John Grey
Der letzte Wagen Ronco Band Nr. 330/47
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 st...
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John Grey
Der letzte Wagen Ronco Band Nr. 330/47
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Scout von Fort Calhoun wird des Diebstahls bezichtigt, aber das läßt er nicht auf sich sitzen. Jerome Vanderbilt – Der feiste Postkutschenbesitzer versucht jemandem in die Suppe zu spucken, aber dann stirbt er fast vor Angst. Jeff McHenry – Ein Kutscher und Koloß von Kerl, der jemandem die heilige Furcht beibringt. Elton Vandam – Ein fünfzehnjähriger Junge, der Vollwaise wird, aber einen Freund gewinnt: Shita, Roncos Bastardhund.
Der letzte Wagen 26. Oktober 1881 Als ich anfing, dieses Tagebuch zu schreiben, war ich ein Mann, der vom Gesetz nichts zu erwarten hatte. Ich wollte Gerechtigkeit, und Gesetz und Gerechtigkeit sind zwei Paar Stiefel, die sich sehr voneinander unterscheiden. Das Gesetz ist nur Papier, und Papier ist geduldig. Es kann gekauft und zurechtgebogen werden, heute so und morgen so, wie es denen gerade paßt, die die Macht dazu haben. Die Gerechtigkeit aber ist unteilbar. Ich habe mir niemals vorstellen können, daß ich einmal jenes Gesetz vertreten würde, das für mich damals gleichbedeutend war mit Ungerechtigkeit, Falschheit und Korruption. Und doch ist es so. Meine Meinung darüber hat sich in den Wochen, die ich den Ranger-Stern trage, nicht geändert. Aber ich habe gelernt, daß Gerechtigkeit eine Sache der Menschen ist, die das Gesetz vertreten. Bei den Rangers habe ich bis heute schon viele Männer kennengelernt, die denken wie ich. Aber es gibt noch immer Männer, die reich und mächtig sind und daher meinen, sich nicht an Regeln halten zu müssen. Sie schaffen ihre Gesetze selber, so wie Samuel Hollister. Ein Geschäftsmann, ein gewiefter Mann, reich, gerissen, skrupellos, mächtig. Ein erbärmlicher Schuft, der über Gerechtigkeit lacht, der über mich und die anderen Ranger lacht, die versuchen, ihm das üble Machwerk zu legen. Ich habe mein Tagebuch damals begonnen, um ein Dokument meiner Unschuld zu hinterlassen, denn ich war ein gejagter Mann. Inzwischen habe ich längst begriffen, daß es falsch wäre, jetzt damit aufzuhören, jetzt, da ich selbst den Stern trage und rehabilitiert bin. Ein Mann wie ich wird niemals völlig rehabilitiert sein. Die Hoffnung, einmal Ruhe zu haben, habe ich aufgegeben. Es wird immer wieder Leute geben, die mir etwas am Zeuge flicken wollen, weil ich ihnen auf die Füße trete. Ich kann einfach nicht anders. Wer jahrelang unschuldig verfolgt wurde und gegen eine ganze Welt
kämpfen mußte, um sein Recht zu erhalten, der verlernt es wohl, gegenüber wirklich großen Schuften den Mund zu halten, sich vor ihnen zu ducken. Die meisten tun das. Auch die, die den Stern tragen. Ich gehöre nicht dazu. Für mich ist der Stern eine Verpflichtung, die ich ernst nehme. Denn genauso, wie ich schließlich meine Unschuld beweisen konnte, konnte ich die Schuld und die Verstrickungen all jener beweisen, die mich in die Gesetzlosigkeit gestoßen hatten. Alles hat seine Stunde, jeder stößt einmal an seine Grenzen. Das gilt auch für Hollister, dem ich gerade jetzt, in meinem zweiten Fall als Ranger, wieder eine Niederlage zu verdanken habe. Aber ich bin sicher: Auch sein Tag wird kommen. Mein Tagebuch verhindert, daß ich die Vergangenheit vergesse, und hilft mir, die Gegenwart schärfer zu sehen. Und ich habe begriffen: Die Geschichte gleicht sich, auch die Menschen, die einem begegnen, gleichen sich. Es sind immer dieselben. Schon als Junge habe ich Männer wie Hollister getroffen, auch als Scout in Fort Calhoun, damals, 1865. Während ich hier schreibe, denke ich daran, denn die Erinnerung beweist mir, daß man nie aufhören darf, gegen sie zu kämpfen. Sie sind alle zu besiegen, die Hollisters dieser Welt. Aber man muß auf der Hut sein. Wer gegen sie ist, wird von ihnen verfolgt, manchmal über den Tod hinaus. Deshalb höre ich nicht auf, meine Geschichte weiter zu schreiben, und ich höre nicht auf, weiter zu kämpfen …
1. Elton spielte mit Shita auf dem Hof. Sie tobten herum. Shita hechelte, kläffte und sprang den Stöcken nach, die Elton warf. Texas im Oktober 1865. Es war heiß. Die Sonne stand hoch. Ein Himmel ohne Wolken. Die weiten Ebenen dehnten sich zu den Horizonten. Der Westwind war schwach und atmete Erschöpfung und Dürre. Der Sommer war fast vorbei. Die Tage würden nicht mehr lange so heiß sein. Sie waren bereits kürzer und die Nächte länger. Einmal hatte es schon Frost gegeben.
Elton war fünfzehn. Groß für sein Alter und mager. Ein Pickelgesicht mit langen blonden Haaren, etwas zu breitem Mund und blitzenden Augen. Ich sah Shita und Elton am Brunnen vorbeirennen. Sie schienen um die Wette zu laufen. Elton stolperte und fiel der Länge nach hin. Shita stürzte sich auf ihn und beleckte mit wahrer Begeisterung sein Gesicht. Ich hörte Elton schreien und grinste. Mistreß Vandam brachte mir einen Teller mit Spiegelei und frischem Brot. In der linken Hand hielt sie eine große Kanne. Es duftete nach frisch geröstetem Speck und Kaffee. Mistreß Vandam war Eltons Mutter. Elsa Vandam: Mittelgroß war sie, kräftig, breite Hüften, starke Schultern, volle, fleischige Arme und kleine, schwielige Hände, die zupacken konnten. Ihr Gesicht war rund und von rosiger Frische. Die Augen waren lebhaft und sahen alles, es entging ihnen nichts. »Danke, Ma'am«, sagte ich. »Essen Sie nur, Ronco«, sagte sie. Ihre Wangen glänzten so rot wie Paradiesäpfel. »Es tut Ihnen gut. Immer das eintönige Essen im Fort ist nichts für einen jungen Mann. Mögen Sie danach noch einen Apfel?« »Gern, Ma'am. Sie wissen gar nicht, wie recht Sie haben.« Ich griff nach einer Gabel und schaufelte das Ei in mich hinein, während sie mir Kaffee in eine dicke Porzellantasse einschenkte. Zwischendurch hob ich den Kopf, mampfte und sagte mit vollem Mund: »Ich habe noch nie so gut und viel gegessen, bevor Sie sich hier niedergelassen haben.« Das Kompliment schien ihr zu gefallen. Sie lächelte und bewegte sich durch den Aufenthaltsraum zu einer grob gezimmerten Truhe. Sie holte einen Apfel heraus. Er war grün und hatte ein paar rosige Flecken. Sie wischte ihn sorgfältig an ihrer geblümten Schürze ab, bis er glänzte wie eine Billardkugel. Die Vandams waren seit sechs Wochen in dieser Gegend. Sie hatten eine kleine Station für die neue Postlinie aufgebaut, die seit zwei Wochen in Betrieb war und von Eagle Pass an der MexikoGrenze über Fort Calhoun, immer die Overlandstraße entlang, bis nach Corpus Christi am Golf von Mexico und wieder zurück nach Eagle Pass führte. Von da aus ging es noch weiter nach Westen.
Seitdem war ich oft hier. Fort Calhoun war nicht der Nabel der Welt, hatte aber den militärischen Schutz für die neue Postlinie. Ich war froh, daß ich als Scout viel unterwegs sein und die Vandams immer wieder besuchen konnte. Sie waren eine Familie, die mir gefiel und bei der ich mich wohlfühlte. Auch Shita fühlte sich hier wohl. Elton war geradezu verrückt nach ihm, und Elsa Vandam hatte jedesmal für mich etwas zu essen. Sie war mütterlich um mich besorgt. Das war neu für mich, aber sehr angenehm. »Elton bringt sich mit Shita noch um«, sagte sie. Sie stand am Fenster, nachdem sie mir den Apfel zum Tisch gebracht hatte. »Er will auch einen Hund, genauso einen wie Shita.« »Ein Hund ist was Feines für einen Jungen«, sagte ich kauend. »Es ist sehr einsam hier. Elton braucht Gesellschaft.« »Es wird sicher bald mehr Farmen hier geben«, sagte Mistreß Vandam. »Die Postlinie zieht Siedler hierher, glauben Sie mir. Dann wird es irgendwann eine Stadt geben. Vielleicht sogar dort, wo jetzt Fort Calhoun liegt, und auch eine Schule wird es geben. Eine Schule ist wichtig. Mein Mann kann lesen, ich kann lesen und schreiben. Aber Elton soll einmal mehr können als nur das.« »Bis dahin wird noch Zeit vergehen«, sagte ich. Ich trank einen Schluck Kaffee. »Bis dahin ist Elton ein Mann. Dann hat er selbst Kinder, und die können vielleicht in die Schule gehen.« »Sie wissen sehr viel über das Land, obwohl Sie noch so jung sind, Ronco«, sagte sie. »In diesem Land lernt man schnell, Ma'am«, sagte ich. »Wer das nicht tut, wird hier nicht alt. Ich war schon mit zwölf Jahren ein Mann, und Elton wird es auch bald sein. Aber Elton hat Sie, und er hat seinen Vater. Ich hatte keine Eltern. Elton hat einen besseren Start.« »Es tut mir sehr leid, Ronco.« »Danke, Ma'am, aber das ist nicht nötig. Damals, als ich es gebraucht hätte, war niemand da, der Mitleid hatte, und heute habe ich mich daran gewöhnt, allein zu sein. Ich hatte niemals Zeit, mich selbst zu bemitleiden oder darüber nachzudenken, was alles aus mir hätte werden können, wenn ich Vater und Mutter gehabt hätte. Ich mußte sehen, wo es lang ging, und ich hab versucht, mich
durchzuschlagen. Man soll sich nicht gegen etwas wehren, was nicht zu ändern ist, sondern versuchen, aus jeder Lebenslage das Beste herauszuholen.« »Sie sind zwanzig, nicht wahr?« »Neunzehn, Ma'am«, sagte ich. Ich aß mein Spiegelei und kostete von dem Brot. Elsa Vandam backte das beste Brot, das ich je gegessen hatte. »Sie sind nur vier Jahre älter als Elton«, sagte sie. »Wenn ich Sie ansehe, kann ich es kaum glauben.« Ich antwortete nicht. Sie hatte recht. Ich hatte schon immer älter ausgesehen, als ich war. Jetzt war ich neunzehn und sechs Fuß groß. Früher war ich sehr hager gewesen, wie ein junger Wolf. Jetzt hatte ich etwas angesetzt. Ich war breiter geworden, aber ich schleppte kein Gramm Fett zuviel mit mir herum. Ich hatte schmale Hüften, mein Brustkorb war breit, meine Schultern muskulös, meine Arme kräftig und sehnig. Ich trug ein paar Narben an meinem Körper, und in mein Gesicht hatten sich ein paar scharfe Falten gekerbt. Die Sonne hatte meine Haut dunkel gebrannt, und das blonde Haar trug ich noch immer schulterlang wie damals, als ich noch zum Stamme der Chiricahua-Apachen gehört hatte. An der Hüfte hing rechts in einer Halfter mein alter, zernarbter Navy-Colt, links trug ich ein Messer. Stets bedeckte ein dünner Bartflaum meine Wangen, denn ich hatte selten Gelegenheit, mich regelmäßig zu rasieren. Es stimmte: Ich sah älter aus, ich fühlte mich auch älter. Mein bisheriges Leben und die vielen Erfahrungen hatten mich geprägt, innerlich und äußerlich. Ich schob den leeren Teller zurück und kaute auf der Brotrinde herum, die knusprig und dunkel war und besonders würzig schmeckte, wie mir schien. Dann griff ich zur Tasse und trank. Mistreß Vandam kochte auch den besten Kaffee, den ich je getrunken hatte. »Elton mag Sie sehr«, sagte sie. »Er möchte werden wie Sie, hat er gesagt.« »Lieber nicht«, sagte ich. »Er hält sehr viel von Ihnen«, erklärte sie. »Er sagt, er würde gern Ihr Freund sein.« »Shitas Freunde sind auch meine Freunde«, sagte ich. »Wenn ich
einmal Zeit habe, werde ich mit Elton auf die Jagd gehen.« »Ich glaube, daß er dann für den Rest seines Lebens davon träumen wird«, meinte Mistreß Vandam. »Er hat sich nur noch nicht getraut, Sie darum zu bitten, aber er redet schon lange davon.« »Das Ei war ausgezeichnet, Ma'am«, sagte ich. »Ihr Brot muß im Himmel gebacken werden, und für Ihren Kaffee würde ich tausend Meilen weit reiten.« Sie strahlte über das ganze Gesicht, trat zum Tisch und räumte das Geschirr ab. Als sie damit in die Küche ging, bellte Shita draußen wieder. Ich erhob mich. Alles hier im Raum duftete neu. Die Balken waren frisch geschält und hell, sie rochen nach Harz. Die Bodendielen waren blankgescheuert, genauso die Tische. Elsa Vandam war eine Frau, die auf Sauberkeit hielt. Mister Henry Vandam war um diese Frau zu beneiden. Er war ein schweigsamer, vierschrötiger, fleißiger Mann, der in den wenigen Wochen, die die Familie hier war, nicht nur zusammen mit seiner Frau und einem Helfer, den die Postlinie hergeschickt hatte, das Stationshaus aufgebaut, sondern auch hinter dem Haus ein großes Feld abgesteckt hatte, auf dem er im nächsten Jahr Mais säen wollte. Er arbeitete jetzt im Stall. Der Helfer, den die Postlinie geschickt hatte, war längst wieder weg. Es gab aber noch viel zu tun, und ich hatte noch keinen Tag erlebt, an dem Henry Vandam die Hände in den Schoß gelegt hätte. Außer natürlich am Sonntag, denn die Vandams waren gottesfürchtige Leute. Sonntags zogen sie ihre besten Kleider an und fuhren nach Fort Calhoun hinüber, mit einem klapprigen Einspänner, der von einem altersschwachen grauen Hengst gezogen wurde. In Fort Calhoun wurde sonntags eine Messe gelesen, und ich hatte es seit sechs Wochen nie erlebt, daß die Vandams eine Messe versäumt hätten. Sie hatten schnell Freunde gewonnen, obwohl die Nachbarn sich hier nur selten sahen. Westlich von Fort Calhoun gab es nur wenige Farmen. Die meisten Siedler hatten sich östlich des Forts im Gebiet am Rio Doro niedergelassen. Aber jeder kannte die Vandams. Fort Calhoun war von Vandams Station gut zehn Meilen entfernt, vom Farmgebiet am Rio Doro fast dreißig. Aber ab und zu trafen
einzelne Farmer die Vandams im Fort. Dann wurde über Gott und die Welt geredet. Sonntags, nach der Messe, tauschten die Frauen Kochrezepte aus, und manchmal brachte Mistreß Vandam selbstgebackenen Kuchen oder Plätzchen mit ins Fort. Für Colonel Hampton Lester, den Kommandanten, für irgendeine Siedlerfamilie, in der jemand krank war, und natürlich für mich. Ich teilte das Gebäck immer mit Jicarilla, dem zweiten Scout, und der spülte es mit Brandy hinunter. Allein der Gedanke daran ließ mich schauern. Colonel Lester hatte einmal gesagt: »Hundert Leute wie die Vandams, und diese Wildnis wäre ein zivilisiertes Paradies.« Er konnte damit durchaus recht haben, zumal die Vandams sich in einem Punkt von vielen Siedlern unterschieden: Sie waren keine Indianerhasser. Wenn sich ein paar Apachen bis auf VandamsStation trauten, erhielten sie von Mistreß Vandam ein Stück Kuchen und von Henry Vandam eine Handvoll Tabak und zogen friedlich wieder ab. Die Vandams hatten auch keine Angst vor Indianern. Das mochte daran liegen, daß sie ihr halbes Leben in Gegenden zugebracht hatten, in denen es keine Indianer mehr gab. Keine richtigen Indianer jedenfalls, nur solche, die lethargisch an den Straßenecken der Städte hockten und um ein paar Cents bettelten, die sie dann sofort in Schnaps umsetzten. Ich hatte die Vandams gewarnt und ihnen gesagt, daß es nicht nur friedliche Indianer in unserer Gegend gäbe. Aber in den Indianerlagern am Rio Doro waren sie mittlerweile genauso bekannt und beliebt wie in Fort Calhoun. Ich erhob mich, streckte mich gähnend, denn ich hatte in der letzten Nacht schlecht geschlafen, und schlenderte durch den Aufenthaltsraum zu einem Fenster. Shita bellte wieder. Zuerst sah ich Henry Vandam. Er war aus dem Stall getreten und hielt eine Mistforke in der rechten Faust. Der hohe Hut mit der schmalen Krempe saß ihm weit im Genick. Das spärliche aschblonde Haar vorn war ihm in die Stirn gerutscht. Sein Kopf war kantig wie ein Stein, aber sein Gesicht wirkte gutmütig, und seine Augen blickten geradezu milde.
Seinen Rücken konnte man mit dem Lauf eines Sharps-Karabiners messen, und seine Schultern waren breit. Henry Vandam blickte nach Westen. Ich trat näher ans Fenster und bemerkte aus den Augenwinkeln, daß er seine Mistgabel an die Stallwand lehnte und langsam über den Hof schritt. Ich sah nun auch Shita und Elton. Sie hatten aufgehört herumzutoben und standen nebeneinander am westlichen Rand des Hofes. Der Wind zauste in Eltons Haar. Auf den Hügeln im Westen, gut eine Meile entfernt, sah ich ein Vierergespann auftauchen. Die Kutsche, dachte ich. Sie ist pünktlich. Ich werde sie nach Fort Calhoun begleiten. Aber es war nicht die Kutsche. Das Gespann war allein. Es schleifte die zerrissenen Geschirriemen hinter sich her. Ich wandte mich vom Fenster ab und lief zur Tür. Aus dem Küchendurchgang tauchte Elsa Vandam auf. »Sie haben Ihren Apfel noch nicht gegessen!« rief sie. »Möchten Sie noch ein Glas Milch, Ronco?« »Danke, Ma'am«, sagte ich. »Das ist zu liebenswürdig. Später vielleicht.« Ich riß die Tür auf und stürmte hinaus. Hinter mir sagte sie noch etwas, aber ich verstand es nicht. Henry Vandam stand neben dem Brunnen. Elton und Shita hatten sich noch nicht vom Fleck gerührt. Der Hufschlag verstärkte sich. Er klang wie ein dumpfer Trommelwirbel. Der Wind frischte auf einmal auf. Eine heftige Böfuhr über den Hof und trieb zwei Tumbleweedkugeln – ausgetrocknete Dornensträucher, in denen strähnenartig die weißen Fäden des Indianersommers hingen – über den Hof der Station gegen die westliche Stallwand. Die Pferde preschten in donnerndem Galopp auf die Station zu. Schaumflocken standen vor ihren Nüstern. Ich sah, daß das Tier rechts hinten einen blutigen Striemen an der Flanke hatte. Ich lief an Henry Vandam vorbei und blieb einen Moment neben Elton und Shita stehen. Shita bellte laut. »Geh zur Seite!« rief ich Elton zu, dann hastete ich den Pferden
entgegen. Sie stürmten geradewegs auf mich zu. Ich sah die wirbelnden Hufe, den dichten Staub, sah die breiten, muskulösen, schweren Pferdeleiber heranjagen. Sie würden mich gleich erfassen, durch die Luft schleudern, und ich würde schwer stürzen. Wenn nicht mich, dann würden sie Elton niedertrampeln, vielleicht sogar Mister Vandam. Ich riß beide Arme hoch, als die Pferde keine zehn Yards mehr von mir entfernt waren, und brüllte laut, daß sich meine Stimme überschlug. Das vordere linke Tier scheute und warf den Kopf herum. Es bäumte sich auf und stürzte fast, da die Geschirriemen ihm die Bewegungsfreiheit nahmen. Das Tempo der anderen Tiere verlangsamte sich. Aber sie hielten nicht an. Im letzten Moment warf ich mich zur Seite und erwischte im Sprung noch die Riemen des Kopfgeschirrs des rechten vorderen Tieres. Trotzdem traf mich die Brust des Pferdes mit einem Rammstoß und riß mich in die Höhe. Aber ich hielt den Kopfriemen fest umklammert, obwohl ich das Gefühl hatte zu fliegen. Um mich herum drehte sich alles. Meine Arme drohten aus den Schultergelenken zu reißen. Ich schrie und konnte meinen eigenen Schrei nicht hören, so laut dröhnte der Hufschlag der vier Pferde. Eins wieherte grell. Es klang wie ein Trompetenstoß. Meine Füße schlugen am Boden auf und schleiften mit. Ich spürte einen schmerzhaften Stich im linken Knöchel und hielt immer noch fest. Durch den wirbelnden Staub sah ich Shita. Er sprang wie ein Verrückter neben den Pferden her und bellte sich fast die Seele aus dem Leib. Er sprang das linke Tier an und wurde zur Seite geschleudert, überschlug sich, richtete sich aber sofort wieder auf. Dann sah ich Elton Vandam. Er stand wie angewurzelt mitten im Weg. Die Pferde rasten auf ihn zu. »Geh weh!« brüllte ich. Er war bleich, seine Augen waren groß. Er hatte den Mund
aufgesperrt und die Hände abwehrend vorgereckt. Plötzlich war Shita da und warf sich gegen ihn. Elton verlor das Gleichgewicht und stürzte seitlich zu Boden. Einen Sekundenbruchteil später jagten die Pferde vorbei. Die wirbelnden Hufe verfehlten seinen Körper höchstens um eine Handbreite. Ich spürte, wie die Tiere langsamer wurden, und obwohl meine Muskeln schmerzten, klammerte ich mich weiter fest, denn ein Sturz bei diesem Tempo hätte mich ein paar Knochen gekostet. Henry Vandam tauchte vor mir auf und sprang seitlich gegen das linke vordere Tier. Er erwischte das Kopfgeschirr und wurde ebenfalls mitgeschleift. Aber das Tier scheute wieder und versuchte, sich aufzubäumen. Das brachte die anderen endgültig aus dem Rhythmus. Ihr Tempo verlangsamte sich merklich. Neben dem Stall blieben sie schließlich mit zitternden Flanken stehen. Schaum tropfte aus ihren Nüstern. Ich taumelte, und meine Knie waren weich wie Pudding, als ich das Kopfgeschirr losließ und wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Der Staub senkte sich. Ich verspürte einen starken Hustenreiz und taumelte um die Pferde herum. Elton hatte sich wieder erhoben. Er näherte sich steifbeinig und zitterte am ganzen Körper. Sein rechter Hemdsärmel war zerrissen. Aus dem Haus stürzte Elsa Vandam und schlang ihre Arme um Elton. Shita hüpfte um beide herum, als hätte er einen Frosch verschluckt, und bellte. Ich bückte mich nach dem Ende der Geschirriemen. Sie waren durchgerissen. Dickes, gutes Leder. Es mußte einen Unfall gegeben haben, wenn nichts Schlimmeres. Ich glaubte an Schlimmeres, denn ich sah den roten Striemen auf dem Rücken des einen Tieres und war sicher, daß er von einer Gewehrkugel herrührte. Shita trabte auf mich zu. Ich bückte mich, tätschelte seinen Kopf und sagte: »Du bist der Größte, mein Alter.« »Den Hund sollte man mit Gold auf wiegen«, sagte Henry Vandam. Er war neben mich getreten. Er war kreidebleich. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. »Alles in Ordnung, Elton?« fragte ich.
Mistreß Vandam ließ ihren Sohn los. Elton strich sich unsicher das strähnige Haar aus der Stirn. Er hockte sich wortlos zu Boden und schlang beide Arme um Shitas Hals, und Shita wedelte mit dem Schwanz daß ich sicher war, er würde ihm gleich abbrechen. »Ich muß reiten«, sagte ich. »Mit der Kutsche ist was passiert. Ich glaube nicht, daß die Pferde sehr weit gelaufen sind. Höchstens vier oder fünf Meilen.« »Ein Unfall?« fragte Henry Vandam. »Vielleicht ein Überfall.« Ich drehte mich um und ging zum Stall, um mein Pferd zu holen. Als ich es gesattelt wieder auf den Hof führte, waren im Westen ein paar Wolken aufgezogen. Der Wind hatte zugenommen. Es hatte sich etwas abgekühlt. Ich hoffte, daß es nicht regnen würde. »Bleiben Sie im Haus«, sagte ich zu Mister Vandam. »Am besten verlassen Sie die Station nicht, bis ich wieder zurückkehre.« »Wollen Sie allein reiten?« »Das ist mein Job«, erwiderte ich. »Komm, Shita.« »Shita muß einen Knochen kriegen«, erklärte Elton. »Später«, sagte ich. »Er kann ihn sich abholen, wenn wir zurück sind. Vielen Dank für das gute Essen, Ma'am.« Ich hatte meinen breitrandigen Hut aufgesetzt und tippte mit der Rechten an die Krempe. Dann trieb ich den Hengst an und ritt vom Hof. Shita kläffte einmal hell und folgte mir mit großen Sätzen. Der Wind stand mir ins Gesicht, als ich die Overlandstraße westwärts ritt. Der Hengst fiel in leichten Galopp. Ich zurrte die Fangschnur des Hutes unter meinem Kinn fest und sah in der Ferne seitlich von mir einige Tumbleweedkugeln, die der Herbstwind über die Prärie trieb. Sie glichen riesigen, schmutzigweißen Schneebällen.
2. Die Kutsche war umgestürzt, ein schwerer Concord-Wagen mit großen Rädern und soliden Federn. Man nannte sie eine »fahrbare Wiege«. Das war übertrieben, aber die großen Schlaglöcher der Overlandstraße ließen sich während einer Fahrt mit ihr leichter ertragen als in einem anderen Wagen.
Die Kutsche lag schräg auf der südlichen Böschung der Straße. Ein geborstenes Deichselende ragte in die Höhe. Die Abdeckplane des hinteren Gepäckraums hatte sich gelöst und flatterte im Wind auf und ab. Ein paar Gepäckstücke waren vom Dach gefallen und lagen im Gras verstreut. Ich sah sie aus gut vierhundert Yards Entfernung von einer Anhöhe aus. Noch immer war der Wind von Westen ziemlich stark. Die Wolken am Himmel hatten sich verdichtet und grau gefärbt. Die Sonne sah aus, als läge sie hinter einer dicken Milchglasscheibe. Sie hatte merklich an Kraft verloren, ihr Glanz war stumpf geworden. Ich konnte den zu erwartenden Regen riechen. Die Vögel flogen niedrig, über buntem Salbei und Kreosot wimmelte es von Mücken und winzigen Gewitterfliegen. Auch in meiner Nähe ballten sich Schwärme zusammen. Der Hengst verscheuchte sie mit dem Schlagen seines Schweifs, aber sie kehrten immer wieder zurück. Ich hielt ein kurzes Spektiv in der Hand, das mit genarbtem Leder überzogen und einem Armee-Stempel versehen war. Sorgfältig suchte ich die Umgebung der Kutsche ab. Alles schien menschenleer. Nirgends gab es ein Lebenszeichen. Ich entdeckte auch den Kutscher nicht. Dafür sah ich durch das Glas, daß das Gras beiderseits des Wagenweges zertrampelt war. Ich suchte die Hügel ringsum ab. Schließlich steckte ich das Spektiv weg, ging zu meinem Pferd und schwang mich in den Sattel. Shita bellte. Ich sah ihn an. Er wirkte völlig ruhig. Keine Spur von Nervosität. Ich konnte sicher sein, daß wir im Moment allein waren. Ich trieb den Hengst an und ritt die Wagenstraße entlang. Shita folgte in einigem Abstand. Ich erreichte die Kutsche, als ein paar Regentropfen fielen. Sie trafen mich ins Gesicht. Ich zügelte das Pferd und stieg ab. Einige Pfeile steckten in der Heckseite des Wagens, ein abgebrochener Pfeilschaft ragte aus der linken Tür. Überall waren Hufspuren. Unbeschlagene Pferde. Es waren Indianer gewesen. Shita war um die Kutsche herumgelaufen und bellte nun wieder. Ich folgte ihm und sah den Kutscher. Er lag halb unter dem Wagen
begraben und von der Bockbank verdeckt. Er war tot. Beim Sturz mußte er sich das Genick gebrochen haben. Ich kletterte an dem Gestänge an dem Dach hoch und schaute von oben durch das linke Vorderfenster in die Kutsche. Im Innern sah ich zwei Menschen, einen Mann und eine Frau. Sie lagen verkrümmt neben den Sitzen, von denen sie beim Sturz des Wagens geschleudert worden waren. Beide waren blutig. Im Wagen roch es nach Pulverdampf und Blut. Die Frau war von einem Pfeil getroffen worden, der Mann von mehreren Kugeln. Auf der Tür stand in dicken Lettern: Vanderbilt Overland Stage. Mehrere Kugeln hatten die Tür getroffen und den Lack aufgesplittert. Ich ließ mich zurückgleiten und schaute mich um. Hinter der Böschung entdeckte ich im hohen Gras einen weiteren menschlichen Körper. Es war ein Mann, groß, massig, dunkelgrauer Anzug mit Nadelstreifen und ein Hemd aus reiner Seide. Das Hemd war zerrissen und sah nicht mehr sehr elegant aus. Die Schnürsenkelkrawatte aus weinrotem Samt wirkte auf dem zerrissenen Hemd beinahe lächerlich, wenn der Mann nicht tot gewesen wäre, und über Tote lacht man nicht. Ein Stück abseits lag sein Hut. Er war genauso teuer wie der Anzug. Feiner, hellgrauer Filz, ein Stetson der Sonderklasse, mit einem Hutband aus Hermelin. Neben dem Hut lag die Tasche des Mannes. Sie war unversehrt. Ich bückte mich und öffnete sie. Sie enthielt nicht viel. Etwas Wäsche, alles in einer Qualität, wie ich sie höchstens in den Schaufenstern von St. Louis gesehen hatte. Dazwischen aber lag ein Päckchen aus grobem Wildleder, das eine primitive, schlichte indianische Stickerei trug. Ich nahm es heraus. Es war überraschend schwer. Ich löste den Knoten, der es verschnürte, und schlug das Leder zurück. Unwillkürlich schloß ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte ich das Päckchen noch immer in der Hand und sah unregelmäßig geformte, aber durchweg ziemlich fingerkuppengroße Goldnuggets vor mir. Gewiß drei Dutzend.
Ich verschloß das Päckchen wieder, legte es in die Tasche zurück, schloß die Tasche und hob sie auf, um sie zu meinem Pferd zu tragen. Shita kläffte in diesem Moment. Seine Nackenhaare hatten sich gell sträubt. Er starrte mit hochgezogenen Lefzen zu den Hügeln im Süden hinüber. Ich wandte mich um und sah die beiden Indianer. Obwohl sie gut hundert Yards entfernt waren, war ich sicher, daß es sich um Apachen handelte. Aber es waren keine Indianer vom Rio Doro. Ich war sicher, daß ich Krieger von Stämmen vor mir hatte, die jenseits des Rio Grande in Mexiko lebten. Sie saßen auf kleinen, gescheckten Ponies. Einer trug Bogen und Köcher über der Schulter, der andere hatte vor sich im Sattel eine Militärmuskete liegen. Sie trugen ausgeblichene Kalikokleidung. Der Wind zauste in ihren langen Haaren. Ich suchte mit Blicken die übrigen Höhen ringsum ab, aber die beiden Indianer schienen allein zu sein. Mit der Tasche in der Hand ging ich zu meinem Pferd und hängte sie ans Sattelhorn. Dann kehrte ich noch einmal zur Kutsche zurück und öffnete nach einiger Mühen den Kasten unter dem Bock. Es befand sich ein kleiner Leinenbeutel mit Post darin. Ich nahm ihn ebenfalls mit und stieg dann wieder in den Sattel. Shita beobachtete noch immer die beiden Krieger, und die beiden Krieger beobachteten mich. Ich zog so, daß sie es deutlich erkennen mußten, meinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard und behielt ihn vor mir im Sattel. Dann pfiff ich nach Shita. In der Ferne hörte ich ein dumpfes Grollen. Die Sonne war hinter einer dichten Wolkenwand verschwunden. Schwer und kalt fielen die Regentropfen. Ich zog den Hut tiefer in die Stirn. Hinter dem Sattel hatte ich zusammengerollt eine Wildlederjacke festgezurrt. Ich löste sie und streifte sie über. Es war nötig. Der Regen wurde rasch dichter. Hinter den Kriegern sah ich es blitzen. Unmittelbar danach folgte ein dröhnender Donnerschlag. Die beiden Apachen nahmen ihre Pferde herum und verschwanden hinter der Hügelkette. Ich wußte, ich mußte auf der Hut sein.
Ich trieb den Hengst an und ritt ostwärts, während der Regen auf meine Hutkrempe klatschte, auf meinen Rücken und meine Schultern pladderte und kalt über mein Gesicht rann. Shita hielt sich dicht bei mir. Er haßte Gewitter, ich wußte das. Er haßte es noch mehr, wenn wir während eines Gewitters unterwegs waren. Aber jetzt ging es nicht anders. Binnen kurzer Frist bildeten sich riesige Wasserlachen, die den Wagenweg nahezu vollständig unter sich bedeckten. Der Regen weichte die Erde durch und verwandelte sie in Morast. Es verging keine Viertelstunde, und ich war völlig durchnäßt. Ich spürte den Regen nicht mehr. Das Sattelleder unter mir knarrte vor Feuchtigkeit bei jeder Bewegung. Das Gewitter holte mich langsam ein. Um mich herum blitzte und donnerte es pausenlos. Facettenhaft zuckten die Blitze durch die Regenschleier. Spinnennetze aus Feuer schienen den Himmel für Sekundenbruchteile zu überziehen. Mit Urgewalt dröhnten die Donnerschläge, ließen den Boden erzittern und den Himmel erbeben. Ich konnte die Straße längst nicht mehr erkennen und richtete mich nur noch nach meinem Instinkt. Das Land um mich her versank hinter grauen Vorhängen, die die Sicht auf höchstens fünf Yards beschränkten. Ich ritt im leichten Trab. Ich wäre gern schneller geritten, wollte aber vermeiden, daß sich der Hengst überanstrengte oder auf dem glitschigen Boden ausglitt und sich verletzte. Ab und zu fühlte ich zum Sattelhorn nach der schweren Reisetasche. Je öfter ich daran dachte, um so weniger begriff ich das alles. Die Kutsche war überfallen worden. Es war erst die vierte Kutsche, die auf dieser neuen Route verkehrte. Die Passagiere waren alle tot. Sie war von Indianern überfallen worden, von Apachen, die von jenseits der Grenze gekommen waren. Aber sie hatten offenbar nicht das geringste geraubt. Die Kutsche war nicht durchsucht worden, die Reisenden auch nicht. Selbst die Tasche des Mannes, der anscheinend aus der Kutsche geschleudert worden war, war unberührt geblieben, obwohl sie für viele tausend Dollar Gold enthielt. Interessant dabei war, daß es in einer indianischen Lederarbeit verpackt war, aber das war nur ein weiteres Rätsel.
Aus den Regenschleiern tauchten vor mir die Umrisse der Vandam-Station auf. Ich bemerkte Licht hinter den Fenstern. Als ich auf dem Hof anhielt und aus dem Sattel glitt, wurde die Tür geöffnet. »Ronco?« Die Stimme Henry Vandams wurde von einem tosenden Donner übertönt. Shita stürmte an mir vorbei und lief auf das Haus zu. Er schlüpfte an Henry Vandam vorbei in den Flur und schüttelte sich hier wie ein Wilder. Ich zerrte mein Pferd zum Stall hinüber. Mit der Tasche in der einen und dem Postbeutel in der anderen Hand hastete ich danach über den Hof. Als Henry Vandam die Tür hinter mir schloß und das Gewitter mit einem Schlag merklich leiser klang, lehnte ich mich schwer atmend gegen die Wand. Zu meinen Füßen bildete sich eine Pfütze. Elsa Vandam erschien in einer Stubentür. Elton war schon dabei, Shita trockenzureiben. »Sie sehen ja furchtbar aus«, sagte Mistreß Vandam. »Ich koche Ihnen einen heißen Kaffee.« »Zu liebenswürdig, Ma'am«, sagte ich. »Wenn ich vielleicht einen Schuß Whisky in den Kaffee haben könnte.« »Was ist mit der Kutsche?« fragte Henry Vandam. »Warten Sie nicht länger auf die Kutsche«, erwiderte ich. »Wir haben Indianer gesehen«, erklärte Mistreß Vandam. »Was ist passiert?« »Es sind alle tot«, sagte ich. »Wo waren die Indianer?« »Bevor das Gewitter losging, tauchten sie südlich von der Station auf«, sagte Henry Vandam. »Ein halbes Dutzend. Nach ein paar Minuten waren sie wieder weg.« »Gewöhnen Sie sich einen leichten Schlaf an«, sagte ich. »Stellen Sie sich ein Gewehr neben das Bett. Keiner von Ihnen sollte sich bei Tage außer Sichtweite der Station begeben. Es waren Apachen aus Mexiko. Sie sind nicht unter Kontrolle zu bringen.« »Warum haben sie die Kutsche überfallen?« »Das möchte ich auch gern wissen.« Ich streifte die Wildlederjacke ab und zog fröstelnd die Schultern hoch. Dann setzte ich mich an einen der Tische im Aufenthaltsraum. Mistreß Vandam
bewegte sich zögernd in die Küche. »Ist was geraubt worden?« »Nein.« »Die Post ist noch da?« »Ja, und eine Menge Geld.« »Und alle sind tot?« »Mausetot.« Ich streckte die Beine aus und sah zu, wie Elton neben Shita hockte und ihm unermüdlich das Fell abrieb. Shita hatte sich gönnerhaft am Boden ausgestreckt und genoß das alles sichtlich. »Ich werde mich darum kümmern müssen«, sagte ich. »Fort Calhoun ist für die Sicherheit der Postlinie verantwortlich.« »Liegen die Toten alle noch da draußen?« »Zwei in der Kutsche, zwei daneben«, erwiderte ich. »Sowie der Regen vorbei ist, reite ich weiter. Colonel Lester wird ein paar Soldaten schicken, um die Kutsche und die Leichen zu bergen.« Ich blickte Henry Vandam scharf an und sagte: »Hier kämpft jeder auf seine Art ums Überleben. Der Tod ist hier nichts Besonderes. Sie können für jeden Tag dankbar sein, den Sie in dieser Gegend überleben. Sie sind zu arglos, Mister Vandam. Gewöhnen Sie sich daran, daß wir hier eigene Regeln haben. Und seien Sie vorsichtig. Kein Besucher ist beleidigt, wenn Sie mißtrauisch und vorsichtig sind, sofern er die Regeln kennt. Lassen Sie niemanden in Ihr Haus, den Sie sich nicht vorher genau angesehen haben. Es könnte Ihr Mörder sein. Und passen Sie bei Indianern genau auf: Die Krieger vom Rio Doro sind friedlich, aber die Krieger, die jenseits des Rio Grande leben, sind es nicht. Sie sind noch nicht lange genug hier, um sie unterscheiden zu können.« Elsa Vandam trat aus der Küche und brachte mir den frisch gebrühten Kaffee. Sie stellte eine Flasche Whisky daneben auf den Tisch. »Danke, Ma'am«, sagte ich. »Wenn wir klären können, warum die Kutsche überfallen wurde, sind wir weiter.« Draußen donnerte es. Der Regen klatschte gegen die Fensterscheiben und rauschte wie ein Wasserfall. Ungewißheit hatte ich immer als das Schlimmste in kritischen Situationen empfunden. Diesmal aber wußte ich so gut wie nichts.
Ich dachte an die Toten, und der Kaffee von Mistreß Vandam schmeckte nicht mehr so gut wie sonst. Er schmeckte bitter wie Galle, und ich verbrannte mir die Zunge daran.
3. Mister Jerome Vanderbilt sah aus wie ein wandelnder Kartoffelsack. Er saß in der Kommandantur von Fort Calhoun, gegenüber Colonel Hampton Lester, und der Stuhl unter seinem fetten Hintern wirkte angesichts seiner Ausmaße geradezu lächerlich klein. Er war für Mister Vanderbilt nicht mehr als eine Steißbeinstütze. Jerome Vanderbilt trug Maßanzüge, ohne deshalb schöner auszusehen. In seinem feisten Gesicht konkurrierte eine mächtige Nase mit einer riesigen Zigarre. Die Zigarre war immer da. Manchmal fragte ich mich, ob sie angewachsen sei und ob er sie vielleicht auch mit ins Bett nahm. Sie war dick und groß und schwarz und roch scheußlich. Dafür war sie teuer. Ich konnte ihn nicht leiden. Ich hatte ihn auf den ersten Blick nicht leiden können. Schon als er vor sechs Wochen zum erstenmal in Fort Calhoun aufgekreuzt war. Er gab sich allmächtig und behandelte jeden – außer den Colonel – wie seinen Stiefelputzer. Nichts und niemand war ihm gut genug. Wenn er gezwungen war, mit einem einfachen Soldaten oder einem Pferdeknecht oder Kutscher zu sprechen, hatte ich immer einen leicht angeekelten Ausdruck in seinem Gesicht bemerkt. Wir waren allein in der Kommandantur: Colonel Lester, Jerome Vanderbilt und ich. Der Postsack lag auf dem Schreibtisch des Colonels, daneben stand die Ledertasche des toten Passagiers. »Sie sind noch sehr jung für einen Scout«, sagte Jerome Vanderbilt. Er dampfte mit seiner Zigarre wie eine Lokomotive. Seine Stimme klang erstaunlich hell. »Ich bin nicht sicher, ob Sie die Situation richtig beurteilen konnten, als Sie bei der Kutsche waren. Vielleicht hat noch jemand gelebt, und Sie waren nur zu nervös, es zu bemerken.« »Ich habe schon mehr Tote gesehen, als Sie Kutschen besitzen«, sagte ich. Ich mußte mich beherrschen.
Vanderbilt schien über meine Antwort empört zu sein. Bevor er etwas sagen konnte, warf Colonel Lester ein: »Ronco ist ein äußerst bewährter Scout, einer der besten, die ich je gehabt habe.« »In dieser Kutsche saß mein Geschäftspartner Gats Hamilton«, sagte Vanderbilt. Er war sichtlich verärgert. »Wir wollten uns hier treffen. Das ist seine Tasche.« Er deutete auf die Ledertasche auf dem Schreibtisch. »Wo hat Ihr Partner das Gold her, das er mit sich geführt hat«, fragte ich. »Nuggets wie aus einer Bonanza, und eingeschlagen in eine indianische Lederarbeit.« »Sie haben die Tasche geöffnet?« Vanderbilt erhob sich. Er setzte seine Massen in Bewegung und steuerte die Tasche an. »Wie konnten Sie sich das erlauben? Von was für Gold sprechen Sie? Etwa von dem Gold, das Mister Hamilton für einen Bekannten nach Corpus Christi bringen wollte?« »Was weiß ich?« »Was wissen Sie? Nichts, absolut nichts«, sagte Vanderbilt. Er hatte die Tasche geöffnet und das Lederbündel herausgenommen. Er knüpfte es auf. Als er sich zu mir umdrehte, glitzerten seine kleinen Augen, die von Fettwülsten umgeben waren, tückisch. »Es fehlen für mindestens fünftausend Dollar Gold, so wie ich das hier abschätze.« »Noch eben wußten Sie kaum, daß Ihr Partner Gold bei sich hatte, und jetzt wissen Sie auf einmal, daß etwas fehlt.« »Werden Sie ja nicht frech.« »Sprechen Sie nur weiter, Sir.« Meine Haltung straffte sich. »Wollen Sie mich einen Dieb nennen?« Vanderbilt wandte sich an Colonel Hamilton. »Ich muß feststellen, Sir, daß Ihr Scout die Tasche meines Partners mitgebracht hat und daß in dieser Tasche für mindestens fünftausend Dollar Gold fehlen.« Lester wirkte müde und lustlos. Er schaute mich an. »Haben Sie uns dazu etwas zu sagen, Ronco?« »Nein, Sir.« »Ich verlange eine Untersuchung«, sagte Vanderbilt. »Corporal Jones!« rief Colonel Lester. Die Tür flog auf, als habe Corporal Jones nur darauf gewartet. Er
saß in der Schreibstube des Colonels, und ich war mit ihm nur in einem Punkt gleicher Meinung: Wir konnten uns beide nicht im geringsten leiden. Mir war klar, daß er an der Tür gelauscht hatte. Ich sah es an seinem Gesicht, und es paßte zu ihm. Er war ein Schleimer und ein Kriecher und hinterhältig obendrein. »Holen Sie eine Ordonnanz«, befahl Colonel Lester. »Ronco steht ab sofort unter Arrest.« »Jawohl, Sir!« Corporal Jones' Stimme glich dem Zwitschern eines vergnügten Vogels. Ich hatte ihn noch nie so schnell laufen sehen. »Sir«, sagte ich. In meinem Kopf drehte sich alles. »Ich verstehe nicht …« Es verschlug mir wirklich die Sprache. »Sie haben gehört, was. ich gesagt habe.« Lester wirkte unnahbar. Gleichzeitig schienen seine Blicke mich um Entschuldigung zu bitten. Ich verstand gar nichts mehr. Mister Vanderbilt setzte sich mit seinem fetten Hintern wieder auf den viel zu kleinen Stuhl und schob die große Tasche seines toten Partners zwischen seine Beine. Er schnitt ein äußerst zufriedenes Gesicht. Corporal Jones erschien wieder. Er salutierte so zackig und perfekt, daß ich gute Lust hatte, vorzuschlagen, ihn als Mustersoldaten auf irgendeine Militärschule zu schicken. Aber ich schwieg, denn er hatte zwei Soldaten mitgebracht, die sich rechts und links von mir aufbauten. Ich seufzte und ließ mir widerstandslos meinen Revolver und mein Messer abnehmen. »Ein Skandal«, hörte ich Jerome Vanderbilt sagen, als ich von den Soldaten hinausgeführt wurde. »Wenn wirklich Gold fehlt, dann haben es auch die Indianer nehmen können«, sagte Colonel Lester. »Die hätten bestimmt alles genommen«, sagte Vanderbilt. Mehr hörte ich nicht. Ich wurde über den Exerzierplatz zum Arrestgebäude geführt. Vor unserem gemeinsamen Quartier stand Jicarilla, das Halbblut, und starrte entgeistert zu mir herüber. Neben ihm stand Shita. Sie waren zu weit entfernt, und ich hatte keine Lust, durch das halbe Fort zu schreien, daß ich als Dieb verhaftet worden sei.
Außerdem war ich müde und erschöpft, und die kalte Wut, die mich zunächst erfaßt hatte, wich einem Gefühl der Gleichgültigkeit. Ich wollte nur noch schlafen, und das konnte ich schließlich im Arrestgebäude genausogut wie anderswo. Außerdem stank es hier nicht – wie in meinem Quartier – nach Jicarillas Schnaps. * Schlüssel klirrten auf dem Gang. Ich hob den Kopf und wälzte mich auf meiner Pritsche herum. Schritte verhielten vor meiner Zellentür, dann knackten Schlüssel im Schloß. Die Tür ging auf. Sergeant Batterson stand im Türrahmen, groß wie die Allmacht, furchterregend, aber gutmütig bis ins Mark. »Steh auf, Kleiner«, sagte er. »Der Colonel wartet.« Er war der einzige Mensch auf der Welt, von dem ich mich »Kleiner« nennen ließ. Er nannte nämlich jeden so, außer dem Colonel. Er maß knapp unter sieben Fuß und konnte die Leute mit Fug und Recht so bezeichnen. »Ich hab noch nicht mal ausgeschlafen«, sagte ich. Er grinste wie ein Alligator. Im Office des Arrestblocks langte er über den wurmzerfressenen Schreibtisch und gab mir meinen Waffengurt zurück. Ich hatte schon vorher in der Kommandantur nichts verstanden, jetzt verstand ich noch weniger. Ich nahm den Gürtel und verließ das Gebäude. Es war spät am Abend. Die Flagge war eingeholt, der Zapfenstreich mußte schon geblasen worden sein. Ich hatte geschlafen und nichts gehört. Die frische Abendluft ließ mich gähnen. Die Sonne war untergegangen, und hier und da sah ich schon einige Sterne am Himmel. Sie glitzerten wie Diamanten. Aus den Fenstern der Kommandantur fiel Licht. Ich erreichte das Gebäude und trat ein, ohne anzuklopfen. In der Schreibstube saß noch immer eine verkrümmte Gestalt mit bleichem Gesicht über einem Berg von Papier, in der rechten Hand
einen Federkiel. Corporal Jones, das Suppenhuhn, wie ich ihn im stillen nannte. Er blickte verstört auf. Ich las Enttäuschung in seinem Gesicht. Er sagte kein Wort, sondern deutete mit einer hektischen Handbewegung einfach auf die Tür zum Office des Colonels. Dabei tropfte Tinte von dem Federkiel in seiner Rechten mitten auf eine Soldliste, an der er gerade gearbeitet hatte. Ich bemerkte es mit Schadenfreude und konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen, während ich an dem Schreibtisch vorbeimarschierte. Corporal Jones stierte voll Entsetzen auf den Tintenklecks und sah aus, als würde er gleich anfangen zu heulen. Ich wartete nicht darauf, sondern klopfte an die Tür und trat in das Office des Colonels. Colonel Lester saß hinter seinem Schreibtisch und hatte eine Tasse mit dampfendem Kaffee vor sich stehen. Das Office war von dem würzigen Duft erfüllt. »Guten Abend, Sir«, sagte ich. »Setzen Sie sich«, sagte Lester. »Sir«, sagte ich. »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß es besser wäre, wenn ich meine Sachen packte und ginge.« Der Gedanke war mir erst jetzt gekommen, in dieser Sekunde. Lester antwortete nicht, sondern deutete stumm auf den Stuhl, auf dem vor einigen Stunden noch der fette Arsch von Mister Vanderbilt geruht hatte. Ich zögerte, setzte mich dann aber. »Sie werden sich gefragt haben, warum ich Sie habe verhaften lassen«, sagte Lester, »und sind wahrscheinlich zu der Überzeugung gelangt, daß ich kein Vertrauen zu Ihnen habe.« »Ich muß das annehmen, Sir«, sagte ich. Ich sprach etwas steif, und so hockte ich auch auf dem Stuhl, steif und sehr gerade. »Ich hoffe, Sie glauben mir, wenn ich Ihnen versichere, daß das keineswegs so ist«, sagte Lester. »Ich traue Ihnen bestimmt keinen Diebstahl zu, schon gar keine Leichenfledderei.« »Sie haben mich einsperren lassen, Sir«, sagte ich. Ich war kein Soldat und trug keine Uniform. Ich konnte so reden, ich brauchte nicht einfach widerspruchslos zu schlucken, was der Colonel sagte oder tat. »Es war die einfachste Lösung, weitergehenden Problemen aus
dem Wege zu gehen. Sie haben Mister Vanderbilt gesehen, er ist ein außerordentlich impulsiver Mann mit einigen merkwürdigen Ansichten über die Menschen.« »Er ist ein gottverdammter Lügner«, sagte ich. »Ich habe nicht ein Gramm von dem verfluchten Gold geklaut.« »Sie haben recht, er ist ein Lügner.« Colonel Lester lehnte sich zurück und trank von seinem Kaffee. »Als er von dem Überfall auf seine Kutsche hörte, hat er reagiert, als wäre er als Zechpreller ertappt worden, nicht wie ein Mann, der schockiert darüber ist, daß mehrere Passagiere und ein Angestellter sowie sein Geschäftspartner umgebracht worden sind. Er hat Sie des Diebstahls beschuldigt, um zu verhindern, daß ihm ein paar unangenehme Fragen wegen des Goldes gestellt werden. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, daß Angriff die beste Verteidigung ist. Genau das hat Vanderbilt getan. Er hat Sie als Dieb beschuldigt, bevor über das Gold weiter gesprochen werden konnte, und er hätte einen riesigen Skandal ausgelöst, wenn ich Sie nicht sofort unter Arrest gestellt und ihm eine Untersuchung zugesichert hätte. Er ist ein geschickter und cleverer Mann. Ich bin überzeugt, er hatte schon vor, Sie als Dieb zu verdächtigen, noch bevor Sie das Gold überhaupt erwähnten.« »Ich wünsche aber eine Untersuchung, Sir«, sagte ich. »Es soll nichts unter den Tisch gekehrt werden. Dann muß Mister Vanderbilt erklären, was es mit dem Gold auf sich hat, und er soll sich bei mir entschuldigen.« »Reden Sie keinen Unsinn.« Zwischen den Augenbrauen Lesters bildete sich eine steile Falte. »Vanderbilt muß gar nichts sagen. Niemand muß in diesem Land nachweisen, woher er einen Beutel Gold hat, solange niemand aufsteht und sagt, er sei ihm fortgenommen worden. Vanderbilt wird weiter behaupten, daß ein Teil des Goldes fehlt, und da Sie die Tasche hergebracht haben, bleibt der Verdacht an Ihnen hängen.« »Der hängt ohnehin schon an mir.« »Gar nichts hängt.« Lester trank wieder und setzte die Tasse ab. »Mister Vanderbilt ist bereits nach Corpus Christi abgereist. Er ist sicher, daß Sie hier im Fort verurteilt werden.« Ich wollte etwas sagen.
Lester winkte ab. »Ich mag Mister Vanderbilt nicht. Ich hätte ihm die Lizenz für die Postlinie nicht erteilt. Während des Krieges war Vanderbilt Lieferant für die Nordarmee in Missouri. Er hatte ein Frachtfuhrgeschäft, und merkwürdigerweise brachten seine Wagen immer weniger Waren in die Camps, als sie in den Magazinen geladen hatten. Er wurde wegen Lebensmittelschiebereien angeklagt, aber ihm konnte nichts bewiesen werden, und dann war der Krieg vorbei, so daß die Sache nicht weiter untersucht wurde. Männer wie er fallen immer wieder auf die Füße. Ich sage Ihnen das, damit Sie wissen, daß ich Ihnen mehr glaube als Mister Vanderbilt.« Ich begann zu verstehen. Colonel Lester hatte mich verhaften lassen, um Vanderbilt die Schau zu stehlen. »Seit die Postlinie in Betrieb ist, gibt es Ärger mit den Apachen jenseits der Grenze«, sagte Lester. »Wir hatten monatelang unsere Ruhe. Plötzlich werden überall Kriegerbanden gesichtet, die aus Mexico herüberstoßen. Es kann Zufall sein, muß aber nicht. Wäre der Besitzer der Postlinie ein anderer Mann und nicht Mister Vanderbilt, würde ich eher an einen Zufall glauben. Bei Mister Vanderbilt fällt mir das schwer, seit ich ihn im Krieg kennengelernt habe. Er war einer von den üblen Profiteuren, die selbst noch die Schlachtfelder abgegrast hätten, um den Gefallenen die Stiefel auszuziehen und sie erneut an die Armee zu verkaufen. Mit dem Gold ist etwas nicht in Ordnung, und Vanderbilt wollte das vertusehen.« »Sie haben sicher recht, Sir.« Meine Haltung entspannte sich. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie mißverstanden habe.« »Sie kannten meine Überlegungen nicht, lange vor diesem Überfall«, sagte Lester. »Sie konnten nicht ahnen, was ich bezweckt habe, und Sie waren müde und erschöpft von dem, was hinter Ihnen lag. Aber ich nehme an, Sie verstehen inzwischen, was ich meine.« »Natürlich, Sir. Das Gold war in eine indianische Lederarbeit eingeschlagen. Wahrscheinlich ist es Indianergold. Ich habe den toten Mister Hamilton gesehen, der hätte niemals einen Haufen Gold in einen alten Lederfetzen eingeschlagen.« »Was glauben Sie, woher das Leder stammt?« »Wahrscheinlich eine Apachenarbeit, Sir. Ich tippe auf
Chiricahua.« »Damit kennen Sie sich besonders gut aus, nicht wahr?« »Ich bin bei den Chiricahuas aufgezogen worden, Sir. Ich habe das Medizinritual mitgemacht und war einer ihrer Krieger.« Lester nickte versonnen. »Sie müssen mehr erlebt haben als mancher Mann, der viermal so alt ist wie Sie.« Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Ich will wissen, was es mit dem Gold auf sich hat. Ich will wissen, warum die Apachen die Kutsche überfallen, aber nichts gestohlen haben. Wenn Mister Vanderbilt so ein Geschrei um das Gold veranstaltet, hat das seinen Grund. Er glaubt, Sie sind aus dem Verkehr gezogen worden, anderenfalls wäre er wahrscheinlich nicht so rasch weitergereist. Also kann ich Sie jetzt wieder einsetzen.« »Ich verstehe, Sir. Ich breche noch in der Nacht auf. Soll ich Jicarilla mitnehmen?« »Jicarilla brauche ich hier«, sagte Lester. »Konzentrieren Sie sich auf diese eine Sache. Es wird noch genug Ärger geben, wenn ich richtig vermute, und brauche deshalb einen Scout im Fort.« Ich erhob mich. »In Ordnung, Sir.« Lester nickte. Er lächelte plötzlich. Das geschah selten. Ich drehte mich um und ging hinaus. Corporal Jones hockte wie ein Rabe hinter seinem Schreibtisch und schielte giftig hoch. »Nicht klecksen, Corporal«, sagte ich, als ich an ihm vorbeiging. »Unverschämtheit«, sagte er. »Ich werde mich beschweren.« Dabei stieß er das Tintenfaß um. Die Tinte rann schwarz und häßlich über sämtliche Papiere, die Corporal Jones vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte, tropfte über die Kante und tränkte den Stoff von Jones' Uniformhose. »Gute Nacht, Corporal«, sagte ich. »Wenn Sie das Licht löschen, sieht man die Flecke nicht.« Ich ging hinaus und fühlte mich erleichtert. Ich eilte über den Exerzierplatz zu dem Quartier, das ich mit Jicarilla teilte. Der Gedanke daran, Vanderbilt eins auswischen zu können, mit höchster Genehmigung, ja, auf Wunsch des Colonels, bereitete mir Vergnügen. Und die Tatsache, daß ich das Fort wieder verlassen
konnte, trug ebenfalls zur Hebung meiner Stimmung bei. Es gab nur wenig, was ich an Fort Calhoun mochte. Colonel Lester war der einzige Offizier, für den ich Sympathie hatte, auch wenn er meistens unentschlossen und schwach reagierte und sich zu sehr auf den Rat seiner Stabsoffiziere verließ. Die jedoch konnten mir alle den Buckel runterrutschen. Besonders Lesters Adjutant, Major Fly, dessen Anblick allein mir den ganzen Tag verderben konnte. Er war arrogant, eingebildet und eitel, und es war mir in den Monaten, die ich hier war, ein Rätsel geblieben, daß Colonel Lester sich so sehr von ihm beeinflussen ließ, wie es der Fall war. Lester, der ein bescheidener, anspruchsloser, sachlicher Mann war, der besonnen und überlegend handelte und Flys Ratschläge gar nicht nötig gehabt hätte. Ich konnte mir das eigenartige Verhältnis zwischen den beiden Männern nur so erklären, daß Lester sich Fly unterlegen fühlte, der immerhin West Point absolviert hatte, während Lester sich aus dem Mannschaftsstand hochgedient hatte, Kommandant einer Freiwilligeneinheit im Bürgerkrieg gewesen und danach von der regulären Armee übernommen worden war – aufgrund seiner soldatischen Leistungen. Eine Militärakademie hatte er nie von innen gesehen. Das war eine Seltenheit, und Lester litt anscheinend darunter, obwohl er wußte, daß hier an der Grenze andere Fähigkeiten zählten. Und dann war da noch Mahon Tabor, der Zahlmeister, der mir gegenüber ziemlich sauer war, seit ich den Diebstahl des Monatssoldes aufgeklärt hatte. Ich hielt ihn genauso wie Fly für heimtückisch und intrigant. Ich war wirklich froh, wenn ich diese und einige andere Leute ein paar Tage nicht sehen mußte. Ich hatte mein Quartier erreicht. Drinnen brannte noch Licht. Ich rüttelte an der Tür. Sie war verschlossen, und es dauerte eine Weile, bis von innen der Riegel gelöst wurde. Eine Wolke von Brandydunst schwebte mir entgegen. Jicarillas Augen glänzten fiebrig. Aber ich wußte, daß er selbst im größten Rausch noch genau wußte, was um ihn herum geschah. »Großen Durst, wie?« fragte ich.
»Sehr großen Durst«, sagte Jicarilla. Immer wenn er getrunken hatte, wirkte er sehr würdevoll. »Wo ist Shita?« fragte ich. »Du warst eingesperrt«, sagte Jicarilla, ohne auf meine Frage einzugehen. »Es war ein Irrtum«, erwiderte ich. »Wo ist Shita?« »Er ist weggelaufen.« »Wieso? Wann?« »Vor dem Zapfenstreich«, sagte Jicarilla. »Vielleicht hat er sich geschämt, weil du in Arrest warst.« Ich wurde langsam unruhig. Meine gute Laune verflog. »Wohin ist er gelaufen?« »Aus dem Fort«, sagte Jicarilla. »Du bist ein Hornochse«, sagte ich. »Du solltest dich schämen, soviel zu saufen. Ich frage mich, wie ein Mann mein Freund sein kann, der sein Gehirn mit Brandy ersäuft. Du bist selber schuld, wenn die Leute schlecht von dir reden und die Indianer nichts mit dir zu tun haben wollen.« »Was hat das mit Shita zu tun?« »Alles«, sagte ich. »Wärst du nicht besoffen, hättest du besser auf ihn aufgepaßt.« »Er paßt allein auf sich auf. Er ist ein Hund, der denken kann«, sagte Jicarilla. Er wirkte noch immer sehr würdevoll, und obwohl er betrunken war, wußte ich, daß er recht hatte. Wenn Shita sich etwas in den Kopf setzte, konnte niemand ihn halten. Wenn er fortgelaufen war, hatte das einen guten Grund. Ich fragte mich, wohin er gelaufen sein konnte, als er das Fort verlassen hatte, und mir fiel nur die Station der Vandams ein. Es gab sonst niemanden, zu dem Shita solches Zutrauen hatte, und ziellos in der Gegend herumzustreunen und zu wildern, das lag ihm nicht. Das hatte er nie getan. Ich ließ Jicarilla stehen und lief über den Exerzierplatz zu den Ställen. Als ich aus dem Fort ritt und den Weg nach Westen einschlug, hatte ich Mühe, aufsteigende Verzweiflung in mir zu unterdrücken. Ich hatte zuviel mit Shita gemeinsam erlebt. Er war für mich mehr als nur ein Hund. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, daß Shita mit mir in der
Wildnis großgeworden war und ihm so schnell nichts passieren konnte, aber es gelang mir nicht völlig. Ich hatte Jerome Vanderbilt in diesem Moment vergessen.
4. Da war kein Feuer. Da war nicht einmal Rauch. Ich hatte es erwartet. Ich wußte selbst nicht genau, warum. Die Station der Vandams lag im Mondlicht, so wie ich sie in Erinnerung hatte – ein Stück abseits der Overlandstraße auf einer leichten Anhöhe. Alles war dunkel. Nichts rührte sich. Ich lenkte den Hengst von der Overlandstraße auf die schmale Abzweigung zur Station und hielt auf dem Hof an. Ich war langsam geritten. Der Hufschlag war offenbar im Haus nicht gehört worden. Es blieb noch immer alles still. Ich glitt aus dem Sattel und hatte ein ungutes Gefühl. In einem Punkt war ich mir sicher: Shita war bestimmt nicht hier. Ich zog mein Gewehr aus dem Scabbard und ging zum Haus. Als ich an die Tür klopfen wollte, bemerkte ich, daß sie nur angelehnt war. Ich stieß sie auf. Das ungute Gefühl in mir verstärkte sich. Ich blieb vor der Schwelle stehen und blickte in den Aufenthaltsraum des Stationshauses. Es war so still wie in einem Grab. Im Haus knackte nicht einmal ein Balken, und draußen auf dem Hof rührte sich kein Windhauch. »Mister Vandam?« Meine Stimme klang seltsam hohl, ich erkannte sie selbst kaum. Niemand gab Antwort. Ich hob das Gewehr in den Hüftanschlag und trat über die Schwelle ins Haus. So gut ich es kannte – es wirkte fremd, kalt, leer und tot. Ein eisiges Gefühl ballte sich in meinem Magen zusammen, mein Mund wurde trocken. »Mister Vandam?« rief ich wieder. Die Tür neben der Theke stand offen. Dort lag das Wohnzimmer der Vandams. Ich durchquerte den Raum und blieb hier stehen. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Ich konnte
alles erkennen. Durch die Fenster fiel milchig das Licht des Mondes. »Guten Abend, Mister Vandam«, sagte ich. Er saß auf einem Stuhl neben dem breiten Kamin, den er mit eigenen Händen gebaut hatte. Das Haar hing ihm strähnig in das kantige Gesicht. Sein Hemd war offen und hing lose über den Gürtel. Sein Mund stand offen. Seine Lippen bewegten sich, die Augen waren ihm fast aus den Höhlen gequollen. Neben dem Kamin bemerkte ich einen Schatten, der sich plötzlich bewegte. Ein Apache. Mittelgroß, breit, halbnackt. Er hielt eine Kriegskeule mit einem Steinkopf in der Hand. Ich drehte mich um und sah in der Haustür zwei weitere Krieger auftauchen. Ich war in eine Falle gegangen. Sie hatten das Haus, kurz bevor ich eingetroffen war, besetzt und mich dann gehört. Sie hatten auf mich gewartet. Im Haus ertönte ein Schrei. Ich riß mein Gewehr hoch und sah, daß im selben Moment einer der Krieger an der Tür sein Messer schleuderte. Ich drückte ohne zu zögern ab und hörte in das Belfern der Detonation hinein ein scharfes Klirren. Dann prallte das Messer des Apachen, das am Lauf meines Karabiners abgeglitten war, gegen meine linke Hand und ritzte ein wenig die Haut des Mittelfingers, bevor es zu Boden fiel. Der Krieger, der das Messer geschleudert hatte, brach auf der Türschwelle zusammen und preßte beide Hände vor den Leib. Ich wirbelte herum und sah durch die geöffnete Tür der Wohnstube, daß Henry Vandam von seinem Stuhl hochgesprungen war. Der Apache seitlich von ihm schwang seine Steinkeule. Ich wartete nicht, sondern stürmte durch den Aufenthaltsraum auf die Treppe im Hintergrund zu, die in das Obergeschoß führte. Die Tür zur Küche öffnete sich. Ein weiterer Apache tauchte auf. Ich rammte ihm den Lauf meines Gewehrs in den Leib und wirbelte dann den Kolben herum. Die eisenbeschlagene Kolbenplatte knallte ihm gegen den linken Kinnwinkel und riß seinen Schädel herum, daß der Halswirbel brach. Er kippte zur Seite und stürzte gegen den
Türrahmen. Als er zu Boden sank, war er tot. Hinter ihm fiel ein Schuß. Als ich die Treppe hinaufeilte, schlug eine Kugel neben meinem rechten Fuß in die Stufe, dann bohrte sich ein Geschoß in das Treppengeländer. Ich hielt nicht an, erst als ich oben war. Hier drehte ich mich um und feuerte auf die Krieger, die mir folgen wollten. Ich traf einen in die Brust und einen anderen in die linke Schulter. Sie stürzten übereinander, während ich den dunklen Gang im Obergeschoß entlanghastete. »Mistreß Vandam!« schrie ich. »Melden Sie sich! Wo sind Sie?« Mit einem Fußtritt öffnete ich die Tür am Ende des Ganges. Das Zimmer dahinter war leer, eine Schlafkammer für Passagiere der Kutschenlinie, die gezwungen waren, eine Nacht hier zu verbringen. Das Fenster stand offen. Es führte zum hinteren Teil des Hofes. »Elton!« brüllte ich. »Mistreß Vandam!« Wieder war ein Schrei zu hören. Ich fuhr herum. Da tauchten bereits Apachen auf der Treppe auf. Ich schoß, traf aber nicht, und mußte mich zu Boden werfen, weil einer der Krieger seinen Tomahawk schleuderte. Der Stiel streifte mich an der Stirn, und der Schlag war so wuchtig, daß ich fast das Bewußtsein verlor und für einen Moment wie betäubt dalag, während das Beil gegen die hintere Wand des Raumes prallte. Ich zwang mich aufzustehen, langte instinktiv nach der Tür und warf sie ins Schloß. Ich ließ den Riegel einrasten. Wenig später erzitterte die Tür unter dem Rammstoß eines Kriegers. Das Holz knarrte und knackte. Ich konnte nicht mehr zurück. Ich lief zum Fenster und riß die Gardine einfach herunter. Der Hinterhof war leer, aber er lag fast vier Yards tief unter dem Fensterbrett. Mir blieb keine Wahl. Ich kletterte auf das Fensterbrett, umkrallte mit der linken Hand das Fensterkreuz und ließ mich nach unten gleiten. Die Muskeln und Sehnen meines linken Arms schienen zu zerreißen. Meine linke Hand konnte mein Gewicht nicht halten. Ich hing für einige Sekunden am Fenster und hörte, wie über mir die Tür der Kammer eingeschlagen wurde. Da ließ ich los.
Ich spürte den harten Anprall und einen scharfen Stich in den Fußgelenken. Sofort ließ ich mich fallen und rollte durch den Staub des Hofes. Als ich auf die Beine kam, hörte ich über mir einen Wutschrei. Ich drehte mich um und schoß von der Hüfte aus zum Fenster hoch. Die Kugel bohrte sich neben dem Gesicht eines Kriegers in das Fensterkreuz und überschüttete ihn mit einer Wolke scharfkantiger Splitter und Späne. Ich hatte den Sprung überstanden. Die ersten Schritte taten noch weh, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich hastete um das Haus herum. Auf dem Hof vorn standen jetzt drei Krieger. Ich begann sofort zu schießen und überraschte sie völlig. Einen verletzte ich am Bein, einen anderen an der Hüfte. Der dritte flüchtete ins Haus, während ich meinen Hengst erreichte und mit einem Satz in den Sattel sprang. Hier konnte, ich niemandem mehr helfen. Ich konnte nur noch mein eigenes Leben retten. Ich dachte an Elsa Vandam und hätte fast geheult. Als ich vom Hof galoppierte, hörte ich sie wieder schreien. Dann schrie Henry Vandam, und im selben Moment spürte ich einen wuchtigen Schlag im Rücken, der mich wie gelähmt nach vorn auf den Pferdehals warf. Instinktiv klammerte ich beide Arme um den Hals des Tieres, und nach einem rasenden Schmerz, der mir fast die Besinnung raubte, breitete sich Gefühllosigkeit in mir aus. Alles schien taub und leer zu sein, meine Knochen, meine Gelenke, meine Muskeln. Wie ich mich im Sattel hielt, weiß ich nicht. Ich hatte auch keine Kraft mehr in den Armen, und nur ein Funken Lebenswille in meinem Gehirn hielt mich bei Bewußtsein. Ich weiß nicht, wie lange ich es schaffte. Mein Zeitgefühl war verloren. Jeder Atemzug wurde mir zur Ewigkeit. Irgend etwas schnürte mir die Kehle zu. Ich dachte ans Sterben. Alles um mich drehte sich. Das Donnern der Pferdehufe nahm ich nicht mehr wahr. Eine Zeitlang sah ich den Boden noch unter mir vorbeifliegen. Dann wurde alles schwarz, und ich dachte, ich würde in eine breiige Masse
tauchen. Ich konnte nicht mehr denken. Ich konnte nichts mehr – und stürzte … * Morgennebel: grau, feucht, wie ein Leichentuch. Ich fror. Als ich die Augen aufschlug, saß eine Fliege auf meiner Nase. Sie putzte ihre Flügel und flog weg. Ich versuchte, den Kopf zu drehen. Es ging. Nach und nach erinnerte ich mich. Gleichzeitig setzte hämmernder Schmerz ein. Er begann in meinem Rücken, breitete sich aus und erreichte meine Schultern und Oberarme und auch meinen Hinterkopf. Ich lebte, daran gab es keinen Zweifel. Das war es, was mich am meisten wunderte. Mühsam versuchte ich, mich aufzurichten. Es gelang, aber ich wurde in meiner Überzeugung bestärkt, daß mein Rückgrat ein Trümmerhaufen sei. Eine Weile blieb ich im taufeuchten Gras hocken und biß die Zähne zusammen. Als ich versuchte, bis auf die Knie hochzukommen, wurde mir schwarz vor Augen. Fast hätte ich geschrien. Meine Lungen verwandelten sich in gespickte Nadelkissen, und jeder Atemzug brachte mich an den Rand des Wahnsinns. Schmerzen waren eine Sache der Gewöhnung, das wußte ich. Man konnte damit leben, wenn man sich nicht zu sehr auf sie konzentrierte. Solange man noch am Leben war, konnten sie mit der Zeit nur schwächer werden. Irgendwann stand ich auf den Beinen. Aber ich hatte das Gefühl, nur noch halb so groß zu sein. Meine Kehle war ausgedörrt. Ich blickte mich um. In gut zwanzig Schritten Abstand sah ich mein Pferd. Und dann war plötzlich ein Schatten im Nebel da. Er war nicht sehr groß, näherte sich schnell und erreichte mich. Es war Shita. Er stürmte auf mich zu. »Nicht!« rief ich. Da hatte er mich schon angesprungen. Ich fiel um und glaubte, daß die Schmerzen mich zerreißen würden. Shita aber war glücklich und stemmte die Pfoten auf meine Brust. Er wedelte mit dem Schwanz wie ein Irrer und senkte seine nasse
schwarze Nase ganz tief über mein Gesicht. »Du verrücktes Vieh«, ächzte ich. Er wedelte noch heftiger. Seine Augen blinkten. Ich wälzte mich langsam herum, nicht ohne daß er mir seine Zunge über meine linke Wange gezogen hätte. »Ich danke für die Wäsche«, sagte ich. »Laß mich hoch, ich bin ein Krüppel oder zumindest etwas Ähnliches. Wo hast du gesteckt, du gottverdammter Hund?« Er kläffte. Ich kroch auf allen vieren durch das Gras, denn ich hatte meinen Hut entdeckt. Shita hatte ihn auch entdeckt und wollte ihn mir wegschnappen. »Das ist kein Spiel, verdammt«, sagte ich. Etwas in meiner Stimme schien ihn zu warnen. Er setzte sich hin und blickte mich fragend an. Seine Zunge hing weit aus seinem Maul. Ich nahm meinen Hut und stülpte ihn auf. Dann erhob ich mich wieder. Diesmal ging es besser als beim erstenmal. Shita tappte auf mich zu und stieß mich mit seiner Nase an. »Was ist los?« Ich schaute zu ihm hinunter. »Warum bist du weggelaufen? Warst du auf der Vandam-Station?« Shita hatte einen ungewöhnlichen Instinkt. Ich wußte es, ich hatte es in den Jahren, die wir zusammen waren, oft feststellen können. Er hatte es gerade dann auch bewiesen, wenn wir nicht zusammengewesen waren. Immer wenn ich mich in Gefahr befunden hatte, war er aufgetaucht. Er hatte gefühlt, daß er gebraucht wurde. Er kläffte mich kurz an, dann lief er ein paar Schritte, blieb stehen und blickte auffordernd zurück. »Langsam«, sagte ich. »Ich bin im Moment nicht so schnell.« Ich ging zu meinem Pferd und bewegte mich ziemlich steifbeinig. Bei jedem Schritt zuckte ein brennender Schmerz von der Fußsohle bis hoch in meinem Kopf. Als ich den Hengst erreichte, blieb ich stehen und schöpfte Atem. Mir war übel, ich hätte kotzen können, aber ich unterdrückte das aufsteigende Gefühl und zog mich in den Sattel. Shita bellte wieder, dann begann er zu laufen. Ich trieb den Hengst an und folgte ihm. Vor mir lichteten sich die Nebelschleier. Ich nahm es kaum wahr.
Der Ritt wurde zur Tortur für mich. Ich meinte, mein Rückgrat knacken zu hören, dabei ritt ich langsam. Schwindel stiegen immer wieder in mir auf, Schwäche erfaßte mich. Irgendwann, ich war nicht weit geritten, obwohl mir die Strecke endlos erschienen war, sah ich eine magere Gestalt auf einer Anhöhe sitzen. Shita lief hinauf und hockte sich neben ihr ins Gras. Ich zögerte erst, dann lenkte ich den Hengst ebenfalls den Hügel hinauf und zügelte ihn erst hier. Ich stieg sehr vorsichtig ab und blieb neben Shita und dem Jungen stehen. Mein Blick glitt über sie hinweg hinunter zur Overlandstraße und weiter bis zu der Station. Sie war niedergebrannt. Das Feuer war erloschen. Sie rauchte noch, aber das war im Frühnebel kaum zu erkennen. »Hallo, Elton«, sagte ich. Meine Schmerzen wichen. Alles, was in der Nacht geschehen war, trat in mir wieder in den Vordergrund und verdrängte alles andere, auch den Schmerz. Elton Vandam hob den Kopf. Sein sommersprossiges Gesicht mit den Pickeln auf dem Kinn wirkte uralt und so grau wie der Frühdunst. »Es ist gut, daß du lebst, Elton«, sagte ich. »Es ist schlecht, daß ich lebe«, sagte er. Aus seinen Augen rannen Tränen.
5. Das Vieh hatten sie mitgenommen. Es war nicht viel gewesen, wirklichen Wert hatten nur die Pferde gehabt. Die Station war nur noch eine Ruine. Alles war verbrannt. Ein paar Balken standen noch, verkohlt. Irgendwo zwischen den Trümmern lagen die Leichen von Henry und Elsa Vandam. Elton saß auf einem Stein am Rande des Wagenwegs und starrte in die Asche. Shita hatte sich neben ihm niedergelassen. Shita hatte nie einen anderen Menschen so sehr gemocht wie Elton. Ich bewegte mich auf dem Hof umher und suchte nach Spuren, obwohl es uninteressant war. Ich hatte ja selbst einen Teil dessen miterlebt, was in der Nacht geschehen war. Aber ich wollte irgend etwas tun.
Die Sonne ging gerade auf. Die Nebelschleier hatten sich aufgelöst. Langsam ging ich zu Elton hinüber. Ich hatte noch immer Schmerzen, aber sie waren nicht mehr so heftig, sie kamen und gingen nicht mehr wellenartig, sondern hatten eine gewisse Beständigkeit. Das ließ sie leichter ertragen. »Sag was, Elton.« Er blickte mich an und schwieg. »Ich will wissen, was passiert ist.« »Das siehst du«, erwiderte er. »Red schon«, sagte ich. Ich hockte mich zu ihm. »Es war schon dunkel«, sagte er. »Ich bin in den Stall gegangen, um die Lampen zu löschen. Auf einmal tauchte Shita auf. Ich dachte, du seist auch in der Nähe, und bin vom Hof gegangen. Als du nirgends aufgetaucht bist, bin ich umgekehrt. Shita hat mich an der Hose gezerrt und ist in die Hügel gelaufen. Ich bin ihm nachgegangen. Als ich mich umdrehte, waren die Apachen da. Mich sahen sie nicht. Es war schon zu dunkel, und ich war zu weit weg. Sie waren sehr leise. Sie drangen nicht sofort ins Haus ein. Sie lauerten eine Weile draußen, bis Dad erschien und nach mir rief. Ich wollte zurücklaufen. Shita hat mich angesprungen und angeknurrt. Ich hab gedacht, er frißt mich. Er hat mich vor sich hergedrängt und die ganze Zeit geknurrt und die Zähne gefletscht. Ich hatte Angst, vor ihm und vor den Indianern. Ich hab dann nicht mehr gesehen, wie sie ins Haus gelangt sind. Hat Dad noch gelebt, als du angekommen bist, und Mom?« »Sie haben noch gelebt«, sagte ich. »Es ist dann alles sehr schnell gegangen. Zerbrich dir nicht den Kopf. Du hättest Ihnen nicht helfen können. Du hattest nur die Chance, dein Leben zu retten, das hat Shita für dich besorgt.« »Warum haben sie das getan?« Die Stimme Eltons klang mit einemmal schrill. »Mom und Dad waren freundlich zu allen Indianern!« »Ich habe euch oft genug davor gewarnt, daß es verschiedene Indianer gibt und ihr euch vor den Kriegern in acht nehmen sollt, die von jenseits der Grenze ins Land eindringen. Warum sie eure Station überfallen haben, weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich aus dem
gleichen Grund, aus dem sie die Postkutsche überfallen haben. Ich werde es herauskriegen.« »Davon wird niemand mehr lebendig.« »Nein, aber vielleicht wird dadurch verhindert, daß noch mehr sterben.« »Das ist mir egal. Ich will auch sterben.« »So redest du jetzt. Später redest du anders. Hör mir jetzt zu: Wie lange kanntet ihr Mister Vanderbilt?« »Mister Vanderbilt? Ein Vierteljahr vielleicht.« Elton blickte mich an. Er wirkte teilnahmslos. »Mom und Dad haben sich bei ihm um die Station beworben.« »Vielleicht ist er schuld an allem«, sagte ich. »Vanderbilt?« »In der überfallenen Kutsche saß sein Partner. Er hatte Gold bei sich, wahrscheinlich Indianergold. Vanderbilt hat in Fort Calhoun ein großes Geschrei darum veranstaltet, um nicht erklären zu müssen, wo es herstammt. Ich glaube, er macht krumme Geschäfte.« »Mit den Apachen?« »Möglich.« »Dad hielt sehr viel von Mister Vanderbilt.« »Dein Dad war ein schlechter Menschenkenner«, sagte ich. »Er war zu gutmütig. Er hat immer nur das Beste in allen Leuten sehen wollen.« »Dad hat gesagt, alle Menschen seien gut.« »Vielleicht da, wo ihr früher gewesen seid, hier bestimmt nicht.« »Wir hätten nie aus Kansas weggehen sollen«, sagte Elton. »Aber zweimal ist uns die Ernte kaputtgegangen. Vor zwei Jahren bei einem Hagelgewitter. Das ganze Getreide ist zerschlagen worden. So was hast du noch nicht gesehen. Hagelkörner so groß wie Taubeneier. Unsere alte Bess hat's auch erwischt.« »Wer war Bess?« »Unsere Kuh«, erwiderte Elton. »Sie stand auf der Weide und ist erschlagen worden. Und voriges Jahr kamen die Heuschrecken. Ein Himmel voller Heuschrecken. Sie waren überall. Man konnte nicht mehr atmen. Sie fraßen alle Felder kahl. Sie waren im Haus und im Stall. In der Küche saßen sie in den Töpfen, in den Kammern in den
Betten. Auf dem Fußboden rutschte man aus, weil so viele zertretene Heuschrecken auf den Dielen klebten. Damals haben Mom und Dad gesagt, daß sie weg wollen. Aber wir hätten bleiben sollen. Die Heuschrecken wären auch wieder gegangen.« »Dafür wäre irgend etwas anderes passiert«, sagte ich. »Das Leben ist nirgends leicht. Was passiert ist, ist nicht mehr zu ändern. Sei dankbar für die Jahre, die hinter dir liegen, und denk jetzt daran, daß es irgendwie weitergeht.« »Was soll ich ohne Mom und Dad?« »Leben«, sagte ich. »Deine Eltern hätten sich für dich geopfert, wenn es nötig gewesen wäre. Sie wollten, daß du lebst. Jetzt laß dich nicht unterkriegen. Jeder hat sein eigenes Leben, du auch.« »Ich will nicht allein sein.« »Wer will das schon?« Ich blickte an ihm vorbei. »Ich wollte das auch nicht.« Ich richtete mich auf. Bis jetzt hatte ich die Schmerzen fast gar nicht mehr gespürt. Nun aber dachte ich, mein Rücken würde durchbrechen. Ich ging sofort wieder in die Knie und knöpfte mein Hemd auf. »Sieh dir meinen Rücken an«, sagte ich. »Wie sieht er aus? Habe ich eine Wunde?« Ich drehte mich um und hob das Hemd hoch. Ich hörte Elton schnaufen. »Du bist grün und blau«, sagte er. »Unter der Lunge?« »Ja.« »Keine offene Wunde?« »Nein. Aber alles glänzt wie eine Speckschwarte und sieht geschwollen aus.« »Wahrscheinlich hat mich ein Schädelbrecher ins Kreuz getroffen.« Ich knöpfte das Hemd wieder zu und stopfte es in die Hose. »Da ich noch laufen kann, ist anscheinend nichts gebrochen.« Ich richtete mich wieder auf, diesmal aber sehr langsam und vorsichtig. Es tat trotzdem noch höllisch weh. »Ich muß weiter. Ich hab einen Auftrag. Es geht um Mister Vanderbilt und die Apachenüberfälle.«
»Und ich?« »Hierbleiben kannst du nicht. Du mußt ins Fort. Ohne Pferd ist das ein guter Tagesmarsch.« Ich spähte nach Osten. Die Sonne stand schon ziemlich hoch. Aber man merkte, daß der Winter nicht mehr weit war. Der Wind, der von Westen über das Land strich, war kühl. Ein paar große Wolken kreuzten den Horizont. Die Sonne hatte keine Kraft mehr. Das Land war weit und leer. Aber ich wußte, daß es voller Verstecke war und man sich niemals zu sicher fühlen sollte. »Du kannst nicht allein bleiben«, sagte ich. »Die Apachen können noch immer in der Nähe sein.« Ich blickte zu Shita hinunter, er blickte zu mir hoch. In diesem Moment spürte ich stärker als zuvor, daß Shita viel mehr als ein Hund für mich war. Ein Gedanke drängte sich in meinen Kopf, der mir nicht gefiel und den ich zu verdrängen suchte. Es gelang mir, aber ich wußte gleichzeitig, daß er wiederkehren würde. Er hatte mit Shita und Elton zu tun, und für einen Moment erfaßte mich so etwas wie Traurigkeit. »Shita wird dich begleiten«, sagte ich. »Shita kennt das Land, und er weiß, was er tun muß, wenn Gefahr droht. Du brauchst dich nur an ihn zu halten. Er ist der beste Hund der Welt.« »Du läßt Shita da?« »Ja.« Elton schlang die Arme um Shita. Shita blickte mich unverwandt an. Dann erhob er sich und wedelte mit dem Schwanz. »Alles klar, alter Junge?« Ich blickte ihn an. Dann ging ich zu meinem Pferd und stieg in den Sattel. »Neben dem Haus hab ich ein Gewehr liegen sehen«, sagte ich. »Es sieht aus, als sei es in Ordnung. Nimm es mit. In Fort Calhoun meldest du dich bei Colonel Lester.« »Du sagst, daß Mister Vanderbilt krumme Geschäfte mit den Indianern mache, daß er an allem Schuld sei?« »Es ist möglich. Deshalb muß ich weiter.« »Wenn es so ist, bring ich ihn um.« »Das würde deiner Mom und deinem Dad auch nichts mehr nützen«, sagte ich. »Stell dir das nicht so leicht vor, jemanden
umzubringen. Es ist kein Spaß, einen Menschen zu töten, auch dann nicht, wenn man ihn haßt. Nicht einmal dann, wenn man damit sein eigenes Leben rettet. Ich wollte, ich hätte es nie tun müssen. Geh jetzt. Shita bleibt bei dir. Wir sehen uns in Fort Calhoun. Und vergiß das Gewehr nicht.« Er nickte und sagte nichts mehr. Shita bellte. Ich zog den Hut tief in die Stirn und ritt an ihnen vorbei ins Hügelland nach Westen. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Elton allein zu lassen, aber ich durfte keine Zeit verlieren. Außerdem würde es ihm guttun, auf sich allein gestellt zu sein. Es würde ihm helfen, den Schock zu überwinden. Mir selbst war alles, was in der vergangenen Nacht geschehen war, nähergegangen, als ich gezeigt hatte. Ich hatte die Vandams mehr als nur gemocht. Mistreß Vandam war mir zeitweise wie eine richtige Mutter erschienen. Leute wie die Vandams gab es selten. Nicht nur Elton hatte einen großen Verlust erlitten, nicht nur er hatte das untergehen sehen, was bis gestern abend noch unabänderlich für ihn und sein Denken gewesen war. Auch in mir war mit den Vandams wieder ein Stück Hoffnung gestorben. Elton mußte zu sich selbst finden, und ich fühlte mich etwas ärmer. Aber alles ging weiter. Ich hob den Kopf und ließ den kühlen Reitwind um mein Gesicht fächeln. Ich war sicher, daß es einen frühen Winter geben würde. * »Sie haben sich gewehrt bis zum Schluß, aber sie hatten keine Chance.« Der alte Mann stand am Rand der Fahrstraße. Er hielt die Zügel seiner beiden Maultiere in der linken Hand und blickte zu der Ruine hinüber. Ich hatte den Hengst gezügelt und die Fäuste auf das Sattelhorn gestützt. Der Alte war von gedrungener Gestalt. Sein Bart war gelblichgrau und reichte ihm bis auf die Brust. Er trug einen zerbeulten, löchrigen Filzhut. Seine Haut war lederartig von Wind und Wetter gebräunt,
die Augen waren klein und schimmerten hell und lebendig. »Ich hab das Feuer in der Nacht gesehen«, sagte er. »Gegen Morgen bin ich aufgebrochen.« »Apachen von jenseits der Grenze«, sagte ich. »Chiricahuas.« »Ja«, sagte er. »Den Spuren nach zu urteilen. Die Fletchers waren gute Leute.« »Die Vandams auch«, sagte ich. »Etwa fünfundzwanzig Meilen weiter östlich. Dort war es genauso.« Ich blickte wieder zur Ruine hinüber. Die Trümmer rauchten noch. Hoch am Himmel kreisten einige Krähen. Ich hatte die Fletchers nur dem Namen nach gekannt. Eine fünfköpfige Familie. Ich war nie vorher hier gewesen. Zwischen Eagle Pass und Fort Calhoun gab es zwei Stationen – es hatte sie gegeben. Die der Fletchers und die der Vandams. Jetzt gab es keine Station mehr. Die der Fletchers war genauso niedergebrannt worden wie die der Vandams. Auch in der letzten Nacht. Auch hier waren alle tot. Der Alte war ein Goldgräber aus den Bergen an der Grenze. Er nannte sich Charly. Er hatte die Fletchers begraben. »Zuerst war es nur eine Kutsche«, sagte ich. »Hier kommt keine Kutsche mehr durch«, erklärte er. »Es gibt keine Stationen mehr, um die Pferde zu wechseln, aber selbst wenn es sie noch gäbe, würde kein Wagen es mehr schaffen.« »Haben Sie die Indianer gesehen?« »Vor ein paar Tagen«, antwortete er. »Sie sammeln sich drüben an der Grenze. Ich glaube, ich muß bald meinen Kram packen und verschwinden. Bis jetzt ließen sie mich in Ruhe, aber man kann nie wissen.« »Gibt es einen Grund?« »Für die Apachen in Mexiko gibt es immer einen Grund. Die sind nach Mexiko gegangen, weil sie keinen Frieden schließen wollen. Die wollen um ihr Land kämpfen und sich nicht in Reservationen sperren lassen. Wenn sie die Mittel kriegen, um zu kämpfen, dann tun sie es.« »Die Mittel?« »Waffen, mein Junge. Es gibt genug Leute, die sich den Kopf
nicht darüber zerbrechen, was mit den Waffen geschieht, die sie teuer an die Indianer verkaufen. Und die Apachen denken nicht daran, daß sie sich auf diese Weise selbst umbringen, weil sie nicht gewinnen können.« »Warum die Postlinie?« fragte ich. »Warum nicht die Postlinie? Es ist leicht, einsame Kutschen zu überfallen oder einsame Stationen niederzubrennen. Außerdem wird die Verbindung zwischen den Nestern an der Grenze zerstört.« »Es muß mehr dahinterstecken«, sagte ich. »Haben Sie nichts gehört? Sie treiben doch auch Handel mit den Apachen?« Er senkte den Kopf und schwieg. Dann sagte er: »Manchmal, aber keine Waffen.« »Ich will nicht wissen, was Sie in den Bergen tun«, sagte ich. »Liefert jemand Waffen an die Apachen?« »Ich weiß nichts«, erwiderte er. »Aber die Stämme, mit denen ich gehandelt habe, haben ihre Lagerplätze verlegt und lassen mich nicht mehr bis zu ihren Zelten. Neulich sind ein paar Krieger um mein Camp geschlichen. Es hat sich einiges verändert. Mehr weiß ich nicht.« »Gibt es Gold in den Bergen an der Grenze?« Er blickte mich listig an. In seinen Augen lag jetzt etwas Lauerndes, Mißtrauisches. »Sehe ich aus wie ein Mann, der Gold hat?« »Ich weiß nicht, wie ein Mann aussehen muß, der Gold hat«, erklärte ich. »Ich will nicht wissen, ob Sie welches haben, sondern ob es welches in den Bergen gibt.« »Ich denke ja.« Das Mißtrauen war gewichen. »Eine Bonanza?« fragte ich. »Große Nuggets?« »Könnte sein.« »Wissen die Indianer darüber Bescheid?« »Es ist ihr Land«, sagte Charly. »Sie wissen alles.« »Mich interessiert nicht, was Sie finden«, sagte ich. »Ich will wissen, ob die Apachen in der Lage wären, mit Gold zu bezahlen.« »Das sind sie sicher.« »Danke, Charly.« Ich nahm die Zügel hoch. »Passen Sie auf Ihren Skalp auf.«
Er nickte. »Die Fletchers waren wirklich gute Leute. Sie hatten immer einen Kaffee für mich und eine Pfeife voll Tabak.« Ich ritt an der Ruine vorbei. Die Station war ähnlich angelegt gewesen wie die der Vandams. Ein flacher Kastenwagen stand hinter dem Haus. Er war umgestürzt worden. Charly hatte die Deichsel abmontiert und in den Grabhügel gerammt, der sich jetzt ein Stück abseits unter einer mächtigen Grannenkiefer erhob. Mit glühendem Messer hatte er den Namen der Fletchers hineingebrannt. Ich drehte mich um. Charly hatte eins seiner Maultiere bestiegen und ritt langsam südwärts. Ich trieb den Hengst an und folgte der Overlandstraße.
6. Ich hörte die Schüsse, lange bevor ich die Kutsche sehen konnte, aber ich ahnte, was vor mir geschah, und trieb den Hengst zu rascherer Gangart an. Das Gewehrfeuer verstärkte sich. Der Wind trieb mir die peitschenden Detonationen entgegen. Ich sprengte über die Hügel und sah in einer langgestreckten Bodensenke, durch die sich die Overlandstraße schlängelte, die Postkutsche stehen. Sie hatte den Fahrweg verlassen und stand schräg zwischen zwei mannshohen Büschen. Aus dem Wageninnern wurde geschossen. Die Gespannpferde schienen unverletzt. Sie scheuten und zerrten wie wild an den Geschirriemen, aber anscheinend waren die Bremsen des Wagens fest angezogen, denn sie brachten die Kutsche nicht von der Stelle. Ich zählte fünf Apachen. Sie saßen auf kleinen, gescheckten Pferden und hingen wie angewachsen in ihren gepolsterten Woilachs. Sie griffen in breiter Front an, sprengten an dem Wagen vorbei und schossen auf die Fenster der Kutsche. Ein Stück abseits sah ich einen reglosen Körper im Gras liegen. Auf dem Rand der Bodensenke stand ein reiterloses Apachenpony. Ich zog meinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard und trieb den Hengst in die Bodensenke. Noch hatten die Apachen mich nicht
gesehen. Sie ritten einen weiten Bogen um die Kutsche, um sie von der anderen Seite erneut anzugreifen. Zwei Krieger versuchten, in den toten Winkel zu gelangen, so daß sie aus dem Wageninnern nicht gesehen und beschossen werden konnten. Sie jagten auf die Kutsche zu und zügelten ihre Ponys vor dem Gespann. Ich begann vom Sattel aus zu schießen. Der erste Schuß ging fehl, mit dem zweiten erwischte ich einen der Krieger, die gerade über die Wagendeichsel und den Bock auf die Kutsche steigen wollten, in der linken Schulter. Er schwankte und stürzte beinahe. Er konnte sich gerade noch halten und zurück in den Sattel seines Ponys ziehen. Die anderen Krieger wurden durch mein Erscheinen völlig überrascht. Ich nutzte ihre Verwirrung und schoß den Karabiner leer. Ich verletzte eins der Pferde. Es stürzte, erhob sich aber gleich wieder. Der Reiter hastete zu Fuß hinter ihm her und sprang wieder in den Sattel. Ich hatte den Spencer-Karabiner zurück in den Scabbard gesteckt und meinen Navy-Colt gezogen. Aus der Kutsche heraus krachten jetzt wieder in rascher Folge Schüsse. Die Krieger drehten ab und sprengten über die Hügel nach Süden davon. Ich ließ den Colt in die Halfter zurückgleiten und zügelte den Hengst neben der Kutsche. Der rechte Seitenschlag öffnete sich. Zuerst sah ich ein grinsendes Gesicht, fast schwarz vom Pulverrauch. Dann tauchte der ganze Mann auf. Er war nicht sehr groß, aber mindestens genauso breit wie hoch. Ein wandelnder Kleiderschrank. Er hatte einen Nacken wie ein Büffel und Arme wie andere Leute Oberschenkel. Er grinste mich noch immer an. Seine Zähne waren groß, kräftig und gelb wie bei einem Pferd, die Nase war plattgedrückt, die Augen waren groß und dunkel und voller Leben. »Hallo, mein Freund«, sagte er. Er hatte eine erstaunlich angenehme Stimme. »Wenn du ein paar Minuten später aufgekreuzt wärst, hättest du mich begraben müssen – den armen Teufel im Wagen sowieso.«
»Ich hatte keine Lust, ein Loch zu schaufeln«, sagte ich. »Bist du der Kutscher?« »Ja, Jeff McHenry.« »Ich heiße Ronco und bin Scout in Fort Calhoun. Du wirst deinen Wagen umdrehen und zurückfahren müssen. Hast du einen Toten drin?« »Ja«, erwiderte er. »Es muß ihn gleich erwischt haben, als die Rothäute auftauchten und der Zauber losging. Aber umdrehen werde ich nicht. Jeff McHenry hat seine Route immer zu Ende gefahren, solange seine Kutsche noch auf ihren Rädern stand. Und wenn die Gäule nicht mehr konnten, habe ich mich selbst ins Geschirr gespannt.« »Die Pferdewechselstationen sind niedergebrannt worden«, sagte ich. »Wenn du weiterfährst, kriegst du nirgends frische Pferde und wirst garantiert auf den nächsten fünf Meilen noch einmal überfallen. Dann bin ich aber nicht mehr in der Nähe. Hat dir niemand gesagt, daß schon die vorige Kutsche überfallen worden ist?« »Nein. Mister Vanderbilt ist seit gestern wieder in Eagle Pass, er hat nichts gesagt.« »Er ist in Eagle Pass? Er wollte doch nach Corpus Christi.« »Davon weiß ich nichts«, erklärte McHenry. Ich stieg ab. Vanderbilt hatte Colonel Lester belogen. Er war nicht nach Corpus Christi weitergefahren, sondern zurück nach Eagle Pass. Ich schaute in das Innere der Kutsche. Der einzige Fahrgast lag verkrümmt am Boden. Er war zweimal in die Brust getroffen worden. »Was jetzt?« fragte McHenry hinter mir. »Du wirst umkehren müssen«, erwiderte ich. »Sag deinem Mister Vanderbilt, was passiert ist, aber erzähl ihm nicht, daß ich hier war.« »Warum nicht?« »Er kennt mich, und ich glaube, er mag mich nicht besonders. Ich mag ihn auch nicht.« Ich warf noch einen Blick in die Kutsche und wollte mich abwenden, da fiel mir etwas auf, und ich trat dichter an den Wagen heran. »Der Kasten ist wohl schlecht gebaut«, sagte ich. Ich beugte mich
vor. »Ich fahre nur erstklassige Concord-Kutschen«, sagte McHenry. In seiner Stimme klang ein dumpfes Grollen mit. Ich sah eine breite Lücke zwischen zwei Bodenbrettern, faßte hinein und hob eins der Bretter mit Leichtigkeit heraus. McHenry war neben mich getreten und kriegte runde Augen. Ich holte auch ein zweites und dann ein drittes Brett heraus. Unter dem Boden wurde ein Hohlraum sichtbar. Etwa anderthalb Handbreit tief. Von außen war der zusätzliche Raum kaum zu erkennen, da er sich nahtlos an die Seitenbracken anfügte und wie eine seitliche Verblendung des zweisprossigen Einstiegs wirkte. »Was, zum Teufel, ist das?« fragte McHenry. Ich antwortete nicht, sondern beugte mich noch tiefer und fuhr mit der linken Hand in den Wagenkasten. Ich ließ meine Finger über das rauhe Holz gleiten, spürte etwas Klebriges und zog sie wieder heraus. »Waffenfett«, sagte ich. Ich schätzte, daß mindestens fünfzehn Gewehre in diesem Raum untergebracht werden konnten, und ich begann zu ahnen, weshalb die erste Kutsche überfallen worden war, obwohl mir die Zusammenhänge noch lange nicht klar waren. Wenn Vanderbilt seine eigenen Postkutschen heimlich mit Waffen belud, die er an die Apachen verkaufte, und dann die Indianer auf die Wagen hetzte – was wollte er damit erreichen? Sein eigener Geschäftspartner war umgekommen. Und warum waren die Stationen niedergebrannt worden? Alles war reichlich verworren, und es gelang mir in diesem Augenblick nicht, Ordnung in die verschiedenen Ereignisse zu bringen. Ich brauchte Zeit, um nachdenken zu können. »Was heißt das?« hörte ich McHenry hinter mir fragen. »Ich hab nichts gesagt«, erwiderte ich. »Nur daß auf den Brettern Waffenfett klebt.« Ich hielt ihm meinen linken Zeigefinger unter die Nase. Er roch daran und nickte. »Waffenfett. Hier waren also Waffen drin.« »Anzunehmen.« »Wer hat die reingetan?«
»Frag dich, wer sie rausgenommen hat, und dann weißt du immer noch nicht, wann das alles passiert ist.« »War in der anderen Kutsche, die überfallen wurde, auch so ein Fach?« »Keine Ahnung«, sagte ich. »Ich hab nicht nachgesehen.« Ich dachte nicht daran, ein Wort zuviel zu sagen. McHenry war mir sympathisch, aber ich kannte ihn nicht, und er war ein Angestellter von Mister Vanderbilt. »Vielleicht hatten es die Indianer auf die Waffen abgesehen.« »Es sind ja keine Waffen da«, sagte ich. Gerade das bereitete mir auch Kopfzerbrechen. »Aber es waren mal welche da, und vielleicht glaubten die Rothäute, sie seien noch da«, sagte McHenry. Er war gar nicht so dumm, aber ich schwieg noch immer. »Ich werde Mister Vanderbilt fragen«, sagte McHenry. Seine Stimme klang nicht so, als wenn es eine gemütliche Unterhaltung für Mister Vanderbilt werden würde. »Die Apachen brauchen Waffen«, sagte McHenry. »Vielleicht sind mit der Kutsche auch mal Waffen für die Rothäute transportiert worden.« »Möglich ist alles«, sagte ich. Ich stieg wieder in den Sattel. »Denk nicht zuviel darüber nach. Das ist meine Arbeit.« Er blickte zu mir hoch. »Ich habe das Gefühl, daß mich jemand ganz fürchterlich reinlegen wollte.« »Das passiert uns allen mal.« »Wohin reitest du?« »Den Indianern nach«, sagte ich. »Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Du gefällst mir.« »Du mir auch. Wenn wir uns sehen, trinken wir einen Whisky zusammen.« Er bleckte sein Pferdegebiß. »Es wird nicht bei einem bleiben, mein Freund.« »Ich meine, ein Faß«, sagte ich und trieb den Hengst an. Jeff McHenry lachte dröhnend. Selbst sein Lachen war gewaltig. Es war wie eine Lawine, und für einen Moment dachte ich daran, ihn über ein paar Dinge aufzuklären. Aber dann ließ ich es. Ich war sicher,
daß er klug genug war, selbst zu begreifen, was los war, und wenn er sich dann auf meine Seite stellte, war es immer noch früh genug. Ich mußte vorsichtig sein, auch wenn ich mir im klaren darüber war, daß ich früher oder später Hilfe brauchen würde. Ich ritt aus der Bodensenke auf der Spur der Apachen nach Süden. * Der Wind hatte aufgefrischt, und ich blickte besorgt zum Himmel, aber es sah nicht nach Regen aus. Ich wandte meinen Kopf wieder nach vorn und spähte zum Rio Grande hinüber. Ich befand mich auf einem Hügel fast hundert Yards vom Fluß entfernt und lag flach auf dem Bauch im hohen Gras. Das Land ringsum war unübersichtlich, mit Bäumen und Strauchinseln übersät. Nur der Blick zum Fluß hin war frei. Dort lagerten die Apachen. Es waren zwischen zwanzig und dreißig Krieger. Ein kleines Feuer brannte. Sie saßen zusammen, palaverten und waren aufgeregt. Einer stand jetzt auf und gestikulierte heftig mit beiden Armen. Es waren Chiricahuas. Ich hätte gern gehört, über was sie sprachen, aber ich konnte mich nicht näher an sie heran wagen. Östlich des Lagers sah ich plötzlich einen Reiter auftauchen. Er saß auf einem Maultier und führte ein zweites Tier am Zügel mit sich. Ich glaubte zu träumen und schloß die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte sich der Reiter dem Apachenlager genähert. Ich träumte nicht. Charly, der bärtige Goldgräber. Der Mann, der nichts wußte, der Angst vor den Apachen hatte und seinen Kram packen wollte, weil ihm der Boden an der Grenze zu heiß wurde. Er ritt direkt ins Lager der Apachen, obwohl er mir gesagt hatte, daß die Apachen ihn nicht mehr an sich ranließen. Jetzt stieg er ab und setzte sich. Er schien die Krieger zu kennen, denn er war sofort in eine Unterhaltung mit ihnen vertieft, während einer ihm eine Schale reichte, aus der er zwischendurch aß, und ein anderer ihm eine Kürbisflasche zum Trinken anbot.
Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten. Aber es war kühl. Der Himmel war grau und trüb. Charly palaverte mit Händen und Füßen, und manchmal hörte ich bis zu meinem Versteck das Lachen der Krieger. Unvermittelt erhob er sich und blickte in meine Richtung. Obwohl ich wußte, daß er mich nicht sehen konnte, zog ich instinktiv den Kopf ein. Als ich vorsichtig wieder hochschaute, wurde Charly von zwei Kriegern zu seinen Maultieren begleitet. Er stieg auf und ritt davon. Ich blickte ihm nach. Er lenkte seine Mulis nach Westen. Ich verharrte und beobachtete weiter die Apachen. Sie brachen ihr Lager ab, löschten das Feuer und bestiegen ihre Pferde. Ein Stück unterhalb ihres Lagerplatzes durchquerten sie den Rio Grande und ritten nach Mexiko. Als sie aus meinem Blickfeld verschwunden waren, erhob ich mich. In meinem Kopf wirbelte alles drunter und drüber. Ich verstand immer weniger, aber ich hatte einen Auftrag, und ich dachte an die Vandams, die mich behandelt hatten, wie Eltern ihren leiblichen Sohn behandeln. Das war Grund genug, die Dinge zu verfolgen, bis alles restlos aufgeklärt war. Ich lief den Hügel hinunter zu meinem Pferd und schwang mich in den Sattel. Ich schaute mich noch einmal um, aber ich war allein. Als ich den Fluß erreichte, betrachtete ich vom Sattel aus die Spuren. Schließlich trieb ich den Hengst an und folgte der Fährte der beiden Maultiere. Ich folgte Charly, dem Goldgräber, denn ich spürte, daß er mir eine Menge verheimlicht hatte, daß er mir vielleicht die Lösung all dessen sagen konnte, was geschehen war.
7. Eine Meile vor Eagle Pass hatte ich Charly noch gesehen. Jetzt war er wie vom Erdboden verschluckt. Ich näherte mich der Stadt von Südosten. Es war bereits dunkel. Ein paar Sterne glitzerten. Ein scharfer Wind strich über den Fluß. Ich sah von Eagle Pass zunächst nicht viel mehr als die Lichter.
Erst als ich der Stadt näher war, schälten sich die Konturen der Häuser aus der Dunkelheit. Die Stadt war nicht sehr groß. Es gab eine breite Main Street und ein paar kleinere Seitenstraßen. Ich schlug einen Bogen und ritt hinter ein paar verwilderten Gärten entlang, bis ich in eine Seitengasse einschwenkte. Es war eine stille Straße. Mir begegnete kein Mensch. Hinter den Fenstern der windschiefen Bretterhäuser brannte kaum ein Licht. Als ich die Main Street erreichte, zügelte ich den Hengst und blickte mich um. Es gab ein paar Saloons und eine Spielhölle. Ich hörte Lärm und das Klimpern eines verstimmten Klaviers. Ein paar Männer gingen an mir vorbei. Sie waren angetrunken und achteten nicht auf mich. Sie schwankten und grölten. Ich zog meinen Hut tiefer in die Stirn und ritt langsam weiter. Ich kannte die Stadt nicht. Es war das erstemal, daß ich mich hier befand. Ich wußte, daß ich mich in acht nehmen mußte. Vanderbilt war in der Stadt. Er kannte mich. Sonst kannte mich hier niemand. Aber Vanderbilt genügte schon. Ich ritt die Main Street hinunter und sah neben einigen Saloons ein hell erleuchtetes mehrstöckiges Gebäude. Das Schild über dem Eingang war riesengroß und wurde von zwei starken Petroleumlaternen beleuchtet. »Vanderbilt Overland Stage Line.« Ich senkte den Kopf noch tiefer und ritt vorbei. Auf dem Stepwalk sah ich eine kleine, aber ungemein breite Gestalt. Jeff McHenry war auch bereits wieder in der Stadt und offenbar auf dem Weg zu seinem Boß. Er sah mich nicht. Ich hatte den Eindruck, daß er ziemlich geladen war, aber das konnte täuschen, ich hatte ihn ja nur einige Sekundenbruchteile richtig gesehen. Weiter die Straße hinunter lag ein großer Wagenhof, über dem das gleiche Schild hing wie über dem Geschäftsgebäude. An den Hof schlossen sich einige Remisen und Ställe an. Ich sah hier keinen Menschen und ritt ein Stück weiter. Nachdem ich in eine stille Seitengasse eingeschwenkt war, glitt ich aus dem Sattel und ließ den Hengst stehen. Zu Fuß ging ich zurück zu dem Wagenhof.
Ich blieb hier im Schatten eines überhängenden Daches eine Weile stehen und beobachtete die Main Street. In diesem Teil der Stadt gab es keine Saloons mehr. Hier war alles ruhig. Schließlich schlüpfte ich durch das Tor und schlich zu den Remisen. Sie waren unverschlossen. Ich blieb stehen, bis meine Augen sich an die Dunkelheit im Innern gewöhnt hatten. Dann ging ich weiter. In der Remise, einem langgestreckten, flachen Bauwerk, standen sechs Concord-Kutschen nebeneinander. Die Deichseln waren hochgeklappt. Ich lauschte in die Dunkelheit, bis ich sicher war, daß ich allein war. Dann näherte ich mich dem ersten Wagen und öffnete den Seitenschlag. Ich beugte mich hinein und tastete mit beiden Händen über die Bodenplanken. Nach einigem Suchen fand ich einen Ritz, in den ich mit den Fingerspitzen eindringen konnte. Ich zog und zerrte ein wenig, dann löste sich das Bodenbrett. Ich hob es heraus und konnte in einen Hohlraum darunter vordringen. Er war leer, aber ich hatte auch nichts anderes erwartet. Mich interessierte nur, ob auch die anderen Kutschen Vanderbilts das geheime Fach unter dem Boden hatten. Wenn es so war, konnte ich sicher sein, daß auch die zuerst überfallene Kutsche dieses Fach gehabt hatte. Ich legte das Brett zurück und ging zur nächsten Kutsche. Auch hier ließen sich die Bodenplanken herausnehmen. Ich hatte den Seitenschlag soeben wieder geschlossen, als ich Schritte auf dem Hof hörte, Stimmengemurmel. Die Geräusche näherten sich der Remise. Ich eilte geduckt durch den langgestreckten Schuppen und verbarg mich hinter einer großen Holzkiste, deren Deckel offenstand, so daß ich sehen konnte, daß sie mit Geschirriemen und anderem Lederzeug randvoll angefüllt war. Am Eingang der Remise tauchten mehrere Männer auf. Sie hatten es offenbar eilig, sprachen wenig und bewegten sich schnell. Sie gingen zur ersten Kutsche und öffneten die Seitentüren. Dann hoben sie die Bretter des Bodens heraus. Ich konnte nicht alles sehen, weil die anderen Wagen einen Teil des Geschehens vor meinen Blicken verbargen, aber ich wußte auch so, was geschah. Zwei der Männer gingen wieder hinaus. Es dauerte
eine Weile, dann kehrten sie zurück. Sie schleppten eine sichtlich schwere Kiste mit sich, die sie neben der Kutsche auf den Boden setzten. Sie klappten sie auf und entnahmen ihr Gewehre. Ich konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, um welche Modelle es sich handelte, aber das war im Grunde auch egal. Die Gewehre verschwanden aus meinem Blickfeld. Ich hörte es poltern und war sicher, daß sie in dem Hohlraum unter dem Kutschenboden verschwanden. Ich zählte zwölf Gewehre. Dann wurde die Kiste fortgetragen. Die Männer verschlossen den Kutschenboden wieder und verließen die Remise. Ich wartete noch eine Weile. Obwohl meine Vermutungen sich insoweit bestätigt hatten, daß Vanderbilt offenbar ein Indianerhändler war und seine eigenen Kutschen als Transportmittel benutzte, um die Waffen zu den Indianern zu schaffen, war mir alles andere noch unklar. Es hätte leichtere, unauffälligere Mittel gegeben, die Waffen zu den Apachen zu bringen. Ich begriff noch nicht, was hinter all dem steckte. Es blieb still. Ich verließ mein Versteck und trat aus der Remise. Als ich über den Hof eilen wollte, bemerkte ich in der Nähe des Tores eine Gestalt. Ein Mann stand breitbeinig da und rauchte. Ich duckte mich sofort. Der Mann wirkte gelangweilt. Zeit verrann. Ich überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, ungesehen über den Bretterzaun des Wagenhofes zu gelangen. Da sah ich, daß der Mann die Zigarette zu Boden warf und die Glut mit dem Stiefel zertrat. Dann ging er davon. Ich zögerte nicht, hastete zum Tor, warf einen kurzen Blick die Straße hinunter und schlüpfte hinaus. Ich wechselte die Straßenseite und überlegte einen Moment, ob ich zu meinem Pferd zurückgehen sollte. Schließlich setzte ich mich in Bewegung und ging die Straße hinauf, dorthin, wo die Saloons waren, wo das Licht war und der Lärm. Ich wußte selbst nicht genau, was ich tun sollte. Vanderbilt war ein Waffenhändler – das hatte ich schon nach dem Gespräch mit dem alten Charly vermutet, bei der Station der Fletchers. Jetzt hatte ich Gewißheit. Aber ich spürte instinktiv, daß mehr dahintersteckte, und ich wollte alles wissen.
Ich brauchte Charly, den Goldgräber. Meine Blicke suchten die Stepwalks ab. Ich schlenderte betont unauffällig die Straße entlang und hielt mich, so gut es ging, im Schatten. Ich betrachtete die Männer, die mir begegneten und an mir vorbeigingen, blieb vor den Saloons stehen und spähte durch die hellerleuchteten Fenster in die Schankräume. Charly war nirgends zu sehen. Ich näherte mich dem südlichen Ende der Stadt. Irgendwo mußte Charly sein. Er konnte nicht vom Erdboden verschwunden sein. Ich ging langsamer und achtete auf alles, auf jeden Schatten, auf jedes Geräusch. Als ich eine Seitengasse erreichte, blieb ich stehen. Ein paar Männer tauchten vor mir auf. Sie liefen sehr schnell. Vor ihnen bewegte sich ein mittelgroßer, sehr breiter Mann mit etwas schwerfälligen Bewegungen. Ich konnte sein Keuchen hören, und ich brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, wer er war. Jeff McHenry, der Postkutschenfahrer. Er war auf der Flucht. Er lief auf mich zu. Ich war sicher, daß er mich noch nicht gesehen hatte, ebensowenig wie die Männer, die ihm folgten. Es waren zwei. Einer hielt einen Revolver in der Faust. Jetzt wußte ich, daß ich mich nicht in McHenry getäuscht hatte. Er hatte offenbar bei Mister Vanderbilt sein Maul etwas zu weit aufgerissen. Soviel war sicher: McHenry stand auf meiner Seite, und ich würde etwas tun, um ihm die Entscheidung zu erleichtern. Meine Rechte glitt zum Colt. Die Waffe lag schwer in meiner Faust. McHenry stolperte. Er taumelte, war offensichtlich völlig außer Atem und blieb neben einem Schuppen mit vorgebautem Dach stehen. Er lehnte sich an eine der Stützsäulen des Daches und drehte sich langsam um, anscheinend bereit, sich seinen Verfolgern zu stellen. Er befand sich keine fünf Schritte von mir entfernt, und die beiden Gestalten hinter ihm näherten sich rasch. Ich trat aus dem Schatten. Als ich sah, daß der Mann mit dem Revolver die Waffe anhob und McHenry sich duckte, stand ich mit zwei großen Sätzen neben ihm, ging in die Knie und packte den Navy-Colt mit beiden Fäusten. Dann
schoß ich. * McHenry warf den Kopf herum und duckte sich instinktiv. Ich achtete nicht auf ihn. Ich spürte den Rückstoß des Revolvers in meinem Handgelenk und sah über den feuerroten Mündungsblitz hinweg einen der Männer, die McHenry folgten, zusammenzucken. Sein Schrei ging im Donnern der Detonation unter. Er taumelte und ließ seinen Revolver fallen. Er versuchte nicht, den Kampf fortzusetzen, sondern drehte sich um, sowie er den ersten Schock überwunden hatte, und torkelte die Straße hinunter. Ich kümmerte mich nicht weiter um ihn, sondern richtete meine Aufmerksamkeit auf den zweiten Mann, der jetzt ebenfalls eine Waffe in der Hand hielt. Er feuerte im selben Moment, als ich mich ihm zuwandte. Ich spürte den Luftzug des Geschosses an meiner linken Wange und drückte ab. Ich traf nicht, aber der Mann drehte sich ebenfalls um und hastete seinem verletzten Kumpan nach. Sie verschwanden in der Dunkelheit. Ich wandte mich um, während ich den Revolver in die Halfter zurückgleiten ließ. McHenry stand noch immer geduckt da und starrte mich an wie eine Geistererscheinung. »Schlaf nicht ein«, sagte ich. »Gleich steht die halbe Stadt hier und will wissen, wer geschossen hat.« Ich versetzte ihm einen heftigen Stoß. Er schwankte, und das brachte ihn zur Besinnung. Wortlos begann er zu laufen, so daß ich kaum mit ihm Schritt halten konnte. Wir liefen die Gasse hinunter und hasteten in den nächsten Hofeingang. Wir durchquerten einen mit leeren Kisten und Flaschen gefüllten Hinterhof und stiegen über einen niedrigen, teilweise umgestürzten Bretterzaun auf das Nachbargrundstück. Von hier aus gelangten wir in eine andere Gasse, während hinter uns Lärm aufbrandete. Die ersten Neugierigen hatten den Ort des Kampfes erreicht. Außer dem Revolver des verletzten Killers würden sie
nichts finden. McHenry und ich bewegten uns unauffällig und in normalem Tempo zur Main Street. Ich warf noch einen Blick die Straße hinunter auf die Menschenmenge, die sich versammelt hatte und lautstark debattierte. Dann bewegten wir uns in die entgegengesetzte Richtung davon. Ich sagte noch immer kein Wort. Ich lauschte nach hinten und beobachtete die Main Street vor und neben uns. »Die wollten mich umbringen«, sagte McHenry unvermittelt. »Das ist sehr wahrscheinlich«, erwiderte ich. »Diese dreckigen Schweine«, sagte McHenry. »Dafür bringe ich ihn um.« »Wen?« »Vanderbilt«, sagte er. »Dabei hatte er mich schon rausgeschmissen.« »Warum?« fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte. »Weil ich ihm auf den Kopf zugesagt habe, daß in meiner Kutsche Waffen für die Rothäute transportiert worden seien. Weil ich gesagt habe, daß mit dieser gottverdammten Postlinie irgendwas nicht stimme und er ein verdammter Indianerhändler sei.« »Das war eine ganze Menge.« »Es ist so«, sagte er. Er blickte mich von der Seite an. »Ist es nicht so?« »Ich zeig dir was«, sagte ich, statt ihm zu antworten. Wir hatten fast den Wagenhof erreicht. Ich blickte mich um, dann überquerte ich die Main Street. McHenry folgte mir. Er war angefüllt mit Wut, von den Haarspitzen bis in die Stiefel. Er war einer von jenen Männern, für die es immer nur gerade Wege gab, die sich nie auf krumme Sachen einließen und die die besten Freunde sein konnten, solange man sie mit der gleichen Offenheit behandelte. Ich dachte in diesem Moment daran, daß ich ihn sofort hätte einweihen sollen, schon als ich den Überfall auf seine Kutsche vereitelt hatte. Aber es war noch nicht zu spät, und ich hatte in den Minuten, die vergangen waren, seit ich McHenrys Verfolger verjagt hatte, einen Plan gefaßt, zu dem ich ihn brauchte. Ich war sicher, er würde mich nicht im Stich lassen.
Der Wagenhof war wieder unbewacht. Ich lief auf die Remise zu. McHenry eilte neben mir her. Sein breites Gesicht drückte Anstrengung und große innere Spannung aus. Er trug keinen Hut. Sein Haar war rot und drahtig, und im Moment sah es aus, als hätte es sich gesträubt. Ich blieb am Eingang der Remise stehen und blickte McHenry an. »Welche Kutsche soll normalerweise morgen fahren?« »Es sollte keine fahren«, erwiderte er. »Ich habe Vanderbilt gesagt, daß die Stationen kaputt seien und die Postlinie eingestellt werden müsse. Er hat mich ausgelacht.« »Es wird eine Kutsche fahren«, sagte ich. »Welche ist dran?« »Immer die erste von links.« Er deutete auf den Wagen gleich vor der breiten Ausfahrt der Remise. »Geh hin und hol die Bodenbretter raus«, sagte ich. »Die Bodenbretter?« Er sah mich an, dann verstand er und ging an mir vorbei. Ich blieb stehen und schaute zu, wie er den Seitenschlag öffnete und sich ins Wageninnere beugte. Ich blickte mich um. Auf dem Wagenhof blieb alles still. Kein Mensch war zu sehen. »Na«, sagte ich. »Wie sieht es aus?« »Was?« fragte McHenry; Er hatte drei der schmalen Bodenplanken aus dem Wagen gehoben. »Was siehst du?« fragte ich. »Nichts«, sagte McHenry. »Was sollte ich sehen?« Ich schnaufte und setzte mich in Bewegung. Als ich neben McHenry stand, sah ich es selbst und wollte meinen Augen nicht trauen: Der Kasten unter den Bodenplanken war leer. * Es war Mitternacht, als ich ihn sah. Es war sehr kalt geworden. Er ritt langsam zum Stadtrand und schickte sich an, Eagle Pass in südöstlicher Richtung zu verlassen. Ich sagte: »Das ist unser Mann.« »Wer?« fragte Jeff McHenry. »Der Alte?« »Genau der«, sagte ich. »Er sieht nicht so aus.«
»Eben das ist sein Trick: Er sieht nicht so aus. Man traut es ihm nicht zu.« McHenry sagte nichts mehr. Ich hatte ihn in alles, was ich selbst wußte, eingeweiht, während wir nebeneinander durch die nächtliche Stadt gestrichen waren und gesucht hatten. Von Vanderbilts Leuten war uns niemand mehr begegnet. Die Aufregung nach der Schießerei hatte sich gelegt, nachdem weder ein Täter noch ein Opfer aufgetaucht waren. Die Straßen waren wieder fast leer. Aber die Saloons waren noch immer gut besucht. Gesindel von beiden Seiten der Grenze, hatte McHenry mir erzählt. Ab und zu aber auch Farmer und an jedem Wochenende zwei Cowboymannschaften von großen Ranches. Die Geschäftsleute in Eagle Pass konnten sich nicht beklagen. Auch die Postlinie, die Vanderbilt vor reichlich sechs Wochen hier installiert hatte, hatte für Zuzug gesorgt. McHenry gefiel mir von Minute zu Minute besser. Wir dachten in vielen Dingen ähnlich, und er war ein Mann, der bereit war, für sein Recht zu kämpfen, auch gegen vermeintlich Stärkere. Solche Männer waren selten. Sie vergaßen nie etwas, weder eine Freundlichkeit noch eine Feindseligkeit. Um mit Vanderbilt fertigzuwerden, konnte ich mir keinen besseren Partner wünschen. McHenry mochte furchterregend aussehen, seine Gestalt mochte darauf schließen lassen, daß er nichts weiter hatte als ein Übermaß an körperlicher Kraft und die Freude daran, seine Stärke einzusetzen: Aber er hatte auch einen wachen Verstand. Er begriff schnell und handelte entschlossen, wenn auch manchmal zu impulsiv. Und er hatte lange genug an der Grenze gelebt, um ein gehöriges Maß an Erfahrungen sammeln zu können. Wir standen hinter einem halbverfallenen Schuppen am Stadtrand und sahen den Reiter. Er saß auf einem Maultier und führte ein zweites am Zügel mit sich. Das zweite Maultier trug auf einem Packsattel zwei längliche Rohhautbündel. Ich nickte McHenry zu, dann trat ich aus dem Schatten und stand mit drei großen Schritten mitten auf der Straße. Das Mondlicht war hell genug, so daß der Reiter mich erkennen konnte, genauso wie ich sein Gesicht mit dem grauweißen Vollbart sehr deutlich sah. Den
zerbeulten Filzhut hatte er sich weit ins Genick geschoben. »Hallo, Charly«, sagte ich. »So sieht man sich wieder.« Sein Schreck war nur kurz. Er war ein gewiefter Bursche, der nicht so leicht umzuhauen war. Er entblößte seine Zahnstummel zu einem Lächeln. »Guten Abend, Scout«, sagte er. »Bist du schon dabei, deine Sachen zu packen, Charly?« »Ja. Ich will weg. Es wird zu heiß hier.« »Du hast einen langen Weg.« Ich deutete auf die beiden Bündel auf dem Packtier. »Du hast viel eingekauft.« »Man muß sich versorgen«, erklärte er. »Dort, wo ich hinreite, gibt es keine Städte und keine Stores. Ich brauche Vorräte.« »Das glaube ich, Charly. Haben deine indianischen Freunde dir nichts gegeben?« »Welche Freunde?« »Die Apachen, Charly. Erinnerst du dich nicht? Heute nachmittag, am Rio Grande.« »Ich weiß nicht, was du meinst.« »Was hast du in den Bündeln, Charly?« »Was man so braucht. Kaffee, Mehl, Zucker, Konserven.« »Ich will es sehen, Charly.« »Ich reite weiter«, sagte Charly. »Meine Zeit ist mir zu schade.« »Du bleibst«, sagte ich. »Du packst jetzt die Bündel aus.« »Laß mich in Ruhe.« Ich legte meine Rechte auf den Griff des Revolvers und sagte: »Wenn in den Bündeln das steckt, was du gesagt hast, werde ich mich bei dir entschuldigen, Charly. Also los!« Er beugte sich etwas im Sattel vor. Ich zog meinen Revolver. Und aus dem Hintergrund ertönte die Stimme McHenrys: »Laß die Kanone stecken! Steig ab!« Charly erstarrte im Sattel, richtete sich dann ganz langsam wieder auf und stieg ab. Ich trat auf ihn zu und sah, daß er neben dem rechten Steigbügel eine Halfter mit einem Revolver hängen hatte. Ich zog die Waffe heraus und steckte sie quer in meinen Hosengurt. »Das wirst du bereuen«, sagte Charly. »Bring die Maultiere hinter den Schuppen«, sagte ich zu
McHenry. Er nahm die Zügel und führte die Tiere an mir und Charly vorbei. »Es ist immer ein Fehler, andere Leute für Idioten zu halten, die man nicht genau kennt«, sagte ich. »Ich hab dich gesehen, als du dich mit den Apachen getroffen hast. Ich bin dir gefolgt.« Charly antwortete nicht. Er stand mit hängenden Schultern da. Seine Miene wirkte starr. McHenry tauchte hinter dem Schuppen auf. »Gewehre«, sagte er. »Das eine Bündel enthält sechs SpencerGewehre. Soll ich im anderen auch noch nachsehen?« »Überflüssig«, sagte ich. »Pack das Bündel wieder zu. Charly, fang an zu reden, oder du wirst nie mehr etwas sagen.« Ich hob den Revolver und zielte genau auf Charlys Kopf. »Du hast auf Fletchers Station zu mir gesagt, daß die Apachen sich mit diesen Gewehren am Ende selbst umbringen. Das stimmt. Sie können ihre Kriege nicht mehr gewinnen. Sie werden mit jedem Krieg weniger, und je mehr Schaden sie anrichten, um so größer ist die Vergeltung der Weißen. Ich mag keine Waffenhändler, die an Indianer Gewehre verkaufen. Sie sind die Mörder, nicht die Indianer.« »Ich bin kein Händler«, sagte Charly. »Ich werde nur dafür bezahlt, daß ich die Gewehre übergebe.« »Von Vanderbilt?« »Unsinn.« Charly blickte sich um. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Versuch es gar nicht erst. Wenn du wegläufst, bist du ein toter Mann.« »Sind das die Gewehre, die in der Kutsche gesteckt haben?« fragte McHenry. »Das sind sie«, sagte ich. »Es sind Vanderbilts Gewehre. Du hast sie aus Vanderbilts Kutsche geholt. Warum, Charly?« »Ich hatte einen Auftrag dazu.« »Von wem?« »Das weiß ich nicht«, sagte Charly. »Jemand hat mir Geld gezahlt. Ich muß leben. Ich kenne den Mann nicht. Er war ab und zu hier in Eagle Pass. Ich glaube, er kam aus New Mexico.« »Warum, Charly?« »Vanderbilt ist ein Stinker«, sagte Charly. »Er ist nur ein ganz
kleiner Fisch, der groß werden will. Er will den Waffenhandel mit den Apachen in die Hand kriegen, aber das kann er nicht. Es gibt andere Leute, die in diesem Geschäft bestimmen. Größere Leute als Vanderbilt. Leute, an die keiner rankommt. Frag mich nicht, wie sie heißen. Ich kenne sie nicht, ich weiß nur, daß sie ihre Drähte bis in die Armee hinein haben. Die wissen alles, was an der Grenze vorgeht. Wenn ein kleiner Kräuter mal ein paar Gewehre an die Apachen verscherbelt, drücken sie die Augen zu. Aber Vanderbilt will im großen Stil Handel treiben, und er will einen Indianerkrieg provozieren, um daran zu verdienen.« »Wie?« »Er hat seine Postkutschenlinie nur gegründet, um einen Kriegsgrund zwischen den Apachen und der Armee zu schaffen. In jeder Kutsche werden Gewehre transportiert. Die Gewehre sind von den Apachen im voraus bezahlt worden. Vanderbilt hat ihnen gesagt, daß sie die Kutschen überfallen sollen, um sich die Waffen zu holen. Anders könne er sie nicht liefern, um nicht aufzufallen. Er hat seine Kutschen ganz absichtlich geopfert, mit allen Passagieren und dem Kutscher. Die Apachen erhielten ihre Waffen, und die Armee kriegte gleichzeitig einen Grund, gegen die Indianer zu marschieren. So hatte er sich das ausgerechnet. Denn gegen die Überfälle konnte Vanderbilt gleichzeitig bei der Armee protestieren und Gegenmaßnahmen verlangen. Ständige Überfälle auf die Postlinie sind ein Grund, Krieg zu führen, weil die Armee zum Schutz der Wagenstraße verpflichtet ist. Woher soll Fort Calhoun wissen, daß Vanderbilt die Überfälle selbst veranlaßt und dabei auch noch die Apachen mit Gewehren versorgt? Er ist ja nach außen hin ein ganz bedauernswertes Opfer. Niemand wäre auf die Idee verfallen, ihn zu verdächtigen. Ein verrückter Plan, aber gut ausgedacht und abgesichert. Wer sieht sich auch schon eine überfallene Kutsche so genau an, daß er entdeckt, daß Gewehre darin transportiert worden sind? Vanderbilt hat gedacht, er könne auf die Weise die Leute unterlaufen, die den Handel mit den Apachen seit Jahren fest in der Hand haben.« »Und warum die Stationen?« »Die Indianer haben keine Gewehre gekriegt«, sagte Charly. »Der
ganze Plan ist rechtzeitig aufgeflogen, weil Vanderbilt die Gewehre von einem Mann gekauft hat, der auch an uns liefert. Wir haben ein paar Leute von Vanderbilt bestochen, und dann habe ich den Auftrag erhalten, die Gewehre jedesmal in der Nacht vor der Abfahrt der Kutsche zu klauen. Die Kutschen sind jedesmal leer abgefahren. Die Indianer haben sie überfallen, aber sie haben keine Gewehre gefunden. Sie haben gedacht, Vanderbilt wolle sie betrügen. Diesen, Verdacht habe ich noch verstärkt. Daraufhin haben sie Vanderbilts Raststationen niedergebrannt, und ich glaube, sie sind schon fast soweit, daß sie Eagle Pass überfallen, um Vanderbilt selbst in die Finger zu kriegen.« Ich begann die Zusammenhänge nach und nach zu begreifen. Was sich hier abgespielt und einigen Menschen das Leben gekostet hatte, war nach einem ausgeklügelten Plan eines eiskalt über Leichen gehenden Halunken abgelaufen und inzwischen zu einer Auseinandersetzung zwischen Vanderbilt und einem größeren Schmugglerring angewachsen. Nur schien Vanderbilt davon noch nichts zu wissen, wenn er nicht inzwischen etwas zu ahnen begann, nachdem er wußte, daß McHenrys Kutsche leer gewesen war. Hier wurde um Unsummen von Gold gepokert, und der Einsatz waren Menschenleben. Dafür mußten die Fletchers sterben, dafür mußten die ahnungslosen Passagiere und Driver von Vanderbilts Kutschen ihr Leben hergeben, dafür hatte Elton Vandam seine Eltern und sein Zuhause verloren. »Wer sind diese Leute, Charly, von denen Sie bezahlt werden?« »Ich weiß nichts«, sagte Charly. »Nur, daß sie reich und mächtig sind. Ich weiß, daß sie Verbindungen haben. Sie wissen fast alles, was an der Grenze passiert, ihnen entgeht nichts, und sie lassen sich von niemandem in die Suppe spucken. Sie handeln mit den Indianern, und wenn sie es für gut halten, dann sorgen sie dafür, daß es einen Krieg zwischen den Apachen und der Armee gibt. Denn sie handeln nicht nur mit den Apachen, sie beliefern auch die Armee. Die sind cleverer als Vanderbilt, Vanderbilt ist gegen die nur eine Laus.« »Du bist ein Schwein, Charly«, sagte ich. »Du hast mir erklärt, daß die Fletchers gute Leute wären, da du bei ihnen Kaffee
getrunken hättest. Aber du bist mit daran schuld, daß sie umgebracht worden sind. Du hast den Auftrag gehabt, Vanderbilt in den Augen der Apachen zum Betrüger zu stempeln. Das hast du getan, und die Apachen haben dafür die Fletchers und die Vandams getötet. Ich könnte dich erschießen, Charly. Aber ich brauche dich noch.« »Ich bin ein ganz kleines Licht«, sagte Charly. »Ich habe für diese Arbeit jedesmal hundert Dollar gekriegt. Den Mann, der mir die Aufträge und das Geld gegeben hat, kenne ich nicht mal mit Namen. Er ist groß und ziemlich fett und hat graue Haare und einen Backenbart. Er trägt teure Anzüge. Er stinkt nach Geld. Aber mehr weiß ich nicht. Hinter ihm stehen andere. Die Organisation ist groß. Es gibt sie in Texas, aber auch in New Mexico und Arizona. Es gibt kein Gesetz gegen sie, weil Sie das Gesetz gekauft haben.« Ich blickte Charly an. Er hatte Angst, aber ich konnte von dem, was er sagte, nicht alles glauben. Ich war ein Trottel. Ich dachte nur an Vanderbilt und die toten Vandams. Ich hatte nie darüber nachgedacht, daß der Waffenhandel an der Grenze ein so großes Geschäft sein könne und eine riesige Organisation dahinterstecke. Auch in diesem Augenblick wurde mir das alles nicht so recht klar. Wenn ich gewußt hätte, was ich zehn Jahre später wußte, mir wäre einiges erspart geblieben. Damals wußte ich noch nichts von einem gewissen Andrew Hilton in New Mexico und seinen Handlangern. Ich wußte nichts von korrupten Offizieren, die auch in Fort Calhoun saßen. Ich wußte nichts und sah alles zu eng. Vielleicht hätte ich niemals mehr erfahren, wenn ich nicht selbst eines Tages in den Strudel solcher Verbrechen geraten wäre. Aber auch davon ahnte ich zu jenem Zeitpunkt noch nichts. »Komm, Charly«, sagte ich. »Wir bringen die Waffen zurück, und dann holen wir Mister Vanderbilt. Ihr werdet beide nach Fort Calhoun reisen. Dort wirst du schon reden, wenn es um deinen Hals geht.« Charly antwortete nicht. Ich gab McHenry ein Zeichen. Der Kutscher nahm die Maultiere am Zügel, führte sie hinter dem Schuppen hervor und folgte mir die Straßen hinunter.
Als wir in die Nähe des Wagenhofes gelangten, sah ich einen Wächter am Tor. Vorher war niemand dagewesen. »Wie hast du die Gewehre ergattert, Charly?« »Der Bursche hat zwanzig Dollar gekriegt«, erwiderte Charly. »Soviel hab ich nicht bei mir«, sagte ich. Ich drehte mich zu McHenry um. »Kannst du ihn billiger zum Gehen bewegen?« McHenry grinste. Er ging an mir vorbei und schlenderte – sich sorgfältig im Schatten der Häuser haltend – auf das Tor des Hofes zu. Ich hatte den Revolver sinken lassen und schaute McHenry nach. Der Mann am Hoftor achtete nicht auf ihn. Er sog an einer Zigarette. McHenry war vielleicht noch fünf Schritte von ihm entfernt, als Charly mir einen wuchtigen Schlag versetzte. Ich hatte einen Moment nicht aufgepaßt. Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte. Glühende Schmerzen durchzuckten mein Rückgrat, als ich am Boden aufschlug. Fast verlor ich die Besinnung. Ich spürte wieder genau, wo der Schädelbrecher auf dem Hof der Vandam-Station mich getroffen hatte. Charly aber bückte sich, riß mir seinen Revolver aus dem Gürtel, hastete an mir vorbei und schwang sich auf sein Maultier. Er hämmerte dem Vieh die Rechte zwischen die Ohren und jagte im Höllengalopp davon. Das Tier mit den Gewehren blieb zurück. Ich richtete mich fluchend auf. Durch einen Tränenschleier sah ich, daß der Posten am Wagenhof herüberblickte. Im selben Moment sprang McHenry ihn an und versetzte ihm einen Fausthieb auf den Kopf. Er schleifte den Bewußtlosen in den Schatten des Tores und eilte über die Straße auf mich zu. »Ist er abgehauen?« »Ich bin ein Idiot«, sagte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Sollen wir ihm nach?« »Den kriegen wir nicht mehr«, sagte ich. »Hauptsache, wir haben die Gewehre. Charly war sowieso nur ein kleiner Scheißer. Wir müssen Vanderbilt kriegen. Der weiß mehr als Charly, und die Beweise gegen ihn reichen.« Ich humpelte auf das Maultier zu und packte es am Zügel. »Wir bringen die Gewehre zurück, damit alles so ist, wie es war.« »Holen wir dann den Marshal?«
»Womöglich einen Marshal, der von Vanderbilt monatlich seine Whiskyrationen bezahlt kriegt? Nein, den Marshal holen wir bestimmt nicht.« Ich zog das Maultier hinter mir her auf den Wagenhof zu, während McHenry die Straße absicherte. Aber in diesem Teil der Stadt waren wir allein. Hier schlief alles schon, und hier gab es wenig Licht. Niemand störte uns.
8. »Guten Morgen, Mister Vanderbilt«, sagte ich. Er saß aufrecht im Bett. Er trug ein Nachthemd mit einem Rüschenkragen, und man konnte durchaus darüber diskutieren, ob Jerome Vanderbilt bleicher war als das Bettlaken oder umgekehrt. »Es ist zwar noch nicht ganz eine Stunde nach Mitternacht«, sagte ich, »aber für Sie ist die Nacht vorbei. Erheben Sie Ihren fetten Arsch, ziehen Sie sich ein Paar Stiefel an und vergessen Sie Kamm und Zahnbürste nicht, falls Sie so etwas besitzen. Ich glaube nicht, daß Sie in absehbarer Zeit noch einmal hier schlafen werden.« Vanderbilt sagte kein Wort. Seit McHenry und ich in sein Haus eingedrungen und sein Schlafzimmer betreten hatten, hatte er noch nicht einen Ton von sich gegeben. Erwacht war er erst, als McHenry die Tür geräuschvoll geschlossen hatte. Jerome Vanderbilt hatte einen festen Schlaf, womit er die alte Weisheit, daß nur ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen sei, gründlich widerlegt hatte. »Ich werde ihm Beine machen«, sagte Jeff McHenry. Er wirkte gut gelaunt, seit er von mir erfahren hatte, daß ich Vanderbilt zu einer nächtlichen Kutschenfahrt einladen wollte. Er trat an das Fußende von Vanderbilts Bett, beugte sich vor und zog mit einem Ruck die Decke weg. Mister Vanderbilt saß wie erstarrt auf seinem Laken. »Beeilung«, sagte McHenry. Er kitzelte Mister Vanderbilt an der linken Fußsohle. Vanderbilt schnaufte und zog die Füße ein. »Ich – bringe Sie an den Galgen«, sagte er gepreßt. »Darüber wird zu reden sein«, sagte ich. »Wir werden zuerst eine Spazierfahrt unternehmen. Nach Fort Calhoun, Mister Vanderbilt.
Jeff wird den Wagen lenken. Wir benutzen eine Ihrer eigenen Kutschen. Außer Ihnen wird eine Ladung Spencer-Gewehre mitfahren. Es gibt unterwegs zwar keine Pferdewechselstationen mehr, vielleicht werden wir sogar von Apachen überfallen, aber das ist nicht so schlimm. Denn Sie, Mister Vanderbilt, wissen das alles vorher. Sie wissen von den möglichen Überfällen, Sie wissen von den Gewehren. Die Driver und Fahrgäste der früheren Kutschen wußten nichts davon. Die haben Sie einfach in den Tod geschickt, weil es Ihnen in den Kram paßte« »Sie sind verrückt«, sagte Vanderbilt. »Sei vorsichtig, du Schwein!« McHenry umrundete langsam das Bett. »Du wolltest mich umbringen lassen. Ich würde dir gern die Fresse polieren.« Vanderbilt starrte verschreckt zu McHenry hoch und hopste dann trotz seiner Leibesfülle erstaunlich geschwind auf der anderen Seite des Bettes hinaus. »Sie wollten das ganz große Geschäft«, sagte ich. »Die Postlinie hätte in einem Jahr nicht soviel abgeworfen wie hundert Gewehre, die Sie den Indianern verkaufen wollten. Die Idee war wirklich gut, die eigene Postlinie zu opfern, um einen Indianerkrieg zu provozieren und dann noch größer ins Waffengeschäft einzusteigen. Sie sind klug, Mister Vanderbilt. Sie haben nur nicht daran gedacht, daß es andere Leute gibt, die vielleicht auch klug sind und das Waffengeschäft schon ein bißchen länger betreiben als Sie. Niemand läßt sich gern das Fleisch von der Gabel nehmen. Ihre Kutschen sind immer ohne die Waffen gefahren. Sie haben die Kutscher und die Passagiere umsonst geopfert. Ihre Konkurrenz hat Ihnen die Waffen vorher geklaut. Einen Indianerkrieg hätten Sie trotzdem fast zustande gebracht. Die Stationsfamilien sind niedergemetzelt worden, weil die Apachen sich von Ihnen betrogen gefühlt haben. Im Grunde sollte ich Sie direkt in ein Apachenlager bringen und Sie dort aussetzen.« »Ich – ich verstehe nicht«, sagte Vanderbilt. »Sie verstehen ganz genau«, sagte ich. »Seit McHenry zurückgekehrt ist und Ihnen gesagt hat, daß er ein leeres Geheimfach in seiner Kutsche gefunden habe, wissen Sie, daß Sie ein paar große Fehler begangen haben. Mich interessiert nur noch eins: In der ersten
Kutsche, die überfallen wurde, saß Ihr Partner. Er hatte das Gold bei sich, das Sie von den Indianern ergaunert hatten. Warum ist er umgebracht worden. Was wollte er wirklich in der Kutsche?« »Ich sage nichts«, erklärte Vanderbilt. »Soll ich dich zum Singen bringen?« McHenry setzte sich wieder in Bewegung. »Laß ihn«, sagte ich. »Er wird noch reden, wenn er merkt, daß es ihm an den Kragen geht. Sie können froh sein, daß ich Sie mitnehme, Mister Vanderbilt, und nicht jemand von Ihrer Konkurrenz. Ziehen Sie sich etwas an!« McHenry ging zu einem Stuhl, über dem sorgfältig zusammengefaltet Vanderbilts Anzug lag. McHenry warf ihm die Sachen zu. Vanderbilt leistete keinen Widerstand und begann sich anzukleiden. Ich sah, daß seine Hände zitterten. Er hatte offenbar niemanden von seiner Garde in der Nähe, vielleicht traute er auch niemandem mehr, und ich war sicher, daß alles, was ich ihm gesagt hatte, ihn stärker mitgenommen hatte, als er es sich anmerken ließ. Ich fühlte keinen Triumph in mir, als ich ihn wie ein Häufchen Elend auf der Bettkante sitzen und sich damit abplagen sah, in die Stiefel zu schlüpfen. Schweiß rann ihm in dichten Bahnen über das feiste Gesicht. Vanderbilt hatte keinen Menschen eigenhändig umgebracht, aber er war ein Mörder. Ich hätte gern gewußt, wer seine Gegenspieler waren, aber wenn es stimmte, was Charly erzählt hatte, saßen sie in New Mexico. Das war weit weg, und kleine Laufburschen wie Charly waren für mich uninteressant. Im Grunde tat ich diesen Leuten einen Gefallen, wenn ich ihnen Vanderbilt, die lästige Konkurrenz, vom Hals schaffte. »Sie könnten Ihre Lage erheblich verbessern, wenn Sie sagen würden, ob Sie wissen, wer hinter jenen steht, die schon seit Jahren Waffen an die Indianer liefern, mit denen Sie sich anlegen wollten.« Vanderbilt antwortete nicht. Er stand vom Bettrand auf und zog sein Jackett an. »Vorwärts, Mister Vanderbilt«, sagte ich. Ich hielt jetzt meinen Revolver in der Faust und zielte damit auf Vanderbilts Bauch.
McHenry trat hinter ihn. In Vanderbilts Augen flackerte Angst. Aber er setzte sich schweigend in Bewegung und ging an mir vorbei. Ich dirigierte ihn durch sein dunkles Haus und hinaus auf die Straße. Am Himmel zogen dunkle Wolken mit dem Wind. In den Saloons war es ruhiger geworden. Nur aus der Spielhölle klang noch das Klimpern des Klaviers. McHenry und ich nahmen Vanderbilt zwischen uns und gingen mit ihm die Main Street von Eagle Pass hinunter. Wir erreichten unbehelligt den Wagenhof. Mein Pferd stand inzwischen neben der Remise, ich hatte es geholt, bevor wir zu Vanderbilts Haus gegangen waren. Der Wachtposten, den McHenry niedergeschlagen hatte, saß gefesselt im Schatten der Toreinfahrt. McHenry lief über den Hof zu den Ställen, während ich Vanderbilt zur Remise brachte und hier zu der ersten Kutsche führte. »Die Gewehre sind drin«, sagte ich. »Ihre Konkurrenz wollte sie wieder wegschleppen lassen wie bei den ersten Malen. Ich hab sie zurückgeholt. Sie sollten mir dankbar sein. Steigen Sie ein.« Er stieg ein. Als er sich gesetzt hatte, beugte er sich vor und blickte mich an. Sein Gesicht wirkte krank, in seinen Augen sah ich, daß seine Angst zugenommen hatte. »Sie wollen doch nicht wirklich nach Fort Calhoun«, sagte er. »Die Apachen werden uns überfallen, und es gibt keine Station mehr zwischen Eagle Pass und dem Fort. Wir müssen mit einem einzigen Gespann die ganze Strecke fahren.« »Gestern haben Sie McHenry und einen Passagier losgeschickt, obwohl Sie wußten, daß die Apachen die Kutsche überfallen würden, weil Sie Ihre Postlinie zu einem Kriegsgrund machen wollten, um Waffen verkaufen zu können. McHenry ist zufällig am Leben geblieben. Jetzt werden Sie das Risiko eingehen, das Ihre Passagiere vorher tragen mußten, ohne es zu wissen.« »Ich gebe alles zu«, sagte Vanderbilt. »Wenn Sie mich hier in Eagle Pass lassen, gehe ich freiwillig ins Jail. Es stimmt ja, daß ich ein bißchen Handel mit den Apachen treiben wollte, aber ich wußte doch nicht, daß ich dabei anderen in die Quere geraten würde. Ich hatte doch keine Ahnung, was daraus werden würde.« »Sie wußten ganz genau, was daraus werden würde, wenn Sie die
Gewehre für die Apachen in Ihren eigenen Kutschen verstecken, um die Apachen zu ködern, ihre ahnungslosen Fahrgäste und Driver umzubringen, damit die Armee einen Krieg gegen die Indianer beginnen muß. Überlegen Sie sich Ihr Geständnis, Mister Vanderbilt. Wir fahren nach Fort Calhoun.« McHenry brachte die Pferde. Er klappte die Deichsel nach unten und schirrte die Tiere an. Ich warf den Seitenschlag des Wagens zu. »Ich hab die besten Gäule ausgesucht«, sagte McHenry. »Die halten durch, auch wenn es mal hart wird.« »Du weißt hoffentlich, auf was du dich einläßt?« »Ich bring die Kutsche durch«, sagte McHenry. »Vielleicht gehen wir alle bei dieser Fahrt drauf.« »Es wird mir ein Vergnügen sein, zusammen mit diesem Drecksack ins Gras zu beißen.« »Er hat alles zugegeben«, sagte ich. »Wir sollten ihn sofort aufhängen«, sagte McHenry. »Aber ich sehe auch gern zu, wenn er in Fort Calhoun aufgehängt wird.« McHenry bestieg den Bock und nahm die Zügel hoch. Ich schaute zu ihm hinauf und schöpfte Hoffnung. McHenry strahlte ungeheure Energie und Zuversicht aus. Ich ging zu meinem Hengst und schwang mich in den Sattel. Die Kutsche rollte langsam aus der Remise über den Wagenhof. Ich lenkte mein Pferd neben den Wagen und ritt bis zum Tor neben der Kutsche her. »Das wird der letzte Wagen Ihrer Postlinie sein, der Eagle Pass verläßt«, sagte ich ins Wageninnere. »Beten Sie, Mister Vanderbilt. Haben Sie schon mal gesehen, was die Apachen mit ihren Gefangenen anstellen?« Ich sah Vanderbilts Gesicht ganz dicht an einem der Fenster. Er schwitzte noch immer fürchterlich. »Sie sind wahnsinnig«, keuchte er. »Das ist blanker Selbstmord. Ich schreie um Hilfe.« »Tun Sie das nur«, antwortete ich. »Es ist mir im Prinzip ganz egal, wo Sie sterben, ob in Fort Calhoun, in irgendeinem Zuchthaus, unterwegs zum Fort oder jetzt auf der Stelle. Wenn Sie schreien, dürfen Sie sicher sein, daß Sie sofort ein toter Mann sind.«
Jerome Vanderbilt schrie nicht. Er lehnte sich zurück. McHenry lenkte die Kutsche in gemessenem Tempo zum Stadtrand. Als wir die letzten Häuser passiert hatten, knallte er mit der Peitsche. Das Tempo der Kutsche steigerte sich. Staub wirbelte unter den Rädern auf, Geschirrketten klirrten. Der Wagen gewann rasch an Fahrt. McHenry stieß Anfeuerungsschreie aus. Ich blieb etwas zurück und folgte der Kutsche in knappem Abstand. Der Wagen war auf die Overlandstraße nach Osten eingeschwenkt. Eagle Pass blieb hinter uns zurück und versank in der Weite des Landes. Soweit war alles gutgegangen. Aus Eagle Pass waren wir heraus, aber die Schwierigkeiten fingen jetzt erst an. Das Risiko, das ich einging, war unabsehbar. Aber ich wollte Colonel Lester Vanderbilt präsentieren, zusammen mit einer Ladung seiner Waffen, den wichtigsten Beweisen, und ich hatte keine Lust, auf eine Militärpatrouille aus Fort Calhoun zu warten, die Vanderbilt abgeholt hätte. Ich war der Meinung, es auch den Vandams schuldig zu sein, daß diese Sache schnell geklärt und abgeschlossen wurde. Der Wind stand uns im Rücken. Er war schneidend kalt. Ich zog meine Wildlederjacke fester um die Schultern, dachte an die niedergebrannten Stationen, an die ermordeten Fahrgäste und den kaltherzigen, skrupellosen Mann vor mir in der Kutsche, und mir wurde nicht wärmer.
9. Das Wasser in meiner Feldflasche schmeckte schal und abgestanden. Ich setzte sie ab, verkorkte sie und wischte mir die Tropfen aus den Mundwinkeln. Die Bartstoppeln auf Kinn und Wangen waren schon ziemlich lang und hart. Ich erhob mich aus dem Schatten der Kutsche und ging zu meinem Hengst, um die Feldflasche zurück an den Sattel zu hängen. Eine Wagentür stand offen. Ich sah Jerome Vanderbilt leicht nach vorn gebeugt auf der gepolsterten Bank sitzen. Er bot einen traurigen Anblick. Sein Maßanzug war zerknittert, das wenige Haar hing ihm strähnig in die Stirn. Dunkle Bartschatten ließen seine feisten Wangen schmaler erscheinen. Die Augen lagen in tiefen Höhlen.
Jeff McHenry hockte am Boden und lehnte mit dem Rücken am linken Vorderrad. Er hatte einen Grashalm im Mund und summte leise vor sich hin, die Augen halb geschlossen. Wir rasteten seit fast einer halben Stunde. Es war Mittag. Seit wir Eagle Pass verlassen hatten, waren wir ununterbrochen unterwegs gewesen. Jetzt hatten wir schon fast die halbe Strecke hinter uns. Die niedergebrannte Station der Fletchers hatten wir in den frühen Vormittagsstunden passiert. Jeff McHenry hatte wahre Wunder auf dem Bock geleistet und das Gespann zu Höchstleistungen angetrieben. Trotzdem war es nicht sonderlich erschöpft und hatte sich in der kurzen Zeit, die wir rasteten, gut erholt. Ich schlenderte zur Kutsche zurück und blieb vor dem offenen Schlag stehen. »Wollen Sie immer noch nicht reden, Mister Vanderbilt?« Er hob den Kopf. In seinem Gesicht sah ich hektische rote Flecken. Angst und Unruhe in ihm waren stärker geworden. In seinen Augen flackerte es. »In Eagle Pass haben Sie gestanden. Warum reden Sie nicht weiter? Was wissen Sie über die Leute, die Sie aus dem Indianerhandel verdrängen wollten? Warum wollen Sie sie decken? Irgendwann kriegen wir sie sowieso, aber warum wollen Sie allein alles auf sich nehmen?« »Ich decke niemanden«, sagte Vanderbilt. In seiner Stimme klang die Anspannung mit, die ihn erfüllte. »Ich bin vielleicht verrückt gewesen, als ich mich auf dieses Geschäft eingelassen haben. Aber so verrückt bin ich auch nicht, daß ich allein meinen Hals in die Schlinge stecken würde, wenn es anders ginge. Ich wußte nichts davon, daß es Leute gibt, die seit Jahren diesen Handel betreiben und keine Konkurrenz dulden. Ich hatte gedacht, daß die meisten Händler es genauso anstellen wie ich, vielleicht nicht mit meinem Plan, aber auch nicht in größerem Stil. Ich kenne niemanden. Ich stamme aus Missouri. Ich hab mir das alles leichter vorgestellt. In Missouri gibt es so was nicht.« »Und Ihr Partner?« fragte ich. »Ein Drecksack, dem völlig recht geschehen ist«, sagte Vanderbilt. »Er wußte nichts von dem Handel. Als er die Sache
merkte, wollte er nichts damit zu tun haben. Dann hat er das Gold gesehen und seine Meinung geändert. Als ich in Port Calhoun hörte, daß er in der ersten Kutsche, die überfallen worden war, gesessen hätte, dachte ich, mich trifft der Schlag. Er wollte abhauen, dieses Schwein, und das ganze Indianergold mitnehmen. So ein Trottel. Wenn die Rothäute die Passagiere durchsucht hätten, hätten sie das Gold gefunden und mitgenommen. Dann wäre alles für die Katz gewesen.« »Das war es sowieso«, sagte ich. »Alle, die umgebracht worden sind, sind umsonst gestorben. Ihr Partner hatte also mit dem Handel nichts zu tun?« »Der hatte keine Ahnung. Er hat ja nicht mal gewußt, daß die Kutsche, mit der er wegwollte, schon für die Apachen zum Abschuß freigegeben war. Er wollte mich betrügen, dafür hat er sein Fett gekriegt.« »Sie kriegen auch Ihr Fett, Vanderbilt«, sagte ich. »Ohne Ihren Partner wäre Ihr schmutziges Spiel vielleicht gar nicht so schnell aufgeflogen, und es hätte vielleicht wirklich einen Indianerkrieg gegeben. Wenn ich nicht das Gold bei Ihrem Partner gefunden hätte, in eine Indianerarbeit eingeschlagen, wäre wahrscheinlich kein Verdacht auf Sie gefallen. Dann hätte ich mich vielleicht niemals so sehr um Sie und Ihre Postlinie gekümmert. Monatelang war es an der Grenze ruhig. Plötzlich werden Kutschen überfallen, und Ihr Geschäftspartner hat Indianergold bei sich. Und Sie haben in Fort Calhoun ein solches Geschrei um das Gold veranstaltet, daß es wirklich nicht schwer war, Vermutungen anzustellen. Verstanden habe ich erst nichts, weil alles so unzusammenhängend aussah. Aber es war nur gut ausgedacht, perfekt geplant. Aber nicht gut genug. Es tut mir gar nicht leid um Sie, Vanderbilt.« »Ich habe noch niemals Mitleid gebraucht«, sagte Vanderbilt. »Sie haben gute Arbeit geleistet. Ihr Colonel wird stolz auf Sie sein. Er hat mich auch nie leiden können. Ich kenne ihn vom Krieg her.« »Ich weiß«, sagte ich. »Was hab ich schon groß getan?« sagte Vanderbilt. »Es wird immer Leute geben, die mit Waffen handeln. Solange es Indianer gibt, die kämpfen wollen, wird es auch Händler geben, die ihnen die
Waffen verkaufen. Wenn ich es nicht tue, tun es andere. Und die Toten? Jeden Tag sterben viele Menschen in diesem Land. Hier lebt jedermann gefährlich. Wenn die Leute nicht in meinen Kutschen umgebracht worden wären, wären sie vielleicht in ein paar Wochen an etwas anderem gestorben, einem Schlangenbiß etwa.« »Noch ein Wort, Vanderbilt«, sagte ich und dachte an die Vandams. »Wenn Sie weiterreden, laß ich McHenry auf Sie los.« Vanderbilt schwieg, und ich wandte mich angewidert ab. Der Mann war nicht nur ohne Reue. Ich war auch überzeugt, daß er sofort wieder so handeln und Menschen bedenkenlos opfern würde, wenn sich ihm eine Gelegenheit bot und er sich großen Gewinn versprach. Ich ging zu meinem Hengst. Als ich das Pferd erreichte und nach Süden blickte, sah ich Indianer. Ich blieb stehen und spürte, wie ein eisiger Hauch über meinen Rücken strich. Jetzt war es soweit. Später als ich es erwartet hatte, aber noch immer früh genug, um unser Durchdringen bis Fort Calhoun zu verhindern. Es waren fünf Apachen. Sie standen mit ihren Pferden auf einer Anhöhe in fast zweihundert Yards Entfernung und spähten zu uns herüber. »McHenry!« rief ich. Ich wartete, bis der Kutscher hinter dem Wagen auftauchte. Dann deutete ich wortlos nach Süden. McHenry pfiff leise durch die Zähne. »Schließen Sie die Tür, Vanderbilt!« rief ich zur Kutsche hinüber. »Wir kriegen Besuch. Ich hab zwar nichts dagegen, wenn die Indianer Ihnen das Fell über die Ohren ziehen. Aber vorher will ich Sie lebend nach Fort Calhoun bringen.« Vanderbilt steckte seinen Kopf aus dem Wagen, entdeckte die Indianer und zog sich sofort wieder zurück. Die Tür knallte zu. »Fahren Sie weiter!« schrie er aus dem Wagen. »Wir müssen weg!« »Sie sind wohl nur tapfer, wenn es darum geht, ahnungslose und unschuldige Leute für Ihre Zwecke zu opfern?« Ich wandte mich McHenry zu und fragte: »Sind die Pferde soweit, daß sie eine Gewaltfahrt jetzt durchhalten?« »Noch nicht«, sagte McHenry. »Aber ich hole aus ihnen raus, was
nur irgend möglich ist.« »Dann brechen wir sofort auf«, sagte ich. In diesem Moment griffen die fünf Apachen an. Ich hatte den Eindruck, daß sie aus dem Stand heraus losgaloppierten. Sie bildeten eine breite, weitauseinandergezogene Front und jagten durch das hohe Gras heran. Sie lagen weit nach vorn gebeugt auf den Rücken ihrer Ponies und boten nur kleine, schwankende Ziele. »Jetzt sitzen wir fest!« schrie McHenry. »Noch nicht«, erwiderte ich. »Die fünf sind allein, sonst würden sie nicht angreifen, sondern erst Verstärkung holen. Wenn wir mit denen fertig werden, haben wir noch eine Chance.« Ich zerrte meinen Spencer-Karabiner aus dem Scabbard und führte mein Pferd hinter die Kutsche. Jeff McHenry zerrte sein Gewehr aus einem Sattelschuh, den er neben der Bockbank festgezurrt hatte. »Unter den Wagen«, sagte ich. Dann begannen die Indianer schon zu schießen. Ihre Schüsse lagen schlecht. Ein paar Projektile bohrten sich in die Seitenwände der Kutsche, ohne Schaden anzurichten. Im Wageninnern begann Jerome Vanderbilt ein großes Geschrei. »Ziehen Sie Ihren Schädel ein!« brüllte ich nach oben. Ich lag mit McHenry unter der Kutsche und beobachtete durch die Speichen des hinteren Rades hindurch die angreifenden Indianer. »Noch nicht schießen«, sagte ich. »Sie müssen erst näher heran sein.« »Wir sollten den Fettsack einfach rausschmeißen und allein weiterfahren«, sagte McHenry. »Er ist es nicht wert, daß man seinen Kopf riskiert.« »Er ist keinen Schuß Pulver wert«, sagte ich. »Aber er ist der einzige lebende Beweis, und vielleicht ist aus ihm noch etwas rauszuholen, um den Indianerhandel an der Grenze endlich unterbinden zu können.« Eine Kugel schlug vor mir in die Felge. Ich zog den Kopf ein und hob meinen Spencer-Karabiner. Die Indianer hatten sich auf knapp fünfzig Yards genähert. Ich spannte den Hahn und hörte, daß McHenry neben mir das gleiche tat.
»Jetzt«, sagte ich, als die Apachen höchstens noch dreißig Yards entfernt waren. Dann drückte ich ab und repetierte sofort durch, um sogleich wieder abzudrücken. Die abgeschossenen Patronenhülsen wirbelten durch den Auswerferschlitz an meinem Kopf vorbei. Pulverdampf stieg unter der Kutsche auf. Neben mir feuerte McHenry pausenlos. Der ätzende Pulverrauch stieg mir in die Nase und die Augen und reizte die Schleimhäute. Ich spürte einen Hustenreiz, den ich nur mit Mühe unterdrücken konnte. Einer der Krieger stürzte keine zehn Yards vor der Kutsche aus dem Sattel. Er riß beide Arme hoch, als eine Kugel ihn auf dem Pferderücken nach hinten stieß, und wirbelte wie eine Gliederpuppe durch die Luft. Er schlug hart am Boden auf und blieb im hohen Gras liegen. Sein Pferd fegte reiterlos an der Kutsche vorbei. Ich traf eins der Ponies, das noch einige Yards lief und dann nach vorn wegsackte. Es wieherte schrill und überschlug sich. Der Krieger auf seinem Rücken wurde zu Boden geschleudert, erhob sich aber sofort wieder und sprang hinter einem anderen Reiter in den Sattel, ohne daß unsere Kugeln ihn trafen. Die Apachen drehten ab. Sie galoppierten auf die Ebene hinaus und verschwanden hinter den Hügeln. McHenry und ich blieben unter der Kutsche liegen und spähten über das hohe Gras. Alles blieb still. Dann tauchte einer der Krieger auf einem Hügel noch einmal auf und blickte zu uns herüber. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, er riß sein Pony herum und war wieder verschwunden. Es war vorbei. Ich kroch unter dem Wagen hervor und ging zu dem Krieger, der unweit von uns im Gras lag. Ich hatte keine Ahnung, wer ihn getroffen hatte, McHenry oder ich. Er hatte eine Kugel in die Brust erhalten und sich beim Sturz vom Pferd das Genick gebrochen. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelte sich der graue, wolkenverhangene Himmel. Als ich zur Kutsche zurückkehrte, verstaute McHenry gerade sein Gewehr. »Du hattest recht«, sagte er. »Die fünf waren allein.« »Nicht mehr lange«, erwiderte ich. »Die sehen wir wieder, und
dann sind es nicht nur fünf.« Ich riß den Seitenschlag auf. Jerome Vanderbilt kauerte am Boden der Kutsche zwischen den Sitzbänken. Mit angstverzerrtem Gesicht starrte er mich an. »Es ist vorbei«, sagte ich. »Sie können aufhören zu zittern. Aber das war erst der Anfang. Wenn Sie können, denken Sie mal an die armen Schweine, die Sie in den Tod geschickt haben.« Ich knallte die Tür wieder zu, ohne mich weiter um ihn zu kümmern, und ging zu meinem Pferd. Als ich mich in den Sattel schwang, knallte McHenry mit der Peitsche. Sein breites Gesicht wirkte nicht ein bißchen übernächtigt. Es schien, als habe er einen erfrischenden Schlaf hinter sich, statt einer stundenlangen harten Fahrt und zuvor einer durchwachten Nacht. Er saß wie ein Klotz auf dem Bock und strahlte Zuversicht aus. Nichts schien ihn wirklich erschüttern zu können, und wenn ich ihn ansah, war ich sicher, daß es nichts gab, was ihn unfreiwillig von seinem Bock herunterbringen würde. McHenry hielt die breiten dickledernen Zügel des Gespanns in der rechten Faust. Mit der linken schwang er die Peitsche. Der Wagen rollte etwas schwerfällig auf die Fahrstraße und gewann hier rasch an Tempo. McHenry hatte in Eagle Pass gute Pferde ausgesucht. Sie legten sich mächtig ins Geschirr, und ich hoffte, daß sie durchhalten würden. Ich ritt erst hinter dem Wagen her, dann trieb ich den Hengst zu größerer Eile an und lenkte ihn neben die Kutsche. Auf gleicher Höhe mit dem Wagen jagte ich dahin, die Umgebung nie aus den Augen lassend. Wir hatten den Wind noch immer im Rücken. Er strich von Westen über die Prärie. Das Land wirkte so grau wie der Himmel. Kahle Büsche lockerten die Monotonie der Landschaft nicht auf. Wir streiften einen kahlen Landstreifen, auf dem das kniehohe Büffelgras nur büschelweise und in großen Abständen wuchs. Die Erde war gelbbraun und hart, überall lagen Granitsplitter und Kiesel, obwohl es keine Felsen in der Nähe gab. Das Gebiet war tiefer gelegen als das Umland, so daß ich vermutete, daß es hier einmal einen kleinen See gegeben hatte.
Staub wirbelte unter den Rädern des Wagens und unter den Hufen meines Hengstes auf und ballte sich zu einer dichten Wolke zusammen, die wir nicht mehr loswurden. Sie würde unsere Verfolger führen. Es war nicht zu ändern. Wir mußten einfach versuchen, schneller zu sein. Das Donnern der Pferdehufe und das Knarren und Poltern der Räder waren die einzigen Geräusche, die wir hörten. Ab und zu warf ich einen Blick auf die Fenster der Kutsche. Dann sah ich manchmal Jerome Vanderbilt wie einen fetten Buddha auf seinem Platz hocken und vor sich hinstieren. Er schwankte, wenn die Kutsche schwankte, und bei ruhiger Fahrt saß er still. Er schien sich nicht mehr völlig unter Kontrolle zu haben und sah zeitweise aus, als sei er schon tot.
10. Sie tauchten aus der Weite auf wie fliegende Schatten. Der Wind schien sie heranzuwehen. Es war spät am Nachmittag. Die Sonne war bereits verblaßt. Sie schimmerte trübe und kraftlos zwischen einigen grauen Wolkenfeldern hindurch. Ich sah die Apachen und trieb meinen Hengst zu noch größerem Tempo an. Als ich mich auf gleicher Höhe mit dem Kutschbock befand, schrie ich: »Jeff! Sie sind da!« McHenry drehte den Kopf. Seine Miene war steinern, von der Anstrengung und inneren Anspannung gezeichnet, von einer dünnen Staubkruste überzogen. Ihm war nicht anzusehen, was er in diesem Augenblick dachte. »Fahr weiter!« schrie ich. »Nicht anhalten. Hier gibt es keine Deckung. Wir müssen bis zur Vandam-Station durchhalten.« Ich wußte nicht, ob er alles verstanden hatte. Der Reitwind hatte mir die Worte fast von den Lippen gerissen, das Donnern der Pferdehufe erschien mir so laut wie ein Gewittergrollen. Aber McHenry beugte sich auf dem Bock vor, als wolle er hinunterspringen und die Gespannpferde anschieben. Er stieß schrille Anfeuerungsschreie aus und ließ die Peitsche wie ein Verrückter über den Köpfen der Tiere knallen.
Die Kutsche schlingerte und schwankte und fuhr für einen Moment nur auf zwei Rädern, als der Wagenweg einen Bogen machte. Ich dachte, sie würde umstürzen, aber sie kippte auf die Räder zurück und rollte weiter, in den Achsen und Federn knarrend wie ein sich im Sturm biegender Baumstamm. Ich sah in der Kutsche Vanderbilt hin und her schwanken. Er klammerte sich an einem der seitlichen Haltegurte fest. Sein bleiches Gesicht war verzerrt, als er hinausstarrte, obwohl ich nicht sicher war, daß er durch die Staubwolken, die unter den wirbelnden Rädern hochgeschleudert wurden, die Apachen bereits sehen konnte. Ich hielt mich dicht hinter der Kutsche und zog meinen SpencerKarabiner aus dem Scabbard. Die Apachen waren noch immer gut dreihundert bis vierhundert Yards entfernt. Aber das Land war flach wie eine Pfanne und daher gut zu übersehen. Noch wirkten die Reiter für das Auge klein, wie hin und her tanzende Schemen, aber bedrückend real und bedrohlich. Sie näherten sich rasch, ihre Konturen wurden deutlicher. Ich konnte erkennen, daß einige von ihnen mit nacktem Oberkörper im Sattel saßen, andere trugen Kalikohemden und Kalikohosen. Sie versuchten, uns den Weg abzuschneiden und holten das Äußerste aus ihren stämmigen Ponies heraus. Für einen Moment dachte ich, daß es ihnen gelingen könnte, aber McHenry fuhr wie der Teufel. Wenn die Gespannpferde durchhielten, hatten wir eine Chance. Zumindest die Chance, bis zur Vandam-Station zu gelangen. Als die Apachen noch etwa zweihundert Yards entfernt waren, befanden wir uns mit ihnen auf gleicher Höhe und zogen vorbei. Es war geschafft. Der Weg vor uns war frei, aber die Apachen schwärmten aus und nahmen die Verfolgung auf. Nach wiederum fünfzig Yards drehte ich mich im Sattel um und sah, daß die ersten Krieger auf den Wagenweg einschwenkten. Sie holten auf. »Schneller, McHenry!« brüllte ich. »Schneller!« Es war Blödsinn, er konnte mich gar nicht hören, er mußte froh sein, sich auf dem Bock zu halten und nicht bei der wilden Fahrt heruntergeschleudert zu werden. Ich drängte meinen Hengst nach vorn und ritt nun neben der Kutsche. Ich sah Schaumflocken von den
Nüstern der Gespannpferde fliegen, und ich hörte Vanderbilt im Inneren des Wagens brüllen. »Hilfe!« schrie er. »Hilfe! Ich will nicht sterben!« Er hatte mit beiden Fäusten die Fensterrahmen an der linken Seite umklammert und wurde trotzdem noch immer durch die schlingernden Bewegungen des Fahrzeugs hin und her geworfen. Eins der Gespannpferde strauchelte. Mir stockte fast der Atem. Das Gespann geriet außer Tritt. Ein Pferd wieherte schrill. McHenry stand jetzt plötzlich auf dem Bock wie ein römischer Wagenlenker. Er hielt die Zügel fest in beiden Fäusten. Der Fahrtwind riß ihm den Hut vom Kopf, er schien es nicht zu bemerken. Das Gespann drohte auszubrechen. Die Deichsel knarrte bedenklich, aber McHenry kriegte die Tiere wieder in den Griff. Es dauerte nur Sekunden, dann raste die Kutsche ein Stück über die Wegböschung und polterte wenig später auf die ausgefahrenen Spuren der Overlandstraße zurück. Ich drehte mich um. Wir hatten an Tempo verloren. Die Apachen hatten weiter aufgeholt. Die Vandam-Station konnte nicht mehr weit sein. Ich hämmerte meinem Hengst die Absätze in die Weichen und beugte mich im Sattel vor. Ich galoppierte an der Kutsche vorbei und sah plötzlich Hügelbuckel vor mir auftauchen. Ich jagte darauf zu und zügelte den Braunen auf einer der Anhöhen. Da sah ich die Ruinen der Station. Ein Teil der Scheune stand noch, das würde als Deckung reichen müssen. Ich wandte mich im Sattel um und sah die Kutsche heranrollen. Die Apachen waren jetzt nicht mehr weit entfernt. Ich winkte wie ein Verrückter und hob dann den Spencer-Karabiner an die Schulter. Als McHenry an mir vorbeifuhr, begann ich zu schießen. Ich traf eins der Indianerpferde und brachte die Krieger dazu, ihr Tempo zu verlangsamen. Dann riß ich meinen Hengst herum und folgte der Kutsche. Sekunden später sprang ich auf dem Hof der Station aus dem Sattel und zerrte mein Pferd hinter die Scheune, wo auch McHenry den Wagen angehalten hatte.
Die Flanken der Pferde bebten, ihr Atem ging rasselnd. Wir hatten keine Zeit, uns jetzt um sie zu kümmern. »In die Scheune!« rief ich. McHenry taumelte, als er vom Bock sprang. Er eilte mit seinen Waffen in das halbverbrannte Gebäude, während ich den Seitenschlag der Kutsche aufriß. »Raus!« brüllte ich Vanderbilt an. »Scheißen Sie sich nicht in die Hosen!« Ich packte ihn am Jackett und zerrte ihn aus der Kutsche. Er stürzte fast kopfüber auf den Hof und wimmerte wie ein kleines Kind, als ich ihn hinter mir her zur Scheune zog. Ich versetzte ihm einen heftigen Stoß, als wir die Scheune erreicht hatten. Vanderbilt stolperte und stürzte bäuchlings in einen Haufen Ruß und Asche, wo er jammernd liegenblieb, während ich mich sofort zu Boden hockte und mein Gewehr hochnahm. Neben mir begann McHenry bereits zu schießen. Die Apachen jagten in weitgefächerter Linie auf die Station zu, hatten bereits den Fuß der Anhöhe erreicht, auf der die Ruinen lagen, und griffen an.
11. Sie stießen schrille, abgehackte, wilde Schreie aus, die dem Kollern von Truthähnen glichen. Ich versuchte, nicht darauf zu hören, obwohl es an der Nerven zerrte. Es gelang mir, denn ich hatte das Kampfgeschrei schon zu oft gehört, als daß es mich noch wirklich erschrecken konnte. Ich war selbst mit den Apachen geritten und hatte diese Schreie ausgestoßen. Ich konzentrierte mich auf mein Gewehr und feuerte ruhig und sicher. Ich holte zwei Apachen aus den Sätteln. Davon stand einer wieder auf und taumelte verletzt davon. Ich sah weitere Krieger fallen und Pferde stürzen. Rechts und links von McHenry und mir schlugen Gewehrkugeln und auch einige Pfeile ein und hieben Holzsplitter aus den Scheunenwänden. Die Apachen sprengten über den Hof. Mehrere Krieger stürmten direkt auf die Scheune zu. Sie hingen seitlich aus den Sätteln und schwangen Tomahawks und Kriegskeulen. Ich schoß von unten herauf, dann war der Karabiner leer, und ich
zog meinen Revolver. Aber meine letzte Kugel hatte ein Pferd in die Brust getroffen. Es brach direkt vor der Scheunenwand zusammen. Der Anprall war so heftig, daß die Bretterwand fast einstürzte. Der Reiter fiel zu Boden, erhob sich sofort wieder und schleuderte seinen Tomahawk. Das Beil flog über mich weg und bohrte sich in einen Dachstützpfosten. Im selben Augenblick erschoß McHenry den Apachen. Der Angriff flutete vorbei. Die Apachen ritten über den Stationshof, vorbei an der Ruine des Hauptgebäudes und umrundeten den Hügel, um sich in einigem Abstand wieder zu sammeln. Es stank nach Pulverdampf und Blut, und Jerome Vanderbilt lag noch immer dort, wo ich ihn hingestoßen hatte, und heulte wie ein Kind. Ich stand auf, um meine Munition zu holen, und versetzte ihm einen Tritt in die Rippen. »Kriechen Sie weiter nach hinten, damit Sie nicht erwischt werden«, sagte ich. »Sie werden noch gebraucht, und danken Sie Gott, daß die Apachen Ihre Gewehre nicht in die Finger gekriegt haben, sonst wären wir schon erledigt.« Vanderbilt richtete sich auf. Sein weißes Hemd war schwarz von Ruß und Asche, genau wie sein Gesicht. Sein Jackett war vorn eingerissen. Er sah aus wie ein Wahnsinniger. »Ich will nicht sterben«, stammelte er. »Das wird sich irgendwann gar nicht vermeiden lassen«, sagte ich. »Aber im Moment bin ich ganz Ihrer Meinung. Deshalb scheren Sie sich weiter nach hinten!« Er taumelte davon wie ein verprügelter Hund. Als ich mich zu McHenry umdrehte, sah ich, daß er blutete. »Was ist passiert?« »Nichts weiter«, sagte er. Er grinste mit seinem großen Gebiß und riß sich das Hemd über dem linken Arm auf. Ich bückte mich über ihn. Er hatte gewaltige Muskeln, die sich bei jeder Bewegung des Arms wie Schiffstaue unter der Haut wölbten. Oberhalb des Ellenbogens hatte ihn eine Kugel gestreift und eine fingertiefe Scharte in seinen Arm gerissen. Es mußte höllisch schmerzen, aber McHenry verzog nicht mal sein Gesicht.
Ich ging zu Vanderbilt hinüber und blieb breitbeinig vor ihm stehen. Er schaute angstvoll zu mir hoch. »Ich will nur Ihr Hemd, Vanderbilt. Beeilen Sie sich.« Er zitterte und rührte sich nicht, bis ich ihm einen Tritt versetzte. Er stand auf und streifte erst seine Jacke und dann sein Hemd ab. Sein dicker Bauch quoll ihm über den Gürtel, seine Schultern hingen schräg hinunter. Er bückte sich nach seinem Jackett und zog es wieder an, während ich mit dem Hemd zu McHenry zurückging. Das Vorderteil war total verdreckt, aber die Rückenpartie war sauber. Ich riß Streifen aus der feinen Seide und benutzte sie als Verband für McHenrys Arm. »So wird es gehen«, sagte ich. »Aber in Fort Calhoun mußt du sofort zum Arzt.« »In Fort Calhoun?« Er blickte mich an. Sein Grinsen war etwas schmaler geworden. Ich wich seinem Blick aus und schaute nach draußen. Er hatte recht: Die Chancen, bis Fort Calhoun zu gelangen, waren äußerst gering. Wir hatten keine Vorräte, unsere Muniton reichte noch, aber irgendwann würde damit auch Schluß sein. Niemand wußte, daß wir unterwegs waren, so daß auch nicht damit zu rechnen war, daß aus Fort Calhoun eine Patrouille auftauchen würde. Wir waren ganz allein auf uns gestellt, und die Apachen befanden sich in großer Überzahl. Unsere Chancen lagen in der Tatsache, daß nur wenige Krieger über Gewehre verfügten und dafür wahrscheinlich auch bald keine Munition mehr hatten. Und ich wußte aus eigener Erfahrung, daß sie nicht um jeden Preis gewinnen wollten. Wenn sie einsahen, daß ihre Opfer in keinem Verhältnis zum Erfolg standen, gaben sie auf. Sie waren zu klug, als daß sie sich in einem unwichtigen Kampf die Köpfe einrannten. Wenn es uns gelang, ihre Angriffe weiterhin abzuschlagen, konnten wir vielleicht davonkommen, sofern wir nicht selbst schwer verletzt wurden. Ich war nicht ohne Hoffnung. Der Tag ging rasch zu Ende. Uns stand eine lange Nacht bevor, aber auch darin lag eine gewisse Chance. Es gab Leute, die behaupteten, daß Indianer nachts nicht
kämpften. Das war eine Legende. Aber sie kämpften nicht sonderlich gern in der Dunkelheit, vor allem dann nicht, wenn der Gegner gut verschanzt war. Der Stationshügel war frei von Bäumen und Gesträuch. Hier gab es für einen Angreifer keine Deckung. Die alte Scheune, in der wir uns befanden, bot aber noch immer ausreichend Schutz, um jeden Angriff stoppen zu können. Wir durften nicht einschlafen. Der Schlaf war ein größerer Feind als die Apachen. Ich wandte den Kopf und blickte auf Jerome Vanderbilt, der sich in der finstersten Ecke der Scheune verkrochen hatte. Er würde bestimmt kein Auge zutun. Wenn McHenry oder ich auch schlappmachen sollten, Vanderbilt würde wachen, vor lauter Angst um seinen Skalp. Ich spürte plötzlich Zorn in mir aufsteigen. Vanderbilt hatte so viele Menschen geopfert, um ein großes Geschäft abschließen zu können, und andere Männer, erbärmliche Kreaturen genau wie er, hatten ihm in die Suppe gespuckt und es dabei in Kauf genommen, daß wiederum unschuldige Menschen ihr Leben dafür hatten hergeben müssen. So wie die Vandams. Es war erst wenige Tage her, daß ich drüben im Stationshaus gesessen hatte. Elsa Vandam hatte mir ein Rührei gebraten. Ich hatte frisches Brot dazu gegessen und von dem köstlichen Kaffee Elsa Vandams getrunken. Danach hatte sie mir einen Apfel gebracht. Den Apfel hatte ich nicht mehr gegessen. Ich hatte das Gefühl, daß eine Ewigkeit zwischen diesen Ereignissen und dem Jetzt lag. Das alles war irgendwann in einer schönen Zeit gewesen, einer Zeit, die es im Grunde gar nicht gab. Ich dachte an Elton Vandam und an Shita. Beide waren jetzt wohl in Fort Calhoun. Shita mochte Elton, und wenn ich diese Nacht nicht überstand, dann würde er es bei Elton gut haben. Und Elton würde ihn brauchen. Elton war allein. Ich hatte schon einmal daran gedacht, als ich Shita zurückgelassen hatte, damit Elton nicht allein zum Fort gehen mußte. Ich liebte Shita, aber Elton brauchte ihn. Der Gedanke war schmerzlich. Ich erinnerte mich an den Tag, als Shita sich mir angeschlossen hatte. Er war immer selbständig gewesen. Wir waren zusammengewachsen,
aber jeder von uns hatte sich seine Unabhängigkeit bewahrt. Ich war mir immer im klaren darüber gewesen, daß Shita mir nicht gehörte, sondern daß er freiwillig bei mir war. Das hatte unsere Freundschaft nur noch enger werden lassen. Auch Elton brauchte so einen Freund. Genaugenommen brauchte er ihn gerade jetzt so dringend wie die Luft zum Atmen, jedenfalls nötiger als ich. Ich verfolgte den Gedanken nicht weiter. Er war mir unangenehm. Aber ich fühlte, daß diese Überlegungen früher oder später wieder auf mich zukommen würden, ob ich wollte oder nicht. Vielleicht würden sie mir aber auch abgenommen werden. Ich schaute zu den Apachen hinüber. Es wurde jetzt rasch dunkel. Der Wind frischte wieder auf. Nichts deutete darauf hin, daß bei den Apachen ein Feuer angefacht worden war. Das war ein gutes Zeichen. Es deutete darauf hin, daß sie zu einer längeren Belagerung keine Lust hatten. Ich trat in den Schatten der Scheune zurück und schaute McHenry an. Er hatte sich zurückgelehnt, das Gewehr griffbereit neben sich. Er hing seinen Gedanken nach, genau wie ich. Ich störte ihn nicht. Ich hockte mich auf den Boden und lauschte hinaus, während die Dunkelheit sich mehr und mehr verdichtete. * Jerome Vanderbilt schrie. Ich wachte auf. Das Blut in meinen Schläfen pochte heftig. Einen Sekundenbruchteil wußte ich nicht, wo ich mich befand. Ich hatte Blei in den Gliedern. Vanderbilts Schreien aber blieb, und mit einemmal war ich hellwach. Ich hörte Hufschlag und sah schattenhafte Gestalten über den Hof der Station huschen. Ich war eingeschlafen. Die verdammte Müdigkeit, die Erschöpfung. Auch McHenry schlief. Ich sprang, auf und versetzte ihm einen Stoß. Er grunzte und fuhr herum. Auch er begriff nicht sofort, aber da hatte ich schon geschossen. Ich zielte auf den Hof hinaus und drückte immer wieder ab. Die peitschenden Detonationen weckten McHenry. Er langte nach seinem Gewehr und feuerte
ebenfalls. Hinter uns schrie Vanderbilt immer noch. Seine verfluchte Angst, sie hatte uns gerettet, so wie ich es beinahe geahnt hatte. Vanderbilt hatte zuviel Angst gehabt, um zu schlafen. Er hatte die Apachen gehört. Die Krieger waren auf dem Hof. Sie griffen zu Fuß an. Ich schoß mein Gewehr leer und drehte es dann um. Ich hielt es am Lauf gefaßt und schwang es wie eine Keule. McHenry hatte sich neben mir erhoben. Trotz seines verletzten Armes wehrte er die angreifenden Krieger mit Faustschlägen ab, die so gewaltig wie Huftritte waren. Er riß einem Angreifer den Schädelbrecher aus den Fäusten und stieß ihm das steinerner Schlagteil gegen die Brust, daß der Mann rückwärts auf den Hof zurücktaumelte und nach Atem ringend zu Boden ging. Mit zwei gewaltigen Streichen zerschmetterte McHenry einem Apachen die rechte Schulter und einem dritten den Schädel. Ich erwischte einen mit der eisernen Kolbenplatte des Karabiners an der Hüfte. Dann war es vorbei. Die Apachen wichen zurück. Nach wenigen Yards schon hatte die Dunkelheit sie verschluckt. Wir hörten nur noch ihre Schritte, aber es wurde sehr schnell still. Nur Vanderbilt war noch zu hören. Er schluchzte im Hintergrund der Scheune. Ich sah McHenry an und klopfte ihm auf die Schulter. McHenry grinste nur. Er ließ den Schädelbrecher fallen, während ich zu Vanderbilt ging. Vanderbilt lag auf den Knien und hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. »Es ist vorbei«, sagte ich. »Vorerst. Sie sind ein guter Wachhund. Vielleicht ist das ein neuer Job für Sie.« Vanderbilt schluchzte weiter und hörte nicht. Ich ging zu McHenry zurück. »Tut mir leid, daß ich geschlafen habe«, sagte der Kutscher. »Ich habe auch geschlafen«, sagte ich. »Nur er nicht. Er hatte zuviel Angst.« »Wozu Angst alles gut ist«, sagte McHenry. »Glaubst du, daß sie
es noch einmal versuchen?« »Vielleicht. Bestimmt nicht jetzt sofort. Aber vielleicht im Morgengrauen. Das ist die Zeit, in der man nach einer durchwachten Nacht wieder müde wird und nicht mehr so schnell reagiert.« »Sie haben Männer verloren. Glaubst du, sie wissen, daß wir Gewehre bei uns haben?« »Bestimmt nicht«, sagte ich. »In den früheren Kutschen hätten Gewehre sein sollen, und es waren keine drin. Deshalb haben sie die Stationen niedergebrannt. Jetzt wollen sie nur noch die Postlinie unterbrechen, um sich für den Betrug zu rächen.« »Dafür haben sie eine Menge geopfert.« »Zuviel«, sagte ich. »Aber wir dürfen nicht mehr schlafen. Wir haben Glück gehabt.« Wir setzten uns wieder. Erst jetzt merkte ich, daß an meiner linken Wange etwas herunterrann. Es war Blut. Ein Messer hatte mich in Höhe des Wangeknochens gestreift. Es war nur eine kleine Wunde, die rasch verkrustete. Ich spürte nicht einmal Schmerz. »Einen Kaffee und ein Steak«, sagte ich. »Die Frau, die hier gelebt hat, hat den besten Kaffee der Welt gebraut. Was wirst du tun, wenn wir in Fort Calhoun sind?« »Wenn wir dort sind! Ich weiß nicht, ob wir es schaffen. Ich glaube eigentlich nicht. Und wenn – ich habe keine Ahnung.« »Man darf niemals aufgeben«, sagte ich. »Eine Chance gibt es immer, auch wenn man sie nicht gleich sieht. Du siehst nicht so aus, als ob du gern sterben würdest.« »Das Sterben kann nicht schlimmer sein als das Leben«, sagte McHenry. Er lehnte sich gegen einen Strohballen. »Wieviel Munition haben wir noch?« »Nicht mehr viel«, erwiderte ich. Ich zögerte. Dann fuhr ich fort: »Ich behalte zwei Patronen zurück.« »Tu das«, sagte er. »Das wollte ich wissen.« Wir schwiegen, und wir wußten, ohne daß wir es sagen mußten, daß wir beide das gleiche dachten. *
Der Morgennebel verzog sich nach und nach, aber der Himmel blieb grau. Es wurde nicht richtig hell. Es roch nach Regen. Ich sah die dunklen Wolken mit dem Wind von Osten heranziehen und fühlte mich ausgelaugt und schlapp. Die Stunden waren peinigend langsam verstrichen. Wir hatten wenig geredet und nur immer wieder hinausgelauscht und in die Dunkelheit gespäht. Jetzt sahen wir, daß zwei tote Pferde auf dem Hof lagen. Die toten Krieger waren nirgends zu entdecken. Ihre Brüder mußten sie geholt haben. Wir hatten nichts davon bemerkt. Jerome Vanderbilt lag in seiner Ecke und schien endlich doch eingeschlafen zu sein. Draußen blieb alles still. Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich beugte mich vor. Im grauen Morgen tauchte eine schmale Gestalt auf dem Fahrweg auf, der von der Overlandstraße zum Stationshof führte. Die Gestalt ging, zu Fuß. Sie hielt ein Gewehr in den Händen. Ein dunkler Schatten glitt unvermittelt an ihr vorbei und fegte den Weg hinauf, quer über den Hof und auf die Scheune zu. Bevor ich mich versah, wurde ich umgerannt. Ich spürte einen dichten, feuchten Pelz, hörte ein erfreutes Winseln und spürte auch schon eine lange, warme Zunge in meinem Gesicht. Shita! Alle Erschöpfung wich aus meinem Körper. Mein Herz schlug schneller. Ich drängte den Hund weg, griff in sein dichtes Fell, schüttelte ihn und umarmte ihn dann. McHenry sagte etwas, ich verstand es nicht. Über Shita weg sah ich die schlanke Gestalt über den Hof gehen. McHenry hatte sich erhoben und hielt sein Gewehr in den Fäusten. »Elton!« rief ich. Ich stand auf und drückte McHenrys Gewehr nach unten. »Das ist Elton Vandam«, sagte ich. »Natürlich«, sagte er. Er beugte sich vor. Seine Augen waren rotgerändert. »Ich hab dich nicht gleich erkannt, Junge. Ich hab dich doch gesehen, als ich mal hier war, mit einer Kutsche von Corpus Christi nach Eagle Pass. Kennst du mich noch?« Elton blieb stehen. Sein sommersprossiges Gesicht wirkte nicht mehr jungenhaft. Er sah hager aus, seine Züge wirkten hart. Elton
war ein Mann, daran konnte kein Zweifel bestehen. »Ich erinnere mich«, sagte er. »Was tut ihr hier?« »Hast du die Apachen nicht gesehen?« fragte ich. »Welche Apachen?« »Die Apachen, die uns hier festgehalten haben«, erwiderte ich. »Da unten sind keine Apachen«, sagte er. »Das Land ist leer. Ich hab keine Menschenseele gesehen.« Er schaute auf die toten Indianerpferde. »Seit wann seid ihr hier?« »Seit gestern abend. Wir haben gedacht, es sei aus.« »Es ist niemand da«, wiederholte er. »Ich bin seit gestern abend unterwegs. Ich wollte meine Eltern begraben. Colonel Lester wollte mich nicht allein weglassen, aber ich bin mit Shita kurz vor dem Zapfenstreich aus dem Fort raus.« Unsere Chance – das war sie gewesen: Die Apachen hatten keine Lust gehabt, wegen zwei Männern weitere Tote zu riskieren. Wir waren gerettet. Sie hatten in der Nacht ihre Toten geholt und waren abzogen. Ich drehte mich um und rief in die Scheune: »Mister Vanderbilt, es geht weiter! Die Apachen sind weg. Vor denen brauchen sie keine Angst mehr zu haben.« Vanderbilt tauchte wenig später auf. Er wankte und zitterte am ganzen Leib. Er blieb vor dem Eingang der halbverbrannten Scheune stehen und blickte uns an wie Wesen aus einer anderen Welt. Seine Hosen waren zerrissen und fleckig, das Jackett hing lose um seinen nackten Oberkörper. »Guten Morgen, Mister Vanderbilt«, sagte Elton. Shita wich knurrend zurück und fletschte die Zähne. Vanderbilt sagte nichts. Elton schaute mich an und fragte: »Was hast du herausgekriegt?« Ich deutete auf die Kutsche, die hinter der Scheune stand. »In der Kutsche sind zwölf Gewehre für die Apachen versteckt. Vanderbilt wollte gern einen kleinen Indianerkrieg anzetteln und kräftig daran verdienen. Aber da gibt es noch ein paar andere Leute, die etwas dagegen hatten, daß er das Geschäft macht. Ich weiß nicht, was das für Leute sind, aber sie haben dafür gesorgt, daß Vanderbilt in diesem Geschäft nicht alt geworden ist. Wegen dieser Leute mußten
deine Eltern sterben und auch die Fletschers, die die andere Station bei Eagle Pass hatten. Vanderbilt begleitet uns nach Fort Calhoun. Er wird seine Geschichte dort erzählen.« »Geh zur Seite«, sagte Elton. Er hatte das Gewehr erhoben und zielte damit auf mich, weil ich zwischen ihm und Vanderbilt stand. »Meine Eltern sind da drüben in dem verbrannten Haus gestorben. Dieses Schwein wird auch hier sterben. Ich hab dir gesagt, daß ich ihn umbringe, wenn sich herausstellt, daß er mit ihrem Tod zu tun hatte.« »Laß den Unsinn, Elton«, sagte ich scharf. »Nehmen Sie ihm das Gewehr weg!« quäkte Vanderbilt hinter mir. »Der Junge ist verrückt. Ich hab doch mit den Überfällen auf die Stationen nichts zu tun.« »Geh zur Seite!« wiederholte Elton. »Du wirst nicht glücklich damit«, sagte ich. »Es wird dir dein Leben lang nachhängen. Rache ist etwas Übles. Man kommt sich hinterher dreckiger vor als der Mörder. Du bist zu jung, um für den Rest deines Lebens damit herumzulaufen. Überlaß ihn dem Gericht, Elton. Er kriegt, was er braucht. Deine Eltern werden nicht mehr lebendig, wenn du ihn umlegst.« Eltons Gesicht wirkte kantig und verschlossen. Er hielt sein Gewehr so fest umklammert, daß die Knöchel seiner Finger weißlich unter der Haut hervortraten. Ich sah ihn fest an, dann trat ich zur Seite. Vanderbilt schrie auf. Er reckte beide Arme abwehrend vor, als Elton das Gewehr noch ein Stück hob. McHenry stand wie erstarrt ein Stück abseits. »Nicht!« schrie Vanderbilt. »Nicht schießen!« Er sank auf die Knie und schlug die Hände vor das Gesicht. Ein wildes Zucken durchlief seinen massigen Körper, dann sank sein Kopf nach vorn. Elton stand immer noch da, das Gewehr erhoben und auf Vanderbilt gerichtet. In seinem Gesicht arbeitete es. Seine Augen schimmerten auf einmal feucht. »Mörder«, sagte er leise. Dann ließ er das Gewehr sinken.
Ich ging zu ihm und legte ihm den Arm um die Schultern. »Wir werden deine Mom und deinen Dad gemeinsam begraben«, sagte ich. »Du hast gerade gezeigt, daß du erwachsen genug bist. Vergiß Vanderbilt. Er ist es nicht wert, daß an ihn gedacht wird.« Ich nickte McHenry zu, der sich in Bewegung setzte und Vanderbilt auf die Beine zerrte. Er führte ihn zur Kutsche und kümmerte sich dann um die Pferde, während Shita, Elton und ich in den verkohlten Trümmern des Stationshauses nach den Überresten von Henry und Elsa Vandam suchten. Wir sprachen kein Wort dabei, auch später nicht, als wir fertig waren und sich ein flacher Hügel über den beiden Toten wölbte. Als wir zur Kutsche gingen, sagte Elton: »Ich werde nie mehr hierherreiten.« Dann ging er an dem Wagen vorbei, ohne Jerome Vanderbilt zu beachten, der am Fenster saß. Elton kletterte zu McHenry auf den Bock. Ich bestieg meinen Hengst und pfiff nach Shita. Als die Kutsche anrollte, ritt ich voraus, und Shita lief neben mir her. Die Wolken waren dichter geworden. Kalt und schwer fielen die ersten Tropfen. Im strömenden Regen näherten wir uns Fort Calhoun.
12. Es war noch einmal schön geworden. Ein milder Wind wehte. Es war kühl, aber die Sonne schimmerte golden. An den Tagen vorher hatte es geregnet, und noch standen überall Pfützen, und die Wege waren aufgeweicht. Auf dem Exerzierplatz von Fort Calhoun übte die Kavallerie mit dem Säbel. Junge Reiter stürmten auf Säcke los, die an Stricken aufgehängt waren, und hieben mit ihren Säbeln darauf ein. Die meisten stürzten beim erstenmal selbst aus dem Sattel oder verloren ihre Säbel. Ein paar Infanteristen standen am Rande des weiten Rundes und hielten sich die Bäuche vor Lachen. Ich ging mit Elton und Shita zum Tor. Elton trug ein Bündel über der Schulter und sein Gewehr unter dem rechten Arm. In dem Bündel befanden sich einige Vorräte, die der Koch ihm
zusammengepackt hatte. »Du solltest den Winter über hierbleiben«, sagte ich. »Es ist verdammt kalt da draußen, wenn man nicht weiß wohin.« Ich hatte es ihm schon in den Tagen vorher gesagt und wußte auch jetzt, daß er nicht auf mich hören würde. »Ich will weg hier«, sagte er. »Weg aus Texas. Ich weiß noch nicht wohin, aber hier will ich nicht bleiben.« »Das mußt du wissen.« Ich drückte ihm die Hand. Mir war ein bißchen wehmütig zumute. Jeff McHenry hatte bereits gestern das Fort verlassen. Im strömenden Regen. Er war mit einem Armeetransport ostwärts gefahren. Er wollte nach New Orleans. Vielleicht, hatte er gesagt, gehe ich auch nach Mexiko. Elton ging in die Knie und blickte Shita an. Shita hockte vor ihm und wirkte traurig. Sein Schwanz bewegte sich nicht, die Ohren hatte er eingeknickt. Ich sah auf die beiden hinunter, wie sie voreinander hockten und sich anblickten, und mir drängten sich die Gedanken auf, die ich auf der niedergebrannten Vandam-Station gehabt hatte. Ich dachte, daß Elton es schwerhaben würde, und ich fühlte, wie meine Kehle eng wurde. Als ich zu sprechen begann, klang meine Stimme fremd und gepreßt. »Elton«, sagte ich. »Du wirst verdammt allein sein.« »Ja«, sagte Elton. Ich schloß für einen Moment die Augen. Tausend Gedanken wirbelten in dieser Sekunde durch meinen Kopf. »Du wirst einen Freund brauchen«, sagte ich. »Das Land ist voller Gefahren.« »Ich weiß.« Er sah Shita unverwandt an und strich ihm über den Kopf. »Ich bin erwachsen, Elton«, sagte ich. »Ich habe gelernt, mich durchzubeißen. Willst du Shita mitnehmen?« Jetzt war es raus, und kein Wort war mehr zurückzunehmen. Shita hob den Kopf, als habe er jedes Wort verstanden. Elton musterte mich ungläubig. »Shita ist ein Hund, der seinen eigenen Kopf hat«, sagte ich. »Er tut nur, was er will. Versuch nicht, ihn zu irgend etwas zu zwingen.
Shita ist mehr als ein Hund. Ich hatte nie einen besseren Freund als ihn. Aber ich weiß, daß er dich mag. Er kann auch dein Freund sein. Wenn du Shita hast, bist du nie allein. Er ist der beste Freund, den es gibt.« Ich bückte mich und blickte Shita in die Augen. Sie waren dunkel und ernst und schienen alles zu verstehen. Ich fuhr durch sein dichtes Fell. »Du kannst mit Elton gehen, alter Junge«, sagte ich. »Elton braucht dich. Elton kennt das Land nicht, er war noch nie allein. Ihr werdet euch verstehen. Paß auf ihn auf. Er hat eine gute Chance verdient. Wenn einer ihm helfen kann, dann du.« Ich beugte mich noch tiefer und drückte meinen Kopf in Shitas Fell. Dann richtete ich mich schnell auf. »Alles Gute, Elton« sagte ich. Meine Stimme klang belegt. Als Elton sich abwandte, sah ich ein paar Tränen in seinem Gesicht. »Komm, Shita«, sagte er. »Wir bleiben zusammen.« Er setzte sich in Bewegung und ging. Shita zögerte. Er blickte mich an und bellte. Es klang traurig, aber als Elton sich umwandte, tappte Shita los. Er trottete mit hängendem Schwanz hinter Elton her. Ich mußte mich zwingen, ihnen nachzuschauen. Einmal noch blickte Shita zurück. Ich hörte sein Bellen. Es klang wie ein Abschiedsruf. Es klang zugleich wie ein Dank an die vergangenen Zeiten, die wir zusammengewesen waren. Ich wußte, wenn ich gepfiffen hätte, wäre er zurückgekehrt. Aber ich hatte kein Recht, ihn festzuhalten. Er war kein Schoßhund, er brauchte eine Aufgabe. Elton war seine Aufgabe. Ich sah Shita und Elton nebeneinander die Overlandstraße nach Osten gehen. Ein Kloß stieg in meinem Hals auf, und ich blieb stehen, bis ich die beiden nicht mehr sehen konnte. Als ich durch das Fort ging, begegnete mir Jicarilla. Er sagte etwas, aber ich hörte es nicht. Ich ging an ihm vorbei zu unserem Quartier. Ich dachte daran, mich zu besaufen, aber das wäre Shita nicht würdig gewesen. Ich war alt genug, um allein fertig zu werden. Ich dachte an die zurückliegenden Jahre, und mir war klar, daß ein entscheidender Lebensabschnitt hinter mir lag …
ENDE
Vorschau Sie hatten sich drüben auf dem Stepwalk gegenüber dem CarrizoSaloon verteilt – fünf Revolvermänner! Der sechste, Cassy, stand auf der Main Street dem Saloon gegenüber. Er war es, der Ronco herausfordern sollte – und auf ein vereinbartes Stichwort von ihm würden sie alle zugleich ziehen. Ronco begriff es in dem Moment, als er den Saloon verließ, und er zögerte nicht, die Initiative zu ergreifen. Er sprang nach links, aber sofort wieder zurück – und schon jagte seine schwere Waffe einen langen Feuerstrahl über die Main Street. Der Pulverdampf hüllte ihn wie eine Nebelwolke ein. Die Flamme vor der Mündung riß nicht ab, denn was sich wie ein überlauter Schuß anhörte, waren in Wahrheit drei. Ronco hatte den Abzugsstollen der 45er Waffe angefeilt, und seine linke Hand fächerte wie rasend über den Hammer … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 331 dieser großen deutschen Western-Serie:
Der Anwalt des Todes