Band 14
IMPERATOR VON ARKON von Rainer Castor
MOEWIG
Ich habe Ihrer Rasse vor einem Zeitraum, den Sie zwanzigtausen...
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Band 14
IMPERATOR VON ARKON von Rainer Castor
MOEWIG
Ich habe Ihrer Rasse vor einem Zeitraum, den Sie zwanzigtausend Jahre nennen, eine Chance gegeben. Sie haben versagt. Die biologische Lebensverlängerung kann Ihnen als dem Vertreter einer degenerierten Art nicht mehr zugestanden werden. Ihre verfügbare Zeitspanne ist abgelaufen… Ich sah galaktische Hochkulturen kommen und gehen. Ich steuerte einige, bis ich mich damit nicht mehr unterhalten konnte. Es mag sein, daß ich etwas Abwechslung benötige. Vor den Arkoniden gab es eine andere Rasse, davor wieder eine. Ich habe mir Ihre Welt angesehen, Perry Rhodan. Ich gebe Ihnen und Ihrer Art die gleiche Chance, die ich den Arkoniden gegeben habe. Für mich wird das ein kleiner Augenblick sein, und dann werde ich wieder auf jemanden warten müssen, der meine überall Unterlassenen Spuren begreift und sich mit ihrer Lösung beschäftigt…
Das Fiktivwesen ES auf dem Kunstplaneten Wanderer, 29. Januar 1976
Prolog Rhodans Männer schossen. Ununterbrochen krachten Energiewaffen, doch die zuckenden Strahlschüsse wurden von den Schutzschirmen der Kampfroboter abgelenkt. Sie antworteten mit relativ harmlosen Schockern. Der Robotregent wollte uns lebend, und er würde uns lebend bekommen: ein positronischer Mammutkomplex, der vor 66 Jahren im Großen Imperium die Macht übernommen hatte, weil die Arkoniden selbst zu träge und dekadent geworden waren. Erstarrt in überspitzten Gesellschaftsformen, ohne Tatkraft, schlaff, blasiert, die Körper häufig zerbrechlich wirkend, schwach und von Krankheiten wie Lymphsarkom F Arkon oder Leukämie heimgesucht. Schlafmützen hatte Reginald Bull sie genannt, eine der harmloseren Umschreibungen; arrogante Hohlköpfe eine andere. Leere, nur gelegentlich verträumte Augen, inhaltslose Gesichter, Hauptgesprächsthema das Schwärmen über unverständliche »Kunstwerke« der Simulations- und Fiktivkompositionen oder wirre Philosophien… Und doch halten sie sich für Halbgötter! Der Gedanke ließ mich schaudern. Allem und jedem überlegen. Tatsächlich nur noch Handlanger eines von ihren Vorfahren geschaffenen Automaten. Salven dröhnten. Hochenergetische Impulsstrahlen rissen Vakuumkanäle, in die die Luftmassen donnerten, irgendwo detonierte etwas lautstark – verbunden mit einer blendenden Lichtflut. Ich empfand keine Furcht, sondern nur eine todesähnliche Starre. Von den verbissen kämpfenden Männern wurden etliche getroffen; ich sah sie seltsam unberührt fallen. Sie blieben mit verkrampften, unbeweglichen Gliedern liegen. Nach etwa zwei Stunden würden sie wieder munter sein, aber dann war es für sie auf alle Fälle zu spät.
Wir hatten verspielt; jeder der Männer wußte es. 150 Besessene, die sich gegen ein stählernes, positronisches Ungeheuer gestemmt – und verloren haben! Glutflüssige Krater klafften im Panzerplastbelag des Raumhafens, zögernd verwehten die dunklen Pilzwolken strahlungsfreier Fusionsbomben. Die Roboter kamen unaufhaltsam näher, weitere quollen aus den drei Kilometer entfernten Panzerpforten: Der kurze Blick über die schützende Barriere war verbunden mit einem Gefühl abgrundtiefer Resignation. Aus! Rien ne va plus! Das war der Augenblick, in dem ich handelte. Ich war müde, entsetzlich müde. Die Last der Jahrtausende erschien mir plötzlich unerträglich schwer. In bedrückend langen Sekunden merkte ich, wie alt ich wirklich war: ein arkonidisches Fossil, das es plötzlich satt hatte, von einem technischen Wunderwerk am Sterben gehindert zu werden, das ein Robotschiff mir im Auftrag eines unbegreiflichen Kollektivwesens überreicht hatte. Als ich Rhodan auf die Schulter klopfte, ging vom Zellaktivator ein Trommelfeuer heißer Impulse aus. Ich stand auf. Der hellrote Panzerplastwall war hoch genug, um mich zu decken; von Schüssen getroffen wurde nur der, der hinaufstieg, um zu kämpfen. Knapp fünfzig Schritte entfernt begann die direkte Gefahrenzone. Dreihundert Meter weiter wölbte sich die gewaltige Energieglocke über der Mammutpositronik in den wolkenlosen Himmel von Arkon III: Zehntausend Quadratkilometer überspannte der Wabenschutzschirm, den auch die Teleporter nicht durchdringen konnten; die Grundfläche des Positronengehirns maß hundert zu hundert Kilometer, und wie tief die Subetagen reichten, war mir unbekannt. Versonnen wog ich die Mikrobombe in der linken Hand und ging langsam auf die horizontausfüllende Wand zu. Es war
nicht ratsam, sich mehr als dreihundert Meter dieser Kraftfeldfront zu nähern, deren bläuliches Flimmern sich – je nach Lichteinfall und Blickwinkel – mit silbrigen Zwölfeckschlieren überzog. Ein stabiles Strukturfeld auf hypergravitatorischer Basis, dessen hochgespannte Energie die Luft ionisierte und von dem intensiver Ozongeruch ausging. Absolut vernichtend. Es kümmerte mich nicht. Nicht mehr. Bitterkeit und Haß waren plötzlich verflogen. Vor zehn Jahrtausenden war ich von hier aufgebrochen, um in einem fernen Sonnensystem nach dem Rechten zu sehen; scheinbar ein Routineauftrag des Großen Rates. Es wurde eine Verbannung für eine halbe Ewigkeit. Als einziger Überlebender meines Geschwaders nach dem Untergang des nach mir benannten Kleinkontinents wurde ich der »Einsame der Zeit«, mußte unter den Barbaren von Larsaf III leben und verbrachte – häufig frustriert, von Entsetzen und Ekel geschüttelt, durchdrungen von unstillbarer Sehnsucht nach Arkon, meiner Heimat – lange Perioden im biomedizinischen Tiefschlaf, weil es keine Rückkehrmöglichkeit gab: Nie gelang es mir in dieser entsetzlich langen Zeit, ein Raumschiff für den Flug nach Arkon in Besitz zu bringen, und die technologische Entwicklung der Barbaren ließ sich nur unwesentlich beschleunigen. Ungezählt die Rückschläge, die mühseligen Versuche, als Mentor und Helfer aufzutreten, stets mit der Flucht in die Kuppelstation endend, jenem Refugium, das als nahezu einziges arkonidisches Produkt die Katastrophe überstand und mir das Überleben sicherte, gesteuert und kontrolliert von Rico, meinem robotischen Begleiter. War es Ironie des Schicksals, daß ich genau jene herbeigesehnte Periode der Menschheit verschlief, die mich dem ersehnten Ziel endlich nahe gebracht hätte? Die Erinnerung erzeugte Frösteln: 1971 floh ich in den Tagen, als
die Menschen meiner Ansicht nach kurz davor standen, sich in einem atomaren Holocaust selbst zu vernichten, ein letztes Mal in die Kuppel, und als ich 2040 erwachte, fand ich statt der erwarteten radioaktiv verseuchten Welt einen Planeten vor, der inzwischen zum Zentrum eines kleinen Sternenreiches, des Solaren Imperiums, geworden war. Der Schock hätte kaum größer sein können: Ein auf dem Mond notgelandeter Forschungsraumer meines Volkes hatte Perry Rhodan in die Lage versetzt, innerhalb weniger Jahrzehnte das zu erreichen, was mir nie möglich gewesen war – den Sprung nach Arkon. An Bord der AETRON befanden sich nur noch zwei aktive Arkoniden, der an Leukämie erkrankte Crest und die Kommandantin Thora. Der Rest der Besatzung war völlig dekadent und lethargisch; nicht zu vergleichen mit den Leuten meiner Zeit. Aufbau der Dritten Macht, Angriffe der Individualverformer, das Vordringen ins Wegasystem, die Lösung des »Galaktischen Rätsels« samt dem Finden der »Welt des Ewigen Lebens« und der Begegnung mit dem rätselhaften Geschöpf ES – an das ich aus meiner Verbannungszeit ebenfalls vage Erinnerungen besaß. Interne Probleme mit den Parabegabten des Overheads, Kämpfe mit den Galaktischen Händlern. Beim Vorstoß nach Arkon die Erkenntnis, daß zwischenzeitlich ein Robotgehirn das Große Imperium regierte – von den Erbauern programmiert, im akuten Stadium zu großer Degeneration die Macht zu übernehmen. Schließlich der große Bluff Perry Rhodans, der – um die galaktischen Koordinaten geheimzuhalten – die scheinbare Vernichtung Terras umfaßte: Stichworte der Ereignisse, die ich, sehr zu meinem Bedauern, verschlief… »Atlan! Atlan, Freund, Atlan!« Dreimal rief Perry Rhodan meinen Namen und riß mich aus den Gedanken. Ich sah nicht zurück. Aber ich wußte, daß mir alle nachstarrten. Fast
körperlich spürbar war die Intensität der Blicke, ein schmerzhaftes Prickeln zwischen den Schulterblättern. Plötzlich wurde es sehr still, das Feuer war eingestellt. Bull schrie mit sich überschlagender Stimme: »Atlan! Der Schirm ist tödlich!« Ich achtete nicht darauf, drückte den Schalter meines Helmsenders und stellte die Frequenz ein, auf der ich mich kurz nach der Landung mit dem Robotregenten verständigt hatte. Der rote Ring der Gefahrenzone kam näher. Zu einem wirklichen Empfinden war ich nicht länger fähig. Ich ahnte, daß dort mein Ende lauerte, und erwartete den Tod fast gelassen. Seltsamerweise kam die Abgeklärtheit meines Alters in einer Form zum Ausdruck, mit der ich nie gerechnet hätte. Ich wollte aufgeben, dabei aber beweisen, wer ich war, woher ich kam und wie grenzenlos überlegen ich jenem Gebilde war, das Leute meiner Art gebaut hatten. Ich wollte eine Maschine beleidigen und demütigen, sie mit Worten und der Schärfe meines Intellekts geißeln, obwohl es da überhaupt nichts zu geißeln gab. Einen Roboter konnte man nun einmal nicht mit solchen Mitteln bezwingen. Trotzdem begann ich zu sprechen, als hätte ich ein lebendes, denkendes Wesen vor mir. Es war verrückt, aber das fühlte ich bestenfalls im Hintergrund meines Wachbewußtseins. Erinnerungen rasten kaleidoskopisch vor meinem inneren Auge; vier Jahre waren seit meinem Erwachen vergangen: Durch Verrat erfuhr die Galaxis, daß Terra – vormals Larsaf III – noch existierte; zur intensiven Suche und einem Angriff war es nur deshalb nicht gekommen, weil eine andere Bedrohung überwog. Fremdartige Kräfte entvölkerten ganze Planeten. Ein Effekt, der mich an den Beginn meiner Verbannung und den Untergang von Atlantis erinnert hatte. Obwohl zehntausend Jahre getrennt, handelte es sich um ein und dasselbe Phänomen – die Folge von Überlappungsfronten
zwischen dem Standarduniversum und einem anderen. Es stellte sich heraus, daß die Zeit dort 72.000mal langsamer ablief als bei uns und daß das dort herrschende Volk von Insektenabkömmlingen, nach ihren dumpfen, verlangsamten Lauten von uns Druuf genannt, durch das Naturereignis in der Lage war, zu uns überzuwechseln. Es kam zum Zusammenstoß der Flotten, nachdem sich die Entladungszonen zu gewaltigen Trichterverbindungen ausgeweitet hatten. Wie groß die Gefahr tatsächlich war, zeigte sich, als die Kunstwelt Wanderer, von einer Überlappung getroffen, in einen bizarren »Halbraum« eingebettet und sogar ES in Mitleidenschaft gezogen wurde. Allerdings würde sich die Druuf-Gefahr in einigen Monaten von selbst erledigen, weil sich die Entladungszone wieder dem unstabilen Zustand annäherte und die Wesen der anderen Zeitebene, des »Roten Universums«, dann keine Möglichkeit mehr besaßen, zu uns zu gelangen. Noch griffen sie mit riesigen Flottenaufgeboten an. War diese Gefahr überstanden, konnte sich der Robotregent den lästig werdenden Terranern zuwenden; die Entdeckung der Erde wäre dann nur eine Frage der Zeit – und so hatten wir uns entschlossen, das Positronengehirn außer Gefecht zu setzen. Das Unternehmen startete am 21. Januar 2044. Inzwischen schreiben wir den 4. April 2044, dachte ich. »Regent, hier spricht der Kommandant des Schlachtschiffes KONVELETE«, sagte ich grimmig. »Du kennst mich unter dem Namen Ighur, der jedoch ebenso falsch ist wie die durch dich erfolgte Beurteilung der Lage. Ich habe durch mein Wissen und meine Erfahrung einen Trupp Terraner nach Arkon Drei gebracht, da ich nicht mehr gewillt war, das tyrannische Regime eines meiner Diener zu dulden.« Ich blieb einen Moment stehen und ergötzte mich an dem Ausdruck »eines meiner Diener«. Es machte mir Spaß, den Sprachschatz meiner hochstehenden Vorfahren zu
gebrauchen. Ich muß irrsinnig geworden sein! In der Ferne krachte es; Rhodans Männer schossen wieder. »Ich bin Atlan, Kristallprinz des Reiches«, fuhr ich in bestem Arkonidisch fort, »Angehöriger des Herrschergeschlechts aus dem Hause der Gonozal, Neffe und Nachfolger Seiner Erhabenheit, Gonozals des Siebten, Admiral der Imperiumsflotte, Chef des Achtzehnten Einsatzgeschwaders unter dem Oberbefehl von Admiral Sakál, Sieger in siebenundzwanzig Schlachten nahe dem Nebelsektor und Unterwerfer des Methansystems Iskolart im Bereich der Dunkelwolken; Mitglied des Großen Rates von Arkon, Empfänger der Gehirnaktivierung nach Beschluß des Hohen Gremiums, Entdecker und Übermittler einer Waffe, mit welcher der Methankrieg entschieden wurde. Ich fordere Unterwerfung und Gehorsam, wie es einer von meinen Nachkommen erbauten Maschine zusteht.« Nochmals blieb ich stehen. Mein Körper schüttelte sich in einem wahnwitzigen Lachanfall. Ich beugte mich nach vorn, stemmte die Hände auf die Knie und sann auf weitere Argumente. Mit dem letzten Rest logisch arbeitenden Verstandes begriff ich, daß ich die Kontrolle über meinen Geist verlor. Der Extrasinn enthielt sich eines Kommentars. Hart, in kaltem Befehlston, verlangte ich: »Ich sagte erbaut von meinen Nachkommen, denn ich, Admiral Atlan, wurde durch widrige Umstände im Sonnensystem der Terraner festgehalten. Ein bestimmtes Gerät sicherte mir die Unsterblichkeit. Ich bin nun heimgekehrt, um Gehorsam zu fordern. Du hast sofort alle gegen mich und die Terraner eingeleiteten Feindseligkeiten einzustellen, für mich den Schutzschirm zu öffnen und deine Programmierungszentrale in meine Kontrolle zu geben. Du hast augenblicklich jeden dienstlichen Vorgang zu stoppen, den Kommandanten der Raumschiffe an der Druuf-Front Abwartebefehl zu erteilen
und ein Einflugverbot für Schiffe aller Art in das Arkonsystem zu erlassen. Hast du verstanden, fehlgeschalteter Diener meines Volkes?« Bei den letzten Worten war ich noch zwei Meter von der roten Linie entfernt. In diesem Augenblick wich die Geistesumnachtung, und ich erkannte in voller Schärfe, welchen Unsinn ich geredet hatte. Ich hatte mich in einen sinnlosen Rausch hineingesteigert; in einen Rausch der Worte und lächerlicher, sprachlich unsinnig klingender Phrasen. Wann kommt der Überschlagsblitz? Ich bin viel zu nahe an den Energieschirm herangegangen. Muskelzittern befiel mich, Übelkeit wühlte in meinem Magen. Ich schämte mich vor meinen Freunden, die wahrscheinlich mein Gestammel über Sprechfunk mitgehört hatten. Sie werden mich bemitleiden. Der Gedanke schmerzte. Ich will kein Mitleid! Ich ging weiter; direkt auf die tödliche Riesenglocke zu, deren Zenitpunkt fast außerhalb der Arkonatmosphäre lag. Als ich dicht vor dem Wabenschirm stand, der in diesem Abschnitt offensichtlich durch ein zusätzliches Prallfeld gesichert war, knackte es laut in meinen Helmlautsprechern. »Sicherheitsschaltung A-l spricht, Euer Erhabenheit.« Eine tiefe, volltönende Stimme klang auf. »Eure Angaben sind überprüft und für richtig befunden worden. Eure angemessenen Gehirnfrequenzen stimmen mit den eingelagerten Dateien überein. Ich erkenne Euch an als Kristallprinzen des Reiches und künftigen Herrscher über das Große Imperium. Der Robotautomat, den Ihr Regent nennt, ist von mir abgeschaltet worden. Die Sektionen für die Sicherheit des Reiches laufen weiter. Die Angriffe gegen Eure Untergebenen sind eingestellt worden. Diese Maßnahmen erfolgen durch mich aufgrund der Sicherheitsschaltung Senekha, die mir gebietet, einem reinrassigen Arkoniden die absolute Befehlsgewalt zu übergeben, falls er erscheint mit Macht in
Blick und Geist und fähig ist wie die Alten und rein ist wie die Alten und beseelt mit dem besten Willen für den Fortbestand des Großen Imperiums. Diese Bedingungen sind erfüllt worden. Die Dienstleistung des Robotgehirns ist beendet. Ich erwarte Eure Anweisungen, Euer Erhabenheit.« Vor mir öffnete sich der Energieschirm. Ich taumelte noch einige Schritte. Hinter der Strukturlücke blieb ich benommen stehen. Mir war noch nicht ganz klar, was diese Stimme gesagt hatte. Euer Erhabenheit…? Ist das nicht der Titel für den Imperator? Sicherheitsschaltung A-1, mächtig genug, um das gesamte Riesengehirn durch einen einzigen Schaltvorgang lahmzulegen? Ich mußte träumen; ich war weiterhin irre, hörte mein vorangegangenes hochtrabendes Geschwätz als seltsames Echo. Verwundert starrte ich dem nahenden Fahrzeug entgegen. Zwei Roboter stiegen aus und nahmen Haltung an. Die Stille machte mich aufmerksam. Niemand schoß mehr. »Ihr seid erschöpft, Euer Erhabenheit«, sagte ein Robot unterwürfig. »Dürfen wir Euch berühren?« »J… ja.« Sie nahmen mich auf die stählernen Arme, trugen mich zum Prallfeldgleiter und rasten mit mir los. Trance und Unverständnis umfingen mein Bewußtsein. Sogar der Logiksektor schwieg. Die Impulse des Zellaktivators gewannen schmerzhafte Intensität. Eine Stahlkuppel öffnete sich; Schottränder mit Warnschraffuren glitten zur Seite. Fünf Spezialmaschinen des medizinischen Sektors nahmen mich in Empfang und halfen mir auf eine Antigravtrage. So hatten die Roboter zu meiner Zeit stets ausgesehen: Konstruktionen mit devot lächelnden Kunststoffgesichtern. Auch der sogenannte Regent ist nur ein Roboter, dachte ich träge, trotz seiner enormen Größe. »Warten«, sagte ich mühevoll. Sie traten sofort zurück. Bin
ich tatsächlich im Robotgehirn? Kein Traum? Laute Rufe erreichten mich. Sie kamen aus dem Helmgerät. »Atlan!« rief Rhodan in höchster Aufregung. »Atlan, hörst du mich? Atlan, was ist los? Der Angriff ist eingestellt worden, und ich werde über Funk gebeten, die Zone hinter dem Schutzschirm zu betreten. Du hättest dazu den Befehl erteilt. Atlan, was wird da gespielt? Ist das ein Trick? Kannst du mich hören? Atlan, so antworte doch. Atlan…!« Mir wurde endgültig klar, daß ich nicht irrsinnig geworden war. Mein Geist war wach, die Sinne arbeiteten, und vor mir standen die Spezialroboter in respektvoller Haltung. Langsam richtete ich mich auf und glitt von der Trage. Plötzlich fühlte ich mich gekräftigt, war voller Zuversicht, fast euphorisch. »Sicherheitsschaltung A-l, ich wünsche, daß die schwachen Funkimpulse meines Helmsenders aufgenommen, verstärkt und an meine Freunde abgestrahlt werden.« Atemlos wartete ich auf die Antwort. Sie kam sofort: »Ausgeführt, Euer Erhabenheit, Verstärker läuft.« Ich ging an den Robotern vorbei und sprach ins Helmmikrofon: »Atlan an Perry Rhodan. Das ist kein Trick! Ich wiederhole: Das ist kein Trick. Bring deine Leute in die Zone und warte weitere Nachrichten ab. Ich habe die Anweisung erlassen, jede Kampfhandlung sofort einzustellen. Bleiben die Robots ruhig?« Jemand atmete laut und hastig. Dann vernahm ich ein kurzes Aufstöhnen. »Bist – bist du verrückt geworden?« ächzte Rhodan. »Man hat dich gefaßt und gezwungen, uns ebenfalls…« Ich unterbrach: »Man hat nichts anderes getan, als dem Kristallprinzen des Reiches den gebotenen Gehorsam zu bezeigen.« Innerlich beruhigt und völlig ausgeglichen, übersah ich die Lage. Plötzlich war mir alles klargeworden. »Es war alles richtig, nur unser Vorgehen stimmte nicht mit den
Gegebenheiten überein. Die Sicherheitsschaltung existiert wie angenommen! Arkonidische Spitzenwissenschaftler hätten niemals darauf verzichtet. Der Automat A-1 hat eingegriffen. Der Regent existiert nicht mehr in der bekannten Form. Er ist jetzt ein einfaches Robotgehirn, das meinen Befehlen ebenso zu gehorchen hat wie die kleinste Maschine. Ich werde die längst überholten Programmierungen löschen und die überwältigenden Fähigkeiten des Computers zeitgemäß einsetzen. Hinter allem wird aber von nun an ein Arkonide stehen.« »Ich werde verrückt!« sagte jemand kratzig. Reginald Bull. »Das hatte ich von mir auch angenommen«, entgegnete ich und lächelte befreit. Auf meiner Brust pochte der Zellaktivator. Ich fühlte den Strom erfrischender Reizimpulse in jeder Nervenfaser. Rhodan fragte: »Was war falsch, Atlan?« »Unser Vorgehen überhaupt. Alles war umsonst, all die Anstrengungen, Gefahren und Mühen. Ich hätte nichts weiter zu tun brauchen, als nach der Landung aus dem Schiff zu steigen und vor den Energieschirm zu treten. Die seit fünftausend Jahren laufende Sicherheitsschaltung hätte durch die Fernabtastung meiner Gehirnfrequenzen sofort erkannt, daß ich kein degenerierter Arkonide bin, sondern einer von jenen, die das Reich gegründet und das Robotgehirn gebaut haben. So einfach wäre alles gewesen, Terraner! Ich hätte sogar mit einem kleinen Schiff ungeschoren einfliegen können, wenn ich vorher über Funk den Regenten angerufen und meine Identität bekanntgegeben hätte. Da die Sicherheitsschaltung jeden eingehenden Funkspruch überwachte, wäre ich auch auf diesem gefahrlosen Wege anerkannt worden. Perry, du darfst dich glücklich schätzen, daß deine Arkonbombe rechtzeitig entdeckt wurde.« Der Terraner schwieg lange.
»A-l – sind meine Vermutungen richtig?« »Ja, Euer Erhabenheit.« »Kommt herein und wartet hinter dem Schirm!« Müdigkeit befiel mich – die tiefgehende Erschöpfung eines Mannes, der sein Ziel erreicht hatte. »Ruht euch aus! Ich werde für Nahrung und Getränke sorgen. Sobald ich das Notwendige veranlaßt habe, melde ich mich wieder.« »Was ist das Notwendige, Atlan?« »Werde nicht schon wieder argwöhnisch, Barbar. Du lernst es nie. Oder nimmst du an, ich wollte dir nun schleunigst dein Lebenslicht ausblasen lassen?« Er lachte etwas unsicher. Augenblicke später erfuhr ich von der prompt arbeitenden Automatik, daß die Terraner einmarschiert waren. Ich ließ den Schirm wieder schließen, was sofort einen aufgeregten Anruf zur Folge hatte. »Beruhige dich, Perry!« Ich seufzte. »Dieses Robotgehirn ist mir zu wertvoll, um es ungeschützt zu lassen. Nimm dich zusammen und bemühe dich bitte, deine Aufregung etwas zu dämpfen. Wir haben gewonnen, verstehst du? Gewonnen!« Ich schaltete ab und befahl einem Robot: »Führ mich in die Zentrale der Sicherheitsschaltung!« Als ich die weiten Säle mit den komplizierten Einrichtungen durchschritt, erfüllten mich Stolz und Freude. Dieses Wunderwerk, das nur infolge einer längst veralteten Programmierung versagt hatte, war von Männern und Frauen meines Volkes geschaffen worden. Mir stand es demnach zu, es in Besitz zu nehmen. Für mich gab es keinen Regenten mehr, keinen »Großen Koordinator«; aber für andere Intelligenzen sollte er dem Anschein nach weiterhin existieren. Man brauchte vorerst nicht zu wissen, daß seine Maßnahmen von nun an sinnvoll gesteuert wurden. Von mir! Alle meine Probleme haben sich von selbst gelöst! Nun brauchte ich mich bei den Gedanken an die Versorgung
der Flotte mit Gütern aller Art, an die Steuerung der Werften und Industrieanlagen sowie an die zahllosen Dinge der Verwaltung nicht mehr zu ängstigen. Das würde der Computer erledigen, dessen Vernichtung wir eigentlich geplant hatten. Pläne, große Pläne reiften in meinem Hirn, noch ehe ich die Sicherheitsautomatik erreichte. Vorläufig müssen die vielen Völker des Imperiums der Meinung bleiben, weiterhin unter der als gnadenlos bekannten Diktatur des Roboters zu stehen. Anweisungen aus der Anonymität. Überblick verschaffen. Behutsam vorgehen, informieren… Nachdenklich betrat ich einen Programmierungsraum mit großen Bildschirmen an den Wänden. Dutzende Terminalpulte waren aktiviert, Sessel standen vor den hufeisenförmig geschwungenen Kontrollen, Displays und Holoprojektionen leuchteten. Ich legte den Funkhelm ab und strich durchs verschwitzte Haar. Jetzt als Imperator an die Öffentlichkeit zu treten hieße, Revolution und Chaos heraufbeschwören! Nur das nicht! Ich brauche Zeit! »Willkommen, Euer Erhabenheit!« Die sonore Stimme meldete sich erneut. Auf einem Schirm erschien das Gesicht eines alten Arkoniden. Schlohweißes Haar reichte bis zu den Schultern, der schmale Schädel besaß eine extrem hohe, gewölbte Stirn. »Dies ist eine Bildtonsychronisierung nach der Ermittlungsbasis Senekha. Wenn Ihr mich hört, werde ich wahrscheinlich schon lange tot sein. Meine Stimmfrequenzen stehen jedoch der Schaltung A-l zur Verfügung. Ich bin Epetran, Erster Wissenschaftler des Rates. Unser Befehl an A-l lautet dahin gehend, einem aktiv gebliebenen Arkoniden mit der Intelligenzstufe von wenigstens fünfzig Lerc die Macht zu übergeben. Wir hoffen, daß der beginnende Zerfall eines Tages aufgehalten wird. Sollte der geistige Tiefstand die Gefahrengrenze überschreiten, wird das große Robotgehirn die Geschicke des Imperiums so lange leiten, bis einer kommt,
der uns Alten gleicht. Ich kann nicht wissen, wann dies geschehen wird, doch einmal dürfte sich jemand finden. In diesem Falle wird A-l meine Stimme übernehmen und im Sinne seiner Programmierung sprechen. Dies geschieht hiermit. Nochmals willkommen, Euer Erhabenheit.« Das Bild verblaßte. Erschöpft sank ich in einen Sessel. Vor mir summten die Hauptsteuergeräte, mit denen dieses gigantische Robotgehirn beherrscht werden konnte. Meine Vorfahren haben an alles gedacht – oder nein, eigentlich sind es ja meine Nachkommen! Es ist schwierig für einen Unsterblichen, dachte ich mit müdem Lächeln, so feine Unterschiede zu beachten. Neun Tage später: Es war laut, durchdringend und weckte mich abrupt. Ich kannte dieses gellende Lachen viel zu gut, wurde plötzlich von bedrückenden Erinnerungen heimgesucht und sah irritiert auf. Im ersten Moment hielt ich das lächelnde Kunststoffgesicht eines Roboters für Rico, doch dann fiel mir siedend ein, wo und wann ich mich befand. Bis an den Rand der Erschöpfung arbeitete ich an der Umprogrammierung »Seiner Regentschaft«… Das Gelächter erschütterte mein Bewußtsein und drohte mir die Besinnung zu rauben. Ja, Arkonide, du kennst mich! Greif an deine Brust – dort hängt das Symbol unseres vor langer Zeit geschlossenen Paktes. »ES!« ächzte ich betroffen, während aus meinem photographischen Gedächtnis plötzlich Bilder aufstiegen, die – von fremden Kräften verdrängt und verschleiert – mir nur in Ausnahmesituationen bewußt wurden. Dutzende Aufträge, Manipulationen, die Zwei Schatten… »Wann gibst du endlich Ruhe, du Tyrann? Was ist es diesmal? Sind wieder mal einige Androiden zu verfolgen? Welche Stadt soll ich erbauen? Wem unter die Arme greifen?«
Die peinigenden Impulse schwächten sich unvermittelt ab, wurden fast sanft, und ES antwortete sachlich: Ich verstehe deinen Unmut, alter Freund. Inzwischen solltest du erkannt haben, daß alles seinen Sinn hatte. Ohne dich, den Paladin wider Willen, wären die Menschen heute nicht dort, wo sie sind – und du nicht auf Arkon! Ich seufzte, die Stiche in den Schläfen klangen ab. »Ich habe deine Nachricht auf Wanderer erhalten. Wie lautete der Satz? Das Geschenk des Robots war nicht ganz selbstlos, da auch meine Existenz vom Widerstand eines Mannes abhing, der die Waffe gefunden hatte… Du hast mir die Unsterblichkeit verliehen, um dich selbst zu schützen; damals, als ich im Larsaf-System gegen die Unsichtbaren kämpfte, bis ihre schwarzen Stabschiffe auch über Atlantis erschienen. Weißt du, wie beschämend es ist, das ewige Leben durch Zufall zu erhalten? Mußt du mich noch mehr quälen?« Kein Zufall, Arkonide! Das sollst du wissen! ES sprach deutlich leiser, klang beinahe schwach. Offensichtlich wirkten der Aufenthalt in der fremden Zeitebene des Druuf-Universums und die Halbraumeinlagerung der Kunstwelt weiter nach, wobei das Kollektivwesen vor zwei Jahren einen Großteil seiner psychischen Masse eingebüßt hatte; Eiris hatte ES das Verlorene genannt – »raumzeitliche Stabilisierungsenergie«. Es war Anerkennung dessen, was ohnehin in dir ist. Nicht mehr, nicht weniger. Du bist ausgezeichnet und derzeit der einzige potentiell Unsterbliche mit einem Gerät dieser Art! Kälte wechselte mit Hitze. Noch ahnte ich nicht, auf was ES hinauswollte, doch es würde keine Kleinigkeit sein. Die Terraner, vor allem aber Perry Rhodan, das war mir längst klargeworden, standen in der besonderen Gunst dieses Geschöpfes, das über Raum und Zeit stand, hervorgegangen aus der Vereinigung Millionen entstofflichter Intelligenzen – das akkumulierte Bewußtsein einer uralten Zivilisation. Auf
seine Aktivitäten ging die Überlieferung im Wega-System zurück, in der von Wesen die Rede war, »die länger als die Sonne lebten«. Rhodan und den von ihm ausgewählten Mitarbeitern war auf dem Kunstplaneten die Benutzung der Zelldusche zugestanden worden. Im Gegensatz zu meinem permanent arbeitenden Zellaktivator wirkte die Zellaktivierung durch das sogenannte Physiotron jedoch nur für etwa 62 Jahre und mußte dann erneuert werden. Ich sagte mit spröder Stimme: »Was hat das zu bedeuten? Was soll der Hinweis auf den Zellaktivator?« ES lachte; leise, melancholisch und – wie es schien – mit wenig Humor. Es gibt Dinge, alter Weggefährte, die anzusprechen die Zeit noch nicht reif ist. Und ich bin nicht berechtigt, selbst einzugreifen. Die Galaxis und ich – wir benötigen deine Hilfe, Imperator! »Ich hab’s befürchtet«, krächzte ich. »Geht’s auch eine Nummer kleiner? Warum ich? Belästige doch Rhodan! Um was geht es?« Noch ist die Gefahr nicht akut. Mit ihr verbunden sind allerdings Ereignisse aus ferner Vergangenheit, und wenn erst mal Legenden zum Leben erwachen… Typisches ES-Orakel! Er machte seiner ganzen Art mal wieder alle Ehre! Rhodan und die Terraner sind noch nicht stark genug. Du kennst eure gegenseitige Abhängigkeit: Ohne terranische Unterstützung ist das Große Imperium nicht zu halten, ohne dich und das Imperium wird es andererseits keinen Aufstieg Terras geben! Scheiterst oder stirbst du – um ein Beispiel zu nennen –, übernimmt der Regent erneut die Macht. Jetzt kennt er Terras Koordinaten. Seine Flotten würden das Solsystem hinwegfegen! Deshalb bist du zur Zeit der einzige Ansprechpartner; nur du kannst der heraufziehenden Bedrohung mit hinreichender Macht entgegentreten! Es ist zum Wohl aller, nicht zuletzt zu deinem! »Im Vergleich zur dir sprach Delphis Pythia trotz
Drogenrausch Klartext!« Schallendes Gelächter. Damit wir uns richtig verstehen, Arkonide: Es ist keine Rede davon, deinem Volk eine neue Chance zu geben. Die Frist ist abgelaufen, unwiderruflich! Aber die Terraner würden zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheitern. Die Gefahr ist zu groß, zu gewaltig! Deine Aufgabe wird sein, ihr zu begegnen – auch und gerade weil es für dich keine Frist gibt! Der Zellaktivator ist dafür Garant! »Mit vagen Andeutungen ist mir wenig gedient…«, begann ich und wurde von ES unterbrochen: Kümmere dich um dein wankendes Imperium. Such dir Helfer, Mitarbeiter! Es gibt viele Völker, die dir loyal zur Seite stehen werden! Nutze die Möglichkeiten, die du zur Verfügung hast! Mit deiner Hilfe kann ein Bollwerk aufgebaut werden, das die erwachte Vergangenheit abwehrt. In mancher Legende steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit! Ich werde zu gegebener Zeit an dich herantreten oder einen Boten schicken. Vielleicht wird es sogar notwendig sein, dich mit entsprechenden Mitteln auszustatten… ES sprach mit tiefem Ernst und zweifellos in großer Sorge. Das bewies mir endgültig, daß die angesprochene Gefahr – was immer es sein mochte – in keinster Weise zu unterschätzen war. »… mit entsprechenden Mitteln ausstatten…« – allein diese Andeutung erzeugte Schaudern. Für Augenblicke ging ein grelles Licht vom Zellaktivator aus, dessen plötzliche Hitze mir fast die Haut versengte. Was…? Schon nach wenigen Sekunden normalisierte sich der Aktivator. Du wirst alle Kräfte bündeln müssen, Arkonide, die Macht des gesamten Imperiums! Mag es auf noch so tönernen Füßen stehen – es ist, mit dir an der Spitze, vielleicht ein ausreichend starkes Gegengewicht. Es liegt an dir, das Beste daraus zu machen. Mir sind die Hände gebunden. »Aus Gründen, auf die du natürlich nicht eingehen willst?«
knurrte ich ärgerlich, bekam aber eine unerwartet ehrliche Antwort. Einen kennst du: meine derzeitige Schwäche! Andere liegen in der Struktur und Natur meines Seins. Die in mir verschmolzenen Bewußtseine verleihen mir zwar einen Status, der mich über die Begrenzungen von Raum und Zeit stellt, doch den Gesetzen des Kosmos bleibe auch ich unterworfen. Und seinen Mächten… Nach kurzer Pause deklamierte ES: Was du verkleinern willst, mußt du erst strecken; was du schwächen willst, mußt du erst stärken; was du aufgeben willst, mußt du erst aufbauen; wo du nehmen willst, mußt du erst geben; das nennt man klares Erkennen: Das Weiche und Schwache wird das Harte und Starke besiegen. Ein Fisch darf das tiefe Wasser nicht verlassen, und ein Land darf seine Waffen nicht zur Schau stellen. Tao-te ching, 37. Kapitel, gab ich ungerührt zurück. Das Buch vom Weg und seiner Kraft, Lao-tzu zugeschrieben; Basiswerk des Taoismus. ES lachte. Und Dogen Zenji sagt: »Je tiefer man Satori erlebt, desto mehr begreift man die Notwendigkeit zu üben…« Nun, sogar ich erfahre, daß Frieden der Seele nicht das Ausbleiben von Kampf bedeutet, sondern Ausbleiben von Unsicherheit und Verwirrung. Es beanspruchte nur einen Wimpernschlag, und doch erfuhr ich erstmals eine Ahnung dessen, was für ein Geschöpf ES wirklich war, was es tatsächlich bedeutete, losgelöst von Raum und Zeit zu existieren: Es mußte einem permanenten Erleuchtungszustand entsprechen, die dauernde Verschmelzung von Subjekt und Objekt, die Transzendierung bekannter Barrieren, das reale Wissen um die Erkenntnis, das Alles Eins war. Ich dachte: Man nennt dich den Unsterblichen… Und auch den Zeitlosen! ES vermittelte mir den Eindruck eines schelmischen Grinsens. Du kennst die grundlegenden Aussagen der Dagor-Philosophiel Sie gleichen denen des Zen, die du auf Larsaf Drei kennenlerntest.
»Kensho oder Satori! Die Meister sagen: Wer weiß, redet nicht, wer redet, weiß nicht. Verstanden, Zeitloser: Selbst wenn du wolltest, würde es dir schwerfallen, Dinge in Worte zu fassen, die meine Alltagserfahrung weit übersteigen. Macht’s für mich aber nicht leichter.« Hat auch niemand behauptet, alter Freund. Nicht die höchsten Gipfel lassen uns stolpern, sondern die Maulwurfshügel. Hügel… Unwillkürlich dachte ich an das Regierungszentrum auf Arkon I, der Kristallwelt. Vermutlich mußte ich nun früher dorthin umziehen, als mir lieb war. »Hügel der Weisen« lautete die Übersetzung des altarkonidischen Begriffs ThekLaktran, abgeleitet von Laktrote als Bezeichnung für einen überlegenen Rang im Sinne von Weiser oder Meister. Viel zu lange war ich von Arkon fort gewesen – nun mußte ich mich wieder auf die arkonidische Sprache besinnen, die gesamte arkonidische Denk- und Lebensweise. Eintauchen ins Sein eines Arkoniden, nicht länger »terranisch«… Es ist kaum die Zeit für wortgeschichtliche Feinheiten, kritisierte der Extrasinn spitz. ES lachte amüsiert; ihm entgingen weder meine Gedanken noch die Bemerkung meiner inneren Stimme. »Mir bleibt wohl keine Wahl… Schon gut, faß es als rhetorische Frage auf. Ich hoffe, daß du die Geheimniskrämerei nicht auf die Spitze treibst. Die Gefahr, von der du sprichst… Ich kann nur korrekt in deinem Sinne reagieren und handeln, wenn ich konkretere Informationen habe.« Du wirst sie erhalten, Imperator, sagte ES. Vorerst hast du allerdings mit deiner neuen Aufgabe genug zu tun; dein lautloser Partner hat ganz recht. Du trägst eine Verantwortung, die dich zermürben könnte. Es wird nicht leicht sein, mein Lieber, denn mit offenen Armen empfängt man dich nicht! Es gibt allerdings – ich wiederhole mich – Verbündete. Du mußt sie nur finden und
überzeugen. Prüfe die alten Überlieferungen, erinnere dich an die Zeit deines Aufbruchs. Dein Volk stand mir einmal ebenso nahe wie heute die irdische Menschheit. Finde die Spuren und nutze sie! Dir wird die längst vergessene Kontaktstelle zugänglich sein: Der Planet Zhygor wurde und wird nicht umsonst als Schnittpunkt kosmischer Entwicklungen umschrieben. Zhygor…? dachte ich. Frei übersetzt bedeutete das Wort »Licht-Kampf« oder »Kampf ums Licht«. Zhy war ein zentraler Begriff der Dagor-Philosophie, das »transzendentale Licht« oder »übersinnliche Feuer«, durchaus vergleichbar der SatoriErleuchtung des Zen. Gor stand für »Kampf«, »Ringen um« – zum Beispiel bei Dagor, dem »All-Kampf«, verwendet. Ich hatte nur eine äußerst vage Erinnerung an eine Welt dieses Namens; sie stammte aus meiner Jugend, bevor mein Extrasinn aktiviert worden war. Mein Ziehvater und Lehrmeister Fartuloon hatte davon erzählt. Legendenhaft Verbrämtes, das mit den frühen Imperatoren zusammenhing. Ich runzelte die Stirn. Das Wissen kam nur zögernd, trotz photographischem Gedächtnis. Zwei Namen fielen mir ein. Ragnaari I. und Darrid II.; ersterer auch »der Große« genannt, der zweite mit dem Beinamen »der Weise« versehen. Beide haben angeblich bemerkenswert lange regiert und gelebt; mehr als zwei irdische Jahrhunderte. War gar damals…? Das in meinem Kopf widerhallende homerische Gelächter wurde schmerzhaft. Die Legenden von der »Welt des Ewigen Lebens« sind uralt, Arkonide. Viele machten sich auf, sie zu suchen. Manche fanden sie oder kamen in den Genuß der Langlebigkeit. Einzelheiten mußt du schon selbst herausfinden. Abrupt verstummte die laute Stimme. ES hatte sich zurückgezogen, ich war allein. Und aufs höchste verwirrt. Wenn das Angedeutete stimmte, mußten die Arkoniden in ihrer Frühzeit einen ähnlichen Kontakt zu ES hergestellt haben, wie es Rhodan durch die Lösung des »Galaktischen
Rätsels« gelang. Der Teufel mochte wissen, weshalb es nicht zur permanenten Verbindung gekommen war. In meiner Jugend war alles nur noch märchenhaft verbrämt gewesen, oft erzählt, von keinem richtig geglaubt. Welt des Ewigen Lebens… Sogar der Entdecker des Larsaf-Systems, der unter Kommandant Kerlon einer ziemlich vagen Spur folgte, tat dies mehr aus Spaß, Abenteuerlust und Entdeckungsfieber als wirklicher Überzeugung. Kerlon starb, von steinzeitlichen Wilden erschlagen, auf jener Welt, die für mich zum Verbannungsort wurde… Schließt sich somit ein Kreis? dachte ich erschüttert. Welche Gefahr soll das sein, die ES ankündigte? Die Druuf? Nein, dann hätten es nicht diese Andeutungen sein müssen. Weiß ES vielleicht selbst noch nicht genau, um was oder wen es sich handelt? Erwachende Legenden? Das heißt alles und nichts! Der Logiksektor rief mich zur Ordnung: Zunächst hast du andere Probleme zu bewältigen, Imperator! Kümmere dich um das Naheliegende: Programmiere das Robotgehirn weiter in deinem Sinne um, finde die von ES erwähnten Helfer! Die Gefahr an sich macht sich früh genug bemerkbar. Nutze die dir zur Verfügung stehende Zeit! Wer weiß, wieviel dir bleibt? Ich nickte. »Also – an die Arbeit!«
1. Gellor Ma-Kynaan: Institutionen des Großen Imperiums, ein Wegweiser für Karrierebewußte; kopiergeschützte Kristallspeicherversion, 19.015 da Ark Thek-Laktran, der Hügel der Weisen: Parklandschaft auf einem Hochplateau, von mehreren Gipfeln überragt, bestimmt die Umgebung des Regierungszentrums von Arkon I. Gigantische Gebäudekomplexe, in charakteristisch arkonidischer Bauweise auf stielförmigen Fundamenten errichtet, recken sich wie Kelche bis zu fünfhundert Meter hoch in den klaren Himmel: die Ministerien und Verwaltungszentren des Großen Imperiums, vernetzt mit der logistischen Schaltzentrale des Großen Robotgehirns von Arkon III. Hier wohnen die höchsten Würdenträger der arkonidischen Gesellschaft, und es können die Botschafter und Gesandten befreundeter oder ins Imperium integrierter Völker und Kolonialwelten aufs beste untergebracht werden. Mittelpunkt ist der Kristallpalast, die Perle Arkons. Fast tausend Meter hoch, die kristalline Mauerwerksstruktur funkelnd, mißt der Sockel fünfhundert Meter Durchmesser, das Rund des Innenhofes das Dreifache: Die inwändigen Terrassen steigen vom zentralen Garten bis zur achthundert Meter höher gelegenen Oberkante an. Der Kristallpalast ist mehr als der Wohnsitz des Imperators, Tagungsort des Großen Rates oder Stätte prunkvollster Empfänge – er ist Symbol der weiterhin unumschränkten Macht des Großen Imperiums. Arkon I, Kristallpalast, Hallen der Geschichte: 30. Prago des Dryhan 19.017 von Arkon (= 25. Mai 2047 Terra-Standard) »… mußte im Jahr 3113 da Ark das Sphärenschiff der Gijahthrakos, durch einen gewaltigen Hypersturm beschädigt,
auf Iprasa notlanden.« Das Raunen des Flüsterfelds war knapp an der Wahrnehmungsschwelle angesiedelt und von leicht suggestiver Psychostrahlung unterlegt, die der einer Hypnoschulung ähnelte. Es begleitete das Aufleuchten der Holosimulation, die Ereignisse widerspiegelte, welche sich vor fast 18.800 Jahren irdischer Zeitrechnung abgespielt hatten. Ranton arZhym-i-Thos – »Welt aus Feuer und Eis« – lautete die ursprüngliche Umschreibung des sechsten Arkonplaneten, mit dem ich besondere Erinnerungen verband: Die Ausbildungszeit an der Galaktonautischen Akademie von Iprasa gehörte mit zu den prägendsten Erfahrungen meiner Jugendzeit. »Schon ab 3000 da Ark waren die Iprasa-Arkoniden abgeschnitten, weil damals schwere, aus dem Galaktischen Zentrum hervorbrechende hyperenergetische Orkane durch die ganze Milchstraße wüteten, sich auf die Fünf-D-Technik auswirkten und vermehrt die Raumfahrt einschränkten. Auf Arkon nannte man es die Archaischen Perioden. Es war ein Rückfall in die Primitivität!« Das Flüstern endete, plötzliche Bewegung: Längst Vergangenes gewann Gestalt und -… leises Knurren und Rumpeln drang von den Berkomnair herüber, als ein Mann die Lederhaut zur Seite schlug und die Jurte verließ. Er stemmte die Fäuste in den Rücken, streckte sich mit knackenden Knochen und seufzte. Unruhe, Sorge und schlechte Ahnungen tobten in ihm, seit er die Orakel der Feuerfrauen vernommen hatte. Langsam, innerlich aufs höchste gespannt, ging Khyll Trayz durchs Lager. Es war eine helle Nacht. Vielfältig flirrten Sterne am Himmel, handbreit über schroff gezacktem Horizont hingen zwei Mondsicheln wie geöffnete Scheren eines Horimad. Bleiches Licht übergoß das von dürrem Gras bedeckte Land.
Fern leuchtete das Blutrot des Mhos-Magmastroms. »Alles ruhig, Erhabener!« meldete einer der Wächter, als er den Mann bemerkte. »Trotzdem: höchste Aufmerksamkeit, Mann. Zhy-Famii warnen nie umsonst. Etwas wird geschehen.« »Was?« »Das wissen nicht mal die Großen Mütter.« Khyll Trayz blickte unruhig umher. Ein Dutzend Jurten, hergestellt aus gebogenen Gerten, Pfählen, Lederhäuten und Fellen, waren im weiten Kreis angeordnet. Vor dem hochlodernden Feuer formten sie düstere Silhouetten. Die Männer, schlank und hochgewachsen, gekleidet in Leder, Fell und weite Tücher, waren wie alle Iprasaner notgedrungen »stetige Wanderer«, weil das Land karg war und keine Verbindungen mehr zu den anderen Welten bestanden. Der Wächter sagte mit rauher Stimme: »Wir werden aufpassen, Erhabener Khyll Trayz!« »So befehlen es die Frauen.« Khyll Trayz ging langsam weiter und griff nach dem an einem Ast hängenden Trinkbeutel. Als er trank, lief eine beachtliche Menge vergorener Berkomnair-Milch an seinem Kinn hinab und versickerte zwischen Fellstreifen. »Erhabener!« Ein Wächter wies nach oben. Rülpsend folgte der Angesprochene dem Hinweis und starrte zum Himmel, wo es lautlos aufleuchtete. Immer greller werdendes Licht überzog die Landschaft mit gleißender Helligkeit. »Achtet auf die Herde!« schrie Khyll Trayz, als Unruhe in die Berkomnair fuhr. Die riesigen Tiere schrien. Wildes Stampfen mischte sich mit hartem Klacken der HorimadScheren. Aus den Jurten rannten, vom Aufruhr aufgeschreckt, weitere Männer heran. Einige schwangen sich sofort auf die gepanzerten Leiber der Horimad, um die Berkomnair-Herde zu bändigen, und Feuerfrauen bildeten einen
Meditationskreis, in dessen Zentrum es golden leuchtete. »Was bedeutet das?« ächzte Khyll Trayz. Sein verzerrtes Gesicht war zum Himmel gerichtet, die verkniffenen Augen starrten in die Helligkeit. Wie als Antwort auf seine Frage wurde ein dumpfes Sausen hörbar, dessen Intensität sich innerhalb weniger Augenblicke zum rasenden Kreischen, Pfeifen und Jaulen steigerte. Die Helligkeit konzentrierte sich nun nahe dem Horizont und formte eine sich ausdehnende Beule. Als die Druckwelle heranpfiff, war es ein tobender Orkan. Staub, Pflanzenfetzen und Geröll stoben vorbei. Die Männer stemmten sich verzweifelt gegen den Druck. Kleine Steine schossen umher. In der Ferne, wo das Inferno sein Zentrum hatte, lösten sich vom rötlichen Objekt im Krater sonderbare Kristalle und schwebten nach allen Seiten davon. Noch im Flug veränderte sich ihre äußere Gestalt; aus durchscheinenden Riesenjuwelen entstanden langsam arkonoide Körper, deren Form zunehmend Stabilität gewann. »Unter der Anleitung der Gijahthrakos, zunächst geheim, später ganz offen, änderte sich die Kultur.« Ich wurde mir meines Körpers bewußt, schüttelte den Kopf und verdrängte den Trancezustand; das Raunen wurde leiser, als ich einige Schritte ging. »Fast achthundert Arkonjahre dauerte es, bis nach Abklingen der fürchterlichen Hyperstürme aus den Iprasa-Wanderern Raumnomaden wurden…« Weitere Geschichtsdaten wurden vom photographischen Gedächtnis heraufbeschworen:… formten diese Nomaden – Iprasa bedeutet »Wanderschaft, Nomadentum« –, seßhafte TaaInsekten der Urbevölkerung des sechsten Planeten und notgelandete Gijahthrakos eine neue Gesellschaft, basierend auf Dagor und den Kräften der Zhy-Famii… Nach dem erneuten Kontakt mit Arkon wurde die Verbindung zum mehr als 27.000 Lichtjahre entfernten
Heimatsystem der Gijahthrakos hergestellt, die erste Faehrl der ARK SUMMIA entstand auf Arkon VI – initiiert von und mit Hilfe der Gijah-Weisen –, und in die Iprasaner eingeheiratete Mitglieder des Arkonadels ließen mit der Zeit die Clans des Raumnomadenadels entstehen… Später gab es auf Arkon I und III Dependancen der Galaktonautischen Akademie… Philosophie, Lebensart und mystisches Gedankengut des Dagor bestimmten noch heute das Leben der Raumnomanden, deren Clans in ausgehöhlten Asteroiden-Habitaten lebten, zu denen normalerweise kein Clanfremder –vom Imperator abgesehen – Zugang hatte. Die Geschichten, die sich um sie rankten, waren Legion; nur wenige wußten, daß der Kern der Ausschmückungen Realität war: Meditationsblöcke der Feuerfrauen konnten wirklich auf paramechanischem Wege die Leistung der Strukturfeld-Konverter steigern, so daß Kleinwelten von hundert und mehr Kilometern Durchmesser auch ohne extreme Sublicht-Beschleunigung in Transition gingen. Die Kollektivkräfte standen den Wirkungen terranischer Mutanten in keiner Weise nach; das ParanormalTranspersonale war untrennbar mit den Zhy-Famii verbunden. »Die Zahl derer, die sich der Geheimen Initiationen besinnen, ist klein. Allgemeingut waren sie nie! Nur wenige Imperatoren vereinten in sich hohen mystischen Status mit politischer Kompetenz, Intelligenz und allgemeinem Weitblick.« Aus telepatischem Raunen, das die abschirmende Barriere meines Monoschirms in Schwingungen versetzte, entstanden kontinuierlich gesprochene Worte: Neben der verblassenden Holosimulation schwebte in Fußhöhe ein knapp mannsgroßes, rotkristallines Tetraeder. Fasziniert musterte ich das Entstehen der »Körpermaske«, die als stabile Materieprojektion den roten Edelsteinleib des Gijahthrako Kontaclatiis »überdeckte«. Oder wie immer man das Ersetzen der Originalgestalt nennen
will! Ein aufzuckender Gedanke, flüchtig wie eine Sternschnuppe. Ein materialisiertes »Trugbild«! Gijahthrakos beherrschen als Groß- und Hochmeister des Dagor das Paranormale besser als Rhodans Mutanten! Mein Extrasinn raunte an der Grenze des Wachbewußtseins: Kombination verschiedener paranormaler Wirkungskomponenten: Semi-Transition – in diesem Fall wohl eher Semi-Teleportation zu nennen – entrückt durch raumzeitliche Verzerrung den Originalleib Richtung Hyperraum, und an seine Stelle tritt die »pseudosubstantielle« Projektion ins Standarduniversum, die im Extrem zu voller Stofflichkeit materialisiert. Kons »Maskenkörper« reckte sich; er war zwei Köpfe kleiner als ich, hager und drahtig – ein Energiebündel mit unglaublichen Fähigkeiten. Seine dunkelbraune, lederartige und von Runzeln übersäte Haut stand in scharfem Kontrast zum Weiß des Anzugs, der den Körper lackdünn umgab. Er sah mich ernst an. »Euer Erhabenheit tun recht daran, sich aller Kräfte zu versichern, die den Bestand sichern und zugleich eine Wende einleiten könnten, und es ist hilfreich, die Anfänge zu kennen.« »Fern liegen diese Anfänge! Vieles hat sich im Verlauf der Jahrtausende gewandelt, anderes ist in Traditionen erstarrt oder wurde vergessen und verdrängt«, murmelte ich. »Nun droht dem Großen Imperium, nach langer Zeit des Niedergangs, der endgültige Zerfall!« Blütezeit und Hauptexpansionsphase lagen im neunten vorchristlichen Jahrtausend und endeten mit den Methankriegen: Vergangenheit! Für einige Augenblicke fühlte ich mich ausgelaugt, müde und uralt – so alt, wie ich nach Jahren tatsächlich zählte. Bald sind es 8538 Arkon – oder 10.092 Erdjahre: Nach arkonidischer Zeitrechnung ist in fünf Tagen mein Geburtstag, am 35. Prago der Dryhan-Periode. Ich schlenderte weiter, betrachtete Holoprojektionen,
Ausstellungsstücke und in Vitrinen konservierte Artefakte: Geschichtsträchtiges neben Banalem und Kitsch. Die Kristallverträge mit den Therborern; Kolliers, Armreifen und Schmuckimplantate der legendären Girte da Ragnaari; Kinderschuhe von Imperator Arion I.; die Kieselsteinsammlung des »Irren« Imperators Fufulgon II.; der blutverkrustete Dolch, mit dem Robal II. seinen Vorgänger und Vater ermordet hatte… In der Ferne flanierten andere Besuchergruppen; sie verloren sich in den Weiten der Geschichtshallen. Hier konnten Tausende unterwegs sein und begegneten sich nicht einmal. Hinzu kam in meinem Fall, zwar nicht ausdrücklich befohlen, aber von meinen Mitarbeitern so aufgefaßt: Seine Erhabenheit wollen nicht gestört werden – also dezenter Sicherungsring in mindestens fünfzig Schritten Abstand! Dutzende Attentate hatte ich inzwischen überstanden, die Wachsamkeit von Kristallgarde und Geheimdienst war kaum noch zu steigern. Notgedrungen hatte ich mich mit der fast permanenten Anwesenheit naatscher Bodyguards und klirrender Kampfroboter abgefunden. Vereinzelt sah ich zwischen dreidimensionalen Projektionen und Ausstellungsstücken den Teleporter Ras Tschubai materialisieren, der auf seine Weise die Umgebung kontrollierte. An einer Schnörkelsäule in dreißig Metern Entfernung lehnte die faszinierende Gestalt Laury Martens. Telepathie und Desintegration beliebiger Materie waren die Paragaben der Dreißigjährigen – direktes Erbe ihrer Eltern Anne Sloane-Marten und Ralf Marten. Sie bemerkte meinen Blick und signalisierte auf telepathischer Übermittlungsbasis: Alles in Ordnung, Sir! Deutlich näher, dennoch in »betont respektvoller Distanz«, folgte mir und Kontaclatiis der Erste Zeremonienmeister und Protokollchef Truk Drautherb. Er wahrte Würde und zeigte –
ich brauchte mich nicht umzusehen! – ein unbewegtes Gesicht. Ich wußte, wie sehr ihn mein Bummel kurz vor dem Termin an den Rand der Fassung brachte. Der junge, feminin wirkende Mann, aktiv und nicht degeneriert, ging in seinem Amt auf wie ein britischer Butler. Ein strenger Wahrer höfischer Sitten, geheiligter Bräuche und unergründlicher Gesetze von Protokoll und Etikette; das alles schien ihm mit der Muttermilch eingeflößt worden zu sein. Souverän führte er Dutzende Hofbeamte zweiter und dritter Klasse – und nervte mich durch seine katzenhafte, betont unaufdringliche und deshalb um so penetrantere Art. In einer Seitenpassage sah ich eine Gruppe Arkoniden mit einem Andooz sprechen. Knappe Gesten drängten offensichtlich zur Eile; die krötenähnlichen Wesen, das letzte vom Robotregenten neu ins Imperium integrierte Volk, waren seit rund vierzig Jahren loyale Mitglieder, vor allem auf Verwaltungsposten zu finden. Auf flirrendem Antigravpolster glitt ein gleiterbusgroßer Tank näher. Die von Nebelschwaden umhüllte glockenförmige Quallengestalt eines Mooff hinter dem Panzertroplon signalisierte mir lautlos den beruhigenden Gesamteindruck der paranormalen Umgebungsabtastung. Danke! dachte ich intensiv und winkte dem Mooffsprecher Meec’pal. Von dem Fremdwesen strahlte telepathischer Jubel zurück, gefolgt von Impressionen, die aus Drautherbs Bewußtsein auf mich übersprangen. Starrköpfig, unbeirrt, gut geschult – er hatte den »Zweikampf« aufgenommen und war fest entschlossen, ihn zu gewinnen. Ich lächelte säuerlich, denn äußerlich entsprach ich dem Idealbild eines ewig jugendlichen Imperators: Der Herrscher auf dem Kristallthron alterte natürlich nicht, zeigte sich nie schwach, anfällig, krank oder gramgebeugt, er hatte stets vor Kraft und charismatischer Ausstrahlung zu strotzen! Und des-
halb sollte es nur eine Frage der Zeit sein, so dachte der Zeremonienmeister grimmig, bis ich mich in die Rolle des Funktionsträgers einpaßte, getragen vom Korsett uralter, meiner Meinung nach total verstaubter Bestimmungen. Du bist auf dem Holzweg, mein Lieber! Ich lächelte kühl und drehte mich halb herum. An mir beißt du dir die Zähne aus! Er neigte den Kopf, als ich ihn scharf ansah – eine nur zur Schau getragene Unterwürfigkeit; eher mit »eisiger Höflichkeit« zu umschreiben. Er hatte den Zeremonienstab mit dem kopfgroßen Kristallüster am oberen Ende geschultert. Seine Kleidung entsprach dem hohen Rang: prachtvoll ziseliert der glänzende Arkonstahlharnisch mit hoch aufragendem Stehkragen über weit gebauschter, knallig bunter Hose; hochhackige Schnallenschuhe. Von der linken Schulter hing ein blutroter Umhang bis zu den Kniekehlen herab. Das weißblonde Haar war über dem rechten Ohr von einer Platinspange zum Zopf gerafft, und fast einem Stirnreif gleich wirkte das über den Augenbrauen verlaufende Band der zwölf implantierten Edelsteine. Symbol der zwölf legendären Heroen! … will nur das Beste, Sir! Laurys Signal gewann an Stärke; ich verstand sie nur, wenn sie sich exakt auf mich konzentrierte. Mein Typ ist er ganz bestimmt nicht, aber daß er nur das Wohl Seiner Erhabenheit im Auge hat, ist ihm nicht abzusprechen! Sie schlenderte langsam näher. Die Arkoniden und der Andooz standen weiterhin beisammen. Die Schallblasen des Krötenwesens dehnten sich bleich auf Medizinballgröße und sanken zusammen. Gesichter und Körperhaltung der Arkoniden wirkten leblos, fast schlaff. Ein Anblick, den ich viel zu häufig zu sehen bekam; klares Zeichen für Fiktivspielsucht. Das macht es für mich nicht leichter, Laury! Ich unterdrückte einen Seufzer, ging weiter und erreichte die nächste
Epochenabteilung. In den Hallen der Geschichte, entlang der Innenrundung der dritten Kelchetage angeordnet, waren markante Wendepunkte und wichtige Ereignisse des Großen Imperiums und seiner Einzelvölker dokumentiert. Es erfüllte mich mit Stolz, dies alles zu betrachten, und mit tiefem Wehmut. »Hhmhm!« Kontaclatiis runzelte mit einem Blick auf Drautherb die Stirn; die Augenschlitze schienen noch schmaler zu werden. Lichtreflexe tanzten auf der dunklen Haut des kahlen Schädels, dessen schütterer Haarkranz weißblau angehaucht schien; von Licht, das der Solarkonstante der Sonne Arkon entsprach und sich deutlich von jener unterschied, die ich aus den Jahrtausenden unter Larsafs Stern kannte. Der kleine Gijahthrako begann dezent zu drängen – vorläufig in Form des Räusperns. Obwohl ein Weiser seines Volkes, höflich, loyal und als amtierender Kristallmeister – »Oberaufseher der Privaträume des Imperators« die weitere Umschreibung des Titels – engster Vertrauter, wirkte er plötzlich nervös. Ich musterte ihn, bis er betont beiläufig sagte: »Ein wichtiger Tag, Euer Erhabenheit!« Ich grinste säuerlich. »Meinst du etwas Besonderes?« »Die Ausbildung der Schläfer ist weitgehend beendet, die ersten hundert Arkoniden haben den dritten Grad der ARK SUMMIA bestanden und treten mit aktiviertem Extrasinn vor ihren Imperator, um den Treueeid abzulegen und ihre Lehen zu empfangen.« Der Andooz hatte sich von den Arkoniden getrennt und strebte mit kräftigen Sprüngen den Arkaden des Ausgangbereichs zu. Reflexe tanzten auf dem Feuchtigkeitsfilm der unbekleideten Haut. Sein Anblick verursachte Unruhe, die plötzlich wie Ameisen in meinen Eingeweiden wimmelte. Irgend etwas in mir signalisierte eine Warnung. Mein Extrasinn reagierte auf die verstärkte
Adrenalinausschüttung mit beruhigendem Schwingen, enthielt sich aber eines Kommentars; er versuchte demnach weitere Informationen zu erlangen. Die Schläfer, dachte ich versonnen. Dank Guckys Einsatz konnte das »Raumschiff der Ahnen« gefunden und die 100.000 Gefangenen befreit werden. Es handelte sich um aktive Arkoniden der »alten Art«, denn das Raumschiff startete etwa zu jener Zeit, als ich erstmals ins Larsaf-System flog. Ich hatte sogar von diesem Projekt gehört und konnte mich, als Kommodore Ceshal da Ragnaari mit seinen geretteten Leuten nach Arkon kam, vage an seinen Namen erinnern: Kurz nachdem ich zur Galaktonautischen Akademie von Iprasa gekommen war, hatte er sie verlassen. Wir waren uns damals einige Male kurz begegnet; er der Senior-Kadett, ich der eben erst in die Ausbildungstretmühle eingebundene Kristallprinz. Die Zeit ab dem 1. Prago des Eyilon 10.503 von Arkon war unvergessen. Insbesondere Ausbilder Ghotor… – aber das war eine andere Geschichte. Rund zehn Arkonjahre später, ich war frisch zum Has’athor befördert und hatte mein Einsatzgeschwader übernommen, startete das Schläfer-Projekt an Bord des seinerzeit größten Raumschiffs des Imperiums – eines Kugelriesen von 1500 Metern Durchmesser. Zehntausend Jahre sollten vergehen, bis erneut solche Giganten gebaut wurden, vom Robotregenten. Einen der beiden Prototypen, die VEAST’ARK, riß sich Perry unter den Nagel und nannte sie TITAN. Das war 1984 – und ich hab’s verpennt! Ursprünglich waren nur 5000 Arkoniden auf die Reise gegangen, doch sie wurden nach einer Robotrevolte in Tiefschlaf versetzt, so daß im Laufe der Zeit Hunderte Nachkommengenerationen – ebenfalls »eingelagert« – im Schiff gestapelt wurden. Leider hatte sich nach der Weckung herausgestellt, daß einige Tiefschläfer infolge der langen Hibernation Gehirnschäden davontrugen, aber es gelang,
nachdem es Ende 2044 zu Anschlägen auf mich gekommen war, diese Kranken zu isolieren. Schon zur Ursprungsbesatzung gehörten viele Arkoniden aus dem normalen Volk, und so war es dringend erforderlich gewesen, den Großteil der Schläfer einer umfangreichen Ausbildung zu unterziehen. Bis alle fähige Mitarbeiter, qualifizierte Admiräle, Minister, Planetengouverneure, Wirtschaftsfachleute oder Akademie-Ausbilder geworden sind, wird zwar noch einige Zeit vergehen, überlegte ich, dennoch ist ein Grundstock geschaffen: hundert aktive Arkoniden mit Extrasinn – der Abschluß der drei Prüfungsstufen der altehrwürdigen ARK SUMMIA, deren Überwachung und Beurteilung nach antikem Regelwerk unbestechlichen Positroniken der Prüfungswelten unterstehen. »Stunden der Muße sind sicher notwendig und die Nachrichten einer glorreichen Vergangenheit erbauend, trotzdem sollte man darüber nicht das Wesentliche vergessen«, sagte der neben mir trippelnde Gijahthrako lakonisch; ein deutlicher Wink. »Was ist das Wesentliche, Meister?« Er lächelte. Ich blieb vor dem Modell einer Habitatstation stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Eingeblendete Maßketten wiesen aus, daß der gewaltige Ring siebzehnhundert Meter Außendurchmesser besessen hatte. Sechs Speichen mündeten in die Kugelzelle der »Radnabe«; zweihundert Meter Durchmesser lautete hier die Angabe. Der Text einer Bildfläche erläuterte, daß die Radstruktur auf die Bauweise der ornithoiden Scüs zurückging; Eigendrehung habe dazu gedient, künstliche Schwerkraft zu erzeugen. Ich wußte, daß die Scüs diese charakteristische Bauweise heute noch verwendeten, obwohl das Prinzip von künstlicher Gravoregelung und Andruckabsorption andere Konzepte
ermöglicht hätte; fachwissenschaftlich exakt die sogenannte Strukturfeldeinlagerung einer Semi-Transition zur beliebigen Gravitationskonservierung und -justierung durch Inerter. »Auch das«, murmelte ich im Weitergehen, »eine uralte Tradition; sogar Fremdvölker haben sich angepaßt, manchmal bis zur Selbstverleugnung. Synonym für die Erstarrung im Imperium. Alles bleibt an Bord, wie unzeitgemäß es auch sein mag. Extrembeispiel waren und sind die längst überholten Programme der Riesenpositronik. Viele konnte ich durch aktuelle ersetzen, aber zu manchen Basisprogrammierungen habe sogar ich keinen Zugang; sie sind und bleiben fest eingebrannt. Ganz zu schweigen von Dutzenden geheimer Sicherheitsschaltungen.« Die Heimat der Scüs lag 55 Lichtjahre von Arkon entfernt. Die ersten Kontakte stammten aus der Zeit der »Archaischen Perioden«: Jahrhunderte Flug mit Generationen-Habitaten hatten sie in Sublichtphase benötigt, bis sie das Arkonsystem erreichten und Verbindung aufnehmen konnten. Als die Hyperstürme abflauten, die Transitionstechnik wieder funktionierte und die für lange Zeit unterbrochene Expansion ins Weltall erneut begann, behielten die Vogelnachkommen ihre Ringzellenraumer. »Archaische Perioden… Gewaltige Hyperstürme… Technikausfall…« Die schwarzhaarige Mutantin las halblaut Holotexte und kam an meine Seite. »Zu Hause unterliegt man zweifellos einem gewaltigen Irrtum, wenn man meint, das Große Imperium zu kennen.« Ich machte eine vage Geste. »Das ist nicht nur auf Terra so. Das Imperium ist zu unüberschaubar, die Zeitspanne zu groß, als daß es über alle Einzelheiten exakte Informationen gäbe; das gilt sogar für den Robotregenten. Auch Hypnoschulungen sind Grenzen gesetzt, Laury.« »Wem sagen Sie das, Sir?« Sie schnitt eine Grimasse. »Selbst
wenn – wer sollte die Unmengen an Daten im Kopf haben? Schon die grobe Zusammenfassung füllt etliche Speicherkristalle. Mit Ihnen sind’s 496 Imperatoren. Es gibt mehr als fünftausend maßgebliche Adelsfamilien, 50.000 Hauptsiedlungswelten und… Wie behalten Sie da überhaupt einen Überblick?« »Ein Imperator ohne photographisches Gedächtnis ist undenkbar. Ich habe für Wochen noch mal die Schulbank gedrückt und mich mit Informationen berieseln lassen. Was jedoch nicht oder nur vage in die Speicher einging…« Sicher war ich mir nicht, weil sogar die Altarchive des Robotregenten nur dürftiges Material aus jener Zeit speicherten, aber in den »Archaischen Perioden« war vielleicht der Grund des Kontaktabbruchs zu ES zu suchen. Angeblich war damals – gewissermaßen als Überbleibsel der Hyperstürme – die gefürchtete Sogmanton-Barriere entstanden, die ich in meiner Jugendzeit kennengelernt hatte. Heute wieder von Bedeutung, weil in unmittelbarer Nähe der Tekteron-Bund zu finden ist! Frösteln befiel mich. Diese Fanatiker mit ihrer »Reinen Lehre« schrecken buchstäblich vor nichts zurück! Ein Sammelbecken Unzufriedener, Abtrünniger, Unruhe Schürender und extremistischer Kriegstreiber! Als jemand, der das Große Imperium vor zehn Jahrtausenden zur Zeit der wiederholt aufflackernden Methankriege erlebt hatte, hatte ich damit Probleme, gestand mir aber ein, daß Traditionen durchaus ein wichtiges Regulativ gegenüber dem Chaos darstellten, das nun herrschte: Die arkonidische Gesellschaft, vor allem der Adel mit all seinen Privilegien und komplexen Strukturen, hatte sich in einem Maß vom normalen Geschehen abgekapselt und entfremdet, daß es fast körperlich schmerzte. Aktiver gebliebene Arkonkolonisten standen dem ebenso ablehnend gegenüber wie die ins Imperium eingebundenen
Fremdvölker; Ohnmacht, Wut, Haß waren die maßgeblichen Empfindungen. Wirtschaftliche und industrielle Zulieferer, von der Herrschaft ausgeschlossen, zum Verneigen vor arroganten Schnöseln gezwungen – das Brodeln im Kessel wuchs. Unerbittliches, maschinenhaft hartes Durchgreifen des Robotregenten hatte alles nur verstärkt; daß ich ihn ablösen konnte, machte es nicht besser. Nach dem Ende der DruufBedrohung gab es keinen äußeren Feind mehr, der die Kräfte band und Trennendes im Not- und Zweckbündnis zusammenfügte. Totaler Bürgerkrieg, wenn ‘s hart auf hart kommt! Im Mund sammelte sich metallisch-bitterer Geschmack. Gewalt breitet sich wie eine Epidemie aus. Ob der Untergang abgewendet werden kann, steht in den Sternen: Vor allem in den riesigen Randzonen des Imperiums bröckelt es gewaltig; eigenständige Staatsgebilde entstanden in den Jahrhunderten, bevor der Robotregent die Macht übernahm. Separatismusbestrebungen, wo man hinschaut! Man rüstet auf bereitet sich auf Auseinandersetzungen vor. Vor allem im Tekteron-Bund! Die Robotschiffe des Regenten wurden gefürchtet, mich wagt man anzugreifen… Ras Tschubai verstofflichte neben Laury Matten; die beiden wechselten einige Worte, blieben zurück. Du bist Arkonide! sagte der Extrasinn scharf. Viele halten dich deshalb von vornherein für schwach, nachgiebig und unentschlossen. Und als Lebewesen besitzt du Skrupel, die ein Automat schwerlich haben kann. Dennoch ist es richtig, nicht mit der sachbetonten Brutalität des »Großen Koordinators« zu reagieren. Von Flüsterfeldern umgebene Holos begleiteten mein Schlendern; ich nahm sie nur am Rande wahr, betrat eine neue Sektion und erkannte, daß mein Unterbewußtes die Schritte beeinflußt haben mußte: Faehrl-Institute der fünf ARK SUMMIA-Prüfungswelten mit den Anlagen zur Extrasinnaktivierung!
Largamenia, den Planeten der bedeutendsten Faehrl, kannte ich aus eigener Erfahrung. Iprasa war die älteste Welt – Standort der gleichnamigen altehrwürdigen Akademie und der Flottenoffiziersschule Bark-N’or. Dann Alassa, ebenfalls Sitz einer Galaktonautischen Akademie. Auf Goshbar hatte der berühmteste arkonidische Paraphysiker seine bahnbrechenden Forschungen betrieben: Belzikaan lebte um 15.600 vor der Zeitenwende in der Epoche von Imperator Barkam I. Schließlich Soral, nur 4,7 Lichtjahre von Arkon entfernt, ein weiteres wichtiges Dagor-Zentrum des Imperiums. Selbst wenn es optimal laufen würde, werden dennoch Jahrhunderte benötigt, um die Folgen von Dekadenz und Niedergang zu beseitigen. Neue Ziele waren zu setzen, die Gesamtgesellschaft quasi völlig umzukrempeln, um Trägheit und Stagnation zu überwinden. Intensivierte Schulung allein reichte nicht, es bedurfte eines totalen Neuanfangs. »Was mir vor allem fehlt«, murmelte ich im Selbstgespräch, »ist eine ausreichende Zahl aktiver, gebildeter, entschlußfreudiger Helfer, auf die ich mich wirklich verlassen kann. Die von Perry Rhodan abgestellten oder von mir auf Terra angeworbenen Leute sind hierbei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleiches gilt für die Arkoniden aus dem Raumschiff der Schläfer: hunderttausend mit aktiviertem Extrasinn – gegenüber 50.000 Milliarden Gesamtbevölkerung im Großen Imperium!« Das Verhältnis ließ mich frösteln, denn es gab kaum einen Ort, von dem keine Unruhen gemeldet wurden. Kein Tag ohne mittlere Katastrophe! bestätigte der Logiksektor. Mit ersten Anordnungen war es mir zumindest ansatzweise gelungen, etwas Druck aus dem Kessel zu lassen: Fern vom Kugelsternhaufen sollten vermehrt Freihandelswelten entstehen, denen völlige Autarkie und Autonomie zugebilligt
wurden. Vorbild war die Welt Zhygor, die schon vor mehr als 500 Arkonjahren als Oase inmitten eines immer unruhiger werdenden Imperiums erschlossen wurde. Neu erschlossen, um es korrekt zu formulieren: Es war eine Initiative handlungsfähiger Dagoristas der alten Arkon-Ritterschaft gewesen; aktive Frauen und Männer, geführt von einigen Gijahthrako-Meistern, die diese Welt wieder entdeckten und zunächst zu einem Dagor-Zentrum machten – angelockt von der legendären Besonderheit des Planeten und geleitet von vagen Daten, die aus verstaubten Familienarchiven hervorgezogen wurden. Vor fast achtzig Jahren war auch Crest da Zoltral – zwischenzeitlich am 25. Januar 2045 verstorben – für kurze Zeit auf Zhygor gewesen, hatte den rätselhaften Nebeldom allerdings nicht betreten können und war dann mit der AETRON-Expedition anderen Spuren auf der Suche nach der »Welt des Ewigen Lebens« gefolgt; sie endete mit einer Notlandung auf dem Erdmond. Dann reagierte Sicherheitsschaltung A-l, der Robotregent setzte den letzten Zoltral-Imperator ab und übernahm die Herrschaft. Orcast XXI. und sein Nachfolger, Orcast XXII. waren nur Scheinherrscher. Der eine starb an Lymphsarkom, der andere an Leukämie. Zhygor wurde im Zuge der wirtschaftlichen Revitalisierung des Imperiums 18.975 von Arkon der Status einer Freihandelswelt zugebilligt. Ich machte daraus ein Projekt für das gesamte Sternenreich. Wenn es um Chronners, Merkons und Skalitos ging, zogen im allgemeinen sogar Gruppen, die einander nicht grün waren, an einem Strang. Informationen strömten vom Extrasinn in mein Wachbewußtsein: Sogar die Springer – für profitable Geschäfte immer zu haben – nahmen den Plan an und unterstützen den Raumnomadenadel, dem die Projektleitung anvertraut wurde: Groß-
Habitate dienen als Depots für Nachschub und Zwischenstation. Transitionsrouten sind etabliert; hinzu kommen Transportflotten, Begleitkonvois und Schutzgeschwader… Neben Zhygor und den schon lange existierenden Freihandelswelten – wie Jacinther IV, Lepso und Abbadhir – kommen nun Valissa, Reno 24, Mirsal III und Tats-Tor hinzu. Die beiden letzten insofern besonders geeignet, weil sie durch Druuf-Überlappungsfronten total entvölkert wurden! Weitere Freihandelswelten, Volat und andere, sind geplant… Ich nickte. Unglaublich die Herausforderung – denn im Imperiumskern geht das Leben weiter, Sicherheit und logistische Koordination sind zu gewährleisten. Langsam ging ich weiter. Aber viele Arkoniden sind gegen den Plan, der unweigerlich ihre Aggressionen heraufbeschwört: Freihandelsweltstatus heißt offizielle Loslösung vom Imperium – dabei übersehen diese Schlafmützen und Fiktivspielsüchtigen natürlich geflissentlich, daß es ohnehin überall von Auflösung bedroht ist! Überdies ist Zhygor etwas Besonderes, aus vielerlei Gründen! Für Jahrtausende war der arkonidische Kontaktpunkt zu ES total vergessen, nun rückt er wieder ins Rampenlicht. »Im Grunde wurde viel geleistet«, murmelte ich, in Gedanken versunken. »Die Rastpunkte entlang den Transitionsrouten. Zhygor selbst und die Tücken der dortigen Natur. Tatalal, Stadt der Tausend Wunder, mit den geheimnisvollen Katakomben. Der ES-Nebeldom…« Mein Logiksektor raunte: Zhygor erfreut sich der bevorzugten Unterstützung der Gijahthrakos; ihnen sind die gewaltigen »Tabufeld«-Projektoren zu verdanken, die in der Sonnenkorona verankert werden und den Planeten in einen undurchdringlichen Schutzschild hüllen. Und der Nebeldom der ES-Kontaktzone wirkt sich verstärkend aus. Der gesamte Raumsektor ist Teil einer Verzerrungszone, die Schnittmenge einander überlappender Dimensionen und Universen. Die Gijahthrakos! Ich ranzelte die Stirn. Unzählige Legenden
rankten sich um das uralte Volk: Angeblich konnten sie ihre Körper beliebig wandeln, Langlebigkeit wurde ihnen nachgesagt. Ich wußte es besser. Nur wenige hundert lebten – wie Kontaclatiis – als Dagormeister im Bereich des Imperiums, insgesamt mochte es einige zehn Millionen geben. In meiner Jugend hatte ich nie mit ihnen zu tun, obwohl Fartuloon von ihnen berichtete. Der Grund denkbar simpel: Sie zogen sich, als Orbanaschol an die Macht kam, total zurück und reagierten erst Jahrzehnte später auf einen Hilferuf meines Oheims Upoc, zu jener Zeit Imperator Gonozal VII. weil die Methanvölker, allen voran die gefürchteten Maahks, das Imperium fast ausgeblutet hatten. Damals hatte ich schon meinen ersten Tiefschlaf begonnen, darauf hoffend, daß man irgendwann nach dem Kristallprinzen des Reiches suchen würde… Ihren eigentlichen Herrschaftsbereich, die der Milchstraßenhauptebene vorgelagerte Toncag-Sternenballung, rund 23.000 Lichtjahre von Arkon entfernt, sollen sie künstlich geschaffen haben, dachte ich. Gerüchte, sicher, doch wenn ein Bruchteil davon zutrifft… – sprach ES deshalb von »Erwachenden Legenden«? Ich blickte irritiert hoch, abrupt aus dem Grübeln gerissen, weil mein Logiksektor ein Signal abgab, dann aber beharrlich schwieg. Aus einer Seitenpassage zwischen Ausstellungsobjekten und Projektionsgloben näherte sich eine kleine Besuchergrappe, die ebenfalls dem Ausgang zuzustreben schien. Halb von Säulen verdeckt, glaubte ich einige Arkoniden wiederzuerkennen, die mit dem Andooz gesprochen hatten. Jetzt wirkten die Gesichter noch schlaffer, die Augen noch lebloser. Ihr Anblick erzeugte Beklemmung. Geladene Gäste! durchzuckte es mich unwillkürlich. Sie werden der Zeremonie beiwohnen wollen. Die Investitur ist ein gesellschaftliches Ereignis. Welch ein Unterschied zu Larsaf-Terra, mein wunder Punkt.
Die Verbannungszeit bei meinen ebenso geliebten wie gehaßten Barbaren blieb nicht ohne Nachwirkungen; Terra fühlte ich mich zutiefst verbunden, hier im Imperium kam ich mir meist verlassen und ohnmächtig vor. Den Staatsakt nach Crests Tod hatte ich genutzt, um mit einer Delegation nach Terra zu fliegen. In manchen Fällen hatte es einiger Überredungskunst bedurft, doch es gelang mir – Rhodan und seine Leute beobachteten es mit einem lachenden und einem weinenden Auge –, mehrere zehntausend Spezialisten aller Fachrichtungen zunächst mit hochdotierten Drei- oder Fünfjahresverträgen nach Arkon zu locken. Andere kamen freiwillig oder baten gar darum. Voraussetzung waren Qualifikation und extreme Motivation, als Lohn winkten, neben täglichem Ärger und nervenden Auseinandersetzungen mit arroganten, »halbgottgleichen« Arkoniden, die grandiosen Möglichkeiten eines gewaltigen Sternenreiches samt aller Exotik, die damit verbunden war. Namen schwirrten durch meinen Kopf: Peter Kosnow, der, unterstützt von Tombe Gmuna, in nur eineinhalb Jahren den arkonidischen Geheimdienst auf Vordermann gebracht hatte; Fron Wroma, der Afrikaner mit dem wundervollen Bariton, dem ich die Neuorganisation des Flottenzentralkommandos anvertraut und deshalb über viele Rangstufen hinweg zum Thek’athor befördert hatte; Oberst Marcus Everson, nun Thantan meiner Leibwache, der Kristallgarde; die Mutanten Laury Marten, Kitai Ishibashi und Ras Tschubai. Schließlich der mexikanische Hyperphysiker Manolito Almeda; seit zwei Jahren wissenschaftlicher Leiter auf Arkon III. Als Chef von mehreren tausend Swoon-Technikern und ungezählten stationären wie beweglichen Robotern samt den gewaltigen Produktionsstätten und automatischen Fabriken war er mit Forschungs- und Entwicklungsprojekten betraut, die sich der
kleine »Speedy« des TEFTRIS-Camps wohl nie hätte erträumen können. Noch heute staunten seine dunkelbraunen Augen, und er liebte weiterhin diese braune, zuckerreiche, koffeinhaltige Limonade, die sich als ein Hauptexportschlager »Made by Terra« erwiesen hatte. Ihm zur Seite standen die SchläferWissenschaftler Ekral da Osh, Tunuter Ta-Grishkan und Alos on Parim. Die hochtrabende Phrase von politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und kultureller »Gestaltungsmöglichkeit« – hier im Großen Imperium wird sie für den, der sich voll und ganz einsetzt, zur faszinierenden Realität! Tausende Welten, Millionen Raumschiffe, ungezählte Lebensformen und Intelligenzen: Das Potential ist ungeheuerlich! Auch für mich ist es eine gewaltige Umstellung gewesen! Als einzelner, bei Bedarf hochtechnisch ausgestattet, war ich auf Terra gezwungen gewesen, kleine Brötchen zu backen, wie man dort so schön sagte. Nicht als »Fremder« auffallen, im Hintergrund und aus dem verborgenen heraus agieren, getarnt in Tausenden Masken, geprägt von Zurückhaltung und dem Wissen um die eigene Kleinheit im Vergleich zur Größe der Welt, die stets nur beschränktes Auftreten und einen eben solchen Wirkungskreis gestattete. Krasser kann der Gegensatz schwerlich sein: Imperator Gonozal VIII.! Der Gonozal von Arkon! An der Spitze eines Giganten, der einen beachtlichen Teil der bekannten Milchstraße umspannt – gemäß Terras galaktischem Koordinatensystem fast den gesamten Nordwestquadranten, Zahlen und Dimensionen, die an sich unanschaulich bleiben – Millionen, Milliarden oder gar Billionen! Kon musterte mich intensiv. »Dir fehlt Terra?« »Ja, Laktrote. Du weißt, daß ich mich ohne Wenn und Aber der Verantwortung stelle. Aber Terra… Dort war und ist es völlig anders als im Großen Imperium! Ein unauflöslicher
Zwiespalt: Irgendwie bin und bleibe ich ein Fremder. Dort war es so und nun auch hier, in meiner eigentlichen Heimat.« »Ich verstehe«, sagte Kontaclatiis. »Es wird Zeit, Euer Erhabenheit!« Aus seinem Mund klang die ehrenvolle Anrede stets etwas spöttisch, besonders wenn er mich, seinen »Schüler«, so nannte. »Stimmt, Kon, gehen wir.« Ich nickte fahrig und raffte meine Robe – wertvoller Brokat, versehen mit dem Sonnensymbol meiner Familie. Wir gingen auf den Ausgang der Geschichtshallen zu. Für Sekunden schimmerte ein rubinrotes Muster auf, überlagerte Kons Körper und zeigte seine »wahre Gestalt«, die einer Evolution entstammte, welche mir bis heute ein Rätsel blieb. Eine kristalline Lebensform oder anorganische Intelligenzen auf der Basis hyperaktiver 5-D-Kristalle? »Alles zu seiner Zeit, Atlan.« Kons wissendes Lächeln sagte mir, wie gut er mich und meine Gedanken kannte. »Wenn die Bedingungen erfüllt sind, offenbaren sich Geheimnisse von allein und werden selbstverständlich wie das Aussehen einer Düne.« »Du bist der Weise, Erhabener Kristallmeister.« Niemand sah diesen Geschöpfen ihre Fähigkeiten an; wahre Kämpfernaturen, die es zwar nicht auf Auseinandersetzungen, Machtausübung oder große Öffentlichkeit anlegten, aber wenn man sie reizte… Nun, ich habe Kon und andere Gijahthrakos mehrmals in Aktion erlebt und weiß, wozu sie in der Lage sind. Ohne Kon hätten mich einige Anschläge – zwischenzeitlich fast an der Tagesordnung! – zumindest verletzt, wenn nicht gar getötet! »Weisheit, junger Freund, ist häufig das Ergebnis leidvoller Erfahrungen.« Junger Freund! Ich grinste unwillkürlich. Und das mir! »Mir bleibt keine andere Wahl.« Die Zehnmeterarkaden des Hallenrands waren fast erreicht,
Naats der Kristallgarde standen vor den Schnörkelsäulen stramm und präsentierten schwere Strahlwaffen – alle waren vielfach überprüfte und von Mutanten auf ihre Zuverlässigkeit gecheckte Spezialisten. Die imposante 1,90-Meter-Gestalt Thantan Eversons in schlichter lindgrüner Uniform wirkte neben den dreiäugigen Riesen fast schmächtig. Die blonden Stachelhaare gesträubt, die Hände auf dem Rücken verschränkt, wippte er auf den Zehnspitzen; der wachsame Blick seiner blauen Augen schweifte durch die Hallen der Geschichte. Beim Anblick Truk Drautherbs verzogen sich seine Lippen – so konnte nur ein Terraner grinsen. Everson, bis zum 31. Dezember 2044 Oberst der Solaren Flotte, hatte mich nach dem Staatsakt zu Crests Ehren angesprochen und um »einen Posten, irgendeinen« nachgesucht, weil er sich in der Solaren Flotte eigenem Bekunden nach »fehl am Platz« fühlte und »Tapetenwechsel für angebracht« hielt. Niemand hatte ihm nahegelegt, den Dienst zu quittieren, ganz im Gegenteil, aber drei verlorene beziehungsweise beschädigte Schiffe unter seinem Kommando innerhalb von nur zwei Jahren wollten weggesteckt sein. Zweimal waren die rätselhaften Molekularverformer für Schrott verantwortlich, bei der K-262-FAUNA und dem Staatenkreuzer MEXICO. Am schlimmsten war allerdings der Verlust der KUBLAI KHAN samt Fiktivtransmitter – unter meiner Leitung in das nagelneue Schiff eingebaut – beim Einsatz gegen die Topsider. Als ihr Kommandant lernte ich ihn am 1. August 2043 kennen. Er macht sich bis heute Vorwürfe! In vielem glich er meinem vor zehntausend Jahre gefallenen alten Lehrmeister und Kommandanten des Geschwaderflaggschiffes TOSOMA, Kapitän und Sonnenträger Tarts. Wenige Meter von ihm entfernt ging Kitai-San, den Oberkörper wie stets etwas gebeugt, langsam auf und ab. Der
große und hagere Mutant aus dem terranischen Bundesstaat Japan, ausgebildet als Arzt und Psychologe, trug einen braungelb-rot gemusterten Kimono, tapj-Strumpfschuhe und Sandalen. Korrekt nach den bushido-Regeln waren die beiden Samuraischwerter ausgerichtet – ein langes Katana und das kurze Wakizashi. Seit kurzem – Ergebnis langer Gespräche und reiflicher Überlegung – hatte er den Ehrentitel »Bauchaufschneider des Imperators« akzeptiert und die Funktion des Leibarztes übernommen; auf seiner Brust glänzte die Amtskette aus handtellergroßen Cholittplatten. Daß er traditionelle japanische Kleidung wählte, war nur zum Teil Ausdruck seiner tiefen Verwurzelung in der Kultur Nippons. Nicht weniger maßgeblich war zweifellos die Absicht, der adligen Umgebung im Kristallpalast bewußt ein individuelles, unverkennbares Erscheinungsbild zu bieten. Zu meinem Erstaunen hatte er sich damit Respekt eingehandelt, und sogar Truk Drautherb ließ sich zu einem Heben der Augenbrauen verleiten. Schon vor achttausend Jahren haben deine Artgenossen den Drang nach Vereinheitlichung verworfen, sagte der Logiksektor grämlich. Niemand will sich in ein Schema pressen lassen; Entstilisierung und Individualität sind Kennzeichen von guter Sitte und Etikette. Hah! Aber vom Imperator verlangt man die strikte Einhaltung Kristallprotokolls! Von wegen Entstilisierung und Individualität! Meine innere Stimme antwortete: Das siehst du falsch, Imperator. Laut Protokoll gibt es beispielsweise 57 Variationen, das Kristallzepter am wirkungsvollsten zu präsentieren, so daß ihre jeweilige Kombination die individuelle Note des Imperators widerspiegelt. Gelungene Nuancen führen zu stundenlangen Diskussionen, entscheiden über Achtung oder Ablehnung! Meine Antwort war ein derber Fluch aus dem Wortschatz römischer Legionäre. Es gab Wichtigeres als das Grübeln über
»Nuancen«, wenn im Imperium… »Irrtum!« Kon riß mich aus den Gedanken. »Jeder hat die Wahl, allein eine Umkehr ist nicht möglich. Letzteres aber wollen dir deine Gefühle vorgaukeln. Schau nach vorne, Atlan! Nur dann erkennst du mögliche Abzweigungen, die Alternativen. Das ist der Weg. Beschreite ihn, Imperator.« Schritte hinter mir, von anderen Besuchern stammend, beschleunigten sich. Aus den Augenwinkeln sah ich den Mooff-Drucktank Meec’pals. Am Ausgang stand Vere’athor Straton Zaghyt und winkte uns. Der Dron trug eine martialisch aussehende, an einen Samurai erinnernde Raumrüstung, die das exotische Bild seines Echsenkörpers noch unterstrich: Die Ähnlichkeit der Dron mit kleinen Tyrannosauriern verblüffte mich stets aufs neue. Es war beruhigend zu wissen, daß diese Krieger mit ihren elf besiedelten Sonnensystemen loyal zu mir standen. Der Gijahthrako Tokoontlameer hatte für mich vor zwei Jahren die schwierigen Verhandlungen mit diesem stolzen Volk geführt – und erfolgreich abgeschlossen. Überhaupt, dachte ich. Eine bemerkenswerte Erfahrung: Ausgerechnet die Fremdvölker und Exoten haben sich – von wenigen Ausnahmen wie den Unithern und Froghs abgesehen – bislang als jene erwiesen, auf die ich am meisten setzen kann! Sobald ihnen die berechtigte innenpolitische Autonomie zugestanden ist und ihnen kein anmaßender arkonidischer Tato oder gar ein Kur als Sektorenbevollmächtigter vor die Nase gesetzt wird, Steuern und Abgaben auf ein Minimum reduziert sind und keine unangemessenen Forderungen von Arkon gestellt werden, stehen sie loyal zum Imperium, weil die Vorteile letztlich überwiegen: Im Verbund des Großen Imperiums genießen sie außenpolitischen Schutz, können die merkantilen Vorzüge nutzen und vom allgemeinen Technologietransfer profitieren. Kon sagte: »Du kennst die Vorschläge, ausgearbeitet von
Dagor-Eingeweihten und meinen Artgenossen: Du solltest dich bald dem Projekt Große Feuermutter stellen…« »Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich will«, sagte ich brummig und dachte nur kurz daran, daß sogar ES… »Sicherheit!« Kon winkte ab. »Die gibt es nicht, für niemanden und zu keiner Zeit. Leben ist Wandlung, Sicherheit bedeutet Stillstand. Stelle dich dem Leben! Erkenne Zhy!« »Was bleibt mir anderes übrig?« Ich sah ins lächelnde Gesicht des Gijahthrakos; ein Lächeln, das abrupt erstarrte und Gedanken an die Dagor-Lehren verdrängte. Im gleichen Moment erreichte mich das durchdringende Signal meines Extrasinns. Kons menschliche Gestalt verschwand, machte dem Kristalltetraeder Platz – und stieß mich brutal zur Seite, so daß ich zu Boden ging. Etwas jaulte über mich hinweg, ein zweiter Lichtkomet zerschmetterte eine Vitrine. Splitter klirrten über kostbaren prebonischen Perlmarmor. Ich robbte hinter einen Basaltsockel in Deckung und tastete nach dem flachen Desintegratorstab in meinem Stiefelschaft. Das paranormale Potential des Gijah erwachte vollständig; ich fühlte es an dumpf dröhnenden Schwingungen in meinem Bewußtsein. Gleichzeitig durchstieß die telepathische Warnung Meec’pals und Laurys meinen Monoschirm. Fast zeitlupenhaft setzten sich Naats in Bewegung, langsam hoben sich klobige Waffen – sie schossen nicht, um mich nicht zu gefährden. Eversons Kommandoschrei verklang, übertönt vom Stampfschritt der an 2,8fache Gravitation Angepaßten. Der Zeremonienmeister, das Gesicht wächsern, hechtete erstaunlich flink zur Seite und rollte geschickt ab. Drei Arkoniden, festlich gekleidet, signalisierte die Mutantin. Eckige Bewegungen; deutet auf ausgeschalteten Willen hin. Fremdbeeinflussung! Wieder krachten Schüsse. Ich sah kurz um die Sockelkante
und berührte den Auslöseknopf meiner Waffe. Das Zucken der Gestalt rettete sie; ein Raumschiffsmodell verging im grünen Leuchten davonwehender Gase. Ich stöhnte schmerzerfüllt, weil mein Zellaktivator unvermittelt zum glühenden Metalltropfen zu werden schien. Leuchten durchdrang sogar die Robe, und heftiges Vibrieren ließ meine Brustplatte mitschwingen. Auf die Bilder konzentriert, die mein Extrasinn fokussierte, zögerte ich, ein zweites Mal zu feuern: Ich sah drei Arkoniden; einer von ihnen lag reglos am Boden. Konvulsivisches Zucken durchlief die Leiber der anderen. Die Glut auf meiner Brust schwächte sich leicht ab, ehe ein Blitz davonzuckte. Alles geschah in erschreckender Lautlosigkeit, und nach wenigen Augenblicken lag ein zweiter Arkonide verkrümmt am Boden. Kons mannshoher Rubinkörper schwebte auf ihn zu, von machtvollem Paradröhnen umgeben. Das war nicht Kons Werk! raunte meine innere Stimme und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die entstellten Köpfe der Reglosen. Etwas schien in ihrem Inneren explodiert zu sein und hatte Schädeldecken aufgerissen. Blut mischte sich mit Knochensplittern und Gehirnsubstanz auf dem Marmor. Dein Aktivator hat reagiert! ES und seine Warnung! Der dritte schrie gellend auf, ließ den Impulsstrahler fallen und preßte die Hände gegen die Schläfen. Hitze und Licht des Zellaktivators verschwanden. Der Mann taumelte, riß eine Vitrine um und zerschmetterte Glassit mit bloßen Händen. Blutstropfen flogen in hohem Bogen. Kon gab beruhigende Suggestionen ab – ohne Reaktion. Ich schob den Desintegrator hinter den Robengürtel, sprang auf und versperrte dem Mann den Weg. Mit einem gezielten Handkantenhieb versuchte ich sein Toben zu beenden, aber er schien den Schlag nicht zu bemerken. Mühsam blockte ich die wirbelnden Arme ab, duckte mich, bekam den Amokläufer zu fassen und stürzte
mit ihm zu Boden. Kons menschliche Gestalt materialisierte, und gemeinsam gelang es uns, seine Arme und Beine festzuhalten. Der Mann wand sich und brüllte – und dann zersprang sein Kopf. Wir starrten auf den Toten. Ich ächzte. »Was war das?« »Ich bin nicht sicher.« Kon schüttelte zögernd den Kopf. »Fremdartiges hat diese Leute plötzlich beherrscht – und dann getötet, als sie sich dir näherten. Mir völlig unbekannt.« Die Naats formierten sich zum Absperring; Leibwächter Movruul rückte näher. Aus einem Leuchtquirlen heraus verstofflichte Ras Tschubais schlanker Zweimeterkörper; der Teleporter war grau im Gesicht und verzog den Mund, als ich beschwichtigend abwinkte. Ein Beben durcheilte mich; die Ahnung von weiterem Unheil erfüllte mich mit intensiven Wellen. Wieder ein Mordanschlag! Erschüttert stand ich auf und sah Kon an. »Wer diesmal?« Ich atmete in Dagor-Entspannung mehrmals tief ein und aus. Vom Aktivator kam heftiges Pochen, Hitze und Leuchten waren dagegen verschwunden. Die Flecken auf meiner Robe beachtete ich nur am Rande. »Wer? Das ist die Kernfrage!« Kontaclatiis zuckte in menschlicher Geste mit den Achseln. »Leider weiß ich darauf ebensowenig eine Antwort wie du.« Er deutete auf die Toten. »Und die hier können uns keine Antwort mehr geben.« Straton Zaghyt, erfahrender Flaggschiffskommandant Erster Klasse, den TS-40-Luccot mit schußbereitem Mündungskraftfeld in der Faust, rannte schnaufend heran, überholte Laury Marten und rief besorgt: »Alles in Ordnung, Euer Erhabenheit?« »Mit uns schon«, knurrte ich. »Ist nicht mein Blut, Freund.« Er musterte, die Schuppen gesträubt, die Toten und schob zögernd die Waffe ins Holster der Raumrüstung zurück. Von Drautherb kam ein erstickter Laut; dem Protokollchef, von
Everson rüde auf die Beine geholfen, quollen fast die Augen aus den Höhlen – zwar war der Zeremonienstab unbeschädigt, aber der Blick auf meine blutbefleckte Robe sprach Bände. Meine Robe! Als ob die jetzt von Bedeutung wäre! Aus den Gassen zwischen Ausstellungsstücken näherten sich neugierige Passanten. Kon lief ihnen entgegen und befahl ihnen, nicht näher zu kommen. Die Naats riegelten den Tatort komplett ab, Movruul kam an meine Seite. Ich berührte den Kontaktknopf meines flachen, am linken Unterarm befestigten Kommandogeräts, mit dem ich jederzeit Kontakt zum Robotgehirn auf Arkon III herstellen konnte, wartete, bis die gefühllose Vocoderstimme des Regenten die übliche Begrüßung – »Willkommen, Euer Erhabenheit!« – aufgesagt hatte, und befahl: »Sicherheitsalarm Eins: vereitelter Anschlag auf den Imperator! Niemand verläßt oder betritt den Kristallpalast! Untersuchungsdivision in die Hallen der Geschichte, nahe Portal sieben. Analyse der Überwachungseinrichtung. Bereitschaftsschaltung für weitere Befehle.« Mein Logiksektor sagte scharf: Das war keines der üblichen Attentate! Vor allem scheint dich die Reaktion des Aktivators geschützt zu haben! »Verstanden, Euer Erhabenheit. Sicherheitsorgane sind informiert, Speicherkristalle werden untersucht. Robotabriegelung meldet Vollzug.« Mein hünenhafter Gardekommandant verfolgte interessiert, wie ich den Desintegrator wieder im Stiefelschaft verstaute. »Vielleicht ergibt die Obduktion Näheres«, sagte der altgediente Kämpe aus der Aufbauzeit der Dritten Macht. Er zeigte auf die Toten und knurrte: »Verflucht, was ist nur mit den Leuten passiert?« »Kitai-San?« fragte ich. Der Mutant, neben den Toten auf die Hacken gekauert, sah
auf und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Atlan-Sama.« Von den Mooffs kamen Impulse größten Entsetzens und Bedauerns. Genau wie Kon und Laury hatten sie den Angriff erst im letzten Moment als solchen bemerkt, und da war es fast zu spät gewesen. Ich dachte schaudernd: Nur Kons rasche Reaktion – und offenbar der Zellaktivator… Mord und Totschlag! Auf Zhygor ist das anders – die Fehdeordnung begrenzt alle Gewalt auf die Arena Voktir! sagte der Extrasinn scharf. Kein schlechtes Modell! Vielleicht dient es als Beispiel für das übrige Imperium?! Es wird Zeit, daß du endlich das von Dagoristas und Gijahs entworfene Vorhaben aufgreifst; warum zögerst du, auf das Projekt »Große Feuermutter« einzugehen? ChoTräger bist du schon… Ich frage mich, gab ich nachdenklich zurück, ob das Attentat vielleicht mit der von ES angekündigten Gefahr zusammenhängt. Immerhin handelte es sich um eine bislang unbekannte Form der Fremdbeeinflussung! Nach wenigen Minuten, in denen ich zur Ruhe kam und den Schock durch Dagor-Meditation überwand, kamen die Mitglieder und Roboter der Untersuchungsdivision und begannen mit Beweisaufnahme und Spurensicherung. Weder Kon noch ich konnten hilfreiche Antworten liefern; die Attentäter wurden laut Kon nicht von »normalen« Suggestionen beeinflußt.
»… bislang keine Auffälligkeiten gezeigt. Im Gegenteil: träge und fiktivspiel-abhängig.« Peter Kosnow musterte aus zusammengekniffenen Augen das Dossier auf dem Tischdisplay; seine Finger glitten über eingeblendete Sensorleuchtfelder. »Alle drei gehörten dem mittleren Adel an; Edle zweiter Klasse. Hillom del Monotos, Gerror dorn Ortoba und Tremlyn dorn Parim. Ein erster Scan der Leichen beweist
nur, daß ihre Schädel von innen her zerfetzt wurden; von Implantaten aber gibt es nicht die geringste Spur. Nicht das kleinste Metall- oder Fremdbiomolekül! Hinzu kommt, daß es ohne Zweifel eine Wechselwirkung mit Ihrem Aktivator gab. Macht die Angelegenheit noch rätselhafter.« »Ergebnis der Hallen-Überwachung? Was ist mit dem Andooz?« fragte ich rauh. »Ich bin mir ziemlich sicher, daß er etwas mit dem Ereignis zu tun hatte.« Wir hatten uns, nachdem ich mich umgezogen hatte, im Kommandozentrum III des Kristallpalastes versammelt und besprachen im kleinen Kreis das Attentat. Wir – das waren: Peter Kosnow, Marcus Everson, Laury Marten, Ras Tschubai, Kitai Ishibashi und Kontaclatiis. Andere Vertraute waren im Kristallpalast auf Posten oder über das Imperium verstreut: Ceshal, Straton, Jana D’Alessandro, Tombe Gmuna, »Speedy«… »Fehlanzeige, Sir. Für fünf Minuten und 33 Sekunden waren die Sensoren gestört. Ein unbekannter Einfluß hat die Aufzeichnung verhindert. Die Kristalle geben im betreffenden Zeitabschnitt nur weißes Rauschen wieder. Detailuntersuchungen laufen. Deflektoremissionen wurden nicht angemessen, eine Benutzung läßt sich aber nicht völlig ausschließen. Zur Investitur sind einige Dutzend Andooz in den Kristallpalast gekommen – von den Tausenden anderen Wesen ganz zu schweigen…« »Laury, Kitai-San?« »Verbindung zu den Mooffs steht, Sir«, antwortete die schwarzhaarige Mutantin. »Kein Ergebnis, meldet Meec’pal. Wenn das Krötenwesen noch im Palast ist, muß es sich perfekt abgeschirmt haben. Kein Kommandozentrum hat etwas registriert.« Insgesamt gab es zehn solcher Zentren: vier unterhalb der obersten Kelchetage, die dem Privatbereich des Imperators
und seiner engsten Mitarbeiter vorbehalten war; vier unterhalb des Kelchbodens und der an seinem Rand angeordneten Hauptsäle von Imperator, Großem und Hohem Rat, sprich Kristall- oder Thronsaal, Prunkhalle des Imperators, der Saal der Weisen und die Halle der Ahnen; eines im Kelchstiel und das letzte fünfhundert Meter tief unterhalb des riesigen Gebäudes. Der Japaner, wie Laury telepathisch begabt, in der Hauptsache aber Suggestor, fügte bedächtig hinzu: »Wir müssen Parabegabung oder gar Antimutantenkräfte einkalkulieren.« Im Hintergrund der Kuppelhalle leuchteten Bildschirme und Überwachungsinstrumente; wir saßen am sechseckigen Tisch aus poliertem Arkonstahl in einer der Besprechungs- und Konferenznischen. Servoroboter brachten frisch gebrühten Kaffee und füllten Tassen. Einige Tischdisplays waren aufgeklappt, nur schwaches Flimmern markierte den großen Hologlobus über der Tischmitte. Mit wenigen Fingerbewegungen entlang den Sensoren, die in Blöcken nach Flußdiagrammschema angeordnet und jederzeit beliebig neu konfigurierbar waren, rief Marcus Everson weitere Daten ab. »Ein Hinweis auf die eigentlichen Auftraggeber?« Er räusperte sich. »Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände – wer kommt als Hintermänner in Frage? Die üblichen Kreise können wir vermutlich ausschließen?! Paßt nicht ins Schema des Arkonadels!« Ich machte eine vage Handbewegung und sah auf die Uhr. Vor und in der Prunkhalle des Imperators warteten – von Ceshal da Ragnaari, Straton Zaghyt, Stabschef Killan voo Mispanor und anderen »beschäftigt« – ungeduldig Gäste und arkonidische Würdenträger einschließlich Protokollchef Drautherb, Khasurnmeister Regir da Quertamagin, Kristallmarschall Senekho und Adjutanten des imperialen
Hofes. »Man« sah sich genötigt, auf baldigen Beginn der Zeremonie zu drängen – in wohlfeiler, diplomatisch höflicher, trotzdem unüberhörbar nörgelnder Sprache natürlich. Daß ich sie gegebenenfalls sogar ganz absagen konnte, kam diesen Damen und Herren nicht in den Sinn. Ceshal wies mich allerdings darauf hin, kaum daß ich die aufdringlichen Typen abgewiesen hatte, daß die Öffentlichkeitswirkung nicht unterschätzt werden durfte: Die Anerkennung und Auszeichnung der Schläfer war ein Ereignis von ganz besonderem Signalcharakter. Seit kurzem war er Zweisonnenträger und mit dem Rang eines Flottenadmirals ausgestattet. Er hatte natürlich recht. Leider stieg mein Blutdruck schon, sobald ich diese blasierten Gesichter sah; extreme, allerdings durchaus berechtigte Voreingenommenheit, die mir den Umgang mit meinen Artgenossen keineswegs erleichterte. Hätte ich mich auf ihr Niveau und ihre Spielregeln herabund eingelassen, auf Gedankenlosigkeit und Tatenunlust, wäre ich zweifellos höchst willkommen gewesen – so aber standen meine Vorstellungen von Herrschaft über das Imperium und ihre Erwartungen an mich einander diametral gegenüber. Der permanente Zwist ist demnach vorprogrammiert! Siehe Truk Drautherb! Ihr Götter Arkons, was ist nur aus meiner Heimat geworden? Kosnow wiegte den Kopf. »Die Zahl rivalisierender Gruppen ist kaum überschaubar, Bündnisse werden geschmiedet und zerfallen täglich; etliche mehr oder weniger geheime Organisationen verfügen über brisantes Machtpotential. Wir haben es mit Leuten zu tun, die im interstellaren Rahmen denken und handeln! Terranische Größenordnungen verblassen daneben ganz eindeutig. Jede der großen Familien unterhält eigene Geheimdienste!« Ich rang mir ein Lächeln ab und wies auf die Tischdisplays.
»Peter, Sie haben natürlich eine Vorauswahl getroffen und wissen, auf wen wir uns zu beschränken haben.« Peter Kosnows breitschultrige, untersetzt-kräftige Gestalt war ganz entspannt; ein Könner seines Faches: zellgeduschtlanglebiger Russe, vor einer halben Ewigkeit Ostblockagent unter Iwan Martinowitsch Kosselow, seit ihren Anfängen Rhodans Dritter Macht zugetan, schließlich als Sicherheitschef Terranias enger Vertrauter von Allan Donald Mercant, dem Leiter der Solaren Abwehr. Unsere erste Begegnung ist unvergessen: Peter gehörte zum ersten Offiziellen aus Rhodans »alter Garde«, dem ich gegenübersaß. Damals, Frühjahr 2040. Scheinbar ewig her. Ebenfalls wie damals spielte er mit dem Etui aus grünlich fluoreszierendem, kostbarem Zalos-Metall, runzelte nachdenklich die Stirn und sagte umständlich: »Ich denke, daß sich die Anzahl Verdächtiger einschränken läßt, Sir. Neue Kontakte bekannter Gruppen sind zwar nicht ganz auszuschließen, aber… Nun, Towarischtsch Imperator, unter dem Strich verbleiben mit großer Wahrscheinlichkeit die SENTENZA, Aras und/oder Springer – und der TekteronBund.« Ringsum war vereinzelt Seufzen zu hören. Ich nickte. Zu dieser Einschätzung war ich ebenfalls gekommen. Insbesondere in der SENTENZA waren viele der am wenigsten von der Degeneration betroffenen Arkoniden aktiv. Beunruhigt fingerte ich am Kommandogerät, sah allerdings davon ab, Verbindung zum Regenten aufzunehmen. Was getan werden mußte, war getan. Ras Tschubai hob den Zeigefinger. »Ich bin erst seit wenigen Tagen auf Arkon«, sagte er und sah in die Runde. »Die umfangreichen Vorbereitungs-Hypnoschulungen haben mich zwar grundsätzlich informiert…« »Peter…?!« Ich zeigte auf seine Brust und bat: »Kurze
Zusammenfassung, bitte.« »Die Kristallkamarilla kann warten, Sir! Okay, Mister Teleporter. Weshalb die Springer – zumindest viele Sippen! – nicht gut auf Seine Erhabenheit…«, er ignorierte meinen mißbilligenden Blick standhaft, »… zu sprechen sind, ist dir bekannt, Ras: Die Stichworte heißen Thomas Cardif, Angriff von Archetz durch die Druuf-Flotte und das durchaus als rabiat zu umschreibende Eingreifen Atlans zur Befreiung unseres Kommandotrupps.« Ras nickte; sein gutmütiges Gesicht, in dem die weißen Zähne aufblitzten, wirkte verkniffen. »Ich war dabei! Teufel, diese buckligen Soltenermasken kann man nicht vergessen. Definition des arkonidisch-ethnologischen Katalogs, Zitat: Soltener, ehemalige Arkoniden, degeneriert, Durchschnitts große 1,70 Meter, buckelartige Rückgratverkrümmung, Buckelstirn. Matriarchat, Dämonismus. Lügner… Die aufschneiderischen Herren standen und stehen ganz unter der Fuchtel ihrer Großen Mütter.« »Weiter!« rief ich ins Schmunzeln der anderen. Kosnow lachte humorlos und sagte: »Bei den Aras ist die Angelegenheit brisanter. Und mit den Spitzschädeln ist, wie wir aus leidvoller Erfahrung wissen, absolut nicht zu spaßen… Laury, du kennst die Vorgeschichte aus eigener Erfahrung.« Laury lehnte sich zurück, schlug ihre schlanken Beine übereinander und formte mit den Fingerspitzen einen Giebel. »2040. Thora und Crest hatten rapide zu altern begonnen, irdische Mittel halfen nicht mehr«, sagte sie. »Deshalb gab es einen Undercovereinsatz zusammen mit John auf Tolimon, dem Galaktischen Zoo der Aras. Wir hatten vage von einem Langlebigkeitsserum gehört. Dort liegt der Anfang. Das Zeug wirkte, aber die Aras waren auf intelligente Serumträger angewiesen – ein eindeutiger Verstoß gegen eines der strengsten Arkongesetze! Unser verehrter Imperator hatte,
wenn ich recht informiert bin, ebenfalls schon mit dem Ergebnis der von mir entwendeten Probe zu tun…« »Memoirenabschnitt Nummer 187-pt«, warf ich grinsend ein, wurde aber übergangslos ernst. U-Lf 54 oder Immunserum X-1076 die Arabezeichnung, 453 LS/Ara die Kurzformel irdischer Ärzte. Es hatte sich herausgestellt, daß die Hauptwirkung weniger auf chemisch-physikalischer als vielmehr hyperenergetischer Natur basierte. Das Serum war eine katalytische Trägersubstanz; erst die psionische »Aufladung« führte zur Emission, die die Zellregeneration anregte, das Immunsystem extrem stärkte und somit in der Gesamtwirkung der des Zellaktivators ähnelte. Deshalb auch die Notwendigkeit hochentwickelter Serumträger! Nur sie können mit ihrem Bewußtsein, ihrer Seele, ihrer Vitalkraft, dem »latenten Zhy«, wie es beim Dagor heißt, die Aufladung bewirken! Zunächst sprach Thora sehr gut auf das Serum an… Die Erinnerung machte betroffen. »Nahezu zeitgleich mit Thoras Ermordung durch einen Ara auf dem 27. Arkonplaneten Mutral wurde das Serum samt geheimer Herstellungsformel gestohlen«, murmelte ich. »Hartnäckige Gerüchte besagten, sie sei als Unsterbliche umgekommen, ihre plötzliche Alterung und das zeitweilig diagnostizierte Lymphsarkom seien nur temporäre Nebenwirkungen gewesen. Die Diebe waren offensichtlich spurlos verschwundene, an der Forschung beteiligte Wissenschaftler. Mercants Recherchen wiesen zu einer Welt namens Batwyng; der altarkonidische Begriff sagte den Geheimdienstlern nichts, man wandte sich an mich – und so wurde ich in ein Abenteuer verwickelt, das mich durch die halbe Galaxis brachte und im Verlust des Serums samt der Herstellungsanleitung gipfelte.« In seinem Verlauf lernte ich die hübsche SolAb-Agentin Jana D’Alessandro kennen; seit einem Jahr arbeitete sie als Peters Assistentin für mich. Ich seufzte. »Das Ganze geriet angesichts
der anderen Ereignisse wie Druuf-Gefahr, Vorstoß nach Arkon und die Krise um Cardif, Springer und meinen in ihrem Auftrag vom Báalol-Priester Segno Kaáta gestohlenen Zellaktivator in Vergessenheit, bis Mitte 2045 Laury nach Arkon kam und Tanaka Seiko ablöste.« »Um es kurz zu machen…« Laury sprach zögernd weiter, ihr verschleierter Blick war von einem telepathischen Lauschversuch begleitet, der allerdings an meinem Monoschirm abprallte. »Beim allgemeinen Einweisungsgespräch mit Seiner Erhabenheit erwähnte ich Tolimon, und das brachte die Lawine ins Rollen…« Alles kam wieder hoch! Schon vor Jahrhunderten waren Menschen von der Erde entführt worden und lebten ebensolange im Zoo von Tolimon – als Serumträger selbst zu Langlebigen geworden, in den Augen der Aras aber kaum mehr als zugegebenermaßen wertvolle Produzenten des Mittels! Manchmal scheint tatsächlich alles mit allem verbunden, genau wie die Philosophen verkünden. Ganz deutlich erinnerte ich mich ans damalige Erwachen im Jahr 1696, glaubte Ricos Stimme zu hören: »Dokumentationen von Vorfällen, die vor etwa zweiundzwanzig Jahren stattfanden. Ich überlegte seinerzeit, dich zu wecken, aber der Überfall endete so schnell, daß es sinnlos war, deine Ruhe zu unterbrechen… Nara, eine nomadisch lebende Mongolin, wurde überfallartig gepackt und ins Beiboot verschleppt… Alf Tomsten, Bauer aus Schweden, dem Land König Gustav Adolfs. Ebenfalls gelähmt und verschleppt… Wir kennen den Namen des nächsten Opfers. Es ist der junge Graf Rodrigo de Berceo. Er reitet zum Zeitpunkt der Aufnahmen über den Besitz seiner Eltern im südlichen Amerika. Beachte den Schatten des verfolgenden Flugobjekts…« Laury verliebte sich bei ihrem Undercovereinsatz mit John
Marshall, dem Leiter des Geheimen Mutantenkorps, in den Grafen; er starb im Verlauf der Flucht von Tolimon. »Flottengroßeinsatz über dem Ara-Planeten, komplette Auflösung des verfluchten Zoos«, sagte sie nach einer Pause, in der sie zweifellos an Rodrigo dachte, mit belegter Stimme. »Befreiung der dort eingesperrten Intelligenzen und Halbintelligenzen, Verhaftung nahezu sämtlicher Galaktischer Mediziner, Beschlagnahmung der Serumvorräte und der darüber gespeicherten Daten, anschließend ungesehen die Vernichtung aller Unterlagen. Niemand soll jemals wieder in verbrecherischer Ausbeutung anderer Lebensformen ein langes Leben erlangen können! Die Urteile auf der Gerichtswelt Celkar waren hart, das Zähneknirschen bei den Aras groß – aber sie mußten sich fügen und klein beigeben. Verzweifelt haben sie Mo angefleht, aber das hat ihnen auch nichts genützt…« Das Raunen des Extrasinns wurde lauter: Ein medizinisches Genie, von den Aras fast wie ein Gott verehrt, das vor mehr als 3000 Jahren bei einem Selbstversuch starb. »Mag sein, daß der eine oder andere noch kleine Geheimvorräte besitzt, doch ohne Herstellungsanleitung dürfte sogar diesen Spitzenmedizinern und außergewöhnlichen Pharmaforschern – denn das sind sie zweifellos, bei aller Kritik hinsichtlich ihrer moralischen Einstellung – ziemlich schwerfallen, neues Serum zu brauen. Freunde hat sich Atlan durch diese Aktion nicht gemacht, Ras, das ist sicher!« »Denke ich auch, Laury.« Der Afrikaner goß sich Kaffee nach und verrührte Milch und Zucker. »Und die SENTENZA?« Ich sagte: »Eine uralte, schon in der Frühzeit des Imperiums existierende Organisation, vergleichbar mit der Cosa Nostra, Mafia, Yakuza oder den Triaden auf Terra. Ursprünglich
entstanden als Zusammenschluß der Familien, um ein Gegengewicht vor allem wirtschaftlicher Art gegenüber den Kolonisten zu bilden, glitten die Clans irgendwann in die Illegalität ab und wurden von meinem Vater, Gonozal dem Siebten, verboten. Unter seinem Nachfolger, Orbanaschol dem Dritten, erlebte die SENTENZA wieder einen Aufstieg. Man erfreute sich seines Wohlwollens. Und so wurden in den siebzehn Arkonjahren seiner Herrschaft Grundlagen geschaffen, die kein späterer Imperator mehr beseitigen konnte…« Ras zog ein erstauntes Gesicht, als ich meinen Vater und Orbanaschol erwähnte, deshalb fügte ich hinzu: »Hhm, Sie kennen ja nur meine Berichte über Atlantis, Ras, deshalb folgende Erklärung: Mein Vater wurde von seinem Bruder Orbanaschol ermordet. Nach diesem kam mein Oheim Upoc auf den Kristallthron, ein Halbbruder der beiden; er nannte sich in memoriam ebenfalls Gonozal der Siebte, während ich, der Kristallprinz, in der Flotte Karriere machte.« »Feine Familie, Sir.« Seine Neugier unterdrückte er nur mit Mühe. Ich lächelte schmerzlich. »Ein harmloses Beispiel im Vergleich zu den noch mörderischeren Intrigen anderer Dynastien; irdische Renaissance-Herzoge waren dagegen Waisenknaben. Stets hatten die SENTENZA-Clans ihre Finger im Spiel der Macht.« »Sie decken das ganze Spektrum ab.« Peter zählte an den Fingern auf: »Vom Schutzgeld über verschiedenste Drogen, Erpressung, Glücksspiel bis zu gekauftem Mord. Es gibt eindeutige Beweise, daß sie bei Entwicklung und Verbreitung der Simultanprojektoren für die Fiktivspiele maßgeblich involviert waren – übrigens bemerkenswerte Geräte auf paramechanischer Basis, das nebenbei! Ihr Zeichen ist eine auf die Brust tätowierte Schlange; angeblich den längst
ausgestorbenen arkonidischen Yillds nachempfunden – Riesenreptilen, halb Schlangen, halb Drachen, heute ein bevorzugtes heraldisches Symbol, neben dem Vritra-Drachen und einige anderen. SENTENZA-Leute haben Verbindungen bis zur höchsten Ebene und sind, im Gegensatz zu der übrigen Bevölkerung, durchweg sehr aktive Leute. Auch Kontakte zu Springern, Aras, Unithern, dem Báalol-Kult und, vielleicht, zu den Tekteronii.« »Alles klar, eindeutig verdächtig! Und du hast gleich den nächsten auf der Liste angesprochen, den Tekteron-Bund.« Ras wippte den Löffel zwischen den Fingern, bis er klirrend auf der Untertasse landete. »Tekteronii ist die Gesamtumschreibung für die zum Bund zählenden Völker und Einzelmitglieder, nicht wahr? Laut Hypnoschulung ein Hauptkrisenherd!« »Korrekt. Langfristig gesehen bestimmt unser größtes Problem.« Peter atmete schwer ein und aus und zupfte am Ohrläppchen. »Leider sind unsere Informationen recht unvollständig. Fest steht, daß im heutigen Gebiet des Tekteron-Bundes schon vor einigen Jahrhunderten ein separatistisches Imperiums-Randzonenfürstentum existierte. Von Arkon etwa 27.500 Lichtjahre Richtung Milchstraßenzentrum entfernt. Mehrere Fremdvölker und Koloni-alarkoniden fanden zusammen und gründeten ein eigenständiges Staatsgebilde, das sich zunächst Vasghad nannte.« Im Hologlobus stabilisierten sich von Peter geladene Projektionen: Neben den Thaafs, bei denen es sich um wasserstoffatmende Quallenwesen handelte, die in den Methankriegen Verbündete der Maahks waren, dann aber besiegt, unterworfen und ins Große Imperium integriert wurden, handelte es sich vor allem um die xenomorphen Baahmys sowie um die von früh ausgewanderten Arkoniden
abstammenden Tordoven, Kantorseji und Zaater. Abgerufene Daten scrollten über die Displayflächen. »Zum Tekteron-Bund wurde das Fürstentum erst vor zehn bis maximal zwanzig Arkonjahren. Genaues ist nicht bekannt, denn in der Herrschaftszeit des Robotregenten hielt man sich zurück, um nicht aufzufallen. Dennoch gelang es einer kleinen Gruppe von Fremdwesen, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten, die Macht an sich zu reißen. Widerstand hat es offensichtlich keinen nennenswerten gegeben, statt dessen ein fast kollektives Umschwenken und Bekenntnis zur Reinen Lehre der Tekteronii. Fanatiker nun allesamt!« Der Teleporter verzog das Gesicht. »Klingt nach massiver Manipulation und suggestiver Beeinflussung.« »Ja und nein.« Peter wiegte den Kopf, die Augen verengten sich. »Mehrere Dinge lassen sämtliche Alarmglocken schrillen: Eingeschleuste Agenten wurden ohne Ausnahme binnen kürzester Zeit enttarnt; zu den Tekteronii gehören viele, allerdings meist nur schwach begabte Paras. Hauptbindeglied untereinander ist die bizarre Religion, die mit missionarischem Eifer verbreitet wird. Das bedingt vielfältige Kontakte und Verbindungen zu den verschiedensten Völkern und Interessengruppen des Imperiums. Die Herrschergruppe an der Spitze ist eine absonderliche, entfernt an Riesenraupen erinnernde Lebensform, Cyen genannt, deren Herkunft uns ebenso unbekannt ist wie das wahre Ausmaß ihrer Fähigkeiten. Auf sie geht der Kult zurück; denn sie können Teile oder Segmente ihrer Körper abspalten, die als sogenannte Götzen in Tekteron-Tempeln verbleiben, aber paranormal mit dem eigentlichen Wesen und anderen Götzen in Kontakt stehen. Von diesen Götzen geht zweifellos ein starker suggestiver Einfluß aus, der auf subtile Weise dafür sorgt, daß die Beeinflußten ihn nicht als solchen erkennen. Andererseits sind alle Tekteronii aus freien Stücken und voller
Überzeugung Anhänger der Reinen Lehre – bei Verhören ließ sich nämlich keine Fremdbeeinflussung mehr feststellen, keine posthypnotischen Blocks, keine Neuroimplantate, nichts.« »Sogar uns ist das rätselhaft«, ergänzte Kon nachdenklich; sein Eingeständnis hieß schon etwas, waren die Gijahthrakos doch unbestrittene Meister des Paranormalen. »Es scheint, als genüge eine Art Initialimpuls, um Gesinnung und Einstellung quasi umzudrehen und auf Tekteron einzuschwören. Das macht die Tekteronii extrem gefährlich: Ist erst einmal ein Tempel auf einer Welt etabliert und der Götze stationiert, dauert es nicht lange, und die gesamte Bevölkerung ist der Reinen Lehre offenbar bedingungslos verfallen – aus welchen Gründen genau auch immer.« Peter Kosnows Faust krachte auf den Tisch. »Seit Atlan Imperator ist… Sie rüsten seitdem massiv auf und sind auf Expansion aus: Die Interessensphäre umfaßt derzeit schon einen Durchmesser von mehr als dreihundert Lichtjahren, der Tekteron-Bund ist galaktopolitisch und -strategisch als Mittelmacht einzustufen! Das wär’s in aller Kürze. Einzelheiten findet ihr in den Dossiers.« »Würden sie sich auf ihr Gebiet beschränken«, murmelte ich, trank einen Schluck Kaffee und massierte die Schläfen, »könnte ich mich – vielleicht – mit dem Status quo abfinden: Eine Machtgruppe von der Größe des Tekteron-Bundes kann ich nicht durch Zwang ins Imperium einbinden, wenn die dortigen Lebensformen seit Jahrhunderten faktisch unabhängig sind! Da es aber vermehrt zu Übergriffen kommt, müssen wir mehr als nur ein wachsames Augen auf sie haben. Zwei Dinge sind nämlich der von Peter genannten Auflistung hinzuzufügen: Von Arkon aus betrachtet, liegt das Gebiet des Bundes hinter der gefürchteten Sogmanton-Barriere – einem fast vierhundert Lichtjahre breiten, verdreht-schlauchförmigen, überaus turbulenten Gebiet mit Hyperstürmen und
dergleichen unangenehmen Phänomenen, denen seit Jahrtausenden ungezählte Raumschiffe zum Opfer fielen. Und die Freihandelswelt Zhygor befindet sich nur rund 12.000 Lichtjahre entfernt, ebenfalls am Imperiumsrand, aber näher an Sol. Leider hat man bei den Tekteronii offenbar etwas gegen Freihandelswelten im allgemeinen und Zhygor im besonderen.« Der Teleporter nickte mehrmals. »Also alles in allem, Sir: eine brisante Konstellation, die viel Ärger verspricht!« »Exakt, Ras. Mit den Tekteronii ist nicht zu spaßen! Schon ihre sogenannte Reine Lehre macht sie zu erbitterten Feinden: Keine Kompromisse, alles oder nichts ist ihr Motto! Religiöser Fanatismus in Verbindung mit purem Machtinteresse! Und die Sogmanton-Barriere wirkt fast wie ein natürlicher Schutzwall!« Eine Erinnerung blitzte auf: Die Barriere, nach ihrem Entdecker Sogmanton Agh’Khaal benannt, war zu meiner Jugendzeit ein Piratenversteck gewesen. In den zwischenzeitlich verstrichenen Jahrtausenden hatte sich natürlich vieles geändert. Dennoch handelte sich weiterhin um eine Zone im Weltraum, der hier nicht schwarz, sondern von eigentümlich rötlicher Farbe war, durchzogen von riesigen, bräunlichroten Schlieren. Ich sah Kon fragend an. Er nickte und erklärte: »Die Hyperphysiker deuten das Phänomen als höherdimensionale Bezugsebene, die unser Kontinuum tangiert. Es erinnert an eine DruufÜberlappungsfront, handelt sich aber – soweit wir wissen – nicht um eine solche. Allerdings könnte es eine übergeordnete Verbindung zum raumzeitlich verzerrten Sektor rings um Zhygor geben. In der Sogmanton-Barriere selbst kommt es zu hyperenergetischen Einbrüchen und Aufrissen: Der Austausch von Normal- und Hyperenergie löst Hyperstürme, starke Strukturerschütterungen und Verzerrungen aus, und es gibt
übergeordnete Wirbel, Strudel und wechselnde Sogrichtungen. Staubballungen sind von Energieorkanen und Quantenturbulenzen durchdrungen. Stellenweise führen die Kraftfeldlinien zu Transmitter- oder Transitionseffekten, bei denen Objekte um Lichtstunden und mehr versetzt werden oder aber gar nicht mehr im Standardkontinuum auftauchen. Das Zentrum der Barriere, fünf Lichtjahre im Durchmesser, ist eine Ansammlung kosmischer Materie, in der es ständig brodelt und gärt: Dort konzentrierten sich die fremdartigen Energieströme und machen sich am deutlichsten bemerkbar. In weitem Umkreis der Aufrisse sind Orter und Taster gestört – dürfte den Tekteronii natürlich ganz recht sein!« »Wer immer für den Anschlag verantwortlich ist – wir müssen ihn ganz sicher unter den Genannten suchen«, sagte Peter abschließend, da er meinen unruhigen Blick auf die Uhr bemerkte. Ich stand auf und wies auf den Transmitterkäfig. »Lassen wir die feine Gesellschaft nicht länger warten. Im Anschluß können wir im größeren Kreis weiter diskutieren. Vielleicht liegen bis dahin detailliertere Erkenntnisse der Untersuchungen vor.« »Wie Euer Erhabenheit befehlen!« Peter Kosnow sprang auf und deutete eine spöttische Verbeugung an. Schon der Tonfall war herzerfrischend. Ich wußte nicht, wie ich ohne Leute wie ihn hätte auskommen sollen.
2. Aus: Kommentar zu den Sternenmythen (Erzählungssammlung alter galaktischer Reiche; OMIRGOS-Kristallartefakt unbekannter Herkunft – eingeprägte Dateien nur teilweise
entschlüsselt, Wahrheitsgehalt ungewiß) … wurde mit dem Raub der Sternjuwelen der Untergang der Cyen-Dynastie verbunden: Als Erbauer der drei Sternjuwelen (STERNRUBIN, STERNSMARAGD und STERNSAPHIR) galten die geheimnisvollen Petronier, die »Galaktischen Ingenieure«. Die Legenden berichten: Die Zentralfestung Mooshar, die samt den Sternjuwelen ursprünglich errichtet und ins galaktische Abwehrsystem integriert worden war, um den Ansturm jener fürchterlichen Invasoren abzuwehren, die in immer neuen Wellen die Lichtinsel heimsuchten, wurde durch einen unvergleichlichen Feuerschlag ins All abgetrieben. Zwar gelang es unter unglaublichen Mühen und Opfern letztlich, die Invasoren abzuwehren, aber dem »Sieg« folgte eine lange Zeit des Niedergangs. Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung gingen unwiderruflich verloren, Tausende Welten waren unbewohnbar geworden, viele Zivilisationen taumelten am Abgrund und waren häufig gezwungen, ums pure Überleben zu kämpfen. Andererseits erhob sich aus den Trümmern des Großen Galaktischen Krieges die Dynastie der Cyen-Kriegerfürsten und wurde zur beherrschenden Zivilisation der Lichtinsel. In den Leerraum zwischen die Lichtinseln ausgesandte Expeditionen, die die Spuren jener bis zum Ursprung zurückverfolgen sollten, deren Umschreibung Qa ‘pesh ein Synonym war für das unendliche Leid, das sie über die heimatliche Lichtinsel gebracht hatten, kehrten mit Informationen zurück, die die Cyen veränderten. Etwas, das als »Reine Lehre« umschrieben wurde, bestimmte fortan ihr Denken und Fühlen, und schon bald schwärmten Tekteron-Missionare von Götzentempeln aus, die, mit der Waffe in der einen und den Verkünderkristallen in der anderen Hand, alles und jeden zu bekehren versuchten. Zitat: »… ist erklärtes Ziel der Tek’gools, die letzten Erkenntnisse Wahren Seins zu gewinnen, indem sie über alle GestaltManifestationen hinausgehen. Die Bedeutung des unersetzlichen Geschenks von Leben wird in teuflischer
Absicht verdreht, seiner Göttlichkeit Böses angetan: denn das Ergebnis ist eine Verstümmelung und nicht Erweiterung, die Taten stehen nicht im Einklang mit den Erwartungen. Wahre Tugend erzwingt Übereinstimmung von Handlung und Wunsch, soll nicht Boshaftigkeit das Ergebnis sein. Rechtschaffener Glauben hat dem Leben zu dienen und nicht seine Entstellung anzustreben, wie es die Tek’gools in ihrer Hybris beabsichtigen. Ihr Ziel ist das Böse, und für die Erweckerin des Wissens, Ipotherape, wird Absolute Dunkelheit das Ergebnis ihrer Bemühungen sein, sollten sie jemals erfolgreich sein. Nur wer dem Licht zugewandt ist und den natürlichen Stufen des Seins folgt, erreicht Erlösung und die göttliche Vereinigung mit dem Ganzen! Eine Verkürzung dieses Weges bedeutet nichts anderes als Absturz in Unfreiheit!« Weil die Erinnerungen an die furchtbare Zeit der Verwüstungen und Katastrophen wach blieben, an unbarmherzige Auseinandersetzungen und die gleichzeitig drohende Gefahr des Sternenfressers, begehrten die meisten Völker zunächst nicht gegen die Cyen auf, obwohl deren Regime immer tyrannischer wurde. Nur zaghaft regte sich Widerstand, an dessen Spitze sich die letzten petronischen Ingenieure stellten: Vom entrichteten Blutzoll entsetzt, hatten sie sich zunächst fast ganz von der galaktopolitischen Bühne zurückgezogen – genau wie viele andere Völker, die die Jahrtausende währende Schreckenszeit des Großen Krieges noch miterlebt hatten. Alle versuchten sie zu vergessen und zu verdrängen. Dann aber wurde Mooshar wieder entdeckt; der Planetoid war von Auswüchsen der Vrisha-Korallen bedeckt und entwickelte sich rasch zum Treffpunkt verwegener Glücksritter, windiger Forscher und anderer zwielichtiger Gestalten. Unkontrolliert wuchernd, lieferte die Vrisha-Kollektivintelligenz, in Legenden als das »Lebende Archiv« von Mooshar bezeichnet, Orakelsprüche und Visionen von Zukunft und Alternativ entviicklungen – bis Petronier wie Cyen
versuchten, die Macht der Sternjuwelen für sich zu gewinnen, aus deren Quelle Vrisha schöpfte. Ferne Vergangenheit… »… hasse sie, diese Ordnungsfanatiker!« Das paraverbale Signal des Missionars gewann unvermittelt an Schärfe. »Mag die Hilfe der Petronier zur Zeit des Großen Kriegs noch so von Nutzen gewesen sein – ihre wahren Motive verhindern jede freie Entwicklung. Tausende Umläufe hatten sie sich zurückgezogen, nun werden sie wieder aktiv!« Xanthyn Ol’dan Cyen, Tekteron-Missionar an Bord der KOAH-SHARA, breitete die faltigen Hautlappen aus, die bislang den Vorderleib verhüllt hatten, und verströmte eine Wolke fruchtigen Aromas; fast acht Fuß hoch und an die fünfzig Fuß lang war der nach hinten dünn auslaufende Walzenleib. Dutzende Stempelbeine schwebten über dem Boden. Ein sonderbares Schnarren kam von den Mundplatten, zarte Lichtschleier, die aus allen Körperporen hervorzudringen schienen, wurden von violetten Schwaden überdeckt. Die Ausstrahlung war eindeutig: ein hochenergetischer Körperschutzschild. »Es widerstrebt mir wirklich«, sagte Fürst Oon Batraál Cyen nachdenklich, »Methoden anzuwenden, die von echter Ehrenhaftigkeit sehr weit entfernt sind.« »Ehrenhaftigkeit?« Von dem Missionar kam ein amüsiertes Signal, der Oberleib richtete sich auf. Am unteren, schmalen Ende des großen Schädels bewegten sich gezahnte Platten des dreieckigen Mundes, schwarze Nasenschlitze öffneten und schlossen sich. In tiefen Höhlen glühten, von schwarzen Linien durchsetzt, bernsteinfarbene Kugeln; ein drittes »Auge« lag in der breiten Wölbung der Stirnmitte. Silbrige Fäden mit
verdickten Enden hingen tränenartig von den seitlichen Augen. »Diese Narren manipulierten den Kosmos in einem Ausmaß, das sogar uns überfordern würde, sollten sie jemals erfolgreich sein. Die Petronier nennen uns Cyen Abtrünnige. Aber die falsche Ordnung droht den Kosmos zu ersticken; statt Offenheit der Alternativen wird Erstarrung die Bewußtseine bestimmen. Das müssen wir verhindern, mit allen Mitteln.« Czernaka Oulpka, eine Cyen in hominid-weiblicher Körpergestaltung mit platinblondem Haar, musterte die Raupengestalt mit ausdruckslosem Gesicht: Aus ihrem Schädeldach entsprangen armlange, fingerdicke Tentakel; einige liefen spitz aus. Die Cyen-Fürstin mochte die Missionare nicht – ihre rabiate Art, an die Dinge heranzugehen, erschien der Fürstin kaum weniger fanatisch als die, mit der die Petronier und ihre Verbündeten ihre Pläne vorangetrieben hatten. Fast vergessen war der gemeinsame Widerstand gegen die Wilden Horden im Großen Galaktischen Krieg. Damals sollen die Petronier wenig einfühlsam gewesen sein, dachte Czer-naka, wenn es darum ging, Widerstandskräfte zu mobilisieren und ganze Völker zwangsweise zum Kampf zu verpflichten! An Oon Batraál gelehnt, unterdrückte sie ein Schaudern, weil schlechte Ahnungen in ihr aufstiegen. Das Vorhaben, die Sternjuwelen Mooshars in die Gewalt der Cyen zu bringen, war nur ein Schritt in einer Auseinandersetzung, deren räumliche und zeitliche Dimension auch das Vorstellungsvermögen der Cyen überstieg. Nach Ende des Großen Kriegs hatte sich nur vages Wissen über Hintergründe und Zusammenhänge erhalten: Kaum jemand wußte wirklich, was mit Begriffen wie Ordnungswächter, Permanenter Konflikt zwischen Ordnung und Chaos oder gar den Hohen Mächten des Kosmos zu verbinden war. »Die Omnipräsenz des übergeordneten Kontinuums bedingt
Offenheit in alle Richtungen und Alternativen«, zischte Xanthyn Ol’dan. »Diese Offenheit wird, so berichten die Legenden, durch das Eingreifen der Ordnungswächter eingeschränkt. Im Extrem wird’s auf Determination hinauslaufen – eine Ordnung, die Erstarrung gleichkommt. Vor sehr langer Zeit arbeiteten wir Cyen ebenfalls für diese falsche Ordnung. Unsere Sucher schwärmten aus, auf der Suche nach dem Ursprung der Qa’pesh…« Xanthyn Ol’dan betonte das Sendungsbewußtsein, die moralische Kategorie und Inbrunst. Im Gegensatz zu den meisten Cyen, die die Möglichkeiten der Gestaltwandlung ausnutzten und ihren Körper-Manifestationen beliebiges Aussehen verliehen, bevorzugten die Missionare die traditionelle Sucher-Gestalt. Die zunächst kleine Gruppe fundamentalistischer Cyen hatte einen aufnahmebereiten Nährboden gefunden; sie waren treibende Kraft im Kampf gegen die falsche Ordnung. Im Gegensatz zu dem Tekteron-Missionar hatte der Kriegerfürst wie Czernaka die Gestalt eines hochgewachsenen Hominiden angenommen. Tintig kontrastierte die Haut mit dem Weiß von Augäpfeln und Zähnen. Sie befanden sich auf einem Balkon an der Peripherie eines verschachtelten Hallensystems. Säle und Räume, verbunden durch Kraftfeldrampen, Antigravschächte, Brücken und Rollwege, waren dreidimensional zwischen radialen Hauptstreben im Hohlraum des oberen Kugeldrittels der KOAH-SHARA angeordnet. Je nach Bedarf veränderten sich Struktur, Ausdehnung und Anordnung des formenergetischmaterieprojektiven Materials. Weiter unten waren lichtüberflutete Enklaven von Raumebenen, weiteren Galerien, Terrassen und Brücken zu erkennen, miteinander verbunden durch Korkenzieherrampen, deren stabilisierte Materieprojektionen durch eingeblasene Lichtquanten sichtbar
gemacht wurden. Filigran wirkende Glasröhren entpuppten sich bei näherer Betrachtung als Antigravpassagen, in denen Gestalten dahintrieben. Die Cyen-Fürstin nickte kaum merklich, ihr umherschweifender Blick traf sich mit dem Oon Batraáls; für Augenblicke schwangen ihre transpersonalen Ströme im Gleichklang, nonverbale Kommunikation auf Paraniveau verschmolz empathische Fasern und Cluster. Czernaka Oulpka und Oon Batraál schlenderten, vom schwebenden Missionar begleitet, dessen Parakräfte ein telekinetisches Polster erzeugte, über die Kraftfeldbrücke und näherten sich langsam dem Tekteron-Tempel: Zum Zentrum der riesigen Halle war der Boden abgesenkt, die Galerie entlang dem Hallenrand zu einem Viertel von einer Torbogenmauer begrenzt. In jedem Bogen wogte schwarz die Aufrißzone eines Transmitters – schnelle Transportmöglichkeit zu anderen Bereichen des mächtigen Raumschiffes. Als Mittelpunkt schimmerte die weiße Kuppel des Tempels. Die Einstimmungszeremonie hatte begonnen, paranormales Raunen verdichtete sich in den Versammelten zu klarer Botschaft: »Fern allen Lichtinseln, so berichten die Legenden der Sucher, fanden sie zunächst die Monumente von Zhantalnaiz, dann sahen sie Celus Seritan – das frostig rote Wunder des Transzendenten. Der Matan-Fund: Im Seem-Fragment erfuhren sie die Inkarnation der Göttlichen, und Zhaumuur Azharlya führte die Heiligen Zwiegespräche.« In der Tempelkuppel drängten sich inzwischen Tausende Cyen. Gemeinsam sprachen sie das zentrale Bekenntnis, die »Hingabe zum Ganzen«: »In seiner Vielheit ist Wahres Sein die Einheit des Ganzen, und Ipotherape – Schöpferin der Ordnung – ist die Erweckerin des Wissens!« Von karger Schlichtheit war die Innengestaltung, es gab keine Ausschmückungen, keine pompösen Machtsymbole.
Um so intensiver wirkte das Fluidum, das den Dom durchdrang, alle Anwesenden erfaßte und sie untereinander und mit dem Zentrum verband. Auf dem zylindrischen Podest erhob sich neben dem Götzen des Ersten Cyen Ak’iakaton der des Tekteron-Missionars: Die Cyen – von Natur aus perfekte Gestaltwandler – waren in der Lage, Teile ihrer KörperManifestationen zu separieren. Die markante Gestalt einer raupenförmigen Lebensform war entstanden, als die Cyen in den intergalaktischen Leerraum vordrangen, weil der Hinterleib des Raupenkörpers abgetrennt und als Pararelais verwendet werden konnte, indem er materieprojektiv den Körperrest simulierte und sogar bei großer Distanz Bestandteil des Bewußtseinsverbundes blieb. Über die Zwischenstationen dieser »Fragmente« bestand, trotz der gewaltigen Entfernungen zwischen den Lichtinseln, stets eine Verbindung zur fernen Heimat. Monotoner Wechselgesang hallte durch den Dom: »Mit den Heiligen Verkünderkristallen kehrten Sucher-Cyen an den Ausgangspunkt ihrer Reise zurück, inspiriert von der Göttlichen, weitsichtig geworden von der Erweckerin des Wissens und fortan nicht länger bereit, der falschen Ordnung zu dienen.« »Mit Tekteron entstand die Gegenbewegung; Tekteronii sind die Ausführenden, die Soldaten und Missionare der Reinen Lehre!« Czernaka Oulpka Cyen, Erlauchte Kriegerfürstin der Dynastie, Tochter des Ersten Cyen, hatte selbst bislang nur zwei Götzenkörper abgetrennt. Neben der Anstrengung, einer solchen Masse des eigenen Körpers Eigenständigkeit zu verleihen, war die Schwierigkeit nicht zu unterschätzen, die mit einem vielfach aufgesplitterten Wahrnehmungs- und Handlungsvermögen verbunden war. Zwar wuchs der segmentierte Hinterleib, Jahresringen eines Baums
vergleichbar, nach der Abtrennung wieder nach, doch sogar Gestaltwandler wie die Cyen benötigten lange, bis der Masseverlust ausgeglichen war. Nicht umsonst bevorzugte Czernaka deshalb hominidweibliche Körper-Manifestationen und vermied es meist, die traditionelle Sucher-Gestalt der Cyen anzunehmen. Mit der Zeit wurden die Körper-Fragmente auch vermehrt im Cyen-Reich eingesetzt, dienten der Kontrolle und Regierung: Obwohl nicht persönlich anwesend, übten die Kriegerfürsten über ihre Fragmente auf vielen Welten gleichzeitig die Herrschaft aus, da ihre paranormaltranspersonalen Kräfte schon im Ansatz auf Widerstand reagierten. Nachdem die Reine Lehre zum bestimmenden Element geworden war, kam diese Fähigkeit verstärkt zum Einsatz, Tekteron-Tempel wurden die Zentren der Macht. Bald nannten die Völker im Cyen-Reich die Fragmente Götzen, weil niemand, der ihrer charismatischen Aura ausgesetzt war, die Reine Lehre ablehnen konnte, sondern im tiefsten Inneren überzeugt wurde. Nur Tek’gools waren unbelehrbar und nicht zu bekehren. Ak’iakatons Götze an Bord der KOAH-SHARA – siebzig Fuß lang, untergliedert in zwei Dutzend Ringsegmente, aus denen je vier Stempelbeinchen entsprangen – war nur eines von insgesamt 119 Körper-Fragmenten, die der Erste Cyen mit der Zeit separiert hatte. 120fach aufgesplittert war deshalb sein Wahrnehmungsvermögen, ebenso groß die Zahl der Orte, an denen er aktiv werden konnte und direkt die Herrschaft ausübte. Gemeinsam mit den Götzen der übrigen Fürstinnen und Fürsten kontrollierte er das Cyen-Reich, während die Tekteron-Missionare mit deren Götzen die Reine Lehre weiter verbreiteten, neue Tempel errichteten und Tek’gools erbittert bekämpften. Xanthyn Ol’dans Götze war nur unwesentlich kleiner als der des Ersten Cyen.
Die KOAH-SHARA, offiziell ein galaktisches Kreuzfahrtschiff, war in Wirklichkeit eines von sieben fliegenden Hauptquartieren der Cyen-Dynastie. Ständig unterwegs, boten die Kriegerfürsten keinen Angriffspunkt, lebten inkognito unter Vergnügungssüchtigen und Fernreisenden in Prunksuiten, beliebig formbaren Pseudolandschaften und Auswüchsen virtueller Szenarien rings der besonders gesicherten Tempelkuppel. Für den Raub der Sternjuwelen hatten sich allerdings alle maßgeblichen Fürsten und Krieger in der KOAH-SHARA eingefunden: Intensives Hyperfluidum einer »Orakel-Audienz« und die Anwesenheit Tausender »Pilger« sollten auf Mooshar den Raub der Sternjuwelen tarnen. Und die Tempelzeremonie diente der letzten Einweisung und paranormaltranspersonalen Einstimmung auf das Vorhaben. Die paraverbale Botschaft des Ersten Cyen hallte durch den Dom: »Von Mooshar aus wollen die Petronier mit Vrishas Hilfe jene Universal-Sequenzen sehen und erforschen, die genau jenem Kausalverlauf entsprechen, der zur Realisierung ihrer Vorhaben benötigt wird: Die Angst vor einem erneuten Einfall der QA ‘PESH bestimmt ihr Denken und Handeln – und in uns sehen sie offensichtlich Werkzeuge dieser Wilden Horden!« Mooshar war dank Vrisha ein Kosmisches Orakel, vielbesuchte Weisheitsstätte und allgemein eine Attraktion, wie es nur wenige andere in der bekannten Galaxis gab. Die riesigen Korallenwucherungen machten den Planetoiden zum Anziehungspunkt, ungeachtet dessen, daß die Verzerrungen dieses Raumsektors einbiegenden Raumschiffen gefährlich werden konnten. Einst waren von Mooshar aus die Raumwurm-Geschwader der Ayish Fiil des TooWächterordens ausgeschwärmt, um sich den Qa’pesh entgegenzuwerfen. Als Mooshar aus der ursprünglichen
Position geschleudert wurde, starben die meisten Mitglieder des Too-Kullwalisan, aber aus mutierten Raumwürmern – einer bizarren Weltraumfauna – entstand Vrisha. Die Episoden des Großen Galaktischen Kriegs waren längst wirre Mythen geworden, doch die petronischen Ingenieure, wie die meisten galaktischen Zivilisationen traumatisiert, fürchteten weiterhin nichts mehr als einen erneuten Einfall der Wilden Horden. In der Zeit seit Ende des Großen Kriegs haben sie ebenfalls einen Niedergang erlebt, dachte die Fürstin. Bis heute ist ihnen nicht gelungen, Mooshars Anlagen zu reaktivieren oder die Herrschaft über die Sternjuwelen zurückzugewinnen… Die Fallen und Sicherungssysteme arbeiten automatisch und sind sogar den Petroniern selbst kaum noch bekannt – zuviel Zeit ist vergangen, seit ihre Ahnen die Zentralfestung bauten. Die Petronier versuchten Vrisha verstärkt für ihre Zwecke einzuspannen, und die Ziele der Ordnungswächter waren den Cyen inzwischen mehr als nur suspekt. Obwohl seit langem offiziell Status quo zwischen den galaktischen Machtgruppen bestand, brodelte es im Cyen-Reich unter der Oberfläche, je mehr Einfluß die Tekteron-Missionare gewannen; um die Herrschaft der Dynastie langfristig zu sichern, war Vrishas Ausschaltung ein erster Schritt. Czernaka seufzte. Denn wenn die Petronier erst einmal wieder die Herrschaft über die Sternjuwelen besitzen… Raunen ging durch die versammelte Menge. Über der vorderen Schnittfläche der Walzenleiber wogten milchige Schwaden, die, von innen her aufglühend, vage Konturen zeigten; je mehr der Betrachter sie zu fixieren versuchte, desto intensiver geriet er in den Bann der vom Götzen ausstrahlenden Kräfte, bis sich für ihn ein idealisiertes Spiegelbild seiner selbst festigte: Aus unterbewußten Elementen formte das Bewußtsein in Wechselwirkung mit dem Götzen eine Manifestation der Wünsche und Sehnsüchte,
fokussierte diese Regungen im Sinne der Reinen Lehre und schuf loyale Anhänger, die nicht einmal in der Lage waren, diese subtile Beeinflussung als solche zu erkennen, weil sie glaubten, sich aus freien Stücken dafür entschieden zu haben. Auch die platinhaarige Fürstin konnte sich dem Einfluß nicht entziehen. Zu eindringlich war die paranormaltranspersonale Atmosphäre, die den Tempel durchdrang. Bestenfalls für eine Mikrozeiteinheit blitzte in der CyenFürstin der Gedanke auf, daß sie wie alle anderen einer perfiden Manipulation ausgesetzt war, einem sich selbst stützenden Macht- und Glaubenssystem – denn wenn die Beeinflußten aus ihrem tiefsten Inneren heraus von der Richtigkeit überzeugt waren, gab es keine Zweifel, keinen Widerstand, kein Aufbegehren. »Nur wer dem Licht zugewandt ist und den natürlichen Stufen des Seins folgt, erreicht Erlösung und die göttliche Vereinigung mit dem Ganzen!« signalisierte Xanthyn Ol’dan, schwebte über die Köpfe der Cyen hinweg und landete neben den Götzen. »Eine Verkürzung dieses Weges bedeutet nichts anderes als Absturz in Unfreiheit!« Oon Batraál seufzte und umfaßte Czernakas Hüfte, während die insektenhaften Extremitäten des Missionars heftig gestikulierten; auf paranormal-transpersonalem Niveau verschmolz ihr Wahres Sein, formte ein harmonisches Ganzes – fruchtiger Duft hüllte sie ein. Ak’iakatons Körper-Fragment verstärkte die paraverbale Botschaft des Ersten Cyen: »Das, was Vrisha visionär erfaßt, kann durch die Sternjuwelen angeblich zum großen Teil direkt umgesetzt werden: Tore, Brücken und Verknüpfungen zwischen Universen entstehen, die sich in dieser Art nie auf natürliche Weise verbinden könnten!« »Manipulation der Wirklichkeit«, bestätigte Xanthyn Ol’dan rauh. »Die Ordnungswächter versuchen das Netzwerk zu
festigen und schränken die Offenheit immer weiter ein! Die Erweckerin des Wissens möge sie ins galaktische Zentralloch werfen!« »Die Sternjuwelen dürfen nicht zur Prädetermination mißbraucht werden!« Czernaka rief sich weitere Daten in Erinnerung: Die nur kopfgroßen Kristalle bargen im Inneren entartete Materie – miniaturisierten Schwarzen Löchern vergleichbar –, die, durch »Entrückung« in eine raumzeitliche Verzerrung, von der Umgebung isoliert war. Der quasi punktförmigen Kraftballung der Sternjuwelen, Teil quantenmechanischer Unschärfe, war es möglich, die Vrisha-Korallen interaktiv an den Kosmischen Informationspool zu knüpfen. Dessen Ausläufer formten unregelmäßig verteilte Knoten und Ballungen eines gewaltigen Netzwerks und konnten dort direkt angezapft werden. Weil Vrishas Struktur in den Hyperraum hineinreichte, spielte die konventionelle Distanz zum nächstgelegenen Knotenpunkt keine Rolle – es bestand eine akausal-interaktive Direktverbindung, und diese Direktverbindung zum Ganzen gestattete es dem Kollektivwesen, nahezu unbegrenzt Raum und Zeit und parallele wie komplementäre Seinsebenen zu erfassen, potentielle Zukünfte wie Alternativen der Vergangenheit: Umfassendes Wissen stand zur Verfügung, das die Petronier zu nutzten versuchten. Neben einer Ausschaltung Vrishas beim Verlust der Juwelen waren diese fast ultimate Waffen; schon die Drohung, sie einzusetzen, stärkte die Macht der Cyen. Und mit Hilfe der Sternjuwelen ließen sich unter Umständen auch Waffensysteme aus der Zeit des Großen Kriegs reaktivieren – vor allem jene Neutronenstern-Konstellation, deren Zentralfestung Mooshar gewesen war. Das Cyen-Reich ist zum Gegengewicht geworden; schon lange
stagniert die vorangetriebene Entwicklung, die dem vagen Ziel »umfassender Ordnung« dienen sollte. Der falschen Ordnung! dachte die Fürstin und sagte entschlossen: »Wir werden die Juwelen in unseren Besitz bringen! Es dient der Reinen Lehre!« Übergroß stapfte die Gestalt in knirschender Ausrüstung aus ihrer Unterkunft; Kleidung war kaum die treffende Umschreibung für die martialische Umhüllung – eine Kombination von Rüstung, Raumanzug und hautengem Trikot. Gepanzerte Segmente und Protektoren wechselten ab mit hauchdünnen Schichten aus formvariablem Polymergelfasern. Hunderte Nieten, zum Teil als nadelspitze Kegel geformt, bargen Projektoren und vielfältige Mikroprozessoren. Die Frau war durchtrainiertes Muskelbündel und ihrer Größe entsprechend proportioniert; lange Beine in kniehohen Stiefeln, geriffelten Kniegelenkkapseln und silbrigen »Trikotstrümpfen« reichten einem hominiden Petronier bis zur Brust; fingergroße Elemente waren zu rockähnlicher Plattenschürze verbunden; ziselierte Metallschalen des Harnischs umschlossen ihre üppig ausladenden Brüste; Epauletten flankierten den wulstigen Schulter-Halsring, Stulpenhandschuhe schlossen die gepolsterten Ärmel ab. Die gebuckelte Wölbung des Rückentornisters erinnerte an einen Schildkrötenpanzer. Platinhaar umrahmte halblang den Kopf der Cyen-Fürstin. Sie ging in parainduzierten Transit und materialisierte im Schleusensektor des unteren KOAH-SHARA-Drittels. Zischend öffnete sich das Tor aus fingerdickem Spezialstahl; Dichtungswülste sanken zusammen. Mit Betreten des Hangarzuganges flammte die Deckenbeleuchtung auf. Czernaka übersprang die Schwelle, lief den Korridor entlang und erreichte die sechseckige Verteilerhalle. Ein Gedankenbefehl rief die Verbindungskugel herbei, deren
Kraftfeldhaut die Cyen mit einem Schritt durchdrang. Wenige Augenblicke dauerte die Transportphase, ehe Czernaka in einer hell erleuchteten Hangarhalle abgesetzt wurde. Über dem gleißenden Kristallpol schwebte ihr im Ruhemodus auf Faustgröße geschrumpfter persönlicher Kreuzer: ein chromblitzender Ball mit völlig glatter Außenhülle. Die Fürstin befahl paraverbal den Übergang zum Aktivmodus und beobachtete, wie hyperenergetische Entladungen des Kristallpols die Kugel umknatterten, bis diese sich aufblähte, für Augenblicke einem in sich schwingenden Quecksilbertropfen glich und dann stabile Kugelform annahm. Letzte Dellen glätteten sich, gleichzeitig konfigurierte im Inneren die Grundmatrix die formenergetisch-materieprojektiven Feldstrukturen von Decks, Einrichtung und Aggregaten. Czernaka aktivierte den Anzugantigrav, schwebte empor, durchdrang die Hülle, als handle es sich um eine Flüssigkeit, und erreichte die Zentrale. Während in der Tempelkuppel der KOAH-SHARA die Cyen ihre Bewußtseine aufeinander einstimmten und eine paraorientierte Kraftbrücke erstellten, kontrollierte Czernaka gewissenhaft alle Aggregate ihrer Silberkugel und fuhr sie hoch. Die gesamte Technologie – ein schmerzlicher Gedanke – entstammt ursprünglich der Werkstatt der Petronier. Positivmeldungen prasselten auf Czernaka ein. Derweil wurden die Touristen zu Verbindungsbooten geführt, und Cyen-Soldaten bemannten weitere Kugelkreuzer. Czernakas Bruder Gorael meldete Vollzug; nur mit kurzem Blick auf einen Monitor registrierte Czernaka die im Bodenhanger der Silberkugel gedrängten Krieger. Sie schloß die Kontrollen ab und sagte schließlich über Interkommunikator: »Zentrale: Ich bin bereit.« »Kraftfeldschleuse klar, Erlauchte. Ausschleusung kann beginnen.«
»Verstanden.« Von Antigravkissen getragen, schwebte die Silberkugel mannshoch über dem Boden, die energetische Verbindung zum Kristallpol erlosch. Ein Ballon, nur am Aufblitzen einiger Konturreflexe zu erkennen, stülpte sich vom Kraftfeld der Hangaröffnung vor und umhüllte den Kreuzer. Fauchend entwich die Luft, als die Kugel, sofort von glitzernd kondensierter Feuchtigkeit umgeben, in die Schwärze fiel – auf Mooshar zu. Der Kleinmond glich einem Magmaspritzer, der von gewaltiger Eruption ausgeschleudert und, beim Erstarren zu schaumiger Lava, durch zahllose Explosionen aufgebrochen war. Der Oberflächeneindruck war verwirrend: Türmchen und Erker, schräge Ebenen, Treppen und Löcher, Krater und Öffnungen, Zinnen, Rampen und Simse, Kanäle und brüchige Schichtungen. »Schächte führen ins Innere, Kraftfeldschleusen verhindern das Entweichen der Luft«, murmelte Czernaka Oulpka. Auf Monitoren sah sie Dutzende Verbindungsboote und weitere Silberkugeln, die ebenfalls aus dem Haupthangar der KOAHSHARA hervorströmten. Cyen-Krieger hatten sich unter die Touristen gemischt und würden sich auf Befehl unbemerkt absetzen, um in die Tiefen Mooshars vorzudringen. Das Ziel war das Zentrum mit den Sternjuwelen. Czernaka dachte: Weshalb seinerzeit Mooshar aus seiner alten Position geschleudert wurde, weiß niemand mehr genau; Verrat soll im Spiel gewesen sein, die Katastrophe fiel angeblich mit einer Hauptangriffswelle der Qa’pesh zusammen. Der Raumsektor, in dem der Planetoid dann wieder entdeckt wurde, galt als Gefahrenzone, weil es hier zur Überlagerung verschiedener Dimensionen, Ausläufer mehrerer Universen und bizarrer hyperphysikalischer Phänomenen kam, die die raumzeitliche Struktur des Standard-Universums verzerrten.
Mittelpunkt des Raumsektors, der langsam um das Zentrum der Lichtinsel wanderte, war eine blaßrote Sonne. Vermutungen besagten, daß es diese Verzerrungszone war, die einerseits als Anziehungspunkt gedient, andererseits Mooshar auch – weil durch den Dimensionsschnittpunkt entrückt – so lange verborgen hatte: Neben den einander überlagernden Universen und temporalen Verschiebungen konnten Aufrißerscheinungen zum Hyperraum beobachtet werden, die mit dem Erscheinen und Verschwinden von »Phantomwelten« verbunden waren. Nur ein Planet der blaßroten Sonne besaß seit der Entdeckung Mooshars scheinbar Stabilität – jedoch war nicht ausgeschlossen, daß auch er irgendwann zwischen den Verzerrungen der »kosmischen Drehbühne« verschwand und statt dessen in anderen raumzeitlichen Strukturen als Schemen auftauchte. Mooshars Bahn jedenfalls galt als instabil; der Planetoid folgte einer Taumelbewegung entlang dimensionalen, temporalen und hyperphysikalischen Überlagerungen, ohne selbst jedoch Teil der Verzerrungen zu werden. »Die Kräfte der Sternjuwelen scheinen eine schützende Sphäre zu formen.« Czernaka Oulpka justierte die Steuerung und beobachtete auf Monitoren die Ortungs- und Tastungswerte. Neun Großraumer waren über Mooshar feldenergetisch verankert – Pilger, Spekulanten und Vagabunden, aber auch zwei Silberkugeln der Petronier. »Unser Vorteil ist, daß die Verbindung der Juwelen zu Vrisha sie dem Zugriff der Galaktischen Ingenieure ebenfalls entzogen hat. Was ihre Ahnen schufen, müssen sie nun selbst mühevoll wieder erforschen – ganz zu schweigen von den vielfältigen Sicherungssystemen und Fallen im inneren Kernbereich!« Die Silberkugel näherte sich einem dunklen, vom Ringwall
umgebenen Loch und durchdrang unsichtbare Feldbarrieren. Für kurze Zeit entstanden Nebelschwaden, bis die Temperatur angeglichen und der Druckausgleich hergestellt war. Jetzt erst glitt die Silberkugel tiefer, stürzte in den Schacht. Als lange Perlenkette verschwanden Beleuchtungskörper in der Ferne. Bald wurden die Schachtwände porös. Spalten klafften, offenbarten riesige Hallen und Hohlräume. Es schien, als sei Mooshar völlig ausgehöhlt, ein verwirrendes System von Kavernen und Tunneln. Der Fels glich einem überdimensionierten Bimsstein, dessen Blasen durch Brücken, Stege und monolithische Säulen verbunden waren. In einem hochgewölbten Saal setzte der Kreuzer zur Landung an, die Holoprojektion erlosch. Die Höhle besaß gewaltige Ausmaße. Gezackte und runde Öffnungen gestatteten den Durchblick zu angrenzenden Kavernen. Wege waren Kraftfeldbänder, die den Eindruck solider Konstruktion vermittelten -trotzdem mit einem Schwindelgefühl verbunden, weil sie ohne Stützen und Aufhängungen in der Luft schwebten. Kugelballungen formten traubenför-mige Beleuchtungskörper. Czernaka dachte: Alles in allem gleicht es der Struktur eines Röhrenknochens; weitgehend selbsttragend und erstaunlich stabil, weil das Material den Kraftlinien folgt und Belastungen vielfältig aufsplittert und verteilt. Nacheinander landeten die Verbindungsboote; Touristen verteilten sich oder folgten aufblitzenden Holomarken bis zur Audienzhalle. An anderer Stelle wurden Schwebelogen bestiegen, Oon Batraäl winkte Czernaka, um die sich die Krieger versammelten. Hohlräume und Blasen im Fels: Schattige und halbdunkle Zonen wechselten ab mit solchen, die von Sonnenlampen hell beleuchtet waren, dazwischen phosphoreszierten Wege und Rampen. Auf Terrassen wuchsen glitzernde Pflanzen, und überall tummelten sich Touristen. Es glich dem Gewimmel eines Insektenschwarms,
über dem die raunende, vibrierende und höchst lebendige Aureole miteinander kommunizierender Lebensformen lag, die paraverbale Kommentare abgaben, aufeinander einredeten, subverbale Emotionen ertasteten und abstrahlten und flüsterten: So vielfältig wie fremdartig das Aussehen war, so unterschied sich auch die Mentalität der Reisenden, geprägt von Umwelt und Evolution der Herkunftswelten – materielle Manifestation als Ausdruck des dahinterstehenden Bewußtseins. Dann der Durchgang auf eine Galerie und zur eigentlichen Audienzhalle. Auf einem Sims standen mehrere hominide Petronier, die das Treiben verfolgten: unbewegt die Gesichter, die Arme vor der Brust verschränkt. Eine Aura der Unnahbarkeit und Arroganz umgab sie gleich einem abweisenden Körperschild. »Vrishas Ausstrahlungen werden unser Vorgehen überdecken«, flüsterte Czernaka. »Unsere Späher haben ausreichend Informationsmaterial geliefert, so daß wir unbemerkt vordringen können.« »Solange Vrishas Orakel aktiv ist«, ergänzte Oon paraverbal, »ziehen sich alle Petronier zurück. Die Streuemissionen stören ihre Forschungen. Unser Vorteil!« Ein Kreis schlanker Obelisken bestimmte die Hallenmitte; von Kristallprojektoren der Säulenspitzen fächerten bläuliche Lichtbahnen zum sanft gewölbten Baldachin aus. Unregelmäßig zwischen Galerie und Obelisken verteilt leuchteten rhombische Projektionskörper, in denen Tiere, Pflanzen und Intelligenzen Dutzender Welten aufblitzten, durch andere ersetzt wurden oder geometrische Formen zeigten. Edelsteine im Bodenmosaik stießen Blitze aus, die zu Lichtschleiern, nebelhaften Schwaden und wabernden Wolken wurden, ehe sie mit dem Baldachin verschmolzen. Im Zentrum erhob sich der riesige Korallen-Kandelaber.
Verknäulte Strünke wechselten ab mit kantigen Auslegern in Blau, Rot und Gelb; in Nischen glitzerte es kristallin. Als haarige Geflechte wogten grüne Tentakel unter unsichtbaren Wellen. Zartes Schimmern umgab als mehrfach geschichtete Aura das ganze Gebilde, das am Boden zu knorrigem Wurzelstamm ausschwang. Torähnlich klafften Öffnungen, die von Bildsequenzen erfüllt waren: Paraverbale Botschaften begleiteten die Szenen, die interaktiv auf Vorstellungen und Wünsche der Touristen reagierten, ihnen Impressionen aus Vergangenheit und Zukunft zeigten. Die Visionen waren Vrishas Aktivität zuzuschreiben und beruhten auf der Erfassung Kosmischen Wissens, das sich, dem omnipräsenten Pool im Hyperraum abgezapft, nun im Standard-Universum manifestierte. Auf paraorientiertem Wahrnehmungsniveau schufen umhervagabundierende »Elementargeister«, hyperenergetische Kraftlinien und Projektionsmuster eine Umgebung barocker Formenvielfalt. In ständiger Bewegung waren Schnörkel, Skulpturen und Raster. Wappenähnliche Darstellungen erstrahlten, sonst unsichtbare Fahnen und Flaggen wehten zwischen pulsierenden Hyper-ballungen, instabilen Materieprojektionen und pseudosuggestiven Farbschlieren. Paraorientierte Pracht, von den Bewußtseinen aufgesogen, erschloß sich den konventionellen Sinnen als berauschendes Kaleidoskop aus Farben, Formen und Düften, regte Geschmacksnerven an und wurde taktil als Streicheln empfunden. Nur Parabegabte erkannten die eigentliche Ursache, erfaßten das Transzendentale der übergeordneten Erscheinungen. Während die Touristen dem beeindruckenden Spektakel der »Orakel-Audienz« erlagen, setzten sich fünfzig Cyen unbemerkt ab; das Kommando unter Czernaka Oulpkas Führung drang in die inneren Kavernen des Planetoiden vor.
Die dritte Falle dieses Abschnitts, nahe dem Kernhohlraum Mooshars, wurde ihnen fast zum Verhängnis: Ohne Vorwarnung entstand eine Energiebarriere und riegelte den Vormarsch der Cyen ab. Als sie sich nach links wandten, prasselten grellviolette Blitze auf sie ein. Dutzende Öffnungen klafften in der verschachtelten Gewölbedecke; aus allen ragten Projektormündungen. Alarmmelder zirpten in den Kugelhelmen, auf Anzeigen kletterten die Belastungsmarken. Farbige Schlieren kündeten den nahen Zusammenbruch an. Widerwillig wichen die ersten Soldaten zurück. Czernaka Oulpka Cyen preßte erbittert die Lippen zusammen, justierte die tragenden Kraftfelder neu und flog zurück zum Tunnel; mit heiserer Stimme rief sie ins Mikrofon: »Hier gibt’s kein Durchkommen, Leute. Wir versuchen die andere Abzweigung!« »Verstanden, Erlauchte.« Sie drehte auf der Stelle und raste den Tunnel entlang, dessen Wände vom Muster kalkigen Lichts und tintiger Schwärze überzogen war, bis der Seitengang erreicht war. Vereinzelt stachen Kalkreste und Versteinerungen der VrishaKorallen ab, die den Grundstock der Gemeinschaftsintelligenz bildeten. Um bei ihrem Vorstoß nicht aufzufallen, verzichteten die Cyen weitgehend auf ihre paranormalen und transpersonalen Kräfte. Zwar überdeckte Vrishas Ausstrahlung den von der KOAH-SHARA zugeleiteten Kraftstrom, der dem Einsatzkommando zu Hilfe kommen sollte. Aber nur im Notfall wollten sie ihr wahres Bewußtseinspotential offenbaren. »Hier sind wir richtig, Schwester!« rief Gorael. »Die massierten Abwehranlagen sprechen für sich.« Die Fürstin nickte. »Also bereitet euch auf einen heißen Einsatz vor! Die Zeit wird knapp – wir müssen rechtzeitig zum
Start der KOAH-SHARA zurück sein.« Sie musterte die Holo-Einblendung mit den in langen Ausspähungen gewonnenen Erkundungsdaten des VrishaLabyrinths. Der Raub der Sternjuwelen war exakt geplant; noch bewegten sie sich im Zeitlimit. Czernaka Oulpka Cyen kniff die Augen zusammen. Wenige tausend Fuß trennten sie vom Erfolg. »Wenn es sein muß«, rief Gorael heiser, »brechen wir mit aller Kraft durch! Es reicht, daß wir unerkannt zur KOAHSHARA kommen. Unsere Leute haben sich eingepeilt und leiten uns Kräfte zu.« »Verstanden, Bruder.« Eine Verteilerhalle schloß halbkugelig den Gang ab. Acht Nischen bargen Tore aus silbrig glänzendem Metall. Halbkreisförmig ragte ein Pfeiler in die Halle; der unregelmäßig klaffende Spalt an der Frontseite, von Korallenranken in Violett und Türkis durchzogen, wurde von halbstofflichem Wabern überdeckt. Ausstrahlungen des kybernetischen Sicherheitsmechanismus standen in Wechselwirkung mit den Bewußtseinen der Cyen: Skurriles Geäst hielt einen mannsgroßen Totenkopf, armlange Fangzähne blitzten im Licht einer schwebenden Energiekugel. Die Cyen erstarrten, als eine Nachricht in ihren Bewußtseinen widerhallte: »Ich bin der Juwelenwächter. Zurück!« Die Kugel strahlte wie eine Sonne, und die Fürstin glaubte unvermittelt in einem Feuermeer zu taumeln. Halb blind, von Hitze gemartert, krächzte sie: »Angriff!« In diesem Augenblick erfaßte die vierte Falle alle CyenSoldaten: Übergeordnete Kraftfelder zerrten an ihnen und verwirrten ihre Bewußtseine. Körper-Manifestationen, sonst wandelbar und dem Willen unterworfen, zerflossen zu Fladen. Die Cyen-Fürstin konzentrierte sich verzweifelt, widerstand dem ersten Ansturm und entrückte ihren Körper auf ein
Niveau, in das die Angriffe nicht vorstoßen konnten. Innerlich verkrampft, vom Todesschrei zweier Cyen getroffen, suchte Czernaka fieberhaft nach einem Ausweg. Ihre paranormalen Sinne tasteten nach Lücken in den anstürmenden Kräften, lokalisierten mühevoll den Ursprung. Ehe die nächste Attacke treffen konnte, stieß Czernaka vor und bemerkte das Platzen der Energiekugel. Sie schrie, gab ihr Potential frei und sah Korallen splittern und weiße Flüssigkeit aus den Bruchstellen quellen. Der Riesenschädel barst lautlos, und Reste zerquetschter Masse klatschten gegen Wände. Eine Lichtflut ergoß sich über die Halle, als die Halluzination verschwand. Jaulen und Sirren peinigten die Trommelfelle der Cyen; kometengleiche Tropfen durchdrangen mühelos die Abwehrfelder. Czernaka duckte sich, vom Gluthauch gestreift. Das Kreischen und Pfeifen steigerte sich. Die brennenden Tropfen verwandelten ihre Soldaten in Feuerwolken. Die Fürstin bebte am ganzen Leib, bemüht, die Beherrschung zu wahren, und sah fünf Kometen niederstoßen. Diesmal war sie vorbereitet, ihre Parasinne errichteten – unterstützt von Kräften, die von der KOAH-SHARA herüberschwappten – einen kinetischen Wall. Eine Röhre entstand, in der die Tropfen wie Perlen einer Kette beschleunigten und vom pechschwarzen Strukturriß verschluckt wurden. »Verflucht knapp!« Czernaka keuchte; Schweiß perlte über ihr Gesicht. Detonationen schmetterten durch die Halle. Eine Furche entstand im Boden, zwei Metalltore platzten. Czernaka hörte Goraels durchdringenden Schrei: »Jetzt! Der Weg ist offen! Wir halten dir den Rücken frei!« Mühsam induzierte Czernaka Oulpka Cyen den paranormalen Transit und rematerialisierte in fremder Umgebung. Sie ahnte, daß sie unbewußt den Weg zu den
Sternjuwelen beschritten und weitere Fallen umgangen hatte; dumpfes Pulsieren, ganz nah und gleichmäßig, durchzog das Sinnesfeld ihres Bewußtseins. Sie seufzte; funkendurchsetzte Dämmerung tobte vor ihren Augen. »Verdammt, ich muß hinter die Fassade blicken.« Sie aktivierte ihr ganzes Parapotential. Der Anblick der zentralen Hohlkugel überforderte Czernaka fast: Sie wußte, daß ihr Kopf zur Mitte wies und die Füße auf der Innenseite der Kugel standen, sie wußte ebenfalls, daß die Kugel einen Durchmesser von mehr als 36.000 Fuß besaß und daß in ihrem Mittelpunkt die Sternjuwelen mittels Kraftfeldern verankert waren. Wissen, selbst sehen und dies beschreiben sind aber himmelweite Unterschiede, dachte Czernaka betroffen. Das Gefühl, am tiefsten Punkt eines riesigen Tals zu stehen, überwog im ersten Moment. In der Ferne ragten Aggregatblöcke auf und verzerrten sich, je weiter entfernt sie waren, zu skurrilen Trapezoiden. Augen und Verstand wurden getäuscht, sagte Czernaka sich, denn die Maschinen folgten nur der Innenkugelwölbung. Die Giganten des Äquatorrings klebten scheinbar an der Wand, während der Blick zur anderen Hemisphäre verschlossen blieb – das transzendente Licht der Sternjuwelen blendete zu stark. Als Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks rotierten die Kristalle langsam umeinander. Rot, Grün, Blau; Glanz an tausend Facetten. Im Inneren die gewaltige Masse-EnergieKonzentration, gebändigt von materieprojektiven »Hyperkristall«-Strukturen: pulsierende Kraft, bereit, jeden Augenblick hervorzubrechen. Unsichtbare Stränge durchzogen, von den Sternjuwelen ausgehend und durch deren Grenzschicht modifiziert und kontrolliert, die VrishaKorallen, befriedigten den immensen Bedarf des Kollektivwesens. »Nicht mehr lange!« keuchte die Frau. Sie fühlte eisiges
Kribbeln die Wirbelsäule hinabrinnen. »Wir werden Vrisha dieser Macht berauben!« Sie bündelte ihre Kräfte, während sie langsam auf die Kristalle zuschwebte. Sogar jetzt wehrten sie sich noch. Die Atmosphäre um Czernaka schien sich zu verändern, behinderte alle Bewegungen. Die Luft, plötzlich diffus und nebelhaft, türmte sich als wattige Wand zwischen den Juwelen und der Cyen auf. Verzweifelt justierte sie den Antigrav, ihr optischer Sinn rebellierte. Ihrem Bewußtsein erschloß sich ein verwirrendes Kaleidoskop verschachtelter, unwirklicher, möbiusbandähnlich verdrehter Ebenen. Dann drang rotes Leuchten aus dem Dunst hervor, wurde zu hellem Glühen, das die Fürstin einhüllte. Schleimig und widerstrebend war alles um sie herum; das Licht blendete sie. Blinzelnd tastete Czernaka zeitlupenhaft nach vorne, fühlte Widerstand und griff zu. Ein Wimmern erschütterte sie, als sie den STERNRUBIN in ihren Händen erkannte, den Kleintransmitter des Rücentornisters aktivierte und erleichtert das Entstehen des Feldrings registrierte, dessen Gegenpol sich in der Tempelkuppel der KOAH-SHARA befand. Während der STERNBUBIN in einem Flirren verschwand, formte sich das Ersatzstück, das zumindest für einige Zeit die Entdeckung des Raubs verhindern würde: Der Paraverbund der im Tempel versammelten Cyen zapfte einen Teil der Energie aus dem Sternjuwel und nutzte diese, um das Pseudojuwel zu stabilisieren. »Weiter! Schneller!« Czernaka trieb sich an und wankte, jetzt von giftgrünen Flammenzungen und Lichtspeeren eingehüllt. Auch der STERNSMARAGD widerstand nicht der verbissenen Willenskraft der Fürstin. »Jetzt… der STERNSAPHIR!« Beleuchtet von kaltblauem Licht, entstanden schillernde Blasen, von denen einige klein wie Wassertropfen waren,
andere die Größe eines Kopfes besaßen. Die Kugeln schlingerten umher, prallten zusammen, stießen einander aus der Bahn oder vereinten sich fließend zu größeren Sphären. Wieder andere platzten und gaben kaskadenartige Partikelwirbel frei, die als Eisnadeln Czernakas Körper durchstießen. Sie krümmte sich, ächzte und taumelte hilflos. Mühsam schwebte sie weiter, obwohl sie das Gefühl hatte, alle Lebenskraft würde aus ihr gesogen; ihre gestaltwandlerischen Fähigkeiten versagten trotz der KOAH-SHARAUnterstützung. Kälte umgab das letzte Sternjuwel, das drohend über der Cyen-Fürstin hing, und wirre paranormaltranspersonale Wahrnehmungen stürmten auf sie ein. Eine Kugel gleißenden Lichts breitet sich aus, bringt Staubwolken zum Leuchten und überträgt kinetische Energie. Wachstationen zerplatzen ebenso wie Lebensblasen der Too-Wächter und Körper von Raumwürmern. Sogar Mooshar hält dem vernichtenden Ansturm nicht stand. Oberflächenbauten, von feurigen Zungen umgeben, zerbersten; die künstlich stabilisierte Atmosphäre verpufft, und langsam treibt der mondgroße Felsen davon. Kräfte, die der Wirkung einer schiefen Ebene gleichkommen, beschleunigen Mooshar und lenken den Planetoiden einem fernen, unbekannten Ziel entgegen. Zurück bleibt die künstlich stabilisierte Struktur, deren Eckpunkte denen eines Oktaeders entsprechen und aus Neutronensternen bestehen – und auf Mooshar wuchern mit der Zeit aus mutierten Raumwürmern Vrishas Korallenstöcke, die schließlich die hyperenergetischen Kräfte der Sternjuwelen anzapfen… Übelkeit durchdrang die Fürstin, das eisige Licht des STERNSAPHIRS erschütterte sie bis ins Mark. Mit versiegender Kraft stoppten Czernakas Parakräfte die Rotation. Fast wie von selbst glitt der Kristall durch das Transmitterfeld. Als die ausströmenden Energien zu warmem
Vibrieren wurden, empfand Czernaka Triumph. Fortan können die Petronier nicht mehr auf die Fähigkeiten des Vrisha-Kollektivs zurückgreifen. Und wir Cyen besitzen mit den Kristallen ein weiteres Machtmittel! Seufzend richtete Czernaka ihre paraorientierten Sensoren neu aus und musterte die Kontrollanzeigen am Helmvisierrand. Entsetzen schüttelte sie, als sie erkannte, daß keiner ihrer Begleiter überlebt hatte: Totenstille durchzog das höhergeordnete Wahrnehmungsniveau. Czemaka fühlte sich scheußlich und unterdrückte alle Zweifel am Sinn des Sternjuwelen-Raubs. Mühsam stabilisierte sie die Tarnprojektion, die für kurze Zeit anstelle der Sternjuwelen existieren konnte. Erst wenn die KOAH-SHARA gestartet war, durfte der Raub bemerkt werden; weiterhin floß ein Teil der in den Juwelen gehorteten Kraft ab und festigte das materialisierte Trugbild. »Ich muß raus! Schnell!« Innerlich leer und betäubt machte sich Czemaka Oulpka Cyen auf den beschwerlichen Rückweg. Die Fürstin raste durch Gänge und Tunnel, wich Fallensystemen und Beobachtungssensoren aus, überwand in einem Schacht fünfhundert Fuß Höhenunterschied und fühlte das drängende Pochen in sich, das von der KOAH-SHARA auf sie übersprang; fernes Wispern gewann paraverbalen Informationsgehalt: »Beeilt Euch, Fürstin! Die Orakel-Audienz nähert sich dem Ende…« »Ja doch, ja.« Mürrisch kontrollierte sie die Umgebung, schwang durch die Geheimluke und schwebte durch eine enge Röhre nach oben. »Die Petronier scheinen noch nichts bemerkt zu haben…« Hallen und Säle wurden durchquert; Verbindungstunnel und senkrechte Schächte. Eine unglaubliche Landschaft glitt vorbei. Hohlblasen, in denen seltsame Pilze neben
baumartigen Kristallranken wucherten. Entfernt glichen die Gebilde Neuronen und Fasern eines gigantischen Gehirns. In Ecken, Schluchten, zwischen Säulen und auf Treppen: Überall bewegten sich weißliche Pflanzen wie Tentakel. Kopfgroße Blüten leuchteten in Gold, Silber, Purpur und Ultramarin. Dunkel hob sich die Struktur des Felsens ab. In den meisten Kavernen sah Czemaka groteske Kristallranken. Von wurzelartigen Ästen tropfte an manchen Stellen gelbliches Sekret, das offenbar nach einiger Zeit zu bernsteinähnlichen Lagen erstarrte. »Hyperkristalle! Das Sekret ist ihre viskose Form«, murmelte die Cyen, beschleunigte, wechselte in einen weiteren Schacht und folgte ihm, bis sie die Galerie erreichte. Eine kurze Konzentration genügte, um das äußere Erscheinungsbild zu verändern; Kampfanzug und Tornisteraggregat versanken, durch feinjustierte Semi-Transition entrückt, im benachbarten Niveau einer miniaturisierten raumzeitlichen Verzerrung, machten Prunkgewändern und einem goldenen Maskenhelm Platz. Besatzungsmitglieder der KOAH-SHARA, als doppeltes Spalier die Empore abriegelnd, boten der Fürstin Sichtdeckung. Ungesehen erreichte Czernaka die Schwebeloge und ersetzte das materieprojektive Trugbild, von Fürst Oon Batraál Cyen aufrechterhalten, das bislang ihre Anwesenheit vorgegaukelt hatte. »Oon!« Sie gestattete sich ein Aufatmen. »Wir haben sie!« »Wurde auch Zeit«, sagte Oon Batraál und drückte ihre Hand. »Die Touristen verlassen schon den Saal.« Gedränge überzog den Hallenboden; Lebensformen verschiedenster Herkunftswelten, viele in schützenden Anzügen oder Kraftfeldblasen, die die gewohnte Ökosphäre simulierten, schoben sich Richtung Ausgang. Im Domhintergrund erlosch das Leuchten des Korallen-Kandelabers. Vrishas visionäre Projektionen waren beendet. Vielfältiges Schnattern begleitete
die Diskussionen auf allen Kommunikationsebenen -akustisch ebenso wie optisch, olfaktorisch oder taktil und paraverbal –, mit denen die Aussagen der Kollektivintelligenz kommentiert wurden. »Es wird knapp, Liebste. Die Ersatzjuwelen besitzen keine große Stabilität.« »Ich weiß.« Czernaka antwortete kurz angebunden, versuchte das Frösteln niederzuringen, das sie fast lähmte. Der Energiestrom der Sternjuwelen rief eine verwirrende Resonanz in ihr hervor. »Alle sind tot! Ich bin…« »Wir haben die toten Krieger durch Gestaltprojektionen ersetzt. Ruhig, Liebste. Es mußte sein.« »Ich hoffe, Oon, daß wir das Richtige getan haben.« Während die Schwebeloge den Touristen folgte und, von der Krieger-Brigade flankiert, zum Landeplatz der Verbindungsboote und Kreuzer flog, sah Oon Batraál die Fürstin an und versuchte hinter das materielle Erscheinungsbild zu schauen. Er bemerkte verunsichertes Vibrieren, Schatten abgrundtiefer Erschöpfung und düstere Wolken des Zweifels zwischen auflodernden Formen und Farben, die, von den Impulsen der Sternjuwelen gespeist, für Stolz und Triumph standen. Mannigfaltige Konstellationen, eine Fülle komplexer Strukturen und Muster umschwirrten und durchdrangen die Verdichtung der Körper-Manifestation. Verwirrt schwieg der Cyen-Fürst und musterte die Raumschiffskugel, die zu unübersehbarer Größe anschwoll. Und Czernaka dachte bedrückt: Nur ich habe überlebt. Während die KOAH-SHARA durch den Raum raste, erwarteten die Cyen Czernaka in der Tempelkuppel; alle ertasteten die massierte Kraftballung der Sternjuwelen, die über dem Zentralpodest rotierten. Oon Batraáls Nähe half ihr, nicht augenblicklich zusammenzubrechen. Der Fürst betrachtete sie mit Sorge; klar und unverfälscht empfing
Czernaka seine subtilen Parasignale, die ihr Bewußtsein umschmeichelten und liebkosten. »Es ist gelungen!« sagte sie mit brüchiger Stimme, sah langsam von einem zum anderen und wandte sich an ihren Vater: »Der Preis war hoch; ich bin die einzige Überlebende.« Ak’iakaton Cyen – in Gestalt eines Götzen, raupenförmig, vielbeinig, mit wirrem Tentakelgeflecht anstelle von Haaren – hob die Arme. »Wer die Erzeugnisse der Petronier besitzen will, Tochter, geht ein großes Risiko ein. Sie bezeichnen uns Cyen als Abtrünnige, aber wir sind Krieger, und es ist unsere Pflicht zu handeln!« Sie verneigte sich; erst jetzt spürte sie die auf sie vereinten Kräfte ihrer Familie bewußt. Ohne diese paranormale Unterstützung wäre der Raub niemals gelungen, trotzdem erschienen der Fürstin die Verluste zu hoch. Grimmig musterte sie die mächtige Raupengestalt im Hintergrund. Xanthyn Ol’dan gab sich unbeeindruckt; sogar seine subverbalen Ausströmungen ergaben keine Resonanz. Ak’iakatons Bruder Cartee A’Iktar trat vor und rief: »Wir gehen weiter nach Plan vor, Cyen. Der STERNSAPHIR wird mit der KOAH-SHARA-Hauptversorgung verbunden, die anderen Steinjuwelen bringen Myrka Ol’toon und ich später zu den ausgewählten Punkten. Die Massierung der Dynastie an einem Ort muß rasch beendet werden, ehe unsere Abwesenheit bemerkt wird.« »Kommandant Torka Mirtak ist informiert. Die KOAHSHARA wird zunächst in den Ortungsschutz der blaßroten Sonne einschwenken: In deren direkter Umgebung gibt es keine Verzerrungen oder dimensionalen Überlagerungen – hier sucht uns niemand, wenn der Raub entdeckt wird!« Ak’iakatons Kopftentakel wogten. »Czernaka – du kümmerst dich, wenn du dich regeneriert hast, um den Einbau des Juwels.«
»Jawohl.« Czernaka lächelte säuerlich und tastete telekinetisch nach dem Kristall, dessen Facetten von blauem Feuer umspielt wurden. Sie fühlte die gewaltigen Kräfte, die auf ihre Parasinne wie eine Miniatursonne wirkten, und dachte: Du wirst uns dienen. Der Preis darf nicht zu hoch gewesen sein. Eine Art Kichern schien ihr zu antworten, doch die Fürstin war sich ihrer Wahrnehmung nicht sicher. Es glich einer Flucht, als sie aus der Halle rannte. Oon Batraál wurde vom ablehnenden Schild zurückgeworfen. Ich muß jetzt allein sein, signalisierte Czernaka. Bitte, Liebster! Er zögerte, aber dann folgte er ihr langsam, trotz der Ablehnung, die in sein Bewußtsein vorgestoßen war wie eine scharfe Klinge. In ihr Quartier zurückgekehrt, bemächtigte sich die psychische Erschöpfung der Fürstin mit aller Kraft. Ihre Körperkontrolle versagte, das Bewußtsein dominierte nicht länger die materielle Manifestation im Standard-Universum. Moleküle und Atome, bislang zum grobstofflichen Leib geordnet, drohten zu verwehen, Gewebe und Zellverbände zerflossen. Lautloses Wimmern erschütterte die Cyen, Trauer, Wut, Erschöpfung und Verzweiflung schlugen über ihr zusammen. Finsternis erfüllte Czernakas Bewußtsein, als die materiellen Sinne erloschen und auch die Parabeherrschung der bewußten Kontrolle entglitt. Gravierend die Erkenntnis, nicht länger einen fühlbaren Körper zu besitzen. Ein alptraumhafter Eindruck, denken, aber diesem Denken keine Handlung folgen lassen zu können. Für Augenblicke befiel die Fürstin hemmungslose Panik. Selten hatte sie sich so hilflos, verlassen und einsam gefühlt wie in diesen Mikrozeiteinheiten, die sich scheinbar zu Ewigkeiten ausdehnten. Nur zögernd setzte sich die
Wahrnehmung durch, daß es da etwas gab, was Wärme und Geborgenheit verströmte, die Panik niederrang und statt dessen in Harmonie mündete. Bemüht, die paranormalen und transpersonalen Kräfte zurückzuerhalten, wurde der Frau klar, daß sie auf Hilfe von außen angewiesen war. Zwar wurden Panik und Ängste von der sie umhüllenden Harmonie aufgesogen und letztlich vollständig absorbiert. Trotzdem war ihr, als sei ein Teil von ihr gestorben, zusammen mit den Brüdern und Soldaten in den Mooshar-Kavernen. Czernaka schien aus sich selbst herauszutreten, wurde zum nüchternen Beobachter, der auf die Reste blickte, die einer abgestreiften Schlangenhaut glichen. In der Schwärze ihres Blickfelds blitzten Punkte auf; immer noch körperlos, »sah« die Cyen-Fürstin den Weltraum. Mooshar, für einen Moment alles-bestimmende Kugel, wurde zum Staubkorn im Meer gleißender Lichter und schimmernder Körper, die allesamt Licht, Wärme und Leben bedeuteten -Sonnen, von bewohnten Planeten umkreist. Das Sternenmeer der Lichtinsel breitete sich aus, unterbrochen von dunklen Stellen und düsteren Flecken; Gas- und Staubwolken, die wie Schluchten und Abgründe das Licht absorbierten. Andere Sektoren waren erfüllt von leuchtenden Fasern und Filamenten; Zonen ionisierten Wasserstoffs, von benachbarten Sonnen zum Eigenleuchten angeregt. Unvermittelt schwebte die Lichtinsel als Ganzes vor Czernaka, elliptisch, von gewaltiger Größe, eine abgeplattete Spiralwolke. Verdickt und grell die Kernzone, ausdünnend zum Rand bis zu den vereinzelt im Haiobereich schwebenden Kugelsternhaufen. Und doch: Die Lichtinsel war nur eine von ungezählten in der Schwärze des intergalaktischen Leerraums. In diese Weite waren vor langer Zeit Czernakas Ahnen vorgedrungen, und als sie zurückkehrten, von göttlicher Inspiration beseelt, nachdem sie kosmische Wunder erschaut
und die Erweckerin des Wissens erlebt hatten, waren sie nicht länger Anhänger der falschen Ordnung. »Zu groß sind die makrokosmischen Universen, die in den höhergeordneten Hyperraum eingebettet sind, zu umfassend die Ganzheit des Kosmos.« Oon Batraáls paraverbale Botschaft drang zart heran; mitschwingende Emotionen ließen Czernaka erschaudern. »Grandios die nichtlokale Verbundenheit von allem mit allem; höchste Komplexität kennzeichnet das Ewige Jetzt, in dem jeder Punkt jedem anderen gleich ist und es unmöglich ist, sie voneinander als getrennt oder unabhängig zu betrachten. Die Ordnungsmächte dagegen wollen ein Muster formen, das diese Offenheit einschränkt!« Falschfarbenmuster überzogen die visionäre Wahrnehmung; Einflußsphären offenbarten sich. Das Reich der Petronier. Die vorgelagerte Sonnenballung der Gijahthrakos. Fallensysteme, zum Abfangen des Sternenfressers konstruiert. Und die gewaltige Ausdehnung des Cyen-Reiches mit Zehntausenden von Stützpunktwelten. »Jede Trennung von Bewußtsein und Materie bleibt Illusion, dann in Erscheinung tretend, wenn sich Objekte und zeitliche Abfolgen als Universal-Sequenzen manifestieren«, signalisierte die Fürstin. »Ziel muß die natürliche Fortentwicklung zur Ganzheit sein. Wer sich vom umfassenden Bewußtseinsfeld abspaltet, für den bleibt das unendliche Potential tieferen Seins und wahrer Realität unzugänglich. Wir Cyen müßten das am besten wissen.« Schon immer waren sie perfekte Gestaltwandler gewesen; nicht gebunden an die Trennung seelischer und physischer Welten, sondern integrierter Teil erweiterter Wirklichkeit – darauf gründete, wie die Mythen berichteten, das mächtige Tba. Materielle Körper, nach Belieben manifestiert, waren Ausdruck des dahinterstehenden Bewußtseins: Imagination diente der Schaffung von Form, Intention des Bewußtseins zur
Realisierung der Körper-Manifestation. Im ganzheitlichen Kosmos bedeutete die Vernetzung, daß Träume nicht weniger real waren als Stoffliches, das seinerseits nur deshalb scheinbare Stabilität erlangte, weil es in Übereinkunft vieler in Gestalt der Universen verankert war. Jedes Individualbewußtsein wies eine bestimmte Bandbreite auf, in der es Zugriff auf das Potential der Wirklichkeit hatte. »Je ausgeprägter die innere Überzeugung, desto umfassender die reale Veränderung – vom eigenen Körper ebenso wie der äußeren Welt insgesamt«, flüsterte Czernaka. »Ich danke dir, Fürst. Stets bist du da, wenn ich dich brauche.« Konzentriert aktivierte sie die Parasinne, erfaßte die einheitliche Grundstruktur des Transzendentalen und zwang die Symmetriebrechung herbei: Potential gewann Gestalt und Ausdehnung und unterwarf sich der Zeitlichkeit des Standard-Universums. Felder verknoteten, wurden stabil durch Selbstresonanz. Leptonen entstanden aus der Quantenfluktuation, Quarks formten nach den Regeln wechselwirkender Gluonen Protonen und Neutronen. Atomkerne brodelten. Orbitalwolken der Elektronen, verbunden mit den Atomkernen durch virtuelle Quanten, deren Lebensdauer nur ausreichte, um die Distanz Kern-Atomhülle zu überwinden, gehorchten der elektromagnetischen Fundamentalkraft. Die chemisch kleinsten aktiven Einheiten von Materie ordneten sich zu Molekülen. Das Flimmern wurde intensiver, Masse nahm differenzierte Struktur an, bestimmte die grobstoffliche Konfiguration eines Körpers. Makromoleküle wie Eiweiße und Fette, Aminosäuren und Kohlenhydrate entstanden; Nukleinsäuren schufen Einzelzellen mit genetischem Kode: Siebzigtausend Milliarden, umspült von Wasser, bildeten die biologische Basis des Körpers. Diffuses Schwirren und Blitzen stabilisierte sich zögernd. Zellwände waren membranartige Umhüllungen,
gefüllt mit zähflüssiger Grundsubstanz, in der Zellkörperchen schwammen; Zellkern, Mitochondrien, Golgi-Apparate, Ribosomen. Czernakas Vorstellungsbild wurde konkreter, je näher der Blickwinkel dem normalen Wahrnehmungsniveau kam. Als Gestaltwandlerin konnte sie kontrollieren, verändern, variieren, beherrschen, unterwarf die Materie dem Bewußtsein. Aus Zellen wuchsen Organe; Sehnen, Bindegewebe und Muskeln umgaben die Knochen. Haut überzog das lebendige Geflecht, nackt wuchs der schlanke Körper empor, ein tiefer Seufzer hob die Brust. Das Trommelfeuer manifestierter Nerven, deren Impulse physische Sinnesreize widerspiegelten, versetzte Czernaka Oulpka Cyen in Erregung; Glücksgefühl, wieder einen Körper zu besitzen, machte Lust Platz. Prickelnde Wärme durchrann sie, wurde zum hochlodernden Feuer. Oon Batraál Cyen lehnte abwartend an der Wand neben der Tür. Sein Blick wanderte über Czernakas Körper; sie fühlte ihn wie körperliche Umarmung, erfaßte seine Paraströme und hob einladend die Arme. Seine Kleidung verschwand, als er wortlos zu ihr trat, Platinhaar zur Seite strich und mit den Lippen ihren Nacken berührte. Czernaka Oulpka Cyens Gestalt entstand aus einer Lichteruption heraus; ihr Rücken berührte kurz die Nischenrückwand. Während die Helligkeit verblaßte, wandte sich die Fürstin nach links und folgte dem Ringgang. Ihre Stiefel polterten über feinmaschiges Metallgitter. Nischen durchbrachen in regelmäßigen Abständen die Wände, Leuchtbänder zogen sich an der gewölbten Decke entlang. Czernaka ging drei Dutzend Schritte weit, überquerte den Korridor und wartete, bis die Türhälften aufgesummt waren. Beim angrenzenden Saal handelte es sich um einen
Kuppeldom. Der umlaufende Gang war zehn Fuß breit; Czernaka bestieg das fünf Fuß hohe Zentralpodest über eine Rampe entlang der Rundung. Den Mannschaften vor den Konsolen im Rundgang schenkte die Fürstin keine Aufmerksamkeit, sondern blickte, eine Hand am Geländer, zur Panoramaprojektion an den Wänden, die einem Fenster gleich das Brodeln der Sonnenoberfläche zeigte. Die KOAH-SHARA befand sich in niedrigem Orbit. Simulationseinblendungen markierten Aufrisse und Verzerrungszonen, die schemenhafte Erscheinung eines »Phantomplaneten« sowie die Position der stabilen Welt. Weiter außen war Mooshar als kleiner Punkt hervorgehoben. Am Podestrand schwebten der Kommandant und seine direkten Mitarbeiter, vernetzt mit den Pseudobewußtseinen der KOAH-SHARA-Hypertronik, dem Zentralrechner des Raumschiffes. Vom Kuppelzenit ragte ein Konuskörper herab; in der Holoprojektion darunter rotierten als gleichseitiges Dreieck die drei Sternjuwelen. Sie hatten seit ihrer Rematerialisation in der Tempelkuppel die Position nicht verändert. »Wir sind bereit, Erlauchte!« raunte ein paraverbales Signal. »Sobald das Juwel eingesetzt ist, folgt die Feinjustierung.« »Alles klar.« Czernaka betrat ein aufflammendes Transmitterfeld und ver-stofflichte in der Maschinenhalle mit dem Verteilersektor der Hauptversorgung. »Ich hoffe, die Aufladung reicht aus, die Kristallkräfte zu kanalisieren?! Leitet den Transit des STERNSAPHIRS ein!« Die Fürstin konzentrierte ihre Parasinne und schob das Sternjuwel nach dessen Rematerialisierung, ohne es zu berühren, ins offene Viertel. Von blauweißem Licht umwabert, nahm der Kristall seine Position beim Projektor ein. »Die gehorteten Energien nützen uns nichts, wenn wir sie nicht zu den Endverbrauchern weiterleiten können.«
»Wurde berücksichtigt, Erlauchte. Sämtliche Simulationsrechnungen reagieren positiv.« Lautes Knattern und blendender Glanz gingen vom Kristall aus, dessen Kräfte in vorbereitete Kanäle flossen und die Leistungsabgabe der Hauptversorgung entlasteten. Irritiert sah sich Czernaka um, weil sie ein Kichern hörte. Unwillkürlich tasteten ihre Parasinne nach dem Kristall, entdeckten aufgeprägte Muster in den materieprojektiven Strukturen und versuchten sie zu entschlüsseln. Kaum wahrnehmbare Ausläufer reichten über die KOAH-SHARA hinaus und schienen sich – verbunden mit ähnlichen hyperenergetischen Fäden der beiden anderen Sternjuwelen – bis nach Moo-shar zu erstrecken. Vollständig ist die Verbindung zu Vrisha offensichtlich nicht abgerissen! Unsicherheit befiel die Cyen; sie hoffte, daß ihnen das petronische Produkt keine unerwarteten Schwierigkeiten bereitete. Unzufriedenheit machte sich in ihr breit. »Abstimmung folgt Vorgabe-Parametern«, meldete die Zentrale. »Sie können in Ihr Quartier zurückkehren, Erlauchte.« »Untersucht den Kristall nochmals genau«, antwortete Czernaka nervös. »Ich habe Muster entdeckt, die dem Kristallschutz aufgeprägt sind. Es gibt offenbar eine Kontaktspur nach Mooshar! Dabei sind die Tarnprojektionen doch längst erloschen!« »Die Analytiker versichern, daß die Hypermuster zur Beherrschung, Verteilung und kontrollierten Abgabe des Gespeicherten notwendig sind und eine Verbindung zum Kosmischen Informationspool sicherstellen. Was die Kontaktspur betrifft…« »Kontrolliert alles gründlich. Ich bleibe hier!« In Gedanken fügte Czernaka hinzu: Hoffentlich gibt’s keine zusätzlichen Sicherungsmechanismen… Wenn sich die Sternjuwelen als Falle erweisen sollten…
Der STERNSAPHIR strahlte plötzlich greller und übergoß die Cyen-Fürstin mit Kräften, die ihr Bewußtsein verwirrten. Wieder hörte sie das Kichern und erwachte aus dem Dämmerzustand; ihre innere Uhr bewies, daß ihr eine Zeiteinheit fehlte. Die Notfall-Alarmsignale wurden schriller; in erster Panik versuchte Czernaka, ihre Körper-Manifestation in paranormalen Transit zu reißen. Noch während sie entmaterialisierte, merkte sie, daß etwas schiefging und sie den angepeilten Bereich verfehlte. Mit einem Fluch bedachte Czernaka ihr Mißgeschick. Feuchte Hitze umgab die Frau, Dämmerung bestimmte die hydroponische Anlage, in der sie Stofflichkeit gewonnen hatte. In Kniehöhe verliefen schenkeldicke Rohrleitungen, zu dritt gebündelt und dreißig Fuß voneinander entfernt, und verschwanden in der Ferne. Unterarmdick ragten Abzweigungen empor, fächerten aus und zerstäubten Nährstoffe mit warmer Flüssigkeit. »Zentrale?« Czernaka stieg über den morastigen Boden, aus dem alle paar Schritte dünne Wurzelsträhnen entsprangen, verästelt aufragten und in zehn Fuß Höhe einen Baldachin brustgroßer Blätter aufspannten. Sie nestelte am Anzugkommunikator. »Hhm, alle Internverbindungen gestört. Was passiert? Ich verliere den Zugriff auf meine Parasinne.« Ein schnalzendes Geräusch zerschnitt die Stille, und ein Peitschenhieb haarfeiner Luftwurzeln traf die Frau am Oberschenkel. Ein blauweißer Funke zitterte durch die Luft. Mühsam wich Czernaka weiteren Wurzeln aus, balancierte über Röhren und wischte Schweiß von der Stirn. Der ganze Körper war von klebrigem Film bedeckt. Für wenige Augenblicke sah Czernaka das Raumschiff, langgeschweift raste es als Feuerkugel der Oberfläche der Sonne entgegen, dann gab es einen grellen Blitz. Im Zentrum
kontrahierte eine schwarze Sphäre, schrumpfte rasend bis zum Punkt, aus dem heraus eine unglaubliche Eruption farbinvers nach allen Seiten brandete; Grellweiß dehnte sich in Schwärze aus. Informationsmuster gewannen in Czernakas Bewußtsein Stabilität; zögernd begriff sie den paranormal-transpersonalen Input. »Eine Hyperblase… und sie wird vom STERNSAPHIR quasi aufgepumpt«, keuchte die Cyen-Fürstin und rief sich Formeln und Grundlagen der Dimensionsgeometrik in Erinnerung, darum bemüht, die Wahrnehmungen zu begreifen. »Ein geschlossenes Kleinuniversum mit veränderten Naturgesetzen? Eine unwirkliche Welt, vollkommen vom Rest des Makrokosmos abgeschlossen!« Und vermutlich gibt’s keinen Weg von innen nach außen oder umgekehrt… Am Ende der Plantage mündeten die parallelen Rohrbündel in eine mannshohe Wand. Die Fürstin schwang sich auf ein Rohr, griff mit ausgestreckten Armen nach der Kante und zog sich hoch. Licht quoll aus der Decke, die Himmel simulierte; nur Säulen zeigten, daß es ein geschlossener Raum in der KOAH-SHARA war. Czernaka öffnete am Pfadende eine Tür, hörte Maschinensummen und tappte über Metallgitterboden. Tief unten erstreckten sich Kabelstränge und Leitungen. Im Hintergrund führte eine Treppe nach oben. Holopiktogramme erleichterten die Orientierung. Entschlossen machte sich die Frau an den Aufstieg und erhielt, als sie ein aktives Terminal erreichte, von der KOAH-SHARAZentralkontrolle die Bestätigung ihrer Vermutungen: »Das Raumschiff ist von einer raumzeitlichen Verzerrung erfaßt worden, Erlauchte. Die KOAH-SHARA ist jetzt Bestandteil einer völlig isolierten Enklave! Aus eigener Kraft erscheint eine Rückkehr in den alten Zustand nicht möglich. Zwar dünnt die Grenzschicht leicht aus – solange das Sternjuwel
unkontrolliert als Versorgungseinheit zur Verfügung steht, ist mit einem Zusammenbruch jedoch nicht zu rechnen, zumal es sich abgeschirmt hat! Kein Zugriff möglich!« »Das Sternjuwel?« Die Cyen atmete zischend ein. »Was ist mit den beiden anderen?« »Spurlos aus der Tempelkuppel verschwunden, Erlauchte… Erste Wahrscheinlichkeitsanalyse besagt: Transit zurück nach Mooshar – dort wurde die gewaltige Entladung eines Aufrisses angemessen!« Die Fürstin fluchte, besann sich, dachte an ihre Familie und fragte leise: »Was ist mit der Besatzung, den Passagieren?« »Die Notfallautomatik hat reagiert und Stasisfelder erzeugt. Allerdings… Bis auf wenige Cyen sind alle ebenfalls spurlos verschwunden – offensichtlich wurden sie von den beiden Sternjuwelen in den Transit gerissen! Ein Zugriff auf die Stasisprogrammierung ist nicht möglich: Der STERNSAPHIR blockiert die Systeme, Erlauchte. Vor Ablauf des ersten Zeitlimits ist die Einlagerung nicht aufzuheben. Mit Effekten ähnlich einer Zeitdilatation im Vergleich zur Außenwelt ist zu rechnen.« Paravisuelle Informationen begleiteten den Dialog: Czernaka sah die entrückte KOAH-SHARA-Kugel und den Schutzschirm von etwa zehnfachem Durchmesser. Außerhalb des Raumschiffs folgte der Übergang zur Barriere mit progressiver Verzerrung; jeder Schritt in diese Richtung war gleichbedeutend mit zunehmender Längenkontraktion und Zeitdilatation, der Energieaufwand näherte sich dem Unendlichen an. Die eigentliche Grenze, vom Sternjuwel gespeist und weit über das normale Niveau einer raumzeitlichen Verzerrung gefestigt, war unerreichbar wie die »Lichtmauer«, entzog sich dem Parazugriff und war von Strukturfeld-Konvertern nicht zu durchbrechen, weil deren Hauptleistung ebenfalls paramechanisch induziert wurde.
Die platinblonde Frau seufzte. »Was schlägst du vor?« »Für Sie ebenfalls eine Stasisentmaterialisierung, Erlauchte, angepaßt an die Vorgabewerte der verbliebenen Besatzungsmitglieder. Gemeinsam ist vielleicht ein Ausweg zu finden.« Czernaka fluchte erbittert. Der Raub der Sternjuwelen endete im Desaster; für unbekannte Zeit im Minikosmos gefangen, alle maßgeblichen Fürsten und Krieger verschollen: Die Herrschaftsstrukturen der Cyen-Dynastie würden rasch zerfallen oder von Renegaten übernommen werden – an Bord der Kreuzfahrtschiffe lebend, kontrollierten die Cyen über ihre multiplen Gestalt-Manifestationen das Reich. Keiner der hunderttausend Planeten, auf dem nicht mindestens ein Götze als Gouverneur eingesetzt war. Distanzen spielten für die Cyen keine Rolle, sogar aus weiter Entfernung konnten sie direkt vor Ort agieren und eingreifen, sollte es notwendig sein. Voraussetzung war die Verbindung zum Stamm-Bewußtsein – und die war mit der Abtrennung der KOAH-SHARA nicht länger gegeben. Die Götzen werden zu leblosen Walzen erstarren, auf nichts und niemanden mehr reagieren, durchfuhr es Czernaka, als ihr bewußt wurde, daß der Kontakt zu ihren beiden KörperFragmenten zerrissen war. Ihrer Hauptbefehlsebene beraubt, konnten die weitverstreuten Flottenverbände den Untergang nicht aufhalten, war die Auflösung erst einmal eingeleitet. Der Vorteil, über die Götzen sofort und überall präsent zu sein, verkehrte sich ins Gegenteil; statt umfassender Herrschaft gab es von einem Augenblick zum nächsten totales Chaos, mit dem der unaufhaltsame Zerfall verbunden war. Möglich, daß es einige Zeit kleinere Nachfolgereiche geben wird, untereinander zerstritten und vom Separatismus aufständischer Völker bedroht, aber das Cyen-Reich als Ganzes ist Vergangenheit. Und das eigene Schicksal steht in den Sternen, ist doch nicht mal sicher, ob uns
überhaupt ein Ausbruch gelingt! Czernaka Oulpka Cyen drohte zu verzweifeln; nur ihr Wille verhinderte, daß sie als heulendes Elend zusammenbrach. »Leite die Stasisentmaterialisation ein, ehe ich wahnsinnig werde!« zischte sie erbittert. »Schnell!« Licht umgab ihren Körper, dann senkte sich ein dunkles Tuch über ihr Bewußtsein. Auch das letzte Lebewesen an Bord der KOAH-SHARA hatte sich zurückgezogen.
3. Gellor Ma-Kynaan: Institutionen des Großen Imperiums, ein Wegweiser für Karrierebewußte (Sonderausgabe für unsere terranischen Freunde); kopiergeschützte Kristallspeicherversion, 19.016 da Ark Khasurn – wörtlich übersetzt »Kelch« – ist einerseits eine Umschreibung für den Adel insgesamt und wird andererseits im Sinne »Haus, Geschlecht« verwendet: Ursprünglich war es der Name des arkonidischen Riesenlotos, auf den die typische Bauweise zurückgeht, weil er mit Stamm und Kelch schon ein fertiges Haus formte. In Ableitung davon ergibt sich die Gliederung in Kleine, Mittlere und Große Kelche zur Kennzeichnung des Adelsranges. Die Edlen dritter Klasse gehören zum niedrigsten (Hinweis für unsere terranischen Freunde: Der Rang entspricht etwa den irdischen Baronen), gekennzeichnet durch die Silben nert, ter und on; sie sind grundsätzlich mit Erhabener oder Erlauchte anzusprechen, obwohl dies bei anderen Adligen, Vorgesetzten oder älteren Personen ebenfalls vorgeschrieben ist. Der mittlere Adelsrang (Grafen gleichzusetzen) kennt die Stammsilben de, del und dorn; ihre klassische Anrede lautet Edler oder Edle. Der Hochadel, Edle erster Klasse, belehnt mit den Namenspräfixen Ta-, Ma- und Agh’, kann als Fürsten und Herzöge angesehen werden und besteht auf der
Anrede Hochedler und Hochedle. Einziger Höchstedler ist der Imperator! Einschließlich der Unterklassifizierungen gibt es insgesamt 34 Adelstitel, während ganz unten die Essoya stehen: Symbol und Name der armen, bedeutungslosen, nichtadeligen Arkoniden, benannt nach einer grünen Blätterfrucht, die, wie zu hören ist, einem terranischen Kohlkopf recht ähnlich sieht. Und doch empfinden sogar sie sich jedem anderen Kolonialarkoniden oder erst recht einem Fremdvolk gegenüber weit überlegen. Deshalb, Karrierebewußter, der du dich anschickst, die Institutionen Arkons zu erobern, beachte die Feinheiten, die Untertöne, vor allem das, was nicht laut gesagt wird. Mit Mißachtung und Haß gestraft zu sein ist ein schweres Los; unser aller geliebter Imperator, Seine Erhabenheit Gonozal VIII. weiß davon – diese terranischen Redensarten, herrlich! – eine lange Arie zu singen… Arkon I, Kristallpalast, Kommandozentrum VI: 30. Prago des Dryhan 19.017 von Arkon (= 25. Mai 2047 Terra-Standard) In einem Dutzend zwei Meter großer Hologloben der Prunkhallenüberwachung des Kommandozentrums leuchteten wechselnde Szenen: In der hundertsäuligen Vorhalle des Prunksaals dröhnte der Marschschritt der riesigen Naat-Soldaten. Zuschauer des Schauspiels standen in Gruppen beisammen, andere kamen von den Antigravliften. Prächtige Kleidung von Würdenträgern – Galaroben, bunte Uniformen, glitzernder Schmuck – hob sich wie das Gefieder von Paradiesvögeln vom Schwarz schwerer Raumrüstungen ab. Drei Tausendschaften der Kristallgarde exerzierten in perfekter Militärchoreographie, vollzogen exakte Kehrtwendungen, ordneten sich neu und präsentierten
blitzende Zeremonialwaffen: Schwertlanzen mit gezackten Klingen aus damasziertem Arkonstahl, doppelschneidige Kampfäxte nach Art des Spentsch- und Mannax-Kodex, Ovalschilde mit rautenförmigem Kristallsymbol, Pakete sternförmiger Tharks und dornengespickte Keulen. Gästegeplapper erfüllte die Luft mit einem Summen, nur übertönt vom Stampfen der Dreimetergardisten, die sich im charakteristisch wiegend-schaukelnden Naat-Gang bewegten, und der durchdringenden Kommandostimme Thantan Eversons: »Breheb-Toor!« Ein elektrisierter Ruck eilte durch die Naat-Reihen; sie standen still. Kompanieführer nahmen Meldungen entgegen, gaben sie weiter, salutierten vor den drei Kommandeuren – Retorol, Toveen und Karaan –, die ihrerseits dem Thantan Meldung erstatteten, bevor dieser den nächsten Befehl erteilte. Marsch der Imperatoren – martialischer Gesang aus dreitausend Kehlen, der laut über die in den Kelchinnenbereich reichende Terrasse das Kristallpalastes hallte. Die dreitausend Elitesoldaten vom fünften Arkonplaneten waren instinktsicher, reaktionsschnell, loyal, zwar rauflustig und leicht reizbar, aber keineswegs die »affenähnlich Primitiven«, als die sie von dünkelhaften Arkoniden gerne bezeichnet wurden. Sie grölten mit der Stimmgewalt ihrer an 2,8-fache Erdgravitation angepaßten Körper: Beine wie ägyptische Tempelsäulen, die Arme überlang, gedrungene Leiber und haarlose Kugelköpfe; schwarzhäutig, dreiäugig, dünnlippig, nasenlos. Die Rüstungen bestanden aus geriffeltem Metallplastik, Protektorschalen und Panzerelemente waren mit bläulichem Arkonstahl verstärkt, die Aggregattornister mannsgroß und wuchtig. Das Spektakel nimmt seinen Lauf. Ich stemmte die Fäuste auf den Tisch und stand auf. Im kleinen Empfänger – nicht mehr als ein dünner Drahtbügel über dem linken Ohr – zwitscherte
Truk Drautherbs zweites Protokollsignal. Einzug in fünfzehn Minuten! Ave, Caesar! Am Hufeisenpult der Überwachungsanlagen saß Peter, der Abschnitte heranzoomte, umschaltete, die akustische Übermittlung dämpfte, Notizen ins Terminal tippte – und leise den Triumphmarsch aus Verdis »Aida« pfiff. Über den Kommunikator – Ohrstecker und Mikrofondraht – war der Geheimdienstchef Arkons mit seinen überall postierten Leuten verbunden, die mit ihren Helmkameras weitere, über die festinstallierten Überwachungssensoriken hinausgehende Detailbilder lieferten. In einer Trividdarstellung entdeckte ich Tombe, Jana und Killan. Neben Kosnow hatte Laury Platz genommen. Gekleidet in schlicht-weißen Hosenanzug, kontrollierte sie im Handspiegel den Sitz ihrer Frisur; der Mutantin war der telepathische Dauerkontakt zu den Mooffs äußerlich nicht anzumerken. »… Drei bis Sieben: weiter nach rechts; die Gruppe bei der Säule«, murmelte Peter; auf Displays entstanden rasch aufgerufene Dossiers. »Eindeutig als SENTENZA-Leute identifiziert… Einundzwanzig: Behalt die Aras im Auge… Gut so, Dreiundvierzig. Bleib bei den Springern; nicht abwimmeln lassen…« Laury tippte auf Peters Schulter. »Meec’pal meldet intensivierte Aggressionsimpulse… Zwei Arkoniden, Vorhalle linke Mitte… Oh, halb so schlimm: Die debattieren nur über Simultankompositionen; könnte aber zur Schlägerei ausarten. Möchte wissen, was an dem jungen Oscer so Besonderes ist! Als sein Hauptwerk gilt weiterhin die Schattenlose Musterzeichnung im schwebenden Eisball. Ich sehe darin nur wildes Wimmeln bunter Punkte vor weißem Hintergrund…« Ras kicherte unterdrückt und half Kitai beim Anlegen der mit grimmigen Gesichtszügen bemalten Samuraimaske. Er selbst trug eine lindgrüne Uniform, die bis auf das Symbol des
Mutantenkorps, einem von fluoreszierender Aura umgebenen Gehirn, ohne Rangabzeichen war, und ein Leopardenfellschiffchen über dem kurzen Kraushaar. Beim Schulter-Hals-Kragenring handelte es sich um eine fingerstarke Metallplastikplatte, die vorne halbkreisförmig auslief, über den Schultern wulstig verdickt war und auf dem Rücken V-förmig bis zur Taille hinabreichte. Sie barg Aggregate swoonscher Mikrotechnik: Antigrav-, Individualschirm- und Deflektorprojektoren, Kleinstreaktor samt Umformer und Speicherbank sowie den Minikom als Standardkommunikator. »Verstanden, Jana. Okay. Schwenk mal in die Halle!« Peter schaltete um, rief neue Datensätze auf, schien seine Augen überall zu haben. »Nein, Fünfzehn: Nicht so dicht an Regir da Quertamagin heran. Der Khasurnmeister hat schon Leute aus nichtigeren Gründen zum Mannax-Duell gefordert; du solltest doch wissen, was der breitkrempige Hut mit der blauen Feder bedeutet…« Noch war die Prunkhalle fast leer; an ihrem Ende drehte sich im unsichtbaren Antigravfeld die Zehnmeterdarstellung des Kugelsternhaufens: Zehntausende faustgroßer Edelsteine, von Spotstrahlen beleuchtet, waren in prächtiges Funkeln, Gleißen und Blitzen getaucht. Davor präsentierten fünfzig Naats der Leibwache Strahlwaffen, und Mooff-Tanks erhoben sich auf Prallkissen. Pagen in Meerblau standen neben Servorobotern entlang den Arkaden, unter den Gewölben reihten sich die langen Tafeln von Schwebetischen, auf denen sich Delikatessen türmten, warm gehalten von flimmernden Energiefeldern: travnorische Schleimspeier, zart gegrillt; glitzernde Meeresfrüchte von Karnak; meterlange Schwirrflügler von Zalit; Braten von Gurboschs und Hubbakeln zu Essoyablättern, geschmückt mit Federn karaltronischer Wolkenadler; Gropphühner von Mekra-Titul;
Karaffen voller rotem, zähflüssigem Tsan-Saft; bauchige Reruth-Flaschen; eine Pyramide aus eisgekühlten Coca-ColaDosen; Mooja-Eier von Jacinther IV… Luxus in höchster Perfektion, flüsterte der Extrasinn. Wenn sonst nichts funktioniert – davon verstehen sie was, deine Artgenossen. Mein Magen schien zu einem harten Klumpen verkrampft, mißmutig kontrollierte ich den Sitz meiner schwarzen Kampfkombi, die ich anstelle der Robe trug. Ein weiterer Affront! Nun können sie sich wieder die Mäuler zerreißen! Ich schüttelte mich unbehaglich und wandte mich an Kon: »Kannst du mir sagen, Laktrote, was ich hier eigentlich soll? Im Imperium lodert es an allen Enden, tagtäglich will man mir ans Leben, und ich vergeude Zeit mit Repräsentationen und traditionsreichem Gehabe.« Ich wies auf die Holos, in denen sich die Gäste tummelten. Erste Gruppen betraten die Prunkhalle und reihten sich entlang den Lichtbalkenmarken auf. Tausende waren gekommen; die Investitur der ARK SUMMIA-Absolventen bildete nur den Auftakt einer Reihe von Feierlichkeiten, Empfängen und Festivitäten, die ihren Höhepunktim Staatsakt zu Ehren meines Geburtstages erreichen sollten. »Wenn ich die alle sehe, habe ich Zweifel, mein Lieber, ob ich ihnen nicht das Kristallzepter samt restlichen Reichsinsignien vor die Füße werfen soll. Alles von Rang und Namen ist vertreten: Admiral Tara Ta-Emthon – wohl immer noch scharf auf meinen Job –, Admiral Calus de Monizer, Kristallmarschall Senekho, Regir und Krishai da Quertamagin, Moya Ma-Gonozal – meine weit entfernte, entzückende, haßerfüllte Verwandte –, Terfkonon da Orcast, die Anlaans, Bonkols, Ophas’, Oshs, Grishkans, Orbanaschols…« Kon lächelte aufmunternd. »Kaum etwas ist festgefügter als das Gewohnheitsrecht Privilegierter.«
Ceshal schnaufte im Hintergrund: »Das offizielle Gehabe im Kristallpalast ist konzentriertes Abbild der Gesellschaft. Ehrenzeichen für arrogante Tatos und kriecherische Emporkömmlinge, reich und angesehen, ansonsten wenig brauchbar, und Titelund Karrieresüchtige aller Schattierungen sind einige der Auswüchse. Ich kann dich verstehen, Euer Erhabenheit. Aber, mit allem gebotenen Respekt, von Akademie-Kamerad zu Akademie-Kamerad: Heute werden die wirklich Tüchtigen ausgezeichnet, vergiß das bitte nicht, Atlan!« Er vibrierte innerlich. Für ihn bedeutete – trotz allem – der heutige Rummel zweifellos eine persönliche Genugtuung. Ein winziger Schritt auf dem beschwerlichen Weg der Veränderung, gemeinsam geleistete Arbeit, die einen Silberstreif am Horizont darstellte. Er machte, obwohl dem ExSchläfer öffentliche Auftritte mißhagten, eine gute Figur in der blütenweißen Uniform mit dem halblangen roten Umhangüberwurf. Die braunrote Planetensimulation in von Lichtpunkten erhellter schwarzer Holoscheibe an seiner Brust –Symbol Zhygors! – war das einzige Zeichen, das ihn noch mit Stolz erfüllte; es stand für Leistungen wie den Plan zur Schaffung der Freihandelswelten. Das Signum des Großen Imperiums – drei blaue Planeten, die als Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks eine weißblau flammende Sonne umstanden – verlor angesichts der herrschenden Zustände deutlich an Kraft, stand eher für Trauer, Wut und Ohnmacht. »Wie könnte ich, Ceshal.« Ich ächzte. »Trotzdem bin ich froh, wenn’s vorbei ist.« »Wir werden es überstehen, mein Imperator!« Er neigte den Kopf, seine rötlichen Augen blitzten, ein zaghaftes Lächeln huschte über das Gesicht. »Denn wer Ghotors Dreißig Tontas überstanden hat, kann eigentlich durch nichts mehr erschüttert werden, nicht wahr?«
Unvermittelt wurde der Akademie-Ausbilder vom photographischen Gedächtnis reproduziert; ein hartgesottener Arbtan – vergleichbar einem irdischen Sergeant –, einäugig, die rechte Gesichtshälfte von häßlicher Narbe entstellt, der linke Unterschenkel samt Fuß durch eine Prothese ersetzt, Veteran der Bekwyn-Schlacht, bei der unter Führung meines Vaters die Maahks trotz Übermacht geschlagen und beinahe völlig aufgerieben wurden. Er hatte uns angetrieben, schikaniert, das Letzte herausgepreßt, und er war für seine »markigen Sprüche« berüchtigt sowie die unverhofften Übungen gefürchtet gewesen. Dreißig Tontas – zwei Dienstplanworte, die mich heute noch schaudern ließen; sie entsprachen dem irdischen Begriff »36-Stunden-Übung«, denn das arkonidische Tonta dauerte 1,4185 Erdstunden, also zwanzig Tontas je Arkontag von exakt 28,37 Stunden Länge. Ghotor hatte mir einiges beibringen können, was mir später in mancher lebensbedrohlichen Situation half. Er nannte es: »Anleitung unter Realbedingungen!« – und irgendwann wurde daraus Ernst, plötzlich, völlig unerwartet, massiv. Erinnerungen im rasenden Kaleidoskop: Der Angriff der Maahks auf das Raumfort, Ghotors besonnenes Handeln, gellende Schreie, Tote, Verwundete, das halb zerschossene Kugelbeiboot, Ghotors wagemutiger Jägerangriff, um uns den Rückzug zu decken. Der im All unsichtbare Desintegratorstrahl hinterließ nur eine glitzernde Partikelwolke… »So gesehen…« Ich nickte betroffen und gab mir einen Ruck. »Danke, Ceshal, du hast die Bezüge wieder zurechtgerückt.« Und noch eine aufblitzende Szene: Der Moment, als ich am Ehrenmal der Iprasa-Akademie stand; eingeprägt in Cholitt der Name GHOTOR an der schwarzen Basaltwand. Die Gesichter aller strammstehenden Kadetten waren versteinert. Wir hatten geflucht, den Arbtan ans Ende des Universums
gewünscht und sämtliche Haßgefühle auf ihn fokussiert. Dennoch: Er war der Beste! dachte ich damals und salutierte. Ohne ihn hätten wir nicht überlebt! »Euer Erhabenheit!« Ceshal hämmerte die Faust vor die linke Brustseite, raffte den Umhang und marschierte stolz zum Ausgang, um seinen Platz in der Prunkhalle einzunehmen. »Es macht ihn krank, wenn er an die feine Gesellschaft dort oben denkt.« Kons Stimme klang rauh. »Schlagartiger Übergang von Blüte- zur morbiden Endzeit läßt sich nicht so einfach wegstecken. Weder von dir, Atlan, noch von ihm oder den anderen Schläfern, die man immer häufiger als NeuArkoniden umschreibt. Das nennt man Begriffsverwirrung: Sind die Neuen doch eigentlich die Alten!« Drittes Zwitschern im Ohr. Ein stummer Fluch stieg in mir auf, während ich die Halle durchquerte, die beiden Kampfroboter meine Individualschwin-gungen bestimmten und den Zugang zum Transmitter freigaben: Unter flirrendem Wabenschirm rollte der kastenförmige Tresorautomat näher, das Kristallzepter schwebte durch eine Strukturlücke. Von den anderen Reichsinsignien benötigte ich heute nur die Waffen; Dagor-Langschwert in kostbarer Scheide und die Armmanschette des Prallschildprojektors, versehen mit dem Zeichen der Synchronwelten in Form murmelgroß gefaßter Saphire. Beim Blick auf die käfigförmige Projektoranordnung des Transmitters rang ich zum ungezählten Mal um Beherrschung. Transmitter! Es war unglaublich: In meiner Jugend gehörten sie durchweg zum Ausrüstungsstandard der Arkonflotte, sogar in den Flottensilos auf Larsaf waren sie eingelagert gewesen. Als Crest aber mit solchen Geräten auf den Wegawelten konfrontiert wurde, reagierte er ziemlich erstaunt, weil die Arkoniden Vergleichbares angeblich nicht
hatten bauen können, obwohl die theoretischen Erkenntnisse vorlagen; sogar die für Fiktivtransmitter – arbeitend auf dem Prinzip fünfdimensionaler Dimensionsgeometrik als »hypermechanische Teleportation mit ErfassungsImpulsstrahlen«. Im Rahmen der Umund Neuprogrammierung des Robotregenten hatte ich dann feststellen müssen, daß – wie eigentlich zu erwarten! – überall Transmitter vorhanden waren, sogar Großgeräte, die die Masse eines Kreuzers über Ferndistanzen versetzen konnten. Nur wurden sie seit Jahrtausenden nicht genutzt, waren eingemottet und vergessen! Was war geschehen? Ein verweichlichter Imperator, der um 1350 vor der terranischen Zeitenwende lebte, litt an der Ferm-Krankheit, einer heimtückischen Allergie, die durch Raumschiffstransitionen und Transmitterdurchgänge hervorgerufen wurde und den davon Befallenen innerhalb einiger Monate den Tod brachte, sofern nicht das einzige Gegenmittel, die Shaks-Kapseln, lebenslang eingenommen wurde. Besagter Imperator, Nardonn XX. weinerlich, cholerisch, überdies der reinste Idiot, so daß er später vom Großen Rat wegen eklatanter Unfähigkeit abgesetzt wurde, wußte nichts Besseres zu tun, als den imperialen Erlaß Nummer 375-N-XX/16.129 herauszugeben, durch den »für immer und alle Zeiten« Herstellung, Verbreitung und Verwendung von Transmittern bei Todesstrafe verboten wurden! Zum Glück konnte er die Raumfahrt allgemein nicht auch verbieten! Er soll in den heißen Quellen von Hradschirs Höllenplaneten garen! Ich fühlte, daß mir die Galle stieg. Weshalb sich die nachfolgenden Imperatoren an diesen Erlaß hielten und ihn wortgetreu durchsetzten, ist eine der unverständlichen Tragödien meines Volkes, aber Tatsache – denn im Ergebnis verschwand die gesamte Transmittertechnologie, von geheim eingesetzten Geräten einiger Familien oder bei der SENTENZA
vielleicht mal abgesehen, total aus dem Gedächtnis, so daß sogar Crest als Erster Wissenschaftler des Großen Rates nichts mehr von den Transmittern wußte. Als ich das herausfand, die vorhandenen Geräte reaktivieren und neue bauen ließ, hatte ich geflucht, hätte am liebsten tagelang getobt und wäre gleichzeitig vor Scham fast im Boden versunken. Denn noch schlimmer war die zweite »Entdeckung« hinsichtlich der »Konverterkanone«: Ich hatte die exakten Konstruktionsunterlagen seinerzeit von ES erhalten und noch vor der Atlantis-Katastrophe nach Arkon übermittelt. Eine Waffe, die in den bombastischen Geschichtswerken als »kriegsentscheidend« umschrieben wurde und uns letztlich den Sieg beschert hatte – obwohl es letzte Gefechte mit den Methans noch zur Zeit Epetrans gab. Kurz nach dessen Tod verschwand aus unerfindlichen Gründen alles Wissen über die Konverterkanone; ich fand keine Unterlagen mehr, keine Aggregate, absolut nichts! Ein kriegsentscheidendes Waffensystem, nur durch die Gravitationsbomben in Wirkung und Reichweite übertroffen, war und blieb spurlos verschwunden! Es ist einfach nicht zu fassen! Aber ein markantes Beispiel dafür, wie tief man letztlich gesunken ist! Ich beendete diese unergiebigen Gedanken abrupt und legte das Schwertgehänge an, so daß der Schwertgriff über meine linke Schulter ragte, dann ließ ich die Manschette ums linke Handgelenk schnappen. Mit ihr konnte ein flachgewölbtes Prallfeld von bis zu zwei Metern Durchmesser projiziert werden, das, handhabbar wie ein Schild, den Vorteil hatte, weniger störanfällig zu sein als ein den Körperkonturen folgender Individualschirm. Das Hüllfeld der Schwertklinge aus Arkonstahl war im Desintegrator- wie Paralysatormodus aufladbar. Die traditionelle Ausstattung eines Dagorista war erwiesenermaßen nicht zu unterschätzen: Für Augenblicke
stand mir das Bild von Fartuloons Skarg, wie er sein Dagorschwert genannt hatte, vor Augen; erst auf der IprasaAkademie begriff ich bei intensiver Dagor-Schulung, daß an ihm kaum halb soviel Geheimnisvolles war, wie ich in der Jugend hineininterpretierte. Deine um Ablenkung bemühten Gedanken, kritisierte der Extrasinn brummig, werfen ein bezeichnendes Licht auf deine Stimmung, Imperator. Langsam ging ich zur Thronloge, stieg die Plattformstufen hinauf und betrachtete die Bildschirme und Holoprojektionen an den Wänden. Entlang den Arkadenseiten des Prunksaals reihten sich die Würdenträger des Imperiums bis zur Hallenmitte auf: Mitglieder des Hohen Rats in weißen Roben, roten und violetten Gewändern, Gesandte des VidaarmFürstentums – trebolanische Spinnenintelligenzen –, der Shyndain-Koalition, der Uqurado-Föderation und vieler Kolonialwelten. Vertreter der springerschen Handelsgilde und des Raumnomadenadels der Asteroidenhabitate, Offiziere des Flottenzentralkommandos, Administratoren, Planetengouverneure, Sektorenbeauftragte. Peter drehte kurz den Sessel herum und rief ironisch: »Prominenz, wo man nur hinsieht! Euer Erhabenheit sollten sich freuen: Man wird scharwenzeln, um Unterredungen nachsuchen, Bitten wohlfeil formulieren, nörgeln…« »Danke, es reicht!« Ich winkte mißmutig ab; er grinste breit. Die zeremoniell primitiv bewaffnete Kristallgarde marschierte unterdessen in den Prunksaal und formte die Doppelreihe eines langen Spaliers. Hinter den Naats sah ich Vertreter vieler der dem Imperium angehörenden Zivilisationen, nun bis fast an das Sternhaufenmodell aufgerückt: Hominide waren eindeutig in der Mehrheit; neben Hunderten Arkoniden – vor allem aus niederem und Hochadel –, rotbärtigen Springern, eierköpfigen Aras, kupferhaarigen Zalitem, Ekhoniden,
Luranern, Prebonern, Rusufern, Renonern, Soltenern, Tuglanten und anderen Kolonialarkoniden mußten die fuchsähnlichen Elloanty, von »Mardern« abstammende Mispaner, aus Beuteltieren entstandenen Ishkhorer und – bezogen auf ihre »Körpermasken« – die Gijahthrakos als quasi-hominid hinzugerechnet werden, was für die DronEchsen nicht gesagt werden konnte. Manchmal ist die Zahl ebenso verwirrend wie erschreckend groß, dachte ich. Auf Arkon II sind Handelsvertretungen von mindestens vierhundert verschiedenen Völkern registriert, und da sind die Kolonialarkoniden nicht mitgerechnet! Wie viele Umweltveränderte mit arkonidischer Wurzel gibt es? Einige tausend bestimmt! Auf die Armlehne gestützt, musterte ich die Vielfalt in den Holos: von Scharen kleiner Taa-Soldaten und -Arbeiterinnen umgebene Stamm-Mütter mit mächtig aufgeblähten Hinterleibern; flachschädelige Miir mit dünnen Gliedmaßen, eingeschnürten Taillen und fächelnden Flügeldecken; schlanke, fast zerbrechlich wirkende, aber bis zu zwei Meter große Volat-Insekten; schlangenähnliche Froghs von Tolimon; Scüs mit herausgeputzten Kopffederbüschen, gelben Schnäbeln und kröpfenden Halsbewegungen; quadratischklobige Überschwere. In wuchtigen Tanks ringelten sich, von emporsprudelnden Blasen umgeben, cephalopodische Therborer – die Wasserweltbewohner waren seit Jahrtausenden die besten Freunde Arkons; friedlich, begnadete Komponisten und hervorragende Mathelogiker. Breit und massiv hockten daneben Andooz-Kröten und schwatzten fröhlich mit felidoiden Orbeki-Männern, deren sandfarbene Mähnen zu hohen Türmen frisiert waren. Noch exotischer waren die Vertreterinnen von Longhon mit ihren geschwungenen Hörnern und prallen Unterbaucheutern; wiederkäuende Kieferbewegungen klassifizierten sie als von Huftieren abstammend. Dann die an Faune der griechischen
Sagen erinnernden Hasproner oder die Delegation der nur dreißig Zentimeter großen, vierarmigen Swoons. Letztere standen auf Antigravplatten oder hockten auf den Schultern von Manolito Almeda und den anderen Wissenschaftlern, die von Arkon III herübergekommen waren. Als weiterer Gegensatz dazu die Wanderpflanzen von Morann, die mit ihren stachelbewehrten Cephalo-Fangklappen und den zarten Wurzelfüßen zu den fremdartigsten Spezies gehörten, neben den Aras aber die besten Mediziner im Imperium waren! Ich verfluchte laut die absolut unbequeme Thronsesselform und aktivierte die Antigravaggregate: Zur Ankündigung Truk Drautherbs würde ich durch die Bodenöffnung nach oben schweben und mich den Blicken stellen. Schon jetzt war klar, daß mir aus vielen arkonidischen Augen kaum gebändigter Haß entgegenschlagen würde. Zu oft war ich den Würdenträgern auf die Füße getreten, hatte geschliffenes Protokoll mißachtet, Traditionen ignoriert und »beleidigendes Verhalten« an den Tag gelegt. Vielleicht hätten sie mir wirklich zugejubelt, wäre ich bereit gewesen, mich in ihre Schablonen einzupassen. So allerdings… Kitai Ishibashi als Bauchaufschneider des Imperators und Kontaclatiis als Kristallmeister nahmen ihre Positionen am Logenrand ein: Der Japaner verschränkte die Arme vor der Brust, Kons Rubintetraeder ersetzte den Zwergenkörper. Ich warf den Umhang über die Schultern, packte das wertvolle Zepter fester und seufzte betont übertrieben. Ein Lämpchen der Armlehne blinkte, viertes Protokollzwitschern. Mit angemessen imperialer Verzögerung justierte ich den Feldvektor, und die Plattform passierte die Öffnung, deren Irispforte sich unter uns wieder schloß. Die Kristalle des Kugelsternhaufenmodells überschütteten uns mit kaltem Feuer. Mit schwerem Schritt nahm die Naat-Leibwache im
Halbkreis vor der Loge Aufstellung. Die Zyklopen von Arkon V trugen Strahlwaffen, die ein normalgewachsener Arkonide kaum anheben konnte. Von der rechten Seite glitten auf Prallkissen zwei große Panzertroplonquader mit abgerundeten Kanten heran, in denen zwischen milchigen Schwaden die halbkugeligen Leiber von Mooffs kauerten. Hunderte der exotischen Geschöpfe lebten unter natürlichen Umweltbedingungen ihrer Wasserstoff-Methan-AmmoniakHeimat – in beweglichen Behältern und unter energetischen Großkuppeln – auf Arkon I und anderen wichtigen Welten: Sie hatten ihre telepathisch-suggestiven Kräfte in den Dienst des Imperiums gestellt, als ich sie darum bat. Umgeben von einer mystischen Ausstrahlung, wurden sie als die geheimnisvollen wie gefürchteten Helfer des Imperators betrachtet. Tatsächlich waren die quallen-förmigen Wesen harmlos, friedliebend und verständnisvoll – überaus glücklich, wenn sie mit anderen »sprechen« konnten. Sie hatten mir schon unschätzbare Dienste geleistet, nachdem eine erste Verbindung hergestellt war. Nächster Protokollpunkt: Neben der Loge blieben die Mitglieder des Großen Rates stehen, die als lange Prozession aus der linken Prunkhallenlounge kamen. Mein Blick begegnete dem von Admiral Calus de Monizer; seine goldstrotzende, operettenhaft lächerliche Uniform schmerzte in den Augen. Vor drei Jahren war er auf Zalit eingesetzt gewesen: Bei unserem Vorstoß nach Arkon wurde er von Sergeant Roger Osega ersetzt – und dieser an Stelle des Originals von zalitischen Terroristen ermordet! Calus’ einzige Reaktion war gewesen, eine »scharfformulierte Protestnote« zu verfassen, in der er sich wortreich gegen Entführung und Gefangenschaft verwahrte. Weil er zu den Aktiven gehörte, hatte ich mich dennoch für seine Erhebung in den Großen Rat entschieden. Mit den anderen Vertretern dieses Gremiums
war nämlich wenig anzufangen. Der Logiksektor bestätigte: Bestenfalls die Hälfte von 128 ist erschienen… Ich sah nach rechts: Die ARK SUMMIA-Absolventen standen unter dem Durchgang zur Lounge bereit. Mein nachlässiger Wink galt dem wachsamen Zeremonienmeister und Protokollchef, der den Stab zwölfmal auf den Boden stieß und mit dem hellen Klingen des Kristallüsters das verebbende Murmeln übertönte. Seine gewaltig verstärkte Stimme erfüllte die Weite der Halle: »Seine millionenäugige, allessehende, alleswissende Erhabenheit, Herrscher über Arkon und die Welten der öden Insel, Seine Imperiale Glorifizienz, Gonozal der Achte, Atlan Mascaren Gonozal da Arkon, Heroe aus dem Geschlecht der Weltältesten…« Der Extrasinn zeigte mir die Simulation meines Gesichts in Großaufnahme: Ich nahm die ritualisierten Umschreibungen mit einem Ausdruck zur Kenntnis, der überaus zwiespältige Gefühle widerspiegelte. Der säuerliche Zug war unverkennbar, gemischt mit einem sarkastischen Lächeln. Ich wußte, warum viele Imperatoren den Aufenthalt in ihren Flaggschiffen als willkommene »Fluchtmöglichkeit« genutzt hatten – sehr zum Entsetzen von Adel und Höflingen des Kristallpalastes. In amtlichen Dokumenten, Urkunden, Verlautbarungen und imperialen Erlassen nahmen die Titel und Umschreibungen eines Imperators sage und schreibe 39 Druckzeilen ein; die Aufzählung bei Festen und anderen öffentlichen Auftritten war stets eine seelische Tortur. Nichts für einen von Larsaf-Barbaren geprägten Unsterblichen wie dich, Euer Erhabenheit! Der Extrasinn kommentierte gehässig meine Überlegungen und traf den Nerv. Zwar setzte ich mich über viele Repräsentationspflichten hinweg, aber es gab Anlässe, denen auch, ich nicht auszuweichen vermochte; hatte ich doch schon die sehnsüchtig erwarteten, wochenlangen
Krönungsfeierlichkeiten abgesagt. Über alle uralten Rituale konnte und wollte ich nicht hinweggehen. Die innere Stimme ergänzte den Gedanken:… zumal die Gesetzlichkeiten des hochamtlichen Protokolls samt den Leuten, die dahinterstehen, eine bemerkenswerte Eigendynamik entwickeln! Stimmt – siehe Truk Drautherb, erwiderte ich spöttisch. Zwar ist die Bürokratie eines Riesenapparats dagegen fast harmlos, aber auch diesbezüglich ist Arkon bemerkenswertes Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Was immer – es wuchert hier zum Extrem aus. Ich machte also gute Miene zum zeremoniellen Spiel, während ich mich intensiv ans andere Ende des Imperiums wünschte. Daß ich für fern Stehende trotz der Distanz nicht winzig wirkte – was der »göttlichen Heroität, gnädigsten Erhabenheit und so weiter…« laut rigidem Protokoll keineswegs angemessen gewesen wäre –, verdankte ich einem unsichtbaren Energiegitter, das in der Art einer gewaltigen Linse, natürlich völlig verzerrungsfrei, den optischen Eindruck eines Riesen schuf. Von außen war der Anblick dieses virtuellen Bildes durchaus beeindruckend – wenn man auf solcherart Pomp und technische Spielereien stand. Die hundert Meter lange Prunkhalle des Imperators faßte mehr als zehntausend Gäste. An der mit riesigen Kunstdiamanten, hyperaktiven Kristallen, anderen Edelsteinen und -metallen barock geschmückten Gewölbedecke glühten Sonnenlampen, Ornamente überzogen die wuchtigen Arkadensäulen. Das Bodenmosaik aus Zalosund Luurs-Metall, Cholitt und prachtvoll modelliertem Arkonstahl unter transparentem Panzerplast blitzte vor vielfarbigen Reflexen. Einige Familien hatten hübsche, aber blicklose, dafür besonders dürftig bekleidete Prinzessinnen in vorderster Reihe zu plazieren versucht. Eingehüllt in von winzigen Kraftfeldprojektoren gehaltene Perlengehänge, Geschmeide-
ketten und großlöchrige Pailettengewebe, rief ihr übertrieben schmachtendes Gehabe in mir fast Ekel hervor. Dynastische Gedanken standen hier im Vordergrund: Mochte man mich noch so ablehnen und hassen – ein hübsches Kristallprinzchen hätte dem betreffenden Khasurn Macht und Einfluß verliehen… Lautlos huschten kaum fingergroße Sonden durch die Halle. Die Sensoren und Holokameras des Kristallpalastes übertrugen die Trivid-Aufnahmen zu allen Punkten der Kristallwelt und auch weit darüber hinaus. Gebläse fauchten, um meinen Umhang prächtig aufzubauschen. In der Rechten hielt ich – »würdevolle Gelassenheit« forderte das Protokoll – das Zepter, dessen Kristallkugel an der Spitze aufblitzte: Das spiralige Miniaturbild der Galaxis wurde von einem gleichseitigen Dreieck umschlossen, die Eckpunkte waren als grünblaue Kugeln hervorgehoben. Es war das Zeichen der Synchronplaneten von Arkon: Tiga Ranton auf arkonidisch, Drei Welten. Ein mit der Spitze nach oben weisendes Dreieck, an der Basis allerdings dreigezackt, war entsprechenderweise das Signum der vormals fast allmächtigen, die bekannte Galaxis beherrschenden Arkon-Raumflotte. Der Protokollchef sprach weiterhin und verströmte geschwollene Formulierungen. In assoziativer Verknüpfung verbunden damit die nächsten, um Zerstreuung bemühten Gedanken, denn das Zählen der Deckenkristalle war mit der Zeit zu langweilig: Ähnlich wie auf Terra galt das Dreieck bei vielen Kulturen und Zivilisationen als göttliches Symbol. Nicht umsonst wurde deshalb die Plazierung von drei Planeten auf gleicher Umlaufbahn als Auszeichnung der Götter propagandistisch ausgeschlachtet und die Klarstellung möglichst vermieden, daß es sich dabei um eine wissenschaftlich-technische Spitzenleistung gehandelt hatte. Bis auf wenige Eingeweihte
wußte kaum jemand, daß einer meiner Vorfahren, Imperator Gonozal III. dieses Projekt initiiert hatte und allen Widerständen zum Trotz umsetzen ließ. Die Grobpositionierung der ehemaligen Welten Zwei und Vier auf der Umlaufbahn des dritten Arkonplaneten war nach zehn Arkonjahren abgeschlossen gewesen, die endgültige Stabilisierung und Feinabstimmung beanspruchte dagegen weitere dreitausend Jahre. »… Höchstedler, von grenzenloser Weisheit und Weitsicht geküßter, in die Mysterien des Dagor Initiierter, 496. Herrscher in der ruhmreichen Reihe der…« Bla-bla-bla – der Kerl quatscht ja immer noch! Nur kurz huschte der Gedanke durch meinen Kopf, daß die hochherrschaftlichen Umschreibungen wie »millionenäugig, allessehend« – man mag es kaum glauben, aber es ist so! – einen durchaus realen Hintergrund hatten. Realer, als ich selbst bis zu meinem Amtsantritt und der ersten Begegnung mit den Gijahthrakos ahnte. Sie hatten mich auf das Projekt Große Feuermutter – Tai Zhy Fam – aufmerksam gemacht, das auf uralten Traditionen und Ritualen beruhte und nach Überwindung der »Archaischen Perioden« entstanden war. Ist jetzt der Augenblick, darüber nachzudenken? flüsterte der Extrasinn. Du stehst dem Ganzen skeptisch bis ablehnend gegenüber! Trotz Cho-Käfer! »… haben beschlossen, die Zeremonie zu eröffnen! Begrüßt Seine Erhabenheit in Freude, Dankbarkeit und Demut!« Ich gestattete mir ein Aufatmen: Endlich! Ringsum knieten die Versammelten, die Fingerspitzen über die Augen gelegt. Has’ athoren und Orbtonen salutierten, die Beine gespreizt und die rechte Hand gegen die linke Brustseite gepreßt; es waren die traditionellen Gesten und Bewegungen, mit denen Offiziere den Imperator begrüßten. Ein gewaltiger Chor hallte auf: »Wir begrüßen Euer
Erhabenheit in Freude, Dankbarkeit und Demut!« »Es lebe Arkon! Und der Große Khasurn derer von Gonozal!« »Lang lebe und herrsche Imperator Gonozal!« Wie ernst das gemeint ist, beweisen die regelmäßigen Attentate! Bei getragenem Ghad-Flötenspiel und den zirpenden Klängen arkonidischer Theorben ging Truk Drautherb zur Einzelherstellung und Begrüßung der »Ehrengäste« über; jede Person wurde durch einmaliges Stampfen des Zeremonienstabes zum Nähertreten aufgefordert: »Zarlt Kosoka, Herr über das nahe Zalit, Vize-Imperator und…« Auch hier eine ellenlange Aufreihung der Titel, Verdienste und Beinamen. Der alte, schwache Zaliter, dessen rotbraune Haut faltig und dessen einstiges Kupferhaar ausgebleicht war und dessen Augen trieften, schlurfte gebeugt heran und vollzog ächzend den Kniefall. Eisstücke schienen plötzlich meine Wirbelsäule einzuhüllen. Ich hasse das alles! Den Pomp, die erzwungene Demut und sämtliche entwürdigenden Bräuche! Arkon Eins ist in eine Aura aus Trägheit und Stillstand gehüllt – und das alles droht auf mich überzuschlagen, hemmt und lähmt mich! Es wird Zeit, daß ich von hier fortkomme. Direktes Handeln vor Ort! Hinein in die Krisenregionen! Nur weg von hier, wo sich nichts und niemand bewegen läßt! Ich hatte mir beispielsweise fest vorgenommen, bei der Auswahl des nächsten Zarlts ein gewichtiges Wörtchen mitzureden – traditionell war er Vize-Imperator, ebenso traditionell ohne jegliche Macht und Einfluß aufs imperiale Geschehen. Richtig regiert und geführt, ließ sich mit dem Achtmilliardenvolk des vierten Voga-Planeten, nur 3,14 Lichtjahre von Arkon entfernt, einiges anfangen; immerhin waren die Zaliter nicht so degeneriert wie ihre arkonidischen Verwandten, obgleich sie ebenfalls unter der typischen
Langeweile überperfekter High-Tech-Zivilisation litten und sich vor allem mit bizarren Arenakämpfen amüsierten. Ich brauche einen Vize-Imperator, der dieser Funktion gerecht wird und mich entlastet – und sei es nur bei den verfluchten Festen, Empfängen und Repräsentationspflichten! Das Wortgedrechsel Truks ging weiter. Hauptwürdenträger; Namen, Darstellung, Vortreten, in einem fort: Khasurnmeister Regir da Quertamagin zog den Hut und verbeugte sich tief – ich übersah nicht die eisige Ablehnung in seinen Augen; Kristallmarschall Senekho; Erster Hoher Inspekteur von Arkon, Glogol da Orcast. Dann Mascant Tokoontlameer, der Kommandeur der 1. Arkon-Einsatzflotte, stationiert auf Arkon III. Tokoon, wie sein Name respektvoll abgekürzt wurde, war der erste, der mir ein Lächeln entlockte. Ich hatte ihn wenige Perioden nach meinem Amtsantritt in den höchsten Offiziersrang befördert: Mascant entsprach etwa einem »Reichsadmiral«. Das schlohweiße, schulterlange Haar des eineinhalb Meter großen Mannes war gelichtet, die dunkle Haut faltig und strahlungsgegerbt. Bei mehr als 5200 Lebensjahren, die er nach eigenem Bekunden erreicht hatte, reagierte seine »Körpermaske« wie ein normaler Leib: Solange sich die Gijahthrakos in arkonoider Gestalt zeigten, unterschieden sie sich kaum von normalen Lebewesen; von ihren besonderen Fähigkeiten, die sie bewußt nicht an die große Glocke hängten, war wenig zu bemerken. Tatsächlich aber war das alles nur Show; ein Tiefstapeln, das ihre wahre Natur überdeckte. Frösteln befiel mich, wenn ich an meine ersten Begegnungen mit Vertretern dieses fremdartigen Volkes dachte. Vor meiner Verbannung auf Larsaf III nur gerüchteweise über sie informiert, lag es mit meinem Amtsantritt als Imperator dagegen nahe, mich ihrer uneingeschränkten Mithilfe zu versichern.
Fast entsetzt habe ich ihr wahres Machtpotential zur Kenntnis nehmen müssen! Der Dagor-Tradition engstens verbunden, liegt ihnen – Arkons Göttern sei Dank! – zum Glück nichts daran, sich zu Herrschern aufzuschwingen. Statt dessen entsprachen sie meiner Bitte, stellten ihre Fähigkeiten in den Dienst des Großen Imperiums und nahmen in Kauf, daß sie somit vermehrt ins Bewußtsein der Öffentlichkeit traten. Kontaclatiis, Tokoontlameer und all die anderen – auf sie kann ich voll und ganz setzen und ihnen vertrauen! Und weiter: Dreisonnenträger Krishai da Quertamagin, der Oberbeschaffungsmeister des Reiches; der Oberste Richter von Celkar, Dreisonnenträger Terfkonon da Orcast. Weitere maßgebliche Kommandeure: Malkathoorgen – der Gijahthrako befehligte die 3. AEF und war Chef des zweiten Hauptstützpunktes, Amozalan. Der Andooz Quar Kha Xoraq, Befehlshaber von Calukoma, des dritten Hauptstützpunktes. Eldho-Anan, ein Elloanty, der sich gerne für hartes Durchgreifen aussprach. General Sutokk, Befehlshaber der auf Ekhas stationierten 6. Einsatzflotte – ein cholerischer Ekhonide, Militarist vom Scheitel bis zur Profilsohle, erzkonservativ und nicht gut auf die Terraner zu sprechen. Arona Ta-Nokoskhgan, der hochgewachsene, tatkräftige Arkonide mit dem stolzen Gesicht, Chef der 7. Einsatzflotte… Fast eine Stunde beanspruchte die Einleitungszeremonie, sehr viele Ehrengäste wollten in der Einzelbegrüßung namentlich genannt sein; eine besondere Ehre, nach der viele lechzten, weil es Zeichen gesellschaftlicher Stellung war. Reihenfolge, Auswahl, Betonung und Ausführlichkeit unterlagen Regeln, die mir wohl auf ewig unverständlich bleiben würden. Schon die Einweisungen in meiner Jugend hatte ich bestenfalls mit halbem Ohr verfolgt, damals, als man es für zwingend notwendig erachtete, die »überaus mangelhafte Ausbildung und Einweisung des Kristallprinzen in höfischen
Fragen, Gepflogenheiten und Riten« zu verbessern – zusätzlich zu den umfangreichen Hypnoschulungen und praktischen Lehrgängen der Iprasa-Akademie. Noch heute stand mir der absolut unverkennbare Geruch dieser besonderen Kaderschmiede in der Nase, sah ich die subplanetarischen Gewölbe der Kadettenunterbringung, bar aller Bequemlichkeit, ausgerichtet auf Abhärtung und Höchstleistung. Schinderei und Schliff, bis Muskeln und Geist wimmerten, ein körperliches und seelisches Martyrium. Verbunden mit der Galaktonautischen Akademie waren, entsprechend ihrer hervorgehobenen Stellung, Klasse und Stil und der extrem hohe Stellenwert des Begriffes Ehre. Ehre von Imperator und Imperium, Flottenehre gemäß ausgeprägtem Kodex, Ehre der jeweiligen Einheit, Gruppe, des einzelnen – und alles sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Nach einer gesetzten Pause schaffte es der Zeremonienmeister schließlich, mit gespreizten Worten Anlaß und Ziel des Empfanges zu verkünden: die Investitur der frisch von den fünf ARK SUMMIA-Prüfungswelten eingetroffenen Arkoniden! Auch hier stand, nachdem die Frauen und Männer in der Hallenmitte angetreten waren, am Beginn eine ermüdende Aufzählung von Namen, gefolgt von mit weitreichendem Lob begleiteten Umschreibungen der Lebensläufe. Ich kannte sie alle und schaltete geistig ab, so daß die hervorgehobenen Leistungen samt der detaillierten Darstellung von Examina und erzielten Einzelwertungen zur fernen Litanei herabsank. Das ganze Getue war wenig schmeichelhaft, und ich fragte mich zum wiederholten Mal, was ich hier eigentlich sollte. Vibrationen am linken Arm und eine blinkende Lampe beendeten die schwermütigen Gedanken. Ich drückte den Knopf des Kommandogeräts, das Linienmuster des Regenten erschien auf dem kleinen Bildschirm.
»Euer Erhabenheit!« Die Vocoderstimme war nur von mir, Kon und Kitai zu vernehmen. »Ein besonderer Ehrengast befindet sich im Anflug nach Arkon Eins. Einweisung auf Raumhafen Thek-Laktran. Es handelt sich um die Arkanta der Totenwelt Hocatarr! Ihre Heiligkeit Crysara da Kentigmilan bittet Seine Erhabenheit wegen der Verspätung um gnädigste Vergebung. Ende der Durchsage.« Ich atmete zischend ein, winkte herrisch dem ebenso indigniert wie erstaunt dreinblickenden Zeremonienmeister und teilte ihm leise die Neuigkeit mit. Drautherb wurde blaß, dann rot – war doch sein feines Protokoll nun über den Haufen geworfen und im Grunde hinfällig: Der Hohenpriesterin steht die Begrüßung gleich nach dem Zarlt zu! Teufel noch mal, die Grande Dame kommt persönlich! Bin auf ihren Auftritt gespannt! Verläßt sonst Hocatarr nie! Truk fing sich erstaunlich rasch, flüsterte Anweisungen ins Armbandgerät: Empfangskomitee, Ehrenformation, Salut, Eskorte, exakt aufeinander abgestimmt und dem hohen Rang der alten Frau angemessen. Dann setzte er, bis auf den hochroten Kopf würdevoll-ungerührt, das Protokoll dort fort, wo er unterbrochen worden war. Und irgendwann hatte er sich – zwischenzeitlich heiser – zur eigentlichen Passage vorgekämpft: »… hat der Medizinische Rat die Genehmigung zur Aktivierung brachliegender Gehirnsektoren erteilt und werden die zuvorderst Genannten auf Beschluß des Großen Rates von Arkon und dank des grenzenlosen Wohlwollens Seiner Allessehenden Erhabenheit, Gonozals des Achten, mit folgend aufgeführten Lehen bedacht. Verbunden mit dieser Ehre ist der Wunsch Seiner Glorifizienz aus dem Geschlecht…« Es kitzelte in meiner Kehle. Nur mit Mühe unterdrückte ich bittere Heiterkeit; der Blick zur Seite auf die Versammelten deprimierte. Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte
man tatsächlich lachen können. Von den 128 willensschwachen, fiktivsüchtigen, psychisch abgehalfterten Mitgliedern des Tai Than bekomme ich die meisten bestenfalls im Rahmen unsinniger Vergnügungen zu Gesicht oder müßte sie von den Simultanspielen förmlich wegprügeln. Keine Ahnung, wann diese Damen und Herren das letztemal wirklich einen Beschluß gefaßt haben… Leider bestand der Große Rat, im Gegensatz zum Hohen Rat als dem von den Arkoniden frei gewählten Regierungsorgan – einer Art Volksparlament –, größtenteils aus ex-officioMitgliedern. Diese waren laut Verfassung grundsätzlich zwar wissenschaftlich ausgebildet, stammten aber aus Flotte, Kristallpalast, Diplomatie, Geheimdienst, Wirtschaft, Verwaltung und repräsentierten die wichtigsten Khasurn, so daß sie, mit dem Imperator als Vorsitzendem, in den »RatsAusschüssen« wie beispielsweise dem »Medizinischen Rat« oder dem »Thektran« des Flottenzentralkommandos das oberste Exekutivgremium im Großen Imperium darstellten. Zweimal je 36-Tage-Periode waren Sitzungen anberaumt, in denen der Imperator Rechenschaft abzulegen, Sorgen, Nöte und Probleme zu besprechen hatte, während die Ratsmitglieder im Gegenzug Vorschläge, Anträge und Ausführungsberichte lieferten. Die ersten drei Tage einer jeden der zehn Perioden des Arkonjahres waren überdies der Generaldebatte von Großem und Hohem Rat vorbehalten; für Entschlüsse zu Richtlinien seiner Politik benötigte der Imperator qualifiziert-absolute Mehrheiten von 51 Prozent. Dies die Theorie. In der Praxis des Jahres 19.017 von Arkon, 2047 nach Terra-Standard, waren dagegen Debatten unsinniges Geplapper über wirklichkeitsfremde Philosophien und überkandidelte Kunstwerke. Die Interesselosigkeit ging allgemein sogar so weit, daß wegen unentschuldigten Fehlens der Mitglieder nicht einmal Beschlußfähigkeit hergestellt werden konnte. Sich ums tagespolitische Geschäft kümmern? Ein
bodenloser Abstieg in banale Realität – igitt! So was ist doch keinem gottgleichen Würdenträger des arkonidischen Hochadels zuzumuten! »Mit anderen Worten«, murmelte ich in stiller Verzweiflung, »die Räte existieren nur auf dem Papier, Regierung und Verwaltung – unterstützt von der Logistik des Robotgehirns – folgen de facto den Regeln einer totalitären Notstandsgesetzgebung, und ich bin, soll nicht alles zusammenbrechen, ebenfalls de facto nichts anderes als ein Diktator! Genau das also, was ich auf Larsaf stets zu vermeiden versucht habe!« Ich merkte, daß alles in mir auf Widerstand und Ablehnung schaltete, mein Magen wurde zum harten Knoten. Vor wenigen Stunden war auf mich ein Mordanschlag verübt worden, und diese Narren hatten nichts anderes im Sinn, als die Feinheiten der bombastischen Zeremonie einzuhalten. Ärger auf mich selbst mischte sich mit der Wut auf diese unfähigen Schranzen, und ich dachte: Hätte ich doch abgesagt! Der Blick auf die in respektvollem Abstand stehenden hundert Frauen und Männer besänftigte mich jedoch sofort. Zwar versuchten sie ihre grimmigen Blicke durch gesenkte Köpfe zu verbergen, doch mir war klar, daß ihnen dieser Mummenschanz ebensowenig wie mir behagte. Verbissen hielten sie sich aufrecht, mancher vom Strammstehen vermutlich der Ohnmacht nahe, mehr von Trotz gestützt als von schmerzenden Muskeln, heimgesucht von wechselnden Stimmungen, die zwischen Scham und Trance pendelten: Die mentalen Ausströmungen, von Meec’pal und seinen Mooffs exakt registriert und telepathisch an mich weitergeleitet, waren zutiefst bedrückend. Mein Entschluß bedurfte keiner Überlegung mehr: Es wird Zeit! Unwillig schaltete ich das optisch vergrößernde Projektionsgitter aus, legte das Zepter ab, warf den lästigen Umhang über die Lehne und sprang – von entsetztem Raunen
begleitet – vom Logenrand. Die Naats formten augenblicklich eine Gasse. Sie waren nur scheinbar jene tumben Burschen, als die sie von den Arkoniden zumeist angesehen wurden, aber was blieb ihnen als Bewohnern des Arkonsystems anderes übrig? Ich eilte den Angetretenen entgegen, sah aus den Augenwinkeln, daß dem Protokollchef fast die Augen aus den Höhlen quollen und er wohl knapp vor einem Schlaganfall stand, verkniff mir das emporsprudelnde diebische Vergnügen, winkte den bereitstehenden Pagen und brüllte mit altbewährter Kommandostimme: »ARK SUMMIA-Absolventen: Rührt euch!« Stiefelsohlen knallten, Körper entspannten sich, dankbare Blicke trafen mich. Im Gegensatz dazu kam von den Adligen vereinzeltes Murren, das allerdings sofort verebbte. Nur verhaltener Jubel erklang, als die Auszuzeichnenden von mir – endlich! – die antik gestalteten Urkunden überreicht bekamen; Segmentstücke von Horimad-Panzern, die Schrift in Kristall aufgeprägt. Ich machte es kurz und schnell: »Gaarthya, diplomatische Vertretung von Gonza!« Auf den obligatorischen Lehnkuß als Ableitung des zeremoniellen Stirnkusses einer Adelserhebung wurde bei Massenveranstaltungen wie dieser zum Glück verzichtet. »Euer Erhabenheit!« Die hagere Frau dankte und trat zur Seite. Der siebte Planet der Sonne Mol, 24 Lichtjahre von Arkon entfernt und Standort von drei Springerniederlassungen, sollte den »Neu-Arkoniden« bevorzugt zur Ansiedlung dienen: Es war mein fester Wille, daß diese unverdorbenen Leute möglichst wenig mit Arkon I in Berührung kamen. Die hier lebenden zehn Milliarden Arkoniden hätten sie einfach aufgesogen und verschluckt. Auf der Kristallwelt war alles von berauschender Schönheit –
künstlich, überspitzt, in jeder Hinsicht abgehoben. Vermutlich gab es keinen Stein, der nicht ganz bewußt arrangiert worden war, um ins Prachtensemble zu passen. Wie hat Perry mit dünnem Lachen gesagt? »Diese Kristallwelt ist Gift, Atlan. Sie erzeugt Phlegma!« »Tercnon, neuer Vorsitzender der Kleinen Runde der Prüfungswelt Alassa«, sagte ich. »Kelaso, Direktor der Bank von Arkon… Zarkam, verantwortlich für Handel, Nachschub und Logistik auf Arkon Zwei… Unista und Talasi – Vere’athoren der Schlachtschiffe TOSOMA und PAITO; macht diesen Namen Ehre! Assylia, Leiterin der Sondereinheit Augen des Imperators, Peter Kosnow direkt unterstellt… « Zu jeder vortretenden Person lieferte mein photographisches Gedächtnis die Angaben; ihren Qualifikationen entsprechend waren die Posten und Aufgaben sorgfältig ausgewählt worden. Investitur! Als Hauptlehen des Imperators die Anerkennung als Schiffskapitäne Erster Klasse, Direktoren und Botschafter, Geschwaderkommandanten, Minister, Tatos, Kurii! Hundert Schlüsselpositionen im Imperium! Schließlich der letzte Name: »Maria, Ministerin für Kolonialwesen.« Sie alle verbeugten sich noch einmal, dann war – zumindest in meinen Augen – der offizielle Teil abgeschlossen. Truk Drautherb rollte zwar verzweifelt mit den Augen, aber daran störte ich mich nicht, sondern winkte meinen Mitarbeitern, die nicht zweimal aufgefordert werden mußten und rasch aufschlossen. Ich lachte herzlich und rief: »Das imperiale Büffet ist eröffnet: Erlauchte und Erhabene – laßt es Euch munden!« Das Raunen schwoll kurz an, Bewegung kam in die Masse. Gratulationen prasselten auf die Geehrten herein. Zögernd näherten sich auch erste Würdenträger. Die schwarze Platte in der Hand, nahmen die Frauen und Männer gönnerhafte Glückwünsche entgegen. Etliche waren ernst gemeint, bei
anderen war ich mir nicht so sicher. Es war den neuen Lehnsträgern anzusehen, daß sie sich lieber in angenehmerer Gesellschaft aufgehalten hätten. »Einigen der Gratulanten sieht man den höfischen Bückling auf Lichtjahre Entfernung an.« Kontaclatiis grinste ironisch. Als er die Stimme hob, war das Zusammenzucken vieler Adliger unübersehbar; das, was er sagte, kränkte sie noch mehr: »Der Imperator duldet sie im Kristallpalast, und sie dürfen ihren Intrigenspielen frönen, aber die wahre Macht bleibt ihnen fortan verschlossen. Der Imperator wählt aus und ernennt. Dank Mooffs, Gijahthrakos und anderen schaut er in die Seelen und wird zu Recht der Millionenäugige genannt. Sogar auf entferntesten Welten erkennt Seine Erhabenheit die Befähigten. Er ist oberste Instanz im Großen Imperium! Er lebe ewig und immerdar!« Es schüttelte mich! Daß sich hinter der Betonung Millionenäugiger erwiesenermaßen viel mehr verbarg, verdrängte ich erneut ebenso rasch wie den Gedanken an die Arkanta, und nur für Sekundenbruchteile huschte das Konzept der Großen Feuermutter durch meinen Kopf. Noch bin ich innerlich nicht bereit, mich auf dieses Vorhaben und das damit Verbundene bedingungslos einzulassen… Der Ring meiner Vertrauten und Mitarbeiter begann beharrlich die Schranzen der Kristallkamarilla zu verdrängen, bevor es zu den üblichen »Belästigungen Seiner Erhabenheit« kommen konnte. Straton Zaghyts Augen leuchteten, als sich der Freund als lebende Walze näher schob und etliche Hochedle anrempelte; von einer Osh-Prinzessin kam ein spitzer Schrei. Im gleichen Moment röchelte er was von »unentschuldbarer Disziplinlosigkeit« und stolperte – scheinbar erschrocken – einen Schritt zurück, so daß eine hochedle Dame im knackig engen, pinkfarbenen Catsuit mit offenherzigem Dekollete fast umkippte.
Ich überbrückte die Distanz und boxte dem Echsenmann freundschaftlich in die Seite. »He, alter Krieger, kein Grund, sich zu sorgen. Ich erteile dir Absolution!« Er nickte und sah mit übertrieben treuherzigen! Blick umher. Die Dame – der Extrasinn lieferte den Namen: Ceryklya del Helonk – verdrehte die Augen und sank hochdramatisch in Ohnmacht. Niemand fing sie auf, und das entlockte der Hochedlen, der man die zwei bis drei Dutzend Schönheitsund Straffungsoperationen trotz beinahe perfekter Aramedizin deutlich ansah, einen Schwall vulgärster Beschimpfungen. Sie verstummte aber abrupt und eingeschüchtert, als der Schatten eines Naat auf sie fiel – der Orbtone grunzte barbarisch und ließ zwei satte Rülpser folgen. Obwohl dem Gesicht keine Regung anzusehen war, wußte ich genau, daß sich der Leibwachenoffizier innerlich vor Lachen krümmte. Movruul war ausgebildeter Dagormeister und perfekter Überlebensspezialist; er hatte einmal einen umprogrammierten Servoroboter von der Terrasse befördert, ehe dieser mir zu nahe kommen und mich mit umherwirbelnden Metalltentakeln erschlagen konnte! »Danke, Euer Erhabenheit«, grollte Straton und zwinkerte Movruul vertraulich zu. »Parasitäre Organismen zerdrückt man am besten gleich, ehe sie zur Plage werden…« Heiterkeit ringsum, mehrere langbärtige Springerpatriarchen schlugen sich kichernd auf die Schenkel. Kon klopfte dem fassungslosen Kristallmarschall Senekho wohlwollend auf den Rücken. Der Gijah war neben dem großen Arkoniden ein Winzling. Weitere Gratulanten traten heran; Mascant Tokoontlameer, Zweisonnenträger EldhoAnan und General Sutokk. Ein Moof-Tank summte langsam vorbei und zwang weitere Hochedle zum Ausweichen. Die Springer, für ihren bizarren Humor ebenso bekannt wie gefürchtet, grölten jetzt lauthals. Unter ihnen der alte Cokaze,
seines Zeichens angeblich der reichste Sippenchef. »Willkommen in verantwortungsvoller Stellung«, sagte der alte Gijahthrako mit zarter Stimme. »Ich gratuliere.« »Danke, Mascant.« Der Sprecher der neuen Lehnsträger, der Staatsminister für Fremd- und Freihandelswelten, Mikondar, verbeugte sich. Unwillkürlich nahmen die übrigen Haltung an und blickten am narbigen, durch intensive UV-Strahlung gezeichneten Gesicht von Tokoontlameers uralter Materieprojektion vorbei. Im Gegensatz zu anderen Gijahthrakos verzichtete er auf einen Wechsel zur Kristallgestalt! Er musterte mich von unten herauf, lächelte und sagte, mehr zu mir als zu den Lehnsträgern: »Wir werden viel miteinander zu tun haben, denn die Tekteronii lassen keine Ruhe. Sie sind die unerbittlichsten, fanatischsten und fähigsten Feinde, mit denen man es in der heutigen Zeit zu tun bekommen kann – abgesehen von den Terranern.« Aus seinen Worten sprach Anerkennung. Mein Extrasinn raunte: Auch die Leistungen eines erbitterten Feindes verdienen Respekt. Ohne diese Würdigung verlöre man rasch die eigenen Möglichkeiten aus den Augen. Zweisonnenträger Eldho-Anan gab einen keckernden Laut von sich. »Uns stehen Mittel zur Verfügung, die die Tekteronii beeindrucken! Heute morgen wurde einer ihrer Tempel ausgehoben; ein Götze weniger, der uns gefährlich werden kann. Gratulation auch von mir!« Die Tasthaare der dünnen Schnauze zitterten, während mich die ovalen Pupillen des Elloanty fixierten. General Sutokk nickte zustimmend. Beklemmung befiel mich, nicht nur, weil Eldho-Anan den Götzen erwähnte. Seine und Sutokks von den Mooffs an mich weitergeleiteten Paraströme wirkten hart und stachelig. Horimad-Fraktion, wisperte mein Logiksektor. Bei Eldho-Anan ist das kriegerische Erbe seiner Ahnen unübersehbar, und der Ekhonide ist für seine harte Linie bekannt. Dennoch beides
fähige Militärs. Tokoontlameer wiegte den Kopf. Er schien die Meinung der beiden nicht zu teilen, sondern sagte leise: »Dort draußen zwischen den Sternen bahnt sich ein fürchterliches Gemetzel an, dessen Ende in keinster Weise abzusehen ist. Robotregent und Druuf-Krise waren nur letzte Höhepunkte eines seit Jahrtausenden fortschreitenden Niedergangs, der nun im Chaos zu enden droht. Immer neue Völker könnten in diesen Strudel gerissen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit und der Statistik, bis es uns ernsthaft an die Habitate geht!« Einige Würdenträger schüttelten die Köpfe und hatten es auffällig eilig, sich davonzuschleichen; das waren Themen, mit denen sie überhaupt nicht belangt werden wollten. Im Gegensatz dazu spitzten die rothaarigen Springer ihre Ohren; sie selbst nannten sich Mehandor – Händler. Alles, was die freie Schiffahrt einschränkte oder behinderte, interessierte sie naturgemäß brennend. Von einem grünhäutigen Überschweren, massiv und klobig wie ein Kleintresor gebaut, kam ein deftiger Fluch. Ich erkannte Onkto, den Chef der Überschweren-Kontaktstelle auf Archetz. Der Extrasinn flüsterte: Man mag von ihnen halten, was man will, aber dem knallharten Geschäftsgebaren steht eine häufig vergessene Seite gegenüber, die die Waagschale eher zum Positiven senkt. Gefühlsmäßig fiel mir die Zustimmung nicht leicht, doch der logischen Auswertung meines aktivierten Gehirnsektors war kaum zu widersprechen: Obgleich auf Handel, Gewinn und wirtschaftliche Macht fixiert, waren die Springer doch auch Kulturbringer, denn mit ihrer Ausbreitung und den weiten Vorstößen in die Galaxis erwiesen sie sich als die ersten, die die Kontakte auf neuentdeckten Planeten herstellten, mit allem und jedem kommunizierten – und natürlich auch handelten. Verbunden damit war ein stetiger Informations-, Waren- und
Technologieaustausch, der mit der Zeit sogar große Unterschiede und Gefälle nivellierte. Vor allem die MehandorSippen sorgten für stete Ausbreitung des Interkosmo, der aus dem Altarkonidischen entstandenen interstellaren lingua franca; ursprünglich Satron genannt, der Kurzform von Same Arkon trona – »Hört Arkon sprechen!« Auf bis zu 300.000 Großraumschiffe wurde die Springerflotte geschätzt. Die Zahl der winzigen Raumer kleiner und unbedeutender Sippen kannte vermutlich niemand. Seit rund 8000 Jahren besaßen sie das von Reomir I. verliehene Handelsmonopol im Großen Imperium. Ein Dauerlehen, für dessen Einhaltung und Durchsetzung die Galaktischen Händler sogar vor äußerst rabiaten Mitteln nicht zurückschreckten. Im Extrem riefen sie ihre Söldner, die an 2,lfache Schwerkraft angepaßten Überschweren. »Wenn die Tekteronii gegen Zhygor vorgehen, wird es kritisch.« Tokoon hob die Stimme. »Und daß sie etwas gegen diese und die anderen Freihandelswelten unternehmen werden, ist wohl unausbleiblich! Ich bin sicher, daß sie bereits aktiv sind. Xanthyn Ol’dan und die anderen Cyen planen etwas, ich fühle es mit jedem Kristallpartikel!« Zwölf Cyen waren uns namentlich bekannt: neben Xanthyn Ol’dan Ak’iakaton, Cartee A’Iktar, Torka Mirtak, Toumtook, Xatil Ok’mitrax, Iffom Xam’torie, Xia Xinta, Comna Comanta, Reg Talakon, Xarmosta On’til und Myrka Ol’toon. Aufgrund der abgetrennten Götzenfragmente »vermehrte« sich ihre Zahl allerdings beachtlich – ein vernetzter Lebensverbund von fast kollektivem Charakter. Absolut fremdartig! Ich dachte an die Besprechung im kleinen Kreis und fragte beunruhigt: »Schiffsbewegungen? Gibt es neue Erkenntnisse, Mascant?« »Eben nicht, Euer Erhabenheit. Unsere Kundschafter berichten, der Weltraum nahe dem Tekteron-Bund sei
leergefegt.« Tokoon machte eine vage Geste, Eldho-Anan verschränkte die Arme vor der Brust; die Patriarchen signalisierten Zustimmung. »Gerade das macht mich mißtrauisch, mein Imperator. Es paßt nicht zu den Tekteronii, auf Beobachter oder Missionare zu verzichten. Zumindest sie müßten wir ausfindig machen können. Mich würde nicht wundern, wenn sie sogar im Kristallpalast ihre Sympathisanten hätten.« Patriarch Cokaze trat vor und räusperte sich. »Wir haben unangenehme Erfahrungen mit dem Bund und besonders Xanthyn Ol’dans Aktivitäten gemacht; Zurückhaltung ist nicht die hervorstechendste Eigenschaft der Tekteronii, der Cyen und ihrer verfluchten Lehre. Eure Feinde sind auch unsere, Imperator!« Die Wahrscheinlichkeit, daß auf sie der Mordanschlag zurückging, wächst, bemerkte der Logiksektor. Einzeltäter sind zwar nicht ganz auszuschließen, aber die Springer kannst du vermutlich von der Liste der Verdächtigen streichen! Die Jahrzehnte der Regentschaft der Riesenpositronik von Arkon III hatten zwar Wirtschaft und Handel belebt, doch sture Programmstrukturen die Bereitschaft zu Aufstand und Rebellion nur forciert. Die Robotschiffe des »Großen Koordinators« waren gefürchtet gewesen, man übte Zurückhaltung. Doch nun sahen viele Gruppierungen den Moment gekommen, ihre separatistischen Planungen umzusetzen, während andere gar daran dachten, mit meiner »Ausschaltung« selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Die Springer haben dazugehört! Cokaze führte vor drei Jahren die zwölfköpfige Patriarchenversammlung des »Revolutionsrates« an und paktierte mit Rhodans Sohn, Thomas Cardif: Die Umsturzbewegung hatte den Plan, die Macht der Arkoniden zu beseitigen und anstelle des Imperiums das Reich der Springer zu etablieren. Man kann es
ihnen, genau betrachtet, nicht mal verdenken… »Mit ihrem unverschämten Vordringen und missionarischen Gehabe schaffen sie unter Umständen einen Präzedenzfall«, knurrte der alte Mann und strich sich über den gepflegten Bart, »der unser Monopol unterläuft und alle Verhandlungen über den Haufen wirft! Das kann nicht in unserem und Eurem Sinn sein, Euer Erhabenheit!« Cokaze – erfahren, skrupellos, verschlagen, mit einem Wort: geschäftstüchtig! – hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Seit mehr als zwei Jahren tagten die problematischen Konferenzen und Sitzungen mit ihm und anderen wichtigen Patriarchen. Hauptvertreter zum Beispiel Gatru, der unumstrittene Hohe Herr der Schwerindustrie von Archetz, sowie Atual und Ortece, die Inhaber der »Bank der Galaktischen Händler in Titon auf Archetz« – kurz die Bank genannt –, des vermutlich größten privaten Finanzgiganten des Imperiums! Zum Großteil von mir persönlich geführt, hatten wir in den langwierigen Verhandlungen die Standpunkte und Interessen einander so weit angenähert, daß es in absehbarer Zeit zum Abschluß eines umfangreichen Vertragswerks kommen würde. Offen war nur noch die Frage, ob Archetz, nur 44 Lichtjahre entfernt, im Rahmen der angelaufenen Aktivitäten unter Umständen ebenfalls den Status einer Freihandelswelt erlangen sollte oder nicht. Im Gegensatz zu den einflußreichen Patriarchen, die mir meine Nähe zum verhaßten Terra übelnahmen, hatte ich mit den »Vereinigten Kleinen Händlern« keine Probleme gehabt, obwohl auch diese Verhandlungen hart zur Sache gingen und manchmal in nervenaufreibendes Feilschen um jeden Skalitos ausarteten. Immerhin waren die kleinen Sippen allein zwar ohne sonderlichen Einfluß: »Kleiner Handelsmann« galt unter den Springern als übles Schimpfwort! Als Gemeinschaft waren sie jedoch ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor. Teil der »Vereinig-
ten« war die Nocto-Nos als allgemeine HändlerSchutzgemeinschaft. »Es heißt«, Onkto rollte aus tiefster Brust seines nur 1,50 Meter großen, fast ebenso breiten, in martialisch-blauschwarze Rüstung gekleideten Körpers, »daß die Tekteronii neuerdings mit Priestern des Báalol-Kults paktieren sollen.« Ein neuer Aspekt! Laut sagte ich: »Patriarchen: Ich bin für jeden Hinweis und jede Hilfe dankbar, dessen könnt ihr gewiß sein! Wir können nur dann angemessen handeln, wenn die Informationen auf dem neuesten Stand und möglichst komplett sind. Mit einer Zersplitterung der Kräfte ist keinem gedient!« Nun also auch Báalol-Priester! dachte ich. Weiterhin ein ziemlich unbeschriebenes Blatt – wie der Tekteron-Bund, wenn man‘s genau nimmt. Wer weiß, über welche Mittel sie verfügen. Hinterlassenschaften längst untergegangener Zivilisationen? Das photographische Gedächtnis ließ die Daten des Robotregent-Auswertungsergebnisses auf die Fragestellung 122-A vom 4. November 2044 in mein Wachbewußtsein einfließen; allzuviel war seither nicht hinzugekommen: … der Báalol-Kult ist die reichste und mächtigste Organisation dieser Art in der bekannten Galaxis. Die Zahl der Anhänger wird allein im Arkonsystem auf zweihundert Millionen Arkoniden, Naats und andere hier heimische Intelligenzen geschätzt. Der Kult verherrlicht keine Gottheit. Die Ziele der Sekte sind fragwürdig. Meine Daten weisen mit hundertprozentiger Sicherheit aus, daß die verschiedenartigen Hohenpriester des Báalol-Kultes noch nie den Versuch unternommen haben, politische oder militärische Macht zu gewinnen. Dagegen steht mit ebenfalls hundertprozentiger Sicherheit fest, daß die führenden Männer des Kults auf wirtschaftlicher Ebene eine entscheidende Rolle spielen. Allem Anschein nach stehen sie mit den Galaktischen Händlern und den Aras in enger Verbindung. Die Lehren der Sekte beinhalten die gei-
stige und körperliche Gesunderhaltung des Individuums auf wissenschaftlich fundierter, jedoch okkultistisch gefärbter Basis. Die Geheimwissenschaften der Sekte sind nur Eingeweihten bekannt. Achtung, wichtig: Es kann nicht mehr festgestellt werden, woher die Báalols, wie die Hohenpriester genannt werden, stammen. Es wird angenommen, daß es sich um die Nachfahren frühzeitig ausgewanderter Arkonkolonisten handelt. Die Báalols haben niemals einen Planeten besiedelt. Sie sind jedoch auf allen bekannten Welten der Galaxis anzutreffen. Daten über den Aufbau des Kultes: Personen, die nicht aus Ehen zwischen Báalols entsprungen sind, können niemals Sektenpriester werden! Die logische Schlußfolgerung aus dieser Tatsache läßt im Einklang mit weiteren Daten die Vermutung aufkommen, daß bestimmte geistige und körperliche Merkmale verlangt werden. Es ist bekannt, daß die Priester des Kultes die besten und energiereichsten Körperschutzschirme herstellen. Meine Untersuchungen anläßlich der erwähnten Verhaftung des hiesigen Hohenpriesters Segno Kadta brachten hinsichtlich der sagenhaften Energieschirme kein positives Ergebnis. Es handelt sich um allgemein übliche Aggregate, die jedoch bei anderen Personen niemals so undurchdringliche Felder erzeugen, wie es bei einem Báalol-Träger der Fall ist. Die Annahme, daß die Báalols bestimmte Fähigkeiten infolge einer unbekannt gebliebenen Mutation besitzen, ist gegeben. Größte Vorsicht wird angeraten. Die Priester gelten als unverletzlich… Inzwischen wußten wir, daß die besondere Begabung der Báalols unter anderem darin bestand, daß sie die Parakräfte anderer total blockieren konnten – daher die terranische Umschreibung Antis, abgeleitet von Anti-Mutanten –, sowie darin, normale Schutzfelder extrem aufzuladen und zu verstärken. Die antimutantische Komponente ihrer Fähigkeiten verhinderte leider wirkungsvoll, daß Mooffs oder Gijahthrakos mit telepathischer Ausspähung weiterkamen. Sogar Peter Kosnow hatte mit Einschleusungsversuchen von
Agenten nicht viel Erfolg gehabt. Das Hinzuziehen von Altspeichern des Regenten lieferte die Erkenntnis, daß der Kult seit deutlich mehr als zehntausend Jahren existierte. Unter Imperator Arthamin I. – sein Nachfolger war mein Urgroßvater, Gonozal V. – wurde er als pseudoreligiöse Sekte verboten und verfolgt und galt dann lange »als erledigt«. Ein Irrtum, wie wir nun wissen! Wenn Báalols tatsächlich mit den Tekteronii… – Eine äußerst unangenehme Vorstellung! Die grundsätzliche Lehre zur »geistigen und körperlichen Gesunderhaltung des Individuums« ist an sich nichts Negatives, ergänzte der Logiksektor kritisch. Fest steht zumindest, daß kaum ein arkonidischer Kultangehöriger dekadent oder degeneriert ist! Sie sind gesund und willensstark – und viele. Elemente der »okkultistisch gefärbten« Lehre entsprechen, soweit bekannt, zweifellos den Dagor-Grundsätzen. Leider bedingt die Kultzugehörigkeit, daß sie sich aus dem öffentlichen Leben weitgehend zurückhalten. Viele leben völlig zurückgezogen und asketisch. Ich gab gedanklich zurück: Ein unglaubliches Potential, mehr als hundert Millionen gesunde Arkoniden! Aber ich kann ihnen nicht vertrauen! Vorläufig bleiben sie also außen vor! Wir werden sie prüfen und nochmals prüfen, denn es könnte zu einem Langzeitplan der Báalols gehören: Indem sie die Gesunden an sich binden, wird naturgemäß das Imperium geschwächt, weil diese Kräfte nicht zur Verfügung stehen. Der Extrasinn entgegnete darauf nichts; eine indirekte Bestätigung meiner Einschätzung. »Ich sage ja immer: Wir müssen ihnen hart entgegentreten.« Sutokks rechte Faust klatschte auf die linke Handfläche; er knurrte anhaltend und fügte hinzu: »Sie verstehen keine andere Sprache! Wenn’s nach mir ginge…« »Geht es aber nicht!« Tokoon sprach sanft, allerdings mit durchdringender Autorität. »Wir haben – genaugenommen –
weder die Möglichkeiten noch den Willen, einen Angriffskrieg gegen den Tekteron-Bund und andere Separatisten zu führen, die mehr oder weniger offen mit ihm sympathisieren. Es wäre unser Untergang, riefe es doch imperiumsweit sofort weitere Aufstände und massive Rebellionen hervor. Eine Kettenreaktion, meine Herren, wollen Sie bestimmt nicht auslösen?!« »Stimmt!« Cokaze lachte grimmig. »Schlecht für den Handel!« Tokoon sah mich ernst und durchdringend an. »Ganz abgesehen davon, daß Seine Erhabenheit einem solchen Erstschlag niemals zustimmen würde!« Ich nickte. Kaltes Stechen zog meine Wirbelsäule hinauf. Es war etwas im Gang, was mir überhaupt nicht gefallen wollte. Der Logiksektor versicherte: Das Attentat ist nur die bislang sichtbare Eisbergspitze! Unter der Oberfläche lauert die von ES angekündigte Gefahr aus der Vergangenheit! Kon trat zu uns. »Um die Tekteronii kümmern wir uns später. Zuerst feiern wir die Investitur. Die übrigen hohen Herrschaften beschäftigen sich schon mit sich selbst: Wenn sie über die festlichen Tafeln herfallen, den neuesten Hoftratsch und ausgesuchte Spitzen austauschen, richten sie wenigstens keinen Schaden an.« Die Springer lachten schallend. Ich nickte, froh über die Ablenkung, aber das Unbehagen verschwand nicht. Wie als Bestätigung erklang Truk Drautherbs klingelnder Zeremonienstab; seine laute Ankündigung ließ uns Richtung Eingang der Prunkhalle sehen: »Ihre Heiligkeit, Arkanta Crysara da Kentigmilan: Die Ehrwürdige Große Mutter und Hohepriesterin der Totenwelt Hocatarr, Initiierte der DagorMysterien, Zhy-Erweckte und Erste Seherin des Imperiums, erweist Seiner Erhabenheit und uns die besondere Gunst ihrer Aufwartung!«
4. Aus: Statistisches Jahrbuch, Ausgabe 19.015 da Ark; öffentlich zugängliche Vorlage des Tai Than, erstellt auf Anweisung Seiner Erhabenheit, Imperator Gonozal VIII. Tai Ark’Tussan, das Große Arkon-Imperium: Keimzelle und Kern ist der Kugelsternhaufen Thantur-Lok (knapp 100 Lichtjahre Durchmesser), dessen 100.000 dicht gedrängt stehende Sterne hauptsächlich solcher der älteren Population II sind. Als Teil des Halos, mehr als 20.000 Lichtjahre oberhalb der Milchstraßenebene plaziert, waren rund 10.000 Sonnensysteme mit etwa 1000 für Arkoniden geeigneten Sauerstoffwelten Ausgangspunkt für die spitzkegelförmig Richtung des sog. »Nebelsektors« weisende Expansion des Großen Imperiums, so daß an der Basis schließlich ein Durchmesser von annähernd 30.000 bis 35.000 Lichtjahren erreicht wurde: Zu mehr als 50.000 Kolonial- und ins Reich integrierten Fremdvölkerwelten kommen 100.000 Planeten und Monde hinzu, die ausschließlich industriellen Zwecken dienen, weitere 25.000 sind rein agrarischer Nutzung vorbehalten. Die als Bergwerke ausgebeuteten Asteroiden, Planetoiden und Kometen gehen in die Millionen. Die auf Arkon II registrierten, meist kleineren Handelsschiffe erreichen für den Bereich des Kugelsternhaufens alleine schon die Zweimillionengrenze, der Kern der Springerflotte beläuft sich auf bis zu 300.000 Großraumer, und noch umfangreicher mag die Anzahl der Privatraumer und Jachten sein, während die militärische Flotte mit 100.000 großen und größten Schiffen – darunter mehr als 2000 Superschiachtschiffe der 1500-Meter-Klasse – zu Buche schlägt und darüber hinaus weitere 50.000 Frachter, Tender und fliegende Docks umfaßt.
Die Gesamtzahl der im Einflußbereich des Großen Imperiums lebenden Wesen – einschließlich der Fremdvölker – schätzt das von den Kolonialbehörden befragte Robotgehirn von Arkon III auf mindestens 50 Billionen; einen exakten Zensus hat es nie gegeben, weil jede Volkszählung selbst mit positronischer Unterstützung Jahrzehnte benötigt hätte und bei ihrer Auswertung wieder überholt gewesen wäre… Arkon I, Kristallpalast, Prunksaal des Imperators: 30. Prago des Dryhan 19.017 von Arkon (= 25. Mai 2047 TerraStandard) Sieben Priesterinnen in dunkelgrauen, bodenlangen, in den Taillen von handbreiten Gürteln gerafften Kutten gingen der Arkanta voraus. Implantierte hyperaktive Kristalle markierten auf der Stirnmitte ein »Drittes Auge«. Schwarze Lidstriche, über die äußeren Augenwinkeln hinaus bis zu den Schläfen verlängert, hatte ich in dieser Ausdruckskraft vermutlich das letztemal bei den Ägyptern gesehen. Ihre Heiligkeit blieb, nach kurzem Stocken zwischen den Säulen der Vorhalle, am Prunkhalleneingang stehen. Eine respektvolle, fast ehrfürchtige Gasse entstand augenblicklich: Unter langwallenden, feuerroten Seidenschleiern trug Crysara da Kentigmilan einen weißen Chiton; die Ausstrahlung der kegelförmigen Kristallkrone hüllte den vermummten Körper in eine silbern schimmernde Aura. Sir. Vorsicht! Starke Parakräfte! Laury Martens aufgeregter telepathischer Zuruf erreichte mich über die MooffVerstärkung Meec’pals. Kitai schob sich an meine Seite, die Hand auf dem Katana-Griff. Im Gegensatz zu ihm blieben Kon und die anderen Gijahthrakos ganz gelassen; sie kannten die Hohepriesterin. Die Mooffs zittern vor Nervosität! Aufregung im
ganzen Saal! Ich antwortete der drängenden Mutantin beschwichtigend und ebenfalls auf rein gedanklichem Niveau, indem ich den Monoschirm spaltweit öffnete: Keine Panik, Laury, sag’s auch Peter! Es ist alles in Ordnung! Seit wann bringt euch das »Übersinnliche« aus der Fassung? Warum diese Aufregung bei einer arkonidischen Hohenpriesterin? Denkt an Mooffs und Gijahthrakos! Hocatarr mit der imperialen Heldengedenkstätte der KARSEHRA war 54 Lichtjahre von Arkon entfernt und wurde von einer ausschließlich aus Frauen bestehenden Priesterschaft beherrscht. Die Meisterinnen der Einbalsamierung kümmerten sich um die hochedlen Toten und standen in einer Tradition, die bis in die Anfänge des Imperiums zurückreichte: die des archaischen Kults rings um die Große Muttergöttin! Ihre DagorMacht war schon seinerzeit so groß, daß – eine plötzliche, sehr intensive Erinnerung! – nicht einmal Orbanaschol III. wagte, gegen sie vorzugehen. Also, Leute, beruhigt euch: Wiederholt wurden die mit dem Projekt der Großen Feuermutter zusammenhängenden Dinge angesprochen! Außerdem gleicht vieles, was mit Dagor in Verbindung steht, durchaus Phänomenen, die auf der Erde ebenfalls bekannt sind: Sufismus, Schamanismus, Zen und Satori und so weiter… Mit nicht geringem Erstaunen hatten meine terranischen Freunde und Mitarbeiter zur Kenntnis nehmen müssen, daß im Großen Imperium Parafähigkeiten viel verbreiteter waren, als sie bislang angenommen hatten, obgleich meist auf deutlich niedrigerem Niveau angesiedelt als bei den hochspezialisierten Mitgliedern in Rhodans Mutantenkorps. Deren eng fokussierte, auf sehr starke Einzelfähigkeiten konzentrierte »Mutanbtenkräfte« wurden im allgemeinen als Folge genetischer Mutationen aufgrund radioaktiver Einflüsse, vor allem nach den ersten Atombomben, interpretiert. Im Gegensatz dazu beruhte das »Paranormale« im Imperium
mehr auf Aspekten, die durch Schulung und Meditation letztlich jedem zugänglich waren: das latente Potential eines jeden Bewußtseins, das, einmal geweckt, aktiviert und trainiert, normalerweise zwar reichweiten- und vor allem wirkungsbegrenzt war, im Gegenzug aber ein deutlich breiteres Spektrum umfaßte und erst bei Blockbildung vieler Individuen großräumigere Wirkungen erzielen konnte. Ihr müßt euch stets vor Augen halten, dachte ich intensiv, daß die bisherigen terranischen Vorstöße ins Imperium kaum mehr als Nadelstiche waren; streiflichtartig wurden wenige Einzelwelten und -völker beleuchtet, die große Masse dagegen ist euch fern, fremd und anonym. Schon Crest hatte allerdings als Ausbilder der Mutanten auf ganze Völker von Telepathen, Telekineten und anderer Parabegabungen hingewiesen, und die Gehirnaktivierung im Rahmen der ARK SUMMIA war nicht selten von der Entwicklung weiterer Eigenschaften und Fähigkeiten begleitet. Die Kenntnis hinsichtlich der meditativ gestärkten Struktur eines Monoblocks zur gedanklichen Abschirmung macht nur dann Sinn, wenn es im Gegenzug etwas gibt, das telepathische Ausspähung befürchten läßt und Mentalstabilisierung erfordert! Für lange Zeit hatten beispielsweise die sogenannten Individualverformer als Erzfeinde des Imperiums gegolten – kurz IV, in Ergänzung zu ihrer vokallosen Sprache von uns auch VeCoRaT XaKuZeFToNaCiZ genannt. Insektoide Geschöpfe, die die beängstigende Fähigkeit besaßen, rein geistig den eigenen Individualkörper zu verlassen und auf einen anderen überzuspringen – wobei es zum Austausch mit dem Bewußtsein des Opfers kam, das im Vecorat-Körper zur Handlungsunfähigkeit verurteilt war. Es hatte ein besonderes System von Warnstationen gegeben, um auftauchende typische IV-Ovalschiffe sofort und ohne weitere Warnung vernichten zu können.
Die arkonidische Erforschung des Paranormalen und Transpersonalen kann Ergebnisse vorweisen, die über die bekannten Psychostrahler, Simultanprojektoren und Anlagen zur Extrasinnaktivierung hinausreichen! Paraphysiker Belzikaan hat sie offiziell als »Zwiespältige Wissenschaft« bezeichnet, um den Unterschied und die Trennung von den übrigen konventionellen und hyperphysikalischen Fakultäten zu markieren. Nur haben diese Erkenntnisse stets zur höchsten militärischen Sicherheits- und Geheimhaltungsstufe gehört oder waren auf bestimmte Kreise beschränkt! Weitere Gedanken durchzuckten mich in schneller Folge und erreichten Mooffs wie Mutanten: Was wissen sie schon von den Mysterien der Dagoristas? Den Riten der RaumnomadenFeuerfrauen? Was von den geheimen Kulten, Bruder- und Schwesternschaften, Logen und einsamen Dagor-Abteien? Daß die Bezeichnung »Kristallwelt« auf mehrfache Weise tieferen Sinn besitzt und ebenfalls mit den Feuerfrauen zusammenhängt – besser gesagt mit dem, was sie können und tun? Wenn Rhodan und seine Mitstreiter gewußt hätten, welche Macht sich wirklich im Großen Imperium zur Blütezeit konzentrierte – ihre Vorstöße wären noch vorsichtiger ausgefallen! Meine innere Stimme knurrte: Die Arkanta wartet! Laß es nicht zur peinlichen Situation kommen! »Einleitung außerordentliche Privataudienz: zwanzig Schritte!« Mein Zischen und den Wink verstand Truk Drautherb augenblicklich. Zweifellos der Experte in Protokollfragen, akzeptierte er meine Entscheidung, die als einzige der Situation angemessen war, dem altehrwürdigen Regelwerk entsprach und verhinderte, daß jemand das Gesicht verlor. Zwei Aspekte standen im Widerstreit und mußten schnellstens miteinander vereinbart werden: unverhofftes und überdies verspätetes Erscheinen des wichtigsten Ehrengastes nach dem Zarlt einerseits, eigentlich schon beendete
Zeremonie andererseits. Also gab sich Seine Erhabenheit die Ehre, dem besonderen Gast ein Stück entgegenzugehen. »Kristallmeister, Bauchaufschneider! Los!« Truk hob den Zermonienstab und ging voraus, Kon folgte, ebenso der japanische Mutant. Kitai murmelte kaum hörbar im Vorbeigehen: »Standpauke angekommen, Sir! Es ist nur… – diese Frau besitzt ein beträchtliches Potential! So was habe ich bislang nur beim Overhead erlebt!« »Eine arkonidische Dagor-Hochmeisterin, Kitai-San«, flüsterte ich zurück. »Sie steht auf unserer Seite!« Priesterinnen und Ihre Heiligkeit kamen gemessenen Schrittes näher. Im Prunksaal war es still, alle schienen den Atem anzuhalten – nur unsere Schritte waren noch zu hören, knirschende Sohlen, vereinzeltes Rascheln von Kleidung. Die sieben Frauen wichen zur Seite aus und formten hinter der Hohenpriesterin von Hocatarr einen Halbkreis. Kon bog nach rechts, Kitai nach links – sie ließen mir den Vortritt bei den letzten fünf Schritten, während der Zeremonienmeister den Stab dreimal aufstampfte. Die Arkanta blieb zwei Meter vor mir stehen, neigte nur ein wenig den Kopf und sagte: »Euer Erhabenheit!« »Arkanta! Es ist mir eine Ehre!« »Ich danke, mein Imperator!« Die Stimme klang kraftvoll und selbstbewußt. »Ich grüße Euch im Namen aller Schwestern der Totenwelt-Gemeinschaft und bringe den Segen der wahren und einzigen Großen Mutter, aus der alles Sein entsprang und zu der alles Sein zurückkehrt, im Kreislauf von Zhy. Mit Euch sei die Kraft der absoluten Weisheit, Gebieter…« Zischendes Einatmen bei den adligen Zuhörern: eine besondere Nuance im Geflecht der Anredeformen zur Unterstreichung der Situation; Gebieter war ein Begriff, den üblicherweise nur Roboter ihren arkonidischen Erbauern gegenüber verwendeten. Die Schleier bewegten sich sachte,
die Stimme bekam einen amüsierten Unterton: »Ihr gestattet mir eine außerordentliche Audienz, Euer Erhabenheit?« Meine Verbeugung war ebenfalls nur angedeutet, verdeutlichte dennoch den Respekt. »Auch ich danke, Ehrwürdige, für Besuch, Gruß und Segen! Arkons Götter mit Euch, Arkanta. Die Audienz sei gewährt! Ich darf Euch den Arm reichen…?« Sie nickte und lachte leise. Als sie sich unterhakte, glich die Berührung fast dem knisternden Funken einer elektrostatischen Entladung. Die übergeordneten Ausstrahlungen der Frau waren stark genug, meinen Monoblock zum Schwingen zu bringen. Ein sanftes, dennoch durchdringendes Pochen ähnlich ruhigem Herzschlag hüllte mich ein und verschmolz mit dem Pulsieren des Zellaktivators – was mich an seine Reaktion im Rahmen des Anschlags erinnerte. Was ist es gewesen, das diese Wechselwirkung zwischen ihm und den Attentätern hervorrief? Welcherart Beeinflussung sind sie erlegen? Unbeantwortete Fragen, die mein allgemeines Unbehagen noch steigern. Der Silberschein von Crysara da Kentigmilans Kristallkrone spiegelte sich nicht auf dem polierten Boden, mußte demnach weniger konventioneller Natur als vielmehr paranormaler Art sein; eher vom Bewußtsein wahrgenommen als von den Augen. Der Logiksektor flüsterte: Im Dagor wird vom »Leuchten der Individualauren« gesprochen! Zhy, das transzendentale Licht oder übersinnliche Feuer; die Kraft der absoluten Weisheit; Paranormales, Transpersonales und Transzendentales – austauschbare Begriffe und Umschreibungen für das gleiche Phänomen! Die Wahre Kraft des Bewußten Seins, die jenseits materieller Grenzen und körperlicher Einschränkung besteht und über die Schranken von Raum und Zeit hinausreicht! Der Zeremonienmeister setzte sich unaufgefordert an die
Spitze unserer Gruppe und steuerte mit würdevollen Schritten, bei denen sein Zopf rhythmisch wippte, die Lounge des Tai Than an. In diesem Moment kamen mir nicht mal seine aufgebauschte Hose, die Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe mehr lächerlich vor. Begleitpriesterinnen, Kon und Kitai bildeten den Abschluß der Prozession, blieben allerdings im Arkadenbereich zurück. »Es kommt nicht häufig vor«, die Frau raunte kaum hörbar, als wir uns der Tür zum kleinen Saal mit den prächtigen Möbeln näherten, »daß die Arkanta Hocatarr verläßt, Euer Erhabenheit. Der heutige Tag und die allgemeine Krisensituation im Großen Imperium schienen mir jedoch Anlaß genug zu sein, eine Ausnahme zu machen. Ihr habt das Attentat unbeschadet überstanden?!« Es spricht die »Seherin«: Feststellung, keine Frage! »Die Begriffe Krise und Chance«, antwortete ich ebenso leise, »besitzen im chinesischen Kulturkreis des Planeten Terra ein identisches Schriftzeichen. Der Zeitpunkt ist gekommen, daß ich schwerwiegende, weitreichende und für manchen unangenehme Entscheidungen treffen muß!« Unangenehm womöglich vor allem für mich selbst… »Weisheit findet sich überall im Kosmos… Ich darf Euch Atlan nennen, Hoher Gebieter?« »Gern, Crysara.« Obwohl ich es nicht sah, wußte ich, daß sie nun lächelte. Lautlos glitt die Tür zu, wir waren allein. Neben Sesseln und bequemen Liegestätten leuchteten noch die Simultangeräte, mit denen sich die Mitglieder des Großen Rates vor ihrem Einzug in die Prunkhalle beschäftigt hatten, ohne ans Ausschalten zu denken. Servoroboter standen bereit. Ich wies zu einem Tisch und winkte einem Servo. »Setzt Euch! Was darf ich Euch anbieten? Getränke, einen Imbiß?« »Nichts! Kommen wir lieber gleich zum Punkt!« Sie nahm Platz und lüftete, ohne die Krone abzusetzen, ihre Schleier.
Zum Vorschein kam das faltige Gesicht einer mindestens Hundertfünfzigjährigen. Sie besaß ein »Drittes Auge«Implantat, und auf den runzligen Wangen entdeckte ich bläuliche Tätowierungen, die rechts zweifellos Thantur-Lok darstellten und links das Symbol des Großen Imperiums. Tiefrote Augen sahen mich ernst an. »Ich bin vor allem gekommen, Atlan, um Euch eindringlich auf die Wichtigkeit hinzuweisen, die dem Projekt Große Feuermutter und seiner baldigen Umsetzung zukommt. Euer Zögern ist verständlich. Doch zögert nicht zu lange, sonst könnte es zu spät sein. Ihr wißt, daß viele Voraussetzungen erfüllt sein müssen und die Vorbereitungen dazu Zeit erfordern. Schon in Kürze kommt es zum Tanz der Monde!« »Gerade diese Voraussetzungen und Vorbereitungen…« Sie unterbrach: »Ich weiß! Das Verbleiben auf Hocatarr bedeutet nicht, keine Verbindungen zu haben oder ausschließlich auf Informationen Dritter angewiesen zu sein. Mir scheint, Ihr unterschätzt die Möglichkeiten des Dagor – trotz Eurer Kenntnis darüber – und deshalb auch Eure eigenen!« »Mag sein.« Hocatarr… Aus meiner Jugend besaß ich ziemlich vage Erinnerungen an die Totenwelt. Es hing irgendwie mit einem Vorschlag Fartuloons zusammen, der den Leichnam meines ermordeten Vaters betraf. Ohne es zu wollen oder mich an Einzelheiten besinnen zu können, assoziierte ich die damaligen Ereignisse plötzlich mit einem einzigen Begriff: Blasphemie! Verdammt, was ist damals geschehen? Weshalb erinnere ich mich nicht genau? fragte ich mich erschüttert. Der Extrasinn antwortete: Es gibt eine Blockade! Denk an Fartuloon! Der OMIRGOSKristall!
Ich stöhnte unter dem unverhofften photographischen Gedächtnisses.
Schub
des
… verzerrte sich Orbanaschols Gesicht vor Wut und Enttäuschung, weil er merkte, daß der Projektor gar keine Waffe war. Er drehte sich um und flüchtete mit seltsam watschelnden Bewegungen auf eine Tür zu. Dabei streckte er die Arme in die Höhe; in der rechten Hand trug er einen kleinen Schaltkasten. Die mit Ringen geschmückten Finger drückten wahllos alle Knöpfe. Als er die Tür erreichte, zuckte ein sonnenheller Blitz aus der Decke herab und durchbohrte ihn. Ich schloß geblendet die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war von Orbanaschol nur noch Asche übrig, und die Hitze trieb uns zurück. »Er ist in seine eigene Falle gelaufen!« schrie Lebo Axton und wandte sich ab, um zum Antigravschacht zurückzukehren. In diesem Moment schwebte eine korpulente Gestalt herab, von einem Antigravgürtel getragen, und schwang sich durch die Öffnung. Der kahle Schädel und der dunkle Vollbart waren unverkennbar! »Fartuloon«, rief ich erleichtert. »Sie haben dich also auch freigelassen.« Er kam lächelnd auf mich zu, streckte die Arme aus und zog mich an sich. »Wir haben noch einmal Glück gehabt«, sagte er und räusperte sich kräftig. Seine Augen wurden feucht. »Wo ist Orbanaschol?« Ich löste mich von meinem Lehrmeister und Ziehvater und zeigte auf die Asche. »Er ist tot!« Tarts berichtete, was geschehen war. Ich sah ihn fragend an. »Und was jetzt?« Seine tiefroten Augen leuchteten. »Ich schlage vor, Erhabener, daß Sie der Raumflotte Arkons beitreten! Sie braucht einen Mann wie Sie: Der Kristallprinz wird der Flotte
allein schon durch die Tatsache, daß er in ihr dient, neue Impulse und neue Kräfte geben für ihren Kampf gegen die Methans.« Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, daß Lebo Axton lächelte. Sein verwachsener Körper mit dem überdimensionierten Schädel und der Trommelbrust streckte sich. Wasserblaue Augen schienen vorzuquellen, das strohgelbe Haar war gelichtet. Und die abstehenden Ohren waren selbst für den überentwickelten Schädel zu groß. »Das ist eine gute Idee!« stimmte Fartuloon zu. »Ich werde darüber nachdenken«, versprach ich. »Was wirst du tun?« Mein alter Lehrmeister senkte für einen Moment den Kopf. Als er ihn wieder hob, war sein Gesicht seltsam verändert. Ich glaubte Wehmut und einen gewissen Abschiedsschmerz zu entdecken. »Ich werde an Bord der ISCHTAR gehen, um mit unseren gemeinsamen Freunden zusammen einen langen Flug zu unternehmen.« »Wohin?« »Ja, wohin? Wer weiß das schon?« Fartuloon zuckte mit den Achseln. Er schien nicht bereit zu sein, meine Frage zu beantworten. Aus der Tasche zog er einen exotisch glitzernden Kristall, drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern und hob ihn dann an meine Stirn. Wieder wurden seine Augen feucht, seine Stimme dröhnte unwirklich: »Dies ist ein kleiner OMIRGOS. Er wird dich veranlassen, Dinge zu vergessen oder in einem anderen Licht zu sehen. Auf jeden Fall wird dir das helfen. Wahrscheinlich werden wir uns in ferner Zukunft wiedersehen, doch dann werde ich einen anderen Namen haben.« Die Kristalle der 1024 Felder! Wie damals auf Gortavor, nach der Flucht aus dem Tarkihl! Ich war bestürzt, starrte ihn an. »Was soll das bedeuten, Fartuloon? Wieso werden wir uns erst in
ferner Zukunft sehen? Wieso wirst du dann einen anderen Namen haben? Willst du mir nicht sagen, wer du wirklich bist?« Er seufzte. »Das will ich.« Rätselhaft fügte er hinzu: »Ich bin der letzte Calurier.« Dann wandte er sich hastig ab und eilte zum Antigravschacht. »Warte, Fartuloon!« rief ich. »Das ist doch keine Antwort. Bitte, sage mir doch…« Er reagierte nicht, schaltete den Antigravgürtel ein und verschwand. Ich drehte mich betroffen um und starrte Tarts hilfesuchend an. Ich sah gerade noch, wie Lebo Axton seine Hände hob und mir mit verzweifelten Gesten etwas mitzuteilen versuchte. Die Lippen des Verwachsenen bewegten sich heftig, während er durchsichtig wurde und plötzlich verschwand. Zurück blieb sein skurriler Robotbegleiter… Für einen Wimpernschlag glaubte ich den zum widernatürlichen Leben erweckten, aber absolut seelenlosen Mumienleib meines Vaters zu sehen, aus der KARSEHRA entführt und mit dem letzten Lebenskügelchen behandelt. Schemenhaft erschienen andere Ereignisse: Die Odyssee durch den Mikrokosmos. Vruumys Planet. Ein geheimnisvoller Dschungel. Die Samenkapseln! Wunden schlossen sich in kurzer Zeit! Prinzessin Crysalgira – sie lebte plötzlich wieder, als die kleinen roten Körnchen in ihre Blutbahn gelangten. Und Vater… Die Einzelheiten blieben hinter einem dichten Schleier verborgen, dennoch glaubte ich zu verstehen und dachte entsetzt: Arkons Götter! Was haben wir nur getan? »Die Toten dürfen nicht in ihrer Ruhe gestört werden.« Die Stimme der Hohenpriesterin glich splitterndem Kunststoff und riß mich abrupt aus den Erinnerungen. »Es gibt keine
schlimmere Verfehlung nach dem Gesetz der Großen Muttergöttin! Ihr, mein Imperator, habt vor langer Zeit dieses Gesetz gebrochen – und dafür gebüßt, unter anderem mit langer Verbannung auf primitiver Welt, und Ihr tragt die Bürde potentieller Unsterblichkeit! Nun aber leben wir hier und jetzt – und es ist Eure Aufgabe, alles für den Erhalt und Fortbestand des Großen Imperiums zu tun. Alles!« Die Härchen im Nacken und auf den Unterarmen richteten sich auf; Zittern begleitete die Gänsehaut. Es war eindeutig, auf was Crysara anspielte! »Ihr kennt die Altdaten, mein Imperator!« Sie sprach jetzt mit fast suggestiver Stimme. »Tai Zhy Fam, die Große Feuermutter: Eine modifizierte Form des Dagor-Mystizismus diente vor Jahrtausenden als Auswahlmechanismus jener Feuerfrauen, die, zu Geheimorten gebracht und in die StasisKonservierung suspendierter Animation versetzt, ihr Wahres Sein auf eine stabilisierte Körperprojektion übertrugen. Der Multibewußtseinsblock dieser Zhy-Famii war deutlich mehr als die reine Summe seiner Teile.« Parallel zu den Worten der Arkanta rief ich mir die Daten ins Bewußtsein, konnte nicht länger ausweichen: Die arkonidische Gesellschaft war – trotz Gleichberechtigung von Frau und Mann – nach außen dennoch eher patriarchalisch strukturiert: Es gab nur männliche Imperatoren, die Springer wurden von Patriarchen geführt, die meisten Flottenkornmandeure waren Männer, gleiches galt für die Mitglieder von Großem und Hohem Rat. Dem gegenüber stand die Tradition der »Großen Mutter«, einer mehr im verborgenen agierenden, weiblichen Seite der Gesellschaft, deren Ursprünge aus den »Archaischen Perioden« stammen, als versucht wurde, der vom ersten Imperator Gwalon I. eingeführten feudalen Struktur mit dem ausschließlich männlichen Herrscher ein entsprechendes weibliches Gewicht
gegenüberzustellen – dem Gebot der Ausgewogenheit folgend. »Der Großen Feuermutter sollte es zukommen – so die ursprüngliche Intention –, den männlichen Imperator um jene Seite zu ergänzen, die dem Urweiblichen entstammt. Er, als oberstes Exekutivorgan des Großen Imperiums, sollte mit Ihr unabhängig von Entfernung und Ort in paranormaler Direktverbindung stehen, um mit Ihrer Hilfe und über Sie zu den Bewohnern des Großen Imperiums eine unmittelbare transpersonale Beziehung aufzubauen und so tatsächlich zum Millionenäugigen, Allessehenden zu werden. Sie legitimierte folglich Adelstitel und Lehen, denn über Sie gelang Seiner Erhabenheit eine objektive Beurteilung, und Ihre aufs Zhy ausgerichtete Bewußtseinsstruktur ermöglichte es, von allen Imperiumsbewohnern anerkannt, akzeptiert, respektiert – um nicht zu sagen verehrt – zu werden, denn Sie war, ist und wird die Große Feuermutter sein – eben Tai Zhy Fam!« Die Nomadenkultur Iprasas, von den Gijahthrakos beeinflußt, war der Grundstock, weil es aufgrund der dortigen Bedingungen die Frauen gewesen waren, die die eigentliche »Macht« ausübten: Als Feuertöchter und Feuermütter oder allgemein Zhy-Famii, Feuerfrauen, verfügten nur sie über mehr oder weniger starke Parakräfte, doch es bedurfte des männlichen, quasi katalytisch wirkenden Elements, um diese Gaben zu aktivieren und zu beherrschen. Sie hatten sich auf Iprasa in der techniklosen Zeit wild tobender Hyperstürme, die die Raumfahrt nahezu vollständig zum Erliegen brachten, als ungemein wichtig und überlebensnotwendig erwiesen. Nach dem wiederhergestellten Kontakt zu den übrigen Arkoniden blieben die Iprasa-Arkoniden dennoch Nomaden und durchzogen nun – Motto: Das All kennt keinen Horizont – zunächst den Kugelsternhaufen mit ihren Großraumschiffen und den aus Asteroiden erbauten Handels- und Wohn-
Habitaten. Später stießen sie weit Richtung »Nebelsektor« vor – so genannt, weil von der Position Thantur-Loks aus die Milchstraßenhauptebene als nebelhaftes Sternenmeer wirkte. Ein Beispiel der vielfältigen Verknüpfungen und Beziehungen: Von einem in die Umlaufbahn des Planeten Archetz, des fünften der Sonne Rusuma, eingeschwenkten Habitat erfolgte die Besiedlung der Hauptwelt der Galaktischen Händler. Aus den Nachkommen, die wiederum als Händler lebten und ihrerseits dem nomadenhaften Drang folgten, entstanden schließlich die Mehandor, nun jedoch wieder rein patriarchalisch organisiert. Der Extrasinn ergänzte: Und die charakteristische Walzenbauweise der Springer im Gegensatz zur arkonidischen Kugelform der Raumschiffe beruht auf Weiterverwendung und Recycling eroberter maahkscher Raumer, weil die Werften in den Methankriegen ausschließlich der Rüstungsproduktion dienten und für den Bau von Handelsschiffen weder Geld noch Ressourcen zur Verfügung standen! Von den Springern stammten wiederum die Aras ab, äußerlich kaum noch mit den Galaktischen Händlern in Verbindung zu bringen; eine umweltbedingte Mutation: extrem hager, feingliedrig, die Haut fast farblos, die Schädel lang und zugespitzt. Der »Handel« der Aras hatte sich auf das Gebiet von Biologie und Medizin konzentriert; statt von »Patienten« sprachen sie durchweg von »Klienten« – Heilung war für sie Geschäft! Der ethnologische Katalog des Robotregenten formulierte es eindeutig: … leptosomer Körperbautypus; der asthenische Habitus hat Psychasthenie zur Folge, also eine Neigung zu Schizophrenie, krankhafter Empfindsamkeit und Selbstunterschätzung. Auswirkungen nur teilweise positiv, da Komplexkompensation (Antriebskraft für herausragende Leistungen vor allem in Biomedizin); dem gegenüber steht das Negative: künstliche Hervorrufung planetarer Seuchen, um aus Abhängigkeit Gewinn zu
schöpfen; Forschungsprojekte und skrupellose Methoden außerhalb aller Ethik (Ref.: Tolimon, Vivisektionen, Androidenproduktion u. ä.), hauptsächlich zur Befriedigung krankhaften Ehrgeizes im Bemühen, die letzten Rätsel des Lebens zu lösen, um dann noch bessere, quasi »ultimate« Geschäfte machen zu können… Aralon, die Hauptwelt der Aras, war hierbei nicht – wie fälschlich oft angenommen wurde – der »Ursprungsplanet«, sondern nur ein seit etwa 3500 vor der Zeitenwende existierendes Haupt-Klinikzentrum. Medospezialisten, die quasi als Ara-»Urahnen« angesehen werden konnten, waren neben dem Paraphysiker Belzikaan beteiligt gewesen, als unter Barkam I. erstmals eine »Große Feuermutter« als Bewußtseinsverbund vieler Zhy-Famii einschließlich ihres aus geistiger Kraft »materialisierten« Scheinkörpers entstand. Die Arkanta hob die Stimme: »Der Kuß der Großen Feuermutter als die endgültige Verbindungsherstellung zwischen Ihr und Seiner Erhabenheit in Anlehnung an den zeremoniellen Adelskuß kommt einer mystischen Initiationsweihe gleich. Voraussetzung hierzu sind allerdings Eigenschaften und Gaben, die der jeweilige Imperator zuerst erwerben und vorweisen muß. Leider versanken die Rituale in Vergessenheit, nahezu alle Imperatoren erwiesen sich von vornherein der Hohen Ehre als nicht würdig…« »Imperator Barkam, genannt der Große, konnte als erster von bislang nur sieben Imperatoren das paranormaltranspersonale Potential kanalisieren und nutzen«, murmelte ich, »weil er sich zuvor den notwendigen Prüfungen und Initiationsriten unterworfen hatte: Er war ausreichend psychisch wie physisch gefestigt und erfüllte sämtliche Bedingungen.« Denn das ist der Pferdefuß der Angelegenheit! dachte ich. Verdammt, verdammt, verdammt! Die Große Feuermutter für sich allein ist weder stabil noch handlungsfähig; erst in der Kombination
von weiblicher und männlicher Komponente kommt es zum gewünschten Phänomen. Ohne aktivierten Extrasinn hat man keine Chance, aber das ist nur die erste Voraussetzung in einer ganzen Reihe, die zu erfüllen sind! Noch mal verdammt: Die Prüfungen können tödlich sein oder in Wahnsinn enden. Und ich will weder ein überhöhtes Paramonster werden noch in die Seelen von Abermillionen Wesen blicken können. Das Vorhaben, eine Große Feuermutter zu stabilisieren, ist… Es verdirbt den Charakter eines Mannes, wenn er seinen Pflichten zu oft entzogen wird. Schlimmer noch, wenn er sich entziehen will. Der Extrasinn zitierte Eigurd Terbakh; Sprüche, Erster Band, Kapitel 2004. Überwinde deine Bedenken, Imperator! Geh endlich nach Iprasa! Empfange später den »Kuß«! Zurückhaltung und Bescheidenheit in allen Ehren, aber es geht um Arkon und das Große Imperium – und vielleicht noch mehr! Da mußt du über dich hinauswachsen! Der Logik meines vor langem aktivierten Gehirnteils war nicht zu widersprechen. Auf Larsaf III hatte ich mich für zehn Jahrtausende, zwar aus der Situation geboren, letztlich dennoch freiwillig, stets der Verantwortung gestellt. Wo lag wirklich der Unterschied zum Jetzt? Die Größenordnung hatte sich um etliche Zehnerpotenzen verschoben. Das Große Imperium taumelte auf einem messerscharfen Grat: Untergang, Zersplitterung, Separatismus, Bürgerkrieg drohten von der einen Seite; Dekadenz, Degeneration, ein von rein sachbezogener Logik und überholten Altprogrammierungen geprägtes Regime des Robotregenten von der anderen. Dazwischen ich, Atlan, der Imperator von Arkon, bemüht, tausend aufflackernde Brände rechtzeitig zu löschen, vertrauenswürdige Helfer zu rinden, die heraufziehende Katastrophe aufzuhalten. Und hierbei durfte keine erfolgversprechende Möglichkeit verworfen oder ignoriert werden. Daß
das Projekt Große Feuermutter eine solche Chance war, stand außer Zweifel: Beratende und helfende Funktion wurden mit Parakräften einer gesteigerten Wahrnehmung verbunden, Verantwortung geteilt, die Position des Imperators gestärkt, seine Sicht dem gewaltigen Moloch angepaßt, den er gerecht und ausgewogen zu regieren hatte. Das Imperatorenamt an sich entfremdete mich den normalen Bewohnern des Imperiums ebenso wie meinen engsten Mitarbeitern. Vor dem Hintergrund von Tai Zhy Fam würde meine Stellung noch abgehobener sein – noch einsamer. Schon jetzt ist die Distanz gewaltig, obwohl ich es nicht will, durchfuhr es mich. Meine Wirbelsäule schien plötzlich in einen Eisblock verwandelt. Natürlich erstarren gerade die Terraner nicht vor Respekt, aber sie wahren bewußt Abstand: Viel zu selten höre ich ihre lockeren Spruche und Scherze oder fühle Freundlichkeit und Wärme. Ihr Gegenüber ist ja Imperator Gonozal VIII.! Scheiße! Laut den Sagen stöhnte Atlas unter der Last des Himmels. Ich hätte lauthals brüllen mögen! Ein einzelner Mann an der »Spitze« eines kaum faßlichen, unübersehbaren Giganten; nicht hoch oben, sondern von der Last erdrückt, zerquetscht, gemartert. Für Augenblicke glich die Verantwortung der Masse eines Schwarzen Lochs, ein panischer Impuls drohte meinen Verstand hinwegzufegen. Flucht! Nur weg! Doch ich konnte und wollte nicht wegrennen. Ich war Imperator von Arkon, das sagte alles. Das Pflichtgefühl überwog, mochte es noch so sehr schmerzen und einer Überforderung gleichkommen. Wenn es zum Wohl und Fortbestand des Imperiums notwendig war, das Projekt Große Feuermutter durchzuziehen, durfte ich mich nicht verweigern. Der Extrasinn wiederholte scharf: Nimm die Herausforderung an! Vor dir haben es andere Imperatoren geschafft! Ganze sieben Stück – von 496! entgegnete ich bitter. Allerdings
ließ auf Zhygor sogar ES beim letzten Kontakt durchblicken, daß es notwendig werden würde, die alten Rituale und Initiationen wiederzubeleben. Ich unterdrückte aufsteigende Erinnerungen und reckte die Schultern. Meinem Gesicht waren die Gedanken zweifellos anzusehen – und auch der in dieser Sekunde gefaßte Entschluß –, denn die Hohepriesterin senkte ihre Schleier, stand unvermittelt auf. Das Silberschimmern der Kristallkrone gewann fast blendenden Glanz. Die Frau ging. Aber etwas von ihr mußte übergesprungen sein, vermittelte mir eine erste Ahnung dessen, was auf mich zukam. Weiblich-männliche Ganzheit als Grundlage höherer Bewußtheit… Das alte, höchst ästhetische Yin-Yang-Symbol stand mir vor Augen: die gegenseitige Durchdringung polarer Kräfte, auf deren Wechselspiel und Interaktion das Universum fußte. Ursprünglich bezeichnete Yin den nördlichen, sonnenabgewandten Hang eines Hügels, assoziiert mit kaltem, trübem Wetter und wolkenverhangenem Himmel, während Yang für den sonnenzugewandten Hang unter Helligkeit und Wärme stand. Yin: das Weibliche, Passive, Empfangende, Dunkle, Weiche. Yang: das Männliche, Aktive, Schöpferische, Helle, Harte. Crysara da Kentigmilan erklärte rauh, ohne sich umzusehen: »Es ist alles gesagt, Atlan: Mit dem Cho-Käfer habt Ihr den ersten Schritt getan, laßt nun die anderen folgen. Ich wünsche Euch Glück und Erfolg! Es lebe Arkon!« Ich sah ihr hinterher – auf dem Weg zur Tür schienen ihre Schultern nach vorne zu sinken, die Schritte wirkten schlurfend; plötzlich waren Charisma und Ausstrahlung wie weggewischt, aus der Arkanta wurde für Augenblicke »nur« die alte Frau. Als sie jedoch in die Prunkhalle hinaustrat,
kehrten Würde und Kraft zurück, und ich murmelte die traditionellen Worte: »Mein Leben für Arkon.« Echodim! zischte meine innere Stimme die alte arkonidische Gebetsschlußformel; am liebsten hätte ich den Extrasinn in diesem Augenblick aus meinem Kopf herausgerissen. Doch leider – oder zum Glück? – war das nicht möglich. Der Cho-Käfer… Versonnen zog ich die kleine Schachtel aus der Tasche und öffnete sie. Golden, daumenlang, halb so breit und von der Form eines der Länge nach halbierten Eies – das war die Schale, mit der sich der Parasymbiont, der nur dem Äußeren nach einem Insekt entsprach, umgeben hatte, damals… Obgleich überaus skeptisch, hatte ich Kon auf Zhygor vertraut und war zum Cho-Träger geworden. Ohne die nun auch von Crysara angemahnten »anderen Schritte« würde der goldene Pseudo-Käfer allerdings weiterhin starr und »eingesponnen« bleiben, genau wie es seit dem 17. März 2045 der Fall war… Kurz vor Mitternacht, in der letzten Tonta dieses Prago, erreichte das Fest in der Umgebung des Prunksaals vermutlich erste dionysische Ausmaße – aber diese Auswüchse fanden ohne Seine Erhabenheit und seine Vertrauten statt: Wir hatten uns schon vor Stunden in die oberste Kelchetage nahe meinen Privaträumlichkeiten zurückgezogen und einen Konferenzraum entsprechend umfunktioniert. Das SiebenGänge-Menü war verspeist, Geschirr von flinken Servoautomaten fortgeschafft; nun stand man in Gruppen beisammen und sprach über »Gott und die Welt«: Small talk, Scherze, tiefgründige Dialoge – alles im Bewußtsein, daß bald alle verstreut sein würden, mehr oder weniger allein auf sich gestellt in den Ämtern und auf Posten im ganzen Imperium. Manche würden sich für lange Zeit nicht mehr persönlich
begegnen, andere trafen sich unter Umständen nicht mal bei Hyperfunk-Holokonferenzen. Die Stimmung bekam etwas Melancholisches. Ich trat, tief durchatmend und ein Glas mit blumig duftendem Roten in der Hand, vor die transparente Schutzschirmfront, die anstelle einer Fenstergalerie an der Etageninnenseite angeordnet war. Von hier hatte man eine prächtige Aussicht auf den riesigen Palasthof. Ich lehnte mich an die Brüstung. Auch ohne die funkelnde Festbeleuchtung des Kristallpalastes wäre es eine helle Nacht gewesen; auf den Arkonplaneten, fast im Zentrum des Kugelsternhaufens zu finden, wo die Sterne teilweise nur Lichtwochen voneinander entfernt waren, wurde es nie dunkel. Sogar am Tag waren neben Arkon etliche weitere Sonnen zu sehen. Nur zartes Flimmern markierte, daß die Terrasse selbstverständlich von einem Prallfeld überspannt war. Tausend Meter über dem Boden wehte ein scharfer Wind, sank die Temperatur und wurde die Luft dünner – Dinge, die dem arkonidischen Wohlbefinden widersprachen und durch perfekte Klimatisierung und Temperierung ausgeglichen wurden. Mein Extrasinn sagte mürrisch: Du bist vermutlich der einzige, dem das bewußt ist oder überhaupt auffällt. Ich lächelte matt. Dafür lebte ich lange genug unter primitiven Umständen auf einer Barbarenwelt! Dort benutzt man jetzt Antigravlifte, Prallfelder und Energieschirme so selbstverständlich, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Aber noch vor knapp achtzig Jahren hätte man sich fast im atomaren Holocaust selbst ausgelöscht. Und die Zeit der Pferdedroschken ist nur 150 Jahre her. Auf meinen Wink hin glitt ein Servo heran und füllte das Glas auf. Der sorgfältig dekantierte Wein stammte von der Erde. Ein 41er Château le Sagittaire, Beauvallon, France; auf dem Flaschenetikett kennzeichnete MIS EN BOUTEILLE AU CHATEAU die Erzeugerabfüllung, appellation d’origine
controlee das gesetzlich kontrollierte Anbaugebiet. Das immer noch in meinem Besitz befindliche Schlößchen mit dem angeschlossenen Weingut lieferte hervorragende Erzeugnisse in kleinen Mengen. Ich lächelte wehmütig. Langlebigkeit hatte durchaus seine Vorteile: Die Zahl der stillen Teilhaberschaften, der Aktienanteile und Mehrheitspakete von Firmen, Konzernen und Konsortien, allesamt von dezenten Anwaltskanzleien zum Teil schon seit Jahrhunderten betreut und geführt und auf meine jeweiligen »NachkommenMasken« übertragen, hätte wohl manchen meiner terranischen Freunde verblüfft, abgesehen vielleicht von Homer G. Adams, dem zurückhaltenden, aber mächtigen Chef der General Cosmic Company, zugleich Finanz- und Wirtschaftsminister des Solaren Imperiums. Versonnen trank ich einen Schluck. Für heute war ich den ungezählten Schmeichlern und Schmarotzern entkommen, den Kniefällen, wortreichen Bewunderungen und all dem Falsch, das sich hinter stupidem Lächeln verbarg. Wirklicher »Arbeit« wußte man geschickt aus dem Weg zu gehen, Trägheit bestimmte den übertechnisierten Alltag. Doch wie der Imperator zu umschmeicheln oder die diplomatische Formulierung einer Bitte um Privilegien vorzutragen war, das war in Jahrtausenden bis zum Erbrechen perfektioniert worden. Naat-Leibwache, Vertraute und Peters Leute hatten jedoch einen kaum durchdringlichen Kordon geschaffen, so daß es mir möglich gewesen war, einige wichtige Gespräche mit Vertretern von Kolonial- und Fremdwelten zu führen. Vereinzelt war aus der Ferne Crysara zu sehen gewesen; die Arkanta nutzte ebenfalls die Gelegenheit für Informationsaustausch, Mitteilungen und Instruktionen, und ihr Einfluß auf die wichtigen Khasurn war nicht zu unterschätzen. Für etliche werden deshalb die Anweisungen und Befehle,
zu denen ich mich entschlossen habe, nicht ganz so überraschend kommen… Die Stimme Manolito Almedas unterbrach mein Grübeln. »Ich habe damals schon gemerkt, daß du anders bist, Olaf… Nun aber ist deine Aura der Einsamkeit schwer erträglich! Du bist nicht allein, Mann!« Die Hand des kleinen Hyperphysikers lag schwer auf meiner Schulter und drückte aufmunternd. Eine gelbhäutige, fußgroße Gestalt klammerte sich unterdessen mit zweien seiner Hände an »Speedys« graumeliertes Haar und zerrte mit den beiden anderen aufgeregt am Schnauzbart. Ich erkannte den swoonschen Chefingenieur Rafon am schwarzen Punktmuster unter den vorstehenden Augen. »Du läßt Takt und Höflichkeit vermissen, Freund«, verkündete er mit vorwurfsvoll piepsendem Stimmchen, das bestenfalls im Umkreis von zwei Metern zu verstehen war. »Ich sagte dir doch, daß Seine Erhabenheit nicht gestört werden möchte. Aber manchmal bist du ja ein unaussprechlich unanständiger Klotz und willst nicht auf das hören, was ein Mann von Ehre dir in bester Absicht und großer Freundschaft mitzuteilen versucht. Wärst du nicht unser und mein Freund, der uns respektvoll und gleichberechtigt behandelt, dann…« »Laß es gut sein, Kleiner. Atlan und ich kennen uns schon eine Weile. Damals war ich nur ein bißchen größer als du, und er hat mich mit feinen Erzählungen begeistert. Ohne ihn wäre ich nie Hyperphysiker geworden, weißt du. Er hat nicht nur mein Interesse für die Wissenschaft geweckt, sondern meiner Mutter auch unbemerkt viel Geld zugeschoben. So konnte ich später nach Terrania City gehen und studieren!« Mit Wehmut dachte ich an die Monate von 1970 und 1971 auf der Baja California. Pilar Almeda war Hausmädchen im TEFTRIS-Camp gewesen; Manolitos Vater hatte sie 1967 ohne
Nachricht allein mit dem Jungen sitzenlassen und sich nie wieder gemeldet. Daß ich den mittlerweile 85jährigen 2040 an der Universität von Terrania wiedertraf, war eine der Überraschungen, die nur das Leben bieten konnte: In den Monaten nach den Zweikämpfen mit Rhodan – geboren aus Unkenntnis der wahren Lage, getrieben von der Sehnsucht nach Arkon –, nun anerkannt und voll akzeptiert, hielt ich viele Vorlesungen in überfüllten Hörsälen, und eines Tages stand Professor Almeda vor mir, drückte mich mit überschwenglich-mexikanischem Temperament an sich und stellte sich unter Schluchzen und vielen Tränen als der längst erwachsen und alt gewordene »Speedy« vor. Der kleine, aufgeweckte, colaliebende, altkluge Junge, dessen Spritzigkeit mich seinerzeit sehr berührte – ein Hyperphysiker von Rang und Namen! Mit einer fast beängstigenden Selbstverständlichkeit, durchfuhr es mich, ist er mir dann nach Arkon gefolgt, hat die Kontakte zu den Swoons geknüpft und sie engagiert und arbeitet mit ihnen an Projekten, die in dieser Art, Größenordnung und Komplexität vermutlich auf keinem anderen Planeten der bekannten Milchstraße als auf Arkon III zu realisieren sind. Ich wandte mich mit respektvoll angedeuteter Verbeugung an den Swoon. »In der Tat, Erhabener, Manolito und ich kennen uns sehr lange. Und unter Freunden ist ein offenes Wort möglich – und manchmal sogar nötig. Er hat ganz eindeutig recht!« Von Rafon kam ein Pfeifen, und seine Augen rollten – bei den Swoons einem Nicken gleichzusetzen. »Euer Erhabenheit sehen mich überaus erleichtert. Diese Terraner lassen leider viel zu häufig Würde und Respekt vermissen. Für höfliche Leute ist es da schwer…« »Oh – ich kenne sie, Erhabener, ich kenne sie ganz genau, und ich weiß, was Sie meinen, Rafon. Es gab Zeiten, da nannte
ich sie Barbaren.« Manolito hüstelte, dem selbstbewußten Swoon schwoll vor Stolz die Brust. Weiterhin ins Haar des Wissenschaftlers geklammert, machte Rafon es sich auf der Schulter bequem und entspannte sich sichtlich – ein Miniabsorber reduzierte selbstverständlich für ihn die Arkon-Schwerkraft auf die 0,25 Gravos seiner Heimat. Sie waren einfach liebenswert, die kleinen Leute vom Planeten Swoofon; sie vereinten Humor, Höflichkeit, Würde und Selbstbewußtsein. Es gab keine besseren Mikrotechniker! Außer ihrer Arbeit, über die sie alles andere vergessen konnten, liebten sie nur ausgiebigen Schlaf, und sie führten ein geruhsames und genügsames Leben. Durchaus verständlich, wenn man ihren pflanzenlosen, von Wüsten bedeckten Heimatplaneten kannte. Fuchsteufelswild wurden sie nur, wenn man sie – obwohl es bei ihrem Aussehen nahelag – auf zutiefst beleidigende Weise mit terranischen Gurken verglich. »Chefingenieur Rafon«, sagte ich leise. »Nennt mich Atlan, ja? Ich hasse es, wenn meine hochqualifizierten Mitarbeiter unnötig Zeit mit übertrieben pompösen Titeln vergeuden.« Der kleine Mann wurde knallgelb, dann beigefahl und rutschte halb ohnmächtig von Manolitos Schulter, der Rafon im letzten Moment zu fassen bekam und stützte. »Euer… ich… eine große, große Ehre… und… Freude und…« »Nicht stottern, Kleiner! So was mag Atlan ebenfalls nicht.« Manolito war vermutlich der einzige, der Rafon »Kleiner« nennen durfte, doch das kennzeichnete mehr als deutlich das ausgezeichnete Verhältnis der beiden so ungleichen und geistig doch so nahen Wissenschaftler. Wenn ich daran denke, daß noch vor vergleichsweise kürzester Zeit auf Terra Leute nur wegen anderer Hautfarbe, Gedanken und Überzeugungen bis aufs Blut verfolgt oder gar getötet wurden – sie sind reifer geworden, meine Barbaren. »Erzähl lieber von unseren Erfolgen! Komm
schon, Kleiner, nimm dich zusammen.« »Du bist ein ganz und gar unmöglicher Mensch, Mano!« piepste Rafon entrüstet, fing sich jedoch rasch, gestikulierte mit drei Armen und rief: »Es stimmt, Atlan! Noch kontrollieren und prüfen und -verbessern wir, doch bald werden uns die Ergebnisse einigermaßen zufriedenstellen und…« »Er untertreibt natürlich maßlos! Allein die neuen Transitionsaggregate bedeuten einen Quantensprung!« Manolitos Augen leuchteten schwärmerisch, sein Schnauzbart war gesträubt. »Vollständig miniaturisiert, so daß fortan sogar Kleinstraumer damit bestückt werden können! Überdies extrem schockgedämpft, was die Sprungschmerzen ebenso reduziert wie die verbleibenden Restemissionen, die ohnehin dank Strukturkompensator und Eigenschwingungsdämpfer kaum noch ortbar waren, nun allerdings sogar die Errichtung des Strukturfeldes in Planetennähe erlaubt, ohne daß Negativauswirkungen befürchtet werden müßten! Weiterhin ist es gelungen, die für die Transition notwendige Eigengeschwindigkeit massiv zu reduzieren; geht zwar leider mit deutlich erhöhtem Energieverbrauch einher, bleibt jedoch in halbwegs akzeptablen Toleranzen. Und schließlich konnten wir eine Minimal-Sprungweite realisieren, die sogar oberhalb von tausend Kilometern auf fünf Meter genau justiert werden kann! Somit ergab sich als Gesamtkonzept die Anwendung als intermittierendes Aggregat: Statt schmerzhafter, von starken Strukturschockwellen begleitete Gewaltsprünge sind jetzt sogenannte Etappen sehr vieler Kleintransitionen je Zeiteinheit möglich, die fast einem druufschen Halbraumflug gleichkommen…« Wenn er sich mal in Rage geredet hatte, war er kaum zu bremsen. Seine Begeisterung besaß aber etwas Mitreißendes; er wußte genau, wie er in mir den alten Geschwaderchef und
Hochingenieur anzusprechen hatte. Dem tat sogar der knurrige Hinweis meines Logiksektors keinen Abbruch: Die von Speedy angesprochenen Weiterentwicklungen kommen um einige Jahrtausende zu spät! Es ist zu befürchten, daß es die letzten auf dem Gebiet der Transitionstechnologie allgemein sein werden. Die Terraner haben von den Druuf das Halbraumtriebwerk erbeutet, und dieses wird auf absehbare Zeit den vielzitierten »Stand der Technik« prägen. Bis zur Serienreife werden zwar vermutlich noch Jahrzehnte vergehen, aber dann… »Die ARKON befindet sich im Endprüfungsmodus und wartet im Grunde nur noch auf die Belastungsmanöver! Innerhalb von nur eineinhalb Jahren haben wir für die 1500Meter-Klasse ein von Grund auf neues Konzept entworfen, durchkalkuliert und gebaut! Einschließlich der neuen Beiboote und Trägersysteme und all den anderen Peripherieaspekten.« »Sehr gut, Speedy! Kommandant Straton Zaglyt wird in den nächsten Tagen zu euch kommen und eure Wunderwerke auf Herz und Nieren checken. Wie ich den alten Dron kenne, gibt’s dann wenig zu lachen: Er wird die ARKON halb zu Schrott fliegen und immer noch nicht zufrieden sein.« Rafon winkte vierarmig ab und fand im letzten Augenblick wieder Halt; es gelang mir, alle Heiterkeit zu unterdrücken. »Wir werden ihn überzeugen – und für sachliche Kritik und Verbesserungsvorschläge sind wir selbstverständlich stets aufgeschlossen.« Ich trank das Glas leer; langsam schlenderten wir in den Konferenzraum zurück, wo uns Stimmengewirr empfing und ich bald in dieses, dann in jenes Gespräch verwickelt wurde, so daß eine weitere Unterhaltung mit meinem Freund und Chefphysiker illusorisch war und die Zeit wie im Flug dahinraste. Aber er hatte mich neugierig gemacht; ich war fest entschlossen, mir baldmöglichst die Ergebnisse auf Arkon III anzusehen und vorführen zu lassen. Überhaupt, dachte ich
zwischen Zuhören und Reden, es wird sich einiges ändern! »Hat sich Tatjana Michalowna eigentlich schon bei Ihnen gemeldet?« erkundigte sich irgendwann Ras Tschubai etwas zusammenhanglos, als wir uns am Büffet begegneten und mit Käsehäppchen versorgten. Tatjana? Was ist mit der Mutantin? »Nein. Sollte sie denn, Ras?« »Wie man’s nimmt, Sir.« Er schob einen cremigen Streifen in den Mund, sah beim Kauen auf die Stiefelspitzen und zuckte mit den Schultern. »Etwas merkwürdig fand ich es schon: Sie kam mit mir hierher, ließ sich aber mit einem Beiboot auf Iprasa absetzen.« »Hhm.« Ich runzelte die Stirn. Ehemalige OverheadMitarbeiterin; wurde, weil gegen Fremdbeeinflussung ziemlich immun, von diesem belogen und mißbraucht. Mitglied im Mutantenkorps; Zellduschenempfängerin. Starke Telepathin, hochintelligent! Die schmalen Augen verleihen dem ovalen Gesicht einen besonderen Reiz. Schlank, dunkelbraunes Haar, ausnehmend hübsche Beine… »Sie kam Anfang 2045 mit Tanaka Seiko hierher, ging aber schon nach kurzer Zeit wieder zurück zur Erde, aus persönlichen Gründen, wie sie in ihrem Entlassungsantrag schrieb…« »Sonderbar!« »Jedem seine Entscheidung, Ras! Es steht mir nicht zu, dies…« »Entschuldigen Sie, Atlan, wenn ich unterbreche, aber das meinte ich weniger.« Nun wirkte er fast aufgeregt. »Tanja hat sich vor zwei Jahren beurlauben lassen und war seither nicht mehr fürs Korps tätig! Gerüchten zufolge soll sie zeitweise aber auf Zhygor gewesen sein. Wir dachten, in Ihrem Auftrag.« »Das ist in der Tat sonderbar. Ich werde mich darum
kümmern…« Ras’ Blick zeigte Skepsis. »Bei allem Respekt, Sir, aber wenn Sie sich weiterhin persönlich um alle möglichen Details kümmern wollen, läuft es auf Verzettelung hinaus! Ich weiß seit Jahrzehnten, daß das Tai Ark’Tussan tatsächlich groß ist. Doch es bleibt abstrakt, wenn man sich nicht näher damit beschäftigt. Dann allerdings… Die wahren Dimensionen erdrücken!« Seit drei Jahren stand ich nun an der Spitze des Großen Imperiums; ohne die logistisch-positronische Unterstützung des Regenten und seiner Untereinheiten – die Zahl ging in die Hunderttausende – hätte ich vermutlich längst resigniert. Ich seufzte. »Stimmt. Mit Ihrem Hinweis haben Sie natürlich recht, Ras. Auch für einen Zellaktivatorträger gibt es Leistungsgrenzen. Wenn ich jedoch nicht mal Zeit für meine engsten Mitarbeiter finde, kann ich den Job gleich aufgeben!« Jeder Flug von Arkon zur Milchstraßenhauptebene mußte eine vertikale Distanz von 20.528 Lichtjahren überbrücken; bis zu den Randzonen des Großen Imperiums waren es von diesem Orientierungspunkt aus – laut Arkon-Katalog Nebelsektor-Zentrum beim Leuchtsternpaar Hela-Ariela – horizontal nochmals zwischen 15.000 und 25.000 Lichtjahren: rund ein Viertel der bekannten Galaxis, mehr als fünfzig Milliarden Steine, im Vergleich zur übrigen Milchstraße zwar »hervorragend« kartografiert und erfaßt, doch sogar nach zwei Jahrzehntausenden Forschung blieben viele »weiße Flecken«, und die Zahl der Sonnen, über die kaum mehr als ihre alphanumerische Katalognummer bekannt war, ging weiterhin in die Milliarden! Der Extrasinn ergänzte den Gedanken mit weiteren Zahlen: Wenn nur ein Prozent dieser Sterne über Planeten verfügt, macht allein das rund 500 Millionen Sonnensysteme aus. Geht man von
nur einem Prozent Planeten mit mehr oder weniger für Leben geeigneten Umweltbedingungen aus, ergibt sich die Zahl von fünf Millionen, und davon wiederum nur ein Prozent entspricht jenen 50.000 Siedlungswelten, von denen im Statistischen Jahrbuch die Rede ist… Der Teleporter schien ähnliche Gedanken zu wälzen; er sagte: »Trotzdem glaube ich… Die Hypnoschulung spricht von mehr als 50.000 besiedelten Welten. Rechnet man – extrem vereinfacht – nur mit einem maßgeblichen Ansprechpartner und Entscheidungsträger je bewohnte Welt, ergibt das bei der genannten Zahl ebenfalls 50.000; ein vollbesetztes Stadion, die Bevölkerung einer Stadt! Schon die Organisation und Handhabung einer Vollversammlung zur Diskussion von Problemen und Entscheidungen ist also ein Problem für sich: Redezeit von nur einer Minute je Verantwortlichen ergibt – ohne Unterbrechung! – eine Dauer von… hm, fast 35 Tagen, bis alle einmal durch sind!« Ich ließ mir vom Servorobot eine Tasse Kaffee geben, rührte versonnen um, während Ras seine Überlegungen fortführte und an den Fingern aufzählte. »Und die Ansammlung von Ein-Minuten-Statements ist keine Diskussion! Ein bis zwei Jahre Dauertagung – auch das extrem vereinfacht – kommen der Angelegenheit vermutlich näher, von den Schwierigkeiten entsprechender Umsetzungen ganz zu schweigen, sind hier doch Aspekte wie innere Autonomie, demokratische Willensbildungsund Entscheidungsprozesse samt den notwendigen Abstimmungen, Widerspruchsmöglichkeiten und die Ausschöpfung juristischer Mittel hinzuzurechnen! Teufel noch mal, das ist unter dem Strich der pure Wahnsinn.« Er schnitt eine Grimasse und ließ sich vom Servo einen Klaren einschenken. »Atlan – Ihren Job möchte ich nicht mal geschenkt haben!«
»Besten Dank für die Aufmunterung!« Ich lachte leise. Genau diese offene Ehrlichkeit war es, die ich bei meinen Artgenossen so vermißte. »Im Großen Imperium gibt es Tausende Krisenfälle, manche ursprünglich recht harmlos, aufgrund zu langer Bearbeitungszeit und falscher Handhabung aber oft genug eskaliert und die Fronten verhärtet. Ich bin also auf Mitarbeiter wie Sie dringend angewiesen, Ras. Ohne sie…« »Sie können sich auf uns verlassen, Sir.« Er deutete eine Verbeugung an, grinste dazu aber so lausbubenhaft, daß mir ganz warm ums Herz wurde und ich – für Augenblicke – die mit dem Imperium verbundenen Probleme verdrängte. Die Überlegung, meine terranischen Freunde intensiver einzubinden, hakte leider an mehreren Stellen: Einerseits war Perry natürlich bestrebt, Terra selbst auszubauen, zu stärken und mit einem Ring kolonisierter Welten zu umgeben – und das band viele Kräfte sowie »Manpower«. Zweitens war Terra und dem Solaren Imperium selbst zur Zeit nur der Status einer Kleinmacht zuzugestehen – von der Größe her einem arkonidischen Fürstentum im Grunde unterlegen. Drittens schwebten mir die nicht löschbaren Elemente der RobotregentBasisprogrammierung rings um Sicherheitsschaltung A-l als Damoklesschwert über dem Kopf: Trotz Bündnis- und Beistandsverträgen war und blieb Terra souverän, war kein Bestandteil des Großen Imperiums. Terraner in großer Zahl an höchste und maßgebliche Schaltstellen der Macht zu berufen hätte den juristischen Tatbestand des Hochverrats bedeutet und wäre gleichbedeutend mit meiner sofortigen Absetzung und Verurteilung gewesen. Im Gegensatz dazu waren Gijahthrakos und andere Fremdvölker, als anerkannte Imperiumsmitglieder und unter der Berücksichtigung der arkonidischen Dekadenz, akzeptiert und überall einsetzbar. Es gibt den Plan, Terraner in einigen Sonnensystemen des
Imperiums siedeln zu lassen, so daß diese Einwanderer Imperiumsmitglieder würden, dachte ich. Hauptproblem hierbei ist aber der Loyalitätskonflikt – bei Kolonisten einerseits, was die Anerkennung der Arkongesetze betrifft, denen sie sich zu unterwerfen haben, sowie bei Perry und seiner Administration andererseits, die naturgemäß gerne den Daumen drauf behalten würden. An die Aktivitäten eines Mister Mercant, des personifizierten Mißtrauens an sich, will ich in diesem Zusammenhang gar nicht denken. Über Vorverhandlungen waren wir hinsichtlich des Projekts »Terra-Siedler« noch nicht hinausgekommen. Langfristig mochte es eine Möglichkeit sein. Doch in nächster Zeit war mit einer Umsetzung nicht zu rechnen. »Der Tekteron-Bund erweist sich als Krisenherd Nummer eins! Dank der Gijahthrakos ist insbesondere Zhygor zwar hervorragend geschützt, aber schon die Existenz vor allem dieser Freihandelswelt treibt die Tekteronii offensichtlich zur Weißglut.« Aus Straton Zaghyts schuppiger Brust drang wütendes Rumpeln. »Das Missionarische der Reinen Lehre ist beängstigend! Freizügigkeit und Selbstbestimmung, wie wir sie verstehen, scheinen sich mit den hehren Grundsätzen dieses verfluchten, schwanzlosen Sektierertums nicht zu vereinbaren…« Der dronsche Vere’athor stand bei einigen ARK SUMMIAAbsolventen, zu denen sich Ceshal da Ragnaari und Khol Trayz gesellten; letzterer ein junger Raumnomade, der ein Schlachtschiff des Imperialen Gardegeschwaders kommandierte. Er trug das lange Silberhaar zum Nackenzopf gerafft; ein schlanker, kräftiger Mann mit einem kantigen Gesicht. Seine Augen besaßen eine goldrote Farbe, und der schmale Oberlippenbart verlieh ihm etwas Verwegenes. »Fanatiker, Eiferer! Kein Schwert ist schlimmer als das in der
Hand von Moralisten und Fundamentalisten!« zirpte die Vocoderstimme des halbkugeligen Ökotanks, der sich auf einem Prallfeldpolster heranschob. Die Flüssigkeit hinter der transparenten Wandung schwappte, als das Gebilde anhielt, und der Körper des Therborers schien sich zu verknoten. »Religion und Machtinteresse – eine höchst gefährliche, auf Expansion ausgerichtete Kombination: Das Bundes-Kerngebiet nahe der Sogmanton-Barriere besitzt schon einen Durchmesser von dreihundert Lichtjahren.« Der Extrasinn lieferte die bekannten Stichworte: Der Kernsatz der Lehre lautet: »Das Wahre Sein ist unantastbar; eigenverantwortlich strebt es auf dem natürlichen Weg dem Ganzen entgegen. Deshalb schaffe keine Dunkelheit, die diesen Weg manipuliert.« Als zentrales Bekenntnis, »Hingabe zum Ganzen«, gilt der Ausspruch: »In seiner Vielheit ist Wahres Sein die Einheit des Ganzen und Ipotherape – Schöpferin der Ordnung – die Erweckerin des Wissens.« Für Tekteronii – die Sammelbezeichnung der Völker und Einzelmitglieder des Tekteron-Bundes – ist »Tekteron« Lebenspraxis, religiös gleichgültiges Tun gibt es nicht. Verweigerung bedeutet Ausschluß und Vernichtung; NichtTekteronii werden Tek’gools genannt – gleichbedeutend mit Feind. Als Befehlshaber im Bund fungieren die Cyen; die Körperfragmente dieser raupenähnlichen Wesen bilden die »Götzen« in den Tempelkuppeln… »Noch besteht ein recht brüchiger Status quo«, sagte ich rauh. »Sollten die Übergriffe aber massiv zunehmen…« »Unsere Schätzungen gehen von mehreren zehntausend Tekteronii-Raumern aus.« Lautes Blubbern mischte sich mit Hamkammons Vocoderstimme. »Ein wirkungsvolles Zuschlagen bedarf unseren Berechnungen und strategischen Erwägungen zufolge eines Flottenaufgebots von mindestens fünfzigtausend Einheiten. Wegen der Automatisierung wäre von fünfzig Prozent Verlusten auszugehen…«
Ich nickte. Sechzig bis siebzig Prozent der arkonidischen Raumflotte waren fast permanent vor Ort gebunden, um Präsenz zu zeigen; zehn bis zwanzig Prozent fielen wegen Werftaufenthalts aus – Überprüfung, Nachrüstung, Reparatur –, so daß bestenfalls zehn bis zwanzig Prozent als rasch umgruppierbare Einsatzgeschwader zur Verfügung standen. Einschließlich Nachschub gab es etwa 150.000 Schiffe; bei einem Mittelwert von nur 1000 Mann je Raumer machte das 150 Millionen bestausgebildete Spezialisten. Beibootmannschaften, Landungstruppen, Reservekräfte, Ausfälle wegen Urlaub und Krankheit und so weiter sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt… Die meisten Flotteneinheiten sind heute deshalb robotisiert und unterstehen dem Positronengehirn von Arkon III, und das wird notgedrungen so bleiben müssen; in meiner Jugend standen uns im Gegensatz dazu zwanzig Milliarden Arkoniden für Flotte, Stützpunkte und Festungen zur Verfügung. Vergangenheit! knurrte der Extrasinn barsch. »Abgesehen vom extrem negativen Signalcharakter eines Angriffes unsererseits, Euer Erhabenheit, hieße die Aufstellung einer solchen Flotte Abzug von anderen Unruheherden und Krisenregionen. Dortige Aufstände und Rebellionen wären die unweigerliche Folge, einschließlich der Gefahr eines Mehrfrontenkriegs. Das therborische Planungskollektiv rät dringend von einem Präventivschlag ab! Weder die galaktostrategische Lage noch die gesamtpolitische Situation gestatten ein solches Abenteuer: In unseren Berechnungen wird der Tekteron-Bund als galaktische Mittelmacht eingestuft!« »Ich habe – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nicht die Absicht, auf diese Weise zu handeln, Hamkammon.« Ich wandte mich dem Therborer zu. Die Konturen des KopfRumpf-Segments änderten sich permanent in fließenden Übergängen. Nur die acht Tentakelarme des
Wasserbewohners besaßen stabile Form, bewegten sich aber permanent in wirren Schnörkelgesten. »Allerdings besitzt unsere Aufgabe Dimensionen, die mich manchmal überfordern. Auch unter normalen Bedingungen wäre es nicht leicht. Dort draußen brodelt aber ein verflucht heißer Friede!« »Entstanden aus dem Vasghad-Fürstentum, verweigern die Tekteronii jede Art offizieller diplomatischer Kontakte, seit der Bund ihren Namen trägt.« Mikondar, der neue Staatsminister für Fremd- und Freihandelswelten, sprach mit rauher Stimme; ärgerliches Funkeln erschien in seinen Augen. »Keine Botschafter, dafür aber vermutlich viele Emissäre… Während sie sich abriegeln, massiv Missionare aussenden und Intrigen knüpfen, sind uns weitgehend die Hände gebunden, soll es nicht auf Krieg hinauslaufen. Dabei sind die Nachwirkungen der Druuf-Krise noch nicht verkraftet, ganz zu schweigen vom Regime des Regenten.« »Es trübt mein Bewußtsein, wenn ich daran denke«, sagte der Therborer dumpf. Seine Tentakel gerieten für Augenblicke in Aufruhr. Von der Bodenplatte sprudelte ein Blasenstrom zum Tankzenit empor. »Der Aufstand gegen Bevormundung und imperiale Willkür mag im Grundsatz und in den Anfängen berechtigt gewesen sein; die Zeit des Niedergangs verstärkte Auswüchse, und die Herrschaft des Großen Koordinators trug gleichfalls nicht zur Ausgewogenheit bei…« Der Logiksektor bestätigte scharf: Mit Drill und Kadavergehorsam läßt sich die Degeneration nicht überwinden! Seit der Tekteron-Bund in seinem Machtzuwachs jedoch verstärkten Einfluß nimmt, Tempel errichtet und Randwelten infiltriert, artet es zum Kampf aller gegen alle aus, mit ständig wechselnden Bündnissen, Intrigen und kaum bestimmbaren Machtkonstellationen. »Die Großen im Hintergrund, die Kleinen an der Front; Tekteronii in ihrem missionarischen Eifer einerseits, dekadente
Arkoniden andererseits – und zwischen diesen alle anderen, die aufgerieben zu werden drohen und deshalb unter Umständen panisch um sich schlagen…« Bitterkeit erfüllte meine Stimme. »Eine einmal in Bewegung geratene Lawine kann das Große Imperium für unbestimmbare Zeit in ein Flammenmeer verwandeln. Halbwegs aktive Fürsten des arkonidischen Hochadels bauen die ihnen zur Verfügung stehenden Sonnensysteme zu Festungen aus, andere sind nicht zu unterschätzende Tycoons und Industriemagnaten. Hinzu kommen Kolonialarkoniden, Springer, Aras, die Auswüchse organisierten galaktischen Verbrechens. Vor allem die Machenschaften der SENTENZA…« Ceshal und Khol sahen sich bedeutungsvoll an, die ARK SUMMIA-Absolventen schwiegen und sahen zu Boden. Jedem meiner Mitarbeiter war die Lage bewußt, alle verfügbaren Kräfte wurden mobilisiert – und doch drängte sich das Gefühl auf, unter dem Strich eigentlich nichts zu erreichen. Das Sagenbild der Hydra stand mir plötzlich vor Augen: Für jeden abgeschlagenen Kopf der Lernäischen Schlange wuchsen zwei nach – und Herakles konnte sie erst töten, als sein Gefährte Iolaos die Halsstümpfe ausbrannte… »Vielleicht sind die Freihandels weiten tatsächlich eine Hoffnung, langfristig gesehen«, murmelte ich. »Zhygor jedenfalls…« »Es ist ein positiver Anfang!« zirpte Hamkammons Vocoder. »Es hat in der Tat Vorteile, starke Freunde an der Seite zu wissen: Ohne die selbstlose Unterstützung der Gijahthrakos wäre das Vorhaben kaum zu realisieren. Ihre mathelogischen Vorplanungen bestechen… obwohl an vielen Fronten zugleich… Die Freihandelswelten…« Der Rest ging in unverständlichem Pfeifen unter; Hamkammon war mit seinen Gedanken woanders. Ich lächelte kaum merklich. Wie alle Therborer war Hamkammon ein hervorragender Denker und Mathematiker, letztlich aber
ein Kind seiner Welt. Auf dem Wasserplaneten Therbor hatte es nie eine technologische Entwicklung gegeben. Statt dessen standen geistige Disziplinen in hohem Kurs: Philosophie, Kunst, das ganze Spektrum der Parawahrnehmungen. Sogar Atmosphärenatmer schätzten die unvergleichlichen Gesänge therborischer Chöre. Und weitere Gespräche, deftige Scherze über Hochadelige, einige Gläser Wein, irgendwo ein Kichern. Die ersten verabschiedeten sich, andere saßen bei Kaffee und Cognac und diskutierten sich die Köpfe heiß. Rafon war auf Manolitos Schulter eingeschlafen; auch dem Hyperphysiker fielen mehrmals die Augen zu, bis er sich aufrappelte, grüßend in die Runde winkte und den Raum verließ. Ceshal stand mit Marcus, Peter und Kitai zusammen; Grimassen und Gesten zeigten mir, daß er Anekdoten über Ghotor zum besten gab. Khol flirtete mit Laury, Ras sprach mit Hamkammon. Ich sah auf die Uhr. Es wird Zeit! Weit nach Mitternacht suchte ich den graugekleideten Mispaner und rief: »Killan!« »Schon unterwegs, Atlan.« »Morgen, nein, heute legst du mir die Terminplanungen für die nächsten Perioden vor. Wir werden die meisten komplett absagen, den Rest umdisponieren und überdies eine Reihe von Erlassen herausgeben, die einige Leute zweifellos zum Zähneknirschen bringen. Ich denke, daß ich im Sinne aller noch Anwesenden spreche und entscheide.« ARK SUMMIA-Absolventen und Mitarbeiter sahen sich bedeutungsvoll an; sie wußten genau, was die angesprochenen Anweisungen und Befehle bedeuteten. Entscheidungen von weitreichender Wirkung standen an. In Einzelgesprächen hatte ich mich der Zustimmung versichert, so daß die Frauen und Männer ganz auf meiner Seite standen. Manche haben sich sogar für noch härteres Durchgreifen
ausgesprochen… »Notiert!« Mit bellendem Unterton antwortete Killan voo Mispanor und tippte eine Notiz ins positronische Filofax, ohne den ich ihn noch nie gesehen hatte. An die rauhe Stimme meines »Adjutanten« konnte ich mich einfach nicht gewöhnen. »Danke«, brummte ich. »Aber, wenn es geht, weitere Wortmeldungen mit halber Lautstärke.« »Jawohl, Euer Erhabenheit.« Er antwortete nicht weniger rauh als bei seiner ersten Bemerkung, und mir blieb nur ein Seufzen; das Mardergesicht mit dem graubraunen Stirnfell zeigte eine ungerührte Miene. Es war eine Art Ritual, das sich zwischen mir und dem fähigen Mispaner vollzog, seit ich ihn vor zwei Jahren als »Privatsekretär« in den Stab berufen und ihn schließlich zum Stabschef ernannt hatte. Einen fähigeren Logistik- und Verwaltungsfachmann konnte ich mir kaum vorstellen, zumal der Angehörige eines musteliden, in den Anfängen seiner Entwicklung recht kriegerischen Völkchens auf anderen Gebieten ebenfalls eine Spitzenkraft war. »In Übereinstimmung mit den einschlägigen Notstandsverordnungen wird wegen erwiesener Unfähigkeit und Tatenlosigkeit der Tai Than mit sofortiger Wirkung für zunächst drei Jahre aufgelöst und aller Verantwortung enthoben. Danach Überprüfung und gegebenenfalls Fristverlängerung! Für den Übergang wird der Berten Than als maßgebliches Exekutivgremium neu besetzt, unter anderem mit einigen der heute belehnten Ministern«, sagte ich leise; meine Stimme klang eisig. Killans Finger huschten, von zustimmendem Nicken und Murmeln begleitet, über die Sensorfelder. »In der genannten Zeit bedarf es fortan einer Zweidrittelmehrheit im Hohen Rat als frei gewähltem Volksparlament, um Erlasse und Gesetze des Imperators beziehungsweise sein Veto zu überstimmen.« Ich lächelte
grimmig. »Sollte wegen unentschuldigten Fehlens weiterhin kaum Beschlußfähigkeit herzustellen sein, ist das weniger mein Problem. Als Imperator schlage ich dem Tai Than aber vor, gegebenenfalls Zwangsmaßnahmen bis hin zur Neuwahl ins Auge zu fassen. Mal sehen, vielleicht hilft’s. Ähnliches betrifft politische und sonstige Kompetenzen der Khasurn! Zugang zu Ministerien, Verwaltungen und sämtlichen anderen logistischen und staatstragenden Einrichtungen und Institutionen besitzen fortan ausschließlich durch den Imperator besonders legitimierte Personen. Zuwendungen finanzieller Art und andere Bezüge sind von diesen Entscheidungen nicht betroffen – kommt das Imperium zwar teuer, aber man soll mir nicht vorwerfen, ich beschneide die Damen und Herren ungerechtfertigterweise ihrer Privilegien.« Mein Blick begegnete dem des Zeremonienmeisters, der ihn ohne Wimpernzucken zurückgab. »Hhm, in Abstimmung mit Truk Drautherb sind verbindliche Regelungen auszuarbeiten, die den Mitgliedern der Kleinen, Mittleren und Großen Kelche Benutzung wie Aufenthaltsrecht hinsichtlich der Räumlichkeiten des Kristallpalastes vorschreiben. Weiterhin gilt: Von offiziellen Verlautbarungen und entsprechenden Pressekontakten abgesehen, ist ab sofort die persönliche Begegnung mit dem Imperator auf gesondert anberaumte Audienztermine oder eben den legitimierten Personenkreis beschränkt. Ausnahmen sind schriftlich zu beantragen, Zuwiderhandlungen werden hart geahndet! Die Erlasse und Befehle werde ich mit dem Hort der Entscheidungen offiziell verkünden und in Kraft setzen, bevor ich nach Iprasa gehe. Wollen doch mal sehen, ob wir die Bande nicht in den Griff bekommen! Sollen sie sich in ihrem Luxus abschotten und versauern; wir kümmern uns ums Imperium! Meine Damen, meine Herren, es ist Schluß mit den Störungen, dem Nörgeln
und Einschmeicheln und all dem anderen Gehabe! Punkt, aus, vorbei! Wir haben Wichtigeres zu tun oder – wie es auf Terra heißt: erst die Arbeit, dann das Vergnügen!« Zunächst war es absolut still, dann klatschten die ersten, und schließlich wurde der Beifall ohrenbetäubend. Ich hob die Arme, wartete, bis Ruhe einkehrte. »Freut euch nicht zu früh, Freunde!« rief ich dann. »Man wird euch und mir Knüppel zwischen die Beine werfen, wo es nur geht! Wir werden unter Eingaben, Bitten, Gesuchen, Beschwerden und den haarsträubendsten Versuchen, diese Anweisungen zu unterlaufen, förmlich ersticken! Wenn ihr dann weiterhin jubelt, soll’s mir recht sein… Freunde, es war ein langer Prago: Redet und trinkt und bleibt, solange ihr möchtet – ihr seid, was sonst, jederzeit herzlich willkommen.« Ich seufzte und schloß dann ironisch: »Seine Erhabenheit aber ziehen sich jetzt in die Privatgemächer zurück. Ich danke für euer Kommen, eure Mitarbeit und euren unentwegten Einsatz. Gute Nacht!« Steif und förmlich stand Truk Drautherb vor mir; das lange Haar zum Nackenknoten gebunden, Glitzern huschte über die kristallinen Stirnimplantate. Langsam stieg Zorn in mir hoch. Beherrschung nach außen, im Inneren gebändigtes Brodeln. Zum wiederholten Male versuchte der Arkonide, mich von der dringenden Notwendigkeit der Einhaltung in Fragen des Protokolls zu überzeugen. Er hatte mich auf dem Weg zum Privatgemach abgefangen – katzenhaft schleichend, so daß er fast von Naat-Leibwächter Movruul überwältigt worden wäre. Es nervt! Er ist jung, geistig aktiv und körperlich fit. Es wollte mir nicht in den Kopf, weshalb er sich derart an die Starrheit eines vieltausendseitigen Regelwerks klammerte. Meine Hände öffneten sich und ballten sich erneut. Kälte kroch in mir hoch. Da geschah das Unerwartete: Truk sank aufs Knie und
senkte den Kopf, doch seine Stimme klang fest, als er sagte: »Euer Erhabenheit! Ich bin nicht Euer Feind! Zügelt bitte Euren Ärger. Mein ganzes Streben richtet sich auf das Wohlergehen und die Anerkennung Seiner Erhabenheit…« Wer’s glaubt… »Es geht weniger um mich, als vielmehr um Erhalt und Fortbestand des Imperiums, mein Lieber.« »Bei allem Respekt, mein Imperator, aber für mich ist das kein Widerspruch. Im Gegenteil! Ich weiß um die Sorgen und Nöte Seiner Erhabenheit. Ich kenne aber auch unser Volk. Es ist krank! Es ist schwach! Jede Bewegung erfolgt nur noch langsam und in winzigen Schritten. Ihr wollt alles schnell, am besten sofort, augenblicklich. Und je mehr Ihr in immer kürzerer Zeit fordert, desto beharrlicher wird der Widerstand; im Großen Imperium mit seiner vieltausendjährigen Geschichte ist es üblich, in Generationen zu denken. Auf diese Weise erreicht Ihr wenig, Sir!« Daß er die terranische Anrede benutzte, erstaunte und ließ mich die Bemerkung hinunterschlucken, die mir auf der Zunge lag – zumal der Extrasinn versicherte: Er hat recht! Mit einem Wink forderte ich Truk zum Weitersprechen auf. »Ihr, mein Imperator, und Eure Freunde beschwert Euch über Arroganz und Hochmut. Aber unterscheidet sich Euer Verhalten von dem der Arkoniden? Kaum unterdrücktes, mitleidiges Lächeln; ein Blick von oben herab… Unser Volk mag degeneriert sein, dumm ist es nicht! Verstand und Logik sind nur eine Seite, Sir, und von dieser Warte mögen Eure Entscheidungen und Befehle voll und ganz berechtigt sein. Ich akzeptiere sie und trage sie mit! Was aber ist mit Herz und Gemüt, Euer Erhabenheit? Anerkennung beruht auf Gegenseitigkeit! Ihr wundert Euch über Haß und Widerstand, obwohl Ihr nicht auf das Herz Eures Volkes eingeht? Die Tradition des Kristallprotokolls war und ist stets auch ein Zeichen der Verbundenheit der Herrschers mit seinem Volk!
Schon die Zahl der Einwohner im Imperium macht es unmöglich, daß der Imperator mehr als nur einem engen Vertrautenkreis wirklich nahe ist. Dennoch hat die Bevölkerung ein Anrecht auf Nähe – und diese bietet das Protokoll mit all seinen Zeremonien und Festlegungen. Es spricht die Herzen an! Und nur aus dem Herzen entspringt Liebe!« Gänsehaut überzog mit Tausenden Hügelchen meine Unterarme. Truk Drautherbs Offenheit ließ mich schaudern, weil sie mir unvermittelt klarmachte, daß ich viel zu sehr auf Problemlösung fixiert war und darüber die emotionalen Aspekte vernachlässigt hatte. Sein Einleitungssatz hallte in mir nach:… ganzes Streben richtet sich auf das Wohlergehen und die Anerkennung Seiner Erhabenheit… Das hat auch Laury behauptet! Er versucht auf seine Weise, für dich das Beste zu erreichen, sagte der Logiksektor rauh. Es mag dir nicht gefallen, aber indem er auf dem Wortlaut des Kristallprotokolls beharrt, verhindert er, daß du von einem Fettnapf in den nächsten springst, dich vor den Augen der Arkoniden lächerlich machst oder in peinliche Situationen gerätst – und so das Gesicht verlierst! Sachliche Befehlsgebung ist eines, Akzeptanz und Respekt etwas anderes. Wer kann einen Imperator schätzen oder gar lieben, wenn schon sein Auftreten und sein ganzes Gebaren unerfreulich, heikel oder beschämend sind? Wenn ihm anzumerken ist, daß er selbstgefällig über allem zu stehen glaubt, unbewußt vielleicht gar Verächtlichkeit ausstrahlt? Komm runter vom hohen Roß, Mann! Du bist nicht länger unter LarsafBarbaren, sondern im Großen Imperium mit seinen Billionen Lebewesen. Denke und handle arkonidisch! Beifall und Huldigung gehören zu deiner Rolle und ihren Pflichten ebenso wie die Lösung anstehender Krisen. Truk stand auf und sah mich fest an. Ich lächelte schmerzlich und sagte leise: »Ich danke für Ihre Offenheit, Zeremonienmeister. In Zukunft werde ich mich bemühen, die
von Ihnen angesprochenen Aspekte ebenfalls gebührend zu berücksichtigen.« Er verneigte sich und schritt dann würdevoll davon, weil er die Unterredung als beendet ansah. Ich sah ihm nachdenklich hinterher: Freunde würden wir vermutlich niemals werden, dazu waren wir zu verschieden. Doch er hatte mir die Augen geöffnet, die Bezüge zurechtgerückt. Ich verstand sein Handeln und die dahinterstehende Motivation. Er war in der Tat nicht mein Feind. Ob es mir allerdings wirklich gelang, die mit den Repräsentationspflichten verbundenen Dinge zu erfüllen, mußte die Zukunft zeigen… Später lag ich noch lange wach, grübelte, überdachte meine Entscheidungen, versuchte sämtliche nur möglichen Konsequenzen zu berücksichtigen. Cho-Käfer, »Letzte Prüfung«, Große Feuermutter… Ich. muß es schaffen! Es geht um die Zukunft des ganzen Imperiums! Truks Standpauke hat mich in meinem Entschluß noch bestärkt: Wenn es gelingt, die Gnße Feuermutter zu etablieren, ist das ein mehr als markantes Zeichen. Kaum merklich stiegen Bilder aus der Vergangenheit auf, verdichteten sich und begleiteten mich in unruhigen Schlaf…
5. Aus: Welten des Großen Imperiums; autorisierte Info-Sammlung des Flotten-zentralkommandos (Geheimwelten unterliegen Zugriffskode #***-****.**), reich bebildert, 223. Auflage der Kristallchips, 19.015 da Ark Zhygor: Mondloser einziger Planet der blaßroten Sonne Sarende, der allerdings von einer unbestimmten Zahl plötzlich erscheinender und wieder verschwindender sog. »Phantomwelten« begleitet wird: Folge exotischer Hyperraum-Schnittlinien und
Dimensionsverschiebungen. Seit 18.975 da Ark offizielle Freihandelswelt – 24.903 Lichtjahre von Arkon und 12.261 Lichtjahre vom Galaktischen Zentrum entfernt. Mittlerer Bahnradius: 195 Millionen Kilometer. Planetarer Durchmesser: 13.058 Kilometer. Gravitation: 0,94 Gravos. Siderischer Umlauf von 480 Tagen zu 26 Stunden und 30 Minuten. Sauerstoff-Stickstoff-Standardökosphäre. Mit 1,8 Grad kaum Achsneigung, deshalb keine jahreszeitlichen Klimawechsel, wegen der Sonnenentfernung geringe mittlere Temperatur. Starke geotektonische und hyperorientierte Aktivitäten, von Gijahthrakos und Dagormeistern des Kristallordens mühsam gebändigt, äußern sich in mehr als 20.000 aktiven Vulkanen, mächtigen Grabenbrüchen und Magmaergüssen von vielen tausend Quadratkilometern Umfang. Staub und Asche in der Hochatmosphäre bedingen schweflige bis rote Himmelsfärbung und kaum unterbrochene »Dämmerung«. Intelligente Ureinwohner: rochenförmige Kooann. Hauptkontinente sind Muo, Tla und Yrgaa; darüber hinaus gibt es viele hundert Großinseln. Hauptstadt auf Muo: Tatalal, »Stadt der tausend Wunder« (Besonderheit: in planetare Kruste eingelagerter Planetoidenrest, vgl.: Zhygor, »Katakomben von Tatalal«)… Erinnerungen Toncag-Sternenballung; Zwischenstopp beim Flug nach Zhygor, an Bord der ARKON: 32. Prago des Messon 19.015 von Arkon (= 27. Februar 2045 Terra-Standard) Tausende Leuchtpunkte vor scheinbar bodenloser Schwärze ergaben erst in Verbindung mit Ortungsdaten und Ausschnittshervorhebungen brauchbare Informationen. Ich stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, am Rand der Mittelempore des Zentraldoms. Mein Blick war auf den
Vergrößerungssektor der virtuellen Panoramaprojektion gerichtet, die als Band die Kuppelrundung umspannte: Markierungspfeile und Texteinblendungen kennzeichneten die Manöver des insgesamt 830 Raumschiffe zählenden Imperialen Geschwaders, die ins Zentrum der ToncagSternenballung vorstießen. Ein Fünf-Meter-Hologlobus zeigte Details: In einem Raumgebiet von nur einem Lichtjahr Durchmesser konzentrierten sich 60 Sonnen verschiedener Spektral- und Größenklassen zu einer bemerkenswert symmetrischen Anordnung, die, wenn man die eingeblendeten Verbindungslinien betrachtete, exakt einem terranischen Fußball glich; die Sonnen formten die Oberflächenkonstellation eines Vielflächners, der aus 12 Fünfecken und 20 Sechsecken bestand. … wie C-60-Buckyballs… auch Buckminster-Fullerene… Knapp an der Wahrnehmungsschwelle flüsterte der Extrasinn zum plötzlich vor meinen Augen stehenden Bild der AchtzigMeter-Kuppel des amerikanischen Pavillons auf der Montrealer Weltausstellung von 1967. Benannt nach dem Architekten Richard Buckminster Fuller, der komplizierte Kuppeln aus einfachen geometrischen Figuren konstruierte. C-60-Gruppen sind erstaunlich stabile Kohlenstoffanordnungen, die trotz Reaktionen mit anderen Stoffen ihre Grundform beibehalten… Umgeben war Toncag von einem »Saturnring« aus insgesamt 21 gelbgolden strahlenden Sternen, die als »Ring der Sonnen« einen Durchmesser von zwei Lichtjahren aufwiesen und die Äquatorlinie des Vielflächners markierten. Genau im Zentrum der Sternenballung befand sich der blauweiße Riese Komtheral, der von 32 Planeten auf zum Teil exzentrischen Bahnen umkreist wurde; Nummer sieben war Gikoo, die Heimat der Gijahthrakos. Schritte erklangen hinter mir. »Etappenziel erreicht, Euer Erhabenheit.« Straton Zaghyts Stimme grollte; massive
Metallplaslikplatten der Raumrüstung knirschten, als der Dron salutierte. »Die Bestätigungen sind eingegangen.« Ich drehte den Kopf, musterte die steife Haltung meines reptiloiden Flaggschiffskommandanten und lächelte bitter. »Straton, du änderst dich wohl nie? Steh bequem, Mann!« »Euer Erhabenheit…?« sagte der gedrungene Echsenmann gedehnt; sein Schwanz, braun-schwarz geschuppt und als Balance-Gegengewicht gereckt, formte ein fragendes S – ansonsten rührte sich keine Schuppe. »Vergiß es, Vere’athor!« Ich winkte ab und dachte: Stolz, martialisch, aber absolut loyal. Ohne die Dron… Vom Extrasinn kam ein bestätigender Impuls: Tokoons Verhandlungsgeschick erweist sich als unersetzlich; ein umfangreiches Vertragspaket ist in greifbarer Reichweite: elf von Dron besiedelte Sonnensysteme, Milliarden fähiger Mitstreiter! Ich seufzte – wieder einmal spürte ich die bedrückende Last der Verantwortung; als unsterblicher Imperator verfluchte ich oft ermüdendes Protokoll, langwierige Debatten um Nichtigkeiten und Privilegien und den Berg meiner Erinnerungen. Und meine Einsamkeit. Der Flug nach Zhygor war eine willkommene Ablenkung, ermöglichte er mir doch – über die Neugier hinaus, diese erstaunliche Welt endlich persönlich kennenzulernen –, meiner Rolle als gestaltgewordene Institution zu entkommen. Ich bin auch nur ein »Mensch«. Zhygor… Der Hinweis von ES hatte Möglichkeiten eröffnet, die sehr vielversprechend waren. Schon die erste Nachfrage beim Regenten hatte ein umfangreiches Dossier zutage gefördert. Freihandelsweltstatus, Dagoristas, Gijahthrakos – aus den Stichworten ließen sich ganze Langzeitplanungen ableiten. Berechtigte Wünsche und Mentalitäten der Fremdvölker im Imperium lieferten weitere Ideen, von DruufFronten total entvölkerte Planeten wie Mirasal III und Tats-Tor
boten sich problemlos zur Nutzung an, Valissa und Reno 24 kamen hinzu. Verhandlungen begannen, die grundsätzliche Übereinkunft war rasch erreicht – vor allem mit vielen Fremdvölkern! Details mußten noch abgestimmt werden… Leider liegt Zhygors Vergangenheit im dunkeln! Selbst Hemmar TaKhalloup, führender Historiker und Archivar des Imperiums, konnte bislang nur vage Erkenntnisse vorlegen. »Archaische Perioden«, galaxisweite Hyperstürme, der absonderliche Nebeldom auf Zhygor – unbetretbar und tabu… Ein Wust von Sagen und Überlieferungen, sagte der Logiksektor, uralt, aber derart entstellt, daß sich ihr realer Kern kaum überprüfen läßt. Sicher ist, daß es seit Urzeiten Hochkulturen gab, die Spuren hinterließen. Von wenigen »Altvölkern« abgesehen, sind sie allesamt ausgestorben, verschwunden, unauffindbar. Wie die Petronier, auch Galaktische Ingenieure genannt. Und wie weit müssen wir in die Vergangenheit gehen, um die von ES erwähnten »Erwachenden Legenden« zu entdecken? 100.000 Jahre? Eine Million? Noch mehr? Nickhäute schnappten über Stratons Augen. »Letzten Meldungen zufolge steht die Transitions-Route der RastpunktHabitate nach Zhygor; alles verläuft nach Plan.« Nachdenklich wies ich zur Holoprojektion und damit ins Weltall hinaus. »Zhygor soll eine Friedensoase werden – aber sogar die vermehrt entstehenden Freihandelswelten können das Chaos kaum verhindern, so erfreulich die Entwicklung an sich ist. Hoffen wir, daß es keinen Krieg gib… Hunderte Scharmützel eines verdammt heißen Friedens reichen beileibe!« »Erwachende Legenden«… eine noch namenlose Gefahr, die sogar ES Sorge bereitet… Ich hob fröstelnd die Schultern. Letzte Pulks formierten sich neu; dann stand das Geschwader bewegungslos in Warteposition. »Straton!« sagte ich heiser. »Vorgehen nach Absprache.
Sobald die Sphärenschiffe zu uns gestoßen sind, geht es weiter.« »Verstanden, Euer Erhabenheit.« Der Kommandant machte kehrt und stampfte zum Hauptpult zurück. Neue Detailprojektionen erschienen vor dem Panoramaband: Von Gikoo stiegen die angeforderten fünfzig Sphärenschiffe auf. Ich lächelte kühl. Wir waren von Arkon aus »schräg nach unten« geflogen, grob in Richtung Galaktisches Zentrum, das von hier aus noch 22.732 Lichtjahre entfernt war. Der Extrasinn flüsterte: Toncag und Gikoo sind 23.330 Lichtjahre von Arkon entfernt, 12.671 Lichtjahre »oberhalb« der Milchstraßenhauptebene. Die Notlandung eines Sphärenschiffes auf Iprasa vor vielen Jahrtausenden machte die Gijahthrakos zu einem den ältesten Fremdvolk-Mitglieder des Imperiums – obwohl meist nur wenige hundert vor allem auf den ARK SUMMIA-Prüfungswelten oder zurückgezogen in Dagor-Abteien lebten! Wenn man Toncag sieht, entgegnete ich nachdenklich, kann man die Gerüchte fast glauben, daß dieses Volk die Sternenballung tatsächlich künstlich errichtet hat. Wie sie’s gemacht haben, verraten die Gerüchte natürlich nicht: 82 Sterne über Tausende Lichtjahre bewegt und exakt gruppiert? Nicht alles Symmetrische in der Natur ist künstlich! Jeder Kristall beweist es! Langsam näherten sich tiefrote Gebilde Flaggschiff und Geschwader. Sie bestanden aus perfekt gebändigten Kraftfeldern uid stabilen Materieprojektionen. Materieprojektion – ein mit der kaum verstandenen »Technologie« der Gijahthrakos untrennbar verbundener Begriff! »Materialisiertes Trugbild oder gestaltgewordener Schatten« hatte Speedy es genannt. Eine andere, recht anschauliche Umschreibung lautete: »Pseudomaterie, die wie das Licht eines Spots beliebig
an- und ausgeschaltet wird und wie dessen Lichtkegel an beliebiger Position erscheint«. Theoretisch ließ sich das Phänomen erfassen und beschreiben, obwohl Manolito die Formelsammlungen der Hyperthorik hatte heranziehen müssen, jene meist als spekulativ angesehene Grenzwissenschaft einiger altarkonidischer Mathematiker: »Man forme eine Matrix aus hyperenergetischen Mustern ganz spezifischer Konfiguration, so daß die dritte reale Ableitung der Hyperfunktion im konventionellen raumzeitlichen Kontinuum materiell wird. Voilä: Das Ergebnis ist eine Form von Materie, die für unsere groben Sinne nicht von natürlicher zu unterscheiden ist, ihren Ursprung aber in einer Hyperballung hat und sich mit Änderung oder Verschiebung eben dieser Hyperballung ebenfalls verändert oder bewegt oder einfach verschwindet und an anderer Stelle auftaucht… Frag mich aber nicht, Atlan, wie die Gijahthrakos es in der Praxis genau machen, denn das erfordert eine Beherrschung des hyperenergetisch höchst-frequenten Spektrums, von dem wir Lichtjahre entfernt sind…« Ich seufzte. Wenn sogar dieser fähige Hyperphysiker passen muß…Die Gijahthrakos selbst blieben verschlossen. Freundschaft und Loyalität waren eines, Technologietransfer etwas anderes; insbesondere, wenn diese »Technologie« in erster Linie auf der Anwendung des Paranormalen basierte: auf Zhy, dem transzendentalen Licht! Grußadressen wurden ausgetauscht. Nach kurzer Zeit formierte sich auf meinen Befehl das Geschwader um. Erste Gruppen beschleunigten und eilten dem Transitionspunkt entgegen. Mit dem Flug begann der forcierte Endausbau der Freihandelswelt, nachdem schon seit Jahrhunderten Gijahthrakos und von ihnen angeleitete Dagoristas, im sogenannten Kristallorden von Zhygor zusammengefaßt, gegen
die aufgewühlte Natur ankämpften. Regelmäßige Konvois würden allerdings noch für Jahre zwischen den RastpunktHabitaten pendeln müssen, bis Zhygor autark war. Für die Clans der Raumnomaden war es allerdings eine unvergleichliche Aufgabe und Herausforderung, auf die sie sich mit größtem Elan stürzten; ihnen hatte ich die Leitung des Projekts »Freihandelswelten« übertragen. Sogar die profitorientierten Springer standen langfristigen, hochdotierten Staatsaufträgen, die überdies ihr Monopol nicht untergruben, alles andere als abgeneigt gegenüber. Daß ich auf diese Weise mindestens fünfzig Prozent ihrer Flottenkapazität an mich band, konnte ein feiner Nebeneffekt sein, der den Galaktischen Händlern allerdings voll und ganz bewußt war und sich schon zu Beginn als ein Hauptknackpunkt in den äußerst schwierigen Verhandlungen erwiesen hatte – Endergebnis und Unterschriftsreife des Vertragswerkes waren frühestens vielleicht in ein bis zwei Jahren zu erwarten. Du kannst froh sein, wisperte der Extrasinn, daß es nach den Ereignissen auf Archetz zu keiner Verschärfung der Situation kam, sondern vielmehr von einer Annäherung gesprochen werden kann! Ich nickte, winkte Straton und ging zu einem Aufenthaltsraum neben der Zentrale, zapfte mir einen Fruchtsaft und setzte mich, die Fersen auf die Tischplatte gelegt, in einen Sessel, um ungestört nachdenken zu können. Viel ist geschehen, seit ich den Robotregenten ablöste. Ob die eingeleiteten, geplanten und angedachten Vorhaben tatsächlich zum erwarteten Erfolg führen, muß sich noch herausstellen. Als Arkonide war ich es gewohnt, pragmatisch zu denken. Extreme waren zu vermeiden, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren, Ausgewogenheit hieß das Ziel. Denn das waren die wahren Tugenden und Traditionen, denen ich mich verpflichtet fühlte, nicht das Aufgeplusterte des
Kristallpalastes und der Khasurn – mochte Truk Drautherb noch so sehr mit den Augen rollen und entrüstet nach Luft schnappen. Harmonie im Sinne von Gleichgewicht ist Kern der Dagor-Lehren, bestätigte der Extrasinn. Leider haben sich in den Jahrtausenden »Traditionen« herausgebildet, die mit den hehren Grundsätzen häufig nur noch wenig gemeinsam haben. Harmonie – ich nickte und trank einen Schluck – ist keine »Friede-Freude-Eierkuchen«-Gleichmacherei, sondern das Einpendeln auf optimalem Niveau gemäß selbstregulierenden Mechanismen! Der permanente Angleichungsversuch des IstZustandes an die Soll-Werte, ähnlich einem Thermostat oder bei der Selbstregulation in der Natur: je größer ein Ausschlag in die eine Richtung, desto gravierender die Gegenreaktion. Im Kleinen wie im Großen. Koexistenz als Konkurrenz und friedliche Gegnerschaft war von uns stets akzeptiert worden: Welten mit eingeborenen Intelligenzen der Zivilisationsstufen A bis C durften kolonisiert werden, doch ab Stufe D – entsprechend einem ersten Vordringen in den Weltraum und der Beherrschung der Atomkraft – handelte es sich um eigenständige Kulturen, die in ihrer internen Autonomie zu akzeptieren waren. Egal, ob es sich um eine kleine Baronie handelte, um Fürstentümer, eigenständige Sektoren, Fremdvolk-Koalitionen oder Machtgruppen außerhalb der Struktur von Tai Ark’Tussan wie das Solare Imperium – Staatsgebilde waren stets nur Interessenpartner; Freundschaft und Liebe gab es ausschließlich zwischen einzelnen Personen. Man mußte beispielsweise das Gehabe und die Lebensart der Mehandor-Springer nicht sympathisch finden, denn bei ihnen war alles verhandelbar, Angebot und Nachfrage bestimmten den Preis, Vertragserfüllung stand an oberster Stelle, allerdings sollte man das »Kleingedruckte« beachten…
Aber man konnte mit ihnen auskommen; sie waren keine Feinde. Das terranisch-christliche »Liebe deinen Feind…« nötigt einem Arkoniden alter Art wie Ceshal da Ragnaari nur ein verständnisloses Kopfschütteln ab! Fürsorge, Gnade und die Hilfe des Starken für den Schwachen waren eins und entsprachen dem hehren Kodex des Arkon-Rittertums ebenso wie der allgemeinen Lebensauffassung. Ein Feind jedoch war eine Bedrohung für alle, und demzufolge mußte er mit aller Härte bekämpft werden! Pragmatismus war weder Pazifismus noch Militarismus; denn notwendige Härte zur rechten Zeit verhinderte Schlimmeres! Und das Handeln des anderen bestimmte stets das Ausmaß der eigenen Reaktion: Arkoniden, wie ich sie aus meiner Jugend kannte, hätten – um beim Beispiel zu bleiben – schon den »Streich auf die rechte Wange« abgewehrt, vom »Hinhalten der linken« ganz abgesehen. Dies zu verstehen und zu akzeptieren scheint manchmal sogar Freund Perry schwerzufallen. Bezeichnend war unsere Diskussion Mitte Mai vergangenen Jahres, nachdem Perry Terra offiziell die Ausschaltung des Regenten mitteilte und ich in wochenlanger Arbeit die Umprogrammierungen weitgehend abgeschlossen hatte: Ich versuchte ihm klarzumachen, daß ich keine Verträge zu unterzeichnen pflegte, wenn ich nicht wußte, ob ich sie auch einhalten konnte. »Du mutest mir zu«, hatte ich gesagt, »zu deiner eigenen – und ausschließlich zu deiner eigenen – Sicherheit ein Abkommen zu billigen, dessen Wortlaut so ganz typisch für euch Menschen ist. Du forderst mit wohltönenden, sorgsam gesetzten Worten eine Garantie für die Sicherheit der Erde.« »Ist das zuviel verlangt?« antwortete er. »Bisher galt Terras Position als geheim. Nur du bist darüber informiert.«
»Na und? Ist das ein Grund, mir jählings zu mißtrauen? Oder denkst du gar, mein Sinnen und Trachten richtet sich nunmehr danach, euch kleine Barbaren zu vernichten? Perry, verlier nicht die Nerven! Wenn ich euch hätte verraten wollen, hätten mir während der letzten Jahre genügend Mittel zur Verfügung gestanden, um euch durch einen kurzen Funkspruch die arkonidische Robotflotte ins Sonnensystem zu schicken. Kannst du nicht mehr klar denken? Ich kann dieses Abkommen nicht unterzeichnen. Meine Position ist noch zu unsicher. Ich schiebe den Regenten vor, um meinen Befehlen den erforderlichen Nachdruck zu verleihen. Wenn ich als Imperator Atlan an die Öffentlichkeit träte, hätten wir innerhalb weniger Tage mit furchtbaren Revolutionen zu rechnen. Was denkst du wohl, wie groß das arkonidische Imperium ist? Wie viele Fremdintelligenzen und Nachkommen ehemaliger Arkonkolonisten dort leben? Wie kann ich in deren Namen ein Abkommen unterzeichnen, wenn sie nichts von mir wissen? Oder mutest du mir zu, so kurz nach meinem Eintreffen auf meiner Heimatwelt zum Betrüger zu werden?« »Du könntest das Bündnis im Namen des Robotregenten unterzeichnen!« »Gerissener Barbar!« Meine Stimme klang kalt, Zorn stieg in mir hoch. »So wart ihr immer, und du bist nicht besser, wenn es ums Wohl deines Volkes geht.« »Ich halte das nicht für unanständig«, entgegnete er sanft. »Was soll man dazu sagen?« Ich lachte ärgerlich auf. »Für dich ist es nicht unanständig, wohl aber für meine Begriffe. Es genügt bereits, wenn ich den großen Betrug weiterhin fortführe. Wollte ich meinem Gewissen folgen, so würde ich mich heute noch als rechtmäßigen Herrscher durch den Automaten proklamieren lassen. Ich sehe davon ab, weil ich an das Wohl vieler Völker denke. Ich muß behutsam
vorgehen. Begnüge dich deshalb mit meinem Versprechen, daß ich die Erde weder verraten noch angreifen werde…« Ich kannte sie zu gut, diese Terraner: Erst kamen sie selbst, danach lange nichts, und dann waren sie vielleicht bereit, anderen Leuten wohlwollende Freundschaft zu schenken – allerdings nur, wenn ihnen besagte Leute nicht gefährlich erschienen. Und wäre mein Gegenüber nicht Perry Rhodan gewesen, hätte man selbst dieser »Freundlichkeit« nicht bedingungslos vertrauen können. Die amerikanischen Ureinwohner beispielsweise wissen ein bezeichnendes Lied davon zu singen! Er bot mir zehn Millionen ausgebildete Soldaten zum Kampf gegen mögliche Aufstände – ich hatte die erforderlichen Schiffe zu stellen… Ich ging darauf ein, auch ohne schriftlichen Vertrag, denn die Druuf-Gefahr war noch nicht ausgestanden. Wenige Tage später kam es zum »Fall Kolumbus«, der Entdeckung der Erde durch eine fremde Macht: Fünftausend Kampfschiffe der Druuf stießen als erste Angriffswelle gegen das Solsystem vor. Trotz des Einsatzes von fünf Superschlachtschiffen der 1500-Meter-Klasse konnte die Solare Flotte die Übermacht der Invasoren nicht wirksam abwehren, und Rhodan bat mich um Hilfe. Druuf-Schiffe erreichten die Jupitermonde und den Mars, bis neun Stunden nach Rhodans Hilferuf Admiral Senekho mit zehntausend schweren arkonidischen Robotschiffen und viertausend Einheiten der Springer unter Führung des Patriarchen Cokaze eintrafen. Sie entschieden die Schlacht zugunsten Terras; nur dreitausend Schiffen der Druuf gelang die Flucht. Cokaze allerdings setzte sich mit seinen Schiffen auf Mars und Venus fest und weigerte sich, das Solsystem zu verlassen. Mehr noch: Er forderte einen Vertrag, der seinem Volk das Handelsmonopol im Solaren Imperium zusicherte.
Auf Rhodans Bitte hin stellte ich daraufhin Terra durch den Robotregenten unter die »Schutzherrschaft Arkons«. Zur gleichen Zeit desertierte Thomas Cardif: Er wollte sich an seinem Vater rächen, dem er vorwarf, die »todkranke Thora gegen den Rat der Ärzte nach Arkon geschickt zu haben, um sich ihrer zu entledigen«. Cardif bot Cokaze das Handelsmonopol an, wenn er Rhodan zu Fall brachte, und proklamierte sich selbst zum Administrator. Erbost über die schroffe Zurückweisung seiner Forderungen durch Rhodan, unterstützte Cokaze Cardif, der Terra in seiner irren Rachsucht zur arkonidischen Kolonie machen wollte, mit Propaganda und Sabotageakten. Cardif drängte Cokaze zu einem Angriff auf die Erde. Als der Springer aber erfuhr, daß ich den Robotregenten entmachtet hatte, witterte er die historische Chance der Galaktischen Händler: Um die Macht im Großen Imperium an sich zu reißen, brach er den Flug seiner Walzenschiffe zur Erde ab, und als zweitausendfünfhundert von Terranern bemannte arkonidische Kampfschiffe im Solsystem materialisierten, zog sich Cokaze mit seiner Flotte fluchtartig zurück. Auf Archetz, der Zentralwelt der Springer, gab Thomas Cardif der Galaxis am 1. Juli 2044 bekannt, daß ich den Robotregenten ausgeschaltet hatte, und ich bat Perry nun meinerseits um Hilfe, während auf Drängen Cardifs Cokaze sich mit anderen Springerpatriarchen verbündete. Darüber hinaus kooperierte Cokaze mit dem »Rat der Zehn« von Aralon. Im gesamten Arkonreich kam es zu Aufständen. Rhodan, der die Schiffe der Druuf nutzen wollte, um die Springer einzuschüchtern, verhandelte unterdessen und bot den Druuf die Möglichkeit an, ihre Flotte nach einem Demonstrationsflug ins Rusuma-System mit Hilfe des terranischen Linsenfeldgenerators in die eigene Zeitebene zurückzubringen. Vom Vorhaben informiert, ließ ich die
arkonidische Robotflotte durch den Großen Koordinator von der Druuf-Front abziehen und drohte den Einsatz der dadurch freigewordenen Robotschiffe an, falls die Überschweren ihre Sicherungsverbände nicht aus dem Rusuma-System zurückzogen; imperiumsweit wurde mein Ultimatum verbreitet: »… lasse die Druuf kommen, damit sie über dieses morsche Staatsgebilde, das sich nicht zu einer Einheit fügen will, herfallen. Die Robotflotte von Arkon wird zusehen, wie eine Welt nach der anderen untergeht. Nehmt mein Ultimatum ernst! Vergeßt nicht, daß ich so zu handeln weiß, wie der Große Koordinator bisher mit euch verfahren ist. Rebellen stellt man überall an die Wand. Entscheidet euch, ob ihr Rebellen sein wollt oder treue Bürger des Großen Imperiums!« Aber die Druuf mißtrauten plötzlich ihren terranischen Partnern, und so griff ihre gesamte Flotte die Zentralwelt der Springer an. Der völlig mit Industrieanlagen bedeckte und bis tief in die Kruste unterhöhlte Planet wurde verwüstet, bis Arkons Robotschiffe eingriffen: Die Flotte der Druuf wurde aufgerieben, und mit Erschrecken erkannte man im Großen Imperium, daß dieser »Admiral Atlan«, der sich Nachfolger des Großen Koordinators nannte und den niemand kannte, ebenfalls die Kraft und die Härte besaß, unerbittlich durchzugreifen, um die Macht des Staates zu demonstrieren. In einer über den Großsender von Arkon III ausgestrahlten Sendung erwies Rhodan mir öffentlich seine Reverenz. »Ich verbeuge mich vor Atlan, dem Imperator Gonozal VIII. der Arkons Reich zu neuer Größe führen wird. Ich rufe dem Großen Imperium als Administrator meines Sternenreiches zu: Treue um Treue! Völker des Großen Imperiums, begreift, daß eure und unsere Aufgaben in den Weiten des Universums liegen und nicht in Haß und Zwietracht untereinander…« Als er von der Kamera zurücktrat, lächelte ich bitter.
»Freund, du hast mich jetzt zum Imperator gemacht, aber was nützt dieser Titel, wenn die Völker des Großen Imperiums nicht bei Arkon bleiben wollen? Nein, ich resigniere nicht, Perry, aber ich will auch kein Träumer sein. Ich brauche deine Freundschaft und Zeit, Barbar! Zeit, Zeit und noch einmal Zeit! Ich kann nicht von heute auf morgen ändern, was seit Generationen von verantwortungslosen Arkoniden zerstört worden ist. Ich kann auch nicht alles allein tun – aber wird man mir die Zeit geben, überhaupt etwas tun zu können?« Seit Anfang August 2044 verringerte sich die Überlappung der beiden Universen immer mehr, und es war abzusehen, daß die Verbindungen mittelfristig endgültig beendet sein würden. Trotzdem entschloß man sich auf Terra, auf der Suche nach Verbündeten Kontakt zum rätselhaften Volk der Molekularverformer zu suchen, zu dem man erstmals in Gestalt von Maatal auf Eppan Kontakt gefunden hatte. Die Einzelheiten der Ereignisse erfuhr ich von Thantan Marcus Everson. »In der Villa des Molekularverformers Maatal fand die Solare Abwehr Hinweise darauf, daß ein Auswandererschiff der Molekularverformer den zweiten Planeten der nahe dem galaktischen Zentrum gelegenen Sonne Greenol erreicht haben soll. Ich wurde mit der MEXICO entsandt; an der Expedition nahm auch der Telepath Samy Goldstein teil…« Auf dem Planeten Moluk begegneten die Terraner den eingeborenen Greens, die auf einer relativ niedrigen Zivilisationsstufe standen und die Eigenschaft hatten, Parafähigkeiten zu schwächen – es handelte sich um entfernt humanoide, grünhäutige Wesen. »Der uralte Green Npln, den wir Napoleon nannten, berichtete von einem Turm in der Wüste, in dem böse Geister hausen sollten, und er erklärte sich bereit, meine Leute dorthin zu führen. Beim Turm handelte es sich allerdings um das Wrack des gesuchten Molekularverformer-
Raumschiffes.« Napoleon erklärte, daß er als einziger von fünftausend den Absturz überlebt habe, nachdem die Para-Steuerung des Schiffes – Folge der Parakräfte der Greens – beim Anflug auf Moluk versagte: »… muß erwähnen, daß der Antrieb unserer Schiffe eine Mischung von technischen und paramechanischen Kräften ist, deren Zusammenwirken unvergleichliche Erfolge bringt.« Während Everson sich über eine solche Kombination recht erstaunt äußerte, war sie mir keineswegs so fremd: Die Meditationsblöcke von Zhy-Famii der Raumnomadenclans verwendeten ähnliche Methoden, um die riesigen Habitate zu bewegen und in Transition zu zwingen! Auf Moluk bezwang Napoleon mit seinen paranormalen Gaben zunächst die Terraner, weil er deren Raumschiff benutzen wollte, um den Planeten zu verlassen. Die Annäherung eines Green schwächte die Parafähigkeiten des Molekularverformers jedoch so, daß Goldstein sich befreien konnte, und ein Roboter erschoß den fliehenden Napoleon. Zuvor hatte er behauptet, seine Heimatwelt sei in einer Art Kernbrand vernichtet worden und er unwiderruflich der letzte Molekularverformer. Ob dies tatsächlich zutraf, konnte Everson nicht bestätigen; persönlich schloß er allerdings die Möglichkeit nicht aus, daß Npln gelogen hatte. Kurz darauf gelang die Rettung der Schläfer, und nachdem die einhunderttausend auf Arkon III abgeliefert waren, rief eine telepathische Botschaft von ES Rhodan nach Wanderer. Auch Perry gegenüber zeigte sich der Unsterbliche erschöpft und sagte: Ich muß meine Kräfte schonen. Ich bin sehr geschwächt. Es ist reiner Zufall, daß ich von der schrecklichen Gefahr erfuhr, die uns alle bedroht. Frage mich nicht nach der Natur dieser Gefahr, denn ich könnte dir nicht antworten. Ich weiß nur eines: Die Barkoniden
scheinen ihr bereits erlegen zu sein. Der Planet Barkon, vor einer Million Jahren aus unbekannten Gründen mitsamt seiner Sonne aus dem Gefüge der Milchstraße gerissen und in den Leerraum zwischen den Galaxien geschleudert, war von Perry in Begleitung des Unsterblichen erstmals im August 1982 besucht worden. Eigenen Angaben zufolge besaßen die Barkoniden seinerzeit ein sehr großes Kolonialreich, und sie waren der Ansicht, daß alle humanoiden Völker letztlich ihre Existenz ihnen verdanken, den »Stammvätern der Galaxis«. ES schwächte Perry gegenüber diese Behauptungen zwar etwas ab, und auch die große Ähnlichkeit zwischen den Begriffen Barkon und Arkon wurde von ES als Zufall bezeichnet. Aber dank dem Eingreifen gelang das Vorhaben der Barkoniden, die ihren Planeten von der Sonne lösten, um die lange Rückreise zur Milchstraße anzutreten. Mit einem ferngesteuerten Raumschiff gelangte Rhodan, von Gucky und Wuriu Sengu begleitet, nun zum zweitenmal nach Barkon, und es stellte sich heraus, daß der Planet von »Unsichtbaren« angegriffen wurde. Die Barkoniden befanden sich in einem künstlichen Tief schlaf und konnten deshalb nicht von ES telepathisch erkannt werden. Die Barkoniden erwachten und berichteten, daß die Unsichtbaren fünfzig Jahre nach dem Aufbruch Barkons begonnen hätten, die Energieanlagen des nun sonnenlosen Planeten zu sabotieren. Um der Gefahr zu entgehen, hätten sich die Bewohner Barkons in den Tiefschlaf begeben. Gucky verspürte als Telepath die Anwesenheit der Fremden als Druck bis Schmerz im Kopf in Form einer suggestivähnlichen Beeinflussung, ohne sie telepathisch ausspionieren zu können; die Fremden waren nicht nur unsichtbar, sondern auch körperlos, denn es gab keine Fußspuren im Schnee, sie waren nicht zu greifen und konnten
durch Wände gehen! Bei Beschuß mit Energiestrahlen wurde ihre Gestalt konturenhaft sichtbar und gewann Masse: von Perry beschrieben als »aus Licht heraus materialisierende menschliche Formen mit einem Gesicht mit zwei Augen«. Mehr als fünf Energiestrahlen töteten die Fremden, mit dem Tod lösten sie sich in NICHTS auf. Ihre Raumschiffe, als »Energieimpulse« bezeichnet, waren ebenfalls unsichtbar, wobei die Grundform ein länglicher Torpedo war – hundert Meter lang, zwanzig Meter dick. Die Startbeschleunigung des unbekannten Hyperantriebs betrug zehn Lichtstunden in zehn Sekunden. Rhodan, Gucky und Sengu vertrieben die Unsichtbaren, die offensichtlich aus dem intergalaktischen Leerraum kamen, sicherten dadurch die Zukunft der Barkoniden und kehrten nach Wanderer zurück, wo ES auf Rhodans Fragen sehr zurückhaltend antwortete: Zu vieles Wissen beeinflußt die Zukunft. Für dich muß die Zukunft dunkel bleiben, denn das grelle Licht des Wissens um sie würde dich erblinden lassen. Du aber sollst sehen – und wenn es nur das Dunkel ist, was du zu sehen glaubst… Ich bin das einzige lebende Wesen, das deine Fragen beantworten könnte, aber ich werde es nicht tun. Du hast mir in einer Situation geholfen, in der ich nicht mehr hätte helfen können. Und wenn wir den Barkoniden nicht geholfen hätten… Der Rest blieb weg, und auch Rhodans weitere Frage nach den Barkoniden und den »Unsichtbaren« beantwortete ES mehr als ausweichend: Ich verdanke ihnen, was ich heute bin. Mehr kann ich dir nicht sagen. »Du verdankst es ihnen? Das verstehe ich nicht. So sind sie also keine Feinde? Warum griffen sie die Barkoniden an?« Wenn ein Gegner dich tötet, Perry Rhodan, so verdankst du ihm deinen Tod. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Es fragte sich, ob dies mehr als nur ein Wortspiel war, denn ich stand vor dem Problem, inwieweit die außergalaktischen
Unsichtbaren mit den von ES erwähnten »Erwachenden Legenden« in Zusammenhang standen. Auffallend war allerdings, daß sich ES Perry gegenüber noch verschlossener und orakelhafter gezeigt hatte als bei mir. Bislang hatte es keinen zweiten Kontakt gegeben, so daß ich weiterhin ziemlich im dunklen tappte. Andererseits konnten die Barkoniden durchaus ein erster Ansatzpunkt sein, obwohl uns das in Bereiche brachte, die eine Million Jahre oder gar mehr zurücklagen. Wer oder was war beispielsweise für das Abdriften des Barkon-Systems verantwortlich gewesen? Eine natürliche Ursache oder gar ein Fremdeinfluß? Ursprünglich befand sich Barkon mit der gleichnamigen Sonne offenbar im Orionspiralarm, nicht allzuweit von Sol entfernt. Den Barkoniden selbst jedenfalls, so ihre Aussage Perry gegenüber, blieb die Ursache unbekannt. »Sie löste sich aus unerklärlichen Gründen aus dem Gravitationsfeld der rotierenden Milchstraße und glitt aus dem Verband der Sterne hinaus«, erklärte Nex Perry gegenüber im Jahr 1982. »Aber nicht etwa in Drehrichtung, sondern genau im rechten Winkel dazu. Wir sind bis heute noch nicht einig geworden, warum das geschah. Unaufhaltsam strebte unser ganzes System in den fürchterlichen Abgrund hinein, der die Galaxien trennt. Nichts konnte unsere Drift aufhalten.« Barkon – Arkon… Rhodans gedankliche Assoziation war naheliegend. Keine Vermutungen anstellen, davor warnte ich dich, sagte ES, dem Perrys Überlegungen nicht entgingen. Die Zeit ist noch nicht gekommen, die großen Zusammenhänge erkennen zu dürfen. Du beginnst sie zu ahnen, und damit weißt du mehr als alle Sterblichen der Milchstraße… Denke nicht darüber nach, wenn du den Verstand nicht verlieren willst.
Eine Million Jahre und mehr… Wie hatte Hemmar Ta-Khalloup in seiner von mir in Auftrag gegebenen »Untersuchung über Allvölker der Galaxis, rätselhafte Hinterlassenschaften, Legenden und ihre Auswirkungen« als Vorabbericht geschrieben? … stammt von den Gijahthrakos die Legende der »petronischen Ingenieure«: ein Uraltvolk der Galaxis, dessen Existenz sich ausschließlich von seinen Hinterlassenschaften in Form metallischer Riesenkugeln herleiten läßt. Den sehr unsicheren Quellen zufolge nannten sich diese Wesen auch Galaktische Ingenieure. Sie gelten als ausgestorben. Ob es Bezüge oder Verbindungen zu den Barkoniden gibt, muß völlig offengelassen werden! In den Katakomben von Tatalal soll es allerdings Hinterlassenschaften geben, die vielleicht von den Petroniern geschaffen wurden… Hemmar Ta-Khalloup sprach mitunter von »vagen UrErinnerungen«, ergänzt um größtenteils zerfallene Funde, rätselhafte Artefakte und schriftliche Zeugnisse von ausgestorbenen Altvölkern: Die aufgetanen Quellen wiesen jener fernen Zeit einen Begriff zu, der zum Schaudern Anlaß gab, ohne daß allerdings sein Wahrheitsgehalt hätte bestimmt werden können: Großer Galaktischer Krieg! Einzelheiten waren nicht mal in den Legenden überliefert, doch diese hielten das Wissen um die »Ereignisse« insofern wach, als bei vielen Völkern vom Einfall von Bestien und schrecklicher Meute berichtet wurde, so daß an zahlreichen Orten der Begriff QA’PESH und ihm ähnliche Phoneme als Synonym für »Wilde Horde« bekannt waren. Leider ließ sich eine genaue Datierung schwerlich vornehmen, weil es auf vielfältige Weise zu Verschmelzungen mit späteren Ereignissen kam: Die Sagen rings um meinen Namenspatron Tran-Atlan berichteten ebenfalls von Bestien, doch hier handelte es sich um Dinge, die angeblich nur rund 19.000 Arkonjahre zurücklagen, unter Umständen aber auf
älteren Quellen beruhten. Mit anderen Worten: alles offen! Mein Extrasinn reagierte mißmutig. Solange ES sich bedeckt hält, bleibt es Spekuliexen ins Blaue hinein. Auch ohne »Erwachende Legenden« gibt’s genug Probleme! Stimmt! Ich nickte fahrig, von weiteren Erinnerungen heimgesucht. Im Großen Imperium erreichte die Entwicklung Anfang November 2044 einen neuen Höhepunkt: Obwohl sich der Telepath John Marschall in meiner Nähe aufhielt, wurde mir durch Unbekannte der Zellaktivator geraubt, ohne den ich nur zweiundsechzig Stunden überleben kann. Perry setzte das gesamte Mutantenkorps ein, um nach dem Dieb zu fanden, und die Recherchen ergaben, daß Segno Kaáta, ein Hoherpriester des Báalol-Kultes, der durch Cardif von der Bedeutung des Aktivators erfahren hatte, für den Diebstahl verantwortlich war. Nahezu im letzten Augenblick konnten wir den Zellaktivator zurückbekommen, und Ende November entschloß sich Perry, die von seinem Sohn ausgehende Gefahr endgültig zu beseitigen. Weil Cardif nicht zu einer Verständigung mit Rhodan bereit war, sondern seinem Vater weiterhin vorwarf, Thora ermordet zu haben, erhielt er durch das Hypnotron des Robotregenten eine neue Persönlichkeit. Im Anschluß daran halfen mir Gucky und John Mitte Dezember, die Kontakte zu den Gijahthrakos zu intensivieren und sie zur Mitarbeit zu überreden. Ein Lichtblick! Die Begegnung mit diesen hochgradig Parabegabten schien vor allem den Mausbiber deprimiert zu haben – mit seinen Fähigkeiten als Telepath, Telekinet und Teleporter war er diesen eigentlich kristallinen Wesen durchaus ebenbürtig. Er machte, als er kurz vor Weihnachten abreiste, auf mich einen bedrückten, lustlosen und beunruhigten Eindruck. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich eher um eine Vorahnung,
vielleicht sogar durch die Konfrontation mit den Gijahthrakos initiiert, die Gucky zurück zu seiner Heimat aufbrechen ließ. Der Flug endete in einem Desaster – Tramp wurde zerstört, Gucky konnte nur achtundzwanzig Iltkinder retten. Schließlich der Tod Crests! Er starb am 25. Januar 2045 – nach Arkon-Zeitrechnung entsprach dies dem 4. Prago des Messon 19.015 da Ark. Zum Gedenken an den großen Arkoniden wurde in Terrania ein Standbild errichtet, das lediglich die Aufschrift »Ein Freund der Menschen« trug, und im Staatsakt, zu dem ich anreiste, wurde des großen Arkoniden gedacht: Die Menschheit trauerte… An Bord der ARKON – Sublichteinflug ins Zhygor-System: 34. Prago des Messon 19.015 von Arkon (= 2. März 2045 Terra-Standard) »… ein raumzeitlich verzerrter Sektor von annähernd zwei Lichtjahren Durchmesser, in dem es keine klare Grenze zum Niveau des Hyperraums gibt«, erklärte Professor Manolito Almeda. Die Staffelkommandeure des Geschwaders waren direkt zur Holokonferenz zugeschaltet, die übrigen Kommandanten per Hyperfunkstandleitung ins Briefing eingebunden. »Es kommt hier vielmehr zu einer Überschneidung oder Überlappung der Dimensionen – einerseits offensichtlich mit fremden Universen, andererseits auch mit der übergeordneten Struktur des Hyperraums an sich.« Es sah auf seine handschriftlichen Notizen und räusperte sich. Ich lächelte. Ein Phänomen wie das des Zhygor-Systems ließ sich ein Wissenschaftler wie er natürlich nicht entgehen. Hätte ich ihn
nicht zürn Mitkommen aufgefordert, wäre er vermutlich auf eigene Faust nachgekommen; grantiges Zitat des Mexikaners: »… wenn’s sein muß, sogar zu Fuß!« Tagelang hatte er sich mit Mascant Tokoon und anderen Gijahthrakos unterhalten und war nun vermutlich der einzige außer ihnen, der umfassend über die Besonderheiten informiert war – und sie auch annähernd verstand. Die allgemeine Einweisung drohte deshalb, zur wissenschaftlichen Vorlesung zu werden. Straton Zaghyt tastete nachdenklich die Schwanzschuppen ab, als wolle er sie zählen, Khol Trayz’ Holokörper strich nachdenklich über den Oberlippenbart, Mascant Tokoontlameers Runzelgesicht zeigte ein versonnenes Lächeln. Neben mir schlug Tatjana Michalowna aufregend lange Beine übereinander, von hautenger Bordkombi wirkungsvoll zur Geltung gebracht; ein Anblick von bemerkenswert ablenkender Wirkung… »Die Erforschung hyperenergetischer Prozesse«, sagte Speedy heiser, »sowie die dimensionsgeometrische Betrachtung lieferten ein besseres Verständnis des Hyperraums an sich, denn der befindet sich nicht irgendwo abseits, drunter oder drüber, sondern unser Universum befindet sich mitten in ihm. Er umgibt unseren Vier-D-Raum. Es gilt als sicher, daß nahezu unendlich viele Universen ins Fünf-D-Kontinuum eingebettet sind. Überall zwischen ihnen erstreckt sich der Hyperraum, und ein Hyperereignis läßt sich stets als eine Aufeinanderfolge vierdimensionaler Vorgänge erklären, deren Kennzeichen allerdings ist – weil im Hyperraum angesiedelt –, daß es sich um eine Abfolge von Zuständen handelt, die kausal nicht miteinander verknüpft sind, sprich: Universen oder genauer gesagt: UniversalSequenzen. Mit anderen Worten: Ist von einem Eindringen in den Hyperraum die Rede, handelt es sich um eine
irreführende Formulierung, weil das Standarduniversum natürlicher Bestandteil des Hyperraums ist, genauso wie die zweidimensionale Würfeloberfläche Bestandteil des dreidimensionalen Würfels. Es kann nur gesagt werden, daß das Standarduniversum ein Teilkontinuum innerhalb des Hyperraums ist, in dem vierdimensionale Konventionen gelten, und erst akausale Phänomene markieren den Übergang zu Bereichen, die nicht zu diesem Teilkontinuum gehören…« Im Darstellungsglobus entstand ein komplexes Liniengitter, dessen Mitte von einer blaßroten Sonne eingenommen wurde. Mit ihrer Rotation bewegten sich auch die vielfarbigen Linien, deren Struktur insgesamt dem Muster eines Magnetfeldes glich: Hauptbüschel gingen von der Polen aus, schwangen weit herum und vereinten sich mit denen des Gegenpols. Andere Fäden entsprangen dagegen der übrigen Sonnenoberfläche, wurden spiralig verzerrt und formten bizarre Girlanden. Von Knoten und Überschneidungen strudelten Wirbel auseinander, die ihrerseits wiederum Hauptbüschel und Einzellinien bildeten und vereinzelt Trichter stabilisierten, deren Eigenrotation dem Präzessionstaumeln eines Kreisels entsprach. An manchen Stellen zogen sich die Trichter auseinander oder stülpten sich um, bis sie die Gestalt eines Torus, eines Kreiswulstes annahmen, die dann bemerkenswert stabil blieb: rotierende Ringe, geformt aus Hyperfeldern. »Im Zhygor-System ist die Struktur des konventionellen raumzeitlichen Kontinuums nicht in bekannter Weise geschlossen, sondern aufgrund starker hyperenergetischer Konzentration in Richtung Hyperraumniveau entrückt. Ursache des Phänomens sind maßgeblich zwei Dinge: die außergewöhnlich intensive hyperenergetische Emission von Sarende sowie eine extrem hohe Konzentration von hyperkristalliner Pseudomaterie, die beispielsweise rings um
Zhygors Nordpol einen wahren Kristallwald entstehen läßt, aber auch in feinster Partikelform Bestandteil des interplanetarischen Raums ist. Beides reagiert in Resonanz aufeinander und kann sich aufschaukeln, so daß es zu Sekundärerscheinungen kommt: Aufrisse zum Hyperraum, Abfließen von Hyperenergie, akausale Effekte oder eben die konkrete Überlappung mit einem anderen im Hyperraum eingebetteten Teilkontinuum.« Manolito lächelte leicht. »Eine n-dimensionale Umgebung wie der Hyperraum, mit n größer als drei, bedeutet für Wesen unserer Art, daß wir automatisch eine Vielzahl verschiedener Räume wahrnehmen, die nicht unserer normalen Erfahrung entsprechen und überdies ebenso plötzlich entstehen wie auch wechseln, weil wir die eigentliche und höherdimensional-akausale Struktur nicht erkennen und noch weniger verstehen können: Dies gewinnt eigentliche Bedeutung, wenn der Hyperraum im Sinne eines Multiversums aufgefaßt wird.« Dort, wo sich Tori gefestigt hatten, entstanden in der Projektion von Begleittexten markierte Planeten, die allerdings mit Auflösung der Torus-struktur sofort wieder verschwanden. Auch Zhygor war von einem hyperenergetischen Tonis umgeben, bewegte sich jedoch nicht innerhalb des Rings, sondern war im zentralen Loch plaziert. Von dort aus ragte eine Röhre bis zum Rand des raumzeitlich verzerrten Sektors. »Wiederholt können im Zhygor-System deshalb sogenannte Phantomwelten beobachtet werden, die zwar optisch klar erkennbar sind, jedoch nie so vollständig materialisieren, daß unsere Masse-, Energie- und Strukturtaster sie erfassen könnten.« Manolito bewegte einen grellroten Lichtzeiger, bis er die Freihandelswelt erfaßte. »Wie Sie sehen können, ist auch Zhygor eigentlich eine solche Phantomwelt. Sie zeichnet sich
zur Zeit nur dadurch aus, daß sie einerseits relativ stabil im Zentrum des Tonis positioniert ist…« Ein Hinweis des Logiksektors erinnerte mich daran, daß die Volumenformel eines Tonis exakt der der Einsteinschen Hypersphäre eines Vier-D-Konti-nuums entsprach; eines Torus allerdings, dessen zentrales Loch einen gegen Null strebenden Radius aufwies – somit in beiden Fällen: V = 2p2p3. »… andererseits besitzt der Planet zusätzlich durch das Tabufeld der Gijahthrakos eine Art Anker.« Der Lichtzeiger glitt die Röhre entlang. Das als Korridor bezeichnete Phänomen wird von Zhygor aus geschaltet – es gestattet den Sublichtflug zum Planeten und reicht bis an die Grenze des systemweiten Verzerrungszone: ein Tunnel, der den gefahrlosen Ein- und Ausflug ermöglicht und verhindert, daß Besucher und Händler von den chaotischen Kräften tangiert werden, die in vielem einer Art makroskopischem Tunneleffekt entsprechen…« … eigentlich ein quantenmechanischer Effekt, bei dem Quanten sogar dann einen Potentialwall überwinden können, wenn ihre kinetische Energie nach konventioneller Vorstellung nicht ausreicht. Vibrierend stiegen Informationen in mein Wachbewußtsein. Trotzdem werden die Abstoßkräfte des Potentialwalls überwunden, beispielsweise beim Alphazerfall von Atomkernen. »Makroskopisch« entsprechen Einzelobjekte in Universen den Quanten; Ergebnis sind virtuelle Erscheinungen, Materieprojektionen oder gar vollständige Materialisationen – und, im anderen Fall, unerwartete Entmaterialisationen… »Das Tabufeld jedenfalls steht und verhindert durch seine Struktur ohnehin jeden ungewollten Zugang. Jedes Objekt, das nicht zum natürlichen Muster des Systems gehört, wird von der übergeordneten Feldstruktur abgewehrt – Boliden, Mikromaterie, Strahlung, alles!« Führt das nicht zu Staueffekten? Welche Leistung muß das Tabufeld erbringen? Bei Arkons Göttern, das sind unglaubliche
Dimensionen! Ein ganzer Planet wird in einen undurchdringlichen Kokon gehüllt! Verständlich, daß Speedy glänzende Augen bekommen hat… Tokoon ergänzte lächelnd: »Hundert Stationen reichen für seine permanente Projektion. Trotzdem werden es langfristig fünfhundert sein, um Notfallsicherheit zu gewährleisten. In der Tabuzone wird die höhere Kategorie verschiedener Hyperfelder wirkungsvoll kombiniert: Vom Prinzip her entspricht die Arbeitsweise einer extrem feinjustierten SemiTransition. Materie wird also entrückt und gewissermaßen umgeleitet, die Rematerialisation unerwünschter Raumschiffe unterbunden. Bei Gefahr für Zhygor können wir den Korridor ausschalten und das Tabufeld schließen.« »Dann«, rief Khol Trayz und schnippte mit den Fingern, »sollte man einen Einflug wohl tunlichst vermeiden?!« »Richtig.« Manolitos Schnauzbart sträubte sich. »Der Raumsektor insgesamt gleicht einer kosmischen Drehbühne: Auf unberechenbare, absolut willkürliche Weise kommt es zum Austausch der Schauplätze. Ein zündendes Impulstriebwerk kann unter Umständen der letzte Anstoß sein – und man verschwindet in der Überlappung, sprich in einem benachbarten Teilkontinuum, einer anderen Zeit oder verweht gar im Hyperraum…« »Mit großer Wahrscheinlichkeit muß dies auch für Zhygor selbst gesagt werden«, fügte ich hinzu. »Zwischenzeitlich ist ja wieder bekannt, daß ES sein besonderes Augenmerk auf diesen Planeten gerichtet hat – eine Kontaktstelle, wie sie der Kunstwelt Wanderer entspricht. Daß dieser Kontakt zu den Arkoniden abbrach, wird nur zum Teil durch die gewaltigen Hyperstürme der Archaischen Perioden bedingt gewesen sein; ebenso wahrscheinlich erscheint mir, daß Zhygor damals aus unserem Standarduniversum fortgedreht wurde und dafür an anderer Stelle als Phantomwelt erschien.«
Manolito machte eine vage Handbewegung. »Für absehbare Zeit ist die Gefahr einer Wiederholung zwar gebannt, doch die extrem aufgewühlte Natur Zhygors beweist, daß der Planet keineswegs zur Ruhe gekommen ist. Die Gijahthrakos nennen die Orte, von denen aus sie sich um eine Bändigung der Elemente bemühen, Orte der Kraft. Das wär’s als erste Einweisung: Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.« Klopfen antwortete dem Hyperphysiker. Tokoon sagte abschließend: »Die Freihandelswelt dient der von Zwist und Krieg unabhängigen Völkerbegegnung, die eines besonderen Rechtsschutzes und einer Friedensgarantie bedarf: Das Tabufeld wird den Freihandelsfrieden sichern und alle Besucher darauf paranormal-transpersonal einstimmen. Dennoch ausbrechende Feindseligkeiten werden so in die ritualisierte Form des Arenakampfes gebannt. Im weitesten Sinn ist jede Freihandelswelt ein Ort von Informationsaustausch, Entspannung, Vergnügen und natürlich Handel. Einzige Einschränkung: Neutralität und Immunität sind zu achten und strikt zu wahren!« Exterritoriales Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes! Mein Lächeln wurde säuerlich. Entspricht dem historischen Markt von Nomaden: Der Vielzahl von Stämmen und Clans, oft verfeindet und dem Zwang der Blutrache unterworfen, sind Märkte dennoch heilig! Sogar bei Feindschaft ist Handel notwendig, und darüber hinaus wird geklatscht und getratscht, werden neueste Gerüchte und Nachrichten ausgetauscht und wird allen Arten von Zerstreuung, Erholung und Lustbarkeiten nachgegangen. Ich hob die Hand. »Einzelheiten sind in den überspielten Datensammlungen nachzulesen; sollten Fragen auftauchen, steht Ihnen natürlich Professor Almeda zur Beantwortung zur Verfügung… Kommandant Zaghyt?!« »Euer Erhabenheit?« »Vorgehen gemäß Einsatzbesprechung: Die ARKON landet
auf Zhygor, die übrigen Geschwadereinheiten nehmen die angewiesenen Positionen ein. Gibt es noch Fragen? Keine? Danke. Orbtonen: Ausführung!« Straton stand auf und salutierte, die Holokonferenz war beendet. Während Speedy seine Aufzeichnungen zusammenraffte, öffnete ich eine Mineralwasserflasche und sah versonnen auf das Sprudeln im Glas. Eine Holoprojektion über dem Tisch zeigte weiterhin eine von den Gijahthrakos zugespielte Szene: Düster hob sich vor dem Glühen der Sarende-Korona eine im Bau befindliche Tabufeld-Station ab. Die riesige Kugel war teilweise verkleidet, Gitterstreben bestimmten den Rest. Vergleichsweise winzig schwebte das blutrote Ellipsoid eines Gijahthrako-Sphärenschiffes nahe der Projektorstation. »Die Gijahthrakos gehören erwiesenermaßen zu den Altvölkern der Galaxis«, murmelte ich. »Ihre Fähigkeiten und die daraus abgeleitete Technologie bleiben uns bis heute ein Rätsel. Sie stehen loyal zum Großen Imperium, fast seit Anbeginn, doch in die Speicherkristalle lassen sie sich nicht schauen. Sogar der Robotregent akzeptierte das – vermutlich aufgrund von Altprogrammierungen. Er billigte die Freihandelswelt.« Tatjana Michalowna war aufgestanden, zögerte nun aber, den Konferenzraum zu verlassen. Ihre Augen wurden noch schmaler; den abschätzenden Blick, mit dem sie mich musterte, wußte ich nicht recht zu deuten. »Wie sollen die Freihandelswelten das Chaos aufhalten, Sir?« fragte sie skeptisch. »Im Großen Imperium gärt es an allen Enden, der Tekteron-Bund erweist sich zunehmend als bedrohliches Sammelbecken vieler unzufriedener Fremdvölker und fremd gewordener Arkon-Kolonisten! Ganz zu schweigen von Machenschaften des organisierten galaktischen Verbrechens! SENTENZA, Mivado-Ring und wie
sie alle heißen. Vergleichsweise aktive Khasurn sind im Bund der Macht der Sonnen vereint und spinnen ihre Intrigen. Auf Tausenden Welten betreiben die Báalols Tempel und scharen Abermillionen Anhänger um sich, die im Gegensatz zur restlichen Bevölkerung gesund und willensstark sind. Aras köcheln ihr Pharmasüppchen, Springer und Überschwere verteidigen mit Waffengewalt ihr Monopol. Arenen als Friedensstifter? Ich habe von diesen Auswüchsen gehört und…« »Keine Auswüchse, Tatjana, sondern uralte Tradition. Neben den jährlichen Reifeprüfungen der ARK SUMMIA zählen beispielsweise die alle drei Jahre im Dubnayor-System stattfindenden KAYMUURTES zu den wichtigsten und traditionsreichsten, ja fast heiligen Feierlichkeiten für jeden echten Arkoniden. Es handelt sich um Wett- und Ausscheidungskämpfe, deren Sieger oft für Jahre hinaus bekannt werden und uneingeschränktes Ansehen genießen. Man könnte es vielleicht mit den irdischen Olympiaden vergleichen. Drei Kategorien gibt es: die offenen KAYMUURTES; an ihnen können sich alle Bürger beteiligen, unabhängig von Herkunft, Ansehen oder gesellschaftlichem Rang. Die geschlossenen KAYMUURTES: Hier sind Adlige, hohe Offiziere und Würdenträger unter sich; die Kämpfe erfolgen nach geänderten und kodifizierten Regeln. Schließlich die Amnestie-KAYMUURTES: Sie sind Verurteilten, Verbrechern, Geächteten und absolut Mittellosen vorbehalten. Der Verlauf ist im allgemeinen tödlich, nur der Endsieger überlebt. Dieser Gesamtsieger aber besitzt dann eine absolut unantastbare Stellung, wird vom Imperator empfangen und erhält als Trophäe eine goldene Metallbrosche; darüber hinaus erwarten ihn Ehre, Geld, Autorität, Ruhm…« Eine plötzliche Erinnerung: Einmal hatte ich mich selbst unter dem Namen Darbeck bei den Amnestie-»KAYS«
eingeschleust. Leider gelang es mir nicht, als Endsieger zu Orbanaschol vorzudringen. Im letzten Kampf unterlag ich Mana-Konyr: Von Geheimagent Huccard bezahlt, drosch er mich mit dem besten Schlag, den er kannte, für einen halben Tag scheintot. Huccard, der in mir den Kristallprinzen erkannt hatte, wollte mich Orbanaschol ausliefern; es hätte ihm ein sorgenfreies Leben beschert. Fartuloon und meine Freunde konnten mich allerdings befreien, und wir verließen unbeschadet das Dubnayor-System. Die Sonnenträgerin Karmina Arthamin fiel mir ein – sie war weitläufig verwandt mit meinem späteren Flottillenchef Kwan von Arthamin. Ich hatte sie geliebt, damals. Ist verdammt lange her… Die Mutantin schüttelte sich. »Nennen Sie die Menschen noch mal Barbaren, Sir! Brot und Spiele! Soll das vielleicht Kennzeichen der arkonidischen Super-Zivilisation sein?« »Freizügigkeit im Rahmen einer feudalen Gesellschaft.« Ich hob die Schultern, trank einen Schluck. »Ob ich’s gutheiße, ist eine andere Frage. Tatsache ist allerdings, daß es im Großen Imperium Tausende verschiedene Kolonial- und Fremdvölker gibt; alle mit ihren Eigenheiten und spezifischen Mentalitäten. Dem läßt sich kein einheitliches Muster aufdrücken. Die imperiale Herrschafts- und Regierungsebene ist eines – das Lokale der Einzelwelten was ganz anderes. Vielfältige Aversionen und Aggressionen wollen kanalisiert sein. Letztlich eine Frage des Maßstabes: Was ist… hm, erträglicher: durch Realisierung sanktionierte Duell- und Kampfformen im Kleinen, von argusäugigen Schiedsrichtern und unbestechlichen Positroniken überwacht, oder aber der Krieg zwischen Welten, Fürstentümern und ganzen Sektoren? Mir ist das kleinere Übel lieber! Auch und gerade bei den Freihandelswelten.« Tatjana setzte sich wieder neben mich, öffnete ebenfalls eine Mineralwasserflasche, goß ein, ließ das Glas aber stehen, ohne
zu trinken. Ich sah sie von der Seite an: Als sie Mitte Januar zusammen mit Tanaka Seiko nach Arkon kam, trug sie zunächst das dunkelbraune Haar offen; seit einiger Zeit zeigte sie dagegen eine streng zurückgekämmte, zum Nackenknoten gebundene Frisur und wahrte distanzierte Zurückhaltung. Sei nicht überrascht, wenn sie bald um ihre Entlassung nachsucht, flüsterte der Extrasinn. Sie fühlt sich zweifellos nicht wohl. Der Telepathin entging mein fragender Blick keineswegs, doch sie ignorierte ihn, räusperte sich und sagte: »Die meisten Welten sind in den Grundbedürfnissen autark.« Während sie die Sensorfelder berührte, überzogen sich die Displays mit abgerufenen Texten; in Holoprojektionen erschienen Zhygor und einige Detailausschnitte des Planeten, ebenso das Tabufeld, der Korridor und die Verzerrungszone insgesamt. »Allerdings macht sich das unterschiedliche Entwicklungsniveau der Völker bemerkbar. Der Austausch von Rohstoffen, Agrarprodukten und vergleichbaren Waren ist nur für diejenigen interessant, die mit ihrer Heimat Raubbau betrieben haben oder deren Welt unter Naturkatastrophen, Verschmutzung und Überbevölkerung leidet. Für Zhygor heißt das, daß der Handel mit Halbfertigund Fertigprodukten oder Luxusgütern bedeutsamer ist. Und natürlich Wissenstransfer. Wer beispielsweise Nukleosynthese und Masse-Energie-Wandlung beherrscht, hat schwerlich Nachschubsorgen.« »Eigentliche Freihandelszone ist der Geo-Orbit.« Ich wies auf Bildflächen mit Diagrammen und wechselnden Datenaufstellungen. »Dort werden wir Stationen errichten oder umgebaute Habitate der Raumnomaden plazieren, die als Depot und Zwischenlager dienen und Informations-, Rohstoffund Warenbörse beinhalten, gegebenenfalls zu ergänzen um die Sparten Kunst und Kultur. Veräußerung von Produkten, Arbeits- und Dienstleistungen sowie Wissen in Form von
Patenten, Lizenzen und so weiter, nach Angebot und Nachfrage. Der Freihandelsbereich steht unter Aufsicht der Handelsgilde; das Gewaltmonopol liegt beim Kristallorden von Zhygor! Werftanlagen und ähnliche Dienstleistungsangebote der Freihandelswelt selbst sind gebührenpflichtig, ebenso die Nutzung der Vergnügungsstätten. Je nach Produktpalette und Wissen ist der Aufbau eigener Fertigungsanlagen auf Zhygor möglich; man sitzt schließlich direkt an der Quelle. Grundlage ist die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur…« Sie zählte an den Fingern auf: »Ver- und Entsorgung, Transmitterverbindungen zu den Orbitstationen. Dann Wohnanlagen, Datennetze, Positroniken. Interne Selbstverwaltung, Autonomie und Autarkie. Grund und Boden zu angemessenen Preisen und gegen Auflagen. In Absprache mit den Kooann‘ strenge Kontrolle der Naturreservate.« »Richtig.« Ich nickte. »Mit der Zeit werden sich Banken und Versicherungen ansiedeln oder gründen. Die Springer können beispielsweise Transportgesellschaften, Hauptsitz Zhygor, ins Leben rufen. Substanzrecycling, gefragte Luxusgüter, Energieversorgung, Robottechnologie von der Mikrosonde bis zur Fertigungsgroßstraße, Bioprodukte und Medikamente, speziesübergreifende Medizin und Psychotherapie – Spezialität von Aras und Morannii –, Forschungs- und Entwicklungszeiten, Nachrichtenagenturen, Holomagazine… Einmal angelaufen, bekommt das System dann sehr schnell Eigendynamik. Hier wie auf allen anderen neuen – und alten! – Freihandelswelten.« »Ob damit allerdings dem Chaos im Großen Imperium zu begegnen ist?« Tatjana wiegte skeptisch den Kopf; der Blick ihrer schmalen Augen schien fast Mitleid widerzuspiegeln. Inwieweit sich noch mehr dahinter verbarg, wußte ich nicht zu sagen: Die Frau behielt ihre kühle Distanz – ohne ihr Glas
angerührt zu haben, stand sie abrupt auf und verabschiedete sich. Ich sah ihr einigermaßen erstaunt hinterher, und der Extrasinn nuschelte griesgrämig etwas von »unter Kontrolle zu haltenden Hormonen« und ähnlich unqualifiziertes Zeug. Zhygor: 1. Prago des Tedar 19.015 von Arknn (= 5. März 2045 Terra-Standard) Ich war unterwegs zum Nebeldom und empfand Beklemmung, während der Gleiter, vom Antigravpolster getragen, dicht übers Nordmeer summte. »Meine erste persönliche Begegnung mit den DagorHochmeistern von Zhygor!« Langlebige, wenn nicht gar unsterbliche Fremdwesen mit betont geheimnisvollem Gebaren, durchfuhr es mich, und beeindruckenden paranormaltranspersonalen Gaben! »Und ES hat sich ebenfalls angekündigt! Zusammenkunft der Rätselhaften!« Ich kontrollierte die Anzeige des positronischen Autopiloten, verschränkte grimmig die Arme und starrte durchs Cockpit. Fünftausend Kilometer nördlich Tatalals trieben gewaltige Eisplatten zwischen vulkanischen Inseln. Aus Schloten fauchten Hunderte Meter hohe Lavafontänen, Magmaströme flossen neben knisterndem Eis, blubbernden Schlammseen und öligen Maaren. Ascheregen stob durch diesige Atmosphäre, verdampftes Wasser quoll zu mächtigen Türmen empor. Zhygor ist und bleibt eine turbulente, aufgewühlte und wilde Welt. Trotz der Orte der Kraft! Von den tobenden Naturgewalten absolut unberührt, ragte scharfkantig nahe dem Horizont eine dunkelgraue Nebelzone, auf die der Gleiter zuraste, als scheinbar kompakte Säule bis in die Hochatmosphäre. Ich wußte, daß sie einen Durchmesser von fast hundert Kilometern besaß. Ihre intensive »Atmo-
sphäre« fühlte ich schon von weitem: bebendes Zwerchfell und schummriges Gefühl im Magen. Für Zhygor-Bewohner ist das Gebilde absolutes Sperrgebiet! sagte mein Extrasinn. Niemand kommt hinein – von den Gijahthrakos offenbar abgesehen. Ein weiterer Hinweis, daß über dieses rätselhafte Altvolk verdammt wenig bekannt war. Ihr Auftreten in den »Zwergenmasken« ließ sie harmlos und unbedeutend erscheinen, die geringe Zahl war ein weiterer Aspekt des bewußten Tiefstapeins. Tatsächlich aber… – ihre »technomystischen« Möglichkeiten erscheinen manchmal wie… Im Fall der Gijahthrakos bestätigt sich eindeutig – ich nickte mehrmals –, daß eine ausreichend fortgeschrittene Technik nicht von »Magie« unterschieden werden kann; das Tabufeld von Zhygor ist dafür bestes Beispiel! Nicht mal der Wabenschirm, die letzte, vom Robotregent umgesetzte arkonidische Neuentwicklung der Schutzfeldtechnologie, ein Strukturfeld der zweiten Ableitung hypermechanischer Kraftwirkung, kann sich mit dem Tabufeld messen. Speedy ist es ja nicht mal gelungen, die Hyperfrequenzen der Streuemissiorien zu klassifizieren, weil sie so hoch- bis höchstfrequent sind. Ich sagte im Selbstgespräch: »Zhygor als Freihandelswelt zu etablieren war eine Initiative der Gijahthrakos, die der Robotregent akzeptierte. Weitere Freihandelswelten kommen hinzu. All das mißfällt vor allem den Tekteronii. Das Ergebnis heißt – noch! – kalter Krieg, der allerdings das Chaos im Großen Imperium steigert…« Die Nebelsäule wuchs zum alles beherrschenden Eindruck, lange bevor der Gleiter in sie eindrang, indem er dem vorgegebenen Kursprogramm folgte. Manchmal taten sich von Sonnenschein überflutete Lücken im einheitlichen Grau auf, so daß ich kurze Blicke auf Landschaften erhaschte, die gar nicht zu Zhygor paßten.
ES besitzt seinen selbstgewählten Beinamen »Zeitloser« ganz zu Recht, weil das Kollektivwesen mit Raum und Zeit nach Belieben jongliert. Das Flüstern meiner inneren Stimme wurde lauter. Was du dort siehst, dürfte ein direkter Auswuchs dieser Macht sein! ES hat Zhygor nicht umsonst als Kontaktstelle ausgewählt! Der Gleiter glitt über eine an einem Fluß gelegene Stadt, die zu beiden Ufern unter gleißendem Licht erstrahlte. Wuchtige Mauern, von Türmen unterbrochen, umgaben dichtbebaute Wohngebiete Glasierte Ziegel glänzten an Wänden; golden hoben sich Stiere, Drachen und Einhörner vom blauen Untergrund eines Prachttores ab. Im Stadtkern ragte abgestuft ein Turm mit sieben Stockwerken fast hundert Meter auf. Auf Straßen und Gassen quirlten hominide Gestalten, Tiere zogen Lastkarren, Segelschiffe trieben auf dem Fluß. Unvermittelt verdeckten Schwaden die Sicht, und ich fragte mich, was ich wirklich gesehen hatte: »Eine raumzeitliche Alternative? Eine Vision? Anderer Raum und andere Zeit? Verflucht – ich könnte schwören, daß es wie Babylon aussah. Aber das ist doch Jahrtausende vorbei und geschah auf Larsaf Drei…« Das von den Gleiterortern registrierte Spektrum hyperenergetischer Emissionen besaß verwirrende Vielfalt. Muster verknoteten sich zu absonderlichen Strukturen, einzelne Stränge und Sequenzen stoben auseinander und ordneten sich neu. Alles war in Bewegung, glitt vom Potential ins Manifestierte und verschwand wieder. Wolken jissen auf und enthüllten eine neue Kulisse: … halbnackt und zottelig, bewaffnet mit Steinkeilen und Holzspeeren, sammelte sich die Horde. In der Ferne wankten dunkle Körper durch wogendes Savannengras. Staub wallte unter paarigen Hufen; braunes Fell umspannte Muskelbündel und mächtige Nackenhöcker. Als die Jäger dichter an die Herde heranschlichen, hob ein Bulle den Kopf mit ausladendem Gehörn und brüllte durchdringend. Während die Horde ein abseits grasendes Kalb
erlegte, dröhnte der Hufschlag Tausender Beine über die Landschaft, und auf geschleuderter Staub… … vermischte sich mit dem Grau, das den kurzen Einblick in eine andere Welt verdeckte, ehe sich der Vorhang zu einem weiteren Akt hob. Für mich ähnelte es einer rasenden Fahrt durch einen Tunnel, der ab und zu Fenster aufwies und Blicke gestattete, welche in Enklaven reichten, die normaler Wahrnehmung verschlossen blieben. »Raum und Zeit – von einem Standpunkt erkannt, der ständigem Zhy gleichkommt.« Ich war gewohnt, nichts absolut zu sehen, trotzdem stand der theoretischen Relativität praktische Alltagserfahrung gegenüber; Zeitmodi beispielsweise, die die Faktizität der Vergangenheit festlegten, das Fließen der Gegenwart und die Offenheit der Zukunft. »Aber wie im Hyperraum scheint hier das wahre Potential offengelegt!« Der Logiksektor sagte: Es gibt unter Umständen eine Wechselwirkung mit deinen Erinnerungen. Du mit deinem Zellaktivator bist ein Bezugspunkt, auf den die Hyperkräfte reagieren; vielleicht werden gerade deshalb raumzeitliche »Tore« nach Terra geöffnet?! Sofern es sich nicht um Impressionen der Kunstwelt Wanderer handelt, deren Ausschnitte erwiesenermaßen ja ebenfalls raumzeitlich mit Bereichen von Terra überlappen können. Du kennst Rhodans Berichte: Personen, Landschaften, Gebäude – real nach Wanderer versetzt. Perry hatte mir von der Klarstellung erzählt, die er erhielt, als er erstmals nach Barkon flog: Du irrst, alter Freund, hatte ES gesagt. Es handelt sich niemals um Nachbildungen… Der gleiche Gegenstand kann tausendmal existieren, wenn man ihn in jeweils andere Zeitebenen versetzt. Jene Inseln dort – es sind in der Tat Inseln von der Erde. Aber sie existieren nicht jetzt und in diesem Augenblick auf der Erde, sondern vor Jahrmillionen. … oder, wenn man den Umkehrschluß zieht – der Extrasinn
sprach unbeeindruckt weiter –, Enklaven Wanderers, die zu denen der Erde wurden! Bemüh deine mehr oder weniger von ES blockierten Erinnerungen, Imperator: Mehrmals erhieltest du Aufträge von ES, wiederholt »entkamen« angeblich Androiden oder andere Geschöpfe von der Kunstwelt. Erscheint doch merkwürdig, wenn hierzu ein normaler Raumflug notwendig gewesen wäre, nicht wahr? Du weißt, wie problematisch es ist, Wanderer überhaupt zu erreichen! Die Angelegenheit stellt sich ganz anders dar, wenn man raumzeitliche Überschneidung annimmt, die quasi »distanzlose« Schritte ermöglicht und… Eine weitere Szene ließ ihn verstummen: … auf sturmgepeitschter See stampfte ein Schiff mit geblähten Segeln. Weit nach Lee geneigt umsprühte Gischt den Bug. Brecher rollten, dunkel und schaumgekrönt, heran. Takelage sang unter Böen, Regentropfen pfiffen waagrecht durch diesige Luft. Aus schwarzen Wolken zuckten verästelte Blitze, deren kalkiger Helligkeit rollender Donner folgte… Und wieder Szenenschnitt; das Meer verschwand hinter dem Nebelvorhang und entzog sich meiner Betrachtung. Aber existiert weiter! dachte ich. Parallel und niemals endend im umfassenden und akausalen »Alles-Jetzt« des Hyperraums! Keine Trägheit und Begrenzung, sondern Omnipräsenz, die konventionelle Erfahrung auf den Kopf stellt, letztlich eine höhere Realität ist! Und ES kann all das nicht nur problemlos erblicken, sondern höchstselbst zum aktiven Teil von allem werden! Für eine Weile waren nur Nebel und Dunst zu erkennen, Schwaden zogen zerfasert vorüber. Dann öffnete sich eine weitere Lücke. Das blaßrote Licht entsprach dem, das ich inzwischen von Zhygor kannte. Doch der unverhoffte Anblick eines arkonidischen Kugelraumers verblüffte. Knapp außerhalb des Kreises der Teleskopstützen ragten grob behauene Menhire auf, ein weiterer von etwa doppelter Größe – das obere Ende zu einer rohen Spitze geformt – befand sich
genau unterhalb der Polschleuse. Während sich ein feiner Nebelschleier über das Raumschiff senkte und die Form einer Halbkugel annahm, erhaschte ich einen Blick auf die Schiffskennzeichnung, entzifferte das Wort HAGAAR. Und während die metallene Hülle langsam transparent wurde, durchzuckte mich die Erinnerung wie eine glühende Nadel. Letzter Metallschimmer erlosch, das Innere des Steinkreises war leer… Kann das sein? Wir haben nie wieder von ihr gehört! Meine Finger zitterten, ich rang um Fassung. Schemenhaft stiegen weitere Erinnerungen auf, obwohl sie meiner Jugendzeit angehörten und somit der Manipulation von Fartuloons OMIRGOS unterlagen. Das Jahr 10.500 da Ark? Kurz vor Orbanaschols Tod… Der Barbar Ra, von Sehnsucht nach seiner Heimat geplagt, wollte Kraumon verlassen. Unbewußt hegte er die Hoffnung, zu Hause vielleicht wieder der »Goldenen Göttin« Ischtar zu begegnen. Ich stellte ihm die HAGAAR zur Verfügung, einen Kugelraumer. Dann brachen sie auf… Namen fielen mir ein: Kommandant Srinakor, der Erste Offizier Kantoro, der Physiker Mollnor, der Arzt Hoffgart… Sie alle waren seit zehn Jahrtausenden verschollen. Unwillkürlich fragte ich mich, inwieweit Zhygor hierbei eine Rolle gespielt haben könnte. Kraumon, unsere Stützpunktwelt, hatte sich nahe der Zentrumsregion befunden. Um zu Ras Heimat zu gelangen – in der ich heute Terra alias Larsaf III zu erkennen glaubte –, führte ihr Flug unter Umständen an der Verzerrungszone dieses Raumsektors vorbei. Sie könnten von ihr erfaßt worden sein, bestätigte der Logiksektor zögernd. Vielleicht mußten sie notlanden. Ob auf Zhygor oder einem der »Phantomplaneten«, läßt sich nicht sagen. Alles Weitere ist pure Spekulation! Ich atmete tief ein und aus. Inzwischen umgaben wieder graue Wolken den Gleiter. Auch der Blick zurück brachte
nichts. Ein Summton informierte mich, daß das Ziel erreicht war. Für einen Moment sah ich die düstere Masse eine Berges, dessen Gipfel hell glitzerte. Luft gewann eine Konsistenz, so daß ich fast den Eindruck hatte, durch Wasser zu gleiten. Silberlinien tanzten verschlungen über Fels und am Himmel, als sei dieser zur Meeresoberfläche geworden. Der Gleiter flog durch einen Tunnel in eine Höhle, in der sich pulsierende und pumpende Biomassen wie Tang und Riesenkorallen bewegten. Grotesk geformte Materieprojektionen entstanden und verwehten, dazwischen schimmerten hyperaktive Kristalle als lange Nadeln, verdrehte Äste und filigrane Ranken. Vor einem luftigen Pavillon stoppte der Gleiter und sank auf nachschwingende Puffer. Ich schob die Kanzel zurück und sah mich, mit den Armen aufs feuchte Chassis gestützt, einigermaßen sprachlos um: Zierliche Säulen und weiße Schiebewände grenzten an eine Terrasse mit moosartigem Belag. Wattige Leuchtfelder luden zum Sitzen ein. Im Hintergrund standen drei Körper, die zwei Meter hohen rottransparenten Kristalltetraedern entsprachen. Helles Licht und zitternde Reflexe machten die Riesenrubine vereinzelt zu vagen Schatten: Gijahthrakos! Aus einem plötzlich aufflammenden Lichtbogen trat eine Silhouette. Als das Licht erlosch, erkannte ich die hochgewachsen-schlanke Gestalt: Homunk! Wir hatten im Vertrauten von ES stets einer Art »Roboter« gesehen, obwohl er selbst sich nicht als »Maschine« in unserem Sinne sah, weil sein Gehirn eine halborganisch-intotronische Verbindung war – angeblich sechsdimensional! Perry gegenüber beschrieb ES Homunk einmal sogar als »einen Terraner, den ich geschaffen habe – gewissermaßen aus überschüssiger Materie. Er gefiel mir, und so ließ ich ihn bestehen. In der Zwischenzeit ist er sogar klüger geworden.« Wie auch immer, durchzuckte es mich, Homunk ist das, was
man als perfekt bezeichnen kann, etwas, das nichts seinesgleichen in der bekannten Galalxis hat. Eine Gestalt in weißem Lackanzug trat neben Homunk vor und winkte, während ich zögernd hinüberging. »Willkommen, Euer Erhabenheit. Ich bin Kontaclatiis – Ihr könnt mich Kon nennen!« Das telepathische Signal besaß durchdringende Autorität; problemlos erkannte ich in dem kleinen, dunkelhäutigen Mann jemanden, der die Fähigkeiten eines Dagor-Hochmeisters besaß. Ein weiterer Gijahthrako also. »Der unsterbliche Zeitlose wird gleich erscheinen. Nimm schon Platz. Darf ich dir eine Erfrischung anbieten, Atlan? Ich darf doch Allan sagen?« Ich sank in eine feldenergetische Sesselwolke und stimmte zu: »Natürlich, Laktrote!« Es fiel mir nicht schwer, ihn Meister zu nennen. Neben ihm materialisierte eine Tischplatte mit Gläsern, Kannen und Schalen. Kontaclatiis warf gelbe Fruchtstückchen ins zylindrische Glas, füllte geraspelte Eiswürfel darüber, goß Fruchtsaft und klaren Alkohol auf und rührte alles mit einem Trinkhalm um. Telekinetisch getragen schwebte das Glas zu mir, ungerührt angelte ich es aus der Luft und trank einen Schluck. »Ein Zeitloser, der sich verspätet?« sagte ich sarkastisch und musterte mein Gegenüber scharf. »Ginge das Ganze auch mit weniger Brimborium?« Kontaclatiis zuckte mit den Achseln. »Ich bin nur ein Gijahthrako in arkonoider Körper-Maske…« Und Homunk fügte hinzu: »ES ist zur Stelle, wenn er es für richtig hält!« Richtig! War die Ausstrahlung der Gijahthrakos schon beeindruckend, glich das jetzige Signal einem Donnern, das zum gewaltigen Lachen anwuchs, unter dem ich mich unwillkürlich duckte. Was du Brimborium nennst, Imperator
Gonozal, ergibt sich, wenn ein Wesen meiner Art mit egozentriertem Leben in lokal konzentrierter Körper-Manifestation kommunizieren will! Ich kann es nur wiederholen: Wir, die körperlos vereinten Bewußtseine, begeben uns in ungewohnte Niederungen, um uns deinem Wahrnehmungsniveau anzupassen; Randerscheinungen höhergeordneter Hyperformen lassen sich allerdings nicht vermeiden. Ich schüttelte die Benommenheit ab, konzentrierte mich und sagte halblaut: »Du hast mich herzitiert…« Aus gegebenem Anlaß: Euer Plan tritt in eine entscheidende Phase, signalisierte ES. Deshalb müssen einige Dinge klargestellt werden; bekanntlich steckt die Bestie im Detail. Ich runzelte die Stirn. »Ich höre.« Du befindest dich hier an einem Ort, der, wie das ganze ZhygorSystem, Brennpunkt vielfältiger Ereignisse ist, von denen einige abgeschlossen sind, sagte ES. Andere müssen erst noch geschehen. Kosmische Entwicklungen werden auf Zhygor fokussiert, einem Schnittpunkt der Dimensionen… ES hat Schwierigkeiten, sprachlich zu erfassen, was für ihn normal, für mich allerdings fremd ist, durchfuhr es mich. Zeitloser! In ihm verschmelzen nicht lokal Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft! Daran gewöhne ich mich wohl nie! Das Zhygor-System wurde in der Tat mit Bedacht ausgewählt, junger Freund. Den ironischen Unterton einem Zellakthatorträger gegenüber, der mehr als zehntausend Jahre alt war, registrierte ich mit Frösteln. Überschneidungseffekte von Hyperstrukturen sind an der Tagesordnung. Ihr kennt die »Phantomplaneten« und andere Phänomene. Beachtet sie nicht, denn sie gehören zu parallelen Aspekten oder anderen Epochen und sind keine Gefahr, solange ihr den Korridor der Gijahthrakos zum Einund Ausflug verwendet. »Es ist wirklich ein bemerkenswertes System«, bestätigte ich gepreßt, dachte verunsichert an die HAGAAR und an Ra. »In
jeder Hinsicht.« Anstelle von ES sagte Homunk ungerührt: »Langfristige Planetenbahn-Stabilität ist eine Illusion, bei allen Systemen, aber im hiesigen Fall existiert eine besonders chaotische Struktur, die euren Planungen entgegenkommt.« Gelächter erklang und brach ab; mein Schaudern wurde für Augenblicke zum Schüttelfrost. »Die Schutzfunktion in Gestalt des Tabufelds wird zwar, wie bei allen von euch initiierten Freihandelswelten, Gegenaktionen provozieren, ist an sich aber die beste Sicherheit, die diesem Planeten geboten werden kann. Der Nebeldom wirkt verstärkend! Zhygors Freihandelswelt-Status ist angesichts des Chaos im Imperium äußerst wichtig!« Kon ergänzte: »Wir werden in den nächsten Jahren zusätzliche Tabufeld-Stationen bauen und in der Sonnenkorona verankern. Parallel dazu folgt die Errichtung von weiteren Schaltmechanismen auf Zhygor.« Ich nickte. »Für uns bleiben – wie vereinbart – die Phantomplaneten gesperrt.« »Wie andere Freihandelswelten gezeigt haben, stellen sie den Rahmen für optimale Entfaltung.« Homunks Körper regte sich nicht, das Gesicht zeigte ein unpersönliches Lächeln. »Trotz Tekteronii-Bedrohung und Chaos im Tai Ark’Tussan entwickeln sich Kunst und Kultur. Der Vorteil ist langfristig eine automatische Selbstkontrolle, weil eine Gruppe bei Statusverletzung sofort sämtliche anderen gegen sich aufbringt. Wer sich den Kopf einschlagen will, kann’s in der Arena tun – unter dem strengen Blick aller übrigen.« Ich dachte mit einem bitteren Anflug: Der alte Traum des einfachen Soldaten: Sperrt Befehlshaber und Verantwortliche in einen Käfig – wir schauen zu, lachen uns ins Fäustchen und schließen Wetten ab. Erneut erklang das dröhnende Lachen von ES. Dein
hervorragender Plan zur Schaffung einer ganzen Reihe von Freihandelswelten findet meine uneingeschränkte Zustimmung! Weitere Einzelheiten kannst du mit den Gijahthrakos und Homunk abklären; er wird auch in Zukunft gegebenenfalls als Ansprechpartner im Nebeldom zur Verfügung stehen, Imperator. Mein Monoschirm bebte nachhaltig, obwohl sich die direkte Präsenz des Zeitlosen verflüchtigte. Und die Gefahr? Was ist mit der von dir angekündigten Gefahr? Indem du Zhygor zur Freihandelswelt machst, ist ein Teil davon unter Kontrolle. Ausruhen darfst du dich allerdings nicht. Die »Erwachenden Legenden« sammeln sich und ihre Kräfte… Zhygor? Eine Idee zuckte mir durch den Kopf. Der Planetoidenrest unter Tatalal? Damit hängt’s vermutlich zusammen! Barkoniden? Petronier? Großer Galaktischer Krieg? Was noch? Warum redest du nicht Klartext? ES antwortete nicht auf meine Fragen, sondern wechselte unvermittelt das Thema: Erinnere dich an den Begriff »Große Feuermutter«, Imperator! Ich runzelte die Stirn. Das photographische Gedächtnis lieferte den Hinweis auf Aspekte der Dagor-Philosophie, aus der Ferne schien Fartuloons Stimme aufzuklingen, seine Geschichtsschulung auf Gortavor. »Vage…« ES lachte, bis mir der Schädel schmerzte. Es ist zwar eine Binsenweisheit, Arkonide, aber viele Augen sehen mehr als eines; viele Bewußtseine sind mehr als nur ihre Summe – ich kann das beurteilen, glaub mir! Das alles erkannten deine Vorfahren ebenfalls, und so entstand vor langer Zeit erstmals eine Große Feuermutter… Ich schlage vor, daß du dich intensiver mit diesen Dingen beschäftigst, alter Freund, denn für deine Aufgabe benötigst du alle Kräfte, die sich mobilisieren lassen. Fragen können dir die Gijahthrakos beantworten. Schaudern befiel mich. Wenn ES etwas »vorschlug«, tat man gut daran, diesen Vorschlag schnellstens aufzugreifen.
Dennoch regte sich in mir Widerspruch. Warum sollte ich…? Das Lachen wurde leiser und klang aus. ES hatte sich einmal mehr äußerst orakelhaft verabschiedet. Obwohl ich inzwischen die »zeitlose« Struktur besser verstand und mich um Akzeptanz bemühte, war es dennoch stets frustrierend, mit Andeutungen »abgespeist« zu werden. Ich atmete tief ein und aus und leerte das Glas; daß meine Hand zitterte, verdeutlichte, wie sehr mir der Kontakt zusetzte. »Noch eine Füllung?« »Danke, gern.« Ich kniff die Augen zusammen und musterte Kon und Homunk. Die Rubintetraeder im Hintergrund regten sich keinen Millimeter. Mühsam schüttelte ich die Benommenheit ab. In Homunks rechter Hand leuchtete plötzlich ein kleiner Gegenstand. »Der Cho-Käfer ist ein von den Gijahthrakos geschaffenes biogenetisch-paranormales Kunstprodukt«, erklärte er halblaut. »Es handelt sich um einen Parasymbionten auf nanotechnologischer Basis mit begrenzter Lebensdauer. Nur ein Arkonide mit aktiviertem Extrasinn vermag ihn zu kontrollieren und kann das mit ihm verbundene Potential freisetzen! Es wird zur Stabilisierung einer Großen Feuermutter benötigt. Mein Meister war so frei, den Cho ein bißchen zu modifizieren.« Kon nahm den »Pseudo-Käfer« von Homunk entgegen und schob ihn in ein Gürteletui. »Euer Erhabenheit müssen allerdings die nächste Reifestufe erlangen – und die Letzte Prüfung bestehen. Erst dann werdet Ihr die Kräfte des Parasymbionten vollständig nutzen können. Der Pseudokäfer kann nur der erste Schritt sein.« Homunk sagte mit einer höflichen Verbeugung: »Einzelheiten wird Euch Kon mitteilen, Imperator!« Sprach’s und verschwand in einer für Sekundenbruchteile aufflammenden Lichteruption. Von Kontaclatiis begleitet,
brach ich danach sofort auf und war froh, als die beeindruckende Ausstrahlung der mächtigen Nebelsäule hinter mir zurückblieb. Beim Rückflug nach Tatalal kam Kon auf die Große Feuermutter, den Cho-Käfer und all diese Dinge zu sprechen, die sofort tiefes Unbehagen und Skepsis erzeugten, und er erkannte rasch, daß er noch etliche Überzeugungsarbeit leisten mußte.
6. Aus: Kommentar zu den Sternenmythen (Erzählungssammlung alter galaktischer Reiche; OMIRGOS-Kristallartefakt unbekannter Herkunft – eingeprägte Dateien nur teilweise entschlüsselt, Wahrheitsgehalt ungewiß) … folgten dem Verschwinden der Cyen Wirrnis und Chaos, aus denen als beherrschende Zivilisation der Lichtinsel die der Barkoniden hervorging: Vom Großen Galaktischen Krieg und dem späteren Cyen-Reich kündeten nur noch Legenden, gleiches galt für die zahlreichen Waffensysteme, Festungen und Anlagen, die einst zur Abwehr der Qa‘pesh konstruiert worden waren. Vereinzelt stießen die Barkoniden bei ihrer Expansion auf solche Hinterlassenschaften, die nach mehreren Katastrophen jedoch ängstlich gemieden und für tabu erklärt wurden. Doch auch die Blütezeit Barkons endete abrupt: Ein nicht näher bekanntes Phänomen suchte die gesamte Lichtinsel heim und warf sämtliche Lebewesen in einen Zustand tiefster Primitivität zurück, dem ein mühevoller Wiederaufstieg folgte. Zwar wurden später, nachdem erste Spezies wieder zur galaktischen Raumfahrt zurückgefunden hatten, Artefakte und Hinweise früherer Zivilisationen gefunden, doch vor allem von den Barkoniden selbst und ihrem Heimatsystem fehlte jede Spur. Als die Völker zueinander Kontakt aufnahmen, stellte sich heraus, daß es überall
übereinstimmende Überlieferungen gab, die vom Erscheinen der »Grünen Sternenschlange« berichteten. Um was genau es sich jedoch gehandelt haben könnte – sofern diesen vagen Erzählungen überhaupt geglaubt werden durfte –, war und blieb unbekannt. Und so verstrich die Zeit: Neue Zivilisationen erschienen auf der galaktischen Bühne, erlebten Aufstieg und Niedergang, machten anderen Platz; es gab lange Epochen des Friedens und Phasen erbitterter Kriege, und immer vager wurden die Erinnerungen an frühere Ereignisse, bis nur noch die Sternenmythen blieben… Ferne Vergangenheit… Abermillionen Zeiteinheiten waren vergangen, bis schließlich ein donnernder Gong durch die Säle der Entmaterialisierten hallte. Körper verstofflichten, Leben regte sich in den Sälen der Cyen: Gewölbe von gigantischem Ausmaß, gold- und edelsteingeschmückt. Zwischen CyenSkulpturen und Gemälden, riesigen Statuen und Gesichtern zeigten kunstvolle Mosaike die Erschaffung des Kosmos. Bildstelen zeugten vom Ursprung des Cyen-Geschlechts; nur Mythen kündeten noch vom mächtigen Tba. Blumenranken aus Kristall umgaben schwarze Monolithen, auf denen in feldenergetischen Sphären schattenhafte Gestalten zur materiellen Zentrierung zurückkehrten. Ein Stöhnen durchzog die Hallen. Der Schein schwächte sich ab, entließ wankende Körper. Czernaka Oulpka Cyen versuchte die Eindrücke, zunächst blaß und undeutlich, zu ordnen. Farben- und Formenreichtum kehrten langsam zurück. Sie erinnerte sich an ihre Zivilisation, an kulturelle, technische und paranormale Errungenschaften. Dann die Katastrophe: Die blaßrote Sonne loderte, während sich die Raum-Zeit-Blase vollständig um die KOAH-SHARA schloß. Mit Notfallschub gestartete Cyen-Kreuzer konnten die
Barriere nicht durchdringen – ähnlich der Annäherung an die Lichtmauer reichte alle Energie nicht aus, bis zur Grenzschicht vorzudringen. Silberkugeln wurden zu grotesken Gebilden deformiert, die ihre normale Gestalt erst wieder zurückgewannen, als sie umkehrten und einschleusten. Auch auf Paraniveau gelang kein Transit nach draußen; die paramechanisch verstärkten Strukturfeld-Konverter der KOAH-SHARA konnten die Barriere nicht aufreißen… Plötzlich entstanden andere Impressionen im Wachbewußtsein der Cyen: Es mochte kaum mehr als eine Vision sein, doch die Bilder lieferten Eindrücke dessen, was mit Mooshar geschehen war – vermutlich eine Wechselwirkung der beiden aus der KOAH-SHARA verschwundenen Sternjuwelen mit dem dimensional verzerrten Raumsektor rings um den Kleinmond. Zuerst ist es ein rötlicher Punkt zwischen anderen Sternen, dann dehnt er sich aus und gewinnt die plastische Gestalt einer Kugel: Ausläufer der Atmosphäre werden gestreift, Mooshars Oberfläche glüht auf Sicherheitsmechanismen erwachen und erzeugen ein Feld, das den Planetoiden scheinbar aus dem angestammten Standardkontinuum verdrängt. Auf diese Weise bleibt der Fels als Ganzes bestehen, als er mit Donnerschlag am Rand eines Kontinents aufschlägt, eine tiefe Furche reißt und wie bei der Bugwelle eines Schiffs Gebirge auffaltet. Vrishas Korallenwucherungen allerdings zersplittern, wirbeln davon, zerpulvern und verwehen als Gasschwaden. Gewaltige Vulkane brechen aus, schleudern Unmengen von Asche und flüssigem Gestein empor. Bis auf einen kleinen Buckel versinkt Mooshar in der planetaren Kruste, Auswurfmassen lagern sich ab. Irgendwann beruhigt sich das Brüllen entfesselter Elemente, Glut erstarrt, und Stille sinkt übers Land. Später tauchen Lebewesen auf, meerblau, schwebend; Riesenrochen mit nach vorne gekrümmten Schwänzen – eingeborene Intelligenzen jener Welt, auf der Mooshar, vormals Zentralfestung im Großen
Galaktischen Krieg, zur Ruhe gekommen ist. Majestätisch umringen die Kreaturen den Buckel, bevor sie vorsichtig darangehen, sein hohles Innere zu untersuchen… Schaudernd dachte die Fürstin, von weiteren Bildern heimgesucht: Trotz der dimensionalen Verdrängung muß der Aufschlag mörderisch gewesen sein – für den Planeten wie für Mooshar! Unter den belebenden Emissionen aktivierter Projektoren fand die Cyen-Kriegerin zögernd ins Leben zurück. Nebenan regten sich Kommandant Torka Mirtak, Ak’iakaton, Cartee A’Iktar und Oon Batraál. Informationssequenzen flossen von den Hypertroniken in die Bewußtseine der Cyen. Insgesamt befanden sich nur noch 17 Cyen an Bord der KOAH-SHARA – alle anderen waren und blieben verschwunden, vermutlich im Hyperraum verweht beim erzwungenen Transit mit STERNRUBIN und STERNSMARAGD. »Die KOAH-SHARA ist gefangen«, ächzte der Kommandant, dessen Bewußtsein wieder mit den Kontrolleinrichtungen vernetzt war. »Wir müssen das Phänomen genau untersuchen.« »An die Arbeit, Kommandant!« schnarrte Ak’iakaton. Analysator Iffom Xam’torie wies auf Holoprojektionen und Schaubilder und sagte zu den versammelten Cyen: »Wir haben die Barriere untersucht, so gut es ging. Zwar beherrscht unser Volk die Erstellung miniaturisierter Raumzeitverzerrungen seit langem. Hier aber haben wir es mit einem Effekt zu tun, der nicht mit unseren Hyper-Vakuolen vergleichbar ist, sondern auf den Sternjuwelen-Kräften der Petronier ebenso basiert wie auf der besonderen Struktur dieses Raumsektors an sich, bei dem es sich bekanntlich um einen Schnittpunkt von Dimensionen und Universen handelt.«
Er machte eine Pause, schien nach Worten zu suchen. »Ein Beispiel: Unsere Hyper-Vakuolen gleichen Ausstülpungen, die von einer Flüssigkeitsoberfläche aufragen – dem StandardUniversum; sie besitzen eine Verbindung zur Hauptflüssigkeit, eine Art Tor. Und damit sind sie, obwohl separiert, weiterhin Bestandteil der Ursprungswelt. Die KOAH-SHARA ist dagegen ganz von einer Hyperblase umschlossen und ähnelt einem freischwebenden Tropfen in der Luft.« In der Holoprojektion entstand eine perspektivisch verzerrte Rasterfläche, von der ballonartige Beulen emporwuchsen, bis die Verbindung zu dünnen Fäden zusammengeschrumpft war. Bei einem Ballon riß diese »Nabelschnur«; die Blase schlingerte und stabilisierte sich zur exakten Kugelform. »Um beim Modell des Wassertropfens zu bleiben: Seine Oberfläche ist ein in verschiedener Hinsicht bemerkenswertes Gebilde. Weil sie sich in der Natur über die Tiefe von mehreren Atom- bis Moleküldurchmessern erstrecken kann, spricht man auch von einer Phasengrenzschicht, und in ihr ändern sich die Eigenschaften der Materie. Teilchen unterliegen hier nämlich nicht allseitig gleichmäßigen Kraftwirkungen wie im Phaseninneren der Flüssigkeit – was dort ein Minimum der potentiellen Wechselwirkungsenergie zur Folge hat –, sondern bei Phasengrenzen handelt es sich um grundsätzlich energiereichere Gebilde, wobei die Grenzschichterscheinungen das Wirken von Oberflächenkräften widerspiegeln. Die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit ist die bekannteste Auswirkung dieser Gesetzmäßigkeit.« Paraverbales Raunen folgte der Erklärung; die Cyen erkannten zögernd, worauf der Analysator hinauswollte. Czernaka nickte mehrmals und dachte: Ohne stofflich gesehen etwas anderes zu sein, ist die Phasengrenzschicht der deutlich
markierte Flüssigkeitsrand; im übertragenen Sinne kann man von der raumzeitlichen »Grenze« eines Universums zur Offenheit des Hyperraums sprechen. Der höhere Energiereichtum der Phasengrenze entspricht demnach der Raum-Zeit-Krümmung und vergleichbaren Effekten. »Für Flüssigkeiten wie für Gase gilt, daß den Teilchen nur eine mittlere Energie zugeschrieben werden kann, die von Wechselwirkungskräften und Temperatur bestimmt wird«, erklärte Iffom Xam’torie. »Aus dieser statistischen Betrachtung folgt, daß bei jeder Temperatur ein Bruchteil der Teilchen in der Phasengrenzschicht über einen ausreichenden Energieüberschuß verfügt, der zur Überwindung der Wechselwirkungskräfte ausreicht und ein Ausbrechen aus dem Flüssigkeitsverband gestattet. Auf die mittlere Energie des Großteils der Teilchen bezogen, bedeutet das aber auch, daß ihnen unter normalen Bedingungen ein Austreten nicht möglich ist. An der Grenzschicht und ihrem erhöhten Energiereichtum scheitert also ein Teilchen des Tropfeninneren, sofern es dieses verlassen will. Trotzdem gibt es Verdunstung und ein Ablösen von gasförmigen Teilchen.« Ak’iakaton richtete sich auf. »Sind wir demnach nicht endgültig gefangen?« »Nicht unbedingt, Hoher Herr. Das kalorische Modell zeigt, daß von außen die Flüssigkeitstemperatur erhöht werden kann – bis zu dem Punkt, an dem zugeführte Energie dazu dient, den Aggregatzustand zu ändern. Die Flüssigkeit verdampft. Auf unsere Situation übertragen heißt das: Entmaterialisation. Problematisch ist, daß mit dem Sieden einer Flüssigkeit nicht nur an der direkten Phasengrenze Teilchen in den Dampfraum übergehen, sondern daß im Tropfen ebenfalls Dampfblasen entstehen können, die ihn auseinanderreißen. Der geringe Krümmungsradius des Bläschens bedingt einen vielfach erhöhten Dampfdruck: Eine
Energiezufuhr kann also zu unkontrollierten Einbrüchen, Löchern und Strukturrissen hier an Bord der KOAH-SHARA führen. Ganz abgesehen davon, daß zunächst die äußere Quelle vorhanden sein muß, die die Temperatur erhöht – um beim Modell zu bleiben.« Cartee A’Iktar knurrte: »Was bedeutet das für uns?« »Als ersten Schritt müssen wir die Grenzschichteigenschaften ausnutzen«, antwortete Kommandant Torka Mirtak. »Nur von dort aus ist es möglich, Einzelteilchen jene Überschußenergie zu vermitteln, die ein Ausbrechen aus der Blase gestattet. Von außen muß dann der zweite Schritt folgen. Den Dimensionsgesetzen folgend, kann sich unsere Hyper-Vakuole nicht allzuweit vom HerkunftsUniversum entfernt haben; wir treiben vermutlich dicht über seiner Oberfläche. Allerdings haben wir es stets mit UnwersalSequenzen zu tun, die einer hyperphysikalischen Unschärferelation unterliegen; ineinander verwobene Parallelund Komplementärstrukturen, die überdies verschiedene Kausalverläufe widerspiegeln können. Mit anderen Worten: Selbst wenn dem einen oder anderen von uns der Durchbruch gelingt, ist nicht sicher, ob er wirklich im angestammten Bereich materialisiert. Bezugspunkte sind zwar die blaßrote Sonne und der verzerrte Raumsektor, aber es gibt vielfältige zeitliche wie strukturelle Alternativformen. Weiterhin ist unklar, in welcher Intensität der Kontakt herzustellen ist. Das, was von uns durchkommt, dürfte vielfältigen Verzerrungen und Deformationen unterliegen.« Sie musterten die Projektionen und Anzeigen, suchten verzweifelt nach Auswegen; die Hypertroniken lieferten Simulationen und Auswertungen bei ständig variierten Ausgangsdaten. »Sofern erst mal der Durchbruch gelungen ist, könnten wir ein Langzeitprojekt einleiten.« Czernaka zeigte auf eine
Bildfläche. »Vorgehen von außen und innen: Holistischer Verbund kennzeichnet unsere Körper-Manifestationen – demnach sind die Teile im Außen ebenso zugänglich und kontrollierbar wie die im Inneren.« Torka Mirtak führte weitere Berechnungen durch, registrierte die Ergebnisse und knurrte abfällig. »Am Anfang wird’s sehr schwierig werden. Jeder Weg ins Außen führt zwangsläufig über die Grenzschicht als Zwischenstation, und mit ihr sind weitere Verzerrungen verbunden. Kaum mehr als Bewußtseinsfragmente dürften unbeschadet die Barriere passieren. Allerdings: Wenn die Kontakte nicht reißen, läßt sich eine Art Brücke konstruieren, die mit der Zeit tragfähiger wird.« »Wir könnten auch mit materieprojektiven Gestalten arbeiten – gewissermaßen bilokativ zentriert«, ergänzte Ak’iakaton und klinkte sich in den Auswertungsverbund ein. »Wenn überhaupt eine Passage möglich ist.« »Wie auch immer…« Cartee A’Iktars Faust donnerte auf die Konsole. »Es wird Tausende Gigazeiteinheiten beanspruchen, hier im Inneren der Hyperblase. Im Standard-Universum wegen der Dilatationseffekte vermutlich sogar bedeutend mehr. Niemand von uns lebt so lange! Wir haben’s mit statistischen Effekten zu tun, die sich kaum steuern lassen.« »Beruhige dich, Bruder!« Ak’iakaton sah energisch in die Runde; seine Kopftentakel wogten für Augenblicke wirr durcheinander. »Wir müssen abwechselnd arbeiten und immer wieder Stasisphasen einschieben; entmaterialisiert gibt’s keine Alterung. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Außerdem – uns bleibt keine andere Möglichkeit!« Der Raumschiffskommandant signalisierte paraverbal: »Die KOAH-SHARA jedenfalls ist voll funktionsfähig. Die automatische Selbstreparatur hat alle Schäden beseitigt. Gleiches gilt für die Beiboote und Kleinfahrzeuge. Die
rechnergesteuerten Subeinheiten stehen bereit.« Czernaka seufzte, Oon Batraál hielt ihre Schulter umfaßt. »Es geht um unser Leben, Cyen! Es bleibt uns keine Wahl. Jeder Rückschlag muß Ansporn sein!« »Du hast recht, Tochter«, sagte Ak’iakaton. »Teilen wir die Stasisphasen ein und planen die Details.« Es glich normalem Weltraum, und doch war es anders. Czernaka schauderte. Es gab keine Sterne im Holoramaband, das Licht des Hangars wirkte merkwürdig blaß und fern. Direkt hinter dem Schutzschirm begannen Verzerrungseffekte der Phasengrenzschicht, dem Rand der Hyper-Vakuole. Die Cyen-Fürstin wußte, daß die Zone bekannter raumzeitlicher Struktur winzig war; jeder Flug »geradeaus« brachte einen unweigerlich an den Ausgangspunkt zurück. In sich gekrümmtes Miniaturkontinuum! Mit der Annäherung an die Grenzschicht waren Dilatationseffekte verbunden; auch hier galt das Gesetz der höchstmöglichen Geschwindigkeit in Gestalt der »Lichtmauer«. Keine noch so große Energiezufuhr bewirkte ein Durchdringen der Barriere, sogar paramechanisch verstärkte Hypertransite blieben aufs Innere der Blase beschränkt. Trotzdem gibt es, wie das Modell des Wassertropfens zeigt, einen Ausweg. Der Plan ist, die Statistik zu überlisten: Nur Objekte erhöhten Potentials können die Grenze »durchtunneln«, also muß genau fokussiert ein solcher Punkt geschaffen werden. Die Silberkugel hatte sich kaum von der KOAH-SHARA entfernt, als Czernaka Oulpka Cyen die Projektoren aktivierte. Kraftfelder griffen in den Raum hinaus und schufen die lokal begrenzte Bühne des weiteren Geschehens. Innerhalb der Hyper-Vakuole entstand eine weitere; ein Ballon, dessen dünner Schlauch zur Silberkugel reichte und durch den Energien flossen, die das Gebilde weiter aufbliesen.
»Vakuole stabilisiert sich«, meldete Czernaka und verfolgte Parameterkolonnen auf den Anzeigefeldern. »Energiezufuhr konstant. Symmetriebrechung setzt ein. Materieprojektionen gefestigt.« »Verstanden, Erlauchte. Daten entsprechen den Simulationen.« »Ich schalte paraorientiertes Verbindungsfeld. – Steht! Einleitung weiterer Kraft von der KOAH-SHARA aus kann beginnen.« Als zarter Goldfaden schwang die Leitung durchs Parawahrnehmungsni-veau; Czernaka erkannte, daß die vereinten Bewußtseine ihre Kräfte in die Blase pumpten und deren Potential kontinuierlich steigerten: Es glich der Energiezufuhr, die die Moleküle eines Wassertropfens in heftigere Bewegungen versetzte und seine Temperatur erhöhte. Bald mußte der Siedepunkt erreicht sein, jene Temperatur, bei der die zugeführte Energie nicht länger zur Temperatursteigerung, sondern zur Änderung des Aggregatzustands führte. Erst wenn der Tropfen verdampft war, ließ sich die Temperatur weiter erhöhen. Das war der kritische Punkt: Den Berechnungen zufolge mußte es ausreichen, um die Phasengrenze zu durchdringen – gleich einem Teilchen, das die Schwelle überwand und in den Dampfraum austrat. Wichtig war, in diesem Moment nicht die Verbindung zu verlieren: Die Parabrücke mußte weiterhin zur KOAHSHARA aufrechterhalten werden, nur dann gab es eine Kontrolle der weiteren Vorgänge. Die Kräfte dürfen nicht im Potential des übergeordneten Kontinuums verpuffen! dachte die Cyen und erinnerte sich an die Erklärungen von Iffom Xam’torie: »Das Transzendentale des Hyperkontinuums ist die grundlegende Kraft. Physikalisch wird Kraft als Fähigkeit definiert, Arbeit leisten zu können. Ihrem Wesen nach ist Kraft
an sich aber unanschaulich – wir erkennen sie an der Wirkung, die sie bei bestimmten Voraussetzungen erzeugt. Dieses Potentielle der Kraft transzendiert bei hyperphysikalischen Phänomenen: Im Hyperraum gibt es keinen begrenzten Raum, keine Zeit, keine Materie – er ist überall gleichzeitig, immerwährend, Omnipräsenz, ein Nichts – und doch Alles! Unser Gefängnis ist Teil des Hyperraums, und diesen müssen wir quasi durchqueren, um die anderen Universal-Sequenzen zu erreichen. Eine mathematische Funktion: Jedes Potential ergibt durch Differentiation nach einer Koordinate eine diese treffende Wirkung – genau wie das Gravitationspotential bei Differentiation die auf eine Masse einwirkende Kraftkomponente liefert.« Czernaka nickte. »Indem wir uns auf einen raumzeitlich fixierten Punkt konzentrieren, fließt aus dem Hyperraum die sich in genau diesem Punkt manifestierende Kraft.« Wir haben unsere Möglichkeiten ausgerechnet, Nebeneffekte einkalkuliert und sind bereit, das Wagnis einzugehen; als Gefangene der Hyper-Vakuole haben wir nichts zu verlieren. Die Cyen konzentrierten sich, Parakräfte emittierten, Wirkungen stabilisierten sich. »Achtung! Strukturerschütterungen werden angemessen.« Czernaka vernahm Iffom Xam’tories Signal nur schwach, kontrollierte die Anzeigen und ihre Parawahrnehmung, die Verzerrungszone kontrahiert, wird zum Strukturriß… Es funktioniert!« Mit rasender Geschwindigkeit verkleinerte sich die in der Holoprojektion simulierte Kugel, verbunden mit einem Leuchten in der undurchdringlichen Schwärze des Gefängnisses. Immer greller wurde das Licht, je mehr der Radius schrumpfte. Als die Hyperblase zum Punkt wurde, ihre räumliche Dimension verlor und damit in die Bereiche quantenmechanischer und hyperphysikalischer Unscharfe
geriet, glich die Energieeruption der Geburt eines neuen Universums: Ein Blitz, dessen Intensität sämtliche Sensoren überforderte, schoß durch die Finsternis, erfaßte den Innenraum der Hyper-Vakuole und verwandelte Schwarz in Weiß. Augenblicklich floß das Potential durch den Punkt des Strukturrisses ab: Es ähnelte einem Nadelstich in einen wassergefüllten Ballon – hier wie dort sprühte ein Strahl fort. Und von dem Sog drohten die Cyen unkontrolliert mitgerissen zu werden… »Stabilisiert die Brücke! Wir dürfen den Kontakt nicht verlieren!« Gemeinsam stemmten sich die Cyen gegen die zerrenden Gewalten, versuchten die drohende Auflösung zu verhindern. Ihr Ziel war die Rückkehr ins Universum ihrer Herkunft; das jetzige Ausblasen kam aber einem Verwehen im Hyperraum gleich, bedeutete nichts anderes als die »Unwiderrufliche Wandlung«, den »Tod« der Identität, wie sie sie kannten. Drei Cyen wurden erfaßt, konnten sich nicht länger halten: An Bord der KOAH-SHARA entstofflichten die Körper, die Bewußtseine wurden fortgezerrt. Schreie wurden zum Wimmern, als sie im punktförmigen Loch verschwanden, sofort zur Grenzenlosigkeit des Hyperraums auffächerten und ihre Ego-Struktur verloren. »Wir müssen das Loch schließen, ohne die Brücke einzureißen«, rief Kommandant Torka Mirtak. »Konzentriert euch, Cyen. Es geht um unser Leben!« Fieberhaft schaltete Czernaka, errichtete weitere HyperVakuolen, die sich um den Punkt lagerten und den Sog etwas dämpften. Zu groß, um ebenfalls im Strukturriß zu verschwinden, verzogen sie sich, transformierten und paßten sich den Eigenschaften der Phasengrenzschicht an. Trotzdem war die Gefahr noch nicht gebannt. Die Silberkugel wankte wie ein Blatt im Sturm, wurde nun ebenfalls Richtung
Strukturriß gezerrt. In der pseudometallischen Hülle knirschte es, krachend detonierte irgendwo ein Aggregat. Teile der Silberhaut verschwammen, als entmaterialisierende Kräfte wirksam wurden. Der Kreuzer verlor seine Festigkeit, wurde durchscheinend, stabilisierte sich wieder und ruckte hin und her. »Czernaka!« Oon Batraáls paraverbaler Ruf drang ins Bewußtsein der Frau, die sich verzweifelt an die Ausströmungen der Cyen klammerte. Für Augenblicke fand sie Halt, fühlte wechselseitiges Zerren und ahnte, daß es sie zerreißen würde, weil beide Seiten gleich stark waren. »Halt durch, Liebste! Ich helfe dir!« »Oon!« Czernaka wimmerte, als sie die Nähe seines Bewußtseins spürte. Er hatte sich aus dem Verbund der Cyen gelöst, balancierte gewissermaßen über die hauchfeine Verbindung und reichte der Fürstin seine Hand. »Nein! Du wirst…« Sie fühlte den sicheren Zugriff und klammerte sich an den Geliebten, der ihren Parasinnen wie ein leuchtender Irrwisch erschien; Tentakel umwogten den »Kopf«. Schwankend und von tobenden Kräften umhergeworfen, schwang der goldene Verbindungsschlauch vielfach gewunden von der KOAHSHARA bis zum Punkt des Strukturrisses, in dem die Fürstin ein aufgerissenes Maul sah, dessen Atem sie vergiftete, dessen Kreischen sie betäubte, dessen Gier sie entsetzte. Oon Batraál ragte, selbstsicher leuchtend, vom Schlauch auf, umschmeichelte Czernakas Körper-Manifestation und wehrte als Schild anstürmende Gewalten ab, stemmte sich dem Sog entgegen und schob die Geliebte sanft Richtung KOAHSHARA, bis sie aus der Gefahrenzone war. Nun war es Czernaka, die ihrerseits mit ihren Parakräften Zugriff, über sich hinauswuchs und Oon Batraál Halt verlieh, während die übrigen Cyen die Verbindung nach draußen zu stabilisieren
versuchten. Vage erkannte Czernaka, daß das Schlauchende, trichterartig aufgestülpt, durch Schwärze tastete, in der immer wieder Blasen aufblitzten, zu gewaltigen Kugeln anwuchsen und wieder verschwanden; Kugeln, die gleich Riesenmolekülen ineinander verwoben waren, sich gegenseitig zu größeren Sphären ergänzten, in unendlichen Reihen angeordnet schienen und jede das Licht jeder anderen widerspiegelten: die unübersehbare Zahl von UniversalSequenzen, allesamt eingebettet ins Ewige Jetzt des Hyperraums. »Hilf uns!« rief Oon Batraál, als eine Lichtraupe durch den Schlauch huschte und bei ihnen stoppte. An der kalten, emotionslosen Ausströmung erkannte Czernaka Xanthyn Ol’dan; sie fluchte lautlos, weil sich der Missionar zunächst nicht regte. Seine paranormalen Sinne folgten vielmehr dem Verlauf des Schlauchs, ertasteten das Trichterende. »Die Verbindung ist fast stabilisiert«, signalisierte der Tekteron-Missionar und sandte Glutpfeile aus, die in rascher Folge aus dem leuchtenden Raupenleib schossen und als Lichtbögen von der Hyper-Vakuole zu den StandardUniversen übersprangen. »Es fehlt nur ein letzter Anstoß!« Czernaka schrie gellend auf, als sie erkannte, was Xanthyn Ol’dan plante. Sie klammerte sich an Oon Batraál, der aber ihrem Zugriff entglitt, als er, vom paranormalen Hieb des Missionars überraschend getroffen, das Gleichgewicht verlor und am Verbindungsschlauch entlangrutschte. Ineinander gehakte Fühler rissen, die Frau verlor den Kontakt. »Nein!!« Czernaka versuchte Oon Batraál ihr Parapotential hinterherzuschicken, prallte jedoch auf die von Xanthyn Ol’dan errichtete Barriere. Schwach drangen die paraverbalen Wahrnehmungsimpulse des Cyen-Fürsten zu ihr durch, vermittelten ihr einen Eindruck der letzten Mikrozeiteinheiten
seines Lebens. Er fühlte keinen Körper mehr. Nach einem Moment kalten Entsetzens fand er sich mit der Situation ab; es gab nichts mehr, was er tun konnte: Der Sog war zu stark, schon huschte die punktförmige Strukturöffnung vorbei. Oon Batraál wußte, daß seine Bewußtseinsstruktur kurz vor der Auflösung stand, sanftes Licht hüllte ihn von allen Seiten her ein, kündete vom Übergang zum Kosmischen Bewußtsein. Er war Teil des Ganzen und würde, einer Wellenspitze gleich, die aus unendlichem Ozean emporwuchs und wieder zurücksank, mit dem Ende seiner Ego-Struktur in dieser Ganzheit aufgehen. Trauer und Melancholie erfaßten den Fürsten, als er an Czernaka dachte und in weiter Ferne ihre Ausströmungen spürte. Mit einem Ruck wandte er sich ab, blickte nach vorne, um alles aufzunehmen, was mit dem Schritt über die »Unwiderrufliche Wandlung« hinaus verbunden war. Oon Batraál sah das Ende des Trichtertunnels, seine rasend vorbeihuschende Wandung. Farben wechselten von Violett nach Orange, weiße Schlieren erschienen, wurden von schwarzen Strichen und umbradunklen Klecksen ersetzt. Wiederholt brachen aus den Wänden Schleier und Fahnen hervor, taumelten krummlinig begrenzte Flächen vorbei, deren scharfe Kanten in sich gebogen und verzerrt waren. Arabeske Muster in Blattgrün, Perlrosa und Gelb wanden sich vom Trichterende zu den Standard-Universen. Weiter ging der Sturz, immer schneller. Neue Flächen und geometrische Formen erschienen, Würfel wurden von Oktaedern und rhombischen Platten ersetzt. Fontänen und Sprudel, deren Einzelpartikel aus golden schimmernden und tiefblauen Ellipsen bestanden, umspülten das vor der Trichtermündung schwebende Gebilde. Es glich einer Explosion, als flirrende Teilchen aufstoben, während der Cyen den gewaltigen, einem von Hohlräumen durchsetzten
Schwamm ähnelnden Körper durchdrang. Übergangslos wurde Oon Batraál Teil eines Blitzdoms, der die Ausläufer der Standard-Universen begrenzte. In verwinkelter Struktur schwangen Lichtkabel durch den Raum, schnitten und kreuzten sich, bildeten Knoten und Verzweigungen. Schimmernde Protuberanzen und gleißende Geysire wirkten wie tausend ausgestreckte Finger, aber nirgends gab es eine Berührung; immer blieb ein winziger Abstand, der nicht zu überwinden war. Eruptionen zersprühten zu Funkenregen – und es war der Cyen-Fürst, der den Kontakt herstellte: Plötzlich gab es einen Ruck, der Mann sah Sterne im All, sah Licht, das normalen Weltraum durcheilte, und eine Kugel, die zu unübersehbarer Größe anschwoll. Vibrierend und vielfältig schwingend empfing ihn die lebendige Ausstrahlung. Oon Batraäl erkannte erstaunt, daß es nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang war. Liebevoll dachte er an Czernaka, versuchte, ihr einen beruhigenden Impuls zu schicken – dann endeten seine Wahrnehmungen, er verschmolz mit dem Lebendigen… »Nein!« Czernakas Schrei hallte durch die Zentrale der Silberkugel, die, von Kraftfeldern ergriffen, in den Hangar schwebte und verankert wurde. »Nein!« Die Frau sank in sich zusammen, Leere erfüllte sie, der Schock drohte sie zu zerschmettern. Xanthyn Ol’dan! Ein Gedanke, der sie plötzlich aufstachelte, Wut und Haß hervorrief und sich als Schleier vor Czernakas Augen legte. Sie stürmte aus der Silberkugel. Entladungen schienen ihre Gestalt zu umgeben, nach Rache schrie jede Faser ihrer Körper-Manifestation. Zornbebend sprang sie dem Missionar entgegen, doch ein eisiger Zuruf, verbunden mit einem telekinetischen Hieb, stoppte sie: »Halt!«
»Laß mich, Onkel! Er hat Oon Batraál…« »Er hat die Verbindung geöffnet!« schnarrte Cartee A’Iktar und stellte sich zwischen die Fürstin und den TekteronMissionar; seine subverbalen Ausströmungen waren unmißverständlich. »Allein das zählt. Ich bedaure Oon Batraáls Schicksal wie du, aber du wirst dich beherrschen, Fürstin! Es war erst der Anfang! Wir benötigen jede Kraft, um unser Ziel zu erreichen! Jetzt sind wir nur noch dreizehn, vergiß das nicht!« Sie nickte, bändigte mühsam ihren Haß und starrte die Sucher-Gestalt an, die unbeeindruckt hüfthoch im Raum schwebte. Nur verstärktes Fächeln der Hautlappen zeigte, daß Xanthyn Ol’dan keineswegs so ruhig war, wie er sich gab. Beide wußten, daß die Rechnung offen war. Irgendwann, schwor sich Czernaka Oulpka Cyen, wird er sie bezahlen – mit seinem Leben… Sie wußte, daß sie fortan einen Feind haben würde… Am Rand der Sogmanton-Barriere, an Bord der AZTU VI: Mitte 18.998 da Ark (= Anfang 2025 Terra-Standard) Die kleine Mehandor-Walze taumelte schon seit fünf Tontas durch die Ausläufer des Hypersturms. Sämtliche Aggregate auf der Basis von 5-D-Technik waren ausgefallen oder arbeiteten so fehlerhaft, daß ihr Ausschalten notwendig geworden war. Jahaq Garr starrte aus vorquellenden Kugelaugen auf die verschwommenen Bilder der normaloptischen Rundumerfassung. Wiederholt zuckten Störungslinien über die Segmente des Panoramaschirms. Von düsterem Rot, manchmal von bräunlichen Schlieren durchzogen, war das All; nur dort, wo hyperenergetische Kräfte konzentriert ins Standard-Universum einbrachen, hellte
der Weltraum über Orange nach Gelb auf, während ultrablau umflackerte Aufrisse schwarz gezackte Spuren hinterließen. Verästelte Sekundärentladungen tanzten über die Schiffshülle. Ächzen und metallisches Kreischen drangen aus den Spanten, in der Zentrale wogten Schwaden schmorender Kunststoffe, Kurzschlüsse prasselten mit grellen Funkenfontänen. Aus einem aufgeplatzten Getränkeautomaten perlte ein Strom schwankender Kügelchen und Blasen in Schwerelosigkeit – die künstliche Gravitation an Bord war mit dem Versagen der übrigen Geräte hyperphysikalischer Natur verschwunden. Von Jahaq Garr kam ein jämmerliches Quaken, als die AZTU VI herumgerissen wurde und Sicherheitsgurte tief in die vom Austrocknen bedrohte Haut des Krötenwesens schnitten. Der Andooz war das einzige noch lebende Geschöpf an Bord, Aztuals Sippenangehörige waren schon vor zwei Tontas den intensiven Hyper-Strahlungen und hochenergetischen Partikelschauern zum Opfer gefallen, die kein Schutzfeld mehr abwehrte und inzwischen sogar das Gefüge des Arkonstahls perforierten. Vier Explosionen überlasteter Projektoren hatten überdies die Außenhülle aufgerissen; nur der Verschlußzustand verhinderte ein Entweichen der gesamten Luft. Daß der Andooz noch lebte, verdankte er der besonderen Struktur seines Metabolismus, aber auch er würde die nächste Stunde nicht überstehen: Die AZTU driftete unaufhaltsam dem Zentrum des Hypersturms entgegen, wurde immer häufiger direkt von hyperphysikalischen Ausläufern getroffen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Schiff von einem Aufriß selbst heimgesucht wurde. Schmerzen und Übelkeit durchzogen in wiederholten Wellen den Körper Garrs. Ihm fehlte Nässe, und auch die Hyperemissionen setzten ihm vermehrt zu: Außer wenigen Gurten mit Etuis für Ausrüstungsutensilien und persönliche Habe vertrugen Andooz keine Kleidung, fast permanent mußten die
amphibischen Körper von einem Feuchtigkeitsfilm umhüllt sein. Stechendes Pochen ging von jenen Rissen aus, die sich schon in Garrs Haut gebildet hatten. Die fiebrigen Gedanken des Andooz versuchten dem Zwang der Wirklichkeit zu entrinnen, glitten mehr und mehr in die Vergangenheit, fort von dem drohenden Tod, zurück nach Andooz. Assoziationen reihten sich aneinander. Plötzlich glaubte Garr den Duft der heimatlichen Sümpfe zu riechen, Wasser plätscherte, aus der Ferne drang lautes Quaken heran, in das sich Antwortrufe mischten. Es waren neugierige Arkon-Dagoristas gewesen, die vor fünf Jahrhunderten erstmals Kontakt zum Andooz-Kollektiv herstellten, weil sie die Welten nach dem mythischen Zhygor absuchten. Vielfältig und verschlungen waren die Wege, auf denen sich Leben entwickelte: Auf dem sechsten von dreizehn Planeten der weißen Sonne Andan Kruul hatte von Anfang an Bewußtsein über Materie dominiert, war Zhy das Maßgebliche, das sich – kaum, daß die ersten materiell kodierten Lebensformen in Gestalt von bakterienähnlichen Strukturen entstanden waren – zu einer Art planetarem Bewußtsein ausweitete. Zwar schritt die biologische Evolution wie auf ungezählten anderen Planeten fort, aber die maßgeblichen Einheiten waren und blieben die Einzeller: Als separierte Zelle keineswegs intelligent, traf dies für ihre Gesamtheit nicht zu, und dort, wo sich Zellen zu größeren Haufen konzentrierten, bildeten sich individuelle EgoFokussierungen heraus, ohne jedoch den Kontakt zum Ganzen zu verlieren. Erst der Kontakt zu den Dagoristas, deren Tai-Laktrote ein Gijahthrako war, forcierte diese Entwicklung, so daß es quasi zu einer »von außen gesteuerten« Weiterentwicklung einer amphibischem Lebensform kam, deren Individuen schließlich die bevorzugte Manifestation des Kollektivs wurden – und
erst jetzt von Andooz als »Einzelpersonen« gesprochen werden konnte. Auf Andooz – einer Sauerstoffwelt mit Hunderten kleiner, seichter Binnenmeere, wenigen Bergen und einem weitgehend versumpften und von Dschungel überwucherten Land – gab es in der Folgezeit keine technologische Entwicklung, sondern eine dem Kollektiv näherliegende geistig-philosophische Ausrichtung, wobei den bufoiden Andooz-Individuen das intuitive Erkennen von Mustern und Zusammenhängen, Abläufen und Schemata grundsätzlich zu eigen war. Diese Fähigkeiten, für Verwaltungsaufgaben hervorragend zugeschnitten, blieben letztlich auch dem Großen Koordinator nicht verborgen, obwohl die Position von Andan Kruul mit einer Distanz von rund 2400 arkonidischen Lichtjahren »unterhalb« der Milchstraßenhauptebene zu den auseinanderfallenden Randzonen des Tai Ark’Tussan gehörte. Mit Verhandlungen beauftragte Springer formulierten in Absprache mit den Andooz ein Vertragswerk, so daß ab dem Jahr 18.981 da Ark ihre Welt Bestandteil des Imperiums wurde. »Vorbei!« gurgelte Garr und riß, von jähem Ruck herumgeworfen, entsetzt die Augen auf. Die sonst feuchtschlüpfrige Haut von bräunlicher Grundfarbe, drüsenreich von vielfältigen und -farbigen Mustern überzogen, platzte dort auf, wo die Sicherungsgurte lymphgefüllte Hohlräume zerquetschten. Mit den teilweise giftigen Sekreten strömten jene Bakterienkulturen aus dem Leib, denen der Andooz sein eigentliches Bewußtsein, seine Intelligenz, seine Persönlichkeit verdankte. »Keine Verbindung… zum Kollektiv… Tod!« Schemenhaft erinnerte sich der Andooz an ihren Auftrag: Die AZTU VI hatte sich nahe der Sogmanton-Barriere mit Schiffen der Rebellen des Vasghad-Fürstentums treffen sollen.
Zwar wurde dem Großen Koordinator maschinenhafte Stupidität nachgesagt, und seine eiskalte Logik war gefürchtet, doch wenn es um strategische Erwägungen ging, konnte dem riesigen Positronengehirn von Arkon III weder das immense Wissen noch das nötige Geschick abgesprochen werden: Der Gesamtheit aller Krisenherde im Großen Imperium stand stets die Zahl einsatzbereiter Flotteneinheiten gegenüber, so daß unter dem Strich ein Maximumkontingent herauskam, das an einem zusätzlichen Schauplatz zum Einsatz kommen konnte. Wurde dieses nun in Bezug zum Aufgebot gegnerischer Raumschiffe gesetzt, bestimmte der Endwert weitere Entscheidungen – ein positives, wenn auch asymptotisch dem Betrag Null sich annäherndes Ergebnis war vertretbar, jedes Abgleiten ins Negative jedoch nicht. Seit der Machtübernahme hatte sich der Robotregent zumindest auf diesem Gebiet als lernfähig erwiesen und sich der Mithilfe von Imperiumsvölkern versichert; häufig zwar mit Drohgebärden und dem Einsatz von Gewalt, doch die Erfolge waren nicht zu leugnen. Im Falle der Vasghad-Rebellen kam der Einsatz der Robotflotten nicht in Frage, weil die einkalkulierten Verluste die Neuproduktion bei weitem überstiegen und den Abzug unersetzlicher Einheiten von anderen Schauplätzen erfordert hätten. Inwieweit es dennoch zu einer Verständigung mit den separatistischen Bewohnern des Randzonen-Fürstentums kommen konnte, ohne einen Krieg mit ziemlich Ungewissem Ausgang zu riskieren, hatten Aztuals Springer auskundschaften sollen. Das vereinbarte Treffen kam jedoch nicht zustande. Während die Raumer von Thaafs, Baahmys und Zaater noch rasch in einer Nottransition flüchten konnten, wurde die AZTU gleich vom ersten Hypersturmausläufer voll getroffen und verwandelte sich in den nachfolgenden Tontas mehr und mehr in ein Wrack.
Ein erneuter Ruck ließ den Andooz gepeinigt aufbrüllen. Dunkelheit waberte für eine Weile vor seinen Augen; mit jeder verstreichenden tausendstel Tonta schien ein Teil seiner Lebenskraft aus dem Körper zu rinnen. Die Auflösung schritt unaufhaltsam fort. Schon wurden die Gedanken des Bufoiden zerfaserter, verloren Systematik und Struktur. Unverständnis spiegelte sich in den Kugelaugen, deren Blick auf den Panoramaschirm gerichtet war: Der leblose Körper eines Springers trudelte langsam vorüber; rötliches Haar formte in der Schwerelosigkeit ein aufgeplustertes Knäuel, das von einer merkwürdigen Aura umgeben schien. Nur verzögert erkannte Garr, daß diese »Aura« Teil des Bildschirms war – ein Gebilde im All, das gewaltige Ausdehnung besitzen mußte. Auf den ersten Blick glich es einem Trichter, dessen Ende sich in unergründlicher Ferne verlor. Rotes Wabern und Quirlen formte Wandungen, aus denen dunkelrote, fast schwarze Schlieren zuckten, die auch die vereinzelt aufblitzenden Lichtbögen nicht zu erhellen vermochten. Vom Grund des Trichters dehnte sich als gezackter »Riß« eine tiefschwarze Bahn aus, die erst nahe der Mehandor-Walze ihr vielfach aufgesplittertes Ende fand. Und genau dort glitzerte unvermittelt eine Kugel im wechselnden Licht von Entladungen und Blitzen. »Riesig…« Jahaq Garr röchelte und bewegte vage die Hände. »Muß… gewaltig sein… größer als… Arkon-Schlachtschiff…« Plötzlich sprangen Explosionen aus dem unteren Drittel der Kugel. Ganze Oberflächensegmente, unregelmäßig gezackt und von wabernden Wolken aus Trümmern und zerpulvertem Metall umgeben, trudelten durchs All. Aus klaffenden Rissen stoben Feuersäulen und Sekundärexplosionen, die das Raumschiff wild hin und her schlingern ließen und in ein Trümmerkonglomerat verwandelten, das nur noch aus verbogenen Streben, zerfetzten Spanten und aufgeplatzten
Hüllenresten bestand. Der Andooz war nicht in der Lage, die genaue Distanz zwischen Kugel- und Walzenraumer abzuschätzen. Zunächst nur als Glitzerreflexe zu erkennen, stießen Punkte aus dem riesigen Kugelschiff und wuchsen langsam zu Silberkugeln; sieben… neun… zwölf Stück insgesamt. Grellviolette Strahlen schossen von der letzten Silberkugel zum Wrack zurück, ließen weitere Explosionen in erschreckender Lautlosigkeit aufblitzen. Für einen Augenblick glaubte Garr ein dreizehntes Kugelschiff zwischen verkohlten Gitterstreben zu entdecken, dann griff ein pechschwarzer Hypersturmausläufer nach dem Wrack und zerrte es in den rötlichen Riesentrichter, bis die Materie diffus und durchscheinend wurde und schließlich ganz verschwand. Jahaq Garrs Gedanke erlosch, ehe er ausformuliert war: Ein Kampf zwischen…? Plötzlich registrierte er einen fürchterlichen Druck im Bewußtsein. Für Augenblicke waren die übrigen Schmerzen und der geschundene Körper vergessen. Garr wand sich unter der suggestiven Last, brüllte laut und blies hechelnd die Backenblasen auf. Unkontrolliertes Zucken durcheilte die Gliedmaßen, verwandelte den Andooz in ein hilfloses Bündel zitternder Muskeln und zerfetzter Haut. Sein Widerstand dauerte keine hundertstel Tonta, dann schien der Druck in angenehm sanftes Licht verwandelt. Irritiert blinzelte Garr, glaubte sich selbst zu sehen: Idealisiert, überhöht, aber eindeutig er selbst war Teil der Vision – wunderschön, gesund und unverletzt schwebte der Körper vor ihm. Prächtiges Feuchtigkeitstriefen umgab die warzige Haut. Die lange Fangzunge schnappte aus dem Maul und angelte fette Insekten aus der Luft, deren Anblick dem Andooz das Wasser in die Augen trieb. Einem sanftem Massieren glich der nächste Eindruck: Etwas Fremdes, Unstoffliches tastete nach Jahaq Garrs Bewußtsein,
besänftigte seine chaotisch wirbelnden Gedanken, glitt tiefer, weckte Erinnerungen und ließ Bilder, Gerüche und taktile Empfindungen aufsteigen. Tai Ark’Tussan… Regentschaft des Großen Koordinators… Sogmanton-Barriere… VasghadFürstentum… Mehandor – Verhandlungen – Hypersturm… Das Fremde entschlüsselte alles mit einer Geschwindigkeit, die den Andooz, wäre er unbeeinflußt gewesen, entsetzt hätte. So allerdings erfaßten ihn Ruhe und Zuversicht, die ihn alles andere vergessen ließen, kaum daß die Stimme in seinen Gedanken aufhallte und sich mit vagen optischen Mustern verknüpfte: »Du bist gerettet, Jahaq Garr! Ich bin Xanthyn Ol’dan Cyen – und du wirst uns helfen, in dieser Welt und in dieser Zeit im Sinne der Reinen Lehre aktiv werden zu können!« »Die Reine Lehre… Ja, Erhabener, ich werde Tekteron dienen!« Blubbern und Röcheln verwandelten sich in erleichtertes Keuchen, weil aus unsichtbarer Quelle Wasser mit sanften Strahlen die Haut besprengte. »Danke, danke, danke…« Funkendurchsetzte Schleier nahender Ohnmacht drohten Garrs Bewußtsein in Dunkelheit zu zerren; der letzte optische Eindruck waren die Bilder der Panoramagalerie: Zwölf Silberkugeln näherten sich dem taumelnden Walzen-raumer und fingen ihn mit Traktorfeldern ab, scheinbar völlig unbeeindruckt vom Toben des Hypersturms.
7. Aus: Untersuchung über Altvölker der Galaxis, rätselhafte Hinterlassenschaften, Legenden und ihre Auswirkungen; Hemmar Ta-Khalloup, Historiker und imperialer Archivar, 19.015 da
Ark EINLEITUNG: Daß an Planeten gebundene Legenden in ungezählter Form existieren, dürfte niemanden verwundern, der sich mit der Historie der vielen Einzelspezies beschäftigt, mit ihrem evolutionärem Werdegang und den dabei zu überwindenden Problemen sozialer, kultureller und technischer Art. Da mag es bemerkenswert erscheinen, daß die Zahl galaktischer Legenden, Mythen, Sagen und Erzählungen keinesfalls geringer ist. Dem entgegen steht nur auf den ersten Blick die offensichtliche Wissenschaftlichkeit und sachliche Betonung, die mit der Ausbreitung ins All verbunden wird. Wer sich jedoch zu Bewußtsein führt, daß hinter allem denkende und fühlende Geschöpfe stehen, mit ihren Ängsten, Sorgen, Wünschen, Hoffnungen und Trieben, darf sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß gerade angesichts der Größe des Alls und seiner Wunder, Rätsel und Phänomene ein nährreicher Boden für neue Legenden von speziesübergreifender Wirkung vorhanden ist. Erinnerungen: Zhygor, Kijai-Dagorabtei: 11. Prago des Tedar 19.015 von Arkon (= 17. März 2045 Terra-Standard) »… fungiert der vom Symbionten produzierte Lha’honQuarz als Verbindungsstelle und ist ein Interface zum Extrasinn.« Kon drehte den goldenen Kokon zwischen den Fingern und wiederholte pedantisch Dinge, die ich seit der grundsätzlichen Einweisung ins Projekt »Große Feuermutter« kannte. »Der materieprojektiv stabilisierte Körper ist die Peripherie: ein frei bewegliches Außenorgan, Multirezeptor und vor allem Schnittstelle zum übergeordneten Speicher paraphysikalisch angesammelter Hyperenergie, die dem ChoTräger nach Bedarf zugeleitet und zur Verfügung gestellt wird
– sofern die Einstimmung erfolgreich verläuft…« Unruhig musterte ich das gelbliche Ei, das, von Kontaclatiis losgelassen, bewegungslos in der Luft schwebte. Die letzten Tage hatte ich unter Anleitung der Gijahthrakos meditiert und meinen Status als Dagor-Großmeister aufgefrischt. Meine Skepsis gegenüber dem Vorhaben blieb bestehen, doch man hatte – unterstützt von ES – gute Argumente: Der Verstand war überzeugt, mein Bauch sagte etwas anderes; sehr zum Verdruß meines Logiksektors, dessen Nörgeln zunehmend nervte. Als Kontaclatiis mit dem Cho in meine Klause kam, wußte ich, daß ich nicht ablehnen würde. »Imperator Atlan Mascaren Gonozal da Arkon: Sämtliche Umstände erfordern, daß Ihr Cho-Träger werdet! Dieses Privileg erlangten bislang nur wenige Herrscher des Großen Imperiums, weil es untrennbar mit der Großen Feuermutter verknüpft ist. Zuletzt geschah dies vor mehr als 7000 Arkonjahren bei der Konstitution der bislang letzten…« Sieben Imperatoren hatten eine Große Feuermutter an ihrer Seite gehabt: Barkam I. war um 15.700 der erste. Ihm folgte mehr als tausend Jahre später Hozarius XIX. und der dritte Imperator, der mit dem Beinamen »der Philosoph« versehene Arion I. bestieg erst 11.793 den Kristallthron. In der Zeit von 10.808 bis 10.656 war Kermian XIII. inthronisiert, und Feranrol I. lebte um 9000. Mit der sechsten Großen Feuermutter war für mich, als ich die Daten durchsah, eine große Überraschung verbunden gewesen: Ein unehelicher Sohn Orbanaschols III. wurde als vierter Träger dieses Namens nach Oheim Upocs Tod Herrscher, drei Jahre nachdem ich meinen ersten Tiefschlaf auf Larsaf III begonnen hatte! Mit Yobilyn I. den seine Zeitgenossen »den Gerechten« nannten, wurde im Jahr -6793 zum letzten Mal ein Imperator von einer Großen Feuermutter unterstützt; danach geriet das Projekt in Vergessenheit. »Verstanden, Laktrote.« Ich verbeugte mich und fügte dann
mit Galgenhumor hinzu: »Ich weiß, es ist kein Tier, sondern… Dennoch eine beunruhigende Vorstellung, von einem surrenden Begleiter umgeben zu sein…« Als ob das ein Problem ist! kreischte der Extrasinn aufgebracht. »Die Vorteile überwiegen die Randerscheinungen. Mit dem Parasymbionten wird das Wahrnehmungsspektrum erweitert, weil als Dateninput sämtliche unbewußten Reize dienen; also Informationen hormoneller, reflex-bedingter, instinktiver, intuitiver und vor allem paraorientierter Art. Hinzu kommt, nach dem Kuß der Großen Feuermutter, deren umfassendes Blickfeld.« Vom Cho werden »Pseudogefühle« und »-gedanken« situationskonform als Widerspiegelung des Trägers vermittelt: Er und der »Käfer« bilden, trotz räumlicher Distanz, eine Einheit, die Nahtstelle sind Lha’hon-Quarz und Extrasinn! Das Psi-Insekt wird über den Extrasinn somit zum Sprachrohr des Innewohnenden: Gewissen, Unterbewußtsein, höheres Selbst, Hyperbestandteile des Wahren Wesens, Paranormal-Transpersonales… Das Raunen in meinen Gedanken verging, ehe es lästig wurde. »Um es noch mal klarzustellen, Atlan…« Kons Stimme gewann an Schärfe. »Du selbst wirst keineswegs zu einem Supermutanten, und sogar nach dem Kuß nicht zu einem Telekineten oder Teleporter! Das psionische Potential Chos dient im Rahmen des Kusses in erster Linie zur Stabilisierung der Großen Feuermutter, weil deren Zhy-FamiiTeilbewußtseine aufeinander wirken wie gleichnamige Magnetpole: Ohne dich als Katalysator und Kitt würden sie rasch auseinandergerissen und zerspringen! Der Rest des Hyper-reservoirs hilft dir vor allem, die Verbindung zu Tai Zhy Fam herzustellen und aufrechtzuerhalten. Das Paranormale und Transpersonale an sich ist Aspekt der Großen Feuermutter und kann dir von ihr bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden und dich entsprechend
unterstützen. Hierbei werden die Hauptfähigkeiten jedoch im allgemeinen auf solche der telepathischen Übermittlungsbasis beschränkt bleiben: paraverbale Kommunikation, Erfassung von Fremdbewußtseinsinhalten, unter Umständen auch paravisuelle Fernwahrnehmungen – nicht mehr, nicht weniger. Erst die Kombination aus dir und der Großen Feuermutter ergibt den millionenäugigen Imperator.« »Verstanden.« Kon winkte einer von unhörbarem Signal herbeigerufenen Feuertochter. Sie trat wortlos zu uns und gab mir einen Fluganzug. »Zieh ihn an, Atlan, du wirst ihn brauchen.« Der Cho-Kokon schwebte langsam davon. In Gedanken versunken sah ich dem davonhuschenden Mädchen hinterher, zog den Anzug über und schloß Haftbahnen. »Folge dem Kokon, er wird dir den Weg zeigen! Der geschlüpfte Cho wird dein Begleiter und Helfer sein!« Das Ei flog schneller, und ich beeilte mich, es nicht aus den Augen zu verlieren. Kons abschließende Worte bekam ich deshalb kaum noch mit: »… können erweiterte Bewußtseinszustände auftreten!« Ich aktivierte den Antigrav des Anzugs, als der Kokon vom Kreuzgang zum Hof wechselte und beschleunigte. Deutlich fühlte ich, daß mich etwas wie ein Band an den ungeschlüpften Parasymbionten kettete, eine unsichtbare, trotzdem unglaublich starke Verbindung. Wir schwebten an einer Meditationsgruppe von Feuerfrauen vorbei und stiegen höher. Gebäude mit geschwungenen Kristalldächern, um Innenhöfe gruppiert, blieben zurück. »Nicht so schnell, verflucht!« flüsterte ich, änderte den Emissionsvektor und warf einen Blick zurück. Mehr als zweitausend Meter fiel die Felswand fast senkrecht hinab. Die Kijai-Dagorabtei, auf wuchtigem Felszapfen am Rand des Lal-
Gebirges errichtet, war vom lautlosen Dröhnen der Parakräfte umgeben: Die Gijahthrakos bändigten von Orten wie diesem, den Orten der Kraft, Zhygors aufgewühlte geotektonische und hyperorientierte Kräfte. Kijai war dem Aussehen nach eine exakte Kopie des legendären Zhy-Klosters auf Iprasa. Sogar die Umgebung glich sich verblüffend. In gestreckten Flug übergehend, konzentrierte ich mich auf die Antigravsteuerung. Schroffe Bergspitzen, grau und schwarz, reckten sich dem staub- und ascheerfüllten Purpurhimmel entgegen. Düsteres Glühen in der Ferne markierte dünnflüssige Magmaseen. Im Süden schoben sich schwefelgelbe Fahnen und Schleier der Hochatmosphäre vor die blutige Scheibe von Sarende. Ich beschleunigte und schloß zum Kokon auf, der um eine Felsnase bog und entlang einem bizarr erstarrten Magmastrom zum Tal steuerte. Silbrig sprühte ein Wasserfall, gespeist von den Gletschern der Achttausender, in die Tiefe. Als dunkle Silhouette sah ich links einen Schwarm Kooann. Die Riesenrochen, Ureinwohner Zhygors, glitten mit majestätischem Schwingenschlag und gekrümmten Skorpionschwänzen vorbei. Vereinzelt glitzerte meerblaue Haut im Licht. Kurz dachte ich an den Kooann Thom; ein neuer Freund im Reigen meiner zum Teil bizarren Bekannten. Vor mir lag die Schlucht, die das U-förmige Lal-Gebirge von Tatalal trennte. Das gelbe Cho-Ei strebte nach Osten, dem konvex gewölbten, im Zentrum zweitausend Meter aufragenden Buckel entgegen, von dem die Stadt der Tausend Wunder seit Jahren in konzentrischen Ringen die Hänge herabwucherte. Die Bauten glichen einem dunklen Moosteppich, an einigen Stellen ragten die Spitzen von Pyramiden auf. Ich schätzte, daß ich in fünfzehnhundert Metern Höhe flog, und der Felsbuckel wurde immer größer. Die »Kuppe« von vierzig Kilometern Basisdurchmesser war
nur der oberste Teil eines mächtigen Planetoiden, der vor Urzeiten in die Zhygorkruste eingedrungen war und dabei den Lal-Gebirgszug aufgefaltet hatte. »… unterliegt seine Materie einem Einfluß ähnlich einer SemiTransition«, hatte Kon doziert. »Deshalb zersprang er nicht beim Aufprall, sondern er und Zhygor durchdrangen einander gewissermaßen; ein unvollständiger Übergang zum Hyperraumniveau ohne Entmaterialisation. Vermutlich beruht darauf – zusätzlich zur Verzerrung des gesamten Raumsektors – Zhygors zuweilen kritische Aktivität…« Ich seufzte. »Was hat das Ding vor?« Aus zusammengekniffenen Augen starrte ich dem Kokon nach, während weit im Osten ein Raumschiff aufstieg. Erst nach einiger Zeit und deutlich abgeschwächt waren das Donnern verdrängter Luftmassen und der Überschallknall zu hören. Kurz blitzten Impulstriebwerke auf. Ein schwaches Schimmern zeigte mir, daß das Ei die Kraftfeldhülle, rund tausend Meter von der Planetoidenoberfläche entfernt, passierte. Als zartes Raunen »hörte« ich, vom photographischen Gedächtnis reproduziert, die Worte des Gijahthrakos: »Eines von vielen Phänomenen der Freihandelswelt. Alle Lebensformen werden, sobald sie ins Feld eindringen, von einer hyperenergetischen Aura umgeben, die die natürlichen Umweltbedingungen simuliert und sogar die Ernährung übernimmt. Optisch und haptisch ist es nicht zu erkennen, trotzdem erlaubt dieser Effekt sogar Fremdgasatmern das Leben in Tatalal ohne besondere Schutzeinrichtungen…« In Gedanken versunken flog ich weiter, umrundete die Tatalal-Kuppe zu einem Viertel und folgte dem Kokon auch, als er in einen klaffenden Bodenspalt eindrang. Eine Höhle schloß sich an, dann ein abwärts führender Tunnel von unregelmäßigem Querschnitt. Draußen war es nicht zu
erkennen gewesen, jetzt war es unübersehbar: Vom Ei ging ein Leuchten aus, das mich die Umgebung klar erkennen ließ. Der Tunnel reichte er in unergründliche Tiefen. Irgendwann knurrte ich ärgerlich: »Verdammt, wohin führt mich dieses Ei?« Das Gebilde versank, ohne einen Augenblick zu zögern. »Seit mehr als einer Stunde folge ich ihm schon.« Längst befand ich mich tief unter Tatalal. Es war unheimlich still im Schacht. Seitwärts zweigten immer wieder kleine Risse, Tunnel und Höhlen ab. Drusen mit glitzernder Mineralauskleidung funkelten im Goldleuchten des Kokons, farbige Schlieren zeichneten sich an rauhen Felswänden ab, die mit Ablagerungen wechselten, welche an Korallenstöcke erinnerten. Kalkiges Geäst war neben prächtig strukturierten Tropfsteinformationen zu entdecken. Mächtige Säulen und auskragende Platten machten die Umgebung unüberschaubar, zumal ich kaum weiter sehen konnte, als das Leuchten drang. »He!« rief ich. »Wohin willst du denn noch?« Ohne Reaktion flog das Ei voraus. Ich war dem Ding auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und folgte ihm weiterhin; es spendete Licht und war der einzige greifbare Ansatzpunkt, der mir eine Rückkehr garantierte: Irgend etwas blockierte mein photographisches Gedächtnis, mit dessen Hilfe ich normalerweise den Weg hätte rekonstruieren können. So aber… Plötzlich bog das Ei waagrecht in einen Tunnel ein. Ich justierte die Ausstrahlungen meines Anzugs neu und folgte. Höhlen, Kammern, Seitengänge, immer weiter, tiefer. Nun wußte ich absolut nicht mehr, wo ich mich befand. Die Katakomben von Tatalal! Ich begriff, weshalb die Raumfahrer vor ihnen einen solch mächtigen Respekt hatten, eine unausgesprochene Scheu. Hier unten ist tatsächlich alles
rätselhaft und unwirklich. Hyperdimensionale Verzerrungen? Dimensionsüberlappungen? »Wenn es stimmt, was Kon über den Planetoiden gesagt hat, kratze ich bestenfalls an seiner Oberfläche herum.« Tief im Inneren mußten die eigentlichen Geheimnisse zu finden sein; technische Hinterlassenschaften vielleicht, Hypererscheinungen oder stasiskonservierte Raumfahrer – meine Phantasie ging mit mir durch und gaukelte mir die absonderlichsten Dinge vor, bis ich mich mühsam zur Ordnung rief. Ich schrak auf, als das Ei stoppte, und prallte mit ihm zusammen, weil ich zu spät bremste. In einer ausdehnten Kaverne, deren gewölbte Decke im Dunkel lag, schwebte das Ei dicht vor meinem Gesicht. Ich knurrte: »Und nun?« Zartes Knistern war die Antwort. Dunkel huschten Risse über die gelbliche Oberfläche, und plötzlich zerbarst der Kokon. Ich vergaß fast zu atmen, als der »Käfer« sichtbar wurde, die Elytren hob und seine Flügel entfaltete. Die Umgebung war weiterhin vom Leuchten erfüllt. Ich erkannte alles ganz genau: Das materieprojektive Pseudo-Insekt besaß einen gewölbten Leib mit sechs Beinen. Die Facettenaugen schimmerten bläulich, Fühler waren fächerartig ausgefaltet. Flirrend bewegten sich die Flügel, ein dumpfes Summen drang an meine Ohren. Langsam schwebte das »Insekt« vor meinem Gesicht auf und nieder; ein Etwas, das nur der äußeren Materialisation nach einem Tier entsprach, tatsächlich aber ein psionisch-hyperenergetisches Kunstprodukt war, ohne das es keine Große Feuermutter geben würde. »Hallo!« sagte ich betont fröhlich und betrachtete den Tanz; auf, nieder, im Kreis, spiralig, herab und wieder hoch, erneut im Kreis. Schließlich verharrte der Parasymbiont, deutlich fühlte ich den Luftzug rasend schlagender Flügel. Ich rührte
mich nicht, als er auf meiner Stirn landete und mit kitzelnden Beinen zu wandern begann. Ein ähnliches Muster wie zuvor beim Flugtanz. Dann stob der Käfer auf und erschien wieder in meinem Blickfeld. Goldener Glanz formte zwischen flink bewegten Beinchen eine Kugel – fast glich das Hantieren einem irdischen Pillendreher oder Skarabäus. Statt einer Dungkugel, in der die Weibchen die Eier ablegten, handelte es sich hier allerdings um ein hyperphysikalisches Phänomen: Das Licht verdichtete sich langsam zum nadelfeinen Kristall, zum Lha’hon-Quarz. Gleichzeitig ging vom Zellaktivator ein zunächst kaltes Leuchten aus, das meine Kleidung glatt durchdrang. Mit jedem Wimpernschlag wurde der Glanz greller, Hitze erfaßte meine Brust, wurde unangenehmer, schmerzhaft. Als die Bewegungen des Pseudo-Insekts endeten, ahnte ich, was kommen würde. Der Schmerz war kurz, sehr intensiv, und er zuckte als heiße Nadel von meiner Stirnmitte in den ganzen Kopf. Ich atmete zischend ein, von befremdlichen Wahrnehmungen heimgesucht. Quer durch eine Höhle erstreckt sich eine dicke Röhre. Quaderförmige Maschinen treiben einen Tunnel in den Fels, kleine Taa-Insekten huschen umher, bedienen Geräte und richten materiewandelnde Parakräfte aus. Baumaßnahmen von Tatalal? frage ich mich unwillkürlich. Eine hypervisuelle Fernwahrnehmung der Gegenwart? Das Schloß des nordpolaren Kristallwalds erscheint; ich gehe durch lange Gänge. Draußen begrüßt mich Thom mit zart schwingendem Rochenleib. Vergangenheit! Platinblonde Pagenfrisur umgibt das schmale Gesicht einer Frau; schwarze Mandelaugen öffnen sich und werden zu abgrundtiefen Schächten, in denen ich mich zu verlieren glaube. Fern erklingt ein verzerrter Schrei; »Schärnak-
kaaaaaa…« Ich wirbele scheinbar haltlos umher: Ein Planet, von einem Ring merkwürdig künstlich wirkender Monde umgeben, huscht durch mein Blickfeld, wird von einer Sonne verdrängt, die zur grellen Supernova aufflammt. Auf einem Holodisplay erscheinen sechs rote Punkte, dreidimensional zum Oktaeder angeordnet und untereinander durch gestrichelte Linien verbunden. VHALON – VHALON steht in arkonidischen Lettern neben dem Objekt, dessen zuvor leeres Zentrum nun von flammender Korona bestimmt wird. Von gleißendem Glanz umgeben sind zwei reich facettierte Kristalle – ein Rubin und ein Smaragd –, deren Taumeln mir merkwürdig falsch vorkommt. Machtvoll drängt sich der Eindruck auf, daß die Konstellation unvollständig ist, daß ein weiterer Kristall fehlt. Über eine Savanne rennen ornithoide Scüs, bepackt mit Ausrüstung und einer ohnmächtigen Frau auf dem Rücken. Ich sehe mich, angeleitet von Kontaclatiis, im Meditationssaal des Zhy-Klosters von Iprasa. Weitere Sequenzen folgen – ich bekomme kaum die Hälfte der rasch wechselnden Szenen mit. Zukunft? Als sich der Käfer entfernte, war der goldene Glanz verschwunden. Langsam erwachte ich aus der Erstarrung und merkte, daß ich in Schweiß gebadet war. »Verflucht, Kon hat’s doch gesagt«, keuchte ich. »Erweiterter Bewußtseinszustand!« Ich habe dich akzeptiert. Es war, als flüstere mir jemand ins Ohr. »Cho?« Meine zaghafte Frage wurde mit einem Kichern beantwortet: Wer sonst, Großer? Extrasinn und Parasymbiont ergänzen sich zu einer neuen Einheit. Ich runzelte die Stirn, weil mir weiterhin der genaue
Rückweg nicht einfallen wollte. Eine Art Schleier hüllte mein Gehirn ein. »Wie komme ich wieder nach oben?« Kein Problem. Du brauchst mir nur zu folgen. »Schon wieder.« Ich seufzte. Das vorlaute Pseudo-Insekt landete surrend in meinen Haaren und wisperte über den Extrasinn als Mittler: Zunächst geradeaus und dann links in den Tunnel. Ich justierte die Emissionen meines Anzugs. »Warum hast du mich in die Katakomben geführt?« Hyperresonanz. Es gibt einen Einfluß, der mich anzog. Meine Neugier war sofort geweckt. »Wo?« murmelte ich. »Welcherart Einfluß?« Ganz in der Nähe. Eine stationäre hyperenergetische Ballung! Ist das der Grund, weshalb ich mich nicht mehr an den Rückweg erinnere? Keine Antwort. Ich folgte den lautlosen Anweisungen, durchquerte eine Reihe von Höhlen und Tunnel und erreichte eine mächtige Kaverne. Teilweise von erstarrtem Magma verkrustet, erhob sich pechschwarz eine Metallkugel von der Größe eines Hochhauses. »Also gibt es wirklich Artefakte in den Katakomben! Aber erbaut von den petronischen Ingenieuren, wie Hemmar meint?« flüsterte ich und näherte mich dem fugenlosen Gebilde. Als ich die Hand ans Metall legte, zuckte ich zurück. »Eiskalt…« Hyperresonanz verstärkt sich! schrie es in mir – und im nächsten Moment brandete eine lautlose Woge heran, so daß ich taumelte. Mein Blickfeld wurde von Eindrücken überlappt, die mich schaudern ließen. Helles Licht blendete mich. Ich sah Hunderte Metallkugeln, Riesenkristalle im grellen Licht und glaubte auf den nun überdimensionierten Oktaeder zuzufliegen, dessen Eckpunkte im düsterroten Licht flackerten. Eine Stimme gellte: »… ist Verrat!«
Unvermittelt wechselte die Sicht. Schemenhaft glaubte ich in einem Raum Personen zu erkennen. Ihre Bewegungen verrieten Aufregung, fast Panik. Wer hat wen verraten? durchfuhr es mich. In der Ferne begannen Blitzentladungen zu toben. Von blutigen Fahnen umgeben, gähnte pechschwarz die gewaltigste Aufrißzone, die ich je sah, gefolgt von abruptem Szenenwechsel. Eine Kugel gleißenden Lichts breitete sich aus, brachte Staubwolken zum Leuchten und übertrug hyperkinetische Energie auf eine Welt, die dem vernichtenden Ansturm nicht standhielt: Oberflächenbauten, von feurigen Zungen umgeben, zerbarsten; künstlich stabilisierte Atmosphäre verpuffte. Zunächst langsam, dann immer schneller flog der mondgroße Brocken davon und verschwand im Aufblitzen einer Transition. Szenenwechsel: Plötzlich dehnte sich ein rötlicher Punkt inmitten anderer Sterne aus, wuchs und gewann plastische Gestalt. Atmosphärenausläufer wurden gestreift, die Oberfläche des kleinen Mondes glühte auf. Unbekannte Mechanismen reagierten – und so explodierte der Körper nicht, als er mit Donnerschlag am Rand eines Kontinents aufschlug, eine tiefe Furche riß und ähnlich einer Schiffsbugwelle Gebirge emporwachsen ließ. Vulkane brachen aus, schleuderten Asche und flüssiges Gestein in die Hochatmosphäre. Nur ein kleiner Buckel ragte noch über die planetare Kruste hinaus, deren Beben noch lange anhielt. Entfesselte Elemente kamen scheinbar zur Ruhe – auf übergeordneter Ebene bestand jedoch weiterhin gesteigerte Aktivität. »Das Unnatürliche des Zustands, in scheinbarer Verletzung des Axioms, daß nicht zwei Körper zur gleichen Zeit an einem Ort sein
können, bewirkt bizarre Phänomene…« Eisige Kälte war mit der paranormalen Woge verbunden; ein Kaleidoskop verschiedener Gefühle wechselte rasch: Trostlosigkeit, Verzweiflung, tiefster Schmerz, Hoffnungslosigkeit, aufwallende Aggression. Qualen. Leid. Tod. Für Augenblicke glaubte ich den gitterhaft gegliederten Rest eine riesigen Kugelschiffes zu sehen, der von blutigen Energiefahnen umwabert wurde, bedrohlich schwankte, durchscheinend wurde und dann spurlos verschwand. Eine andere Stimme gellte: »Dem Wissenden genügen zur Umschreibung der Natur eine Handvoll Grundbegriffe: In der Hyperenergie liegt die grundlegende Symmetrie, die das nDimensionale konfiguriert, in das die Universen eingebettet sind. Hypertechnologie, Paragaben, jede Art Hyperorientierung: Sie beinhalten das Transzendentale.« Tosen und Toben erschütterten mich bis ins Innerste – und die Vision endete abrupt. Schmerzen stachen in meinen Schläfen und verdichteten sich zu einem gewaltigen Hämmern. Der Cho-Käfer summte beruhigend. Es ist vor sehr langer Zeit geschehen! Kühle Wellen gingen von der Stirnmitte aus und beseitigten die Kopfschmerzen. Ich blinzelte die Tränen fort und erkannte, daß ich – ohne daß es mir bewußt geworden war – die Katakomben verlassen hatte und der Kijai-Abtei entgegenflog. In mir flüsterte es: Wir arbeiten hervorragend zusammen… »Sieht so aus.« Unbehagen machte sich in mir breit. Noch wußte ich das eigentliche Potential des »Käfers« nicht einzuschätzen. Kons Erklärungen waren eines – selbst erleben und erfahren etwas anderes, zumal Cho hinzufügte: Noch fehlen wichtige Voraussetzungen! Du mußt erst in der Lage sein, das mit mir verbundene Potential richtig zu beherrschen, um es
vollständig nutzen zu können. Bis dahin, Partner, adieu! Der Käfer landete auf meiner ausgestreckten Hand und erstarrte. Aus milchigem Schleier entstand eine harte Goldschale, die den Parasymbionten vollständig einhüllte. Ich schloß die Hand zur Faust und wiegte den Kopf. Er wird erst wieder erwachen, wenn du bereit bist und sämtliche Voraussetzungen erfüllst, Partner, sagte der Logiksektor zögernd. Bis dahin heißt es: keine durch Cho kanalisierten Parakräfte, keine Nutzung des mit der Großen Feuermutter verbundenen Potentials. Kein wirklich »millionenäugiger und allessehender« Imperator. Ich weiß nicht mal, gab ich brummig zurück, ob ich das will! Schon der erste Kontakt war erschreckend genug: Wirre Visionen, Trance, Beeinflussung, rätselhafte Artefakte… Was hatte es mit dem Oktaeder auf sich? War das, was ich zu sehen glaubte, wirklich so geschehen? Absturz des Planetoiden auf Zhygor – und zuvor eine gewaltige Detonation: Wo? Bei diesem Oktaeder? Verrat? Von wem an wem? Wer war die platinhaarige Frau? Künstliche Monde? Eine Supernova? Was hatte das alles zu bedeuten? Die Fragen wuchsen zum Wust aus, je länger ich nachdachte und die Einzelszenen mit Hilfe des photographischen Gedächtnisses wiederholt betrachtete. Antworten konnte sogar der Extrasinn nicht liefern: Ein Alptraum, über dessen Irrealität kein Zweifel bestand, wurde in gleicher Perfektion gespeichert. Mißmutig blickte ich auf den Cho-Käfer in meiner Hand, schob ihn in die Anzugtasche und justierte den Antigrav neu. Meine Bereitschaft, mich voll und ganz auf das Projekt Große Feuermutter einzulassen, war nach diesen Erlebnissen mehr als deutlich gedämpft… Zhygor, nordpolares Kristallschloß Trupül: 12. Prago des
Tedar 19.015 von Arkon (= 19. März 2045 Terra-Standard) Mit meinem Freund Thom verabredet, legte ich, als Sarende über die Ringberge der Caldera stieg, meinen Fluganzug an, überprüfte die Antigravlamel-len der Stiefel und schloß den Helm, der sich zur Kugelform aufblähte. Ich durchschritt das Kraftfeldtor. Purpurleuchten wuchs langsam zur Sichel, Lichtspeere durchbrachen schwarze Schatten und Dunst über dem Kratersee und wurden glitzernd von Schneefeldern des gegenüberliegenden Walls reflektiert. Vom photographischen Gedächtnis unwillkürlich reproduziertes Wissen huschte durch meine Gedanken: Das Tru-Faltengebirge ragt mit Gipfelhöhen von viertausend Metern fast tausend Meter hoch aus ewigen Eis, in das unzählige Hyperkristalle eingebettet sind. Häufig bilden sie bizarre Formationen und wachsen unter Einfluß elektrischer Ströme des Polarlichts: der nordpolare Kristallwald von Zhygor… Bilder von mächtigen Prismen, Säulen und Dünen, Schotterebenen und filigranen Ranken, blau, rot, gelb und grün gefärbt, entstanden vor meinen Augen. Der Einbruchkrater, tausend Kilometer vom Nordpol entfernt, besitzt zehn Kilometer Durchmesser; sein von heißen Quellen gespeister See liegt fünfhundert Meter unter dem Ringwallkamm. Dampf und Nebel, oft matt vom Polarlicht erhellt, durchziehen den Talkessel; bei einem Sonnenhöchststand von kaum neun Grad über dem Horizont werden maximal zwei Drittel beleuchtet – sofern‘s nicht zu diesig ist oder Blizzards von den Bergen jaulen… Ich sah knurrig zur Kuppel des Trupüls hinauf, die im Morgenlicht leuchtete. Mitten im Sees bildete ein linsenförmiger Kristallberg aus gelblichem Quarz den Inselsockel, von dem hellblau die Schnörkelfassade des Schlosses aufragte. Hinter mehrstöckigen Arkaden schwebten Gijahthrakos bei der Frühmeditation, paranormales Feuer
umgloste schlanke Türme. »Hauptzentrum des Kristallordens der Dagoristas, vor lahrhunderten in Zusammenarbeit mit den Kooann errichtet und von den Rochen fast als Heiligtum geehrt. Ein Ort der Kraft! Das Fluidum konzentrierter Paraschwingungen ist hier noch intensiver als bei der KijaiAbtei!« Ich justierte den Antigrav, stieß mich ab und flog gestreckt nach Norden, auf die Richtung Pol weisende Schlucht zu. Im düsteren Grau des Himmels wogte grünlich und weiß die Aurora. Schwaden über dem Wasser hüllten die vierreihige Menhirallee in Dunst, die von hüfthohen Zapfen zu dreifach mannshohen Monolithen anstieg – insgesamt 1920 Stück. Vor zwei Tagen war ich Cho-Träger geworden; manchmal schien es, trotz Erstarrung und Einkap-selung, zu paranormalen Interaktionen zu kommen, zumindest in direkter Nähe von Orten der Kraft. Am Eingang der Allee waberte Bodennebel unter majestätischem Schwingenschlag des Kooann, und ich signalisierte lautlos: Hallo, Thom! Ich grüße dich, Imperator. Schwarze Pupillenpunkte in mandelförmigen roten Augen kontrastierten mit meerblauem Leib, dessen nach vorne gekrümmter Peitschenschwanz in gelbem Kristalldorn endete; Wellen liefen die Außenkanten mächtiger Flügel entlang. Wieder raunten Informationen in mir, während ich fasziniert die telekinetisch unterstützte Bewegung des zhygorischen Ureinwohners betrachtete: Ursprünglich normale Wasserbewohner, die durch – von Eisbergen freigesetzte – Hyperkristalle mutierten. Aus Kiemenatmern entstanden amphibische Lebewesen, die, in ihrem Lebenszyklus fortan auf hyperaktive Kristalle angewiesen, in jährlichen Wanderungen immer weiter nach Norden vordrangen, um ihre Nachkommen zu zeugen und zu gebären. Von Thom kamen amüsierte Schwingungen: Deine innere Stimme meint es gut, aber sie übertreibt.
»Finde ich auch. Leider besitzt der Extrasinn keinen Knopf zum Abschäle ten – der Zustrom blockiert nur in Gefahrenund Streßsituationen. Schon er alleine ist ein Fall für sich. In enger Kombination mit dem Parasymbionten aber…« Es ist von Vorteil: Du besitzt ein Gedächtnis van holistischer Perfektion, und über den Cho kannst du, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, Parakräfte aktivieren. Ich verzog das Gesicht. »An manche Dinge möchte ich lieber nicht erinnert werden! Und was die Parakräfte betrifft, nun…« Von mir erfährt niemand was! Jetzt krümmte sich der Rochenleib lachend. Jugendstreiche sind bekanntlich tabu! »Danke. Jemand, der stets erschreckend laut lacht, meinte treffend: Nicht die höchsten Gipfel lassen uns stolpern, sondern Maulwurfshügel.« Und deine lange Lebenszeit zeigt, wie ich merke, eindeutig Wirkung. Du weißt, wie gute Gespräche zu führen sind. »Ich hatte stets hervorragende Lehrmeister. Unter anderem dich, Thom! Du hast mir deine Welt gezeigt und erklärt! Guter Rat gleicht Schnee – leise fallend, bleibt er lange liegen.« Es ist mir eine Ehre, dir helfen zu dürfen, Atlan. Dein Cho verbindet uns mehr, als du denkst! Unvermittelt wurde Thom sehr ernst, der Rochenleib schien zu erstarren und sank langsam zu Boden. Wie unser Erhabener Sultan Da ‘am SahMoo stehen alle Kooann hinter den Plänen um Zhygor; viele von uns gehören zum Kristallorden der Dagormeister. Aber erst wenn man wirklich mit dieser Welt eins wird, entsteht Harmonie! »Die Dagoristas bemühen sich. Dennoch sind wir erst am Anfang.« Und der ist – bekanntlich – das Schwerste! Thom schob die rechte Schwinge unter meine Füße und beförderte mich schwungvoll auf den Rücken; flach auf die elastische Haut gepreßt und an den vorgekrümmten Schwanz des Rochens geklammert, sah ich, wie wir die Menhirallee
entlangschwebten. Thoms bedachtsame Formulierungen machten mich mißtrauisch. Deshalb fragte ich: »Meinst du was Bestimmtes, Freund?« Zhygors Aktivitäten lassen nur wenig nach, obwohl sich alle Parabegabten wirklich bemühen… »Und?« Wir sind uns nicht sicher, aber es scheint Einflüsse zu geben, die über die Anregung durch den Tatalal-Planetoiden hinausgehen. Im Signal schwangen Verunsicherung und Angst mit. Ich kann’s nicht besser definieren: Etwas kumuliert, wächst auf eine Art Eruption hin… »Etwas Fremdes, Nichtzhygorisches?« Ich reagierte verstört, glaubte aus den Augenwinkeln Bewegung bei den Menhiren zu sehen und blickte genauer hin. Für Sekunden schienen zwischen Dunst und Wolken bleiche Gestalten zu tanzen – dann waren wir vorbei, und ich wußte nicht, ob mich Nebelfiguren genarrt hatten. Der Cho-Käfer reagierte nicht, und die unverhofften Inputs blieben merkwürdig nichtssagend. Ich faßte einem visuellen Eindruck hinterher und erlebte seinen Nachklang: Zwischen unwirklich flirrenden Partikeln, golden und alle wie mit Weichfilter überzogen, entstanden Hominide. Kleine Frauen breiteten gemusterte Schmetterlingsflügel aus und segelten neben Menhirzapfen, auf denen Zwerge in Lederwämsern und Pluderhosen hüpften. Weiße Tentakelarme schwangen zu unhörbarer Musik; ihre Finger krümmten sich lockend. Verwirrt schüttelte ich den Kopf, und während die Vision verblaßte, raunte der Extrasinn: Irreal! Ich weiß es nicht, sagte Thom paraverbal. Wir versuchen mehr zu erkennen, bislang ohne Erfolg. Zhygors Phänomene sind es – vermutlich – nicht. Betriebsblindheit, bestätigte mein Logiksektor. Wer ans Besondere gewöhnt ist, muß schon wirklich genau hinsehen oder mit
der Nase darauf gestoßen werden! Die Kooann erlebten zwar vor langer Zeit einen Intelligenzsprung und sind Paras, trotzdem blieben sie ihrem nichttechnischen Wanderleben verbunden und vom Kristallwald abhängig. Vielleicht haben sie Schwierigkeiten, sich an die neuen Umstände anzupassen? Sicher ist es für uns nicht leicht. Thom reagierte trotz Monoschirm auf meine Gedankenmuster. Immerhin sind die Gijahthrakos und all die anderen Fremde, und ihre Vorstellungen bleiben uns oft unverständlich. Das ist es allerdings nicht, was uns beunruhigt… Er zögerte. Wir haben Angst, die ganze Welt könnte zerspringen! »Aber…« Es ist vage. Nur ein Gefühl. Ängstliche Vision. Frösteln befiel mich; ich dachte an die »Phantomwelten« und die Verzerrung des gesamten Raumsektors. Visionäres bei der Cho-Übertragung, vergleichbar wirre Eindrücke beim Flug zum Nebeldom – hier drehte es sich um Dinge, die nicht meinem bisherigen Erfahrungsschatz entsprachen. Unverständnis und Frust ließen mich vermehrt auf Ablehnung gehen. Dennoch fragte ich: »Kann ich helfen, Thom?« Nicht direkt und unmittelbar. Langfristig schon: Du bist kein Kooann, aber irgendwann der »Allessehende Imperator«; dein Blickwinkel offenbart dann vielleicht, was uns verborgen bleibt! Ich bin mir da ganz sicher! Du wirst es schaffen, Atlan! »Ich werd’ mich bemühen! Im Gegensatz zu dir, mein Freund, bin ich mir allerdings gar nicht so sehr sicher. Nicht einmal, ob ich überhaupt…« Durch den Rochenleib fuhr ein Ruck. Genug der schlechten Gedanken! Festhalten! Thom »startete« mit mächtigem Schwingenschlag durch, stieg steil empor und rauschte über den Ringwall hinweg. Ich krallte mich an den Rücken, während Thom um einen Tafelberg, von dem Nebel wie Watteballen quoll, eine scharfe
Kehre beschrieb. In rasendem Flug glitten wir durch zerklüftete Schluchten, folgten dem Verlauf eines Gletschers und strebten zum gewaltigen Polareispanzer. Scheinbar unendlich dehnte sich die weiße Ebene, in deren Oberfläche der Wind Rippel gezeichnet hatte. Manchmal tauchten dunkle Spalten auf, dann funkelten Kristalldünen. Im Zuckerbäckerstil wuchsen an anderer Stelle kristalline Burgen und Schlösser empor, reckten sich Türmchen und Erker neben verkanteten Platten, vieleckigen Blöcken und glitzernden Obelisken. Der Kluge, signalisierte Thom, bestimmt selbst die Erfahrung, die er machen will! Halte dich daran, mein Imperator! Zhygor: 15. Prago des Tedar 19.015 von Arkon (= 22. März 2045 Terra-Standard) Im Halbschlaf erfaßte mich eine telepathische Fernwahrnehmung, die -vielleicht vom Cho-Käfer verstärkt – von den Mooffs auf mich übersprang und Erinnerungen an Visionen bei der ChoÜbertragung weckte: Unter abgehacktem Singen zuckten grünliche Desintegratorblitze durch die Höhle, die zu den Katakomben von Tatalal gehörte. Aufwirbelnder Ultrafeinstaub wurde von transparenten Kraftfeldschläuchen angesaugt, die in klobigen Aggregatblöcken auf Antigravlafetten endeten. Prallfelder erzeugten Preßballen, die in lichtumwaberten Strukturfeldern von Transmittern entmaterialisierten. Faustgroße Sensoren glitten am Fels entlang und scannten die Trefferwirkung. Dünne Schichten wurden von einem Walzengebilde abgeschält, das schräg vom Boden zur Höhlendecke ragte, unter der eine Panzertroplonkanzel im Licht antigravgetragener Scheinwerferbatterien schwebte. deren Kegel die Kaverne mit
blaustichiger Helligkeit Übergossen. Nur metergroße, hexapodische Taa-Arbeiterinnen raschelten, von suggestiven Signalen ihrer Stamm-Mutter angeleitet, zwischen Aggregaten und Maschinen. Robotmechanismen schwebten aus dem zur Oberfläche des Planetoiden führenden Schacht. In der Steuerkanzel begutachteten die Verantwortlichen Computeranalysen, Auswertungsdiagramme und Checklisten. Yancy Meek, Depotmeister der Freihandelswelt und mit der Aufbauplanung von Tatalal betraut, hob die Antennenfühler, wies auf die Holoprojektionen und erklärte mit knackenden Kiefertastern: »Unsere Vermutung bestätigt sich, meine Freunde. Es ist tatsächlich ein Fossil.« L-förmig gekrümmt leuchtete das Walzengebilde in der Drei-D-Darstellung; als unregelmäßige Blase war die Kontur der Höhle eingeblendet – der obere L-Teil ragte in die Decke, der horizontale Ausläufer befand sich unter dem Boden. »Insgesamt zweihundert Meter lang«, sagte Qinterolee halblaut und beugte sich über weitere Bildflächen. »Der größte Durchmesser beträgt dreißig Meter; ein meist ovaler Querschnitt.« Er strich, Zeichen seiner Erregung, den weißen Lacksuit glatt. »Sobald die letzten Schichten abgeschält sind, sollen die Taas den Schwanz freilegen.« Die neben dem Gijahthrako stehende Frau, nur 135 Zentimeter groß, aber von dominanter Ausstrahlung, legte die großen Ohren nach hinten, ließ einen abgehackten Keckerlaut hören und riß die dünne Schnauze des gestreckten Kopfes auf; dunkle Augen mit ovalen Pupillen blitzten ironisch. »Deine Ungeduld, Erhabener«, meinte sie, »kontrastiert scharf mit der Abgeklärtheit, die man Leuten deines Volkes nachsagt – wir tun, was wir können!« »Auch dem Weisen sei Aufregung gestattet, liebste Peusa Jao-Chihi.« Qinterolee runzelte die Stirn und betrachtete die
elegante Erscheinung der Elloantya. »Es ist ein einzigartiger Fund!« »Was hat deine Recherche ergeben, Meister?« Gesträubtes Kopffell, auf Fingerlänge gestutzt, schimmerte im Licht kupferrot, als die Frau Aushubmaschinen aktivierte, den Taas neue Anweisungen gab und beobachtete, wie Feinstaubschwaden nun auch vom Höhlenboden abgesaugt wurden. »Gibt’s Hinweise im Gewirr galaktischer Legenden und vielfältig ausgeschmückter Erzählungen?« »Vor einer Million Arkonjahren soll’s den Wächterorden der Too gegeben haben; ich fand fragmentarische Prosa, einige Gedichte und Lieder. Die Mitglieder des Too-Kullwalisan sind heute ausgestorben. Statt Raumschiffe benutzten sie an Raumwürmer geklinkte Lebensblasen.« Der Gijahthrako bekam einen versonnenen Blick, hüstelte und zitierte mit melodischem Gesang: »Reite deinen Ayish Fiil, ehrwürdiger Too, durchpflüge die Wolken des Alls auf den Pfaden der Wacht… Na, in dieser Art.« Yancy Meek hob die Vorderflügeldecken und verströmte eine säuerliche Duftwolke als Ausdruck der Belustigung. Das erste Mandibelpaar klapperte. »Beim platzenden Ir! Wenn sie so gut waren wie der Dichter dieses lyrischen Ergusses, wundert’s mich nicht, daß sie ausstarben!« Qinterolee warf ihm einen ärgerlichen Blick zu und brummte: »Banause! Die olfaktorischen Kunstwerke deiner Artgenossen sind selten besser; manche behaupten, daß sie nur stinken.« Der Miir antwortete mit verstärktem Knattern der Mandibeln. Auf den faustgroß aufgewölbten Facettenaugen am Rand des flachen Schädels tanzten perlmutterfarbene Reflexe. »Ich bin der Depotmeister und für Logistik zuständig. Prosaische Listen und Datensammlungen vereinbaren sich schlecht mit hoher Kunst.«
Von der Chefingenieurin der Tatalal-Holding kam ein Kichern. Qinterolee seufzte, lächelte und sagte: »Verstanden, wenden wir uns also den nüchternen Fakten zu.« »Der Schacht, durch den der Raumwurm – wie wurden sie genannt? Ayish Fiil? – offenbar zu entkommen versuchte, ist durch einen Basaltpfropfen versiegelt.« Yancy Meek breitete das mittlere Beinpaar aus und zeigte mit den Fühlern auf eine Bildfläche. »Wir stießen beim Bau des Subverkehrsnetzes darauf. Bis in dreitausend Meter Tiefe ist der Fels des Planetoiden zu durchdringen; es gibt ein System ausgedehnter Höhlen, Kavernen und Poren – die Katakomben von Tatalal. Alles, was unter der Dreitausendermarke liegt, ist Teil von Verzerrungszonen und absonderlichen Effekten. Keine einzige Teleportation gelingt, kein Transmitter funktioniert, Desintegratorbohrer versagen, und jeder scheint sich zu verirren oder ist erst gar nicht in der Lage, diesen Bereich zu betreten – obwohl ohne jeden Zweifel der Großteil des Planetoiden von Hohlräumen durchsetzt ist! Die Berichte der Kooann wurden bestätigt.« »Es soll Kugel-Artefakte geben.« Peusa Jao-Chihi stellte nachdenklich die Ohren auf. »Der Imperator will eines bei seiner Cho-Übertragung gesehen haben.« Yancy Meeks Flügeldecken fächelten kurz. »Zutreffend! Er konnte es, obwohl der Parasymbiont den Weg beschrieb, allerdings nicht wiederfinden. Die Geheimnisse der Katakomben wissen sich offensichtlich selbst zu schützen!« »Und jetzt der Raumwurm!« Qinterolee nickte mehrmals. »Möglicherweise war der Brocken, auf dem wir Tatalal bauten, eine Basis der Too-Wächter. So könnte sie sogar mit den Galaktischen Ingenieuren in Verbindung gebracht werden! Die Petronier gelten als legendäres galaktisches Altvolk. Außer ihren schwarzen Metallkugeln gibt’s, soweit ich weiß, keine Hinterlassenschaften. Niemand kennt ihre Funktion,
sogar wir konnten die Gebilde nicht öffnen, durchleuchten oder gar aktivieren.« »Nach der Katastrophe beim Planetoidenabsturz vor ziemlich exakt 907.000 Arkonjahren«, sagte Yancy Meek, »die trotz raumzeitlichem Verzerrungsfeld gewaltig gewesen sein muß, wurde die Restkuppe bedeckt: Bims, Lava, Asche, alle möglichen Auswurfmassen, stellenweise bis zu hundert Meter stark, überziehen heute den Berg. Der Basaltpfropfen im dreihundert Meter tiefen Schacht scheint älter zu sein und umhüllt den Ayish Fiil.« Peusa hob fröstelnd die Schultern. »Muß einen bemerkenswert robusten Metabolismus gehabt haben.« »Als Weltraum-Lebensform kein Wunder«, sagte der Gijahthrako. »Jedenfalls wurde er nicht verbrannt, sondern fossilierte als Ganzes. Tatalals Freilichtmuseum bekommt eine weitere Attraktion!« »Zuerst müssen wir ihn aus seinem Basaltpanzer pellen.« »Yancy – du bist wirklich ein knochentrockener Zahlenreiter!« Qinterolees vorwurfsvoller Blick wurde vom Miir nicht beachtet. Unter dem Leitstand richteten die TaaInsekten Desintegratormeißel aus und erweiterten die Senke, die zu beiden Seiten des Wurmschwanzes entstand. Innerhalb einer Stunde wurde der Raumwurm vollständig freigelegt und schwebte auf den Polstern von Antigravstützen. Das Team ging staunend am Koloß entlang, betrachtete geschuppte Ringsegmente und feingemaserte Einzelplatten mit ausgezacktem Rand. In porenähnlichen Kuhlen glitzerten hyperaktive Fünf-D-Kristalle; meist blaues Mivelum. »Keine Gliedmaßen, keine Sinnesorgane.« Der Gijahthrako justierte Meßgeräte und las Anzeigen ab. »Die Wahrnehmung beruhte offenbar auf Parakräften.« Peusa stieß den kleinen Mann an. »Wundert dich das, alter Tetraeder? Du bist doch selbst das beste Beispiel für perfekte
Parabeherrschung.« »Trotzdem ist es immer wieder verblüffend, welche KörperManifestationen Leben annimmt! Hhm, das retrotemporale Engramm weist ein Alter von 945.000 Arkonjahren aus, bei einer Toleranz von plus/minus fünftausend Jahren. Er starb fast vierzigtausend Arkonjahre vor dem Planetoidenabsturz! Wenn die genaue Einstimmung zum Kosmischen Informationspool gelingt, können wir vielleicht dem leblosen Material Wissen entlocken…« »Die Zeit des Großen Galaktischen Krieges!« sagte Peusa tonlos und schüttelte sich. »Die meisten Legenden darüber stammen von euch, nicht wahr? Großer Galaktischer Krieg, Invasion der QA’PESH… Alles ist legendenhaft umschrieben und heutzutage schwerlich nachzuprüfen. Werden keine schönen Infos sein – sofern ihr sie überhaupt erfassen könnt!« »Wir bemühen uns.« Yancy bestieg eine Antigravlafette und rief: »Ich kalibriere den Strukturfeld-Konverter. Je schneller wir die Versetzung durchführen, desto eher kommen wir aus den Katakomben raus. Ich hab’ eine schlechte Vorahnung.« Peusa knurrte leise. »Ich fühle mich ebenfalls unwohl. Dieses Höhlensystem hat etwas Beklemmendes!« Vor dem Miir entstand im roten Wabern ein schwarzer Spalt. Noch war der Aufriß nicht ausgerichtet, weil das Transmitterfeld den Raumwurm abtastete. Sobald die Hyperassimilation abgeschlossen war, würde das Objekt in den Transit gerissen werden und im Empfangsfeld an der Oberfläche rematerialisieren. »Vorsicht, Yancy!« brüllte Qinterolee und starrte auf die Instrumente. »Eine Hyperresonanz schaukelt sich auf. Irgendwas im Wurm reagiert aufs Strukturfeld!« Drohendes Summen durchzog plötzlich die Höhle. »Ich gleiche aus.« Medizinballgroße Kugeln quollen,
zitronengelb leuchtend, aber transparent, aus dem Ayish Fiil und glitten langsam an der Oberfläche entlang. Zehn, zwanzig, dreißig Bälle, zwischen denen winzige blauweiße Entladungen prasselten, hüpften und torkelten und sich zum absonderlichen Reigen ordneten: Aufgereiht wie die Perlen einer Kette, huschten die Blasen vom Wurmschwanz die Rückenlinie entlang bis zum L-Knick, machten kehrt, wurden schneller und wiederholten die Strecke. Unvermittelt brach das Summen ab, der bikonvexe Aufriß des StrukturfeldKonverters klaffte breit vor dem Wurmschwanz und saugte die Kugeln an. Begleitet von grellem Aufblitzen, verschwanden erste Blasen in Teleportationen, andere erloschen oder detonierten in lautlosen Lichteruptionen. Yancys Man-dibeln knirschten aufgeregt. »Ich hab’s unter Kontrolle.« In diesem Moment erscheinen bleiche Schemen: Konturlos und in ständiger Bewegung, von kalkigem Eigenleuchten erhellt, schweben Schwaden neben dem Aufriß und nehmen zögernd quasihominide Gestalt an. Grob sind Kopf, Rumpf und Beine zu erkennen. Helles Zwitschern wird vom plötzlich wieder aufklingenden Summen überdeckt. Mein Blickfeld sprang abrupt zur körperlichen Sinnesebene zurück: Ich fuhr hoch, bebte am ganzen Körper. Letzter Eindruck der verschobenen Wahrnehmung war der einer großen Gefahr, von Beklemmung und Angst. Und Tod! Es bahnt sich eine Katastrophe an! dachte ich mit einer Gewißheit, die mich selbst erstaunte und deshalb um so mehr erschütterte. Der Aufriß! Und die Lichtwesen! Da geht was schief! »Helft mir!« Mit aller Kraft formulierte ich den gedanklichen Ruf, und die Gijahthrakos der Kijai-Abtei reagierten ebenso wie der plötzlich materialisierende Kontaclatiis. Die Eindringlichkeit meiner Signale bedurfte keiner Nachfragen.
»In die Katakomben, Kon!« ächzte ich aufgeregt. »Wir müssen sie aufhalten! Zielpeilung…« »Alles klar.« Er ergriff meine Hand. »Ziel erfaßt, Atlan.« Zartes Kribbeln huschte über meine Haut, für einen Augenblick sah ich perspektivisch verzerrtes rotes Glühen. Schmerzhaftes Ziehen im Nacken, dann griff die Dunkelphase der Teleportation – und die freigesetzten Para-kräfte schleuderten uns ans Ziel. Taumelnd rannte ich los; die Höhle entsprach exakt meiner Vision. Das riesige Wurmfossil wirkte im feurigen Licht wie von Blut übergossen. Ich komme zu spät! »Yancy!« Ich brüllte mit überschlagender Stimme. »Schalt den Konverter ab! Schnell!« Das Summen wuchs zum Dröhnen. Bleiche Gestalten gerieten in Wechselwirkung mit dem Strukturfeld, dessen Aufriß plötzlich ums Dreifache wuchs und dabei die Lafette samt dem Miir verschlang. Etwas traf mich mit einem harten Schlag. Ich ahnte mehr, als daß ich es wußte – aber der Aufriß griff auch nach mir. Aus weiter Ferne gellte ein Entsetzensschrei. Grelles Licht blendete mich. Sonderbar entrückt sah ich das Leuchten eines Wesens, das – hominid, aber transparent – näher kam und mich wie eine Schutzhülle umgab, und fühlte, merkwürdig erstarrt, daß das Wesen mit mir verschmolz. Die Benommenheit verschwand, als mein Extrasinn warnend schrie: Nicht bewegen! Du liegst am Kraterrand – der Aufriß hat ein Loch von fünfzehn Metern Durchmesser geschaffen. Ausfall aller Technik! Taa-lnsekten holen dich. Dunkelheit. Ozongestank durchzog die Luft. Ich atmete flach und konzentrierte mich. Lähmung! Knirschen drang an meine Ohren, der linke Arm hing ins Leere. Ich fühlte Fels zerbröckeln. Die Lichtgestalt! Was ist mit ihr? durchzuckte es mich. Hat mich eingehüllt und dann…? Etwas raschelte, Chitinzangen griffen nach meiner rechten
Hand, und ich faßte zu. Langsam zerrten mich die TaaArbeiterinnen vom Kraterrand fort -hinter uns krachte das Felsstück in die Tiefe, Staub kitzelte in meiner Nase. Vorsichtig stand ich auf, von wimmelnden Körpern umgeben, und sah Scheinwerfer aufflammen, deren Kegel durch Dunst und Staub stachen. Erst jetzt erblickte ich das Ausmaß des Kraters. Sogar die Schwanzspitze des Raumwurms ist verschwunden! Von der Höhlendecke polterten Brocken. Ich lief zu Qinterolee und Peusa Jao-Chihi hinüber, wischte Sand und Staub vom Anzug und bemerkte die Anwesenheit von Kontaclatiis nur am Rande, während ich rief: »Sind sie ebenfalls vom Aufriß verschluckt worden?« »Wer – sie?« Peusa sah mit feuchten Augen zu mir auf, ließ einen erstickten Laut hören und nieste dreimal. »Yancy – ich hoffe, sein Wahres Sein ist, trotz des Aufrisses, zu den Ir von Mi zurückgekehrt!« »Die Lichtwesen!« Qinterolee schüttelte den Kopf, vereinzelt schimmerte der Tetraeder-Leib durch die halbdurchsichtige Körpermaske. »Nichts dergleichen bemerkt, Euer Erhabenheit. Trotzdem danke – leider kam die Warnung etwas zu spät. Der Depotmeister ist mitgerissen worden!« Ich starrte zuerst ihn, dann die Elloantya an, sah zu Kon, der langsam näher kam, und fühlte Blut ins Gesicht schießen. »Große Galaxis!« ächzte ich. Sind die Lichtwesen identisch mit jenen Schemen, die ich beim Trupül zu bemerken glaubte? Auch Thom hat nichts bemerkt… Für Augenblicke huschte Perry Rhodans Bericht von den »Unsichtbaren« auf Barkon durch meinen Kopf, und ich fragte mich unwillkürlich, ob es hier einen Zusammenhang gab. »Bin ich denn der einzige, der sie gesehen hat?« Kon zuckte mit den Achseln. »Offensichtlich, Atlan. Ich halte es für eine Nebenwirkung der Cho-Übertragung: Der
allessehende Imperator bemerkt Dinge, die uns nicht einsehbar sind.« »Mann, willst du mich…?« Ich brach ab, denn mein Zorn war unberechtigt. Kon senkte den Blick; seine Stimme klang rauh, als er sagte: »Nein, Euer Erhabenheit, solches liegt mir fern! Doch die Welt ist das Fenster, durch das du blickst: Das übersinnliche Feuer mit all seinen Variationsmöglichkeiten ist zu beherrschen – aber Bewußtsein folgt verschlungenen Wegen, die wir niemals ganz erkennen und verstehen werden. Jede Deutung der Parakräfte bleibt Modell und Gleichnis!« Ich nickte, wenn auch nicht befriedigt. Die Große Feuermutter und all das können mir gestohlen bleiben, dachte ich mit ärgerlichem Anflug und fluchte in Gedanken. Es gibt Wichtigeres zu tun, als sich mit Visionen und Wahrnehmungen herumzuschlagen, die außer mir kein anderer hat und sich nicht nachprüfen lassen!
8. Aus: Ursachen, Folgen und Konsequenzen der arkonidischen Degeneration; Endbericht einer interdisziplinären Untersuchungskommission, erstellt auf Anweisung Seiner Erhabenheit, Imperator Gonozal VIII. 19.017 da Ark … kommen mehrere Faktoren zusammen, die sich zum Teil gegenseitig bedingen und aufschaukeln. Neben der rein biologischphysischen Seite sind die psychischen ebenso wie die psychosomatischen Aspekte von Bedeutung: Entgegen ersten Vermutungen handelt es sich nicht um einen genetischen Defekt oder eine Mutation, sondern um soziokulturelle Erscheinungen und ihre Folgen, die in ihrem Zusammenspiel zum hinlänglich bekannten
Phänomen beitragen. Träge Lebensweise, falsche Ernährung, zum Teil katastrophal schlechtes Ausbildungsniveau sowie die Fiktiv spielsucht müssen in ihrer Wechselwirkung als Ursachenkomplex akzeptiert werden. Die biologische Labilität – trotz allgemein hoher Lebenserwartung von 170 bis 200 Arkonjahren – ist hierbei eher Folge als Ursache (überperfekte Robotbedienung hat ihre Spuren hinterlassen, körperliche Degenerationserscheinungen fallen unter das Stichwort »Zivilisationskrankheiten« usw.). Andererseits bedingt sie selbst eine von Trägheit und Müdigkeit geprägte Lebensart (vor allem wird Verantwortung oder Initiative aus dem Weg gegangen), die ihrerseits wiederum körperliche und psychische Folgen zeitigt (mangelndes geistiges Interesse und Motivationslosigkeit gründen ebenso auf körperlich-biologischer Schwäche wie auf schlechter Ausbildung als Folge der Übertechnisierung, weil Positroniken und Servoautomaten alles Wichtige speichern, nach Bedarf zur Verfügung stellen oder erledigen). Arkon I, Tabbos-Atrium: 32. Prago des Dryhan 19.017 von Arkon(= 27. Mai 2047 Terra-Standard) Am östlichen Fuß der künstlich geschaffenen Gebirgslandschaft, die das Hochplateau des Hügels der Weisen umgab, erhob sich bis in fünfhundert Meter Höhe ein Wohnanlagenkelch, der schon in Atlans Jugend vor allem Wohlhabenden, Regierungsmitgliedern, Offizieren und Adligen als Unterkunft gedient hatte. Fünf Kelchetagen waren Diplomaten-Appartements vorbehalten. Das weiße Gebäude, in morgendlich tiefstehender Arkonsonne erstrahlend, stand auf einem extrem zierlichen Fuß von nur fünfzig Metern Durchmesser, wuchs dann aber mit geschwungener Wölbung auf einen Oberkantendurchmesser an, der der Höhe
entsprach. Neunzig Etagen, nach innen hin als Terrassenparks abgestuft, verdeutlichten Rang und Namen: je höher die Adresse, desto angesehener der Bewohner. Die Gleiter und Roboteinheiten der Sicherungstrupps waren schon auf der Oberkante, am Kelchfuß und im eigentlichen Atriumbereich gelandet, als Ras Tschubai mit Laury Marten und Kitai Ishibashi rematerialisierte. Lässig ans Chassis gelehnt, winkte ihnen Tombe Gmuna zu und deutete zur ersten Ringterrasse. »Morgen allerseits«, rief er. »Schön, daß ihr Zeit habt, Leute! Vielleicht findet ihr mehr heraus als die Spurensicherung des Robotregenten.« Die Mutanten gingen ihm entgegen. Mit zwei Metern Körpergröße überragte Ras seine Begleiter; Kitai, hager und gebeugt, war fast um Kopflänge kleiner, Laury nochmals um eine Handbreit. Alle trugen Uniformkombis, deren SchulterHals-Kragenringplatten mit swoonschen Mikroaggregaten ausgestattet waren. An gerippelte Stirnbänder erinnerten die Kommunikatoren, von denen Ohrstecker und Mikrofondrähte ausgingen. Kaum fingergroße optopositronische Sensoren an den Schläfen dienten der Breitbandaufzeichnung, bei Bedarf ließen sich Miniholos vor die Augen projizieren. Laury reichte Tombe die Hand und wiegte skeptisch den Kopf. »Du scheinst unsereins mit Zauberern und Magiern zu verwechseln! Sogar Mutanten sind Grenzen gesetzt.« Schräg hinter dem Gleiter schwebte auf summendem Prallfeld eine mobile Peripherieeinheit des Robotregenten; eine Halbkugel mit fünf Metern Basisdurchmesser, deren Arkonstahlhülle, von vier Wulstringen umgeben, metallisch blau funkelte. Unter den nur an Umrißlinien erkennbaren Klappen waren vielfältige Antennen und Sensoren verborgen, das gewölbte Display an der »Frontseite« zeigte ein rotgelbes Zickzackmuster. Bei diesem Anblick empfand Ras Unbehagen
und schüttelte sich; das Regime der Großpositronik war auch drei Jahre nach Atlans Machtübernahme zu frisch im Gedächtnis. Ausschließlich von maschinenhafter Logik bestimmt! dachte er. Das muß in jedem fühlenden Lebewesen Ablehnung erzeugen. Und weckt Ängste! »Habe ich den Leitspruch des Korps falsch im Kopf?« Tombe verzog übertrieben das Gesicht. »Unmögliches wird sofort erledigt, nur Wunder dauern etwas länger…« Ras winkte ärgerlich ab. »Das wurde von der vorlauten Mickymaus in die Welt gesetzt. Ist übrigens ein Spruch, dessen Bart von hier bis Terra reicht… Und das weißt du ganz genau, Bruder, ich brauche mir nur dein anzügliches Grinsen anzusehen.« »Der Herr Teleporter ist offenbar mit einem Fehlsprung aus dem Bett gehüpft?! Außerdem: Seit wann bestehen zwischen uns verwandtschaftliche Beziehungen? Ist mir da was entgangen?« Laury kicherte, während Ras entnervt die Augen rollte; gegen das lose Mundwerk des jungen Sicherheitsmanns kam er nicht an. Muß das Alter sein, mein Lieber! Selbstironisch ließ er den Blick schweifen. Fast exakt ein Jahrhundert auf dem Buckel, das zeigt offenbar Wirkung. Nimm dir ein Beispiel am Alten: immer noch jugendlich, frisch, aktiv, leistungsfähig… Will nun sogar auf Iprasa an dieser Primitiv-Expedition teilnehmen, wegen »Tanz der Monde« und so… Das verstehe, wer will. Mit nostalgischen Gefühlen hat’s nichts zu tun, aber… Verflucht, selbst umfangreiche Hypnoschulungen erweisen sich einmal mehr als unzureichend. Können eigene Erfahrung nicht ersetzen. Hier schwingt viel zuviel nur zwischen den Zeilen mit, was mir völlig fremd ist… Und wir dachten, die Arkoniden zu kennen! Von wegen! Das Atrium besaß die Ausmaße eines kleinen Stadions: Auf vier verschiedenen Ebenen, durch Rampen und kurze Treppen
verbunden, breitete sich zwischen unregelmäßig verteilten Metallzylindern eine Parklandschaft aus. Rasenflächen wechselten mit Beeten voller leuchtend bunter Blumen und mit großkronigen Bäumen ab. Mit den Projektoren der Zylinder ließen sich Energiesphären schaffen, deren variable Gestaltung den Kelchbewohnern als Treffpunkt für gemeinsame Veranstaltungen diente: In halber Atriumshöhe schwebten zwei milchige Disken von fünfzig Metein Durchmesser, von denen sich Kraftfeldbrücken als Lumineszenzbänder zu Terrassen schwangen. Die Fensterreihen der oberen Etagen blitzten im Licht der höhersteigenden Sonne, vereinzelt war das Flirren von Prallfeldern und Energieschirmen zu bemerken. »Man hat heute seinen witzigen Tag?« fragte Kitai betont sachlich, obwohl er das Schmunzeln kaum unterdrückte. Für einen Augenblick stieg in Ras der Wunsch auf, möglichst schnell fort zu teleportieren. Ein mißtrauischer Blick in die Runde ergab keinen Hinweis auf Gefahr, dennoch hielt sich das Gefühl einer Vorahnung als schaler Nachgeschmack. Ras’ Magen schien zum harten Knoten zu werden. Tombe machte eine vage Handbewegung. »Frustabbau, Bauchaufschneider, nur Frustabbau. Wenn man schon sonst nicht viel zu lachen hat…« Tombe Gmuna, Jahrgang 2019, hatte bis Anfang 2045 zum Spezialkorps der Psychologischen Abwehr gehört, war dann allerdings mit seinem Chef Peter Kosnow nach Arkon gekommen, um den hiesigen Geheimdienst auf Vordermann zu bringen. Tombes Verhältnis zu Atlan war insofern ein besonderes, fungierte er doch in den Monaten nach dessen letztem Tiefschlaf als »Begleitoffizier«. Die Arkonjahre waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen; die ursprünglich unbekümmert-humorvolle Art erschien nun etwas aufgesetzt. Ras sah, daß Tombes ebenholzschwarzes Gesicht einen
verkniffenen Ausdruck annahm, und fühlte sich in seiner Ahnung fast bestätigt. Wirkt alles zu friedlich und zu harmlos, zuckte es ihm durch den Kopf. Also: erhöhte Aufmerksamkeit, Mann! »Im Ernst, die Lage sieht verfahren aus: Die Wohnungen der drei Attentäter haben nicht den kleinsten Anhalt ergeben. Es gibt keine Bekennernachricht, keine hochtrabenden Verlautbarungen. Nichts! Die Männer waren die Unauffälligkeit in Person. Sie scheinen quasi von einer Sekunde zur nächsten zum Selbstmordattentäter geworden zu sein. Sie verwendeten als Waffen Standard-Luccots, Modell TS-40. Tiracos-Waffenschmiede auf Arkon Drei, uralt, sehr angesehen. Offen ist die Frage, wie und wann sie sie in ihren Besitz brachten: Bei der obligatorischen Eingangsdurchleuchtung, das haben die Protokolldateien gezeigt, waren die Adligen noch unbewaffnet. Mit großer Wahrscheinlichkeit muß also der Andooz die HochenergieImpulsstrahler übergeben haben, obwohl auch hier…« Ras hörte nur mit halbem Ohr zu, die Stimmen hallten erschreckend laut und fremd durch den Park. Von Vogelzwitschern abgesehen, war es ansonsten still im weiten Innenrund des Gebäudes. Zu dieser frühen Stunde schliefen die meisten Arkoniden noch. Viele hatten überdies an der Investitur im Kristallpalast teilgenommen, bis tief in die Nacht gefeiert oder waren gar erst im Morgengrauen nach Hause gekommen und sogar am zweiten Morgen nach dem Attentat noch nicht wieder fit. Im Gegensatz dazu war die Geheimdienst- und Sicherheitsmaschinerie kaum zur Ruhe gekommen: Überprüfungen, Gegenchecks, Kontrollen vor Ort, Auswertungen der Großpositronik – ein Anschlag auf den Imperator führte stets zu Aktivitäten der obersten Priorität. Die Erfolgsquote sprach für sich: Meist waren Täter und Hintermänner nach wenigen Tontas ermittelt, sämtliche
Beweise hieb- und stichfest. Neunzig Prozent der bisherigen Attentate auf Gonozal VIII. mußten Einzeltätern oder kleinen Splittergruppen zugewiesen werden, die, von Haß und Ablehnung geleitet, nur die Ausschaltung des verabscheuten Herrschers zum Ziel hatten, ohne Folgen und Konsequenzen zu bedenken. Ras schüttelte den Kopf. Bei Verhören geäußerte Begründungen und Motive klangen häufig haarsträubend: Mal wurde der Imperator als »Fossil« bezeichnet, dessen widernatürlich langes Leben endlich ein Ende zu finden hätte, dann spielten Animositäten des Adels hinein – immerhin lag die Regierungszeit des letzten Gonozals rund zehn Jahrtausende zurück –, und wieder andere erlagen den »Stammtischparolen« der ständig nörgelnden, murrenden und sich wortgewaltig aufregenden Würdenträger, die selbst nie aktiv werden würden, mit ihrem unverantwortlichen Geschwafel jedoch den Irregeleiteten »Argumente« lieferten. In den Hypnoschulungen – Ras machte sich, in Erinnerung seines erst kurzen Arkon-Aufenthalts, die Daten bewußt – wurden bislang nur sechs Anschläge beziehungsweise die Dahinterstehenden als tatsächlich gefährlich eingestuft. Zweimal steckten Aras dahinter; ein chemischer und ein bakteriologischer Angriff, zum Glück früh genug entdeckt, weil es sonst Hunderte oder mehr Opfer gefördert hätte, dachte er. Die übrigen werden SENTENZA und Mivado-Ring zugerechnet: ein umprogrammierter Roboter, ein Raketenangriff, eine Gleiterbombe und ein Selbstmordkommando, das fast einen Stadtteil Olp’Duors in Schutt und Asche gelegt hätte. »Gibt es Außergewöhnliches im Lebenslauf?« Kitai zählte an den Fingern auf: »Markante Änderungen der Gewohnheit in den letzten Tagen? Geben die Luccots keine weiteren Hinweise? Seriennummern? Verkaufsdatum? Haben die Männer schon früher Kontakt mit einem Andooz gehabt?«
»Fehlanzeige – fast auf der ganzen Linie.« Tombe fuhr sich fahrig übers Gesicht und schnitt eine Grimasse. »Die Impulsstrahler wurden vor 23 Arkonjahren hergestellt und von der Aztual-Springersippe gekauft. Weiterer Verbleib insofern ungewiß, als die AZTU Sechs seit Mitte 18.998 von Arkon als bei der Sogmanton-Barriere verschollen gilt. Daraus eine Verbindung zu den Tekteronii abzuleiten hat vor keinem Gericht Bestand. Zweiter Hinweis ist das gemeinsam gemietete Appartement hier im Tabbos-Atrium. Wohnungsinhaber ist der Staat, sprich der Robotregent als Verwalter der Staatsgüter, demnach absolut unverdächtig. Üblicher Vertrag, vor einer Periode am 27. des Tarman unterzeichnet. Zur Zeit stehen sämtliche Nachbarwohnungen leer; entweder gibt’s keine Mieter, oder diese sind auf Reisen. Laut Zeugenaussagen können die Attentäter bestenfalls ein paarmal hiergewesen sein. Vorgestern das letztemal: Von hier aus brachen sie zum Kristallpalast auf, Rest bekannt. Ein erster Vollscan der Wohnung durch Roboter hat nichts ergeben. Nun seid ihr an der Reihe.« »Sonderlich optimistisch bist du – entgegen deiner Eingangsbemerkung – nicht?« »Sollte ich, Laury? Das Ganze sieht zu sehr nach Profis aus. Paßt zwar nicht zu den umgekommenen Arkoniden, ändert aber nichts am Gesamteindruck. Der, der sie beeinflußt, manipuliert, in den Tod getrieben hat, ist mit allen Wassern gewaschen.« »Also doch eher die SENTENZA und nicht die Tekteronii?« Ras schüttelte sich. »Vielleicht in Verbindung mit einem neuen Ara-Mittelchen? Oder den Fiktivspielen?« Tombe zuckte mit den Achseln und ging voran. Eine Rampe führte zur ersten Terrassenstufe hinauf, dann folgten fünfzehn Schritte unter einer Pergola. Die Glassitschiebewand stand offen, flankiert von zwei hominid gestalteten Robotern von
zweieinhalb Metern Größe. »Seht euch genau um, laßt die Parakräfte spielen, Leute. Ich für meinen Teil bin ziemlich ratlos. Verfluchte Anschläge!« Kostbare Avuntaholz-Täfelung verkleidete die Wände, in bauchigen Vasen standen Albonzweige – die arkonidische Duftblume diente auch zur Herstellung eines exklusives Parfüms. Ein Wandholo zeigte mit dem Blickwinkel wechselnde Szenen aus den Mythen der She ‘Huhan, der Sternengötter. Die Möbel entsprachen arkonidischem Standard: formvariable Plaste, die bei Aktivierung die in den Molekularstrukturen gespeicherten Daten umsetzten und die jeweilige Gestaltung annahmen. In Wänden, Decke und Boden verborgen waren überdies die obligatorischen mikropositronischen Servos, manche kaum größer als ein Stecknadelkopf, die in ihrer multifunktionalen Programmierung als Ganzes ein Optimum an Wohnkomfort und Behaglichkeit sicherstellten. Als Halbrund ragte eine Bar in den Wohnraum; auf Glassitplatten standen exotisch geformte Flaschen verschiedener Alkoholika. Ras’ Blick glitt über die Etiketten: Managara, Namahoora, Nettoruna-Wein des Südhochlandes von Arkon I, Owweban… »Wird nicht der letzte gewesen sein, Tombe«, sagte Laury und tastete mit ihren telepathischen Sinnen die Räumlichkeiten ab; Ras erkannte es an der senkrechten Stirnfalte, die immer erschien, wenn sich die junge Frau auf ihre Parakräfte konzentrierte. Als Tochter zweier Mutanten 2017 geboren, war sie der erste »Vollblut-Psi-Mensch« in zweiter Generation. »Für die nächste Zeit ist der Alte zum Glück aus der Schußlinie.« »Er fliegt also nach Iprasa?« »In den nächsten Tagen, ja. Ceshal und Khol wollen ihn begleiten und nicht von seiner Seite weichen. Atlans bissigen Kommentar kannst du dir denken.«
Laurys Lächeln erstarrte. »Verflucht, hier ist etwas! Schwaches Hintergrundrauschen des Gesamtgebäudes, verbunden mit einem schwer definierbaren Gefühl, das mir ein Frösteln bereitet… Verflüchtigt sich beim Nachfassen. Sonderbar. Kitai-San?« »Ich hab’s ebenfalls bemerkt.« Ras fluchte in Gedanken; sein erster Eindruck schien sich zu bestätigen. »Gefahr?« Tombe wurde augenblicklich ernst; seine Hand tastete ans Gürtelhalfter. Zögernd schüttelte Laury den Kopf, nachdem sie einen Blick mit dem Japaner gewechselt hatte. »Vielleicht… Es ist weg!« Ras öffnete unterdessen wahllos Wandschränke, hob mißtrauisch einen Blumentopf hoch und sah darunter, tappte zur Fiktivspielanlage und musterte die drei Liegen, vor denen sich ein Holofeldrahmen spannte. Spiralkabel ringelten von schwarzen Interface-Hauben mit semitransparenten Visieren zum an der Frontseite abgeschrägten Kasten in einer Nische. Ras berührte den Auswurfsensor, ein daumenkuppengroßer Speicherkristall schob sich halb aus dem Schacht. Im Regal daneben stapelten sich weitere Kristalle; je nach Blickwinkel erschien virtuell die Holobeschriftung der Fiktivspieltitel. »Kanetonische Hybridwirbel zu ostallischen Fragmenten… Thambutham… Kherdoms gnorischer Himmelskegel…«, las der Teleporter. »Das Zeug wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Hm, die Anlage ist ans globale Arkon-Netz angeschlossen. Könnte es sein, daß die Männer auf diesem Weg beeinflußt wurden?« »Laut Robotregentarchiv nicht«, antwortete Tombe. »Die Abrechnungen belegen, daß seit Anmietung der Wohnung keine Verbindungen ins Fiktivnetz geschaltet wurden. Daß die drei die Anlage gemeinsam benutzt haben, steht außer Zweifel. Außenkontakte gab es dagegen keine.«
»Wäre ja auch zu schön gewesen…« Ras setzte sich auf eine der Liegen, musterte die Schaltgruppen der Fiktivanlage und blickte in die Hauben hinein. Zwischen Polstern glitzerten Kristallpole der paramechanischen Projektoren. »Trotzdem sollten sich Professor Almedas Swoons mal um die technische Einrichtung kümmern.« »Schon veranlaßt.« Tombe sah aufs Armband. »Müßten eigentlich gleich eintreffen… Keine weiteren besonderen Wahrnehmungen?« »Nein. Wenn ich mir den Ablauf der Ereignisse betrachte…« Laury schüttelte ihr Haar in den Nacken und tippte mit dem Zeigefinger nachdenklich an die Nase. »Ist schon merkwürdig. Der Chef hatte sich ganz spontan zum Besuch der Geschichtshallen entschlossen. Aus den Hallenaufzeichnungen geht hervor, daß Hillom del Monotos, Tremlyn dorn Parim und Gerror dorn Ortoba schon vor uns dort waren; erst die von Atlan beobachtete Kontaktierung durch den Andooz fällt in einen Bereich der gelöschten Überwachung. Noch merkwürdiger: Der Krötenmann ist nirgends zu erkennen, so als habe er gar nicht existiert! Mir scheint, daß man sich ganz plötzlich zum Attentat entschlossen hat, und mit dem Andooz ist dann gewissermaßen die Aktivierung der Arkoniden ebenso verbunden gewesen wie die Waffenübergabe.« »Das bringt uns zu der Frage«, Tombe nickte mehrmals, »was die drei eigentlich ursprünglich in den Geschichtshallen gesucht haben.« Ras schnippte mit den Fingern. »Und was der Alte also ebenfalls hätte entdecken können, so daß man das Risiko des Attentats in Kauf nahm! Hhm, da kann einem angst und bange werden: Wenn diese Typen plötzlich umdisponiert haben, werden ihre Möglichkeiten noch erschreckender – immerhin gelang es ihnen überaus wirkungsvoll, sämtliche Spuren zu verwischen. Wär’s von langer Hand geplant
gewesen, könnte man es ja noch akzeptieren. Aber so…« »Atlans Einschätzung, daß mehr hinter der Sache steckt, gewinnt zunehmend Gewicht«, sagte Kitai leise und tastete unruhig nach den Cholittplatten seiner Amtskette. »Sollte eure Vermutung zutreffen, müssen wir die Geschichtshallen einer intensiven Untersuchung unterziehen. Eine Sisyphusarbeit. Daten und Hinterlassenschaften aus neunzehn ArkonJahrtausenden! Millionen Ausstellungsstücke!« »Hemmar Ta-Khalloup besitzt als imperialer Archivar den besten Überblick; er wird uns helfen!« Laury lehnte am Durchgang zur Robotküche, krauste die Stirn und sah sich nervös um. »Irgendwas an dieser Wohnung gefällt mir nicht. Die dumpfe Hintergrundemission ist wieder da. Fast wie was Tierisches und doch wieder nicht.« »Ich fühle es ebenfalls.« Der japanische Mutant nickte zögernd. »Ist auf einen Umkreis von knapp vier Metern beschränkt und kann deshalb kein Haustier benachbarter Wohnungen sein. Wirklich sonderbar. Ein solches Frequenzmuster ist mir noch nicht untergekommen; pendelt am Rand telepathisch aktiven Niveaus, dann kurzfristige Spitzen, die fast bis in suggestiven Bereich hineinragen, um sofort zu paravisuellen Abschnitten abzusinken. Inhalt nicht zu entschlüsseln.« »Keine Intelligenz. Kein höheres Bewußtsein«, bestätigte Laury. »Auch keine Pflanze. Und – jetzt ist es wieder weg. Nichts mehr. Wie ausgeschaltet.« Die Mutanten esperten intensiv für ein, zwei Minuten, doch die Eindrücke kehrten nicht zurück. Ras und Tombe schwiegen unterdessen, um die Konzentration der beiden nicht zu stören. Als Laury tief durchatmete, sagte der Teleporter: »Apropos Parakräfte, Freunde: Kann mir mal jemand mit verständlichen Worten erläutern, was unser allseits verehrter
Imperator genau vorhat? Ich habe den Eindruck, daß er selbst nicht so genau weiß, auf was er sich da einläßt – oder täusche ich mich?« »Ja und nein.« Während Kitai antwortete, setzte sich Laury neben Ras und griff nach einer Fiktivhaube. »Worauf es hinauslaufen soll, ist Atlan-Sama klar, aber was die Details betrifft… Da wird er, denke ich, vermutlich die eine oder andere Überraschung erleben. Wenn’s zur Meditationsschulung im Zhy-Kloster kommt, fliege ich ebenfalls nach Iprasa. Vielleicht kann ich ihm mit meinen bescheidenen Mitteln helfen?« »Zen und so?« »Hai.« »Das nennt man Wortkargheit!« Ras hob in übertriebener Verzweiflung die Arme. »Muß ich dir die Würmer einzeln aus der Nase ziehen? Ich bin nur ein einfacher Teleporter, vor einer Ewigkeit mal Chemiestudent, aber kein Experte in Mystik – sei sie nun fernöstlicher Natur oder auf der Basis von Dagor. Verflucht, trotz Einweisungs-Hypnoschulung werde ich das Gefühl nicht los, daß das Wichtigste an mir vorbeiläuft.« »Nicht aufregen, Großer! Die Angelegenheit ist in der Tat ein bißchen verzwickt, doch nicht so kompliziert, wie du denkst.« Laurys Lächeln beantwortete der Afroterraner mit einem Seufzer; die Mutantin setzte die Haube auf. »Ich logge mich ein. Kitai, du überwachst meine Gedanken, ja? Und klär unseren Großen mal auf.« Mit wenigen Handgriffen war die Anlage aktiviert. Laury lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Bunte Lichtlinien, Schlieren und Funken entstanden im Holofeldrahmen und wechselten in rascher Folge. »Hai, mein drittes Auge schwebt über dir.« Kitais Augen wurden noch schmaler, als er sich an Ras wandte. »Du
erinnerst dich an Crests Schulung auf der Venus, ParaAkademie von Port Teilhard? Durch Blockbildung lassen sich unsere Kräfte nicht nur verstärken, sondern dem Block erschließen sich auch Parabereiche, die dem einzelnen verschlossen bleiben. Hinzu kommt, als weiterer Aspekt, daß bis zu einem gewissen Grad eine Trennung von Körper und Bewußtsein herbeigeführt werden kann. Nichts anderes wird durch die Zhy-Famii bei der Großen Feuermutter angestrebt: Durch Stasis werden die Körper komplett ruhiggestellt, die freigesetzten Bewußtseine sollen einen Block formen, ein Kollektiv, für das gilt, daß es mehr ist als die bloße Summe der einzelnen. Kon hat als Vergleich das Verhältnis von Radius zum Volumen einer Kugel verwendet, die bekanntlich in der dritten Potenz zueinander stehen. Drei Personen, zum Bewußtseinsblock vereint, werden demnach hinsichtlich der Intensität ihrer Parakräfte, den parallel ablaufenden Bewußtseinsprozessen und dergleichen nicht verdreifacht, sondern erreichen das Dreihochdrei- sprich Siebenundzwanzigfache! Problematisch ist nun, daß ähnlich den Protonen im Atomkern mit zunehmender Anzahl auch die internen Abstoßungskräfte zunehmen. Um dies zu neutralisieren, ist eine Art gegenpolige Komponente, ein Klebstoff, nötig…« »Und dieser… Klebstoff soll der Chef sein?« Ras schnitt eine Grimasse. Weder er noch Kitai oder Tombe ließen Laury aus den Augen, doch die junge Frau winkte beruhigend ab und formte mit Daumen und Zeigefinger einen Ring. »Besser gesagt das von ihm kontrollierte Parareservoir des ChoKäfers?! Und wie soll das funktionieren? Atlan ist doch kein Mutant. Vor allem, wozu das alles?« »Natürlich ist er kein Mutant. Mit dem Vorgang einer Extrasinn-Aktivierung wurde diesbezüglich allerdings durchaus die Grundlage geschaffen: Bekanntlich handelt es sich um einen hyperenergetischen Aufladungsprozeß, der
primär dazu dient, den in fast allen arkonidischen Gehirnen vorhandenen brachliegenden Sektor zu wecken. Als Nebeneffekt kann es zur Ausbildung von Parakräften kommen – auch hier sei an Crest erinnert, der zumindest über latent telepathische Fähigkeiten verfügte. Mit dem PseudoInsekt…« Laury schüttelte sich; ihre Stimme klang gedämpft unter der Haube hervor: »Eklig! Widerlich!« »Ansichtssache. Über den Cho wird jedenfalls Vorhandenes genutzt und intensiviert, denn die primäre Wirkung beruht auf den Bewußtseinsverbund der Zhy-Famii. Wenn alles so funktioniert, wie es geplant ist! Mit der Großen Feuermutter an seiner Seite würde Atlan-Samas Position als Imperator von Arkon in jeder Hinsicht gestärkt und verbessert: Nicht nur, daß den Traditionalisten ein deutliches Zeichen gesetzt würde, auch von der rein praktischen Seite her ist es eine Unterstützung, wie sie schwerlich besser sein kann – vor allem mit Blick auf die gewaltige Ausdehnung und Unüberschaubarkeit des Tai Ark’Tussan.« »Und dazu wandert man über Iprasas Tundra, läßt sich von Vulkanasche berieseln und geht später im Zhy-Kloster in Klausur?« Ras’ Blick zeigte seine Skepsis überdeutlich. »Ginge es nicht einfacher?« »Das ist der Knackpunkt, mein Lieber. Vor jedem Erfolg steht die Mühsal. Um der Tai Zhy Fam zur Stabilität zu verhelfen, muß Atlan-Sama eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllen, die in direktem Bezug zum Dagor stehen, aus dem das Ganze hervorgegangen ist.« Die Hände des Japaners formten einen Giebel. »Beispiel gefällig? Ein Hydroponiktank für sich ist nur eine Hülle – erst das Einbringen der notwendigen Ingredienzen im genau ausgewogenen Verhältnis zueinander liefert Sauerstoff, Wasser und Nährstoffe. Hypnoschulung mag dir das nötige Fachwissen
vermitteln, doch erst wenn du eine solche Anlage selbst mal hochgefahren und bedient hast, erschließen sich dir die Feinheiten der Aussteuerung. Was für den technischen Bereich gilt, trifft beim Psychischen und Paranormal-Transpersonalen noch mehr zu; jeder muß selbst Schritt für Schritt seine Erfahrungen sammeln und verarbeiten.« »Wem sagst du das? Meine ersten Teleportationen geschahen auch eher auf gut Glück als gezielt. – Aber okay, Freunde, beenden wir dieses Thema. Genug palavert, wir haben hier zu tun. Laury?« »Durcheinanderquirlende Farben und Formen, mit denen ich nichts anfangen kann. Kein suggestiver Druck… Aber – da ist es wieder! Dieses…« Von zartem Knistern begleitet, quoll schaumähnlich eine Ansammlung kleiner und größerer Bläschen aus einer Fuge der Fiktivanlage. Perlmuttschimmern huschte über die Oberflächen der Kügelchen, gleichzeitig wurde ein mentaler Druck bemerkbar, der in Ras Übelkeit erzeugte. Er sprang auf, Laury riß sich die Haube vom Kopf und setzte ihre Kräfte als Desintegratorin ein: Grünliches Leuchten erfaßte den Schaum, dann die Anlage, und innerhalb eines Wimpernschlags verwandelte sich feste Materie in Staub und Gas. Trotzdem steigerte sich der Fremdeinfluß zu einem dissonanten Kreischen. »Raus hier!« schrie die Mutantin. Murmelgroße Blasen trudelten zwischen Schwaden aus Feinstaub und grünem Ionisationsleuchten. Aus Wandöffnungen rasten fingergroße Servound Reparaturmechanismen hervor. Kurzschlußentladungen krachten, blauweiße Funkenkaskaden sprühten umher. Im Zurückweichen griffen Laury, Kitai und Tombe nach Ras’ ausgestreckten Armen. Als eine erste Detonation zum expandierenden Glutball wurde, erfaßte sie die Entmaterialisation –
die augenblickliche Wiederverstofflichung erfolgte zwischen Gleiter und Robothalbkugel. Ohrenbetäubender Donner, der im Atrium widerhallte, begleitete die aus dem Bereich der ersten Etage vorschießende Stichflamme. Dem ersten Ausbruch folgten sofort weitere; Flammenwalzen fauchten über die Baumkronen hinweg. Ihre Blätter verkohlten zu Asche, Äste flammten auf, Funken wirbelten hoch. Geschoßgleich prasselten Trümmer gegen die Konturschirme, ohne Schaden anrichten zu können. Sirenen heulten auf, Roboter starteten von der Kelchoberkante, sanken herab und verteilten sich; vor ihren erhobenen Waffenarmen glühten Mündungskraftfelder. Eine letzte Detonation riß ein Zehnmeterloch in die erste Etage, Rauch und Staub waren von Glut durchsetzt. Die Bäume und Sträucher standen ganz in Flammen, Glassitwände klirrten, von den Druckwellen zerfetzt, und weit in die Höhe geschleuderte Bruchstücke polterten nach und nach herab. »Teufel noch mal«, ächzte Ras und versuchte durch die Schlieren seines Individualschirms Einzelheiten zu erkennen. »Was war das?« Laury stocherte in den Ohren. »Das, was vermutlich die Attentäter umgedreht hat! Genau wie in den Geschichtshallen war es erst im letzten Augenblick zu erkennen. Wir müssen es mit unseren Parakräften aktiviert haben – oder es war eine Falle für unliebsame Eindringlinge. Oder beides.« Gebäudeeigene Löschmechanismen und -roboter traten in Aktion: Kraftfelder stülpten sich über Brandherde und stellten ein Vakuum her. Die Flammen, von der Sauerstoff zufuhr abgeschnitten, erloschen. Sicherheitsbeamte in Schutzanzügen erschienen – bedrohlich wirkende Gestalten zwischen verwehenden Rauchfahnen, dunklen Schwaden und letzten Brandstellen. »Der Schaum und die Blasen…?« Tombes Gesicht war grau;
erst verzögert wurde ihm bewußt, wie knapp sie entkommen waren. Kitai nickte. »Hai. War in der Fiktivanlage verborgen. Frag mich aber nicht, was genau es war: Ich weiß es nicht. Ohne Laurys und Ras’ schnelle Reaktion…« Der Sicherheitsmann winkte ab, wandte sich zunächst an den mobilen Ableger des Robotregenten, nahm dann Kontakt zu seinen Untergebenen auf und befahl Absicherung und Untersuchung. Unterdessen traf der Gleiter der Swoons ein, zarte Stimmchen äußerten Bestürzung und Entsetzen. Ärmchen gestikulierten heftig, Antigravplatten wurden hektisch mit Untersuchungsgeräten beladen. »Glück gehabt, Großer!« Laury hakte sich bei Ras unter, nachdem beide die Abwehrfelder ausgeschaltet hatten. »Auf dich ist Verlaß! Du hattest von Anfang an eine Ahnung und warst sprungbereit, nicht wahr? Gott sei Dank – die angrenzenden Appartements waren leer, also keine Toten oder Verwundeten!« Er antwortete nicht, sondern drückte ihr einen schmatzenden Kuß auf die Stirn. Im Hintergrund kommentierten die Swoons den Vorgang mit leisem Tuscheln, und die Mutantin flüsterte kichernd: »Sie fragen sich verblüfft, was diese Übertragung von Körperflüssigkeit zu bedeuten hat, Großer. Eine solche Verschwendung kennen sie von ihrer Wüstenheimat nicht und…« Ihr gemeinsames Lachen klang erleichtert; erst jetzt gestattete sich der Teleporter das Aufatmen – zischend saugte er Luft in die Lungen, fühlte für Sekunden eine Welle von Triumph. Mal wieder dem Tod von der Klinge gesprungen, dachte er und fühlte sachtes Zittern in den Knien. Und ein Beweis, wie relativ die Langlebigkeit der Zellduschen in Wirklichkeit ist: Mit jedem weiteren Jahr wächst die statistische Wahrscheinlichkeit, es irgendwann nicht rechtzeitig zu schaffen… Verdammt, wie muß sich
erst der Alte fühlen? Aus: Ursachen, Folgen und Konsequenzen der arkonidischen Degeneration … wurde als maßgeblicher Faktor vor allem falsche Ernährung erkannt, . auf der eine grundlegende Schwächung des Immunsystems einschließlich der damit verbundenen verstärkten Anfälligkeit gegen Krankheiten aller Art beruht: Versorgungsengpässe und eine ausgeprägte Abneigung vor natürlichen Nahrungsmitteln – weil mit dem Töten von Pflanzen und Tieren verbunden – führten schon zur Zeit der ersten Methankriege zur Einführung von Synthonahrung auf der Basis künstlicher Photosynthese (Ref.: Synthon). Zwar hielt sich der Genuß des Natürlichen vor allem im Rahmen prunkvoller Festivitäten bis in die Gegenwart (Stichworte: Einhaltung gesellschaftlicher Normen, Luxus, Exotik), doch allgemeine Grundnahrung ist die synthetische. Mit ihr allerdings verbunden ist neuesten Untersuchungen zufolge bei Dauergenuß eine gesteigerte Neigung zu Allergien, und es wurden knapp an der Nachweisgrenze krebserregende Inhaltsstoffe festgestellt, die allerdings kumulative Wirkung entfalteten und erst in Verbindung mit der allgemeinen Immunschwäche karzinogen symptomatisch wurden (Ref.: Leukämie, Sarkom F Arkon usw.). Hierbei sind Männer weitaus stärker betroffen als Frauen, die sich aufgrund ihres Metabolismus als grundsätzlich robuster erweisen (Ref.: Mutterschaft usw.), andererseits aber die kumulierten Karzinogene vor allem an ihre männlichen Nachkommen weitergeben… Arkon II, geheime Tiefbunkeranlage des PherbonFreihafens: 34. Prago des Dryhan 19.017 von Arkon (= 29. Mai 2047 Terra-Standard) Regir da Quertamagin, Oberhaupt des QuertamaginGroßkelchs und als Khasurnmeister Hauptbevollmächtigter
des Tai Ark’Tussan in allen Fragen des Adels, seufzte übertrieben vorwurfsvoll, als endlich sein jüngerer Bruder Krishai in den abhörsicheren Konferenzraum eilte und als letzter Platz nahm. Obwohl er eine für einen Hochedlen wenig standesgemäße Fortbewegungsgeschwindigkeit benutzt haben mußte – das Gesicht peinlich gerötet, das Haar zerzaust, das Atmen fast keuchend –, betrug die Verspätung des Oberbeschaffungsmeisters fast ein viertel Tonta. Keine Disziplin! dachte Regir, fühlte seinen beschleunigten Puls am Kragen pochen und Hitze in sich aufsteigen. Was sein Amt betrifft, allerdings ein Pedant. Und so einer schimpft sich Dreisonnenträger. Wenn die She’Huhan jemanden wirklich strafen wollen, dann mit Verwandtschaft. Die Brüder verband eine innige Haßliebe, in der der cholerische Regir im allgemeinen die Oberhand behielt. Ohne die logistischen Qualitäten Krishals, das mußte sich der Khasurnmeister jedoch widerwillig eingestehen, wäre der Einfluß der da Quertamagins deutlich geringer gewesen. Beide waren groß und von hager-sehniger Statur, 89 und 85 Arkonjahre alt, und nur das deutlich schlaffere Gesicht unterschied Krishai äußerlich vom Kelchoberhaupt. »Nachdem wir nun alle versammelt sind, eröffne ich hiermit die Besprechung!« Der spöttische Unterton der Stimme veranlaßte Krishai, intensiv die Fingerspitzen zu mustern, was den Ärger Regirs eher noch steigerte. »Has’athor de Monizer, Ihr Bericht!« Calus de Monizer stand auf und deutete eine Verbeugung an. Erst 42 Arkonjahre alt, hatte er dennoch rasch Karriere gemacht, weil der Khasurn der de Monizers zu jenen gehörte, die schon nach kurzer Zeit das volle Vertrauen des Großen Koordinators besaßen. Im Gegensatz zu den meisten Edlen seines Standes trug Calus das weißblonde Haar nur halblang; ein kräftiger Nasenhöcker verlieh dem Gesicht den Ausdruck
eines Raubvogels, verstärkt noch von den ruckhaften Kopfbewegungen, die unbewußt seine herrische Natur, unterstrichen. »Zhdopanii! Schon die Gespräche mit der Arkanta bestätigten unsere Befürchtungen voll und ganz: Gonozal ist tatsächlich entschlossen, das Projekt der Tai Zhy Fam wiederzubeleben! Wir müssen damit rechnen, daß ihm das verstärkte Zuneigung, auch in den Reihen des Adels, einbringen wird. Die neu in Kraft getretenen Erlasse und Anweisungen schmälern unseren ohnehin mäßigen Einfluß auf politische Entscheidungen noch mehr. Ein Skandal ersten Ranges: Nicht einmal der Große Koordinator wagte es, den Tai Than abzusetzen…« Has’athor Tara Ta-Emthon unterbrach mit einem bitteren Kichern: »Stimmt, er ignorierte ihn vollkommen und traf sämtliche Entscheidungen allein! Man mag dem nervenden Hektiker, der sich Imperator schimpft, vieles vorwerfen, nicht jedoch, daß er nicht alles versucht hätte: Ich an seiner Stelle hätte die unfähigen Tai-Thanii längst zur Aburteilung nach Celkar geschickt! Einschließlich etlicher Mitglieder des Zwölferrates!« Und derer von Monizer, die erwiesenermaßen engstens mit dem Robotregenten zusammenarbeiteten! dachte Regir, halb belustigt, halb ärgerlich. Trotz der unrühmlichen Ereignisse auf Zalit wurde Calus von Gonozal in den Großen Rat berufen; der jetzt mit dem Hort der Entscheidungen verkündete Erlaß trifft Calus um so mehr. »Ihr Ehrgeiz, Hochedler Tara, ist uns wohlbekannt.« Seine nachlässige Handbewegung brachte den Admiral zum Schweigen; der verstimmte Blick sprach allerdings für sich. Die Probleme mehren sich! Erneut kämpfte Regir gegen Ärger an, unterdrückte einen aufbrausenden Impuls. Es wird Zeit, daß etwas geschieht. Vielleicht bietet sich jetzt eine Möglichkeit. Es könnte die letzte sein, bevor wir anfangen, einander an die Gurgel zu
springen. Nachdenklich glitt da Quertamagins Blick über die Versammelten. Ceryklya del Helonk – 148jährige Edle, deren persönliches Streben nach Einfluß vor kaum einer Niedertracht zurückschreckte. In ihrem Kelch war sie die unangefochtene Erlauchte, ihre Intrigen waren gefürchtet. Hauptschwäche ihre Eitelkeit, das krankhafte Streben nach Jugend und Schönheit. Regir wußte von mindestens zwei jungen Adligen, die spurlos verschwunden waren, nachdem sie recht unbeeindruckt – um nicht zu sagen angewidert – auf Ceryklyas »Reize« reagiert hatten. Auch jetzt trug sie eine fast anstößig hautenge Kombination in grellem Leuchtgrün, das Haar war zum unterarmlangen Spiralkegel frisiert. Wenn sie sich einen Vorteil davon versprochen hätte, wäre sie sogar Gonozal um den Hals gefallen. Von Prinzipien keine Spur! Regir beherrschte sich und ließ sich seine Gedanken nicht anmerken. Nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Moya Ma-Gonozal – Im Gegensatz zu sämtlichen anderen Mitgliedern des Khasurn galt die junge Hochedle mit ihren 27 Arkonjahren als einzige Aktive und verabscheute die Fiktivspiele. Daß ihr entfernter Verwandter auf dem Kristallthron saß, wäre eigentlich ein Grund zur Freude gewesen. Doch Moya, hochgewachsen, attraktiv, das Haar im aufbegehrend kurzen Bürstenschnitt gestutzt, hatte es nicht verwunden, daß Gonozal ausgerechnet die eigene Familie bislang total ignoriert und noch kein einziges Mal den Stammkelch besucht hatte. Aus anfänglicher Freude war somit rasch unversöhnlicher Haß geworden. Auch ohne den Hinweis seines Extrasinns war dem Khasurnmeister die Logik der Handlungsweise des Imperators bewußt; die Krisensituation im Imperium erzwang andere Prioritäten. Andererseits gab es
Regeln von Etikette und Sitte im Umgang miteinander, und hier vollzog der Verhaßte eine Fehltransition nach der anderen. Zwar war in Regirs Augen die Adlige kaum mehr als ein verzogenes Gör, eigensinnig, verwöhnt, hochnäsig, aber hinter ihr stand ein Fürstentum von 122 Sonnensystemen, ein nicht zu vernachlässigender Machtfaktor. Has ‘athor Senekho – Bis vor wenigen Jahren Befehlshaber von Naator und der dortigen Kampfschule, zwischenzeitlich zum Kristallmarschall befördert, damit oberster Beamter des imperialen Fürstenhofes und von Amts wegen Vorgesetzter des Kristallpalast-Zeremonienmeisters; galt nach außen hin als dem Imperator loyal ergeben. Gegen die Aktivität des jungen Truk Drautherb kam er allerdings nicht an, so daß ihm seine Berufung in den Kristallpalast mehr als Dockaufenthalt erschien, dem letztlich nur noch das Abwracken folgen konnte. Statt in der Flotte Dienst zu tun, fühlte er sich ungerechtfertigterweise abgeschoben und bewahrte – noch! – mühsam eine halbwegs neutrale Position. 56 Arkonjahre alt, von untersetzt-gedrungener Gestalt, gekleidet in prächtige Uniform, strebte er nach mehr. Daß ihm seine Position im Kristallpalast Eintritt in die oppositionellen Kreise verschafft hatte, sah er, dessen war sich Regir da Quertamagin sicher, nur als Mittel zum Zweck an. Abwarten, taktieren, keine eindeutige Position beziehen – wir müssen ihn im Auge behalten! Glogol da Orcast – Bei dem ersten von insgesamt zwölf Hohen Inspekteuren handelte es sich um einen hochgewachsenen Mann, dessen weißes Haar zu drei Zöpfen gerafft war; er galt als der letzte aktiv gebliebene Hochedle der vormals herrschenden, vom Großen Koordinator anstelle des abgesetzten Zoltral-Imperators eingesetzten Khasurn. Im Rang eines Keon-Admirals stehend, mißbehagte ihm, der eigentlich ebenfalls als loyal zum Imperator eingestuft wurde, vor allem dessen Nähe zu den Terranern. Diese Emporkömmlinge ver-
abscheute er aus tiefstem Herzen, seit es – so munkelte man – zu einem für ihn überaus peinlichen Zwischenfall auf Tolimon gekommen war, dem »Galaktischen Zoo« der Aras. Um den Einfluß der Terraner zu schmälern, würde er fast alles tun, raunte Regirs Extrasinn. Das schließt sogar Aktivitäten gegen den Imperator mit ein. Für Glogol ist das Imperium maßgeblich, nicht die Person an seiner Spitze. Tara Ta-Emthon – Er strebte ganz unverhohlen das Imperatorenamt an; mit geschickter Machtpolitik hatte er es geschafft, viele Edle und Hochedle hinter sich zu bringen. Er war nur mittelgroß, das Gesicht wirkte ausgezehrt, und in den Augen war stets ein fanatisches Glitzern zu bemerken. Unbestätigte Gerüchte besagten, er sei gar ein maßgeblicher SENTENZA-Clanführer. Mindestens ein Mordanschlag auf Gonozal, davon war Regir überzeugt, ging auf Taras Konto. Seine Schwäche ist, daß er alles zu sehr aus rein militärischem Blickwinkel sieht, sagte sich der Khasurnmeister, und wichtige andere Faktoren vernachlässigt. Wie heißt es so treffend? Experten sind Leute mit Sachkenntnissen auf einem kleinen Gebiet. Leider glauben gerade solche Leute, daß sie automatisch auch zu anderen Themen etwas sagen können. Ein Glaube, der proportional anwächst, je begrenzter das eigentliche Wissensgebiet ist. Die Versammelten waren die maßgeblichen Arkoniden der Macht der Sonnen – jener Organisation, in der zur Zeit Orbanaschols III. die einflußreichsten Würdenträger zusammengefunden und ihr, weil meist Sonnenträger, den Namen verliehen hatten. Konzerninhaber, Reeder, Familienoberhäupter, Hochedle, deren Fürstentümer insgesamt etliche tausend Sonnensysteme umfaßten: eine Macht, die bislang noch kein Imperator hatte ignorieren können. Mehr noch – viele Imperatoren in Orbanaschols Nachfolge hatten ihr Amt nur mit Unterstützung der Macht der Sonnen erhalten. Degeneration und Niedergang waren auch an
ihr nicht spurlos vorübergegangen, die Regentschaft der Großpositronik hatte das Ihre getan. Dennoch waren in der Macht der Sonnen die aktivsten und einflußreichsten Arkoniden zu finden. Und damit viele, die klar in Opposition zu Gonozal VIII. standen. Calus fuhr mit monotoner Stimme fort: »Sogar in den Reihen der Macht der Sonnen gibt es einige, die sich nun verstärkt für Abwarten aussprechen. Die Bereitschaft, einen massiven Konfrontationskurs zu fliegen, hat spürbar abgenommen. Das Auftreten der Arkanta war ein äußerst geschickter GarraboZug.« »Konfrontationskurs! Lächerlich!« Ceryklya del Helonk warf lachend den Kopf in den Nacken und entblößte schlecht verheilte Narben an Hals und unter dem Kinn; das Gelächter klang schrill und zerrte an Regirs Nerven. Mühsam ballte er die Hände und öffnete sie wieder. »Jeder von uns ist sich des Zwiespalts bewußt: Es gibt im ganzen Reich keinen einzigen Arkoniden außer Gonozal, der die erforderlichen fünfzig Lerc vorweisen kann. Sein Tod brächte nur den Großen Koordinator erneut an die Macht, und das ist zumindest nicht in meinem Sinne.« »Euer Vorhaben, das geistlose Töchterchen« – Admiral Taras spitze Bemerkung bescherte ihm einen vernichtenden Blick der alten Hochadligen -»zunächst in Gonozals Bett und dann an seine Seite auf den Kristallthron einer Imperatrix zu befördern, ist, wie mir scheint, gleichfalls nicht von sonderlich großem Erfolg gekrönt! Wie lautete ihr Name? Thyodera?« »Zhdopanii, bitte!« Regirs eiskalte Stimme dämpfte die angespannte Atmosphäre; niemand übersah, daß der Khasurnmeister unbewußt an der Feder des vor ihm auf dem Tisch liegenden Hutes fingerte. Seine Forderungen zum Mannax-Duell waren gefürchtet. »Wir sind hier zusammengekommen, um unser weiteres Vorgehen
abzustimmen und neue Pläne durchzusprechen, nicht, um Gonozal die Arbeit abzunehmen!« Nach der unerwartet eindeutigen Fürsprache der Arkanta von Hocatarr für den Imperator war ein Treffen unausweichlich geworden. Der Freihafen auf Arkon II bot sich hierzu als unverfänglicher Ort der Zusammenkunft an, handelte es sich bei Pherbon doch um eine private Einrichtung, betrieben von einem Konsortium, das zu hundert Prozent von Angehörigen der Macht der Sonnen kontrolliert wurde. Für das uneingeschränkte Recht, innerhalb der Freizone des Hafens praktisch alles tun und lassen zu können, was der Minimalreglementierung von Angebot und Nachfrage entsprach und somit auch ansonsten Illegales einschloß, war dem Staat jährlich eine Summe von eineinhalb Billionen Chronners zu überweisen. Und der Überwachungsring des arkonidischen Zolldienstes war bei weitem nicht so undurchlässig, wie er dem Gesetz nach hätte sein müssen. Selbst für Händler aus der gesamten bekannten Galaxis, die diese »Lücken im System« nicht auszunutzen gedachten, besaß der Pherbon-Freihafen eine Anziehungskraft ohnegleichen, handelte es sich doch um einen Warenumschlagsplatz, wie es kaum einen zweiten gab. Also genau das richtige für oppositionelle Kräfte, deren Aktivitäten die Grenze zur Verschwörung – zumindest was Einzelpersonen unter ihnen betraf – klar überschritten. »Genau!« zischte Ceryklya bitter. »Aus diesem Grund wende ich mich zum wiederholten Mal scharf gegen das, was… man Konfrontationskurs zu nennen beliebt! Das Kernproblem lautet nach wie vor: fünfzig Lerc! Welcher Narr hat beispielsweise das Attentat in den Geschichtshallen zu verantworten?« Das, was mit der Einheit Lerc zum Ausdruck gebracht und sehr vereinfacht als »Intelligenzstufenskala« umschrieben
wurde, hatte nur mittelbar etwas mit »Intelligenz« zu tun. Vielmehr handelte es sich um einen rechnerisch ermittelten Wert – Regirs photographisches Gedächtnis reproduzierte unwillkürlich die Daten –, in den viele Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung einflossen; durch Ausbildung und Hypnoschulung vermitteltes Wissen, die grundsätzliche Fähigkeit, dieses praktisch umzusetzen, geistige Beweglichkeit, Aktivität und Willensstärke waren die Hauptkomponenten. Intensive Untersuchungen der Paraforscher hatten vor langer Zeit gezeigt, daß sich alle diese Faktoren in spezifischen Spektralmustern der sogenannten Individualschwingungsauren niederschlugen und, über die persönlichen Charakteristiken hinaus, mit einem komplexen Algorithmus auf einen einfachen Zahlenwert reduziert werden konnten – eben die Einheit Lerc. Um beispielsweise überhaupt zur ARK SUMMIA-Reifeprüfung zugelassen zu werden, waren mindestens dreißig Lerc Eingangsvoraussetzung; die Gehirnsektoraktivierung schlug sich dann mit einer Aufstockung um bis zu zehn Punkte nieder. Heute liegt das Bevölkerungsmittel zwischen zwanzig und dreißig, dachte Regir verdrossen. Wir sind deshalb nicht etwa dumm, sondern es mangelt unserem Volk vor allem an Entschlußfreude und Durchsetzungskraft. Das, was unsere Vorfahren auszeichnete und zur Größe des Tai Ark’Tussan führte, fehlt uns nun: Milliarden Fiktivsüchtige beweisen es. Was nützen Intelligenz und Wissen, wenn Motivationslosigkeit die alltägliche Umsetzung behindert? Wenn schon die Auswahl und Zusammenstellung angemessener Kleidung ein tontalanges Ringen mit sich selbst nach sich zieht? Wenn der Hang nach individuellem Ausdruck derart überhandnimmt, daß alles andere blockiert wird? Bei den Sternengöttern! Nur dieser verfluchte Gonozal überschreitet noch den Grenzwert, den die Ahnen ins Robotgehirn programmiert haben!
Er sagte: »Meinen letzten Informationen nach ist für den Anschlag keine der oppositionellen Gruppen verantwortlich. Sogar die Aras haben sich entrüstet davon distanziert. Allerdings scheinen einige von ihnen mehr zu wissen.« »Tekteronii?« knurrte Calus. »Alles deutet daraufhin.« »Es gibt viele Anzeichen dafür, daß sie auch in Adelskreisen und bei Kolonisten vermehrt Zuspruch finden.« Glogol schnitt eine Grimasse. »Aus dem zunächst schleichenden Prozeß droht eine bedrohliche Schockwelle zu werden.« »Ein Grund mehr, gegen Gonozal vorzugehen.« Tara lächelte versonnen, das Glitzern in seinen Augen verstärkte sich. »So was will ein Arkonide von der alten Art sein, jemand, der ruhmreich gegen die Methans kämpfte? Statt hart zuzuschlagen, zeigt er eine unverantwortliche Nachgiebigkeit! Mit seiner um Toleranz und Ausgleich bedachten Politik treibt er das Tai Ark’Tussan endgültig in den Untergang.« Regir befiel Frösteln. Taras Einschätzung stand für eine sich in Adelskreisen vermehrt durchsetzende Meinung, die allerdings völlig an der Realität vorbeiging: Nicht den Ahnen, die das Imperium herabgewirtschaftet hatten, wurde die heutige Lage zum Vorwurf gemacht, auch nicht dem Robotregenten, dem erste Ansätze eines Aufschwungs zugerechnet wurden, sondern dem regierenden Imperator. Er war es, auf den sich Haß und Ablehnung fokussierten. Er beschnitt die Würdenträger in ihren Rechten, er paktierte mit Kolonisten und Fremdvölkern, er veranlaßte mit der Gründung neuer Freihandelswelten den Ausverkauf des Reiches, ihm schob man die Schuld an allen Mißständen zu – denn er war es ja, der mit seinen tagtäglichen Auftritten voller Peinlichkeit das exponierte Ziel für sämtliche Anschuldigungen, ob berechtigt oder nicht, darstellte. Den ruhmreichen Ahnen mochte man keine Fehler vorwerfen, sich
selbst ohnehin nicht. Also redet man sich die Köpfe heiß, dachte Regir und ballte erneut die Hände zu Fäusten, redet und redet und ergeht sich in den unsinnigsten Vorwürfen, statt zu handeln! Dem Khasurnmeister war nur zu bewußt, wie dicht das Imperium am Abgrund taumelte, und die eigene Zwiespältigkeit ärgerte ihn am meisten: Sachlich betrachtet konnte er die Bemühungen Gonozals weder in Abrede stellen noch verurteilen; gefühlsmäßig war ihm dieser unsterbliche, ewig jugendliche, kraftvolle Herrscher zuwider! Es war peinigender Neid, der an Regirs Bewußtsein nagte und seinen Haß schürte, die bestürzende Erkenntnis, daß Gonozal sogar dann noch leben würde, wenn er, das Oberhaupt der Quertamagin-Khasurn, längst in der KARSEHRA vermoderte. Traditionell hatten stets beste Beziehungen zwischen Quertamagins und Gonozals bestanden, doch dieser Imperator stellte alles auf den Kopf: Er ignorierte sämtliche Belange das Adels, mißachtete aufs schändlichste die Traditionen, kam offensichtlich nicht einmal auf den Gedanken, die Nähe der Quertamagins zu suchen. Und selbst wenn – schon der Anblick versetzte Regir zutiefst schmerzende Stiche. Was seit Urzeiten Haupttriebfeder des arkonidischen Volks gewesen war, die Suche nach Unsterblichkeit, nach ewigem Leben und immerwährender Jugend, war ausgerechnet diesem Gonozal zuteil geworden. Einem Mann, dessen Jugend von zweifelhaften Aktivitäten geprägt war, der keine standesgemäße Ausbildung und Vorbereitung als Kristallprinz genossen, sondern aus seiner rebellischen Natur nie einen Hehl gemacht hatte, den die damaligen Vertreter der Macht der Sonnen für das Imperatorenamt als nicht würdig befunden und statt dessen seinen Oheim Upoc vorgezogen hatten… Sofern nichts geschieht, steht er auch in hundert oder tausend
Jahren noch an der Spitze des Tai Ark’Tussan, auf eine widernatürliche Weise nahezu gottgleich entrückt und in einer Art überhöht, die jeden Normalsterblichen total demütigt, durchfuhr es den Khasurnmeister, und wütendes Zittern suchte ihn heim. Wir müssen ihn vom Kristallthron werfen! Langfristig gesehen wird er uns nur lähmen, denn warum sich mühen – er, in seiner Unsterblichkeit, handelt ja doch, wie es ihm beliebt. Verflucht! Dann lieber die Knechtschaft unter einer Riesenpositonik ertragen und darauf hoffen, daß bald aus den eigenen Reihen ein würdiger Mann hervorgeht, der alle Voraussetzungen erfüllt. »Ein Untergang«, fuhr Tara heiser fort, »der nur einen Namen hat: Gonozal der Achte!« »Ihr würdet natürlich die Flotte in Bewegung setzen und den gesamten Tekteron-Bund aus dem Universum fegen?« Moyas Ironie beantwortete der Admiral mit verächtlichem Knurren: »Ein Feind ist mit allen Mitteln zu bekämpfen! Diesen Grundsatz unserer Ahnen mißachtet dieser Kerl – sollte er also den Tekteronii zum Opfer fallen, kann’s mir nur recht sein! Denn, verehrte Ceryklya, was die fünfzig Lerc betrifft: Es gibt da Mittel und Möglichkeiten…« »Arkons She’Huhan!« Glogol da Orcast atmete scharf ein. »Wollt Ihr damit sagen, daß… Tara, bester Freund, Ihr kennt die Gefahren einer Quotenaufstockung genau! Geistige Umnachtung ist unter Umständen noch die harmloseste Folge.« »Nur wenn es sich um eine zu große Spannweite dreht, Inspekteur. Vor den ersten Sitzungen lag mein Wert bei 46,3 und…« »Lag…?« Regir da Quertamagins Aufspringen mischte sich mit einem allgemeinen Aufschrei. Hat er’s tatsächlich gewagt? Das Verfahren gleicht der der Extrasinnaktivierung und manipuliert die Individualschwingungsmuster durch hyperfrequente Aufladung.
Körper und Geist werden gleichermaßen beeinflußt; die Kehrseite allerdings… Tara Ta-Emthon winkte nachlässig ab. »Lag! In zehn Sitzungen erfolgte in behutsamen Schritten unter der Aufsicht hochqualifizierter Aras die Aufstockung auf nunmehr exakt 50,6 Lerc. Und zur Beruhigung der Anwesenden: Ich habe nicht vor, weitere Aufstockungssitzungen in Anspruch zu nehmen. Den Wert Gonozals erreiche ich zwar nicht, doch zur Besänftigung des Großen Koordinators genügt er nun!« Stille breitete sich aus. Die Frauen und Männer versuchten, sich die Konsequenzen des Gehörten klarzumachen. Calus sank in seinen Sessel zurück. In Regir flüsterte sein Extrasinn: Die Gelegenheit! Zuschlagen! »Das ändert natürlich alles!« Der Khasurnmeister stützte die Ellenbogen auf und verschränkte die Finger. »Wie sehen Eure Planungen aus, Zhdopan?« Tara lächelte kühl. »Das laßt meine Sache sein. Hier gibt es zu viele, die sich als Freunde brüsten«, sein Glitzerblick richtete sich auf Glogol und Senekho, »jedoch schwerlich der Gegenwart eines zalitischen Hhrack vorzuziehen sind: Bei letzterem weiß man wenigstens genau, woher der Gestank kommt!« Ehe die Angesprochenen auf die Beleidigung reagieren konnten, zog der Khasurnmeister mit geschmeidiger Bewegung das Dagorschwert aus der Rückenscheide und ließ den Knauf auf den Tisch krachen. Als grünliches Leuchten umhuschte das mit Desintegratorenergie aufgeladene Prallfeld die Arkonstahlklinge. »Niemand – ich wiederhole: niemand – rührt sich von seinem Platz!« sagte Regir gefährlich leise. »Glogol, Senekho – setzen Sie sich! Sofort! Und Ihr, Admiral, solltet Euch augenblicklich entschuldigen. Ihr wißt, welches Recht ich als Gastgeber dieser Zusammenkunft in Anspruch nehmen
kann!« Tara reagierte überheblich und kühl: »Steckt Euer Käsemesser wieder weg. Mit diesem Mannax-Getue könnt Ihr mich nicht beeindrucken.« Seine Hand tastete zur klobigen Gürtelschnalle; im selben Augenblick baute sich knisternd ein Körperschutzfeld auf. »Die Reaktionen bestätigten nur meine Ansicht: Mit den werten Erlauchten und Erhabenen« – seine spöttische Verbeugung war der reinste Hohn – »ist keine weitere Zusammenarbeit möglich! Versucht nicht, mich aufzuhalten. Ich habe Mittel…« Während er aus dem Konferenzraum stolzierte, hing die Drohung über den Zurückbleibenden. Noch bevor die Tür geschlossen war, wirbelte zum wütenden Aufschrei Regirs das Schwert herum und spaltete funkensprühend die Tischplatte. Nur der feste Zugriff seines Bruders brachte den Khasurnmeister zur Besinnung, sonst hätte er vermutlich in seiner Wut die ganze Einrichtung zertrümmert. Regir sah auf die um seinen Unterarm gekrallte Hand, atmete tief durch und nickte mehrmals. »Gut. Ist schon gut, Krishai.« Sein Flüstern war kaum verständlich. Erst als der Schleier von Regirs Augen wich, ließ Krishai los. Bei Hradschirs Höllenplanet! Genau wie überall im Tai Ark’Tussan: statt Einigkeit nur Zersplitterung. Statt unsere Kräfte zu bündeln, haben wir nun drei Fraktionen – Tara wird seine eigenen Pläne verfolgen, Glogol und Senekho sind aufgeschreckt und werden vermutlich enger zum Imperator rücken, und der Rest… Regirs Überlegungen endeten mit einem lasterhaften Fluch. Aus: Ursachen, Folgen und Konsequenzen der arkonidischen Degeneration … muß weiterhin auf das suchterzeugende Phänomen der Simultan- oder Fiktivspiele hingewiesen werden: Die Geräte zur optisch-akustischen Darstellung von Gedankenund Bewußtseinsinhalten arbeiten auf paramechanischer Grundlage mit
den hyperenergetischen Frequenzen jenes Spektralbandes, dem auch die Wirkung von Psychostrahlern, Hypnoschulungsgeraten sowie die natürlichen Parakräfte von Hypnos und Suggestoren zugerechnet werden. Das durch ihre Benutzung erzeugte Wohlbefinden äußert sich unter anderem in einer Überproduktion körpereigener Opiate (Endorphine und vergleichbare neuroaktive Peptide von morphinähnlichem Aufbau), so daß sich neben der psychischen mit der Zeit eine extreme physische Abhängigkeit einstellt. Beschleunigter körperlich-seelischer Zerfall ist die unmittelbare Folge von Totalentzug. Anfängliche Unruhe steigert sich zu Aggression, gefolgt von Depression und gesteigerter Suizidgefährdung (einhergehend mit Schwäche, Übelkeit und deutlich verminderten Immunkräften mit intensiven karzinomatösen Folgeerkrankungen), dann übergehend und endend in meist irreparablen Schädigungen des psychophysischen Gesamtorganismus, so daß geistige Umnachtung häufig vom Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems begleitet wird. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die »Simultanprojektoren« aus diesem Grund eigentlich strikt verboten werden müßten – das Ausmaß der Sucht sowie die große Zahl der Süchtigen lassen ein solches Vorgehen jedoch unrealistisch erscheinen (mindestens 90 Prozent der Arkoniden im Arkonsystem selbst, 70 bis 80 Prozent innerhalb von Thantur-Lok, mit zunehmender Entfernung deutlich abnehmend: Wer auf fernen Kolonialwelten ein zum Teil hartes, entbehrungsreiches Leben führt, hat weder Zeit noch Muße – und häufig auch nicht die finanziellen Mittel –, sich den Luxus von Simultanspielereien zu leisten!). Absturz in Illegalität und die damit verbundene Beschaffungskriminalität wären noch vergleichsweise »harmlose« Randerscheinungen, liefe ein Verbot letztlich doch auf ein Todesurteil für den Großteil der arkonidischen Bevölkerung hinaus. Hinweis: Es kann als sicher gelten, daß vor allem die SENTENZA maßgeblich in Herstellung und Vertrieb der Geräte involviert ist
und die Abhängigkeit gleich in mehrfacher Hinsicht nutzt! Kolafton VI, Hauptstadt Kolaf, Residenz-Kelch des Tatos: 2. Prago des Messon 19.017 von Arkon (= 4. Juni 2047 TerraStandard) Agentin Ronua, von einem Schwarm langmähniger OrbekiMänner umringt, war unbekleidet, hatte aber vielfältigen Schmuck angelegt; funkelnde Halsketten, schimmernde Armund Beinreifen und prächtige Spangen hoben sich vom beigebraunen Fell ab, das dicht den Rücken bis zu den Lendenwirbeln hinabreichte und Oberarme, Hals und die Beine bedeckte. Kahl waren dagegen Brust, Bauch, Gesäß und die Innenseiten der Oberschenkel. Samtbraun waren die Ballen an Händen und Füßen. Acht dunkle Zitzen, paarweise vom Unterbauch bis zum Brustbein angeordnet, kontrastierten mit rosiger Haut. »Kleiderordnung« ist ein heikles Thema und erzwingt in vielfältiger Hinsicht von allen Toleranz, dachte Jana D’Alessandro beim Anblick der felidoiden Kollegin. Das Schamgefühl eines Orbeki, im unpassenden Moment die Krallen zu zeigen, ist vermutlich kaum weniger ausgeprägt als für einen Scü die Entblößung seines federlosen Bauches. Therborer standen als Wasserbewohner dem ganzen Getue um Kleidung recht verständnislos gegenüber, während die anderen Spezies wenig beim Anblick eines zufällig freigelegten, weil ansonsten schamhaft eingezogenen TherborGeschlechtstentakel empfanden. Und daß die feuchtschleimige Haut von Andooz-Kröten prinzipiell das Anlegen von Textilien zu einem Problem werden ließ, war nur ein weiterer Aspekt im Zusammenleben der Imperiumsvölker. Gouverneur Jahaq Garr jedenfalls hockte massiv und von
zarten Wasserstrahlen besprengt in seiner Schwebeloge, blies die Backen-Schallblasen auf und angelte sich nach jedem vierten Satz lebende Kleininsekten aus einem Vorratskraftfeld. Die Agentin achtete kaum auf die Worte des Andooz, der sich mit vielfältigen Phrasen und wohlklingenden Allgemeinplätzen zur wichtigsten Passage – der Eröffnung des Büffets – vorkämpfte, und schaute sich unauffällig nach Anki Zyneen und Sira Tyaz um, bestätigte lächelnd Ronuas Blickkontakt und bedauerte insgeheim die Freundin; die Orbeki-Frau wurde penetrant umschmeichelt und konnte die Verehrer nicht abschütteln. »Er ist phänomenal.« Sira kam näher und schielte an Jana vorbei zur Schwebeloge. »Wohlgesetzte Worte einer Ansprache, die niemanden anspricht.« »Womit er seiner Aufgabe als Tato stilgerecht nachkommt, teure Freundin. Mir fielen, einer ähnlichen Prozedur unterworfen, auch keine bedeutungsschweren Aussagen ein.« »Mir schon. Ich kannte jemanden, der hielt in vergleichbarer Situation eine wahrhaft kluge Rede. Sie bestand aus Räuspern und Hüsteln.« Jana grinste zuckersüß und grüßte betont höflich die Mitglieder einer in der Nähe stehenden Gruppe. »Was dem vorgetragenen Inhalt recht nahe kommen dürfte. Und weil vermutlich alle Anwesenden ähnliches denken, solltest du es nicht zu laut aussprechen.« »Klar. Höfische Gesellschaft hat eigene Vorstellungen von Humor. In den Subetagen der Residenz soll es sogar, zur Erbauung einiger, Folteranlagen geben.« »Du sagst es«, zischte Jana. »Sie wurden eingerichtet, um vorlauten Dingern wie dir den Mund zu stopfen.« »Oh.« Sira hauchte ironisch. Flache Vorhallen öffneten sich, durch Arkaden abgetrennt, zum Atrium mit seiner Kraftfeldüberdachung, über die bizarre Lichtspiele von
Holoprojektionen huschten. Getragen zirpte eine wohlbekannte Melodie; Sonnenwind von Fonghan Wy Nijan, ein therborisches Meisterwerk. Schwebende Tische, mit kulinarischen Köstlichkeiten überladen, warteten dezent im Hintergrund. Halbkugelige Serviceroboter boten Gästen auf ihren Schnittflächen plazierte Getränke an. Sira ergriff ein neues Glas, lächelte kühl und murmelte: »Wir sollten das Angebot nutzen, sobald wir die Attentäter dingfest gemacht haben! Jahaq Garr scheint leider nicht der Gesuchte zu sein.« Der Empfang wurde von den Frauen auf die ihnen eigene Art kommentiert. Im Gegensatz zu den anderen Augen des Imperators war die Italoterranerin keine Zhy-Fam und mußte sich auf deren Aussagen verlassen. In der Prunkhalle flanierten Geladene, standen in Gruppen beisammen, tauschten Klatsch aus, bedienten sich an den Auslagen des Büffets oder rekelten sich gelangweilt auf Kraftfeldsesselwolken. Es war, alles in allem, das übliche Bild hochgestellter arkonidischer Gesellschaft. Die wenigen wirklich Fähigen fand man auf Empfängen wie diesem selten. Es gibt im Imperium eine absurde Maskerade, dachte Jana. Einmal die Herausstaffierten, die aus dem einen oder anderen Grund Privilegien beanspruchen, und zum anderen diejenigen, die Atlans Vertrauen genießen und hart arbeiten. Die ehemalige SolAb-Agentin Jana D’Alessandro, 33 Jahre alt, dunkeläugig und schwarzhaarig, war sich im klaren darüber, daß Emotionen und Eitelkeiten, Weltanschauungen, Vorstellungen und Empfindlichkeiten von Tausenden Völkern miteinander vereinbart werden wollten und es nicht ohne Kompromisse und Zugeständnisse funktionierte. Schon im Normalfall kommen auf hundert Leute vielleicht fünf bis zehn Fähige und zwanzig Unfähige – der Rest ist Mittelmaß. Es heißt, keine der Gruppen vor den Kopf stoßen. Die breite Masse der
Bevölkerung kann bei der Größe des Imperiums nicht das Ganze im Auge haben, sondern schränkt sich auf den überschaubaren persönlichen Bereich ein. Die imperiale Regierungsebene dagegen ist etwas anderes, und da war es ganz richtig, daß der Chef endlich ein klares Machtwort gesprochen hat. »Mir ist nichts Außergewöhnliches aufgefallen.« Anki Zyneen gesellte sich zu Jana und Sira, hob die Schultern und machte eine ratlose Handbewegung. »Die Ausströmungen des Gouverneurs sind völlig normal. Kein einziger Gedanke an Tekteronii, den Anschlag oder anderes Verdächtiges – nichts.« In Gedanken ließ Jana die letzten Pragos Revue passieren: Gespräche mit Angehörigen der unterschiedlichsten Völker. Scheppernde Arbeitsroboter in riesigen Werfthallen, wo Kraftfelder glutflüssigen Arkonstahl in vorgegebene Formen preßten. Stimmenbrodeln an der Börse; Händler, die das freie Kontingent der Kolafton-Produktion erwarben und im Gegenzug Luxus- und Bedarfsgüter anboten. Seit Tagen kundschaftete die Einsatzgruppe die Lokalitäten aus, nahm das Umfeld des Andooz unter die Lupe. Mikrospione waren verteilt und Tarnidentitäten mit Leben erfüllt. Festzustellen war nur, daß auf Kolafton VI das Leben in normalen Bahnen verlief. Die Augen betrieben trotzdem ihr in jeder Hinsicht doppelbödiges Spiel – Stichwort »Einsickerungstaktik« –, geschickt wurden Techniker und Verwaltungsleute ausgehorcht und die notwendigen Wissenskristalle studiert. Alles ohne Ergebnis. Der Info-Text zum Kolafton-System stand Jana vor Augen: Vorgeschobener Industriestützpunkt der Thantur-Lok-Peripherie, untersteht der Raumflottenhierarchie, ausgewiesen als »bedingt militärische Sicherheitszone«. Fünfzig Leichte Kreuzer als Systemschutz bewachen insbesondere die fünfzehn SchwerindustrieModul-Stationen der inneren Planeten. Ihre Aufgabe: Rohstoffbearbeitung, Verhüttung, Arkonstahlproduktion und
Erzeugung von Halbfertigformteilen. Tender befördern Kernzellen schwerer Kreuzer nach Arkon III, dort allgemeine Endaufrüstung und Abschlußmontage. Bevölkerung: insgesamt 250 Millionen Techniker, Ingenieure, Bergbau- und Fertigungsfachleute verschiedener Völker. Tato von Kolafton: Jahaq Garr. »Kolaftons Stern«, murmelte sie. »Ein Überriese mit achtzehn Planeten.« Die Welten eins bis fünf, zu heiß und unwirtlich für eine Besiedlung, wiesen hohe Erzvorkommen und hyperenergetisch gesättigte Materie auf. TransitionsStrukturfelder auf Resonanzbasis dienten der AbraumAbtrennung, Rohstoffe gelangten zu Industrieplattformen im Geo-Orbit. Erzeugter Stahl wurde weitergeleitet und zu sechzig Prozent in eigenen Fabriken verarbeitet, der Rest von Händlern weiterveräußert. Etwa arkongroß war der sechste Planet; eine Wüstenwelt mit zwei kleinen Monden, auf der winzige Polarkappen den Hauptteil des planetarischen Wasservorkommens stellten. Tato Garr ist einer jener Andooz, die an der Investitur teilgenommen haben, aber… Alle wurden überprüft, ein Ergebnis gab es bislang noch nicht. Zwar stimmte Garrs Äußeres weitgehend mit Atlans Beschreibung überein; die helle Markierung an den Mundwinkeln des Andooz war nicht zu übersehen, doch das allein hieß nicht viel. Wenn sogar die telepathische Überprüfung nichts ergibt… Mißmutig zündete sich die Agentin eine Zigarette an und inhalierte tief. Obwohl Peter Kosnows Assistentin, hatte sie es sich nicht nehmen lassen, diesen Einsatz vor Ort persönlich zu leiten. Dabei war Jahaq Garr Kandidat Nummer eins auf der Liste der Verdächtigen! Mist! Ronua verabschiedete sich energisch von ihren Verehrern und flüsterte nachdenklich, als sie die Augen erreichte: »Und nun, Kolleginnen?« »Weiterbeobachten!« befahl Jana. »Vielleicht gibt er sich ja
doch noch eine Blöße. Spätestens übermorgen breche ich den Einsatz aber ab, sollte das Ergebnis weiterhin Fehlanzeige lauten.« »Verstanden. Wir bemühen uns, Jana.« Im allgemeinen konnte sich die Italoterranerin auf ihre Intuition verlassen. Mehr als eine vage Ahnung stellte sich diesmal jedoch nicht ein. Irgendwie glich es Theater: an sich reales Geschehen auf der Bühne, dennoch nicht mehr als Vorgaukeln von Wirklichkeit in Kulissen. Holographische Muster von Türen und Fenstern, die keine waren. Lichteffekte, die nicht Vorhandenes simulierten. Wer auch immer hier sein »Stück« spielt, es ist täuschend echt und vom normalen Leben nicht zu unterscheiden. Mehr als die Ahnung von etwas merkwürdig Falschem blieb nicht. Aus: Ursachen, Folgen und Konsequenzen der arkonidischen Degeneration … kann hinsichtlich der Simultanspiel-Abhängigkeit – wie auch zur Bekämpfung der übrigen Degenerationserscheinungen insgesamt – nur ein langfristig angelegtes Programm zur Bewußtseinswandlung und zur neuen Erziehung Erfolg versprechen; Ziel muß sein, die Fiktivspiele bei der Jugend gesellschaftlich zu ächten, so daß sich ihr Gebrauch von selbst überlebt. Gleiches betrifft die Ernährungsumstellung, allgemeine Ausbildung, körperliche Aktivität und dergleichen. … erweist sich, unabhängig von seiner sonstigen Beurteilung, die Lebensweise des Báalol-Kults ebenso als erfolgversprechende Alternative, wie es eine forcierte Anwendung der Dagor-Lehren und -Meditationstechniken sein wird. Iprasa, Stadtrand von Ikharsa, Tempelanlage des BáalolKults: 6. Prago des Messon 19.017 von Arkon (= 9. Juni 2047
Terra-Standard) Sorge lastete auf ihm wie ein Schlachtschiff mit ausgeschaltetem Antigrav. Sogar der Rückzug ins Meditieren half nicht. Die Gedanken glitten ab, fanden keine Ruhe, kreisten in immer neuen Spiralen um das Kernproblem. Schon die Ausbilder im fernen, geheimen Schulungszentrum hatten Thalom Goeto wiederholt gewarnt. Eines Tages, so ihre Prognose, würde ihm seine widerspenstige Art und rebellische Natur zum Verhängnis werden. Fast hatte er es geschafft und sich um Kopf und Kragen geredet. Kritik an den Hohenpriestern des Inneren Zirkels war verpönt, solche am Hohen Báalol selbst kam einem Sakrileg nahe. Thalom Goeto konzentrierte sich stärker auf das transzendentale Wahrnehmungsspektrum, glitt hinüber in eine andere Welt und seufzte. Ungezähltes harrte der Entschlüsselung. Überall herrschte Bewegung: vibrierendes Zittern, Zucken, Pochen und Saugen, Dahingleiten, Fließen, Strömen und Beben, Stampfen und Klingen. Allgegenwärtige Molekularbewegung wurde erkennbar – Moleküle schwangen und bewegten sich proportional zur Temperatur in ihren Bindungen. Chemische Reaktionen auf mikroskopischer und submikroskopischer Ebene und physikalische Effekte – sie blieben nicht länger unanschaulich, offenbarten sich mit gläserner Exaktheit. Bewegte, wirbelnde Elektronenwolken in den Atomen – real nicht beobachtbar – konnte der Priester plötzlich erfassen. Scheinbar starre und doch in Vibrationen befindliche, hochkomplexe Kristallstrukturen offenbarten mit einem Mal ihre einmalige Schönheit. Mit der Zhy-Eruption entschwanden Barrieren und Grenzen, wurde Ganzheit zur Erkenntnis. Wir können zutiefst über ein Problem nachdenken, aber wir erkennen die Lösung. Reflektieren ist nicht die wesentliche
Aktivität, es ist vielmehr das Erkennen, das Bewußtwerden dessen, was ist. So erkennt die Schöpfung am Ende sich selbst! Und weitere Überlegungen: Nur die Tatsache, daß Thalom Goeto unter den Alt-Priestern Fürsprecher besaß, die seine Äußerungen mit der »Unerfahrenheit und Spontaneität der Jugend« abwiegelten, hatte ein schärferes Urteil verhindert. Doch auch so hätte es für den ehrgeizigen Báalol-Priester kaum schlimmer kommen können. Selbst ein Tempel auf einer Welt am Rand des intergalaktischen Leerraums konnte nicht unbedeutender und abgelegener sein, obwohl er ins Zentrum des Tai Ark’Tussan abkommandiert worden war. Eigentlich hätten hier Fäden der Macht zusammenlaufen müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Segno Kaátas Alleingang, als er nach dem Unsterblichkeitsgerät des Imperators griff, hatte in Jahrtausenden aufgebaute Strukturen zerstört. Der Tempel auf Arkon II wurde vernichtet, jener auf Arkon I mußte auf Befehl Gonozals geräumt werden, auf Arkon III hatte es nie einen gegeben. Die Báalols konnten froh sein, daß sie noch auf Naat und Iprasa geduldet waren – seither allerdings scharf beobachtet vom Geheimdienst unter Peter Kosnows Führung. Der Terraner setzte ihnen zu, wo er nur konnte: Razzien in unregelmäßigen Abständen, Einschleusungsversuche von Agenten – den gefürchteten Augen des Imperators –, ständige Kontrollen durch Mooffs, so daß ein Großteil der Báalolkräfte zur Abwehr gebunden war. Hinzu kam, daß die vom Robotregenten kontrollierten positronischen »Behörden« verstärktes Augenmerk auf die wirtschaftlichen Aktivitäten des Kults legten. Umherschweifende psionische Fäden und Ausströmungen seines Bewußtseins bewegten sich scheinbar ziellos, bis es eine interessante Wahrnehmung gab: Ein langer Grashalm, irgendwo, der sich unter dem Wind biegt. Diese perfekte Elastizität im Verhältnis von Halmlänge zu Halmquerschnitt wird von keinem
künstlichen Material erreicht. Das Halminnere: Von Zelle zu Zelle fließen Pflanzensäfte, gesättigt mit gelösten Nährsalzen; sie steigen von der Wurzel durch das Wechselspiel von Turgor und Verdunstung zum Blattgrün auf. Sonnenlicht verleiht der Pflanze, unter Einsatz des Chlorophylls, die Fähigkeit zur Assimilation, bei der Kohlendioxid und Wasser zu Zucker und Sauerstoff umgewandelt werden. Lichtreaktion zur Wasserspaltung in den Thylakoidmembranen der Chloroplasten; Dunkelreaktion zum Aufbau der Kohlenhydrate in der körnigen Substanz des Stroma; zyklische Abläufe dank katalytisch wirksamer Enzyme… Sanft endete der Kontakt, die unsichtbaren Wahrnehmungsfächer huschten weiter, tasteten den Grashalm entlang tiefer in den Boden. Feuchte Krumen, von Wurzelfasern aufgelockerte Partikel mit verblüffendem Eigenleben und faszinierender Struktur. Bakterien, Humusbestandteile aufgelöster Altpflanzen, durchsetzt von weiteren Kleinstlebewesen: ein wahrer Mikrokosmos mit ausgewogenem Eigenleben, durch äußere Einflüsse jedoch leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wäre er auf den untersten Grad der Profanpriester herabgestuft worden, hätte es Thalom Goeto nicht schlimmer treffen können. Daß er sich Hohepriester des Arkonsystems nennen durfte, klang in seinen Ohren wie Hohn, zumal es einem Mann von Goetos Intelligenz keineswegs entging, welch bemerkenswerter Garrabo-Zug dem Inneren Zirkel durch seine Berufung gelungen war: Indem sie ihn, den »Rebellen«, hierherschickten, setzten sie ein unverkennbares Zeichen der Besänftigung und konnten vor Ort präsent bleiben, ohne das Gesicht zu verlieren. Er, Goeto, sollte den Imperator und dessen Mitarbeiter quasi einlullen, getreu seiner inneren Überzeugung das positive Bild des Báalol-Kults darstellen – während an anderer Stelle die maßgeblichen Aktivitäten des Inneren Zirkels abliefen.
Über die wahren Ziele und Vorhaben des Hohen Báalols war Thalom Goeto nur vage informiert. Aus Andeutungen hatte er geschlossen, daß es langfristig angelegte Planungen gab. Es ging, wie sollte es anders sein, um Macht und Einfluß, und der Priester konnte sich durchaus vorstellen, daß der Hohe Báalol letztlich selbst die Herrschaft im Tai Ark’Tussan anstrebte. Solches wurde jedoch, wenn überhaupt, bestenfalls von den Hohenpriestern des Inneren Zirkels laut ausgesprochen – in abhörsicheren Räumlichkeiten! Weitere Parawahrnehmungen flossen dem meditierenden Báalol zu: Partikel aus Silizium-, Aluminium- und Eisenoxidverbindungen, durchsetzt von Karbonaten, Nitraten, Phosphaten und langkettigen Kohlenstoffverbindungen. Kristalliner Quarzsand in hauchfeiner Korngröße. Krumen aus Tonerde und Lehm. Und natürlich das überall vorhandene Wasser, lebenswichtiges Medium, vorhanden als Dampf oder in kleinsten Tröpfchen: maßgeblicher Einfluß die oberflächenspannungerzeugenden Wasserstoffverbindungen und die Dipoleigenschaften der Wassermoleküle an sich. Als der suchende Zhy-Faden einen Wurm berührte, sprangen die tierischen Ausstrahlungen auf Thalom Goeto über:… unbewußtes Kriechen und Winden. Ein Körper, bestehend aus vielen Segmenten, in wechselweise angespannter und entlasteter Bewegung, umgeben vom Feuchtigkeits- und Schleimfilm. Dunkelheit, durchdrungen von prasselnden Tastimpulsen. Unterschiedliche Druckzonen der Umgebung, die mit jeder Bewegung aufgelockert, belüftet und durchquert wird. Plötzlich ein Hindernis, hart, unpassierbar, deshalb ausweichen, weitertasten, bis der Rand erreicht ist… Das Hindernis war ein Kieselstein, der augenblicklich die nächsten Informationen bot. Die Oberfläche war abgerundet und geschliffen, das Material bestand in erster Linie aus Quarz. Siliziumdioxid mit Verunreinigungen und Einschüssen
von Kalk, Tonerde, Eisenoxid und ähnlichen Verbindungen. Abrupt setzten Wahrnehmungen ganz anderer Art ein, quollen aus ferner Vergangenheit empor, als handle es sich um Gasblasen aus tiefstem Ozean: … aufsteigende Masse, brodelnd, zähflüssig, später erstarrend und kristallin ausfallend, wird in Druckzonen umgebildet und neu gruppiert: Krustenbewegungen bewirken Abbrechen und Splittern, Wind und Wasser sorgen im Wechsel mit der Temperatur für Erosion, weiteres Wasser bewegt das noch rauhe und kantige Fragment, reißt es langsam rollend mit, reibt und scheuert an der Oberfläche, deren Kanten und Ecken zu feinstem Schmirgel werden, bis die runde Kieselgestalt entstanden ist. Irgendwann wird der Stein abgelagert, ein versandendes Flußbett. Eingebettet in lehmigen Staub, erneut aufgeschwemmt, durch Bodenverschiebungen bewegt, bei Auffaltungen weitertransportiert, schließlich im Humusboden versunken – bis der Wurm daran stößt, eine erste Begegnung mit organischem Leben höherer Art seit langer Zeit… Im rasenden Zeitraffer hatte sich dem Priester die individuelle Geschichte des Kiesels offenbart, die in seinen Strukturen verborgen war und durch das Transzendentale aufgedeckt werden konnte. Zögernd löste sich der paranormale Sinn, kehrte wie ein zurückschnappendes Gummiband zum Ursprung zurück – und der Mann wurde sich seiner eingeschränkten Körperlichkeit wieder bewußt. Bewußtes Sein fokussierte auf enge Begrenzung, die Ego-Form gewann die Oberhand, so daß sich von der unbeschränkten, ganzheitlichen Offenheit nur ein schal wirkender Nachklang hielt. Thalom Goeto war sich inzwischen darüber im klaren, daß der Báalol-Kult eindeutig zweigeteilt agierte: Die offene Kultebene einschließlich der Abermillionen Anhänger war nur Fassade. Mochten die Priester noch so sehr von ihrem rechtschaffenen Tun überzeugt sein und es ehrlich meinen – auch sie gehörten dazu und würden, sollte es notwendig sein,
das Essoya-Opfer darstellen. Im Hintergrund nämlich steuerte die geheime Kultebene des Inneren Zirkels die maßgeblichen Traktorfelder und verfolgte Ziele, die mit dem vordergründigen Erscheinungsbild wenig gemeinsam hatten. Genau dagegen hatte sich Thalom Goeto vehement ausgesprochen – und umgehend die Quittung erhalten. In Stasis gelegt. Abgeschoben! Statt Aufstieg in der Hierarchie ein Absturz, den er vermutlich nie mehr in seinem Leben ausgleichen konnte. Einziger Trost war, daß Goeto sich selbst und seinen Prinzipien treu blieb. Er verkörperte das Báalolul, wie er es sah: zum Nutzen derer, die den meditativen Kultlehren folgten, zur körperlichen und geistigen Gesunderhaltung des Individuums. Diesen Weg konsequent weiterzubeschreiten, hatte der Hohepriester sich fest vorgenommen, wohlwissend, daß er am Ende zwischen zwei Schleusen im Vakuum schwebte: Für den Inneren Zirkel war er im gleichen Maß eine »unliebsame Person« oder bestenfalls ein »nützlicher Idiot«, wie er für den Herrscher des Kristallpalastes Anlaß zu Mißtrauen bot. Was er auch tat, es würde ihn eher noch mehr diskreditieren. Für den Inneren Zirkel war er nur eine austauschbare Garrabofigur, die sich nach Belieben auf dem Spielfeld verschieben ließ, und für Gonozal VIII. war und blieb er der Repräsentant einer obskuren Organisation, die ebenso wie ihre Ziele als suspekt eingestuft wurde, wenn nicht gar als Gefahr. Daß überdies seit einiger Zeit die massiv auftretenden Missionare des Tekteron-Bundes gleich in mehrfacher Hinsicht ein Problem darstellten, verschärfte die Situation noch. Mit den Tekteronii war ein fanatischer Konkurrent auf der Bühne erschienen, der nicht nur im zentralen Interessengebiet des Báalol-Kults agierte, sondern eindeutig als Feind angesehen werden mußte: Einerseits gingen Tekteronii direkt gegen Báalols und ihre Tempel auf Randwelten vor; zweitens
intrigierten sie geschickt im verborgenen, so daß eigene Aktivitäten letztlich den Báalols untergeschoben wurden oder der Eindruck entstand, Báalols und Tekteronii würden miteinander paktieren; drittens machte die Reine Lehre viele Anhänger abspenstig und schmälerte den Einfluß des BáalolKults insgesamt – und letztlich banden sie bei Gegenmaßnahmen so viele Kräfte, daß schon von dieser Seite her eine Schwächung zu verzeichnen war, weil den eigentlichen Aufgaben zu wenig Zeit gewidmet wurde. »Und nun befindet sich Gonozal auf Iprasa, um das Projekt der Großen Feuermutter zu verwirklichen!« Thalom Goeto stand auf, ordnete den Faltenwurf der violetten Robe und seufzte. »Wenn ich die Reine Lehre der Tekteronii richtig verstanden habe, wird sie dieses Vorhaben, falls es erfolgreich ist und sie davon erfahren sollten, noch fanatischer reagieren lassen! Beim Feuer der Wahrheit: Über dem Tai Ark’Tussan braut sich ein fürchterlicher Hyper-sturm zusammen!«
9. Aus: Welten des Großen Imperiums; autorisierte Info-Sammlung des Flotten-zentralkommandos (Geheimwelten unterliegen Zugriffskode #***-****.**), reich bebildert, 223. Auflage der Kristallchips, 19.015 da Ark Iprasa: Sechster Planet des Arkonsystems, dessen ursprünglicher Name Ranton arZhymi-Thos lautete (= Welt aus Feuer und Eis; Bedeutung Iprasa = Wanderschaft, Nomadentum). Mittlerer Bahnradius: 930 Millionen Kilometer. Planetarer Durchmesser: 15.696 Kilometer. Gravitation: 0,9 Gravos. Rotation: 25 h 11 min. Drei Monde (Hamar, Deldon, Kyndhon) bedingen die für Iprasa typischen geotektonischen Aktivitäten; Feuer und Eis bestimmen die Oberfläche der Welt. Gewaltige Bruch- und Rißzonen, deren
glühende Magmameere vom Weltraum deutlich zu erkennen sind, wechseln ab mit ausgedehnten Gletschern, Geröll- und Sandwüsten sowie kargen Tundren und Savannen. Vergleichsweise kleine Binnenmeere, seicht und von dichten Algenteppichen überwuchert, formen einen breiten Gürtel zu beiden Seiten des Äquators. Extrem artenarme Flora und Fauna; vorherrschend sind die mächtigen Tsobaldyr-Bäume und riesige Berkomnair-Herden, denen die Iprasaner als Nomadenkultur folgten. Seit 3880 da Ark erste und damit älteste Prüfungswelt der ARK SUMMIA, später auch Standort der berühmten Galaktonautischen Akademie (Dependancen auf Arkon I und III) und der Flottenoffiziersschule Bark-N’or. Zusammen mit den Planeten fünf, sieben und acht, die wie Iprasa über riesige AusweichHandelsraumhäfen verfügen, gehört der sechste Planet zum sogenannten »Inneren Festungsring« des Arkonsystems. Hauptstadt: Ikharsa. Iprasa, Initiationsreise zum »Tanz der Monde«: 12. Prago des Messon 19.017 von Arkon (= 16. Juni 2047 Terra-Standard) Gelangweilt hockte ich auf einem noch nicht aufgestellten Menhir und ließ die Beine baumeln. Ungeduldig wartete ich auf Meister Kon, der beim Meditationskreis seiner Artgenossen stand und mit Kymalthoran – einem der Begleiter unserer Reise – ein paraverbales Schwätzchen abhielt. Fünfzehn Zapfen, im Halbkreis angeordnet, hatten die Gijahthrakos bereits an diesem Ort der Kraft errichtet. Weitere fünfzehn mußten folgen, um den Cromlech zu vervollständigen. Ich sah nach oben: Rasch vorbeiziehende Wolkenfetzen bedeckten den mittäglichen Kupferhimmel über der GhillmoiHalbinsel. Zerklüftete Klippen, von kreischenden
Sturmseglern umgeben, glichen schwarzen Kronenspitzen. Das Plateau mit der Steinkreisbaustelle zwischen windgepeitschten Büschen und struppigem Küstengras fiel weiter links in eine Schlucht ab. Unter silbrigem Sprühen rauschte der Fosaar dreißig Meter tief in die Meeresbucht, in der anlaufende Brecher schäumten. Rund fünfhundert Kilometer nördlich des Äquators stand Arkon fast senkrecht im Zenit: heute nur als orange verfärbter Ball zwischen dünnen Ascheschleiern zu erkennen. In wenigen hundert Metern Entfernung war das Jurtenlager errichtet worden; Stampfen und Trompeten klangen von den Berkomnair herüber, Horimad-Klappern antwortete. Dank der Gijahthrakos traten die alten Dagorista-Traditionen wieder verstärkt ins Bewußtsein: Im ganzen Imperium waren »ZhySucher« unterwegs, um geeignete Feuertöchter und Eisjunker aufzuspüren und auszuwählen, damit sie gemäß der DagorInitiation der alten Iprasaner beim Tanz der Monde zur »Einheit« fanden. Rund vierhundert Frauen und Männer hatten die Vorauswahlen bestanden; meist handelte es sich um Arkoniden der Raumnomadenclans, aber auch Kolonialarkoniden – Prebonef, Ekhoniden, Zaliter –, einige Springer und erstaunlich viele Exoten – neben Naats, Orbeki und Longhonern sogar etliche Andooz und TrebolaSpinnenwesen. Für mich war es die Vorbereitung auf den beschwerlichen Weg hin zur Großen Feuermutter. Mit ihrer Hilfe, sollte es klappen, ließen sich vielleicht deutlich mehr Anwärter aufspüren – denn 400 zu 50.000 Milliarden war ein Anteil, dem kein Statistiker große Bedeutung beigemessen hätte. Seit dem 1. Messon waren wir unterwegs und lebten als Nomaden unter Bedingungen, die mich an die Jahrtausende auf Larsaf erinnerten. Als aufblitzende Sternschnuppe huschte der Begriff Wunderbare Karawane durch meinen Kopf: Immer
ostwärts, vorwärts, weiter! Das nervende Geschrei der Esel schien an meine Ohren zu dringen. Asyrta-Marayes schmales, von schwarzem Haar umrahmtes Gesicht erschien – und verblaßte augenblicklich. Nur vage hielt sich der Eindruck einer langen, beschwerlichen Reise. Uns stand ähnliches bevor. Bei einer Tagesleistung von kaum mehr als dreißig Kilometern waren an die 2000 Kilometer zu überwinden: Bis zum 31. Prago des Tedar mußten wir den Thalmad-Magmastrom erreicht haben, und dann… Lebe im Jetzt, Mann! zischte der Extrasinn. Wer zu weit in die Zukunft denkt, übersieht den Stolperstein vor der Nase! Ich nickte, von Frösteln heimgesucht. Ohne technische Ausstattung den Naturkräften Iprasas ausgesetzt zu sein stellte an alle Beteiligten Anforderungen, die ohne die Fähigkeiten der Feuertöchter kaum hätten erfüllt werden können: Zu Meditationskreisen vereint, katalytisch aktiviert durch die männliche Komponente der Eisjunker, schufen sie »Zonen der Harmonie«, selbst wenn nur tausend Meter nebenan ein Vulkanausbruch tobte. Meistens jedenfalls – Aussetzer waren nicht zu verhindern, die Kräfte mußten trainiert und aufeinander abgestimmt werden. Erst gegen Reiseende würden die jungen Frauen ihr Optimum erreichen. Vordergründig konnte der Vorgang im weitesten Sinne mit Telekinese »erklärt« werden, obwohl Aspekte hineinspielten, die einer außerordentlich exakt kalibrierten, permanent aufrechterhaltenen Semi-Transition entsprachen. Auf demselben Prinzip basierten Andruckabsorption und künstliche Schwerkraft, dem Prinzip einer asymptotischen Entrückung Richtung Hyperraum, ohne daß es letztlich zu einer Entmaterialisation kam. Im Gegensatz zu der vergleichsweise groben technischen Umsetzung erwies sich die Nutzung von Zhy als deutlich leistungsfähiger. Der Normalraum nahm hierbei einen Zustand geringerer Stabilität,
Festigkeit, Wirklichkeit an, ein an einen Traum erinnerndes Niveau, das bis zu einem gewissen Grad mit einer Überwindung oder gar Ausschaltung konventioneller Naturgesetze einherging. Permanente Traumzeit würden es die Aborigines wohl nennen, dachte ich. Für uns jedoch kein Aberglaube oder Hokuspokus, sondern tagtägliche Notwendigkeit zum Überleben. Und ein Zeichen, ergänzte der Logiksektor, wie wenig erforscht und bekannt die Hyper- und Paraphysik im Grunde ist! Irgendwann wird es vielleicht möglich sein, den hoch- und höchstfrequenten Bereich des hyperenergetischen Spektrums durch geeignete Aggregate zu nutzen. »Mag sein. Bis dahin bleibt’s Dagoristas und Mutanten vorbehalten«, murmelte ich und dachte an Kitais Bericht. Ohne ihre Parakräfte… »Technik ist häufig nur eine Krücke und erreicht nicht zwangsläufig die Qualität des Lebendigen.« Vor diesem Hintergrund befand sich auch Dagor in einem Spannungsfeld. Zwei Hauptströmungen mußten unterschieden werden: Die auf Meditation und Zurückgezogenheit ausgerichtete geistige – um nicht zu sagen geistliche – Ausrichtung durch Hochmeister, wie sie vor allem Gijahthrakos stellten, stand der weltlichen Orientierung des Arkon-Rittertums gegenüber, jedoch nicht als Gegensatz, sondern als harmonische Ergänzung, die im Ideal zur Einheit verschmolz. Das photographische Gedächtnis reproduzierte die vertrauten Stichworte, die sich mit meinen Gedanken vermischten: … mindestens fünfjährige Ausbildung. Ritterschlag gleich Meisterbrief, so daß sich als Rangfolge ergibt: Adepten, Meister, Großmeister, Hochmeister. Ein Dagorista hat die waffenlosen Kampftechniken zu beherrschen: Die mit den Kräften des Gegners arbeitende Verteidigung wird Kanth-Yrrh genannt, hinzu kommen Siima-Ley’-Griffe, Dagorcai als Übungsvortrag. Entspannung durch
Dagor-Semihypnose, Atemübungen… Weil grundsätzlich Einzelkämpfer, blieben die Arkon-Ritter Individualisten und entwickelten – auf den ersten Blick – absonderlich erscheinende Spezialwaffen und -konstruktionen. Reit-Kampfroboter mit Bioschichttarnung ebenso wie die legendären Ornithopter-Libellen. Grundausstattung sind stets das Dagorschwert und die Armmanschette zur Prallfeldschild-Projektion… Flüstern riß mich plötzlich aus den Gedanken. Ich rutschte vom Steinblock, umrundete ihn und sah verblüfft in das bleiche Gesicht, das sich mit breitem Grinsen aus dem Fels schob. Umhertastend zerfaserte Arme und ein spitz auslaufender Rumpf folgten. Kichernd umringten mich im nächsten Moment drei oder vier nebelhafte Gestalten; sie zerflossen zu konturlosen Schemen, mischten sich und gewannen neue Form. Alabasterlicht strahlte aus, trotzdem bemerkte ich nirgendwo Schatten. Meine Gedanken krochen wie durch zähen Asphalt; es gab ein unbestimmtes Wiedererkennen, aber es gelang mir nicht, die Schemen einzuordnen – bis die Trance unvermittelt wich und ich mich an Thom und die anderen Ereignisse auf Zhygor besann. »Träumst du, Atlan?« Kontaclatiis’ Stimme riß mich aus der Erstarrung. Ich drehte den Kopf, hob kraftlos den Arm und flüsterte: »Da… Nebelgestalten! Irrwische!« »Ich erkenne nichts.« Kon ergriff meine Hand und drückte sie fest. Verwirrt sah ich mich nach den Lichtgestalten um – sie waren verschwunden. »Wir befinden uns an einem Kraft-Ort; da kann’s zu Sinnestäuschungen kommen, wenn man Tagträume hat, Euer Erhabenheit.« »Aber…« Kon seufzte. »Ich bestreite nicht, daß du glaubst, etwas gesehen zu haben, Eisjunker Atlan. Du mußt lernen, subjektive Realitäten als solche zu erkennen.«
»Ich hab’s doch gesehen, Laktrote!« Betroffen fragte ich mich, weshalb er mir nicht glaubte. Er ist ein Dagor-Hochmeister – wie kann ihm ihre Anwesenheit entgangen sein? Oder waren sie wirklich nicht da? »Aber was genau? Ich konnte nichts wahrnehmen – keine Hyperemissionen, kein Zhy, nicht mal umhervagabundierende Elementargeister.« Ich machte einen weiteren Versuch: »Eine paravisuelle Fernwahrnehmung? Präkognition? Vom Cho übergesprungen?« »Eine Möglichkeit und als solche nicht das, was ist, sondern das, was könnte.« Kon wiegte den Kopf. »Verstehst du, auf was ich hinauswill, Adept? Ich bestreite nicht deine Wahrnehmung als solche, sondern mache darauf aufmerksam, daß sie nicht meine war. Realität ist stets die Übereinkunft vieler, die demselben Beschreibungsmuster der Umgebung angehören. Widersprüchliches wird deshalb nicht unmöglich und das Unverstandene keineswegs sinnlos.« Er winkte, ging zu einem dürren Strauch, brach einen Ast ab und entfernte alle Seitenzweige, bis eine Y-förmige Gabel zurückblieb; mit dieser wanderte er den unvollständigen Menhirkreis entlang. In regelmäßigen Abständen schlug die Rute heftig aus. »Was soll das, Kon?« sagte ich verärgert. »Was hat meine Wahrnehmung mit simplen physiologischen Mechanismen zu tun?« Er lachte und schulterte die Astgabel. »Letztlich sehr viel. Der Ast ist – ähnlich vielen anderen sogenannten Orakelformen – keine Antenne, und auch die Deutung als pure psychosomatische Reaktion bleibt nur eine Möglichkeit, eine Wahrheit. Wahres Sein ist, als Bestandteil Kosmischen Bewußtseins, mit omnipräsentem Wissen verbunden, dem Alles-Jetzt des Hyperraums. Wird auf dieses Potential reagiert,
lassen sich Informationen anzapfen. Körperliche Reaktion – oder wie in deinem Fall visuelle Wahrnehmung – ist eine Wechselwirkung, die anzeigt, daß Kosmisches Wissen kanalisiert wurde. Die korrekte Interpretation, mein Lieber, ist ein ganz anderer Kristall! Selbsttäuschungen, und seien sie unbewußt, sind hierbei zu eliminieren!« Er warf mir die Rute zu und ließ mich die Strecke abschreiten – mit kläglichem Ergebnis. Deprimiert gab ich Kon die Astgabel zurück. Von den übrigen Gijahthrakos drangen amüsierte Signale herüber, die hart an meinen Monoschirm klopften; einer trippelte – kaum eineinhalb Meter groß, zart und schmächtig – zu den Megalithen und versetzte einen in Levitation. Der fünf Meter lange Granitkoloß, an die fünfzehn Tonnen schwer, folgte dem Zwerg wie ein angeleintes Schoßtier und sank gehorsam in die Grube. Ein selbstironischer Gedanke ließ mich lächeln: Gucky, unser selbsternannter »Retter des Universums«, würde jetzt sagen: Ist doch ein Klacks! Sofort begann auf Parasinnesebene goldenes Licht in Korkenzieherspiralen zu strudeln und vereinte sich mit den Strömen der anderen Menhire und dem Netzwerk der ganzen Umgebung: Ganz deutlich fühlte ich die gefestigte Verbindung zum Cho-Käfer! Zartes Raunen entstand am Rand des Wachbewußtseins, Kühle strahlte von meiner Stirnmitte aus – und für Augenblicke durchdrang ein Leuchten meine Nomaden-Djellaba, begleitet von verstärktem Pulsieren des Zellaktivators: Irritiert tastete ich nach dem Metallei und bekam eine Gänsehaut. »Ich merke, daß sich dein Cho regt. Das müssen wir ausnutzen!« Kons Runzelgesicht zeigte ein aufmunterndes Lächeln. »Dem Trainierten hilft Intuition, dann offenbaren sich dem erstaunten Wachbewußtsein komplexe Ergebnisse!« Ich hob entschuldigend die Arme und sagte kleinlaut:
»Schon gut, Meister. Ich hab’ verstanden.« »Was machst du also, solltest du erneut Gespenster sehen?« »Ich frage sie, ob ich sie dir vorstellen darf…«, erwiderte ich grinsend und duckte mich schnell, weil Kon die Rute nach mir warf. Sie pfiff über mich hinweg, doch ehe ich aufatmen konnte, kehrte sie um und klopfte mir, wie als spöttisches Zeichen, zart auf die Schulter. Kon blieb betont ruhig. »Wenn du meinst, einen ThiLaktrote auf den Arm nehmen zu können, Imperator, bist du sicher in der Lage, gewichtigere Objekte zu befördern: Dort liegen vierzehn Steinchen – an die Arbeit, Adept!« Sprachlos sah ich den Gijahthrako an. Er hob die Hand. »Ich kenne deinen Einwand, und es gilt weiterhin das, was ich dir auf Zhygor sagte: Du bist kein Telekinet, kein Supermutant.« Die Ironie nahm einen fast bissigen Unterton an. »Aber Seiner Erhabenheit dürften der terranische Begriff Teamarbeit sicher vertraut sein?! Dort hinten im Lager langweilen sich Feuertöchter und Eisjunker. Also…!« Er blieb unerbittlich. Die Meditationskreise der Zhy-Famii lieferten die primäre Kraft. Meine Aufgabe war, diese zielgerichtet einzusetzen – genau wie es später bei der Großen Feuermutter der Fall sein sollte! Ich benötigte eine Woche, um den Cromlech zu vervollständigen, und verausgabte das Potential des Parasymbionten dabei voll und ganz. Alles Fluchen und Betteln half nicht, über die Arbeit vergaß ich sogar ihren Anlaß – die Lichtwesen – und schaffte es letztlich nur, weil der Ort der Kraft selbst ungeahnte Fähigkeiten weckte. Als ich endlich fertig war und stolz das Werk betrachtete, sagte Kontaclatiis leise: »Gute Arbeit, Euer Erhabenheit. Vor allem hast du gelernt, Respekt zu haben! Bald wird dein Cho die Schale brechen! Ich habe deine Wandlung gespürt: Anfänglich waren die Brocken für dich leblose Feinde, mit
denen du dich abmühtest; aber je mehr Achtung du ihnen und der Arbeit entgegengebracht hast, desto leichter wurde es.« Ich nickte zögernd und tastete fast liebevoll den letzten Block ab. Die goldenen Fächer über den dreißig Zapfen verschmolzen zum Baldachin, der mit den Strömen des übrigen Landes und denen der Meditationskreise im Gleichklang schwang. Zuvor vorhandene Turbulenzen und Disharmonien, tief unter dem Boden rumorend und auch im pfeifenden Wind spürbar, ebbten langsam ab. Erstaunt sah ich zum Himmel, der im zarten Rosa das Plateau überspannte. Wolken gab es keine, die Sonne sank rubinrot dem Horizont entgegen, und sogar das Kreischen der Sturmsegler gewann melodischen Ton. Die Friedlichkeit überwältigte mich fast – ich wußte, daß ein weiterer Punkt im großen Zhy-Geflecht von Iprasa entstanden war. Und ich bin Teil davon! »Harmonie von natürlichem und künstlichem Lebensraum«, flüsterte ich und sank auf die Knie. »Genau das müssen wir umsetzen! Im Imperium, auf Zhygor, überall!« Kon umarmte mich herzlich und klopfte auf meine Schulter; im Hintergrund erklang Jubel von den Feuertöchtern und Eisjunkern. »Du hast einen winzigen Schritt getan, Atlan. Ungezählte andere müssen folgen. Wahre Meisterschaft kennt keinen Stillstand!« Ich verbeugte mich und sagte: »Ich danke, Laktrote – in meinem und im Namen meines Teams!« Arkon I, Kristallpalast, Hallen der Geschichte: 28. Prago des Messon 19.017 von Arkon (= 5. Juli 2047 Terra-Standard) Die Szene besaß etwas Surreales, und doch stand sie – Laury Marten blieb verblüfft stehen – markant für die scheinbaren
Gegensätze im Großen Imperium insgesamt, für das Ineinander von Uraltem und Modernem, für Tradition und Fortschritt, für Erstarrung und Bewegung. Das »Büro« des Historikers und imperialen Archivars Hemmar Ta-Khalloup maß mehrere hundert Quadratmeter und öffnete sich an einer Längswand zur Parkterrasse hinaus: innen die Schaltpulte, Arbeitstische und positronischen Terminals, Roboter, die Hinterlassenschaften restaurierten und konservierten, von Kraftfeldern geschützte Regale mit Schriftrollen, Khasurnblattsammlungen und sonstige Aufzeichnungen in jeder nur denkbaren Art und Form – und außen üppig wachsende Pflanzen, schattenspendende Bäume, ein grottenförmig gestaltetes Felsarrangement mit leise plätscherndem Wasserspiel und Flächen mit sorgfältig zu Spiralen und Kreisen ausgelegtem Kies. Genau auf der Grenzlinie bewegte sich vor moosüberzogenem, hüfthohem Findling der gebeugte Körper des Arkoniden trotz seines Alters in katzenhaft geschmeidigen Figuren, die an eine Mischung von Kata und T’ai-chi-ch’uan erinnerten, jedoch die neunte Vortragsvariante des Dagorcai darstellten. Laury erkannte es an der schwierigen DoppeltrittUnterarmabwehr-Stoß-Kombination, die mehrfach Übungsbestandteil war. Der Historiker war barfuß und trug eine hellviolette Robe von Knielänge mit Stehkragen, weiten Dreiviertelärmeln und einer dunkel violetten Schärpe als Gürtel; bei seinem Anblick fühlte sich die Mutantin zum wiederholten Mal an eine Schildkröte erinnert: Der kantige Schädel mit langer Hakennase, dünnlippigem Mund und winzigen Ohrmuscheln war kahl, die pergamentene Haut fleckig, und Hunderte Falten umgaben den dünnen Hals. Hemmar Ta-Khalloup war 178 Arkonjahre alt, keineswegs degeneriert und erstaunlich rüstig. Als Wissenschaftler des nun abgesetzten Tai Than hatte er zu den wenigen Aktiven
gehört, ein Mann mit wachem Geist, aktiviertem Extrasinn und immensem Wissen, was die arkonidische Geschichte und historische Zusammenhänge betraf. Mit der abschließenden Verbeugung beendete er sein Dagorcai, winkte Laury und sagte mit heiserer Stimme: »Ah, meine junge, terranische Freundin! Pünktlich aufs hundertstel Tonta. Ich grüße Sie; die Augen der She’Huhan mögen stets wohlwollend auf Sie blicken.« »Danke, Erhabener.« Lächelnd hob sie die Rechte und legte sie auf die linke Brustseite. »Arkons Sternengötter auch mit Ihnen.« Er kicherte verhalten, tappte zum Servoautomaten an der Wand und tippte eine Kombination ein. »Was darf ich Ihnen anbieten? Ebenfalls einen Kaffee? Ah, ah, wenn es etwas gibt, mit dem Terra wirklich die Öde Insel beglückt, dann ist es dieses bemerkenswerte Produkt: anregend, wohlschmeckend, ein Genuß! Also zwei Kaffee, ah, ah, kommt sofort. Servo: Dort hinüber, Sitzgruppe zwei, und ja nichts verschütten. Justiere endlich deine Antigravprojektoren, du Blechkasten. Noch nie was von Selbstreparaturautomatik gehört? Ah, ah, wenn man nicht alles selbst macht…« Gebeugte, aber wieselhaft flinke Bewegungen, Arme gestikulierten, der kantige Schädel fuhr herum. »Milch, Zucker, meine Liebe? Nun setzen Sie sich doch! Kommen Sie, kommen Sie. Ah, ah, das Staunen in Ihrem Gesicht läßt mein schwaches Herz freudig springen; es macht Sie noch hübscher, junge Freundin! Sie wissen, wie Männer zu betören sind, mein Kompliment. Sogar die Farbe Ihres Haares harmoniert perfekt mit der des Kaffees. Perfekt, perfekt. Es könnte in diesem Augenblick… Aber ich schweife ab. Entschuldigen Sie die Schrullen eines alten Mannes.« Laury lachte herzlich, griff nach der herbeischwebenden Tasse, nippte daran und stellte sie auf die antigravgetragene Untertasse zurück. »Erhabener, Sie sind ein Charmeur!«
Breites Lächeln überzog sein Schildkrötengesicht, Erheiterung blitzte in tiefroten Augen auf. Die faltigdürre Hand führte die Tasse zum Mund, dann genußvolles Schlürfen – und fast übergangslos der Wandel hin zu Ernst und Nachdenklichkeit. »Sosehr ich das Plaudern mit Ihnen schätze, junge Freundin, heute möchte ich gleich zum Thema kommen. Ich bin da auf etwas gestoßen und benötige Ihre Hilfe. Ah, ah, wenn die vielfältigen, zum Teil sehr verschlüsselten Hinweise in einigen Kelchchroniken nur halbwegs der Wahrheit entsprechen, könnte es eine Sensation ersten Ranges und Seiner Erhabenheit äußerst hilfreich sein.« »Meine Hilfe? Ich stehe zur Verfügung, Erhabener.« »Gut, gut.« Das Verschmitzte kehrte zurück. »Die Sache ist folgende, meine Liebe: Es dreht sich um einen Datenspeicher, der, wie ich denke, wichtige Informationen beinhaltet. Sein Name wird lyrisch umschrieben als das Verlorene Juwel von Kariope. Es heißt, der Erste Gwalon habe in ihm Wissen abgelegt, das weit in die Vergangenheit zurückreicht. Stichwort: Erwachende Legenden. Ah, ah, bekanntlich war Gwalon jener Mann, der erstmals das Amt des Imperators übernahm. Der erste Höchstedle überhaupt! Sie kennen die Reichsinsignien? Darunter die Amtskette. Dreifach gereihte Hyperkristall-Medaillons, deren Gravuren von Arkons Aufstieg berichten. Gwalons Amtsantritt, Zentrumskrieg gegen die Stammväter, Talurs siegreiche Rückkehr zum Sternhaufen…« Geschmeidig stand Hemmar auf, winkte Laury und eilte zu einem Hufeisenpult, um dort in rascher Folge Dateien zu laden, die in aufklappenden Holofenstern Gestalt gewannen. Texte, Animationen, Standbildsequenzen entstanden. Laury zog einen Sessel heran und setzte sich. An die mitunter sprunghafte Art des Archivars war sie gewöhnt, und seine bisherigen Andeutungen machten sie mehr als neugierig.
»Ah, ah, wo ist es denn nun genau…« Hemmar beugte sich vor und las halblaut Indexeintragungen ab, während seine Finger über Trackball und Sensorpad strichen: »Artefakte des Großen Volks… Stammväter… Vergessene Positronik… Ring des Schreckens… Uninteressant, nicht das, was ich suche… Weiter: ah, da! Gwalon und das Kariope-Juwel!« Er wirbelte den Sessel herum, sein dürrer Zeigefinger wies auf eine Holokugel, in der ein blaufunkelnder Kristall erschien, dessen Form einer Doppelpyramide entsprach. »Ein Edelstein mit zwölfeckiger Äquatorfläche; wurde in der Seitenansicht als Kristallraute vor Thantur-Lok das Symbol der Kristallprinzen als designierter Nachfolger des jeweiligen Herrschers.« »Zwölf – die Zahl der mythischen Heroen, nicht wahr?« »Exakt. In ihrer Verdopplung – zwei mal zwölf – auch die Anzahl der She’Huhan; zwölf weibliche und zwölf männliche Sternengötter, die jeweils hälftig dem Unterreich, verkörpert durch das Große Schwarze Zentralloch, und dem Oberreich, symbolisiert durch die Sternenweite der Halo-Kugelhaufen, zugerechnet werden. Das nur nebenbei, meine Liebe. Ah, ah, die Kernstruktur des Kariope-Juwels soll ein OMIRGOS sein, ein Kristall der tausendvierundzwanzig Facetten. Wie auch immer: In einer Fußnote zur Biographie von Ragnaari dem Ersten, dem vierten Imperator, den schon seine Zeitgenossen den Großen nannten, fand ich einen entscheidenden Hinweis. In späterer Zeit wurde alles, was mit dem Juwel zusammenhängt, vielfältig ausgeschmückt, verzerrt, übertrieben, mystifiziert.« Der Historiker seufzte, ein versonnener Blick dunkelte das Rot der Augen ab. »Vor allem Darrid dem Ersten, Ragnaaris Nachfolger, wird eine verstärkte Geschichtsfälschung zugeschrieben, so daß heute nicht mehr nachzuvollziehen ist, ob der vierte Imperator tatsächlich auf Zhygor Kontakt zu ES hatte und sogar eine
Zelldusche erhielt. Seine lange Inthronisationszeit von 193 Arkonjahren könnte allerdings ein Indiz dafür sein. Ah, ah, die Zeit vor den ersten Imperatoren, von den Ereignissen, die zum Beginn der Arkonzeitrechnung führten, bis einschließlich Gwalons Machtübernahme, existiert heute nur noch als Legenden und Sagen. Mit mir sind sich die meisten Historiker einig, daß diese Epoche, fast 1800 Arkonjahre, nahezu vollständig ein Phantasieprodukt ist. Schlicht und einfach erfunden!« Laury runzelte die Stirn. Sie versuchte dem sprunghaften Redefluß des Historikers zu folgen, musterte die Holoprojektionen und überflog eingeblendete Textblöcke. »In der Ragnaari-Fußnote steht jedenfalls folgendes.« Hemmar zog das Fenster in den Vordergrand. »Ich zitiere:… stimmte der Einschätzung Gwalons zu, daß die Brisanz der Daten eines dauerhaften Schutzes bedürfe, und beließ das Juwel von Kariope, das fortan als das Verlorene galt, am von Gwalon ausgewählten Ort, wie er von Petesch dem Dritten aus dem Kelch derer von Bargk zur Verfügung gestellt wurde…« Er seufzte erneut und zählte aufgeregt an den Fingern auf: »Admiral Petesch war neben Admiral Talur, aus dem die Sprachabschleifung Thantur machte, maßgeblicher Flottenkommandeur unter Gwalon. Als dritter dieses Namens genau wie sein Vater und Großvater einer der besten Strategen, die das Imperium hervorgebracht hat! Mit seiner Hilfe kam Gwalon an die Macht. Zunächst ein strikt absolutistischer Imperialismus. Erst nach den als Zentrumskrieg bezeichneten Ereignissen, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden muß, gestattete Gwalon, als Geste guten Willens, die Konstituierung von Großem und Hohem Rat. Maßgeblicher Ausschuß des Tai Than wiederum war jene Gruppe, die mit dem Imperator die eigentliche Regierung stellte: der Zwölferrat. Damals gab es
den Kristallpalast noch nicht, der Tagungsort wurde allerdings schon Thek-Laktran genannt. Von einer Expedition in die Öde Insel brachte nun Petesch einen riesigen Bmera-sath mit, einen blauschimmernden Halbedelstein von – umgerechnet auf Ihre Einheiten – fast 25 Metern Durchmesser. Aus diesem wurde dann ein 20 Meter langer Tisch geschliffen. Sie kennen ihn, Laury…« Sie zögerte, sagte dann: »Der Bmerasath im Konferenzraum neben dem Saal der Weisen!« »Richtig. Und wenn die Fußnote zutrifft, muß sich das Kariope-Juwel in ihm befinden! Versteckt in einem Geheimfach oder auf besondere Weise mit der Materie verschmolzen. Etwas in dieser Art.« »Ich soll das Juwel herauslösen? Möglichst so natürlich, daß der Tisch nicht beschädigt wird?« Laury Martens Kraft zur Desintegration, ihre zweite Fähigkeit neben der Telepathie und im allgemeinen als Sonderform der Telekinese umschrieben, gestattete es ihr, Molekularstrukturen zu beeinflussen und aufzulösen, das Aufgelöste dann aber auch zur alten Form zu reintegrieren, so daß sie beispielsweise durch Wände gehen konnte. »Und dann?« Der alte Archivar grinste. »Wird sich zeigen, ob wir die gespeicherten Daten aufrufen und entschlüsseln können!« Sie stand auf und zeigte aus dem Büro hinaus. »Also los, Erhabener!« »Ah, ah, diese terranische Vitalität, Energie und Entschlußkraft!« Er wiegte den Kopf und kicherte. »Ziel erkannt und losstürmen. Haben Sie Nachsicht mit einem alten Mann, junge Freundin. Die spröden Knochen wollen nicht mehr ganz so, wie es der Wille gerne hätte.« Laury kicherte unterdrückt. Hemmar untertrieb gewaltig: Sie hatte sein Dagorcai gesehen und wußte, wozu er in der Lage war. Sein Hinweis auf das Alter war nur Koketterie,
ebenso sein betontes Ächzen und Seufzen, mit dem er nun ebenfalls aufstand und gebeugt neben der Mutantin herging. Die Eröffnungen des Historikers hatten sie in gespannte Erregung versetzt. Wie viele Geheimnisse Arkons mögen noch in uralten, längst vergessenen Objekten schlummern? dachte sie. Das ist ein Schatz, mit dem sie wuchern könnten! Mein Gott, neunzehn Arkonjahrtausende: ein gewaltiger Berg von Wissen, Erfahrungen, Daten! Wer sollte das alles jemals sichten und verarbeiten? Wieviel wird wohl für immer verborgen bleiben und nie wieder ans Tageslicht kommen? Es ist ein Jammer. Der Weg zum Bmerasath-Konferenzsaal führte sie fast zur gegenüberliegenden Kelchseite des Kristallpalasts und zwei Etagen tiefer; Servos reagierten auf Zuruf, kaum daß sie die Arkaden durchschritten und auf den Ringkorridor hinausgetreten waren, und umhüllten sie mit feldenergetischen Antigravsphären. Der Kristallpalast besaß die Ausmaße einer Stadt und machte moderne Transportmittel notwendig, sollte es nicht auf stundenlangen Fußmarsch hinauslaufen. Hemmar Ta-Khalloup schien – vielleicht unterstützt durch einen Hinweis seines Logiksektors – Laury Martens Überlegungen zu erahnen; er sagte: »In seiner heute bekannten äußeren Form entstand der Kristallpalast auf Befehl von Zakhagrim dem Dritten, etwa ab 2455 da Ark. Ah, ah, eigentlich fertig wurde er bis heute nicht: Immer wieder gab es Umbauten, Änderungen der inneren Architektur, Einbauten neuer Technik. Nicht einmal in der Großpositronik ist ein kompletter Plan abgespeichert, und sogar Abtastungen und Durchleuchtungen dürften wegen tausendfältiger Absicherungen, Tarneinrichtungen, Kraftund Deflektorfeldern scheitern. Ganz zu schweigen, ah, ah, von den Geheimgängen, rein mechanischen Systemen und Dingen
dieser Art. Eine Durchforschung der Khasurn-Archive könnte zwar das eine oder andere offenlegen, doch aufs Ganze betrachtet… Nur so gelang es damals diesem Báalol, Seiner Erhabenheit Zellschwingungsaktivator zu stehlen. Nebenbei, meine Liebe, gibt es Neues von Iprasa?« Laury dachte an die letzten Berichte. Verbunden damit die Assoziation, daß die Suche nach dem Andooz ergebnislos hatte abgebrochen werden müssen. Fehlanzeige auf der ganzen Linie! Sogar den dünnsten Hinweisen wurde nachgegangen. Nichts. Alles verläuft im Sand. Die AZTU VI ist und bleibt verschollen, auch das eine Sackgasse. Es wurde zwar festgestellt, daß die Impulsstrahler intensiver hyperenergetischer Strahlung ausgesetzt waren, nicht aber, wo und wann genau. Suchschiffe der Großpositronik fliegen die Sogmanton-Barriere entlang, konnten jedoch bislang nichts entdek-ken. Beim Eindringen in die turbulente Zone gingen schon zwei Robotkreuzer verloren. Und der Chef macht gewissermaßen, wie Ras es nannte, Abenteuerurlaub. »Das übliche Bulletin, Erhabener. Die Karawane zieht weiter, kämpft mit der Natur und mit sich selbst, überwindet Schwäche und Erschöpfung. Bislang mußten fünfzehn Teilnehmer wegen Verletzungen ausscheiden. Ansonsten halten sich die Gijahthrakos bedeckt. Nicht einmal Killan erfährt Einzelheiten, wenn er in unregelmäßigen Abständen den Chef zum Rapport besucht.« Sie kicherte, stellte sich den Stabschef mit dem Mardergesicht vor und vor ihm Atlan. »Ein bemerkenswertes Bild: Der Mispaner mit seinem Filofax unter dem Arm steht in geschniegelter Uniform einem unrasierten, verschwitzten, verdreckten, barbarisch gekleideten Chef gegenüber und berichtet über die neuesten Entwicklungen im Imperium. Wie ich Atlan kenne, macht ihm das Ganze vermutlich sogar höllisch Spaß. Würde er natürlich niemals zugeben, aber…« Hemmar wiegte den Kopf. »Ah, ah, Spaß? Da bin ich nicht
so sicher. Imperator Gonozal ist ein verantwortungsbewußter Mann. Er weiß um die Bürde, die mit dieser Reise verbunden ist.« »Das bestreite ich nicht, Erhabener. Andererseits sollten Sie seine Lebenserfahrung nicht vernachlässigen, das, was ihn in den letzten zehn Jahrtausenden geprägt hat! Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, was er alles erlebt, wem er leibhaftig gegenübergestanden hat! Ob altägyptische Pharaonen, persische Könige, Kublai Khan, Kolumbus, Magellan, Napoleon oder wer auch immer -wenn man seine beiläufigen Andeutungen genau verfolgt, scheint es kaum eine wichtige Persönlichkeit der irdischen Geschichte zu geben, mit der der Chef nicht zu tun hatte. Wenn ich mir das vor Augen führe, komme ich mir häufig verdammt winzig vor, und es macht mir bewußt, was relative Unsterblichkeit tatsächlich bedeutet.« »Ah, ah, junge Freundin!« Der Historiker musterte sie von der Seite und reckte dabei den faltigen Hals. »Wenn ich richtig informiert bin, gehören Sie doch ebenfalls zum erlesenen Kreis derer, die in den unschätzbaren Genuß biologischer Langlebigkeit gekommen sind.« Während die Antigravsphären sie geräuschlos weitertrugen, sah Laury verlegen zu Boden. Jeder Zellduschenempfänger kannte die markante Szene genau: Rhodans erster Kontakt mit ES auf Wanderer, Crest und Thora auf dem Weg zum Physiotron, brutal vom Fiktivwesen gestoppt, weil die »verfügbare Zeitspanne« abgelaufen sei. Statt dessen der Hinweis, daß nun die Terraner eine Chance erhielten, genau wie sie die Arkoniden erhalten hätten. »Ob’s ein unschätzbarer Genuß ist, Erhabener, muß sich erst erweisen«, sagte sie leise. »Ja, es stimmt. Mit vielen anderen Mutanten und ausgewählten Mitarbeitern erhielt ich nach Rhodans Flug nach Barkon meine erste Zelldusche. Während für Rhodan, Gucky und Sengu fast eine Woche verging, waren
es für uns auf der DRUSUS nur vier Stunden. Das Datum werde ich nie vergessen: erster Oktober 2044. Im biologischen Alter von 27 Jahren quasi konserviert, so daß erst in 62 Jahren…« Die schwarzhaarige Mutantin stockte, und Hemmar war einfühlsam genug, nicht nachzuhaken. Schweigend, in Gedanken versunken, glitten sie weiter. Laury dachte an ihre Eltern, auch sie waren zellgeduschtlanglebig. Seit einiger Zeit kriselte es zwischen ihnen; Aspekte wirkten hinein, die in direktem Zusammenhang mit der Zelldusche standen: Eine Ehe »bis daß der Tod euch scheide« wirkte auf Langlebige im höchsten Maße paradox; überdies wurde vieles verstärkt unter langfristigen Gesichtspunkten betrachtet. In den Jahrzehnten, als die Erde noch als vernichtet galt, war alles beschaulicher gewesen. Mit der Rückkehr auf die galaktopolitische Bühne, vermehrt noch, seit Atlan Imperator von Arkon war, kam es zur forcierten Expansion des Solaren Imperiums. Und mit der Ausdehnung ins All stieg proportional die Anzahl von Krisenfällen und Aufträgen. Die Korpsmutanten sind zu häufig und zu lange an verschiedensten Schauplätzen im Einsatz, von einem normalen Familienleben kann nicht die Rede sein, Entfremdung ist die Folge. Ma und Dad gehen seit Jahren verschiedene Wege, und auch ich habe nur ein paarmal mit ihnen Hyperfunkkontakt gehabt. Langsam begreife ich wirklich, was Einsamkeit heißen kann. Den Einsamen der Zeit hat man den Chef genannt – so zutreffend es ist, so bedrohlich ist das, was dahintersteckt. Je größer der Wunsch nach Geborgenheit und Nähe einerseits wird, desto mehr scheint man sich auf der anderen Seite abzukapseln und ins langlebige Schneckenhaus zurückzuziehen. Man hat ja Zeit. Viel Zeit. Und bleibt jung. Was sind da schon ein paar Jahre oder Jahrzehnte… Verdammt! Für die Dauer eines Wimpernschlags huschte das Bild Khol Trayz’ durch ihren Kopf, und die Erinnerung an sein Flirten
am Abend der Investitur versetzte der jungen Frau einen Stich. Khols Gesicht überlappte mit dem Rodrigos, lebhaft stand ihr die erste Begegnung auf Tolimon vor Augen, als er aus dem Seitenportal des nachgebildeten Aztekenpalastes trat. Groß, breitschultrig, dunkelgelockt. Er hatte vor ihr den Hut gezogen, elegant der Kratzfuß – so genannt, eine weitere Erinnerung an ein Gespräch mit Atlan, weil mit einem Fuß bei der höflichen, tiefen Verbeugung eine kreisförmige, scharrende Bewegung gemacht wurde. »Graf Rodrigo de Berceo, Sohn der aztekischen Prinzessin Uxatelxin und des spanischen Grafen Juan de Berceo, im Jahre des Heils 1652 in Mexiko geboren und im Alter von 22 Jahren nach Tolimon entführt worden…« – Der Gedanke an seine Stimme ließ Laury schaudern. Sein glühender Blick, der Stolz im Gesicht und in der gesamten Haltung, passend zur Kleidung: Stulpenstiefel, ärmelloses Wams, schneeweißes Spitzenhemd, Wehrgehänge mit dem Degen. Plötzlich hatte er vor ihr gekniet, ihre Hand an seine Lippen gedrückt und um Verzeihung für das Feuer in seinem Herzen gebeten… Vorbei! Er ist tot! Mühsam rief sich Laury zur Ordnung, verdrängte nagenden Schmerz und unerfüllte Liebe. Nimm dir ein Beispiel am Chef: Im Gegensatz zu dir mußte er das Hunderte Male durchstehen und hat’s überwunden, wenn auch um den Preis einer Kluft, die sogar normalen Leuten bewußt wird. Laury Marten gestand sich ein, daß sie dem Arkoniden mehr als nur Respekt entgegenbrachte, daß sie ihn verehrte, seit sie auf Arkon war, vielleicht sogar noch mehr als den Ersten Administrator. Beide Männer besaßen Charisma, ihre Persönlichkeit konnte – obwohl sie es gar nicht wollten – andere fast erdrücken. Im Gegensatz zu Perry Rhodan schwang bei Atlan überdies stets die immense Lebenserfahrung mit, eine subtile Aura des Abgeklärten, Wissenden, Überlegenen. Ein tüchtiger Schuß Selbstironie
verhinderte, daß mit diesem Eindruck Arroganz verbunden wurde, gleichwohl war Atlans Hang zum Sarkasmus, manchmal ins Zynische abdriftend, nicht jedermanns Geschmack. Die mit einem herausragenden Amt verbundene Überhöhung traf für ihn im vielfach verstärkten Maß zu, ein Vergleich zu irdischen Beispielen war nicht mal ansatzweise möglich. Imperator von Arkon! Staatschef eines unvorstellbaren Gebildes mit Billionen Lebewesen! Eines Reiches, das an allen Ecken und Enden überzukochen droht, hauchdünn die Grenze zum totalen Chaos. Um hier nicht überfordert zu werden, bedarf es vermutlich wirklich einer Unterstützung, wie sie nur ein Kollektiv von der Art der Großen Feuermutter bieten kann! Eisige Wellen glitten Laurys Wirbelsäule entlang, sämtliche Muskeln schienen zu verkrampfen. Ich kann Atlans Zögern nur zu gut verstehen, und doch gibt es vermutlich keine Alternative. Es muß gelingen! Ihre innere Aufgewühltheit bestand auch noch, als sie mit dem Archivar den Konferenzraum betrat und den überdimensionierten Halbedelstein betrachtete, den meisterhafte Bearbeitung in einen »Tisch« verwandelt hatte. Langgestreckt-oval der Grundriß, trichterhaft verjüngt das Dutzend »Tischbeine«, spiegelglatt die aufgedampfte Arkonstahl-Arbeitsfläche. Im Zentrum eine brusthoch aufragende Zwölfeckpyramide. In den hochlehnigen Sesseln für Zwölferrat, Adjutanten und Sekretäre hatte vermutlich schon Jahre niemand mehr gesessen, um maßgebliche Entscheidungen zu treffen, die über Wohl und Wehe des Tai Ark’Tussan entschieden. Und doch gab es im Saal den Nachklang einstiger Größe, eine ehrfurchtgebietende Atmosphäre, die fast zwangsläufig zum Senken der Stimme veranlaßte, zu behutsamen Bewegungen und respektvoller Zurückhaltung. An diesem Ort wurden für Jahrtausende Gesetze, Befehle
und Erlasse diskutiert und beschlossen. Hier tagten jene alten Arkoniden, die das Imperium vom Kugelsternhaufen auf die Milchstraße ausdehnten, die gegen die Methanatmer kämpften, über das Schicksal Tausender Welten bestimmten – und schließlich an ihrer eigenen Größe förmlich erstickten, von Robotern und High-Tech umsorgt, bis Niedergang und Degeneration folgten. Nach unglaublichem Aufstieg ein um so tieferer Fall: erstarrt die Gesellschaft, scheinbar ohne wirklichen Anreiz das Leben bestbehüteter, mit allem denkbaren Luxus ausgestatteten Würdenträgern, so daß nur Scheinwirklichkeiten wie die der Fiktiv- und Simultanspiele noch den letzten Kick boten. Ohnmacht, Wut und Trauer mischten sich in Laury, und Hemmars leiser Seufzer bewies, daß ihn ähnliches bewegte. Der alte Mann und die junge Mutantin tauschten einen Blick, dann machte sie sich an die Arbeit und fokussierte ihre Parakräfte, tastete mit unsichtbaren Fingern den Konferenztisch ab und wurde nach zehn Minuten erstmals fündig. Es gab keinen in das Material des Halbedelsteins eingelassenen Fremdkörper, aber zwischen den Molekularstrukturen zeichnete sich, je mehr Laury sich darauf konzentrierte, das Wirbeln eines energetischen Musters ab. Laurys Fähigkeit zur Des- und Reintegration von Materie umfaßte neben dem Zugriff auf Masse auch den auf Energie, denn beides waren Teilkomponenten dessen, was als Materie umschrieben wurde! Behutsam griff sie nach dem Muster, versuchte es einzuengen und außerhalb des Tisches zur erstarrten Form zu bringen: Die ersten Versuche schlugen fehl; ein glitschiger Fisch konnte nicht schwerer zu fassen sein. Dieses Beispiel vor Augen, dosierte die Mutantin ihren Zugriff. Nicht zu viel Druck ausüben! Nur so viel; bis das Gebilde fixiert ist. Und jetzt ganz vorsichtig zur Seite bewegen. Mist, was ist denn
das? Eine Reaktion? Streustrahlung? Für Augenblicke stieg eine paranormale Eruption aus dem Bmerasath, »blendete« die junge Frau. Pulsierendes Goldleuchten hüllte den Raum ein und verflüchtigte sich so schnell, wie es erschienen war. Aber Laury hatte Erfolg: Faustgroß klirrte ein blauer Kristall über die Tischplatte und kam zur Ruhe. »Geschafft!« flüsterte sie erschöpft. »Nun sind Sie an der Reihe, Erhabener.« Außer einem »Ah, ah« brachte Hemmar Ta-Khalloup keinen Ton über die dünnen Lippen – und seine Sprachlosigkeit nahm in den nächsten Tagen und Wochen eher zu. Daß dem Juwel von Kariope tatsächlich Informationen und Daten aufgeprägt waren, stand rasch fest; Art und Weise der Einprägung, der verwendete Basiskode – gewissermaßen das zugrundeliegende »Betriebssystem« – und schließlich die Verschlüsselung der Dateiinhalte an sich stellten den Archivar dagegen vor ein Problem, das sogar mit Hilfe der Großpositronik von Arkon III unlösbar erschien. Nur ein Teil der von Laury erkannten Muster hatten feste Stofflichkeit angenommen, der Rest verblieb in hyperenergetischer Konfiguration, überdies nicht in räumlich scharfer Form lokalisierbar, sondern holographisch über den ganzen Kristall verteilt, so daß die Informationen ebenfalls holographischer Natur waren. Schon hierbei stellte die vollständige Erfassung die erste Hürde dar: Es gab Abschnitte, die weit in höchstfrequente Spektralbänder reichten und in ihren Spitzenwerten die Empfindlichkeit der Meßgeräte überforderten. Ohne vollständige Erfassung der Gesamtinformation mußte jedoch der Versuch ihrer Entschlüsselung Stückwerk bleiben, denn die eigentliche Arbeit folgte erst danach: Übersetzung und Interpretation der
fremden Sprache als Ableitung aus den verwendeten Symbolen. Vergleichsdaten und Hinweise auf den maßgeblichen Schlüssel waren, dessen war der Archivar Mitte des Tedar überzeugt, Voraussetzung, um überhaupt einen Ansatz zu finden. Also begann Hemmar, sämtliche ihm zugänglichen Archive und Datenquellen abzusuchen, selbst wenn sie nur vage auf Gwalon und seine Zeit hindeuteten. Altspeicher der Großpositronik erwiesen sich hierbei zunächst als vielversprechend, leider blieb dem alten Arkoniden der Zugriff auf viele Sektoren verwehrt: Zugangsberechtigung besaß ausschließlich der Imperator! »Und der ist auf Iprasa und hat anderes im Kopf!« murmelte Hemmar, vom letzten Mißerfolg deprimiert. »Dabei hat der Prago so vielversprechend begonnen.« Das Hinzuziehen von Mascant Tokootlameer hatte insofern ein erstes handfestes Ergebnis gebracht, als seine Analyse mittels Gijahthrako-Technik eindeutig ergab, daß die Informationen in genau 1024 Teilabschnitte – »Dateien« oder »Kapitel« – gegliedert waren. Vier davon waren ziemlich klein, unverschlüsselt und in altarkonidischer Sprache abgefaßt. »Vorworte, Hinweise und allgemeine Belehrungen, die Gwalon dem eigentlichen Inhalt voranstellte.« Hemmar seufzte, starrte auf die Holoprojek-tionen und das im Kraftfeld über dem Pult rotierende Juwel und reckte knackende Arme. »Große Gefahr, uralte, schlummernde Hinterlassenschaften, nichts Konkretes. Nur der Hinweis, daß die Hauptdateien die maßgeblichen Sternenmythen samt den Kommentaren dazu beinhalten, scheint interessant zu sein. Von wem und aus welcher Zeit diese Informationen ursprünglich stammen, bleibt offen. Und an die Hauptdateien komme ich, bei den Kristallobelisken von Arbaraith, weiterhin nicht heran.«
Ein scharrendes Geräusch ließ den Alten zusammenzucken. Der gellenden Warnung des Extrasinns folgte sofortige Reaktion, wie sie sie nur Absolventen des dritten ARK SUMMIA-Grades entwickeln konnten: Hemmar warf sich zur Seite und robbte, keinen weiteren Augenblick verschwendend, zwischen mannshohe Positronikblöcke, während hinter ihm der Sessel, vom fauchenden Impuls eines Luccot getroffen, zur expandierenden Glutkugel wurde. Ein mörderischer Hitzeschwall fauchte über Hemmar hinweg, zwei weitere Schüsse zerfetzten Schaltpult und das Juwel; er bemerkte es in den Winkeln geblendet tränender Augen, und ein Wimmern quetschte sich aus seiner Brust. Keuchend kroch der Archivar weiter, versuchte den Standort des unsichtbaren Feindes auszumachen. Deflektor! signalisierte der Logiksektor eiskalt. Eindringen über die Terrasse. Hastig tastete Hemmar an den linken Arm – doch die Metallspange mit dem multifunktionellen Gerät hatte er vor Tontas aus Bequemlichkeit abgelegt. In Gedanken fluchend, suchte er fiebernd nach einem Ausweg. Er war unbewaffnet und ungeschützt, eine Flucht ziemlich aussichtslos. Zwar waren die Schüsse zweifellos angemessen worden, doch bis Hilfe kam… – Schon näherten sich leise Schritte, wurden lauter, waren bedrohlich nahe. »Servo!« schrie Hemmar. »Licht aus!« Die Anlage reagierte, eine Verwünschung klang durch die Dunkelheit. Dann fauchten und krachten Schüsse in schneller Folge. Rings um den Archivar explodierten Tische, Regale und Vitrinen. Er keuchte, hastete geduckt und im Zickzack blindlings voran, fühlte, daß heiße Splitter und glutflüssige Tropfen seinen Körper trafen, hechtete hinter eine Säule, rollte ab und krümmte sich schmerzerfüllt zusammen. Aus! schoß es ihm durch den Kopf.
Fern wirkte metallisches Scheppern, ins helle Singen von abgefeuerten Desintegratoren mischten sich weitere LuccotImpulse. Überall waren Feuer, Glut, beißender Qualm. Hemmars Herz pochte wild, Schwäche und Schmerz wurden zum funkendurchsetzten Vorhang. Plötzliche Stille riß den Mann aus dem Dämmer. Verschwommen sah er das Gesicht Laury Martens. »Ah, ah, junge… Freundin…« »Nicht sprechen, Hemmar. Der Medotank kommt sofort.« »Das Juwel… verloren, zerstört…« »Nein!« Etwas Blaufunkelndes erschien in seinem Blickfeld; eine rauhe Stimme – Hemmar glaubte Peter Kosnow zu erkennen – drang unnatürlich laut an seine Ohren. »Völlig unbeschädigt! Mann, Sie müssen mit Ihren Nachforschungen mitten in ein Wespennest gestochen haben! Fortan gilt erhöhte Sicherheitsbereitschaft für den gesamten Hügel der Weisen. Erhabener, Sie hatten unverschämtes Glück! Leider wurde der Attentäter nicht lebend gestellt, so daß…« Der Rest wurde unverständlich. Hemmar bekam kaum mit, daß ihn Robotarme sanft anhoben und in den Medotank legten, dessen Nanoroboter, Sensoren und Tentakel sofort mit der Arbeit begannen. Schmerzstillende Injektionen zischten. Ein letzter Blick galt dem Juwel von Kariope in Laurys Hand – dann versank Hemmar Ta-Khalloup in wogender Schwärze. Unbeschädigt – unglaublich! Ich hab’ doch gesehen, wie… Also nichts verloren… Kann später… Iprasa, nahe dem Thalmad-Magmastrom: 31. Prago des Tedar 19.017 von Arkon (= 20. August 2047 Terra-Standard) »… endet die lange Initiationsreise mit dem Tanz der Monde.« Kymalthoran sprach mit weithin schallender Stimme, obwohl
er sich wie alle Gijahthrakos in zwergenhaft schmächtiger Körpermaske zeigte. »67 Pragos lang habt ihr, Feuertöchter und Eisjunker, das Leben der Vorfahren nachvollzogen.« Wir standen im weiten Halbkreis vor dem Weisen, Frauen und Männer, gekleidet in die traditionellen Nomadengewänder. Hell kondensierten Atemwolken in der kühlen Luft. Vom Zhor-Gletscher wehte ein eisiger Wind herüber, der sich mit den Ausdünstungen heißer Quellen zu flockigen Nebelschwaden vereinte. »Ihr seid den Herden gefolgt und den Naturkräften ausgesetzt gewesen. Jetzt ist die Zeit reif für den Tanz.« Hinter dem Gijah-Weisen schoß brodelnd und fauchend ein Geysir empor; vielfach mannshoch ragte die schäumende Fontäne auf, bevor sie in sich zusammenbrach und uns mit einem feinen Tröpfchenregen übergoß. Die Berkomnair-Herde stampfte nervös, beruhigte sich jedoch, als das Klappern der Horimad-Scheren erklang. »Die letzte Etappe werdet ihr getrennt gehen, und erst der Tanz wird euch zusammenführen!« rief Kymalfhoran. »Geht nun, Feuertöchter, und erwartet als Zhy-Famii die Junker aus dem Eis.« Ich nickte unwillkürlich. Im Verlauf der Reise hatten die Frauen ihre ausgeprägten Paragaben vielfach unter Beweis gestellt und die Naturkräfte kontrolliert. »Jawohl, Erhabener!« riefen die jungen Frauen im Chor, hoben grüßend die Arme und eilten davon. Bald verschmolzen die sandfarbenen Roben mit dem farbenprächtigen Funkeln der Sinterterrassen. Noch stand Arkon eine Handbreit über dem Horizont; Staub in der Hochatmosphäre schuf einen purpurnen Halo. »Ich fühle mich denkbar unwohl«, raunte Ceshal neben mir; er hatte es sich ebensowenig wie Khol ausreden lassen, mich zu begleiten. Die Ausläufer des Zhor-Gletschers im Westen begannen,
lange Schatten zu werfen. Zerklüftete Steilwände, teilweise von Ascheablagerungen marmoriert, glitzerten entlang der Abbruchkante wie Juwelen. »Furcht vor dem Unbekannten schärft die Sinne.« Khol Trayz klopfte Ceshal und mir auf die Schultern; wir grinsten nur müde. »Du bist kaum halb so selbstsicher, wie du dich gibst«, sagte ich. »Dein trüber Blick spricht für sich.« »Eisjunker!« rief der Gijahthrako. »Brecht das Lager ab, kümmert euch um die Herde.« Jeder wußte, was er zu tun hatte; die lange Reise verlieh uns die notwendige Routine. Am Rand der Moränenausläufer, wo die schotterige, grauschwarze Geröllfläche in die Abstufungen der Sinterterrassen überging, erhoben sich am Rand des Tsobaldyr-Hains unsere Jurten. Die Männer rollten eilig die abdeckenden Lederplanen zusammen und begannen, die Holzgestänge abzubauen. Bleib wachsam, Mann. Den letzten Abschnitt der Reise müßt ihr ohne die Unterstützung der Frauen zurücklegen! Ceshal und Khol schienen ähnliche Hinweise ihrer inneren Stimmen erhalten zu haben; ihre Bewegungen erstarrten für einige Augenblicke. »Atlan?« rief Khol Trayz. Ich sprang hinzu und half ihm, die Plane zu einem Ballen zu rollen. »Was denkst du?« Der junge Mann ächzte und knüpfte die Knoten der Packschnüre. »Hat sich der Aufwand der Reise gelohnt?« »Zumindest waren mit ihr außergewöhnliche Erfahrungen verbunden«, sagte ich. »Außerdem steht der Höhepunkt noch aus. Abwarten!« Während die anderen unsere Jurte weiter zerlegten, trugen wir den Ballen zum Last-Berkomnair hinüber, hievten ihn auf den Rücken und schlossen die Gurtschnallen des Tragegestells.
»Ist das alles?« Ich zögerte mit der. Antwort, lud mir ein Bündel Jurtenstangen auf die Schultern und trottete zum Berkomnair. »Ich bin unsicher und verwirrt.« Die Hiobsbotschaften aus dem Imperium hatten sich zum Glück in Grenzen gehalten. Der Anschlag auf Hemmar hatte gezeigt, daß er auf der richtigen Spur sein mußte. Inzwischen waren seine Verletzungen verheilt und er mit neuem Elan an die Arbeit gegangen, doch Ergebnisse konnte er nicht vorweisen. Das Juwel von Kariope erwies sich als kaum knackbare Nuß. Seit ich von den Ereignissen wußte, tanzten vage Begriffe in meinem Kopf, ohne daß ich konkret mit ihnen Wissen hätte verbinden können. Es glich einem auf, der Zunge liegenden Wort, das einfach nicht zu fassen war: Gwalon… Farthu von Lloonet… Fartuloon… OMIRGOS… Letzter Calurier… Irgendwie gab es da einen Zusammenhang, aber er wollte mir nicht einfallen. Sobald ich nachdachte, schien mein Gehirn von einem Schleier verhüllt. »Mir sind die Rituale unserer Ahnen keineswegs näher. Ich wuchs in einem Habitat auf!« Khol klopfte versonnen den Rüssel des Berkomnair. Ich stieß ihn an, und wir eilten zur Jurte, wo Ceshal ungeduldig wartete. Grimmig sagte Khol: »Die Vorstellung, unter freiem Himmel leben zu müssen, ließ mich vor Beginn der Reise schaudern.« Ich grinste. »Und jetzt?« »Erst recht.« An der Schwelle zum Wachbewußtsein schwirrten Informationen durcheinander: Die Habitate waren meist aus Asteroiden erbaute, fernflugtaugliche »Lebensinseln« der Raumnomadenclans, ausgestattet mit Impulstriebwerken für Sublichtflug und gewaltigen Strukturfeldkonvertern zur Transition, die zu Hunderten vor allem Thantur-Lok
durchquerten. Weil der Zugang nur Clanmitgliedern gestattet war, rankten sich viele Gerüchte um die Habitate -einige mehr als hundert Kilometer im Durchmesser und ausgehöhlt wie Schweizer Käse! So hieß es, die Transitionen seien nur möglich, weil die Riesenobjekte von Zhy-Famii auf paramechanische Weise bewegt würden. Ich, als Imperator, wußte, daß es so war! »Iprasa war und ist etwas Besonderes«, sagte ich halblaut und schloß die Gurtschlaufe, »das hat mir die Reise erneut bewiesen. Meine Akademiezeit liegt mehr als zehntausend Jahre zurück. Die Reise hat mir weniger ausgemacht, das ritualisierte Leben im Großen Imperium aber… Ich war wohl zu lange fort!« »Das betonst du seit unserer ersten Begegnung, Euer Erhabenheit.« Khol neigte den Kopf. »Trotzdem Verstehe ich dich. Du hast mit der Trägheit der Gesellschaft und dem Kristallprotokoll Probleme, ich habe mit den Folgen naturverbundenen Lebens zu kämpfen. So trägt jeder seinen Logiksektor.« »Wie wahr.« »Du bist nichts anderes als ein verweichlichter Habitatier.« Ceshal da Ragnaari knurrte und wuchtete Khol ein Bündel auf, so daß der in die Knie ging. »Kein Wunder, daß das Große Imperium am Rande des Abgrunds steht – bei solchen…« »Ein Wort noch, und ich schlag’ dir die Stangen um die Ohren!« knirschte Khol zwischen den Zähnen hervor. »Falls du nicht vorher zusammenbrichst.« Beide lachten. Ich griff nach einem Ballen Abdeckplanen und folgte dem neuen Freund, dessen wehleidige Art bloß Maske war. Khol Trayz war führender Dagormeister des Trayz-Clans – einer der besten Nahkämpfer, die ich kannte. Der Großteil der Berkomnair-Herde drängte sich abseits des Jurtenlagers. Lange Rüsselnasen tasteten nach kargem Moos-
und Flechtenbewuchs, der aus den Anschwemmungen sproß, die die Gletscherbäche in einer Senke abgelagert hatten. Die angebundenen Horimad verhinderten, daß sich die Herde über den Tsobaldyr-Hain hermachte. Tausende dieser knolligen Gewächse mit bizarren Kristallblüten, von TaaInsekten angepflanzt, durchdrangen mit ihren ausgedehnten Wurzelgeflechten die nährstoffreichen Mineralablagerungen. »Trotz allem bin ich froh«, ächzte Khol, während wir die Bodenmatten der Jurte zusammenrafften, »wenn ich wieder normale Umgebung um mich habe, ein festes Dach über dem Kopf. Noch besser wäre der Weltraum.« Er konnte stundenlang von der Schwärze schwärmen, dem kalten und fernen Glühen Abertausender Sterne, vom Glitzern ThanturLoks. Ich brummte: »Wart’s ab, Raumnomade. Die Meister des Klosters sind Sklaventreiber. Du wirst dich hierher zurückwünschen.« Am Fuß der Sinterterrassen, von heißen Schlammseen, fauchenden Solfataren und dampfumwehten Aschefeldern umgeben, ragte die dunkle Taa-Pyramide auf. Zwischen weißen Schwaden eilten raschelnd und knisternd kleine Taa-Arbeiterinnen umher, bauten und werkelten an der porösen Pyramidenoberfläche, schleppten Schlammkugeln auf Chitinrücken und besserten allein ihnen ersichtliche Schäden aus. »Nie!« behauptete Khol. Er bemerkte meinen umherschweifenden Blick und schüttelte sich. »Überallhin, nicht hierher! Ich liebe Taas, wenn sie durch ein Habitat wimmeln. Es gibt kaum bessere Baumeister. Hier sind sie und ihre Stamm-Mütter unheimlich und mir in jeder Hinsicht fremd.« Ich nickte und erinnerte mich, daß tief im Inneren der Pyramide die Stamm-Mutter als Zentrum der
Kollektivintelligenz thronte. Auf Iprasa gab es etwa achthundert solcher Taa-Stämme, jeder für sich eine Einheit, trotz der Trennung in Millionen Leiber. Jede Arbeiterin, jeder Soldat, jede Brutpflegerin eines Stammes entsprach einem Organ oder einer Gewebeansammlung in meinem Körper; erst die Gesamtheit der Taas formte Bewußtsein und Wahres Sein des Zhy. »Mit ihnen ist der Grundstock der Raumnomadenkultur verbunden«, sagte ich. »Ohne sie wärst du nicht das, was du bist.« »Eben!« Khol schwieg und starrte zur Taa-Pyramide hinüber, als könne er von ihr direkt ins nächste Habitat springen. Die Taas waren faszinierend: Sofern fünf und mehr Stämme zusammenfanden, entstand ein gemeinsames Bewußtseinsfeld, das direkten Einfluß auf die Materie der Umgebung ausüben und sie nach Belieben wandeln konnte. Unter der Anleitung von Gijahthrakos und Feuerfrauen hatten es die Taas verstanden, zunächst Rohstoffe aus taubem Gestein und später sogar ausgereifte Fertigprodukte aller Art herzustellen, damals, in den »Archaischen Perioden«. Im Gegenzug lieferten ihnen die Nomaden hyperaktive Fünf-D-Kristalle, deren Ausstrahlungen die Bewußtseinsfelder der Taas stabilisierten. Vereinte Parakräfte von Feuertöchtern und Eisjunkern schufen sie – und das heutige Ritual, hieß es, diene dazu… Mit Einbruch der Dunkelheit war das Lager abgebrochen und die zerlegten Jurten auf Berkomnairrücken verstaut. Der Himmel blieb klar, von vereinzelten Wolkentürmen und hochschwebenden Staubfahnen abgesehen. Die Sterne Thantur-Loks formten einen himmelsumspannenden Cluster, und im Osten stieg voll und bleich der erste Mond empor;
Hamar, genannt der Eisige. Die Scheibe, silbrigblau und von einem zarten Linienmuster überzogen, stieg rasch höher. »Sobald Kyndhon sichtbar wird«, rief Kymalthoran laut, »beginnt der letzte Reiseabschnitt. Deldons Schein wird uns dann bis zur Eisgrotte begleiten.« »Verstanden.« Ich lief zu meinem Horimad, überprüfte die Sattelgurte und beruhigte das Tier mit leichten Schlägen auf das Cephalothorax-Segment. Die auf beweglichen Stielen sitzenden Facettenaugen schimmerten im Mondlicht; silbrig im Zentrum, perlmuttern an den Rändern. Die kräftigen Gliedmaßen der acht Beinpaare raschelten, klackend öffneten und schlossen sich die meterlangen Scheren der beiden ersten Beinpaare. Ich klopfte auf die blauschwarze Panzerung. »Ruhig, Alter, ganz ruhig.« Im Norden wurde die Nacht von feurigem Schein erhellt, der eine langgestreckte Sichel über dem Horizont formte. Dorthin waren die Feuertöchter verschwunden; sie würden uns am Thalmad-Magmastrom erwarten. Mit Erscheinen aller drei Monde erreichten seine Fontänenschleier die höchste Eruptionsdichte. Kymalthoran schrie: »Männer! Das Goldene Kind erscheint! Der Tanz der Monde hat begonnen!« Von Südosten her warf der ebenfalls aufgestiegene Deldon sein gelbliches Licht. Klein und golden schimmerte Kyndhon über dem Horizont. Der Schnelläufer unter den drei Monden würde bald die beiden anderen »überholen«. Unterschiedliche Umlaufzeiten bedingten einen wahren »Tanz«, der schon unsere Vorfahren aus verständlichen Gründen faszinierte. Selbst heute, im Zeitalter moderner Weltraumfahrt, war es ein phantastisches Schauspiel. Ich schwang mich in den Sattel und griff nach den vier langen Antennenfühlern. Mein Horimad erstarrte für einen Augenblick. »Reitet zur Eisgrotte!« rief der Gijahthrako. Mehr als
zweihundert Eisjunker, angehende Adepten des Zhy-Klosters, lenkten ihre Horimad in Position. Kreischen und Trompeten gingen von der Berkomnair-Herde aus, als wir die Tiere aufscheuchten und vor uns herzutreiben begannen. »Atlan, dort, links.« Khol trieb sein Horimad an. »Sie versuchen auszubrechen!« Ich griff fester nach den Antennen, und raschelnd ruckten die Beine meines Tieres, bewegten sich im komplizierten Wellentakt schneller. Hoch erhobene Scheren klapperten laut, bis der Pulk Berkomnair zur Herde zurücktrottete. Staub wallte unter Säulenbeinen empor, Geröll kollerte zur Seite. Wir näherten uns rasch dem flachen Gletscherausläufer. Rechts ragten wuchtige Basaltsäulen auf. Eine stinkende Schwefelwasserstoffwolke wehte über uns hinweg. Ceshal wies nach vorne: »Dort, die Eisgrotte!« Als hoher Brückenbogen wölbte sich die Öffnung im Gletschereis. Das Becken davor quoll über. Klares Wasser strömte in Bächen zu den Sinterterrassen, rauschte über Kanten und sprudelte in Engpässen. Dampf waberte aus der Grotte, vereinzelt fauchten kleine Geysire. Mittelpunkt der Gletscherhöhle war der Kristall, ein bläulich fluoreszierendes Gebilde, dessen Ausstrahlungen mir Schauer über den Rücken jagten. Die Tiere verharrten in unnatürlicher Ruhe, Rüsselnasen bewegten sich schnüffelnd. Nacheinander ließen sich die Tiere nieder und sanken zu Boden. Deutlich fühlte auch ich das schläfrig machende Locken des Kristalls und riß mich zusammen. Kymalthoran trieb uns zur Eile an. Die Männer sprangen von ihren Horimad und näherten sich dem Wasserbecken. Im Laufen streifte ich meine Kleidung ab und stieg ins warme Wasser. Rituelle Waschung; daß daran nichts Lächerliches war, bemerkte ich, als ich aus dem Wasser kam. Feine Partikel hafteten an meiner Haut; sie stammten vom
Kristall und wirkten belebend aufs Bewußtsein. Sanftes Pochen zog vom Zellaktivator durch meinen Leib, und eine Vision suchte mich heim: Glitzernde Wolken gingen vom Kristall aus und formten sonderbare Fasern. Aus Schemen entstanden Gestalten, die Silberkugeln in ihren Händen hielten. Blendende Helligkeit strahlte von den Kugeln aus, verdichtete sich zu dünnen Linien und bildete ein gleißendes Oktaeder. Ein lautloses Signal huschte heran: »Die Kraft des Kosmos gehört dem, der sie behütet und beherrscht. Achtet das grundlegende Gesetz: Wahres Sein ist das Kostbarste, ihm gehorcht das Transzendentale, das Gleißende Licht von Zhy…« Kymalthorans Stimme riß mich aus den Paraströmen: »Aufsitzen, Eisjunker. Die Feuertöchter erwarten euch. Und auch die alten Feuermütter.« Der Gijahthrako wies zum Magmastrom, von dem heller Feuerschein ausging. Fauchende Glutfahnen eruptierten. Knisternd prasselte kochendes Gestein nach allen Seiten. Ich sah zum Himmel. Kyndhon überholte Deldon; die Monde ordneten sich zum gleichseitigen Dreieck. Ich reihte mich in die Formation ein. In breiter Front ritten wir, nackt und mit von Kristallpartikeln bestäubter Haut, an ölig schimmernden Lachen und einem brennenden Asphaltsumpf vorbei. Die Kristalle wirkten auf meinen Geist ein, alles gewann fremdartige Dimension. Wirre Gedanken stiegen in mir empor. Farben nie gekannter Leuchtkraft schillerten über der schwarzen Lavawüste. Horimadscheren klapperten rhythmisch, vor uns glühte ein Höllenfeuer. Ein Singen in der Ferne, zunächst kaum wahrnehmbar, schwoll zu einem lauten Chor an. Ich keuchte, als ich den Rand des Magmastroms erreichte. »Ich glaub’, ich träume!« Glühendes Gestein floß in einem breiten Kanal. Im Zentrum stoben immer wieder Lavafontänen in die Höhe. Gläsernes
Knirschen erklang, wenn die Massen zersprangen. Dunklere Inseln trieben auf der feurigen Oberfläche, Schlieren entstanden, Krusten platzten auf, Risse eilten dahin und schlossen sich wieder. Mitten im brodelnden Inferno, auf einer fest wirkenden Säule, standen unbekleidete Feuertöchter wie Statuen aus poliertem Kupfer. Alte Feuermütter wieselten am Rand des Magmakanals umher. Ihre schrillen Stimmen überdeckten den Chor der Töchter: »Da kommen sie. Eisjunker nennen sie sich! Ha! Nasse Kinder sind’s. Lächerliche Gestalten.« – »Unglaublich häßlich, kraftlos und schlapp.« – »Daß sie überhaupt wagen, am Tanz, der Monde teilzunehmen…« Ich verstand kaum, was sie uns an Schmähungen, Beleidigungen und Vorwürfen zuriefen. Ringsum tänzelten Horimad, Scheren klapperten schneller. Ich keuchte. Mit halb geschlossenen Augen starrte ich zur Insel. Im Brodeln der heißen Luft verschwammen alle Konturen, dennoch glaubte ich, eine der jungen Frauen deutlicher zu erkennen. Sie lächelte, und ihr ausgestreckter Zeigefinger deutete auf meine Brust. »Dich wähle ich!« Ihre Lippen bewegten sich nicht; ein Signal, das an Eindeutigkeit nichts missen ließ, aber nicht mit Telepathie verwechselt werden durfte – paraverbale Kommunikation nannten es die Gijahthrakos, weil es kein Gedankenlesen war, sondern auf unmittelbare Interaktion beruhender Informationsaustausch. »Komm zu mir, Eisjunker! Ich helfe dir!« Ich zögerte. Jemand schlug gegen mein linkes Bein. »Du bist unwürdig, ausgewählt zu werden.« Die schwarz verschleierte Frau keifte durchdringend. »Du bist ein Nichts, ein Niemand!« Ihre Fäuste hämmerten auf den Horimadpanzer ein. Andere Frauen beschimpften Khol und Ceshal. Mein Horimad tänzelte im Kreis. Ich hatte Mühe, es zu bändigen.
»Ich, Tatjana Michalowna, rufe dich.« Das Parasignal gewann an Intensität, wurde zur unwiderstehlichen Verlockung. Die Frau streckte die Arme aus. Nur zögernd wich meine Verblüffung, in ihr die terranische Mutantin zu erkennen! Ihre Augen waren geschlossen. Zunehmend dunkelte kochendes Gestein zwischen der Insel und diesseitigem Ufer ab: Die Kruste einer schmalen Brücke entsteht! »Ich bin eine Zhy-Fam, Atlan! Vertrau mir! Nur dann kannst du zu mir gelangen!« Bilder springen plötzlich von Tatjana Michalowna auf mich über. Bilder ihrer Erinnerungen. Iprasa, Zhy-Kloster, eine Periode zuvor, der 29. Messon: Kristallsäulen dröhnten in den Hallen. Novizinnen hoben Schlegel im monotonen Takt. Im Zentrum des Innenhofes ragte ein massiver Granitwürfel auf, vor dem Tatjana Michalowna neben einer Feuermutter stand. »Ursprünglich ein abergläubisch verbrämtes, aber intuitives Erkennen von Naturzusammenhängen, entwickelte sich die mystische Verbundenheit mit der Welt über Jahrtausende zum ritualisierten Verhaltens Schema.« Die Stimme der alten Zhy-Fam war ein heiseres Flüstern. Knochige Finger, von faltigbrauner Haut umhüllt, tätschelten Tatjanas Wange. »Es beherrschte die Formen des Iprasa-Zusammenlebens. Besonders Feuerfrauen, schon immer mit Paragaben ausgestattet, erlangten in den Archaischen Perioden den unumstrittenen Status von Priesterherrscherinnen nach dem Vorbild der Arkanta von Hocatarr: Feuermütter, denen die Innere Schau zu eigen war wie die natürliche Eigenschaft, Leben zu gebären! Dir ist die etymologische Ableitung bewußt, Töchterchen? Fam steht für Frau, Tochter und Mutter, je nach Satzzusammenhang also potentielle oder seiende Lebensspenderin, denn Fama bedeutet Leben in all seinen Ausprägungen. Davon abgeleitet beispielsweise die
Abschiedsformel Famal Gosner – lebt wohl! Gosner wiederum beruht auf der Wurzel Gos, dem Wohlgestalteten, Makellosen, und steht im allgemeinen für Kristall – Eis, also Thos, gründet auf gleichem Phonem. Thos’athor kannst du am besten mit Eisjunker übersetzen; der Gos’athor ist der Kristallprinz und ein Has’athor ein Admiral…« Von Tatjanas Gesicht wanderte die Hand zum Block und strich über die polierte Oberfläche. Helle und dunkle Körnung, vermischt mit glitzernden Quarzpartikeln, bestimmte die Tiefengesteinstruktur. Kälte durchzog Tatjanas nackten Körper; Schulterblätter und Gesäß berührten Granit, der warm im Vergleich zur eisigen Ausstrahlung der Feuermutter wirkte. Die Stimme der Kuttengestalt keuchte: »Auch den mehr zum äußeren Handeln neigenden Männern sind besondere Gaben latent zu eigen; meist werden sie aber verdrängt und nicht genutzt. Erst in der Kombination von Eisjunkern und Feuertöchtern gewinnt die freigesetzte Kraft Gestalt. Wir nennen es Omir-Gos: das Manifestiert-Makellose als ein aus dem Zhy Bewußten Seins materialisierter Kristall, gekennzeichnet durch seine tausendvierundzwanzig Facetten: zwei hoch zehn. Ich will sehen, was du kannst, Feuertochter!« Die dürre Hand fuhr unvermittelt in Granit, als handelte es sich um weiche Butter; ein tiefer Abdruck blieb, während über der Handfläche das herausgelöste Stück von unsichtbaren Kräften zur faustgroßen Kugel modelliert wurde. Tatjana schloß die Augen und bemerkte mit steigender Konzentration, daß ihr Körper, durch paranormal induzierte Semi-Transition entrückt, langsam im Steinblock versank. »Die Schulung der Gijahthrakos machte klar, daß sich jedes Wesen durch eine eigentümliche Doppelnatur auszeichnet.« Die Stimme wurde zum Wispern. »Eine Dichotomie, vergleichbar der Welle-Teilchen-Dualität: Im dynamischen Spannungsverhältnis zwischen der Erfahrung einer
begrenzten Existenz als materielles Objekt und der Identifikation mit einem schier grenzenlosen Bewußtseinsfeld müssen alle Wesen je nach Blickwinkel als einzelne körperlichsubstantielle Teile wie auch als Existenzen ohne Begrenzung aufgefaßt werden, die die Beschränkungen von Raum, Zeit und linearer Kausalität zu überschreiten vermögen.« Knistern durchzog den Würfel, bevor schwarze Risse über die Oberfläche liefen. Kleine Stücke bröckelten zu Boden, Staub rieselte. Eine Kante, schräg abgeschnitten, geriet ins Rutschen und polterte nach einem schwerelosen Augenblick nieder. »Mit der Großen Feuermutter manifestiert sich künstlich ein Geschöpf, das, ohne die Vermittlung normaler Sinne, zu unterschiedlichsten Aspekten der Realität Zugang hat und den Dagor-Mystizismus auf eine neue Basis stellt«, sagte die Feuerfrau und beobachtete Tatjana. Die Spalten wurden größer. Ganze Segmente sprangen klirrend davon und offenbarten langsam eine Statue. »Rituale und Verhaltensweisen sind Hilfsmittel. Die wahren Kräfte lassen sich quantitativ und qualitativ definieren, und immer mehr Einzelwesen werden sich ihrer Möglichkeiten bewußt, wenn sie den Meditationen des Dagor folgen – insbesondere natürlich der Imperator, wenn er denn den Kuß empfangen hat.« Die Alte umrundete das Standbild mit geneigtem Kopf. Ihr Kichern übertönte das Vibrieren von Kristallsäulen. »Töchterchen, dieser Arkonide muß dich mächtig beeindruckt haben!« Lebensecht war die Modellierung von Muskeln und Sehnen, dick wanden sich Venen, sogar das Haar war naturalistisch. Tatjana öffnete die Augen und betrachtete das steinerne Abbild Atlans. Sie sagte schlicht: »Ich liebe ihn!« Die Alte seufzte. »Zwar emotional geprägt deine
Demonstration, aber nicht schlecht. Denk dran, Töchterchen, daß deine Kräfte aus dem Inneren kommen! Sie sind da, sogar wenn du nackt bist!« Tatjana verneigte sich. »Die Gijahthrakos sind ein Leitbild, Tochter!« Ächzend ließ sich die Feuerfrau auf einem Granitbruchstück nieder. »Bei ihnen bestimmt das Transzendentale in einem Ausmaß das Leben, daß nicht mal substantielle Modifikationen im Sinne von Aggregaten zum Erzielen von Wirkung benötigt werden. Darauf berufe dich, meine Liebe: Alles ist gewissermaßen lebendig, bewußt, anpassungsfähig, beliebig form- und veränderbar. Kein festgefügtes Ist, sondern ein variables Kann, das sich an gegebenen Soll-Zuständen orientiert. Potential, manifestiert nach Bedarf!« Tatjana kniete nieder und schlug die Hände vors Gesicht. »Na, na, Töchterchen«, murmelte die alte Frau, als Tatjana leise schluchzte. »Der Imperator ist ein aufgeschlossener Mann – und Schönheit keineswegs abgeneigt, wie man sagt. Unterschätz weder deine Chancen noch deine Möglichkeiten!« »Ich wollte es nicht, aber ich hab’ mich in ihn verliebt. Ich ging, versuchte es zu verdrängen. Es half nicht. Ich weiß jetzt, daß ich ihn wirklich liebe! Deshalb kam ich zurück. Aber wie soll ich…? Er ist der Imperator! Ein Unsterblicher! Uralt…« »Zhy ist das Maßgebliche, Wahres Bewußtes Sein manifestiert Materie. Im Kosmos ist alles mit allem verbunden. Das Holistische des Hyperraums, durch Parakräfte genutzt, läßt Potential zu unmittelbarer Wirkung werden. Meditiere, Töchterchen – du bist diesem erstaunlichen Mann nahe, auch wenn er sich dessen noch nicht bewußt ist! In dir ist die Kraft! Ihr kann er nicht widerstehen, denn er braucht jemanden wie dich so nötig wie die Luft zum Atmen. Du weißt, was du zu tun hast, Töchterchen: Wenn er am Tanz der Monde teilnimmt,
sei bereit – und dann wähle ihn, wie es einer Feuertochter von Iprasa seit Urzeiten zusteht! Ich sage, daß er mit Freude die Wahl annimmt, denn Seine Erhabenheit besitzt die Klugheit und Erfahrung des Alters.« Tatjana nickte zögernd und sagte: »Ich danke, Zhdopan.« Der Übergang zur Gegenwart kam abrupt. Ich achtete nicht länger auf die Beschimpfungen der Alten, sondern packte die Antennenfühler fester. Zögernd tasteten die Beinpaare nach der Brücke. Tatjana stand hoch aufgerichtet vor mir. Helle Lichtreflexe tanzten über Bauch und Brüste. »Vorwärts, Alter!« rief ich, und mein Horimad stieg über das Magma hinweg. Die Hitze raubte mir fast den Atem, doch meine Haut blieb weiterhin kühl. Der Kristallstaub begann zu leuchten. Eisjunker und Feuertöchter! wisperte mein Extrasinn. Verstehst du die tiefere Bedeutung? »Ja!« schrie ich. »Ja, verdammt, ich verstehe!« Im kleinen ist es die Vorwegnahme dessen, was Große Feuermutter und Imperator beim »Kuß« zur Einheit macht! Je mehr Männer den Magmastrom betraten, desto breiter und fester wurde der von den Frauen geschaffene Übergang. Trotzdem drohten einige Reiter mit ihren Tieren im Magma zu versinken. Sofort entstehende Kraftfelder retteten sie, aber sie würden das Zhy-Kloster nicht betreten. Im Gegensatz zu den Urzeiten, aus denen das Ritual stammte, ermöglichte ihnen heute moderne Technik das Überleben. Nicht alle Feuertöchter trafen eine Wahl. Mit einem Blick über die Schulter sah ich, daß etliche Eisjunker unschlüssig zurückblieben. Auch sie haben verloren! Das Latente läßt sich nicht in allen Fällen wecken! raunte der Logiksektor. Die feste Insel vergrößerte sich zusehends, und hinter den Frauen, von wabernder Luft verzerrt, formte Licht die feste Gestalt eines kantigen Kristalls, eingehüllt in eine pulsierende goldene
Sphäre. Du kennst das, Imperator, erinnere dich endlich: Fartuloons OMIRGOS auf Gortavor! Dein alter Lehrmeister, der sich selbst als »letzten Calurier« bezeichnete, war tiefer in die Dagor-Mysterien eingeweiht, als du je dachtest! »In der Tat«, flüsterte ich, dachte an meine Vision und Gwalons Juwel von Kariope. »Die Feuerfrauen erschaffen Hyperkristalle! Etwas Ähnliches muß das Juwel sein.« Kristalle, die als Tausch und Handelsobjekt den Taas angeboten wurden, ergänzte mein Logiksektor. Und als Katalysator bedarf es der männlichen Komponente – verkörpert von den Eisjunkern! Ich beugte mich vor und umfaßte, als Tatjana die Augen öffnete, ihre Taille. Ich hob die Frau zu mir in den Sattel, und sie schmiegte sich an mich. »In den Omirgos, mein Junker! Reite in den Kristall hinein!« flüsterte sie an meinem Ohr. Das Horimad bäumte sich auf, als uns die schimmernde Masse wie Quecksilber umfloß. Goldenwarm hüllten uns wattige Wolken ein, nur am Rande erfaßte ich die dimensionale Verzerrung der konventionellen Welt. Totale Traumzeit! »Ich habe dich gewählt, wie es uralter Brauch ist, mein Imperator.« Ihre Lippen streiften mein Ohr. »Wir Feuerfrauen allein dürfen wählen!« »Und ich«, sagte ich, sie an mich pressend, »nehme die Wahl an. Ich danke dir, Tatjana Michalowna.« Um uns herum war goldenes Licht, ich glaubte zu schweben, auf dem schwarzgepanzerten Horimad zu fliegen, und Tatjanas warmer Leib drängte sich fordernd an mich. Später glitten wir aneinandergepreßt durch milchige Schwaden der parainduzierten Sphäre, die, von den OmirgosKräften stabilisiert, als eine Art »Nische« in den Hyperraum ragte, und die Individualauren unserer Bewußtseinssphären überlappten einander. Ich fühlte ihre Verwirrung und aufstei-
gende Angst, als Tatjana unvermittelt zu zittern begann: Gläserne Kügelchen scheinen plötzlich von überall zu kommen, durchdringen unsere Körper mit schmerzhaften Stichen. Undeutlich glaube ich eine Kugel zu sehen, von deren Oberfläche lange Stachelausleger aufragen. Aus dem Schatten eines Planeten schiebt sich ein Mond hervor, der mir merkwürdigfalsch und unwirklich vorkommt. Tatjana schrie und klammerte sich an mich. Ihr Körper zuckte wie unter unsichtbaren Einschlägen. »Fremdes Leben«, keuchte sie. »Es quält mich. Ich kann nicht klar denken. Was ist das?« Ich streichelte beruhigend ihren Rücken. »Ruhig, Liebste«, flüsterte ich. »Es ist eine Vision, es passiert nicht jetzt.« »Aber vielleicht in der Zukunft?« »Ich weiß es nicht.« Während sie sich langsam beruhigte, versuchte ich des kalten Angstgefühls Herr zu werden, das mich mit Gewalt überfiel. Das Gefühl, einer großen Gefahr ausgesetzt zu sein, wurde beklemmend. Tatjana vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter; stumm versuchten wir, einander Halt zu geben, ohne zu wissen, welche Bedeutung die verwirrende Wahrnehmung hatte.
10. Aus: Heroen-Sagas – hier: Tran-Atlan (Kurzfassung); Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte Zu jener fernen Zeit, da das sagenhafte Land Arbaraith von fürchterlichen Bestien heimgesucht wurde, machte Tran-Atlan, der Schwertkämpfer und Barde, als einer der zwölf Heroen von sich reden und ging als mythischer Gründer der ersten arkonidischen Dagor-Schule in die Sage ein: Im Kampf gegen die Bestien zunächst besiegt, zog sich der Heroe
für lange Zeit in die Einsamkeit zurück, meditierte beim Lyraspiel, so daß es die Kristallobelisken zum Mitschwingen brachte, und entwickelte die Grundtechniken des Da-Gor – meist als »All-Kampf« übersetzt –, bis er sich ausreichend gerüstet sah, den Kampf erneut aufzunehmen. Andere Heroen und Schüler, vom Klingen der Obelisken angelockt, ließen sich von Tran-Atlan unterweisen und setzten die Dagor-Tradition fort, nachdem der Heroe die Bestien zwar vertrieben hatte, in dieser gewaltigen Schlacht aber schwer verwundet worden war. Im Mitgefühl für den mit dem Tod Ringenden läuteten die Kristallobelisken von Arbaraith so laut und grell, daß sie den Heroen samt dem Land Arbaraith auf eine »Oberton-Oktave« anhoben, somit entrückten und für immer unzugänglich machten. TranAtlans Schüler aber gelangten nach Arkon, lebten fortan als ruhmreiche Dagoristas, begründeten das traditionsreiche ArkonRittertum, und der Tag von Tran-Atlans Entrückung wurde zum Beginn der Arkon-Zeitrechnung… Iprasa, Zhy-Kloster: 31. Prago des Tedar 19.017 von Arkon (= 20. August 2047 Terra-Standard) Ich konnte nicht schlafen. Unruhig wälzte ich mich hin und her und verwünschte das leise, aber aufdringliche Flüstern in meinem Kopf. Neben mir schlummerte Tanja tief und fest, ihr Atem war ruhig und gleichmäßig. Das Dunkel der Klause war vom Lumineszenzleuchten des Pseudo-Käfers durchdrungen. Zwar war der Käfer immer noch verkapselt, doch bestand seit Einzug ins Kloster vor etwa zehn Stunden eine lautlose Verbindung. Vermutlich eine Folge der beim Tanz der Monde aktivierten Hyperkräfte und der damit verbundenen »Nebeneffekte«. Der Logiksektor übertönte das wesenlose Raunen: Sei ehrlich,
Imperator – du bist seit der Cho-Übertragung tief enttäuscht darüber, daß das Paranormale nicht sofort zur Verfügung stand! Statt Abgeklärtheit des Alters nur Ungeduld! Gerade du solltest wissen, daß es für alles den richtigen Zeitpunkt gibt. Die lang andauernde Skepsis, das Hinauszögern und Verdrängen hatten auch andere Gründe! erwiderte ich grimmig. Unglaublich die Vielfalt, das Spektrum der Wirkungen und Effekte, die mit dem Paranormalen verbunden waren – wenn die Fähigkeiten funktionierten. Statt dessen Rätsel, Visionen, Rückzug des Cho-Käfers. Voraussetzungen noch nicht erfüllt, mit späterem Antrag nochmals versuchen; sieben Durchschläge! Ich lächelte bitter, verschränkte die Arme im Nacken und grübelte. Der Käfer regt sich, das steht fest. Warum sprengt er nicht die Schale? Das Flüstern im Gedankenhintergrund wurde plötzlich verständlich: Weil du jetzt das Potential noch nicht beherrschen kannst, Partner. Du würdest nur dir und anderen schaden, weil der Hauptteil als Bindemittel für die Große Feuermutter vorgesehen ist – und das Kollektiv erst entstehen muß! Der Extrasinn hat ganz recht – du kennst doch die Antwort auf die uralte Frage: Wie erklimmt man einen Berg? Ich seufzte. »Schritt für Schritt! Verflucht, ich weiß. Auf Belehrungen vorlauter Käfer kann ich verzichten.« Atemübungen entspannten mich ein bißchen, meine rasenden Gedanken konnte ich dennoch nicht besänftigen. Unwillkürlich verfiel ich in Dagor-Meditation und bemerkte, daß sich das Band zum Cho gefestigt hatte. Zarte Vibrationen gingen von meinem Stirnknochen aus, vom dort sitzenden Lha’hon-Quarz. Das Leuchten des Käfers verstärkte sich, scharf blitzte ein Signal durch meinen Kopf: Laß deine geistigen Fühler schweifen! Ich nickte. Ein erster, halbherziger Versuch folgte. Tatjana regte sich, ganz deutlich fühlte ich, daß sie die Augen öffnete. Kontakt!
Bevor sie laut sprach, erkannte ich, was sie dachte: Er espert… Schafft es! Ja, Atlan. Ich bin bei dir, helfe… Es war die Grundstufe paraverbaler Kommunikation: das Wahrnehmen oberflächlicher Gedankenimpulse, entstanden als lautlose Vorformulierung von Worten. Es glich leisem Sprechen, doch das mitschwingende Klingen, unterlegt von farbigen Impressionen und vagen Gefühlsregungen, kennzeichnete den Unterschied zur akustischen Verständigung. Im Vordergrund standen zwar die akzentuierten Impulse, die, weil verbal formuliert, ähnlich wie Sprache im Hörzentrum einer Verarbeitung unterlagen, doch es schwang viel mehr mit. Telepathie geht weiter, signalisierte Tatjana und setzte sich auf. Nicht nur bewußte Gedanken lassen sich erfassen, sondern auch die unmittelbar bevorstehenden Handlungen des Gegenübers. Die Parakräfte reichen in tiefere Regionen hinein, vermitteln dem Telepathen Eindrücke der vielen nonverbalen Regungen. Befehle an die Muskeln zum Beispiel. Unbewußte Körpersprache wird bei telepathischer Verbindung entschlüsselt, die Verhaltensmuster werden automatisch erkannt. Das ist kein »Hören«, sondern Wissen – Sekundenbruchteile vor der eigentlichen Körperreaktion. »Verstehe«, murmelte ich. »Die Umsetzung vorn Bewußtsein über Gehirn bis zu den Nervenenden benötigt Zeit, im Gegensatz zum hyperenergetisch-psionischen Prozeß, der wie alle übergeordneten Abläufe akausal-zeitlos ist, unabhängig von der Entfernung.« Nichtlokale Verbindung als unmittelbare Interaktion, bestätigte Tanja, denn von einer Wechselwirkung kann man eigentlich nicht sprechen: Holistische Einheit auf höherer Ebene erzwingt automatische Reaktion aller Teile im Ganzen. … das seinerseits mehr als die Summe der Teile ist. Ich nickte. Hat Aristoteles auch immer gesagt. »Aristoteles, Lehrer des großen Alexander!« Deutlich fühlte
ich ihre Erregung und Neugier. »Hast du sie gekannt? Beide? Persönlich?« »Mag sein.« Ich wiegelte ab, von aufblitzenden Szenen heimgesucht, in die sich fernes ES-Lachen mischte. Es kam mir fast wie eine Verhöhnung vor. Alexander. Der vom Kollektivwesen verliehene, ausschaltbare Zellaktivator. Charis – und ihr Ende! ES lachte lauter; Tanjas Finger umspannten hart meinen Unterarm. Sie »hörte« es ebenfalls, ihr Zittern sprang auf mich über. Ganz klar stiegen plötzlich Erinnerungen in mir auf, glichen platzenden Luftblasen, die eine Wasseroberfläche in Aufruhr versetzten. Alexander – er hat Charis und unser ungeborenes Kind umgebracht. Sie starb durch eigene Hand, weil dieser verfluchte makedonische Hund im Rausch nur noch mit seinem Schwanz dachte. Ich sah ihn sterbend vor mir, der in Asche aufgelöste Zellaktivator hatte ihm die Brust verbrannt. Ich hörte meine eigene, leise Stimme, die schon jenseits aller Leidenschaft war: »Du größenwahnsinniger Säufer! Du hast dich ausgerechnet an meiner Freundin vergreifen müssen. Das Amulett – du hättest Hunderte von Jahren leben können – hast du in Wirklichkeit von mir bekommen. Ich habe es zerstört, damit du einen hündischen Tod hast, göttlicher Alexander!« … und früher, das Flötenspiel im Garten; Töne, die sich, während meine Finger Charis’ Abschiedspergament hielten, in mein Bewußtsein kerbten wie Dolchschnitte. Tränen tropften. Schüttelfrost warf mich hilflos umher, unter der Brustplatte hämmerte mein Herz so heftig, daß jeder Pulsschlag meinen Blick verdunkelte. »Oh, mein Gott!« Tanjas Stimme war ein heiseres Flüstern. Sie umarmte mich, preßte sich an mich. Ich bekam kaum mit, daß sich der paranormale Kontakt intensivierte, zur nächsten Stufe hinaufsprang. Eindringen in die tiefen Schichten des Bewußtseins, die das Ego ausmachten, umbrodelt von der
zähen Masse unbewußter Dinge; Erinnerungen, Ängste, Leidenschaften, Hoffnungen, Wünsche, unterdrückte Sehnsüchte. Subverbaler Wirkungsbereich. Tanja. Ziel meiner suchenden Fühler, Halt versprechend. Ich erreiche sie, ertaste das nicht Sichtbare. Vorstoßen, kein Widerstand. Tiefer, weiter, Schicht um Schicht – bis zum Kern. Brausen und Glühen, plötzlicher Anstieg der psychischen Temperatur. Immaterielle Reibung – Geist an Geist. Scheuernd, dann sanfter, zärtlich, vorsichtig tastend. Hitze gleich einem Feuerofen! Leidenschaft! Ruckartig dehnte die Mutantin den Kontakt aus, näherte sich mit einer Lebhaftigkeit, die mich überrumpelte, ins benommene Taumeln versetzte. Der Eindruck körperlicher Nähe wurde von mental-paranormaler Wahrnehmung überdeckt. Als gleißende Ausleger umschmeichelten mich ihre Ausströmungen. Psionischer Odem wie Magma; vollblütig, dampfend, zischend, ekstatisch. Einheit und Verschmelzung, die intensiver nicht sein konnte. Unbeschreibliches Glück. Erregung – die Bewegung der Körper nur am Rande erkannt… Und dann abrupt der Absturz, vom Sinnesrausch ins Blackout. Vollkommene Taubheit, Blindheit, Gefühllosigkeit: Die Verbindung zum Cho zerbrach, splitterte in ungezählte Fragmente, die sich lautlos auflösten. Die vagen Erinnerungen an Alexander verwehten. Tanjas streichelnde Hände versuchten zu beruhigen, ihre Küsse saugten Tränen fort, doch die Nähe der Geliebten konnte den Schock nicht mildern, der dem unvermittelten Verstummen sämtlicher paranormaler Eindrücke folgte. Wie der Sprung in arktisches Eiswasser: atemberaubend, einschnürend, betäubend. Nur zögernd gewannen die normalen Körpersinne ihr Wahrnehmungsvermögen zurück. Es blieb ein überaus fader Beigeschmack, denn nun schien alles grau und farblos, konnte den brennenden Wunsch nach MEHR nicht befriedigen, die
unverhofft geweckte Sucht nach höhergeordneter Perzeption. Mein Kopf war leer, es gab nicht länger sensitive Eindrücke, nicht den kleinsten Input auf paranormal-transpersonalem Niveau. Stille, Ruhe, Blindheit: nichts. Zwielicht erfüllte die Meditationshalle, die Mittelpunkt aller Aktivitäten sein würde: Gijahthrakos standen als Tetraederjuwelen entlang der gekrümmten Wand. Lautlose Signale stimmten uns Adepten in die Zeremonie ein. Telepathisches Raunen wiederholte stereotyp Anweisungen: Nicht mit den Schalen beim Essen klappern, leise die Halle betreten und verlassen, Demut bei allem Handeln und allen Bewegungen. Dreifaches Dröhnen der Kristallsäulen war das Zeichen. In Reihe knieten wir vor den Dagormeistern nieder, erwartungsvolle Erregung durchzog mit spürbaren Schwingungen den Saal. Lichtfächer blitzten die Deckenkuppel entlang und Übergossen uns mit gelblicher Helligkeit. Erneut erklangen wuchtige Schläge, und Suinsintung, Thi-Laktrote des Zhy-Klosters, trat in Begleitung seiner drei Vertreter ein. Hominid, klein und von weißen Kombinationen umhüllt, die an Lackfolie erinnerten und scharf von dunkler Runzelhaut abstachen, trippelten die Gijahthrakos zum Mittelpodest, während wir uns verneigten und mit der Stirn den Boden berührten. »Ich begrüße euch, Erhabene«, sagte er mit einer Stimme, die kaum mehr als heiseres Flüstern war. »Ihr habt euch hier versammelt, um in gemeinsamer Meditation Zhy zu erfahren, das transzendentale Licht… Skorgon heißt wörtlich der Verschleierte: Fokussiert Zhy, enthüllt Skorgon, überwindet das Egozentrierte und die Furcht! Dem Ego folgen bedeutet, das Ziel aus den Augen verlieren. Beherrscht euch selbst, eure Leidenschaft, werdet frei für Verantwortung! Sprecht nicht,
verzichtet auf Höflichkeitsfloskeln, drängt euch nicht vor, werdet natürlich wie der Fluß von Magma!« Adepten schleppten Kessel und Tabletts heran, verteilten klares Quellwasser und trockene Brotfladen. Der Thi-Laktrote aß und trank als erster, wir folgten seinem Beispiel. Nach der Einleitungszeremonie breiteten wir Matten aus, legten uns hin, und die Hallenbeleuchtung erlosch. Leises Summen der Kristallsäulen begleitete unseren traumlosen Schlaf. Lautes Dröhnen weckte uns wenige Stunden später. Das Dagor-Zhy begann; »Ringen oder Kampf ums allesbestimmende übersinnliche Feuer«. Ich bezwang die Müdigkeit, stand auf und ordnete die Robe. Adepten, noch benommen vom kurzen Schlummer, falteten Bastmatten, andere schlurften zur Toilette. Kurz sah ich Ceshal und Khol. Kitai Ishibashi, im Zazen geübt, beteiligte sich »außer Konkurrenz«. Der Baderaum neben der Meditationshalle glich einer Kühltruhe; ich wusch mich mit eisigem Wasser und kehrte zitternd in die Halle zurück. Langsam verebbten die Geräusche, letzte Matten wurden als Sitzkissen zurechtgerückt, und die Schlaftrunkenheit schwand. Meditation, Entleerung der Gedanken, Konzentration aufs Zhy. Das Flüstern meines Extrasinns stimmte mich ein, so daß wirrer Gedankenfluß abebbte und sich auf ein einziges Ziel richtete, das als goldener Punkt vor meinen Augen schwebte, arabeske Muster und spiralige Bahnen entfaltete. Erst wenn Bewußtsein mit dem Punkt verschmolz, stieg Zhy über die Grenzen hinaus. Transzendentales Licht. Erleuchtung! Irgendwann kam der Thi-Laktrote. Ich grüßte ihn wie die anderen mit einer stummen Verbeugung. Hier war ich Schüler wie alle, nicht Imperator Gonozal VIII. Eine zarte Berührung an der Schulter ließ mich meine Sitzhaltung korrigieren, der Strom meines Atems wurde ruhiger. Muster Kosmischen Tanzes; ein und aus, geben und nehmen,
Geburt und Tod, Sein und Nicht-Sein. Transzendierung der Polaritäten. »Überwindet die Vorstellung der Gegensätze, denn die Welt ist Einheit! Ursache und Wirkung sind Eins! Das Transpersonale ist in alltäglicher Realität enthalten, ihr aber übergeordnet!« Die leise Anleitung des Thi-Laktrote durchbrach Stille und geistiges Ringen, Zähne knirschten. »Entspannung, Adepten – geistige Anstrengung, keine körperliche!« Nach einer Stunde klingelten dünne Kristallsäulen. Während einige Adepten, müde und zitternd, mühsam von den Sitzkissen aufstanden, sprangen andere geschmeidig hoch. Ich reihte mich ein, kreuzte die Hände vor der Brust und begann die Runden im Kreuzgang vor der Meditationshalle. Ich ging, den Blick gesenkt, langsam hinter meinem Vordermann her. Generationen von Adepten haben eine konkave Wölbung in die Sandsteinplatten gegraben: ein unübersehbarer Pfad. Ein Klingeln rief uns zur nächsten Meditationsrunde in die Halle, in der Gijahthrakos raunten. Tetraeder glitten geräuschlos umher, prüften ihre Adepten. Ein telekinetischer Schlag krachte auf mein Sitzkissen, sofort richtete ich mich auf. Neben mir keuchte jemand, dann umgab uns Stille, bis ein anderer wirkungsvoll ermahnt wurde. Flüchtige Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, mühsam gebändigt. Schuldund Minderwertigkeitsgefühle entstiegen dem Unbewußten, schmerzende Muskeln und Schweißausbrüche wechselten mit Eindrücken emotionaler Auflösung und intellektueller Niederlage. »Konzentriert euch!« zischte Suinsintung. »Wenige Minuten noch.« Angestrengtes Ächzen erklang, wieder strafften sich Körper. »Weckt eure Schlafende Kraft, durchbrecht die illusorische – Schutzhülle eurer Selbst-Verblendung!« Das Dröhnen der Säulen glich einer Erlösung. Wir sprangen
hoch. Wieder umrundeten wir den Kreuzgang, vom Zwielicht der Morgendämmerung umgeben, und betraten erst die Halle, als dort das Frühstück aufgetragen wurde. »Getreidebrei mit Gemüse und zarten Wurzeln ist eine Kost«, sagte Kontaclatiis belehrend, ein Adept reichte mir eine Warkom-Wurzel, »die allein der Ernährung, nicht dem Genuß dient.« »Alles Seiende ist ein untrennbares Ganzes!« Ein Laktrote rezitierte aus den Heiligen Überlieferungen der Gijah-Weisen. »Und jedes Teil umschließt alles in seiner Ganzheit«, antworteten wir. »Alles in Einem, Eines in Allem.« Die Kelle schöpfte tropfenden Brei aus dem Kessel, leises Klatschen begleitete das Füllen der Schale. Die beige Masse sank langsam zusammen, fast glaubte ich, in extrem gesteigerter und überreizter Wahrnehmung, Bewegungen einzelner Partikel zu erkennen. Feine Risse, Kerben und Holzmaserung wuchsen zu unglaublichen Schluchten und Klüften. »Bedenkt, daß dieses Essen Ergebnis der Arbeit vieler ist; seid reinen Geistes, bemüht euch ernsthaft und erweist euch der Gabe würdig.« »Wir empfangen in Dankbarkeit!« Ein Tablett wurde herumgereicht, und jeder opferte einen Bissen, um »gieriges Leben«, unsichtbarer Teil einer illusorischen Welt, zu besänftigen. Wir aßen schweigend, tranken kühles Wasser, von dem ebenfalls symbolisch geopfert wurde. Nach dem Essen wurde ein Bottich weitergereicht, in dem wir die Schalen reinigten. »Nichts ist unnütz, auch das geringste Teil dient seinem eigenen Zweck!« Suinsintung hob die Arme. »Erweist den Dingen Dankbarkeit! Im Kleinsten ist alles: Öffnet euer in sich selbst verkrümmtes Herz!«
»Es gibt keine Gleichgültigkeit.« »So beginnt euer Tagewerk.« Wir verbeugten uns und verließen die Halle, um den üblichen Arbeiten nachzugehen. Ich scheuerte Böden, wusch Wäsche, half in der Küche beim Säubern von Wurzeln, schleppte Wasser und putzte Kristallsäulen. Andere Adepten besserten Schäden im Mauerwerk aus, verlegten neue Mivelum-Platten der kristallinen Solargeneratoren oder reparierten Leitungen des Geowärmesystems und der Entsorgung. Nicht, wer sich in die Klause zurückzieht, erlangt Zhy, sondern der, der das Tranzendentale in jedem Ding und jeder Handlung erkennt. Auch bei alltäglichem Handeln ist Zhy zu fokussieren, dachte ich und hauchte die Losul-Säule an. Beruhige und kräftige den Körper, erlebe die Kraft! summte mein Extrasinn aus der Ferne. Im Klaren Bewußtsein gibt es keine Flüchtigkeit, keine Hetze und keine Vergeudung. Wer von dynamischer Kraft durchdrungen ist, erkennt, unabhängig vom vordergründigen »Ergebnis«, in jeder Arbeit und allem Tun den inneren Wert. »Schnelligkeit kann in Hast ausarten«, hatte Fartuloon stets gesagt. »Und Hast ist von Übel!« Nach dem Mittagessen gab es eine Ruhepause, meist genutzt, um aus den Heiligen Überlieferungen zu zitieren oder sich in eine der Weisheiten zu versenken. Anschließend folgte eine Meditationsstunde in der Halle und wieder Arbeit im Kloster. Am Abend machte ich einen Rundgang entlang der Außenmauer, danach legte ich mich nieder. Die Tage vergingen. Die Konzentration erreichte einen Höhepunkt, glich dem Zustand eines Taues kurz vor dem Reißen. »An lokalen Strukturen von Raum und Zeit zentriert,
sind Individuen Ego-Fragmente des dahinterstehenden Wesens«, sagte Kon leise und korrigierte meine Sitzhaltung und den Atemrhythmus. »Wir alle leben viele Leben und entfalten uns in verschiedensten Gestalten als manifestierte Ich-Bewußtseine.« Feuermutter Nolivaika, eine Longhonin, rief feierlich: »Sogar wenn Zhy nicht erreicht wird, ist ernsthafte Bemühung keine Vergeudung! Bleibt wachsam und gesammelt, bewahrt die in euch wirkende Kraft.« »Zhy ist keine Äußerlichkeit!« antworteten die Adepten im Chor. »Verbundenheit von allem mit allem kennzeichnet das Sein.« In wechselseitiger Litanei stimmten wir uns ein, konzentrierten unsere Kräfte und bemühten uns, die persönliche Weltsicht des »Entweder-Oder« durch Denken und Empfinden in Ganzheiten zu ersetzen. Ich folgte den inneren Pfaden und drang in die verborgene Welt ein: Ängste und Scham glichen drohend ragenden Wänden entlang gewundener Wege. Die Einsamkeit öder Wüsten war zu durchqueren, ekstatische Visionen glühten wie Sonnen und Trugbilder zuckten wie Irrwische. Höhere Wahrnehmung reichte in den Hyperraum, wo Alternativen und komplementäre Strukturen omnipräsent dem Bewußtseinspotential zugänglich waren, Eindrücke des AllesJetzt vermittelten. Davon war ich weit entfernt. Plötzlich… … schlug mir ein wildes Kreischen entgegen, und Pfeile schienen meinen Körper aufzuspießen. Verwirrt starrte ich ins qualmdurchsetzte Lohen und Schäumen. Bestien hockten, dunkelbraun und schwarz, auf einer Krustenplatte, die im glühenden Magma schwankte. Schädel mit verfilztem Haar und wulstigen Hörnern wurden von vorquellenden, starren
Augen beherrscht: Eisige Blicke drohten mein Inneres aufzureißen und zu zerfetzen. Gellende Schreie marterten meine Ohren. Die von den Schreckenswesen ausdünstende Kraft lähmte mich mehr und mehr. Schemenhafte Ausläufer drängten heran. Ich fühlte mich matt und erschlagen. Atemnot machte mir die Ohnmacht um so deutlicher. Erneut brüllten die Bestien. Mein Herz klopfte bis zum Hals. In der zerklüfteten und öden Landschaft wallten rote Nebel über dunklem, basaltischem Gestein. Geysire, Fumarolen und Solfataren fauchten, in schleimigen Tümpeln platzten geräuschvoll Blasen, überall kochte und blubberte es. Müdigkeit umfing mich. Aus zusammengekniffenen Augen sah ich das Schwanken der Lavascholle auf zähflüssiger Suppe. Der Boden bebte, kopfgroße Brocken krachten ringsum nieder, Magma spritzte und schwappte übers Ufer. Hoch aufgerichtet stand eine Bestie, gab einen krächzenden Befehl. Glutfontänen fauchten weit in die Höhe, Detonationen knatterten. Ich kauerte mich zusammen und barg den Kopf zwischen den Armen. Ich konnte nicht mehr, Wellen der Verzweiflung fegten über mich hinweg. Etwas krachte neben mir, und ich warf mich instinktiv zur Seite. Feurige Spritzer pfiffen vorbei. Mühsam robbte ich hinter einen gratigen Block. Ich wollte endlich aus dem Alptraum erwachen, das mich Bestürmende und Blockierende abwerfen. Aber der Dämmerzustand wich nicht. Durch verklebte Augen, von Tränen halb blind, sah ich nichts anderes als düsteres Leuchten, vorbeihuschende Bewegungen und Schemen. Übelkeit peinigte mich, Kopfschmerzen verhinderten jeden klaren Gedanken. Wieder donnerten Brocken und prasselten Splitter. Keuchend kroch ich weiter, fort von den Bestien, und fühlte heißen, weichen Sand unter den Fingern. Hinter mir knisterte der Magmastrom, vor mir ragte schroff eine Steilwand auf. Im
dämmrigen Licht einer Lavaeruption sah ich eine von Schnörkeln und Symbolen überzogene Säule, die mit einer zweiten das Tor im Fels flankierte; ein wirrer Gedanke: Meißle Wohltaten in Basalt, Kränkungen in Sand. Ich stützte mich ab, schaffte es, auf die Beine zu kommen, torkelte weiter und machte mich an den Aufstieg. Ausgetretene Stufen führten durch Zwielicht. Mehrmals stützte ich mich an Stufen und der Seitenwand ab; die Kälte des Steins drang mir ins Mark, daß ich zu zittern anfing. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ehe ich das Treppenende erreichte und auf die geneigte Ebene aus Sand und Geröll hinauswankte. Am fernen Horizont wogten Nebelgebilde und finstere Wolken, deren Form dem aufgerissenen Maul eines gewaltigen Ungeheuers glich. Wind zerrte pfeifend an meinem Haar, trieb dünne Staubschleier vor sich her. Rechts schwangen rosige Dünen empor, halb vom Sand bedeckt waren Säulenreste und Quader zwischen Purpurschatten. Eine unwiderstehliche Kraft ging von den Trümmern aus, und ich lief, ohne lange zu überlegen, auf sie zu, stolperte über einen Stein und schlug lang in den Staub. Fluchend stand ich auf, torkelte mit weichen Knien weiter. Meine Waden versanken in feinkörnigem Sand, vereinzelt raschelte dorniges Gestrüpp. Meine Haut brannte, Staub knirschte zwischen den Zähnen, und die Zunge fühlte sich wie ein pelziger Fremdkörper an. Ächzend stieg ich auf den Kamm einer Düne und sah weitere Ruinen. Im nachrutschenden Sand verlor ich die Balance und schlitterte, von Staub bepudert, in die Tiefe. Hustend richtete ich mich am Fuß der Düne auf, wischte Sand von der Haut und kroch zu einer Säulenreihe. In heißen Windstößen stiegen Staubteufel auf und verwirbelten zwischen kannelierten Blöcken. Ein Schatten fiel über mich. Entsetzt bemerkte ich, daß das drohende Wolkengebilde rasch näher kam. Aus wabernden
Ungetümen entstanden, gespenstisch beleuchtet von aufblitzenden Lichtfächern, klare Formen. Ich zuckte zusammen – denn ich sah mich selbst, ehe ich verschlungen wurde und in abgrundtiefer Finsternis versank. Etwas klatschte hart auf die Bastmatte neben meinem Knie, trotzdem gelang es mir kaum, die Dunkelheit zu vertreiben. Zögernd kehrte ich in die Wirklichkeit zurück, verdrängte endgültig die Visionen. »Das Gestalthafte ist Ausdruck von Leere!« Kontaclatiis’ Stimme glich fernem Meeresrauschen. »Genauer: von Potential, weil die gegenseitige Abhängigkeit der Teile im umfassenden Verbund des Seins veränderliche Strukturen bedingt. Ihre begrenzte wie provisorische Wirklichkeit formt Raum und Zeit.« Ich kniff die Augen zusammen, konzentrierte mich und unterdrückte das Umherschweifen meiner Gedanken. Im Zentrum des Meditationskreises stand Feuermutter Nolivaika; eine hagere Longhonin mit prallem Unterleibseuter, zitterndem Kinnbart und langem, von Wülsten besetztem Gehörn. Ihr Bild muß das Erlebnis ausgelöst haben, war Symbol der »Bestien«, durchzuckte mich ein Gedanke; plötzlich fühlte ich mich leicht und beschwingt. Schrecken und Angst versanken. Alles war so real! »Im Potential der Leere liegt die Essenz«, sagte Kon leise, »aus der alles hervorgeht und in die es ständig zurückkehrt. In diesem Sinne ist sie voller Lebendigkeit!« Bläuliche Schatten dunkelten den runden Saal unter flach gewölbter Kristallkuppel ab, Gijahthrakos in juwelengleicher Tetraedergestalt leuchteten in geheimnisvollem Rot. Inspirierende Aufmunterung des Dagor-Hochmeisters durchzog wellenähnlich die körperlich spürbar aufgeladene
Atmosphäre. Problemlos sah ich das Glühen und Leuchten hyperenergetischer Koronen – im allgemeinen Sprachgebrauch meist unter dem Begriff Individualschwingungsmuster zusammengefaßt, wenn Scanner sie erfaßten, oder bei paranormaler Wahrnehmung als Individualauren bezeichnet: Die Bewußtseinsfelder umspielten KörperManifestationen und überdeckten das vageflockige Muster von Materie, die nur für grobe Sinne scheinbar fest und stabil war. »Ego-Muster prägen die Erscheinungswelt der dir vertrauten materiellen Realität, Atlan. Aber außerhalb davon existieren, für Wahres Sein gleichberechtigt nebeneinander im Alles-Jetzt, zahllose andere Realitäten. Vergangenheit und Zukunft sind ebenso unwirklich wie die Dinge unbeständig. Das gilt auch für Gedanken und Gefühle.« Kon machte eine Pause, während von Holzschlegeln gestreifte Kristallsäulen in einem tiefen Ton summten, in den wir Adepten mit langgezogenem Gos einstimmten – makellos, kristallin! »Illusionen werden für den greifbare Realität, der sich auf sie einläßt. Deine Vision, als Überlappung die höhergeordnete Schnittmenge von Universalsequenzen im Hyperkontinuum, war Ausdruck egozentrierten Bewußtseins…« Unwillkürlich sah ich auf die Hände, entdeckte glitzernde Sandkörnchen und schauderte. Wenn mich ein Lavabrocken getroffen hätte… Kons sanfte Stimme unterbrach den Gedanken: »Statt Schreckensbilder des kleinlichen Egos zu beleben, Atlan, solltest du themenzentriert denken! Harmonie, Einssein, Licht, Erfüllung, Liebe! Das ist im positiven Willensakt in sichtbare und erlebbare Wirklichkeit des Wachbewußtseins zu verwandeln, nicht deine inneren Monster! Intellekt darf nicht Gefühl beherrschen, unkontrollierte Gefühle nicht dominieren!«
Mit seinen Paragaben erfaßte er mich ganz genau, er kannte meine Ängste und Gedanken. Ein beruhigender Strom hüllte mich ein. Ich fühlte, daß ich kurz vor der Lichteruption stand, dem Übergang zum holistischen Bewußtsein. Leider wich Zhy zurück, und es gelang mir nicht, über die Grenzen des Ichs hinauszugehen. Angeschlagene Kristallsäulen kündeten vom baldigen Ende der Meditationstonta. Murmeln erfüllte die Halle: »Eines in Allem. Alles in Einem. Eines in Einem. Alles in Allem…« Ich erkannte: Meine »Bestien-Vision« war – vom Standpunkt konventioneller Betrachtung – kaum mehr als ein Traum, aber auch diese Illusion kann, sobald das Ego sich auf sie einläßt und insofern als real empfindet, greifbar werden! Für mich war sie sogar so wirklich, daß ich, nach der »Rückkehr«, Sandkörner manifestierte. Kontaclatiis sagte ernst: »Du warst nahe dran, aber… Im Kristall-Labyrinth erwartet dich die Letzte Prüfung, Euer Erhabenheit.« »Ich weiß, Laktrote.« Wenn er mich in sanfter Ironie beim Titel nennt, ist höchste Wachsamkeit angebracht! Beklemmung befiel mich, sobald ich ans Bevorstehende dachte. Das entscheidende Stadium meiner Ausbildung war erreicht. Verstärktes Pulsieren ging vom Zellaktivator aus und erfaßte warm meine Brust. Die »Letzte Prüfung« nach uraltem Ritus ist Voraussetzung für den »Kuß«! Ich nickte zögernd, stand auf und atmete mehrmals tief durch. Kon winkte, ich folgte ihm zum Kreuzgang. Das leise Murmeln, mit dem die Gijahthrakos aus den Heiligen Überlieferungen rezitierten, blieb zurück. Kon empfahl kühl: »Entspanne dich beim Dagorcai! Du bist zu verkrampft, mein Imperator!« Ich verbeugte mich und verließ die Halle, wechselte vom Kreuzgang in einen Korridor und trat kurz darauf vors ZhyKloster. Mein Magen bildete einen harten Knoten, bestätigte
Kons Ansicht. Eine Menhirallee flankierte den Grat, der als einzige Verbindung zum wuchtigen Zapfen reichte, auf dem die Gebäude errichtet waren. Ich erreichte den freien Platz am Ende der Menhir-Doppelreihe, atmete tief ein und aus, kreuzte die Arme vor der Brust und begann mein Dagorcai: Grundstellung. Abwärtsblock mit dem Unterarm nach links, Vorgehen zum Angriffsstoß, Wendung um 180 Grad und zweiter Abwärtsblock. Kraftvolle Mitte, Hüfte bewegt sich vor den Gliedern! Dreier-Kombination: Stoß-Stoß-Tritt. Fußtritt nach hinten aus der Rückwärtsdrehung. Kampfschrei! Aufwärtsblock, Stoß-Stoß in Vorwärtsstellung. Abgehacktes Ausatmen, kurze Pause in Rückwärtsstellung mit Hauptbelastung auf dem linken Bein… Die Dagor-Tradition ging auf arkonidische Frühzeit zurück; laut den Sagas wurde die erste Dagorschule vom Heroen Tran-Atlan, meinem Namenspatron, gegründet. Vielfältige Ergänzungen kamen mit der Zeit hinzu: Dagorcai als Übungsvortrag. Rituale des Dagor-Zweikampfes, Dagor-Tjost… Die Gijahthrakos lieferten neue Techniken und Erkenntnisse, mit anderen Völkern erweiterte sich Dagor erneut. Vor allem die ornithoiden Scüs bereicherten Dagor um die »Tänze« genannten Übungen – entstanden aus den Balzritualen dieser Steppenläufer. Und auch die fein abgestimmten Bewegungsabläufe der felidoiden Orbeki waren nicht zu unterschätzen. Dagor-Großmeister hatten das alles zu beherrschen. Wendung auf dem rechten Fuß, Abwärtsblock und sofortiger Übergang zum Gegenangriff mit wechselseitigem Stoß. Tritt-TrittStoß-Kombination: Vorwärtstritt, seitlicher Tritt, gerader Fauststoß. Wendung in Rückwärtsstellung, Handkantenabwehr, Fußtritt nach hinten im Nachsetzen. Kampfschrei! Merkwürdiges Flirren glitt über einen Menhir, so daß ich innehielt und mit zusammengekniffenen Augen den Zapfen
anstarrte. Meiner sensibilisierten Sinnesebene erschloß sich ein goldenes Leuchten, das von der Menhirbasis in Korkenzieherspiralen nach oben strudelte und zum blassen Trichter auffächerte. Ich glaubte bleiche Schemen zu entdecken, deren Konturen ständig wechselten. Manchmal schienen hominide Formen zu entstehen, doch sofort verschwammen sie wieder und wurden von zerfaserten »Armen« ersetzt, die unter ständiger Längenänderung umhertasteten. Ich ging in Grundstellung, atmete ein und versuchte mich zu entspannen. Verwirrt suchte ich nach den Schemen, die von einem Augenblick zum nächsten verschwunden waren. »Ich hab’s doch gesehen! Schon wieder!« knurrte ich irritiert. »Das war keine Ausströmung des Menhirs! Reproduktion!« Der Extrasinn reagierte sofort, ich sah in Zeitlupe die Wiederholung: Weißliche Fasern wogten zwischen der goldenen Bahn, glitten an ihr entlang, verschwanden hinter dem Menhir – und tauchten nicht mehr auf. Paravisuelle Komponente? Der Logiksektor bestätigte meine Unsicherheit: Denk an Kons Worte; es können Visionen sein, die aus dir entstehen aber auch solche präkognitiver Natur! Seit sechs Tagen bereitete ich mich intensiv auf die »Letzte Prüfung« vor, die beiden vergangenen Pragos hatte ich gefastet. Ständige Meditationsrunden blieben nicht ohne Auswirkung, verstärktes Flüstern des Cho-Käfers stand fürs Erwachen der Parakräfte. Weiterhin wartete ich darauf, daß der Parasymbiont seine Goldschale sprengte. Ein kalter Schauer rann mir den Rücken hinab. »Mag sein.« Wie überwindet man das eigene Mißtrauen? Da ist was gewesen! dachte ich und erinnerte mich an den Cromlech, an Zhygor und die Menhire beim Trupül, an die Lichtwesen in den Katakomben. Verflucht, was passiert mit mir?
Beim Rückweg traf ich Kon. An seinen Blicken erkannte ich, daß er sich um mich sorgte und wußte, daß ich etwas auf dem Herzen hatte. Langsam schlenderten wir zum Kloster; Kon begleitete mich unaufgefordert, als ich die Richtung zu meiner Klause einschlug. Wir stiegen die Treppe hoch. Der Weise wartete geduldig, gab mir Gelegenheit, meine Gedanken zu ordnen. Ich öffnete die Klausentür, sah den kleinen Mann verunsichert an und gab eine Zusammenfassung meiner Wahrnehmung. »Ich bin sicher, die Schemen gesehen zu haben!« schloß ich, zuckte mit den Schultern und setzte mich aufs aktivierte Kraftfeldbett. »Bei den Kristallschloß-Menhiren! Und auch beim Cromlech! Zumindest hat, denke ich, der Kraft-Ort ihr visionäres Erscheinen begünstigt! Und was beim Raumwurm geschehen ist…« Kontaclatiis blickte nachdenklich. »Du befindest dich in einem labilen Zustand, Atlan. Ein winziger Schritt, und du erreichst Zhy – oder du stürzt in totale Ego-Versunkenheit, weil du deinen Blick nur scheinbar erweiterst und Einbildungen aufsitzt, die sogar Erinnerungen verfälschen können. Beim Weg zur Großen Feuermutter gibt es keine Erfolgsgarantie – du weißt, wie wenige Imperatoren es schafften!« »Bekannt… Und wenn es doch eine Real-Wahrnehmung war, Laktrote?« Ich zögerte und lächelte säuerlich. »Ein erster Schritt zum millionenäugigen Imperator?« »Bleibt’s vorerst ohne Bedeutung! Du darfst dich nicht ablenken lassen. Wenn du das transzendente Licht erfährst und in Verbindung mit Tai Zhy Fam jederzeit wiederholen kannst, wird sich auch der Sinn deiner Wahrnehmung – sofern vorhanden – erschließen.« Er legte aufmunternd seine Hand auf meine Schulter, winkte
dann zum Abschied und öffnete die Klausentür. »Meditiere, Atlan! Die Schwingungen des Zhy-Klosters unterstützen deine Bemühungen. Du befindest dich an einem Ort der Kraft!« Ich seufzte, stieg unter die Dusche und versuchte mich zu entspannen. Unruhe, die ich nicht einzuschätzen wußte, versetzte mein Inneres in unangenehmes Kribbeln. Ich dachte an die »Letzte Prüfung«, die vorbereitenden Meditationen und Kons Ermahnungen; im Hinterkopf blieb aber die Erinnerung als stechender Schmerz präsent. Die Schemen! Sie haben eine besondere Bedeutung – waren bestimmt kein Auswuchs meiner Ichbefangenheit, dachte ich. Du bist keine große Hilfe, Partner! Gespeichert wurde, was du zu sehen glaubtest, antwortete der Logiksektor. Genau wie es bei Träumen, Visionen und Halluzinationen ebenfalls geschieht. Über die Realität des Geschehens ist damit keine Aussage gemacht, selbst wenn ich die Bilder in kleinste Pixels zerlege. Ich zog eine frische Robe über und wandte mich mißmutig der Bearbeitung des Bergkristallblocks zu, den ich seit Tagen formte und polierte. Der lebensgroße Schädel verwies in seiner skelettierten Gestalt auf Leben und Tod, körperliche Vergänglichkeit und den permanenten Fortbestand Wahren Seins. Inzwischen hatte ich ausreichend individuelle Muster aufgeprägt, die in Resonanz schwangen, sobald ich mich konzentrierte; fluoreszierendes Aufleuchten der Augenhöhlen war ein sekundärer Effekt. Die Schemen gingen mir nicht aus dem Kopf. Ich war nicht sicher, ob Kon mit seiner Behauptung richtiglag, sie hätten keine Bedeutung. Konzentriert lauschte ich ins Innere, fühlte bohrende Unrast und die Ahnung von Unheil. Auf dem Tisch lag der Pseudo-Käfer – starr, auf paranormaler Ebene allerdings zunehmend aktiver. Rechts stand meine traditionelle Dagorpuppe; in den letzten Wochen konnte ich ihr viele
Symbolnägel hinzufügen. Nicht-Lokalität, Zeitunabhängigkeit, Akausalität, Unschärferelationen und Komplementaritätsprinzipien, Koinzidenzen und Synchronizität. Illusionen von »Hier und Jetzt«, »Unabhängigkeit« und »Stabiler Wirklichkeit«. Selbstauferlegte Beschränkungen im Gegensatz zum Intelligenzsystem Kosmischen Bewußtseins, das außerhalb von Raum und Zeit steht… Für Augenblicke tauchte ich in den Informationsozean zeitloser Verknüpfungen. Ich konnte es nicht näher klassifizieren, aber meine Wahrnehmung erschien mir nur die Kruste eines Magmastroms zu sein. Die eigentliche Bedrohung lauert unter ihr, ist bereit, mit fürchterlicher Gewalt hervorzubrechen, dachte ich. Deutlich sah ich das Bild einer feurigen Fontäne, die alles fortriß. Zwischen Schatten glaubte ich Zhygors Planetenkugel zu erkennen, umleckt von Glut und Tosen. Eine Gefahr? Mein Extrasinn flüsterte verunsichert: Der Kristallorden bemüht sich zwar um Stabilität, aber Zhygor scheint sich zu wehren! Es glich einem intensiven Vorgefühl kommender Ereignisse, als ich mir klarmachte, daß ich eine Katastrophe erwartete. Panische Angst schüttelte mich für Sekunden, das Resonanzschwingen zum Kristallschädel wurde stärker, bis als blendender Blitz die Erkenntnis transpersonaler Erfahrung aufbrandete, das Wissen, daß die Welt und ich nicht getrennt, sondern innig pulsierende Ganzheit darstellten: Zhy kam in einem Moment, als ich es nicht erwartete – und der Eindruck einer Gefahr wurde noch intensiver. Unvermittelt überwältigte mich eine uralte Erinnerung, als… … mich Fartuloon schweigend durch das Gangsystem unter dem Palastkelch führte. Sandläufer der Spinnenwüste schienen in meinem Magen zu tanzen und erzeugten beklemmendes Kribbeln. Ich dachte an die Gerüchte, die unter
den Raumfahrern im Palast des Tatos von Gortavor kursierten: Es wird erzählt, daß die Höhlen und Gänge noch älter als das Tarkihl sind. Unten soll es scheußliche Monster und kochende Säureseen geben… Ich redete mir ein, nicht wirklich beunruhigt zu sein, aber die vagen Erzählungen fraßen sich wie Geschwüre weiter. Unsicherheit und Angst wucherten und beherrschten meine Gedanken. Fartuloon führte mich tatsächlich immer tiefer: Die Wände waren roh aus den Felsen gehauen, Schimmel bedeckte schlüpfrigen Boden. Es war naß und kalt, es stank nach Moder, und irgendwo tropfte Wasser im nervenden Takt. Irgendwann – es kam mir wie eine Ewigkeit vor – betraten wir ein Gewölbe, dessen Decke im Zwielicht lag. Rauchende Fackeln zischten; im Flackern sah ich breite Spalten, die den Boden zerschnitten. Ein Riß zog sich von einer Hallenwand zur anderen und war bis zum Rand mit blasenwerfender Brühe gefüllt. Scharfe Dämpfe wehten mir entgegen-, als mich Fartuloon weiterschob. Am Grund der Flüssigkeit schimmerte es weißlich: Entsetzt erkannte ich Skelette, die unzweifelhaft arkonoide Form besaßen. Stimmen die Gerüchte doch? Eisiger Schreck fuhr mir durch die Glieder, mein Herz hämmerte schmerzhaft, Schweiß rann zwischen den Schulterblättern. Leicht gewölbt schwang ein handbreiter Balken über Spalt und Brühe. Fartuloon wies wortlos darauf, und ich schluckte, um den Kloß im Hals zu vertreiben. Ich nahm mich zusammen und betrat die »Brücke«. Eigentlich war es eine leichte Übung; ich war trainiert und der Balken kaum acht Meter lang. Schweiß perlte über mein Gesicht, die Knie schienen mit jedem Schritt zu weicher Synthon-Sülze zu werden. Warum hat er nichts gesagt? Kein Wort der Erklärung! Hastig rezitierte ich eine beruhigende Litanei, erreichte aber das Gegenteil. Ich machte einen weiteren Schritt – und
rutschte ab. Im letzten Moment schaffte ich es, das Gleichgewicht zu halten. Mein Herz rutschte in die Hose, Kälte und Hitze zugleich rasten durch meinen Leib. Nächster Schritt. Ich ahnte, daß mit jedem noch so geringen Fehler das endgültige Versagen näher kam. Zaghaft tastete ich mich zur Mitte des Balkens vor; unwillkürlich ging mein Blick nach unten: Die Skelette! Schaudernd hob ich den rechten Fuß – und setzte ihn fast neben den Balken. Abermals verlor ich das Gleichgewicht, torkelte und versuchte es mit kreisenden Armen zurückzugewinnen. Panik pulsierte in mir, in den Ohren fauchte Blut. Ich schrie gellend, fiel, griff mit den Händen ins Leere und tauchte kopfüber in die Brühe. In rasender Todesangst erwartete ich das Ätzen, die Schmerzen, mit denen sich mein Körper zersetzte. Aber nichts geschah! Erstaunt drückte ich mich vom Boden ab, fühlte nur lauwarme Flüssigkeit, durchstieß prustend die Oberfläche und schwamm mit drei Zügen zum Rand. Mit triefender Kleidung stand ich zwei Sekunden später neben einem Lehrmeister, dessen Lächeln Verständnis signalisierte. Wortlos fischte er mit einer Stange ein Skelett aus der Brühe und hielt es mir entgegen. Ich seufzte, denn jetzt war es unübersehbar: Die Plastikknochen, von Draht zusammengehalten, waren nie das Knochengerüst eines Lebewesens gewesen. Ich senkte beschämt den Kopf. Fartuloon warf das Gebilde ins gefärbte Wasser zurück und erklärte geduldig: »Unsicherheit und Angst machten dir eine leichte Aufgabe unmöglich. Du hast Hörensagen mehr vertraut als deinen Fähigkeiten und dem, was du selbst wahrnimmst.« Ich nickte und sah ihn nachdenklich an. »Wer das Unbekannte meistern will, muß Unsicherheit überwinden. Nicht das Drohende ist die Gefahr, sondern das, was man sich selbst einredet!«
»Genau. Das Ego sieht sich als Nabel der Welt«, sagte er und wies auf den Balken. »Richte dich danach, Atlan.« Ich balancierte im zweiten Versuch problemlos hinüber, diesmal ohne Angst und Verunsicherung – und ohne zu fallen. Später beteiligte ich mich natürlich an der weiteren Verbreitung von Gerüchten… Und eine weitere Erinnerung: Ich… … stand vor dem Eingang zum Labyrinth. Ich wußte, daß mich hier einige unliebsame Überraschungen erwarteten. Seit Tagen beschäftigte mich Fartuloon ohne Unterlaß – aus jedem Abschnitt meiner Ausbildung ging ich klüger und besser hervor. Der Alte ersparte mir nichts. Auch nicht das Labyrinth, aus dem, wie man sagte, kaum jemand lebend herausgekommen war. Ich warf den Kopf in den Nacken. Der Eingang des Irrgartens wurde von zwei uralten Robotern bewacht, die Rost angesetzt hatten. Knarrend bewegten sich die metallenen Schädel in trockenen Lagern, als ihre dumpf glühenden Facettenaugen mein Eintreten registrierten. Ich hatte mich entschlossen, der Herausforderung nicht auszuweichen, und ging Schritt um Schritt weiter, erreichte die erste Querverbindung und hatte jetzt zwei Möglichkeiten: rechts oder links. »Ich werde es ihm zeigen!« schwor ich mir. Mit dem Strahler brannte ich eine feine Spur in den sandigen Boden zwischen den übermannshohen Mauern und wandte mich nach links. Die Wahrscheinlichkeit, den richtigen Weg gewählt zu haben, war fünfzig Prozent. Ich bog, nachdem ich wieder ein Zeichen hinterlassen hatte, nach rechts ab und folgte dem nächsten Korridor zwischen den schimmernden Wänden. Die Sonne stieg auf und senkte sich wieder. Ich war noch immer im Labyrinth. Meine Brust hob und senkte sich unter der ungeheuren Anstrengung. Dicke, klebrige Schweißtropfen
liefen über mein Gesicht. »Verdammt!« röchelte ich. Erneut zischte meine Waffe auf und brannte ein Zeichen in den Boden. Obwohl schon den ganzen Tag unterwegs, war ich noch in keine Sackgasse gelaufen. Die Mauern um mich waren zu hoch, als daß ich mich anhand der unmittelbaren Umgebung des Irrgartens hätte orientieren können. Bleierne Stille herrschte. Langsam verließen mich die Kräfte. Ich taumelte weiter, wich aus, bog um Ecken, nur um weitere Gänge vor mir zu sehen, brannte mein Zeichen in den Boden. Immer wieder dieselben Gedanken und Assoziationen. Dann war meine Waffe leer. Ich warf sie weg. Die Erschöpfung wurde stärker. Schließlich kroch ich nur noch über den Boden. Dunkelheit senkte sich über den Irrgarten… Ich bin bereit zur »Letzten Prüfung«, denn Zhy durchzieht mein Bewußtsein! dachte ich und sah auf, weil der Cho-Käfer, nach peitschendem Knall der zerspringenden Schale, brummend aufstob und dicht an meinem Ohr vorbeisurrte. Rasende Gedanken, völliges Umklappen des Wahrnehmungsspektrums: blitzende bioenergetische Impulse zwischen Gehirnneuronen, aufpeitschende Nervenströme, zuckende Muskeln, paranormale Wechselwirkungen – von hyperenergetischen Emissionen umflossene Moleküle, Durchdringung, Anreicherung, Aktivierung. Weder greifbar noch sichtbar das Parareservoir des Psi-Käfers – mit mir, meinem Bewußtsein aber permanent verknüpft. Eine Art Netz schien meine Individualaura einzuhüllen, vibrierte zu jedem Atemzug, jedem Puls des Zellaktivators, der ebenfalls ins Gespinst integriert war. Zaghaftes Tasten: ein schrilles Harfensummen im Gewebe… … und ein lautes Bersten! Ich schrak aus der verschobenen Wahrnehmung, sprang auf und blickte entsetzt auf die Splitter
der Lampe, die über den Boden verstreut waren. Gefährliches Glitzern bohrte sich in meine Augen. Telekinese! Mühsam unterdrückte ich das Zittern. Veränderung, Deformierung oder Transport von Materie mit rein geistigen Mitteln – unsichtbare, hypermechanische Hände und Finger, die keiner raumzeitlichen Barriere unterliegen. Fassungslos starrte ich auf die blitzenden Fragmente – mein Werk! – und fühlte ein beängstigendes Dröhnen und Tosen im Kopf. Es war plötzlich, als stünde ich in einem Raumterminal von Arkon II, umgeben vom unpersönlichen Stimmen- und Geräuschgewirr Abertausender. Eine beängstigende Kulisse. Allein und einsam, völlig schutzlos, stand ich inmitten dieser drohenden, aggressiven Kakophonie. Ein überfülltes, von Emotionen überbrodelndes Sportstadion auf der Erde oder eine KAYMUURTES-Arena waren harmlos gegen das, was auf mich einstürmte. Das scheinbar »Akustische« überwog, ließ mich gehetzt umherblicken und unwillkürlich die Hände gegen die Ohren pressen. Mein Schädel schien zerspringen zu wollen, in meinen Schläfen hämmerte es schmerzhaft. Von überall her schrie es auf mich ein, laut, feindlich, gefährlich, furchterregend. Augen zu, Ohren zu, Flucht – doch es gab kein Entkommen… Narr! Die Stimme des Extrasinns gellte höhnisch, Cho krabbelte kitzelnd über meine Wange. Du mußt den Parainput dämpfen, Mann! Du bist permanent umgeben von den Ausstrahlungen von Millionen Lebensformen; Intelligenzen, Tiere, Pflanzen. Alles ist bewußt, verarbeitet Sinnesreize, träumt, denkt. Weißes Rauschen! Ich verstand. Die Feinabstimmung mußte geübt werden – ich hatte den »Lautstärkepegel« bis zum Anschlag aufgedreht. Ergebnis war die chaotische Ganzheit einer erdrückenden Masse mannigfaltiger Wahrnehmungen: Reize, Gefühle,
Triebregungen. Ich atmete heftig, versuchte das Aufgenommene zu verarbeiten, konnte mich allerdings nicht ausreichend konzentrieren, weil ständig neue Impulse kamen, weitere Informationen auf mich einprasselten. Kurzfristig vergaß ich, daß ich Arkonide war. Fremdreize bombardierten mein Bewußtsein und entführten es zu Ungeahntem, nie Erlebtem, Einzigartigem: … merkt die Pflanze nichts von dem Fremden, das sich in ihrem Leib einnistet und plötzlich osmotische Reaktionen steuert. Obwohl auf Iprasa entstanden, gleicht die Pflanze einem rundblättrigen Sonnentau, dessen Drüsenhaare klebrigen Schleim absondern. Angelockt vom Duft und den Leuchtfarben, nähert sich ein Insekt, landet – und bleibt im Schleim hängen. Das Kerbtier zappelt und erzeugt somit die notwendigen, weil die Reizschwelle überschreitenden Impulse: Turgor entleert die langen elastischen Zellen; sie krümmen Blatt und Drüsenhaare nach innen, umschließen die Beute, deren Weichteile vom austretenden Verdauungssaft verflüssigt werden… Ich war überrascht und schockiert. Die Stärke der Wahrnehmungen war ebenso beeindruckend wie das Spektrum des Paranormal-Transpersonalen breit: Telepathie verband sich mit teilweisem Loslösen des Bewußtseins vom Körper, augenlos-televisorische Sicht war mit intuitivem Erfassen auf telekinetischer Basis verknüpft, die zugleich Fernmanipulation ermöglichte. Unvermittelt erloschen die Inputs. Stille lastete auf mir. Nur zögernd öffnete ich die Augen, nahm die Hände von den Ohren. Ich verstand alles, hatte mich lange genug darauf vorbereitet – doch das Verständnis schlängelte sich mit zeitlupenhaftem Tempo durch meine Gehirnwindungen. Viel maßgeblicher war ein zutiefst kreatürlicher Eindruck: Angst! Angst vor den über alle Alltagserfahrung
hinausreichenden Wirkungen und Möglichkeiten dieser Macht, die ich beschworen hatte. Angst vor mir selbst. Letztlich auch Angst vor der wahren Größe des Kosmos, den dort lauernden Kräften und Gefahren. Gab es Hüter, die solche Kräfte ermöglichten, gestatteten oder verboten? Es blieb gleich, ob man sie Produkte der Natur nannte, als fremde Wesenheiten umschrieb oder im religiösen Sinne von Göttern oder Gott sprach. Vielleicht gaukelte ich es mir nur vor – aber in diesen Augenblicken glaubte ich mich von diesen Hütern taxiert, durchleuchtet, beurteilt. All mein Mißtrauen, alle Skepsis kehrten zurück, wuchsen zur Woge empor. War es nicht Hybris, was wir versuchten? Überheblichkeit? Hochmut kommt vor dem Fall – »millionenäugiger, allessehender Imperator«! Die Natur hatte mich nicht mit Parakräften ausgestattet, nun versuchten wir es auf künstlichem Wege. Versuchung? Anmaßung? Wollten wir zuviel? Überschritten wir Grenzen, die eigentlich nicht überschritten werden durften? Eine »verbotene« Lockung: grenzenlose Neugier? Ich habe Angst! Ganz fürchterliche, erbärmliche Angst! Erst der halbe Weg ist zurückgelegt. Die »Letzte Prüfung« steht noch aus. Und dann – wenn alles gutgeht – der »Kuß«, ein noch höherer Grad der Bewußtheit?! Sollte ich es nicht schaffen… Wahnsinn! Totaler Irrwitz! Weder Logiksektor noch Cho-Käfer meldeten sich, und ich dachte frustriert: Ich muß bescheuert sein, mich auf so was überhaupt einzulassen! Als ich aufsah, war sie da. Genau in der Sekunde, da ich sie am nötigsten brauchte. Sie mußte meine Paraversuche bemerkt haben, war von ihrer Klause herübergehuscht, bis auf das knappe T-Shirt unbekleidet. Tanja umarmte mich, ihr Flüstern drang an mein Ohr: »Atlan, diese Angst begleitet uns alle! Jeder Mutant, alle
Feuerfrauen, sogar die Gijahthrakos: Mit der erweiterten Sicht verbindet sich eine schreckliche Sucht und Abhängigkeit – die Erkenntnis des Schönen, Ganzheitlichen, die Augenblicke der Einheit wollen wiederholt sein. Es drängt uns nach mehr, sogar die Schattenseiten der Wahrnehmungen hindern nicht. Die Überschreitung jeder neuen Grenze ist aber ein Schritt ins Ungewisse. Wieviel können Wesen unserer Art verkraften? Wann sitzen wir Illusionen auf? In welcher Ecke lauert der Irrsinn? Vermutlich weniger im fernen Außen als vielmehr tief in uns selbst, in den Nischen des Unbewußten. Transzendenz und Irrsinn -zwei Seiten der gleichen Medaille? Angst ist da ein gutes Regulativ, das weißt du besser als ich, Atlan. Sie darf nur nicht übermächtig werden, sondern soll Sinne schärfen und uns vorsichtig machen. Gemeinsam läßt sie sich leichter ertragen! Du bist nicht allein!« Hungrig suchte mein Mund ihre Lippen. Ich hob sie hoch, wankte zwei, drei Schritte, verscheuchte den Cho-Käfer – und dann gab es nur noch uns und unsere Leidenschaft. Es war noch dunkel, als ich – aufgekratzt und unternehmungslustig – zwischen Säulen des Kreuzganges saß, Atemübungen absolvierte und mich konzentrierte. Goldenes Licht schien den Cho als faustgroße Kugel zu umgeben; der Psi-Käfer schwebte mit rasend surrenden Flügeln vor meinem Gesicht. Behutsam vorgehen! beschwor mich das Duett der inneren Stimmen. Du mußt lernen, welche Gedanken und Wünsche welche Reaktionen hervorrufen. Nur stählerne Disziplin verhindert Auswüchse. Nähere dich den Kräften ganz vorsichtig! Zunächst geschah nichts. Unzufriedenheit! Soeben entschlossen, den Versuch abzubrechen, glitt ich in einen somnambulen Zustand, der Trance folgte einer Art Klick: Aus abgrundtiefer Schwärze erstrahlte ein heller Punkt, der rasch
wuchs, greller wurde, zum leuchtenden Violett umschlug. Fast wirkte es wie das hell erleuchtete Ende eines Tunnels. Bereitwillig gab ich dem Drängen nach – atemberaubend schnell dehnte sich das Violette, wurde zum alles bestimmenden Eindruck. Die Farbe Violett befindet sich am hochfrequenten, energie- und informationsreichen Ende des optisch sichtbaren Spektrums. Schwarz ist Fehlen von Licht – kein Input also. Von Finsternis zur violetten Lichtsphäre: Einstieg in die Welt paranormaler Perzeption! Zögernd versuchte ich, die »Umgebung« zu entschlüsseln. Schwingungsmuster und wechselnder Informationsreichtum – auftauchende bläuliche Farbtupfer im Violett. Vibrationen wie sphärische Musik im perfekten Gleichklang; harmonisch, erregend schön, nicht mit Worten zu umschreiben. Ich fühlte mich wohl und geborgen wie selten zuvor in meinem langen Leben. In weiter Ferne pochte der Zellaktivator im Herzschlagtakt. Obwohl ich längst die Augen geschlossen hatte, »sah« ich mehr, umfassender, detaillierter, und euphorische Glücksgefühle ließen mich schaudern. Ein blaues, zerfasertes Objekt trieb vorüber. Die nicht länger auf das Ganze gerichtete Aufmerksamkeit fokussierte. Es glich dem Lustwandeln in einem paradiesischen Garten größter Pracht: Aus der Vielfalt wurde eine einzelne Blüte ergriffen, ihr herrlicher Duft eingeatmet. Mit der Abkehr vom Holistischen änderte sich der Blickwinkel, die Bandbreite des Erkennens. In einer »Implosion« stürzte ich auf den ausgewählten Bereich, zoomte ihn rasend schnell heran, während alles andere verschwand. Akkommodation des Auges! wisperte Cho-Extrasinn. Solange der Hintergrund betrachtet wird, bleibt ein nahe vors Gesicht gehaltener Gegenstand unscharf. Im Gegenzug verschwimmt das Ferne, wenn das Nahe fixiert wird. Der blaue Fleck wuchs zum barocken Muster höchster
Komplexität. Linien, Flächen und verschachtelte geometrische Figuren wurden zum labyrinthischen Konglomerat, in das ich unversehens eintauchte. Fadenförmige Filamente formten plötzlich gewaltige Brücken. Säulen wuchsen zu gewaltigen Skyscrapern. Umherwirbelnde Platten durchdrangen einander, purzelten dahin, wurden größer, dann kleiner, kamen näher, verschwanden oder verbogen sich zu Möbiusbändern. Farbwechsel von Blau über Grün nach Gelb. Analogie: Violett das Übergeordnete; je niederfrequenter die Farbe, desto näher die vertraute Welt; Geometrisches als Sinnbild für die raumzeitliche Struktur… Winzige Partikel tauchten auf, entfalteten sich zu rasch wuchernden Blüten; unzählige Blütenblätter unwirklicher Rosen. Abdunkelnde Rottönungen. Eine einzige »Rose« wurde zum bestimmenden Bild. Jedes einzelne Blütenblatt verwirrend gemasert: Myriaden Einzelpunkte, vereint zum samtenen Glanz, vergleichbar den kostbaren Produkten der Granulierkunst, bei der Flächen mit Tausenden Kügelchen besetzt wurden. Immer feinere Abstufungen verschiedener Rotfärbungen offenbarten sich mir, und die Einzelpunkte schienen aus schwirrenden Wolken noch kleinerer Partikel zu bestehen. Rückkehr zur Betrachtungsebene einer separaten Blüte: Blätter entrollten, legten die Kernzone bloß, gekennzeichnet durch ein fast schwarzes Rot. Kleinste Nadeln ragten aus der dunklen Wölbung, fremdartige »Pollen«, die an den Spitzen hellgrau glitzerten. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Nadelspitzen, aus denen plötzlich Wolken grauer Punkte sprühten, die sich zu nebelartigen Schwaden verdichteten. Ich wich zurück, doch der Qualm folgte mir. Ein Schneegestöber hüllte mich ein, Hagel prasselte. Heulen und Kreischen erklangen, langgezogen, schaurig. Metallische, unangenehme Gerüche wurden beißend und ätzend. Ich wich noch mehr
zurück, suchte die violette Helligkeit und fragte mich schockiert, was die Umgebung so in Aufruhr versetzt hatte. Was habe ich getan? Die Schwaden verwandelten sich in einen tobenden Sandsturm. Unwillkürlich duckte ich mich, dennoch trafen mich Ausläufer und Körner. Eine kratzende, schmerzhafte Berührung! Was macht die Partikel so feindlich und aggressiv? Wild umtanzten mich trübgraue Punktansammlungen. Ich riß die Augen auf. Zurück! dachte ich mühsam. Die Wahrnehmungen überschnitten einander; ich sah den Kreuzgang, doch durchscheinend blieben die Muster, Linien und Körper bestehen, auch die Blumen und Nebelfetzen, die brausenden Teilchen. Schwerfällig sprang ich zur Seite und ächzte: »Was hat denn das zu bedeuten?« Eisiger Wind pfiff mir ins Gesicht, zerrte am Haar und brannte in den Lungen. Brausen, Kreischen, Heulen – unheilvolles Dröhnen in den Ohren, aber vor allem direkt im Kopf. In Steinsäulen knackte und knisterte es bedrohlich, Glitzerpunkte schossen als Querschläger umher, rissen bröckelnde Fragmente aus dem Gewölbe, vereinten sich mit perlmutternen Blasen von Faustgröße. Manche Kugeln platzten, entließen Funkenkaskaden: Sternregen und Flämmchen in Gold, Silber und Alabaster! Unter Donnern hallten Schläge. Ein Teil der Bodenplatten wölbte sich hoch; sie zersprangen wie überreife Früchte, machten Wirbeln grauer Partikel Platz, die spiralig quirlten und mich als fauchender Tornado umringten. Überall dort, wo das Graue, Formlose auf Materie traf, entstanden Glutwolken, die zu flammenden Rosetten auswuchsen. Gehetzt sah ich mich um, aber in dem Chaos gab es keinen ruhigen Fleck. Wind, Kälte, Geräusche und Zerstörungen erzeugten kaum unterdrückbare Panik. Ich schrie: Etwas Kaltes, Nasses faßte meinen Nacken, zerrte an der Aktivatorkette. Das Metallei wurde glühend heiß.
Unsichtbare Klammern legten sich mit mörderischem Druck um meinen Körper, preßten, würgten, peinigten, ließen den Schrei zum kraftlosen Röcheln werden. »Nein!« Blendender Glanz formte einen Kugelblitz. Ich wurde getroffen, wirbelte zur Seite, prallte hart auf; mein Hinterkopf krachte auf den Boden. Dunkelheit, durchdrungen von Funkengarben, umgab mich für Sekunden. Hitze durchdrang meine Brust. Nur leise war ein undeutlicher Ruf: »Atlan, aufhören!« Benommenheit. Ich verstand nichts. »Aufhören, Mann!« Hände packten meine Oberarme, hart und brutal. Ich wurde durchgeschüttelt und glaubte, dicht vor mir Kons Runzelgesicht zu sehen. Im nächsten Augenblick zerfetzte es zur blutigen Masse. Rote Tropfen und schleimige Fragmente krochen in Zeitlupe vorüber. Abermals griff Dunkelheit nach meinem Bewußtsein. »Atlan, du mußt es bändigen! Atlan!« Aber… ich mach’ doch gar nichts! Ich sank zusammen, barg den Kopf zwischen den Armen, preßte krampfhaft die Lider zu. Ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nichts mehr… Nur mit Verzögerung wurde ich mir der Ruhe bewußt, einer fast unheimlichen Stille. Langsam entspannte ich mich, öffnete die Augen, richtete mich auf. Entgegen meiner Befürchtung sah der Kreuzgang nicht wie nach einem Bombenattentat aus. Aber es stank nach Ozon, und die Luft knisterte vor statischer Aufladung. Zwei Schritte entfernt stand Kontaclatiis – unverwundet, aber mit erschrocken geweiteten Augen. »Was… was war das?« keuchte ich und schüttelte mich. Der Dagor-Hochmeister kam schleppend näher, legte die Hand auf meine Schulter, und augenblicklich ließ mein Zittern nach.
Kraft floß von ihm über, wurde zum warmen Strom in meinen Adern. Ich wiederholte: »Was war das, Laktrote?« »Unkontrollierte Hyperenergie des ultrahohen Spektralbereichs.« Er wies auf meine Brust. »Dein Aktivator hat reagiert. Wirkte fast wie ein Verstärker!« »Der Eiswind, die Geräusche und…« »Nebeneffekte, eigentlich ziemlich harmlos. Leider hast du das Primäre nicht beherrscht. Mann, du setzt ein Potential frei, das sogar mich überrascht!« Vom Logiksektor kamen betont sachliche Erklärungen: Aufrißerscheinungen als Folge der hyperenergetischen Interaktion! Gleichbedeutend mit spontaner Entropieänderung. Kälte und automatische Ausgleichsströmung verursachten den Wind. Die Temperaturspannungen wirkten sich auf alle Materialien aus – Knacken und Knistern! Hinzu kamen telekinetische Nebenwirkungen, eine Ionisation der Luft. Nebel entsteht beispielsweise, wenn der ‘ Taupunkt erreicht ist – sprich der Kondensationspunkt des Wasserdampfes. Andere Emissionen wirkten autosuggestiv, verstärkten dein Entsetzen… Cho lieferte nur die Hyperenergie; sie wurde vom Aktivator wie durch ein Brennglas gebündelt! Kitai Ishibashi und Ras Tschubai, vom Psi-Sturm alarmiert, kamen angelaufen, wurden aber von Kon beruhigt; paraverbale Signale durcheilten das Kloster. Der kleine Mann hüstelte. »Mein Lieber – wir werden hart trainieren müssen, bis du diese Kräfte einwandfrei kontrollierst!« Iprasa, Zhy-Kloster, Kristall-Labyrinth: 8. Prago des Ansoor 19.017 von Arkon (= 5. September 2047 Terra-Standard) Eine Goldscheibe baumelte zwischen von Wulstknoten überzogenen Hörnern der Feuermutter, deren hagere Gestalt
vom kräftigen Schimmern ihrer Individualaura umgeben war. Über Schultern zurückgeworfener Cape-Mantel entblößte das pralle vierzitzige Euter und dürre Beine, die in dreizehigen Klauenfüßen endeten. Nolivaika breitete ihre Arme aus und rief mit bebendem Kinnbart die rituellen Worte: »Die Ausbildung ist beendet! Trotzdem begehrt Ihr die Letzte Prüfung, Euer Erhabenheit. Seid Ihr bereit, aus ganzem Herzen und tiefster Seele? Bereit, das Ende des Labyrinths zu suchen?« Ich bin bereit! signalisierte ich, kreuzte die Hände vor der Brust und verbeugte mich. Es ist meine freie Entscheidung! Nolivaika zeigte auf die Treppe, und ich schritt das Halbrund zum Boden der Höhle hinab, deren Decke mächtige Kristallsäulen stützten. Faustgroße Kugeln schwebten unregelmäßig verteilt in der Luft; Edelgaswolken, durch kinetische Impulse zur Lichtemission angeregt. Auf Stufen, auskragenden Baikonen und in Nischen standen regungslos Dagoristas. Weibliche und männliche Adepten, von »ZhySuchern« gefunden, stammten aus vielen Völkern des Großen Imperiums: Ich sah Arkoniden, Zaliter, Springer, Scüs, Ekhoniden, Orbeki, Elloanty, Preboner, Mispaner, Longhoner, Naats, Dron, Mooffs in Großtanks. Tanja winkte aufmunternd, Kitai-San verbeugte sich. Kontaclatiis erwartete mich neben dem aus grünschwarzem Gabbro gehauenen Badebecken und erwiderte meine Verneigung, ehe er meine Kleidung entgegennahm. Monotoner Gesang hallte durchs Gewölbe. Dumpfes Summen ging von Edelsteinpfeilern aus. Wortlos stieg ich ins Wasser, dessen Kälte Gänsehaut erzeugte. Schauer jagten einander, Härchen richteten sich auf, trotzdem tauchte ich zitternd ganz unter. Es bereitete mir einige Mühe, die Parasinnesebene des Cho zu aktivieren. Ich konzentrierte mich. Humanlumineszenz umgab plötzlich
meinen Leib mit bläulichem Leuchten. Obwohl Wasser eine hohe spezifische Wärmekapazität besaß, stiegen nach wenigen Sekunden Bläschen auf. Mein Logiksektor gab ein mathematisch exaktes Info-Bündel ab: Ein Kubikmeter Wasser – Verdampfungswärmeenergie: 2,256 Milliarden Joule. Entspricht dem Energie-Äquivalent von mindestens zwei Impulsstrahlerschüssen eines TS-40-Luccot bei höchster Leistungsstufe. Erste Erschöpfung suchte mich heim, während ich die rituelle Waschung beendete, mich erneut aufs Zhy konzentrierte und unbenetzt aus dem Becken stieg. Ich schaff’s nur, weil beim Dagor-Zhy schlafende Kräfte geweckt wurden, die jetzt freigesetzt werden und die gespeicherte Hyperballung des Parasymbionten ergänzen! Kon lächelte und neigte den Kopf. Das Wasser brodelte inzwischen und war von Dampfschwaden umhüllt. »Denk dran«, sagte er halblaut, »daß du das Kristall-Labyrinth nur unter Einsatz all deiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten überwinden kannst. Je nach Situation mußt du hart und brutal vorgehen, ein anderes Mal rücksichtsvoll und vorsichtig, mal mit Gewalt, mal mit List!« Er überreichte mir den rituellen Hirtenstab, drehte sich um und ging zur Treppe, während die Gesänge der Dagoristas lauter wurden. Feuerfrauen richteten ihre Parakräfte aufs Becken: Fauchend und summend verdampfte das Wasser, ein Geysir zischte hoch. Als sich der Dunst verzog, sah ich glitzernden Boden, der aufklappte und als Schacht – geformt wie eine Druse – in die Tiefe führte. Von der Höhlendecke sank die Abdeckkuppel herab. Rasch kletterte ich, nackt, wie ich war, in den Schacht und tastete, umgeben vom Eigenleuchten der Edelsteine, nach Vorsprüngen und Spalten. Scharfe Kanten ritzten meine Haut. Mit dumpfem Laut schlug der Steindeckel aufs Becken.
Zhy-Kloster, zur gleichen Zeit: Düsterrotes Licht erfüllte den Raum im Sakraltrakt, drei Tetraeder umstanden als Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks Nolivaika. Paraverbales Raunen und Flüstern verband die Kristallkörper untereinander und mit der Feuermutter. Suinsintung signalisierte: »Seine Skepsis ist weiterhin zu groß. Er ist innerlich nicht bereit, sich wirklich vollständig fallenzulassen.« Kymalthoran ergänzte: »Trotz allem bleibt er nur ein Großmeister, ein dem Weltlichen zu sehr verhafteter Dagorista.« Kontaclatiis bestätigte: »Er wird alles geben, doch das wird nicht ausreichen. Ein Hochmeister muß den Ich-Tod akzeptieren, um auf höherer Seinsstufe zu erwachen.« Die Longhonin breitete die Arme aus. »Bei der Letzten Prüfung im Kristall-Labyrinth werden Tod und Wiedergeburt symbolisiert. Erst diese Grenzerfahrung öffnet das Tor zur Tai Zhy Fam. Scheitern wird das Projekt nicht gefährden, sondern ist einkalkuliert. Aber wir müssen damit rechnen, daß er sich unbewußt widersetzt: Zu lange schon lebt er in körperlich zentrierter Gestalt; der mit der Großen Feuermutter verbundene erweiterte Blickwinkel schreckt ihn ab.« Schweigen. Parasinne glitten hinab ins Labyrinth und verfolgten Atlans Bemühungen. Er überstand die ersten Gefahren, fand den verschlungenen Weg, kämpfte sich voran. Entstanden war die Prüfung, um jene auszuwählen, die ihr Leben als Hochmeister ausschließlich dem Zhy widmen wollten. Schon in Atlans Jugendzeit wurde die Letzte Prüfung nur noch selten absolviert, später geriet sie fast vollständig in Vergessenheit: Der unglaubliche Blutzoll in den Methankriegen hatte die Besten ausgelöscht, denn die meisten Dagoristas kämpften an vorderster Front, und es war eine
müßige Frage, ob und inwieweit der spätere Niedergang der Arkoniden damit im direkten Zusammenhang stand. Erst als es fast zu spät war, besannen sich einige der Dagor-Tradition; Dagoristas gelangten nach Zhygor, entschlossen zum Leben nach alter Überlieferung, geschult von den Gijahthrakos. »Das Labyrinth zu durchqueren ist nur der abschließende Aspekt der Vorbereitung«, erklärte Kontaclatiis. »Wer hier besteht, eignet sich nicht mehr für das Amt des Imperators von Arkon, denn damit sind andere Voraussetzungen verbunden: Die Erfahrung des Versagens ist evident und führt erst durch ihre Verarbeitung zum Kuß der Großen Feuermutter. Viel bedeutsamer ist, daß Atlan sich weiterhin sperrt. Es könnte sein, daß dies die Stabilisierung des Kollektivs verhindert oder zumindest entscheidend erschwert. Wir wissen, wie wichtig es ist, daß Tai Zhy Fam entsteht: Der Auftrag von ES war unmißverständlich!« Suinsintung flüsterte paraverbal: »Unsere Kristallstrukturen sind erstarrt und gebunden – jetzt liegt es ausschließlich an Atlan, ob es gelingt oder nicht. Sehr vieles spricht allerdings gegen ihn.« Kristall-Labyrinth: Kristalline Platten begrenzten den Gang, durch den ich wankte. Durst brannte in meiner Kehle, alle Bewegungen wurden müder und schwerfälliger. Ich hatte den Kubus in der linken, oberen Ecke betreten und tastete mich langsam durchs dreidimensionale Weggeflecht. Mindestens fünfzig Meter Kantenlänge besaß der Würfel, zehn Ebenen, mal transparent, dann wieder nur durchscheinend, untergliederten ihn. Gläserne Rampen und Treppen verbanden Etagen. Kristallsäulen, verschachtelte Wände und bewegliche Barrieren erschwerten jede Orientierung. »Sieben Stunden dauert die Prüfung schon!« Ich lehnte mich erschöpft gegen die Wand. Ohne den Parasymbionten…
Glitzern und Funkeln überzogen Edelsteine, Spiegel verzerrten die Sicht, feuriger Glanz tanzte an winzigen Facetten. Immer wieder narrten Halluzinationen und Trugbilder. Materieprojektionen von Monstren entstanden una verwehten, mehr als einmal war ich gegen unsichtbare Wände gerannt und hatte mir Beulen eingehandelt. Ein durchscheinendes Gesicht erschien in der Luft; im ersten Moment nur eine Spiegelung – doch mein virtuelles Bild wurde verzerrt, im aufklaffenden Maul drohten lange Fangzähne. Gellendes Kichern peinigte meine Ohren, hallte verzerrt und wurde leiser. Die geifernde Fratze zersprang zu einer Unzahl weißer Fragmente, die mich als Schneeflocken umtanzten. Eiswind heulte und fauchte. Feuchter Nebel durchzog das Kristall-Labyrinth mit milchigen Schleiern. Für Sekunden sah ich eine trostlose Landschaft: Dürres Geäst und groteske Baumstümpfe ragten aus dickem Eispanzer, reckten sich wolkenverhangenem Himmel entgegen. Ausgezehrte Gestalten wankten näher, von zwitschernden Schemen umgeben; Grimassen und Schwellköpfe durchstießen Nebel, blicklose Augen starrten – und wurden von einer Lichteruption hinweggefegt. Vibrierendes Summen durchzog die kristallinen Begrenzungen, und ich stieß mich, vom Trugbild genervt, von der Wand ab. »Weiter!« Ich trieb mich an, torkelte eine Juwelentreppe hinab, tastete Glas-Scheiben entlang und stand unvermittelt vor einem Tor nahe dem Kubusboden. Eine Stimme sagte leidenschaftslos: »Der letzte Abschnitt: die Halle der Krieger!« Geräuschlos fuhr die Platte nach oben. Der leere Saal war fünfzig Meter lang und etwa halb so breit. Leuchtbänder an Bodenkanten schufen schattenlose Helligkeit, unterschiedlich lange Fäden und Gespinste hingen von der Decke. Glatte Holzdielen federten unter meinen Füßen – schon löste ich eine
Mechanik aus: Aus plötzlich aufklaffender Öffnung zischte eine Kriegerpuppe, deren Langschwert waagrecht durch die Luft fuhr – und mir den Kopf abgeschlagen hätte, wäre ich nicht rechtzeitig zur Seite gehüpft. Damit löste ich aber weitere Kontakte aus und sah mich Puppen gegenüber, deren Mechanik – ich erfaßte es am Rande – computergesteuert war. Cho rief: Zwei an den Seiten, die dritte hinter dir! Wieder kämpfte es für mich. Ich duckte mich unter dem Pfeil, den die hintere Puppe abschoß, und traf mit dem Hirtenstab die linke, deren Lanze durch die Luft stach. Die Mannax-Streitaxt der dritten krachte wenige Millimeter neben meinem Fuß ins Parkett. Ich hechtete vor und warf mit waagrecht gehaltener Stange die Robotkonstruktionen um, rollte ab, sprang auf – aber kein neuer Gegner erschien. Drei Schritte – fünf Puppen fauchten halbkreisförmig aus der Tiefe. Zwei Lanzen wehrte ich mit dem Stab ab, als flirrender Lichtblitz surrte ein Thark-Metallstern vorbei und riß meinen Nacken auf. Ein Schwert prallte gegen den herumgerissenen Stab, mit einem Fußschlag zur Seite zerschmetterte ich die Puppe, ehe sie ihren Pfeil abschießen konnte. Im Vorspringen überquerte ich eine Öffnung, rollte vor dem von der Decke fallenden Netz in Sicherheit und wurde fast von drei Thermoimpulsen gebraten, die ein neben mir ausfahrender Zylinder abfeuerte. Noch dreißig Meter! Ein vielgliedriges Gebilde, dessen Arme um Desintegratorfelder verlängert waren, verwandelte den Stab in Splitter. Grünliche Energieklingen wirbelten umher, wurden kürzer und streckten sich und versperrten mir den weiteren Weg. Mit stummem Fluch wich ich seitwärts aus, bewirkte das Auftauchen zweier Puppen und lief im Zickzack weiter, stieß eine Schwertpuppe um und beachtete kaum den zwischen meinen Beinen vibrierenden Pfeil.
Fünfzehn Meter! Keine Puppen – dann vier auf einmal. Kometengleich jaulten Thermoschüsse und verbrannten die Haut meines linken Arms. Ein Schwert mit Desintegrator-Hüllfeld zischte. Keuchend wich ich geschleuderten Sicheln aus, dann krachte eine stachelbesetzte Kugel gegen meine Schulter und lähmte den linken Arm. Zwei Puppen, mit Speeren bewaffnet, erschienen. Dem ersten Speer wich ich aus, den zweiten fischte ich aus der Luft – und glaubte Glocken schlagen zu hören, weil mir der federnde Schaft hinters Ohr schlug. Ich taumelte weiter. Fünf Meter noch! Schlußkampf: Sieben Puppen erschienen in zwei Reihen, jeweils mehrfach bewaffnet. Bolzen ritzten meine Seite. Meine Reaktionen wurden langsamer und schwerfälliger. Einem Impulsstrahl entging ich, weil ich auf die Knie brach. Dafür donnerte mir eine Keule ins Kreuz, daß es knackte. Ich wurde nach vorne geschleudert, bekam von einem Morgenstern fast den Fuß zerschmettert, duckte mich unter breitem Desintegratorfächer und warf, ehe ich die Wand erreichte, zwei Puppen um. Nichts rührte sich mehr. Eine Öffnung entstand, zu der ich hinüberwankte. Der Raum war vergleichsweise winzig; kaum betreten, schloß sich das Tor. Ein wabernder Kraftfeldvorhang, über den Entladungen zuckten, markierte den von Steindrachen flankierten Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite. Ausgebreitete Fledermausflügel überwölbten schuppige Leiber mit weit aufgerissenen Mäulern. Erneut erklang die kalte Stimme: »Leg deine Hände in die Rachen der Yillds. Konzentriere dich auf den Ausgang. Der Boden wird sich unter deinen Füßen öffnen, der Zhy-Tanz beginnt. Dir bleiben fünf Minuten!« Ich eilte, während sich die Raummitte senkte, an der linken Wand entlang. Blutiges Wabern, das einen schwarzen Aufriß umgab, quoll aus breiter werdendem Spalt. Rasch legte ich die
Hände in Drachenmäuler, beschwor konzentriert alle Parakräfte und hoffte aufs schnelle Zhy. Hinter mir tobte Hitze, die Stimme sagte leidenschaftslos: »Drei Minuten!« Meine Muskeln bebten vor Anstrengung. Nichts geschah. Verzweiflung befiel mich. Während mein Bewußtsein letzte Reserven mobilisierte, die restlichen Kräfte, die ich noch besaß beziehungsweise über den Psi-Käfer kontrollierte, summte der Boden weiter auf. Glutwellen trafen meinen Nacken. Zehn Jahrtausende Ausbildung und Schulung – alles vergebens? Hypnolektionen, praktische Übungen, Zwischenprüfungen. Fartuloons Unnachgiebigkeit, die Zeit auf Largamenia zur Erringung des dritten Grades der ARK SUMMIA. Den FaehrlZöglingen wurden alle Kenntnisse über die Natur vermittelt, Kräfte von Körper und Geist trainiert und Dagor täglich praktiziert. Später die Akademiezeit: Iprasa. Ghotors »Anleitungen unter Realbedingungen«… Ich lernte den Gebrauch verschiedenster Waffen, primitiv wie High-Tech, konnte fechten und mit einem Bogen schießen, wußte mit Wurfseilen umzugehen und war in der Lage, den eigenen Körper in eine Kampfmaschine zu verwandeln. Geistige wie körperliche Kräfte wurden geschärft und gestärkt… »Eineinhalb Minuten!« … wußte in feindlicher Umgebung zu Überlehen, kannte mich im Dschungel ebenso aus wie in der Wüste oder im Gebirge. Reittiere verschiedenster Welten waren mir so vertraut wie Leka-Shuttles, Gleiter und Großraumer. Zehn Jahrtausende Verbannung unter den Barbaren von Larsaf III – kaum eine Situation, die ich nicht erlebte. Und dann: Kons Anleitungen verbesserten Körperbeherrschung und die des Cho-Parapotentials. Ich hatte gelernt, Höchstleistungen zu erbringen, Schmerzen zu unterdrücken und – bis zu einem gewissen Grad – Folter zu widerstehen. Theorie wechselte in meinem langen Leben mit Praxis, Ruhe und Freizeit waren nicht zu kurz gekommen; Perioden des Schöngeistigen, von Kunst und Kultur. Zehn
Jahrtausende… Ich merkte kaum, daß ich leise die Melodie der Sternenhymne des Großen Imperiums summte. Unerträgliche Hitze hüllte mich ein, entsetzt sah ich, daß der Parasymbiont zu Staub zerfiel. Ich schrie… »Die Zeit ist um!«
11. Hemmar Ta-Khalloup: Jahre der Krise, Betrachtungen zu dem beginnenden 20. Jahrtausend (Entwurf); Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.017 da Ark In einem Universum, dessen Grundlage das Relative ist, dürfte es eigentlich keine Absolutheitsansprüche geben, da diese jeglichen empirischen Erkenntnissen widersprechen. Tatsächlich aber neigen alle Wesen angesichts ihrer eigenen Unvollkommenheit leicht dazu, nach Absolutem zu streben: sei es in Form von Regierungsorganisationsformen, sei es bei der Suche nach Wissen oder in der Beantwortung von Glaubensfragen. Deshalb darf nicht verwundern, daß ein bedeutender Faktor galaktischen Geschehens in Gestalt von Religionen und Kulten Ausdruck gewinnt. Neben ungezählten lokalen Glaubensrichtungen, Sekten und Lehren ist es seit kurzem vor allem die »Reine Lehre« des TekteronBundes, deren Zulauf auffällt – und das unabhängig von den verschiedenen Spezies und Einzelindividuen, die unter dem Oberbegriff Tekteronii zusammengefaßt werden. Was macht dieses verbindende und bindende Phänomen aus (unabhängig von der Vermutung, daß massive suggestive Beeinflussung dahinterstehen könnte)? Offenbar ist es die zur Absolutheit erklärte Relativität des Lebens, dessen natürliche Entwicklung und Wandelbarkeit – einschließlich der Neigung zur immerwährenden Anpassung – als einer der Glaubensgrundsätze auftaucht. Verbunden damit ist allerdings die
strikte Ablehnung und Verfolgung jener, die – als Tek’gools umschrieben – vor allem die transzendentale Entwicklung selbst in die Hand nehmen wollen, wie sie beispielsweise durch künstliche Bewußtseinsformen wie die Große Feuermutter zum Ausdruck kommen. Liegt hierin der fanatische Widerstand der Tekteronii begründet, weil ihnen höhere, künstlich geschaffene Seinsformen als Abartiges, Widernatürliches, ja sogar als Gotteslästerung erscheinen? Richtet sich ihre »Reine Lehre« somit auch und nicht zuletzt gar gegen jene Wesenheit, die in der bekannten Galaxis zweifellos den höchsten Status einer solchen Bewußtseinsstruktur besitzt – gegen das Fiktivwesen ES? Ist dieses kaum begreifliche Geschöpf unter Umständen das eigentlich Bedrohte und alles andere nur »Nebenschauplatz« im Rahmen der Festigung von Macht- und Herrschaftsstrukturen? Und, weitergedacht: Handelt es sich, wenn vage von »Erwachenden Legenden« gesprochen wird, um »Dinge« aus der Zeit des Großen Galaktischen Kriegs, deren eigentlicher Sinn und Zweck ein Angriff auf ES war? Dann, so steht zu befürchten, sind wir in eine Auseinandersetzung verstrickt, deren wahre Dimensionen alle bislang bekannten Kategorien sprengen… An Bord der STARDUST II: 8. Prago des Ansoor 19.017 von Arkon (= 5. September 2047 Terra-Standard) Mit der letzten Transition gewann das 800-Meter-Kugelschiff am Rand des Arkonsystems Stofflichkeit. Nur leises Seufzen und verhaltene Verwünschungen begleiteten das Abebben der ziehenden Schmerzen, routiniert nahm die Zentralebesatzung ihren Dienst auf. Meldungen gingen halblaut hin und her, im Ringwulst fuhren grollend die Impulstriebwerke hoch und beschleunigten das Schiff, dessen Kurs ins Innere des Systems wies.
»… Verbindung zum Begleitkreuzer steht, Einflugkorridor bestätigt, Standard-Sublichtfahrt, Endstufe null Komma neun.« Der Kommandant der STARDUST II, Oberst Clyde Ostal, drehte den Kontursitz und wandte sich dem jugendlich aussehenden Mann in lindgrüner Uniform mit dem Goldenen Kometen eines Generals zu, der in einem Besuchersessel am Rand der Kommandoempore saß. »Planmäßige Ankunft und Landung auf Arkon Eins in dreiundzwanzig Stunden relativer Bordzeit, Sir… ähm, Exzellenz.« Julian »Tiff« Tifflor lächelte und winkte ab. »Nur keine Umstände, Oberst. Danke. An den neuen Titel eines TerraBotschafters muß ich mich ebenfalls erst noch gewöhnen. Gleich zweifache Beförderung in kürzester Zeit; mein alter Herr hätte sich erstaunt die Augen gerieben.« In Gedanken fügte er hinzu: James Frederik Tifflor, seinerzeit bekanntester Strafverteidiger der Ostküste, hat nie viel von meinem Griff nach den Sternen gehalten. Wäre es nach ihm gegangen, hätte ich irgendwann seine Kanzlei übernommen. Eisig seine Reaktion auf meinen Eintritt in die Space Academy. Und als SpA-Kadett im letzten Semester gleich als »Kosmischer Lockvogel« eingesetzt, weil die Springer… Als Sonderkurier mit der Vollmacht, im Falle einer Gefahr uneingeschränkt von der Dienstwaffe Gebrauch zu machen, habe ich Eileens Hochzeit vermutlich ziemlich verdorben… Und nun, Dad, fliegt dein Sohn nach Arkon, mit weitreichenden Sondervollmachten ausgestattet, um als oberster Repräsentant des Solaren Imperiums seinen Dienst zu beginnen. Schade, daß du es nicht mehr erleben darfst. Sein Blick glitt zum offenstehenden Schott hinüber, ein Teil des Arbeitstisches mit vielfältigen Kommunikations- und Datenverarbeitungsterminals war zu sehen; dahinter an der Wand war die Flagge des Solaren Imperiums befestigt: der von zwei Händen gehaltene Milchstraßenspiralnebel auf blauem Grund. Neben hochrangigen Diplomaten und neuem
Botschaftspersonal, darunter Oberstleutnant Hubert Gorlat als SolAb-Verbindungsoffizier, befand sich an Bord auch eine Wirtschaftsdelegation der General Cosmic Company. Kurz dachte Julian Tifflor an seine Antrittspräsente: ein auf der Erde nach Angaben Kitai Ishibashis angefertigtes Dagorschwert und ein Speicherkristall mit Informationen über Ara-Aktivitäten, die in direktem Zusammenhang mit Tiffs letztem Einsatz als Sonderagent des Solaren Imperiums standen. Fast wären die Siedler der Kolonialwelt Troja den Machenschaften einer 5000-köpfigen Ara-Gruppe zum Opfer gefallen, weil es auf dem Planeten nirgendwo sonst zu findende Mineralien und Pflanzen gab, die für biomedizinische Zwecke von größtem Interesse waren. Trojas Sonne Helena gehörte zum Isis-Sektor, benannt nach einem Al-Riesenstern von vieltausendfacher Leuchtkraft Sols, etwa 10.000 Lichtjahre von Terra Richtung galaktisches Zentrum entfernt. Kurz bevor Troja im Jahr 2046 besiedelt wurde, richteten die Aras einen Geheimstützpunkt ein, fest entschlossen, die Terraner mit Mitteln zu vertreiben, die keinen Verdacht erregten, sondern den Eindruck erwecken sollten, als wende sich die Natur gegen sie. Es kam zu Fehlgeburten und der Geburt mißgestalteter Kinder. Ähren des Troja-Grases enthielten die Droge Antimnesin-8, so daß der Genuß von aus Troja-Mehl gebackenem Brot zu partiellem Gedächtnisschwund führte, vom Planeten Trumbull stammende Würgemaul-Vampirpflanzen töteten Siedler. Die Aras wurden ausgeschaltet, die Gefahr von den Siedlern abgewendet, dachte Tifflor. Viel bedeutsamer war allerdings die Untersuchung ihres Stützpunkts. Vor allem die Aufzeichnungen und Dateien ihres Anführers Pindarron brachten bemerkenswerte Informationen zutage: Vor mehr als zehn Jahren arbeitete er mit anderen an einem Projekt, über dessen Einzelheiten er sich zwar nicht ausließ, sondern nur mit dem Begriff Stachelkugel umschrieb,
aber es geschah im Auftrag der Tekteronii! Und das wirdAtlan sehr interessieren. Ostais Stimme riß Tifflor aus den Gedanken: »Wünschen Sie Kontakt zur Botschaft, Sir?« »Später.« Tiff machte eine vage Geste. »Man weiß ja, daß wir kommen.« »Verstanden.« Ostal drehte den Sitz in die alte Position, während Tiff den vertrauten Geräuschen lauschte. Obwohl ein »altes Mädchen«, versah die STARDUST II, einst Flaggschiff der Solaren Flotte, nach Jahrzehnten problemlos ihren Dienst. Manches mochte veraltet sein, und ihre Abstellung als ebenso repräsentatives wie grundsätzlich leistungsstarkes Fahrzeug des Botschafters Terras im Arkonsystem und dem Großen Imperium sollte mit einem Werftaufenthalt auf Arkon III verbunden werden. Doch sogar ohne Überholung und Nachrüstung durfte niemand die 800er-Klasse unterschätzen, die bis zur Einführung der 1500erSuperschlachtschiffe für mehr als zehn Jahrtausende die größten Raumer im Imperium gewesen waren. Die konventionellen Gesetze des Standarduniversums ließen sich allerdings nicht ausschalten: Kurztransitionen waren innerhalb des Arkonsystems verboten – von Notfallsituationen abgesehen –, und somit konnte die Fortbewegung nur im Sublichtbereich erfolgen. Zeitaufwendig und von Langeweile geprägt, dachte Julian. Distanzen von Tausenden Lichtjahren überwinden wir in Nullzeit, aber der Restanflug ist jedesmal eine nervende Prozedur. Natürlich notwendig, um die mit den Schockwellen verbundenen Auswirkungen auf Planeten zu verhindern. Daran hat sogar die Weiterentwicklung der Schockdämpfung nichts geändert. Well, mit dem druufsehen Halbraumtriebwerk wird das alles anders werden, wenn in fünfzig oder sechzig Jahren die Serienreife erreicht ist. Ein zartes Flüstern tastete sich in seine Gedanken: Ablenkung
gefällig? Er sah auf und musterte die nur faustgroße schwarze Kugel, die vor ihm in der Luft schwebte, langsam größer wurde, aufhellte und in rascher Folge Bilder von Planeten, Landschaften und Kelchbauten zeigte. »Keine schlechte Idee, Harno.« Tiff schnippte mit den Fingern. »Wie wär’s mit einer televisorischen Rundreise durchs Arkonsystem? Erinnerungsauffrischung verbunden mit aktuellen Informationen!« No problem, Sir. »Du warst wohl zu häufig mit unserem pelzigen Freund zusammen? Seit Gucky achtundzwanzigfache Verstärkung erhalten hat und den Mars unsicher macht, scheint ihre Kommunikationsweise noch schnodderiger geworden zu sein. Das färbt offensichtlich ab?!« Humor hat, wer trotzdem lacht – heißt es bei euch Terranern nicht so? Tiff winkte ab, sein Gesicht bekam einen säuerlichen Zug. Neben ihm lachte Betty Toufry auf – es bescherte der Telepathin und Telekinetin einige mißtrauische Blicke der Zentralenbesatzung. »Unser Freund paßt sich eben an«, sagte sie. »Wie betont er stets: Neugier ist die Ursache allen Wissens! Wäre Harno nicht neugierig, hätte er uns längst verlassen. Über genügend Energie verfügt er ja inzwischen.« Warum sprichst du von mir in der dritten Person? Die Kugel wurde gelb, und aus dem dargestellten grinsenden Smiley wurde ein betrübter. Das ist nicht freundlich. Nur weil ich mich zur Zeit als Kugel zeige, der idealsten aller Formen…? »Entschuldige, Harno. Kommt nicht wieder vor.« Tiff runzelte die Stirn. Obwohl das Wesen, eigenem Bekunden nach aus »Energie und Zeit« geformt und fünf Millionen Jahre alt, seit rund vier Jahren bei den Menschen
war, blieb es geheimnisvoll: Sergeant Harnahan begegnete ihm erstmals 1983 auf einem Mond des vierten Planeten der 1012 Lichtjahre von der Erde entfernten Sonne 221-Tatlira, wo es siebenhundert Jahre verharrt hatte, um Energie der Sterne aufzunehmen. Sechzig Jahre später erinnerte sich Rhodan an Harnahans Bericht und schickte Marcus Everson mit der KUBLAI KHAN dorthin, um es um Hilfe gegen die Druuf zu bitten. Marc – nun Thantan von Atlans Kristallgarde! Im Andenken an den verstorbenen ersten menschlichen Freund – 2003 geriet Harnahans Raumschiff am Milchstraßenrand in einen kosmischen Sturm – nannte sich das Wesen, inzwischen ordentliches Mitglied des Mutantenkorps, Harno. Harno lebt von Energie, kann nahezu beliebig seine Gestalt verwandeln, über mindestens zweihundert Lichtjahre hinweg mit anderen in telepathischen Kontakt treten und sogar überlichtschnell durch den Hyperraum fliegen. Tiffs Gedanken spulten in rascher Folge das Wissen ab. Und er kann viel mehr, als nur televisorisch Bilder zu projizieren. Allerdings hat er mehrfach daraufhingewiesen, daß ihm manche Dinge verboten sind; vielleicht von ES, mit dem Harno in Beziehung zu stehen scheint. Von Gucky wußte Tiff, daß Atlan bei der ersten Begegnung mit Harno irritiert gefragt hatte, ob sie sich schon einmal begegnet seien. Verblüffend die telepathische Antwort: Ich kenne dich, Admiral der alten Arkoniden. Als ich dich das letztemal sah, war deine Uniform noch echt. Später war über diesen Vorfall nie wieder gesprochen worden, obwohl es Tiff brennend interessierte, ob es tatsächlich schon einmal zu einer Begegnung zwischen Atlan und Harno gekommen war. Atlan selbst, so interpretierte der Botschafter den Vorfall, schien sich – trotz photographischem Gedächtnis! – nicht sicher gewesen zu sein. Harnos telepathische Impulse erzeugten in Tiff den
Widerhall eines amüsierten Lachens: Neugier – dein Name ist Mensch! Euer Freund, der nun Imperator von Arkon ist, hat viel erlebt in seinem langen Leben. Vieles davon ist ihm selbst nicht mehr bewußt. Und es steht mir nicht zu, darüber Informationen preiszugeben. ES? dachte Tiff unwillkürlich. Unter anderem. Mehr zu sagen war Harno offensichtlich nicht bereit. »Du wolltest uns Impressionen des Arkonsystems zeigen«, sagte Betty, als das Schweigen peinlich zu werden drohte. Knapp viereinhalb Jahre jünger als Tiff, konnte die zierliche Frau beim ersten Blick für eine nicht mal Zwanzigjährige gehalten werden. Je länger und genauer man sie jedoch betrachtete, desto mehr mußte das Alter nach oben korrigiert werden; vor allem der Blick aus großen, dunkelbraunen Augen irritierte. Waren Augen wirklich der »Spiegel der Seele«, offenbarten sie Bettys Erfahrung und Weisheit einer Uralten. Dem entgegen stand wiederum das faltenlos glatte Gesicht, scheinbar aus Marmor modelliert und von halblang gewelltem schwarzem Haar umrahmt. Tiff war sich bewußt, daß er selbst auf Außenstehende häufig einen ähnlichen Eindruck machte. Groß, schlank, mit dichten braunen Haaren, das Lächeln ebenso optimistisch wie selbstsicher, der Traum einer jeden Schwiegermutter, die Verkörperung des sympathischen, nicht richtig erwachsen gewordenen Jungen von nebenan. Daß dieser Eindruck ebenso wie bei Betty täuschte, mußte als »Nebeneffekt« der Zellduschen in Kauf genommen werden. »Bei Atlan ist dieser Effekt viel gravierender, General«, sagte Betty trocken. »Du vernachlässigst deine gedankliche Abschirmung. Schon vergessen? Wir werden es mit allen möglichen Parabegabten zu tun bekommen, Mister Botschafter. Nichts gegen deine schmeichelhafte Beurteilung,
aber…« Tiff nickte und seufzte. »Vielen Dank für den freundlichen Hinweis, Miß Toufry. Dein Charme ist heute wieder mal herzerfrischend. Zuckersüßes Stimmchen und in der Hand den Vorschlaghammer! Herr im Himmel, wenn ich an all das Dagor-Zeugs denke: Das bleibt mir vermutlich auf ewig ein Buch mit sieben Siegeln.« »Alles halb so wild. Man muß sich nur unvoreingenommen darauf einlassen.« »Leichter gesagt als getan.« Unterdessen hatte sich Harno auf Metergröße aufgebläht, erste Bilder stabilisierten sich und zeigten in verschiedenen Ausschnitten das Arkonsystem. Im Zentrum die flammendweiße Sonne. Die 27 Planeten des Arkonsystems – von der sonnennächsten Welt Zhym’ranton, der »Feuerwelt« in 305 Millionen Kilometern Abstand, bis zur 15,7 Lichtstunden entfernten eiserstarrten Kugel Mutrals. Parallel zu den Bildern rief sich Tiff die Daten ins Gedächtnis; er kannte sie seit dem ersten Vorstoß nach Arkon, damals, als Thora und Crest zurückkehren wollten und erfahren mußten, daß der Robotregent die Macht übernommen hatte. Ganz außen im Gewirr der Oortschen Kometenwolke die insgesamt 5000 Riesengebilde des »äußeren Festungsrings«: Vierzig Lichtstunden betrug der Durchmesser der abgeflachten Sphäre auf Höhe der Ekliptik, fünfzehn Lichtstunden die Ausdehnung in Verlängerung von Arkons Rotationsachse. Die Festungen waren robotisierte Kampfplattformen, ihr Einsatz wurde von den Anlagen Mutrals aus koordiniert. Schon vor 15.000 Jahren entstanden, noch vor der Schaffung der drei Synchronwelten, handelte es sich meist um umgebaute und ausgehöhlte Asteroiden und Kometen, manche bis zu dreißig Kilometer groß, vielfältig ergänzt und erweitert um mächtige Ausleger und Plattformen,
die die Waffensysteme bargen: gewaltige Kanonen auf Impulsstrahl- und Desintegrator-Basis, feldenergetische Mörser für den Abschuß von Raumtorpedos, GigabombenMarschflugkörpern und Gravitationsbomben. Ungezählt die kleinen Jäger, Zerstörer und »Beiboote«, ausschließlich von Kampfrobotern bemannt, die den eigentlich eingeschränkten Wirkungsradius einer jeden Station zur geschlossenen Wachund Schutzsphäre des Arkonsystems ergänzten. Für Augenblicke sah Tiff eine Einzelfestung: Aus Dämmerung drehte sich das metallische Objekt ins Licht einiger naher Sonnen, Reflexe blitzten über Arkonstahl. Weit kragten fünf zugespitzte Ausleger nach allen Seiten, überzogen von Noppen und Wülsten, die der Plattform das Aussehen eines Seesterns verliehen. Nur das Zentrum, fast zehn Kilometer groß und nahezu vollständig unter den Ausbauten verborgen, war natürlichen Ursprungs; ein EisenNickel-Asteroid, dessen Metallreichtum die Rohstoffquelle vor Ort gewesen war. Und weiter, tiefer hinein ins Arkonsystem! rief Harno, von neuen Bildern auf seiner Oberflächenwölbung begleitet. Die Planeten 26 bis 19 waren ebenfalls Eiswelten; mondlose, etwa marsgroße Welten, auf denen Robotverbände, Orter und Taster und Hyperfunkanlagen stationiert waren, die als Relais für die maßgeblichen Einrichtungen der inneren Arkonplaneten dienten – Augen und Ohren, die weit über die Grenzen des Kugelsternhaufens hinausreichten. Tiff war, als rase er mit ungeheurer Geschwindigkeit zwischen den Welten dahin, die kurz in seinem Blickfeld erschienen, zur vollen Größe anschwollen und im nächsten Augenblick im violettgleißenden Weltraum von Thantur-Lok versanken: Mit Harnos Impressionen war ein telepathisches Schwingen verbunden, das die Illusion erweckte, körperlos direkt vor Ort zu sein. Kaum, daß der Mann noch die Umgebung der
STARDUST-Zentrale wahrnahm. Bei den folgenden sieben Welten handelte es sich um Gasriesen in der Art des solaren Uranus, umgeben von ganzen Mondfamilien und dünnen Ringsystemen, von denen jedoch keines die Pracht des Saturn entfaltete. Die Planeten selbst, zwischen 75.000 und 85.000 Kilometern im Durchmesser, hatten sich für Besiedlungen als ungeeignet erwiesen, doch die Monde waren zu Stützpunkten ausgebaut. Dann Arkon XI: Bhedan, 102.500 Kilometer im Durchmesser, 3300 Millionen Kilometer vom Zentralgestirn entfernt, war Herr über 24 Monde. Auch hier: Flottenstützpunkte, Depots und robotisierte Anlagen, die bis tief in die Mondkrusten hinabreichten. Vor zehntausend Jahren waren es 25 Monde gewesen – Nummer siebzehn verglühte allerdings im Kernbrand einer Arkonbombe. Tiff erinnerte sich an Atlans Einweisungen: In Vorbereitung des Einsatzes, bei dem der Robotregent ausgeschaltet werden sollte, hatte er Informationen weitergegeben, die die rein wissenschaftlichen Dateien ergänzten. Tiff glaubte, erneut Atlans Stimme zu hören. »… Höhepunkt und Ende des Nopoleter-Aufstandes des Jahres 10.502 von Arkon… Mißwirtschaft und Korruption der Orbanaschol-Ära konnte auch mein Oheim nicht so schnell beseitigen, wie er eigentlich wollte; viele Kolonialwelten waren wegen eklatanter Unfähigkeit Opfer der Methans geworden, Nachschub und Versorgung gerieten ins Stocken. Die Nopoleter setzten sich an die Spitze der Rebellion und versuchten, die für Arkon Drei bestimmten Nachschubgüter abzufangen. Wir entsandten Begleitschutz-Konvois, um Arkons Lebensnerv zu schützen. Weil ihre Blockade nicht erfolgreich war, versuchten es die Nopoleter mit einem Verzweiflungsangriff, der bis ins Arkonsystem hineinführte: Damit die Nachschubflotte nicht gefährdet wurde, kamen die Stationen des äußeren
Festungsringes nicht zum Einsatz. In erbitterten Einzelgefechten gelang es uns, die Angreifer nach Gattarom abzudrängen und dort schließlich zur Landung zu zwingen. Um ein Exempel zu statuieren, entschlossen sich Flottenzentralkommando und Imperator Gonozal der Siebte zum Abwurf der Arkonbombe…« Weitere Bilder und Informationen: Chaa, der zehnte Planet: 81.100 Kilometer im Durchmesser, 2425 Millionen Kilometer mittlere Distanz zu Arkon, zwölf Monde… Der Riese Votier umlief mit seinen 31 Monden – von denen Nummer 15, Tix, größer als der Mars war – Arkon in 1730 Millionen Kilometern Abstand und war ein Gasgigant von rund 183.000 Kilometern Durchmesser. Planet Nummer acht hieß Tacha; 37.900 Kilometer groß, von sieben Monden umkreist, rund 1,3 Milliarden Kilometer von Arkon entfernt – eine kalte, von Gebirgen und Wüsten geprägte Welt mit lebensfeindlicher Kohlendioxid-StickstoffAtmosphäre. Großstädte neben den Raumhäfen waren von Prallfeldkuppeln überdacht. Tynoon war Nummer sieben im Reigen der Arkonwelten; zusammen mit den Welten fünf bis acht Teil des »inneren Festungsringes« und Standort großer Ausweichraumhäfen. Die Sauerstoffatmosphäre war zwar dicht genug, doch der hohe Kohlendioxid- und Edelgasanteil machte sie für Arkoniden nicht atembar. 38.400 Kilometer Durchmesser besaß der Planet, der im Mittel 1050 Millionen Kilometer von Arkon entfernt war und acht Monde besaß. Kleine Meere waren meist durchgehend vereist, die höchsten Gebirge erreichten Höhen bis zu zwanzig Kilometer über dem Normalniveau. Iprasa. Die Monde Hamar, Deldon und Kyndhon erschienen. Über naturbelassene Zonen zogen wie seit Jahrtausenden
Berkomnairherden, Horimad klapperten, Magmaströme eruptierten, und Riesengletscher glänzten im Sonnenlicht – im krassen Gegensatz dazu die technologische Seite, die Raumhäfen, startende und landende Raumschiffe, das Pulsieren in Ikharsa. Am Rand der Hauptstadt der ausgedehnte Komplex der Faehrl, direkt benachbart die paraphysische Aktivierungsklinik und die Riesenbauten der Galaktonautischen Akademie. Nur kurz der Blick auf ein Ehrenmal, aufblitzend der Name GHOTOR… Arkon V: Der Gigant Naat, 845 Millionen Kilometer von Arkon entfernt, war fast so groß wie Jupiter: 127.000 Kilometer Durchmesser. Eine schmutziggelbgraue Staubund Wüstenwelt mit atembarer Sauerstoffatmosphäre, aber mörderischer 2,8-Gravos-Schwerkraft. »Bis in die Gegenwart hält sich die Verwunderung, daß diese Welt überhaupt intelligentes Leben hat hervorbringen können«, murmelte Tiff, von Erinnerungen an die Heimat der Naats überfallen. »Staubstürme mit Windgeschwindigkeiten von mehreren hundert Stundenkilometern sind ganz normal; die Welt an sich ein Unikum, ein Planet der Extreme: Obwohl die Gesamtmasse dem knapp 277-fachen der Erde entspricht, liegt die mittlere Dichte bei nur 1,547 Gramm je Kubikzentimeter. Mit anderen Worten: Naat ist eigentlich ein Gasriese aus leichten Elementen wie Wasserstoff und Helium, der von einer dünnen Silikatgesteinskruste – genauer: Großschollen – umgeben ist und sich in einem äußerst fragilen Gleichgewicht befindet.« Ein sonnenähnlicher, aber extrem reduzierter Aufheizungsprozeß, der deutlich unterhalb der Fusionszündung angesiedelt war, erzeugte einerseits einen ausreichend starken Strahldruck, der die schwereren Oberflächenschollen nicht absinken, sondern auf dem inneren Gasozean driften ließ. Andererseits war dieser Druck nicht so
stark, daß die Kruste ganz aufbrach und die dann eruptierenden »Wasserstoff-Vulkane« die Atmosphäre ins All gerissen hätten. Hinsichtlich der Entstehung Naats vermuten die Wissenschaftler, dachte Tiff, daß es bei der Planetenbildung zum Zusammenstoß einer Wasserstoffwelt mit einem kleineren, festen Standardplaneten kam: Mit Unterschreiten der Rocheschen Grenze zersprang dieser Planet in kleinste Fragmente, die in vergleichsweise kürzester Zeit abstürzten und sich zur planetaren Kruste neu ordneten. Wiederholtes Aufschmelzen und Umgruppieren begleitete den Vorgang, bis das Gleichgewicht erreicht war. Noch heute zeugen gewaltige Bruchzonen von der Urgewalt dieser Vorgänge. 26 Monde gehörten zu Naat, der größte erreichte mit 11.786 Kilometern Durchmesser fast den der Erde: Naator war die Nummer elf im Reigen, gleichfalls eine Wüstenwelt, im Orbit von mehreren Dutzend Naat-Raumfestungen gesichert und Standort eines planetenweiten Truppenübungsplatzes; die Kampfschule Arkons für seine kolonisierten Völker. Auf Naat, Naator und den anderen Monden lebten insgesamt rund neun Milliarden Naats: seit jeher, wenn auch nicht ganz freiwillig, die Treuesten der Treuen im Verbund der zum Großen Imperium zählenden Fremdvölker. Doch sogar sie ließen sich nicht alles gefallen: 2043 kam es zur Revolte, weil sie sich dagegen wehrten, daß weitere Mitglieder ihrer Spezies den Aras für »wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt« wurden. Der Aufstand wurde vom Robotregenten blutig niedergeschlagen, und es hatte Atlan einige Mühe und Überzeugungsarbeit gekostet, diese völlig unberechtigte und überzogene Aktion wieder auszubügeln: Sämtliche Verurteilten waren voll und ganz rehabilitiert, die innere Autonomie der Naats gestärkt, für Schäden und Verluste Entschädigungen gezahlt. Es machte die Toten zwar nicht wieder lebendig, doch es sicherte die weitere Loyalität
der Naats: Man hatte Atlan, und nur ihm als Imperator – nicht den Arkoniden, nicht dem Großen Imperium! –, erneut die Treue geschworen. Überlegungen, sie im Zuge des Projekts Freihandelswelten verstärkt einzubinden und sie auf benachbarten Welten siedeln zu lassen, werden zur Zeit diskutiert, signalisierte Harno, die Zahl Auswanderungswilliger hat seit der Revolte und ihrer Niederschlagung jedenfalls beträchtlich zugenommen. Arkon I, II und III: Tiga Ranton, die drei Welten, künstlich auf gemeinsamer 620-Millionen-Kilometer-Umlaufbahn als Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks plaziert, in ihrer Benennung als Folge der Umgruppierung das normalerweise übliche Zählschema aufbrechend. Der erste Planet Zhym’ranton trug statt Arkon I die Katalogbezeichnung Arkon A, ein Arkon IV gab es nicht mehr. Nur Arkon III entsprach der ursprünglichen Zählung: Hier war der Ausgangspunkt gewesen, doch die immer dichtere Besiedlung, die schließlich bis zur »Totalbebauung« ging, hatte zum Ausweichen auf die benachbarten Planeten Zwei und Vier Anlaß gegeben. Betty sagte leise: »Von Gonozal dem Dritten wurden sie im unvergleichlichen Synchronisierungsprojekt umgruppiert – Hybris? Wahnsinn? Wissenschaftliche Glanzleistung? Jedenfalls propagandistisch ausgeschlachtet als einzig passende Heimat eines Volkes, dem allein es zustand, nicht nur die Welten Thantur-Loks zu beherrschen, sondern auch große Teile der Milchstraße und, so die damalige Redeweise, eines Tages das ganze bekannte Universum… Mich fröstelt!« Arkon III war eine technisierte Welt, deren Oberfläche maßgeblich von Plastbeton, Arkonstahl und Kunststoffen bestimmt wurde – ein militärischindustrieller Komplex, der seinesgleichen in der Galaxis suchte. In ihrer Urform erhalten waren nur die Meere, so daß der Planet von vielen Besuchern als »ökologischer Alptraum« umschrieben wurde: Riesige
Ökokonverter waren notwendig, um die Atmosphäre aufzubereiten und halbwegs erträgliche Umweltbedingungen zu generieren. Folglich lebten nur wenige Dutzend Millionen Arkoniden hier; das Hauptkontingent stellten Naats – mehrere hundert Millionen. Der Planet – bei einem Radius von 6625 Kilometern mit einer Schwerkraft von 1,3 Gravos ausgestattet – war der Schwerindustrie des Raumschiffbaus vorbehalten: Großstädten gleich reihten sich Forschungsund Entwicklungszentren aneinander, unterbrochen von Landefeldern und angegliederten Riesendepots. In den 25.000 Großwerften entstanden tagtäglich neue Raumschiffe und Beiboot-Trägerbewaffnungen. Strahlenförmig umgaben sechs Großhäfen von je siebzig Kilometern Durchmesser den Mammutkomplex des Robotregenten. Und das Bild technisierter Fugenlosigkeit setzte sich in die Tiefe fort: Wichtige Werke, darunter jene der Triebwerksfertigung, lagen bis zu 5000 Meter unter der Oberfläche. Arkon III ist die gigantischste Kriegsmaschinerie der Galaxis, durchfuhr es Tifflor. Von hier starteten die Flotten, mit denen die Arkoniden das Große Imperium schufen und stetig ausdehnten – bis sie an der eigenen Dekadenz scheiterten… Arkon II erschien: die Welt von Wirtschaft und Handel, ebenfalls industrialisiert und Stätte subplanetarischer Fabriken; ein Planet der Großstädte und Sitz der mächtigsten Konzerne der erforschten Galaxis. Alle bekannten Völker gaben sich hier ein Stelldichein, seit Jahrtausenden wurden die berühmten Laden- und Silostraßen der Städte von einem Vielvölkergemisch durchstreift. Es gab Handelsniederlassungen von etwa vierhundert Fremdvölkern, zwei Milliarden Arkoniden lebten hier. Angeboten wurde alles, was jemals gefunden, entdeckt oder angebaut wurde. Dreihundert Raumhäfen waren über die Oberfläche verteilt.
Der größte gehörte zu Olp’Duor – neben Torgona die bedeutendste Stadt. Schon das Kernlandefeld umfaßte ein Geviert von fünfzig mal fünfzig Kilometern, hinzu kamen ringsum angeordnete, nur wenig kleinere Nebenlandefelder, Werft- und Depotanlagen, Tausende Handelshäuser; insgesamt eine Tag und Nacht pulsierende Enklave von rund zweihundert Kilometern Durchmesser. Allein hier belief sich der tägliche Warenumschlag auf acht Milliarden Chronners, dessen Kaufkraft auf imperialem Wirtschaftsniveau etwa dem irdischen Solar entsprach; auf die Einzelwelten übertragen gab es naturgemäß Abweichungen, einschließlich lokaler Währungen bis hin zum Naturaltausch. Mehrere tausend Raumer aller Größen und Konstruktionsmerkmale beanspruchten hierzu die vollautomatischen Ent- und Beladevorrichtungen. Hochgerechnet auf die Gesamtwelt – Arkon II war, bei einer Schwerkraft von 0,7 Gravos, etwas größer als Mars – belief sich das Zollaufkommen je Planetentag auf mehr als fünfzig Milliarden Chronners; mehr, als mancher kleine Kolonialplanet als jährliches Lokal-Bruttosozialprodukt aufwies. Geschäftsabschlüsse, Börsenaktivitäten und tägliche Finanz- und Warenflüsse bewegten sich in Größenordnungen von Hunderten Billionen Chronners! Schließlich zeigte Harno Arkon I, die Kristallwelt: die überzüchtete Wohnwelt für zehn Milliarden Arkoniden, ein Planet von 12.980 Kilometern Durchmesser und einer Schwerkraft, die mit 1,05 Gravos nur leicht über der Terras lag. Tiff verzog das Gesicht. »Im offiziellen Sprachgebrauch der Inbegriff der Herrlichkeit: schön, prächtig, prunkvoll – und in jeder Hinsicht künstlich!« Zwar lebten hier sogar die einfachen Arkoniden in einem Luxus, der für manche Völker nahezu unvorstellbar war, und der gesamte Planet war eine sorgsam umhegte und von
unermüdlichen Robotern gepflegte »Parklandschaft« – was zum Teil bizarre Urweltreservate und ebenso einen Wechsel von Klima, Fauna und Flora alle paar Kilometer Dank unsichtbarer Kraftfeldkuppeln einschloß! Aber die schon überperfekte Schönheit, die Umgestaltung einer ganzen Welt, zeitigte Folgen, die wenig mit Schönheit und Perfektion zu tun hatten. »Optisch ein Glanzlicht, blau, grün und weiß, bietet sich Arkon Eins vom Weltraum aus dem Parabegabten in ganz anderem Blickwinkel«, sagte Betty bedrückt. »Jede Welt vereint alle die auf ihr lebenden Wesen zu einer gemeinsamen, höheren Ausdrucksform einer Kollektiven Individualaura, die beim Besucher einen unglaublichen Eindruck hinterläßt, handelt es sich doch um die ihrerseits lebendige Korona aller Lebensformen mit dem Leuchtkraft-Äquivalent einer Sonne in einzigartiger Charakteristik.« Für Arkon I gilt das nicht! bestätigte Harno. Statt Glühen und Leuchten in farbenprächtigster Weise herrscht hier Glanzlosigkeit, das Licht wirkt blaß und fahl. Dumpfe Grautöne formen Schwaden und Wolken, nur vereinzelt gibt’s ein Aufblitzen. Der Rest hinterläßt schalen Beigeschmack. Seht selbst. Zu den Bildern sprangen telepathische Eindrücke von Harno auf Tiff über: Es war kein ständiger Strom leuchtenden Raunens und Wisperns auf paranormaler Sinnesebene, sondern ein träges Wabern meist düsterer Tönungen, und die telepathischen Emissionen glichen eher einem leise klagenden bis winselnden Chor: unbewußte Schmerzen, Qualen, verdrängtes Leid. Fürchterliche Sucht, die die meisten fest im Griff hielt. Nichts erinnert an sprudelnde Vitalität, an willensstarke Energie oder den Goldglanz, von dem beispielsweise Iprasa umgeben ist. Harnos Impulse wirkten betrübt. Und statt Orten der Kraft gibt es vielmehr Zentren und Ballungen, deren dunkles Grau an das
Quirlen tödlicher Wirbelstürme erinnert. »Es ist eine Welt, deren äußerer Schein trügt.« Betty zog schaudernd die Schultern hoch. »Blendwerk und Täuschung: Prunk und Luxus sind hohl und leer, genau wie das Wahre Sein der Bewohner. Hinter blendender Fassade herrscht Müdigkeit, aktives Handeln und Denken bleiben Ausnahmen. Zehn Milliarden Arkoniden, die dem Zustand totaler Erstarrung näher sind als der ungetrübten Freude richtigen Lebens. Für die heute Lebenden wird es kaum eine Änderung geben können: Nur der mühsame Weg über viele Generationen hinweg kann den Wandel einleiten und schließlich eine Wende bedeuten. Ich beneide Atlan nicht um seine Aufgabe!« Die Kristallwelt wurde zum bestimmenden Eindruck: Tiff glaubte, dem großen Äquatorialkontinent entgegenzustürzen, das kleine Sichelbinnenmeer zu überfliegen und sich der Ostküste zu nähern. Vorgelagerte Inseln waren völlig in sich abgeschlossene Wohngebiete mit Hunderten Kelchbauten unterschiedlicher Größe – Heim für Millionen Essoya des einfachen Volkes: Apartmentpaläste mit individuell gestalteten Hängegärten und Terrassen der Innenhöfe; weiß und strahlend, aber abweisend die schmucklosen Außenfassaden. Zum Landesinneren hin stieg das Küstengebirge rasch in Höhen bis zweitausend Metern an, Gipfel waren zu riesigen Köpfen und Halbfiguren längst zerfallener Imperatoren und Größen des Imperiums umgestaltet, Zentrum war eine mehrere Kilometer lange abstrakte Plastik aus reinstem Diamant: die von Eukolard geschaffene »Versinnbildlichung der Eroberung der Galaxis«. Sein ganzes Leben lang arbeitete der Künstler vor neuntausend Erdjahren mit einfachem Energiestrahler, um die Einzelszenen aus dem Gestein zu schmelzen; für 8,3 Stunden war das Energieaufkommen des gesamten Planeten beansprucht, bis das Kunstwerk
vollständig in »kristallisierten Kohlenstoff« umgeformt war. Fünfhundert Kilometer weiter östlich befand sich das Hochplateau von Thek-Laktran: Auf 2000 Quadratkilometern – einem Quadrat von etwa 45 Kilometern Seitenlänge – breitete sich das Regierungszentrum des »Hügels der Weisen« einschließlich des Zehn-Kilometer-Landefelds aus. Mittelpunkt war der Kristallpalast, ringsum Ministerien, Botschaften, Verwaltungszentren. Bis in acht Kilometer Tiefe reichten Subetagen, Tiefbunkeranlagen und Positronengehirne, die zu den größten neben denen des Robotregenten gehörten. Bevor Harno den Kelchbau der Terra-Botschaft zeigen konnte, erloschen sämtliche optischen Eindrücke abrupt, und ein telepathischer Schrei, von dem Kugelwesen aufgefangen, stach durch Julian Tifflors Schädel. Verbunden damit waren Eindrücke von panischer Angst, Schmerz, Leid und Resignation. »Was…?« ächzte Tiff. Atlan! Er ist… Ich kann ihn nicht mehr auf Iprasa entdecken! Tiff fuhr hoch, wechselte einen Blick mit der Mutantin – in ihren Augen stand Entsetzen! – und brüllte: »Hyperfunkverbindung nach Iprasa! Sofort! Schafft mir einen maßgeblichen Ansprechpartner ans Gerät! Nicht abwiegeln lassen. Irgendwas ist mit Atlan passiert.« Aufregung entstand. Fiebernd warteten sie, bis der geforderte Kontakt zustande kam. Erst nach Minuten, die unerträglich lang wurden, entstand die Holoprojektion Peter Kosnows, dessen Haltung Tifflor sonderbar steif vorkam. »Ich grüße Sie, Exzellenz Tifflor. Was kann ich für Sie tun? Sie melden sich in keinem guten Augenblick.« »Was ist mit dem Imperator, Kosnow?« Tiffs Stimme wurde mit jedem Wort schärfer. »Harno hat einen telepathischen Schrei empfangen und…«
Das Gesicht des Russen blieb starr. »Verstehe. Der Chef befindet sich auf der Totenwelt Hocatarr.« »Toten… Ist Atlan etwa…? Kosnow!« Erst jetzt wurde der Geheimdienstchef Arkons locker, ein zaghaftes Lächeln erschien. »Natürlich nicht! Aber das Projekt Große Feuermutter ist in die entscheidende Phase getreten, Sir. Wenn alles gutgeht, ist Seine Erhabenheit bald wieder auf Iprasa. Bis dahin bin ich nicht berechtigt, weitere Auskünfte zu erteilen. Ganz bestimmt nicht auf unverschlüsseltem Hyperfunkkanal.« Tifflor atmete schwer ein und aus. »Oberst Ostal: Kursänderung! Ersuchen Sie um Landeerlaubnis auf Iprasa! Mister Kosnow, ich möchte mit Ihnen persönlich sprechen!« »Einverstanden.« Kosnow zuckte mit den Achseln. »Eine Ablehnung werden Sie ja doch nicht akzeptieren, Exzellenz. Aber ein Rat, von Terraner zu Terraner: In Zukunft sollten Sie einen diplomatischeren Ton anschlagen! Das Tai Ark’Tussan mag vom Chaos heimgesucht sein, und die Arkoniden mögen in Agonie liegen, aber Sie befinden sich nicht mehr im Solaren Imperium, sondern im Staatsgebiet der weiterhin größten Macht in der bekannten Milchstraße… Wir haben uns verstanden, Exzellenz?! Kosnow, Ende und aus!« »Upps!« machte Betty und wedelte mit der Hand. »Das nennt man wohl eine ganz dicke Zigarre!« »Die er obendrein völlig zu Recht…« Tiff machte ein zerknirschtes Gesicht. »Kommandant: Befehl bleibt bestehen – wir fliegen nach Iprasa.« »Verstanden, Sir.«
12. Aus: Privatlog Imperatrix Yagthara (geb. Agh’Hay-Boor), Eintrag vom 35. Prago des Dryhan, 10.479 da Ark; Arkon I, KhasurnArchiv derer von Gonozal … trotz leichter Geburt am frühen Morgen von Gonozals Starrsinn sehr deprimiert und verärgert! Bauchaufschneider Fartuloons letzter Versuch eines Zuspruchs half ebenfalls nicht; mein Gatte besteht kategorisch auf der Namensgebung »Mascaren«, ich dagegen möchte den Jungen weiterhin »Atlan« nennen, weil ich fest davon überzeugt bin – nur Wunschtraum einer glücklichen Mutter? Oder mehr? Im Zhy liegen Kraft und seherische Weisheit! – , daß er wie der Heroe aus den Sagen ein besonderes Schicksal haben wird, wichtig für Arkon und das gesamte Imperium! Den Fetten erfreut unser Streit natürlich; kann so weitere Giftspritzen schleudern. Warum erkennt Gonozal nicht den schlechten Charakter seines Bruders Veloz? Schwager Upoc jedenfalls hat sich schaudernd abgewandt; will sich nur noch seiner Musik widmen… Hocatarr: 8. Prago des Ansoor 19.017 von Arkon (= 5. September 2047 Terra-Standard) Außer ausgewählten Trauernden und engsten Verwandten eines Toten gelangte niemand auf die Oberfläche der Totenwelt oder zur Begräbnisstätte. Pilger- und Sargschiffe, mit dem arkonidischen Sonnensymbol geschmückt, mußten im Orbit bleiben. Transmitter waren die einzige Verbindung. Hocatarr lag am Rand von Thantur-Lok, 54 Lichtjahre von Arkon entfernt. Es war eine düstere, wolkenverhangene Welt mit geringer Durchschnittstemperatur und hoher relativer Luftfeuchte. Die vier Großkontinente waren bestimmt von kahlen Felsenbergen, modrigen Schluchten und ausgedehnten
Sumpfflächen. Die Totenwelt war ein einziger Friedhof! Nur höchste Würdenträger und Imperatoren wurden direkt in der KARSEHRA bestattet. Die Arena der Großen Mutter war das Kernstück der berühmten Heldengedenkstätte: Hohe Ränge umgaben das imposante Rund. Vom Boden der Arena führte eine breite Freitreppe zu einer Empore, deren Rückwand ein Metalltor bildete. Den oberen Abschluß bildeten ringsum marmorne Frauenstatuen. Eingehüllt in schwarze Schleier und schwarzwallende Gewänder saßen Hunderte Gestalten auf den Sitzreihen – und im Zentrum der Arena entstand plötzlich aus flirrendem Leuchten heraus die Gestalt eines Mannes… Bewußtsein erwachte im Körper. Erste Eindrücke. Wahllose Reizaufnahme und der hilflose Versuch einer Verarbeitung: Verwirrung. Beobachten, Sortieren, Herstellen von Verbindungen und logischen Schlußfolgerungen: Fakten im Gesamtbild. Ich… Betäubung, Schmerzen, Unverständnis, Angst, Fragen. Ich bin nicht alles. Es gibt Wahrnehmungen; sehen, fühlen, riechen, schmecken, hören. Matte Helligkeit. Ausgetrockneter Mund. Schmerzen. Für Augenblicke die Steindrachen; blutige Tränen quellen aus den Augen. Eine gellende Stimme: »Die Zeit ist um!« Versagt! Aber… ich kann mich bewegen. Eine erste Muskelanspannung. Vorsichtig. Langsam: Schmerz! Beißend, zwickend, peinigend! Langsamer, vorsichtiger. Ein Kaleidoskop von Bildern: Flug nach Zhygor. ES. Der Raumwurm in den Katakomben. Lichtwesen. Cho-Übertragung. Tanja. Tanz der Monde… Und noch viel mehr: vage, um so schneller zerrinnend, je fester der Zugriffsversuch. Eindrücke von Leuten, die sich in Gefahr befinden. Sonderbare Lichter, verwaschene Fasern. Merkwürdig falsch wirkende Künstliche Monde. Stachelkugeln. Rasche Bewegungen inmitten kalkigweißen, sehr grellen Lichtes, begleitet von Zwitschern und Kichern…
Dann war es weg – und ich kehrte machtvoll in die Gegenwart zurück, weil ich die aufpeitschenden Impulse des Extrasinns fühlte, die mich endgültig »weckten«. Ziehende Schmerzen erfüllten, vom Kopf ausgehend, den ganzen Körper. Vor meiner Brust schien ein Magmaklumpen zu hängen und versengte die Haut. Grelles Licht blendete, schwächte sich nur langsam ab. Rasende Gedanken: Transition? Teleportation? Wohin? Was ist geschehen? Cho – ist der Käfer tatsächlich zerfallen? Meine Hände brannten wie von Säure übergossen. Ich hob sie vor tränende Augen und starrte ungläubig auf die dunkelblauen, als gleichseitiges Dreieck angeordneten Kreise – Symbol von Tiga Ranton –, die die Handteller bedeckten, sich aber langsam aufhellten. »Sie werden verblassen, Imperator, und nur bei äußerster Anstrengung wieder sichtbar werden«, sagte jemand, den ich nicht erkannte. »Willkommen auf Hocatarr, der Totenwelt!« Mühsam fixierte ich die vor meinen Augen flimmernden, verwaschenen Bilder. Eisiger Schreck durchfuhr mich. Ich kannte den Ort, an dem ich stand, nackt und gebeugt, von weiteren Schmerzwellen erschüttert. Flüstern des Extrasinns erreichte endlich mein Wachbewußtsein: Mit Abschluß der »Letzten Prüfung« wurdest du durch eine Teleportation der Gijahthrakos hierher versetzt, Imperator. Ganz deutlich spürte ich das von den Gestalten auf den Rängen ausgehende paranormale Schwingen. Ritueller Gesang, vermischt mit Metallrasseln, erklang. Anblick und Geräusche überlappten mit dem Schub plötzlich aufgeschwemmter Erinnerungen: »… war ein Fehler, auf Hocatarr zu landen«, stieß Fartuloon hervor. »Jetzt sitzen wir in der Patsche. Die Priesterinnen besitzen hier die absolute Befehlsgewalt. Sie können mit uns machen, was sie wollen. Man erzählt sich nicht gerade angenehme Dinge über die
Urteile der Hohepriesterin.« Ich hörte meine eigene Antwort aus weiter Ferne: »Kann es überhaupt noch schlimmer werden?« Ja, schon einmal bin ich hier gewesen! Damals, als wir den einbalsamierten Körper meines Vaters rauben wollten. Ich erinnerte mich an Steinkreisanlagen, Menhire mit rissiger Oberfläche und von Fäulnispilzen überzogene Querblöcke. Begriffe huschten durch meinen Kopf: Tempel der toten Seelen, Brunnen der schwarzen Fische, Mausoleum des Unbekannten Soldaten… Arkanta Crysara da Kentigmilan kam die Freitreppe herunter. Über dem Schleier glänzte die Kristallkrone und hüllte ihren Körper in eine schimmernde Aura. Eine erneute Schmerzwelle verkrampfte meinen Körper. Ich sank auf die Knie, schaffte es kaum, mich mit den Fäusten abzustützen. Der glühende, im rasenden Takt pulsierende Zellaktivator pendelte hin und her. Wenigstens verbrennt er mir so nicht länger die Haut. »Alles ist vorbereitet, mein Imperator!« Die schneidende Stimme erreichte mich gedämpft. »Du erweist dich als zäher und leistungsfähiger, als wir alle gedacht haben! Das wiegt die Tatsache zum Teil auf, daß du dich eigentlich für den Kuß der Großen Feuermutter als ungeeignet erwiesen hast: Zu groß ist deine unbewußte Skepsis, zu lange hast du allein gelebt. Deine sorgsam gepflegte Einsamkeit macht dich manchmal unerträglich, Atlan! Du bleibst verschlossen, sperrst dich – um aber Tai Zhy Fam zu stabilisieren, sind Offenheit und Vertrauen notwendig, denn ihr müßt als Team arbeiten, euch gegenseitig ergänzen, in einem Kontakt, wie er schwerlich intimer sein kann.« Millionen Nadeln schienen auf mich einzustechen. Ich ächzte, versuchte die Schmerzen zu ignorieren. Übelkeit wühlte in meinem Magen, Zittern befiel alle Muskeln. Ich war in kalten Schweiß gebadet, fühlte am Rande, daß Flüssigkeit
von der Nase tropfte. Zähne knirschten, als ein Krampf Muskeln zusammenzog. Halbdunkel lag über der Arena. Tiefziehende Wolken schichteten sich rasend um, nur vereinzelt von fahlen Lichtfächern durchbrochen. »Du siehst mich nur als Holoprojektion, mein Imperator!« rief die Arkanta. »Ich werde, mit 191 anderen Feuerfrauen, Teil des Kollektivs werden. Unsere Körper sind schon konserviert, wir sind bereit für den letzten Schritt… Der Parasymbiont ist zu Staub zerfallen, hat sich aufgelöst! Wir mußten umdisponieren, denn eines haben wir Zhy-Famii ebensowenig bedacht wie die Gijahthrakos, wohl aber offensichtlich ES: Wir haben es erst erkannt, als die gespeicherten Parakräfte Chos auf deinen Zellaktivator übergingen…« Das Gespräch mit ES fiel mir ein, sein Hinweis auf das lebensverlängernde Metallei, die besondere Betonung der mit der Überreichung verbundenen Aspekte: Es war Anerkennung dessen, was ohnehin in dir ist. Nicht mehr, nicht weniger. Du bist ausgezeichnet und derzeit der einzige potentielle Unsterbliche mit einem Gerät dieser Art! »… ist etwas in dir und mit dir verbunden, das mehr wiegt als die von uns festgestellten Nachteile. Wir sind uns sicher, daß der Versuch gelingen wird! Mehr noch: Er muß gelingen! Denn zur Zeit ist dein Aktivator überlastet! Er muß die aufgenommene Hyperenergie schnellstens wieder abgeben, sonst stirbst du! Andererseits könnte es keinen besseren Stabilisator als deinen Zellaktivator geben. Weil sein Vitalkraft-Potential aber dem Kollektiv der Großen Feuermutter unter Umständen zuviel Eigenständigkeit verleiht, könnte es erforderlich werden, daß in deiner Nähe stets einige Feuerfrauen sein müssen, um Verbindungsaufnahme und Kontakt zu erleichtern.« Ein fast hysterisches Lachen kitzelte in meiner Kehle. Atlan
und seine Frauen! Da können sie sich wieder die Mäuler zerreißen: eine ganze Amazonengarde im direkten Dunstkreis des Alten. Ich ächzte, nur zögernd klangen die Schmerzwellen ab. Der Hitzeausstoß des Zellaktivators blieb. Verständlich, war er doch mit Chos Parakraft gewaltig aufgeladen. Der Gesang der Frauen wurde lauter. Ein Trommelfeuer mentaler Impulse prasselte auf meinen Monoschirm ein und wischte ihn hinweg. Ich merkte, daß mich telekinetische Kräfte anhoben und aus der Arena trugen. Wohin? Keine Ahnung: Mir wurde schwarz vor Augen, doch ein heftiges Pumpen und Pochen erfüllte die Finsternis, in der nach unbestimmter Zeit Sternchen und Funkengarben erschienen und dann abrupt einer ganz anderen Umgebung Platz machten. Zwischen schwarzknorrigen Stämmen hingen Nebelschwaden und verwischten die Konturen. Schattenhaft wechselten Büsche, deren Blätter wie von grauer Asche bestreut wirkten, mit blaubemoosten Findlingen. Modriges Laub und morsche Stämme waren von fahlen Pilzen bedeckt; lamellenartig geschichtet überwucherten sie einen halb zerfallenen Baumstumpf am Seeufer. Schroffe Felsen im Hintergrund, zu Terrassen aufgeschichtet und von verwinkelt stehenden Platten flankiert, verschwanden fast in dunstigen Schleiern, die vom dunklen Wasser aufstiegen. Aus halber Höhe der Gesteinsbarriere rieselte es silbrig in breiter Front und formte einen sprudelnden Vorhang. Ins Plätschern mischte sich Fliegengesumm, eine blitzende Libelle torkelte vorüber. Halb zum Quellsee geneigt, berührten peitschenartige Ruten einer Weide fast die aufgerauhte Oberfläche, auf der verwesendes Laub trieb. Mückenschwärme tanzten wild über Rohrkolben und Schilfhalmen. Der Rand der Felsen erglühte kontrastreich über Nebel und Schatten; abgestorbene Ranken hingen herab, in
bleiches Licht getaucht, das als Fächer durchs Blätterdach fiel. Ein Ort der Kraft! Träge liefen auf dem Wasser Kreise auseinander, wurden zahlreicher und von Sprudeln überdeckt, wobei immer größere Blasen in der Seemitte rings um einen rechteckigen Steinsockel blubberten und platzten. Vogelkot bedeckte mit hellen Streifen den rissigen Stein, Wellen gurgelten in Spalten. Plötzlich stieg eine Fontäne auf, wurde zur schenkeldicken Wasserbahn, die sich teilte und zunächst drei Kugeln über dem Quader formte, aus denen lebensgroße Gestalten wurden. Sie bestanden aus Wasser, waren durchscheinend, übersät von hellen Reflexen und aufblitzenden Glanzlichtern. Links ein nackter Mann, rechts eine nackte Frau – beide gesichtslos, die Schädel nur glatte Ovale – und in der Mitte, um eine Handbreit größer, ein Hermaphrodit mit aufgerichtet-dickem Yang-Gipfel und schweren Yin-Hügeln. Auch er ohne Gesicht, doch im Kopf glitzerte eine eigroße, goldglühende Lichtkugel. Die Gestalt des Wasser-Mannes zog mich unwiderstehlich an: Ich schwebte über den See, wurde eins mit ihm, fühlte das Wasser über meine Haut abrinnen und stand, von eisigem Hauch umgeben, gelähmt und erstarrt. Mein Blick fiel genau auf die Wasser-Frau, in der sich dunkle Konturen abzeichneten, die Flüssigkeit verdrängten und klare Form gewannen. Die Frau bewegte sich, lächelte, und mir stockte fast der Atem. Fast so groß wie ich, weckte der schlanke Körper lange vergessene Erinnerungen: Das weiße Haar war fast hüftlang und glatt; schmal das Gesicht, die Stirn hoch und die Augen berückend wie damals – rosefarbene Augäpfel mit tiefroter Iris. Sinyagi von Ettorkhal, meine erste große Liebe nach der IprasaAusbildung! Ich beherrschte mich mühsam und unterdrückte meinen machtvoll aufsteigenden Fluchtinstinkt. Am liebsten wäre ich schnellstmöglich davongelaufen, zurück nach Terra am
besten. Dort verlief das Leben unter verständlicheren Gesichtspunkten als hier im Imperium. Statt dessen stand ich in Trance da, erkannte plötzlich die pulsierende, vielfach überlappte Individualaura des materieprojektiven Körpers, die zur Feuerlohe auswuchs, und ich wußte, daß ich Tai Zhy Fam gegenüberstand, der Großen Feuermutter. Irgendwo begann ein Chor zu summen; ein tiefer, immer stärker anschwellender Ton schwang über den Ort der Kraft. Wie ein Tsunami brachen Emotionen über mich herein, deren Kraft und Stärke mich innerlich schluchzen ließen: Da war unglaubliche Wärme und Geborgenheit, bedingungslose Zuneigung, Liebe! So süß und intensiv, daß es schmerzte. Es gab keine körperliche Berührung: Der »Kuß« war eine immaterielle Begegnung auf übergeordneter Paraebene. Ich bemerkte die plötzliche Anwesenheit eines überlegenen Intellekts, eines Bewußtseins, das die Grenzen des Normalen sprengte. Sanft, fast zärtlich wurde ich von Paraausläufern eingehüllt und verlor den Kontakt zur konventionellen Realität. Ich glaubte zu schweben, geborgen und behütet. Die Erinnerung an den Tanz der Monde stieg in mir auf; ein müder Abklatsch gegenüber dem »Kuß«. Ich dachte an Tanja, deren Bild sich mit Sinyagi überlappte… Parallel dazu die Handlung, mehr visionär erkannt als real erlebt: Die Frau berührte die flüssige Körpermasse des Hermaphroditen, wurde von diesem aufgesogen und verwandelte sich zur Silhouette innerhalb des doppelgeschlechtlichen Leibes, der seinerseits vortrat und mich ebenfalls aufnahm. Hierbei löste sich die goldene Kugel aus dem Wasser, schwebte höher und blieb als blitzender, juwelengleicher Ball über meinem Kopf hängen. Licht stach tief in mein Gehirn, schien die Gedanken zu durchwühlen, hinterließ für einen Augenblick Chaos und Furcht.
Gleichzeitig fühlte ich die emo-tionell-drängende Nähe von Tai Zhy Fam, die zu einem Teil von mir geworden war und dennoch unendlich weit entfernt blieb. Sehnsucht beherrschte mein Inneres; ein unerfüllbarer, versessener Wunsch, diese Ergänzung zur Einheit für immer zu erreichen. Fern und zugleich nah vernahm ich ein Raunen und Wispern, ein leise brodelndes Gewirr unglaublich vieler »Stimmen«, vermischt mit Emotionen und fremdartigeren Eindrücken. Das mußten die beteiligten Einzelbewußtseine sein, die in der Großen Mutter zum ganzheitlichen Block verschmolzen. Ein Prozeß, den ich als Katalysator anregte und der von der Hyperenergie des zerfallenen Parasymbionten stabilisiert wurde. Ein Kraftstrom floß aus dem Zellaktivator ab, dessen Leuchten und Glühen verschwand: Dutzende Sterne tanzten einen wilden Reigen, zwischen ihnen breitete sich Goldglanz aus. Je heller und dichter dieses »Gold« wurde, desto enger rückten die Sterne zusammen, bis eine kompakt wirkende, transparente Kugel entstanden war. Eine Goldsphäre mit eingelagertem Glitzern. Langsam ordneten sich »Einzelstimmen«, gewannen Gleichklang und Harmonie. Schließlich sprach der Chor, eindeutig in Melodie und Aussage: »Du hast einen langen Weg hinter dir, mein Imperator – und vieles noch vor dir: Auf uns lastet die Bürde, einer gewaltigen Gefahr entgegenzutreten; noch ist nicht ersichtlich, welche Aufgaben uns im einzelnen zugedacht sind und wie die Gefahr der Erwachenden Legenden bekämpft werden kann. Selbst uns, die wir bis zu einem gewissen Grad über die Grenzen von Raum und Zeit hinausblicken, verwirrt das Zeitlose; zu viele Alternativmöglichkeiten machen des Seinsspektrum zum komplexen Muster. Aber alle Aspekte faszinieren uns! Die Grundlage ist geschaffen, andere werden später das Ihre dazutun. Auch du wirst weiter an dir arbeiten
müssen. Der Kuß, der dir erweiterte Möglichkeiten zugänglich macht, bleibt nur ein Schritt von vielen: Du bist nun der millionenäugige, allessehende Imperator…« Zwar setzte ich zu einer Entgegnung an, doch der direkte Kontakt wurde schneller beendet, als ich Fragen hätte formulieren können. Der Eindruck von Weichheit, Wärme und Nähe verpuffte – und hinterließ das Gefühl totaler Leere, Verlassenheit und Einsamkeit. … und Hände fingen mich auf, als ich wankte. Ein Mann. »Vater!« Ich sah ihm ins Gesicht; er lächelte, aber Feuchtigkeit verschleierte den Blick. »Ich hab’s geschafft!« »Ich hätte es dir nie erlaubt, wenn ich informiert gewesen wäre!« knurrte er und drückte mich an sich; das Vibrieren seiner Individualaura sprang auf mich über. »Dein Lehrmeister soll zur Kristallsäule werden, und ich schwinge den Schlegel!« »Es war meine Entscheidung, Kon hat damit nichts zu tun.« Verwirrt starrte ich ihn an. Er ist doch seit Jahrtausenden tot, ermordet vom eigenen Bruder… Die Flügel seiner schmalen Nase bebten. Deutlich fühlte ich Vaters Sorge, die nachbebende Angst. Seine telepathischen Signale hüllten mich liebevoll ein, Subimpulse durchzogen mein Bewußtsein, ohne die Schwelle konkreter Gedanken zu passieren. Geborgenheit, Zuneigung, aber auch Zufriedenheit und Stolz! »Trotzdem…!« Jemand schrie in mir: Nur eine Vision! Dein Vater ist tot und zerfallen! »Als Imperator…« »Ich weiß, ich weiß.« Eine Hand packte mich fester, und die Signale wurden zu Bildern, die vage durch meinen Kopf blitzten. »Ich bin stolz auf dich, Atlan!« Nur am Rande wurde mir bewußt, daß es das erste und
einzige Mal war, daß er diesen Namen benutzte. In meinen verschwommenen Kindheitserinnerungen kam nur »Mascaren« vor. Fern klang eine Stimme auf: »… Teil einer kurzfristig stabilisierten Enklave vertrauter Raumzeit. Unsere gemeinsamen Kräfte schaffen die Energieblase im Hyperraum, so daß sie eine Art Mini-Universum wird…« Ich verstand nicht, wurde mir aber bewußt, daß ich plötzlich in einer ganz anderen Umgebung stand. »Sohn, du hast den Kuß empfangen…«, sagte Gonozal VII.; vor seiner Inthronisation hieß er Mascudar da Gonozal. Er brach ab und wich meinem Blick aus, sah zur Seite. Die Wand wurde von einer Holoprojektion bestimmt, die als Fenster den Blick hinaus ins All gestattete. Die Sonnen des Kugelsternhaufens Thantur-Lok strahlten prächtig vor abgrundtiefem Samtschwarz. »Dir ist bewußt, Vater«, sagte ich betont ruhig, »daß dieser Prago mehr Einfluß auf mein Leben haben wird als alles andere zuvor?« »Wir müssen uns Verpflichtungen und der Verantwortung stellen.« Ich nickte. »Ich unterwerfe mich den Riten, Euer Erhabenheit.« Es wird zeitlich limitiert sein, dachte ich. Ich hob’ meine eigenen Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung im Großen Imperium! Vater schien meine Gedanken zu erahnen. Zumindest wußte er die Signale zu deuten, die von mir ausströmten. Er lächelte aufmunternd. »Allein Tai Zhy Fam kennt – vielleicht – die Zukunft. Sei nicht bitter.« Ich dachte: Hat er diesen Eindruck von mir? »Das bin ich nicht, Vater. Verwirrt, ja. Ich kann nicht behaupten, mich im Kristallpalast sonderlich wohl zu fühlen; gleiches gilt für das
Große Imperium.« Vater begann eine unruhige Wanderung, vier Schritte hin, die gleiche Distanz zurück und das Ganze von neuem. Zhygor, dachte ich unzusammenhängend. Herrliche Freihandelswelt. Wild und ungebunden wie ihre Bewohner… Ach nein?! Der Extrasinn spottete mit einem Unterton, der mir mißfiel. Und was ist mit der Natur? Die katastrophalen Vulkanausbrüche, mühsam von den Gijahthralcos gebändigt? Oder die Arena Voktir, in die alle Auseinandersetzungen verbannt werden, um die Welt als Ganzes zur Oase des Friedens zu machen? Und Zhygor ist nur eine Welt unter Tausenden im Imperium! Ich versuchte, den Einwand zu ignorieren. »Verwirrung und Unbehagen sind die Vorstufen von Erbitterung«, behauptete Vater. »Sie trübt die Wahrnehmungen.« »Es ändert nichts an meiner Grundeinstellung, Vater. Ich war Jahrtausende auf eine Barbarenwelt verbannt. Vergiß das nicht.« Er blieb stehen und musterte mich mit einem Blick, der durch mich hindurchging. »Wie könnte ich«, sagte er halblaut. Weitere wirre Gedanken: Er hat gewaltige Probleme. Er hofft, daß ich ihm bei ihrer Bewältigung zur Seite stehe. Wo ist der richtige Platz, ihn zu entlasten? Welche Aufgabe kann ich übernehmen? Hier, im Herzen des Imperiums, dessen war ich mir sicher, verstrickte ich mich irgendwann in den Regeln, Traditionen und Riten, die ich gelernt, nicht von Geburt an verinnerlicht hatte. Dann ein wacher Augenblick, begleitet von Unverständnis und Angst: Verdammt, was passiert überhaupt? Wie kann Vater…? Sein Blick blieb abwesend. »Bedenke, Junge, daß es ohne Imperium keine Freihandelswelten gibt. Es wird dauern, bis sie völlig autonom und autark sind, wirklich Welten des freien Handels, Orte der friedlichen Begegnung zwischen den
Völkern.« Feine Härchen in meinem Nacken richteten sich auf. »Mir ist klar, daß noch viel Arbeit notwendig ist.« Eigentlich ist das Vorhaben Wahnsinn, dachte ich. Seit Jahrhunderten breitet sich Zerfall aus: rivalisierende Fürstentümer, rebellische Kolonialarkoniden, unfreiwillig eingebundene Fremdvölker; im. Grunde ist das Große Imperium ein gewaltiger, unüberschaubarer Flickenteppich! Zehntausende bewohnte Welten mit allen Extremen: Vom Primitivniveau bis zu High-Tech ist alles vertreten. Und an der Spitze steht die arkonidische Gesellschaft selbst, abgehoben, überheblich und in ihrer Dekadenz zum Untergang verurteilt! Man hält sich für auserwählt, weil überlegen, gottgleich – doch ringsum wird gegrinst und mitleidig abgewinkt. Arkons Macht? Das war einmal… Produktiver Wahnsinn, Imperator. Der Logiksektor reagierte energisch. Dem Nomadenadel wurden beispielsweise neue Ziele eröffnet. Ihr Lebenssinn ist die Wanderung, das Umherstreifen. Mit ihnen kommt Bewegung ins Erstarrte. »Ausgangspunkt ist und bleibt das Imperium, Mascaren, und Arkon!« »Meine Aufgabe soll also sein«, sagte ich, »hier dafür zu sorgen, daß ich vielleicht dorthin zurückkehren kann, wo ich eigentlich sein will?« »Kompliziert formuliert, aber es trifft den Kern.« »Ich stehe zur Verfügung, Euer Erhabenheit!« Jetzt erst sah er mir in die Augen. »Das weiß ich, Sohn.« Mit einer umfassenden Handbewegung, die das ganze Imperium zu umfassen schien, fügte Vater hinzu: »Arkon ist das Zentrum, Herz und Gehirn zugleich. Zhygor mag die Hand sein, auch ein Standbein, aber ohne Herz und Gehirn wird deren Aktivität beendet.« »Ohne Hände und Beine gibt es keine Nahrung, und ohne diese sterben Herz und Gehirn.«
Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, das Glitzern in seinen Augen verstärkte sich. »Du hast es erkannt, Kristallprinz.« Gegenseitige Abhängigkeit. Ohne das eine existiert das andere nicht. Verbundenheit kennzeichnet das Leben. Ich zitierte leise aus den Heiligen Überlieferungen der Gijahthrako-Weisen: »Siehe das Leben in seinen mannigfaltigen Verknüpfungen und erkenne die Muster seiner Existenz.« Schweigen senkte sich für lange Sekunden über den Raum, machte vorhandene Paraströme deutlich, die pulsierende Anwesenheit Wahren Seins; Augenblicke nur, in ihrer Erhabenheit aber zur Demut zwingend. »Sohn«, sagte er. »Auch ich hatte Wünsche und Pläne, wollte oft aus dem starren Schema ausbrechen, aus vielen Gründen. Flucht vor der Verantwortung, Ungebundenheit, das Abenteuer, deine Mutter… – viel zu häufig hatten wir Streit. Nicht nur wegen deines Namens…« Er brach ab. Ich stand wenige Schritte von ihm entfernt, und doch wirkte es auf mich wie eine Distanz, die in Millionen Lichtjahren hätte gemessen werden können. Er war – ein plötzlicher, atemberaubender Gedanke! – seit langer Zeit tot! Damals war mein Vater Imperator gewesen, die Kämpfe gegen die Methans begannen. Imperator: Mehr Institution als normale Person – das wurde mir in dieser Sekunde eindringlich bewußt. Sein Bruder intrigierte gegen ihn, wollte selbst die Macht, schreckte schließlich sogar vor Mord nicht zurück. Die Tyrannei Orbanaschols III. begann… Feine Verwandtschaft, dachte ich betroffen. Meine Mutter hatte ich eigentlich nie richtig kennengelernt. Obwohl sie damals nach Kraumon kam, nach Jahren des Lebens im verborgenen. Sie konnte verbissen schweigen, wenn sie auf ihre Vergangenheit angesprochen wurde. Eine Eigenart, die mir früher nie so deutlich geworden war. Und Vater…
Einsamkeit sein ständiger Begleiter, raunte mein Extrasinn. Das Zusammenleben mit deiner Mutter machte ihn nicht glücklich. Es gab Probleme; er bedurfte sogar einmal der Hilfe der GolteinHeiler… Ermordet… Ich kannte ihn nur als Kleinkind, nie hatten wir eine Chance, miteinander zu reden, einander kennenzulernen, dachte ich bestürzt. Und das trifft ihn tiefer als alles andere. Der Extrasinn bestätigte lautlos: Es zerreißt ihm das Herz! Rasende Gedanken: Deshalb diese »Vision«? Eine Art Aufarbeitung? Eine – so nie statt gefundene! – Alternative im Geflecht der parallelen Welten und Existenzebenen? Hat irgend etwas von Vater seinen Tod überdauert? Seele, Geist, Bewußtsein – irgendwo noch Bestandteil des Kosmischen Ganzen? Eine Anzapfung des umfassenden Wissenspools? »Vater…« Die erhobene Hand ließ mich verstummen. Seine Gesichtszüge hatten sich verhärtet. Jetzt war er ganz Imperator des Großen Imperiums, sachlich, bestimmt, alle persönlichen Regungen der Verantwortung unterwerfend. »Du hast mich verstanden, Kristallprinz!« Es war eine Feststellung, deren kalter Ton mich erschütterte. »Du bist jetzt der Herrscher, der achte Gonozal, aber das ist die Funktion des ersten Dieners. Du weißt es, denn du hast dich den alten Ritualen unterworfen – nun bist du ausgezeichnet durch den Kuß der Großen Feuermutter!« »Jawohl, Euer Erhabenheit.« Er drehte sich um und blickte in die Holoprojektion, als könne er dort die Zukunft und alle ihre Gefahren entdecken. »Du bist entlassen«, sagte er heiser. Ich nahm Haltung an und wandte mich der Tür zu, verharrte aber, als er rief: »Mascaren!« »Ja, Euer Erhabenheit?« »Viel Glück und alles Gute, Junge! Bewahre dir deine Träume. Ohne sie ist das Leben leer.«
»Danke, Vater.« Sein letzter Impuls war aufmunternd. Für Sekundenbruchteile verschmolzen unsere Ausstrahlungen miteinander, intensiv wie eine Umarmung, herzlich, voller Liebe. Dann ging ich, wissend, daß ich meinem Vater das einzige Mal so nah gekommen war, ohne ihn jedoch wirklich erreicht zu haben. Du bist ihm näher, als du glaubst! Im Transzendentalen gibt es keinen Tod, kein Auslöschen – und vor allem kein ewiges Vergessen! Der weiterhin vorhandene Lha’hon-Quarz in meinem Stirnknochen vibrierte anhaltend zum Kommentar des Extrasinns und riß mich aus der Vision in bodenlose Finsternis… Plötzlich war SIE wieder da und durchdrang die Dunkelheit. Paravisuell erweiterte sich mein Blickfeld: Individuelle Grenzen wurden überwunden, und lichtjahreweite Distanzen verloren ihre Bedeutung. Ich erlebte, was außerhalb meines Ichs geschah, und wurde tatsächlich »millionenäugig«. Normalerweise hätte mich diese Informationsfülle total überfordert, vielleicht gar in den Wahnsinn getrieben, doch die Kombination von Extrasinn, Lha’hon-Quarz und Tai Zhy Fam ermöglichte mir die Verarbeitung. Ich spürte IHRE Anwesenheit, das Gemurmel von »Stimmen«, diesen in perfekter Harmonie schwingenden Chor. Für Augenblicke sah ich das »Gesicht« ihres Projektionskörpers. Sinyagi da Ettorkhal. Ich wußte plötzlich, mit welchem Namen ich den Bewußtseinsverbund der ZhyFamii fortan ansprechen würde, obwohl das Aussehen beliebig wandelbar war – und folglich sogar das meine annehmen konnte! Informationen strömten von ihr auf mich über: 192 Feuerfrauen! Iprasa-Arkonidinnen, aber auch solche anderer Völker wie Orbeki-Frauen und Longhoninnen. Sie
befanden sich auf Hocatarr in Stasis; um das vereinte Bewußtsein zu formen, waren sie zur eigentlichen und dauerhaften Stabilisierung auf mich angewiesen. Ich erkannte das dominante Einzelbewußtsein im Chor: Arkanta Crysam da Kentigmilan. »Dank unserer Paragaben ist dein Blick nun nicht mehr eingeschränkt. Dir stehen unsere Kräfte zur Verfügung.« Ich lächelte bitter. »Kon hat nur die halbe Wahrheit gesagt! Zwar werde ich in der Tat nicht zum Supermutanten. Aber ihr…« »Wir schaffen es nur mit deiner katalytischen Unterstützung, Atlan.« Gedankliches Nicken. Es gab viele Lebewesen im Großen Imperium, die über Paragaben verfügten, zur paraverbalen Kommunikation imstande waren und tiefergehende Ströme neben der materiellen Körperlichkeit erfassen konnten – vor allem die Dagoristas konnten die potentiellen Kräfte eines jeden Bewußtseins nutzen. Aber das war, im Vergleich zur jetzigen Wahrnehmungsintensität, kaum mehr als ein Kratzen an der Oberfläche, glich dem Anblick eines erstarrten, vereisten Flusses. Für mich brach dieses Eis auf. Aus Rissen sprudelte es hell und leuchtend und warm hervor. Schollen und Splitter trieben umher, prallten aufeinander, verschoben sich über- und untereinander. Versetzungen, Brüche und Klüfte erschienen. Die Oberfläche verbal vorformulierter Gedanken vermischte sich mit visuellen Eindrücken, aus tieferen Schichten brodelten Emotionen empor. Blasengleich aufsteigende Szenen der Erinnerung und unbewußter Bereiche zerrissen die Starrheit. Ich verstand: Eingeschränkt und gerade geeignet, den Wahrnehmungsfokus im konventionellen Universum zu stabilisieren, zeigte sich die Ich-Identität im Gegensatz zum bedeutend umfangreicheren, tiefergehenden und offeneren
Feld dessen, was gemeinhin als Unbewußtes abgetan wurde und Teil des Kollektiven Unbewußten war. Die Ebene des Hyperraums, in die diese höhere Wahrnehmung hineinreichte, vermittelte Eindrücke sich überschneidender Welten. Alternativen, ständig vorhanden und dem Bewußtseinspotential zugänglich, offenbarten sich; Vergangenheit wie auch Zukunft verschmolzen zum ALLES BEINHALTENDEN JETZT, einer umfassenden Omnipräsenz, die letztlich für Offenheit in alle Richtungen stand. Die mit der Ich-Identität verbundene körperliche Manifestation und Zentrierung schränkte das Potential ein, ohne die alternativen Möglichkeiten auszulöschen. Wir – »Sinyagi« und ich – gingen über diese Einschränkungen hinaus: Das Blickfeld weitete sich ungemein. Für kurze Zeit sah ich den eigenen Körper – im Heilschlaf schlossen sich zum verstärkten Pulsieren des Zellaktivators Wunden und wurden die Strapazen der Letzten Prüfung überwunden. Meditierende Gijahthrakos und Zhy-Famii luden das Hyperenergiereservoir auf, festigten die Verbindung von Großer Feuermutter und Millionenäugigem Imperator. Vielfältige Aktivitäten in den Reihen meiner Mitarbeiter wurden sichtbar. Für Augenblicke glaubte ich, den Riesenplaneten Voner zu erkennen, den Mond Tix. Ein merkwürdiges Schwingen befiel mich, erinnerte an die Ereignisse nach der Cho-Übertragung auf Zhygor: Genau wie damals gab es plötzlich eine Hyperresonanz, und ich hielt unwillkürlich nach Schwarzen Metallkugeln Ausschau – den rätselhaften Hinterlassenschaften der Galaktischen Ingenieure. Die Eindrücke blieben vage, es schien eine Blockade oder Sicherung zu geben, doch ich war mir ziemlich sicher, daß es tief unter der Mondoberfläche diese Artefakte geben mußte.
Zügle deine Neugier! Das ist eine Aufgabe für Wissenschaftler und Forscher, rief der Extrasinn. Du kannst dich nicht um alles persönlich kümmern, Imperator. Beauftrage kompetente Leute, laß sie graben und warte die Ergebnisse ab. Was ein arkonidischer Herrscher als erstes lernen muß, ist das Delegieren. Bei dieser Lektion, mein Lieber, bist du eindeutig durchgefallen. Der Logik meiner inneren Stimme war nicht zu widersprechen, doch niemand sprang so leicht über den eigenen Schatten: Für zehn Jahrtausende war ich auf mich allein gestellt gewesen und mußte mich – bis auf jene Dinge, die Rico für mich mit zunehmender Perfektion erledigte – um fast alles selbst kümmern. Diese Lebens- und Handlungsweise war mir in Fleisch und Blut übergegangen; ich konnte und wollte sie nicht so einfach abwerfen. Andere hätten vielleicht in stoischer Ruhe und Gelassenheit das Kristallprotokoll über sich ergehen lassen. Ich begehrte auf, geriet wiederholt mit Truk Drautherb aneinander. Obwohl… Eine Szene erschien, machte mich zum außenstehenden Beobachter, während Vergangenes reproduziert wurde; lebendig, farbig, dreidimensional, real: Ich beobachtete mich und Truk im Kristallpalast in der Nacht der Investitur. Sinyagis Chorstimme ließ die Szene zerspringen und Momenten der Dunkelheit weichen: »Auch das, Atlan, gehört zu den Erkenntnissen des millionenäugigen Imperators: Du erhältst Einblick in Bereiche, die dir normalerweise fremd oder verschlossen sind! Dein männlich-sachlicher, problemorientierter Verstand wird um weibliches Einfühlungsvermögen ergänzt, und in der Summe sind wir mehr als die getrennten Einzelteile! Wir müssen gemeinsam lernen und erforschen, wie wir dies am besten nutzen und einsetzen können. Wir denken, daß es möglich sein wird, deinen Körper an verschiedenen Orten zu simulieren. An
deiner Stelle können wir dann an Ritualen und Zeremonien teilnehmen und dich entlasten! Das Wissen um die Ereignisse fließt auf dich über.« »Wäre schön, wenn’s klappt, Erlauchte. Ihr als Double braucht euch nicht um Anschläge zu sorgen, nicht wahr? Die Materieprojektion ist letztlich unverwundbar.« Ich lächelte in Gedanken. »Wird mir bei künftigen Attentätern wenig Sympathie verschaffen.« Plötzlich sprang der visionäre Blick ins All hinaus, eilte zwischen Zehntausenden Sternen des Kugelsternhaufens dahin, streifte Welten und ihre Bewohner – Archetz und die Springer, Aralon und die Aras, Dutzende Asteroidenhabitate der Raumnomaden, die Heimat der Mooffs, Hocatarr, Celkar – und weitete sich dann zu einem Spektrum, das als sich ausweitender Kegel zur Milchstraßenhauptebene hinabreichte und auch die dortigen Planeten, Krisenregionen und Schauplätze erfaßte. Dennoch blieben es Fragmente, die auf mich übersprangen – Blitzlichter eines gewaltigen Gebildes, dessen Größe ein einzelner kaum zu überblicken vermochte. Die Raumnomaden: Anfangs hatte es nur 17 Habitate gegeben, bewohnt von insgesamt 500 Millionen Nachkommen der Iprasa-Arkoniden. Die führenden Clans waren die Khuvaan, Zhygouv, Trayz, Zhymam, Zhymee, Kharoon sowie elf weitere kleinere Verbände gewesen. Im Verlauf der Jahrtausende kamen weitere Habitate hinzu, Seitenlinien und Abspaltungen der Clans entstanden, die Gesamtbevölkerung wuchs. Heute gab es insgesamt 246 Lebensinseln dieser Art, bewohnt von fast vier Milliarden Personen. Allesamt Nomaden, deren Lebenssinn das immerwährende Reisen war, das Umherstreifen zwischen den Sternen und Planeten. Leute, die sich – wie mein Freund Khol Trayz! – auf keinem Planeten mit seinem eingeschränkten Horizont und der offenen Natur
wohl fühlten. Händler waren sie zumeist, begnadete Raumfahrer sowieso, und ihre Gesellschaft unterstand den Geboten der Zhy-Famii. Sie waren unabhängig und freiheitsliebend, nicht einmal ich als Imperator hätte sie zu etwas zwingen können. Was sie taten, geschah aus eigenem Willen: Sie hatten mir ihre Unterstützung zugesagt, und ich war froh, mich auf sie verlassen zu können. Doch an die planetarischen Schaltzentren des Imperiums konnte ich sie nicht berufen: Mit der Seßhaftigkeit drohten sie zu verdorren wie eine Blume, die man nicht goß. Sonnenträger Khol würde mein altes Flaggschiff als neuer Kommandeur des Sondergeschwaders TROMPON übernehmen; ein Kriseneinsatzkommando, beweglich und überall dort einsetzbar, wo schnelle Reaktion ebenso notwendig war wie der ausreichende Nachdruck beim Auftreten. Ich dachte: Auf Arkon III wartet Straton Zaghyt mit der ARKON II… Auf scheinbar überschaubare Ausmaße war inzwischen das Große Imperium geschrumpft. Lichtpunkte standen für ganze Sternballungen: Das Visionäre wirkte nun abgehoben, weit entrückt. Glänzende Zentren waren durch Linien verbunden. Iprasa, Hocatarr, Zhygor. Räumlich zwar am Rand gelegen, entwickelte die Freihandelswelt die größte Leuchtkraft. Augenblicklich sprang das Blickfeld dorthin, und ich sah: Glitzern überwölbte die Kijai-Abtei. In der Ferne krümmte sich die Bergkuppe Tatalals; unzählige Lichter der Stadt der Tausend Wunder glühten durch die Abenddämmerung, spitze TaaPyramiden stachen aus dem Moosteppich der Gebäude. Am Scharlachhimmel zogen Aschefahnen und Staubschleier vorbei, Blumenkohlwolken quollen auf. Und am Rand Tatalals glänzte die »Seele Zhygors«, eine Hundert-Meter-Kugel als materieprojektiver Ausdruck von Myriaden Splittern, die im Laufe der vergangenen Perioden abgelegt wurden. Leuchten
grellgelber Fragmente, durcheinanderquirlende orangefarbene Lichter und Blitze, rote Funken und grünlichgraue Tupfer erfüllten den Ballon mit bizarrem Eigenleben. Eine Prozession, aus der Distanz nur als Ansammlung von Pünktchen zu erkennen, schwebte der Kugel entgegen. Deutlich fühlte ich aufgeregte Subströme versammelter Kinder. Sie werden ihren Teil zur Seele beisteuern und das unglaubliche Leuchten auf Paraebene noch verstärken, dachte ich. Auch das nennen die Gijahthrakos Ort der Kraft. Es ist im Kleinen, was jede Welt mit ihren Lebewesen im Großen darstellt; die Seele wurde vor zwei Arkonjahren etabliert und wird weiter wachsen. Die Seele Zhygors verströmte ein permanentes Glänzen, Raunen und Wispern, das sogar paranormal Nichtbegabte als angenehme und harmonische Atmosphäre erkannten, obwohl ihnen die tieferen Zusammenhänge verborgen blieben. Zwar waren die abgelegten Splitter Momentaufnahmen ihrer Originale, aber in ihrer Gesamtheit beeindruckten sie um so mehr. Plötzlich ein scharfer Impuls von Sinyagi. Unser gemeinsamer Blick sprang nach Zalit, erfaßte den roten Kelchpalast des Zarlts. Der Eindruck nahender Bedrohung wurde so übermächtig, daß es Übelkeit bereitete und zu dumpfem Schmerz wurde. Ein warnendes Kreischen mischte sich mit panischen Schreien in der Halle. Blitze fauchten. Eine Stimme drang aus der Ferne zu mir; ich glaubte das Schwingen der vereinten Bewußtseine zu spüren – die Große Feuermutter rief Unverständliches. Ich befand mich in tiefer Trance und wurde mir meiner Körperlichkeit zögernd bewußt, als schattenhafte Wesen aus den Reihen der Würdenträger vorsprangen, Naats beiseite stießen und häßlich dunkle Gegenstände hoben. Ich torkelte
einige Schritte. Nur deshalb entging ich dem Kurzimpuls: Ein blendender Miniaturkomet röhrte dicht neben mir vorbei. Die Glutwelle traf mich wie eine Kraftfeldramme. Ich reagierte instinktiv, indem ich mich zur Seite warf und abrollte. Neben mir sprühte der Steinboden; glühende Tropfen zischten, einige trafen mich an Armen und Beinen und brannten Löcher in die Galarobe. Der Blick auf meine Hand entsetzte: Sie war faltig und rotbraun -und vor allem nicht meine! Schmerzhafte Stiche rasten durch meinen Körper, während ich mich herumrollte. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß einer der Schatten in einer Flammenwand verschwand, dann traf mich kochende Glut: Ich sah den lodernden Impuls wie eine in Zeitlupe näherkommende und immer größer werdende Kugel. Die Wucht des Aufschlags wirbelte mich meterweit über polierten Marmor. Überall tobten Flammen, knatterten Blitze; eine von wildem Pochen überdeckte Geräuschkulisse dröhnte in meinen Ohren. Vom dumpfen Stoß abgesehen, bemerkte ich wenig und wunderte mich mit trägen Gedanken darüber. »Wir sind bei dir, und du bist bei uns!« Jemand flüsterte. »Hilfe ist bereits unterwegs!« Hilfe? Ich verstand nicht. Widerlicher Gestank drang mir in die Nase und ließ mich gegen Übelkeit ankämpfen. Schleier, wirbelnde Sterne und immer dunklere Wolken tanzten vor meinen Augen. Getroffen! Ein Strahlschuß hat mich getroffen! Die Erkenntnis durchfuhr mich mit absonderlicher Plötzlichkeit. Dann bemerkte ich, verbunden mit aufwallender Schwärze, einen durchdringenden Ruck, und im nächsten Augenblick überwältigte mich fast das Gefühl der Freiheit. Ich schwebe! »Atlan, komm zu dir: Über uns wurdest du Teil von Zarlt Kosoka! Löse dich endgültig von seinem Bewußtsein!« Stimmengewirr und Rufe entfernten sich. Unberührt blickte
ich auf den verkrümmten Körper hinab; dünne Qualmwolken ringelten sich von schmorender Kleidung, verbranntem Fleisch und blasig aufgeworfener Haut empor. Ich hatte Schwierigkeiten, in dem fürchterlich entstellten Geschöpf noch ein menschliches Wesen zu erkennen, den Zarlt… Der Chor wisperte: »Keine Panik, Atlan!« Ich fühlte ihre Anwesenheit. »Er wird leben! Wir konnten einen Teil der Trefferwirkung absorbieren. Der Medotank ist unterwegs!« »Was ist geschehen?« Verwirrt betrachtete ich durcheinanderquirlende Leute in der riesigen Halle. »Ein Mordanschlag! Wir konnten ihn nicht verhindern, wir sind noch zu ungeübt, nicht richtig aufeinander abgestimmt – aber es reichte, um den Zarlt zu retten!« Ich sah vier rauchende Aschehaufen in einiger Entfernung, von einem Ring Naat-Leibwächtern und fassungsloser Personen umgeben. Eine Bodenöffnung klappte auf. Bleiche Emulsion schwappte zu zwei Dritteln in der waagerecht schwebenden transparenten Röhre. Die Oberseite, von einem Flirren überlagert, bildete zarte Nebeltentakel aus, die nach Kosokas Körper griffen. »Er wird leben!« wiederholte die Chor-Stimme. Der Körper, von rauchigen Fasern eingehüllt und winzigen Kristallen umschwirrt, versank in der Flüssigkeit. Kleidung löste sich unter starker Blasenbildung auf. Das Sprudeln und Schäumen im Tank überdeckte den Leib. Es war ein unangenehmer Sog, der mit einem schmerzhaften Zuschnappen endete: Dunkelheit umgab mich, als das sanfte Schweben ein Ende hatte. Seifenblasenähnlich torkelten Gebilde aus der Schwärze hervor, einige winzig, andere gewannen stetig an Größe. Perlmuttern schimmerten zarte Hüllen; konvexe Wölbungen verzerrten die in den Blasen aufleuchtenden Szenen. Die Kugeln wirbelten umeinander, einige verschmolzen, andere platzten lautlos. Bildsequenzen
entstanden und erloschen. Wieder sah ich das schmale Gesicht, von Platinhaaren umgeben. Der Blick der schwarzen Mandelaugen bannte mich. Wer war diese Frau? Ich konnte es nicht erklären, aber ich hatte das Gefühl, sie bereits eine Ewigkeit zu kennen; dabei war ich ihr noch nie begegnet, kannte sie nur aus einer Art »Traum«. Tatalal schob sich in mein Blickfeld; die Stadt wirkte verändert. Große Körper schwebten über der Bergkuppe, ein grünliches Kraftfeldband verband sie untereinander. Ich glaubte, in einen gleißenden Schacht zu stürzen, mächtige Metallkugeln tauchten auf, dann ein gewaltiges Oktaeder. Zusammenhanglos huschte ein einzelner Begriff durch meine Gedanken: Mooshar… Für unbestimmte Zeit ersetzte Schwärze das wirr aufblitzende Kaleidoskop. Undeutlich glaubte ich meinen Körper zu spüren, Angst kroch in mir empor, Schmerzen tobten plötzlich in Wellen und verebbten wieder. Leise glaubte ich das Sprudeln des Medotanks zu hören, dann griff Taubheit nach mir. Ich spürte kein Glied mehr, konnte mich nicht bewegen, nachdem ich mich endgültig vom Zarlt gelöst hatte – und neue Szenen stiegen in mir auf. Visionen bei der Cho-Übertragung. Stachelkugeln. Tanz der Monde. Tatjanas Angst. Künstliche Monde. Der Andooz in den Geschichtshallen. Gräßlich entstellte Köpfe der Toten… Und ein weiterer Sprung: Scheinbar wahllos erfaßte ich für unbestimmte Zeit Detailinformationen, die über Sinyagi kanalisiert wurden. Noch war unsere Zusammenarbeit, das erkannten wir verärgert, nicht ausreichend koordiniert. Es würde Übung und Zeit beanspruchen, bis wir ein Maß fanden, das mich nicht überforderte und dennoch der Zielsetzung gerecht wurde. Schon jetzt fühlte ich, daß meine Konzentration nachließ, daß Schwäche nach Geist und Körper griff und sich finstere Wolken nahender Ohnmacht ausbreiteten. Einzelheiten huschten in rascher Folge vorbei,
Gedankensplitter, Fragmente, Berichte, Daten – und ich drohte im Wirbeln zu versinken. Mascant Tokoontlameer: Die Koordination der Einsatzflotten funktioniert. Leider bleibt die Automatisierung weiterhin unser größtes Problem: Nur etwas mehr als zehn Prozent der Gesamtflotte sind keine Robotschiffe. Daran wird sich auf absehbare Zeit nicht viel ändern, weil die loyalen Einzelvölker bekanntermaßen eigene Flottenverbände unterhalten und nicht ohne weiteres Mannschaften abziehen können und wollen. Zwangsrekrutierungen, wie sie der Robotregent im Verlauf der Druuf-Krise vornahm, gibt es keine mehr. Bei Bedarf unterstellen sich jedoch die Verbände dem Oberbefehl der Flottenkommandeure. Entsprechende Manöver laufen, beim bisherigen Einsatz in Krisenregionen kam es zu keinen nennenswerten Pannen. Vor allem Ekhoniden, Preboner, Dron, Scüs und Longhoner arbeiten hervorragend mit. Die dreitausend Raumer des mispanischen Kontingents sind als Eliteeinheit einzustufen; kaum schlechter sind die Geschwader der Orbeki, Elloanty und Ishkhorer… Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen 2293 Regionen und Einzelwelten – darunter Unith, Berenic, Gradosima, Manol und Voolynes – unter Notstandsgesetzgebung oder Kriegsrecht; Kampfhandlungen bleiben im vertretbaren Rahmen. Im Bereich der Sogmanton-Barriere ist es weiterhin verdächtig ruhig. Die Tekteronii scheinen Untergrundaktivitäten und verdeckte Operationen zu forcieren. Peter Kosnow: Zwei Millionen Agenten und Sicherheitsbeamte befinden sich im Einsatz, macht also im Mittel vierzig pro Planet bei insgesamt fünfzigtausend Welten… mehr schlecht als recht! Laury Marten und Jana D’Alessandro fliegen nach Zalit; der Zarlt hat ein Attentat nur knapp überlebt…
Mehrere Schläge gegen SENTENZA und Mivado-Ring wurden erfolgreich abgeschlossen; fünfzig maßgebliche Führer wurden verhaftet und warten auf Celkar auf ihre Verhandlung. Die in der Macht der Sonnen konzentrierten Arkonfürsten scheinen gegenwärtig mit internen Machtstreitigkeiten beschäftigt; es haben sich drei Fraktionen gebildet, die unterschiedliche Ziele verfolgen – wir unterstützen verdeckt jene, die auf der Seite des Imperators steht; von Admiral Senekho war zu erfahren, daß Tara TaEmthon durch Quotenaufstockung den Grenzwert von fünfzig Lerc überschritten hat! Senekho hat in einem vertraulichen Gespräch seine Unzufriedenheit geäußert; er fühle sich abgeschoben. In Abstimmung mit Mascant Tokoon schlage ich vor, ihm einen angemessenen Job zu geben: Zeitweise war Ceshal da Ragnaari als neuer Kommandeur der 2. Arkon-Einsatzflotte im Gespräch; insgesamt rund 30.000, meist robotisierte Schiffe, die auf Trantagossa, einem der drei Hauptstützpunkte neben Arkon III, stationiert sind. Ich denke, das ist genau die richtige Aufgabe für Admiral Senekho! Von den Báalols werden Aufregung und Nervosität gemeldet: Auf mehreren Randwelten ist man mit TekteroniiMissionaren aneinandergeraten – hier bahnt sich ein Konflikt an, den wir unter Umständen für uns nutzen können. Eine Báalol-Tekteron-Zusammenarbeit hat sich bislang jedenfalls nicht bestätigt, entsprechende Gerüchte unter den Springern sind eindeutig als falsch einzustufen! Die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Kleinen Händlern und der Nocto-Nos verbessert sich dagegen von Periode zu Periode. Durch deren Hinweise konnten wir unter anderem dreißig Geheimlaboratorien der Aras ausheben; hauptsächlich Rauschgiftproduktionsstätten, in vier Fällen allerdings auch solche chemischer und bakteriologischer Kampfstoffe… Der
neue Terra-Botschafter, General Julian Tifflor, hat höchst interessante Informationen hinsichtlich anderer AraAktivitäten mitgebracht. Ihre Auswertung dauert an… Und weitere Informationen: Mißwirtschaft, Kumpanei und Intrigen drohen von Randwelten ins Herz des Imperiums überzugreifen. Die Machtentfaltung vieler Wirtschafts- und Industriekonzerne ist zu beschneiden: Notwendig zur Leistungssteigerung während der Druuf-Krise, entwickeln sie vermehrt ein beträchtliches Eigenleben. In zwanzig Fällen standen eingesickerte Tekteronii kurz vor der Machtübernahme, konnten aber früh genug entdeckt und ausgeschaltet werden. Durchgreifen mit harter Hand erscheint angeraten, um die vom Robotgehirn auf Arkon III erarbeitete Neuorganisation umzusetzen. Die Fabrikation der Synthonahrung wurde inzwischen zu sechzig Prozent umgestellt, eine verstärkte Schulungs- und Bildungsoffensive ist eingeleitet, und mit den Zhy-Suchern werden Dagor-Ideale zunehmend verbreitet, so daß sich erste Erfolge bei Kindern und Jugendlichen einstellen. Die Zusammenarbeit mit den Medien erweist sich als äußerst produktiv: Ob bei Trivid-Werbungen oder in den Holooperas, bei den Nachrichten oder in jeder Form der Diskussionsrunden – stets wird auf Veränderung hingewiesen, der Wandel propagiert, das Tun des einzelnen angemahnt. Kurz glaubte ich noch Manolito Almeda und den Swoon Rafon zu sehen. Tombe Gmuna und Thek’athor Fron Wroma huschten durch mein Blickfeld. Raunen von Tai Zhy Fam Sinyagi schwächte sich ab. Aus grauen Schwaden wurde Finsternis, und letzte Gedanken verebbten für unbestimmte Zeit. »Es wird Zeit, daß du wach wirst, Mann!« Die scharfen Worte standen im Gegensatz zur einschmeichelnden Stimme. Meine
Gedanken purzelten irritiert durcheinander, während Fingernägel sanft über meinen Unterarm glitten, dessen Härchen sich sofort aufrichteten. Schaudern befiel mich; plötzlich wußte ich, wer sprach. Ich fuhr hoch und ächzte: »Tatjana!« Sie saß auf der Bettkante, winkte ab und kicherte. »Dein Durchblick ist bemerkenswert, Euer Erhabenheit.« »Du…?!« Ich runzelte die Stirn, fühlte mich nach dem Heiltiefschlaf gekräftigt und registrierte erleichtert, daß alle Wunden geheilt waren. Morannische Mediziner und dein japanischer Bauchaufschneider haben sich um dich gekümmert, Imperator, flüsterte mein Extrasinn. Du hast zwei Tage geschlafen und befindest dich wieder auf Iprasa. Tatjana ist seit einer Stunde bei dir und hat dich mit Hilfe weiterer Feuerfrauen mit Vitalkraft gestärkt. Es ist gelungen! Vage erinnerte ich mich an die »Vision« meines Vaters, die Ereignisse im Kristall-Labyrinth, den Kuß der Großen Feuermutter, das Attentat auf Zarlt Kosoka… »Ich bin Tatjana Michalowna, eine terranische Mutantin, die auf Iprasa als Feuerfrau anerkannt wurde! Für einige Zeit lebte und lernte ich in der Yesugei-Burg von Zhygor«, sagte sie und stand geschmeidig auf, so daß ihre luftig-durchscheinende Robe flatterte. »Willst du, daß ich hiermit offiziell meine Wahl erneuere, Eisjunker?« Ihr Lächeln ging mir durch und durch. Feuertochter, Eisjunker! Tanja folgt der Dagor-Tradition voll und ganz, obwohl sie nicht müßte… Meine Gedanken mischten sich mit telepathischen Subströmen, die von ihr ausgingen und mein Bewußtsein umschmeichelten. Auf tieferer Ebene blitzten Erinnerungsfragmente auf, die als Zeitrafferszenen zu mir flossen: Beurlaubung vom Korps. Start der Space-Jet. Flug nach Zhygor. Ein Überfall von Tekteronii auf einen Nachschubkonvoi. Spontanes
Eingreifen, weil immun gegen suggestive Emissionen, die von einem Götzen auszugehen schienen. Dennoch ein paranormales Ringen, dem die Mutantin fast unterlag. Nur das Eingreifen von Gijahthrakos schlug die Tekteronii in die Flucht. Merkwürdig vage die Erinnerung an die entscheidenden Minuten – etwas war geschehen, doch Tatjana wußte nicht mehr exakt, was. Fragen danach aber in der Folgezeit verdrängt: Schulung und Meditation auf Zhygor, der Versuch, zu sich selbst zu finden. Unruhe und Sehnsucht ließen sich nicht unterdrücken; die Gefühle waren stärker als Verstand und Zweifel. Doch fast zwei Jahre vergingen, bis die Frau sich zu einem Entschluß durchrang… Ich schwang die Beine vom Bett, kratzte den Nacken und zog den bereitliegenden Cape-Mantel über, ehe ich betont brummig sagte: »Du erwartest hoffentlich keine sofortige Antwort, mein Schatz. Besondere Randbedingungen begleiteten unsere Begegnung beim Tanz der Monde, und auch jetzt fühle ich mich ein bißchen überrumpelt. Wie kommt’s, daß du gerade mich andauernd wählst?« »Liebe?« Ich lächelte. »Diese These überprüfen wir jetzt mal!« Kühles Pochen ging vom Lha’hon-Quarz aus, eröffnete mir den Blickwinkel des Paranormalen: Das zarte Glimmen ihrer Individualaura reizte mich sehr und brachte mein Blut in Wallung; sie schwang harmonisch mit den eigenen Ausströmungen, und ich ertappte mich, wie ich versonnen an eine gemeinsame Zukunft dachte. Im Bett! Der Extrasinn lachte; ich ignorierte die unqualifizierte Zwischenbemerkung standhaft und dachte: Sie ist eine starke Zhy-Fam, mir überaus sympathisch und zweifellos eine Partnerin, wie man sie sich nur wünschen kann; intelligent, selbstbewußt, schön! Dank Zelldusche sogar langlebig… Trotzdem gab es Ausläufer von Mißtrauen und Zurückhaltung.
Etwas durchdringt ihre Schwingungen, meinte der Logiksektor betont sachlich. Es ist dir vertraut und fremd zugleich; ein Faktor, der dich mißtrauisch macht: Es ähnelt den »Lichtwesen« aus deinen Visionen, vor allem denen beim Raumwurm von Tatalal… Tatjana runzelte die Stirn und sagte nörgelnd: »An deine innere Stimme muß ich mich erst noch gewöhnen. Wirkt wie ein Voyeur. Egal: Wann küßt du mich endlich?« Ich räusperte mich und schüttelte die Verlegenheit ab. Leuchten übergoß die Parasinnesebene; der harmonische Gleichklang wurde intensiv wie eine innige Umarmung; unsere Lippen suchten einander. »Feuertochter«, sagte ich nach einer Weile leise, »auch diesmal nehme ich die Wahl an! Nebenbei: Was hältst du von einigen Tagen Urlaub zu zweit? Ich möchte dich richtig kennenlernen.« »Gute Idee.« Sie tippte an meine Stirn und grinste. »Ob allerdings zu zweit die richtige Formulierung ist, möchte ich bezweifeln.« Aus den Augenwinkeln heraus glaubte ich für einen Moment bleiche Schemen zu sehen, aber als ich den Kopf drehte, war nichts da. Verunsichert hob ich die Schultern, während sich Tanja an mich schmiegte, mit dem Zellaktivator spielte und die Narben meiner Bauchdecke leckte. Unzusammenhängende Bilder von »Lichtwesen« überlagerten meinen Blick. Sie versanken aber im Unterbewußten, als Tanja mir nach ihrem Geist auch ihren Schoß öffnete. Iprasa, Zhy-Kloster: 11. Prago des Ansoor 19.017 von Arkon (= 9. September 2047 Terra-Standard) Während sich zum zehnten Tonta Adepten und Meister im größten Innenhof versammelten, angeschlagene Kristallsäulen im gleichmäßigen Takt dröhnten, Goldleuchten aus den Zhy-
Famii-Meditationskreisen aufstieg und am trübroten Dunsthimmel über dem Kloster Panzergleiter und LekaDisken der Kristallgarde kreisten, »traf« ich mich in einem Saal des Profantraktes mit den wichtigsten Mitarbeitern: Nur ein Teil war persönlich anwesend, der Rest per HyperfunkHololeitung zugeschaltet. »Erhabene, Freunde!« Ich hob die Stimme, Einzelgespräche verstummten. »Ich habe eure Berichte studiert. Großes Lob an alle! Während ich mich zur Meditation zurückzog, habt ihr Bemerkenswertes geleistet und dafür gesorgt, daß sich die Akten auf meinem Arbeitstisch nur bis in Brusthöhe stapeln.« Müdes Schmunzeln begleitete den ironischen Ausspruch; über den Kontakt zur Großen Feuermutter registrierte ich genau die angespannte Atmosphäre. Bei manchem flackerten die Iridividualauren im fahlen Licht. Sorgenvoll gedrückte Schwingungen bestimmten die gedanklichen Ausströmungen: Auch der Erfolg hinsichtlich des Projekts Tai Zhy Fam konnte und durfte nicht darüber hinwegtäuschen, das das Chaos im Großen Imperium nur mühsam gebändigt war. Winzige Funken reichen unter Umständen aus, und im dann auflodernden Großbrand geht alles unter! Mein »visionäres Erlebnis« hat sich bestätigt: Obwohl der Zarlt voll getroffen wurde, überlebte er – aus »rätselhaften Gründen« – den Anschlag. Wenn solches mit dem »millionenäugigen Imperator« verbunden ist, macht das Ganze wirklich Sinn. Hochmeister Suinsintung stand auf, sah in die Runde und erklärte: »Euer Erhabenheit gestatten eine Bemerkung, ehe Ihr fortfahrt? Danke. Ich denke, daß ich im Namen aller spreche. Bescheidenheit und Demut kennzeichnen einen ZhyErweckten, und es steht uns nicht zu, Selbstverständlichkeiten mit großem Kristallgong zu verkünden. Die Zahl derer aber, die den Kuß der Großen Feuermutter empfingen, ist derart klein, daß es unser aller Respekt gebietet, sich vor dem Allessehenden
zu verneigen: Imperator Gonozal, Ihr seid erst der achte von fast fünfhundert Herrschern des Großen Imperiums, der in sich das ausreichende Maß natürlicher Begabung mit hart trainierten Fähigkeiten, stählernem Willen und bedingungsloser Aufopferungsbereitschaft zu vereinen weiß. Wir begrüßen Euer Erhabenheit in Freude, Dankbarkeit und Demut! Lang lebe und herrsche Imperator Gonozal! Es lebe Arkon!« Sie senkten die Köpfe, salutierten stumm, und mir krampfte es den Magen zusammen. Gänsehaut überzog meinen Körper, und ich räusperte mich, bis ich mit heiserer Stimme antwortete, ohne einen sarkastischen Unterton vermeiden zu können: »Ich danke euch aus ganzem Herzen! Doch – zuviel der Ehre, Freunde! Ihr beschämt einen altgedienten, der Praxis verbundenen Admiral und Geschwaderchef. Können wir, wenn die Damen und Herren zum Boden harter Realität zurückgefunden haben, zur Tagesordnung übergehen? Das Erreichte kann und darf nur der erste Schritt sein, denn es hilft wenig, wenn der Imperator zwar… hm, alles sieht, dem jedoch keine Taten folgen! Sprechen wir die gemeinsam erarbeiteten Planungen durch, um die nächsten Punkte in Angriff nehmen zu können.« Manchmal, signalisierte Tanja energisch, kannst du ein richtiges Ekel sein, Admiral! Sie verehren und lieben dich, und du weißt nicht anders darauf zu reagieren, als… Typisch Mann! Absolut unsensibel! Wenn ich nicht den Sinn mit der Großen Feuermutter verstanden hätte – spätestens jetzt wäre es mir klargeworden. Ohne die feminine Seite… Es ist mir ganz einfach peinlich, mein Schatz, gab ich lautlos zurück, wenn hochgebildete, fähige und selbstbewußte Leute vor mir quasi auf die Knie sinken. Wie könnte ich mich selbst so hoch einschätzen, daß sie…
Trotz »Kuß« nichts dazugelernt! Dein Extrasinn sollte jetzt Narr brüllen! Wütendes Funkeln ihrer Augen sprang über die paraverbale Verbindung und entwickelte die Wucht einer schallenden Ohrfeige. Es dreht sich nicht um deine Selbsteinschätzung, sondern um das, was wir in dir und wie wir dich sehen, Arkonide. Akzeptiere das, Mann, sonst zeige ich dir, daß die hochgebildeten, fähigen und selbstbewußten Leute auch anders können. Dein Liebreiz ist umwerfend. Ich lieb’ dich auch. Sie drehte abrupt den Kopf, Röte überzog ihre Wangen – vermutlich mehr aus Ärger denn Verlegenheit. Im Gedankenhintergrund empfing ich ein vielstimmig-sanftes Lachen – die Große Feuermutter! »Also…« Ich hüstelte. »Für den ersten Prago der Prikur – also in sechzehn Tagen – ist die offizielle Einführung und Vorstellung der Großen Feuermutter angesetzt: gemeinsamer Auftritt im Thronsaal des Kristallpalastes, Trivid-Übertragung ins gesamte Imperium. Pressekonferenzen mit den wichtigsten Medienvertretern. Im Anschluß eine Reihe von Audienzen; vor allem Botschafter und Abgesandte. Hierbei sind Termine zu vereinbaren und Vorabübereinkünfte zu treffen, denn die nächsten Perioden werden vor allem von einer Rundreise durchs Imperium geprägt sein. Goodwilltour würden es meine terranischen Freunde vermutlich nennen: Ziel ist die Konstituierung einer Vollversammlung für Sicherheit und Zusammenarbeit im Großen Imperium… Starttermin der ARKON römisch zwo und der Begleitschiffe ist voraussichtlich der fünfte Prago der Prikur… Leute, kommen wir zu den Einzelheiten und stimmen unser Vorgehen aufeinander ab. Ich denke, daß wir in fünf Tontas durch sein können – denn dann zieht sich Seine Erhabenheit mit neuer Freundin…« – ein geistiger Fußtritt traf mich; Tanja lächelte dazu ebenso zuckersüß wie falsch – »… für einige Pragos in den, wie wir
denken, wohlverdienten Kurzurlaub zurück! Gibt es irgendwelche Einwände? Nicht? Danke, Freunde, wir hätten sie auch ganz bestimmt ignoriert…« Khol Trayz strich über den Oberlippenbart, zwinkerte vertraulich und hob den Zeigefinger. »Darf ich als Ort dieser Zweisamkeit das Trayz-Habitat empfehlen? Es driftet zur Zeit durchs Arkonsystem. Dort seid ihr ungestört und vor jeglicher Art Nachstellung sicher; nur dem Imperator und seiner ZhyFam gegenüber machen wir schon mal eine Ausnahme hinsichtlich des eingeschränkten Zugangs: Fürstin Ellyna Trayz heißt euch herzlich willkommen! Übrigens: Es gibt viele Feuerfrauen unseres Clans, die dem neuen Amazonenkorps des Imperators unbedingt beitreten wollen…« Ich wechselte einen Blick mit Tatjana, sah ihr kaum merkliches Nicken und lächelte schief. »Angebot dankend angenommen. – Erster Punkt der Tagesordnung: Killan…?« »Folgende Termine sind fest vereinbart: Erste Stationen der geplanten Rundreise durchs Tai Ark’Tussan sind Zalit, Archetz und Aralon. Später sollen unter anderem Or und Be, Dron, Scü-Goom, Mi, Therbor, Elloant und Longho folgen. Zur Unterstützung der Kristallordenmitglieder von Zhygor werden Feuermutter Nolivaika und Hochmeister Suinsintung Iprasa verlassen und in den nächsten Pragos abreisen. Weiterhin…« Punkt für Punkt gingen wir die positronischen Listen durch, mehrmals mußte – weil neue Aspekte in der Diskussion aufgeworfen wurden – der Robotregent Auswertungen und Planungen überarbeiten. Dem Gesamtkonzept lag der Entschluß zugrunde, auf möglichst sanfte, dennoch nachdrückliche Weise vorzugehen: Weniger große Flottenaufgebote und bedrohliche Militärpräsenz sollten zum Einsatz kommen als vielmehr die übrige Klaviatur, die von Geheimdiplomatie bis zu gezielten wirtschaftlichen
Maßnahmen reichte, ohne deshalb weniger effektiv zu sein. Im Gegenteil. Der von harten Chronners ausgeübte Druck war häufig sogar wirkungsvoller als Salventakt, zumal wenn auf entsprechende Geheimdiensterkenntnisse zurückgegriffen werden konnte. Letzteres lieferte Peter in kaum schlechterer Güte als sein großes Vorbild Mercant; Mißtrauen auch sein wahres Ich – Relikt des kalten Kriegs auf Terra. »… Aufstockung der Augen des Imperators in den nächsten drei Jahren auf zehn Millionen ist eingeleitet«, teilte er ruppig mit. »Die Schulungen und Ausbildungen laufen. Wir werden verstärkt Zhy-Famii einsetzen. Assylia leistet Unglaubliches; die Koordination mit den Mooffs funktioniert bestens: Auf den wichtigsten tausend Welten haben wir jeweils mehrere tausend stationiert, so daß sie ein Netzwerk bilden können, das absolut abhörsicher funktioniert, uns auf schnellstem Wege informiert und auf negative Grundströmungen ebenso reagiert wie auf Aggressionsspitzen von Einzelpersonen. Häufig reicht schon leichter suggestiver Druck der Mooffs, so daß Auswüchse verhindert werden, ehe sie überhaupt entstehen… Hinweis fürs Protokoll: Die Persönlichkeitsrechte des einzelnen bleiben unberührt, der allgemeingültige Datenschutz gewahrt. Es dreht sich hier um Aspekte, die die Imperiale Sicherheit betreffen, in Übereinstimmung mit den einschlägigen Gesetzen.« Ich winkte ab. »Bekannt, Peter.« Hamkammons Vocoderstimme mischte sich mit Blubbern des Überlebenstanks. »Die Analysen des therborischen Planungskollektivs sind eindeutig: Eine enge Zusammenarbeit mit den Springern ist für das Imperium überlebenswichtig. Die wirtschaftliche und finanzpolitische Einflußnahme über ihr Handelsmonopol wird sich als unverzichtbares Regulativ erweisen: Jeder Aufstand, jede Rebellion, jeder Krieg ist stets eine Frage des Geldes.
Werden die Mittel auf andere Weise gebunden, entschärfen sich Krisenregionen meist fast von selbst. Das Schaffen der Freihandelswelten im Kolonialbereich haben die Springer als notwendiges Übel akzeptiert, obwohl sie natürlich eigene Handelsstützpunkte viel lieber sähen. Problematisch ist jedoch noch die Gewährung von Privilegien an Kolonial-, Siedlungsund Fremdvolkwelten: Die Springer hier zum Stillhalten zu bewegen könnte sich als verknotetes Tentakel erweisen.« »Der Imperator entscheidet letztlich über Besitzansprüche, Handelsrechte, Autarkiebestrebungen und dergleichen«, sagte ich grimmig. »Das springersche Handelsmonopol kannte schon immer Ausnahmen auf dem Feld der Staatsunternehmen und bei den Privilegien des arkonidischen Hochadels. Es kommt jetzt darauf an, daß die Springer vermehrt zu Lizenzverkäufen übergehen; beispielsweise Versteigerung von Routen, Warensortimenten und so weiter an eigenständige Spediteure und Handelshäuser der Fremdvölker.« »Sie werden auf diese Linie einschwenken!« Peter lachte rauh. »Schon aus Eigeninteresse sind sie mehr an einer Zusammenarbeit mit dem Imperium interessiert als an mehr oder minder verdeckten Offerten der Tekteronii. Vor wenigen Tagen wurde da ein bemerkenswerter Vorgang aufgedeckt, der zeigt, daß der Tekteron-Bund auf allen denkbaren Ebenen aktiver wird: Ein prebonischer Reeder, der Reinen Lehre treu ergeben, kaufte im großen Maßstab bei Sicht beziehungsweise Vorlage fällige Schulden eines debilen Arkonfürsten bei Springern von diesen auf und legte sie in Gesamtsumme vor – die Bezahlung gelang nur durch Abtretung mehrerer Rohstoffmonde. Und das Ganze ist, Teufel noch mal, juristisch so hieb- und stichfest, daß allen Beteiligten die Hände gebunden sind! In einem anderen Fall traten Tekteronii als Kreditgeber auf und gaben als Sicherheit Pfandwelten
verfeindeter Fürsten an, so daß der Konflikt bei Inanspruchnahme der Sicherheit vorprogrammiert war. Sir, da laufen Dinge, die in ihrer Komplexität zum Teil bestenfalls Homer G. Adams durchschaut!« Ich antwortete: »Wir ziehen gegebenenfalls ihn und die GCC zu Rate. Die abgeschlossenen Beraterverträge mit seinen Fachleuten bringen zwar unsere rotbärtigen Patriarchen auf die Palme, aber sie müssen lernen und akzeptieren, daß Terra einer unserer Partner ist und in Zukunft bleiben wird. Viel mehr Sorgen bereiten mir die Aras.« Hamkammon ließ die Tentakel wirbeln und blähte das KopfRumpf-Segment auf. »Durch entsprechende Staatsaufträge, die große Finanzmittel binden, ist ihnen nur begrenzt beizukommen. Wenn es allerdings gelänge, ihren Ehrgeiz anzustacheln…« »Den Tekteronii scheint das gelungen zu sein!« Peter Kosnows betont ruhige Stimme glich beinahe der Wirkung einer Bombe. »Bislang sind’s noch unbestätigte Gerüchte, die wir von Báalols erhalten haben – also aus einer Quelle, die mit Vorsicht zu genießen ist. Die Rede ist von einem Großprojekt! Läuft angeblich schon seit Jahren und hat mit künstlicher Mutation niederer Lebensformen zu tun. Einzelheiten leider unbekannt, wir bleiben dran! Nur der Begriff Stachelkugel gilt als gesichert – er wurde auch in den Ara-Dokumenten genannt, die uns Botschafter Tifflor überließ.« Mein scharfer Fluch durchbrach die eingetretene Stille. Der Blick, den Tatjana und ich wechselten, sprach Bände: Wir erinnerten uns an den Tanz der Monde und meine verschiedenen Visionen. Da braut sich etwas verdammt Unangenehmes zusammen! durchfuhr es mich. Und irgendwie hat’s mit Zhygor zu tun, das fühle ich mit jeder Faser! Verflucht, wir brauchen mehr Informationen! Wenn ich nur wüßte, was diese sonderbaren
Lichtwesen zu bedeuten haben! »Peter: Mobilisieren Sie alle Kräfte!« befahl ich mit eisiger Stimme. »Richten Sie ein verstärktes Augenmerk auf Randwelten nahe der Sogmanton-Barriere: Ich vermute, daß sie dort vordringlich ihre Aktivitäten entfalten werden.« Die Holoprojektion des Geheimdienstchefs nickte; sein Blick richtete sich auf Kartendisplays, die wir nur als Ausschnitt sehen konnten. »Hhm, könnte hinkommen, Sir. Auch die Báalols haben vom Sektor des Leuchtsterns Mhalloy gesprochen. Da kommen bis zu zwanzig Welten in Frage; einige befinden sich noch in der Erschließungsphase – also eine wahre Fundgrube! Okay, Sir, alles notiert.« »Nächster Punkt…« Ich seufzte. Die Tontas verrannen schneller als gedacht. Servoroboter brachten einen Imbiß und servierten neue Getränke. Die Aufklärung des Anschlags auf den Zarlt verlief schleppend; leider waren die Attentäter zu Asche verkohlt worden, aus der sich keine Hinweise mehr ermitteln ließen. Peter vermutete allerdings, daß hier Aktivitäten von arkonidischen Oppositionellen dahintersteckten: Im allgemeinen war der Zarlt ein Zaliter, doch es konnte auch ein Arkonide Vize-Imperator werden, wenn er die nötige Mehrheit fand. In einem solchen Fall war klar, daß der Zarlt nicht mit Repräsentationsaufgaben abzuspeisen war. Beweise standen zwar noch aus, aber Peter glaubte, daß Admiral Tara Ta-Emthon hinter dem Attentat steckte: Seit einiger Zeit lief ein medienwirksam inszenierter Werbefeldzug, der Zarlt Kosoka dessen hohes Alter und seine Unfähigkeit vorwarf. Und als Retter in der Not bot sich Tara an. Ebenfalls ungeklärt bleibt der Anschlag auf Hemmar Ta-Khalloup, dachte ich. Auch hierbei wurde der Körper des Attentäters komplett vernichtet. Der Archivar ist wieder gesund und arbeitet an der Entschlüsselung des Juwels von Kariope. Außer einigen Textblöcken,
deren Übersetzung ebenso unsicher ist wie der Inhalt umstritten, gibt es noch keine Ergebnisse. Allerdings scheinen die Sternenmythen und ihre Kommentare auf den Großen Galaktischen Krieg hinzudeuten. Hier heißt es abwarten, was weitere Ergebnisse bringen. Nur langsam wurde die Liste kürzer. Dutzende Welten, Hunderte Personen, Berichte, Anordnungen, weitere Befehle, Analysen von Robotregent und Therborer-Kollektiv: Am Schluß rauchten uns im wahrsten Sinne des Wortes die Köpfe, und doch wußten wir, daß nur ein Bruchteil der anstehenden Probleme behandelt worden war. Der Rest mußte vertagt werden. Tryaz-Habitat: 27. Prago des Ansoor 19.017 von Arkon (= 28. September 2047 Terra-Standard) Fürstin Ellyna Trayz’ Stimme glich heiserem Ächzen: »An lokalen Strukturen von Raum und Zeit zentriert, sind Individuen Ego-Fragmente des dahinterstehenden Wesens; sie leben viele Leben und entfalten sich in verschiedensten Gestalten als manifestierte Ich-Bewußtseine.« Meine Konzentration stieg, aus Flirren entstand die Kontur eines Körpers, dessen Masse zunehmend Gestalt gewann. Die Materieprojektion, das fühlte ich genau, stand in engster Verbindung zu mir. Raunen und Wispern Sinyagis wurden lauter, Tanja hatte sich zu den Feuerfrauen des Amazonenkorps gesellt. »Multiple Vielfalt kennzeichnet die Komplexität der Bewußtwerdung, Imperator Gonozal«, keuchte die alte Feuerfrau. »Dichotomie zwischen der Erfahrung als begrenzter Körper und der eines ausgedehnten Bewußtseinsfeldes! Ja, so ist’s gut! Stabilisiere sie, Mann… Du
mußt die Kräfte der Tai Zhy Fam nutzen! Gegen unendlich strebend viele Möglichkeiten gibt es. Alle sind miteinander verwoben und interaktiv verbunden, materialisieren in Universal-Alternativen jeweils dort dominante Ego-Gestalten. – Wahres Sein ist die Kraft, die hinter der Stofflichkeit steht, so daß die daraus aufgebauten Muster als Gegenstände wahrgenommen und gebraucht werden können.« Ein Ruck fuhr durch mich, als reiße ein straff gespanntes Tau; es war eine unheimliche, kaum zu beschreibende Situation: Ich stand mir selbst gegenüber, und dieses Gegenüber war ebenso ich wie ich! Zwei Körper – einer eine von Sinyagi geschaffene Projektions-»Maske« –, aber ein Bewußtsein, das über beide Körper ausgebreitet war. Unsere Gedanken liefen synchron, waren eins: Sind wir wir? Bin ich wir? Sind wir ich? »Wie soll man’s nennen?« murmelten wir gleichzeitig und sahen Ellyna an; in mir/uns verdoppelte sich der Blickwinkel um die Perspektive des anderen. Läßt sich Gleichzeitigkeit von Subjekt und Objekt sprachlich erfassen? Ich sehe Atlan, Atlan sieht ich, Atlan sieht Atlan, ich sehe ich, »wir« sehen uns gegenseitig. Zweimal »ich«? Oder zweimal »du«? Wo bleibt das Ego, wenn’s aus beiden Blickwinkeln Du-Objekte gibt? »Ich werd’ noch wahnsinnig!« Wir riefen gleichzeitig, sahen in fiebrige Augen des »anderen« und brachen in ein synchrones Lachen aus, das ebenso plötzlich abbrach, wie es begann. Meine/unsere Gedanken verwirrten sich; Begriffe huschten dahin: Ego, Ego-Einheit, Ego-Mehrzahl, Einheit, Wirheit, Vielheit, Ganzheit… Mist! »Auf ein neues!« Geteilter Körper, ein Ich. Teilung spaltet das Ich zum Wir, aber es ist keine Spaltpersönlichkeit, sondern ein Bewußtsein in zwei Körpern!
»Ich als Subjekt stehe vor dem Problem, im jeweiligen Körper des Gegenübers – wegen der räumlichen Distanz – ein Fremd-Objekt zu sehen, weiß aber auch, daß es ebenfalls ich ist…« Hilflos ließ ich die Schultern hängen, die Materieprojektion verwehte zum bleichen Nebel. Bedauerndes Flüstern sprang von Sinyagi auf mich über. Und Ellyna schüttelte mißbilligend den Kopf, zauberte noch mehr Runzeln in ihr Gesicht und sagte brummig: »Schlecht, Imperator! Sehr schlecht! Bedenke stets, daß außerhalb materieller Realität der von Ego-Mustern geprägten Erscheinungswelt zahllose andere Realitäten existieren. Im allgemeinen entgehen sie der Aufmerksamkeit des Individuums, weil dieses auf die eigene Dimensionalität konzentriert ist. Du mußt die Einschränkung überwinden, den Blick erweitern! Die Große Feuermutter hilft dir doch, sie liefert die primäre Kraft!« »Leicht gesagt!« knurrte ich ärgerlich. »Meine Wahrnehmung verdoppelt sich! Wenn ich mit mir selbst Rücken an Rücken stehe, hab’ ich plötzlich einen 360-Grad-Rundumblick! Je weiter die Körper voneinander entfernt sind, desto gravierender wird die Dualität. Es sind dann zwei separate, voneinander unabhängige Blickwinkel! Zur gleichen Zeit mache ich also verschiedene Erfahrungen. Was ist dann Ego überhaupt noch? Ein Millionenäugiger hat’s verdammt schwer!« Die alte Frau kicherte. »Die Begrenzung der Ego-Gestalt aufs Ich erzwingt Entscheidungen hinsichtlich wahrnehmbarer Ereignisse – eine Illusion! Für Wahres Sein, mein Lieber, das seiner Natur nach nichtkörperlich und unsterblich ist, existieren alle Komponenten der Erfahrung gleichberechtigt nebeneinander, omnipräsent im Alles Umfassenden Jetzt des Hyperraums. Schon mit normalen Paragaben erschließt sich ein erweiterter Blick, auch wenn dieser bruchstückhaft bleibt.
Bei dir ist’s eine Stufe mehr – kaum so viel!« Mit Daumen und Zeigefinger deutete sie den Abstand von einem halben Zentimeter an. »Also, Imperator: Weiterüben! Konzentriere dich!« Tryaz-Habitat: 35. Prago des Ansoor 19.017 von Arkon (= 7. Oktober 2047 Terra-Standard) Tatjana Michalowna hob ihr langstieliges Glas und prostete mir zu. Wenige Punktleuchten schufen ein angenehmes Dämmerlicht, von den Speiseplatten strömte anregender Duft aus, bernsteinfarben schimmerte Wein. Der Raum, zur Hälfte eine spitzwinklige Panzertropionkanzel, die in den schwarzen Abgrund des Alls hinausragte, war erfüllt von Chorgesängen therborischer Meisterkomposition; Shingholay Ghrutoll, Aufbruch der Sternenkarawane, Ouvertüre. »In einer Zeit der Fragmente ist es uns nicht möglich, irgend etwas zu vollenden«, sagte Tanja leise. Melancholische Stimmung hatte uns ergriffen. Ich nickte im Bewußtsein, daß die Wirren des Großen Imperiums bald wieder unsere volle Aufmerksamkeit beanspruchen würden. Der Urlaub näherte sich unwiderruflich seinem Ende; keine Hiobsbotschaft hatte unsere Zweisamkeit und das Kennenlernen gestört. »Genießen wir das, was uns bleibt«, sagte „ich und trank einen Schluck. Ich schob mir einen Happen des zarten HajakBratens, von cremiger Sauce bedeckt, in den Mund. Tanja hatte ihr dunkelbraunes Haar hochgesteckt, kupfern glitzerte das hautenge Trikot, das den linken Arm und das rechte Bein frei ließ und im Rücken tief ausgeschnitten war. Wir wußten, daß unsere Wege in verschiedene Richtungen führen würden; sie wollte – von schwer definierbarer Unruhe ergriffen – nach Zhygor vorausfliegen, auf mich warteten die
vereinbarten Termine, bis ich folgen konnte. Auch die Hilfe Sinyagis hatte unsere Visionen nicht entschlüsseln können. Es war und blieb ein Konglomerat verwirrender Einzelszenen. Stachelkugeln. Künstliche Monde. Lichtwesen. TekteroniiAktivitäten. Noch war es mehr Ahnung als Gewißheit, aber ich war mir absolut sicher, daß rings um Zhygor eine Gefahr Gestalt gewann. Ich stand auf und sah durch die transparente Druckwand. Fern und klar leuchteten die Sterne. Verzerrt entschwanden die zerklüfteten Wände seitlich aus meinem Blick; der kantige Klotz des Habitats, bewohnt von einigen zehntausend Raumnomadenfamilien, driftete langsam durch seinen derzeitigen Aufenthaltsort, das innere Arkonsystem nahe Iprasa. Je länger ich hier bin, desto mehr vermisse ich Larsaf III alias Terra. »Woran denkst du, Eisjunker?« »An die Erde!« 34.000 Lichtjahre war die Welt meiner zehntausendjährigen Verbannung entfernt. Dort hatte ich mich nach Arkon gesehnt. Und nun… Tanja trat heran und legte ihre Hände auf meine Taille. Einen Moment spannten sich unwillkürlich meine Muskeln. »Ich genieße unser Zusammensein in jeder Sekunde, die bleibt!« flüsterte sie. Besorgniserregende Meldungen, insbesondere aus den Randzonen des Imperiums, vermehren sich, dachte ich. Anfänglich geduldete Aktivitäten werden zu Auswüchsen, die vermutlich meine Anwesenheit vor Ort unerläßlich machen. Auf Arkon Drei wartet Manolito mit der ARKON; Straton hat die Probeflüge beendet. Tanjas Fingerspitzen strichen über meinen Nacken, während wir, aneinandergeschmiegt, in den Weltraum sahen. Dann nahm ich sie auf meine Arme und trug sie langsam in die dunkle Ecke des Raums. »Vermutlich komme ich schneller
nach Zhygor, als wir jetzt denken.« »Aber leider wird es kein fröhlicher Anlaß sein, der dich dann zu mir bringt.« Ihre Stimme klang belegt. »Ich fühle das genau wie du. Halt mich ganz fest, Atlan.« Das tat ich. »… schalten nun um zur She’Huhan-Grotte in den Hängen des Hügels der Weisen. Im Volksmund wird sie bekanntlich weiterhin der Tempel genannt, obwohl sie heute mehr eine Museumsanlage ist.« Die Stimme des Arkon-Trivid-Kommentators Gellor MaKynaan nahm pathetischen, allerdings ironisch übertriebenen Ton an. »In der größten Halle sind die Götterstatuen zu bewundern; jene vierundzwanzig Entitäten, die die alt-arkonidische Mythologie bevölkert haben. She ‘Huhan, die Sternengötter! Seine Erhabenheit, Gonozal der Achte, steht im prächtigen Ornat vor Merakon, dem Gott der Jugend und der Kraft. Eine treffliche Wahl! Er, der Unsterbliche, wirkt fast wie eine Verkörperung der alten göttlichen Prinzipien. Sehr gelungen. Ihm gegenüber hat Tai Zhy Fam Aufstellung genommen: Hinter ihr erkennen wir Qinshora, die Göttin der Liebe und unendlichen Güte. Trommelwirbel und Fanfarenklang. Sie setzen sich in Bewegung, reichen einander die Hände. Das Leuchtband der Kraftfeldbrücke entsteht, dehnt sich aus, schwingt sich vom Ausgang der Grotte bis zum Kristallpalast hinüber. Wir wissen ja, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf Tausenden Planeten, daß Seine Erhabenheit, der achte Gonozal, und die Große Feuermutter nun gemeinsam über diesen Weg schweben werden. Ein beeindruckendes Bild! Von den Seiten kommen die spärlich bekleideten Zhy-Famii des Amazonenkorps hinzu: Abwechselnd mit stämmigen Gestalten der Kristallgarde – niemand soll die Naats unterschätzen! – flankieren sie den Aufstieg. Dieser erste Prago der Prikur im Jahre 19.017 da Ark wird zweifellos in die Geschichte Arkons eingehen! Goldener Glanz hüllt den Imperator und seine Begleiterin ein, sie nähern sich langsam dem
Kristallpalast, wo sich hoch oben – beim Übergang vom Stiel zum Kelch – ein Tor öffnet.« Der Kommentator seufzte. »So schätzen wir das Auftreten Seiner Erhabenheit: kraftvoll, den Traditionen verbunden, in voller Anerkennung der langen Linie früherer Herrscher, als deren 496. Gonozal mit vollem Recht, legitimiert durch seinen Status als Kristallprinz und Sohn des siebten Gonozals, dem ruhmreichen Khasurn derer von Gonozal entstammend, Macht und Reichsinsignien auf sich vereint… Während wir die Bilder des Aufstiegs sehen und das angenehme Schaudern kaum unterdrücken können, erinnern wir uns, was dem heutigen Ereignis voranging: Im vollen Bewußtsein der Überlieferungen nahm Seine Erhabenheit die Qualen auf sich! Er wurde Cho-Träger, ritt auf seinem Horimad zum Tanz der Monde. Er stieg hinab ins Kristall-Labyrinth des ZhyKlosters von Iprasa, erwachte im Arenar und auf der Totenwelt Hocatarr und wurde sich seiner Berufung bewußt. Mit Imperator Gonozal gibt es nunmehr den achten Arkon-Herrscher, der eine Tai Zhy Fam an seiner Seite weiß. Fortan ist er real der Millionenäugige und Allessehende, denn er empfing den Kuß der Großen Feuermutter! Zhdopanii! Fast haben Seine Erhabenheit und die Große Feuermutter das Tor erreicht, gleich folgt die weitere Übertragung aus dem Thronsaal des Imperators. Deshalb stimmen Sie mit mir ein: Wir begrüßen Seine Erhabenheit in Freude, Dankbarkeit und Demut! Lang lebe und herrsche Imperator Gonozal der Achte. Es lebe Arkon!«
13. Aus: Welten des Großen Imperiums; autorisierte Info-Sammlung des Flottenzentralkommandos (Geheimwelten unterliegen Zugriffskode #***-****-**); reich bebildert, 223. Auflage der Kristallchips, 19.015 da Ark
Arkon III – Raumflotten- und Kriegsindustrieplanet: Der ursprünglich dritte Planet des Arkonsystems bildet zusammen mit Arkon I (vormals zweiter Planet) und Arkon II (vormals vierter Planet) die Synchronwelten auf künstlich stabilisierter 620Millionen-Kilometer-Umlauft)ahn. Planetarer Durchmesser: 13.250 Kilometer. Gravitation: 1,3 g. Rotation: 28,37 h (siderischer Umlauf von 365,22 Arkontagen je Jahr. Standardrechnung: 365 Pragos Schaltjahr alle 50 Jahre durch Anhängen von 11 Pragos). Kein Mond. … übernehmen 25.000 Werften größten Ausmaßes, von Robotfertigung und komplizierten Bandstraßen dominiert, die Vorfertigung; mobile Roboter zeichnen für die Endmontage verantwortlich, die bei Großraumschiffen häufig im Orbit erfolgt. Frachterverbände und die vom Robotregenten reaktivierten Ferntransmitterverbindungen – für lange Zeit vergessenes Erbe der expandierenden Vorfahren – sichern den Materialnachschub. Rohstoffe, Halbfertig- und Endprodukte werden ständig angeliefert, zwischengelagert, weiterverarbeitet oder zur Schlußmontage befördert. Eine ausgeklügelte Infrastruktur, die Raumschiffe, Zubringer, Kurz- wie auch Langstrecken-Transmitter kombiniert, sorgt für reibungslosen Verkehr. Organisatorisches und logistisches Zentrum ist der Komplex des Robotregenten, der eine Grundfläche von 10.000 Quadratkilometern bedeckt und vom fast achtzig Kilometer hohen Wabenschutzschirm überwölbt ist. Am Nordrand breiten sich auf einem zwanzig Kilometer langen, dem Kuppelrand folgenden Areal mehrfach gestaffelte Säulenhochbauten des Flottenzentralkommandos aus: bis zu tausend Meter hohe Achteckprismen, die nur den Oberflächenbereich von viel umfangreicheren, subplanetarischen Anlagen darstellen… Arkon III, Flottenzentralkommando: 5. Prago der Prikur 19.017 von Arkon (= 14. Oktober 2047 Terra-Standard)
Stabschef Killan voo Mispanor, der langbeinige Mispaner mit grauem Kopffell und spitzem Mardergesicht, den positronischen Filofax unter den linken Arm geklemmt, erwartete mich allein, als ich im Transmitterkäfig rematerialisierte und nach einem Transit von mehr als einer Milliarde Kilometern den ziehenden Schmerz im Nacken ignorierte. Dagegen müßte man endlich was erfinden, schoß es mir durch den Kopf. Hhm, wenn ich Speedys Andeutung richtig verstanden habe, könnte es vielleicht schon geschehen sein. Mal sehen, was er und die Swoon geleistet haben und ob es ihnen gelungen ist, die von den Gijahthrakos gelieferten »Häppchen« zu integrieren… Bevor Killan den Mund öffnen konnte, sagte ich lächelnd: »Halt dich zurück, mein Lieber! Dein Bellen höre ich noch oft genug!« Er knickte die großen, aufgestellten Ohrmuscheln und ließ einen zarten Triller hören; harmlos im Vergleich zur sonstigen rauhen Stimme. Während ich, von Sinyagi unterstützt, in den vergangenen Tagen die anstehenden Audienzen absolvierte, war Killan nach Arkon III vorgereist, um die letzten Details zu koordinieren. Mein Gepäckcontainer war gleich zur ARKON II weitergeleitet worden. Ich trug eine blauschwarze schmucklose Raumrüstung, über die linke Schulter ragte der Griff des Dagor-Schwertes hinaus – das Antrittsgeschenk des neuen terranischen Botschafters auf Arkon, Julian Tifflor, den Perry vor kurzem erst zum General befördert hatte. »Die Terkonitklinge – strukturverdichtetes Stahlplastik, neueste terranische Produktion – ist einem japanischen Samurai-Katana nachempfunden, Sir«, hatte er gesagt und jungenhaft gelächelt. »Kitai hat uns die Informationen übermittelt: Hüllfeld in DagorTradition aufladbar im Desintegrator- und Paralysatormodus; Energiezelle im Griff entstammt swoonscher Mikrotechnik. Damit
zerschneiden Sie Arkonstahl wie Butter, und sogar BáalolEnergieschirme stellen kein Hindernis dar, weil das Schwert gleichzeitig festmateriell-nonmagnetische wie energetische Wirkung entfaltet.« Terraner! Die Erinnerung ließ mich grinsen. Sobald Tiff sich auf der Kristallwelt eingerichtet und eingelebt hatte, würde die Verbindung nach Terra noch besser funktionieren, dessen war ich mir sicher. Perry hatte einen seiner besten Männer entsandt und mit weitreichenden Sondervollmachten ausgestattet, um mich bei Bedarf auf kürzestem Wege unterstützen zu können. Was sie im einzelnen zum pompös vorgestellten Projekt der Großen Feuermutter denken, will ich besser nicht wissen. Tiffs diplomatische Andeutungen lassen zwischen den Zeilen erkennen, daß einige Damen und Herren fast rotiert haben müssen. Perrys kleine Nasennarbe hat sich jedenfalls deutlich verfärbt, als ich ihn vorab per abhörsicheren Hyperfunk informierte… »Wie gewünscht, Euer Erhabenheit, habe ich eine formlose Begrüßung veranlaßt.« Killan machte eine vage Geste, die die leere Transmitterhalle umfaßte. »Die Kommandeure erwarten dich im Kommandobunker zur Abschlußbesprechung. Straton Zaghyt hat es sich allerdings nicht ausreden lassen, für die Zweite ARKON Großen Raumhafen mit allem Drum und Dran anzusetzen: Seit Tontas ist die Elite des Imperiums damit beschäftigt, Uniformknöpfe auf Hochglanz zu bringen und Hangarecken mit Zahnbürsten zu reinigen.« »Sie sollen es nicht übertreiben… Nun, auch das werde ich überstehen.« Wir bestiegen die kleine Prallfeldplattform, Killan gab Kodeziffern in die Steuersäule ein, und schon waren wir unterwegs. Ans Geländer gelehnt, ließ ich beim Flug den Blick schweifen. Nur kurz erschien der himmelhohe Wabenschirm zwischen den Thektran-Hochbauten, dann schwebten wir in einen Tunnel, der zum Hauptverteiler führte. In Seitennischen
waren alle paar Dutzend Meter Kampfroboter postiert, die bei unserem Vorbeiflug die Strahlwaffen präsentierten. »Der Dienstbetrieb im Flottenhauptquartier hat atemberaubende Ausmaße angenommen, das muß ich anerkennend feststellen«, sagte Killan. »Zehntausende leben und arbeiten hier, koordinieren die Flotten- und Geschwadereinsätze und lassen das Herz des Imperiums wieder pulsieren.« »Färbt neuerdings die therborische Art ab? Du wirst ja lyrisch!« »Nur Begeisterung, Atlan, daß zwischen frustrierenden Ansammlungen von Krisenmeldungen auch Positives steckt. Thek’athor Wroina hat das Ganze in Schwung gebracht. Will nicht wissen, was ihm das für Mühe bereitet hat.« »Ich kenne seine Berichte! Sisyphos’ Felsblock in der Unterwelt war dagegen ein kleines Steinchen. Aber diese Larsaf-Barbaren laufen ja erst so richtig zur Hochform auf, wenn es Probleme gibt, an denen sie sich die Zähne ausbeißen können.« Killan keckerte mehrmals. »Unmögliches wird sofort erledigt, nur Wunder dauern etwas länger. Diese Sprüche! Man könnte sie für großmäulig halten, aber die Ergebnisse sprechen für sich. Gestattest du eine persönliche Frage? Wie kann man diese Leute zehntausend Jahre aushalten, ohne dabei wahnsinnig zu werden?« Ich sah ihn von der Seite an, fühlte beschleunigtes Pulsieren des Zellaktivators und hüstelte. »Vermutlich nur durch perfekte Anpassung; bedingungslos, ohne Kompromisse, bis zur Selbstverleugnung. Man muß stets auf alles gefaßt sein, darf sich über nichts und niemanden wundern und hat auch die Extreme notgedrungen zu akzeptieren: Zwischen einem Genie wie Leonardo da Vinci und einem Massenmörder wie Adolf Hitler liegt ein ganzes Universum. Terraner decken das
gesamte Spektrum ab, aus ihren Reihen stammt ein Perry Rhodan ebenso wie ein Clifford Overhead Monterny!« »Verstehe. Wo viel Licht, da viel Schatten.« Killan wiegte den Kopf und keckerte verhalten. Unterdessen schwebten wir den Hauptverteilerschacht hinab, passierten mehrmals Sicherheitsschleusen, wurden überprüft, wiesen uns per Individualschwingungsmuster aus, flogen weiter und ließen weitere Kontrollpunkte hinter uns, deren mehrere Meter dicke Schotten hinter uns zuzischten. Die letzten fünfzig Meter bis zum Zentralbunker waren gesäumt von stationären und beweglichen Roboteinheiten, deren Waffensysteme einem Leichten Kreuzer Schwierigkeiten bereiten konnten. Im Hauptleitstand standen die Kommandeure, Stabsoffiziere und ihre Adjutanten in lockeren Gesprächsgruppen beisammen. Die prallfeldüberspannte Halbkreisplattform ragte weit in den Hohlraum der Kugel hinein, deren Mitte vom Sternenglitzern einer Drei-D-Darstellung bestimmt wurde. Bevor Fron Wroma das obligatorische »Breheb-Toor« brüllen konnte, schnitt ich ihm mit rascher Handbewegung das Wort ab und rief: »Weitermachen, Thek’athor, lassen wir die Formalitäten: Seid alle gegrüßt!« Murmeln antwortete, die Orbtonen salutierten lässig. Dutzende Hufeisenpulte auf ansteigenden Stufen dienten Befehlsgebung und Datenerfassung. Die Zahl von Displays, Monitoren und kleineren Hologloben war kaum zu überschauen. Tokoontlameer trippelte herbei, sah zu mir auf und erklärte ohne ironischen Unterton: »Gratulation, Euer Erhabenheit. Beeindruckende Darbietung: Sogar bei der Trivid-Übertragung war das mystische Schwingen von Tai Zhy Fam spürbar. Mir war, als ginge ein Ruck durch die Zuschauer, bis hin zum verschlafensten Arkoniden. Erstmals war so etwas wie tiefempfundener Respekt zu spüren: Imperator Gonozal hat sich, heißt es, voll und ganz auf die
altehrwürdigen Traditionen besonnen und eingelassen.« »Die Mooffs bestätigen den positiven Gesamteindruck.« Ich nickte. »Die Zeremonie wurde ja von den Medien groß angekündigt; kein Tonta, in dem nicht auf einem Trivid-Kanal bestens aufbereitete historische Lektionen erteilt wurden. Wir haben sogar extra erstellte Fiktivkompositionen zu dieser Thematik auf den Markt geworfen; eine Meisterleistung von Kosnows Leuten. Die Erwartungen wurden fast ins Unermeßliche gesteigert. Hätte leicht daneben gehen können – und es bleibt abzuwarten, ob die Wirkung anhält.« Tokoon wiegte den Kopf und strich den linken Ärmel des weißen Lacksuits glatt. »Gesunde Skepsis ist stets angebracht, aber Ihr pflegt für meine Begriffe Euren Pessimismus ein wenig zu sehr.« »Think positive, Chef!« sagte Wroma; der drahtige, hochgewachsene Afrikaner trug die blaugraue Uniform der Arkonidenflotte inzwischen so selbstverständlich, als sei er hier geboren. »Die Kombination Große Feuermutter und Imperator spricht im besten Sinne Urinstinkte an; ein archetypisches Muster, das fast universellen Charakter zu haben scheint. Ob Arkonide, Terraner, Naat oder Dron oder wer auch immer – die Verehrung der Großen Mutter als Symbol des Lebenspendenden, Gebärenden, Behütenden ist offensichtlich allen Spezies zumindest unbewußt zu eigen. Ich jedenfalls wurde an die uralten afrikanischen Mythen erinnert; da wurde eine Saite angezupft, die stärker ist als zivilisatorische Tünche und High-Tech.« Seine Zähne blitzten, und für einen Wimpernschlag überlappte das Gesicht mit dem Ekralas: Ausbilder der Gladiatorenschule des römischen Präfekten Marcus Petronius zu Padua. Plötzlich roch ich den dumpfen Geruch von Moder und Tod, Sägespäne der Arena verströmten Gestank nach Schweiß und Kot. Gekrümmte Corni und geschwungene
Bucini verkündeten mit schauerlichen Lauten die letzten Kämpfe. Ekrala trug die schwere Rüstung eines Murmillionen, ich Netz und Dreizack eines Retiarius. Blendendes Sonnenlicht, helle Mauern des Circus Maximus… »Sir…?!« Ekralas – nein, Wromas! – Stimme klang besorgt. Nur mit Mühe gelang es mir, den Erinnerungsschub zu unterdrücken. Ich konzentrierte mich auf die Gegenwart; ferne Chorstimmen von Sinyagi unterstützten mich – von Tag zu Tag funktionierte unsere Zusammenarbeit besser. Sonnenträger Khol Trayz hatte die alte ARKON übernommen und war fortan Chef des Sondergeschwaders TROMPON; es war bis auf Widerruf im Zhygor-Sektor stationiert: Tatjana, von Laury Marten begleitet, war mit ihm vor vier Tagen abgeflogen. Der Trennungsschmerz glich permanentem Bohren, gemischt mit unbewußter Sorge; kaum mehr als ein dumpfer Druck und verstandesmäßig ohne Begründung – aber es war eine Ahnung, die mich nicht losließ… Und du hast schließlich in Jahrtausenden gelernt, ergänzte der Extrasinn leise, wie hilfreich es oft sein kann, auf solche Regungen zu reagieren: Mag der erste Eindruck, der spontane Gedanke, ein drängendes Gefühl häufig noch so irreal erscheinen, meist erweist es sich als richtig, darauf zu hören! Wromas verstörter Blick riß mich aus den Gedanken. »Mein photographisches Gedächtnis hat sich gemeldet«, murmelte ich und winkte ab. »Ich hatte mal einen Freund, der Ihnen sehr glich.« »Verstehe…« Er lächelte aufmunternd. »Bei Gelegenheit müssen Sie mir von ihm erzählen, Chef!« Um Ablenkung bemüht, warf ich einen Blick in die weite Kugelhalle hinaus, die in Äquatorhöhe von der auskragenden Leitstellengalerie umgeben war. Rund hundert Meter groß war die Holoprojektion von Milchstraße und vorgelagertem
Halo, zu dem Thantur-Lok zählte, mit ihren maßstabsgetreu positionierten Sternsimulationen. Zarte Lichtfinger markierten die Haupttransitionsrouten, die »Weltraumstraßen«; ein weitmaschiges Netz, das in den Imperiums-Randzonen immer stärker auflockerte. »Mit der offiziellen Einführung der Großen Feuermutter«, sagte ich leise, »haben wir ein neues Kapitel eingeleitet: So positiv langfristig gesehen die Auswirkung innerhalb des Imperiums vermutlich sein wird, für unsere Feinde ist es unter Umständen das Signal zum Zuschlagen!« Blau waren bewohnte Systeme hervorgehoben, silbern blinkten Flottenverbände, rotbraun die RaumnomadenHabitate. Ein heilloses Durcheinander, bei dem nur Positroniken und Therborer den Überblick behielten. Entlang der Leitstellen schwebten Projektionsgloben von vier Metern Durchmesser mit Detailausschnitten: Ständig liefen riesige Datenströme ein und aus, passierten Verzweigungen und wurden je nach Zuständigkeit von verschiedensten Abteilungen, Behörden und Verwaltungsdezernaten vor allem des Robotregenten bearbeitet. Fron Wroma hüstelte und sagte knurrig: »Langsam, aber sicher gelingt es uns, den Verbänden alten Glanz zurückzugeben, Chef. Der Kernsatz in der Präambel des Flottenhandbuchs ist knapp, prägnant und heute vielleicht noch eher anzustreben als zur Zeit des Ersten Gwalon, als er formuliert wurde: Die Aufgabe der Flotte des Großen Imperiums ist die Durchsetzung des Willens unseres Imperators! Die Druuf waren, nachträglich betrachtet, äußerst hilfreich, einen höheren Mobilisierungsgrad zu erreichen. Wenn die Tekteronii allerdings damals massiv zugeschlagen hätten…« Der unter der Kehle vorbeigezogene Daumen war eine eindeutige Geste. »Heute werden sie sich hüten, gegen das Imperium mit ihren Verbänden vorzugehen.« »Uns sind andererseits aus bekannten Gründen aber
ebenfalls die Hände gebunden!« Ich tauschte einen Blick mit Tokoon und bemerkte sein Nicken. »Im Grunde läuft es, was die militärische Gewichtung betrifft, weiterhin auf ein Patt hinaus. Leider lassen die Tekteronii es dabei nicht bewenden: aufdringliche Missionare, wirtschaftliche Untergrundaktivitäten, Einflußnahmen im Dunkel und Halbdunkel organisierten Verbrechens. Tai Zhy Fam könnte für die Fanatiker letzter Stein des Anstoßes sein. Sogar die Báalols zeigen sich äußerst besorgt. Verständlich, ist ihr Kult doch ein direkter Widerpart für die Reine Lehre.« »Wir haben es mit Leuten zu tun, die es weniger auf eine direkte Konfrontation der Flotten anlegen«, bestätigte Tokoon. »Das vergleichsweise offene und massive Auftreten der Missionare darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es vielmehr mit höchst effizienter Guerillataktik zu tun haben: Gegen ein solches Vorgehen ist die beste Flotte machtlos!« Ich sah in die Runde. »Wie ist die Lage nahe der SogmantonBarriere? Peters Agenten werden leider nach wie vor frühzeitig enttarnt; auf diesem Wege bekommen wir keine weiteren Informationen.« »Wir haben Fernortungs-Scouts stationiert.« Wroma trat an ein Pult, zoomte einen Ausschnitt der Milchstraßenprojektion heran und blendete Lichtpfeile und Beschriftungen ein. »Seit einigen Tagen werden verstärkte Bewegungen von fünf ihrer Flottenträger-Galeeren angemessen, ebenso intensive Manöver der Geschwader. Die Todesboten und Baahmy-Zerstörer halten sich dagegen zurück.« »Gibt es inzwischen neuere Daten dazu?« »Fehlanzeige, Chef. Nichts Neues über Cyen, Thaafs und Baahmys.« Mein Extrasinn rief gespeicherte Detailinformationen ab: Tekteronii-Galeeren waren jene erschreckenden interstellaren Basis-Fernträger von zwanzig und mehr Kilometern Länge,
mit denen die Truppen des Tekteron-Bundes die gewaltigen Entfernungen in der Galaxis überwanden. Bestückt mit ganzen Flotten kleiner und kampfstarker Raumschiffe, blieben die Galeeren selbst reine Transporter. Galeeren deshalb, weil Strukturfeldkonverter von derart massiven und großen Objekten in rein hypermechanischer Auslegung nicht ausreichend Leistung erbrachten. Als Hauptproblem galt die unzureichende Energieversorgung. Und deshalb ergänzten die Tekteronii sie um die paramodulierten Vitalkräfte von Lebewesen: Was in den Raumnomaden-Habitaten die Feuerfrauen freiwillig übernahmen – oder die Molekularverformer laut Marcus Everson ebenfalls nutzen –, mußten bei den Tekteronii Versklavte leisten: Stasiskonservierte Wesen aller möglichen Spezies wurden förmlich angezapft und übertrugen ihre latenten Parakräfte an die Konverter. Während die Hauptkontingente der Tekteron-Schiffe weitgehend imperialem Baumuster entsprachen – meist also arkonidische Kugel- oder springersche Walzenform aufwiesen –, handelte es sich bei thaafschen Todesboten und den BaahmyZerstörern um Eigenkonstruktionen der beiden Hauptvölker im Tekteron-Bund. »Thaafs!« Der alte Gijahthrako knurrte. »Stammen ursprünglich aus dem Haiobereich der Galaxis und waren in den Methankriegen Verbündete der Maahks. Wasserstoffatmende Riesenquallen, evolutionär in handwerklicher Hinsicht benachteiligt; ihr Einfluß beruht auf extrem ausgeprägten Paragaben, im Verlauf der letzten Jahrtausende perfektioniert. Ein altes Volk, das wegen seines Aussehens als die Grauen umschrieben wird. Angeblich neben den Cyen maßgeblich für die Entstehung des Tekteron-Bundes verantwortlich…« Die Großen Todesboten, die Schlachtschiffe der Thaafs, waren Raumschiffe von Konusform, deren kristallin-facettierte
Oberflächenstruktur laut den Gijahthrakos weitgehend materieprojektiv-»formenergetischer« Natur war. Tausend Meter Höhe erreichte der kegelförmige Teil, weitere dreihundert Meter beanspruchte die bis zu zwölfhundert Meter breite Kalotte. Die Kleinen Todesboten waren maximal fünfhundert Meter groß und von dodekaedischer Form – weißblaue Riesenkristalle, deren Oberfläche von zwölf regelmäßigen Fünfecken begrenzt war. Todesboten heißen sie treffend, raunte der Extrasinn, weil sie in erster Linie als Tek’gool-Henker eingesetzt werden: Mit ihnen rücken die Thaafs an, um jene zu richten, die standhaft gegen die Reine Lehre verstoßen oder sich nicht bekehren lassen! Die Kampfkraft entspricht arkonidischen Schlachtkreuzern… Ähnlich sind die Baahmy-Zerstörer einzuschätzen: Bei ihnen handelt es sich um Kugelschiffe, die an den Polen um Spitzkegel erweitert sind, so daß aus der Ferne eine rautenförmige Silhouette entsteht. Erinnerungen wurden wach, die Vocoderstimme des Regenten erklang: »… autotroph-xenomorphe Lebensform mit organischen Halbleitern verschiedener Typen. Ursprünglich molluskenhafte Riesenviren einer Extremwelt. Konverterverdauung mit direkter Ausnutzung molekularer Bindungsenergien, atemgasunabhängig. Naturund Umweltanpasser. Geringer Anteil freier Körperflüssigkeiten, Kristallwachstum der Körpermaterie, bioenergetisches und osmotisches Reiz- und Nervensystem. Computerartige Gehirne, starke Paragaben! Zivilisationsalter rund zwanzigtausend Jahre…« Ein Schaubild: Bis zu dreieinhalb Meter wurden Baahmys groß, Massen von fünf Tonnen waren nicht selten. Den vorne emporragenden Rumpf mit ansteigender Rückenlinie trugen vier Säulenbeine. Als Halskrause entsprangen vier bis zu zwei Meter lange Tentakelarme. Der Kopf war kegelförmig; Hyperkristallovale – nach allen vier Seiten ausgerichtet – dienten als Multirezeptoren.
Die »Haut« der Baahmys war mattgrau, konnte bei Erregung dunkelbraun oder schwarz werden. Ich dachte: Mit ihnen hatten die Báalols die meisten Probleme. Obwohl ihre Antifähigkeiten die Parakräfte der Baahmys blockierten, half das nicht viel – diese Wesen sind sogar ohne das Paranormale erschreckende Kämpfer. Im Rahmen der Einzelaudienzen der letzten Tage hatte eine Báalol-Delegation vorgesprochen. Nach dem Tod Segno Kaátas war Thalom Goeto neuer Hoherpriester im Arkonsystem geworden, ein ziemlich junger Mann, äußerlich nicht von einem Arkoniden zu unterscheiden, aber von stark schwingender Individualaura umgeben. Gekleidet waren die Priester in weitwallende, violette Gewänder, die mit fremdartigen Symbolen bestickt waren. Goetos sonore Stimme hallte durch meinen Kopf; Erinnerungen wurden lebendig. »… akzeptieren Euer Erhabenheit Mißtrauen. Doch die Tekteronii sind auch unsere Feinde!« »Ihr werdet Eure Loyalität zum Imperium beweisen müssen«, antwortete ich. »Wir wissen, daß Ihr vielfältige Kontakte und Verbindungen habt: Nutzt diese und wirkt beispielsweise mäßigend auf die Aras ein, helft bei der Heilbehandlung der Arkoniden. Dann können wir über mehr reden.« Peters Geheimdienstberichte blieben weiterhin vage, doch es zeichnete sich ab, daß es in den Reihen der Báalols verschiedene Fraktionen gab. Nahezu nichts war über die eigentliche Führungsriege rings um den sogenannten Hohen Báalol bekannt. Dem gegenüber standen die Tempelpriester, die sich – so die übereinstimmenden Aussagen vieler verhörter Báalol-Anhänger – zum Teil von Zielen und Methoden ihrer eigenen Führung distanzierten; zwar nicht offen und laut, aber immerhin. Thalom Goeto schien dieser
Fraktion anzugehören. Es war zwar wahrscheinlich, daß er wegen dieser Einstellung ganz bewußt ins Arkonsystem berufen wurde, um den »Patzer« Segno Kaátas quasi auszubügeln, doch mir konnte es nur recht sein. Biete ihm gegebenenfalls Asyl an! riet der Extrasinn ganz ohne Ironie. So weit sind wir noch nicht, entgegnete ich, obwohl sich Sinyagi ähnlich in meinen Gedanken äußerte. Die Báalols verzichteten jedenfalls bewußt auf einen Einsatz ihrer Antifähigkeiten, blockierten allerdings ihre Bewußtseinsinhalte: Weder Sinyagi noch Mooffs oder Gijahthrakos konnten diese Monoschirme durchdringen. »Wenn Euer Erhabenheit interessiert sind, bieten wir Euch – aber nur Euch! – eine Einweisung in unser Báalolul. So könnt Ihr Euch selbst von unserer Rechtschaffenheit überzeugen.« Einweisung in die okkultistisch angehauchten Geheimnisse? Ein interessanter Vorschlag. Begriffe huschten durch meinen Kopf: Innerer Tempel der Geistigen Zelebration, Behandlung im Reinigenden Feuer der Wahrheit, Aktionsgruppen für geistigmeditative Sammlung, Trance zur Stimulierung der Parakräfte, Vereinigung zum paranormalen Block… Laut sagte ich: »Ich werde zu gegebener Zeit auf dieses Angebot zurückkommen. Stimmt es übrigens, daß Dagor und Báalolul eine gemeinsame Wurzel haben?« Es war ein Schuß ins Blaue. Goeto lächelte sanft und verneigte sich. »Uns ist bekannt, daß Euer Erhabenheit verstärktes Interesse an Galaktischen Legenden bekunden. Mag sein, daß die Lehren des Heroen Tran-Atlan bei uns ebenfalls fruchtbaren Boden fanden, doch unsere Alten berichten, daß die ersten Báalol-Priester Schüler der Gelben Eroberer waren. Sogar uns ist nicht bekannt, wann genau das war und was sich im einzelnen abgespielt hat. Die Überlieferungen bestehen allerdings auf der Tatsache an
sich…« Tatsache? Archivar Hemmar Ta-Khalloup nimmt an, daß solche Erzählungen mehr dazu dienen, die Gläubigen zu beeinflussen… »Können heute allerdings schwerlich auf Wahrheit überprüft werden, nicht wahr?« »Es gibt viele Wahrheiten im Kosmos, Euer Erhabenheit! Nicht alles, was Ihr seht, ist Wirklichkeit – und vieles, was wirklich ist, könnt Ihr nicht sehen! Wir danken für Euer offenes Ohr. Gestattet, daß wir uns nun zurückziehen?« Ich nickte und sah den Priestern nachdenklich hinterher. Wenn wir sie und ihre Anhänger als treue Mitglieder des Imperiums gewinnen könnten… Verflucht, es fehlen Informationen, um sicher zu sein. Auf absehbare Zeit sind und bleiben sie unsichere Kandidaten. Wir müssen sie beobachten. Die Wirtschaftsmacht des Kults ist nicht zu unterschätzen. Mißmutig wandte ich mich an Sinyagi: Mal wieder ein deutliches Beispiel dafür, daß die Natur keine Absolutheiten gestattet! Unsere phänomenalen Parakräfte scheitern an diesen Leuten; actio bedingt reactio! Der telepathische Chor antwortete: Wir werden Mittel und Wege finden, um mehr über sie herauszubekommen. »Im Rahmen der Flottenneuorganisation wurde die Umgruppierung der Gardeverbände abgeschlossen.« Killans rauhe Stimme erreichte mich verzögert und riß mich aus den Erinnerungen. »Neues Flaggschiff des Imperialen Gardegeschwaders, geführt von Vere’athor Straton Zaghyt, ist die ARKON zwo. Gesamtkommandeur wird Ceshal da Ragnaari. Dem Imperialen Gardegeschwader mit seinen tausend Raumern angegliedert sind die Raumlandetruppen des Imperators. Fünfundzwanzig Tausendschaften Naats, Dron und Scüs, kommandiert von Kornon, Gallaam, Hemmal Ki’Hoy, Sronee und Sonem. Hinzu kommt die Imperiale Wachtruppe der Kristallgarde unter Thantan Eversons Befehl,
insgesamt zwanzig Tausendschaften. Dann fünfzig Mooffs; ihr Sprecher ist Meec’pal… Neben der ARKON gehören zur Stabslakan des Imperialen Gardegeschwaders drei Superschlachtschiffe: die DRON, ELLOANT und MISPAN – ihre Kommandanten sind Jassir Zorgan, Elpon Qa-And und Horkon voo Maspin. Drei Schlachtschiffe: die TOSOMA von Unista, die PAITO von Talasi und die IPRASA von Zara da Zoltral. Schließlich drei Schlachtkreuzer: die OTIA, Kommandantin Rakina Kharoon, die THERMEEN, Kommandantin Girte Khuvaan, sowie die GHERON von Kommandantin Crisa Zhymee…« Ich riß mich zusammen und konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf die Besprechung mit den Kommandeuren. Innerhalb eines halben Tonta hatten wir die wichtigsten Punkte abgehakt, so daß Killan und ich aufbrechen konnten. Zehn Minuten später warteten wir auf den Zubringer zur ARKON, und ich sah durch die Fenster des Koppeltunnels. Die Ausdehnung des Raumhafens verlor sich hinter der Horizontkrümmung. Von draußen drang wiederholt das Donnern startender und landender Raumschiffe heran. Gegen diese Gewalten half die beste Schallisolierung wenig. Orkanartige Böen wurden zwar weitgehend von bis zum Atmosphärenrand reichenden Energieschläuchen verhindert, die beim Hochfahren einen Vakuumtunnel schufen. Doch wirklich durchdringenden Lärm verursachten die Impulstriebwerke, selbst wenn sie – vor Errichtung der energetischen Startgerüste – mit einem Bruchteil ihrer Vollast-Schubwerte arbeiteten. Drosselphase nannte sich das: die Synchronisation von Antigravaggregaten, Andruckabsorption und Sublicht-Triebwerkssystemen. Ungeduldig verschränkte ich die Arme. »Im Vakuum gibt’s solche Probleme nicht.« Mein Logiksektor flüsterte: Die Vorteile überwiegen. Montage,
Wartung und Aufrüstung machen Schutzanzüge überflüssig, und das Leben in den Städten ist das eines Planeten – wenn man die übrigen Nachteile dieser Stahlwelt in Kauf nimmt. »Bin gespannt, was die ARKON nun tatsächlich zu bieten hat.« Ich bezähmte meine Nervosität und versuchte, durch Dagor-Meditation einen ausgeglichenen Zustand zu erreichen. »Willkommen, Atlan.« Kontaclatiis’ Stimme, sanft und höflich, wie ich es vom Gijah-Weisen kannte, riß mich aus den Gedanken. Neben dem Gijahthrako kamen Straton Zaghyt und der Hyperphysiker Manolito »Speedy« Almeda näher. »Hallo«, sagte ich schlicht und umarmte den kleinen, dunkelhäutigen Mexikaner, den ich seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Ihm war das Raumschiffsneubauprojekt anvertraut worden, das mir in groben Zügen, nicht jedoch in den Details vertraut war: Noch vom Robotregenten eingeleitet, beinhaltete es unter anderem die Konstruktion neuer Transitionstriebwerke. Nach Kon begrüßte mich der alte Dron mit kräftigem Stoß; wie immer war er in die schwarze Raumrüstung gehüllt und äußerlich einer martialischen Kampfechse ähnlicher als einem intelligenten Wesen. Wenn ich an seine anfängliche Zurückhaltung dachte – er hatte lange gebraucht, bis er nicht mehr über den eigenen Schwanz stolperte, wie es treffend bei den Dron hieß. »Freut mich, euch zu sehen.« Ich wies zum Tunnelende, wo ein Leka-Diskus, Typ LE-20-05, angedockt war. »Können wir?« Sie zeigten sich amüsiert, Killan keckerte leise, und Straton lachte grollend. »Imperator – könnte es sein, daß dir das Leben im Kristallpalast nicht gefällt…?« »Eine Raumschiffszentrale ist mir als altgedientem Geschwaderchef lieber. Also, Leute: Da ich mich kopfüber ins Unbekannte stürze – was ist die ARKON für ein Blechhaufen?« »Abwarten!« Manolitos Augen leuchteten, mehr sagte er
nicht. Wir bestiegen den für reinen Sublichtflug ausgerüsteten und meist im planetarischen Verbindungs- und Kurierdienst eingesetzten Zubringer. Die Leka-Typen der Serie 20-05 besaßen zwanzig Meter Durchmesser und eine Höhe von fünf. Nachdem wir unter der Panzertropionkuppel des Leitstands Platz genommen hatten, seufzte ich. Weder Kon noch Straton oder Manolito waren bereit, mir Einzelheiten übers Raumschiff mitzuteilen. Der Echsenmann übernahm die Steuerung und sagte: »Laß dich überraschen!« »Mir bleibt kaum was anderes übrig, Alter.« Ich runzelte die Stirn und bereitete mich innerlich auf Stratons Großen Raumhafen vor. Rüttelnde Schwingungen durcheilten den Diskus, als drei Triebwerke anliefen. »Inerter: klar. Landebein-Elektromagnetik und Hydraulik: klar.« Stratons Murmeln kündete vom Abschlußcheck. »Schubsynchronisation, Stützmassengleichrichtung, hyperstrukturelle Umformung…« Mein Blick glitt über die Kontrollmonitoren: Straton verstärkte die Feldliniendichte der Düsenendfelder, so daß die Impulswellen der Triebwerke keinen Materialkontakt hatten. Der Prallschirm spannte hoch: Durch Abstoß der Luftmoleküle entstand eine Vakuumzone über der Rumpfzelle, die Reibungskontakt sogar bei hoher Beschleunigung verhinderte. Zwar fraßen die Projektoren des elektrostatischen Prallfeldes im Vergleich Unmengen an Energie, dafür verhinderten sie aber wirkungsvoll jede Zellenerhitzung. Leuchterscheinungen von Ionisationsprozessen und elektrochemischen Reaktionen waren direkte Folge, vorherrschend die »verbotenen« bläulichgrünen Sauerstofflinien. Dumpfe Schläge kündeten vom Einrasten der Landebeinteller in Dichtungsringe. In den vier Düsen begann es zu flammen, beim Kontakt von Stützmassen mit dem Strukturfeld degenerierten aus dem Hyperraum abfließende Quintronen zu lichtschnellen und
massereichen Teilchenformen. Stratons Hand ruhte noch auf dem Startautomatiksensor, als der Diskus brüllend abhob, und nach einer Sekunde waren zweitausend Meter Höhe erreicht. Von der immensen Beschleunigung war nichts zu bemerken. … entsteht mit den Inertem als Abkömmlingen der TransitionsTechnologie ein Inertialsystem, das, durch Abtrennung vom übrigen Normalkontinuum, alle Beharrungskräfte träger Masse unwirksam macht. Meine Raumfahrtabstinenz machte sich bemerkbar, unwillkürlich entströmte Wissen dem photographischen Gedächtnis. Grundlage ist die Semi-Manifestation, auch SemiTransition genannt: Durch unvollständigen Übergang zum Hyperraum wird eine eigenständige Enklave erschlossen. Für Außenstehende wandelt sich das feldumschlossene Objekt in eine »pseudosubstantielle« Struktur… »Seitenwindabdrift ausgeglichen«, murmelte der Echsenmann. Ein zweiter Beschleunigungsimpuls riß die Leka mit. Verzögert folgte das Rückfließen der Luft in den vom Energieschlauch geschaffenen Vakuumkanal, der bis in den Weltraum reichte. »Zwanzig Kilometer über Grund. Funkleitstrahl erfaßt.« Straton ging in Horizontalflug über, Arkons Oberfläche huschte unter uns dahin. Manolito musterte mich von der Seite, zupfte am Schnauzbart und sagte betont beiläufig: »Dir ist das neue Raumschiffsprogramm vertraut?« Ich lächelte matt. »Im groben, Speedy. Die Pläne des Robotgehirns waren demnach brauchbar?« »Du wirst staunen.« »Hhm.« Ich hatte eine ganz bestimmte Ahnung, starrte in die Holoprojektion und versuchte mehr zu erkennen, als wir den Orbit erreichten. Langsam schälten sich aus Arkons Schlagschatten Konturen hervor. Raumschiffe. Schlachtkreuzer, bestätigte mein Extrasinn, der in trigonometrischer Peilung die Größe bestimmte. Neben den
beiden voll im Sonnenlicht funkelnden Schlachtkreuzern schwebten deutlich kleinere Raumer, ebenfalls kugelförmig. An anderer Stelle erkannte ich die 800-Meter-Riesen von Schlachtschiffen. Dann schob sich ein riesiges Metallgebirge aus dem Schatten, wurde mehr und mehr beleuchtet. Eine Kugel ragte auf, gegen die sogar das davor driftende Schlachtschiff klein wirkte. Die glatte Oberfläche besaß kaum Ausbuchtungen, alle Ausleger und Antennen waren entweder in den Rumpf integriert oder derzeit eingefahren. Nur der Kenner entdeckte auf der gewaltigen Oberfläche die Umrißlinien und Schotten; ausfahrbare Geschütztürme, Außenpforten der Hangarschleusen, Andock- und Wartungsluken. In Höhe des Äquators befand sich der Wulstring für die Impulstriebwerke: Er besaß gegenüber den mir bekannten halbkreisförmigen Modellen außen einen parabolischen Querschnitt und war dreifach gegliedert; Impulsdüsen saßen an der äußeren Wölbung, an den ober- und unterhalb verlaufenden Zusatzwülsten sah ich Umrisse von Schleusentoren. Das Gebilde war an der Basis fast dreihundert Meter hoch. Die Hangars für die Beiboote, dachte ich, sind demnach aus dem eigentlichen Schiffsinneren nach außen verlagert worden, genau wie es schon mal bei der TITAN alias VEAST’ARK der Fall war. Im Ruhe- und Landezustand konnten die Öffnungen der Impulsdüsen verschlossen werden. Das verhinderte ein Austreten der unweigerlich vorhandenen Reststrahlung, die durch die energetischen Düsenend- und SchubumlenkKraftfelder nicht vollständig vom Material ferngehalten werden konnte. Ich entzifferte den in flammendem Rot gehaltenen Namenszug, der oberhalb des Ringwulstes angebracht war – es war die ARKONII. Ein kalter Schauer lief mir über die Haut, als Straton mit hörbarem Stolz in der Stimme und einem umfassenden Wink
erklärte: »Prototyp der neuen Superschlachtschiffgeneration – eine interstellar-strategische Großeinheit mit taktischer Trägerbewaffnung; Kugeldurchmesser die üblichen 1500 Meter, doppelwandige Arkonstahlpanzerung, Wabenschutzschirm, tausend Mann Kampfbesatzung aufgrund intensivierter Automatisierung. Hinzu kommen die Mannschaften für Beiboote und die Landungstruppen. Insgesamt fünf- bis achttausend, je nach Ausrüstungsstand.« Er umkreiste im langsamen Rundflug die ARKON. Bläulich schimmerte der Arkonstahl im Licht der Sonne. Straton drückte die Leka hinab und setzte zur zweiten Umkreisung an, gleichzeitig ging er näher heran. Schon war das Superschlachtschiff nicht länger in seinen Gesamtausmaßen zu überschauen: Die untere Halbkugelrundung verschwand aus dem Sichtfeld, obwohl wir noch weit entfernt waren. Groß, beeindruckend – fragt sich, wie es bei den technischen Details aussieht. Speedy schien meine Gedanken zu ahnen. »Äußerlich erkennt man wenig«, sagte er sachlich, »aber es wurden viele Neuheiten integriert, Atlan. Die Innengestaltung wurde den Erfordernissen angepaßt – vor allem eine hinsichtlich der Statik umgerüstete Konstruktion. Geringerer Materialverbrauch bei gleichzeitig erhöhter Festigkeit. Schubbelastungen werden besser aufgefangen, Resonanzerscheinungen bei Vibrationen konnten durch Verbundstoffe reduziert werden. Es gibt 54 Hauptetagen, jeweils gestaffelt in Unter-, Mittel- und Oberdeck und wiederum unterteilt in je zwei Stockwerke; macht insgesamt 324 Stockwerke mit einer lichten Höhe von rund vier Metern plus einen halben Meter für die Decken samt den dortigen Kabelkanälen, Belüftungssystemen und den üblichen Ver- und Entsorgungsleitungen. Impuls- und Transitionstriebwerke konnten bei gleichzeitiger Leistungssteigerung deutlich
verkleinert werden; Folge der Swoon-Miniaturisierung.« Speedy lächelte, bevor er weitersprach. »Schönen Gruß übrigens von Rafon; er kontrolliert mit seinen Leuten zum tausendsten Mal die Aggregate der ARKON. Mit zweihundertzehn Metern Höhe ist der ARKTRANS-17Strukturkonverter um fünfundzwanzig Prozent weniger voluminös als die dir vertrauten Geräte. Leistungsfähigere Hyperschwingquarz-Schaltkeise haben Gesamtreichweite und Speicherleistung gesteigert; die intermittierende Transitionstechnologie ist darüber hinaus ein völlig neues Konzept. Ähnliches gilt für die Impulseinheiten vom Typ HyI-9-4610: Wir haben bessere Projektoren für die unerläßlichen Abschirmungs- und Beschleunigungsfelder entwickelt; sie gestatten höhere Stützmassen-Durchflußwerte sowie eine gesteigerte hyperstrukturelle Aufladung der lichtschnellen Impulse…« Er war begeistert, und ich ließ mich langsam anstecken. Jetzt wunderte es mich nicht mehr, daß er aus der Neuentwicklung so etwas wie eine persönliche Geheimsache gemacht hatte. Ohne die Unterstützung der Großpositronik in Planung, Logistik und Entwicklung und das Wissen der Gijahthrakos wäre das Neubaukonzept niemals in dieser kurzen Zeit zu realisieren gewesen. Fünf oder mehr Jahrzehnte vergingen üblicherweise, bis ein neues Raumschiffskonzept Serienreife erreichte – selbst wenn es sich »nur« um ein überarbeitetes oder modernisiertes Modell handelte. »Trägerbewaffnung: vierzig 60-Meter-Kugeln, ausgeführt als Ultraleichtkreuzer mit 30.000 Lichtjahren Reichweite. Fünfzig Leka-Disken der 50-20-Klasse. Siehst du die Nut oberhalb des Hangarwulstes? Folgt dem gesamten Umfang und bietet Platz für 850 Einmannjäger; Neuentwicklung in Form von DreiMeter-Kugeln! Beruhen fast komplett auf Erkenntnissen der Gijahthrakos. Weiterhin gibt es dreihundert ebenfalls neue,
zweisitzige Biga-Jets, bevorzugt im planetennahen Einsatz zu verwenden; paramechanisch induzierbare Strukturfelder von Kleinsttransitionskonvertern gestatten Minimalsprünge von wenigen Dutzend Kilometern – im Grunde die Realisierung einer mechanischen Teleportation…« »Ich bin beeindruckt«, murmelte ich. Biga-Jets… Man macht terrahistorische Anspielungen: Bigas waren Zwei-MannStreitwagen in der Antike! »Mit freundlicher Unterstützung unserer Gijah-Freunde«, sagte Straton brummig, »macht die Entwicklung einen Sprung nach vorne.« Den ironischen Seitenhieb nahm Kon mit stoischem Gleichmut zur Kenntnis. Jeder wußte, daß die Gijahthrakos nicht ihr gesamtes Wissen offenbarten. Ihre Sphärenschiffe besaßen bei deutlich kleinerer Ausfertigung Leistungsparameter, an die sogar unsere Superschlachtschiffe kaum heranreichten. »Das ist dein fliegendes Hauptquartier und Flaggschiff, Imperator! Superstarke Hypersender; gestatten von nahezu jedem Ort des Imperiums eine Direktverbindung zum Gehirn auf Arkon Drei. Fortan bist du weitgehend unabhängig und kannst vor Ort agieren. Als Direktbegleitung dienen die Raumer der Stabslakan, bei Bedarf können die übrigen Schiffe des Gardegeschwaders hinzugezogen werden. Sie werden sich aber meist, Ceshals Knurren zum Trotz, im Hintergrund halten.« Nach dem Einschleusungsvorgang »ging« ich die fluoreszierende Rampe hinab – tatsächlich war es ein Schweben in wenigen Millimetern Höhe über den einem Rollband gleichenden Feldausstrahlungen. Im angrenzenden Innenhangar, dessen Schotten langsam aufglitten, erwarteten mich eine Dron-Ehrenformation und die in breiter Front stehenden Orbtonen. Sämtliche Kommandanten der Stabslakanschiffe waren versammelt, hinzu kamen Mooff- und
Therborertanks. Kitai Ishibashi und Ras Tschubai standen bei Tombe Gmuna, der von Peter als Verbindungsoffizier abgestellt worden war. Thantan Eversons Naats der Kristallgarde präsentierten überschwere ImpulsstrahlBeidhänder. In graue Kutten gehüllt waren die Feuerfrauen des Amazonenkorps. Kon, Manolito und Killan reihten sich in die Formation ein, Marcus brüllte stimmgewaltig den Befehl zum »Stillgestanden«, kam mit kurzen Schritten zu Straton und blieb in exakt drei Metern Abstand stehen, um zu salutieren. Die geballte rechte Hand ruhte auf der linken Brustseite, während er lautstark meldete: »Ehrenformation vollständig angetreten, Zhdopan. Kommandeure und Orbtonen des Imperialen Gardegeschwaders und der ARKON bereit zur Übergabe an Seine Erhabenheit, Imperator Gonozal der Achte.« Straton Zaghyt dankte, wandte sich seinerseits um und gab die Meldung an mich weiter. Sein Echsenschädel und -gesicht verschwanden fast vollständig hinter dem Prallwulst des Dienstfunkhelms; nur die mittige Partie rings um Mund und Augen war unbedeckt. Das hochgeschobene Visier zur Einblendung optischer Informationen und Funkbildern überschattete das Flottensymbol – das blaue, unten zweifach aufgespaltete, gleichseitige Dreieck. »Danke, Erhabener«, sagte ich. Ich trat fünf Schritte vor, grüßte die Offiziere, und die Antwort ließ mir fast die Ohren klingeln. Anschließend ging ich mit Straton, dessen grimmige Blicke auf Uniformen und Raumrüstungen gerichtet waren, die Formation ab. Nur bis zum ersten Viertel hielt sich der überbetonte Ernst. Dann war es Straton selbst, der laut und grollend lachte, und auch die mir zugewandten Gesichter zeigten Heiterkeit. Die Anwesenden waren allesamt alte Bekannte: Donret, der Erste Offizier. Akese, Chef der Waffenabteilung. Lasam, verantwortlich für Funk und Ortung.
Ollanthon, der Leiter der Technik-Sektion. Mehr als deutlich erfaßte ich erregte Subimpulse und individuelle Paraströme der Leute. Die Dagor-Schulung von Iprasa und der »Kuß« machten sich positiv bemerkbar: Flockig geschichtete Individualauren glommen auf Parasinnesebene über schattigen Körper-Manifestationen. Betont übertrieben salutierte Rakina Kharoon, die Kommandantin der OTIA und zugleich Chefin der Zhy-Famii des Gesamtgeschwaders. »Willkommen, Euer Erhabenheit!« schmetterte sie glockenhell. »Schön, Sie endlich bei uns zu haben…« Ich war froh, daß dieses temperamentvolle Bündel Weiblichkeit, wie alle Raumnomaden hochgewachsen und sehr schlank, nie versucht hatte, mich zu »wählen«. Ihre Augen leuchteten, die weißblonden Locken waren ausnahmsweise einmal ziemlich ordentlich. Sinyagis Chor kicherte verhalten in meinem Bewußtsein. Ich neigte den Kopf und sagte halblaut: »Ich freue mich ebenfalls!« Hethan, der Kommodore der Beiboot-Flottille, hob seine Fühler und fächelte mit den Elytren. Eine rosige Duftwolke schwebte mir von dem insek-toiden, untersetzten und sechsgliedrigen Miir-Käfer entgegen. Faustgroß wölbten sich an den Rändern des breit und flach geformten Kopfes Facettenaugen auf, Mandibelscheren und Kiefertaster knisterten am dreieckigen Mund. Ein schmerzhaft intensiver Impuls erfüllte mich; das Schicksal des Depotmeisters von Zhygor stand mir vor Augen. Er hatte den schwierigen Aufbau der Hauptstadt Tatalal geleitet, bis er vor meinen Augen vom Aufriß verschlungen wurde…Zhygor – die geheimnisvollen Katakomben von Tatalal mit ihren Kugel-Artefakten und dem versteinerten »Raumwurm«. Der nordpolare Kristallwald, die eingeborenen Rochenwesen… und diese sonderbaren Lichtwesen… Ich verdrängte die lebhaft emporschießenden
Bilder und wandte mich Sronee zu, dem Chef der DronRaumsoldaten. »Imperator!« Er grollte kurz und hob den rudimentären Halskragen, der, fein geschuppt und an den Rändern ausgezackt, ein Mosaik in Orange, Rot, Stahlblau und Braun aufwies – ganz im Gegensatz zum Braunschwarz der übrigen Oberhaut-Hornschuppen. Sronees Spaltpupillen schienen noch enger zu werden, kurz schnappten Nickhäute über Augäpfel; dem stolzen Dron entging nicht, daß für Augenblicke, von Sinyagi paranormal initiiert, mein Körper von einer reptiloiden »Projektionsmaske« überdeckt war. Sein Stellvertreter Sonem gehörte zu den Scü: Er beugte den langen Hals und klapperte mit dem Schnabel. Wie üblich glänzte der Brustharnisch des Ornithoiden perfekt poliert; für einen Scü gab es kaum etwas Schlimmeres, als den federlosen Bauch zu entblößen. Tombe Gmuna reagierte betont lässig: »Hi, alter Mann. Man hört und sieht ja Erstaunliches von deinen Aktivitäten.« Seit unserer ersten Begegnung im Jahr 2040 bestand zwischen uns ein besonderes Verhältnis, zeitweise war er mein »Bewacher« gewesen. Weil ich den damals Einundzwanzigjährigen ein paarmal zu oft »Junge« genannt hatte, sprach er mich manchmal mit »Daddy« an. Die Zeit im Großen Imperium war nicht spurlos an ihm vorübergegangen: Sein Gesicht wirkte verkniffen, nicht mehr ganz so unbekümmert und offen, wie ich es in Erinnerung hatte. »Nicht frech werden, mein Junge!« Ich drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger. »Du bist schon mal fast in meinem Badewasser ertrunken, und ich hab’ dir angedroht, dich das nächstemal in den Goshunsee zu werfen.« Er lachte. »Und ich versprach, die Pfütze vorher mit einem Energiegeschütz zu verdampfen, Daddy. Ich warte immer noch auf die Antwort, was du dann machst.«
Ich winkte grinsend ab und ging weiter. Sinnend blickte ich schließlich in die Runde und nickte entschlossen, bevor ich brüllte: »Kommandant Straton Zaghyt!« Der dicht neben mir Stehende fuhr unwillkürlich zusammen, die Luft entwich pfeifend seinen Lungen, und mit zusammengekniffenen Augen erkundigte er sich gedehnt, während die Offiziere starr in die Ferne sahen: »Euer Erhabenheit…?« »Garde abtreten lassen! Einzelkommandeure zu ihren Schiffen! Gefechtspositionen einnehmen! Ausführung, marsch, marsch!« Eine Sekunde verstrich in atemloser Stille. »Jawohl!« Straton begann seinerseits zu brüllen. In rascher Folge kamen seine Befehle, während die Leute loseilten. Stampfende Schritte raumfester Stiefel mischten sich mit Rückmeldungen und Bestätigungen. Alarmpfeifen schrillten. Das Leka-Boot wurde von sich schließenden Toren verdeckt, die Kommandanten verschwanden in Transmitterkäfigen. Auf dem Weg zur Zentrale schüttelte Kontaclatiis den Kopf. »Daß ihr immer diese erschreckende Lautstärke entwickeln müßt, wenn ihr Anweisungen erteilt. Ein Weiser erhebt niemals seine Stimme.« »Das ist dein Part, Kon. Verlange von uns nicht eine Abgeklärtheit, die unserer Natur widerspricht.« Über einen Gitterlaufsteg erreichte ich mit Straton, Kon, Manolito, Killan und den Abteilungschefs den erhöhten Mittelteil der Kommandozentrale, einem Dom von annähernd hundertdreißig Metern Durchmesser. Der übliche Geruch umwehte mich – ein Gemisch erhitzter Geräte, Ozonspuren und das unverkennbare Aroma künstlicher Raumschiffsinnenklimatisierung. Vielfältige Geräusche bildeten einen summenden Hintergrund. Ich atmete tief durch, sah mich um und wußte plötzlich, was ich auf Arkon
vermißt hatte: Zwar kein Raumnomade, sondern Planetengeborener, war und blieb ich trotzdem engstens dem Raumfahrerleben verbunden! Ein Admiral wie ich konnte letztlich nicht aus seiner Haut heraus. In dem umlaufenden, um zwei Meter tiefer versetzten Leitstellengraben entlang der Außenrundung versahen mehrere Dutzend Besatzungsmitglieder an Vorrangpulten ihren Dienst. Hier liefen die wichtigsten Steuerkreise der Abteilungen zusammen. Während ich die fünf Stufen zur fünfzehn Meter breiten Plattform des zentralen Podestes hinaufstieg, sagte Straton leise: »Die ARKON hat die Manöver hinter sich. Alle Funktionen zufriedenstellend.« Als M-förmiger Doppelbogen war das massive Steuerpult mit fünf klobigen Sitzen bestückt. Rechts und links außen waren die Plätze des Ersten und Zweiten Piloten, innen die des Kommandanten und seines Ersten, und dahinter, in der Mitte, war mein Platz…. Ich kannte den Alten und sagte grimmig: »Du wirst sie ziemlich gescheucht haben.« Ich ließ mich in den Sessel fallen, langsam verstummte das Hasten und Laufen. Hunderte von Kontrollanzeigen flammten auf, Monitoren erwachten zum Leben. Parameterkolonnen und Zahlenreihen wechselten mit analogen Symbolbildern von Prozeßabläufen ab. »Erinnerungen«, murmelte ich. »Akademiezeit! Ghotor!« Manöver in großer Zahl absolvierten wir, Gefechtsalarmsimulationen zu jeder Tages- und Nachtzeit, härtester Drill, um weitere Sekunden herauszuschinden, Bereitschaft in jedem Augenblick, tausendfach geübte Handgriffe und Bewegungsabläufe, bis sie in Fleisch und Blut übergingen und selbst im Schlaf beherrscht wurden. »Im Kampf sind tausendstel Tontas entscheidend«, bleute uns Ghotor ein. »Die fortgeschrittene Technik ist derart hochgezüchtet, daß Lebewesen zum gravierenden Schwachpunkt werden. Folge:
Totalausfall!« Totalausfall – ein gräßliches Wort, dachte ich, das in geschönter Weise das Dahinterstehende verschweigt; nichts von Leid und Schmerz und Tod durchschimmern läßt, nicht die Angst und Sorge, die Entsetzensschreie und das Wimmern Verletzter. Auch Dinge dieser Art waren »Bestandteil« der AkademieLehrgänge. Anleitung unter Realbedingungen nannte Ghotor es; seine markigen Sprüche schienen an meine Ohren zu dringen, als sei das alles erst gestern geschehen. »Straton«, sagte ich unruhig. »Wo bleiben die Klarmeldungen?« »Laufen ein!« »Funkzentrale an Geschwaderchef!« Die Stimme drang aus den Lautsprechermuscheln meines Helms. »Zentralkommando Arkon Drei hat Starterlaubnis erteilt. Startzeitpunkt T-minus fünfzehn Minuten ab – jetzt. Der Leichte Kreuzer SOTAN ist uns als Begleitung für den Interplanetarbereich zugeteilt. Kontakt hergestellt. Freigabe durch zuständige Hafenverwaltung. Flugkorridordaten übermittelt und geladen, gleichfalls die Relaiskontakte.« Der reibungslose Ablauf der Aktivitäten ging vor; ohne Alarmzustand wollten und konnten sogar der Imperator und sein Gardegeschwader keine Bevorzugungen erwarten – eine Zurückhaltung, die heutige Arkoniden nicht unbedingt verstanden, zu meiner Zeit als Geschwaderkommandeur aber durchaus üblich gewesen war. Man mochte sich über »überbordende Bürokratie« noch so sehr aufregen und beschweren, aber ohne sie wäre ein Staatsgebilde wie das Große Imperium schon nach wenigen Stunden in absoluter Anarchie versunken. Grinsend erinnerte ich mich daran, daß man mir mal, obwohl damals Kristallprinz des Reiches, fünf Unterschriften abverlangte, bis auf einem unbedeutenden Kolonialplaneten
die Frischwasserübernahme genehmigt war. »Logistische Datenerfassung« nannte sich der Vorgang. Zur arkonidischen Blütezeit und erst recht während der Methankriege war die Sicherstellung des Nachschubs einer der Grundpfeiler des Fortbestands gewesen. Nacheinander meldeten sich die Kommandanten: »Schlachtschiff DRON, Vere’athor Zorgon: Startvorbereitungen laufen synchron zur ARKON. Alles klar, Euer Erhabenheit.« Er grinste auf dem kleinen Bildschirm, sprühte vor Unternehmungslust. Ich ignorierte Stratons mißbilligendes Räuspern – es bestand kein Anlaß, seinen Artgenossen zu rügen. Solange die allgemeine Funk- und Kommunikationsdisziplin gewahrt blieb, hatte ich an seinem Tonfall nichts auszusetzen. »Schlachtschiff MISPAN, Kommandant Horkon… Schlachtschiff ELLOANT, Kommandant Qa-And…« Die Meldungen liefen ein, aus Stratons Richtung kam ein zufriedenes Grunzen. Im Gegensatz zu mir hatte er noch nicht im Kontursitz Platz genommen; erfahrungsgemäß stand er – auf den schenkeldicken Schwanz gestützt – in dieser Phase lieber. Exakt nach Ablaufplan wurden die Einzelpunkte positronischer Checklisten abgehakt, Geräte aktiviert und Klarmeldungen durchgegeben, Positionen eingenommen und letzte Kontursitze vor Konsolen geschwenkt. Interessiert verfolgte ich jede Einzelheit: In den letzten Jahren hatte ich nicht viel Zeit an Bord von Raumschiffen verbracht, meine Haupterfahrungen lagen überdies rund zehn Jahrtausende zurück. Der Erinnerungsdruck meines photographischen Gedächtnisses wurde fast übermächtig, verstärktes Pochen ging vom Zellaktivator aus. Für Augenblicke überlappte Stratons Bild mit dem Tarts. Ich glaubte, den heißblütigen
Inkar zu entdecken, neben Manolito stand plötzlich der alte Chefphysiker Grün – und verwehte. »ARKON verschlossen, alle Luken und Schleusen hermetisch dicht, Verriegelungen intakt. Eigenversorgung und Belüftung laufen, Lebenserhaltungssysteme hundert Prozent…« So und ähnlich ging es weiter. Hunderte Einzelmeldungen wurden gesammelt, immer mehr Kontrollanzeigen wechselten auf Positivwert. Kombischlösser der Sicherheitsgurte klickten. Auch Straton setzte sich. T-minus acht Minuten… »Technischer Leitstand an Zentrale: Hauptkraftwerke eins bis zehn bereit, Vorwärmung abgeschlossen, Kernprozeßzündung kommt, Übergang von Passiv- zu Aktivversorgung. Einsatz des Anlaufes K-Eins bis -Zehn im Abstand . von einer Sekunde.« Tief im Inneren der Kugelzelle begann das grollende Vibrieren der arkonidischen HHe-Meiler mit Anlaufen der Turbopumpen zur Stützmasseneinleitung. KatalyseDeuterium, durch Preßfelder komprimiert und »vorgewärmt«, gelangte in die heißen Konverterzonen und wurde gezündet: Miniatursonnen entstanden in den Kolossen. Thermalkonverter liefen auf Vollast hoch; im grellen Violett waren auf den Kontrollmonitoren die aufflammenden Hochenergie-Isolations-Röhrenfelder zu sehen, die den von den Umformern aufgenommenen Arbeitsstrom drahtlos weiterleiteten. Erste Entlastungsentladungen schossen in die Ultrahochvakuumblasen der energetischen Kugelspeicher, die bei Spitzenbelastungen herangezogen wurden, sonst aber die eingeleiteten Energien horteten, je fünf zu einer Speicherbank zusammengefaßt. Stehenden Wellen gleich akkumulierten sich die Kräfte in den Kraftfeldgloben, die über flirrenden Projektorpolen schwebten. Wieder meldete sich mein
photographisches Gedächtnis; als Hochenergie-Ingenieur kannte ich die Vorgänge im Detail. Formeln erschienen vor meinen Augen, Examensarbeiten huschten vorüber, Schaubilder, die uns gezeigt worden waren und das Innenleben der Geräte veranschaulichten. Problematik der Stromspeicherung bei fehlenden Abnehmern; Spitzenbelastungen und ihre Versorgung. Erste Versuche mit der insgesamt unbefriedigenden Wasserstofftechnologie: »Fusionsreaktoren sind zu aufwendige und komplizierte Gerätesysteme, nur um Wasser zum Kochen zu bringen!« In dieser Art formulierte es ein Ausbilder an der Galaktonautischen Akademie. Zum Einsatz kamen deshalb leistungsfähige Thermalkonverter, die Wärme und Strahlung sofort in Strom umsetzen, ermöglicht durch hyperaktive Fünf-DKristallelemente, deren zum Teil übergeordnet angesiedelten Mikro-Strukturen die absorbierte elektromagnetische Strahlung direkt in Elektronenströme transformierten. Ich las Meßanzeigen und lauschte: Deutlich leiser war das Einsetzen der Gravitationsabsorber, die ins Spektakel einstimmten, das die Rumpfzelle durchzog. Der Digitalwert pendelte sich auf die konstante Leistungsabgabe entsprechend der Arkon-ISchwerkraft ein. Damit stand die lebenswichtige Andruckabsorption, ohne die wir nie die hohen Beschleunigungen überlebt hätten. T-minus drei Minuten… Abschirmende Lenk-, Beschleunigungsund Einengungsfelder der Impulstriebwerke entstanden. Die Stützmasseneinsprühung begann; erneut pflanzten sich rumorende Vibrationen durch die ARKON fort. In den Impulskonvertern lief die Totalumformung an, die den energetisch höheren Charakter der räumlich übergeordneten »Korpuskelwellen« ausmachte. Die absolut lichtschnellen Impulse griffen normale Materie nur dann an, wenn ein Schiff
mit voll laufenden Triebwerken startete oder landete. »Impulstriebwerke eins bis achtzehn: einwandfrei.« Die Meldung dröhnte aus den Lautsprechern. »Koordination abgeschlossen, Toleranz plus-minus 0,0001 Prozent. Schubausgleich-Synchronisation klar. Stützmassengleichrichtung und Abstrahlung beginnen, hyperstrukturelle Umformung positiv.« Unter den achtzehn Felddüsen des Ringwulstes begann es bei T-minus einer Minute zu tosen und zu flammen: Restbestandteile der hochenergetischen Plasma-Stützmasse, mittels Ablenkfeldern von der Rumpfwandung ferngehalten. Bei Start-Leerlaufschaltung lag die Schubleistung der Aggregate nur wenig unterhalb des Gewichts, das ein gelandetes Raumschiff bei den herrschenden Schwerebedingungen am Boden hielt. Das Hinzuschalten der Antigravfelder genügte für einen »sanften« Start. Trotzdem war erfahrungsgemäß das Anlaufen der Triebwerke ausreichend, um die Aufiageteller der Landebeine Dutzende Meter weit über den Raumhafenbelag zu zerren. Solche Effekte waren natürlich beim Start aus dem Orbit nicht zu beobachten. Dennoch durcheilten rüttelnde Schwingungen die Kugel, ohne allerdings die gefürchteten Resonanzen zu entwickeln. Zumindest bei den jetzigen Vibrationsfrequenzen verwandelte sich der Raumer nicht in eine dröhnende Glocke. Die letzten Sekunden des Countdowns verstrichen, von der Robotstimme des positronischen Autopilot-Zählwerks aufgesagt. Die Funkzentrale meldete die endgültige Startfreigabe durch das Zentralkommando und die Raumhafenleit-stelle; eine weitere Bestätigung vom Begleitkreuzer SOTAN lief ein. »Antigrav und Andruckabsorber klar. Fusionszündung und Totalumformung der Triebwerke klar…« Und: Start! Ohne geringste Abweichung arbeitete die Schubsynchronisation der achtzehn Felddüsen, nicht das kleinste Rütteln schlug durch,
Gierbewegungen wurden von vornherein vermieden. Griffen bei Niedrigfahrt die grellen Leuchterscheinungen der Triebwerksemissionen weit in den Raum hinaus, würden sie mit Erreichen relativistischer Fahrtstufe kugelförmig vor den Düsen kleben. Hochbeschleunigung dieser Art – der Extrasinn raunte lauter – erfordert acht Tonnen Wismut pro Triebwerk und pro Sekunde. Dreißig Sekunden Laufzeit ergeben 4320 Tonnen – die Lagerung in molekularen Preßfeldern bedingt Dank der Strukturballung, daß hierzu nur ein Volumen von rund 48 Kubikmetern erforderlich ist; ein eigenes Inerterfeld absorbiert die Masse. Ein Blick auf Diagramme und Schaubilder: Die Stützmassen Vorheizung erreichte 1700 Grad, Turbolader dröhnten beim Durchfluß der Fördermenge. Der Energiegehalt eines in den vierten Aggregatzustandes übergehenden und dicht vor der Kernreaktion stehenden Plasmas war in dieser Größenordnung gerade noch beherrschbar. Die Totalumformung zu lichtschnellen Korpuskelwellen erforderte extrem feldliniendichte Einengungs- und Gleichrichtungsfelder hyperstruktureller Beschaffenheit, die gleichzeitig dazu dienten, das Plasma von den Wandungen fernzuhalten, denn kein Material hielt diesen Temperaturen stand. Und weiteres Flüstern: Die primäre Funktion ergibt sich aus hyperdimensionalen Gesetzmäßigkeiten: Die Relativitätsmechanik legt fest, daß der mit dem Massenzuwachs verbundene Energieaufwand steigt und »eigentlich« der Großteil eines Körpers abgestrahlt werden muß, um eine winzige Nutzlast bis an den Rand der »Lichtmauer« zu beschleunigen. Normale Partikel- oder Quantentriebwerke sind hierzu nicht in der Lage! Die Lösung liegt in der Kombination von Hyperfeldern mit konventioneller Stützmasse, die gewissermaßen Katalysefunktion hat: Ausgleichsenergiefluß direkt aus dem Hyperraum ist das Ergebnis der Totalumformung, und zu normalen Quanten degenerierte
Hyperenergie formt den Hauptteil der Korpuskelwelle genannten Impulse, die wenig mit konventionellem Teilchen-Welle-Dualismus zu tun haben. In letzter Konsequenz, dachte ich, zapfen unsere Triebwerke also den Hyperraum direkt an, und dessen akausal-übergeordnete Eigenschaften sind es, die es uns erlaubten, nahezu beliebig oft mit Vollschub bis an die Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen und wieder abzubremsen. Parallel zum Hochfahren der Triebwerke geschah gleiches bei den Reaktoren, die die übrigen Aggregate versorgten. Die Leistungsabgabe der Kraftwerke und SpitzenbelastungsKugelspeicher diente vor allem zur Stärkung unserer Abwehrschirme, deren periphere Ausläufer nahezu fünf Kilometer in den Raum hinausreichten. Materiell stabile Körper wurden ebenso abgewehrt wie sonnenheiße Kernreaktionen, da es in der Natur dieser übergeordneten Defensiveinrichtungen lag, normaluniverselle Kräfte und Objekte zu absorbieren oder zu reflektieren. Die höhergeordnete Wabenstruktur machte den Energieschirm überdies undurchdringlich für hyperenergetische Einflüsse. Orter und Taster waren deshalb auf winzige Strukturlücken angewiesen. Stratons Befehl zum Vollschub donnerte, und das Superschiachtschiff ruckte erneut unter Abstrahlung lichtschneller Impulse. Mit einem Wert von 600 Kilometern pro Quadratsekunde raste die ARKON als Lakanspitze in den Raum, trotzdem war an Bord nichts von der immensen Beschleunigung zu merken. Manolito schien meine Gedanken zu erahnen und sagte umständlich: »Vom Prinzip her sind die Absorber, fachwissenschaftlich korrekt Inerter genannt, Abkömmlinge der Transitionstechnologie. Der Unterschied zu den eigentlichen Transitionsaggregaten besteht darin, daß hier die Projektoren ein nicht vollständig geschlossenes Strukturfeld
schaffen. Das Ergebnis dieses halbwegs eingeleiteten Übergangs zum Hyperraum ist die Erschließung eines vom übrigen Weltall separierten Inertialsystems, dessen Grenzschicht das Strukturfeld der Semi-Transition bestimmt, bei dem alle konventionellen Außenkräfte und Einflüsse theoretisch auf unendliche Distanz abgedrängt werden…« Er wies auf Positroniksimulationen. Der Durchmesser des Strukturfelds entsprach dem, der von der größten Ringwulstausdehnung markiert wurde. Winzige Ausleger ragten dort an mehreren Stellen leicht über die äußeren Feldausläufer hinaus: Es handelte sich um Meßfühler und nonmechanische Laserkreisel, die zur Synchronisationssteuerung notwendig waren, in Gefahrensituationen allerdings ebenfalls vom Feld eingeschlossen werden konnten: Die Andruckabsorption war nur die halbe Miete, weil sie lediglich die Beharrungskräfte neutralisierte; der Einsatz der Impulstriebwerke im peripheren Bereich des Ringwulstes führte aber auch zu Verspannungen der Zellenstruktur, weil die Vektoren nicht direkt auf den Massenschwerpunkt wirkten. Deshalb war ein zweites, schwaches Strukturfeld erforderlich – von den sogenannten Spittoks erzeugt –, um statisch gefährdete Rumpfbereiche zusätzlich abzusichern. Diese Wirkung wurde von den Materialeigenschaften des Arkonstahls selbst unterstützt, dessen Kristallfeldintensivierung Memo-Fähigkeit beinhaltete; die »Rückstellkraftwirkung« gewährleistete bis zu einem gewissen Belastungsumfang gleichbleibende Form. »In der Praxis ist die Problematik der Feinjustierung weiterhin ungelöst, doch es genügt schon die raumzeitliche Distanz von wenigen Lichtstunden: Weil im konventionellen Universum jede Wechselwirkung maximal Lichtgeschwindigkeit erreicht, bleiben sämtliche Außeneinflüsse –
weil sie zur Überbrückung Stunden benötigen – insofern ohne Auswirkung, als sich das Raumschiff nach Ablauf dieser Zeit längst an einem anderen Ort befindet.« Die Ausführungen des Hyperphysikers zu unterbrechen, wenn er erst mal in Fahrt gekommen war, hatte ich schon vor Jahren aufgegeben. Die Synchronisation mit den Impulstriebwerken gestattet den paradoxen Effekt, dachte ich zu Speedys Erklärungen, daß wir inmitten einer scheinbar unbeschleunigten Raum-Enklave verharren, während das Gesamtsystem relativ zum übrigen Universum bewegt wird. Ein Prinzip, das nur durch die Formalismen der Hyperphysik einwandfrei zu beschreiben ist. »Daß das Prinzip der Semi-Transition noch lange nicht ausgereizt ist, beweist die Gijah-Technologie. Leider bedarf es eines ganz neuen hyperphysikalischen Modells, um die Feinjustierung in den Griff zu bekommen. Diesbezüglich bleiben unsere Tetraederfreunde verdammt zurückhaltend.« Ich nickte und rief: »Kommandant Zaghyt!« »Euer Erhabenheit?« Ich beugte mich vor und gab in rascher Folge Anweisungen: »Endfahrt null Komma fünf LG; Kurs Rand des Arkonsystems. Astromathematische Abteilung: Transitionsprogramm erstellen; zunächst aus Thantur-Lok heraus – ich will die neue Intermittertechnik begutachten. Abstimmung mit Geschwadereinheiten. Einsatzbesprechung in zwei Stunden.« Mit wenigen Worten hatte ich das Programm umschrieben und damit meiner Richtlinienkompetenz Genüge getan; die Details blieben Kommandanten und Abteilungen überlassen. Im Ringwulst rumorten weiterhin die Impulstriebwerke. Die von mir befohlene Fahrtstufe von 50 Prozent Lichtgeschwindigkeit konnte bei konstanter Beschleunigung von 600 Kilometern pro Sekundenquadrat in etwas mehr als vier Minuten relativer Bordzeit erreicht werden; in dieser Zeit
legten wir dann fast 19 Millionen Kilometer zurück. Draußen flammten unterdessen die leistungsfähigen Abwehrfelder, die bei solchen Fahrtstufen unerläßlich waren. Mikromaterie und die Partikel des Sonnenwindes wirkten auf ein Raumschiff unserer Geschwindigkeit wie Megabomben: Die kinetische Energie war beträchtlich und formte eine »Mauer«, die weitere Beschleunigungphasen erforderlich machte, damit wir unsere Fahrt hielten. Ich sagte: »Kommandant: Befehlsabgabe an I.O.! Speedy, Kon, kommt mit, ich will das Schiff inspizieren.« Straton streifte den Funkhelm ab und neigte den breiten Echsenschädel. Nach dem Signalpfiff »Chef verläßt Leitstand« passierten wir eine Seitenpforte der Zentrale. »Dein Eindruck, Atlan?« »Positiv, alter Freund. Die Besatzung hat das Raumschiff im Griff.« »Die Manöver waren hart!« Ich grinste säuerlich. Wenn Straton von hart sprach, mußte es die Hölle gewesen sein. Straton grinste ebenfalls. Während wir durch den Korridor gingen, bat ich: »Das also ist die ARKON… Leg los, Speedy! Ich sehe doch, daß du es kaum aushältst. Wie lauten die Leistungsparameter?« Er sagte mit gesträubtem Schnauzbart: »Es sind selbstverständlich normale Transitionen nach bekanntem Schema möglich – einschließlich der langwierigen Sprungdatenberechnungen. Doch als Hauptfortbewegung verwenden wir den Transitions-Flug mit pulsierender Taktgebung. Das heißt, pro Zeiteinheit erfolgt eine Vielzahl kleiner Ortsversetzungen. Standard-Parameter: MaximumDistanz je Intermitter-Transition: fünf Milliarden Kilometer. Frequenz: 1000 Transitionen pro Sekunde. Speicherkapazität sechshunderttausend Einzelsprünge. Standardetappe: 317 Lichtjahre in zehn Minuten, dann halbstündige Pause für
Speicheraufladung. Relativer ÜL-Faktor: knapp siebzehn Millionen. Transitionen lassen sich schon bei vergleichsweise geringer Geschwindigkeit initiieren. Der weitere große Vorteil ist, daß die Schockdämpfung fast bestmögliches Ergebnis erreicht hat: Bis auf kaum wahrnehmbares Ziehen gibt es keine Schmerzen mehr, und die Aneinanderreihung der vergleichsweise kleinen Sprünge führt zu einem Verdrängungseffekt – es wirkt, als rase man mit scheinbarer Überlichtgeschwindigkeit durchs Weltall. Wie beim alten Fernsehbild: Statt Einzelbildern mit Austastlücken nehmen unsere groben Sinne nur die eigentliche Bewegung wahr!« In einem Konferenzraum erläuterte mir Manolito vor dem eigentlichen Rundgang Aufbau und Konstruktion der ARKON. Ich machte mich mit den Einzeldaten vertraut, musterte Schaubilder und Holoprojektionen. Mein photographisches Gedächtnis speicherte alles und konnte es bei Bedarf ins Wachbewußtsein einfließen lassen. Für die Details waren allerdings etliche Hypnoschulungen erforderlich, die ich in den kommenden Nächten zu absolvieren gedachte.
14. Aus: Hintergrundanalyse der Tekteronii-Aktivitäten auf Hazhoy II, Gillam IV und Wazarom III; Killan von Mispanor, Stabschef und Adjutant Seiner Erhabenheit, 11. Prago der Coroma 19.017 da Ark Konsequenzen der Expansionspolitik:… waren mit der Auswanderung schon in der Frühzeit erbitterte Kolonialkriege mit Arkon fremd gewordenen Nachkommen verbunden gewesen. Stets drehte es sich um Besitzansprüche, Handelsrechte und die stürmisch verlangte Autarkie, weil jede neu besiedelte Welt rasch nach der Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten mehr als nur
Selbstverwaltung verlangte. Schwierige Verhandlungen – oft vom massiven Druck der Raumflotte begleitet – mußten die sozialpolitischen und wirtschaftlichen Probleme beseitigen. Nicht umsonst stammt aus jener Zeit das imperiale Dekret, Kolonisationsflüge nicht als demokratische Unternehmen zu starten, sondern unter der straffen Leitung aristokratischer Räte, die auf direkte Anweisung des Großen Rates handelten. Angetrieben vom Raumnomadenadel und den Springern, kennzeichnen Wellen die Ausbreitung: Stehen am Beginn die aktivsten Raumfahrer, Galaktokartografen und Forscher, Prospektoren und Vagabunden, folgen als Pioniere von der Raumflotte begleitete Siedler. Schließlich treten Handelsgesellschaften, Industriekonzerne und Traditionalisten in Erscheinung; Leute mit Kapital und ausgeprägtem Sinn für organisatorisches Vorgehen, jene, die Luxus, technischen Standard, Frivolitäten und vor allem die Lebensart des Imperiumszentrums bringen – letztlich dafür sorgend, daß irgendwann wiederum Unzufriedene aufbrechen und den Vorgang fortsetzen. Dazwischen und überall dabei sind die Habitate, Weltraumstädte beachtlichen Ausmaßes, die als Karawanen den Kugelsternhaufen, aber auch den Nebelsektor durchstreifen. Manche fungieren als Flottenbasen, andere sind fliegende Händler oder autonome Welten für sich. Die vorderste Ausbreitungszone ist stets Sammelpunkt absonderlichster Gestalten mit dunklem Vorleben und diffusen Zielen, anfällig für sämtliche Einflüsse des »Neulandes«, in das sie vorstoßen… Gillam IV: 11. Prago der Coroma 19.017 von Arkon (= 3. Dezember 2046 Terra-Standard) Ich stand noch auf der Rampe der LE-50-15, einem diskusförmigen Leka-Zubringer von fünfzig Metern Durchmesser, als eine Jägerstaffel vorbeijaulte. Mehrfacher Überschallknall ließ die Luft dröhnen; die Impulstriebwerke
der Dreimeterkugeln blitzten grell auf, grünliches Flimmern kennzeichnete die Konturhüllen der Prallfelder zur Ionisationsabstoßung der Luftmoleküle. Grimmig verzog ich das Gesicht und aktivierte die Vorrangfrequenz meines Anzugfunkgeräts. »Atlan an Jägerstaffel!« schnarrte ich. »Ich habe Patrouillenflug angeordnet, keine Flugshow. Vielleicht denken die Damen und Herren Piloten mal ans geplagte Bodenteam?!« »Jawohl, Imperator.« Die nächste Staffel raste im Tiefflug heran und machte jede weitere Verständigung unmöglich. Seufzend sah ich mich um. Ein halbes Dutzend Lastengleiter stoppte und sank auf nachschwingende Puffer, kaum daß die Antigravaggregate gedrosselt waren. Dron- und NaatSoldaten eilten durch aufspritzenden Morast und wuchteten schwere Zylinder von Ladeflächen. Kommandant Straton Zaghyt lief mir entgegen und rief: »Das Gebiet um den Tekteron-Tempel ist geräumt!« Er wies mit dem Daumen über die Schulter. Die strahlend weiße Kuppel, dreihundert Meter hoch und sonderbar durchscheinend, war ein Kontrastpunkt im düsteren Grau und Schwarz der Landschaft, wie er kaum größer hätte sein können. »Die Sprengmeister sollen anfangen«, sagte ich müde. Stundenlange Verhöre brachten, trotz der Suggestivkräfte von Kitai-San, Zhy-Famii, Mooffs und Gijahthrakos, nur überaus dürftige Ergebnisse. Ich hatte es satt. Die gefangenen Tekteronii, von Kristallgardisten scharf bewacht, würden bald abgeschoben werden; unsere Kreuzerstaffeln verfolgten geflüchtete Tekteron-Einheiten. Die Nachricht von der Errichtung der Tempel hatte unsere Planungen über den Haufen geworfen: Vom 6. bis zum 21. Prago der Prikur waren die ersten Stationen der GoodwillRundreise absolviert worden. Zalit, Archetz, Aralon, die
Heimat der felidoiden Orbeki. Überall im Imperium liefen Wahlen und Ernennungen – je nach lokalem Regierungssystem – zur Bestimmung von Delegierten und Vertretern, die zur Vollversammlung für Sicherheit und Zusammenarbeit im Großen Imperium entsandt werden sollten. Wenn alles reibungslos funktionierte, konnte in wenigen Perioden eine erste Konferenz stattfinden. Hauptstreitpunkt noch: die Auswahl des passenden Tagungsortes, weil Arkon I oder das Arkonsystem insgesamt als ungeeignet angesehen wurden und man ohne »Druck der imperialen Ebene« tagen wollte. Wie stets kam es erstens anders und zweitens als man denkt und plant, dachte ich. Meldungen gingen ein, die zur Absage aller weiteren Kontakte und Termine führten. Meine Befürchtung bestätigte sich: Das offizielle Auftreten von Tai Zhy Fam, verstärkt durch unseren Versuch zu ihrer Erweiterung, ließ rasche »Reaktionen« der Tekteronii folgen. »Wurde Zeit, mein Imperator!« Straton polterte lautstark. Ich musterte den Dron. In seiner pechschwarzen Raumrüstung, aus massiven Kunststoffsegmenten mit vielfältigen technischen Innereien geformt, wirkte er wie ein Teil der rauhen Umgebung. Niedrige Wolkenbänke, aus denen immer wieder heftige Schauer herabprasselten, zogen rasch über den Himmel. In der Ferne dampften mächtige Türme leistungsstarker Öko-Konverter, seit fünfzig Jahren bemüht, in aufwendigen Prozessen aus dem leblosen Steinklumpen dieser Welt eine arkonähnliche Lebenssphäre zu schaffen. Gillam IV war eine in der Erschließung befindliche Randzonenwelt, wie sie im Lehrkristall stand. »Die Verminung auf Hazhoy und Wazarom ist abgeschlossen«, knurrte Straton. »Die Tempel werden bald verschwunden sein.« »Ich fange an, sie zu hassen, Freund. Sie stehen für Fanatismus und Unfreiheit!« Ein dumpfes Grollen drang aus
dem Rachen des Dron. Fast so groß wie ich, aber deutlich breiter und gedrungener, wirkte er wie eine stets angriffsbereite Kampfechse. Die Rüstung unterstrich das martialische Gebaren, das die Dron arttypisch bewußt hervorkehrten. Es ist in jedem Fall besser, diese Krieger zum Freund zu haben. Straton Zaghyt, erfahrener Kapitän Erster Klasse und Kommandant meines Flaggschiffes, war mein Freund. Er wird alt, durchfuhr es mich. Die hornigen Schuppen wiesen an den Rändern bereits hellbraune und graue Verfärbungen auf. Fast weiß waren die Knorpelwülste über den Augen. Nur der unbekleidete Schwanz, als drittes Bein und Balance-Gegengewicht benutzt, schimmerte im satten Braunschwarz. Wir kannten uns nun seit fast drei Jahren; entgegen vielfachen Aufforderungen hatte er lange mit eiserner Disziplin versucht, respektvolle Distanz zu wahren. Sogar heute noch fiel es ihm manchmal nicht leicht, das vertrauliche du und Atlan zu verwenden. Ähnlich hartnäckig waren viele der Terraner; sicher, ein Ausdruck von Respekt und Hochachtung – aber es erleichterte mir den Umgang nicht. Die betont aufrechterhaltene Distanz machte mir die Einsamkeit bewußter, als mir lieb war. Tanja fehlte mir. Über Sinyagi »sprach« ich mehrmals mit ihr: Trotz aller Bemühungen hatte meine Freundin nicht die geringste Spur von Lichtwesen gefunden, wollte aber weiterforschen, weil sich vor allem unter den Kooann Nervosität breitmachte. Ähnlich wie Thom schon vor Jahren erfaßten sie unbewußt, daß etwas nicht stimmte, konnten diese »Ahnungen« jedoch nicht konkretisieren. Bislang hatten sich meine sorgenvollen Ahnungen nicht bestätigt: Auf Zhygor war es letzten Meldungen zufolge ruhig. Verdächtig ruhig… Der Extrasinn nörgelte: Wenn einem eingefleischten Pessimisten ein Stein vom Herzen fällt, dann ganz bestimmt auf den kleinen Zeh!
Haben der Herr Imperator schon mal von »self-fulfilling prophecy« gehört? Die Gefahr besteht stets, wenn man auf Visionäres eingeht! entgegnete ich. Trotzdem kann und will ich die paranormaltranspersonalen Eingebungen nicht ignorieren; es bleibt ohnehin schwierig genug, ihre wahre Bedeutung zu erkennen. Straton winkte den Sprengmeistern: »Bringen wir es hinter uns, Atlan.« Wir stapften über aufgeweichten Boden und näherten uns dem riesigen Torbogen. Rundum verteilten sich Naats und Dron und legten Desintegratorbomben; gemeinsam gezündet, würden sie vom Kuppeldom nur verwehenden Staub zurücklassen. »Immer stärker fallen die Parolen der Tekteronii auf fruchtbaren Boden«, sagte ich. »Was besagt ihre Reine Lehre wirklich? Ich verstehe es nicht.« »Weitreichende Machtinteressen, verknüpft mit religiösem Missionseifer, sind eine Kombination, die, weil eigenen Gesetzen gehorchend, mit Logik wenig zu tun hat.« »Und das Imperium wird weiterhin von Unruhen heimgesucht.« Meine Faust donnerte gegen Plastmaterial der Kuppel. »Was werfen uns die Tekteronii wirklich vor? Warum sprechen sie vom Entstehen der Totalen Finsternis?« … ist erklärtes Ziel der Tek’gools, die letzten Erkenntnisse Wahren Seins zu gewinnen, indem sie, als Teil höhergeordneter Prozesse, die wider jede Natur sind, über alle Gestalt-Manifestationen hinausgehen. Der Logiksektor reproduzierte die Kernaussagen der Reinen Lehre. Die Bedeutung des unersetzlichen Geschenks von Leben wird in teuflischer Absicht verdreht, seiner Göttlichkeit Böses angetan: denn das Ergebnis ist eine Verstümmelung und nicht Erweiterung, die Taten stehen nicht im Einklang mit den Erwartungen. Wahre Tugendhaftigkeit erzwingt Übereinstimmung von Handlung und Wunsch, soll nicht Boshaftigkeit das Ergebnis… Ich unterbrach knurrig: Sermon!
Vielleicht nicht, Imperator! Meine innere Stimme zögerte. Es könnte ein Phänomen angesprochen sein, das – analog zu Schwarzen Löchern – vom höhergeordneten Blickwinkel aus raumzeitliche Sequenzen quasi zusammenstaucht und Bewußtsein zu einer Art Nullpunkt deformiert oder anders formuliert: die Freiheit von Bewußtem Sein auf den Bereich einer Potentialsenke einschränkt. Was würde beispielsweise passieren, wenn ES auf eine einzige materielle Gestalt reduziert würde? Erinnere dich an die alten terranischen Sagen: Wenn Göttervater Zeus zum Stier oder Schwan wurde, reagierte er auch so und büßte einen Großteil seiner Kräfte ein. Ähnlich würde dem Kollektivwesen der ganze Bereich der Alternativ-Universen des Hyperraums unzugänglich und die beliebige Manifestation des Bewußtseinsfokus unmöglich: Die »Lochränder« bilden eine asymptotische Potentialschwelle. Bemerkenswert ist, daß die Unzugänglichkeit von Alternativformen in der Tat so ausgelegt werden kann, wie es die Tekteronii formulieren: Dunkelheit des Bewußtseins, Absturz in Unfreiheit, Verstümmelung… Deine Analyse hilft mir nicht weiter, gab ich grantig zurück, während Stratons Schwanz ein aufgerichtetes S formte; Zeichen seiner Ratlosigkeit. Hemmars erste Übersetzungsversuche der Kariope-Dateien wiesen darauf hin, daß die Cyen oder ihre Vorfahren offensichtlich vor mehr als einer Million Jahren ein galaktisches Großreich besaßen und daß aus dieser Zeit auch die Reine Lehre stammte. Ob die Übersetzung der Sternenmythen-Kommentare korrekt war, wußte leider niemand. Die Dämmerung des Riesendoms nahm uns auf; seine Größe verhinderte, daß unsere Schritte ein Echo hervorriefen. Klein wirkte das Zentralpodest. Xanthyn Ol’dans Körperfragmente waren nicht eingetroffen, diesmal waren wir schneller als der Tekteron-Befehlshaber gewesen. »Xanthyn Ol’dan!« knurrte ich bitter. »Er und die anderen Cyen werden dreister, wie ich’s
befürchtet habe! Gleich auf drei Randwelten wollten sie Tempel einrichten – und die Stoßrichtung weist eindeutig Richtung Zhygor!« Mit Xanthyn Ol’dan hatten wir bislang in erster Linie zu tun gehabt, er schien der Verantwortliche für die maßgeblichen Außenaktionen zu sein. Von den anderen Cyen kannten wir meist nur die Namen. Gerüchte, daß es mehr als insgesamt zwölf Cyen gab, hatten sich noch nicht verifizieren lassen, ausschließen ließ es sich nicht. »Er weiß den Tekteron-Bund hinter sich, ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor auf der galaktischen Bühne.« Die grollende Stimme des Dron verlor sich in der Weite des Doms. »Tai Ark’Tussan ist zwar eine Großmacht, aber von innerem Zerfall bedroht und deshalb – genau betrachtet – kein ernster Gegner für wild Entschlossene, die mehr aus dem Untergrund heraus agieren, zustoßen, sich zurückziehen und auf Vorwürfe überdies unschuldig und empört reagieren. Keinem Ära, Arkoniden, Dron oder Andooz ist auf den ersten Blick seine Tekteron-Zugehörigkeit anzusehen. Mentalstabilisierung erschwert jede Beweisführung. Gegen Fanatiker, die sogar als Selbstmordattentäter auftreten, helfen keine Robotflotten, Atlan.« Ich lehnte mich gegen das Podest aus poliertem Basalt. »Ich weiß, Straton, trotzdem ärgert mich das unverfrorene Auftreten!« Möglicherweise ein Ablenkungsmanöver? Der Logiksektor zwang meine Gedanken in eine neue Richtung. Stachelkugeln? Wenn die Vermutung zutraf, lief irgendwo im geheimen die eigentliche Tekteronii-Aktion weiter, während wir uns eines Scheinsiegs erfreuten. Eine Vorstellung, die mich alles andere als begeisterte. Als der Podestblock hinter mir in Bewegung geriet, schrie ich überrascht, taumelte, verlor das Gleichgewicht und stürzte mehrere Stufen hinab. Ich fing
mich, ehe ich die Treppe ganz hinabrollte, und kniff die Augen zusammen: Mattes Licht drang aus der Tiefe. »Atlan!« rief Straton besorgt. »Nichts passiert, Alter.« Ich betastete die geprellte Schulter. Das gepolsterte Material meines Schutzanzugs hatte die Hauptwucht abgefangen. »Alles in Ordnung.« Am Fuß der Treppe befand sich eine winzige Kammer. Ein wabenförmiges Bodenmuster und das Schaltpult gehörten zu einem Transmitter-Aggregat: Ich erkannte es, obwohl der sonst charakteristische Projektorkäfig fehlte. Eine schattenhafte Gestalt: Der gedrungene Kopf mit vorquellenden Kugelaugen war bei meinem Sturz herumgefahren. Überlange Finger berührten eine aufglühende Schaltplatte. Raus! Schnell! Mein Logiksektor kreischte. Während die Gestalt im schwarzen Wabern des Transportfeldes verschwamm, spurtete ich los, aktivierte per Fingerkode den Prallschild meiner Armmanschette und hechtete mit letzter Kraft in den Dom, gefolgt von der Glutwalze, die aus dem Treppenschacht fauchte und deren Hauptwucht sich am herumgeschwenkten Dagorschild brach. Trotzdem leckten Ausläufer über meinen Schutzanzug, und Hitze raubte mir den Atem. Straton fluchte laut, half mir beim Aufstehen und musterte das Glühen in der Tiefe. »Thermoladung. Keine Explosion, nur gewaltige Hitze. Bestens geeignet, Spuren zu verwischen.« »Ein Andooz!« Ich schaltete den Schild aus und schüttelte mich. »Ich bin sicher, daß es ein Andooz war. Er ist per Transmitter geflüchtet.« Stratons Gesichtsschuppen sträubten sich. »Andooz?« Er mochte die krötenähnlichen Wesen nicht sonderlich. »Nun ja, gute Verwaltungsleute. Überall in Administrationen zu finden. Und Admiral Quar Kha Xoraq ist ein fähiger Kommandeur…«
Die Vision eines Andooz suchte mich heim, leise wisperte Sinyagis Bewußtseinschor: Backen bliesen sich mächtig auf, als sich unsere Blicke scheinbar trafen. Starr und fremd sahen mir Kugelaugen entgegen. Das Aussehen rief vages Erkennen in mir hervor: Die doppelte Sichel der Mundwinkel, in Zitronengelb vom dunklen Braun der von Feuchtigkeit schimmernden Haut abstechend – ich hatte diese Körperfärbung schon einmal gesehen! Unwillkürlich dachte ich an den Andooz in den Hallen der Geschichte. Aber sogar mein Extrasinn zögerte, bevor er flüsterte: Er und der Andooz von Gillam IV könnten identisch sein! »In unserem Fall ein Tekteronii!« Kälte kroch die Wirbelsäule hinauf. »Die Düne rieselt leise, aber sie rieselt!« Straton verstand, hob den Arm und aktivierte die Funkanlage seiner Raumrüstung; der Echsenmann wußte, was zu tun war. »Straton Zaghyt spricht! Sprengkommando: sofort abbrechen! ARKON: Wir brauchen ein vollständiges Analyseteam im Tempel.« Ich erkannte, wie knapp ich dem Tod entronnen war: Ein Augenblick später, und ich wäre genau in die Thermoladung gefallen! Der Andooz hatte die Transportfeldprogrammierung des fremdartigen Transmitters bereits abgeschlossen. Kälte kroch meine Wirbelsäule entlang, der Aktivator pulsierte stärker. »Ich fliege zur ARKON«, sagte ich. »Du leitest hier die Untersuchung, Freund.« »Verstanden, Euer Erhabenheit. Wirklich alles in Ordnung, Atlan?« »Ich hab’s überlebt.« Ich winkte und ging aus der Domkuppel hinaus. »In Zukunft werde ich die TekteronTempel noch mehr hassen!« Fünf Minuten später saß ich im Zubringer, der die dichte Wolkendecke durchstieß. Gillams Stern schien grell auf diese wildbewegte Masse herab, mächtige Wirbel drehten sich.
Aus dem Schlagschatten des Planeten schälten sich aufblitzende Konturen hervor, Kugelgiganten des Gardegeschwaders funkelten im Sonnenlicht. Mein Extrasinn reproduzierte das Bild des geflüchteten Andooz und wies mich erneut auf die gelben Hautmarken hin – für Andooz leider ein »Allerweltsmerkmal« wie ein Schnurrbart; zwar auffällig, aber nicht ausreichend für eine exakte Identifizierung. »Es wird schwierig, ihn wiederzuerkennen.« Ich unterdrückte ein Schaudern und atmete erst auf, nachdem die Leka in die ARKON eingeschleust war. In meiner Kabinenflucht entledigte ich mich des Schutzanzugs, rümpfte die Nase, als ich die angeschmorten Flecken entdeckte, und stieg unter die Dusche. Mit intensiver Dagor-Konzentration gelang es mir, einen tiefen Entspannungszustand herbeizuführen. Stratons und Kons Warnungen wurden an diesem Tag bestätigt: Es war eigentlich unverantwortlich, wenn der Imperator selbst in den Einsatz ging. Der Extrasinn zischte: Du wirst dich kaum ändern. Jemand, der Handeln gewohnt ist, läßt sich nicht an den Kristallpalast ketten. Hemmar Ta-Khalloup: Jahre der Krise, Betrachtungen zu dem beginnenden 20. Jahrtausend (Entwurf); Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.017 daArk Es ist eine alte Erkenntnis, daß jeder nach mehr strebt als nur nach unmittelbarer Befriedigung der Grundbedürfnisse. Nach der Erfüllung des tieferen Gefühls nämlich, das allgemein mit Glück umschrieben wird. Wer dieses Streben für sich und seine Zwecke ausnutzt und seine Befriedigung propagiert, gewinnt Macht über all jene, die danach streben – und sei es auch nur unbewußt. Es erstaunt sicher nicht, wenn insbesondere den Religionen zu eigen ist, daß sie im Rahmen
dieses »nach etwas mehr streben« eine Definition liefern, dem Bedürfnis eine konkrete Form verleihen und es im Sinne der Glaubenslehre kanalisieren. Kein Wunder, daß deshalb viele Anhänger den jeweiligen Glaubensgrundsätzen bedingungslos folgen und in ihrer Bereitschaft, das »Glück« zu erlangen, Dinge tun, die ihnen aus dunklen Quellen oktroyiert werden. Skrupellose Machthaber nutzen diese Erkenntnis oftmals brutal für ihre Zwecke aus, und folglich ist die Kombination von Religion und Staat auf galaktischer Bühne nicht eben selten. Besonders kraß tritt dies beim Tekteron-Bund zutage, wo staatliche Doktrin nicht von religiösem Dogma zu trennen ist. Die Anklage aller NichtTekteronii, Tek’gools zu sein, kennzeichnet dieses System äußerst markant und stellt eine unüberwindbare Kluft dar. Gillam-Orbit, an Bord der ARKON II: 13. Prago der Coroma 19.017 von Arkon (= 5. Dezember 2047 Terra-Standard) »Ich habe die Berichte und Auswertungen zusammengestellt, Atlan.« Wie üblich sprach Killan voo Mispanor mit laut bellender Stimme, ohne daß ihn mein grimmiger Blick hätte stören können. »Danke.« Ich nahm den Kristallchip und schob ihn in den Abtastschacht meines Arbeitstisches, der einem Hauptschaltpult mehr ähnelte als einem Tisch. Während Textzeilen auf dem Monitor erschienen, sagte ich: »Die Tekteronii wurden komplett vertrieben?« »Die Staffeln haben sie etliche Lichtjahre verfolgt. Ihr Widerstand ist gebrochen.« »Es werden neue kommen.« Ich blieb skeptisch und dämpfte die Begeisterung Kilians. »Sofern sie nicht schon da sind. Es gibt viele Randwelten.« Er kniff die großen Augen zusammen. Das graubraune
Stirnfell sträubte sich, sein Mardergesicht wurde spitz. »Hier sind wir sie auf jeden Fall los«, krächzte er. Fünfundzwanzig Pragos hatte die Gesamtaktion gedauert. Ruhe kehrte wieder auf den Welten ein, deren Ökoformprogramm von den Ereignissen nicht beeinträchtigt worden war. »Die Pioniere und Siedler arbeiten fieberhaft an der Errichtung weiterer ÖkoKonverter. Sie haben vor zwanzig Jahren die ersten Farmen und Produktionsstätten für den Eigenbedarf erstellt, dennoch bleibt das Leben hart und entbehrungsreich.« Und anfällig für Tekteronii-Einflüsterungen! ergänzte mein Extrasinn. »Richtig, Killan.« Ich nickte. »Aber es ist nur ein Brennpunkt in den Weiten der Randzonen.« Ich überflog seine Auswertung. Zehntausende Tekteronii waren verhaftet und abgeschoben worden. Die Suche nach letzten Untergetauchten war abgeschlossen, auch die hiesigen Sympathisanten wurden ausfindig gemacht. »Was ist mit dem geflüchteten Andooz?« »Leider Fehlanzeige. Die Thermoladung hat alle Spuren verwischt. Der Ziel-Rematerialisationspunkt läßt sich beim besten Willen nicht mehr eruieren.« »Die Tempelanlagen wurden gestern gesprengt. Wir haben zugegriffen, bevor die Götzen eintrafen. Xanthyn Ol’dan hat eine Niederlage erlitten.« Xanthyn Ol’dan – der Name des Tekteron-Führers rief in mir ein wütendes Beben hervor. »Seine Fragmente kommen in jedem Fall zu spät.« Killan kniff die Augen zusammen. »Erfahrungsgemäß ist die Machtentfaltung der Götzen extrem: Einmal vorhanden, können die entsprechenden Welten als für das Imperium verloren gelten. Sogar Gijahthrakos haben Schwierigkeiten, Suggestionen zu widerstehen, die von den Cyen-Fragmenten ausgehen.« Mein Stabschef sprach mit kalter Wut. »Vor zwei Stunden wurden die Landungstruppen eingeschleust. Kommandant Zaghyt bestand auf einer Aufrechterhaltung der
Alarmbereitschaft.« »Er erwartet wie ich eine Gegenreaktion der Tekteronii.« Ich machte eine fahrige Geste. »Sie räumen in den seltensten Fällen freiwillig das Feld, ihre Missionare sind kaum weniger hartnäckig als Terraner – und das heißt schon was! Außerdem ist immer noch mit der Ankunft der Götzen zu rechnen. Die Aufklärer haben die von mir angewiesenen Positionen bezogen?« »Jawohl, Erhabener. Mehrfachstaffelung bis dicht an die Sogmanton-Barriere. Khols Geschwader hat nahe Mhalloy weiträumige Bereitschaftsposition im Ortungsschutz von Sonnen bezogen. Erkundungsschiffe sind unterwegs.« Killan nahm am anderen Ende des Arbeitstisches Platz, der eine integrierte Schalteinheit war, vollgepackt mit Monitoren, Eingabeterminals, Foliendruk-kern, Plottern, Handsticks, Mikrofonen und Lautsprechern. »Gut. Sie werden uns rechtzeitig informieren. Wenden wir uns der üblichen Arbeit zu. Was liegt heute an, Killan?« Seine Finger huschten über Sensorkuhlen. Weitere Bildflächen erhellten sich. Eine Kartenprojektion entstand: Mittelpunkt war der Leuchtstern Mhalloy, am Rand glühte die rund 2500 Lichtjahre entfernte Sogmanton-Barriere, bei der sich der Tekteron-Bund befand. Fast noch Bestandteil der Barriere war ein mehrere Lichtjahre großer Supernovarest – »Spinnennebel« genannt, der offenbar mehrere Neutronensterne beinhaltete, bislang aber noch nicht erforscht war: Die Barriere machte jede Annäherung zum Vabanquespiel. »Routine«, sagte Killan rauh. Ich seufzte erneut; diesmal war seine Stimme aber weniger der Grund. Er enthielt sich eines Kommentars, weil er meine Abneigung gegenüber Verwaltungskram kannte. Als Imperator konnte ich mich ihm trotz Unterstützung des
Robotgehirns nicht entziehen, selbst bei guter Vorarbeit durch den Stab und das therborische Planungskollektiv. Killan wartete geduldig, bis ich mich den Bildflächen zuwandte, und überspielte Entwürfe auf meine Displays. Ich las, zeichnete ab, korrigierte und war mit meinen Gedanken ganz woanders. Xan-thyn Ol’dan – was plant der Cyen? Irgendwann stand ich auf, goß mir an der Wandbar einen Cognac ein und drehte nachdenklich den Schwenker in der Hand. An der Längswand glänzte die Holo-Reproduktion eines Triptychons. Am oberen Rand der rechten Tafel hoben sich vor düsterem Glühen und gelben Lichtfächern schwarze Ruinen ab. Ein Schiff ging unter, kleine Gestalten stürmten als Kriegshorden durch die endzeitliche Landschaft. Neben einem lodernden Feuer wurde ein Ohrenpaar mit einem Messer durchtrennt, ein Teufel hockte in der Ohrmuschel. Panoptische Szenen von Qualen, Lastern und erschreckenden Phantasmen. »Höllenteil des Gartens der Lüste!« sagte ich und trank einen Schluck. »Als habe van Aeken aus ‘s-Hertogenbosch in phänomenaler Bewußtseinseinstimmung eine Vision der Zukunft gemalt.« Ich blieb vor dem Triptychon stehen und starrte nachdenklich auf den Mittelteil der vier mal zwei Meter zwanzig großen Gemäldeprojektion. Nackte Gestalten in traumähnlicher Landschaft; ein Reigen um den Jungbrunnen, Reiter auf Schwein, Bär, vierbeiniger Vogel, Einhorn und andere Tiere. In einer von Rissen überzogenen Glaskugel saß ein Liebespaar, aus der roten Pflanzenblase darunter schaute ein Gesicht in eine transparente Röhre, an deren Eingang eine Ratte hockte – alles beobachtet von einer Eule… Symbol der Weisheit. Ich lächelte bitter. Athenes Hilfe wäre in unserer Situation vermutlich nicht der schlechtestes Beistand. Zwei Stunden später rief mich Ortungsalarm in die Zentrale.
»Meldung?« Ich warf mich in den erhöhten Sitz des Mittelpodestes. Straton knurrte, ohne sich umzudrehen: »Anflug einer Tekteron-Trägergaleere. Kursanalyse bestätigt. Ziel: Wazarom-System. Waffensysteme scharf.« »Abfangflug für gesamte Lakan«, befahl ich. »Nachricht an Ceshal da Ragnaari und Khol Trayz: Imperiales Gardegeschwader und Sondergeschwader TROMPON sollen sich bereit halten. Einzelbefehle folgen. Verschlußzustand mit sofortiger Wirkung. Transitionsberechnung nach Ortungsdaten. Die ARKON fliegt voraus.« »Verstanden.« Die Bestätigung ging im Dröhnen zuschlagender Schotten und Pforten unter; »Verschluß« untergliederte das Flaggschiff in tausendfach voneinander abgeriegelte Zellen. Auf Stratons Zeichen hin drehte sich das Hauptkontrollpodest in Gefechtsposition und wurde automatisch verankert; der Kommandant saß in drei Metern Entfernung. »Daten programmiert. Strukturfeld klar«, rief er. »Feuerfrauen melden Geschwaderkoordination – die Meditationskreise haben Kontakt, Mooffs integrieren sich in den Parablock! Beibootflottille startbereit!« Rotlicht dunkelte die Zentrale ab. Den Kontrollmonitoren meiner Konsole konnte ich alle wichtigen Parameter entnehmen; die Schiffe des Gardegeschwaders waren bereit, den Standardorbit zu verlassen. Im Gegensatz zur ARKON benötigten sie, genau wie Khols Einheiten, eine Sprunggeschwindigkeit nahe der »Lichtmauer«, und die Transitionsdatenberechung war und blieb ein langwieriges Unterfangen. »Intermitter-Flug!« sagte ich. Sofort begannen die »Sprünge«; kribbelndes Streicheln auf der Haut war die kaum wahrnehmbare Nebenwirkung des pulsierenden Strukturfelds. Ich musterte das Schaubild eines Monitors: Die
Sinuslinie war mit entsprechenden Texteinblendungen versehen. Nur der Kurvenverlauf unterhalb der Abszisse stand für Aufenthalt im normalen Weltraum – der Weg »außerhalb« des konventionellen Universums unterlag den Gesetzen des Hyperraums, wo bekannte Raum- und Zeitbegriffe ihre Gültigkeit verloren. Zahlenkolonnen pendelten sich auf Standardwerte ein, die Sprungfrequenz erreichte Maximalwert. Überlichtgeschwindigkeit, scheinbar im Normalraum, alles wirkt völlig normal. Welch ein Unterschied zu »normalen«, wenig schockgedämpften Transitionen! Dort breitete sich violettes Leuchten aus, die Umgebung verschwand im Nebel, und peinigender Schockschmerz zerrte und riß im Nacken. Mit dem Abstoßimpuls wurde schlagartig die »universelle Hyperfluchtgeschwindigkeit« überschritten; die gesamte Materie wurde zu etwas, das innerhalb des mit hypermechanischer Kraft aufgebauten TransitionsStrukturfeldes zur Totalabschirmung konventionellvierdimensionaler Einflüsse nicht länger stabil sein konnte. Die arkonidische Hyperphysik sprach vom »Verflüchtigungseffekt« und der »entstandardisierten Strukturform«: Das Hyperfeld vermittelte eine motorische Kraft, deren Vektor quasi »senkrecht« zum vierdimensionalen Kontinuum wirkte und somit Bestandteil hypermathematischer Formalismen war, weil sich kein Wesen unserer Art einen Vektor anschaulich vorzustellen vermochte, der aus fünf oder noch mehr achsengerechten Komponenten bestand. Die Rückgewinnung der Stofflichkeit kam zwangsläufig mit Ende der Transition: Vertraute Umrisse entstanden aus düsterem Rot, und der Rematerialisationsschmerz ging nahtlos in den der Entmaterialisation über – Nachklang eines »gewaltsamen Zerreißens«, weil unser Nervensystem zu langsam war, um eine Detailauflösung der Vorgänge zu
registrieren. Lichtjahre wurden mit Brachialgewalt überbrückt. Strukturschocks der »Gefügebeben« waren mit ungedämpften Transitionen verbunden, Folge des Impulserhaltungssatzes. Der Aufenthalt im Hyperraum selbst blieb völlig unanschaulich; eine Phase totalen Fehlens jeglicher Wahrnehmungen. Dauer: Sekundenbruchteile oder eine Ewigkeit… Und nun statt dessen tausend kleine Ortsversetzungen in Nullzeit, deren rasende Aneinanderreihung ganz einfach vom vertrauten Weltbild überblendet oder überdeckt wird! Die Schockdämpfung macht überdies eine Ortung fast unmöglich. »Kommandant Zaghyt: Lageanalyse und Kartentankprojektion!« befahl ich ruhig. »Abteilungschefs zur Einsatzbesprechung zuschalten.« Eine holographische Darstellung flammte vor dem Podest auf, kaum daß sich der Projektionsquader aus dem Boden schob. Ein Ausschnitt der Galaxisspirale erschien, auf wenige Meter zusammengedrängt: Als winziges Pünktchen blinkte grell die Kugelsternballung weit über der Galaktischen Hauptebene. Weiter »unten« und seitlich Richtung Galaktisches Zentrum versetzt war der Tekteron-Machtsektor markiert, in Realmaßen fast 300 Lichtjahre groß und 27.520 Lichtjahre von Arkon entfernt. Ein Informationsstrom meines Extrasinns erreichte die Ebene meines Wachbewußtseins: Die Hauptvölker des Tekteron-Bundes sind: Thaafs, Baahmys, Tordoven, Kantorsen und Zaater. Hinzu kommen viele Abtrünnige des Großen Imperiums, Einzelpersonen, angeblich sogar etliche Terraner… »Ausschnittvergrößerung und Kursdarstellung kommt«, meldete die Ortungsabteilung in Kombination mit der Positronikauswertung. »Sie haben zwei Transitionen über je hundert Lichtjahre zurückgelegt. Derzeitiger Abstand 1382 Lichtjahre, schrumpfend. Bei gleichbleibendem IntermitterFlug einschließlich Speicheraufladungspausen Kontakt in
rund 164 Minuten; Speicherreserve Intermitter dann noch 200 Lichtjahre. Treffpunktkoordinaten gemäß positronischer Wahrscheinlichkeitsrechnung bezogen auf Standard-Arkon: x plus 9439, y minus 4055, z minus 7091.« Das Glühen der fensterbandähnlichen Rundumprojektion wurde von positronisch gesteuerten Simulationseinblendungen, Vergrößerungen und Drei-DReliefs von Ortung und Tastung ergänzt. Optische Normalerfassung des Weltraums allein ist wenig aussagekräftig und hat in erster Linie psychologische Bedeutung; »man sieht etwas«. Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Beobachtungsdaten der Aufklärer?« »Sie halten Sicherheitsabstand. Die Feuerfrauen überspielen paravisuelle Fernwahrnehmungen.« Neben der Kartentankprojektion entstand ein Holofeld. »Es ist eine gewaltige Galeere!« Langgestreckt und in jeder Hinsicht bizarr war das Gitterobjekt: Eingeblendete Maßketten verdeutlichten, daß es eine Gesamtlänge von annähernd hundert Kilometern erreichte! Zwischen riesigen Gerüststreben angekoppelt waren vergleichsweise winzige Raumschiffe und zur Galeere selbst gehörende Druckkörper. Grollend riß Straton seinen Echsenrachen weit auf. »Ein Invasionsversuch!« Ich nickte grimmig. »Sieht fast so aus, Kommandant. Die größte Galeere, von der wir je gehört haben. Das ist bedeutend mehr als die bloße Überbringung von Götzen. Die Cyen arbeiten in verdammt großem Stil!« Der Eindruck, daß die Errichtung der Tempel – in dreister Offenheit betrieben – ablenkender Auftakt eines viel umfangreicheren Geschehens war, festigte sich in mir. Mein Logiksektor flüsterte: Leider fehlen klare Beweise. Die Befehlsgebung im Tekteron-Bund ist hierarchisch gegliedert; Verhöre
der kleinen Tekteronii an vorderster Front bringen selten Hintergrundinformationen. »Und an die Großen kommen wir nicht heran.« Ärgerlich musterte ich das Drei-D-Bild. Auf Wazarom wurden viele Tekteron-Aras aufgegriffen, die zwar beharrlich schwiegen, indirekt aber die Meldungen bestätigten, daß es viele Aragruppen gab, die mit dem Tekteron-Bund sympathisierten. Künstliche Mutation niederer Lebensformen. Stachelkugel… »Ortung an Imperator: Die Galeere bleibt in Orientierungspause. Ganz offensichtlich tasten sie sich vorsichtig heran, wollen nicht auffallen. Es gibt keine – ich wiederhole: keine Begleitung! Baahmy-Zerstörer und Kleine Todesboten müssen auf der Galeere gelandet sein.« Taktischer Fehler! signalisierte der Extrasinn knapp. Von Straton kam ein dumpfer Laut. »Gratulation, Atlan. Die Aufklärerstaffelung bewährt sich. Ohne sie hätten wir die Tekteronii vielleicht nicht mal entdeckt. Jetzt ist es zu spät zum Ausweichen.« »Die Aufklärer sollen sich zurückhalten«, ordnete ich an. »Wir müssen den vollen Überraschungseffekt auf unserer Seite haben, sonst wird’s ein fürchterliches Gemetzel. Hhm, der geflüchtete Andooz konnte sie offensichtlich nicht warnen. Wir halten Kurs und schleichen uns heran. Geschwaderkoordination: Sie sollen sich bereit halten, um uns in einer Transition zu folgen – entsprechende Programme erstellen und laden.« »Verstanden.« Die Holoprojektion zeigte weitere Einzelheiten, je besser sich die Zhy-Famii einstimmten. »Was ist denn das?« murmelte der Erste Offizier Donret. Ein Lichtzeiger huschte über die Gitterstruktur und markierte drei Dutzend Objekte: gewaltige, mehrere Kilometer große Kugeln mit vielen spitzen Auslegern. »Unbekannt.« Die Auswertungsabteilung meldete sich
unaufgefordert. »Keine bisher bekannten Schiffstypen der Tekteronii.« »In jedem Fall eine Gefahr!« knurrte ich und erntete von Straton Zustimmung. Das Unbehagen in mir wuchs; ich war mir sicher, genau solch eine Stachelkugel gesehen zu haben – beim Tanz der Monde, in Visionen. Ich rief mir die Erkenntnisse über die Galeeren ins Gedächtnis, bat Sinyagi gedanklich um Mithilfe und Auswertung und hörte ihre Antwort: Das ist ein Ansatzpunkt! Der paramechanische Antrieb durch Versklavte ist ihre Achillesferse. Wenn es gelingt, die vier großen Frachttransmitter auf entsprechenden Empfang zu justieren… Sinyagi: Jetzt müßt Ihr zeigen, was Ihr könnt! Ohne Unterstützung der Zhy-Famii und Gijahthrakos wird es nicht klappen, antwortete der paraverbale Chor. Und selbst dann… »Du hast einen Plan?« Straton sprach betont leise, nachdem er seinen Sessel gedreht und mich intensiv gemustert hatte. Mein Lächeln ließ selbst den abgebrühten Dron blinzeln. Ich nickte. »Ich denke schon.« Sehr verwegen, kommentierte der Extrasinn die Überlegungen. Kannst du Schwachstellen entdecken? Durchaus, aber es wird die einzige Möglichkeit sein, die Versklavten zu retten. Wenn’s funktioniert, werden die Tekteronii total überrascht. Es muß funktionieren! Von Sinyagi kam lautlose Bestätigung. Ich drückte die Vorrangruftaste meiner Konsole. »Hangarsektion: Laßt die Frachttransmitter anlaufen! Auf Empfangsbereitschaft gehen, Justierungsdaten folgen… Rakina Kharoon?!« Die Kommandantin des Schlachtkreuzers OTIA und Chefin der Feuerfrauen des Gesamtverbandes meldete sich sofort über Hyperfunkstandleitung. »Ihre Befehle, Euer Erhabenheit?«
»Sämtliche Feuerfrauen der Staffel haben sich auf ein Ziel zu konzentrieren: Leitet die paramechanischen Transitions-Kräfte der Galeere im Moment der Konfrontation um und entmaterialisiert auf diese Weise die Versklavten! Sie müssen alle zum gleichen Moment aus dem Einflußbereich befreit, eine Übertragung ihrer Kräfte auf die Galeere muß verhindert werden! Kon, du und die anderen Gijahthrakos: Unterstützt die Zhy-Famii. Sinyagi und ich übernehmen die Koordination und ermitteln die exakten Justierungsdaten. Manolito – du schaltest unsere Transmitter!« Ringsum wurde zischend eingeatmet. Vergleichbares war bisher nie versucht worden. »Die Raumtruppen sollen die Hangars vorbereiten«, fuhr ich, innerlich vibrierend, fort. »Imperator an die Chefs von Naats und Dron: Abriegelung und volle Bewaffnung. Medizinische Abteilung: Notversorgung, sobald die Versklavten materialisieren… ARKON setzt die Schleichfahrt fort! Geschwadersammeltransition auf mein Zeichen!« Rakina Kharoons Abbild auf dem kleinen Kom-Monitor starrte mich mit geöffnetem Mund an. Straton begann laut grollend zu lachen. Ich fragte mit rauher Stimme: »Sie wissen, worauf es ankommt?« Sie neigte zögernd den Kopf und murmelte: »Ja, Euer Erhabenheit. Wir entführen die Galeerensklaven und berauben die Tekteronii somit ihres Hauptantriebs.« Der Plan fußte im Kern auf den bekannten Gesetzen hyperphysikalischer Transportvorgänge: Ob Teleporter, Transmitter oder Transitionsaggregat – in jedem Fall mußte zunächst ein Strukturfeld erstellt werden, das die Entmaterialisation vollzog. Hierbei handelte es sich um ein grundsätzlich ganzheitliches Phänomen, das den feldumschlossenen Bereich betraf und die Umsetzung von Materie in ihr hyperphysikalisches Äquivalent bewirkte. Die-
ses Strukturfeld bestand auch für die »Dauer« des quasi in Nullzeit vor sich gehenden Transportvorgangs und verhinderte, daß sich die entstofflichte Materiestruktur im Hyperraum verflüchtigte. Während nun beim Teleporter und Transitionsaggregat dem Strukturfeld selbst der hypermotorische Vektor aufmoduliert war, der durch exakt justierten Betrag und Richtung am so eindeutig festgelegten Zielort den Zusammenbruch des Feldes samt automatischer Rematerialisation zur Folge hatte, arbeiteten Transmitter gegenpolig: Der Sendeteil rief die Entstofflichung hervor und schickte das zu transportierende Objekt »auf die Reise«, während der Empfänger eine Art »Käscher« darstellte und die Wiederverstofflichung vorzunehmen hatte. Der häufig gewählte und durchaus anschauliche Vergleich mit der Übertragung eines Fernsehbildes in Form einer Punkt-Zeilen-Spalten-Abtastung im Sender und der entsprechenden Rekonstituierung im Empfänger war hierbei leider ebenso irreführend wie falsch, weil er den ganzheitlichen Aspekt des Phänomens unberücksichtigt ließ. Eine bessere Analogie war die eines Hologramms, das in jedem Einzelbereich, wenn auch unschärfer, stets die Gesamtinformation beinhaltete. Weil die Versklavten mit dem Strukturfeld-Konverter der Galeere paramechanisch verbunden waren und seine Wirkung steigerten, mußten sie Teil des Prozesses sein; ihre Hauptaufgabe war hierbei, das Riesengebilde und sich selbst ähnlich einem Transmitter-Sender zu entmaterialisieren und in den Hyperraum zu schleudern, während die Technik des Strukturfeld-Konverters vor allem für den Hyperraumtransport und die anschließende Wiederverstofflichung verantwortlich war. Durch Einpeilung auf die charakteristischen Muster des Entstofflichungsvorganges und deren paranormale Manipulation ließ sich somit nicht nur die
Transition der Galeere unterbinden, sondern auch die Versklavten befreien: Sofern die hyperenergetische Feldstruktur eines Transmitters für den Empfang exakt auf das Sendemuster eingestellt war, blieb es sich gleich, ob die Entmaterialisation durch ein Sendegerät, ein Transitionsaggregat, einen Teleporter oder die vereinten Parakräfte der Zhy-Famii erfolgte. Ich sagte rauh: »Richtig. An alle: Parallel zur Rettung der Sklaven folgt der Angriff. Wir dürfen ihnen keine Chance lassen, die Trägereinheiten einzusetzen. Sie müssen in einem Schlag mit der Galeere vernichtet werden! Konzentrierter Gravitationsbombeneinsatz! Positronik: Feinabstimmung und Berechnung der Parameter, Weiterleitung an alle Einheiten. Ausführung!« Gegen Gravitationsbomben gibt es keinen Schutz, dachte ich und bebte innerlich beim Gedanken an diese fürchterliche Waffe: Sie konnte festmateriell als normale Bombe per Feldkatapultmörser abgeschossen, als Gefechtskopf von Raumtorpedos und Marschflugkörpern oder als direkt projizierte hyperenergetische Spiralbahn eingesetzt werden. Die Wirkung war in jedem Fall die gleiche: Sämtliche konventionelle Materie – Masse wie Energie –wurde vom Strukturfeld, dessen nur annähernd zu bestimmende Intensität einen unkontrollierten Aufriß erzeugte, in den Hyperraum geschleudert. Starke fünfdimensionale Stoßwellenfronten waren als Sekundärwirkung gefürchtet, und es gab Streustrahlungen, auf die hyperaktive Kristalle mitunter äußerst empfindlich reagierten und zerfielen. Als Mindestkampfdistanz galten deshalb fünf Lichtsekunden – je mehr, desto weniger war das eigene Schiff gefährdet. Nur mit diesen Bomben habt ihr den Überraschungseffekt auf eurer Seite, sagte der Logiksektor kalt. Du kennst die Regeln Ghotors ganz genau: Wenn es schon zum Kampf kommt, heißt es
zuschlagen, mit allen Mitteln! Der Feind darf keine Gelegenheit bekommen, deinen Truppen unnötige Verluste zu bereiten! Straton lachte immer noch; es klang absolut humorlos. Der Plan schien allerdings ganz nach dem Geschmack des alten Dron zu sein. »Entführung der Transitions-Leistungsträger und Frontalangriff«, sagte er laut. »Das gehört in die Annalen des Flottenzentralkommandos! So verrückt kann vermutlich nur ein Altarkonide sein – oder ein Mensch! In deinem Fall wohl dasselbe, Atlan. Wie wär’s mit der Umschreibung Gonozal-Schlag?« Während die ARKON der Galeere entgegenraste, versuchte ich das bedrückende Gefühl zu analysieren, das meinen Magen in einen harten Klumpen verwandelte. Insbesondere dachte ich an die sonderbaren Stachelkugeln und möglicherweise vorhandene Götzen Xanthyn Ol’dans; Unwägbarkeiten, die den Plan negativ beeinflussen konnten. »Die Anführer der Tekteronii: eine entfernt an Riesenraupen erinnernde Lebensform«, flüsterte ich. »Sie können Segmente ihrer Leiber abtrennen, die als Pararelais an vielen Orten gleichzeitig agieren. Die Suggestivstrahlung der Götzen verleiht den Tempelanlagen ihre besondere Macht… Verflucht, es wird eng!« Nach 130 Minuten waren sämtliche Vorbereitungen abgeschlossen: Die Distanz zur Galeere verkürzte sich in jeder Sekunde um rund fünf Billionen Kilometer etwa ein halbes Lichtjahr. »Galeere setzt ihren Sublichtflug fort… Achtung, BaahmyRaumer, Typ Zerstörer, lösen sich, geben der Galeere Geleitschutz. Es sind… Moment, annähernd einhundert Feindschiffe!« Die Monitorenkette meiner Konsole zeigte die Ruheräume der Feuerfrauen; Goldleuchten entstand in den Zentren der
Meditationskreise. Die geistigen Kräfte griffen nach der Galeere und stimmten sich auf die artverwandten Ströme der Versklavten ein. In der letzten Minute verringerte sich die Intermitter-Frequenz: 1000 Transitionen je Sekunde… 500… 100… Schließlich erklangen Meldungen in rascher Folge: »Entfernung hundert Milliarden, rasch schrumpfend.« – »Einpeilung beendet. Zugriff mit letzter Transition.« – »Gravitationsbomben einsatzbereit!« – »Geschwader transitionsbereit…« Die Verbindung zur Großen Feuermutter festigte sich, ich war Teil des Parablocks aus Zhy-Famii und Gijahthrakos, registrierte die Peildaten und gab sie an Speedy weiter. Glühen entstand in den Käfigen, die für Großfracht ausgelegt waren, und verdichtete sich zum schwarzen Wallen des Transmitterfeldes. »Achtung, weitere Zerstörer docken ab! Galeerenschutzfeld spannt hoch… Ihr Strukturkonverter läuft an… Letzte Transition! Zugriff! Und -erfolgreich! Die Galeere kommt ins Trudeln… « Ich rief: »Geschwadertransition und GB: Feuer frei!« »Treffer!« gellte der Ruf durch die Zentrale. Für Sekunden war eine einwandfreie Rundumerfassung unmöglich; das Prasseln der Gefügeorter kündete von gewaltigen Transitionseffekten – rematerialisierende Geschwadereinheiten und die Wirkung der Gravitationsbomben schaukelten sich gegenseitig auf. Die Ortungssimulation sprach für sich: Tiefschwarz, von blutig roten Schlieren umgeben, gähnte die Aufrißfront mitten in der langgestreckten Gitterkonstruktion. Ohne Zeitverlust entstanden weitere Aufrisse und berührten mit ihren Ausläufern die Galeere. Explosionen erschütterten das riesige Gebilde. Metalltrümmer trudelten, von feurigen Zungen umleckt, in die Schwärze davon. Einige der sonderbaren Stachelkugeln, die zwischen
Gerüststreben verankert waren, lösten sich von der Galeere. Entlang spitzer Ausleger flimmerte es grell. Die Galeere zerfiel in zwei Teile und verschwand im klaffenden Spalt. Mit Verzögerung erschien auf der optischen Normaldarstellung der umlaufenden Holoprojektion das Licht der künstlichen Sonne, die nur langsam verblaßte. Es kam kein Jubel auf, obwohl wir den Tekteronii einen vernichtenden Schlag versetzt hatten. Kupfriger Geschmack ließ mich einen Augenblick fast würgen, als ich erschüttert an die vielen tausend Lebewesen dachte, die mit der Galeere und den von ihr transportierten Schiffen den Tod gefunden hatten. Wir leben in einer verfluchten Zeit! Kein falsches Mitleid! zischte der Logiksektor eisig. Die Tekteronii kennen gegenüber Tek’gools auch keine Skrupel! Noch habt ihr nicht gewonnen! Die Geschwadereinheiten stürzten sich, ergänzt um Jäger und Ultraleichtkreuzer der Trägerbewaffnung, auf BaahmyRaumer und belegten sie mit GravitationsbombenSperrteppichen. Die Zerstörer, Kugeln mit an den Polen angesetzten Spitzkegeln, versuchten, die sie umschwirrenden Kleinraumer zu ignorieren, und griffen das Geschwader an. Das All begann zu glühen, Gefügeerschütterungen ständiger Transitionen ließen Strukturtaster knattern. Megabomben detonierten, freigesetzte Gewalten von Kleinsonnen eruptierten nach allen Seiten. Während die hyperaktiven Orter den Ausbruch ohne zeitliche Verzögerung registrierten, dauerte es normaloptisch Sekunden, bis die einfach lichtschnellen Signale die Distanz überbrückt hatten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Blendsicherungen der Holoprojektion aktiviert, und ein Bruchteil der Lichtflut ergoß sich in die Kommandozentrale der ARKON. »Das war ziemlich nahe«, rief jemand. »Verfluchte Mörser.« »Treffer!«
In einer überaus hellen Leuchterscheinung wurde die feste Materie eines Baahmy-Zerstörers aufgelöst und Teil des Hyperraums. Nun zeigte sich die Wendigkeit der Einmannjäger, die in Schwärmen um die Feindschiffe schwirrten und immer wieder Bombenwürfe abgeben konnten. Gegen die rot umlohten Risse gab es keine Abwehr; sogar hochwertige Schutzschirme verwehten, mit unwiderstehlicher Kraft in die schwarzen Kernzonen gerissen. Die Feindraumer, stark armiert und leistungsfähig, stoben auseinander. Bizarre Manöverbewegungen, bestehend aus Transition und Sublicht-Flugphasen, machten eine einwandfreie Zielerfassung nahezu unmöglich. Trotz hyperaktiver Tasteranalyse blieb die Waffenausrichtung teilmechanisch und benötige Zeit, so daß, auch bei guter Vorhaltewinkel-Berechnung, jede AusweichTransition Schüsse ins Leere fahren ließ. Auseinandersetzungen im freien Weltraum waren keine Luft-Luft-Kämpfe und hatten wenig mit Gefechtsbedingungen planetarischen Rahmens gemeinsam: Die dreidimensionale Beweglichkeit, ergänzt um das Rochieren der Transitions-Kurzsprünge und relativistische Effekte beim Hochgeschwindigkeitsflug, erzwang taktisch-strategische Konzepte ganz anderer Art. Zu berücksichtigen waren vor allem die Wirkungsreichweite der Waffen und die Defensivfunktion von Semi-Transition und Schutzfeldern. Kämpfe sind deshalb zumeist auf Sonnensysteme und Planeten – die eigentlichen Ziele – konzentriert. Von den Polkegeln ergossen sich schimmernde Lichtfluten der auf Vollast laufenden Impulstriebwerke grellviolett in den Raum: Mit allem was sie hatten, schossen die Tekteronii Sperrfeuer. Um alle Raumachsen rollend, wichen die Jäger aus und brachten ausreichend Sicherheitsabstand zwischen sich und die Zerstörer. Ihr Vorteil war die Winzigkeit. »Wenn ich bloß wüßte, was die Stachelkugeln zu bedeuten
haben«, knurrte ich und musterte die Gebilde, von denen nur wenige direkt mit der Galeere vernichtet worden waren. Das Leuchten entlang der Ausleger hatte sich intensiviert, ansonsten griffen die riesigen Gebilde nicht in die Auseinandersetzung ein. Eine Kette sonnengleicher Glutbälle dehnte sich aus und umhüllte sie. Hitze, die einem Sonnenkern entsprach, vergaste alle Materie im weiten Umkreis und ließ ionisierte Atomrümpfe zurück. Durch weitere Gravitationsbomben zerfetzten alle Stachelkugeln, und die Baahmys begannen mit einem selbstmörderischen Angriffsflug. Zum Glück besaßen die Tekteronii keine dem Wabenschirm vergleichbare Defensivwaffe: Zwei Schiffe explodierten, von Schlachtkreuzern getroffen, die anderen schossen sich allerdings auf uns ein. Schon nach kurzer Zeit befand sich die ARKON mitten im Gefecht. In diesem Moment geschah das Unglaubliche. Ich bemerkte, nach einem Hinweis Sinyagis, rasche Änderungen der Schirmfeldkontrollwerte als erster. Zunächst waren es einzelne Parameter gewesen, unbedeutende Schwankungen, mehrere Stellen hinter dem Komma. Doch der Vorgang schritt progressiv fort, erreichte exponentielle Ausmaße. Mindestens fünfzehn Projektoreinheiten waren betroffen… »Ausweichmanöver!« brüllte ich. »Not-Transition!« Das Tosen der Impulstriebwerke steigerte sich zum Inferno, als Schubumlenkfelder neu ausgerichtet wurden. Trotz Vollschub-Änderung des Bewegungsvektors war das Ergebnis zunächst gleich Null: Relativistische Fahrtstufen machten bei Ausweichkurven Radien von vielen zehn Millionen Kilometern erforderlich. Viele Dinge, die nahezu gleichzeitig passieren: Schlachtschiffe nehmen fünf Zerstörer unter Gravitationsbomben-Beschuß.
Kritischer Leistungsabfall der Abschirmwerte bei der ARKON. Das Schutzfeld wird löchrig. Zusammenbruch droht. Waffenstrahlen rasen heran. Obwohl die Hauptwirkung absorbiert wird, bahnen sich Ausläufer durch Lücken. Die Tekteronii detonieren, von Schlachtschiffen getroffen. Wellenfronten eines molekülauflösenden Desintegratorstrahls tangieren den Ringwulst und zerstäuben Metall. Im selben Augenblick greift die Transition und versetzt die ARKON um hundert Millionen Kilometer. Automatische Notabschaltung der Maschinen benachbarter Sektoren. Schadensmeldungen laufen ein. Keine Verluste unter der Besatzung, erstes Aufatmen. Was ist geschehen? Eine neue Waffe der Tekteronii? Nein. Der Ausfall der Projektoren kam von innen… »… kostet dieser Kasten unglaubliche vierzig Milliarden Chronners unter Berücksichtigung niedrigster Rohstoffpreise und bestmöglicher Fertigungsrationalisierung durch vollrobotische Bandstraßen und Zubringerwerke auf Arkon Drei. Und dann das!« Straton Zaghyt war außer sich und tobte lautstark. »Die Angelegenheit als Pfusch zu bezeichnen ist das mindeste.« Alle in der Zentrale starrten auf die Überspielung des Beiboots, das an der Außenhaut vorbeiglitt. Der Desintegrator hatte auf dreißig Meter Breite den Wulstringausleger wegrasiert und in puderigen Atomstaub verwandelt. Eine Impulsdüse dieses Abschnitts samt ihren Direktstrahlmeilern und Nebenaggregaten war ebenso verschwunden wie die Wulstverkleidung. Das Beiboot schwebte nahe der Beschädigung und zeigte die Schichtbauweise doppelwandiger Arkonstahlpanzerung mit eingelagerten Isolationsstaffelungen, verstärkenden Innenskelettstrukturen und scharf abgetrennten Kabel-, Rohr- und Leitungsenden. »Der Gefechts-Verschlußzustand hat größere Evakuierungen benachbarter Sektoren samt der explosiven Dekompression
verhindert.« Der Leiter der Technik faßte die Ergebnisse zusammen: »Positronische Schnellstillegung unterband Nachfolgedetonationen und Sekundärschäden. Es ist als glücklicher Zufall zu bezeichnen, daß kein Besatzungsmitglied Schaden nahm!« Ich winkte matt ab. Die Schäden der ARKON waren vergleichsweise harmlos, aber 267 Einmannjäger hatten die Schlacht nicht überstanden. Die Tekteronii waren, zu einem hohen Preis, besiegt worden. »Die Berichte schockieren«, murmelte ich betroffen. »Insgesamt 28.956 Personen haben ihr Leben verloren. Nicht mal die 5000 Galeerensklaven konnten wir wirklich retten: Irgend etwas hat ihre Gehirne zerstört und völlig ausgebrannt – genau wie bei den Attentätern in den Geschichtshallen!« Eine halbe Stunde nach der Außenbegutachtung stand ich beim Technikerteam, das mit Rafons Swoons die defekten Schutzfeldprojektoren untersuchte. »Minderwertiges Material. Es gibt keinen Zweifel.« Manolito ächzte erbost und deutete auf matte KristallKammerauskleidungen des Projektors. »Die hyperaktiven Strukturen sind verschwunden, der Rest zu normaler Materie degeneriert und ausgefroren. Die Masseanalyse weist das Mineral als solches mit hohem Bleianteil aus. Das deutet auf gezielte Verunreinigungen hin, Atlan, um nicht zu sagen auf Sabotage! Jemand hat Hyperkristalle mit gewöhnlichem Blei gestreckt. Unter Belastung reicht’s nur für wenige Monate.« Das walzenförmige Gerät wies radial vom Schiffsmittelpunkt fort. Je drei Blöcke ergaben eine in sich redundante Projektoreinheit. Swoons entfernten einen Teil der Außenverkleidungen und legten dünne Ringlamellen frei. Der Hyperphysiker betrachtete Symbolketten seiner Prüfgeräte und sagte halblaut: »Ausrichtung multifrequenter
Hyperemissionen ausgefallen, Feldsektorprojektion ebenfalls… Keine klaren Rechteckimpulse mehr… vielfältige Interferenzen…« Ich beugte mich über den geöffneten Block. Grau verfärbt und matt war das degenerierte Schwingquarzmaterial. Ich erinnerte mich an die Iprasa-Akademie; die Stimme eines Ausbilders wehte durch meine Gedanken: »Jeder Projektor ist für die Erstellung eines wabenförmigen Schutzfeldsektors verantwortlich, der, mit anderen überlappt, die insgesamt kugelige Sphäre ergibt. Eine in Reichweite und Intensität begrenzte Hintergrundstrahlung bewirkt die Veränderung der geometrodynamischen Feldstruktur des konventionellen Universums, wodurch eine Art Projektionsfläche entsteht, auf der die eigentlichen Projektoremissionen abgebildet werden.« Im schulmeisternden Ton wandte sich Manolito an mich: »Kernstück des Projektors sind Hyperkristalle in spezifischer Anordnung, die nur eingeschränkt normaler Materie zugerechnet werden können und…« »Zur Sache, Speedy!« Ich unterbrach ungeduldig die Ausführungen und erntete einen vorwurfsvollen Blick. Im Hintergrund tuschelten die Swoons aufgeregt. »Hyperaktive Muster gibt es in konventioneller Materie, genau wie Deuterium-Isotope überall im Wasserstoff zu finden sind…« »Professor Almeda!« unterbrach ich abermals, doch er sprach unbeirrt weiter: »Hyperkristallen ist gemeinsam, daß es sich um Minerale auf Quarzbasis handelt, also stabil kristallisiertes Siliziumdioxid. Wichtig für uns sind die Einschlüsse von hyperenergetischer Natur, welche in ihrer pseudomateriellen Struktur mehr oder weniger Stofflichkeit erlangt haben. Weil chemische und physikalische Messungen stets zu stark schwankenden Ergebnissen führten – die Bandbreite des festgestellten Atomgewichts pendelt beispielsweise willkürlich zwischen Null und
tausendvierundzwanzig – und sich die Einschlüsse nicht ins Periodische System der Elemente einordnen lassen, definierten die praktisch orientierten Arkoniden diese Hyperelemente als sogenannte hyperenergetisch-pseudomaterielle Konzentrationskerne. Weiterhin gibt es eine Klassifikation über die Effektivität des nutzbaren Hyperpotentials an Hand der Farbvarietät: Violette Criipas erweisen sich als am effektivsten, gefolgt von blauen Mivelum und grünen Skabol. Gelbe Losol rufen nur katalytische Effekte hervor, während rote Khalumvatt ihre Hyperwirkung schon nach kurzer Verwendung verlieren. Im Gegensatz dazu lassen sich weißliche oder bergkristallklare Kyasoo-Mischformen multifunktionell einsetzen. Wir haben es mit Kyasoo zu tun. Bei ihnen liegt normalerweise das Verhältnis Hyperelement zu konventionellem Quarz zwischen einem und zehn Prozent. Ist die Hyperwirkung verbraucht, bleibt nur konventionelle Materie zurück – wie in unserem Fall.« »Der Einbau minderwertiger Kristalle muß doch auffallen!« »Nur bei genauer Analyse der Kristalle, nicht bei vordergründig funktionstüchtigen Geräten. Einmal hergestellte Geräte werden auf einwandfreie Gesamtfunktion geprüft, was aber nichts über die Kristallqualität sagt. Die Wirkung minderwertiger Kristalle ist zeitlich limitiert. Mit anderen Worten: Ausreichend gestreckt sind sie die Möglichkeit zur Sabotage!« Mir wurde heiß und kalt zugleich. An Bord eines Raumschiffes gab es kaum ein Aggregat, das keine Hyperkristalle enthielt. »Welche Geräte sind betroffen, Speedy?« »Die Gesamtanalyse läuft noch. Offensichtlich betrifft es in erster Linie Abwehrfeldprojektoren des Wabenschirms. Durchaus logisch, weil größtmöglicher Effekt bei minimalem Aufwand. Ohne Schutzschirme sind Raumschiffe über kurz
oder lang verloren!« Mit dem Strecken ist ein weiterer Effekt verbunden, wisperte mein Extrasinn. Natürlich! Beim Teilverbrauch einer gegebenen Ausgangsmenge zur Gerätebestückung läßt sich der verbleibende Rest abzweigen – für Eigenbedarf oder Schwarzmarkt. Oder für weitere Geräte! Statt zum Beispiel 1000 lassen sich dann 1500 herstellen – und der Gewinn maximieren. Das wären demnach mehrere Möglichkeiten, die zur Auswahl stehen: gezielte Sabotage, Eigenbedarf oder pures Profitstreben. Richtig. Das Ergebnis bleibt sich gleich. Ich fragte: »Läßt sich sagen, woher die Geräte stammen? Wer hat sie gebaut? Woher kommen die Kristalle?« »Dazu reichen unsere Mittel nicht, Atlan. Wir haben zwar die Erzeugnis- und Seriennummern, aber ob sich über Zwischenhändler bis zum Hersteller alle lückenlos ermitteln lassen…? Grundsätzlich möchte ich es nicht ausschließen; die Pedanterie des Robotregenten ist ja sprichwörtlich. Frag die Riesenpositronik – sie weiß bestimmt eine Antwort!« »Wunderbar!« Ich krächzte sarkastisch und entschloß mich, nie wieder über die Imperiums-Bürokratie zu lästern, jedenfalls nicht zu laut. Kontaclatiis drückte die breite Taste und sah die Druckschotthälften auseinandergleiten. Licht flammte im kurzen Andocktunnel auf. Der Gijahthrako schwang zur ARKI-1 hinüber und bettete sich ins wolkengleiche Kraftfeld, das im Einmannjäger den Pilotensessel ersetzte. Spitzkegelig ragten von oben und unten hyperkristalline Säulenausläufer, deren Berührungspunkt als kopfgroße Verdickung violett funkelte, von den Polkalotten in den scheibenförmigen Hohlraum. »Grundcheck eingeleitet.« Kon konzentrierte sich. Seine
Paraströme verschmolzen mit den Kristallen, und automatisch wechselte das Wahrnehmungsspektrum; er »sah« die Umgebung des Jägers, der in die Andockvertiefung einbettet war, rechts und links von weiteren 3-Meter-Kugeln flankiert. »ARK-I-1 startbereit«, sagte Kon, nachdem er die Verbindung zur Zentrale hergestellt hatte; ein einfacher, gedanklich formulierter Befehl reichte hierzu. »Starterlaubnis erteilt. Countdown läuft.« »Verstanden.« In der Kristallballung, im exakten Mittelpunkt des Kugeljägers angeordnet, entstand die punktförmige Wirkungszone des Transitions-Aggregats. Instabilvirtuelle Quintronen strahlten aus und konnten von den Polkalotten, nach kontrollierter Umformung, als verschiedenste Wirkungen emittiert werden. »Achtung: T-minus zehn Sekunden… fünf, vier, drei…« »Quantengleichrichtung und Fokussierung einwandfrei!« meldete die Positronik des Jägers. Bei null raste die Kugel aus der Docknut hervor und wurde sofort von der Schutzsphäre eingehüllt, deren zartes Leuchten vom stetigen Auftreffen der Mikromaterie zeugte. Kon programmierte den Flug und leitete die intermittierenden Sprünge ein. »Ich will wissen, ob ich mich getäuscht habe!« knurrte er. Hinter ihm versank die ARKON. Kon war sich, nach Auswertung der Beobachtungen seiner Altgenossen, sicher, daß die Vernichtung der Galeere nicht vollständig gelungen war. Irgend etwas hatte den Gravitationsbomben-Wurf überstanden, doch dem Gijahthrako fehlten, von wirren Meßwerten und Parawahrnehmungen abgesehen, klare Beweise. »Annäherung an Zielkoordinaten in zwei Minuten. Alle Orter und Taster höchste Leistung!« flüsterte die Positronik. Kon öffnete sein Bewußtsein weit, um die Paraströme
aufzunehmen. Als ausgedehnte Ionisationswolke, nur wenig dichter als das Vakuum des übrigen Weltalls, wurden Reste der Galeere angemessen. Atomkerne und freie Elektronen quirlten durcheinander, bildeten ein immer noch heißes Plasma. »Hhm… Bisher normale Erscheinungen eines Gravitationsbomben-Wurfes«, sagte er brummig. »Jetzt das Hyperspektrum!« Die übergeordneten Emissionen zeigten auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches. Vereinzelt zuckten, als Nachwirkung des Aufrisses, Entladungen und Blitze durch die Plasmawolke. Hyperenergetische Quantenschauer degenerierten rasch und bildeten Kaskaden kurzlebiger Elementarteilchen, die ihrerseits, kaum entstanden, sofort weiter zerstrahlten. Aber es gab auch andere Hyperemissio-nen. Meist wurden sie von vordergründigeren Kräften überdeckt. Ein lautloses Wimmern schien über dem Schauplatz der vernichteten Galeere zu schweben. »Ein Bewußtseins-Restfeld?« Einmal erkannt, war das Phänomen nicht länger zu ignorieren. »Ich hatte recht: Etwas hat die Vernichtung überstanden.« Kristallstrukturen seines wahren Körpers rechneten unterdessen Simulationen durch und projizierten die Ergebnisse in Kons Bewußtsein. Am Rand der rötlich hervorgehobenen Plasmawolke formten sich Schlieren, die nach weiteren Auswertungsdurchläufen schärfere Konturen gewannen. Was sich dort draußen befand, war nicht Realbestandteil des Universums, und doch schien es um eine Manifestation bemüht zu sein. »Unglaublich!« Der Gijahthrako keuchte, nachdem die Analyse beendet war. Deutlich erkannte er riesige Kugelkörper mit langen Stacheln als transparente Formen. »Da ist Bewußtsein… Wahres Sein! Es drängt danach, in unserer Welt zu materialisieren. Sogar die Gravitationsbombe konnte
es nicht vernichten.« Weitere Wahrnehmungen vervollständigten das Bild: Zarten Fasern vergleichbar griffen pulsierende Ausleger durch den Hyperraum und fanden an anderem Ort im Standarduniversum einen Gegenpol. Erneut liefen im Gijahthrako Rechnerprozesse an, bestimmten in kürzester Zeit die Koordinaten. Etwa 660 Lichtjahre entfernt! Weitere Stachelkugeln? Das müssen wir untersuchen – Aufklärer hinschicken… »Leistungsabfall«, warnte die Positronik. »Wir werden angezapft!« Um die Querachse rollend, ging die Kugel in Ausweichkurs und entfernte sich mit sprühenden Polkalotten. Kon reagierte instinktiv und programmierte den Rückflug, während bei den Stachelkugeln das Flirren einer beginnenden Materialisation entstand. Ohne weitere Kraftzufuhr von außen würde der Prozeß lange dauern, aber er war eingeleitet und damit eine Sensation: eine Lebensform, die nach Gravitationsbomben-Wurf materielle Gestalt zurückgewinnen kann! »Das wird etlichen Leute eine unruhige Zeit bescheren, denke ich«, knurrte der Gijahthrako. »Wer weiß, welche Besonderheiten dieses Fremde noch aufweist?« Auf Arkon III wurden unterdessen Auswertungsprogramme der Riesenpositronik mit Daten beschickt: Jedes Raumschiff, aus Milliarden Einzelteilen zusammengesetzt, beanspruchte die Speicherkapazität eines mittleren Kristallchips, um die mit der Konstruktion verbundenen Fakten komplett zu erfassen. Hunderttausende Raumschiffe gab es im Imperium. Hinzu kamen Bauort und Werftbezeichnung, Transportlisten, Zwischenhändler, Hersteller, Herstellungsdatum und -ort der Einzelteile, Frachtwege, Rohstofflieferanten und Herkunftsort. Die Datenfülle beanspruchte einen Großteil Kapazität der Positronik, immer wieder mußten neue Informationen
angefordert werden.
15. Hemmar Ta-Khalloup: Jahre der Krise, Betrachtungen zu dem beginnenden 20. Jahrtausend (Entwurf); Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.017 da Ark Konflikte lassen sich auf vielfältige Weise lösen, und es ist stets eine Frage der Beteiligten, inwieweit es zur Eskalation kommt. Dem Recht auf Notwehr entsprechend, stellt sich hierbei natürlich die Frage nach der zur Anwendung kommenden Gewalt, sei sie psychischer oder physischer Natur. Im Bestreben um eine grundsätzliche Vermeidung darf nicht übersehen werden, daß sie in vielen Situationen die letzte Alternative einer Reaktion ist. Daß Gewalt erneute Gewalt erzeugt, ist eine unmißverständliche Lektion planetarischer wie galaktischer Geschichte. Zum Zirkelschluß führt allerdings außer Kontrolle geratene Gewalt, die in ihrem dumpfen Wiederholungen erschüttert und demoralisiert. Absolut tödlich ist dieser Kreislauf stets für die Unschuldigen, die in der gewaltsamen Beantwortung des ihnen zugefügten Unrechts ihrerseits schuldig werden. Prozesse dieser Art setzen sich fort, bis entweder die Vernichtung aller erreicht ist oder die Vernunft gesiegt hat. Daß letzteres keine zwangsläufige Entwicklung sein muß, sondern eher die Ausnahme darstellt, beweist die unübersehbare Ansammlung ausgeglühter Schlackekugeln, die vormals bewohnte Lebensinseln in der Weite des Weltalls waren. An Bord der ARKON II: 14. Prago der Coroma (= 6. Dezember 2047 Terra-Standard) … entstammen die Projektoren der Produktionsserie OZ-ll-518-
EA-KO. Ich las zum drittenmal die Zeilen. Die ARKON und weitere 359 neue Superschlachtschiffe wurden damit bestückt. Im Einsatz befindliche Raumschiffe werden zurückbeordert, die Ausfallrate ist noch nicht verifizierbar. Herkunftsort der Produktionsserie ist Kolafton VI, dessen Raumsektor seit Tagen der Beobachtung durch die Große Feuermutter wegen starker Hyperinterferenzen entzogen ist. Gouverneur Jahaq Garr hat kein Alibi für die Zeit der Gillam-Aktion! Die Verwicklung des KolaftonSystems in die Kristall-Affäre zurrt das Netz enger, obwohl es – noch – Indizien bleiben. Infiltrationen imperiumsfremder Spezies können nicht ausgeschlossen werden. Arkon III, Großpositronik via Flottenzentralkommando; gezeichnet, kodiert, Dienstsiegel. »Eure Anfrage ist, unter Bewältigung riesiger Datenmengen, von der leistungsfähigen Positronik ausgewertet worden, Euer Erhabenheit«, teilte das Therborer-Kollektiv steif mit; über Relaisstationen stand die Hyperfunkverbindung nach Arkon. »Unzählige Punkte, die Manipulationen zulassen«, sagte ich bitter. »Alle waren zu überprüfen! Ein wirklich schlüssiges Gesamtbild ergibt sich nur dann, wenn eine lückenlose Speicherkette vorhanden ist, bis in die Einzelheiten akribisch genau.« »Exakt: Mehr als 10-hoch-16 Einzeldaten wurden in kürzester Zeit kombiniert und analysiert. Von Kolafton Sechs stammen zwar die schadhaften Projektoren«, zirpte es aus den Lebenstanks, »aber es ist weiterhin unklar, ob das für die Kristalle gleichfalls gilt. Diesbezüglich kommen acht weitere Sonnensysteme in Frage.« Mascant Tokoontlameer schaltete sich ein, neben ihm war Sonnenträger Eldho-Anan im Holo zu erkennen. »Ein Bild zeichnet sich ab, Euer Erhabenheit«, sagte er leise. »Der Zweitund Drittdurchlauf der Analyse weist gleichfalls auf Kolafton Sechs und den dortigen Tato.« »Zweifel hundertprozentig ausgeschlossen?«
»Leider nicht.« Stand der auf Gillam IV aus dem Tekteron-Tempel geflüchtete Andooz tatsächlich mit dem Mordanschlag in den Hallen der Geschichte in Verbindung? Wenn er ein TekteronAnhänger war, weshalb hatte seine erste Überprüfung kein Ergebnis gebracht? In Gedanken fluchte ich – zu viele Fragen blieben unbeantwortet. »Die in den Geschichtshallen Umgekommenen waren manipulierte Attentäter.« Tokoon hob die Schultern und verzog das Gesicht. »Statt sie zu aktivieren, hat der Fremdeinfluß sie getötet, als er in Wechselwirkung mit Eurem Zellaktivator trat. Vergleichbares habt Ihr bei den Galeerensklaven erlebt. Zweimal war ein Andooz involviert, dessen Beschreibung mit der Garrs übereinstimmt. Das sind die Fakten. Als Indizienkette brauchbar, kein Beweis.« Meldungen, Auswertungen, Nachrichten und Gerüchte schwirrten durch meinen Kopf. Anschlag in den Geschichtshallen, Kristall-Affäre, vermutete Aktivitäten der Tekteronii und die Stachelkugeln verbinden sich zu einer Krise. Ihr Ausmaß ist nicht abzusehen. Zwei Namen brannten in mir und erfüllten mich mit Wut, seit ich die Informationen kannte: Xanthyn Ol’dan und Jahaq Garr. Tausende Tote gehen schon jetzt auf ihr Konto, verflucht! »Frage«, knurrte ich. »Besteht ein Zusammenhang zwischen den Stachelkugeln und der aufzuklärenden Kristall-Affäre?« »Eigentlich nicht«, sagte Tokoon. »Die Stachelobjekte haben direkt nichts mit dem Projektorausfall zu tun. Aber: Die Tekteronii drängen ins Imperium. Auch Zhygor ist eines ihrer Ziele: Gemeinsam mit Archivar Hemmar gelang mir die Entschlüsselung eines weiteren, leider nur kurzen Textblocks der Kariope-Dateien – es ist vom Raub der Sternjuwelen die Rede, der vor langer Zeit mit dem Untergang der Cyen-Dynastie verbunden wurde. Ein unvergleichlicher Feuerschlag soll
zuvor im Großen Galaktischen Krieg die Zentralfestung Mooshar samt den Sternjuwelen unkontrolliert durchs All getrieben haben… Mooshar könnte mit dem auf Zhygor abgestürzten Planetoiden identisch sein, Euer Erhabenheit! Die große Frage ist, ob überhaupt und wenn ja wie die heutigen Cyen mit den geschilderten Ereignissen in Verbindung stehen. Die Stachelkugeln an sich jedenfalls gehen eindeutig auf Aras zurück…« Ich zuckte zusammen, dachte an meine »Visionen«. Mooshar. Sternjuwelen. Kristalle, die eigentlich ein Dreieck bilden sollen, aber einer fehlt… Zhygor, Schnittpunkt der Dimensionen und kosmischen Entwicklungen! »Und vieles deutet auf eine längere Aktion hin.« Ich nickte beunruhigt, erinnerte mich an Tiffs Bericht. Umformung des Vasghad-Fürstentums zum TekteronBund, Ausbreitungsbeginn der Reinen Lehre und der Einstieg der Aras ins Projekt Stachelkugel lagen zeitlich eng beieinander. »Welche Aufgabe haben die Stachelkugeln?« »Wir wissen nur von Kontaclatiis, daß sogar die durch Gravitationsbomben Vernichteten hochgradig paraaktiv sind.« Der Mascant runzelte die Stirn. »Berücksichtigen wir das Geheimprogramm der Tekteron-Aras, sagt etwas in mir, daß dieses Schaumartige, von dem Tombe Gmuna und die Mutanten berichteten, etwas damit zu tun haben könnte…« Ich kniff die Augen zusammen. »Und wieder der Andooz. Das bringt mich zu Punkt zwei, Tokoon: Wir. erfahren, daß sich etwas Merkwürdiges im Sektor Kolafton tut. Keine Paraeinsicht Sinyagis in ein Gebiet, das ausgerechnet der Herkunftsort der sabotierten Projektoren ist.« »Meiner Ansicht nach deutet die Parablockade auf eine oder gar mehrere Stachelkugeln hin…«, sagte er bedächtig. »Oder auf dieses Schaumartige.« »Massiv zuschlagen!« trillerte der Elloanty dazwischen. »Die Indizien reichen völlig aus. Wir dürfen nicht warten, bis die
Tekteronii handeln und wir aufs Reagieren beschränkt sind!« Ich musterte die Monitoranzeige mit den Daten des Kolafton-Systems. »Deine Argumentation, Sonnenträger, hat einiges für sich. Trotzdem will ich weitere Informationen. Mit hartem Kurs allein ist es nicht getan.« Eldho-Anan sagte ärgerlich: »Wenn’s zu spät ist, nützt uns vielleicht nicht mal mehr harter Kurs, Euer Erhabenheit! Wir müssen jetzt handeln! Was empfiehlt die Große Feuermutter?« »Plädiert – wie ich – für weitere Informationen!« Der Extrasinn flüsterte: Oft ist das Naheliegende auch die Lösung. Für sich genommen, bieten weder Stachelkugeln noch Projektorausfall einen Ansatz. Erst in der Kombination beider Ereignisse ergibt sich der Schnittpunkt! So lautet die allgemeine Vermutung. Die Gesamtaktion der Tekteronii steht vielleicht kurz vor dem Abschluß! Wer weiß, wie viele Galeeren unseren Raumpatrouillen entgingen? Jahaq Garr – ist er jener Andooz, den ich in der Tempelkaverne von Gillam IV für einen Augenblick gesehen habe? Verflucht! Ich bin mir weiterhin nicht sicher. Ich stand auf. Es war ein Andooz, klar. Aber schon die Überprüfung durch Janas Undercoverteam nach dem Attentat hat nichts ergeben! Wir brauchen Beweise, mit Vermutungen ist es nicht getan… Vielleicht bringt euch Kons Hinweis weiter?! antwortete der Logiksektor. Die Aufklärer durchsuchen bei den angegebenen Koordinaten einen Sektor von fünf Lichtjahren Durchmesser. Warte die Ergebnisse ab. Mir bleibt kaum etwas anderes übrig. Zhygor, Kristalltempel von Tatalal: 14. Prago der Coroma (= 6. Dezember 2047 Terra-Standard) Tatjana Michalowna saß, die Beine untergeschlagen, den
Rücken gerade, im Heiligtumhof. Ihre halb geschlossenen Augen sahen zwar das prächtige Monolithjuwel, aber sie nahm das Funkeln nicht wirklich wahr. Die Gedanken der Frau waren bei dem Mann, den sie gewählt hatte, ihr Bewußtsein war über die Grenzen der materiellen Ego-Form ausgedehnt. Eine neue Wahrnehmungsebene öffnete sich. Leuchtende Farben, angenehm hell und eine tiefe Ruhe vermittelnd, bestimmten den Eindruck; sphärisches Klingen war Teil dieser Landschaft. Tatjana war nicht erstaunt, als sie das paraverbale Signal vernahm; das kollektive Raunen der Großen Feuermutter war Teil der Umgebung, seit zwanzig Zhy-Famii auch auf Zhygor in Stasis lagen und in den Bewußtseinsverbund integriert waren. »Wir benötigen die Hilfe der Augen des Imperators!« »Ein Auftrag, Sinyagi?« »Ja. Unser Einblick ins Kolafton-Industriesystem ist gestört; von dort kommen mit großer Wahrscheinlichkeit schadhafte Hyperkristalle, der Tato dürfte doch mit dem Anschlag auf Atlan in Verbindung zu stehen. Es soll das gleiche Team nach Kolafton geschickt werden, das Jahaq Garr schon einmal untersuchte: Sira Tyaz, Anki Zyneen, Ronua und Jana D’Alessandro. Wir bitten dich, Tanja, teilzunehmen, weil du als Mutantin vielleicht mehr erkennen kannst.« »Einverstanden. Hier ist ohnehin alles ruhig. Zwar gab’s in den letzten Jahren viele Berichte über merkwürdige Erscheinungen und Phänomene, aber von Atlans Lichtwesen ist absolut nichts zu bemerken.« »Ein Kurierschiff holt dich ab. Wir halten, solange es geht, mit euch Kontakt.« Die Frau beendete ihre Meditation, verbeugte sich vor dem prächtigen Monolithjuwel und verließ das gläserne Gebäude, das, filigran wie ein Blütenblatt, den Mittelpunkt der Tempelanlage markierte. Tatjana lief die Eingangstreppe
hinab, überquerte den von Arkaden umgebenen Innenhof und betrat die Vorhalle. Überall meditierten Zhy-Famii, Feuermütter gaben Novizinnen Anweisungen. Von Holzschlegeln gestreifte Kristallsäulen vibrierten langgezogen. Intensives Fluidum konzentrierter Parakraft war Teil der ganzen Umgebung. »Auch ein Auftrag der Großen Mutter sollte dich die Angemessenheit deiner Bewegungen nicht vergessen lassen, Feuerfrau«, sagte die Torwächterin der Vorhalle und verwehrte mit einem Horimadscheren-Spieß Tatjana den Ausgang. Die Frau ordnete ihre sandfarbene Robe und verbeugte sich. »Ich danke für die Belehrung.« »So geh deines Weges.« Die Wächterin hob den Spieß. Das mit Goldmustern verschnörkelte Kristalltor schwang auf. »Viel Glück, Tatjana Michalowna.« »Werd’ ich brauchen, Wächterin.« Ringförmig umgab ein Platz den Kristalltempel, flache Gebäude schlossen sich an. Nach zwei Stunden hatte die terranische Mutantin gepackt und wartete auf den Zubringer zum Kurierschiff, kurz darauf war sie unterwegs Richtung Thantur-Lok. Orbit, vierter Planet des Katalogsterns BB14-KH3698-R1, an Bord der ARKON II: 16. Prago der Coroma 19.017 von Arkon (= 9. Dezember 2047 Terra-Standard) »… können keine Ausstrahlungen festgestellt werden.« Lasam von der Ortungsabteilung beendete seine Ausführungen. Über dem Konferenztisch schwebte scheibenförmig die Holoprojektion und zeigte einen Oberflächenausschnitt des namenlosen Planeten. Fernerkundungssensoren umkreisten das Objekt in der Wüste.
Zwar zu einem abgeflachten Fladen zusammengesunken, maß der ehemals kugelförmige Körper immer noch rund fünfhundert Meter lichter Höhe. Ich sagte unruhig: »Anzeichen sonstiger Aktivität? Bewegungen vielleicht? Die Anwesenheit von Intelligenz? Was ist mit dem Künstlichen Mond?« »Nichts, Sir. Was wir anmessen, ist stationär, in jeder Hinsicht.« »Hhrn.« Ich hob die Schultern, ein Kribbeln rann unangenehm die Wirbelsäule hinab. Weiterhin starrte ich ins Projektionsfeld. Der größte Durchmesser des Objekts machte das Dreifache seiner Höhe aus. Schlank und spitz auskragende Kegelstachel, vereinzelt bis zu hundert Meter lang, waren herabgesunken, einige abgeknickt. Zu Dutzenden entsprangen sie der Torso-Oberfläche. Hauptfarbeindruck war ein beigefarbenes Braun, von grünlichbraunen Verfärbungen fleckig überzogen. Es gibt keinen Zweifel, Mann. Bei dem Objekt handelt es sich um eines, wie es die Galeere befördert hat! flüsterte der Extrasinn. Und du kennst es aus deinen Visionen! Ich überflog – wohl zum fünften Mal – die Log-SpeicherEintragung meiner Konsole. Langsam schienen sich wirre Mosaiksteinchen zum Gesamteindruck zu ordnen. Der Künstliche Mond: Von der geometrischen Gestalt her ziemlich exakt kugelförmig, bei einem festgestellten Durchmesser von 10.753 Metern, umkreist dieses Gebilde den vierten Planeten des Katalogsterns BB14-KH3698-R1, 658 Lichtjahre vom Kampfschauplatz entfernt. Alle Bewegungselemente beweisen die künstlich stabilisierte Umlaufbahn, hyperkinetische Ausstrahlungen werden registriert. Die dunkelbraune Oberfläche wird aufgrund des hohen Lichtabsorptionsfaktors als porös eingestuft. Die Massetastung hat als Material eine teilorganische Verbundlegierung ergeben, hauptsächlich angereichert durch keramische Verbindungen
und kristalline Mikro-Strukturen geringer Hyperaktivität. Hohlraumresonatoren weisen aus, daß ein Teil des Gebildes ausgehöhlt sein muß. Die Energiepeilung mißt im Zentrum eine Quelle eingeschränkter Restemission an. Insgesamt acht Punkte, unregelmäßig über die Oberfläche verteilt, durchbrechen als kraterartige Vertiefungen das Außenhautmaterial; Verbindungen zu inneren Höhlen werden vermutet. Daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Stachelkugel und Künstlichem Mond bestand, ergab sich durch die gleiche Zusammensetzung; Einzelheiten kannten wir nicht. Ich wußte auch nicht, wie meine Visionen einzuordnen waren. Nach dem Kampf gegen die Galeere hatten die Einheiten des Imperialen Gardegeschwaders weiträumige Erkundungen durchgeführt; eines der Suchkommandos entdeckte den Künstlichen Mond. Noch wußten wir nicht, was wir von der Situation zu halten hatten: Neben dem Stachelkugeltorso lagen fünf BaahmyWracks in der Wüste. Roboter hatten sie untersucht, jedoch nur ausgeglühte Schlacke vorgefunden. Ein Unfall? Ein fehlgeschlagener Versuch? Eine Falle? Straton Zaghyt, mit den Fäusten auf den Tisch gestützt, schnaubte nach kurzer Überlegung: »Eine direkte Gefahr scheint nicht zu bestehen – derzeit.« »Sehr beruhigend!« Ich knurrte gereizt. Bei mir lag die Entscheidung. Sicherheitsbedürfnis und Verantwortung auf der einen Seite rangen in mir mit dem Wunsch nach Aufklärung. Wir mußten wissen, mit welcher Gefahr wir es wirklich zu tun hatten. Jetzt, drei Tage nach dem Abschuß der Tekteron-Galeere, brauchten wir nur zuzugreifen, weitere Tekteronii gab es in diesem Sonnensystem nicht. Das Geschwader flog Patrouille, die ARKON umkreiste den vierten Planeten. »Das ist Chefsache«, murmelte ich und sah Straton zusammenzucken. Mit barscher Handbewegung unterband
ich seine bereits im Rachen steckenden Bedenken und Einwürfe. »Standardprogramm für Landetrupp. Befehl an Raltek und Sronee: fünfhundert vollausgerüstete Raumsoldaten, dazu die gleiche Anzahl Kampfroboter zur Unterstützung. Hundert Einmannjäger zur LuftraumAbsicherung. Wir halten ständig Kontakt. Auswertungsabteilung: Kon, Speedy, ihr sorgt für die Simulationsanalyse aller übertragenen Wortund Bildsendungen, jede Kleinigkeit ist wichtig! Stellt ein Wissenschaftlerteam zusammen, tragbare Untersuchungsgeräte, bitte. Straton, du übernimmst hier die Stellung! Sofortige Warnung, wenn sich beim Künstlichen Mond was tut. Ras, Kitai-San, ihr begleitet mich! Treffpunkt Hangarhalle sieben, Abmarsch in dreißig Minuten. Ich übernehme das Kommando!« »Jawohl, Euer Erhabenheit.« »Ende der Einsatzbesprechung.« Die Offiziere verließen meine Kabinenflucht, und ich warf einen letzten Blick auf das freischwebende Drei-D-Bild des Torsos. Nachdem ich in meine Privaträume hinübergegangen war, öffnete ich den Wandschrank und griff nach der raumfesten S-900Kampfkombina-tion. Zehn Minuten später war ich unterwegs zur Hangarhalle. Ein Strom Dron und Naats ergoß sich in sie, dazwischen stampften übermannsgroße Kampfroboter. Ihre Tentakel- und Waffenarme waren noch in Ruhestellung. Movruul kam an meine Seite – ein mittlerweile so selbstverständlicher Anblick, daß ich ihn kaum noch bewußt wahrnahm. Der naatsche Dagormeister tat seinen Dienst derart perfekt, als trage er einen Deflektor: unaufdringlich, effizient, mit dem Höchstmaß seiner Aufmerksamkeit. »Landeboote bereit«, meldete Straton. »Die Jäger haben den Orbit verlassen und ihre Position eingenommen. Eure
Landung erfolgt mit einem Sicherheitsabstand von fünfhundert Metern.« »Verstanden.« Nervosität umgab mich, die gedrückte Spannung vor einem Einsatz, dessen Ausgang ungewiß war. Kaum ein Wort wurde gesprochen. Ich hüstelte, überprüfte den Sitz der Mikrofon-Drahtaufhängung und schaltete auf Vorrangfrequenz. »Atlan an Landekommando!« sagte ich formlos. In meiner Nähe starrten die Soldaten erstaunt in meine Richtung, DronSchlitzpupillen verengten sich, Naats rollten ihre drei Augen. Mein manchmal lockerer Umgangston verblüffte sie immer wieder, verhaltenes Grollen sprach aber für plötzliche Begeisterung. »Leute, ich verlange höchste Aufmerksamkeit! Wir bewegen uns auf unbekanntem Territorium. Zwar deutet alles darauf hin, daß wir es mit einem leblosen Torso zu tun haben, aber den Tekteronii traue ich alles zu! Vielleicht gibt’s hier Götzen. Raltek: Die Kampfroboter sollen unsere Reaktionen beobachten! Beim geringsten Anzeichen suggestiver Beeinflussung wird von Paralysatoren Gebrauch gemacht – und dann sofortiger Rückzug! Die Roboter übernehmen Transport und Rückendeckung. Wissenschaftlerteam: Achtet auf hyperenergetische Emissionen. Danke! Lang lebe das Große Imperium!« Die Raumsoldaten wiederholten meinen letzten Satz mit enormer Lautstärke. Man brüllte sich die Anspannung aus dem Leib, und mein Extrasinn machte eine spöttische Bemerkung, auf die ich nicht achtete. Wir waren bereit, uns Klarheit zu verschaffen. »An alle!« rief ich. »IndividualAbwehrsphären auf Anlauf bereitschaft schalten, Druckhelme schließen.« Während ich sprach, führte ich die notwendigen Schaltungen aus; die Bedienungselemente waren im Gürtel, an der Brustpanzerung und den Armen zu finden. Mit
Aktivierung der Minipositronik genügten akustische Kurzsignale der Befehlsgebung. Mein Druckhelm faltete sich auf und nahm nach dem Einschnappen in die Schulter-HalsringHalterungen durch Innendruckaufblähung, statische Materialaufladung und Memoeigenschaften Kugelform an. Anzugklimatisierung, Luftregeneration, Temperaturregelung: in Ordnung. Dann das Knistern des hypermechanischen Abstoß-Schutzfeldes, das, beim Hautabstand von fünfzehn Zentimetern, eine den Körperkonturen angepaßte Blase bildete. Bewegungen von Armen und Beinen wurden von der flexiblen Feldprojektion nicht behindert. Armmanschette: okay. Dagor-Schwert sitzt. Überprüfung der Waffe; Beidhänder mit integriertem Paralysator, Impulsstrahler und Desintegrator. Endchecksignal: alle Funktionen hundert Prozent. »Ein Drittel der Roboter«, rief ich nach der Landung, »bildet als Gruppe eins das Vorauskommando! Die Raumsoldaten folgen und sichern die Wissenschaftler. Rückendeckung und Flankenschutz übernehmen die verbleibenden Roboter. Wir rücken geschlossen vor. Ausführung!« Von gravomechanischen Ausstrahlungen getragen, flogen wir dem abgeflachten Kugeltorso entgegen. Die hochstehende Sonne, von keiner Atmosphäre getrübt, brannte grell herab. Automatisch setzten photochemische Verdunkelungsreaktionen der in das Helmmaterial eingeschmolzenen Mineralien ein. Zu einem Drittel mußten wir das berggroße Objekt umrunden, bis erste Öffnungen sichtbar wurden. Lautlos rasten immer wieder Jägerstaffeln über uns hinweg. »Öffnungen der Oberfläche setzen sich ins Innere fort«, meldete der robotische Voraustrupp. Andere Roboter und einige Dron unter Sronees Kommando umringten mich ebenso wie Zhy-Famii, Ras, Kitai-San, Movruul und Marc; sie waren
bemüht, es möglichst unauffällig zu machen, aber ihre Intention war offensichtlich: unbedingter Schutz des Imperators. Ich nickte. »Verstanden.« Wir drangen in das Gebilde ein. Organisch wirkende Wölbungen herrschten vor, gebogene Kanäle und porige Wände waren die nächsten Eindrücke. Unsere Scheinwerfer sorgten für ausreichende Helligkeit. Pechschwarze und scharfkantige Schatten entstanden immer wieder, wenn Körper Lichtbahnen unterbrachen. Helle Kreise und Ellipsen wanderten über Wände, die fehlende Luft verhinderte das Entstehen von Lichtkegeln. Lautlosigkeit, nur das Atmen der Soldaten in den Helmfunkverbindungen, vereinzelte Kommandos, dann wieder Stille. Hundertzwanzig Meter folgten wir einem peripheren Ringtunnel, bevor wir einen zum Zentrum weisenden Gang erreichten. Im Abstand von drei bis vier Metern folgten auskragende Versteifungsbögen der ovalen Umfangslinie. Der Eindruck des Organischen verstärkte sich, und ich fühlte mich an Rippenbögen erinnert. Alos on Parim sagte, teilweise erklärend, zum anderen als Bericht an die ARKON: »… scheint bioaktiv gewesen zu sein, nun aber vollkommen dehydriert und steinhart. Eine Art Gefriertrocknung, zu einer weitgehend homogenen Masse vereinigt. Ursprünglich offenbar Protoplasma. Es lassen sich Kohlenwasserstoffverbindungen feststellen… Stärke, Zucker, Proteine… Stickstoff, Schwefel, Phosphor… Hhm, es liegen alle Grundstoffe bioorganisch lebender Materie vor. Wie in unseren Körpern. Aminosäuren und sogar doppelspiralige Nukleinsäuren! Dazwischen Kalziumverbindungen, ähnlich wie bei Knochen.« Ich schaltete mich ein: »Versteinertes Leben?« »Etwas in dieser Art, Euer Erhabenheit, vielleicht.« Nischen, Durchgänge, Öffnungen zu angrenzenden Räumen
und Hallen, gewaltige Säulen, an anderer Stelle tropfsteinähnliche Zapfen, die aus Decken und Böden ragten. Insgesamt eine bizarre Landschaft, verwirrend in der inneren Struktur, manchmal massiv und geschlossen, dann wieder luftig, filigranzart. Kugelige Aufsätze in langen Reihen, gitterförmige Netzwerke, Strebepfeiler und runde Durchlässe, gegliederte Rosetten, auskragende Galerien und abgestufte Rampen – die Vielfalt der Formen verwirrte. »Da können die Taa-Baumeister einiges lernen«, bemerkte jemand. Gänge und Höhlungen waren von einer bräunlichen Masse bedeckt. Kleine und kleinste Poren verliehen der Substanz ein schwammiges Aussehen. Je tiefer wir vordrangen, desto dickere Ablagerungen waren zu sehen. Körnige und faustgroße Bruchstellen fielen mir auf. Ich war zutiefst verunsichert. Unsere Wissenschaftler setzten ihre Untersuchungen fort, die Kampfroboter sicherten nach allen Seiten, entdeckten aber keinen Gegner. Die Umgebung nahm immer skurrilere Formen und Gestaltungen an. Überall dominierte diese organische Kruste. Im Urzustand mußte sie einmal flüssig bis zähflüssig gewesen sein. Ich sah Tropfnasen, Stalagmiten und Stalaktiten. Rundungen, Blasen, Wölbungen. Milliarden kleinster Öffnungen bedeckten die Oberfläche. Entgasung bei explosiver Dekompression, raunte mein Extrasinn. Aufgeblähte Ausgangsmasse, jetzt von geringer Dichte. Unbewußt hörte ich weitere Kommentare der Wissenschaftler mit: »Das Grundgerüst ist eine metallkeramische Verbundlegierung mit hyperkristallinen Einschlüssen. Die Außenhaut zeichnete sich ursprünglich durch extreme Festigkeit aus, hat aber seit der Landung nachgelassen. Eigengewicht und Einbrüche der Hohlräume ließen den Kugelkörper in sich zusammensinken.« Über unsere Helmsensoren wurden alle Wahrnehmungen zur ARKON gesandt. Immer wieder erklangen Kons und
Manolitos Stimmen. Sie berieten sich mit dem Team: »… scheinen die Stachelausleger besonders kristallreich zu sein. Keine Aktivitäten mehr… wirkten vielleicht wie unsere Gravo-Projektoren oder Antigravaggregate… Eigenbewegung liegt im Bereich des Möglichen…« Irgendwann wandte sich Kon direkt an mich: »Atlan, es bestehen viele Unklarheiten, aber dieses Objekt dürfte die Funktion eines Raumschiffes gehabt haben! Alle Vergleichsmessungen und unsere Simulationsrechnungen weisen allerdings auf eine organische, quasi gewachsene Herkunft hin. Die Zusammensetzung entspricht qualitativ wie quantitativ der des Künstlichen Mondes. Kein Zweifel möglich!« »Heißt das, daß im Inneren des Mondes solche Kugelobjekte produziert wurden?« »Ob hier von Produktion gesprochen werden kann, möchte ich bezweifeln. Trotzdem…« Er brach ab, suchte nach Worten, seufzte hörbar laut. »Ich persönlich halte das Objekt für eine gewaltige Spore! Denk an die Berichte über die AraAktivitäten!« »Wie bitte?« »Ja, Atlan. Ein Keimzellenträger, wie er bei Schleimpilzen am Ende der Vermehrungsphase zu beobachten ist.« »Könntest du das näher erläutern?« »Es ist vorläufig eine Arbeitsthese und…« »Ich höre, Kon!« sagte ich scharf. »Schleimpilzkolonien bestehen im Normalfall aus amöbenähnlichen, unabhängig voneinander agierenden Einzelzellen. Ein kritischer Punkt der Entwicklung ist erreicht, wenn sie keine Nahrung mehr finden. Sie gruppieren sich dann und formen einen Sporenträger. Aus den Sporen schlüpfen wieder Einzeller, deren Teilungsrate so lange andauert, bis erneut der vielzellige Gewebeverband gebildet
wird.« … ernähren sich von faulender Bodenflora. Mit zartem Schwingen des Extrasinns öffnete sich eine Info-Einheit meines photographischen Gedächtnisses. Vertilgt wird alles, was auf dem Weg liegt. Vermehrung in diesem Stadium durch einfache Zellteilung. Fehlende Nahrung bedingt den Aufbau einer harmonisch strukturierten Form durch Gestaltungsbewegungen und Zelldifferenzierung. Wechselwirkungen zwischen den Zellen bestimmen die entwicklungsphysiologischen Regulationen: Stielzellen bilden sich, vakuolisieren, platten ab, und an der Stielspitze formen die restlichen Zellen Sporen, die, vom Wind ausgestreut und verteilt, sehr resistent gegenüber widrigen Umweltbedingungen sind. Erst neue Nahrungsquellen lassen wieder Schleimpilzkolonien entstehen. Ich ächzte. »Du siehst im Künstlichen Mond den Sporenträger und in der Stachelkugel eine vom Mond ausgestreute Spore?« »Das ist meine These, Atlan.« »Was ist dann das Äquivalent zum einzelligen Schleimpilz? Verdammt – könnte darauf die Beeinflussung der Geschichtshallen-Attentäter zurückzuführen sein? Das würde zu der Beobachtung in der von ihnen gemeinsam angemieteten Wohnung passen. Wie sind die Tekteronii in dieses Szenario einzuordnen?« »Sie haben die Sporen oder den Mond hierhergebracht, vielleicht ein erster Versuch mit den gentechnologischen Produkten der Aras! Die Wracks deuten darauf hin, daß etwas schiefging. Später haben sie zweifellos mehr Erfolg gehabt. Und sie versuchten, weitere Stachelkugeln ins Imperium zu bringen – die Stoßrichtung der Galeere zielte eindeutig Richtung Zhygor! Und die Einzeller – da dürftest du richtigliegen… Einen Beweis haben wir allerdings immer noch nicht.«
Ich schauderte. »Euer Erhabenheit, wir erhalten neue Meßergebnisse«, rief Alos aufgeregt. »Möglicherweise gibt es in Teilbereichen der erstarrten Masse so etwas wie bioelektrische Aktionsströme, vergleichbar unseren Nervenimpulsen. Emissionen verstärken sich… gewinnen hyperaktive Dimension! Amplitudenmaximum liegt im Suggestivbereich. Intensität steigt weiter!« Die letzten drei Worte waren ein einziger Schrei, trotzdem gingen sie fast im ausbrechenden Chaos unter. Etliche Dron drehten durch. Jemand feuerte wild um sich, traf zwei Naatsoldaten. Schutzschirme glühten auf, Schreie erklangen, überdeckt von gebrüllten Befehlen, auf die niemand zu achten schien. »Verdammt!« Ich fluchte laut. Straton meldete von der ARKON geortete Hyperaktivitäten des Künstlichen Mondes; offenbar bestand eine Verbindung zur Stachelkugel. Ächzend wich ich einem um sich schlagenden Mann aus und ging hinter einer Säule in Deckung. »Atlan an Roboter! Paralysatoren einsetzen! Fremdeinfluß wird wirksam!« Thermische Strahlblitze zuckten irrlichternd umher, Leute sanken, von lähmenden Feldern getroffen, in sich zusammen. Unsere Schutzfelder besaßen diesbezüglich eine Strukturdurchlässigkeit, die vorsorglich zu unserem eigenen Schutz programmiert worden war. Nach anfänglicher Verwirrung kam zögernd Ordnung ins Geschehen, leider nicht ganz so, wie ich es erhoffte: Die Roboter lähmten mehr und mehr Soldaten – von denen sich aber etliche zur Wehr setzten. Sie begannen gemeinschaftlich und planvoll zu handeln. Die intensiver werdenden Suggestivbefehle waren einfach strukturiert; ich vernahm sie überdeutlich, wurde aber nicht beeinflußt: Kampf, Widerstand, töten, töten… Ich verkrampfte innerlich unter den haßerfüllten, absolut fremdartigen Ausstrahlungen
voller Gewalt, ohne ihnen folgen zu müssen. Weiterhin stieg die Intensität, und es war abzusehen, wann auch ich den Befehlen erlag, trotz Unterstützung der Zhy-Famii. Vom Extrasinn kam durchdringendes Brummen, es lenkte von den Suggestionen ab. Die Soldaten kämpften verbissen untereinander und gegen unbeeinflußbare Roboter. Instinktiv wurde die willkürliche, oft unlogische Bewegungsfreiheit von Lebensformen angewandt. Im Ergebnis waren das Sekundenbruchteile, die sich zum raschen Handeln, Ausweichen und Rochieren nutzen ließen. Die Roboter waren dem gegenüber im Nachteil. Erste Kampfmaschinen detonierten in grellen Glutbällen. Trümmer wirbelten umher. Schreie. Das Stöhnen Verletzter. Erneute Explosionen. Strahlschüsse, zersplitternde Krustenstücke. Eine Säule zerfetzte. Dennoch, die Beeinflußten mußten unterliegen. Die Roboter waren in Überzahl, wurden von unbeeinflußten Gardisten unterstützt. Ich selbst hatte die notwendigen Befehle erteilt, einer vagen Ahnung des Bevorstehenden folgend. Kampfmaschinen scharten sich um mich und sicherten mich ab. Ich stöhnte und versuchte die ziehenden Schmerzen im Nacken zu ignorieren. Fürchterlicher Druck begann auf meinen Schläfen zu lasten, drohte meine Aufmerksamkeit zu beeinträchtigen: Eine Verbindung zur Großen Feuermutter kam nicht zustande, auch keine zum Mooffsprecher Meec’pal oder den Zhy-Famii. Der Logiksektor drängte zur Flucht. Ras und Kitai-San wankten neben mir, von Marc kam schauerliches Keuchen und Stöhnen. Der Leitroboter funkte mich an: »Eure Befehle, Euer Erhabenheit?« Ich rief: »Alles raus! Verwundete und Tote bergen, Beeinflußte paralysieren… ARKON: Seid ihr bereit?« »Programm steht, Atlan. Medizinische Abteilung ist informiert.«
»Straton: Sobald wir draußen sind, sollen die Jäger die Stachelkugel vernichten!« »Jawohl.« Die Roboter verschossen breitgefächerte Desintegratorstrahlen, die feste Materie zu ultrafeinem niedermolekularem Staub pulverisierten. Ein Kanal entstand, der geradlinig bis zur Oberfläche reichte. Ich justierte den Antigravvektor und raste, weiterhin von Robotern umgeben, in den dunstigen Tunnel. Das Hämmern in meinem Kopf wurde unerträglich, ich bekam kaum mit, daß ich aus dem Torso schoß. Erst ein grelles Leuchten machte mir klar, daß die Jäger angriffen. Holoprojektionen des gepanzerten KristallgardeDivisionsleitstandes zeigten den riesigen Krater in der Wüste, in anderen schwebte reglos der Künstliche Mond. »Das war knapp!« knurrte ich und wandte mich dem Leitroboter zu, um seine Meldung entgegenzunehmen. »Siebzehn Tote, Euer Erhabenheit. Fünfundvierzig Personen wurden paralysiert. Neununddreißig Kampfroboter vernichtet.« Fluchend musterte ich die Holobilder. »Was ist mit dem Mond, Straton?« »Hyperaktivität läßt nach«, antwortete er. »Es ist eine quasi punktförmige Quelle nahe dem exakten Schwerpunkt.« »Hhm.« Ich begann eine unruhige Wanderung und ließ mir die Ortungsdaten zuspielen. Unter rasch erstellten Energiekuppeln eilten zwei Meter große Morannii mit knollenartigen Hauptkörpern und stachelbewehrten Fangklappen auf winzigen Wurzelfüßchen zwischen stöhnenden Gardisten umher. Ausgeprägte Parakräfte der Pflanzen entwickelten medizinisch-therapeutische Wirkung. Moofftanks schwebten aus Bodenhangers gelandeter Ultra-
leichtkreuzer; die freundlichen Helfer strahlten beruhigende Impulse aus. Im Gegensatz zu mir kämpften Dron wie Naats mit den Suggestionsnachwirkungen. Speedys Holobrustbild erschien. »Die Hypermodulation ist merkwürdig«, sagte er. »In jedem Fall aber eine Gefahr. Möglicherweise ein Götze. Er muß sich in einer Art suspendierter Animation befunden haben und entging deshalb unserer Ortung.« Stratons Abbild entstand neben dem Kons. »Angriff, Atlan?« Ich runzelte die Stirn, schüttelte langsam den Kopf und sagte scharf über Rundruffrequenz: »Rakina: Können die Feuerfrauen die Hyperemissionen irgendwie lahmlegen oder blockieren?« »Wir können es versuchen, Euer Erhabenheit. Mehr kann ich nicht versprechen.« Straton fragte lauernd: »Was hast du vor?« »Ich will wissen, was es mit dem Ding da auf sich hat, Freund.« Ich wies zur Holoprojektion. »Wenn wir’s einfach abschießen, erfahren wir nichts.« Ein dumpfes Grollen drang aus der Tiefe seines Rachens. »Willst du etwa…?« Ich sah zu den Dron-Soldaten. »Genau! Suggestionen beeinflussen mich nicht.« Mein Extrasinn brummte anhaltend und wies mich auf die Gefahren hin. Ich nahm die Mitteilung zur Kenntnis, blieb aber bei meinem Entschluß. »Rakina: Legt den gesamten Mond unter ein Blockadefeld. Reflektiert die Emissionen, lenkt sie in den Hyperraum um – wie, ist mir egal –, aber macht sie unwirksam!« Atemlose Stille erfüllte die Funkverbindung. Ich leckte spröde Lippen und fuhr fort: »An alle Gijahthrakos des Geschwaders: Ich bitte um Freiwillige! Ras – schaffst du es mit ihrer Hilfe, einen Transmitter in den Mond zu teleportieren?« Sein Gesicht war grau, aber er nickte. »Aufbruch in« – ich
sah auf die Uhr – »fünfzehn Minuten. Ausführung!« Straton senkte den Kopf, verkniff sich seine Bedenken und murmelte: »Jawohl, Euer Erhabenheit.« Die Öffnung des Käfigs, blutigrot umwabert, mündete in einen bizarren Höhlendom. Neben mir flogen fünfzehn rotglänzende Tetraeder, deren Paraemissionen wie Flammenspeere ausstrahlten und sich mit den Kräften des Dutzends Amazonen vereinten, die nun rematerialisierten. Ich justierte den Antigrav und versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen: Vakuum. Riesige tropfsteinähnliche Säulen. Ein verwirrendes Labyrinth geschwungener Formen – ähnlich der Stachelkugel. Im Zentrum des Doms schwebte der Götze: Zehn Ringsegmente der Walze, umhüllt von violettem Leuchten, besaßen je vier kurze Beinchen. Etwa einen Meter Durchmesser erreichte die Schnittfläche am vorderen Ende, über der in ständig wechselnder Gestalt milchige Schwaden wogten. Trotz der Blockade der Feuerfrauen waren die vom Cyen-Fragment ausgehenden Suggestionen extrem. Etwas wie beißendes Gas erfüllte die Umgebung, machte alle Gedanken träge und ließ mich einen Moment taumeln. Ras war nur mit Mühe der Rücksprung gelungen; sein wie auch Kitais paranormal äußerst sensibles und empfindliches Bewußtsein drohte von den Impulsen in Ohnmacht getrieben zu werden – sie konnten am Einsatz nicht teilnehmen. »Xanthyn Ol’dan«, zischte ich und hob schwerfällig meinen TS-40-Luccot. »Irgendwann erwische ich dich persönlich!« Ich schoß dreimal, die Impulsstrahlen hinterließen nur schwarze Rußspuren auf dunkelbraunen Körperringen. Der Leib krümmte sich und schnellte in hohem Bogen davon. Mein nächster Schuß zerfetzte eine Säule. Aus den Schwaden über der Walzenschnittfläche formte sich ein entfernt hominider
Oberkörper mit zuckenden Tentakelhaaren und gräßlich verzerrtem Gesicht. Ich verschob die Leistungsabgabe meiner Waffe, während fünf Gijahthrakos dem Götzen entgegenrasten. Sie erreichten ihn fast – und wurden schlagartig blaß und milchig. Ein gellendes Kreischen auf Paraebene erschütterte mich bis ins Innerste: Der Todesschrei dreier Zhy-Fam-Amazonen. Ich feuerte einen Fünferburst ab. Lautlos schlugen die grellen Impulse ein und trennten einige Stummelbeine ab. »Wir können ihn kaum bändigen!« Kons Signal erreichte mich gedämpft. Die Gijahthrakos umringten weiträumig den Götzen. Sein kräftiger Hinterleib schlug ebenso um sich wie die Tentakelarme. Für normale Sinne unsichtbare Parapfeile rasten umher. Ich taumelte, von einer telekinetischen Welle getroffen. Trugbilder überlappten mein Blickfeld, dann erfaßten mich plötzlich weitere visionäre Eindrücke: Dichte Qualmschwaden nahmen die Formen fußgroßer Feen, dickbäuchiger Zwerge, nackter Satyrn, umherhüpfender Nymphchen und kugelköpfiger Kobolde an. Ich bemerkte kaum das leise Säuseln, Kichern, Zwitschern und Wispern, das mich wie fernes Meeresrauschen umgab. Vereinzelt blitzte kalkiges Licht im Rauch, mit dem, wenn er sich verzog, auch die Gestalten verschwanden. Für wenige Augenblicke sah ich Xanthyn Ol’dans Götze, der erneut vom Visionären abgelöst wurde: Aus scheinbar verstofflichter Finsternis entstand ein Orkan und donnerte als spiraliger Mahlstrom nach allen Seiten. Im Zentrum gab es einen plötzlich aufklaffenden Spalt, aus dem n-dimensionale Kräfte fauchten und die Realität hinwegzufegen drohten. Eisige Kälte breitete sich aus, und für Bruchteile einer Sekunde verdrängte der Eindruck von Trümmern, Verfall und Schutthaufen das Dunkel, brannten Ruinen und kroch
Verwesungsgestank über fahle Aschelandschaft. Angst gewann erstickende Intensität. Ich wurde vom Dröhnen gepeinigt: Mein Bewußtsein reagierte übersensibel auf Manipulationen, die einem dissonanten Höhepunkt entgegenstrebten. Die Bedrohung gewinnt kosmisches Ausmaß, dachte ich schaudernd und mit einer Gewißheit, die mich selbst verblüffte, obwohl bisher nur Haarrisse das raumzeitliche Gefüge erschüttern. Chaos bricht über alle Welten herein, wenn die Ordnung endgültig zerfetzt! Meinte ES das mit den »Erwachenden Legenden«? Meine transpersonal erweiterte Wahrnehmung streifte illusionäre Welten, die in aktuelle Wirklichkeit umzuschlagen drohten; riesige Waberlohen schienen Materie aufzulösen, Raum und Zeit verloren ihre Stabilität, während die holistischen Schwingungen langsam ausliefen. Die winzigen Spalten waren quantenmechanischen Fluktuationen vergleichbar und existierten nur so lange, wie zur Entstehung benötigt wurde. Durst, Übelkeit und Schmerz pochten in mir, als sich die paranormalen Sinne vom fernen Dröhnen lösten und halbwegs zur materiellen Wahrnehmungsebene zurückkehrten. Schweiß perlte auf der Stirn. Ich ächzte. Ganz deutlich sah ich Gebäude detonieren, Silhouetten tanzten vor hochlodernden Bränden, fettschwarz waberte Qualm. »Wie sagte es Santayana?« murmelte ich tonlos. »Wer sich an die Vergangenheit nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Erwachende Legenden?!« Ich sah: Durch eine stark frequentierte Röhre rasten Kapseln, Gleiter und Globen und stoppten abrupt, als plötzlich eine graue Rauch- und Staubwolke aufwallte. Eine weitere Explosion krachte. Scheinwerfer stachen wie Geisterfinger durch pulvrige Dämmerung, Lichtpunkte knisterten entlang Feldschirmkonturen, sobald Partikel abgelenkt wurden. In
Sekundenschnelle glühte an der rechten Tunnelwand ein roter Kreis. Kunststoffverkleidung bröckelte ab, zischte und brodelte, warf Blasen und riß dann gleich einer überreifen Frucht. Ein schenkeldicker Glutstrahl brach durch, der Feuerschwall fauchte über Gestalten hinweg und verschmorte sie augenblicklich. In Schutzfeldern flirrte Luft, einige Fahrzeuge verwandelten sich samt Insassen in schwarze Klumpen. Schrilles Kreischen auf paranormaler Ebene bewies, daß Wahres Sein verwehte. Chromblitzende Gestalten schwebten aus der vom Energiefrässtrahl geschaffenen Öffnung. Grelle Explosionsbälle entstanden. Druckwellen wirbelten Personen umher, komprimierte Luft fauchte und brüllte. Abseits konventioneller Wahrnehmungsebene tobten gewaltige Kräfte. Als Gardisten einen Behelfstunnel durch die Decke trieben, verebbten die Angriffe, und die Attentäter flüchteten… Noch ist es nur Vision! rief der Extrasinn durchdringend. So oder ähnlich wird es aber bald Realität werden! Komm zu dir, Mann! Der Götze… Ein weiterer Ausläufer der Erschütterung traf mich, verbunden mit nachschwingenden Sequenzen voller Qualen und apokalyptischer Schrecken. Emporschießende Erinnerungen an meine verschiedenen Visionen ließen mich entsetzt nach Luft schnappen, mein Körper bebte. Ich hatte das Gefühl, zermalmt zu werden, krümmte mich stöhnend und blockte schwerfällig den paranormal-transpersonalen Input ab. Für Sekunden sah ich anstelle des Götzen Tatjana; im letzten Augenblick beherrschte ich mich und vollzog die Antigravschaltung nicht, die mich der Halluzination in die Arme befördert hätte. Hitze strahlte vom Zellaktivator aus und erfaßte nach der Brust auch meinen ganzen Kopf – das Trugbild verschwand. Ich stieg höher, legte den Impulsstrahler an und zielte auf
den Rand der Schnittfläche. Zehn Kurzimpulse, als feurige Kometen aus dem Mündungskraftfeld blitzend, sprengten Brocken aus dem Götzen. Der materieprojektive weibliche Oberkörper flimmerte kurz. Parakräfte prügelten auf das Fragment Xanthyn Ol’dans ein. Ringsegmente verkrampften sich, Beinchen zuckten unkontrolliert, und ein paraverbaler Schrei raubte mir fast die Sinne. »Er ist zäh!« knurrte ich, jagte eine Salve aus dem Lauf und fluchte, weil die Strahlwaffe keine nennenswerte Wirkung zeigte. Ich schob den Luccot ins Holster und zog das Dagorschwert, dessen Klinge vom grünen Desintegratorfeld umflirrt wurde. Ein rasender Flug, gefolgt von einer Hiebserie: Fußballgroße Brocken wirbelten aus dem Götzen. Dann ließ mich der fürchterliche Druck im Kopf zurückweichen. Wahnsinniges Lachen gellte, weitere Gijahthrakos wurden matt und farblos, torkelten und gewannen nur langsam ihren Kristallglanz zurück. Zwei Feuerfrauen trieben leblos vorüber… »Es ist unmöglich!« Kontaclatiis drängte aufgeregt. »Er ist zu stark für uns. Wir bekommen ihn nicht in unsere Gewalt – ihm wird von irgendwoher Kraft zugeleitet!« Ich sah ein, daß es keinen Zweck hatte. Mißmutig schob ich das Schwert in die Rückenscheide zurück, flog Richtung Transmitter und stellte die Abgabe meines Impulsstrahlers auf höchste Leistung. »Rückzug, Leute!« rief ich über Vorrangfrequenz. Nacheinander verschwanden Zhy-Famii und die Tetraeder. Bevor mich als letzter das Transportfeld ergriff, gab ich Dauerfeuer: Im Abstand einer hundertstel Sekunde rasten jeweils 100 Milligramm Katalyse-Deuteriumplasma dem Götzen entgegen; die Impulse, jeder mit der kinetischen Energie von rund 320 Kilogramm Vergleichs-TNT, verwandelten den Dom in ein Glutmeer. Mein hochgespanntes
Schutzfeld und der Dagorschild knisterten überlastet, blendende Schlieren ließen meine Augen tränen. Undeutlich erkannte ich, daß der Götze in hellen Flammen stand, bebte und sich wand, sein monströses Leben aber immer noch nicht aushauchte. Dann versetzte mich der Transmitter, und ich taumelte in die Halle. Rundum standen bis zu zwei Meter hohe Tetraeder am Boden, matt und völlig verausgabt. Die Gesichter der Amazonen waren alt und grau. Acht Überlebende von zwölf…! »Straton!« schrie ich in kalter Wut. »Sämtliche Waffen, Gravitationsbomben! Vernichtet den Mond!« »Jawohl.« Erschöpft lehnte ich mich ans Podest und merkte erst jetzt, wie sehr meine Knie zitterten. Vom Parakampf hatte ich kaum etwas bewußt mitbekommen – trotzdem war auch ich betroffen. Ich sicherte mit bebenden Fingern meinen Impulsstrahler und öffnete den Druckhelm. Kontaclatiis, weiterhin in Kristallform verharrend, signalisierte: »War’s das wert, Atlan?« Ich hob die Schultern, dachte bestürzt an die toten Feuerfrauen und murmelte kraftlos: »Wir mußten es versuchen, oder?« Stratons Meldung donnerte durch die Transmitterhalle: »Mond vernichtet! Hyperemissionen des Götzen erloschen. Es ist vorbei.« Ich antwortete mit einem unbeherrschten Fluch, dachte an die Visionen und fühlte mich scheußlich. Eisiges Schaudern durchzog mich für Sekunden mit Schüttelfrost, und mein Magen verkrampfte zum harten Klumpen. Auch Stunden später hatte ich mich kaum beruhigt: Ich ging wie ein gereizter Tiger hin und her. »Stachelkugeln, Künstliche Monde, durch Einzeller Beeinflußte… Was erwartet uns noch alles, wenn’s zu weiteren Kämpfen mit den Tekteronii kommt?
Wir müssen es herausfinden, schnell, effizient und so umfassend wie möglich!« Ein individuell kodiertes Signal öffnete die Wandnische mit den notwendigen Utensilien; Dagor-Meditation brachte mir vielleicht Entspannung und unterstützte mein Grübeln. Der lebensgroße Schädel aus Bergkristall diente wie das Spiralmuster der Nischenrückwand der Konzentration. Ich kniete vor der Nische nieder, kreuzte die Hände vor der Brust und erfaßte, den Blick zur Spirale gerichtet, das Potential des wiederholt von »meinen« Amazonen aufgeladenen HyperenergieReservoirs im Lha’hon-Quarz. Dem Kristallschädel waren auf meine Paraströme eingestimmte Muster aufgeprägt; Resonanz unterstützte die über Sinyagi aktivierten paranormalen Kräfte. Äußeres Anzeichen war ein fluoreszierendes Aufleuchten der Augenhöhlen – ein für Uneingeweihte gespenstischer Anblick. Kühle Wellen breiteten sich von meiner Stirnmitte aus. Bewegungslos verharrte ich bald in einem spannungsfreien Zustand. Aggressionen und Ängste waren überwunden. Dann kam die Lichteruption – der Übergang zum holistischen Bewußtsein; iprasanisch: »Eins mit Feuer und Eis«. Zhy: Atemberaubend das Empfinden, über die Grenzen des Ichs hinauszugehen und bekannte Barrieren der althergebrachten Welt zu überwinden. Augenblicklich intensivierte sich der Kontakt mit Sinyagi, und ich erfuhr Dinge, von denen ich nichts geahnt hatte: Insgesamt vierzehn Bereiche, über das Imperium verteilt, widerstanden dem Einblick der Großen Feuermutter! Allen war gemeinsam, daß sie als wichtige Zentren anzusehen waren, wichtig für Industrie, Wirtschaft, Forschung, Kommunikation und das allgemeine Leben. Das Kolafton-System ist nur ein Schauplatz und nicht einmal der wichtigste! Das Worzaiin-System mit der Hauptbörse von Tunpii’l-Baidkhabin. Das Attam-System mit seinen Dron-
Industriestandorten; Girmomar – eine wichtige Handelswelt und viertgrößte Börse. Terngrum im Thooryan-System. Veree Tinshaa, erster Planet von Zandigs Stern. Tharlo Anmuk Alda – ein maßgebliches Forschungszentrum des Imperiums. Shabaa, der fünfte Planet der Sonne Sajon. Derpan im Ysheenan-System, Kommunikationsund Informationszentrum mit dem wichtigsten Archiv neben dem der Riesenpositronik von Arkon III… Überall ist die sonderbare Abkapselung als schleichender Prozeß aufgetreten, unbemerkt, da Sinyagi nicht immer und zu jeder Zeit alles Geschehen im Großen Imperium zugleich erfaßt. Nun ist die Aufmerksamkeit geweckt, hoffentlich nicht zu spät. Ich murmelte: »Warum erst jetzt?« »Unser Zusammenspiel mußte sich erst einpendeln. Im Gegensatz zu uns kommst du von außerhalb und bist jemand, der nicht von dem beeinflußt ist, was unser tägliches Leben bestimmt. Als Altarkonide erweist du dich als immuner, unvoreingenommener und kritischer gegenüber dem, was uns normal erscheint. Der Prozeß dauert vielleicht schon Jahrzehnte und mehr, so daß wir ihn gar nicht mehr als von außen herangetragen erkennen.« »Weißt du mehr über das… Fremde? Stachelkugeln?« »Ja und nein. Es ist ein Einfluß, der dem Imperium schadet. Indirekt glauben wir, das Handeln der Tekteronii zu erkennen. Andererseits existiert der Eindruck, daß auch dieses Fremdartige mißbraucht wird, daß seine Handlungen natürlichen Regungen folgen, obgleich diese für uns eine Gefahr sind. Unsere Wahrnehmungen sind vage. Wir sind auf andere angewiesen, die uns Klarheit verschaffen.« »Die Augen des Imperators…«, signalisierte ich mit einer Ruhe, die sich allein aus dem jetzigen Zustand erklärte; parallel dazu strömten Informationen von Sinyagi zu mir. »Du sagst es, Atlan.« Die Chorstimme der Großen
Feuermutter klang plötzlich schwach und fern. »Sieh und hör mit Tanja… der Gefahr zu begegnen. Der Fortbestand… unter Umständen davon ab…« Tanja… Alles überschlägt sich: vierzehn Bereiche im Imperium, Stachelkugeln, Einzeller, Lichtwesen auf Zhygor! Beklemmung, die meinen Magen in einen eisigharten Klumpen verwandelte, begleitete die spontanen Gedanken. Plötzlich hatte ich, ohne es begründen zu können, fürchterliche Angst um Tanja – die intensive Ahnung von Schmerz, Leid und Tod. »Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« »Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie. Franz Kafka, Kleine Fabel
EPILOG Der kilometerlange Kristallkonus des Großen Todesboten – ein Schlachtschiff der Thaafs – schwebte seit Tagen bewegungslos im All zwischen Gasausläufern des Supernovarestes, Spinnennebel genannt, dessen Zentrum sechs geometrisch exakt angeordnete Neutronensterne bildeten. Als Mitte der facettierten Kalotte erhob sich wie die obere Hälfte eines Eies die strahlendweiße Tempelkuppel des Cyen: Vier Götzen umringten das Podest – abgetrennte Hinterleibssegmente von zugespitzter Walzenform, die, auf Dutzenden Stempelbeinchen ruhend, materieprojektiv den Körperrest ebenso simulieren konnten wie idealisierte Spiegelbilder des Betrachters. Der Cyen konzentrierte sich, hob die faltigen Hautlappen der Vordergliedmaßen wie Fledermausflügel und fühlte das Reißen des Verbindungssegments. Gezahnte Platten am dreieckigen Mund schnarrten laut, schmerzerfülltes Ächzen drang aus der Kehle. Insektenhafte Gliedmaßen des zweiten und dritten Segments, dicht behaart und in Klauen auslaufend, tasteten nach unten, trennten Hautfetzen und Aderngeflecht ab; die Lücke zwischen Vorder- und Hinterleib wurde größer, Blut, Gewebeflüssigkeit und abgestorbene Zellen vermischten sich. Schwarze Maserung der drei Bernsteinaugen, die tief in nierenförmigen Höhlen lagen, überdeckte das Fluoreszieren, wildes Quirlen erfaßte die aus dem Schädeldach entspringenden Tentakel und knorrigen Fasern. Das Wesen schrie, als der Körper nach vorne ruckte; meterbreit klaffte ein Loch im zurückbleibenden Hinterleib. Violettes Licht quoll hervor, verdichtete zu Schwaden, gewann schärfere Konturen und stabilisierte sich in Gestalt einer
halbdurchsichtigen Projektionsform, die exakt dem Original entsprach. Schmerzwellen ebbten ab, als sich das dritte Segment des Cyen schloß, Insektenbeine den Körper hochwuchteten und das Taumeln endete. Glühen durchdrang das Bewußtsein des Tekteron-Führers, während sich sein Blickfeld um die Facette des neuen Götzen erweiterte und das Parapotential steigerte. Jahre würden vergehen, bis erneut ein segmentierter Hinterleib gewachsen war; auch für perfekte Gestaltwandler blieb es eine gewaltige Anstrengung, Masse dieses Umfangs zu separieren und mit Eigenleben auszustatten, ohne die Vernetzung zum zugrundeliegenden Bewußtsein zu verlieren. Multiple Körper-Manifestationen mit stabiler Physis belasteten sogar einen Mächtigen wie den Cyen Xanthyn Ol’dan – Wahrnehmungserweiterung und Machtzuwachs waren nur eine Seite der Medaille. »Fünf Götzen reichen«, schnarrte der Cyen und genoß die auf sein Bewußtsein einprasselnden, nun sechsfach überlappten Sinnesreize. »Zusammen mit dem Blockbewußtsein der Thaafs entsteht eine Konzentration, die weit in den Hyperraum greift!« Rasch tasteten seine Parasinne hinaus, erfaßten das monotone Summen der Thaafs und ihre gemeinsame Einstimmung aufs Vorhaben. Die Konzentration näherte sich dem Höhepunkt. Hemmar Ta-Khalloup: Jahre der Krise, Betrachtungen zum beginnenden 20. Jahrtausend; Arkon I, Kristallpalast, Archiv der Hallen der Geschichte, 19.035 da Ark Galaktische Mythen, Legenden und Sagen gehören zu den bewohnten Planeten der Milchstraße wie das Licht ihrer Sonnen. Raumfahrer verbreiten sie in Raumhafenkneipen oder erzählen sie bei langen Wachen vor den Ortungsgeräten; Pionier- und
Prospektorentrupps tragen sie an den Rand der Zivilisationen, schmücken sie aus, verzerren sie und passen sie ihren Kulturen an. Manche dieser Geschichten überbrücken die Abgründe der Zeit oder führen weit über die galaktischen Grenzen hinaus; manche zeugen von fremden Dimensionen, anderen Universen. Ihr Realitätsgehalt ist meist kaum zu bestimmen. Dennoch finden immer wieder Historiker, Archäologen und private Forscher winzige, über die Galaxis verteilte Artefakte, die vermuten lassen, daß in vielen dieser Erzählungen ein Anteil Wahrheit liegt. Zu den bekanntesten interstellaren Mythen zählt zweifellos die Erzählung von der »Welt des Ewigen Lebens«. Doch ist gerade dieser Gegenstand des Wunschtraums ungezählter – wie sich herausgestellt hat – unleugbare Wirklichkeit: ES, der Kunstplanet Wanderer, Zellduschen und Imperator Gonozals Zellschwingungsaktivator haben jenen recht gegeben, die wie der große Forscher Crest ihr Leben lang nach dem sagenhaften Planeten suchten. Und so ist vielleicht keine der galaxisweit bekannten Legenden – weder die Sage vom »Magnortöter Klinsanthor« noch die altarkonidische Geschichte vom »Liebespaar Caycon und Raimanja« und dem von ihnen gezeugten »Wachen Wesen«, dem Eingreifen der »Zwölf Heroen«, der »Vagabundierenden Positronik«, ja nicht einmal die fantastische Sage von gewaltigen »Sternentoren«, die den Sprung zu anderen Galaxien ermöglichen sollen – ganz ins Reich der Märchen zu verweisen. Auch verwundert es nicht, daß komplette Mythen oder wenigstens einige ihrer Motive Eingang gefunden haben in Kunstwerke und so noch populärer geworden sind. Das berühmte »Lied vom Sonnenkiller Xymondhoria« beispielsweise besang mit der »Alten Sternenfestung« letztlich ein solches Erzählfragment. Inzwischen mußten wir freilich leidvoll erfahren, daß auch hinter diesem Mythos mehr steckte als pure Einbildungskraft. Bis dahin waren es die Überlieferungen gewesen, die von mehrmaligen »Großen Galaktischen Kriegen« in fernster
Vergangenheit berichteten, welche am skeptischsten betrachtet wurden. Verständlicherweise, denn sogar bei Kulturen und Altvölkern, deren Geschichte nach Jahrzehntausenden rechnet, verschwimmen Ereignisse, die Jahrhunderttausende oder gar eine Million Jahre und mehr zurückliegen, im dunkeln der Äonen. Das Gefahrenpotential, das die realen Hinterlassenschaften dieser Legenden darstellen, ist daher lange nicht sehr ernst genommen worden. Diese Mißachtung sollte sich bitter rächen… ENDE
PERSONENLISTE ATLAN: Im Jahr 10.479 von Arkon (= -8045) auf der Kristallwelt Arkon I im Kugelsternhaufen Thantur-Lok (»Thanturs Ziel«; terranische Bezeichnung: M 13) geboren, als Kristallprinz (Gos’athor) Mascaren da Gonozal designierter Nachfolger des über das Große Imperium (Tai ArkTussan) der Arkoniden herrschenden Imperators Gonozal VII. erlebte er schon eine aufregende Jugendzeit, nachdem sein Vater durch dessen Bruder Orbanaschol III. ermordet und er selbst durch Fartuloon, den Leibarzt des Imperators, vor den Häschern gerettet wurde: In Erinnerung an den ursprünglichen Namenswunsch seiner Mutter, Imperatrix Yagthara, wurde der junge Prinz von Fartuloon Atlan genannt. Er lebte zunächst auf der Randwelt Gortavor und nahm, 18 Arkonjahre alt, den Kampf gegen Orbanaschol und seine Schergen auf, nachdem er nach intensiver Erziehung und Schulung auf der Prüfungswelt Largamenia den dritten Grad der ARK SUMMIA – gleichbedeutend mit der Aktivierung des Extrasinns – erlangt hatte und von seinem Lehrmeister und Ziehvater über seine wahre Herkunft informiert worden war. Erst im Jahr 10.500 da Ark konnte der Brudermörder gestürzt werden; Nachfolger als Imperator wurde Upoc von Gonozal, zweiter Halbbruder Gonozals VII. der in memoriam den Herrschernamen Gonozal VII. annahm. Atlan trat – begleitet von Sonnenträger Tarts, dem neuen Ratgeber, Ausbilder und Freund, nach Fartuloons rätselhaftem Verschwinden – in die Raumflotte ein, absolvierte die Abschlüsse der elitären Galaktonautisehen Akademie von Iprasa und wurde schließlich zum Has’athor (Admiral) befördert. Zu dieser Zeit befand sich das Große Imperium im Krieg gegen die »Methans«.
Mitten aus der »heißen Kriegsphase« heraus wurde Atlan in jenes unbedeutende Sonnensystem am Rand der Milchstraße versetzt, das für seine Zukunft so prägend werden sollte: Nach dem Untergang der Großinsel auf Larsaf III (= Terra), die von Sonnenträger Tarts nach Atlan benannt worden war, der Vernichtung seiner Flotte und dem Tod seines letzten arkonidischen Begleiters Cunor, ohne Aussicht darauf, aus eigener Kraft in die Heimat, nach Arkon, zurückzukehren, zog sich Atlan in die vorsorglich errichtete Schutzkuppel am Grund des Meeres zurück. Er wollte im Tiefschlaf abwarten, daß arkonidische Suchkommandos auftauchten, andere Raumfahrer landeten oder die Barbaren von Larsaf III eines Tages selbst die interstellare Raumfahrt entwickelten. Bewacht und umsorgt von den positronischen Einrichtungen der Kuppel und dem mobilen Hochleistungsrobot Rico, ahnte Atlan nicht – zwischenzeitlich mit einem Zellaktivator bedacht –, daß die Zeit seiner Verbannung mehr als zehn Jahrtausende dauern und er viele Male helfend, fördernd und kulturbringend den Barbaren zur Seite stehen würde: Erst im Jahr 2040 n. Chr. erwachte er aus der letzten Tiefschlafphase, und es kam zur schicksalhaften Begegnung mit Perry Rhodan… Adams, Homer Gershwin Engländer; Chef der General Cosmic Company (GCC), zugleich Finanzund Wirtschaftsminister im Solaren Imperium Agh’Khaal, Sogmanton Arkonide; Entdecker der nach ihm benannten Sogmanton-Barriere; lebte um 15.600 Akese »Neu«-Arkonide; Chef der Waffenabteilung der ARKON II Almeda,
Manolito
Mexoterraner;
von
Atlan
»Speedy«
genannt; Professor der Hyperphysik; auf Arkon III mit Forschungs- und Neuentwicklungsprojekten beschäftigt; er lernte als Kind Atlan unter dessen Tarnnamen Olaf Peterson 1970/71 im TEFTRIS-Camp auf der Baja California kennen Arthamin I. Imperator von 10.323 bis 10.386 von Arkon (= 8229 bis 8155); in seiner Regierungszeit wurde der BáalolKult verboten; sein Nachfolger war Gonozal V. weil er bei seinem Tod keinen lebenden Nachkommen besaß (d.h. auch keinen Kristallprinzen als direkten Nachfolger) Assylia »Neu«-Arkonidin; ARK SUMMIA-Absolventin; Leiterin der Sondereinheit Augen des Imperators, Geheimdienstchef Peter Kosnow direkt unterstellt Atual Springer; Mitinhaber der Bank der Galaktischen Händler in Titon auf Archetz (kurz: die Bank) Axton, Lebo Geheimdienstchef von Arkon zur Zeit Orbanaschols III.; verschwindet nach dessen Tod plötzlich und spurlos… Barkam I. genannt der Große; Imperator von 3953 bis 4091 von Arkon (=15.758 bis 15.595); Arkonherrscher, dem die erste Große Feuermutter (Tai Zhy Fam) zur Seite stand Belzikaan Arkonide; der berühmteste Paraphysiker, lebte um 15.600 v. Chr. und war maßgeblich am Projekt der ersten Großen Feuermutter beteiligt Bull, Reginald Angloterraner; genannt »Bully«; VizeAdministrator des Solaren Imperiums, flog mit Perry Rhodan
in der STARDUST zum Mond Cardif, Thomas Arkon-Terra-Mischling: Sohn von Thora da Zoltral und Perry Rhodan; machte seinen Vater für Thoras Tod verantwortlich, desertierte und verbündete sich mit den Springern; erhielt Ende 2044 eine neue Persönlichkeit Cokaze Springer; gilt als reichster Patriarch da Kentigmilan, Crysara Arkonidin; Dagor-Hochmeisterin; Ihre Heiligkeit, die Arkanta der Totenwelt Hocatarr; als Hohepriesterin die Grande Dame im Großen Imperium da Orcast, Glogol Arkonide; Admiral – Erster Hoher Inspekteur (von insgesamt zwölf); gilt als loyal, ist aber nicht gut auf Terraner zu sprechen seit seiner ersten Begegnung mit ihnen auf Tolimon, dem »Galaktischen Zoo« der Aras (Perry Rhodan hatte die Inspektorenrolle übernommen, und der Mausbiber Gucky ließ Glogol, als er plötzlich als echter Inspektor auftauchte, in Unterhosen dastehen…) da Orcast, Terfkonon Arkonide; Dreisonnenträger, Oberster Richter auf der Gerichtswelt Celkar; gilt als unbestechlich und neutral da Osh, Ekral »Neu«-Arkonide; Wissenschaftler da Quertamagin, Krishai Arkonide; Dreisonnenträger, Oberbeschaffungsmeister des Imperiums; wird wie sein Bruder Regir jener Opposition zugerechnet, die nicht viel von Atlan hält
da Quertamagin, Regir Arkonide; Oberhaupt des Quertamagin-Khasurn, älterer Bruder von Krishai da Quertamagin; Khasurnmeister (= Hauptbevollmächtigter in allen Fragen des Adels; maßgeblich beteiligt bei Vergabe von Titeln etc.); gilt als aufbrausend und spricht schnell Forderungen zum Mannax-Duell aus; Gegner Atlans, maßgeblich in der Organisation der Macht der Sonnen involviert (Zusammenschluß der aktivsten, einflußreichsten Arkoniden) da Ragnaari, Ceshal »Neu«-Arkonide; Kommodore des SchläferSchiffes, zum Flottenadmiral befördert (Zweisonnenträger), Kommandeur des Imperialen Gardegeschwaders da Zoltral, Crest Arkonide; Erster Wissenschaftler des Großen Rates, kam an Bord der AETRON ins Solsystem; Berater Perry Rhodans – »Ein Freund der Menschen«; t 25.1.2045 da Zoltral, Thora Arkonidin; Kommandantin der AETRON, später Perry Rhodans Ehefrau und Mutter von Thomas Cardif; t 15.10.2043 (von Ara erschossen; das Langlebigkeitsserum hatte kurzzuvor doch noch Wirkung entfaltet…) da Zoltral, Zara Arkonidin; Kommandantin der IPRASA; Großnichte von Thora da Zoltral; Enkelin des letzten ZoltralImperators Da’am Sah-Moo Kooann; Sultan der Zhygor-Ureinwohner D’Alessandro, Jana Italoterranerin; Agentin der Solaren Abwehr (SolAb), dann Peter Kosnows Assistentin im Arkon-
Geheimdienst Darrid II. genannt der Weise; Imperator von 2113 bis 2222 von Arkon (= -18.036 bis -17.802) de Monizer, Calus Arkonide; Admiral; auf Zalit eingesetzt, als Atlan und Rhodan 2044 den Vorstoß nach Arkon unternehmen; von Atlan in den Großen Rat (Tai Than) berufen; gilt als aktiv, ist jedoch den Oppositionskreisen der Macht der Sonnen zuzurechnen del Helonk, Ceryklya Arkonidin; alte Hochadlige, die etliche Schönheitsoperationen und Ara-Behandlungen hinter sich hat; eine jener Adligen, die ihre Töchter mit Atlan verkuppeln wollen, um so ihrem Khasurn größeren Einfluß und Macht zu verleihen del Monotos, Hillom arkonidischer Attentäter dorn Ortoba, Gerror arkonidischer Attentäter dorn Parim, Tremlyn arkonidischer Attentäter Donret »Neu«-Arkonide; 1. Offizier der ARKON II Drautherb, Truk Arkonide; Zeremonienmeister und Protokollchef im Kristallpalast; strenger Verfechter der Einhaltung des Kristallprotokolls Eldho-Anan Elloanty; Kommandeur der 5. ArkonEinsatzflotte; gilt als Verfechter eines »harten Kurses« Epetran Arkonide; Erster Wissenschaftler des Großen Rates
(Tai Than), Haupterbauer des Robotregenten einschließlich der Sicherheitsschaltung A-l; t-3909 ES Kollektivintelligenz bzw. Fiktivwesen, Herr der Kunstwelt Wanderer; wird auch »der Unsterbliche« oder »der Zeitlose« genannt; kumuliertes Bewußtsein einer uralten Zivilisation Eukolard arkonidischer Künstler – schuf die »Versinnlichung der Eroberung der Galaxis« zur Zeit von Imperator Osh VI. (um 6960) Everson, Marcus Angloterraner; fand als junger Leutnant auf Wanderer den Colt-»Peacemaker«, der Perry Rhodan den Zugang zum Zellduschen-Physiotron ermöglichte; als Oberst u. a. Kommandant der KUBLAI KHAN; hatte zweimal Begegnungen mit den rätselhaften Molekularverformern; Thantan der Kristallgarde Fartuloon der »letzte Calurier«; Bauchaufschneider von Gonozal VII. nach dessen Ermordung Lehrmeister Atlans; verschwand 10.500 spurlos von Arkon, nachdem er Atlan mit einem kleinen OMIRGOS »behandelt« hatte… Gaarthya »Neu«-Arkonidin; ARK SUMMIA-Absolventin; diplomatische Vertretung Gonza (Hauptsiedlung der ExSchläfer) Gallaam Naat; Kommandant naatscher Raumlandetruppen Gatru Springer; Hoher Herr der Schwerindustrie von Archetz – ein »König« unter den Springersippen Ghotor Arkonide; Ausbilder Atlans an der Galaktonautischen Akademie von Iprasa, berühmt-berüchtigt für seine markigen
Sprüche; t 10.507 von Arkon (= 8011) Gmuna, Tombe Afroterraner; war als Leutnant im Spezialkorps der Psychologischen Abwehr »Begleitoffizier« Atlans im Jahr 2040; Mitarbeiter Peter Kosnows im Arkon-Geheimdienst Goeto, Thalom Báalol-Antimutant; junger neuer Hohepriester im Arkonsystem Gonozal III. Imperator von 6295 bis 6342 von Arkon (Mapoc da Gonozal) (= -12.990 bis -12.935); schuf die drei ArkonSynchronwelten – Tiga Ranton Gonozal V. Imperator von 10.386 bis 10.418 von Arkon (Mascar da Gonozal) (=-8155 bis-8117); Ernennung durch den Großen Rat (Tai Than) als Nachfolger von Arthamin I. weil dieser keinen Kristallprinzen-Nachfolger hatte; Atlans Urgroßvater Gonozal VI. Imperator von 10.418 bis 10.446 von Arkon (Mallacen da Gonozal) (= -8117 bis -8084); Großvater Atlans; dreimal verheiratet: Klyna da Quertamagin (Mutter des Kristallprinzen Mascudar; stirbt kurz nach der Geburt 10.423 von Arkon), Moryty da Zoltral (Mutter des 10.429 von Arkon geborenen Upoc; wurde 10.433 von Arkon in Adelsintrige verwickelt, die Ehe deshalb aufgehoben, Upoc zunächst von jeglicher Thronnachfolge ausgeschlossen), Ashlea da Orbanaschol (Mutter des 10.439 von Arkon geborenen Veloz, der sich schon in seiner Jugend nur Orbanaschol rufen ließ – galt als herrisch und machtbesessen, maßgeblich für Veloz’ Entwicklung mitverantwortlich; starb 10.480 von Arkon: wie es hieß, aus Gram, daß Yagthara einen Kristallprinzen – Mascaren/Atlan – geboren hatte und somit ihrem über alles
geliebten Veloz/Orbanaschol keine Möglichkeit zur Nachfolge als Imperator mehr gegeben war…) Gonozal VII. Arkonide; Imperator von 10.446 bis 10.483 von (Mascudar da Gonozal) Arkon (= -8084 bis -8040); Atlans Vater; von Halbbruder Veloz/Orbanaschol und dessen Vertrauten ermordet Gonozal VII. Arkonide; Imperator von 10.500 bis 10.519 von (Upoc da Gonozal) Arkon (= -8020 bis -7997); Atlans Oheim, Komponist; zog sich noch in der Regierungszeit Mascudars aus dem öffentlichen Adelsleben zurück und trat während der tyrannischen Herrschaft von Orbanaschol III. gar nicht in Erscheinung, wurde aber von den einflußreichen Vertretern der Macht der Sonnen gegenüber dem jungen Kristallprinzen Atlan als Imperator favorisiert Gucky Mausbiber/Ilt; Telepath, Telekinet, Teleporter; Mitglied des Mutantenkorps; der selbsternannte »Retter des Universums« Gwalon I. (Farthu von Imperator von 1774 bis 1808 von Arkon Lloonet) (= -18.334 bis -18.294); zunächst Reichsadmiral, übernahm dann als erster Arkon-Imperator die Macht; unter seinen Nachfolgern Volgathir I. und II. setzte eine massive Geschichtsfälschung ein – einschließlich der Festlegung der Arkon-Zeitrechung, die auf den Heroen Tran-Atlan zurückgeführt wurde Hamkammon Therborer; Planungskollektivs
Sprecher
des
therborischen
Hethan Miir; Kommodore der Beiboot-Flottille der ARKON II Homunk ES-Vertrauter auf Wanderer; Roboter bzw. robotischer Androide (?)
teilbiologischer
Ishibashi, Kitai nipponterranischer Telepath und Suggestor, Mitglied des Mutantenkorps; Arzt und Psychologe; Bauchaufschneider (Leibarzt) des Imperators Jao-Chihi, Peusa Elloantya; Chefingenieurin der TatalalHolding Kaáta, Segno Báalol-Antimutant; stahl Atlans Zellaktivator; t 4.11.2044 Karaan Naat; Tausendschaftkommandeur der Kristallgarde Kelaso »Neu«-Arkonide; ARK SUMMIA-Absolvent; Direktor der Bank von Arkon (ausgebildet u. a. von Homer G. Adams höchstpersönlich) Kerlon Arkonide; befand sich auf der Suche nach der »Welt des Ewigen Lebens« und gelangte über das Wegasystem ins Solsystem, das nach seinem Chefastronomen Larsaf benannt und später Standort einer Arkon-Kolonie wurde Kharoon, Rakina Raumnomadin; Kommandantin der OTIA, Chefin der Feuerfrauen des Imperialen Gardegeschwaders Khuvaan, Girte THERMEEN Ki’Hoy,
Hemmal
Raumnomadin;
Dron;
Kommandantin
Kommandant
der
dronscher
Raumlandetruppen Kontaclatiis (kurz: Kon) Gijahthrako; Dagor-Hochmeister; Vertrauter, Lehrmeister und Freund Atlans; Kristallmeister (= Oberaufseher der Privaträume des Imperators) Kornon Naat; Kommandant naatscher Raumlandetruppen Kosnow, Peter Slawoterraner; ursprünglich Ostblockagent; Generalleutnant, Chef der Psychologischen Abwehr und Sicherheitschef von Terrania, dann Chef des ArkonGeheimdienstes Kosoka Zaliter; Zarlt von Zalit, Vize-Imperator; alter und schwacher Mann Kymalthoran (kurz: Kymal) Gijahthrako; Dagor-Großmeister im Zhy-Kloster auf Iprasa Larsaf Arkonide; Chefastronom des Kerlon-Geschwaders; nach ihm wurde das Solsystem benannt: Larsaf III = Terra Lasam Arkonide; Chef Funk und Ortung der ARKON II Maatal; Molekularverformer auf Eppan Ma-Gonozal, Moya Arkonidin; haßerfüllte, weit entfernte »Verwandte« Atlans; maßgeblich in den Oppositionskreisen der Macht der Sonnen involviert Ma-Kynaan, Gellor Arkonide; scharfzüngiger Arkon-TrividKommentator und Verfasser ironischer Essays Malkathoorgen Gijahthrako; (kurz: Malka) Kommandeur der
3. Arkon-Einsatzflotte, Hauptstützpunkt Amozalan Maria »Neu«-Arkonidin; ARK Ministerin für Kolonialwesen
SUMMIA-Absolventin;
Marshall, John australoterranischer Telepath, Chef des Mutantenkorps Marten, Laury Terranerin; Tochter von Anne Sloane-Marten und Ralf Marten, Mitglied des Mutantenkorps; Telepathin und Desintegratorin Meec’pal Mooff; Sprecher der Mooffs Meek, Yancy Miir; Depotmeister von Zhygor Mercant, Allan Donald Angloterraner; Solarmarschall; Chef der Solaren Abwehr (SolAb) Michalowna, Tatjana (Tanja) in Kiew geborene Telepathin, weitgehend immun gegen (Para-)Hypnose; Mitglied des Mutantenkorps (einst in Diensten des »Overhead« Clifford Monterny); auf Iprasa anerkannte Feuerfrau (Zhy-Fam) Mikondar »Neu«-Arkonide; ARK SUMMIA-Absolvent; Staatsminister für Fremd- und Freihandelswelten Mo medizinisches Genie der Aras, vor 3000 Jahren bei Selbstversuch umgekommen, wird bei den Aras wie ein Gott verehrt Monterny, Clifford Angloterraner; als »Overhead« Gegner Perry
Rhodans, der sich ein eigenes »Mutantenkorps« schuf – darunter Tatjana Michalowna, Iwan Iwanowitsch Goratschin u. a. Movruul Naat; Leibwachenorbtone, Dagormeister NardonnXX. Imperator von 16.124 bis 16.131 von Arkon (= -1372 bis -1364); an Ferm-Krankheit erkrankt; wegen dieser Transitions-Allergie gab er den Erlaß über das Verbot sämtlicher Transmitter heraus, so daß diese Technologie bei den Arkoniden in Vergessenheit geriet – wurde wegen eklatanter Unfähigkeit vom Großen Rat (Tai Than) abgesetzt Nolivaika Longhonin; Feuermutter im Zhy-Kloster auf Iprasa; später nach Zhygor Npln (»Napoleon«) Molekülarverformer auf Moluk Ollanthon Arkonide; technischer Leiter der ARKON II on Parim, (Kybernetiker)
Alos
»Neu«-Arkonide;
Wissenschaftler
Onkto Überschwerer; Chef der Überschweren-Zentralstelle von Archetz Orbanaschol III. Imperator von 10.483 bis 10.500 von Arkon (Veloz da Gonozal) (= -8040 bis -8020); Onkel Allans; ließ sich schon in seiner Jugend nur Orbanaschol rufen; ermordete mit einigen Mitstreitern seinen Bruder und ließ Atlan als rechtmäßigen Nachfolger erbittert verfolgen Orcast XXI. vom Robotregenten »gebilligter« ScheinImperator von 18.958 bis 18.979 von Arkon (= 1978 bis 2003);
stirbt an Lymphsarkom Orcast XXII. vom Robotregenten »gebilligter« ScheinImperator von 18.979 bis 18.991 von Arkon (= 2003 bis 2017); stirbt an Leukämie; danach regiert der »Große Koordinator« allein Ortece Springer; Mitinhaber der Bank der Galaktischen Händler in Titon auf Archetz (kurz: die Bank) Oscer Arkonide; junger Fiktivspielkomponist Qa-And, Elpon Elloanty; Kommandant der ELLOANT Quar Kha Xoraq Andooz; Kommandeur der 4. ArkonEinsatzflotte, Hauptstützpunkt Calukoma Rafon Swoon; Chefingenieur auf Arkon III Ragnaari I. genannt der Große; Imperator von 1833 bis 2026 von Arkon (= -18.264 bis -18.036); ihm wird der erste ESKontakt auf Zhygor zugeschrieben; ob er tatsächlich eine Zelldusche erhielt, ist nicht überliefert… Raltek Dron; Chef der Kampfroboterverbände der ARKON II Reomir I. Imperator von 12.165 bis 12.192 von Arkon (= -6052 bis -6020); im Jahr -6050 erhalten die Springer nach langem Drängen von ihm ihr angestrebtes Handelsmonopol als Dauerlehen Retorol Naat; Tausendschaftkommandeur der Kristallgarde
Rhodan, Perry Terraner; Erster Administrator des Solaren Imperiums und Freund Atlans; landete 1971 mit der STARDUST auf dem Mond und gründete mit Hilfe arkonidischer Technik zunächst die »Dritte Macht«, später das Solare Imperium Rico Roboter; Begleiter und Vertrauter Atlans durch die irdische Verbannungszeit; blieb in der Kuppelstation auf der Erde zurück Robal V. Imperator von 6251 bis 6255 von Arkon (= -13.042 bis -13.037); liebte seine Frau so sehr – bzw. wähnte sie zu lieben – , daß er aus Eifersucht einen Admiral erschoß; zum Tod verurteilt, konnte jedoch fliehen; vom Großen Rat (Tai Than) wurde als Nachfolger Gonozal I. ernannt (welcher 6258 von Arkon = -13.034 nach nur drei Arkonjahren Inthronisationszeit in einem Hypersturm spurlos verschwand…) Senekho Arkonide; Kristallmarschall – entspricht etwa einem Hofmarschall als oberstem Beamten des (imperialen) Fürstenhofes (von Amts wegen Vorgesetzter des Zeremonienmeisters, Ausbilder/Erzieher des jeweiligen Kristallprinzen); gilt als loyal, bewahrt aber möglichst neutrale Position; später zum Kommandeur des Flottenstützpunktes Trantagossa ernannt Sonem Scü; Kommandant scüscher Raumlandetruppen Sronee Dron; Kommandant dronscher Raumlandetruppen Suinsintung (kurz: Suin) Gijahthrako; Dagor-Hochmeister im Zhy-Kloster auf Iprasa; später nach Zhygor Sutokk Ekhonide; General der 6. Arkon-Einsatzflotte auf
Ekhas; Militarist, kein Freund der Terraner, Atlan gegenüber aber absolut loyal Ta-Emthon, Tara Arkonide; Admiral; hat eindeutig selbst Ambitionen Richtung Imperatorenamt und gilt als führender Kopf innerhalb der Oppositionsgruppe der Macht der Sonnen (Zusammenschluß der aktivsten, einflußreichsten Arkoniden) Ta-Grishkan, Tunuter »Neu«-Arkonide; Wissenschaftler und Ingenieur Tai Zhy Fam Bewußtseinskollektiv weiblicher Feuerfrauen (Zhy-Famii); die Große Feuermutter; nach dem Aussehen ihres materieprojektiven Scheinkörpers nennt Atlan sie Sinyagi (Sinyagi da Ettorkhal, seiner ersten Liebe nach der IprasaAusbildung); ohne Atlan ist das Kollektiv, dessen Einzelkörper in künstlicher Hibernation gehalten werden, nicht stabil und würde rasch zerfallen Ta-Khalloup, Hemmar Arkonide; führender Historiker und Archivar im Großen Imperium, beschäftigt sich im Auftrag Atlans vor allem mit dem Aufstöbern alter Legenden Talasi »Neu«-Arkonide; Kommandant der PAITO
ARK
SUMMIA-Absolvent;
Ta-Nokoskhgan, Arona Arkonide; Admiral der 7. ArkonEinsatzflotte; gilt als stolz und tatkräftig, unbedingt loyal einzustufen Tarts Arkonide; Sonnenträger; Kommandant des Flaggschiffs TOSOMA, im Kampf um Atlantis gefallen; t -8000
Terbakh, Eigurd Arkonide; Dichter und Philosoph; veröffentlichte mehrere Bände mit Sprüchesammlungen (um12.890) Tercnon »Neu«-Arkonide; ARK SUMMIA-Absolvent; Vorsitzender der Kleinen Runde der ARK SUMMIAPrüfungswelt Alassa Thom Kooann; Ureinwohner von Zhygor und Atlans Freund Tifflor (Tiff), Julian Botschafter auf Arkon I
Terraner;
General,
neuer
Terra-
Tokoontlameer (kurz: Tokoon) Gijahthrako; Mascant (= Reichsadmiral), Kommandeur der 1. Arkon-Einsatzflotte, stationiert auf Arkon III; mehr als 5200 Erdjahre alt Toveen Naat; Tausendschaftkommandeur der Kristallgarde Tran-Atlan einer der legendären 12 Heroen; mit ihm wird das Entstehen des Dagor (»All-Kampf«) und auch der Beginn der Arkon-Zeitrechnung verbunden – Namenspatron Atlans Trayz, Ellyna Raumnomadin; Fürstin des Trayz-Habitats Trayz, Khol Raumnomade; Dagormeister des Trayz-Clans
Sonnenträger;
führender
Tschubai, Ras afroterranischer Teleporter, Mitglied des Mutantenkorps Unista
»Neu«-Arkonide/Ex-Schläfer;
ARK
SUMMIA-
Absolvent; Kommandant der TOSOMA voo Maspin, Horkon Mispaner; Kommandant der MISPAN voo Mispanor, Killan Mispaner; Adjutant, Privatsekretär und Stabschef Atlans Wroma, Fron Afroterraner; Thek’athor (Admiral im Stabsdienst) – Chef des Flottenzentralkommandos (Thektran) auf Arkon III Xanthyo Ol’dan Cyen – Befehlshaber im Tekteron-Bund (weitere namentlich bekannte Cyen: Ak’iakaton, Toumtook, Torka Mirtak, Xatil Ok’mitrax, Cartee A’Iktar, Iffom Xam’torie, Xia Xinta, Comna Comanta, Reg Talakon, Xarmosta On’til, Myrka Ol’toon); raupenförmige Lebensform unbekannter Herkunft, die Hinterleibssegmente abtrennen kann, mit diesen aber in paranormalem Kontakt/Interaktion bleibt und als sogenannte Götzen in den Tekteron-Tempelkuppeln einsetzt Yagthara Arkonidin; Imperatrix (geb. Agh’Hay-Boor); Atlans Mutter, zehn Arkonjahre jünger als ihr Gatte Gonozal VII.; t 10.515 von Arkon (= -8002) Zaghyt, Straton Dron; Vere’athor des Flaggschiffs ARKON II; Freund, und Vertrauter Atlans Zarkam »Neu«-Arkonide; ARK SUMMIA-Absolvent; verantwortlich für Handel, Nachschub und Logistik auf Arkon II Zhymee, Crisa Raumnomadin; Kommandantin der GHERON
Zoltral XII. Imperator von 18.941 bis 18.958 von Arkon (= 1957 bis 1978); von Robotregent abgesetzt Zorgan, Jassir Dron; Kommandant der DRON
GLOSSAR ARKONIDISCHER BEGRIFFE Arbaraith sagenhaftes Land mit Kristallobelisken, von Bestien bedroht; verschwand mit der Entrückung des Heroen Tran-Atlan – häufig als eigentliche Urheimat der Arkoniden gedeutet Arbtan(en) Mannschaft(en) Unteroffiziere/Sergeanten
–
Soldaten
+
Arkanta Titel der Hohepriesterin von Hocatarr – weitere Anreden: Ihre Heiligkeit, Ehrwürdige Große Mutter arZhym-i-Thos wörtl. (aus) Feuer und Eis (ursprünglicher Name des 6. Arkonplaneten), abgeleitet von -i-, Thos, Zhym Athor allg. ein Kommandeur/Kommandierender/Befehlshaber, jemand in führender/bevorzugter Stellung; Abstufung je nach Präfix (z.B. – > Has’athor = Admiral) Berlen Than wörtl. Zwölf(er)-Rat; Regierungsgremium des Großen Rates (-> Tai Than) Bmerasath blauschimmernder Halbedelstein von z. T. beachtlichen Ausmaßen, nur auf wenigen Welten zu finden; aus einem solchen wurde der Konferenztisch des Zwölferrates (Berlen Than) geschliffen Breheb-Toor »Achtung, stillgestanden« Chronner(s) Währungseinheit auf imperialer Ebene, entspricht
von der Kaufkraft her etwa einem Solar (= 29,5 Dollar des Jahres 1971); Unterteilung: 1 Chronner = 10 Merkons = 100 Skalitos) da Präp. (zeitlich) = »von«; Bez. des Adels/Adelstitel; als Präfix = »all/alles« – Arkonzeitrechnung, Dagor) da Ark Arkonzeitrechnung – Jahreszahl »von Arkon« Dagor meist als »All-Kampf« übersetzt; i.e.S. die waffenlose Kampfkunst der Arkoniden (angeblich vom legendären Heroen Tran-Atlan geschaffen), i.w.S. die damit verbundene Philosophie/ Lebenseinstellung – vervollkommnet beim Arkon-Rittertum (Dagorista) Dagorcai Übungsvortrag im Dagor, einer Kata vergleichbar Dagorista Arkon-Rittertum auf der Basis von – > Dagor Dagoristas Mitglieder des Arkon-Rittertums Dagor-Zhy Meditationsform: »Ringen oder Kampf ums allesbestimmende übersinnliche Feuer«, abgeleitet von Dagor, Zhy De-Keon’athor Admiral Zweiter Klasse = Dreisonnenträger; »Vize-Admiral« Dor’athor (Raumschiff-)Kommandant Vierter Klasse (bis 200 m); entspricht i. a. einem Dreimondträger Echodim arkonidische Gebetsschlußformel Essoya nichtadlige Arkoniden, benannt nach einer grünen
Blätterfrucht Fam wörtl. Lebensspenderin, allg. Frau (je nach Satzzusammenhang u.U. Tochter oder Mutter = potentielle/seiende Lebensspenderin) Fama Leben Famal Gosner Grußformel: »Lebt wohl!« – abgeleitet von Fam, Fama Garrabo imperiales Strategiespiel, dem Schach vergleichbar; weit verbreitet und beliebt, wird sogar an den Raumakademien gelehrt; daraus abgeleitet geflügelte Worte wie Garrabozug, Garrabofigur usw. Gor Kampf/ringen um Gos das Wohlgestaltete/Makellose, i. a. im Sinne von Kristall Gos’athor (der) Kristallprinz, abgeleitet von Gos, Athor Gos-Laktrote Kristallmeister, abgeleitet von Gos, Laktrote Has’athor allg. ein Admiral; i.e.S. einfachster Admiralsrang = Einsonnenträger, Admiral Vierter Klasse Athor -i- Binde-/Verknüpfungsvokal, entspricht der Konj. »und«; ist abgeleitet vom Bindewort ian, das anstelle eines Kommas verwendet wird -ii verdoppelter Binde-/Verknüpfungsvokal als Suffix.= Pluralkennzeichnung i. a. bei Personen verwendet ( z. B. bei
Zhy-Famii = Feuerfrauen) Iprasa wörtl. Wanderschaft, Nomadentum, davon abgeleitet der Name des 6. Arkonplaneten Kanth-Yrrh mit den Verteidigung im Dagor
Kräften
des
Gegners
arbeitende
Katsugo i.e.S. Übungsschwert aus Holz; auch Bez. Für den Schwertkampf der Dagoristas/Arkonritter insgesamt, dem jap. Kendo vergleichbar KAYMUURTES fast heilige, alle drei Arkonjahre stattfindende Wett- und Ausscheidungskämpfe in Arenen Keon’athor Admiral Dritter Klasse = Zweisonnenträger; »Flottenadmiral« Khasurn wörtl. Kelch (Bez. des arkonidischen Riesenlotos), abgeleitete Bez. für Adel insgesamt, auch im Sinne von »Haus, Geschlecht« verwendet Khasurn-Laktrote Kelchmeister, abgeleitet von Khasurn, Laktrote Kur Sektorenbeauftragter/-Statthalter Sonnensystem)
(mehr
als
ein
Lakan Gruppe von zehn Raumschiffen Laktrote Bez. für einen überlegenen Rang im Sinne von Weiser, Meister; abgeleitet davon z.B. Laktran in Thek-Laktran (= Hügel der Weisen)
Lerc Einheit der »Intelligenzstufenskala«; Voraussetzung für die Desaktivierung des Robotregenten z.B. 50 Lerc Lok Ziel Mannax Kodexformen/Regeln der Dagoristas für Kampf und Duell Mascant Admiral Erster Klasse, höchster Admiralsrang = »Reichsadmiral« = ein Dreisonnenträger mit bes. Auszeichnung Mehandor wörtl. Händler, Eigenbez. der »Springer« Merkon(s) 1/10 -+ Chronner Mivado-Ring arkonid. Verbrecherorganisation, vor allem auf Arkon II Nocto-Nos Händler-Schutzgemeinschaft Omir-Gos ein aus dem Zhy Bewußten Seins materialisierter Kristall, gekennzeichnet durch seine 1024 Facetten und ein goldenes Lumineszenzleuchten; Atlans Ziehvater u. Lehrmeister Fartuloon (»der letzte Calurier«) verwendete offenbar verschiedene Sonderformen von OMIRGOS… Orbton(en) Offizier(e) ab einfachem Mondträger Pal’athor (Raumschiff-)Kommandant Zweiter Klasse (bis 500 m); i. a. ein Zweiplanetenträger Prago(s) = Tag zu 20 -> Tontas
Ranton wörtl. Welt(en) Satron Abk. Same Arkon trona – »hört Arkon sprechen«; Bez. für die lingua franca im Großen Imperium: als Satron = klassisches Interkosmo, als Satron-I – Interkosmo (ab Verleihung des Handelsmonopols an die Springer im Jahr 6050), als Arkona-I = Hofsprache (vor allem Arkon I) Sek’athor (Raumschiff-)Kommandant Dritter Klasse (bis 300 m); i. a. ein Einplanetenträger SENTENZA arkonid. »Mafia« She’Huhan Sternengötter; je 12 Frauen und Männer Siima-Ley Grifftechniken im Dagor Skalitos 1/100 Chronner; entspricht 1 Soli (= 100 Soliri) Skorgon wörtl. der Verschleierte Spentsch Kodexformen/Regeln der Dagoristas für Kampf und Duell Tai groß/großes/großer Tai Ark’Tussan Großes Arkon-Imperium, meist nur als Großes Imperium übersetzt Tai Moas wörtl. »groß eins« – in der Bedeutung »Erster Großer von Arkon« = Imperator (als Oberfehlshaber der Arkonflotten im Rang eines Begam, des höchsten
Offiziersrangs überhaupt – nur einmal vergeben, genau wie die Umschreibung Höchstedler) TaiThan Großer Rat mit insgesamt 128 Mitgliedern (Unterausschüsse z.B. der Zwölferrat, der Medizinische Rat usw.), abgeleitet von Tai, Than Tai Zhy Fam Große Feuermutter, abgeleitet von – > Fam, Tai, Zhy Tai-Laktrote Großmeister, abgeleitet von – * Laktrote, Tai Tato(s) (Planeten-)Gouverneur (bis zu einem Sonnensystem) Than Rat Than tan höchster Offiziersrang im Gardedienst (Than: Rat) unterhalb eines Admirals = Dreiplanetenträger; entspricht einem Vere’athor Thantur-Lok wörtl. Thantur Ziel, Bez. für Kugelsternhaufen M l3 nach dem Flottenadmiral Thantur (urspr. Talur); Lok Tharg’athor (Raumschiff-)Kommandant (unterhalb 100 m); i. a. ein Einmondträger
Sechster
Klasse
Thark(s) sternförmige Wurfscheibe(n) der Dagoristas Thek Hügel, auch Gipfel; abgeleitet davon z.B. Thek-Laktran, Thek’athor Thek’athor Admiral im Stab (Flottenzentralkommando Thektran) = Dreisonnenträger; wörtl. »Kommandeur auf dem
Hügel/Gipfel«, abgeleitet von Thek, Athor Thek-Laktran Hügel der Weisen, abgeleitet von – > Laktrote, Thek Thektran Flottenzentralkommando auf Arkon III, abgeleitet von Laktrote, Thek Thi hoch/höchst; Bez. z.B. bei -> Thi-Laktrote (Hochmeister), Zhdopanthi (Höchstedler, Bez. für den Imperator) Thi-Laktrote Hochmeister, abgeleitet von Laktrote, Thi Thi Than Hoher Rat, eine Art Volksparlament – im Gegensatz zum Großen Rat (Tai Than) frei gewählt Thos wörtl. Eis, Phonemableitung von Gos Thos’athor »Eisjunker«, abgeleitet von Gos, Thos, Athor; i.w.S. auch Bez. für Offiziersanwärter tiga drei Tiga Ranton wörtl. Drei Welten – Umschreibung für Arkons Synchronsystem von Arkon I – III, abgeleitet von Ranton, tiga Tonta(s) arkonid. Stunde = 1,42 Erdstunden Verc’athor (Raumschiff-)Kommandant Fünfter Klasse (bis 100 m); i. a. ein Zweimondträger Vere’athor (Raumschiff-)Kommandant Erster Klasse; i. a. ein
Dreiplanetenträger Zhdopan Erhabene(r), Hohe(r) – Ausdruck der Hochachtung; Anrede für alle Adligen, i.e.S. jene der Edlen Dritter Klasse (= Barone) Zhdopanda wörtl. Hochedle/Hochedler – Anrede der Edlen Erster Klasse (= Fürsten, Herzöge) da, Zhdopan Zhdopandel wörtl. Edle/Edler – Anrede der Edlen Zweiter Klasse (= Grafen) Zhdopanthi Höchstedler; Bez. für den Imperator Thi, Zhdopan Zhy zentraler Begriff der Dagor-Philosophie, vergleichbar dem Satori im Zen; »transzendentales Licht«/»übersinnliches Feuer« Zhy-Fam allg. Feuerfrau, je nach Satzzusammenhang auch Feuertochter/mutter – Fam, Zhy Zhygor wörtl. Lichtkampf/Kampf ums Licht; ein Begriff aus der Dagor-Philosophie – nach ihm wurde der Planet der ESKontaktstelle benannt Zhym Feuer, abgeleitet von – Zhy Zhym’ranton Feuerwelt, 1. Planet im Arkonsystem; abgeleitet von Ranton, Zhym
ARKON-ZEITRECHNUNG Grundlage der detaillierteren Festlegung ist die in PERRY RHODAN-Roman 38 genannte Gleichsetzung von 11 Arkonjahren mit 13 Erdjahren, wodurch sich eine Umrechnung wie folgt ergibt: 0,846 Arkonjahre = 1 Erdjahr 1 Arkonjahr = 1,182 Erdjahre Weiterhin wird zum Arkonsystem ausgesagt, daß die Rotation von Arkon III 28,4 Stunden beträgt (dto. infolge der Synchronisation bei Arkon I und II). 1 Arkonjahr entspricht demnach dem siderischen Umlauf von 365,22 Arkontagen zu 28,37 (Erd-)Stunden (Tag: arkonidisch Prago, pl. Pragos). Gerechnet wird mit 365 Arkontagen je Arkonjahr: Alle 50 Arkonjahre ergibt sich somit ein Schaltjahr, in dem 11 Arkontage angehängt werden (diese 11 Schalttage entsprechen den 11 Heroen, die Schaltperiode selbst wird nach dem mythischen 12. Heroen »Pragos des Vretatou« genannt). Das Arkonjahr ist unterteilt in 10 Perioden (= »Monate«) zu je 36 Arkontagen, hinzu kommen die 5 Pragos der »Katanen des Capits« (Feiertage, die auf uralte Riten zurückgingen; früher wurden damit die Fruchtbarkeitsgötter geehrt. Mit der Zeit verloren die Katanen an Bedeutung). Folgende Namen-Reihenfolge gilt: 1. der Eyilon 2. die Hara 3. der Tarman 4. der Dryhan 5. der Messon 6. der Tedar 7. der Ansoor 8. die Prikur
9. die Coroma 10. der Tartor dazu die Katanen des Capits vor dem Jahreswechsel Als weitere zeitliche Unterteilung entspricht das Tonta dem Begriff »Stunde« (PR 13:… sieben Tontas gültiger GalaktoZeit… = etwa zehn Stunden); Umrechnung: 0,7 Tontas (exakt: 0,705) = 1 Erdstunde 1 Tonta (exakt: 1,4185) = 1,42 Erdstunden d.h. 1 Arkontag = 20 Tontas