ungefähr zwölf Metern blitzten zwei Linsen in der Sonne. Er hielt den Atem an. Sollte er so viel Glück haben, gleich einen ganzen Roboterkopf zu finden? Er suchte nach einer Möglichkeit, den Schrottberg zu
erklettern, glaubte dann, einen günstigen Einstieg gefunden zu haben, und zog sich ächzend an einem durchlöcherten und verdrehten Träger hoch. Mit einer Antigravplattform oder einem flugfähigen Roboter wäre alles viel leichter gewesen. Aber derartige Hilfen standen ihm nicht zur Verfügung. Er konnte froh sein, dass er die ersten Pragos auf Arkon III überhaupt so gut überstanden hatte. In einer Höhe von sieben Metern musste er eine Pause einlegen, ließ sich auf eine Platte sinken und suchte den gegenüberliegenden Schrottberg nach Roboterresten ab, sah jedoch keine. Was würde passieren, wenn er abstürzte? Starb er dann wirklich? Oder wurde er dann nur wieder in die Welt des Jahres 2844 nach Christus zurückgeschleudert? Vielleicht erwachte er dann mit scheußlichen Kopfschmerzen und einer bitteren Erinnerung? Warum verspürte er dann aber Schmerzen in der Lunge, wenn er nur ein paar Schritte gelaufen war? Er schlug mit der Faust auf den Stahl und rieb sich danach die Hand. Sie tat weh. Müsste er nicht empfindungslos sein, wenn dies alles nur ein Traum war? Bestand eine Energiespirale zwischen dieser Arkonzeit und jener Epoche, aus der er gekommen war oder gekommen zu sein glaubte? Verblüffend täuschend echte Illusionen zu schaffen war das eine – etwas anderes die reale Anwesenheit in der echten Vergangenheit. Musste sich seine Aktivität hier nicht auf die Zukunft auswirken? Was würde beispielsweise geschehen, wenn er Atlan tötete? Konnte das überhaupt gelingen? Und musste, wenn ja, dann die Geschichte der Erde und des Solaren Imperiums nicht eine völlig andere Entwicklung nehmen? Eine solche sogar, in der es gar keinen Sinclair Marout Kennon mehr gab, der die Traummaschine benutzte, um als Lebo Axton in die Vergangenheit verschlagen zu werden – und demnach auch gar nicht Atlan töten konnte? Das alte Paradoxon sämtlicher Zeitreisen, nur lösbar durch die
Annahme, dass sich die Entwicklung zu einer Zeitschleife verknüpfte und/oder auf die Existenz ungezählter Paralleluniversen mit alternativen »Zeitströmen« stützte. Axton zwang sich, diese Gedanken weit von sich zu schieben. Er wusste ja nicht einmal, ob er wirklich nur einmal existierte und durch die Zeiten geschleudert worden war oder ob er zweimal war, im »Hier« und zugleich im »Dort« seiner alten Existenz mit einem ebenso realen Gehirn im verfluchten Robotkörper. Sosehr er sich auch bemühte, er konnte diese Fragen nicht beantworten, wenigstens jetzt nicht, weil es für ihn keine Möglichkeit gab, die Realität dieser Welt zu prüfen. Später würde er vielleicht mehr erkennen und mehr darüber aussagen können. Und kam es denn darauf an, diese Rätsel jetzt zu lösen? Gerade weil er doch dem Robotkörper hatte entfliehen und richtig leben wollen, hatte er doch Lordadmiral Atlan gegenüber darauf bestanden, die Traummaschine benutzen zu dürfen. Nun hatte er die faszinierende Möglichkeit, in die Welt einzutauchen, mit der er sich bei seinem Studium der altgalaktischen Völker an intensivsten beschäftigt hatte. Bisher hatte er geglaubt, sie so gut zu kennen, als sei er in ihr aufgewachsen. Inzwischen sah er, dass sie doch etwas anders war, wenngleich die großen soziologischen und politischen Zusammenhänge stimmten. Er kannte die bedeutenden Persönlichkeiten zumindest dem Namen nach, und er wusste, in welcher Weise sie das große politische Geschehen beeinflusst hatten und noch beeinflussen würden. Wie auch immer diese Welt war – real oder nicht –, er musste sich stets so verhalten, dass er die wirklich entscheidenden Ereignisse der arkonidischen Geschichte nicht veränderte, unabhängig davon, dass es ihm vielleicht ohnehin nicht möglich war. Er lächelte unmerklich. Vermutlich überschätzte er sich sowieso. Wer war er denn schon? Ein
Krüppel, der auf einem Schrotthaufen hockte und über Weltgeschichte nachdachte. Der nach wenigen Metern bereits keuchte. Axton lachte schrill auf. Er schwang sich hoch und kletterte weiter nach oben, wobei er sich zwang, nur über lauter belanglose Dinge nachzudenken. Aber das wollte ihm nicht so recht gelingen. Er erinnerte sich abermals daran, wie wild und unbeherrscht er reagiert hatte, als er von seinem ersten »Zeit-Ausflug« in das arkonidische Reich zurückgekehrt war. Er hatte reagiert wie ein Süchtiger, der meinte, nicht mehr ohne das Gift leben zu können. Er hatte in fast hysterischer Haltung darum gekämpft, in diesen schwachen, verkrüppelten, aber lebendigen Körper zurückkehren zu können, der eben keine pure Ansammlung von Metall und Plastik war. Allerdings wurde er sich allmählich bewusst, dass er nicht glücklicher war. Das lange Leben als Gehirn in der Vollprothese hatte ihn vergessen lassen, wie ohnmächtig er in einem Körper war, der so schwach war, dass er sich aus eigener Kraft kaum bewegen konnte. Mit aller Energie kämpfte er dagegen an, dass die alten, vernarbten Wunden wieder aufrissen, die Erinnerungen an Kindheit und Jugend und die Zeit bis zum Abschuss über Lepso. Er hatte dieses Leben gewollt – nun musste er sehen, wie er damit fertig wurde. Immerhin hatte er eine wirksame Waffe mit in diese Welt der Vergangenheit genommen. Sie allein zählte, alles andere war unwichtig. Alle Schwierigkeiten waren nur vorübergehender Natur. Bald würde alles anders aussehen – er musste die ihm gegebenen Möglichkeiten nur entschlossen genug nutzen. Sein Verstand und sein Wissen waren das Schwert, mit dem er Arkon erobern konnte, wenn er nur wollte. Er blieb vor dem fast vollständig erhaltenen Robotkopf stehen. »Nicht das Schwert«, sagte er leise. »Diese Waffe ist
viel zu plump. Florett ist der richtige Ausdruck.« Er blickte über die Schrotthalten. In einer Entfernung von fünf Kilometern befand sich das nächste Landefeld. Sieben Kugelschiffe standen dort. Das Licht der untergehenden Sonne ließ eigenartige Reflexe über die Kugelhüllen huschen.
»Mosselcrin«, sagte Lebo Axton leise. Das war der Name des Offiziers, der ihn vor einigen Pragos am Rand des Übungsgeländes für Raumfahrer gequält und gedemütigt hatte. Das war der Name des Mannes, der ermordet worden war. »Sein Körper war ohne Blut … Ohne Blut? Warum?« Er drehte den Robotkopf in den Händen. Warum sollte ein Mörder sein Opfer ausbluten lassen? Lagen dafür rituelle Gründe vor? Axton wusste, dass es im Arkonsystem verschiedene Sekten gab, die zum Teil abenteuerliche Vorstellungen verfolgten. Sollte Mosselcrin einer Gruppe religiöser Fanatiker angehört haben, die ihn aus bisher noch unbekannten Gründen hatten ausbluten lassen? Axton blickte in die Tiefe, klemmte sich den Robotkopf unter den Arm und versuchte, nach unten zu klettern. Schon wenige Augenblicke später glitt er aus, rutschte zwei Meter tief und stürzte schwer auf eine Stahlplatte. Stöhnend blieb er liegen, vor seinen Augen flimmerte es. Der Robotkopf rollte davon, fiel über die Kante, schlug polternd zwischen den Stahltrümmern auf. Bei jedem Aufprall zuckte Axton zusammen, als werde er von einem Faustschlag getroffen. Einige Zentitontas verstrichen, bis er sich so weit erholt hatte, dass er sich umdrehen konnte. Er klammerte sich an einen Träger und schob sich so weit vor, dass er nach unten sehen konnte. Ein Roboter näherte sich dem Kopf und hob ihn auf. »Nein!«, brüllte Axton. »Nein, verdammt!« Er griff wild um sich, bis er ein loses Stück Stahl fand, nahm
es auf und schleuderte es gegen den Roboter, traf an der Schulter. Die Maschine ließ die Arme sinken und hob den Kopf. Die Linsen funkelten. »Nein!«, schrie der Verwachsene. »Das ist mein Kopf!« Der Roboter ließ Axtons Beute fallen, drehte sich um und ging davon. »Mistvieh.« »Nostalgische Erwägungen, Liebster?«, fragte eine weibliche Stimme hinter ihm; sie klang rauchig und verführerisch. Axton fuhr herum und blickte fassungslos auf das Robotfragment, das zwischen zwei verbrannten Stahlträgern hing. Es bestand aus einem Robotkopf ohne Hülle, Schultern und einer offensichtlich noch nicht entleerten Batterie. »Sei still«, sagte Axton drohend, »oder ich werfe dich auch in die Tiefe. Dann ist es aus mit dir.« »Was soll das, Liebster? Du hast keinen Grund, mich zu zerstören. Du lernst mich doch erst jetzt kennen, kannst also unmöglich Besitzansprüche stellen – also auch nicht eifersüchtig sein. Warum also diese Mordandrohung? « Lebo Axton nahm ein armlanges Stahlstück und hob es über den Kopf. »Sei still, habe ich gesagt. Ich mache Schrott aus dir.« »Das bin ich bereits.« Er ließ den Arm sinken. Die Positronik des Roboters schien weitgehend in Ordnung zu sein. Woher sollte er wissen, dass er noch einmal ein Teilstück dieser Art fand, das einwandfrei funktionierte? Warum sollte er dieses nicht nehmen – so unsympathisch es ihm auch war? Zögernd streckte Axton die Hände aus und griff nach den Resten des Roboters, setzte sie ab und drehte sie hin und her. »Eine Schönheit bist du nicht gerade.« Er fand, dass er Glück gehabt hatte. Dieses Teil konnte er wirklich gut gebrauchen. Nun musste er es vorsichtig nach unten bringen; er durfte es auf keinen Fall werfen. »Kannst du fliegen?«
Das Fragment schwieg. »Ich habe dich etwas gefragt. Antworte endlich.« »Du bist nicht konsequent, Schätzchen. Erst soll ich den Mund halten, dann soll ich reden. Was soll ich eigentlich?« »Du sollst mich nicht länger Schätzchen nennen.« »Gut, ich bleibe bei Liebling. Einverstanden?« »Ich werde mir überlegen, ob ich dich nicht doch noch zertrümmere, du Mistvieh.« Lebo Axton entdeckte ein verrostetes Stahlseil, das ganz in der Nähe lag. Er kletterte hinüber, holte es und befestigte das Fragment daran, sodass er es vorsichtig in die Tiefe lassen konnte. Anschließend kehrte er ebenfalls auf den Boden zurück, untersuchte den Kopf und stellte fest, dass in seinem Inneren außer einigen Steckverbindungen kaum etwas mehr heil war. Er klappte ihn auf, nahm die beschädigten Teile heraus und befestigte die Hülle danach über dem Fragment. »Oh, ich kann wieder sehen. Danke, Liebling«, sagte der Kopf. »Du siehst aber nicht sehr schön aus. Oder solltest du die Steckverbindungen falsch angeschlossen haben? Meine Linsen geben ein völlig verzerrtes Bild deiner männlichen Schönheit wieder.« »Du Mistvieh!«, brüllte Axton wütend und versetzte dem Kopf einen Tritt, sodass er einige Meter weit durch den Dreck rollte. »Du wiederholst dich, Liebling«, rief das Fragment, das so liegen geblieben war, dass sich die Linsen auf den Verwachsenen richteten. Axton setzte sich auf eine zur Hälfte verbrannte Schutzplatte einer Schiffspositronik und stützte den Kopf die Hände. »Was soll ich tun? Ich konnte natürlich nicht erwarten, auf einem Schrottplatz den idealen Roboter zu finden. Du aber bist zweifellos das Mieseste, was ich erwischen konnte. Warum hast du eine weibliche Stimme?«
»Warum nicht? Du hast ja auch nicht gerade einen Bass. Bevor ich sehen konnte, dachte ich, dass du ein …« »Ruhe!« »Wie du willst.« Lebo Axton ging mit schleifenden Schritte zu dem Fragment hinüber. »Du wirst nicht mehr sprechen, bis ich es dir ausdrücklich befehle.« »Einverstanden, Liebling.« Er hielt sich die Ohren zu. Der vorherige Besitzer dieses Roboters musste ein ganz besonderer Spaßvogel gewesen sein. Wer kam schon auf den Gedanken, eine Maschine derart zu programmieren, dass sie freche Antworten gab und ironische Feststellungen machte? Dazu war ein Roboter nur dann fähig, wenn sein positronisches Interieur sorgfältig vorbereitet war und ein hervorragendes Programm hinzugefügt wurde. Axton legte die Hand neben das Fragment. »Wenn ein Roboter kommt und dich wegräumen will, teilst du ihm mit, dass du mir gehörst. Ist das klar?« »Klar, Liebling.« Axton überlegte, ob er dem Kopf nicht doch einen Tritt geben sollte. Eine solche Reaktion hätte ihm zumindest Genugtuung verschafft. Er verzichtete darauf, nahm sich jedoch vor, die Maschine so schnell wie möglich neu zu programmieren. Er eilte davon. Das linke Bein schmerzte, er zog es nach. Mit fiebrig glänzenden Augen musterte er die Schrottberge in der Dämmerung, doch mehr als eine Tonta verstrich, bis er endlich auf etwas stieß, was er verwenden konnte – einen Robotfuß mit Fußgelenk. Er nahm ihn auf und schleppte ihn mit. Axton wollte zu dem Kopffragment zurückkehren, fand dann jedoch kurz hintereinander zwei Arme und ein Hüftgelenk. Nun musste er zweimal laufen, bis er alles dahin transportiert hatte, wo seine ersten Funde lagen. Erleichtert stellte er fest, dass sich nichts verändert hatte.
Mittlerweile war es so dunkel geworden, dass er seine Arbeit unterbrechen musste – Wolken hatten den Himmel verhüllt, an dem normalerweise sogar tagsüber die nahe stehenden Sterne des Kugelsternhaufens zu sehen waren. Völlige Nacht wurde es auf den Arkonwelten nie, zu dicht gedrängt und nahe standen die Sonnen im Zentrum von Thantur-Lok. M 13 oder NGC 6205 hießen dessen Katalogbezeichnungen auf der Erde in ferner Zukunft. Axton eilte zu dem Schrotthändler und fragte ihn, ob er über Nacht bleiben dürfe. Der Arkonide hatte nichts dagegen, lieh Axton sogar eine Handlampe. Der Verkrüppelte lief zu seinen Schätzen zurück und begann, die Arme an den Schultern zu befestigen. Das genügte jedoch nicht, da der eigentliche Rumpf mit den Bewegungsmechanismen noch fehlte. Axton arbeitete, bis ihm die Augen zufielen.
Arkon III: 14. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Als die weiße Sonne aufging und sofort ihre UV-reiche Strahlung aussandte, die Axton bereits am ersten Prago einen schmerzhaften Sonnenbrand beschert hatte, setzte der Verwachsene seine Suche fort, ohne sich um den knurrenden Magen zu kümmern. Zunächst blieb die Suche ergebnislos. Ein Glücksfund war dann ein schadhafter, handbreiter Aggregatgürtel mit fast leeren Speicherzellen in den integrierten Etuis. Die Projektoren für einen IV-Schirm waren ausgebaut, vom kombinierten MikrogravitatorGravoneutralisator – dazu geeignet, in Nullgravobereichen Schwerkraft zu simulieren oder diese bis zu einem Außenwert von 2,5 des Arkon-III-Wertes für den Träger bis auf null zu reduzieren – funktionierte nur noch der Neutralisator. Aber auf genau den kam es Axton an. Axton regelte den Wert auf 0,9 Gravos – und atmete erleichtert auf, als endlich der
lastende Druck verschwand. Zwar würde er sich bald Ersatzspeicherzellen beschaffen müssen, aber das war wohl das geringste Problem. Erst gegen Mittag fand er einen einen Meter langen und vierzig Zentimeter dicken Ovalkörper aus Arkonstahl. Er hatte eine blaue Grundfarbe und war unbeschädigt. Axton rollte ihn durch die Gassen zwischen den Schrottbergen und verband ihn dann mit den anderen Funden, bis sich der Roboter aus eigener Kraft aufrichten konnte. »Du wirst mir jetzt dabei helfen, weitere Teile für dich zu finden«, sagte er. »Ich werde dich Kelly nennen. Gentleman Kelly.« »Ist das ein weiblicher Name?« »Natürlich nicht. Ich will keinen weiblichen Roboter. Ich will ein männliches Wesen neben mir haben. Und ich nenne es Gentleman Kelly.« »Das ist ein eigenartiger Name für dein Nesthäkchen.« Lebo Axton verlor die Beherrschung, schlug mit einem Metallwerkzeug auf den Roboter ein, bis dieser umkippte. »Ich reiße dir die Tonmembranen heraus!«, brüllte er. »Kein Wort will ich mehr von dir hören.« Er öffnete die Kopf des Roboters und löste die Lautsprecher. Dann atmete er auf und stand auf. »Los, steh auf, Gentleman Kelly.« Der Roboter gehorchte. Sein Kopf wies eine deutliche Delle auf. »Ich bin froh, dass du nicht mehr reden kannst, Kelly. Aber warte, ich werde dir schon das passende Organ besorgen. Und das, was du für Humor hältst, werde ich dir auch austreiben, mein Freund. Los jetzt, an die Arbeit. Vervollständige dich.« Der Roboter tat, was Axton von ihm verlangte. Auf seine Armstümpfe gestützt, eilte er davon. »Ich warte hier auf dich.« Die Maschine blieb stehen, wandte sich um und winkte ihm mit einem Arm zu. Das war das Zeichen, dass sie ihn
verstanden hatte. Axton ließ sich auf ein zerbeultes Fass sinken und wischte sich mit dem Unterarm über das verschwitzte Gesicht. »Verdammtes Mistvieh«, sagte er leise. »Warum musste ich ausgerechnet dich finden?«
Lebo Axton erwachte, als sich in seiner Nähe etwas regte. Die untrüglichen Instinkte eines USO-Spezialisten, die ihm über Jahrhunderte hinweg im Kampf gegen die Feinde der Menschheit geholfen hatten, sprachen auch jetzt noch an. Er blieb liegen, wo er war, und bewegte den Kopf nur ein wenig, um besser aus seinem Versteck hinausspähen zu können. Ungefähr zwanzig Meter entfernt standen zwei zerlumpte Gestalten, die in der Abenddämmerung kaum zu erkennen waren. Sie waren hager und erweckten den Eindruck, als lauerten sie auf etwas. Axtons linkes Bein schmerzte. Er streckte es aus und stieß gegen ein Metallstück. Es fiel herunter und polterte über einen Kanister. Die beiden Männer fuhren herum und rannten auf Axton zu, blieben wenige Meter entfernt stehen. »Hier muss er irgendwo sein«, sagte einer; er hatte eine heisere, dunkle Stimme und sprach einen eigenartigen Akzent. »Von hier kam das Geräusch.« Axton verhielt sich völlig still und hoffte, dass ihn die Männer nicht entdecken würden, aber er irrte sich. Sie kamen noch näher heran. »Da ist er!« Der Heisere stürzte sich auf den Terraner, packte ihn an den Armen und zerrte ihn aus dem Schrotthaufen. Axtons klägliche Abwehrversuche scheiterten; er hatte einfach nicht die Kraft, sich gegen die Männer zu wehren. »Gnade«, wisperte er winselnd. Ihre Hände fuhren ihm in die Taschen. »Er muss irgendwo Geld haben«, sagte der Heisere wütend,
packte Axton an den Schultern und schüttelte ihn. »Wo hast du es, verdammt?« »Nicht so, Ak.« Der andere zog ein langes Messer und setzte es dem Gepeinigten an die Kehle. »Schnell – wo ist es?« Ein Metallstück wirbelte durch die Luft, traf den Mann am Kopf. Betäubt brach er zusammen. Bevor Axton erkannte, was geschah, prallte eine faustgroße Metallkugel gegen den Hals des Heiseren, der schmerzerfüllt aufbrüllte, in die Knie sank und sich den Hals hielt. Eine große, bizarre Gestalt eilte über einen Schuttberg hinweg herbei. Eine tiefe Bassstimme fragte: »Ist alles in Ordnung?« »Danke«, erwiderte Axton. »Wer bist du?« »Gentleman Kelly natürlich, Schätzchen.« »Woher hast du deine Stimme?« »Gefunden.« »So – gefunden.« »Gefällt sie dir nicht, Lieb …« »Ruhe! Wer sind diese Männer?« »Sie gehören zu einer Gruppe, die weiter hinten auf dem Schrottplatz lebt.« »Wir gehen. Das heißt – trag mich.«
Axton ließ sich absetzen, als der Roboter ein kleines Wäldchen erreicht hatte. Er war sich darüber klar, dass er nicht noch eine weitere Nacht hier verbringen konnte, sondern in irgendeinem Hotel unterkommen musste. Im Licht der vielen Sterne, das von tief hängenden Wolken gedämpft wurde, konnte er Gentleman Kelly genau sehen. Der Roboter war nun etwa zwei Meter groß. Auf dem Ovalkörper saß ein dreißig Zentimeter langer Spiralhals, den sich der Roboter selbst verschafft hatte. Auch der Kopf war leicht verändert, die Hülle gegen eine neue ausgetauscht. Sie
war nun kugelförmig und hatte in der Mitte ein umlaufendes Organband mit Quarzlinsen, Sprechmembran, Antennen und Geruchssensoren. Aus dem Ovalkörper entsprangen nicht nur zwei, sondern sieben Arme, die mit Werkzeugen verschiedenster Art versehen waren; unter anderem auch ein spitzes Messer. »Wie kommst du dazu, dich derart zu bewaffnen?«, fragte Axton mit schriller Stimme. »Wen willst du umbringen?« »Ich verfüge nur über Werkzeuge, die ich dringend benötige.« »Du lügst! Das Messer ist kein Werkzeug.« Axton stürzte sich auf den Roboter und riss und zerrte an den Sonderarmen, bis er herausfand, dass er sie drehen musste, um sie abzulösen. Nachdem er den Arm mit dem Messer herausgewunden hatte, schlug und hämmerte er wild auf die anderen Zusatzwerkzeuge ein, erzielte jedoch keinen Erfolg – wie nicht anders zu erwarten. Dann packte er erneut zu, bis Gentleman Kelly nur noch über vier Extremitäten verfügte. »So, das reicht.« Er blickte zu dem Roboter auf, der alles über sich hatte ergehen lassen, ohne sich zu rühren. »Von jetzt an wird deine Hauptaufgabe sein, mich zu beschützen. Ist das klar?« »Vollkommen. Ich habe schon damit begonnen.« »Ich habe keinen Tätigkeitsbericht verlangt«, sagte Axton schroff, wandte sich um und eilte am Wald entlang auf das nächste Gebäude zu. Hin und wieder blickte er über die Schulter zurück; der Roboter folgte ihm wie ein Schatten. Axton zwang sich dazu, den Hass auf alle Automaten und Roboter wenigstens zeitweise zu vergessen. Er war auf die Hilfe dieses Monstrums angewiesen, solange er keine Freunde hatte, auf die er sich verlassen konnte.
In
den
Gassen
des
Vergnügungsviertels
am
AYA-2-
Raumhafen herrschte reges Treiben. Raumfahrer aus allen Bereichen des arkonidischen Einflussgebietes drängten sich vor den Lokalen, den Spielsalons, Kleinsttheatern, TrividHäusern und sonstigen Etablissements zweifelhaften Charakters. Zwischen ihnen bewegten sich zahlreiche Roboter, sodass Axton mit Gentleman Kelly überhaupt nicht auffiel. Er betrat ein Lokal, in dem an den Tischen gespielt wurde. Ohne von den übrigen Besuchern beachtet zu werden, ging er von Tisch zu Tisch und beobachtete. Die Männer setzten meist hohe Beträge ein. Nach den Wertbegriffen, die Axton in den letzten Tagen erhalten hatte, ging es bei einigen Spielen durchaus um das Einkommen einer Arkon-Periode oder mehr. Er witterte eine Chance, konzentrierte sich vollkommen auf ein Kartenspiel, bei dem es weniger auf Glück als auf Geschicklichkeit ankam. Kein Spieler kümmerte sich um Gentleman Kelly. Jeder wusste, dass es niemand wagen würde, positronische Hilfen in Anspruch zu nehmen. Tatsächlich trat auch keiner der anderen Roboter im Raum so nahe an einen der Tische heran, dass er das Spiel hätte beeinflussen können. Als einige Orbtonen den Spielsalon verließen, eilte Axton zu dem frei gewordenen Tisch und setzte sich. Er nahm die Karten auf, die liegen geblieben waren, und versuchte einige Tricks, die er in seinem Robotkörper beherrscht hatte. Seine kleinen, ungeübten Hände behinderten ihn zunächst, doch schon nach kurzer Zeit gelang ihm, was er versuchte. Offenbar kam es entscheidend darauf an, dass das Hirn oder Bewusstsein wusste, wie die Hände zu lenken waren. Es gab die richtigen Nervenimpulse auch an die kindlich wirkende Hand des neuen alten Körpers – wie immer der auch genau beschaffen sein mochte, als »Traumprojektion« materialisiert oder auf eine sonstige Art in dieser Zeit entstanden. »Platz da!«, befahl jemand.
Axton blickte auf. Vor ihm standen vier Offiziere. »Natürlich, die Herren«, sagte er, setzte ein unterwürfiges Lächeln auf, verneigte sich übertrieben häufig und rutschte vom Sessel. Die Raumfahrer setzten sich. Axton ließ die Karten weiterhin zwischen seinen Händen hin und her flattern, ohne dass ihm eine entfiel. »Was treibst du da, Kleiner?« Der Mann hatte ein schmales, hohlwangiges Gesicht. »Ich würde euch gern ein paar Tricks zeigen. Ihr werdet euren Spaß haben.« Der Hohlwangige gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er seinen Platz wieder einnehmen durfte. Die anderen erhoben keinen Einspruch; alle waren hergekommen, um sich zu amüsieren. Sie waren auch bereit, sich von einem Verkrüppelten unterhalten zu lassen. Ein Servorobot brachte Getränke für alle vier. Unterdessen führte Lebo Axton einige Tricks vor, mit denen er die Arkoniden verblüffte. Danach wettete er mit ihnen, stellte die Behauptung auf, er könne ganz bestimmte Karten herausmischen, ohne sie vorher gesehen zu haben, gewann und verlor einige Male – und kam mit den Männern ins Gespräch. »Wer bist du?«, fragte der Hohlwangige irgendwann; sein Name war Ena Arat. »Ich bin Lebo Axton.« »Und woher kommst du?« Axton machte eine unbestimmte Handbewegung. »Das ist keine erfreuliche Geschichte. Wir sind hier, weil wir lachen wollen. Also, lassen wird das.« Die Arkoniden akzeptierten, dass er über seine Herkunft nicht reden wollte, blickten ihn scheu an. Er schloss aus ihrer Haltung, dass sie glaubten, seine körperlichen Mängel hätten mit Kämpfen oder Auseinandersetzungen zu tun, an die er nicht mehr denken wollte. Axton rief den Servo und gab alles
Geld, das er gewonnen hatte, für weitere Getränke aus. Die Arkoniden dankten ihm für seine großzügige Haltung und luden ihn zu einem Spiel ein, bei dem er alles wieder herausholte, was er zuvor verschenkt hatte. Einer der Männer mit Namen Samkle blickte zum Trivid-Globus im Hintergrund und verfolgte die Nachrichten, ohne auf das Spiel zu achten, das gerade lief. Er verlor prompt, aber es machte ihm nicht viel aus. »Den Mörder finden sie nie«, sagte er. Lebo Axton atmete unmerklich auf. Die Männer machten es ihm unerwartet leicht. Von Beginn an war es sein Ziel gewesen, auf den Mordfall Mosselcrin zu sprechen zu kommen. Das war – neben einer Verbesserung der Barschaft – alles, was ihn interessierte. »Was weiß man bis jetzt?«, fragte er mit einer Stimme, als wolle er im Grunde genommen gar nichts wissen. »Mosselcrin wurde angeblich bei einer ekstatischen Sitzung der Soff-Sekte, bei der er Mitglied war, getötet. Der Priester hatte zu einem Fest aufgerufen, bei dem das Blut eines Tieres getrunken werden sollte.« Samkle verstummte und spielte weiter. Ungeduldig wartete Axton ab, als aber der Arkonide nach einer Weile keine Anstalten machte, weiterzusprechen, sagte er: »Sollte man Mosselcrin mit dem Opfertier verwechselt haben?« Samkle lachte. »Spotte nicht, Kleiner. Es gibt zwei Versionen. Die eine sagt tatsächlich, dass ein Mitglied in einen Blutrausch geriet und Mosselcrin dabei die Adern öffnete.« »Und die andere?« »Die andere behauptet, er habe es in Ekstase selbst getan.« »Aber niemand hat eingegriffen.« »Woher weißt du das?« »Das ist doch offensichtlich. Sonst würde man doch von Selbstmord reden, oder? Die anderen Mitglieder der Sekte
haben sich schuldig gemacht, weil sie nichts unternommen haben, Mosselcrin zu retten. Sie haben ihn vielmehr geopfert.«
Arkon III: 15. Prago des Ansoor 10.498 da Ark »So kommen wir nicht weiter, Kelly«, sagte Lebo Axton unzufrieden. »Wir müssen unsere Taktik ändern.« Der Roboter antwortete nicht, hörte nur zu. Er stand neben der Bank, auf der der Verwachsene saß und auf den See hinausblickte. Nur wenige hundert Meter entfernt erhoben sich die Mauern einiger Werft- und Fertigungshallen. »Die Schwierigkeit ist, dass ich keine Fragen stellen kann. Ich habe keinen Zugang zu jenen Personen, die mir Auskunft geben könnten. So bleibt mir kaum mehr als ein Versuch, mit den Priestern der Soff-Sekte zu sprechen. Bringt das etwas?« »Vermutlich – nein.« »Aha – zu dem gleichen Schluss bin ich auch gekommen. Es passt nicht zu einer Sekte dieser Art, dass sie die Leiche auf diese Weise verschwinden lässt. Er bleibt eine allzu deutliche Spur zurück. Die Tatsache, dass kein Blut mehr in dem Körper war, sagt schon viel zu viel aus, gefährlich viel für jemanden, der mitverantwortlich ist.« Er lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander; die neuen Speicherzellen des Gravoneutralisators funktionierten einwandfrei. »Hm, ich glaube, die Priester können wir vorerst ausschließen. Sie hätten andere Möglichkeiten gehabt, den Toten zu beseitigen. In den Elendsvierteln rund um die Raumhäfen brennt es häufiger; ein Feuer mehr würde kaum auffallen.« Axton stand auf und verzehrte eine Frucht, die er sich aus einem Automaten gezogen hatte. »Ich habe eine andere Idee, Gentleman. Komm.« Er eilte dem Roboter voraus, der ihm mit langsamen Schritten folgte. Axton hatte in der vergangenen Nacht einige
Manipulationen an der Programmierung der Maschine vorgenommen, sodass er nun sicher sein konnte, von ihr stets unterstützt zu werden. Er hatte darüber hinaus das Verbot eingegeben, ihn je wieder mit Kosenamen wie Schätzchen oder Liebling anzusprechen. Dennoch blieb sein Misstrauen gegen den Automaten; es war in dem Mann allzu tief verwurzelt. Er brauchte nicht weit zu gehen, dann erreichte er ein trichterförmiges Gebäude, das ungefähr hundert Meter hoch war. Der ausladende Trichter hatte einen größten Durchmesser von dreißig Metern. Axton befahl dem Roboter, auf ihn zu warten, betrat dann das Gebäude und schwebte in einem Antigravschacht nach oben. Wenig später stand er einer jungen Frau gegenüber, die voller Abscheu auf ihn herabblickte. »Wir verschenken nichts«, sagte sie abweisend. »Verschwinden Sie.« Er schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Gehen Sie zur Seite.« Er ging auf die Tür zu, die die Aufschrift Hauptingenieur trug. Die Frau wagte nicht, ihn anzufassen oder aufzuhalten, redete nur empört auf ihn ein, ohne dass er sie beachtete. Axton öffnete die Tür und betrat einen luxuriös eingerichteten Arbeitsraum. Hinter einem drei Meter langen Tisch, der mit Kommunikationsgeräten förmlich bedeckt war, saß ein athletisch gebauter Arkonide, der ihn erstaunt musterte. »Was wollen Sie hier?«, fragte er belustigt. »Das ist keine Künstleragentur. Wir vermitteln keine …« Axton nahm einen Thermostrahler von der Wandhalterung und warf ihn dem Ingenieur auf den Tisch. »Das ist Mist!« »Gehen Sie freiwillig, oder soll ich Sie hinauswerfen lassen?« »Weder noch. Sie sollen sich anhören, was ich zu sagen habe.« Er trat an den Arbeitstisch und zerlegte den Handstrahler mit wenigen Griffen in seine Einzelteile. Dann
stapfte zu einem Antigravsessel, ließ sich in dem blau schimmernden Prallfeld nieder und skizzierte mit knappen Worten, was sich technisch verbessern ließ. Der anfängliche Widerstand des Ingenieurs schmolz dahin. Er gab zu, dass die Vorschläge interessant seien. »Und wie lässt sich das alles verwirklichen?«, fragte er und winkte gleichzeitig einigen Mitarbeitern ab, die ins Büro kommen wollten, um den ungebetenen Gast abzuholen. »Ich möchte mit Ihnen zusammenarbeiten«, sagte der Verwachsene. »Ich habe erfahren, dass dieses Konstruktionsbüro im Auftrag der Raumflotte tätig ist. Wenn wir uns einigen, könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Vorschlägen machen.« Axton hatte keine Furcht, technische Revolutionen einzuleiten. Er wusste, dass in dieser Zeit einige umwälzende Erfindungen gemacht worden waren, mit denen vor allem die Waffentechnik der Arkoniden verbessert wurde. Er würde mit seinen Kenntnissen keine dieser Revolutionen einleiten, sondern bestenfalls im Detail einige Dinge vorwegnehmen, die in den späteren Jahrhunderten und Jahrtausenden ohnehin noch erheblich verbessert werden würden. Er hütete sich, die Waffentechnik des Jahres 2844 in die Zeit der Großen Methankriege zu bringen. Aber auch so konnte er bereits genügend Erfolge verzeichnen. Er musste Zugang zu Offizierskreisen bekommen, und das konnte nur gelingen, wenn er sein überlegenes Wissen einsetzte. Der Ingenieur nickte ihm sinnend zu. »Einverstanden. Mein Name ist Eglo Butein. Ich habe nur noch eine Frage.« »Bitte.« »Warum machen Sie nicht Ihr eigenes Ingenieurbüro auf?« Lebo Axton verzog das Gesicht. »Sehen Sie mich doch an! Einem Krüppel vertraut niemand so leicht. Ich habe versucht, Verbindung mit Orbtonen zu bekommen. Es ist mir nicht
gelungen. Ich benötige einen Partner.« »Sie sind ehrlich.« »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.« Eglo Butein wurde zusehends höflicher, rief seine Mitarbeiter herein, stellte ihnen Lebo Axton vor und leitete eine Arbeitskonferenz ein, auf der der Verwachsene sein Wissen unter Beweis stellte. Der Ingenieur führte ihn anschließend in sein Testlabor und ließ ihn dort einige kleine Arbeiten durchführen. Auch diese erledigte Axton schnell und sicher. Danach hatte er gewonnen. Eglo Butein nahm ihn als Partner auf. Obwohl sich seine Lage damit schlagartig gebessert hatte, war Axton nicht ganz zufrieden. Er hatte nun eine verhältnismäßig sichere Basis gefunden, auf der er aufbauen konnte – aber nun war er nicht mehr so frei und beweglich wie zuvor.
12. Aus: Die Zwölf Ehernen Prinzipien der Dagoristas; um 3100 da Ark entstandener Kodex des Arkon-Rittertums Zwölftes Prinzip: persönlicher Einsatz Gib, Dagorista, im Denken und Tun stets das dir Beste! Der Erste zu sein mag der Eitelkeit schmeicheln – Ziel ist jedoch, bis an die eigenen Grenzen zu gehen, nicht an die anderer. Ergreife mit positiven Mitteln Partei für das Gute, statt mit verwerflichen Mitteln gegen das Böse zu kämpfen. Strebe, Dagorista, weniger nach Selbstaufopferung als vielmehr nach Selbsterhaltung – denn nur, wer sich selbst schützt, kann andere beschützen, und Tote können die Zwölf Ehernen Prinzipien weder bewahren noch anwenden. Deshalb, Dagorista, wäge stets im Sinne aller Zwölf Prinzipien ab: Dein Einsatz hat generell für etwas zu sein, nicht gegen etwas.
Arkon III: 16. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Das Ruflicht des Visifons flackerte. Lebo Axton schaltete den Apparat ein und lächelte, als das Gesicht Eglo Buteins auf dem Bildschirm erschien. »Guten Morgen, Partner«, sagte der Ingenieur. »Wie ist das Hotel? Sie sind hoffentlich zufrieden?« »Es ist alles bestens, Butein. Ihre Empfehlung war großartig. Was gibt es?« »Wir haben eine Besprechung mit dem Waffenmeister der Fünften Flotte. Ich hole Sie in zwei Tontas ab und bringe die von der Flotte ausgestellten Sicherheitsmarken mit.« »Danke. Bis dann.« Axton schaltete das Gerät ab, drehte sich um, blickte Gentleman Kelly an und rieb sich die Hände. »Es geht los«, sagte er, eilte zum gedeckten Tisch und verzehrte hastig ein Stück gebratenes Fleisch. »Vorher sehen wir uns aber noch den Priester der Soff-Sekte an. Einverstanden?« »Ich habe keine Einwendungen.« »Das wäre ja auch noch schöner! Ich würde dir deine Halsspirale in die Länge ziehen, falls du es wagen solltest, etwas gegen meine Entschlüsse zu sagen.« Er blinzelte. »He, Kelly, was würdest du tun, wenn ich dir die Spirale verbiegen würde?« »Ich würde Minderwertigkeitskomplexe entwickeln.« »Wie bitte? Was würdest du tun? Minderwertigkeitskomplexe? Warum?« »Weil ich dadurch sicherlich an äußerlicher Attraktivität verlieren würde.« Axton schwieg verblüfft. Dann schüttelte er den Kopf, ging einmal um Kelly herum und blickte ihn von oben bis unten an. »Du brauchst keine Komplexe zu entwickeln«, sagte er boshaft. »Du bist minderwertig.«
Zufrieden mit sich selbst und dem psychologischen Hieb, den er Kelly versetzt hatte, marschierte Axton aus dem Zimmer. Der Roboter folgte ihm wie ein Schatten und blieb auch bei dem Mann aus der fernen Zukunft, als dieser einen Mietgleiter bestieg. »Ist mir eine Frage erlaubt, Gebieter?« »Bitte.« Axton lenkte den Gleiter über einige Trichterbauten hinweg bis zum Randgebiet des Raumhafens. Hier standen einige Kuppelbauten, die mit farbenprächtigen Symbolen versehen waren. Er landete vor einem der Gebäude. »Warum wollen Sie unbedingt den Mörder Mosselcrins finden? Sie haben doch genügend Möglichkeiten, Geld zu verdienen.« Axton verschränkte die Arme vor der tonnenförmigen Brust. »Erstens geht dich das überhaupt nichts an. Zweitens hast du mir doch besser gefallen, als du dir hin und wieder einige Respektlosigkeiten erlaubt hast. Drittens werde ich dir dennoch eine Antwort geben: Ich habe nicht die Absicht, hier ein faules Leben zu führen, viel Geld zu verdienen und ansonsten nichts zu tun.« »Streben nicht alle danach, einen möglichst hohen Lebensstandard zu erreichen?« »Nicht alle, Kelly. Ich zum Beispiel nicht. Mir geht es um etwas anderes.« »Darf ich fragen, um was?« »Natürlich darfst du fragen, aber ich gebe dir keine Antwort.« Lebo Axton stieg aus dem Gleiter und betrat den Kuppelbau. Ein fremdartiger, süßlicher Geruch schlug ihm entgegen. Er blieb stehen, um sich an das gedämpfte Licht zu gewöhnen. Gentleman Kelly stellte sich seitlich auf. Widerwillig musste Axton zugeben, dass sich der Roboter geschickt verhielt; wer immer ihn programmiert hatte, er hatte es gut gemacht. Die
Maschine entwickelte Raumgefühl – ein Angreifer würde es schwer haben, an ihm vorbeizukommen. Als der Mann mehr und mehr sehen konnte, schlug er einige rote Vorhänge zur Seite und drang weiter in den Soff-Tempel vor. »Suchst du etwas, Blutsbruder?«, fragte jemand leise. Aus dem Dunkel einer Nische trat ein feister Arkonide. Die Augen waren blassrot, die Haare weiß und lang. »Du bist der Blutpriester?« »Der bin ich.« »Dann habe ich gefunden, was ich suche.« Axton blickte sich um, ging zu einem hüfthohen Kissen und setzte sich darauf. Ihm gegenüber stand ein Holzaltar, der vom Boden bis zur Decke reichte. In halber Höhe befand sich ein Sims, gerade groß genug, dass ein ausgewachsener Arkonide darauf liegen konnte. Über ihm waren eine Reihe von Messern und Klingen angebracht, die abgesenkt werden konnten. Die anderen Wände des Raums waren mit roten Tüchern verhängt. »Sieh dich um, Kelly!«, befahl Axton. »Ich will wissen, ob wir hier allein sind oder ob wir damit rechnen müssen, von diesem Blutsbruder hinterrücks abgeschlachtet zu werden, so, wie er es mit Mosselcrin gemacht hat.« »Beim Blute Soffs!«, rief der Priester. »Was sagst du da?« »Du hast es gehört, Blutsbruder.« Der Arkonide eilte auf den Besucher zu und sank vor ihm auf die Knie, um mit ihm auf gleicher Augenhöhe zu sein. »Soff sei mein Zeuge. Ich habe niemanden ermordet. Mein Blut soll sich auf der Stelle in Blei verwandeln, wenn ich lüge.« »Mondträger Mosselcrin gehörte der Sekte an. Ich weiß es. Er wurde geopfert.« Axton beobachtete den Priester scharf, bemerkte, dass er Angst hatte. Die Augen tränten und flackerten. Das war ein Zeichen äußerster Erregung. Gentleman Kelly kam zurück und machte Axton ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Sie waren mit dem Priester allein in
der Kuppel. »Aus dir spricht Todessehnsucht, Blutsbruder.« »Wie meinst du das?« »Du möchtest dein Blut dort oben vergießen, nicht wahr?« Axton zeigte zum Altar. »Kelly – leg ihn auf die Schlachtbank.« Der feiste Mann schrie auf, seine Augen weiteten sich. Er sprang hoch und wich vor Axton zurück. »Das darfst du nicht tun, Blutsbruder.« Der Roboter ergriff ihn bei den Oberarmen, sodass er nicht fliehen konnte. »Ich will alles sagen. Nur – töte mich nicht.« Axton befahl Kelly mit einer Geste, den Priester wieder loszulassen. Der Roboter gehorchte. Vor Axton sank der Mann auf die Knie. »Erzähl, Blutsbruder. Aber bleib bei der Wahrheit, sonst sehe ich mich gezwungen, dein Blut zu Ehren Soffs zu vergießen.« Axton beugte sich vor und blickte seinem Gegenüber starr in die Augen. »Also?« »Alle wissen es.« »Mag sein. Ich will es dennoch hören.« »Mosselcrin wurde ermordet. Aber nicht wir haben ihn getötet, sonder einer der Offiziere vom Hof.« Nach dieser Aussage sackte der Priester förmlich in sich zusammen und senkte den Kopf, als erwarte er nun das Schwert des Henkers. »Komm, Schätzchen, rede weiter!«, befahl Kelly. Lebo Axtons Augen weiteten sich. »Was hast du gesagt? Sagtest du Schätzchen?« »Aber nicht zu Ihnen, Gebieter.« »Du verdammtes Mi … Hm, hast du mich also getäuscht. Na warte.« Wütend trat er dem Priester gegen die Schulter. Obwohl dieser Stoß so schwach war, dass der Arkonide ihn kaum fühlen konnte, stürzte er auf den Rücken. Ängstlich streckte er dem Verwachsenen die Hände entgegen. »Nein, Blutsbruder, tu mir nichts. Ich spreche ja schon.«
»Ich höre.« »Es stimmt. Es war einer der anderen Orbtonen.« »Wer?« »Ich kenne seinen Namen nicht, aber ich weiß, dass es ein Vorgesetzter von Mosselcrin war.« »Und warum sollte dieser es getan haben?« »Weil der Mondträger etwas über ihn herausgefunden hat.« »Was war das?« »Ich weiß es nicht.« »Von wem hat Mosselcrin es erfahren?« »Vom Edelsteinhändler Bollpta, der …« Der Priester verstummte, schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde nichts mehr sagen. Sie bringen auch mich um, wenn sie herausbekommen, dass ich alles verraten habe.« Axton rutschte von dem Kissen. »Es genügt mir auch so, Blutsbruder.« Er verließ den Tempel. Gentleman Kelly hielt ihm die Tür des Gleiters auf. Er setzte sich hinter die Steuerelemente und wartete, bis der Roboter neben ihm Platz genommen hatte. »Du bist eine heimtückische Bestie. Ich werde dich kaltstellen.« »Ich wollte dich nicht kränken, Gebieter.« »Ich erwarte bestes Benehmen! Und ich befehle dir, dass du bei der Wahrheit bleibst. Ein Roboter, der lügt, ist mir noch nie begegnet. Du widersprichst allen Asimovschen Gesetzen.« »Wer ist Asimov, Gebieter?« »Verdammt, Asimov war …« Axton schluckte, blickte den Roboter an und schüttelte den Kopf. »Das kann ich dir nicht erklären. Nach welche Gesetzen bist du konstruiert und programmiert? Hat man dir Heimtücke, Lug und Trug mit einprogrammiert? Am liebsten würde ich dich in die Hölle schicken.« »Ich würde Ihrem Befehl selbstverständlich Folge leisten.«
»Wirklich?« »Ich muss gehorsam sein. Sie haben es mir befohlen.« »Also gut, dann fahr zur Hölle.« »Ja, Gebieter. Beschreiben Sie mir bitte den Weg? Und – was ist Hölle?« Lebo Axton stöhnte, schlug mit den Fingern auf die Programmtasten des Gleiters und ließ sich dann in die Polster zurücksinken. »Ich wünschte, ich könnte in einer Welt leben, in der es keine Roboter gibt.«
Edelsteinhändler Bollpta hatte ein kleines Geschäft, in dem sich – überspitzt ausgedrückt – kaum drei Personen zur gleichen Zeit aufhalten konnten. Es befand sich in einem SubSilo, der tief in den Untergrund von Arkon III hinabreichte. Als Gentleman Kelly und Lebo Axton durch einen weiten Antigravschacht nach unten schwebten, hörten sie die fernen Arbeitsmaschinen, die den Planeten förmlich auszuhöhlen schienen. So beengt das Geschäft des Händlers räumlich war, so wertvoll waren die Güter, mit denen er handelte. Bei ihm konnten seltene Edelsteine aus allen erforschten Gebieten der Öden Insel erworben werden. Schon als Axton eintrat, bemerkte er, dass Bollpta ungewöhnlich viele Sicherungen eingebaut hatte. Hier musste er vorsichtig sein; Drohungen waren fehl am Platz. Der Verkaufsraum enthielt Schaukästen, in denen die kristallenen Kostbarkeiten funkelten, einen Tisch, mehrere Sessel und einige Punktleuchten, mit denen wirkungsvolle Effekte erzielt wurden. Kelly wollte Axton folgen, doch vor ihm baute sich ein flimmerndes Schutzfeld auf, das er nicht passieren konnte. Bollpta war ein kleiner, bärtiger Mann mit auffallend großen Händen, der sich vor dem Verwachsenen verneigte. »Roboter müssen draußen bleiben. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich hoffe, dass ich etwas für Sie tun kann«, sagte Axton und setzte sich, als Bollpta eine einladende Geste machte. Der Edelsteinhändler nahm ihm gegenüber Platz und blickte ihn angespannt an. Seine Augen waren feucht – ein unübersehbares Zeichen. Ahnte er bereits etwas? »Wie darf ich das verstehen?« Lebo Axton legte die Hände mit den Handflächen aneinander und rieb sie. Er tat, als suche er nach Worten. »Sie wissen schon, was ich meine.« »Meine Zeit ist begrenzt. Wenn Sie einen guten Grund haben, zu mir zu kommen, dann nennen Sie ihn.« »Sie wissen sehr wohl, dass es um den Tod Ihres Freundes Mosselcrin geht. Gewisse Leute haben erfahren, dass Sie ihm Informationen gegeben haben, die tödlich für ihn waren.« »Ich kenne diesen Herrn nicht. Wie heißt er doch …?« Axton wartete ab. Bollpta wurde mit jedem verstreichenden Wimpernschlag nervöser, stand schließlich auf. »Also, dann gehen Sie, bitte. Ich habe keine Zeit.« Axton blieb ruhig sitzen. »Bollpta, haben Sie mich nicht verstanden? Mosselcrin wurde getötet, weil er etwas wusste, was Sie ebenfalls wissen. Einer seiner Vorgesetzten konnte es sich nicht leisten, jemanden mit diesem Wissen leben zu lassen. Soll ich so lange in Ihrer Vergangenheit herumwühlen, bis ich darauf stoße, welche Informationen Sie weitergegeben haben?« »Wer sind Sie?« »Das ist unwichtig. Mir kommt es darauf an, diese Informationen ebenfalls zu bekommen.« »Warum?« Bollpta zupfte an den Bartspitzen. »Wenn Sie sie haben, sind Sie ebenfalls in Gefahr, getötet zu werden.« »Ich bin mir dessen bewusst.« Die Männern blickten sich an. Bollpta wurde unsicher, hatte Angst, daran zweifelte Axton nun nicht mehr. Und er hatte
Mosselcrin tatsächlich etwas mitgeteilt, was dem Offizier zum Verhängnis geworden war. Ein Rufzeichen ertönte. »Bitte, gehen Sie«, sagte Bollpta hastig. »Ich werde Ihnen alles sagen. Aber nicht jetzt. Kommen Sie heute Abend wieder. Sagen wir, zur fünfzehnten Tonta?« »Einverstanden.« Es war die Zeit der allabendlichen TrividInformationsshow, der Tussan-Erkanta. Lebo Axton stand auf und verließ den Raum. Er stieß beinahe mit einem uniformierten Offizier zusammen. »Ich benötige einen ganz besonders schönen Stein«, rief der Besucher. »Bollpta, Sie müssen mir helfen, die schönste Frau des Universums zu erobern.« Der Verwachsene und der Roboter schwebten im Schacht nach oben. Axton wollte am liebsten wieder umkehren, denn er hatte das Gefühl, dass es ein Fehler gewesen war, den Händler allein zu lassen.
Die Arbeitskonferenz mit dem Waffenmeister fand in einem Trichterbau direkt neben dem Übungsgelände der Raumfahrer statt und verlief in einer nüchternen und sachlichen Atmosphäre. Lebo Axton beschrieb die technischen Verbesserungen, die er dem Ingenieur Eglo Butein bereits vorgetragen hatte. Danach führte Gentleman Kelly einen überarbeiteten Thermostrahler vor. »Das ist ein Durchbruch«, rief Waffenmeister Ragnor Ragnaari, ein Dreiplanetenträger im Rang eines Vere’athor. »Butein, ich glaube, nun werden Sie groß ins Geschäft kommen.« Sie kehrten in das Büro des Offiziers zurück. An den Wänden hingen Hunderte Handfeuerwaffen verschiedenster Art. Axton nahm die Gelegenheit wahr, einige von ihnen
sorgfältig zu untersuchen. Er musste an Ronald Tekener denken, der angesichts dieser Waffensammlung sicherlich ins Schwärmen geraten wäre. Zugleich bedauerte er, dass es ihm nicht möglich sein würde, dem Freund eine dieser Kostbarkeiten mit in die ferne Zukunft zu nehmen. Ragnaari zog einige weitere Waffenspezialisten der Flotte hinzu. Die Gespräche zogen sich über etliche Tontas hin. Dann führte der Orbton die Gruppe in die subplanetarischen Militäranlagen, die sich, wie Axton wusste, im Laufe späterer Jahrhunderte und Jahrtausende durch nahezu die gesamte Planetenkruste ziehen sollten. Aber schon jetzt waren sie eindrucksvoll. Arkon III verwandelte sich in einen reinen Kriegsplaneten. Auf breiten Gleitstraßen fuhr die Gruppe durch Hallen und Werftanlagen bis zu einem Raketen- und Strahlenkanonen-Abwehrzentrum. Immer wieder wurden sie durch Sicherheitskontrollen aufgehalten. Schließlich erreichten sie zwei mächtige Strahlkanonen, deren Abstrahlprojektoren einen Durchmesser von etwa eineinhalb Metern hatten. Interessiert hörte Axton zu, als der Waffenmeister die Leistungsdaten nannte. Sie waren im Vergleich zu jenen Strahlern des Solaren Imperiums, das erst in etwa zehntausend Jahren entstehen würde, unbedeutend. Axton erinnerte sich auch daran, dass gerade mit diesem Typ Strahler zahlreiche Unfälle verbunden gewesen waren. Und tatsächlich kam der Waffenmeister schon bald auf das Problem der Versager und Waffenexplosionen zu sprechen. »Ich kann Abhilfe schaffen«, sagte Axton zuversichtlich. »Das Problem gleicht dem der Handstrahler und ist bald bewältigt.« Er ließ sich von einem Ingenieur die Strahlkanonen bis ins letzte Detail erläutern und entdeckte rasch eine Reihe von Fehlerquellen, die beim Einsatz dieser Waffen zwangsläufig über kurz oder lang zu einer Katastrophe führen mussten.
»Aber wir haben diese Kanonen im Weltraum ausprobiert«, protestierte einer der Orbtonen. »Es hat alles einwandfrei funktioniert.« »Bei allen eingesetzten Waffen?« »Nun – bei etwa achtundsiebzig Prozent.« »Das ist zu wenig!« Die Diskussion ging weiter. Axton konnte sich jedoch mehr und mehr aus ihr zurückziehen und sie seinem Partner Butein überlassen. Er kam stattdessen mit anderen Orbtonen ins Gespräch und stellte einige Fragen zum Mordfall Mosselcrin, der selbstverständlich in aller Munde war. Bevor die Arkoniden sich dessen bewusst waren, hatte Axton ihnen einige wichtige Antworten entlockt, die ihm entscheidend weiterhalfen. Vor allem fiel der Name Aprit da Dirgok. Wenig später schilderte er dann dem Waffenmeister, was getan werden musste, um die Funktionstüchtigkeit der Strahlkanonen wirkungsvoll zu erhöhen. »Ich bezweifle, dass das Problem so einfach zu lösen ist«, entgegnete der Offizier. »So einfach ist das auch gar nicht, wie es sich anhört. Es werden Jahre vergehen, bis jede Strahlwaffe stets zuverlässig funktioniert.« »Sie erwähnten auch, dass die Leistung gesteigert werden kann?« »Das ist richtig. Aber ich bin dafür, dass die uns gestellten Aufgaben schrittweise gelöst werden. Alles auf einmal verbessern zu wollen wäre falsch.« Axton wollte zu einem längeren Vortrag ausholen, als ein Ruck durch die Gruppe ging. Irgendjemand flüsterte den Namen Aprit da Dirgok. Unmittelbar darauf erschien ein hochgewachsener Mann in der Halle. Das weiße Haar reichte ihm bis auf die Schultern, konnte aber einige hässliche Narben nicht verdecken, die Hals und Kinn verunzierten. Has’athor
da Dirgok trug eine Uniform, die mit zahlreichen Orden und Ehrenzeichen besetzt war. Auf der linken Brustseite war eine gelbe Sonnenscheibe mit glattem Rand zu sehen, überdeckt von einem schwarzen Dreieck mit roter Spitze – Kennzeichen eines einfachen Sonnenträgers, kombiniert mit dem nur dem Unteren Adel zuzurechnenden »Unter-Titel« des Vulkanträgers. Das System von Mond-, Planeten- und Sonnenträgern war zwar weitgehend im Sinne von militärischen Rängen zu sehen, fand sich aber auch bei Zivilpersonen als Titel. Der Admiral Vierter Klasse blieb stehen und blickte forschend zu der Gruppe um den Waffenmeister hinüber. Lässig erwiderte er den militärischen Gruß der Orbtonen, sah kurz zu dem Tross von Adjutanten und Beamten zurück, der ihm folgte, und kam dann zu der Strahlkanone. Der Mund mit den tief hängenden Winkeln bewegte sich kaum, als er dem Waffenmeister befahl, ihm zu erklären, was hier geschah. Der Offizier stellte Eglo Butein und Lebo Axton vor und beschrieb die Vorschläge des Verwachsenen. Für diesen hatte da Dirgok jedoch keinen Blick übrig. Er wechselte nur einige Worte mit Butein. Axton musterte den Admiral umso aufmerksamer. Die letzten Fragen, die er gestellt hatte, hatten ihm Gewissheit verschafft. Das musste der Mann sein, der für den Tod von Mosselcrin verantwortlich war. Er war der direkte Vorgesetzte des Ermordeten gewesen. Da Dirgok verabschiedete sich nach kurzer Zeit mit einem herablassenden Kopfnicken. Wiederum beachtete er Axton nicht. Der Waffenmeister hatte wohl bemerkt, wie verächtlich sich da Dirgok gerade dem Mann gegenüber verhalten hatte, der am meisten über die Waffensysteme und ihre Verbesserungen wusste, und war nun darauf bedacht, diesen Fehler seines Vorgesetzten wieder auszubügeln, ohne zu bemerken, dass Axton überhaupt keinen Wert darauf legte.
Eglo Buteins Augen begannen zu tränen, als er die Tür des Gleiters hinter sich zugeschlagen hatte und startete. Lebo Axton beobachtete, dass seine Hände zitterten. »Axton«, sagte der Ingenieur mit heiserer Stimme. »Wie konnten Sie den Orbtonen nur solche Fragen stellen?« »Fragen? Was für Fragen meinen Sie?« »Das wissen Sie ganz genau.« »Leider – nein.« »Wir wollen Geschäfte machen, verstehen Sie?«, brüllte der Ingenieur wütend. »Der Mordfall Mosselcrin geht uns überhaupt nichts an.« »Landen Sie dort unten.« »Was soll das bedeuten?« »Ich steige aus!« »Sie wollen sich … von mir trennen?« »So ist es.« »Das können Sie nicht tun, Axton. Begreifen Sie denn nicht, dass ich es nur gut mit Ihnen meine?« »Nein.« »Axton! Has’athor Aprit da Dirgok ist ein Mann, der großen Einfluss am Hof hat. Es heißt, dass er schon fast als Freund Seiner Erhabenheit anzusehen ist. Können Sie sich nicht vorstellen, was das bedeutet?« »Nein.« »Tun Sie doch nicht so. Mich können Sie nicht täuschen. Sie haben den Offizieren Fragen gestellt, aus denen diese ihre Schlüsse gezogen haben. Sie haben mir gesagt, was Sie gemacht haben. Sie verdächtigen da Dirgok offensichtlich, am Tod Mosselcrins schuldig oder mitschuldig zu sein.« »Meinen Sie?« »Axton, was glauben Sie denn, was der Admiral mit Ihnen
macht, wenn er das erfährt? Sollte er wirklich für Mosselcrins Tod verantwortlich sein, macht es ihm überhaupt nichts aus, Sie ebenfalls verschwinden zu lassen. Zumal Sie …« »Zumal er mich ohnehin für einen Fehlgriff der Natur hält. Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?« »Ich … Das müssen Sie doch verstehen.« »Ich nehme Ihnen eine derartige Bemerkung nicht übel, Butein. Allerdings werden Sie sich daran gewöhnen müssen, dass ich mich für Mosselcrins Ende interessiere. Tun Sie das nicht, trennen sich unsere Wege.« »Überlegen Sie doch vernünftig, Axton. Nehmen wir einmal an, es gelingt Ihnen, da Dirgok den Mord nachzuweisen. Ich halte so etwas für vollkommen unmöglich, aber nehmen wir an, dass Sie Erfolg haben. Was dann? Glauben Sie, Sie könnten zur nächsten Polizeidienststelle gehen und sie davon unterrichten? Glauben Sie, damit würden Sie irgendeine Reaktion erzielen? Alle Untersuchungen über da Dirgok würden schon nach spätestens zwei Pragos eingestellt werden. Wenn man so weit oben ist wie Aprit da Dirgok, kann man tun und lassen, was man will, ohne dafür bestraft zu werden – sofern man sich nicht mit dem Imperator persönlich anlegt. Für Männer dieser Rangordnung gelten andere Gesetze als für uns.« Er atmete tief durch. Der Gleiter schwebte auf den Trichterbau zu, in dem Butein sein Büro hatte. Er blickte Axton an. »Werden Sie von nun an darauf verzichten, Mosselcrins Tod aufklären zu wollen?« Der Verwachsene schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Werden Sie denn damit aufhören, mir Vorhaltungen zu machen?« »Sie sind wahnsinnig, Axton. Sie sind komplett verrückt.« »Ist mir die Frage erlaubt, Gebieter, ob das als Angriff auf Sie anzusehen ist?«, fragte Gentleman Kelly übertrieben höflich. »Nicht doch, Kelly. Er meint es nur gut.«
»Ich wünschte, ich wäre Ihnen nicht begegnet, Axton.« »Dann wäre Ihnen ein großartiges Geschäft entgangen, Butein.«
Als Lebo Axton mit Gentleman Kelly vor dem Schacht landete, der zum Geschäft des Edelsteinhändlers hinunterführte, parkte ein Ambulanzgleiter neben dem Eingang. In höchster Eile schwebte der Terraner nach unten, kam aber nicht zum Geschäft. Mehrere Arkoniden standen davor und beobachteten, was sich darin tat. Axton war zu klein, um über sie hinwegsehen zu können. Widerwillig wandte er sich an den Roboter. »Was siehst du?« »Bollpta liegt am Boden. Ein Bauchaufschneider ist bei ihm, kümmert sich aber nicht mehr um ihn. Er schreibt etwas auf.« »Ist er tot?« »Bollpta bewegt sich nicht mehr. Seine Augen stehen offen.« »Ich habe es befürchtet. Komm.« Sie kehrten zum Gleiter zurück. »Wo kann man erfahren, wo sich die Privatwohnung des Händlers befindet?« »Es gibt ein positronisches Adressbuch.« Kelly drückte einige Knöpfe auf der Tastatur neben Axton. Augenblicke später leuchtete die Zahl auf einem Bildschirm auf; sie gab die Kombination an, die Axton dem Autopiloten des Gleiters eingeben musste.
Am Abend näherte sich der Terraner einem einsam gelegenen Trichterbau weitab vom AYA-2-Raumhafen. Das nächste Gebäude war etwa fünf Kilometer entfernt. An einer Tafel in der Eingangshalle konnte Axton ablesen, wo sich die Wohnung des Edelsteinhändlers befand. Mit Kelly schwebte er den Antigravschacht hinauf. »Öffne die Tür.«
»Das ist ungesetzlich.« »Das Gesetz benimmt sich auf diesem Planeten nicht ganz so, wie es eigentlich sollte. Also brauchen wir uns auch nicht unbedingt an das Gesetz zu halten. Öffne.« »Ich kann nicht.« »Warum nicht?« »Es ist mir verboten, gegen die Gesetze zu verstoßen.« »Ein Roboter mit Hemmungen, das hat mir gerade noch gefehlt. Hör zu, Kelly, wenn du nicht sofort parierst, bringe ich dich wieder auf den Schrottplatz und demontiere dich. Dann ist deine Existenz beendet. Also, entscheide dich.« »Es könnte zu Kurzschlüssen kommen, sollte ich mich in Konfliktsituationen bringen.« »Ich werde sie voller Vergnügen beobachten. Los, beeil dich.« Gentleman Kelly gehorchte. Mit schnellen Griffen zerstörte er das Sicherheitsschloss der Wohnungstür, sodass Axton eintreten konnte. Der Roboter blieb an der Tür stehen. Ein Mann mit der Erfahrung Axtons wusste, wo er zu suchen hatte. Es vergingen nur wenige Zentitontas, dann lag ein kleines Buch in seinen Händen. In ihm hatte Bollpta alles niedergeschrieben, was ihm wichtig erschien. »Wir verschwinden, Kelly.« Sie eilten zum Gleiter. Axton war kaum gestartet, als er zwei Maschinen bemerkte, die sich dem Gebäude näherten. Er steuerte in die entgegengesetzte Richtung zu einem hügeligen Gelände, in dem sich zwischen Büschen und Bäumen zahlreiche Antennen erhoben. Als er sicher war, dass sie nicht verfolgt wurden, lenkte er den Gleiter nach Westen. Es gelang, unbemerkt zum Hotel zurückzukehren. Hier machte Axton sich sofort daran, das Buch durchzulesen. Die Eintragungen, die Bollpta in den letzten Pragos vorgenommen hatte, befassten sich mit Mosselcrin und
Aprit da Dirgok. Der Händler berichtete, dass er aus geschäftlichen Gründen auf dem Planeten Akkerek im EnvySystem gewesen war. Hier hatte er Verbindung mit militärischen Kreisen bekommen und dabei einiges über den Günstling Orbanaschols erfahren. Aprit da Dirgok war ein Kolonialarkonide, der auf Akkerek geboren wurde. Die ehemalige Kolonie war seit rund fünfzig Jahren immer selbstständiger geworden und hatte sich von Arkon abgewandt, als Orbanaschol III. 10.483 da Ark an die Macht gekommen war. Der neue Herrscher hatte mit wütenden militärischen Drohungen auf die Unabhängigkeitserklärung reagiert und Akkerek in eine erneute Abhängigkeit von Arkon gebracht. Darauf basierte die Feindschaft der Akkereker gegen den Imperator. Aprit da Dirgok gehörte dem Unteren Adel an, dem KatorKhasurn als »Kleinem Kelch«, dessen Mitglieder als »Edle Dritter Klasse« umschrieben wurden. Als On-tharg wiederum, also ein »On Sechster Klasse«, entsprach sein Titel nur dem untersten Adelsrang. Der Mann war als Offizier der Raumflotte nach Arkon III abgestellt worden. Von der Untergrundbewegung auf Akkerek hatte er den Auftrag erhalten, Orbanaschol III. zu ermorden. Auf dieses Ziel hatte er anfangs auch hingearbeitet, hatte sich den Weg frei gemacht, der zum Imperator führte, und dabei einige hochgestellte Orbtonen durch geschickte Intrigen beseitigt. Dann aber, als er tatsächlich die Möglichkeit hatte, Orbanaschol zu ermorden, hatte er es nicht getan, sondern sich auf die Seite des Herrschers geschlagen und war damit zum Verräter an seinem Volk geworden – um seines persönlichen Vorteils willen. Zweifellos musste er heute befürchten, dass ihn Orbanaschol III. fallen ließ, sollte er erfahren, wer da Dirgok wirklich war. Der Imperator konnte gar nicht anders handeln,
denn er konnte in seiner unmittelbaren Umgebung keinen Mann dulden, der derartige Entscheidungen getroffen hatte, selbst wenn sie sich zum Vorteil Seiner Erhabenheit ausgewirkt hatten. Als Herrscher musste er befürchten, dass der Admiral seine Absichten erneut ändern würde, sollte er sich dadurch weitere Verbesserungen seiner Zukunftsaussichten erhoffen. Dieses Wissen hatte der Händler Bollpta von Akkerek mitgebracht. Er hatte Mosselcrin informiert, und dieser hatte seinen Vorgesetzten offenbar spüren lassen, dass das Fundament seiner Orbtonenkarriere nicht mehr ganz so fest war, wie er selbst geglaubt hatte. Dafür hatte Mosselcrin mit dem Leben bezahlen müssen. Lebo Axton zweifelte nun nicht mehr daran, dass Bollpta ebenfalls ein Opfer Dirgoks geworden war. Er musste schnell und entschlossen handeln, wenn er den Has’athor stürzen wollte. Das war die große Chance, die er sich erhofft hatte.
Eglo Butein trug einen weiten, wallenden Umhang, als er den Salon im Hotel betrat. Lebo Axton nahm ein bescheidenes Abendessen ein, Gentleman Kelly stand im Hintergrund und verhielt sich schweigend, weil Axton es ihm befohlen hatte. »Darf ich mich setzen?«, fragte der Ingenieur. »Bitte. Etwas Wein?« »Danke, nein.« Nervös nahm Butein Platz. Er rutschte bis zur vorderen Kante des Sessels, stützte die Ellenbogen auf und sagte: »Ich muss mit Ihnen reden.« »Das tun Sie doch schon.« Der Terraner nippte an seinem Glas. »Axton, Arkon Drei erlebt wieder einmal schlimme Tontas.« »Schlimme Tontas? Was meinen Sie damit?« »Nun, es kommt immer wieder vor, dass Seine Erhabenheit oder einer der Minister des Berlen Than aus irgendeinem
Grund eine Großfahndung einleitet. Dann wird der ganze Planet umgekrempelt. Überall finden Razzien statt. Spielhöllen werden geschlossen – und andere, noch dunklere Vergnügungsstätten werden ausgeräuchert. Die Offiziellen nennen so etwas Reinigungsprozess; die Betroffenen meinen allerdings, dass in solchen Zeiten das diktatorische Regime Orbanaschols sein wahres Gesicht zeigt.« »Sie sind unvorsichtig, mein Lieber. Worte wie diese behagen mir nicht. Verzichten Sie darauf – jedenfalls in meiner Nähe.« Der Ingenieur erschrak, hob abwehrend die Hände. »Ich wollte nichts gegen Seine Erhabenheit Orbanaschol den Dritten sagen …« »Aber Sie haben es getan.« »Wer sind Sie eigentlich, Axton? Woher kommen Sie?« »Was sollen die Fragen? Sie sind doch nur gekommen, um mich zu warnen – oder sollte ich mich geirrt haben?« Der Hauptingenieur lehnte sich im Sessel zurück; Schweiß bedeckte seine Stirn, die Augen waren feucht. »Allerdings.« »Und warum kommen Sie dann nicht zu dem, was Sie mir eigentlich sagen wollten?« »Ich habe das Gefühl, Sie nehmen die Situation nicht ernst.« »Sie irren sich.« »Axton, man hat die Wohnung des Händlers Bollpta untersucht und dabei festgestellt, dass kurz vorher dort eingebrochen wurde. Bollpta ist – nebenbei bemerkt – eines natürlichen Todes gestorben. Der Bauchaufschneider der Militärs hat eine entsprechende Bescheinigung ausgestellt.« »Ist es üblich, dass Zivilisten auf Arkon Drei von Medizinern der Raumflotte untersucht oder behandelt werden?« »Nein, absolut nicht. Der Arzt war zufällig in der Nähe.« »Er ist nicht auch zufällig ein Freund von Has’athor Aprit da Dirgok?«
»Darüber bin ich nicht informiert.« Der Ingenieur war leicht zusammengezuckt, als der Name des Admirals fiel. Lebo Axton war davon überzeugt, dass Butein log. Er kannte diesen Offizier, und wahrscheinlich bestand auch eine Verbindung zwischen diesem und dem Bauchaufschneider. Axton war von Anfang an der Ansicht gewesen, dass Bollpta keines natürlichen Todes gestorben war. »Wie dem auch sei, Axton, und was auch immer passiert sein mag: Es steht fest, dass Sie in höchster Gefahr sind. Und damit bin auch ich es. Und das gefällt mir nicht.« »Warum sollte ich gefährdet sein?« »Weil Sie es waren, der in der Wohnung des Händlers gewesen ist.« »Das ist eine kühne Behauptung, Partner. Möchten Sie wirklich keinen Wein?« »Nur einen kleinen Schluck, bitte.« Lebo Axton gab Kelly einen befehlenden Wink. Der Roboter brachte noch ein Glas und schenkte ein, während der Verwachsene sein Gegenüber sorgfältig beobachtete. Eglo Butein fürchtete sich. »Was empfehlen Sie mir, Butein?« »Lassen Sie die Finger von dieser Geschichte. Kümmern Sie sich nicht länger um den Tod Mosselcrins. Glauben Sie nur nicht, dass Sie gegen da Dirgok etwas ausrichten könnten. Er verfügt über einen umfangreichen Stab; Männer, die alles für ihn tun.« »Also gut, Partner. Ich werde Ihren Rat nach einer gewissen Zeit befolgen. Vorher möchte ich Sie aber noch um einen Freundschaftsdienst bitten.« »Ich werde Ihnen helfen, wenn ich kann.« Axton schnippte mit den Fingern, Gentleman Kelly trat heran und reichte ihm einen verschlossenen Umschlag. »Ich habe hier einige Mitteilungen an On-tharg Dirgok. Ich
benötige jemanden, auf den ich mich unbedingt verlassen kann, jemandem, der dem Admiral diesen Brief persönlich übergibt.« Butein wurde bleich, stand auf und eilte zur Tür. »Warum halte ich mich überhaupt noch mit Ihnen auf? Sie begreifen ja nicht. Glauben Sie wirklich, ich würde so etwas tun?« »Warum nicht? Für Sie besteht keine Gefahr.« »Ich bin anderer Ansicht. Was steht in dem Brief?« »Nicht viel. Es sind nur einige Auszüge aus einem Tagebuch. Sie informieren da Dirgok über gewisse Vorkommnisse auf Akkerek.« »Warum bringen Sie den Brief nicht selbst zu da Dirgok?« »Er würde sich vielleicht zu unbedachten Handlungen hinreißen lassen …« Lebo Axton lächelte undurchsichtig. Butein zögerte kurz, dann verließ er den Salon ohne ein weiteres Wort. Axton hatte auch nicht damit gerechnet, dass er bleiben würde. Er wusste, dass da Dirgok informiert werden würde – und zwar genau so, wie er es geplant hatte. Butein würde ihm eine Nachricht zukommen lassen, und diese würde die gewünschte Wirkung haben.
Kurz vor Mitternacht kehrte Gentleman Kelly von einem Spezialauftrag zurück, den Lebo Axton ihm erteilt hatte. Er brachte einige Metallteile mit. »Besseres konnte ich nicht finden.« Der Verwachsene kletterte auf einen Hocker. »Komm her.« Der Roboter trat zu ihm und kehrte ihm den Rücken zu. Axton nahm die Teile, drehte und wendete sie in den Händen, verrieb etwas Spezialklebstoff auf dem Rücken des Ovalkörpers und presste den Metallbügel dagegen. Als er nach wenigen Augenblicken losließ, saß er unverrückbar fest. Wenig später hatte Kelly zwei Fußstützen in Höhe der
Beinansatzgelenke und zwei Griffe auf den Schultern. Lebo Axton stieg hinauf; er konnte bequem stehen, sich an den Griffen festhalten und über den Kopf des Roboters hinwegsehen. »Ausgezeichnet, Kelly, ich bin zufrieden mit dir.« »Danke.« »Bei passender Gelegenheit werde ich dir eine Extraportion Schmieröl verschaffen. Du quietschst erbärmlich.« »Das habe ich nicht bemerkt.« Axton antwortete nicht, sondern gab dem Roboter mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er sich hinknien sollte. Er kletterte auf den Rücken der Maschine, klopfte ihr mit den Knöcheln auf die Schulter und sagte: »Ab, Kelly, du hast lange genug gefaulenzt.« Der Roboter marschierte aus dem Hotelzimmer, sank mit Axton im Antigravschacht nach unten und verließ das Gebäude, ohne dass sie irgendjemand gesehen hätte. Draußen wurde Kelly schneller; mit weiten Sätzen jagte er durch die sternenhelle Nacht. Nach etwa einer Tonta erreichten sie ein Nebenlandefeld des Großraumhafens von AYA-2, auf dem dreißig Kugelraumer standen, von denen der größte einen Durchmesser von zweihundert Metern hatte. Sie gehörten alle zur Raumflotte, stammten aber nicht von Arkon III, sondern von anderen Welten des Großen Imperiums. Der Raumhafen war von Sicherheitszonen umgeben, die mit Überwachungsund Abwehrgeräten ausgestattet waren. Diese stellten für einen so erfahrenen Mann wie Axton jedoch kein unüberwindbares Hindernis dar. Er benötigte etwa eine halbe Tonta, dann hatten er und Kelly diesen Gürtel überwunden und befanden sich auf dem Landefeld, das nur teilweise von Scheinwerfern erhellt wurde, die in den offenen Bodenschleusen der Raumschiffe angebracht waren. Gentleman Kelly trug Axton zu einem Schweren Kreuzer
hinüber, dessen Bodenrampe ausgefahren war. Zwei Raumfahrer bewachten das Schiff, gingen zwischen den Landebeinen auf und ab. Sie erschraken, als der Roboter mit dem Verwachsenen auf dem Rücken plötzlich erschien, ohne dass sie vorher etwas gehört hatten, und griffen zu ihren Waffen. »Machen Sie keinen Unsinn«, rief Axton mit gedämpfter Stimme. »Hätte ich Sie umbringen wollen, wären Sie längst tot, meine Herren. Ich muss den Kommandanten sprechen. Sorgen Sie dafür, dass ich ohne Aufsehen ins Schiff komme.« Die beiden Männer blickten ihn unsicher an. »Unmöglich.« »Glauben Sie nicht auch, dass ich längst im Schiff wäre, hätte ich Sie beseitigt? Dass ich es nicht getan habe, sollte Ihnen beweisen, dass ich in friedlicher Absicht komme. Los, überlegen Sie nicht lange, sondern seien Sie mir behilflich.« Der Sprecher richtete seinen Kombistrahler auf Axton. »Einverstanden. Sie gehen vor mir her. Versuchen Sie nicht, mich zu täuschen. Ich schieße sofort, wenn ich merke, das Sie doppeltes Spiel treiben.« »Dann kann uns nichts passieren, Gebieter. Bevor er etwas merkt, vergeht eine halbe Ewigkeit.« Der Arkonide blickte den Roboter verblüfft und verärgert an, hob seine Waffe und zielte auf den Kopf der Maschine. »Was ist das? Ein Roboter, der beleidigend wird?« »Keineswegs«, erwiderte Axton besänftigend. »Dieses Dings ist in Vergnügungszentren als Witzbold aufgetreten.« »Wenn Sie mich Dings nennen, sprechen Sie mir eine eigene Persönlichkeit ab.« »Sehen Sie – dieses Dings hat den Hang, über alles und jeden zu diskutieren. Gehen Sie, Mann, sonst stehen wir morgen früh nach hier herum und hören uns an, was dieses verschrottungswürdige Etwas an unseren Formulierungen auszusetzen hat.«
Der Posten warf Kelly einen unbehaglichen Blick zu und betrat die Bodenschleuse. Kelly trug Axton ins Schiff. Ihr Begleiter blieb ständig einige Meter von ihnen entfernt, sodass er sie stets mit der Waffe überwachen konnte. Er führte sie in einen quadratischen Raum, in dem mehrere Antigrav schalen um einen Tisch schwebten. Er ging zu einem Kommunikationsgerät und schaltete es ein, ohne Axton aus den Augen zu lassen, flüsterte etwas ins Mikrofon, deutete dann auf die Schalen und sagte: »Nehmen Sie Platz.« »Danke. Ich bleibe lieber, wo ich bin.« »Wie Sie wollen.« Einige Zentitontas verstrichen, in denen keiner etwas sagte. Dann trat ein untersetzter Mann ein, der nur mit Hemd, Hose und Stiefeln bekleidet war. Die Rangzeichen der drei blauen Planetenscheiben wiesen ihn als Kommandanten des Schweren Kreuzers aus, ein Dor’athor. Er musterte das seltsame Paar, das ins Schiff gekommen war, und setzte sich dann in eine Schale. »Was wollen Sie?« Der Verwachsene stieg nun endlich vom Rücken des Roboters herunter und ließ sich ebenfalls in eine Antigravschale sinken. »Ich habe wichtige Informationen für Sie. Die Art und Zeit meines Besuchs mögen Ihnen verdeutlichen, dass ich Ihnen diese Mitteilung nicht gefahrlos machen kann. Ich bin Lebo Axton und habe gute Verbindungen zum Hof und zu wichtigen Orbtonen. In den letzten Pragos ist einiges geschehen, was Sie wissen sollten.« »Warum?« »Weil Sie Akkereker sind.« »Das bin ich allerdings. Ich verstehe dennoch nicht …« »Wissen Sie, dass vor einigen Pragos Mondträger Mosselcrin ermordet wurde?« »Ich weiß, dass er tot ist«, erwiderte der Kommandant vorsichtig.
»Er wurde umgebracht, weil er etwas über einen Admiral herausgefunden hat, der im Unabhängigkeitskampf von Akkerek gegen – hm – Orbanaschol eine gewisse Bedeutung gehabt hat.« Das Gesicht des Kommandanten straffte sich. Lebo Axton sah, dass der Akkereker plötzlich hellwach war und ihm konzentriert zuhörte. »Der Akkereker Aprit da Dirgok wurde nach Arkon Drei geschickt, weil er den Auftrag hatte, Orbanaschol zu töten. Er hat sich jedoch nicht an seinen Befehl gehalten, sondern sich auf die Seite des Imperators geschlagen – er wurde zum Verräter an Akkerek.« »Werden Sie deutlicher, Mann.« Er hatte den Köder aufgenommen, den Axton ihm hingeworfen hatte. Er beobachtete den Kommandanten. Winzige Anzeichen verrieten ihm bereits, dass dieser den Has’athor und die Zusammenhänge kannte. »Der ermordete Mosselcrin hat die Zusammenhänge erkannt. Er wollte Ontharg Dirgok auffliegen lassen und musste aus diesem Grund sterben. Aprit da Dirgok weiß jedoch, dass er damit das eigentliche Problem nicht gelöst hat. Er will zurückschlagen und die Gefahr, die ihm droht, an der Wurzel beseitigen.« »Wollen Sie damit sagen, dass er Akkerek angreifen will?« »Das wäre zu plump und eines Mannes wie ihm nicht würdig. Nein, er plant keine offene militärische Aktion. Er wird eine Säuberungswelle einleiten, der alle zum Opfer fallen werden, die ihm früher Befehle erteilt haben und ihm noch heute gefährlich werden können.« »Wenn das wahr ist, würde das bedeuten, dass die letzten großen Männer, die sich noch gegen Orbanaschol stemmen, sterben werden. Dann wird Akkerek endgültig versklavt; der letzte Rest von Unabhängigkeit wird dahin sein.« Der Kommandant stand auf. »Nein, das kann ich mir nicht
vorstellen.« »Überlegen Sie genau, was da Dirgok sonst tun könnte. Er ist unversehens in eine Krise geraten, die ihn den Kopf kosten kann. Er muss sich wehren, wenn er seine Position in unmittelbarer Nähe Orbanaschols behaupten will. Unternimmt er nichts, dann …« Der Akkereker setzte sich wieder. »Was können wir tun? Was schlagen Sie vor?« »Sie müssen dem Admiral zuvorkommen. Sie müssen handeln, ehe er die Säuberung einleiten kann.« »Zu Orbanaschol gehen und ihm alles sagen …?« Axton lächelte. »Meinen Sie wirklich, dass Sie bis zum Imperator vordringen können? Und glauben Sie tatsächlich, dass er Sie anhören wird? Können Sie sich vorstellen, dass er als Wahrheit akzeptiert, was Sie ihm erzählen? Er wird Aprit da Dirgok hinzurufen, und dann geht für Sie das Licht aus. Nein, Kommandant, so etwas könnte ich auch tun. Damit haben Sie keinen Erfolg.« »Was schlagen Sie vor?« »Die Wahrheit über On-tharg Dirgok muss von Akkerek direkt kommen, und sie muss auf höchster Ebene überbracht werden. Verstehen Sie? Sozusagen als Ergebenheitsadresse der nun endlich einsichtigen Akkereker, die es vor sich und ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren können, dass sie einen gedungenen Mörder in unmittelbarer Nähe des Herrschers wissen, den alle achten und bewundern. In der Note an Seine Erhabenheit sollte zum Ausdruck kommen, wie sehr man den damaligen Beschluss bedauert. Und wie erleichtert man auf Akkerek ist, dass da Dirgok noch nicht zur Tat geschritten ist. Man kann sogar ausdrücken, dass da Dirgok vermutlich schon selbst zu der Erkenntnis gekommen ist, wie verwerflich ein Anschlag auf den Imperator wäre. Danach beteuert man, dass Akkerek nun und für alle Zukunft treuer Anhänger
Orbanaschols sein wird.« Der Kommandant blickte Axton an. »Sie möchte ich nicht als Feind haben; mir scheint, Sie sind ein äußerst gefährlicher Mann. Ich danke Ihnen, dass Sie uns die Gelegenheit bieten, Aprit da Dirgok auffliegen zu lassen.« »Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen.« Axton kletterte wieder auf den Rücken des Roboters, blickte über die Schulter hinweg auf den Akkereker und fügte hinzu: »Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, da Dirgoks geplantes Verbrechen an Akkerek zu verhindern. Und nun sollten Sie mir behilflich sein, Ihr Schiff und den Raumhafen ungesehen zu verlassen.«
13. Gellor Ma-Kynaan: Essay zur Degeneration der Arkoniden; Datenarchiv von Arkon-Trivid, Arkon I, entstanden Anfang 19.018 da Ark, nie veröffentlicht. Jedes organisierte System – und damit auch jede Form von Gesellschaft – unterliegt einem zwingenden Einfluss: der Trägheit. Um diese inertiale Wirkung zu überwinden, sind anstachelnde, aufputschende, manchmal sogar anarchische Impulse notwendig, Impulse, die überdies permanent erfolgen müssen, weil sonst keine dauerhafte Wirkung zu erzielen ist. Dem Einzelnen wie der Masse der Wesen ist diese Erkenntnis meist fremd, und sollte es doch bewusst werden, heißt die spontane Reaktion: Ablehnung – begleitet von Angst, Zorn und Verzweiflung gegenüber dieser Unbeständigkeit. Schicksal oder Zufall sind hierbei nur andere Benennungen. Obwohl in der Natur alles zu Trägheit neigt, gibt es natürliche Regelmechanismen, um diese durch anstachelnde Impulse zu überwinden. Mit zunehmender Herrschaft sogenannter intelligenter Kreaturen über die Natur werden diese natürlichen Störimpulse der
Trägheit jedoch gern ausgeschaltet – mit katastrophalen Folgen und Konsequenzen: Wahre Erkenntnis verschließt sich deshalb nicht diesen permanenten Einflüssen, sondern betrachtet sie als integrierte Bestandteile, deren Notwendigkeit das Leben erzwingt, soll es Leben bleiben, wie wir es kennen. Eine Lehre, die das Volk Arkons aus seiner Degeneration ziehen sollte.
Gentleman Kelly eilte mit Axton auf dem Rücken durch die weiterhin sternenhelle Nacht zum Hotel zurück. Als sie sich bis auf dreihundert Meter genähert hatten, befahl Axton ihm, kurz stehen zu bleiben. »Es ist alles ruhig«, sagte der Roboter. »Es riecht nach Verrat«, erwiderte Axton. »Aber so etwas kannst du nicht feststellen. Dazu bist du zu primitiv.« »Mein vorheriger Besitzer bezeichnete mich stets als Hochleistungsmaschine.« »Ich will nichts von ihm wissen«, antwortete Axton mit schriller Stimme. »Sie haben keinen Grund, eifersüchtig auf ihn zu sein. Ich …« »Still, du Bestie!« Lebo Axton trommelte dem Roboter mit den Fäusten auf den Kopf. »Ich will nichts mehr hören. Du redest nur, wenn du gefragt wirst.« Der Verwachsene dirigierte die Maschine ins Dunkle. Hier verharrte er fast eine halbe Tonta und beobachtete die Umgebung. Irgendetwas störte ihn, aber er konnte nicht sagen, was es war. Er hatte nicht übertrieben, als er behauptet hatte, es rieche nach Verrat. Er spürte die Gefahr fast körperlich. Und dann machten die Männer da Dirgoks einen Fehler: Ein Gleiter raste heran und landete vor dem Eingang. Zwei Männer stiegen aus und eilten davon. »Weg hier!«, rief Axton. »Schnell!«
Kelly reagierte mit gewohnter Zuverlässigkeit, drehte sich um und rannte in entgegengesetzter Richtung davon. Der pure Zufall wollte es, dass er dabei durch den Lichtkegel lief, den ein landender Gleiter vor einem Haus warf. »In Deckung bleiben! Schneller! Wir müssen die engen Gassen des Vergnügungsviertels erreichen.« Der Roboter raste mit meterweiten Sätzen davon. Axton blickte zurück und zählte zwölf Gleiter, die aus der Gegend des Hotels kamen und ihnen folgten. Allerdings schienen die Häscher da Dirgoks nicht genau zu wissen, wo sich die Verfolgten befanden. Die Maschinen schwärmten fächerförmig aus. Axton klammerte sich an Kelly, musste zugeben, dass sich der Roboter geschickt verhielt. Längst hatte er die Verfolger ausgemacht und lief so, dass er möglichst lange im Sichtschatten der Trichtergebäude blieb. Schließlich aber rückten zwei Gleiter so nahe heran, dass Kelly die Flucht unterbrach und sich in einen Hauseingang drückte. Lebo Axton blickte nach oben. Gegen den von Sternen dicht übersäten Himmel sah er, dass beide Maschinen mit jeweils vier Männern besetzt waren. »Sie haben uns noch nicht entdeckt.« Als die Gleiter hinter dem nächsten Gebäude verschwanden, tippte Axton dem Roboter auf den Kopf. »Los, weiter.« Gentleman Kelly beugte sich leicht nach vorn und rannte los. Nun trennten sie nur noch wenige hundert Meter von den Vergnügungsvierteln, die überall auf Arkon III die Raumhäfen umgaben. Die Kette der Verfolger schien dünner und dünner zu werden, sodass Axton bereits glaubte, dass sie es geschafft hätten. Da landeten zwei Gleiter, jeweils drei Männer stiegen aus, schwärmten aus und bildeten einen Sperrriegel, den niemand ungesehen durchbrechen konnte. Lebo Axton fluchte. »Wir versuchen es in der anderen Richtung.«
Kelly gehorchte, rannte um den Sockel eines Gebäudes, blieb dann jedoch abrupt stehen. Auch hier standen überall Raumfahrer. Trotz der Dämmerung erkannte Axton, dass sie bewaffnet waren. Er zweifelte nicht daran, dass Has’athor da Dirgok sie geschickt hatte. »Uns bleibt keine andere Wahl, Kelly, wir müssen uns in einer Wohnung verstecken – oder versuchen, einen Gleiter zu bekommen.« Der Roboter öffnete die Tür, eilte zum Antigravschacht und wollte in den nach oben gepolten Abschnitt steigen, doch Axton befahl ihm, den abwärts gepolten zu nehmen. Wenig später betraten sie eine Gleitergarage. Doch Axtons Hoffnung, mit einer der Maschinen fliehen zu können, erfüllte sich nicht. Der Ausflugschacht war derart abgesichert, dass er ihn nicht aufbrechen konnte, ohne dabei Alarm auszulösen. Zusammen mit dem Roboter suchte er die Gleiter nach Waffen ab, fand aber nichts. »Wir versuchen es drüben«, entschied er. Kelly rannte auf einen Passagetunnel zu, der die Tiefgarage mit den Subetagen des Vergnügungsviertels verband. Der Roboter benötigte drei Zentitontas für den Tunnel, dann erreichten sie einen weiteren Trichterbau. Axton atmete unwillkürlich auf, blickte sich in der Gleitergarage um, in der zwanzig Flugmaschinen standen. Als er damit begann, sie nach Waffen abzusuchen, pfiff etwas hautnah an seiner Stirn vorbei. Er fuhr herum, wobei er sich so heftig bewegte, dass er fast den Halt verloren hätte und vom Rücken des Roboters heruntergefallen wäre. Zwanzig Schritte entfernt stand ein Raumfahrer, der eine Pistole in der Hand hielt. Von dort stammte das Projektil. »Nicht bewegen!«, brüllte der Mann, hob die Waffe und drückte ab. Buchstäblich im letzten Augenblick duckte sich Axton, sodass ihm der Stahlpfeil nur durch die Haare fuhr,
ohne ihn zu verletzten. »Sind Sie verrückt geworden?«, rief er zornig. Der Raumfahrer rannte auf sie zu, schoss abermals. Dieses Mal verfehlte er Axton nicht. Das Geschoss streifte seinen linken Oberarm. Der Verwachsene hob im Gegenzug seinen rechten Arm, spannte zwischen Daumen und Zeigefinger einen Gummi und ließ den fingerlangen Nagel aus Arkonstahl davonzischen. Er bohrte sich mit der Spitze mitten in die Stirn des Arkoniden und drang tief ein. Der Raumfahrer blieb stehen, die Pistole polterte zu Boden. Mit geweiteten Augen starrte der Mann Axton an, seine Lippen zuckten. Dann sank er auf die Knie und kippte nach vorn. »Pass auf, Kelly!«, schrie Axton. Der Roboter schnellte sich auf den Arkoniden zu und versetzte ihm einen Tritt gegen die Schulter – damit verhinderte er, dass der Getroffene aufs Gesicht fiel und sich selbst den Nagel noch tiefer in die Stirn trieb. »Entferne den Nagel.« Der Roboter gehorchte, säuberte das Geschoss an der Kleidung des Getroffenen und reichte es an Axton, der es gelassen in die Jackentasche steckte. »Er wird’s überleben. Gib mir die Pistole.« Er nahm die Waffe entgegen, untersuchte sie und begann ungehalten zu fluchen. Das Magazin war leer. Weder im Lauf noch im Nachladeschacht befand sich ein Pfeil. Kelly durchwühlte die Taschen des Verletzten, fand aber auch dort keine Munition. Axton warf die Waffe weg – unter diesen Umständen stellte sie nur unnützen Ballast dar. Nun wandte sich Axton dem Ausflugschacht dieser Garage zu und stellte erleichtert fest, dass er leicht geöffnet werden konnte. Er suchte sich einen Gleiter aus und befahl Kelly, das Steuer zu übernehmen. Langsam schwebte die Maschine nach oben und trieb dann von dem Trichterbau weg. Axton sah einige andere Gleiter, die in der Nähe auf dem Boden standen. Mehrere
Arkoniden liefen auf sie zu, einer feuerte einen Warnschuss ab. Der sonnenhelle Thermostrahl strich dicht vor der Frontscheibe vorbei. Axton schloss geblendet die Augen. Kelly unterbrach die Flucht jedoch nicht, sondern beschleunigte mit Höchstwerten – und schaffte es, den Gleiter so zu lenken, dass sich ein Gebäude zwischen ihm und den Verfolgern befand, was einen weiteren Beschuss verhinderte. Mit Höchstgeschwindigkeit raste der Gleiter auf das Vergnügungsviertel zu; zwischen ihm und seinem Ziel befand sich keiner der Häscher. Lebo Axton schaltete den bordeigenen Trivid-Empfänger ein, als er merkte, dass die Uhr eine volle Tonta anzeigte. Wie erhofft lief eine Nachrichtensendung, in der über wichtige Ereignisse des Imperiums berichtet wurde. Abschließend erfolgte ein Aufruf an die Bevölkerung, der Polizei bei der Fahndung zu helfen: »… als des Mordes an dem Händler Bollpta überführt gilt Lebo Axton.« Es schloss sich eine detaillierte Beschreibung an. »Das Äußere Axtons ist so auffällig, dass er leicht zu identifizieren sein dürfte. Die Bevölkerung wird gebeten, nicht auf eigene Faust Jagd auf Axton zu machen, da dieser als gefährlich gilt. Er ist bewaffnet und hat keine Hemmungen, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.« »Das stimmt alles nicht«, sagte Gentleman Kelly. »Natürlich nicht. On-tharg Dirgok braucht jedoch einen guten Grund, mich sofort zu erschießen, wenn er mich findet.« Der Gleiter erreichte die ersten Gassen des Vergnügungsviertels. Lebo Axton blickte durch das Heckfenster. Die Verfolger näherten sich schnell. »Dort hinüber.« Der Terraner deutete auf ein halbrundes Tor, das aus flammend rotem Licht zu bestehen schien. Zahlreiche Männer und Frauen drängten hinein. »Die Spannungsbahn. Wir versuchen, in ihr zu verschwinden.«
Der Gleiter landete und rutschte noch eine kurze Strecke kreischend über den Boden. Die Verfolger jagten heran. Axton sah, dass sich die Männer des Admirals aus den Seitenfenstern beugten, aber nicht wagten, auf ihn zu schießen, da sie inzwischen mitten in der Menge waren. Gentleman Kelly hastete mit Axton durch das Tor. Eine Münze verschwand im Schlitz des Kassenautomaten, die Barriere gab den Weg frei. Kelly eilte zur Öffnung der Röhre, die in steilem Winkel in die Tiefe führte, sprang hinein und beugte sich leicht vor, als der Sturz begann. Auf einem prallfeldähnlichen Energiekissen fielen sie ins Dunkel. Für Augenblicke geschah überhaupt nichts; dennoch krampfte sich Axton in dieser Zeit unwillkürlich zusammen. Er weitete die Augen, obwohl ihm der Wind um den Kopf pfiff, weil er nach dem geringsten Lichtschimmer suchte, der sich ihm bieten konnte. Über sich hörte er die Schreie der Verfolger, und dann blitzte es auf. Einer der Jäger schoss mit einem Thermostrahler in die Röhre hinein. Es wurde sonnenhell, sodass sich Axton stöhnend einen Arm vor das Gesicht presste. Schlagartig stieg die Temperatur an, doch die Hitzewelle reichte nicht weit genug. Der Sturz verlief zu schnell, sodass Axton bereits außer Reichweite war. »Das wird mir der Kerl büßen.« Sie passierten ein Dunkelfeld, das wie ein Vorhang die Röhre abriegelte – und gerieten plötzlich und übergangslos in eine hell erleuchtete Hohlkugel, die von wabernden Farbfeldern erfüllt war. In ihnen bewegten sich nahezu unbekleidete junge Frauen im Rhythmus einer Musik, die direkt in Axtons Kopf aufzuklingen schien. Kelly kam auf einer waagrecht verlaufenden Bandstraße zu stehen. Vor ihnen befanden sich etwa zwanzig Männer und Frauen, die vergnügt lachend betrachteten, was die Hohlkugel bot. Der Roboter rannte mit seiner Last an ihnen vorbei und schnellte
sich in die nächste abwärts führende Röhre. Axton vermochte nicht zu schätzen, wie tief sie sich nun bereits unter der Oberfläche des Planeten befanden. Es mussten mehrere hundert Meter sein. Nun glitten sie nicht durch Dunkelheit, sondern durch eine Röhre, die einen Durchmesser von etwa zwei Metern hatte und deren Wände substanzlos zu sein schienen. Axton war, als schwebe er durch Wolkenfelder, die ihre Farbe ständig wechselten. Doch er interessierte sich nur wenig für die Umgebung, weil er fürchtete, dass die Verfolger aufholen könnten. Auch diese Röhre endete abrupt. Plötzlich befanden sie sich in einer Dschungellandschaft. Ein grausig aussehendes Raubtier von beachtlicher Größe stürzte auf sie zu. Der Verwachsene schrie unwillkürlich auf, ehe er begriff, dass er nur auf eine optische Täuschung hereingefallen war. »Nach rechts, Kelly.« Der Roboter verließ die Gleitbahn und rannte in die Dschungellandschaft hinein, wobei er geschickt genug war, keine oder nur geringe Spuren zu hinterlassen. Er setzte seine Füße immer dort auf, wo der Boden hart und fest zu sein schien. Mehrere Male wurden sie von dreidimensionalen Projektionen angegriffen und erschreckt. Axton hörte die Schreie der anderen Besucher, die ebenfalls von der Hauptrichtung abgewichen waren, um die Mischung von Angst und Vergnügen auszukosten. Dann prallte Kelly fast mit einem Arkoniden zusammen, der unvermutet hinter einem Baum hervortrat. Der Mann hatte glasige Augen und stand ohne Zweifel unter dem Einfluss eines starken Betäubungsmittels. Er wich nicht aus, sondern blieb einfach stehen. Im letzten Moment konnte sich der Roboter abfangen. Lebo Axton aber wurde fast über die Schultern nach vorn geschleudert. In diesem Augenblick fiel der Schuss: Ein nadelfeiner Energiestrahl durchbohrte den
Schädel des Arkoniden. Axton ließ sich sofort fallen, stürzte ins Gras und wälzte sich blitzschnell hinter einen Baum. »Kommen Sie heraus, Lebo Axton!«, rief der Schütze, der sich hinter einem mit Pflanzen nahezu vollkommen bedeckten Felsen versteckt hielt. »Wenn Sie sich nicht stellen, werden wir Ihren Partner Butein an Ihrer Stelle töten. Er ist in unserer Hand.« Axton robbte durch eine Bodenrinne und kümmerte sich nicht um eine Riesenschlange, die sich geifernd auf ihn stürzte – nur eine Projektion. Tatsächlich verschwand sie im Nichts, als ihre blitzenden Zähne nur noch Zentimeter entfernt waren. Dann sah Axton, dass sich eine tigerähnliche Raubkatze auf jemanden warf, der sich seitlich hinter einigen flachen Steinen befand. Entweder hatte er es mit zwei Gegnern zu tun, oder der heimtückische Schütze hatte seine Position gewechselt. Axton kroch zwei Meter zur Seite, fand einen Stein, nahm ihn und warf ihn in einem Bogen genau dorthin, wo er den Arkoniden vermutete. Ein unterdrückter Fluch bestätigte, dass er sich nicht geirrt hatte. Der Schütze eilte geduckt weiter. »He, du!«, brüllte Axton. Der Mann fuhr herum, seine Waffe zuckte hoch. Doch schon zischte ein Nagel aus Arkonstahl auf ihn zu und drang ihm in die Brust. Der Getroffene brach stöhnend zusammen, wälzte sich auf dem Boden und presste die Hände auf die Wunde. Kelly sprang mehrere Meter weit zu ihm, bückte sich und nahm den Thermostrahler auf, den der Mann verloren hatte. Er warf ihn Axton zu, der ihn geschickt auffing und mit ihm auf den Verletzten zielte. »Nun, wie steht’s mit der Wahrheit? Was habt ihr mit Butein getan?« »Ich habe Schmerzen.« »Wer versucht, andere zu ermorden, muss damit rechnen, dass sein Opfer nicht damit einverstanden ist. Was ist mit meinem Partner?«
»Er wurde verhaftet. Has’athor da Dirgok gibt ihn nur frei, wenn Sie sich stellen oder wir Sie getötet haben.« »Sag dem Guten, dass er ein zu gefährliches Spiel gespielt hat. Dort, wo er hergekommen ist, hat man sich Gedanken über ihn gemacht und ist zu einem bemerkenswerten Schluss gekommen. An deiner Stelle würde ich es ihm unbedingt sagen. Es ist vielleicht nicht unwichtig für ihn, und ich hoffe, dass er seine unsinnige Jagd auf mich aufgibt, sobald er es erfährt.« »Ich verstehe nicht.« »Das ist auch nicht notwendig.« Lebo Axton stieg wieder auf den Rücken des Roboters. Kelly eilte mit seiner Last davon und sprang in die nächste Röhre. »Wohin wollen Sie, Gebieter?« »Zur Wohnung Bollptas.« »Dort wird man Sie schnell finden.« »Ganz im Gegenteil, Kelly. Das wird man nicht. Übrigens fände ich es recht angenehm, wenn du mir das Denken überlassen würdest. Du verstehst nämlich herzlich wenig davon.«
Die Röhre endete vor der Tür zu einem Holzhaus, das Axton von seinem Stil her an alte englische Landhäuser erinnerte. Ein unangenehm kalter Wind kaum aus dem Dunkel zur Rechten. Er veranlasste den Verwachsenen, Gentleman Kelly auf die Schulter zu tippen. »Los doch, ins Haus.« Der Roboter eilte zur Tür und öffnete sie. Bevor sie eintraten, blickte sich Axton noch einmal um. Das war der einzige Weg, der möglich erschien. Verfolger waren nicht zu erkennen, aber auch die Öffnung der Röhre, durch die sie gekommen waren, war nicht zu sehen. Knarrend fiel die Tür hinter ihnen zu. Lebo Axton zog den Kopf ein, um nicht gegen die niedrige
Decke des Zimmers zu stoßen, das mit seltsamen Möbeln eingerichtet war. Alles schien leicht verzerrt und verschoben zu sein. Es gab keine rechten Winkel und keine parallelen Linien, keine Kreise – überhaupt nichts, was richtig zu sein schien. Die Möbelstücke waren alt und aus Holz gefertigt, Brauntöne überwogen. Axton fühlte sich in eine längst vergangene Welt versetzt. Zwei Türen zweigten auf der linken und rechten Seite ab. Im Hintergrund führte eine mit einem Geländer versehene Treppe nach oben. Axton hörte jemanden verhalten kichern. Kurz darauf schrie eine Frau auf, doch der Schrei wurde sofort erstickt, als habe ihr jemand eine Hand auf den Mund gepresst. »Hier stimmt doch etwas nicht«, murmelte der Mann. »Gehört das nun noch zu den Scherzen der Spannungsbahn, oder hat Dirgok auch hier seine Hand im Spiel?« Er deutete auf eine der Türen, Kelly öffnete sie. Dahinter lag eine Kammer, die mit wertlosem Gerümpel bis unter die Decke gefüllt war. Hinter der anderen Tür befand sich ebenfalls abgestelltes, verstaubtes Mobiliar. »Die Treppe hoch.« Der Roboter musste sich weit nach vorn beugen, weil die Decke so niedrig war. Axton befahl: »Lass mich runter!« Kelly eilte voraus, während Axton langsamer folgte. Für ihn war es anstrengend, die Treppe mit eigener Kraft hinaufzusteigen. Irgendwo im Haus wimmerte jemand in höchster Angst. Die Stufen knarrten unter den Füßen des Roboters so stark, dass Axton befürchtete, sie könnten brechen. Er blieb noch weiter zurück, um in einem solchen Fall nicht in die Tiefe gerissen zu werden, fühlte sich nicht wohl in diesem Haus; da Dirgoks Chancen wurden immer besser. Er hatte Zeit, seine Leute um das Vergnügungsviertel zusammenzuziehen und Axton in die Enge zu treiben. Wenn er ihn hier erwischte, war es nicht besonders schwierig, ihn umzubringen. Die Illusionsmaschinerie war zwar mit
extremen Sicherheitsvorkehrungen versehen, bot aber dennoch zahlreiche Möglichkeiten, jemanden verschwinden zu lassen. Das Haus kam Axton plötzlich wie eine Falle vor, die ihm da Dirgok gestellt hatte. Mehr noch als zuvor lauschte er auf die Geräusche, die ihn umgaben. Er war nicht allein. Irgendwo in der Nähe befand sich eine Frau. War sie in Gefahr? Wurde sie von jemandem bedrängt? Oder existierte sie nur als abgespeicherte Stimme, die dazu diente, den Besuchern einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen? Axton wurde sich bewusst, wie gefährlich seine Entscheidung gewesen war, in diesem Vergnügungspalast unterzutauchen. Er wusste nie, ob das, was auf ihn zukam, eine echte Gefahr darstellte oder nur zum Programm gehörte. Gelang es seinen Gegnern, in die Maske der Programmfiguren zu schlüpfen, hatte er überhaupt keine Chance. Die Treppe endete in einem Gang, von dem zahlreiche Türen abzweigten. An den Wänden hingen die Bilder von ausgezehrten, bleichen Arkoniden. Als Axton die Darstellungen betrachtete, fiel ihm auf, dass sie alle etwas miteinander gemeinsam hatten: Die abgebildeten Personen fürchteten sich vor etwas. Kelly hatte das Ende des Gangs bereits erreicht, drehte sich um und hob den Arm. »Hier geht es nicht weiter.« In diesem Moment öffnete sich zwei Meter entfernt eine Tür, bewegte sich knarrend in den Angeln. Axton blieb stehen und griff zur Waffe. Der Schatten eines Mannes fiel auf die Tür. Eine Hand glitt auf sie zu, umklammerte einen spitzen Gegenstand. Axton hob den erbeuteten T-15 – dann trat ein verschmutzter Monteur in Arbeitskleidung grinsend auf den Gang. In der Hand hielt er einen Schraubenzieher. »Die verdammte Tür dort öffnet sich immer von selbst, wenn jemand auf die Dielen tritt. Ich muss das Schloss in
Ordnung bringen.« Er blickte Axton an und wollte die Tür wieder schließen, doch der Verwachsene trat schnell zu ihm und zielte auf seinen Kopf. »Machen Sie Platz! Los doch!« Der Monteur ging rückwärts in den Raum hinein. Kelly hastete herbei, blieb in der offenen Tür stehen. Lebo Axton hatte einen modern eingerichteten Raum betreten. Unter einem Trivid-Gerät leuchteten Farbsymbole. In der Ecke lag ein gefesselter Mann auf dem Boden; er war nur noch mit Unterwäsche bekleidet. »Das dachte ich mir doch«, sagte Axton. »Kelly, durchsuch ihn nach Waffen!« Während der Roboter diesem Befehl nachkam, ging Axton zu dem Kommunikationsgerät und tippte eine fünfzehnstellige Zahl in die Tastatur. Ein violettes Ruflicht blinkte auf. Fast eine Zentitonta verstrich, bis das mürrische und verschlafene Gesicht von Waffenmeister Ragnaari auf dem Bildschirm erschien. Der Dreiplanetenträger zuckte unmerklich zusammen, als er Lebo Axton erkannte. »Sie? Zu dieser Tageszeit?« »Ganz recht. Ich habe eine kleine Bitte an Sie, Waffenmeister Ragnaari.« »Hat das nicht bis morgen Zeit?« »Durchaus nicht. Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu verschenken.« »Sie machen mich neugierig.« »Sie sollten wissen, dass mein Partner Butein verhaftet wurde.« »Verhaftet? Warum?« »Weil er mein Partner ist; das ist der einzige Grund. Has’athor da Dirgok glaubt, dass er mich damit erpressen kann. Er will mich haben und hofft, dass ich mich stellen werde, damit Butein entlassen wird.«
»Warum sagen Sie das da Dirgok nicht selbst? Ich kann nichts für Sie oder Butein tun. Wenn Sie etwas angestellt haben, ist das Ihre Sache.« »Durchaus nicht, Vere’athor. Ihr Problem ist bekannt. Ihre Waffensysteme funktionieren nicht zuverlässig genug. Es gibt zu viele Ausfälle und sogar Explosionen. Sie wissen genau, dass ich Ihre Probleme lösen kann.« »Das ist richtig.« »Nun, dann will ich Sie nicht darüber im Unklaren lassen, dass unsere Zusammenarbeit beendet ist, wenn Butein nicht freigelassen wird.« »Axton, das können Sie doch nicht tun.« »Warum nicht? Was zwingt mich dazu, Ihre Waffensysteme zu verbessern?« »Es gibt so etwas wie eine imperiale Verpflichtung.« »Pah! Große Worte, die nichts zählen. Entscheiden Sie sich, was Ihnen mehr wert ist. Ich will Butein, und ich lasse nicht mit mir handeln.« »Wollen Sie mich erpressen?« »Nicht doch, Erhabener. Ich will nur verhindern, dass da Dirgok einen dummen Fehler macht, der sich zum Nachteil für die imperiale Raumflotte im Kampf gegen die Methanatmer auswirken muss und unter dem zwangsläufig auch Imperator Orbanaschol leiden wird. Es wird Ihnen doch nicht schwerfallen, dem Has’athor zu erläutern, wie falsch er sich verhält. Notfalls können Sie sich ja auch direkt an Seine Erhabenheit wenden.« Lebo Axton schaltete das Gerät aus und ließ den Waffenmeister mit seinen Problemen allein. Er war fest davon überzeugt, dass der Ingenieur nun nicht länger in Haft bleiben würde. Das konnte sich selbst ein On-tharg unter den gegebenen Umständen nicht mehr leisten. Damit war der erste Hieb, der wirklich empfindlich traf, gelungen. Aber er war erst
der Anfang. Der Hauptschlag, der da Dirgok vernichten sollte, sollte noch kommen. Als sich Axton umwandte, sah er, dass Kelly gute Arbeit geleistet hatte. Der Monteur war frei, Ontharg Dirgoks Mann gefesselt. »Wir verschwinden jetzt«, sagte Axton, winkte dem Angestellten des Vergnügungspalastes kurz zu und wollte den Raum verlassen. In der Tür drehte er sich aber noch einmal um. »Da fällt mir etwas ein. Vielleicht können Sie mir helfen.« »Wenn ich kann, will ich es gern tun.« »Sie haben wohl begriffen, dass dieser Mann mich ermorden wollte. Draußen warten noch mehr gedungene Mörder auf mich. Können Sie mir einen Ausgang aus dieser Maschinerie zeigen, der nicht allgemein bekannt ist? Vielleicht kann ich durch ihn entkommen.« »Selbstverständlich. Kommen Sie.« Er schritt eilig an Axton vorbei, warf ihm einen scheuen Blick zu. Die Namen, die beim Visifongespräch gefallen waren, hatten ihm verraten, dass der Verwachsene kein bedeutungsloser Mann war. Er öffnete die gegenüberliegende Tür und führte Axton und den Roboter über einen verstaubten Flur zu einer weiteren Tür, hinter der ein betonierter Gang lag, der nach etwa fünfzig Metern an einer Stahltür endete. »Er ist für Katastrophenfälle vorgesehen. Dahinten kommen sie in einer Garage heraus.« Axton gab dem Roboter einen Wink. Kelly raste los, erreichte die Stahltür und konnte sie mühelos öffnen. »Alles in Ordnung.« »Danke«, sagte Axton. »Gehen Sie jetzt lieber.« Er wartete, bis der Mann die Tür verschlossen und verriegelt hatte, rief den Roboter und ließ sich tragen. In der Garage hielt sich niemand auf. Axton konnte einen Gleiter aufbrechen und mit ihm starten. Der Morgen brach an. In der Ferne starteten drei Raumschiffe. Über dem Vergnügungsviertel hatte sich milchiger Dunst gebildet, in dem hin und wieder rote, grüne
oder blaue Reklamelichter aufleuchteten.
Gentleman Kelly blieb stehen, als die Tür ins Schloss gefallen war. »Sie machen einen Fehler, Gebieter.« Lebo Axton, der zu einem Sessel gehen wollte, fuhr wild herum. »Du bist still!«, rief er zornig. »Ich habe dich zwar Gentleman getauft, aber du scheinst keine Ahnung davon zu haben, was das überhaupt bedeutet.« »Ihre Vermutung ist richtig.« »Vermutung! Ich weiß es mit absoluter Sicherheit.« »Dann haben Sie falsch formuliert.« »Es steht dir nicht an, mich zu kritisieren.« »Ich habe nicht kritisiert. Ich habe korrigiert.« Axton lief rot an, griff nach dem T-15 und richtete ihn auf den Roboter. »Ein Wort noch, und ich vergesse alle Vorteile, die mit dir verbunden sind.« Er schnaufte heftig durch die Nase. »So weit kommt es noch, dass ein Roboter Streitgespräche führen darf. Es ist ein Wunder, dass die menschliche Kultur noch nicht unter dem Terror der Roboter zusammengebrochen ist. In mehr als elftausend Jahren hätte unendlich viel passieren können.« »So lange gibt es noch Roboter.« »Eine derartige Bemerkung musste ja kommen.« Axton schob den Strahler hinter den Gürtel und wechselte das Thema. »Was für einen Fehler?« »Es ist ein Fehler, sich in der Wohnung des Händlers Bollpta zu verstecken. Hier wird man Sie bald finden.« »Ich komme immer mehr zu der Ansicht, dass du ein Narr bist. Du solltest darauf verzichten, mir Ratschläge zu geben. Wo kann man sich denn überhaupt besser verbergen als gerade dort, wo die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen hat? Sie wird überall suchen, nur nicht hier in der Wohnung
des Edelsteinhändlers. Aber wenn man ein paar Kurzschlüsse im Gehirn hat, kann man das natürlich nicht begreifen.« Axton setzte sich, schlug die Beine übereinander und blickte nachdenklich zum Fenster hinaus – das in Wirklichkeit eine perfekte Holoprojektion war, denn arkonidische Trichtergebäude hatten an der Außenseite keine Fenster. Die Projektion zeigte einen Landschaftsblick, der bis zum Übungsgelände für Raumfahrer reichte. Einzelheiten waren auf die Distanz nicht zu erkennen, aber am Rand waren Arbeitskolonnen beschäftigt, Reste der natürlichen Landschaft zu beseitigen, um die Fläche für die militärische Nutzung zu vergrößern. Axton war fest davon überzeugt, dass er sich richtig entschieden hatte, als er in die von der Polizei versiegelte Wohnung eingedrungen war. Es war ihm gelungen, das Siegel wieder so herzustellen, dass eine Verletzung nicht erkennbar war. Hier wollte er abwarten. Irgendwann in den nächsten Pragos musste ein Kurier von Akkerek kommen. Er würde Informationen über die Vergangenheit von Aprit da Dirgok bringen. Axton wusste, dass es sich der Admiral nicht leisten konnte, den Kurier bis zu seinen Vorgesetzten, bis in die Ministerien oder gar bis zum Hof Orbanaschols III. vordringen zu lassen. Er musste etwas unternehmen, musste den Kurier abfangen. Seine Aktivität aber würde auch der unwiderlegbare Beweis dafür sein, dass die Informationen stimmten, die der Kurier überbrachte, denn gegen Lügen und Verleumdungen brauchte sich da Dirgok nicht allzu energisch zu wehren. Sie wären auch nur schwer zu beweisen gewesen. Die Vergangenheit des Mannes ließ sich aber aufrollen, sobald einige seiner persönlichen Daten besser bekannt waren. Drei Pragos verstrichen. Lebo Axton hockte wie die Spinne im Netz und wartete. Waffenmeister Ragnaari hatte sich für Butein eingesetzt, der
Hauptingenieur war wieder auf freiem Fuß. Das Trivid-Gerät lief den ganzen Tag, denn Axton war sich sicher, dass die Ankunft eines Kuriers von Akkerek gemeldet werden würde. In den Nachrichten wurden täglich ähnliche Besuche bekannt gegeben. Axton verfügte jedoch noch über ein zweites Gerät, das er aus dem gestohlenen Gleiter ausgebaut hatte. Hier lief jener Kanal, der pausenlos nur über Schiffsbewegungen auf Arkon III berichtete. Sämtliche Starts und Landungen wurden gemeldet; dazu gehörten auch Schiffsdaten und Herkunft, sofern keine Nachrichtensperre verhängt worden war. Damit war im Fall eines Schiffs von Akkerek nicht zu rechnen. Axton wusste, dass er das Intrigenspiel gegen On-tharg Dirgok so gut eingefädelt hatte, dass diesem kaum noch ein Ausweg blieb. Aber noch war nicht alles getan, was getan werden musste. Gegen Mittag des 19. Ansoor klopfte es zaghaft an der Tür. Kelly öffnete, und Hauptingenieur Eglo Butein trat ein. Er war nervös und sah verängstigt aus. Während der Roboter die Tür wieder verschloss, sodass das außen angebrachte Siegel wieder aussah, als sei es in Ordnung, ging der Ingenieur auf Axton zu, setzte sich in den Sessel nebenan. »Sie müssen verrückt sein«, sagte er. »Ich verstehe Sie nicht. Wie können Sie sich hier verstecken?« Lebo Axton erklärte es ihm und sagte abschließend: »Wenn Sie sicher sind, dass Ihnen niemand gefolgt ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.« »Mir ist niemand nachgeflogen. Ich habe einen riesigen Umweg gemacht und bin mehrmals in andere Taxigleiter umgestiegen.« »Dann ist es gut.« »Was haben Sie vor?« »Ich muss in die Wohnung von Has’athor da Dirgok.« Butein ließ sich nach hinten sinken und schüttelte den Kopf.
»Ich begreife nichts mehr. Haben Sie die Absicht, Selbstmord zu begehen?« »Keineswegs, Partner. Mir kommt es darauf an, da Dirgok unsicher zu machen. Ich will ihn bis an den Rand der Panik treiben, weil er dann genau so reagieren wird, wie ich es geplant habe.« »Warum ziehen Sie mich mit hinein? Warum haben Sie mir gesagt, dass ich unbedingt hierher kommen soll?« Axton deutete auf die Trivid-Projektion. »Ich benötige jemanden, der sich die ständigen Durchsagen anhört. Kelly muss mich begleiten. Sie werden also hier bleiben und diesen Freundschaftsdienst für mich erledigen.« »Was ist, wenn man mich hier erwischt?« »Machen Sie sich keine Sorgen, Butein. In einigen Pragos ist alles überstanden. Außerdem – der Waffenmeister ist auf uns beide angewiesen. Er wird alles tun, was er für uns tun kann.« Eglo Butein schüttelte den Kopf, sagte nichts mehr, aber Lebo Axton sah ihm an, dass er nach wie vor äußerst skeptisch war.
Nach Einbruch der sternenhellen Dunkelheit verließen Axton und Kelly das Trichtergebäude. Ein Gleitertaxi, das sie per Funkbefehl gerufen hatten, wartete vor dem Hauseingang. Neben der von Bollpta gab es sieben weitere Mietwohnungen, glücklicherweise schienen mehrere Mieter nicht auf Arkon III zu sein, denn nur selten hatte Axton Geräusche vernommen, die ihm sagten, dass sie nicht allein im Haus waren. Sie erreichten einen Gebäudekomplex von sieben Trichterbauten, die kreisförmig um ein ausrangiertes Kugelschiff errichtet worden waren. Das Schiff stellte ein Denkmal dar. Zahlreiche Gleiter bewegten sich zwischen den Trichtern hin und her. Ein ständiger Strom von Besuchern
floss auch zwischen dieser und anderen Ansiedlungen hin und her, sodass es riskant erschien, sich der Wohnung da Dirgoks zu nähern. Lebo Axton befahl dem Roboter, sich zu bücken, sodass er nicht gesehen werden konnte. Er selbst lenkte den Gleiter nun bis fast an die Dachterrasse des Trichters heran, unter der der On-tharg wohnte. »Übernimm das Steuer!«, befahl der Verwachsene, während er den Gleiter an eine Bank dirigierte. Er sprang hinaus, Kelly flog davon. Axton wartete eine Weile ab, die er regungslos hinter der Bank verbrachte. Dann war er sicher, dass niemand etwas bemerkt hatte. Er löste sich aus seinem Versteck und bewegte sich lautlos über die Terrasse. Dabei kam ihm zugute, dass er so klein war, denn die meisten Zierbüsche und Stauden waren so hoch, dass sie ihm über den Kopf hinwegreichten. Axton eilte zu einem Abgang, öffnete die Tür und lauschte. Alles war still. Vorsichtig schlich er eine Rampe hinunter und erreichte einen luxuriös eingerichteten Vorraum, der durch das durch die Fenster hereinfallende Restlicht nur mäßig erhellt wurde. Wiederum blieb er stehen und horchte. Dann glaubte er, sicher sein zu können, dass sich niemand in der Wohnung aufhielt. Er zog eine Tür auf, kam in einen weiträumigen Wohnsalon und legte die Hand auf eine Kontaktplatte. Das Licht flammte auf. Über einem Sessel lagen einige Uniformteile, die jemand achtlos darüber geworfen hatte. Axton lief zu einem Kommunikationsschrank, der unter einem Fenster stand, und schaltete das Trivid-Gerät ein. Draußen war alles ruhig, aber das würde sich bald ändern. Axton wusste, dass er an irgendeiner Stelle einen Alarm ausgelöst hatte. In wenigen Zentitontas würde jemand hier eintreffen, um nachzusehen, wer eingedrungen war. Axton schritt langsam an einer Wand entlang, die mit holzähnlichem
Material verkleidet war. An ihr hingen einige Bilder, daneben Schnitzereien und rituelle Gerätschaften, die da Dirgok vermutlich von Exkursionen zu exotischen Welten mitgebracht hatte. Dann aber stieß Axton auf eine kaum wahrnehmbare Unebenheit, ließ seine Hand darüber gleiten und drückte sie fest, ohne eine Reaktion zu erzielen. Er nahm den T-15, richtete ihn gegen die Wand und feuerte. Der nadelfeine Thermostrahl setzte die Verkleidung in Flammen; eine Platte stürzte krachend heraus. Dahinter befand sich die Panzertür des Safes. Der Verwachsene versuchte gar nicht erst, sie zu öffnen, sondern feuerte mit dem Strahler auf sie, bis sich ihr Mittelteil in flüssige Glut verwandelte und die Hitze so groß wurde, dass er zurückweichen musste. Damit wurde aber auch alles zerstört, was sich in dem Sicherheitsfach befunden hatte. Nachdenklich legte Axton den Strahler auf einen Tisch. Als er hörte, dass sich jemand an der Haupteingangstür zu schaffen machte, fuhr er herum und hastete zur Dachterrasse hinauf. Im Dachgarten hielt sich niemand auf. Ein Gleiter raste heran, Kelly stieß die Seitentür auf, Axton stieg in die Maschine und lehnte sich im Polster zurück. Der Roboter beschleunigte. Axton blickte zurück, konnte aber keine Einzelheiten mehr auf der Terrasse erkennen. Als sie kurz darauf in der Wohnung des Edelsteinhändlers eintrafen, saß Butein vor der Trivid-Projektion – genau so, wie es ihm aufgetragen worden war. »Gut, dass Sie kommen«, rief er. »Ein Kurierschiff von Akkerek ist soeben angekündigt worden. Es wird auf AYAzwei landen.« »Wie viel Zeit haben wird noch?« »Eine Tonta etwa.« »Das sollte genügen.« »Wozu? Um zum AYA-Hafen zu kommen? Dafür benötigen
Sie nur ein paar Zentitontas.« Axton schüttelte den Kopf, lächelte unmerklich. »Nein, ich dachte an Sie, Partner.« Butein wich zurück. Seine ganze Haltung drückte Abwehr und Ablehnung aus. »Was wollen Sie von mir?« »Ich benötige eine Eppter-Automatik mit wenigstens zehn Schuss.« »Was wollen Sie mit einem solchen Gewehr?« »Das sollte Sie nicht interessieren.« »Es interessiert mich aber.« »Warum?« »Weil ich nicht gewillt bin, die Waffe für einen Mord zu liefern.« »Sie können beruhigt sein, Butein. Ich habe nicht vor, jemanden zu töten. Ich möchte vielmehr verhindern, dass jemand umgebracht wird.« »Ich verstehe dennoch nicht, weshalb Sie dieses Spezialgewehr benötigen. Sie wissen, dass die Ladung der Geschosse nach dem Aufschlag auf winzigem Raum eine extreme Hitze entwickelt?« »Das ist es ja gerade, was ich nutzen möchte.« Das Lächeln Axtons vertiefte sich. »Nun fürchten Sie bitte nicht, dass ich vorhabe, eine Brandstiftung zu begehen. Auch dafür würde ich ein derartiges Gewehr nicht benötigen. Also – beschaffen Sie mir eins?« Butein streckte die Hand aus. »Das kostet etwas.« »Sie sind nett, Partner. Sicherlich strecken Sie mir die Summe vor.« Eglo Butein kaute auf seinen Lippen. Axton sah ihm an, dass er sich am liebsten von ihm getrennt hätte. Dazu aber mochte sich der Ingenieur nicht durchringen; das große Geschäft lockte noch immer. »Also gut. Ich werde es tun.« »Beeilen Sie sich. Sie wissen ja, dass wir kaum noch Zeit
haben.« »Hetzen Sie mich nicht auch noch.« »Regen Sie sich nicht auf, Partner. Es ist der letzte Dienst, den ich in dieser Sache von Ihnen erwarte. Danach können Sie ausschließlich Ihrer Ingenieursarbeit nachgehen.« »Mehr werde ich für Sie auch nicht mehr tun.« Butein kehrte schon nach knapp einer halben Tonta zurück. Das Gewehr unterschied sich äußerlich kaum von jenen Waffen, die auf der Erde bis zur Entwicklung der Energiestrahlwaffen in Gebrauch sein würden – oder gewesen waren. Lebo Axton nahm es, blickte durch das Zielfernrohr und nickte zufrieden. »Es liegt ausgezeichnet in der Hand. Danke.« »Kann ich jetzt gehen?« Axton überlegte kurz. »Sie können mir nun kaum noch helfen. Die Entscheidung lässt nicht mehr lange auf sich warten. Wenn es Ihnen Spaß macht, verfolgen Sie das Geschehen um den Kurier von Akkerek. Sie können natürlich auch hautnah dabei sein. Wollen Sie?« Butein hob abwehrend die Arme. »Sie können sich Ihren ironischen Ton sparen, Axton. Wenn sehen wir uns wieder?« »Ich melde mich bei Ihnen.« »Mir fällt auf, dass Sie Ihren Thermostrahler nicht mehr haben. Wo ist er?« »Ich benötige ihn nicht mehr. Deshalb habe ich ihn in der Wohnung meines Gegners zurückgelassen.« »Warum? Er könnte herausfinden, dass Sie es waren, der in seine Wohnung eingebrochen ist.« »Das«, antwortete Axton lächelnd, »ist genau das, was er wissen soll.« »Sie wollen ihn unsicher machen? Es soll glauben, dass Sie etwas Wichtiges entdeckt haben?« »So ungefähr, Partner.«
Butein merkte, dass Axton nicht gewillt war, ihm eine klare Auskunft zu geben, verabschiedete sich und ging.
Das trichterförmige Gebäude war nur etwa fünfhundert Meter vom Kontrollturm des Raumhafens AYA-2 entfernt. Lebo Axton hatte es geschafft, das Haus durch die subplanetare Garage zu betreten und ungesehen per Antigravschacht bis zur Dachterrasse zu kommen. Die Dachanlage wurde als Restaurant genutzt. Orbtonen der höheren Ränge nahmen hier ein leichtes Abendessen ein oder fanden sich zur Unterhaltung zusammen. Auch hier hatte Axton Glück. Er erreichte den Eingang und schlüpfte dort sofort unter einige Büsche, ohne dass ihn jemand sah. Er kroch in guter Deckung bis an den Rand der Terrasse und folgte der Rundung des Trichters, bis er freie Sicht auf den Kontrollturm-Vorplatz des Raumhafens hatte. Ein Blick auf die Uhr. Hatte Butein die Wahrheit gesagt, blieben noch zwei Dezitontas bis zur Landung. Vor dem Kontrollturm parkten ungefähr zwanzig Gleitertaxis. Fünf Zentitontas verstrichen, ohne dass etwas geschah. Axton blieb gelassen, zweifelte nicht daran, dass es ihm gelungen war, Aprit da Dirgok nervös zu machen. Er musste etwas unternehmen, wollte er diese Intrige überleben. Sein Nachteil war, dass er seinen Gegner zwar kannte, aber nicht packen konnte. Wäre Axton eine Person gewesen, die ebenfalls in Offizierskreisen oder am Hof Orbanaschols verkehrte, hätte Has’athor da Dirgok ebenfalls gegen ihn intrigieren und ihm ein Bein stellen können, ohne dabei zu so plumpen Mitteln wie einer polizeilichen Fahndung greifen zu müssen. Jetzt aber war er zu einem Spiel alles oder nichts gezwungen worden. Und das konnte ihm gar nicht behagen. Damit hatte ihn Axton in die Ecke gedrängt.
Fünf Zentitontas später landeten zwei Gleiter auf dem Parkplatz, den Sonnenlampen in helles Licht tauchten. Aus jedem stiegen vier Uniformierte, setzten sich in die freien Taximaschinen und flogen davon. Kurz darauf kamen drei weitere Gleiter; wiederum stiegen je vier Männer aus. Danach war der Parkplatz leer. Lebo Axton spitzte die Lippen und pfiff lautlos vor sich hin. Damit hatte er gerechnet, sein Plan ging auf. Er hatte gewusst, dass On-tharg Dirgok handeln würde. Einige Zentitontas vergingen, dann flog eine einzelne Maschine ein, landete, ein Uniformierter stieg aus. Er ging um den Gleiter, öffnete die Haube über dem Antigrav und schloss sie sofort wieder. Axton beobachtete ihn durch das Zielfernrohr. Er konnte nicht genau erkennen, was der Mann tat, aber er wusste es auch so. Augenblicke später landete ein kugelförmiges Raumschiff. Axton schwenkte das Gewehr herum und konnte im Zielfernrohr deutlich die Beschriftung des Leichten Kreuzers lesen. Es war der angekündigte Kurierraumer von Akkerek. Hin und wieder horchte Axton auf die Gespräche der Männer, die nur wenige Schritte entfernt waren. Keiner von ihnen ahnte, dass er hier in den Büschen lag. Ein einzelner Mann verließ das Raumschiff über die ausgefahrene Bodenrampe und schwebte auf einer Antigravplattform zum Kontrollturm. Wenig später trat er auf den Parkplatz hinaus und ging zu dem einzelnen Gleitertaxi, das dort parkte. Lebo Axton legte die Eppter-Automatik an und zielte sorgfältig. Dann zog er den Abzug dreimal durch. Leise fauchend schossen die Projektile aus dem Lauf, schlugen am Rand der Gleitertür ein und bildeten unter der Verschalung drei Hitzeherde, die selbst Metallplastik schmelzen ließen. Als der Kurier von Akkerek Augenblicke später versuchte, die Tür zu öffnen, war das Material verschweißt. Er rüttelte am Griff, ohne Erfolg. Etwas ratlos blickte er sich um. Ein Gleiter raste
heran, verzögerte stark und landete neben dem Mann. Durch das Zielfernrohr beobachtete Axton Kelly, der die Seitentür des Gleiters einladend öffnete. Der Kurier zögerte, klemmte sich seine Tasche unter den Arm und sah sich erneut suchend um. Der Roboter stieg aus der Maschine, ging zu dem anderen Gleiter, schlug das Seitenfenster ein und drückte einige Tasten. Der Gleiter startete und entfernte sich schnell. Doch schon nach etwa zweihundert Metern schoss ein blauer Blitz aus dem Heck – das Gleitertaxi stürzte wie ein Stein ab und bohrte sich mit dem Bug in den Boden, wurde vollkommen zertrümmert. Jeder Insasse wäre auf der Stelle getötet worden, weil selbstverständlich auch sämtliche Schutz- und Notfallmechanismen sabotiert waren. Der Krach hallte bis zum Restaurant. Axton hörte, dass die Gespräche verstummten und zahlreiche Männer an den Rand der Terrasse liefen, von wo aus sie eine gute Sicht auf die Absturzstelle hatten. Der Kurier stieg nun in Kellys Gleiter. Der Roboter startete und jagte mit der Maschine davon, flog in südlicher Richtung. Dort befand sich der Trichterbau, in dem der Militärbeobachter von Akkerek seine Wohnung hatte. Unterdessen diskutierten die Orbtonen erregt miteinander. Dass ein Gleiter abstürzte, war eine Sensation. Normalerweise waren diese Maschinen mit so vielen Sicherheitseinrichtungen ausgestattet, dass selbst bei einem Totalausfall des Antigravs keine Katastrophe eintreten konnte. Axton verlor keine Zeit, ließ das Gewehr liegen, kroch eilig durch die Büsche und erreichte wiederum ungesehen den Eingang. Als er sich davon überzeugt hatte, dass dieser von niemandem beobachtet wurde, schlüpfte er hinaus und sprang in den abwärts gepolten Liftschacht. Voller Ungeduld schwebte er nach unten, fand, dass er viel zu langsam transportiert wurde. Jeden Moment konnten über ihm Offiziere oder Bedienungspersonal erscheinen und ihn
entdecken. Auch aus den tiefer gelegenen Etagen konnte jemand in den Schacht kommen. Er hatte Glück. Auch in der Garage hielt ihn niemand auf. Er stieg in seinen Gleiter und startete. Zunächst flog er nach Norden, schlug dann einen Bogen ein und richtete den Bug der Maschine ebenfalls nach Süden. Axton fragte sich, was Aprit da Dirgok jetzt tat. Längst musste der Admiral wissen, dass der von ihm geplante Anschlag gescheitert war. Natürlich konnte er den Kurier nun nicht unbeachtet lassen, musste mehr noch als vorher versuchen, ihn aufzuhalten, bevor er seine Informationen weitergeben konnte.
Lebo Axton landete in der Garage eines Hauses, das nur knapp zweihundert Meter von dem Trichterbau entfernt war, in dem der akkerekische Militärbeobachter sein Büro hatte. Im Antigravschacht schwebte er nach oben. Dabei konnte er absolut sicher sein, dass ihn niemand aufhielt. Für einen Spezialisten wie Axton war es eine Kleinigkeit gewesen, die robotischen Sicherungen zu überwinden, ohne einen Alarm auszulösen. Vereinzelte Holoprojektionen an den Korridorwänden zeigten wie große Fenster das Gebäudeumfeld aus großer Höhe oder Panoramadarstellungen der Umgebung. Axton musterte die Darstellung des Nachbarhauses. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Das war ihm bereits klar geworden, als er Kellys Gleiter nicht in der Garage vorgefunden hatte. Es gab nur eine Möglichkeit: Der Kurier von Akkerek hatte darauf bestanden, direkt zum Büro geflogen zu werden. Der Roboter hatte sich diesem Befehl nicht verschließen können. Die Luftaufnahme des Nachbartrichters zeigte, dass im Innenbereich nur vier Fenster erleuchtet waren. Axton bedauerte, dass nicht mehr zu
erkennen war. Kurz entschlossen schwebte er im Schacht nach unten und verließ das Gebäude zu Fuß. Büsche und verkrüppelte Bäume boten ihm ausreichend Deckung, als er zum anderen Trichter hinübereilte. Er erwartete, dass da Dirgok eingreifen würde; irgendetwas musste geschehen. Er atmete mühsam, als er sein Ziel erreicht hatte, und musste sich auf einen umgestürzten Baum setzen, um sich wieder zu erholen. Seine Lungen schmerzten, die Muskeln seiner Beine zuckten vor Schwäche. Derartigen Anstrengungen war er kaum gewachsen. Jeder Verfolger hätte ihn mühelos überwinden können. Aber Axton hatte abermals Glück – niemand näherte sich. Als er wieder ruhiger atmen konnte, betrat er das Haus, zuckte jedoch zurück und versteckte sich draußen, als ein Arkonide im Antigravschacht nach unten schwebte. Axton glaubte, dass ihn der andere entdeckt hatte, aber alles blieb ruhig. So konnte er wenig später wiederum eintreten. Dieses Mal war der Schacht frei. Er schwebte nach oben und betätigte kurz darauf den Melder an der Tür des akkerekischen Büros. Der militärische Beobachter blickte Axton stirnrunzelnd an, nachdem dieser eingetreten war. »Sie sind …« »Ich bin der Mann, der Ihre Regierung gewarnt hat. Das sollte genügen.« »Sie werden von der Polizei gesucht.« »Nicht von der Polizei – von On-tharg Dirgok! Und warum wohl?« Axton ging in das Büro, in dem ein hagerer Mann auf einem Sessel saß. Er erkannte sofort den Kurier wieder, den er bislang nur durch das Zielfernrohr gesehen hatte. Der Akkereker trug das Haar kurz bis auf einen dünnen Zopf über dem linken Ohr. »Ich sehe, dass mein Roboter Sie unbeschadet hierher gebracht hat. Sind Sie sich aber auch darüber klar, dass Sie hier keineswegs sicher sind?«
Der Beobachter nahm hinter seinem Arbeitstisch Platz. »Wollen Sie damit sagen, dass Dirgok es wagen wird, ein Attentat in diesem Gebäude durchzuführen?« »Ich halte es für möglich.« Der Kurier schüttelte den Kopf. »Mit meinem Tod hätte er doch nichts gewonnen, sondern nur einen Aufschub erreicht. Nicht mehr.« »Sie irren sich. Er hätte Zeit, mich zu jagen. Er ist mir dicht auf den Fersen. Ich weiß, dass ich mich nicht mehr lange halten kann. Einige Pragos würden ihm genügen, um Gegenaktionen einzuleiten und dafür zu sorgen, dass Akkerek keinen zweiten Kurier schicken kann. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, dass Sie Ihr Ziel erreichen. Sie müssen Ihre Informationen an das Thektran überbringen. Danach ist Has’athor Dirgok erledigt, und Sie brauchen nichts mehr für Akkerek zu befürchten.« »Was schlagen Sie also vor?«, fragte der Militärbeobachter. »Sie müssen dieses Gebäude sofort verlassen. Je schneller Sie sich entschließen, desto besser.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Hier sind wir sicher. Es kann nichts passieren.« »Seien Sie vernünftig. Sie gehen kein Risiko ein, wenn Sie diese Nacht woanders verbringen, irgendwo an einem Ort, der Dirgok unbekannt ist.« »Kein Risiko?«, fragte der Kurier. »Warum sollten wir Ihnen vertrauen?« »Habe ich Ihnen nicht bereits bewiesen, dass ich auf Ihrer Seite bin? Mein Roboter hat Sie davor bewahrt, in einem präparierten Gleiter zu verunglücken.« »Wer sagt mir, dass Sie es nicht waren, der den Gleiter …?« Der Kurier stockte, als eine dumpfe Explosion das Gebäude erschütterte. Unmittelbar darauf heulte eine Alarmsirene auf. »Feuer! Jemand hat Feuer gelegt.« Der Militärbeobachter
rannte zur Tür, bevor Axton ihn aufhalten konnte. An ihm vorbei konnte der Verwachsene sehen, dass die Flammen aus dem Antigravschacht schlugen. Der Mann ließ die Tür wieder zufallen, blickte Axton verstört an. »Der Weg nach unten ist versperrt.« »Gehen wir nach oben zur Dachterrasse«, rief der Kurier. »Halt!«, rief Axton energisch. »Das werden Sie nicht tun. Dort oben werden mit Sicherheit in kurzer Zeit Gleiter von Dirgoks Leuten landen. Wenn Sie in eine dieser Maschinen steigen, sind Sie so gut wie tot.« »Was können wir tun? Irgendetwas müssen wir doch unternehmen.« »Achtung!«, brüllte der Verwachsene und ließ sich zu Boden fallen. Im nächsten Augenblick klirrten die Scheiben; der Bug eines Gleiters bohrte sich durch das Fenster zum Trichterinnenbereich. »Wenn die Herrschaften einsteigen wollen …?«, sagte Gentleman Kelly höflich, nachdem er die Seitentüren geöffnet hatte. »Schnell!« Axton sprang auf und nahm die Kuriertasche an sich, Kelly zog ihn in den Gleiter. Die anderen Männer folgten augenblicklich, krochen auf die hintere Sitzbank. Axton arbeitete blitzschnell: Er öffnete die Tasche, nahm die Dokumente und Datenträger heraus, schob sie sich unter die Jacke und wechselte sie gegen unbeschriftete Blätter aus. Dann schloss er die Tasche wieder und reichte sie nach hinten. Dieser Austausch erfolgte so schnell und geschickt, dass weder der Militärbeobachter noch der Kurier etwas bemerkten. Als Axton wieder nach vorn blickte, löste sich der Gleiter aus dem Fenster und schwebte nach oben, überquerte die Dachterrasse. »Steil nach unten!«, befahl der Verwachsene, Kelly gehorchte. Der Gleiter schien abzustürzen. Erst unmittelbar
über dem Boden fing der Roboter ihn wieder auf. »Wir steigen aus. Die Maschine kann weiterfliegen.« Er wartete die Zustimmung der anderen gar nicht erst ab, sondern ließ sich aus der offenen Tür fallen. Kelly tippte derweil ein neues Ziel in die Tastatur, die Akkereker begriffen, dass ihnen keine Wahl blieb. Kaum waren sie ebenfalls draußen, stieg der Gleiter auf zehn Meter Höhe auf und raste in nördlicher Richtung davon. Kelly bückte sich, Axton kletterte auf seinen Rücken, wandte sich an die Männer und rief: »Zu dem Gebäude dort drüben! Dort vermutet uns niemand. Und schnell, verdammt noch mal, meine Herren!« Er schlug Kelly die flache Hand auf den Schädel. Der Roboter rannte los, die Akkereker folgten. In diesen Augenblicken näherten sich von allen Seiten automatische Löschgleiter und zahlreiche Flugmaschinen der Notdienste. Schaulustige waren vermutlich ebenfalls darunter. Längst schlugen die Flammen aus den Fenstern zum Innenhofbereich, dichter Qualm quoll aus dem Trichter. Offenbar kamen die automatischen Brandschutzeinrichtungen nicht mit – oder sie waren vor dem Brandanschlag von dem Attentäter so beschädigt oder manipuliert worden, dass sie sich nicht einschalteten. Auf den Roboter mit seiner Last und die beiden Männer achtete niemand. Unangefochten erreichten sie das Nachbargebäude.
Arkon III: 20. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Lebo Axton erwachte, weil es so ruhig war. Zunächst wusste er nicht, wo er war. Dann erkannte er die Umgebung und begriff. »Kelly!« Die Tür öffnete sich, der Roboter trat ein. Axton atmete unwillkürlich auf, blickte auf eine der Panoramaprojektionen. Das Gebäude nebenan musste vollkommen ausgebrannt sein –
schwarze Spuren zogen sich über die fensterlosen Außenseiten. »Wo sind sie?« »Sie sind bereits aufgebrochen.« Axton war sofort hellwach. »Sie sind weg?«, schrie er und wälzte sich von der Couch. »Du hast es zugelassen, dass sie ohne mich starten?« Sein Gesicht rötete sich vor Zorn. Er griff nach dem erstbesten Gegenstand – einem Kissen – und schleuderte ihn nach dem Roboter, der jedoch spielerisch auswich. »Wie konntest du das zulassen, du Missgeburt.« »Sie haben mir den Befehl erteilt, Sie schlafen zu lassen, Gebieter. Sie brauchten die Ruhe dringend, denn Sie hatten einen Grad der Erschöpfung erreicht, der …« »Still, ich will nichts mehr hören.« Axton näherte sich keuchend dem Roboter. »Und bleib stehen!« Er warf Kelly einen seiner Schuhe an den Kopf. Der Roboter bewegte sich nicht, sodass der Verwachsene sein Ziel dieses Mal nicht verfehlte. Axton atmete auf. »Du bist der minderwertigste Roboter, der mir je begegnet ist. Ich begreife nicht, dass ich auf dich hereinfallen konnte. Schnell, wir müssen hinterher!« Eine Gruppe hoher Offiziere verließ das Gebäude am AYA-2Raumhafen. Sie durchschritten eine Gasse, die zwischen Hundertschaften angetretener Soldaten und Kampfrobotern freigelassen worden war. Am Ende dieses Weges lag ein breiter, violetter Teppich, über den hinweg die Orbtonen auf der Rampe zur Bodenschleuse eines Kugelschiffs gehen konnten. Eine robotische Kapelle spielte ein Stück, in dem Imperator Orbanaschol verherrlicht wurde. Die Orbtonen kamen jedoch nicht bis zum Teppich, denn ein Gleiter senkte sich vor ihnen überraschend zu Boden und landete. Die Maschine war von ungelenker Hand mit den Symbolen der
akkerekischen Regierung versehen worden. Zwei Männer stiegen aus. Die Gruppe der Orbtonen war schockiert stehen geblieben. Eine derartige Verletzung militärischen Zeremoniells – von den Sicherheitsaspekten ganz zu schweigen – war bisher noch nicht vorgekommen. Die beiden Akkereker näherten sich schnell der Gruppe. Zehn Meter vor ihr blieben sie jedoch stehen; einer trat noch einen Schritt vor. Er trug das Haar bis auf einen über dem linken Ohr geflochtenen Zopf kurz. Mit lauter Stimme rief er: »Ich habe wichtige Informationen meiner Regierung!«
Lebo Axton fluchte ununterbrochen, als er zusammen mit Kelly in einem Gleiter auf den AYA-2-Raumhafen zuflog. »Wenn wir zu spät kommen, demontiere ich dich. Das ist wahrhaftig keine leere Drohung!« Der Roboter antwortete nicht, sondern beschleunigte die Maschine mit Höchstwerten. Bald näherten sie sich dem Raumhafen. Erst über dem Gebäude verzögerte Kelly den Gleiter, wobei er ebenfalls an die Grenze der Belastbarkeit ging. »Da unten ist er«, rief Axton, stieß die Tür auf und sprang auf das Dach. Er stürzte und rollte einige Meter weiter, erhob sich aber, als sei nichts geschehen. Deutlich konnte er Has’athor Aprit da Dirgok sehen. Der Admiral stützte seine Hand auf den Thermostrahler. Axton hörte, dass der Kurier etwas rief, verstand ihn jedoch nicht. In diesem Moment hob da Dirgok seine Waffe und schoss. Der Thermostrahl fuhr fauchend an dem Kurier vorbei und tötete den Militärbeobachter. »Nein!« Axton spannte das Elastikband zwischen zwei Fingern, zog mit ganzer Kraft, der Stahlnagel wirbelte mit ungeheurer Wucht durch die Luft.
Der Kurier wandte sich zur Flucht, kam jedoch nur zwei Schritte weit, dann bohrte sich der sonnenhelle Strahl durch seinen Körper, der ebenso wie die Kleider und die Tasche sofort in Flammen aufging, noch während er zu Boden stürzte. Dirgok schrie auf, ließ die Waffe fallen und presste eine Hand gegen die Schulter. Soldaten rannten heran. »Verdammt«, sagte Axton. »Zu spät.« Orbtonen sahen zum Dach herauf. Axton ließ seine primitive Waffe fallen und hob die Hände. »Tötet ihn!«, schrie Dirgok. »So tötet ihn endlich!« Doch niemand schoss. Lebo Axton blieb stehen, wo er war. Der Gleiter mit Gentleman Kelly schwebte in einigen Schritten Entfernung über dem Dach. Axton hätte durch die offene Tür auf den Sitz springen können. Er tat es nicht. Weitere Raumfahrer und Kampfroboter kamen durch einen Aufgang aufs Dach, richteten ihre Waffen auf den Verwachsenen, schossen aber nicht. Kurz darauf führten sie ihn ab.
Etliche Tontas später öffnete sich die Tür zur Zelle; ein bewaffneter Arkonide befahl: »Herauskommen!« Lebo Axton glitt von der schlichten Pritsche und ging vor dem Mann her bis zu einem großen Raum, in dem etwa zwanzig Orbtonen versammelt waren. Unter ihnen befand sich auch Aprit da Dirgok. Hasserfüllt blickte er auf Axton; dieser sah, dass der Mann nicht bewaffnet war, und nahm es als gutes Zeichen. Auf den Befehl eines Offiziers setzte sich Axton auf einen Hocker, der an einer kahlen Wand stand. Ein weißhaariger Mann mit auffallend breiten Schultern und dicken Tränensäcken saß hinter einem Tisch, stützte die Ellenbogen auf die Platte und sah Axton durchdringend an. »Wir erwarten eine Erklärung.« »Es ist sicher schon alles berichtet worden«, antwortete
Axton ruhig. »Sie müssten mittlerweile die Zusammenhänge kennen. Aprit da Dirgok ist ein Verräter, der den Auftrag hatte, Seine Erhabenheit Orbanaschol den Dritten zu ermorden. Seine Befehle hatte er von Akkerek bekommen. Doch dann hat er sich gegen seine Auftraggeber gewandt. Die politischen Verhältnisse haben sich aber geändert. Der Kurier von Akkerek kam in der Absicht, On-tharg Dirgok zu entlarven. Das konnte dieser nicht zulassen. Er verlor die Nerven, als er sich am Ende seiner Karriere sah. Was weiter geschah, wissen alle, die am Raumhafen dabei waren.« »Eine ziemlich abenteuerliche Behauptung. Wir haben die Reste dessen untersucht, was in der Kuriertasche war. Nichts als leere Blätter.« »Ich weiß. Was der Kurier überbringen wollte, befindet sich unter meiner Kleidung. Gestatten Sie mir, es herauszuholen, ohne dass ich gleich befürchten muss, über den Haufen geschossen zu werden?« »Bitte.« Lebo Axton stand auf, öffnete die Jacke und nahm die Dokumente und Datenträger hervor, die Aprit da Dirgok eindeutig überführten. Er legte sie vor dem Offizier auf den Tisch. »Sobald Sie das gelesen haben, werden Sie auch wissen, warum Mosselcrin ermordet wurde – er verfügte nämlich über ebendiese Informationen.« Der Vernehmungsoffizier las die Dokumente, während Lebo Axton den Has’athor beobachtete. Der Mann, der das große Spiel verloren hatte, blickte hasserfüllt herüber. Axton lächelte spöttisch. Da Dirgok hatte keine Chance mehr, er war verloren, musste für die Morde bezahlen, die er begangen hatte. Vielleicht war er mittlerweile wirklich ein absolut zuverlässiger Anhänger Orbanaschols III. geworden. War dem so, war dieser Sieg umso wichtiger: Die ganze Intrige hatte mit Aprit da Dirgok wenig zu tun, sondern diente dem Zweck,
den jungen Atlan dieser Zeit zu unterstützen und ihm – Lebo Axton – zu Einfluss zu verhelfen. Der Vernehmungsoffizier hob den Kopf. Ohne sich umzudrehen, befahl er: »Führen Sie Dirgok ab!« Er reichte die Dokumente und Datenträger an einen anderen Offizier zur Einsicht weiter. Dann wandte er sich an Lebo Axton. »Und nun zu Ihnen. Sie sind frei. Wir danken Ihnen für die Dienste, die Sie uns und dem Imperium erwiesen haben.« »Mir blieb nichts anderes übrig«, antwortete Axton bescheiden. »Ich habe in Notwehr gehandelt, ohne viel zu leisten. Die Hauptarbeit hat der Militärbeobachter von Akkerek erledigt.« Der Vernehmungsoffizier verzog keine Miene. »Sie können in Ihr Hotel zurückkehren, Lebo Axton. Aber halten Sie sich bereit. Ich möchte mehr von Ihnen wissen. Sie werden mir sagen, wer Sie wirklich sind und woher Sie kommen.« Axton verneigte sich leicht. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, behauptete er, während sich sein Magen verkrampfte; noch wusste er nicht, wie er die Fragen beantworten sollte. »Erhabener.« Einer der Orbtonen führte ihn hinaus, sagte etwas, aber Axton hörte nichts. Er war bereits mit dem Problem beschäftigt, das auf ihn zukam und seine Existenz bedrohte.
14. Traum oder Wirklichkeit? – Wache ich? Schlafe ich? – Ich denke. Bin ich also? Wo ist der Anfang jener und der Beginn dieser Zeit? Wie auch immer Zukunft und Vergangenheit sich gegeneinander vertauschen, die Gegenwart muss eine Brücke bilden.
Es ist diese Brücke, über die ich gehe. – Wo auch immer sie ist.
Arkon III: 23. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Der Raum wurde durch eine flimmernde Energiewand geteilt. Auf der einen Seite dieser Materie abweisenden Schranke saß Lebo Axton auf einem Hocker. Das linke Augenlid zuckte ununterbrochen, obwohl er sich Mühe gab, dieses Zeichen seiner Nervosität zu unterdrücken. Hinter ihm stand Gentleman Kelly. Auf der anderen Seite der flimmernden Energiewand lehnten drei Arkoniden an der Konsole einer Positronik. Einen von ihnen kannte der Verwachsene bereits. Er hatte ihn im Trivid gesehen. Es war der Gos’Urunlad-Katorthan’athor des Sicherheitskomitees von Arkon III, einer der »Hüter der Ordnung, der Moral und guten Sitten«. Eihrett Ma-Khantron war ein untersetzter Mann mit schlaffen Gesichtszügen, rötlichen Augen und schlohweißem Haar, das ihm bis zu den Hüften herabreichte. Es wurde durch vier breite Spangen aus Edelmetall zu einem Zopf gebunden. Als Ma-tiga gehörte der »Ma-Fürst Dritter Klasse« zu den Hochedlen. Die beiden anderen Männer kannte der Krüppel nicht. »Ihr Name ist Lebo Axton«, stellte Ma-Khantron fest. »Ist das richtig?« »Ich kann und will es nicht bestreiten. Wie ist Ihr Name?« Ma-tiga Khantron hob ruckartig den Kopf und blickte sein Gegenüber prüfend an. Die Unterlippe sackte leicht nach unten, er schien überrascht zu sein. Für einen Moment schien es, als wolle er Axton einen Verweis erteilen, dann jedoch glitt ein leichtes Lächeln über die schlaffen Lippen. »Ich bin Eihrett Ma-Khantron, Präsident des Komitees von Arkon Drei. Dieser Herr hier neben mir ist Vagont Dom-Ternnan, der Polizeipräsident von Arkon Drei.«
Addag’gosta’athor Ternnan war lang und dürr. Er hatte einen leicht gekrümmten Rücken, und er streckte den Kopf stets etwas vor, als sei er kurzsichtig. Sein Haar war so dünn, dass er es sorgfältig über den ganzen Schädel verteilen musste, damit es diesen einigermaßen bedecken konnte. Alles an ihm war lang und schmal. Er erinnerte Axton lebhaft an die Aras, jene medizinischen Genies, die aus dem Volk der Arkoniden hervorgegangen waren. Aber er war kein Ara, sondern Arkonide, der als Dom-moas »nur« dem Mittleren oder Großadel angehörte, ein »Dom-Graf Erster Klasse«. »Dieser Herr hier ist vom Geheimdienst«, fuhr Khantron, zur anderen Seite gewandt, fort. Er nannte den Namen dieses Mannes nicht. Gerade dieser aber erschien Axton besonders gefährlich. Er hatte ein scharf geschnittenes, undurchsichtiges Gesicht, das eine asketische und äußerst disziplinierte Einstellung erkennen ließ. Seine Figur war athletisch und schien durchtrainiert zu sein. Als Sinclair Marout Kennon kannte Axton diese Typen von seiner jahrhundertelangen Mitarbeit bei der USO her. Sie waren unberechenbar und oft fanatisch bis zur Selbstverleugnung. Er nahm sich vor, diesen Mann besonders im Auge zu behalten. »Sind Sie zufrieden?«, fragte Khantron spöttisch. »Absolut.« Axtons Stimme klang heiser, er sprach die arkonidische Sprache mit einem deutlichen Akzent, wie ihn niemand aus der arkonidischen Welt dieser Zeit kannte. »Sie scheinen mir ein kluger Mann zu sein«, sagte Ma-tiga Khantron. »Danke.« »Sie werden daher nicht überrascht sein, dass wir einige Fragen an Sie haben.« »Es hätte mich erstaunt, wäre es nicht so gewesen.« »Wir haben verfolgt, wie Sie den Mordfall Mosselcrin aufklärten. Dabei sind Sie auf Zusammenhänge gestoßen, die
nicht gerade schmeichelhaft für uns waren.« Axton richtete sich auf und atmete heftig. »Ist meine Prämie in Gefahr?« »Das wird sich zeigen.« »Ich protestiere.« »Dazu besteht kein Grund. Geben Sie die Antworten auf unsere Fragen, die uns ein integrer Mann erteilen kann, und alles ist in Ordnung.« Axton deutete eine Verbeugung an. »Fragen Sie, bitte.« »Können Sie sich denn ausweisen? Haben Sie eine gültige Identitätskarte?« »Ich bin überfallen und bestohlen worden. Ich habe nichts mehr bei mir. Nur noch ein paar Münzen. Sehen Sie, hier.« Der Verwachsene holte etwas Geld aus der Hosentasche und hielt es den drei Arkoniden hin. »Ich bin zu schwach. Ich kann mich gegen derartige Subjekte nicht wehren.« »Wo ist das passiert?« »Hier auf Arkon Drei. In der Nähe eines Trainingsplatzes für Raumfahrer …« »Können Sie die Männer beschreiben, die das getan haben?« »Es war eine dunkle Nacht.« »Also nicht.« »Nein.« »Sie sind sich darüber klar, dass wir mit einer derartigen Erklärung nicht zufrieden sind?« »Natürlich. Das war der Grund dafür, dass ich mich bemühte, Ihnen einen Beweis meiner Lauterkeit und Loyalität zu geben. Mir ging es nicht nur darum, etwas Geld zu verdienen. Ich war mir dessen bewusst, dass ich auch zeigen musste, dass ich zu den positiven Kräften Arkons gehöre. Deshalb habe ich die Kraft eingesetzt, die mir ermöglicht, in dieser Welt zu leben. Ich meine meine kriminalistische Intelligenz, Gos’Urunlad-Katorthan’athor.«
Der Geheimdienstmann meldete sich zum ersten Mal zu Wort. »Wir befinden uns im Krieg, Lebo Axton«, sagte er kalt. »Die Methanatmer kämpfen mit allen Hinterhältigkeiten, zu denen Kreaturen dieser Lebenssphäre überhaupt fähig sind. Wir wissen, dass die Methans auch biologische Experimente machen.« »Ich verstehe nicht«, sagte Axton mit stockender Stimme. Sein linkes Augenlid zuckte ununterbrochen. »Sie wissen sehr wohl, was ich meine. Ich frage Sie: Wie nun, wenn Sie das Ergebnis dieser biologischen Experimente wären? Wie nun, wenn Sie eine Art missglückter Bioroboter wären, der den Auftrag hat, hinter den Linien zu kämpfen?« »Wahnsinn!« Lebo Axton sprang auf. Tränen schossen ihm in die Augen. Er versuchte, etwas zu sagen, aber er brachte keine Silbe über die Lippen. Hilflos schüttelte er die Fäuste. Derartige Hinweise auf seinen missgestalteten Körper vertrug Axton nicht. Er trat einige Schritte auf die Energiewand zu. »Für diese Behauptung werden Sie bezahlen. Niemand soll es wagen, derartige Beleidigungen auszusprechen. Ich werde …« »Sie haben nicht richtig zugehört«, unterbrach ihn der Geheimdienstler. »Ich habe lediglich Spekulationen angestellt. Ich habe gesagt, was wäre für den Fall, dass … Ich wollte also nur, dass Sie sich des Problems bewusst werden.« Der Terraner drehte ihm den Rücken zu und kehrte mit nachschleifenden Füßen zum Hocker zurück, setzte sich. »Lebo Axton«, sagte der Polizeipräsident von Arkon III. »Beantworten Sie mir nur die eine Frage: Woher kommen Sie? Auf welchem Planeten sind Sie geboren?« Das Gesicht des Verwachsenen zuckte. Er blickte auf den Boden. »Muss das sein?« »Es muss. Wir werden exakt aufklären, welche Vergangenheit Sie haben. Wenn Sie uns dabei nicht helfen, müssen wir annehmen, dass Sie sich in feindlicher Absicht
haben einschleusen lassen.« »Dann hätte ich mich fraglos unauffälliger benommen.« »Das ist kein Argument. Also?« »Von Abbadhir, dem Freihandelsplaneten. Ich habe mich an Bord eines Schiffes geschlichen. Mein einziger Wunsch war, endlich diese Welt der Gesetzlosigkeit und des Terrors zu verlassen.« »Und Sie verlangen, dass wir Ihnen glauben?« Der Addag’gosta’athor blieb höflich. Seine Stimme klang sanft, ein gewisser Vorwurf war aber nicht zu überhören. Axton war klar, dass der Arkonide ihn nur deshalb noch so respektvoll behandelte, weil er den Mordfall Mosselcrin so gut aufgeklärt hatte. Axton war ein Mann, der selbst Tausende Verhöre geführt hatte. Er wusste, dass er mit bewusst eingestreuten unlogischen Aussagen etwas erreichen konnte. Illusionsmaschine – Ischtar-Memory – Jahrtausende in die Vergangenheit geschleudert? Er wusste, dass er niemandem eine wirklich befriedigende Erklärung über seine Anwesenheit geben konnte, denn er hatte keine arkonidische Vergangenheit. Er war mitten in diese Szene »hineingesprungen«. Ihm fehlten alle Beweise, die ein Mann normalerweise hätte haben müssen. Niemand konnte bestätigen, dass er irgendwann und irgendwo vorher existiert hatte. Die Situation wäre für einen Mann, der nicht über die Qualitäten eines Sinclair Marout Kennon verfügte, ausweglos gewesen. »Warum sollten Sie mir nicht glauben?«, fragte er, Überraschung heuchelnd. »Ich sage die Wahrheit.« »Wann und mit welchem Raumschiff sind Sie nach Arkon Drei gereist?« Lebo Axton überlegte. Dann nannte er ein Schiff, das er vor einigen Tagen kurz nach seiner Materialisation beobachtet
hatte. »Der Name des Schiffes war FANTHIA.« Ternnan wandte sich um und drückte einige Tasten der Positronik. »Sie lügen«, stellte er danach fest. »Die FANTHIA ist niemals auf Abbadhir gewesen.« Lebo Axton rutschte wieder vom Sessel, sein Lid zuckte heftig. Er breitete die Arme aus. »Warum erlauben Sie einem unglücklichen Zayna nicht, mit seiner verächtlichen Vergangenheit zu brechen, eine Welt zu vergessen, in der jemand nicht nach seinen geistigen Fähigkeiten, sondern nach der äußerlichen Erscheinung beurteilt wird? Warum gönnen Sie mir nicht, auf den herrlichen Arkonwelten glücklich zu sein? Ich bevorzuge die intellektuellen Fähigkeiten. Schwierigste Kriminalfälle faszinieren mich. Müssen Sie unbedingt herausfinden, dass ich aus einer Welt der Qualen, der Erniedrigung und der Verächtlichkeit komme, die nichts als Demütigungen für mich hatte? Bin ich ins Zentrum des Tai Ark’Tussan gereist, nur um zu erleben, dass hier der Verstand, das höchste Geschenk der allmächtigen Natur und der Sternengötter, nichts zählt?« »Lebo Axton, wie weit wollen Sie Ihr Spiel noch treiben?«, fragte der Geheimdienstmann. »Meine Herren, ich schlage Ihnen vor, diesen Mann einem Sonderverhör zu unterwerfen.« Axton erschrak. Er wusste, dass die Arkoniden über besondere Methoden verfügten, mit denen sie jedem Inhaftierten die Wahrheit entlocken konnten. Aber dieses Geschäft war höchst einseitig. Die Arkoniden erfuhren zwar, was sie wissen wollten, der Verhörte aber überlebte diese Prozedur nicht. »Ich bewundere Sie«, sagte Axton sarkastisch. »Sie sind ein Mann der Tat. So etwas wie Vertrauen kennen Sie nicht. Sie vernichten lieber, als dass Sie etwas wagen.« »Sie meinen, ich sei ein Feigling?«, fragte der Geheimdienstler ärgerlich, hakte die Daumen vorn in den Gürtel und blickte spöttisch auf den Verwachsenen herab.
»Oh nein, das sind Sie nicht. Sie sind …« »Schluss jetzt«, unterbrach Vagont Dom-Ternnan. »Axton hat nicht unrecht. Weshalb sollen wir ihm nicht vertrauen? Er hat immerhin einen Mann wie diesen On-tharg Dirgok überführt. Dabei musste er wissen, dass er unsere Aufmerksamkeit erregt. Er ist also bewusst ein hohes Risiko eingegangen. Warum sollten wir nicht auch ein gewisses Risiko eingehen? Wir können es uns leisten, großzügig zu sein, bis wir merken, dass eine derartige Haltung nicht angebracht ist. Dann ist es immer noch früh genug, Axton mit Spezialmethoden zu verhören.« »Ternnan, wir sind nicht auf der Kristallwelt oder Arkon Zwei, sondern auf dem Kriegsplaneten! Wenn hier eine Person ohne Vergangenheit auftaucht, ist das zweifellos gefährlicher als auf den anderen Planeten.« »Wirklich?«, fragte Ternnan ironisch. »Ich denke, wer dort eindringt, wo große Politik gemacht wird, kann wirklich Schaden anrichten. Dieser Mann ist ein brillanter Geist. Er versteht etwas von Kriminalistik. Geben wir ihm einen Vorschuss an Vertrauen. Dann werden wir erleben, ob er ihn verdient oder nicht.« »Die Verantwortung …« »Die Verantwortung dafür trage ich«, sagte der Polizeipräsident nachdrücklich. »Ich protestiere«, sagte der Geheimdienstler. »Vergeblich«, entgegnete Ternnan. »Was haben Sie vor?«, fragte Khantron. »Ich will Axton eine Chance geben. Der Polizeipräsident von Arkon Eins hat ein Problem an mich herangetragen. Vielleicht kann Lebo Axton uns dabei helfen, es zu lösen.« Er dämpfte seine Stimme und sprach so leise weiter, dass Axton ihn nicht mehr verstehen konnte.
Die Energiewand fiel. Eihrett Ma-Khantron und der Geheimdienstler verließen grußlos den Raum, Lebo Axton schien für sie nicht mehr zu existieren. Dom-Ternnan blieb und trat langsam an den Verwachsenen heran, der sich unterwürfig erhob. Axton war sich klar darüber, dass er nicht mehr als eine Galgenfrist erhalten hatte. Er war fest entschlossen, sie zu nutzen. Für ihn war wichtig, dass er beweisen konnte, ein Gegner der Maahks zu sein. Die Arkoniden standen den Methanatmern hasserfüllt gegenüber, der Krieg wurde mit äußerster Härte und Entschlossenheit geführt. Sachliche Diskussionen über die Maahks waren ausgeschlossen. Gar zu weit hatten sich die streitenden Parteien voneinander entfernt. Je deutlicher er daher zeigen konnte, dass er mit den Methanatmern nichts gemein hatte, desto besser für ihn. »Ich verspreche Ihnen, Edler, dass Sie Ihre Fürsprache niemals bereuen werden«, sagte Axton. »Das wird sich zeigen«, erwiderte der Polizeipräsident gleichgültig und hob den rechten Arm. Eine Servobank rollte heran, sodass er sich setzen konnte. Mit einer flüchtigen Handbewegung gab er Axton zu verstehen, dass auch er Platz nehmen sollte. Prüfend blickte er ihm in die Augen. Axton war jetzt ruhig, sein Lid zuckte nicht mehr. »Für mich wäre eine Enttäuschung keine Katastrophe. Für Sie aber wäre es ziemlich arg, wenn ich später einmal feststellen muss, dass es verhängnisvoll war, Ihnen eine Chance zu geben.« »Ich bin mir dessen bewusst.« »Umso besser.« »Was kann ich für Sie tun?« »Mein Freund Quertan Merantor hat mit mir über einen Problemfall gesprochen, den seine Männer bisher nicht lösen konnten. Sie haben bewiesen, dass Sie von Kriminalistik viel
verstehen und ungewöhnliche Methoden auch unter schwierigen Umständen durchzusetzen wissen. Sie mussten immerhin gegen den gesamten Polizeiapparat von Arkon Drei, gegen Militärs und Geheimdienste arbeiten.« Axton schwieg, als der Dom eine Pause machte; er spürte, dass der Arkonide gar keine Bemerkung von ihm hören wollte. »Ich werde Merantor den Rat geben, Sie in diesem Fall einzusetzen. Sie können beweisen, was Sie können.« »Darf ich fragen, wo die Hauptschwierigkeit in dieser Sache liegt?« »Das werden Sie an Ort und Stelle erfahren. Ich weiß, dass Sie Fingerspitzengefühl beweisen müssen. Sie werden zeigen müssen, dass Sie ein Psychologe sind und dass Sie sich auch von extremer Arroganz nicht beeindrucken lassen.« »Wie soll ich das verstehen?« Vagont Dom-Ternnan lächelte. »Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht schon Bescheid. Sie sollten nicht versuchen, mich zu täuschen. Das schaffen Sie nicht.« »Ich werde es also mit Edelleuten und hochgestellten Persönlichkeiten zu tun haben.« »Ich wusste es doch.« »In diesen Gesellschaftskreisen hat man wenig Respekt vor einem Krüppel. Er muss sich offene Verachtung gefallen lassen.« »Hm.« »Sie gehen davon aus, dass ich gerade dadurch Möglichkeiten erhalten werde, die andere Männer nicht haben. Sie meinen, jemandem gegenüber, der für einen Narren gehalten wird, ist man unaufmerksamer und macht leichter Fehler als gegenüber einem anderen.« »Sie hatten Recht, Axton. Man soll einen Mann wirklich nicht nach seinem Äußeren beurteilen. Glauben Sie, solchen Demütigungen gewachsen zu sein?«
Der Verkrüppelte senkte den Kopf. Seine Lippen bebten, das linke Lid zuckte wieder nervös. Doch dann blickte er rasch auf. Vagont Ternnan lächelte sardonisch. Axton sah ihm an, dass er davon überzeugt war, ihn in eine Hölle zu schicken, in der er umkommen musste. »Verzeihen Sie, dass ich mich von meinen Emotionen habe überwältigen lassen, Zhdopandel. Es war, weil die Gefühle der Dankbarkeit allzu mächtig wurden.« Der Arkonide erhob sich und lachte schallend. »Verzichten Sie darauf, sich über mich lustig zu machen. Ich sagte schon, dass es schwer ist, mich zu täuschen.« »Ich hätte es wissen müssen.« Der Mann wurde ernst. Wieder musterte er den Zayna scharf. »In einer halben Tonta starten Sie zur Kristallwelt. Ich hoffe, dass Sie mir bald eine Erfolgsmeldung machen können.« »Kann ich damit rechnen, von Merantor unterstützt zu werden?« »Er wird Ihnen alle Informationen geben, die Sie benötigen. Ich fürchte jedoch, dass das nicht viel sein wird.«
Der Roboter stieg aus und hielt dem Verwachsenen die Hand hin, um ihm zu helfen. Axton tat, als sei sie nicht vorhanden. Umständlich rutschte er aus der Maschine und wäre gestürzt, hätte Gentleman Kelly nicht zugegriffen. Dafür erntete der Roboter jedoch keinen Dank. »Zurück!«, schrie Axton. »Wie kannst du es wagen, mich anzurühren!« Der Gleiterpilot blickte zur Seite, als der Verkrüppelte zum Leka-Beiboot ging. Es war ein arkonidischer Diskusraumer vom Typ LE-20-8, hatte also bei einem Durchmesser von zwanzig eine Höhe von acht Metern und ruhte auf vier Teleskopstützen. Lebo Axton beobachtete den Piloten bei seiner Arbeit. Das diskusförmige Raumschiff unterschied sich
mit seinen Einrichtungen beträchtlich von jenen, die er aus der Zeit des Solaren Imperiums kannte. Zahlreiche Einrichtungen waren noch vorhanden, die in späterer Zeit in die Bordpositroniken integriert werden würden, sodass sich um sie kein Pilot mehr zu kümmern brauchte. Alles würde sehr viel einfacher und übersichtlicher werden. Axton bezweifelte, dass er dieses Schiff unvorbereitet allein fliegen konnte. Doch diese Frage beschäftigte ihn nur wenige Augenblicke. Der Leka-Diskus startete. Axton begann in Gedanken, haltlos zu fluchen. So erleichtert er auch war, weil es ihm endlich gelungen war, aus seiner verhassten Vollprothese herauszukommen, so sehr fraß die Verzweiflung über den Körper, den er nun sein Eigen nannte, an ihm. Hätten seine Beine und seine Arme nicht ein bisschen länger und kräftiger sein können? Sein Rumpf nicht etwas gestreckter? Für ihn wäre alles leichter gewesen, hätte er sich wenigstens ohne Schmerzen und ohne allzu große Mühe bewegen können. Warum musste er ausgerechnet auf einen Roboter angewiesen sein, um schnell und wendig genug sein zu können? Er versetzte Gentleman Kelly einen wütenden Schlag gegen den Kopf. Der Roboter wandte ihm das Organband mit den Quarzlinsen zu. Axton holte erneut aus, verzichtete dann jedoch darauf, der Maschine die Faust mitten ins Gesicht zu setzen. Wütend wandte er sich ab. War dies überhaupt die Wirklichkeit? Oder träumte er einen überaus realistischen Traum? Befand er sich gar nicht im arkonidischen Imperium in der Zeit des jungen Atlan, in einer Epoche also, die um mehr als zehntausend Jahre in der Vergangenheit lag? Er hatte gefährliche Erlebnisse bei seiner Jagd nach dem Mörder Mosselcrins überstanden. Was aber wäre gewesen, wäre er dabei tödlich verletzt worden? Wäre er dann wirklich gestorben, oder wäre nur sein Traum in der Illusionsmaschine beendet gewesen? Axton schüttelte den
Kopf. Nein, dies musste die Realität sein. Es konnte kein Traum mehr sein. Es war einfach nicht möglich, sich derartige Dinge, wie er sie erlebt hatte, nur einzubilden. Er lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Er schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche des Diskusschiffes, das die Atmosphäre von Arkon III längst verlassen hatte und nun auf den Wohn- und Regierungsplaneten Arkon I zuraste. Die Beschleunigung spürte Axton nicht; Andruckneutralisatoren schirmten ihn gegen diese Kräfte ab, die ihn tödlich belastet hätten, hätte er mit ihnen fertig werden müssen. Der Direktflug zur Kristallwelt würde mehr als zwei Tontas dauern. Axton beschloss, alle Gedanken und Erinnerungen an die Zeit seiner Herkunft zu verdrängen. Er wollte sich nicht mehr mit ihnen befassen, wollte nicht mehr darüber nachdenken, ob er träumte oder sich in der Realität bewegte. Er wollte nicht mehr fragen, ob Zukunft oder Vergangenheit wirklich für ihn waren, sondern sich nur noch auf die Gegenwart konzentrieren. Sie allein war wichtig. In ihr konnte er etwas für den jungen Atlan tun. Er konnte ihm helfen und ihm den Weg in die Zukunft bereiten, der ihn irgendwann zur Erde und an die Seite Perry Rhodans führen würde. Axton war müde. Warum sollte er den Flug nicht dazu nutzen, sich zu erholen?
Das Polizeipräsidium von Arkon I lag mitten in einer parkähnlichen Landschaft südlich des Thek-Laktran, die von überwältigender Schönheit war. Der Helsgeth-Kelch war ein fast 500 Meter hoher Monumentalbau nahe einem kleinen Landefeld, auf dem die Leka landete. Ein Gleiter stand bereit. Gern hätte Axton den Piloten gebeten, mit dem Gleiter ein wenig über den Anlagen zu verweilen, doch er unterdrückte
den Wunsch. Er sagte sich, dass er später noch genügend Gelegenheit haben würde, sich die Kristallwelt anzusehen. Der Pilot führte Axton bis in das Vorzimmer des Addag’gosta’athor, in dem zwei junge Frauen und zwei Männer an vier mit Instrumenten übersäten Pulten arbeiteten. »Das ist der Mann«, sagte er und gab Axton mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er eintreten solle. Der Verwachsene folgte der Einladung, ging mit schleifenden Schritten an dem Arkoniden vorbei und blickte sich im Vorzimmer um, als seien die Mitarbeiter des Polizeipräsidenten nicht vorhanden. Kelly wollte ihm folgen, aber der Pilot streckte abwehrend die Hand aus. »Roboter haben hier nichts zu suchen.« Dann winkte er kurz und verließ den Raum. Die Frauen und Männer blickten Axton an, als sei er ein exotisches Tier. Eine Frau prustete hinter der vorgehaltenen Hand los. Bei dem anderen zuckten die Mundwinkel verdächtig. »Wollen Sie mich Quertan Merantor nicht melden?«, fragte der Verwachsene scharf. Er hatte sich inzwischen erinnert, dass Merantor ein mächtiger Mann war, aber nicht von Adel. Neben seiner Funktion als Polizeipräsident war er der Katorthan’athor-moas von Arkon I und unterstand dem Ersten Hohen Inspekteur, der als Mitglied des Zwölferrates im Ministerrang Chef des »Amts für Fremdvölkerbelehrung« war. Axton schloss nicht aus, dass Merantor beste Verbindungen zu den Geheim- und Nachrichtendiensten hatte oder gar selbst dort mitarbeitete, in welcher Funktion oder welchem Rang auch immer. Einer der Männer erhob sich und verneigte sich grinsend. »Wir bitten untertänigst um Entschuldigung, Axton. Wir ahnten ja nicht …« Die Stimme versagte, er legte die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen. »Fol … folgen Sie mir.« Er eilte auf eine breite Tür zu und öffnete sie. Dann meldete
er den Besucher jedoch nicht beim Präsidenten an, wie Axton es erwartet hatte, sondern trat rasch zur Seite. Lebo Axton schleppte sich keuchend an ihm vorbei. Seine Beine wurden plötzlich schwer. Ihm war, als habe er Bleistiefel an. Die Tür fiel hinter ihm zu. Merantor saß an seinem Arbeitstisch und machte sich einige Notizen. Ohne aufzusehen, zeigte er auf einen Sessel und sagte: »Setzen Sie sich.« Als Axton sich dem Sessel näherte, war das Schleifen der Füße auf dem Teppich zu hören. Merantor hob den Kopf, seine Augen weiteten sich. Das Blut wich aus seinem massigen Gesicht, die Unterlippe sackte nach unten. »Wer sind Sie?« »Mein Name ist Lebo Axton«, entgegnete der Verwachsene. »Ich komme auf Empfehlung von Vagont Dom-Ternnan.« Merantor stand auf. Er war über zwei Meter groß und mochte etwa 130 Kilogramm unter Standardgravitation wiegen, sah dabei jedoch nicht übergewichtig, sondern extrem kräftig aus. »Das kann doch nicht wahr sein.« Sein Gesicht verfärbte sich. Er beugte sich vor und stützte sich mit beiden Händen auf die Platte des Arbeitstisches. »Was wollen Sie hier? Wieso haben Sie die Frechheit, mich bei der Arbeit zu stören?« »Ich erwähnte schon, dass Dom Ternnan mich zu Ihnen geschickt hat. Er erklärte mir, dass Sie gewisse kriminalistische Probleme haben, und er bat mich, Ihnen zu helfen, diese zu beseitigen.« »Sie sollen mir helfen? Ausgerechnet Sie? Was soll ich mit einem Hampelmann?« Zornbebend schaltete er das Kommunikationsgerät ein und brüllte: »Geben Sie mir Ternnan!« »Sofort.« »Merantor, hören Sie«, sagte Axton. »Warten Sie …« »Sie halten den Mund!«, schrie der Polizeipräsident mit einer
Stimmengewalt, die die Gläser auf einer Anrichte neben dem Arbeitstisch erzittern ließ. Vagont Dom-Ternnan meldete sich. »Hallo, Quertan, alter Freund. Wie geht es dir? Ich …« »Mir ist schlecht!« »Was ist los? Warum brüllst du so?« »Weil du dir erlaubt hast, mir den miesesten Witz zu präsentieren, der mir jemals vorgekommen ist. Mir reicht es. Diese aus einem Kuriositätenkabinett entlaufene Figur hat …« »Quertan, hör doch. Ich will …« »Ich kündige dir unsere Freundschaft! Eine derartige Frechheit ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen. Wir haben hier verdammt ernste Probleme. Aber das kannst du dir natürlich nicht vorstellen. Von jetzt an erbitte ich mir eine förmliche Anrede und jene Distanz, wie sie unter Fremden üblich ist, die höchstens berufliches Interesse verbindet.« »Ich will …« Merantor schaltete ab, streckte den Arm aus und zeigte auf die Tür. »Und jetzt raus mit Ihnen.« Lebo Axton setzte sich in einen Sessel und kreuzte die Arme vor der Brust. »Offenbar haben Sie keine ernst zu nehmende Arbeit.« »Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?« »Doch, aber es beeindruckt mich nicht sonderlich. Sie meinen, Ternnan habe sich einen Witz erlaubt. Sie meinen, deshalb habe er Ihnen einen Mann geschickt, der aus einer Gagsendung von Arkon-Trivid stammen könnte.« Merantor beugte sich weit vor, blickte Axton mit funkelnden Augen an, schäumte förmlich vor Wut. »Genau so ist es.« »Sie irren. Komplexbeladen, wie Sie nun einmal sind, meinen Sie, ein fähiger Kriminalist müsse mindestens Ihr Gewicht auf die Waage bringen.«
»Sie wagen es, mich …?« »Warum nicht? Vertragen Sie die Wahrheit nicht?« Merantor schnaufte. Einer seiner Assistenten öffnete die Tür und trat ein. »Soll ich ihn in den ausgeschalteten Antigravschacht werfen?« Merantor schüttelte den Kopf, scheuchte den Mann mit einer Handbewegung wieder hinaus. Argwöhnisch musterte er Axton, war verunsichert und wusste nun überhaupt nicht mehr, was er von ihm halten sollte. Sein Zorn war keineswegs verraucht. »Entweder spielen Sie Ihre Rolle verdammt gut, oder Sie …« »Können wir nicht endlich zur Sache kommen?«, fragte der Verwachsene kühl. »Ich bin es satt, mich ständig nur über die Unzulänglichkeiten meines Körpers unterhalten zu müssen. Also, um welchen Fall geht es?« Merantor kreuzte die Arme ebenfalls vor der Brust, setzte sich und blickte Axton starr an. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, mein Lieber, wir werden nicht zusammenarbeiten. Auf gar keinen Fall. Glauben Sie, ich könnte es mir leisten, eine derartige Witzfigur wie Sie im Namen der Addag’gos auftreten zu lassen? Was bildet sich Ternnan eigentlich ein? Er muss den Verstand verloren haben, als er Sie zu mir schickte.« Axton stand auf und ging mit schlurfenden Schritten zur Tür. Dort blieb er stehen und drehte sich um. »Ternnan ließ durchblicken, dass der Leiter der Polizei von Arkon Eins zwar die Figur eines Mannes, der vor Selbstbewusstsein platzt, aber das typische Charakterbild eines Schwächlings habe. Die Arbeit in den höchsten Adelskreisen des Imperiums habe ihn zermürbt, deutete Ternnan an, sodass er nun nicht mehr den Mut habe, Entscheidungen zu treffen.« Merantor war bleich geworden. »Für eine Witzfigur sind Sie verdammt leichtsinnig. Für diese Worte könnte ich Sie erschlagen, ohne dafür belangt zu werden.«
»Ich wünschte, ich könnte mich mit Ihnen über ein Visifon unterhalten, dessen Bildteil ausgefallen ist. Vielleicht käme dann etwas Vernünftiges zustande.« Merantor blickte Axton mit verengten Augen an. »Setzen Sie sich.« Axton blieb an der Tür stehen. »Ich habe Ihnen eine Anweisung gegeben!« »Ich denke nicht, dass es irgendjemanden im Tai Ark’Tussan gibt, der so etwas tun könnte.« »Dies ist Ihre letzte Chance. Wenn Sie sie nicht wahrnehmen, ist alles für Sie vorbei.« Axton überlegte kurz, dann gab er nach. Es war sinnvoller, sich anzuhören, was der Präsident wollte, als ihn noch mehr zu provozieren. Er setzte sich. »Also …?« Quertan Merantor war jetzt eiskalt. Plötzlich war er wie umgewandelt. Lebo Axton erkannte den gefährlichen und listenreichen Kämpfer in ihm. »Ternnan hat sich einen verdammt schlechten Witz erlaubt. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Nun, er soll seinen Spaß haben.« »Wie meinen Sie das?« Der Arkonide lächelte boshaft. »Sie werden Ihren Fall bekommen, den Fall, der mir am meisten Sorge macht.« »Mehr wollte ich nicht.« »Wirklich nicht?« Merantor glaubte ihm kein Wort. »Sie werden diesen Fall lösen.« »Das habe ich vor.« »Ternnan soll es noch bereuen, mir eine derartige Witzfigur geschickt zu haben. Sie, Axton, werden die Kristallwelt nicht eher verlassen, bis der Fall geklärt ist. Sollten Sie es dennoch versuchen, werde ich Sie erschießen lassen. Glauben Sie nur nicht, dass ich in dieser Hinsicht Skrupel habe.« Axton spürte, dass Merantor die Wahrheit sagte. Der Polizeipräsident hatte das Angebot seines Freundes vollkommen missverstanden. Nun wollte er sich rächen.
»Sie sitzen in der Klemme, Axton, aber das ist Ihre Schuld. Sehen Sie zu, wie Sie aus dieser Lage wieder herauskommen. An diesem Fall haben sich meine besten Männer die Zähne ausgebissen. Sie wird er den Kopf kosten.« Merantor lehnte sich weit in seinem Sessel zurück und lachte dröhnend. »Zehn Pragos Zeit gebe ich Ihnen. Danach werden Sie keine Sorgen mehr haben.« »Sie werden nicht das Vergnügen haben, mich abknallen zu können«, erwiderte Axton kühl. »Und nun erzählen Sie mir endlich, um was es geht.« Der Präsident drückte eine Taste. Einer der Assistenten kam herein. Merantor ordnete in verächtlichem Ton an: »Erläutern Sie ihm den Fall vom Squedon-Kont-Viertel.«
»Das Squedon-Kont-Viertel ist einer der größten und elegantesten Wohnparks von Arkon Eins«, sagte der Assistent. »Am Südrand des Thek-Laktran gelegen, rund vierzig Kilometer vom Kristallpalast entfernt, zählen insgesamt vierundzwanzig Groß-Kelche von fünfhundert Metern Höhe zur aufgelockerten Bebauung auf einem flachen Hügel, der auch Thek-Squedon-Kont genannt wird. Ein Areal von knapp zehn Kilometern Durchmesser. Dort wohnen fast ausschließlich hochgestellte Persönlichkeiten, Edelleute, Orbtonen, Wissenschaftler ersten Ranges. Ungewöhnliche Dinge sind geschehen: Nachts gab es in verschiedenen Wohnhäusern seltsame Leuchterscheinungen, unheimliche Geräusche und unerklärliche Bewegungen. Risse bildeten sich in Decken, Fenstern und Möbeln, absolut einbruchsichere Panzerschränke öffneten sich wie von Geisterhand bewegt, Schmuckstücke, Geld und Wertpapiere wirbelten durch die Luft und mussten mühsam wieder eingesammelt werden, Waffen entluden sich von selbst und setzten ganze
Wohnungen in Brand. Und vor zwei Pragos ist eine junge Erlauchte verschwunden. Sie heißt Larcenia Sammaron, ist die Tochter eines Industriellen, der zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Männern des Imperiums gehört. Legar TaSammaron ist ein Ta-tiga; mehr als hundert Industriewelten und Rohstoffmonde gehören zu seinem fürstlichen Lehen.« Der Arkonide blickte Axton hochmütig an. »Die Edlen und Hochedlen sind beunruhigt und empört. Sie machen uns die heftigsten Vorwürfe, weil es uns noch nicht gelungen ist, den Fall zu lösen.« »Seit wann passieren diese Dinge?« »Seit etwa fünfzehn Pragos.« »Was haben Sie herausgefunden?« »Nichts.« Lebo Axton erhob sich ächzend. »Ich bewundere Sie«, sagte er ironisch. »Welch geniale Leistung. Seit dem achten Ansoor haben Sie nichts ermittelt. Wirklich, Sie werden in die Geschichte der Kriminalistik eingehen.« »Verschwinden Sie!« Der Assistent ballte die Hände, war nahe daran, über Axton herzufallen und ihn zusammenzuschlagen. Nur die Tatsache, dass er nicht genau wusste, was im Dienstzimmer des Addag’gosta’athor vorgefallen war, mochte ihn daran hindern. Axton winkte Gentleman Kelly. Der Roboter kniete sich hin und wandte ihm den Rücken zu, sodass er seine Füße auf die Bügel setzen und sich an den Griffen an der Schulter festhalten konnte. Ohne den Assistenten weiter zu beachten, ließ sich Axton hinaustragen.
15. Aus: Gedanken und Notizen, Bauchaufschneider Fartuloon Arkon I war eine schöne Welt, auf der es keine großen Städte gab, die ihre Oberfläche verschandelt hätten. Hier lebte die Oberschicht der Arkoniden, vor allem Adel und Hochadel, der großen Wert auf ein exklusives Dasein legte, und entsprechend war die Kristallwelt gestaltet. Die Kontinente Laktranor und Shargabag waren wie die Großinseln Vuyanna und Krasaon von ausgedehnten Parklandschaften bedeckt, über die sich in gebührenden Abständen die Wohngebäude erhoben – in Trichterform ausgeführte Riesenkelche, die sich von der Basis des Fundamentstiels nach oben erweiterten und deren Räumlichkeiten auf Terrassen an den Innenseiten der Trichter lagen. Alle waren prächtig und aufwendig ausgestattet, doch sie wurden bei Weitem von den Baulichkeiten des Regierungszentrums übertroffen, das sich auf dem Hügel der Weisen befand, dem Thek-Laktran, einem Hochplateau, das von mehreren Gipfeln überragt wurde. Zwischen diesen lagen riesige Trichtergebäude, bis zu 500 Meter hoch, und in ihnen wohnten die Spitzen der arkonidischen Gesellschaft sowie die Gesandten und Botschafter der Völker, die mit dem Imperium befreundet waren oder zumindest politische Beziehungen zu ihm unterhielten. Den Mittelpunkt aber bildete der Kristallpalast, in dem der jeweilige Herrscher über das Große Imperium, seine Familie, seine Berater und höchsten Offiziere wohnten. Er trug seinen Namen zu Recht, denn seine Außenfassade war mit einer Schicht von funkelnden Kristallen bedeckt – ein funkelndes Juwel vom Aussehen eines gewaltigen Kelches, der Gos‘Khasurn.
Axton spürte die Blicke der anderen Passagiere, als er in der Rohrbahnstation Helsgeth-Nord die Rohrbahn betrat, mit der er vom Polizeipräsidium bis zum knapp achtzig Kilometer
entfernten Squedon-Kont-Viertel fahren wollte. Einige Frauen blickten ihn entsetzt an und wandten sich dann ab. Die Männer musterten ihn teils feindlich, teils erheitert. Keiner der Arkoniden aber verhielt sich so, als sei nichts geschehen. Axtons Hände krampften sich um die Haltebügel. »Das liegt nur an dir, du Missgeburt von einem Roboter«, sagte er zischelnd. »Wenn du nicht so verrückt aussehen würdest, würde sich niemand über uns aufregen.« Der Roboter stand zwischen zwei freien Sitzen. Axton blieb auf den Halterungen stehen, blickte auf einen Bildschirm und versuchte, sich auf den ausgestrahlten Bericht über eine Raumschlacht mit den Methans zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Allzu deutlich fühlte er, wie gespannt die Atmosphäre war. Deutliches Unbehagen machte sich breit. Und schon an der nächsten Station leerte sich die Rohrbahn. »Du bist schuld!«, schrie Axton wütend und schlug mit der Faust auf den Kopf Kellys. Seine Lippen zuckten. Für Zentitontas kämpfte er mit sich, fragte sich, wofür er sich abmühte, wann er endlich auch einmal ohne ständige Demütigungen leben konnte. Wie froh und glücklich war er anfangs gewesen, wieder in seinem alten Körper weilen zu können. »Warum musste ich dich finden? Warum konnte ich nicht einen Roboter aufspüren, der nicht so abgrundtief hässlich ist wie du?« »Schätzchen, du tust mir unrecht«, entgegnete Gentleman Kelly. »Wer hat mich denn zusammengebastelt? Das war ich doch nicht.« »Was fällt dir ein, mich so zu nennen?« »Ich fühle mich gedemütigt.« »Ein Roboter mit Gefühlen! Ich platze vor Lachen.« »Ich kann nicht lachen, wenn meine Psyche so verletzt wird.« »Du elender Klapperkasten, du kannst sicher sein, dass ich
dir einen neuen Kopf verpassen werde, sobald ich einen finde.« »Jetzt machst du den gleichen Fehler wie Quertan Merantor, Liebling.« »Ich bin nicht dein Liebling!«, brüllte Axton. »Aber du machst den gleichen Fehler.« »Welchen?«, fragte der Verwachsene stöhnend. Er wusste, dass Gentleman Kelly hartnäckig immer wieder zu diesem Punkt zurückkommen würde, bis er ihm endlich Gelegenheit gab, sich auszusprechen. »Du beurteilst mich nach meinem Äußeren.« »Er konnte dich gar nicht beurteilen. Er hat dich gar nicht gesehen.« »Das sind Spitzfindigkeiten, mit denen du mir ausweichen willst, Herzchen.« »Dafür bringe ich dich um.« »Das wäre eine Sünde.« »Was weiß ein Roboter von Sünde?« »Du hast gesagt, dass ich hässlich bin. Das ist eine Sünde.« »Vergiss nicht, dass du vom Schrottplatz stammst, Missgeburt. Und jetzt sei still.« Der Zug hielt, die Türen öffneten sich. Zwei Mädchen traten ein, sahen den Roboter mit dem Verwachsenen auf dem Rücken und verließen den Waggon wieder; eins blickte mitleidig zurück. Diese Geste traf Axton tiefer als alles, was er bisher hatte hinnehmen müssen. Verbittert senkte er den Kopf. Der Zug fuhr weiter. Axton schwieg, hing seinen Gedanken nach. Wiederum versuchte er, sich abzulenken, konzentrierte sich auf den Kriminalfall, den er lösen sollte. Doch auch jetzt gelang es ihm nicht, sich von seinen eigenen Problemen zu lösen. Immer wieder fragte er sich, ob es nicht doch besser war, wenn er versuchte, in die Zeit zurückzukommen, aus der er stammte. Als der Zug jedoch abermals hielt und sie den
Waggon verließen, vergaß Axton seine Sorgen. Er war unter dem Squedon-Kont-Viertel angekommen, das Jagdfieber erfasste ihn. Hier geschahen geheimnisvolle Dinge, und damit bot sich ihm abermals eine Gelegenheit zu zeigen, was er konnte. Er schlug Kelly mit der Faust auf den Kopf. »Schneller.« Die Bahnstation war fast leer. Nur wenige Arkoniden waren aus dem Zug gestiegen. Sie eilten dreißig Meter vor ihm her und bemerkten ihn nicht. Axton sah sich forschend um. Der Bahnhof ließ auf den ersten Blick erkennen, dass hier keine gewöhnlichen Leute wohnten. Er war mit kostbaren Materialien ausgestattet, glänzte vor Sauberkeit und hatte etwas Abwehrendes an sich. Hier spürte jeder, dass nur Gäste willkommen waren, die zu den obersten Gesellschaftsschichten des Großen Imperiums gehörten. In dieser Hinsicht kannte Axton jedoch keine Komplexe. Er war es gewohnt, sich überall zu bewegen. Reichtum und Macht imponierten ihm nicht, waren bedeutungslos für ihn. Über eine Antigravschräge glitten sie nach oben und erreichten eine Parklandschaft von beeindruckender Schönheit. Auf keinem Planeten der Milchstraße in der Zeit des Solaren Imperiums wurde ein derartiger gartenbaulicher Kult getrieben wie auf Arkon I. Zierpflanzen aus allen Teilen der bekannten Galaxis schienen hier zusammengetragen worden zu sein. In kaum sichtbaren Energiegattern wurden wilde Tiere gehalten, die Axton noch nie gesehen hatte. Aber diese Dinge interessierten ihn vorläufig nur am Rande. Er trieb den Roboter an, ihn zu einem der vierundzwanzig Trichtergebäude zu tragen. Niemand hielt ihn auf. Er konnte das Squedon-moas-Gebäude betreten, ohne kontrolliert zu werden, wusste jedoch, dass es Beobachtungsanlagen gab, die Aufnahmen von ihm anfertigten und alles registrierten, was er tat, bis er eine der Wohnungen betrat. Und auch dort würde er
überwacht werden, falls die Bewohner die positronische Aufzeichnung nicht abgeschaltet hatten. In einem großzügig angelegten Antigravschacht schwebten er und Kelly nach oben. In einer Höhe von etwa einhundert Metern begannen die insgesamt neunzig Wohnetagen, zwischen denen immer wieder künstliche Gartenlandschaften angelegt waren, in denen die unterschiedlichsten Klimazonen imitiert wurden. Legar Ta-Sammaron wohnte über einer Polarlandschaft, die von zahlreichen Tieren bevölkert wurde. Axton fand den Eingang zur Wohnung des Industriellen im obersten Stockwerk, wo sich die luxuriösesten Appartements befanden. Er betrat einen völlig in rotes Licht getauchten Gang, als eine freundliche Frauenstimme fragte: »Guten Tag. Würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen? Was führt Sie zu uns?« »Ich komme von der Polizei«, entgegnete er. »Es geht um Larcenia Sammaron.« »Weisen Sie sich, bitte, aus.« »Das kann ich nicht. Fragen Sie beim Polizeipräsidenten zurück. Er wird bestätigen, dass ich fahndungsberechtigt bin.« Er stand einem Servoroboter gegenüber, der sich vermutlich stur an sein Programm halten würde. Daran hatte er nicht gedacht, obwohl er auch in seiner Wohnung in Terrania City einen solchen Robotportier gehabt hatte, der dafür sorgte, dass nur willkommene Gäste eintreten konnten. Doch er hatte Glück. Der Roboter entschied offenbar nicht eigenmächtig, sondern informierte einen der Bediensteten. Die Tür öffnete sich. Ein schlanker Arkonide blickte auf den Gang heraus. »Sie sind von der Polizei?« Das konnte er sich offenbar nicht vorstellen. »So ist es. Ich suche Larcenia und benötige einige Informationen.« »Treten Sie ein.«
Axton schlug Kelly die Hand klatschend auf den Schädel. Der Roboter marschierte jedoch schon los. Der Durchgang war so hoch, dass der Verwachsene seinen Kopf nicht einzuziehen brauchte. Sie kamen in einen mit tropischen Gewächsen ausgestatteten Raum. Eine zweite Tür war nicht erkennbar. »Steigen Sie, bitte, von Ihrem Roboter«, sagte der Bedienstete. »Die Wohnung dürfen nur Sie allein betreten.«
Ta-tiga Sammaron war ein schwergewichtiger Mann mit kurzem Haar und großen Händen. Als Lebo Axton den Wohnsalon betrat, saß der Mann in einem Sessel vor einem Methanarium und beobachtete einige farbenprächtige Kleintiere aus der Welt der Maahks. Hinter ihm stand eine auffallend schöne junge Frau, die mit einem durchscheinenden Gewand nur spärlich bekleidet war. Der Verwachsene blieb vor einem hell erleuchteten Graben stehen, der sich quer durch den Raum zog und ihn von dem Vater der Entführten und der Arkonidin trennte. Darin bewegten sich mehrere rote und grüne Schlangen, die teils zwischen Kriechpflanzen versteckt waren, teils über offene Flächen krochen. »Sie können hinübergehen«, sagte Sammaron mit dröhnender Bassstimme. »Ein Prallfeld trägt Sie.« Axton schob einen Fuß vor und spürte den Widerstand. Ihm wurde heiß, und er war sich bewusst, dass ihn der Hochedle mühelos hereinlegen konnte. Er brauchte nur das Prallfeld abzuschalten, um ihn den Schlangen auszuliefern. »Wie geschmackvoll«, sagte Axton mit einem missglückten Lächeln und atmete auf, als er den Graben überwunden hatte. Sammaron musterte ihn wie ein exotisches Insekt, die Frau lächelte interessiert. Der Verwachsene tat, als sei alles in Ordnung. »Mein Name ist Lebo Axton. Ich bemühe mich, Ihre Tochter zu finden.«
Die Augen des Arkoniden wurden feucht; ein deutliches Zeichen der Nervenbelastung, unter der er stand. »Merantor schickt Sie?« Seine Stimme bebte vor Zorn. »Hat die Polizei nichts Besseres zu tun, als mir eine Figur wie …« Die Frau legte ihm rasch die Hand vor den Mund. »Merantor schickt mich nicht. Er hat sich sogar dagegen gesträubt, dass ich mich in die Fahndung einschalte, weil er meint, es auch allein schaffen zu können.« »Sie sagen das in einem Ton, als hätten Sie keine besonders hohe Achtung vor dem Polizeiapparat Merantors«, sagte die Arkonidin. »Das ist vollkommen richtig.« Der Zorn Sammarons legte sich. Er schob den Arm der Frau zur Seite und beugte sich vor. Erst jetzt schien er Axton richtig zu sehen, schüttelte den Kopf. »Mann, es gibt kosmetische Operationen, mit denen Sie Ihr Aussehen beträchtlich verändern könnten. Bei Ihnen passt nichts zusammen: Die Füße sind zu groß, die Beine zu dünn, die Ohren stehen ab, und auch sonst sind Sie hässlich. Warum tun Sie nichts für sich?« »Vater!« »Sei still, Arina. Wir leben nicht mehr in der Barbarenzeit der Archaischen Perioden. Dieser Kerl ist eine Beleidigung für jedes Auge.« »Wenn Sie damit sagen wollen, dass Sie mir diese Operationen für den Fall finanzieren wollen, dass ich Ihnen Ihre Tochter zurückbringe, können wir darüber reden«, sagte Lebo Axton kühl. »Vorläufig interessiert mich diese Frage nicht. Kommen wir lieber zum Thema.« Sammaron starrte ihn verblüfft an. Seine Tochter beugte sich zu ihm hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Axton verfügte über ein ungewöhnlich gutes Gehör, vernahm Worte wie: »Party … besondere Überraschung … einladen …«
Der Mann drängte sie erneut zur Seite. »Was wissen Sie?« »Nichts.« »Nichts?« »Nein. Es gehört zu meinen Fahndungsmethoden, mich aus erster Quelle zu informieren. Und das sind Sie. Merantor hätte mir nur einen Bericht gegeben, der vielleicht mit falschen Interpretationen gespickt ist. Und darauf lege ich keinen Wert. Ich weiß nur, dass Ihre Tochter Larcenia verschwunden ist, dass es hier auf dem Squedon-Kont-Hügel zu einer Reihe von Erscheinungen gekommen ist, die sich scheinbar nicht mit rein physikalischen Mitteln erklären lassen.« »Das ist richtig. Mein Panzerschrank wurde geöffnet, ohne dass jemand meine Wohnung betreten hat, ohne dass ein Schlüssel dafür benutzt wurde. Das wäre ohnehin nicht möglich gewesen, da sowohl der Schlüssel als auch der Schrank mit einem auf mich abgestimmten Individualtaster versehen sind.« »Nur Sie können ihn also öffnen?« »Nur ich.« »Aber Sie haben es nicht getan?« »Ich könnte es noch nicht einmal im Schlaf getan haben, denn ich war auf Arkon Zwei.« »Das ist eindeutig. Haben Sie die Individualdaten Ihrer Töchter mit Ihren eigenen vergleichen lassen?« »Was soll das heißen? Wollen Sie damit sagen, dass sie ähnliche Daten haben könnten wie ich?« »So etwas ist schon vorgekommen. Die Abweichungen waren so gering, dass die IV-Taster sie nicht zur Kenntnis nahmen.« Der Ta-tiga sprang auf. »Sie wollen also behaupten, Larcenia habe den Schrank selbst geöffnet und sei dann davongelaufen?« »Das haben Sie gesagt. Ich bin noch lange nicht so weit,
Schlüsse irgendwelcher Art zu ziehen.« »Ich sollte Sie hinauswerfen.« »Vater, damit erreichen wir doch nichts. Du kannst von einem Polizisten nicht erwarten, dass er Larcenia von vornherein als Täterin ausschließt.« Sammaron setzte sich wieder und sagte brummig: »Also gut. Weiter. Was wollen Sie noch wissen?« »Wurde etwas aus dem Safe entwendet?« »Nein. Das ist ja das Verrückte. Er stand nur offen. Dabei weiß ich genau, dass ich ihn verschlossen habe. Abgesehen davon, dass er sich automatisch schließt, sobald ich mich aus der Wohnung entferne.« »So etwas ist aber nicht nur bei uns geschehen«, sagte Arina Sammaron sanft, »sondern auch in anderen Wohnungen. Nicht nur in diesem Haus, sondern auch in anderen.« Ein Bediensteter betrat den Raum, warf Axton einen verwunderten Blick zu und meldete: »Noch ein Addag’gosta, Hochedler.« »Noch einer? Führen Sie ihn herein.« Axton war beunruhigt. Er spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Sammaron musterte ihn argwöhnisch. Ein Arkonide, der eine dunkelblaue Uniform trug, kam herein. »Merantor befürchtete, dass Sie hier sind, Axton.« »Befürchtete? Das stimmt wohl nicht ganz.« Axton fühlte, dass sein Protest nichts nützen würde. Verzweifelt überlegte er, was vorgefallen sein könnte. »Merantor befiehlt Ihnen, sich ab sofort nicht mehr um den Fall Larcenia und die seltsamen Vorgänge in diesem Viertel zu kümmern«, sagte der Polizist. »Ich soll Ihnen mitteilen, dass er Sie erschießen lässt, sollten Sie nicht tun, was er will.« »Bestellen Sie ihm, dass er ein Trottel ist«, entgegnete der Verwachsene erregt. Arina kam zu Axton, beugte sich zu ihm herab. »Machen Sie
sich keine Sorgen«, flüsterte sie. »Wir sehen uns später.« Dabei blickte sie ihn so warmherzig an, dass sich ihm plötzlich die Kehle verschloss. Er wollte etwas antworten, aber die Stimme versagte. So nickte er ihr nur dankbar zu, wandte sich um und verließ den Raum.
»Verdammt, Kelly, wie soll ich weiterkommen, wenn Merantor so mit mir verfährt?«, fragte Axton, als er mit dem Roboter vor der Wohnungstür des Industriellen stand. »Kannst du dir erklären, was das zu bedeuten hat?« »Ich bitte um genauere Informationen. Ich weiß nicht, was vorgefallen ist.« Einem unbestimmten Impuls folgend, sagte Axton: »Wir schweben ganz nach oben. Ich will mir die Gegend ansehen.« Kelly trug Axton in den Antigravschacht und schwebte mit ihm nach oben. Wie erwartet bildeten großzügig angelegte Dachterrassen den Abschluss des Trichtergebäudes. Hier hielt sich niemand auf, auch robotische Anlagen stellten sich Axton nicht in den Weg. Ungehindert konnte er bis zum Rand des Trichters vordringen und von kleinen Aussichtsplattformen über das Land sehen. »Dort unten sind Polizeigleiter.« Der Roboter streckte einen Arm aus und zeigte auf eine flammend rote Spirale aus Blütenbeeten. Sosehr Axton sich auch anstrengte, er konnte aus dieser Höhe kaum etwas erkennen. Er sah nur, dass einige Maschinen zwischen den Blumenfeldern gelandet waren. »Was ist da los?« Kelly veränderte die Brennweite seiner Linsen. »Da liegt jemand.« Axton verzichtete auf weitere Fragen. »Nach unten, Kelly. Tempo!«
Der Roboter rannte mit Axton auf dem Rücken zum Antigravschacht und ließ sich vom abwärts gepolten Teil nach unten tragen. Dort trieb ihn der Terraner erneut zur Eile an und richtete sich so hoch wie möglich auf, während Gentleman Kelly durch den Park stürmte. So machte er die lockere Kette von Polizisten bald aus, die Quertan Merantor hatte bilden lassen. Axton musste ständig an die Worte des Polizeichefs von Arkon I denken. Dieser wollte wissen, ob sich Ternnan über ihn lustig gemacht hatte oder nicht. Wollte Merantor aber auch jetzt noch, dass er – Axton – den Fall löste? Oder hatte er es sich anders überlegt? Der Terraner war sich von Anfang an darüber klar geworden, dass die Polizei die Hände nicht in den Schoß legte und ihm die Arbeit überließ. Sie hatte vermutlich gar nicht die Möglichkeit, untätig zu bleiben, weil sie von den Edlen und Hochedlen ständig unter Druck gesetzt wurde. Umso schwieriger war seine Aufgabe. Sie wurde vielleicht sogar unlösbar, wenn er auch noch von Merantor behindert wurde. Er dirigierte Kelly zu einer Lücke im Absperrriegel. Vorsichtig schob sich der Roboter zwischen zwei Baumstämme. Von hier aus konnte er die Polizeigleiter sehen. Der nächste Polizist war etwa zehn Meter entfernt. »Kriech auf allen vieren weiter, Kelly!«, befahl Axton. »Aber so, dass sie dich nicht bemerken.« Der Roboter ließ sich nach vorn sinken und tat, wie der Terraner es angeordnet hatte. Der Verwachsene legte sich flach auf den Ovalkörper und klammerte sich mit Armen und Beinen fest, während Kelly durch die Büsche schlich. Die Addag’gostaii schienen überhaupt nicht damit zu rechnen, dass jemand versuchen würde, zu den Gleitern vorzudringen, waren nicht besonders aufmerksam. Als Kelly die Flugmaschinen erreicht hatte, sagte Axton: »Aufstehen.« Der Roboter erhob sich so vorsichtig, dass der Terraner nicht
herabfallen konnte. Dennoch fluchte Axton wütend, weil er mit einem Fuß ausrutschte und fast gestürzt wäre. »Du Tölpel«, sagte er zischelnd und schlug Kelly die Faust auf den Kopf. »Warum bist du so ungeschickt?« »Du solltest so etwas nicht immer zu mir sagen, Liebling. Ich könnte Minderwertigkeitskomplexe entwickeln.« »Ich habe dir schon einmal erklärt, dass so etwas völlig unmöglich ist. Erstens bist du ohnehin minderwertig, und zweitens entbehrt deine positronische Pseudoseele jeglicher Empfindsamkeit, die eine Komplexbildung zulassen könnte. Ruhe jetzt.« Der Roboter ging weiter. Dabei hielt er sich in der Deckung der Maschinen, sodass sie erst entdeckt wurden, als sie unmittelbar hinter den Bauchaufschneidern standen, die neben dem Liegenden knieten. »Er lebt«, sagte gerade einer der beiden Mediziner. »Daran besteht überhaupt kein Zweifel.« »Aber er reagiert nicht. Seltsam«, sagte der andere. »Wer ist das?«, fragte Lebo Axton einen Polizisten, der Aufnahmen machte. »Apprat Cokret«, antwortete der Arkonide, ohne aufzusehen. Der Mann lag zwischen den Blumen, Arme und Beine weit von sich gestreckt. Das Gesicht war starr wie das eines Toten, die Augen und die Lippen geschlossen. Die Brust bewegte sich kaum merklich. Er trug eine schlichte Uniform. Sein Impulsstrahler, der in einem Halfter am Gürtel steckte, war zerbrochen, obwohl sonst keinerlei Anzeichen von irgendeiner Gewaltanwendung zu erkennen waren. »He, was machen Sie hier?«, fragte ein Polizeioffizier, der zwischen einigen Büschen hervorkam. Verblüfft sah er Lebo Axton an. »Dumme Frage. Und Sie, was machen Sie hier?«
»Verhaften!«, befahl der Arkonide, wobei er über die Schulter zurücksprach. Vier weitere Polizisten kamen heran, umringten Axton und den Roboter. Einer richtete einen Paralysator auf den Verwachsenen. »Machen Sie keinen Unsinn, sonst schieße ich Sie von da oben runter.« »Fragen Sie erst einmal Quertan Merantor, ob Sie dann nicht anschließend in Pension gehen müssen.« Ein weiterer Polizeioffizier näherte sich. Der reich verzierte Gürtel, den er trug, wies ihn als Vorgesetzten aus. Er blieb vor Gentleman Kelly stehen und blickte zu Axton hinauf. »Ich habe damit gerechnet, dass Sie versuchen würden, sich hier einzumischen, Axton. Merantor hat so etwas angedeutet. Sie haben hier nichts zu suchen. Verschwinden Sie also, bevor es unangenehm für Sie wird.« »Dann ist dieser Apprat Cokret also ein wichtiger Mann? Sie wären verdammt froh, wenn er endlich aufwachte und Ihnen erzählen könnte, was vorgefallen ist, stimmt’s?« »Bringt den Kerl weg. Wenn er sich sträubt, paralysiert ihn und werft ihn irgendwo in die Büsche.« »Ich ziehe mich ja schon zurück.« Axton streckte abwehrend die Hände aus. Kelly wandte sich um und eilte mit weit ausgreifenden Schritten davon. Lebo Axton blickte ständig auf den Boden. Plötzlich sah er etwas Helles zwischen den Blumen liegen. »Halt!«, befahl er. Der Roboter stoppte so schnell, dass der Terraner fast über seinen Kopf hinweggeschleudert worden wäre. »Du elender Holzkopf.« »Ich verstehe deinen Protest, aber ich muss dich korrigieren. Mein Kopf hat eine Hülle aus bestem Arkonit. Das Innere besteht aus reiner Positronik, die in eine von dem Meisterkonstrukteur Abbahat entwickelte Leichtmetallkonstruktion eingebettet ist. Von Holz kann
überhaupt keine Rede sein.« »Du bist falsch informiert. Erstens bist du Ausschussware, zweitens hat sich nie ein Laktrote mit dir befasst, und drittens wurden die Hohlräume in deinem Kopf mit Holzspänen ausgefüllt.« »Ach Schätzchen!« Axton schwieg verbittert, suchte seine Taschen nach einem harten Gegenstand ab, den er dem Roboter über den Kopf hätte schlagen können, fand aber nichts. »Das Ding, das du suchst, liegt auf dem Boden.« Der Roboter kniete sich hin. Axton besann sich schnell wieder auf seine Aufgabe, ließ sich von Kelly reichen, was er im Vorübergehen entdeckt hatte. Es war der Arm einer Kinderpuppe. Das Leichtmetallgelenk war aus seiner Halterung gerissen worden, die Pseudobiosubstanz kalt. Das deutete daraufhin, dass dieser Arm wenigstens seit einer Tonta hier lag. Viel länger konnte er nicht vom Rumpf der Puppe abgetrennt worden sein, denn dann hätten sich in der halb lebenden Substanz Verfallserscheinungen zeigen müssen. Das aber war nicht der Fall. »Weiter! Schnell!« Der Roboter sprang auf und rannte los. »So schnell nun auch wieder nicht!«, schrie Axton, der Mühe hatte, sich auf dem Rücken zu halten. »Langsamer.« Der Roboter verzichtete darauf, ein fünf Meter breites Blumenbeet mit einem Satz zu überspringen, und bog auf einen Kiesweg ein. Rasch marschierte er an zwei Addag’gostaii vorbei. »Das schwöre ich dir, Kelly, sobald ich ein wenig Zeit habe, werde ich dich auseinandernehmen. Ich werde mir aus dem Rumpf als Basis einen idealen Helfer zusammenbasteln und ihn mit einem positronischen Hirn versehen, das mir nichts als Freude macht.« »Das macht mich glücklich.« »Das ist dein Ende als frei herumlaufender Blecheimer. Du wirst wieder auf einem Schrottplatz landen und verrotten.«
»Wiederum ein Irrtum. Es wird nichts geschehen.« »Nichts? Ich habe doch gerade gesagt, was ich mit dir machen werde.« »Dazu wird es nie kommen.« »Warum nicht? Willst du mir drohen? Willst du damit sagen, dass du dich weigern wirst?« »Nein, auf gar keinen Fall, aber ich weiß, dass du nie genug Zeit für solche Operationen haben wirst.« »Eines Tages wirst du dich gewaltig wundern. Aber ich verspreche dir, dass ich dich hin und wieder auf dem Schrottplatz besuchen werde. Du sollst Gelegenheit haben, über die Unverschämtheiten nachzudenken, die du mir ständig bietest.« »Ich werde …« »Du wirst den Mund halten. Sofort! Das ist ein Befehl.« Lebo Axton wartete argwöhnisch darauf, dass Gentleman Kelly dennoch weitersprechen würde, aber das tat er nicht. Zufrieden seufzend entspannte sich der Terraner.
Axton lenkte Kelly zu einer Kom-Zelle, die sich neben dem Eingang eines Trichtergebäudes befand. Mit wenigen Knopfdrücken verband er sich mit dem Polizeipräsidium. »Ich bin Lebo Axton«, sagte er, als ein Robotzeichen erschien und ihn zum Sprechen aufforderte. »Ich muss Quertan Merantor sprechen.« Einige Augenblicke verstrichen. Axton fürchtete bereits, dass er abgewiesen werden würde, da wechselte das Bild. Der Polizeipräsident blickte ihn gleichgültig an. »Was ist los? Sind Sie am Ende? Wollen Sie zugeben, dass Sie nichts als ein Clown sind?« »Im Gegenteil. Ich habe ein paar Fragen. Wer ist Apprat Cokret? Was ist mit ihm geschehen?«
»Kein Kommentar.« »Wie soll ich den Squedon-Kont-Fall lösen, wenn Sie mich behindern, statt mir zu helfen?« »Kein Kommentar.« »Cokret ist also ein äußerst wichtiger Mann. Dass ihm etwas zugestoßen ist, kommt einer Katastrophe gleich. Er ist …« »Noch was?« »Ja. Ich benötige ein Quartier.« »Im Esga-Kelch steht eine kleine Wohnung frei; gehört zum Squedon-Kont-Viertel – SK-Esga-siebzehn-fünfundzwanzig. Sie können sie benutzen.« »Wie lange?« »Bis Sie fällig sind, keinen Wimpernschlag länger.« »Sie wollen mir also nicht helfen. Sie wollen mir keine Informationen geben.« »Wozu? Sie wollen doch den Fall lösen. Oder nicht?« Merantor lachte boshaft und schaltete ab.
Die Wohnung 25 in der siebzehnten Etage lag noch im runden Sockel des Trichtergebäudes am Rand des Squedon-KontViertels in einer Höhe von etwa fünfzig Metern, war klein und bescheiden eingerichtet. Axton war zufrieden, brauchte nicht mehr als ein Bett und eine Hygienekabine. Diese Unterkunft, die einem Dienstboten gehört haben mochte, reichte daher für ihn aus. Er hatte ein Kom-Gerät mit Positronik-Terminal und eine Robotküche. Axton besichtigte die Hygienekabine, schaltete sie ein und stellte enttäuscht fest, dass sie für ihn kaum geeignet war, da Duschen und Massagegeräte für normal gewachsene Personen eingerichtet waren. Gentleman Kelly beobachtete ihn. Axton blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Was glotzt du so?« »Ich stelle fest, dass du falsch pfeifst.«
Der Verwachsene lachte schrill. »Ich pfeife falsch? Was verstehst du Fehlkonstruktion schon von terranischen Volksliedern? Nichts!« »Terranische Volkslieder? Davon habe ich noch nie gehört.« Axton blickte den Roboter betroffen an. Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte. Terra war in dieser Zeit vollkommen unbekannt. Erst in einigen Jahren würde dieser Planet erstmals in den Logbüchern arkonidischer Raumschiffe erwähnt werden, dann allerdings unter einem anderen Namen. Als sich Axton dessen bewusst wurde, dass allein die Namensverschiedenheit schon eine ausgezeichnete Tarnung war, atmete er unmerklich auf. Für die Arkoniden war es so gut wie unmöglich, die Spur zu finden. Falsch war es lediglich gewesen, sich überhaupt auf Terra zu beziehen. »In der Galaxis gibt es eine schier unendliche Zahl von Planeten, von denen die meisten viele verschiedene Namen tragen«, sagte er. »Die Arkoniden nennen die Welten ganz anders, als die Bewohner dieser Welten es tun. Und auch unter ihnen gibt es mehrere Namen für diesen einen Planeten. Ein Dummkopf wie du kann noch nicht mal einen Bruchteil der Namen kennen.« »Ich bin kein Dummkopf.« »Das hört sich an, als seiest du beleidigt.« »Das bin ich auch. Ich …« »Ruhe!«, brüllte Axton. Das Visifon sprach an. Er wollte es bereits einschalten, als ihm bewusst wurde, dass er völlig nackt war. Fluchend streifte er sich Hemd und Hose über und drückte dann erst die Taste. Danach verfärbten sich ihm die Wangen, denn ihm fiel ein, dass er noch ungekämmt war. Arina Sammaron lächelte verständnisvoll. »Oh, ich habe Sie überrascht«, sagte sie mit weicher Stimme. »Entschuldigen Sie. Sind Sie mir böse?« »Keineswegs«, sagte er mit stockender Stimme. Verlegen
wischte er sich über das Haar. »Ich möchte Sie bitten, heute Abend zur fünfzehnten Tonta unser Gast zu sein. Mein Vater empfängt einige hochgestellte Persönlichkeiten. Kommen Sie?« »Natürlich. Gern.« Axton hatte sich wieder gefangen. »Ich danke Ihnen.« Arina Sammaron freute sich sichtlich. »Ich mag Sie«, sagte sie und schaltete aus; ihr musste es ein Leichtes gewesen sein, seine neue Unterkunft herauszufinden. Einer Erlauchten wie ihr wurden dergleichen Wünsche nicht ausgeschlagen. »Ich mag dich auch, Schätzchen«, sagte Gentleman Kelly. Lebo Axton bückte sich, nahm einen seiner Stiefel auf und schleuderte ihn gegen den Roboter.
Axton hatte vergeblich versucht, in der noch verbleibenden Zeit neue Kleidung zu finden, die gut passte. So musste er einige kleine Änderungen vornehmen. Doch danach sahen die neuen Kleider immer noch besser aus als die alten. Axton legte einen weiten Schulterumhang an, der durch eine Edelmetallspange auf der Brust zusammengehalten wurde. So ausgestattet ließ er sich von Kelly zur Abendgesellschaft der Sammarons tragen. Wie erwartet brauchte er den Portierrobot dieses Mal nicht zu berücksichtigen – die Türen öffneten sich von selbst vor ihm. Ein uniformierter Bediensteter empfing ihn in der Vorhalle und führte ihn in den Festsalon, eine Halle, die etwa vierzig Meter lang und zwanzig Meter breit war. In ihr hatte sich eine illustre Gesellschaft versammelt. Axton schätzte, dass etwa zweihundert Personen anwesend waren. Sie standen plaudernd um zahlreiche Tische. Im Hintergrund zeigte eine wandgroße Holoprojektion einen Bericht von einer paradiesischen Welt. Dieses Gerät allein musste ein Vermögen gekostet haben. Die 3-D-Technik gab es noch nicht lange in
dieser Vollkommenheit. Und Geräte dieser Dimension, wie sie Sammaron hatte, konnten sich nur die reichsten Familien des Imperiums leisten – oder das Militär in den Raumschiffen der Flotte. Aus mehreren Lautsprechern, die in der Decke versteckt waren, ertönte eine angenehme Musik. Als Lebo Axton auf dem Rücken des Roboters den Saal betrat, erregte er sofort Aufmerksamkeit. Einige Frauen und Männer lachten ihn offen aus, andere lächelten versteckt. Keiner aber schien ihn wirklich ernst zu nehmen. Arina Sammaron eilte auf ihn zu. Sie trug ein langes schimmerndes Kleid, das ihren zierlichen Körper wie ein Energiefeld zu umschließen schien. »Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, Lebo.« »Guten Abend«, sagte er zurückhaltend. Geradezu ängstlich musterte er ihr Gesicht. Sie schien sich wirklich zu freuen; ihr Lächeln war von einer Herzlichkeit, die ihn vergessen ließ, wie sich die anderen verhielten. »Kommen Sie, Sie werden Hunger haben. Ich gebe Ihnen etwas zu essen.« Sie führte ihn zu einer runden Tafel, auf der kulinarische Kostbarkeiten aufgestellt worden waren. »Der Roboter wird mich bedienen«, sagte er, als sie ihm etwas reichen wollte. »Das ist mir lieb. Da kommen noch weitere Gäste, um die ich mich kümmern muss.« Und schon war sie wieder verschwunden. Kelly wählte sorgfältig. Axton konnte nicht viel essen und wollte daher nur das nehmen, was ihm am besten erschien. Er hatte gerade erst einige Bissen verzehrt, als sich ein junger Arkonide zu ihm gesellte. »Sie sind Lebo Axton?« »So ist es.« »Ich habe gehört, dass Sie zur Polizei gehören. Sie sollen eine neue Polizeitruppe gegründet haben.« Der Arkonide grinste, Axton aß weiter. »Die Zwergenpatrouille. Ist das richtig?«
»Vollkommen«, antwortete Axton ernsthaft. »Allerdings nehmen wir nur geistige Zwerge auf. Wie wär’s mit Ihnen?« »Unverschämtheit«, sagte der Edelmann wütend und eilte davon. Ein korpulenter Offizier im Rang eines Vere’athor, der die Worte mitgehört hatte, lachte schallend und kam zu Axton. »Das war gar nicht schlecht«, sagte er und nahm sich einige Delikatessen. »Mein Name ist Terval. Ich darf Ihnen sagen, dass ich keineswegs nur einen Party-Gag in Ihnen sehe wie die meisten hier, sondern dass ich Sie durchaus ernst nehme.« Axton zuckte zusammen, blickte sich um. Und erst jetzt fiel ihm auf, dass noch einige andere Nichtarkoniden im Saal waren. Er entdeckte einige exotische Lebewesen von bizarrem Äußeren, die von den Gästen bestaunt und begafft wurden. Einige Frauen und Männer unterhielten sich ganz offensichtlich über ihn, wobei sie immer wieder in ein gedämpftes Gelächter ausbrachen. »Ich bin also nur eingeladen worden, um die Gäste zu amüsieren?« »Natürlich. Was dachten Sie denn?« Axton hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben. Bis zu diesem Moment hatte er an Arina Sammaron geglaubt. Jetzt erkannte er, wie gründlich er sich getäuscht hatte. »Wir gehen, Kelly.« »Sie bleiben noch. Warum nutzen Sie Ihre Chance nicht?« »Welche Chance, Vere’athor?« »Nun, Sie könnten doch einiges über Apprat Cokret erfahren. Merantor wäre bestimmt nicht erfreut, wüsste er, dass Sie hier sind.« »Sie kennen Cokret?« Axton vergaß schlagartig die Demütigungen. Plötzlich hatte er sein Ziel wieder klar vor Augen. Er musste herausbekommen, warum der Mann, den man bewusstlos im Park gefunden hatte, so wichtig war.
»Ja. Ein hoher Offizier der Raumflotte. De-Keon’athor der Siebten Flotte. Und ich weiß, dass er in einem Gebiet tätig war, das derzeit von den Methans beherrscht wird.« Terval lachte herablassend. »Das macht ja Merantor und die Herren von der Abwehr gerade so nervös. Sie wissen nicht, was mit Cokret passiert ist. Niemand hat damit gerechnet, dass er schon jetzt nach Arkon zurückkommen würde. Er wurde erst in zwölf Pragos erwartet. Er hat sich nicht angemeldet, sondern war plötzlich hier. Er kann nicht mit einem Raumschiff gekommen sein. Das wäre aufgefallen. Also, wie ist er zur Kristallwelt gereist? Einfach so durchs Vakuum und dann durch die Luft?« Terval breitete die Arme aus und bewegte sie wie Flügel, lachte schadenfroh. Er freute sich offensichtlich darüber, dass Merantor in einer Klemme steckte. »Sie kennen Quertan Merantor?« Der Arkonide wurde ernst, verzehrte einige Krabben. »Und wie, Axton, und wie ich ihn kenne. So wie heute habe ich ihn allerdings noch nicht erlebt. Er schäumt vor Wut, und er hasst Sie wie die Knochenpest.« »Mich? Warum? Ich habe ihm nichts getan.« »Sie haben etwas zerstört, was ihm ungeheuer viel bedeutet hat. Ich meine die Freundschaft mit Ternnan. Er traut Ihnen nicht.« »Aber Sie tun es?« Terval lächelte, hob bestätigend die Hände. »Allerdings. Ich habe einen Tipp von Arkon Drei bekommen. Ein Untergebener hat mir Informationen über den Fall Mosselcrin zukommen lassen. Ich berste vor Vergnügen, Axton. Wüsste Merantor, was für eine Dummheit er gemacht hat, dann …« Er ließ offen, was Merantor machen würde, stopfte sich den Mund mit Pilzen voll und schwieg, bis er sie hinuntergeschluckt hatte. »Ich muss Sie allerdings warnen. Ich weiß, dass Merantor Sie vernichten will. Er glaubt, dass er nur
so seine Welt wieder in Ordnung bringen kann.« Er legte dem Verwachsenen die Hand auf die Schulter. »Sehen Sie den Kahlköpfigen dort hinten? Bauchaufschneider Jektor leitet im Klinikum die Station, auf der Apprat Cokret liegt. Warum sprechen Sie nicht mit ihm?« »Würden Sie mich ihm vorstellen?« »Warum sollte ich das tun? Nein, ich möchte sehen, wie Sie es schaffen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Nur so kann ich mein Vergnügen steigern.« Axton begriff. Der Offizier handelte keineswegs uneigennützig, wollte sich auch nicht nur an Merantor aus irgendeinem Grunde rächen. Er wollte sich hauptsächlich amüsieren – und dafür kam ihm Axton gerade recht. Der Terraner fand, dass eine solche Haltung immer noch besser war, als über seine körperlichen Unzulänglichkeiten zu lachen. »Ich hoffe, dass ich Ihren Erwartungen gerecht werden kann«, entgegnete er daher höflich. »Besten Dank für Ihre Informationen.« Er schlug Kelly mit der flachen Hand auf den Schädel und ließ sich zu dem Mediziner tragen. Dabei überlegte er, wie er diesen Arkoniden dazu bringen konnte, vernünftig mit ihm zu reden. Der Yoner-Madrul stand allein an einer Tafel, aß und blickte überrascht auf, als Kelly mit dem Verwachsenen auf dem Rücken vor ihm erschien. Auf seiner Brust schimmerten die handgroßen Cholittplatten der Amtskette. »Eine Empfehlung von Terval veranlasst mich, Sie zu stören«, sagte Axton. »Ich hoffe, es ist Ihnen nicht unangenehm?« Der Bauchaufschneider blieb ernst und betrachtete Axton mit dem Interesse eines Mediziners; er schien nichts Komisches an seinem Äußeren zu finden. »Sie stören mich nicht. Und ich sehe nicht ein, warum es unangenehm sein sollte, mit Ihnen zu reden. Was kann ich für Sie tun?«
»Überhaupt nichts. Ich wollte Sie nicht um einen Gefallen bitten. Mich interessiert lediglich das Befinden von Apprat Cokret. Ich war zufällig dabei, als er hier in der Nähe gefunden wurde. Ist er schon aufgewacht?« »Nein«, entgegnete der Kahlköpfige einsilbig, schien nicht gewillt zu sein, Auskunft zu geben. »Ich habe vor etwa einem Jahr einmal einen Mann gesehen, der sich in einem vergleichbaren Zustand befand«, behauptete Axton. »Alle Lebensfunktionen waren in Ordnung, aber er reagierte auf nichts. Es war, als sei ein Teil seines Nervensystems entfernt worden.« »Wie bei Cokret«, sagte Jektor überrascht. »Seine Muskulatur war auch verhärtet?« »Vollkommen. Er war wie ein lebender Toter.« »Wir haben alles versucht, ihn zu sich zu bringen, aber keinerlei Medikamente schlagen an.« »Genau wie bei diesem Mann. Auch bei ihm war nichts auszurichten.« Der Arkonide blickte ihn voller Spannung an. »Und? Wie endete der Fall?« Axton zögerte kurz, dann sagte er: »Ein Magier aus einem Primitivenvolk trat in Erscheinung. Der Zhygor’ianta löste die Starre mit Parakräften. Das behauptete er jedenfalls später. Doch niemand glaubte ihm, was nicht verwunderlich ist.« »Allerdings nicht«, antwortete der Arzt nachdenklich. Zhygor’ianta bedeutete wörtlich »Kampf ums Licht« in Verbindung mit der Umschreibung eines Inhabers, Trägers. Ein Lichtkämpfer bezeichnete je nach Satzzusammenhang einen Mutanten, Zauberer oder Magier. »Was aber hat den Mann wirklich zu sich gebracht?« »Ich weiß es nicht.« Axton war zufrieden. Er hatte mehr erfahren, als er gehofft hatte. Die Arkoniden bemühten sich intensiv um Cokret, weil dieser eine wichtige Mission
durchgeführt hatte. Dabei stand man vor einem Rätsel. Sollten tatsächlich paranormale Kräfte im Spiel sein? Da die Medikamente keine Wirkung erzielten, war das nicht ausgeschlossen. Axton, dessen Spezialgebiet die Geschichte der altgalaktischen Völker war, wusste, dass bereits im Großen Imperium etliche Fremdvölker mit Paragaben bekannt gewesen waren. Die bewusstseinstauschenden Vecorat oder Individualverformer hatten sogar als Erzfeinde gegolten. Parakräfte mussten somit in Betracht gezogen werden.
Plötzlich wurde es still, dann brandete Gelächter auf. Axton blickte zur Eingangstür. Dort erschien ein hochgewachsener Arkonide, dem ein seltsamer Begleiter folgte. Das Wesen war etwa zwei Meter groß, bestand praktisch aus einem Ballonkopf, zwei winzigen Füßen und einer dünnen Stange, die beides miteinander verband. Es war vollkommen weiß. So hoben sich die grünen Augen und die flammend roten Lippen, die albern zu lächeln schienen, krass ab. Das Wesen rollte verlegen die Augen. Axton sah ihm an, dass es am liebsten geflüchtet wäre. Auf die Arkoniden machte es einen ausgesprochen komischen Eindruck. Sie bemerkten die Angst und die Scham dieses Wesens nicht, lachten hemmungslos. Zweifellos hatte dieser Edelmann mit seinem Begleiter an diesem Abend den Vogel abgeschossen. Ihm war es gelungen, die seltsamste Partysensation aufzubieten. »Wir sind übertroffen worden, Kelly«, sagte Axton leise. »Jetzt hat man etwas anderes, über das man lachen kann.« Der Bauchaufschneider hatte die Worte gehört, wandte sich dem Verwachsenen zu und wurde schlagartig ernst. Seine Wangen röteten sich. »Sie haben Recht. Wir benehmen uns schändlich. Nichts, aber auch gar nichts gibt uns das Recht, uns in dieser Weise über andere lustig zu machen.«
»Machen Sie sich keine Vorwürfe.« Axton lächelte. »Mir macht das kaum noch etwas aus.« »Quertan Merantor«, meldete Kelly. Axton reckte sich, um besser sehen zu können. Der Polizeipräsident betrat strahlend den Raum. Scherzend unterhielt er sich mit einigen Männern. Arina Sammaron eilte auf Axton zu. »Wir müssen verschwinden, Kelly. Arina möchte einen Skandal vermeiden.« Sie blieb vor Axton stehen und blickte verlegen zu ihm auf, wusste offensichtlich nicht, wie sie beginnen sollte. Der Terraner kam ihr entgegen. »Arina, verzeihen Sie mir. Ich habe ein wenig zu viel gegessen. Mir ist nicht besonders wohl. Würden Sie mir erlauben, mich zurückzuziehen?« »Wie höflich Sie sind, Lebo Axton. Ich danke Ihnen.« Sie lächelte ihn wiederum so warmherzig an, dass er zu keinen weiteren Worten fähig war und vergaß, zu welchem Zweck sie ihn wirklich eingeladen hatte. Er tippte dem Roboter auf den Kopf, um ihm damit das Zeichen zum Aufbruch zu geben. In diesem Moment geschah es. Der Boden des Saales spaltete sich. Ein Riss von etwa zehn Zentimetern Breite entstand. Krachend platzte der gefaserte Bodenbelag auseinander, ein greller Blitz zuckte quer durch den Raum über die Köpfe der Gäste hinweg. Er kam mitten aus der dreidimensionalen Projektion und zerfetzte auf der gegenüberliegenden Seite eine metallene Skulptur. Männer und Frauen schrien auf, die meisten rannten, von Panik erfüllt, auf den Ausgang zu. Ein älterer Arkonide stürzte zu Boden. Die anderen trampelten ihn nieder, als er versuchte, wieder aufzustehen. »Schnell, Kelly! Hilf dem Alten auf!«, befahl Axton. Der Roboter sprang mit einem weiten Satz hinüber, drängte zwei jüngere Männer zur Seite, packte ihn und hob ihn hoch. An der Tür schlugen sich Männer und Frauen um den Vortritt. Edle und Hochedle, die vor wenigen Augenblicken noch kühl
und distanziert gewirkt hatten, schleuderten nun alles zur Seite, was sie behindern konnte. Sie kannten keine Rücksicht mehr, die Angst machte sie zu Barbaren. Auch Jektor verlor die Beherrschung, wollte ebenfalls fliehen, doch Kelly hielt ihn auf Anordnung Axtons fest. Der Roboter zog sich mit dem Arkoniden und Axton an eine Wand zurück. »Bleiben Sie ruhig«, rief der Verwachsene. »Hier passiert Ihnen nichts.« Eine blaue Flamme schwebte mitten im Saal, wuchs bis zu einer Höhe von etwa zwei Metern und sank zischend und brodelnd wieder zu einem faustgroßen Feuerball zusammen. So verharrte sie einige Augenblicke. Dann platzte sie auseinander und bildete lange Feuerzungen, die bis in die äußersten Winkel der Halle reichten, dabei jedoch wiederum über die Köpfe der letzten noch vorhandenen Gäste hinwegschossen, sodass niemand verletzt wurde. Lebo Axton beobachtete das Geschehen kühl und nüchtern, fühlte sich in keiner Weise bedroht, obwohl nun die mit Speisen bedeckten Tische mit einem gespenstischen Tanz begannen. Sie erhoben sich, schlugen gegen die Decke, wo die Speisen kleben blieben, stürzten wieder herab, prallten mit anderen zusammen und schleuderten sie zur Seite, sodass sie an den Wänden zerbarsten. Mehrere Männer wurden getroffen, denen es bisher noch nicht gelungen war, den Raum zu verlassen. Gentleman Kelly schützte Axton und den Arkoniden mit seinem Körper, wehrte mit den Armen einige Metallschüsseln ab, die durch die Luft flogen, konnte aber nicht verhindern, dass sich eine heiße Suppe über den Arzt ergoss. »Ruhe!«, brüllte Merantor, der versuchte, das Knäuel der nach außen drängenden Arkoniden aufzulösen und auseinanderzureißen. »Behalten Sie doch Ruhe!« Niemand kümmerte sich um ihn. Ein jüngerer Arkonide, der an ihm vorbeizukommen suchte, trat ihm vielmehr in die Kniekehlen, um ihn zu Boden zu werfen. Der Polizeipräsident
fiel jedoch nicht, drehte sich um. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. Er holte zum Schlag aus, konnte ihn jedoch nicht mehr ausführen, denn eine unsichtbare Kraft hob ihn an und wirbelte ihn wie einen Kreisel herum. Merantor schrie und brüllte wie ein Wilder, schlug um sich, fand jedoch nirgendwo Halt. Er flog durch den Raum und verharrte schließlich in der Nähe Axtons in der Luft, mit dem Kopf nach unten. »Helfen Sie mir, Axton. So helfen Sie mir doch.« Der Verwachsene wollte den Roboter zu ihm dirigieren, doch die unsichtbare Kraft gab ihn frei. Er stürzte mit dem Kopf zuerst in eine Schale, die auf dem Boden stand. Sie war mit einer grünen, zähflüssigen Masse gefüllt. Merantor kippte zur Seite. Blind tastete er um sich, wischte sich den Brei aus dem Gesicht. Tapsig kam er auf Axton zu und rief keuchend vor Wut: »Ich erschlage Sie.« Der Yoner-Madrul stellte sich ihm in den Weg. »Seien Sie kein Narr, Merantor. Dieser Mann kann sicherlich nichts dafür.« Der Addag’gosta’athor blieb stehen, zitterte am ganzen Körper. Im Raum wurde es still. Die meisten Gäste hatten ihn verlassen, der Ausgang war frei. Dort lagen fünf Männer und zwei Frauen bewegungslos auf dem Boden. An den Wänden kauerten noch etwa dreißig weitere Personen hinter Tischen und Sesseln, hinter denen sie Schutz gesucht hatten. Die Decke, der Boden und die Wände waren mit Speiseresten beschmiert. Alle Tische waren umgestürzt, die dreidimensionale Projektion erloschen. Überall lagen zerfetzte Kleidungsstücke, aus zahlreichen Lautsprechern ertönte süßliche Musik. Quertan Merantor ging zu einem Sessel, setzte sich, nahm eine herumliegende Serviette und säuberte sich den Kopf. Dann vergrub er das Gesicht in den Händen. Lebo Axton beobachtete ihn, konnte sich vorstellen, wie es in ihm aussah. Dieser Vorfall konnte sein Ruin sein. Solche Dinge
waren schon häufiger in der letzten Zeit passiert, Merantor aber war niemals dabei gewesen – und das machte den Unterschied aus. Solche Vorfälle durften sich nicht ereignen, wenn der Polizeipräsident anwesend war. Die Gesellschaft erwartete schließlich, von ihm beschützt zu werden.
Ta-tiga Sammaron kam zu Axton, sah aus wie ein gebrochener Mann. Eine blutige Schramme zog sich quer über sein Gesicht, auch in seinem Haar waren Blutspuren. »Sie werden sich gefragt haben, warum dieses Fest überhaupt stattfand. Das alles sieht so aus, als würde ich mir überhaupt keine Sorgen um Larcenia machen. So ist es aber nicht.« Er drehte sich halb um und blickte zu Merantor hinüber. »Es war seine Idee. Er wollte möglichen Entführern eine Falle stellen. Jetzt sitzt er selbst drin.« Der Polizeipräsident erhob sich schwerfällig und näherte sich. Feindselig blickten sich die Arkoniden an. »Sie haben mir nicht gerade geholfen, Ihre Tochter zu finden«, sagte er scharf und wandte sich Axton zu. »Sie scheinen wirklich vorzuhaben, sich um den Fall zu kümmern.« »Das habe ich. Sehr energisch sogar. Ich habe keine Lust, mir von Ihnen den Kopf abreißen zu lassen.« Merantor verzog das Gesicht. Verächtlich kehrte er Axton den Rücken zu. »Geben Sie mir eine Erklärung für das, was hier geschehen ist«, sagte Sammaron zu Merantor. »Ich habe noch nie einen Mann ohne Antigrav fliegen sehen.« »Der Flug war bemerkenswert«, fügte Axton spöttisch hinzu. »Hinreißend aber war die Landung.« Der Addag’gosta’athor fuhr herum, hob die Faust, schlug jedoch nicht zu, da Kelly sofort zurücksprang und Axton in Sicherheit brachte.
»Es war ein Trick«, sagte Merantor, der sich rasch wieder in die Gewalt bekam. »Es war ein übler Trick, und ich werde noch herausfinden, was für einer. Ich werde diese Wohnung von meinen Spezialisten bis in den letzten Winkel untersuchen lassen, Sammaron. Das verspreche ich Ihnen. Ich finde den Verantwortlichen.« Er eilte davon. Dicht vor der Tür rutschte er auf einem Saucenfleck aus, stürzte jedoch nicht, sondern fing sich noch rechtzeitig ab, indem er mit den Armen in der Luft herumruderte. Jektor lachte meckernd. Merantor blickte wütend zurück und beeilte sich danach noch mehr. »Es ist besser, wenn wir jetzt auch gehen«, sagte der Bauchaufschneider. »Ich hoffe, dass sich bald alles aufklären wird, Sammaron. Es tut mir leid, dass Ihnen dies alles widerfahren musste.« Axton schloss sich ihm an.
Jektor bot Axton in seiner Wohnung, die sich im gleichen Trichtergebäude auf der fünften Etage befand, ein Glas Wein an. Er machte keinen Hehl daraus, dass er den geheimnisvollen Fremden mochte, und Axton fühlte sich bei ihm wohl. Er hatte sich in einen Sessel gesetzt und Kelly nach draußen geschickt. Der Roboter wartete vor der Tür. »Sie haben Parakräfte erwähnt, Axton«, sagte Jektor, dessen bedeutender gesellschaftlicher Status durch die Wohnung unterstrichen wurde. »Ich habe mir diesen Gedanken durch den Kopf gehen lassen, und ich glaube, dass er viel für sich hat.« »Mir ist etwas aufgefallen, was ich vorher nicht gewusst habe.« »Und das wäre?« »Es ist eine nicht gerade schmeichelhafte Tatsache für Sie.
Ich habe nicht geahnt, dass Arkoniden sich über fremdartige Wesen derart amüsieren können, dass sie sie zu ihren Gesellschaften mitbringen. Sie wollen damit imponieren und die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Je erfindungsreicher sie sind, desto besser.« »Sie haben Recht. Auch ich war mir dessen bis heute nicht bewusst, was es eigentlich für diese Wesen bedeutet, dass man über sie lacht. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, was sie empfinden.« »Aber das scheint jetzt wichtig zu sein.« »Richtig.« Die beiden Männer blickten sich an. »Es könnte sein, dass eins dieser exotischen Wesen, das als Partygag vorgestellt wurde, über Parakräfte verfügt und sich auf diese Weise rächen will.« »Daran habe ich auch gedacht.« »Es wäre nicht verwunderlich, würde eins von ihnen so reagieren. Ich gestehe, dass die Versuchung groß ist. Ich ahnte ja nicht, dass sich die oberste Gesellschaftsschicht Arkons bereits so langweilt, dass sie sich nicht auf andere Weise zu unterhalten weiß.« Der Yoner-Madrul schenkte Wein nach. »Merantor ist ein Narr.« »Warum sagen Sie das?« »Weil mir aufgegangen ist, wie dumm es von ihm war, Ihre Hilfe abzulehnen. Er müsste seinen Freund Ternnan so gut kennen, um zu begreifen, ob er ihn verulken wollte oder nicht.« Axton trank einige kleine Schlucke. »Wissen Sie es denn?« »Ich verstehe Sie nicht.« »Wäre es nicht möglich, dass Ternnan tatsächlich einen Scherz machen wollte? Könnte es nicht sein, dass er ebenso wenig wie Merantor an meine Fähigkeiten glaubt?« Sein Gesicht verschloss sich.
»Dann ist er ebenso ein Dummkopf wie Merantor. Niemand ist bisher auf den Gedanken gekommen, ein Nichtarkonide könnte hinter diesen Erscheinungen stecken. Dazu brauchte man erst jemanden, der die erschreckende Leere unserer Gesellschaft voll durchschaut. Was werden Sie tun, Axton?« »Ich werde Sammaron morgen bitten, mir eine Liste seiner Freunde und ihrer Partygags zu geben. Vielleicht erinnert er sich an einen besonderen Vorfall, der uns weiterhilft. Werden Sie mich darüber informieren, wie es Apprat Cokret ergeht? Ich würde es gerne wissen, wenn er aus seiner Starre erwacht.« »Sie können sich auf mich verlassen.« Der Terraner erhob sich und verabschiedete sich. Der Bauchaufschneider brachte ihn bis an die Tür. »Glauben Sie, dass Merantor es wirklich ernst meint?«, fragte Axton. »Womit?« »Mit seiner Drohung. Glauben Sie, dass er sie verwirklicht, falls es mir nicht gelingen sollte, den Fall zu klären?« »Bestimmt. Sie müssen es schaffen, sonst haben Sie keine Chance. Merantor kann unerbittlich sein. Er ist berüchtigt für seine Brutalität.«
16. Ta-Sammaron schleuderte den Polizisten, der sich ihm in den Weg stellte, mit einer einzigen Handbewegung zur Seite und stürmte in das Hauptbüro, in dem Merantor hinter seinem Arbeitstisch saß. Der Polizeipräsident stand auf, als er den Industriellen sah. »Was führt Sie zu mir, Hochedler Sammaron?« Die Männer standen sich gegenüber, nur durch den Tisch getrennt, blickten sich in die Augen. Unverhohlene Feindschaft
stand zwischen ihnen. »Was Sie treiben, ist durch nichts mehr zu entschuldigen.« »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.« Ta-tiga Sammaron winkte verächtlich ab. »Natürlich wissen Sie es. Ich meine, dass Sie die Exoten töten lassen.« »Diese Maßnahme ist mit den höchsten Regierungsstellen abgesprochen worden. Es ist unsere einzige Möglichkeit, einen Feind zu besiegen, der unsere Position von innen heraus zerstören könnte.« »Wollen Sie alle gegen sich aufbringen, die reich und mächtig sind?« »Darum geht es nicht.« »Warum versuchen Sie nicht, jenen ausfindig zu machen, der für die Vorfälle wirklich verantwortlich ist? Warum töten Sie unterschiedslos, was verdächtig ist?« »Wir werden früher oder später auf den Täter stoßen. Er wird sich wehren und damit unter Umständen beweisen, über welche Kräfte er tatsächlich verfügt.« »Sie glauben also auch an Parakräfte?« Merantor schüttelte den Kopf. »Nein. Es muss etwas anderes sein. Ich denke eher an raffiniert eingesetzte Antigrav-, Prallfeld- und Traktorstrahltechnik, die mithilfe von winzigen Projektoren umgesetzt wird.« »Dann haben Sie noch weniger Grund, die Exoten umzubringen. Haben Sie denn noch nie daran gedacht, dass unter ihnen auch hochintelligente Geschöpfe sein könnten?« »Haben Sie je daran gedacht, wenn Sie die Exoten als Erheiterungsobjekt für Ihre Gäste hereingeführt haben?« Sammaron zuckte zusammen. »Nein. Leider nein. Ich habe sie genauso gedemütigt wie die anderen auch. Gerade deshalb dürfen wir es uns nicht so einfach machen. Sie könnten sie in einem Lager zusammenfassen und einzeln verhören. Danach könnten Sie …« »Diese Aktion ist von Seiner Erhabenheit genehmigt worden. Sie beschränkt sich auf das Squedon-Kont-Viertel. Dort leben insgesamt vielleicht fünfzig oder hundert Exoten. Ihr Tod wird zu
verschmerzen sein. Der Schaden ist geringer als jener, der gestern Abend bei Ihnen angerichtet wurde.« »Werden Sie Axton auch töten lassen?« »Natürlich. Warum nicht?« »Sie sind wahnsinnig! Dieser Mann hat die Kristallwelt erst vor einigen Pragos betreten.« »Gestern.« »Sie wissen genau, dass diese Vorfälle das Squedon-Kont-Viertel schon seit nun sechzehn Pragos beunruhigen! Wie können Sie einen Mann töten wollen, der dafür bestimmt nicht verantwortlich zu machen ist, der sich vielmehr bemüht, den oder die Urheber zu finden? Das, Merantor, wäre ein eklatantes Verbrechen! Sie gehen zu weit. Außerdem wissen Sie bei Axton mit Sicherheit, dass er kein Tier, sondern ein denkendes, intelligentes Wesen ist. Wenn Sie ihn umbringen, haben Sie einen Mord begangen.« »Ta-Sammaron, wir befinden uns im Krieg!« »Damit lässt sich nicht alles entschuldigen. Es gibt Grenzen. Und bis jetzt gilt das Tai Ark’Tussan immer noch als Rechtsstaat. Geben wir die Ideale auf, für die wir immer gekämpft haben, lohnt es sich nicht mehr, in diesem Staat zu leben.« Sammaron pochte mit den Knöcheln auf den Tisch. »Ich will, dass Sie Axton verschonen. Schieben Sie ihn meinetwegen nach Arkon Drei ab, aber ermorden Sie ihn nicht.« »Ich werde sehen, was ich für ihn tun kann. Wenn Sie mich aber noch länger aufhalten, wird das nicht viel sein.« Der Hochedle ging grußlos davon.
Arkon I: 24. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Lebo Axton wollte gerade mit dem Frühstück beginnen, als das Visifon ansprach. Das Bild des Bauchaufschneiders erschien. Axton fragte erschrocken: »Wie sehen Sie denn aus, Jektor?« Der Yoner-Madrul hatte ein angeschwollenes Auge, die
Lippen waren blutig. »Die Männer Merantors waren bei mir.« »Sie haben es gewagt, Sie …?« »Sie haben es getan. In der Nacht haben wir eine Raumschlacht im Ekret-Sektor gegen die Methans verloren. Siebzehn Schwere Kreuzer wurden vernichtet, zweiundzwanzig Einheiten konnten schwer beschädigt aus der Schlacht entkommen.« »Was hat das mit Ihnen zu tun?« »Überhaupt nichts. Merantor nutzte diesen Vorfall jedoch, um in aller Deutlichkeit klarzumachen, dass wir uns im Krieg befinden. Unter diesen Umständen kann nicht geduldet werden, dass sich irgendjemand gegen die Polizei stellt.« »Ich verstehe nicht.« »Axton, ich war gestern Abend mit Ihnen zusammen. Sie aber könnten ein Feind Arkons sein! Unter diesem Vorwand haben mich Merantors Männer verhört. Ich musste ihnen sagen, welche Theorie Sie entwickelt haben. Es tut mir leid, Axton, damit habe ich Ihre Chance zunichte gemacht, den Fall vor Merantor zu lösen.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Sie haben keine Chance mehr. Merantor will Sie vernichten.« »Ich danke Ihnen, Jektor.« Jektor nickte ihm mühsam lächelnd zu und schaltete ab. Axton eilte zum Tisch zurück, stopfte sich hastig etwas Gebäck in den Mund und befahl Kelly, ihn aus der Wohnung zu tragen. Die Wohnungstür war kaum hinter ihnen zugefallen, als er Stimmen im Antigravschacht hörte. Der Roboter rannte den Gang entlang bis zur nächsten Abzweigung und bog dort ab. »Warte hier.« Axton ließ sich vom Rücken gleiten und schob sich bis zur Ecke vor. Er sah, dass vier dunkelblau Uniformierte die Tür seiner Wohnung öffneten. Eilig stieg er wieder auf den Rücken des Roboters. Unmittelbar nachdem er eingezogen war, hatte
er sich im Gebäude nach einem Fluchtweg umgesehen. So wusste er nun, dass es einen Notschacht gab, der hinter einer normalerweise verschlossenen Tür lag. Diese hatte Axton aber bereits präpariert, um für einen Fall wie diesen vorbereitet zu sein. So konnten er und Kelly verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Ungesehen erreichten sie den Ausgang des Gebäudes. Dort parkte ein Polizeigleiter. Die Männer Merantors schienen fest davon überzeugt gewesen zu sein, dass sie ihn mühelos fassen konnten. Axton zeigte zum Trichtergebäude hinüber, in dem Sammaron wohnte. »Schnell, Kelly.« Der Roboter flüchtete unter einige Bäume und jagte auf den Trichter zu. Auf halber Strecke stoppte ihn der Terraner. Hier befand sich ein alter Zierbrunnen mit halb verfallener Mauer. Hohe Bäume umgaben ihn. »Hier bleiben wir vorerst.« Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Kopf des Automaten und blickte zurück. Die Uniformierten kamen aus dem Haus, waren offensichtlich ratlos, diskutierten kurz miteinander, stiegen in den Gleiter und flogen davon. Axton glaubte, seinen Häschern zunächst entkommen zu sein. Er fühlte sich sicher, setzte sich auf die Brunnenmauer und überlegte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Wie konnte er aus der Falle entkommen, die Merantor ihm gestellt hatte? Auf Arkon III hatte er es leichter bei seiner kriminalistischen Arbeit gehabt als hier. Dort hatte es genügend Gelegenheiten für Kontakte mit Arkoniden gegeben, sodass er sich Informationen beschaffen konnte. Hier erschien ihm alles steril. Er hatte das Gefühl, dass die Leute, die ihm wirklich hätten weiterhelfen können, völlig von ihm abgeschlossen waren. Zwei Kampfgleiter der Polizei landeten vor dem Trichterbau. Axton wurde aufmerksam, rutschte von der Mauer und stellte sich hinter einen Baumstamm, damit man
ihn nicht sehen konnte. Ein älterer Arkonide verließ das Haus. Ein exotisches Wesen begleitete ihn. Es glich einer Mischung aus einem Windhund und einem Vogel. Auf vier schlanken Beinen trabte es neben dem Arkoniden her, drehte den farbenprächtig gefiederten Körper hin und her und plapperte dabei, wie Axton aus den Schnabelbewegungen schloss, ständig auf seinen Herrn ein. Zwei Uniformierte gingen auf ihn zu, hielten ihn an und sprachen mit ihm. Axton sah, wie er erschrocken zurückfuhr und dann heftig protestierte. Ein Mann zog seine Waffe und erschoss das vierbeinige Vogelwesen. Darauf drangen die Addag’gostaii in den Trichterbau ein. Trauernd kniete der Arkonide neben dem Getöteten. Einige Polizisten sperrten den Eingang des Hauses ab. »Verstehst du das, Kelly?«, fragte Axton beunruhigt. Der Roboter blickte zu den Polizeigleitern hinüber. »Mir stehen nicht genügend Informationen zur Verfügung. Eine Auswertung ist erst möglich, wenn …« »Ruhe. Ich will nichts mehr hören.« Der Arkonide, der am Abend zuvor den größten Heiterkeitserfolg erzielt hatte, kam aus dem Haus und führte seinen Partygag mit sich – das Wesen, das aussah wie ein Ballon auf dünner Stange. Er trippelte neben ihm her, schrie den Polizisten etwas zu. Axton konnte ihn nicht verstehen, aber er sah, dass ein Ordnungshüter seinen Kombistrahler zog und den Ballon zerschoss. Kurz darauf verließen zwei weitere Edelleute mit ihren fremdartigen Begleitern das Haus. Auch diese wurden getötet. »Sie beseitigen alle Fremdwesen aus Furcht vor Parakräften«, sagte Axton. »Merantor riskiert ein gefährliches Spiel.« »Wir sollten verschwinden.« »Wohin?« Lebo Axton schloss die Augen und überlegte, aber
ihm fiel nicht ein, wo er sich verstecken konnte, bis die Vernichtungsaktion beendet war. Merantor handelte konsequent und logisch. Von Jektor hatte er erfahren, dass die fremden Wesen möglicherweise die Verursacher der Zwischenfälle waren. Beseitigte er sie, mochte er annehmen, mussten die unerklärlichen Vorfälle ausbleiben. »Sie haben uns entdeckt«, meldete Kelly. Axton fuhr herum, blickte zu den Polizisten hinüber und sah, dass sich zwei näherten. Sie hielten ihre Kombistrahler in den Händen. Der Roboter kniete sich bereits auf den Boden, sodass der Terraner auf seinen Rücken steigen konnte. Kaum hatte Axton die Griffe gepackt, sprang Kelly auch schon auf und stürmte davon. Axton blickte über die Schulter zurück und sah, dass die Addag’gostaii ebenfalls rannten. Einer zielte mit seinem TZU-4 auf ihn und schoss. Der Blitz zuckte fauchend über ihn hinweg. Für Augenblicke war Axton vollkommen geblendet. Wie gelähmt klammerte er sich an den Roboter. Bis zu diesem Moment war er immer noch davon überzeugt gewesen, dass ein beträchtlicher Unterschied zwischen ihm und anderen Exoten bestand. Nun aber sah er, dass ihn Merantor ebenso vernichten wollte wie alle anderen. Gentleman Kelly erreichte einige Buschbäume, deren mächtiges Geäst ein schier undurchdringliches Dickicht bildete. Der Roboter sah eine Chance, sich in diesem zu verbergen, und schnellte sich über mehrere Äste hinweg. Danach schob er sich hinter einige kopfgroße Blätter und kauerte sich zusammen. Lebo Axton war ratlos und blickte sich suchend um; dann erst bemerkte er die anderen Polizisten, die sich jenseits der Buschbäume befanden. Er stellte fest, dass sich Kelly richtig entschieden hatte. Er musste sich verstecken, wollte er nicht anderen Streifen direkt in die Arme laufen. Die beiden Verfolger kamen heran, ohne Deckung zu suchen, waren sich ihrer Überlegenheit bewusst.
Axton blickte ihnen hilflos entgegen. Noch nie war ihm seine Situation so aussichtslos erschienen, seit er in dieser Zeit war. Er konnte nichts tun, konnte nur warten, bis sie ihn fanden und töteten. Er blickte zum Trichterhaus hinüber, in dem Sammaron seine Etage hatte, wünschte, er könne sich an ihn wenden und ihn um Hilfe bitten. Jetzt war er sich darüber klar, dass er das Haus nicht so ohne Weiteres hätte verlassen dürfen. Er hätte sich Rückhalt verschaffen müssen. Nun war es zu spät.
»Du musst mir helfen, Kelly«, sagte Lebo Axton leise. »Allein werde ich mit den beiden nicht fertig.« Die Addag’gostaii trennten sich. Einer ging nach links, der andere nach rechts. Dadurch gerieten sie beide aus dem Gesichtsfeld Axtons. »Jetzt!« Lautlos glitt der Roboter über die Äste. Der Terraner war erstaunt, wie geschickt sich Kelly bewegen konnte. Vorsichtig stieg die Maschine bis zum Boden. Hier waren sie durch das Unterholz gut gedeckt. Axton, der sich fest an den Metallrücken schmiegte, konnte die Beine eines Polizisten sehen. Der Arkonide war keine fünf Meter entfernt, blickte aber in die entgegengesetzte Richtung. Axton richtete sich etwas auf, bis er über einen Ast hinweg auch den anderen Polizisten entdeckte. Er stand bei zwei weiteren Ordnungshütern und beriet sich mit ihnen. »Dort.« Axton streckte seinen Arm am Kopf des Roboters vorbei und wies auf ein fast meterdickes Rohr, das neben einem Polizisten begann und zum Brunnen zu führen schien. Gentleman Kelly schob sich Zentimeter für Zentimeter voran, wobei er jegliches Geräusch vermied. Axton behielt die Addag’gostaii im Auge, hörte sie sprechen. Sie waren ratlos, weil sie nicht wussten, wo er war. Der Arkonide am
Wasserrohr ging zwei Schritte weiter. Nun befand sich ein kleiner Buckel mit einer rot wuchernden Pflanze zwischen ihm und Axton. Der Roboter erkannte die Chance, die sich ihm bot, und nutzte sie sofort. Geradezu geschmeidig schnellte er sich vor, fing sich ab und schob sich in die Öffnung des Rohres. Axton rutschte an Kelly hinunter, bis er nur noch auf den relativ dünnen Beinen lag, weil sonst kein Platz für sie beide gewesen wäre. Voller ängstlicher Spannung beobachtete er den Polizisten, bis es ihm endlich gelang, mit Kelly in dem Rohr zu verschwinden. Er spähte an der Schulter des Roboters vorbei nach vorn. Weit vor sich sah er die andere Öffnung. Sie musste ungefähr dort sein, wo der alte Brunnen war. Kelly wollte weiter kriechen, doch Axton hielt ihn flüsternd zurück. »Warte noch.« Er lauschte mit allen Sinnen, hörte die Schritte der Arkoniden, vernahm ihre Stimmen. Einer berichtete, dass er ein Wesen vom Planeten Xaxanit erschossen hatte. Dann schien jemand über Sprechfunk eine Nachricht durchzugeben. »Merantor hat wieder einmal Recht gehabt«, sagte ein Polizist. »Sie haben einen Haggater erwischt; gehörte dem Edlen Ewquer Zuerton und hatte sich ein Nest in der Wohnung gebaut. Und darin haben sie Unterlagen gefunden. Er war ein Spion der Methans!« »Dann braucht sich Merantor keine Sorgen mehr zu machen«, entgegnete ein anderer. »Das rechtfertigt alles.« »Los jetzt«, sagte Axton. »Was liegst du hier noch so faul herum?« Er klopfte Kelly aufs Hinterteil. Der Roboter kroch durch die Röhre, Geräusche ließen sich nicht ganz vermeiden. Vorsichtshalber stoppte Axton die Maschine hin und wieder und horchte. Doch die Arkoniden wurden nicht auf sie aufmerksam. Er hörte sie laut miteinander reden. Weil er fürchtete, sie könnten das Rohr entdecken und hineinsehen,
trieb er den Roboter zu immer größerer Eile an, je weiter sie sich von dem Suchkommando entfernten. Mit einem einzigen Schuss hätten sie ihn jetzt erledigen können. Plötzlich glaubte Axton, Schritte zu hören. »Halt, Kelly.« Sie lagen absolut still. Axton wurde sich bewusst, wie laut sein keuchender Atem ging, obwohl er sich doch kaum angestrengt hatte. Irgendwo über ihnen befand sich einer der Addag’gostaii. Der Terraner spürte die Erschütterung des Bodens deutlich bei jedem Schritt. Unwillkürlich fragte er sich, wie dick die Schicht über ihm sein mochte. Vielleicht lag das Rohr hier sogar völlig frei, sodass ihn nur Millimeter vom Polizisten trennten? Axton verwünschte Merantor und dessen übertriebene Angst vor einer Blamage. Er wartete. Bange Zentitontas verstrichen. Über ihm blieb alles ruhig. Er wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Befand sich der Arkonide nicht mehr in der Nähe? Oder kauerte er vielleicht sogar direkt über ihm und lauschte? Kniete er über dem Rohr und wartete darauf, dass sich darin etwas bewegen würde? Axton wurde heiß und kalt. »Wir müssen weiter, Kelly«, flüsterte er. »Du musst jedes Geräusch vermeiden.« Der Roboter bewegte sich wieder, vorsichtig kroch er weiter. Axton stellte beruhigt fest, dass er sich äußerst geschickt anstellte und tatsächlich keine Geräusche verursachte. Er bezwang seine Ungeduld und verzichtete darauf, Kelly zu größerer Eile anzutreiben. Erst als er glaubte, weit genug von der kritischen Stelle entfernt zu sein, duldete er, dass sich der Roboter schneller bewegte. Doch damit legte sich seine innere Spannung nicht. Er wusste schließlich nicht, ob die Arkoniden nicht doch bemerkt hatten, auf welchem Wege er entkommen war, befürchtete, dass sie am Rohrausgang auf ihn warteten. Daher ließ er den Roboter die letzten Meter allein zurücklegen und beobachtete, wie sich Gentleman Kelly aus dem Rohr schob und sich umsah. Der Roboter verschwand aus seinem
Sichtfeld und kehrte kurz darauf zurück, um ihm ein Zeichen zu geben, dass alles in Ordnung sei. Aufatmend folgte Axton ihm. Die Uniformierten suchten noch immer in der Gegend, aus der sie entkommen waren. Vor dem Trichtergebäude stand nur noch ein einziger Gleiter. Die anderen Polizisten hatten sich also offensichtlich zurückgezogen. Kelly kniete sich nieder, sodass Axton auf seinen Rücken steigen konnte. »In das Trichterhaus dort drüben!«, befahl der Terraner. »Dort steht ein Polizeigleiter.« »Da sehe ich selbst, du Blechgenie. Wenn ich deinen Rat oder deine Kritik erwarte, werde ich dir rechtzeitig Bescheid sagen. Los jetzt. Worauf wartest du?« Kelly duckte sich, rannte auf das Gebäude zu und hielt sich ständig in der Deckung von Büschen und Sträuchern, sodass ihn die Polizisten nicht sehen konnten. Axton konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich hin und wieder aufzurichten, um besser sehen zu können. So entdeckte er, dass die Arkoniden die Suche abbrachen. »Tempo!«, rief er. »Wir müssen im Haus sein, bevor sie kommen.« Tief gebückt jagte der Roboter mit weiten Sätzen auf das Haus zu, konnte aber nicht mehr so gleichmäßig laufen, dass sein Rücken völlig ruhig war. Axton wurde kräftig durchgeschüttelt und musste sich mit aller Kraft festhalten, wollte er nicht herunterfallen. Sie erreichten das Haus, in der Empfangshalle hielt sich niemand auf. Ungesehen erreichten sie den ersten Antigravschacht. Als Axton hineinblickte, stellte er fest, dass sie ihn nicht benutzen konnten. Mehrere Polizisten schwebten in ihm nach unten. Sie hatten Einblick in das aufwärts gepolte Feld. »Weiter. Wir versuchen es beim nächsten.« Kelly eilte bis zum nächsten Einstieg. Dieser Schacht war vollkommen leer. So konnten sie sich ihm ruhig anvertrauen. Axton war davon überzeugt, dass viele Bewohner dieses
Gebäudes Merantor feindlich gegenüberstanden. Er hatte sie immerhin um ihre Spielzeuge gebracht. Axton hoffte, nicht sofort verraten zu werden, falls er jemandem begegnen sollte. Er hatte jedoch Glück und erreichte das Stockwerk, das sich am Trichteransatz befand. Hier trieb er den Roboter hinaus. »Wohin?«, fragte Kelly. Sie befanden sich in einer kleinen Halle, die mit kindlichen Motiven geschmückt war. Vor einem halbrunden Durchgang standen die Skulpturen von zwei Kindern, einem Mädchen und einem Jungen. »Hier muss irgendwo so etwas wie ein Kinderhort sein.« Axton dirigierte den Roboter zum Durchgang. Sie passierten ein energetisches Nebelfeld, das ein angenehmes Prickeln auf der Haut verursachte. Dann standen sie vor einer Panzerplastwand. Dahinter sah Axton zahlreiche Kinder in einer künstlichen Landschaft spielen, in der farbenprächtige Fantasiegebilde aufgebaut waren, mit denen sich die Kinder beschäftigen konnten. Die Wand führte in weitem Bogen zu einem weiteren Tor, das etwa fünfzig Meter entfernt war. Axton veranlasste den Roboter, weiterzugehen, wollte nicht mehr Aufsehen erregen, als vermeidbar war. Als sie etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, schoss ein blauer Blitz aus dem Boden, raste bis zur Decke hoch und bildete dort einen Ball, der nach wenigen Augenblicken schon wieder verschwand. Axton zuckte zusammen, obwohl er keineswegs überrascht war. Er blickte zu den Kindern hinüber, die nichts bemerkt zu haben schienen. Einige von ihnen spielten mit Puppen, aber er konnte keine sehen, der ein Arm fehlte. »Weiter!«, befahl er. Kelly gehorchte, doch er blieb erneut stehen, als wiederum ein Blitz aus dem Boden fuhr. Jetzt reagierten die Kinder, kamen zögernd an die Panzerplastwand heran, berührten sie jedoch nicht. Einige Größere schienen Witze über Axton zu machen. Er konnte ihre Stimmen nicht hören, aber er sah, dass die anderen lachten. Da barst die
Wand: Ein Riss bildete sich, unmittelbar darauf schien alles in Scherben zu zersplittern. Das Material zerplatzte, fiel jedoch nicht zu Boden, sondern haftete zusammen. Axton war unwillkürlich zurückgefahren, blickte auf die Wand, und dann war ihm, als versinke der Roboter unter ihm. »Verschwinde endlich!« Diese Worte erschienen unübersehbar deutlich auf der Panzerplastwand. Doch das allein hätte Lebo Axton kaum so entsetzen können. Viel schlimmer war, dass diese Worte in modernem Interkosmo verfasst waren, also einer Sprache, die erst in einigen Jahrtausenden entstehen würde. Es gab nur einen einzigen Mann im Imperium Arkons, der diese Sprache beherrschte. Er selbst.
Jektor erschrak sichtlich, als er Axton sah. »Sie?« »Wollen Sie mich hier draußen stehen lassen, bis die Polizei mich sieht?« »Kommen Sie rein.« Axton ließ seine Hand klatschend auf den Kopf des Roboters fallen und sich von ihm in die Wohnung tragen. Der Arkonide schloss die Tür, schob sich an Kelly vorbei und eilte in den Salon voraus. Axton stieg vom Rücken des Roboters und setzte sich in einen Sessel. »Man sieht nicht mehr, dass Sie Besuch hatten.« In der Wohnung sah alles wieder so aus wie vorher, als der Terraner zum ersten Mal hier gewesen war. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich zu Ihnen gekommen bin?« »Keineswegs«, entgegnete der Bauchaufschneider, nachdem er kurz gezögert hatte. »Merantor kann nicht länger mit mir rechnen. Ich habe ihm erklärt, dass ich für seinen Sturz sorgen werde. Und ich habe ihm gesagt, dass er ganz besonders große Schwierigkeiten haben wird, sollte er noch länger Jagd auf Sie
machen.« »Ich scheine prominente Fürsprecher zu haben. Ta-tiga Sammaron hat sich auch für mich eingesetzt.« »Sie waren bei ihm?« »Allerdings. Ich bin einige Tontas mit ihm und seiner Tochter zusammen gewesen und habe mir etwas von der entführten Larcenia erzählen lassen. Ich glaube, dass ich mir nun ein recht gutes Bild von der Situation machen kann.« »Sie glauben, dass sie wirklich entführt wurde?« »Davon bin ich jetzt überzeugt. Es hat zwar erhebliche Spannungen zwischen ihr, ihrem Vater und Arina gegeben, aber Larcenia ist durch sie nicht aus dem Haus getrieben worden. Es muss etwas anderes vorgefallen sein.« »Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?« »Gern.« Axton war froh, endlich einen Unterschlupf gefunden zu haben, in dem er sich zumindest für einige Tontas sicher fühlen konnte. Er hätte auch bei Sammaron bleiben können, aber das hatte er nicht gewollt. Ihm kam es darauf an, dass er wenigstens etwas Distanz halten konnte, damit sich das Bild, das er sich von den Zusammenhängen gemacht hatte, nicht trübte. Er gab Kelly einen befehlenden Wink. Der Roboter verstand. Er eilte dem Yoner-Madrul hinterher und half ihm. Wenig später kehrten er und Jektor zurück und brachten Speisen und Getränke. Für eine Weile vergaß Axton seine Probleme. Mit einem wahren Heißhunger machte er sich über das Essen her. »Sie sagen, Larcenia sei entführt worden«, sagte Jektor. »Warum? Wenn jemand ein solches Verbrechen verübt, denkt er sich doch normalerweise etwas dabei. Er will Geld oder sonst irgendetwas erpressen. Das aber scheint hier nicht der Fall zu sein. Der Entführer hat sich bis heute nicht gemeldet, und das, obwohl Larcenia schon seit drei Pragos
verschwunden ist.« »Das hat mich Sammaron auch gefragt. Und das ist auch der Grund, weshalb der Polizeipräsident nicht weiterkommt. Er hat sich in diese Idee verbohrt. Für mich aber ist diese Tatsache kein Beweis.« Axton trank einen Schluck Wein. »Wie geht es Cokret? Ist er mittlerweile erwacht?« »Leider, nein. Er liegt starr und mit verhärteten Muskeln da. Allerdings hat er vor vier Tontas zum ersten Mal eine echte Reaktion gezeigt.« Axton beugte sich vor, seine Augen funkelten. »Was ist passiert?« »Nicht viel. Cokret bäumte sich auf seinem Lager auf. Seine Augen öffneten sich, die Lippen bewegten sich. Es schien, als wolle er uns etwas mitteilen, aber kein Laut kam über seine Lippen. Dann fiel er nach hinten und lag wieder so starr und steif wie vorher da.« »Haben Sie ihn auch während dieser Zeit überwachen lassen?« »Seine medizinischen Werte werden ununterbrochen überprüft. Er ist ständig an positronische Sensoren angeschlossen, die uns über sämtliche Vorgänge in seinem Körper unterrichten.« Der Yoner-Madrul hob ratlos die Hände. »Es ist alles normal. Er müsste eigentlich bei vollem Bewusstsein sein, aber er ist es nicht.« Er blickte Axton fragend an. »Glauben Sie, dass ein Zusammenhang besteht zwischen den verrückten Vorgängen bei der Abendgesellschaft, Larcenia und diesem Offizier?« »Davon bin ich fest überzeugt«, antwortete der Verwachsene, der den Wein sichtlich genoss. »Welcher?« »Parakräfte, Jektor. Ich bin auf Ihre Hilfe angewiesen.« »Was könnte ich schon für Sie tun?« »Sehr viel. Wenn Sie mit mir in die Klinik fliegen und mir
erlauben würden, einige Messgeräte leicht zu verändern, bin ich schon zufrieden.« Jektor senkte den Kopf, biss sich nachdenklich auf die Lippe. Unter den gegebenen Umständen ein derartiges Unternehmen zu ermöglichen war äußerst gefährlich. »Haben Sie die Nachricht vom Hügel der Weisen gehört, Axton?« »Nein.« »Im Kristallpalast wurden die Maßnahmen Merantors gebilligt. Er darf also Exoten abschießen! Meine Proteste haben in dieser Hinsicht nichts genutzt. Cokret ist ein Geheimnisträger Erster Klasse. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?« »Ein Zarakh’ianta-moas? Sie wollen mir damit zu verstehen geben, dass ich nicht in seine Nähe kommen darf. Merantor würde darin einen Beweis sehen, dass ich nicht an der Aufklärung des Falles arbeite, sondern versuche, an kriegswichtige Informationen zu kommen.« »Genau. Er würde Sie sofort erschießen, sollte er Sie bei Cokret mit Messgeräten vorfinden, deren Funktion niemand außer Ihnen kennt.« »Das ist mein Risiko. Vertrauen Sie mir?« Die beiden Männer blickten sich an. Axton wusste, dass er ohne die Unterstützung Jektors nicht mehr viel weiterkommen würde. Nur mit seiner Hilfe konnte er beweisen, dass wirklich ein Zusammenhang zwischen den rätselhaften Ereignissen, Larcenia und Cokret bestand. Dieser Zusammenhang konnte nur durch paranormale oder paramechanische Kräfte gegeben sein. »Ich habe mich erkundigt. Niemand weiß, woher Sie gekommen sind.« »Das ist richtig.« »Sie wollen es auch mir nicht sagen?« »Nein. Ich bitte Sie, mir auch so zu vertrauen. Ich bin kein
Feind Arkons, sondern ein Freund. Und ich habe es mir zum Ziel gesetzt, dem Imperium in einer ganz bestimmten Sache einen Dienst zu leisten, der die Weichen für die Zukunft stellen soll.« »Das sind große Worte.« »Große Worte für einen verkrüppelten Mann wie mich, der zu schwach ist, sich selbst zu schützen.« Der Bauchaufschneider erhob sich betroffen, trat an ein Fenster und blickte nach draußen. Die Sonne ging unter. »Und Sie wollen mir nicht mehr darüber sagen?« »Nein, Jektor. Ich kann nicht. Ich würde damit das große Ziel gefährden, das ich mir gestellt habe. Es muss Ihnen genügen, dass ich ein erklärter Feind aller bin, die gegen das Große Imperium sind.« Der Mediziner lächelte kaum merklich. »Sie formulieren seltsam, Axton. Ein loyaler Arkonide würde sagen: Ich bin gegen alle, die gegen Seine Erhabenheit sind.« Der Verwachsene griff erneut nach seinem Glas, sah den Mediziner nicht an. »Nun? Jektor? Helfen Sie mir?« »Ich helfe Ihnen.«
Die Gleiternische befand sich in unmittelbarer Nähe von Jektors Wohnung an der Außenseite des Trichtergebäudes. In ihr war gerade genug Platz für die Maschine. Jektor schaltete das Licht aus, bevor er das Schott auffahren ließ. Dann glitt der Gleiter lautlos in die wolkenverhangene Nacht. Axton saß neben Gentleman Kelly auf der Bank hinter dem Bauchaufschneider, der schon bald auf eine Flugroute einbog, die direkt zum klinischen Zentrum des Squedon-Kont-Viertels führte. Hier herrschte lebhafter Verkehr. Lebo Axton lehnte sich in die Polster zurück, sodass sein Kopf nicht über den Seitenrahmen des Gleiters hinausragte. Vorläufig war noch
nichts zu befürchten. So konzentrierte er sich noch einmal auf die Maßnahmen, die er treffen musste. Schritt für Schritt ging er den Plan durch. Falls Merantor keine unvorhergesehenen Kontrollen oder Prüfungen einlegte, musste alles so ablaufen wie geplant. »Vorsicht. Die Klinik.« Axton drückte sich noch tiefer in die Polster, der Gleiter flog langsamer. »Es ist alles ruhig. Auf dem Dach stehen zwei Polizeimaschinen. Ein Mann steht dabei.« »Können wir an ihm vorbeikommen?« Axton richtete sich auf und blickte an Jektor vorbei. Der Polizist hatte sich direkt vor der Zugangsrampe postiert. Die Klinik war ein nur zweihundert Meter hoher Trichter auf winzigem Sockel, erreichte jedoch einen Oberseitendurchmesser von fast siebenhundert Metern, während die Breite des Dachrings zweihundert betrug. »Ich setze die Maschine am Rand des Daches ab. Darunter ist eine Antigravgondel, von der aus das Gebäude gereinigt werden kann. Sie können mit dem Roboter hineinspringen und von dort durch ein Fenster einsteigen, das ich von innen öffnen werde.« »Kelly wird hier bleiben.« Die Maschine landete. Jektor gab sich Mühe, sich so unbefangen wie möglich zu geben. Axton hörte, wie er sich entfernte und dann einige Worte mit dem Polizisten wechselte. Er drückte die Seitentür auf und blickte hinaus. Direkt unter ihm schwebte die Gondel. »Du musst mir helfen, Kelly«, flüsterte er. »Ich kann nicht so tief springen.« Lautlos schob sich der Roboter über die Polster und streckte ihm die metallenen Hände hin. Axton ergriff sie und überließ sich ihnen. Kelly hob ihn über die Dachkante hinaus, beugte sich weit hinunter und ließ ihn schließlich fallen. Der Verwachsene stürzte noch anderthalb Meter tief und schlug hart auf. Ein stechender Schmerz ging von seinem rechten
Knöchel aus. Stöhnend blieb er liegen. Über ihm schloss sich die Gleitertür. Axton blickte nach oben. Der Wächter auf dem Dach musste den Aufprall gehört haben. Doch da öffnete sich direkt neben ihm das Fenster. Er sah das Gesicht von Jektor, raffte sich eilig auf und kletterte zu dem Bauchaufschneider. Jektor schob das Fenster sofort wieder zu. Die Männer verharrten einige Augenblicke und horchten. Deutlich waren die Schritte des Polizisten zu hören, doch sie entfernten sich kurz darauf wieder. Jektor atmete erleichtert auf. »Alles gut überstanden?« »Es geht.« Lebo Axton biss die Zähne zusammen, hatte das Gefühl, sich das rechte Bein gebrochen zu haben. Er konnte den Fuß kaum aufsetzen. Doch er zwang sich, nur an die bevorstehende Aufgabe zu denken und die Schmerzen zu ignorieren. Jektor führte Axton an einigen Türen vorbei und blieb dann vor einem Antigravschacht stehen. »Cokret ist direkt unter uns, Axton. Aber dort unten wimmelt es von Polizisten und Geheimagenten.« »Sie sagten, dass es dennoch eine Möglichkeit gibt.« »Für mich nicht. Für Sie vielleicht. Kommen Sie.« Er führte Axton noch einige Meter weiter und blieb vor einer Metallklappe stehen. »Da ist ein Wäscheschacht. Er führt an der positronischen Medokammer vorbei, von der aus Sie Zutritt zu Cokret haben. Wenn Sie sich in diesem Schacht nach unten lassen können, kommen Sie an Ihr Ziel. Ich kann mich überall frei bewegen.« Er eilte zu einem Schrank und kehrte mit einem Wäschestück zurück. Axton drehte es zu einem Seil zusammen und reichte Jektor einen Zipfel. »Halten Sie. Sobald ich im Schacht bin, können Sie das Ding festklemmen. Achten Sie aber darauf, dass man es nicht so leicht sehen kann.« Er kroch mühsam in den Schacht, prüfte das Wäschestück auf seine Festigkeit und ließ sich daran ab. Seine schwachen
Arme vermochten kaum, ihn zu tragen. Er musste sich mit den Füßen an den Wänden abstützen, wobei sich Geräusche nicht ganz vermeiden ließen. Axton war normalerweise zu schwächlich für solche Einsätze, die er spielerisch leicht bewältigt hatte, als er noch in seiner Vollprothese lebte. Nun wurde der Abstieg zu einer einzigen Qual. Schweiß brach ihm aus, er musste Pausen einlegen, weil ihm der Atem knapp wurde. Dann endlich konnte er durch ein Gitter in den Medoraum sehen. Jektor trat gerade ein, ging an das Bett des Offiziers und legte ihm die Finger auf die geschlossenen Augen. Dann wandte er sich an jemanden, der sich nicht im Blickfeld Axtons befand. »Lassen Sie uns allein«, sagte der Arzt. »Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich Sie benötige.« Ein uniformierter Addag’gosta ging an Jektor vorbei und verließ das Zimmer. Sofort eilte der Arzt an die Positronik, blickte zu dem Gitter auf. »Alles in Ordnung?« »Helfen Sie mir heraus.« Der Mediziner öffnete das Gitter und schob es zur Seite. Vorsichtig stützte er Axton, bis dieser aus eigener Kraft aus dem Schacht kriechen konnte. Stöhnend schob er seinen Körper durch die Öffnung. »Ich glaube nicht, dass ich es später schaffen werde, wieder nach oben zu klettern. Ich bin vollkommen erschöpft.« Jektor reichte ihm ein Glas Wasser. Axton trank, nachdem er sich auf einen Hocker gesetzt hatte. Er benötigte einige Zentitontas, bis er sich so weit erholt hatte, dass er zu Cokret gehen konnte. Er sah sofort, dass sich der Zustand des Offiziers nicht geändert hatte. Er tastete das Gesicht des Bewusstlosen ab, kniff ihm in den Hals und fühlte nach dem Puls. Dann kehrte er kommentarlos in die Kammer mit den positronischen Instrumenten zurück, von der aus der Offizier ständig überwacht wurde. Von nun an schien Axton zu
vergessen, dass es in der Klinik Polizisten gab, die sofort auf ihn schießen würden, sollten sie ihn hier entdecken. Er arbeitete ruhig und konzentriert. Wie er bereits befürchtet hatte, brauchte er lange, sich überhaupt mit den Geräten vertraut zu machen. Aus seiner Sicht waren sie primitiv, teilweise unglaublich umständlich konstruiert. Die Arkoniden kannten die Möglichkeiten noch nicht, mit denen sich diese Geräte vereinfachen und verbessern ließen. »Wie lange brauchen Sie noch?«, fragte Jektor, als etwa eine Tonta verstrichen war. »Ich habe gerade erst angefangen.« »Ich kann den Posten nicht ewig draußen warten lassen.« »Das weiß ich, aber ich kann es nicht ändern.« Wiederum verging fast eine Tonta. Dann endlich war Axton so weit. Er wusste genau, wie die einzelnen Geräte funktionierten und wie er sie verändern musste, damit er die Messungen vornehmen konnte. Gerade als er beginnen wollte, bewegte sich die äußere der Doppeltüren zum Krankenzimmer. Axton rutschte blitzschnell vom Hocker und presste sich in eine Nische, in der er vom Bett des Offiziers aus nicht gesehen werden konnte. Jektor eilte zu Cokret zurück. Merantor betrat den Raum, ging zu dem Bauchaufschneider, der bereits am Bett des Offiziers saß und dessen Arm hielt. Axton konnte ihn sehen, zog sich noch weiter in den Winkel zurück. Seine Blicke fielen auf die positronischen Geräte. Die Verschalung war zum Teil entfernt. Sollte sich der Polizeipräsident zufällig zur Medokabine wenden, musste er sehen, dass sich jemand an der Anlage zu schaffen gemacht hatte. Axton brach der Schweiß aus. Sein Mund war plötzlich trocken, sodass er kaum noch schlucken konnte. Er bemühte sich, so flach wie nur möglich zu atmen, doch ihm schien, dass die Luft laut rasselnd durch die Kehle fauchte. »Wie steht’s mit ihm?«, fragte der Polizeipräsident.
»Leider noch keine Veränderung. Ich hatte den Eindruck, dass endlich etwas passieren würde, aber seit einer Weile ist er wieder völlig still. Ich hoffe, dass seine Reaktionen bald wiederkommen.« »Hat er etwas gesagt?« »Er hat es versucht. Deshalb blieb ich hier.« »Haben Sie ihm Medikamente gegeben.« »Mehrere.« Es wurde still. Axton hielt den Atem an, glaubte, Merantor müsse nun merken, dass er hier war. Ihm war, als spähe der Polizeipräsident zu ihm herüber. Ragten seine Füße vielleicht in das Blickfeld Merantors? Er schielte nach unten und zog die Füße so weit zurück, wie er nur konnte. »Er muss reden«, sagte Merantor. »Er muss!« »Ich gebe mir alle Mühe.« »Das Thektran befürchtet einen Angriff der Methans auf einen unserer wichtigsten Stützpunkte. Man glaubt, dass Cokret Informationen hat, die für uns von lebenswichtiger Bedeutung sein können. Er muss sie ausspucken, bevor die Maahks angreifen. Verstehen Sie?« »Natürlich. Warum schlage ich mir denn die Nacht um die Ohren? Doch nur, weil ich hoffe, Cokret aufwecken zu können.« »Ich werde Ihnen einige Helfer schicken.« »Ich will niemanden hier sehen.« »Sie werden tun, was ich Ihnen sage.« »In diesem Haus bin ich der Chef, Merantor. Je früher Sie das begreifen, desto besser für Sie.« »Wollen Sie mir drohen?« Jektor antwortete nicht. Lebo Axton stand starr in seinem Versteck, fühlte, dass sein Herz wild klopfte. »Also gut«, sagte der Polizeipräsident. »Ich lasse Sie allein. Sie aber tragen die Verantwortung, wenn irgendetwas mit Cokret passiert.«
»Verschwinden Sie endlich und stören Sie mich nicht länger bei meiner Arbeit.« Axton hörte, wie sich Schritte entfernten. Die Doppeltüren bewegten sich, dann atmete Jektor laut auf. »Das war knapp.« Axton kam aus seinem Versteck, setzte sich wieder an die Positronik und wollte mit der Arbeit beginnen, doch seine Hände zitterten zu stark. Er fluchte lautlos. Warum war er in diesem Körper erwacht? Warum hatte ihm die Illusionsmaschine nicht einen gesunden, leistungsfähigen Körper verschafft? Er schloss die Augen, senkte den Kopf und atmete mehrmals tief durch. Dann setzte er seine Arbeit fort. Etwa eine Dezitonta verging, bis er die ersten Sensoren an den Schädel Cokrets heften konnte und eine weitere Verbindung zwischen ihm und der Positronik herstellte. Unerhofft entdeckte er einige Möglichkeiten, die in der Welt, aus der er kam, offenkundig übersehen worden waren. Er erinnerte sich an die Mutanten, mit denen er so oft zu tun gehabt hatte, und lächelte. Es war nur zu verständlich, dass sich Wissenschaftler, die mit einem Gucky, einem John Marschall oder einer Betty Toufry zusammenarbeiten konnten, nicht auf derartige Wege konzentrierten. Für sie war es einfach, einen fremden Parabegabten aufzuspüren – sie konnten die Hilfe des Mutantenkorps in Anspruch nehmen. Axton justierte die Geräte sorgfältig, veränderte die Empfindlichkeit und Gesamtempfangsbreite der Individualorter und -taster und steuerte sie danach vorsichtig aus. Gespannt beobachteten er und der Mediziner die Bildschirme. »Nun?«, fragte Jektor. »Kein Zweifel. Cokret wird paranormal beeinflusst. Jemand hat ihn fest in seiner Gewalt, sodass er nichts sagen kann.« »Dann muss es doch möglich sein, ihn daraus zu befreien.« »Auf jeden Fall. Aber nicht hier.« »Wir könnten Merantor informieren.«
»Meinen Sie wirklich, dass er uns glauben wird? Merantor wird sich gar nicht erst anhören, was wir ihm zu sagen haben. Nein, wir müssen die Quelle dieser Paraenergie finden und beseitigen. Schaffen wir das, ist Cokret frei. Dann kann er Merantor erzählen, was er erfahren hat.« Axton stand auf. »Es ist doch offensichtlich, dass jemand versucht, Cokret daran zu hindern, eben dieses zu tun. Oder noch mehr.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Das erzähle ich Ihnen später, wenn wir die Paraquelle gefunden haben. Ich glaube, ich sehe jetzt klar.« »Können Sie die Paraquelle anpeilen? Ich meine, wie können wir sie finden?« »Habe ich noch etwas Zeit?« »Ich hoffe. Garantieren kann ich jedoch nichts.« »Ich beeile mich.« Axton löste die Sensoren wieder von Cokrets Kopf und arbeitete erneut an den Geräten. »Wir werden keine Zeit haben, die Geräte wieder so herzurichten, dass niemand etwas merkt.« Jektor erschrak. »Dann weiß Merantor Bescheid. Man wird mich sofort verhaften und des Verrats beschuldigen.« »Das sehe ich ein. Nun, ich werde versuchen, was in meiner Macht steht. Sollte die Situation jedoch brenzlig werden, muss ich verschwinden. Ich verspreche Ihnen, dass ich den Fall danach so schnell lösen werde, dass Ihnen nichts passieren kann.« »Ich fürchte, ich habe mich auf eine böse Sache eingelassen«, erwiderte der Mediziner seufzend. Er legte die Hände vors Gesicht und massierte sich die Augen. »Ich wünschte, es wäre schon alles vorüber.« »Sie können mir vertrauen.« »Was bleibt mir anderes übrig?« Er blickte Axton an und lächelte zaghaft. Der Kosmokriminalist sah ihm an, dass er Angst hatte.
Axton konzentrierte sich erneut, erinnerte sich an eine Peilmethode, die einmal diskutiert worden war. Das erforderte eine weitere Veränderung und Justierung der Individualtaster. Bald darauf begann er wieder zu arbeiten, löste Kontakte, befestigte sie neu, stellte Kreuzverbindungen her und legte Sensoren an Kabel, die sich allmählich zu einem Ring formten. Schließlich legte er diesen auf seinen Kopf und drückte ihn fest, bis er stramm anlag. »Was haben Sie vor?«, fragte der Yoner-Madrul. »Ein Experiment. Sehen Sie, wir haben vorhin feststellen können, dass Cokret paranormal beeinflusst wird.« »Ich habe nur gewisse Instrumentenanzeigen gesehen. Weiter nichts.« »Mir genügt es. Ich will nun die gleichen Gerätschaften nehmen und damit versuchen, einen Teil des Energiestroms auf mich selbst zu lenken.« »Werden Sie dann nicht auch in eine Starre verfallen?« »Das könnte sein, aber dann brauchen Sie mir nur die Kabel vom Kopf zu reißen, und ich werde wieder zu mir kommen. Hoffentlich.« »Gibt es keinen anderen Weg?« »Nein.« »Könnten Sie nicht den gesamten Energiestrom ablenken und damit Cokret befreien?« »Auf wen sollte ich ihn strömen lassen? Wir haben niemanden, den wir dafür einsetzen können. Und uns wäre auch nicht wirklich geholfen, denn wir müssen die Paraquelle finden. Das aber können wir nur, wenn wir uns auf sie einpeilen.« Jektor gefiel das gesamte Experiment nicht mehr. Er hatte Angst, aber er wusste auch keinen Ausweg.
Eine weitere Dezitonta verstrich. Axton schickte den YonerMadrul hinaus. »Holen Sie irgendwelche Medikamente und Untersuchungsgeräte. Es muss nach Arbeit aussehen. Aber kommen Sie bald wieder, damit niemand auf den Gedanken verfällt, hier zu kontrollieren.« Jektor verließ das Krankenzimmer geradezu erleichtert. Axton arbeitete weiter. Ein frischer Wind schien plötzlich durch den Raum zu wehen. Er fühlte sich befreit, seit der Bauchaufschneider nicht mehr in der Nähe war und seine Konzentration durch seine Nervosität beeinträchtigte. Plötzlich klappte jeder Griff. Er brauchte kaum noch zu überlegen. Als Jektor zurückkehrte, war Axton fertig. »Es ist so weit.« Jektor setzte das Tablett ab, auf dem er Medikamente und einige Prüfstreifen mitgebracht hatte. Voller Spannung blickte er Axton an. »Und was geschieht jetzt?« »Erste Phase: Einpeilung. Ich will grundsätzlich feststellen, ob es klappt. Danach müssen Sie mich wieder nach draußen schmuggeln. Irgendwie.« »Und dann?« »Dann werde ich mich in den Gleiter setzen und den Paraimpulsen bis zu ihrer Quelle folgen.« Er streckte dem Arzt die Hand entgegen. »Kommen Sie her, Jektor. Helfen Sie mir, falls die Belastung zu groß für mich sein sollte.« Axton nahm den Kabelring mit den Sensoren und legte ihn sich über den Kopf. Sorgfältig befestigte er die Sensoren an Schläfen, Halsschlagader und Nacken. Dann senkte sich seine Hand auf einige Tasten. »Halten Sie mich fest, Jektor. Bitte.« Der Arkonide stellte sich hinter ihn und drückte ihm die Hände auf die Schultern. Axton lehnte sich zurück. Energisch drückte er die Tasten. Im gleichen Augenblick bäumte er sich auf. Seine Lippen öffneten sich zu einem röchelnden Schrei, die Arme fuhren hoch. Axton zuckte und bebte am ganzen
Körper, die Füße trommelten auf den Boden. Er schien jegliche Kontrolle über sich verloren zu haben. Jektor beugte sich über ihn und drückte die Tasten. Sofort erschlaffte Axton, sein Kopf sank auf die Brust. Er hob die Hände und presste sie gegen das Gesicht, das plötzlich schweißbedeckt war. »Ich dachte, Sie sterben«, sagte der Arkonide bestürzt. »Warum haben Sie unterbrochen?« »Sie hätten sich sehen sollen.« »Ich bekam mich gerade unter Kontrolle. Alles wurde besser.« Axton zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln, weil er wusste, dass er auf die Hilfe dieses Arkoniden angewiesen war. »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Wir schaffen es.« »Haben Sie einen ersten Richtungseindruck?« »Einen sehr guten sogar. Ich möchte behaupten, dass die Paraenergie vom Squedon-Kont-Viertel kommt.« Jektor blickte ihn schockiert an. »Sie wollen sagen, dass …« »Vorläufig gar nichts. Lassen Sie mich das Experiment wiederholen.« Er beugte sich vor, ohne dem Arkoniden die Gelegenheit für einen Protest zu geben, und schaltete ein. Wiederum zuckten seine Arme und Beine, aber dieses Mal ließen die konvulsivischen Reflexbewegungen schnell nach. Axton wurde ruhiger, und er konnte sogar einige Regulierungen vornehmen. Als er den Kabelkranz abnahm, sagte er: »Es ist kein Zweifel möglich. Die Richtung stimmt. Entweder finden wir die Paraquelle im Squedon-Kont-Viertel oder dahinter.« Er packte sorgfältig zusammen, was er benötigte. »Ich werde die Apparatur an eine Gleiterbatterie anschließen müssen. Hoffentlich reicht die Energie aus.« Er wollte damit beginnen, die Spuren zu verwischen und die Geräte wieder so herzurichten, dass niemand auf den ersten Blick die Manipulationen erkennen konnte. Doch er sah ein, dass er dazu weitere Tontas Zeit benötigt hätte. Er gab auf und
beseitigte nur die gröbsten Spuren. Danach stopfte er sich unter das Hemd, was er mitnehmen wollte, eilte zum Fenster und blickte hinaus. Draußen war es nicht besonders dunkel. »Keine Terrasse«, sagte er enttäuscht. »Dann muss ich versuchen, wieder durch den Schacht nach oben zu kommen. Sie müssen mir helfen.« »Wie stellen Sie sich das vor?« »Sie müssen nach oben gehen und mich ziehen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« Jektor seufzte. Ihm war anzusehen, dass er nicht daran glaubte, es auf diese Weise zu schaffen. Dennoch stimmte er zu, half dem Verwachsenen durch die Luke, verschloss diese wieder und eilte aus dem Zimmer. Lebo Axton hing im Schacht. Durch das Gitter konnte er einen Polizisten beobachten, der das Zimmer betrat, gelangweilt zu Cokret ging und ihn betrachtete. Dann setzte er sich in einen Sessel neben der Tür. Von hier aus konnte er in die Nische der Geräte sehen. Axton fühlte, wie ihm Schweiß ausbrach. Die schwache Muskulatur seiner Arme konnte ihn nicht mehr lange halten. Allein konnte er sich auf gar keinen Fall nach oben hangeln. Er biss sich auf die Lippen. Ihm schien, dass der Arkonide ständig zu ihm herüberblickte. Axton stockte das Herz, als sich der Polizist plötzlich erhob und auf die Nische zuging. Er glaubte, bereits entdeckt worden zu sein. Doch der Arkonide interessierte sich nicht für die positronischen Geräte. Er war müde und versah seinen Dienst äußerst lustlos. Gelangweilt zapfte er sich etwas Wasser aus dem Automaten, trank den Becher leer, warf ihn in den Müllvernichter und kehrte zum Sessel zurück. Er setzte sich, schlug die Beine übereinander, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Axton grinste und versuchte, sich nach oben zu ziehen, um wenigstens das Gitter zu überwinden. Er schaffte kaum einen halben Meter. Dann musste er eine Pause einlegen, weil seine
Armmuskeln bereits ermüdeten. Seine Kraft reichte gerade noch aus, sich in dieser Lage zu halten. Verzweifelt fragte er sich, warum der Mediziner so viel Zeit benötigte. War er aufgehalten worden?
Eine Ewigkeit schien verstrichen zu sein, bis Axton endlich einen Ruck verspürte. Er konnte sich kaum noch halten. Schnell zog ihn Jektor nach oben. Axton hatte Mühe, genügend Abstand von der Schachtwand zu halten, stieß immer wieder an und verursachte dabei Geräusche. Diese erschienen ihm so laut, dass er glaubte, das ganze Klinikum müsse alarmiert werden. Dem Arkoniden tränten vor Erregung die Augen. »Merantor«, berichtete er stammelnd. »Er ist wieder da. Ich fürchte, er wird bald entdecken, dass jemand die Geräte …« Axton wälzte sich aus dem Schacht und blieb erschöpft auf dem Boden liegen. Ihm war, als müssten die Arme abfallen. Er hatte überhaupt kein Gefühl mehr in ihnen. »Schnell«, sagte der Arzt drängend. »Sie müssen in den Gleiter.« Er ergriff Axtons Hand und half ihm beim Aufstehen, musste ihn stützen, als er mit ihm zum Fenster eilte. Allein hätte der Kriminalist den Ausstieg niemals geschafft. Der Arkonide schob ihn in die Gondel, wo Axton abermals liegen blieb. Das Fenster schloss sich. Der Terraner hörte die Schritte einiger Polizisten auf dem Dach, vernahm die energische Stimme Merantors. Er konnte nicht alles verstehen, was er sagte, begriff jedoch, dass er noch nichts von den Manipulationen bemerkt haben konnte. Über ihm öffnete sich die Tür des Gleiters, der runde Kopf Kellys erschien. Dann stieg der Roboter aus, kroch über die Dachkante und ließ sich an der Wand herunter, bis seine Füße Axton fast erreichten.
Der Terraner packte sie und hielt sich fest. Kelly kletterte wieder hoch, verhielt sich so geschickt, dass Axton nicht in Gefahr kam abzustürzen. Schließlich griff der Roboter mit der Hand nach ihm, verkrallte sie in dem Stoff der Kombijacke und richtete sich auf. Der Terraner setzte seinen Fuß auf die Dachkante, beugte sich vor und erreichte die Polster der hinteren Sitze. Keuchend und dem Zusammenbruch nahe, ließ er sich hineinrollen. Der Roboter folgte ihm und schloss lautlos die Tür. Axton legte seine Hände auf die Brust. Sein Herz schlug schmerzhaft schnell. Weitere körperliche Anstrengungen hätten zu einem Zusammenbruch geführt. Sein Atem ging pfeifend, vor seinen Augen flimmerte es. »Jektor kommt«, teilte Kelly leise mit, spähte vorsichtig auf das Dach hinaus. »Er geht an Merantor vorbei.« Schritte näherten sich. Der Bauchaufschneider öffnete die Gleitertür. »He, Jektor!«, rief Merantor. »Haben Sie mir nichts zu sagen?« »Wenn das der Fall wäre, hätte ich es längst getan.« Er setzte sich hinter das Steuer, schlug die Tür zu und startete. Lebo Axton erhob sich und ließ sich dann in die Polster sinken. Das Summen des Antigravs erschien ihm wie ein Lebenslied. Die Spannung der letzten Tontas fiel endgültig von ihm ab, obwohl die eigentliche Entscheidung noch nicht gefallen war. »Wohin jetzt?«, fragte Jektor. »Zu Ihrer Wohnung.« »Das geht nicht. Dort wird man zuerst suchen, wenn man entdeckt, was mit den Geräten …« »Dann nennen Sie mir einen Ort, an dem ich in Ruhe eine der Batterien ausbauen kann.« Der Arkonide schwieg, überlegte. »Wir könnten in der Parknische bleiben.«
»Gute Idee.« Schweigend flogen sie weiter, bis die Maschine wieder dort aufsetzte, wo sie vor einigen Tontas gestartet war. Als sich das Außenschott der schleusenähnlichen Kammer schloss, flammte Licht auf. Jektor und Axton stiegen aus. Kelly blieb auf Befehl des Terraners in der Maschine sitzen. Der Arkonide ging mit schnellen Schritten zur Tür, legte seine Finger an einen Kontaktstreifen und öffnete sie. Er blickte auf den Gang hinaus, winkte Axton kurz zu und eilte zu seiner Wohnungstür. Auch dort legte er seine Finger an einen Kontaktstreifen und trat ein, nachdem ihn eine Identitätsschranke geprüft und akzeptiert hatte. Lebo Axton klappte die Fronthaube des Gleiters hoch, darunter lagen die Speicher. Er konnte sie gut und bequem erreichen. Rasch löste er einen heraus, winkte den Roboter zu sich und befahl ihm, ihn herauszuheben. Als Gentleman Kelly diese Arbeit verrichtete, ging Axton zur Tür, blickte auf den Gang hinaus und erstarrte. Vor der Wohnung Jektors standen zwei Polizisten mit gezogenen Kombistrahlern. Der YonerMadrul erschien in der Tür und fuhr sichtlich zusammen, als er die Uniformierten sah. »Was wollen Sie von mir?«, rief er überlaut. Axton erkannte, dass er ihn aufmerksam machen wollte. »Kommen Sie mit, Jektor. Sie sind verhaftet!« »Ich protestiere.« »Das können Sie Merantor gegenüber tun. Wir führen nur Befehle aus.« Sie schlossen die Tür und versiegelten sie, nahmen den Bauchaufschneider in die Mitte und verschwanden mit ihm im Antigravschacht. Axton wartete einige Zentitontas. Als auch dann noch alles ruhig blieb, setzte er sich den Kabelkranz auf den Kopf und schloss die Sensoren an. Die Tür zum Gang blieb einen Spaltbreitoffen, so dass er jederzeit verfolgen
konnte, was draußen geschah. »Achte auf mich, Kelly«, sagte er. »Sollte ich die Kontrolle über mich verlieren, lös die Kabel.« »Ich habe verstanden.« »Dann ist es gut.« Axton zögerte. Er wusste genau, wie stark die Energien sein konnten, die Mutanten beherrschten. Dementsprechend hoch war auch das Risiko, das er einging. Er musste für wenige Augenblicke zumindest einen Teil dieser Energien durch sein Gehirn und Bewusstsein leiten. Da er sich seiner Vermutung nach in unmittelbarer Nähe der Paraquelle befand, konnte er nicht voraussehen, wie der Versuch verlaufen würde. Er zwang sich zur Ruhe. Gentleman Kelly stand vor ihm und beugte sich leicht nach vorn, streckte die Metallhände aus, um blitzschnell zugreifen zu können. »Jetzt!« Axton drückte eine Taste und gab damit die Energie aus der Batterie frei. Im selben Moment schrie er auf, hatte das Gefühl, von einem Blitz getroffen zu werden, der von oben in seinen Kopf schlug und bis in die Zehenspitzen raste. Er brach zusammen. Gleichzeitig versuchte er, sich die Kabel vom Kopf zu reißen, schaffte es aber nicht; seine Arme gehorchten ihm nicht mehr. Fassungslos blickte er den Roboter an, der sich zeitlupenhaft langsam bewegte. Ihm wurde schwarz vor Augen, er schlug auf den Boden. Als er wieder zu sich kam, wusste er zunächst nicht, wo er war. Kelly beugte sich über ihn und massierte ihm die Halsmuskulatur. »Was ist passiert?«, fragte er flüsternd. »Es war zu viel für dich, Liebling.« Dieses Wort machte Axton schlagartig wach. Er fuhr hoch und sah den Kabelkranz. Sofort vergaß er, dass er den Roboter hatte zurechtweisen wollen. Er begriff, dass er sich getäuscht hatte. Tatsächlich war alles ungeheuer schnell abgelaufen, nur sein Wahrnehmungsvermögen war gestört gewesen. »Es ist
hier, Kelly. Es muss hier in diesem Gebäude sein!«
Axton zog die Tür zum Gang auf und verließ die Parknische. Der Roboter folgte ihm. »Ich hatte das Gefühl, dass es von oben kam, Kelly. Also werden wir weiter oben suchen.« »Willst du nicht noch einen weiteren Test machen?« »Ich glaube nicht, dass das notwendig ist.« Axton eilte auf den nächsten Antigravschacht zu, als ein Junge aus dem abwärts gepolten Feld trat und sich näherte. Er war etwa zehn Jahre alt, war außerordentlich schlank und hatte ausdrucksvolle Augen. Sein Haar war weißblond und reichte ihm bis auf die Schultern. Dicht vor dem Verwachsenen blieb er stehen und musterte ihn. »Nanu«, sagte Axton. »So früh am Morgen schon unterwegs?« Der Junge blieb ernst, blickte zu Kelly hinüber und dann wieder zu Axton. »Ich möchte Sie warnen, Lebo Axton.« »Du willst mich warnen? Warum? Und wovor?« »Das brauche ich wohl nicht zu erklären.« Seine Stimme klang eigenartig hohl, passte nicht zu seiner sonstigen Erscheinung. »Vielleicht doch. Ich hätte gern gewusst, mit wem ich es zu tun habe.« »Ich will nicht, dass Sie mir noch länger nachspionieren, Lebo Axton. Meine Geduld ist erschöpft.« »Du?« Axton pfiff überrascht durch die Zähne. »Du bist also der Parabegabte?« »Werden Sie jetzt verschwinden?« »Ich werde es mir überlegen.« »Sie haben noch immer nicht verstanden. Ich scherze nicht!« »Du willst mir also drohen?« »Wenn es sein muss, ja.«
»So geht das nicht, Junge. Ich muss mit dir reden.« Der Arkonide schüttelte den Kopf, wollte sich umdrehen, doch der Verwachsene streckte rasch seine Hand aus und hielt ihn an der Schulter fest. Der Junge blieb stehen, seine Augen verengten sich. Axton ließ die Hand sinken. »Glaubst du wirklich, ich hätte mir so viel Mühe gegeben und ein solches Risiko auf mich genommen, wüsste ich nicht genau, was ich will? Meinst du wirklich, ich könnte jetzt überhaupt noch aufgeben?« »Das interessiert mich nicht. Wenn Sie nicht sofort von hier verschwinden und die Sache vergessen, wird Merantor noch heute erfahren, dass Sie aus der Zukunft kommen!« Axton hatte das Gefühl, als habe ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Der Junge drehte sich um, ging zum Antigravschacht und verschwand im aufwärts gepolten Feld. Der Terraner blickte ihm hilflos nach. Er wusste nicht, was er tun sollte. Das gefährliche Spiel, auf das er sich unfreiwillig eingelassen hatte, schien zu Ende zu sein.
17. Aus: Die Ära Orbanaschols III. Hemmar Ta-Khalloup, Imperialer Archivar und Historiker; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.020 da Ark Viele Dinge kamen zusammen: Zwar gehörte die Zeit um 10.500 da Ark zur Hauptblüte des Tai Ark’Tussan, für »drei Epochen« hatte der Khasurn der Gonozals die Imperatoren gestellt, die Raumer der Flotten drangen weiter als je zuvor in die Öde Insel vor, und in den Kreisen des Adels richtete sich das Augenmerk verstärkt auf Luxus – aber schon die Ermordung Gonozals VII. durch seinen Bruder markierte einen bitteren Wendepunkt. Korruption, Misswirtschaft, Unfähigkeit, Tyrannei,
Willkürurteile, Spitzel- und Denunziantentum, Ignoranz – gepaart mit Arroganz und Hochmut – und erste Anzeichen dessen, was Jahrtausende später als die beginnende Degeneration bezeichnet wurde, standen als innere Schwachpunkte den Gefahren von außen entgegen: die Eskalation des Methankriegs auf der einen Seite sowie auf der anderen die infolge der forcierten Expansion immer weiter ins »Niemandsland« hinausgetriebene imaginäre Grenze und die Schwierigkeit, das Große Imperium dennoch zusammenzuhalten, verbunden mit den nicht immer friedlichen Begegnungen mit neuen Fremdvölkern oder wiederholten Aufständen wie die der Nopoleter aus den Reihen der eigenen Kolonisten und Pioniere. Beides kumulierte zu einer höchst brisanten Mischung, die durch die zweifelhafte Persönlichkeit Orbanaschols III. noch verstärkt und fokussiert statt abgeschwächt wurde: Ungezählt sind die unbeantworteten Spekulationen darüber, ob ein anderer, fähigerer Höchstedler in jener Ara den Kristall hätte drehen, ob die heißen Phasen des Methankriegs hätten verhindert werden können und somit auch den Tod und das Leid Abermillionen durch Kämpfe, schändliche Urteile und schlichtes Versagen.
Arkon I: 25. Prago des Ansoor 10.498 da Ark In der Parknische fühlte sich Axton relativ sicher, jedenfalls für den Augenblick. Da Jektor verhaftet worden war, brauchte er nicht damit zu rechnen, dass jemand die Nische betrat und ihn entdeckte. Er saß in der Falle. Auf der einen Seite musste er weitermachen, bis der Fall geklärt war, wenn er weiterhin Unterstützung bei Dom Ternnan, dem Polizeipräsidenten von Arkon III, finden wollte. Er musste sein Ziel weiterhin verfolgen, wollte er Merantor keinen Vorwand liefern, ihn zu vernichten. Vielleicht würde er Glück haben, dass ihn die Illusionsmaschine in die Zukunft zurückriss. Auf der anderen Seite hatte der Mutant aber ein deutliches Zeichen gesetzt: Bis
hierher und nicht weiter! Merantor und die diversen Geheimdienste würden Axton gnadenlos foltern, wussten sie einmal, woher er wirklich kam, um alles aus ihm herauszuholen, was sie glaubten, in Erfahrung bringen zu müssen. Axton spürte die Belastung der letzten Tontas. Er wurde müde, es fiel ihm immer schwerer, klar zu denken. Als ihm bewusst wurde, dass seine Leistungsfähigkeit deutlich abgesunken war, entschloss er sich, eine kurze Erholungspause einzulegen. Er stieg in den Gleiter, legte sich auf die Polster, befahl Kelly, ihn in einer Tonta zu wecken, und schlief fast augenblicklich ein. Als der Roboter seine Schulter exakt eine Tonta später berührte, war er sofort wach, fühlte sich erfrischt und erholt. Aus den Beständen des Gleiters versorgte er sich mit einem leichten Frühstück. Er blickte auf die Uhr; sie zeigte die fünfte Tonta an. Draußen wurde es heller, aber für die Edelleute war es noch zu früh. Nur die Bediensteten standen schon jetzt auf. Wiederum überdachte Axton die Situation. Jetzt sah er alles viel klarer. Ihm blieb nur ein einziger Weg: Er musste bis zur Paraquelle vorstoßen. Und er musste dafür sorgen, dass ihre Kräfte in kontrollierte Bahnen geleitet wurden. Nur so konnte er aus der Falle entkommen, die ihm Ternnan und Merantor gestellt hatten. »Wir versuchen es, Kelly«, sagte er. »Wir gehen nach oben.« Der Roboter öffnete die Tür, die lautlos zur Seite glitt. Axton trat auf den Gang hinaus und näherte sich dem Antigravschacht, als plötzlich eine blaue Flamme direkt vor ihm in der Luft schwebte, Kelly blieb stehen, Axton zögerte. Die Flamme glitt auf den Roboter zu, der vor ihr zurückwich. Der Terraner fluchte verhalten. Gegen solche Mittel konnte er nichts ausrichten. Unter ihnen rumorte es, ein schwerer Gegenstand polterte zu Boden. Ein sonnenheller Kugelblitz raste von Gentleman Kelly weg den gekrümmten Gang
entlang, entfernte sich schnell von dem Roboter und Axton. Als er etwa hundert Meter zurückgelegt hatte, blähte er sich donnernd auf und zerplatzte. Aus den Wänden schlugen blaue Blitze. Die automatische Löschvorrichtung versprühte hellen Trockenschaum. »Komm«, rief Axton und rannte auf die nächste Gangbiegung zu, hinter der er einen weiteren Antigravschacht wusste. Der Roboter folgte, erreichte ihn nach wenigen Schritten. »Soll ich dich tragen, Schätzchen?« »Ich werde dir …« Ein lauter Knall unterbrach Axton, Kelly stürzte zu Boden. Der Terraner blieb stehen, blickte betroffen auf seinen Begleiter. Die Beine des Roboters waren an jeweils zwei Stellen glatt durchgebrochen. Kelly stützte sich auf die Hände und hob damit seinen Ovalkörper, schwang sich nach vorn, ließ den Ovalkörper auf den Boden sinken, warf nunmehr so gestützt die Arme nach vorn. Als er Axton erreicht hatte, verharrte er auf der Stelle, neigte sich leicht nach hinten und legte den Kopf zurück, damit er ihn ansehen konnte. »Der Verlust der Beine ist von untergeordneter Bedeutung. Damit wird meine Bewegungsfähigkeit nur wenig eingeschränkt.« Axton bückte sich und nahm ein Stück vom Schenkel mit dem Fuß auf. Erst dann erkannte er, was wirklich geschehen war. Der Mutant hatte seine zweite, überaus deutliche Warnung ausgesprochen. Fügte er sich nun nicht, musste er damit rechnen, auf ähnliche Weise um seine Beine gebracht zu werden – oder Schlimmeres …
Im Gang wurde es still. Axton blickte um die Ecke. Am weit entfernten Ende des Ganges flüchteten einige Arkoniden
hustend und keuchend durch aufsteigenden Qualm; ein Teil der Wand war aufgeplatzt. Die Isoplastverkleidung hatte sich verbogen, als sei sie großer Hitzeeinwirkung ausgesetzt gewesen. Aus dem Antigravschacht kam ein hochgewachsener Polizist. Axton erwartete, dass er dorthin gehen würde, wo der Schaum den Brand erstickt hatte. Aber er blickte zu ihm herüber. Axton fuhr zurück und presste sich an die Wand. Schritte näherten sich. Axton blickte zur gegenüberliegenden Wand und beobachtete dort an einer spiegelnden Leiste, dass der Polizist vor den abgebrochenen Roboterbeinen stehen blieb, sie mit dem Fuß anstieß und sich dann bückte. Axton fasste einen blitzschnellen Entschluss, trat vor, hob den Beinstumpf über den Kopf und schlug ihn mit aller Kraft auf den Schädel des Polizisten. Der Mann stürzte zu Boden und blieb liegen. Eilig drückte Axton ihm die Finger gegen den Hals, fühlte den kräftigen Pulsschlag und war beruhigt, dass er den Mann nicht getötet hatte. Mit einem schnellen Griff zog er ihm den Kombistrahler aus dem Halfter. »Zieh ihn um die Ecke und fessle ihn.« Kelly gehorchte. Der Roboter nahm dem Arkoniden den Gürtel ab und band ihm damit die Hände zusammen. Dann zerfetzte er die Hose und wickelte die so gewonnenen Streifen um die Füße. »Das reicht«, sagte Axton. »Und nun?« »Nun schweben wir nach oben. Wie vorgesehen.« »Hoffentlich breche ich mir nicht den Kopf ab.« »Das wäre keineswegs schade, Kelly. Du erinnerst dich daran, dass wir uns über dieses Thema schon unterhielten?« Axton stieg auf den Rücken des Automaten und ließ sich von ihm transportieren. Mit dem TZU-4 in der Hand fühlte er sich schon wesentlich sicherer. Wenig später erreichte er das darüber liegende Stockwerk. Er war keineswegs überrascht,
als er sah, dass es von einer künstlich angelegten Landschaft eingenommen wurde. Diese Anlage erinnerte an ein Hochgebirgstal mit teilweise üppiger, teilweise karger Vegetation. In der Nähe befand sich ein See. Armlange Fische sprangen aus dem Wasser und schnappten nach Insekten. Zwischen grauen Felsen erhoben sich mehrere gelbe Bäume, auf deren Ästen Vögel hockten, die Axton an terranische Aras erinnerten. Gentleman Kelly schnellte sich hinter einen Felsen; diese Bewegung kam so plötzlich, dass Axton fast von seinem Rücken gefallen wäre. »Was ist denn los?« Der Roboter streckte den linken Arm aus. Und dann sah auch der Terraner den Jungen, der ihn gewarnt hatte. Er stand unter einem überhängenden Felsen und angelte. Immer wieder warf er einen hellen Blinker ins Wasser und holte ihn ein. Die Fische reagierten jedoch nicht darauf. »Hm. Kannst du dir vorstellen, dass er tatsächlich an nichts anderes mehr denkt als an die Fische?« »Nein«, antwortete Kelly leise. »Du hast ausnahmsweise Recht.« Axton wollte noch mehr sagen, als er plötzlich ein Mädchen entdeckte, das etwa so alt sein mochte wie der Junge. Es schlich sich von hinten heran und versuchte, ihn ins Wasser zu stoßen. Im letzten Augeblick bemerkte er es, fuhr herum und wich aus. Mit einem leisen Aufschrei lief die Kleine an ihm vorbei und rutschte aus, fiel jedoch nicht, weil er sie noch rechtzeitig abfing. Das war nicht gerade die Art, in der Telepathen reagierten, fand Axton. Der Mausbiber Gucky etwa wäre von niemandem zu überraschen gewesen, hätte schon längst vorher bemerkt, dass sich ihm jemand näherte. Daraus war nur ein Schluss zu ziehen: Dieser Junge ist nicht die Paraquelle. Axton wartete ab, und es kam, wie er vermutet hatte. Der Junge steckte seine Angel zusammen und verschwand mit dem Mädchen zwischen den Felsen.
»Sollen wir sie verfolgen?«, erkundigte sich Kelly. »Nein. Er gehört sicherlich zum Kinderhort. Sie hat ihn abgeholt, vielleicht weil es Frühstück gibt.« Axton löste sich von dem Roboter, kletterte an einem Felsen hoch, bis er eine bessere Übersicht hatte. Dieser Gebirgsgarten hatte einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern, ein Teil ragte balkongleich weit in den Innenhof des Trichters. Axton fiel auf, dass der See von einem Bach gespeist wurde, der aus einer Schlucht kam. In der Nähe dieses Einschnitts gab es zahlreiche Stellen, an denen die Felsen verbrannt waren. Sie sahen aus, als hätten dort Blitze eingeschlagen. Das aber passte nicht zu einer parkähnlichen Anlage wie dieser. Naturereignisse dieser Art konnte es hier nicht geben. Axton fuhr zusammen, als es unter ihm krachte. Er klammerte sich an den Fels und blickte nach unten. Kelly lag auf dem Boden, bestand nur noch aus dem Ovalkörper, dem Kopf und je zwei Arm- und Beinstümpfen. Die Quarzlinsen waren nach oben gerichtet. »Es hat mich erwischt, Schätzchen«, meldete er mit gedämpfter Stimme. »Wir müssen uns trennen. Von nun an kann ich dir nicht mehr helfen.« »Ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll. Du gibst kein schlechtes Bild ab.« Gentleman Kelly ruderte vergeblich mit seinen vier Stümpfen; damit konnte er sich nicht mehr aufrichten, sie waren zu kurz. »Wenn die Lage nicht so ernst wäre, könnte ich mich totlachen.« Axton ließ sich vorsichtig am Felsen hinuntergleiten. »Wenn du noch einmal Schätzchen, Liebling oder sonst etwas dieser Art zu mir sagen solltest, sorge ich dafür, dass du niemals wieder Arme und Beine bekommst.« Die Quarzlinsen funkelten. Lebo Axton ging weiter, behielt den Eingang zur Schlucht ständig im Auge und achtete darauf, dass er stets in Deckung blieb. Er war ein
Spitzenkönner seines Fachs, hatte über vierhundert Jahre im Dienst der USO gestanden und die vielleicht vollkommenste Ausbildung genossen, der sich jemals ein USO-Spezialist unterzogen hatte. Er wusste, wie er sich Mutanten gegenüber zu verhalten hatte, wie er sich geistig gegen sie abschirmen konnte. Deshalb war ihm nun auch völlig klar, weshalb der Junge gekommen war. Der Mutant hatte ihn als Relaisstation benutzt, über die er ihn – Axton – wahrnehmen konnte. Das war allerdings zu einem Zeitpunkt gewesen, an dem er sich dem Mutanten geistig bereits verschlossen hatte. Vorher musste dieser schon herausgefunden haben, welches Geheimnis ihn umgab. Axton war überzeugt davon, dass er mit paranormalen Mitteln nun nicht mehr zu orten war. Versteckte sich der Mutant in der Schlucht, konnte er ihn aber durchaus mit optischen Mitteln erkennen. Axton erreichte den Eingang der Schlucht, ohne angegriffen worden zu sein. Erschöpft blieb er stehen, um sich ein wenig zu erholen. Der Bach war nicht breit. An einer Seite konnte er mühelos entlanggehen, ohne nasse Füße zu bekommen. Als er ein paar Meter weit gegangen war, stieß er auf eine kleine Felskammer. In ihr entdeckte er ein Kom-Gerät. Im ersten Moment glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen, dann erst wurde ihm wieder bewusst, dass er sich in einer künstlichen Landschaft befand, die sich mitten in einem Wohntrichter befand. Es war nur allzu selbstverständlich, dass es hier überall Kommunikationsgeräte gab. Vermutlich war er an einer Reihe weiterer Geräte vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken. Er betrat die Kammer und überlegte. Seine Finger senkten sich bereits auf die Tasten, als er sich anders entschloss, wieder an den Bach trat und ihm folgte. Die Schlucht bog nach rechts ab und weitete sich zu einer Halde, die sanft anstieg. Sie endete an einer spiegelnden Panzerplastwand, hinter der gelblich braune Schleier wallten.
Eine schwarze, vielfach verzweigte Pflanze, die entfernt einem Kraken glich, bildete eine Art Dach, das irgendwo unten im gelbbraunen Nebel begann und an der Wand endete. Diesseits der Wand standen zwei verkrüppelte Nadelbäume, die den Dachbogen fortsetzten, sodass eine Doppelhöhle entstand. Axton sah, dass etwas Weißes unter diesem Dachbogen lag, unmittelbar an der Panzerplastwand. Von seinem Beobachtungsstandpunkt aus konnte Axton es jedoch nicht deutlich erkennen. Er wagte es nicht, die Halde hinaufzusteigen, weil er dann allzu ungedeckt gewesen wäre. Stattdessen zog er sich einige Meter weit zurück und kletterte dann mühsam die Felsen hoch. Als er eine Höhe von fast vier Metern erreicht hatte, konnte er durch einen Spalt zur Panzerplastwand hinübersehen. Er hatte sich nicht geirrt. Unter dem Dachgewölbe lag tatsächlich etwas – ein Mädchen. Es sah ausgezehrt und halb verhungert aus. Das weißblonde Haar verdeckte ihr eingefallenes Gesicht zur Hälfte. Dennoch erkannte Axton sie: Es musste die verschwundene Larcenia Sammaron sein! Die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester Arina war so verblüffend, dass Axton zunächst meinte, diese vor sich zu sehen. Arina war jedoch nicht so schlank gewesen, wie es Larcenia jetzt war. Dieses Mädchen hatte seit vielen Tagen nichts zu sich genommen, hatte hier bewusstlos gelegen und sich nicht rühren können. Lebo Axton kletterte langsam wieder an den Felsen hinunter, ängstlich darauf bedacht, nicht auszugleiten und abzustürzen. Als er die Felskammer endlich betreten konnte, war er schweißgebadet. Die Temperaturen schienen ihm unerträglich hoch zu sein. Er verzichtete jedoch auf eine Ruhepause, obwohl er sie dringend benötigt hätte, und schaltete das KomGerät ein, indem er eine Zahlenkombination tippte. Ein uniformierter Polizist meldete sich, blickte Axton überrascht
an, als er ihn sah, und fragte: »He, sind Sie nicht …?« »Der bin ich in der Tat. Geben Sie mir sofort Merantor. Verlieren Sie keine Zeit. Es ist eilig!« »Sie können …« »Beeilen Sie sich!«, schrie Axton zornig. Seine Stimme war so zwingend, dass der Arkonide gehorchte. Einige Augenblicke verstrichen, dann erschien das Bild des Polizeipräsidenten. »Sie wagen es also doch«, sagte Merantor lauernd. »Es ist kein Wagnis dabei«, entgegnete Axton scharf. »Ich bin am Ziel. Ich weiß jetzt, wie Cokret aus seiner Starre geweckt werden kann. Und ich weiß auch, wo Larcenia Sammaron ist. Sie wird in wenigen Zentitontas frei sein.« »Wo sind Sie?« »Bevor ich es Ihnen sage, leiten Sie Hilfsmaßnahmen ein. Es wird hier eine kleine Katastrophe geben, denn ich muss ein Methanarium mit einem Thermostrahler zerstören. Was das bedeutet, wissen Sie!« »Sie sind verrückt, Axton. Das dürfen Sie nicht tun.« »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich muss es tun. Aber danach müssen Sie Larcenia und mich herausholen. Ich werde Ihnen später alles erklären.« »Wo sind Sie?« »Leiten Sie entsprechende Maßnahmen ein?« Die beiden Männer blickten sich starr an, Merantor war nach wie vor argwöhnisch. »Ich bin in der Gebirgslandschaft über der Wohnung des Bauchaufschneiders Jektor. Genau am Eingang der Schlucht. Setzen Sie die Absaugvorrichtungen in Betrieb, damit die Giftgasatmosphäre weniger stark wirken kann. Das Methanarium gehört vermutlich zu der Wohnetage eines Reichen. Ich denke, dass es die Rückwand bildet, die zwischen dieser künstlichen Landschaft und der Wohnung liegt. Beeilen Sie sich.« »Nein, Axton!«, brüllte Merantor.
Axton schaltete das Gerät aus, überprüfte den Kombistrahler und verließ die Höhle. Über dem Hang flackerte ein blaues Licht. Unruhig glitt es über den Steinen hin und her. Mal schwang es sich auf Axton zu, mal zog es sich bis zur Panzerplastwand zurück. Axton arbeitete sich langsam voran. Die schwarze Pflanze im Methanarium bewegte sich, als würde sie von einem Windstoß durchgeschüttelt. Der Terraner fragte sich, ob es überhaupt eine Pflanze war. Vielleicht war es ein Tier oder ein halb intelligentes Wesen? Aus seiner langjährigen Praxis als USO-Spezialist wusste er, dass auch Pflanzen über Parafähigkeiten verfügen konnten. Die Flamme wuchs zu einem Feuerball von etwa einem Meter Durchmesser an. Dieser schoss auf Axton zu, erreichte ihn jedoch nicht, schien wenige Meter vor ihm gegen eine unsichtbare Wand zu prallen. Der Terraner wusste, dass er nicht mehr länger warten durfte, stützte seine Hand auf einen Felsen und richtete die Waffe auf die Panzerplastwand. Seine Hand zitterte. Eine fremde Kraft drückte sich auf seinen Arm und suchte, ihn zur Seite zu biegen. Das Parawesen hatte ihn entdeckt! Axton biss die Zähne zusammen, seine Augen tränten. Er spürte, dass etwas nach seiner Wirbelsäule und seinen Beinen griff; er musste an Gentleman Kelly denken. Mit aller Kraft konzentrierte er sich auf die Waffe, versuchte, den Zeigefinger auf den Abzug zu pressen, aber der Finger gehorchte ihm nicht. Er schrie unterdrückt auf, warf sich nach hinten, rollte zur Seite, fühlte sich für Augenblicke frei und schoss. Ein gleißender Thermostrahl raste auf die transparente Wand zu und durchschlug sie. Einen Moment lang schien es Axton, als habe er überhaupt nichts erreicht. Während er sich auf den Boden fallen ließ und den Kopf in die Arme vergrub, während der Kombistrahler über die Felsen rollte, hätte doch längst eine Explosion erfolgen müssen.
Er war versucht, den Kopf zu heben und nachzusehen, was passiert war. In diesem Augenblick barst die Panzerplastwand. Eine grelle Stichflamme überschwemmte den Hang und die Felsen, mit einem ohrenbetäubenden Donnern dehnten sich die verbrennenden Gase schlagartig aus. Axton fühlte, dass ihn eine unsichtbare Faust packte und tiefer zwischen die Felsen schleuderte. Er presste die Arme vor das Gesicht und hielt den Atem an. Einige Augenblicke blieb er bei vollem Bewusstsein und fühlte, wie die Felsen erzitterten. Er hörte das Donnergetöse der Explosionen, das Rauschen der automatischen Löschanlagen und der Absaugpumpen. Beißender Ammoniakgeruch stieg ihm in die Nase. Dann schien er zu schweben, sich von der Gravitation der Kristallwelt zu lösen und in eine hell schimmernde Wolke hineinzugleiten, in der es keinen Schmerz gab. Seine Muskeln entspannten sich, die verkrümmte Wirbelsäule schien sich wieder strecken zu können.
Die Schläge trafen ihn hart. Er fühlte sich zu Unrecht bestraft, und er versuchte, sie abzuwehren, indem er die Arme hob und sie schützend vor das Gesicht hielt. »Gießen Sie ihm Wasser über den Kopf.« Axton wollte sich empört zur Seite drehen, als ihn der eiskalte Wasserschwall traf und endgültig aufweckte. Er fuhr hoch. Ungefähr zwanzig Arkoniden umstanden ihn, Merantor kniete neben ihm. »Also, Axton, was haben Sie sich dabei gedacht?« Seine Stimme ließ erkennen, dass er überhaupt nichts begriffen hatte. »Wo ist Larcenia Sammaron?« Axton blickte sich um, konnte aber nichts erkennen, weil die Mauer der Arkoniden zu dicht war. »Sie hat oben neben dem Methanarium gelegen.«
»Das haben Sie gesehen, und dennoch haben Sie geschossen?« Axton verlor zum ersten Mal die Beherrschung. »Ich will wissen, wo Larcenia ist!«, brüllte er Merantor an. »Haben Sie sie gerettet oder nicht? Antworten Sie!« Der Addag’gosta’athor blickte ihn so überrascht an, als sehe er ihn zum ersten Mal. »Sie ist in der Klinik. Es geht ihr gut.« »Na also. Warum sagen Sie das denn nicht gleich? Ich muss zu ihr.« »Warum?« »Sie verstehen überhaupt nichts! Ist Cokret aufgewacht?« »Natürlich nicht.« »Ich habe erwartet, dass er zu sich kommen würde, führen Sie mich zu ihm.« »Warum?« »Merantor, in dem zerstörten Methanarium war ein Methanatmer! Er verfügte über paranormale Kräfte, aber diese waren nicht sehr stark. So merkte niemand etwas. Eines Tages aber geriet Larcenia in die Nähe dieses Wesens. Sie hat ebenfalls Parafähigkeiten, ebenfalls geringe. Als sie jedoch in die Nähe des Methangeschöpfes kam, vereinigten sich beide Potenziale zu einem.« »Das ist blanker Unsinn.« »Warten Sie, bis Larcenia zu sich gekommen ist. Sie wird Ihnen alles bestätigen. Sie wird Ihnen sagen, dass der Fremde sie lähmte, aber ihren Geist nicht ausschaltete. So hörte Larcenia sozusagen mit, wie der Methanatmer telepathisch sondierte, als er auf den Offizier Cokret stieß. Dieser Mann verfügt über ein für die Methanatmer gefährliches Wissen. Ich vermute, dass es um einen Schlachtplan oder eine groß angelegte Strategie geht. Cokret durfte sein Wissen daher auf gar keinen Fall preisgeben, denn dann würden die Methans verlieren. Also versuchte das Wesen im Methanarium, Cokret
zu töten.« »Cokret ist nicht tot.« »Das weiß ich!«, brüllte Axton, ärgerlich über die Unterbrechung. »Larcenia hat es verhindert!« »Schluss jetzt. Ich habe keine Lust, mir einen derartigen Blödsinn noch länger anzuhören.« »Larcenia lag in einem ständigen Zweikampf mit dem Methanatmer«, fuhr Axton fort. »Die Auswirkungen davon haben wir alle gespürt. Es waren die Lichterscheinungen, die aufplatzenden Wände, die umstürzenden Tische und die tanzenden Feuer. Sie waren eine Randerscheinung des Kampfes zwischen diesen beiden unterschiedlichen Geschöpfen. Hätte sich Larcenia ihrem Gegner nicht entgegengestemmt, wäre Cokret längst tot. Ich vermute, dass sie diesen Kampf unbewusst fortsetzt. Deshalb ist es wichtig, sie aufzuwecken und ihr zu erklären, dass die Gefahr für den Offizier vorbei ist. Danach wird Cokret von selbst erwachen.« Merantor blickte ihn forschend an, war wieder unsicher geworden. »Was Sie da sagen, ist nicht ganz unlogisch.« Er gab seinen Männern einen befehlenden Wink. »Helfen Sie ihm, damit wir schneller vorankommen.« Jetzt endlich konnte Axton zum Methanarium hinaufsehen. Es war nur noch ein einziger Trümmerhaufen.
Larcenia war so erschöpft, dass sie nicht gehen konnte. Verwirrt blickte sie Merantor und Axton an, hatte Mühe, in die Wirklichkeit zurückzukehren. »Fahren Sie sie mit ihrem Bett zu Cokret hinüber«, empfahl Axton. »Je schneller, desto besser.« Merantor gab die Versuche auf, Larcenia davon zu überzeugen, dass alle Gefahr für sie vorbei war. Ein Roboter schob das Bett mit dem Mädchen aus dem Raum und über
einen langen Flur in das Krankenzimmer des Offiziers. Apprat Cokret lag noch immer starr und unbeweglich auf dem Lager. Als Larcenia ihn sah, weiteten sich ihre Augen. »Geben Sie ihn frei, Larcenia«, sagte Axton eindringlich. »Wir müssen wissen, welche Informationen er für uns hat. Der Methanatmer kann ihn nicht mehr töten.« »Wirklich nicht?« »Ich habe ihn erschossen.« Das Mädchen seufzte, sank ins Bett zurück und schloss die Augen, der Körper entspannte sich. Unmittelbar darauf begann sich Cokret zu bewegen, warf den Kopf unruhig hin und her, richtete sich dann ruckartig auf. Er blickte fragend von einem zum anderen. Drei hohe Orbtonen der Raumflotte betraten das Krankenzimmer. Merantor ging sofort zu ihnen und unterhielt sich flüsternd mit ihnen. Dann kam er zusammen mit ihnen an das Bett, in dem Cokret lag. »Es ist alles in Ordnung, Cokret.« »Ich war doch eben noch im Schiff. Was ist passiert? Wer hat mich aus dem Schiff geholt? Ist es abgestürzt?« »Diese Fragen werden wir Ihnen später beantworten. Berichten Sie, was Sie von den Plänen der Methanatmer erfahren haben.« Cokret fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Plötzlich war er hellwach. Geradezu erregt informierte er die Militärs über einen Plan der Maahks, bei dem Axton nicht genau verstand, um was es ging. Zu viele unbekannte Bezeichnungen über kosmische Daten, Planeten und strategische Züge kamen darin vor. Die Offiziere hörten gebannt zu. Quertan Merantor zog Axton zur Seite. »Mann«, sagte er. »Haben Sie das begriffen?« »Nein«, gestand Axton. »Hätte Cokret noch einen Tag länger geschwiegen, wären
von den Methans mehr als zweitausend Raumschiffe des Flottenstützpunkts Trantagossa in eine tödliche Falle gelockt worden. Ahnungslos wären diese Einsatzgeschwader in den Untergang geflogen. Ich glaube, Axton, wir müssen uns mal in Ruhe unterhalten.« Die Orbtonen verließen den Raum, hasteten förmlich hinaus, um die Informationen an das Flottenzentralkommando weiterzugeben. Axton zuckte innerlich zusammen, erinnerte er sich doch plötzlich daran, dass es am 2. Prago der Prikur 10.498 da Ark zum Großangriff auf Trantagossa kommen würde – mit fatalem Ausgang für das Große Imperium. In dreizehn Pragos … »Und dann ist da noch etwas«, rief Cokret, doch die Orbtonen hörten ihn nicht mehr. »Was?«, fragte Merantor. »Ich habe erfahren, dass es auf Arkon Eins eine Gruppe wichtiger Persönlichkeiten gibt, die gegen Seine Erhabenheit arbeitet. Sie vertritt die Ansicht, dass er zu Unrecht …« »Was sagen Sie da?«, forschte der Polizeipräsident zornig. »Merantor, nicht ich bin dieser Meinung, sondern diese Gruppe. Sie setzt sich für einen gewissen Atlan ein, der der Sohn Gonozals sein soll. Ich habe erfahren, dass diese Gruppe bald eine Aktion durchführen will, mit der Seine Erhabenheit gestürzt und dieser Atlan als Kristallprinz nach Arkon Eins geholt werden soll.« »Wer gehört zu dieser Gruppe?« Merantors Stimme war vor Erregung heiser. Cokret nannte die Namen. Lebo Axton kannte keinen von ihnen. Und dennoch traf ihn jeder Name wie ein Dolchstoß. Tränen stiegen ihm in die Augen. Keiner der Anwesenden wusste sie wirklich zu deuten. Axton war, als gleite er in einen Abgrund, vor dem ihn nichts mehr retten konnte. War er nicht in dieser Zeit, um Atlan zu helfen? Und was hatte er getan? Was hatte er erreicht? Zwar hatte er eine
Flotte und ihre Besatzung gerettet, aber er hatte den Mann, den er am meisten verehrte und bewunderte, um eine vielleicht einmalige Chance gebracht. Statt ihm zu nutzen, hatte er ihm geschadet. Axton hörte die Scherze und das Gelächter nicht, mit denen sich die Spannung bei den Arkoniden entlud. Er sah Jektor nicht, als dieser vor ihm stand und ihm dankte. Mit hängenden Schultern verließ er das Krankenzimmer, blieb erst stehen, als ihm Merantor den Weg verstellte. Der Polizeipräsident grinste ihn an, merkte nicht, wie es wirklich um Axton stand. »Ich habe einige Fehler gemacht«, gestand er ein. »Aber nun ist ja alles ausgestanden, Axton. Werden Sie mir verzeihen?« »Natürlich«, entgegnete der Verwachsene tonlos. »Ich möchte gern etwas gutmachen. Haben Sie einen Wunsch?« »Zwei. Rufen Sie Ternnan an, versöhnen Sie sich wieder mit ihm. Nun wissen Sie ja, dass er sich nicht über Sie lustig machen wollte.« »Einverstanden, Axton. Und was noch?« »Ich brauche Spezialklebstoff.«
Gentleman Kelly ruderte mit seinen Arm- und Beinstümpfen, als Axton vor ihm stand. »Was hampelst du denn herum?«, fragte der Terraner. »Hast du nervöse Zuckungen?« Er drehte den Roboter herum, sodass er ihm in die Quarzlinsen sehen konnte. »Du siehst aus wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und nicht wieder auf die Beine kommen kann. Wie fühlst du dich, Kelly?« »Du nimmst keine Rücksicht auf meine Psyche, Schätzchen.« »Ich habe Klebstoff mitgebracht. Damit werde ich dir dein Schandmaul verkleben. Merantor, mein Freund, hat mir
erklärt, dass niemand und nichts mehr lösen kann, was einmal mit diesem Zeug zusammengeheftet wurde.« »Du hast Karriere gemacht.« »Na ja. Man ist immerhin so weit, dass man mich nicht mehr für einen Partygag hält, und man will mich auch nicht mehr über den Haufen schießen. Jedenfalls nicht sofort. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich dich nicht immer mit mir herumschleppen muss.« »Ach Schätzchen.« Lebo Axton öffnete den Spezialbehälter mit dem Klebstoff. »Ein Wort noch, Kelly, dann ist es vorbei.« Der Roboter ruderte mit den Stümpfen. Axton griff nach den abgebrochenen Armen, bestrich die Bruchstellen mit dem Klebstoff, wartete einige Augenblicke und drückte sie an die Stümpfe. »Bleib ruhig liegen, Kelly. Bewegst du dich zu früh, verrutschen die Klebstellen, dann wirst du schief und krumm wie ich.« »Davon habe ich schon immer geträumt.« Der Roboter bewegte die Arme. »Stillhalten!«, brüllte Axton. »Wenn du willst, dass ich auch noch die Beine hole, bleibst du ruhig liegen. Verstanden?« »Ich habe es gehört und registriert, aber nicht begriffen.« »Das wirst du auch nie können. Dazu fehlt dir das Genialische.« Axton kreuzte die Arme vor der Brust. »Eigentlich siehst du so auch ganz hübsch aus. Ich werde deine Beine dennoch holen.« »Du machst mich glücklich, Schätzchen.« Axton knurrte nur, ging und kehrte wenig später mit den Roboterbeinen zurück.
18. Aus: Die Kunst des Krieges, Sunzi (auch Sun Dse und ähnlich geschrieben), um 500 v.Chr. Was den weisen Herrscher und den guten General befähigt, zuzuschlagen und zu siegen und Dinge zu erreichen, die außerhalb der Fähigkeiten gewöhnlicher Männer liegen, ist Vorherwissen … Deshalb der Einsatz von Spionen, von denen es fünf Klassen gibt … Eingeborene Spione zu haben bedeutet, sich der Dienste der Einwohner eines Landes zu versichern. Im Land des Feindes musst du Leute durch freundliche Behandlung für dich gewinnen und als Spione benutzen. Innere Spione zu haben bedeutet, die Beamten des Feindes zu benutzen …Auf diese Weise wirst du fähig sein, die Verfassung des feindlichen Landes zu erkennen und die Pläne zu erfahren, die gegen dich geschmiedet werden; und außerdem kannst du die Harmonie stören und einen Keil zwischen den Herrscher und seine Minister treiben … Übergelaufene Spione zu haben bedeutet, die Spione des Feindes zu fassen und sie für eigene Zwecke einzusetzen: Mit großen Bestechungsgeldern und großzügigen Versprechungen müssen sie aus dem Dienst des Feindes gelöst und veranlasst werden, falsche Informationen zurückzubringen und gleichzeitig gegen ihre Landsleute zu spionieren. Todgeweihte Spione zu haben bedeutet, gewisse Dinge öffentlich zum Zwecke der Täuschung zu tun und zuzulassen, dass unsere eigenen Spione von ihnen erfahren und sie, da sie hintergangen wurden, dem Feind berichten. Diese Dinge sind auf die Täuschung unserer eigenen Spione ausgerichtet und sollen sie glauben machen, dass sie unabsichtlich bloßgestellt wurden. Wenn diese Spione dann hinter den Linien des Feindes gefangen werden, geben sie einen völlig falschen Bericht ab, und der Feind wird sich entsprechend verhalten, nur um festzustellen, dass wir etwas völlig anderes tun.
Daraufhin wird man die Spione zum Tode verurteilen. Überlebende Spione sind schließlich jene, die Informationen aus dem Lager des Feindes zurückbringen. Dies ist die übliche Klasse von Spionen, die in keiner Armee fehlen darf … Die Spione des Feindes, die zum Spionieren zu uns kommen, müssen entdeckt, mit Geldbestechungen verlockt, fortgeführt und bequem untergebracht werden. So werden sie zu übergelaufenen Spionen und stehen uns zur Verfügung. Durch die Informationen, die der übergelaufene Spion bringt, können wir eingeborene und innere Spione anwerben … Seine Informationen machen es weiterhin möglich, den todgeweihten Spion mit falschen Informationen zum Feind zu schicken. Und schließlich kann durch seine Informationen der überlebende Spion zu bestimmten Zwecken benutzt werden. Ziel und Sinn der Spionage in allen fünf Erscheinungsformen sind, Wissen über den Feind zu erlangen; und dieses Wissen kann in erster Linie nur vom übergelaufenen Spion kommen. Er bringt nicht nur selbst Informationen, sondern er macht es auch möglich, die anderen Arten von Spionen vorteilhaft zu nutzen … So werden der erleuchtete Herrscher und der weise General die Intelligentesten seiner Armee als Spione einsetzen und auf diese Weise hervorragende Erfolge erzielen. Spione sind ein äußerst wichtiges Element des Krieges, denn von ihnen hängt die Fähigkeit der Armee ab, sich zu bewegen …
Arkon I: 27. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Vor kurzem noch glaubte Lebo Axton, es geschafft zu haben. Jetzt aber hing sein Schicksal schon wieder am seidenen Faden, sodass alle Ungewissheit wieder da war. In dieser Welt Orbanaschols III. schien es keine wirkliche Sicherheit zu geben. Axton saß in einem gepolsterten Sessel, der genau im Mittelpunkt eines kreisförmigen Raumes stand. Wandte er sich nach links, sah er eine wandfüllende Holoprojektion,
durch die er wie bei einem Fenster auf die parkähnliche Landschaft der Kristallwelt blicken konnte, aus der sich überall die trichterförmigen Gebäude erhoben, die für die arkonidische Architektur so typisch waren. Axton hatte Mühe, ruhig zu bleiben; die Situation war ihm unbehaglich. Er war allein in diesem Raum, der außer dem Sessel nur noch einen abgeschabten Hocker, einen Tisch und einige Projektionsgeräte enthielt. Er wusste nicht, was er hier sollte. Allzu gern hätte er mit Kelly gesprochen, aber er verzichtete darauf, weil er wusste, dass jedes seiner Worte abgehört werden konnte oder gar wurde. Ein offenbar äußerst wichtiger Mann von einem der Geheimdienste – TRC? TGC? Militärische Abwehr? Außenaufklärung? – hatte ihn nach den Vorfällen der letzten Pragos hierher in den Helsgeth-Kelch bestellt. Axtons Vermutung, dass Merantor neben seiner Tätigkeit als Polizeipräsident und jener als Katorthan’athor-moas des Sicherheitskomitees ausgezeichnete Verbindungen zu Geheimdienstkreisen hatte oder gar selbst dort eine Stellung innehatte, gewann neues Gewicht. Die Frage war, ob der Geheimdienstler eigenständig agierte, in Merantors Auftrag handelte oder ob er eine Anweisung von »noch weiter oben« hatte. Axton wartete seit mehr als einer Tonta. Allmählich wurde die Situation unangenehm. Er überlegte sich, wie er auf das Verhalten dieses Geheimdienstlers reagieren sollte. War herausgefunden worden, dass er ein Freund Atlans war? Oder sollte er sich sonst irgendwie verraten haben? Axton überlegte, während er sich Mühe gab, gelassen und ruhig zu erscheinen. Schritt für Schritt ging er die Ereignisse der letzten Pragos durch, kam jedoch nicht bis zum Ende, weil sich die Tür öffnete. Der Geheimdienstmann trat ein. Er war schlank, hatte ein schmales Gesicht mit tief liegenden Augen, die scharf zu
beobachten schienen. Das helle Haar reichte ihm bis auf die Schultern. Axton war ihm noch nie begegnet. Die Hände des Mannes bewegten sich nahezu ständig in der Nähe des Gürtels. Axton sah in diesem Verhalten kein Zeichen einer Unsicherheit, sondern den Ausdruck von übermäßiger Wachsamkeit. Dieser Mann ließ seine Hände stets nahe dem Kombistrahler und – sofern vorhanden – des Mikroprojektors zur Errichtung eines Individualschirms. »Es wird Zeit, dass ich mich Ihnen bekannt mache, Lebo Axton«, eröffnete er das Gespräch, ohne auch nur ein Lächeln anzudeuten. Er setzte sich auf den Hocker. »Mein Name ist Bure Fernstel.« »Sie haben mich lange warten lassen«, antwortete Axton kühl. Fernstel tat, als habe er die Worte nicht vernommen. »Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen. Sie haben ungewöhnliche kriminalistische Fähigkeiten. Das haben Sie bewiesen. Dadurch werden Sie für uns interessant.« Lebo Axton ließ sich nicht anmerken, was er fühlte; sein Gesicht hatte einen fast abweisenden Ausdruck. Er wollte nicht zu erkennen geben, dass er nur darauf wartete, für einen der Geheimdienste arbeiten zu können. Er schwieg und wartete ab, wobei er sich bewusst war, dass er eine Aufgabe, die ihm Fernstel stellte, nicht zurückweisen konnte. Eine Klarstellung, wen dieser genau mit »uns« gemeint hatte, blieb aus. »Ich bearbeite einen Fall, ohne entscheidend weiterzukommen.« Fernstel musterte Axton scharf. »Jetzt überlege ich, ob ich nicht Sie in diesen Fall einschalten kann. Die Ermittlungen könnten durch einen Außenstehenden ganz neue Impulse bekommen.« Jetzt war Axton hellwach. Keine Nuance in den Worten des Arkoniden entging ihm. Noch wusste er nicht, wie die
Geheimdienste auf sein Eingreifen reagiert hatten. Dort, wo die Agenten Orbanaschols versagt hatten, hatte er einen durchschlagenden Erfolg gehabt. Das konnte durchaus ihren Neid hervorgerufen haben und dazu führen, dass ihm eine Falle gestellt wurde, um ihn loszuwerden. »Berichten Sie, Erhabener.« »Gut.« Fernstel schien erleichtert zu sein. »Es geht um einen einflussreichen und bedeutenden Mann aus dem engsten Kreis des Imperators. Dieser Mann ist der Leitende Ingenieur des zurzeit wichtigsten Projekts von Arkon Drei.« Axton wusste sofort, was der Arkonide meinte. Es gab auf dem Kriegsplaneten nur ein Projekt, das wirklich von Bedeutung war: die Konzentration positronischer Elemente zu einem gigantischen Netzwerkkomplex, dessen Kern später einmal die Bezeichnung Robotregent oder Großer Koordinator tragen würde. »Gun Epprik ist schon fast so etwas wie ein Intimus Seiner Erhabenheit. Verstehen Sie? Einen Mann wie ihn anzugreifen oder auch nur zu verdächtigen ist, gelinde gesagt, gefährlich. Wer das tut, macht sich automatisch zum Feind des Imperators. Sie sehen, Lebo Axton, ich bin offen zu Ihnen. Ich verheimliche Ihnen das eigentliche Problem dieses Falles nicht.« »Ich bin überwältigt«, entgegnete Axton spöttisch, doch Fernstel verstand ihn nicht, sondern musterte ihn befremdet, fuhr dann jedoch fort, als sei nichts geschehen. »Thi-Laktrote Epprik ist ein Verräter. Er ist keineswegs so loyal, wie es den Anschein hat. Ich behaupte vielmehr, dass er ein Feind des Imperators ist.« »Was habe ich zu tun?« »Sie sollen beweisen, dass ich Recht habe.« Fernstel stand auf und ging zur holografischen Fensterfront. »Ihre Aufgabe ist es, Epprik des Verrats zu überführen.«
»Das wird nicht leicht sein.« »Habe ich das behauptet?« »Nein.« »Also gut. Axton, Sie kennen Ihre Aufgabe.« »Ich kenne sie und nehme den Auftrag an. Habe ich freie Hand, falls ich herausfinde, dass Epprik schuldig ist, sich jedoch – hm – gewisse Schwierigkeiten bei der Beweisführung ergeben?« Der Arkonide drehte sich um; zum ersten Mal sah Axton ihn lächeln. »Ich sehe, wir verstehen uns. Notfalls müssen die Beweise angepasst werden.« »Vielleicht wird das gar nicht nötig sein.« Axton triumphierte, ohne es sich anmerken zu lassen. Dieser Auftrag würde ihn in unmittelbare Nähe Orbanaschols bringen. Er würde Gelegenheit haben, einen der wichtigsten Männer des Großen Imperiums auszuschalten. Damit würde er Atlan helfen können, denn alles, was Orbanaschol schwächte, musste zwangsläufig den Kristallprinzen stärken. Ausgenommen jene Dinge, die das Wohl das Imperiums als Ganzes betrafen. »Wir werden Ihnen Starthilfe geben«, sagte der Arkonide. »Sie sollen keine Schwierigkeiten haben, in die Paläste der Mächtigen der Kristallwelt zu kommen. Ich lege Wert darauf, dass einem Mann wie Epprik so bald wie möglich das Handwerk gelegt wird.« »Gut. Und wie sieht es für mich aus, wenn ich den Fall gelöst habe?« »Ich verspreche Ihnen, dass es Ihr Schaden nicht sein wird. Gelingt es Ihnen, diesen Fall in unserem Sinne zu beenden, werden Sie keine Sorgen mehr haben. Der Höchstedle selbst wird Sie belohnen.« »Haben Sie Bilder von diesem Epprik?« »Selbstverständlich.« Bure Fernstel bewegte seine rechte
Hand; eine Projektion entstand. Der Günstling des Imperators war ein untersetzter, bullig wirkender Mann mit dünnem Haar. Das Gesicht war zerfurcht und ließ ihn älter erscheinen, als er tatsächlich war. Fernstel gab sein Alter mit 41 Jahren Arkon-Standardzeit an. »Gun Epprik gilt als gradlinig denkender Mann. Auf unbequeme Fragen schweigt er lieber, als zu lügen. Aber das ist nur seine Maske, hinter der er seine wahre Persönlichkeit meisterhaft verbirgt. Lassen Sie sich nicht täuschen.« Axton wartete auf weitere Informationen, aber Fernstel war nicht gewillt, sie ihm zu geben. Er vertrat die Ansicht, dass durch nicht bewiesene Aussagen eine Verfälschung eintreten konnte, die Axton bei seiner Untersuchung nur hinderlich sein würde. Axton sollte sich von Grund auf ein eigenes Bild machen – und er musste Fernstel zustimmen. Genau das hatte er vor und versuchte, unbefangen zu bleiben – sofern das angesichts des Auftrags an sich überhaupt möglich war. »Wir haben Ihnen eine neue Wohnung zugewiesen, die Sie fortan benutzen können. Darin finden Sie alle technischen Geräte, die Sie benötigen werden. Darf ich Ihnen noch einen Rat geben?« Axton blickte überrascht auf. »Natürlich. Ich bin für jede Hilfe dankbar.« »Sie werden heute Abend von mir zu einer gesellschaftlichen Veranstaltung begleitet werden, auf der der Adel vertreten sein wird. Sie sollten sich ein paar neue Kleider besorgen und den Roboter in Ihrer Wohnung lassen.« »Warum? Sie wissen, dass ich mich auf meinen eigenen Füßen kaum bewegen kann.« »Dann sollten Sie ein anderes Robotmodell wählen oder doch wenigstens einige Verschönerungen an diesem dort vornehmen. Ich könnte ihn für Sie mit Goldzeck überziehen lassen.«
»Das kommt nicht infrage«, sagte Axton heftig, seine Augen funkelten. »Kelly bleibt so hässlich, wie er ist.« »Meinen Sie nicht, dass …?« »Nein! Ich meine nicht.« Axton beherrschte sich nur mühsam, dachte überhaupt nicht daran, einen »schönen« Roboter neben sich zu dulden. Er hatte lange genug in einer perfekten Vollprothese gelebt und wollte nicht, das irgendjemand etwas an Kelly bewunderte. Für Augenblicke überlegte er sich ernsthaft, ob er es sich leisten konnte, den Roboter zu demontieren. Dann siegte die Vernunft. Er wusste, dass er ohne den Roboter tatsächlich ziemlich hilflos war. Und es war nicht irgendein Roboter. Axton rutschte vom Sessel und befahl Kelly mit einer Geste, sich vor ihm hinzuknien. Der Wangen des Verkrüppelten verfärbten sich dunkelrot vor Anstrengung, als er auf den Rücken der Maschine stieg. Er rang keuchend nach Luft und warf dem Geheimdienstmann böse Blicke zu, weil dieser ihn ungeniert beobachtete. »Auf den Körper kommt es nicht an«, sagte er mit pfeifender Stimme. »Allein der Geist entscheidet. Wohl jener Zivilisation, die so denkt. Und wehe jener, die sich ihr Urteil aufgrund der äußerlichen Erscheinung bildet.« »Auf dem Dach parkt ein roter Gleiter. Er ist auf Ihre neue Wohnung am Jorain-See programmiert. Sie brauchen nur einzusteigen. Auch das Flugprogramm für heute Abend ist gespeichert; steigen Sie einfach zur sechzehnten Tonta ein.« Also verwanzt, dachte Axton; laut sagte er: »Danke.« Er dirigierte den Roboter zum Ausgang. Bure Fernstel folgte ihm und hielt dem Verwachsenen eine kleine Plastikkarte hin. »Die Fahndungsbehörden haben aufgrund Ihrer Leistungen eine Belohnung überwiesen. Mit dieser Karte haben Sie Zugriff auf das Konto und können jederzeit davon abheben, was Sie benötigen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Sie nach Abschluss des Epprik-Falles ebenfalls eine gewisse Summe auf
diesem Konto vorfinden werden. Des Weiteren dient die Karte zu Ihrer Legitimation; im Positronikchip sind auch wichtige Visifonnummern gespeichert, unter anderem meine.« »Wie viel Zeit habe ich?« »Wir setzen Ihnen keine Frist. Das wäre angesichts dieses Falles wohl auch töricht. Aber wir erwarten, dass Sie zügig arbeiten und uns ständig über Ihre Fortschritte unterrichten.« »Das ist selbstverständlich.« Lebo Axton steckte die Karte in die Jackentasche und trieb den Roboter aus dem Raum, ohne sich durch mehr als eine knappe Geste von Fernstel zu verabschieden. Absichtlich vermied er alles, was der Arkonide als Unterwürfigkeit auslegen konnte.
Die Wohnung befand sich in einem modernen, aber eher kleinen Trichtergebäude am Rand des lang gestreckten JorainSees, knapp zweihundert Kilometer südlich des Hügels der Weisen. Nahezu sockellos schwang es sich in eine Höhe von etwa fünfzig Metern auf und erreichte oben den gleichen Durchmesser. Zur Jorain-Gruppe gehörten insgesamt 24 vergleichbare Gebäude. Die Wohnung in halber Trichterhöhe bestand aus einem geräumigen Salon, einem Schlafraum, einem Hygieneraum und einer Essnische – alles in allem rund hundert Quadratmeter. Hinzu kam der Ausgang zur bewachsenen Terrasse mit Blick auf das Trichterinnere. Schließlich gab es noch einem Nebenraum, in dem allerlei Geräte abgestellt waren. Letztere untersuchte Axton zuerst und fand alles, was er benötigte. Sogar ein ultraleichter Nadelstrahler auf Thermobasis war vorhanden, den er mühelos unter der Kleidung tragen konnte. Weiterhin waren vor allem Observationsgeräte vorhanden, die von erstaunlicher Qualität waren – gemessen am von der USO
gewohnten Standard. Axton wunderte sich darüber, wie winzig manche Apparaturen waren, denn einige hätten der siganesischen Mikro- und Nanotechnik entstammen können. Siganesen gab es natürlich noch nicht, wohl aber einige Fremdvölker im Tai Ark’Tussan, die durchaus vergleichbare Leistungen erbrachten. Axton ging davon aus, dass Wohnung und Kommunikationsgeräte überwacht wurden. In der Essnische nahm er etwas gegrilltes Fleisch zu sich – jedenfalls behauptete das die Aufschrift der Vakuumverpackung des Kühlschranks. Roboter Kelly stand in seiner Nähe und blickte ihm schweigend zu, bis der Verwachsene wütend auffuhr. »Verschwinde, du Satansbraten! Aus den Augen! Geh in die Kammer und bleib dort, bis ich dich rufe!« »Du gehst nicht gerade freundlich mit mir um. Aber ich gehorche.« »So, du gehorchst also. Wie überwältigend. Ich würde dich beim ersten Anzeichen von Ungehorsam augenblicklich zerstrahlen.« »Ich werde dich bei deiner offenbar notwendigen psychosomatischen Relaxationsphase nicht stören, Schätzchen.« »Du unverschämter Lümmel.« Axton schleuderte ein Stück Fleisch nach dem Roboter und traf ihn exakt am Kopf, da Kelly keinerlei Anstalten machte, auszuweichen. »Ich gab dir den Befehl zu verschwinden, du Missgeburt von einem Schrottplatz. Keine Diskussionen. Und ich verbiete dir, Bezeichnungen wie Schätzchen, Liebling und …« »Herzchen?«, half Kelly aus. »Ruhe!« Axton rutschte vom Hocker, hämmerte mit bloßen Fäusten Kelly gegen den Rumpf. »In die Kammer!« Der Roboter marschierte los und blieb neben den Geräten stehen. »Knie dich hin.«
Als Kelly diesem Befehl nachgekommen war, öffnete der Verwachsene eine Klappe am ovalen Rumpf und drückte einige Tasten. »So«, sagte er befriedigt. »Dein Schandmaul hat Pause.« Er drehte sich um, schloss hinter sich die Tür und setzte seine Mahlzeit fort. Allerdings behagte ihm nach einiger Zeit die Ruhe in der Wohnung auch nicht. Er ging zum TrividProjektor und schaltete ihn ein. Arkon-Vision brachte einen Bericht über eine Schlacht mit den Methanatmern. Der Methankrieg hatte wieder einmal zahlreiche Opfer gefordert. Zwar waren neunzehn Walzenschiffe des Gegners zerstört worden, aber das Große Imperium hatte ebenfalls zwölf Raumer mitsamt ihren Besatzungen verloren. Dennoch sprach Arkon-Vision von einem großartigen Erfolg. Ein verloren gegangenes, offenbar recht wichtiges Sonnensystem war zurückerobert worden. Danach folgte ein Bericht über eine Reihe von Orbtonen, die wegen ihrer Kriegsleistungen von Orbanaschol III. ausgezeichnet wurden. Lebo Axton eilte zur Kammer und aktivierte den Roboter. »Merk dir die Namen. Ich will, dass du diese Informationen speicherst.« Axton verzehrte die Reste seiner Mahlzeit, während in der Salonmitte die große Holoprojektion leuchtete. Obwohl er ein ausgesprochen gutes Gedächtnis hatte, konnte er die Namen der Offiziere schon bald nicht mehr behalten. Es waren zu viele, ihre Leistungen zu unterschiedlich. Er war froh, dass er den Roboter hatte, gleichzeitig missfiel ihm, dass er in dieser Hinsicht auf das positronische Hirn dieser Maschine angewiesen war. Das Visifon sprach an; Axton dämpfte die Akustik des Trivids und nahm das Bildgespräch entgegen. Auf dem Monitor erschien das Gesicht eines völlig unbekannten Mannes; ein altes, von Narben gezeichnetes Gesicht, mit fanatischen Augen als Blickfang. Axton verspürte
auf Anhieb die Verachtung und die Ablehnung, die ihm entgegenschlugen. Der Anrufer fragte: »Sie sind Lebo Axton?« »Das lässt sich nicht leugnen.« »Wie ich erfahren habe, sind Sie eingeladen, an der Ebener Sonnenwette teilzunehmen.« »Das mag sein.« »Auf wen haben Sie es abgesehen?« »Wie bitte?« »Sie wissen schon, was ich meine.« »Ich muss gestehen, dass ich es nicht weiß.« »Axton, man spricht in den gehobenen Kreisen von Ihren Leistungen. Ihre kriminalistische Aktivität ist nicht unbekannt geblieben. Wenn Sie also an einer Veranstaltung wie der Sonnenwette teilnehmen, muss das einen Grund haben.« »Vielleicht«, erwiderte Axton ausweichend und spürte Unbehagen in sich aufsteigen. Natürlich hatte der Arkonide Recht. »Ich würde es begrüßen, wenn Sie mir sagen würden, wer Sie sind.« »Das werden Sie schon noch erfahren.« »Na schön. Dann werden Sie mir hoffentlich den Grund Ihres Anrufs nennen?« »Ich will Sie warnen, Axton. Sie wissen noch nicht viel über uns, als dass Sie es sich leisten könnten, in dieser Weise bei uns aufzutreten. Wir können gut und gern auf Sie verzichten.« »Ich verstehe nicht …« »Doch, doch, Axton, Sie wissen sehr wohl, was ich Ihnen damit sagen will. Sollten Sie heute Abend an der Sonnenwette teilnehmen, wird jeder, der mit Ihnen am Tisch sitzt, vermuten müssen, dass Sie beabsichtigen, in seinem Privatleben herumzusuchen. Glauben Sie, dass Sie sich damit Freunde machen?« »Sie irren sich gründlich. Es ist richtig, dass ich einen ungewöhnlichen Fall aufgeklärt habe – jedoch nur, weil ich
dazu gezwungen wurde. Mein Fachgebiet ist nicht die Kriminalistik, wie Sie glauben, sondern etwas ganz anderes. Von mir haben Sie nichts zu befürchten. Ich interessiere mich nicht für das, was Sie getan haben. Sollte es etwas geben, was Sie nicht vor dem Imperium verantworten können, ist das Ihre Sache. Mich lässt das kalt.« Axton schaltete die Verbindung ab, war bestürzt und beunruhigt. Bis jetzt hatte er sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie man seine kriminalistischen Aktivitäten in den Kreisen des Adels aufnehmen könnte. Dieses Gespräch hatte vieles geändert. Ihm war plötzlich klar geworden, dass er etwas übersehen hatte. In den vergangenen Jahrhunderten als USO-Spezialist war er stets nur in seiner Vollprothese aufgetreten; nur ein Gehirn, das von einem vollendeten Kunstkörper transportiert wurde. Eine bessere Maske als diese gab es nicht; er hatte sein Aussehen ständig verändern können, sodass es möglich gewesen war, sich selbst unter engen Freunden unerkannt zu bewegen. So hatte er kriminalistische Arbeit leisten können, ohne je Verdacht zu erregen. War er irgendwo erschienen, war niemand sofort auf den Gedanken gekommen, dass er wegen irgendeines Verdachts ermittelte. Die Situation hatte sich nun aber grundlegend geändert. Sein Ich befand sich wieder im eigenen Körper, der derart verunstaltet war, dass niemand ihn übersehen konnte. Wo auch immer er sich aufhielt – er musste auffallen. Er, der Zayna, der Krüppel. Axton blickte in einen Spiegel. Er war glücklich, wieder in diesem Körper leben zu dürfen, obwohl er in jeder Hinsicht unzulänglich war. Vorgewölbte Brust, mächtiger Schädel, vorquellende Augen, große abstehende Ohren, spitzes Kinn, dünnes Haar. Das linke Augenlid zuckte unkontrolliert, obwohl Axton nicht sonderlich erregt war. Vergeblich bemühte er sich, das Zucken zu unterbinden. Ruckartig
wandte er sich ab, als er ein Geräusch vernahm. Gentleman Kelly starrte noch immer zur Holoprojektion, hatte jedoch – wie auch immer – mit den Fingern geschnippt, um auf sich aufmerksam zu machen. »Was ist los?« Axton legte unwillkürlich die Hand auf den Nadelstrahler, den er hinter den Gürtel gesteckt hatte. »Der Anrufer war Ophma Talhud. Er gehört einer angesehenen Familie an; Großadel, viele Dom und Del. Das Khasurn-Oberhaupt hat einen Teil des Familienvermögens dem Imperium gestiftet, damit davon Kriegsschiffe gebaut werden können.« »Woher weißt du das?« Der Roboter deutete zur Projektion. »Ich habe es eben gehört.« »Aha.« Axton nickte schwermütig. Denn damit war, neben seinem Äußeren, das zweite Problem angesprochen, das er eindeutig unterschätzt hatte. Die arkonidische Aristokratie mit all ihren Feinheiten und Fallstricken. Kleine, Mittlere und Große Khasurn; 34 Adelstitel, jeder mit eigenen Gewichtungen, Privilegien und gesellschaftlichen Auswirkungen bis hin zur Form der Anrede. Einflüsse und Verbandelungen samt den damit verbundenen Emotionen, die unter Umständen über Jahrhunderte oder Jahrtausende zurückreichten. Theoretisches Wissen war das eine – nur half es wenig, wenn der Hintergrund nicht verinnerlicht war und wirklich gelebt wurde. Er seufzte, schob seine ID-Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz des Visifons und rief die Nummer von Bure Fernstel auf. Der Geheimdienstler meldete sich augenblicklich, als sitze er direkt am Gerät und habe nur gewartet. »Ah, Axton. Ich nehme an, Sie haben eine Frage?« »So ist es. Ich würde gern etwas über Ophma Talhud wissen. Und nicht nur das, was die allgemeine Infothek hergibt.«
»Ophma Talhud? Wir kommen Sie gerade auf diesen Mann?« Fernstel schien überrascht zu sein. Axton lächelte. »Ich schlage vor, wir unterlassen dieses Geplänkel. Sagen Sie mir lieber, was ich wissen möchte – und wissen muss.« »Ich verstehe Sie nicht.« »Doch, doch, Fernstel. Oder meinen Sie wirklich, ich wüsste nicht, dass Sie natürlich mein Visifon überwachen lassen? Sie sind inzwischen darüber informiert, dass Talhud mich angerufen hat. Sie wissen auch, was er wollte. Nun, wollen Sie mir immer noch nicht helfen?« Fernstel gab sein Versteckspiel auf, seufzte, wischte sich mit der Hand über die Augen und tat, als sei er müde. »Also schön. Ophma Talhud hat einen ausgezeichneten Ruf; gilt als ein Mann, der absolut loyal zu unserem Imperator steht und einen beträchtlichen Anteil seines Vermögens dem Imperium gespendet hat. Das ist jedoch nicht richtig! Talhud wurde überführt, Kontakte zu einer Gruppe unterhalten zu haben, die dem verunglückten Gonozal-Imperator nahesteht und den Khasurn der Gonozals an die Macht bringen will. Der Imperator hat sich mit Talhud dahin gehend geeinigt, dass die Öffentlichkeit nichts über diesen Verrat erfährt, aber ein Teil des Vermögens im Gegenzug an das Tai Ark’Tussan fällt. Statt Seiner Erhabenheit für diese großzügige Entscheidung zu danken, entwickelt Talhud nun Hassgefühle gegen den Höchstedlen. Er wird Ihnen nicht gefährlich werden; dafür sorgen wir schon. Sofern Sie geschickt genug vorgehen, wird Sie niemand mit uns in Verbindung bringen. Aber Sie werden ohnehin vorsichtig sein, sodass niemand merkt, welche Absichten Sie tatsächlich haben.« »Selbstverständlich.« Fernstel nickte ihm zu und schaltete ab. Nachdenklich ging Axton zu einem Sessel und setzte sich. Ihm war unvermittelt
klar geworden, dass er von Unterstützung zu erwarten hatte.
Bure
Fernstel
keinerlei
Wenige Meter unter der Gebäudeoberkante befand sich ein Kranz von Einschnitten im Trichter, in denen luxuriöse Gleiter geparkt waren. Auf den ersten Blick war daher zu erkennen, dass sich hier die vornehmsten und reichsten Frauen und Männer des Imperiums versammelten. Der Terraner flog mit seiner knallroten Maschine hinter einer anderen her und umkreiste den Trichter, bis auch er eine Lücke gefunden hatte. Regen trommelte auf die Scheiben und das Dach; im scharfen Nordwestwind war es gar nicht so leicht, den Gleiter manuell abzusetzen, ohne anzustoßen. Den Signalton des positronischen »Einweisers« dagegen ignorierte Axton standhaft; das gespeicherte Flugprogramm war mit der Ankunft bei diesem Trichtergebäude beendet. Als er die Aggregate endlich abschalten konnte, hatte sich ein unsichtbares Prallfeld aufgebaut, das das unangenehme Wetter fernhielt. Durch eine sich selbsttätig öffnende Tür erreichte Axton, der auf den Rücken Kellys gestiegen war, eine ringförmige Vorhalle, in der sich bereits zahlreiche Gäste versammelt hatten. Bure Fernstel erschien augenblicklich, als habe er nur auf ihn gewartet. »Kommen Sie, Axton. Es ist alles vorbereitet. Epprik ist schon da. Sie werden einen Platz in seiner Nähe haben. Unmittelbar neben Ihnen wird einer meiner Leute sitzen; er wird sich mit Ihnen unterhalten und Ihnen ermöglichen, relativ unauffällig in diese Kreise zu kommen.« Als sie sich einer der Haupttüren näherten, die zum Festsaal führten, fügte er hinzu: »Den Roboter werden Sie draußen lassen müssen.« Axton lachte leise. »Hörst du, du blecherne Missgeburt?
Kerle wie du sind an der Garderobe abzugeben.« Fernstel wandte sich ab und begrüßte einen hochgewachsenen Mann; diesen Augenblick nutzte Kelly für eine leise Antwort: »Wird es mein Schätzchen denn auch ohne mich schaffen?« »Lass mich absteigen, sofort!« Der Roboter kniete nieder, Axton stieg mühsam herab. Die psychologische Situation änderte sich damit grundlegend. Mit wem auch immer er in den nächsten Tontas sprechen würde, er musste zu ihm aufsehen. Axton merkte sofort, dass ihm diese Tatsache Schwierigkeiten bereiten würde. Er versuchte, die Minderwertigkeitsgefühle zu unterdrücken, die ihn übermannen wollten. Es gelang ihm nicht besonders gut. Welche Bedeutung auch die Arkoniden der körperlichen Größe beimaßen, merkte er sofort, als sich Fernstel wieder zu ihm gesellte. Jegliches Anzeichen von Achtung war aus seinem Gesicht gewichen. »Gehen wir.« Er wandte sich ab und betrat den Festsaal, in dem bereits mehr als hundert namhafte Persönlichkeiten des Großen Imperiums Platz genommen hatten. Die Frauen und Männer saßen an runden Tischen, die festlich gedeckt waren. Axton eilte keuchend hinter Fernstel her, seine unverhältnismäßig großen Füße schleiften über den polierten Boden. Er rang heftig nach Atem, während der Abstand zwischen ihm und dem Geheimdienstmann immer größer wurde, bis Fernstel endlich stehen blieb und sich nach ihm umsah. Der Arkonide war offensichtlich überrascht, wie weit Axton hinter ihm war. Seine Stirn krauste sich, während sich der Terraner förmlich an ihn herankämpfte. Axton war selbst diesen geringen körperlichen Anstrengungen nicht gewachsen – die erste Zeit auf Arkon III mit der dortigen um dreißig Prozent höheren Schwerkraft war eine wahre Tortur gewesen. Normalerweise trug er auch auf der Kristallwelt einen kleinen
Gravoneutralisator am Gürtel, doch zu diesem Fest hatte Axton ihn bewusst nicht mitgenommen. Als er den Arkoniden endlich erreichte, klebte ihm das dünne Haar schweißnass am Schädel. »Müssen Sie so rennen, als wollten Sie einen persönlichen Rekord aufstellen?«, zischte Axton zornig. »Ich hätte von Ihnen etwas mehr Höflichkeit erwartet.« Andere Frauen und Männer waren auf ihn aufmerksam geworden; die meisten waren Axtons Blick scheu ausgewichen. Einige flüsterten miteinander. Ein massiger Mann mit groben Gesichtszügen machte einen Scherz, der die Personen in seiner Umgebung zu einem gequälten Lächeln veranlasste. Bure Fernstel tat, als habe er Axtons Worte nicht gehört. Wortlos drehte er einen Sessel so zur Seite, dass sich der Verwachsene hineinsetzen konnte. Die Sitzfläche lag relativ hoch, wiederum hatte Axton Schwierigkeiten. Er musste leicht hochspringen und sich dann am Polster hochziehen; diesmal half ihm Fernstel unauffällig, ehe er den Sessel zur Tafel drehte. Nur ein Gesicht unter den Frauen und Männern war Axton bekannt – ihm direkt gegenüber hatte ein schlanker Arkonide Platz genommen, dessen Augen tiefrot waren. Avrael Arrkonta war als Nert-moas ein »Nert-Baron Erster Klasse«; im übertragenen Sinne konnte er also grob als »GroßBaron« eingeordnet werden, obwohl eine direkte Gleichsetzung mit terranischen Titeln schwer möglich war. Als Nert gehörte der Neunundfünfzigjährige zum Unteren Adel, auch Kator-Khasurn oder Kleiner Kelch genannt. Auf der linken Brustseite des schlichten weißen Anzugs sah Axton eine gelbe Sonnenscheibe mit zwölfzackigem statt nur glattem Rand, überdeckt vom Symbol eines Vulkanträgers. Arrkonta war nicht nur ein »Nert-Vulkanträger Erster Klasse« – ein Nert-Zhymthek’ianta-moas –, sondern auch als
hochdekorierter Orbton im Rang eines Has’athor als Admiral Vierter Klasse zu Recht ein Einsonnenträger. Er galt als Stratege von überragender Bedeutung. Ihm waren Siege in mehreren Schlachten mit den Methans zu verdanken. Lebo Axton neigte grüßend den Kopf, und Arrkonta erwiderte den Gruß ohne jedes abfällige Zeichen. Flankiert wurde der Mann allerdings von zwei schönen und jungen Frauen, deren Arroganz im krassen Gegensatz stand und kaum noch zu überbieten zu sein schien. Sie gaben sich den Anschein, als hätten sie Axton nicht bemerkt, streiften ihn aber wiederholt mit ebenso neugierigen wie verächtlichen Blicken, durch die sich der Verwachsene verletzt fühlte. In seinem Leben hatte es nie Liebe gegeben – im verkrüppelten Körper war er zu hässlich gewesen, um eine Frau gewinnen zu können, und als Vollprothesenträger hatten ebenfalls bei aller Vollkommenheit die Voraussetzungen gefehlt. Dabei bedeutete dem Mann die echte Zuneigung einer Frau unendlich viel mehr als alles andere in der Galaxis. Ebenso traf ihn aber auch die Verachtung einer Frau, weil sie ihm die ganze Unzulänglichkeit seines Körpers bewusst machte. Der neben Axton sitzende Arkonide verwickelte ihn wie angekündigt in ein Gespräch, in das sich bald auch Arrkonta einmischte. Axton bekam somit Gelegenheit, seinen überragenden Geist zu beweisen; es gelang ihm, alle Schwächen zu überwinden und eine intelligente Konversation zu entwickeln, die nicht nur Arrkonta begeisterte. Die Situation änderte sich jedoch, als kurz vor Beginn des Essens Ophma Talhud an den Tisch kam und sich auf den letzten, noch freien Platz setzte. Aus seinen Augen schlug Axton blanker Hass entgegen. »Darf ich die Damen und Herren darauf aufmerksam machen«, sagte Talhud zu allem Überdruss, als eine verführerisch duftende Suppe aufgetragen wurde, »dass Lebo
Axton ein ausgezeichneter Kriminalist ist? Wie ich erfahren habe, ist es ihm gelungen, Fälle aufzuklären, bei denen unsere Spezialisten vollkommen versagt haben.« Am Tisch wurde es still. Axton spürte, dass niemand diesen Mann mochte, dass sich alle gestört fühlten. »Es würde mich sehr interessieren, Axton, auf welcher Spur Sie jetzt sind. Wen von uns verdächtigen Sie? Sitzt der Täter oder – die Damen mögen verzeihen – die Täterin am Tisch?« Betretenes Schweigen lastete über den Versammelten. Axton sah, dass ihn Arrkonta verstohlen musterte. Er entschloss sich zum Angriff, wollte sich nicht alles verderben lassen, was er mühsam aufgebaut hatte. »Mein lieber Ophma Talhud«, sagte er zuckersüß. »Ihre nostalgischen Gonozal-Träume interessieren wirklich niemanden. Auch mich nicht. Sie können also ganz beruhigt sein. Niemand wird Sie bitten, auch noch den Rest Ihres Vermögens freiwillig zu spenden.« Talhud schossen die Tränen in die Augen; unübersehbares Zeichen seiner Erregung. Gleichzeitig wich alle Farbe aus dem Gesicht. Avrael Arrkonta lachte unterdrückt. »Da hat es ihnen mal jemand so gegeben, wie Sie es verdient haben, mein Freund. Ich würde mich vor weiteren ungehörigen Bemerkungen hüten; nicht nur Sie haben eine spitze Zunge.« »Entschuldigen Sie mich.« Talhud stand auf und eilte aus dem Festsaal.
Nach drei Tontas, in denen fortlaufend Speisen serviert wurden, löste sich die Tafel auf. Die meisten Männer wechselten in einen tiefer gelegenen Saal. Der von Fernstel abgestellte Mann begleitete Axton und warf ihm vor, als sie kurz unter sich waren, Talhud zu hart in die Schranken gewiesen zu haben. »Damit haben Sie sich einen erbitterten Feind geschaffen.«
»Das weiß ich selbst«, erwiderte Axton abfällig. »Die Zahl meiner Feinde wird auch in Zukunft nicht kleiner werden. Das stört mich nicht.« Wenig später gesellte sich Fernstel hinzu und führte Axton in einen abgedunkelten Raum, in dem etwa dreißig Arkoniden um schalenförmige Tische versammelt waren. Axton bemerkte, dass Epprik ebenfalls an einem der Tische saß. »Ich hoffe, Sie haben Glück«, sagte Fernstel und verabschiedete sich. »Danke.« Axton wartete etwas, ehe er sich einem Tisch näherte. Über ihnen schimmerten dreidimensionale Projektionen, in denen sich Raumflotten von winzigen Schiffen bewegten. Zunächst erschien alles recht verwirrend, doch Axton fand bald heraus, dass es sich um Strategiespiele handelte. Es konnte also nur Trimmon sein, das wegen seiner hohen Einsätze offiziell verboten war und eigentlich weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Kreis gespielt werden durfte. Die höchsten Adelskreise kümmerten sich jedoch augenscheinlich herzlich wenig um das Verbot und frönten ihrer Leidenschaft sogar unter den Celista-Augen des Geheimdienstes. Fasziniert verfolgte Axton den Kampf zwischen vier Arkoniden, von denen zwei den Part der Methans übernommen hatten. Diese vier Männer lieferten sich eine Raumschlacht, wie sie der Terraner noch nie erlebt hatte und bei der alle Waffen eingesetzt wurden, über die die Raumschiffe auch in Wirklichkeit verfügten. Immer wieder traten Denkpausen ein, in denen neue strategische Überlegungen angestellt wurden. Dann wieder zerfiel die Schlacht in hitzige Einzelgefechte, die jedoch im Grunde genommen nicht viel einbrachten, weder für die eine noch für die andere Seite. Axton versuchte mitzudenken, vorauszuplanen – und kam häufig zu völlig anderen
Entscheidungen als die Arkoniden. Mit Genugtuung stellte er fest, dass sich viele seiner Überlegungen und Züge als richtig herausstellten. Am Trimmon-Tisch jedenfalls wechselten große Geldbeträge schnell ihre Besitzer. Axton widerstand der Versuchung, sich an einem Spiel zu beteiligen. Seine Vermögensverhältnisse ließen kein hohes Risiko zu. Er bedauerte, dass das spielerische Genie eines Ronald Tekener nicht an seiner Seite war – wie in den vergangenen Jahrhunderten –, denn der auch als »Galaktischer Spieler« bezeichnete Freund hätte hier ohne Weiteres ein Vermögen gewinnen können. Langsam ging Axton zu anderen Tischen. Bedienstete reichten alkoholische Getränke, denen die Arkoniden zum Teil lebhaft zusprachen. Der Terraner trank nur wenig, zumal er merkte, dass die Wirkung beträchtlich war. Nach mehr als zwei Tontas – längst war der 28. Ansoor angebrochen – trat er endlich an jenen Tisch, an dem ThiLaktrote Gun Epprik mit einem älteren Mann spielte. Axton sah, dass Epprik bereits eine erhebliche Summe verloren hatte. Derzeit schien in der Mitte des Schalentischs ein blauer Planet zu schweben, der mit mehreren autarken Abwehrforts – sogenannten Wechtons – ausgerüstet war. In der Realität verfügten sie über Scheibenform mit Durchmessern von einigen Kilometern; zur Autarkie gehörte vor allem die Fähigkeit, entstehende Schäden robotisch aus eigener Kraft zu beheben. Zwei Kugelraumer kreisten ebenfalls im Orbit, während ungefähr fünfzig raketenförmige Raumschiffe angriffen. Epprik spielte die Rolle des Verteidigers der blauen Welt, deren Anblick Axton wehmütig an Terra denken ließ. Epprik war nicht mehr nüchtern und machte mehrere Fehler, die ihn ein Wechton und ein Schiff kosteten. Funken sprühend stürzte die Kugel auf den Planeten, raste auf eine dicht besiedelte Ebene zu und explodierte hier in einer pilzförmig
aufsteigenden grellen Wolke. Alles erschien so echt, dass Axton das Gefühl bekam, aus einem Raumschiff ein reales Geschehen zu beobachten. »Noch einmal tausend«, sagte Epprik. »Seien Sie vernünftig«, antwortete sein Gegenspieler. »Sie können nicht mehr gewinnen.« »Ich sagte tausend.« »Epprik, wollen Sie auch noch den Rest Ihres Vermögens verlieren?« Der Günstling Orbanaschols hob den Kopf. Axton sah, dass sich seine Augen heftig gerötet hatten. Der Ingenieur war betrunken. »Ich wiederhole: tausend!« »Die Schlacht ist bereits zu Ende. Sehen Sie das nicht?« »Sie haben noch lange nicht gewonnen.« Epprik griff nach dem Arm Axtons und blickte ihn an. »Sagen Sie doch auch etwas, Zayna. Los doch. Hat er gewonnen?« »Ich kenne mich zu wenig mit diesem Spiel aus, ThiLaktrote«, entgegnete Axton ruhig. »Die Situation erinnert allerdings an Siethold.« »Sie haben Recht«, sagte der Gegenspieler. »Sie haben vollkommen Recht. Das habe ich gar nicht bemerkt.« »Siethold. Soso.« Epprik winkte einem Bediensteten und bestellte neu. Dann sank er nach vorn und blickte auf die Szene. »Wollen Sie wirklich weiterspielen?« »Lassen Sie mich überlegen.« Der Bedienstete brachte ein Glas mit bläulicher Flüssigkeit. Epprik trank es in einem Zug leer und bestellte ein weiteres. Fast eine Dezitonta verstrich, ehe er sich aufrichtete und das zweite Glas austrank, das neben ihm abgestellt worden war. »Es bleibt bei tausend«, sagte er entschlossen. »Also, nehmen Sie an, oder geben Sie sich bereits geschlagen?« Der andere lachte. »Ich kann gar nicht mehr verlieren. Also
gut, Epprik, ich nehme an. Wenn Sie sich ruinieren wollen, ist das Ihr Problem.« »Greifen Sie an.« Der Gegenspieler schien noch nicht erkannt zu haben, dass Epprik durch das blaue Getränk wieder weitgehend nüchtern geworden war. Er ließ seine Raketenschiffe angreifen. Die Flotte drang schließlich in die Atmosphäre ein, wobei die Distanz zwischen den Einzelraumern immer geringer wurde. Epprik ließ im Gegenzug mehrere Forts auf einmal feuern. In der Glut der Impulsstrahlen explodierte das größte der gegnerischen Schiffe, das sich mitten im Pulk befand. Augenblicklich entstand größte Unordnung unter den Angreifern. Die positronisch gesteuerten Pseudotrümmer zerstörten mehrere kleinere Schiffe, deren Explosion sich wiederum auf weitere auswirkte. Nun jagte das letzte Kugelschiff Eppriks, das er vorher geschickt aus dem Gefecht gezogen hatte, aus dem Planetenschatten auf die Flotte der Raketen zu, während die Wechtons, unterstützt von Bodenforts, ihr Feuer verstärkten. Der Rückzug der Flotte kam viel zu spät. Bevor der Gegenspieler überhaupt begriff, dass der Ingenieur wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, hatte er über die Hälfte seiner Schiffe verloren. Mühsam und überhastet rettete er den Rest durch die Flucht in den freien Raum. Die Positronik spielte einige Zahlen- und Farbsymbole ein. Vor Wut und Enttäuschung fluchend, schob der Gegenspieler Eppriks einen hohen Betrag über den Tisch. Der Ingenieur steckte ihn schweigend ein. »Wollen Sie das Spiel fortsetzen? Wie wäre es mit einem Sturm von Bodenstreitkräften auf ein gut bestücktes Fort?« »Danke.« Das Gesicht des Gegenspielers war allzu deutlich von der Enttäuschung über die unerwartete Niederlage gezeichnet. »Ich möchte das Spiel lieber beenden; ich bin
erschöpft.« Epprik wandte sich an Axton. »Wollen Sie mit mir spielen?« »Bedaure, ich spiele grundsätzlich nicht.« Epprik lachte leise. »Sie haben Recht. Es wäre töricht, ein Duell mit Ihnen zu wagen. Sie würden mir keine Chance lassen.« »Sie übertreiben, Erhabener.« »Ganz sicher nicht. Ich möchte Sie zu einem Glas einladen. Darf ich?« »Gern.« Epprik begann eine Diskussion über eine Raumschlacht, die er verloren hatte, bevor der Verwachsene an seinen Tisch gekommen war. »Hätten Sie mir nicht den Tipp gegeben, wäre es abermals eine Niederlage geworden, obwohl das Problem gar nicht so schwierig war.« Er wechselte mit Axton in einen benachbarten, kleineren Raum; sie setzten sich an einen Tisch, an dem auch Avrael Arrkonta Platz genommen hatte. Schnell entwickelte sich ein zwangloses Gespräch. Axton wusste, dass Epprik nicht auf den Gedanken kommen würde, dass es ihm einzig und allein darauf angekommen war, ihn kennenzulernen. Von allein kam er auf das Projekt auf Arkon III zu sprechen, an dem er arbeitete. Nach seiner Fertigstellung würde das Ergebnis in vielen Jahrtausenden die Bezeichnung Robotregent erhalten und zeitweise die Macht über die degenerierten Arkoniden übernehmen, bis der in Orbanaschols Zeit verfolgte Kristallprinz Atlan als Gonozal VIII. seine Befähigung nachweisen und den Kristallthron besteigen sollte – doch das wussten sie in dieser Zeit natürlich noch nicht. »Interessiert Sie das Projekt?«, fragte der Ingenieur. »Sehr. Positronik ist ohnehin ein Fachgebiet, dass mich fasziniert.« »Ein Fachgebiet? Befassen Sie sich mit mehreren?«
Axton hätte sich in diesem Moment fast versprochen, immerhin hatte er die Geschichte der galaktischen Altvölker studiert. In dieser Zeit hier war damit etwas anderes gemeint, deshalb sagte er nach kurzem Zögern: »Unter anderem habe ich mich mit der arkonidischen Geschichte beschäftigt.« »Aha, daher der Tipp mit Siethold; geschah ja kurz nach den Archaischen Perioden.« Axton lächelte, gab aber keine direkte Antwort. Er wollte nicht von der Großpositronik ablenken. Ihm kam es darauf an, möglichst engen Kontakt zu Epprik zu bekommen, und das war letztlich nur über das Projekt auf Arkon III möglich. Epprik trank sein Glas leer. »Sofern Sie Lust haben, können Sie mich begleiten. Ich zeige Ihnen die Baustelle.« »Das würde mich sehr freuen, Erhabener.« »Gut, abgemacht. Sie fliegen morgen mit mir zum Kriegsplaneten. Ich lasse Sie vormittags abholen; geben Sie mir Ihre Adresse.« »Einverstanden – und danke.« Axton ließ sich seinen Triumph nicht anmerken. Der erste Kontakt war gelungen. Nun konnte er damit beginnen, weitere Informationen über den Günstling Orbanaschols einzuholen.
Lebo Axton atmete auf, als er wieder seine Wohnung erreichte. Mitternacht war lange vorbei, aber er war noch nicht müde. Zu viel war an diesem Abend geschehen. Er spürte, dass er sich dem Vorzimmer der Macht näherte. Epprik war ein bedeutender Mann, konnte vielleicht zu einer Schlüsselfigur im Garrabospiel werden. Die Möglichkeiten, die sich Axton unversehens boten, waren noch gar nicht abzusehen. Immerhin war es gelungen, in die Adelskreise vorzustoßen, in denen alle wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Die ersten Schritte waren getan, doch die Anfangskrise war noch
nicht überwunden. Axton glaubte nicht, dass sich Bure Fernstel bereits mit dem zufrieden geben würde, was er über den Ingenieur erfahren hatte. Die Fragen über Vergangenheit, Herkunft und Gesinnung würden weitergehen. »Ich habe Hunger«, sagte er. »Kelly, bring mir etwas Fleisch.« Als der Roboter zur Essnische ging, blinkte das violette Licht am Visifon auf, begleitet von an- und abschwellendem Summen. Axton schaltete das Gerät ein; auf der Projektionsfläche erschien das verkniffene Gesicht Talhuds. »Welche Ehre«, sagte Axton spöttisch. »Quatschen Sie nicht«, antwortete der Mann grob. »Ich muss mit Ihnen reden. Sofort. Ich hole Sie ab.« Damit unterbrach er die Verbindung, ohne Axton die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Kelly erschien mit dem Fleisch, das verführerisch duftete – obwohl es vermutlich nur Synthon war, erzeugt auf der Basis künstlicher Fotosynthese, in Brutreaktoren weitergezüchtet und mit diversen Geschmacks- und Duftstoffen verfeinert, ohne jemals Bestandteil eines lebenden Tiers gewesen zu sein. Der Terraner nahm das Stück entgegen und biss davon ab. Ungefragt brachte Kelly ein erfrischendes Fruchtsaftgetränk. Axton hatte kaum ausgetrunken, als der Türsummer erklang. Auf einen Wink Axtons öffnete der Roboter. Ein uniformierter Mann verbeugte sich. »Ich bin der Diener des Erhabenen Talhud«, sagte er höflich. »Ich habe den Auftrag, Sie zum Gleiter meines Herrn zu führen.« »Tun Sie das.« Axton winkte den Roboter heran und stieg auf dessen Rücken. Der Diener wollte etwas einwenden, doch der Verwachsene brachte ihn mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen. Ophma Talhud wartete in einem luxuriösen Gleiter auf dem
Parkdach, runzelte die Stirn, als er den Roboter sah, und rief ärgerlich aus dem offenen Seitenfenster: »Aus der Unterredung wird nichts, sofern diese Maschine dabei ist.« Axton veranlasste den Roboter, sich augenblicklich umzudrehen und den Rückweg anzutreten. Das gefiel dem Alten jedoch überhaupt nicht, sondern er schickte seinen Diener hinterher. »Ich soll Ihnen sagen, dass mein Herr unter Protest damit einverstanden ist, wenn der Roboter dabei ist.« Axton lenkte Kelly zum Gleiter, ließ ihn die Tür öffnen und befahl ihm, ihn auf den Sitz neben Talhud zu heben. Der Roboter setzte sich anschließend auf die hintere Bank und hielt die Tür zu, sodass der Diener draußen bleiben musste. Die Augen Talhuds tränten, als er bemerkte, was geschah. Axton befahl: »Starten Sie!« Der Arkonide gehorchte nach kurzem Zögern, schwang sich nach vorn und nahm hinter den Kontrollen Platz. Er hatte sich die Begegnung offensichtlich anders vorgestellt. Zudem schien er gewohnt zu sein, dass ihm jemand, der nicht zu den Kreisen der Edlen und Hochedlen gehörte, auf diese Weise begegnete. Die Tatsache, dass Axton nicht den geringsten Respekt vor ihm hatte, irritierte ihn sichtlich. »Also, was führt Sie zu mir?«, fragte Axton, als der Gleiter abgehoben hatte. »Ich will Ihnen meine Hilfe anbieten.« »Landen Sie da unten!«, forderte Axton in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er zeigte auf die Parklandschaft mit dem See. Talhud tat, was der Verwachsene verlangte, setzte die Maschine neben einem kleinen Wasserfall ab, der von einem Bach in den See stürzte. Axton stieg aus und befahl Kelly, in der Kabine zu bleiben, ging dann mit schleppenden Schritten zu einer Bank und stieg hinauf. Talhud folgte und blieb vor ihm stehen. »Ich bin mir darüber klar, dass es genügend technische
Möglichkeiten gibt, uns auch hier zu belauschen«, eröffnete Axton das Gespräch. »Das interessiert mich jedoch nur am Rande. Also, fangen wir noch mal von vorn an. Was wollen Sie von mir?« »Ich will Ihnen helfen.« »Erlauben Sie mir, dass ich schallend lache?« »Ich warne Sie, Axton. Ihre Ironie ich vollkommen fehl am Platz. Sie kennen Ihre Situation noch nicht. Sie wissen nicht, worauf Sie sich einlassen.« »Sagen wir, ich ahne es zumindest. Aber lassen wir das. Mich interessiert immerhin, warum ein Mann wie Sie mir seine Hilfe anbietet. Halten Sie mich für so naiv, dass ich Ihnen glaube?« »Warum nicht?« »Warum sollte ich?« »Weil es um meine Existenz geht. Ich kämpfe mit dem Rücken zur Wand. Wenn ich Ihnen meine Hilfe anbiete, tue ich das keineswegs, weil Sie mir sympathisch sind oder weil ich Sie aus anderen Gründen fördern möchte. Nein, mir geht es um meine Haut und meinen Kopf.« »Immerhin ein Argument.« »Ich war so töricht, Sie anzugreifen. Ihre Antwort hat mich schockiert; sie hat mir aber auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass ich mich überschätzt habe. Zunächst wollte ich Sie umbringen. Ich wollte Sie vernichten. Dann aber sah ich ein, dass Sie die Wahrheit gesagt haben. Sie haben mir klargemacht, dass ich längst an Einfluss, Ansehen und Macht verloren habe. Genau genommen bin ich in meinen Kreisen ein Zayna wie Sie, auch wenn man es mir nicht ansieht. Ich habe gegen Orbanaschol opponiert, und das in einer Weise, wie sie ungeschickter nicht hätte sein können. Das habe ich durch Sie begriffen. Auch, dass ich keine Chance habe, meine ursprüngliche Position wiederzugewinnen. Ich weiß jetzt, dass
für mich die letzte Tonta angebrochen ist. Orbanaschol will mich vernichten. Und Bure Fernstel ist sein Henker.« »Aha. Und wer sagt Ihnen, dass ich nicht das Schwert bin, mit dem Fernstel Sie hinrichten wird?« »Das glaube ich nicht. Ich spüre, dass es nicht so ist. Fernstel geht es um einen anderen. Ich habe Sie beobachten lassen. Sie haben mit vielen Leuten Kontakt gehabt, und Sie haben sich äußerst geschickt verhalten. Ich habe nicht herausgefunden, um wen es Ihnen geht.« Axton lachte ihm ins Gesicht. »Sie glauben noch immer, dass ich an einem Fall arbeite? Talhud, werden Sie vernünftig.« Der Arkonide ging nicht darauf ein. »Ich will Sie vor Fernstel warnen. Diesem Mann ist nicht zu trauen. Er ist brutal, rücksichtslos und verschlagen. Er würde seine eigene Familie ins Verderben stürzen, wenn es ihm politisch nutzen würde. Glauben Sie nur nicht, dass ich Ihnen das jetzt sage, weil ich ihn wegen jener Dinge hasse, die er mir angetan hat. Nein, ich möchte Sie nur warnen. Mehr nicht.« Lebo Axton blickte dem alten Arkoniden ins Gesicht. Ophma Talhud tat ihm leid. Im Grunde genommen hätten sie Verbündete sein können. Immerhin hatte er die Partei Gonozals VII. ergriffen und sich damit für eine Inthronisierung Atlans eingesetzt. Das hatte ihn einen Großteil seines Vermögens, seiner Macht und vor allem seines Stolzes gekostet. Die Schergen Orbanaschols hatten ihn gebrochen; er war nicht mehr der Mann, der er vorher gewesen war, sonst wäre eine Zusammenarbeit vielleicht möglich gewesen. »Ich bewundere Sie, Talhud.« »Warum?« »Weil Sie den Mut haben, mir das zu sagen. Woher wissen Sie, dass ich diese Worte nicht gegen Sie verwende? Wer sagt Ihnen, dass Sie Fernstel mir gegenüber derart charakterisieren dürfen, ohne dass es Sie den Kopf kostet?«
Der Augen des Mannes wurden feucht; er sagte mit belegter Stimme: »Ich weiß es nicht. Ich glaube aber nicht, dass Sie Bure Fernstels Mann sind.« »Gut. Machen wir einen Versuch. Ich möchte von Ihnen spätestens übermorgen einen detaillierten Bericht über Avrael Arrkonta haben.« Talhud fuhr erschrocken zurück. »Hinter ihm sind Sie also her?« »Sie sind ein Narr!« Axtons Stimme gewann an Schärfe. »Sie sollen nicht spekulieren, sondern Ihr Angebot erfüllen. Wenn Sie mir wirklich helfen wollen, geben Sie mir, was ich verlangt habe.« »Sie sind ein Schurke. Niemand hat Sie so zuvorkommend behandelt wie Arrkonta. Und ausgerechnet gegen ihn wollen Sie …« »Halten Sie den Mund! Geben Sie mir, was ich will – oder lassen Sie mich in Ruhe.« Die Augen des Alten funkelten vor Zorn. Axton blickte ihn forschend an. Dann schüttelte er vorwurfsvoll den Kopf. »Wie kann man sich nur so verrennen? Wenn ich mich auf jemanden stützen will, muss ich etwas von ihm wissen. Nicht immer holt man über einen Gegner Informationen ein.« Jetzt begriff Talhud; sein Gesichtausdruck hellte sich merklich auf.
19. Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi, SonthraxBonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ)
… hatte sich im September 2102 Arkon III in einen undurchdringlichen Energieschirm gehüllt. Perry Rhodan schickte Gucky zum Kriegsplaneten und veranlasste, dass der für die Waffensysteme der DRUSUS verantwortliche Captain Markowski den Fiktivtransmitter des Flaggschiffs im gleichen Augenblick aktivierte, in dem der Mausbiber teleportierte. Unterstützt durch den Fiktivtransmitter, konnte Gucky Arkon III erreichen, weil das Transmitterfeld ihn erneut entmaterialisierte, nachdem er für eine Sekunde vor dem fremden Schirm wieder körperlich geworden war. Irritiert entdeckte der Ilt auf dem eigentlich völlig überbauten Kriegsplaneten eine naturbelassene Landschaft mit Felsen, Wald und einem Bach. Einem telepathisch mitgehörten Gespräch zwischen Imperator Metzat III. und dem Flottenkommandanten Mascant Gagolk entnahm er, dass in zwei Tagen eine neu entdeckte Welt angegriffen werden solle, vor deren Bewohnern angebliche Kolonialarkoniden gewarnt hatten. Nachdem er vergeblich nach dem Robotregenten gesucht hatte, brachte Gucky den arkonidischen Offizier Tanor in seine Gewalt und ließ sich von ihm zum Raumschiff der angeblichen Kolonialarkoniden führen. Es handelte sich um das akonische Schiff, das zwei Kilometer unter der Planetenoberfläche in einem Hangar eines Hochplateaus stand. Gucky begriff, dass es sich um einen Zeitumformer handelte – den sogenannten Epotron – mit dem die Akonen Arkon III um rund 15.000 Jahre in die Vergangenheit versetzt hatten, und dass der Planet, der in zwei Tagen angegriffen werden sollte, die Erde war. Indem er in einen Aufklärer teleportierte, der den Kriegsplaneten verließ, konnte der Mausbiber in die DRUSUS zurückkehren und Perry Rhodan informieren … … teleportierte Gucky nach einem erneuten Eindringen in das Zeitfeld zu dem akonischen Raumschiff und deponierte eine Zeitzünder-Bombe auf dem Zeitumformer, während der Schwere Kreuzer Arkon III umkreiste. Mit der Explosion der Bombe löste sich das Zeitfeld auf, und das Arkon III der Gegenwart tauchte wieder auf. Genau wie in den zuvor ermittelten Daten der arkonidischen
Historie ermittelt, hatte »ein fremdes Raumschiff Arkon III angeflogen, den Kriegsplaneten zweimal umkreist und einen zwei Kilometer tiefen Explosionskrater zurückgelassen«. Genau an dieser Stelle entstand dann später die Großpositronik … … wurde Carbá aus der unbedeutenden Familie der Minterol, wegen verbrecherischer Intelligenzsteigerung im Psychoduell gegen Atlan gemäß Katastrophenprogrammierung Epethus erfolgreich, am 3. Dezember 2105 als Imperator Minterol I. eine akonische Marionette, stand aber dicht vor dem psychischen Zusammenbruch; der Robotregent war unfähig, zwischen gewollten und aufgezwungenen Anweisungen Carbás zu unterscheiden, tatsächlich unterstand er fortan dem Regime von Akonen und Antis/Báalols. Am 10. Februar 2106 drang ein terranisches Kommando an Bord der nachgebauten SOTALA unter Benutzung des akonischen Epotrons in die Zeit des Imperators Tutmor VI. vor (der echte Schwere Kreuzer wurde vernichtet); Ziel war die Platzierung einer Zeitzünder-Bombe im Robotregenten. Atlan trat 13.971 da Ark in der Maske des Kommandanten Tresta da Efelith der OriginalSOTALA auf. Ka‘Marentis Epetran aus der altehrwürdigen Familie der Ragnaari galt als einer der fähigsten Wissenschaftler der arkonidischen Geschichte, leitete zu dieser Zeit die letzte Aufbaustufe des Robotregenten und konstruierte unter anderem die Sicherheitsschaltung A-1 – einschließlich der Senekha genannten Zusatzprogrammierung, der Atlan die Ausschaltung des Großen Koordinators Anfang April 2044 verdankte. Atlan und Rhodan wurden bei der direkten Begegnung von Epetran am 26. Prago des Ansoor 13.971 da Ark (= 15. Februar 3917 v.Chr.) auf paranormal-paramechanischer Ebene getestet – er war nicht nur Inhaber eines aktivierten Extrasinns, sondern sogar ein paranormal Begabter! –, sie waren für eine halbe Minute in Trance, und Epetran gelang die umfassende Auswertung des aufgenommenen Parapsychogramms. Wie die am 15. Februar 2106 abgespielte Aufzeichnung bewies, erkannte Ka‘Marentis Epetran die wahre Identität seiner Besucher als Zeitreisende und schloss die
sich durch die gewonnenen Kenntnisse ergebende Zeitschleife: Epetran entfernte in Kenntnis der Entwicklung nicht nur die von den Zeitreisenden deponierte Bombe und programmierte die sogenannte Irrsinns Schaltung, sondern als Teil der Sicherheitssektion A-1 auch die Sicherheitsschaltung Senekha sowie die Katastrophenprogrammierung Epethus. Dank des genialen Chefwissenschaftlers wurde die Gefahr beseitigt, der Robotregent vernichtete sich selbst …
Arkon I: 28. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Epprik hielt Wort. Der Thi-Laktrote ließ Lebo Axton abholen und zu einem Raumhafen bringen, wo er bereits in einem startbereiten Ultraleichtkreuzer auf ihn wartete. Er begrüßte den Verwachsenen freundlich und ohne jedes Zeichen von Herablassung oder Überheblichkeit. Ganz offensichtlich fühlte er sich in seiner Position als Leitender Ingenieur des Robotgehirnprojekts auf dem Kriegsplaneten absolut sicher. Während des Fluges nach Arkon III, den die Männer in einer Luxuskabine verbrachten, ließ sich Epprik über Axtons kriminalistische Arbeit im Squedon-Kont-Viertel informieren. Axton war wenig überrascht, dass Epprik darüber informiert war – immerhin waren Edle und Hochedle betroffen gewesen –, konnte einem Gespräch über dieses Thema jedoch nicht ausweichen. Er nutzte es, um den Ingenieur zu beobachten, und wurde sich dabei bewusst, dass dieser wirklich ahnungslos war. Axton musste nach wie vor von der Voraussetzung ausgehen, dass Epprik ein Verräter war. Das war die Basis seiner Ermittlungen. Ohne sie hätte Bure Fernstel keinen Grund gehabt, ihn auf Epprik anzusetzen. Der Ingenieur verhielt sich jedoch nicht wie jemand, der etwas zu verbergen hatte. Der Kosmokriminalist fragte sich deshalb, ob sich der
Mann tatsächlich so sicher fühlte, dass er noch nicht einmal auf den Gedanken kam, er könne überprüft werden. Je länger das Gespräch dauerte, desto mehr wuchs die Überzeugung, dass es nur so sein konnte. Fernstel hatte Axton allzu deutlich gewarnt; es war bereits lebensgefährlich, Epprik überhaupt zu verdächtigen! Axton war kaum zu dieser Erkenntnis gekommen, als der Ingenieur sagte: »Ich muss Ihnen übrigens noch danken, weil Sie mich vor einer Dummheit bewahrt haben.« »Hätte diese Sie wirklich arm gemacht?« Er lächelte, um Epprik zu zeigen, dass er alles glaubte, nur das nicht. »Manche Leute glauben das.« Epprik schüttelte den Kopf. »Aber sie irren sich.« Er stand auf und eilte zur Kabinenbar, nahm mit schwerfälligen Bewegungen zwei Gläser und einen Kühlbehälter, schenkte Axton ein halbes Glas voll ein und bat ihn, das Getränk zu probieren. »Gern. Es ist hoffentlich nichts Hochprozentiges?« »Keine Sorge; ich habe nicht vor, uns in eine leichtsinnige Stimmung zu bringen.« Axton beobachtete ihn, wie er das zweite Glas füllte. Der Gesichtsausdruck des Mannes sagte ihm alles. Epprik konnte ein Vermögen verspielen, ohne deshalb arm zu werden. Zwischen ihm und Orbanaschol gab es eine geheimnisvolle Verbindung, die Epprik erlaubte, praktisch alles zu tun, ohne sich dafür verantworten zu müssen. War es das Projekt auf Arkon III? Beabsichtigte Orbanaschol, seine Macht mithilfe des Ingenieurs derart zu festigen, dass sein Khasurn niemals durch die Gonozals oder den anderer Hochedler gefährdet wurde? Die geschichtliche Entwicklung zeigte, dass der spätere Robotregent in der Tat zu einem beispiellosen Machtfaktor im Großen Imperium geworden war, wenn auch erst durch die letzte Ausbaustufe unter der Regie von
Ka’Marentis Epetran. Unwillkürlich fragte sich Axton, ob das auch ohne die jetzige Grundlage so geschehen würde. Und wieder einmal stellte sich ihm die entscheidende Frage: War die ihm bekannte historische Entwicklung ohne sein Auftreten im Großen Imperium verlaufen – oder wurde der Weg der terranischen Menschheit zu den Sternen erst möglich, weil er Atlan in dieser Zeit Hilfe leistete? Unabhängige Entwicklung oder Zeitschleife? Axton fühlte, dass er vor einem Abgrund unlösbarer Fragen stand. War seine jetzige Existenz real? War sein Körper nur Bestandteil eines Traumszenarios? Oder lebte sein »projizierter Körper« tatsächlich in der Vergangenheit zur Zeit Orbanaschols? Fest stand, dass er bereits Einfluss auf gewisse Ereignisse genommen hatte – und Epprik eröffnete ihm weitere Möglichkeiten von vorläufig noch unüberschaubarer Weite. Dessen wurde sich Axton erst im Verlauf des Fluges nach Arkon III so richtig bewusst. Seine Gedanken überschlugen sich; er hatte Mühe, sich auf das Gespräch mit Epprik zu konzentrieren. Das wurde erst besser, als der Ingenieur zu seinem Lieblingsthema kam, »Niemand kann sich heute vorstellen, was dieses Bauvorhaben bedeutet, Axton. Auf Arkon Drei entsteht ein Riesenhirn von Dimensionen, wie es das Universum bis jetzt noch nicht gekannt hat. Die positronische Robottechnik befindet sich auf einem Höhepunkt, den vor Jahren noch niemand für möglich gehalten hat. Auf Gor’Ranton entsteht ein positronischer Gigant, der das Imperium für alle Zeiten zu einem unschlagbaren Machtfaktor machen wird. Ein auf Jahrtausende ausgerichtetes Projekt!« »Niemand kennt die Zukunft.« »Doch, Axton. Ich kenne sie.« Epprik widersprach voller Begeisterung. Axton war sich plötzlich sicher, einem besonderen Mann
gegenüberzusitzen. Er war ein Visionär und hatte die Fähigkeiten, seine Visionen umzusetzen – genau wie später auch Epetran. Epprik ließ sich von seiner Begeisterung mitreißen, kündigte manches an, was sich – wie der Terraner wusste – bewahrheiten sollte. »Ich will nicht verschweigen, dass sich gewisse Anzeichen einer beginnenden Degeneration unseres Volks zeigen. Die Taion-KSOL wird auch benötigt, um die Situation zu meistern, die sich daraus ergeben könnte. Es muss und wird das Tai Ark’Tussan durch eine mögliche Zeit der Schwäche zu neuen Höhen führen.« Axton ließ sich von Eppriks Begeisterung anstecken, schließlich kannte er die arkonidische Geschichte und wusste, dass es ein Terraner namens Perry Rhodan sein würde, der das Erbe der Arkoniden antrat. War es möglich, dass er nicht nur der Wegbereiter für Atlan, sondern auch für Rhodan sein würde? Kaum hatte Axton diesen Gedanken gefasst, verwarf er ihn wieder energisch. Ein Mann in seiner Situation konnte kaum einen gefährlicheren Fehler begehen, als in Träumereien zu geraten und dabei die Realitäten zu übersehen. Er wäre Wahnwitz gewesen, unter diesen Umständen zu intensiv an Ereignisse zu denken, die sich erst in zehntausend und mehr Jahren abspielen würden. Unwillkürlich fühlte sich Axton daran erinnert, dass zu diesem Zeitpunkt, an dem er zusammen mit Epprik nach Arkon III flog, auf der fernen Erde die ersten echten Kulturen entstanden. Noch war Atlantis – nach Atlan benannt! – nicht untergegangen. Epprik sprach begeistert weiter, zeichnete die Möglichkeiten eines positronischen Riesengehirns dieser Art auf. Je länger der Flug dauerte, desto mehr erfuhr Axton über das Projekt. Allmählich erkannte er, warum der Ingenieur bei Orbanaschol so hohes Ansehen genoss. Auf den genialen Mann stützte der Imperator seine Hoffnungen; er war einer der Grundpfeiler,
auf denen er seine weitere Macht errichten wollte. Ihn zu stürzen würde schwer, wenn nicht unmöglich sein. Obwohl ihm Epprik durchaus sympathisch war, stand für Axton fest, dass er seinen Auftrag ausführen würde. Ihm blieb keine andere Wahl. Bure Fernste!, der Mann, der im Hintergrund blieb, zwang ihn aus einer Position eindeutiger Überlegenheit, das zu tun, was er ihm aufgetragen hatte. Fast bedauerte Axton es, als das Raumschiff auf dem Kriegsplaneten landete. Gern hätte er Epprik noch länger zugehört und mehr erfahren. So aber musste er ihm in einen Gleiter folgen, in dem bereits mehrere Assistenten warteten. Axton justierte den Gravoneutralisator seines Aggregatgürtels auf 0,9 Gravos. Schon nach kurzem Flug kam die riesige Baustelle im Zentrum des von den Landefeldern des AYAZentralraumhafens umgebenen Areals in Sicht. Über viele Quadratkilometer gab es tiefe Ausschachtungen, in denen Sockel und Kugeleinheiten aus Arkonstahl entstanden. »In vielen Bereichen sind bereits Positroniken montiert und vernetzt worden«, erklärte Epprik, obwohl er Axton schon vorher auf diese Dinge aufmerksam gemacht hatte. »Genau genommen ist die erste Phase, die den Unterbau betrifft, bereits weitgehend abgeschlossen. Im weiten Umkreis sind die Tiefbunkeranlagen bis in zweitausend Meter Tiefe erstellt worden. Die schon montierten Positroniken verleihen der KSOL allerdings erst zehn Prozent ihrer Zielkapazität. Die meisten subplanetarischen Hallen werden noch für Jahrhunderte oder Jahrtausende leer stehen.« Das entsprach Axtons Kenntnissen der Entwicklung. Er erinnerte sich daran, dass es hier ursprünglich einmal ein Hochplateau gegeben hatte, bis dieses von der Explosion des akonischen Zeitumformers vernichtet wurde und 6373 da Ark einen Krater von zweitausend Metern Tiefe und annähernd dreißig Kilometern Durchmesser hinterlassen hatte. Innerhalb
des aufgeworfenen Ringwalls war das Loch jedoch nicht einfach verfüllt worden, sondern hatte als Grundlage für den Bau der neuen ausgedehnten Tiefbunkeranlagen des Flottenzentralkommandos gedient, verbunden mit dem Bau der ersten Stufe eines umfangreichen positronischen Netzwerks. In der Nachfolge von Imperator Metzat III. wurden die Anlagen immer wieder erweitert und ausgebaut, bis sie schließlich zum Mittelpunkt von AYA-olta-Taivarn wurden – und dann begonnen wurde, die Riesenpositronik zu errichten. Die sechs Hauptlandefelder waren von einem 125 Kilometer durchmessenden Ring aus 36 martialisch wirkenden, burgartigen Abwehrforts mit überschwerster Bewaffnung umgeben; ein zweiter, innerer Ring aus zwölf Abwehrforts erreichte fünfzig Kilometer Durchmesser. »Werden die positronischen Einrichtungen durch die Bauarbeiten nicht beeinträchtigt?« »Keineswegs. Wir haben sie entsprechend abgesichert.« Der Gleiter schwebte auf mehrere Bungalows am Rand des Baugebiets zu, in denen die Bauleitung untergebracht war. Epprik entschuldigte sich. »Ich werde mich in der nächsten halben Tonta meinen Mitarbeitern widmen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich erst anschließend wieder Zeit für Sie habe.« »Aber selbstverständlich.« »Möchten Sie, dass ich Ihnen eine Roboter stelle?« Axton legte die Hand auf Kellys Kopf und lachte. »Dieser hier genügt mir vollkommen. Danke.« Der Thi-Laktrote winkte und eilte den Mitarbeitern nach, die bereits vorausgegangen waren. Axton war froh, sich in Ruhe umsehen zu können, obwohl es hier an der Oberfläche recht wenig zu sehen gab. Aktivitäten betrafen robotische Maschinen; Arkoniden waren nur an wenigen Stellen zu entdecken. Axton ließ sich von Kelly bis an den Rand einer
viele hundert Meter tiefen Baugrube tragen. Von hier aus konnte er zu einer anderen hinübersehen, in der Zwischenwände und -decken mithilfe stützender Prallfelder hochgezogen wurden. Transportgleiter führten die Materialien heran – vor allem Metallplastik und Arkonstahl –, die in die freien Räume eingeschäumt wurden und augenblicklich zu einer stabilen Masse erstarrten. Axton bemerkte einen Arkoniden, der sich auffällig benahm, weil er sich mehrfach suchend umblickte, als fürchte er, entdeckt zu werden. Vorsichtig ließ der Verwachsene den Roboter zurücktreten, sodass er aus der Deckung von Materialstapeln beobachten konnte, wie der Arkonide ein Schott öffnete und einen erleuchteten Raum betrat. »Das sehen wir uns einmal genauer an«, sagte Axton. »Kelly, los, dahinten kannst du nach unten steigen.« Der Roboter setzte sich sofort in Bewegung. Axton klammerte sich an die Haltegriffe, blickte zu den Bungalows hinüber. Niemand schien auf ihn zu achten; er wollte kein unnötiges Aufsehen erregen. Deshalb war er froh, als der Roboter endlich mit dem Abstieg begann, sodass sie niemandem auffallen konnten. Das Schott stand noch offen. Lautlos betrat Kelly den Raum. Hinter flimmernden Energieschirmen erhoben sich positronische Recheneinheiten bis in eine Höhe von fünf Metern. Der Arkonide hatte einen Gang betreten, der zwischen weiteren Positronikbänken entlangführte. »Achtung, Kelly. Wir wollen uns nichts entgehen lassen.« Der Roboter schob sich noch einige Meter weit vor und blieb dann in guter Deckung stehen. Von hier aus konnte Axton alles verfolgen. Der Arkonide hatte eine Strukturlücke im Energieschirm geschaltet und hantierte mit Speicherelementen der Positronik. Einige Zentitontas verstrichen, dann zog sich der Mann zurück; die Strukturlücke erlosch. Axton lenkte den
Roboter zum Ausgang, vergewisserte sich, dass sich niemand am oberen Rand der Baugrube befand, und befahl Kelly, sich hinter einer ruhenden Baumaschine zu verbergen. Augenblicke später eilte der Arkonide vorbei, kletterte die Wand hoch und verschwand zwischen Materialstapeln. Als Kelly die Baugrube verließ, trat Epprik hinter einem geparkten Transportgleiter vor. »Wie ich sehe, haben Sie eine kleine Inspektion vorgenommen.« »Allerdings«, entgegnete Axton unbefangen. »Ein junger Mann stieg in die Grube und verschwand im bereits fertigen Bereich. Ich erlaubte mir, einen neugierigen Blick durch das offen stehende Schott zu werfen.« Epprik erbleichte, seine Augen wurden feucht. »Jemand hat das Schott geöffnet?« »Allerdings! Hat er damit gegen irgendwelche Bestimmungen oder Sicherheitsmaßnahmen verstoßen?« »Das kann man wohl sagen! Sie müssen mir den Mann beschreiben. Ich muss wissen, wer es gewesen ist.« »Gern. Es tut mir leid, falls Sie Unannehmlichkeiten haben sollten. Glauben Sie, dass es ein Saboteur war?« »Hier ist alles möglich.« Epprik trat einen halben Schritt zurück und wandte sich etwas von Axton ab, sprach flüsternd in das Mikrofon seines Armbandgeräts. Dann blickte er den Verwachsenen wieder an, der betont gelassen seine Arme auf den Kopf des Roboters stützte. »Wie sah der Mann aus?« Lebo Axton gab eine kurze, aber treffende Beschreibung, zögerte allerdings aus einem warnenden Gefühl heraus, Kelly das gespeicherte Bild auf Eppriks Armbandgerät überspielen zu lassen. Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als sich das Gesicht des Leitenden Ingenieurs verfinsterte. »Sind Sie sicher, dass das der Mann war?« »Absolut. Kennen Sie ihn?« Epprik antwortete nicht. Einige Uniformierte erschienen
zwischen Materialstapeln. Der Ingenieur ging ihnen entgegen und teilte ihnen so leise etwas mit, dass Axton ihn nicht verstand. Die Männer eilten davon. »Es tut mir leid, dass Ihr Besuch durch diesen Vorfall beeinträchtigt wird«, sagte Epprik nervös. »Ich bin sicher, dass sich alles als harmlos aufklären wird.« »Das glaube ich auch«, antwortete Axton, obwohl er vom Gegenteil überzeugt war. Epprik ließ einen Gleiter kommen und flog mit dem Verwachsenen zu verschiedenen Abschnitten der Baustelle, um ihm die Konzeption der Riesenpositronik zu erklären. Doch er war nicht voll bei der Sache und wurde immer wieder durch Meldungen der Sicherheitsbeamten unterbrochen. Auch Axton hatte Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was Epprik sagte. Für ihn war eine eigenartige Situation entstanden, die er in ihrer vollen Konsequenz von Anfang an erkannt hatte. Axton spürte, dass er auf äußerst dünnem Eis stand. Er glaubte nicht daran, dass er nur zufällig diesen Arkoniden beobachtet hatte, sondern war vielmehr davon überzeugt, dass jemand seine lenkenden Hände im Spiel hatte. Was bedeutete die heimliche Manipulation der Riesenpositronik? Es war eindeutig ein feindlicher Akt gegen Orbanaschol, ganz gleich, worin die Manipulation bestand. Die Riesenpositronik war das Werk des Imperators – wer daran etwas veränderte, handelte gegen die Interessen des Höchstedlen. Axton war lange genug Kriminalist, um zu wissen, was kommen musste. Und es dauerte nicht lange, bis das Kom-Gerät des Gleiters anschlug. Epprik meldete sich. Ein Sicherheitsbeamter teilte ihm mit, dass der Saboteur gefunden sei. »Er wurde erschossen. Jemand hat einen Thermostrahler und einen Desintegrator benutzt und ihn unkenntlich gemacht. Ich glaube nicht, dass die Reste für eine Identifizierung ausreichen.«
»Haben Sie den Mörder?« »Leider nein. Wir haben nicht einmal eine Spur von ihm.« Axton lehnte sich in seinem Sitz zurück. Genau das hatte er erwartet. Dieser Mord bestätigte seine Befürchtungen. Jetzt zweifelte er nicht mehr daran, dass ihm Bure Fernstel eine raffinierte Falle gestellt hatte. Er wollte ihn prüfen! Seine Vergangenheit lag im Dunkeln; damit war und blieb er ein Unsicherheitsfaktor. Fernstel hatte ihn nicht nur auf Epprik angesetzt, um diesen des Verrats zu überführen, sondern wollte mehr. Er wollte wissen, wie Axtons wirkliche Einstellung zu Orbanaschol war. Das hatte Axton dieser Vorfall bewiesen, denn er trug allzu deutlich die Handschrift eines erfahrenen Geheimdienstlers. Somit befand sich der Terraner in einer äußerst unangenehmen Situation. Er konnte jederzeit eine vorgebliche Loyalität beweisen, schließlich befanden sich in Kellys Körper Tonund Bildaufzeichnungsräte. Axton hatte alle Informationen über den Saboteur, die gebraucht wurden, um ihn eindeutig zu identifizieren. Aber Fernstel und niemand sonst hatte den Saboteur ermorden lassen, damit Axton der Einzige blieb, der alle Informationen hatte. Raffiniert eingefädelt, dachte der Terraner. Fernstel hat es geschafft, mich genau in die Position zu lancieren, in die er mich drängen wollte. Sein Leben hing ausschließlich von Fernstel ab. Er allein entschied, wie die Weichen für die Zukunft gestellt wurden. Auf ihn also kam es an, nicht auf Orbanaschol. Fernstel konnte Axton zwingen, klar Stellung zu beziehen. Deckte er den Saboteur, erklärte er sich zum Gegner Orbanaschols; verriet er ihn, sprach er sich eindeutig für den Höchstedlen aus. Wie aber stand Fernstel zum Tai Moas? War er ein erklärter und heimlicher Gegner des Imperators, würde er Axton zu Fall bringen. Darüber war dieser sich klar. War er aber ein
Mitstreiter Orbanaschols, konnte er es ebenfalls tun, vorausgesetzt, Axton traf die falsche Entscheidung. Und er musste sich entscheiden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die erste unverfängliche Frage kam. Dass er den Saboteur eindeutig beschrieben hatte, besagte gar nichts. Bei einer Gegenüberstellung hätte er immer noch sagen können, dass er sich geirrt habe. Fernstel aber wusste zweifellos, dass der Roboter über ausgezeichnete Aufnahmegeräte verfügte. Und diese Aufzeichnungen waren unwiderlegbare Beweise, die auch die Hintermänner des Ermordeten zu Fall bringen mussten. Während Epprik fahrig und nervös einige Teile der Riesenpositronik erklärte, überlegte Lebo Axton fieberhaft, wie er herausfinden konnte, was Bure Fernstel wirklich von ihm erwartete. Er musste eine Antwort auf diese Frage finden – oder sein Weg im Großen Imperium war zu Ende. Gun Epprik atmete sichtlich auf, als die Uhr endlich die Mittagstonta anzeigte, sodass er die Besichtigung abbrechen und Axton zum Essen einladen konnte. Er ließ alkoholische Getränke anbieten und schien enttäuscht zu sein, dass Axton so wenig zusprach. Kurz nach Beendigung der Mahlzeit kam die Nachricht, die Axton in die Glieder fuhr. Einer der Assistenten eilte zu Epprik und meldete mit gedämpfter Stimme, jedoch nicht leise genug: »Fernstel wird in zwei Tontas hier sein.« Epprik schien kaum etwas anderes erwartet zu haben, war auch keineswegs beunruhigt. Im Gegenteil. Er schien damit gerechnet zu haben, dass der Geheimdienstler auf der Baustelle erscheinen würde. Axton fragte sich, ob er daraus schließen dürfe, dass Epprik über die tatsächliche Funktion Fernstels informiert war. Er wartete in aller Ruhe eine halbe Tonta ab und sagte dann, als er zusammen mit dem Ingenieur den Bungalow verließ: »Epprik, ich habe noch etwas hier auf
Arkon Drei zu tun, was ich gern erledigen würde.« »Ich möchte Sie keineswegs aufhalten. Bitte, nehmen Sie auf mich keine Rücksicht.« »Dann verübeln Sie mir nicht, wenn ich mich jetzt verabschiede?« »Keineswegs. Ich hoffe nur, dass wir uns bald wiedersehen. Vielleicht besuchen Sie mich übermorgen in meiner Wohnung auf der Kristallwelt?« »Gern.« Axton verabschiedete sich so, dass Epprik nicht auf den Gedanken kam, er könne es eilig haben. Kaum aber saß er allein mit seinem Roboter in einem Mietgleiter, als er die Maschine zur Höchstgeschwindigkeit beschleunigte und zu einem der nahen Raumhäfen raste. Das Glück war auf seiner Seite. Ein Verbindungsraumer sollte in wenigen Zentitontas nach Arkon I starten. Axton orderte die Passage, ließ sie von seinem Konto abbuchen und ging an Bord. Als Bure Fernstel auf Arkon III landete, war Axton bereits auf dem Weg zur Kristallwelt.
Die Wohnung Eppriks befand sich in einem der luxuriösesten Trichterbauten im Sonderbereich von Arethoquon-Don, einer Landschaft von ungewöhnlicher Schönheit rund 200 Kilometer westlich des Hügels der Weisen. Hier wohnten ausschließlich Mitglieder der vornehmsten und reichsten Familien Arkons. Dreißig Gebäude verteilten sich in dem weiten Tal der ShulukAhaut-Ausläufer, das in einen blühenden Park verwandelt war. Verborgene Überwachungsanlagen und Identifikationsroboter umgaben den Bereich und riegelten ihn ab, sofern ein anfliegender Gleiter, ein Bodenfahrzeug oder ein Fußgänger nicht eine komplizierte, positronisch gesteuerte Impulskette zur Identifizierung abstrahlten. Lebo Axton
überwand diese Schwierigkeit mit geradezu spielerischer Leichtigkeit. Nachdem er einige Geräte, die Fernstel in der Wohnung zur Verfügung gestellt hatte, abgeändert hatte, brauchte er nur einen Gleiter abzuhorchen und die Impulskette aufzuzeichnen. Danach waren noch einige kleine Umschaltungen notwendig, die einen Mann wie Axton jedoch vor keinerlei Probleme stellten. Kurz nach Einbruch der »Dunkelheit« passierte der Terraner – in Gedanken verfluchte er die Position Arkons im Zentrum des Kugelsternhaufens, weil es hier nie richtig Nacht wurde – die Sicherheitskette und flog direkt bis zum Parkdeck des Trichterbaus, in dem sich Eppriks Wohnung befand. Auch hier gab es außen und innen Nischen, in denen die Gleiter abgestellt werden konnten. Darüber befand sich der weite Dachring, auf dem die Bewohner einen Vergnügungspark eingerichtet hatten. Axton hatte nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen; die Anlage interessierte ihn nicht. Die Terrassen an der abgestuften Trichterinnenseite gestatteten einen vergleichsweise leichten Zugang. Neben den Antigravliften im Gebäudeinneren gab es solche, die die Terrassen miteinander verbanden. Axton passierte zunächst die unbeleuchteten Räume der Wohnung eines Industriellen und erreichte dann die erhellten Fenster von Eppriks Wohnung. Zwei junge Arkonidinnen saßen sich plaudernd gegenüber; auf dem Boden eines prunkvoll eingerichteten Salons spielte ein Junge, dessen Ähnlichkeit mit Epprik keine Zweifel ließ. Axton biss sich auf die Lippen. Er hatte gewusst, dass der Ingenieur Familie hatte, doch diese sollte nach letzten Informationen auf einer Urlaubsreise sein. Nun konnte er seinen Plan nicht durchführen, wie er es ursprünglich beabsichtigt hatte – schließlich konnte er die Wohnung nicht inspizieren, solange die Gefahr bestand, von den Frauen oder dem Jungen überrascht zu werden.
Lautlos zog er sich zurück. Als er das zylindrische Antigravfeld fast erreicht hatte, flammte das Licht in der Wohnung des Industriellen auf. Axton sah einen untersetzten Mann auf sich zukommen. Schon glaubte er, entdeckt worden zu sein, als der Arkonide eine Kassette aus einem Schrank unmittelbar neben dem Fenster nahm und wieder zur Tür ging. Axton schob sich rasch weiter, spürte, dass ihn das Antigravfeld erfasste. In diesem Moment blieb der Arkonide stehen, drehte sich um und runzelte die Stirn. Ihm war fraglos etwas aufgefallen; er kehrte eilig zum Fenster zurück. Axton erreichte das Parkdeck, ehe der Arkonide auf die Terrasse treten konnte, kletterte in den Gleiter und rollte sich auf der hinteren Bank zusammen. »Ich will geweckt werden, sobald in Eppriks Wohnung das Licht ausgeschaltet wird.« Er wartete Kellys Antwort nicht ab, sondern schob sich ein Kissen unter den Kopf und schlief fast augenblicklich ein.
Vier Tontas später rüttelte ihn der Roboter. »Es ist alles dunkel.« Axton antwortete nicht, sondern stieg so schnell aus der Kabine, als habe er gar nicht geschlafen. Es war nahezu windstill, deshalb war derzeit auch kein abschirmendes Prallfeld errichtet. Dieses hätte Axton außerordentlich behindert. So aber konnte er sich frei auf der Terrasse bewegen und sah dem im Antigrav herabsinkenden Roboter zu, nachdem er ihm gewinkt hatte. Axton schickte Kelly vor und vergewisserte sich mithilfe dessen Infraroteinrichtungen, dass sich tatsächlich niemand im Salon des Industriellen und dem Eppriks befand. Erst dann kroch er hinterher, den Sichtschutz einer Gewächsbank hinter der raumhohen Scheibe nutzend. Axton strich mit einem nadelspitzen Säurestift aus dem Geheimdienstlerbestand an der Glassitfront entlang und
schnitt auf diese Weise ein quadratisches Stück heraus, sodass eine Öffnung entstand, die gerade groß genug für ihn war. Während Kelly die Scheibe festhielt, kroch Axton mühsam in den Salon und musste eine Pause einlegen, weil ihm die Luft knapp wurde. Als der Verwachsene endlich in der Wohnung war, drückte Kelly die Scheibe wieder in die Öffnung und stützte sie provisorisch ab. Axton hoffte, dass jemand, der zufällig in den Raum kam, dadurch nicht sofort auf den Einbruch aufmerksam wurde. Geräuschlos schlich er zu einer Tür, die zu einem Nebenraum führte, versuchte sie zu öffnen, doch sie widerstand seinen Bemühungen. Eilig kehrte er zu Kelly zurück. »Ich brauche die ID-Daten von Epprik.« Der Roboter legte die Scheibe zur Seite und reichte Axton einen Chip, in dem die Individualdaten Eppriks gespeichert waren. Es war nicht weiter schwierig gewesen, sie beim Flug nach Arkon III aufzuzeichnen: Während Axton angeregt mit dem Ingenieur geplaudert hatte, hatte der Roboter hinter seinem Rücken die Daten Eppriks von seiner ID-Marke angezapft und gespeichert. Das war natürlich ein illegales Verfahren, mit den Geheimdienstgeräten aus Axtons Wohnung jedoch problemlos möglich. Als Axton nun zu der Tür zurückkehrte, glitt diese zur Seite. Er betrat einen dunklen Raum. Als er die Hand an eine Kontaktplatte neben der Tür legte, leuchteten Deckensegmente auf und erhellten das Zimmer – wie erwartet das Büro des Ingenieurs. Es war etwa fünfzig Quadratmeter groß, verfügte über kein Fenster und enthielt neben zwei Arbeitstischen und Schränken auch die obligatorischen positronischen Endterminals. An den Wänden waren Konstruktionspläne und Skizzen der Riesenpositronik befestigt. Axton konzentrierte sich auf die Sicherheitseinrichtungen, die zweifellos vorhanden waren. Schon nach kurzer Zeit hatte
er die beiden positronisch gekoppelten Systeme entdeckt: Überwachungskameras hatten bereits Aufzeichnungen gemacht. Axton löschte den Speicher und versah das Überwachungssystem mit einem Funkkodator, mit dem er es später wieder in Betrieb setzen konnte, sobald er das Büro verlassen hatte. Auch das zweite System bereitete dem Terraner keine Schwierigkeiten; es war an die Hauptpositronik gekoppelt und wurde durch alle ID-Daten aktiviert, die von denen Eppriks abwichen. Lebo Axton lächelte. Nur ein Mann wie Epprik, der sich absolut sicher fühlte, konnte derart einfache Sicherungen einsetzen. Ein anderer, der ständig damit rechnen musste, vom Geheimdienst oder anderen überprüft zu werden, hätte ganz andere Maßnahmen gegriffen. Doch Axton sah darin keineswegs einen Beweis für Eppriks Unschuld. Der Grund für den Leichtsinn des Ingenieurs lag allein darin, dass er sich als Günstling Orbanaschols für unangreifbar hielt. Axton begann nun mit einer systematischen Untersuchung der Hauptpositronik des Büros und der in ihr gespeicherten Daten. Wiederum kamen ihm seine Erfahrungen zugute, die er im jahrhundertelangen Dienst für die USO gewonnen hatte. Die Positronik war im Vergleich zu jenen Geräten, die die United Stars Organisation verwendet hatte, geradezu simpel; auch hier gab es Sicherheitsvorkehrungen, die mit der Hilfe von Eppriks ID-Daten durchbrochen werden konnten. Hinzu kam die Möglichkeit, mit Überrangkodes der Geheimdienstler zu arbeiten, die unter Umgehung von Passwörtern und vergleichbaren Sicherungen den ungehinderten Zugang zu normalen Geräten gestatteten. Axton hatte sich an einige private Notierungen herangearbeitet, als er von nebenan ein Geräusch hörte. Augenblicklich schaltete er die Positronik aus, eilte zur Tür, schaltete das Licht aus und zog sich hinter einen Schrank zurück. Kaum hatte er ihn erreicht, öffnete sich die
Tür. Eine junge Frau, die nur dürftig bekleidet war, trat ein, schaltete das Licht an und blickte sich suchend um. Offensichtlich war sie durch irgendetwas aufmerksam geworden. Erschrocken bemerkte Axton, dass sein Funkkodator noch auf der Haupt-KSOL lag. Ihm war, als gingen von dem Gerät Signale aus, die einfach nicht zu überhören waren. Die Arkonidin kam herüber, legte sogar die Hand auf den Kodator, schob ihn aber nur zur Seite. Lautlos bückte sich Axton, tastete sich einige Schritte zur Seite bis unter einen Arbeitstisch. Er hörte, dass sich Schritte näherten, sah den zierlichen Fuß der Frau. Sie blieb nur zwei Meter entfernt stehen. Axton hielt den Atem an und zog die Beine so eng an den Körper, wie es eben ging. Wurde er hier in Eppriks Wohnung entdeckt, hatte er keine Chance mehr – man würde ihn nicht einmal anhören. Die Frau seufzte, ihr hüftlanges Haar knisterte, als sie es mit den Händen im Nacken raffte. Sie wandte sich ab und entfernte sich. An der Tür blieb sie jedoch erneut stehen und lauschte. Axton hatte das Gefühl, sie müsse sein laut pochendes Herz hören. Er spürte, wie es in seinem Hals zu kratzen begann; ein unerträglicher Hustenreiz überfiel ihn, der sich von Augenblick zu Augenblick steigerte. Er atmete mit weit geöffnetem Mund und konzentrierte sich völlig darauf, nicht zu husten. Da endlich wurde es dunkel, die Tür schloss sich, leichte Schritte entfernten sich. Axton krümmte sich auf dem Boden zusammen, presste das Gesicht in die Armbeuge und hustete vorsichtig. Der Anfall überkam ihn jedoch so heftig, dass er schon wenig später jegliche Kontrolle über sich verlor und wild hustete, verbunden mit dem Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und ersticken zu müssen. Danach blieb er keuchend auf dem Boden liegen; das Blut rauschte in seinen Schläfen, Tränen rannen aus den Augen. Er war sicher, dass nun alles verloren
war. Die Frau musste ihn gehört haben. Aber alles blieb still. Axton ließ einige Zentitontas verstreichen, bis er sich wieder etwas erholt hatte. Dann eilte er zur Tür, öffnete sie einen Spalt, lauschte – aber alles blieb weiterhin still. Nein, nicht ganz – ein leises Rauschen und Plätschern war zu hören. Die Frau musste demnach sofort ins Bad gegangen sein und stand nun unter der Dusche. Axton seufzte erleichtert. Alle Nervosität fiel von ihm ab, als er zur Positronik zurückkehrte. Ein Blick auf die Anzeige seines Armbands zeigte, dass nur wenige Tontas bis zum Anbruch der »Morgendämmerung« verblieben. Spätestens dann musste er sich zurückziehen. Axton nahm seine Ermittlungen an der Stelle wieder auf, an der er unterbrochen wurde. Es ging um private Notizdateien Eppriks. Der Terraner arbeitete konzentriert, ließ die Informationen vorüberziehen und vergaß sofort wieder, was ihm unwichtig erschien. Dann aber glaubte er, von einem elektrischen Schlag getroffen zu werden. Epprik hatte eine Datei mit Methankontakte gekennzeichnet. Axton unterdrückte seine Erregung rasch und rief die Informationen auf, doch dann gelang es ihm nicht mehr, ruhig zu bleiben. Eppriks Notizen bezogen sich tatsächlich auf Kontakte, die er mit den Maahks gehabt hatte; er schilderte stichwortartig Verhandlungen und berichtete, dass er das Angebot gemacht hatte, das Senktron-Sonnensystem an sie auszuliefern. Epprik verkündete, dass er den Feinden des Großen Imperiums einen Termin mitgeteilt hatte, an dem das Sonnensystem von Verteidigungskräften völlig entblößt gewesen war. Die Maahks hatten aber bereits zu einem früheren Zeitpunkt zugeschlagen – und dank der von Epprik stammenden Informationen war es ihnen gelungen, das System zu erobern und die arkonidischen Verbände zurückzuschlagen. Die Verluste des Imperiums seien, wie der Ingenieur betonte, äußerst gering gewesen.
Als Axton so weit gekommen war, blickte er zufällig auf die Uhr. Erschrocken stellte er fest, dass er schon viel zu lange im Büro des Ingenieurs weilte – draußen wurde es bereits deutlich heller. Axton erstellte rasch eine Kopie der Datei, löschte alle Spuren, die er hinterlassen hatte, und schaltete die Hauptpositronik aus. Danach überprüfte er noch zweimal sorgfältig, ob er auch wirklich keinen Fehler gemacht hatte, und zog sich erst dann zurück. Durch die Fensterfront fiel bereits das erste Sonnenlicht Arkons in den Salon. Axton eilte zu der Lücke, neben der der Roboter wartete. Rasch öffnete er sie und kroch hindurch. Mit einer Spezialflüssigkeit verschweißten sie anschließend das Glassit wieder, sodass es wieder fugenlos und verzerrungsfrei war. Die Rückkehr zum Gleiter gelang unbeobachtet, obwohl einige andere Gleiter von der gegenüberliegenden Trichterseite starteten. Der Verwachsene atmete erleichtert auf, als sie endlich wieder in ihrer Maschine saßen. Kelly startete augenblicklich. Mit hoher Geschwindigkeit raste er zum Wohntrichter am Jorain-See, in dem Axton untergebracht war. Als Epprik von Arkon III zurückkehrte, lag Lebo Axton schlafend in seinem Bett.
20. Aus: Gedanken und Notizen, Bauchaufschneider Fartuloon Die Arkongesellschaft war aristokratisch geprägt, und die Mitglieder der großen Familien – die Gonozal, Ragnaari, Zoltral, Quertamagin, Orcast, Monotos, Orbanaschol, Tutmor, Tereomir, Anlaan, Metzat, Thetaran, Arthamin, Ariga und viele mehr – kontrollierten die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Schlüsselfunktionen. Zum Teil handelte es sich hierbei um Familienverbände von mehreren hunderttausend Einzelmitgliedern.
Von Zeiten tyrannischer oder absolutistischer Herrschaft abgesehen, handelte es sich bei der Regierungsform des Tai Ark’Tussan um eine parlamentarische Monarchie, in der allerdings dem jeweiligen Imperator als Staats- und Regierungschef sowie Begam-Oberbefehlshaber der Flotte stets eine starke Rolle zugewiesen war. Wie stark ein Imperator tatsächlich werden konnte, hing weitgehend von dem Gegengewicht ab, das ihm seine direkte Regierungsmannschaft – der Zwölferrat –, der Große Rat sowie das frei vom Volk gewählte Parlament des Hohen Rates entgegenstellten. Neben dem Imperator an der Spitze war der Berlen Than als Unterausschuss des Tai Than maßgebliches Regierungsgremium – einem Kabinett mit seinen Ministern vergleichbar –, in dem die Entscheidungen vorbereitet und diskutiert wurden. Im erweiterten Kreis des Großen Rates mit seinen 128 ex-officio-Mitgliedern als »untergeordnete Minister« folgte die weitere Debatte. Überall hatte der Imperator zwar Vetorecht, konnte aber überstimmt werden. Bei eklatantem Versagen war sogar seine Absetzung möglich. Im umgekehrten Fall konnte ein Imperator durch Einsetzung und Förderung von Günstlingen, durch Korruption und dergleichen und mit Bezug auf »Notstandsgesetze« diktatorische Macht an sich ziehen. Die Ratsmitglieder waren laut Verfassung grundsätzlich zwar wissenschaftlich ausgebildet, stammten aber aus Flotte, Kristallpalast, Diplomatie, Geheimdienst, Wirtschaft und Verwaltung. Zudem repräsentierten sie die wichtigsten Khasurn, sodass sie, mit dem Imperator als Vorsitzendem, in den »RatsAusschüssen« wie beispielsweise dem »Medizinischen Rat« oder dem »Thektran« des Flottenzentralkommandos das oberste Exekutivgremium im Großen Imperium darstellten. Zweimal je 36Tage-Periode waren Sitzungen anberaumt, in denen der Imperator Rechenschaft abzulegen, Sorgen, Nöte und Probleme zu besprechen hatte, während die Ratsmitglieder im Gegenzug Vorschläge, Anträge und Ausführungsberichte lieferten. Die ersten drei Pragos einer jeden der zehn Perioden des Arkonjahres waren überdies der
Generaldebatte von Großem und Hohem Rat vorbehalten; für Entschlüsse zu Richtlinien seiner Politik benötigte der Imperator qualifiziert-absolute Mehrheiten von 51 Prozent. Die endgültige Verabschiedung von Gesetzen erfolgte im Thi Than. Vor diesem Hintergrund war auch der verfassungsmäßig verankerte Grundsatz der Erbmonarchie zu sehen: Zwar war als Kristallprinz jeweils der erstgeborene leibliche Sohn eines Imperators designierter Nachfolger, doch im Todesfall ohne Nachkommen bestimmte der Große Rat aus den Reihen der Adelsfamilien einen neuen Imperator. Weiterhin war – schon unter dem Aspekt der immensen Größe des Arkon-Imperiums! – zu berücksichtigen, dass der Imperator zwar letztlich über Besitzansprüche, Handelsrechte, Autarkiebestrebungen und dergleichen entschied. Aber hierbei war als Entscheidungsträger die Imperiale Ebene – mit Imperator, Tai und Thi Than, Thektran, dem Präsidium der Justiz von Celkar sowie die Kontrollfunktion der Medien – von der der Planetaren Selbstverwaltung autonomer Welten und Ökoformsphären ebenso zu unterscheiden wie die der Herzogtümer völlig autarker Habitate der Raumnomadenclans oder der Lehen des Adels, welche eines bis mehr als hundert Sonnensysteme umfassten. Sogar mit bester positronischer Unterstützung war es nicht möglich, sich um alle Einzelheiten zu kümmern.
Arkon I: 29. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Ophma Talhud, der Axton seine Mitarbeit angeboten hatte, um die eigene Haut zu retten, meldete sich, als der Terraner frühstückte. Axton lehnte es jedoch ab, mit ihm in der verwanzten Wohnung zu sprechen, sondern sagte: »Nehmen wir Ihren Gleiter.« Den Roboter, der ihn begleiten wollte, wies er zurück. Wenig später schwebten sie in Talhuds Maschine über eine
Landschaft, die der eines fremden Planeten nachempfunden war. In natürlich wirkenden Teichen bewegten sich farbenprächtige Fische von erstaunlicher Größe. »Also, Talhud, was haben Sie über Arrkonta herausgefunden?« Axton war sich darüber klar, dass im Gleiter Anlagen vorhanden waren, mit deren Hilfe Talhud seine Worte aufzeichnete. Eine Begegnung unter Bedingungen, unter denen kein Abhören stattfinden konnte, erschien jedoch auf einer Welt wie Arkon I unmöglich. Die Geheim- und Nachrichtendienste konnten ebenso wie Talhud mithilfe von heimlichen Beobachtern, Richtmikrofonen und sonstigen technischen Möglichkeiten an jeder Stelle festhalten, was gesprochen wurde. Also kam es für Axton darauf an, nichts auszusagen, was verfänglich war. »Arrkonta ist ein Ehrenmann.« »Natürlich.« »Sie glauben mir nicht?« »Warum so aggressiv?« »Ich habe gesagt, dass Arrkonta über jeden Zweifel erhaben ist. Und das ist er auch. Er gibt keinen dunklen Punkt in seinem Leben.« »Das freut mich.« »Er hat ausgezeichnete Verbindungen zum Hof, kann jedoch nicht gerade als Günstling betrachtet werden.« »Womit macht er seine Geschäfte?« »Er ist Has’athor, der viele Ehrungen erhalten hat und im Sold der Flotte steht. Als Nert besteht sein Lehen überdies aus einem Planeten, der hohen Profit abwirft.« »Landwirtschaft?« »Natürlich nicht. Ihm gehört unter anderem ein Unternehmen, das Positroniken und positronische Module herstellt.« »Interessant. Wer sind seine Auftraggeber?«
»Ausschließlich das Imperium.« »Arbeitet er auch für das Projekt auf Arkon Drei?« »Sie wissen davon?« »Lieber Talhud, ich bin von Ingenieur Epprik persönlich eingeladen worden, die Baustelle zu besichtigen. Also?« »Arrkonta liefert wesentliche Teile für das Projekt. Schon das sollte Ihnen beweisen, dass er ein zuverlässiger Mann ist. Dennoch werden er und seine Arbeit ständig überwacht. Es kam einmal vor, dass falsch programmierte Module nach Arkon Drei geliefert wurden, aber Arrkonta konnte beweisen, dass er nichts damit zu tun hatte.« »Wurde herausgefunden, wer versucht hat, auf diese Weise Einfluss auf die entstehende Riesenpositronik zu nehmen?« »Es war einer meiner Freunde. Er war ein Anhänger des verunglückten Gonozal und seines Sohns, der um den Kristallthron kämpft.« Axton blickte den alten Mann überrascht an, hatte nicht damit gerechnet, ein solches Geständnis zu erhalten. Ohne dass er etwas sagte, fügte Talhud hinzu: »Sie hätten es ohnehin herausgefunden.« »Nun, dieser Fall interessiert mich nur am Rand«, sagte Axton sanft. »Arrkonta erscheint mir wichtiger. Wer sind seine Freunde?« Talhud nannte zögernd einige Namen, unter denen auch Epprik war. »Epprik.« Axton nickte. »Ich hatte Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Er ist ein Mann, der mit beispielhafter Begeisterung an dem positronischen Taion arbeitet. Kein Wunder, dass er und Arrkonta …« »Es heißt, Epprik habe Arrkonta das Leben gerettet«, unterbrach Talhud. »Erzählen Sie.« »Persönlich haben sie sich erstmals im Senktron-System getroffen. Soweit ich weiß, wurde Epprik vor zwei Jahren von
Orbanaschol dorthin geschickt. Epprik brachte Arrkonta mit seinem Schiff aus dem System, kurz bevor es von den Methans überrannt wurde.« Axton ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn diese Worte erregten. Das Senktron-System war von Epprik geopfert worden. Er hatte es den Maahks ausgeliefert. Nun aber sagte Talhud, dass der Ingenieur vom Imperator selbst dorthin geschickt worden sei. Was bedeutete das? »Ich erinnere mich an den Vorfall. Eigentlich hatten es die Methans erstaunlich leicht, nicht wahr?« »Man ist sich heute darüber einig, dass es absichtlich geräumt wurde. Ich vermute, dass Orbanaschol den Methans dort eine Falle stellen wollte. Leider hat sein Plan nicht so funktioniert, wie er es gewünscht hat. Aber daran hat Epprik sicherlich keine Schuld. Und Arrkonta erst recht nicht.« »Gut, lassen wir das.« Axton tat, als langweile ihn das Gespräch über das Senktron-System, nutzte den Hinweis, um wieder auf Arrkonta zu sprechen zu kommen. Tatsächlich überschlugen sich seine Gedanken förmlich. Er wusste aus Eppriks Aufzeichnungen, dass der Ingenieur mit den Maahks verhandelt und ihnen das System angeboten hatte. Hatte er aus freien Stücken gehandelt, oder hatte er es im Auftrag des Imperators getan? Das war die entscheidende Frage. Axton musste darauf die Antwort finden, spürte, dass der Boden, auf dem er stand, immer brüchiger wurde. Hatte Epprik tatsächlich das Imperium verraten? Wenn sogar Talhud, ein Mann, der ohne großen Einfluss beim Hof und gesellschaftlich fast geächtet war, darüber informiert war, dass Epprik im Senktron-System gewesen war, mussten es andere, besser informierte Kreise erst recht wissen. Bure Fernstel beispielsweise. Axton schätzte ihn genauso ein, hielt ihn für einen äußerst gefährlichen Geheimdienstmann, der ausgezeichnet kombinieren konnte. Sollte ausgerechnet ihm
verborgen geblieben sein, dass Epprik die Möglichkeit gehabt hatte, mit den Maahks zu verhandeln? Ausgeschlossen, entschied Axton. Er muss es gewusst haben. Auch Orbanaschol III. musste eingeweiht gewesen sein, denn es konnte nur sein Plan gewesen sein, mit dem die Maahks entscheidend geschwächt werden sollten. Eine Entdeckung, die Axton zunächst als geradezu sensationell erschienen war, verlor damit ihren Wert. Nur eine Möglichkeit blieb noch: Epprik hatte zwar im Auftrag des Imperators gehandelt, aber dennoch nicht in seinem Sinne. Er konnte das Vertrauen Orbanaschols missbraucht und die Methans zu einem Zeitpunkt herbeigelockt haben, an dem sie nur gewinnen konnten. Trotz der Aufzeichnung der Datei konnte Axton vermutlich die Antworten auf die sich ergebenden Fragen nur bekommen, wenn er abermals in die Wohnung Eppriks eindrang und seine Untersuchungen an der Hauptpositronik selbst fortsetzte. Axtons Entschluss stand fest; er musste mehr über Epprik in Erfahrung bringen. Nur so konnte er herausfinden, welche Pläne Fernstel wirklich verfolgte. Und die Zeit drängte. Fernstel konnte jederzeit wieder auf Arkon I eintreffen. Schon bei der ersten Begegnung mit ihm musste Axton seine Karten auf den Tisch legen. Karten, von denen er nicht wusste, wie sie aussehen mussten, damit sie Fernstel recht waren. Er schüttelte die Gedanken an Epprik und Fernstel ab, konzentrierte sich wieder auf den Bericht über Arrkonta. In diesem glaubte er, einen Mann zu sehen, mit dem er irgendwann in naher Zukunft wirksam zusammenarbeiten konnte. Umso hartnäckiger befragte er Talhud.
Lebo Axton ließ sich zweihundert Meter vom Wohntrichter entfernt absetzen und ging zu Fuß. Bereits auf halbem Weg
kam ihm Gentleman Kelly entgegen. »Liebling, ich sehe, dass dich der Fußmarsch anstrengt. Soll ich dich nicht lieber tragen?« »Ich habe dir verboten, mich Liebling zu nennen.« »Ich habe es vergessen.« Axton lachte schrill. »Das zahle ich dir heim. Verlass dich drauf!« Er blieb stehen und befahl dem Roboter mit einer knappen Geste niederzuknien, stieg auf den Rücken und ließ sich den Rest des Wegs tragen. In der Eingangshalle des Trichterbaus ließ er sich jedoch absetzen; niemand war außer ihnen hier. Axton befahl Kelly, einige Millitontas zu warten und ihm erst dann in den aufwärts gepolten Antigravschacht zu folgen. Er schwebte bis zum wenige Meter entfernten Trichterboden hinauf, stieg aus und blickte nach unten. Der Roboter betrat soeben den Schacht. Axton grinste, zögerte noch einen Augenblick und unterbrach dann mit einem speziellen Kodegeber aus dem Geheimdienstfundus den Stromkreis von Projektoren und der automatischen Notfalleinrichtung, nachdem er sich nochmals davon überzeugt hatte, dass Kelly allein im Schacht war. Der Roboter stürzte augenblicklich ab und krachte erst im Kellergeschoss auf den Boden, ohne von Notfallnetzen oder sonstigen automatischen Einrichtungen abgefangen zu werden. Der Terraner schaltete den Antigravschacht wieder ein, Kelly schwebte langsam empor. Ohne sich um ihn zu kümmern, glitt Axton im Schrägschacht zum Stockwerk seiner Wohnung, verschloss hier aber nicht die Tür. Er lag bequem im Sessel und hielt ein Glas mit einer braunen, angenehm duftenden Flüssigkeit in der Hand, als der Roboter endlich eintrat. Axton lachte. »Kelly, wie siehst du denn aus?« »Ich bin abgestürzt, Gebieter. Ich brauche neue Beine; sie
sind völlig verbogen.« »Warum? Ich habe noch nie einen solch hässlichen Roboter gesehen. Glaubst du, ich würde das ändern?« »Aber ich hinke nun, Gebieter.« »Das geschieht dir recht, du Blechkopf.« »Warum hast du das getan?« »Was? Was soll ich getan haben?« »Ich bin zu dem rechnerischen Ergebnis gekommen, dass nur du für den Ausfall sämtlicher Anlagen des Antigravschachts verantwortlich sein kannst.« »Nun gut. Warum sollte ich es nicht zugeben? Ich wollte wissen, ob du fliegen kannst.« Kelly blickte mit einer fast menschlich wirkenden Gebärde an sich hinab. Seine Beine waren in der Tat verbogen, wenngleich nicht so stark, dass ein Austausch nötig war. Ein Absturz aus wenigen Metern Höhe schadete bei der Güte von Arkonstahl nicht. »Ich kann nicht fliegen, Gebieter, weil ich kein Flugaggregat habe. Und außerdem bin ich nur eine seelenlose Maschine.« »Du lügst! Wer wie du Frechheit an Frechheit reiht und sich erlaubt, mich Schätzchen oder Liebling zu nennen, kann nicht so seelenlos sein, wie du behauptest.« »Ich bin lediglich von meinem vorherigen Gebieter so programmiert worden. Er liebte dreiste Antworten.« »Dann nimm zur Kenntnis, dass ich sie hasse!« »Ja, Schätzchen.« Axton fiel das Glas aus der Hand. Kelly bückte sich sofort, um es aufzuheben. Er füllte es erneut, während ein handgroßer Servo herbeisurrte, um die verschüttete Flüssigkeit aufzusaugen. »Seelenlose Maschine? Dass ich nicht lache. Positronische Denkprozesse sind bekanntlich mit Energieumsetzung verbunden, ist das richtig, Kelly?«
»Vollkommen, Gebieter. Ich errate, was Sie damit sagen wollen. Darf ich reden?« »Mir scheint, ich habe dir ein wenig Respekt beigebracht. Also bitte. Ich höre.« »Sie gehen von der Überlegung aus, dass Bewusstseinsprozesse eine Energieform sind. Energie aber ist, einem Grundgesetz der Physik zufolge, unvergänglich. Daraus ist zu schließen, dass auch der Geist und vielleicht auch die Seele unvergänglich sind.« Axton wurde blass. »Was für Gedanken für einen Roboter. Weiter. Was glaubst du noch, in die Welt setzen zu müssen?« »Sie schmeicheln mir, Gebieter.« »Wir bleiben beim Du, Trottel.« »Sehr wohl, Gebieter. Denkenergie basiert wie auch jene des Bewusstseins nicht allein auf konventionellen Gesetzen, sondern ist ebenso im Bereich quantenmechanischer Prozesse wirksam wie auf hyperphysikalischer Ebene. Individualschwingungstaster, Hypnoschulung, Psychostrahler, die Anlagen zur Extrasinn-Aktivierung oder Fiktivprojektoren zeigen ebenso wie paranormale Kräfte, dass hierbei vor allem extrem hochfrequente Hyperstrahlung beteiligt ist. Wirkung und Gesetzmäßigkeiten lassen sich mit den gängigen hyperphysikalischen Theorien nicht eindeutig erklären, aber es gibt Algorithmen der altarkonidischen Hyperthorik, die als vielversprechend gelten. Auch sei an das Konzept von Zhy erinnert, den zentralen Begriff der DagorPhilosophie, übersetzt als transzendentales Licht oder übersinnliches Feuer.« Axton lauschte mit wachsendem Staunen. »Es heißt, dass in einigen Epochen als Gegenpol zum männlichen Imperator eine Große Feuermutter eingesetzt wurde: Als Auswahlmechanismus für diese Tai Zhy Fam diente eine modifizierte Form des Dagor-Mystizismus;
Feuerfrauen genannte Auserwählte seien dann zu Geheimorten gebracht und in die Stasis-Konservierung suspendierter Animation versetzt worden, um ihr Wahres Sein auf eine stabilisierte Körperprojektion zu übertragen. Der Multibewusstseinsblock dieser Zhy-Famii war mehr als die reine Summe seiner Teile und dank der katalytischen Funktion des Imperators mit paranormalen Kräften ausgestattet. Diese heute nicht mehr zum Allgemeinwissen gehörende Erkenntnis soll der reale Hintergrund der traditionellen Anrede des Imperators sein: Seine millionenäugige, allessehende, alleswissende Erhabenheit.« Der Terraner seufzte – er wusste, dass Atlan in seiner Zeit als Imperator Gonozal VIII. tatsächlich auf die Hilfe einer Tai Zhy Fam angewiesen gewesen war. »Der Paraphysiker Belzikaan bezeichnete schon vor einigen Jahrtausenden die Paraforschung offiziell als zwiespältige Wissenschaft, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren. Diese Erkenntnisse gehörten allerdings stets zur höchsten militärischen Sicherheits- und Geheimhaltungsstufe oder waren und sind auf bestimmte Kreise beschränkt …« »Woher hast du das?«, fragte Axton scharf. »Es sind Daten und Theorien meines früheren Gebieters. Er wurde erschossen.« »Wohl zu Recht … Aber seine Gedanken leben weiter? Das meinst du doch? Willst du etwa behaupten, sie hätten sich an deine Positronik geheftet und dich sozusagen beseelt? Das gelingt nicht mal den Erzfeinden des Imperiums, den bewusstseinstauschenden Vecorat!« »Ich bedaure, dass ich nicht lächeln kann, Gebieter. Ich nur eine seelenlose Maschine. Darf ich in diesem Zusammenhang die Befürchtung aussprechen, dass beim Absturz meine Positronik beschädigt wurde?«
»Du meinst, bei dir seien ein paar Schrauben locker?« »Schrauben wurden bei meiner Konstruktion nicht verwendet, aber sinngemäß ist das richtig, was du gesagt hast.« »Ich kann dich beruhigen, du Nervensäge. Deine Schrauben waren schon vorher locker. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich will schlafen. Weck mich, wenn es dunkel ist. Bis dahin bin ich für niemanden zu sprechen, nicht einmal für den Höchstedlen.« Axton stand auf und ging mit nachschleifenden Füßen aus dem Wohnraum. Er war beunruhigt. Der Roboter war keineswegs primitiv, sondern stand auf einer weit höheren Entwicklungsstufe, als das lächerliche Äußere vermuten ließ. Vor allem war er anderen Robotern deutlich überlegen. Axton wurde bewusst, wie exakt Kelly meist handelte, ohne dass er, wenn er sich beispielsweise tragen ließ, dazu konkrete Anweisung gab. Er fragte sich, ob er nun einen Glücksgriff getan hatte, als er den Kopf auf dem Schrottplatz genommen hatte, oder ob er Pech gehabt hatte. In der Tür zum Schlafraum blieb er stehen, blickte zurück, grinste sardonisch und sagte mit süßlicher Stimme: »Du siehst entzückend aus mit deinen verbogenen Beinen, Liebling.« »Ich bedaure, dir mitteilen zu müssen, dass die Ironie deiner Worte bei mir keine Emotionen auslöst, Schätzchen«, erwiderte der Roboter mit monotoner Stimme. »Das ist der Unterschied zwischen uns. Ich bin lediglich im Rahmen meiner Programmierung zu logischen Überlegungen und Handlungen fähig.« Axton zog sich hastig zurück und bedauerte, dass arkonidische Schiebetüren nicht ins Schloss geknallt werden konnten.
Wiederum gelang es Axton mühelos, durch die Scheibe in den Salon von Eppriks Wohnung einzudringen. Und abermals öffnete sich die Tür zum Heimbüro des Ingenieurs, ohne dass ein Alarmsignal ausgelöst wurde. Als Axton jedoch eintreten wollte, hörte er gedämpftes Gelächter aus einem der anderen Räume. Beunruhigt blieb er stehen. Hatte er sich geirrt? Epprik hatte ihm doch während der Besichtigung auf dem Kriegsplaneten mitgeteilt, dass er an diesem Abend noch auf Arkon III sein würde. Sollten dennoch Gäste in der Wohnung weilen? Gäste der jungen Frauen? Er beschloss, das Risiko einzugehen, betrat das Büro, schaltete das Licht ein und eilte sofort zur Hauptpositronik. Ohne sich lange mit vorbereitenden Arbeiten aufzuhalten, begann Axton, seine Untersuchungen dort fortzuführen, wo er sie beim ersten Besuch hatte unterbrechen müssen. Erst später erinnerte er sich daran, dass er noch die Überwachungskameras manipulieren musste, und holte das nach, ohne dabei viel Zeit zu verlieren. Hin und wieder ging er zur Tür und horchte. Zweifellos hatte sich in einem der vierundzwanzig Räume der Wohnung eine Gesellschaft zusammengefunden. Axton fertigte sorgfältig mehrere Aufzeichnungen an, die er notfalls als Beweis zu benutzen gedachte, bevor er sich intensiver mit den Maahk-Kontakten Eppriks befasste, die auch in anderen Dateien angesprochen wurden. Innerhalb einer Tonta sammelte Axton alle Informationen, die in der Positronik zu diesem Thema vorhanden waren. Danach hatte sich das, was sich als Sensation angelassen hatte, weitgehend in Luft aufgelöst. Axtons Vermutung war richtig gewesen. Epprik hatte im Auftrag Orbanaschols gehandelt. Daran konnte es keinen Zweifel mehr geben. Mit diesem Einsatz war er also nicht zu packen. Doch der Terraner gab nicht auf, sagte sich, dass Fernstel einen triftigen Grund gehabt haben musste, als er ihn
auf Epprik ansetzte. Die Methankontakte konnten es nicht gewesen sein, deshalb forschte er weiter. Und endlich, nach mehr als zwei Tontas härtester Konzentrationsarbeit, fand er die Spur, die er gesucht hatte. Aus den positronischen Aufzeichnungen ließ sich eine verschlüsselte Information herausfiltern, nach der Epprik schon als junger Mann ein wichtiger Mitarbeiter Gonozals VII. gewesen war. Diese Tatsache war jedoch schon seinerzeit nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt gewesen. Jetzt endlich bekamen die Nachforschungen Axtons ein anderes Gesicht; das Dunkel begann sich zu lichten. Der Terraner nahm die Spur auf, stieß auf eine Aufzeichnungsschleife, in der Epprik klar aussagte, dass Gonozal VII. ermordet worden sei. Er wies Behauptungen, es habe sich um einen Unglücksfall gehandelt, energisch zurück. Und er betonte, dass der Sohn Gonozals, Kristallprinz Atlan, allein einen Anspruch auf den Thron des Großen Imperiums habe. Die letzte Bemerkung genügte bereits, um Epprik zu vernichten. Mehr brauchte Axton nicht; es hätte ausgereicht, Fernstel diese Informationen zugänglich zu machen. Mit ihnen hätte der Geheimdienstler den Günstling Orbanaschols mühelos stürzen können. Doch Axton gab nicht auf, wollte mehr wissen. Und wiederum hatte er Glück. Die Positronik lieferte wenig später eine weitere mit dem gleichen Kode verschlüsselte Information. Ihr zufolge hatte Epprik einen einflussreichen Politiker, der ein fanatischer Anhänger Orbanaschols gewesen war, mit einer Intrige zu Fall gebracht. Es war ihm gelungen, dafür einen anderen Mann am Hof einzuschleusen, der eindeutig auf Atlans Seite stand. Als Axton eine Notiz über Atlan las, wurde es im Nebenraum laut. Der Terraner erstarrte vor Schreck. Deutlich hörte er Gelächter und Männerstimmen. Blitzschnell schaltete er die Positronik aus, schob sich alle Datenspeicher und
Aufzeichnungen in die Jackentasche, beseitigte alle Spuren, so gut es ging, und schaltete das Licht aus. Danach tastete er sich zu einem Schrank, öffnete ihn, fand genügend Platz darin und zog die Tür bis auf einen Spalt zu. Dann horchte er. Den Stimmen nach, die er hören konnte, hielten sich im Salon mindestens zwanzig Männer und Frauen auf; alle schienen ausgelassener Stimmung zu sein. Einige Male konnte er klar Eppriks Stimme identifizieren, war überrascht, dass der Ingenieur vorzeitig zu Hause war, aber noch nicht beunruhigt. Das aber änderte sich schlagartig, als der Name Orbanaschol in einer Weise fiel, dass Axton das Gefühl hatte, als gebe der Boden unter ihm nach. Sollte der Imperator des Großen Imperiums tatsächlich im Nebenraum sein? War es möglich, dass sich der Todfeind Atlans in unmittelbarer Nähe befand? Maßlose Erregung überfiel Axton. Er hielt es nicht mehr im Schrank aus, sondern eilte zur Tür und presste das Ohr dagegen. Klar und deutlich konnte er die Stimmen hören. Und wieder fiel der Name des Imperators. Unmittelbar darauf sprach ein Mann, im Salon wurde es still. Die Stimme war unverkennbar! Axton fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Jetzt war er ganz sicher, dass ihn nur wenige Schritte vom mächtigsten Mann im Tai Ark’Tussan trennten. Jenem Mann, der den Befehl gegeben hatte, Atlan zu ermorden. Axtons Hand krallte sich um den Griff des Nadelstrahlers; er war versucht, die Tür zu öffnen und blitzschnell auf Orbanaschol zu feuern. Er wusste, dass er ihn töten konnte – hier und jetzt! Was dann aus ihm wurde, spielte keine Rolle. Er wusste ja nicht einmal genau, ob er wirklich in diesem Universum, in dieser Zeit sterben konnte. Aber er wusste, dass er den Imperator töten konnte. Damit würde er fraglos einen ungeheuren Eingriff in die arkonidische Geschichte vornehmen; er würde die Vergangenheit, die für ihn jetzt
Gegenwart war, grundlegend beeinflussen, ohne die Konsequenzen überhaupt übersehen zu können. Durfte er Orbanaschol überhaupt töten? Axton zwang sich zur Ruhe. Ging es denn wirklich um eine geschichtliche Notwendigkeit? Und wie würde für ihn die Zukunft aussehen? Die zweite Frage ließ sich leicht beantworten: Er würde sofort erschossen werden; damit war sein Intermezzo in dieser Zeit zu Ende. Und was hatte er erreicht? Nicht mehr als den Tod eines Diktators, ohne dass er wusste, ob dieser Tod Atlan wirklich half. War es nicht wichtiger, wirklichen Einfluss am Hof zu gewinnen, um Atlan so den Weg nach Arkon und zum Thron zu ebnen? Waren die Vorteile für den jungen Kristallprinzen nicht ungleich größer, wenn es ihm – Sinclair Marout Kennon in der Gestalt von Lebo Axton – gelang, eine echte Machtposition zu erreichen? Axton ließ die Hand sinken, fuhr sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. Die Versuchung war groß, eine scheinbar einfache Lösung zu wählen. Aber die Entscheidung wäre falsch gewesen – unabhängig von sonstigen Folgen für den ihm bekannten Ablauf der Zeit. Nachdenklich tastete sich Axton wieder bis zum Schrank vor, fühlte die Tür zwischen den Fingern, als die Tür zum Salon geöffnet wurde und Licht ins Büro fiel. Es gelang Axton gerade noch, im Schrank zu verschwinden und die Tür bis auf einen Spalt zu schließen. Axton sah Orbanaschol, der im Durchgang stand und ein Glas in der Rechten hielt. »Gun«, rief der Imperator mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Ich möchte deinen Arbeitsraum besichtigen, von dem du so viel erzählst. Hast du etwas dagegen?« Epprik lachte und schaltete das Licht ein. »Wie könnte ich.« Der Höchstedle trat ein, sein Gefolge drängte hinterher.
Axton presste sich in den Schrank und versuchte, die Tür noch weiter zuzuziehen. Es gelang nicht; irgendetwas klemmte. Mit größtem Unbehagen verfolgte der Terraner, wie Epprik seine Gäste mit den interessanten und fast spannenden Aspekten seiner Arbeit vortraut machte. Gleichzeitig stellte er sich vor, dass der Thi-Laktrote innerlich zittern musste, obwohl die Aussicht, dass Orbanaschol etwas Verdächtiges finden konnte, gering war. Durch den Türspalt sah Axton, dass eine der Damen eine Art Schoßhündchen auf dem Arm trug. Es sah aus wie ein violettes Wollbündel, bei dem vorn und hinten nicht zu unterscheiden waren. Aber es bewegte sich unruhig, bis es ihm gelang, sich zu befreien und auf den Boden zu springen. Jetzt sah Axton, dass das Tier auf sechs Stummelbeinen lief, und er glaubte auch, unter dem flauschigen Fell zwei wache Augen zu erkennen. Und natürlich kam das Vieh schnüffelnd genau auf den Schrank zu! Axton sah das Unheil nahen, krallte die Finger um die Leiste an der Türinnenseite und zog so fest, wie es eben ging. Doch das genügte nicht. Das Wollbündel hatte den Schrank erreicht – und zerrte an einem Zipfel von Axtons Jacke, die nach draußen ragte. Plötzlich wusste er, warum sich die Tür nicht schließen ließ, und fluchte lautlos. Er packte die Jacke mit einer Hand und riss heftig daran. Damit forderte er aber den Spieltrieb des Tiers heraus, das sich den Stoffzipfel nicht nehmen lassen wollte. Es knurrte lauter und stemmte sich mit allen sechs Beinen gegen den Zug. Schon näherten sich die männlichen Stimmen, wurden lauter. Axton konnte Eppriks Stimme heraushören, versuchte mit wachsender Verzweiflung, den Jackenzipfel zu bergen. Je mehr er sich aber bemühte, desto lauter wurde das Tier. Als Epprik und Orbanaschol höchstens noch anderthalb oder zwei Meter entfernt sein konnten, sah Axton endlich ein, dass er sich falsch verhielt. Er lockerte den Griff und gab ein wenig von
der Jacke frei. Leider ließ sich das Tier nicht besänftigen, sondern jaulte triumphierend auf und kämpfte nun noch eifriger um einige Zentimeter Stoff. Lebo Axton rann der Schweiß in die Augen; die Kehle schnürte sich zu. Er wusste, dass er verloren war. Mit einem energischen Ruck, dem selbst ein wesentlich stärkeres Tier nicht hätte widerstehen können, brachte er den Jackenzipfel an sich. Dabei flog das Pelzbündel mit der Nase gegen die Schranktür – um sofort quiekend zu seiner Herrin zurückzurennen. Ein Schatten fiel auf den winzigen Türspalt. Axton zog den Nadelstrahler, der Sicherungsbügel klickte leise, vor dem Projektordorn entstand ein zartes Flirren. Mit der Linken umklammerte der Terraner die Leistenkante. Unwillkürlich hielt er den Atem an, spannte die Muskeln und bereitete sich darauf vor, mit einem energischen Satz aus dem Schrank zu springen. Sein letztes Ziel konnte und musste nur Orbanaschol sein; unter diesen Umständen musste er versuchen, den Imperator zu töten. Er hatte keine andere Wahl, denn in wenigen Augenblicken würde die Expedition in die Zeit des jungen Atlan zu Ende sein … Axton vernahm die Stimmen den Frauen und Männer, als seien sie durch Watte gedämpft. Sie schienen immer weiter fortzurücken, ohne dass eine Pause eintrat. Das war für Axton ein sicheres Zeichen, dass sich der Mann vor dem Schrank nichts anmerken ließ. Hatte er etwas entdeckt? Im nächsten Augenblick schlug eine Faust gegen die Tür, die ins Schloss fiel. Axton registrierte überdies, dass sich jemand gegen den Schrank lehnte, sah fast bildlich einen Mann vor sich, der die Arme vor der Brust verschränkte und sich mit den anderen unterhielt, als sei nichts geschehen. Dieser Mann konnte nur Gun Epprik sein! Axton ächzte in Gedanken; fraglos wusste der Ingenieur, wer sich im Schrank versteckte. Sofern er nur einigermaßen logisch dachte, musste er sich darüber im Klaren
sein, dass ein normal gewachsener Mann nicht in den Schrank passte – und da es sein Büro war, wusste er auch, dass es nichts gab, was die Reaktion des Tieres hätte erklären können. Axton ließ die Waffe sinken; der Sicherungsbügel schnappte herum, das Flimmern erlosch. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, während für Augenblicke die Welt völlig zu versinken schien. Er hörte Stimmen aus unendlicher Ferne, als gingen sie ihn überhaupt nichts an. Warum hatte Epprik die Tür nicht aufgerissen und ihn herausgezerrt? Waren ihm Zweifel gekommen, ob ihm Orbanaschol noch bedingungslos vertraute? Gab es andere Gründe? Axton atmete tief durch, lehnte den Kopf zurück. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen. Er wusste, dass er für einige Zeit sicher war. Da Epprik nicht sofort den Schrank geöffnet hatte, bedeutete das, dass er es auch nicht tun würde, solange der Imperator anwesend war. Oder doch? Wollte Epprik versuchen, Orbanaschol unauffällig aus dem Raum zu geleiten, um ihn aus der Gefahrenzone zu bringen? Stand der Ingenieur vielleicht jetzt schon mit einer Waffe vor dem Schrank? Axton schloss die Augen, spürte voller Entsetzen, dass sich seine Wadenmuskeln verkrampften. Zu lange befand er sich schon in einer ungünstigen Stellung. Er wusste, dass es nur eine Möglichkeit gab, einen Wadenkrampf zu lösen – er musste die Beine strecken, sonst nahm er unerträgliche Schmerzen in Kauf. Da er aber die Beine nicht ausstrecken konnte, ohne gleichzeitig die Tür aufzustoßen, versuchte er, sich mit einer Dagor-Übung zu entspannen. Die Umwelt schien in Unwirklichkeit zu entschwinden, die Stimmen wurden leiser, entfernten sich mehr und mehr, wurden zu einem fernen Murmeln. Schließlich wurde es still. Axton erwachte aus seinem tranceähnlichen Zustand; in seinen Beinmuskeln hämmerte das Blut. Draußen war es weiterhin
still. Eppriks Gäste hatten sich sogar aus dem Salon zurückgezogen. Damit wich die Spannung jedoch keineswegs; nur die unmittelbare Lebensgefahr schien behoben. Als Axton versuchte, den Schrank zu öffnen, es gelang nicht. Die Tür widerstand seinen Bemühungen, sosehr er sich auch anstrengte. Er tastete sie nach einer Verriegelung ab, fand jedoch keine. Nun warf er sich mit aller Kraft gegen die Tür – auch das half nichts. Schließlich musste er einsehen, dass er festsaß. Epprik hatte ihn eingesperrt! Wiederum entspannte er sich, aber diesmal war der Erfolg geringer. Der Krampf ließ sich nicht mehr lange hinauszögern. Axton setzte alle Tricks ein, die er im Laufe seines langen Lebens kennengelernt hatte, doch sein schwächlicher Körper sprach nicht darauf an. Sein Widerstand brach zusammen, die Muskeln verkrampften. Er hatte das Gefühl, zwei überaus harte Schläge gegen die Waden zu bekommen, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Zuckend stießen die Knie gegen die Tür, ohne sie aufstoßen zu können. Kurz darauf näherten sich Schritte …
Axton hörte es an der Tür klicken. Durch einen winzigen Spalt fiel Licht hinein. Die Schritte entfernten sich wieder, eine Stimme erklang: »Kommen Sie raus, Axton!« Der Verwachsene stieß die flache Hand gegen die Tür. Sie gab nach, er rollte aus dem Schrank, streckte sich augenblicklich, krümmte sich, packte die Füße und rückte die Beine durch. Fassungslos beobachtete Epprik, wie Axton die Wadenkrämpfe löste. Der Ingenieur hielt einen schussbereiten Kombistrahler in der Hand – damit, dass Axton keinerlei Anstalten machte, ihn anzugreifen, schien er nicht gerechnet zu haben. Einige Zentitontas verstrichen, bis sich der Terraner
keuchend zurücksinken ließ und mühsam lächelte. »So ein Wadenkrampf ist eine verdammt unangenehme Sache, mein Freund«, sagte er mit lockerem Plauderton. »Man ist völlig hilflos.« »Stehen Sie auf.« »Aber ja doch.« Lebo Axton bewegte sich vorsichtig, sodass Epprik ihn genau beobachten konnte und sah, dass der unerwünschte Besucher nicht zur Waffe griff. Gelassen kreuzte der Terraner die Arme vor der Brust und lächelte. »Eine hübsche Überraschung, nicht wahr?« »Das meinen Sie, Axton. Wäre nicht der Imperator in der Nähe gewesen, hätte ich Sie augenblicklich erschossen.« »Das hätten Sie wirklich getan? Wie kann man nur«, spottete Axton. »Ein Mann wie Sie nimmt Rücksicht auf den Mann, der Gonozal ermordet hat?« Epprik erbleichte, seine Augen füllten sich mit Tränen. Die Waffe ruckte hoch, gleichzeitig wich er einen weiteren Schritt zurück. »Orbanaschols Günstling weiß also etwas von den Vorgängen um Gonozals Tod. Aber er schweigt. Will er den Mörder schützen? Oder fühlt er sich gelähmt, weil er weiß, dass ein Mann namens Bure Fernstel ebenfalls alles über ihn in Erfahrung gebracht hat, was ihn selbst stürzen könnte?« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« »Oh doch, Sie wollen es nur nicht wahrhaben.« Axton setzte sich in einen Sessel und massierte die Waden. »Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit ist, die Waffe wegzustecken?« »Ganz im Gegenteil! Ich werde Sie jetzt erschießen; niemand wird mir einen Vorwurf machen können. Sie sind nur ein Einbrecher, den ich überrascht habe.« »Sollten Sie das tun, müssen Sie auch Fernstel umbringen. Und auch noch den Mann, den dieser bereits eingeweiht haben dürfte – nämlich seinen Vorgesetzten. Und den
Höchstedlen. Und Sie müssen sämtliche Akten beseitigen, die beim Geheimdienst angelegt wurden.« »Sie erbärmlicher Lügner. Niemand würde es wagen, mich auch nur zu verdächtigen. Orbanaschol würde jeden beseitigen lassen.« »Ich weiß, Epprik.« Axton gab sich gelassen. »Irgendwann aber wird auch eine solche Sicherheit brüchig. Vielleicht ist das gerade jetzt der Fall? Wer weiß das schon?« Der Leitende Ingenieur wurde unsicher, wusste nicht, wie er sich entscheiden sollte. Anklagend sagte er: »Sie haben mein Vertrauen maßlos enttäuscht.« »Können wir jetzt vernünftig miteinander reden? Weshalb fragen Sie sich nicht, was ich hier überhaupt zu suchen habe? Vielleicht finden Sie dann heraus, dass wir Verbündete oder sogar Freunde sein könnten?« Der Thi-Laktrote blickte verächtlich. »Freunde? Machen Sie sich nicht lächerlich.« »Also gut«. Axton seufzte. »Ich will Ihnen entgegenkommen. Sie waren so leichtsinnig, Ihr Geständnis in der Positronik zu speichern.« »Geständnis? Welch ein Unsinn.« »Ich verstehe eine Menge von solchen Geräten. Und ich habe gefunden, was Sie gespeichert haben. So weiß ich, dass Sie ein Mitarbeiter Gonozals des Siebten waren und dass Sie auf seinen Sohn Atlan hoffen. Auf den Kristallprinzen, meinen Freund.« Jetzt endlich legte Epprik die Waffe ab, sank in einen Sessel und blickte Axton fassungslos an. »Sagen Sie das noch mal.« »Ich bin ein Freund Atlans. Der Grund meines Aufenthalts auf der Kristallwelt besteht ausschließlich darin, ihm zu seinem Recht zu verhelfen. Ich will ihm den Weg zur Macht ebnen. Nicht mehr und auch nicht weniger. Sie sind der Erste, dem ich das mitteile, weil ich von Ihnen weiß, dass Sie dieses
Ziel ebenfalls verfolgen. Ihre Möglichkeiten sind nur bedauerlicherweise bescheidener als meine.« »Sie gestatten, dass ich lache? Ihre Möglichkeiten? Axton, Sie sind erledigt! Sie haben überhaupt keine Möglichkeiten mehr.« »Sie irren sich. Ich bin vom Geheimdienst des Imperiums, vertreten durch Bure Fernstel, auf Sie angesetzt worden. Die Celistas sind über Sie informiert!« »Warum sollte er Sie dann noch auf mich ansetzen? Das wäre doch Unsinn.« »Keineswegs. Ich wurde zwar verhört, gab jedoch keine Auskünfte über meine Vergangenheit oder Herkunft. Aber ich habe dem Imperium wertvolle Dienste geleistet, sodass es auch keinen Grund gab, mich abzuschieben oder umzubringen. Man will mich also prüfen. Man will feststellen, ob ich wirklich loyal zu Orbanaschol stehe.« »Was nicht der Fall ist?« »Sie haben Recht. Und das ist die Schwierigkeit. Ich bin überzeugt davon, dass Fernstel die Möglichkeit hat, Sie zu vernichten, wann immer er es will. Er hat mir eine Falle gestellt, indem er mir einen Fall übertragen hat, der bereits aufgeklärt ist. Da das Ergebnis bereits feststeht, kann ich es nur bestätigen. Tue ich das, vernichte ich Sie, einen Gegner Orbanaschols und Freund Atlans. Tue ich es nicht, decke ich Sie und beziehe eindeutig Front gegen den Imperator. Das wäre dann auch für mich das Ende.« »Wie können Sie so etwas behaupten, Axton? Wie können Sie wissen, dass Fernstel …? Alles Spekulationen!« Axton lächelte. »Aus Ihrer Sicht als Ingenieur haben Sie Recht. Ich aber bin ein Mann, der seit langer Zeit nahezu nur wie ein Geheimdienstler denkt. Diese Welt ist eine ganz andere und besondere. Sie ist voller Fallstricke, Hintertüren und Doppelgedanken, die geradlinig denkenden Wesen ewig verschlossen bleiben. Ich hätte an Fernstels Stelle genauso
gehandelt, um jemanden mit meinen Voraussetzungen zu prüfen.« Epprik überlegte lange angestrengt, ehe er zustimmend nickte. »Ich verstehe. Was aber werden Sie jetzt tun? Der Fall ist aufgeklärt. Für Sie fehlt nur noch der Abschluss. Liefern Sie den nicht, weiß Fernstel doch Bescheid, oder?« »Richtig. Ich kann mein Untersuchungsergebnis vielleicht noch einige Pragos hinauszögern, aber dann muss ich mich klar bekennen.« »Eine ausweglose Situation – für uns beide.« »Richtig – auf den ersten Blick.« Der Thi-Laktrote war überrascht und verstand nicht, was der Verwachsene meinte. »Es gibt einen Ausweg?« »Natürlich.« »Welchen?« »Ich muss gegen Fernstel kämpfen. Ich muss ihn zu Fall bringen – aber so, dass er den Braten erst riecht, wenn er keine Möglichkeit einer Gegenwehr mehr hat.« »Sonderbarer Vergleich – und wohl unmöglich.« »Vielleicht, Epprik, aber es ist unsere einzige Chance.« »Was hätten Sie getan, hätte ich Sie nicht überrascht?« »Dann wäre ich spätestens morgen zu Ihnen gekommen und hätte Sie um Ihre Mitarbeit gebeten.« Die Männer sahen einander in die Augen, der anfängliche Argwohn des Ingenieurs schwand allmählich. Er erkannte, dass Axton es wirklich ernst meinte. »Bis vor Kurzem habe ich mich noch absolut sicher gefühlt«, gestand Epprik. »Ich habe nicht daran geglaubt, dass mich der Geheimdienst stürzen könnte. Jetzt aber muss ich zugeben, dass die Welt dieser Leute tatsächlich zu undurchsichtig für mich ist.« »Sagen Sie mir alles, was es über Sie zu erzählen gibt«, bat Axton. »Oder muss ich Ihnen erst beweisen, dass ich die
Wahrheit gesagt habe?« Er griff in die Jackentasche und holte Speicherkristalle und Folien heraus, ließ dem Ingenieur ausreichend Zeit, alles durchzusehen. »Sie sind mir unheimlich, Mann«, sagte Epprik schließlich. »Immerhin bin ich KSOL-Spezialist. Nie und nimmer hätte ich es für möglich gehalten, dass es jemanden gibt, der diese Dinge, die ich selbst verschlüsselt habe, herausfindet. Aber Sie haben es geschafft. Wer sind Sie?« »Ein Terraner.« »Terraner? Ich habe nie von einem solchen Volk gehört.« »Das können Sie auch nicht, mein Freund. Vielleicht werde ich Sie später einmal eingehend darüber informieren.«
Als Lebo Axton die Tür zur Parknische öffnete, in der sein Gleiter stand, saß Gentleman Kelly bereits in der Maschine. Inzwischen hatte der Terraner sie gründlich untersucht, zwei Abhöreinrichtungen entfernt und war sich sicher, dass er sich fortan unbelauscht mit dem Roboter unterhalten konnte. Er setzte sich neben Kelly. »Guten Morgen. Es freut mich zu sehen, dass du nicht mehr auf der Terrasse stehst. Wurde es dir dort zu kalt?« »Keineswegs. Du weißt, dass Roboter nicht frieren. Ich war allerdings besorgt, dass man mich hätte sehen können.« »Aha, du warst besorgt. Dann ist ja alles gut.« Axton ließ sich nicht anmerken, dass er erleichtert war. Der Roboter »dachte« in bemerkenswerter Weise mit, hatte gewusst, dass er sich nicht sehen lassen durfte, und die richtigen Konsequenzen gezogen. Kelly startete nach Axtons Wink und lenkte den Gleiter mit hoher Geschwindigkeit zur Wohnung des Terraners. Als dieser das Appartement betrat, saß Bure Fernstel in einem Sessel des Wohnraums. Er hatte die Beine
übereinander geschlagen und hielt die Arme vor der Brust gekreuzt. Neben ihm stand ein dampfend heißes Getränk – K’amana –, das terranischem Kaffee ähnlich war. Der Geheimdienstler zeigte ein undurchsichtiges Lächeln. Axton hatte sich beispielhaft in der Gewalt, verarbeitete die Überraschung im Bruchteil eines Augenblicks und ließ sich nicht anmerken, wie sehr er erschrak. »Ich freue mich, dass es Ihnen gelungen ist, in meine Wohnung einzudringen. Ich hoffe, Sie haben alles gefunden, was Sie für Ihr leibliches Wohl benötigen?« Er ging zu einem Sessel und setzte sich. Mit einem Fingerschnippen befahl er Kelly, ihm ebenfalls etwas zu trinken zu bringen. Der Roboter brachte zusätzlich einen Frühstückssalat. »Danke, ich bin zufrieden. Ich hoffe im Gegenzug, dass Sie es auch sind.« »Natürlich. Wie könnten Sie annehmen, dass ich es nicht bin?« Der Arkonide beugte sich vor; nun war das Lächeln verschwunden. »Zur Sache, Axton. Was haben Sie herausgefunden?« »Alles, was ich mir bis zu diesem Zeitpunkt vorgenommen habe.« »Und das ist?« Fernstels Stimme klang rauer und ungeduldiger, weil der Verwachsene nicht weitersprach. Axton hob abwehrend die Arme. »Sie kennen mich doch. Sie haben selbstverständlich den Fall Mosselcrin genau studiert, bis in jede Einzelheit. Und Sie haben auch genau untersucht, was im Squedon-Kont-Viertel passiert ist. Sie kennen mich also besser, als Sie zugeben wollen oder können.« »Was wollen Sie damit sagen?« Axton trank gelassen aus und nahm einige Bissen vom Salat. »Bure Fernstel«, sagte er mit beinahe vorwurfsvollem Ton.
»Sie wissen genau, dass ich den Mund nicht eher aufmache, bis der Fall restlos geklärt ist. Zwischenberichte gibt es bei mir nicht, weil sie lediglich zu Spekulationen und Fehlschlüssen führen.« Der Mann, den Axton töten musste, wollte er selbst überleben, blickte ihn aus verengten Augen an. »Ich warne Sie. Versuchen Sie kein falsches Garrabospiel mit mir.« »Wie käme ich dazu? Ich bin mir bewusst, dass so etwas viel zu gefährlich ist.« »Was ist auf Arkon Drei passiert?« »Sie haben einen Mann erschossen, der zuvor versucht hat, die Riesenpositronik zu manipulieren. Ziemlich stümperhaft übrigens. Derart oberflächennah gibt es keine relevanten Schaltkreise. Ich habe die Aufzeichnungen von ihm und seiner Tat, aber ich werde sie Ihnen erst dann geben, wenn meine Arbeit erledigt ist.« Das linke Augenlid Axtons zuckte; er konnte diesen unkontrollierten Nervenreflex nicht unterdrücken, der ein allzu deutliches Zeichen seiner Erregung war. Das Gespräch mit Fernstel hatte einen kritischen Punkt erreicht. Selbstverständlich konnte der Arkonide verlangen, das belastende Material sofort ausgehändigt zu bekommen. Fernstels Gesicht entspannte sich; ein unmerkliches Lächeln erschien auf den Lippen. »Sie sind unverfroren. Aber das gefällt mir. Sie schrecken nicht davor zurück, mir einen Mord zu unterstellen; einen Mord an einem Mann, der nur von Ihnen identifiziert werden kann.« »Wer spricht von Mord? Zweifellos hatten Sie keine andere Wahl. Der Unbewaffnete hat Sie in eine derart verzweifelte Situation gebracht, dass Sie in höchster Not schießen mussten. So etwas nenne ich Notwehr zweiten Grades.« »Und was wäre Notwehr ersten Grades?« »Wenn der Mann gefesselt gewesen wäre.«
Fernstel lachte kurz auf. »Sie sind ein Gork, direkt aus dem Lakhros entstiegen! Natürlich ist das, was Sie behaupten, kompletter Unsinn. Ich habe nichts mit dem Fall zu tun; zu dieser Zeit befand ich mich auf der Kristallwelt.« »Das glaube ich Ihnen sogar. Ein Mann wie Sie schießt selten selbst. Aber lassen wir das. Sie wissen, dass Ihnen die Informationen nicht entgehen; sie befinden sich in dieser Wohnung, und sie stehen Ihnen selbstverständlich zur Verfügung, wann immer Sie sie benötigen. Ich möchte Sie lediglich bitten, noch einige Pragos zu warten. Dann habe ich den Fall abgeschlossen. Es wird eine Überraschung allerersten Ranges am Hof geben.« Unwillkürlich blinzelte Fernstel, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. Er zog die Schlüsse aus den Worten, die er hatte ziehen sollen. Axton stellte zufrieden fest, dass der Arkonide offenbar glaubte, er sei loyal und beabsichtige, Epprik zu stürzen. Etwas anderes erschien Axton nicht möglich. Daraus ließ sich wiederum schließen, dass Fernstel selbst absolut loyal zu Orbanaschol stand – was wiederum bedeutete, dass doppelte Vorsicht geboten war. Fernstel stand auf, zögerte kurz und verabschiedete sich dann. Axton atmete auf, als er allein war. Die Zeit wurde knapp. Er konnte und durfte nun nicht mehr lange warten, sondern musste seinen Angriff auf Fernstel sofort beginnen. Was war zu tun? Er musste Informationen über den Mann auswerten; irgendwo musste es eine schwache Stelle geben, denn irgendwo würde auch jemand wie er verwundbar sein. »Kelly«, sagte er. »Was schlägst du vor? Was ist zu tun?« »Du solltest schlafen, Schätzchen.« »Das ist keine schlechte Idee. Ab und zu gibst du tatsächlich auch etwas Vernünftiges von dir.«
21. Gellor Ma-Kynaan: Institutionen des Großen Imperiums, ein Wegweiser für Karrierebewusste; kopiergeschützte Kristallspeicherversion, 19.015 da Ark … ist das imperiale Strategiespiel der Arkoniden dem terranischen Schach vergleichbar (sofern es sich nicht, eingedenk des wiederholten Eingreifens unseres geliebten Zhdopanthi Gonozal VIII. in der Vergangenheit von Larsaf III, sogar um eine direkte Adaption handelt). Garrabo – wörtlich: »Quadrat-Strategie« – wird auf einem Spielfeld aus zehn mal zehn Quadraten mit zwei mal zwölf Figuren gespielt; eine kleinere Variante hat acht mal acht der abwechselnd schwarzen und weißen Sektoren. Die Figuren entsprechen den Zwölf Heroen; je zwei Schwertkämpfer, Bogenschützen, Läufer, Barden, Zhygor’ianta sowie die beiden Hauptfiguren Osmaá Loron und Vretatou. Ziel ist es, Vretatou seines Gegners zu schlagen, als Vretatou-Lok umschrieben. Auf Arkon I entstanden, erlangte Garrabo nach den Archaischen Perioden eine derartige Beliebtheit, dass es zu allen Welten des Tai Ark’Tussan getragen wurde. Gefordert sind Intelligenz, logisches Denken und vor allen Dingen eine gute Kombinationsgabe. Die Spieler müssen die Absichten ihres Gegners rechtzeitig erkennen und die Züge vorausberechnen. Deshalb wurde es sogar bei den Raumakademien zum Pflichtfach, und auch im Rahmen der ARK SUMMIA wird viel Garrabo gespielt; abgeleitet davon sind geflügelte Worte wie Garrabozug, Garrabofigur usw. Kern der Sagas um die Zwölf Heroen sind vielfältige Erzählungen, die nicht allein auf den Kulturkreis der Arkoniden beschränkt sind und von den Taten der Berlen Taigonii berichten; elf außergewöhnliche Frauen und Männer, die gegen Bestien kämpften und sie besiegten – je nach Kultur und Erzählungsraum die verschiedensten Ungeheuer, Drachen oder Monster – und nach dem
Zwölften, der mystischen Rettergestalt Vretatou, suchten, allerdings vergeblich …
Arkon I: 30. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Als Axton glaubte, sich genügend erholt zu haben, verließ er auf dem Rücken des Roboters die Wohnung und stieg in den Gleiter. Er setzte sich hinter Kelly auf die Rückbank und überließ es dem Roboter, den Gleiter zu steuern. Kelly startete zügig und flog nach Nordosten. Axton plante, Avrael Arrkonta einen Besuch abzustatten, erhoffte sich von dem Mann einige Informationen über Bure Fernstel. Der Gleiter war aber kaum zehn Kilometer weit geflogen, als sich die Arbeitsgeräusche des Antigravs zu einem schrillen Kreischen steigerten. Kelly schaltete blitzschnell, konnte aber nichts ändern. Unwillkürlich blickte Axton nach unten. Sie flogen noch in einer Höhe von zweihundert Metern, sanken aber rasch und näherten sich dem von Blumenbeeten umgebenen Jorain-See. »Was ist los?« »Der Antigrav versagt. Auch die Notvorrichtung funktioniert nicht. Wir müssen aussteigen, Gebieter.« »Das ist unmöglich.« Axton wurde bleich. »Wie haben keine Rettungsgeräte.« Tatsächlich befand sich nichts an Bord, womit sie einen Sturz hätten abfangen können. Die Antigravaggregate waren so robust und zuverlässig, dass es nur in äußerst seltenen Fällen zu Versagern kam. In solchen Fällen verhinderten jedoch redundante Notaggregate, die unabhängig vom Hauptsystem arbeiteten, eine Katastrophe. Dass nun beide Systeme gleichzeitig ausfielen, ließ sich kaum mit technischen Mängeln, Materialversagen oder dergleichen erklären. Einige Augenblicke funktionierte der Antigrav noch, dann gab es im
Heck eine Explosion. Eine Stichflamme durchbrach die Karosserie, der Gleiter senkte die Nase und raste wie ein Stein in die Tiefe. »Wir müssen raus, Gebieter. Steig auf meinen Rücken.« Axton verlor kostbare Augenblicke. In solchen Situationen musste er sich erst wieder klarmachen, dass er sich nicht mehr in seiner vollkommenen Vollprothese befand, die Vorfälle dieser Art mit spielerischer Leichtigkeit überstanden hatte. Häufig genug hatte er sogar über eigene Flugaggregate verfügt. Nun aber lebte er in seinem äußerst schwächlichen Menschenkörper, der keinerlei Belastungen gewachsen war. Bereits bei einem Sprung von einem Stuhl wären ihm die Beine hilflos unter dem Leib weggesackt. »Beeil dich!« Axton überwand die lähmende Starre, kroch zum Vordersitz, so schnell es eben ging, und klammerte sich an die Haltevorrichtungen am Ovalkörper des Roboters. Im gleichen Moment stieß Kelly die Tür auf. Axton sah, dass sie sich nur noch zwanzig Meter über dem See befanden und der Wasseroberfläche rasend schnell näher kamen. »Aufpassen!« Der Terraner krallte sich mit aller Kraft fest; dennoch wäre er fast von Kellys Rücken gerissen worden. Er presste sich an das Metall und schrie unwillkürlich auf. Der Gleiterjagte über sie hinweg, schlug zuerst auf die Wasseroberfläche, allerdings etliche Meter entfernt. Axton fühlte einen harten Schlag, sein Kopf ruckte nach vorn und prallte hart auf den Ovalkörper; er merkte noch, dass das Wasser über ihm zusammenschlug, dann wurde es dunkel.
Als er wieder zu sich kam, vernahm er besorgte Stimmen und fühlte einen Stich im linken Arm. Axton öffnete die Augen.
Ein Arkonide, den er aufgrund der grünen Kleidung und des Gosner’alor-Symbols auf der Brust als Bauchaufschneider identifizierte, beugte sich über ihn. Das Kreuz aus schwarzen Balken mit offenem Zentrum, umgeben von einem vierfach jeweils an den Kreuzbalken unterbrochenen Kreisring, war unverkennbar; mit hellblauem Hintergrund stand es für Medizin allgemein, bei goldenem Hintergrund für einen Arzt. »Wie geht es Ihnen?« Das injizierte Medikament rief Übelkeit hervor. Rücken und Kopf schmerzten; Axton hatte das Gefühl, die Beine nicht mehr bewegen zu können. »Glänzend«, sagte er schwach. »Ich fühle mich wie neugeboren.« »Lügen Sie nicht.« Der Yoner-Madrul zeigte ein mildes Lächeln. Axton presste die Lippen zusammen und stemmte sich mühsam hoch. Er fürchtete, wieder ohnmächtig zu werden, doch dann stabilisierte sich sein Kreislauf. »Es geht schon.« Erst jetzt bemerkte er, dass ungefähr zwanzig Frauen und Männer ringsum standen. Er befand sich am Seeufer; der Gleiter ragte zur Hälfte aus dem Wasser. Neben ihm saß Gentleman Kelly im Gras und beobachtete ihn. »Machen Sie sich keine Sorgen; nur der Schock«, murmelte Axton. »Es scheint alles in Ordnung zu sein.« »Ich fliege Sie zu Ihrer Wohnung.« »Dafür wäre ich Ihnen dankbar, Erhabener.« Der Bauchaufschneider half ihm hoch und führte ihn zum Gleiter. Kelly folgte ihnen und stieg zu dem Verwachsenen auf die Rückbank. Während Axton erneut mit einer Ohnmacht kämpfte, steuerte der Gleiter den bezeichneten Trichterbau an. Nachdem sich der Arkonide verabschiedet hatte, trug Kelly Axton in die Wohnung. Der Terraner schaffte es gerade noch, die nasse Kleidung abzulegen, dann brach er abermals zusammen.
Erst gegen Abend kam er wieder zu sich, glaubte dann aber, alle nachteiligen Folgen des Absturzes überwunden zu haben. In der Hygienekabine erfrischte er sich, nahm dann eine Kleinigkeit zu sich und betrachtete den Roboter, der den Zwischenfall schadlos überstanden hatte. Lediglich die Beine schienen noch etwas krummer zu sein. »Hast du den Gleiter untersucht?« »Allerdings, Liebling. Ich habe festgestellt, dass die Energieversorgung der Antigravaggregate gelockert beziehungsweise beim Notaggregat entfernt wurden.« »Also Sabotage?« »Eindeutig.« »Seltsam.« Axton schob den Teller mit den Speiseresten zur Seite. Er wusste nicht, wer den Anschlag auf ihn verübt hatte. Fernstel war es nicht gewesen, dieser hatte keinen Grund. »Wir fliegen zu Arrkonta, wie wir es vorgehabt haben. Besorg einen Gleiter.« Kelly ging zum Visifon und orderte einen Taxigleiter. Kurz darauf überflogen sie die Absturzstelle; das Wrack war bereits entfernt worden. Nert Arrkonta lebte in einer Luxuswohnung, deren Größe und Ausstattung sogar jene von Epprik übertrafen und die zu einem 500-Meter-Trichtergebäude gehörte, das mit elf weiteren die aufgelockerte Franc-Kelchsiedlung bildete, rund dreißig Kilometer südöstlich des Hügels der Weisen. Es gab Kunstschätze von erlesenem Wert. Etliche Gegenstände wiesen darauf hin, dass der Erhabene auf vielen Planeten gewesen war oder – als Nert – dort sogar Ländereien hatte. Als Arrkonta Axton empfing, wurde er wiederum von den beiden jungen Frauen begleitet, genau wie am Abend der Sonnenwette. Er schickte sie jedoch fort, während er mit Axton
zum Salon ging und auf die Sitzgruppe deutete. Axton setzte sich, Kelly blieb hinter ihm stehen. »Was führt Sie zu mir?« Arrkonta war blass, vergeblich bemühte er sich, die Anzeichen seiner Erregung zu unterdrücken. Er war ganz anders als bei der ersten Begegnung, als Axton ihn kennengelernt hatte – unsicher, um Konzentration bemüht. Von der früheren Überlegenheit des Has’athor war nichts mehr zu spüren. Lebo Axton fragte sich, warum das so war. Der Sonnenträger hatte keinen Grund, sich zu fürchten, hatte nichts getan, was ihn mit Fernstel in Kontakt bringen konnte. Oder doch? Plötzlich durchschaute Axton die Zusammenhänge; ihn überraschte die Erkenntnis der Wahrheit so sehr, dass er zunächst nichts zu sagen wusste. Unterdessen wurde Arrkonta immer unruhiger. »Ich frage mich, weshalb Sie zu mir gekommen sind. Das hat doch einen Grund.« »Sie sind so ganz und gar nicht der Mann, Nert, der die Spielregeln des Metiers beherrscht, in das Sie sich nun gewagt haben«, sagte Axton mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Was um alles in der Welt hat Sie veranlasst, das zu tun?« Die Augen des Mannes weiteten sich, wurden feucht. Sein Ton wurde schroff, wirkte aber keineswegs überzeugend. »Was meinen Sie?« »Ich glaube, das muss ich Ihnen nicht erläutern.« Die Männer sahen einander an. Axton war völlig ruhig, Arrkonta nahe daran, die Nerven zu verlieren. Seine Hand schob sich langsam zum Gürtel. »Sie sind ein Narr. Soll ich Ihnen erzählen, was vorgefallen ist?« Axton wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern fuhr fort: »Talhud hat Ihnen berichtet, dass ich Erkundigungen über Sie einzogen habe. Sie leben ebenso wie die meisten Arkoniden dieser Zeit in einer Atmosphäre der Unsicherheit, des Hasses und des ewigen Misstrauens. Keiner, so meinen Sie, kann dem anderen
vertrauen. Wer heute noch mächtig ist, kann morgen schon ein Opfer der Intrigen werden. Nun haben Sie erfahren, dass ich Kriminalist bin. Wissen sogar, dass ich einen Celista-Auftrag ausführe. Und nun meinen Sie, ich sei hinter Ihnen her? Wie kann man nur so kurzsichtig sein?« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« »Doch, das wissen Sie sehr gut. Sie sind in Panik geraten und haben jemanden beauftragt, an meinem Gleiter herumzubasteln. Um ein Haar wäre Ihr Plan aufgegangen.« »Sie sind wahnsinnig.« »Wirklich?« Axton war nun fast davon überzeugt, dass er richtig lag. Das Verhalten des Nert stärkte ihn noch in seiner Ansicht; hätte Arrkonta nichts mit dem Vorfall zu tun gehabt, wäre er weniger nervös gewesen. »Verlassen Sie meine Wohnung. Sofort!« »Das werde ich selbstverständlich tun, aber nicht jetzt. Erst will ich mit Ihnen reden.« »Ich wüsste nicht, was wir noch zu bereden hätten.« »Eine ganze Menge, Zhdopan. Zunächst einmal – und das mag Sie überraschen – sollen Sie wissen, dass ich Ihnen den Anschlag nicht verüble. Ich verstehe Ihr Motiv. Alles ist gut ausgegangen, wir sollten den Vorfall vergessen. Das heißt jedoch nicht, dass ich auch garantieren kann, dass Bure Fernstel nicht herausfindet, wer der Attentäter war. Ich bin nicht darüber informiert, ob Ihr Mann geschickt genug war, keine Spuren zu hinterlassen. Und ich weiß auch nicht, ob Fernstel nicht ähnliche Überlegungen anstellt wie ich und dann zum gleichen Ergebnis kommt. Ich jedenfalls werde ihm in keiner Weise helfen.« »Warum nicht? Ich hätte Sie beinahe umgebracht.« Axton ging über das Geständnis hinweg, als habe er es nicht gehört. »Es ist doch so einfach, Nert. Warum hören Sie denn nicht auf Talhud? Hat er Ihnen nicht angedeutet, dass ich
absolut ähnliche Interessen vertrete wie Sie auch?« »Ich habe ihm nicht geglaubt.« »Warum nicht?« »Warum nicht? Das fragen Sie? Fernstel ist ein Gork schlimmster Sorte. Er ist heimtückisch, gemein und hinterhältig. Ihm kann niemand vertrauen. Er ist ein unvorstellbar gefährlicher Mann, der keinerlei Skrupel kennt.« »Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?« »Durch einen Zufall habe ich von einem widerwärtigen Plan erfahren, den Fernstel ausgeheckt hat.« »Erzählen Sie.« »Sie wissen, dass ich ausgezeichnete Verbindungen zum Hof habe. Einer meiner Freunde hat mitgehört, wie Fernstel und Orbanaschol einen Plan entwickelten, mit dem der Imperator ein großes Vermögen an sich bringen will. Seine Erhabenheit ist die habgierigste Kreatur, die ich je kennengelernt habe. Er und Fernstel passen hervorragend zusammen; einer so schlecht wie der andere.« »Welchen Plan, Arrkonta?«, sagte Axton sanft. »Aliz da Tagbor ist ein hoher Flottenoffizier. Admiral Dritter Klasse. Ich wurde einige Mal von ihm eingeladen; er ist als Ma Khasurn-Oberhaupt der Tagbor. Vor etwa einem Jahr wurde er von Maahks gefangen genommen. Fernstel hat erfahren, dass Keon’athor Tagbor aus der Gefangenschaft entkommen ist; zurzeit ist er auf dem Planeten Ochtcan und wird im Laufe der nächsten zehn Pragos hier eintreffen. Die Leute Fernstels haben herausbekommen, dass er von den Methans präpariert wurde. Mit anderen Worten: Er ist nicht geflohen, sondern wurde freigelassen. Er soll den Imperator im Auftrag der Maahks umbringen! Die Methans haben ihn quasi als lebende Bombe zurückgeschickt, aber Fernstels Leute haben ihn, wie nicht anders zu erwarten, entlarvt.« »Könnten sie die Programmierung beseitigen?«
»Selbstverständlich. Das könnten sie. Aber Orbanaschol denkt gar nicht daran, das zu veranlassen. Im Gegenteil! Tagbor gehört einer der Adelsfamilien an, mit denen Orbanaschol zahlreiche Meinungsverschiedenheiten gehabt hat. Zu Tagbors Lehen gehören seit Langem Planeten, die der Imperator annektieren möchte. Wegen ihres KhasurnEinflusses und ihres Rufes konnte er das bislang nicht machen; jetzt aber sieht er eine Chance, die Tagbor in Verruf zu bringen und zu diskreditieren.« »Verstehe. Orbanaschol will den Attentäter zum Schein an sich herankommen lassen. Vielleicht darf Tagbor sogar seine Waffe auf den Höchstedlen richten. Aber er wird sie nicht abfeuern können.« »Vollkommen richtig. Fernstel wird dafür sorgen, dass die Waffe so präpariert ist, dass sie als Mordinstrument gar nicht funktioniert. Damit ist Tagbor erledigt. Und mit ihm sein ganzer Khasurn. Orbanaschol wird behaupten, dass sie für den Anschlag verantwortlich seien; er wird das gesamte Vermögen konfiszieren. Somit hat er auch eine weitere oppositionelle Kraft ausgeschaltet und die eigene Macht vergrößert.« »Sie könnten der Familie einen Tipp geben.« »Ausgeschlossen! Ich habe mir alles genau überlegt, kann nichts tun. Verrate ich den Plan, weiß Orbanaschol auch, wie der Plan bekannt geworden ist. Ich würde meinen Freund und wahrscheinlich auch mich selbst ans Messer liefern – und unter dem Strich nichts erreichen. Nein, ich muss schweigen, so schwer es mir auch fällt.« Lebo Axton lehnte sich zurück, ließ sich nicht anmerken, wie erregt er war. Plötzlich schien sich eine Chance zu bieten, Fernstel in Schwierigkeiten zu bringen. »Etwas müssen wir unternehmen. Irgendwie müssen wir verhindern, dass der Plan aufgeht.«
»Wie wollen Sie das tun?« »Man müsste dafür sorgen, dass Tagbors Waffe doch funktioniert …« »Das ist unmöglich. Machen Sie sich keine Illusionen, Axton. Auf diese Weise funktioniert es nicht. Wenn Fernstel sich etwas vorgenommen hat, führt er seinen Plan auch durch. Er gibt sich keine Blöße, weil er genau weiß, dass ihm ein einziger Fehler das Genick brechen wird.« »Wahrscheinlich haben Sie Recht. Vergessen wir das.« Axton rutschte aus dem Sessel und gab Kelly ein Zeichen, dass er aufsteigen wolle. »Wie dem auch sei, Arrkonta. Er könnte sein, dass ich in den nächsten Pragos Hilfe benötige. Vielleicht brauche ich eine kleine Information oder ein Spezialwerkzeug, das ich mir nicht selbst verschaffen kann, oder etwas Ähnliches. Dann rechne ich mit Ihrer Unterstützung.« Vom Rücken Kellys herab blickte er den Mann an. Arrkonta wusste, dass er einen schweren Fehler begangen hatte, als er sich zu dem Anschlag auf Axton hinreißen ließ. Nun schrak er aus verständlichen Gründen vor der Beteiligung an weiteren Aktionen zurück, die für ihn gefährlich werden konnten, und hob abwehrend die Hände. »Geht es nicht so, dass Sie mich aus dem Spiel lassen?« Der Verwachsene lächelte erstaunt. »Wie könnte ich das, mein lieber Arrkonta, nachdem Sie mich gezwungen haben, mich über Sie zu wundern?« »Soll das eine Drohung sein?« »Ich würde mich nie dazu hinreißen lassen, Ihnen zu drohen, Erhabener. Aber ich weiß dennoch, dass ich fest auf Ihre Hilfe rechnen kann.« Er winkte dem Arkoniden grüßend zu und ließ sich von dem Roboter aus der Wohnung tragen.
»Du brauchst unbedingt ein Antigravaggregat«, sagte Axton,
als er wieder neben Kelly im Gleiter saß. »So geht das nicht. Am besten gleich ein richtiges Fluggerät.« »Eine derartige Apparatur benötigt Platz. Wo sollte ich sie bei mir unterbringen?« »Oh, ich schlage vor, wir entfernen deinen Kopf. Der taugt ohnehin nichts.« Kelly antwortete nicht. »Du schweigst? Du gibst mir also Recht?« »Ich bin zutiefst betroffen.« »Dass ich nicht lache. Sagtest du nicht, dass du zu keinerlei Emotionen fähig bist? Und jetzt behauptest du, du seiest beleidigt? Also gut, ich lasse dir deinen Schädel. Aber nur, damit es nicht in deinen Rumpf hineinregnet.« Axton lehnte sich ins Polster und überlegte, was zu tun war. Beim Absturz hatten sie großes Glück gehabt. Hätten sie sich in größerer Höhe oder an anderer Stelle befunden, wäre er kaum lebendig davongekommen. Er beschloss, Epprik um Hilfe zu bitten, da er ohnehin auf dem Weg zu ihm war.
Als Axton den Salon betrat, eilte die Frau des Leitenden Ingenieurs mit den beiden Kindern gerade hinaus. Epprik kam mit schwerfällig wirkenden Bewegungen näher; seine Freundlichkeit wirkte verkrampft. Fraglos bereitete ihm der Besuch des Verwachsenen Unbehagen. »Fernstel war hier«, sagte er leise. »Er hat mir einige Fragen gestellt.« »Berichten Sie. Ich muss jede Einzelheit wissen.« Der Arkonide versuchte, das Gespräch mit dem Geheimdienstler in allen Einzelheiten zu rekonstruieren. Danach winkte Axton beruhigend ab. »Das hatte nichts zu bedeuten. Fernstel wollte sie beunruhigen – was ja auch gelungen ist. Er glaubt, dass ich Sie in den nächsten Tagen vernichten werde.«
Epprik schossen Tränen in die Augenwinkel. »Wie meinen Sie das?« Axton schilderte die Situation in schonungsloser Offenheit. »Es bleibt mir also keine andere Alternative. Er oder ich! Einer von uns muss verschwinden, und da ich einen gesunden Selbsterhaltungstrieb habe, wird er es sein.« Die Finger des Thi-Laktrote zitterten, als er sich fahrig über die Stirn strich. »Wie wollen Sie das anstellen?« Lebo Axton sagte es ihm und schloss mit den Worten: »Das alles geht natürlich nur mit Ihrer Hilfe.« »Was könnte ich tun?« Axton spürte, dass ihm der Ingenieur nicht helfen wollte. Er hatte Angst, alles zu verlieren, was er sich aufgebaut hatte. Daher scheute sich der Terraner nicht, ihm ganz klar zu sagen, dass seine Tage gezählt waren, solange sich Fernstel noch einschalten konnte. »Unterliege ich ihm, Epprik, sind Sie ebenfalls verloren! Sie müssen mir also helfen, weil das Ihre einzige Möglichkeit ist, sich selbst zu helfen.« »Was kann ich tun?« »Das klingt schon besser. Ich muss wissen, an welchem Tag und zu welcher Tonta Keon’athor Aliz da Tagbor am Hof eintrifft. Sie kennen den Plan Orbanaschols nun. Also ist Ihnen auch klar, dass der Sonnenträger zu irgendeiner Tonta die Möglichkeit haben muss, dem Imperator von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Diesen Zeitpunkt muss ich wissen.« »Wie könnte ich ihn erfahren?« »Das ist nicht weiter schwer. Sie können sich schließlich frei am Hof bewegen. Sie haben eine Reihe von Freunden. Fragen Sie die richtigen Frauen und Männer – dann können Sie mir bald die verlangten Auskünfte geben. Fernstels Plan ist das eine, die Festlegung von Audienzen im Rahmen des
Kristallprotokolls etwas anderes. Letzteres bleibt niemals auf einen kleinen Kreis beschränkt.« »Gut, ich gebe mir Mühe. Ich kenne den Tagbor-Khasurn. Auch dort müsste man etwas wissen. Ist das alles?« »Nein. Sie, der Günstling Orbanaschols, könnten mir die Tore des Kristallpalastes öffnen. Sie müssen mir helfen, im entscheidenden Moment an der Seite Orbanaschols zu sein.« »Sie wissen nicht, was Sie von mir verlangen!« »Sie irren. Sie irren sich grundlegend. Sobald Sie es sich in Ruhe überlegt haben, werden Sie erkennen, dass Sie alles relativ leicht bewältigen können. Und nun eine letzte Bitte: Ich benötige ein Antigrav- oder Flugaggregat für meinen Roboter. Es muss klein sein und muss uns beide tragen können. Vielleicht haben Sie ja auch noch einen Aggregatgürtel für mich selbst? Wann kann ich es haben?« »Sofort. Ich habe einige dieser Geräte.« Epprik stand auf und streckte einladend den Arm aus. »Begleiten Sie mich in meine Bastelstube. Dort habe ich alles, was Sie benötigen.«
Arkon I: 31. Prago des Ansoor 10.498 da Ark Schneller als gedacht erschien ein Bote Eppriks bei Axton in der Wohnung und überreichte einen Speicherkristall. Als der Terraner alleine war, schob er ihn in die Positronik: Der Ingenieur teilte ihm verschlüsselt mit, das Aliz da Tagbor bereits am nächsten Prago auf Arkon III eintreffen und zu Orbanaschol gebracht werden würde, um dem Höchstedlen persönlich Bericht zu erstatten. Axton erschrak. Damit hatte er nicht gerechnet, immerhin brauchte er Zeit, um seinen Plan umzusetzen. Von Anfang an hatte ihn die Idee fasziniert, Bure Fernstel mithilfe Tagbors zu Fall zu bringen. Er wusste, dass die Möglichkeit bestand, und er zweifelte nicht, dass Fernstel auch mit einem Angriff von
seiner Seite rechnete. Fernstel war ein Mann, der nichts dem Zufall überließ. Er mochte im Moment glauben, dass Axton loyal war, aber das würde ihn nicht dazu veranlassen, unvorsichtig zu werden. Kernstück von Axtons Plan war die Waffe. »Also, Kelly – was schlägst du vor? Was sollen wir tun?« »Fernstel wird die Waffe so präparieren, dass sie auf gar keinen Fall abgeschossen werden kann. Deshalb musst du die Dienstwaffe des Keon’athor gegen eine austauschen, die doch funktioniert.« »Ist das möglich?« »Nein.« Axton blickte den Roboter verärgert an. »Wenn es nicht möglich ist, verbitte ich mir derartige Vorschläge. Was ist denn in diesem Fall deiner Meinung nach möglich?« »Nach meinen Erkenntnissen überhaupt nichts.« »Du bist einfach zu dämlich. Du eignest dich höchstens als Staubsauger. Als solcher hättest du vielleicht einen gewissen Intellektuellentouch, aber das wäre auch alles. Ich muss überlegen.« Axton nahm die Ansichten Kellys keineswegs so auf die leichte Schulter, wie er nach außen tat. Sie entsprachen der logischen Auswertung aller Ausgangsdaten. Deshalb versuchte er, sich in die Lage Fernstels zu versetzen. Zunächst einmal konnte der Geheimdienstler nicht wissen, dass Axton über den Plan informiert war. Das war ein erster Vorteil. Dennoch würde er sich nach allen Seiten absichern, so, wie es auch Axton während seiner Tätigkeit für die USO getan hatte. Er würde also die Waffe, mit der das Pseudoattentat verübt werden sollte, erst im allerletzten Moment untauglich machen. Das war der Zeitpunkt, an dem Fernstel den Sonnenträger zu Orbanaschol begleiten würde. Verdammt, dachte Axton. Kelly hat Recht. Die Waffen
anschließend nochmals zu manipulieren ist in der Tat unmöglich. Blieb nur eine Möglichkeit: Er musste die Waffe so umfunktionieren, dass Fernstel sie überhaupt nicht mehr untauglich machen konnte. Axton setzte sich in einen Sessel und grübelte. Je mehr er aber das Problem von allen Seiten beleuchtete, desto unlösbarer erschien es ihm. Schließlich war er nahe daran, den Plan aufzugeben, weil er allzu viele Unsicherheiten enthielt. Er blickte Kelly an – und das Blut stieg ihm in die Schläfen. Es gefiel ihm nicht, dass der Roboter Recht behalten sollte. Er war nicht bereit, sich mit dem abzufinden, was Kelly ausgesprochen hatte. Zornig sprang er auf. »Wir fliegen zu Epprik. Los, beeil dich! Was stehst du noch herum? Soll ich dir gegen die Schienbeine treten?« »Ich eile schon, Liebling. Willst du auf meinem Rücken fliegen – oder im Gleiter?« »Dumme Frage. Glaubst du, ich will mit einer Hexe verwechselt werden, die auf einem Besenstiel durch die Luft reitet?« »Ein solches Wesen ist mir unbekannt. Was ist ein Besenstiel?« »Das ist ein Instrument, das ich am liebsten auf deinem Schädel zerschlagen würde, du Blechbestie.« »Ich werte diese Äußerung als Zeichen deiner Unzufriedenheit mit mir, Gebieter. Darf ich fragen, was ich falsch gemacht habe?« »Du stehst hier immer noch herum, statt endlich den Gleiter startbereit zu machen.« »Er ist bereit.« »Was trödelst du dann noch herum?« Axton eilte mit schleifenden Füßen an dem Roboter vorbei.
Wenig später betrat er die Wohnung Eppriks, der im Salon über ausgedruckten Bauplänen saß und arbeitete. »Ich muss Sie sprechen. Können wir in Ihr Büro gehen?« »Ich wäre Ihnen dankbar, Axton, wenn Sie mich nicht mehr belästigen würden.« »Sie werden Ihre Ruhe haben, sollte ich das nicht mehr tun. Der Henker wird dann dafür sorgen.« Der Leitende Ingenieur erschrak. Bleich folgte er dem Verwachsenen in den Arbeitsraum, wo Axton auf einen Sessel kletterte. »Klipp und klar, Epprik: Ich benötige die Pläne des Kristallpalastes, zumindest des für uns relevanten Teils. Ich muss wissen, welchen Weg Tagbor gehen wird. Schritt für Schritt. Ich muss wissen, wo er mit Fernstel zusammentrifft. Ich muss alles wissen! Jede Einzelheit muss mir bekannt sein. Und Sie werden mich über alles informieren.« Ihre Blicke begegneten sich – und der Arkonide beugte sich dem Willen des Zayna. Er spürte, dass es sinnlos gewesen wäre, sich ihm zu widersetzen. Vielleicht hatte er in der Zwischenzeit auch eingesehen, dass seine Stellung der vermeintlichen Unangreifbarkeit nicht länger zu halten war. Axton zwang ihn, klar Front zu beziehen. Dabei war sich der Terraner genau bewusst, was er von Epprik verlangte. Viel zu oft hatte Atlan in den vergangenen Jahrhunderten von seiner Imperatorenzeit berichtet, wiederholt war dabei auch der Kristallpalast Thema gewesen. Eine Stadt für sich! Mitunter auch Gos’Teaultokan genannt, war der Gos’Khasurn ein Trichterbau von tausend Metern Höhe und einem oberen Durchmesser von fünfzehnhundert Metern, der sich von einem fünfhundert Meter durchmessenden Sockel erhob. Die gesamte Außenstruktur funkelte als einziges Juwel – künstlich kristallisierter Kohlenstoff, sprich Diamant. In der äußeren Form war der Kristallpalast auf Befehl von Imperator Zakhagrim III. ab 2455 da Ark entstanden, was dem Jahr
17.528 vor Christus entsprach; in den folgenden Jahrtausenden hatte es immer wieder Umbauten, Änderungen der inneren Architektur und dergleichen mehr gegeben – einschließlich ungezählter Geheimgänge und -schächte, aufgelassener Räumlichkeiten, eingemotteter Lager und was der Dinge mehr vorstellbar waren. Vermutlich gab es niemanden, der überhaupt einen kompletten Plan auftreiben konnte, weil es diesen Komplettplan gar nicht gab, in keinem Archiv, in keiner Positronik. »Axton«, murmelte Epprik. »Ich weiß nicht, ob Sie sich wirklich vorstellen können, wie es am Hof des Imperators zugeht.« »Nicht unbedingt, jedenfalls nicht aus eigenem Erleben.« Aus Atlans Erzählungen wusste er: Wenn es eins im legendenumwobenen Inneren des Kristallpalastes nicht gab, dann Intimität. Nahezu jeder Winkel stand unter Beobachtung, wurde abgehört. Jedes Räuspern, jedes Wimperzucken, jede ungebührliche Geste oder Bemerkung fand sich in irgendeinem Datenspeicher wieder und wurde von den diversen Geheimdienstabteilungen ausgewertet. »Es gibt alleine drei sicherheitsrelevante Computerprogramme, die sorgfältig aufeinander abgestimmt sind. Sie betreffen Wachroboter, Dienstund Reinigungsroboter sowie Überwachungssysteme. Auf der Basis dieser drei Programme wird nicht nur der gesamte Palast überwacht, sondern in weiteren Sicherungszonen auch der gesamte Hügel der Weisen abgeschirmt. Verstehen Sie? Um Sie in den Kristallpalast mitnehmen zu können, muss ich Sie vorher anmelden. Ihre Individualdaten und äußerlichen Kennzeichen werden in der Zentralpositronik gespeichert, sodass Sie auf Schritt und Tritt überwacht werden können. Aber nicht nur das. Die so zufällig erscheinenden Bewegungen der verschiedenen Roboter sind exakt aufeinander
abgestimmt. Jedes Umdirigieren durch Berechtigte wirkt sich auf das gesamte Netzwerk aus; möglicherweise aufreißende Lücken werden gefüllt, ehe sie entstehen!« Er blickte Axton geradezu verzweifelt an. »Natürlich kann ich Sie mit in den Kristallpalast nehmen. Aber es ist nicht so, dass Sie sich dort zur Seite stehlen können, um gegen Fernstel zu arbeiten. Noch nie ist es jemandem gelungen, sich frei im Kristallpalast zu bewegen, seit die neue Positronik samt ihren überarbeiteten Programmen in Betrieb genommen wurde.« »An der Sie maßgeblichen Anteil hatten!« »Allerdings. Woher wissen Sie das?« »Logik, mein Lieber. Ein Mann wie Sie wird nur dann mit dem Bau einer Taion-KSOL auf dem Kriegsplaneten beauftragt, wenn er sich vorher bereits bewährt hat.« Lebo Axton begann nun mit einer Reihe von Fragen, die ausschließlich die Hauptpositronik betrafen. Damit verblüffte er Epprik, der sich bisher für den führenden Positroniker des Imperiums gehalten hatte. Der Leitende Ingenieur musste feststellen, dass der geheimnisvolle Mann ohne Vergangenheit über ein Wissen auf diesem Fachgebiet verfügte, das weit über das hinausging, das er selbst hatte. Axton verriet natürlich nicht, dass er nicht nur gewohnt war, mit positronischen Geräten umzugehen, die um ein Vielfaches leistungsfähiger und komplizierter waren als die Arkons dieser Zeit, sondern dass er überdies aufgrund seines Studiums der altarkonidischen Geschichte genau über die technische Entwicklung vor allem des Robotregenten informiert war. Axton ließ sich die Haupt-KSOL des Kristallpalastes genau beschreiben, ihre gekoppelten Netzwerk- und -subrechner samt den Redundanzen. Epprik gab es auf, selbst Fragen zu stellen. »Ich glaube, ich wittere Morgenluft.« »Wie ist das zu verstehen, Axton?«
»Sie werden mir erlauben, mithilfe Ihrer Büro-KSOL ein Sonderprogramm auszuarbeiten.« »Selbstverständlich.« »Sie haben Zugang zur Hauptpositronik. Deshalb werden Sie das Resultat, dass ich erhalte, dort eingeben.« »Was versprechen Sie sich davon?« »Sehr viel. Ich werde das Netzwerk so manipulieren, dass es Sie und mich nicht nur an allen Punkten des Kristallpalastes akzeptieren wird, sondern mir auch noch hilft, mich frei zu bewegen – selbst in verbotenen Zonen.« »Sie glauben wirklich, dass Sie das schaffen können?« »Ich weiß es. Die Programme sind das Maßgebliche. Da Sie wissen, wie wir die selbstverständlich vorhandene Neuprogrammierungssperre alarmfrei überwinden können, zwingen wir das Ding, unser Komplize zu werden.« »Damit hinterlassen wir deutliche Spuren …« »Ich sorge selbstverständlich dafür, dass die Positronik sie selbst komplett löscht.« »Eine Frage noch, Axton: Überall im Kristallpalast gibt es Überwachungssensoren – optischer, akustischer und sonstiger Art –, die mit Aufzeichnungs- und Wiedergabegeräten in den ›Wachstuben‹ verbunden sind. Dort sitzen Roboter und Arkoniden, die laufend die Daten überwachen und auswerten. Und das unabhängig von der Hauptpositronik. Wie wollen Sie an diesen vorbeikommen?« Axton lächelte. Was Epprik als »Wachstuben« bezeichnete, waren in Wirklichkeit komplette Kommandozentralen. Er erinnerte sich an einen Bericht Atlans; insgesamt gab es zehn solcher Zentren: vier unterhalb der obersten Kelchetage, die dem Privatbereich des Imperators und seiner engsten Mitarbeiter vorbehalten war; vier unterhalb des Kelchbodens und der an seinem Rand angeordneten Hauptsäle von Imperator, Großem und Hohem Rat, eine im Kelchstiel und
die letzte fünfhundert Meter tief unterhalb des riesigen Gebäudes. »Ebenfalls mithilfe des Programms. Die PalastKSOL wird nämlich dann, wenn wir in Erscheinung treten und unbeobachtet bleiben wollen, unverfängliche Wiederholungsschleifen einspeisen. Beispiel: Hat eine Kamera für einige Zeit einen leeren Gang gezeigt, wird diese Aufnahme erneut so lange eingespielt, wie wir uns nicht mehr im Gang befinden.« »Das schaffen Sie nicht.« »Abwarten.« Axton wirkte so zuversichtlich, dass ihn Epprik nicht mit weiteren Fragen belästigen wollte. Er sah ihm bei seiner Arbeit zu – und bald erfasste ihn die gleiche Faszination wie den Verwachsenen. Er spürte, dass Axton genau wusste, was er tat. Und er tat es mit Mitteln und Methoden, die dem Arkoniden völlig fremd waren. Programmabschnitte entstanden, deren Eleganz und Einfachheit bestachen – und gegen die die von den Arkoniden geschaffenen wie grobe und viel zu komplexe Monster wirkten. Hin und wieder gab Epprik Axton Hinweise, sonst aber verfolgte er staunend, wie der Plan des Verwachsenen Gestalt annahm. Tonta um Tonta verstrich. »Vergessen Sie nicht, zu Ihrer Plaudertonta bei Seiner Erhabenheit aufzubrechen«, sagte Axton schließlich. »Erwähnen Sie ruhig, dass Sie mich morgen mitbringen werden. Bemerken Sie es beiläufig; sagen Sie meinetwegen, Sie wollten mir irgendetwas Interessantes zeigen. Der Imperator darf schließlich nicht allzu überrascht sein, dass ich in seiner Nähe auftauche.« »Schaffen Sie es hier allein?« »Selbstverständlich.« Epprik verabschiedete sich. Als er nach vier Tontas zurückkam, saß Axton noch immer
an der Büro-KSOL, sah aber keineswegs erschöpft aus. »Wie weit sind Sie?« »So gut wie fertig. Ich habe nur noch ein paar Detailfragen, die unbedingt geklärt werden müssen. Unter anderem ist mir aufgefallen, dass es einen einzigen Roboter gibt, der in keiner Weise der Palastpositronik untersteht und als Sonderleibwächter des Imperators fungiert. Und dann wären da noch …« Epprik beantwortete die Fragen, sodass Axton seine Arbeit abschließen konnte. Der Leitende Ingenieur wartete, bis der Speicherkristall mit dem Sonderprogramm auf dem Tisch lag, dann sagte er: »Orbanaschol und Fernstel sprachen ganz kurz über Tagbor. Sie scheinen überhaupt nicht daran zu zweifeln, dass ihr Plan misslingen könnte.« »Sie werden überrascht sein. Wissen Sie bereits, wann Tagbor vorgeführt werden soll?« »Um die Mittagszeit. Orbanaschol gibt ein Essen, zu dem auch ich eingeladen bin. Ich habe beiläufig erwähnt, dass ich Sie zur Bibliothek in den Hallen der Geschichte begleiten werde.« »War Fernstel dabei?« »Nein, natürlich nicht. Es wird Sie interessieren, dass Fernstel ganz in der Nähe der Hallen der Gesichte ein Büro hat; nennt sich Astrobiologisches Informationsbüro, hat damit aber nichts zu tun. Es ist nichts anderes als der Knotenpunkt, von dem aus er seine Fäden zieht. Tagbor wird daran vorbeikommen.« »Sie wollen damit sagen, dass dort eine geeignete Stelle wäre, die Waffe des Admirals auszutauschen?« »Genau das. Ich vermute, dass Fernstel sie ihm dort mit dem Argument geben wird, dass ein Keon’athor des Tai Ark’Tussan nicht mit leeren Händen vor den Imperator treten kann.«
»Zeigen Sie mir die Pläne des Kristallpalastes.« Der Ingenieur drückte einige Tasten. An der Projektionswand erschienen die gewünschten Grund- und Aufrisse. Lebo Axton ließ sie sich genau erklären.
Arkon I: 32. Prago des Ansoor 10.498 da Ark An diesem Prago bewegten sich die Roboter im Kristallpalast ein wenig anders als gewohnt. In dem sonst so lückenlosen Sicherheitssystem entstanden Lücken, die aber niemandem auffielen, weil die Abweichungen nur allmählich größer wurden. Der Verwachsene stand auf den Halterungen auf dem Rücken Kellys, als dieser neben Gun Epprik einen luxuriösen Eingang des Trichterbaus passierte. Der Kristallpalast war das größte Gebäude seiner Art, das Axton je gesehen oder betreten hatte – schon aus Prestigegründen war niemandem im Imperium gestattet, einen größeren Kelch als den des Höchstedlen zu bauen. Der »Innenhof« mit den umlaufenden Terrassen war ein gewaltiges Trichtertal, das vom oberen Rand bis zur Parkanlage am Grund achthundert Meter Höhenunterschied aufwies. Riesig auch die Hauptsäle von Imperator, Großem und Hohem Rat, sprich Kristall- oder Thronsaal, Prunkhalle des Imperators, der Saal der Weisen und die Halle der Ahnen. Bereits die hundert Meter lange Prunkhalle des Imperators fasste mehr als zehntausend Gäste, hinzu kam die hundertsäulige Vorhalle. Es gab allein drei ausschließlich dem Imperator vorbehaltene Operationssäle. Der Kristallpalast war in jeder Hinsicht ein Superlativ. Epprik hatte den Gleiter in einer Tiefgarage geparkt und schwebte mit Axton im Antigravfeld zur Oberfläche. Schon die Eingangshalle erreichte beachtliche Dimensionen; es herrschte geschäftiges Treiben. Politiker, Militärs, Geschäftsleute, Künstler und Wissenschaftler aus allen
Bereichen des Großen Imperiums trafen hier ein und wurden von erfahrenen Beamten und Zeremonienmeistern weitergeleitet. Vereinzelt waren Vertreter von Fremdvölkern zu sehen, die ins Imperium integriert waren. Axton hatte keine Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen. Epprik steuerte zielstrebig einen Antigravschacht an, in dem sie weiter nach oben schwebten, ohne kontrolliert zu werden. Nach zweihundert Metern mussten sie den Schacht verlassen und in einen anderen überwechseln, der von vier flammend roten Kampfrobotern bewacht wurde. Auch hier konnten sie ungehindert passieren – die Roboter wurden von der Hauptpositronik informiert und standen somit unter dem Einfluss des Sonderprogramms. »Haben Sie inzwischen herausgefunden, welcher Roboter unbeeinflussbar ist?«, fragte Axton. »Nach wie vor bin ich auf Vermutungen angewiesen. Der Roboter muss sich in unmittelbarer Nähe des Imperators befinden.« »Das vermute ich auch.« In einem weiteren Liftschacht schwebten sie noch weiter nach oben. Axton wusste, dass an anderer Stelle Servos auf Zuruf reagierten und Personen mit feldenergetischen Antigravsphären umhüllten. Darüber hinaus gab es auch Röhrenbahnen und Einzelkabinen in einem wahren Labyrinth von Schächten und Tunneln. Immerhin hatte der Kristallpalast die Ausmaße eine Stadt und machte geeignete Transportmittel erforderlich, sollte der Weg von A nach B nicht auf tontalangen Fußmarsch hinauslaufen. Je höher sie kamen, desto leerer waren die Gänge und Hallen. Niemand hielt sich hier auf. Epprik wies seinen Begleiter auf versteckte Kameras und sonstige Sensoren, auf Reinigungsroboter mit Observationsaufgaben und Kunstgegenstände hin, in und unter denen Individualtaster
verborgen waren. »Ihr Plan scheint zu funktionieren«, sagte er flüsternd. »Unter anderen Umständen wäre längst eine Wache erschienen, um Sie zu kontrollieren.« »Ich bin ganz sicher, dass ich nichts übersehen habe.« Axton gab sich selbstbewusster, als er tatsächlich war. Die Sicherungseinrichtungen im Kristallpalast hatten sich als derart umfangreich erwiesen, dass sich allein schon durch die schiere Anzahl trotz intensiver Vorbereitungsarbeit durchaus Fehler eingeschlichen haben konnten. Axton wäre froh gewesen, hätte er wenigstens einige Tests durchführen können. Das aber war nicht möglich; es musste auf Anhieb alles funktionieren. Für den alles entscheidenden Einsatz gab es keine Generalprobe. Eppriks Ruhe verlor sich zusehends. Immer wieder blickte er sich forschend um, befürchtete wohl, dass die tausendfach geschulte Kristallgarde plötzlich zuschlagen könne. Denn das war durchaus ein Schwachpunkt in Axtons Plan: Die lebenden Wachen, Soldaten und Gardisten unterstanden nicht der Hauptpositronik. Deshalb war der Terraner froh, als sie endlich den Bereich der Hallen der Geschichte erreichten; diese waren entlang der Innenrundung der dritten Kelchetage angeordnet, dienten zur Dokumentation markanter Wendepunkte und wichtiger Ereignisse des Tai Ark’Tussan und seiner Einzelvölker und beinhalteten auch die beeindruckende Galerie der Imperatoren. Die Bibliothek war nur ein kleiner Abschnitt davon. »Von hier aus ist es auch nicht weit bis zum Saal, in dem das Essen stattfindet.« »Ich weiß«, sagte Axton beruhigend. »Gehen Sie nur. Den Rest schaffe ich allein.« Während sich der Ingenieur entfernte, betrat Kelly die Bibliothek. In langen Reihen waren schrankähnliche Quader angeordnet, die nicht nur abrufbare Speicherkristalle, sondern
auch viele andere Speichermedien und Originale bargen, einschließlich von Kraftfeldern geschützter Schriftrollen, Khasurnblatt-Sammlungen und sonstiger Aufzeichnungen in jeder nur denkbaren Art und Form. Am Katalogpult von Hufeisenform saß ein älterer Arkonide, in dem Axton den Imperialen Hauptarchivar Celkor Kaldyn erkannte, dessen 10.530 da Ark erschienene Historie des Großen Imperiums selbst im 29. Jahrhundert nach Christus noch eins der maßgeblichen Standardwerke über die arkonidische Frühzeit war. Zweifellos suchte er gemächlich nach einem bestimmten Werk, das ihn interessierte. Er blickte nicht auf, als Axton vom Roboter hereingetragen wurde. Rasch ging Kelly bis zur Seitenwand, hinter der sich die Räume Fernstels befanden. Axton stieg ab, setzte lautlos ein Horchgerät ein und lauschte; lediglich ein leises Surren war aus dem Nebenraum zu hören. Kelly tippte Axton an. Hastig ließ dieser das Gerät mit dem empfindlichen Mikrofon unter der Kleidung verschwinden und wandte sich einem Terminalpult zu. Kaum war die Holoprojektion entstanden, bog der Archivar in den Gang und musterte Axton verwundert. Der Terraner runzelte die Stirn, nickte fahrig und ließ den alten Mann spüren, dass er sich durch ihn belästigt fühlte. Der Arkonide murmelte eine Entschuldigung und sah zu den Quaderbeschriftungen; offensichtlich hatte er in Gedanken den falschen Gang gewählt. Axton wartete einige Zentitontas ab, die er damit verbrachte, die Speicherbezeichnungen zu studieren. Dann entschloss er sich zu einem Vorstoß. Er konnte es sich nicht leisten, sich durch den Archivar noch länger aufhalten zu lassen. Mit einem Laut des Unwillens schaltete er das Terminal aus und schritt neben Kelly auf den Ausgang zu. Bevor er diesen erreichte, ließ er den Roboter aber niederknien und kletterte auf seinen Rücken. Er blickte zu dem Alten zurück, doch
dieser war derart beschäftigt, dass er ihn nicht beachtete. Der Gang vor der Bibliothek war leer. »Infrarot«, befahl Axton leise. Nicht einmal ein Klicken war zu hören, als der Roboter seine Aufnahmesensoren umschaltete. »Siehst du Wärmespuren vor der Tür zu Fernstels Büro?« »Ja. Eine schwache Spur führt hinein; etwa eine Tonta alt. Eine wesentlich deutlichere führt heraus.« »Das heißt also, dass ein Besucher dort war, aber wieder gegangen ist. Der Raum muss leer sein. Wo ist die IDKontaktscheibe? Ich sehe sie nicht. Sie muss mit der Infraroterfassung zu erkennen sein.« »Das ist sie auch.« Der Roboter zeigte auf einen Punkt links neben der Tür, etwa in Brusthöhe. Während sich der Roboter bückte, um Axton den Zugriff zu erleichtern, zog dieser eine Schachtel aus der Jacke, drückte das Gerät gegen die Kontaktscheibe und schaltete es ein. Es gelang ihm, mithilfe des von ihm verbesserten Kodegebers die relativ einfache IDSicherung zu überwinden. Mit einer der hoch entwickelten Einrichtungen, wie sie in der Zeit verwendet wurden, aus der er kam, wäre eine derartige Manipulation nicht möglich gewesen. Die ID-Sicherung stand im Vergleich dazu jedoch quasi erst am Anfang ihrer Entwicklung. Die Tür glitt zur Seite. Axton sah auf Kellys Füße und lächelte. Fernstel mochte ruhig den Eingang zu seinem Büro mit Infrarotgeräten überprüfen, die Metallfüße hinterließen auf dem Boden keine so deutliche Wärmespur wie die Füße eines lebenden Wesens. Das Büro war nüchtern und zweckdienlich eingerichtet; fensterlos, von Leuchtplatten erhellt. Mehrere Beobachtungsund Überwachungssysteme machten es einem Unbefugten normalerweise unmöglich, sich hier frei zu bewegen. Aber darum brauchte Axton sich nicht zu kümmern. »Wohin führt die Spur?«
Kelly bewegte sich zunächst zögernd hin und her, schritt dann aber auf eine Stahltür zu und blieb davor stehen. »Ein Tresor.« Axton begann augenblicklich mit seinen Untersuchungen. Fernstel selbst hatte ihm schließlich die nötigen Geräte zur Verfügung gestellt, die eigentlich Epprik zum Verhängnis hatten werden sollen und sich nun gegen den Geheimdienstler selbst richteten. Mit ihrer Hilfe und der Erfahrung und dem Wissen, das Axton bei der USO erworben hatte, gelang es ihm, das Stahlfach zu öffnen. Als die Panzertür aufschwang, lagen die Sicherheitsfächer offen vor ihm. In den meisten lagerten Ausdrucke und Speicherkristalle. Axton sah sie durch und achtete sorgfältig darauf, alles so zu hinterlassen, wie er es vorgefunden hatte. Wie erwartet stieß er auf einen Kristall mit den Daten Eppriks. Im Handlesegerät sah er sie rasch durch und fand auf den ersten Blick alles bestätigt, was er bisher herausgefunden hatte. Axton wies Kelly an, von einem der Arbeitstische einen leeren Standardspeicher zu holen; dieser wanderte, neu beschriftet, anstelle von Eppriks Datenkristall in den Tresor zurück. Nun erst wandte sich der Verwachsene den vier Thermostrahlern zu, die im Panzerschrank aufbewahrt wurden, und wiederum half Kelly. »Wärmespuren?« Der Roboter deutete sofort auf die Waffe ganz links. Axton nahm sie und untersuchte sie. Auf den ersten Blick schien der T-15 völlig in Ordnung zu sein; die Lademarke der Energiezelle zeigte etwa halbe Leistung. Als Axton jedoch das Magazin eingehender untersuchte, stellte er fest, dass es in Wirklichkeit leer war. Er hätte es gegen ein anderes austauschen können, aber das wäre zu unsicher gewesen. Deshalb nahm er die Waffe auseinander und baute ein wesentlich kleineres Zusatzmagazin ein, das gerade für einen Schuss ausreichte. Das würde im Fall von Tagbor genügen.
Geschickt legte Axton die Zusatzanschlüsse, die das Hauptmagazin umgingen. Nun konnte Fernstel dieses sogar ganz entfernen, ohne dadurch Einfluss auf die Funktion des Thermostrahlers nehmen zu können. Aufatmend legte Axton den T-15 zurück. Nun kam es nur noch darauf an, dass Fernstel tatsächlich diese Waffe wählte. Alles deutete darauf hin, dass er sie für Sonnenträger Tagbor vorgesehen hatte. Dennoch blieb ein Unsicherheitsfaktor. Axton überlegte angestrengt, wie er erreichen konnte, dass auch das Restrisiko ausgeschaltet wurde, aber ihm fiel nichts ein. Er hatte nicht genügend Material, um alle vier Waffen zu präparieren, und musste sich darauf verlassen, dass Aliz da Tagbor tatsächlich diesen T-15 bekam. Die Wahrscheinlichkeit erschien ihm auf jeden Fall sehr hoch. Noch einmal überprüfte Axton, ob er alles so hinterlassen würde, wie es vorher gewesen war. Er fand nichts, was den Argwohn Fernstels hätte erregen können, und befahl dem Roboter den Rückzug, nachdem der Tresor wieder verschlossen war. Kelly trug ihn zur Tür; hier nutzte Axton das Horchgerät, um sich zu vergewissern, dass sich niemand im Gang aufhielt. Erst dann verließen sie das Büro des Geheimdienstlers. Axton blickte aufs Armband und erschrak. Er hatte mehr Zeit benötigt, die letzten Vorbereitungen zu treffen, als er vorgesehen hatte. Der Keon’athor musste jeden Augenblick erscheinen. »Zur Bibliothek!«, befahl Axton. Als Kelly dort eintrat, sah der Terraner, dass der alte Archivar noch immer suchte. »Kann ich Ihnen helfen?« »Lassen Sie nur. Ich habe mir vorgenommen, dieses Mal allein zurechtzukommen. Irgendwann muss ich diese neue Technik begreifen.« Axton fluchte lautlos. Dieser Greis behinderte ihn mehr als die gesamte positronische Einrichtung des Kristallpalastes. Da
er jedoch nichts tun konnte, um ihn zu vertreiben, zog er sich in einen Winkel der Bibliothek zurück, von dem aus er glaubte, mifhilfe des Horchgeräts den Gang gut überwachen zu können. Allmählich wurde er unruhig. Inzwischen schimpfte der Archivar über den seiner Meinung nach völlig falsch angelegten Katalog. Er suchte die Quader ab und wurde immer lauter, sodass er Axtons Arbeit erheblich störte. Als dieser bereits erwog, ihn anzusprechen, um ihn irgendwie aus der Bibliothek zu vertreiben, fand der Arkonide endlich das Gesuchte und zog sich zufrieden zurück. Nun wurde es so still, dass Axton das Surren der verborgen angebrachten Klimaanlage hören konnte. Die Augenblicke reihten sich zu Zentitontas. Immer wieder sah Axton auf die Uhr; längst musste das Essen beim Imperator beendet sein. Warum kam der Sonnenträger nicht? Hatte Fernstel sich im letzten Moment zu einem anderen Weg entschlossen? War vielleicht schon alles vorbei? Hatte der von den Maahks präparierte Orbton seinen Attentatsversuch bereits vollendet und damit seine Familie um ihr gesamtes Vermögen gebracht? Letzteres war eher unwahrscheinlich – ein Attentat auf Seine Erhabenheit führte zu Vollalarm, der unüberhörbar gewesen wäre. Axton rieb sich die feuchten Handflächen an der Hose ab. Mit dem Instinkt eines Mannes, der über Jahrhunderte hinweg einen ganz besonderen Sinn für Gefahrensituationen entwickelt hatte, spürte er, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte. Keon’athor Aliz da Tagbor war überfällig. War der Offizier plötzlich zu sich gekommen? War es ihm gelungen, das ihm aufoktroyierte Programm der Methans zu durchbrechen? Dann befand sich auch Bure Fernstel in erheblichen Schwierigkeiten. Als Lebo Axton sich bereits entschlossen hatte, auf den Gang hinauszugehen und zum Empfangssaal vorzudringen, vernahm er plötzlich Schritte zweier Männer
und zweier Roboter. Er glaubte fast, die Männer sehen zu können, die draußen vorbeigingen und vor Fernstels Bürotür stoppten. »Sie können nicht ohne Dienstwaffe vor den Imperator treten.« Fernstels Stimme. »Ich verstehe ohnehin nicht, dass mir meine genommen wurde.« Das musste Tagbor sein. Fernstel antwortete nicht, sondern betrat sein Büro. Schritte bis zum Tresor, der geöffnet wurde, abermals Schritte. »Das ich nicht meine Dienstwaffe.« »Das spielt keine Rolle. Nehmen Sie sie schon. Ich kümmere mich später um alles.« »Nun gut, einverstanden.« Die Tür wurde geschlossen, die Schritte der Männer und Roboter entfernten sich. Schnell schob Axton seine Instrumente in eine Öffnung von Kellys Körper und dirigierte den Roboter auf den Gang. Lautlos eilte die Maschine bis zur nächsten Gangecke. Fernstel, Tagbor und die Kampfroboter waren bereits fast fünfzig Meter entfernt, passierten vier Wachroboter. Axton wartete, bis sich eine breite Tür hinter ihnen geschlossen hatte, dann gab er Kelly den Befehl, ihnen zu folgen. Langsam schritt dieser auf die robotischen Wachposten zu, die dem Sonderprogramm unterstellt sein mussten. Der Terraner wusste jedoch, dass es einen einzigen Roboter gab, der völlig unabhängig handeln konnte. War er unter den vier Automaten? Axton spürte, dass sich sein Magen verkrampfte. So kurz vor dem Ziel durfte nichts mehr passieren. »Schneller, Kelly.« Der Roboter beschleunigte seine Schritte. Näher und näher kamen sie der breiten Tür. Als sie nur noch drei Meter entfernt waren, öffnete sie sich selbstständig. Lebo Axton blickte in einen breiten Gang, an dessen Seiten überdimensionierte Bilder hingen; dafür hatte er kein Auge, sondern starrte auf
den etwa drei Meter großen, extrem wuchtig wirkenden Kampfroboter, dessen sechs Waffenarme mit Kombistrahlwaffen bestückt waren. Alle sechs Projektionsfelder flammten bedrohlich auf. Der Roboter hatte einen ovalen Kopf mit einem breiten Quarzband, das mit mehreren optischen und etlichen anderen Sensoren versehen war. Darunter befand sich das Gitter eines Lautsprechers. »Stehen bleiben!« Axton hatte vermutet, dass ihm der vom Sonderprogramm unabhängige Roboter hier begegnen würde; es war der einzig logische Ort. Hier bildete er die letzte Sicherheitsschranke vor dem Imperator, die nur zu durchbrechen war, wenn bestechend logische Argumente ins Spiel kamen. Kelly gehorchte; Axton sah voller Anspannung über den Kopf des Roboters hinweg. »Soeben haben Aliz da Tagbor und Bure Fernstel den Saal betreten, in dem sich der Imperator befindet«, sagte der Verwachsene. »Ich habe zuverlässige Informationen darüber, dass Tagbor ein Attentat auf Seine Erhabenheit plant.« »Interessant«, sagte der Kampfroboter mit monotoner Stimme. Die Art seiner Antwort überzeugte Axton davon, dass er über den Plan des Imperators informiert war. Es konnte gar nicht anders sein, denn sonst wäre er undurchführbar gewesen. »Dieses Attentat hat die Billigung des Imperators«, fuhr der Terraner fort, »denn der Höchstedle geht davon aus, dass die eingesetzte Waffe nicht geladen ist.« »Das ist richtig.« »Ich habe zuverlässige Informationen darüber, dass der Tai Moas dem Attentat zum Opfer fallen wird. Ich weiß, dass die Waffe geladen ist. Keon’athor Tagbor wird den Imperator in wenigen Augenblicken erschießen. Ich muss unbedingt passieren.« Axton hob die Arme, sprang von Kellys Rücken.
»Ich bin unbewaffnet.« Er blickte zum Kampfroboter auf. Obwohl nur ein Augenblick verstrich, bis die Projektionsfelder erloschen, erschien es Axton, als bliebe die Zeit stehen. »Du musst den Verantwortlichen bestrafen! Du musst Bure Fernstel töten!« »Passieren«, sagte der Kampfroboter. Axton atmete auf, hastete an der Maschine vorbei. Kelly überholte ihn, und wenig später rannte auch der Kampfroboter vorbei. Die Doppeltür zum Esssalon flog auf. Die Gäste standen in kleinen Gruppen herum und plauderten miteinander. Orbanaschol III. stand unter einem violetten Baldachin, flankiert von Fernstel und einem Orbton in weißer Uniform, sprach mit dem ausgemergelt aussehenden Mann, der Haltung angenommen hatte. Als sich die Türflügel öffneten, ruckten die Köpfe der Gäste herum. Auch Orbanaschol und Fernstel sahen herüber, als Axton den Robotern folgte. Lediglich der erschöpft wirkende Orbton reagierte nicht auf die unerwartete Störung – stattdessen zog er blitzschnell den Thermostrahler aus dem Halfter und richtete ihn auf den Imperator. »Kelly, schnell!«, brüllte Axton. Für einen Augenblick schien es, als würde der Roboter über die verbogenen Beine stolpern; seine Füße verhakten sich in der langen Schleppe einer Arkonidin, dann zerfetzten sie den Stoff. Kelly streckte sich, schnellte sich mit einem mächtigen Satz über zwei Sessel hinweg, prallte mit Aliz da Tagbor zusammen. Im gleichen Moment feuerte dieser – der gleißend helle Thermostrahl zuckte aus dem Projektor. Orbanaschol erfasste die Gefährlichkeit der Situation, wich instinktiv zur Seite aus, konnte der Glut jedoch nicht ganz entgehen. Der Strahl streifte seinen Oberarm, ließ die blaue Uniform auseinanderplatzen; verflüssigtes Synthetikmaterial fraß sich
zischend ins verbrannte Fleisch. Der Imperator schrie gellend vor Schmerz, brach zusammen und wälzte sich hin und her, versuchte, sich die schwelende Kleidung vom Leib zu reißen. Lebo Axton konnte dagegen ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken. Seine Schultern zuckten ein wenig, ohne dass er es wollte – das Signal für seinen Gegner: Es ging nicht anders! Bure Fernstel öffnete den Mund zu einem Schrei, wollte Orbanaschol auf das ungeheure Spiel Axtons aufmerksam machen – doch die Feuerglut, die ihm brüllend entgegenschlug, erstickte seine Worte, ehe sie über seine Lippen gekommen waren. Der Kampfroboter feuerte mit allen sechs Waffen gleichzeitig, Fernstels Körper befand sich exakt im Zielpunkt der tobenden Energie. Der verkohlte Körper wurde zurückgeschleudert, prallte gegen die Wand und stürzte zu Boden. Endlich kümmerten sich die ersten Bediensteten um den jammernden Orbanaschol, irgendjemand schüttete eine kühlende Flüssigkeit über die Brandwunde. Mehrere Bauchaufschneider eilten aus einem Nebenraum herbei, versorgten den Imperator professionell und schnell. Lebo Axton zog sich unauffällig zurück, bis er sich mit dem Rücken gegen eine Wand lehnen konnte. Erst jetzt bemerkte er Epprik, der sich in seiner Nähe befand. Der Ingenieur wischte sich über die vor Erregung tränenden Augen. Zwei Kampfroboter erschienen und führten den absolut apathisch wirkenden Sonnenträger aus dem Saal, während die Gäste wirr durcheinanderredeten. Sie alle waren von dem Vorfall völlig überrascht. Nur langsam kehrte Ruhe ein. Orbanaschol schickte die Leibärzte weg, hatte sich inzwischen wieder vollkommen in der Gewalt. Er war durchaus kein Weichling, der sich von einer Brandwunde ausschalten ließ – seine Jagdleidenschaft hatte er schon mehrfach mit Verwundungen bezahlt. Es war der Schock, der
ihn getroffen hatte: Im Bruchteil eines Augenblicks war er aus dem Triumph gerissen worden, als er hatte erkennen müssen, dass ihn Bure Fernstel getäuscht hatte. Ein Mann, dem er seit Jahren vertraut und der sich nun als Verräter erwiesen hatte. Das jedenfalls musste er annehmen. Axton winkte seinem Roboter und kletterte, als dieser vor ihm kniete, auf seinen Rücken. Er bedauerte zutiefst, dass er Orbanaschol nicht den ganzen Hintergrund und die wahren Zusammenhänge offenbaren konnte. Aber er hoffte, seinem Fernziel nun einen Schritt näher gekommen zu sein. Gun Epprik, der Günstling des Imperators, trat zu Orbanaschol. »Ich denke, ich bin Euch eine Erklärung schuldig, Höchstedler.« »Das glaube ich auch«, grollte dieser. »Bure Fernstel wollte mich vernichten. Deshalb setzte er Lebo Axton auf mich an, einen Mann, der seine hervorragenden kriminalistischen Fähigkeiten bereits mehrfach nachgewiesen hat.« Alle Blicke richteten sich auf den Verwachsenen, der Verlegenheit heuchelte und so tat, als wolle er Kelly aus dem Saal dirigieren. »Bleiben Sie, Mann!«, befahl der Imperator ungehalten. »Weiter, ich will alles hören.« »Natürlich fand ich nicht das Geringste heraus, was gegen Gun Epprik gesprochen hätte«, sagte Axton. »Ganz im Gegenteil. Ich stieß auf zahlreiche Loyalitätsbeweise, gleichzeitig aber auch auf Informationen, die mir zeigten, dass Fernstel mich in eine Falle gelockt hatte. Er wusste, dass es gefährlich ist, gegen die Freunde und Berater Seiner Erhabenheit zu ermitteln. Er fürchtete meine Konkurrenz und wollte mich auf diese Weise ausschalten. Ich musste mich wehren. Und ich deckte den Attentatsplan auf. Thi-Laktrote Epprik half mir dabei, hat mir auch den Zugang zum
Kristallpalast geöffnet.« »Warum?«, fragte der Imperator erregt. »Warum hat man mir nichts gesagt?« Epprik sagte leise: »Hättet Ihr Axton geglaubt, mein Imperator, einem Mann, den Ihr nicht kennt? Einem Zayna? Hättet Ihr ihm mehr Vertrauen entgegengebracht als Fernstel?« Orbanaschols Miene glättete sich. Er wusste, dass der Leitende Ingenieur Recht hatte, war aber selbstverständlich noch nicht bereit, Axton nun freundschaftlich zu begegnen. Er gab dem Verwachsenen mit einer hochmütigen Geste zu verstehen, dass er den Saal verlassen durfte. »Ich werde Ihre Dienste honorieren. Sie hören von mir.« Axton sah es in den Augen Eppriks triumphierend aufblitzen, während er den Kopf neigte und sich von Kelly hinaustragen ließ. Im Gegensatz zu Epprik empfand er Orbanaschols letzten Satz eher als Drohung, obwohl er sich sicher war, dass es in Zukunft für seine Gegner schwieriger sein würde, gegen ihn zu intrigieren. Andererseits machte sich Axton keine Illusionen: Nun stand ihm eine Überprüfung bevor, die alles von ihm abverlangen würde. Ein Mann wie Orbanaschol verließ sich nie nur auf das Wort seines Gegenübers. Axtons Hoffnung war, dass die Ereignisse im Großen Imperium ausreichend Ablenkung bedeuten würden, sodass er sich gut aus der Affäre ziehen konnte: In wenigen Pragos nämlich würde es einen Schlag der Methans geben, dessen Ausmaß das Imperium bis in die Grundfesten erschüttern musste – denn am 2. Prago der Prikur stand die Schlacht um Trantagossa bevor. Und Axton wusste, dass sie noch verheerender ausgefallen wäre, hätte er Apprat Cokret nicht gerettet. Es schien, als würde sich der Kreis der Zeit schließend …
Epilog Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi. In: Neues Kompendium von Sekundärveröffentlichungen diverser Archive, hier: Die Traummaschine und Atlans Sohn Chapat (A-HKn-17575), Sonthrax-Bonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ) … begann Chapats Bericht mit den Worten: Ich bin, seit ich geboren wurde, mit meiner Seele und meinem Körper auf der Wanderschaft! Damit er sich bewähren konnte, setzte Ischtar Chapat mit ihrem Doppelpyramidenschiff auf dem Planeten Haghjameite ab. Bis auf die Form der Ohren und die Anzahl der Finger glich er den dunkelhäutigen, schwarzhaarigen Eingeborenen, die auf der Stufe von Jägern und Sammlern standen. Chapat wurde von dem Jäger Thuar’aska Groskorl gefunden. Unter dem Namen Agham stieg der Zwanzigjährige schnell zum Kaziken seines Stammes auf. Sechsunddreißig Jäger und zwölf doppelrüsslige, stoßzahnbewehrte Rodamons führte der erfolgreiche Kazike schließlich gegen die Erzfeinde der Haghjameite-Jäger, die albinotischen Nachtbestien, die auch Anouars genannt wurden. Noch während des Kampfes erschien ein varganischer Oktaederraumer, und Chapat, der sich nun wieder an seinen wirklichen Namen erinnerte, ging mit seinem Freund Thuar’aska Groskorl an Bord. Seine Mutter traf Chapat jedoch nicht an, er fand nur das Ischtar-Memory. Bericht Chapat: In der Mitte des Tisches lag ein blauer Kreisel, der mit der Spitze nach oben deutete. Um seine Fläche lief eine feine Rille, und er passte bequem in meine Hand. Ich streckte die Hand aus und hielt inne. »Nein«, flüsterte Groskorl atemlos. »Nicht! Das ist Dämonenwerk, Kazike!«
Ich gab keine Antwort, aber die dunkle, angenehme Frauenstimme sagte leise und durchdringend: »Dieser Kreisel ist das Ischtar-Memory. Ich selbst konnte nicht kommen, mein Sohn Chapat. Ein schreckliches Schicksal, in dessen Klauen ich mich noch befinde, hat mich daran gehindert, dich nach den Jahren der Bewährung auf Haghjameite abzuholen. Du weißt, dass alle Dinge wie ein Strom eine Quelle und eine Mündung haben, einen Anfang und ein Ende. Jetzt hast du den Anfang erreicht. Du bist bereit.« Wieder sahen wir uns an. Beide standen wir dicht vor der mächtigen Tischplatte. Das Memory lag im direkten Kegel eines Tiefstrahlers. An den vier Wänden des Raumes befanden sich eingebaute Fächer, hinter deren Glasflächen geheimnisvolle Gegenstände zu schlummern schienen. Die Stimme machte eine Pause. Plötzlich wussten wir, ohne zu ahnen, wie es geschah, dass diese Stimme aus dem Kreisel, dem Ischtar-Memory, kam. Das Kampfbeil in der Hand meines Freundes zitterte. In meinem Nacken sträubten sich die Haare. Ich wusste jetzt, dass ein Abschnitt meines Lebens unwiderruflich vorbei war. Auch mein Körper, der für den Aufenthalt auf Haghjameite verändert worden war, würde wieder in seinen normalen Zustand versetzt werden. Ich hatte kein Wort gehört, keinen Hinweis gesehen – ich wusste es. Die Stimme sprach plötzlich weiter: »Mein Sohn, bereite dich auf eine lange Wanderung vor. Diese Wanderung entspricht dem Weg des Wassers zwischen Quelle und Mündung. Du wirst erst dann die Bestimmung deines Lebens erreichen, wenn du am Ende deiner Seelenwanderung angekommen bist. Du wirst durch Raum und Zeit wandern. Im Schutz dieses Kreisels, der viele Wunder enthält und dich vor dem Schlimmsten bewahren soll, wirst du in verschiedenen Körpern aufwachen und ein Leben führen, das voller Abenteuer ist. Es ist dies deine Bestimmung, die auch ich nicht
ändern kann und will. Ergreife das Memory, und dein Weg beginnt. Es ist mein Auftrag an dich, mein Sohn! Gehorche mir, und das Schicksal wird uns zusammenführen!« Chapat ließ den Kreisel rotieren und löste sich vor Thuar’aska Groskorls Augen in einem Wirbel auf. Angsterfüllt verließ der Jäger das Varganenschiff, das danach startete – Chapats Reise über viele Welten, Leben und Körper begann … … bis er schließlich zum letzten Mal vom Ischtar-Memory fortgerissen wurde. Bericht Chapat: Dunkelheit umgab mich. Aber das Gefühl, das ich hatte, als ich wieder erwachte und die letzten Energiefunken erloschen, war gut. Ich horchte in mich hinein und versuchte, etwas in dem neuen Körper zu finden, in den ich auf meiner langen Wanderschaft gekommen war. Aber da gab es nur den Eindruck von Harmonie und Beruhigung. »Es ist mein eigener Körper«, murmelte ich verblüfft. Ich tastete um mich, befand mich in meinem eigenen Körper, und der Körper seinerseits steckte in einem Behälter. Die Innenseiten fühlten sich an wie weiches Glas. Chapat ist wieder vollkommen! Ich fühlte den Druck des Ischtar-Memorys gegen meinen Schenkel. »Mein Sohn! Wieder spricht deine Mutter Ischtar zu dir!« Die Stimme traf mich unvorbereitet. Ich erschrak, aber der warme Klang der Stimme beruhigte mich binnen kurzer Zeit. Meine Mutter sprach mit mir aus dem Memory. »Ja«, flüsterte ich und wartete zitternd auf die nächsten Worte. »Du wirst jetzt in deinem eigenen Körper schlafen und warten. Es wird eine lange Zeit werden, denn ein gewisses Datum muss erreicht werden. Sei unbesorgt, es wird dir nichts geschehen.« Es klang nicht wie eine gespeicherte Stimme, sondern wie der vollkommene Eindruck, den nur ein lebendiger Sprecher vermittelte. Beruhigend fuhr Ischtar fort:
»Du bist sicher in einer Höhle untergebracht. Die Höhle liegt unter der Oberfläche des Mondes Gostacker, des Mondes des Planeten Gostack. Die Namen werden erst später für dich eine Bedeutung erlangen. Es ist in gewissem Umfang möglich, kosmische Ereignisse zu berechnen. Dies ist geschehen. Ein gewisses Datum ist errechnet worden, an dem man dich aufwecken wird. Von diesem Augenblick an wirst du auf eine Wanderschaft gehen und deine Bestimmung erfüllen. Du wirst jetzt einschlafen. Ich und das Ischtar-Memory werden über dich wachen.« Die Stimme wurde immer leiser, gleichzeitig erfasste mich eine tiefe, unwiderstehliche Müdigkeit. Meine Augen wurden schwer, meine Glieder von einer Art Lähmung befallen. Ich schlief ein. … und nun sage ich: »Ich wurde auf Gostacker geweckt, das ist klar. Die weitere Handlung ist uns allen bekannt. Ich wurde geweckt und trat eine verrückte und gefährliche Irrfahrt an, die hier im Büro Atlans endete.«
Quinto-Center: 27. Februar 2844 Ich sah Chapat. Er ging hin und her. In seinem Inneren schien ein lautloser, aber erbitterter Kampf stattzufinden. Schließlich blieb er stehen und starrte mich an. »Ich kenne meine Aufgabe, Vater!« Ich zuckte zusammen, zwang mich zur Ruhe und fragte: »Worin besteht sie?« Sein Äußeres glich mir verblüffend. Es bestand kein Zweifel, dass es wirklich mein und Ischtars Sohn war. In den letzten Tagen hatte der junge Mann einige Stationen seines Lebensweges geschildert, seiner Seelenwanderung, wie er es nannte. Tekener und ich hatten gebannt gelauscht. Als letzte Station war Chapat vor wenigen Jahrhunderten – oder nur
Jahrzehnten? – in seinem eigenen Körper erwacht, von Ischtar aber in Tiefschlaf versetzt worden. Meine Gedanken schweiften zurück zu der Goldenen Göttin, der Letzten Königin der Varganen, einer mehr als 800.000 Jahre alten, potenziell unsterblichen Schönheit. Ich war von ihr beeindruckt gewesen, vor langer Zeit. Ischtar! Ihr Bild hatte in mir die Zeit überdauert, auch den Abgrund des Vergessens, der zwischen damals und heute lag. Noch waren die Erinnerungen blass, mit jeder Sekunde aber gewannen sie an Farbe, Plastizität, Lebendigkeit. Chapat hatte nicht berichtet, was nach seinem und Ischtars Aufbruch von Kraumon bis zu seiner ersten Seelenwanderung passiert war. Chapats Stimme durchdrang meine Gedanken: »Ich bin geschickt worden, um dich zu treffen und zu erkennen!« Er klang gepresst. »Ich bin gekommen, um dich heimzuholen, Atlan!« Lass dich nicht zwingen! Die Situation kann aus deinen Händen gleiten!, meldete sich der Extrasinn warnend. »Heimzuholen? Wohin?« Ich runzelte die Stirn. »Meint du in den Mikrokosmos?« Ich war gespannt wie ein Raubtier vor dem Sprung, bereitete mich auf alles vor. Die Spannung, die zwischen Chapat, Tekener, mir und auch dem blauen Kreisel auf dem Tisch fühlbar wurde, nahm zu. Schweißtropfen perlten über meine Stirn. »Zu Ischtar.« Das ist eine Falle! Wehre dich! Betroffen erwiderte ich: »Das kann nicht wahr sein. Ischtar muss längst tot sein, Chapat.« »Sie lebt! Ich soll dich zu meiner Mutter bringen. Sie wartet auf dich und mich.« Plötzlich mischte sich in die Spannung des Raumes ein anderer, fremder Eindruck. Wie Tekener war ich geschult, solche ungreifbaren Eindrücke aufzunehmen, ein Gefühl für
bösartige, drohende Stimmungen. Ich versuchte, die Zeit bis zu einem Punkt auszudehnen, an dem ich klarer sah. Ich glaubte nicht, was Chapat sagte. Aber ich würde es wohl glauben müssen, wenn ich mit der Wahrheit konfrontiert wurde. »Ischtar wartet auf uns?« »Sie wartet auf dich und mich. Sie braucht uns! Ischtar braucht deine Hilfe!« Er litt sichtlich, klammerte sich an der Lehne des Sessels fest. Sein Gesicht war schweißüberströmt. Die nächsten Worte stieß er keuchend hervor. »Ischtar braucht uns, Vater.« »Wo ist Ischtar?«, knurrte ich. Plötzlich standen sämtliche Erinnerungen an die Varganin klar vor mir; auch und vor allem der Abschied, damals auf Kraumon. Ich begriff, dass ich sie auf eine ganz besondere Art noch immer liebte. Auf alle Fälle war meine Sehnsucht nach ihr nicht erloschen. Alles in mir drängte danach, sie zu sehen und ihr zu helfen. »Wo immer sie ist, sie braucht uns. Sie wird uns zu sich holen!« Du musst dich wehren; du armer Gefangener deiner Sehnsucht!, tobte der Extrasinn. Chapat wird zur Gefahr. Er wird dich in tödliche Abenteuer verstricken! Ich sah, wie gespannt Tekener war. Seine Hand lag unter der Jacke auf der Waffe. Er war bereit, mir zu helfen. Vermutlich zitterte er innerlich, während er mein Duell mit Chapat verfolgte, das in Wirklichkeit ein Duell zwischen mir und der unsterblichen Varganin war. »Ich werde nicht mit dir gehen können, mein Sohn.« »Warum nicht?« Chapat bewegte sich hinter dem Sessel hervor und ging wieder auf seinen Platz zu, starrte wie hypnotisiert das Ischtar-Memory an. »Weil ich andere Pflichten habe. Ich habe dich aus den Fingern Zharadins geholt, aber ich muss in meiner Welt bleiben. Meine Aufgabe ist es, hier zu sein und zu helfen.«
Chapat rief: »Aber Ischtar braucht dich!« »Es gibt viele andere, die mich ebenfalls brauchen. Ganze Planeten, nicht einzelne Personen.« »Ischtar ist meine Mutter. Du musst mit mir gehen, Vater!« Selbst wenn du es tust, schrie der Extrasinn, du wirst Ischtar verändert finden! Eine Wandlung ins Böse und Gefährliche ist mit ihr geschehen. Rette dich! Verlass den Raum, Arkonide! Die Spannung wurde unerträglich. Ich stand auf und wich zurück. Chapat griff nach dem Memory, hob es mir quer über den Tisch entgegen. Zurück! Flüchte! »Was tust du, Chapat?«, rief Tekener schneidend und hielt plötzlich die Waffe in der Hand. Ich winkte ab. »Ich hole Atlan zu Ischtar«, schrie Chapat, der nicht mehr Herr seiner selbst war. Er stand unter dem Zwang, der offensichtlich aus dem blauen Spitzkegel kam. Ein Summen war plötzlich in der Luft, schien von dem Metallkreisel auszugehen. Dann erschienen um Chapats Hände winzige, stechend helle Funken, die einen Wirbel zu bilden begannen. Ich begriff, dass derselbe Effekt, der Chapats Körper durch Raum und Zeit geschleudert und die Seele des jungen Mannes auf eine lange Wanderschaft geschickt hatte, auch mich ergreifen konnte. Ich wich abermals ein paar Schritte zurück. Chapat folgte mir; er sah mich anklagend und zugleich bittend an. »Komm, Vater!« Chapat schloss die Augen. »Lass dich heimholen zu Ischtar!« Ich wich nach links Richtung Schott aus. Die energetischen Wirbelschleifen, denen die winzigen Funken folgten, wurden größer und bogen sich zu exakten Spiralformen. Du musst aus dem Raum rennen. Du und Tekener! Der Sog reißt dich mit!, tobte der Logiksektor. Der Sessel fiel krachend um, als Tekener aufsprang und versuchte, in den Rücken Chapats zu kommen. Ich schrie: »Zurück, Ron! Ich kann mir selbst helfen!«
Der Energiewirbel hüllte jetzt Chapat ein und wurde zu einer Korkenzieherspirale, die sich rasend schnell drehte. Sie schob sich auf mich zu, ich kämpfte gegen den Sog an. Verzweifelt gestikulierte Tek und schien bereit, seinen Paralysator auf Chapat abzufeuern, aber ich hatte jetzt den Griff des Schotts in den Händen. Noch drei Meter trennten mich und Chapat, dessen Gestalt hinter dem säulenförmigen Tornadoschlauch langsam verblasste. Auch die Stimme Chapats wurde leiser. »Atlan … du kommst mit mir … wir gehen dorthin … wo meine arme, gequälte Mutter ist … es ist die letzte Chance …« »Ich kann nicht!« Ich riss das Schott auf und stürzte hinaus. Die Beleuchtung begann zu flackern, sodass ich nichts mehr deutlich erkannte. Die glühende Säule um Chapat war jetzt fast massiv und drehte sich rasend schnell. Chapat war unsichtbar geworden, nur seine Stimme glich röhrendem Brausen. Ich mobilisierte meine Kräfte, warf mich nach vorn, weil der energetische Sog an mir zerrte. Chapats Stimme wurde undeutlicher: »… war unsere letzte Chance … es gibt nur einen Weg zu Ischtar … ich komme, Mutter … Atlan! … ich werde nicht mehr zu dir zurückkehren können … mein Vater … komm mit mir … ehe es zu spät ist … – nein …« Ein puffendes Geräusch. Die Energiesäule verschwand, nur noch ein paar leuchtende Partikel trieben auf spiraligen Bahnen an der Stelle, an der das Ischtar-Memory Chapat fortgerissen hatte – in eine andere Zeit, in einen fremden Raum oder auf eine gänzlich andere Daseinsebene. Vom eigenen Schwung vorwärts geschleudert und nicht mehr im Feld des Energiesogs, stolperte ich und überschlug mich. Tekener sprang über den Tisch, ließ die Waffe fallen und war eine Sekunde später neben mir, half mir wieder auf die Füße. »Etwas passiert?«
Ich schüttelte den Kopf. Der Schock der plötzlichen Erkenntnis dessen, was wir erlebt hatten, traf mich wie ein Hammer. »Nichts passiert. Danke.« Der Smiler, dem in diesem Augenblick ausnahmsweise das eisige Lächeln, das zu seinem Markenzeichen geworden war, vergangen sein musste, ging zur Bar, öffnete sie und kehrte mit zwei vollen Gläsern zurück. Schweigend und nachdenklich standen wir am Tisch. Ich fragte mich, ob die Ereignisse und die Erzählungen der letzten Stunden ein Traum oder eine Realität gewesen waren. »Das war knapp. Ich sah Sie bereits mit Ihrem Sohn davongeschleudert. Haben Sie eine Ahnung, wohin ihn das Ding getragen hat?« »Nicht die geringste Ahnung!«, murmelte ich und nahm einen Schluck aus dem Glas. Wir sahen einander an und schwiegen. Ich hatte meinen Sohn unter dramatischen Umständen getroffen und nun wieder verloren. Angeblich war Chapat seiner Mutter zu Hilfe geeilt. Meine bisherige Erinnerung an die Varganin war gut. Ich fürchtete mich davor, diese Erinnerung zu zerstören, betrachtete die goldgelbe Flüssigkeit im dünnen Glas und sagte zu mir selbst: »Und zweifellos würde ich eine andere Erinnerung haben. Ischtar ist nicht mehr die Frau, die ich kenne. Sie hat sich verändert. Oder etwas hat sie verändert. Es hätte mich umgebracht, wäre ich mit Chapat gegangen.« Ich trank aus. »Chapat war nur ein Werkzeug«, sagte Tekener versonnen. »In dem Augenblick, da dieses rätselhafte Ischtar-Memory zu wirken begann, war er nicht mehr dafür verantwortlich, was er tat.« »Also wollte nicht er, sondern Ischtar mich mit dem energetischen Strudel entführen.« »Das glaube ich fest.«
Wir waren allein mit unseren Überlegungen. Je länger wir über alles nachdachten und versuchten, mithilfe der Fantasie zu erfahren, was hätte geschehen können und welchen Sinn alles seit Chapats Erwachen hatte, desto mehr drängte sich uns die Überzeugung auf, es müsse ein schrecklicher Traum gewesen sein. »Atlan?« Ich sah Tekener an und setzte mich, war völlig erschöpft, und in gewisser Weise war ich auch traurig darüber, dass mein Sohn so plötzlich auf so dramatische Weise verschwunden war. »Ich glaube, ich hätte doch mit ihm gehen sollen«, sagte ich schließlich. »Es wäre meine Pflicht gewesen, ihm und Ischtar zu helfen. Aber mein Selbsterhaltungstrieb hat das verhindert.« Er widersprach energisch. »Ich kann Ihnen nicht Recht geben, Lordadmiral. Ihr Leben ist so abenteuerlich verlaufen, dass Sie es nicht nötig haben, sich risikofreudig in eine Auseinandersetzung um eine Gestalt aus der Vergangenheit zu stürzen. Sie haben richtig gehandelt.« »Unbewusst, Tek.« Wir hatten nicht mehr die geringste Chance, etwas zu ändern. War Ischtar wirklich so mächtig und einflussreich und befand sich tatsächlich in höchster Gefahr, würde sie es zweifellos schaffen, mich auf eine andere und weniger fantastische Art um Hilfe zu bitten. Außerdem hatte sie nun unseren Sohn bei sich – er konnte und würde ihr helfen. »Haben wir das eigentlich geträumt?« Tek schüttelte den Kopf. »Nein. Und ich persönlich bin sicher, dass sowohl Sinclair Marout Kennon, der in der Traummaschine liegt, als auch Chapat, Ihr Sohn, zumindest Ihren Weg kreuzen werden. Denken Sie daran, dass es in Ihren Träumen und in Chapats Seelenwanderungen keine Grenzen von Raum und Zeit gab!« Mein Extrasinn meldete sich wispernd: Du solltest auf alles
vorbereitet sein. Dort, wo sich die Grenze von Realem mit dem Unwirklichen verbindet, ist alles möglich. Alles … »Ich bin auf alles vorbereitet.« Der Smiler lächelte sein eisiges Lächeln.
Quinto-Center: 2. März 2844 Auch Tage nach den Ereignissen hielt mich der Albtraum noch fest im Griff: Wieder und wieder sah ich Chapat vor mir. Mein Schädel schien zu brennen, von tausend marschierenden Naats erfüllt zu sein und von halutischen Handlungsarmen massiert zu werden. Der Extrasinn war mit stechenden Impulsen bemüht, mein Wachbewusstsein zu erreichen; ich aber war wie in Trance, fühlte das Aufsteigen einer gewaltigen Woge in mir und bebte. Furcht! Ich fürchtete mich vor der Vergangenheit, denn durch Chapat schien ein mächtiger Staudamm gebrochen zu sein. Die OMIRGOS-Blockade versagt! Szenen blitzten auf, verdichteten sich, wurden zu einer unüberschaubaren Wand – eine tobende Begrenzung, die immer näher rückte. Ich fürchtete, zerquetscht zu werden, aufgerieben von den Bildern und den mit ihnen verbundenen Emotionen. Der Druck wird zu stark!, rief der Logiksektor gellend. Bald wirst du berichten müssen! Eisiges Schaudern schüttelte meinen Körper. Kalt und klebrig bedeckte Schweiß meine Haut. Ich sah auf die Pflanzen des japanischen Gartens, ohne sie wirklich zu sehen. Das Plätschern des Baches schwoll in meinen Ohren zum Tosen an. Erneut ein durchdringender Schmerz, einer glühenden Nadel gleich, die sich von Schläfe zu Schläfe spannte. Bilder, Erinnerungen, Geräusche … Das Leuchten der digitalen Zeitanzeige verschwamm vor meinen Augen: 0.45 Uhr. In mir baute sich mit jeder
verstreichenden Sekunde ein Druck auf, der unweigerlich auf eine Explosion zuzusteuern schien. Ich kannte das Gefühl. Die Qualen steigerten sich, Außenreize und Gedanken schwangen in Übereinstimmung mit gespeicherten Erinnerungen des fotografischen Gedächtnisses. Irgendwann würde ich reden müssen. Nur so war der Druck abzubauen. Aber auch dieser Prozess war schmerzvoll, anstrengend, um nicht zu sagen demütigend: Hilflos, am ganzen Leib gelähmt, erfuhr jeder Zuhörer Dinge, die zu meinem Intimsten gehörten. Scham kämpfte an gegen den Wunsch, dem Druck und den Schmerzen auszuweichen. Ich dachte an Kennon. Das Bild seiner robotischen Vollprothese überlagerte mit dem seines Originalleibes, den er im Jahr 2406 verloren hatte. Textpassagen einer nur noch mir zugänglichen Akte flirrten vor meinen Augen: … Beschreibung der Person: Größe: 1,52 Meter, physisch schwach wie ein zehnjähriges Kind. Verwachsen. Vorgewölbte Trommelbrust, Riesenschädel mit Kindergesicht, wasserblaue, vorquellende Augen, gelichtetes, strohgelbes Haar. Abstehende Ohren, zu groß selbst für überentwickelten Schädel … Ich erinnerte mich ganz deutlich an den ursprünglichen Kosmokriminalisten, an seine Minderwertigkeitskomplexe. Glut verbrannte den Körper, nur das Gehirn war auf Tahun zu retten gewesen. Kennon erhielt einen Robotkörper. Jetzt liegt er in der Traummaschine … Sinclair Marout Kennon war mit seinem Robotkörper an das System angeschlossen und hatte seinen »Traum«. Was er träumte und erlebte, würde sich zeigen, sobald die ersten Berichte eintrafen. Tekener und ich hatten beschlossen, Kens Wunsch zu respektieren, ließen ihn aber sorgfältig beobachten. Vielleicht war der Mann mit der Vollprothese dort, wo er sich hinträumte, glücklich; ein Zustand, den er in seinem Robotkörper niemals erreicht hatte. Ich hatte präzise
Anweisungen erteilt; Kennons Leben war, was diese Seite seiner Existenz betraf, vollständig gesichert. Dass ihn nichts würde retten können, sofern er im Traum getötet wurde, stand auf einem anderen Blatt. Warum geht mir Kennons Originalkörper nicht aus den Kopf? Ich schloss die Augen. Das Hämmern und Tosen hinter den Schläfen wurde fast unerträglich. Ich hörte mich stöhnen. Kennons dünne Stimme war plötzlich zu hören; abgehackt, stets mit Atembeschwerden kämpfend. Kennons Stimme …? Siedende Hitze breitete sich in mir aus, auf der Brust pulsierte der Zellaktivator in beschleunigtem Takt. Zittern befiel mich. Klar und scharf stand eine Szene vor meinen Augen. Jemand seufzte enttäuscht, dann sagte er: »Es scheint, dass sich die Zeit nicht betrügen lässt. Atlan ist nie Imperator gewesen, daher konnte er es auch nicht werden. Ich wusste es, doch ich wollte es nicht wahrhaben.« Wir blicken den Mann an, als habe er den Verstand verloren … Kennon? Nein – ich verband mit ihm plötzlich einen anderen Namen! LEBO AXTON! Als Geheimdienstchef einer der mächtigsten Männer nach Imperator Orbanaschol III. im Großen Imperium. Die Bilder bewegten sich schneller. Mein Mund war ausgedörrt. Ich merkte, dass Lähmung nach mir griff; nur Mund und Kehlkopf waren nicht betroffen. Ich begann zu sprechen, leise, stockend. Das Schaudern wurde umfassend. Während ich berichtete, glaubte ich zu verstehen. Kennon hatte tatsächlich als Lebo Axton zur Zeit meiner Jugend gelebt! Ich erinnerte mich an ihn! Ich sehe gerade noch, wie Lebo Axton seine Hände hebt und mir mit verzweifelten Gesten etwas mitzuteilen versucht. Die Lippen des Verwachsenen bewegen sich heftig, während er durchsichtig wird und plötzlich verschwindet. Zurück bleibt sein skurriler Robotbegleiter … Fern klang die Bestätigung des Extrasinns: Richtig! Der Effekt
der Traummaschine. Für dich schließt sich ein gewaltiger Kreis durch Raum und Zeit …
»… Erinnerungsschub, ohne Zweifel. Ich hab’s schon oft miterlebt!« Tekeners Stimme drang wie von Watte gedämpft zu mir durch. »Atlan? Wie geht es Ihnen? Stimmt das wirklich? Ken lebte als Lebo Axton und verschwand dann plötzlich? Ich verstehe es nicht. Sir …?« Mühsam rappelte ich mich auf. Die Mediziner waren weiße Flecken vor dem Grün des japanischen Gartens. Eine Hochdruckinjektionsspritze zischte. Wärme durchrieselte mich, langsam klärte sich mein Blickfeld. Weiterhin war der Erinnerungsdruck in mir eine gewaltige Last. Ich ahnte, dass es nur ein kurzes Erwachen für mich gab. Du musst weiter berichten!, bestätigte der Logiksektor. Die Blockade durch Fartuloons OMIRGOS-Kristall ist endgültig aufgebrochen! Chapat und Kennon waren die Auslöser, ebenso Ischtar. Es wird Wochen oder länger dauern … Ich riss mich zusammen, sah den Zellaktivatorträger an und murmelte: »Tek, Sie übernehmen die Befehlsgewalt im Center. Vermutlich werde ich für eine längere Zeit handlungsunfähig sein. Ich kann den Erinnerungsschub nicht aufhalten. Verbindung zum Historischen Korps schalten, alles aufzeichnen – das übliche Procedere.« »Verstanden. Sie …« »Ich werde mich auf die Couch legen, von unseren Medizinmännern betreuen lassen und mir den Mund fusselig reden. Verdammt, manchmal verfluche ich das fotografische Gedächtnis. Irgendwie muss ich es ordnen. Die verschiedensten Szenen überlagern einander, mir heute bekannte Bezüge und Dinge fließen ein. Ein heilloses Durcheinander. Welche Sprache? Satron? Welche Maße und
Einheiten? Soll ich übersetzen oder im Original bleiben? Arkons Sternengötter – mein Schädel brummt wie ein Hornissenschwarm.« Ich schwieg erschöpft. Noch war der Sprechzwang zu unterdrücken. Das Medikament half. Die Mediziner wechselten besorgte Blicke; in Tekeners Gesicht, bleich und übernächtigt, stachen markant die Narben der Lashat-Pocken hervor. Sein kaltes Lächeln erschien. »Legen Sie sich hin, Lordadmiral. Ich kümmere mich um alles. Sie berichten von Ihrer Jugendzeit, nicht wahr? Wir werden gespannt lauschen.« »Macht es für mich nicht leichter.« Ich seufzte. »Gut. Ich hab einen Ansatz gefunden. Vom Auslöser Chapat zurück zu den Anfängen und dann chronologisch weiter. Keine Unterbrechungen, bitte. Ich bin sowieso nicht mehr ansprechbar. Diskussionen in den Pausen, die ich zwangsläufig einlegen muss. Bis dahin dürften auch Kennons erste Gedanken- und Erinnerungsaufzeichnungen vorliegen und meine Berichte ergänzen.« »Fangen Sie an …« ENDE
Nachwort Im Rahmen der insgesamt 850 Romane umfassenden ATLANHeftserie erschienen zwischen 1973 und 1977 unter dem Titel ATLAN-exklusiv – Der Held von Arkon zunächst im vierwöchentlichen (Bände 88 bis 126), dann im zwei wöchentlichen Wechsel mit den Abenteuern Im Auftrag der Menschheit (Bände 128 bis 176), danach im normalen wöchentlichen Rhythmus (Bände 177 bis 299) insgesamt 160 Romane, die nun in bearbeiteter Form als »Blaubücher« veröffentlicht werden. In Band 32 flossen, ungeachtet der notwendigen und möglichst sanften Eingriffe, Korrekturen, Kürzungen, Umstellungen und Ergänzungen, um aus fünf Einzelheften einen geschlossenen Roman zu machen, der dennoch dem ursprünglichen Flair möglichst nahekommen soll, folgende Hefte ein: Band 169 Das Treffen der Einsamen und Band 171 Die Menschenjäger von Arkon von Ernst Vlcek sowie die Bände 176 Der Intrigant, 183 Der Mutantenjäger und 195 Im Dienst Orbanaschols von H.G. Francis. Im Prolog finden sich Auszüge und Zusammenfassungen der Bände 163 Das Geheimnis von Gostacker von Kurt Mahr, 165 Die Stars von Kantanong von H.G. Francis und 167 Träume des Vergessens von Hans Kneifel; beim Interludium wurden Passagen aus Band 173 Besuch im Totenreich von H.G. Ewers aufgegriffen – und im Epilog solche aus Band 175 Die wandernde Seele von Hans Kneifel. Mit Buch 31 hatte die Varganen-Thematik insofern ihren Abschluss gefunden, als im letzten Kapitel Ischtar und Chapat aus dem Leben des jungen Atlan verschwanden. Jahrtausende wusste er nichts vom weiteren Schicksal der »Goldenen Göttin« und seines Sohns. Erst 2843/2844 – Atlan war nach
seinen Abenteuern unter den Barbaren von Larsaf III und dem Zwischenspiel als Imperator von Arkon inzwischen Lordadmiral der USO – begegnete er Chapat unter dramatischen Umständen wieder. Chapats Auftauchen, seine und Atlans Traummaschinen-Abenteuer im Arkonsystem sowie Chapats Verschwinden im Anschluss greifen im vorliegenden Band auf die oben genannten Abenteuer zurück, die den Abschnitt Im Auftrag der Menschheit beendeten und inzwischen alle auch als E-Book vorliegen. Welches Schicksal Chapat und auch Ischtar tatsächlich beschieden war oder ist, wurde bis heute – Stand April 2008 – nicht geklärt und bleibt bis auf Weiteres eine der vielen (noch) nicht erzählten Geschichten im Perryversum. Verwickelt in diese Ereignisse war auch der USO-Spezialist Sinclair Marout Kennon, dem fortan eine besondere Rolle zugedacht sein sollte. Durch den Einfluss der Traummaschine in Atlans Jugendzeit materialisiert, lebte er als Lebo Axton im Arkonsystem und dem Großen Imperium der Arkoniden – und hat in diesem Buch seinen über die Bände 176, 183 und 195 laufenden Auftritt, dem im nächsten Buch und dann vereinzelt in späteren Büchern weitere folgen werden, bis sich am Schluss der Kreis schließt, welcher hier im Epilog durch Atlans Erinnerungsberichte seinen »Beginn« hat. Vor diesem Hintergrund fällt also Band 32 »etwas aus dem Rahmen« der bisherigen Jugendabenteuer; ich hoffe, er gefällt ebenso wie die anderen Bücher. Mir jedenfalls hat die Zusammenstellung und Bearbeitung besonderen Spaß gemacht. Die seinerzeit von H.G. Francis geschriebenen Abenteuer des Kosmokriminalisten fanden übrigens damals derart guten Anklang, dass Kennon auf vielfachen Leserwunsch sogar in den ab Band 300 der ATLAN-Heftserie erschienenen Zyklus König von Atlantis – inzwischen ebenfalls als E-Book vorliegend – übernommen wurde.
Wie stets gilt der Dank allen Helfern im Hintergrund – sowie Sabine Kropp und Klaus N. Frick. Rainer Castor